Sergej Kulik
Verlag Progress Moskau VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig
Titel der Originalausgabe: Сергей Кулик «Моза...
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Sergej Kulik
Verlag Progress Moskau VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig
Titel der Originalausgabe: Сергей Кулик «Мозамбикские сафари»
Nach einer Übersetzung aus dem Russischen von Wolfgang Gruhn Sämtliche in der deutschen Ausgabe enthaltenen Fotos wurden vom Autor zur Verfügung gestellt
ISBN 3-325-00215-3 (DDR) ISBN 5-01-002296-6 (UdSSR) 1. Auflage Gemeinschaftsausgabe der Verlage VEB F. A. Brockhaus Leipzig und Progress Moskau © Издательство «Мысль», Москва, 1986
© Deutsche Ausgabe VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig, DDR, und Verlag Progress Moskau, 1989 Lizenz-Nr.: 455/150/66/89-LSV-5379 Lektor: Helmut Sträubig Kartenredaktion: Helmut Sträubig Buchgestaltung: Rolf Kunze Kartenzeichnung: Klaus Thieme Satz und Druck: UdSSR Redaktionsschluß: 31.12.88. Bestell-Nr.: 587 310 4 01450
Inhalt
Fahrt aus der Vergangenheit in die Zukunft ...................... Die düsteren Geheimnisse von Fort São Sebastião ............ Die Geisterstadt auf der Ilha de Moçambique ................... Der Araber Madjid auf Vasco da Gamas Kommandobrükke .................................................................................. Reliquien der Conquista schwimmen nach Lissabon .......... Drei Nächte mit dem großen Camões ............................... Kaschunuß — ein moçambiquischer Weltrekord ............... Die »drei Dinosaurier« der Kolonialwirtschaft.................. Im goldenen Sofala singen die Marimba ........................... Wir fahren nach Monomotapa .......................................... Nyalas kämpfen im Mondlicht ......................................... Auf den Spuren afrikanischer Erzsucher ........................... Vergangenheit und Gegenwart des legendären Manica ...... Die Natur hilft bei der Enträtselung der Steinbauweise ..... Die Genossenschaft an der Sambesi-Brücke...................... Masken rufen zum Kampf................................................ Stromaufwärts nach Tete ................................................. Moatize — Moçambiques Kohlenpott ............................... Afrikas größtes Wasserkraftwerk ..................................... Die Teehügel von Mlanje und Gurue ................................ Eine »tragische Kultur« .................................................. Auf den Spuren der Vergangenheit .................................. Am großen Njassasee ...................................................... Zu Hilfe kommen mir meine Swahili-Kenntnisse .............. Angoni, die noch nie Weiße gesehen haben ...................... Konzerte zwischen Lucinge und Rovuma.......................... Meine Freunde, die Makonde........................................... Die Mpiko verlassen die Garage ...................................... So entstehen Meisterwerke .............................................. Ibo — Alto Ligonha — Quelimane................................... Die »Hyänen« im Gorongosa-Park ................................... Bei Genossenschaftsbauern im Limpopo-Tal .................... Lourenço Marques wird Maputo ...................................... Erläuterungen .................................................................
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Fahrt aus der Vergangenheit in die Zukunft »Ach, würde doch jemand, sei es Allah, Christus, Buddha oder meinetwegen auch ein Waldschratt, den heutigen Tag wenigstens um drei bis vier Stunden verlängern, wie glorreich könnte dann alles ablaufen!« ruft Kommissar João, und schlägt sich, als wir gerade wieder einmal in ein Schlagloch geraten, kräftig auf die Knie. »Wir würden noch bei Tageslicht auf die Insel kommen, könnten noch im Schein der Abendsonne die portugiesische Flagge auf den Kehrichthaufen der Geschichte werfen und dann am Morgen, wenn die Sonne wieder aufgeht, die Frelimo-Flagge hissen. Zwischen den beiden Festakten aber ließen sich alle die Dinge erledigen, die sich so angesammelt haben.« »Daraus wird nichts. Die Brücke, die das Festland mit der Ilha de Moçambique verbindet, erreichen wir erst gegen Mitternacht«, mischt sich Alves, unser Fahrer, ins Gespräch ein, »und genau dann wird, wie üblich um diese Jahreszeit, der Regen einsetzen. Und der hört hier vor dem Morgen nicht auf, es wird gießen wie aus Eimern. Was kann das dort schon für eine Feier werden!« Es war aber unmöglich, an unserem Ablaufplan für diesen Tag, den 21. Dezember 1974, noch etwas zu ändern. Die von Kommissar João angeführte, aus dem Norden heranziehende Vorausabteilung der Befreiungskräfte hatte anstelle der den Boden Moçambiques für immer verlassenden portugiesischen Kolonisatoren die Macht übernommen. Irgendwo hinter uns bewegten sich Kolonnen regulärer Frelimo-Infanterie, Partisanenabteilungen sowie Verbände von Militärtechnik, eilten Agitatoren der Befreiungsfront, Lehrer, Ärzte, Agronomen an ihre Plätze — all jene, denen es oblag, an der Schaffung einer Übergangsmacht in Moçambique, an der Gestaltung eines Lebens auf neue Art mitzuwirken. Kommissar João und seine Begleiter hatten jedoch andere vordringliche Aufgaben zu erfüllen: den Portugiesen die Macht aus den Händen zu nehmen, Bedingungen für eine Feuereinstellung zu schaffen, Meetings mit der ihre Befreier schon sehnsüchtig erwartenden Bevölkerung durchzuführen, dieser die Besonderheiten dieses Augenblicks vor Augen zu führen. 7
»Was bin ich bloß für ein Agitator!« murmelte João bedauernd in seinen Bart. »Da will ich mich vor dem Volk über den Nutzen von Disziplin unter der neuen Macht verbreiten, selbst aber komme ich einen halben Tag zu spät, um die Flagge dieser Macht zu hissen.« »Es ist aber doch wahrhaftig nicht deine Schuld, daß die Portugiesen in Nampula, Diszipliniertheit vortäuschend, das Ganze hinauszögerten und die Vertreter der FRELIMO zwangen, jede einzelne Patrone in den Hunderten von zu übergebenden Kisten zu zählen«, mengte ich mich in das Gespräch ein. »Und nicht du warst es, der die dadurch gewonnene Zeit genutzt hat, um wenige Minuten vor unserem Abmarsch noch fünf funkelnagelneue Flugzeuge in die Luft zu sprengen, die gemäß Protokoll bereits Eigentum der Befreiungskräfte waren. Und nicht deine Leute waren es, die in den Afrikanervierteln der Stadt ein Pogrom veranstalteten und jedem mit Vergeltung drohten, der zu unserem Meeting ginge.« »Was soll man da schon sagen! Nampula war eine harte Nuß: Stab der operativen Streitkräfte, die gegen uns eingesetzt waren, wichtigste Militär- und Luftfahrtbasis, Sammelpunkt faschistoider Offiziere und Söldner. Saßen in Lissabon und Lourenço Marques* vor allem die ,Theoretiker’, so hatten sich hier die zusammengerottet, die deren teuflische Pläne realisierten. Daß in Nampula, wenn auch unter Schwierigkeiten, alles geklappt hat, das ist allerhand. Doch weißt du, weshalb ich so darauf brenne, auf die Ilha de Moçambique zu gelangen?« »Die ,Bürde der Geschichte’ drückt dich wohl?« mutmaße ich. »Natürlich! Über Nampula als portugiesische Bastion im Norden unseres Landes begann man erst Ende der sechziger Jahre zu sprechen. Lourenço Marques ist als Hauptstadt noch keine hundert Jahre alt. Aber die Ilha de Moçambique! Diese Inselstadt war ja fast fünfhundert Jahre lang wichtigster militärischer, politischer und kultureller Vorposten Lissabons nicht nur in ganz Moçambique, sondern in ganz Ostafrika, eines der Bollwerke portugiesischer Macht im Indischen Ozean. Hierher ergossen sich ganze Ströme von Gold und Elfenbein, Gummiarabikum, Hörnern von Rhinozerossen, Leopardenfelle und Kupfer. Später brachte man auch Sklaven; auf großen Schiffen, wie sie sich ständig auf der Reede der Insel ver* So hieß Maputo in kolonialer Zeit.
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sammelten, wurden sie nach Westen und nach Osten transportiert. In einem Buch habe ich vor kurzem gelesen, daß im 16. Jahrhundert alle jene auf dieser Insel Station machten, die leicht zu erringendes Glück nach dem Orient lockte: Vizekönige und Verbrecher, Dichter und Kaufleute. Der Inselhafen wurde zu einem blühenden Zentrum nicht nur des lokalen, sondern auch des Welthandels, aus dem die Portugiesen im Indischen Ozean größere Profite als aus dem Handel zwischen Orient und Mutterland zogen...« Gemeinsam zählen wir auf, welche Gebiete die portugiesischen Flotten, die auf jeden Fall an der Ilha de Moçambique anlegten, um ihre Vorräte an Wasser und Proviant hier zu ergänzen, im 16. Jahrhundert in den Meeren des Ostens alles kontrollierten. In Afrika war dies die gesamte Küste der heutigen Staaten Moçambique, Tansania, Kenia und Somalia, im Nahen Osten waren es Hormus und Sokotra, in Indien Kalikut, Kannanur, Goa und Diu, in Südostasien Malakka, die Molukken und... »Da reichen die Finger beider Hände nicht, um alles aufzuzählen«, unterbricht uns Alves, »schaut lieber einmal nach rechts. Da hat jemand Lust gehabt, einer Dummheit wegen so hoch zu klettern!« Inmitten der einförmigen, völlig flachen Ebene, die hier wie überall im Umkreis von Baumwollplantagen eingenommen wird, spürt das Licht unserer Scheinwerfer einen Hügel mit einer fast senkrechten, glänzenden Felswand auf. Hinter dem ersten Hügel zeigt sich ein zweiter, dritter. Das sind die berühmten Lakkolithen von Nampula, die über der dem Ozean zugewandten Tiefebene aufragen. In portugiesischer Zeit pflegten sich an ihrem Fuße Touristen fotografieren zu lassen, Bergsteiger trainierten hier. Diesmal jedoch hat man die alten Lakkolithen für schmutzige Zwecke mißbraucht — an einen der Felsen hat man oben mit Leuchtfarbe antipatriotische Schimpfworte geschmiert, an den zweiten einen Aufruf zur Vereinigung Moçambiques mit der rassistischen Republik Südafrika und an den dritten die Losung: »Für die FRELIMO ist kein Platz auf der Insel!« Eine heftige Explosion unterbricht unsere Fahrt. Unser Auto wird nach links geschleudert, kippt um, Staubwolken verdecken den mondhellen Himmel. Ganz in der Nähe ertönt eine zweite, eine dritte Detonation. Rechts und hinter uns bellen längs der Straße Maschinenpistolen. Der Kommissar erkundet mit seinen Begleitern die 9
Lage, Soldaten stellen unseren »Landrover« wieder auf die Räder und ziehen ihn auf die Straße zurück. »Wohl eine Aktion hiesiger Rechter, nach dem zu urteilen, wie laienhaft sie vorbereitet war«, resümiert João das Geschehene. »Sie wollten auf der Brücke uns in die Luft sprengen, hatten jedoch die Sprengung irrtümlicherweise auf einen riesigen Muschelkalksteinblock am Straßenrand gerichtet. Uns hat die Explosionswelle in den Sand geschleudert, die Gesteinstrümmer aber haben zwei weitere Sprengungen ausgelöst, und dadurch ist die Brücke zerstört worden. Den Fluß, es ist der Monapo, werden wir nun in einer Furt durchqueren. Schade nur, daß wir eine weitere Stunde verloren haben!« Gleich hinter dem breiten Flußtal enden die monotonen Baumwollfelder, und wir erkennen die schwarzen Silhouetten von Kokospalmen. Immer häufiger stoßen wir auf Hütten. Viele sind mit bunten elektrischen Lämpchen illuminiert, hier und da kann man an den Eingängen Porträts von Frelimo-Führern erkennen. Als ich wieder einmal aus dem Fenster schaue, hätte ich vor Verwunderung fast aufgeschrien. Direkt auf der Straße kommt ein regelrechtes Gespenst auf uns zu — ein schwarzer Kittel, über dem sich das völlig ausdruckslose, unnatürlich weiße Rund eines Gesichts abzeichnet. Das Gespenst verschwindet in der Dunkelheit, doch unsere Scheinwerfer erfassen auf der Straße noch weitere seltsame Gestalten mit weißen Masken. »Also warten die Mädchen schon auf uns«, meint Alves in einem Ton, der deutlich Zufriedenheit ausdrückt. »Mädchen?« frage ich verwundert. »Ich hatte geglaubt, es seien Vertreter der hiesigen Contras, die die Leute verschrecken wollen, damit sie nicht an den Festtag denken. Weshalb entstellen sie ihr Gesicht so schrecklich?« Alves will sich ausschütten vor Lachen. »Der Schönheit, nur der Schönheit wegen«, erwidert João lachend. »Die Makua-Frauen halten es nämlich schon seit eh und je mit der Kosmetik. Auf diese Art und Weise versuchen sie, die zarte Gesichtshaut vor der hiesigen unbarmherzigen Sonne zu schützen, die nicht nur von oben herab brennt, sondern auch von unten, da ihre Strahlen vom schneeweißen Korallensand und der Meeresoberfläche zurückgeworfen werden.« Ohne von einem Modeschöpfer wie etwa Dior beeinflußt worden zu sein, haben die auf der Insel lebenden Makua, schon bevor die Portugiesen hier auftauchten, es verstanden, aus dem milchartigen 10
Saft der in den Mangrovewäldern wachsenden Nsiropflanze eine Gesichtscreme herzustellen. Diese trocknet auf der Haut, zieht sie zusammen, wird zu einer Maske, die keine Sonnenstrahlen durchläßt. Man trägt die Maske vom frühen Morgen an und wäscht sie erst vor Sonnenuntergang wieder ab. Ein Mädchen, das abends ein Rendezvous mit einem Burschen vorhat, sieht also den ganzen Tag über recht wenig attraktiv aus. Doch jedermann hat sich so daran gewöhnt, daß es schon fast als unanständig gilt, wenn sich eine Frau tagsüber ohne Maske auf der Straße zeigt... »Es wäre aber wohl längst an der Zeit gewesen, sich zu waschen und sich den Gästen in voller Schönheit vorzustellen«, ich konnte mich dieser Bemerkung nicht enthalten. »Gewiß, doch wir haben es hier mit einer kleinen List zu tun. Es sind Mädchen von uns, von der Befreiungsfront. Mit ihnen haben wir vereinbart: Wenn sie uns ,ungewaschen’ begegnen, heißt dies, auf der Insel ist alles ruhig, und wir können weiterfahren. Hätten sie uns aber ihre hübschen Gesichter offen gezeigt, dann würde es bedeuten, uns droht Gefahr.« Obgleich die Uhr fast zehn zeigt, sammelt sich längs der Straße immer mehr Volk an. In Gruppen oder einzeln bewegen sich die Leute in Richtung Meer, dorthin, wo über der bizarren, gezackten Kuppe der Kokoswäldchen ein rosa Feuerschein aufsteigt. Wenn sie unser Auto entdecken, lächeln sie freundlich, werfen sie uns Zweige der violetten Bougainvillea und der feuerroten Sykomoren vor die Räder. Noch eine scharfe Kurve, und vor uns taucht im Widerschein Tausender an der Küste flackernder Lagerfeuer die Insel Mocambique auf, die auf der vom Mondlicht versilberten Fläche des Indischen Ozeans wie ein mit unzähligen Facetten glitzernder Edelstein auf einem silbernen Tablett dazuliegen scheint. Von diesem Schauspiel wie gebannt, bremsten wir. Und fast im gleichen Augenblick schaltete man, offensichtlich als Reaktion auf das Auftauchen des Frelimo-Vorkommandos, am Übergang die Scheinwerfer der portugiesischen Militäranlagen auf der Insel ein; sie ließen in der Nacht die scharfen Konturen des mittelalterlichen Arsenals, die gezackten Mauern des Forts und die Brustwehren der Befestigungsanlagen aufleuchten, die weit in das geheimnisvoll wirkende Meer hinausreichten. Die fast drei Kilometer lange, aber schmale, nicht einmal zwei PKW nebeneinander Platz bietende Brücke, die das Festland mit 11
der Ilha de Moçambique verbindet, vermochte nicht einmal den hundertsten Teil der Menge zu fassen, die anläßlich der Ankunft der FRELIMO-Abteilungen aus der ganzen Umgebung hierhergekommen war. Der größte Teil hatte in Booten Platz genommen. Ich weiß nicht, wie viele Menschen sich in dieser Nacht an der Brücke eingefunden hatten, doch glaube ich, daß Moçambiques Gewässer, in denen einst mächtige, aus Galeeren, Karavellen und Fregatten bestehende Armadas kreuzten, noch nie eine solche Zahl von Pirogen, Feluken und Dhaus gesehen haben. Und jedes dieser Boote hatte sein eigenes Orchester, seine Tänzer, die Fackeln schwenkten und, ohne die immer stärker werdende Brandung zu beachten, in ihren von den Wellen hin und her geschleuderten Schiffchen die tollsten Sprünge vollführten. Wo die Brücke auf der Insel endet, stehen, dem feierlichen Augenblick entsprechend gekleidet, die portugiesischen Würdenträger: der Gouverneur der Insel in schwarzem Frack, mit Zylinder und Stöckchen, umgeben von einer Schar Beamten in schwarzen Anzügen; ein General — der Kommandant des Forts — mit Säbel, im Waffenrock mit goldenen Epauletten und mit einem gewaltigen Dreispitz auf dem Kopf, sowie ein Admiral — der Hafenkommandant — in weißer, reich mit Silber verzierter Uniform und mit einer solchen Unmenge von Orden an der Brust und Waffen am Gürtel, daß er sich offensichtlich kaum bewegen kann. Nach der Begrüßung laden die Portugiesen die Vertreter der Befreiungsfront ein, in offenen Autos Platz zu nehmen und ihnen in den Gouverneurspalast zu folgen. Dort wird hinter verschlossenen Türen der Modus der als Übergang gedachten »Teilung der Macht« auf der Insel zwischen der Kolonialverwaltung und den Befreiungskräften diskutiert, werden Einzelheiten für die bevorstehende Feierlichkeit vereinbart. Recht zufrieden verläßt João das in weißem Marmor gehaltene Arbeitszimmer des Gouverneurs. »Wir sind uns über alles ganz gut einig geworden«, flüstert er mir vertraulich zu. »Die Portugiesen ziehen ihre Flagge fünf Minuten vor Mitternacht ein, und genau um Mitternacht wird die Flagge der FRELIMO gehißt. Die Hauptzeremonie findet auf dem Paradeplatz vor dem Palast statt. Anschließend ziehen die Abteilungen der Befreiungsarmee in das Fort ein.«
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Die düsteren Geheimnisse von Fort São Sebastião Und da schaue ich nun auf diese Flagge, die die Scheinwerfer in der samtenen afrikanischen Nacht aufleuchten lassen. Zwar steht die Proklamierung eines unabhängigen Moçambique noch bevor, und die Flagge der Republik wird erst sechs Monate später, am 25. Juni 1975, in Lourenço Marques wehen, doch muß ich jetzt daran denken, daß eigentlich gerade hier, auf der Insel Moçambique, Symbol der langen portugiesischen Herrschaft, der erste Strich unter diese fast fünfhundert Jahre währende Regierung Lissabons in Ostafrika gezogen werden kann. Die Portugiesen brüsteten sich damit (obwohl wahrhaftig kein Anlaß dazu vorhanden war!), daß sie auf Moçambique vieles »zum ersten Male« getan hätten. So gebrauchten die europäischen Kolonisatoren gegen die Bewohner eben dieser kleinen Insel erstmalig in der Geschichte Ostafrikas Feuerwaffen und befleckten damit zum ersten Male die Beziehungen zwischen Westeuropa und Ostafrika mit Blut. Anschließend wurde Moçambique erste ständige Siedlung des weißen Mannes südlich des Äquators, wurde es zu einem Vorposten, von dem aus die Portugiesen sowohl in Afrika als auch — über den Ozean — bis Indien vordrangen. Eben auf dieser Insel entstand auch das erste Steingebäude, das der weiße Mann südlich des Äquators errichtete. Symptomatisch ist, daß dies eine Kirche war, die jene für die Kolonialpolitik Portugals so charakteristische Einheit von Kreuz und Degen symbolisierte. Die Inselzitadelle war auch die erste Bastion der Portugiesen, die bald die ganze Kraft des Widerstandskampfes der Afrikaner zu spüren bekamen. Ist es nicht ein Zeichen historischer Gerechtigkeit, daß der vielgeprüften kleinen Insel das Glück zuteil wurde, als erste im Land den neuen Morgen unter der Flagge der Befreiungskräfte zu begrüßen! Vorerst strömen unter dieser Flagge auf dem Hauptplatz der Festung noch die ganze zwölftausend Menschen umfassende Bevölkerung der Insel und eine kaum geringere Zahl vom Festland herübergekommener Gäste zusammen. Alle schauen gen Himmel: Die tropische Natur ist pünktlich, und der Regen ist hier geradezu »verpflichtet«, sofort nach Mitternacht einzusetzen. Zunächst aber scho13
nen die Elemente noch die Menschen. Zwar haben sich über dem Meer bereits grauschwarze Wolken zu einer kompakten Mauer zusammengeballt, doch über uns funkeln weiterhin Sterne, und der Mond zeichnet auf dem Wasser eine Art Lichtsteg, der einer silbernen Brücke gleich die Insel mit dem Festland verbindet. João klopft ans Mikrophon, die lärmende Menge verstummt. »Genossen, Freunde!« beginnt er. »Ihr alle wißt nur zu gut, von welch schrecklichem fünfhundert Jahre altem kolonialem Erbe wir heute Abschied nehmen. Ihr, die ihr hier lebt, auf der winzigen Ilha de Moçambique, habt im Laufe der Zeit die Greueltaten der ,weißen Herren’ unseres Landes sogar besser kennengelernt als die Einwohner der größeren Städte auf dem Festland. Auf einer kleinen Insel kann nichts geheim bleiben, und so habt ihr in den Nächten gewiß die lauten Schreie der Gefolterten und die Hilferufe gehört, die aus den Kasematten drangen. Das alte Fort, auf das die Portugiesen so stolz waren, dieses erste Bollwerk weißer Zivilisation in Afrika, hat man in den letzten Jahren zum Hauptgefängnis, zu einer Folterkammer für Patrioten gemacht. Die besten Söhne und Töchter unseres Landes, die man hinter diesen Mauern gequält hat, Hunderte von Patrioten, sind unmittelbar von diesen herab ins Meer geworfen worden. Als wir heute die Festung übernahmen, haben wir die letzten hiesigen Gefangenen befreit. Hier seht ihr sie: Maria Gracia da Costa, ein dreiundzwanzigjähriges Mädchen aus Lourenço Marques, nur deshalb drei Jahre in Einzelhaft, in einer steinernen Zelle zusammen mit Scharen von Wanzen, Skorpionen und Ameisen, weil es der Freundin, einer Aktivistin im Untergrund, eine Nachricht ins hauptstädtische Gefängnis überbracht hat.« Erregtes Murren in der Menge, als vier Frelimo-Angehörige Maria auf einer Trage herausbringen und diese neben João abstellen. »Tomas Ntchangu, ein fünfundzwanzigjähriger Kämpfer aus unseren Reihen. Anderthalb Jahre haben ihn die Henker täglich gefoltert, ihm siedendes Öl in die Augen, genauer gesagt, in die längst leeren Augenhöhlen gegossen. So haben sie Tomas gezwungen, Namen seiner Kameraden zu nennen, von Kundschaftern, die uns halfen, die Militärstützpunkte in Nampula zu beobachten.« Von Soldaten geführt, nimmt Tomas gleichfalls seinen Platz unter der Flagge ein. Man spürt, wie die Spannung wächst. 14
»Alfonso Tchipanda, er hat bereits das achte Jahrzehnt überschritten, dabei das letzte hier in eurer Nachbarschaft verbracht. Sicher wißt ihr, daß die nächsten Nachbarn der Makua auf dem Festland die Makonde sind. Msee* Tchipanda ist ein geachteter Häuptling der Makonde gewesen. Die Portugiesen haben von ihm verlangt, er solle Jungen und Mädchen in den ihm unterstehenden Dörfern verbieten, sich den Befreiungsabteilungen anzuschließen. Als guter Patriot hat Tchipanda das abgelehnt. Da hat man ihn auf eure Insel gebracht. Bei ihm hat man eine Folter angewandt, die die Kolonisatoren zynisch als ,Makonde’ bezeichneten. Weshalb? Weil bei den Makonde noch die Tatauierung üblich ist. Fast täglich haben die Barbaren, die sich in dieser Festung verschanzt hatten, dem alten Mann die Haut auf Rücken und Brust mit einer scharfen Rasierklinge aufgeschnitten — ,die Muster auffrischen’, wie der Henker witzelte—, und danach Säure in die Wunden gegossen. Doch Msee hat standgehalten, und heute ist er unter uns.« In funkelnagelneuer, gut sitzender Frelimo-Uniform kommt der schlohweiße Msee aus der Kasematte und gesellt sich zu seinen Kameraden, grüßt die Fahne militärisch. Nach kurzem Überlegen zieht er dann die Militärbluse über den Kopf — überall auf seinem Oberkörper purpurrote, kaum zugeheilte Wunden... »Jemand hat mir heute schon erzählt, und auch früher habe ich es bereits zu hören bekommen, jene Maria dort stamme aus dem Süden, der Msee aus dem Norden, der hiesigen Bevölkerung aber, den Makua, hätten die Kolonialbehörden nie etwas zuleide getan und ihnen nie etwas nachgetragen«, fährt João fort, seine Erregung unterdrückend. »Dann möge mir aber doch jemand der hier Versammelten sagen, weshalb Catarina Nganya seit drei Jahren schon nicht mehr unter euch weilt? Jawohl, jene ,Mutter Cati’, die sieben Kinder adoptiert hat, Waisen, deren Eltern — Fischer — nicht vom Fang zurückgekehrt sind, die als erste auf dieser Insel erklärt hat: ,Unsere Männer werden im Hafen keine Waffen entladen, mit denen unsere Jungen und Mädchen getötet werden.’ Also, wo ist sie, diese Catarina Nganya?« Mit den vom Platz herüberklingenden, zaghaft vorgebrachten Antworten »Hier ist sie nicht«, »Man hat sie aufs Festland gebracht«, »Wir wissen es nicht« gibt sich João nicht zufrieden, er * So redet man in der Swahili- und der Ekua-Sprache einen alten Mann an.
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wiederholt seine Frage, bestrebt, jedem Anwesenden bewußt werden zu lassen, was sich hier auf diesem Platz abspielt. »Wo ist denn nun Catarina Nganya?« fragt er immer wieder, und jedesmal dröhnt seine Baßstimme erregter. Immer wieder war ich begeistert von der Kunst der FrelimoKommissare, ihre Zuhörer zu lenken und »in Stimmung zu versetzen«, wie ich es einmal ausdrücken möchte, indem sie sich nicht nur Sinn und ideologischen Gehalt ihrer Rede, sondern auch traditionelle, rein afrikanische Methoden der Beherrschung ihres Auditoriums zunutze machten. In ihrer Rhetorik lag etwas von den uralten Traditionen afrikanischer Häuptlinge und Weissager, Hellseher und Zauberer, die es verstanden, die Leute in eine Art Trancezustand, einen psychologischen Schock zu versetzen und aus dem Stegreif heraus völlig zufällige, eindeutig nicht vorprogrammierte Naturerscheinungen sich ebenfalls zunutze zu machen. So war es jetzt auch bei João. »Also wo ist denn Catarina Nganya?« fragt er, läßt seinen mächtigen Baß bis zum äußersten dröhnen. Und ich spüre, daß die Versammelten, erschöpft vom langen Warten auf die heutigen Ereignisse, erschüttert durch ihre Begegnung mit den Helden, den Märtyrern aus den Folterkammern der Festung, durch diese gleichsam aus der Schwärze des Vorgewitterhimmels herabtönende Frage bis an eine gewisse nervliche Grenze geführt worden sind. Ein Mädchen in Frelimo-Uniform geht auf João zu, hellrote Kissen auf den Armen. »Das ist sie, die Catarina Nganya von der Insel Moçambique!« ruft João plötzlich aus. Und gerade in diesem Augenblick fährt ein gigantischer über den Himmel zuckender Blitz ins Meer. Etwa zwei Minuten lang rollt ein Donnerschlag über den ganzen undurchdringlich schwarzen Horizont. »Hier sind die Fesseln, die ihre Hände umschlossen haben«, sagt João jetzt mit leiser, vor Erregung leicht zitternder Stimme und deutet auf die Kissen auf den Armen des Mädchens, »und hier die Ketten, die ihre Beine umschlangen. Da auch das Halsband mit den spitzen Dornen, die sich in ihre Haut bohrten. Sie, die angeblich die Makua liebten und die Reicheren unter ihnen umhegten, sie haben unsere Cati in einen Brunnen geworfen, der eine Verbindung zum Meer hatte. Egel haben ihr das Blut ausgesaugt, gierige Würmer ihren Leib gequält. Ein paar Knochen und die Gefängnisnummer 16
2135/7, unter dieser Nummer hatte man die Verschwörerin Nganya’ registriert, das ist alles, was von unserer Catarina übriggeblieben ist.« Ich blicke auf den bis zum letzten mit Menschen gefüllten, sich in Schweigen hüllenden Platz. Diese Stille hält eine, zwei, drei Minuten an. Dann wird sie von ersten Regentropfen unterbrochen, und sofort ist ein Stöhnen über dem Platz zu hören. Frauen beginnen zu weinen, so zu weinen, wie nur Afrikanerinnen es vermögen — sie schreien dabei, heulen langgezogen, wälzen sich auf der Erde und raufen sich gegenseitig das Haar. Laut schluchzend, ohne sich ihrer Tränen zu schämen, weinen die Männer. Na, und erst die Kinder... Die Uhr am Festungsturm schlägt zwei. Der Regen verstärkt sich immer mehr, erstickt das Weinen und wäscht die letzten Spuren von Nsiro von den Gesichtern der Inselbewohnerinnen. Vom Ozean her weht ein scharfer, mit Salzwasser gesättigter Wind. Die portugiesischen Militärs, die in ihrem Paradeaufzug etwas kläglich dreinblikken, beraten sich und schlagen dann João flüsternd vor, die Fortsetzung der Veranstaltung auf den Morgen zu verschieben. »Nein, jetzt werde ich sprechen«, brüllt er ins Mikrophon, »aber nicht vom schändlichen Kolonialregime, dessen letzte Verbrechen dieser reinigende Regen eben fortspült. Ich werde vom neuen Regime sprechen, dessen Fahne von nun an und auf ewig über Mocambique wehen wird. Über die FRELIMO will ich reden! Was hat man euch über die Patrioten, die Befreier von denen erzählt, die alten Leuten Säure in die Wunden schmierten und Frauen von Blutegeln auffressen ließen! Die Wahrheit aber ist, die Befreiungsbewegung hat alle die in sich vereinigt, die begriffen hatten: Es ist Zeit, zu den Waffen zu greifen, damit die schrecklichen Zustände, die in dieser Festung hier herrschten, nicht auf unser ganzes großes Land übergreifen. Der erste bewaffnete Kampf gegen die Unterdrücker hat im Morgengrauen des 25. September 1964 in der Nordprovinz Cabo Delgado begonnen, und schon Ende 1965 mußte der Gegner in Cabo Delgado und Niassa die ersten größeren Gebiete räumen, die damit der Kolonialverwaltung entrissen und unter unsere Kontrolle gebracht wurden.« Und João erzählt weiter davon, wie in den befreiten Nordregionen die Anfänge eines neuen Lebens keimten, wie Kooperative entstanden, die sich mit dem Anbau landwirtschaftlicher Produkte, der Gewinnung von Salz, dem Fang und Dörren von Fisch, der Herstel17
lung von landwirtschaftlichen Geräten und von Haushaltgegenständen, dem Zusammenbau und der Reparatur von Waffen befaßten. Er berichtet, daß selbst der Einsatz chemischer Kampfmittel und die Luftangriffe der Portugiesen die wirtschaftliche Entwicklung in den befreiten Regionen nicht aufhalten konnten. Um den Bombardierungen zu entgehen, arbeiteten Tausende nachts auf den Feldern. Es wurden Überschüsse bei der Produktion von Nahrungsmitteln erzeugt, deren Export den Erwerb von in den befreiten Gebieten benötigten Waren, aber auch von Waffen ermöglichte. Das Auditorium auf der Insel, das da mitten in der Nacht und in strömendem Regen dasteht, will nun aber offensichtlich keine politischen Reden mehr hören. Und João spürt dies sehr wohl, er unterbricht prötzlich seinen Bericht und stimmt ein Lied an. Seine Begleiter greifen es auf, erst an einem, dann am anderen Ende des Platzes antworten die vom Regen aufgequollenen Trommeln. Schon nach wenigen Minuten singt die vieltausendköpfige im Fort versammelte Menge die Hymne der Partei »Kanimambo, FRELIMO«*. Dieser folgt ein altes, aus tiefer Vergangenheit überkommenes Lied vom legendären Häuptling Mauruse, der Ende des 16. Jahrhunderts den ersten Aufstand der Makua gegen die ausländischen Eindringlinge anführte. Dann beginnen alle zu tanzen, daß es nur so spritzt und man nicht mehr weiß, woher mehr Wasser kommt — vom Himmel herab oder von den Füßen der Tanzenden aufgewirbelt. Erneut hört man aus dem Mikrophon Joãos dröhnenden Baß: »Unser Kampf hat von Erfolg zu Erfolg geführt. Wir haben ein System der Volksbildung geschaffen, viele junge Moçambiquer zur Ausbildung in sozialistische Länder geschickt. Deshalb können wir heute voller Stolz erklären, daß wir trotz der Schwere der Kampfzeit und trotz aller Not und Entbehrung während dieser Kriegsjahre einer größeren Zahl unserer Landsleute Bildung vermittelt haben als die Kolonisatoren in fünf Jahrhunderten! Wir haben auch ein System der landesweiten medizinischen Betreuung geschaffen. Hunderttausende von Moçambiquern sind geimpft worden; man hat sie in Hygiene und gesunder Ernährung unterwiesen. Zehntausende haben medizinische Hilfe erfahren und sind gerettet worden. Wichtigste, bestimmende Merkmale in den befreiten Gebieten * »Dank dir, FRELIMO!«
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sind jedoch die Beseitigung von Ausbeutung und Unterdrückung des Volkes sowie die Schaffung neuer Formen der Machtausübung geworden, die den Interessen der Massen dienen. Das Volk selbst hat unter Anleitung der FRELIMO damit begonnen, die ökonomischen, sozialen und administrativen Probleme anzupacken.« João fühlt wohl, daß ihm die Zuhörer erneut entgleiten, er unterbricht seine langen und bisher für sie noch zu abstrakten Ausführungen und schlägt den Leuten ein »Spiel« vor, daß die Kommissare der Befreiungsbewegung bei ihrer Arbeit mit den Massen seit langem schon erprobt haben. »Abaixo* mit den Ausbeutern!« ruft der Kommissar, drückt dabei mit der rechten Hand den Klassenfeind gleichsam zu Boden. »Abaixo!« wiederholt die Menge begeistert, versetzt mit der gleichen Geste den Ausbeutern energisch »den Todesstoß«. »Vivat die freie Arbeit!« schreit João, den rechten Arm nach Art der Rot-Front-Kämpfer hochgereckt. »Vivat!« Und ein Wald dunkler Fäuste verliert sich in der regnerischen Dunkelheit. Dieses Rufen von Losungen unterschiedlichsten Inhalts, verbunden mit Heben oder Senken des Armes, dauert ziemlich lange; schließlich schreit der Redner, der die politische »Wachsamkeit« der begeistert »mitspielenden« Zuhörer prüfen will, offenkundigen Unsinn ins Mikrophon: »Abaixo alfabetisação!« ** »Abaixo!« fallen die Versammelten ohne zu zögern ein, führen die entsprechende Geste aus und blicken verwundert auf den Kommissar und seine Umgebung, die mit erhobenen Fäusten da stehen. Viele korrigieren sogleich ihren Fehler, fangen an zu lachen, als sie merken, was ihnen passiert ist. Das Lachen greift auf die Menge über, und bald dröhnt der ganze Platz, auf dem man nun das eben Geschehene fröhlich diskutiert, von Gelächter über diesen Streich des Kommissars. Für den aber ist dies Anlaß, über die Notwendigkeit revolutionärer Wachsamkeit im unabhängigen Moçambique sowie über die Machenschaften der PIDE, Salazars Geheimpolizei, und westlicher Geheimdienste gegen die nationalen Befreiungskräfte zu sprechen, damit zu dem wichtigen Thema überzugehen, daß das Volk von Moçambique seinen Kampf um Freiheit nicht nur gegen * »Nieder!« ** »Nieder mit der Alphabetisierung!«
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den portugiesischen Kolonialfaschismus, sondern auch gegen die diesen unterstützenden Kräfte des Weltimperialismus, gegen die USA, die NATO und die rassistische Republik Südafrika geführt hat. Der Regen hörte auf, und bald stieg aus dem Meer an dem vom frischen Wind blankgefegten blauen Himmel eine gleißende Sonne empor. João begrüßte ihr Erscheinen mit einem neuen Lied und kam dann zum Schlußteil seiner Ansprache: »Von den jüngsten Ereignissen habt ihr bereits gehört. Am 25. April 1974 ist das blutbesudelte verbrecherische Kolonialregime Lissabons gestürzt worden. Zu seinem Sturz haben sowohl wir als auch die Kämpfer für die Befreiung der anderen Kolonien beigetragen, haben wir und sie doch die Grundfesten des portugiesischen Imperiums in Afrika ins Wanken gebracht. Die neue Regierung in Lissabon ist gezwungen gewesen, offizielle Kontakte zur FRELIMO aufzunehmen und Moçambiques Recht auf vollständige und endgültige Unabhängigkeit anzuerkennen, die FRELIMO als einzigen und gesetzmäßigen Vertreter des moçambiquischen Volkes zu akzeptieren, die Macht an uns zu übergeben. Es ist eine moçambiquischportugiesische Übergangsregierung gebildet worden, und nun trennt uns kaum noch ein halbes Jahr von der Proklamierung der Volksrepublik Moçambique. Unter unserer aus drei Wörtern bestehenden Losung ,Einheit, Arbeit, Wachsamkeit’ werden wir hier auf der alten Insel Moçambique wie auch in unserem ganzen großen Land ein neues, unabhängiges Leben aufbauen.« »Vivat FRELIMO!« schreit der Kommissar, und der Wald von dunkelhäutigen, schwieligen Fäusten reckt sich in der aufsteigenden Sonne gen Himmel. Das Meeting ist zu Ende, doch die Insulaner denken gar nicht daran heimzugehen. Erst wollen sie tanzen, in den Pausen aber das auf der nächtlichen Versammlung Gehörte erörtern. João steigt von der Tribüne, und jetzt erst, im Licht des hellen Morgens, sehe ich, wie erschöpft er ist, welche psychischen und physischen Kräfte ihn dieser achtstündige Auftritt gekostet hat. »Abaixo mit der Müdigkeit!« meint er und klopft mich auf die Schulter. »Es ist Zeit, die Macht zu übernehmen, uns mit der Insel vertraut zu machen!«
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Die Geisterstadt auf der Ilha de Moçambique Die Ilha de Moçambique ist eine der zahlreichen Koralleninseln, die sich in endloser Kette vor der afrikanischen Küste des Indischen Ozeans hinziehen. Es gibt unter ihnen auch ein paar größere, Mocambique aber ist verhältnismäßig klein, vor allem, wenn man bedenkt, welche große Rolle es fast fünf Jahrhunderte lang in der Geschichte Ostafrikas gespielt hat. Dieses Korallengebilde ist drei Kilometer lang und einen Kilometer breit. Insgesamt also drei Quadratkilometer Land, auf dem etwa 12 000 Menschen leben. Die Bevölkerungsdichte ist hier die höchste in Afrika, ein Rekord des Kontinents! Die Grenzen der auf diesem Fetzchen Land entstandenen gleichnamigen Stadt fallen schon seit langem mit denen der Insel selbst zusammen. In dieser Inselstadt gibt es jedoch zwei voneinander abgegrenzte Teile: Cidade Preta (»Schwarze Stadt«) und Cidade Branca (»Weiße Stadt«). Als ich in Joãos »Gefolge« erstmals in die Cidade Preta kam, war das erste, was mir auffiel, das Menschengedränge. In den Afrikanervierteln ist buchstäblich jeder Quadratmeter besiedelt und genutzt. Im Schatten der riesigen weitausladenden Banyanbäume stehen die Frauen nach Wasser Schlange. An Wasser mangelt es auf der Insel, wo es keine Flüsse gibt und das Regenwasser vom Kalkgestein augenblicklich aufgesogen wird. Trotz der dicht an dicht stehenden Gebäude herrscht ringsum größte Sauberkeit. Über der Hauptstraße der Cidade Preta zieht sich ein dichtes Schutzdach aus einem Geflecht von BougainvilleaLianen hin, die übersät sind mit weißen, rosa, violetten und roten Blüten. Unter diesem Dach drängen sich winzige, offenbar nur aus einem Raum bestehende Häuschen aneinander — manche aus Kalkstein, die meisten jedoch aus Wellblech. Die João begleitenden Portugiesen erklären, daß hier afrikanische Beamte und Händler wohnen. Abseits dieser Straße, zum Meer hin, erstrecken sich die Viertel der Armen: in städtischer Bauweise dicht aneinandergedrängte gewöhnliche afrikanische Hütten, den Traditionen der Makua entsprechend hin und wieder durch Schilfzäune voneinander getrennt. 21
Längs der Gehwege und am Strand, zwischen Palmen und Kasuarinen, sind kilometerweit Fischernetze gespannt. Hier werden sie geflochten, repariert, für die Arbeit zurechtgemacht. Der ganze Strand liegt voller Fischgräten; den riesigen Köpfen und Hauptgräten nach zu urteilen, erreicht die Beute nicht selten beachtliche Größe. »Nicht schlecht, dieser Barracuda«, meint einer unserer Begleiter und stößt mit dem Fuß einen gezahnten Rachen zur Seite. »Ja, der hatte gut seine anderthalb Meter«, bekräftigt ein Fischer. An Vorrichtungen aus Angelschnüren dörren Kinder Kalmare, an den Häuserwänden sieht man hier und da Bündel kleiner Fischchen hängen. All das fangen Frauen, die bei Eintritt der Ebbe im seichten Wasser auch Muscheln und Trepangs suchen. Der von den Männern eingebrachte wertvolle Fang ging all die Jahrhunderte am eigenen Kochtopf der Fischer vorbei direkt auf den Tisch der Portugiesen. Ein Makua war nicht berechtigt, ein modernes Boot zu erwerben, um auf offenem Meer »gute Beute« zu machen. João stützt sich mit den Ellenbogen auf einen der Balken, aus denen die hiesigen Bootsbauer ihre Pirogen ausstemmen, und weist die örtlichen Aktivisten der Befreiungsbewegung an: »Von Portugiesen nicht benutzte große Boote sind zu konfiszieren und afrikanischen Fischern zu übergeben. Im offenen Meer zu fischen ist allen erlaubt, denen es der Zustand ihrer Boote gestattet. Es sollte untersucht werden, ob Fischereigenossenschaften ins Leben gerufen werden können. Der Arbeitslohn muß der Quantität und Qualität des Fangs entsprechen.« Wir gehen in Richtung Nordostende der Insel, wo der düstere Koloß des portugiesischen Forts aufragt. Die Kolonisatoren, die ihn 1508 errichteten, hatten der Festung den Namen des heiligen San Sebastian (port.: São Sebastião) gegeben und sie für alle Ewigkeit gebaut. Als wichtigstes Baumaterial dienten gewaltige Granitbrokken, die alle aus Portugal nach Osten auslaufenden Karavellen als Ballast mitnehmen und auf der Insel entladen mußten. »Sie war in jenen Zeiten tatsächlich eine uneinnehmbare Festung, die größte und bedeutendste an der gesamten ostafrikanischen Küste«, erklärt der portugiesische Offizier, der João begleitet, nicht ohne Stolz. »Die vier mit Schießscharten versehenen Türme, von denen drei in Richtung Meer blicken, während der vierte die Insel und das Festland bewacht, haben allen Versuchen von Holländern und Ara22
bern widerstanden, diese Zitadelle einzunehmen. In ihren Kasematten finden zweitausend Soldaten Platz.« Wie einer alten Bekannten nähern wir uns der weißgetünchten Kapelle Nossa Senhora do Baluarte (»Kirche der Jungfrau Maria, der Fürsprecherin«), von der jeder Portugiese weiß, daß sie das bedeutendste katholische Heiligtum im Süden Afrikas ist, und die jeder Afrikanist aus seinen Lehrbüchern als »erstes steinernes Bauwerk der Europäer südlich des Äquators« kennt. Sie wurde 1503 erbaut. Bewundernswert durch ihre wuchtige Einfachheit, hebt sich diese kleine Kapelle blendend weiß gegen den Hintergrund der mit schwarzem »Wüstenlack« überzogenen Kalksteine ab, die hier die Inselküste bilden. »Wie lange hat denn der Bau der Festung gedauert?« möchte ich von dem Offizier wissen. »Nun, das Tempo war für jene Zeit geradezu unglaublich. Von hier, von der Kapelle aus, haben die Bauleute die Festungsmauern innerhalb von drei Jahren hochgezogen. Schon 1551 aber haben sie einen vierzig Jahre währenden Umbau begonnen, der San Sebastian sein heutiges grandioses Aussehen verliehen hat. Die Höhe der fast überall unmittelbar aus dem Meer aufsteigenden Mauern beträgt zwölf Meter, ihre Gesamtlänge dreiviertel Kilometer. In den Schießscharten dieser Mauern und rund um die Festung hatte man vierhundert Kanonen aufgestellt. Die Zisterne faßt beinahe sieben Millionen Liter Wasser, so daß man auch eine mehrmonatige Belagerung aushalten konnte. Insgesamt ist San Sebastian eines der großartigsten Denkmale portugiesischer Kultur, es ist verbunden mit dem Namen unseres großen Architekten Miguel de Aruda, der...« »Ja, sicher, Herr Oberst, doch Ihr Bericht wäre vollständiger, hätten Sie auch erwähnt, daß dieses ,großartige Denkmal’ dazu errichtet wurde, um Millionen von Afrikanern zu unterdrücken und auszurauben«, bemerkt João, und seine Stimme klingt hart, »und wenn Sie daran erinnern würden, daß jenes ,Bautempo’, das Sie so begeistert, jährlich fünfzig-, sechzigtausend einheimische Arbeiter das Leben gekostet hat. Neben dem Granit aus ihren Karavellen liegen im Fundament dieses architektonischen Meisterwerks die Gebeine meiner Landsleute.« Wahrscheinlich hätte das Gespräch jetzt eine unnötige Schärfe angenommen, doch da gelangte João an jene Mauer des Forts, von 23
der aus man den voller Rikschas stehenden Marktplatz überblicken konnte. »Wie viele davon gibt es denn auf der Insel?« Die Stimme des Kommissars klingt düster. »Über zweihundert.« »Ein bißchen viel... Vor allem mit diesem menschenunwürdigen Gewerbe muß Schluß gemacht werden. Ein freier Bewohner eines freien Moçambique darf nicht länger die Rolle eines Zugtiers spielen. Man muß überlegen, wie man die Leute beschäftigen könnte. Unter der neuen Macht kann und darf es auf der Insel keine Rikschas mehr geben!« Wir passieren das mit lateinischen Sprüchen und mit Wappen berühmter Konquistadoren verzierte pompöse Festungstor und befinden uns nun in der Cidade Branca, der »Weißen Stadt«. Ich war gespannt gewesen auf diese Stadt, die das Schicksal dazu bestimmt hatte, lange Zeit die Rolle eines Mittelpunkts für ganz Ostafrika zu spielen. So verließ ich Joãos Gruppe und spazierte allein weiter. Mir kam es vor, als hätte ich eine weiße Geisterstadt vor mir. Und nicht etwa deshalb, weil ihre mittelalterlichen Gassen fast menschenleer waren; auch nicht deshalb, weil die asketisch strengen, fensterlosen Gebäude von maurischer Architektur, die der Cidade Branca ihr bezauberndes Kolorit verliehen, völlig unbewohnt aussahen; und auch nicht deshalb, weil im Hafen von Moçambique, der einst als einer der belebtesten in der östlichen Welt galt, keine Schiffe lagen, der riesige Marktplatz, auf dem in vergangenen Zeiten ein reger Handel mit Elfenbein und Gold getrieben wurde, wie leergefegt wirkte. Nein, als Geisterstadt erschien mir Cidade Branca deshalb, weil ihr portugiesisches Mittelalter, das man hier in den letzten Jahrzehnten künstlich erhalten hatte, Afrika so gänzlich fremd war, die Museumsstille ihrer blendendweißen Viertel sich in keiner Weise mit jenem Sturm politischer Leidenschaften und revolutionärer Wandlungen in Einklang bringen ließ, die das ganze Land unabwendbar erfaßt hatten.
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Der Araber Madjid auf Vasco da Gamas Kommandobrücke Den ganzen Tag schlenderte ich durch die Gäßchen der portugiesischen Viertel der Insel, zollte ihrem Zauber den gebührenden Tribut, konnte mich jedoch nicht von der Vorstellung befreien, es mit einer Geisterstadt zu tun zu haben. Und als ich dann vom Glockenturm der St.-Pauls-Kirche die Stadt in den weichen Strahlen der untergehenden Sonne vor mir liegen sah, da ließen ihre verschwommenen weißen Konturen, die fast ohne Schatten und Lichtflecken waren, in mir den Gedanken aufkommen, es handele sich um eine Fata Morgana, die ganz unerwartet Realitäten des fernen Mittelalters in der Gegenwart reflektiert. ,Wie interessant müßte es sein, wenn inmitten dieser Paläste und Denkmale einmal ein Schauspiel inszeniert würde, das die Ereignisse widerspiegelt, deren Zeugen sie waren’, kam es mir in den Sinn, als ich vom Glockenturm hinabstieg. Als ich dann den Platz vorm Gouverneurspalast überquerte und über dessen Stufen genau zum Meer hin ging, spann ich meine Gedanken weiter: ,Womit dieses Stück wohl beginnen?’ Ich mußte an die düsteren, einen durch ihren Prunk und ihr Alter erdrückenden Säle der »königlichen Abteilung« des portugiesischen Nationalarchivs im Torre do Tombo in Lissabon denken, in dem ich kurz vor meiner Ankunft auf der Insel gearbeitet hatte. Der gestrenge Archivar ließ es nicht zu, daß ich die Unikate mit meinen Händen berührte, sondern blätterte geradezu feierlich in den Pergamenthandschriften aus der Zeit, in der die Europäer in Ostafrika auftauchten. »Die fast fünfzig Jahre, die ich hier arbeite, ließen mich folgende Schlußfolgerung ziehen: Für 99 von 100 Menschen, die sich für diese Periode interessiert haben, besteht kein Zweifel, daß Vasco da Gama der erste Europäer in Ostafrika gewesen ist. Und wie denken Sie darüber, Senhor Sergio?« »Ich interessiere mich doch für Covilhão, folglich weiß ich einiges über ihn. Ich möchte mit Ihrer Hilfe nur noch etwas mehr erfahren.« »Covilhão, Covilhão...«, der Archivar wiegte nachdenklich den Kopf. »Uns, den Portugiesen, ist nun mal bestimmt, aus allem ein Geheimnis zu machen. Ende des 16. Jahrhunderts kannten wir sehr 25
viele geographische Geheimnisse Ost- und Zentralafrikas, aber alle diese Entdeckungen wurden geheimgehalten und, versiegelt mit sieben Siegeln, hier im Torre do Tombo deponiert. Glauben Sie mir das, oder soll ich Beispiele nennen?« »An eines erinnere auch ich mich: an die ,Entdeckung’ des Njassasees durch Livingstone im Jahre 1859, obwohl doch schon 1616 Bacarro seine Ufer erreicht hatte.« »Na, na, das ist ja allerhand«, reagiert mein Gesprächspartner darauf und fährt lebhaft fort, »und hat man Covilhão nicht zu Unrecht vergessen? Ist er nicht eine Gestalt, die den Haupthelden in einem ganzen Dutzend Romanen von Dumas abgeben könnte! Spionierender Mönch, Schürzenjäger, ein Gelehrter, der fließend arabisch sprach... Einst wurde er gemeinsam mit dem Jesuiten Alfonso de Payva zu König Johann II. gerufen. Worüber der mit ihnen sprach, läßt sich nur ahnen: Portugal wollte einen eigenen Zugang zum Osten, einen eigenen Weg nach Indien haben. Weshalb? Um die ökonomische Macht seiner Hauptkontrahenten, Genuas und Venedigs, die sich am Handel mit dem Orient bereicherten, zu brechen, dem Monopol der islamischen Kaufleute in den Meeren des Südens ein Ende zu bereiten, Zugang zu den Reichtümern unbekannter Länder zu erhalten. Covilhão und Payva erhielten von Johann II. auch den Auftrag, alles zu erkunden, was sich über die Seefahrer im Osten in Erfahrung bringen ließ.« »Können Sie sich vorstellen, wie heikel und kompliziert diese Mission war?« wendet sich der Archivar weiter an mich. »Im Jahre 1487 begeben sich die beiden Spione ,Seiner katholischen Majestät’, als Mauren verkleidet, über Barcelona und Rhodos nach Kairo. Dort erkennen die Araber sie als ,Rechtgläubige’ an und gestatten ihnen, sich einer zum Roten Meer ziehenden Karawane anzuschließen. Orientalische geographische Karten, Instrumente, die Namen einflußreicher Kaufleute und erfahrener Lotsen, die Warenpreise, die Sitten und Gebräuche der einheimischen Bevölkerung — alles interessiert diese ersten westlichen Spione im Orient. In Aden angelangt, kommen sie zu ihrer wichtigsten Erkenntnis: Die orientalische Welt ist in ihrer Entwicklung dem pyrenäischen Europa in vielem weit voraus. In Aden trennen sich die Wege der spionierenden Mönche. Payva begibt sich ins äthiopische Aksum, gelangt jedoch nicht bis dahin, sondern stirbt in den Bergwäldern Abessiniens. Covilhão aber 26
dringt zielstrebig weiter nach Osten. Schon ist er in Iran, schon fährt er den Indus abwärts, gelangt an die Malabarküste, ist bald schon in der turbulenten Handelsstadt Kalikut.« Vor mir sehe ich hier jetzt die Blätter von Covilhãos Tagebuch, geschrieben in einer kantigen, energischen Handschrift. Ich lese, wie er nach Kairo zurückkehrt, sich mit den Verbindungsleuten von König Johann trifft, die ihm befehlen, sich nach Hormus zu begeben, einem winzigen, aber sehr reichen Inselchen, einem Hafen an der Einfahrt in den Persischen Golf. Und wie interessant sind die Karten, die Covilhão geschickt hat! Auf ihnen finden sich mehr Windrosen, Darstellungen von Tieren und nackten Wilden als Namen von Städten und Flüssen. Die Küstenlinie Ostafrikas aber ist sehr ausführlich gezeichnet und enthält zahlreiche Namen von Häfen und hier ansässigen Stämmen. Der weiteste Punkt, den Covilhão erreicht, ist Sofala, neunhundert Kilometer südlich der Ilha de Moçambique. Ist er der erste Europäer an der moçambiquischen Küste gewesen? Nein, wie sich herausgestellt hat! Erst vor ganz kurzer Zeit sind den Historikern Dokumente in die Hände gefallen, die den Schluß zulassen, daß schon ganz am Anfang des 14. Jahrhunderts ein Mönch, ein gewisser Dominique, in Ostafrika auf dem Seeweg bis 18 Grad südlicher Breite gelangt ist. Und als sicher gilt, daß um 1315 der französische Erzbischof Guillaume Adan bis Sofala vorgedrungen ist. Diese beiden Männer haben sich jedoch nicht für geographische Daten, sondern dafür interessiert, ob es möglich sei, die Grenzen der christlichen Welt zu erweitern. Covilhãos Verdienst ist in den Augen der Herrscher in Lissabon daher um so größer. Er war der erste, der ihnen indische Karten der Südmeere beschaffte und auf die praktische Möglichkeit hinwies, Afrika von Westen her zu umschiffen. So also könnte wohl der Prolog eines Schauspiels aussehen, das in unseren Tagen auf dem Palastplatz der Insel Moçambique aufgeführt würde. Und sein erster Akt? Man schreibt das Jahr 1497. Begeistert von den Informationen Covilhãos, rüstet der neue portugiesische König Manuel I. drei Schiffe aus, die den Seeweg nach Indien suchen sollen. Noch immer rätseln die Historiker, weshalb dieser Monarch, obgleich er doch über erfahrene Kapitäne verfügte, die ihrem Namen bereits durch 27
großartige Entdeckungen in den südlichen Meeren Ehre gemacht haben, das Kommando über eine so wichtige Expedition Vasco da Gama übertrug, der bisher kaum hervorgetreten war. Seine Wahl erwies sich jedoch als glücklich: Bereits fünf Jahre später war der unbekannte Kapitän zum »Admiral des Indischen Ozeans« avanciert. Das erste Mal taucht Vasco da Gama in diesem Ozean Ende 1497 auf. Seine durch die Fahrt über den Atlantik schon ziemlich mitgenommene Flottille segelt auf die Küste zu, wo die Schiffe am 25. Dezember festmachen, um die Frischwasservorräte aufzufüllen. Anregung für einen Namen für das gesichtete Land bietet der Kalender: Am 25. Dezember feiern die Katholiken Weihnachten — auf portugiesisch »Natal«. So erscheint auf der Landkarte von Afrika ein Name, der sich bis heute für die an Moçambique grenzende Provinz der Republik Südafrika erhalten hat. Am 11. Januar 1498 suchen die Schiffe, um sich erneut mit Süßwasser zu versorgen, die breite Inhambane-Lagune auf, die schon zum heutigen Moçambique gehört. Die dortigen Bewohner sind freundlich, versorgen die Seeleute mit Frischwasser, tauschen gern ihren Kupferschmuck, Speere, Pfeile und Assagai-Stoßspeere mit Eisenspitzen gegen allen möglichen Tand ein, den ihnen die weißen Ankömmlinge anbieten. Daß es hier Metall gibt, ist für die Portugiesen ein Zeichen, daß sie sich Indien nähern. »Terra de Boas Gentes« — »Land der guten Leute« —, so taufen sie die neue Küste, hissen die Segel und fahren weiter nach Norden. Am 25. Januar zeigt sich am Horizont ein Delta von riesiger Größe, dessen zahlreiche Arme gewaltige Mengen von Sand ins Meer transportieren, so daß sich das türkisfarbene Wasser braunrot färbt. Ringsum sumpfige Mangrovenwälder, die jedes Anlandgehen verhindern. Erst am dritten Tag wird das Wasser im Ozean wieder klar, und die Schiffe fahren in eine breite Bucht ein. Im Bordjournal des Flaggschiffes der Expedition, der »São Gabriel», ist vermerkt: »18° südliche Breite«. Die Portugiesen sind also drei Tage lang an der Mündung des mächtigen Sambesi vorbeigefahren, ohne von dessen Existenz etwas zu ahnen, und biegen dann in den nördlichsten Arm seines Deltas ein, der heute Kwakwa heißt. An dessen sumpfigem Ufer, dort, wo heute die Stadt Quelimane liegt, gehen die Portugiesen an die Reparatur ihrer vom Holzwurm arg mitgenommenen Schiffe. 28
Die hiesige Bevölkerung ist friedliebend und beobachtet interessiert, wie die weißen Ankömmlinge ihre gewaltigen Schiffe (»schwimmende Häuser« nennen die Einheimischen sie) ans Ufer ziehen, sie auf die Seite legen und von kleinen Muscheln, Algen, Salz und Rost reinigen. Doch die im Delta umherschwirrenden aggressiven Anophelesmücken haben auch mit den Portugiesen kein Mitleid. Deren helle Haut färbt sich gelblich-grau; Erbrechen, Schüttelfrost und erhöhte Temperatur zehren an ihren Kräften. Bald werden auf moçambiquischem Boden die ersten zehn Gräber für Weiße geschaufelt, die der Malaria zum Opfer gefallen sind. Einen Monat liegen Vasco da Gamas Schiffe in der Kwakwa-Mündung, und jeder Tag bringt neue Unannehmlichkeiten: Skorbut, Fieber, Ruhr. Und dennoch geben die Portugiesen, als sie die Bucht verlassen, dieser den Namen Rio dos Bons Sinais — »Fluß der guten Vorzeichen«. Was hat sie wohl die schrecklichen Anophelesmücken vergessen lassen und sie in so guter Stimmung gehalten? Nun, dreißig Tage lang haben sie die Bewohner des Deltas beobachten und dabei feststellen können, daß jene »islamischen Glaubens« sind und »wie Mauren sprechen». Für wahrhafte Christen zwar nicht gerade erfreulich, aber immerhin ein weiteres Zeichen, daß der Orient nahe ist! »Vorwärts, nach Norden!« kommandiert Vasco da Gama, der spürt, daß er dem großen Handel und folglich auch großen Reichtümern auf die Spur gekommen ist. Er hält sich etwas weiter von der Küste entfernt, die von einer Kette tückischer Korallenriffe und kleiner Inseln gesäumt ist, und läßt die Schiffe nachts driften, damit sie nicht auf Sandbänke auflaufen; bereits nach fünf Tagen, am 1. März 1498, erscheint die Flottille in der Bucht, an deren Ufer ich jetzt sitze und an diese Ereignisse der Vergangenheit denken muß. Man kann es sich gut vorstellen, wie das Flaggschiff »São Gabriel« damals mit stolz geblähten Segeln auf der Reede auftauchte, die »São Raffael«, kaum daß sie sich am Horizont zeigte, zur Abschreckung aus allen Kanonen in die Luft schoß, die »Berrio« in voller Fahrt in die Bucht hineinsegelte und die Boote der Einheimischen auseinanderscheuchte. Doch bald mußten die Portugiesen feststellen, daß ihre kriegerischen Manöver auf die Inselbewohner keineswegs den gebührenden Eindruck machten. Und weshalb, das wurde Vasco da Gama sogleich klar. Da die Portugiesen von Süden gekommen waren, hatten sie nicht bemerken können, daß auf der 29
gegenüberliegenden Reede der Insel bereits Schiffe ankerten, die keineswegs kleiner waren als ihre eigenen. Der ganze Nordhafen lag voller großer Dhaus mit schrägstehenden Rahen und Trapezsegeln. Ein Blick auf diese Segel genügte, um Vasco und seine nächsten Ratgeber in eine düstere Stimmung zu versetzen. Araber! Denn die waren es, die das Trapezsegel, das Misan, erfunden hatten, das es ermöglichte, zu halsen und unter spitzem Winkel gegen den Wind zu segeln. Gerade dieses Segel, das Portugiesen und Spanier von den Arabern im Mittelmeer übernommen hatten — sie nannten es Besan —, hatte in der europäischen Seefahrt eine Revolution bewirkt und Vasco da Gama geholfen, bis in den Indischen Ozean zu gelangen. Anekdoten über den Aufenthalt da Gamas auf der Insel Moçambique sind bereits vor langer Zeit Bestandteil der hiesigen Folklore geworden und unterscheiden sich mitunter von den Versionen der Chronisten der Expedition. Die mündliche Überlieferung bestätigt jedoch bis auf den heutigen Tag, daß sich die Portugiesen »nicht wie Gäste aufführten, sondern wie freche Leute«. Einen Lotsen bestraften sie, weil er sich weigerte, ihnen seine Karten vom »indischen Weg« zu überlassen, indem sie ihn »grausam auspeitschten«. Einem allseits geachteten maurischen Kaufmann, der sich an Bord der »São Raffael« begab, schmierten sie »zur Strafe dafür, daß er seine teuren Waren nicht zu Preisen verkaufen wollte, die ihm die Masungas* vorgeschlagen hatten, von Kopf bis Fuß mit Schweinefett ein, beleidigten dadurch seinen muslimischen Glauben und erniedrigten ihn in den Augen seiner Glaubensbrüder«. Einen anderen angesehenen Mauren, Besitzer vieler Dhaus, luden sie auf die »São Gabriel« ein, wollten ihn verblüffen mit ihren portugiesischen Karten und Quadranten, dem Astrolab und der Alhidade. Als der in Sachen Seefahrt recht erfahrene alte Mann das alles aber mit Verachtung ausdrückender Miene betrachtet hatte, zitierte er lediglich einen einzigen Satz aus dem Koran: »Unsere Ware ist zu uns zurückgekehrt.« Für diese »Frechheit« wurde der betagte Maure »in ein Faß mit fröhlich machendem Getränk geworfen, mit dem in Berührung zu kommen einem Muslim verboten ist«. Sonderbarerweise ließ aber der Scheich, der Herrscher der Insel und ebenfalls Muslim, in der ersten Zeit diesen dreisten Fremden al* Bezeichnung der Makua für Weiße, meist Portugiesen
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les durchgehen, begünstigte sie eher noch. Was war da los? Aus den gleichen Anekdoten kann man erfahren, daß die reichen arabischen Kaufleute »auf der Insel mächtiger geworden waren als der Scheich«, daß »die Insel einen hohen Tribut an einen Sultan im Norden zahlte« und daß der Scheich, als er »die Fremden freundlich empfing«, die Hoffnung hegte, in ihnen Bundesgenossen und Unterstützung zu finden, um selbst die Hände freizubekommen. Solchen Illusionen gaben sich alle Herrscher in den Küstenstädten hin; anstatt sich gegen den gefährlichen Feind zusammenzuschließen, der ihre eigene Existenz bedrohte, suchten sie in den Portugiesen Bundesgenossen für den Kampf gegen die Nachbarn. Der wenig weitschauende Scheich der reichen Inselstadt hieß übrigens Musa Mbiki. Deshalb nannten die Ankömmlinge die Insel, auf der sie insgesamt zehn Tage verbrachten, immer häufiger Musambiki oder Moçambique, da sie das leichter aussprechen konnten. Später dann, als das klotzige Fort San Sebastian schon gebaut war und die Insel zum wichtigsten Vorposten Portugals in Südostafrika geworden war, wurde mit dem Namen Moçambique auch das gesamte festländische Gebiet der dortigen portugiesischen Besitzungen bezeichnet. Scheich Musa Mbiki, der weder wissen noch ahnen konnte, daß dank den Portugiesen sein Name für ewig in die Geschichte und die Geographie eingehen würde, drückte am siebenten Tag nach der Ankunft der Weißen erste Zeichen von Unzufriedenheit aus. Er hatte wohl gehofft, nach dem prunkvollen Empfang, den er Vasco und dessen Begleitern bereitet hatte, nachdem er die Portugiesen von goldenem Geschirr speisen ließ, ihnen seine Sammlungen von arabischem Silber und feinstem chinesischem Porzellan gezeigt hatte, sie teure, perlenbesetze Tuche befühlen ließ, sie in die Speicher des Palasts führte, in denen Ballen mit Pfeffer, Zimt, Muskat, Safran und Ingwer sich türmten, die aus Indien auf die Insel gelangt waren — nach all dem hatte er gehofft, die weißen Fremdlinge würden nicht mit großzügigen Geschenken geizen. Doch man hatte den Scheich auf der »São Gabriel« mit eingesalzenem Fleisch bewirtet und ihm die schmutzigen Laderäume gezeigt, in denen billiger Tand lagerte. In einer der moçambiquischen Anekdoten heißt es, als Musa Mbiki das Schiff ohne die erwartete »purpurne Paradekleidung« verlassen habe, die er sich als Geschenk erträumt hatte (er hatte seine Gäste schon im voraus darauf aufmerksam gemacht), da habe der Scheich 31
voller Empörung gesagt, daß es alle hören konnten: »Wir sind gewohnt, daß von jenseits des Meeres freigebige Leute zu uns kommen. Durch wertvolle Geschenke wollen Fremde uns nicht ihnen geneigt machen, vielmehr zu verstehen geben, daß sie uns nicht für arme Teufel und Wilde halten. Billige Geschenke kränken uns!« Bald darauf verbot Musa Mbiki den Portugiesen, an Land zu kommen. Die aber brauchten Trinkwasser, um die Insel verlassen zu können. Vasco hatte nur ein einziges Mittel zur Verfügung, es zu bekommen — seine Kanonen. Diesen hatten weder die hiesigen Bewohner noch selbst die Araber etwas entgegenzusetzen. Von jetzt an konnten die Fremden Wasser nur noch holen, nachdem sie den »Gegner« mit Kanonenschüssen auseinandergetrieben hatten. Einheimische, die sich in Nähe des »Schlachtfeldes« aufhielten, wurden gefoltert, Frauen vergewaltigt, verlassene Häuser und Boote ausgeraubt, die Trophäen auf Anweisung Vasco da Gamas als »Kriegsbeute« verteilt. Diese Ereignisse spielten sich in den letzten Märztagen des Jahres 1498 ab. Eben hier, auf der kleinen Insel Moçambique, verkündete der das Tosen der Brandung des Indischen Ozeans übertönende Donner europäischer Kanonen den Beginn der kolonialen Expansion der Europäer im Orient. Und Bewohner Moçambiques wurden deren erste Opfer. Am 1. April verließ Vascos Flottille Musa Mbikis Insel, nicht ohne noch einige Schüsse auf sie abzufeuern. Damit endet der erste Akt unseres Stückes. Womit aber beginnt der zweite? Meine Phantasie läßt mich hinter Vasco da Gama her eilen gen Norden, in die bis heute von blühendem Leben erfüllten alten Hafenstädte der ostafrikanischen Küste, in denen ich für längere Zeit gelebt und gearbeitet habe, ehe ich nach Moçambique gekommen bin, aber auch in die sich hinter einer Mauer üppiger tropischer Vegetation verbergenden toten Städte, die ich gemeinsam mit Historikern und Archäologen durchstreift habe. Wie in jener Nacht, in der ich dieses unser Schauspiel erdacht habe, war damals der Himmel über dem Indischen Ozean düster. Wegen des Unwetters trieb Vasco da Gama zur Eile und segelte an dem unweit der Grenze zu Moçambique gelegenen »Großen Kilwa« vorüber, der reichsten Stadt der Swahili-Welt, deren Ruinen an der Küste Tansanias erhalten geblieben sind; eben dem dortigen Sultan 32
zahlte Musa Mbiki Tribut. Aus Furcht, auf Riffe aufzulaufen, hielten sich die Portugiesen weit von der Küste entfernt und erfuhren so nicht, daß es hier Dutzende von weiteren Häfen gab. Man »bemerkte nicht einmal« die Insel Sansibar, auf deren Reede sich Schiffe aus der gesamten orientalischen Welt drängten. Wenn Vasco da Gama solchen Schiffen jedoch auf offenem Meer begegnete, wunderten er und vor allem seine erfahrenen Berater sich über deren Zahl, Größe und Ausrüstung, und sie konnten nicht umhin zu begreifen: Sie waren hier auf eine wohlhabende Welt gestoßen, die in ihrer Größe und vielleicht auch in ihrem Reichtum alles übertraf, was Europa zu jener Zeit kannte. Was ist das für eine Welt? Wer ist schon hier gewesen? Und wann? Auf welchem Wege ist er hierher gekommen? Diese Fragen konnte in jenen Jahren kein einziger Europäer beantworten. Erst in unseren Tagen unternehmen die Historiker große Anstrengungen, um die alten arabischen Handschriften zu entziffern; sie vergleichen Fakten und ziehen das Material benachbarter Disziplinen zu Hilfe, enträtseln so die Geheimnisse der afrikanischen Erde, die es den Archäologen bei ihrer Arbeit so schwer macht, lassen die Vergangenheit dieser Region lebendig werden. Dies alles würde heute viel leichter fallen, hätten Vasco da Gama und seine Nachfolger sich weniger des Feuers ihrer Kanonen bedient, das in Ostafrika ohnehin seltene schriftliche Dokumente spurlos vernichtet hat, hätten sie sich nicht allein von Besitzgier und Grausamkeit, sondern auch vom Interesse für die Zivilisationen leiten lassen, auf die sie gestoßen sind und die sie zu vernichten begannen. Strenggenommen war Vasco da Gama nicht der Erstentdecker dieser Gegenden. Die gesegnete Küste der Sindsha — der »schwarzen Menschen«, wie die Bewohner der Küstenregionen des heutigen Kenia, Tansania und Moçambique in arabischen Schriften genannt wurden — war schon längst erschlossen, besiedelt worden und der antiken Welt wohlbekannt. Aufzeichnungen in ägyptischen Tempelbüchern berichten von der grandiosen Fahrt der Ägypter zu Zeiten des Pharao Sahure, der etwa um 2500 v. u. Z. regierte. Die von ihm in die legendären Goldländer Ophir und Punt ausgeschickte Expedition fuhr dreimal aus dem Roten Meer an Ostafrikas Küsten und kehrte jedesmal mit Gold, Silber, Elfenbein und anderen kostbaren Waren beladen zurück. Als ältestes Schriftdenkmal, in dem Städte der ostafrikanischen 33
Küste bis hin zur Straße von Moçambique recht glaubwürdig beschrieben werden, zählt der berühmte »Periplus Maris Erythraei«, eine Art Segelhandbuch, verfaßt etwa um 60 u. Z. von einem Griechen aus Alexandria, der offenbar selbst in diesen Gegenden gewesen und bis Rapta gelangt ist, das von einigen Wissenschaftlern mit Kilwa gleichgesetzt wird. Unter tansanischen und moçambiquischen Wissenschaftlern traf ich auch auf Verfechter der Idee, in RaptaKilwa habe es vielleicht sogar eine griechische Kolonie gegeben. Eine recht kühne und auf den ersten Blick unbeweisbare Theorie. Aber hat man nicht im Gebiet der heutigen Stadt Beira, wo sich einst eine Kolonie Kilwas — Sofala — befand, eine altgriechische Münze mit dem Bild eines Zeuskopfes gefunden? Portugiesen erzählten mir, daß 1969 an einer der kleinen Inseln des Angoche-Archipels eine kleine Amphore mit angespült worden sei, auf deren Boden sich ein Häufchen Goldmünzen befunden habe. Die Informanten versicherten mir, sie hätten auf den Münzen griechische Buchstaben entziffert. Man habe die Amphore damals einem dortigen Kolonialbeamten übergeben, aber der Fund sei, wie man so schön sagt, »spurlos verschwunden«. Unglaubwürdig ist diese »Gabe des Meeres« aber durchaus nicht. Griechische Münzen aus den verschiedensten Epochen, von der ptolemäischen bis zur byzantinischen, fand und findet man noch heute in unerwartetsten Gegenden, bis hin nach Südafrika. Selbstverständlich haben aber an Ostafrikas Küste die nächsten Nachbarn ihrer Bewohner, die Araber, weit tiefere Wurzeln geschlagen. Seit der Zeit der Königin von Saba, also seit dem 9. oder 10. Jahrhundert v. u. Z., eventuell auch noch früher, ist die Kontrolle über den Handel mit den Sindsha von einem arabischen Staat auf den anderen übergegangen. Ein aktives Vordringen der Araber in diesem Gebiet ist jedoch erst im 7. Jahrhundert u. Z. zu verzeichnen, in der Periode also, in der der Islam sich auszubreiten begann. Um sich vor den dynastischen und religiösen Auseinandersetzungen zu retten, zogen arabische Flüchtlinge, fast ausschließlich Männer, an der ostafrikanischen Küste entlang allmählich von Norden nach Süden, vermischten sich stark mit der dortigen negroiden Bevölkerung, trugen so zur Herausbildung der Swahili, der »Küstenbewohner«, bei. Ackerbau, Handwerk und mit der Zeit immer stärker auch der Handel waren die Hauptbeschäftigung dieser dynamischen und 34
unternehmungsfreudigen Swahili. Womit und mit wem aber trieben sie Handel? Arabische und indische Quellen bieten die Möglichkeit, diese Frage erschöpfend zu beantworten. Alle Vorteile ihrer geographischen Lage nutzend, übernahmen die »Küstenbewohner« eine Vermittlerrolle im Warenaustausch zwischen den Sindsha der afrikanischen Gebiete einerseits und Indien andererseits. Eine Liste der Güter, die Indien exportierte, könnte viele Seiten füllen. In der Hauptsache waren es Baumwolle, Seide und Juweliererzeugnisse. In der Ausfuhr der Sindsha aber überwogen Gold, Elfenbein, Rhinozeroshorn, Schildkrötenpanzer, Leopardenfelle und — Eisen! Wie verbreitet bei den Sindsha die Kunst des Schmiedens war, berichtet erstmalig Masudi, einer der angesehensten mittelalterlichen arabischen Geographen, der Mitte des 10. Jahrhunderts auf einer Dhau eine Reise von Oman nach Ostafrika unternommen hat. Masudi läßt keinen Zweifel daran, daß gerade die Afrikaner sich damals mit dem Schmelzen von Eisen beschäftigt haben, denn er führt viele Ausdrücke an, die er von einheimischen Schmieden dort gehört hat und die sich auf deren Handwerk beziehen. Die meisten dieser Begriffe sind auch heute noch in den Bantusprachen gebräuchlich. Masudi schreibt auch von Seefahrten der Kaufleute aus den arabischen Sultanaten Oman und Siraf entlang der Küste der Sindsha bis hin zum moçambiquischen Sofala. »Dort fördert man im Überfluß Gold und andere Schätze«, berichtet er. Idrisi, ein anderer arabischer Geograph, der die gleichen Gebiete beschrieben hat wie Masudi, nur 240 Jahre später, hält Eisen bereits für das wichtigste Handelsobjekt der Swahili-Städte. Stellt man diesen Berichten neueste archäologische Funde in Kenia, Tansania und Moçambique gegenüber, kann man schließen, daß innerhalb eines Vierteljahrtausends die Metallurgie der Sindsha einen großen Aufschwung genommen hat, und das nicht nur in bezug auf die Quantität des geschmolzenen Eisens, sondern hauptsächlich hinsichtlich dessen Qualität. Hätte sonst wohl ein Kaufmann aus Indien oder Arabien, wo es seit langem schon eine eigene Metallurgie gab, Eisen in Afrika gekauft? Die stürmische Entwicklung des Eisenschmelzens bei den Sindsha war es wohl vor allem auch, die das Interesse Arabiens und Indiens am ostafrikanischen Küstengebiet weckte, das Wachstum der dortigen Städte förderte und die Entfaltung einer eigenständigen Swahili-Zivilisation stimulierte. 35
Lange Zeit schien das Gebiet des heutigen Moçambique eine Art »weißer Fleck« zu sein, der auf allen Seiten von Kulturen der Eisenzeit umgeben war, aber keine eigenen Zentren alter Metallurgie besaß. Erst in den allerletzten Jahren stellte sich aber heraus, daß Ursache hierfür die »Faulheit« der portugiesischen »Zivilisatoren« war, die nicht das geringste Interesse an der historischen Vergangenheit dieses Territoriums zeigten. Die Systematisierung des in den Kolonialarchiven gestapelten Materials sowie neue archäologische Forschungen im Felde gestatteten es moçambiquischen Wissenschaftlern, zu beweisen, daß es allein im Gebiet zwischen Sambesi und Limpopo Zehntausende von Eisengruben gab, die die Afrikaner lange vor Eintreffen der Europäer angelegt hatten. Wie einer meiner Kollegen geistreich bemerkte, habe die Radiokohlenstoffdatierung das Prestige der Sindsha stark gehoben. Durch sie fand man nämlich heraus, daß im an Raseneisenerz reichen Sambesi-Tal die dort lebenden Stämme schon im zweiten Jahrhundert u. Z. Eisen schmolzen. Neuere Forschungen haben auch unsere Kenntnisse über die Geographie der Handelsverbindungen zwischen Sindsha und Arabern erweitert. Noch vor kurzem nahm man an, die muslimischen Kaufleute seien in Richtung Süden nicht weiter als bis Sofala gekommen: ihre Segelschiffe hätten nur schwer aus diesen Breiten zurückkehren können, da die in der Straße von Moçambique herrschenden Strömungen ein Segeln in nördlicher Richtung verhindern. 1983 hat eine Expedition von Studenten der Universität Maputo jedoch Spuren von Faktoreien arabischer Eisenhändler mehr als tausend Kilometer südlich der früher angenommenen »Grenze« entdeckt — am Rande der Städte Vilanculos und Inhambane. Ruinen von Siedlungen der Swahili-Kaufleute haben sich auf Inseln des BazarutoArchipels gegenüber von Vilanculos erhalten. Heute ist wissenschaftlich bewiesen, daß bereits zu Beginn des jetzigen Jahrtausends moçambiquische Stämme im Gebiet zwischen Sambesi und Limpopo eine so hochentwickelte Kultur der Eisenzeit geschaffen haben, daß sie zu würdigen Handelspartnern für die hochzivilisierten Staaten des Orients geworden sind. Bei diesem vorteilhaften Zwischenhandel mit Eisen spielte bald der eine, bald der andere Swahili-Stadtstaat die Hauptrolle. Im 14. Jahrhundert hatten die nordkenianischen Inseln Patta und Lamu die führende Stellung inne. Mitte des 15. Jahrhunderts war es das südlich gelegene Kilwa, Ende jenes Jahrhunderts das fast in der Mit36
te der ostafrikanischen Küste gelegene Mombasa. »Das war eine ausgezeichnet geplante, aus hohen Steinhäusern bestehende Stadt, ein Ort lebhaften Seehandels«, bezeugt der Schwager des berühmten Weltumseglers Fernão de Magalhães (Magellan), der portugiesische Chronist Duarte Barbos. Im Austausch gegen das Eisen, das in großen Mengen in den benachbarten Festlandsregionen erzeugt wurde, brachten indische Kaufleute nach Kilindini, den Hafen von Mombasa, Seide, Baumwollstoffe und Juwelierartikel, wie man sie häufig an Frauen begüterter Einwohner von Mombasa bewundern konnte. Afrikanische Tamtams geben Neuigkeiten schnell und fehlerlos weiter. So sehr sich Vasco da Gama daher auch beeilt, neue Taten zu vollbringen, die Nachricht von den Übergriffen der Portugiesen in Moçambique ist in Mombasa längst eingetroffen. Der mächtige Scheich dieser Stadt, selbst ein großer Kaufmann, hat keineswegs die Absicht, auf sein Handelsmonopol zu verzichten, das ihm beträchtliche Reichtümer eingebracht hat, oder die Fremden über die Seewege nach Indien zu unterrichten. Er benimmt sich hochmütig und ist auf der Hut, gibt deutlich zu verstehen, daß in diesen Gewässern die Macht ihm gehöre. Zwar lädt er die ungebetenen Gäste in seinen Palast in Kilindini ein, der durch seinen Harem von MasaiMädchen berühmt ist, doch Vasco wird von dem Gefühl ergriffen, »es bahne sich eine Verschwörung an«. Er geht nicht selbst hin, sondern schickt zwei in Portugal zu Galeere verurteilte Sträflinge zum Scheich, die man wie hohe Adlige gekleidet hatte. Im Palast gefällt es denen natürlich, vom Harem sind sie begeistert, eine nützliche Information können sie jedoch nicht erhalten. Da ergreifen die Portugiesen zwei Geiseln. Unter den Augen der im Hafen versammelten Neugierigen gießen sie ihnen ein siedendes Gemisch von Teer und Öl auf den nackten Körper. Doch Informationen erhält man auch so nicht! Die einheimische Bevölkerung ist aufgebracht, nachts schwimmen geschickte Taucher an die Karavellen heran, um deren Ankertrossen zu kappen. Man vertreibt sie jedoch, und die portugiesische Flottille, die einem Zusammenstoß mit der Flotte Mombasas gerade noch entgeht, segelt in aller Frühe ab ins benachbarte Malindi. Von Mombasa nach Malindi sind es nur so an die siebzig Kilometer, doch kommt es den Europäern vor, als seien sie dort in eine an37
dere Welt geraten. Sajid Ali, der hiesige Sultan, ein alter Feind und Neider der Mombasaer, der vom Konflikt in Kilindini gehört hat, bereitet den Portugiesen einen begeisterten Empfang. Er ist eifrig bestrebt, sich der Unterstützung Vascos in seinem alten Konflikt mit den mächtigen Nachbarn im Süden zu versichern, und ist bereit, jede Bitte der Fremden zu erfüllen. Auf den durch Kokospalmenplantagen führenden malerischen Straßen Malindis, auf dem Platz vor der Moschee mit ihrem Minarett in Form eines riesigen Phallus, das die Portugiesen als Hauptsehenswürdigkeit des Städtchens betrachten, auf dessen turbulentem, farbenfrohem und üppigem Basar — überall begegnen Vasco und seinen Begleitern schöne, ausgesucht höfliche Menschen mit bunten Turbanen. So sehen die Portugiesen erstmals mit eigenen Augen auch Bewohner jenes Landes, von dem sie schon so lange träumen: »Hindus«, wie die Chronisten sie nennen. Bei dem prächtigen Empfang auf einer Wiese bei seinem Palast, wo heute ein Betondenkmal für Vasco da Gama in Form eines riesigen vom Wind geblähten Segels steht, wartet Sultan Sajid Ali den Gästen nicht nur mit auserlesenen orientalischen Süßigkeiten auf, sondern, was das wichtigste ist, auch mit ihren Ohren schmeichelnden Erzählungen über die Reichtümer Indiens. Vasco hört aufmerksam zu, lobt Halwa und Getränke, als aber über der Wiese ein Feuerwerk aufflammt, kommt er zur Hauptsache: »Mein König besitzt so viel Artillerie und so viele Schiffe, daß man damit Indiens Meere ausfüllen könnte«, sagt er zu Sajid Ali, ohne die geringste Verlegenheit ob dieser dreisten Lüge zu zeigen. »Die Portugiesen können dem Herrscher von Malindi helfen, seine Feinde zu besiegen. Der Sultan wird einen mächtigen Schirmherrn haben.« »Womit aber kann ich meinerseits dem großen König danken?« »Oh, mit einer ganzen Kleinigkeit. Der König wird es als ganz großen Dienst ansehen, wenn Seine Hohheit der Sultan es nicht ablehnte, mir einen erfahrenen Lotsen mitzugeben, der meine Karavellen nach Indien zu führen vermag.« Sajid Ali schnipst mit dem Finger, und schon steht ein schwarzhäutiger Wesir vor dem Sultan, lauscht untertänigst dessen Befehl und entfernt sich unter Verbeugungen. Ein Tag vergeht, und während eines zweiten Empfangs, nunmehr an Bord der »São Raffael«, führt man einen finster blickenden Mann mittleren Alters zu Vasco. 38
»Malemo Kano«, stellt der Sultan ihn den Portugiesen vor. »Der große König von Portugal wird mit uns zufrieden sein, einen besseren Lotsen findet man im ganzen Indischen Ozean nicht.« In der Beurteilung des Lotsen hatte sich der Sultan nicht geirrt. Unter dem Namen Malemo Kano wurde den Portugiesen der aus Oman stammende arabische Lotse Ahmed ben Madjid empfohlen, einer der gebildetsten Männer des Orients jener Zeit, Autor von mindestens 37 überlieferten Arbeiten über Geographie und Navigation, der »Löwe des Meeres«, wie seine Zeitgenossen ihn nannten. Habent sua fata libelli (»Bücher haben ihr eigenes Schicksal«), so lautet ein lateinischer Aphorismus, und das wundersame Schicksal des Hauptwerkes von Madjid beweist ein weiteres Mal seine Wahrheit. Fast fünf Jahrhunderte sind die in arabischer Kalligraphie geschriebenen Manuskripte des Lotsen der ersten europäischen Expedition im Indischen Ozean unbekannt liegengeblieben. Erst vor ganz kurzer Zeit hat man sich dafür interessiert; erstmalig übersetzt und herausgegeben wurden sie in der Sowjetunion; 1985 sind in Moskau zwei umfangreiche Bände der Werke Ahmed ben Madjids unter dem amüsanten Titel »Buch des Nutzens. Über die Grundlagen und Regeln der Seewissenschaft. Arabische Meeresenzyklopädie des 15. Jahrhunderts« erschienen. Die Seiten des »Buches des Nutzens«, das Ahmed ben Madjid erst nach seiner Teilnahme an der Expedition Vasco da Gamas geschrieben hat, lassen diesen Lotsen als Kenner der Meere des Südens, als Fachmann auf dem Gebiet Meeresastronomie und -meteorologie erscheinen, der die Technik der Segelschiffahrt vollkommen beherrschte. Mit einem solchen Lotsen an Bord ihres Flaggschiffes konnten die Portugiesen vieles »entdecken«, nicht nur Indien. Die beeindruckende Gestalt des Arabers Madjid schiebt den Portugiesen Vasco da Gama eindeutig in den Hintergrund. Der in der Literatur »Erstentdecker Indiens« genannte Gama tritt neben Madjid lediglich als der auf, der dessen Ratschläge (und vielleicht auch dessen Kommandos) ausführt. Es ist für uns wohl aber inzwischen Zeit geworden, den dritten und letzten Akt in unserem Stück beginnen zu lassen. Er wird kurz sein, denn je weiter sich die Karavellen der Portugiesen von der ostafrikanischen Küste entfernen, um so weniger Grund habe ich, in diesem 39
Buch noch mehr von der Fahrt Vasco da Gamas zu berichten. Nur sechsundzwanzig Tage benötigte der Omaner, um die europäische Flottille an die Küste Indiens, in den Hafen Kalikut (heute Kozhikode) zu führen. Vasco da Gama und Ahmed ben Madjid fanden viel Zeit, miteinander zu sprechen, und die beiden Seefahrer hatten ja als Vertreter zweier Völker, die damals in der Seefahrt des Westens und des Ostens vorderste Plätze einnahmen, auch genügend Gesprächsstoff. Vasco hielt den Weg nach Indien nun bereits für entdeckt und interessierte sich jetzt beharrlich nur noch für eines — für Gold! Selbst seine nur flüchtige Bekanntschaft mit den SwahiliStädten hatte ihm genügt, um zu begreifen: Vom gelben Metall gibt es dort genug. Befand er sich hier nicht im Vorhof des legendären Ophir und Punt, aus denen die Pharaonen ihre Goldreserven schöpften? Und waren das nicht die Gewässer, in denen die goldbeladenen Dhaus segelten, von denen einst Covilhão berichtete, der mit seinen Erzählungen von Sofalas Reichtümern Lissabons Appetit geweckt hatte? Das also wollte Gama von Madjid erfahren. »Sufalat at Tibr, Goldenes Sofala?« sagt der Lotse und lächelt rätselhaft. »Ja, eure Schiffe sind an diesem Hafen vorbeigesegelt, ehe sie in die Kwakwa-Bucht einliefen. Ja, das ist ein großer Hafen. Er gehört den Leuten Monomotapas, des ,Herrn der Bergwerke’, die große, sehr große Goldvorkommen abbauen.« So ist Vasco da Gama zum erstenmal davon überzeugt, daß er auf die richtige Spur geraten ist. Mehr aber hat Ahmed ben Madjid aus irgendeinem Grund nicht verraten. Vielleicht deshalb, weil er in seinem Handbuch für die Seefahrt in ostafrikanischen und moçambiquischen Gewässern, geschrieben gleich zu Beginn des 16. Jahrhunderts, das heißt unmittelbar nach der Fahrt auf der »São Gabriel«, kein Geheimnis aus den Handelsverbindungen Monomotapas gemacht hat. In seiner Unterhaltung mit Gama wirft der Lotse aus Oman seinem Gesprächspartner einen weiteren Knochen hin. Nachdem er bestätigt, was schon Masudi gesagt hat, erwähnt er, daß gelbes Metall bis hin zum Limpopo-Delta gefördert werde. »Das reine Gold aus diesen Gegenden führt man über den Hafen Mambone aus, der an der Mündung des Save-Flusses liegt«, erzählt er. In diesem Namen vermeinen die Portugiesen den der Königin von Saba herauszuhören, die, wie die Legende vermeldet, Zugang zu den märchenhaft reichen Goldgruben im Herzen Südafrikas besaß. 40
So taucht im Bordjournal der »São Gabriel« eine Notiz auf, aus der gierige Hoffnung spricht: »Man sagte uns, das Land des Johannes liege nicht weit von Moçambique... Diese Nachrichten und vieles andere, was wir erfuhren, erfüllten unsere Herzen mit solch einem Glück, daß wir vor Freude weinten.« Das wichtigste Ergebnis, das die Portugiesen erzielten, und sicher auch eine »große Entdeckung«, die sie während dieser Fahrt machten, war jedoch die Klärung des Mechanismus der saisonbedingten Winde — der Monsune, die auf dem Ozean herrschten. Als Vasco da Gama seinem Lotsen zuhörte, begriff er, daß die Entstehung des Handels in diesen Breiten eine natürliche, geographische Ursache hatte. Eben diese Winde ließen die Bewohner der Küstenregionen schon im tiefen Altertum, als sie noch über nur ganz primitive Schiffe und Instrumente verfügten, im Indischen Ozean nicht eine sie trennende, sondern sie verbindende riesige Wasserfläche sehen. Ja, diese Winde! Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit setzen sie im November ein und wehen bis März, führen trockene Luft von Nordost nach Südwest und erlauben es so den indischen Seefahrern, die Küsten Afrikas zu erreichen, ohne durch Unbeständigkeit des Wetters beunruhigt zu werden. Anschließend ist bis Mitte Juni Windstille, in der die Segelschiffahrt auf dem Meer gänzlich ruht. Dafür beginnt auf dem Festland die Zeit der »großen Basare«, des Verkaufs der aus dem Orient herangeschafften Waren. Von Juni bis Ende September bläst vom afrikanischen Kontinent her ein heftiger Südwestwind auf den Ozean hinaus, der es den indischen Händlern gestattet, nach Hause zurückzukehren, den Swahili-Kaufleuten aber, ihre Waren nach dem Osten zu schaffen, wo sie die Zeit der Zyklone auf arabischen und indischen Basaren absitzen, um mit Einsetzen des Nordostmonsuns, nicht ohne gute Geschäfte gemacht zu haben, wieder in Richtung Heimat zu segeln. Zum Wort Monsun. Ahmed ben Madjid erklärte seinen Begleitern, daß darin das arabische »rihal-mawsin« mitklinge, das einen Wind bezeichnet, der in bestimmten Jahreszeiten regelmäßig weht. Andere wiederum versicherten den Portugiesen, in diesem Namen stecke das arabische »mausim«, das »Basar« bedeutet. Wie dem auch sei, sowohl für die antiken als auch für die mittelalterlichen Seefahrer des Orients war dies ein günstiger Wind, der es ermöglichte, friedlichen Handel zu unterhalten. Vasco da Gama allerdings 41
träumte, als er sich den gelobten Küsten Indiens näherte, bereits davon, daß die Monsune die Segel kanonenbestückter portugiesischer Karavellen blähen, auf denen die Reichtümer der neu eroberten Länder nach Lissabon geschafft werden. Am Abend des 20. Mai 1498 bringt der Monsun die Segelschiffe der Portugiesen endlich nach Kalikut. Nur wenige Tage vergehen, und Madjid muß mit Schrecken feststellen, daß die von ihm nach Indien geführten Portugiesen, vor kurzem für ihn noch »angenehme Gesprächspartner«, sich in unersättliche Raubtiere verwandelt haben, die sich auf ein friedliches Opfer stürzen. »Ach, hätte ich gewußt, was aus ihnen wird!« ruft er aus und bereut bitter die Hilfe, die er den Portugiesen gewährt hat. »Die Menschen waren entsetzt über ihre Handlungen...« Beenden wir hiermit unser Stück, zumal es schon auf Mitternacht geht und gleich ein tropischer Guß unsere Hauptbühne, den Indischen Ozean, hinter einem dichten Regenschleier verbergen wird.
Reliquien der Conquista schwimmen nach Lissabon »Diese ewigen Scherereien mit den Literaten!« Mit diesen Worten stürzte João auf mich zu, kaum daß ich den Gouverneurspalast betreten hatte. »Ich wußte gar nicht recht, was ich denken sollte! Warst du ertrunken? Von Haien gefressen? Von der hiesigen Reaktion verschleppt? Schließlich bin ich für dich verantwortlich! Sag bloß, wo hast du gesteckt?« »In einem kleinen Boot da drüben, und nicht einmal in einem, das auf dem Wasser schaukelt, sondern in einem, das still und friedlich an der Pier liegt.« »Hast wohl Verse geschmiedet? Unterm Sternenzelt? Und ich habe inzwischen Leute über die ganze Insel ausgeschickt nach dir. Würdest du mir unterstehen, ich hätte dich in die Arrestzelle gesperrt. Aber ich habe mir schon eine andere Strafe ausgedacht: Ich lade dich zum nächtlichen Bankett beim Gouverneur ein. Ein historischer Empfang. Ihn gibt der letzte aller portugiesischen Gouverneure, die fast fünfhundert Jahre hier auf dieser Insel gesessen haben.« 42
»Lieber würde ich schlafen gehen«, versuchte ich mich zu drükken. »Hättest ja im Boot schlafen können«, meinte João lachend, schon wieder besser gelaunt. »Komm nur mit, hast dann was zu schreiben!« Und er sollte recht behalten. Heute, unter der Volksmacht, sind derartige Empfange und Abendessen natürlich bereits Geschichte. Aber sie sind keine uninteressanten Details dieser Geschichte, insofern der Kult der Küche »à la Moçambique« für die portugiesischen Machthaber so etwas wie eine politische »Stütze« darstellte, eine Möglichkeit, die sozialökonomischen Erfolge ihrer Kolonie zu demonstrieren. Die Straßen der Hafenstädte wurden von der Reklame der Restaurants beherrscht, und man lockte Ausländer vor allem damit nach Moçambique, daß sie dort die »Gaben des Meeres« genießen könnten. Als Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre die Administration beschloß, durch Entwicklung des Tourismus in Moçambique zusätzliche Einnahmen zu erzielen, wählte man als Hauptköder die Kunst der hiesigen Köche. Der umfangreiche Reiseführer von D. Alexander »Holiday in Moçambique«, herausgegeben 1974 in Kapstadt, beginnt nicht etwa mit der Beschreibung der kulturellen Sehenswürdigkeiten des Landes oder der Reichtümer seiner Naturschutzparks, sondern mit einem Kapitel, das den vielsagenden Titel trägt: »Krebse und Weine in Moçambique«. Die aus Lusitanien Zugewanderten, die sich da an der ostafrikanischen Küste niedergelassen hatten, waren niemals bestrebt gewesen, jemanden in der Welt im Produktionsniveau zu überholen, strengten sich aber mächtig an, jeden, wen auch immer, im Konsum zu übertreffen. Indem sie die Afrikaner gnadenlos ausraubten und ausbeuteten, erreichten sie nach dem Zeugnis des Lissaboner Professors Antonio de Figuereido, daß »die weiße Bevölkerung Moçambiques zur wohlhabendsten portugiesischen Gemeinde in der Welt wurde, die schwarze aber zur rückständigsten unter den Bewohnern der portugiesischen Territorien in Afrika. Der Lebensstandard der Weißen war beträchtlich höher als in Portugal selbst und näherte sich fast dem der weißen Bevölkerung in der benachbarten Republik Südafrika...« Symbol diesen Standards war für die Portugiesen in Moçambique die Wohnung, die man hier nicht wie auf der Pyrenäenhalbinsel »casa« (Haus), sondern nach Kolonialbrauch, Anspruch auf notori43
sehen Luxus erhebend, »palacete« (Palast, Villa) nannte. Viele gestanden mir gegenüber ein, daß für sie in diesem Terminus vor allem die lateinische Wurzel »palacio« so verlockend gewesen sei. Und innerhalb des »palacete« widmete man die größte Aufmerksamkeit dem Mobiliar. Die Natur Moçambiques ist reich an Ebenholz, Palisander und besonders Jambire, einem Baum, der dunkelbraunes Holz mit sehr schöner Maserung liefert. Aus diesen überaus wertvollen Hölzern schufen die traditionell in der Holzschnitzerei erfahrenen afrikanischen Handwerker, die die schönsten Möbel aus der Blütezeit des »Manuelito«* nachahmten, echte Meisterwerke, die man in jedem europäischen Museum hätte ausstellen können. Man trieb wahren Kult mit riesigen geschnitzten Tischen, wundervoll gearbeiteten, mit Giraffenfell bespannten und mit Bronze verzierten Stühlen, auch mit Bücherschränken, die eine ganze Wand einnahmen. In letzteren standen in der Regel Buchattrappen: leere prunkvolle Einbände aus Saffian, Nachbildungen von mehrbändigen mittelalterlichen Chroniken und von mit Edelsteinen geschmückten Inkunabeln, die in Werkstätten in Macau hergestellt waren und Kenner hinters Licht führen sollten. Dafür war all das, was auf den Tisch der portugiesischen Kolonisten kam, um so realer. Auch bei unserem heutigen Empfang brechen die Tische geradezu unter der Last der Speisen. Das Ganze beginnt mit einer Auswahl von Säften: Apfelsinen-, Mandarinen-, Grapefruit- und Granatapfelsaft. Danach gibt es frische Früchte, deren Aufzählung nicht so sehr deshalb interessant ist, weil sie von der unbändigen Leidenschaft der »vornehmen Gesellschaft« der Insel Moçambique für üppiges Essen und Trinken zeugt, sondern eher die Vielfalt an Früchten in diesem Lande demonstriert. Da gibt es an bekannten tropischen Früchten u. a. riesige Ananas, ganz zarte Bananen, »Damenfingerchen« genannt, im eigenen Öl schwimmende Avocados, feuerrot bis rosafarbene, Nadelbaumaroma verbreitende Mangofrüchte, auf der Zunge zergehende Papayas, klebrig-süße, druckempfindliche Feigen und schließlich die immer etwas gesondert liegenden, weil recht übelriechenden, birnenähnlichen Guajaven. Doch nicht diese »trivialen Exoten« sind Höhepunkt des Pro* »Manuelito« — dekorativer Stil, der sich in Portugal entwickelt hat, vereint gotische und maurische Motive mit bizarr-naturalistischen Details; erreichte seine Blütezeit unter König Manuel I. (1495—1521).
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gramms. Die gewesenen Beherrscher der Südmeere, die Portugiesen, brachten bei ihren Fahrten von Brasilien nach Indien und Malacca, auf denen sie stets die Insel Moçambique anliefen, aus der gesamten tropischen Welt die seltsamsten Pflanzen mit hierher, die sich nur selten irgendwo eingewöhnen und in nördlichen Breiten nahezu unbekannt sind, weil sie sich »nicht transportieren« lassen. Da drängt sich heute alles um eine Schale mit Mangostanen, erlesensten tropischen Früchten, deren hell-lila dicke, feste Haut ein zartes weißes Fleisch ähnlich der Konditorsahne umschließt. Der Geschmack der stachligen, äußerlich an Roßkastanien erinnernden Annonen provoziert in einem den Gedanken, hier sei es einem Botaniker gelungen, Erdbeere mit Ananas zu kreuzen. Und da ist noch so eine Art Himbeerschlagsahne— doch nein, es handelt sich lediglich um die Samenhüllen der Durianfrucht, einer Verwandten des Baobab, des Affenbrotbaums. Und hier Trauben meiner Lieblingssorte, unter deren behaarter Schale sich eine Art Vanillegelee verbirgt, immer kühl und aromatisch. In der tropischen Hitze könnte man sich eigentlich auf Früchte beschränken, doch die koloniale Tradition verlangt, daß man nach »Gaben des Landes« auch noch »Gaben des Meeres« verschlingt. Nordöstlich der Insel Moçambique, im Gebiet der SanktLazarus-Bank, und südlich davon befinden sich die an Krebstieren reichsten Gewässer der Welt. In Sklavenarbeit lieferten die MakuaFischer diese gastronomischen Leckerbissen den Portugiesen praktisch umsonst; Krebse wurden daher zum Grundstock der hiesigen »weißen« Küche. »Hier ein gutes Rind zu züchten ist fünfmal teurer und hundertmal aufwendiger, als einem Schwarzen zu befehlen, dreihundert Kilogramm Garnelen zu fangen«, pflegte man auf der Insel zu sagen. Und was für Garnelen das hier sind! Von den »mittleren«, fünfzehn bis zwanzig Zentimeter langen, den sogenannten lagostins, ißt man mindestens ein paar Dutzend, vom bis zehn Zentimeter großen »Kleinzeug«, den »camarões«, häuft man sich gleich den ganzen Teller voll. Außerdem servierte man durchsichtig-rosafarbene Lagostas, das sind riesige, bis zu einem Kilogramm schwere Langusten, und feuerrote tellergroße Krabben, »carangueios« genannt. Und all das gekocht oder gebraten, mit Austern gefüllt, schmackhaft gemacht entweder mit der scharfen pfeffrigen Soße »Piri-Piri« oder mit auserle45
senem, auf die jeweilige »Meeresgabe« abgestimmtem perlendem portugiesischem Vinho verde, »grünem Wein«. Gespräche wurden auf diesem Empfang kaum geführt. Die Portugiesen hatten keinen Grund zur Freude, und die Afrikaner, die in ihrer Mehrzahl erstmalig an einer solchen Abendgesellschaft teilnahmen, fühlten sich, wie man so sagt, nicht in ihrem Element. Man stand in Grüppchen zusammen, die sich durch politische und Klasseninteressen deutlich voneinander unterschieden, unterhielt sich mit den Gesprächspartnern nur halblaut und verstummte sogleich, wenn sich ein Außenstehender näherte. Nur die Frelimo-Leute sprachen laut und ungeniert miteinander. Sie diskutierten über die Durchführung einer für die nächsten Tage vorgesehenen »barasa«, einer Versammlung aller Inselbewohner, auf der die anstehenden Probleme erörtert werden sollten. Doch wer ist diese einsame Gestalt da am Fenster? Kein anderer als Alesandre Lobato, ein Bekannter von mir aus der Hauptstadt, Direktor des Historischen Archivs von Moçambique. »Was hat Sie denn hierher verschlagen, Doktor?« frage ich neugierig. »Dienstliche Angelegenheiten..« »Ist es ein Geheimnis, welche?« »In den nächsten Tagen werden die Portugiesen ihre sämtlichen Archive sowie den größten Teil der Exponate der Museen und der Einrichtung der Paläste von der Insel evakuieren. Ich soll dabei sein. Die Kisten werden vernagelt, sobald das Dessert gereicht und der Sekt ausgetrunken ist.« Konnte ich mir eine solche Chance entgehen lassen — die jahrhundertelang niemandem zugänglichen kolonialen Archive zu betasten und zumindest einen kurzen Blick auf die bald nach Lissabon schwimmenden Reliquien der Konquistadoren zu werfen? Nein, das wäre ein Verbrechen gewesen! Der Empfang war noch nicht zu Ende, da hatte ich schon die Einwilligung des Gouverneurs und die Erlaubnis Joãos, Tag und Nacht Zugang zu den Materialien zu haben, die von der Insel weggeschafft werden. Was konnte ich in dieser mir vom Schicksal geschenkten Zeit von nur drei Nächten und zwei Tagen tun? Sehr wenig, wenn man in den Kategorien eines ernsthaften Forschers denkt. Sehr viel aber, wenn man die emotionale Spannung, das Erfassen der Atmosphäre und des Kolorits jener weit zurückliegenden Epoche des Vor46
dringens der Portugiesen in Afrika in Rechnung stellt. Über diese Epoche ist bei uns nur recht wenig bekannt, obwohl sie genau so reich an Ereignissen, Helden und Bösewichtern ist wie die in allen Einzelheiten beschriebene Periode der spanischen Eroberungszüge in Amerika.Warum wohl? Dieses »Warum« hörte für mich jedoch auf, ein Rätsel zu sein, kaum daß ich ins Archiv des Palasts gelangt war. Ich mußte an die Worte meines durch fünfzigjährige Erfahrung im Umgang mit mittelalterlichen Dokumenten weise gewordenen Gesprächspartners aus dem Lissaboner Torre do Tombo denken: »Die Portugiesen machen aus allem ein Geheimnis.« Überall Stempel »Confidencialmente«, »Secretamente«, »Em rigoroso segredo«*, ohne Ausnahme auf allen Aktendeckeln und Kisten, waren es nun Bündel einer 1783 in Goa herausgegebenen Zeitung oder Angaben über die Kaschunußernte in der Wirtschaft eines Pflanzers im Limpopo-Tal.
Drei Nächte mit dem großen Camões Gewaltige mit Wappen und Kronen versehene Siegel behüteten zwei Pappkartons mit der Aufschrift »Akte L. de Camões«. Welche Geheimnisse mochten wohl in unserer Zeit noch mit dem Namen des weltbekannten Dichters verbunden sein, der vor vierhundert Jahren starb? »Das interessiert sogar mich«, meint Lobato und erbricht das Siegel. »Nutzen wir den Machtwechsel und versuchen wir, etwas Neues über diesen Liebhaber von Abenteuern zu erfahren.« In den Kartons lagen außer vergilbten Dokumenten aus den sechziger und siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts eindeutig neuere Manuskripte, von denen zahlreiche Seiten mit Maschine geschrieben waren. »Aha!« Lobato nickt verständnisvoll. »Ende der sechziger Jahre wurde der bei den Salazar-Leuten unerwünschte Theologe und Historiker Diego Perrez aus Portugal ausgewiesen. Er hatte an einem Buch über die moçambiquische Periode des Lebens des Dichters der ,Lusiaden’ zu arbeiten begonnen, doch beschuldigten ihn die Be* »Vertraulich«, »Geheim«, »Streng geheim«.
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hörden, er habe Verbindung zu Kommunisten, und aus Furcht, er könne Camões zu einem ,Roten’ machen, verboten sie ihm die Weiterarbeit an dem Buch, von dem hier nun dieses Manuskript übriggeblieben ist. Sein Autor selbst starb zwei Jahre später in den Kerkern auf der Insel Ibo.« »Camões ist also in Moçambique gewesen?« frage ich zurück. »Wo der nicht überall gewesen ist! Ich bin überzeugt, kein einziger unter allen berühmten Dichtern, deren Namen man zusammen mit dem des großen Portugiesen nennen könnte — weder Shakespeare noch Moliere, weder Milton noch Cervantes, Puschkin oder Goethe —, ist so viel in der Welt herumgereist wie Camões. Er ist ein echtes Kind der Epoche der großen geographischen Entdeckungen, einer ihrer attraktivsten Vertreter und ihr Sänger.« »Hier eine alte Karte, eine Zeitgenossin von Camões, vielleicht hat er sie sogar in seinen Händen gehalten«, fährt Lobato fort. »Auf ihr hat jemand die Reisen des Dichters durch die weite Welt eingetragen, die sein von den Zeitgenossen so bewundertes ungestümes Temperament widerspiegeln. Und an jedem Ort, der auf der Karte vermerkt ist, hat es stürmische Abenteuer gegeben. In Coimbra, wo er geboren ist, den heftigen Streit mit seinem Onkel und Vormund; in Lissabon die Begegnung mit ,seiner Laura’, die das gesamte weitere Schaffen des Dichters überstrahlt hat. Und hier spielt sich eine regelrechte Tragödie ab, denn Laura war ja die Nachfolgerin auf dem Thron. Ein Skandal bei Hofe — der junge Dichter, der nach seinem eigenen Eingeständnis seine Blicke zu hoch erhoben hatte, findet sich in Ceuta wieder, damals der einzige Stützpunkt der Portugiesen in ihrem Kampf gegen die Muslims auf dem afrikanischen Kontinent. Wahre Wunder an Tapferkeit vollbringend, nimmt Camões an den Kämpfen gegen maurische und türkische Piraten teil, und in den Kampfpausen geht er, nur mit einem Speer bewaffnet, auf Löwenjagd. In einer Seeschlacht verliert der Dichter sein rechtes Auge, und seitdem unterschreibt er seine Briefe häufig mit ,Augenloser Kopf. Hier, schauen Sie, ist seine gewöhnliche Unterschrift, und dort auch.« Lobato reicht mir Faksimiles von Briefen hin. »Ceuta, Moçambique — das sind doch ganz entgegengesetzte Winkel von Afrika«, erwidere ich, bemüht, schnell wieder auf des Dichters moçambiquische Abenteuer zurückzukommen. »Zwischen den beiden afrikanischen Perioden im Leben unseres Poeten liegt eine Menge von Abenteuern in Asien. Als leidenschaft48
Wie eine Geisterstadt wirkt heute die Cidade Branca, die »Weiße Stadt« auf der Insel Moçambique, mit dem düsteren Fort San Sebastian (vorhergehende Seite), mit der ersten Steinkirche, die Europäer auf der Südhalbkugel errichteten, mit den Denkmälern für den Dichter Camões und für Vasco da Gama. Herren der Inselstadt sind heute die Afrikaner selbst (oben)
Erst nach Sonnenuntergang waschen die Makua-Frauen ihre »kosmetischen Masken« vom Gesicht ab
Neben der musealen Cidade Branca liegen die lebenerfüllten Afrikanerviertel der Cidade Preta, der »Schwarzen Stadt«, in der die Hütten aus Mangroveästen gebaut sind Folgende Seite: Fischer auf der Ilha de Mo^ambique.— Von den Swahili haben die Inselbewohner das Holzschnitzen übernommen; ihre geschnitzten Türen sind oft wahre Kunstwerke
Fort Jesus in Mombasa (Kenia), einst ein Hauptstiitzpunkt der Portugiesen an der ostafrikanischen Küste
Diese Bilder vermitteln einen Eindruck von der Swahili-Städten vor Ankunft der Portugiesen: Ruinen in der Stadt Gedi; Moschee in Kilwa, einer der reichsten Swahili-Städte; in diesen Nischen standen einst kostbare Porzellan vasen
In Beira, der Hauptstadt der Provinz Sofala
Vor allem in Sofalu wachsen die riesigen A nukardiumbäume, die nicht nur Kaschunüsse, sondern auch Edelholz liefern Folgende Seiten: Landschaft in Sofala.— Vom einst mächtigen Fort Sena am Sambesi ist nur dieses eine Tor erhalten geblieben.— Gruppe von »Dinamisatoren«, jungen Aktivisten der Frelimo-Partei
licher Duellant hat Camões mit seinem Degen in Ceuta so viele hochgestellte Persönlichkeiten umgebracht, daß er alsbald nach Indien fliehen mußte. Die 1553 unternommene sechsmonatige Seereise dorthin, sie ist die Zeit, in der Camões die Arbeit an seinen ,Lusiaden’ beginnt, in der er wunderbare Verse schreibt, die gleichsam die Frische und den salzigen Wind des Indischen Ozeans atmen. Im September ist er bereits in Goa. Dann Teilnahme an einer militärischen Expedition nach Mekka, Aufenthalt am Kap Guardafui, wo die berühmte afrikanische Kanzone ,Nahe sind trockene, unfruchtbare, wilde Berge’ entsteht. Dann geht es neuen Abenteuern entgegen: Abstecher ans Ende der damals bekannten portugiesischen Welt, auf die Molukken, nach China, Arbeit in Macau in einer dem großen Dichter wenig gemäßen Stellung als ,Vermögensverwalter von Verstorbenen und Verschollenen’. Der auf diesem Posten keineswegs reich gewordene Camões erleidet auf der Fahrt von Macau nach Goa Schiffbruch an der Mekong-Mündung. Um ein Haar hätte der Dichter in den tosenden Wellen das Wichtigste, was er besaß, verloren: das fast abgeschlossene Manuskript der ,Lusiaden’. — Übrigens hängt ein herrliches Ölbild, das diese Episode aus dem Leben des Dichters wiedergibt, hier ganz in der Nähe«, und Lobato zieht mich in den benachbarten Saal des Gouverneurspalastes. »Sehen Sie es sich jetzt an, denn noch heute wird es zum Versand verpackt.« Auf der riesigen, fast die gesamte Wand einnehmenden Leinwand sieht man den Dichter mit angelegter Rüstung, die Hand, die das Manuskript hält, hoch über die Wellen erhoben. Sein Blick jedoch ist nicht zur Küste gerichtet, sondern auf eine schöne brünette Frau, die gerade in den Wogen versinkt. Es ist Camões’ Geliebte, die er nicht zu retten vermochte... Den Verlust nur schwer überwindend, beginnt Camões an die Rückkehr nach Portugal zu denken. Hinter ihm liegen siebzehn Jahre voller Abenteuer in den Tropen. Geld aber hat er in dieser Zeit nicht angehäuft. Selbst das Wenige, das er im Kolonialdienst erworben hat, ist vom trüben Wasser des Mekong verschlungen worden. Woher also die Mittel für die weite Reise nehmen? Pedro Barreto, ein Gefährte aus der Goaer Zeit, der vor kurzem einen hohen Posten in Moçambique erhalten hat, kommt ihm zu Hilfe. Schließlich liegt Afrika ja auf halbem Wege nach Lissabon. Die Rückkehr zieht sich jedoch noch zwei Jahre hin, von denen der Dichter den größten Teil 49
auf der Ilha de Moçambique verbringt. Eine häufig zitierte Version behauptet, diese Verzögerung sei dem Geiz Pedro Barretos zuzuschreiben, der Camões angeblich auf der Insel festgehalten und ihm nicht gestattet habe, von Bord des Schiffes zu gehen, das ihn nach Afrika gebracht hatte, bevor er ihm nicht die Schulden rückerstattet habe, die durch die Fahrt hierher entstanden waren. Wo aber ist da Logik? Woher sollte der auf dem Schiff eingepferchte Dichter das Geld schon für seinen Gläubiger beschaffen? Und was konnte dieses Geld für Barreto bedeutet haben, der doch zur Spitze der Kolonialadministration gehörte und, wie aus den moçambiquischen Archiven hervorgeht, eng verwandt war mit Francisco Barreto, dem allmächtigen Generalgouverneur von Indien? Übrigens war gerade er, der offen mit Camões sympathisierte, es gewesen, der den Dichter nach Macau geschickt hatte, auf den Posten eines Vermögensverwalters von »toten Seelen«, auf einen Posten, aus dem jeder andere große Gewinne gezogen hätte. 1569 erschien Francisco Barreto in Moçambique, ausgestattet mit außerordentlichen und unbeschränkten Vollmachten des Lissaboner Hofes. War das Zufall, die Zurückhaltung von Camões auf der Insel gerade zu jener Zeit, da dessen alter Verehrer seines Talents und Patron Francisco Barreto die Leitung der »großen Expedition« in Moçambique übernehmen sollte? Hier ist es sicher angebracht, das in den Kartons mit der Aufschrift »Akte L. de Camões« aufbewahrte Material für einige Zeit beiseite zu legen und sich den anderen Dokumenten des Archivs zuzuwenden. Was berichten diese über die siebzigjährige Periode, die zwischen Vasco da Gamas erster Seereise und der Schaffung der »Lusiaden« liegt? Es gibt ja auch eine zweite Seereise des »Admirals des Indischen Ozeans«, die mit der Plünderung Kilwas und Kalikuts und der Rückkehr nach Lissabon unter Mitführung riesiger Schätze endet. Im Jahre 1505 fühlen sich die Portugiesen in Indien schon so sicher, daß sie ihren ersten Vizekönig Francisco Almeida dorthin schicken. Im gleichen Jahr sendet ihm König Manuel den Befehl, die Eroberung Ostafrikas in Angriff zu nehmen. »Sofala, Sofala, Sofala« — dieser Name taucht Dutzende Male in jedem Brief oder Erlaß auf, der von den Ufern des Tejo nach Cochin und später nach Goa geschickt wird, wo sich Almeidas Residenz befindet. In Sofala glauben die Portugiesen — und das nicht ohne 50
Grund — den großen Kanal zu finden, in den sich das von ihnen so heiß begehrte afrikanische Gold ergießt. Ihre Hauptfeinde und -konkurrenten auf den »Goldstraßen« im Indischen Ozean sind die Araber, und deshalb stürzt sich Lissabon jetzt mit seiner ganzen militärischen Macht auf sie. Almeida fügt sich dem Willen seines Monarchen und läßt Kilwa bombardieren, dessen Vasall Sofala ist. In Kilwa errichtet er ein Fort, und schon erstattet sein Hauptmann, ein gewisser Pedro Fogaso, Bericht: »Wir erlaubten unseren tapferen Soldaten, in den Häusern der Mauren alles zu nehmen, was ihnen gefiel, und diese Häuser dann dem Erdboden gleichzumachen.« Im Oktober 1505 geht dieser Fogaso daran, die Küste zwischen der Insel Moçambique und Sofala von See her zu blockieren, um dadurch den arabischen Dhaus den Zugang zu den Häfen zu versperren, über die das Gold exportiert wird. »Ersäuft die Mauren«, »Erschlagt die Mauren«, »Verbrennt die arabischen Schiffe«, »Zerstört die arabischen Siedlungen«, befiehlt man Fogaso aus Lissabon. Oh, was für ein interessantes Dokument! Der Entwurf einer Meldung eines gewissen Pedro de Anaya über seine erfolgreichen Verhandlungen mit einem einheimischen Herrscher, die mit der Errichtung eines portugiesischen Forts in Sofala geendet haben. Den Emir dieser Stadt, der buchstäblich in Gold badete, kaufte man, wie man so sagt, für einen Pappenstiel. Für das Recht, sich neben seinem Palast eine Höhle einzurichten — eine portugiesische Festung—, verlangte er ein Dutzend Hamburger Kessel, venezianische Perlen aus farbigem Glas, englische Bettwäsche und Tischtücher, portugiesische Leinwand, einen mauretanischen Teppich und einen Mantel sowie einen Haufen Schmuck. Den in den Augen des Lissaboner Hofes wichtigen Posten eines Hauptmanns von Sofala überträgt man dem später berühmt gewordenen Konquistadoren Antonio de Saldanha. Gleichzeitig drangen die Portugiesen weiter nach Norden vor, bis nach Lamu und Patta, eroberten die Städte an der Küste des südlichen Somalia sowie die Insel Sokotra. Und sie alle werden verpflichtet, den Portugiesen alljährlich einen gewaltigen Tribut zu zahlen. Praktisch die gesamte ostafrikanische Küste befindet sich nun unter der alleinigen Kontrolle Lissabons. Um den nördlichen Teil regieren zu können, wird in Mombasa das Fort Jesus errichtet, das mit seinen gigantischen Ausmaßen die Festung San Sebastian beinahe noch in 51
den Schatten stellt. Residenz des Statthalters für die südlichen Regionen wird die Insel Moçambique. Die Portugiesen vermochten jedoch aus einer solchen unter Gewaltanwendung vollzogenen Vereinigung keinen großen Vorteil zu ziehen. Die Eroberung Indiens und das Streben, die Handelsverbindungen der Swahili-Kaufleute, koste es, was es wolle, in ihre eigenen Hände zu bekommen, führten zum Niedergang des Handels. Die Portugiesen hatten keinerlei Vorstellung von den Partnern im Inneren Afrikas, mit denen Sofala, Quelimane, Mambone, Kilwa und andere Küstenstädte Handel trieben, verboten aber der einheimischen Bevölkerung, sich überhaupt mit Handel zu befassen, und führten für ihre eigenen Kaufleute ein Handelsmonopol ein, das diese gar nicht zu nutzen vermochten. Auf diese Weise zerstörten sie die ökonomischen Verbindungen des Küstengebiets, ließen nicht nur bei Arabern und Swahili die Einnahmequellen versiegen, sondern auch bei sich selbst. Die Herrschaft der wenigen portugiesischen Garnisonen beschränkte sich lediglich auf einen sehr schmalen Küstenstreifen, und die Beziehungen zu dessen Bewohnern waren äußerst gespannt. Als erster erhob sich 1511 Emir Molid gegen die Eindringlinge, eben jener Herrscher von Sofala, der seine Souveränität für ein paar Kessel und Tischdecken vertauscht hatte. Hier einige alarmierende Meldungen von Saldanha: »Der Emir ist aus dem Palast geflohen«; »der Emir hat den Kaufleuten verboten, Gold aus dem Landesinneren in den Hafen zu bringen«; »der Emir ist einen antiportugiesischen Bund mit den Scheichs der Nachbarstämme eingegangen«; »der Emir hat einen Aufstand angezettelt und blockiert mit Erfolg die Verbindungswege Sofalas zu den Gebieten im Innern des Kontinents.« Ein Chronist jener Tage vermerkt: »Das ganze Land hat sich erhoben.« Diesem ersten größeren Mißerfolg der Portugiesen auf moçambiquischem Boden folgt bald der zweite: Die Häuptlinge der von den Arabern mit Feuerwaffen ausgerüsteten Makua organisieren einen regelrechten Partisanenkrieg und verhindern so ein Vordringen der Portugiesen in das Landesinnere. Der unternehmungslustige Saldanha stellt zum Kampf gegen sie ein aus Kollaborateuren unter den Einwohnern der Insel Moçambique gebildetes »Eingeborenenkorps« auf, das seine Ausbildung auf dem Exerzierplatz von San Sebastian erhält. Doch schon im ersten Kampf am Ufer des von mir 52
schon einmal erwähnten Monapo erleidet diese Truppe schwere Verluste, und nach einem zweiten Gefecht geht sie auf die Seite ihrer Stammesbrüder über. Die Fülle der im Gouverneursarchiv erhalten gebliebenen Dokumente läßt erkennen, daß der Konflikt um Sofala, der 1518 aufflammte und bis in die dreißiger Jahre andauerte, für die Portugiesen sehr schwierig und verlustreich gewesen ist. Hauptfigur in diesen Auseinandersetzungen war der tapfere Inyamunda, Herrscher über die westlich von Sofala gelegenen Königreiche Sedanda und Kitewa. In der ersten Zeit arbeitete er mit den Portugiesen zusammen, da er hoffte, sie würden ihm im Kampf gegen seinen Erbfeind Monomotapa nutzen. Doch schon bald verlor Inyamunda seinen Glauben an die Stärke der »Gesandten des christlichen Königs«; wie es in einer aus Sofala nach Lissabon abgeschickten Mitteilung hieß, »brach er in Lachen aus, wenn man an die Möglichkeiten der Portugiesen erinnerte, und befahl, alle ihre Wege zu blockieren und auf ihnen nur Mauren durchzulassen«. In den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts flammten Widerstandsherde entlang des Sambesi auf, den die Portugiesen als den natürlichen Weg nach Monomotapa betrachteten. Araber und Swahili waren schon im 12. und 13. Jahrhundert den großen afrikanischen Strom aufwärts gefahren bis zu den Stromschnellen von Kebrabasa (Cahora Bassa), anschließend zu Lande bis zum Oberlauf des Lualaba vorgedrungen und von dort aus über das Flußsystem des Kongobeckens bis zur Atlantikküste Angolas und Zaires gelangt. Im Sambesi-Tal besaßen sie eine Vielzahl befestigter Faktoreien, die allmählich zu Zentren des Widerstands gegen das Vordringen der Portugiesen wurden. »Die Lage ist so«, bezeugt der Chronist João dos Santos, »daß von drei unserer Boote, die versuchen, den Cuama (so nannten die Portugiesen den Sambesi in seinem Unterlauf— S. K.) aufwärts vorzudringen, zwei Opfer von den Mauren aufgehetzter Eingeborener werden. Jene kennen sich im komplizierten System der Arme im Delta dieses Flusses ausgezeichnet aus und verfügen über Karten, ohne die wir gleichsam blind sind.« João dos Santos beschreibt auch die sehr interessante, rein afrikanische Kampfmethode der Stämme am Ufer des Sambesi: Wenn die Männer aus der Ferne eines der großen den Masungas gehörenden Boote erspäht hatten, tauchten sie unter, benutzten zum Atmen lange Schilfstengel, deren Ende 53
kaum über die Wasseroberfläche ragten. Näherte sich das Boot dem Hinterhalt, sprangen vierzig, fünfzig Afrikaner mit Kriegsgeschrei aus dem Wasser, und ehe die Portugiesen sich’s versahen und nach den Waffen greifen konnten, versenkten sie dasselbe. Solche Hinterhalte wurden gewöhnlich gegen Abend gelegt, und die abergläubischen Portugiesen begannen sie »nächtlichen Wassergeistern« zuzuschreiben. »Im Kampf gegen unsere Feinde, die ungläubigen Mauren und den Teufel, wird Gott Ihnen helfen«, so endet ein an den Gouverneur von Moçambique gerichtetes königliches Sendschreiben, in dem der Befehl enthalten ist, sich um jeden Preis am Sambesi festzusetzen, sich dabei den Weg mit Feuer, Schwert und Kreuz zu bahnen und am Fluß entlang nach Monomotapa vorzudringen. So entsteht dem Willen Lissabons gemäß 1530 an dem großen afrikanischen Strom die erste europäische Festung — Sena. Sieben Jahre später errichtet man dort, wo Stromschnellen den Wasserweg ins Innere des Kontinents versperren, eine weitere Festung, die den Namen Tete erhält. Sowohl in Sena als auch in Tete lassen sich gemeinsam mit den Konquistadoren, sozusagen »mit gleichen Rechten«, auch Jesuitenmissionare nieder. Im Islam sehen die Portugiesen eine starke Kraft, die ihre Festsetzung in Afrika behindert. Gegengewicht zum Islam soll der Katholizismus werden. »Seid eingedenk der Erfolge von Covilhão, der Sofala für uns öffnete, danach bis Aksum gelangte und dort Hauptratgeber des äthiopischen Negus wurde«, belehrt 1558 der Vizekönig von Indien seine moçambiquischen Untergebenen. »Bekehrt die Eingeborenen, und besonders ihre Senhores, zum wahren Glauben... Der Weg nach Monomotapa führt über die Seelen der Eingeborenen...« Ein aufrichtiges Eingeständnis und zugleich eine klare Anordnung zum Handeln! Ihr Vollstrecker sollte der dreiste und fanatische Jesuit Gonçalo da Silveira werden. Er, ein »Produkt« der Epoche großer geographischer Entdeckungen und militärischer Abenteuer, hielt ähnlich wie der Autor der »Lusiaden« Portugal als zu eng für sein Wirken. Während Camões jedoch die Sehnsucht nach neuen Eindrücken, die seine Lyra nähren sollten, in den rätselhaften, schillernden Orient lockte, trieb Vater Gonçalo der Wunsch dorthin, »verirrte Heiden« zum »wahren Glauben« zu führen. Im Jahre 1556 ist er bereits in Indien, wo er »enge Freundschaft 54
mit dem Dichter aus Coimbra unterhält«. Der genüßlichen Schilderung von Diego Perrez nach zu urteilen, verbringen sie ihre Zeit hier recht ungestüm, wobei der Jesuit den Ton angibt, der eigentlich wie ein Asket hätte leben müssen und bald für seine lockeren Sitten bekannt wird. Luis ist Atheist, Gonçalo Glaubensfanatiker, sie haben aber beide das gleiche Temperament. Trunken vom Reichtum des Orients, schmieden sie Pläne zu dessen Unterwerfung, schwören sie, Feder, Degen und Kreuz zum Ruhme der Nachkommen Lusus’ zu vereinen. Später trennen sich ihre Wege, und Silveira verschlägt es ein Dutzend Jahre vor Camões auf die Insel Moçambique. Hier wirkt der Jesuit auf dreiste, impertinente Art, er läßt sich in verschiedene Abenteuer ein und führt immer neue und neue schwarze Schäfchen in den Schoß der Kirche. Sein erstes »Unternehmen« ist die Taufe islamischer Kaufleute, die sich auf dem Festland genau gegenüber der Insel Moçambique niedergelassen haben. Die Gründe für diesen Erfolg sind rein ökonomischer Natur: Die Kaufleute erhalten dafür, daß sie das Kreuz küssen, eine große Partie Waren zu Schleuderpreisen. Danach unternimmt Gonçalo eine Reise in die »grüne Hölle« des Kwakwa, da Portugals Regierung sehr an einer Regelung der Beziehungen zu den dortigen Stämmen interessiert ist, damit die Sicherheit der Schiffahrt auf dem Unterlauf des Sambesi gewährleistet wird. Fast zwei Monate arbeitet er dort angespannt, »heilt«, besser gesagt, kuriert die Mutter des Scheichs von Quelimane mit Hilfe europäischer Medizin; außerdem unterstützen die Portugiesen diesen Scheich bei einem Scharmützel mit den benachbarten Lomwe-Stämmen. Der Erfolg: Der Scheich wird Christ, befiehlt zudem fünfhundert seiner Untertanen, seinem Beispiel zu folgen. Jetzt beginnt der Hauptabschnitt der Odyssee von Vater Gonçalo: Einem aus Lissabon eingetroffenen und von Rom bestätigten Befehl zufolge begibt er sich auf die Reise den Sambesi aufwärts, um in Monomotapa dessen Herrscher zum Christentum zu bekehren. Die abenteuerreiche Reise gelingt. Der unternehmungsfreudige Jesuit ist der dritte Europäer, der bis zur Residenz des »Herrn der Bergwerke« gelangt. Damit aber verschwinden Silveiras Spuren im moçambiquischen Archiv. Auf dem Aktendeckel mit der Aufschrift »Padre G. Silveira in Monomotapa« ist vermerkt: »Auf Befehl des Apostolischen 55
Stuhls nach Rom gesandt mit dem Nuntius...« (Name unleserlich). Und das Datum: 26. März 1562. Nun, das ist nicht gar so schlimm, denn Vater Gonçalos »Verdienste« sind natürlich in portugiesischsprachigen Publikationen keineswegs vergessen worden, und deshalb muß seine Biographie gut bekannt sein. Im Nachbarzimmer suche ich mir den betreffenden Band der in Brasilien herausgegebenen »Lusitanischen Enzyklopädie« heraus. Darin sind Silveira selbstverständlich mehrere Seiten gewidmet. Aus den nüchternen Zeilen des Nachschlagewerkes läßt sich eine recht interessante Geschichte ablesen. Der Jesuit verführt im vollen Sinne des Wortes den Herrscher von Monomotapa durch die zahlreichen von ihm mitgebrachten Bilder der — Jungfrau Maria! Das Antlitz der von den besten Meistern der Renaissance gemalten Madonna bestrickt den »Herrn der Bergwerke« derart, daß er einwilligt, »wie alle Herrscher dieser Welt, alle Monarchen und Regenten ein Diener dieser bezaubernden Dame zu werden«. Da der Scharlatan in der Jesuitenkutte in Gestalt des Herrschers von Monomotapa einen Bundesgenossen gewonnen hat, vermag er schon bald auch dessen ganzen Hof zum Christentum zu bekehren. Die Araber allerdings — und davon lebten damals nach vorsichtigen Schätzungen auf Monomotapas Territorium mindestens zehntausend — denken gar nicht daran, ihre Position aufzugeben. »Der weiße Mönch ist ein Teufel«, flüstern sie dem König ein, und als Beweis für die Richtigkeit ihrer Worte befördern sie dessen junge Frau, die voller Mißbilligung die Zuneigung ihres Gatten für die Jungfrau Maria beobachtet und es daher abgelehnt hat, das Kreuz zu küssen, ins Jenseits. »Es ist die Rache des Satans!« behaupten, die Arme gen Mekka ausgestreckt, die langbärtigen Araber, die mit Glauben und Wahrheit dem »Herrn der Bergwerke« dienen. Gegen Abend überbringen die Boten die Meldung, die sich später als falsch erwies (offenbar war sie von den Muslims inspiriert), ein schrecklicher Feind, der Herrscher des Königreichs Butua, nähere sich der Südgrenze Monomotapas. »Das ist Allahs Rache für deinen Verrat am Islam!« flüstern die Araber, und ihr Gebieter gibt sich geschlagen. Am 16. März 1561 befiehlt er, den »Teufel« zu töten und seinen Leichnam den Krokodilen im Fluß zum Fraß vorzuwerfen. In den katholischen Hauptstädten, besonders in Rom und Lissabon, beginnt man die Ereignisse an dem fernen afrikanischen Fluß absichtlich zu übertreiben und aufzublähen. Portugal gebraucht, 56
modernen politischen Schablonen gemäß, den Mord an Silveira als Vorwand für grobe Einmischung in die Angelegenheiten Monomotapas. Eben in dieser Zeit taucht im Fort San Sebastian an der Spitze einer aus Lissabon entsandten großen Strafexpedition auch Francisco Barreto auf, der frühere Generalgouverneur von Indien. Und etwas vorher ist auf der Insel Moçambique der Dichter Luis de Camões aus Goa eingetroffen. In der ersten Zeit versetzt das ruhige, provinzielle Dasein auf der kleinen Insel den Dichter in gute Arbeitsstimmung. Als Reaktion auf Silveiras Tod verfaßt er ein Trauersonett und beschäftigt sich dann wieder mit den »Lusiaden«. Hier, auf moçambiquischem Boden, werden die letzten Oktaven dieser gigantischen Epopöe geschaffen. Der Dichter bleibt sich auch hier selbst treu und teilt seine Zeit zwischen Beschäftigung mit Poesie und etwas stürmisch verlaufender Muße, nimmt an Elefantenjagden, mitunter auch an Scharmützeln mit den immer aufsässiger werdenden Makua teil. Durch Barretos Ankunft in Moçambique wird das verträumte Inseldasein völlig umgekrempelt. Noch niemals hat Portugal eine so gewaltige Expedition in Afrika unternommen! Außer anderthalbtausend Soldaten haben die Schiffe aus Portugal eine ganze Flußflottille, zahlreiche Pferde, Esel und für die feuchten Tropen völlig ungeeignete Kamele mitgebracht. Kaum ist Barreto seinem Lieblingsdichter wieder begegnet, eröffnet er ihm seine Pläne. »Ja, der junge König Sebastião hat beschlossen, Monomotapa zu unterwerfen«, erklärt er. »Verläuft alles erfolgreich, hat mir der Monarch den Posten des Gouverneurs und den Titel ,Eroberer der Bergwerke’ versprochen. Ein großangelegtes Unternehmen, sämtliche Hilfsquellen Indiens sind für seinen Erfolg eingesetzt. Im September geht es los, den Cuama aufwärts...« Konnte der Dichter und Soldat bei diesen Ereignissen abseits stehen? Konnte der Autor der »Lusiaden«, der Vasco da Gama und seine Seefahrten besungen hatte, die »alle Völker in Erstaunen versetzten«, es unterlassen, Zeuge von Geschehnissen zu werden, die in den Augen aller seiner Zeitgenossen wie der logische Abschluß der Entdeckungen des »Admirals des Indischen Ozeans« aussahen? Und falls Barreto Erfolg hat, wird da nicht ein neuer Held — »Eroberer der Bergwerke«—für neue Oktaven seines Poems geboren? 57
Es läßt sich nur schwer sagen: Ist die weitere Entwicklung des Sujets des unvollendeten Buches von D. Perrez über Camões ein Ergebnis der im moçambiquischen Archiv aufgefundenen Dokumente, die den portugiesischen Historikern bislang unbekannt waren, oder aber die Frucht der künstlerischen Phantasie von Perrez. In der gut erforschten Camõesiana, die im Laufe der Jahrhunderte in Portugal entstanden ist, sind allerdings die »moçambiquischen Seiten« im Leben des Dichters, die Perrez beschrieben hat, unbekannt, soweit ich beurteilen kann. Auf den Seiten des unvollendeten Manuskripts von Perrez über Camões tritt uns der Dichter, »der bald zum Schwert, bald zur Feder greift«, das eine Mal in der Rolle eines Teilnehmers an den ersten Schlachten der Expedition Barretos, das andere Mal wieder in der ihres Chronisten entgegen. Wie schon in Indien und China, taucht bei ihm auch in Afrika eine Geliebte auf, »deren samtene Haut zarter als alles andere« ist. Ebenso wie in der MekongMündung kentert das Schiff, auf dem der Dichter fährt, mitten auf dem Cuama, doch dieses Mal rettet er, auf die Gefahr hin, von Krokodilen gefressen zu werden, seine Konkubine. Barretos Expedition macht in Sena halt, dem damaligen Hauptstützpunkt der Portugiesen am Sambesi. Die einheimischen Stämme sind hier »gezähmt«; loyal verhalten sich auch die maurischen Kaufleute, von denen viele, die zum Christentum übergetreten sind, sogar als Vermittler beim Verkauf portugiesischer Waren im Binnenland fungieren. Die Expeditionsteilnehmer, vom Rudern den Sambesi aufwärts erschöpft, schlagen inmitten des hier sehr breiten Flußtals ihr Lager auf. Das Wetter ist hervorragend. Am Abend lädt die dortige arabische Aristokratie die portugiesischen Senhores zum Essen ein. Das Gastmahl ist noch im Gange, da faßt sich bald der eine, bald der andere Portugiese in die Magengegend, und schon wälzen sich mehrere vor Schmerz wimmernd, von Krämpfen gepackt im Grase. Der an der Expedition teilnehmende Jesuit Monclaros ruft einen Hund heran und gibt ihm etwas von den orientalischen Süßigkeiten zu fressen, mit denen die Araber die Gäste bewirtet haben. Nach weniger als einer Stunde streckt der Hund alle viere von sich. »Verrat!« entscheidet der auf dem Schiff zurückgebliebene Barreto, kaum daß er von dem Vorkommnis erfahren hat. Um an den Mauren Rache zu nehmen, schickt er zweihundert Soldaten los, die alle in der Siedlung lebenden Frauen, Greise und Kinder erschießen. 58
Die Männer aber nimmt man gefangen, und bei Sonnenaufgang beginnt die »Exekution zur Abschreckung der Bevölkerung«: Je zwei Mauren bindet man vor die Mündung einer Kanone und feuert diese dann ab, so daß die Leiber der »Ungläubigen« in Stücke gerissen werden. Die Verluste der Portugiesen belaufen sich auf achtundzwanzig Tote, fast siebzig Schwerkranke, darunter auch Camões. Um das Leben des Poeten nicht in Gefahr zu bringen, schickt Barreto ihn auf die Insel Moçambique zurück. Danach taucht in Perrez’ Manuskript ein großes Fragezeichen auf, das fast über die ganze nicht vollgeschriebene Seite reicht. Offensichtlich wußte er nicht, womit sich der Dichter beschäftigt hatte, bevor er nach Abschluß seiner über fünfeinhalbtausend Meilen langen Reise an Bord einer Karavelle ging, die in Richtung Lissabon abfuhr. »Ein alter Padre aus der Kapelle Nossa Senhora do Baluarte trat an Camões heran, als dieser bereits die Strickleiter ergriffen hatte, um sich auf das Schiff zu begeben. ,Senhor’ sagte er, ,beim Verlassen von Moçambique müßt Ihr auf die Bibel schwören, daß Ihr nirgends und unter keinen Umständen jemandem etwas von Euch bekannt gewordenen Nachrichten über Monomotapa erzählen werdet. Anordnung von Hochwürden Monclaros. Einen solchen Schwur müssen wir von allen verlangen, die dieses Land hier verlassen. Monomotapas Geheimnis ist auch des Königs Geheimnis.’ ,Ich schwöre’, entgegnete der Dichter, erstaunt die Braue über seinem ihm noch verbliebenen Auge hochziehend. Er begriff, daß es für die ,Lusiaden’ jetzt keine Fortsetzung mehr geben würde.« Damit endete die letzte Seite des unvollendeten Manuskripts über den großen portugiesischen Dichter. Außer einigen Ausgaben der »Lusiaden«, Sammelbänden mit Sonetten, Kanzonen, Elegien und Eklogen fand ich in den versiegelten Pappkartons nichts weiter. Die Arbeiter haben damit begonnen, das Material über die Periode der Eroberung Monomotapas in die Kisten zu verpacken. Hier war also keine Zeit mehr vorhanden, die Ereignisse in eine chronologische Abfolge zu bringen und die Biographien der Helden jener Tage lebendig zu schildern. Hastig blätterte ich die kostbaren Papiere um, bemüht, das Wichtigste zu ergründen, das Interessanteste zu notieren. Diese Aufzeichnungen werden uns noch helfen, in die rätselhaf59
te Vergangenheit des Staates des »Herrn der Bergwerke« einzudringen. Es war schon spät am Abend, da hielt mir ein Mitarbeiter des Archivs einen Pappdeckel hin mit der Aufschrift »Russen auf der Insel Moçambique«. Darin lagen nur zwei »Akten«. Die eine war angelegt über S.W. Awerinzew, einen russischen Zoologen, der 1911 nach Jawa unterwegs war, wegen Krankheit aber in Daressalam von Bord des Dampfers gehen mußte. Wieder genesen, beschloß er, seine »afrikanische Chance« zum Studium der hiesigen Flora und Fauna zu nutzen, unternahm einen interessanten Fußmarsch durch die tropischen Bergwälder Usambaras, besuchte zahlreiche Swahili-Städte und hielt sich dann auf der Rückreise noch ein wenig auf der Insel Moçambique auf. Erhalten geblieben ist eine von seiner Hand auf Bitten der hiesigen Behörden verfaßte »Notiz über die Aussichten für die Entwicklung der Seefischerei in den Gewässern des Indischen Ozeans entlang der Küste von Moçambique zwischen 12. und 20. Grad südlicher Breite«. Die andere Akte betraf Alexander Jakowlew, einen talentierten Maler, der zu Beginn unseres Jahrhunderts China und Japan bereiste. Er lebte dann in Frankreich und nahm 1924/25 an der von der Firma »Citroën« organisierten ersten transafrikanischen Autorallye in der Geschichte teil. Wie man aus seinen Aquarellen schließen kann, die die Wände des Gouverneurspalasts zierten, hatte Jakowlew wohl vor allem die Poesie der mittelalterlichen Gäßchen von Moçambique bezaubert. »Ich gratuliere Ihnen, Sie gehören zur ersten ,Troika’ von Russen, die sich auf der Insel aufhielten«, meinte der Mitarbeiter des Archivs, als er den von mir zurückgereichten Aktendeckel verpackte. »Über Sie aber werden wir keine Akte mehr anlegen.« Nach mehreren fast schlaflosen Nächten verließ ich an einem frühen Morgen, vor Müdigkeit taumelnd, endlich den Gouverneurspalast, blieb ein Weilchen vor dem gedrungenen Denkmal Vasco da Gamas stehen, auf dessen Admiralsdreispitz bereits die ersten Sonnenstrahlen spielten, und als ich dann um die Ecke bog, zwinkerte ich der modernistischen Camõesstatue zu. Die großen Schatten der Vergangenheit blieben auf der Geisterinsel zurück, ich aber mußte wenige Stunden später die Ilha de Mocambique verlassen.
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Kaschunuß —
ein moçambiquischer Weltrekord Die Berührung mit der Vergangenheit von Monomotapa ließ mir jedoch keine Ruhe. Es zog mich zu jener Stelle hin, wo auf einer Karte vom heutigen Moçambique der Name Nova Sofala steht. Obgleich ich wußte, daß von der alten Stadt nichts übriggeblieben war, wollte ich doch einmal diese große, in der Mitte des Landes gelegene Provinz bereisen, deren Name noch an den alten »Goldhafen« erinnert. Denn gerade hier, in der heutigen Provinz Sofala, spielten sich jene Ereignisse ab, die es den Portugiesen schließlich doch ermöglichten, sich den Weg zu den ersehnten Bergwerken zu bahnen. Und vor allem verfolgte mich unablässig der Gedanke, ich müßte nach Manica fahren, jene an der Grenze zu Simbabwe liegende Gebirgsregion von Moçambique, die einst Teil von Monomotapa war. Manica ist die einzige Gegend auf moçambiquischem Gebiet, wo sowohl alte Schächte als auch bewundernswerte architektonische Anlagen aus der Zeit der »Herren der Bergwerke« erhalten geblieben sind. In Beira, der wichtigsten Stadt von Sofala und dem zweitgrößten Hafen und Industriezentrum des heutigen Moçambique, hielt ich mich damals allmonatlich auf, doch das Thema »Monomotapa« kam bei mir nicht über den toten Punkt hinaus. Und nicht nur, weil mich der lärmerfüllte Alltag des heutigen Beira davon ablenkte: Da waren auch die geschlossenen Grenzen zum rassistischen Rhodesien, für das diese moçambiquische Stadt in portugiesischer Zeit der wichtigste Hafen war, die Nationalisierung von Unternehmen, die Reform der Plantagenwirtschaften. Ein Besuch der allseits vergessenen toten Städte, der verlassenen Bergwerke war auch deshalb nicht zu verwirklichen, weil man zu den alten Denkmalen von Sofala und Manica keine Exkursionen veranstaltete und man auch keine Reiseführer veröffentlicht hatte. Eine Reise dorthin war kein touristischer Ausflug wie etwa zu den Ruinen von Pompeji oder zu den ägyptischen Pyramiden. Sich allein dorthin zu begeben, würde bedeuten, daß man nichts zu sehen bekäme. Hier brauchte man einen erfahrenen Begleiter, einen Fachmann,der in von tropischer Vegetation überwucherten Steinen die Fundamente alter Bauten, hinter einheimischen Legenden historische Ereignisse zu erkennen ver61
mochte. Solche Leute hatte jedoch der Kolonialismus in Mocambique nicht hinterlassen. Erst nach langem Suchen und Fragen gelangte ich auf eine Spur. An der hauptstädtischen Universität machte man mich im Institut für Geschichte mit einem hochgewachsenen dunkelhäutigen und schwarzbärtigen hageren Mann bekannt. »Antonio Nogeira da Costa«, stellte ihn mir Ruth First* vor, eine der Leiterinnen des Zentrums für afrikanische Forschungen der Universität Maputo, eine alte gute Bekannte. »Er ist der einzige Mensch in Moçambique, der dir bei deiner Suche nach Monomotapa behilflich sein kann. Du würdest sowohl Antonio als auch uns helfen, nähmst du, wenn du Maputo mit dem Auto verläßt, ihn als Reisebegleiter mit. Er muß viel im Land umherreisen, mit ,fahrbaren Untersätzen’ und Benzin sieht es bei uns jedoch schlecht aus.« Schon am Abend vor meiner Bekanntschaft mit Antonio hatte mir Ruth am Telefon von ihm erzählt. »Ich kann ihn dir nicht nur persönlich empfehlen, sondern auch im Namen unserer Partei«, begann sie wie immer ganz sachlich. »Er ist genau das, was man unter einem fortschrittlichen Vertreter der heranwachsenden nationalen Intelligenz’ versteht. Sein Geburtsjahr ist wohl 1951...« »Ist er da nicht etwas zu jung, um schon eine so hervorragende Beurteilung zu bekommen?« entgegnete ich etwas verwundert. »Ja, weißt du, bei ihm ist alles klar, und schon lange. 1971 hat er sein Studium an der Fakultät für Geschichte an der hiesigen Universität abgeschlossen, hätte einen einträglichen Posten in einem Kolonialdepartement erhalten können, erklärte aber ganz offen: ,Ich möchte keinen Faschisten dienen.’ Er stürzte sich Hals über Kopf in das Studium der afrikanischen Vergangenheit, arbeitete im Zentrum für archäologische Forschungen mit, begriff aber bald, daß die dort den Ton angebenden Portugiesen die hiesige Geschichte verfälschten, sie in das Prokrustesbett des Rassismus zwängten. Er verließ also diese Stelle, war lange Zeit ohne Beschäftigung, bis er sich bereit fand, mit den die FRELIMO unterstützenden progressiven Untergrundorganisationen zusammenzuarbeiten. Er befaßte sich * Ruth First war eine führende Vertreterin des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in Südafrika, eine bekannte Publizistin und Kämpferin gegen die Apartheid. Im August 1982 starb sie in Maputo, als sie eine Drucksache öffnete, in der vom südafrikanischen Geheimdienst eine Sprengladung angebracht worden war.
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ernsthaft mit Marxismus-Leninismus. Seit Proklamierung der Unabhängigkeit arbeitet er an der Universität, beharrlich, vorbehaltlos...« Eine Woche später war ich mit Antonio schon unterwegs. Auf seine Bitte hin hatte sich uns einer seiner Universitätskollegen angeschlossen, der junge Biologe Afonso Matavela. Die mit Schlaglöchern übersäte anderthalbtausend Kilometer lange Straße, die Maputo mit Sofala verbindet, führte durch einförmige Savanne, die mit der aufdringlichen Schönheit feuchter tropischer Vegetation abwechselte. Doch in der Gesellschaft meiner Begleiter wurde mir die Zeit nicht lang, beide erwiesen sich als ausgezeichnete Gesprächspartner und öffneten mir die Augen für vieles, was ich zwar früher auch schon gesehen, aber für gänzlich uninteressant und bedeutungslos gehalten hatte. Als wir die gebrechliche Brücke über den wasserreichen Rio Save überquerten, preßte Antonio sein Gesicht gegen die Windschutzscheibe und fragte: »Was meinen Sie wohl, was diese Jungs da mit den Pappkartons auf dem Rücken tun, die im Dickicht längs der Straße umherhuschen?« »Vielleicht sammeln sie irgendwelche Beeren«, antwortete ich, mit den Achseln zuckend. »Weder ,Beeren’ noch gar irgendwelche’«, lächelte Antonio, »sondern die Grundlage aller Grundlagen der moçambiquischen Wirtschaft — Kaschunüsse! Moçambique nimmt den ersten Platz im Export dieser Nüsse und den zweiten in ihrer Erzeugung ein. Unser einziger Weltrekord!« »Ich dachte immer, die Kaschunuß wächst wesentlich weiter nördlich, auf der Breite der Insel Moçambique, wo es heißer und feuchter ist.« »Die Portugiesen haben versucht, dort Plantagen mit dieser Kultur anzulegen, die sie schon im 16. Jahrhundert aus Brasilien eingefüht hatten. Doch daraus wurde nichts, allmählich aber breitete sich der Kaschubaum, genauer Akajou oder Anacardium, an der gesamten moçambiquisehen Küste aus. Heute gibt es hier mindestens siebzig Millionen dieser Bäume, von denen über die Hälfte Früchte trägt. Fast alle sind wild gewachsen, doch haben die Bewohner die Ländereien, auf denen der Akajou wächst, nach einem ,Gentleman’s Agreement’ unter sich aufgeteilt. Jede Familie hat nur das Recht, 63
von den ,eigenen’ Bäumen zu ernten. Mit dieser Arbeit ist eine große Zahl von Menschen, genauer gesagt Kindern, beschäftigt, fast eine Million. Es ist der ,menschenumfassendste’ Zweig unserer Wirtschaft.« »Die moçambiquische Presse schreibt häufig, Akajou sei eine Kultur mit großer Perspektive, die sich ständiger und gesicherter Nachfrage auf dem Weltmarkt erfreut«, werfe ich ein. »Weshalb haben die Portugiesen sie dann damals nicht in ihre eigenen Hände genommen? Es hat sich doch gerade umgekehrt ergeben: Kaschunuß ist der einzige moçambiquische Exportartikel, dessen Produktion nicht von europäischen Gesellschaften kontrolliert wurde und auch heute nicht kontrolliert wird. Sie ist im vollsten Sinne des Wortes eine ,rein afrikanische’ Kultur.« »Ja, das stimmt schon, aber es wäre falsch, zu glauben, das ausländische Kapital hätte sich damit abgefunden«, mischt sich Afonso ins Gespräch. »Als die Akajoubäume hübsche Profite zu bringen begannen und im Gebiet der Makua sogar erste durch den Handel mit Nüssen reich gewordene afrikanische Unternehmer auftauchten, da wollten die Portugiesen diese Profitquelle verstopfen. Ein nach außen hin ,schicklich’ aussehender Anlaß fand sich: Die Kirche erklärte nämlich Anacardium zum ,Baum des Bösen’, und zwar deshalb, weil die Einheimischen aus seinen Früchten alkoholische Getränke herstellten. Daraufhin zwangen die Kolonialbehörden die Bauern, die Akajoubäume zu vernichten. Besonders energisch wurde diese Kampagne, die Afrikaner daran hindern sollte, Anschluß an die Marktwirtschaft zu finden und dadurch wirtschaftlich auf eigene Füße zu stehen zu kommen, gerade in jenen Gegenden geführt, wo wir uns jetzt befinden, im Einzugsbereich des Rio Save. Das Verbot wurde erst vor kurzem aufgehoben, und die hiesigen Jungen werden das jetzige Jahr sicher nicht vergessen; viele Bäume tragen hier nämlich zum ersten Male Früchte. Und wie viele! Im Ministerium für Landwirtschaft hat man mir erklärt, daß in Zukunft vor allem die Gebiete zwischen Maputo und Rio Save Hauptlieferanten dieses wertvollen Produkts sein werden. Sicher haben Sie Kaschunüsse schon gegessen, gesalzen oder gepfeffert, niemals aber die Früchte in natura gesehen. Ancardium ist aber wirklich eine recht interessante Pflanze.« Wir halten am Straßenrand und laufen ein Stück in das mit Lianen überzogene Dickicht des Galeriewaldes, der sich am Repembe 64
hinzieht. Hohe Bäume gibt es darin viele, aber die vom Abholzen verschont gebliebenen Akajouriesen mit ihrer weit ausladenden Krone aus großen gefiederten Blättern heben sich selbst hier deutlich heraus. »Wie alle Vertreter der Familie Anakardiazeen, zu der übrigens auch Pistazie und Mango gehören, hat der Akajou eine Steinfrucht«, erklärt uns Afonso. »Doch bei ihm besteht diese gleichsam aus zwei Teilen: der eigentlichen Frucht, einem nierenförmig gebogenen Kern, und einem mehrfach größeren hellroten birnenförmigen Gebilde, dem sogenannten Fruchtboden. Dieser saftige, fleischige Fruchtboden, der sich aus dem Blütenträger entwickelt, ist sehr schmackhaft und löscht hervorragend den Durst. Säuerlich-süß und immer kühl, wird er von der hiesigen Bevölkerung zur Herstellung von berauschendem Bier und Wein verwendet.« Als ich eine Akajou-»Birne« entdeckt habe, schicke ich mich an, auch den leckeren Kern zu probieren, der sich unter der Schale verbirgt, doch Afonso hält mich zurück. »Erstens würden Sie sich die Zähne ausbeißen, sie aber trotzdem nicht knacken«, belehrt er mich. »Und zweitens enthält die Schale des Akajou ein brennend scharfes Öl, das die Schleimhaut zersetzt und schmerzende Bläschen auf ihr zieht. Für den Menschen ist dieses Öl schädlich, aber es wird als wichtige Komponente von Schmiermitteln in der modernen Technik verwendet. Deshalb kaufen viele Länder, besonders die USA, in letzter Zeit ungeschälte Akajounüsse. Sie zahlen allerdings nur für den Kern, den wertvolleren Rohstoff bekommen sie dabei umsonst.« Als wir zum Auto zurückgekehrt sind, entdecke ich auf meinem weißen Hemd zahlreiche lila Flecken. »Seien Sie unbesorgt«, sagt Afonso, der meinen Blick bemerkt hat. »Diese Flecken lassen sich leicht auswaschen. Es ist der Saft von Anacardium. Aus ihm hat man schon im Mittelalter Tinte hergestellt, deshalb nennt man in Südamerika und Westindien die Akajoufrucht bis zum heutigen Tag auch ,Tintennuß’. Bei uns ist unter den heutigen Bedingungen, da der Import beschränkt ist und viele Fabriken stilliegen, diese zum Hauptrohstoff für die Tintenherstellung geworden. Ohne Akajou wäre die von der FRELIMO eingeleitete Kampagne eines umfassenden Kampfes gegen das Analphabetentum ernsthaft gefährdet.« Ich will noch etwas über das Schälen der Akajounüsse wissen. 65
Wenn nämlich die Schale so hart ist, daß man sie mit den Zähnen nicht knacken kann, muß doch die Gewinnung des Kerns eine recht arbeitsaufwendige Sache sein. »Arbeitsaufwendig ist nicht das richtige Wort«, meint Afonso lächelnd. »Ich könnte viel dazu sagen, doch wie es so heißt — besser einmal sehen als hundertmal hören. Deshalb schlage ich vor, daß wir in Beira die Fabrik für Akajouverarbeitung besuchen. Es ist der älteste und einer der größten Betriebe dieser Art in Moçambique.« Am Tag nach unserer Ankunft in Beira begeben wir uns also dorthin. Antonio und Afonso, die schon mehrfach Vorträge für die dort beschäftigten Arbeiter gehalten haben, werden hier als zugehörig betrachtet. Deshalb führt uns der Direktor, der junge energische Jorge Mpaki, sofort in die Werkhalle. Ich gebe zu, nie zuvor habe ich etwas Derartiges gesehen, und später auch nur in Maputo, wo sich die größte Fabrik der Welt befindet, in der Akajounüsse manuell geschält werden. Eine riesige, einige hundert Meter lange Baracke, in der mehrere Reihen langer, grob gezimmerter Tische, parallel dazu Bänke stehen. Eng aneinandergedrängt sitzen zu beiden Seiten der Tische Frauen, fast jede mit einem Kind auf dem Rücken. »Wie viele Arbeiterinnen haben Sie hier?« frage ich. »Tausendachthundert«, antwortet Mpaki. »Und fast anderthalbtausend Kinder. Die Mütter wissen nicht, wo sie diese lassen sollen.« In der linken Hand halten die Frauen die Frucht, mit der rechten klopfen sie mit einem einfachen Kieselstein auf die Schale — einmal, zweimal, dreimal. Im besten Falle ist die Schale schon jetzt gesprungen. Den so gewonnenen Akajoukern wirft die Arbeiterin auf den vor ihr liegenden Haufen bereits vorher geschälter Nüsse, dann greift die linke Hand erneut in den ihr zu Füßen stehenden Sack mit Früchten. Eintausendachthundert Menschen, die gleichzeitig mit einem Stein auf eine harte Nuß einschlagen — schon das bedeutet einen unvorstellbaren Lärm. Aber selbst afrikanische Kinder, die als die ruhigsten, geduldigsten und ausgeglichensten in der Welt gelten, können unter solchen Bedingungen nicht still sein. Fast alle weinen. Und beinahe alle Frauen, die vergeblich hoffen, sie zu beruhigen, reden auf sie ein oder singen ihnen etwas vor. 66
Ich wage nicht, den hier herrschenden Lärm in Dezibel zu schätzen, bin aber sicher, daß man kaum sonstwo in der Welt eine Fabrik, eine Produktionsweise finden wird, die mit dieser »Werkhalle« konkurrieren könnte. »Ein Überbleibsel der kolonialen Hölle«, meint Mpaki, als wir auf den Fabrikhof hinaustreten. »So etwas konnte nur unter Bedingungen entstehen, wie sie in Moçambique in portugiesischer Zeit vorhanden waren: Massen billiger Arbeitskräfte, so daß die Unternehmer an eine Mechanisierung überhaupt nicht zu denken brauchten, und Fehlen jeder Arbeitsgesetzgebung. Wir begreifen sehr wohl, daß in unserer unabhängigen Republik so etwas nicht mehr lange weitergehen kann. Das Werk schließen aber hieße, die Frauen und ihre Kinder um ihre Existenzmittel, den Staat um eine wichtige Exporteinnahme zu bringen. Deshalb rekonstruieren wir bei laufender Produktion. Kommen Sie, gehen wir in die neue Halle!« Die »Technologie« ist hier einstweilen noch die gleiche. Aber die Wände des Raumes sind mit schallschluckendem Material bezogen, installiert wurden auch Staubschlucker (die fehlen in der alten Halle, so daß einem das Atmen dort schwer fällt), und, was die Hauptsache ist, die Frauen arbeiten hier ohne Kinder. »Wir haben Krippen eingerichtet«, erklärt Mpaki. »Ende des Jahres erweitern wir sie, wenn nichts dazwischen kommt, und machen nach und nach auch die erste Halle frei von Kindern. Auch haben wir vor, Schichtarbeit einzuführen, dann verdoppelt sich die ,Durchgangskapazität’ der Krippe.« Mpaki begleitet uns zu ganz neuen, noch nach frischem Schilf duftenden Hütten, in denen die »Kinderhalle« untergebracht ist — so nennt man in der Fabrik die Krippe. »Die Einrichtung von ,Kinderhallen’ ist für uns, so kann man wohl sagen, gegenwärtig die Hauptaufgabe«, fährt Mpaki fort. »Es ist dies nicht nur ein soziales, sondern auch ein ökonomisches Problem. Die Krippen binden nämlich unsere Arbeiterinnen an die Fabrik, werden uns helfen, die große Fluktuation von Kadern zu überwinden, mithin auch die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Gestützt auf erfahrene Kräfte, können wir dann zur Mechanisierung des Nüsseschälens übergehen.« »Ist denn eine derartige Technologie schon erarbeitet?« will ich wissen. 67
»Aber natürlich«, erwidert der Fabrikdirektor. »In Italien zum Beispiel arbeiten seit über einem Jahrzehnt Betriebe, die moçambiquische Nüsse schälen. Beim Export ungeschälter Nüsse verlieren wir gewaltige Summen. Denn vergessen Sie nicht: In manchen Jahren haben wir über sechshunderttausend Tonnen Nüsse gesammelt, geschält aber maximal dreißigtausend. Stellen Sie sich einmal vor, wie unsere Erlöse steigen würden, wenn wir die gesamte Menge von Kaschunüssen nicht unbearbeitet, sondern als verarbeitetes Fertigprodukt auf dem Weltmarkt verkaufen würden. Die Modernisierung der ,Akajou-Industrie’, so nennt man bei uns diesen Wirtschaftszweig, ist eine Angelegenheit von größter staatlicher Bedeutung.«
Die »drei Dinosaurier« der Kolonialwirtschaft Die Fabrik zur Verarbeitung von Akajou ist der Beschäftigungszahl nach zwar einer der größten Betriebe von Beira, aber nicht er ist es, der das Antlitz der heutigen Hauptstadt von Sofala bestimmt. Das gegenwärtige Beira ist ein riesiger Hafen mit einer Umschlagskapazität von 7,5 Millionen Tonnen sowie einer der modernst eingerichteten Eisenbahnknotenpunkte Afrikas. Hier nimmt auch die größte Erdölleitung im tropischen Teil des Kontinents ihren Anfang. Wozu solche Kapazitäten für eine Stadt oder selbst für deren Hinterland, die beide wirtschaftlich durchaus nicht besonders entwikkelt sind? Die Antwort kann nur lauten: Diese Kapazitäten wurden seinerzeit nicht zur Erschließung und Entwicklung der potentiell gewaltigen Ressourcen von Sofala und Manica geschaffen, sondern für die Bedürfnisse des benachbarten rassistischen Rhodesiens. Man braucht nur daran zu erinnern, daß noch 1976 etwa 80 Prozent des Güterumschlags im hiesigen Hafen auf ExportImport-Transporte Rhodesiens entfielen, das keinen eigenen Zugang zum Meer besaß. Sie wurden über die Eisenbahnlinie abgewikkelt, die Ende des 19. Jahrhunderts mit englischem Kapital für die Bedürfnisse Rhodesiens gebaut wurde. Die im Hafen Beira begin68
nende Erdölleitung führte in die rhodesische Stadt Umtali (heute Mutare). Der größte Teil der Geschäftsgebäude in Beira gehörte rhodesischen Filialen englischer und südafrikanischer Gesellschaften, die in Sofala tätig waren. Auf engste mit diesen verbunden war auch die unrühmlich bekannte »Companhia de Mrcambique«. Diese Konzessions-Monopolgesellschaft, die sich ihr 4est in Beira gebaut hatte, war ein selbständiger Staat im portug’jsischen Moçambique und beugte sich nicht einmal dem Gouverneur. Und auch nachdem diese Gesellschaft aufgelöst worden war, besaßen ihre »Erben« und Tochtergesellschaften in Sofala noch immer fast 80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche. »Beira zu portugiesischer Zeit, das ist so eine Art Symbol für kollektiven Kolonialismus«, erklärte Antonio, als er mich über die Wirtschaft der Stadt informierte. »Lissabon hat hier, wie überall in Moçambique, ausländisches Kapital angelockt, wollte dem Westen die Unerschütterlichkeit der portugiesischen Positionen in diesem Teil von Afrika demonstrieren, ihn zum Komplizen seiner Verbrechen in Moçambique machen. Gleichzeitig legte der Westen mit den großen Investitionen in die moçambiquische Wirtschaft eine Art Mine mit Zeitzünder auch unter die Zukunft unserer Volkswirtschaft für den Fall, daß die Portugiesen abtreten müßten.« »Was meinen Sie damit, Antonio?« wollte ich wissen. »In den letzten Jahren hat die FRELIMO doch viele Unternehmen, ganze Wirtschaftszweige nationalisiert.« »Und dennoch, die Positionen des Auslandskapitals sind in Mocambique einstweilen noch stark«, gab er nach kurzem Nachdenken zur Antwort. »Natürlich hat es progressive Umwälzungen in unserem Land gegeben. Die Regierung hat den Boden jenen zurückgegeben, die ihn bearbeiten, das Bildungs- und Gesundheitswesen unter staatliche Kontrolle gestellt, die Zentralbank nationalisiert. Das alles stimmt schon. In der Industrie aber sind nur jene Betriebe unter staatliche Kontrolle gestellt worden, die von ihren ehemaligen Besitzern, vorwiegend Portugiesen, aufgegeben worden sind. Sie sind es, von denen auch unsere Presse berichtet: wie diese von ihren Besitzern und dem technischen Personal verlassenen Werke nunmehr von Arbeiterkomitees geleitet werden, wie diese die von Reaktionären zerstörten Anlagen wiederherstellen und die Produktion in Gang bringen.« 69
»Das ist doch eine feine Sache, wenn in Moçambique die breite Masse von Werktätigen immer aktiver an der Leitung ihres eigenen Staates, dessen Wirtschaft teilnimmt, daß die afrikanischen Arbeiter sozusagen ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, ohne die weißen ,Herren’ auszukommen. Nehmen wir doch bloß einmal die Kaschunußfabrik, die wir da eben besucht haben. Die Fortschritte dort sind doch nicht zu übersehen.« »Stimmt alles«, pflichtete mir Antonio bei. »Aber mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, daß neben diesen Betrieben, deren Leitung mitunter noch etwas unsicher tappt, auch Gesellschaften existieren, die Verbindung in erster Linie zum englischen, damit aber auch zum amerikanischen und südafrikanischen Kapital aufrechterhalten. Und da schon viele Zweige unserer Wirtschaft in Schwierigkeiten sind, die Produktion erst ankurbeln, nimmt das relative spezifische Gewicht dieser Gesellschaften zu. Deshalb fürchte ich, daß sie noch ein gewichtiges Wörtchen mitreden und sich in unsere Entwicklung einmischen werden...« »Tragen Sie nicht ein bißchen zu dick auf, Antonio?« fragte ich. »Oder basieren vielleicht ihre Schlußfolgerungen nur auf der spezifischen Situation, wie sie sich in Sofala herausgebildet hat, das ja, historisch gesehen, so eine Art Erbgut für das englische Kapital geworden ist?« »Ich wünschte, ich irrte mich, aber...« Antonio überlegte, fuhr dann fort: »Was Beira betrifft, so sind die Positionen der neokolonialistischen Polypen in dieser Stadt unverändert geblieben, etwa die der mächtigen ,British South Africa Company’, des Hauptaktionärs der ,Companhia de Moçambique’, der durch diese die wichtigsten Wirtschaftszweige Beiras kontrollierte. Was die spezifische Situation’ anbelangt, die in Sofala herrscht, so bin ich hinsichtlich dessen Zukunft sogar Optimist. Das ,weiße’ Rhodesien ist zum unabhängigen afrikanischen Simbabwe geworden, und das hat für Beira eine Menge politische Probleme gelöst. Heute arbeiten sowohl sein Hafen als auch die Eisenbahn und die Erdölleitung für das afrikanische Bruderland. Um die Anschläge bewaffneter Banditen abzuwehren, haben Mocambique und Simbabwe gemeinsam den ,Beira-Korridor’ eingerichtet, eine von den Streitkräften beider Länder geschützte Zone links und rechts der Eisenbahn, die von Beira zur simbabwischen Grenze führt. 70
Und wie schnell könnten analoge Probleme für Maputo gelöst werden, das für die Republik Südafrika die gleiche Rolle gespielt hat wie Beira für Rhodesien!« fuhr der junge Wissenschaftler fort. »Dort gibt es einen Hafen mit einer Umschlagskapazität von etwa 15 Millionen Tonnen, dort ist ein dichtes Netz von Eisenbahnlinien und Autostraßen vorhanden, die nach Süden führen. Von Maputo bis zur Grenze der Republik Südafrika sind es anderthalb Stunden Fahrt auf hervorragender Straße und von Maputo bis Durban, dem Haupthafen für das industriereiche Transvaal, weniger als zwölf Stunden Fahrt auf dem Seewege. Die Transporte südafrikanischer Güter über unser Territorium sicherten Moçambique in vergange-’ nen Jahren bis dreißig Prozent seiner Einkünfte in ausländischer Währung. Und nichts kann sie jetzt ersetzen. Doch da ist halt nichts zu machen: unsere geographische Lage! Und diese für sich auszunutzen, das wird für die Herren im Westen immer verlockend sein.« »Eine Rechtfertigung des geographischen Determinismus also?« warf ich ein. »Nicht doch, ich meine einfach, daß kein Staat, und sei er uns noch so freundschaftlich gesinnt, seine Güter über unsere Häfen und Eisenbahnen befördern wird, wenn er davon keinen Vorteil hat. Außerdem wird das Großkapital, das die Republik Südafrika mit Hilfe seiner ihm verbliebenen ökonomischen Hebel unterstützt, diese geographische Lage zu unserem Schaden nutzen, versuchen, Mocambique seinem rassistischen Nachbarn wieder ,näherzubringen’, und dabei geht es leider nicht nur um Verkehrsverbindungen. Ebenso einseitig ist auch unsere Energiewirtschaft orientiert, deren Produktion’ wir ebenfalls nur in die Nachbarländer exportieren können.« »Ruth First empfahl Sie mir als Spezialisten für die Geschichte des moçambiquischen Mittelalters«, bemerkte ich, »aber mir scheint, Probleme der Gegenwart beschäftigen Sie in keineswegs geringerem Maße.« »Wissen Sie, meine Begeisterung für Monomotapa war so eine Art Protest gegen die unter den Portugiesen übliche Methode, in den soziologischen Wissenschaften die bittere Wahrheit zu verschweigen und nur Lobgesänge auf die zivilisatorische Mission’ Lissabons anzustimmen. An der Universität ist an der historischen Fakultät, an der ich unterrichte, jetzt die Möglichkeit vorhanden, mich mit der Gegenwart und ihren Problemen zu befassen, und ich habe mich 71
entschlossen, das zu nutzen, eine Dissertation über die Tätigkeit der ,Companhia de Moçambique’ und darüber zu schreiben, wie die von ihr geschaffenen kolonialen Strukturen die heutige Entwicklung der Volksrepublik Moçambique zu beeinflussen vermochten. Das ist auch der Grund, weshalb ich jede Gelegenheit nutze, nach Sofala zu kommen, und weshalb ich meine Schlußfolgerungen in erster Linie am Beispiel Beiras aufstelle.« »Die erste Schlußfolgerung haben Sie, wenn ich nicht irre, bereits formuliert: Transport und Energiewirtschaft waren die Hauptlinie für eine Integration mit der Republik Südafrika, die das ausländische Kapital Moçambique als langfristiges Ziel aufgezwungen hat. Sind Sie schon zu weiteren Schlußfolgerungen gelangt?« Antonio schwieg, konzentrierte seine Gedanken. Er stand von der Couch auf, ging auf dem langen Balkon unseres Hotelzimmers auf und ab, setzte sich dann wieder. »Haben Sie nicht darüber nachgedacht, weshalb in der ganzen Zeit, die wir nach Maputo fuhren, Kinder, seltener Frauen und fast nirgends Männer Kaschunüsse an der Straße gesammelt haben?« »Gewiß deshalb, weil es für Männer körperlich schwerere, angesehenere, vielleicht auch besser bezahlte Arbeit gibt«, vermutete ich. »Nein, weil es in diesem Gebiet, besonders zwischen Limpopo und Save, nur wenig Männer gibt. Wenn man das Territorium von Moçambique einmal unter dem Aspekt der Nutzung der Arbeitskräfte der Afrikaner betrachtet, dann zerfiel es bis Mitte der siebziger Jahre gleichsam in zwei Teile. Nördlich von Beira, wo die ,Companhia de Moçambique’ und ihr ähnelnde koloniale Schmarotzer die Wirtschaft in Händen hatten, riesige Plantagen tropischer Kulturen besaßen, arbeiteten die Männer auf diesen Pflanzungen fast umsonst. Südlich jedoch, wo die Warenwirtschaft in Händen kleiner portugiesischer Farmer lag, konnten afrikanische Männer so gut wie keine Arbeit finden und suchten Lohnarbeit im Ausland. Vor Erlangung der Unabhängigkeit arbeiteten fünfhunderttausend Moçambiquer, mehr als ein Drittel unserer Lohnarbeiter, außerhalb der Grenzen des Landes. Hinter Malawi nahmen wir, leider, den zweiten Platz in Afrika im ,Export’ von Arbeitskräften ein. Ein schändlicher Rekord! Den Kolonialbehörden allerdings brachte dieser Handel mit Menschen über zehn Prozent des Wertes vom Warenexport ein. Und zusätzlichen Profit für das Verkehrswesen der Kolonie. Denn wöchentlich brachten zwei Züge die ,Manfarra’, so 72
hießen die angeworbenen Arbeiter, auf Plantagen und in Bergwerke Südafrikas, und ihnen entgegen kamen zwei Züge mit ,Magaisa’, das waren die Repatrianten, die zwei Jahre in der rassistischen Hölle zugebracht hatten.« »Sie zeichnen da ein Bild, aus dem hervorgeht, daß sich der Kolonialismis in Moçambique im wesentlichen hielt, weil er seine vorteilhafte geographische Lage voll und ganz nutzte«, zog ich Bilanz. »Während in den meisten anderen afrikanischen Kolonien eine widernatürliche Spezialisierung auf Monokulturen erfolgte, entstand hier eine einmalige und dabei nicht weniger widernatürliche Ökonomie der Dienstleistungen’; man bediente die Nachbarn und vergeudete dabei die eigenen Ressourcen.« »Um dieses Bild zu vervollständigen, möchte ich ihre Aufmerksamkeit auf das Hotel lenken, in dem wir uns gerade unterhalten«, fuhr Antonio fort. »Das hiesige ,Estoril’ ist der größte touristische Komplex dieser Art in Afrika. In Moçambique gibt es noch rund ein Dutzend fast ebensolcher Hotelgiganten und dazu zahlreiche Hotels normaler Größe. Man kann leicht erraten, daß die keineswegs alle für Portugiesen gebaut worden sind, die ja in ihren ,casas’ oder ,palacetes’ wohnten.« »Nichts für ungut, Antonio, aber die touristischen Sehenswürdigkeiten von Moçambique halten doch keinen Vergleich aus mit denen, die Kenia oder die Seychellen Touristen aus Europa oder den USA zu bieten haben. Die touristischen Objekte in Moçambique haben wenig Afrikanisches an sich, dafür aber viel Portugiesisches. Und das Interesse an letzterem ließe sich ja am besten in Lissabon befriedigen.« »Nach Moçambique ist doch niemand von weither gekommen«, erklärt Antonio. »Fast neunzig Prozent der Touristen waren Weiße aus den benachbarten rassistischen Republiken. Beira zum Beispiel spielte die Rolle eines Seebades für Rhodesien, von dort kamen jährlich über hundertfünfzigtausend Besucher. Und interessanterweise meist Männer: Die lockte der berühmte ,Vinho verde’ hierher, außerdem die portugiesische Küche, vor allem aber die Möglichkeit, sich nachts einmal nicht an eines der berüchtigten Rassistengesetze halten zu müssen. Das Touristenbusineß hat es mit sich gebracht, daß es in Moçambique etwa zehntausend Prostituierte gab, die nunmehr aus den großen Städten in Umerziehungslager gebracht werden. Es gibt da eine geradezu vernichtende Statistik, die die ganze 73
Heuchelei und den vorgetäuschten Puritanismus der Hüter der ,Moral des weißen Menschen’ entlarvt. Über sechzig Prozent der Südafrikaner und fünfundzwanzig Prozent der Rhodesier, die unser Land besuchten, kamen nur für eine einzige Nacht hierher, also praktisch nur, um einmal in Moçambique zu ,schlafen’. Den Portugiesen trug dieses schmutzige Busineß immerhin etwa fünfzehn Prozent aller Valutaeinnahmen ein — mehr als der Verkauf der beiden wichtigsten Exportkulturen Moçambiques, von Akajou und Baumwolle. Die Lissaboner Propaganda bezeichnete die Infrastruktur (einschließlich Energetik), die Migration von Arbeitern und den Tourismus als die ,drei Säulen’, auf denen die moçambiquische Wirtschaft ruhte und die fünfundsechzig Prozent des Bruttosozialproduktes lieferten. Ich möchte diese drei Säulen aber eher als ,drei Dinosaurier’ bezeichnen, denn sie sind zu archaisch, sie haben die Wirtschaft Moçambiques degeneriert, und das wird sich noch auf lange Zeit auswirken.«
Im goldenen Sofala singen die Marimba Unmittelbar im Zentrum von Beira ragt eine recht klotzige, in neugotischem Stil gebaute Kathedrale empor. Man könnte sie getrost als Denkmal kolonialer Barbarei bezeichnen, von der eine Marmortafel an einer Mauer zeugt. Auf ihr ist zu lesen: »Die Kathedrale wurde aus Steinen erbaut, die aus den Ruinen des historischen, Anfang des 16. Jahrhunderts errichteten Forts von Sofala sowie anderer älterer Gebäude dieser Stadt herangeschafft wurden.« »Ich hoffe, Sie haben jetzt begriffen, was uns in Sofala erwartet«, fragte mich Antonio. »Ich bin ein dutzendmal dort gewesen und habe die feste Überzeugung mitgebracht: Exakte archäologische Forschungen sind notwendig, will man dort etwas zu sehen und zu erfahren bekommen. Da ich ja heute hier sozusagen als Kenner mittelalterlicher Wunder auftrete, muß ich warnen — Sofala verheißt uns keinerlei Wunder.« »Möge uns dann wenigstens die Tatsache Befriedigung bescheren, daß unsere Reise nach Monomotapa auf dem Boden von Sofala be74
ginnen wird, das heißt dort, wo seine Geschichte selbst begonnen hat«, ermuntere ich meinen Begleiter. Schon sehen wir aus unserem Auto Pflanzungen von Zuckerrohr, das unter den vom Ozean heranjagenden Böen smaragdgrün wogt. Vorbei huschen die Gebäude der von südafrikanischem Kapital kontrollierten riesigen Zuckerfabrik in Nova Lusitania. Dahinter, nämlich dort, wo in den vergangenen Zeiten keine Weißen umherfuhren, endet die Straße praktisch. Auf unserer Karte lesen wir nur: »Fahrspur, neun Monate im Jahr unpassierbar.« Vor uns aber liegen noch hundertfünfzig Kilometer! Ein Glück für uns, daß wir jetzt nicht gerade jene Monate haben. Der trockene Wind aus der Kalahari hat die in dieser Gegend von seichten, aber sehr zahlreichen Flüßchen durchzogene Küstenebene verdorren lassen. Moçambique ist das einzige Land in Ostafrika, das auf physischgeographischen Karten zum größten Teil in der grünen Farbe von Tiefland dargestellt ist. Und man sollte meinen, Tiefland begünstige die wirtschaftliche Entwicklung, und auch die Flüsse, die es in jenen Ebenen gibt, würden eine Erschließung nicht gerade erschweren. Doch in der Praxis ist es umgekehrt. Die Niederschläge fallen in den Gebirgen, wo diese Flüsse entspringen, im Februar und März, also gerade in den Monaten, in denen Zyklone auf das Gebiet an ihren Unterläufen herfallen. Von Westen her wälzen sich also durch die flachen, schlecht ausgebildeten Flußbetten die aus den Niederschlägen im Gebirge stammenden Wassermassen, diesen entgegen aber strömt von Osten her in denselben Betten das durch die Zyklone aufgepeitschte Salzwasser des Meeres. Das flache Relief bildet für dieses Meerwasser kein Hindernis, und wenn ein solcher Zyklon von langer Dauer ist, dringt das Ozeanwasser hundert bis hundertzwanzig Kilometer tief ins Landesinnere. Wenn die beiden aus verschiedenen Richtungen herandrängenden Wasserströme aufeinandertreffen, bilden sie riesige Barren und überfluten dann weithin die Ebene. Die nur schwach ausgebildeten Wasserscheiden zwischen den Flüssen bedeuten für sie kein Hindernis. Es gibt Jahre, in denen sich die Wasser selbst solch großer Flüsse wie etwa Limpopo und Save oder Save und Buzi vereinigen und gewaltige Flächen in dieser Küstenebene bedecken. 75
Das Hochwasser vernichtet die Ernte und schwemmt nicht nur die Schilfhütten der Bauern hinweg, sondern auch Straßendämme, Eisenbahnen und Brücken, stürzt Hochspannungs- und Telefonmasten um, zumal dann, wenn es durch ergiebige tropische Regengüsse noch verstärkt wird, wie sie regelmäßig im meeresnahen Flachland im Gefolge der Zyklone herabstürzen. Dann verwandeln sich in der Provinz Sofala und in der südlich von ihr gelegenen Provinz Inhambane nicht nur Dörfer, sondern auch größere Siedlungen und Kleinstädte, die auf Grund jahrhundertelanger Erfahrungen auf im Relief kaum erkennbaren Erhebungen angelegt worden sind, in kleine Inseln. Zwei, drei Monate im Jahr sind sie dann voneinander und vom ganzen übrigen Land abgeschnitten. Für die Bauern, die allen Besitz verloren haben, wird die Piroge, für Polizei und Armee das Motorboot zum einzigen Verkehrsmittel. In der Zeit, in der die Naturgewalten toben, wird ein beträchtlicher Teil der Streitkräfte Mocambiques eingesetzt, um Verletzte und Kinder zu bergen sowie wertvolles Material zu evakuieren. Und dies alles ist nicht etwa eine ungewöhnliche Naturkatastrophe, sondern eher eine »Verhaltensnorm« der tropischen Natur. Die Jahr um Jahr sich wiederholenden Überschwemmungen verschärfen die ökonomischen Schwierigkeiten, verursachen Hunger, der die Volksmacht zwingt, die ohnehin beschränkten Geldmittel für außerplanmäßige dringende Maßnahmen auszugeben — für die Evakuierung Hunderttausender aus den Überschwemmungsgebieten oder den Import von Lebensmitteln. Wir fahren jetzt im Tal des Buzi entlang, überqueren dessen Nebenflüsse und danken dem Himmel, daß er nun schon den vierten Monat keinen Regen schickt, denn sonst hätten wir diese Ebene wohl auf einer Piroge befahren müssen! Überreste dessen aber, was die Zyklone hier angerichtet haben, sind noch immer zu sehen: mit den Wurzeln herausgerissene jahrhundertealte Baobabs; Kokospalmen, die von umherstreunenden Mfue, bösen Riesen der hiesigen Legenden, dahingemäht zu sein scheinen; weite, mit in der Sonne verhärtetem Tang bedeckte Flächen, die nach Abfluß des Wassers anstelle der Felder zurückgeblieben sind. Noch größere Flächen sind mit weißen Salzausblühungen überzogen — Spuren des aufs Festland vorgedrungenen Meerwassers. Je näher diese Salzausblühungen zur Küste hin liegen, um so ausgedehnter sind sie; der Boden ist hier feucht, es treten graue, fast 76
vegetationslose Niederungen auf. Von hier verschwindet das Meerwasser praktisch das ganze Jahr nicht. Spärlicher Pflanzenwuchs grünt lediglich dort, wo Dünen aus blendendweißem, goldig schimmerndem Sand dem Wasser den Weg versperren. »In früheren Zeiten hielten hier üppige Mangrovenwälder den Ansturm des Ozeans auf«, sagt Antonio. »Die jahrhundertelange Tätigkeit des Menschen, für den Mangrovenäste nicht nur ein einzigartiges Baumaterial abgaben, das im Salzwasser nicht faulte, sondern auch am leichtesten zugängliches Brennmaterial darstellten, führte dazu, daß die Küste der gesamten Provinz Sofala entwaldet wurde. Das Meer kann jetzt ungehindert aufs Land vordringen. Und da sehen Sie das traurige Ergebnis ... Keinerlei Spuren mehr von Sofala!« »Lag denn dieser Swahili-Hafen an eben dieser Stelle?» »Ja, genau hier«, nickt mein Begleiter bejahend. »Velha Sofala, das alte Sofala, das identisch ist mit ,Sufalat at-Tibr’, befand sich kaum zweihundert Meter von der jetzigen Küste entfernt. Nun ist es völlig unterm Sand begraben und von Wasser bedeckt. Das auf den heutigen Karten vermerkte Nova Sofala, das neue Sofala, ist erst drei Jahrhunderte später etwa einen Kilometer von hier entstanden. Vielleicht übernachten wir dort...« Es ist gerade Ebbe; Antonio und ich stapfen bis zu den Knöcheln im Wasser über den nackten Grund, scheuchen Schwärme von in den Pfützen zurückgebliebenen bunten Fischlein und flinken roten Krabben auf. Der Grund ist fast gänzlich von schwarz gewordenen Korallenbauten bedeckt, aber hier und da ragen aus ihnen glatte graue Steine heraus, in denen Antonio Reste jener Monolithblöcke erkennen will, die die Portugiesen einst nach Sofala gebracht hatten, um daraus das hiesige Fort zu errichten. Aber was mag es mit diesem so unnatürlich weißen Splitter mit blauen Mustern auf sich haben? Ich bücke mich und ziehe aus dem Sand eine ziemlich große Fayencescherbe heraus. Kein Zweifel mehr: Ähnliche Scherben habe ich schon auf den Inseln Lamu und Mande, in Kilwa und anderen alten Swahili-Städten gefunden. Aus Scherben zusammengeklebte chinesische Teller und Schüsseln sieht man in den Museen von Mombasa, Malindi und Sansibar ausgestellt. Sie werden von Fachleuten in die Zeit der späten SungDynastie datiert, also ans Ende des achten Jahrhunderts. »Das Fort, dessen Bau von 1505 bis 1512 dauerte, erhielt den Na77
men São Gaetano«, erklärte Antonio. »Es wuchs neben einer von turbulentem Leben erfüllten Swahili-Stadt empor.« »Hat nur das gelbe Metall eine Rolle in Sofalas Export gespielt?« »Natürlich nicht. Schon im 12. Jahrhundert hat der große alIdrisi geschrieben: ,Im Lande Sofala gibt es Bergwerke mit großen Vorräten an Eisen. Dies ist die Haupteinkommensquelle und die wichtigste Ware.’ Im Tausch gegen das schwarze Metall brachten die Kaufleute vor allem Tuche nach Sofala. In erster Linie gegen Stoffe tauschten die Bewohner des Landesinneren das Metall ein. Als Lissabon den Muslims den Seeweg blockierte und die hiesigen Kaufleute der Möglichkeit beraubte, hochwertige farbige indische Tuche zu kaufen, griffen die Kaufleute von Sofala zu einer List. Weil sie Stoffe nicht zu färben verstanden, trennten sie die in ihren Lagern noch gestapelten blauen Stoffe aus Bombay und die roten aus Kalikut auf und stellten mit Hilfe andersfarbiger und weißer Fäden einheimischer Produktion völlig neue bunte Stoffe her. Das ergab drei- bis viermal mehr Stoffe, als man aus Bombay oder Kalikut eingeführt hatte, und so erhielt man zusätzliche Ware, mit der man Geschäfte außerhalb der Kontrolle der portugiesischen Eroberer tätigen konnte. Eine sehr interessante und recht wirkungsvolle Form von passivem Widerstand der Araber und Swahili gegen das von den Okkupanten eingeführte Handelsmonopol.« »Und wie war es mit dem Gold?« forsche ich weiter. »Gold rückte im Handel Sofalas an die erste Stelle, nachdem hier die Portugiesen aufgetaucht waren«, versichert Antonio. »Natürlich kann man einwenden, daß für al-Masudi schon im 10. Jahrhundert Sofala das ,Goldland’ gewesen ist, doch darauf antworte ich: Der große arabische Geograph hat damit die der einheimischen Bevölkerung gut bekannten reichen Bodenschätze Sofalas im Auge gehabt, nicht aber den Goldhandel. Der arabische Name ,Sufalat at-Tibr’? Nun, man konnte diese Stadt wohl auch deshalb so nennen, weil sie den Kaufleuten ganz allgemein riesige Gewinne einbrachte.« Wir kehren an die Küste zurück, laufen den golden schimmernden Strand entlang, auf den bereits die Wellen der Flut rollen. Leise bewegen sich im Rhythmus des Windes die wie Filigran wirkenden Zweige der weit ausladenden Kasuarinen, auf deren Wipfeln sich langflügelige Fregattvögel nur wie durch ein Wunder zu halten scheinen. Wenn Baßtölpel oder Möwen nach der Jagd vom Meer her heranfliegen, schwingen sich diese Fregattvögel in die Luft und 78
versetzen ihren Opfern, wenn sie sie erreicht haben, einen kräftigen Schnabelhieb in den Schwanz, so daß diese den im Meer erbeuteten Fisch wieder herauswürgen. Noch bevor die Beute ins Wasser fällt, schnappen die Fregattvögel diese geschickt im Flug und kehren siegesbewußt auf die Wipfel der Kasuarinen zurück. »Interessant wäre, wer da wohl bei wem gelernt hat: die Portugiesen bei den Fregattvögeln oder umgekehrt?« scherzt Antonio. »Das Verhalten dem Schwächeren gegenüber ist jedenfalls bei beiden das gleiche... Als Sofalas Sultan den Portugiesen Rosenkränze aus Gold schenkte und die Swahili-Kaufleute ihnen erzählten, daß in Monomotapa Eisen höher im Wert stehe als das gelbe Metall, da sagte man sich in Lissabon, dieses legendäre Ophir müsse man unbedingt in seinen Besitz bringen«, fährt Antonio fort. »Und in der ersten Zeit mochte es scheinen, daß es tatsächlich so käme. Im Jahre 1506, als São Gaetano noch im Bau war und die Portugiesen noch nicht den gesamten Küstenhandel zum Erliegen gebracht hatten, führten unter ihren Augen die Araber über eine Million Metical Gold über Sofala aus. Umgerechnet in für uns Heutige verständliche Maßeinheiten sind das vier Tonnen! Doch der Aufstand des Molid und danach der Konflikt mit Inyamunda versetzten Sofala den Todesstoß. Sein Handel ging mehr und mehr zurück. Schon 1515 würden über diesen Hafen nur noch fünftausend Metical Gold verkauft.« Ohne es zu merken, waren wir während unserer Unterhaltung nach Nova Sofala gelangt — eigentlich ein Dörfchen, wie sie sich überall an der Küste im Schatten von Kokospalmen, Mango- und Akajoubäumen verbergen. Zwei Dutzend rechteckiger Hütten, in denen an die hundertfünfzig Bauern und Fischer wohnen, ein paar auf den Wellen schaukelnde vorsintflutliche Dhaus, das ist alles, was sich hinter dem die Phantasie beflügelnden, auf den heutigen geographischen Karten vermerkten Namen »Nova Sofala« verbirgt. Wir übernachteten in der »Gästehütte«, wie es sie in fast jedem afrikanischen Dorf gibt, in dem die alte Ordnung noch nicht endgültig zerstört ist. In der ersten Zeit kam es mir vor, daß hier in Sofala, wie überall in Moçambique, außer vielleicht den Gebieten im Norden, die Exotik afrikanischen Lebens von der Armut verdrängt worden ist. Anstelle der früheren so praktischen traditionellen Kleidung sieht man verwaschene khakifarbene Shorts bei den Männern und verblichene Lappen um die Hüften anstelle von Röcken bei den Frauen; anstelle der soliden, jahrhundertealte Traditionen erkennen 79
lassenden Keramikgefäße nunmehr Bierflaschen und Konservendosen; anstelle der mitreißenden Rhythmen afrikanischer Musik nur noch Dissonanzen, von den Magaisa aus Südafrika importiert. Mehr als einmal sind Reisen ins Innere von Moçambique, wo ich noch etwas Eigenständiges zu finden hoffte, für mich zu einer Enttäuschung geworden. Die Gründe für eine solche »kulturelle Nivellierung« liegen klar auf der Hand: Fast überall in Afrika haben es sich die Kolonisatoren »angelegen sein lassen«, fünf Jahrhunderte alte einheimische Traditionen zu zerstören! Doch nein, das afrikanische Element läßt sich nicht ausrotten! Als es schon ganz dunkel geworden ist, kehrt Antonio zurück, der seine hiesigen Bekannten aufgesucht hat. »Der Dorfälteste hier will zu Ehren der Gäste Musikanten aus dem gesamten Umkreis hinzurufen, Meister des Marimbaspiels, und er bittet uns, zum Feuer zu kommen«, teilte er mir mit. Die Marimba ist ein riesiges, in den hiesigen Gegenden nicht selten drei Meter langes Xylophon, ausgestattet mit Resonatoren aus vollen Kürbiskalebassen. Für gewöhnlich versammeln sich fünf, sechs Interpreten, diesmal aber, war es nun Zufall oder Wohlwollen des Dorfältesten, waren dreizehn Instrumente vorhanden. Sie waren aus verschiedenen Holzarten gefertigt — vom weichen, in trockenem Zustand einen lauten Ton hervorbringenden Baobabholz bis zum je nach Dicke der verwendeten Bretter in allen Tonlagen klingenden schwarzen Mbnsenu. Jedes der Xylophone besaß sein eigenes, nur in dem betreffenden Dorf übliches ausgeklügeltes System von Resonatoren. Und jedes wurde durch jeweils ein Hämmerchen zum Klingen gebracht; das eine war mit Giraffenhaut, ein anderes mit Schakalfell bespannt, ein weiteres mit Elefantenhaar umflochten. Alles zusammen ergab ein in seinem Klang, seiner Originalität unwiederholbares vielstimmiges Orchester. Schon früher war mir eine Besonderheit aufgefallen, die wahrscheinlich ganz allgemein zum traditionellen Stil beim Musizieren auf der Marimba gehört. Die Darbietung beginnt ganz außergewöhnlich nüchtern, einförmig, und das ganz offensichtlich mit einem bestimmten psychologischen Ziel — den Zuhörer durch den effektvollen, virtuos vorgetragenen stürmischen Schlußteil zu verblüffen. Für gewöhnlich besteht ein solches melancholisches Präludium 80
darin, daß die Musikanten das Rascheln von Kokospalmwedeln nachahmen. Sie lauschen es der Natur ab, ordnen die Töne ihrer Marimba den Launen des vom Meer her wehenden Windes unter, der die Palmwedel bald metallisch rasseln, bald samtweich, das Ohr schmeichelnd rauschen läßt. Hier in Sofala stimmen die Musikanten ihre Marimbas auf das Rauschen des Ozeans ein. Da rollt eine Woge heran und wieder zurück, irgendwo an Riffen tost die Brandung, Schaum zerspritzt an nahen Felsen... In der ersten Zeit versucht das Ohr diese bezaubernden Töne der Musikanten noch von den natürlichen zu unterscheiden, doch bald schon siegt deren Meisterschaft, und die Melodie des Meeres verschmilzt mit der Musik der Marimbaspieler. Die Xylophonisten sind von ihrer Kunst richtiggehend berauscht, können ihren Wechselgesang mit dem Meer eine, auch zwei Stunden fortsetzen, besonders wenn jenes nicht ruhig ist und von den Musikanten wirkliches Spiel, Findigkeit, ständiges Handeln verlangt. Wendet man sich einmal von den Marimbas ab, vergißt man sofort, das man deren Spiel hört, meint man, alle Töne erzeuge das Meer. Schaut man jedoch zu den Musikanten hin, dann sieht man im Schein des Feuers, wer dieses Wunder vollbringt und wie es entsteht. Einen Dirigenten gibt es nicht, dennoch halten die Musikanten alle auf einmal inne. Und im gleichen Augenblick hört man durch das Tosen der Meeresbrandung das Plätschern von Bootsrudern. Schon will ich in Richtung Meer schauen, doch Antonio tippt mich auf die Schulter und schüttelt den Kopf, weist zu den Musikanten hin: »Sie sind es!« Das Plätschern der Ruder verstärkte sich, wurde immer rhythmischer, und schließlich nahmen, mit dem eintönigen Rauschen des Meeres als Hintergrund, die Marimbas ihr Hauptthema auf — eine beherzte, feurige Melodie über einen Seemann oder Fischer im Kampf mit den Elementen. Damit endete das Präludium, das diesmal etwa eine Stunde gedauert hatte. Und schon sprangen irgendwoher aus der Dunkelheit Tänzer auf den vom Feuer erhellten Platz. Ihr Aufzug ließ zwar zu wünschen übrig: An der Alltagskleidung hatte der eine eine lange Feder, ein anderer ein Stückchen Fell befestigt, doch die virtuose Meisterschaft, mit der sie den Tanz vorführten, machte diese Dissonanz voll und ganz wett. Tanz der Ruderer — Tanz der Schwimmer—Tanz der Fischer— 81
Tanz der Schiffbrüchigen — Tanz der Ertrinkenden. Jedes dieser Sujets erfordert eine Verstärkung des Dramatischen in der Musik und eine Beschleunigung ihres Rhythmus. Schweißüberströmt laufen die Musikanten von einem Ende ihrer Instrumente zum anderen, die Marimbas weinen und singen, die Xylophonspieler wollen sich selbst übertreffen. Dann wird ein Lied gesungen. Die Sänger fassen einander an den Händen, bilden einen Kreis um die Xylophonspieler und bewegen sich gemessen im Takt der Musik. »Wovon handelt das Lied?« frage ich Antonio. »Es ist ein langes, fast endloses Lied über die Geschichte der hiesigen Gegend und ihrer Bewohner vom Stamm der Mandoua. Der Kehrreim aber ist der gleiche wie bei vielen anderen modernen Volksliedern, die man an der Küste singt. Seine Quintessenz ist etwa folgende: Als die Portugiesen an unsere Küste kamen, da hatten wir viel Land und viel Gold, sie aber hatten nur das Kreuz. Später betrogen die Masungas uns, und es kam so, daß wir nur noch das Kreuz besaßen, sie aber sowohl das Gold wie das Land und alles, alles andere auch. Doch dann kamen die Soldaten der FRELIMO, und es siegte die Wahrheit. Und jetzt haben wir das Wichtigste, was der Mensch besitzen kann — Freiheit.
Wir fahren nach Monomotapa Vier der Marimbas verstummten in jener Nacht bis zum Morgengrauen nicht, und auch Sänger und Tänzer hielten nur inne, um uns freundlich »Boa viagem! Boa viagem!«* zu wünschen. * »Gute Reise!«
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Nach Beira zurückkehren wollten wir nicht, auch lockte uns die belebte, stark befahrene Fernverkehrsstraße, die aus dieser Stadt nach Manica führt, durchaus nicht. Nach einem Blick auf unsere Karte zogen wir daher die Schlaglöcher eines Feldweges der asphaltierten Chaussee vor und fuhren schnurstracks los. »Bei irgendeinem Chronisten habe ich gelesen, daß man von Sofala bis zum Palast von Simbabwe, wo der Herrscher von Monomotapa wohnte, hundertsiebzig Stunden gehen müsse«, teilte mir Antonio mit, als wir uns von denen, die uns das Geleit gaben, winkend verabschiedet hatten. »Aber wir begeben uns ja nicht nach Simbabwe, sondern in das näher gelegene Manica, und nicht zu Fuß, sondern im Auto, so daß für uns die Fahrt nur einen einzigen Tag in Anspruch nimmt. Und da alle moçambiquischen Gebiete, die wir heute durchqueren müssen, darunter auch Manica, Teil des Territoriums waren, das vom Palast in Simbabwe aus regiert wurde, kann das Thema meiner heutigen ,Autolektion’ nicht anders lauten als...« »Monomotapa!« bekundete ich meinen Scharfsinn. »Womit also beginnen! Nun, vor allem ist zu sagen, daß sich der ethnische Kern des Königreichs Monomotapa und dessen Hauptstadt auf dem Gebiet der heutigen Republik Simbabwe befanden und daß die peripher gelegenen östlichen Fürstentümer, einschließlich des moçambiquischen Manica, ihre eigenen spezifischen Interessen hatten, ihre eigene Politik sowohl gegenüber der Metropole als auch gegenüber den Portugiesen betrieben. Vielleicht erzähle ich Ihnen aber erst einmal etwas über den Staat Monomotapa im allgemeinen. Gegründet wurde er 1440 bis 1450 von den Karanga, einem Volk, das die Engländer, als sie sich später in Rhodesien festsetzten, Shona nannten. Heute machen diese etwa 80 Prozent der Bevölkerung von Simbabwe aus, und sie überwiegen auch in den moçambiquischen Provinzen Sofala und Manica. Legenden berichten, der erste Herrscher des Staates der Karanga habe Mwane Mutapa — ,Herr der Bergwerke’ — geheißen, und nach ihm haben dann Araber und Swahili, die schon Ende des 14. Jahrhunderts in diesem Gebiet große Handelsinteressen hatten, den ganzen Staat benannt. Bis auf den heutigen Tag sind Legenden und Sagen von den Eroberungen Mutotas, so hieß der Sohn des Staatsgründers, sowie dessen Enkels Motapa bei den Shona lebendig. Gestützt auf die unter den 83
Karanga führende ethno-soziale Gruppe von ,Aristokraten’, die Rozwi, und nicht ohne Hilfe der arabischen Kaufleute, die daran interessiert waren, daß in den Gebieten, die ihnen gewinnbringende Waren lieferten, Frieden und Ordnung herrschten, schuf die Dynastie von Mwane Mutapa eine Konföderation aus mit den Shona verwandten Stämmen. Mitte des 15. Jahrhunderts, in der Blütezeit dieses Reiches, umfaßte diese Konföderation ein riesiges Territorium — vom Sambesi im Norden bis zum Limpopo im Süden, von der Kalahari im Westen bis zur Küste des Indischen Ozeans im Osten. Der oberste Herrscher dieses frühfeudalen Staates legte sich den dynastischen Titel ,Mutapa’ — ,Herrscher’ — zu. Er wurde als göttliche Macht anerkannt.« Ich habe absichtlich die »Autolektion« des Universitätsdozenten da Costa bisher nicht durch Beschreibungen der Gegenden unterbrochen, die wir durchfuhren, da draußen noch immer jene eintönige Ebene an uns vorüberzog, auf der man die Spuren des Wassers bei seinem Vordringen aufs Land erkennen konnte. Bis zu den Bergen von Manica, auf die wir jetzt zusteuerten, war es noch weit, der Anstieg der Küstenebene dorthin noch so unmerklich, daß weder im Landschaftsrelief noch in der Vegetation irgendwelche Veränderungen zu entdecken waren. Erst etwa hundert Kilometer von der Küste entfernt begegneten wir zwischen den spärlichen grauen Büschen großen Bäumen, den Mopane, die stark duftende Samen hatten. Sie hatten zwar weit ausladende Kronen, lieferten jedoch praktisch keinen Schatten, weil ihre Blätter, um die Verdunstung zu reduzieren, ihre Ränder stets der Sonne zuwenden. Je weiter man nach Westen kommt, um so höher werden diese Mopane. Es beginnt das Mopane-Veld, eine in Südostafrika sehr verbreitete Waldformation, die auf schweren, in der Regel wenig fruchtbaren Lehmböden gedeiht. Fernab der stärker befahrenen Straßen und der Siedlungen dienen die Mopanewälder auch heute noch Elefanten als Lieblingsaufenthalt. Den vielen Kothaufen und umgeworfenen alten Bäumen nach zu urteilen, von denen die Dickhäuter gern die jungen Triebe abzupfen, mußte es hier noch eine Menge dieser Tiere geben. Einige Male scheuchten wir Herden graziöser Impala-Antilopen auf, und Perlhühner stoben vor den Rädern unseres Wagens in so großer Zahl auf, daß wir ihnen schon bald keine Beachtung mehr schenkten. Wo die Bäume dicht am Weg wuchsen, waren die tief 84
eingeschnittenen Fahrrinnen mit dunkelrotem Laub übersät. Auch an den Mopane selbst überwog ein purpurrotes Laub, das das Mopane-Veld in seiner Farbgebung unseren Laubwäldern ähnlich sehen läßt. »Da haben wir schon die ersten Vorboten Manicas«, Antonio weist auf kleine Hügel, die vor uns auftauchen, »und jeder von ihnen wartet auf seine Erforscher, vor allem auf Archäologen. Ausgrabungen von Dozenten und Studenten unserer Fakultät haben ergeben, daß auf den Gipfeln dieser Hügel zahlreiche Überreste von Heiligtümern erhalten geblieben sind, wo Kulthandlungen zu Ehren der von den Karanga geachteten Ahnen, der Mwari, stattgefunden haben. Wir haben auch Funde gemacht, die der Periode der Conquista angehören. Denn es gab Zeiten, in denen die heute menschenleeren Mopanewälder Schauplatz von Ereignissen waren, die erstrangige Bedeutung für die Zukunft sowohl ganz Südostafrikas als auch Portugals besaßen. Sie staunen?« fragt Antonio, als er auf meinem Gesicht Zweifel bemerkt, und fährt fort: »Nun, es ist so, daß Mutapa, der sich vor einer ernsthaften militärischen Konfrontation mit den Weißen fürchtete und diese nicht in seiner Hauptstadt sehen wollte, einen Kompromiß einging und Anweisung gab, Barretos Soldaten nach Manica hineinzulassen. Den Portugiesen war dies recht, hielten sie doch die Gewinnung von Gold aus den alluvialen Sanden in Manica für aussichtsreicher als die Anlage von Bergwerken im tiefen Innern von Monomotapa. Auf dem Wege von Sofala nach Manica lag aber damals ein Fürstentum, das nach der dort herrschenden Dynastie Kitewa hieß. Obgleich sein Herrscher Kitewe III. ein halber Vasall von Mutapa war, verfolgte er doch seine eigene Politik. Und er hatte nicht die Absicht, die Portugiesen umsonst durch sein Territorium nach Manica ziehen zu lassen. Kitewe III. gab sich der Illusion hin, von jeder Karawane der Weißen, die durch sein Gebiet marschieren wollte, eine Abgabe verlangen zu können. Hinzu kam, daß in Manica sein verschworener Feind Shikanga regierte, und niemand konnte Kitewe ja garantieren, daß jener in den Portugiesen nicht etwa Verbündete für sich finden würde. Es begann also ein langwieriger und grausamer Krieg zwischen den Konquistadoren und Kitewes Untertanen, und er hat viele dieser Hügel und Grabstätten hinterlassen, an denen wir jetzt vorbeifahren. Den bis an die Zähne bewaffneten Portugiesen konnten die Afrikaner, die einen Partisanenkrieg führten, nur ihre Assagai85
Stoßspeere, Bögen und — Hunger entgegensetzen. Sie schütteten die Brunnen zu, vernichteten die Lebensmittelvorräte, verbrannten nicht nur ihre Felder, sondern auch wildwachsende Bäume, die irgendwelche Früchte trugen, lockten so die ungebetenen Gäste immer weiter und weiter ins Innere des jenen unbekannten Landes. Schon lange waren Kamele und Pferde, die sich an den Früchten des Mopane überfressen hatten, verendet, die Esel wurden krank, und die Menschen kamen vor Hunger völlig von Kräften. Jagen konnten die Portugiesen in diesem wildreichen Gebiet nicht: Kitewes nicht zu fassende Leute, die ihnen keine Ruhe ließen, hatten das Wild verscheucht. Auch in der von ihren Bewohnern verlassenen Hauptstadt Kitewes war für Barretos Leute nichts zu holen. Nachdem man den Palast aus Holz und Stroh niedergebrannt und Feuer auch an die übrigen Bauten der Stadt gelegt hatte, rückten die auf die Hälfte zusammengeschmolzenen Abteilungen der Kreuzträger auf Manica zu.« Antonios Erzählung wurde durch einen Hochzeitszug unterbrochen, der uns beim Übersetzen über den schmalen, fast ausgetrockneten Revue entgegenkam. Ein alter Mann von würdigem Aussehen mit einem für einen Afrikaner ungewöhnlichen grauen Bart wandte sich an uns mit der Bitte, doch »Bräutigam und Braut die Ehre zu erweisen« und sie in unserem Auto über den Fluß zu setzen. Die anläßlich der Feier zusammengekommenen Leute waren recht ärmlich und bunt gekleidet, alle jedoch auf europäische Art. Die Brautleute hingegen, die sich mit zufriedenen Mienen auf den Hintersitzen unseres Wagens niedergelassen hatten, riefen durch ihre gleiche Kleidung meine Verwunderung hervor. Diese bestand nämlich aus kurzen Röckchen, gefertigt aus irgendeiner nicht gewebten Pflanzenfaser. »Na, da haben Sie auch noch einen Nachhall der Bräuche erlebt, die einst in Kitewa herrschten«, erklärte Antonio, nachdem wir den Neuvermählten Glück und viele Kinder gewünscht sowie mindestens hundert ihrer Gäste die Hand geschüttelt hatten und nun weiterfuhren. »Formal gehören Bräutigam und Braut dem Shona-Volk an, doch sie denken daran, daß ihre Vorfahren sich einst zum Abatewi-Stamm zählten, der das Königreich Kitewa gegründet hatte. Und deren Herrscher hatte auf strenge Hofetikette geachtet. In seinen Palast durfte man nur in Röckchen aus Bast vom Baobab erscheinen. Das Königreich gibt es schon lange nicht mehr, die Tradition 86
aber, an Festtagen solche Röcke zu tragen, hat sich erhalten.« Jenseits des Revue tauchten am Horizont bald erste Anzeichen eines bergigen Reliefs auf. Von hier, von der Ebene aus, hatte man die Illusion, daß vor einem eine grandiose unüberwindbare Mauer von Basaltbergen aufragte. Es war dies die sogenannte Große Randstufe, in der die hohen Plateaus Südafrikas nach Osten, zur Küstenebene hin abbrechen. Hier ist das Plateau in einzelne Teile gegliedert, deren höchste die portugiesischen Geographen als Gebirge bezeichnet haben — das Inyanga-Gebirge, das sich im Norden an der Grenze zu Simbabwe hinzieht, das Manica-Gebirge, das den wichtigsten, zentralen Teil der Provinz einnimmt, sowie das Binga-Gebirge im Süden. Dort im Süden liegt auch der gleichnamige 2436 Meter hohe Gipfel, der als höchster Punkt von Moçambique gilt. Zu den schwer zugänglichen, von den Portugiesen kaum einmal aufgesuchten Hängen des Monte Binga möchte auch Antonio einmal vordringen, denn dort befinden sich, wie er meint, noch guterhaltene Schächte und Siedlungen von Grubenarbeitern der Karanga. Zwei Stunden später wurde die Luft frischer und trockener, die bunten Mopanewälder und faden Salzböden wurden durch Bestände von Kanarischen Kiefern mit langen dunklen Nadeln abgelöst. Wie smaragdene Oasen flimmerten Maisfelder und kleine Tabakplantagen. Der Weg stieg jäh an. »Alles deutet darauf hin, daß Manica nicht mehr weit ist«, meint Antonio zu meiner Freude, »und so wird es Zeit, daß ich meinen Bericht über Barreto zum Abschluß bringe. Als der an die Grenze von Shikangas Herrschaftsbereich gelangt war, erkrankte er; er kehrte nach Sena zurück und starb dort bald. Barretos starke Truppe war auf 180 Mann zusammengeschrumpft. Das Kommando über die Expedition übernahm nun ein gewisser Omen, eine unheilvolle Figur, Großmeister des Ordens von Sant Jago. Durch die bittere Erfahrung bei der Fahrt auf dem Sambesi eines Besseren belehrt, begann er eine neue Strafexpedition von Sofala aus, deren Weg wir heute im wesentlichen nachvollzogen haben. Die Portugiesen benötigten dafür allerdings nicht bloß einen Tag, sondern zwei Monate, da Kitewe sein Volk erneut zum Partisanenkrieg aufgerufen hatte. Letztlich gelangte Omen aber doch in die Hauptstadt von Manica und brachte das Gebiet unter portugiesische Kontrolle, das sich westwärts bis zur heutigen simbabwischen Stadt Mutare erstreckt. Was uns betrifft, so haben wir Manica unweit des moçambiquischen 87
Städtchens Rotanda erreicht, wo sich einst einer der Hauptorte der Herrscher über dieses schöne Land befand«, beendete Antonio seinen Bericht und zeigte auf einen Wegweiser.
Nyalas kämpfen im Mondlicht In Rotanda mußten wir uns eine spezielle Erlaubnis der hiesigen Behörden für einen Aufenthalt im menschenleeren Binga-Schutzgebiet besorgen. In dem tropischen Bergwald lauern auf Unerfahrene allerhand unangenehme Überraschungen. Die Genehmigung gab man uns unverzüglich, und liebenswürdigerweise empfahl man uns auch einen ortskundigen Führer — Camarada (Genosse) Mpangu, einen kleinwüchsigen stämmigen Einheimischen, der Waldhüter, Jäger und, das wichtigste, hervorragender Kenner der hiesigen Natur war. Schon nach unserem ersten Gespräch war ihm klar geworden, daß ich mich ein bißchen in der afrikanischen Tierwelt auskannte, und er nahm mich »unter seine Fittiche«. »Mit den Bergwerken und den Öfen mag sich Costa beschäftigen, ich aber will dir, Camarada, etwas zeigen, was du nicht einmal in der Serengeti, im Tsavo-Nationalpark oder am Gorongosa zu sehen bekommen hast«, meinte Mpangu und hatte dabei ein verschmitztes Lächeln in den Augenwinkeln, als wir Rotanda kaum verlassen hatten und zu Fuß den Bergen zustrebten. »Aber leicht wird das nicht zu machen sein. Und wir werden auch nicht nur einen einzigen Tag dazu brauchen.« »Wir haben’s nicht eilig.« »Na, dann ist’s ja gut. Was meinst du wohl, was ich dir zeigen werde?« »Ich hoffe, du wirst mir das zeigen, Mpangu, was du für den Stolz des Binga hältst, die Nyala-Antilope. Denn diese seltene nachtaktive Antilope kann ich nur in Moçambique bewundern. Und da dem so ist, wer könnte sie mir besser zeigen als du?« Der rote Pfad führte immer steiler bergan. Unter uns lag zum Greifen nahe die durch Hitze und Sonne verdorrte Tiefebene, schienen 88
sich die Akazien aus Wassermangel zu krümmen, verloren die Flußpferde Ströme von Schweiß. Wir aber zogen zwischen üppigen riesigen, in den blauen Himmel ragenden immergrünen Bäumen und bunten Blumen dahin. Überall hörte man Vögel sorglos zwitschern. Der Wald ist voller faulender Stämme und fast ohne Unterholz. Sowohl lebende als auch tote Bäume sind von Moos überzogen, bärtige Flechten hängen in Girlanden von den Zweigen herab und flattern im Wind wie Fahnen. In dichtem Gestrüpp verbergen sich zahlreiche Bäche und größere Lachen, die als Tränke dienen mögen. Am Osthang des Binga, der die vom Indischen Ozean her wehenden feuchten Winde empfängt, trocknen diese Lachen niemals aus. In regenlosen Jahren, wenn in den Ebenen sogar große Ströme zu fließen aufhören, sehen die Ufer dieser »ewigen Lachen«, so erzählt Mpangu, wie ein dichter Teppich aus bunten Schmetterlingen aus. Und auf der Jagd nach diesen Schmetterlingen kommen Vögel hierher. Abends aber, wenn das Vogelgezwitscher verstummt und das Binga-Massiv in Schweigen erstarrt, treten kleine Herden der prachtvollen Nyalas aus dem Wald und gehen an die Tränken. »Wenn es nach den Gesetzen der Natur ginge, dürfte es hier eigentlich gar keine Nyalas geben«, meint Mpangu. »Gewöhnlich meidet diese Antilope Bergwälder, sie bevorzugt Dickichte aus Dornbüschen. Wichtiger als diese Dornen ist für sie aber die Nähe einer Tränke mit fließendem Süßwasser; halbversiegten Flüssen und Salzsümpfen geht sie aus dem Wege. In der Ebene herrscht aber zur Zeit Dürre, deshalb sind die Antilopen jetzt hier bei mir zu Gast. In Kenia hast du gewiß schon eine Menge der nächsten Verwandten der Nyalas, die großen Kudus, beobachten können. Deren Hörner sind natürlich länger, bis zu anderthalb Meter. Bei den Nyalas erreichen sie selten mehr als achtzig Zentimeter Länge. Dafür jedoch sind die Hörner bei unseren Antilopen steiler schraubig gedreht. Und was für ein wundervolles Fell sie haben!« »Natürlich habe ich in Kenia die großen Kudus gesehen, allerdings selten. Wegen ihrer phantastisch langen Hörner hat man diese Antilope unbarmherzig abgeknallt. Sie galt bei europäischen und amerikanischen Jägern als begehrteste Trophäe. Zu Beginn des Jahrhunderts veranstaltete man unter den englischen Siedlern in Ostafrika sogar Wettbewerbe: Wer erlegt die Kudu mit den längsten 89
Hörnern? Das Ergebnis: Heute gibt es in ganz Kenia höchstens noch dreihundert der großen Kudus.« Mpangu schüttelt bekümmert den Kopf und schnalzt mit der Zunge, bringt so seinen Unwillen zum Ausdruck. »Nein, wir haben hier da noch mehr von diesen Antilopen mit Schraubengehörn«, sagt er. »Allein in der Ebene um den Binga weiß ich von etwa neunzig Exemplaren. Und das ist bei weitem nicht die Gegend mit den meisten Nyalas.« Vier Abende brachten wir in einem Versteck an einer der »ewigen Lachen« zu und warteten auf das Erscheinen der langhörnigen Prachttiere. Dieses außerordentlich scheue Wild geht nie ein Risiko ein: Schon wenn die Nyala die geringste Gefahr wittert, versteckt sie sich im Dickicht. Ich beging zudem in der zweiten Nacht einen unverzeihlichen Fehler: Als ich ein einzelnes Männchen erblickte, das sich der Tränke näherte, drückte ich auf den Auslöser meines Fotoapparates. Die Aufnahme gelang schlecht, denn der Bock verbarg sich blitzartig, und weder in dieser Nacht noch am folgenden Abend bekamen wir weitere Antilopen zu Gesicht. Mpangu prophezeite uns, daß wir mindestens eine Woche warten müßten, bevor die Tiere erneut diese Tränke aufsuchen würden. »Wozu sollen sie wohl hierher kommen, wenn doch ringsum genügend Stellen da sind, wo sie ungestört trinken können?« wiederholte er. Die Vorhersage des Jägers erfüllte sich aber nicht. Am vierten Tag machte sich das zusammengekrümmte Sitzen in der feuchten Schilfhütte voll und ganz bezahlt. Noch war es nicht ganz dunkel, da trat, sich vorsichtig umblickend, eine Herde von sieben Antilopen aus dem Dickicht: zwei Weibchen und Jungtiere. Sie hatten ein rötliches Fell, an ihren Flanken sah man, wie bei Kudus, weiße Querstreifen. Die Tiere tranken hastig und schickten sich schon an, ins Gebüsch zurückzuschlüpfen, da knackten dürre Zweige, und zwei graubraune Männchen tauchten auf. Die Weibchen und die Jungtiere stürmten, ohne sich vergewissert zu haben, was sie da aufgeschreckt hatte, fort ins Gesträuch, erst im letzten Moment erkannten sie, daß es »Ihrige« waren. Sie verhielten am Waldrand, um die Ankömmlinge zu beobachten. Nyalas bilden wie die meisten Antilopen gemischte Herden. Ausgewachsene Böcke leben getrennt von Kühen und Jungtieren, sie gesellen sich lediglich in der Brunstzeit der Herde wieder zu. Offensichtlich ist gerade die Brunstzeit angebrochen, und die Bullen wol90
len wohl die Gunst der Weibchen erringen und sich der Herde anschließen. Aber beide können nicht Herdenmitglied werden, diese Ehre wird nur dem Bock zuteil, der unter den Augen der Weibchen Draufgängertum und Mut beweist und so als Sieger aus dem Kampf mit dem Nebenbuhler hervorgeht. Und der Kampf begann. Zunächst fielen die Böcke einander von der Seite an, doch beide vermochten sich immer blitzschnell umzuwenden und dem Nebenbuhler das Gehörn darzubieten. Nachdem sie wohl eingesehen hatten, daß diese Taktik zu nichts führte, stellten sie sich direkt einander gegenüber auf. Bald prallten ihre Stirnen aufeinander, bald ihre Gehörne. Mitunter schien es, als kämpften hier erfahrene Fechter miteinander, von denen jeder zwei Rapiere benutzte. Einer der Bullen hatte etwa zwanzig Zentimeter längere Hörner, und das schien für den Ausgang des Duells entscheidend zu werden. Plötzlich aber sprang der Bock mit dem kürzeren Gehörn in die Höhe, stieß seine Hörner zwischen die des Gegners und blieb gleichsam an ihnen hängen. Ich weiß nicht, ob so ein Trick in einem Antilopenduell vorgesehen ist oder ob das eine Improvisation des jungen Bockes war, jedenfalls blieben die beiden Tiere ein paar Minuten unbeweglich so stehen. Dann versuchten die Gegner, sich wieder zu trennen, aber da hatten sie sich verrechnet. Die Windungen ihrer Hörner hatten sich sozusagen ineinander verhakt, und die Tiere fanden keine Möglichkeit, sich wieder voneinander zu lösen. Das »Untergewicht« des kleineren Bockes verschlimmerte nur noch die Situation. Anfangs schüttelten beide Bullen gemeinsam den Kopf, dann aber überließ das offensichtlich entkräftete jüngere Tier dem älteren die Initiative. Hier bot sich einmal Gelegenheit, die seltenen Tiere in aller Ruhe zu betrachten! Eine charakteristische Besonderheit der Nyalaböcke, die sie von ihren Verwandten deutlich unterscheidet, ist der sogenannte Rock, das dichte schwarze Haar an Becken, Bauch, Hals und Brust, wie es bei keiner anderen Antilopenart zu finden ist. Die Nyalakühe schlenderten inzwischen am Waldrand, naschten Laub von den Büschen und verfolgten dabei aber mit Interesse das Geschehen. Der Mond war schon aufgegangen, doch die beiden Kampfhähne setzten ihre »Übungen« fort. Dann aber ließen sich beide zu Boden sinken und erneuerten ihre Versuche, sich voneinander zu lösen. In einem von mir nicht bemerkten Augenblick gelang ihnen das schließlich auch. Etwa zehn Minuten blieben sie 91
noch liegen und starrten einander unverwandt in die Augen. Danach erhob sich das Tier mit den kürzeren Hörnern, torkelte noch ein bißchen hin und her, trollte sich in Richtung Wald davon und gab sich damit geschlagen, ließ seinem Gegner die Möglichkeit, ein kurzzeitiges Familienglück zu genießen. Auch der Sieger stand nun auf und ging, den mit gewaltigen Hörnern geschmückten Kopf hoch erhoben, zum Wasser. Er trank lange, blickte mitunter zum zwischen Wolken dahinschwimmenden Mond auf und beugte sich dann erneut zur Lache hinab. Ich schaute auf meine Uhr: Drei Stunden und vierzig Minuten hatte sich das Duell hingezogen! Schließlich tat der Bock einen Sprung auf der Stelle und wandte sich dann der Herde zu. In der Mitte der vom Mondlicht übergossenen Lichtung hob er stolz den Kopf und verharrte so für kurze Zeit. Ganz offensichtlich wollte der Sieger sich den Kühen in seiner ganzen Pracht und Würde präsentieren. Im durchsichtigen blauen Licht wirkte er wie eine aus Silber gegossene Statue. Etwa fünf Minuten dauerte diese stumme Szene, dann vollführte eine der Kühe, als nehme sie seine Aufforderung an, ebenfalls einen Sprung auf der Stelle und stürmte anschließend ins Gebüsch, gefolgt von dem silbrig schimmernden Helden. »Es wird Liebe geben!« flüsterte Mpangu mir zu. »Hätte das Weibchen keine Lust gehabt, sich mit dem Bock abzugeben, wäre es nicht in den Wald gelaufen, sondern hätte sich auf ihn gestürzt, ihn ein paarmal aus dem Lauf heraus mit dem Kopf in die Flanke gestoßen. Jetzt aber lockt, verführt sie ihn...« Auch die anderen Nyalas verschwanden im Wald. Bald aber tauchten am anderen Ende der Tränke drei kleine Büffel auf. Ein flinkes Häschen hüpfte dorthin, wo eben noch die Antilopenhirsche einander mit den Hörnern bearbeitet hatten. Ich machte Anstalten aufzubrechen. »Untersteh dich, Camarada«, hielt mich Mpangu zurück. »Wenn man eine Sache einmal begonnen hat, muß man sie auch zu Ende führen. Die Nyalas werden ganz bestimmt hierher zurückkommen, um an der Stelle zu trinken, wo sie sich kennengelernt haben.« Es war kalt geworden, Reif lag auf dem Gras und ließ es silbrig schimmern. Lange mußten wir warten, doch das Schauspiel, das sich mir dann bot, werde ich nie vergessen. 92
Etwa zwei Stunden nach Mitternacht tauchten aus dem Gebüsch die beiden Antilopen auf, die im Wald Hochzeit gefeiert hatten. Sie gingen nebeneinander her — das hornlose graziöse Weibchen und der starke stolze Bulle, der jetzt ergeben den Kopf gesenkt hielt. Sein Gehörn ruhte auf dem Hals des in schwerem Kampf errungenen Weibchens. So glitten die beiden Tiere auf die vom Mondlicht übergossene Waldwiese hinaus... »Hätte dir außer dem alten Mpangu noch jemand so ein Wunder zeigen können?« fragte mich der alte Mann voller Stolz. Wortlos umarmte ich ihn, dann gingen wir langsam zur Waldhütte zurück, in der Antonio schnarchte. Wie jeder echte afrikanische Stadtbewohner verspürte auch er kein besonderes Interesse an der Natur.
Auf den Spuren afrikanischer Erzsucher Schon seit dem frühen Morgen waren wir mit dem Auto unterwegs und suchten nach Spuren der Tätigkeit jener, die einst das Eisen und das Gold von Monomotapa gefördert hatten. Antonio besaß zwei Karten. Die eine war die Kopie einer schon im 17. Jahrhundert zusammengestellten portugiesischen, aus der hervorging, daß in jener Zeit vor allem gerade der moçambiquische Teil von Manica das Gebiet von Monomotapa war, in dem Gold gefördert wurde. Die zweite Karte hatte Antonio selbst gezeichnet und darauf die im wesentlichen von ihm selbst entdeckten Erzgruben vergangener Jahrhunderte im Gebiet zwischen Binga-Gebirge und Manicas Hauptstadt Chimoio eingetragen. »Über das mittelalterliche Monomotapa und Simbabwe sind schon Dutzende von Monographien geschrieben worden, bedauerlich ist jedoch, daß darin kein Wort über die von ihnen unterworfenen moçambiquischen Territorien gesagt ist«, erzählte mir Antonio da Costa etwas mißbilligend während einer der Fahrten, bei der er sich nach diesen beiden Karten orientierte. »Dabei gäbe es über die Vergangenheit von Manica so manches zu sagen, bezeugt sie doch insbesondere das gut funktionierende Verwaltungs- und Wirtschaftssystem dieses Staates, der Vasall von Monomotapa war. Am 93
Beispiel der Goldförderung sähe das etwa so aus«, fuhr der Wissenschaftler fort: »Sobald die einheimische Bevölkerung auf ihrem Land Spuren von Gold entdeckt hatte, teilte der betreffende Häuptling dies dem höchsten Statthalter von Mutapa in Manica mit, der den Titel ,Muenemambo’ führte. Jener schickte daraufhin ,Botschafter’ an die Stelle, wo man die Goldlagerstätte vermutete. Zu deren Pflichten gehörte es, zu kontrollieren, daß jeder mit Goldförderung Beschäftigte täglich zugunsten des Herrschers ,einen Gang’ tat, das heißt einen mit Erz gefüllten Sack aus Ziegenleder in den ,Fonds des Mutapa’ entleerte. Die Förderung erfolgte in der Regel durch die Mitglieder einer Familiengemeinschaft, einer ,Mutscha’. Man konnte hier also von einer Art Familienbergwerke sprechen, in denen bis zum Erscheinen der Portugiesen vorwiegend Frauen und Kinder beschäftigt waren, und zwar in der Zeit, in der es auf den Feldern nichts zu tun gab. Für Männer galt Goldförderung als wenig geachtete Arbeit.« »Mir ist da aber einiges nicht klar«, werfe ich ein. »Viele portugiesische Autoren betonen doch, daß die einheimische Bevölkerung keine Vorstellung vom tatsächlichen Wert des Goldes hatte, vielmehr annahm, es sei billiger als Eisen, daß auf manchen Märkten von Manica ein Goldbarren gegen ein Stück Fleisch im entsprechenden Gewicht eingetauscht wurde. Welche Notwendigkeit bestand dann, Frauen und Kinder zur Untertagearbeit zu treiben?« »Gleich erkläre ich das. Monomotapa war ein recht gut entwikkelter Staat, und das bedeutete neben anderem, daß seine Bevölkerung mit Steuern zugunsten des höchsten Machthabers belegt wurde. Ein einfaches Gemeindemitglied durfte weder in die Hauptstadt des Mutapa noch in die Residenz des Muenemambo mit leeren Händen kommen. Selbst wenn ein einfaches Mitglied einer Mutscha arm wie eine Kirchenmaus war, mußte es, sobald es sich dem Palast näherte, wenigstens ein Bündel Stroh auf dem Kopf tragen. Politisch gesehen, sollte dieses Bündel die Unterordnung aller und jedes unter die höchste Gewalt demonstrieren, praktisch aber, daß damit die Dächer der zahlreichen Bauten des königlichen Kraals ausgebessert werden konnten. In Manica war jede Mutscha verpflichtet, ein ,königliches Feld’ zu bearbeiten: Der darauf geerntete Mais gehörte dem Mutapa. Ihm mußten Jäger auch jeweils einen Stoßzahn von einem erlegten Elefanten, alle Hauer eines erbeuteten Flußpferdes oder die Krallen eines Leoparden abliefern. 94
Als die Araber in Manica einzudringen begannen und mit den Vertretern der Shona-Aristokratie in Verbindung traten, zeigten jene bald immer größeres Interesse am Gold. Die einfachen MutschaMitglieder begriffen rasch, daß man sich mit seiner Hilfe bei den Machthabern loskaufen, von den öffentlichen Arbeiten befreien, beide Elefantenstoßzähne, die traditionell als Symbol für Reichtum galten, für sich behalten konnte. Das Vordringen der Portugiesen nach Manica, das sich besonders nach Omens Feldzug verstärkte, beschleunigte diesen Prozeß noch. Das also ist der Grund, weshalb man Frauen und Kinder, die bei den Karanga und wie fast überall in Afrika der am stärksten ausgebeutete Teil der Gesellschaft waren, in die Bergwerke trieb. Den Bergbau selbst zu betreiben, das vermochten die Portugiesen noch nicht. Deshalb taten sie das mit Hilfe der einheimischen Aristokratie, der privilegierten Schicht. So kam in Lissabon Interesse daran auf, die Macht des Mutapa aufrechtzuerhalten, allerdings unter der Bedingung, daß er eine portugiesische Marionette würde«, schloß Antonio seine Ausführungen. Entlang der alten Piste, die von Rotanda über Umtali (Mutare) bis an den Fuß des Inyanga führte und von der lediglich ein kümmerlicher Pfad übriggeblieben ist, auf dem wir uns jetzt fortbewegen, aber auch in den anderen goldhöffigen Gebieten von Monomotapa entwickelten sich Märkte, auf denen die örtliche Bevölkerung Gold gegen Tuche und Glasperlen eintauschen konnte. Jeder Kaufmann zahlte auf einem solchen Markt eine Gebühr, der Besucher aber kaufte eine Art »Eintrittsbillett«, und diese Einnahmen füllten die Staatskasse des Mutapa. Verwaltet wurde dieser unkontrollierte Handel vom sogenannten Torhauptmann. Auf dem größten Markt, in Massapu, bekleidete diesen Posten auf Initiative der Portugiesen die »capitãoza«, die älteste Frau des Mutapa selbst. Die Einnahmen dieser des Rechnens unkundigen Dame, die in beträchtlichem Maße von den Manipulationen ihres portugiesischen Ratgebers Magalhães Gomes abhingen, waren so groß, daß jener schon bald dem Gouverneur auf der Insel Moçambique melden konnte: »Die Königin hat schon alle Vorteile der Zusammenarbeit mit uns begriffen. Sie verhehlt nicht, daß sie bereit ist, uns und nicht ihrem Ehemann, dem Monarchen, zu dienen. In ihrer Person haben wir auch unseren Hauptverbündeten im Kampf gegen die maurischen Kaufleute.« 95
Bald geriet auch der Mutapa Gazi Lusere in die Netze Lissabons. Die Portugiesen, die ihm militärische Hilfe in seinen Konflikten mit den Nachbarn gewährt hatten, verlangten von ihm als Ausgleich das Recht auf Kontrolle über alle Bergwerke auf dem Territorium von Monomotapa. Gazi Luseres Einwilligung wurde von den Karanga als Verrat angesehen. Spätere Niederlagen der Truppen des Mutapa im Krieg gegen die Nachbarn untergruben sein Prestige noch weiter. 1609 schickte man aus Tete das erste halbe Hundert portugiesischer Soldaten nach Simbabwe, angeblich »zum Schutz des Mutapa«. Es war ein Zeichen dafür, daß der Herrscher von Monomotapa seine politische Macht zu verlieren begann. Im Jahre 1627 setzen diese »Beschützer« den damals herrschenden Mutapa Kapransine ab und lassen dessen Onkel Mawura den Thron besteigen. Jener erklärt sich zum Vasallen Portugals und tritt unter dem Namen Philipp zum Christentum über. Ohne verheimlichen zu wollen, daß sie sich als treuer Untertan fühlt, erlaubt diese Marionette den Portugiesen, »in ihrem ganzen Land Bergwerke anzulegen, so viele sie wollen, und diese sollen nicht geschlossen werden, da sie dem Monarchen und den Kaufleuten große Gewinne bringen«. Ich erzähle Antonio von den bislang unbekannten Unterlagen, die ich im Gouverneursarchiv der Insel Moçambique gefunden habe, und er hört interessiert zu. Ich erinnere auch an den 1631 verfaßten dokumentarischen Bericht des Jesuiten P. Correyo »Über die Geistesrichtungen der eingeborenen Aristokratie in den goldhöffigen Gebieten in Afrika«. Sein Autor betont, daß sich die Einkünfte der einheimischen Aristokratie um so mehr verringerten, je stärker die Kontrolle der Portugiesen über die Förderung von Gold und den Handel damit wurde. Die Märkte verschwanden, da die Portugiesen, die riesige Karawanen von vierhundert bis fünfhundert Trägern ausschickten, überall selbst Handel zu treiben begannen und gleichzeitig eine immer größere Zahl einfacher Dorfbewohner losjagten, die das gelbe Metall zutage fördern mußten, und »die Eingeborenen beschuldigen überall die Weißen«. »Eine gute Beobachtungsgabe kann man dem Jesuiten nicht absprechen, um so mehr, als der Mutapa-Christ namens Philipp eine Herausforderung für die gesamte traditionelle Karanga-Gesellschaft darstellte«, meint Antonio. »Wenn wir uns bei der Betrachtung der Geschichte dieser Region allerdings allein auf die 96
Im freien Moçambique ist in Sena und im benachbarten Mutarare die erste Holzschnitzergenossenschaft des Landes entstanden.-- Vorhergehende Seite: Vier Jahrhunderte portugiesischer Herrschaft haben im Antlitz des moçambiquischen Dorfes kaum Spuren hinterlassen
120 km stromaufwärts von Tete wurde der Sambesi aufgestaut. - Linke Seite: Bei Sena überquert Afrikas größte Eisenbahnbrücke den mächtigen Sambesi
Bei Songo am Sambesi entstand Afrikas bisher größtes Wasserkraftwerk — Cahora Bassa; der 300 km lange Stausee reicht bis zur Grenze von Simbabwe
Folgende Seite: Bergarbeiter im Kohlerevier von Moatize. Spezialisten aus der DDR helfen ihnen auch heute noch, die Förderung aufrechtzuerhalten und zu erweitern
Die Frelimo-Partei hat eine breite Kampagne zur Beseitigung des Analphabetentums eingeleitet; bald wird auch in diesem Dorf im Innern von Tete neues Leben einziehen.— Vorhergehende Seite: Im Nordosten von Mo^ambique wird vor allem Baumwolle angebaut
Mächtiger Baobab (Affenbrotbaum) unweit der Küste des Njassasees. — In den östlich des Sees sich ausdehnenden Miombo-Wäldern herrschen Schirmakazien vor, von denen manche »singende« Gallentragen und in deren Schatten märchenhaft schöne Blumen gedeihen.
Im Nordosten des Landes leben Angoni-Stämme, die bis vor kurzem noch keinen Weißen gesehen hatten. Sie führen Tänze auf zu Ehren »heiliger« Pflanzen und glauben, ein solcher mit »Federn der Weisheit« geschmückter Mann könne Krankheiten heilen und die Zukunft voraussagen Folgende Seite: Auch Giraffen durchstreifen die Savannen
Schriften portugiesischer Chronisten und auf offizielle Dokumente stützen, dann besteht immer die Gefahr, daß alles auf einen Kampf um die Macht, auf Intrigen in ,höchsten Kreisen’ reduziert wird. Es gibt aber, will man die Ereignisse jener Zeiten verstehen, eine gut sprudelnde Quelle — die Folklore, die überreich an historischem Material ist. Ich habe deshalb daran erinnert, weil wir uns jetzt der alten Siedlung Mawita nähern, die sowohl bei den Ndau und den Manyika als auch bei den Rozwi sowie in den Legenden und Sagen aller Karanga-Stämme als der Ort genannt wird, wo die Bewegung ,Schütten wir die Schächte zu — vergessen wir das Gold!’ entstanden ist und sich über ganz Manica verbreitet hat. Nichts ist in Mawita aus früheren Jahrhunderten erhalten geblieben außer einer riesigen Kastanie. Unter ihr sollen sich, so wird es im Volke von Generation zu Generation weitergegeben, insgeheim Häuptlinge und Dorfälteste von Manica, Kitewa und Kissanga zusammengefunden haben, die ,dem Golde den Krieg erklärt’ hatten. Das geschah irgendwann gleich zu Beginn der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.« Selbstverständlich sind afrikanische Legenden keine dokumentarische Quelle und weit entfernt von Begriffen der modernen Politökonomie, in deren Kategorie Antonio die folkloristischen Sujets hineinpressen wollte. Vergleicht man diese Legenden aber mit portugiesischen Dokumenten, dann spürt man die allgemeinen ökonomischen und historischen Parallelen darin auf. So berichten die Legenden beispielsweise, »mit der Ankunft der Masungas haben diese Gold sogar vor Eintritt der Regen suchen lassen«, so daß »in den Dörfern überhaupt keine Menschen blieben, die Felder nicht bearbeitet wurden, die Saaten verkümmerten und Hunger Einzug hielt«. Hier nun der Brief eines gewissen Senhor Alves Oliveiros, den er aus Tete nach Porto geschickt hat, verfaßt im Juli 1665. Nach fünf Jahren Aufenthalt in Manica schreibt er, daß »die Erde dieses von Gott geschaffenen irdischen Paradieses, das im ersten Jahr nach meiner Ankunft dort das Auge mit dem Grün der Felder und den bunten Farben der von den hiesigen ungewöhnlich arbeitsamen Negern bearbeiteten Gärten erfreut hat, nun der tropische Wald verschlingt... Und schuld an allem ist die Härte unserer Behörden, die diese Neger zwingen, in den Bergwerken zu arbeiten, ohne ihnen Zeit und Kraft zu lassen, sich mit ihrem Boden zu beschäftigen. Ihre schwere Arbeit bei der Förderung des Goldes und 97
Nahrungsmangel sind die Ursache für ein allgemeines Massensterben, das gleich einer schrecklichen Epidemie zur Entvölkerung riesiger Gebiete führt«. Und noch ein weiterer Vergleich von Folklore und portugiesischen Quellen: In einer von Antonio notierten Erzählung der Ndau heißt es, daß »die Erde selbst, die gegen die ihr gegenüber angewandte Gewalt protestiert, die Menschen nicht zum Golde läßt... Und diese Erde fällt über die Menschen her, begräbt sie in einer nicht geringeren Zahl, als Blätter an einem Baume wachsen«. Natürlich eine erzwungene Metapher, da es in der Karanga-Sprache bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts keine Wörter gab, die eine Zahl größer als hundert bezeichneten. Doch das 1683 in Lissabon herausgegebene Buch »Sob re os Rios de Cuama« gestattet es, die Zahlen zu präzisieren: »Zunächst baute man ein großes Haus für jene, die die Arbeit überwachten. Später gruben die in Gruppen zu vier, fünf Mann aufgeteilten Neger Schachtzugänge von einer mittleren Tiefe von etwa sechzig Metern. Als ungefähr zwanzigtausend solcher Schächte von gleicher Tiefe fertig waren, krochen die Neger in sie hinein und begannen das Gestein zwischen den Schächten herauszuholen, um letztere unter der Erde miteinander zu verbinden. Als einmal dreißig- bis vierzigtausend Eingeborene untertage waren, stürzte die Erde ein. Körper der Umgekommenen fand man kaum, nur zerquetschte Knochen.« In diesem Buch heißt es auch, daß an einigen Stellen, wo Gold gefördert wurde, »sechzig- bis achtzigtausend Neger zusammengetrieben waren, mitunter erreichte ihre Zahl neunzigtausend...« »Schütten wir die Schächte zu — vergessen wir das Gold!« kam aus Mawita die Aufforderung, die von allen auf moçambiquischem Gebiet lebenden Karanga vernommen wurde. Und fast gleichzeitig unterstützte diesen Aufruf der Herrscher des rebellischen Kitewa »auf höherem Niveau«, um es modern auszudrücken. »Fördert kein Gold, sondern bestellt den Boden«, forderte er seine Untergebenen auf. »Daraus werdet ihr großen Nutzen ziehen, und ihr werdet in Ruhe und Frieden leben.« Eben in dieser Zeit setzte in Manica eine Kampagne ein, man müsse, wenn Tiere geopfert werden, Schwüre ablegen. Auf Geheiß ihrer Häuptlinge und Dorfältesten schworen Hunderttausende den Geistern der Ahnen, nicht für die Portugiesen in Bergwerken zu arbeiten, vor den Masungas das von Generation zu Generation wei98
tergegebene Wissen um die Goldlagerstätten geheimzuhalten, den Eindringlingen keine Möglichkeit zu geben, neue Schächte anzulegen. Da ein Afrikaner die Rache der allmächtigen Geister und den unweigerlichen Tod fürchtet, wagt er es auch heute noch sehr selten, solche Schwüre zu brechen. In jenen Zeiten waren diese Eide also gleichbedeutend mit einem Scheitern der Pläne Lissabons, Monomotapa in ein »portugiesisches Ophir« zu verwandeln. Nachts flohen, dem Befehl der Dorfältesten folgend, Tausende, die in den Goldgebieten lebten, aus ihren Heimatdörfern, ließen die Weißen ohne Arbeitskräfte zurück. »Hier und da haben sich noch Spuren der damals aufgegebenen Schächte, Dörfer und Marktzentren erhalten«, bemerkt Antonio, »denn die Shona haben den größten Teil ihrer Bauten ja aus Stein errichtet, und so sind zumindest ihre Fundamente an einigen Stellen noch zu sehen. Wollen Sie sie besichtigen?« Ich bin nur zu gern damit einverstanden, ist doch der Bezirk, den wir jetzt durchqueren, als östliches Randgebiet jener großen, fünfbis sechstausend Quadratkilometer umfassenden Zone bekannt, in der man mittelalterliche Bauten aus Stein findet. Der englische Archäologe Randall-MacIver, der sie als erster erforschte, sprach von dieser Zone als von einem »riesigen Freilichtmuseum afrikanischer Architektur«. Ganz in unserer Nähe, schon auf dem Territorium Simbabwes, befindet sich eine alte Siedlung der Rozwi namens Penhalonga, deren Steinbauten auf den Wissenschaftler einen nicht geringeren Eindruck machten als die berühmten Ruinen von Simbabwe, der Hauptstadt von Monomotapa. Er schrieb, daß im Osten, bei Penhalonga, und noch weiter östlich, auf moçambiquischer Seite, ein großes Gebiet liege, in dem man kaum ein Dutzend Schritte tun könne, ohne auf eine Mauer, einen Bau oder eine künstliche Anhäufung von Steinen zu stoßen. Antonio, der sich in den mittelalterlichen portugiesischen Dokumenten zur Geschichte Manicas so gut auskennt, weiß nichts von dieser Arbeit Randall-Maclvers, der 1905 seine Untersuchungen durchgeführt hat. Ich erzähle ihm von der damals in der Wissenschaft als Sensation geltenden Entdeckung des Engländers, der an den Hängen des Manica-Plateaus und des Inyanga-Gebirges nicht nur tote Steinsiedlungen fand, sondern auch Spuren einer hohen Akkerbaukultur, Reste von terrassierten Hängen und Kanälen, die
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unter weitgehender Verwendung von Steinen angelegt worden waren. »Die Steinarchitektur der Shona werden wir etwas später kennenlernen, wenn wir näher an Penhalonga heran sind«, sagt Antonio, als wir das Auto verlassen haben und uns durch dichtes Gebüsch einen Weg nach oben bahnen. »Was die Überreste von Steinbauten anbelangt, die große wirtschaftliche Bedeutung hatten, so brauchen wir nicht weit zu laufen. Da liegen welche vor uns.« Wir gelangen auf eine schmale ebene Fläche, von der aus eine Art riesige Treppe hangaufwärts führt. Ringsum ist fast alles mit stachligen Akazien und bizarren kandelaberförmigen Wolfsmilchgewächsen überwuchert, aber selbst die können nicht verbergen, daß das natürliche Relief des Hanges einst von Menschenhand verändert worden ist. »Etwa Terrassen?« frage ich. »Aber natürlich! Und was für welche! Die Erde hat man in Säcken aus Ziegenfell von unten heraufgeschleppt, da sie im Tal viel fruchtbarer ist. Da man befürchtete, Regen werde den wertvollen Boden wieder abspülen oder, Gott behüte, Erosion den terrassierten Hang insgesamt zerstören, hat man diesen durch Steinbarrieren befestigt.« Wir laufen jetzt an einer dieser Barrieren entlang, eigentlich einer Steinmauer, laufen hundert, zweihundert, dreihundert Meter. Solche eine über der anderen hängenden Terrassen und folglich auch Steinmauern zählen wir acht. Hier und da sind noch mit Steinplatten ausgelegte Kanäle und Wehre erhalten, über die man in der Trockenzeit Wasser auf die Felder geleitet hat. Die Länge dieser Kanäle übersteigt, wie Antonio behauptet, drei Kilometer, und sie sind selten weniger als einen Meter tief. Er zeigt mir auch Reste eines einst von einem Hügel auf einen anderen führenden Aquädukts, über den Wasser ins Dorf gelangt ist. Wir besichtigen ferner kaum noch erkennbare Fundamente von Wohnbauten sowie mit stachligem Gras bewachsene Spuren steinerner Umfriedungen und Mauern, die ehemals das ganze Dorf umgaben. »Um diese über ein riesiges, flächenmäßig mit manchem europäischen Staat vergleichbare Gebiet verstreuten Terrassen und Kanäle anlegen zu können, mußte mindestens so viel Arbeit aufgewendet werden, wie für den Bau der ägyptischen Pyramiden«, fährt der Historiker voller Enthusiasmus fort in seiner Erzählung. »Wenn ich zwischen den hiesigen Ruinen umherschlendere, muß ich immer an 100
die Worte des fortschrittlichen englischen Afrikanisten Bazil Davidson denken, der geschrieben hat, daß der Eindruck, den die Leistungen der einstigen Bewohner dieser Landschaft auf einen hinterläßt, um so stärker ist, je mehr man bedenkt, unter welchen Bedingungen die Menschen hier gelebt haben. Die erhalten gebliebenen Überreste ihrer materiellen Kultur weisen auf ein Volk hin, das eine Zivilisation geschaffen hat, die zwar grob und einfach gewesen sein mag, doch diesen Terminus völlig zu Recht verdient.« »Etwas Ähnliches, also terrassierte Felder, Kanäle und Aquädukte, habe ich auch schon in Kenia gesehen, im Gebiet der Elgeyo, Marakwet und Pokot, nur der Charakter des Mauerwerks ist anders gewesen«, ergänze ich, »nur unterhalten die Bauern dort diese alten Anlagen häufig noch und ,arbeiten’ auf ihnen. Diese von den Ndau verlassene Siedlung hier erinnert mich aber in ihrem allgemeinen Aussehen sehr an die tote tansanische Stadt Engaruku, die von ihren Bewohnern etwa um die gleiche Zeit aufgegeben worden ist, in der auch die Bewegung ,Schütten wir die Schächte zu — vergessen wir das Gold!’ eingesetzt hat.« »Ich sehe da nichts Besonderes und Erstaunliches in einer solchen Ähnlichkeit«, entgegnet Antonio nach einigem Nachdenken. »So wie sich in der Küstenregion eine einheitliche Swahili-Zivilisation herausgebildet hat, so hat sich in den innerkontinentalen Gebieten Afrikas ebenfalls eine einheitliche Zivilisation entwickelt, zu deren Trägern die Kaufleute von der Küste auch Beziehungen unterhalten haben. Wir bezeichnen diese Kultur als Asana-Kultur und betrachten sie als Erbin der Leistungen von Aksum und anderen großen alten afrikanischen Staaten. Die Shona sind durchaus kein Volk von ,Wunderkindern’, sondern lediglich ein Teil dieser Zivilisation.« Über die Terrassen erklimmen wir wie über riesige Stufen den Gipfel des Hügels und steigen anschließend über den gegenüberliegenden Hang in einen kleinen, von allen Seiten von Bergen umgebenen, trockenen und deshalb fast vegetationslosen Kessel hinab. Ehrlich gesagt, etwas Bemerkenswertes kann ich darin nicht entdecken. Der erfahrene Antonio aber, der schon mehr als eine Saison in Archäologentrupps verbracht hat, erkennt auf dem Grund dieses Kessels auch Spuren von Gruben, mit deren Aushebung die afrikanischen Bergleute die Erschließung einer Lagerstätte begannen, sowie eingestürzte Dächer und Halden tauben Gesteins an den Talrän101
dem. Antonio deutet auch auf einen kleinen Wall hin, über den man das goldhaltige Erz zur Wäsche an den Fluß getragen hat. »Heute kennen wir im Gebiet von Monomotapa etwa neunzigtausend goldhaltige Stellen, wo man das gelbe Metall gefördert hat. Im Land zwischen Sambesi und Limpopo hat man Tausende von verlassenen Eisenerzschächten entdeckt«, berichtet Antonio weiter. »Hier, im Westen von Moçambique, in Manica, Kissanga, Kitewa und Sedanda, hat es tatsächlich eine ,Bergwerkszivilisation’ gegeben. Das Klopfen eiserner Spitzhacken und der Widerschein steinerner Schmelzöfen haben, wie Davidson zu Recht bemerkt, im Mittelalter ein ebenso wichtiges Element gebildet wie etwa die Eisenbahnen im Europa des 19. Jahrhunderts.« In der von den Portugiesen dort geschaffenen widernatürlichen ökonomischen Situation verwandelten sich Handel und Förderung von Metall, die früher die Größe Monomotapas ausmachten, in ihr Gegenteil. Das Volk begriff dies als erstes und erhob sich zu einem Kampf, dessen Formen in der langen Geschichte Afrikas beispiellos sind. Um sich an der Macht zu halten und um seine Autorität in den Augen der Stammesgenossen nicht endgültig zu verlieren, blieb dem Mutapa Pedro nichts anderes übrig, als die Initiative der Volksmassen von oben zu legalisieren. 1683 trugen seine Boten ins ganze Land den Befehl, alle Bergwerke zu schließen und die Goldförderung einzustellen, andernfalls drohte den Betreffenden die Todesstrafe. Ein Dokument aus jenen Jahren bezeugt: »Verrat und schwarze Zauberei, früher als schwerste Sünde angesehen, werden nunmehr als weit geringere Verbrechen betrachtet als die Arbeit in einem Bergwerk. Grausam bestraft, meist mit dem Tode, wird nicht nur jener, der den Befehl des Mutapa nicht befolgt, sondern auch seine Eltern und Kinder. Die Menschen haben sogar Angst, jene Stellen aufzusuchen, wo früher Gold gefördert wurde, laufen erschrocken auseinander, wenn dieses Metall auch nur erwähnt wird.« Aus einer Shona-Legende in die andere ist ein Sujet übernommen worden, wonach sich ein schönes Mädchen, das heiraten will, eines alten unter den Manyika verbreiteten Aberglaubens erinnert: Wenn man Klümpchen gediegenen Goldes im Boden vergrabe, dann reife nach der Regenzeit untertage eine »große Ernte« von goldenem Flitter. Da das Mädchen zur Hochzeit ebenso schönen Schmuck tragen wollte, wie reiche Frauen in Simbabwe ihn haben, sammelte es einen ganzen Tontopf voll von Goldkörnchen und war bereits dabei, diese 102
in der Erde zu verscharren, als ihre Mutter sie dabei ertappte. Die rief sogleich die Stammesgenossen zusammen, entdeckte ihnen das schreckliche Verbrechen der Tochter und warf den ersten Stein auf diese. Und wie sehr das schöne Mädchen auch weinte und um Schonung flehte, der Stamm steinigte es zu Tode.
Vergangenheit und Gegenwart des legendären Manica Am achten Tag unserer Streifzüge am Fuße der »Großen Randstufe« gelangten wir gegen Abend schließlich auf die asphaltierte Chaussee, die Simbabwe mit Beira verbindet. Und bald verkündete ein großes Schild am Straßenrand: »Sie kommen nach Chimoio — Hauptstadt von Manica.« Chimoio ist ein in einem engen Gebirgstal gelegenes sympathisches, gemütliches Städtchen. Die tropischen Nadelwälder an den ihm zugewandten Hängen dringen riesigen Zungen gleich auch bis in die Stadt hinein und gliedern diese so gewissermaßen in einzelne Viertel auf. Die größte architektonische Sehenswürdigkeit der aus eingeschossigen Häusern bestehenden Stadt ist das in Form einer Mühle errichtete Restaurant »Moulin rouge«. Einziges größeres Industrieunternehmen der Hauptstadt von Manica ist eine 1946 eröffnete Textilfabrik. Außerdem findet man hier noch eine Jutefabrik, einige kleinere Betriebe zur Herstellung von Obst- und Bananenkonserven sowie zahlreiche Möbelwerkstätten und Sägewerke. Holz und nicht Gold ist heute Manicas Reichtum. Wachsen doch an den Hängen seiner Berge und weiter im Nordwesten, zur Grenze gegen Simbabwe hin, im Inyanga-Gebirge, neben den wertvollen Nadelbäumen die berühmten Jambire und Palisander, deren Stämme häufig so dick sind, daß selbst vier, fünf Männer sie nicht umfassen können. Nach den Lektionen, die ich bei dem alten Mpangu erhalten hatte, erkannte ich mühelos nicht nur diese beiden Baumarten, sondern auch weniger wertvolle — Macaranga, Casearia, Strombosia, Chlorophora. Die Macaranga liefert ein rosafarbenes, die Casearia ein zitronengelbes, die Strombosia ein rotes und die Chlorophora ein gelbes Nutzholz. 103
Selten findet man in der Welt so günstige Bedingungen für den Holzeinschlag. Hier begegnet man auf kleinstem Raum einer ganzen »Palette« wertvollster Holzarten. Außerdem erschwert das Relief in Manica den Bau von Straßen nicht. Dennoch starben in der Kolonialzeit die Bäume in den tropischen Wäldern entweder eines natürlichen Todes, oder sie wurden durch von Bränden begleiteten Raubbau vernichtet. Welche ökologischen Folgen eine derart barbarische Ausbeutung der Waldreichtümer Moçambiques hatte, diese Frage stellten die Portugiesen nicht einmal. Erst nachdem das Land die Unabhängigkeit erlangt hatte, ging man daran, die Waldressourcen zu erforschen. Besondere Aufmerksamkeit richtet die Volksmacht auf die Registrierung des Waldreichtums in den einzelnen Regionen, auf die Entwicklung der Holzindustrie durch Organisation und Kontrolle der Einschläge bei jenen wertvollen Holzarten, die vorwiegend in den Export gehen. Hält man sich in diesem gesegneten, gemäßigt warmen Manica auf, das weder Dürre noch Überschwemmungen kennt, dann kommt einem immer wieder der Gedanke: Hier müßten Straßen gebaut, der Ackerbau entwickelt werden, hier könnte man, ohne Furcht vor der Tsetsefliege haben zu müssen, Viehzucht treiben, hierher sollten Übersiedler kommen und das Bergland, die dortigen fruchtbaren tropischen Böden erschließen. Aber das Paradox an der »Politik der Dienstleistungen« ist, daß die portugiesischen Behörden beim Bedienen der Nachbarn völlig vergaßen, ihr eigenes moçambiquisches Territorium vernünftig zu erschließen. Interessanterweise war einer der ersten, der darauf aufmerksam machte, R. Martins dos Santos, ein namhafter bürgerlicher Wissenschaftler, der sich mit der Wirtschaft von Moçambique befaßte. »Wenn man die Entwicklung der Ökonomie Moçambiques im Interesse des ,Monoservice’ analysiert, dann begreift man«, so schreibt er, »weshalb riesige und reiche Landstriche mit optimalen klimatischen Bedingungen noch der Erschließung harren, während der größte Teil der Bevölkerung, sowohl der einheimischen als auch der eingewanderten, im Tiefland konzentriert lebt, also in den ärmlichen und gesundheitsschädlichen Bezirken der Küstenzone, und gerade dort wirtschaftlich tätig ist.« Kaum hatten wir Chimoio hinter uns gelassen und waren von der Straße nach Beira abgebogen, die man einst für die Rhodesier angelegt hatte, da merkten wir selbst, daß diese Worte ihre Richtigkeit 104
hatten. Der so reiche, hinsichtlich seiner natürlichen Bedingungen zu den gesegnetsten Afrikas zählende Bezirk blieb unbesiedelt und wurde von den Portugiesen nie erschlossen. Die letzte moçambiquische Siedlung vor der Grenze zu Simbabwe ist Masekese. Steigt man etwas höher auf irgendeinen Berg, kann man von hier aus Mutare (früher Umtali), die einstige Hauptstadt von »Britisch«-Manica, und weiter nördlich die gepflegten Häuschen von Penhalonga erspähen. Wie überall in Afrika haben koloniale Grenzen auch hier ein einheitliches Volk getrennt. Durch die Teilung des Monomotapa-Reiches in das »englische« Rhodesien und das »portugiesische« Moçambique haben die Kolonisatoren auch die Shona-Stämme auf diese beiden Länder aufgeteilt. Übrigens ist Masekese ein Denkmal aus jenen Zeiten, in denen diese Einheit noch nicht zerstört war. Changamire Dombo, ein Häuptling der Rozwi, hatte 1684, sich die unter den Karanga herrschende Stimmung zunutze machend, zum Kampf gegen die Portugiesen aufgerufen. Sein Name, heute unverdient noch vergessen, wird in Zukunft ohne Zweifel den ihm gebührenden Platz unter den Namen der großen politischen Persönlichkeiten der Befreiungsbewegung in Afrika einnehmen. Changamire sammelte eine große Streitmacht im Königreich Butua, das südwestlich von Manica lag, und drang 1684 in das Mutterland Monomotapa ein. Die erste Schlacht gegen die Portugiesen und die jene unterstützenden Abteilungen afrikanischer Bogenschützen dauerte einen ganzen Tag, und sie schien mit einer Niederlage Changamires zu enden. Die Rozwi-Krieger zeigten zwar Wunder an Heldenmut, doch ihre Pfeile und Speere konnten gegen das Feuer aus den Arkebusen und Musketen der Kolonisatoren nichts ausrichten. Mit Eintritt der Dunkelheit nahm Changamire jedoch Zuflucht zu einer beliebten List antiker Feldherren, die Europäern eigentlich eher hätte bekannt sein müssen als Afrikanern. Kaum war nämlich die Sonne untergegangen, befahl er, im gesamten von seiner Armee besetzten Tal Lagerfeuer anzuzünden. Später schickte er dann seine Leute auf die Gipfel aller benachbarten Hügel und ließ sie dort in bestimmten Zeitabständen ebenfalls Feuer entfachen. Jedesmal, wenn eines neu aufloderte, glaubten die Portugiesen, es seien dort weitere Verstärkungen für Changamires Armee eingetroffen. Ohne den Anbruch des Morgens abzuwarten, verließen die afrikanischen
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Söldner Lissabons das Schlachtfeld, und ihnen folgten fluchtartig auch die Portugiesen. Dieser Sieg führte Changamire nicht nur den größten Teil der Shona-Stämme zu, sondern zwang auch Nyakambiro, den neuen Herrscher von Monomotapa, ein offenes Bündnis mit Changamire einzugehen. Mit der Unterwerfung des Westteils von Manica hatte Changamire dem politischen Einfluß der Portugiesen außerhalb der Grenzen des heutigen Moçambique ein Ende gesetzt. Er unterwarf das ganze Land der Karanga, machte Monomotapa zu seinem Vasallen. Anschließend zog er weiter nach Nordosten und tauchte vor den Mauern von Tete und Sena auf, den wichtigsten und letzten Bastionen der Portugiesen außerhalb der Küstenregion. Aus dem gesamten Gebiet von Moçambique »flüchten die hohen Senhores und die Mönche in den Schutz der drohenden Kanonen und der zwölf Meter hohen Mauern von Fort San Sebastian«, konstatiert ein Chronist. Von Jesuiten erzogene schwarze Verräter drangen auf einen von der Insel Moçambique erhaltenen Befehl hin in Changamire Dombos Hauptquartier ein. Und sicher nicht ohne ihre Mitwirkung starb der Befreier von Monomotapa 1695 unter äußerst rätselhaften Umständen; in den Überlieferungen ist von Zauberei und schwarzer Magie die Rede. Sein Nachfolger Sebabea machte Changamires Namen zu einem dynastischen Titel. Anfangs verhielt er sich den Portugiesen gegenüber recht liberal und stellte einige ihrer früheren Privilegien wieder her. Doch tat er dies nur, um die Masungas gewissermaßen zu bestechen, sie dahin zu bringen, daß sie Feuerwaffen an die Shona verkauften. Als die Portugiesen sich aber weigerten, drang Sebabea bis Simbabwe vor, setzte dort einen seiner Leute als Herrscher ein und verbot diesem Mutapa jegliche Kontakte mit den Weißen. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als Lissabons Einfluß in Ostafrika fast gleich Null geworden war und sich die Macht von Rozwi — so nannte man den neuen Staat immer häufiger— ihrem Höhepunkt näherte, erlaubte es der Changamire den Portugiesen, erneut nach Manica zu kommen. Irgendwelchen Bergbau durften sie hier aber nicht mehr betreiben und Handel nur, nachdem sie eine »Kurua«, eine Steuer, entrichtet hatten, und auch nur auf jenen Märkten, die von den Behörden speziell dazu eingerichtet worden waren. 106
Der größte dieser Märkte entstand in Masekese, das lange Zeit die Rolle eines Zentrums portugiesischer Präsenz in Manica spielte und als führend unter den hiesigen Märkten galt. Bis auf den heutigen Tag haben sich Reste der Festungsmauer sowie Fundamente einiger Wohnhäuser des alten Masekese erhalten. »Schauen Sie sich einmal das Mauerwerk dieser Bauten an, prägen Sie es sich gut ein und folgen Sie mir dann, vergleichen Sie es unterwegs in Gedanken mit der ,mörtellosen’ Bauweise der Lehrbücher, die die Schöpfer der berühmten Bauwerke von Simbabwe angewandt haben«, sagt Antonio und strebt den Bergen zu. Wir laufen an einem schmalen kristallklaren Flüßchen entlang, in dem an seichten Stellen Forellen springen. Dann geht’s nach rechts um einen sanften Hügel herum in ein ziemlich breites, fast vegetationsloses, von bewaldeten Hängen gesäumtes Tal. Der erste Eindruck von diesem Tal ist der, daß hier erfahrene Steinmetzen gewirkt, auf dem Talboden große Platten bearbeitet haben. Diese Platten sind einheitlich dreißig bis vierzig Zentimeter dick und bis zu einem Meter breit, einige aber doppelt so lang. »Sicher erkennen Sie, daß solche Platten als Material für den Bau der Festung Masekese gedient haben. Erraten Sie aber, daß die Natur selbst sie herausgemeißelt hat?« fragt Antonio. Tatsächlich erinnere ich mich, daß viele Wissenschaftler, die die Kultur von Monomotapa erforscht haben, in ihren Arbeiten darauf hinwiesen, daß die Granite, Kieselschiefer, Quarzite und Gneise, aus denen das Plateau hier besteht, infolge der recht beträchtlichen täglichen Temperaturschwankungen, unter der Einwirkung von Wind und Grundwasser in Platten verschiedener Größe zerfallen, die häufig eine nahezu glatte Oberfläche besitzen. »Die Rassisten bemühen sich bis heute, wissenschaftlich zu beweisen, daß das Bauen mit Stein von außen in diese Regionen hier hineingetragen wurde und die berühmten Bauten von Simbabwe und die anderen zahlreichen im Gebiet des ehemaligen Monomotapa erhalten gebliebenen Architekturdenkmale, wenn nicht von Phöniziern, Ägyptern oder den ,Gesandten Salomos’ selbst errichtet worden, so doch auf jeden Fall das Ergebnis ihrer ,anleitenden Idee’ seien«, fährt Antonio fort. »Dabei braucht man wirklich kein großes Genie auf dem Gebiet von Architektur und Bauwesen zu sein, um diese von der Natur ,ausgeschnittenen’ Platten eine auf die andere zu türmen und so erst primitive Umfriedungen, danach 107
Hütten und schließlich Bauwerke wie den Palast und die Akropolis im alten Simbabwe zu errichten. Die Festung in Masekese haben doch die Portugiesen gebaut, aber sie gingen in der gleichen Weise vor wie auch die Einheimischen: Sie paßten einfach eine Platte an die andere an, wobei sie darauf achteten, daß deren natürliche Unebenheiten sich möglichst gut ineinanderfügten. Sie brauchen bloß einmal das Mauerwerk des unbekannten portugiesischen Masekese mit dem des berühmten afrikanischen Simbabwe zu vergleichen, um sogleich zu der Schlußfolgerung zu kommen, daß beide im wesentlichen gleich sind. Das ist das bekannte ,Trockenbauen’ — ein Bauen ohne Verwendung eines Bindemittels, ohne vorherige Bearbeitung der verwendeten Platten, das heißt, man stellte deren natürliche Reibung in Rechnung. In dieser Gegend hier kann man tatsächlich kaum ein Dutzend Schritte tun, ohne daß man auf Spuren dieser alten Steinbauweise stößt, ist doch Penhalonga von hier nur an die zehn Kilometer Luftlinie entfernt.« »Haben sich denn aber irgendwelche Spuren dieser alten Tradition im Bauen mit Stein im heutigen dörflichen Bauen noch erhalten?« frage ich. »Ich wollte Ihnen gerade vorschlagen, daß wir in einen der wenigen Bezirke fahren, wo das Bauen mit Stein noch lebendig ist. Hier konnte sich ja ganz allgemein nicht viel erhalten. Denn kaum war der bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts währende Konflikt der Shona mit den Portugiesen beendet, da tauchten an den Westgrenzen von Moçambique auch schon die Engländer auf, die sich in Rhodesien eine Siedlungskolonie, ein ,Land des weißen Mannes’ schufen. Im Unterschied zu den Portugiesen, die im moçambiquischen Teil von Manica nichts interessierte außer Gold, sahen die Engländer als Hauptreichtum der rhodesischen Bezirke von Manica deren fruchtbare Böden und das günstige Klima an. Im Gebiet von Mutare nahmen sie den Afrikanern allmählich alles Land weg, pflügten es um, legten hier Plantagen mit dem später berühmt gewordenen rhodesischen Tabak an. Zehntausende landlos gewordene Shona wanderten nach Osten ab, in die Landstriche, die ihre moçambiquischen Stammesgenossen erst vor kurzem verlassen hatten. Da sie dort aber der Unterdrückung durch die portugiesischen Behörden ausgesetzt waren, fühlten sie sich wie Flüchtlinge und hatten keine Lust, aufwendige Steinbauten zu errichten. So tauchten nach
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vielen Jahrhunderten an den Hängen von Manica erstmals wieder Schilfhütten auf.« »Schon als Student bin ich in diesem Gebiet hier herumgekrochen, wo immer es nur möglich war«, setzt Antonio seinen Bericht fort. »Und völlig überraschend fand ich das, was ich suchte, nicht in Manica, sondern nordöstlich davon im schwerzugänglichen Gorongosa-Gebirge. Dort hatten sich schon im 17. Jahrhundert Ackerbau treibende Stämme der Manyika und Ndau niedergelassen, die man heute zu den Shona zählt. Aus Angst vor den Portugiesen lebten sie zunächst in den zahlreichen Höhlen des Gorongosa, später aber, als sie sich davon überzeugt hatten, daß es die Fremdlinge nicht in diese unwirtliche Gegend zog, erinnerten sie sich wieder der Steinbauweise und sogar des Rennverfahrens beim Eisenschmelzen.«
Die Natur hilft bei der Enträtselung der Steinbauweise Hinter Vila Gouveia*, einer weiteren portugiesischen »Hauptstadt« in Manica, bogen wir von der alten Route nach Osten ab. »Macossa« stand auf einem verwitterten Wegweiser. Eine eigentliche Straße gab es freilich nicht, doch auf den schotterbedeckten Wasserscheiden und in den von einer Schicht feinen, bisweilen wie zementierten Sandes überzogenen Trockenbetten der Flüsse rollte unser Auto doch ganz flott dahin. Hier und da mußten wir hohe Granitkuppeln umfahren, die steil über die ebene Oberfläche des alten, dicht mit den uns schon bekannten flachen Platten übersäten Plateaus hinausragten. Das Material hier hätte für den Bau einer ganzen Stadt aus Granit gereicht. »Achten Sie doch einmal auf den Sand, der den Flußgrund überzieht«, bemerkt Antonio, als wir uns anschickten, das Bett des Nhandugue zu durchqueren. »Es ist Granitsand, der sich durch Verwitterung dieses Gesteins im Laufe von Jahrmillionen gebildet hat. In der Regenzeit vermischt das Wasser dessen feinste Teilchen mit granuliertem Lehm, und so entsteht das, was die Shona als ,daga’ bezeichnen — ein von der Natur selbst geschaffenes Baumaterial, das sich in seiner Qualität kaum von Zement unterscheidet. Diesem * Heute Catandica
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Daga verdankt auch die berühmte Shona-Keramik ihre Entstehung, jene riesigen Gefäße zur Aufbewahrung von Wasser, früher auch von Getreide. Solche zur Tarnung mit etwas Lehm beworfene Gefäße sehen den hier überall umherliegenden Felsbrocken zum Verwechseln ähnlich. Wenn die Portugiesen auf der Suche nach Nahrungsmitteln die hiesige Gegend durchstreiften, kamen sie gar nicht auf den Gedanken, daß es hier solche Gefäße gab, ebensowenig wie Sie jetzt ahnen, daß Sie sich bereits kaum hundert Meter vor dem Dorf befinden, das wir besuchen wollen. Versuchen Sie einmal, es auszumachen.» Ich starre Antonio verdutzt an, spähe umher, kann aber nichts entdecken. Da stoppe ich den Wagen, steige aus und mustere aufmerksam die bizarren Formen des hiesigen Reliefs. In der Ebene ein Chaos von mit rostrotem »Wüstenlack« überzogenen Granitbrocken, an den Hängen der Hügel irgendwelche kümmerlichen Baobabs, auf den Gipfeln aber...? Erneut liefert mir mein Gedächtnis eine Information: Die Shona siedelten sich bevorzugt an höher gelegenen Stellen an, so daß die unten vorbeiziehenden Portugiesen ein hervorragendes Ziel für ihre Bogenschützen abgaben. Der erste, der zweite, der dritte Hügel hier sind nur von riesigen Gesteinsblöcken gekrönt, die aussehen, als können sie jeden Augenblick herunterrollen. Der vierte, fünfte, sechste, siebente Hügel... Da! Ein kaum auszumachender bläulicher Rauchfaden, der bei der jetzigen Windstille senkrecht in den wolkenlosen Himmel aufsteigt, verrät mir die Stelle, wo sich, völlig mit der Natur verschmolzen, das Ndau-Dorf befindet. »Gefunden!« rufe ich triumphierend. »Na ja, besser spät als nie«, schmunzelt Antonio. »Und Sie werden zugeben, ohne das bißchen Rauch hätten Sie hier noch so lange gestanden, daß Sie einen Sonnenstich gekriegt hätten. Die ShonaArchitekten beherrschten die bewundernswerte Kunst, ihre Wohnstätten und sogar ganze Dörfer in die Landschaft ‚einzupassen’, indem sie die Formen der Natur nachahmten. Darum also haben die Portugiesen sehr vieles gar nicht bemerkt oder später wieder vergessen.« Wir machen es uns im Schatten des Autos bequem und betrachten das Dorf von unten. Eine Hütte mit abgerundetem Dach erinnert in ihren Umrissen erstaunlich an einen großen Findling, eine andere verbirgt sich hinter einem Felsen, der gleichzeitig als Wand dient, 110
eine dritte hängt über einem Steilhang wie einer jener Steine, die die zum Gipfel des Hügels führenden Pfade bewachen. Auf einem von diesen steigen auch wir nach oben. Auf halbem Wege empfängt uns eine lärmende Schar aufgeregter Jungen. Dann die traditionellen Begrüßungen und ein kleines Geschenk für den Dorfältesten, Fragen der Männer nach den letzten Ereignissen in der Welt, Staunen, dann auch Freude darüber, daß ein Sowjetmensch, ein Amigo, zu ihnen gekommen ist. Ein Mann in mittleren Jahren mit einem zwei- bis dreijährigen Jungen auf dem Arm tritt auf mich zu. Er drängt sich durch die Umstehenden und streckt mir seinen Sohn entgegen. »Ich habe als Partisan in den Frelimo-Einheiten gekämpft«, berichtet er, »und nach meiner Rückkehr hierher habe ich den ersten mir geborenen Sohn Kalasch genannt. Und mein Name ist Mpfumu.« »Kalasch« ist die bei den Befreiungskämpfern übliche Kurzbezeichnung für die sowjetische Maschinenpistole vom Typ Kalaschnikow, die den moçambiquischen Patrioten bei der Erringung der Unabhängigkeit ihrer Heimat gute Dienste geleistet hat. Im Norden, wo die Hauptkämpfe gegen die Kolonisatoren ausgefochten worden sind, habe ich Dutzende von Jungen getroffen, die Kalasch heißen, und das spiegelt die tiefe Dankbarkeit des Volkes von Moçambique für die uneigennützige Hilfe der Sowjetunion wider. Aber über diese Begegnung hier in der abgelegenen Gebirgswildnis bin ich ehrlich erstaunt und gerührt. Nun wendet sich Antonio an Mpfumu. Lange besprechen sie etwas in der an wahren Zungenbrechern reichen Chishona-Sprache, dann faßt mein Freund kurz zusammen: »Ich habe Mpfumu gebeten, hier unser Führer zu sein. Ich denke, es wird für Sie nicht weniger interessant sein, einem Einheimischen zuzuhören als einem professionellen Historiker. Mpfumu kann uns viel erzählen.« Jener nickt zum Zeichen seines Einverständnisses und beginnt sogleich, mit der ihm zugefallenen Rolle recht zufrieden; »Dorf heißt bei allen Shona ,muscha’. Meinem Vater hat es dessen Großvater, und dessen Großvater der Ururgroßvater gesagt, daß dieses Muscha so gebaut worden ist, wie man früher die Siedlungen im ganzen Shona-Land gebaut hat. Bei uns, im NhandugueTal, errichtet man ein kollektives Dorf, eine ,aldeia communal’, in der alle gemeinsam auf den Feldern arbeiten werden. Und wir haben 111
beschlossen, daß wir dieses Dorf ähnlich unserem Muscha anlegen, damit man darin bequem wohnen kann.« »Womit beginnt man denn den Bau eines Muscha?« »Zunächst gilt es, einen Hügel mit einem großen flachen Gipfel zu finden, von dem aus man alles überblicken kann. Die Mitte dieses Gipfels befreien wir von Steinen. Einige davon rollen wir hinunter, andere wälzen wir zum Rand des Gipfels. Dort stellen wir zwischen den Steinen auch die Hütten auf. Ist ein Platz, auf dem eine Hütte stehen soll, uneben oder der Boden darunter feucht, dann machen wir...«, Mpfumu hielt inne, suchte das richtige Wort. »Ein Fundament«, half ihm Antonio. »Richtig, wir machen ein Fundament aus Platten, von denen es unten mehr als genug gibt. Mit gleichen Platten kann man auch den Fußboden belegen. Meist aber tragen wir auf den Boden eine DagaLösung auf. Das ist besser, denn in den Spalten zwischen den Platten halten sich gern Schlangen auf. Im Daga gibt’s keine Spalten.« »Das Fundament ist also fertig, der Fußboden zementiert, wie geht’s dann weiter?« möchte ich wissen. »Wie weiter?« Mpfumu schaut fragend zu Antonio hinüber und sagt etwas in Chishona. Der nickt bejahend. »Weiter macht jeder, wie er will. Man kann aus dem NachbarMuscha einen alten Mganga* herbeiholen. Der schlägt in der Mitte des Fußbodens einen Holzpfahl ein, begießt diesen mit dem Blut eines weißen Hahns und spricht: ,Friede sei dieser Hütte.’ Man braucht aber nicht einen Mganga zu holen, sondern kann es so machen, wie die FRELIMO es empfiehlt: alle Nachbarn herbeirufen und mit ihrer Hilfe die Hütte gemeinsam bauen.« »Und woraus?« frage ich. »Das Gerippe der Hütte stellen wir aus Holzpfählen her, umflechten es dann mit Ruten und bestreichen es schließlich mit einer DagaLösung. Daga-Hütten halten sehr lange, und es regnet nicht durch. Deshalb also wollen wir solche Hütten auch im Aldeia communal bauen.« »Wer aber errichtet die steinernen Umzäunungen rund um den gesamten Hügelgipfel?« »Die werden gemeinsam gebaut, weil sie allen dienen. Man errichtet sie aber erst, wenn schon eine Reihe Hütten steht. Auch ausge* Mganga (Bantusprache) = Oberhaupt einer religiösen Gemeinschaft, Zauberer
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bessert werden diese Steinmauern von allen. Wie in anderen Muscha teilt man auch bei uns alle Männer in Steinmetzen und Steinträger ein, die unten, im Tal, beschäftigt sind, sowie in Maurer, die hier oben arbeiten. Ist die Zeit für eine Reparatur gekommen oder entsteht innerhalb der Siedlung eine zweiter, dritter Ring von Hütten, die man durch eine Mauer trennen muß, weiß jeder, was er zu tun hat.« »Und damit ist der Bau des Dorfes beendet?« »Wieso beendet?« entgegnet Mpfumu erstaunt. »Ich habe ja noch gar nichts vom Zentrum des Muscha erzählt. Das wird ebenfalls mit einer Daga-Lösung überzogen, weil in der Dorfmitte das Vieh übernachtet. In Nähe des Zentrums baut man auf hohem Steinfundament auch Gemeinschaftsspeicher aus Daga.« Wir gingen das Dorf ab, das, wie ja aus Mpfumus Bericht hervorging, einen typischen Kraal darstellte, also eine Siedlung, die eine Viehhürde umgibt. Aber im Unterschied zu den südafrikanischen Kraals, deren Bewohner es vorziehen, in der Ebene zu siedeln, und ihre Hütten aus Schilf errichten, bauen die Leute in dieser Gegend hier auf einem Hügel und mit Steinen. Anschließend besuchten wir die Hütte unseres freundlichen Mpfumu und tranken nach hiesigem Brauch mit Hilfe eines Schilfröhrchens Bier aus einem großen Gemeinschaftskrug. »Der Amigo beleidigt mich, wenn er nicht meine Schmiede besichtigt«, meinte Mpfumu, als wir seine Hütte verließen. »Sie liegt ganz in der Nähe, am Hang der Hügels, am Pfad, den wir jetzt hinabgehen werden. In meiner Partisaneneinheit habe ich so manches gelernt. Und mit Metall ist es jetzt in dieser Gegend nicht gerade zum besten bestellt, und nicht jedes harte Werksmetall kann ich hier bearbeiten. Deshalb habe ich mir einen Schmelzofen gebaut. Unsere alten Männer haben mir dabei geholfen...« Als wir die Schmiede erreichten, die in einer Höhle untergebracht war, und ich den zwischen Felsen stehenden Ofen erblickte, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Man konnte sich nur schwer vorstellen, daß man ihn wie die Anlagen der frühen afrikanischen Metallurgen, lediglich nach den Angaben der alten Leute gebaut hatte, noch dazu ohne Zeichnungen. »Nun, was sagen Sie jetzt?« hörte ich hinter meinem Rücken Antonio verschmitzt fragen. »Das ist ja fast eine exakte Kopie des kegelförmigen Turms in den 113
Ruinen des Großen Simbabwe, der Hauptstadt von Monomotapa, dessen Form bei den Wissenschaftlern so viele Diskussionen ausgelöst hat! Laß uns doch zum Auto laufen und die Fotografie im Reiseführer mit diesem Ofen hier vergleichen.« »Wenn es nicht so heiß wäre, ich würde Sie umarmen!« sagte Antonio lachend und klopfte mir zufrieden auf die Schulter. »Das ist doch meine alte Idee! Der Turm vom Großen Simbabwe ist eine Art Denkmal, Symbol eines Schmelzofens als Urquell von Reichtum und Macht Monomotapas. Über das ganze Land der Karanga waren kleine Ofen verstreut, die Eisen für den Export lieferten, in seiner Hauptstadt aber war, von den ausländischen Kaufleuten bestaunt, ein riesiger Ofen, ein ,König der Ofen’, errichtet worden. Form wie auch Bauweise sind bei ihnen aber gleich, wie überhaupt sehr viel Gleiches in Architektur und Technik des Bauens sowohl in diesem Dorf, das wie durch ein Wunder die alten Traditionen der Karanga durch die Jahrhunderte bewahrt hat, als auch in den zahlreichen Steinbauten der Epoche des Großen Simbabwe zu finden ist. Dieses Muscha hier bietet die Möglichkeit, zu verfolgen, womit in Monomotapa alles begonnen und wie sich alles entwickelt hat: von den primitiven Schmelzöfen, den Daga-Hütten und den in der Technik des Trockenbauens errichteten Steinmauern bis hin zum Handel mit Eisen und zu den architektonischen Meisterwerken Simbabwes. Und alles ist von der afrikanischen Natur eingegeben, ist dank der Findigkeit der einheimischen Bevölkerung und ohne jegliche Hilfe irgendwelcher hochentwickelter Fremdlinge entstanden!« Mpfumu erzählt uns, wie er, gestützt auf die Ratschläge der alten Männer, in seinem Dorf die seit alter Zeit bei den Shona bekannte Herstellung von Eisen wieder aufgenommen hat. Das leicht schmelzbare Erz, Eisenoxidkonzentrate, die in tropischen Gebieten häufig bis siebzig Prozent Metall enthalten, sammelt man auf dem Grund kleiner Flüsse. Die zerkleinerten Erzbrocken werden, schichtweise mit Holzkohle abwechselnd, durch die obere Öffnung in den Ofen gepackt. Die erforderliche hohe Temperatur der Flamme hält man mit Hilfe von Blasebälgen aus Antilopenfell aufrecht, mit denen ununterbrochen Luft durch speziell dafür vorgesehene Öffnungen im hinteren Teil des Ofens geblasen wird. Durch die während des Schmelzvorgangs mit Lehm verschmierten Öffnungen im Vorderteil des Ofens aber zieht man mit Hilfe dicker frischer Holzpfähle die Luppe heraus. 114
Anschließend wird über offenem Feuer und bei geringerer Hitze diese Luppe mehrmals umgeschmolzen, man trennt dabei Kohle und Schlacke so lange ab, bis man Metall erhält, das sich für eine Verarbeitung in der Schmiede eignet. Spuren dieses alten und durch seine Einfachheit verblüffenden metallurgischen Prozesses habe ich mehrfach im »Asana-Gürtel« Sambias und Kenias entdeckt. Auf einem uns von Mpfumu gezeigten Pfad fuhren wir nach Norden. Auf beiden Seiten standen dicht beieinander die bizarren Kandelaber von Wolfsmilchgewächsen, und jedesmal, wenn unser Wagen deren fleischige blätterlose Zweige zerbrach, ließen die Pflanzen weißen milchähnlichen Saft auf den roten Erdboden fließen. »Es gibt da eine Legende über diese Wolfsmilchgewächse«, unterbrach Antonio die uns umgebende Stille. »Darin heißt es, afrikanische Frauen, die während des Kampfes gegen die Goldförderung umkamen, hätten ihre Milch diesen Pflanzen für bessere Zeiten übergeben, damit die Natur, wenn das Land der Shona sich von den fremden Eindringlingen befreien wird, darin starke und kühne Menschen heranzieht. Unter besonders alten und verehrten Wolfsmilchgewächsen führten die Manyika- und Ndau-Bauern ihre Mannbarkeitszeremonien durch. Über dem dicken, bitteren Saft dieser Pflanzen, der bei den Shona die Milch der heldenhaft gestorbenen Frauen symbolisierte, schworen die Jünglinge, unter keinerlei Umständen, auch unter der Folter nicht, den Fremdlingen die Geheimnisse der alten Bergwerke preiszugeben. Und sie hielten Wort. Es verschwanden die auf Gewebe aus Holzbast gezeichneten Karten von den goldhöffigen Gegenden aus den Zeiten Monomotapas; sie waren zu einem Fetisch geworden, den die Fremden nie zu Gesicht bekamen. Portugiesische Chronisten vermerkten mit unverhohlener Bewunderung, daß diese Karten davon zeugen, wie genau die Eingeborenen über die Geologie ihres Gebiets Bescheid wissen, und daß sie einen niemals in Stich lassen. Die Konquistadoren machten jahrhundertelang Jagd auf diese Karten, konnten aber die Shona nicht dazu bewegen, sie aus ihren Verstecken hervorzuholen. 1970 förderten die Portugiesen im goldreichen Manica nur ein einziges Kilogramm Gold! Doch Spezialdienste der Republik Südafrika handelten auf Empfehlung der Amasisi — Weise und Zauberer der Hottentotten, die 115
seit alters unter den Shona praktizierten — und veranstalteten in Nordtransvaal so etwa wie archäologische Ausgrabungen. Dort entdeckten sie im Fundament der Sommerresidenz eines der Changamire in einem Geheimversteck, das in der gleichen mörtellosen Bauweise angelegt worden war, mehrere Bruchstücke von Karten auf Bast. Sie verglichen diese mit einer modernen topographischen Karte und bestimmten so mühelos das Gebiet, von dem die Rede ist. Ergebnis dieses Fundes war 1971 die Gründung eines Konsortiums zur Ausbeutung der alten Bergwerke von Manica, dem drei südafrikanische Gesellschaften angehörten — »Mindep of South Africa«, »South African Finance Corporation« und »Mineral deposite of South Africa« — sowie zwei portugiesische, die »Manica aurifera« und die »Manica minas«. Geologische Erkundungen gestatteten es diesem Konsortium, in seinem Bericht für 1974 folgende Schlußfolgerung zu ziehen: »Das untersuchte Gebiet von Manica weist sehr große Goldvorkommen auf, deren Abbau mit Hilfe moderner industrieller Methoden vielversprechend ist.« Als sich das Geschehen von 1975 abzeichnete, brachte man die gesamte Dokumentation über diese Lagerstätten in die Repulik Südafrika. Die Proklamierung der Unabhängigkeit der Volksrepublik Mocambique hob jedoch die Eide auf, die von den Shona drei Jahrhunderte lang unter Wolfsmilchgewächsen geschworen wurden. Ende 1975 kam ein Dorfältester der Rozwi in die Frelimo-Abteilung nach Chimoio und legte dem dortigen Kommissar eine Karte der Bergwerke im Dreieck Masekese-Mavonde-Pungue auf den Tisch. Ein anderer Ältester erzählte von einem Geheimversteck mit wichtigen Dokumenten, das man unmittelbar vor der Nase der Kolonisatoren auf dem schwer zugänglichen Felsen von Massere angelegt hatte, wohin sich wie in eine Art natürliche Festung eine portugiesische Garnison aus Furcht vor der einheimischen Bevölkerung zurückgezogen hatte. Heutige Geologen sind den Spuren der alten Erzkenner gefolgt. In den Direktiven der Frelimo-Partei über die sozialökonomische Entwicklung des Landes wird unterstrichen, daß es notwendig sei, in Manica ein staatliches Unternehmen für den Abbau der Goldvorkommen zu schaffen. »Damit ist unsere Reise durch Manica eigentlich zu Ende«, bemerkt Antonio. »Und wenn Sie sie auf den Spuren der Geschichte fortsetzen wollen, dann müssen wir uns jetzt zum Sambesi begeben. Nachdem die Portugiesen nämlich mit dem Gold in Monomotapa 116
ein Fiasko erlitten hatten, konzentrierten sie seit Ende des 18. Jahrhunderts ihre Aktivität in Moçambique auf diesen Strom, bauten sie die Festungen in Sena und Tete aus. Die Verluste der Vergangenheit hofften sie durch märchenhafte Gewinne aus dem Handel mit Elfenbein und lebendiger Ware auszugleichen.«
Die Genossenschaft an der Sambesi-Brücke In das Städtchen Mutarare, das da wie aus einer schlechten Laune heraus inmitten der breiten Niederung des alljährlich über die Ufer tretenden Sambesi entstanden ist, führte uns ein doppelter Zweck: Wir wollten zum ersten das am gegenüberliegenden Ufer befindliche Sena besuchen und zum anderen die Brücke fotografieren, die über das Hauptbett, die zahlreichen Nebenarme und die Altwasser des großen Stromes führt. Sie ist die längste Eisenbahnbrücke des Kontinents und, wie behauptet wird, die drittlängste der Welt. Nach Mutarare flogen wir — Antonio da Costa, Wolfgang Wagner, ein Korrespondent aus der DDR, und ich — in einer viersitzigen »Cessna«. Noch oben in der Luft, als wir über der Brücke schwebten, hatten wir vereinbart, das Flugzeug solle auf uns warten, bis wir unsere Angelegenheiten erledigt hätten, und uns dann nach Quelimane, in die am nächsten gelegene Provinzhauptstadt, bringen. Aber kaum hatte die »Cessna« auf der Landebahn aufgesetzt, als sie auch schon von offenbar irgendwie erregten Männern umstellt wurde. Camarada Nafasi, Kommissar von Mutarare, der zu unserer Begrüßung erschienen war, informierte uns: »Eine Gruppe von ,Dinamisatoren’, jungen Frelimo-Aktivisten, hat schon in der Nacht drei Diversanten festgenommen, die versucht haben, an der Brücke eine recht ordentliche Sprengladung anzubringen. Die Verbrecher haben zugegeben, Mitglieder einer von der Republik Südafrika finanzierten terroristischen Organisation zu sein. Einer von ihnen hat dort sogar einen Lehrgang für Sprengtechnik absolviert. Über den Vorfall hat man unverzüglich nach Quelimane berichtet und von dort die Aufforderung erhalten, ,die Verhafteten sofort nach Maputo bringen’.« 117
So muß unser kleines Flugzeug, dessen Motor noch gar nicht abgestellt ist, also erneut aufsteigen. Antonio findet gleich einen Wagen, der ihn nach Sena bringt, Wolfgang Wagner und ich aber stehen ganz zur Verfügung von Camarada Nafasi, der uns allerdings warnt: »Macht euch darauf gefaßt, daß wir uns nicht so schnell wieder voneinander verabschieden werden. Auf dem Flugplatz Quelimane gibt es keinen Treibstoff, so daß das nächste Flugzeug auf sich warten lassen wird.« Die Gefangennahme der Terroristen hat die Bewohner des für gewöhnlich etwas verschlafen wirkenden Städtchens in Aufregung versetzt. Wir mit Foto- und Filmkameras behängten Gestalten rufen bei den Afrikanern Mißtrauen hervor. Jedesmal, wenn wir hinausgehen und uns etwas weiter vom Haus entfernen, »verhaften« uns wachsame Bürger und bringen uns zur Untersuchung zum Kommissar. Nafasi erklärt ihnen, wie es sich verhält, »befreit« uns, doch wiederholt sich bald alles von neuem. Da drängt uns der Kommissar einen Soldaten mit umgehängter Maschinenpistole auf. Als die Einwohner von Mutarare uns drei erblicken, meinen sie, der Frelimo-Mann habe zwei weiße Diversanten gefangen, und sie bieten dem Soldaten ihre Hilfe an. Der ist des hiesigen Dialekts nicht mächtig und kann sich nicht recht verständlich machen. So schließt sich jeder uns Entgegenkommende, von patriotischen Gefühlen erfüllt, dem Soldaten an, um unsere Flucht zu verhindern. Bald schon umringen uns an die fünfzig uns eindeutig feindselig gesinnte Leute, die an unsere Adresse gerichtete gehässige Bemerkungen machen. An Aufnahmen ist unter diesen Umständen gar nicht zu denken. Wir müssen erneut Zuflucht im Hause des Kommissars suchen. Nafasi tritt auf den Balkon und nutzt den Umstand, daß sich gut die Hälfte der männlichen Bevölkerung von Mutarare zu unserer »Bewachung« versammelt hat, um zu erklären: »Genossen, die Partei lehrt, daß nicht alle Weißen unsere Feinde sind. Wir sind keine Rassisten. Diese beiden Männer sind die ersten, die nach Mutarare aus Ländern gekommen sind, die stets unseren Kampf unterstützt haben. Es sind Freunde aus der Sowjetunion und der DDR. Empfangt sie in Mutarare als liebe Gäste!« Da lächeln die, die eben noch unsere »Feinde« waren, recken den Arm zum Rot-Front-Gruß und rufen im Takt: »Viva UdSSR!«, »Viva DDR!«, »Viva FRELIMO!« Anschließend schleppt man 118
Tamtams heran, deren Trommelwirbel für alle das Signal zum Tanzen ist. Unmittelbar auf der Straße führen die Einwohner von Mutarare ihre anspruchslosen Tanzschritte aus. Als die Tänze ihren Höhepunkt erreicht haben, steigt ein junger, hochgewachsener Afrikaner auf die Terrasse des Kommissarhauses, der im Unterschied zu allen anderen Tänzern, die sich mit Shorts begnügen, einen »Safari«-Anzug trägt. Er begrüßt den Kommissar freundlich, unterhält sich mit ihm eine ganze Weile im hier gebräuchlichen Dialekt und wendet sich dann in portugiesisch an uns. »Mein Name ist Vasco João Alfredo«, erklärt er und streckt uns die Hand entgegen. »Camarada Nafasi hat mir gesagt, daß er Ihnen heute die Brücke nicht zeigen kann. Deshalb möchte ich Ihnen vorschlagen, daß Sie sich inzwischen mit der Arbeit der Holzschnitzergenossenschaft bekannt machen, die ich leite.« Und schon sind wir erneut unterwegs auf den glitschigen, mit Feuchtigkeit vollgesogenen pfadartigen Straßen von Mutarare, die um die mit einem üppigen Teppich hellvioletter Seerosen und Wasserhyazinthen bedeckten Flußarme und Altwasser herumführen. Vor uns wälzt der breite Sambesi seine Wasser träge durch die weite Ebene. Jenseits dehnt sich, so weit das Auge reicht, eine unermeßliche versumpfte grüne Flußaue. »Wie kam es, daß die Holzschnitzergenossenschaft ausgerechnet in dieser waldlosen Gegend entstanden ist?« frage ich. »Es galt, den Menschen, in erster Linie den Männern, Verdienstmöglichkeiten zu verschaffen«, entgegnet Vasco, während er auf einem über eine schwarze Schlammpfütze gelegtes Brett balanciert. »Es sieht nur so aus, als gäbe es ringsum viel Wasser und die hiesige Gegend sei für Landwirtschaft geeignet. Mit Eintritt der ,großen Hitze’ wird die Schlammasse unter unseren Füßen zu einer Art Asphalt, dem weder mit dem Spaten noch mit der Axt beizukommen ist. In dieser jährlich sieben, acht Monate andauernden Periode gingen die Männer früher fort entweder auf die Plantagen in der Küstenzone oder in die Städte. Die umliegenden Dörfer verödeten dann, denn nur die Frauen blieben in ihnen zurück.« »Wenn es aber in dieser Gegend Meister gab, die sich aufs Holzschnitzen verstanden, dann hätten sie doch in der Trockenzeit an Ort und Stelle arbeiten können«, überlegt Wolfgang Wagner. »Das ist es ja gerade, daß von den Meistern hier ebenfalls kaum einer noch geblieben ist. Vergessen Sie nicht: Am Mutarare entge119
gengesetzten Ende unserer berühmten Brücke liegt Sena mit der ersten und ältesten portugiesischen Festung am Sambesi. Die Kolonisatoren haben sich in dieser Gegend dreißig, vierzig Jahre nach Vasco da Gamas Seefahrt festgesetzt. Die weißen Beamten und Geistlichen verdarben die hiesigen Traditionen und Sitten, zerstörten unsere Kultur. Auf dem Gebiet des Sena-Volkes verbrannten die katholischen Padres die heiligen Masken, verboten sie die alten rituellen Tänze. Sie haben ja bemerkt, wie die hiesigen Bewohner heute zu Ihrer Ehre getanzt haben?« »Ehrlich gesagt, mir kam es vor, als ob sie so eine Art Rock’n Roll tanzten«, bekannte ich. »Ja, genau«, nickte Vasco zustimmend. »Die Jugend kennt unsere traditionellen Tänze nicht mehr und lernt das Tanzen von jenen, die in der Stadt gelebt haben. Und Sie wissen ja selbst, was da los ist.« »Dann ist es aber um so unverständlicher: kein Holz, keine Meister mehr da, wie ist denn dann die Schnitzergenossenschaft hier entstanden?« versuchte mein Kollege mit deutscher Gründlichkeit herauszubekommen . »Vor der Erringung der Unabhängigkeit habe ich als Partisan in Cabo Delgado gekämpft. Bei den Bewohnern dieser bewaldeten Provinz, den Makonde, habe ich zum ersten Male die meine Phantasie anregenden riesigen mit Schnitzereien versehenen Säulen aus schwarzem Mpingoholz gesehen, um die sich kunstvolle Reliefdarstellungen seltsamer Wesen wanden, sowie winzige, doch herrlich gestaltete kleine Figuren arbeitender Menschen. Später hat man mich zum Leiter einer befreiten Zone von Cabo Delgado ernannt. In den Pausen zwischen den Kämpfen gegen die Portugiesen habe ich mein Talent im Schnitzen erprobt, die alten Makondemeister bei der Arbeit beobachtet. Von ihnen habe ich die schöpferische Art und die Technik des Schnitzens übernommen. Helden meiner ersten Skulpturen sind Leute aus meiner Umgebung gewesen — Frelimo-Kommissare, Bauern aus den befreiten Gebieten, die ersten Lehrer und deren erste Schüler. In jenen letzten Jahren des antikolonialen Kampfes in Moçambique ist die Schnitzerei der Makonde zu einer wesentlichen Einnahmequelle für die Kasse der Befreiungsbewegung geworden. Wir haben unsere Erzeugnisse nach Tansania geschickt, und von dort aus sind sie nach ganz Afrika verkauft worden. Man sagt, meine kleinen Skulpturen — 120
„revolutionäre Makonde“, so nannte man sie — hätten sich sogar größerer Nachfrage erfreut als die Arbeiten der traditionellen Schnitzer.« »Wie aber ist denn nun die Genossenschaft entstanden?« Wagner will es unbedingt wissen. »Schon damals, in den Wäldern von Cabo Delgado, kam mir die Idee: Weshalb sollte man die uralte Holzschnitzkunst, die früher auch beim Sena-Volk bekannt war, nicht auf neuer Grundlage wiedererstehen lassen? Als ich 1976 nach Mutarare zurückkehrte, wollte ich mich umgehend auf die Suche nach alten Meistern machen, doch dringendere Angelegenheiten hielten mich ab: Man ernannte mich nämlich zum Leiter einer Gruppe von ,Dinamisatoren’. Dann kam das Jahr 1977, und man wählte mich zum Delegierten des III. Parteitages der FRELIMO. Auf ihm wurde der Beschluß gefaßt, in Moçambique den sozialistischen Entwicklungsweg einzuschlagen. Man sprach von der Notwendigkeit, die örtlichen Ressourcen zu nutzen, Initiative jeweils auch an Ort und Stelle zu entwickeln, den Kampf gegen Arbeitslosigkeit aufzunehmen, besonders unter der Jugend. Und da kamen mir erneut meine ,Holzklötzchen’ in den Sinn.« Vasco beendete seine Erzählung, als wir die Schwelle einer recht großen, ganz vom scharfen Geruch von Mpingo- und Jambirespänen erfüllten Schilfhütte überschritten. Drin arbeiteten etwa zwei Dutzend junge Männer, weitere sechs hatten sich draußen niedergelassen, im Schatten der Werkstatt. Wenn ich ehrlich sein will — meine erste Bekanntschaft mit Mustern der Erzeugnisse, die hier unter den Schnitzmessern entstanden waren, enttäuschte mich. Mir schien, ich wäre nicht zu Schnitzern, sondern zu unqualifizierten Möbeltischlern gekommen. Fast alle Leute waren mit der Herstellung gewundener Füße beschäftigt, die an ein Geflecht aus Schlangen erinnerten. Einige Männer fertigten zu solchen Füßen einen scheibenförmigen Untersatz für unten, eine Art geschnitzten Holzteller für oben an. Das ergab einen Aschenbecher. Andere verbanden die Füße durch Querhölzer, die ebenfalls mit Schnitzereien versehen waren, und so entstand das Gestell für quadratische oder sechseckige Tischchen. Mit Schnitzereien verziert, hervorragend poliert, so glänzten diese Attribute des Alltags in ihrer Ebenholzpracht in der Sonne. Wo aber war hier Kunst, noch dazu afrikanische? 121
Vasco stellte uns vor, nannte uns die Namen seiner Kollegen, rief dann zwei zu sich heran. »Mit ihnen, mit João und Raschidi, haben wir unsere Genossenschaft begonnen. In der gesamten Umgebung konnten damals nur sie mit dem Schnitzmesser umgehen. Sie hatten in Sena gewohnt, bei der katholischen Mission, wo sie auch solche Teile für Möbel schnitzten. Und noch manches andere...« »Verschweige nicht, was nicht verschwiegen zu werden braucht«, unterbricht ihn João lächelnd. »Meist haben wir nämlich aus Jambireholz Kreuze geschnitzt. Die Padres haben sie dann an die Gläubigen verkauft, ihnen versichert, sie seien ,heilig’. Dann haben wir auch die Gestalt des ans Kreuz geschlagenen Christus sowie eine Silhouette der Maria Magdalena hergestellt. Hatten wir die Norm — fünf Füße oder dreißig Kreuze am Tag—erfüllt, zahlte man uns zwölf Escudo, also nicht einmal einen halben Dollar. Für die Magdalena gab man uns allerdings das Doppelte.« »Keine Motive für unsere Genossenschaft, wie Sie verstehen werden«, sagt Vasco. »So haben wir versucht, nach jenen Mustern zu arbeiten, die ich aus Cabo Delgado mitgebracht hatte. Es klappte zwar, aber es war eine ungewohnte Sache, und in der ersten Zeit brauchten wir für eine einzige Figur eine ganze Woche. Wie hatten denn die alten Meister bei den Makonde gearbeitet? Nach Inspiration, wenn der Geist eines Ahnen sie im Traum besucht hatte. Sie hatten keine Eile. Die Genossenschaft aber arbeitet nach Plan. Um Arbeiter, besonders junge Leute, für sie zu gewinnen, mußte man vor allem ausreichend Verdienst garantieren. So haben wir damals beschlossen, daß wir in der ersten Zeit nur Teile für Möbel sowie alle möglichen kleinen Haushaltgeräte herstellen werden: Mörser, Kästen zur Aufbewahrung von Graupen und Mehl. Zu Beginn waren wir drei ,die Genossenschaft’. Dann fanden wir in der Umgebung die ersten Lehrlinge, nach einem Monat bereits konnten sie mit dem Stemmeisen umgehen.« Und allmählich klappte es auch mit der Genossenschafts-»Ökonomie«. Anfangs kaufte ein hiesiger Händler, ein Pakistani, die Erzeugnisse gleich en gros spottbillig auf. Bald aber stellte sich heraus, daß man diese dem in Mutarare eröffneten »Loja do povo« (Volksladen) weit günstiger verkaufen konnte. Der Staat zahlte den Genossenschaftern das Drei- bis Vierfache, half ihnen, den Verkauf in Quelimane, Nampula, Beira und anderen Städten zu organisieren. 122
Dort rissen sich die Touristen förmlich um die leicht zerlegbaren Jambire-Möbel auf gewundenen Beinen. Von einem Geschäft in der Hauptstadt ging eine Bestellung ein auf Ständer für Stehlampen, die mit Relieffiguren verziert sein sollten. Und da kam Vasco seine Lehrzeit bei den Makonde zugute! Schon nach anderthalb Monaten gingen die ersten hundert Ständer, aus Ebenholz gefertigte menschliche Gestalten, nach Maputo ab. Und sofort stieg auch der Verdienst. »All das ist ja ganz interessant und erfreulich«, warf mein Kollege aus der DDR nachdenklich ein. »Aber Aschenbecher, Stehlampen, Mörser... Das ist doch weit entfernt von echter afrikanischer Kunst mit ihren außergewöhnlichen Einfällen. Wollen Sie nicht versuchen, das wiedererstehen zu lassen, was unter dem Einfluß der Diener der Kirche in Vergessenheit geraten ist?« »Diese Frage habe ich erwartet«, erwiderte Vasco lächelnd. »Heute ist Freitag, und der ist auch schon fast vorbei, sonnabends wird auf dem Kollektivfeld gearbeitet, und sonntags erholen sich natürlich alle. Doch am Montag werden wir uns über die ,Wiedererstehung des in Vergessenheit Geratenen’ unterhalten können...«
Masken rufen zum Kampf Wunderschön ist ein Sonnenuntergang über dem Sambesi. Ich sitze auf der Terrasse des Kommissarhauses, das dem portugiesischen Statthalter in Sena einst als »Landhaus« diente, und beobachte, wie der purpurne Sonnenball ins Wasser des großen Stromes taucht, es immer hellroter färbt. Die kleinen Seen und die Lagunen blitzen bald rosa, bald blutrot auf. Das noch vor einer Stunde smaragdgrüne Gras der Flußaue wirkt zunächst irgendwie fahl, dann gelb und schließlich ziegelrot. Der Wind wiegt die im Licht der untergehenden Sonne rötlich aussehenden Rispen der Rohrkolben, und die beginnen wie ein phantastisches Feuerwerk zu funkeln. Doch schon jagen bordeauxrote Wolken unheilverkündende schwarze Schatten über diese Farbenpracht. »Wenn man zum ersten Male die roten Sonnenuntergänge im Sambesi-Tal bei Sena erblickt, glaubt man naiv, man beobachte ein Wunder von ungewöhnlicher Schönheit«, 123
schrieb der portugiesische Reisende S. de Pereiro. »Beobachtet man dieses Wunder aber ein zweites Mal, weiß man schon: Es ist nur ein blutiges Omen jenes Schrecklichen, das mit Einbruch der Dunkelheit beginnt.« Es begann kurz nach sieben Uhr abends. Man hatte den Eindruck, die im Sambesi versunkene Sonne habe Myriaden von Mükken und Fliegen aus dem Fluß getrieben. Überall surrte, summte, biß und stach es. Wolfgang Wagner und ich verließen fluchtartig die Terrasse, aber auch im Haus gab es nicht weniger fliegendes Ungeziefer. Die Moskitonetze vor den Fenstern waren in kaum einer halben Stunde dicht mit Insekten bedeckt, und wir begannen sogar schon an Luftmangel zu leiden. Keine zwei, drei Minuten waren vergangen, da klopfte jemand an die Fensterscheibe. Zuerst dachten wir, ein Einheimischer, der noch nicht wußte, daß wir keine Diversanten sind, werfe Steinchen gegen die Scheibe. Camarada Nafasi aber, von einer Fahrt zum Kollektivfeld zurückgekehrt, klärte uns auf: »Käfer sind’s!« Sie waren taubeneigroß, lilafarben und hatten schreckliche behaarte Beine. Lange wagten wir nicht, Licht zu machen. Aber vor dem Abendessen mußten wir es doch tun, und gleich flogen aus allen Ritzen Termitenlarven an die Lampe. Sie stießen eifrig gegen alles, was glänzte, und das zu dem einzigen Zweck, sich von ihren Flügeln zu befreien. Als wir dann unser Huhn mit entsetzlich scharfer Soße aus rotem Pfeffer verschlangen, verringerte sich die Zahl der Termiten zwar, dafür aber waren das ganze Tischtuch und unser Essen mit ihren durchsichtigen Flügelchen bedeckt. Als man den Kaffee brachte, hörte der kleine Motor der hiesigen Elektrostation auf zu stampfen, und alles versank in Finsternis. Auch die Air conditioning schwieg. Aus der Schwärze der Nacht senkte sich eine klebrige, spürbar feuchte Luft auf uns herab. »Solange man noch atmen kann, muß man versuchen einzuschlafen«, gab Nafasi seine Erfahrung an uns weiter. »Hier habt ihr eine Taschenlampe. Wenn in der Nacht eine Schlange oder etwas euch Unverständliches auftaucht, geratet nicht gleich in Panik, sondern ruft mich — ich schlafe im Nachbarzimmer. Gleich morgen früh fahren wir los, um die Brücke zu besichtigen. Gute Nachtruhe!« Was war das hier schon für eine Nachtruhe! Überall summte und stach es. Gegen Mitternacht kam der Vollmond herauf, und da gingen die von den Insekten stammenden Laute in dem greulichen Ge124
quake der Frösche unter. Man konnte sich gut vorstellen, wie viele Millionen Frösche wohl das breite versumpfte Tal des Sambesi bevölkern mochten. Und ich war sicher, kein einziger von ihnen schwieg in dieser Nacht! — Der endlich anbrechende Morgen befreite uns von allen Qualen. Die Fahrt über die Brücke war recht interessant. Wir benutzten dazu eine Draisine. Die Brücke trägt den Namen »Dona Anna«. Erbaut wurde sie weniger von den Portugiesen, als vielmehr von den Engländern, die bestrebt waren, ihren reichen Besitzungen im südlichen Innerafrika — Süd- und Nordrhodesien, Njassaland — einen Zugang zum Meer zu verschaffen. Für den 1925 begonnenen Bau der Brücke benötigte man acht Jahre; auf der Baustelle arbeiteten gleichzeitig sechstausend afrikanische Arbeiter, von denen täglich mindestens sechzig starben. Die hiesigen Bewohner sprechen daher von der »Brücke der zum Tode Verurteilten«. Über das Sambesi-Bett selbst schwingt sich nur ein Fünftel dieses gigantischen Bauwerks, der Rest überbrückt Nebenarme, die breite Aue und gefährliche Sümpfe, Zufluchtsort Tausender von Vögeln. Alle fünfhundert Meter halten uns bewaffnete Patrouillen an. Obgleich die Soldaten Nafasi persönlich kennen, überprüfen sie unsere Dokumente überaus gründlich. »Die Brücke ist von außerordentlicher strategischer Bedeutung für die Volksrepublik«, erklärt unser Begleiter. »Sie verbindet die Provinz Tete mit dem übrigen Land, schafft für unseren Kohlenpott Moatize einen Weg zum Meer, führt zum Cahora Bassa, zum größten Wasserkraftwerk ganz Tropisch-Afrikas, und ermöglicht die Beförderung von Transitgütern aus Simbabwe, Sambia und Malawi.« Endlich sind wir am gegenüberliegenden Ufer angelangt. Und da ist auch schon Sena, seit 1530 eine der wichtigsten und ältesten Bastionen der Portugiesen in ganz Afrika. Von hier aus brachen die ersten weißen Umsiedler auf, die für Europa die Existenz von Monomotapa, das System der großen afrikanischen Seen, die berühmten Stromschnellen des Sambesi entdeckten. Von Sena aus leiteten Lissabons Statthalter auch die Militärfaktoreien im Gebiet der aufsässigen Nachbarvölker. Als wir in die Stadt fahren, stoßen wir auf Antonio. Beim Gang durch die Straßen erzählt er: »In der langen Zeit ihrer ‚zivilisatorischen Regierung’ haben die 125
Portugiesen hier wie überall in Afrika nichts als Armut hinterlassen. Das hiesige Archiv hat man schon vor langem abtransportiert, im Jesuitenkollegium, das Mitte des 17. Jahrhunderts zur Ausbildung von weißen und afrikanischen Geistlichen gegründet wurde, sind keinerlei Dokumente verblieben.« Wir besichtigen die einzige architektonische »Sehenswürdigkeit« von Sena, das von einem Kreuz gekrönte Tor der ehemaligen Festung, hinter deren Mauern sich einst Soldaten und Missionare versteckten. Sonst ist Sena ein gewöhnliches afrikanisches Dorf, nur etwas größer als die benachbarten Siedlungen. Ringsum liegen die unübersehbaren Baumwollplantagen der Genossenschaft »Sinsal«, ein führender landwirtschaftlicher Betrieb der jungen Republik. »Während Sie in Mutarare die Mücken gefüttert haben, bin ich mit einigen alteingesessenen Portugiesen ins Gespräch gekommen, die hier geblieben sind«, fährt Antonio fort. »Einmütig erklärten sie alle das Fehlen jedweder ,alter Spuren’ der portugiesischen Anwesenheit in Sena damit, daß diese Stadt vom Tage ihrer Gründung an unaufhörlichen Angriffen der hiesigen Bevölkerung ausgesetzt gewesen sei. Trotz der einst hohen Festungsmauern sei sie immer wieder zerstört und niedergebrannt worden. Einer der Weißen, von denen es hier kaum noch ein Dutzend gibt, hat mir eine alte Nummer des ,Bulletin der Geographischen Gesellschaft von Lissabon’ aus dem Jahre 1882 überlassen. Darin steht folgendes: ,Sena gleicht immer mehr einer sterbenden Stadt. Ihre Einwohner sind häufig gezwungen, den hiesigen Eingeborenen Tribut zu zahlen und sich nachts vor den Löwen zu verbarrikadieren. Die Luft, die man atmen muß, ist von übelriechenden Dünsten erfüllt, die aus dem aufgestauten Wasser des Sambesi aufsteigen. Die Kirche Gottes bleibt die einzige Zuflucht für Seele und Körper in dieser Stadt, in der der weiße Mann nun schon seit fast vierhundert Jahren beharrlich versucht, festen Fuß zu fassen.’« »Und was noch interessant ist«, ergänzt Nafasi, »gerade hier in Sena, wo die katholischen Geistlichen allen Afrikanern ein Kreuz umhängten und aus ihrem Bewußtsein gleichsam alles verdrängten, was mit ihren Stammestraditionen verbunden war, haben wir Leute gefunden, die uns mehr als sonst jemand halfen, uns dieser Traditionen wieder zu erinnern. Und wißt ihr, wer dabei der erste war? Der hiesige Curandeiro!« 126
»Der Curandeiro?« fragt Antonio erstaunt zurück. »Der rituelle Zauberer?« »Ja, eben der! Die Padres aus der hiesigen Mission hatten ihm derart zugesetzt, daß er sich über die Masungas ernstlich erboste, sich allmählich den antikolonialen Kräften anschloß. Er sammelte Heilpflanzen und Schlangengifte und schickte sie durch unsere Leute in die Waldlazarette der FRELIMO. Er behandelte Patrioten, die in PIDE-Gefängnissen verstümmelt oder bei Zusammenstößen mit Strafkommandos verwundet worden waren. Und als die Unabhängigkeit da war, da holte unser Curandeiro die alten heiligen Masken und Totems aus seinen Geheimverstecken hervor und erklärte: ,Ich bin bereit, sie in den Dienst des Aufbaus der neuen Gesellschaft zu stellen.’ Natürlich entbrannte nun ein heftiger Streit, denn früher hatte der Curandeiro mit aufgesetzter Maske böse Geister verjagt, Feinde abgeschreckt, indem er mit den ,Ahnen’ Verbindung aufnahm und deren ,Willen’, genauer gesagt, den Willen der Dorfältesten, den einfachen Stammesmitgliedern sozusagen aufzwang. Sie werden verstehen: Man kann auf derartige Weise nicht gut sozialistische Ideen propagieren. Aber wir fanden dennoch einen Weg, die Masken auch in unserer propagandistischen Arbeit einzusetzen.« »Könnten wir Ihren progressiven Zauberer nicht einmal kennenlernen?« fragte Wolfgang Wagner schüchtern. »Nichts ist einfacher!« entgegnete Nafasi. »Zum Curandeiro geht man doch immer dann, wenn man es nötig hat, nicht erst auf Einladung. Und ihr habt eben eure eigene, journalistische Notwendigkeit hinzugehen. Nur wollen wir den alten Mann nach hiesiger Art besser Mkanka nennen.« Die Hütte des Zauberers sieht genauso aus wie alle übrigen auch, sie fällt nur durch das riesige Gehörn einer Rappenantilope auf dem Dach auf, hiesiges Symbol für Zauberei. Und auch der alte Mann selbst hat nichts Besonderes an sich, nur ein Teil der Ohrläppchen ist bei ihm abgeschnitten, und an dem, was übriggeblieben ist, hängen Ohrringe aus Krokodilzähnen. Camarada Nafasi erklärt dem Mkanka des längeren etwas, der lächelt. Dann geht er in die Hütte, wäscht sich dort in einer weißen Emailleschüssel die Hände, wischt sie sich an daneben liegenden breiten Bananenblättern sorgfältig trocken und begrüßt uns dann. Wir tauschen einen Händedruck. 127
Auf eine exakte Wiedergabe unseres Gesprächs muß ich allerdings verzichten, da Nafasi, wie es mir vorkommt, nicht übersetzt, sondern die Worte des Mkanka interpretiert. Der Inhalt seines Berichts ist folgender: In alten Zeiten war die Maske ausschließlich mit religiösen Glaubensvorstellungen verbunden. Bei den MalawiStämmen gab es so etwas wie einen Geheimbund der Männer, dem die Dorfältesten, die tapfersten Krieger und die weisesten Dorfbewohner angehörten. Sie allein hatten Zugang zu den Masken. Die Mitglieder des Bundes setzten sie auf, gingen so zum abendlichen Feuer und verkündeten dort mit verstellten Stimmen die vom Geheimbund getroffenen Entscheidungen. Viele einfache Dorfgenossen, besonders Jugendliche und Frauen, ahnten nicht einmal, wer sich hinter den schrecklichen Gesichtsmasken verbarg. Für sie waren es die aus dem Dickicht des Waldes gekommenen nächtlichen Geister der Ahnen, die Macht über die Lebenden besaßen. Alles, was verkündet wurde, betrachtete man bedingungslos als Anleitung zum Handeln. Was verkündeten die Masken? Sie forderten dazu auf, ehrlich und tapfer zu sein, auf den Feldern gut zu arbeiten, sich um die Alten zu kümmern, das Stammesgebiet gegen Einfälle kriegerischer Nachbarn zu verteidigen. Je fester aber die Portugiesen im Land der Malawi Fuß faßten, um so häufiger riefen die Masken an den Feuern die Leute dazu auf, gegen die weißen Eroberer zu kämpfen, nicht auf deren Pflanzungen zu arbeiten, Speicher anzuzünden, Straßen zu sperren. Die Masken wurden zu einem Hauptfeind der Kolonisatoren, und deshalb erklärten jene ihnen regelrecht den Krieg. Viele Masken wurden verbrannt und die Meister getötet, die sie zu schnitzen verstanden. Die wichtigsten, meistverehrten Masken, die der Zauberer von seinem Vater und Großvater geerbt hatte, wurden allerdings gerettet. Das war nicht einfach gewesen, denn in der Umgebung gab es weder Wälder noch Berge, und im sumpfigen Boden des Sambesi-Tales fault Holz rasch, wird von Insekten zerfressen. Deshalb übergab der Mkanka die »großen Masken« des Stammes den Frelimo-Leuten, die er mit Arzneien versorgte. Und die hatten sie in einer fernen felsigen Gegend sicher versteckt. Einst besaßen die Malawi auch Masken, die allen zugänglich waren. Wenn eine Familie Unheil befiel, wenn im Dorf oder Stamm ein böser Feind auftauchte, dann schnitzte man eine Maske, Symbol für »bösen Geist«. Man veranstaltete Tänze, brachte den guten Gei128
stern Opfer dar, und dann warf man die Maske ins Feuer. Die Leute glaubten, daß zusammen mit der Maske auch der »böse Geist« in der Flamme verbrenne. ,Wie wäre es, wenn man diesen alten Brauch wiedererstehen ließe?’ hatte der Mkanka überlegt. ,Unsere Leute haben doch einen gemeinsamen bösen Feind, den Kolonialismus!’ Diesen Gedanken hatte er João und Raschidi anvertraut, und die hatten ihn gutgeheißen. Auf dem Hinterhof der katholischen Mission begannen sie, neben Kreuzen und Jungfrau-Maria-Statuen auch Masken zu schnitzen, die höchsten Vertretern der kolonialen Verwaltung von Sena und Mutarare ähnelten. So tauchte eine Maske des Kommandanten Gomes mit Eselsohren auf, eine schweineschnäuzige Maske vom Polizisten Luis Mateos, eine vom PIDE-Agenten Diogo mit Fesseln anstelle der Ohren. Wenn der Sambesi nach dem »großen Regen« in seiner ganzen Breite über die Ufer trat, kamen Hunderte von Bewohnern der umliegenden Dörfer nachts auf einer kleinen bewaldeten Insel inmitten des Flusses zusammen, wo der alte Mkanka dann die rituelle Verbrennung solchen »Kopfschmucks« für die Weißen vornahm. Später holte man aus den fernen Höhlen zwei der alten »großen Masken«. Diese riefen die Stammesgenossen auf, sich zum bewaffneten Kampf zu erheben, sich den Patrioten anzuschließen... Im Halbschlaf saßen wir irgendwann nach einer weiteren schlaflos verbrachten Nacht auf der Terrasse von Nafasis Haus. Der Kommissar versuchte vergeblich, mit Quelimane Funkverbindung zu bekommen, um wenigstens das ungefähre Datum unserer Abreise zu erfahren. Dort aber schwieg man beharrlich. »Es ist ja Sonntag...«, der Kommissar winkte hoffnungslos ab und stupste weiter auf den Geber. Plötzlich aber lebte er auf. »Sonntag, Sonntag ist ja heute!« rief er, »das bedeutet ja, daß heute in Mutarare fast niemand arbeitet, sich alle langweilen, daß man euch daher mit Freuden beweisen wird, die Maske bei uns denkt gar nicht daran zu sterben. — Mpagu!« rief er dem Soldaten zu, der das Kommissarshaus bewachte, »geh doch einmal in das OMJ*-Büro, und wenn dort niemand da ist, dann zu Marcelina, der Sekretärin, zu ihr * OMJ = Organisation der moçambiquisehen Jugend
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nach Hause. Sag ihr, ich bäte sie, die Jugend zusammenzurufen, man möchte, sobald die Hitze nachläßt, ,Kampf gegen die Chikonyoka’ veranstalten.« »Chikonyoka« ist ein Wort, das erst vor kurzem entstanden ist, das man heute aber buchstäblich im ganzen Lande kennt. »Chiko« ist der Name eines Afrikaners, der in der Kolonialzeit zu trauriger Berühmtheit gelangte, eines Agenten der Geheimpolizei PIDE, eines Zuträgers, Provokateurs und schmutzigen Geschäftemachers. Und »nyoka« bedeutet in den meisten hiesigen afrikanischen Dialekten »Schlange«, Chikonyoka demnach so etwas wie »Schlangenmensch«. Diese Gestalt also hatten sich die Aktivisten im hauptstädtischen Stabsquartier der »Dinamisatoren« ausgedacht, und sie ist seitdem zum »Antihelden« aus moçambiquischen politischen Plakaten geworden. So rollte also vor unserer Terrasse in Mutarare eine regelrechte Theatervorstellung ab, die zeigte, wie man diesen »Schlangenmenschen« bekämpfte. Beteiligt waren daran etwa hundertfünzig Leute, praktisch die gesamte Jugend des Städtchens. Alle übrigen Einwohner von Mutarare hatten sich als Zuschauer eingefunden. Die positiven Helden — Frelimo-Soldaten, Aktivisten der OMJ, Genossenschafter und sonstige »bewußte« Leute — traten ohne Maske auf. Die negativen Personen bildeten dafür eine ganze Galerie von Masken, bei deren Anfertigung man Humor, Erfindungsgeist, Einfallsreichtum bewiesen hatte. Da gab es einen Bürokraten, dessen Äuglein vom Nichtstun in einem Fettpolster versanken, einen rotgesichtigen Trunkenbold mit eingeschlagener Nase, ein Klatschmaul mit riesigen Ohren... Masken ohne Ohren und Augen symbolisierten Menschen, die nicht an Kursen für Analphabeten teilnehmen wollten. Eine mit Geldscheinen beklebte Maske stellte eine Spekulantin dar. Und es gab auch Masken, die solche berüchtigten Rassisten wie Smith (damals Ministerpräsident der »Republik Rhodesien«, des heutigen Simbabwe) und Vorster (Ministerpräsident von Südafrika, Verfechter der Apartheid) darstellten. Die in Grüppchen aufgeteilten Jugendlichen brachten nicht weniger als sieben, acht Handlungen gleichzeitig zur Aufführung. In einer Ecke verspotteten sie in einem »Auftritt« einen Dorfreichen, in einer anderen brachten sie Prostituierte wieder auf den rechten Weg, in einem dritten Winkel kritisierten sie Faulpelze und Nichtstuer, in einem vierten konfiszierten sie von Spekulanten gehortete Lebens130
mittel. In der Mitte war der Kampf um die Alphabetisierung im Gange, der begleitet wurde vom Verbrennen der äugen- und ohrenlosen Masken. Deutlich war eines: Dieses imposante und in seinem Grundgedanken eindeutig improvisierte Schauspiel symbolisierte insgesamt das Bild der tiefen sozialökonomischen Umwandlungen, die im ganzen Land vor sich gingen. Als es dunkelte und die Mücken alle in ihre Häuser getrieben hatten, schaute Vasco bei uns herein: »Na, sind die Masken nicht gut?« fragte er, zufrieden lächelnd. »Unsere Arbeit! Wir begnügen uns eben nicht nur mit geschnitzten Möbelfüßen!«
Stromaufwärts nach Tete Unerwarteter Retter aus der Gefangenschaft der Mücken von Mutarare wurde für uns nicht ein Flugzeug, sondern ein Motorboot, mit dem Raschidi in die bewaldete Flußenge Cahora Bassa fahren wollte, um eine neue Partie Mpingoholz zu holen. Bequemlichkeit bot die mit Maissäcken beladene Barke der Genossenschaft zwar nicht, doch wurde das wettgemacht durch die Gewißheit, daß man den Sambesi aufwärts fährt, also die Route der ersten portugiesischen Afrikaforscher und David Livingstones wiederholt, sowie durch die Möglichkeit, den großen afrikanischen Strom genau kennenzulernen und das Leben an seinen Ufern aus der Nähe zu beobachten. Das Motorboot ist wahrscheinlich überhaupt das günstigste Verkehrsmittel auf einem so eigentümlichen Fluß wie dem Sambesi. Ein größeres Schiff gerät immer in Gefahr, auf einer Sandbank aufzulaufen, die sich an den unmöglichsten Stellen bilden kann, und eine Piroge läßt sich zwar gut manövrieren, kann aber die ziemlich starke Strömung nur mit größter Mühe überwinden. Das Motorboot fährt zwar ebenfalls auf Sandbänken auf, die in dem trüben gelben Wasser nicht immer auszumachen sind, doch sitzt es schon einmal auf einer solchen Untiefe auf, dann freut man sich halt, etwas verschnaufen, die Beine ins warme Flußwasser halten zu können, ehe es weitergeht. Über kleinere Katarakte und über Stromschnellen muß 131
man das Motorboot allerdings treideln, doch das heißt auch, daß man sich nach dem ermüdenden Sitzen auf dem harten Boden des Bootes ein bißchen Bewegung verschaffen kann und fast zwangsläufig in ein ergötzliches Abenteuer mit einem kleinen Krokodil oder Büffel »hineingezogen« wird. Heutzutage findet man nämlich in dem seit langem erschlossenen Sambesi-Gebiet kaum noch ausgewachsene solche Tiere. Man kann sich daher nur wundern: Wer bringt die kleinen Krokodile und Büffel eigentlich zur Welt? Wenn ich mit afrikanischen Chauffeuren zu tun hatte, habe ich immer feststellen müssen, daß sie niemals dorthin fahren, wohin die Fahrgäste wollen. Der Chauffeur fährt in der Regel an eine Stelle, die der vorher vereinbarten diametral entgegengesetzt liegt. Und die Führer von Motorbooten scheinen die gleiche Eigentümlichkeit zu besitzen. Anstatt nämlich flußaufwärts nach Tete zu fahren, tuckerten wir erst einmal ungefähr sechzig Kilometer stromabwärts bis zu der Stelle, wo der Chire in den Sambesi mündet, und legten dort am Ufer an, wo unmittelbar am Wasser eine Hütte stand. Ohne das Boot zu verlassen, unterhielt sich Raschidi etwa eine halbe Stunde lang mit einer Frau, deren Äußeres ihn jedoch kaum veranlaßt haben konnte, eine so weite Fahrt zu unternehmen. Dann warf er plötzlich den Motor wieder an, aber gleich danach saß das Boot auf einer Sandbank fest. Dieser Vorfall gab Antonio Anlaß, daran zu erinnern, daß in früheren Zeiten am Zusammenfluß von Chire und Sambesi die Bevölkerung der ufernahen Gebiete ebenso wie im Cuama-Delta allwöchentlich Gemeinschaftsarbeiten zu leisten hatte, den sogenannten Flußfrondienst, um die schiffbaren Wasserläufe von Sandanschwemmungen zu befreien. Und Raschidi fügte hinzu, daß auf Aufforderung der FRELIMO hin die Bevölkerung jetzt solche Arbeiten freiwillig übernimmt. Anschließend ging es den Chire aufwärts, dessen Ufer hinter hohem Schilfdickicht verborgen lagen. Raschidi versuchte mehrmals, da hindurchzufahren, doch jedesmal ohne Erfolg. Endlich gelang es uns aber doch anzulegen. Raschidi zog unter den Maissäcken leere Kanister hervor, verteilte sie auf uns mit der Miene eines großen Chefs und hieß uns ihm folgen. »Das ist der Morrumbala«, erklärte er und zeigte auf einen bewaldeten Berg, der einsam aus der versumpften Talaue aufragte. »Früher, als noch Seeschiffe bis in diese Gegend flußauf fuhren, diente 132
der Morrumbala, der ,Wächterberg’, diesen als eine Art Leuchtturm. An seinem Fuß entspringen Quellen mit heilkräftigem Wasser. Wir werden für unsere Fahrt davon etwas mitnehmen.« Das Wasser war heiß und stark mineralhaltig. Auch Livingstone hatte es stets auf seine Expeditionen mitgenommen. Wir zogen weiter den Chire aufwärts, wandten uns dann gen Westen und ließen die Incha-Ngoma-Inseln linker Hand liegen, scheuchten dabei einige Pelikan schwärme auf, saßen zweimal auf Sandbänken in einem breiten Flußarm, dem sogenannten Sena, fest und gelangten unmittelbar gegenüber von Mutarare, das wir am frühen Morgen verlassen hatten, wieder in den Sambesi. »Hier essen wir zu Mittag, dann geht’s los«, ordnete Raschidi wie ein echter afrikanischer Chauffeur an. Nach kurzer Ruhepause tuckerten wir endlich den Sambesi aufwärts. An seinem Unterlauf findet man keine die Phantasie beflügelnden äquatorialen Wälder wie etwa am Kongo, keine romantische Assoziationen hervorrufenden imposanten Wüsten wie am Nil. Auf beiden Seiten ziehen sich durch Abholzung gelichtete Wälder mit Mopane-Bäumen hin. Die Zunahme der Bevölkerung, die es auf Grund der sich häufenden Dürren zum Fluß hin zieht, und die Rodung der Wälder zur Gewinnung von Brenn- und Nutzholz bringen es mit sich, daß für große Bäume hier die Tage wohl gezählt sind. Die Jahrhunderte währende Tätigkeit des Menschen, in erster Linie des weißen Mannes, hat den Sambesi auch der Galeriewälder beraubt, die sonst in der Regel Flüsse der Tropen begleiten. Sogar ihre kläglichen Reste verschwinden — Tamarindenhaine, Oliven- und Johannisbrotbäume, von den Palmen vor allem die Ölpalme, die Palmyra und die Raphia. Anstelle dieser Haine findet man an den Ufern des Sambesi dürrebeständigere Arten, wie sie für die Trockensavanne charakteristisch sind. Es handelt sich vorwiegend um Leguminosen, Hülsenfrüchter, wie Brachystegia und Julbernardia, die weder Schatten spenden noch Nutzholz liefern. Die Landschaft dieser Gebiete zeichnet sich durch eine frappierende Einförmigkeit aus, die besonders in der Trockenzeit verblüfft, wenn die ausgedehnten Ebenen am Sambesi sich mit graubraunem Gras überziehen. Nur gewaltige Termitenbauten und unbelaubte, aber mit langen Dornen versehene Bäume und Sträucher ragen daraus empor. 133
Während einer unserer Pausen am Ufer, als meine afrikanischen Begleiter begeistert Termitenbauten zerstörten und anschließend die erbeuteten fetten Insekten über einem Feuer brieten, zog ich es vor, mich abzusetzen und mich etwas mit der hiesigen Pflanzenwelt zu befassen. Wie überall, wo Brachystegia vorherrscht, wird diese von hohen Gräsern mit geringem Futterwert begleitet: von Hyparrhenia, Andropogon, Themeda und Selin, die hier mehr als zwei Meter Höhe erreichen. Für das Hausvieh sind diese in der von der Tsetsefliege verseuchten Flußniederung wachsenden Gräser kaum genießbar, für wildlebende Huftiere aber und auch für Elefanten stellen sie richtige Leckerbissen dar. Vergeblich ließ ich meine Phantasie spielen, als ich versuchte, mich auf eine Begegnung mit einem Giganten der afrikanischen Tierwelt vorzubereiten! Es war nichts von diesen Riesen, es waren nicht einmal ihre Spuren zu sehen. Und das war gar nicht verwunderlich. Man braucht sich nur mit den Erinnerungen portugiesischer oder englischer Jäger vertraut zu machen, um zu wissen, wie unbarmherzig in Moçambique das Großwild ausgerottet worden ist. So bezeugt der Portugiese Diogo, der in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zwischen Sena und Tete auf Jagd ging: »In einem komfortablen Boot sitzend, dessen Sitz der hiesigen Hitze völlig unangepaßt mit rotem Samt überzogen war, habe ich an einem einzigen Tage mühelos 172 Elefanten erlegt... Die uns in einiger Entfernung am Ufer folgenden Eingeborenen schafften es nicht, die Stoßzähne von den Kadavern zu lösen, so daß ich die Jagd unterbrechen mußte, um mit einem der hiesigen Häuptlinge zu verhandeln, er möge mir noch weitere hundert Eingeborene zu Hilfe schicken.« Noch in unserem Jahrhundert hat man für die heute im Museum von Maputo gezeigte berühmte Ausstellung, die die Entwicklung eines Elefantenembryos im Mutterleib zeigt, 980 ausgewachsene Tiere getötet. In jenen Jahren, da Elfenbein und nicht Gold den Portugiesen in Moçambique plötzlich ansehnliche Einkünfte verhieß, war die Zahl der am Sambesi erlegten Elefanten so hoch, daß man nur ausrufen kann: Wer hätte wohl geglaubt, daß hier überhaupt so viele Elefanten gelebt haben! 1809 zum Beispiel sind nach Unterlagen des Gouverneurarchivs der Insel Moçambique »über Quelimane, das für den Cuama die Rolle des Hauptexporteurs von Elfenbein spielte, eine Million zwölftausend Kilogramm Elfenbein ausgeführt worden«, 134
was ungefähr hundertzwanzigtausend Elefanten das Leben gekostet hat. Als ich zum Boot zurückkehre, treffe ich die ganze Gesellschaft bereits beim Termitenessen an. Mit gebratenen Samenkörnern und Pilzen vermischt und mit einer sauren Soße als Zutat schmecken die Termiten gar nicht übel, doch mich am Mahl beteiligen, davon hält mich die Hautallergie zurück, die dieses Gericht bei mir hervorruft. Erst als mein DDR-Kollege, von allen unterstützt, verkündet: »Wenn du nicht kostet, darfst du nicht mit uns weiterfahren!« muß ich wohl oder übel kapitulieren. Nachdem ich das Recht auf Weiterfahrt erworben habe, bringe ich meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, daß Großwild im Sambesi-Tal völlig fehlt. »Hauptgrund dafür, daß das Elefantenparadies an diesem Fluß vernichtet wurde, war das unter dem Namen ,prazo’ in die Geschichte eingegangene System«, sagt Antonio. »Es entwickelte sich während des Vordringens der Portugiesen in das Sambesi-Tal und wurde zur wichtigsten Grundlage der Politik Lissabons in Moçambique, nachdem man in Monomotapa ein Fiasko erlitten hatte. Prazo, das ist eine Bodenkonzession. Das gesamte Einzugsgebiet des unteren Sambesi, von Beira und Quelimane bis nach Tete, hatte man in riesige Erbgüter aufgeteilt, die mitunter 50 000 Quadratkilometer groß waren. Man übergab diese an Konquistadoren, die sich unter der Kolonialregierung besonders ausgezeichnet hatten, oder an verarmte Aristokraten. Diese sogenannten Prazeiros erhielten dadurch das Recht, staatliche Einnahmen von der Bevölkerung einzutreiben, sie regierten diese Güter wie richtige Könige. Später verschafften sich auch einfache Kolonialsoldaten, die ihren Dienst abgeleistet hatten, ein solches Prazo, und sogar ,degradados’, also aus Portugal Verbannte. Viele dieser Prazeiros nahmen den Afrikanern gewaltsam immer neues Land weg und verleibten es dem eigenen Besitz ein, eigneten sich die Machtstellung einheimischer Häuptlinge an und umgaben sich mit einem Gefolge von Zauberern und ähnlichen Leuten. Manche dieser Prazobesitzer, die sich da am Sambesi breitgemacht hatten, bekämpften sich untereinander wie mittelalterliche europäische Feudalherren. So entstand allmählich die weiße adlige Gutsbesitzerklasse von Moçambique, deren sozialökonomische Interessen freilich nicht immer mit denen des Mutterlandes übereinstimmten. 135
Selbstverständlich brauchten die Prazeiros zur Aufrechterhaltung ihres aufwendigen Lebensstils und zur Fortsetzung der Kriege gegen die Nachbarn Geld. Ihre Haupteinnahmequelle wurden die Elefanten, die in riesigen Herden durch ihr Gebiet streiften. Waren die ,eigenen’ Elefanten ausgerottet, schickten die Prazeiros große Jagdexpeditionen aus ins ,Niemandsland’ im Norden am Ufer des Njassasees. Die an ihnen teilnehmenden Afrikaner bahnten so die Wege, auf denen den Elefantenjägern später die Sklavenjäger folgten. Etwas danach entstanden am Sambesi die ersten Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen, auf denen Afrikaner Zwangsarbeit verrichten mußten. Die Arbeitsbedingungen waren für sie auf diesen Plantagen schlechter als für Sklaven, denn letztere mußte man kaufen, so daß ihre Besitzer daran interessiert waren, sie möglichst lange arbeitsfähig zu erhalten, um durch deren Arbeit die aufgewendeten Summen wieder hereinzubekommen. Die Prazeiros aber erhielten unter dem portugiesischen Kolonialismus die Arbeitskräfte umsonst, und es war ihnen völlig gleich, ob ein solcher gezwungen schuftender Afrikaner den nächsten Tag noch erlebte. In manchen Prazo am Sambesi arbeiteten jeweils mehrere tausend Sklaven, doch war deren Arbeitsproduktivität äußerst gering, und der ökonomische Nutzen der Plantagen, die in immer größer werdenden Widerspruch zur kapitalistischen Produktionsmethode gerieten, wurde allmählich gleich Null. 1890 wurde das Prazosystem daher aufgehoben...« »Aufgehoben?« unterbricht Antonio verwundert der am Bug des Motorbootes sitzende Raschidi. »Vom meiner Geburt im Jahre 1947 bis zu meinem zwanzigsten Jahr habe ich im Betrieb eines Portugiesen gelebt und ihn die ganze Zeit ,Senhor Prazeiro’ genannt, mich selbst aber wie ein Sklave gefühlt. Übrigens werden wir bei Chiramba an jener Gegend vorbeifahren.« Raschidi schwieg eine Weile und fuhr dann seufzend fort: »Dieser Portugiese unterhielt eine eigene Abteilung von ,Sepoi’, schwarzen Schuften, die uns mit Ruten den Rücken massierten, sobald wir uns während der Arbeit auf seinem Erdnußfeld einmal aufzurichten und in den Himmel zu schauen wagten.« »Haben Sie für diese Arbeit etwas bezahlt bekommen?« interessierte sich Wolfgang Wagner. »Wenn man das als Bezahlung bezeichnen kann — zwei Escudo 136
am Tag. Im Monat kamen so kaum zwei Dollar zusammen. Allerdings erhielten wir Verpflegung. Als Frühstück eine Handvoll Bohnen mit Schweineborsten, als Mittag nur Wasser, weil der um seine Gesundheit besorgte Prazeiro sich ,zurückhielt’ und in der Hitze selbst nichts aß, als Abendbrot zwei gedörrte Fischchen aus dem Sambesi, so stark gesalzen, daß man nicht herausfand, waren sie noch gut oder schon angegangen.« »Wovon unterhielten denn jene, die für den Senhor Erdnüsse anbauten, ihre Familien?« »Der Senhor sagte uns: Ich füttere euch nur, damit ihr auf meinem Feld arbeiten könnt. Mich darum zu kümmern, ob eure Frauen und Kinder etwas im Bauche haben, das ist nicht meine Sache...« Raschidi bremste das Boot ein wenig ab und musterte aufmerksam die am Ufer auftauchenden runden Hütten. »Da ist schon Chiramba, dahinter liegen die Erdnußfelder, von denen ich gesprochen habe. Wir könnten hier übernachten, aber ich fürchte, morgen früh würden wir dann ohne Kopfschmerzen nicht losfahren... Ich habe viele Freunde hier! Ich schlage daher vor, wir suchen uns eines der vielen Inselchen im Fluß aus und schlagen dort unser Nachtlager auf.« Am nächsten Morgen kamen wir gleich hinter Chiramba an dem düsteren, scheinbar für alle Ewigkeit errichteten Gebäude der katholischen Mission vorbei. Anschließend passierten wir die Kathedrale in Mirava, die Mission in Bandar und das Kirchgemeindezentrum in Songo. Jede Siedlung in dieser Gegend am Sambesi ist um das kirchliche Zentrum herum entstanden, oder anders gesagt, die Kirchenleute errichteten ihre Zentren in jedem mehr oder weniger großen afrikanischen Dorf. »Bei den Jesuiten, die vor allen anderen katholischen Orden in Moçambique auftauchten, gab es eine Art geflügeltes Wort: ,Der Sambesi ist der von Gott geschaffene Weg, der ins Innere Afrikas führt’«, sagte Antonio. »Und sie haben diesen Weg gehörig genutzt, standen dabei in ihrem Tun den Prazeiros kaum nach. Jagd auf Elefanten und Sklavenarbeit auf Plantagen, sie erlaubten es, im Sambesi-Tal diese an Paläste erinnernden Missionen zu bauen.« Häufig wird der Sambesi als »Grab des weißen Mannes« in Afrika bezeichnet. Und dies nicht nur wegen der unzähligen Tsetsefliegen, die die praktisch unheilbare Schlafkrankheit übertragen, sondern auch deshalb, weil die klimatischen Bedingungen am Cuama 137
ungewöhnlich hart sind. 35 Grad Hitze plus 99 Prozent Luftfeuchtigkeit, so lautet die klimatische Formel für tropische Küstenstädte. In Nähe des Ozeans verspricht eine Brise nächtliche Abkühlung, zwar seltenes, doch immerhin mögliches Absinken der Temperatur und die belebende Hoffnung auf ein Bad. Die große Wasserfläche des Sambesi bewirkt die gleichen 99 Prozent Feuchtigkeit, doch hier gibt es weder Brisen noch die Möglichkeit zu baden. Die Luft ist im Tal immer drückend heiß, und das Wasser birgt eine Unmenge Gefahren, die mit den überall hineindringenden Eingeweidewürmern und Protozoen zusammenhängen. Portugiesische Geographen pflegen mitunter sowohl den »Hitzepol« der Südhalbkugel als auch den »heißesten Ort Afrikas südlich des Äquators« an den Sambesi ins Gebiet von Tete zu verlegen. Letzteres kommt wahrscheinlich der Wahrheit sehr nahe. Die am rechten, leicht erhöhten Ufer des Sambesi gelegene Stadt Tete begann für uns mit der über den Fluß führenden, wie Filigran wirkenden Brücke. In ihrer Nähe, im Bezirk der erst vor kurzem errichteten zwei-, dreistöckigen leicht modernistisch wirkenden Gebäude befinden sich Geschäftsviertel, im höchstgelegenen Teil der Stadt liegt die alte Festung, das Hauptbollwerk der Portugiesen in der Zeit ihres Vordringens nach Manica. Hierher schleppten sie die Herrscher von Monomotapa, die bereits dabei waren, ihre Positionen aufzugeben, und tauften sie. Hinter diesen Mauern erzogen sie, gleichsam in einem christlichen Gefängnis, einige Thronfolger von Simbabwe. Hier haben sie die 136 Jahre alte Zauberin Haalse gefoltert und getötet, die das Volk aufgefordert hatte, die Goldvorkommen vor den Weißen geheimzuhalten, und die dem englischen Schriftsteller Henry Rider Haggard wahrscheinlich als Vorbild für die Zauberin Gagula in seinem Roman »King Salomon’s mines« gedient hat. Und schließlich hat das Tor dieser Festung auch der britische Konsul in Moçambique, der große Forschungsreisende David Livingstone, mehrfach passiert, wenn er den Gouverneur von Tete aufsuchen wollte. Je länger man durch die geschichtsträchtigen Gassen dieser Stadt schlendert, um so mehr begreift man, daß Tete keineswegs von nostalgischer Hinwendung zur Vergangenheit lebt — es ist das Verwaltungszentrum der großen gleichnamigen Provinz, die sich zu beiden Seiten des mächtigen Sambesi erstreckt. Was mochte die großen Banken und Gesellschaften veranlaßt haben, gerade hier, an diesem 138
Fluß, ihre Filialen, ein ganzes Viertel moderner Gebäude zu errichten? Womit läßt sich die hiesige große Zahl von PKW erklären? Und wohin rollen wohl die riesigen Fünfundzwanzig- und Vierzigtonner, die großen Bulldozer und Raupenschlepper, die die Brücke überqueren und im Staub am linken Ufer des Sambesi verschwinden?
Moatize — Moçambiques Kohlenpott Nur zwanzig, dreißig Minuten Fahrt in einem Staub, der von Rot in Grau, dann von Grau in Schwarz übergeht, und schon ändert sich die Landschaft in verblüffender Weise. Das lichte Mopane-Veld wird überraschend abgelöst von mit Kohlestaub überzogenem Ödland, einem Gewirr von Haupt- und Nebengleisen, Halden tauben Gesteins und Bergen geförderter Kohle. Bald hier, bald dort sieht man Fördermaschinen, Gebäude von Verwaltungstrakten, Werkstätten, Speichern. Eine richtige Industrielandschaft, die man in dieser Einsamkeit absichtlich vor den Kämpfern für »ökologische Sauberkeit« verborgen zu haben schien. Das ist Moatize, das größte Vorkommen von verkokbarer Kohle im Lande und das wichtigste, bislang noch einzige Kohlerevier von Moçambique. Am Betriebseingang begrüßt uns Ernesto Vaito, früher einfacher Bergmann, jetzt Mitglied des ZK der Frelimo-Partei und Sekretär der Parteiorganisation des gesamten riesigen Unternehmens. Mit einem Blick auf unsere Fotoapparate samt Blitzlichtgeräten wiegt er bekümmert den Kopf: »Über eines wollen wir uns gleich im klaren sein — fotografieren dürft ihr erst, wenn ich es erlaube, und nur unter freiem Himmel. Dies nicht etwa deshalb, weil wir vor Freunden Geheimnisse hätten, sondern weil ich nicht mit euch zusammen in die Luft fliegen möchte. Elektroblitze können im Schacht eine Explosion auslösen.« Wir nicken zustimmend und gehen an den Kohlehalden entlang zu einem Tagebau, der gerade aufgeschlossen wird. Ernesto, der uns untergehakt hat, erklärt: »Was sich hier in Moatize getan hat, spiegelt genau die Situation wider, die für unsere Republik als Ganzes kennzeichnend ist. Sie
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sind, soviel ich weiß, schon 1974 und 1975 in Beira und in Maputo gewesen?« wendet er sich an mich. »Da haben Sie auf den Flughäfen Moçambiques dann ja auch die Hunderte, mitunter Tausende von Leuten, in den Häfen die mit Containern überfüllten Kais gesehen?« »Sie meinen die Massenabreise der weißen Bevölkerung aus Mocambique?« präzisiert Wolfgang Wagner. »Natürlich. Die Portugiesen flohen, obwohl sie von der FRELIMO in keiner Weise dazu gezwungen wurden. 1974 zählte man in diesem Lande fast dreihunderttausend Weiße, 1983 aber nur noch wenig über zwanzigtausend. Unter den Abgewanderten befanden sich nicht nur PIDE-Agenten und eingefleischte Rassisten, sondern auch Ingenieure, Techniker, Ärzte, Lehrer, Agronomen, und in den von ihnen mitgenommenen Containern waren nicht nur Möbel aus Ebenholz, sondern auch Maschinen, Werkbänke, Ausrüstungsgegenstände, Dokumentationen der Betriebe enthalten.« Ernesto hielt inne, rauchte eine selbstgedrehte Zigarette an und fuhr dann fort: »Das aber, was wir die Kolonisten nicht mitnehmen ließen, haben diese zerstört, verbrannt, unter Wasser gesetzt. Die weißen Farmer, die den größten Teil der Nahrungsmittel für die afrikanischen Arbeiter unserer Bergwerke lieferten, brachten, als sie sich zum Weggang anschickten, nicht ein einziges Korn mehr in den Boden. Zehntausende Stück Vieh wurden abgeschlachtet oder in die Nachbarländer überführt. Infolge dieser Sabotage ging die Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Lande insgesamt um fast die Hälfte zurück, die Industrieproduktion um mindestens 35 bis 40 Prozent. So wurden von den Kolonisatoren und der Reaktion die ,Grundlagen gelegt’ für den Mangel an Nahrungsmitteln und Industriegütern, mit dem die Volksrepublik auch heute noch konfrontiert ist.« Als wir am Rand des gewaltigen Kessels vom künftigen Tagebau standen, von dem die Bagger gerade die erste Deckschicht abhoben, umfaßte der Sekretär die Baustelle mit dem Blick des Hausherrn: »Da sehen Sie, wir haben mit Erfolg begonnen, auch ohne die weißen Flüchtlinge auszukommen«, sagte er voller Stolz. Uns interessiert, wie die Nationalisierung der Bergwerke vor sich gegangen ist. »Kurz gesagt, den Anstoß dazu lieferte die Sabotage durch den damaligen Besitzer, die ,Companhia carbonifera de Moçambique’, 140
in der belgisches Kapital überwog. In den sechziger und siebziger Jahren wurden in Moatize jährlich 250 000 bis 350 000 Tonnen Kohle gefördert, und die Belgier planten sogar eine Erhöhung. Doch nach 1975 ging die Förderung stark zurück, obwohl die Volksrepublik die Kohle dringend benötigte. Die Bergwerksbesitzer lehnten es kategorisch ab, Vertreter von Arbeiterkomitees in die Leitung aufzunehmen, weigerten sich auch, den Forderungen nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Bergleute und einer Erhöhung ihrer Löhne nachzukommen. Über Tage konnten wir noch einiges verbessern, aber untertage blieb alles wie in alten Zeiten, bis hin zu körperlichen Züchtigungen. Als wir mit Hilfe der Genossen von der FRELIMO die Herren in der Leitung in die Enge trieben, kam es in den Schächten zu unerklärlichen Unglücksfällen. Man signalisierte uns: Diversion, Provokation, Sabotage. Da mußten sich auch die ehemaligen Besitzer von Moatize dem Erlaß beugen, der sie über die Nationalisierung der Bergwerke unterrichtete. Unser Betrieb ist der größte des staatlichen Sektors.« Die Vorräte an Kohle in Moatize werden auf 400 Millionen Tonnen geschätzt, weitere 200 Millionen Tonnen hat man in benachbarten Lagerstätten erkundet. Unter normalen Bedingungen könnte also das ganze Land mit Kohle versorgt werden. Doch bewaffnete Banditen verunsichern auch die Provinz Tete und die Gegend um Moatize. Die Eisenbahnlinie, auf der die Kohle einst zur Küste, zum Hafen, befördert wurde, ist seit geraumer Zeit zerstört, so daß der Transport heute auf schweren Lastkraftwagen, die in bewachten Konvois fahren, erfolgen muß. Auf diese Weise wird die Kohle aus Moatize jetzt nicht nur zu den Verbrauchern im eigenen Lande, sondern auch ins benachbarte Simbabwe und Malawi geliefert. Bei der Wiederaufnahme der Förderung in den von den Portugiesen vernachlässigten, nach deren Abzug zum Teil abgesoffenen Gruben haben vor allem Spezialisten aus der Deutschen Demokratischen Republik große Hilfe geleistet. Noch heute sind ein paar Dutzend Facharbeiter aus der DDR in Moatize tätig. Wir gelangen zum Verwaltungsgebäude. Am Eingang eine riesige Schiefertafel, auf der mit weißer und roter Kreide Zahlenreihen verzeichnet sind. »Hier halten wir täglich die Produktionskennziffern fest«, erklärt Ernesto. »Mit Rot sind die Arbeitsergebnisse der Parteimitglieder 141
und Kandidaten eingetragen. Die müssen die besten Leistungen aufweisen, denn an ihnen messen sich die anderen. In der Vergangenheit kam es in den Schächten häufig zu Erdrutschen, Explosionen und anderen Havarien. Dergleichen zu verhindern, ist Aufgabe des Grubensicherheitsdienstes, den Frelimo-Leute eingerichtet haben. Diese kümmern sich auch um solche Probleme wie Organisation des kulturellen Lebens im Betrieb, Einrichtung eines Kindergartens, Unterstützung für Bergmannsinvaliden, Arbeit der Frauenorganisation des Bergwerks.« Bei solcher Unterhaltung haben wir das Arbeitszimmer von Ernesto Vaito erreicht, wir setzen unser Gespräch an seinem Schreibtisch fort. »Da denke ich oft darüber nach, wer ist denn wirklich würdig, Mitglied der Partei zu werden«, grübelt Vaito. »In deren Programm ist darüber deutlich gesagt: Parteimitglied können alle Werktätigen werden, die der Partei, der Heimat und dem Sozialismus treu ergeben sind, die ausschließlich von ihrer Arbeit leben und ihre ganze Kraft der Erfüllung des Parteiprogramms widmen und das Statut achten. Wie aber kann man das einschätzen, ob dieser oder jener Kandidat seine ,ganze Kraft’ oder nicht seine ,ganze Kraft’ aufbringt? Einfach nach den Papieren kann man das nicht prüfen. Aber der ,Filter’, der bestimmt es einwandfrei...« »Filter?« frage ich zurück in der Annahme, Ernesto habe irgendeinen Bergmannsausdruck, einen rein beruflichen, gebraucht. »Ja, ja, ,Volksfilter’. So nennen wir in Moçambique die Meinung des Volkes. Wer, wenn nicht deine Kollegen oder Dorfgenossen, könnte wohl am besten wissen, ob du ein echtes Mitglied der Partei bist oder dich nur in sie einschleichen willst. Vergangene Woche haben wir über den Antrag von Joaquimo Pereira um Aufnahme in die Partei beraten. Ich will nicht verschweigen — ich habe seine Kandidatur unterstützt. Für mich war er ein arbeitsamer Bursche, der stets den Plan übererfüllte. Sein Hausnachbar aber meinte: ,Joaquimos Schwester ist eine Spekulantin, sie verkauft Waren aus dem Volksladen für den dreifachen Preis weiter, und er unterstützt sie dabei.’ Auch ein anderer hatte Einwände: ,Natürlich ist bei uns niemandem der Weg in die Partei verschlossen, weil er Analphabet ist. Hat er jedoch schon den Antrag auf Aufnahme in die Partei gestellt, bitte sehr, dann muß er auch lernen. Pereira hat sich zwar für Alphabetisierungskurse angemeldet, ist jedoch nicht ein einziges Mal dort ge142
sehen worden.’ Also ist dieser Bursche nicht durch den ,Volksfilter’ gekommen.« Zum Abschied schenkte uns Ernesto als Andenken ein kleines Stück Kohle aus Moatize und gab uns einen Brief an seinen Freund Pedro mit, den Leiter des Geologischen Departements Tete. In dessen Gesellschaft verbrachten wir dann den Rest des Tages. Pedro hatte sich in Lissabon mit Geologie »abgeplagt«, anschließend fünf Jahre als Praktikant in der Republik Südafrika gearbeitet; seinen dort erworbenen Doktortitel verdankte er dem Präkambrium von Moçambique, eben jener Erdformation, mit der man die Entstehung der meisten Vorkommen von Bodenschätzen in diesem Lande verknüpft. Pedros Lieblingsausdruck lautet: »Tete ist entweder ein geologisches Wunder oder ein geologischer Bluff.« Vielfach wird behauptet, daß im Gebiet von Tete und in den benachbarten Regionen außer Kohle auch riesige Vorkommen an Eisen- und Uranerz, an Bauxiten, Silber, Wolfram, Nickel, Chrom, Diamanten und vielem anderen mehr lagern. Es gibt tatsächlich Berechnungen, die einen veranlassen könnten zu glauben, es sei so. Unter anderem wollten die Portugiesen den Anteil des Bergbaus am Bruttosozialprodukt Moçambiques, der 1974 nur 1,5 Prozent betrug, bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf 20 Prozent steigern. Man kann allerdings nicht gerade behaupten, daß sie es ausländischen Geologentrupps leicht gemacht hätten, ins Innere von Mocambique zu gelangen. Lissabon zog es vielmehr vor, seine Partner ihre Schlußfolgerungen auf der Grundlage portugiesischer geologischer Kartierungen ziehen zu lassen. Nach Tete aber war, besonders im Zusammenhang mit dem dort bevorstehenden Bau des Wasserkraftwerks Cahora Bassa, doch schon dieser und jener Geologe gekommen. Pedro nannte sogar Zahlen, die bewiesen, daß das internationale Kapital bestimmte Informationen über die Reichtümer dieser Region besaß. Und so entbrannte seinerzeit zwischen den multinationalen Gesellschaften ein richtiger Kampf um Konzessionen für die Erkundung und Ausbeutung der Bodenschätze im Sambesi-Tal. Unter den ausländischen Staaten, die sich auf Moçambique stürzten, war die Republik Südafrika, unter den südafrikanischen Monopolen die Oppenheimersche AAC (Anglo-American Corporation of South Africa) führend. Sie wollten in Tete Gold und Diamanten, Nichteisenmetalle und Seltenerdmetalle, Uran und Bauxit fördern. 143
Und die USA, Frankreich und Japan standen hinter der Republik Südafrika nicht zurück. »Alle Beweise für das propagierte geologische Wunder’ in Tete schienen also vorzuliegen«, meint Pedro. »Doch dann kam das Jahr, in dem Moçambique unabhängig wurde. Da brachte die AAC ihre gesamte geologische Dokumentation außer Landes, stellte so die Regierung der FRELIMO vor die Notwendigkeit, die Erkundung der Bodenschätze dieses großen Landes von vorn zu beginnen. Doch ich sehe keinen Grund, diesen Boom erneut anzuheizen«, fährt Pedro fort. »Das ist sowohl meine Meinung als Fachmann, den die hiesigen geologischen Strukturen ,erzogen’ haben, als auch die zahlreicher ausländischer Geologen, die hier gewesen sind. Natürlich gibt es in Tete mineralische Rohstoffe, die es gestatten, eine eigene Schwarzmetallurgie aufzubauen, es gibt auch Bauxit, aber all das in ganz normalen Größenordnungen. Auf jeden Fall ist es bislang noch nicht gelungen, für vieles von dem, wovon die Portugiesen gesprochen haben, eine reale Grundlage zu finden. Und das hat zur Folge, daß jene staatlichen Pläne der Volksrepublik, die auf einer Erschließung der geologischen Reichtümer von Tete basierten, nicht zu verwirklichen waren.« Und da kommt einem wieder der Ausdruck »geologischer Bluff« in den Sinn. Sind die Gerüchte über unermeßliche mineralische Reichtümer in Tete von den Portugiesen nicht etwa deshalb in die Welt gesetzt und durch ihre Bundesgenossen aus der Republik Südafrika noch genährt worden,weil sie mit ökonomischen Gründen den für ihre strategischen Ziele viel wichtigeren Bau des Wasserkraftwerks Cahora Bassa am Sambesi rechtfertigen wollten?
Afrikas größtes Wasserkraftwerk Was sollte dieses Wasserkraftwerk für die Portugiesen tatsächlich werden? Und weshalb hat Lissabon, das fünf Jahrhunderte lang nichts für die wirtschaftliche Entwicklung Moçambiques tat, weshalb hat Portugal, das rückständigste und ärmste Land Westeuropas, seiner Kolonie plötzlich ein Wasserkraftwerk schenken wollen, das mit seiner Leistung von 3,6 Millionen Kilowatt als mächtigstes 144
In Simbabwe hat man unweit der Grenze zu Mofambique Reste mächtiger Steinbauten aus der Zeit des Königreichs Monomotapa entdeckt
Auftritt des Agit-Ensembles, das auf Flößen den Lueinge und Lugenda abwärts fuhr. Die Waldbewohner führten anschließend ihre »Batuki« - Tänze vor, bei denen auch Masken getragen wurden
Die Frauen der Makonde gehen jeden Morgen Wasser holen, anschließend sammeln sie »Gaben des Waldes«. Hacke und Gewehr auf Mwanshemas Schulter weisen daraufhin, welche Arbeiten er im Miombo verrichtet
In ihren Schnitzereien setzen die Makonde die Traditionen im Stil der »Schitani« und des »Lebensbaumes« fort, wenden sich heute aber auch moderner Thematik zu. —Linke Seite: Auch heute noch kann man auf den Gesichtern der Makonde solche Tatauierungen sehen
Solche Masken dienten den Makonde als »Lehrmittel«.— Rasch hat sich der Autor mit dem Elefantenbaby »Nembo« angefreundet Folgende Seiten: Anstelle der ausländischen Plantagen sind Staatsgüter entstanden, in denen es heute Sanitätsstellen, Kindergärten, Schulen gibt.— Bananenernte im Sambesi-Tal.— Ananas und Sisal sind arbeitsaufwendige Kulturen
In erster Linie ist das Gebiet des Sambesi aber das »Reich der Kokospalme« Folgende Seiten: Die Pegmatitfelder von Alto Loginha zählen zu den bedeutendsten der Welt. Die hier gewonnenen Turmaline, Granate und Topase werden vor allem auf der Insel Ibo zu Schmuck verarbeitet
Die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser ist für Mofambique ein erstrangiges Problem
Wasserkraftwerk Afrikas in alle neueren enzyklopädischen Nachschlagewerke eingehen sollte? Das moçambiquische Wasserkraftwerk kann bis 18 Milliarden Kilowattstunden im Jahr erzeugen, etwa so viel, wie Portugal selbst im Jahre 1975 erzeugt hat. Womit kann man dann also diesen Bau erklären? Der Staudamm von Cahora Bassa sollte für die portugiesischen Kolonisatoren nicht nur den Betrieb eines riesigen Kraftwerks ermöglichen, das mit die billigste Elektroenergie in der kapitalistischen Welt liefert, sondern, bildlich ausgedrückt, auch eine Art politische Wasserscheide bilden, die genau in der Mitte des Landes der von Norden siegreich vordringenden Befreiungsarmee der FRELIMO den Weg versperren sollte. Zum Komplex Cahora Bassa gehört ja nicht nur das Wasserkraftwerk, sondern auch ein Staubecken (übrigens einer der größten von Menschenhand geschaffenen Seen in der Welt), das sich fast dreihundert Kilometer lang im breiten Tal des Sambesi bis zur Grenze mit Simbabwe hinzieht. Und was bedeutet die Schaffung eines solchen Wasserbeckens inmitten fruchtbarer, aber seit alters unter Dürre leidender Gebiete? Nun, in erster Linie kann man gewaltige Flächen künstlich bewässern. Die Salazar-Regierung plante, bis zu einer Million Portugiesen an den Ufern des neuen innerafrikanischen Meeres anzusiedeln, und zwar sowohl gediente Soldaten der Kolonialarmee als auch landlose Bauern aus dem Mutterland. »Sie werden sich mit Landwirtschaft beschäftigen, ohne das Gewehr aus der Hand zu legen«, hatte der letzte Generalgouverneur von Mocambique in einer Rede in einem privaten Klub in Lissabon vor europäischen Industriellen geprahlt. »So wird ein mächtiger Schutzwall errichtet gegen die Ausbreitung der marxistischen Irrlehre der FRELIMO südlich vom Sambesi. So werden Garantien dafür geschaffen, daß die Wirtschaft im südlichen Moçambique, wo unsere südafrikanischen Freunde bereits so viel investieren, mit der Zeit Bestandteil eines weißen Südafrika wird.« Diese fast einer Offenbarung gleichkommende Tirade erklärt sehr vieles. Mit eigenen Kräften konnte das arme und rückständige Portugal dem Druck der FRELIMO nicht mehr widerstehen, die Mittel für den Bau von Cahora Bassa, über 400 Millionen Dollar, vermochte es nicht selbst aufzubringen. Deshalb also entfachte Lissabon zunächst einen Propagandarummel um die angeblichen geologischen Reichtümer von Tete, um unter dem Vorwand, hohe Profite 145
verheißende »energieintensive Produktionen« zu entwickeln, den Westen anzuspornen, beim Bau des strategisch wichtigen Wasserkraftwerkkomplexes finanzielle Hilfe zu leisten. Dafür bezahlte Lissabon seine Wohltäter und Investoren mit der Vergabe von Konzessionen für den Abbau von bereits entdeckten, in noch größerem Maße aber von hypothetischen Vorkommen an Bodenschätzen in Tete. So entstand die für Portugal so notwendige wechselseitige Bürgschaft, gefestigt durch Investitionen in Höhe von vielen Millionen Dollar und durch die Interessiertheit westlicher Monopole daran, daß das den Bau des Giganten am Sambesi garantierende kolonialfaschistische Regime nicht hinweggefegt wurde. Und das war für Lissabon die Hauptsache. Obwohl der Bau des »weißen Wasserkraftwerks« am Sambesi von der Organisation für Afrikanische Einheit verurteilt und auch von den Vereinten Nationen mehrfach einer Kritik unterzogen wurde, hinderte das die transnationalen Gesellschaften und damit faktisch die Regierungen der mächtigsten kapitalistischen Staaten in keiner Weise daran, sich in den harten Konkurrenzkampf um den Erhalt gewinnbringender Aufträge für Cahora Bassa einzuschalten. Es gab dabei eine Menge aufsehenerregender Skandale und Affären; letztlich wurde das »Zambeze consorcio hidroelectrico« (ZAMCO) durch Vertrag mit dem Bau des hydroenergetischen Komplexes beauftragt. Man braucht wohl kaum erst zu präzisieren, daß es von der Oppenheimerschen AAC beherrscht wurde, die zusammen mit anderen südafrikanischen Gesellschaften zwei Drittel der Gesamtkosten des Baus zusicherte. Unter den übrigen Monopolen waren westdeutsche und französische führend, darunter Siemens, AEGTelefunken und die »Companie de construction internationale«. Man kann den Komplex Cahora Bassa daher mit vollem Recht als ein Kollektivkind des internationalen Kapitals bezeichnen. Am Cahora Bassa war ich auch schon früher gewesen: 1974, als sein riesiger Staudamm noch »trocken« dastand, dann 1976, als die Füllung begonnen hatte, und später mehrfach, als der Stausee bereits seine maximale Ausdehnung erreicht hatte. Und aus meinen während dieser Besuche erworbenen Erfahrungen heraus weiß ich — über das heikle Thema Politik möchte keiner von den Leitern des Cahora Bassa sprechen. Das Wasserkraftwerk ist Eigentum der portugiesischen Regierung geblieben, aber die ganze Situation hier ist gespannt. Die Unterstützung, die mir die Genossen von der 146
FRELIMO gewähren konnten, beschränkte sich darauf, daß sie mir halfen, einen Passierschein für den Staudamm zu erhalten. Ich erinnere mich noch, daß mich schon bei meinem ersten Besuch des Kraftwerks, als dieses noch von portugiesischen »comandos« und südafrikanischen Söldnern umstellt war, einer der Schöpfer des Staudamms empfing, eine »Koryphäe« portugiesischer Energetik, ein gewisser Castro Fontes, ein Mann mit guten Manieren, die Liebenswürdigkeit in Person. Er stellte mir bereits am ersten Tag einen Hubschrauber zur Verfügung, damit ich die künftige Überflutungszone besichtigen und Zumbo, dem »fernen Westen« von Moçambique, einen Besuch abstatten konnte. Am nächsten Tag brachte mich sein Auto nach Vila Vasco da Gama, in das Gebiet der Angoni, wo es Tänzer gibt, die in der ganzen Region berühmt sind. Weiterhin führte mich Castro Fontes persönlich in den Maschinenraum des Kraftwerks. Er nannte eine Menge Zahlen und warf mit Begriffen um sich, die mir selbst im Russischen nicht geläufig waren, doch als ich ihn dann fragte: »Welchen Anteil hat das Kapital der Republik Südafrika und anderer westlicher Länder an diesem Bau?«, da lächelte er nur galant und erwiderte: »Genosse Sergio, ich weiß, für Sie als ,roten’ Journalisten ist dies ein ,weißer’ Staudamm. Für mich aber ist er mein Lieblingskind, ein Gipfel moderner Hydroenergetik. Mir ist bekannt, daß es in der Sowjetunion noch bessere gibt, doch mein Ehrgeiz wird dadurch zufriedengestellt, daß die Vereinigten Staaten so etwas wie Cahora Bassa nicht besitzen. Wenn Ihr Kind Geburtstag hat, dann interessierte es Sie wohl auch nicht, woher seine Tante das Geld für das teure Geburtstagsgeschenk hat. Und so interessiert mich nicht, woher die Gelder für Cahora Bassa stammen, Hauptsache, sie sind da.« Diesmal nun war meine Fahrt zum Cahora Bassa besonders interessant dank der Möglichkeit, die mir Raschidis Barke bot. Die ermüdenden Fahrten auf von Vierzigtonnern zerfahrener Straße, auf der buchstäblich alles befördert wurde, was für den Bau notwendig war, und auch die Flugreisen hierher hatten mir damals keine rechte Vorstellung von dem verschaffen können, was diese Gegend schon berühmt gemacht hatte, bevor ein Damm den großen Strom aufstaute. Das afrikanische Wort Cahora Bassa, von den Europäern zu »Kebrabasa« verballhornt, bedeutet im Deutschen »Gegend, wo die Ar147
beit endet«. Diese Worte gebrauchten die aus Tete kommenden afrikanischen Ruderer, wenn sie auf ihren mit portugiesischen Waren überladenen Pirogen nach hundertzwanzig Kilometer Fahrt den Sambesi aufwärts hier angelangt waren und haltmachen mußten. Die Weiterfahrt versperrten ihnen unüberwindliche reißende Stromschnellen — hier war für sie die Arbeit tatsächlich zu Ende. Man kann nur noch erahnen, wie beeindruckend und bedrohlich die Sambesi-Enge mit ihren heute im Staubecken verschwundenen Kebrabasa-Schnellen gewesen sein muß, wie sich der Strom über die ihm den Weg versperrenden Felsen stürzte. Als dieser Abschnitt des Flusses noch nicht erforscht war, behaupteten europäische Geographen, er ströme hier zwischen ungewöhnlich hohen Marmorwänden dahin, deren Gipfel Schnee bedecke. Hier vermutete man eine Art »Rückgrat des Kontinents«. Und die Araber, die ein Vordringen der Portugiesen über die Stromschnellen hinaus verhindern wollten, setzten verstärkt alle möglichen erfundenen Geschichten über Kebrabasa in Umlauf. So behaupteten sie beispielsweise, dort trieben blutdürstige Ungeheuer ihr Unwesen. Während unserer ganzen Fahrt ab Sena war der Sambesi über zwei Kilometer breit gewesen, hier aber, in dieser Schlucht, verengte er sich auf zweihundert Meter, und unmittelbar vorm Staudamm war er gar auf vierzig Meter Breite zusammengepreßt. Die Natur selbst hatte hier optimale Voraussetzungen für den Bau eines Staudamms geschaffen, daher sind seine Ausmaße an sich keineswegs beeindruckend. Weit imposanter sieht die über zweihundert Meter fast senkrecht aufsteigende Nordwand der Enge aus, die aus beinahe rechtwinklig aufeinander stehenden Silikatschieferschichten gebildet wird. Auf dieser Wand stehen die Masten der Hochspannungsleitung. Der Osthang ist flacher und bewaldet; über ihn verläuft die Leitung, die nahegelegene Wirtschaftsobjekte der Volksrepublik Moçambique mit Strom versorgt. Das Kraftwerk könnte bereits mit voller Leistung arbeiten, da aber eine ganze Reihe finanzieller Probleme mit Portugal noch nicht gelöst ist, die politischen Beziehungen zur Republik Südafrika sehr kompliziert sind und Diversionsakte von Konterrevolutionären gegen die Hochspannungsleitungen stattfinden, drehen sich praktisch nie alle fünf Turbinen des Werkes gleichzeitig. Als der Rassismus in Rhodesien verspielt hatte und ein unabhängiges Simbabwe 148
entstanden war, erklärte sich Moçambique bereit, Elektroenergie in dieses industriell relativ hochentwickelte Land zu verkaufen, dessen Grenze von Songo lediglich hundert Kilometer entfernt ist. Strom aus Cahora Bassa könnte außer der Republik Südafrika auch das benachbarte Malawi nutzen, wo man schon vor langer Zeit in nur hundertfünzig Kilometer Entfernung von hier Aluminiumerze entdeckt hat, deren Verarbeitung viel Energie erfordern würde. Und schließlich ist es vom moçambiquischen Wasserkraftwerk bis zum berühmten »Kupfergürtel« in Sambia, für den das Energieproblem noch nicht gelöst ist, auch nicht weiter als bis in die Republik Südafrika. Alle diese Perspektiven für die Nutzung des Stroms aus Cahora Bassa durch die Nachbarn von Moçambique werden in der Region lebhaft diskutiert. »Das wichtigste aber ist natürlich, den Strom aus Cahora Bassa für die Volksrepublik Moçambique zu nutzen«, meint Mateos, Vertreter der FRELIMO in der Leitung des Kraftwerks. »Leider haben ökonomische Schwierigkeiten, in erster Linie aber die Überfälle bewaffneter Banditen in der Region die Verwirklichung der vom III. Parteitag gestellten Ziele verhindert, nämlich auf der Grundlage billiger Elektroenergie mit der Erschließung der bereits erkundeten mineralischen Rohstoffe in Tete zu beginnen. Die Errichtung des Staudamms und die Regulierung der Flüsse im Einzugsgebiet des Sambesi werden es uns aber ermöglichen, einige Millionen Hektar zu bewässern. Etwa eine Viertelmillion Hektar sind jetzt forstwirtschaftlich nutzbar. Und das alles bedeutet, daß wir hier einmal anstelle der Million portugiesischer Siedler eine Million Moçambiquer aus den südlichen Landesteilen mit ihrem Bevölkerungsüberschuß ansiedeln, ihnen hier Land und Arbeit geben können.« Ich stehe mit Mateos am Rande des Staudamms und beobachte, wie im Wasserstaub über den aus den Turbinendrüsen hervorschießenden Wasserstrahlen hübsche Regenbogen schimmern. Eine Sirene heult und verkündet, daß diese Turbine heute nicht allein zu arbeiten braucht. »Bei uns pflegt man zu sagen«, schreit mir Mateos, bemüht, den wachsenden Lärm des Wassers und der Sirene zu übertönen, ins Ohr, »das Gewehr in den Händen der Soldaten der Kolonialarmee war eine Waffe zur Ausführung von Verbrechen, in den Händen des moçambiquischen Soldaten ist es eine Waffe für die Befreiung von Volk und Land. Ebenso verhält es sich mit Cahora Bassa. Früher 149
sollte es der Festigung der imperialistischen Herrschaft im gesamten südlichen Afrika dienen. Heute, im unabhängigen Moçambique, wird es den Interessen des Volkes dienen...«
Die Teehügel von Mlanje und Gurue Der Minister für Landwirtschaft hatte mich eingeladen, mit ihm die Teeanbaugebiete der Republik zu besuchen. »Stören werde ich Sie bestimmt nicht viel bei Ihrer Arbeit«, scherzte er. »Ich habe dort endlose Sitzungen im Präsidium von Versammlungen auf meinem Programm stehen, ferner die Verhandlung über einen zum Dieb gewordenen Portugiesen, Direktor eines Teelagers. Sie aber werden inzwischen mit den Leuten sprechen, fotografieren, sich Gegenden ansehen können, in die man allein jetzt nicht mehr so ohne weiteres kommt. Und dann werden wir auch noch den Baumwollanbaugebieten einen kurzen Besuch abstatten.« Moçambiques bedeutendste Teeplantagen liegen direkt im Grenzgebiet zur Republik Malawi, an den Hängen des MlanjeGebirges. Es ist dies eine gesegnete, fruchtbare Landschaft. Wenn sich die über dem Gebirge ständig an seinen Gipfeln hängenden Wolken einmal zerstreuen, die liebliche, in dieser Gegend nicht allzu heiße Sonne den Himmel blendend blau erscheinen läßt und die von Hügel zu Hügel sich hinziehenden Teeplantagen smaragdgrün glänzend vor einem liegen, dann kann man sich wohl kaum eine schönere Landschaft auf unserer Erde vorstellen. Solange der Minister noch mit seinen Angelegenheiten beschäftigt ist, erzählt mir mein Begleiter Camarada Oliveiro, ein Mulatte, der fließend russisch mit unverkennbar georgischem Akzent spricht, von seinem Wunschtraum, daß in Moçambique nämlich die Teeblätter maschinell geerntet werden müßten. Er hatte in Tbilissi Agronomie studiert, sich dort mit modernen Methoden der Landwirtschaft vertraut gemacht, und nun brennt er darauf, diese auch in seiner Heimat anzuwenden. Mich interessiert, wie Oliveiro über die Qualität des hiesigen Tees, seine Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt denkt. 150
»Sehen Sie, wäre ich ein Pseudopatriot, würde ich Ihnen sagen, der moçambiquische Tee ist der beste der Welt. Das kann aber auf Grund der biologischen Besonderheiten dieser Pflanze nicht so sein. Tee stellt extreme Forderungen. Den aromatischsten, besten Tee erhält man entweder dort, wo im Gebirge die obere Grenze für seinen Anbau liegt, oder im Tiefland an der Nordgrenze seiner Anbaumöglichkeit überhaupt. Beispiel für den ersten Fall sind Sri Lanka und Kenia, für den zweiten Ihre Oblast Krasnodar. Bei uns gibt es weder das eine noch das andere. Bei jeder internationalen Auktion wird unser Tee stets nur mit einer ,Zwei’ bedacht.« »Und welche Teesorten bauen Sie hier an?« frage ich weiter. »Eigentlich ist der Tee aus dem benachbarten Malawi hierhergekommen. Dorthin ist er, so paradox dies klingen mag, aus Schottland gelangt, wo im Botanischen Garten Edinburgh ein ceylonesisches Teebäumchen wuchs. Im Ergebnis mannigfaltiger Kreuzungen entstanden Hybridformen. Ich habe gelesen, daß der Teebaum in seiner Heimat, im Süden Ostasiens, wo er auch wild wächst, selten einmal höher als zehn bis zwölf Meter wird. Unser Halbblut von Teebaum aber erreicht, wenn er verwildert, fünfundzwanzig Meter Höhe.« Wir schlendern durch die Gänge der vom nächtlichen Regen blankgewaschenen Plantagen, die sich an den Hängen des Mlanje hinziehen. Hier und da blüht der Tee, und das ist ganz unerwünscht, da dann die Bildung junger Blätter stark nachläßt, und eben die werden ja für die Zubereitung des überall so beliebten Getränks gesammelt. Oliveiro hat meinen Blick bemerkt und erklärt, als wolle er sich entschuldigen: »Die Plantage ist in schlechtem Zustand. Nach der Flucht der Portugiesen blieb sie unbewirtschaftet, und erst zu Beginn der diesjährigen Saison ist man daran gegangen, sie wieder in Schuß zu bringen. Aber da kommen nun vom Gebirge herunter Banditen und drohen unseren Teepflückern: ,Wenn ihr hierher zur Arbeit geht, schießen wir auf euch.’ Die erfahrenen Arbeiter, die ihre Sache gut verstehen und von den Sträuchern nur den ,peco’ pflücken, die obersten, zusammengerollten, noch nicht entfalteten Blätter, aus denen der beste Tee gewonnen wird, hüten sich nunmehr, die Plantagen zu betreten. Die jungen Leute aber, die mit dem Gewehr über der Schulter arbeiten, werfen an Blättern häufig in den Korb, was sie gerade zu packen kriegen.« 151
Vom Landeplatz erklang eine Sirene, das Zeichen, daß ich zum Flugplatz kommen sollte. Oliveiro verabschiedete sich von mir sowohl auf russisch als auch auf georgisch und portugiesisch. »Wir haben dieses Scheusal eingesperrt, das sich da im hiesigen Lager einen Posten verschafft hatte«, gibt mir der noch in seine Papiere vertiefte Minister zu verstehen. »Ein Bandit! Er hat so viel Tee verfaulen lassen, daß wir damit gleich die Exportverpflichtungen fürs ganze Jahr hätten erfüllen können.« Nach einer Stunde Flug taucht der doppelgipflige Namuli auf. Der eine wie poliert wirkende Porphyrfelsen ist fast frei von Vegetation und strahlt in der Sonne in blendendem Glanz, der andere, der in dessen Schatten liegt, ist von lichtem Wald überzogen, der mit seinen sämtlichen Nuancen von Grün das Auge erfreut. Für die hier lebenden Lomwe, nahe Verwandte der Makua, sind diese Felsen heilig. Sie gelten als Verkörperung des männlichen und des weiblichen Elements, der Namuli-Berg selbst gilt als der Ort, von dem aus die Menschheit auf die Erde herabgekommen ist. Der von unendlichen, bis an den Horizont reichenden Teeplantagen umgebene Namuli ist dann besonders schön, wenn es im Gebirge gehagelt hat und seine Gipfel schneeweiße Kappen tragen. Dann halten alle Lomwe, womit auch immer sie gerade beschäftigt sein mögen, in ihrer Arbeit inne und genießen den Anblick ihres heiligen Berges. Doch der läßt die Menschen nicht allzu lange die Hände in den Schoß legen: Innerhalb von zehn, fünfzehn Minuten hat die unbarmherzige Sonne der Tropen das Brautkleid des Namuli weggeschmolzen. Uns war das Glück hold: Wir sahen den Berg nicht nur mit einer weißen Kappe, sondern kamen gerade auch noch zum Beginn des Wettbewerbs der Teepflücker zurecht, an dem praktisch die gesamte Bevölkerung des Bezirks teilnimmt. Hunderte von Leuten in neuen, eigens aus diesem Anlaß verteilten bunten und leuchtenden Plastjakken hatten sich auf die smaragdgrünen Plantagen verteilt. Aus der Ferne sahen sie wie riesige rote, blaue, gelbe, lila und weiße Blüten aus, die sich an diesem klaren, durch seinen azurblauen Himmel auf jedermann freundlich wirkenden Tag entfaltet hatten. Zentrum dieses größten Teeanbaugebiets der Volksrepublik ist das winzige Städtchen Gurue. Als man 1929 an den Hängen des Namuli die ersten Teesträucher gepflanzt hatte, war das Land hier Erb152
gut der reichen portugiesischen Familie Guzmão. Allmählich erweiterten die Kolonisten ihre Plantagen, wobei sie es als eine ihrer Hauptaufgaben ansahen, zu verhindern, daß auch Afrikaner Teesträucher anpflanzten. Eine von den Guzmão bezahlte aus Strolchen bestehende »Teearmee« durchstöberte die ganze Gegend und ließ keinerlei »schwarze Konkurrenz« aufkommen. So ging das bis zu Beginn der sechziger Jahre, als die Guzmão neue Nachbarn bekamen. In Vila Junqueiro, wo heute die größte Teeverarbeitungsfabrik der Republik arbeitet, aber auch in Gurue selbst beschlossen die Behörden, eine Musterkolonie weißer Siedler, ehemaliger Soldaten der Kolonialarmee, zu gründen. Es war dies das kostspieligste aller Projekte, das Lissabon sich je vorgenommen hatte, um die agrarische Kolonisation Moçambiques voranzubringen. Da sich die Behörden nicht gerade geizig zeigten, nahmen die Betriebe der neueingetroffenen Teeanbauer schon bald einen großen Aufschwung. Man braucht wohl aber kaum zu erwähnen, daß die Kolonialbehörden ein Cottage und fruchtbares Land an den Hängen des Namuli nicht jedem beliebigen Siedler überließen, sondern nur besonders blindwütigen Soldaten, die durch Verbrechen an Afrikanern das Wohlwollen ihrer Vorgesetzten erworben hatten. Als sich abzeichnete, daß der Krieg in Moçambique für die Kolonisatoren verlorenging, waren die »Teezüchter« von Gurue die ersten, die dieses Land fluchtartig verließen. Sie hatten es derart eilig, daß sie im Unterschied zu den meisten anderen ihrer abziehenden Landsleute nicht einmal mehr ihre Plantagen umzupflügen und die Fabrik in Vila Junqueiro nicht mehr zu sprengen vermochten. »So ist bei uns hier also alles heil und ganz geblieben«, sagt Magalhäes zu mir, Leiter der Teepflanzungen in Gurue. »Und deshalb funktioniert hier alles auch gar nicht so schlecht. Die den Guzmão gehörende Gesellschaft ,Cha Moçambique, lda’ und weitere rund zwanzig kapitalistische Kooperative haben wir zu einem staatlichen Betrieb vereinigt. Und wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? Man behauptet, wir besäßen hier nun die der Fläche nach größte Teewirtschaft der Welt! Und wir werden mit ihr durchaus fertig! Schwierig ist es bisweilen nur, unsere Fertigprodukte nach Beira oder Maputo zu bringen: Die Straßen sind nicht immer sicher.« Der Arbeitstag geht zu Ende, und uns entgegen strömen auf dem vom nächtlichen Regen aufgequollenen, noch nicht wieder getrockneten Weg die Teepflücker — Teilnehmer am Wettbewerb. Auf dem 153
Rücken schleppen sie riesige Körbe mit Teeblättern, viele grüßen Magalhães, der eine oder andere spricht ihn auch an. »Wie viele Blätter muß man denn an einem Tage pflücken?« frage ich. »Die Norm beträgt 45 Kilogramm«, antwortet ein fast kriegerisch aussehender Bursche mit zottigem Haar. »Und wieviel habt ihr gepflückt?« »Beim heutigen Wettbewerb haben wir die dreifache Norm geschafft. An normalen Tagen schaffe ich ohne weiteres die doppelte.« »Und über die Bezahlung könnt ihr euch nicht beklagen?« »Weshalb? Seit der Unabhängigkeit zahlt man uns für die Norm das Doppelte, und für jedes weitere Kilogramm zusätzlich ein Metical*. Über etwas anderes beschweren wir uns — man kann das verdiente Geld nirgends ausgeben.« Die Worte des Burschen fanden auch bei den anderen Arbeitern volle Zustimmung, die sich inzwischen zugesellt hatten. Alle redeten plötzlich miteinander, diskutierten. »Wie soll ich das verstehen?« erkundige ich mich, verwundert darüber, daß man so offen von einem »Geldüberschuß« spricht. »Ganz einfach«, mischt sich ein älterer Arbeiter ins Gespräch, der Brigadier der Pflücker, wie sich später herausstellt. »Das Klima ist bei uns so, daß man zu allen Jahreszeiten kurze Hosen tragen kann, Nahrungsmittel liefert uns die eigene Schamba. Wohin also mit dem Geld, wenn man jeden Tag die zwei-, dreifache Norm schafft? Fragen Sie mal die Arbeiter, was sie kaufen möchten.« Zwei Wörter dominieren in dem vielstimmigen Chor um mich herum: »Radio« und »Motorrad«. »Na, da hören Sie’s«, nickt der Brigadier befriedigt und fährt fort: »Die Zeiten sind vorbei, da die Lomwe ihr ganzes Geld für den Brautkauf ausgaben. Hat heute ein Bursche eine Hose erworben, ist für ihn das Nächstwichtige bereits ein Radio. Er möchte Neuigkeiten aus der Hauptstadt erfahren, an einem Alphabetisierungskurs teilnehmen. Und dann möchte er sein eigenes Beförderungsmittel haben, will nicht das erstbeste Mädchen aus dem eigenen Dorf nehmen, sich vielmehr etwas weiter umsehen — vielleicht findet er ein hübscheres, besseres!« * Währungseinheit in der Volksrepublik Moçambique
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Die jungen Burschen um mich stimmen wieder lautstark zu, lachen dann über einen deftigen Witz, den da einer zum besten gegeben hat. »Ja, mit Waren ist es bei uns schlecht bestellt«, pflichtet Magalhäes bei. »Unsere Arbeiter aus dem Dorf möchten gern gut arbeiten, aber mit materieller Interessiertheit ist hier nichts mehr zu machen. In den Geschäften gibt es nicht allzu viel zu kaufen. Unser Kreis liegt weit ab, und auf den Straßen, da gerät man oft auf eine Mine, in einen Hinterhalt.« Das Heulen der Sirene auf dem Flugplatz unterbrach unser Gespräch, rief uns erneut zum Weiterflug. Diesmal schien der Minister zufrieden zu sein, nach dem zu urteilen, wie er sich von der hiesigen Frelimo-Leitung verabschiedete. »Prächtige Burschen sind das hier«, meinte er und lehnte sich erschöpft in seinem Sitz zurück. »Durch ihre Arbeit beweisen sie, daß wir dort, wo uns die Portugiesen keine Ruinen hinterlassen haben, wo uns niemand bei der Arbeit stört, nicht schlechter arbeiten können als unter den kolonialen Aufsehern. Man hat Ihnen sicher schon von der ,größten Teewirtschaft der Welt’ vorgeprahlt? Morgen werden wir uns mit der Baumwolle in der Provinz Niassa beschäftigen. Eine schwierige und mühevolle Sache.«
Eine »tragische Kultur« Die Baumwolle brachte Moçambique nicht gleich Schmerzen und Leiden. Es gibt arabische Beschreibungen von Baumwollfeldern im Gebiet der Insel Moçambique, in denen es heißt, die Frauen hätten die Baumwolle geerntet, indem sie dabei tanzten und im Takt der sie anfeuernden Tamtams mitsangen. Erhalten haben sich auch Zeugnisse von Reisenden, daß sogar noch Ende des 19. Jahrhunderts die Malawi-Bauern und ihre Nachbarn, die Yao, ohne jeden Zwang Baumwolle anbauten, in der sie eine achtenswerte und gewinnbringende Kultur sahen. Doch die Baumwolle wurde dann zu einer »tragischen Kultur«, und wie ich aus der Literatur, aus Erzählungen moçambiquischer Freunde erfahren hatte, spielte sich gerade in Niassa, der am weite155
sten von der Hauptstadt entfernten Provinz Moçambiques, die schlimmste Tragödie ab. Wie kam es dazu? Wie wir schon wissen, hatte das Feudalsystem des »prazo« sich überlebt. Dessen Nachfolger wurden die Konzessionsgesellschaften. Die durch kräftige Spritzen englischen Kapitals gestärkte »Companhia de Moçambique« gedieh so gut, daß sie zu einem Staat im Staate wurde mit der Hauptstadt Beira. Die »Companhia da Zambesia« erwirtschaftete Millionen, indem sie Afrikaner wie Sklaven auf den riesigen Zuckerrohrplantagen im Sambesi-Delta schuften ließ, die Wälder von Manica abholzte und Hochstapelei mit den mineralischen Reichtümern von Tete betrieb. Was jedoch die »Companhia do Niassa« betrifft, die 1893 das Recht erhielt, das ausgedehnte Gebiet nördlich des Rio Lúrio zu erwerben, die hatte den geringsten Erfolg. Als daher 1929 ihre Konzessionsfrist ablief, dachten die Behörden gar nicht daran, sie zu verlängern, sondern entschieden sich dafür, jenes Territorium selbst zu »erschließen«. Und auf welche Weise? Agronomen und Ökonomen hatten den Kolonialbehörden Berichte auf den Tisch gelegt, Baumwolle sei im nördlichen Moçambique die Kultur mit der größten Perspektive. Man brauche sie sowohl für die rasch sich entwickelnde Textilindustrie des Mutterlandes als auch für den Export auf den Weltmarkt. Versuche, die Afrikaner dahin zu bringen, auf ihren Schamba freiwillig Baumwolle anzubauen, blieben ohne Erfolg: Die Kultur war arbeitsaufwendig, der von den Behörden festgelegte Aufkaufpreis niedrig. Da machte man damals die Baumwolle in Niassa und der benachbarten Provinz Nampula zu einer Zwangskultur. Eine der wichtigsten Funktionen, die die Kolonialadministration zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausübte, war die Aufstellung einer Armee von afrikanischen Arbeitern, die man gewaltsam zur Arbeit auf den Baumwollplantagen zwang. Man arbeitete die moçambiquische Gesetzgebung dergestalt um, daß die zwangsweise Verschickung von Arbeitern in die Baumwollanbaugebiete »legalisiert« wurde. Wo immer ein Arbeiter lebte, ob in Lourenço Marques, in Beira oder seinem Heimatdorf, er konnte für jede Verletzung der Arbeitsdisziplin — Zuspätkommen, Überschreitung von »Rauchpausen«, Lieferung von Ausschuß — von der Verwaltung entlassen und »in die Baumwolle geschickt« werden. Analog dem in der Republik Südafrika bestehenden berüchtigten »Passierscheinsystem« führte man in Mo156
çambique spezielle Dokumente ein, »cadernetos«. Jede Unstimmigkeit oder Korrektur darin — und die Beamten ließen solche absichtlich zu — zog automatisch eine »Reise in den Norden« nach sich. Es gab aber auch »illegale« Methoden, Afrikaner zu Sklavenarbeit zu zwingen, die Portugal auf jegliche Weise vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen suchte. Am verbreitetsten waren nächtliche Razzien, bei denen Polizisten in die schlafenden Dörfer eindrangen und alle, selbst schwangere Frauen, zur Arbeit trieben. Für jeden so gefangenen Arbeiter verlangten die Behörden von den Unternehmern eine lächerliche Steuer in Höhe von achtzig amerikanischen Cent, wovon zwei Drittel in die Staatskasse wanderten, während man ein Drittel dem Dorfhäuptling überließ, wenn er sich an der Jagd auf seine Stammesgenossen beteiligt hatte. Das war richtiggehender Menschenhandel noch im 20. Jahrhundert! Mit der Zeit zwangen die Kolonialbehörden immer mehr Afrikaner, Baumwolle auch auf ihren Schamba anzubauen, wobei sie weniger ökonomische als rein polizeiliche Methoden anwandten. Dieses gewaltsame Eindringen des Baumwollstrauchs in die bäuerlichen Wirtschaften ging so rasch vor sich, daß zu Beginn der siebziger Jahre in über 600 000 afrikanischen Wirtschaften Baumwolle angebaut wurde. Unbarmherzig und unabwendbar hatte die Baumwolle mindestens ein Drittel der einheimischen Bevölkerung in die Warenproduktion einbezogen und war neben Kaschunuß und Kokosnuß zur wichtigsten Exportkultur des afrikanischen Wirtschaftssektors geworden. Am Vorabend der Unabhängigkeitserklärung von Mocambique lieferten »Eingeborenenfarmer« bereits siebzig Prozent der Gesamtproduktion an Baumwollfasern im Lande. In Arbeiten westlicher Autoren über Moçambique wird hier und da eingestanden, daß die gewaltsame Einführung des Baumwollanbaus, der eine starke Verringerung der Anbauflächen für Nahrungsmittelkulturen mit sich brachte, zur Ursache für den Hunger als Massenerscheinung unter der Bevölkerung von Moçambique wurde. Der portugiesische Soziologe J. de Silva bezeugt: »In den ,Baumwollgebieten’ starben die Menschen zu Hunderten, da sie keine Möglichkeit hatten, Nahrungsmittel zu erzeugen. Und das ist keine Übertreibung, sondern tragische Wirklichkeit in Moçambique... Entlang der Straßen konnte man Leichen von Afrikanern mit aufgedunsenen Leibern sehen.« 157
Der ungebildete, in Vorurteilen und religiösen Dogmen befangene moçambiquische Bauer sah die Hauptursache seines Elends nicht im sozialökonomischen System des Kolonialismus, das die Baumwolle für ihn zu einer »tragischen Kultur« gemacht hatte, sondern in dieser Kultur selbst. Die harmlose Pflanze mit den flauschigen weißen Kapseln wurde für ihn zu einem Symbol des Bösen. Als die Unabhängigkeit Moçambiques ausgerufen worden war, empfanden Arbeiter und Bauern in den Baumwollgebieten sie daher nicht zuletzt als »Befreiung von der Baumwolle«. Die Aufseher und ihre Herren verließen die Plantagen fluchtartig nach der einen Seite, die Arbeiter liefen nach der anderen davon. Die kleinen Bauern säuberten mit echter Befriedigung ihre Schamba von der verhaßten Kultur und bauten dafür nach eigenem Gutdünken Bataten, Bohnen und anderes Gemüse an. Die Erzeugung von Baumwolle, die wertmäßig in der Exportstatistik von Moçambique häufig mit der Kaschunuß konkurrierte, ging katastrophal zurück. In den ersten Jahren produzierte man nicht einmal mehr genügend Rohbaumwolle für die eigenen zwei Textilfabriken. Auf die »Dinamisatoren«-Aktivisten gestützt, entfaltete die Partei im Norden eine umfassende Kampagne, um den Bauern klarzumachen: In der Volksrepublik gibt es im Baumwollanbau neue Arbeitsbedingungen, neue materielle Stimuli, neue Verpflichtungen gegenüber dem Staat. Auf den großen Plantagen zeigte diese Aktion ihre Wirkung. Als die Arbeiter sich davon überzeugt hatten, daß die Aufseher mit ihren Ruten verschwunden waren, der Arbeitstag anstelle von vierzehn nur noch neun Stunden betrug und sie nach getaner Arbeit nicht wie früher in Baracken hinter Stacheldraht getrieben wurden, sondern hingehen konnten, wohin sie wollten, kehrten sie nach und nach auf die Plantagen zurück. Die Plätze jener, die nicht zurückkamen, nahmen junge Leute ein. Mit den kleinen privaten Bauern kam man jedoch weitaus schwieriger zurecht. Erstens zeigte die propagandistische Arbeit bei ihnen nicht so rasch ihre Wirkung. Warum sollte zweitens der Bauer seinen Boden und seine Arbeitskraft der verhaßten Baumwolle opfern, wenn er morgens eine auf seiner Schamba geerntete frische Banane verzehren konnte? »Es wird ein schwerer Tag heute werden«, wiederholte der Minister nach der Begrüßung seine gestrigen Worte, als ich ihn am Hub158
schrauber traf. »Nach Plan müssen wir vier Siedlungen besuchen, dort wartet man auf uns. Eigentlich müßten wir in jedem Ort vier Tage zubringen, um den Bauern zu erklären, was getan werden muß, und um selbst dies und jenes zu begreifen.« Zuerst geht es nach Saide, einer für den moçambiquisehen Norden typischen Siedlung, wo sich um das weiße Steingebäude der Polizei und die kleinen Büdchen asiatischer Händler zwei- bis dreihundert Hütten von Afrikanern drängen. Das Meeting wird direkt auf dem kleinen Platz abgehalten, auf dem der Hubschrauber aufgesetzt hat. Etwa dreitausend Leute, meist Männer, haben sich eingefunden. Der Minister legt eingehend die Ursachen für die »Baumwolltragödie« dar, sagt, daß nun niemand mehr nächtliche Razzien veranstaltet, um Arbeiter auf die Plantagen zu jagen, niemand mehr den Bauern verbietet, neben Baumwolle all das anzubauen, was ihnen einfällt. »Früher haben die Masungas immer wieder gefordert: ,Alle Kraft für die Baumwolle’«, ruft der Redner, »wir aber wenden uns jetzt an euch mit der Bitte: ,Alle Kräfte für den Staat des Volkes.’ Sät Bohnen aus, pflanzt Bananen an, doch neben diesen mag auch der Baumwollstrauch wachsen.« »Abaixo algodão!« rufen die Bauern erbittert, »nieder mit der Baumwolle! Sie hat uns nur Schaden gebracht!« Der Minister ruft die Leute zur Ordnung, erläutert, daß der Staat die Aufkaufpreise für diese Kultur stark erhöht hat, daß jetzt nicht mehr private Händler den Bauern die Baumwolle abkaufen, sondern staatliche Erfassungsstellen, die von Mitgliedern der FRELIMO kontrolliert werden. Er betont ein weiteres Mal, daß der Staat niemanden zwingt, sondern darum bittet, Baumwolle anzubauen, daß jedes nichtbestellte Feld einen Verlust für die Volksrepublik bedeutet. Die Leute verabschieden uns lächelnd und mit dem Versprechen, die Baumwolle nicht zu vergessen. In Namicunde aber, unserer nächsten Station, schlagen die Wogen der Leidenschaft unerwartet hoch. Der hiesige Frelimo-Kommissar läßt uns gar nicht erst aus dem Hubschrauber steigen, klettert selbst zu uns in die Kabine und erläutert dem Minister die Situation. In Namicunde war danach, so kann man sagen, mit der Baumwolle zunächst alles recht gut angelaufen. Die hiesigen Dinamisatoren hatten schon im vergangenen 159
Jahr aus Nampula Samen von hochwertigen Sorten herangeschafft und auf einem Musterfeld ausgesät. Die Ernte war hervorragend gewesen, hatte alle in Erstaunen versetzt, und so beschlossen die hiesigen Bauern: Auf der Schamba bei seiner Hütte baut jeder das an, was er will, aber hinter der Siedlung roden wir den Wald, legen dort ein großes Feld an, eine Kollektivschamba, auf der wir gemeinsam Baumwollsträucher anpflanzen. Heute nacht nun war eine Schar junger Männer in Uniformen der Volksbefreiungsarmee in die Siedlung eingedrungen. Sie hatten alle bei den Hütten angelegten Schamba vernichtet, verbrannt, zertrampelt, mehrere Gebäude beschossen, auf dem zentralen Platz ein Plakat gehängt »Alle Kraft für die Baumwolle!« In Namicunde gibt es keine Garnison, zurückschießen konnte also niemand, und deshalb vermochten die Banditen ungehindert zu verschwinden. »Verfl...«, entschlüpft es meinem Begleiter, und er befiehlt, über Funk mit den nächsten Polizeistationen und mit FrelimoAbteilungen im Umkreis von hundert Kilometern Verbindung aufzunehmen. Alle Hubschrauber sollen aufsteigen, alle Autos zur Einkreisung von Namicunde eingesetzt, sämtliche bewaldeten Abschnitte durchgekämmt, die Dinamisatoren auf die Beine gebracht werden. Der Minister legt seine Zivilkleidung ab, zieht sich seine Militäruniform an und klettert aus dem Hubschrauber. Die ansehnliche Menge, mindestens zehntausend Menschen, empfängt ihn mit unnatürlichem, bedrückendem Schweigen. »Man hat mir das heute nacht Vorgefallene bereits gemeldet«, beginnt er langsam, als suche er nach den passenden Worten. »Da haben Schurken sich FPLM-Uniformen* angezogen, und danach zu urteilen, wie ihr mich empfangen habt, glaubt mancher von euch wohl, die Frelimo-Partei, die den Portugiesen die Macht genommen hat, bediene sich der gleichen Methoden. Ich aber bin, wie ihr seht, in der gleichen Uniform vor euch hingetreten, weil ich stolz auf sie bin und sie weder für Geld noch unter der schlimmsten Folter ablegen würde. Unsere revolutionäre Uniform ist heute nacht von Schurken mißbraucht worden, die auf diese Weise Ehre und Namen der FPLM-Soldaten beschmutzen wollten. Sie haben gewußt, daß ich heute nach Namicunde komme, haben gewußt, worüber ich mit * FPLM = Volksbefreiungskräfte von Moçambique
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euch sprechen sollte. Deshalb hatten sie sich vorgenommen, euch an jene Zeiten zu erinnern, in denen die Baumwolle euch nur Unglück gebracht hat. Nicht nur bei euch im Bezirk treiben diese aus dem Süden unterstützten konterrevolutionären Schufte ihr Unwesen. Aber die Einheit von Volk und Frelimo-Partei, von Volk und FPLM können sie nicht zerstören!« Der Minister sprach lange, über eine Stunde, lauschte dabei gespannt auf das aus dem Hubschrauber dringende Piepen des Funkapparates. »Baumwoll«-Probleme griff er selbstverständlich nicht auf, berichtete vielmehr von den großen, komplizierten Problemen, die sich bei der Entwicklung der Volksrepublik ergaben, von der Entschlossenheit des Volkes, die von der FRELIMO getroffene Entscheidung zu unterstützen, nämlich in Moçambique den Weg des Aufbaus der Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft zu beschreiten. Da trat der Pilot an den Minister heran, unterbrach ihn mitten im Wort und flüsterte ihm etwas zu. »Hört mal zu, ich freue mich, euch mitteilen zu können, daß die Banditen gefaßt worden sind. In Kürze bringt ein Hubschrauber sie hierher, und dann könnt ihr euch selbst davon überzeugen, was für ,Frelimo-Kämpfer’ das sind. Einstweilen aber wünsche ich euch viel Erfolg sowohl auf euren eigenen Schamba als auch auf dem Kollektivbaumwollfeld.« Ein Wald hocherhobener Arme und ein vieltausendstimmiges »Viva FRELIMO!« begleitet uns. Offensichtlich um meinen möglichen Fragen zuvorzukommen, greift der Minister das Thema Baumwolle erneut auf. »Wir sprechen in Moçambique häufig und viel von der Kaschunuß, einer Kultur, die nur an wenigen Stellen auf der Erde angebaut wird, und wir sind stolz darauf, daß wir in der Erzeugung von Kaschunüssen an erster Stelle stehen. Sehen wir uns aber einmal die Statistik an, dann entfallen 22 Prozent der Exporterlöse auf Kaschunüsse, 20 Prozent auf Baumwolle, also kaum ein Unterschied. Lassen wir die Statistik aber beiseite, dann ist für den Bauern in Wirklichkeit die Differenz zwischen beiden Kulturen ganz erheblich. Der Akajou ist ein Halbwildling, ein klassisches Element extensiver Kolonialwirtschaft. Und auch die Kokospalme liefert dem Bauern praktisch ein fertiges Produkt, ohne daß er besondere Mühe darauf verwenden muß, macht ihn zum Sammler, nicht zu einem aktiven 161
Ackerbauern. Baumwolle ist dagegen eine aufwendige Kultur, die intensive Bodenbearbeitung verlangt. Sie, diese Baumwolle, war in das ökonomische System, das die Kolonisatoren im hiesigen Dorf geschaffen hatten, ohne Knute nicht hineinzubringen. Daß der afrikanische Wirtschaftssektor für den Marktbedarf produzierte, wurde durch diese Knute, nicht aus wirtschaftlichen Beweggründen erzwungen. Und das verlieh der Entstehung einer Warenproduktion im afrikanischen Dorf jene anomalen Formen. Ohne eine Entwicklung der Warenproduktion kommen wir aber keinen Schritt voran.« »Maúa!« schreit der Pilot, als der Hubschrauber über einer Menschenmenge da unten kreist. »An die fünftausend sind gekommen!« In Maúa geben irgendwie die Frauen den Ton an, die farbenfroh gekleidet sind, ältere haben sogar Spuren von Tatauierung im Gesicht. Sie bilden die ersten Reihen in der Zuhörerschaft und ergreifen sogleich die Initiative, als der Minister seine Rede beendet hat. »Die Baumwolle, deren Anbau du agitierst, ist bei uns nicht bloß unbeliebt, wir hassen sie geradezu«, erklärt eine füllige, etwa sechzigjährige Frau, die sich anfangs selbstbewußt neben den Minister gestellt hatte, ihn aber dann vor dem Publikum einfach verdeckte. »Wenn es jedoch nötig ist, sind wir bereit, sie anzubauen, weil ja, wie du sagst, in Maputo keine wächst, man die Leute in der Hauptstadt ja aber nicht gut nackt herumlaufen lassen kann. Anbauen wollen wir sie aber nur unter neuen Bedingungen. Wenn wir früher mit dem Sammeln der Kapseln begannen, mußten wir die Kinder mit auf die Plantage nehmen: zwei, drei neben uns, das Kleinste auf dem Rükken. Wenn der Aufseher mich schlug, bekam auch das Kleine auf meinem Rücken manchmal eines ab. Heute schlägt uns niemand mehr, und ich würde dem Betreffenden selbst eins versetzen, denn ich bin Brigadier. Doch die Kinder auf eine Kollektivschamba mitschleppen, das geht nicht. Braucht der Staat Baumwolle, dann möge er uns das Haus des geflüchteten Masunga als Kindergarten überlassen. Sonst wird es hier keine Baumwolle geben!« Der Minister ist noch gar nicht recht dazu gekommen, den Vorschlag der Brigadierin zu unterstützen, da will schon eine noch kräftiger gebaute Afrikanerin deren Stelle einnehmen. In den Händen hat sie zwei Gewichte; das eine mochte zwanzig, das andere zehn Kilogramm schwer sein. Der einzige Polizist von Maúa versucht der Frau den Weg zu versperren, aber sie, die durch die Gewichte noch schwerer geworden ist, schiebt ihn mühelos beiseite. 162
»Kennst mich doch, was befürchtest du also?« wendet sie sich an den Polizisten. »Ich bin Aktivistin, seit 1967 bin ich in der FRELIMO, habe auf meinen Schultern wer weiß wie viele Tonnen Partisanenlasten geschleppt. Jetzt aber möchte ich, daß der Genosse Minister einmal diese Gewichte in die Hand nimmt.« Wohl um seine männliche Würde zu wahren, ergreift der Minister das größere der ihm hingehaltenen Gewichte, läßt dabei nicht die geringste Anstrengung erkennen. Von der Menge angespornt, faßt er mit der anderen Hand auch nach dem kleineren. Als die Frau das aber losläßt, da zwingt ihn das unerwartet schwere Gewicht fast in die Knie. Die Menge weiß natürlich, was Fakt ist, und brüllt vor Begeisterung. »Da hast du deine ,Baumwoll’-Gewichte!« ruft die Aktivistin, die Arme in die Hüften gestemmt. »Wenn wir unsere Baumwolle ablieferten, hat man auf die Waage das kleinere Gewicht gestellt, auf dem ,10 kg’ steht, das aber zwanzig Kilogramm wiegt. Im Dorf steht ein ganzer Schuppen voll solcher betrügerischer Gewichte, mit deren Hilfe die Portugiesen uns beschwindelt haben. Ehe diese Gewichte nicht verschwinden, werden wir keine Baumwolle pflücken!« Der Minister bittet, man möge ihm einige der »betrügerischen« Gewichte überlassen, damit er sie in der Hauptstadt zeigen und anschließend ins Museum geben könne. Dann weist er die Behörde an, die restlichen Gewichte morgen im nächsten Fluß zu versenken. Der Hubschrauber steigt erneut auf... »Jetzt haben wir Marrupa vor uns, den schwierigsten Punkt unserer Route. Es ist eine für hiesige Verhältnisse recht große Stadt. Auf der einen Seite viele Einwohner, die jede Verbindung zur Dorfgemeinde verloren haben, die halb Proletarier, halb Bettler sind, auf der anderen eine ziemlich breite Schicht wohlhabender Leute, hauptsächlich Muslims: Ladenbesitzer, Händler und vor allem illegale Landbesitzer. Ein Recht auf den Besitz der ihm zugewiesenen Parzelle hat der hiesige Reiche zwar nicht, aber traditionsgemäß meint er: Es ist mein Land. Und wenn er nicht einverstanden ist, daß auf dieser Parzelle Baumwolle ausgesät wird, dann ist ohne Eingreifen der Armee häufig nichts zu machen.« »Muß man denn ausgerechnet eine solche umstrittene Parzelle bebauen?« wundere ich mich. »Es gibt doch hier genügend freien Boden.« 163
»Stimmt, wo wir bisher gewesen sind, gibt es genug. Im Bezirk Marrupa aber und weiter nordöstlich ändert sich der Charakter des Bodens. Die Konzessionsgesellschaften haben hier jahraus, jahrein Baumwolle angebaut und sich dabei um keinerlei Bodennormen gekümmert. Schauen Sie einmal hinunter, wozu das geführt hat.« Während bisher draußen bewaldete, mit Baumwollplantagen abwechselnde Landstriche vorübergezogen sind, dehnen sich nun unter uns riesige, fast vegetationslose Badlands aus. Tief in die weichen Sedimentgesteine eingeschnittene Schluchten verleihen der Gegend mitunter den Charakter einer Gebirgslandschaft. »Zwischen Marrupa und Montepuez liegen Hunderttausende Hektar auf diese Weise wertlos gewordener Böden, ausgetrocknete Flüsse und zerstörte Wälder. Zu Recht sagt man: Zusammen mit der Baumwolle haben die Portugiesen in den Laderäumen ihrer Schiffe auch die Fruchtbarkeit des moçambiquischen Bodens abtransportiert. Man muß also, Sie verstehen, in diesem Bezirk um jeden fruchtbaren Hektar ringen.« Ganz unerwartet kam es in Marrupa zu einer Art lokaler Klassenschlacht. In den ersten Reihen hatten es sich in unmittelbar an der Landepiste des Flugplatzes aufgestellten Sesseln bärtige Scheichs in Turbanen bequem gemacht, dahinter standen würdig aussehende ältere Männer in roten Fes und weißen Gewändern. Weiter hinten hatten sich Leute von mittlerem Rang aufgestellt, und erst dann jene, für die das heutige Meeting eigentlich gedacht war. Frauen gab es wenige; sie standen abseits, fast alle in Schwarz, mit halbverhüllten Gesichtern. Als der Minister geendet hatte, ergriff Guljab Ali, einer der Männer in rotem Fes, das Wort. Der reiche Händler, der sich sowohl in wirtschaftlichen Dingen als auch in der geistigen Haltung seiner Käufer sehr gut auskannte, baute seine Rede recht geschickt auf: »Wenn wir eine Maniokknolle in den Boden bringen oder einen Bananensetzling pflanzen, dann wissen wir, nach bestimmter Zeit wird es uns der Boden hundertfach lohnen: Wir werden satt werden. Weshalb also sollen wir Baumwolle anbauen, Herr Genosse Minister? Sie haben recht — die neue Regierung hat die Aufkaufpreise dafür um ein Mehrfaches erhöht. Was nützt mir aber dieses Geld, wenn ich dafür bei den Großhändlern nicht das kaufen kann, wonach die Baumwollpflücker in meinen Läden fragen.« In diesem Augenblick setzte nebenan ein Hubschrauber auf, mit 164
dem der Kommissar von Marrupa eintraf; er war kurzfristig ins Provinzzentrum beordert worden. Nachdem er den Minister umarmt hatte, ergriff er das Mikrophon und schlug in seinem dröhnenden Baß den Zuhörern vor, »die vorderen Plätze so einzunehmen, wie es der Bedeutung in den vor sich gehenden Ereignissen entspricht«. Die Baumwollpflücker wurden nach vorn gebeten, das Publikum mit den Stühlen nach hinten geschoben. Der Kommissar kannte sich in der hiesigen Situation bestens aus; er begann mit einer Kritik an Guljab Ali: »Ich habe zwar nicht gehört, was dieser alte Gauner in meiner Abwesenheit erzählt hat. Aber ich weiß, daß er, der euch immer auffordert, vom Baumwollanbau abzugehen, seit Erhöhung der Aufkaufpreise sehr wohl selber gerade Baumwolle anbaut. Und seine Verwandten in der ganzen Umgebung bauen ebenfalls Baumwolle an. Und keiner von ihnen weist das Geld zurück, für das es, wie Guljab Ali behauptet hat, nichts zu kaufen gäbe.« Die Menge applaudierte, doch der Kommissar stellte mit einer energischen Handbewegung die Ruhe wieder her. »Und jetzt möchte ich mit euch noch über den Maniok reden, den ihr, wie Guljab und viele seiner Kumpane im Bezirk euch einreden wollen, anstelle von Baumwolle anbauen sollt. Auch ohne ihre Aufforderungen wird heute in keinem Land Afrikas mehr von dieser Knollenfrucht je Kopf der Bevölkerung erzeugt als in Moçambique. Doch auf diesen gesamtafrikanischen Rekord sollten wir wirklich nicht stolz sein! Was ist Maniok? Es ist nicht nur die nährstoffärmste landwirtschaftliche Kultur, sondern auch die primitivste. Da steckt man einen Halm in den Boden und erhält nach zwei, drei Jahren eine fünfzehn Kilogramm schwere Knolle. Bei der unter den Portugiesen herrschenden Zwangsarbeit hat man in Moçambique in immer größerem Umfang mehrjährigen Maniok angebaut, weil die Bauern weder Zeit noch Kraft hatten, ihr Land mit Getreide und Gemüse zu bestellen. Jetzt möchte der schlaue Guljab die Stelle des Masunga einnehmen, indem er euch zuredet, auf Baumwolle zu verzichten, deutlicher gesagt, er möchte ein schwarzer Bourgeois werden. Maniok verschafft euch nicht nur freie Zeit, sondern auch leere Bäuche, leere Taschen. Und dann, so hofft Guljab, werdet ihr zu ihm kommen und für wenig Geld seine Baumwolle anbauen, die ihm hohe Gewinne einbringt.« Die Logik des Kommissars war so einleuchtend, daß seine Lo165
sung »Viva algodão!« praktisch einmütig aufgegriffen wurde. Im Kampf für die Baumwolle war in Marrupa eindeutig ein wichtiger Beitrag geleistet worden. Damit endete unsere »Baumwollreise«. Unser Hubschrauber bog scharf in Richtung Njassasee ab, flog genau nach Westen, und uns schien, als würden wir uns schließlich genau in die rote Scheibe der Sonne hineinbohren, die da unmittelbar vor uns hing.
Auf den Spuren der Vergangenheit Lichinga ist eine junge Stadt, die ausschließlich als Verwaltungszentrum der Provinz Niassa gebaut wurde und keinerlei Sehenswürdigkeiten aufweist, wenn man vom Klima absieht! An ihren Hauptstraßen wachsen bemooste Kiefern, und bis dicht an die Vororte reichen Sonnenblumenfelder. Alle meine hiesigen Bekannten hielten es für ihre Pflicht, mich bei der morgendlichen Begrüßung zu fragen, ob es mir nicht zu kalt gewesen sei, und abends rieten sie mir, unbedingt einen Wollpullover überzuziehen. Die Stadt liegt in fast anderthalbtausend Meter Höhe über dem Meeresspiegel, und von Westen her wehen Winde, die über dem mächtigen Njassasee entstehen. Der Njassa zog mich wie ein Magnet an, doch dorthin zu gelangen, erwies sich als recht schwierig. Von Lichinga bis zum See waren es per Luftlinie nur vierzig Kilometer (die Portugiesen hatten es aber dennoch nicht geschafft, eine Straße dorthin zu bauen), auf der einen großen Umweg beschreibenden Fahrspur aber waren es über zweihundert Kilometer. Ein Auto zu mieten, dafür bestand keinerlei Chance, und der Versuch, per Anhalter dorthin zu kommen, kann in solchen Gegenden damit enden, daß man sonstwo landet, nur nicht dort, wohin man will. Hoffen konnte ich hier nur auf einen »Zauberstab« — die hiesige Parteileitung, obwohl auch sie, wie ich schon wußte, vor schier unüberwindlichen Schwierigkeiten stand: Contras hatten irgendwo eine Brücke zerstört, und Benzin, das von der Küste hierher gebracht werden muß, wird mit Gold aufgewogen. Kaum aber hatte ich die Schwelle zum Arbeitszimmer des Sekretärs für ideologische Fragen im Provinzkomitee der Partei überschritten und meine Probleme vorgebracht, da erschien an der Tür der Landwirtschaftsminister. Er unterstützte sogleich meine Idee, 166
die am See gelegene Provinz zu bereisen. Was er nun sagte, war gleichsam als Befehl aufzufassen: »Benzin brauchen wir für ihn nicht. Setzen Sie sich mit der Garnison in Verbindung. Von dort aus fahren jeden Morgen ein Dutzend Autos in alle Winkel der Provinz. Soll er dorthin mitfahren, wohin er will. Ich aber bin nur schnell gekommen, um mich zu verabschieden, ich werde dringend in der Hauptstadt gebraucht.« Wir wünschten dem Minister »Boa viagem!« (»Gute Reise!«), und dann erörterte ich, mit dem Sekretär allein geblieben, mit diesem die Situation in der Provinz. »Vom Territorium her ist Niassa eine der größten, jedoch die am dünnsten besiedelte Provinz. Ihre Einwohnerzahl beträgt nur 450 000. Während sonst im Land durchschnittlich achtzehn Menschen je Quadratkilometer gezählt werden, sind es bei uns wenig mehr als drei. In erster Linie erkläre ich mir diese geringe Bevölkerungsdichte damit, daß diese Provinz noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein Hauptschauplatz für den Sklavenhandel in Afrika war. Jährlich wurden etwa 25 000 Menschen verschleppt. Auf jeden verkauften Sklaven kamen darüber hinaus noch zehn Menschen, die entweder bei Stammesfehden umkamen, die unmenschliche Behandlung oder die Trennung von den Angehörigen nicht überlebten sowie an Unterernährung starben, so daß Niassa alljährlich ungefähr 250 000 Menschen verlor.« Das Klingeln des Telefons unterbricht unser Gespräch, der Sekretär notiert etwas, dann liest er mir die Routen vor, die an diesem Tag von Autos der Garnison befahren werden. Ich wähle natürlich eine Fahrt nach Norden, am Seeufer entlang. »Na, dann haben wir noch ein paar Minuten Zeit«, fährt der Sekretär fort, nachdem er den Hörer aufgelegt hat. »Sicher waren Sie schon in Manica, in Chimoio? Die Küstenbezirke von Niassa, die Umgebung von Lichinga, das sind nämlich genau so begünstigte Gegenden mit gemäßigtem Klima und fruchtbarem Boden. Bislang sind sie aber von jungfräulicher Unberührtheit, ähneln einem Denkmal kolonialen Schwachsinns. Nicht einmal für den Straßenbau hat man Zeit gefunden. Im Vergleich zu anderen Provinzen, die von Dürre oder Überschwemmung heimgesucht werden, haben wir in den letzten Jahren ausgezeichnete Ernten eingebracht. An Kartoffeln, und die gedeihen in Moçambique nur hier in Niassa, ernten wir so viel, daß wir damit das ganze Land versorgen könnten. Wegen 167
der fehlenden Straßen und der Banditen können wir sie aber nicht abtransportieren.« Ein Soldat in neuer eleganter Uniform unterbricht unsere Unterhaltung und meldet: »Das Auto steht bereit!« Von Lichinga müssen die Soldaten am Seeufer entlang bis Maniamba fahren, von dort aus nach Cóbuè und dann — »wohin der Genosse Korrespondent will«. »Am Ufer entlangfahren« ist, wenn man von der moçambiquischen Seite des Njassa spricht, ein sehr relativer Begriff. Vor wenigen Jahren hatte ich einmal von jenseits, von Malawi aus, auf das hiesige Ufer geschaut. Damals hatte ich geglaubt, es werde von einem unzugänglichen Gebirge gebildet, das fast senkrecht aus dem See aufsteigt. Jetzt aber stellte ich fest, daß es sich um ein oben flaches, durch Erosion zerschnittenes Horstmassiv handelt. Zum See hin bricht es tatsächlich in einer Steilstufe ab, die zwischen Fels und Wasser häufig keinen einzigen Zentimeter Strand läßt. Deshalb kann man hier am Ufer entlang wohl schwimmen, nicht aber mit einem Auto fahren. Praktisch gibt es auch keine Möglichkeit, etwa am Abbruch des Horstes entlangzufahren, weil das stark gegliederte Relief hier die ganze Fülle seiner Formen zu demonstrieren scheint. Tiefe Schluchten mit von Geröll bedeckten Hängen wechseln mit kleinen Plateaus ab, die mit gigantischen, für ein Auto schier unüberwindliche Hindernisse bildenden Gneisbrocken übersät sind. Deshalb also kriecht unser Jeep nun unter hysterischem Getöffe auf dem steinigen, typischen Gebirgspfad dahin, der in etwa fünfundzwanzig bis vierzig Kilometer Entfernung vom See in schwindelerregenden Serpentinen verläuft. Irgendwo in der Ferne plätschert unten der blaue See. »Sind Sie schon einmal in einem ,aldeamento’ gewesen?« wendet sich Ernesto, mit dem ich jetzt nach Norden fahre, an mich. »Leider ja«, erwidere ich. »Sowohl in Tete als auch in Cabo Delgado.« »Na, um so besser, da wird es Ihnen nicht gleich die Laune verderben. Wen es aber zum ersten Male hierher verschlägt, der wird auch für die Schönheit dieser Gegend nichts mehr übrig haben.« »Müssen wir denn unbedingt in das Aldeamento fahren?« frage ich. »Ja, ich muß, bin dort so etwas wie der Chef. Besser für mich wäre es, ich käme als einfacher Soldat hin, dann hätte man keine Sorgen. 168
Dort gibt es nämlich dreitausend Menschen, und das bedeutet dreitausend Tragödien.« Der holprige Weg mit seinen zahllosen scharfen Kurven ließ unser Gespräch bald versiegen, jeder hing seinen Gedanken nach. Die Idee, »aldeamentos« anzulegen, strategische Dörfer, war den Portugiesen Ende der sechziger Jahre gekommen als Reaktion auf die sich von Tag zu Tag mehr ausweitende Befreiungsbewegung. Der Hauptgedanke dabei war, die gesamte nichtstädtische Bevölkerung des nördlichen Moçambique unter militärischer Kontrolle zu haben, ihre Kontakte mit der FRELIMO zu unterbinden, so daß die Befreiungskräfte die Unterstützung durch das Volk verlören. Der Einfall, Aldeamentos anzulegen, hätte, wäre das Vorhaben verwirklicht worden, das gesamte demographische Antlitz dieses ausgedehnten Territoriums grundlegend verändern können. Hier die Gründe: Die Bewohner des Nordens von Moçambique wissen nicht, was ein Dorf ist, wie wir, die Europäer, es verstehen. Weder in Niassa noch in Cabo Delgado hat es je größere Zusammenballungen von in der Landwirtschaft tätiger Bevölkerung gegeben. Im lichten Miombowald lebten die Menschen familienweise in ihren Anwesen — eine Familie in sechs bis acht Hütten. In vier, fünf Kilometer Entfernung konnte man nach allen Richtungen hin ein Dutzend weiterer solcher Anwesen finden. Die Natur war hier freigebig, der Boden fruchtbar, Wild gab es genug; so waren die Menschen nicht gezwungen, sich zusammenzuschließen. Die Nachbarn besuchten einander, heirateten untereinander, wehrten sich notfalls, wenn die Tamtams dazu aufriefen, gemeinsam gegen einen Feind. Im Befreiungskampf wurde jedoch jedes solches Anwesen zum Hinterland der FRELIMO, zu einem Stützpunkt, der den Patrioten junge Kämpfer zuführte und Lebensmittel lieferte. Da die Portugiesen, als sie das erkannt hatten, aber nicht in der Lage waren, die im ganzen Wald verstreut liegenden winzigen Siedlungen unter ihre Kontrolle zu bringen, beschlossen sie, das traditionelle System der Besiedelung zu zerstören. Man begann also, die Bauern gewaltsam in »aldeamentos« zu treiben, in offener Landschaft in Nähe strategisch wichtiger Wege und Straßen gelegene neugeschaffene Siedlungen, in denen jeweils zwei- bis dreitausend Menschen leben sollten. Im Grunde genommen waren das große Konzentrationslager, in de169
nen man 1974 allein in den Provinzen Niassa und Cabo Delgado 350 000, im gesamten Land über 800 000 Menschen zusammengepfercht hatte. In Nampula habe ich im Stab der portugiesischen Kolonialarmee eine »perspektivische Karte« gefunden, auf der die bis 1990 anzulegenden Konzentrationslager eingezeichnet waren. Sie überzogen das gesamte Gebiet nördlich des Rio Save und waren für vier Millionen Menschen berechnet. Ein entsetzlicher Plan zur Wiedereinführung von Sklaverei in bislang unbekannten Ausmaßen! Auf der Karte hatte man Linien gezogen — die Hauptrichtungen, in denen Arbeitskräfte aus den Aldeamentos zu Plantagen und größeren Baustellen geschafft werden sollten. Das Aldeamento bei Maniamba erinnert an eines dieser Konzentrationslager. Als wir an dessen Tor ausstiegen, erzählte Ernesto: »Im Auftrag der FRELIMO bin ich selbst einmal in diesem Aldeamento hier eingesperrt gewesen, habe unter seinen Insassen agitiert. Etwas Besonderes, was dieses Lager von denjenigen unterscheidet, die Sie schon gesehen haben, gibt es hier nicht. Die Portugiesen haben sich nicht viel einfallen lassen, sie haben die Aldeamentos nach Typenprojekten’ angelegt: fünf bis sieben Reihen Hütten, je hundert in einer Reihe. Kein einziges Bäumchen, damit alles gut zu überschauen war und man freies Schußfeld hatte. Um das Ganze dann eine Umzäunung — acht Reihen unter Strom stehender Stacheldraht. An jeder Ecke ein Turm für einen Posten. Außerhalb des Stacheldrahtes liegen die Schamba, die Felder. Mehr als festgelegt durfte nicht bestellt werden; fiel die Ernte gut aus, wurden die Überschüsse beschlagnahmt. Das deshalb, damit wir kein Geld in die Hände bekämen oder die Überschüsse der FRELIMO überließen. Hinter der bewirtschafteten Zone wiederum Stacheldraht unter Strom und Wachtürme mit Posten. Also haargenau ein riesiges Lager von Sklavenhändlern, und das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts!« Wir gehen an den für die Ewigkeit gebauten Betonhütten mit Wellblechdächern vorüber. Wie unerträglich mußten die sich tagsüber aufheizen, überhaupt wie ungemütlich mußte in ihnen das Leben für Bewohner des Miombo sein, die Weite, Kühle und dufterfüllte Waldluft gewöhnt gewesen waren! »Können Sie sich vorstellen, welche Probleme uns diese Aldeamentos hinterlassen haben?« fährt Ernesto fort, als habe er meine Gedanken erraten. »Die Posten haben wir natürlich schon am ersten 170
Tag abgezogen, den Stacheldraht zerschnitten Doch bevor wir das getan hatten, waren viele Bewohner dieser Siedlung hier in ihren heimatlichen Wald verschwunden, und je weiter weg, um so mehr Probleme entstehen. Die hierher getriebenen ehemals freien Bauern hatten kein Recht mehr gehabt, frei umherzuziehen, hatten nur noch in begrenztem Umfang Boden und waren in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, ausreichend Nahrungsmittel zu erzeugen. Da sie hier unter äußerst schweren sozialen Bedingungen hausen mußten, sahen sie häufig als Hauptgrund für ihre elende Lage die Tatsache an, daß sie zusammenleben mußten. Ich weiß nicht, haben die Portugiesen nun so weit gedacht oder nicht, aber die Aldeamentos sind für uns häufig zu einem Hemmschuh auf dem Wege zur Kollektivierung geworden. Im neuen, auf völlig anderer Grundlage basierenden Leben in einem kollektiv wirtschaftenden Dorf hatte der Bauer in diesen Regionen die meiste Furcht davor, sein Haus unmittelbar neben dem des Nachbarn errichten zu müssen.« »Von der Idee selbst, in den Agrarbezirken mehr oder weniger große Siedlungen zu schaffen, sollte man aber nicht abgehen, es wäre dies ein Schritt zurück«, werfe ich ein. »Man kann doch nicht jedem Einzelanwesen einen Lehrer und einen Arzt zuweisen, nicht jede einzelne Schamba im Wald mit einem Agronomen und Traktor ausstatten. Klar, daß nur kooperative Arbeit die komplizierten sozialökonomischen Probleme in Niassa lösen kann.« »Wir begreifen das durchaus, und deshalb versuchen wir, aus den ehemaligen Aldeamentos Kooperative zu machen, die nicht an die Vergangenheit erinnern sollen. Erstens verringern wir die Zahl ihrer Bewohner von dreitausend auf drei- bis vierhundert Menschen. Sehen Sie, in jenem fernen Winkel der Siedlung haben wir schon Bäume gesetzt: Dort soll das Wohnviertel unseres künftigen Agrostädtchens liegen. Einige Hütten werden wir als Klub, Kinderkrippe, Bibliothek nutzen. Und am entgegengesetzten Ende der Siedlung hat man schon begonnen, Häuser zu Geflügelställen umzubauen. Insgesamt haben wir hier an die dreißig Enthusiasten, die diesem düsteren Ort neues Leben einhauchen wollen. Kommen Sie in ein paar Jahren wieder, und Sie werden sich über unsere Erfolge freuen!«
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Am großen Njassasee* Gleich hinter Maniamba war der felsige Weg zu Ende, dafür aber hatte sich der seine Fortsetzung bildende kaum wahrnehmbare Pfad, über den vielleicht einmal in zwei Wochen ein einzelnes Auto rollte, unversehens den schroffen Steilhängen genähert, die zum Njassa hin abbrechen. Und hier waren wir in ein Reich von Affenbrotbäumen gelangt. Der Baobab ist hier durchaus nichts Einmaliges, sondern einfacher Soldat in der hiesigen Armee mächtiger Baumriesen. Diese achtunggebietenden, dicht beieinander stehenden und wohl mindestens tausend Jahre alten Giganten der Pflanzenwelt wuchsen unmittelbar am Rande des Plateaus, einige standen sogar, fest in den steinigen Boden gekrallt, auf dem Steilabfall. Übrigens, zu wundern braucht einen das nicht, können die Wurzeln dieses Baumes doch mehrere hundert Meter tief reichen! Niemals und nirgends habe ich vorher in Afrika eine derartige Menge dieser riesigen Baobabs gesehen, stehen sie doch gewöhnlich hundert bis hundertfünfzig Meter voneinander entfernt, als wären sie bestrebt, nicht miteinander zu konkurrieren und jedem einzelnen Baum die Möglichkeit zu geben, das ihm eigene Wunder zu demonstrieren. Und mit »Wundern« hat die Natur bei diesem Baum wahrlich nicht gegeizt! Ein Baobab kann bis zweieinhalbtausend Jahre alt werden. Alexander von Humboldt nannte ihn »das älteste organische Denkmal unseres Planeten«. Stämme von fünf bis sieben Meter Durchmesser sind für ihn ganz normal. Es gibt sogar Exemplare von neun Meter Durchmesser, also mit einem Umfang von über dreißig Metern. Nicht selten überschreitet die Dicke des Stammes bei diesem Original der Pflanzenwelt seine Höhe. Erst wenn der Baobab ein Alter von mehr als tausend Jahren erreicht hat, wächst er mitunter bis zu einer Höhe von fünfzehn bis achtzehn Metern, wobei der Stammumfang zehn bis zwölf Meter erreicht. Eine weitere interessante Eigenschaft hat er mit dem Kamel (!) gemein: In regenreichen Jahren kann er nämlich gewissermaßen »auf Vorrat trinken«, so daß er in die Breite geht, während er in Trockenperioden durch Abgabe der gespeicherten Feuchtigkeit »abmagert«. * Die Bewohner von Malawi nennen ihn Malawisee (A.d. R.).
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Die Afrikaner pflegen den Affenbrotbaum unbarmherzig »auszubeuten«. Für die Bewohner der Savanne ist er genauso ein »Baum des Lebens« wie die Kokospalme für die Bewohner der Küste. Was der Baobab dem Menschen allerdings nicht liefern kann, ist festes Holz. Dafür ist die Faser, die man aus ihm gewinnt, so fest, daß bei einheimischen Jägern die Redensart üblich ist: »Hilflos wie ein mit einem Baobabstrick gefesselter Elefant.« Die Blätter des Baobabs genießt man in Form von Salat, die getrockneten Blüten verwendet man zum Vertreiben der Mücken, die Früchte als Gewürz, das saftige Mark als Beilage zu Fleischgerichten. Paradox ist, daß der von Europa am weitesten entfernt und vor allem hinter nur schwer zu überwindenden Gebirgsmassiven versteckt liegende Njassasee der erste in der Familie der afrikanischen Grabenbruchseen war, den die Europäer entdeckt haben. Ohne David Livingstones unantastbare Ehrlichkeit und Anständigkeit im geringsten anzweifeln zu wollen, können wir doch seine Tagebuchnotiz: »Wir entdeckten den Njassasee kurz vor Mittag des 16. September 1859« nur als einen ärgerlichen Irrtum betrachten. Denn 243 Jahre vor ihm war bereits der portugiesische Reisende Bacarro und noch vor diesem waren arabische Kaufleute hier gewesen. Eine andere Sache aber ist es, daß Livingstone im Unterschied zu seinem portugiesischen Vorgänger eine detaillierte Beschreibung des Sees hinterlassen und so seiner Entdeckung einen wissenschaftlichen Charakter verliehen hat. 1875 leitete Livingstones einstiger Begleiter, Leutnant E. Young, ein geradezu phantastisch anmutendes Unternehmen ein: Achthundert von ihm gedungene Träger brachten den in Einzelteile zerlegten Dampfer »Ilala« vom Unterlauf des Chire bis zum Njassasee. Auf ihm fuhr Young dann erstmals den gesamten See ab und korrigierte dabei einige Fehler, die Livingstone unterlaufen waren. Seit jener Zeit hatten Engländer sozusagen das Monopol in der Erforschung des gesamten Nordens von Moçambique. London hatte sich dabei eine interessante Taktik ausgedacht: Die großen britischen Forschungsreisenden, die Märsche in die Gebiete um den Njassa unternahmen, ernannte es zu britischen Konsuln in Mocambique, was diesen praktisch die Möglichkeit bot, sich nicht den portugiesischen Behörden unterordnen zu müssen. So kartierte der Konsul D. Elton, der sich schon durch seine Forschungsreise am Limpopo einen Namen gemacht hatte, im Jahre 1877 das gesamte 173
Ostufer des Njassa, nachdem er Young auf der »Ilala« abgelöst hatte, und der Konsul O’Neill erforschte das Einzugsgebiet des Rio Lugenda. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Portugiesen am Ufer des Njassa nicht einen einzigen ständigen Stützpunkt. »Bekümmert und voller Neid müssen wir uns mit dem zufriedengeben, was in Londoner Zeitschriften über die portugiesischen Territorien in Ostafrika mitgeteilt wird«, schrieb 1903 die »Zeitschrift der Geographischen Gesellschaft der Insel Moçambique«. Die Begleiter und Verbündeten der Europäer in den Gebieten am Njassasee waren zu jener Zeit die Yao, die Bewohner dieser Gegenden. Sie hatten den Islam angenommen, um sich so vor Sklaverei zu bewahren, da die Araber ja keine Muslims versklaven durften, und mit der Zeit wurden sie unter der hiesigen Bevölkerung die engsten Verbündeten der Sklavenhändler. Einige der reichsten Vertreter der Yao-Stammesoligarchie wurden sogar selbst zu mächtigen Sklavenhändlern. An der Ozeanküste lernten sie bei den Swahili das Trapezsegel kennen, und schon im 19. Jahrhundert rüsteten sie auf dem Njassa eine ganze Dhau-Flottille aus, mit der sie sich an der Menschenjagd beteiligten. Ihr Haupthafen befand sich am gegenüberliegenden Seeufer, im heutigen malawischen Nkhota-Kota. Manche Historiker, die sich mit der Geschichte des Sklavenhandels befassen, bezeichnen die Yao sogar als »professionelle Sklavenhändler«. Wohlhabende Mitglieder dieses Stammes besaßen Sklaven auch für den »Innendienst«, denn auf den fruchtbaren Alluvialböden an den zahlreichen Flüssen betrieben sie Ackerbau in einem solchen Umfang, daß sie nicht nur den Eigenbedarf decken, sondern auch noch arabische und portugiesische Karawanen mit Nahrungsmitteln versorgen konnten. Schon Ende des 19. Jahrhunderts schrieb der bereits erwähnte Franzose Elisee Reclus über die Yao: »Fast überall, wo sie sich niedergelassen hatten, gaben sie in politischer Beziehung den Ton an... Sie sind äußerst reinlich, sowohl was ihre Kleidung als auch was ihre Wohnstätten anbelangt, und sie gewöhnen sich rasch an Fremde, zeichnen sich durch Unternehmungsgeist aus. Sie sind hervorragende Ackerbauern. Die Yao haben das Tal des Lugenda in einen riesigen Garten verwandelt, in dem Erdpistazien, süße Bataten, Kürbisse, Bohnen und stellenweise auch Reis neben Mais und Hirse angebaut werden, das heißt Getreidepflanzen, die der hiesigen Bevölkerung als Hauptnahrung dienen... Auf den oberen Berghängen wimmelt es von Hütten. Im Ort Unango (etwa 174
vierzig Kilometer von Maniamba entfernt — S. K.) sind es mindestens neuntausend.« Wenn man einmal den Sklavenhandel vergißt, dann haben sich bei den Yao bis heute alle jene positiven Eigenschaften erhalten, die Reisende der Vergangenheit bei ihnen feststellten. In Cóbuè konnte ich mich selbst davon überzeugen. Doch zunächst noch etwas über Cóbuè. Diese winzige Siedlung ist praktisch der einzige moçambiquische Ort, der unmittelbar am Ufer des Sees liegt, und der einzige, wo so etwas wie eine Straße bis zum Njassa reicht; auf ihr kann man bis zu diesem afrikanischen Naturwunder gelangen, das Anziehungspunkt für Hunderttausende von Touristen werden könnte. Cóbuè ist der einzige Hafen in Mocambique, wo im tiefen Innern des Kontinents inmitten von Gebirgen Matrosen der Seestreitkräfte Dienst tun. Der Kommandant des Militärstützpunkts hörte sich interessiert an, was ich geplant hatte, und ließ dann Pereiro kommen, einen unwahrscheinlich hageren Mulatten, ehemals Mitarbeiter der früher in Cóbuè existierenden limnologischen, meteorologischen und seismologischen Station. Pereiro bezeichnete, sich auf Livingstones Aussage berufend, den Njassa, der mir so gemütlich, still und gastfreundlich vorkam, als »See der Stürme«. Seinen Erläuterungen nach bildete dieses sich von Nord nach Süd über 580 Kilometer erstreckende schmale Wasserbecken so etwas wie ein gewaltiges aerodynamisches Rohr, das die im Winter durch das Sambesi-Chire-Tal hierher durchbrechenden Südostpassate zu richtiggehenden Stürmen werden läßt. Diese haben sogar einen besonderen Namen — »Mwere«, das heißt »ungestüme Winde«. Wenn sie das enge Chire-Tal verlassen haben, rasen sie wild pfeifend über den See, prallen gegen das dessen Nordufer schützende Gebirge, werden zurückgeschleudert und lassen dabei riesige Wasserhosen entstehen. Und noch eine Überraschung hält der Njassa bereit, eine Art von Tsunamis. Wie alle Seen in der afrikanischen Grabenbruchzone liegt der Njassa in einem tektonisch unruhigen Gebiet, das für Erdbeben und Vulkanausbrüche anfällig ist. So stiegen beispielsweise 1927 im Gefolge einer Unterwassereruption gewaltige dunkelbraune Rauchsäulen hundertfünfzig Meter hoch über den Njassa empor; man zählte über zwanzig solcher Säulen. 1941 sprangen am Njassasüdufer kräftige Geysire, und später stiegen zwanzig bis dreißig Kilome175
ter vom Ufer entfernt Rauchsäulen auf. Im Juli 1975 machte ein nächtlicher Ausbruch auf dem Grunde des Sees durch eine tags darauf entdeckte dicke Schicht goldfarbener Kristalle, die die ufernahe Pflanzenwelt überzog, auf sich aufmerksam. Die einheimische Bevölkerung sagt dazu: »Das große Wasser atmet.« Und jedesmal nach einem solchen »Seufzer« rollen verderbenbringende Wellen von einem Ende des Gewässers zum anderen. »Nach Ansicht vieler Wissenschaftler, die hier gearbeitet haben, kommt es am Südende des Sees, wo die Ausbrüche am häufigsten sind, zu Aufwölbungen und Senkungen«, meint Pereiro. »Und eben damit lassen sich die Kapriolen des dem See entströmenden Chire erklären. Sein Ausfluß liegt bald über dem Wasserspiegel des Njassa, so daß er gleichsam in der Luft hängt, bald wieder auf normaler Höhe. Und davon hängen auch, wie Ihnen einleuchten wird, die Schwankungen des Wasserspiegels im See selbst ab. Wenn der Chire nicht mehr als Abfluß fungiert, wird der Njassa zu einem abflußlosen Becken, und sein Wasserspiegel steigt um mehr als fünf Meter. Normalisiert sich der Abfluß wieder über den Chire, sinkt auch der Wasserspiegel des Sees so weit, daß am moçambiquischen Ufer eine Art Strand entsteht. Für Moçambique, das am Ufer des Njassa weder Häfen noch Städte aufweist, ist dies verständlicherweise ein rein theoretisches Problem. Für Malawi aber ist es schlimm: Bald liegen die Anlegestellen zehn bis zwölf Meter vom Ufer entfernt, bald verwandeln sich landeinwärts liegende Dörfer in Küstensiedlungen.« Es ging auf den Abend zu. Die Sonne verbarg sich rasch hinter den Bergen und ließ die bleigraue Wasserfläche des Njassa purpurgolden aufleuchten. Und wie auf Kommando erwachte nun das Leben im Küstendorf Cóbuè. Zufällig hierher geratene Weiße behaupten nicht selten, wenn sie die tagsüber im Halbschlaf erstarrten afrikanischen Dörfer erleben, alle Eingeborenen seien Tagediebe, ihre Hauptbeschäftigung sei es, im Schatten der Bäume dahinzudösen oder gemächlich ihr Essen zu verschlingen, wobei man sich fragen muß, woher sie denn bei einer solchen Tageseinteilung überhaupt etwas zu essen bekommen. Bliebe ein solcher Durchreisender aber einmal bis nach Sonnenuntergang in Cóbuè, würde ihm sicher bald ein Licht aufgehen, daß die afrikanische Hitze die hiesigen Bewohner ganz einfach zwingt, ihre Arbeit vor allem in den Abendstunden, wenn nötig, auch nachtsüber, zu verrichten. In der ganzen Siedlung hörte man jetzt das Stampfen riesiger, aus 176
einem ganzen Stamm gefertigten Stößel: Die Mädchen stellten Mehl her. Bei jeder Hütte qualmte der Herd, über ganz Cóbuè verbreitete sich der spezifische Geruch von Kokosnußöl. Die Yao-Frauen warfen Bällchen aus kleingehacktem Fleisch — »Kuskus« — in das siedende Öl, andere brieten darin Fisch. Ältere Frauen beschäftigten sich mit der Reparatur ihrer Hüttendächer, die einige Tage zuvor der vom nahegelegenen See herantobende Sturm beschädigt hatte, und die alten Männer versammelten sich auf dem größten Platz des Ortes, um ein riesiges Fischernetz zu flechten. Die Knaben aber zogen mit Fackeln zum Berg oder Wald, wo ihnen, wie man mir erklärte, »sehr schmackhafte dicke Schmetterlinge« in die Flamme fliegen. Die wichtigste wirtschaftliche Tätigkeit aber spielte sich am Ufer des Njassa ab — die Fischer fuhren zum nächtlichen Fang auf den See hinaus. Das aber bedeutet: Bis fast zum Morgengrauen würden Frauen und Mütter voller Unruhe auf sie warten. Sind sie zurückgekehrt, beteiligt sich das ganze Dorf am Ausnehmen und Zerlegen der kleineren Fische, die gedörrt werden, während man die größeren räuchert. Den wertvollsten Teil des Fanges aber wickelt man in Baobabblätter, um ihn vor dem Verderben zu schützen, und bringt ihn mit dem Boot zum Verkauf auf die Insel Likoma, wo ihn malawische Großhändler abholen. Schon steht die Sonne fast im Zenit, und die Leute, die sich die ganze Nacht über abgerackert haben, legen sich hin, um auszuruhen, oder es fällt ihnen ein, daß sie seit dem Abend noch keinen Bissen zu sich genommen haben. Der europäische Tourist aber, der just zu diesem Zeitpunkt in die »Wildnis« kommt, stellt fest: »Da schlafen sie schon wieder mitten am Tage!« Die Nacht verbrachte ich in Pereiros Häuschen, und schon um sieben Uhr früh lud uns ein vom Kommandanten geschickter »Matrose« zu einer Fahrt mit einem Kutter ein. Frühstück gab es an Deck. Außer den hier üblichen gebackenen Bananen und sehr schmackhaften (sofern nicht mit Kokosnußöl zubereitet!), knusprigen Süßkartoffeln, Bataten, bot man uns etwas an, das äußerlich an aus Grieß gebackene Fladen erinnerte. Nichtsahnend kostete ich — es schmeckte ein wenig nach ungesalzenem Hechtrogen. Als ich vom Teller aufsah, blickten mich alle erwartungsvoll an. Nein, also doch kein Rogen, es muß etwas viel Exotischeres sein. »Nun, verratet schon, was ihr mir da untergejubelt habt!« sage ich und kaue weiter an meinem Fladen. 177
»Nkanga«, erwidert Pereiro lakonisch. »Nkanga, kanga, kangu«, quäle ich mich ab, das Wort zu deuten, das jedoch keinerlei Assoziationen in mir weckt. Irgend etwas habe ich doch schon einmal über dieses oder diese Nkanga geschrieben, aber was, das fällt mir nicht ein. »Ein nur bei uns übliches Gericht«, läßt mich Pereiro schmoren. »Probieren kann man es nur am Njassa.« Und um mich anzuspornen, stopft er sich selbst einen ganzen Fladen in den Mund. »Noch immer nicht erraten?« »Nein«, bekenne ich betrübt. »Nkanga, ,Njassa-Schnee’, ist das«, erklärt er schließlich. »Mükken mit weißen Flügeln, die sich an warmen Abenden mit flammend rotem Sonnenuntergang in solchen Mengen über dem See sammeln, daß die Fischer, wenn sie mit ihren Booten in solche Insektenwolken geraten, fast ersticken. In der Dunkelheit fliegen die Mücken dann in brennende Lichter, versengen sich dabei die Flügel, bedecken ringsum alles in weißer wie Schnee aussehender Schicht. Gestern war wieder einmal ein so roter Sonnenuntergang, folglich gab es Unmengen von Mücken. Und daher sind diese Fladen hier frisch, schmackhaft.« »Wirklich, man kann sie essen«, stimme ich bei. »Besser aber wäre es, man hätte uns einen endemischen Fisch vorgesetzt.« »Ja, was man hier an Fischen herausholt, sind alles Endemiten«, meint Pereiro lachend. »Von den etwa 230 Arten, die man im See fängt, sind fast neunzig Prozent nur im Njassa, nirgend woanders auf der Welt anzutreffen. Mit den einheimischen Namen dieser Fische— Mlamba, Miushmi, Chiuwu, Chairwi — will ich dich nicht erst quälen, ins Portugiesische sind diese aber ebenso wenig übersetzt wie ins Russische. Die Anzahl der endemischen Arten ist im Njassa fast so groß wie im benachbarten Tanganjikasee oder in eurem Baikal. Alle diese Seen sind alte typische Verwerfungsseen, die gewaltige Vorräte an reinem Süßwasser besitzen.« Unser Kutter hält Kurs Nord, durchpflügt die lasurblaue Fläche des Sees. Der Steuermann will wohl ein wenig damit prahlen, wie genau er den See kennt, und nähert sich dem Ufer mitunter auf zwei, drei Meter, doch selbst dann braucht man nicht zu hoffen, bis auf den Grund sehen zu können. Eine fünfzig Meter lange Lotleine hängt hinab und läßt uns nur ahnen, wieviel Dutzend, vielleicht auch hundert Meter Wasser wir unter dem Kiel haben. 178
»Der hat’s in sich«, meint einer der Matrosen nicht ohne Stolz. »Der zweittiefste See Afrikas!« Was die Schönheit seiner Ufer betrifft, nimmt er vielleicht sogar den ersten Platz ein. Früher habe ich in dieser Hinsicht unter den großen afrikanischen Seen dem Kiwusee den ersten Platz zugestanden, dessen zerklüftete Ufer mitunter an Fjorde erinnern. Nach dieser Fahrt über den Njassa bin ich jedoch bereit, den ersten Platz unter diesen beiden Seen aufzuteilen. Unmittelbar aus dem Wasser ragt, als stehe er auf einem gewaltigen Sockel, über dem See der majestätische pyramidenförmige Gipfel des Txitongo auf, dessen nach Norden sanft abfallende Hänge ins benachbarte Tansania hinüberreichen. Dieser fast zweitausend Meter hohe Bergriese weckt, wenn er sich im ruhigen Wasser des Njassa spiegelt, die Illusion, es tue sich im Wasser ein phantastisch roter Abgrund auf. Auf dem Steilabfall des Plateaus wurde der fast kompakte weiche Teppich hellgrüner Moose und silbrig-blauer Flechten nämlich plötzlich von roten Latenten abgelöst, die das Muttergestein bedeckten. Dort aber, wo Grundwasser austrat, glänzten die von ihm abgewaschenen und polierten Basalte und Gneise derart, daß sie vom See her wie gigantische Spiegel wirkten. Zahlreiche Bäche, bisweilen auch schmale Wasserfälle, ergossen sich aus fast zweihundert Meter Höhe unmittelbar in den See hinab. Von Osten her münden fast keine Flüsse in den Njassa, denn die Wasserscheide zwischen diesem und dem Indischen Ozean verläuft nur ein paar Kilometer vom Ufer des Njassa entfernt. Daher ist dieser am moçambiquischen Ufer wahrscheinlich auch so klar im Unterschied zur malawischen Seite, wo der See eine gelbliche Färbung hat, weil ständig Flußwasser hineinströmt. »Es wird die Zeit kommen, da wir eine prächtige Straße hierher bauen und den Njassa zu einem Mekka der Touristen des 21. Jahrhunderts werden lassen«, meint Pereiro, als wir nach Cóbuè zurückkehren. »Wir werden ihnen nicht nur die Schönheit der Landschaften zeigen, sondern auch Inseln, auf denen Flußpferde leben, Buchten, in denen es von Krokodilen wimmelt, Felsen, die Vögeln als Nistplätze dienen. Einstweilen aber möge dieser Winkel Afrikas eine der wenigen Gegenden auf dem Kontinent bleiben, die noch nicht vom 20. Jahrhundert zerstört worden sind.«
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Zu Hilfe kommen mir meine Swahili-Kenntnisse In einem Buch von Eduardo Mondlane, dem Gründer der FRELIMO und Nationalhelden Moçambiques, las ich einmal einen Satz, der meine Phantasie lange beschäftigte. »Im Osten des Distrikts Niassa«, so schrieb er, »leben ein paar Stämme, die bis zum Beginn des Partisanenkrieges noch nie Portugiesen gesehen haben.« Und das bedeutet nichts anderes, als daß bis in unsere Tage im moçambiquischen Norden Völker lebten, die nicht dem Einfluß der Kolonialherren ausgesetzt waren und die sich ihre Bräuche und ihre Kultur bewahren konnten. Als ich Cóbuè erreicht hatte, war ich meinem Ziel schon etwas näher gekommen. Wie aber es vollends erreichen? Der aus Beira gebürtige Kommandant der hiesigen Garnison zuckte auf meine Frage nur mit den Schultern. Pereiro konnte mir ebenfalls nicht helfen. Als ich eines Morgens wieder einmal den Kommandanten aufsuchte, traf ich ihn bei einem Funkgespräch mit dem Provinzsekretär für ideologische Fragen an. Ich ließ ihn einen Gruß an diesen nach Lichinga ausrichten, von dort wiederum erkundigte man sich nach den Erfolgen und Problemen, die ich hier hätte. »Habt ihr Eduardo Mondlanes Buch ,Kampf um Moçambique’?« fragte ich den Sekretär. »Es steht bei mir auf dem Schreibtisch«, erwiderte der. »Brauchen Sie für einen Artikel ein Zitat daraus?« »Nein. Schlagen Sie es aber bitte einmal auf und suchen Sie für mich die Stelle, wo der Autor über jene Stämme schreibt, die nie mit Masungas in Berührung gekommen sind. Wo leben die?« »Wollen Sie etwa zu denen? Da hätten Sie eine Woche früher kommen müssen. Wir haben da nämlich eine Frelimo-Abteilung für Propaganda und Folklore in jene Gegend geschickt. Unsere Leute werden dort singen und tanzen, nebenbei auch pädagogische und ideologische Arbeit leisten.« »Trotzdem. Wo liegt diese Gegend?« Ich brannte darauf, das zu erfahren. »Habt ihr dort in Cóbuè eine Karte, die noch nicht ganz verblichen ist?« klang es aus dem Funkapparat. »Dann schauen Sie mal drauf! Zwischen Lugenda und Rovuma, zwischen den Bergen Me180
tandaver und Nicage, werden Sie einen großen Fleck ohne eine einzige Straße und mit einer einzigen Siedlung finden — Mecula. Dort liegt Ihr Gelobtes Land, das Gebiet der mit den Yao und Makonde verwandten Stämme der Mawiha, Mahiba, Magindo, Muera und Mahenje.« »Das heißt also, man muß zunächst bis Mecula gelangen?« präzisierte ich. »Ja, nur vergessen Sie nicht, sich einen Esel zu kaufen, mit einem anderen Beförderungsmittel kommt man nicht dorthin. Und hinterlassen Sie einen Zettel mit dem Vermerk: ,Niemand hat schuld an meinem Tod!’« klang des Sekretärs fröhliche Stimme durch den Äther. Dann aber wurde er wieder ernst: »Hallo, Kommandant! Kümmere dich um den Journalisten, der denkt vielleicht am Ende noch, er ist ein zweiter Livingstone.« »Jawohl!« reagierte der Garnisonskommandant militärisch knapp. Wie lange kann er noch hier bleiben?« »Solange ihr einander nicht auf die Nerven geht. Zeige ihm die Genossenschaft, organisiere eine Angelfahrt, eine Jagd. Bei euch ist doch jetzt schönes Wetter. Es ist ja schließlich das erste Mal, daß sich ein Korrespondent einer Weltagentur in Cóbuè aufhält.« »Und noch etwas, Genosse Sekretär; heute ist Freitag, am Mittwoch aber geht ein Hubschrauber von hier zur Küste ab. Der wird sicher über Mecula fliegen.« »Mit Mecula hast du Verbindung?« »Mitunter klappt sie.« »Na schön, da du schon einmal Initiative gezeigt hast, mußt du auch selbst entscheiden. Wenn ihr Verbindung kriegt und unsere Agitatoren und Tänzer nicht gar zu weit von Mecula entfernt sind, dann mag er mitfliegen.« Während ich, in Nachdenken versunken, meine Zeit unter einem Mangobaum auf dem zentralen Platz der Siedlung verbrachte und abwartete, wie sich mein Schicksal gestalten würde, trat ein bärtiger alter Mann in weißer Galabeja und mit einer flachen Mütze, wie man sie in den Seehäfen in der Gegend von Mombasa und Sansibar zu tragen pflegt, auf mich zu. Der Anblick des würdevollen Greises weckte in mir sogleich irgendwelche Assoziationen mit der Swahili181
Küste, und eingedenk dessen, daß man dort ältere Leute zuerst grüßt, entfuhr es mir ganz automatisch: »Jambo, Mzee!«* »Sijambo!«** antwortete der alte Mann und ließ sich neben mir unter dem Mangobaum nieder. Noch bevor er aber richtig saß, sprang er wieder auf: »Habe ich richtig gehört, Sie sprechen Swahili?« sagte er und starrte mich dabei wie ein Wundertier an. »Ndyo, Mzee«,*** entgegnete ich, und schon fühlte ich mich von dem Greis umarmt, der kein Hehl daraus machte, wie sehr er staunte, daß ein Weißer, ein Ausländer, die Sprache beherrschte, die noch die Sklavenhändler in dieser Gegend eingeführt hatten und die heute hier kaum noch jemand kennt. Der alte Mann — er hieß nach arabischer Manier Salim ibn Raschid — setzte sich wieder unter den Mangobaum und verwickelte mich in ein langes Gespräch über das Leben in seinem Land und über die Veränderungen, die darin vor sich gegangen waren. Jeden vorüberkommenden Dorfgenossen rief er heran und berichtete ihm, ich sei kein Masunga****, sondern ein Mafuta***** und vermöge mich in jener afrikanischen Sprache zu unterhalten, in der früher »alle sich selbst achtenden Menschen miteinander sprachen«. Die älteren unter ihnen versuchten sich ebenfalls noch in Swahili und setzten sich dann, befriedigt nickend, zu uns. Die jungen Leute aber, die keinerlei Ahnung von Swahili hatten, platzten buchstäblich vor Lachen. Ihr heimatliches Kiyao ist nämlich dem Swahili ziemlich ähnlich, und als sie mich reden hörten, glaubten sie, ich versuche, mit ihnen in ihrer Muttersprache zu reden, bringe aber grammatikalisch alles durcheinander und entstelle heillos alle Wörter. Wie in jeder anderen islamischen Gemeinschaft auch, war für die hiesige Yao-Gemeinde die Vielweiberei (Polygynie) ein großes Problem. Da die Leute hier mehr der Form als »dem Inhalt nach« Muslims waren, betrachteten sie diese Frage nicht unter dogmatischen, * Jambo! = Seien Sie gegrüßt!; Mzee = Achtung ausdrückende Anrede, wenn man es mit einem Älteren zu tun hat ** Sijambo! = Seien Sie gegrüßt! (als Antwort bei der Begrüßung) *** Ndyo = Ja, so ist’s **** Masunga = Portugiese ***** Mafuta = Weißer (aber kein Portugiese)
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religiösen, sondern vielmehr unter rein praktischen Gesichtspunkten. »Bei uns, den Yao, rechnete man wie auch bei den benachbarten Stämmen so: je mehr Frauen, desto mehr Arbeitskräfte, desto reicher die Familie«, erzählte mir Salim unter dem beifälligen Gemurmel der anderen. »Gehen Sie einmal zu einer der Frauen hier und schlagen Sie ihr vor — jage alle übrigen Frauen deines Mannes aus dem Hause und bleibe als einzige bei ihm. Denken Sie etwa, sie wäre damit einverstanden? Nein, sie wird Ihnen sagen, sie sei doch nicht so verrückt, sich aller Helferinnen zu entledigen. Die eine Frau muß nämlich morgens auf die Schamba gehen, die zweite das Haus sauber machen, die dritte das Mittagessen bereiten und die vierte sämtliche Kinder des Mannes beaufsichtigen. Arbeit findet sich auch noch für eine fünfte Frau, sie muß auf dem Markt handeln. Geben Sie mir noch eine sechste Frau, und auch die wird nicht arbeitslos in meinem Haus herumsitzen. Bei Ihnen, in Europa, ist es üblich, daß der Mann die Frau ernährt, bei uns aber verschaffen die Frauen dem Mann ein Einkommen.« Und wie zur Bestätigung dieser Worte kam gerade eine ganze Reihe Frauen mit großen Körben voller Dörrfisch auf dem Kopf an uns vorbei. »Dann sind Sie alle Ausbeuter«, warf ich scherzhaft hin, ging dabei zum Portugiesischen über. Diesmal erntete ich ein zustimmendes Lachen bei der Jugend. »Ach, lieber Mafuta«, seufzte einer der alten Männer und winkte resigniert ab. »Du beurteilst das Leben schon wieder nach den Gesetzen der Weißen, bei denen es die Männer gern sehen, wenn ihre Frauen schwächer sind als sie. Aber weißt du, was passiert, wenn jemand von uns jetzt zu seiner Frau ginge, zu einer von jenen dort, die Fisch schleppen, und seine Hilfe anbieten würde? Ausspucken würde sie und weitergehen. Und zu Hause würde sie entweder eine ganze Woche lang kein Wort mit dir reden oder einen solchen Skandal heraufbeschwören, daß du lieber zum Nachbarn verschwindest.« »Weshalb denn das?« fragte ich verwundert. »Ja, weil unsere Frauen eben stolz sind auf ihre Kraft und stark sein wollen. Und wenn ich, wie es der Masunga tut, zu ihr gehe mit dem Vorschlag, ihr zu helfen, dann ist sie tödlich beleidigt und meint, ich halte sie für schwach, liebe sie folglich nicht und möchte sie nicht mehr in meinem Hause sehen. Solche Frauen wie bei euch 183
Masungas würden bei uns weder Achtung genießen noch Einfluß haben. Sie blieben alte Jungfern...« »Neue Zeiten — neue Ordnungen«, setzte Salim tiefsinnig hinzu. »Jetzt haben wir es so festgelegt: Hast du schon einmal mehrere Frauen, so behalte sie auch, denn man kann ja die Frauen nicht einfach aus dem Hause jagen und die Kinder ohne Vater lassen. Wer jedoch erstmals heiratet, soll nur noch eine einzige Frau nehmen. Als man in Maputo die Frauenorganisation von Moçambique gegründet hat, haben unsere Frauen hier ebenfalls eine solche Gruppe organisiert. Sie halten ihre Versammlungen ab, diskutieren. Dort sind sie zu der Erkenntnis gelangt, Vielweiberei fördere die... Na, wie sagen sie schon?« wandte sich der alte Mann an einen neben ihm sitzenden jungen Burschen. »Soziale Differenzierung der Gesellschaft«, half ihm der aus. »Ja, genau! Nicht einmal aussprechen kann man das«, meinte Salim kopfschüttelnd. »Was bedeutet das aber tatsächlich? Wer mehrere Frauen, also mehr arbeitende Hände hat, der wird reicher, einer mit einer einzigen Frau ärmer sein. Ist’s nicht so?« »Mag es so sein oder nicht, wir jedenfalls haben alle so entschieden«, meldete sich nun ein für sein Alter überraschend selbstbewußter Bursche zu Wort: »Mögt ihr mit euren vier Frauen bis ans Lebensende zusammenbleiben. Wir aber werden es so machen, wie in der Dinamisatorengruppe beschlossen — kein Mädchen soll mehr ,Nummer zwei’ oder ,Nummer drei’ werden. Das lassen wir nicht zu. Und wir selbst werden jeder nur eine einzige Frau haben!« Die alten Männer schüttelten betrübt den Kopf und gingen erneut zum Swahili über, rügten die »Jüngelchen« etwas und verzogen sich dann. Salim ibn Raschid aber lud mich in seine Hütte zu einem »guten Fisch« ein. Man servierte diesen auf aus dem Stroh des Seepapyrus geflochtenen Schüsseln. Die Halme waren so dicht aneinander gepaßt, daß nicht ein einziger Tropfen vom Öl und von der Soße aus Baobabfrüchten durchsickerte. Als Salim von meinen Plänen hörte, bestätigte er: Ja, in den Gebieten der Mahiba und Muera gibt es tatsächlich noch Gegenden, wo noch nie ein Masunga gewesen ist, und selbst ihn habe man dort wegen seiner langen Galabeja für jemanden von einem anderen Planeten gehalten. »Haben denn diese Waldgebiete keinerlei Verbindung mit der Außenwelt gehabt?« fragte ich erstaunt. 184
»Wieso? Natürlich hatten sie Kontakte. Drei aus Goa stammende Großhändler kauften bei ihnen Waren en gros auf. Den Einzelhandel aber betrieben Musambasa-Yao, Leute wie ich.« Salim ibn Raschid strich sich mit majestätischer Geste den schneeweißen Bart, trank etwas Wasser aus einem Glas, das ihm ein Mädchen reichte, und schaute mich dabei prüfend an: »Du hast also vier Tage zu deiner Verfügung? Ob es mit deiner Reise nach Mecula klappen wird oder nicht, das weiß Allah allein. Ich könnte dir aber eine Gegend zeigen, wo in den fünfzig Jahren, in denen ich dort Handel treibe, nur zwei Mafutas gewesen sind, englische Jäger aus Tansania, die einen verwundeten Leoparden verfolgt hatten.« »Aber da brauchen wir ja auch einen Hubschrauber?« »Erstmals kam ich in jene Gegend, da gab es in Moçambique noch nicht einmal ein Auto. Seitdem benutze ich nur ein Motorboot.« Salim nahm erneut einen Schluck Wasser, verspeiste genüßlich ein Stück rote Papaya und fuhr fort: »Bist du schon einmal am Txitongo-Berg gewesen? Hinter dessen Nordhang liegt direkt an der tansanischen Grenze in einem Tal das unbedeutende Dörfchen Lipoche, in dem Yao und Malawi leben. Dort beginnt der Pfad, den ich als Händler benutze. Vor mehr als einem halben Jahrhundert, als mir mein Vater befahl, über Lipoche hinaus weiter nach Osten zu gehen und mit den jenseits des MoolaFlusses lebenden Stämmen Handel zu treiben, da war ich der erste, der auf diesem Pfad dahinzog. Dort leben die einzigen Menschen in ganz Moçambique, die sich noch der Traditionen der alten Viehzüchter Südafrikas erinnern.« »Die Angoni?« »Angoni, Nguni, Mangoni, Masingo, Mgwangarat — nenne sie, wie du willst. Prächtige Menschen sind das, kühn, und sie stehen zu ihrem Wort. Solltest du zu ihnen hinkommen, wirst du übrigens sehen, daß afrikanische Frauen zwar große Lasten auf dem Kopf zu tragen pflegen, ihren Männern dabei aber durchaus auf dem Kopf herumtanzen können.« »Wie aber komme ich dorthin, Mzee?« »Nichts einfacher als das. Ich bin alt, liebe die Hitze nicht und fange daher keine Arbeit tagsüber an. Meine Barke fährt also erst heute nacht mit Waren für die Angoni ab. Vom Ufer aus geht es wei185
ter in Richtung Lipoche mit dem Esel oder zu Fuß — wie es dir lieber ist. So kannst du mit meinen Leuten zusammen AngoniSiedlungen erreichen. Und auf gleiche Art kehrst du zurück.« Ich brauchte noch die Genehmigung der Militärbehörde. Der Garnisonskommandant betrachtete lange seine Karte, kratzte sich den Nacken, schimpfte auf den »alten Schlaumeier« Salim, weil er sich in fremde Dinge einmische, meinte aber schließlich: »Du nimmst den Soldaten Ndugu mit. Der hat eine Kalasch bei sich.« Außer seiner »Kalasch« brachte Ndugu noch einen Haufen Konservendosen mit auf die Barke sowie Decken und zwei Schafspelze, die sich in der über dem tropisch-warmen Njassa liegenden feuchten Kühle als überaus nützlich erwiesen. Außer uns befand sich im Boot nur noch ein Sohn Salim ibn Raschids, der Raschid ibn Salim hieß, was bei den anderen einige Probleme heraufbeschwor. Die Fahrt über den nächtlichen Njassasee war wesentlich erfrischender als bei Tage. Das moderne Wasserfahrzeug war mit elektrischen Lampen ausgerüstet, auf den zahlreichen Pirogen aber flakkerten fast überall nur Harzfackeln; mit deren Hilfe lockten die Fischer ihre Beute an. Es war ein interessantes und romantisches Unternehmen, und ich bedauerte nur, daß Antonio mit seinen unerschöpflichen historischen Kenntnissen nicht mehr mit von der Partie war*. Denn sicher hätte er für uns ein beeindruckendes Bild davon gezeichnet, wie die Angoni nach Moçambique gelangt sind. Wie hat sich alles zugetragen? Ich möchte hier nur in aller Kürze etwas von diesen Ereignissen erzählen, die zur Umsiedlung ganzer Völker, zur erheblichen Veränderung der ethnographischen Karte vom gesamten südlichen und zentralen Afrika und zum endgültigen Verschwinden von Rozwi, dem Reich Monomotapas, von der politischen Arena führten.
* Antonio Nogeira da Costa ist 1979 plötzlich gestorben. In dem von der Regierungszeitung »Noticias« veröffentlichten Nachruf wird dieser talentierte junge Wissenschaftler als »einer der Begründer der moçambiquischen Historiographie« bezeichnet.
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Angoni, die noch nie Weiße gesehen haben Möglicherweise hätte Antonio seine Erzählung über die Angoni mit einem Bericht über Chaka begonnen, den bekannten Führer des Zulu-Volkes. In der ersten Zeit hatte dieser, auf die Reformen seiner Vorgänger gestützt, die gesamte männliche Bevölkerung der von ihm geführten Stämme zu einer militärischen Ausbildung verpflichtet. Später dann hatte er das ganze Leben jener Stämme militärischen Zielen untergeordnet und eine reguläre Armee aufgestellt, die er mit bis dahin in diesem Teil Afrikas unbekannten wirkungsvollen Waffen ausrüstete: für den Angriff mit Assagais, kräftigen Stoßspeeren, und für die Verteidigung mit riesigen mannshohen Schilden. Er entwickelte auch eine neue Angriffsstrategie, bei der er den Gegner zunächst in geschlossener Front attackierte, ihn dann aber von den Flanken und vom Rücken her umging. Diese einzigartige Militärorganisation und die Tapferkeit seiner Krieger ermöglichten es Chaka im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, etwa hundert in Natal lebende Stämme zu vereinigen, die man seitdem als Zulu bezeichnete. Ein Teil der Zulu aber, die sich dem Despotismus Chakas und seiner Nachfolger nicht unterwerfen wollten, wanderte nach Norden ab. Dieser Prozeß wurde noch dadurch beschleunigt, daß an den Grenzen Natals die Buren auftauchten. Viele Zulu-Häuptlinge hatten bereits die Stärke burischer Feuerwaffen kennengelernt und zogen sich deshalb weiter ins Innere des Kontinents zurück. Als erste brachen Zulu unter Führung des Häuptlings Soshangane aus ihren Stammesgebieten auf. Sie überschritten den Limpopo und unterwarfen die dort lebenden Ackerbau treibenden TsongaStämme, vermischten sich zum Teil mit diesen und nannten sich zu Ehren ihres eigenen Häuptlings von nun an Shangaan. Ihre Nachkommen bewohnen heute den gesamten Süden Moçambiques, von der Grenze zur Republik Südafrika bis hin zum Rio Save. 1827 zog Prinz Nshaba, der sich gegen Soshangane erhoben hatte, noch weiter nach Norden, drang über die Grenzen von Monomotapa hinweg und besetzte Kissanga sowie den Süden von Manica. Später erhob Nshaba auch Anspruch auf ganz Manica. 1830 begann er, auch das Land der Kitewe und den Changamire selbst zu bedrohen; überall 187
beschlagnahmte er bei der ansässigen Bevölkerung Vieh und trieb es nach Kissanga. Unter dem Druck der burischen Eroberer drangen aus dem heutigen Transvaal fast gleichzeitig mit den Shangaan Zulu-Clans unter Führung des kriegerischen Moselekatse in den Südteil von Changamires Herrschaftsbereich ein. Sie besetzten ausgedehnte Gebiete im Süden von Monomotapa-Rozwi. Die Shona, die seit langem in diesen Gegenden siedelten und nie zuvor Zulu mit ihren mannshohen Schilden zu Gesicht bekommen hatten, nannten die Ankömmlinge Matabele, das heißt »unsichtbare Menschen«. Heute bilden die Matabele die im südlichen Simbabwe vorherrschende Bevölkerung. Im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts eroberten sie die Hauptstadt von Rozwi, die damals in der Nähe des heutigen Bulawayo lag, und wurden praktisch zu Herren jenes Territoriums, auf dem sich das Stammland von Monomotapa befand. Doch kaum ein halbes Jahrhundert später stießen Moselekatses Nachfolger mit einem neuen »Prätendenten« auf das Gold dieses Landes zusammen — mit dem Engländer Cecil Rhodes, dem »Vater« des weißen Rhodesien. Schließlich war auch noch eine dritte in Opposition zu Chaka stehende Stammesgruppe in Bewegung geraten, die von Swangendaba angeführten Angoni. Diese versuchten zunächst, sich nach Norden durchzuschlagen, erlitten aber 1831 durch Soganshane und später auch durch Nshaba Niederlagen und wandten sich daraufhin nach Westen. Sie verheerten Rozwi, Changemires Kernland, und gelangten an den Sambesi. In den Legenden aller dortigen Stämme wird berichtet, daß an dem Tage, an dem die Ankömmlinge über den großen Strom setzten, die »Sonne verschwand« und sich die »Nacht dem hellen Tag zuwandte«. Die Astronomen weisen auf folgendes hin: Am 20. November 1835 habe es in jenen Gegenden eine totale Sonnenfinsternis gegeben. Swangendabas Krieger benutzten das Tal des Chire und das Westufer des Njassasees als eine Art natürlichen Korridor, der ihnen zwischen Gebirgen den Weitermarsch nach Norden erlaubte, unterwarfen die dortigen Stämme der Malawi und besetzten die ihnen auf den ersten Blick zusagenden Weidegründe der Yao. Später zogen sie weiter in das Gebiet des heutigen Sambia, Tansania und Burundi bis ans Südufer des Victoriasees und des Kiwusees. Bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist Afrika noch vom Widerhall dieser gewaltigen Umsiedlung erschüttert worden. 188
Für Moçambique hatte der Einfall der Angoni aber in erster Linie eine fast kopflose Flucht der Portugiesen aus dem Westen des Landes zur Folge... Das Ausladen der Waren bei Lipoche verläuft ohne jedes Abenteuer. Hier erwartet uns bereits ein Dutzend Eseltreiber, die rasch die auf unserem Boot mitgebrachten Säcke auf dem Rücken ihrer Tiere verstauen und eine Art Karawane zusammenstellen. Dann geht es auf Salim ibn Raschids ins Gebirge führendem Pfad hurtig bergauf. Wie zu erwarten gewesen, bin ich dabei das größte Hemmnis. Raschid ibn Salim thront stolz auf seinem Esel, Ndugu hält sich befehlsgemäß neben mir, ich aber bleibe hoffnungslos hinter allen zurück, da ich das Reiten auf einem Esel nie gelernt habe, und die Karawane zu Fuß einzuholen, das geht über meine Kraft. Raschids Rat, des Esels Schwanz zu packen und mich bergan hochziehen zu lassen, bringt mir einige Erleichterung, aber ich mache es dem Esel schwer, und der bleibt auch bald stehen. Ich muß also erneut aufsteigen. Zweimal noch falle ich herunter, aber schon nach kaum einer Stunde fühle ich mich bereits als zünftiger Eselreiter. Raschid erklärt das damit, man habe mir einen sehr alten Esel gegeben, der es müde sei, zu bocken und seine Grillen zu zeigen. Jetzt konnte ich nun auch ein bißchen Umschau halten. Kaum hatten wir die sich parallel zur Verwerfungsstufe hinziehende Bergkette überwunden, da verschwanden die Baobabs und wurden von lichtem Xerophytenwald abgelöst, der dem Artenreichtum nach in Afrika wohl nicht seinesgleichen hat. Als wir in diesen Wald hineinritten, gab es einen komischen Zwischenfall. Das gewohnte Summen von Insekten und der Gesang der Vögel wurden plötzlich durch einen Schuß unterbrochen. Ein zweiter, dritter folgte. Ich blickte mich nach dem hinter mir reitenden Ndugu um: Die Maschinenpistole im Anschlag, musterte der aufmerksam die Umgebung, suchte den Gegner und schoß, da er keinen sah, in die Luft. Mein alter kluger Esel blieb wie angewurzelt stehen, während die anderen Tiere nach allen Seiten davonstoben. Als sich die Panik gelegt hatte, fanden Raschid und Ndugu die Ursache des ganzen heraus. Die fast genau an Schüsse erinnernden Laute geben die riesigen vertrockneten Schoten der hier überall wachsenden Bauhinien ab, Bau189
me aus der Familie der Leguminosen, die eine weitere interessante Besonderheit aufweisen; sie falten nämlich nachts ihre Blätter halb zusammen. Die »Schüsse« begleiteten uns noch den halben Tag, bis wir aus dem Wald heraus waren. Wesentlich melodischere Töne gab eine buschartige Akazie von sich, über deren Vorkommen in dieser Gegend hier ich mich wunderte, da man sie gewöhnlich in weit trockneren Landschaften Ostafrikas antrifft. Am Ansatz der großen, mitunter acht bis zehn Zentimeter langen Dornen dieser Akazien entwickeln sich schwarze, kirschgroße Gallen, Gebilde, die von kleinen Pilzen hervorgerufen werden. In diesen Gallen siedeln sich tropische Ameisen an, die sie von innen aushöhlen und dabei zahlreiche Gänge und Ausgänge schaffen. Es braucht nun nur ein leises Lüftchen in diese Gangöffnungen hineinzuwehen, und schon werden die Gallen zu kleinen Pfeifen, die die Savanne mit einem kaum hörbaren melodischen Pfeifkonzert erfüllen. Die vielen baumartigen Aloe bildeten auf den steinigen Hängen wahrhaft undurchdringliche, von hellroten Blüten übersäte Dickichte. Zum ersten Male in den vielen Jahren meiner Reisen in Afrika stieß ich hier auf blühende sukkulente Impala-Lilien. An den fast blattlosen Zweigen dieses Busches hingen große weiße Blüten mit roten Fransen. Und schon kamen uns auch die ersten Angoni entgegen, die ihr Vieh vor sich hertrieben. In jenen fernen Zeiten, in denen die Zulu ihre Wanderungen unternahmen, waren vorwiegend Männer ans Nordufer des Njassa gelangt. Damit ihr Geschlecht nicht aussterbe, suchten sich die Ankömmlinge aus dem Süden Frauen aus den unterworfenen Stämmen. Man nahm auch die kräftigsten Knaben gefangen, erzog sie wie Zulu und machte Krieger aus ihnen. Deshalb wird man heute keine reinen Angoni mehr finden, in deren Adern lediglich Zulublut fließt. Die Tausende »echten« Angoni des Swangendaba sind in der Masse der von ihnen unterworfenen Stämme aufgegangen, und sie haben auch ihre eigene Sprache aufgegeben. Heute verständigen sich die hiesigen Angoni in Kiyao, der Sprache der Yao. Die moçambiquischen Angoni sind also nicht jenes Volk, an dessen Beispiel man die tiefsten Schichten südafrikanischer Traditionen studieren könnte. In ihrer Kultur ist vieles verlorengegangen, dafür vieles entlehnt worden. Sie halten sich zwar immer noch für 190
Viehzüchter, verzichten aber keineswegs auf Ackerbau. Die hier lebenden Angoni sind daher vor allem ganz einfach als Afrikaner interessant, die das Schicksal vor einem längeren Kontakt mit Europäern bewahrte. Für mich bedeutete dieser Ritt auf einem Esel eine Art Reise in andere Zeiten. Sie ermöglichte es einem gleichsam, sich in die Vergangenheit Afrikas zu versetzen und einen Eindruck davon zu bekommen, wie Afrika einstmals war und wie es vielleicht bis auf den heutigen Tag sein würde, hätten nicht Sklavenhändler es gepeinigt, Kolonialherren es ausgeraubt, »Kulturträger« es vergewaltigt. Ein interessantes Bekenntnis legte Professor A. Diogo von der Universität Coimbra ab, der 1973 schrieb: »Das Ziel der Weißen in Moçambique bestand nicht darin, die Afrikaner auf einen bestimmten mittleren Lebensstandard zu bringen, wie er in der zivilisierten Gesellschaft die Norm ist, sondern darin, die Eingeborenen auf ein wesentlich niedrigeres Niveau herabzudrücken als jenes, auf dem sie sich vor Vasco da Gamas Ankunft befunden hatten. Kam ein afrikanischer Diener in einem neuen sauberen Hemd zur Arbeit, so begrüßte dies sein ,Herr’ keineswegs als Ausdruck von Reinlichkeit bei seinem Arbeiter, sondern schloß daraus: ,Man bezahlt die Eingeborenen zu hoch!’ Und so wurde der ohnehin miserable Lohn noch mehr gekürzt, und der Besitzer des neuen Hemds erhielt eine Rüge dafür, daß er ,überheblich’ geworden sei. So eine Haltung war keine Ausnahme, sondern System. Deshalb hielten es die Afrikaner für angebracht, in schmutzigen und zerschlissenen Hemden unherzulaufen, die mehr Löcher als Stoff enthielten. Es war für sie auch weniger ,gefährlich’, eine Jacke mit nur einem Ärmel oder eine Hose mit einem bis ans Knie abgerissenen Hosenbein anzuhaben, als sich normal zu kleiden. Wenn ein weißer Polizist an einer Hütte vorbeikam und die Hausfrau beim Ausfegen oder Aufräumen antraf, schimpfte er, ,die Eingeborenen hätten zuviel Freizeit’, und schickte irgend jemand aus dieser Hütte zur Zwangsarbeit. Ein Leben in Schmutz war also, besonders was das Äußere der Hütte anbetraf, ,sozial ungefährlicher’. Ähnliche Beispiele könnte man zu Dutzenden anführen, alle zusammengenommen ergeben sie jenes unerträgliche, einen zivilisierten Menschen abstoßende ,Kolorit’, vor dessen Hintergrund die Afrikaner in Moçambique leben. Die Grundlage für diese erschreckende Situation sind natürlich die realen materiellen Schwierigkeiten und die an den physischen Kräften 191
zehrende Zwangsarbeit. Gäbe es nicht das obenerwähnte Verhalten der Weißen, hätten die meisten afrikanischen Frauen zu Nadel und Faden gegriffen, um das Hemd ihrer Männer zu flicken, und diese Männer hätten sich irgendwie zusammengetan und die Kraft gefunden, die Abtritte und Abfallhaufen um ihre Wohnhütten herum zu beseitigen...« Wie mochten wohl die Hütten der Angoni aussehen, die solcher »Obhut« entgangen waren? Kaum führte unser Pfad bergab, da endete der an botanischen Sehenswürdigkeiten so reiche Wald, und offene Ebene breitete sich aus, die den Angoni offensichtlich hervorragende Weidegründe bot. Im Tal eines Flüßchens, besser gesagt, eines Bächleins, lag ihre Siedlung. Zu meinem größten Erstaunen war dies kein Kraal, in dem Chakas Nachfolger eigentlich hätten leben müssen, sondern ein Dorf, bei dem einem die Gesetzmäßigkeit der Anlage geradezu ins Auge fiel: Eine große Hütte, umgeben von mehreren kleineren Hütten, bildete so etwas wie ein »rundes Wohnviertel«. Vor allem kleine Hütten gab es sehr viele. Eines dieser »Viertel« gehörte dem »Handelshaus« Salim. Wir gelangten erst gegen Mitternacht dort an und legten uns total erschöpft sofort schlafen, nachdem wir von der Sauermilch genippt hatten, die jemand vorsorglich in Tonkrügen hingestellt hatte. Am Morgen sah ich mir das Dorf noch einmal genau an und bat dann Raschid um Auskunft. Der hatte den ganzen Weg über düster geschwiegen, kaum aber waren wir in der Siedlung angelangt, da war er für mich plötzlich zu einem recht gesprächigen, beschlagenen Informanten geworden. Botanik interessierte ihn offensichtlich nicht besonders, während ihm Ethnologie wesentlich mehr lag, berührte sie sich doch in manchen ihrer Bereiche auch mit seiner Handelstätigkeit. »Am besten fange ich wohl damit an, weshalb in unseren YaoDörfern so viele Menschen leben, aber nur so wenige Hütten zu sehen sind«, begann er nach kurzem Überlegen. »Dabei kostet doch unter den hiesigen Bedingungen der Bau einer Hütte praktisch nichts: Man bricht ein paar Stämmchen für die Wände ab, holt vom Fluß Schilf fürs Dach, ruft zwei, drei Freunde zu Hilfe, und fertig ist die Behausung. Deshalb baute man früher für jeden Menschen, sogar für Kinder über zehn bis zwölf Jahre, eine gesonderte Hütte. Dann aber kam es den Portugiesen in den Sinn, eine ,Hüttensteuer’ 192
Wo es Wasser gibt, da liefert der Boden reiche Ernten.— Im Gorongosa-Nationalpark verblüfften den Autor nicht so sehr die zutraulichen Löwen als vielmehr die vielen tausend roten Kröten.— Vorhergehende Seite: In Dürrezeiten muß das Wasser oft von weither geholt werden
Die im südlichsten Mo^ambique lebenden Tsonga lassen in ihrem Äußeren erkennen, daß sie eng mit den in der Republik Südafrika wohnenden Zulu und Swasi verwandt sind (auch folgende Seite) Vorhergehende Seiten: In Gorongosa-Nationalpark kann der Besucher mancherlei Großwild beobachten
Meeting der Frelimo-Partei
In Maputo, dem früheren Lourenço Marques: An der Mauer des ehemaligen Forts; Hochzeit wird heule in der Hauptstadt auf moderne Art gefeiert; das Hotel »Polana« Folgende Seiten: Panorama von Maputo
In Maputo schaffen so bekannte Künstler wie der Maler Malangatana Valenta und der Bildhauer Chissano Übernächste Seite: Student der Universität Maputo
zu erheben. Geld, um diese zu bezahlen, hatten die Yao wie auch die meisten anderen Völkerschaften gewöhlich nicht, deshalb haben wir zuerst die ,Kinderhütten’ und dann auch noch die ,Frauenhütten’ abgetragen, fortan zu acht, zehn Personen unter einem einzigen Dach geschlafen, in Schmutz und Enge, wie das Vieh. Bis hierher aber sind die Portugiesen nicht gekommen, und deshalb leben die Angoni in ihren Umusi, ihren Dörfern, auch wie Menschen. In der großen, ‚zentralen’ Hütte übernachtet der Mann, das Familienoberhaupt, in den kleinen darum herum die Frauen mit den Kindern.« Ich weiß nicht, ob ich wirklich erst der dritte Weiße war, der diese Siedlung besucht hat. Daß Ausländer aber seit Jahren nicht hierher geraten waren, das spürte man ganz deutlich. Von früher her wußte ich aus Erfahrung: In abgelegenen, aber dennoch von Europäern hin und wieder besuchten Siedlungen verhalten sich deren Einwohner gleichsam nach einem von irgend jemandem festgelegten Programm. Kaum taucht ein weißer Mann auf, schon verbergen sich die Mädchen in den Hütten und lassen sich nicht wieder blicken. Die Jungens hingegen drängen sich um den Besucher, berühren und betasten alles, angefangen vom Fotoapparat bis hin zum Haar auf dem Kopf, versuchen, dies und jenes abzureißen oder abzuschrauben. Auch verlangen sie, daß man sie fotografiere. Aus den Hütteneingängen schauen die Frauen mit geheuchelt ängstlicher Miene, haben aber schon im voraus allen im Haus befindlichen Schmuck angelegt. Der Ausländer, der solche Situationen noch nicht erlebt hat, pflegt nun, verführt durch diesen Schmuck und häufig auch durch die hübschen Gesichter, den Fotoapparat auf die halbgeöffnete Tür zu richten. Die wird augenblicklich zugeschlagen, und die Jungens erheben ein wildes Geschrei: »Der Masunga hat ein Foto gemacht!« Und schon treten die Männer in Aktion, die bis dahin gelangweilt, gleichgültig irgendwo abseits gestanden und so getan haben, als hätten sie über ihre eigenen Angelegenheiten zu sprechen. Sie treiben die Jungens auseinander, stellen sich vor den unglücklichen Fotografen und fordern für die Aufnahme ein hübsches Sümmchen. Je nach Land oder Stammesgebiet, wo sich diese Szene abspielt, droht man dem Fremdling mit Speeren, Dolchen, Keulen oder auch einfach mit den Fäusten. Zu Blutvergießen kommt es in der Praxis allerdings nie, doch einen beträchtlichen Teil des verlangten Entgelts muß der hilflose Tourist schon hinblättern. Wenn es so weit ist, kommen die 193
Frauen in hellen Scharen aus den Hütten herausgerannt, die Männer jagen die Jungens fort, stellen Speer oder Keule vor sich hin und fordern nun selbst, daß man sie das eine über das andere Mal aufnimmt. In der Angoni-Siedlung passierte etwas Ähnliches nicht. Raschid benachrichtigte den Dorfältesten, daß ein Mafuta mit ihm angekommen sei, der rief einen netten, wohl fünfzehn-, sechzehnjährigen Burschen zu sich und befahl ihm, mich durch das Dorf zu begleiten. Die kleineren Jungens folgten uns in ehrerbietiger Entfernung; die Männer streckten mir, wenn ich mich ihren Hütten näherte, nach hiesigem Brauch beide Hände zum Gruß entgegen; die Frauen aber lachten beim Anblick des Ausländers laut auf und machten irgendwelche Witzchen, die allgemeine Heiterkeit hervorriefen. So näherten wir uns dem zentralen Platz der Siedlung, wie es ihn in fast jedem afrikanischen Dorf gibt: Ein uralter, »an die Ahnen erinnernder« Baum, in dessen Schatten Versammlungen stattfinden. Nur ist dieser Platz überall meist staubig, mit Zigarettenstummeln, Bierflaschenverschlüssen besät, hier aber war er mit feinem, offensichtlich von weither geholtem Kies bestreut und nicht nur von Abfällen, sondern sogar von Laub gereinigt. Unter dem Baum lagen sorgfältig zusammengerollte Bastmatten, auf die sich bei einer Versammlung die stimmberechtigten Gemeindemitglieder zu setzen pflegten. Für die »stimmlose« Jugend hatte man an den Seiten des Platzes Bretterbänke aufgestellt. Wir schlendern zum nächstgelegenen »runden Viertel«. Wiederum ist das erste, was einem auffällt, die Sauberkeit. Der Boden um die zentrale Hütte ist ebenfalls mit Kies, um die anderen mit gelbem Sand bestreut. Die Hütten schimmern von weitem fast golden, denn die Stangen sind akkurat entrindet, poliert. Auf dem Dach ein Schilfstengel genau neben dem anderen, keine Spur von Fäulnis oder Verdorrtheit. Hinter den Hütten mehrere mit großen Steinen ausgelegte Kochstellen. Ganz außer Atem kam ein Junge angerannt und forderte uns auf, zum Mittagessen in die Hütte des Dorfältesten zu kommen. Gastronomische Extravaganzen gab es nicht — die mir bereits bekannte Amasi, sehr kalte Sauermilch, und Amabele, Brei aus zerstoßenem Mais. Das Essen wurde auf dem mit einer Bastmatte bedeckten Fußboden eingenommen. Vor jedem lag eine Serviette, aus 194
faseriger Baumrinde hergestellt. Fast alles Hausgerät, einschließlich Schüsseln, Tellern und Löffeln, bestand aus hübsch poliertem Holz und war hier und da sparsam mit einem geschmackvollen Ornament verziert. Ich versuche, ein Gespräch zu beginnen, aber Raschid erklärt, die hiesige Etikette verlange bei Tisch absolute Stille. So kann ich mich also, während ich meinen Amabele schlucke, in der Hütte umschauen. Sie ist geräumig, an den Wänden hängen nur Assagais und ein Schild. Auf dem Fußboden liegen mehrere schneeweiße, gut ausgekämmte Schaffelle, die offensichtlich das Bett ersetzen, sowie ein Stück cremefarbener handgewebter Stoff, der als Decke dient. Anstelle eines Kissens sehe ich das bei afrikanischen Nomaden verbreitete Holzbänkchen, das den Kopf halbkreisförmig umschließt. Gegenüber dem Lager stehen mehrere Bänke, deren Sitze ein Ornament in Form eines Dreiecks ziert. Auf einer liegt eine ganze Sammlung von geschnitzten Schächtelchen und Tabakbehältnissen sowie zwei Dutzend Pfeifen aus Seifenstein und Antilopenhorn, aus Keramik und Holz, lange und kurze, bald ganz einfache, bald einfallsreich mit bunten Perlen besetzte. Die Pfeifen weisen auf die Lieblingsbeschäftigung aller Zulustämme hin — das Rauchen. In der Hütte ist auch nicht die geringste Ärmlichkeit oder Not zu spüren. Das kulturelle Niveau der Angoni läßt einen ihnen gegenüber große Achtung empfinden. Diese Menschen, die sich mit sehr wenig zufrieden geben, vergessen darüber weder Schönheit noch Traditionen. »Na, jetzt können wir uns ja ein bißchen unterhalten, ehe wir zu den Geschäften kommen«, sagt der Dorfälteste, an mich und Raschid gewandt. Ihn interessiert, ob mich der gestrige Eselritt nicht ermüdet habe, und er fragt nach meinen Eindrücken vom Dorf. »Ja, wir haben Glück gehabt, daß die Masungas nicht bis zu uns gekommen sind«, der alte Mann nickt zufrieden, als er meine Antwort gehört hat. »Wir konnten die Traditionen unserer Ahnen bewahren, und jetzt hilft uns die Frelimo-Partei voranzukommen. Gut ist das.« »Als ich vor ein paar Jahren in Malawi und Tansania war, bin ich in mehreren Angoni-Dörfern auf Inkosazana, die ,Regenprinzessin’, gestoßen«, erinnere ich mich. »Gibt es auch hier so eine Prinzessin?« 195
»Nanu, der Mafuta kennt sogar die Inkosazana?« lacht der Dorfälteste. »Auch wir hatten eine. Regen konnte sie allerdings nicht heraufbeschwören, aber das war auch gar nicht nötig, er kommt in dieser Gegend fast immer rechtzeitig. Nach den bei den Zulu üblich gewesenen Vorstellungen konnte Inkosazana aber nicht nur Regen bewirken, sondern dem Boden auch Fruchtbarkeit verleihen, helfen, daß es eine gute Ernte gab. Hauptsache aber war, sie verfügte über diese Ernte. So war es auch bei uns. Ich war zwar der Dorfälteste, das letzte Wort in wirtschaftlichen Angelegenheiten aber hatte sie. Sie war für mich eine Art Klotz am Bein. Endgültig zerstritten haben wir uns, als die Frelimo-Leute hier auftauchten. Ich wollte den Partisanen einen Teil unserer Vorräte aus dem Speicher geben, sie aber stellte sich auf die Hinterbeine, sammelte das Volk um sich und drohte, sie werde uns für immer den Regen entziehen. Und beinahe hätte sie auch noch portugiesische Soldaten hierher geführt, aber da kam sie zu spät. Wir haben sie ins Umerziehungslager geschickt. Seitdem leben wir hier ohne ,Prinzessin’.« »Es ist wohl aber an der Zeit, daß wir uns an die Arbeit machen«, unterbrach uns Raschid behutsam. »Sonst werden wir unsere Waren nicht mehr los.« Und zu mir gewandt: »Gleich werden Sie sehen, wer in der afrikanischen Gesellschaft das letzte Wort hat, der Mann oder die Frau.« Der Handel ging auf dem zentralen Platz vor sich, auf dessen einer Seite Raschids mitgebrachte Waren auslagen, während auf der anderen die Angoni alles ausgebreitet hatten, was sie anbieten konnten: Rinder-, Schaf- und Ziegenfelle, Hörner und Hufe, Säcke mit Mais, Bastmatten und etwas hölzernen Hausrat. Die Geschäfte wurden vorwiegend in Form von Tauschhandel abgewickelt, Geld spielte kaum eine Rolle. Die Leidenschaften schlugen hoch, es gab aber hier keinerlei Gedränge, Geschiebe, Geschrei oder sonstige Auswüchse, wie sie in weit höherentwickelter Gesellschaft dort vorzukommen pflegen, wo Kauf und Verkauf vonstatten gehen. Einem ungeschriebenem Gesetz zufolge löste sich aus der Angoni-Menge zunächst ein Ehepaar, das Muster von dem in Händen hielt, was es anzubieten hatte, und ging auf Raschid zu. Während der Mann seine Ware vorzeigte, wählte die Frau das aus, was sie brauchte. In der Regel geht es den Frauen um Stoffe, Schachteln mit Glasperlen, um Schuhe und Sandalen. Nehmen wir der Einfachheit halber einmal an, als Wertein196
heit gelte eine Rinderhaut, dann sah der Tauschhandel etwa folgendermaßen aus: Raschid schätzte die von der Frau ausgewählten Waren, wandte sich dann an den Mann und nannte die deren Wert entsprechende Zahl von Häuten, sagen wir, zwanzig. Daraufhin ging der Mann zu seiner Frau und nannte ihr jene Zahl. »Fünfzehn«, erklärte die Frau kategorisch. »Fünfzehn«, teilte der Mann Raschid mit. »Zwanzig«, beharrte dieser. Das wiederholte sich vielleicht ein Dutzend Mal, wobei Raschid in der Regel im Preis herunterging. Die potentiellen Käufer verfolgten dieses Schauspiel, das hier allmonatlich immer wieder von neuem abläuft, genauso gespannt, mit genauso großem Interesse wie ich. Keinem fiel es ein, die nächsten Käufer zur Eile zu drängen, denn der Folgende wollte bei dem Handel mit dem Kaufmann keinesfalls schlechter wegkommen als sein Vorgänger. »Fünfzehn«, beharrt die Frau auf ihrem Angebot. »Fünfzehn«, gibt ihr Mann an Raschid weiter. »Sechzehn«, schlägt dieser bei der vielleicht zwanzigsten Runde endlich vor. Die Frau spuckt verächtlich zur Seite und gibt damit zu verstehen, daß sie im Grunde genommen zwar über dieses Tauschgeschäft empört ist, aber dennoch zustimmt. Nun erst rafft der Mann die ausgewählte Ware zusammen und trägt sie weg. Anschließend kehrt er nochmals zurück und versucht, etwas zu erstehen, was ihn selber interessiert. Von den etwa dreißig Männern wollten sechsundzwanzig eines der winzigen Transistorradios haben, die übrigen irgendwelche Eisenwaren und Werkzeuge. Raschid verlangte für ein Transistorradio sechzig Häute. Die Frauen begannen bei zehn und gingen selten bis zwanzig. Im Endergebnis wurden lediglich drei Männer glückliche Besitzer von Rundfunkempfängern, zwei von ihnen mußten für ihre Frauen zudem noch zusätzlich etwas einhandeln. Gegen Mitternacht war der Markt zu Ende. Die drei Radiobesitzer hatten sich unter dem »an die Ahnen erinnernden« Baum niedergelassen, ihre Geräte auf unterschiedliche Programme eingestellt und ließen nun auf die Anwesenden eine Kakophonie von die Nacht erfüllenden Tönen herabprasseln.
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Konzerte zwischen Lucinge und Rovuma Das »Rendezvous« in Mecula ist beschlossene Sache! Zwar ist das Folklore-Propaganda-Ensemble schon in diesem Städtchen gewesen, sein jetziger Aufenthalt aber bekannt: Auf fünf Flößen schwimmen die Artisten den Lucinge abwärts, einen Nebenfluß des Lugenda, und geben für die Waldbewohner täglich zwei bis drei Konzerte. Unser Hubschrauber fliegt niedrig. Vom Njassasee steigt dichter Nebel auf, und über dem Plateau hängen schwere bleigraue Wolken. Erst jenseits des mitten in der monotonen Ebene aufragenden Sanga-Berges, dessen Ostseite hell erleuchtet ist, während die Westseite düster grau erscheint, kommt die Sonne wieder zu ihrem Recht. Von oben sieht es aus, als flögen wir nicht über tropischem Wald, sondern über einer ideal flachen, moosbedeckten Ebene dahin. Dieser Eindruck entsteht, weil die flachen Kronen der zu dieser Jahreszeit voll belaubten Brachystegien die Unebenheiten des Reliefs verbergen. Der Miombo ist als Pflanzenformation so etwas wie ein Monopolist. Einer der Gründe dafür ist die außerordentliche Widerstandsfähigkeit sowohl der Brachystegien als auch der anderen Pflanzen, die unter ihrem Dach gedeihen, gegenüber Bränden, die in dieser Zone mit Brandrodewirtschaft so häufig aufflammen. Ein anderer Grund für die »Allmacht« des Miombo auf dem riesigen Gebiet Afrikas zwischen dem 5. und dem 20. Grad südlicher Breite ist die Fähigkeit der Brachystegien, auf Böden zu gedeihen, die für Baumvegetation am wenigsten geeignet sind, auch auf geröllbedeckten Felshängen. All das führt dazu, daß keine andere Baumformation mit dem Miombo konkurrieren und folglich seine Einförmigkeit unterbrechen kann. Eine Ausnahme bilden lediglich die Galeriewälder, in denen mächtige tropische Baumriesen den Brachystegien einen schmalen, zwanzig bis dreißig Meter breiten Streifen entlang der Flüsse abringen. In Lücken im dichten grünen Miombodach tauchen hier und da winzige Dörfchen auf, die an kleine Heuschober erinnern. Ihre Bewohner leben aber natürlich nicht so isoliert von der modernen Zivilisation wie etwa die Pygmäen am Ituri oder die Buschmänner in der Kalahari. 198
Die Politik der Frelimo-Partei läßt die Bewohner des Miombo rasch Anschluß an das Tagesgeschehen gewinnen. Noch vor weniger als hundert Jahren aber hat der schon erwähnte Elisee Reclus in seinem berühmten Buch »La terre« über die Bewohner dieser Gegenden geschrieben: »Obwohl sie häufig von arabischen Kaufleuten besucht werden, sind sie Heiden geblieben, und die Opferzeremonien bei Begräbnissen, das Verzehren von Menschenfleisch werden von ihren Häuptlingen, wenn auch nur insgeheim, trotzdem weiter praktiziert. Junge Mädchen und Diener werden zusammen mit ihren gestorbenen Oberhäuptlingen lebendig begraben. Man erzählt, wenn einer dieser dem Tode Geweihten während der Begräbnisprozession niesen mußte, habe man ihn sofort freigelassen, weil der Geist des Toten durch dieses Niesen seinen Unwillen darüber geäußert habe, daß jener in die Schar der Begleiter des Gestorbenen aufgenommen worden sei.« »Der Lucinge!« schreit mir der Pilot zu und zeigt auf einen Gürtel dunkler üppiger Vegetation, der sich durch den Miombo zieht. »Vorerst aber sind noch keine Artisten zu sehen, nur Elefanten.« Mit angelegten Ohren bahnen sich die Dickhäuter, die deutlich Furcht erkennen lassen, einen Weg durch das Dickicht am Fluß. Ich versuche mir vorzustellen, was für ein Lärm dort unten jetzt wohl herrscht, wo sich das Krachen der von den Elefanten niedergewalzten Baumstämme mit dem Knattern des Hubschraubers mischt. Der Pilot biegt jäh vom Fluß ab, er will die Herde wohl nicht weiter beunruhigen. Da zeigt sich unter uns erneut ein schmaler Streifen Galeriewald, unter dessen Kronen sich ein Flußlauf verbirgt. Auf dem Dach dieser grünen Galerie wimmelt es nur so von Affen, die durch das Auftauchen des Hubschraubers völlig den Verstand verloren zu haben scheinen. Die langschnäbeligen Marabus hingegen reagieren auf unser Erscheinen beinahe beleidigend phlegmatisch. Sie haben sich wie üblich auf Ästen niedergelassen, das eine Bein angezogen; als wir auftauchen, stellen sie sich lediglich auf beide Beine und drehen ihren gewaltigen Schnabel zur Seite. Die Erfahrung hat die Marabus sicher gelehrt, daß sich mit ihnen als Aasfressern niemand einläßt. Wir erreichen den Lugenda, wenden und fliegen erneut über dem Lucinge. Etwa hundert Kilometer flußaufwärts entdecken wir 199
Stromschnellen, weiterzufliegen hätte also wohl keinen Sinn. So machen wir wieder kehrt, schweben von neuem über den von uns schon gesichteten Elefanten und haben bald wieder den Lugenda unter uns, finden aber nicht die geringste Spur von der Gastspieltruppe. Erneut wenden wir, und endlich, nach fünfzehn Minuten, machen wir vor uns auf der Krone einer den Wald überragenden Palme einen weißen Fleck aus. Als wir näher heran sind, erkennen wir, es ist ein Tuch, mit dem uns ein auf der Palme sitzender Afrikaner zuwinkt. Und da sehen wir durch das Grün der den Fluß überdachenden Baumwipfel auf der glitzernden Wasserfläche auch schon Leute in farbiger Kleidung. Wir haben die Flöße mit den Schauspielern endlich gefunden! Hauptsache ist nun, ein Plätzchen zu finden, auf dem der Hubschrauber landen kann. Der Pilot meint, zehn Kilometer stromabwärts gebe es eine geeignete Stelle, vorher kaum. Wir schreiben auf einen Zettel, wer wir sind, und bitten die Floßbesatzungen, in Richtung Lugenda zu fahren. Den Zettel stecken wir in eine Trockenmilchschachtel, die wir an einer Schnur hinunterlassen. Sie bleibt zwar in einer Baumkrone hängen, aber einer vom Floß holt sie. Wir können also getrost abfliegen. Doch in diesem Augenblick beginnt der »Signalgeber« auf der Palme erneut verzweifelt mit dem weißen Tuch zu winken. Wir kehren also um. Er schreit uns etwas zu, legt dabei die Handfläche an seine Gurgel — ein Zeichen von Verzweiflung oder Dringlichkeit. »Scheint ja ein geschickter Bursche zu sein«, sagt der Pilot zu mir. »Soll er zu uns heraufklettern«, und ohne lange zu überlegen, läßt er eine Strickleiter hinunter, die nun über der Palme schwebt. Eine richtige Zirkusnummer! Und schon ist der Bursche am Kabinenfenster. »Fliegt nicht weg!« schreit er. »Eine Frau da unten, die hat schon den dritten Tag Wehen, kann aber nicht gebären. Fliegt nicht weg!« Der Pilot erklärt dem Burschen die Situation, der schenkt uns ein bezauberndes Lächeln, schafft es, uns zum Abschied die Hand zu drücken, und klettert auf seine Palme zurück. Zehn Minuten später schon essen wir Mittag auf einem sandigen Plätzchen. Nach etwa zweieinhalb Stunden treibt auf dem Lucinge das erste Floß heran, kurz danach tauchen auch die übrigen auf. Trotz der ernsten Situation, in der sich die Gebärende befindet, will die allgemeine Begeisterung kein Ende nehmen. Es ist eine heite200
re Gesellschaft: Das Frelimo-Theaterensemble, dazu die Sieger im Republikwettbewerb der Laienkünstler, ein paar junge Dichter und Parteifunktionäre. Mehrere kenne ich schon von Maputo her. Die Frau, die noch vor vier Tagen in einer Tanznummer aufgetreten ist, wird mit aller Vorsicht in den Hubschrauber gesetzt. Jemand improvisiert eine Lobesode auf den Piloten, die anschließend im Chor wiederholt wird, und schon steigt der Hubschrauber hoch. »Na denn, Genosse, wir freuen uns, Sie in unser Kollektiv aufnehmen zu können«, Guilerme Jilo, Initiator des Agitationsfeldzuges und Leiter des Künstlerkollektivs der Provinz Niassa, lächelt mir freundlich zu. »Wenn ich Ihnen kurz die Aufgaben unserer ,Floßfahrt’ erläutern darf: Wir wollen der hiesigen Bevölkerung die Augen öffnen für das heutige Moçambique, sie näher mit den Problemen bekannt machen, die vor unserem Land stehen, überhaupt etwas aus der Welt berichten. Sie wissen ja wohl, daß Genosse Mondlane gerade über dieses Gebiet hier geschrieben hat, seine Bevölkerung habe nur eine ganz verschwommene Vorstellung davon, zu welchem Volk sie eigentlich gehöre und in welchem Land sie lebe. Lektionen und Vorträge sind bei einem solchen Auditorium da nicht gerade die wirkungsvollste Methode propagandistischer Arbeit. Deshalb erzählen wir über Moçambique so, wie es für diese Menschen hier verständlich ist, beispielsweise in der Sprache des Tanzes, des Liedes, der Musik. Was unser Theaterkollektiv betrifft, so zeigt es ein sehr aktuelles Stück, in dem alle Laster der Vergangenheit angeprangert werden.« Ich interessierte mich für den Titel des Stückes, den Namen seines Autors. »Es heißt ,Javali Javalismo’, ein schwer übersetzbares Wortspiel, man könnte etwa ,schweinische Schweinerei’ sagen. Seine Autoren?« überlegt Guilerme. »Ich würde meinen, das Stück ist eine Frucht kollektiven Schaffens. Geschrieben haben es Soldaten — Mitglieder des Ensembles, ehemalige Partisanen. Sie arbeiten es selbst ständig um, wie die örtlichen Gegebenheiten es eben erfordern. Der Waldbewohner begreift das Stück sehr gut, obwohl im Grunde genommen Material aus der Stadt darin verarbeitet ist. Doch wozu erzähle ich Ihnen das alles? In knapp einer Stunde haben wir die nächste Begegnung mit hiesigen Bewohnern!« An einer Flußbiegung hatten sich zahlreiche Menschen eingefun201
den, die durch die Waldtamtams über unsere Ankunft unterrichtet worden waren. Hier im Gebiet der Mawiha und Mahiba hatten die Kolonialherren das lokale Kolorit nicht zerstören können, das andere moçambiquische Völker verloren haben. Erstmals auf all meinen Reisen im Inneren Afrikas erblickte ich so viele tatauierte Männer, nicht nur einen oder zwei alte, sondern Hunderte unterschiedlichen Alters. Jugendliche hatten nur das Gesicht tatauiert, bei älteren Männern aber prangten komplizierte Ornamente auf der Brust, mitunter auch auf dem Rücken. Hier und da sah man hiesige Gecks mit Umhängen aus Leoparden- oder Waldantilopenfell. Die Masse der Waldbewohner hat nicht die geringste Vorstellung davon, was für ein Schauspiel sie hier erwartet, es summt wie in einem aufgescheuchten Bienenschwarm. Als Bühne dienen die an Land gezogenen Flöße. Alle Vorbereitungen, auch das Umkleiden der Schauspieler, vollziehen sich praktisch unter den Augen des Publikums. Guilerme tritt vor. Lange muß er die Zuschauer zur Ordnung rufen, dann erklärt er ihnen ausführlich, weshalb die Schauspieler »zu Gast zu den Mawiha und Mahiba gekommen sind, die im unabhängigen Moçambique Teil einer einheitlichen moçambiquischen Nation sein werden«. Anschließend kommen, freudig begrüßt, hinter dem Vorhang aus Bettlaken hervor »Javali« mit aufgesetzten Schweinemasken auf das Floß gestürmt. Die Zuschauer johlen vor Begeisterung, springen hoch, um besser sehen zu können, halten sich vor Lachen den Bauch. Als ich sie so betrachte, denke ich bei mir, daß für diese kulturell den benachbarten Makonde nahestehenden Menschen, die es gewohnt sind, in einer Maske eine gewisse Abstraktion, eine Symbolgestalt zu sehen, eine solche Aufführung tatsächlich von zehnmal größerem Nutzen ist als eine noch so glänzend vorgetragene Lektion. Die Javali-Masken werden von den Mahiba und Mawiha denn auch sofort mit jenen Leuten in Verbindug gebracht, die sie am Vorwärtskommen hindern, die ihre persönlichen Interessen höher als die der Gemeinschaft stellen, die Beschlüsse der Volksmacht sabotieren und dadurch, gewollt oder ungewollt, zu Verrätern an der Revolution werden. Hier eine Szene dieser Aufführung: Die Partei entsendet einen ihrer Kader in den Staatsapparat, damit er dem werktätigen Volk diene. Statt dessen aber befaßt sich der frischgebackene »Chef« dort 202
mit dem Erwerb von Teppichen, teuren Möbeln, Porzellan. Ein einfacher Afrikaner, der sein ganzes Leben in einer Hütte verbracht hat, läßt seine Angst erkennen, dessen Arbeitszimmer zu betreten. Und die zahlreichen Sekretärinnen, mit denen dieser »Javali« keineswegs nur Arbeitskontakte unterhält, lassen den einfachen Besucher gar nicht erst zum »Chef« vor. Dafür haben alle jene freien Zutritt, die den Chef bestechen oder ihn in ein Restaurant einladen, um über illegale Geschäfte zu sprechen. Eine weitere Szene wird gleichzeitig auf zwei Flößen gespielt. Links hält ein »Chef« seinem Untergebenen eine Strafpredigt, weil er zu spät zum Dienst erschienen ist: »Wenn das noch einmal vorkommt, schicken wir dich zur Arbeit aufs Feld, in ein Kollektivdorf.« Rechts eine Gruppe städtischer Kleinbürger. Die blicken sich ängstlich nach allen Seiten um, flüstern einander Gerüchte über das »schreckliche Leben« in den »aldeias comunales« zu. Die Gerüchtemacher und Verleumder werden plötzlich von der lauten Stimme eines Ansagers übertönt: »So also werden vorsätzlich Aufgabe und Bedeutung der Kollektivdörfer in Mißkredit gebracht, die von unserem gemeinsamen Feind mit den Aldeamentos, den Konzentrationslagern der Kolonisatoren, verglichen werden. Geht es jenen von euch, die der FRELIMO geglaubt haben und nun auf neue Art leben, einander auf dem Feld und auch im Haus helfen, etwa schlecht in den Aldeias comunales?« »Es geht uns besser! Wir haben jetzt keine Angst mehr, daß die Masungas, die Mörder, zu uns in den Wald kommen! Viva FRELIMO!« klingt vom Ufer her die Antwort. Nun kommen Armeedichter zu Wort. Für mich persönlich ist der Auftritt eines jeden dieser Vertreter der »Poesie der Partisanenabteilungen« eine echte Offenbarung, eine Begegnung mit »halbmythischen Helden«. Schon einige Jahre bevor Moçambique unabhängig wurde, waren auf den Seiten der illegalen Flugblattzeitungen »Helden« und »25. September« von kämpferischem Pathos erfüllte, von Patriotismus durchdrungene Gedichte zu finden gewesen, deren Verfasser stets mit einem Pseudonym, einem Symbol, unterzeichneten: Kumwanga (»Patriot«), Ngwembe (»Staatsbürger«), Magiguana (»Kommandeur«), Malido (»Sieger«). Mit ihrem Schaff . widerlegten diese Laiendichter den klassischen Aphorismus: »Wenn die Kanonen sprechen, schweigen die Musen.« Im Gegenteil, ihre Poesie wurde im 203
vollen Sinne des Wortes im bewaffneten Kampf geboren, entstand im Donner der Kanonen und rief zum Sieg auf. Hier also treten sie nun auf, die Ngwembe, Malido, Damiao, Kochme — die ganze Plejade von Partisanendichtern, vorgestern noch Bauern und Arbeiter, gestern Partisanen, heute Kämpfer an der harten Front des ideologischen, propagandistischen Kampfes. Ihre poetische Attacke beendet Manuel Gondela, den ich von Maputo her kenne, bisher aber in der bunten Menge der Artisten noch nicht entdeckt hatte. Er rezitiert in singendem Tonfall, setzt subtile musikalische Akzente, und die Zuhörer singen mit: Pflanzt Bäume, Genossen, auf dem Boden unserer Heimat, damit unser Moçambique noch schöner werde... Ein wahrer Patriot ist, wer seinem Lande dient, wer den Gräsern Leben schenkt, sie im Boden Wurzeln schlagen läßt. Als Manuel seinen Auftritt beendet hat, kommt er zu mir: »Entschuldige, daß ich dich nicht gleich begrüßt habe, als du ,von Himmel gefallen’ bist«, meint er, »ich habe bis zum letzten Augenblick den Freunden geholfen und übersetzt. Komm, ich mache dich mit ihnen bekannt.« Es dunkelt schon fast, als die Truppe ihren Auftritt beendet hat. Jetzt aber sind noch »Batuki« an der Reihe, Tänze der hiesigen Bevölkerung. Feuer flammen am Ufer auf, riesige Trommeln dröhnen dumpf, geheimnisvoll; und in diese Töne mischt sich das Ächzen der im aufkommenden Wind schwankenden Baumriesen. Als die Trommeln verstummt sind, kommen plötzlich unmittelbar aus dem geheimnisvollen Wald acht Gestalten auf hohen Stelzen und schreiten zwischen den Feuern zum Fluß. In der Dunkelheit sind die ihre Gesichter verbergenden Masken kaum zu erkennen, und auch die Tanzfiguren, die Mimik und die Gesten der an dieser ungewöhnlichen Vorstellung Beteiligten wirken wegen der schlechten Beleuchtung sehr verschwommen. Ein so effektvolles Auftauchen von Masken, Symbolen der Geister der Ahnen, die Gesetze und Traditionen des Stammes verkünden, hinterläßt bei einem afrikanischen Zuschauer einen tiefen Eindruck. 204
Unter begeisterten Rufen der Dankbarkeit und mit der Aufforderung, unbedingt wiederzukommen, verabschiedet man unsere Flöße. »Wir müssen uns immer fünf bis sieben Kilometer von der Stelle unseres Auftritts entfernen«, erklärt mir Magiguana. »Andernfalls dauern die Batuki die ganze Nacht an, und unsere Jungs sind dann am nächsten Tag kaum noch imstande zu arbeiten. Nachts durchfahren, das ist nur dann möglich, wenn der Himmel wolkenlos ist und der Mond scheint.« Die Dichter und Studenten rückten eng zusammen und überließen mir eines der Zelte. Ich schlief in dieser ersten Nacht auf einem Floß wie ein Toter. Später sollten wir nur noch wenig Ruhe finden. Eine helle Nacht folgte auf die andere, der Vollmond schien, und deshalb entschied Guilerme beinahe nach jedem Abendkonzert, die Fahrt fortzusetzen, damit wir am folgenden Tag möglichst früh den neuen Auftrittsort erreichten. Das Leben auf den Flößen war keinesfalls einfach. Wie an allen Flüssen des moçambiquischen Nordens gab es auch am Lucinge und Lugenda zahlreiche Wasserfälle und Stromschnellen. Deshalb mußten mindestens zwei- bis dreimal am Tag alle zusammen entweder den Kampf gegen das Wasser aufnehmen oder umgekehrt sich ihm fügen, das heißt die Flöße entladen und am Ufer entlang schleppen. Ich fing schon an zu grübeln: keinerlei »exotische« Begegnungen mit Flußbewohnern! Es blieb mir nur übrig, voller Neid den Erinnerungen der Frauen unseres Kollektivs zu lauschen, wie am Lureco, einem Nebenfluß des oberen Lugenda, ein Flußpferd nachts das Floß unversehens hochgehoben und dann umgekippt hatte. Flußpferde sahen wir mehr als einmal in Ufernähe, und auf Sandbänken lagen wie Baumstämme kleine Krokodile. Doch »direkte Kontakte« hatten wir weder mit diesen noch mit jenen. Die meisten Unannehmlichkeiten bereiteten uns besonders nachts kleine flinke Eidechsen, die von über den Fluß hängenden Bäumen herabfielen. Blitzartig schlüpften sie einem unter die Kleidung und trieben auf der menschlichen Haut ihr Spielchen. Wer kitzlig war, den konnten diese flinken Geschöpfe beinahe hysterisch werden lassen. Am meisten schienen sich Eulen und Uhus darüber zu erregen, daß wir das nächtliche Leben des Flusses störten. Sie strichen ständig geräuschlos über unsere Flöße hin oder ließen sich irgendwo in 205
der Nähe auf einem Baum nieder und stießen unzufrieden klingende Laute aus, offenbar in der Hoffnung, damit die ungebetenen Eindringlinge zu vertreiben. Eines Morgens kam Guilerme zu mir. »Hör mal, warum sollten wir nicht auch dich aktiver in unsere Arbeit einbeziehen?« fragte er. »Soll ich vielleicht slawische Tänze vorführen?« scherzte ich und probierte einige unbeholfen ausfallende Tanzschritte, um Guilerme davon abzubringen, seine Initiative zu verwirklichen. »Aber nein, es ist mein voller Ernst«, erwiderte er, legte mir freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Weshalb solltest nicht auch du jedesmal so zehn, fünfzehn Minuten lang auftreten, könntest etwas über die Sowjetunion, über deren Beziehungen zu Moçambique erzählen.« »Aber du bist doch selbst gegen Lektionen und Vorträge!« »Ich bin auch jetzt noch keineswegs dafür. Aber als ,etatmäßiger’ Redner im eigenen Land auftreten, das ist die eine Sache, eine ganz andere hingegen, wenn man als Korrespondent, als Schriftsteller aus einem anderen Lande kommt, zudem noch aus der Sowjetunion. Das würde unsere ,Aktiven’ anspornen, und für die hiesige Bevölkerung wäre es doch recht interessant.« Nach kurzem Überlegen stimmte ich zu. Magiguana erbot sich, meine Worte in eine der hier gebräuchlichen Sprachen zu übersetzen, und schon am folgenden Tag schaltete ich mich in die Arbeit ein. Wovon ich erzählte? Ich begann mit Erinnerungen an meine Begegnung mit Eduardo Mondlane, dem Begründer der FRELIMO, in Daressalam; es war übrigens dessen letztes Treffen mit einem ausländischen Journalisten vor jenem 3. Februar 1969, an dem er starb, als er ein von der portugiesischen Geheimpolizei übersandtes Päckchen öffnete, das eine Bombe enthielt. Ich erinnerte daran, daß er ein großer Freund der Sowjetunion war, erzählte von der Oktoberrevolution, wobei ich Mondlanes Worte zitierte, daß diese Revolution von Anfang an großen Einfluß auf das Schicksal der afrikanischen Völker hatte und weiterhin ausübt. Wenn ich zur Gegenwart kam, dann überzeugten mich Rufe wie »Kalasch!«, »Amizade!«*, »Viva União Soviética!« ein weiteres Mal davon, daß man selbst in * »Freundschaft!«
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diesen abgeschiedenen Waldgegenden um die Freundschaft der Sowjetunion zum moçambiquischen Volk weiß. Mitunter stellte man mir auch Fragen. Meist liefen sie sinngemäß darauf hinaus, wieso die »weißen Sowjetmenschen« den »Schwarzen« im Kampf gegen die »weißen Portugiesen« halfen. Die Bewohner des Waldes interessierten sich auch für Fragen, die mit der Lösung des Nationalitätenproblems in der UdSSR zusammenhingen. Meine Antwort auf Fragen zur nationalen Einheit nutzte Guilerme dann sogleich insofern geschickt aus, als er dieses Problem auf moçambiquische Verhältnisse übertrug. Er sprach davon, daß die Volksrepublik Moçambique ebenfalls von zahlreichen Völkerschaften bewohnt ist, die verschiedene Sprachen sprechen, unterschiedliche Traditionen haben und infolge der von den Kolonisatoren noch in jüngster Vergangenheit verfolgten Politik manchmal sogar Mißtrauen gegeneinander hegen. Er forderte die hier anwesenden Vertreter der Waldstämme auf, sich zu einer einzigen Familie, die Volk von Moçambique heißt, zusammenzuschließen, wollte sie dazu bewegen, sich mit ihren Brüdern und Schwestern in dieser großen moçambiquischen Familie bekannt zu machen. Wenn diese »Lektion« zu Ende war, dröhnten wieder die Trommeln — auf den Flößen begann die Tanzvorführung. Die half den Zuschauern aus dem Walde, das nationale Denken und die Kultur jener zu begreifen, die Guilerme da eben als ihre »neuen Verwandten« bezeichnet hatte, nämlich die Bewohner der Savanne, des Gebirges und der Küstengebiete von Moçambique. Eine solche Verschmelzung von »Theorie« und »Praxis« wirkte auf die Zuhörer recht überzeugend. Sie, die kaum einmal über die Grenzen des Miombo hinauskommen und in ihrem Wald nur mit Vertretern von Stämmen Berührung haben, deren Kulturen und Bräuche den eigenen ähneln, waren buchstäblich erschüttert, zu erfahren, daß es in Moçambique auch Afrikaner gibt, die ein ganz anderes Leben führen als sie, völlig andere Traditionen besitzen, gleichzeitig aber mit ihnen so eingängig und einfach in der allen verständlichen Sprache des Tanzes und der Musik sprechen. Eröffnet wurde die Vorstellung mit der Volksmelodie »Chipalapala«: Auf den möglichst weit voneinander entfernt liegenden Flößen veranstalteten die Trommler eine Art Appell, riefen mit ihren Wirbeln das ganze Land auf, zu erwachen und sich an die Arbeit zu begeben. Als erste antworteten auf diesen Appell die Bewohner der 207
Gebiete von Moçambique, die am weitesten vom Ufer des Lucinge entfernt liegen, also die Zulu und Swasi, die südlich von Maputo, direkt an der Grenze zur Republik Südafrika leben. An Tänzer gewöhnt, die nur ganz sparsam bekleidet sind, blickten die Mawiha und Mahiba auf die auf den Flößen auftretenden »Südländer« wie auf Menschen von einem anderen Planeten, bestaunten deren Kleidung. Die hatten schwarzweiße Röcke an, an den Beinen trugen sie eine Art Gamaschen aus dem Fell von Angoraziegen, in den Händen hielten sie Assagai-Speere. Die Mitglieder unseres Ensembles stießen furchterregende kriegerische Schreie aus, rollten wild mit den Augen, führten einen Tanz vor, dessen wichtigste »Pas« in Luftsprüngen bestanden, bei denen bald das rechte, bald das linke Bein vorgestreckt wurde. Ein Floß ist natürlich nicht gerade die geeignetste Plattform für derartige Sprünge. Es schaukelt wild, wippt auf und ab, Wasserspritzer hüllen die Mohär tragenden Tänzer von Kopf bis Fuß ein, die wahre Wunder an Akrobatik vollbringen, um nach den Sprüngen wieder auf die Füße zu stehen zu kommen. Die Zuschauer sind allerdings der Meinung, das gehöre dazu und bringen durch Pfeifen und laute Schreie ihre Begeisterung zum Ausdruck. Manchmal veranstalten die Tänzer aus dem Süden auch eine Art Reigen, strecken ihre Assagais vor, als wollen sie einen unsichtbaren Gegner angreifen. »Tyki-tyki! Uff-uff-uff!« schreien die Schauspieler im Takt der Trommeln. »Tyki-tyki! Uff-uff-uff!« klingt es erneut, und die Sprünge werden wiederholt. Zarte Gefühle bringt der Mädchentanz »Dsore« zum Ausdruck, der an der Küste des Indischen Ozeans, in der Provinz Inhambane getanzt wird. Sein Ursprung ist eng mit den Initiationsriten verknüpft, bei denen erfahrene und allgemein geachtete Frauen die Mädchen in den Wald führten und sie dort in speziellen »Mädchenlagern« in die Weisheiten des künftigen Familienlebens einweihten. Beim »Dsore« gibt es gewöhnlich ein »da capo«. Dann unterbrechen die Zuschauer das Konzert und werden selbst zu Tänzern, die uns nun ihrerseits einen Mädchentanz zeigen, der unterm Dach des Miombo geboren wurde. »Schau dir einmal die Musikinstrumente an, auf denen die ShonaTänzer begleitet werden«, sagt Manuel Gondela zu mir. »Es sind Mbira, eine Art afrikanisches Piano, und bei allen traditionellen Festen in Manica stets die wichtigsten Instrumente. Die Mbira be208
steht aus einem Holzresonanzkörper mit Metallplättchen, von denen jedes in einer eigenen Tonart gestimmt ist. Normalerweise sind es zweiundzwanzig, unsere Mbira hier aber sind sechsundfünfzigtonig; so etwas gibt es außer in Simbabwe nirgendwo anders in Afrika. Die Mbiraspieler geben hervorragend die im Tanz enthaltene Stimmung, die Gefühle der Schauspieler wieder: Freude, Erwartung, Furcht, Sehnsucht...« Laienkünstler aus Manica zeigten den in seinem Gehalt schwer zu erfassenden, recht komplizierten Tanz »Nlama«. Während der Blütezeit Monomotapas wurde er am Abend vor einer Schlacht von den Kriegern aufgeführt, die damit in sich selbst den Kampfgeist wecken wollten. Noch während des Befreiungskrieges unserer Tage bedienten die Patrioten in Moçambique sich seiner häufig als eine Art physischen Trainings für die Partisanen. Die Portugiesen verfolgten alle Nlama-Spieler unbarmherzig, versuchten vergeblich, den Tanz zu verbieten, ihn aus dem Gedächtnis des Volkes zu tilgen. Doch selbst unter diesen Bedingungen vermochten die Shona die ursprünglichen Züge dieses kämpferischen, Mut ausdrückenden Tanzes zu bewahren. Als wir nach einem unserer Konzerte auf unseren Flößen gemächlich auf dem vom Mond beschienenen Lugenda dahinglitten, drehte sich unsere Unterhaltung darum, was für eine gewaltige Rolle doch Musik und Tanz im sozialen, heute aber auch im politischen Leben der afrikanischen Gesellschaft spielen. »Was wie einfache Unterhaltung aussieht, dient in Wirklichkeit der Befriedigung sozialer Bedürfnisse und politischen Zielen«, meinte Guilerme überzeugt. »Denn nicht umsonst sind in unserer Poesie die traditionellen Tänze und Rhythmen stets gleichgesetzt worden mit Protest, mit Kampf, mit Freiheit.« »Manche Ausländer und selbst unsere eigenen Leute, die noch vor kurzem auf Partisanenpfaden dahinzogen, wundern sich: Weshalb widmet diese Frelimo-Partei der Wiedergeburt der nationalen Kultur so große Aufmerksamkeit, weshalb gibt sie so viele Mittel aus für den Bau einer Kunstschule in Maputo, wenn das Land doch wesentlich ernstere Nöte hat?« schaltet sich Magiguana ein. »Doch die Partei hat recht, wenn sie das tut!« Es lag etwas Unwahrscheinliches und doch gleichzeitig Harmonisches in diesem nächtlichen Gespräch über das Schicksal der mocambiquischen Kultur, einem Gespräch, das in einem der abgeschie209
densten Winkel des Kontinents stattfand und an dem Leute teilnahmen, die die Volksrevolution aus ebendieser Wildnis heraus zu Höhen künstlerischen Schaffens, zur aktiven Beteiligung am ideologischen Kampf um einen neuen Menschen führen wollen. Bei Negomane — auf deutsch »Ort der Begegnung« — mündet der Lugenda, nachdem er sich über eine Reihe von Stromschnellen gestürzt hat, in den Rovuma. Hier ragt am gegenüberliegenden Ufer ein schiefstehender grauer Stein auf mit einer Inschrift, die besagt, daß bis zu dieser Stelle, an der die beiden Flüsse sich vereinigen, 1862 David Livingstone den Rovuma aufwärts vordringen konnte. An diesem Stein veranstalteten wir ein grandioses, durch Auftritte hiesiger Laienkünstler erweitertes Sonntagskonzert, das von Mittag bis Mitternacht dauerte. Weiter flußabwärts ist die Gegend am Rovuma zwar nicht gerade dicht besiedelt, aber auch nicht mehr Wildnis. Die Auftritte des Agitprop-Ensembles wurden von den Flößen und Sandbänken in die Klubs der Siedlungen verlegt, die längs dieses großen Flusses im Norden von Moçambique entstanden sind.
Meine Freunde, die Makonde »Ich habe gewußt, daß du wiederkommst, Sergio«, begrüßte mich Likaunda, der unter einem weitausladenden Baum saß und mit der Miene eines Philosophen nachdenklich ein knorriges Stück Mpingoholz betrachtete. »Schon vor drei Wochen habe ich einen lustigen Schitani* geschnitzt und ihn seitdem ständig gebeten, dir mitzuteilen, daß du zu mir kommen sollst. Ich habe den Schitani im Wald versteckt, denn zwischen seinen heimatlichen Bäumen würde er sich wohler fühlen. Jetzt aber werde ich ihn wohl zurückholen müssen.« »Nanu, du bist’s, So** Sergio!« rief mir der Dorflehrer Mpagua zu und streckte mir zur Begrüßung seine Hände entgegen. »Wie lan* Schitani sind im Kikonde, der Sprache der Makonde, gute Geister, an deren Existenz dieses Volk glaubt. ** »So« ist die in Mofambique gebräuchliche Abkürzung von Senhor (»Herr«).
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ge hast du dich hier nicht mehr sehen lassen? Bestimmt seit Beginn der Tschuka* nicht. Komm heute abend unbedingt bei mir vorbei.« Als mich dann der zweiundachtzigjährige Nangonga erblickte, ein weiser Alter und Inspirator aller Knabenspiele, winkte er schon von weitem, als hätten wir uns gestern erst gesehen, brachte die um ihn herum tollende Rasselbande zur Ruhe und rief mir dann zu: »Das ist nun schon der dritte Vollmond, bei dem ich keinen Schlaf finde. Und warum? Weil ich nachts niemanden habe, mit dem ich schwatzen kann. Wirst du wieder in meiner Hütte übernachten? Na, dann will ich gleich hingehen und die Riemen an deinem Igoli** festziehen. Ich bin so froh, dich wiederzusehen.« Auch ich freute mich, daß ich wieder bei meinen MakondeFreunden war. Jedesmal, wenn es mich in den moçambiquischen Norden verschlug, zog es mich mit aller Macht zu diesen Menschen hin, die ich bereits kennengelernt hatte, als Moçambique noch portugiesisch war, ihr Land sich aber schon stolz »befreite Zone« nannte. Seitdem bin ich in ihrem tief im Miombo zwischen den Siedlungen Namaua und Chinhonga gelegenen Dörfchen wohl an die sieben-, achtmal gewesen. Mitunter war ich bei ihnen wochenlang zu Gast, und jedesmal, wenn ich sie verließ, hatte ich die Empfindung, daß ich Abschied nehme von prächtigen Menschen, einfachen, stolzen und ehrlichen Leuten. Der Umgang mit ihnen hat mir stets viel gegeben, in mir das Gefühl der Berührung mit irgend etwas Großem, Allgemeinmenschlichem entstehen lassen. Als der Rovuma nun unsere Agit-Flöße dem Meer entgegentrug und ich mich von meinen auf der Flußfahrt neu gewonnenen Kameraden verabschiedet hatte, da zog es mich daher erneut zu den Makonde. Per Anhalter gelangte ich bis nach Palma, anschließend nach Mocimboa da Praia — entzückenden Städtchen, in denen sich das Kolorit des Swahili-Mittelalters in wundersamer Weise mit dem vermischt hat, das durch das heutige Leben der Makua geprägt wird. Von Praia aus brachten mich Frelimo-Freunde in die »Makonde-Hauptstadt« Mueda, die einzige Stadt in dem von Makonde bewohnten Gebiet. Bei einem Aufstand, der 1960 bei den Makonde ausbrach, hatten die Portugiesen in dieser Stadt fünfhundert Moçambiquer erschossen. * Tschuka (Kikonde) = Regenzeit ** Igoli (Kikonde) = Bett
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Hier in Mueda hatte ich in der vorigen Regenzeit ein Auto stehengelassen, das der Kommissar des Ortes in seine Obhut nahm. Einen Tag hatte ich mit dem Laden der Batterie und dem Flicken der Reifen zu tun, in die hiesige Rangen doch ein halbes Dutzend Nägel hineingebohrt hatten, dann sechs Stunden Fahrt über ein Labyrinth von Waldpfaden, und schon befinde ich mich auf halbem Wege zwischen Namaua und Chinhonga. Diese Siedlungen liegen in der Mitte des Plateaus, das ebenfalls Mueda heißt, eine natürliche »Festung« der Makonde. Das Plateau ist weniger schwer zugängig als vielmehr nicht gerade verlockend für jede Art von Räubern, Eroberern und Kolonisatoren. Das Mueda-Plateau hat wenig Wasser und nur kärgliche, stellenweise steinige Böden. In der Landschaft herrscht schwer passierbares Buschwerk vor, das teilweise hakenförmig gebogene Dornen aufweist. Man kommt aus einem solchen Dickicht kaum wieder heraus, da die Dornen den Eindringling einfach nicht loslassen. Das im Norden durch den Rovuma, im Süden durch den Messalo begrenzte Plateau war mehrere Jahrhunderte lang, bis zum Beginn des Befreiungskampfes der FRELIMO, für die moçambiquischen Makonde so eine Art Mikrowelt, über deren Grenzen sie nicht hinauskamen, in die sie aber auch niemanden hineinließen. Diese »geographische Beschränkung« spiegelte sich sogar in der Sprache der hiesigen Makonde wider, für die Rovuma und Messalo »Anfang und Ende der Welt«, die Pole ihres Weltgebäudes waren. So wird im Kikonde der Begriff »Norden« mit dem Wort »kuluhuma« (»dort, wo der Rovuma fließt«), »Süden« mit »kumwalo« (»dort, wo der Messalo fließt«) wiedergegeben. Nördlich des Rovuma, an dem die jetzige moçambiquischtansanische Grenze verläuft, liegt das von Natur her ebenso unwirtliche Makonde-Plateau, auf dem heute etwa drei Viertel dieses einst ein Ganzes bildenden Volkes wohnen. In den beiden Republiken leben gegenwärtig fast eine Million Makonde. Die tansanischen Makonde haben sich aber, da der englische Kolonialismus aktiver war und weil Tansania fast fünfzehn Jahre früher als Moçambique seine Unabhängigkeit erlangte, bereits über die Grenzen ihres Plateaus hinaus ausgebreitet. Sie scheuen sich auch vor schwerer Arbeit nicht und gelten daher als die besten Arbeiter auf den Sisalplantagen. Dorfgenossenschaften von Makonde-Holzschnitzern habe ich Hunderte Kilometer entfernt von ihrem Stammesgebiet angetroffen, so 212
bei Daressalam, bei Bagamoyo und selbst in der Nähe von Mombasa in Kenia. Die Makonde auf dem Mueda-Plateau hingegen sind nach der einmütigen Ansicht der Fachleute bis heute das isolierteste und am wenigsten erforschte Volk Ostafrikas geblieben. In der portugiesischen Literatur der Kolonialzeit verbreitete man über die Makonde die Meinung, sie seien ein grausames und aggressives Volk, das seinen Nachbarn gegenüber schwarze Magie anwende, bei dem es bis vor kurzem noch Kannibalismus gegeben habe und das sich auch heute noch nicht scheue, »Schlangen zu verzehren, um deren Eigenschaften zu erlangen«. Synonym für Makonde wurde bei den Portugiesen das Wort »mauia«, das heißt »böse Menschen«. In den ersten Monaten nach der Proklamierung der Unabhängigkeit Mocambiques gab mir manch einer der im Lande verbliebenen Portugiesen, wenn er erfuhr, daß ich in den Norden reisen wolle, flüsternd mit auf den Weg: »Gott bewahre Sie davor, daß Sie im Wald auf Makonde stoßen!« Interessant ist, daß die arabischen Sklavenhändler und die ersten englischen Kolonisatoren die gleichen üblen Verleumdungen auch über die Masai und die mit jenen verwandten nilotischen Völker der Samburu, Turkana und Pokot verbreiteten. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts wünschte man Reisenden, wenn sie von Mombasa aus ins Innere des heutigen Kenia aufbrachen, »mögen Sie unterwegs keinem Löwen, Elefanten oder Masai begegnen«. In den fast sechs von mir in Kenia verbrachten Jahren habe ich sämtliche von Niloten bewohnten Gebiete bereist, mich in jedem längere Zeit aufgehalten, und unter den Masai hatte ich mehr Freunde und Bekannte als unter allen übrigen fünfzig Völkern und Stämmen dieses ostafrikanischen Landes. Schon in Kenia hatte ich begriffen: Hinter der äußerlich zur Schau gestellten Kampflust, der demonstrativ gezeigten Liebe zu Waffen, dem gewissen Konservatismus der Masai in ihren Beziehungen zu den Nachbarn verbirgt sich einzig und allein das Bestreben, sich selbst vor dem traurigen Schicksal zu schützen, das die Völker in den von den Kolonialmächten versklavten Gebieten erlitten hatten, sowie der Wunsch, die eigenen Traditionen und die eigene Kultur, das eigene nationale »Ich« zu bewahren. Dasselbe erstrebten auch die Makonde. Um sie herum trieben Sklavenjäger ihr Unwesen. Nach Ansicht des französischen Geographen Elisee Reclus war gerade das Einzugsgebiet des Rovuma jenes 213
Gebiet Afrikas, wo die schrecklichen Folgen des Sklavenhandels am deutlichsten zutage traten. Er berichtet auch, daß die Makonde, wenn sie mit den Arabern die traditionellen Waren tauschten, dies nur an bestimmten, eigens dafür vorgesehenen Stellen taten und den Arabern verboten, ihre Dörfer zu betreten. Bildete das schwer zugängige Mueda-Plateau gewissermaßen die erste natürliche Verteidigungslinie der Makonde, konnte man ihre Dörfer als »zweite Linie« bezeichnen, die von Menschenhand geschaffen war. Der englische Reisende O’Nelly vermochte 1882 in das von Makonde bewohnte Dorf Mauia vorzudringen, das unmittelbar am Rand des Plateaus liegt. Er schrieb darüber: »Dieses Dorf ist von einer sechzig bis achtzig Fuß breiten Pflanzenmauer umgeben. Die mit Dornen versehenen Bäume und Sträucher sind so dicht gesetzt, daß sich weder Mensch noch Tier hindurchzwängen kann.« Und der portugiesische Ethnologe D. Diaz erwähnte noch in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts, daß die Makonde-Dörfer Tag und Nacht von mit Gewehren bewaffneten Männern bewacht und nachts an den in die Siedlung führenden Pfaden Selbstschüsse ausgelegt werden, wie man sie für gewöhnlich bei der Jagd auf Großwild benutzt. Wie wirkungsvoll das traditionelle Verteidigungssystem der Makonde war, davon konnten sich die Portugiesen überzeugen, als die FRELIMO das moçambiquische Volk zum Kampf aufrief. »Die im Laufe von Jahrhunderten vervollkommneten kriegerischen Traditionen der Makonde machen das Führen eines gewöhnlichen Partisanenkampfes innerhalb der Grenzen ihres Territoriums faktisch unmöglich«, hieß es in einem Geheimbericht des portugiesischen Kommandos aus dem Jahre 1969. »Ihr Nachrichtensystem arbeitet einwandfrei, was jede unserer Operationen nutzlos erscheinen läßt. Dieses Gebiet muß man entweder mit Hilfe bestimmter Waffenarten, etwa chemischer Kampfstoffe, die man aus der Luft abwirft, unter Kontrolle bringen oder es überhaupt sein lassen...« Als ich so durch das Makonde-Dorf schlendere, Bekannte wiedertreffe, in für mich neue Gesichter blicke, überlege ich, was wohl diese falsche, aber sogar heute noch verbreitete Meinung über die Makonde aufkommen ließ, sie seien Menschen, die einen »schrecklichen Ruf« genießen. Vielleicht die ihre Charakterfestigkeit widerspiegelnden Gesichter, die rauh sind wie die Natur des Felsplateaus? 214
Und zweitens spielt da sicher die Tatsache eine Rolle, daß die Makonde in ihrem äußeren Erscheinungsbild ihren Nachbarn »unähnlich« sind, und das mahnt andere Afrikaner stets zur Vorsicht. Die Gesichter der jungen Makonde, bei älteren Männern auch die Brust, sind von breiten Narben zerschnitten — Ergebnis einer komplizierten und schmerzhaften Operation, der sich früher die jungen Makonde unterzogen, um mit Recht sagen zu können: »Ich bin ein Mann.« Bei jedem zweiten oder dritten Mann sind die Vorderzähne so angefeilt, daß es den Anschein hat, sie hätten eine Säge im Mund. Bei Frauen trifft man angefeilte Schneidezähne noch häufiger an. Frauen mittleren Alters, noch öfter aber alte Frauen entstellen ihre Gesichter durch das Tragen einer Pelele oder Shasha — einer Scheibe oder eines Ringes, die in die aufgeschnittene Oberlippe gesteckt werden. Bei Frauen ärmerer Leute besteht die Pelele aus Zinn oder Holz, bei wohlhabenderen aus Elfenbein. Diese Scheibe spielte früher die gleiche Rolle wie bei anderen Völkern der Verlobungsring. Der Bräutigam stellte sie für seine Braut selbst her und setzte sie vor der Hochzeit eigenhändig in die vom zuständigen Nganga operierte Lippe seiner zukünftigen Frau ein. Da sich die Gesichtszüge der alternden Frau mit der Zeit veränderten, die Lippe immer mehr herunterhing, wurde die Scheibe mehrfach durch eine neue, größere ersetzt. Am Ende konnte der Durchmesser der Pelele bei einigen Frauen höheren Alters acht bis zehn Zentimeter erreichen. Wenn die Trägerin eines solchen Schmuckes Laute sehr deutlich artikuliert — und die Kikonde-Sprache verlangt das fast ständig — oder gar lacht, hebt sich ihre Lippe und bedeckt dadurch beide Augen, und in die Peleleöffnung schiebt sich die Nase, unter der dann die abgefeilten, noch nie von einem Zahnarzt behandelten Zähne sichtbar werden. Viele Makonde-Frauen durchstechen sich auch die Nasenwände und stecken Indona hinein, fünf bis sieben Zentimeter lange dünne Zinnstäbchen, die zu beiden Seiten herausragen. »Nangonga, sähen eure Frauen nicht schöner aus, wenn sie sich so schmückten wie bei euren Nachbarstämmen?« fragte ich den alten Mann einmal. »Dir gefallen also, wie allen Mafutas, unsere Frauen nicht?« lachte er. »Na, da können unsere Männer ja beruhigt sein. Weißt du aber, daß gerade die Pelele unser Makondevolk gerettet haben? Als nämlich die Angoni, die unterwegs alle ihre Frauen verloren hatten, 215
an den Rovuma kamen, da wollten sie von den unsrigen eben wegen der Pelele nichts wissen. Und als sich die Yao mit den Arabern und mit den Masungas einließen und sich am Sklavenhandel beteiligten, da beschlossen unsere Dorfältesten und Häuptlinge, die sich der Vergangenheit erinnerten, daß nicht nur Frauen, sondern auch junge Mädchen Pelele tragen müßten, denn dann werde man nicht Jagd auf sie machen. So haben wir es denn auch getan, und wieder haben die Pelele unser Volk gerettet.« »Du willst doch nicht behaupten, Nangonga, daß die Narben auf deinem Körper und deine Zähne, die wie eine Säge aussehen, die Makonde davor bewahrt haben, daß die Kolonisatoren auf euer Plateau vorgedrungen sind?« stachelte ich weiter. »Hä, hä! So«, lächelte der alte Mann zufrieden. »Natürlich haben nicht nur sie uns gerettet, aber auch sie haben eine gewisse Rolle gespielt. Wenn die Araber und später auch die Masungas unser ansichtig wurden, packte sie Furcht. Denn jene, die uns versklaven wollten, waren ja auch bloß Menschen, hatten auch ihre Geister, ihre Götter, ihre Vorurteile. All das hat sie abgehalten, sich gleich auf uns zu stürzen, und uns haben sie so Zeit gelassen, uns umzusehen und zu begreifen: Kautschuk, Kopalharz und Elfenbein, die uns die Araber und später auch die Engländer abhandelten, darf man nicht nur für ein paar Lumpen weggeben, wie wir das früher getan haben, sondern für Gewehre. Und so haben wir es denn auch gemacht. Als später die Masungas dann unseren Anblick nicht mehr fürchteten und uns bedrängten, da schossen wir auf sie aus zwar alten Gewehren, aber immerhin aus Gewehren. Ich kann mich selbst sehr gut an jene Zeit erinnern! Wir Makonde, wir waren die einzigen, die auf die Portugiesen nicht mit Pfeil und Bogen, sondern mit Gewehren schossen. Ja, so war das!« Nangonga tat einen Zug aus seiner selbstgedrehten Zigarre, dann huschte ein gütiges Lächeln über sein faltiges Gesicht. »Heute aber sagt die FRELIMO zu Recht: Ihr braucht weder Pelele noch zugespitzte Zähne mehr. Im Schatten des Miombo ist es ruhig und friedlich geworden. Es gibt keine Feinde mehr um uns, und schau doch mal, was für hübsche Mädchen bei den Makonde herangewachsen sind, seitdem wir in der befreiten Zone zu leben begannen. Und was für hübsche Kinder wir haben!« meinte der Alte und nickte in Richtung der großen Schulhütte. Dort hatte sich um Mpagua eine ganze Schar Kinder versammelt und übte Kopfrechnen, 216
und nicht etwa als »Nachhilfeunterricht«, sondern einfach nur so, aus Spaß an geistiger Arbeit. Es ist dies eine alte Sitte bei den Makonde und Makua. Portugiesische Ethnologen haben schon zu Beginn des Jahrhunderts darüber geschrieben. Kurz vor Sonnenuntergang pflegten die alten Männer des Dorfes nacheinander zum Dorfplatz zu gehen und mit Hilfe von Steinchen und Fingern die ganz Kleinen zählen zu lehren. Anschließend kamen die größeren Kinder, und es begann Unterricht im Rechnen. Für Mpagua und mich ist es schon zur Tradition geworden: Wenn ich im Dorf auftauche, beteilige auch ich mich an dem Spiel. Seinen Schülern erklärt der Lehrer das so: »Der Mafuta ist wie ein Kind. Er spricht schlecht, und daher begreift er nur langsam. Deshalb rechnet er noch schlechter als ihr.« Sprachschwierigkeiten hatte ich bei diesem Spiel jedoch nicht, denn im Kikonde unterscheiden sich die Zahlwörter nur geringfügig von denen im Swahili. Das Problem für mich bestand in etwas anderem, und das erahnte selbst Dorflehrer Mpagua nicht. Gezählt wird bei den Makonde nämlich nach einer Verbindung von Zehner- und Fünfersystem. Das sieht so aus: 1 = imu, 2 = mbili, 3 = inatu, 4 = ncheche, 5 = mwanu; bis dahin ist alles klar und verständlich. 6 aber ist »mwanu na imu«, also 5 + 1; 7 entspricht »mwanu na mbili« und so weiter bis zur Zehn, die mit dem Wort »kumi« wiedergegeben wird. Die Bildung der weiteren Zahlen erfolgt analog: 20 = makumi mawili, das heißt 10 × 2; 30 = makumi matatu, also 10 × 3, aber 60 = makumi mwanu na limo, was bedeutet: 10 × 5 + 1 mit einer Null, usw. usf. Für die jungen Makonde, die kein Dezimalsystem kennen, ist die Wortgruppe »makumi mwanu na limo« natürlich ein fertiges linguo-mathematisches Idiom, das von ihnen automatisch als »sechzig« erfaßt wird. Ich konnte das selbstverständlich nicht, das Idiom selbst war für mich eine arithmetische Aufgabe: (10 x 5) + 10. Wenn ich »nicht mitkam«, das heißt eine Additions- oder Subtraktionsaufgabe nicht als erster löste, dann reagierte keiner. Wenn ich aber vor allen anderen mit einer falschen Antwort herausplatzte, dann kannte die allgemeine Begeisterung keine Grenzen. Selbst Mpagua schien beeindruckt zu sein, daß seine Zöglinge dem zugereisten, immer mit umgehängtem Fotoapparat herumlaufenden Mafuta überlegen waren. Für die Kinder aber war nicht mehr eine richti217
ge Antwort die Hauptsache, sondern sich über meine Fehler lustig zu machen. Meine Anwesenheit gefährdete also die pädagogischen Maßnahmen. Deshalb zwinkerte mir Mpagua beim nächsten Fehler, der mir unterlief, freundschaftlich zu, schlug sich mit der Handfläche leicht gegen die Stirn und meinte: »Vielleicht ist es für dich, So, doch besser, erst einmal schlafen zu gehen. Am Morgen ist der Kopf, wie die Luft, frischer!« Etwas beschämt schleiche ich zur Hütte von Nangonga. Der aber ist nicht zu Hause, denn natürlich ist der unermüdliche alte Mann zur Versammlung gegangen, wo heute, wie mir Mpagua gesagt hat, über das nach hiesiger Auffassung noch nicht »abgedroschene« Thema »Emanzipation der Frau« diskutiert werden soll. Vergessen aber hat mich der gute Alte nicht: Der Bettrahmen ist mit frischem festem Bast bespannt, der hier Metallfedern ersetzt, und daneben hat er auf einem Brettchen ein paar offenbar von Frauenhand zubereitete Speisen gestellt, die der alte Junggeselle wer weiß woher geholt hat: in einer Eisenschüssel eine große Teigkugel aus Maniokmehl, daneben ein holzgeschnitzter Krug mit Soße aus in Pflanzenöl zerstoßenen Erdnüssen. Von der großen Kugel, der »koi«, muß man kleine Stückchen abbrechen, sie in die Soße, die »mchowela«, tauchen und dann in den Mund stecken. Das ist bei den Makonde das tägliche Abendessen. Es ist gewöhnlich sättigender als das Mittagessen. Nach dem Mahl strecke ich mich behaglich aus auf dem nach Frische duftenden Bastbett. Wie viele interessante Legenden und hübsche Alltagsgeschichten habe ich schon von Nangonga gehört, wenn ich in seiner Hütte auf diesem Bett lag! Recht hatte Antonio da Costa, der nicht müde wurde zu wiederholen: »Wenn in Afrika ein alter Mann stirbt, bedeutet das, mit ihm ist eine ganze Bibliothek von niemandem gelesener Bücher verlorengegangen.« Womit hatte Nangonga damals begonnen, bei unserer ersten Begegnung, als der Regen mich volle zwei Wochen lang unter diesem Dach festhielt, weil die gesamte Umgebung unpassierbar und unbefahrbar geworden war? Natürlich hatte ich Nangonga gefragt, wer die Makonde sind, woher sein Volk stammt. Und der Alte hatte mir beim Trommeln des Regens mit monotoner Stimme, wie die Tradition das verlangt, eine alte Legende erzählt, die Makondeversion von der Erschaffung der Welt: 218
»Am Anfang gab es in der Welt Kuchanya — den Himmel, Liduwa — die Sonne, Mwedi — den Mond und Kundonde — die Erde. Und zwischen diesen lebte dort, wo er gerade wollte, Mwene Ndungu, der Große Geist, oder, wie die Mafutas sagen, Gott. Meist hielt er sich auf der Erde auf, weil alle möglichen Tiere auf ihr umherliefen und alle möglichen Bäume und Blumen auf ihr wuchsen. Unter all diesen aber trieb sich ein Wesen umher, das nicht seinesgleichen hatte. Und zwar deshalb, weil nicht Mwene Ndungu es geschaffen hatte. Dieses Wesen war schmutzig und behaart, schlief in Höhlen und zwischen Felsen. Es stand mit der Sonne auf, jagte und fing Fisch, aß Früchte, litt an nichts Mangel. Nachts kam das Wesen zu Tieren und Vögeln — es fühlte sich einsam auf der Erde und wollte irgend wem helfen.« »Dann war das vielleicht der allerallererste Schitani?« scherzte ich. »Auch du denkst also so?« entgegnete Nangonga lebhaft. »Mir scheint nämlich ebenfalls schon die ganze Zeit, daß jenes einsame Wesen, das nachts Gutes tat, niemand anders als der erste Schitani gewesen sein kann. Weil der nicht von Mwene Ndungu geschaffen worden ist, sondern ein Geist, Herr seiner selbst war. Irgendwann einmal habe ich diesen ersten Schitani sogar aus Holz geschnitzt: einen großen Kopf, aus dem ein Schwanz herauswuchs. Eine sehr komische Figur war das, ich habe sie später der FRELIMO übergeben.« Das hatte der alte Mann, als sei er in eine andere Welt übergewechselt, in einem ironisch-lebhaften Ton erzählt, dann aber murmelte er seine Legende weiter: »Später jedoch beschloß der Geist, sich selbst zu helfen. Von der Einsamkeit erschöpft, ergriff er ein großes Stück Holz und schnitzte daraus liebevoll die Figur einer schönen Frau. Er stellte sie sitzend dar, postierte sie vor seiner Höhle und legte sich schlafen, ohne ein Feuer anzuzünden. Nachts erwachte der Geist davon, daß ihm plötzlich warm wurde: Neben ihm lag die Frau, die lebendig gewordene Plastik. Aus Dankbarkeit dafür, daß der Geist sie geschaffen hatte, schenkte die Frau dem seltsamen Wesen ihre Liebe, verlieh ihm die Fähigkeit, zu denken und zu sprechen, das heißt, machte es zu einem echten Mann. So entstand auf der Erde das erste Ehepaar. Am Fluß vereinigten sie sich in Liebe, doch das erste Kind, das ihnen geboren wurde, starb. ,Ein schlechtes Vorzeichen ist das’, 219
meinte die Frau, ,laß uns in Gegenden gehen, wo trockenes Gras wächst, weit weg vom Fluß.’ Das taten sie, aber auch ihr zweites Kind starb. Da sagte die Frau wiederum: ,Wir müssen höher gelegene und noch trockenere Gegenden aufsuchen, wo dichtes Buschwerk wächst.’ Und so gelangten die ersten Menschen auf das Plateau. Dort wurde ihnen ein drittes Kind geboren. Und das blieb am Leben. Es war dies der erste Makonde. So nahm das Menschengeschlecht seinen Anfang.« Als ich so dem alten Nangonga zuhörte, überlegte ich, was wohl primär und was sekundär an dieser Legende sei. Auf alten portugiesischen Karten aus dem 16. Jahrhundert erstreckt sich das von Makonde bewohnte Territorium ja von der Küste des Indischen Ozeans bis zum Njassasee; einige Forscher vertreten die Ansicht, die Wurzeln der Kultur dieses Volkes seien im Kongogebiet zu suchen. Der portugiesische Ethnologe Gerreiro, der zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts im derzeitigen Siedlungsgebiet der Makonde erste Untersuchungen im Felde durchführte, zeichnete eine Legende auf, die davon berichtet, daß »die Makonde in jenes Land kamen, in dem sie jetzt leben«, nachdem sie eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den Weißen gehabt hatten. Das konnten aber nur Portugiesen gewesen sein, weil die Makonde beiderseits des Rovuma bereits auf ihren Plateaus lebten, als im 19. Jahrhundert die ersten Engländer und später die ersten Deutschen im Tal dieses Flusses auftauchten. Also mußte Nangongas Legende vor relativ kurzer Zeit entstanden sein. Sie spiegelt wohl am ehesten das Bestreben der Stammesführung wider, für den in einer bestimmten Periode der Entwicklung der Makonde-Gesellschaft erreichten Status quo eine religiös verbrämte Erklärung zu geben, vielleicht sogar den Widerstand jener zu brechen, die keine Notwendigkeit sahen, auf den steinigen Böden unter den Baumkronen des Miombowaldes ein zurückgezogenes Leben zu führen. Die Makonde machten immer neue Parzellen dieses steinigen Bodens für den Ackerbau nutzbar und brachten es fertig, recht gute Ernten an Mais, Sorghum, Maniok, Kürbissen und Hülsenfrüchten, Sesam und Erdnüssen einzubringen. Häufig lieferte nur der Morgentau ihren Feldern etwas Feuchtigkeit. Aber trotz allem war dies ein landwirtschaftlich genutztes Gebiet, das sogar Überschüsse an Nahrungsmitteln für den Handel mit den Nach220
barn erzielte. Schwierigkeiten gab es genug, doch die Makonde zogen ein friedliches und freies Leben auf ihrem felsigen Plateau der Unterdrückung durch die Kolonialherren vor, die sie erwartet hätte, wären sie in die fruchtbaren Niederungen hinabgezogen. So müssen die Frauen hier also morgens oft schon um vier, fünf Uhr aufstehen, hinunter zum Fluß gehen und dabei hin und zurück mindestens zwanzig Kilometer zurücklegen. Doch sie begehren nicht auf, gehorchen der Urmutter und verlangen nicht, daß die Siedlungen an den Fluß verlegt werden. Übrigens genießt der Mann bei den Makonde weit weniger »Privilegien« als bei den benachbarten Völkern. Es genüge der Hinweis, daß der erwähnten Legende zufolge eben »die Frau den Mann zu einem vernunftbegabten Menschen gemacht hat« und sie daher das Recht besitzt, sich einen Mann zu wählen. Die Makonde lehnen im Unterschied zu den muslimischen Nachbarn oder jenen Völkern, die den ihnen von den Zulu bzw. Angoni aufgezwungenen Brauch des Brautkaufs beibehalten haben, den Frauenkauf ab. Das traditionelle Recht der Makonde gibt den Eltern eines Mädchens keinerlei juristische Handhabe, es lediglich ihrem Willen gemäß zu verheiraten. Untreue des Mannes wird bei den Makonde ebenso hart bestraft wie sonst in ganz Afrika Untreue der Frau. Der Ehebrecher wird aus dem Haus gejagt und verliert nicht nur alle materiellen, sondern häufig auch die väterlichen Rechte. Die Verwandtschaft wird hier nur nach der mütterlichen Linie gezählt, und der Mann siedelt nach der Hochzeit in das Haus oder zumindest in das Dorf seiner Frau über. Anders ausgedrückt, all das erinnert an Matriarchat. Als Nangonga nun heute von der Versammlung zur »Emanzipation« zurückkehrte, die sich über fünf Stunden hingezogen hatte und erst nach Mitternacht zu Ende war, da kochte es in ihm förmlich vor Entrüstung. »Volk von Kriegern! Blutdürstige Makonde!« Mit diesen Worten kam er in seine Hütte gestürmt, ließ er, in seiner Manneswürde gekränkt, hier seinen Unmut an mir aus. »Sergio, sage mir bloß, hast du irgendwo schon einmal Krieger gesehen, die von Frauen kommandiert werden? Hätte sich auch nur ein einziger Mafuta einmal durch die Dornen auf unser Plateau hinaufgequält und, ohne Angst vor unseren Zähnen und Pelele zu haben, sich etwas aufmerksamer 221
umgeschaut, was hier los ist, dann wäre ihm aufgegangen — wir sind die sanftesten Menschen der Welt, weil uns Frauen regieren!« Dem etwas verworrenen weiteren Bericht Nangongas konnte ich dann entnehmen, was eigentlich sich auf der Versammlung zugetragen hatte. Ein von irgendwoher aus dem Süden angekommener junger Bursche hatte eine im »gesamtnationalen Maßstab« vorbereitete Lektion gehalten, aus der Nangonga und seine Dorfgenossen folgendes erfuhren: Bei vielen Stämmen befindet sich die Frau in untergeordneter Stellung, sie wird ausgebeutet, erhält keine leitenden Posten, sie wird durch die Vielweiberei gekränkt, usw. Von all dem hatten die Männer im Dorf jedoch keine Ahnung, es blieb ihnen also nur übrig, ihre »verpaßten Möglichkeiten« zu bedauern. Was die Bräuche der Makonde betrifft, so lobte der Vortragende sie sogar, gab damit Anlaß, daß der eine oder andere so etwas wie »Selbstkritik« übte. »Und wie seid ihr denn zu einem solchen Leben gekommen?« stachelte ich. »Hör mal, So! Habe ich dir nicht schon in jener ersten Nacht, als wir uns kennenlernten, erzählt: Eine Legende regiert uns! Ach, fast hätte ich’s vergessen: Ich habe für dich eine Frau aus dieser Legende gefunden...« Nangonga erhob sich ächzend von seiner Bettstatt und verließ splitternackt die Hütte. Nach etwa vierzig Minuten kam er zurück, war offenbar tief in den Wald hineingegangen. Im Schein der von ihm angeknipsten elektrischen Lampe sah ich, daß der alte Mann neben mir stand und eine über einen Meter große, aus hellem Holz geschnitzte Frauenfigur umfaßt hielt. Ich nahm sie in meine Hände und wunderte mich, wie leicht diese Plastik im Vergleich zu jenen kaum anzuhebenden Gegenständen aus Mpingoholz war, wie die Makondeschnitzer sie gewöhnlich herstellen. Sie war zudem im Unterschied zu den heutigen komplizierten Meisterwerken grob und primitiv gearbeitet. »Da!« sagte er triumphierend. »Erinnerst du dich noch, daß ich dir bei einem deiner früheren Besuche davon erzählte, wie jeder Makondemann seine Mutter achtet und daß er sie nach ihrem Tode als Gott verehrt?« »Ja, ich erinnere mich«, erwiderte ich. »Damals habe ich dir aber nicht erzählt, daß in früheren Zeiten jeder Sohn nach dem Tode seiner Mutter zum Omu, zum Wahrsager, 222
ging und diesen um die Erlaubnis bat, im Wald einen heiligen Ndjalebaum fällen zu dürfen. Aus dessen Stamm schnitzte er die Figur seiner Mutter und stellte sie für immer in seiner Hütte auf. Und wenn der Sohn sich auf einen weiten Weg oder auf Jagd begab, mußte er sich diese Figur auf den Rücken binden, damit das Auge des Geistes der Mutter ihn nicht aus dem Blickfeld verlor und ihn vor Behexung schützte.« Die Makonde verehren ihre Mütter wie wohl sonst nirgends in Afrika. Wenn es im Leben des Sohnes Krisen gibt, geht er zum Grab seiner Mutter, um sich dort Rat zu holen. Da die aus Holz geschnitzte Urmutter in sitzender Stellung gestaltet wurde, werden auch Frauen, die Kinder geboren haben, in der gleichen Stellung beerdigt. Die Makonde glauben, daß es ihnen so leichter falle aufzustehen, wenn sie wieder lebendig werden und zu ihren Angehörigen zurückkehren wollen. In vergangenen Zeiten trugen die Söhne Speisen zu den Gräbern ihrer Mütter, und wenn ihnen ein Kind geboren wurde, trugen sie es umgehend zum Begräbnisplatz, um es »der Großmutter zu zeigen«. Manche Ethnologen versuchen, an Hand dieser Bräuche, die die Bewohner des Mueda-Plateaus stark von den Nachbarstämmen unterscheiden, zu beweisen, daß in der Kultur der Makonde indonesische oder zumindest madagassische Elemente enthalten seien, entwickeln romantische Theorien, wonach die Urahnen der Makonde analog denen der Bewohner Madagaskars aus Polynesien gekommen seien. Das Studium der alten Makondekulte bereitet heute jedoch große Schwierigkeiten, denn Ndjaleholz ist ein sehr wenig widerstandsfähiges Material; eine aus ihm geschnitzte Plastik, die im Wald ständig von Insekten angegriffen wird und der Fäulnis ausgesetzt ist, hat daher kein längeres Leben als ein Mensch. »Woher hast du denn diese Figur geholt?« frage ich Nangonga. »Sie hat ständig im Wald gelebt«, antwortet er. »Es ist die Mutter des Häuptlings aus der Sippe, die unser Dorf gegründet hat. Eine solche Mutter beschützt alle, die im Dorf leben.« »Und wie verhält sich die Jugend zu solchen Skulpturen?« »Junge Leute, vor allem solche, die in Frelimo-Abteilungen gekämpft und Schulen besucht haben, die verstehen die Welt auf ihre Art«, meint der Alte nachdenklich. Und wie verstehen er und seine Altersgenossen sie? Eine solche Frage kann man natürlich nicht direkt stellen. Aus dem aber, was 223
ich aus unseren früheren nächtlichen Gesprächen erfahren habe, läßt sich folgendes schließen: Die meisten Makonde glauben, daß »Leben überall ist«, daß jedes Wesen und jeder Gegenstand nach seinen eigenen Gesetzen lebt. Sie meinen, der Mensch könne durch sein Verhalten, seine Handlungen, Gedanken ganz wesentlich seine Umwelt beeinflussen, indem er die Entwicklung der Ereignisse in die von ihm benötigte Richtung lenkt. Nicht zuletzt bezieht sich das auf die Wechselbeziehungen zu den Kräften des Jenseits und in erster Linie zu den Seelen der Ahnen, die, wie Nangonga behauptet, im Stamm weiterleben und sich aktiv in die Angelegenheiten der Lebenden einmischen. In der Regel erscheinen die Geister der Verstorbenen Verwandten und Bekannten im Traum. Träumen wird erstrangige Bedeutung beigemessen; oft werden sie im breitesten Kreis der Stammesbrüder diskutiert, um so auf die Seelen der aus dem Leben Geschiedenen »Einfluß zu nehmen«, wenn man eine Entscheidung getroffen hat, die den Interessen der Lebenden entspricht. Dieser Glaube an die Einheit von Realem und Jenseitigem sowie das daraus resultierende Bestreben, »die Wechselbeziehungen zwischen beiden Welten zu regulieren«, sind sehr wichtig für das Ver ständnis der Umweltempfindung der Makonde, besonders wenr. man berücksichtigt, daß sie das letzte Wort in einem solchen Dialog den Lebenden überlassen. »Geister kann man sich geneigt machen, überzeugen, überreden, bestechen und sogar überlisten«, verriet mir Nangonga irgendwann einmal, »denn sie sind wie Menschen.« Dieses Geständnis ist recht interessant; während die traditionell denkenden Malgaschen, die unbewiesenen madagassischen »Verwandten« der Makonde, sich von den Geistern ihrer Ahnen oft gängeln lassen, indem sie sich in ihrem eigenen Verhalten nach dem Inhalt eines Traums oder dem Rat bzw. Befehl des Weissagers richten, setzen sich die Makonde demgegenüber ständig mit den von ihnen erfundenen Geistern auseinander und zwingen diesen letztlich ihren eigenen Willen auf. Zu diesem Zwecke halten es die Makonde für notwendig, mit allen Methoden, die lebenden Menschen zugänglich sind, ihre Kontakte zu den Geistern zu festigen und aufrechtzuerhalten. Noch einmal zitiere ich Nangonga: »Ein Geist ist wie ein Mensch. Ist er gesund, ist er guter Laune und tut seiner Umgebung Gutes. Kommen jedoch Krankheiten oder Mißhelligkeiten über ihn, dann denkt er nur an sich und ist anderen gegenüber ungehalten. Deshalb müssen wir die von uns gegangenen Seelen lieben, sich um 224
sie kümmern.« Wie soll man sich da noch darüber wundern, daß die Makonde den Tod nicht fürchten? Er ist für sie nur der Übergang in einen Zustand, der ein ideales Verhältnis zu allen Stammesbrüdern garantiert. Meine Überlegungen wurden durch eine mächtige Explosion unterbrochen, die irgendwo in der Nähe ertönte. »So etwas habe ich nicht mehr gehört, seit wir die Portugiesen losgeworden sind«, meint der alte Mann. »Es hat wie eine Mine geklungen. Was aber mag es wirklich gewesen sein?« Während Nangonga sich ankleidet und dabei allerlei Vermutungen über das Geschehene äußert, ist auch schon das ganze Dorf auf den Beinen. Meiner Meinung nach ist der Lärm, der nun einsetzt, größer als der von der Explosion. Nach und nach aber verhallen die Stimmen: Alles läuft dorthin, wo etwas geschehen ist. In der eingetretenen Stille, die lediglich vom Zirpen der Zikaden unterbrochen wird, schlummere ich ein.
Die Mpiko verlassen die Garage Aber schon kurz vor der Morgendämmerung weckt mich das zunehmende Geräusch menschlicher Stimmen. Durch die offene Tür der Hütte sehe ich, wie aus dem Nebel, der den Miombo einhüllt, eine Menge Leute auftaucht. Sie gehen aus irgendeinem Grunde ziemlich langsam. Was aber ist das wohl für ein sonderbares Lebewesen, das da vor ihnen herläuft und das einem Menschen bis etwa zum Gürtel reicht? Vor einem Tier dieser Größe müßte man doch eigentlich fliehen! Doch da entdecke ich zu beiden Seiten des schmalen Tierkopfes zwei gewaltige Ohren — aha, ein Elefantenjunges! Ich springe von meinem Bett auf und gehe den Leuten entgegen. Da habe ich ihn vor mir, einen noch ganz kleinen, sich noch nicht ganz sicher auf den Beinen haltenden künftigen Riesen des afrikanisches Busches. Die Frauen treiben ihn ins Dorf. Mpagua erklärt mir: »Eine Elefantenkuh ist auf eine Mine getreten. Früher einmal wollten wir an jener Stelle ein Dorf errichten. Die Portugiesen beka225
men Wind davon und vergruben dort ein paar Minen. Zwei von ihnen sind bereits vor längerer Zeit explodiert, seitdem geht niemand mehr dorthin. Die Elefantenkuh aber ist jetzt auf eine getreten, ist verendet. Das Kleine ist höchstens zwei Monate alt.« Bei der unverzüglich einberufenen Versammlung wurde das Ereignis ausgiebig diskutiert. Aus den Debatten erfuhr ich, daß Elefanten nur sehr selten auf das Plateau hochkommen, manche dreißig-, vierzigjährige Dorfbewohner überhaupt noch nie einen zu Gesicht bekommen haben. Man beschloß folgendes: Die Stoßzähne des Muttertieres werden den Behörden in Mueda übergeben, das Fleisch wird verzehrt, und alle Nachbardörfer werden von dem Vorfall unterrichtet; mögen deren Bewohner an dem unvorhergesehenen Schmaus teilhaben. Das Elefantenbaby solle den Namen Nembo (in der Kikonde-Sprache »Elefant«) erhalten. Etwa fünfzehn Männer zogen in den Wald, um Stämme für ein Gatter für Nembo zu holen. Die übrigen versahen sich mit Beilen, Sägen, Macheten und machten sich auf. den Körper der Elefantenkuh zu zerlegen. Mpagua lud mich ein, mit ihnen zu gehen. Das durch die Explosion zerfetzte Tier und das ringsum verspritzte Blut erweckten einen schrecklichen Eindruck. Geier und Marabus hatten schon lange vor unserer Ankunft ihr Mahl begonnen, als sie jedoch die Menschen erblickten, flogen sie widerwillig auf und ließen sich auf den Wipfeln der benachbarten Bäume nieder, um dort auf ihre Stunde zu warten. Als wir schon fast bei der Kuh waren, krochen aus der in ihrer Brust klaffenden schrecklichen Wunde ein paar rote blutbeschmierte Hyänen heraus und trollten sich, wobei sie uns Ruhestörer mit einem bösen Zähnefletschen bedachten. Der Anführer des Rudels postierte sich auf einem alten Termitenbau und beobachtete uns von dort mit unverhohlener Feindseligkeit. Die übrigen verstreuten sich im Busch, und jedesmal, wenn sie auf einen durch die Explosion weggeschleuderten Fleischfetzen stießen, war lautes Gezänk zu hören. Die zahlreichen Insekten, besonders die Fliegen, dachten natürlich an keinerlei Rückzug, im Gegenteil, es kamen immer neue herangeflogen. Das Herauslösen der kleinen, kaum anderthalb Meter langen Stoßzähne bereitete keine große Mühe; anschließend gingen die Leute daran, den Rumpf des Tieres zu zerlegen. Bei Afrikanern ist das wichtigste dabei, die Leber zu erlangen, die nicht nur als Delikatesse gilt, sondern in gewissem Maße auch als rituelle Speise, durch 226
deren Verzehr Kraft und Weisheit des Tieres auf die Menschen übergehen sollen. Mit Äxten trennten die Männer daher den Bauch der Elefantenkuh auf, aus dem dabei geräuschvoll Gase entwichen, und begannen nun mit einer gewissen Besessenheit, als wenn sie Erz fördern wollten, in den Leib des Tieres einzudringen, bemüht, einander zuvorzukommen und so schnell wie möglich die begehrte Leber zu erreichen. Ich wartete das Ende dieser ganzen mir recht unangenehmen Prozedur nicht ab, sondern kehrte ins Dorf zurück, wo es jetzt ungewöhnlich still war: Sämtliche Männer waren mit der Elefantenkuh oder mit Nembo beschäftigt und die Frauen noch nicht vom Fluß zurück. Nur hinter den die Schule umgebenden Bäumen hervor hörte man Mpaguas Stimme und ab und zu Antworten der Kinder. Ich trat näher, bemüht, unbemerkt zu bleiben. Der Lehrer wollte ganz offensichtlich seinen Unterricht möglichst lebensnah gestalten und benutzte das nächtliche Vorkommnis, um über die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur zu sprechen, darüber, wie die Makonde den Wald lieben, der sie vor Eroberern geschützt hat. Er erklärte alles lebendig und anschaulich, nutzte dabei die Stammesmythologie, machte kein Geheimnis daraus, welchen Glaubensvorstellungen und Ritualen die Vorfahren noch in jüngster Vergangenheit anhingen, rief die Schüler auf, den Wald und seine Bewohner zu achten, in strenger Übereinstimmung mit den Gesetzen der Natur zu leben. Nein, der Lehrer rief keineswegs dazu auf, den Wald zu fetischisieren oder Waldgeister zu verehren! Sein Unterricht war vielmehr ein sehr interessanter Versuch, eine vernünftige Form der Koexistenz, einen Modus vivendi zwischen der traditionellen Denkweise der Makonde, die den Miombo als Gottheit verehren, und moderner Ideologie zu finden. Es war keine Rede davon, daß man die Herrschaft des Waldes anerkennen, sich ihm unterordnen solle. Diesen traditionellen Gedanken lehnte Mpagua ab und erklärte seinen Schülern, warum er falsch sei. Von Zeit zu Zeit trat bald dieser, bald jener Schüler an den Lehrertisch, ergriff die dort liegenden holzgeschnitzten Figürchen und erklärte, was sie bedeuteten. Dann wieder bückten sie sich und hoben aus Mpingo geschnitzte schwere Plastiken auf, zeigten irgend etwas und sprachen darüber, jedoch so leise, daß ich den Inhalt ihrer Antworten nicht erfassen konnte. 227
»Ich habe Sie gleich bemerkt, als Sie sich an uns heranschlichen«, sagte Mpagua und reichte mir die Hand, als der Unterricht beendet war und ich auf ihn zuging. »Wissen Sie, viele sind nicht damit einverstanden, daß ich beim Unterricht diese geschnitzten Figürchen und Skulpturen als Anschauungsmittel verwende. Irgend jemand hat sich sogar in Mueda und Maputo über mich beschwert und mich beschuldigt, ich ,ziehe die heutige Schule in die Vergangenheit’, bringe den Kindern bei, an Schitani zu glauben und Idole zu verehren. Was für ein Unsinn! So etwas tue ich natürlich nicht. Diese Plastiken sind Elemente unserer Kultur, hinter ihnen verbergen sich nicht nur Heidentum und archaische Rituale, sondern auch hohe moralisch-ethische Werte, die unser Volk in Jahrhunderten erworben hat, und ich halte mich nicht für berechtigt, sie unserer Jugend vorzuenthalten.« »Und wie ist damals Ihre Sache in Mueda und Maputo ausgegangen?« wollte ich wissen. »Nun, man kam hierher, wollte mich aus dem Amt jagen, jemand schlug sogar vor, mich in ein Umerziehungslager zu stecken. Doch als ich von hier wegfuhr, hatte ich vor dem Gespräch mit der Obrigkeit das fast auswendig gelernt, was Genosse Eduardo Mondlane über traditionelle Erziehung in Afrika gesagt hat. Und vor der allerhöchsten Instanz, wo mein Schicksal entschieden wurde, zitierte ich dann diese Gedanken von Mondlane. Man stand mir bei, diejenigen aber, die mir die Suppe eingebrockt und behauptet hatten, ich sei ein Reaktionär, erhielten einen ordentlichen Rüffel.« »Welches Zitat Mondlanes hat Sie denn gerettet?« »Der Gründer der FRELIMO äußerte den Gedanken, daß es in vorkolonialer Zeit bei vielen moçambiquischen Völkern ein System traditioneller Bildung gab, das in der Dorfgemeinde seine volle Berechtigung hatte, wurden dadurch doch vollwertige Mitglieder der Gesellschaft erzogen, diesen die Möglichkeit gegeben, Wissen zu erwerben und die Erfahrungen, die für ein selbständiges Leben erforderlich sind. Mondlane hat auch geschrieben, daß bei einigen Stämmen diese Unterweisung der heranwachsenden Generation recht gut organisiert war. Man brachte den Jugendlichen bei, sich widerspruchslos den allgemeingültigen Normen und Gesetzen des Stammes unterzuordnen, bereitete sie auf die harten Prüfungen des Lebens vor: Man ließ sie nicht sich ausschlafen, sie mußten schwere Arbeit verrichten, lange Märsche unternehmen, ohne jede Bequem228
lichkeit leben. Ziel solcher Unterweisung war es, eine moralische Abhärtung zu vermitteln und Fertigkeiten anzuerziehen. Bei einigen Stämmen lernten die in besonderen Gemeinschaften zusammengeschlossenen Halbwüchsigen auch die Grundzüge des traditionellen Rechts kennen. Damit die Jugendlichen sich das Wissen besser aneignen konnten, inszenierten die alten Männer vor ihnen Gerichtsverhandlungen. Die in den Gemeinschaften vereinigten Jugendlichen wurden auch mit Kunstgewerbe, Handwerken, landwirtschaftlichen Fertigkeiten und Jagdmethoden vertraut gemacht. Selbstverständlich hat Mondlane keineswegs das gesamte System dieser traditionellen Unterweisung idealisiert. Als er aber darüber nachdachte, wie im revolutionären Moçambique die neue, moderne Schule beschaffen sein müßte, da schrieb er, in ihr dürfe man die Werte unserer eigenen Kultur keinesfalls ignorieren.« Mpagua beantwortete einige Fragen von Schülern, übergab ihnen einen dicken Packen Hefte und nahm dann das unterbrochene Gespräch wieder auf: »Über all dies hat Mondlane mehr als einmal gesprochen und geschrieben. Ich habe damals in Maputo gefragt, ob im heutigen Mocambique die Jugend etwa nicht zu sittlichem Verhalten und zur Arbeit erzogen werden solle. Stehe das Heranführen unserer Jungen und Mädchen an die kulturellen Traditionen etwa im Widerspruch zur Revolution? Man antwortete mir, ich möge zu meinen Schülern zurückkehren und meine Arbeit ruhig fortsetzen.« »Und was ist über das traditionelle Unterrichtssystem speziell bei den Makonde bekannt?« fragte ich interessiert weiter. »So wenig ist es gar nicht, was man darüber weiß, denn vor der Schaffung von ,befreiten Zonen’ durch die FRELIMO in Cabo Delgado und anschließend eines modernen Bildungssystems war das traditionelle System die Hauptgrundlage für die Erziehung unserer Jugend. Der Unterricht war, wenn man es einmal modern ausdrükken will, in einzelne Abschnitte gegliedert und endete mit sechsmonatigen Kursen, die für Jungen und Mädchen eines größeren, einem besonders einflußreichen Häuptling unterstehenden Gebiets organisiert wurden. Die Jugendlichen absolvierten diese Kurse vor den Initiationszeremonien, die ihnen das Recht gaben, eine Familie zu gründen und vollberechtigte Mitglieder der Gemeinde zu werden. Vor diesem wichtigen Ereignis im Leben der Jugendlichen brachte man sie für nicht weniger als ein halbes Jahr in irgendeine Berg229
Schlucht oder einen unbekannten dichten Wald, wo allein schon die ungewohnte Umgebung, das natürliche Milieu gleichsam die Bedeutsamkeit des Geschehens unterstrich. Selbstverständlich hatten diese ,Waldkurse’ auch ihre negativen Seiten. Die Lehrer der Jugendlichen widmeten den rituellen Grundlagen des Stammeslebens, den ,Methoden der Wechselbeziehungen’ mit den Geistern der Verstorbenen sowie sexuellen Fragen mitunter zu große Beachtung. Jünglinge wurden schmerzhaften Prüfungen unterzogen, beispielsweise wurden ihnen Narben am Körper beigebracht, und sie mußten auch die Beschneidung über sich ergehen lassen. Diese Seiten in der Arbeit der ,Waldschulen’ lehnen wir natürlich entschieden ab. Seit den zwanziger Jahren nahmen die ,Männerkurse’ bei den Makonde immer mehr den Charakter ritueller Geheimgesellschaften an, ähnlich jenen, die es in Westafrika gibt.« »Spielte bei der Unterweisung in den Waldschulen die Plastik irgendeine Rolle?« frage ich. »Oder ist Ihr Versuch, sie im Unterricht zu verwenden, eine Neuerung?« »Aber nein, ich habe da nichts Neues entdeckt«, entgegnet Mpagua. »In unserer Gesellschaft, die keine Schrift besitzt, waren ja solche Figürchen aus Holz, manchmal auch aus Ton, neben den mündlichen Überlieferungen fast das einzige Mittel, um Informationen über unsere Geschichte, Traditionen und Kultur weiterzugeben. Außerdem bildeten sie tatsächlich anschauliche Lehrmittel. Sie wissen doch, daß fast jedes Werk traditioneller afrikanischer Kunst vor allem ein Symbol ist, das mitunter sehr komplizierte moralische, ethische, religiöse oder soziale Erscheinungen widerspiegelt. Sie in Holz darzustellen ist gar nicht einfach, und gerade deshalb rufen viele Makonde-Plastiken durch ihre Kompliziertheit, ihre Abstraktion der Realitäten Bewunderung hervor. Andererseits gibt es auch Erscheinungsformen des menschlichen Daseins, deren plastische Darstellung einfacher und am anschaulichsten in realistischer, dabei auch naturalistischer Form zu verwirklichen ist. Daher auch die zwei Richtungen in der modernen Makonde-Plastik: der im Westen gewöhnlich dem Abstraktionismus zugeordnete Stil der Schitani, der die geistige Welt des Menschen zum Ausdruck bringt, und die realistische Strömung, die die praktische Tätigkeit der Menschen widerspiegelt. Deshalb also war bereits seit alters jede Waldschule der Makonde 230
hervorragend mit einem Satz Plastiken der beiden Richtungen ausgestattet. Ging es zum Beispiel um die ehelichen Beziehungen zwischen Mann und Frau, dann verwendete man bewußt naturalistische Darstellungen. Sollten die Jugendlichen aber in die Geheimnisse der Kommunikation mit den Geistern, an die Rätsel des Jenseits und sonstige rituelle Themen herangeführt werden, griffen die Lehrer zu Plastiken im Schitani-Stil. Manchmal stellte man mehrere solche abstrakt geschnitzten Figuren auf den Boden, und die in die Geheimnisse Einzuführenden mußten nicht nur den Sinn jeder einzelnen Plastik erklären, sondern auch die möglichen Wechselbeziehungen ,vorhersagen’, in die Geister und Dämonen mit den verschiedenen Darstellungen aus Holz treten können. Jede Plastik hatte einen Namen, charakteristische Angewohnheiten, mit jeder mußte man in gebührender Weise reden, also allein für sie ,passende’ Sprichwörter, Redensarten und Scherzworte verwenden. Unter den früheren, vorrevolutionären Bedingungen war dies schon eine praktische Vorbereitung auf das Erwachsenenleben der Makonde, auf die ,Aufnahme von Beziehungen’ mit dem Jenseits sowie die Unterordnung der Wünsche der ,Geister’ der Entschlafenen unter den Willen der Lebenden.« Die während unserer ganzen Unterhaltung überraschend ruhig sitzen gebliebenen Jungen fingen plötzlich an zu lärmen und verkündeten die Rückkehr der »Leute von der Elefantenkuh«. Unter der Last riesiger Fleischbrocken gebeugt, schritten die Männer triumphierend auf den Dorfplatz und warfen dort die »Gemeinschaftsstücke« ab, den Rest trugen sie in ihre Hütten. Die Frauen machten sich sogleich daran, das Fleisch in schmale, lange Streifen zu schneiden und diese dort aufzuhängen, wo die Baumkronen des Miombo die Sonnenstrahlen durchließen. Die Männer begannen, nachdem sie sich gewaschen hatten, auf dem Platz einen großen Schmaus vorzubereiten. Fleisch stellt auf dem Speisezettel dieser kaum Vieh besitzenden Waldbauern eine große Seltenheit dar. Und eine so große Menge Fleisch, wie in der heutigen Nacht verzehrt werden sollte, wäre wohl für jeden Menschen einmalig in seinem Leben gewesen, ausgenommen vielleicht für Gargantua*. Das sehr feste und magere Elefantenfleisch lädt nicht gerade dazu * In der französischen Volkssage ein Riese, der unheimlich viel essen kann, mit Felsen um sich wirft, beim Wasserlassen Seen hinterläßt u. a. m. (A. d. R.)
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ein, daß man es in größeren Mengen verspeist. Diese Menschen hier aber, die nicht durch den Genuß von Kalbfleisch verwöhnt waren, aßen es mit wahrem Vergnügen, und eine gehörige Menge vom hiesigen »Nombe«-Bier steigerte noch ihren Appetit. »Sieh doch bloß einmal, wie gern uns die Frauen zu haben scheinen«, sagte Nafasi, einer der besten Holzschnitzer im Dorf, und umarmte mich dabei. »Nach den bei uns Makonde geltenden Gesetzen gehört nämlich alles Nombe im Dorf den Frauen. Und die haben uns noch mehr Nombe hingestellt, als wir ihnen Fleisch gebracht haben.« ,Ja, das wird eine fröhliche Nacht’, dachte ich so bei mir, als ich einem riesigen, aus einem ganzen Stamm gefertigten Faß mit Bier gerade noch ausweichen konnte. Zwei Burschen, die sich an dem berauschenden Getränk bereits gütlich getan hatten, rollten es zum Feuer. »Nombe« wird hier nur deshalb als Bier bezeichnet, weil der Missionar, der zu Beginn dieses Jahrhunderts ein KikondePortugiesisches Wörterbuch zusammenstellte, dieses »Bier« wahrscheinlich nie gekostet hat. In Wirklichkeit ist dieses Getränk ein selbstgebrautes Gesöff, das einen umwerfen kann; es wird aus Hirse zubereitet sowie aus wildwachsenden Früchten und Gräsern, die eine betäubende Wirkung haben. Nombe ist ein Getränk für wahrhaft starke Männer. Zu meiner Verwunderung war alles Fleisch auf dem Platz schon vor Mitternacht verschwunden. Besonders gesellig veranlagte Männer machten sich auf, um sich auch noch einen Happen von den »Familienstücken« abzuschneiden. Allerdings waren erheblich mehr Esser da als Einwohner im Dorf, denn von Zeit zu Zeit tauchten aus dem Wald Gäste auf. Jetzt verlangten die Frauen, daß getanzt wurde. Anderthalb Dutzend Tamtams sowie eine selten große Zahl tanzender Männer mit Mpiko-Masken begrüßten so den Anbruch des neuen Tages unter dem Miombo. Lustig klingelten ihre Glöckchen an den Fußknöcheln, als sie zwischen den Feuern tanzten, und alle Anwesenden klatschten, soweit ihre Hände nicht mit Fleischstükken zu tun hatten, dazu im Takt. Als ich mir dieses bunte Treiben so ansah, mußte ich unwillkürlich daran denken, wieviel Mühe es mich das erstemal gekostet hatte, Makondetänzer in ihren helmartigen Masken zu Gesicht zu bekommen. Es war dies 1975 gewesen, als die Bewohner des Nordens sowohl die Aggressionen der Kolonialherren als auch die Jagden der 232
Missionare auf die »teuflischen Maulkörbe« noch in frischer Erinnerung hatten. Damals hatte ich mich in Mueda an Dutzende von Leuten mit der Bitte gewandt, mir doch einmal Mpiko zu zeigen. Die einen betrachteten mich voller Mißtrauen, andere wiederum ließen Unverständnis erkennen, und noch andere sahen mich offen mißbilligend an, als sei ich ein Provokateur. Keiner wollte mir helfen. So mußte ich mich also an die örtliche Frelimo-Abteilung wenden, wo mir der Kommissar von Mueda schließlich Gehör schenkte. Die städtischen Makonde hatten, wie sich herausstellte, ihre Masken nicht in Wald, sondern, wie es sich für gute Konspiratoren gehört, direkt im Lager des Feindes versteckt, nämlich in einer Garage der portugiesischen Garnison. An jenem Abend nun strömten die Mpiko ins Freie und begannen nach langen Jahren erstmalig wieder zu tanzen. Ihre Rückkehr wurde von Muedas Einwohnern begeistert begrüßt; die meisten hatten von einem solchen wunderschönen Maskenkarneval, der da im Schatten des Miombo geboren worden war, zwar schon einmal gehört, aber noch nie in ihrem Leben einen gesehen. Nun erlebte ich die Masken also zum zweiten Male. »Sie haben Glück«, sagte Mpagua, der sich zu mir gesellt hatte. »So viele Mpiko auf einer Stelle findet man selten, und das, was hier geschieht, ist ein deutliches Zeichen dafür, daß die Maske bei uns ihre sakrale Bedeutung verloren hat, zum Attribut eines fröhlichen Festes geworden ist«.
So entstehen Meisterwerke Am folgenden Morgen erwachte das Dorf spät, und seine Bewohner verbrachten den ganzen Tag in einer Art Erstarrung. Selbst die Kinder, die sich hier ständiger Aufmerksamkeit und Sorge der Erwachsenen erfreuen, verhielten sich irgendwie stiller und spielten nicht ihre geräuschvollen, lebhaften Spiele. Die Mädchen holten ihre Puppen hervor, ihre »Wanambetscha«, wiegten sie in Schlaf, sangen dabei eine Art schwermütiges Wiegenlied. Die Jungen aber steckten ihre Puppen in eine zwischen zwei Pflöcke gespannte Doppelleine, drehten sie und schauten dann schweigend zu, wie sich der Strick wieder aufwickelte und das Spielzeug herumgewirbelt wurde. Eine 233
Wanambetscha besteht aus zwei langen Holzzylindern, die unten und oben mit einem Ledergurt zusammengeschnürt sind. Einen Kopf haben die Puppen nicht, aber die Merkmale ihres Geschlechts sind geradezu meisterhaft ausgeführt, weshalb die männliche Puppe gewöhnlich von den Füßen bis zum Gürtel in einen Lappen gewikkelt wird. Erst gegen Abend, als die Sonne die Wipfel der Bäume golden färbte, vernahm man am äußersten Ende des Dorfes ein Klopfen — die Schnitzer hatten mit ihrer Arbeit begonnen. »Hast mich wohl ganz vergessen, Sergio?« begrüßte mich Likaunda mit gespielter Unzufriedenheit. »Oder interessierst du dich nicht mehr für unsere Schitani?« Er stand auf, zog, ohne erst in die Hütte hineinzugehen, eine am Eingang liegende Plastik heraus und hielt sie mir hin. Sowohl auf Grund ihrer Größe als auch daran, wie sich an Likaundas Arm der mächtige Bizeps spannte, schätzte ich ihr Gewicht auf mindestens vierzig Kilo. Früher hatte ich aus Unerfahrenheit eine solche mir von den Schnitzerathleten hingehaltene Plastik ebenfalls mit nur einer Hand entgegennehmen wollen, sie aber nie halten können. Je nach den Umständen ließ ich das schwere Stück Mpingoholz entweder zu Boden plumpsen oder mich selbst mit hinfallen, um es nicht zu gefährden, wenn es mir zu sehr durchbrochen gearbeitet und zu zerbrechlich erschien. Das Unvermögen fremder Besucher, Größe und Gewicht einer solchen Plastik mit den eigenen Kräften in Einklang zu bringen, versetzte die Makonde stets in unbeschreibliche Begeisterung. Mit gespielter Nachlässigkeit und Leichtigkeit gehen sie mit ihren bis fünfzig Kilogramm schweren Schöpfungen um und hoffen, auf diese Weise die Gäste irrezuführen. Heute aber machte ich diese Freude weder Likaunda noch seinen Kollegen, die mich aus den Nachbarhütten beobachteten. Die Beine breit gespreizt, nahm ich die Skulptur von dem Meister mit beiden Händen entgegen und setzte sie sofort ab. So war es doch sicherer! Dann kauerte ich mich daneben hin und machte mich daran, das ziemlich dicke Stück Mpingostamm in Augenschein zu nehmen, das über und über mit Basreliefs kunstvoll ineinander verschlungener menschlicher Körper verziert war. Nach oben verjüngte sich der Stamm, die auf ihm dargestellten Körper streckten ihre Arme gen Himmel, und über ihnen erhob sich, als wollte es von dem Stamm 234
loskommen, wegfliegen, ein seltsames glotzäugiges Wesen. Das war ein Schitani. Die Vielfalt der auf seinem Sockel abgebildeten Sujets und Gestalten unterstrich gleichsam die Bedeutsamkeit der ganzen Plastik, während er, der gute Geist, die Eleganz und der Leichtsinn selbst war... »Das habe ich für dich geschnitzt, Sergio«, wendet sich Likaunda an mich. »Ich danke dir«, antworte ich und umarme ihn. »Eine so herrliche Plastik habe ich noch nie besessen. Tut es dir nicht leid, dich von ihr zu trennen?« »Jede Plastik ist ein Kind von mir«, erklärt er. »Und jedes Kind bringen wir zur Welt, um uns von ihm zu trennen. Ich freue mich, daß es in gute Hände gelangt.« Geld nimmt Likaunda für seine Meisterwerke von mir niemals an. Ich erinnere mich, wie er mir bei meinem ersten Besuch, nachdem ich eine ganze Woche an seiner Hütte zugebracht, ihn bei der Arbeit fotografiert und in all deren Feinheiten Einblick gewonnen hatte, zum Andenken eine geschnitzte Figur schenkte. Es war mir etwas peinlich, ein solches Geschenk anzunehmen, und ich versuchte, ihn zu bezahlen. Als Likaunda die hingehaltenen Geldscheine erblickte, spuckte er verächtlich über die Schulter und verkroch sich, ohne noch ein Wort zu sagen, in seine Hütte. Die nächsten beiden Tage grüßte er mich nicht einmal mehr, dann aber rief er mich, als sei nichts geschehen, zu sich, zeigte mir die inzwischen ohne mich begonnene Figur und sagte: »Ich denke so, Sergio. Geld tötet eine echte Plastik. Für Geld schnitze ich das, was seiner wert ist. Das ist plumpes Zeug, aber keine Arbeit. Für mich selbst aber und für meine Freunde mache ich das Holz lebendig. Natürlich kann man mir für ein so gutes Stück viel Geld geben. Dann aber würde bei mir die Versuchung aufkommen, nur noch solche Stücke zu schnitzen. Das aber würde den Tod für die Arbeit, den Tod für meinen Kopf bedeuten. Ich würde den Mpingo nicht mehr lebendig machen können; er lebt nur einmal — in der unwiederholbaren, mit nichts vergleichbaren Arbeit. Hast du jetzt begriffen?« Als ich dieses Mal in das Dorf fuhr, wußte ich ja, daß Likaunda mir erneut etwas schenken würde, und so nahm ich das mit, woran es den Bewohnern des Miombo immer mangelt und was sie nie zurückweisen: eine Schachtel Batterien für Transistorgeräte und eine Taschenlampe. Außerdem packte ich ein Dutzend Stemmeisen für 235
ihre Arbeit ein und ein paar Bänder aus ganz hartem Stahl, aus denen die Dorfbewohner Schnitzmesser und Raspeln von für sie erforderlicher Form selbst herzustellen vermögen. »Ja, das ist gut, So!« meinte Likaunda zufrieden, als er meine »städtischen Gaben« entgegennahm. »Prima! Jetzt wird’s uns gut gehen!« Likaunda hat sich hingesetzt, um eine neue, offenbar für den Markt bestimmte Figur zu schnitzen. Ein Hieb — ein glänzender, einem Stück Anthrazit gleichender Span fliegt zur Seite. Wieder ein Hieb — eine feine Linie entsteht. Hieb folgt auf Hieb! Bald hat sich der ganze Platz um Likaunda herum mit schwarzen MpingoSplittern bedeckt, die weit härter sind als Kohle. Aber der Mann schnitzt ohne Schwung. Er versenkt sich nicht in seine Arbeit, zieht sich nicht wie gewöhnlich von der Welt zurück, sondern schaut nach allen Seiten, unterhält sich mit den Nachbarn, als wolle er nach einem Anlaß suchen, dem ihn langweilenden Holz entwischen zu können. Schließlich wirft er das Werkzeug hin, spuckt aus und wendet sich an mich: »Da habe ich mich hingehockt, So, und nachgedacht: Was ist Glück? In den Städten sagt man — Geld, Frauen... Für mich aber bedeutet Glück — gute Beziehungen zwischen den Menschen, gutes Verhalten zueinander. Solche guten Beziehungen können uns sowohl Sicherheit als auch Wohlergehen oder Ideen für die Arbeit geben. Gestern habe ich wenig gegessen und noch weniger getrunken, bin aber voll von etwas anderem: von Eindrücken, Erinnerungen an Leute, denen ich in dieser Nacht begegnet bin. Einige hatte ich seit langem nicht mehr gesehen, andere überhaupt noch nicht gekannt. Ja, das ist das Interessante!« Likaunda schwieg, ließ die anthrazitfarbenen Mpingospäne von einer Hand in die andere gleiten. Dann rief er seinen ein bißchen pummeligen Sohn zu sich, bat ihn, etwas zu trinken zu bringen, und spielte erneut mit den Spänen. »Weiß du, Sergio, was ich täte, wäre ich ein großer Chef, wie ich den Menschen das Leben einrichten würde? Geld — ich spucke drauf! Was in den Städten in den Läden verkauft wird — ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen, und wie das alles heißt, ist für mich ebenfalls uninteressant. Wir hier leben im Wald — was haben wir da schon? —, aber wir sind glücklicher als jeder Städter. Ich würde das alles abschaffen — sowohl Geld als auch das, was man dafür 236
kauft. Und in der dadurch gewonnenen Zeit würde ich richtige Plastiken schnitzen. Ohne das geht es bei uns nicht. Der Schnitzer war doch vor allem anderen da, und aus seinen Schöpfungen entstand auch der Mensch. Das heißt, man muß auch so arbeiten, daß unter dem Schnitzmesser ein neues, dem Menschen ähnliches Wunder entsteht. Vielleicht in einem Monat, vielleicht in einem Jahr; ein mißglücktes Stück muß man wegwerfen, wegwerfen und ein neues beginnen. Aber es muß etwas Echtes, Einmaliges entstehen. Wie bei jenem unserer Ahnen, der in einer Höhle lebte und die Frau formte. Und weißt du, wofür ich die Zeit außerdem nutzen würde? Menschen kennenzulernen! Zu den Nachbarn würde ich gehen, in nahe und ferne Dörfer, mich mit den Leuten unterhalten.« Als ich Likaundas unerwartetem Ausbruch von Offenbarungen lauschte, stellte ich in Gedanken seine Worte der Charakteristik gegenüber, die der amerikanische Ethnologe Colin Turnbull in seinem Buch über die Sozialpsychologie der Waldbewohner Afrikas gegeben hat. Turnbulls Schlußfolgerungen sind das Ergebnis seiner Untersuchung des Lebens der Pygmäen am Ituri. Er schrieb, daß die Bewohner des Ituri-Urwaldes ihre ökonomischen Bedürfnisse auf ein Minimum reduzieren und den größten Teil des Tages der Kommunikation mit Menschen widmen: dem Besuch benachbarter Gruppen, Gesprächen am heimischen Herd, Spielen mit den Kindern, der Diskussion über Probleme, die sie als Individuen oder als ganze Gruppe zu bewältigen haben. Es bleibe Zeit auch für Erörterungen, bei denen nicht nur über Pläne für die tägliche Arbeit diskutiert, sondern durch die auch ernste Konflikte verhütet oder friedlich beigelegt werden, wodurch die Menschen Zwietracht vermieden. Wie der Ethnologe betont, rechnen die Waldbewohner so: Um gut und in Frieden mit dem Nachbarn und der eigenen Familie zu leben, muß man für den Umgang mit den Menschen genauso viel Zeit und Mühe aufbringen wie für die Nahrungssuche, den Bau von Hütten und die Herstellung notwendiger materieller Gegenstände. Man braucht kaum zu beweisen, welch große Weisheit in einer solchen Lebensanschauung steckt. Und ich mußte ein weiteres Mal daran denken, daß die in Ost- und Südafrika lebenden Europäer die Makonde immer als ein gewisses Phänomen, als ein »keinem anderen Volk gleichendes« betrachten, weil man in jenen unbewaldeten Teilen des Kontinents die Bewohner des Miombo stets mit ihren in Savannen und Halbwüsten leben237
den Nachbarn vergleicht. Sieht man den Miombo jedoch als Wald an, die Makonde also dementsprechend als Waldbewohner, dann stellen die Stämme des moçambiquischen Nordens keineswegs ein Phänomen dar, sondern eher eine Art »typische Vertreter« der Waldzone. Sowohl ihre Lebensphilosophie als auch ihr Kult der Ahnenverehrung sowie die matrimonialen Traditionen und der Charakter ihrer Siedlungsweise, der die Entstehung einer Oberschicht erschwerte, ferner die Isoliertheit von den Nachbarn und vieles andere, was die Makonde von den sie umgebenden Savannenvölkern unterscheidet, all das paßt gleichzeitig ausgezeichnet in eine »Waldzivilisation«. In Ostafrika ist die Maske im allgemeinen praktisch unbekannt, und die Holzplastik enstand erst in der letzten Zeit als Ergebnis des Handels. In Südafrika spielte Holzschnitzerei ebenfalls keine bedeutende Rolle im traditionellen geistigen Leben seiner Bewohner. An einer Nahtstelle dieser beiden Gebiete aber tauchte da ein Volk auf, das mit seiner Kunst der Maske und des Holzschnitzens solchen Zentren der Holzplastik wie dem Kongobecken und Westafrika sozusagen den Fehdehandschuh hinwarf. Wie konnte dies geschehen? Diese Frage stellen sich nicht nur unerfahrene Touristen, die etwa nach Maputo und Daressalam kommen, sondern auch manche Literaten und selbst Wissenschaftler, die über die Makonde schreiben oder ihre Kultur losgelöst von den gesamtafrikanischen Gegebenheiten studieren. Zählt man die Makonde jedoch zu den Waldbewohnern, dann hat alles seine Ordnung. Menschen, die den Wald für landwirtschaftliche Zwecke roden, seien hervorragende Plastiker, schrieb eine der größten Autoritäten auf dem Gebiet der afrikanischen Kunst, der Franzose Jacques Maguet. Gerade ihnen, so meint er, verdanken wir mehr als der ganzen übrigen afrikanischen Bevölkerung an Plastiken, die man lange Zeit irrtümlich für Fetische hielt. Sie stellten abstrakte, aber sehr lebendige Skulpturen von Männern und Frauen mit sonderbaren Proportionen dar, die jedoch ein einheitliches, gleichsam in der Bewegung erstarrtes Ganzes bildeten. Lege man auf eine Karte der Vegetationszonen Afrikas eine Karte mit dem Vermerk jener Punkte, an denen sich die traditionelle Plastik entwickelt hat, dann falle nach Maguets Meinung das große Waldgebiet meist mit dem der Plastik zusammen, auch wenn letzteres über die Grenzen der Waldzone hinausreiche. 238
Ein Morgen im Miombo. Über dem Boden wallt noch Nebel, die Luft ist rein und kühl, nichts deutet auf die Hitze hin, die in wenigen Stunden auch hierher, in den Wald, dringt. Auf den flachen Wipfeln der Brachystegien, die schon von den Strahlen der aufgehenden, noch milden Sonne liebkost werden, sammeln sich Scharen junger Turteltauben, die mit ihren kehligen Rufen den anbrechenden Tag begrüßen. Unter den Kronen der Bäume aber ist es noch dunkel und still: Die Frauen sind schon seit langem nach Wasser gegangen, und die übrigen Dorfbewohner scheinen bemüht, als wollten sie ihr Verhalten der Natur angleichen, deren Erwachen nicht zu stören. Kaum aber fällt das erste Bündel Sonnenstrahlen auf den Erdboden und läßt die Tautropfen glitzern, das grüne Gras wie im Scheinwerferlicht aufleuchten, da kommen aus den Hütten auch schon die ersten Menschen heraus, die durch ihre Stimmen und ihre Arbeit die Stille im Walddorf beenden. »Tuck, tuck, tuck!« hört man das Stemmeisen eines Schnitzers klopfen, der schon zu arbeiten begonnen hat, »tuck, tuck, tuck!« antwortet es von der anderen Seite. Und schon bald hört man im ganzen Dorf Laute, die davon künden, daß heute unter dem Dach des Miombo nicht nur ein einziges Meisterwerk entstehen wird. Ich gehe zu Likaundas Hütte und lasse mich wie immer im Schatten eines Busches nieder, der genau gegenüber der Stelle wächst, an der der Meister arbeitet. Heute hat er die noch unfertige, für den Verkauf bestimmte Plastik beiseite gelegt und unter den hinter seiner Hütte liegenden Holzkloben sorgfältig einen ausgewählt, offenbar in der Absicht, etwas Neues zu beginnen. »Likaunda, warum haben denn die Makonde erst vor fünfzig, sechzig Jahren angefangen, ihre Plastiken aus Mpingoholz zu schnitzen, während sie früher das weiche Ndjale bevorzugten?« frage ich. Likaunda schiebt die Kloben hin und her und schweigt lange. Dann läßt er das Holz wieder los und macht eine für die Makonde charakteristische Geste: Er schlägt sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn. »Muti, muti!«* entfährt es ihm voller Ironie. »Womit hätten wir denn das Mpingo schnitzen sollen? Weißt du nicht, daß dieses Holz fester ist als viele Steine? Und ist dir nicht bekannt, daß das von den * „Köpfchen, Köpfchen!“
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Makua und Yao vor langer Zeit hergestellte oder uns von den Arabern verkaufte Eisen nicht einmal einen Kratzer auf Mpingo hinterläßt?« Likaunda geht zu seiner Hütte, ergreift einen daran lehnenden Speer und stößt ihn kräftig in die weiße Rinde des Mpingo: Die Spitze dringt etwa zwei bis drei Zentimeter tief hinein. Dann zieht er ihn wieder heraus und versucht mit noch größerer Kraft, ihn in das schwarze Kernholz des Stammes zu stechen — die Spitze bricht mittendurch, auf dem Holz aber bleibt tatsächlich kein Kratzer zurück. »Begriffen?« fragt er. »Eisen, wie wir es früher hatten, kann es mit solchem Holz nicht aufnehmen, das Holz ist stärker. Mit Mpingo haben wir uns erst abgegeben, als die Mafutas uns Tschuma tscha pua* brachten. Doch auch das Ndjale haben wir nicht vergessen, ist es doch hervorragendes Holz für Masken. Und damit du begreifst, was eine Maske aus Mpingo bedeutet, bin ich bereit, eine für dich zu schnitzen. Und versuche dann einmal, eine ganze Nacht hindurch mit ihr zu tanzen!« »Das wird wohl eine seltene Maske werden, Likaunda. Vielleicht sollte ich ihretwegen Kopf und Hals im Tragen von Lasten trainieren?« »Der Kopf ist dem Manne gegeben, damit er denkt. Das werde auch ich jetzt tun. Vorerst aber störe mich nicht, So!« sagt er ganz ernst und sucht aus einem Haufen Kloben ein passendes Stück aus. »Jetzt werde ich mit dem Holz sprechen, nicht mit dir.« So sehr ich auch dahinterzukommen suchte, in welchem Sinne — in direktem oder übertragenem — der von allen Makondeschnitzern gebrauchte Satz »mit dem Holz sprechen« gemeint ist, es gelang mir ganz einfach nicht. Mag sein, er hat einen realen Hintergrund und enthält das nicht anzuzweifelnde Eingeständnis, daß die Form des Mpingostammes, die Windungen seiner Äste und die Stellung der Zweige, die wundervolle Verbindung der weichen weißen Rinde mit dem steinharten schwarzen Kernholz und schließlich dessen Maserung einem echten Künstler sowohl die Wahl des Themas als auch die einzelnen Elemente zu dessen Lösung vorgeben; vielleicht ist dieser Satz aber auch eine Widerspiegelung der rituellen Weltauffassung der Miombobewohner, die überzeugt sind, daß »überall Leben ist« und daß sie durch die Berührung mit ihrem Schnitzmesser den * „Tschuma tscha pua" ist im Kikonde und Swahili der Name für Stahl.
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»Baum wecken«, der dann selbst ihre Hand führt. Oder aber, was wohl am ehesten zutrifft, in den Köpfen dieser Waldphilosophen, die ja an die legendären Quellen ihrer virtuosen Beherrschung der Schnitzkunst glauben, gleichzeitig aber erklären, daß für sie die Arbeit am Holz ebenso selbstverständlich ist wie das Entstehen einer Pflanze aus dem Samen in gut gedüngtem Boden, vertragen sich in wunderlicher Weise materialistisches und »jenseitiges« Denken. Das Holz, aus dem die Urmutter der Makonde entstand, ist für jene noch immer heilig. Wenn allerdings heute die Männer in den Miombo gehen, um dort ein paar Mpingostämme zu fällen, wenden sie sich nicht mehr um Erlaubnis an den Omu, den Zauberer. Ehe sie jedoch die Axt in den Stamm schlagen, »entschuldigen« sie sich unbedingt beim Wald: Sie singen leise ein Lied, in dem sie den im Miombo verbleibenden Bäumen versprechen, »aus ihrem Bruder etwas zu machen, was noch nie jemand gesehen hat«. Und in der Regel erfüllen die Schnitzer ihren Schwur. Vielleicht muß man in der Furcht, diesen zu brechen, auch den Schlüssel dafür suchen, daß Makondeschnitzer, die in ihrem Heimatdorf arbeiten, kaum jemals bereit sind, eine von ihnen schon früher einmal geschaffene Plastik zu wiederholen, jene aber, die einfachere Figuren in größerer Stückzahl herstellen, es vorziehen, dies weit weg von ihren Heimatorten und vom Wald zu tun, dem sie versprochen hatten, Künstler und nicht Handwerker zu sein. Likaunda betrachtet lange und aufmerksam seinen Kloben, unterzieht ihn einer intensiven Untersuchung. Selbst die Kinder sind, als sie ihren in sein Werk vertieften Vater erblicken, verstummt und haben sich vorsichtshalber von der Hütte entfernt. Wer Likaunda bei seinem schöpferischen Suchen stört, zieht sich unweigerlich seinen Zorn zu. Das Antlitz des Meisters ist konzentriert, er hat die Augen zusammengekniffen, auf die Stirn sind sogar Schweißtropfen getreten. In ebendieser Periode der »Bekanntschaft des Schnitzers mit dem Holz« beschließt er auch endgültig, wie er das ausgedachte Sujet behandeln will. Ein erster Hieb! Likaunda hat zu arbeiten begonnen. Das ist zunächst noch ein rein mechanischer Prozeß — die Entfernung der Rinde. Aber es bedeutet, die Idee ist bereits ausgereift. Mit sicherer Hand schlägt der Schnitzer mit dem Hammer auf das breite Stemmeisen, entblößt so das edle mattschwarze Holz. Ringsum verbreitet 20-211
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sich ein angenehmer, fast schwindelerregender Duft, der von dem Mpingo ausgeht. Hieb folgt auf Hieb! Manche bürgerlichen Ethnologen behaupten, die Kunst der Makonde sei an einer »leeren Stelle« entstanden, ihre Entstehung zeitlich mit der avantgardistischer Strömungen in der Kunst des Westens zusammengefallen, und auf so unsicherem Fundament bauen sie ihre Hypothese auf: »Der Abstraktionismus ist seinem Wesen nach für das 20. Jahrhundert charakteristisch.« Die Kunst der Makonde hat jedoch jahrhundertealte tiefe Wurzeln und Traditionen, eine »Revolution« aber, dabei vor allem eine technische, hat in ihr lediglich das Schnitzmesser aus hochfestem Stahl bewirkt. Es gelangte auf das Mueda-Plateau, nachdem die Portugiesen eine Straße dorthin gebaut hatten. Eben zu diesem Zeitpunkt tauchten zunächst in den Souvenirläden von Beira und Lourenço Marques und später auch in den Antiquitätengeschäften von Indern in Daressalam die ersten »Schitani« aus schwarzem Holz auf. Vorbereitet wurde deren Geburt durch die jahrhundertelange Tradition des Schnitzens von Plastiken der Urmutter, von Mpiko-Masken, von rituellen Darstellungen, von »Lehrfigürchen«, durch die Herstellung von geschnitztem Hausgerät und schließlich durch die Eigenart der Psychologie der Makonde, die glauben, »der Schnitzer war als erster da«. Nangonga hat ausgeschlafen, gesellt sich zu uns, läßt einige an Likaundas Adresse gerichtete ironische Bemerkungen fallen, der nach des alten Mannes Worten »schon einmal ein solch wunderschönes Stück Mpingo verdorben hat«, und dann setzt sich Nangonga neben mich. Flüsternd, um die Arbeit nicht zu stören, teilt er mit, er könne nicht mehr als Schnitzer arbeiten, seine Hände würden zittern, und es fehle ihm an Kraft, das steinharte Holz zu bearbeiten. »Wie ist das, Nangonga, kann denn jeder Makondemann Figurenschnitzer werden?« frage ich. »Natürlich«, er nickt überzeugt. Völlig unbegabte Leute gibt es bei uns nicht. Wir werden geboren, um dem Holz neues Leben einzuflößen. Um jedoch ein so guter Schnitzer wie Likaunda zu werden, da muß man schon einem sehr gütigen Schitani begegnen und sich mit ihm fürs ganze Leben anfreunden. Dann wird der einem im Traum sagen, was zu tun ist und wie es zu tun ist. Mir sind im Traum, besonders in meiner Jugend, sehr häufig Dschinni erschienen. Die haben mich verhext, deshalb rede ich mehr, als ich arbeite.« 242
Die Makonde haben die Schaitan aus der muslimischen Mythologie der Araber zu Schitani gemacht. Der Schaitan ist der Teufel, der biblische Satan, im allgemeinen eine recht negative Figur. Unter dem Dach des Miombo aber ist er irgendwie zu einem gutmütigen Wesen, zu so etwas wie einem Engel geworden, der vom Schaitan einen einzigen Charakterzug geerbt hat — er erscheint Dichtern im Traum, damit sie dann bei Tage die Worte wiederholen, die ihnen nachts eingegeben worden sind. Böse Schitani treten bei den Makonde sehr selten auf und werden letzten Endes stets besiegt. Was aber die »Dschinni« betrifft, die aus den islamischen Dschinn entstanden und die bekanntlich imstande sind, Gutes zu tun, so gelten sie bei den Makonde ausschließlich als Träger des Bösen. Es gibt eine exakt systematisierte Hierarchie dieser guten und bösen Geister; alle haben ihren Namen und nach den Vorstellungen der Makonde auch ihre »Einflußsphäre«, die für diese so klar und genau bestimmt ist wie für die alten Griechen die »Einflußsphären« der Erinyen, Moiren, Echidnen, Nymphen, Titanen, Zyklopen, Amazonen und so weiter. Ihre Namen — Kifuli, Nandenga, Kisarawe, Ukunduka, Tschipinga, Adinkula, Mbilika, Kibwerge — klingen für unser Ohr ungewöhnlich, aber im Miombo kennt sie jeder. Man braucht Nangonga nur nach den sich hinter diesen Namen verbergenden Geistern zu fragen, und schon beschreibt der alte Mann ihr Äußeres, erzählt von ihren Gewohnheiten, ihrem Verhalten und ihren Launen, als seien sie seine Busenfreunde. Bei den tansanischen Makonde ist zum Lieblingsthema ihres Schaffens die Darstellung von guten Taten der Schitani und vor allem von deren amourösen Streichen geworden, bei denen sie sich ganz wie Menschen aufführen. Auf dem Mueda-Plateau verhält man sich den Schitani gegenüber zurückhaltender, und derbe Liebesabenteuer interessieren hier überhaupt nicht. Hier stellt man sie meist als Waldgeister dar, die nicht selten Tiergestalt annehmen, mitunter aber überhaupt als körperlose Wesen. In letzterem Falle charakterisiert der Schnitzer den Schitani durch nur zwei, drei willkürlich miteinander verbundene menschliche Körperteile, die seiner Ansicht nach die wichtigste Rolle für das Ausdrücken des Sinns des Sujets spielen. So brachte mir Mwanshema, ein hiesiger Schnitzer, einmal die Figur einer Schitanifrau. Sie bestand aus zwei gewaltigen Augen, in die Kontur eines menschlichen Kopfes hineingeschnitzt, wobei der Schnitzer anstelle der Augäpfel zwei volle weibliche Brü243
ste dargestellt hatte, aus denen Tränen flossen. »Was bedeutet denn das?« fragte ich Mwanshema. »Das ist die gute Schitani Andauka, die auf die von der Dürre heimgesuchen Felder blickt und traurig darüber ist, daß nicht alle Kinder in diesem Jahr etwas zu essen haben werden«, erklärte er mir in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Und wenn eine Figur schon als Ganzes dargestellt wird, dann können die Proportionen des menschlichen Körpers völlig willkürlich verändert worden sein. Der Schnitzer ignoriert die Realitäten und scheint sich auf den ersten Blick wenig um die ästhetische Seite der Sache zu kümmern, rückt vielmehr das Wichtigste in den Vordergrund, ordnet alles andere diesem unter. So besitzen »weise Schitani« unbedingt riesige Köpfe, während Schitani, die Krieger beschützen, mächtige Hände aufweisen, die ihre Körperkraft symbolisieren. »Der Körper, das ist nur die äußere Hülle, in der stets entweder Verstand oder Sinnlichkeit oder Kraft eingefangen ist«, verkündete mir eines Nachts Nangonga. »Weshalb sollte der Meister Zeit auf die Darstellung dessen verschwenden, was ohnehin nichts bedeutet?« »Nangonga, du weißt doch, was Likaunda da schnitzt?« frage ich ihn. »Aus einem so langen Stamm kann man nur eins schnitzen, einen Lebensbaum«, erwidert der Alte voller Überzeugung. »Beispielsweise so einen, wie er ihn dir gestern geschenkt hat. Likaunda hat wie auch ich in jener Nacht wahrscheinlich viel Fleisch gegessen und ist deshalb wenig gesprächig gewesen. Er hat dir ja nichts von diesem ,Baum’ erzählt.« »Im Gegenteil, Likaunda ist sehr gesprächig gewesen«, wende ich ein. »Aber von dem ,Baum’ hat er mir wirklich nichts erzählt.« »Also habe ich wie immer recht«, schließt der alte Mann befriedigt. Mit einer Handbewegung holt er einen vorbeigehenden kleinen Jungen heran und gibt ihm den Auftrag, aus seiner Hütte die mir geschenkte Plastik zu bringen. »Wenn du schon etwas erzählen willst, dann rede lauter«, läßt sich plötzlich Likaunda vernehmen. »Sonst wirst du noch alles durcheinanderbringen !« »Meinst du etwa mich!« entgegnet der Alte gespielt beleidigt. »Ich könnte sogar, ohne zu dir hinzukommen, erzählen, was du da gerade schnitzt.« 244
»Das können doch alle«, winkt Likaunda ab. »Außer mir«, korrigiere ich ihn. »Er schnitzt jetzt eine Mutterfigur«, sagt der Alte mit Bestimmtheit. »Woher weiß du das?« »Likaunda hat doch sogar selbst zugegeben, daß das allen bekannt ist. Weil ein Schnitzer seine Arbeit am Baum des Lebens immer mit einer Darstellung der Urmutter der Makonde beginnt, die er in den Mittelpunkt aller Figuren rückt. Das ist Gesetz. Dann aber kann jeder schnitzen, was ihm so einfällt.« Der Junge kehrt mit der Plastik zurück. »Siehst du, auch hier ist die Mutter im Zentrum untergebracht«, zeigt mir Nangonga, der die geschnitzte Figurenreihe mustert. »Darunter hat Likaunda die dargestellt, die vor ihm lebten. Schau, die Gesichter aller Leute sind tatauiert, alle Frauen tragen ein Pelele in der Lippe. Neben den Menschen im unteren Teil der Skulptur gibt es viele böse Dschinni — früher hat es davon im Wald, wie man erzählt, mehr als jetzt gegeben. Die Leute kämpfen gegen sie, um zu überleben. Siehst du, wie verflochten, miteinander verbunden die menschlichen Körper sind. Aus dem einen scheint gleichsam ein anderer herauszuwachsen: Eine Generation gibt das Leben an die nächste weiter, setzt so das Geschlecht der Makonde fort. Deshalb nennen wir solch eine geschnitzte Säule ,Baum des Lebens’. Habe ich das richtig erklärt, Likaunda?« »Völlig richtig. Erzähle weiter!« »Da! Über der Mutter sind nun die Menschen dargestellt, die uns heute umgeben. Wie du siehst, sind ihre Gesichter glatt, viele halten Hacken oder Bücher in den Händen. Sie sind nicht mehr so zornig wie früher, haben aufgehört zu kämpfen, aber begonnen, mehr zu denken. An die Vergangenheit erinnert nur noch dieser einzige tatauierte komische Alte. Siehst du, wie abstoßend er wirkt? Und seine Hauptbeschäftigung ist Schwatzen. Nicht zufällig hat Likaunda ihm eine so lange Zunge verliehen. Ich nehme an, das ist der Schitani, der ihm wegen seines Geschwätzes nachts nicht schlafen läßt. Ein alter Bösewicht!« »Du bist das, Nangonga!« wirft Likaunda unvermittelt ein. Ich schaue den alten Mann an, dann die Gesichtszüge auf dem Basrelief und schweige verlegen: Die Ähnlichkeit ist verblüffend. »Das kann doch nicht wahr sein«, murmelt Nangonga verärgert. 245
»Hast dich nur lange nicht mehr im Spiegel angeschaut«, zieht ihn der Schnitzer auf. »Bei mir in der Hütte treibt sich irgendwo noch so eine Scherbe herum, geh hin und guck hinein!« »Das werde ich nicht«, weist der Alte den Vorschlag entrüstet zurück und betrachtet erneut die Plastik. Plötzlich erhellt ein Lächeln sein Gesicht. »Und diese Figur da mit der bösen, ränkesüchtigen Fratze, die über allen das Schnitzmesser schwingt, das bist wahrscheinlich du, Likaunda?« fragt er. »Selbstverständlich, Nangonga.« »Na, da will ich mich nicht beleidigt fühlen. Bist doch ein rechtschaffener Mann und ein großer Schnitzer dazu. Ich habe auf dieser Plastik auch deine Frau entdeckt, dann den Dorfältesten Ateisi, den Lehrer Mpagua und deinen Hauptkonkurrenten Mwanshema. Die unangenehmsten Gesichtszüge aber hast jedenfalls du. Ja, so ist es!« Diese beiden Männer stimmen ein fröhliches Lachen an. Ich aber sehe den »Baum des Lebens« nach diesem Gespräch gleichsam mit anderen Augen, von ganz anderer Position aus, habe begriffen, daß sich hinter den von vielen Leuten für »phantastische Abstraktionen« gehaltenen Plastiken der Makonde das Leben selbst verbirgt, aus dem sie auch die zahllosen Themen für ihre erstaunlich mannigfaltigen Werke schöpfen. Wie jede andere wahre Kunst ist die Makondeschnitzerei nicht statisch. Unter den neuen Bedingungen hat sie einen ausdrucksvollen Dynamismus der Formen erlangt, der die heutigen Erzeugnisse der Miombo-Schnitzer so deutlich von der traditionellen afrikanischen Plastik insgesamt unterscheidet. Mir fiel da auch noch ein, daß früher, in den sechziger Jahren, bei den in Nairobi und Daressalam auftauchenden Makonde-Plastiken die Angst des frühgeschichtlichen Menschen vor dem Ungewissen des Daseins und die Furcht vor den geheimnisvollen Kräften der Natur überwogen. Das Hauptziel bei der Schaffung ihrer geschnitzten Meisterwerke bestand für sie damals noch darin, die alten Mythen zu illustrieren, ihre Haupthelden gleichsam in Holz zu vergegenständlichen. In der Zeit des Kolonialismus erschien den Makonde die ganze Welt ihnen feindlich gesinnt, und daher bildete das Hauptthema ihrer Werke der Kampf ums Überleben des von bösen Geistern und wilden Tieren umgebenen Menschen. In den Jahren des Partisanenkrieges, der Erlangung der Freiheit und des Anschlusses der Makonde an das moderne Leben in Moçambique hat sich ih246
re Plastik aus einer Kunst, die eine jenseitige Welt zu fixieren suchte, in eine Kunst verwandelt, die der realen Welt zugewandt ist und sich bemüht, von dieser Welt zu erzählen, sie zu verändern. Sind Likaundas Versuche, in seiner Arbeit Elemente der Satire oder Kritik in bezug auf seine Stammesgenossen zu nutzen, nicht Beweis dafür? Als Erben großer Traditionen, die bis in legendäre Zeiten zurückreichen, haben die Makonde bereits einen Umschwung in der afrikanischen Kunst vollbracht. In den letzten vierzig, fünfzig Jahren ist von den Bewohnern des Miombo eine neue Plastik geschaffen worden, die bei anderen Völkern ihresgleichen sucht. Das ist nicht etwa nur meine persönliche Meinung, sondern eine allgemein vertretene, die auch von weltbekannten Autoritäten und Kennern von Kultur und Traditionen der Völker Afrikas geteilt wird. Geht man von der Prämisse in der Mythologie der Makonde aus, daß der »Schnitzer ein Schöpfer ist« und daher »alles kann«, daß es seine Aufgabe und heilige Verpflichtung ist, »das zu schaffen, was noch niemals war«, dann haben sich die Meisterschnitzer der Makonde niemals in den Rahmen des Kanons zwängen lassen, der die traditionelle Kunst bei anderen afrikanischen Völkern stets so stark gefesselt hat. Was war und bleibt am charakteristischsten für diese kanonische Kunst? Der direkte, frontale Blick des Künstlers auf die eigenen Schöpfungen. So betrachtet, sind jede afrikanische Maske und die überwiegende Mehrzahl der Plastiken En-face-Darstellungen. Die Makonde allerdings haben sich erkühnt, ihre Helden unter jedem Blickwinkel, von jedem möglichen Standpunkt aus zu betrachten und sie in jeder Perspektive zu schnitzen. Die traditionelle Plastik war immer ein Symbol, sie wurde auch dazu geschaffen, um das Typischste, Bleibendste und Unwandelbarste hervorzuheben. In voller Übereinstimmung mit einem solchen Inhalt mußte die Form der Maske statisch sein. Die Makonde aber haben das Element des Sujets, der Aktualität in ihre Kompositionen eingebracht, was Ausdruckskraft und Dynamismus verlangte. Der Charakter des Sujets hat eine weitere Neuerung bewirkt. Fast überall ist die afrikanische Plastik (ganz abgesehen von der Maske) eine Personifikation des Individuums, bestenfalls die kanonisierte Darstellung von Mann und Frau. Die Makonde jedoch haben sich als wahre Meister von »Massenszenen« in der Holzplastik erwiesen, in denen alle Helden in Wechselbeziehung zueinander stehen. Anstelle der traditionellen aus einem ganzen Stück gefertigten, häufig 247
sehr schweren klassischen Werke afrikanischer Kunst, die durch ihre Massivität gewissermaßen die eigene Bedeutsamkeit unterstreichen, sind aus dem Miombo zusammen mit dem »Schitani-Stil« plötzlich in die afrikanische Kunst durchbrochen gearbeitete und leichte Konstruktionen eingeführt worden. Und schließlich haben die Makonde kategorisch auf die bei vielen afrikanischen Völkern angewandte Färbung der Holzplastik, auf die Verwendung von Tierfellen und -zähnen, von Pflanzen, Fasern oder Muscheln für dekorative Zwecke verzichtet. Holz, und nur das, das »heilige Holz«, ist das einzige Material, das die Makonde anerkennen. Virtuos nutzen sie die wundervolle natürliche Verbindung von weißem und schwarzem Mpingoholz aus sowie die Wechselwirkung von polierten und unpolierten Holzflächen, deren edle matte Faktur, das Spiel von Licht und Schatten und erreichten so treffende Ausdruckskraft und Dynamismus. Und in erster Linie darin unterscheidet sich die neue Plastik der Makonde, die kühn mit den in Jahrhunderten auf dem Kontinent erarbeiteten ästhetischen Normen gebrochen hat. Gegenwärtig reift meiner Ansicht nach auf dem Mueda-Plateau ein weiterer Umschwung in der afrikanischen Kunst heran. Diesmal betrifft er nicht deren Formen, sondern den Inhalt. Nachdem die Makonde die Darstellungen ihrer Geister »entkanonisiert« und jedem Schnitzer die Möglichkeit gegeben hatten, bis zur Grenze seiner individuellen schöpferischen Phantasie Schitani zu gestalten, taten sie einen ersten Schritt in diese Richtung. Dann »modernisierten« sie ihren »Baum des Lebens« insofern, als auf der einst rituellen Säule, die traditionsgemäß nur Bewohner des »Jenseits« zeigte, nunmehr nicht bloß real existierende Menschen auftauchten, sondern auch Attribute der Gegenwart — Bücher, Gewehre, Maschinen. Sie verliehen jetzt den alten Themen und Formen einen neuen Sinn, revolutionierten so ihre Kunst, die sie häufig mit einem ganz anderen, jede Mystik entbehrenden Inhalt erfüllten. Likaunda, der sich nun ganz seiner Arbeit hingab, hatte Nangonga und mich von unserem Busch weggescheucht, und wir schlenderten an einigen Hütten vorbei, in denen andere Schnitzer des Dorfes arbeiteten. Die wichtigste Schlußfolgerung, die sich mir aufdrängte, als ich mir ihre Werke betrachtet hatte, war die, daß das neue Leben auch einen neuen Helden in die nationale Kunst eingeführt hat. Von ihm, von seinen Prüfungen und Leiden, seinem Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit erzählen die meisten der hier geschaffenen Ar248
beiten. Dieser Held ist die verallgemeinerte Gestalt des neuen, erwachenden Afrika. Der ehrwürdige Mwanshema schnitzte an einer gewaltigen Holzsäule »Vergangenheit meines Landes«, eine Art Epos aus Holz. Auf ihr lösten von unten nach oben, wie auf einer historischen Spirale, Vasco da Gama und Könige von Monomotapa, portugiesische Konquistadoren und arabische Sklavenhändler, Kolonisatoren und Kollaborateure einander ab. »Sie alle erwartet das Gericht des Volkes, das ich ganz oben auf der Säule darstellen werde«, erklärte Mwanshema. Ich betrachtete das Zentrum der Plastik: Anstelle einer Frauengestalt waren dort die Konturen der Mutter Heimat, also von Moçambique, herausgearbeitet. In Mpungus Hütte sahen wir uns eingehend bereits zum Versand nach Maputo fertig gemachte Holzfigürchen von Partisaninnen an, die auf ihrem Kopf statt des traditionellen Wasserkrugs Ausrüstungsgegenstände trugen, ferner alte Männer mit Gewehren, Mädchen mit Büchern und Soldaten mit Hacken. Sein Nachbar Mtindu hatte sich eine für die hiesigen Meister neue Art des Schnitzens angeeignet — ein Basrelief auf einem mühevoll aus einem Mpingostamm herausgesägten leicht konkaven Brett. Auf diesem sah man groß dargestellt glückliche, lächelnde Menschen, Vertreter der Völker Moçambiques in ihren Nationaltrachten. Hinter diesen Darstellungen ließen sich der Puls des Lebens, Tanzrhythmen erahnen. Die Zeit war rasch verflogen, der Tag gekommen, an dem ich das Dorf verlassen mußte. Bis Mueda wollte Mpagua mit mir zusammen fahren, der Lehrer hatte einiges im Kreiszentrum zu erledigen. Auf dem Wege dahin machten wir mehrfach in Siedlungen halt, und überall sahen wir Schnitzer bei der Arbeit, bestaunten wir die vielen Skulpturen, die unter dem Dach des Miombo entstanden waren. »Ich glaube nicht, daß es übertrieben ist, wenn ich behaupte, in den letzten Jahren ist die Kunst der Holzschnitzer zur wichtigsten und deutlichsten Offenbarung des geistigen Lebens meines Volkes geworden«, ließ Mpagua sich vernehmen, als denke er laut nach. »Und auch der Holzschnitzer selbst ist zu einer zentralen Figur des Dorfes, zum meistgeachteten Menschen geworden. Und keinesfalls deshalb, weil seine Arbeit der Gemeinschaft recht gute Einkünfte bringt. Hauptsache dabei ist vielmehr, daß die Stammesbrüder 249
durch seine Augen, seine Hände die Möglichkeit erhalten, zum Ausdruck zu bringen, wie sie die Welt sehen, und anderen dies mitzuteilen. Die wahren, schöpferisch arbeitenden Meister genießen heute bei den Makonde ein ungewöhnlich hohes Ansehen. Man beginnt zu begreifen, daß man in der ganzen Welt die Makonde gerade nach ihrer Kunst beurteilt.« »Und das äußert sich auch darin, daß zum ersten Male in der jahrhundertealten Geschichte der afrikanischen Kunst die Schnitzer bei den Makonde nicht mehr namenlos bleiben«, greife ich des Lehrers Gedanken auf. »Die traditionelle Gesellschaft hat den Künstler niemals als Individuum anerkannt, hat nicht nur die Namen der Maskenschöpfer, sondern auch den Prozeß der Entstehung dieser Masken geheimgehalten. Heute ritzen auf sehr vielen Plastiken die Schnitzer schon ihre Initialen, mitunter sogar den ganzen Namen ein. Die Namen so virtuoser Schnitzer wie die Tansanier Matei und Chibango, die bereits in den Jahren des Kolonialismus nach Daressalam übergesiedelt sind, die Moçambiquer Raschid ben Mohamed und Kaschmiri Matayo, die hiesigen Schnitzer Likaunda und Aberi sind heute schon weit über die Grenzen ihrer Heimatländer hinaus bekannt.« Für mich war es interessant, vom Mpagua zu erfahren, worin er als Vertreter der sich herausbildenden Makonde-Intelligenz die Ursachen für diese ganz offensichtlichen und mit jedem Jahr sich verstärkenden Unterschiede in der Kunst der tansanischen und mocambiquischen Makonde sieht. Wie ist es bei den Schnitzern in den Vororten von Daressalam zu dieser Explosion der »Liebesthematik« gekommen? Und weshalb finden westliche Erforscher der Makondekunst, mitunter nicht ganz ungerechtfertigt, in deren Schaffen bald »Reminiszenzen an Bosch«, bald einen Nachhall des Einflusses des modernen Expressionismus und Naturalismus? »Wissen Sie, für mich gibt es auf diese Fragen nur eine Antwort«, erwidert der Lehrer. »Ich bin überzeugt, daß jene Schnitzer, die in der Abgelegenheit des tansanischen Makonde-Plateaus arbeiten, etwa das gleiche und genauso schnitzen wie unsere Schnitzer auf dem Mueda-Plateau. Hier, in ihrer heimatlichen Atmosphäre, im Lande der Urmutter, wagt es niemand, so erotische Kompositionen zu schaffen, wie sie in den ostafrikanischen Hauptstädten für horrendes Geld verkauft werden. Weiter weg von der Heimat können manche Schnitzer, die sich der geistigen Kontrolle durch ihre Stammes250
brüder entzogen haben, der Verlockung eben nicht widerstehen, anstößige Schitani-Darstellungen zu schaffen. Die haben jedoch, außer der Form, nichts mit den Traditionen der Makonde gemein. Viele dieser Schnitzer haben mir erzählt, daß ihnen die »sexuelle Thematik« von Großhändlern und Besitzern großer Geschäfte, die aus der Diskreditierung unserer Volkskunst Profit schlagen wollen, sozusagen souffliert worden ist. Häufig schiebt man dem Schnitzer diskret eine Skizze zu, die in Kopenhagen oder Rom angefertigt worden ist, und deren konkrete Gestaltung in Mpingoholz gibt man dann für etwas Originales aus...«
Ibo — Alto Ligonha — Quelimane Von Mueda aus führt die Hauptstraße nach Süden. Sie ist bald asphaltiert und läßt dann ein zügiges, angenehmes Fahren zu, bald rüttelt sie mit ihren gigantischen Schlaglöchern und Spurrinnen alle Innereien des Autofahrers richtiggehend durcheinander. So schlängelt sie sich über mehr als zweieinhalbtausend Kilometer hin und mündet schließlich in das Netz der Straßen von Maputo. Es ist dies die Straße, die vom Rovuma bis zur Hauptstadt das ganze Land durchzieht. Wollte ich mich auf die Beschreibung dessen beschränken, was man während der Fahrt auf dieser Straße zu sehen bekommt, würden sich von mir bereits geschilderte Bilder wiederholen: die monotone Einförmigkeit des Miombo, nur schwer zu überwindende Moraste in den Küstenebenen, die endlosen Baumwollplantagen von Nampula, stromschnellenreiche Flüsse, winzige Städtchen mit kümmerlichen Resten portugiesischer Festungen. Darum schlage ich vor, daß wir von der Magistrale abbiegen und nur dreimal an besonders interessanten Punkten jenes ausgedehnten Territoriums haltmachen, das wir zu durchqueren haben, wenn wir in die Hauptstadt gelangen wollen — auf der Insel Ibo, in der Bergmannssiedlung Alto Ligonha und in der alten Stadt Quelimane. Auf halbem Wege nach Maputo, bei Beira, werden wir dann noch ein weiteres Mal die Chaussee verlassen, um das »moçambiquische Wunder« zu besuchen —den Nationalpark Gorongosa. 251
Die Insel Ibo erinnert in vielem an die Insel Moçambique, allerdings fehlt ihr deren »kosmetischer Glanz«. Bis zum Beginn unseres Jahrhunderts war Ibo ebenfalls eine »hauptstädtische Insel«, Zentrum von ganz Nordmoçambique, ein Haupthafen der Sklavenhändler. Als die wohlhabenden Kaufleute, die bei der hiesigen Bevölkerung ungewöhnliche Perlen und Schildkrötenpanzer aufgekauft, die Großhändler, die lebendige Ware, nämlich Tausende von Sklaven, auf Schiffen nach Reunion, Madagaskar und Mauritius geschickt, und auch die reichen Schiffseigner, die diesen verbrecherischen Handel unterstützt hatten, Ende des 19. Jahrhunderts auf das Festland übersiedelten, da blieb an der Uferstraße von Ibo eine ganze Reihe verlassener Villen und Landhäuser zurück. Sie werden seitdem vom Salzwasser unterspült, vom Wind zerstört, von Vegetation überwuchert. Von Lianen umrankt, mit Dächern, die dicht mit Gras bewachsen, hier und da von Kokospalmen »durchbohrt« sind, mit Mauern, die Wasser und Salzausblühungen verfallen lassen, wirken diese verlassenen Bauten weit älter, als sie tatsächlich sind. Die ältesten Denkmale aus der portugiesischen Periode, die sich auf der Insel erhalten haben, sind das Fort São João Batista, 1791 entstanden, und sein Nachbar, Fort Santa Antonio, dessen Bau etwa ein halbes Jahrhundert später begonnen worden ist. Im Unterschied zu allen anderen portugiesischen Festungen blicken deren Kanonen nicht in Richtung Kontinent, sondern in Richtung Ozean. Und das deshalb, weil die Weißen auf Ibo nicht in erster Linie von ihren afrikanischen Nachbarn, sondern von den berüchtigten Piraten bedroht wurden, die auf Madagaskar und auf den Komoren ihren Unterschlupf hatten. In den letzten Jahren ihrer Herrschaft hatten die Kolonisatoren für diese von allen längst vergessenen Forts eine neue Verwendung gefunden: Man richtete auf Ibo das Zentralgefängnis der PIDE in Mocambique ein. Tn ihre Kasematten warf man alle Frelimo-Führer, die in die Hände der Salazar-Leute geraten waren, folterte sie auf grausamste Weise — mit grellem Licht, lauten Geräuschen, elektrischem Strom. Hier starben viele der besten Moçambiquer. Fast jede Nacht verscharrten die Henker Menschen in Massengräbern. »Auf dieser Insel ist die Erde mit Blut getränkt«, pflegt man auf Ibo zu sagen. Die hiesigen Einwohner gehören zum Stamm der Mwani und sprechen eine Sprache, die sowohl der der Makua als auch dem Swa252
hili verwandt ist. Sie bauen große quadratische Häuser aus Kalkstein mit Dächern aus Kokospalmwedeln, beschäftigen sich intensiv mit dem Anbau von Obst und Gemüse, pflanzen Tabak an und gelten in Moçambique als einzige Kaffeeproduzenten. Diese kaum vierzig Quadratkilometer umfassende kleine Insel ist dicht besiedelt, über sechstausend Menschen leben auf ihr. Der Boden wird praktisch überall bearbeitet, wo er etwas hervorbringen kann. Zäune aus Mangrovenästen säumen die engen Straßen. Und hinter jedem Zaun pulsiert Leben, wird irgendeine Arbeit verrichtet: Hier bereitet man Kopra zu oder trocknet man Kaffeebohnen, stößt man Pfeffer, dort werden Palmfasern gezupft, reiht man Tabakblätter auf Fäden, dörrt man Fisch, zerteilt man Tintenfische, öffnet man Muscheln. Allein auf dieser winzigen Insel hat sich bis in unsere Tage die früher an der ganzen Swahili-Küste verbreitete Tradition der Herstellung von Silberschmuck erhalten. Die Mwani verarbeiten alte österreichische Maria-Theresien-Taler, die in dieser Region einst überall in Umlauf waren, zu Draht und flechten daraus wunderschöne Halsketten, Armbänder oder Ohrringe. Kleine Stückchen des weißen Metalls schlägt man zu rhombischen Plättchen platt, verbindet diese durch Silberdraht miteinander und stellt so mit Perlen und wertvollen schwarzen Korallen verzierte Kolliers her. An hier seltenen nicht schwülen Abenden versammeln sich alle, die nicht mit irgend etwas beschäftigt sind, unter einem gewaltigen Mangobaum, um dem Wettbewerb der Redekünstler und Streithähne zu lauschen. Der Tradition gemäß, die wahrscheinlich von den Makua übernommen worden ist, steht dabei jedem Teilnehmer an diesem Spiel, der die Worte seines Vorgängers gut argumentiert und mit Witz widerlegen muß, ein Flötenspieler zur Seite. Zu dessen Pflichten gehört es, die Pausen zwischen den Auftritten des Redners mit musikalischen Einlagen zu füllen, die Ausdruckskraft von dessen Rede durch entsprechende Begleitung zu verstärken und vor allem gegen Ende des Auftritts seiner Flöte einem Donnergrollen ähnelnde Töne zu entlocken, um die Anwesenden zu stürmischem Applaus zu veranlassen. Ohne Kenntnis der hiesigen Sprache ist es natürlich schwierig, sich ein Urteil über diese Belustigung der Inselbewohner zu bilden, aber allein schon sie während dieses ungewöhnlichen Wettbewerbs beobachten zu können, war für mich hochinteressant. 253
Die männliche Bevölkerung der Insel hat noch eine weitere Lieblingsbeschäftigung — bei Mondschein Krabben zu fangen, die mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit über den Sand huschen, sich bei dem geringsten Anzeichen von Gefahr entweder in eine Höhle zurückziehen oder Rettung im anbrandenden Meerwasser suchen. Irgendwelchen Nutzen hat man von diesen Krabben nicht, ihr Fang ist reiner Sport, für den der schneeweiße Strand das Stadion abgibt. Die kleine Insel Ibo ist das Werk des Moçambique-Stromes, einer mächtigen warmen Meeresströmung. Das von der Äquatorsonne aufgeheizte Wasser dieser Strömung, das die Küstenzone des Ozeans von den Ablagerungen der Flüsse »säubert«, schafft ausgezeichnete Voraussetzungen für das Gedeihen von Madreporen und den Bau von Koralleninselchen durch sie. Diese winzigen Eilande ziehen sich in ununterbrochener Kette an der gesamten mocambiquischen Küste entlang, gruppieren sich zu Archipelen und verschwinden erst unmittelbar bei Maputo, dem gegenüber die Insel Inhaca liegt, das südlichste Atoll an Ostafrikas Küste. Weiter südlich wachsen keine Korallen mehr, denn die Nähe der Antarktis führt dazu, daß dort die Wassertemperatur mitunter auf unter zwanzig Grad absinkt, und das überstehen die Madreporen nicht. Das war auch ein Grund mit dafür, daß die weißen Südafrikaner, die an ihrer Küste ja keine einzige Koralleninsel haben, so gern zur Erholung nach Moçambique fuhren. Der nächste »interessante Punkt« unserer Fahrt ist Alto Ligonha. In dieser Siedlung, auf halbem Wege zwischen der Stadt Nampula und dem von grünen Teeplantagen überzogenen Namuli-Berg gelegen, bereitet man sich auf den Abbau von Metallen des 21. Jahrhunderts vor. Alto Ligonha liegt nämlich im Zentrum eines der größten Pegmatitfelder unserer Erde. In einer selbst nach geologischen Maßstäben sehr weit zurückliegenden Zeit entstand in diesem Gebiet so etwas wie ein Vulkan, aber es kam zu keinen Eruptionen, vielmehr floß das Magma unterirdisch in die Breite. Unter diesen spezifischen Bedingungen bildete sich auf relativ begrenztem Raum eine Konzentration von Mineralen, die so flüchtige Komponenten wie Wasser, Fluor, Chlor und Brom enthielten; das spielte eine wesentliche Rolle bei der Herabsetzung der Viskosität der Schmelze und begünstigte das Wachstum großer Kristalle, besonders von Quarz, Feldspat und Glimmer. Gleichzeitig erhöhte sich in den Gesteinsadern 254
von Alto Ligonha die Konzentration seltener Elemente — Lithium, Zäsium, Beryllium, Niobium, Tantal, Zirkonium — auf das Hundert-, ja Tausendfache im Vergleich zu den entsprechenden Muttergesteinen, die unter gewöhnlichen Bedingungen entstanden waren. Und eben das begünstigte hier die Bildung zahlreicher Edelsteine. »Wissen Sie, als wir die Straße bauten, auf der Sie zu uns gekommen sind, da verlief sie mitten durch Beryll- und Turmalinlagerstätten, und Topas- oder Spodumenkristalle sieht man noch heute im Staub am Straßenrand blitzen«, das waren fast die ersten Worte, mit denen mich João Carlos Lopes, technischer Direktor der hiesigen Minen, empfing. »Natürlich sind das in ihrer Masse mißglückte’ Edelsteine, die für einen Juwelier uninteressant sind. Ihre chemische Zusammensetzung ist jedoch die gleiche wie die der richtigen Edelsteine. Und Kristalle findet man hier! Was für große Kristalle!« rief er aus und wies mit weitausholender Geste auf sein mit geologischen Unikaten vollgestopftes Arbeitszimmer. »Richtige Weltrekordler! Und auch in der Förderung dieses oder jenes seltenen Metalls halten wir dank Alto Ligonha mit die Weltspitze. In der Produktion von Berylliumkonzentraten beispielsweise liegen wir in manchen Jahren lediglich hinter Brasilien, und was TantalNiobium-Konzentrate betrifft, nur hinter Nigeria und Norwegen.« Lopes, ein explosiver, lebhafter Mann, springt vom Schreibtisch auf und geht zu einem Gestell. »Da, schauen Sie sich einmal diesen unansehnlichen braunen, körnigen ,Sand’ an, oder hier diese schmutzig-grauen zylindrischen Kristalle. Was soll man schon seine Aufmerksamkeit darauf verschwenden, wenn einem Smaragde vor den Füßen liegen! Dabei ist dieser Sand weitaus teurer. Es ist Monazit, Hauptrohstoff für die Thoriumgewinnung. Und Thorium? Nicht zufällig hat man es ja nach Thor, dem nordischen Gott des Donners benannt. Heute wird Thorium überall dort verwendet, wo Düsenflugzeuge und Raketen donnern und heulen. Sein einziges Oxid schmilzt erst bei einer Temperatur von 3200 Grad und besitzt zudem eine hohe chemische Stabilität. Daß es heute Elektronenröhren, Magnetrone und starke Generatorlampen gibt, verdanken wir eben diesem Monazit. Und schließlich sind da ja auch noch die Kernreaktoren, in denen Thorium zur Gewinnung spaltbarer Uranisotope verwendet wird. Aus Monazit läßt sich aber auch noch eine ganze Reihe von Sei255
tenerdmetallen der Gruppe Lanthanide extrahieren«, fährt Lopes fort. »Das wissen zum Beispiel die Japaner schon seit langem: Für ein paar Groschen kaufen sie unseren Monazitsand, bei sich zu Hause aber extrahieren sie dann daraus so teure und seltene Lanthanide wie Europium, Zer, Promethium, Praseodym. Manch einer weiß gar nicht, daß es diese Seltenerdmetalle gibt; Lanthanide sind aber in Kristallen für Laser enthalten, ihre Legierungen benötigt man in der Rechentechnik und Mikroelektronik. In der Kerntechnik wird Europium zum Schutz gegen Strahlung und zur Steuerung der Reaktoren verwendet. Man könnte noch viele Beispiele dafür nennen, wie wertvoll dieser Rohstoff ist, aber das Gesagte soll genügen. Die Japaner zahlen Moçambique für seinen wertvollen Rohstoff kaum ein Hundertstel dessen, was die Lanthanide kosten, die sie aus den Monaziten von Alto Ligonha gewinnen.« Wir steigen ins Auto und fahren auf der mit »mißglückten« Edelsteinen übersäten Straße zu den Aufschlüssen. Ringsum nur spärliche Vegetation, von dem Staub bedeckt, den die von und zu den Abbaustellen donnernden Kipper aufwirbeln. Doch nicht deren Schuld ist es, daß in dieser Gegend keine Bäume wachsen. Die Grenze des Gebiets, in denen die Pegmatitadern sich ausbreiten, ist zugleich auch die Grenze einer biochemischen Provinz, die durch erhöhte natürliche Radioaktivität und einen Überschuß an einer Reihe von chemischen Elementen im Boden gekennzeichnet ist, die die Flora unterdrücken. Mitunter ist das für die Geologen von großer Hilfe. Völliges Fehlen von Vegetation zum Beispiel ist nämlich ein eindeutiges Merkmal dafür, daß dort ultrabasische Gesteine lagern, an die die Pegmatitadern gebunden sind. Hier zu leben ist schwer; nicht umsonst machen alle Tiere einen Bogen um Alto Ligonha. Auch Haustiere gewöhnen sich in diesen Gegenden nicht ein. Dem in der Umgebung der Siedlung geernteten Obst und Gemüse fehlen viele für den Menschen lebenswichtige Komponenten. Berylliumrachitis, die auch durch Vitamin D nicht zu heilen ist, ist das Los fast aller hiesigen Kinder. Man braucht sich deshalb nicht zu wundern, daß Alto Ligonha seit je einen schlechten Ruf unter den Afrikanern hat. Viele haben diese Gegenden gemieden, aus abergläubischer Furcht es abgelehnt, im Verbreitungsgebiet der Pegmatite landwirtschaftliche Arbeiten zu verrichten. »Dieses Land hier dient dem himmlischen Feuer als Zufluchtsstätte«, behaupteten sie. 256
Noch bevor wir die Aufschlüsse erreichten, hatte ich die eigentliche Ursache dieser abergläubischen Furcht erkannt. Regen setzte ein, und Blitze »beschossen« das relativ kleine Territorium um uns herum, als hätten sie sich untereinander verabredet. Es war unheimlich und ungewöhnlich: Nach jedem hier in den Tropen stets mächtigem Donnergrollen fuhren bald links, bald rechts von uns erneut feurige Zickzacks in die Erde, und bald flammte im Busch ein Brand auf, den der Regenguß aber sogleich wieder löschte. »So geht das hier immer«, erklärte Lopes. »Offenbar gibt es irgendwelche Kräfte, die die Blitze auf Alto Ligonha lenken.« Doch nicht nur abergläubische Angst hielt die hiesigen Bewohner von der Arbeit in den Minen ab. Die Metalle der Zukunft wurden in kolonialer Zeit nach vorsintflutlichen Methoden gefördert. Spaten und Hacke sah man hier schon als Mechanisierung an. Die »Sociedade comercial urano-africana« — eine Tochtergesellschaft der »Companhia de Moçambique« —, die in Alto Ligonha schaltete und waltete und die einmaligen Reichtümer der Pegmatitfelder rücksichtslos ausbeutete, die dabei riesige Profite erzielte, sie zahlte ihren Arbeitern ganze zwei Dollar in Monat! »Nachdem man hier die halbstaatliche Gesellschaft ,Empreza mineira do Alto Ligonha’ gegründet hatte, begannen wir damit, daß wir den Abbau der Pegmatite mechanisierten und die Minerale sortierten«, erläuterte Lopes, als wir schließlich die Arbeitsstelle erreichten. »Die Förderung erfolgt überall im Tagebau. Wir haben bereits fünfunddreißig Pegmatitadern entdeckt, von denen sieben abgebaut werden.« »Wir planen unsere Erschließungsarbeiten nicht nur für heute, sondern für die Zukunft«, schaltete sich der hinzugekommene Antonio Francisco, Administrator der Gesellschaft, in unsere Unterhaltung ein. »Die Anzahl der Arbeiter wird mit jedem Jahr steigen, deshalb müssen wir für sie Bedingungen schaffen, die es ihnen gestatten, sich mit ihren Familien hier einzurichten. Damit die Frauen nicht ohne Arbeit dasitzen, planen wir die Schaffung einer Genossenschaft. In der Umgebung gibt es viele alte, aufgelassene Tagebaue, die sich zur Anlage von Teichen eignen. Einige von ihnen haben wir bereits mit Wasser gefüllt. In Kürze soll hier Fischfang betrieben werden. Die Fische hier werden innerhalb eines Jahres zwei bis drei Kilogramm schwer, so daß Fischfang bei uns zu einer wirksamen Hilfe im Kampf gegen den Proteinmangel unter der hiesigen 257
Bevölkerung werden könnte. Es ist dies das Minimalprogramm. Was das Maximalprogramm angeht, so müßten im Laufe der Zeit Überlandleitungen aus Cahora Bassa hierher verlegt, eine moderne Straße sowie Anreicherungsfabriken gebaut werden, auch müßten wir mit der komplexen Erschließung der einzigartigen Reichtümer beginnen, die Konzentrate selbst anreichern und die Seltenerdmetalle selbst extrahieren. Dann wird man von Alto Ligonha in der ganzen Welt sprechen...« Dritte Station ist die alte Stadt Quelimane. Wie alle alten Städte, die von den Portugiesen schon in den ersten Jahren der Conquista auf dem Festland von Moçambique angelegt worden sind, überrascht Quelimane dadurch, daß in ihm Denkmale aus alter Zeit völlig fehlen. Als wäre dieser Hafen niemals Hauptumschlagsplatz für alle über den Sambesi hierher gelangten Waren gewesen, als hätte er nie den Ruf gehabt, größter Elfenbeinexporteur Afrikas und eines der Zentren des Sklavenhandels zu sein, als wären Vasco da Gama, Livingstone und viele andere nie hier gewesen, die ein Recht darauf haben, wenn schon nicht ein Denkmal, so doch wenigstens eine Gedenktafel an dem Haus zu erhalten, in dem sie einst gewohnt haben. Der Einfall der Angoni und der den Sklavenhandel begleitende Verfall ließen Quelimane zu einem Küstendörfchen herabsinken. Die Verödung dieser Stadt überraschte einen englischen Reisenden, der vierhundert Jahre nach den ersten Portugiesen hierher kam, derart, daß er sie als »schrecklichsten Ort der Welt« bezeichnete. Nachdem die Portugiesen die reichen Landwirtschaftsgebiete am Sambesi dem ausländischen Kapital geöffnet hatten, stieg Quelimane gleich einem Phönix wieder aus der Asche empor. Die Stadt wurde Hauptsitz der Konzessionsgesellschaft »Companhia da Zambesia«, die die bewässerten Böden des Deltas dieses Stromes in endlose Zuckerrohrplantagen verwandelte. Ausgedehnte Flächen wurden mit Reis und Sisal bebaut. Quelimanes Hafen erwachte zu neuem Leben, allerdings weniger als See-, als vielmehr als Flußhafen, der die von den Händen afrikanischer Sklaven des 20. Jahrhunderts erzeugten Produkte aufnahm und verarbeitete. Vasco da Gamas »Fluß der Guten Vorzeichen« wurde zur belebtesten Wasserstraße des Landes. Und Quelimane selbst entwickelte sich dank dem Auslandskapital, dank der Arbeit, dem Schweiß und dem Blut afrikani258
scher Bauern zu einer Stadt mit über hunderttausend Einwohnern, zur viertgrößten des Landes. Die Moçambiquer sagen, Quelimane lasse niemanden gleichgültig, man müsse es entweder »lieben oder nicht lieben«. Und außerdem behaupten sie, es sei die feuchteste und stickigste aller großen Städte des Landes, in der das Meer in Verbindung mit dem gewaltigen versumpften Flußdelta lediglich zwei Jahreszeiten zulasse: eine »sehr feuchte« und eine »unmöglich feuchte«. Was mich betrifft, so liebe ich Quelimane mit seinen von üppiger tropischer Vegetation gesäumten Straßen, mit dem lärmerfüllten, geschäftigen Hafen, den die Gerüche von Meer und Fluß gleichzeitig erfüllen, mit den in Grün versinkenden, unmittelbar in die modernen Viertel übergehenden Vorstädten, in denen Ihre Majestät die Kokospalme herrscht. Übrigens ist wahrscheinlich gerade hier der Name für diesen majestätischen Vertreter der äquatorialen Flora entstanden. Das Wort »kokos« kommt nämlich vom portugiesischen »coco«, der Kurzform von »macoco« (»Affe«), denn als Vasco da Gamas Matrosen ans Ufer des Kwakwa gelangten, glaubten sie eine gewisse Ähnlichkeit der Nuß dieser Palme mit einer Affenschnauze feststellen zu können. Selbst die ausgedehnten Zuckerrohrplantagen und Reisfelder treten gegenüber der in der Küstenzone des Sambesigebietes vorherrschenden Kokospalme in den Hintergrund. Hier gibt es die größten Kokospalmenplantagen der Erde: über zwanzig Millionen Bäume. Rechnet man, daß jeder im Jahr ungefähr fünfzig Nüsse im Gewicht von je zwei Kilogramm liefert, erhält man beeindruckende Zahlen — eine Milliarde Nüsse, zwei Millionen Tonnen »Nußmasse« jährlich. In der Kulturlandschaft rund um Quelimane fallen überall die Nußpyramiden sowie die Abfallhaufen ins Auge, die entstehen, wenn das wertvollste Produkt, nämlich Kopra, der ölhaltige Nußkern, aus den gesammelten Früchten geschält wird. Im Export von Kopra hat Moçambique lange Zeit den ersten Platz in Afrika und einen der ersten in der Welt eingenommen. Quelimane, das sich bereits den Namen »Kokosmetropole von Moçambique« erworben hat, dürfte also allen Grund haben, auch den Titel »Kokosmetropole der Welt« zu beanspruchen. Die Kokosnuß ist das erste Produkt, mit dessen Erzeugung und Verkauf in Moçambique der Anschluß von Afrikanern an die Wa259
renwirtschaft begonnen hat. Vor der Erlangung der Unabhängigkeit machten die Afrikanern gehörenden Kokospalmen etwa 30 bis 35 Prozent aller fruchttragenden solchen Bäume aus, und die Zahl der Bauern, die sich mit deren Kultivierung beschäftigten, belief sich auf etwa eine Viertelmillion. Und weitere 10 bis 15 Prozent der Palmen waren »Eigentum« portugiesischer Farmer. Die übrigen Kokospalmen befanden sich ausschließlich in den Händen der »großen Drei«, der »Companhia do Boror«, der »Sociedade agricola do Modal« und der »Companhia da Zambesia«. Neben portugiesischem Kapital arbeitete in diesen »Kokosgiganten« in erheblichem Umfang auch ausländisches Kapital. Wegen schmutziger Geschäfte und wegen des Versuchs, Gewinne vor dem Staat zu verheimlichen, wurde die »Boror« unter staatliche Kontrolle gestellt. Mich interessierte brennend, zu erfahren, wie es jetzt auf dieser größten nationalisierten Kokospalmenplantage der Welt zuging. So machte ich mich auf und fuhr zum Stabsquartier der »Boror«, das mitten im Sambesi-Delta lag. Im Arbeitszimmer des früheren Direktors der Companhia traf ich meinen alten Freund Luis Sulila. Geboren war er 1945 in Niassa, seit 1965 hatte er in Partisanenabteilungen gekämpft, war Mitglied des ZK und des Exekutivkomitees der FRELIMO geworden. Dann hatte die Partei ihn hierher geschickt, an einen der wichtigsten Abschnitte der ökonomischen Front. Er wurde zum administrativen Kommissar von »Boror« ernannt. »Weißt du, an der Front war es leichter«, meint er lächelnd. »Schon allein deshalb, weil ich dort nur hundertfünfzig bis zweihundert Mann unter meinem Kommando hatte. Hier aber handelt es sich um eine ganze Armee, um dreißigtausend Arbeiter. Und diese Armee hat zwei Abteilungen: die ,colhedores’ und die ,descacadores’. Colhedores sind die Leute, die bis in die Spitze der Palmen klettern. Sie erklimmen diese mit Hilfe von Stufen, die man in den relativ dünnen Stamm gehauen hat; dessen Durchmesser ist selten größer als fünfunddreißig Zentimeter, und dazu kommt noch, daß der Stamm im Wind hin und her schwankt. Mit einem großen gebogenen Messer schneiden die Leute die reifen Nüsse ab. Die Tagesnorm beträgt sechshundert Stück. Von einer Palme kann man für gewöhnlich zwei oder drei reife Früchte auf einmal ernten. Das bedeutet also, der Colhedor muß zwei- bis dreihundert Bäume am 260
Tag erklimmen und dabei insgesamt auf deren Stämmen vier bis fünf Kilometer zurücklegen, und das unter einem Winkel von neunzig Grad zur Erdoberfläche! Dann müssen alle abgeschnittenen Nüsse gesammelt, zu je fünf Stück gebündelt und an die Straße getragen werden. Dort lädt man sie auf Hänger, die ein Traktor wegholt. Descacadores sind jene Arbeiter, die die Kokosnuß spalten, das heißt, die Nuß gegen einen aus dem Boden ragenden Metallpfahl schlagen. Gleichzeitig ziehen sie die faserige Hülle, die Koir, ab. Die tägliche Norm eines Descacador beträgt zweitausend Nüsse. Ewiger Traum eines jeden von ihnen ist, eine Nuß mit verdorbener Frucht zu finden. Die Sache ist nämlich die, um eine solche Frucht lagern sich mitunter feste Schichten von Kalk ab, der aus der an Kohlensäure reichen Flüssigkeit im Innern der Nuß ausfällt. Dann kann der betreffende Arbeiter, der anderthalb Dollar am Tag verdient, zum Besitzer einer seltenen ,Kokosperle’ werden. Und die ist nicht billiger als jene, die in Muscheln gebildet werden...« Eine schwere, ermüdende, fast unerträgliche Arbeit — auf im Wind schwankende Palmen klettern oder von Hand die steinharten Nüsse spalten. Bei Tage, wenn einem selbst beim Nichtstun Ströme von Schweiß über den Körper rinnen, ist es kaum möglich, sechshundert Nüsse zu sammeln oder zweitausend zu spalten. Deshalb beginnt der Arbeitstag der Colhedores und Descacadores schon um vier Uhr morgens und endet um elf Uhr. In den unglaublich heißen Monaten November und Dezember liegen die Plantagen zudem völlig ausgestorben da, die auf ihnen Beschäftigten erhalten dann eine Art unbezahlten Urlaub. Ferner erzählte Sulila, eines der wichtigsten Probleme, das heute vor der »Boror« steht, sei die Verjüngung der Plantagen. Die Palmen tragen maximal neunzig Jahre Früchte, die meisten Bäume sind hier aber schon über siebzig Jahre alt, und das zeigt sich bereits an den Erträgen. Daher muß man Baumschulen anlegen, um Setzlinge zu erhalten, alte Bäume roden und junge setzen. »Arbeit gibt es also genug«, zieht Sulila Bilanz. »Doch ist die Kokospalme ein sehr dankbarer Baum, nicht umsonst gilt sie als wichtigster Ernährer des Menschen in den Tropen. Hauptsache ist nur, daß man vernünftig an die Sache herangeht, die ganze Fülle von Produkten und Stoffen, die die Palme liefert, komplex nutzt. Dann 261
wird das Leben unter Palmen wirklich reich und glücklich werden...«
Die »Hyänen« im Gorongosa-Park Durch afrikanische Nationalparks bin ich für gewöhnlich entweder allein oder, wenn ich es wollte, mit einem Führer gefahren. Als ich mich jetzt jedoch zusammen mit dem Zoologen Antonio Cabral aus Maputo aufmache, Moçambiques größten Naturschutzpark Gorongosa zu besuchen, um dort die seltenen schwarzen Rappenantilopen zu beobachten, da nehmen noch zwei Soldaten in Tarnuniform in unserem Wagen Platz. Sie machen es sich auf den Rücksitzen bequem und fragen: »Kann’s losgehen?“ Hierauf geben sie dem Fahrer bestimmte Anweisungen, richten den Lauf ihrer Maschinenpistolen durchs offene Fenster und stecken sich eine Zigarette an. »Nanu, sind die Elefanten im Gorongosa aggressiv geworden?« erkundige ich mich. »Wenn es sich nur um Elefanten handelte!« erwidert der Zoologe, ohne sich auf weitere Einzelheiten einzulassen. Am Ausgang des Campinghotels »Chitengo« versperrte ein Militärjeep den Weg. Unsere Soldaten wechselten mit dem drin sitzenden Offizier ein paar Sätze, und der Jeep rollte vor uns her. Schon mehrere Monate hatte es hier nicht geregnet, und die Staubwolke, die der Wagen aufwirbelte, verhüllte im Nu alles, was man vorn hätte sehen können. Hinzu kam, daß der Jeep entsetzlich quietschte und klapperte. Danach zu urteilen, wie die durch das Fenster kaum noch auszumachenden Zebras in rasendem Galopp vor uns die Flucht ergriffen, bestand hier wohl keinerlei Hoffnung, daß wir den scheuen Rappenantilopen begegnen konnten. Von Zeit zu Zeit hielt der Jeep, die Soldaten darin hielten Umschau, und dann ging es weiter. »Vielleicht sollten wir etwas schneller fahren?« meinte ich schließlich. »Nein, das wäre zu gefährlich!« antwortete der Zoologe ausweichend. Ich drehte mich um und schaute fragend die Soldaten an. 262
»Camarada, der vor uns fahrende Jeep ist mit einem Minensuchgerät versehen«, erklärte einer von ihnen nach kurzer Pause. »Es sitzen erfahrene Spezialisten drin. Hier ist es leider schon mehrfach vorgekommen, daß allein fahrende Autos in die Luft geflogen sind. Die Hyänen...« »Wieso Hyänen?« fragte ich verwundert zurück. »Ja, so nennt die Bevölkerung hier die Banditen, die sich im gebirgigen Teil des Parks verschanzt haben.« »Weshalb aber gerade Hyänen?« »Diesen Verachtung ausdrückenden Namen hat man ihnen deshalb gegeben, weil sie wie diese feigen Aasfresser offenem Kampf stets ausweichen, sich nur Schwache als Opfer aussuchen — friedliche Dorfbewohner, Frauen, Kinder, auch Kranke. Bevorzugte Objekte für ihre Überfälle sind Lazarette, Krankenhäuser, Entbindungsstationen. Richtige Hyänen sind sie...« Auf die Spuren solcher ihr Unwesen treibenden »Hyänen« war ich auf meinen Fahrten durch Moçambique schon mehr als einmal gestoßen. Ich erinnere nur an die Verhaftung der Diversanten in Mutarare, an die Sabotage in Moatize, die gesprengten Brücken an der Straße zum Njassasee, an die Kerle, die in der Uniform von Soldaten der Befreiungskräfte auf den Baumwollplantagen von Namicunde ihr Unwesen trieben, oder an die Schwierigkeiten beim Transport von Lebensmitteln aus den nördlichen Provinzen, wo es gute Ernten gab, in die hungernden Städte des Südens. Zum Hauptunterschlupf haben sich diese Banditen die unzugänglichen Berge des Gorongosa ausgesucht, die reich an Höhlen sind. Wichtigste Objekte ihrer verbrecherischen Aktionen sind das unweit gelegene Beira und die von dort ausgehenden Verbindungswege. Die »Hyänen« sind also ausgerechnet im Zentrum des Landes aktiv und bestrebt, letzteres sozusagen in zwei Teile zu spalten, die Verbindung zwischen dem Norden mit seiner ergiebigen Landwirtschaft und der städtischen Bevölkerung des Südens zu unterbrechen; sie wollen die Wirtschaft Mocambiques und aus der Ferne auch die der unabhängigen Nachbarstaaten untergraben, in erster Linie die von Simbabwe, das den Hafen von Beira und die von ihm ins Innere des Kontinents führenden Verbindungswege nutzt. So bestand also auch für uns eine gewisse Chance, in Gorongosa durch eine Mine in die Luft gesprengt zu werden. Selbstverständlich war der Jeep mit den Spezialisten für uns eine gewisse Beruhigung, doch verscheuchte er anderseits das Wild 263
durch den Lärm, den er machte. Nach kurzer Beratung fanden wir gemeinsam doch einen Ausweg, indem wir folgende Taktik anwandten: Der Jeep fährt voraus, wir bleiben eine Weile stehen, und wenn sich der Staub verzieht, die Tiere den sie verschreckenden Lärm vergessen haben, folgen wir genau in der Spur des Jeeps. So fuhren wir den ganzen Tag durch den Park. Die fünfzehn, zwanzig Minuten, die unser Fahrzeug“ vom Jeep trennten, reichten beispielsweise aus, daß die hellroten Frösche, die sich vorher auf dem Weg gesonnt hatten, inzwischen auf ihn zurückgekehrt waren. Es handelte sich um Tausende, Zehntausende von Fröschen. Wie rote Spritzer schienen sie beinahe unter unseren Rädern hervorzuquellen. Fast am Straßenrand tauchten auch wieder Gnus und Oryxantilopen auf und zupften gemächlich Gras. Hinter einer Biegung hätten wir in voller Fahrt fast ein Nashorn gerammt, das quer auf unserem Weg stand. Wir mußten ziemlich lange warten, ehe es uns die Jeepspur frei gab. Noch stand die Sonne nicht im Zenit, da stießen wir am Ufer des Sungue, den wir eben durchfahren hatten, auf eine Herde Rappenantilopen. Es waren nur ein paar Tiere — ein Leitbock, fünf Weibchen und ein Dutzend Kälber —, aber Antonio Cabral versicherte, auch das sei schon als Glücksfall anzusehen. Er meinte, auf mehr sei hier kaum zu hoffen, denn die gesamte sich vor uns ausdehnende grüne Ebene war, so weit das Auge reichte, von einer riesigen Herde von Büffeln besetzt. »Hier haben Sie die größte Ansammlung von Büffeln in ganz Afrika«, versicherte der Zoologe nicht ganz ohne Berufsstolz. »Gewöhnlich finden sich in dieser Gegend fünfundzwanzig- bis dreißigtausend dieser Tiere zusammen. Übrigens bietet der Gorongosa in den Herbstmonaten seinen Besuchern ein weiteres interessantes Schauspiel: Am Urema-Fluß sammeln sich Hunderte von Flußpferden. Wenn Sie die sehen wollen, wir können hinfahren, es ist ganz in der Nähe.« Und ob ich wollte! Wir holten also den Jeep ein, um über die neue Marschroute zu verhandeln. Doch der Kommandeur des Minensuchtrupps schüttelte verneinend den Kopf. »Unmöglich!« Er stieg aus seinem Fahrzeug, stellte sich vor. »Costa Mbalale«, und dann sagte er plötzlich auf russisch: »Freue mich, hier einen sowjetischen Genossen zu sehen. Ich habe bei Ihnen studiert... Ich nahm an, daß mit dem Abzug der portugiesischen Ko264
Ionisatoren der Krieg zu Ende sei. Doch dem ist nicht so, da sind diese ,Hyänen’ aufgetaucht. Ihretwegen ist es im Park so unsicher, dabei nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Tiere. Am Ufer des Urema, zu dem Sie fahren wollen, versorgen sich die Banditen ständig mit Fleisch. Das Fleisch von Flußpferden, besonders von jungen, unterscheidet sich kaum von Schweinefleisch. In der vergangenen Woche haben sie dort ein regelrechtes Massaker veranstaltet. Entschuldigen Sie, aber dorthin lasse ich Sie nicht fahren.« In solcher Situation soll man mit Soldaten nicht streiten. Gegen Abend erreichten wir ohne Zwischenfall wieder den Campingplatz; wir verabschiedeten uns von Mbalale und seinen Soldaten und gingen ins Hotel. »Morgen früh machen wir Jagd auf ,Hyänen’, im Westteil des Parks«, rief mir Mbalale noch zu, als er aufs Trittbrett seines Jeeps sprang. »Sie bleiben also morgen allein. Gute Nacht!« Doch schon gegen Abend gab es Aufregung. Kaum hatten wir zu Ende gegessen, da verlosch auf dem Campingplatz das Licht. Als ich in der stockdunklen tropischen Nacht mein Zimmer verließ in der Hoffnung, bei einem Hausangestellten eine Kerze zu erhalten, erschütterte der Donner einer nahen Explosion alles ringsum. Und sogleich wurde es hell: Der Tank mit Erdölprodukten, die für den Elektromotor und die Autos bestimmt waren, brannte. Jemand schrie erschrocken um Hilfe, ein anderer schluchzte laut. Die Stimmen wurden von einer kurzen Salve aus einer Maschinenpistole unterbrochen, dann hörte man Schüsse im Restaurant, im Häuschen der Verwaltung. Im hellen Flammenschein — die Schilfdächer der Touristenbungalows hatten Feuer gefangen — erkannte man, wie einige zerlumpte Gestalten mit bereit gehaltenen Maschinenpistolen den Safe aus dem Hotel zerrten und ihn mühsam auf einen in voller Fahrt herangepreschten »Landrover« verstauten. Dem Safe folgten Kästen mit Bier und Whisky, irgendwelche Nahrungsmittel und von den Tischen gerissene Decken. Erneut eine Salve aus der Maschinenpistole, und schon rollte der »Landrover« mit ausgeschalteten Scheinwerfern zurück. Ringsum trat wieder Stille ein. Ich trat ans Fenster. Direkt gegenüber lagen auf dem Boden der offenen Terrasse des »Chitengo« zwei Tote — der alte Kellner mit durchschossenem Kopf, etwas davon weg seine Enkelin, die vierzehnjährige Rosalinde. Die »Hyänen« hatten das Mädchen mit ei265
nem Bajonett an den Fußboden gespießt. In der Hand hielt sie noch ein Sträußchen bescheidener Savannenblumen. Man pflegte diese, das ist lange Tradition am Gorongosa, morgens auf den Tisch zu stellen. Einen Morgen aber gab es für das Mädchen nicht mehr... Seit damals sind einige Jahre verstrichen. Heute kann man den Park kaum noch besuchen, denn er ist von den Banditen weitgehend verwüstet worden. An den Überfällen der »Hyänen« hat sich seitdem wenig geändert, es sei denn deren Name: Sie nennen sich jetzt »Moçambiquischer Nationaler Widerstand« (RNM). Daran ist aber von A bis Z alles falsch — die Bewegung ist weder »national« noch »moçambiquisch«, sondern von außen ins Leben gerufen worden. Und ihre Tätigkeit, das ist kein Widerstand, sondern Terror gegen das Volk. Wer aber hat diese Terroristen geschickt und bezahlt? Woher stammen ihre Banden? Als ich in meinem alten Notizbuch aus dem Jahre 1974 blättere, das mit Aufzeichnungen von meinem ersten Besuch in Beira angefüllt ist, stoße ich auf die Niederschrift eines Gesprächs mit F. Silva, einem damaligen Redakteur der in dieser Stadt erscheinenden Zeitung »Noticias de Beira«. Er charakterisierte das damalige Beira als »Hort der moçambiquischen Reaktion«, als »Zentrum der Interessen des Auslandskapitals, das nicht nur in Moçambique, sondern auch in Rhodesien und der Republik Südafrika operiert«, und erinnerte daran, daß Jorge Jardem keineswegs zufällig ausgerechnet in dieser Stadt sein Nest gebaut habe. »Eigentlich hat sich dieses Nest ja gerade hier, in ihrer Redaktion, befunden«, warf ich damals ein. »Ja, stimmt«, lächelte mein Gesprächspartner. »Die ,Noticias de Beira’ ist persönliches Eigentum von Jardem gewesen. Mit ihrer Hilfe hat er die öffentliche Meinung nicht nur in dieser Stadt, sondern auch in den Provinzen Manica, Sofala und Zambezia beeinflußt, die als sein Erbgut galten.« »Überhaupt wird in Beira sehr viel von Jardem gesprochen, meist mit unverhohlenem Haß und mit Verachtung, zuweilen auch noch voller Angst, und deshalb hätte ich gern Genaueres über ihn erfahren«, bat ich, »um so mehr, als das Arbeitszimmer, in dem wir jetzt sitzen, lange Zeit von Jardem benutzt worden ist und, wie ich sehe, noch Spuren seines Geschmacks aufweist.« »Einiges ist noch geblieben«, stimmte mir Silva zu und ließ seinen Blick über die Wände des großen Zimmers gleiten, an denen noch 266
»Reliquien« aus kolonialer Zeit prangten. »Einen Gegenstand besonderen Stolzes des ehemaligen Besitzers dieses Appartements haben wir jedoch längst auf die Müllkippe der Geschichte geworfen.« Er stand auf, trat zu einem mit der Vorderseite gegen die Wand gelehnten Bild mit pompösem Goldrahmen und drehte es, nicht ganz mühelos, um. »Na, bestaunen Sie ihn! Seine faschistische Durchlaucht Antonio de Oliveira Salazar in eigener Person! Und seine rührende Widmung: Meinem geliebten Patenkind Jorge vom lieben Patenonkel.« »Vielleicht liegt in diesem Geschenk Salazars schon die erschöpfende Antwort auf meine Frage zu Jardem?« »Natürlich, alles übrige war lediglich die Folge davon«, stimmte mir Silva zu. »In Moçambique übernahm Jardem die Rolle von ‚Salazars Statthalter’ und war als solcher mächtiger als die portugiesischen Gouverneure und Generale in Lourenço Marques! Ohne ihn wurde in der Hauptstadt keine einzige größere Sache entschieden. Er wurde so zum ‚ungekrönten König’ des portugiesischen Moçambique, zur ,grauen Eminenz’ Salazars bei der Kolonialregierung in Lourenço Marques.« Jardems Einkünfte beliefen sich auf Dutzende von Millionen Dollar, sein Einfluß in den höchsten Kreisen der Kolonialbehörden war so groß, daß er sich Mitte der sechziger Jahre offen mit dem Gedanken trug, im Norden Moçambiques einen »eigenen Staat« zwischen Sambesi und Rovuma zu schaffen. Er hatte sich sogar schon einen Namen dafür ausgedacht — Rombesia. Das Land zwischen Rovuma und Sambesi ist jedoch gerade jenes Gebiet, in dem die Befreiungsbewegung FRELIMO entstand und wo die Volksmacht festen Fuß faßte. Jardem begriff sehr gut, welche Gefahr ein Zusammenbruch des Kolonialsystems für ihn bedeutete. Daher schuf er als Gegengewicht zur FRELIMO eine eigene Organisation, die marionettenhafte »Nationale afrikanische Union von Rombesia« (UNAR), deren Kommandostellen Agenten von Salazars Geheimpolizei PIDE innehatten. Bald schon entstand auch ein »militärischer Flügel« dieser UNAR, nicht ohne Hilfe jener Agenten und auch mit Unterstützung der zentralen Abwehrorganisation in Salisbury, wo man lebhaftes Interesse daran hatte, daß Beira Erbgut Jardems und folglich auch der Rhodesier blieb. Für diese Truppe warb man irgendwelche verkommenen Elemente an, Kriminelle, 267
Deserteure, die terroristische Operationen gegen die FRELIMO durchführten. Kurz vor Proklamierung der Unabhängigkeit Moçambiques verschwand Jardem samt seinen engsten Untergebenen aus Beira, und mit ihnen auch die gesamte Dokumentation von Jardems »persönlicher Armee« sowie der mit ihr zusammenwirkenden Strafabteilungen der PIDE. Wohin? Natürlich nach Rhodesien, nach Salisbury. Dort arbeitete Jardem unter dem Schutz der rhodesischen Rassisten neue Pläne für den Kampf gegen die Patrioten nicht nur in Moçambique, sondern auch in Rhodesien aus. Jardems Idee lief darauf hinaus — mit Hilfe des Regimes von Jan Smith die nationale Befreiungsbewegung von Simbabwe zerschlagen und anschließend vom rhodesischen Aufmarschgebiet aus über die FRELIMO herfallen. Zu eben diesem Zweck schuf man auch jene Organisation, die seither unter dem Namen RNM bekannt ist. Der Stab dieser Terroristen saß in einer kleinen Villa in der Baker Road in Salisbury. Hierher strömten jetzt übriggebliebene PIDE-Agenten, Deserteure aus den Partisanenabteilungen, Sprößlinge von der Volksmacht enteigneter reicher Leute, ihre Bestrafung fürchtende Spekulanten, Diebe und käufliche Elemente. In der Baker Road wurden sie auf »Zuverlässigkeit« geprüft, dann in ein Speziallager zur Ausbildung von Terroristen und Diversanten geschickt. Wie aus dem Buch von G. Winter, einem ehemaligen Agenten der südafrikanischen Abwehr, hervorgeht, hatte die Republik Südafrika dabei von Anfang an ihre Hände im Spiel; der Autor weist sogar die Urheberschaft des südafrikanischen Geheimdienstes »BOSS« an der moçambiquischen Bandenorganisation nach. Es blieb aber noch eine Kleinigkeit — man mußte für die Banditen einen Führer, einen »afrikanischen Häuptling« finden. Jardem brauchte einen Strohmann, einen »Oberkommandierenden« für die RNM, der der Bewegung einen »nationalen« Charakter verleihen, als Deckmantel für deren dunkle Machenschaften dienen sollte. Seine Wahl fiel auf Andre Matsangai, ehemals Intendant in der moçambiquischen Armee, den man auf frischer Tat ertappt hatte, als er in die Staatskasse griff. Der Verhaftete wurde damals in das Zentrum für Umerziehung geschickt, doch gelang es ihm 1976, von dort nach Rhodesien zu fliehen. Matsangai hoffte vergeblich, bei der Bevölkerung Unterstützung 268
zu finden, so schloß er dann ein Bündnis mit einheimischen Stammeshäuptlingen und »Fetiseros«, Weissagern und Zauberern. Als erstes versprach er ihnen, er werde ihnen die Privilegien zurückgeben, die sie in der Kolonialzeit genossen hatten, und als zweites, die von der Volksmacht eingerichteten Krankenhäuser und Schulen zu schließen, so die »Zauberer« von ihren »Konkurrenten« zu befreien. Anfangs lieferten die neugewonnenen Verbündeten der RNM zuverlässig die geforderten Informationen. Sie erhielt von ihnen Meldungen über Truppenbewegungen der FRELIMO, über Pläne der Führung, bisweilen auch einfach darüber, daß man in dem benachbarten »loja do povo« (Volksladen) Säcke mit Mehl gebracht habe (ein deutliches Signal, daß man einen Raubüberfall auf den Laden unternehmen könne). Matsangai veranstaltete großartige rituelle Vorstellungen. Vor den Augen seiner Untergebenen rief er die Geister an, tat so, als besitze er die Fähigkeit, mit überirdischen Kräften Verbindung aufzunehmen, die »ihm wichtige Neuigkeiten mitteilten«. Durch solche Methoden vor allem hielt Matsangai lange Zeit seine Autorität bei den einfachen RNM-Mitgliedern aufrecht. Bald jedoch verschlechterten sich die Beziehungen Matsangais zur einheimischen »Aristokratie«. Die »Hyänen« raubten nämlich auch die Bauern aus, plünderten den Stammeshäuptlingen gehörende Getreidespeicher, vergewaltigten Frauen. Den traditionellen Vorstellungen gemäß konnten und mußten ja aber gerade die »Fetiseros« die einfachen Gemeindemitglieder vor solchen Gewalttaten schützen. Taten sie das nicht, gestanden sie damit ihre eigene Ohnmacht ein. So verloren die Weissager sehr rasch an Autorität, und aus mehreren Dörfern vertrieb man sie einfach, weil man sie nicht mehr brauchte. Da nun beschlossen diese »Fetiseros«, sich an Matsangai zu rächen. Sie luden ihn ein, in den heiligen Mshitu-Wald zu kommen, wo den Zauberern ergebene, furchteinflößende Masken tragende Männer Matsangai lange umtanzten, die Geister der Ahnen anriefen und ihm dann deren Willen bekanntgaben, er solle die »RNM unterstützen«. Die größte Maske — die »Maske des Krieges« — näherte sich ihm dann und verkündete feierlich: »Die Geister wollen, daß du die Stadt Gorongosa eroberst. Sie wird nicht verteidigt, du kannst sie leicht einnehmen, wenn du sie plötzlich überfällst.« 269
Diese Information aber war ganz offensichtlich falsch, und Matsangai wurde ein Opfer seines eigenen Obskurantismus. Als im Oktober 1979 einige hundert Anhänger der RNM auf Gorongosa loszogen, um die Stadt zu plündern, stießen sie nicht nur auf eine starke Garnison der Regierungstruppen, sondern auch auf Panzer. Auf die »Kampfabteilungen der RNM« wurde massiertes Feuer eröffnet, Matsangai selbst dabei verwundet. Man transportierte ihn in einem Hubschrauber ab, doch auf dem Flug nach Rhodesien starb er. Den kleinen Dieb auf dem Posten eines Führers der RNM ersetzte man durch einen größeren Dieb: Nachfolger von Matsangai wurde Dhlakama; der hatte einst in den Reihen der Volksbefreiungskräfte gestanden, war aber für schuldig befunden worden, umfangreiche Diebstähle begangen zu haben, und wurde 1975 mit Schimpf und Schande aus der moçambiquischen Armee ausgestoßen. Übrigens war dieser neuernannte Kämpfer für die »Befreiung« Moçambiques erst 1974 der Armee beigetreten, als alle Kampfhandlungen gegen die Kolonialherren bereits beendet waren. Dafür hatte er vorher lange Zeit in den Reihen portugiesischer Strafkommandos gedient, die sich an Operationen gegen Patrioten beteiligt hatten. Wohl keine schlechte Biographie für einen Rassisten-Protege in der Rolle eines »Nationalhelden« des moçambiquischen Volkes! Dhlakama begann seine Tätigkeit damit, daß er den Herrn wechselte. Schon vor April 1980, als das rassistische Regime Rhodesiens zusammenbrach und die Unabhängigkeit Simbabwes proklamiert wurde, hatte man alle Akten aus der Baker Road in Salisbury eiligst nach Johannesburg gebracht. Und die Armee der Republik Südafrika sorgte dafür, daß die RNM-Leute nach Transvaal in die Lager Phalaborwa und Zoabstaad ganz in der Nähe der Grenze zur Volksrepublik Moçambique verlegt wurden. Die RNM war damit, wie der damalige Präsident der Volksrepublik, Samora Machel, es treffend ausdrückte, zur »Dienstmagd der südafrikanischen Aufklärung« geworden. »Für mich sind die Südafrikaner genau dasselbe wie Eltern«, erklärte Dhlakama ohne Umschweife. »Alles hängt von euch ab...«, und ein andermal bekannte er: »Ohne die Südafrikaner vermögen wir gar nichts...« Der Wechsel, der sich bei der RNM in bezug auf ihren Herrn und ihre Etappe ergeben hatte, zog auch eine Veränderung in ihrer Stra270
tegie nach sich. Von nun an waren ihre Ziele nicht mehr Objekte von lokaler Bedeutung, an deren Liquidierung das rassistische SmithRegime interessiert gewesen war, sondern solche, die für die gesamtafrikanische Strategie der Republik Südafrika von Interesse sein mußten, und Pretoria koordinierte seine terroristische Politik ja mit dem globalen Kurs der USA. Daß Pretoria gerade Moçambique zu einem Hauptobjekt seines Terrorismus werden ließ, ist kein Zufall. Für die Rassisten war nämlich jeder Erfolg dieser Volksrepublik nicht nur ein Schlag gegen ihre »Theorie«, der zufolge die Afrikaner gar nicht imstande seien, ihren Staat selbst zu regieren und die Probleme der ökonomischen Entwicklung selbst zu lösen. Für sie bedeutete jeder Erfolg Moçambiques, das eine geographische Schlüsselstellung in der südafrikanischen Region einnimmt, das eine relativ gut ausgebaute Infrastruktur besitzt und mehreren Staaten im Kontinentinnern einen Zugang zum Meer bietet, auch ein Schlag gegen ihre Pläne, die Länder des Subkontinents in wirtschaftlicher und strategischer Hinsicht weiterhin im Griff zu behalten. Solche antinationalen Ziele also verfolgten die konterrevolutionären Banden der RNM. An die Stelle von Überzeugung setzten sie Terror, nutzten sie animistische, religiöse Vorurteile aus. Wie zu Zeiten Matsangais spielte in ihren Lagern der Glaube an übernatürliche Mächte eine große Rolle. Man erzählte den Rekruten, sie würden, falls sie desertierten, von »Geistern in Löwengestalt« verfolgt. Vor jeder militärischen Operation nahm man »rituelle Kulthandlungen« vor, die, wie Dhlakama sagte, seine Leute »für kommunistische Kugeln unempfindlich« werden ließen. Von Zeit zu Zeit erschoß man in den RNM-Lagern Anhänger der Frelimo-Partei, die Dhlakama »von den Geistern ausgeliefert bekommen« habe. Wenn der »Oberkommandierende« vor seinen Gesinnungsgenossen auftrat, behauptete er regelmäßig, der von südafrikanischen Hubschraubern in sein Lager gebrachte Nachschub, Ausrüstung, Munition und Nahrungsmittel seien eine »Gabe der Geister«, die die RNM beschützten, die über moçambiquischem Territorium operierenden Spionageflugzeuge der Republik Südafrika das »Auge Gottes«, das ihm die notwendigen Informationen liefere. Als die südafrikanischen Spezialdienste erkannten, das Dhlakamas Leute für »große« Unternehmen nicht taugten, wiesen sie der RNM immer häufiger die bescheidene Rolle eines »afrikanischen Mäntelchens« für jene umfassenden und technisch komplizierten 271
Diversionen zu, die Spezialisten der südafrikanischen Armee oder weiße Söldner nun direkt ausführten. Mit Hilfe von Anhängern der RNM begingen die Reaktionäre größte Verbrechen: Sprengung eines Erdöltanks in Beira im Dezember 1982; Angriff auf das Erdölverarbeitungswerk in Maputo 1983; eine Serie von Überfällen auf Energie- und Verkehrsanlagen in Sofala. Mit technischer, militärischer und finanzieller Unterstützung der Republik Südafrika und der hinter ihr stehenden Spezialdienste der USA weiteten die »Hyänen« ihre terroristischen Aktivitäten allmählich fast auf das gesamte Territorium von Moçambique aus. Das Land zu bereisen, wie ich dies in früheren Jahren getan hatte, war jetzt gefährlich geworden. Im Februar 1983 erhielt eine Gruppe von Journalisten, darunter auch ich als TASS-Korrespondent, die Möglichkeit, einen den »Hyänen« von der Armee entrissenen Stützpunkt in der Provinz Gaza zu besichtigen. Dabei konnten wir uns davon überzeugen, daß die Republik Südafrika und deren westliche Beschützer die Hauptrolle bei der Ausbildung und Ausrüstung der RNM spielen. Man zeigte uns den Terroristen abgenommene Waffen mit dem Vermerk »Hergestellt in Südafrika«. Unter den erbeuteten Stücken befanden sich auch Granatwerfer und Munition, Minen gegen Panzer und Infanterie, alles aus NATO-Ländern stammend. Bei ihrem überstürzten Rückzug hatten die Banditen die aus der Republik Südafrika erhaltenen Instruktionen, Chiffres, Notizen mit Funksprüchen, die aus Pretoria eingegangen waren und Nachrichten über die Standorte von Einheiten der moçambiquischen Armee, von wirtschaftlichen Objekten und über Transporte auf den Hauptverkehrswegen der Republik enthielten, nicht mehr zu vernichten vermocht. Außerdem hatte man in den Rucksäcken der Gefangenen Hunderte von in Johannesburg gedruckten Flugblättern gefunden, die zur Beseitigung der Volksmacht aufriefen. In einer Reihe von Lagern der Banditen hatte man Pässe von Bürgern der Republik Südafrika entdeckt. Und noch ein vielsagendes Detail: Für besondere Verdienste im Solde Pretorias, genauer gesagt, für die schändlichen Verbrechen gegen seine afrikanischen Landsleute, erhielt der Verräter Dhlakama den Rang eines Obersten der Rassistenarmee! Der südafrikanische Verteidigungsminister, der Dhlakama die Epauletten anheftete, sagte dabei zu ihm: »Ihre Armee ist Teil der südafrikanischen Verteidigungskräfte...« 272
Die Volksrepublik Moçambique will aufbauen, die Terroristen der RNM aber wollen zerstören; die Moçambiquer wollen frei sein, die »Hyänen« aber sie in die Knechtschaft der Rassisten treiben. Die durch bewaffnete RNM-Banden verursachten Verluste beliefen sich allein für 1983 auf zweihundert Millionen Dollar — für die junge Republik eine ungeheure Summe. Die Tätigkeit der »Hyänen« ist die Hauptursache für die im Lande vorhandenen ernsten ökonomischen Schwierigkeiten. Diese zu beheben und alle notwendigen Voraussetzungen für ein weiteres Voranschreiten der Volksrepublik auf dem Wege des Fortschritts zu schaffen, dazu hat der IV. Parteitag der FRELIMO, der im April 1983 in Maputo stattfand, das mocaambiquische Volk aufgerufen. Er stand unter der diesen Zielen entsprechenden Losung: »Das Vaterland schützen, die Rückständigkeit überwinden, den Sozialismus aufbauen!«
Bei Genossenschaftsbauern im Limpopo-Tal Wie wird diese Losung in die Praxis umgesetzt? Wie wird sie im wichtigsten Zweig der moçambiquischen Wirtschaft realisiert, der die meisten Investitionen, die besten Kader erhält — in der Landwirtschaft? Leben doch über 85 Prozent der rund vierzehn Millionen Bürger der Volksrepublik von Ackerbau und Viehzucht. Davon, wie es auf dem Lande vorwärts geht, davon hängt sehr, sehr viel ab: sowohl die Lösung des Nahrungsmittelproblems als auch die Versorgung der Industrie mit einheimischen Rohstoffen und die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes, letztlich auch die Popularität der Frelimo-Partei, die Aussichten, ihr Programm erfüllen zu können. Damit wir den Alltag im moçambiquischen Dorf, seine Probleme und Erfolge kennenlernen, wollen wir uns in die Provinz Gaza begeben, die unmittelbar nördlich von Maputo liegt. Das erste Mal war ich 1977 dort gewesen, als eine größere Gruppe obdachlos gewordener Bauern in das Küstenstädtchen Xai-Xai kam. Die Leute erzählten, daß mehrere Jahre hindurch in ihrem Gebiet kein Regen gefallen, der Boden ausgetrocknet und hart wie Asphalt geworden sei. Dann aber hätte plötzlich ein Regenguß eingesetzt, dem ein zweiter, 273
ein dritter folgten. Die von den Regenmassen angeschwollenen Flüsse Limpopo und Incomati seien über die Ufer getreten und hätten Hütten, Felder und Weiden überflutet. Die Flüchtlinge hatten am Rande undurchdringlichen Dickichts provisorische Schilfhütten gebaut, einige der Bauern überlegt, ob sie nicht tiefer in den Wald eindringen, sich dort irgendwo an einem Flüßchen niederlassen sollten. »Natürlich könnt ihr euch im Wald verstreuen und dort weiter so leben, wie ihr bisher gelebt habt — jeder für sich allein, die eine Familie mehrere Stunden Fußmarsch von der anderen entfernt«, hatte man den Bauern gesagt. »Wäre es aber nicht vielleicht besser, wenn euch die Umstände nun schon einmal zusammengeführt haben, beieinander zu bleiben und eine Aldeia communal, ein Genossenschaftsdorf, zu gründen? Wenn ihr im Wald lebt, könnt ihr wie früher eure Kinder nicht zur Schule schicken, keinen Arzt rufen, wenn ihr krank werdet, keine Hilfe bekommen, wenn erneut Naturgewalten hereinbrechen. Habt ihr euch aber ein Genossenschaftsdorf geschaffen, werdet ihr mit Unterstützung der Regierung ein neues Leben beginnen.« Dafür entschied man sich dann auch. Nur ein paar Leute gingen unter Führung des reichen Häuptlings in den Wald, zweihundertvier Familien aber, fast zweitausend Menschen, blieben an dessen Rand, begannen Bäume zu fällen, Stubben zu roden, den Boden zu säubern, um Platz für Felder und Behausungen zu bekommen. Heute nun zeichnen sich im jungfräulichen tropischen Dschungel bereits die Konturen einer Genossenschaftssiedlung ab, die nach einem Typenprojekt errichtet wird. Vier Wohnviertel, in denen je fünfzig Familien leben werden, Schilfhütten mit je drei Zimmern, einer überdachten Terrasse und einer Küche. Vor jedem Anwesen ein dazugehöriges Stück Land, durch auf die Hauptstraße führende Gänge voneinander getrennt. An der Straße liegen die Grundschule, die Sanitätsstelle, der Klub, das Frelimo-Haus und der Volksladen. Der Boden ist Moçambiques Hauptreichtum. Er ist hier fast überall fruchtbar, und wenn man ihn bewässert, vermag er zwei bis drei Ernten im Jahr zu liefern. Schätzungsweise kann man auf einem Drittel der Gesamtfläche des Landes intensive Landwirtschaft betreiben, also auf etwa 25 Millionen Hektar, und das bedeutet über drei Hektar je erwachsenen Einwohner. Diese riesigen tropischen Neulandgebiete zu erschließen, in erster Linie zu bewässern, das übersteigt die Kraft einer Aldeia communal, 274
sogar die von Genossenschaften. Deshalb übernimmt der Staat die Verwirklichung der komplexen Pläne, die das sozialökonomische Gesicht ganzer Regionen von Moçambique verändern sollen. Das grandioseste Projekt wird im Tal des Limpopo verwirklicht, das gemäß dem von sowjetischen Fachleuten erarbeiteten Generalplan für die komplexe Nutzung der Wasser- und Bodenressourcen zur wichtigsten Kornkammer der Republik werden soll. Der Gouverneur der Provinz Gaza erzählte uns dazu folgendes: »Die Idee, hier für den Marktbedarf produzierende Farmen anzulegen und eine moderne Industrie zu schaffen, die deren Erzeugnisse verarbeiten soll, war schon in kolonialer Zeit aufgekommen. Am Rio dos Elefantes, dem bedeutendsten Nebenfluß des Limpopo, hatte man mit dem Bau des Staudamms von Massingir begonnen, der das Gebiet vor den fast jährlich auftretenden verheerenden Überschwemmungen bewahren und eine Erweiterung der von weißen Farmern bewässerten Flächen ermöglichen sollte. Dieses Werk zu beenden, hat man uns überlassen. Natürlich mußten wir uns auch damit abgeben, die neuen fruchtbringenden Böden zwischen den afrikanischen Genossenschaften und den Staatsbetrieben aufzuteilen.« Unser Auto hat den die Wasserscheide bildenden, mit von Staub überzogenen stachligen Akazien bestandenen Höhenzug überquert, und da sehen wir unten einen riesigen Bauplatz liegen. »Jetzt sind wir hier dabei, einen zweiten Staudamm zu schaffen, den von Mapai, der den Limpopo selbst zähmen wird«, fuhr der Gouverneur fort. »Das System von Staudämmen, das wir gegenwärtig hier errichten, wird uns eine Viertelmillion Hektar bewässerter Böden schenken. Insgesamt aber, so schätzt man, könnte man im Tal acht Millionen Hektar erschließen, mehr als das Doppelte der Fläche, die in Moçambique insgesamt vor Erlangung der Unabhängigkeit bearbeitet worden ist. Dazu müßten noch ein oder zwei Dämme an Nebenflüssen des Limpopo gebaut werden. Wenn der Generalplan für die komplexe Erschließung dieser Region verwirklicht wird, könnte nicht nur die Bevölkerung der Provinz Gaza vollständig mit Nahrungsmitteln versorgt, sondern jährlich auch noch eine Menge von 500 000 Tonnen Kaschunüssen und 20 000 Tonnen Fleisch in andere Landesteile geliefert oder exportiert werden. Dazu käme ein Plus an Elektroenergie von 300 Millionen Kilowattstunden im Jahr. Auf dieser Basis werden entsprechend dem 275
von sowjetischen Fachleuten erarbeiteten und von moçambiquischer Seite im September 1984 akzeptierten Projekt Bewässerungsanlagen, Viehfarmen, Fischwirtschaften, Betriebe der Nahrungsmittelindustrie, Energiesysteme, Straßen und Berufsschulen geschaffen. In der Stadt Xai-Xai hat man bereits ein Werk für Metallverarbeitung, eine Tischlerei, Labors und eine Werkstatt mit Garage für hundert Autos gebaut. Es sind auch neue wasserführende Horizonte entdeckt worden, so daß Städte, Genossenschaftsdörfer und Industriebetriebe in einem Gebiet von über 20 000 Quadratkilometern mit Wasser versorgt werden könnten. Man hat etwa vierzig Bohrungen niedergebracht und dabei Steinsalz- und Sodavorkommen gefunden. Besonders gute Perspektiven hat die Viehzucht. Allerdings wäre es notwendig, daß die Weideflächen mit Wasser versorgt werden. Deshalb gehört die Erkundung von Wasser zu den wichtigsten Aufgaben im Rahmen der sowjetisch-moçambiquischen Zusammenarbeit. In den Dürregebieten von Gaza hat man schon mit dem Bohren von Brunnen begonnen. Die ersten liefern den Bauern bereits das lebenspendende Naß. Der von der Regierung gebilligte langfristige Plan sieht die Schaffung von Wasserstellen für je hundert Familien vor. Das will man durch Anlage von fünfzehntausend neuen Brunnen sowie durch Bohren oder Rekonstruktion von viertausend artesischen Brunnen erreichen. So umfangreiche Arbeiten für die Versorgung der Landbevölkerung mit Wasser hat bislang kein einziges Land in Tropisch-Afrika gekannt!«
Lourenço Marques wird Maputo Aus dem Delta des Limpopo gelangt der flinke Ozeankutter, von den schaumgekrönten Wellen bald nach oben, bald nach unten befördert, in drei, vier Stunden bis nach Maputo. Von den im Tal dieses Flusses liegenden Großbaustellen könnte man die Hauptstadt natürlich auch auf der Landstraße erreichen, doch ich habe bewußt den Wasserweg gewählt: Ein Eintreffen in Maputo von See her ist stets ein besonderes Erlebnis. Fährt man zu Schiff in die gewaltige Maputo-Bai ein (die Por276
tugiesen nennen sie Delagoa-Bai) und nähert sich der Hauptstadt, dann entfaltet sich vor einem ein wundervolles Panorama. Unmittelbar an der Küste liegt Baixa, die »Unterstadt«, wo sich Steinkolosse, Anfang dieses Jahrhunderts in neoklassizistischem Stil erbaut, mit eleganten modernen Gebäuden aus Glas und Beton abwechseln. Reihen von Königspalmen ziehen sich an der prächtigen Uferstraße entlang. Über Baixa erhebt sich auf der von Serpentinen zerschnittenen Seeterrasse Alto, die »Oberstadt«: eine Zitadelle von zwanzigbis dreißigstöckigen Bauten, die an den viele Kilometer langen breiten Avenidas errichtet worden sind. Oft wird Maputo als schönste Hauptstadt Afrikas, aber auch als am ungünstigsten gelegene Hauptstadt der Welt bezeichnet, was ihre Lage zum Territorium des eigenen Landes betrifft. Diese Einschätzungen haben durchaus etwas für sich. Man braucht nur ein einziges Mal durch die im Schatten blühender Sykomoren liegenden Straßen der Baixa zu schlendern, auf einer Brüstung der Uferboulevards zu sitzen oder durch die stets festlich gestimmten, sonnenüberfluteten Avenidas der Alto zu fahren, schon wird man sich für immer in diese Stadt verlieben, ihr unverwechselbares Kolorit empfinden. Man braucht aber auch nur einen einzigen Blick auf eine Karte der Volksrepublik Mocambique zu werfen, um zu begreifen: Maputo, das sich da im äußersten südlichen Zipfel des Landes entwickelt hat, besitzt in Moçambique praktisch kein Hinterland. Das Territorium der Volksrepublik, das auf der geographischen Breite von Tete und Rovuma wie ein mächtiger Koloß wirkt, keilt im Gebiet von Maputo in einen schmalen Streifen aus. So nimmt eine Reise von der moçambiquischen Hauptstadt in die Republik Südafrika, nach Swasiland oder selbst nach Simbabwe nur Stunden in Anspruch, in jede nördlich von Beira gelegene moçambiquische Provinz aber Tage. Selbst die Insel Moçambique, die unmittelbar vor jenem moçambiquischen Koloß mit seinen potentiellen wirtschaftlichen Möglichkeiten liegt, wäre ein geeigneterer Ort für die Hauptstadt geblieben als das durch Grenzen anderer Staaten eingeengte, ans Meer gedrängte, bis 1987 unter den Überschwemmungen in der Küstenebene leidende Maputo. Nichtsdestoweniger übersiedelte, wie wir bereits wissen, die Kolonialverwaltung 1898 von der Insel Moçambique aufs Festland. Die Gründe hierfür? Darüber verbreiten sich die Portugiesen nicht gern, denn jeder dieser Gründe wirft ein bezeichnendes Licht auf die Schwäche von Lissabons Positionen in dieser Region Süd277
afrikas, die fünf Jahrhunderte lang als »portugiesisch« galt, praktisch aber nie völlig vom Mutterland kontrolliert wurde. Schon Vasco da Gama und Alvarez Cabral hatten 1502 auf ihren Karten vermerkt, daß es hier eine riesige Bucht gibt, an deren nördlichem Ufer sich heute die moçambiquische Hauptstadt ausbreitet. Ihr erster Erforscher aber wurde Lourenço Marques, ein bis dahin unbekannter kleiner Kaufmann. Um seine Geschäfte aufzubessern, hatte er sich vorgenommen, einen noch von niemandem erschlossenen Küstenabschnitt südlich von Inhambane zu suchen, den er zu seinem Erbgut machen wollte, um, ohne Konkurrenten fürchten zu müssen, unter dem Deckmantel, »Handel zu treiben«, die Eingeborenen ausplündern und betrügen zu können. Zu diesem Zweck erforschte er 1544 auf seinem Handelsschiff das Limpopo-Delta, das er als »von Gott verfluchten, Fieber erzeugenden Sumpf« charakterisierte. Anschließend aber gelangte er, vom Nordwind getrieben, in eine breite Bucht, »wie er eine dieser Größe noch nie gesehen hatte«. Lourenço Marques nahm mit den hiesigen Stammeshäuptlingen Handelsbeziehungen auf und gründete am versumpften Ufer des Incomati so etwas wie eine Faktorei. Auf der die südliche Einfahrt in die Delagoa-Bai schützenden Insel Inhaca hielt er alljährlich Märkte ab, auf denen er gegen Glasperlen und billige Stoffe Elfenbein und Schildkrötenpanzer eintauschte. Krone und Fiskus vermerkten die Verdienste des unternehmungsfreudigen Kaufmanns: König Johann III. befahl, Lourenço Marques’ Namen zu verewigen und die an die Delagoa-Bai grenzende Küste nach ihm zu benennen. Festen Fuß vermochten die Portugiesen hier allerdings nicht zu fassen. Die hier lebenden Stämme waren aufsässig, und Strafexpeditionen gegen sie auszurüsten mit den Kräften der Garnison auf der fernab gelegenen Insel Moçambique, das war mit zu großen Kosten verbunden. Daher versuchte jeder, der nur irgend konnte, an der Küste der Bucht seine Geschäfte zu machen. Am aktivsten war in dieser Gegend Österreich! Kaiserin Maria Theresia, bestrebt, nicht hinter den anderen Großmächten zurückzustehen, die schon Kolonien in Afrika besaßen, rüstete 1777 eine ganze militärische Expedition an die Küste der Delagoa-Bai aus. Der sie leitende Oberst hatte Befehl, auf Inhaca die österreichische Flagge zu hissen, an der Bucht ein Fort anzulegen und anschließend die Besitzungen zu erweitern. Ebendieses koloniale Abenteuer Wiens gab den Anstoß auch für 278
das Entstehen der Siedlung Lourenço Marques, des heutigen Maputo. Mit Hilfe eines aus Goa entsandten Geschwaders vertrieben die Portugiesen nämlich die Österreicher von hier. Um Lissabons Rechte auf dieses Gebiet zu bekräftigen, baute man 1781 inmitten tropischer Sümpfe die erste portugiesische Festung in dieser Gegend. Sie stand an der gleichen Stelle, an der sich heute in dem am Ufer gelegenen Teil von Baixa wie ein roter Fleck die Mauern des Forts »Unbefleckt empfangene Jungfrau« abheben. Doch selbst im Schutz der Festungsmauern können die Portugiesen sich hier nicht sicher fühlen: Von den Grenzen des Reiches des mächtigen Chaka trennt sie lediglich eine Entfernung, die die kriegerischen Zulu an einem einzigen Tage zurücklegen. 1833 erobern Zulu vom Stamm Watua die Festung, umgehen anschließend die Portugiesen von Westen her, fallen in Gaza ein und gründen dort einen eigenen Staat. Dieses Reich der Watua-Zulu, an dessen Spitze der Häuptling Gungunhana, Moçambiques Nationalheld, steht, ist die letzte Kraft, die aktiv der portugiesischen Kolonisierung Widerstand leistet. Durch den Aufstand von Gungunhana, dessen Einfluß in den sechziger bis achtziger Jahren über die Grenzen von Gaza hinausreicht und sich auf Inhambane sowie den südlichen Teil von Manica und Sofala ausdehnt, ist das Gebiet um Lourenço Marques vom restlichen Teil der portugiesischen Besitzungen praktisch abgeschnitten. Das nutzten die Engländer, deren südafrikanische Besitzungen fast an die Küste der Delagoa-Bai heranreichten, unverzüglich aus. Südlich dieser Bucht gab es nämlich an der südafrikanischen Küste nicht die kleinste geeignete Bucht, nicht den kleinsten natürlichen Hafen, und das betrachtete London als unverdienten Nachteil; es war deshalb schon seit langem auf die Delagoa-Bai erpicht und begründete dies mit der »Notwendigkeit«, hier einen großen Seehafen anlegen zu müssen, der Teil des rasch sich entwickelnden südafrikanischen Verkehrssystems werden sollte. Kaum hatte Gungunhana also Lourenço Marques von den portugiesischen Forts am Sambesi und auf der Insel Moçambique abgeschnitten, da hißten die Engländer auch schon auf Inhaca — es war 1861 — den »Union Jack« und erklärten das Südufer der DelagoaBai zu ihrem Besitz. Lissabon und London standen vor einem ernsten Konflikt. Damit dieser sich nicht zu einem Krieg ausweitete, wandten sich beide 279
Staaten um Vermittlung an Frankreich. Dessen Präsident war damals kein Franzose, sondern der Ire McMahon. Englische Historiker behaupten, er habe 1875 automatisch den Streit zugunsten Portugals entschieden, weil er »zusammen mit der Muttermilch einen wütenden Haß auf alle Briten in sich eingesogen hatte«. Wichtigster Grund für McMahons »antienglische« Entscheidung war jedoch, daß er, wenn er die Delagoa-Bai im Besitz des schwachen Portugal beließ, den immer stärker werdenden burischen Kolonien, in erster Linie Transvaal, das an der Schwelle eines Krieges mit England stand, den Weg zur Küste dieser Bucht öffnete. Die Buren unterstützten die Portugiesen aktiv in ihrem Konflikt mit London, entsandten eine Delegation zu McMahon und versicherten sich schon damals der Zustimmung Lissabons zum Bau eines großen Hafens am Ufer der Delagoa-Bai sowie einer Eisenbahn, die diesen mit Pretoria verbinden sollte. Mit deren Bau wurde 1883 begonnen. Das burische Transvaal hoffte, auf diese Weise einen Zugang zum Meer zu erhalten und so die schon damals von den Engländern kontrollierten Häfen Durban und Cape Town meiden zu können. Da die Portugiesen im Süden nunmehr freie Hand bekommen hatten, konnten sie zu Beginn der achtziger Jahre Kräfte für den Kampf gegen Gungunhana sammeln. Es war dies durchaus keine leichte Aufgabe; zwar fand man auf allen europäischen Karten jener Zeit die moçambiquischen Provinzen Gaza und Inhambane als zu Portugal gehörig verzeichnet, ihr »wahrer Herrscher« aber war nach einem Ausdruck von Elisee Reclus der Zulukönig von Gaza. Im Norden reichten die Grenzen von Gungunhanas Herrschaftsgebiet bis dicht an den Sambesi, und im Süden verliefen sie am Incomati, das heißt dicht vor Lourenço Marques. Gungunhana gebot somit über das gesamte vom Volk der Tsonga bewohnte Territorium, die von den südlicher lebenden Zulu als Ronga, als »östliche Stämme«, bezeichnet wurden, von den Portugiesen aber als Shangaan, nach dem Namen des Häuptlings aus der Dynastie Manukosa, der im Gebiet um Lourenço Marques zu Zeiten Chakas regiert hatte. Erst 1895 gelang es den Portugiesen, das Bündnis zwischen Watua und Tsonga zu zerbrechen und Gungunhanas Armee zu besiegen. Im gleichen Jahr erreichte die von Pretoria ausgehende Eisenbahnlinie das versumpfte Ufer der Delagoa-Bai. Und drei Jahre später wurde das auf allen Seiten von Tsonga-Dörfern — sie hießen nach den Namen ihrer Häuptlinge Maputo, Polana, Chipamatine — 280
umgebene unbekannte Fort Lourenço Marques zur Hauptstadt von »Portugiesisch-Ostafrika« erklärt. Die Stadt entwickelte sich quälend langsam, in einer ungesunden Gegend, inmitten von Sümpfen, Brutstätten von Mücken, Malariaherden. Durch den Europäern unbekannte Fieber hervorgerufene Epidemien rafften sowohl Schwarze als auch Weiße dahin. Die Ursache für solche Epidemien sah man bald in dieser, bald in jener hier vorkommenden Pflanzenart. In der geographischen Literatur jener Zeit tauchte sogar die Bezeichnung »Fieberbaum« auf. Man fällte ihn, verbrannte ihn anschließend, und das führte zu einer noch größeren Ausbreitung der Sümpfe und der Malaria. Erst in ihrem Ausmaß riesige Anpflanzungen von Eukalyptusbäumen, zu denen Zehntausende von Afrikanern zwangsverpflichtet wurden, vermochte mit der Zeit der weiteren Verbreitung solcher Krankheiten Einhalt zu gebieten. Der Eukalyptus heißt seither bei den Tsonga »Sklavenbaum«. In jener Zeit, in der die moçambiquische Hauptstadt ausgebaut wurde, gelangte ein russisches Kriegsschiff, das eine Fahrt aus der Ostsee nach Wladiwostok unternahm, in die Delagoa-Bai. Damals erfolgte die erste Beschreibung von Lourenço Marques durch einen Russen, den Schiffsoffizier Doliwo-Dobrowolski. Sie ist so interessant, daß es lohnt, sie hier, nur unwesentlich gekürzt und in bezug auf ethnographische und geographische Namen etwas korrigiert, einmal zu zitieren: »Fast einen Monat lang segelten wir vom Kap der Guten Hoffnung hierher, erlebten am schrecklichen Nadelkap einen Sturm, bis wir in ständigem Kampf mit Gegenwinden und Gegenströmungen endlich in die ausgedehnte Delagoa-Bai einliefen. Von hier aus fuhr der Kreuzer flußaufwärts und ging unweit des portugiesischen Städtchens Lourenço Marques vor Anker. Die Blicke der Offiziere, der Signalgeber und der gesamten Mannschaft sind neugierig auf das unbekannte Bild nackter schwarzer Menschen gerichtet, die Leopardenfelle um die Hüften geschlungen haben, Speere, Bögen und Pfeile in den Händen halten. Es sind Zulu vom Stamm der Tsonga; diese schönen hochgewachsenen Menschen beeindrucken durch ihren harmonischen Körperbau und ihre vortrefflich entwickelte Muskulatur. Die Portugiesen haben niemals und nirgends einen besonders zivilisierenden Einfluß auf die Eingeborenen ausgeübt, daher braucht 281
man sich nicht zu wundern, daß sich die Nähe von Lourenço auf diese Wilden nicht ausgewirkt hat. Manche von ihnen, die keine Leopardenfelle besitzen, zeigen eine fast urväterliche Nacktheit. Nach Erledigung der vom Kommandanten festgelegten Formalitäten erhalten die Offiziere die Erlaubnis, an Land zu gehen. Ich begebe mich nach Lourenço. Da ist auch schon das Haus des Gouverneurs mit kleinem Garten und einer Palmenallee, mit der Nationalflagge an einer Stange. Ich gehe daran vorbei und gerate über die Hauptstraße auf einen Platz voller Buden. Was es hier nicht alles gibt! Schwer zu sagen, was mannigfaltiger ist — Händler oder Waren. Hier gibt es sowohl Neger als auch Mulatten, sowohl Kreolen als auch Inder aus Ceylon... Lärm, Geschrei, Geschiebe und hastiges Gedränge; auf großen Unterlagen sieht man Leopardenfelle, Büffel- und Affenhäute, Elefantenstoßzähne und Flußpferdhauer, Palmenfasermatten, nachgeahmte Steine und Glasperlen, Nahrungsmittel — und das alles in der ungewöhnlichen Nachbarschaft von minderwertigen deutschen Manufakturerzeugnissen. Rum, Gin und Kognak spielen unter den angebotenen Waren eine herausragende Rolle. Originell sind auch die Käufer, die sich gruppenweise durch die Buden drängen und von denen der eine in ein Laken, der andere in ein Tierfell gekleidet, noch ein anderer gänzlich unbekleidet ist. Wenn ein Käufer zu neugierig ist, vertreibt ihn der Händler einfach mit einem Knüppel, zur allgemeinen Erheiterung des übrigen Publikums, das in wildes Gelächter ausbricht...« Wie sehr haben sich seitdem die Stadt und ihre Bewohner verändert! Wie früher geblieben sind vielleicht noch die in ihrem Temperament einmaligen wundervollen Tänze der Tsonga, mit denen man auf dem hauptstädtischen Flugplatz gewöhnlich hochgestellte Gäste zu begrüßen pflegt. Von dem, was Doliwo-Dobrowolski gesehen hat, ist lediglich noch das auf allen Seiten mit inzwischen grün gewordenen Bronzekanonen ausgestattete Fort erhalten geblieben, in dessen roten Mauern heute das Historische Museum untergebracht ist. Den Begriff »antigo« (antik) wenden die Moçambiquer in ihrer jungen Hauptstadt auf Bauten vom Ende des vorigen, Anfang unseres Jahrhunderts an. Doch es sind ihrer nicht viele, weil nämlich in der ersten Zeit die Portugiesen, die sich ihrer Schwäche bewußt waren und in Mocambique keine starken Konkurrenten sehen wollten, kein ausländisches 282
Kapital in die Kolonie hereinließen, eigenes aber fand sich für ihre afrikanischen Besitzungen nicht. Daher ist selbst der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im architektonischen Antlitz der Hauptstadt nur schwach vertreten. Die Hauptsehenswürdigkeiten von Baixa sind aus jener Zeit der mächtige Klotz des Bahnhofs, von dem aus Strecken nach der Republik Südafrika, nach Simbabwe und Swasiland ausgehen, das komfortable Haus der Bank »Totto e Moio« sowie das Gebäude der Stadtverwaltung. Vor letzterem stand früher ein geschmackloses riesiges Denkmal für Muzinho de Albuquerque, den letzten portugiesischen Eroberer Moçambiques, der die von Gungunhana angeführte antikoloniale Bewegung in Blut ertränkte. Der Konquistador saß hoch zu Roß, wies mit dem Finger nach unten, wo auf dem Platz vor dem Denkmalsockel in riesigen weißen Buchstaben die Inschrift »Hier ist Portugal!« eingelassen war. So ist wohi nicht verwunderlich, daß die Afrikaner sich beeilten, das Albuquerque-Denkmal als erstes auf die Müllkippe der Geschichte zu werfen. Auch die anmaßende Inschrift verschwand von Moçambiques Boden. Links von der Stadtverwaltung liegt zwischen hohen Gebäuden und Kirchen der Botanische Garten, ein stilles, gemütliches exotisches Fleckchen, das sich erstaunlich gut in das Zentrum der heutigen Stadt einfügt. Unweit davon verbirgt sich hinter blühenden Oleander- und Hibiskussträuchern das Haus der britischen Botschaft, in das sich seinerzeit der junge Winston Churchill nach seiner Flucht aus burischer Gefangenschaft zurückgezogen hatte. Von hier aus kann man durch jede der nach oben führenden Straßen nach Alto, der Oberstadt, gelangen. Unmittelbar am Rand der auf die Maputo-Bai hinabschauenden Seeterrasse findet man in der Oberstadt ebenfalls einige Bauten, die an die portugiesische Vergangenheit erinnern. Sie sind im aristokratischen Viertel Polona konzentriert, das an der Stelle liegt, wo einst der Kraal eines Tsonga-Häuptlings stand. Es sind dies der ehemalige Palast des Generalgouverneurs, heute »Ponto Vermelho« (»Roter Punkt«) genannt und nunmehr Residenz des Staatsoberhaupts der Republik, eine Reihe luxuriöser Villen, in denen früher die höchsten Vertreter der Kolonialadministration und Konsuln jener Länder wohnten, die sich nicht scheuten, Beziehungen zum kolonialfaschistischen Lissabon zu unterhalten, ferner der grandiose Hotelkomplex »Polona«, das in maurischem Stil erbaute Nationalmuseum, 283
vor dem die Portugiesen ein Denkmal Heinrichs des Seefahrers aufgestellt hatten, und schließlich das supermoderne Hotel »Cardoso«, in der Vergangenheit berüchtigt als Unterkunft von »JardemLeuten«. Auf diese portugiesischen »Raritäten« rückt von allen Seiten das neue Alto heran — Viertel von Allerweltshäusern, zwanzig- bis dreißigstöckigen Gebäuden, die eine Art Denkmal für die Mitte der sechziger Jahre darstellen. Eben zu jener Zeit öffnete Lissabon seine Kolonie für das Auslandskapital, da es begriffen hatte, daß es Mocambique mit eigenen Kräften nicht zu halten vermochte. Als erste folgten dieser Einladung die Südafrikaner. Sie begannen Lourenço Marques auszubauen und zu erschließen, als sei es ihre eigene Stadt, führten darin gleichzeitig ihre eigene rassistische Ordnung ein. Wie auch im ganzen Lande fühlten sich die Portugiesen in Lourenço Marques nicht mehr als »Kolonialherren« von Moçambique, sondern nur noch als eine Art Zulieferer für ihre stärkeren wohlhabenderen südlichen Nachbarn. Als Moçambique im Juni 1976 den ersten Jahrestag seiner Unabhängigkeit feierte, wurde Lourenço Marques in Maputo umbenannt. Und es änderten sich auch viele andere Bezeichnungen in der Stadt; das spiegelt sich in den Namen von Straßen und Plätzen wider. Sie wurden nach Daten und Namen umbenannt, die den Mocambiquern teuer sind: Avenida des 25. Juni, Platz der Revolution, Karl-Marx-Straße, Leninstraße, Ho-Chi-Minh-Straße... Gleichzeitig nahm man in Maputo aber auch tiefgreifendere, soziale Veränderungen in Angriff, deren Verwirklichung das Antlitz der Hauptstadt grundlegend gewandelt hat. Denn Baixa und Alto, diese beiden historisch entstandenen Teile des »weißen« Lourenço Marques, der »Cidade do cimento« (»Zementstadt«), waren durch ihre bürgerliche Ideologie, ihre rassistische Kultur und ihren hochmütig zur Schau gestellten Reichtum den Afrikanern fremd geblieben. »Cidade do caniso« — »Schilfstadt« —, so bezeichnete man die unübersehbaren Viertel, ausgedehnten Vorstädte und Dörfer, in denen die afrikanische Bevölkerung der Hauptstadt lebte und die jene als dichter Ring einschlössen. Mit Ausnahme von Chipamine, eine Art Potjomkinsches Dorf, das Salazar hatte anlegen lassen und wo es einen Markt mit afrikanischen Souvenirs für Touristen gab, lernte kaum ein Ausländer diese »Halskette aus Elendsvierteln« für Afri284
kaner kennen, die sich das mit seiner Schönheit und Verschwendungssucht prahlende koloniale Lourenço Marques umgehängt hatte. Diese beiden klassenmäßig antagonistischen Städte zu »vereinigen«, die Rassenschranken zu beseitigen, den Afrikanern zu helfen, sich Alto und Baixa »anzueignen« — das waren die Aufgaben, die vor der Volksmacht, der Frelimo-Organisation von Maputo standen. Ein sehr wichtiger Schritt auf dem Wege zur Afrikanisierung der »Cidade do cimento« war der Beschluß der Regierung der Volksrepublik, den Großgrundbesitz zu nationalisieren. In die mehrgeschossigen Häuser von Alto wies man Bestarbeiter und kinderreiche Familien ein. Bei dieser Aktion wurde die Partei vor allem von ihren Jungaktivisten, den »Dinamisatoren«, unterstützt. »In der ersten Zeit gab es allerlei Verwirrung, als solche vielgeschossigen Gebäude bezogen wurden«, erzählte mir einer der Jungaktivisten. »Die gestrigen Bewohner der Elendsviertel, gewöhnt, unter unhygienischen Bedingungen zu leben, wußten ja zum Beispiel gar nicht, wie sie mit den Sanitärzellen umzugehen hatten. Manche Hausfrauen hatten noch nie einen Gasherd gesehen, es kam zu Bränden, Explosionen. Und hiesige konterrevolutionäre Elemente gössen noch Öl ins Feuer, indem sie verbreiteten, die Frelimo-Partei ließe ,die Menschen zugrunde gehen’. Dann kam es zu Problemen bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln: Die Leute in den Randgebieten hatten keine Vorstellung davon gehabt, wie man die in den Geschäften in Dosen, Schachteln oder in Pulverform verkauften Dinge verbrauchen sollte. Einige Nahrungsmittel waren mit Tabus belegt gewesen. Mache glaubten beispielsweise, wenn eine schwangere Frau ein Ei verzehre, werde ihr Kind kahlköpfig zur Welt kommen. Andere waren überzeugt, wenn Kinder Honig zu sich nähmen, bekämen sie Furunkel. Und erneut Gerüchte: Die Frelimo-Leute hätten die Menschen in die Steinhäuser gepfercht, weil man ihnen in den Dörfern den Boden wegnehmen und sie hungern lassen wolle.« »Und wie sind Sie mit diesen Gerüchten fertig geworden?« »Durch überzeugende Agitation«, erwidert man mir. »Mehr als sechshundert Dinamisatoren sind von Haus zu Haus gegangen, haben den Leuten erklärt, sie zu der Einsicht gebracht, daß die Frelimo-Partei, wenn sie Afrikaner in moderne Häuser einweist, eine 285
große und nützliche Sache tut. Diese Arbeit hat sich fast drei Jahre hingezogen.« Neue Nachbarn tauchten auch bei mir auf, bei der Vertretung von TASS in der Friedrich-Engels-Straße. Eines Tages bemerkte ich draußen Afrikaner, die ein paar Habseligkeiten in den Nachbareingang trugen. Einer von ihnen streckte mir. als ich dann vorm Haus auf ihn stieß, freundlich die Hand entgegen. »Lusio Migoa«, stellte er sich vor. »Ich weiß bereits, daß Sie ein sowjetischer Journalist sind. Ich selbst arbeite als Gehilfe des Lotsen im Hafen.« Einige Tage später, an einem Sonnabend, schaute Lusio bei mir herein, um eine Tasse Tee mit mir zu trinken. Der moçambiquische Winter erreichte seinen Höhepunkt, es war also Mitte Juli, die Jahreszeit der relativ kurzen milden Tage. Die lassen bei zufällig hier Durchreisenden, die nichts von den hiesigen stickigen Dezembernächten wissen, oft die Meinung aufkommen. »Maputos Klima ist das beste der Welt«. Die Sonne stand bereits tief am Horizont, die schon seit langem durch keinen Regen mehr mit Feuchtigkeit gesättigte Luft war außergewöhnlich trocken und klar. Die nach Osten sich ausdehnende, 1470 Quadratkilometer große Delagoa-Bai lag, von den letzten Sonnenstrahlen beschienen, direkt unter uns. Und was selten vorkam: Links konnte man die Umrisse der rund fünfunddreißig Kilometer Luftlinie von hier entfernten Insel Inhaca, rechts die Mündung von Vasco da Gamas »Heiliggeist«-Fluß erkennen. »An einer hübschen Stelle hat man dich einquartiert, Lusio«, sagte ich, als ich mich von diesem selten schönen Anblick losgerissen hatte. »Was die Schönheit anbelangt, stimmt’s«, antwortete er nachdenklich. »Aber seit ich hier wohne, ertappe ich mich immer wieder bei dem Gedanken: Hat sich diese Schönheit nicht zum Schlechten für Moçambique gewandelt? Es pflegt doch in Afrika oft so zu sein — nationaler Reichtum wird zu nationalem Unglück. Erdöl, Gold, Diamanten bringen den Rassisten und Imperialisten Millionenprofite, unser eigener Anteil aber sind nur Schweiß und Blut. So ist es auch mit der Delagoa-Bai. Man sagt, sie sei einzigartig, könne wohl fast ein Viertel der gesamten Welthandelsflotte aufnehmen. Und un286
ser Hafen Maputo ist ja, was den Güterumschlag betrifft, der drittgrößte in ganz Afrika! Reichtum...« Lusio tat einen Zug aus seiner selbstgedrehten Zigarre, schwieg ein Weilchen und blickte dabei aufmerksam zur Bucht hin. »Sehen Sie, dort kommt ein Erzfrachter. Woher? Aus der Republik Südafrika. Und dieser Holzfrachter da, wohin geht er? In die Republik Südafrika! Vor der Unabhängigkeit entfiel fast die Hälfte des Umschlags im Hafen Maputo auf südafrikanische Güter. Das sind mengenmäßig mindestens 10 Prozent vom gesamten Außenhandelsumsatz der Rassisten. Zu unserem eigenen Vorteil und Nutzen ist hier nichts gebaut worden — weder die mechanisierte Kohleverladeeinrichtung für achthundert Tonnen je Stunde noch die Lagerplätze für fast eine Million Tonnen Erz oder die Speicher für achtzigtausend Tonnen Zucker und die Lager für sonstige Güter mit einem Fassungsvermögen von hunderttausend Tonnen. Selbstverständlich wollen die Südafrikaner all das nicht verlieren.« »Doch was hat die Praxis gezeigt?« fährt Lusio lächelnd fort. »Nach 1975 dachten die Südafrikaner zunächst, sie könnten ohne diesen Hafen, ohne unsere Straßen auskommen. Sie wollten die junge Republik um die Einnahmen aus dem Transitverkehr bringen, Maputo durch Arbeitslosigkeit abwürgen. Deshalb auch organisierten sie die Abwanderung aller Spezialisten aus dem Hafen. Wir haben der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern dafür zu danken, daß sie rasch auf unsere Bitte reagierten und erfahrene Lotsen und Ingenieure nach Maputo sandten, die den großen Hafen nicht veröden ließen. Mit ihrer Hilfe haben ich und Dutzende meiner Kollegen neue Berufe ergriffen und Arbeiten auszuführen gelernt, die früher ,nur für Weiße’ in Frage kamen. Mit der Zeit begriffen die Rassisten allerdings, daß für sie der Hafen Maputo durch keinen anderen zu ersetzen ist. Deshalb beginnen sie nun auch, mit uns zu flirten, schlagen vor, sich an der Belebung’, der Modernisierung des Hafens zu beteiligen. Meine Meinung aber ist die: Die jetzigen Probleme müssen vor allem durch die Arbeit unserer Leute, durch Erfolge in der Produktion gelöst werden«, sagt Lusio abschließend. Siebzig Prozent der industriellen Kapazität des Landes sind in Maputos Trabantenstädtchen Matola und Machava konzentriert. Hier liegen ein Erdölverarbeitungswerk und eine Zementfabrik, ein Kombinat für Metallkonstruktionen, die Eisenbahnreparaturwerk287
Stätten »Cometal-Mometal«. In diesen Betrieben entstanden 1976 bis 1977 auch die ersten Arbeiterkomitees, die die Verantwortung für die Leitung der nationalisierten Unternehmen trugen. Damals besuchte ich zum erstenmal »Cometal-Mometal«. Hier werden Schienenfahrzeuge repariert, es ist der Betrieb, der in erster Linie das normale Funktionieren eines der wichtigsten Zweige der moçambiquischen Wirtschaft garantiert, des Verkehrswesens. Die Arbeiter hatten sich in einer festlich geschmückten Werkhalle versammelt, wo dem Kollektiv das Banner des Siegers im Sozialistischen Wettbewerb und Bestarbeitern Urkunden und Auszeichnungen überreicht wurden. Anschließend fand auf einer zwischen den Maschinen improvisierten Bühne eine Begegnung mit Kunstschaffenden Maputos statt. Unter jenen befanden sich solche, deren Namen weltbekannt sind und an deren Schaffen man heute die kulturellen Errungenschaften Moçambiques mißt. Da tritt der asketisch wirkende Mulatte Jose Craveirinha auf, einer der bekanntesten Dichter der portugiesischsprachigen Welt, und beginnt mit dem Vortrag seiner klassischen »Hymne meines Landes«. Anschließend erzählt er aus seinem Leben. Bitter lächelnd erinnert er an den unter den Weißen von Lourenço Marques gängigen Aphorismus: »Gott schuf den Menschen, die Portugiesen schufen den Mulatten«, spricht davon, wie die Kolonialbehörden versuchten, seine Dichtung »aufzukaufen«, ihn zu veranlassen, das Blut seiner schwarzen Mutter zu verleugnen und ein »weißer« Dichter zu werden. »Aber ich bin Afrika treu geblieben, bin mit euch!« ruft er unter dem jubelnden Beifall der Arbeiter aus. Dann räuspert sich der Dichter, lehnt sich zurück und trägt halb singend, halb sprechend seinen berühmten »Schwarzen Schrei« vor, das erste Gedicht in der moçambiquischen Literatur, das dem afrikanischen Arbeiter gewidmet ist. Das von Natur aus musikalische afrikanische Publikum tobt fast fünf Minuten. Im Rhythmus der Craveirinhaschen Verse klopfen die Arbeiter mit Schraubenschlüsseln und Hämmern gegen das Metall der Maschinen, verlangen sie, der »Schwarze Schrei« solle ein zweites Mal vorgetragen werden. Dann betritt der Maler Malangatana Valenta die improvisierte Bühne. Äußerlich ähnelt er einem gewichtigen Sybariten, unnahbar und sich seines Wertes als Maestro wohl bewußt, gewinnt aber von 288
den ersten Worten an alle durch seine gütige Einfachheit, durch den treffenden Humor seiner Sprache. Fast vierzig Bilder Malangatanas hat man auf die Bühne gebracht. Jene, die schon in den sechziger Jahren entstanden sind, zeigen das Grauen von Kolonialismus und Rassismus. Wegen dieser Bilder hatte man den Künstler ins Gefängnis geworfen und erst drei Jahre später wieder entlassen, aber das nur dank einer Kampagne, die in der ganzen Welt für seine Befreiung einsetzte, und dank der an die Adresse von Salazar gerichteten Protestschreiben, die Leute wie Joliot Curie, Pablo Picasso, Louis Aragon, Ilja Ehrenburg und andere weltbekannte Kulturschaffende unterzeichnet hatten. Dann die zuletzt gemalten Bilder: Sie schildern die Freiheit, die in das heimatliche Moçambique eingekehrt ist, die Freude an der befreiten Arbeit, den heroischen Kampf gegen die Rassisten. Malangatanas Malerei ist nur schwer zu erfassen. Seine riesigen Ölgemälde stecken voller Allegorien und Abstraktionen, sie scheinen die ästhetischen Konzeptionen der Makonde und die Dynamik des afrikanischen Tanzes in sich aufgenommen zu haben. Der Künstler erklärt ausführlich den Inhalt seiner Werke, führt sie auf Quellen der nationalen Folklore zurück. Das letzte Dutzend Gemälde, die er zeigt, sind Arbeiten von Schülern des »Studios Malangatana«, das schon seit anderthalb Jahrzehnten in einem Vorort von Maputo wirkt; jeder Jugendliche, ob Junge oder Mädchen, der sein Talent im Malen erproben möchte, kann ihm beitreten. Wer von den Jugendlichen Hoffnungen aufkommen läßt, den unterrichtet, betreut Malangatana, und er unterstützt ihn auch materiell. Auf den alljährlich in Maputo stattfindenden Ausstellungen der Künstler Moçambiques sind auch die Schüler von Malangatana mit vielen Exponaten vertreten. Fünf Arbeiter schleifen jetzt einen dicken Holzkloben auf das Podium. Hinter ihnen taucht »auf der Bühne« ein kleiner, flinker dunkelbronzefarbener Mann mit dichtem Backenbart und erstaunlich lebendigen Augen auf. Er hat keine »Fliege« wie Craveirinha, trägt keinen gutsitzenden hellen »Tropik«-Anzug wie Malangatana, sondern hat Strandsandalen an den nackten Füßen, kommt in Schorts und einem darüber getragenen Hemd. Das ist der berühmte Chissano — ein Bildhauer, der aus dunkelbraunem Ebenholz Meisterwerke geschnitzt hat, die heute viele Museen in aller Welt schmücken. Auch ihn hat man »kaufen« wollen: Im kolonialen Lourenço Mar289
ques verkaufte man seine Plastiken nicht unter tausend Dollar. Doch er hat sich nicht verkauft und sogar in jenen Jahren seine Arbeiten »Grauen des Kolonialismus«, »Hunger«, »Agonie der Weißen«, »Durst nach Freiheit« genannt. Vorm Eingang in seine Werkstatt, die ebenfalls jedem jungen Talent offenstand, hing eine ekelerregende, mit Ketten umwundene Maske. »Das ist die PIDE«, erklärte er mir schon damals, als Lourenço Marques noch portugiesisch war. Hier nun handhabt Chissano geschickt sein Stemmeisen und läßt vor den Augen der dreitausend staunenden Arbeiter den Kloben zu einer menschlichen Figur werden. »Ich werde diese Arbeit ‚Proletariat’ nennen und sie eurem Betrieb, dem Sieger im Sozialistischen Wettbewerb, schenken«, verkündet er, ohne von seiner Schnitzerei aufzublicken. »Ich denke, daß sich unter euch, die ihr aus Metall komplizierte und schöne Stücke entstehen laßt, auch Leute finden werden, die nicht schlechter als ich mit Holz umzugehen verstehen. Kommt zu mir in die Werkstatt, man findet sie leicht, da es dort nach Vogelmist riecht. Seit die Kolonialherren abgezogen sind und mich niemand mehr bestechen will, ist Geld bei mir knapp geworden. Paradox, nicht wahr? Doch im Leben ist eben alles möglich. Dafür schnitze ich nur noch das aus Holz, was ich möchte. Und meine Frau hat zur Aufrechterhaltung des Familienbudgets angefangen, mit Eiern zu handeln, so daß also jetzt Hühner Chissano ernähren.« Solange der Holzschnitzer auf dem Podium steht, gibt es ständig Gelächter. Erst als aus dem Holz die ersten Konturen einer menschlichen Gestalt heraustreten, verstummt das Publikum. »In eurer lustigen Gesellschaft kann man sich nur schwer konzentrieren«, meint Chissano, verschmitzt lächelnd. »Ich werde diese Holzfigur zu Hause fertig bearbeiten, in zwei, drei Tagen bringe ich sie euch.« Dann treten noch Laienkünstler des Werkes auf: Tsonga führen verwegene Tänze vor, Mitglieder des Literaturzirkels lesen ihre Verse vor, und zu guter Letzt kommt auch dessen Leiter, unser alter Bekannter Kumwanga, hinter dem Vorhang hervor und rezitiert: Moçambique, du bist meine Heimstatt. Der Schmutz darin ist mir unerträglich, Ich muß sie jeden Tag ausfegen, Damit Leben darin möglich ist. 290
Moçambique, du bist mein Reichtum. Ich muß ihn schützen Vor den räuberischen Händen, Die nach diesem Reichtum greifen...
Erläuterngen
Alhidade — drehbarer Meßarm an Winkelmeßgeräten, der sich konzentrisch zum Teilkreis bewegt Astrolabe — Astrolabium, astronomisches Gerät zur Darstellung der Haupthimmelskreise Badlands — durch Abspülung in Rippen und Schluchten aufgelöste Hänge, auf denen ehemals kulturfähiges Land entweder auf natürliche Weise oder durch menschliche Einwirkung (Überweidung, Raubbau an Ackerflächen) völlig verwüstet worden ist Dhau — Dau, Dhow; zwei- bis dreimastiges arabisches Segelschiff bis etwa 400 Tonnen Tragfähigkeit; es hat nach vorn geneigte Masten mit schrägstehenden Rahen und Trapezsegel Ekloge — in der altrömischen Literatur einzelnes kleines Gedicht, später speziell Hirtengedicht, wurde in der Renaissance wieder aufgenommen halsen — ein Segelschiff auf die andere Windseite bringen Halwa — orientalisches Naschwerk aus Zucker, Nüssen, Sirup und gerösteten Sesamsamen, ähnlich feinstem Blätterkrokant Lakkolith — in der oberflächennahen Erdrinde erstarrte größere magmatische Intrusivmasse mit etwa pilzähnlichem Querschnitt, die durch Abtragung der Deckschichten sichtbar geworden ist Lusitanien — römische Provinz im Südwesten der Pyrenäenhalbinsel, entspricht etwa dem heutigen Portugal Lusus — der sagenhafte Stammvater der Portugiesen matrimonial — die Ehe betreffend Miombo — afrikanische Bezeichnung für den im südlichen Zentralafrika anzutreffenden lichten Trocken- oder Savannenwald; er kommt in Höhen zwischen 800 und 1800 Metern vor, besitzt nur wenig Unterholz und wirft in der Trockenzeit das Laub ab Mopane — in Afrika zwischen 10 und 25 Grad südlicher Breite vorkommender Trockenwald, für den der Mopanebaum (Colophsospermum mopane) charakteristisch ist. Dieser ähnelt äußerlich unserer Eiche, sein Laub verfärbt sich im Herbst. Die großen Blätter verbleiben auch in der Trockenzeit und bilden eine ausgezeichnete Weide für Vieh, aber auch für Elefanten und Antilopen 293
Oktave — auch Stanze genannt, ursprünglich Strophenform aus acht Versen mit weiblichen Endreimen Tsunamis — seismische Meereswellen, treten nach Seebeben und untermeerischen Vulkanausbrüchen auf. Sie wandern mit Geschwindigkeiten bis 700 km/h und können beim Auflaufen auf die Küste große Verheerungen anrichten Veld — in der Burensprache die überwiegend aus Grasland bestehenden Hochflächen in Südafrika Wüstenlack — dunkle, oft glänzende dünne Schicht auf der Oberfläche von Gesteinen, entsteht in aridem Klima durch Ausfällen des im Gestein gelösten Materials