Nr. 402
Rätsel der Schwarzen Galaxis Ein Hauch von Freiheit von Hans Kneifel
Nach dem Aufbruch aus dem Korsallophur-S...
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Nr. 402
Rätsel der Schwarzen Galaxis Ein Hauch von Freiheit von Hans Kneifel
Nach dem Aufbruch aus dem Korsallophur-Stau kommt Atlantis-Pthor, der »Dimensionsfahrstuhl«, auf seiner vorprogrammierten Reise der Schwarzen Galaxis unaufhaltsam näher. Und es gibt nichts, was die Pthorer und Atlan, ihr König, tun könnten, um den fliegenden Weltenbrocken abzustoppen und daran zu hindern, je nen Ort zu erreichen, von dem alles Unheil ausging, das Pthor im Lauf der Zeit über ungezählte Sternenvölker brachte. Als Pthor jedoch die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht, geschieht etwas Unerwartetes. Der fliegende Kontinent kommt abrupt zum Stillstand. Atlan, nicht ge willt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen wer den, ergreift daraufhin die Flucht nach vorn. Zusammen mit Thalia und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos fliegt er mit dem Organschiff GRIET die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an. Dabei wird Enderleins Tiegel, ein Werft und Schrottplanet, fast zur Endstation für Atlans Expedition. Doch schließlich geht es mit der HORIET, einem neuen Organ schiff, weiter zum Marktplaneten Xudon – und zu einem neuen RÄTSEL DER SCHWARZEN GALAXIS …
Rätsel der Schwarzen Galaxis
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Thalia - Die Pthorer bringen einen Hauch von Freiheit nach Xudon.
Cembergall-Flyrt - Ein Sündenbock wird exkulpiert.
Bronniter-Vrang - Gallionsfigur der HORIET.
Conmat-Port - Ein ehrlicher Objektiver.
1. Langsam sank die Sonne Xudomanyla im Westen. Die spiralige Rauchschicht über dem Danjitter-Tal leuchtete auf, als sei sie elektrisch geladen. Die Hänge des Ringge birges mit den mehr als zehntausend Metern hohen Bergriesen leuchteten auf wie Spie gel, als die letzten Sonnenstrahlen sie trafen. Das Bild strahlte nur scheinbar Stille und Frieden aus; die Wirklichkeit war ganz an ders. Am Rand des Raumhafens, fast an der Grenze zum Markt von Danjitter-Tal, stand das riesige Raumschiff. Es war fast von jedem Punkt innerhalb des Ringgebirges zu sehen. Die HORIET mit ihrer erstaunlichen Länge von hundert Metern und der grau braunen, pockennarbigen Oberfläche be drohte jedes lebende Wesen des offenen Marktes. Hinter der halbrunden, transparen ten Kanzel des Organschiffs kauerte die Ga lionsfigur Bronniter-Vrang. Mehrere Luken und Schleusen des Organschiffs waren weit geöffnet. Anscheinend konnte der hypno suggestive Rauch der verbrannten Schwar zen Loh den Insassen des Schiffes nichts an haben. Oder die Partikel waren in der Luft menge derart verdünnt worden, daß keiner der Dellos und niemand von der schweigenden, grauhäutigen Besatzung etwas spürte. Von dem großen Organschiff aus gingen zwei Gestalten auf das nächstgelegene Raumhafengebäude zu. Längst waren alle Händlerschiffe im näheren und weiteren Umkreis des großen Schiffes mit riskanten Manövern gestartet und in den Weltraum ge flüchtet. Die zwei Gestalten wirkten im Gegensatz zu den Schiffen, den Bauwerken und der rie sigen, absolut leeren Fläche klein und verlo ren. Aber da sie vom Organschiff kamen,
waren sie die Inkarnation der Macht und der Rache. Aus dem Zentrum des Marktes stieg kein Rauch mehr auf. Der abendliche Wind, der aus Westen kam, riß erste Lücken in die waagerechte Schicht der diffusen Wolke, die jetzt im letz ten Sonnenlicht golden aufschimmerte. Ein seltsamer Ort! Noch seltsamer waren zwei verschiedene Zustände: schon vom Lande feld aus konnte man genau erkennen, daß ein Teil des Marktes mit seinen Geschäften, Hallen, Plätzen und Straßen so gut wie aus gestorben dalag – aber auch, daß daneben wütende Kämpfe im Gange waren. Folgende Überlegung wurde an Bord der HORIET angestellt: Jedermann auf diesem Planeten beziehungsweise im Danjitter-Tal von Xudon, der in der Lage war, die Lan dung des Organschiffs mitzuerleben, flüch tete in panischer Furcht. Dies galt ebenso für Individuen des Marktes, der bewohnten Seg mente des kreisringförmigen Hafens und der Siedlungen zwischen Raumhafen-Außen rand und dem Ringgebirge wie für die Händlerschiffe. Atlan bedauerte noch immer nicht, daß er keine Waffe mitgenommen hat te. Im Schutz des Goldenen Vlieses fühlte er sich einigermaßen sicher. »Wir brauchen, um richtig handeln zu können, viel mehr Informationen«, sagte er entschlossen. »Da uns niemand entgegenläuft und auf klärt«, entgegnete Thalia, die ihren Rauman zug trug, ohne den Helm heruntergeklappt zu haben, »werden wir uns alle Informatio nen wohl selbst besorgen müssen.« Im Lauf seines langen und abenteuerli chen Lebens hatte der Arkonide immer wie der vor diesem Problem gestanden. Er wuß te, daß Raumfahrerkneipen und andere Ka schemmen, sowie Verkaufsläden die eigent
4 lich wichtigen Orte waren, an denen man in teressante Einzelheiten erfuhr. Die Anlauf punkte waren auf jedem fremden Planeten strategisch wichtig. Er bestätigte brummig: »Es war noch niemals leicht, liebste Tha lia.« Die Bewohner von Xudon und dem offe nen Markt warteten förmlich darauf, daß die HORIET ihren Auftrag erfüllen und den Markt auflösen würde. Warum war dieser Markt als verboten klassifiziert worden? Genau in diesem Augenblick starteten von zwei weit entfernten Segmenten des Raumhafens elegante, pfeilförmige Schiffe mit ohrenbetäubendem Lärm. Thalia fragte nach einigen hundert Schritten: »Kannst du mir sagen, was hier wirklich vorgeht? Dort drüben ist alles ausgestorben, und unmittelbar daneben scheint ein kleiner Bürgerkrieg zu toben?« »Ich weiß nicht. Unzweifelhaft ist etwas im Gang, das mit uns zu tun hat, mittelbar oder unmittelbar«, erwiderte Atlan. Vor ihnen flammten Lampen und Tief strahlerbatterien auf. Sie näherten sich dem langgestreckten Bauwerk, hinter dessen Fen stern strahlende Helligkeit war. Die Odins tochter sagte nach einer Weile: »Wir müssen ihnen begreiflich machen, daß wir nicht deshalb hier sind, um den Pla neten zu bestrafen.« »Sie werden es uns nicht glauben?« »Warum bist du dieser Meinung?« »Weil die Organschiffe stets als Instru mente der Strafe eingesetzt worden sind«, sagte Atlan nachdenklich. »Im Moment sehe ich nicht die geringste Möglichkeit, es einer größeren Volksmenge begreiflich zu ma chen.« »Trotzdem sollten wir es ihnen sagen!« »Dazu müssen wir zumindest eine be stimmte Menge von ihnen getroffen haben«, erklärte Atlan. »Das scheint im Augenblick recht schwierig zu sein.« Die Galionsfigur Bronniter-Vrang rea gierte nicht. Sie hatte zwar das Schiff hier hergebracht, aber weder Atlan noch Thalia konnten sich ernsthaft darauf verlassen, daß
Hans Kneifel dieser passiv betonte Zustand bestehen blieb. Vermutlich blieb ihnen für ihre Missi on noch einige Zeit. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Galionsfigur den Dunklen Oheim da von verständigte, daß Atlan statt der Strafex pedition etwas ganz anderes plante, war kei neswegs gering. Aber der Umstand war, im Moment jedenfalls, noch zu vernachlässi gen. Ein System gläserner Eingangstüren öffnete sich in einer altertümlich und barba risch wirkenden Front. Sie gingen in das vor ihnen liegende Ge bäude hinein. Das Innere sah aus wie die Mischung zwischen einer RaumhafenAbfertigungshalle, einer riesigen Verkaufs halle und einem Lagerhaus. Langsam gingen Thalia und Atlan an den Schaltern und den riesigen Warenstapeln entlang. Kein lebendes Wesen zeigte sich. Der Mann im golde nen Anzug hob ratlos die Schultern. »Sie sind alle geflüchtet.« »Wir sollten zum eigentlichen Markt ge hen«, schlug Thalia vor. »Eine ziemlich weite Strecke«, sagte er. »Ein Fahrzeug sollte sich finden lassen. Die Einheimischen werden auch nicht alle Wege zu Fuß zurücklegen.« Sie fanden zwischen den Schaltern, die in Form kleiner Kioske aufgebaut waren, und den Warenmengen einen breiten Durchgang. An dessen Ende öffneten sich wieder große Glastüren. Die Pthorer sahen sich einer Art Parkplatz gegenüber, auf dem eine kurios anmutende Sammlung von Vehikeln warte te. Die verschiedenartigen Geräte wirkten, als wären sie Bestandteile eines Museums. Zögernd gingen Atlan und Thalia näher her an und versuchten, zu erkennen, welche technische Prinzipien hier angewendet wur den. Schließlich entschieden sie sich zwi schen den bunt bemalten, mit Bildern ver zierten, aus Holz, oder Kunststoff hergestell ten Geräten für eine schalenartige Konstruk tion, die sich wohl wie ein Zugor steuern ließ und zwei Handbreit über dem Boden schwebte. »Da wir als Vertreter des strafenden Ge setzes hier gelandet sind«, sagte Atlan halb
Rätsel der Schwarzen Galaxis scherzhaft, »fällt der Diebstahl eines Glei ters auch nicht mehr ins Gewicht.« Der Gleiter war klein und bot ihnen gera de genügend Platz. Atlan probierte an den wenigen Hebeln und Schaltern, der Gleiter stieß zurück und bohrte sein Heck krachend in einen kastenförmigen Wagen. Atlan lach te kurz auf und bugsierte das Fahrzeug vor sichtig aus der Lücke hinaus. Überraschend helle Scheinwerfer blendeten auf und ließen die nähere Umgebung besser erkennen. At lan und Thalia musterten jede Kleinigkeit so genau wie möglich; das Überleben konnte davon abhängen. »Die Szenerie ist auch nicht merkwürdi ger als auf hundert anderen Planeten«, brummte der Arkonide und lenkte den bunt lackierten Gleiter auf den Rand der beleuch teten Ebene zu. Von Bronniter-Vrang wuß ten sie, daß die Hügel und Senken innerhalb der Grenzen des kreisringförmigen Raumha fens der Markt waren. »Für mich ist jedes Bild neu und aufre gend«, gab Thalia zu. Der offene Gleiter wurde schneller. Atlan gewöhnte sich schnell an die Art der Steue rung. Sie fuhren auf einer breiten, leicht kur vigen Piste, die zwischen kleinen Wäldern, riesigen Lagerhäusern und hell erleuchteten, aber ausgestorben wirkenden Wohnhäusern verlief. Minuten später bremste Atlan den Gleiter und deutete nach rechts. Sie sahen einen kleinen Platz, von Bäu men mit kugelförmigen Kronen dicht um standen. Dahinter waren die Fronten von Wohngebäuden. Auf dem Platz und auf Treppenstufen, die zu den Eingängen führ ten, lagen verkrümmte Gestalten. Einige Wesen bewegten sich. Sie krochen hin und her und versuchten, ihren Artgenos sen zu helfen. Atlan und Thalia konnten fünf verschiedene Gruppen von Planetariern un terscheiden; größer und kleiner, aber alle aufrecht gehend. Sie verhielten sich wie Verwundete, die sich von einem Schlacht feld hinwegschleppten. Alles geschah fast lautlos und in einer Weise, die deprimierend wirkte.
5 »Hast du eine Vorstellung«, fragte Thalia voller Verblüffung, »warum diese Kämpfe ausgebrochen sind? Sie waren schon im Gang, als wir noch im Anflug waren.« »Ich weiß es nicht, aber sicher hat die be absichtigte Strafexpedition etwas damit zu tun.« Der Wind nahm zu, als sie weiterfuhren. An einigen Stellen riß die rätselhafte Rauch wolke auf und wurde nach Osten zerstreut. Der innere Rand des Raumhafens lag hinter den Pthorern; die Anzahl und Größe der be lebten und von Häusern durchsetzten Flä chen nahm zu. Atlan steuerte schweigend einen kleinen Hügel an, der ziemlich dicht bebaut war. Hier gab es weder kämpfende Gruppen noch solche, die ihre Verwundeten davonschleppten. »Riskieren wir's?« meinte Atlan. »Haben wir eine andere Wahl?« antworte te Thalia. Atlan bugsierte den Gleiter rückwärts un ter eine Terrasse und stieg aus. Zwei große Stufen führten zu einem auffallenden Bogen, hinter dem die Reste eines Vorhangs aus ir gendwelchen Perlenschnüren zu erkennen waren. Der Logiksektor des Arkoniden meldete sich: Eine Bar oder Trinkstube. Jedenfalls das Xudon-Äquivalent dafür. Hier bekommst du deine Informationen! »Eine Bar«, meinte Atlan hoffnungsvoll. »Ob uns allerdings die Getränke schmecken, kann ich nicht versprechen.« »Wir werden es überstehen!« Sie schoben die Schnüre mit den klap pernden Steinperlen zur Seite und betraten einen großen, nicht sonderlich hohen Raum. Der Boden war feucht. Offensichtlich war er vor kurzer Zeit gereinigt worden. Das Innere des Raumes war nicht gerade verwüstet, aber sah reichlich mitgenommen aus. Eine Theke, geformt wie eine Barriere mit vier verschieden hoch angebrachten Oberkanten, stand mitten im Raum. Hinter der Theke ar beitete ein schwarzhäutiges Wesen, etwa so groß wie Atlan und Thalia. Der Planetarier
6 räumte Flaschen, Becher und Gläser auf, von denen viele zerbrochen waren. Atlan zwinkerte überrascht, als er sah, daß das Wesen mit drei Armpaaren hantierte, die au ßerordentlich biegsam waren. Sie wirkten wie schwarzlackierte Schlangen. »Wir sind sicher, daß wir hier alle Aus künfte erhalten, die wir brauchen«, sagte At lan in Garva-Guva. Das fledermausartige Wesen richtete zwei riesige Augen auf die Eintretenden. Es schob den Kopf nach vorn, als sähe es trotz der riesigen, einander berührenden Augen nicht besonders gut. Langsam und in einem merkwürdig heiseren Tonfall antwortete das Wesen: »Ich kenne euch nicht. Wer seid ihr?« Die stabförmigen Ohren gerieten in Be wegung, falteten sich auf und glichen run den Scheiben an einem kurzen Stiel. »Wir sind vor kurzer Zeit gelandet. Unser Schiff ist die HORIET.« Das Wesen zuckte zurück. Die Arme und Hände erstarrten, der rüsselförmige Mund vibrierte. Es schien eine Angstreaktion zu sein, denn der Wirt rief leise: »Ich bin Schoff. Ich habe keinen Anteil an dem, was geschehen ist. Die Strafe sucht uns alle heim, nicht nur die Schuldigen. Seht selbst, was die Wahnsinnigen angerichtet haben!« Zögernd kamen Thalia und Atlan näher und stellten sich an die höchste der vier The ken. Das Fledermauswesen deutete mit zahl reichen Händen auf die Scherben und die zertrümmerten Flaschen. Jetzt nahmen sie auch einen merkwürdigen Geruch wahr. Die miteinander vermischten Reste der exoti schen Getränke verströmten ein schreckli ches Aroma, das den Raum füllte. »Warum ist hier gekämpft worden? Wir sahen die Spuren und auch noch kämpfende Gruppen«, meinte Thalia. »Alle haben gekämpft. Jemand hat eine Schwarze Loh hierhergebracht und angezün det. Der Geruch hat alle zu fanatischen Raufbolden gemacht.« »Ich verstehe. Das ist die Wolke über
Hans Kneifel Danjitter-Tal, nicht wahr?« fragte Atlan zu rück. »Was ist eine Schwarze Loh?« »Das wißt ihr nicht? Ihr wollt nur den rui nierten Schoff, den ärmsten aller Camagurs, auf die Probe stellen. Ich bin ein schlechtes Ziel für Spott und Hohn.« Atlan und Thalia sahen sich verwundert an. Immerhin wußten sie jetzt ein wenig mehr. Anscheinend waren im Bereich des planetaren Marktes einige merkwürdige Dinge vorgefallen. Atlan hob die Hand und sagte nachdrücklich: »Ich bin Atlan. Ich frage dich, Camagur Schoff, was eine Schwarze Loh ist. Ich weiß es wirklich nicht. Auch bin ich nicht gekom men, um dich oder sonst jemanden zu ver höhnen. Los, berichte!« Der Wirt sagte, was er wußte. Er schilder te die Wirkung des Rauches, der von der verbrennenden Raubtiermumie vom Plane ten Ginderan ausgeströmt war. Nach seinen Aussagen war das gesamte Kerngebiet des Marktes heimgesucht worden, und jeder mann hatte gegenüber willkürlichen Geg nern alle ausgelösten Aggressionen ausge tobt. Die Kämpfe hatten erst dann aufgehört, als der Schrei »Das Organschiff!« erschol len war. »Und jetzt«, sagte er halb vorwurfsvoll und halb trotzig, »kommt ihr und wollt Din ge wissen, die ihr schon längst besser wißt als ich, der Ärmste aller Wirte. Vielleicht mildert ein heißer Lebap eure Wut?« »Wir sind nicht sicher, ob wir diesen Trunk überstehen«, erwiderte Thalia lä chelnd. »Danke. Du bist der festen Überzeu gung, daß die HORIET deshalb gelandet ist, weil Danjitter-Tal zerstört werden soll?« Der Camagur breitete seine sechs Arme aus und sträubte die Haare der hellblauen Kränze, die sich um seinen Körper zogen. »Wozu sonst? Ihr seid gekommen, weil euch die Kugeln mit dem Widerschein der Frei heit vorgelegt wurden. Man verstieß gegen die Gesetze.« Schoff war nur schwer zu überzeugen, daß sie nicht die strafenden Ab gesandten des Dunklen Oheims waren. At lan begriff langsam, daß vermutlich keiner
Rätsel der Schwarzen Galaxis der Bewohner des Marktes jemals die Insas sen der Organschiffe gesehen und persönlich erlebt hatte. Wer aus einem Organschiff stammte, war der Vertreter der strafenden Macht – darüber gab es keinen Zweifel! »Selbst wenn gegen die Gesetze versto ßen wurde«, sagte Atlan leicht gereizt, »sind wir nicht diejenigen, die dieses Gesetz durchsetzen. Willst du nicht verstehen?« »Warum seid ihr dann mit dem Organ schiff gekommen?« war die Antwort. Atlan winkte resignierend ab. »Es gibt gewisse Unsicherheiten«, sagte er. »Und aus diesem Grund muß ich dich bitten, mir genau zu berichten, was es mit den Kugeln und dem Widerhauch der Frei heit auf sich hat.« »Widerschein der Freiheit«, korrigierte Schoff. »Meinethalben. Berichte, was du weißt!« Der Camagur erzählte ihnen, daß die drei reichsten und mächtigsten Geschlechter in den bleichen Marmorbergen die Durstigen, die Glühenden und die Breiten wären und daß man immer wieder in bestimmten Wa rensendungen Marmorkugeln gefunden hat te. Die Sendungen gingen in alle Richtungen des Marantroner-Reviers, wie sich diese kosmische Region nannte. Sie bestand aus rund hundert bewohnten Welten. Die Ku geln stachelten zum Widerstand gegen die Gesetze auf. Die kleinen Händler, die jene Durstigen mehrmals gewarnt hatten, rotteten sich zusammen und stürmten die Stapelpalä ste der Durstigen. Der Camagur schloß: »Und wie wir wissen, soll keiner des Klans überlebt haben, nicht einmal die Die ner. Bis zuletzt haben die Durstigen geleug net, jene Kugeln herzustellen. Ihr wißt dies natürlich, und Chirmor Flog schickte euch. Wer weiß? Vielleicht bist du der Neffe Chirmor Flog selbst? Möglicherweise stellst du mich mit diesen Fragen auf die Probe? Nun, ich habe nichts zu verbergen – ich ver kaufe Getränke an jedermann. Politische Be tätigung ist mir ein Greuel.« Der Neffe des Dunklen Oheims, sagte der Extrasinn. Er hält dich für einen Abgesand
7 ten dessen, der das Marantroner-Revier be herrscht. Dieses »Revier« gehörte zu den periphe ren Zonen der Schwarzen Galaxis. Es schien eines der strategisch weniger wichtigen zu sein. Eine Information, die sich mit dem, was sie über das Kommunikationssystem des Organschiffs erfahren hatten, recht ge nau deckte. »Ich bin nicht Chirmor Flog«, sagte Atlan unwillig. »Sehe ich so aus?« »Niemand weiß, wie Flog aussieht. Ich am allerwenigsten, denn ich war niemals auf dem Planeten Säggallo, der Welt, auf der Flog wohnt.« »Von dort werden die Organschiffe einge setzt«, meinte Thalia und ließ nicht erken nen, ob es eine Frage oder eine Feststellung war. Schoff erklärte kurz: »Von dort kommen die furchtbaren In strumente der Rache.« »Aber wir haben die HORIET in Besitz genommen. Auch wir kennen weder den Neffen noch den Dunklen Oheim«, antwor tete Atlan verdrossen. Es störte ihn, daß der Camagur beharrlich glaubte, sie würden au genblicklich beginnen, den Markt zu zerstö ren. »Wir kennen weder den Oheim noch den Neffen. Der Oheim, der im Zentrum der Sterne lebt, ist völlig unbekannt. Aber es ge hen viele Berichte von Mund zu Mund, wie grausam er diejenigen bestraft, die gegen das Gesetz handeln. Deswegen weiß ich mit großer Sicherheit, daß euer vorgetäuschtes Unwissen nichts anderes soll, als uns auf die Probe zu stellen.« Der Camagur hob eine halbierte Flasche hoch, hielt sie dicht vor seine Facettenaugen und goß den verbliebenen Inhalt in einen Becher. Alle seine sechs Hände zitterten, als er den Becher hob und austrank. »Wohl bekommt's«, murmelte Atlan. »Deine Meinung ist also die eines armen Wirtes. Wie ist die Auffassung anderer? Der Mächtigen oder Regierenden?« »Die Marktsumme wird nichts anderes
8 denken!« versicherte der Camagur. Er zuck te abermals zusammen und deutete mit drei Armen zur Tür. Die Steinperlen klirrten und klapperten. Ein Wesen in einem Raumanzug kam breitbeinig herein. Der Anzug war trop fend naß, und als der Vorhang auseinander klaffte, sahen die Pthorer, daß es heftig reg nete. In der kurzen Zeit hatten sie tatsächlich eine Menge wichtiger Informationen aufge fangen. Der Fremde blieb zwischen ihnen an der Theke stehen und sagte durch den Au ßenlautsprecher des Raumanzugs: »Ich brauche dringend einen dreistöcki gen Reyp! Aber wie bekomme ich ihn durch die Frontscheibe?« Der Camagur sagte hastig: »Das ist ein Noot. Ich kenne seinen Namen nicht. Aber er gehört zu den Objektiven.« »Richtig. Wer sind die beiden?« brummte der Noot und drehte den Oberkörper hin und her, um Atlan und dann Thalia genau zu mu stern. »Und warum tragen sie … aha! Ich verstehe. Die Konzentration der LohRauchpartikel ist so gering, daß sie hier nicht mehr wirkt.« Er öffnete den Helm des Raumanzugs. Atlan und Thalia sahen einen hellblau ge schuppten, einem Frosch nicht unähnlichen Kopf und Halsansatz. »Ich bin Conmat-Port, Objektiver, also Angehöriger der Marktpolizeitruppe. Und ihr?« Aufgeregt rief der Wirt: »Es sind die Herren der HORIET! Sie ka men mit dem Organschiff.« Der Noot schnupperte und stieß die Luft geräuschvoll aus. Auf seiner Stirn befand sich ein Horn, seine großen Augen öffneten und schlossen sich. »Ich verstehe. Die Untersuchung wird er folgen, und bald haben wir den Schuldigen ermittelt«, sagte er in krächzendem Tonfall. »Und anschließend wird der verbotene Markt in Teilen zerstört.« Atlan war jetzt ehrlich verblüfft. Er glaub te, nicht richtig verstanden zu haben. Die kaltschnäuzige Gelassenheit des Noots war ein krasser Gegensatz zum Verhalten des
Hans Kneifel angsterfüllten Schankwirts. »Chirmor Flog wäre über die präzise Aus sage sicherlich hoch zufrieden«, sagte er. »Sind die Dämpfe der Schwarzen Loh in an deren Marktbezirken noch wirksam?« »Chirmor Flog, der Neffe, setzt die Be fehle des Dunklen Oheims durch. Das ist ein unveränderlicher Faktor. Es wäre sinnlos, darüber Illusionen zu haben. Es passiert, was beschlossen wurde. Tatsächlich sind an anderen Stellen diese verdammten Dämpfe noch unverändert wirksam. Ihr also seid diejenigen, die den Markt strafen?« Thalia hatte schweigend der Auseinander setzung zugehört. Sie sah das feine Lächeln in Atlans Gesicht. Der lakonische Noot schi en der richtige Gesprächspartner für ihren Liebsten zu sein. »Wir sind diejenigen, die in der HORIET gelandet sind. Das ist richtig. Aber wir sind auf überraschende Weise in den Besitz des Organschiffs gekommen. Wir haben alles andere vor als den Markt zu zerstören. Wir suchen die Freiheitwiderscheinende Kugel und allerlei Informationen. Allerdings glaubt uns niemand.« Der Noot deutete auf einen Becher und ei ne Flasche. Seine Kaltblütigkeit war erstaun lich. Der Camagur füllte ein Getränk in den Becher und schob ihn über das ein wenig tiefere Brett der Theke. Der Noot kippte den Inhalt in seinen breiten Mund hinein. Die Bewegung war die eines professionellen Trinkers. »Auch ich glaube dir nicht«, sagte der Noot einfach. »Wenigstens fürchtet er sich nicht«, be merkte Thalia und schüttelte den Kopf. »Was soll ich mich fürchten?« erklärte der Noot. »Ich verliere meinen Job, die Marktsumme wird hoffentlich restlos ausra diert, der verrückte Cembergall-Flyrt mit seiner Kugel wird als Schuldiger erklärt, und dann gehen die Händler von hundert Welten wieder daran, aus dem verbotenen, zerstör ten Markt einen neuen, offenen Markt auf
Rätsel der Schwarzen Galaxis zubauen. Meine Rolle in diesem Spiel ist so mikroskopisch, daß mich kaum etwas er schüttern kann.« »Mein Wort!« sagte Thalia hingerissen. »Der Bursche gefällt mir.« »Mir auch«, sagte Atlan zufrieden. »Da tauchte eben ein neuer, interessanter Begriff auf. Marktsumme. Was ist das?« Der Noot gab ein Geräusch von sich, das nichts anderes als ein haltloses Gelächter sein konnte. Der Schankwirt wich zitternd bis an das andere Ende seiner Bar zurück. Das Plätschern des Regengusses draußen hörte auf, die Geräusche arbeitender Wesen wurden lauter. Atlan stemmte die Fäuste in die Seiten und wiederholte seine Frage. »Die Marktsumme«, sagte der Noot lang sam, »ist eine Gemeinschaft von zwölf Indi viduen. Drei Noots, ebenso viele Krejoden, drei von dieser Sorte«, er deutete auf den Camagur, »und drei Tamater. Die sind die Lustigsten. Die Marktsumme und die mei sten der Objektiven sind bestechlich, unfä hig und habgierig. Ich sage das nur, weil ich weiß, daß der Neffe alles weiß. Es gibt keine Geheimnisse, denn sonst wäre das Organ schiff nicht so schnell hier aufgetaucht.« »Eine verständliche Erklärung«, sagte At lan grimmig. »Es scheint, daß wir als näch sten Gesprächspartner die sogenannte Marktsumme vormerken sollten.« »Es wird dringend empfohlen«, bemerkte der Noot und kippte den nächsten Becher. »Ich kann euch zur Marktsumme bringen. Allerdings nur zum Büro; ob die Herren ge ruhen, anwesend zu sein, entzieht sich mei ner Kenntnis.« Er hat rasende Angst und versucht, äu ßerste Kühle vorzutäuschen. Vermutlich ge lingt es ihm noch eine ganze Weile lang, flü sterte der Logiksektor. Atlan ignorierte diesen Einwand und be schloß, dem Noot eine echte Chance zu ge ben. »In Ordnung, Conmat-Port. Bringe uns zur Marktsumme. Ist es ein weiter Weg?« »Einige Minuten. Dieses Viertel scheint nicht mehr im Aufruhr zu sein. Außerdem
9 sind die meisten Einwohner betäubt, voller Wunden und derartig erschöpft, daß sie uns nicht mehr angreifen werden.« Atlan hob den Arm und sagte: »Wir danken dir, Schoff, für viele Infor mationen. Es ist sicher, daß die Vernichtung des Marktes noch nicht gleich erfolgt. Zuerst unterhalten wir uns mit der Regierung dieser Zone.« Der Camagur stand noch immer zitternd in einer Ecke seiner Bar und sah schweigend von Atlan zu Thalia und dann zu ConmatPort. Er versuchte nicht einmal, seine Furcht zu unterdrücken. »Gehen wir?« fragte Thalia. »Ja, natürlich«, antwortete Atlan. Inzwi schen begann er zu bedauern, daß er keine Waffe mitgenommen hatte. Um Thalia zu beruhigen, nahm er ihre Hand und zog sie mit sich aus der Bar hin aus. Vor ihnen stapfte der etwa eineinhalb Meter große Echsenartige die Stufen hinun ter, wandte sich nach rechts und winkte mehrmals. Die folgende Viertelstunde war ein Mar sch durch eine exotische, bedrohlich wirken de Welt, die dennoch eine fatale Ähnlichkeit mit anderen Plätzen dieser Art hatte. Atlan kannte solche Viertel. Hafenstädte, Märkte, Basare … sie ähnelten einander stets, sie hatten ihre eigene, unverwechselbare Aus strahlung. Atlan sah jetzt auch die beiden anderen Typen der Einwohner aus der Nähe. Es wa ren die kleinen, an Käfer erinnernden We sen, die der Noot Tamater nannte, und ande re, die den Namen Krejoden hatten. Alle wa ren offensichtlich schwer angeschlagen.
2. Atlan versuchte, keinen Fehler zu ma chen. Er dachte an den Rauch der Schwar zen Loh, aber auf dem Weg, den sie gingen, kämpfte niemand. Dies bedeutete, glaubte der Arkonide, daß sich keine oder viel zu wenige Partikel in der Luft befanden. Er ging die vielen Stufen aufwärts und ab
10 wärts, blickte in halbzerstörte Läden hinein und sah, daß hier tatsächlich nahezu an jeder Stelle eine Art Bürgerkrieg stattgefunden hatte. Danjitter-Tal schien ein merkwürdiges Pflaster zu sein. Kugeln mit dem Wider schein der Freiheit – was immer das war –, eine brennende Schwarze Loh, die Furcht des einen Wesens und die scheinbare Abge brühtheit des anderen, und die Auskünfte über die Marktsumme … es ergab noch kein begreifbares Bild des Ganzen. Die schmale Straße führte auf einen Platz hinaus. Der Noot verlangsamte seine Schrit te und blieb vor Atlan und Thalia stehen. »Ihr scheint keine Furcht zu haben?« frag te er. »Im Gegensatz zu dir, Port«, entgegnete Atlan. »Die Viertelstunde ist vorbei. Wo ist die Summe des Marktes?« »Dort drüben in dem viereckigen Turm«, erklärte der Noot. »Es kann allerdings sein, daß …« Weiter kam er nicht. Mit einer über raschenden Plötzlichkeit belebte sich der kleine Platz. Aus dunklen Winkeln und allen Richtungen rannten nackte und bekleidete Wesen auf die drei Gestalten zu. Sie schwangen Knüppel und ähnliche Gegen stände und griffen an. Sie wurden von einer blinden Wut getrieben und reagierten wie Maschinen. Atlan schrie auf: »Vorsicht. Thalia, hierher!« Er konnte sich auf den Schutz des Golde nen Vlieses verlassen. Seine Hände fuhren in die fingerlosen Handschuhe des Anzugs der Vernichtung. Sein erster Schlag traf einen Camagur und warf ihn einige Meter weit zurück in einen Haufen aufkreischender Tamater. Thalia versuchte, zwischen dem Noot und den Gestalten hindurchzuschlüp fen, aber zwei Krejoden stürzten sich auf sie. Der Noot zog eine Waffe und feuerte. »Hinter mir her!« schrie er. »Wir sind wieder in einer gefährlichen Zone.« Der wechselnde Wind trieb also den sug gestiv wirkenden Rauch in ein anderes Ge biet der Händlerstadt, sagte sich Atlan. Er duckte sich und warf sich vorwärts.
Hans Kneifel Mit einem Unterarm blockierte er den Hieb eines der zweieinhalb Meter großen Krejo den, unterlief den zusammenklappenden Körper des zweiten Riesen und stieß Thalia in die Richtung des Noots. Das Echsenwe sen schwenkte seine stumpfläufige Waffe und feuerte kurz hintereinander dreimal. Drei Gestalten, gefährlich nahegekommen, wurden zurückgeschleudert und brachen zu sammen. Atlan sprang einen Camagur an, dessen sechs Arme einen rasenden Wirbel beschrieben. Drei, vier Hiebe trafen mit dumpfen Schlägen das Goldene Vlies. Atlan registrierte sie lediglich, spürte aber keine Schmerzen. Er hörte, wie der Noot um Hilfe rief. Vielleicht sprach er ins Mikrophon sei nes Raumanzugs. Thalia war von einer Schar der gelbhäuti gen Tamater umgeben. Die kleinen Käfer wesen schrien mit schrillen Stimmen und hingen wie eine Traube an der jungen Frau. Sie klammerten sich an Arme und Beine und versuchten, Thalia zu Boden zu ziehen. »Hierher, Atlan!« schrie Thalia erstickt. Die Raserei ergriff mehr und mehr Ein wohner dieses Marktteils. Der Noot hatte sich freigekämpft und war die Stufen einer Treppe hinaufgesprungen. Von dort aus schoß er mit der Lähmwaffe auf einzelne Angreifer. Als Atlan nur noch drei Schritte von Thalia entfernt war, tauchten aus dem Halbdunkel die schwarzen Gestalten dreier Camagurs vor ihm auf. Zu seinem Schrecken sah er, daß Thalia halb zu Boden gezogen worden war. Don nernd löste sich ein Schuß aus der Waffe des Objektiven. Atlan sprang über den zusam menbrechenden Camagur hinweg, schmet terte einen Angriff des zweiten Gegners zu rück und war bei Thalia. Er riß einen Tama ter von ihrem Rücken, schleuderte ihn in die Gruppe der nächsten Angreifer und sah, daß die Wesen untereinander zu kämpfen begon nen hatten. Sein Knüppel krachte auf die runden Schädel der Gelbhäutigen hinunter. Er pack te Thalia um die Hüften und riß sie hoch. Ihr Gesicht war blutüberströmt.
Rätsel der Schwarzen Galaxis »Ein gefährliches Pflaster«, sagte sie stöh nend. »Wir sind gleich in Sicherheit«, versprach er, stellte sich zwischen sie und die nächste Gruppe der Händler und verteidigte sich. Rechts und links von seinen Schultern schoß der Noot gezielt in die Menge. Langsam zo gen sich Atlan und Thalia zurück und er reichten die schmale Treppe, auf deren ober stem Absatz der Noot stand. »Verstärkung ist unterwegs! Die Markt summe schlägt uns heraus!« schrie er und schoß, um den beiden Deckung zu geben. Atlan zerrte Thalia die Stufen aufwärts, trat mit dem Fuß gegen einen keuchenden und schreienden Noot und spürte, wie ein Krejode vor dem stachelartigen Schulteraus wuchs des Anzugs zurückgeschleudert wur de wie von einer elektrischen Entladung. Dann standen sie dicht unterhalb von Con mat-Port. Aus den Lautsprechern seines offenes Raumanzugs kamen aufgeregt quäkende Stimmen. Atlan fragte sich, warum Thalia, er selbst und der Noot nichts von der Wir kung der hypnotischen Partikel spürten. Vielleicht hatte der Noot die Innenversor gung des Anzugs eingeschaltet, die alle Au ßenluft vor seinen Atemöffnungen wegblies. Und sie als Pthorer waren vielleicht dagegen immun. Wieder krachte ein Schuß an seinem Kopf vorbei und warf einen heranrasenden Cama gur von der untersten Stufe. Mehrere Tama ter krabbelten über seinen Körper. Atlan schob Thalia hinter sich und sprang die Stu fen abwärts. Wieder traten seine Faust und der splitternde Knüppel in Tätigkeit. Viele Wesen lagen bewegungslos auf dem Pfla ster. Andere kämpften in wild ineinander verkeilten Gruppen gegeneinander. Jeder schlug auf jeden und alles los, und ringsher um klirrte und krachte es. Aber nun kam von links eine Gruppe in rasender Eile herange rannt. »Meine Kollegen«, rief Conmat-Port und schoß zweimal. »Die Objektiven.« Es waren etwa ein Dutzend. Sie gehörten
11 allen vier hauptsächlich vertretenen Völkern an. Dies war schon auf den ersten Blick an der Größe und der Art der Raumanzüge zu erkennen. Die Objektiven bildeten eine Ket te, die über die gesamte Breite der leicht an steigenden Gasse reichte. Als sie zwanzig Schritt vom Platz entfernt waren, eröffneten sie ungerührt das Feuer aus den Lähmwaffen oder Schockstrahlern. Binnen weniger Se kunden bedeckte sich die Hälfte des Platzes mit regungslosen Körpern. Der Rest der hypnotisierten Händler kämpfte völlig ungerührt weiter. »In Ord nung«, kommentierte der Noot. »Bis zum Büro der Marktsumme sind es nur einige Schritte. Niemand wird uns mehr angrei fen.« »Ich bezweifle es nicht«, murmelte Atlan, legte sich Thalias Arm um die Schulter und befand sich augenblicklich in der Mitte der Gruppe. Die Objektiven sicherten nach allen Seiten. Sie schoben sich wieder durch die Gasse zurück, stützten Atlan und Thalia und steuerten auf einen kantigen Turm zu. Sämt liche Fenster des Turmes waren hell erleuch tet, in einigen fehlte das Glas. »Ist es schlimm?« fragte Atlan nach eini gen Schritten. Thalia schüttelte den Kopf, verzog aber vor Schmerzen das Gesicht. »Ich schaffe es schon«, sagte sie. »In den Räumen der Marktsumme werden wir dir helfen«, sagte Atlan. Die Phalanx der Objektiven ordnete sich, man führte Atlan und Thalia zum Eingang. Hinter den Mitgliedern der Marktpolizei schlossen sich schwere Türen. Die Objekti ven öffneten ihre Raumanzüge, und der Noot sagte: »Es sind alle Angehörigen der Marktsum me verständigt worden. Sie warten oben – wie viele es inzwischen sind, weiß ich nicht. Kommt, bitte.« Sie bestiegen einen Lift, der sie in einem großen Saal entließ. Im Mittelpunkt des Raumes befand sich ein großer Tisch, umge ben von vier verschiedenen Gruppen von Sesseln. Große Fenster und viele Kommuni kationsgeräte vervollständigten den Ein
12 druck. In dem Raum herrschte fast vollkom mene Stille. Atlan zählte neun Wesen. Sie hatten sich etwa halbkreisförmig gegenüber den Eingangstüren aufgestellt. Ein Krejode mit vibrierendem Kinnsack trat vor und sagte mit knarrender Stimme: »Die Marktsumme von Xudon, die Ver walter des offenen Marktes des Danjitter-Ta les, begrüßt euch!« Atlan nickte. Hinter ihm traten vier Ob jektive den Raum. Conmat-Port war unter ihnen. Der Arkonide sagte: »Zuerst brauche ich Hilfe für Thalia. Sie ist von Kämpfenden verletzt worden.« Der Krejode deutete auf die Objektiven und antwortete: »Helft ihnen sofort.« »Selbstverständlich.« Conmat-Port berührte Thalia am Arm und führte sie hinaus. Atlan zog die Handschuhe aus und ließ sich in einen Sessel fallen, der wohl für einen Noot gebaut war. »Mir scheint«, sagte er und gab vorläufig seinen Versuch auf, seine wahren Absichten erklären zu wollen, »daß Chirmor Flog eini gen Grund hat, bestimmte Änderungen durchzuführen und Strafen über den Markt zu verhängen. Offensichtlich ist DanjitterTal miserabel verwaltet worden.« Seine Antwort hatte den erwarteten Er folg. Die Mitglieder der Marktsumme zeig ten, soweit die Mimik ihrer fremdartigen Gesichter richtig zu deuten war, helles Ent setzen. Wie der machte sich der Krejode zum Wortführer. Er erklärte zögernd und stockend: »Ich bin Zarf aus dem Klan der Hungri gen. In der letzten Zeit sind viele Dinge ge schehen. Einflüsse, die nicht vorhersehbar waren, traten auf. Der Volkszorn kehrte sich gegen die Durstigen. Und auch die Glühenden und die Breiten werden von der Wut nicht verschont bleiben.« Atlan hob die Hand und sagte kurz: »Sprechen wir von der Vergangenheit und nicht von der Zukunft. Wie verhält es sich mit den Marmorkugeln und dem Wider schein der Freiheit?«
Hans Kneifel »Erlaube, daß ich spreche«, meinte ein Noot im offenen, prunkvoll verzierten Raumanzug. »Mein Name ist GriselnemDaahl. Wir fanden immer wieder perfekt hergestellte Kugeln aus wertvollstem AderMarmor. Sie hatten eine starke Ausstrah lung. Die Ausstrahlung zwang jeden, gegen die Gesetze des Neffen zu verstoßen. Wir fanden bald heraus, daß die Kugeln vom Klan der Durstigen stammten. Wir warnten sie mehrmals. Als immer wieder Kugeln auftauchten, sie wurden als solche bezeich net, die den Widerschein der Freiheit aus strahlten, bekamen es viele Händler mit der Angst zu tun. Sie drangen in die Stapelpaläste ein, um dem durstigen Zyrl ernsthafte Vorhaltungen zu machen. Es kam zum Kampf. Von dem Klan der Durstigen blieb nichts mehr übrig. Alle sind tot, die Paläste geschleift und ver brannt.« »Interessant«, sagte Atlan und wußte jetzt mit Sicherheit, daß die Mitglieder der Marktsumme wirklich voller Furcht waren. Aber er zweifelte daran, daß sich alles wirk lich genau so zugetragen hatte. »Und die Marktsumme war erstens über zeugt, daß einige Marmorkugeln die Macht des Neffen und darüber hinaus die des Dunklen Oheims ernsthaft gefährden? Und zweitens, daß keine anderen Maßnahmen als Mord oder Totschlag geholfen hätten?« Das Argument war keineswegs geeignet, die Mitglieder der Marktsumme zu beruhi gen. Atlan wartete ab, bis der Noot und Tha lia wieder hereingekommen waren. Thalias Kopf war verbunden. »Tramph-Ro«, sagte ein Tamater schrill. Atlan sah, daß er nur eines seiner drei Mün der benutzte. »Nichts mehr half, richtig. Wir konnten der Entwicklung keinen Riegel mehr vorschieben und ihr nicht Einhalt ge bieten.« »Also doch ein Problem einer schlechten Verwaltung«, sagte Atlan trocken. »Wieviel Objektive gibt es?« »Etwa dreihundert.« »Dreihundert Objektive also. Wieviel
Rätsel der Schwarzen Galaxis Händlerschiffe starten und landen täglich, im Durchschnitt?« »Zwanzig bis dreißig«, knarrte der Krejo de. Die anderen Teile der Marktsumme stan den noch immer unbeweglich, aber furcht sam da. Diese Schaustellung bewies mit bru taler Deutlichkeit, welche Machtposition ein Abgesandter des Neffen mit einem Schiff hatte, das tatsächlich von Säggallo kam. At lan sagte sich jetzt völlig bewußt, daß er alle Informationen bekommen würde, die er dringend brauchte, vorausgesetzt, er spielte diese Rolle weiter. Er würde – vorläufig – diese Rolle weiterspielen. Noch war die Situation stabil. Die Gali onsfigur würde wohl noch diese Nacht still halten und selbst versuchen, sich vollständig zu orientieren. Erst dann mußte Atlan han deln und sich ein neues Programm ausden ken. Er legte etwas mehr Schärfe in seinen Tonfall und fragte: »Zehn Objektive durchschnittlich für je des Raumschiff, um genau kontrollieren zu können. Und ihr habt es nicht geschafft, die Ankunft, den Handelsabschluß und das Aus laden und Abtransportieren einer Schwarzen Loh zu entdecken? Dreihundert Objektive und zwölf von der Marktsumme? Chirmor sollte nicht den Markt ausräuchern und stra fen, er sollte die untüchtige Marktsumme und zumindest viele der ebenso untüchtigen Objektiven bestrafen. Ich will annehmen, daß die meisten der Objektiven irregeleitet sind. Wie die Verwaltung, so auch die Aus führung. Habe ich recht?« Ein betretenes Schweigen war die Ant wort. Atlan drehte sich im Sessel herum und blickte den Noot Conmat-Port fragend an. Der Objektive schien keine Lust zu haben, eine seiner zynischen Antworten zu geben. Dein Auftritt zeigt die erwünschte Wir kung, kommentierte der Logiksektor. Atlan zeigte auf Thalia und sagte, nicht weniger vorwurfsvoll: »Noch nicht genug mit dieser verderblichen Entwicklung! Als wir aus dem Schiff kamen und die Markt summe aufsuchen wollten, wurden wir ange
13 griffen und zusammengeschlagen. Warum sind wir nicht abgeholt und feierlich emp fangen worden? Hat der Name des Neffen so an Glanz verloren? Nur ein Objektiver half uns. Du kannst bestätigen, Conmat-Port, was wir erlebt haben? Woher hätte sonst Thalia ihre Verletzung?« Der hungrige Zarf antwortete betreten: »Wir ahnten nichts von der Ankunft des Organschiffs.« »Spätestens nach den Funden der Frei heits-Marmorkugeln hättet ihr mit unum stößlicher Sicherheit wissen müssen, daß ein Schiff wie die HORIET landet!« »Und wir wagten nicht, uns der Gefähr dung durch den wild um sich schlagenden Pöbel auszusetzen«, rief der Tamater. »Trotz Raumanzügen und der Betäu bungswaffen? Ihr seid nicht nur untüchtig, sondern darüber hinaus fett und feige gewor den!« erwiderte Atlan. »Wir werden dafür sorgen«, rief Tshiff eifrig, »daß die Schuldigen bestraft wer den!« Atlan fragte knapp: »Wer sind die Schuldigen?« »Die Glühenden und die Breiten. Wenn es weitere Marmorkugeln dieser Art geben sollte, dann kommen sie von diesen Klans. Wir werden auch diese Paläste in den blei chen Marmorbergen ausräuchern lassen.« »Ihr tötet die Händler, noch bevor ihre Schuld erwiesen ist?« »Sonst stellt niemand Marmorteile dieser Art her. Es ist ungemein schwierig, und es bedarf langer Übung, Kugeln von solcher Makellosigkeit zu drechseln.« »Und wer hat die Schwarze Loh hierher gebracht?« wollte Thalia wissen. Weder sie noch Atlan hatten eine Ahnung, wie dieses Tier aussah und wie groß es war. »Das weiß niemand. Wenn es jemand weiß, dann ist es Cembergall-Flyrt, einer der erfolglosesten Objektiven«, rief, etwas si cherer geworden, der Krejode. Sein Artge nosse unterstützte diese Aussage, indem er mehrmals nickte und die Arme beteuernd bewegte. »Ich will diesen Objektiven sprechen. Er
14 ist ein Krejode?« »Nein. Ein Noot. Er fällt ständig auf, be sonders durch seine Unbotsamkeit. Richtig«, erklärte Tshiff, der Tamater in seinem sil berglänzenden Raumanzug. »Ich möchte ihn sprechen. Er soll später auf mein Schiff gebracht werden«, sagte At lan befehlend. Sofort befahl der zweite Krejode den Ob jektiven, den Gefangenen augenblicklich zu holen und vorzuführen. Atlan winkte ab und entgegnete: »Nicht jetzt. Später. Ich nehme ihn mit, wenn ich mich ins Schiff zurückziehe und zusammen mit Thalia den Umfang der Strafaktion erörtere. Weiter in der Unterhal tung über den Markt und die erstaunlichen Vorfälle.« Er lehnte sich zurück und begann mit dem Sessel zu wippen. »Natürlich«, sagte er halblaut und in ei nem Ton, von dem er hoffte, daß er durch die Beiläufigkeit noch drohender wirken sollte, »möchte ich, bevor ich den Umfang der Vernichtung ermittle, die belastenden Materialien sehen. Wo sind die Marmorku geln mit dem Widerschein der Freiheit?« Sofort sprang der Krejode vor und blieb vor Atlan stehen. »Darf ich euch in den Nebenraum führen? Dort haben wir die Kugel unter Verschluß. Ihre Ausstrahlung soll keinen von uns und auch sonst niemanden mehr in Versuchung führen, die Gesetze zu brechen und die Nor men zu mißachten.« »In Ordnung. Zeige mir die Kugel.« Ein Objektiver riß eine Tür auf. Atlan und Thalia gingen hinter dem hungrigen Zarf her in ein kleines Büro. In der Wand, die mit wertvoll scheinenden Stoffen bespannt war, öffnete sich ein verkleideter Safe. Der Kre jode griff mit seiner langfingrigen Hand hin ein und holte die Kugel heraus. Er legte sie mitten auf einen Schreibtisch. »Das ist eine der Kugeln, mit denen die verachtenswürdigen Durstigen uns zwingen wollten, ungehorsam zu sein. Vielleicht ist eine Kugel bereits auf einem anderen Plane-
Hans Kneifel ten? Wir sind sicher, daß alle Kugeln gefun den wurden. Wir haben sie in Trümmern den Durstigen zurückgegeben.« Atlan und Thalia wechselten einen kurzen Blick voller Einverständnis. Sie konnten sich denken, daß genau dies nicht der Fall war: sicherlich hatte die überaus untüchtige Marktsumme mitsamt den bestechlichen und trägen Objektiven die wenigsten Marmorku geln gefunden. Ein neuer Gedanke: wenn die Marktsumme behauptete, daß ein Objek tiver untüchtig war, dann stimmte vermut lich eher das Gegenteil. Also ist Cembergall-Flyrt genau der Mann, den du suchst, empfahl der Logiksek tor. »Ich verstehe!« sagte Atlan betroffen. Thalia und er starrten die Kugel an. Sie lag ruhig und kühl unter dem starken Licht eini ger Scheinwerfer. Es stimmte, was allge mein behauptet wurde. Die Kugel strahlte tatsächlich den Wider schein der Freiheit aus. Wie konnte Marmor einem solchen Effekt unterliegen? Soweit der Arkonide und die Tochter Odins erkennen konnten, war die Kugel aus einem besonders wertvollen Brocken Marmor gedreht worden. Ihre Oberfläche war glatt und seidig wie eine kostbare Perle, zeigte aber das unverkennba re Muster der Marmoradern aus. Natürlich leuchtete der Stein nicht etwa aus sich her aus, sondern reflektierte bis zu einem be stimmten Grad das Licht des Zimmers. Aber die gleiche Empfindung ergriff Tha lia und Atlan! Die Kugel tat etwas mit ihren Gedanken und Gefühlen. Eine Art Sehnsucht ergriff sie, so ähnlich wie der Wunsch, den man beim Betrachten eines besonders schönen Bildes verspürte. Nur viel intensiver und drängender, und vor allem ununterbrochen. Wenn schon, sagte sich Atlan, dieser Effekt ihm gegenüber intensiv und eindeutig war – vermutlich war dank der ARK SUMMIA und seiner unendlich langen Erfahrung seine Widerstandskraft gegen derartige Einflüste rungen größer als die eines anderen Wesens
Rätsel der Schwarzen Galaxis –, wie stark wirkte er erst gegenüber den Krejoden, Noots und wie sie sonst alle hie ßen? Vermutlich sehr stark, sonst wäre ihre Verwirrung nicht so groß, sagte mit Be stimmtheit der Logiksektor. Schweigend blickte er die Kugel an. Tha lia ergriff seine Hand und drückte seine Fin ger. Das Zeichen, daß es ihr nicht um einen Deut anders erging. Der Krejode stand schweigend und in wachsender Unsicherheit da. Die Pthorer spürten noch immer den Wunsch, sich von allen Zwängen und Konventionen loszusa gen, keinerlei unsinnige Gesetze von unbe kannten Herrschern zu beachten, sich ein fach über alles hinwegzusetzen und das zu tun, was sie wollten und wünschten. Schließlich lachte Atlan kurz auf und sag te: »Dieses Beweismittel wird den Neffen nicht wenig interessieren. Ich nehme es an mich und liefere es auf dem Planeten Säg gallo ab.« Er streckte die Hand aus, nahm die Kugel und schob sie, um nicht erneut jemanden zu provozieren, in den Fäustling des Goldenen Vlieses. Der Stein füllte den Hohlraum gera de aus. »Was werdet ihr tun?« fragte der Krejode, als der Bann gebrochen schien. »Zunächst den Gefangenen besuchen«, sagte Atlan. »Und dann kommt der Teil, der für die Marktsumme, die Objektiven und den Markt im Danjitter-Tal von besonderem Interesse ist. Wir beratschlagen das Ausmaß der Strafaktion.« »Wann wird die Beratung zu einem Er gebnis gekommen sein?« fragte der Krejode, während er sie in den Sitzungssaal zurück geleitete. Atlan lächelte zurückhaltend und antwor tete: »Wer weiß? In einer Stunde oder einem Tag? Es kann sein, daß Chirmor Flog für das Marantroner-Revier ein Exempel statuieren möchte. Nachrichten dieser Art verbreiten sich bekanntlich schnell.«
15 Wenn Chirmor Flog seine Befehle aus tiefer im Zentrum gelegenen galaktischen Regionen erhielt, dann bekam diese Antwort einen Sinn. Außerdem mußte Atlan damit rechnen, daß die lebende Galionsfigur selb ständig zu handeln begann. »Wird die Marktsumme vom Ergebnis der Beratungen verständigt?« fragte Tramph-Ro mit einem anderen seiner Münder. »Ganz sicher wird jedermann merken, welche Ergebnisse gefunden wurden«, versi cherte Atlan. »Jetzt zu Cembergall-Flyrt, dem schlechten und untüchtigen Objekti ven.« Sie beeilten sich, seinem Befehl zu folgen.
3. Im untersten Stockwerk des kantigen Marktsumme-Turmes lagen die Gefängnis zellen. Conmat-Port und einige andere Ob jektive, angeführt von Tshiff, dem Tamater, begleiteten Atlan und Thalia durch die Gän ge und über die Treppen. »Der Ruhe nach«, meinte Thalia nach ei nigen Schritten, »sind die Verliese ziemlich leer?« Conmat-Port erwiderte: »Nur eine tüchtige, in allen Punkten prä zise arbeitende Marktregierung kann es sich leisten, wenige oder keine Gefangenen zu haben.« Atlan begriff den sarkastischen Doppel sinn der Worte. Tshiff beeilte sich zu versichern: »Es befindet sich nur vorübergehend Cembergall-Flyrt in einer Zelle. Er randa lierte, weil er offensichtlich auf ungewöhn lich starke Weise in den, nun, zweifelhaften Genuß des Rauches gekommen ist.« Wieder erkundigte sich Thalia. »Aber es war doch jedem hier auf dem Markt bekannt, welche Folgen das Verbren nen einer Schwarzen Loh haben würde?« »Zweifellos. Indessen …« »Indessen kümmerte sich nicht wirklich jemand darum, den Import dieser suggesti ven Waffe zu verhindern. Es müssen in Danjitter-Tal verbrecherische Narren herum
16 laufen. Denn außer einer kleinen Gruppe von Händlern, die erstens über Raumanzüge und zweitens über Schutzwaffen verfügen, kann niemand Interesse daran haben.« Der Tamater schrie aufgeregt aus seinem linken Mund: »Wir haben nicht einen einzigen Plünde rer gesehen oder gefangen. Objektive! Habt ihr etwas in dieser Art gesehen? Warum habt ihr es nicht berichtet?« Der Noot verzog seinen breiten Reptilien mund und erwiderte nachdenklich: »Wenigstens ich habe keinen Plünderer gesehen. Aber es können viele Gruppen ge zielt vorgegangen sein. Dies wird sich er stens niemals mehr feststellen lassen, und zweitens sind die Plünderer sicherlich in je nen Schiffen zu finden, die beim Auftauchen der HORIET wie die Irrsinnigen geflohen sind.« Ratlosigkeit breitete sich aus. Mittlerweile stand die gesamte Gruppe vor einer Zelle. Ein großzügig bemessener Raum war an sei nem Vorderteil durch ein kleinmaschiges Gitter aus dehnbaren Fäden abgeschlossen, in dem sich eine massive Tür befand. In der Zelle brannte das Licht hinter einer vergit terten Öffnung in der Decke. Inmitten des restlos zertrümmerten Inventars lag mit weit aufgerissenen Augen ein breitschultriger Noot in einer über und über beschmutzten Lederuniform. Conmat-Port trat an das Netz und rief: »He! Aufstehen, Kollege. Besuch für dich. Deine Mitarbeit wird dringend benö tigt!« Der Noot stieß ein heiseres Krächzen aus. Dann versuchte er, vom Boden hochzukom men. Seine Gelenke schienen zu streiken. Atlan und Thalia hatten einen Noot ohne Raumanzug noch nicht aus der Nähe richtig betrachten können. Sie sahen den froschähn lichen Kopf, das auffallende Horn und die hellblau geschuppte Haut. Mit kratzenden Fingerkrallen richtete sich Cembergall-Flyrt auf. Als er erkannte, daß sich eine Gruppe außerhalb des Käfigs befand, schnellte er sich plötzlich mit einem wütenden Satz ge-
Hans Kneifel radeaus und krallte sich direkt vor dem an deren Objektiven in das Netz. Ungerührt zog Conmat-Port seine Schockwaffe. »Halt!« warf der Arkonide ein. Der Noot neben ihm sah ihn mit riesigen Augen fragend an. »Im Schiff möchten wir mit ihm spre chen. Es mag nötig sein, seine Bewegungs muskulatur zu lähmen, falls er sich weiter hin widerborstig zeigt.« »In Ordnung, Chef. Du bestimmst hier!« gab Conmat-Port zur Antwort, drehte etwas an der Waffe und feuerte zwei kurze Schüs se ab. Sie trafen die Kniegelenke des Objek tiven. Mit einem Wutschrei sackte Cember gall-Flyrt zusammen. Atlan befahl: »Holt ihn heraus und bringt ihn zum Schiff. Zugleich brauchen wir eine schnelle und standesgemäße Beförderung zur HO RIET. Und dies sollte in großer Eile gesche hen.« »Richtig«, bestätigte Tshiff. »In höchster Geschwindigkeit.« Die Objektiven schrie er an: »Worauf wartet ihr noch! Tut, was der Abgesandte des Neffen von uns verlangt. Schnell! Den besten Gleiter! Und einen an deren Gleiter für den Objektiven. Ihr haftet mit eurem Amt für die sachgerechte Ausfüh rung! Vielleicht ist der Vertreter Flogs dann ein wenig milder.« So hört es sich schon besser an, sagte vol ler Zufriedenheit der Extrasinn.
* Im Büro der Marktsumme herrschten jetzt ein entsetztes Schweigen und eine Stim mung, die den Mitgliedern jeden Augenblick ihre Lage ins Bewußtsein zurückrief. Der Abgesandte des Neffen hatte sich nicht täu schen lassen. Seine Argumente bewiesen, daß er über den Markt und vieles andere ge nau Bescheid wußte. Seine Demonstration der Macht war überzeugend gewesen. Der hungrige Zarf sagte nach längerem nachdenken:
Rätsel der Schwarzen Galaxis »Es ist wohl jedem von uns klar gewor den, daß wir uns in äußerster Gefahr befin den. Nicht nur unsere Stellung, sondern un ser Leben ist gefährdet.« Tshiff erwiderte, sich aus dem Getränke vorrat reichlich einschenkend: »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit zur Rettung. Das ist meine Meinung. Wir müs sen den Vertreter Flogs ablenken. Ein ande res Opfer, einen überzeugenden Schuldigen. Das brauchen wir. Richtig.« »Ausnahmsweise hast du recht«, erklärte Griselnem-Daahl unruhig. »Ein geschickter Spielzug? Er mag vieles wissen, aber er wird nicht jedes Geheimnis herausbekommen. Und überdies kann er wohl nicht Wochen und Monate lang hierbleiben und alles unter suchen. Ich schlage vor, daß wir erst einmal abwarten.« Tramph-Ro bewegte in höchster Aufre gung seine vielen Arme. »Abwarten? Was sollen wir abwarten?« Ein anderes Mitglied meldete sich zu Wort. »Abwarten, bis die Nacht vorbei ist. Dann gibt es keinen Rauch mehr; schon jetzt ist kaum mehr etwas festzustellen. Dann wer den wir die Objektiven ausschicken.« »Wozu? Wohin?« Die Aufregung nahm zu. Noch eben wa ren sie alle hoffnungslos gewesen. Jetzt schien sich eine Besserung der Lage anzu deuten. »In die am meisten geschädigten Bereiche des Marktes. Wir schüren die Wut der klei nen Händler.« »Was hast du vor?« »Die Glühenden und die Breiten stellen Marmorartikel her. Das trifft doch zu, oder etwa nicht?« Langsam begannen sie zu verstehen, wor auf der Krejode hinaus wollte. Sie riefen sich aufmunternde Worte zu. »Es trifft zu. Also sollen die Händler selbst die Schuldigen bestrafen. Die Justiz des Volkes wird ohne unsere Überwachung zuschlagen. Gleich morgen früh beginnen wir. Der Weg zu den bleichen Marmorber
17 gen ist weit und beschwerlich.« »Ich bin einverstanden«, rief Tramph-Ro. »Ausgezeichnete Idee.« »Richtig!« fügte Tshiff hinzu. »Wir müs sen die HORIET so schnell wie möglich da zu bewegen, wieder abzufliegen. Erst wenn alles vorbei ist, wird der Markt wieder ein Zentrum des Handels sein.« Sie brauchten es nicht auszusprechen, sie wußten es alle. Ohne einen funktionierenden Markt waren sie überflüssig. Sie drängten sich kaum nach der Verwaltungsarbeit, aber sie waren in demselben Moment auch ohne Einkommen. »Ich bin dafür, diese Aktion bei Sonnen aufgang einzuleiten!« rief einer von ihnen. »Auch ich unterstütze diesen Antrag.« »Also befehlen wir es den Objektiven?« »Richtig.« Wenn sie es geschickt genug machten, würden die geschädigten Händler glauben, daß an der bevorstehenden Strafaktion des Schiffes und an den Verwüstungen durch den Rauch der Loh die Marmorhersteller schuld waren. Der Rest stellte kaum ein Pro blem dar. Man würde die Stapelpaläste schleifen und die Kommandanten der HO RIET ablenken. »Vergeßt nicht«, rief der andere Noot. »Wir haben noch immer Cembergall-Flyrt. Er ist zwar im Schiff und steht noch immer unter dem Einfluß des aggressiven Rauches, aber …« »Aber er wird durch unsere Aussage über stimmt werden, gleichgültig, was dieser At lan aus ihm herauspreßt.« »Falls wir es schaffen, einer Meinung zu sein.« »Wenn wir nicht diesmal einer Auffas sung sind, brauchen wir uns in Zukunft kei nerlei Sorgen mehr zu machen. Dann wer den die Kampfstrahlen aus dem Organschiff jede Frage ein für alle Mal gelöst haben«, donnerte Griselnem-Daahl. »Richtig!« schrillte der Tamater und sprang aufgeregt in die Höhe. »Was sagen wir denen von Säggallo?« »Daß Cembergall-Flyrt die Marmorkugel
18 – die jetzt im Schiff ist – besorgt und damit alles ausgelöst hat. Ihm ist die Schuld zu ge ben an dem Import der Schwarzen Loh, an dem Ausbruch der Kämpfe und Streitigkei ten durch den Rauch, an den Verwüstungen und an den Massakern unter den Klans der bleichen Marmorbergen. Dies müßt ihr be haupten, gleichgültig, wie die Beweise aus sehen.« »In Ordnung.« Die drei Krejoden, ein Viertel der Markt summe, standen auf und bildeten eine Grup pe. Der hungrige Zarf führte immer das große Wort. Auch jetzt schien er für alle drei Krejoden zu sprechen. »Ich stelle mich ebenso wenig gegen die Ergebnisse unserer Beratung wie jeder ande re hier. Ich hoffe es wenigstens, daß aus nahmsweise Einigkeit besteht. Wir stehen an einem gefährlichen Punkt unserer Existenz. Es muß nicht sein, daß die Marktsumme sich indirekt mit dem Blut der alten Geschlechter besudelt. Außerdem werden sowohl die Glühenden als auch die Breiten gewarnt sein. Sie sind die Nachbarn der getöteten Durstigen. Ent weder schlagen sie mit aller Kraft zurück, und es gibt noch mehr Tote, oder sie haben die Warnung beherzigt und sind geflüchtet.« »Richtig«, sagte schrill der Tamater. »Und was jetzt?« »Ein Scheinangriff mit aller Wucht. Mög lichst dramatisch. Und bevor es zum Höhe punkt kommt greifen wir ein. So wahren wir noch mehr unser Gesicht. Einverstanden?« Der Noot winkte ab und murmelte: »Macht, was ihr wollt. Wir werden ohne hin niemals erfahren, was der Kommandant der HORIET unternehmen wird.« »Spätestens in ein, zwei Tagen wissen wir es alle.« »Allerdings. Dann weiß es jeder.« Die versammelte Marktsumme war nicht in der Lage, ein neues Handlungskonzept zu entwickeln. Sie klebten förmlich an ihren Sesseln. Mit Erkenntnissen, die sie während ihrer langen und korrupten Herrschaftszeit gewonnen hatten, versuchten sie, sich wei-
Hans Kneifel terhin zu behaupten. Jedes Mittel war ihnen dazu recht, die eigene Stellung zu erhalten und die Gunst – oder zumindest nicht die vernichtende Rache – der OrganschiffMannschaft hervorzurufen. Sie versuchten im Moment, Stunde um Stunde zu überle ben. Der erste Schritt schien gelungen zu sein. Ein Camagur sagte abschließend in resi gnierendem Ton: »Wir gehen auseinander. Bitte, laßt alle die Kommunikationsgeräte eingeschaltet. Wir müssen sekundenschnell miteinander sprechen können. Und wie lange brauchen wir, um die Objektiven zu verständigen?« »Falls sich jemand überwinden kann, hier im Büro zu bleiben, geht es sehr schnell. Ich bleibe hier, die ganze Nacht. Man muß Op fer bringen können«, sagte der hungrige Zarf.
* Vor dem Turm der Marktsumme blieb At lan stehen und deutete auf Conmat-Port. »Ich möchte, daß du unseren Gleiter zur HORIET steuerst.« Die Sterne über Danjitter-Tal waren nur noch an einem Drittel des Himmels zwi schen den Zehntausendern des Ringgebirges sichtbar. Der Rest war von wild durcheinan derwirbelnden Wolken bedeckt. Hinter den Wolken zuckten bleiche Flächenblitze. Der Wind kam in einigen abgerissenen Sturm stößen. »Selbstverständlich, Abgesandter von Chirmor Flog.« Er hielt die Tür auf. Atlan half Thalia in den Sitz und wandte sich wieder an den Noot. »Angesichts der Marktsumme waren dei ne Ausführungen sehr zurückhaltend. Um nicht zu sagen spärlich.« »Das Leben eines Objektiven«, sagte der Noot ruhig, »mag nicht viel wert sein. Aber ich halte nichts davon, es selbst wegzuwer fen. Außerdem halte ich nicht viel von De nunziation.« Er schwang sich hinter die
Rätsel der Schwarzen Galaxis Steuerung und schob einen Hebel nach vorn. »Das wird nicht verlangt. Mir scheint, die Marktsumme war ein wenig konfus?« Der Gleiter schwebte eine immer breiter werdende Gasse hinunter, überquerte einen Platz, schwebte an einem Waldstück oder einem Park vorbei und steuerte auf die breitere Pi ste hinaus. Atlan und Thalia lehnten sich in die Polster. Der Noot antwortete ärgerlich: »Die Marktsumme versucht, mit allen Mitteln zu überleben. Nicht, daß die Ver sammlung untüchtig wäre. Sie ist nur durch eine zu lange Zeit verwöhnt und korrumpiert worden. Dasselbe gilt für viele Objektive, mich nicht ausgeschlossen. Aber daß sie ausgerechnet den hochanständigen Cember gall-Flyrt als Hauptschuldigen aufbauen – das geht zu weit.« Der schwere Gleiter summte, immer schneller werdend, die ausgestorbene Piste in der Richtung des Raumhafens weiter. Das Organschiff war von hier aus noch nicht zu sehen. »Das ist immerhin eine Antwort«, sagte Thalia, »die brauchbare Informationen ent hält. Cembergall-Flyrt ist also nicht der Hauptschuldige?« »Alles andere als das. Er hat immer auf Kosten seiner Bequemlichkeit die Schwarze Loh gesucht, seit das Gerücht aufgetaucht ist. Er hat sich nicht bestechen lassen. In der Bar, in der ihr zuerst wart, zahlte er jeden Becher selbst. Mit der Loh hat er nicht das geringste zu tun; im Moment leidet er darun ter wohl am meisten. Er lag angeblich direkt neben der brennenden Loh.« Der andere Gleiter mit dem halb gelähm ten Cembergall-Flyrt schwebte hinter ihnen. Ein halbes Dutzend Objektive saß darin und folgte dem Kommandanten der HORIET. Atlan war gespannt darauf, was ihm der an dere Noot berichten würde, wenn er wieder einen klaren Verstand hatte. »Und wie verhält es sich mit der Marmor kugel?« »Cembergall-Flyrt hat sie nicht mit sich herumgeschleppt. Ich glaube, er hat sie ge
19 funden.« »Wir haben sie bei uns«, antwortete At lan. »Da ist sie auch sicher am besten aufge hoben«, sagte der Noot grimmig. »Ich per sönlich bin sicher, daß eine verbrecherische Bande die Loh angezündet hat. Keiner der Offiziellen, also weder die Marktsumme noch die Objektiven, würde einen solchen Wahnsinn beginnen. Und wenn ihr von Säg gallo kommt, um den Markt zu strafen, dann wäre es für alle Beteiligten das beste, vor sichtig vorzugehen.« »Dieses Problem wird im Schiff disku tiert«, erklärte Thalia. »Der junge, angeblich anständige Noot ist also nicht der Schuldige an dem riesigen Debakel?« »Auf keinen Fall!« sagte nachdrücklich der Objektive. »Und wie beurteilt die Marktsumme die Wirkung der Marmorkugeln?« »Sie fürchtet sich.« »Warum?« »Weil der sogenannte Widerschein der Freiheit sie hinwegfegen kann.« Atlan sah hinter einem Gebäudekomplex die HORIET auftauchen. »Jetzt weiß ich viel genauer, warum wir hier eine umfang reiche Strafexpedition starten sollen«, sagte er. Natürlich waren Atlans Pläne ganz an ders. Sein Ziel lag irgendwo in weiter zeitli cher und stellarer Entfernung. Xudon war nur einer der ersten Schritte auf dem Weg dorthin. Und ganz sicher bekam er hier viele der Informationen, die er im Kampf für Pthor und gegen die Herrscher der Schwar zen Galaxis brauchte. Er schwieg, bis die beiden Gleiter hinter einander vor der Schleuse der riesigen HO RIET anhielten. In der Umgebung hatte sich nichts geändert. Noch immer hielt die Furcht vor dem Organschiff jedes Lebewesen da von ab, sich dem Koloß zu nähern. Atlan und Thalia stiegen aus und winkten den Ob jektiven. »Bringt Cembergall-Flyrt ins Schiff. Ach tet darauf, daß er nicht um sich schlägt.«
20 Eine Schar Dellos unter Führung von Gär go rannte aus dem Schiff heraus und um ringte die Fahrzeuge. Atlan gab seine An ordnungen und sah zu, wie man CembergallFlyrt wegtrug. Er wehrte sich noch immer verbissen; in seinem Kreislauf steckten noch Rauchpartikel der Schwarzen Loh. »In Ord nung«, sagte er schließlich. »Ich werde mei nen Entschluß der Marktsumme bekanntge ben.« Die Objektiven bestiegen zögernd die Gleiter. Atlan sah ihnen nach. Eine Menge verworrener Gedanken beschäftigte ihn. Ei nes wußte er mit Sicherheit: sie mußten Xu don bald verlassen. In dem Moment, da der Neffe die Vollzugsmeldung von BronniterVrang verlangen würde, kam die Wahrheit ans Licht der Sonne. Langsam ging er ins Schiff zurück, diesen riesigen Körper, des sen Konstruktion organische und anorgani sche Materie auf verblüffende Weise mitein ander vereinigte. * Thalia hatte sich den Raumanzug ausgezogen und sich frisch ge macht. Als sie einen Korridor überquerte, liefen wieder einige der schweigsamen oder stummen Grauhäutigen an ihr vorbei. Sie hatte sich noch immer nicht an diese amei senhaft wirkenden Mitglieder der Bedie nungsmannschaft gewöhnen können. Jedes mal überzog ein Schauer ihre Haut. Sie flüchtete sich fast in Atlans Kabine. Auch der Arkonide hatte das Goldene Vlies abge legt und lag entspannt in einem Sessel. »In Kürze wird der Scheinfrieden in Danjitter-Tal sein Ende haben«, sagte Atlan, sprang auf und machte Thalia ein aufmun terndes Getränk. Ein Drittel der Nacht war vorüber. »Ich habe den Eindruck, daß hier jeder tut, was er will. Die Gesetze und Einschrän kungen des Neffen oder des Oheims gelten nicht viel. Die Marktsumme ist ein Haufen korrupter Händler, die Objektiven haben sich anstecken lassen, und es gehen un glaubliche Dinge vor. Ich meine dies aus der Sicht unserer ›Befehlshaber‹ gesehen.« Sie ließ sich müde in einen Sessel fallen und warf einen langen Blick auf den Bild schirm, der ein Panorama der Umgebung
Hans Kneifel zeigte. Die Blitze waren stärker geworden. Es zog ein Gewitter auf. »Du hast völlig recht«, antwortete Atlan. »Die Dellos versuchen gerade, unseren tem peramentvollen Freund wieder zu sich zu bringen.« Zwischen ihnen lag auf dem Tisch die Marmorkugel. Ihr Anblick wirkte wie der ei nes außerordentlich kostbaren Juwels. Die Ausstrahlung blieb unverändert wirksam. Atlan und Thalia allerdings brauchten diese Ausstrahlung nicht, um den Begriff der Frei heit zu erkennen. »Wer hat die Wahrheit gesagt? Die Marktsumme oder dieser fabelhafte Noot, der solch markante Sprüche von sich gab?« »Wir werden es erfahren. Vorläufig ge bärdet sich Cembergall noch wie ein Rasen der«, sagte Atlan und setzte sich. »Wir soll ten die Pause benutzen, um uns zu erholen. Anschließend werde ich versuchen, mit Bronniter-Vrang zu sprechen.« »Die Galionsfigur ist unser nächstes Pro blem.« »Ganz bestimmt.« Beide rechneten damit, daß sie rechtzeitig gewarnt werden würden, wenn sich gefährli che Entwicklungen anbahnten. Über Danjit ter-Tal entlud sich jetzt das Gewitter mit Blitzen, langanhaltendem Donner und hefti gen Regengüssen, die von Sturmstößen schräg über das Land gepeitscht wurden. Vielleicht wurden jetzt die letzten Partikel des Schwarze-Loh-Rauches weggeblasen oder weggespült.
* Etwa drei Stunden vor Sonnenaufgang, als bereits die ersten Sterne über den Schrof fen des Ringgebirges zu flackern begannen, hörten Gewitter und Regen auf. Das herab stürzende Wasser hatte im Gebiet des Mark tes und der vielen kleinen Wohnviertel den ärgsten Schmutz von den Straßen gespült. Die Luft war sauber und völlig klar. Die er sten Händler erwachten aus ihrer Starre und sahen, was passiert war. Erschöpfte Tamater
Rätsel der Schwarzen Galaxis verbanden einander die Wunden, Krejoden und Camagurs stolzierten in ihren Läden hin und her und versuchten, die Schäden zu er fassen. Diener und Händlergehilfen erwachten und beteiligten sich an den Aufräumungsar beiten. Lautes Zetern und Wehklagen war in den Heimatsprachen der Händler zu hören und in Garva-Guva. Nachbarn, die noch vor einem halben Tag wie besessen aufeinander eingeschlagen hat ten, halfen sich gegenseitig und versuchten zu retten, was noch zu retten war. Die ersten Objektiven waren unterwegs. Sie hatten von der Marktsumme den Auftrag, Fragen zu be antworten und die Wut der halbwegs ruinier ten Händler und Dienstleistenden auf die vermeintlichen Urheber des Zwischenfalls zu richten. Die Drohung des gelandeten Organschiffs hing noch immer wie ein furchtbares Schicksal über allen. Die Verwüstungen wa ren ungleichmäßig verteilt, analog den Zo nen, in denen sich be sonders viel oder we nig Rauchpartikel niedergeschlagen hatten. Dort, wo es wenige Wunden und kaum Schwerverletzte oder gar Tote gegeben hat te, wirkten die Worte der Objektiven. Die Marktsumme hatte nur solche Männer aus geschickt, auf die sie sich restlos verlassen konnte. Es gab erste Erfolge. Kleine Grup pen rotteten sich zusammen und diskutier ten, ob nicht tatsächlich die alten KrejodenGeschlechter mit ihren verdammten Kugeln an allem die Schuld hatten. Bei der großen Ausdehnung des Marktes dauerte alles seine Zeit … Es landeten sogar zwei Raumschiffe auf einem weit entfernten Teil des Hafens. Als einer der Kapitäne das Organschiff sah, star tete er sofort wieder durch. Der andere be wies ungewöhnlich großen Mut oder hatte ein völlig reines Gewissen – er landete, setz te aber sein Zylinderschiff am äußersten Punkt ab, fast am jenseitigen Rand des Kreisrings. Irgendwo auf einem Platz blieben zwei Objektive stehen und stutzten. Es waren
21 Krejoden; niemand trug mehr einen Raum anzug. Der Effekt der suggestiven Rauchga se oder Partikel war vorbei. »Ist das nicht die Stelle, an der wir ge stern überfallen wurden?« fragte der Objek tive und musterte die Hausfronten und die Aushängezeichen der Händler. »Ich glaube, das ist der Platz. Sehen wir nach!« »Dort hinten, in dem Winkel …« Sie bogen ab, umklammerten die Kolben der Waffen und liefen über ein von Abfällen übersätes Stück Rasen. Zwischen die weit ausragenden Äste großer Bäume geduckt stand ein Schuppen. Von seiner Vorderfront fehlten einige Latten und Verstrebungen. Gestern waren sie als Waffen gebraucht worden. »Ob sie noch lebt?« meinte der Krejode. »Der alte Arzt jedenfalls meinte, daß sie nur in einem Schock liegt.« »Wir werden es sofort sehen.« Ein Fußtritt sprengte die einfache Tür auf. Die Scheinwerfer der Objektiven blitzten gegen die rohen Wände und beleuchteten Trümmer und Unrat. Aber als sie herum schwenkten, trafen die Lichtkegel auf eine langgestreckte Gestalt. »Da ist sie!« stieß einer der Krejoden aus. Er beugte sich zu der jungen Frau hinunter. Sie lag unbeweglich da, genauso, wie sie ge stern hier auf die schmutzigen Decken hin gelegt worden war. »Irgendwie wird es mir gespenstisch!« knarrte der ältere Objektive. Das Sehorgan war geschlossen und öffne te sich auch nicht, als die grellen Lichtstrah len es trafen. Nicht einmal die Färbung des Lides änderte sich. Der jüngere Objektive ergriff das Handgelenk und spürte, daß das Blut rhythmisch durch die Adern pulsierte. »Es wird das beste sein, wir bringen sie dorthin, wo sie ärztliche Hilfe hat.« »Zum alten Dnarc? Diesem Greis?« »Er praktiziert in der Nähe, und er ist Krejode wie wir – und wie sie. Los, hilf mir. Schließlich sind wir keine Barbaren.« »Meinetwegen.«
22 Der Körper der jungen Frau war schlaff und schwer, aber sie legten ihn sich über die Schultern und schleppten das Mädchen um einige Ecken, etliche Treppen hinauf und hinunter, und schließlich standen sie vor der Tür der Praxis. »Wecken wir den kleinlichen Dnarc auf?« »Wird wohl nicht nötig sein.« Die Objektiven waren während langer Jahre abgehärtet worden. Nichts war ihnen mehr fremd. Aber sie brachten es nicht über sich, die junge Frau hilflos liegenzulassen. Gestern waren sie, der gesamte Trupp, ange griffen worden. Während die anderen ver suchten, sich durchzuschlagen, hatten sie die Unbekannte hierhergebracht. Sie wuchteten die Tür auf, legten das be wegungslose Mädchen auf einen Behand lungstisch und vertrauten darauf, daß der kleinliche Dnarc seine Patientin wiederer kennen würde. Vor der Wohnung des alten KrejodenMe diziners blieben sie stehen und blickten hin unter auf diesen Teil des Marktes. »Was werden die Organschiffer mit uns machen?« fragte der Jüngere. »Ich rechne damit, daß sie eine sehr nach drückliche Warnung aussprechen. Nach Meinung der Marktsumme werden sie große Teile von Danjitter-Tal verwüsten. Es wird Tote geben, viele Tote. Die Arbeit von Ge nerationen wird zunichte gemacht.« »So straft Chirmor Flog?« Die Vorstellung, daß die HORIET mit feuernden Geschützen über dem Markt krei sen würde, entsetzte sie. Die Vorstellung war so grauenvoll, daß sie fast abstrakt blieb. Langsam gingen sie die Stufen hinunter. »So straft er. Man hört es von den Kom mandanten der Händlerschiffe.« »Wird der Angriff auf die Glühenden und Breiten ihren Zorn besänftigen?« erkundigte sich zögernd der jüngere Krejode. Der andere Objektive antwortete knar rend: »Mit Sicherheit nicht. Vielleicht lenkt der Angriff ab, so daß andere Teile zerstört wer-
Hans Kneifel den als die geplanten.« »Wir sollten davonrennen und uns irgendwo verstecken!« Um sie herum füllten sich mehr und mehr Läden, Gassen und Plätze mit Leben. Aber es entbehrte jeder Fröhlichkeit. »Das würde unser Leben vielleicht retten, aber nichts sonst ändern«, schloß der Objek tive und zog seinen Partner mit sich. »Weiter! Wir haben einen Auftrag zu erledi gen.« »Ich komme.« Der erste helle Streifen zeigte sich hinter der schwarzen Silhouette der Berge. Der Nachtwind legte sich allmählich. Je heller es wurde, desto deutlicher erkannte man von vielen Punkten des Danjitter-Tales den wuchtigen Körper der HORIET.
* Das Gewölbe war ruhig und kühl wie im mer. Der Händler der Würste und der feinen Waren aus dem Schlammozean wußte, was geschehen war, und deshalb freute er sich noch immer. Er war sowohl den Kämpfen im Markt entkommen als auch den zusam mengerotteten Gruppen auf dem Weg hier her. Auch war der Rauchschleier der Schwarzen Loh gnädig an seinem Geschäft vorbeigezogen. Er gehörte zu den wenigen Glücklichen – einerseits. Andererseits sah er, wenn er den Kopf hob, das Organschiff hinter den Bäumen aufragen. Es wirkte wie ein fremdes, böses Tier. Hatte jemand, vielleicht ein Objektiver, die Loh hierhergebracht und angezündet, nur zu dem Zweck, dieses Schiff zu rufen? Ein Gedanke, der nicht von der Hand zu weisen war. Irroth, der Tamater, bereitete seinen La den vor, kontrollierte seine Waren, rechnete und schätzte und wußte, daß heute nicht ein einziger Kunde kommen würde. Er ersetzte die Lauge, in der die Delikatessen schwam men, trieb seine Helfer und Familienangehö rigen zur Eile an und rückte den Tisch, auf dem er die Waren für den Straßenverkauf
Rätsel der Schwarzen Galaxis anbot, in den Bereich des späteren Schat tens. Als er vor das Gewölbe hinaushüpfte und seine Schürze vom Tau und dem nassen Gras feucht wurde, hörte er den Lärm. Er zuckte zusammen. Schon wieder? Der vierarmige Zwerg mit der gelben Haut und den vier Armen sprang aufgeregt in die Höhe und dann hinaus in die Richtung des Weges zum Raumhafen. Er blieb hinter niedrigen Büschen stehen und sah verwun dert auf die Karawane, die an ihm vorbeira ste. Gleiter und Fahrzeuge aller Arten waren überfüllt von Gestalten aller vier Völker gruppen. Die Scheinwerfer der Fahrzeuge waren eingeschaltet. Aufgeregte Stimmen von Krejoden knarrten laut herüber, die HektikMünder von Tamatern in zerbeulten, heimlosen Raumanzügen schrillten und kreischten, Camagurs fauchten laut und schwangen blitzende Waffen jeder denkba ren Art, die flachen Schädel der Noots dreh ten sich aufgeregt hin und her. An der Kreu zung bog der seltsame Zug nach links ab. Also nahm er nicht die Piste zum Raumha fen, sondern die andere. Sie führte in die Richtung der bleichen Marmorberge. Irroth brauchte sich erst gar nicht zu erin nern. Er hatte vor kurzer Zeit fast das gleiche Bild vor Augen gehabt. Auch fast zur selben Zeit. Eben funkelten die ersten Sonnenstrah len über den fernen Gebirgskamm. Diesmal war die Karawane der wütenden Händler und deren Diener und Familienangehörigen weitaus länger. Sie konnte nur ein Ziel ha ben. Irroth gebrauchte den schlimmsten Fluch, den sein Volk kannte und rief aus der Hek tik-Sprachöffnung: »Sie morden und brennen schon wieder. Diesmal sind die anderen Geschlechter der Marmorkünstler dran.« Ihn persönlich ging der Tod eines Krejo den nur mittelbar an. Das Volk der Tamater, dessen Individuen zweigeschlechtlich wa ren, hatte ein anderes Verhältnis zum Leben
23 und Sterben als andere Völker. Irroth aber haßte Mord, und darüber hinaus wurde jetzt abermals eine Entwicklung in Bewegung ge setzt, die furchtbar enden mußte. »Sie sind alle wahnsinnig. Und die Markt summe duldet es!« schrie er. Er lief zurück zum Haus, setzte sein mit Werbesprüchen und Bildern verziertes Vehi kel in Gang und fuhr los. Entweder, sagte er sich, innerlich halb krank vor Furcht und Unsicherheit, brachten ihn die Organschiffer gleich um, oder er starb während der Rache aktion. Eine schwache Hoffnung blieb ihm: im Gefüge der Macht war er kleiner als ein Staubkorn.
* Atlan war bereits wach und ließ sich in den Anzug der Vernichtung helfen, als der Dello Caahan hereinkam. »Du wirkst erregt«, sagte Atlan. »Neuigkeiten?« »Du solltest dringend vor das Schiff kom men, König von Pthor. Ein interessanter An blick erwartet dich.« Der Dello schien belu stigt zu sein. »Wenn es nur das ist«, sagte Atlan ruhig. »Kein Brand, keine Prügeleien, kein neuer Volksauflauf?« »Nein. Wenigstens bisher noch nicht. Al lerdings ist eben erst die Sonne aufgegan gen. Wir warten natürlich auf eine Reaktion der Marktsumme.« »Nicht nur darauf«, sagte der Mann im Goldenen Vlies und reckte seine Schultern. »Wer ist vor dem Schiff?« »Ein einheimischer Händler. Komischer kleiner Kerl mit gelber Haut, einer Schürze und vier Armen.« »Ich komme.« Mit großen Schritten lief Atlan durch den Korridor, betrat die Schleuse und blieb über rascht auf der Rampe stehen. Vor dem Schiff stand ein kastenförmiges Gerät auf vier schmalen Rädern, über und über voller Schriftzeichen und rätselhafter Darstellun gen, die sich ausnahmslos auf Eßwaren be
24 zogen. Aus einem Rohr im Heck des Geräts kam stoßweise, mit knatternden Geräuschen verbunden, hellgrauer Rauch. Neben dem Fahrzeug stand ein Tamater. »Du willst mit dem Vertreter von Chirmor Flog sprechen?« fragte Atlan und ging auf den etwa einen Meter kleinen Tamater zu. »Ja. Dringend!« schrillte die aufgeregte, hohe Stimme des Gelbhäutigen. »Das muß seinen Grund haben«, meinte Atlan. Wieder erwachten sein Mißtrauen und seine Vorsicht. Er betrachtete interes siert den Sehkranz des kleinen Wesens und bemerkte, daß die Gruppe der Dellos, die ebenfalls gespannt zusahen, immer größer wurde. »Sie sind unterwegs!« schrie der Tamater. »Wer ist unterwegs und wohin?« wollte Atlan wissen. »Alle. Gleiter, Wagen, Fahrzeuge. Der halbe Markt und alle bewaffnet. Die Markt summe wird ihnen gesagt haben, daß es wie der neue Marmorkugeln gibt, und jetzt wer den sie die Glühenden und die Breiten …« Atlan fragte alarmiert: »Habe ich es richtig verstanden? Es rasen Hunderte bewaffnet in die bleichen Marmor berge, um die Klans der Glühenden und der Breiten ebenso auszurotten wie die Dursti gen? Die Marktsumme stellt sich ihnen nicht entgegen?« Der Tamater stieß ein hohles Geräusch aus. »Die Marktsumme? Die tut gar nichts. Sie will, daß der Neffe glaubt, daß die Schuldi gen immer die anderen sind.« »Ich verstehe«, sagte Atlan. »Wir werden ihnen zeigen, wie der Neffe die Gesetzesbre cher straft.« Er drehte sich schnell herum und sagte zu Caahan: »Sprich mit der Gali onsfigur. Wir starten augenblicklich.« Der Tamater bewegte sich mit kurzen, hüpfen den Schritten zur Fahrerkabine seines Wa gens zurück und schrie: »Du wirst sie stra fen, Herr?« »Das erscheint sicher. Es wird nicht zu übersehen sein. Fahre mit deinem bunten Gestell weg, damit wir dich nicht verletzen,
Hans Kneifel wenn die HORIET startet.« Er drehte sich um und rannte ins Schiff zurück. Thalia lief an ihm vorbei. Die Be dienungsmannschaft befand sich in heller Aufregung, verrichtete aber die verschiede nen Handgriffe und Schaltungen wie stets in völliger Lautlosigkeit. Atlan blieb vor dem nächsten Bildschirm stehen, aktivierte die Kommunikationsein heit mit Bronniter-Vrang und sagte: »Das Schiff startet sofort. Wir beginnen mit einer Strafexpedition.« Die lebende Galionsfigur gab zurück: »Ich verstehe nicht ganz. Strafaktion ge gen wen oder wogegen? Soll ich etwa den Auftrag so ausführen, wie er uns erteilt wur de?« Atlan hatte nicht erkennen können, daß die letzte Bemerkung, die er zum Tamater gemacht hatte, den Kleinen förmlich verstört zurückgelassen hatte. Damit wir dich nicht verletzen, wenn das Schiff startet. Ein Abge sandter des Neffen, der sich um einen klei nen Krämer und dessen Gesundheit küm merte? Aber jetzt wurde Atlan aufmerksam. An einigen Signalen merkte er, daß die HO RIET langsam startete. Sein Logiksektor sagte: Bronniter-Vrang scheint ernsthafte Zwei fel bekommen zu haben. »Zuerst«, erklärte Atlan mit großer Vor sicht und nickte Thalia zu, die jetzt neben ihm stand und den Dialog mit anhörte, »müssen wir verhindern, daß das Chaos grö ßer wird. Es geschehen Dinge, die nicht im Sinn Chirmor Flogs sein können. Jemand versucht, sich seine Rechte anzueignen.« Die Antworten der Galionsfigur in GarvaGuva waren nicht nur akustisch, sondern darüber hinaus ein wenig telepathisch. Sie glichen, fiel Atlan ein, der Ausstrahlung der Marmorkugel. »Das muß verhindert werden«, entgegnete die Galionsfigur. Täuschte er sich, oder hörte Atlan eine ge wisse Leichtigkeit heraus? Konnte es sein, daß sich die Bewußtseinssperre in einem ge
Rätsel der Schwarzen Galaxis ringen Bereich gelöst hatte. Er fuhr fort: »Zielangabe: die bleichen Marmorberge. Die Nachbarberge des Klans der Durstigen. Darauf bewegt sich ein Zug von gesetzes brechenden Händlern zu. Sie wollen anstelle des Neffen strafen. Ich fordere, daß sie auf gehalten und so nachhaltig erschreckt wer den, daß sie ihren Versuch augenblicklich einstellen.« »Verstanden. Die HORIET ist bereits un terwegs.« Atlan rief: »Ich muß sämtliche Informationen haben. Nichts unternehmen, ehe ich nicht im Beob achtungsraum bin.« »Wir fliegen in angemessener Höhe an den Ort des Zwischenfalls. Ich erwarte wei tere Anweisungen.« »Alles klar.« Atlan zog Thalia mit sich. Er schüttelte verwundert den Kopf; er hätte nichts anderes erwartet, als daß Bronniter-Vrang ihm mit teilte, daß er mit der Vollzugsmeldung an den Neffen erheblich in Verzug sei und kei neswegs mehr länger Aufschub duldete. Jetzt aber schien irgendeine Art von Sinnes wandel eingetreten zu sein. Er blieb inmitten der großen Bildschirme stehen. Eine Gruppe Dellos saß an den Kon trollen der Anlage. Das Schiff schwebte in etwa fünfhundert Metern Höhe über einem leeren Segment des Raumhafenrings. Auf den Steuerbordschirmen waren die Marmor berge zu sehen, jetzt im harten, fast waag rechten Licht der aufgehenden Sonne. Da hinter erstreckten sich bewaldete Hügel, die ziemlich bald in die kahlen Bergflanken des Ringgebirges übergingen. Die Straße führte zwischen dem völlig leeren Landefeld und einer Zone aus Gebäuden, Parks und einem kleinen See hindurch. Bis auf etwa zwei Kilometer hatte sich die Vorhut der Karawane den bleichen Marmor bergen genähert. Atlan versuchte, mit neutralen Informatio nen eine weitere Reaktion des Steuermanns hervorzurufen. »Der mittlere Berg muß nach allem, was
25 ich weiß, die Heimat des Klans der Dursti gen sein, beziehungsweise gewesen sein. Auf dem Bildschirm sehe ich Spuren von Feuer und Zerstörung.« »Diese Information ist richtig«, erklärte Bronniter-Vrang. »Die unmittelbaren Nachbarn sind die Breiten und die Glühenden«, meinte er. »Das Ziel der Volksmenge, die Selbstjustiz üben möchte.« »Verstanden.« Die schwach telepathischen Ströme, die von Bronniter-Vrang in seiner durchsichti gen Kanzel ausgingen, waren durchaus posi tiv und anders als sonst. Sie wirkten lebendi ger, fand der Arkonide. Verblüfft sah er, daß sich keiner der rasenden Händler um das Schiff kümmerte, das jetzt mit schwacher Fahrt über die bezeichneten drei Gesteins komplexe driftete. »Aus diesem Gebiet sind die Marmorku geln mit dem Widerschein der Freiheit ge kommen. Dies kann allerdings nur als Hin weis, nicht als bewiesen gelten.« Zur Verblüffung aller erwiderte Bronni ter-Vrang, von einem Strom warmer und fast herzlicher Empfindungen begleitet: »Ich habe durch das Bordsystem lange und intensiv die Marmorkugel in deiner Ka bine betrachtet. Sie ist außergewöhnlich und bedeutungsvoll. Sie ist aber nicht das Thema dieses Fluges. Wir sind an Ort und Stelle. Was soll ge schehen?« Atlan präzisierte in steigender Verwunde rung seine Anordnungen. Das Schiff unter der Kontrolle Vangs wartete jetzt unbeweg lich über den drei bleichen Marmorbergen. Die Sonnenstrahlen ließen eine Breitseite hell und deutlich hervortreten. Der riesige Körper zeichnete sich deutlich gegen den pastellenen Morgenhimmel ab. Man mußte es von jeder Stelle des Danjitter-Tales sehen können. »Alle Befehle werden augenblicklich aus geführt!« antwortete Bronniter-Vrang. Kurz darauf bewies das Organschiff, daß sein Er scheinen über dem Markt von Xudon keine
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Hans Kneifel
leere Drohung gewesen war.
4. Jetzt klang die sonst wohltönende, volle Stimme des breiten Klynn ängstlich und zit ternd. Seine Sprachblase vibrierte, und sein hagerer Kopf schien noch schmaler als sonst zu sein. Der glühende Talt wußte, wie es sei nem Nachbarn zumute war. »Ich habe es im mer wieder gesagt, Nachbar. Wir sind die nächsten, die hingemetzelt werden.« Der andere Krejode senkte den Kopf und erwiderte leise: »Ich sehe die Meute kommen, ebenso wie du. Mich werden sie nicht unvorbereitet an treffen.« »Mich auch nicht.« Sie hatten alles versucht, um sich und ih ren Klan in Sicherheit zu bringen. Aber kei ner der Händlerkommandanten hatte sich bereit erklärt, sie mitzunehmen. Außerdem waren die meisten Schiffe bereits gestartet, als man Verbindung aufgenommen hatte. »Diesmal sind es viel mehr Bewaffnete«, stellte der breite Klynn fest. »Meine Verteidigung steht. Wir werden die Produktion eines ganzen Jahres auf sie herunterschleudern.« »Unsere Eingänge sind verschlossen und zugemauert. Aber sie sind hartnäckig – auch der durstige Zyrl ist nicht ohne erbitterte Ge genwehr gestorben.« Beide Klanoberhäupter hatten versucht, das unvermeidliche Ende hinauszuzögern. Sämtliche Insassen der Marmorberge, vom jüngsten Krejoden-Lehrling bis zu den fana tisch behüteten Kindern, befanden sich in nerhalb mehrerer Verteidigungslinien. Der Angriff würde keine Überraschung sein wie bei dem durstigen Zyrl. Wenn eine Linie zu sammenbrach, flüchteten die Verteidiger tiefer in den Berg und höher hinauf. Ihre Möglichkeiten waren zahlreich. »Siehst du es auch?« schrie der glühende Talt plötzlich. »Was?« Der breite Klynn zuckte unter dem Eindruck der aufgeregten Stimme aus
dem Lautsprecher zusammen. »Die HORIET! Das Organschiff!« »Einen Augenblick.« Auf dem Bildschirm sah der Glühende, wie der Breite neue Einstellungen an seinen Spähgeräten vornahm. Er selbst hatte durch einen Zufall aus einer Luke gesehen und den mächtigen Schatten entdeckt. »Die zweite und noch viel furchtbarere Bedrohung!« sagte schließlich der Breite mit trostloser Betonung. »Sie sind jetzt gestartet, um uns für die Herstellung der Marmorkugeln zu bestra fen!« »Aber … wir haben nicht eine einzige Kugel …!« Der glühende Talt gab ein Ächzen von sich. »Sage es ihnen! Wir haben gehört, wie der Herrscher auf Säggallo zu strafen pflegt. Danjitter-Tal wird in Flammen und Rauch aufgehen. Unsere Berge werden von den Kampfstrahlen gespalten werden.« Namenloses Entsetzen ergriff die Krejo den. Die Spitze des unabsehbar langen Zu ges aus dem Marktgebiet kam unaufhaltsam näher. Das Organschiff glitt hinter den Mar morbergen vorbei, flog eine enge Kurve und blieb genau über der Grenzlinie zwischen den ersten Bergen und dem flachen Land in der Luft stehen. »Unsere Klans werden aussterben!« mur melte der breite Klynn schließlich. Die Un gewißheit und das Warten waren furchtbar. Die Stimmung unter den Klanangehörigen war unbeschreiblich. »Das Organschiff Flogs wird uns wenig stens in einem Sekundenbruchteil töten«, stöhnte der glühende Talt auf. »Vielleicht.« Keiner der Klanoberhäupter wußte, wer wirklich die Kugeln mit dem Widerschein der Freiheit geschaffen hatte. Nach ihrer fe sten Meinung gab es keinen Marmor auf dem gesamten Planeten, der mehr war als unbelebte Materie. Seit vielen Generationen beuteten sie die Marmorbrüche aus. Ihnen war niemals ein Wunder dieser Art begeg
Rätsel der Schwarzen Galaxis net. Sie konnten nicht einmal denjenigen verfluchen, der die erste Kugel geschaffen oder präpariert hatte. Sie würden aber mit ihrem Leben dafür zahlen, daß ein Unbekannter solche Kunst werke geschaffen hatte. Schweigend warteten sie. Mit ihnen war teten alle Klanangehörigen, bis an die Schul tern bewaffnet mit allem, was sich in Spei chern und Magazinen gefunden hatte. Ab wechselnd starrten sie das Organschiff und den Mob an. Der Zug spaltete sich in zwei Teile. Eine Spitze wies auf den Berg der glühenden Talt, der andere zielte auf die Sta pelpaläste des breiten Klynn.
* Ein Geräusch wie von Schwärmen rasen der Insekten ging von den Spitzen der Kara wane aus. Antriebsgeräusche der Fahrzeuge, gellende Hörner und Signaleinrichtungen, die Schreie von mehr als tausend Wesen, die sich gegenseitig aufgestachelt hatten, dazu das Klirren der Waffen – ein chaotischer Lärm brandete als Echo von den Hängen der bleichen Berge zurück. Fast gleichzeitig erreichten die schnellsten Gleiter die ersten Markierungen des fremden Besitzes. Es waren versandfertige Marmor blöcke, länglich und würfelförmig, von un terschiedlicher Größe und zum Transport in Raumschiffen verpackt. Entweder sahen die Händler das Schiff nicht, oder sie ignorierten es. Plötzlich blitzten Strahlen auf, die heller als die Sonne waren. Schmetternde Entla dungen ertönten. Einige Meter vor den Glei tern fuhren Feuersäulen in den Boden. Sie rissen tiefe Krater auf und vergasten Erde, Bäume und Gestein. Die Gase entzündeten sich explosionsartig. Der kurze Donner schlag war laut und fuhr unüberhörbar über Danjitter-Tal dahin; beide Feuerstrahlen schlugen genau gleichzeitig ein. Gesteinstrümmer, glühende Gasschleier und weißglühende Tropfen Lava spritzten nach allen Seiten. Der Explosionsdruck wir
27 belte die Gleiter umher und schleuderte sie zurück. Mit gräßlichem Klirren und Krachen stießen weitere Gleiter zusammen. Die Händler schrien auf, ihre Körper verkeilten sich ineinander, und überall bohrten sich die glühenden Tropfen tief in die Haut. Einige Gleiter fingen zu brennen an. Aus den Luken der HORIET brandeten, als der erste Donner aufgehört hatte, eine Vielzahl weniger energiereicher Strahlen. Sie schlugen abwechselnd rechts und links der beiden Sturmspitzen ein und bilde ten eine Doppelwand aus Flammen, Rauch und mächtigen Gesteinspulverstaub. Weiter hinten, dort, wo sich der Zug gabelte, hielten die Fahrzeuge an. Verwirrung brach aus, als sich die Händler vom ersten Schrecken er holt hatten. Einige Fahrzeuge rasten und rat terten nach rechts und links aus dem Zug hinaus. Andere drehten sich um und jagten in die Richtung des Marktes davon. Wieder andere stießen zusammen, als sie zu flüchten versuchten. Die zuckenden und krachenden Feuer strahlen rissen eine Doppelreihe tiefer Kra ter in den Boden. Die Krater füllten sich mit glühendem Gestein. Ätzende Dämpfe und vielfarbiger Rauch erhoben sich in gewalti gen Wolken. Die Blitze und der Donner der vergangenen Nacht waren, verglichen mit dieser Aktion, geradezu eine Wohltat für Auge und Ohr gewesen. Schlagartig waren alle Teilnehmer der Vernichtungsaktion mehr als ernüchtert; nackte Furcht ersetzte binnen Sekunden die künstlich hervorgeru fene Wut. Einzelne Fahrzeuge schossen aus den Rauchwolken hervor und bewegten sich in Schlangenlinien davon. Andere krochen mit stotternden Maschinen in die Richtung des Marktes. Wieder andere stießen im Rauch zusammen und kippten. Die Händler fielen heraus und flohen zu Fuß durch das Inferno, das jetzt der Morgenwind langsam nach Osten trieb. Unverändert schwebte die HORIET über der chaotischen Szene. Etwa fünf Minuten vergingen nach dem
28 letzten Schuß. Teile der Landschaft unter dem Organschiff wurden wieder deutlich sichtbar. Der Boden war übersät von Trüm mern, weggeworfenen Waffen und anderen Gegenständen. Zwischen den eingedrückten und zerbeulten Wracks der Fahrzeuge rann ten wie blinde Tiere Camagurs ebenso wie Noots, Krejoden nicht anders als Tamater umher und versuchten, zu entkommen. In stinktiv wandten sie sich dorthin, wo der Rauch aufriß. Eine Massenflucht, die nur ein Ziel kann te, hielt alle Angreifer in ihrem Bann. Nur fort aus dem Bereich der kochenden Tümpel und der brennenden, explodierenden Gleiter. Die Panik riß die Händler zu Höchstleistun gen hin. Sie rannten schneller und sprangen weiter als je in ihrem Leben. Dann bewegte sich das Schiff wieder. Niemand achtete darauf. Die HORIET flog einige Kilometer weit nach Norden. Dann drehte sich der Koloß, so daß Bronniter-Vrang in seiner Kanzel nach Süden blickte. Langsam flog das Schiff in diese Richtung. Die Geschütze feuerten jede halbe Sekun de einen Schuß ab. Eine schnurgerade Reihe tiefer Krater und Einbrüche entstand. Die Ränder der Einschlagstellen berührten sich. Es bildete sich ein nicht sonderlich tiefe Schlucht, eher ein Graben voller kochender und rauchender Gesteinsreste. Wieder fuhr der gewaltige Donner entfes selt über die Senken und Hügel hinweg und kam als Echo viel später von den Flanken der Bergriesen zurück. Ganz Danjitter-Tal wurde erschüttert. Der Boden bebte; es war, als bäume sich der Planet Xudon auf. Höhe re Gebäude gerieten in Vibrationen. Die Angst breitete sich fast so schnell aus wie der Schall. Selbst die Insassen der bleichen Marmorberge, die noch während der ersten Schüsse fast taub von ihren Luken, Terras sen und Plattformen geflohen waren, sahen sich von einzelnen herunterbrechenden Ga lerien bedroht. Sie würden erst sehr viel später, wenn sich der letzte Rest der Wolken aus ihren
Hans Kneifel Stapelpalästen verzogen hatte, begreifen, was passiert war. Jetzt füllten Rauch, Staub und ätzende Gase fast jeden Hohlraum der bewohnten Marmorberge aus. Eine breite Wolkenfront erstreckte sich schon jetzt bis in eine Höhe von mehr als tausend Meter. Sie war ohne Schwierigkei ten aus dem Weltraum zu erkennen. Lang sam trieb sie nach Osten und verhüllte noch immer das Sonnenlicht. Aus dieser Wolke kam die HORIET in lautlosem Flug und landete weich wieder auf dem alten Platz. Die totenähnliche Ruhe, die sich jetzt über Danjitter-Tal ausbreitete, war nach dem Orkan des Donners noch intensiver. Jedes lebende Wesen innerhalb des Ring gebirges hatte gesehen oder gehört, wie die HORIET den Plan der Marktsumme zunich te gemacht hatte.
* Fast die Hälfte der Pthor-Besatzung stand vor dem Schiff und blickte der riesigen graugelben Wolke nach. Die Stille war un heimlich. Nur langsam durchdrang das Son nenlicht die Barriere aus Staub und Rauch. Schließlich meinte Atlan nachdenklich: »Die Stapelpaläste der alten KrejodenGe schlechter sind vom Mob nicht betreten wor den. Sie werden es auch niemals wieder wa gen.« »Und sicherlich hat diese eindrucksvolle Demonstration das Leben von zwei Klans mit allen Dienern und Arbeitern gerettet«, fügte Thalia hinzu. »Wir müssen unbedingt eine Erfolgsmeldung nach Säggallo abge ben.« »Das nächste Schiff, das von Chirmor Flog abgeschickt wird, ist unmöglich so rücksichtsvoll wie wir, die falschen Rä cher«, rief Wurdihl. »Ob wir einen Hyperfunkspruch riskieren können? Ich denke an den auf sturen Gehor sam programmierten Bronniter-Vrang«, warf Fälser, der Dello-Kommandant, war nend ein.
Rätsel der Schwarzen Galaxis Atlan hob die Schultern. »Das müssen wir noch herausfinden!« »Wie ist das gemeint?« Atlan deutete auf die offene Schleuse und erläuterte: »Ich bin nicht ganz sicher, aber die Gali onsfigur scheint sich innerlich verändert zu haben. Vielleicht ist der Prozeß noch nicht soweit fortgeschritten, daß sich Bronniter auf unsere Seite schlagen und für uns lügen kann.« Die Dellos waren verwirrt. Sie verstanden nicht, was Atlan meinte. Er hatte seine Ein drücke eben erst mit Thalia diskutiert. »Wenn die Galionsfigur aussagt, die Be strafung des offenen Marktes wäre erfolgt, dann wird Flog, der Neffe, nicht mißtrauisch und schickt auch kein anderes Organschiff. Außerdem werden wir nicht verfolgt und be helligt. Schließlich sind wir Eindringlinge, die sich in verbotenem Gebiet bewegen.« Die Gruppe ging langsam die Rampe hin auf und durchquerte die Schleuse. »Wenn sich aber Bronniter-Vrang weiter hin so verhält, wie wir ihn als Schiffssteuer mann kennengelernt haben, als Galionsfigur, die das Schiff vollständig unter Kontrolle hält, dann wird er nicht tun, was wir wollen. Ein Mittel, ihn zu zwingen, besitzen wir nicht.« Thalia setzte hinzu: »Jeder Versuch, ihn zu zwingen, würde sich ins Gegenteil verkehren.« »Das trifft zu«, erklärte der Dello Branor. »Denkst du daran, daß wir zu allen unseren Problemen auch noch einen Gefangenen an Bord haben?« »Aus diesem Grund gehen wir jetzt ins Schiff. Ich nehme an«, sagte Atlan und öff nete den kapuzenartigen Kragen des Golde nen Vlieses, »daß ihr ihn einigermaßen gut versorgt habt?« Einer der Dellos antwortete: »Er hat sich stundenlang wie ein Untier gebärdet; wir mußten ihn gefesselt halten. Dann brach er zusammen und schlief lange. Anschließend reinigte er in einer kompli zierten Prozedur seine Schuppenhaut.
29 Schließlich putzte er mit Mitteln, die er in seiner Zelle fand, seinen Lederpanzer. Er aß und trank, als habe er tagelang Marmor blöcke geschleppt. Inzwischen hockt er da, starrt die Bildschirme an und wundert sich.« Atlan lachte kurz auf. Thalia legte ihren Arm um seine Schul tern und fragte: »Was denkt ihr über ihn?« »Ich verstehe nicht ganz, Tochter Odins«, entgegnete Branor. Im Hintergrund der Schleuse hantierten einige der unauffälligen, schweigenden Humanoiden der ursprünglichen Besatzung. Ohne sie zu beachten, gingen Thalia, Atlan und die Dellos von Pthor ins Schiff. »Ist er wirklich ein Unhold, der Allein schuldige an den Zwischenfällen und tat sächlich so untüchtig, wie die Marktsumme es uns glauben lassen möchte?« »Auf keinen Fall. Eher ist das Gegenteil richtig«, erklärten die Dellos. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Wir müssen handeln, ehe Chirmor Flog merkt, was wirklich passiert ist. Deswegen müssen wir zuerst mit Cembergall-Flyrt sprechen. Kommt!« Vier Dellos brachten das untersetzte Ech senwesen mit der hellblauen Schuppenhaut in die Beobachtungszentrale. Thalia holte die Marmorkugel und legte sie gut sichtbar auf ein Pult. Als der Noot die Marmorkugel sah, hatte er für nichts an deres mehr Interesse. Er ging langsam auf das Pult zu, beugte sich darüber und sagte fast ehrfürchtig: »Die große Plejade! Ihr habt sie gefun den!« Sofort unterbrach ihn Atlan. »Die Marktsumme gab sie uns. Du kennst die Marmorkugel?« Der Objektive richtete die großen Augen seines Froschkopfes auf den Mann im leuch tenden Goldenen Vlies. »Ich fand die große Plejade. Eine junge Krejodenfrau hielt sie in der Hand. Je länger ich nachdenke, desto sicherer bin ich, daß es eine überlebende des Stapelpalast-Massa
30 kers ist. Ich verlor sie aus den Augen, weil ich überfallen wurde …« »Berichte uns, von Anfang an.« Der Noot krümmte die langen, hornigen Krallen seiner Hände. Er löste den Blick von der Marmorkugel. »Wo bin ich? Wer seid ihr? Ich verstehe nichts.« »Du bist an Bord des Organschiffs HO RIET. Wir sind die Organschiffer. Die Marktsumme hat dich gefangengehalten und an uns übergeben. Soeben haben wir einen zweiten Angriff auf die Klans in den blei chen Marmorbergen angehalten. Du hast es vielleicht auf den Bildschirmen gesehen.« Der Noot sagte mit rauher Stimme: »Ich habe es geahnt. Das ist mein Ende. Chirmor Flog wird mich ohne Anhörung vernichten.« Atlan rief dazwischen: »Ich bin nicht Chirmor Flog. Wir alle, die du hier siehst, haben das Organschiff sozu sagen gekapert. Oder hätte der Neffe das zweite Massaker verhindert?« »Nein. Ich denke nicht. Wer seid ihr?« »Fremde im Marantroner-Revier. Nicht die Vollstrecker des Dunklen Oheims.« »Ihr verspottet mich. Das kann ich nicht glauben. Niemand wird es euch glauben. Ihr wollt sicher nur prüfen, ob die Gesetze des Neffen eingehalten werden.« »Und … werden sie eingehalten?« »Nicht von der Marktsumme. Viele Händ ler tun es freiwillig. Manche Objektive ge horchen ebenfalls. Ich versuche es.« Schnell hatte sich der Raum mit der Del lo-Mannschaft gefüllt. Sie lauschten der Darstellung des Noots, denn sie ahnten, daß ihnen hier jemand tatsächlich die Wahrheit sagen würde. Da fast jeder Raum im Ein flußbereich der Galionsfigur lag, galt als si cher, daß Bronniter-Vrang auch jetzt jede Information aufnahm. »Also: Noch einmal von vorn. Berichte uns, möglichst kurz und präzise, den Ablauf der Geschehnisse, und zwar von dem Au genblick an, als die Marktsumme gegen die Durstigen zu handeln begann.« »Ich habe nichts zu verlieren«, krächzte
Hans Kneifel der Noot. Immer wieder blickte er zwischen Atlan und der Marmorkugel hin und her, die er die »große Plejade« nannte. Dann begann er zu berichten. Er fing an, als sich die Händler zusam menrotteten, von den Objektiven im Auftrag der Marktsumme in ihrer verständlichen Wut aufgepeitscht, um gegen die Hersteller der Kugeln mit dem Widerschein der Frei heit vorzugehen. Er schilderte, wie Irroth ihn aufgesucht hatte, wie er die bewegungslose und bewußtlose junge Krejodin zum Arzt brachte, wie er niedergeschlagen und be täubt und dann in unmittelbarer Nähe der brennenden Schwarzen Loh wieder aufge wacht war. Nach dieser Aktion setzte seine Erinne rung immer wieder aus, und er entsann sich erst wieder Realität, als er in einem unbe kannten Raum aufwachte. Dies war die Zel le der HORIET. Schweigend hörten Atlan und die anderen zu. Schließlich sagte Thalia: »Wir haben begriffen. Meinst du noch im mer, daß wir die Abgesandten des Neffen sind?« Ohne von der großen Plejade aufzu blicken, antwortete der Objektive: »Ich bin nicht sicher. Ich habe gesehen, wie das Schiff den Vorstoß in die Marmor berge zum Halten gebracht hat. In meiner Vorstellung handelt die Flotte der Organ schiffe ganz anders. Rücksichtslos und grau sam.« »Vermutlich«, sagte Atlan. »Wer hat nach deiner Meinung die Schwarze Loh hierher gebracht und angezündet?« »Ich kann es mir nicht denken. Kein Ein wohner von Danjitter-Tal, niemand zwi schen den Hängen des Ringgebirges kann so ver rückt sein, einen solchen Zwischenfall herbeizuführen. Wenn die HORIET wirklich ein Schiff des Neffen wäre, würden viele von uns nicht mehr leben.« Atlan nickte und richtete die nächste Frage an den Objekti ven. »Glaubst du jetzt also, daß wir nicht die Vertreter Flogs sind?« »Ich muß es wohl glauben. Sicher bin ich
Rätsel der Schwarzen Galaxis nicht. Was habt ihr mit uns vor?« »Die Verhältnisse ändern. Wenn wir nicht Danjitter-Markt vernichten, wird es ein an deres Schiff tun.« Ein Verdacht, der schon lange in Atlan schwelte, hatte inzwischen Gestalt angenommen. Es mochte sein, daß der Neffe Chirmor Flog schon seit geraumer Zeit diesen offenen, verblüffend liberalen Markt in Verdacht hatte. Er brauchte Bewei se oder ein Vorkommnis, das ihm gestattete, eine Strafexpedition durchzuführen. Es war durchaus möglich, daß Agenten Flogs die Schwarze Loh hierhergebracht und angezün det hatten. Dann gab es einen echten Grund, einzugreifen. Und die HORIET hatte den Auftrag bekommen. Falls diese Überlegung zutraf, und es sprach sehr viel dafür, wurde die Lage Atlans zusehends schwieriger. »Was versteht ihr unter ›Veränderung der Verhältnisse?‹ Neue Gesetze?« fragte der Noot. Cembergall-Flyrt berührte ab und zu sein Rauchhorn, als ob er prüfen wollte, ob wie der irgendwelche verderblichen Gase aus strömten. »Die alten werden genügen, wenn sie kor rekt eingehalten werden«, meinte der Arko nide. »Dann müßt ihr die Marktsumme zwin gen, korrekt zu handeln«, schlug der Objek tive vor. »Wie können wir das?« »Ich kann euch in dieser Richtung einige Vorschläge machen. Ich habe lange Jahre darüber nachgedacht, denn ich liebe den Markt und meinen Beruf.« »Später. Wie lauten deine Pläne?« »Falls ihr mich am Leben laßt«, sagte der Noot ruhig, »dann werde ich zuerst die Überlebende aus dem Marmorberg-Massa ker suchen. Sie ist sicherlich eine aus dem Klan der Durstigen. Dann, wenn sich die Verhältnisse stabilisiert haben, werde ich wohl einen Laden eröffnen. Allerdings weiß ich nicht, womit ich handeln soll.« Atlan erkundigte sich: »Du möchtest weiterhin Objektiver blei ben?«
31 »Ja, natürlich.« »Aber ein Objektiver mit mehr Macht hinter sich?« »Auch das ist richtig, Herr!« »Das läßt sich arrangieren. Sage uns, wie man die Marktsumme zwingen kann, sich korrekt zu verhalten!« Cembergall-Flyrts Vertrauen zu diesen Raumfahrern wuchs. Er hatte Wesen dieser Gestalt noch niemals gesehen. Aber sie strahlten Sicherheit und Vernunft aus. Er kannte sie nicht, aber die wenigen Taten, die er miterlebt hatte, sprachen für sie. Er schlug vor, was getan werden konnte, um einerseits den Markt zu erhalten, ande rerseits ein erneutes Eingreifen des Neffen und seiner Organschiffe zu vermeiden und weiterhin, wie verhindert werden konnte, daß Gesetzlosigkeit, Betrug und Verbots überschreitungen überhand nahmen. Atlan, Thalia und die Dellos hörten mit wachsender Verwunderung zu. Hier sprach ein Mann, der sämtliche Zusammenhänge sehr genau kannte und ebenso die Schwachstellen selbst herausgefunden hatte. Das Konzept schien gut; Atlan stimmte zu. Zunächst aber mußte die Drohung besei tigt werden – falls es gelang! –, die von der Galionsfigur ausging.
* Während Atlan, mit schwierigen Überle gungen beschäftigt, noch zögerte, meldete sich sein Extrasinn: Entweder haben andere Objektive, die selbst Cembergall-Flyrt nicht kennt, die Schwarze Loh nach Xudon gebracht, um auf die ungesetzlichen Zustände aufmerksam zu machen. Oder es waren Agenten Chirmor Flogs. Auf jeden Fall werden die vorge schlagenen Aktionen einen lang anhaltenden Erfolg haben. Wenn du mit Bronniter-Vrang verhandelst, nimm die große Plejade mit. Er unterliegt ihrer Ausstrahlung! Atlan nahm die Marmorkugel in die Hand. Unverändert ruhte der Blick des Noots auf der großen Plejade. Zum ersten
32 mal hatte die neue Besatzung der HORIET diesen Namen gehört; er stammte von … ja, von wem eigentlich? Von jemandem, aus dem getöteten Klan? Von der Marktsumme oder von Cembergall-Flyrt selbst? Der Ob jektive fragte: »Was hast du mit dieser Marmorkugel vor, Herr?« »Ich zeige sie der Galionsfigur.« »Ihr nehmt sie mit euch, wenn die HO RIET wegfliegt?« »Das ist richtig«, meinte Atlan. »Hier würde sie noch mehr Unheil anrichten. Wir verfolgen einen festen Plan, in dem der Wi derschein der Freiheit eine wichtige Rolle spielt. Wer gab der Kugel diesen schönen Namen?« Der Noot krümmte seine Krallen. Sein Schweifrudiment zuckte. Schließlich erklär te er unsicher: »Es gab, als die ersten Kugeln auftauch ten, so etwas wie ein Gerücht. Es wurde hin ter vorgehaltener Hand ausgestreut. Eines Tages würde die schönste Kugel erscheinen. Man würde sie die große Plejade nennen, und sie würde auf wunderbare Weise die Freiheit über uns alle kommen lassen. Das Gerücht hielt sich nicht lange. Als ich die Kugel zum erstenmal sah, gab ich ihr in Ge danken diesen Namen. Ich finde, es paßt kein anderer. Allerdings kann es sein, daß die junge Krejodin mir eine andere Auskunft gibt. Sie liegt in tiefem Schock, und ich will sie suchen, falls ihr mir tatsächlich gestattet, das Schiff zu verlassen.« »Darüber reden wir später«, sagte Atlan und ging allein durch die Schiffskorridore in die durchsichtige Bugkanzel hinein. Hier blieb er stehen und holte tief Luft. Was er jetzt zu tun hatte, konnte außerordentlich schwer sein und für sie alle vernichtende Folgen haben. Er richtete das Wort an die Galionsfigur. »Bronniter-Vrang! Wir müssen einen Hyperraumfunkspruch absetzen. Er soll an die Zentrale auf Säggallo weitergegeben werden, was dann sicherlich automatisch ge schieht.«
Hans Kneifel Die Galionsfigur, an die komplizierten Einrichtungen des Lebenserhaltungssystems angeschlossen, wirkte auf Atlan stets wie die Verkörperung der tiefsten und erbarmungs losesten Sklaverei. »Du meinst, die Erfolgsmeldung an Chirmor Flog soll aussagen, daß die Strafak tion durchgeführt wurde?« Atlan versuchte, seine Nervosität zu ver bergen. Der quasitelepathische Eindruck, den er auffing, war durchaus positiv. Bisher hatte sich Bronniter-Vrang mehrere Male störrisch verhalten – der Gegensatz zwi schen den Anordnungen Atlans und der »Programmierung« der willenlosen Kreatur war zu groß gewesen. »Das wäre eine Reaktion in meinem Sinn«, sagte er und legte die große Plejade in die Vertiefung eines Sockels. »Die Stammbesatzung ist von euch ent machtet worden. An allen wichtigen Schalt stellen sitzen die Männer, die du mitge bracht hast.« Atlan versuchte es mit einer Ausflucht. »Jene grauen, schweigenden Wesen … sie sind uns allen unheimlich. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu verstehen. Ist das Aus wechseln für dich ein Grund, unsere Anord nungen nicht zu befolgen?« Die Strömung warmer, verständnisvoller Impulse hielt unverändert an. Die Galionsfi gur sagte: »Hast du nicht gemerkt, daß ich mein Verhalten geändert habe? Seit sich die Mar morkugel an Bord befindet, spüre ich, daß ich einen eigenen Willen habe. Dies trifft zeitgleich mit dem Erscheinen des Noots zu. Ich habe die große Plejade, euch und ihn ge nau beobachtet. Mir ist, als öffne sich mehr und mehr eine neue Welt für mich.« Atlan schluckte. Er hatte nicht hoffen können, daß der kuriose Dialog eine solch überraschende Wendung nahm. Vorsichtig, jedes Wort abwägend, fragte er zurück: »Bedeutet deine Äußerung, daß du den Begriff der persönlichen Freiheit kennen lernst?« »Nach allem, was ich darüber vor Stun
Rätsel der Schwarzen Galaxis den weder wußte noch fühlte – es muß der erste Hauch der Freiheit sein.« Diesmal war Atlan etwas mutiger. »Heißt das, daß deine Abhängigkeit von der Konditionierung schwindet?« »Sie war bereits während dem Flug zu den bleichen Marmorbergen wesentlich ge ringer gewesen.« »Nimmt deine Unabhängigkeit zu?« »Solange ich die große Plejade in meiner Nähe weiß, nimmt meine Unabhängigkeit zu. Ich kann die Wirkung nicht erklären, aber sie ist unzweifelhaft vorhanden. Ich bin verwirrt. Solche Gefühle spürte ich noch nie.« Der Widerschein der Freiheit! Jetzt er kennst du, warum der Neffe das Organschiff ausschickte! rief der Logiksektor triumphie rend. »Wie stellst du dir die nächste Zukunft vor?« fragte Atlan voller Spannung. Von diesen Antworten hing vieles ab. »Ich werde wohl immer hier angeschlos sen bleiben und das Schiff in allen Einzel heiten kontrollieren. Bisher, habe ich es oh ne eigenen Willen getan. Ab jetzt – das den ke und fühle ich im Augenblick – werde ich kritisch alle Vorkommnisse verfolgen. Ich werde tun, was du verlangst, denn ich bin si cher, daß es mit der Freiheit zu tun hat. Ich muß noch lernen, sehr viel lernen.« »Das ist richtig. Wir werden dir helfen«, sagte der Arkonide und fühlte seine Erleich terung. Die Sonnenstrahlen fielen durch das transparente Material der Organkuppel und ließen die vielen Kabel, Anschlüsse, Vertei ler und Gerätepulte aufblitzen. Atlan wußte, daß ihm noch gewaltige Mengen von Infor mationen über die Schwarze Galaxis fehlten. Aus dem Archiv des Schreckens hatte er fast gar kein brauchbares Wissen entnehmen können. Auf Xudon war ein Teil seiner Überlegungen bestätigt und durch mehr oder weniger exakte Auskünfte untermauert wor den. Er kannte dennoch kaum die zu erwar tenden Gefahren dieser Sterneninsel. Wenn es jetzt gelang, die Galionsfigur zu einer Art
33 Gefolgsmann zu machen, war mehr gewon nen, als er und Thalia gehofft hatten. »Ja«, wiederholte er. »Wir werden dir hel fen, Bronniter-Vrang.« »Ich werde eure Hilfe brauchen, denn ich habe viele Gedanken, mit denen ich noch nichts anfangen kann«, erwiderte BronniterVrang. »Dann setze einen Funkspruch ab. Der In halt: die Strafaktion ist durchgeführt. Der verbotene Markt von Danjitter-Tal ist teil weise zerstört. Die überlebenden Wesen werden in der Furcht vor den Gesetzen blei ben. Der Einsatz ist beendet, es gab an Bord keine Verluste. Wie du diese Meldung im einzelnen formulierst, weißt du besser als ich«, ordnete Atlan an. Er war alles andere als sicher und erinnerte sich deutlich daran, wie der Bite Ganzelpohn an Bord der GRIET beim Erreichen eines unsichtbaren Einflußbereichs wieder völlig unter die Kon trolle der Mächte dieser Galaxis geraten war. »Niemand wird merken, daß ich meine Abhängigkeit verliere. Ich setze den Hyper raumfunkspruch sofort ab!« versprach die Galionsfigur. »Wir danken dir. Es geschieht auch im In teresse von Hunderttausenden auf diesem Planeten, wie du weißt.« Atlan betrachtete die vielen Arme des blauen Tentakelwesens und wartete. Un sichtbare und unhörbare Vorgänge liefen ab. Atlan hoffte, daß die Antwort eines anderen Schiffes oder der Zentrale auf Säggallo ih nen Zeit lassen würde. Es konnte aber auch sein, daß sie den Befehl erhielten, Ender leins Tiegel anzufliegen oder eine andere Welt, womöglich mit einem ähnlichen Auf trag. Bronniter-Vrang schien sich innerhalb der Festhaltungen des Überlebenssystems zu be wegen. War er in der Lage, die Welt dort draußen ebenso zu sehen wie Atlan und des sen Freunde? Vielleicht gelang es ihnen, tat sächlich die Welt Säggallo anzufliegen … eine Chance mehr, Pthor vor der Besitznah me der Mächtigen zu bewahren.
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Nach einer Weile meldete sich das qual lenartige Wesen wieder und sagte: »Ich habe die Meldung ausgestrahlt. Ich kommunizierte mit einem Organschiff, das als Relaisstation fungiert. Wir erhalten nach entsprechender Zeit Antwort. Läßt du die große Plejade hier?« »Ja. Aus welchem Grund?« »Ihre Ausstrahlung ist eine Art geistiger Nahrung für mich. Vielleicht ist es eines Ta ges möglich, vom Dunklen Oheim völlig frei und unabhängig zu werden.« Atlan stand auf und zeigte auf das Gelän de des leeren Raumhafens hinaus. »In kurzer Zeit starten wir. Die HORIET verläßt den Planeten Xudon. Vorher haben wir aber noch einige Dinge zu klären.« »Ich weiß. Ich kenne die Pläne, die du mit Cembergall-Flyrt und Thalia entwickelt hast. Ich begrüße deine Entscheidungen.«
5. Die Mittagssonne strahlte fast senkrecht herunter. Ihre Strahlen beleuchteten den rie sigen Bezirk zwischen den Hängen des Ringgebirges. Die gigantische Wolke hatte jetzt eine Höhenströmung erreicht und wur de auseinandergezogen; sie wirkte wie ein riesiger Schleier, der die Welt darunter ver barg. Der Bereich des Marktes lag scheinbar gänzlich ausgestorben da. Tausende und aber Tausende hatten die gewaltige Demon stration des Organschiffs gesehen und ge hört und hockten zitternd da. Sie warteten voller Angst auf das, was in Kürze gesche hen würde. Lange konnte das furchtbare Schiff Chirmor Flogs nicht mehr auf dem Raumhafen liegen. Die Mitglieder der Marktsumme verhiel ten sich nicht anders. Inzwischen hatten sich auch die fehlenden Mitglieder wieder eingefunden. Sie waren in den Einfluß des Rauches geraten; eingekeilt zwischen den rasenden und kämpfenden Händlern hatten sie es nicht geschafft, ihre Raumanzüge anzuziehen. Jetzt versteckten sie sich in ihren Privatwohnungen, aber un-
unterbrochen sprachen die zwölf Mitglieder über die Verbindungsleitungen miteinander. Sie fragten sich, was nach dem eindeutigen Mißerfolg der Aktion gegen die Krejoden geschehen würde. Würde ihre Macht gebrochen werden? Strafte Chirmor Flog jeden von ihnen per sönlich? Das Warten zerrte an ihren Nerven. Die völlige Ungewißheit lähmte sie. Es gab kei ne Möglichkeit, auszuweichen. Niemand half ihnen, und so kam es, daß die Gedanken der Krejoden, Tamater, Noots und Cama gurs sich immer schneller im Kreis drehten und heillose Furcht hinterließen. Kurz darauf – von den meisten Bewoh nern des Marktes unbemerkt – verließen ei nige Dutzend kleiner Gestalten das Schiff. Sie trugen hastig zusammengeschnürte Bün del mit sich und liefen schweigend auf die nächstgelegenen Bauwerke zu. Keiner der grauen, haarlosen Wesen sagte etwas, aber jede Bewegung drückte Ratlosigkeit aus. Als der letzte von ihnen die Tore der langen Ma gazine passiert hatte, schloß sich leise rum pelnd die Schleuse der HORIET. Das Schiff startete und schwebte zum Zentrum von Danjitter-Tal, zum Marktgebiet. Der annähernd ovale Schatten glitt über die Häuser, verfinsterte vorübergehend die Sonne, wanderte weiter. Entsetzt und das Schrecklichste erwar tend, starrten zahllose Wesen zum Himmel und erkannten die narbige Außenhülle des großen Organschiffs. Jeder erwartete die weißglühenden Vernichtungsstrahlen aus den Geschützprojektoren. Die HORIET beschrieb einen weiten Kreis über dem Gebiet, dann einen zweiten, viel engeren. Schräg über dem System von Gassen, Plätzen und Treppen, in dem der kantige Turm der Marktsumme stand, hielt das Schiff an. Wieder verging einige Zeit. Das Warten auf die nächste Aktion erschüt terte die Händler und alle anderen tiefer als jeder Angriff. Ein seltsames Geräusch ertönte. Ein hel les, metallisches Knacken.
Rätsel der Schwarzen Galaxis Dann donnerte eine Stimme, tausendfach verstärkt, über den Markt dahin. »Der Vertraute Chirmor Flogs sagt euch: ein letztes Mal erging Gnade vor Recht.« Fenster klirrten, die Mauern schienen zu zittern. Einige Händler, die schneller begrif fen, versuchten sich zu entspannen. Aber der nächste Schrei aus der Richtung des Schiffes ließ sie abermals zusammenzucken. »Die Marktsumme wird überwacht. Die Zeit des bequemen Lebens ist vorbei. Beim nächsten Verstoß wird Chirmor Flog ein eingeäschertes Stück von Xudon hinterlas sen. Der Objektive Cembergall-Flyrt wird dem Neffen Bericht erstatten.« Die HORIET bewegte sich nicht. Lang sam versuchten die Zuhörer, zu verstehen, was diese Worte für die Zukunft des Mark tes bedeuten würden. Wieder unterbrachen neue, aufregende Worte ihre Überlegungen. »Cembergall-Flyrt genießt unser Ver trauen. Er ist der Beauftragte des Neffen auf Xudon. Von seinen Meldungen hängt es ab, ob der Markt zerstört wird oder weiter funk tioniert. Die Meldungen erfolgen regelmä ßig.« Kaum waren die letzten Worte verhallt, zuckte mit ungeheurem Getöse wieder ein Glutstrahl schräg hinunter. Das oberste Ge schoß des Marktsumme-Turmes wurde aus einandergesprengt und in Flammen und Rauch gehüllt. Trümmer prasselten auf die Dächer und Terrassen der nächstgelegenen Häuser und zerfetzte die Blätter und Äste der Gewächse. »Das war ein Zeichen. Denkt stets daran, daß Cembergall-Flyrts Worte Gültigkeit ha ben. Er spricht für den Neffen.« Das Organschiff bewegte sich wieder, glitt weiter und senkte sich über einem frei en Teil des Geländes. Die Schleuse öffnete sich, die Rampe schob sich zum Boden hin unter. Es waren nicht viele Bewohner des Marktes, die folgende Szene sehen konnten: Der Noot kam aus dem Schiff. Ihm folgte ein hochgewachsener Mann in einem goldenen Anzug, auf dem die Sonne unerträglich helle Reflexe hervorrief. Cem
35 bergall-Flyrt und der Kommandant des Or ganschiffs tauschten einen langen Hände druck aus und schienen wichtige Dinge mit einander zu besprechen.
* Atlan sagte: »Ich wünsche dir viel Glück. Sowohl bei der Suche nach der jungen Krejodin als auch bei deinen Versuchen, indirekt den Markt zu beherrschen.« Der junge Noot breitete die Arme aus und erwiderte: »Die Krejodin werde ich bald gefunden haben, falls sie noch lebt. Ich danke euch für alles. Natürlich werde ich mit den Gedanken der Freiheit sehr behutsam umgehen.« »Das wird sich als richtig herausstellen. Du mußt vorsichtig sein, denn man wird tun, was du erlaubst. Denke stets daran, daß es andere Organschiffe gibt.« »Ich denke, ich kenne jetzt den Unter schied. Ich werde auch für die kleinen Grau en sorgen, die ihr aus dem Schiff entlassen habt.« »Ich weiß«, sagte Atlan und hoffte, daß möglichst viele Leute von Xudon diese Sze ne sehen würden, »daß du es ernst meinst. Sie werden Freude an der Freiheit finden wie jeder andere. Und sie werden auch dich und unser geheimes Abkommen nicht verra ten.« Der Noot hatte seine Scheu restlos abge legt, aber er bewies durch sein zurückhalten des Benehmen, daß er kein Dummkopf war. Atlan hätte einen Schlechteren für diese Mission finden können. »Ich bin nicht sicher, ob alles so werden wird, wie wir es besprochen haben. Aber ich versuche, mein Bestes zu geben.« Wieder schüttelten sie sich die Hände. At lan spürte die harten Hornringe der Klauen zwischen seinen Fingern. »Lebe wohl, Cembergall-Flyrt!« sagte er. »Lebe wohl, Fremder. Auch ich wünsche euch alles Glück. Ihr werdet es brauchen, denn der Dunkle Oheim ist mächtiger als al
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les, was wir kennen.« Atlan hob den Arm. Er ging ins Schiff zurück, während sich Cembergall-Flyrt orientierte und einen Weg einschlug, der ihn am brennenden Turm der Marktsumme vorbei zu seiner Wohnung bringen würde. Er mußte zuerst alles mit sei ner Frau besprechen, sich ausruhen und über seine Zukunft nachdenken. Als ihn die Son nenstrahlen trafen, schien das Objektiven-Zei chen zu funkeln und zu glühen. Die HORIET schwebte senkrecht in die Höhe. Wieder flog sie langsam einen stets grö ßer werdenden Kreis über den Markt. Eben so langsam vergrößerte sich der Abstand zum Boden. Die Flugbahn war wie ein Sym bol: das Schiff und somit die einzige wirkli che Macht in der Schwarzen Galaxis beob achtete den Markt. Dann, im Norden von Danjitter-Tal, über dem Teil des Ringgebir ges, beschleunigte sich der Flug, und das Schiff raste schräg in den Himmel und in den Weltraum hinaus. Die ersten Händler wagten es, aufzuatmen – sie hatten noch ein mal überlebt. Der Schrecken aber saß tief in ihnen. Sie würden den Objektiven fragen müssen, was Recht war, und was verboten blieb.
* Ein Blick auf die Bildschirme zeigte den Planeten, der ständig kleiner wurde. Jetzt meldete sich Bronniter-Vrang und sagte, während Atlan und Thalia sich endlich ent spannten und daran dachten, essen und schlafen zu können: »Soeben erhalte ich einen Funkspruch. Er kam von demselben Relaisschiff, das auch unsere Vollzugsmeldung weitergegeben hat.« »Also weiß jetzt unser geheimnisvoller Freund auf Säggallo«, meinte Atlan, »daß die Strafaktion auf Xudon stattgefunden hat.« »So ist es«, antwortete die Galionsfigur. »Von irgendwo im Marantroner-Revier kam
die Botschaft, daß die HORIET in Kürze mit einem neuen Auftrag zu rechnen habe. Wir sollen uns bereit halten, auf Befehl des Nef fen sofort zu handeln.« »Wir werden sehen«, versprach Atlan. Diesmal würden weder die grauen Huma noiden noch ein beeinflußter BronniterVrang sie daran hindern, zu tun, was sie wollten. »Ich danke dir für die Durchfüh rung meiner Anordnungen und Wünsche.« Langsam schloß die Galionsfigur, wäh rend abermals eine Strömung herzlicher Im pulse Atlan und Thalia einhüllte: »Die Zeit meiner Freiheit ist noch kurz. Es gibt keine Erfahrungen darüber, wie lan ge ein Organschiff existieren kann, dessen Steuermann einen eigenen und unabhängi gen Willen besitzt.« »Die Länge dieser Zeitspanne bestimmen wir!« sagte der Arkonide. Er glaubte, was er antwortete.
* Es war unzweifelhaft wie ein langsames Erwachen aus einem langen und tiefen Alp traum-Schlaf, als endlich das Organschiff verschwunden war. Die Bediensteten des Raumhafens trauten sich wieder vor ihre Pulte und schalteten zö gernd und unsicher ihre Geräte ein. Einige Händlerschiffe, die den Start der HORIET auf den Ortungsschirmen mit verfolgt hat ten, meldeten sich und erkundigten sich, ob sie landen konnten, und was eigentlich ge schehen sei. Je mehr Zeit verging, desto mehr Schiffe landeten. Fast alle die Kugelschiffe, die Pfeilschiffe und die röhrenförmigen Raum boote, die während der Ankunft des Organ schiffs geflüchtet waren, kamen wieder zu rück. Zwar konnten sie die Wolke aus Rauch und Staub nicht mehr aus dem Weltraum aus erkennen, aber vor der Landung sahen sie die Krater, wenigstens die meisten davon. Innerhalb eines knappen halben Tages landeten rund vierzig Schiffe und öffneten ihre Schleusen. Die ersten Handelsgüter
Rätsel der Schwarzen Galaxis wurden entladen. Die verschiedenen Teile des Raumhafens, sehr weit vom Zentrum des Marktes ent fernt, waren zuerst handlungsfähig. Waren gingen hin und her, immer mehr Transporte wurden ausgeführt, da mehr und mehr Ar beiter aus den Siedlungen kamen. Die We sen hatten ausgeschlafen, ihren Schock ver arbeitet und die Wunden verbunden. Ab und zu fanden sie einen Schwerverletzten oder Toten, der während der erbitterten Kämpfe gestorben war. Die Erinnerung an den Rauch der Schwarzen Loh wurde verdrängt und lag wie ein schwarzer Schatten in der Vergangenheit. Der Objektive Cembergall-Flyrt kam aus der Tür seines Hauses. Trotz der Macht oder genauer des Einflusses, den er jetzt präsen tierte, war er unsicher. Er bemühte sich, es niemandem zu zei gen. Seine Lederkleidung war neu und glänzte hochpoliert. Das große Abzeichen, das ihn als Angehörigen der Marktpolizei auswies, strahlte förmlich. »Es ist ein schöner Morgen«, sagte der Noot. »Hoffentlich wird es ein schöner Tag.« Zwei krejodische Glasverkäufer kamen vorbei. Ihr Gleiter war schwer mit Glasplat ten vieler Stärken und Größen beladen, dazu mit den Gestellen und dem Werkzeug. Sie würden in der nächsten Zeit sehr viel Arbeit haben und gut verdienen. »Kein Rauch um dein Horn, Objektiver!« rief knarrend der ältere der beiden. »Du hast nicht das eine oder andere Fenster, das in Scherben ging?« Der Tonfall und die Gesten der Krejoden waren zuvorkommend, aber nicht unterwür fig. Der Objektive hob einen Arm und rief zurück: »Danke. Meine Fenster sind heil geblie ben. Aber ihr werdet viel Glas brauchen!« »Jedes Drama hat auch sein Gutes«, war die Antwort. »Die Marktsumme hat viel mehr aufzubauen!« »Das ist richtig. Kennt ihr den kleinlichen
37 Dnarc?« »Du meinst den alten Raumfahrerarzt?« Langsam schwebte der Gleiter die Gasse entlang. »Den meine ich. Wenn ihr ihn seht, sagt ihm, ich muß ihn dringend sprechen«, rief er ihnen nach. Die Krejoden winkten freundlich; angesichts des voraussichtlichen Arbeitsanfalls hatten sie allen Grund dazu. »Machen wir! Gute Arbeit, CembergallFlyrt!« »Dasselbe für euch.« Der Noot lächelte innerlich. Lange hatte er alle jene verwirren den und überraschenden Aspekte mit seiner Frau durchgesprochen. Sicher hatte sie recht: für ihn fing eine neue Zeit an. Es lag fast ausschließlich bei ihm, was er daraus machte. Er sprang die Stufen hinunter und ging hinter dem Gleiter her. Zuerst mußte er seinen Bereich des Marktes kontrollieren. Er erwartete Trümmer, Ratlosigkeit, teilweise vernichtete Existenzen. Wo war die junge Krejodin? Cembergall-Flyrt ging langsam weiter. Vor dem ersten Laden blieb er stehen. Er sah eine Weile lang zu, wie zwei Camagurs versuchten, Trümmer, Scherben und Verwü stungen zu beseitigen. Als Zeichen dafür, daß sie nicht aufgaben, schienen sie neue Gewänder angelegt zu haben; farbenprächti ge Umhänge und Kittel aus Kunststoffgewe be, die wie Regenbogen leuchteten. Sie kehrten das Pflaster, schütteten Unrat und Abfall in große Säcke, putzten die unver sehrten Glasflächen und spannten leuchtende Kunststoffolien in die leeren Rahmen. Der Objektive ging näher heran und lehnte sich gegen den Rahmen des Eingangs. »Ihr habt viel verloren?« fragte er. Das Paar kam aus dem Hintergrund des Raumes. Ein Teil der Regale war bereits mit neuen Waren gefüllt. Dieses Geschäft han delte mit Getränken aller Art und den dazu gehörigen Trinkgefäßen. Aufgeregt blähten die Camagurs die riesigen Ohren auf, als sie den Objektiven erkannten. »Vielleicht ein Drittel von allem«, sagte der Mann und verzog seinen Rüsselmund. »Andere hat es schwerer getroffen.«
38 »Ich hörte ununterbrochen Raumschiffe landen«, tröstete ihn der Objektive. »Wie immer werden die Raumschiffer berau schende Getränke brauchen. Und auf den gewaltigen Schreck hin wird auch die Nach barschaft einkaufen. Ihr solltet einen kleinen Kredit aufnehmen und das Lager vergrö ßern.« »Eine gute Idee von dir«, erklärte die Frau und begann, hingebungsvoll die Oberflächen der Verkaufstische zu säubern. »Dürfen wir dir etwas anbieten? Keine Bestechung? Nur eine kostenlose Probe, die zu nichts ver pflichtet?« Bisher hatte der Objektive aus Furcht, als bestechlich zu gelten, jedes Angebot dieser Art abgelehnt. Er erkannte, daß er sich durch die Ablehnung alles andere als beliebt ge macht hatte; ein Schluck lockerte die Zun gen oder aktivierte die Sprechblasen. Er grinste und erwiderte: »Der Vertraute Chirmor Flogs läßt sich nicht bestechen. Aber da der Neffe Nach sicht walten ließ, stehe ich ihm nicht nach.« Er nahm einen winzigen Becher Esorh und kippte das kalte Getränk zwischen die Hornlippen. Gutgelaunt sagte er: »Das kann nicht zur Regel werden. Sonst bin ich eine Stunde nach Anfang des Rund gangs bewußtlos. Solltet ihr den alten klein lichen Dnarc sehen, richtet ihm bitte aus, er möge mich in meinem Büro anrufen. Das heißt, falls es noch existiert.« Er stellte den Becher zurück, dankte und verließ den Laden. Irgendwie, fühlte er, be gann auch er sich zu verändern. Er wurde lockerer und gelöster, sah seine Arbeit nicht als traurigernste Beschäftigung, sondern als Aufgabe, die er freudig erledigte. Er ging weiter. Ganz allmählich versuchten alle, den Schock zu überwinden und zu vergessen. Aus dem Umland kamen die ersten Liefe rungen an Nahrungsmitteln. Die Gassen wurden von den Gambertrupps gereinigt. Hier gab es einen geschlossenen Laden, dort versuchten die käferartig wimmelnden
Hans Kneifel Tamater, eine halbwegs in Trümmer gegan gene Fleischerei wie der betriebsfähig zu machen. An anderer Stelle entlud ein riesi ger Lastengleiter exotische Waren, die nur aus einem Raumschiff stammen konnten. Cembergall-Flyrt beantwortete zahllose Fra gen. Wie es ihm im Organschiff ergangen sei? Wie sahen die Vertrauten des Neffen aus? Waren sie grausam oder nachsichtig? Sollte man im Hinblick auf gute Geschäfte disponieren, oder würde der offene Markt von Danjitter-Tal in der nächsten Zeit küm merlich bleiben? Was geschah mit den Mar morkugeln und deren Widerschein der Frei heit? Er versuchte, nicht zu lügen, und gab reich lich knappe Auskünfte. Plötzlich, an der Ecke des Akedeplatzes, hielt ein kleiner Gleiter direkt vor ihm an. Der Objektive verbarg sein Erschrecken, als er den hungrigen Zarf erkannte, den Sprecher der Krejoden, wichtiges Mitglied der Marktsumme. Der Objektive wartete schweigend. Der Hungrige verließ den Gleiter in großer Eile. Obwohl er den Noot um einiges überragte, wirkte er auf einmal weniger groß und erheblich weniger mächtig. Der Objekti ve sah dem Wortwechsel unruhig entgegen, schließlich hatte wohl jeder inzwischen die Neuigkeit erfahren. »Ich spreche jetzt nur für mich, habe mich mit den anderen noch nicht getroffen«, sagte der hungrige Zarf hastig. »Meine Hochach tung! Und mein Dank dafür, daß du es ge schafft hast, die Strafe milde ausfallen zu lassen.« »Ich verhielt mich wie immer«, erwiderte Cembergall-Flyrt steif. »Wie kann ich das verstehen?« »Korrekt, möglichst unbestechlich und wahrheitsgetreu«, sagte der Objektive nicht ohne Würde. »Überhaupt wird die Frage der Bestechlichkeit in den nächsten Monaten zwischen dem Vertreter Chirmor Flogs und mir einen breiten Raum einnehmen.« »Gewiß, gewiß«, versicherte das Mitglied der Marktsumme. »Sicher ist, daß die Marktsumme nicht unter der Wut der Organ
Rätsel der Schwarzen Galaxis schiffer zu leiden hatte.« Vorsichtig probierte der Objektive seine neue Macht aus und sagte: »Ich bin beauftragt worden, die Gesetze zu achten. Bestechliche oder faule Objektive sollen ebenso wie unkorrekte Mitglieder der Marktsumme gemeldet und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden, wie ihr gehört habt. Wie weit ist der Wiederaufbau des Turmes?« Der Krejode war aufgeregt und voller Angst. Seine langen Arme bewegten sich nervös, die Finger zitterten, als er mit heftig vibrierendem Sprachsack hervorstieß: »Es sollte eine Sitzung einberufen wer den. Wir sehen ein, daß der eine oder andere ein wenig zu nachlässig wurde. Eine bedau erliche Folge der vielen Arbeit. Alles soll geschehen, damit Xudon weiterhin einen blühenden Handel sieht.« Elender Heuchler! dachte CembergallFlyrt und nickte. Er sagte: »Ich jedenfalls muß so handeln, wie es mir im Schiff aufgetragen wurde. Das ist die Bedingung dafür, daß Flog uns alle am Le ben läßt. Es ist nicht nur am Turm, sondern überall viel Aufbauarbeit zu leisten.« »Mit neuer Kraft werden wir an diese Aufgabe herangehen!« rief der hungrige Zarf. »Schon heute abend wird dich die Marktsumme von allen Maßnahmen verstän digen.« Höflich, aber betont kühl gab CembergallFlyrt zurück: »Ich bin über mein Büro zu erreichen, falls es noch nicht zerstört wurde.« »Ganz sicher wird man dir Räume zur Verfügung stellen, die deiner würdig sind!« Schon wieder versucht man, mich zu be stechen und einzuwickeln, sagte sich der Ob jektive und entgegnete: »Danke. Kein Bedarf. Mit einer Renovie rung meines einfachen und verwahrlosten Büroraums bin ich gut bedient. Und das hat auch noch Zeit.« Völlig aus dem inneren Gleichgewicht ge bracht, zog sich der hungrige Zarf zum Glei ter zurück. Sein Weltbild war zerbrochen.
39 Die Maßnahmen, die bisher – außer bei die sem jungen Noot – erfolgreich gewesen wa ren, halfen nicht mehr. Er rief knarrend: »Wir sprechen uns. Jeder muß daran in teressiert sein, daß deine Meldungen den Neffen beruhigen und eine Strafaktion un möglich machen.« »Das ist mein Ziel.« Überaus herzlich winkend, völlig verstört, schwang sich der langbeinige Krejode in den Gleiter und rammte, als er beschleunigte, einen Eckstein aus Granit. Mit einem häßli chen Kreischen verschwand das Fahrzeug um die Ecke und geriet außer Sicht. Nur der Umstand, daß viele Händler, Bewohner, Diener und Angestellte ihn anstarrten, hin derte Cembergall-Flyrt daran, in ein endlo ses Gelächter auszubrechen. Er mußte sehr vorsichtig sein. Die Frei heit, die er in winzigen Schritten durchset zen wollte, vertrug keine großartigen Ge sten. Das Gesetz durfte nicht umgangen werden; ein reibungsloser Handel war die Voraussetzung dafür, daß die wichtigen Ide en über die hundert bewohnten Welten des Marantroner-Revier verbreitet werden konn ten. Nach einem langen und ziemlich ermü denden Gang durch diesen Teil des Marktes befand er sich endlich unmittelbar neben sei nem Büro. Äußerlich, auf den allerersten Blick, hat ten es die fleißigen Händler unter Einsatz al ler ihrer Kräfte geschafft, eine gewisse Ord nung zu schaffen. Es würde lange dauern, bis der vorherige Zustand erreicht war. Wie der klirrte irgendwo Glas; jemand hämmerte die Scherben einer zerschlagenen Scheibe aus dem Rahmen. Aber die Stimmen des Marktes klangen schon wieder fest und kei neswegs zögernd.
* Der Noot lachte sarkastisch auf, als er die Reste der Tür zur Seite stieß und sein Büro betrat. Es sah schlimm aus. »Die Marktsumme wird wohl einiges zu
40 renovieren haben«, brummte CembergallFlyrt und sah sich in den Trümmern um. Sein Büro schien sich in einem Zentrum der Kämpfe befunden zu haben. Mit zwei schnellen Schritten war er hinter dem mit Staub, Mauerbrocken und Splittern übersä ten Schreibtisch, hinter den er die junge Kre jodin gelegt hatte. Decken und Kissen waren noch vorhanden, aber die Krejodin, die in ihren Fingern die große Plejade gehalten hatte, war verschwunden. »Jemand hat sie gefunden und ihr den Stein weggenommen. Der Stein war im Be sitz der Marktsumme, ehe ihn Atlan be kam«, faßte der Objektive zusammen und wollte zum Bildschirm gehen, als ihm ein fiel, daß er keine Verbindung bekommen würde. »Und das Büro der Marktsumme hat die HORIET in die Luft gesprengt.« Der Objektive blieb stehen und dachte nach. Die Fenster waren zerstört, das Büro mit allen seinen Einrichtungsgegenständen schi en tatsächlich von einer Gruppe miteinander kämpfender Marktbewohner verwüstet wor den zu sein. Der Noot entsann sich, daß er wegen der jungen Frau zuerst beim Arzt ge wesen war, diesen gesprochen und hierher bestellt hatte. »Das ist es! Der kleinliche Dnarc!« Er rannte hinaus und sprang mit großen Sätzen die Stufen hinunter. Durch das zu nehmende Getümmel der Gassen und Plätze rannte er an verdutzten Wesen vorbei, die ihn kannten und grüßten. Er registrierte, daß sich dieser Teil des Marktes mehr und mehr belebte. Die Schlange der Wartenden vor der Pra xis des Arztes war fünfhundert Meter lang! Cembergall-Flyrt stieß einen Fluch aus und blieb stehen. Alle Stufen, die Gasse, die lange Treppe hinunter zum nächsten Platz und die ver schiedenen Nischen waren voller Angehöri ger der vier Hauptvölker und einiger weni ger Kleingruppen. Als der Objektive von ei nigen Umstehenden erkannt wurde, prassel ten, Rufe und Fragen auf ihn ein.
Hans Kneifel »Laßt mich bitte durch!« bat er und mu sterte die etwa eintausend Wartenden. Jeder von ihnen sah bemitleidenswert aus. Brüche, Schrammen, Risse und Wunden aller Art, fleckige Verbände, geschiente Gliedmaßen … einzeln gesehen kaum eine wirklich schwere Verletzung, im Ganzen jedoch eine erschütternde Reihe. »Ich bin nicht verletzt«, rief er. »Ich muß Dnarc nur sprechen. Ich verspreche euch, Hilfe herbeizuholen. Sonst steht ihr noch in fünf Tagen hier!« Bereitwillig machten einige Platz. Der Objektive schob sich vorsichtig weiter und erreichte schließlich nach immer neuen Bit ten die Tür der Praxis. Er blickte hinunter auf die Schlange und sah ein, daß Dnarc es niemals schaffen würde, alle diese Verwun deten und Stöhnenden zu behandeln. »Es müssen Ärzte aus den Raumhafengebäuden geholt werden!« sagte er entschlossen. Aber sein eigenes Problem ging vor. Er hämmerte an die Tür. Ein Camagur in schmutziger Schutzkleidung öffnete. Ohne Umschweife fragte Cembergall-Flyrt: »Ist eine junge, sehr hübsche Krejodin hier? Sie muß seit gestern mittag bewußtlos hier liegen?« Der Camagur musterte den Objektiven und winkte mit zweien seiner Hände. »Bist du Cembergall-Flyrt?« »Ja.« »Der kleinliche Dnarc suchte dich. Er bricht vor Erschöpfung gleich zusammen. Er benötigt dringend Hilfe.« Der Camagur schob einige Verletzte von der Tür weg, schrie ihnen zu, sie sollten sich gedulden und schloß die ächzende Tür. Im Behandlungszimmer herrschte ein unglaub liches Durcheinander. Cembergall entschloß sich spontan, seinen neuen Einfluß gezielt einzusetzen. Er nickte dem Arzt zu, ging in den Privatraum und sah sich um. Keine Kre jodin. Er setzte sich vor das Rufgerät, tippte eine Nummer und verlangte einige Auskünf te. Er wählte eine andere Nummer. Auf dem Bildschirm tauchten ein Büro
Rätsel der Schwarzen Galaxis des Raumhafens auf, kurz darauf ein Cama gur. Cembergall-Flyrt sagte ruhig, aber mit Bestimmtheit: »Ich bin Cembergall-Flyrt. Die Gnade von Chirmor Flog hat den Markt verschont. Deswegen stauen sich vor jeder Arztpraxis große Mengen Patienten. Jeder Arzt, hier der Krejode Dnarc von den Kleinlichen, ist überlastet und überfordert. Bringt sofort eine gute ausgerüstete Mannschaft hierher. Viel leicht wird dann die Raumhafenorganisation bei meinem nächsten Bericht lobend er wähnt.« Der Camagur in seinem farbenprächtigen Gewand blickte mit riesigen Augen gerade aus in die Linsen, aber seine sechs Hände ar beiteten bereits auf Tasten und Schaltern. »Ich helfe dir gern, Cembergall-Flyrt, aber ich weiß nicht, wo der Arzt, den du er wähnst, seine Praxis hat.« Der Objektive sagte es ihm und schilder te, wie das Team am schnellsten hierherge langte. »Ich stelle die Gruppe persönlich zusam men«, versprach der Camagur. »Hier warten fast tausend Leute auf euch. Sie sind sehr elend und brauchen schnell Hilfe.« »Verstanden!« Der Noot schaltete ab und ging zurück zu dem kleinlichen Dnarc. Der Mediziner tat, was er konnte, und seine beiden Helfer schufteten wie die Rasenden, aber es ging schleppend voran. »In ein paar Minuten bekommst du Hilfe, Kleinlicher«, versprach der Objektive. »Ich suche die Krejodin. Hast du sie behandelt?« Der Mediziner war erschöpft und nickte langsam. »Ich fand sie in deinem Büro«, murmelte er mit schlaffer Sprechblase. »Die Objekti ven kamen, nahmen ihr den Stein weg, dann verlor ich sie aus den Augen. Ich fand sie wieder hier in der Praxis. Sie ist dort hinten, im Wohnraum.« Cembergall-Flyrt war froh, das zu hören. »Geht es ihr gut?« »Ja. Heute früh ist sie aus dem Schock aufgewacht. Etwas schwach – geh hinein
41 und sprich mit ihr.« »Genau das habe ich vor. Danke, Kleinli cher.« Der Noot kannte die Wohnung und die Praxis. Jetzt trug die einfache und ver brauchte Einrichtung die Spuren der Arbeit. Es war sicher gut und nützlich, dafür zu sor gen, daß man auch diesem Arzt bessere Ar beitsbedingungen verschaffte. Er stieß die nächste Tür auf und befand sich in einem einfach eingerichteten Wohnraum in typisch krejodischem Geschmack. Er entdeckte die junge Frau im Sessel des Arztes und näherte sich ihr langsam. »Du weißt, wer ich bin?« fragte er. »Ein Noot«, sagte sie matt. »Offensichtlich ein Objektiver.« »Ich fand dich und die Marmorkugel bei einem Nahrungsmittelhändler draußen am Hafeninnenrand.« »Wo ist sie, die große Plejade?« »Merkwürdig«, sagte er. »Niemand sagte mir, wie die Kugel heißt. Trotzdem wußte ich es. Nun, die große Plejade ist in einem Organraumschiff unterwegs und wird den Widerschein der Freiheit über die Planeten des Marantroner Reviers bringen. Die Marktsumme hat sie den Organschiffern ge geben.« »Und du?« fragte sie. Sie schien ge schwächt und stand noch unter dem Ein druck des langanhaltenden Schocks. Ande rerseits war sie dadurch, daß sie die Ereig nisse nicht bewußt miterlebt hatte, einer Rei he unangenehmer Zwischenfälle entgangen. »Ich bin …«, begann er. »Was bin ich ei gentlich wirklich? Ich versuche, die Fehler der Vergangenheit vorsichtig zu korrigieren. Ich bin Chirmor Flog verantwortlich. Ich war im Organschiff und habe miterlebt, wie der Abgesandte des Neffen einen Angriff auf die Breiten und die Glühenden niederge schlagen hat.« »Ich bin die durstige Gryta«, sagte sie. »Vielleicht lebt niemand von meinem Klan mehr in den Marmorbergen.« »Das werden wir noch heute feststellen. Ich kenne das Ausmaß meiner Macht noch
42 nicht«, sagte er. »Aber nimm nicht an, daß ich nun der wichtigste Mann auf Xudon bin. Ich werde nur verhindern, daß solche Dinge passieren wie in den letzten Tagen.« Sie stand auf und stützte sich auf den Ses sel. Jemand hatte ihr neue Kleidung ver schafft. »Bringe mich hier weg. Die Umgebung ist deprimierend.« Im gleichen Augenblick schrillte an Cem bergall-Flyrts Gürtel das Rufgerät. Er bedeu tete der durstigen Gryta, einen Moment zu schweigen, schaltete das Funkgerät ein und sagte: »Ich höre. Objektiver Cembergall-Flyrt.« Eine bekannte Stimme kam aus dem klei nen Lautsprecher. »Conmat-Port hier. Es gibt jede Menge Ärger. Ich habe einen Gleiter … du mußt so fort hierherkommen.« Der Noot begriff und erwiderte: »Ich bin bei dem kleinlichen Dnarc. Schicke den Gleiter los. Wo bist du, und was ist los?« »Die Glühenden und die Breiten sind da. Hundert Leute ungefähr. Bewaffnet wie der Zorn der Sterne. Sie fangen an, die Markt summe abzuschlachten, jedenfalls sieht es so aus. Eile ist angebracht.« »Ich komme!« versprach der Objektive. »Ich bringe die letzte Überlebende des Mas sakers bei den Durstigen mit. Vielleicht hilft's. Kannst du die Krejoden noch aufhal ten?« »Du solltest dich beeilen. Sieht nicht gut aus. Sie wollen Rache nehmen für die Dur stigen und für den gestrigen Überfall.« »Wir kommen. Ende.« Die durstige Gryta hatte jedes Wort ver standen. Der Noot und die junge Krejodin nickten sich zu. Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich. Er rief dem Mediziner zu, daß er später wiederkommen würde und daß ein Team vom Raumhafen hierher unterwegs war, dann schob er sich wieder durch die wartenden Patienten und rannte mit Gryta hinter sich auf den nächsten Platz zu. Mit heulenden Signalen raste ein kleiner
Hans Kneifel Gleiter heran. Ein Tamater saß am Steuer und winkte. »Von Conmat-Port?« schrie CembergallFlyrt. »Ja. Einsteigen.« Der Noot half der jungen Frau in den Sitz, der Gleiter drehte auf der Stelle und zog mit kreischendem Getriebe davon. Der Tamater steuerte sicher und geschickt. Während er um die Ecken raste, den kleinen Gruppen der auseinanderspringenden Passanten aus wich und auf dem direkten Weg auf den Turm der Marktsumme zuschwebte, rief er ununterbrochen aus seinem HektikMund: »Sie sehen furchtbar aus. Jeder hat ein paar Waffen. Die Marktsumme ist recht zahlreich versammelt, weil sie die Arbeiten … Achtung, das war knapp … die Arbeit am Turm soll anfangen, die Handwerker …« »Kümmere dich um die Steuerung!« brüllte der Noot. Cembergall-Flyrt wußte, daß es ernst wurde. Der geglückte Versuch, den zweiten Überfall zu verhindern, hatte den Geschlechtern nicht nur das Leben ge rettet, sondern ihre Wut und den Haß auf die Marktsumme ausbrechen lassen. Ihre Angst war in die Bereitschaft umgeschlagen, sich für diese Erniedrigung zu rächen. Darüber hinaus stand vor ihren Augen das Gemetzel an den Durstigen. Der Noot rechnete fest da mit, daß es nicht nur ein harmloser Zwi schenfall wurde. »Keine Sorge. Ich habe es gelernt.« Der Gleiter schoß schräg über einen Platz und hielt an. Als sie zwischen den Mauern hindurchgerast waren, hatte CembergallFlyrt gesehen, daß es wirklich ernst war. Augenblicklich vergaß er seine persönlichen Probleme. Mit einem riesigen Satz sprang er aus dem Gefährt und lief in die Mitte des Platzes. Baumaschinen, Handwerker und Material beanspruchten eine Seite des Plat zes. Über die Treppe an der anderen Seite kamen die Krejoden aus den bleichen Mar morbergen herauf. Sie steckten in Rüstungen und alten Raumanzügen ihrer Ahnen. Waffen glänzten und funkelten im Sonnenlicht. Man hörte
Rätsel der Schwarzen Galaxis nur die Schritte und klirrende Geräusche; die Angehörigen der zwei Klans näherten sich schweigend und unerbittlich. Der Noot lief auf die Krejoden zu und breitete die Arme aus. Hinter ihm drängten sich mindestens neun Mitglieder der Markt summe zusammen. Natürlich waren sie un bewaffnet und redeten leise und aufgeregt miteinander. Aus der Gruppe der Bauarbei ter kam Conmat-Port hervor und stellte sich zu dem anderen Noot. »Aufhalten können wir beide die Krejo den nicht!« sagte er knurrend. CembergallFlyrt drehte sich halb herum und gab zu rück: »Nicht mit Waffen, da hast du recht.« Er winkte nach hinten. Die Krejodin, die aus dem Gleiter ausgestiegen war, ging langsam und starr auf ihn zu. Die erste Rei he der schweigenden Klanangehörigen er reichte den Platz und ging drohend weiter. Cembergall-Flyrt schrie: »Was wollt ihr?« Einer der langen, hageren Männer hob das Visier des Helmes. Es war der breite Klynn. Er stieß hervor: »Wir zahlen es der Marktsumme heim.« Seine Worten waren laut und deutlich und hallten über den Platz. Die Mitglieder der Marktsumme drängten sich enger zusam men. Außer dem Tamater und den zwei Noots waren keine anderen Objektiven auf dem Platz. Die Händler der nächstgelegenen Geschäfte zogen sich zurück und schlossen die rasselnden Läden. »Was zahlt ihr den Verwaltern des Mark tes heim? Den Umstand, daß sie den Angriff auf die Stapelpaläste haben scheitern las sen?« schrie der Objektive so laut er konnte. Der Einwand beeindruckte die Klanangehö rigen nicht. Etwa fünfzig von ihnen standen in einer Art Halbkreis vor den Stufen am Rand des Platzes. Mit ausgebreiteten Armen befand sich noch immer Cembergall-Flyrt vor ihnen. »Sie? Das Schiff hat eingegriffen!« rief ein Mann aus der Reihe der Angreifer. »Und wer hat die Organschiffer verstän
43 digt, nach eurer Meinung?« gab der Objekti ve zurück. »Gryta, her zu mir.« Die durstige Gryta stellte sich zwischen die Noots und musterte den wild aussehenden Haufen der Krejoden. Nach einigen Se kunden sagte sie mit überraschend klarer Stimme: »Ich bin die durstige Gryta. Wenn über haupt jemand an dem Gemetzel und an den folgenden Unruhen die Schuld hat, dann bin ich es.« Die Eröffnung war sogar für den Objekti ven überraschend. Sie hatte zur Folge, daß die meisten Krejoden die Waffen senkten. Andere, die noch auf den Treppenstufen standen, schoben und drängten, um auf den Platz zu kommen. »Wie kannst du die Schuld daran haben?« erkundigte sich ein anderer Mann. Es war der Klanführer Talt der Glühenden. »Weil mindestens eine Marmorkugel mit dem Widerschein der Freiheit aus unseren Marmorbrüchen stammt!« Ein Schweigen der Verwunderung breite te sich aus. Sogar die Bauarbeiter hoben er schrocken die Arme. »Das ist nicht wahr! Niemand hat solche Kugeln hergestellt!« Die durstige Gryta schob die Noots ein wenig zur Seite und trat vor. Sie erklärte fest und deutlich: »Der laute Quahrt, ein blinder Krejode, der seit den Tagen meines Großvaters in un serem Marmorberg lebte, stellte solche Ku geln her. Als die verwirrten Händler ein drangen, flüchtete ich zu ihm. Er gab mir die Kugel und zeigte mir den Weg ins Tal. Der Noot Cembergall-Flyrt hat mich gerettet, die Kugel ging von mir an die Marktsumme und von dort ins Organschiff. Ich selbst bin Krejodin aus einem der älte sten Klans. Vermutlich bin ich die einzige Überlebende meiner Sippe. Ich werde nicht lügen. Das ist die Wahrheit!« »Während die HORIET eure Stapelpalä ste und Marmorbrüche schützte, war ich an Bord. Die große Plejade – so nennen wir die Marmorkugel – wird den Widerschein der
44 Freiheit überall in weitem Umkreis durch das Marantroner-Revier tragen!« rief der Noot, kaum daß die durstige Gryta geendet hatte. Drohend richtete der breite Klynn ein Feuerrohr auf den Objektiven. »Ist das wahr?« »Habt ihr nicht die Worte der Organschif fer gehört? Sie waren laut genug. Ich bin der Berater des Neffen auf Xudon. Und ich ver spreche euch, daß ich ihm von eurem Ver such berichte. Dann kommt die HORIET oder ein anderes, größeres Schiff und ver wandelt eure Marmorberge in glutflüssige Vulkane!« Tausend Augen oder Sehorgane aller Art betrachteten die Szene. Die Händler, zufällig anwesende Käufer und Diener hatten sich zurückgezogen und starrten unbehaglich hinter Jalousien und Verkleidungen auf den Platz hinunter. Jede kämpferische Auseinan dersetzung war für den Handel schädlich. Ganz besonders in den ersten Stunden eines Tages, an dem sich der Markt schrittweise zu erholen begann. Die Sonne strahlte heiß herunter. Das Schweigen wurde lastend; un ruhig bewegten sich die Mitglieder der Marktsumme und die Bewaffneten aus den bleichen Marmorbergen. Noch immer stand Cembergall-Flyrt mit ausgebreiteten Armen schützend zwischen Marktsumme und Kre joden. Schließlich murmelte einer der Krejo den: »Ich kenne den lauten Quahrt. Er war ein Meister seines Faches.« »Er starb, weil er einen Marmorbruch über sich zum Einsturz brachte«, sagte die siebzehnjährige Krejodin. »Deine Eltern wußten nichts von der großen Plejade und ähnlichen Kugeln?« fragte der breite Klynn unsicher. »Nein. Sie hätten es unterbunden, weil sie um ihr Leben ebenso viel Angst hatten wie ihr Nachbarn.« Der Objektive schrie dazwischen: »Steckt die Waffen weg, klappt die Visiere hoch und verhaltet euch wie vernünftige Mitglieder des offenen Marktes. Die Marktsumme ist nicht beliebt, das weiß selbst sie. Aber sie
Hans Kneifel hat keinen Befehl gegeben, euch zu vernich ten!« Er wußte genau, daß das Gegenteil richtig war. Aber der Mord an den Marktsummen mitgliedern würde den Markt in Anarchie stürzen. Irgend jemand würde sich dafür rä chen müssen und abermals die Krejoden an greifen. So nahmen die Kämpfe und Zwi schenfälle niemals ein Ende. Das einzige, das ihnen allen jetzt helfen konnte, war Ru he. Nur in diesem Schutz konnte vorsichtig die Freiheit wachsen. Der erste Schuß eines der Krejoden machte alles zunichte. »Du bist der Vertraute. Dein Wort?« »Bei meinem Wort«, sagte der Noot feier lich. »Und ich werde tagein, tagaus kontrol lieren, daß es so bleibt.« Er wunderte sich noch immer über seine Reaktion und seinen Erfolg. Noch vor drei Tagen hätte man ihn zur Seite geschoben und nicht weiter beachtet. Aufmerksam blickte er die Reihen der Krejoden entlang. Hoffentlich machte niemand eine unvorsich tige Bewegung oder hantierte gedankenlos mit der Waffe. »Und wer garantiert, daß deine Kontrolle Erfolg hat, Objektiver? Bisher waren die Objektiven mit Erfolgen dieser Art nicht reich gesegnet.« »Chirmor Flog hat die Garantie übernom men. Was ich berichte, gilt. Sterbe ich infol ge Gewalt, erscheint das nächste Organ schiff. So einfach ist das, Krejode. Du kannst mir dankbar sein, daß ich dich und deinen Klan davor bewahrt habe, zu Mör dern zu werden. Mord ist im Gesetz des Dunklen Oheims verboten.« Der breite Klynn schrie knarrend: »Dann können wir Krejoden also in Frie den leben? Brauchen wir nicht mehr zu fürchten, daß man uns wegen Vorgängen an greift, die uns nicht angelastet werden kön nen?« »So lange ich kontrolliere, gilt mein Wort«, erklärte Cembergall-Flyrt mit Be stimmtheit. »Dann, Nachbar, sollten wir abziehen und uns an die Arbeit machen. Es gibt viel auf
Rätsel der Schwarzen Galaxis zuräumen.« »Einverstanden, Nachbar!« Die Klanführer gaben ihren Bewaffneten Befehle und winkten sie zurück. Die starke Gruppe stapfte klirrend und rasselnd die Stu fen wieder hinunter und stieg in die warten den Transportmaschinen. Der Objektive blickte ihnen schweigend nach und fühlte, wie sein Rauchhorn vibrierte. Er wandte sich an die durstige Gryta und meinte halb laut: »Danke, Gryta. Deine Worte haben den Ausschlag gegeben. Die Kämpfe wären wie der ausgebrochen. Diesmal hätte die Ernüch terung nach der Erschöpfung nicht gereicht, um ein gräßliches Morden zu unterbinden.« Conmat-Port erklärte brummig: »Du scheinst im Schiff milde, verzeihend und edel geworden zu sein. Ausgerechnet den Verein, der dir mit Absicht am übelsten mitgespielt hat, hast du eben gerettet. Ich kann das gutheißen, aber nicht verstehen, Cember!« »Wir haben keine bessere Marktsumme, aber wir haben sie eben. Solange es sie gibt, ist sie die Autorität. Verändere sie, und ich werde die Veränderung verteidigen. Ich weiß besser als du, welche Betrüger und Lumpen es sind.« »Gut. Ich dachte schon, dir wäre die Kri tikfähigkeit abhanden gekommen.« »Keine Sorge, Partner. Und – unter den Objektiven brauche ich auch Freunde. Es wird sich einiges ändern.« Sie hatten leise gesprochen. Sie gingen auf die Mitglieder der Regierung zu. Die schweigenden Männer waren noch immer im Bann der Furcht. Cembergall-Flyrt deute te eine Ehrenbezeigung an und meinte: »Ich habe eure Macht nicht gebrochen. Jetzt haben wir auch euer Leben gerettet. Ich werde dafür sorgen, daß als Gegenleistung Korruption und Schwindel und Bestechung aufhören. Einverstanden?« Sie hätten ihm alles versprochen, aber er verlangte nur noch eine schnelle Renovie rung seines Büros und eine Unterstützung der Ärzte. Dann griff er nach dem Arm der
45 durstigen Gryta. »Ich habe dir versprochen, mich um den Rest deines Besitzes zu kümmern. Die Or ganschiffer haben mehrere Dutzend schweigsamer, ungeheuer fleißiger Bedie nungsmannschaften hier abgesetzt. Ich bin sicher, es sind die richtigen Arbeiter, um dir beim Wiederaufbau deiner Stapelpaläste zu helfen.« »Ich komme mit.« Sie nahmen den Gleiter, mit dem ConmatPort sie hatte holen lassen. Mit dem anderen Noot besprach Cembergall-Flyrt die Einzel heiten: die kleinen Grauen, die Atlan »Humanoiden« genannt hatte, sollten mit Vorräten und Ausrüstungen zum Stapelpa last der Durstigen gebracht werden. Der dicke Noot grinste und erkundigte sich: »Über welches Konto soll verrechnet wer den, Herrscher von Xudon und DanjitterMarkt?« »Die Marktsumme zahlt's, Partner. Und bezeichne mich niemals wieder so, denn ich bin nur ein kleiner Objektiver, der ebenfalls bestraft wird, wenn Chirmor Flog es für an gebracht hält, zu strafen.« »Geht in Ordnung, Objektiver Cember gall-Flyrt!« sagte der Noot.
* Bevor der Gleiter durch das rauchge schwärzte, zertrümmerte und aus den An geln gehobene Hauptportal des größten Sta pelpalastes schwebte, hielt der Objektive das Fahrzeug an und blickte blinzelnd in den Himmel. »Wohin schaust du? Woran denkst du?« wollte die durstige Gryta wissen. Er sagte: »Ich denke an die Organschiffer der HO RIET, die jetzt zu einem anderen Ziel unter wegs sind. Ich beneide sie nicht um ihre Aufgabe. Sie müssen gehorchen und Dinge tun, die ihnen fremd sind. Ich wünsche ih nen viel Glück und einen problemlosen Flug. Und ich wünsche uns, daß niemals
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Hans Kneifel
wieder ein Organschiff über Xudon er scheint.« Er dachte: Ich hoffe, Atlan, Thalia und ihre dreißig fremden Männer werden mit der großen Ple jade nach und nach eine Revolution in Gang bringen, die den Neffen und den Oheim hin wegfegt und die Freiheit in das Marantro ner-Revier bringt. Wir alle würden besser schlafen und fröhlicher sein, wenn wir wüß ten, daß sie Erfolg haben. Ich wünsche ih nen sehr viel Erfolg. Und ich hoffe, sie kom men bald wieder nach Xudon und helfen mir, auch hier die Freiheit einzuführen. Der Gleiter schwebte weiter hinein. Sie sahen sich um. Eine breite Gasse der blind-
wütigen Zerstörung zog sich durch die Hal len und über die Rampen. Cembergall-Flyrt sah die durstige Gryta lange an und sagte: »Es wird niemals wieder so sein wie zu vor. Aber eines Tages werden aus deinen Werkstätten die schönsten Marmorkunst werke hervorgehen, die man je gesehen hat.« »Aber niemals wieder Kugeln mit dem Widerschein der Freiheit!« sagte sie und lä chelte. Wer weiß? dachte der Objektive. Viel leicht doch?
E N D E