Ernst-Dieter Küchenmeister
Roboter und Gespenster Weltraumabenteuer
GEBR. KNABE VERLAG WEIMAR 1980
Illustrationen u...
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Ernst-Dieter Küchenmeister
Roboter und Gespenster Weltraumabenteuer
GEBR. KNABE VERLAG WEIMAR 1980
Illustrationen und Umschlagentwurf von Werner Wagner GEBRÜDER KNABE VERLAG WEIMAR Lizenz-Nummer 360-500-2/80 – LSV 7513 Satz und Druck: Druckhaus Weimar (3540) Einband: VOB Buchbinderei Südwest Leipzig Für Leser von 10 Jahren an EVP 3,30 M Best.-Nr. 788 619 5
Das Mädchen Lat war gewiß nicht eitel. Aber heute stand sie ununterbrochen eine volle Stunde vor dem Spiegel und bewunderte ihr Gesicht. Die Kunst der Ärzte hatte die Narben, die von den Bissen der Marseidechsen auf der rechten Wange zurückgeblieben waren, diese tiefen, zerklüfteten Schrunden, vollständig verschwinden lassen. Lat war glücklich. Sie sauste die Treppe hinunter und hüpfte und sprang durch den Park des Krankenhauses, daß ihr die Eichhörnchen neidisch nachblickten. Allmählich lief sie langsamer und schritt dann erhobe-
nen Hauptes auf das Tor zu, voller Freude, daß sie ihr Gesicht nicht mehr vor den Blicken anderer verstecken mußte. Der Arzt, der dort stand, schaute ihr erstaunt entgegen und sagte lächelnd: „Ich hätte dich beinahe nicht erkannt, so selbstbewußt bist du geworden. Das ist gut so! Außerdem habe ich noch eine Überraschung für dich. Eben wurde dieses Telegramm übermittelt!“ Dabei holte er aus der Tasche seines weißen Kittels eine schmale gelbe Karte heraus und überreichte sie. Neugierig las Lat den kurzen Text: „Liebe Lat! Ich lade dich ein, während der Sommerferien gemeinsam mit den anderen eine sehr wichtige und langweilige Arbeit zu übernehmen. Wenn du zusagst, schicke ich dir sofort alle nötigen Reisepapiere! Dein Doktor Med.“ Lat war begeistert. Der Doktor Med hielt also sein Versprechen, alle die Kinder einzuladen, die im Vorjahr in der beschädigten Rakete so lange und so tapfer ausgehalten hatten. So wie damals würden sie sich bei der „langweiligen“ Aufgabe die Zeit mit spannenden Geschichten vertreiben. Schnell eilte Lat in ihr Zimmer, um Doktor Med mitzuteilen, daß sie unbedingt teilnehmen wollte. Auch die Zwillingsbrüder Kor und Kyr hatten damals unverzüglich diesem „Ferieneinsatz“ zugestimmt. Nun wunderten sie sich sehr, daß in der Rakete, mit der sie zum Mars flogen, keiner von den anderen zu finden war. Beim Mittagessen am zweiten Reisetag sprach Kor nachdenklich zu seinem Bruder: „Ich glaube, wir nehmen als einzige teil. Obwohl ich mir alle kleineren Jungen hier im Raumschiff angesehen habe, konnte ich Mat, Mot und Lit nirgends finden.“ „Ich befürchte das auch“, entgegnete Kyr, „ich habe nach den Mädchen Kra und Kri vergebens gesucht. Mich wundert nur, daß Lat nicht dabei sein will.“ In diesem Augenblick prustete seine linke Tischnachbarin los, lachte lauthals, verschluckte sich dabei, so daß ihr Kyr auf den Rücken klopfen mußte, und lachte weiter, als sie die verblüfften Gesichter der beiden Jungen sah. Dann fragte sie kichernd: „Habt ihr mich wirklich nicht erkannt?“ und freute sich im stillen, daß es so war. Kyr murmelte fassungslos: „Unwahrscheinlich. Das ist doch Lat.“
Kor erhob sich sofort und begrüßte die Reisegefährtin überschwenglich, schüttelte ihr die Hände, bis er von Kyr zur Seite geschoben wurde, der Lat umarmte. Dann fragte er: „Hast du etwa die Kleinen gesehen?“ Lat schüttelte den Kopf und meinte: „Doktor Kugelrund ist klüger als ihr denkt. Sicher hat er sie so bestellt, daß sie noch einen Ruhetag auf dem Mars haben konnten.“ Nach der Landung im Raketenhafen Mars X wurden sie von allen, wahrhaftig von allen anderen stürmisch begrüßt. Mitten in das fröhliche Geschrei rief Doktor Med: „Wir haben nicht mehr viel Zeit. Dort drüben wartet schon die Rakete, die uns zum Kleinstplaneten Pallas bringen wird. Habt ihr alle eure Sachen? Ich gehe mit Lat voran. Kor und Kyr bilden den Schluß!“ Quer über das Landefeld führte sie ihr Weg bis zur Einstiegsluke einer kleinen Verbindungsrakete, die – kaum daß alle ihre Plätze eingenommen hatten – sofort startete. Zu Beginn des Fluges wurden die Erlebnisse des vergangenen Jahres ausgetauscht. Nur der Doktor und ein älterer Mann, der die Gruppe bereits in der Kabine erwartet hatte, blieben schweigsam. Als nach zwei Stunden das Geplapper und Gelächter allmählich verstummte, rief der Doktor: „Ich möchte euch meinen alten Freund, den Kosmonauten und Automateningenieur Jork, vorstellen, der euch jetzt unsere Aufgabe erklären wird.“ Jork setzte sich so, daß ihn alle gut sehen konnten und berichtete: „Nicht immer ist eine Funkverbindung zwischen einer Rakete und der Erde möglich. Immer, wenn sich die Erde - von den Kosmonauten aus gesehen – hinter der Sonne befindet, können keine Signale aufgenommen werden. Deshalb benutzt man den Planetoiden Pallas als Basis für einen großen automatischen Sender. Dadurch, daß auf allen Seiten des Kleinstplaneten große Antennen errichtet wurden, kann er als Zwischenstation der Funkbrücke zur Erde dienen. Aber zeitweise versagt die gesamte Anlage. Viele Fachleute haben vergeblich versucht, die Ursachen dafür zu finden. Es müssen Erscheinungen sein, die von außen auf den zentralen Senderblock einwirken. Deshalb sind wir jetzt an der Reihe, wir sollen uns längere Zeit im Block aufhalten, vielleicht bemerken wir die Einwirkungen, die den Ausfall der Anlage verursachen. Dabei brauchen wir viel Geduld, doch Doktor Med
meint, ihr habt sie.“ Während er sprach, hatte er Lit, den jüngsten Teilnehmer, angesehen. Sofort rief dieser: „Wir werden solange aushalten, bis wir alles entdeckt haben! Aber wer erzählt die erste Geschichte?“ Jork lachte und antwortete: „Das hat Zeit, bis wir gelandet sind. Schnallt euch wieder an, das Landemanöver beginnt gleich!“ Als die Rakete wieder davongeflogen war und sich alle in ihren Schlafräumen eingerichtet hatten, kamen sie im zentralen Raum zusammen. Doktor Med erinnerte sie: „Wie damals in unserer beschädigten Rakete gilt auch hier die strenge Raumordnung. Wir sind keine Gäste, sondern Kosmonauten, die einen Auftrag erledigen. Waschen und turnen, Essenzeiten und Ruhepausen zum Schlafen müssen genau eingehalten werden, auch wenn wir eine Geschichte dadurch nur in mehreren Teilen hören können.“ „Das wissen wir! Wir werden alles einhalten!“ riefen die Kinder. „Darf ich anfangen?“ fragte Mot. „Einverstanden!“ meinte Jork, und Mot begann zu erzählen:
Das Gespenst im alten Turm Das war damals, als man die Nahrungsmittel noch auf winzigen Feldern gewann, viel Mühe und Schweiß aufwendete und doch nicht genug produzierte. Einige Bauern hatten das auch erkannt und sich in Genossenschaften zusammengeschlossen, doch hatten sie dabei große Schwierigkeiten zu überwinden, denn die meisten Hemmnisse befanden sich in den Köpfen der Menschen. Sie mußten erst noch die Gedanken überwinden, die sie an alte Arbeitsweisen und an das persönliche Eigentum an Vieh und Maschinen, Feldern und Gebäuden, banden. Deshalb schickte die Arbeiterklasse ihre besten Genossen aufs Land, die mit ihren Erfahrungen aus der gesellschaftlichen Produktion die Genossenschaften voranbringen und die Abwartenden durch Erfolge überzeugen sollten. Mein Sieben-mal-Ur-Großvater Karl kam damals in die Genossenschaft „Goldene Ähre“ nach Grünthal, einem
einsam im Gebirge liegenden Ort. Karl hatte in seiner Jugend auf dem winzigen Bauernhof seines Vaters hart arbeiten müssen und kannte sich gut in der Landwirtschaft aus. Deshalb überzeugte er die Bauern rasch durch seine Arbeit. Nach kurzer Zeit wurde er von allen anerkannt und geachtet. Als der Vorstand neu gewählt wurde, gehörte auch Karl dazu. Nach der Wahl saßen alle in fröhlicher Runde beisammen. Da fragte Karl besorgt: „Es wird Zeit, daß ich meine Familie nach Grünthal hole. Habt ihr eine Wohnung für mich?“ Der Vorsitzende zog die Stirn in Falten und sagte: „Da sieht es schlecht aus. Wir müßten dir erst ein Haus bauen.“ Karl lachte und meinte: „Vielleicht ein ganzes Schloß, wie das des Grafen Bärlatsch, das jetzt unser Kulturhaus ist? Doch Spaß beiseite. Mir kommt ein guter Gedanke. Zwischen dem Kulturhaus, in dem wir sitzen, und dem Gewächshaus steht doch ein alter, unbenutzter Turm. Er hat vier Stockwerke. Wenn wir Heizung hineinlegen und die notwendigen Anschlüsse, da hätte ich eine zwar ungewöhnliche, aber schöne Wohnung.“ Kaum hatte Karl das Wort „Turm“ ausgesprochen, als ein eisiges Schweigen die ganze Runde beherrschte. Verwundert schwieg Karl ebenfalls. Nach langer Zeit sagte der Vorsitzende: „Karl, du kennst mich. Hältst du mich für abergläubisch?“ „Eher das Gegenteil, meine ich!“ antwortete Karl lächelnd. „Und trotzdem“, fuhr der Vorsitzende fort, „muß ich dir sagen, daß du in dem Turm nicht wohnen kannst. Dort haust ein Gespenst. Du brauchst gar nicht so ungläubig zu gucken, ich habe es selbst gesehen. Als Junge bin ich oft im Turm gewesen, an ein Gespenst glaubte ich nie, obwohl alle davon sprachen und selbst der Graf Bärlatsch sich fürchtete und den Turm mied. Als ich eines Abends während eines Gewitters oben im Turm saß und den Blitzen zuschaute, sah ich, wie in der Turmecke ein Mann entstand. Erst schwebte ein Kopf im Raum, allmählich kam der Körper dazu. Die Erscheinung trug einen dreieckigen Hut, einen blauen Überrock und schwarze Hosen. Entschlossen ging ich darauf zu, bis ich plötzlich um mich herum nur Regenbo-
gen sah. Da bin ich ausgerissen und gerannt, so schnell ich konnte. Hier am Tisch sitzen noch drei andere, die Ähnliches erlebt haben.“
Karl war nachdenklich geworden, konnte es jedoch nicht recht glauben und fragte dann: „Hat irgendwann jemand Schaden durch diesen Geist erlitten?“ Die Männer blickten sich an. Dann sagte der älteste von ihnen, den sie Pferdepaul nannten, bedächtig: „Davon ist wahrlich nichts bekannt. Selbst mein Großvater hat das Gespenst ohne Schaden sehen können.“ „Also“, entschied sich Karl, „ich werde es versuchen und mir trotz des Gespenstes im Turm eine Wohnung ausbauen.“ Mit Hilfe seines Betriebes, der ihn nach Grünthal geschickt hatte, baute Karl im Turm Heizung, Wasserleitungen und elektrische Anschlüsse ein. Alle Räume wurden neu und hell gestrichen. Eines Tages fuhr der Möbelwagen vor, die Möbelstücke wurden hineingetragen, und dann stellte Karl seiner Frau und seiner Tochter Karla die neue Wohnung vor. Im Erdgeschoß des vier Meter breiten quadratischen Turmes begann der Treppenaufgang, links ging die Tür zur Küche ab. Im ersten Stock lag das Wohnzimmer, darüber der Schlafraum, und im obersten Geschoß bekam Karla ein eigenes Zimmer. Auf der Seite zur Treppe stand ein großer Schrank, daneben eine Sitzbank, gegenüber hatte das Bett nebst einem Regal Platz gefunden, und an dem einen Fenster stand ein kleiner Schreibtisch. Es war herrlich! Weniger schön war es in der Schule. Die Lehrer und die Mitschüler waren zwar sehr nett, Karla konnte auch ihre guten Leistungen halten, aber in Grünthal wurde nicht wie in der vorigen Schule Englisch gelehrt, sondern Französisch! Karla besuchte bereits die 8. Klasse, damit fehlten ihr genau ein und ein halbes Jahr vom Französischunterricht. Doch Karla war hartnäckig. Sie besorgte sich die Französischbücher aus der 7. und 8. Klasse, bemühte sich im Unterricht, obwohl sie kaum ein Wort verstand, setzte sich in ihr Turmstübchen und begann, Vokabeln zu lernen. Dabei lief sie mit dem Buch in der Hand durchs Zimmer und rezitierte laut ihre Lernwörter. Das ist im Französischen nicht leicht, denn die Worte werden ganz anders ausgesprochen, als sie geschrieben werden. Wieder deklamierte Karla eine Serie der fremden Wörter, als auf einmal eine freundliche
Stimme hinter ihr sagte: „Das ist bedauerlicherweise falsch, Mademoiselle!“ Dabei wurde das letzte Wort, mit dem man auf Französisch junge Mädchen ansprach, in einer so einwandfreien Betonung gesprochen, daß jeder Französischlehrer neidisch geworden wäre. Karla drehte sich um, da saß auf der Bank ein alter Mann im blauen und altmodischen Überrock, mit einem Dreispitz auf dem Kopf und erklärte: „Sie müssen viel weicher sprechen. Hören Sie genau zu!“ Dann sagte er die dreißig Wörter, die Karla heute lernen wollte, langsam und einprägsam vor und befahl: „So, nun wiederholen Sie bitte. Was heißt auf Französisch ,Tisch’?“ Karla antwortete, schon kam die nächste Frage, und ehe sie etwas anderes sagen konnte, hatte sie die Wörter im bunten Wechsel zweimal wiederholt und gelernt! Einfach wunderbar! „Ich danke schön für die Hilfe“, rief sie beglückt, „aber wer sind Sie eigentlich?“ Der Alte nahm den Hut ab, verbeugte sich formvollendet und erwiderte geheimnisvoll: „Ich bin nur ein Trugbild, oder wie die Leute hier erzählen, ein Gespenst, doch eins, was sich langweilt.“ „Entschuldigen Sie“, entgegnete Karla entschieden, „aber Gespenster gibt es nicht. Da ich Sie jedoch sehe, müssen Sie real vorhanden sein!“ Der Alte setzte den Dreispitz wieder auf, lächelte und meinte: „Sie können logisch denken, das freut mich ungemein. Deshalb werden Sie auch meine Erklärung verstehen. Doch zuvor muß ich um strengste Diskretion, Geheimhaltung, bitten, niemand darf von meiner Erklärung etwas erfahren. Versprechen Sie mir das?“ Karla überlegte lange und erwiderte schließlich: „Gut, wenn Sie nicht gegen unsere Gesetze verstoßen, dann kann ich Ihnen das fest versprechen.“ Der Alte nickte zustimmend und erläuterte: „Als der Turm im Jahre 1800 vom alten Grafen Bärlatsch gebaut wurde, war gerade ein Raumschiff aus dem Sternbild, das Sie die Plejaden nennen, auf der Erde gelandet. Man hatte festgestellt, daß man hier noch weit zurück war. Deshalb wurde heimlich ein Kristallsystem in die Turmmauer
eingebaut, das aller fünfzehn Jahre automatisch eingeschaltet wird und das dann immer aufzeichnet, wieweit eure Entwicklung gediehen ist. Solche Systeme, die immer einige Monate lang Informationen sammeln, baute man auch in anderen Gegenden der Erde versteckt ein. Hier klappte wegen einer starken Gewitterstörung die letzte Ausschaltung nicht, so daß ich seit fast fünfzehn Jahren pausenlos in Betrieb bin. Ich bin der Automat Rho 6, habe im Laufe der Zeit Französisch gelernt, weil hier anfangs oft Besucher aus Frankreich übernachteten. Ich empfange Rundfunksendungen, und wenn ich mich langweile, erscheine ich als Raumbild. Früher mußte ich Elektroenergie sparen, denn ich gewann sie nur aus den Blitzen, die den Blitzableiter hinabsausten. Jetzt hole ich mir meinen Strom aus den neuen elektrischen Leitungen, aber ich brauche nur wenig. Ich mache dir einen Vorschlag. Wir üben zusammen Französisch, du zeigst mir Seite für Seite deiner Lehrbücher und wir unterhalten uns ein bißchen. Du kannst auch du zu mir sagen. Aber niemand darf etwas von meiner Tätigkeit erfahren, sonst muß ich meinen Betrieb einstellen, das ist so programmiert.“ Karla freute sich und meinte: „Das kann interessant werden, und einen Helfer beim Vokabellernen kann man immer gebrauchen. Mit welchem Schulbuch fangen wir an?“ „Nimm zuerst die Physikbücher, auch die von den vorigen Schuljahren. Du brauchst nur zu blättern, ich kann alles blitzschnell aufnehmen. Außerdem kann ich gleichzeitig mit dir plaudern oder Französisch üben.“ Karla nahm das Physikbuch der 6. Klasse, schlug es auf, ein Regenbogen erfüllte das Zimmer und eine Stimme sagte: „Bitte schneller blättern! Und nun wiederholen wir noch einmal deine Lernwörter!“ So vergingen zwei Monate. Der Französischlehrer war des Lobes voll, wie schnell und fleißig Karla alles nachgeholt hatte und wie vorbildlich sie die Aussprache beherrschte.
Das Gespenst hatte die Schulbücher alle ,gelesen’ und studierte bereits Band III des zwölfbändigen Lexikons. Plötzlich hörte Karla Schritte auf der Treppe. Als ihr Vater das Zimmer betrat, war vom Gespenst nichts mehr zu sehen. Vater Karl wollte erst allgemein wissen, wie es Karla in Grünthal, in der Schule, im Turm, in ihrem Zimmer gefalle, bis er konkret fragte: „Hast du hier ein Gespenst bemerkt?“ „Ja“, rief Karla fröhlich, „ein sehr nettes Gespenst, doch ich habe ihm versprochen, sein Geheimnis niemandem zu verraten.“ Karl war verwundert und fragte erstaunt: „Wirklich ein Gespenst?“ „Natürlich nicht“, antwortete Karla, „es ist nichts Gefährliches oder so, aber ich habe mein Wort gegeben, deshalb frage bitte nicht weiter
und erzähle auch niemandem, daß ich den geheimnisvollen Geist gesehen habe.“ Vater Karl war einverstanden und sagte: „Wenn du keine Angst hast, bin ich beruhigt. Außerdem weiß ich, daß ich mich auf meine große Tochter verlassen kann. Deshalb habe ich für eure Klasse einen besonderen Auftrag. Wir möchten gern eine große Obstbaum-Plantage anlegen. Das gelingt uns nicht, weil die jungen Bäume immer wieder vom Feuerbrand, einer gefährlichen Pflanzenkrankheit, befallen werden. Dann müssen wir sie verbrennen. Wir haben schon überall gesucht, aber wir finden den Ausgangspunkt nicht. Es können nur noch wild wachsende Weißdornbüsche sein, von denen der Feuerbrand immer wieder übertragen wird. Aber keiner weiß, wo sie stehen könnten. Sucht einmal danach!“ Damit verließ Vater Karl das Zimmer und stampfte die Holztreppe hinab. Flugs war das Gespenst wieder da. Seitdem es die vielen Bilder im Lexikon gesehen hatte, erschien es jedesmal in anderer Kleidung. Dieses Mal kam es als Gärtner mit grüner Schürze und Strohhut. „Ich kann dir helfen“, jubelte es, „Weißdornbüsche wurden zur Gespensterbekämpfung im Teufelsbusch gepflanzt.“ „Wo ist das?“ wollte Karla wissen. „Ich kann von hier nicht weg, also kenne ich den Ort nicht. Frage doch deine Klasse danach, wenn du ihnen den Auftrag deines Vaters übermittelst.“ Das tat Karla auch, doch den Teufelsbusch kannte keiner. Da konnte die Suche lange dauern. Aber Karla war schlau. Sie richtete es so ein, daß sie an Pferdepauls Garten vorbei kam, als dieser seine Blumen goß. „Guten Tag, Vater Paul!“ rief Karla über den Gartenzaun. „Sie wissen doch alles. Deshalb bitte ich Sie, mir zu helfen.“ „Daß ich alles weiß, das ist sehr übertrieben“, meinte dieser geschmeichelt, „aber was willst du wissen?“ Karla schwindelte ein wenig und berichtete: „Ich habe in einem alten Buch gelesen, daß es in Grünthal eine Stelle geben soll, die ,Teufelsbusch’ heißt, aber keiner kann mir sagen, wo das ist.“
Vater Paul legte die Hand an die Stirn, überlegte lange und sagte dann: „Der Teufelsbusch ist auf dem Kuhberg. Aber er heißt seit mindestens sechzig Jahren ,Bienenbusch’! Der liegt in einer steilen Schlucht am Südhang des Berges, ziemlich weit oben.“ „Vielen Dank, Vater Paul!“ rief Karla und eilte davon. Als sie ihren Schulkameraden erzählte, daß wahrscheinlich im Bienenbusch auch Weißdorn zu finden sei, kannte jeder den Platz, aber an Weißdorn konnte sich keiner erinnern. Am Nachmittag des nächsten Tages zogen sie los, kletterten über Steinhaufen, zwängten sich durch Dickicht und Brennesseln und fanden die gesuchten Büsche! Am Abend legte Karla ihrem Vater Weißdornzweige als Ergebnis ihrer Expedition auf den Tisch. Das Gespenst erschien in Eisenbahneruniform und fragte neugierig: „Hast du Weißdorn gefunden?“ „Ganz genau“, rief Karla, „wir haben tüchtig suchen müssen, aber dein Hinweis war sehr gut. Morgen fährt ein Traktor hinauf und wird die Büsche herausreißen. Dann werden sie alle verbrannt, damit die Krankheitserreger vernichtet werden.“ „Das ist richtig“, sagte Rho 6, „aber habt ihr auch überlegt, was ihr anstelle der Weißdornbüsche anpflanzen wollt?“ Daran hatte Karla überhaupt nicht gedacht. Ratlos fragte sie: „Kannst du mir nicht einen Tip geben? Ich verstehe nicht viel davon.“ Das Gespenst verschwand und erschien in der Gestalt eines Oberförsters wieder, um den sogar ein Dackel herumrannte. Dazu deklamierte Rho 6 mit schallender Stimme: „Bevor die abergläubischen Leute Weißdorn pflanzten, standen im Teufelsbusch wunderbare Aprikosenbäume. Das Klima in der windgeschützten Bergschlucht ist gerade richtig. Die könntet ihr im Frühjahr wieder anpflanzen und schöne Ernten erzielen.“ „Gut, daß wir bis dahin noch Zeit haben, denn wir müssen uns die geeigneten Setzlinge erst beschaffen. Ich werde unseren Biologielehrer um Rat fragen.“ Aber dieser hatte ernsthafte Bedenken und meinte: „Der Gedanke ist gut, sehr gut sogar. Das Klima müßte geeignet sein. Doch junge Bäu-
me müssen im ersten Vierteljahr gut gegossen werden. Ihr könnt nicht jeden Tag das nötige Wasser auf den Kuhberg schleppen!“ Im Turmzimmer verkündete Karla: „Hallo, Rho 6! Wir können leider die Aprikosen nicht pflanzen, weil wir dort oben kein Wasser zum Gießen haben.“ Das Gespenst erschien im dunklen Anzug, trug einen schwarzen Zylinderhut und sah sehr komisch aus, wie es im Zimmer bedächtig hin und her schritt. Karla lachte lauthals, bis Rho 6 vorwurfsvoll sagte: „Du lachst, während ich mich bemühe, mich an den Brunnen auf dem Kuhberg zu erinnern.“ Karla verbiß sich das Lachen und antwortete mit ernster Miene: „Wir haben bei unserer Suche keinen Brunnen gefunden.“ „Das weiß ich. Aber in dieser Kleidung, die ich jetzt trage, hat der damalige Graf Bärlatsch angeordnet, den Brunnen der Bauern mit Steinen zuzuschütten, weil sich sein Pferd dort ein Bein gebrochen hatte. Ihr müßt irgendwo eine größere Menge Steine gefunden haben.“ „Ja!“ schrie Karla. „In der Mitte der Schlucht liegt ein ganz großer Steinhaufen!“ Daraufhin erschien Rho 6 im Taucheranzug und brummelte unter dem Helm hervor: „Darunter liegt der Brunnen. Erst zugedeckt, dann viele Fuhren Steine daraufgeschüttet. So war es!“ Karla erzählte ihrem Vater, daß auf dem Kuhberg ein Brunnen verborgen sei. Karl war sehr interessiert und meinte: „Unsere Genossenschaft braucht da oben auch sehr viel Wasser, denn dort sollen Weiden für das Jungvieh entstehen. Wir haben schon den Bau einer langen Wasserleitung beschlossen, aber ein Brunnen mit elektrischer Pumpe ist viel billiger und besser vor Frost zu schützen. Woher weißt du von dem Brunnen?“ Karla druckste herum und sagte leise: „Ich habe doch versprochen, niemanden etwas zu sagen.“ „Ist schon in Ordnung“, beruhigte sie der Vater, „am Sonntag gehen wir beide auf den Kuhberg und suchen den Brunnen. Ich möchte mich gern selbst überzeugen.“
In den Morgenstunden des Sonntags stiegen sie hinauf zum Steinhaufen, warfen Stein um Stein zur Seite, bis sie nach einer Stunde auf
eine große Steinplatte stießen. Als sie diese vollständig freigelegt hatten, nahm Vater Karl einen starken Ast und drückte die Platte zur Seite, bis eine schmale Öffnung entstanden war. Vater und Tochter blickten hinein, sahen jedoch nichts. Karla nahm einen Stein und ließ ihn hineinfallen. Deutlich hörten sie es platschen. Sie hatten den Brunnen wirklich gefunden! Vater Karl zog eine Rolle mit Bindfaden aus der Tasche, befestigte einen Stein am freien Ende und ließ den Strick langsam in die Tiefe. Als keine Schnur mehr abrollte, mußte Karla helfen. Sie sollte mit einem fünfzig Zentimeter langen Stab die Länge des abgelaufenen Bindfadens messen, den Vater Karl wieder aus dem Brunnen herauszog. Sie zählte laut mit und als sie „34“ rief, fühlte sie, daß das nächste Stück der Schnur naß war. Aufgeregt schrie sie: „Der Brunnen ist siebzehn Meter tief!“ „Richtig“, antwortete ihr Vater, „aber miß auch noch die Länge des nassen Fadens.“ Das waren erneut zehn Meßlängen, der Brunnen war also fünf Meter tief mit Wasser gefüllt. Vater Karl meinte freudig: „Das wird in der nächsten Vorstandssitzung eine tolle Überraschung geben!“ Im Winter wurde die elektrische Leitung gezogen, im Frühjahr die Aprikosenbäume gepflanzt. Wasser zum Gießen und für die Tränke war immer ausreichend vorhanden. Der Automat Rho 6 mußte – seinem Programm entsprechend - auch Informationen über Veränderungen in der Landschaft der Umgebung sammeln. Das tat er von der Spitze des Blitzableiters aus, die dabei einen leuchtenden grünen, flackernden Saum bekam. Nun gab es aber in Grünthal den Schneider Schummel, der sich selbst als Hexen- und Teufelsaustreiber bezeichnete. Er hatte eine Gruppe von Leuten um sich, die alles Neue, was in Grünthal eingeführt worden war, als Teufelswerk bezeichnete: Traktoren und moderne Viehställe, die neue Schule und den Französischunterricht, die Schutzimpfungen, die künstliche Düngung und die gesamte Genossenschaft – alles sei Teufelszeug, und der Vorstand bestehe aus Dienern des Teufels. Die meisten Einwohner lachten Schummel und seine Anhänger aus, aber trotzdem bekämpfte er mit „heiligen Büchern“ und Kreuzen, mit Gesängen und brüllenden Beschwörungen den „Teufel“, wo er nur konnte. Neu-
erdings hatte er einige Anhänger gewonnen, weil er behauptete, Karls Wohnung im Gespensterturm sei der Beweis, daß Teufelskräfte im Spiel seien, denn sonst hätte das Gespenst alle aus dem Turm vertrieben. Dazu zeigte er seinen „Gläubigen“ als sichtbaren Beweis noch das grüne Leuchten der Turmspitze. Einmal hatten sogar zwölf Leute das gespenstische Leuchten der Regenbogenfarben an Karlas Fenster gesehen, als Rho 6 gerade den letzten Band des Lexikons las. Nicht alle glaubten Schummels Beweisen, aber ganz geheuer erschien ihnen die Sache auch nicht. Niemand hatte etwas von dieser Entwicklung bemerkt. Erst als Karla einige aus ihrer Lernbrigade zum Geburtstag einladen wollte, da endlich sagte Frank: „Sei uns nicht böse, aber wir können alle nicht kommen. Wir hätten dir früher die Wahrheit sagen sollen, aber wir wollten dir nicht weh tun. Das war falsch, weil man sich vor Entscheidungen nicht drücken kann.“ Dann erzählte er die ganze Teufelsgeschichte.
Traudel fügte begütigend hinzu: „Deshalb dürfen wir euch im Turm nicht besuchen, unsere Eltern verbieten das. Nicht, daß sie an den Schwindel glauben. Aber bei uns im Dorf ist es so: ,Die Familie ist ins Gerede gekommen, halte dich fern, sonst redet man auch über dich!’ Wir haben uns bemüht, dir in der Schule unser Vertrauen zu zeigen, aber auf Ärger mit unseren Eltern wollen wir es nicht ankommen lassen.“ „Ach was“, rief Frank, „ich bin nicht mehr so feige. Ich werde heute abend meinen Eltern sagen, daß mich das Gerede nicht kümmert! Selbst wenn es Sturm und Donnerwetter gibt.“ Die anderen schwiegen. Karla sagte leise zu Frank: „Ich danke dir. Ich werde deine Hilfe brauchen!“ Als sie zu Hause im Turmzimmer war, konnte sie sich nicht mehr beherrschen und weinte vor Wut und Enttäuschung. Rho 6 erschien im Trainingsanzug und fragte verwundert: „So kenn ich dich nicht wieder! Was ist denn geschehen?“ Schluchzend erzählte Karla alles. Das Gespenst sprach entsetzt: „Du darfst durch mich keinen Schaden erleiden. Ich muß dir helfen. Aber wie? Überlege es dir!“ Dabei wandelte es seinen Anzug und erschien in einer silbernen Ritterrüstung. Da hatte Karla einen herrlichen Gedanken und fragte hastig: „Kannst du solche Gestalten auch auf dem Dach des Turmes erscheinen lassen? Kannst du auch zwei Gestalten darstellen? Kannst du jede Gestalt annehmen?“ Rho 6 verwandelte sich in einen Oberkellner und schnarrte ebenso schnell mit Verbeugung: „Erstens, ja! Zweitens, ja! Drittens, ja! Kann dir das helfen?“ „Unbedingt, ich muß nur noch Vorbereitungen treffen! Ich komme gleich wieder!“ Rho 6 nickte zustimmend und nahm die Gestalt des Europameisters im Schwergewichtsboxen an. Schließlich las er jeden Tag Zeitung. Frank, der zum Fotozirkel der Schule gehörte, war sofort bereit, Schneider Schummel mehrmals heimlich zu fotografieren, die Bilder schnell zu entwickeln und Karla zu bringen. Die Büchereileiterin suchte mit Karla in alten Büchern, bis sie eine Zeichnung mit einem
greulichen Teufel fanden. Das Buch nahm Karla mit. Zu Hause zeichnete sie eine Bilderserie mit kleinen Strichmännchen, die dem Automaten Rho 6 den Ablauf der gewünschten Handlung zeigen sollten. Im farbbeklecksten Kittel, als Kunstmaler, sah das Gespenst ernsthaft die Zeichnungen an. Als dann Frank die Fotos brachte, bedankte sich Karla und bat: „Könntest du dafür sorgen, daß man im ganzen Dorf erzählt, daß es morgen abend auf dem Turm wieder spukt?“ Frank schaute sie verblüfft an und meinte: „Das ist nicht schwer. Wenn ich nachher in den Konsum gehe, erzähle ich es einer von den Klatschtanten unseres Dorfes. Spätestens morgen mittag weiß es jeder Einwohner. Spukt es auch wirklich?“ „Es wird einen gewaltigen und dazu lustigen Spuk geben! Das mußt du dir auch ansehen.“ „Ganz bestimmt! Ich bin dabei!“ Seit den frühen Morgenstunden wurde in Grünthal getuschelt und gewispert. Sogar Karlas Mutter vernahm zum ersten Mal von den Spukgeschichten und kam besorgt zu ihr. „Keine Sorge“, wurde sie von Karla beruhigt, „ab morgen ist Schluß mit dem Gespensterklatsch. Genau 20.30 Uhr beginnt die Vorstellung, sieh zu, daß du vor dem Turm einen guten Platz findest, von dem aus du alles sehen kannst.“ Ganz beruhigt war die Mutter nicht, aber Vater Karl überzeugte sie davon, mit ihm gemeinsam die geheimnisvolle Veranstaltung anzusehen und sich keine Sorgen zu machen. Ein wenig half auch Karlas Lachen dazu, das man aus dem Turmzimmer hörte, wo sie sich gerade von Rho 6 vorführen ließ, was am Abend ablaufen sollte. Mit Beginn der Dämmerung hatten sehr viele Leute „zufällig“ im Kulturhaus, im Gewächshaus und in der Nähe des Turmes irgend etwas zu tun. Karl schätzte, daß mehr als neun Zehntel der Grünthaler Einwohner versammelt waren, manche aus Aberglauben, einige, weil sie am „Tatort“ die Gespensterfurcht bekämpfen wollten. Natürlich war auch Schneider Schummel mit seinen Getreuen dabei, die eine Menge Bücher und Geräte zur Teufelsaustreibung trugen. Pünktlich 20.30 Uhr hüllte sich die Turmspitze in ein dichtes grünes Leuchten ein, das allmählich verschwand und einen schaurigen Teufel sehen
ließ, der auf dem Dach saß. Neben ihm aber hatte der Teufelsaustreiber Schummel bequem Platz genommen! Die beiden umarmten sich, schüttelten sich freundlich die Hände und tranken abwechselnd aus einer dunkelrot leuchtenden Flasche. Danach schienen sie sich zu streiten, bis der Schneider vor dem „Teufel“ niederkniete, doch dieser gab ihm einen Tritt, daß er sich in der Luft überschlug. Sein Bild wurde immer kleiner und verblaßte in der Luft. Der Teufel nahm den Kopf mit den Hörnern ab, darunter erschien ein lachendes Menschengesicht, das Gesicht Karlas. Schon von Beginn der Vorstellung an hatten die Umstehenden herzlich gelacht, doch jetzt umbrauste ein donnerndes Gelächter den Schneider Schummel, der seine Anhänger und seine Gerätschaften im Stich ließ und davonrannte. Vom Teufel sprach er zeit seines Lebens nicht mehr. Im Dorf glaubte keiner, kein einziger noch an Gespenster. Viele wollten wissen, wie Karla die Bilder erzeugt hatte, doch sie verriet nichts, obwohl Rho 6 nicht mehr vorhanden war. Er hatte sich im Anzug eines Raumfahrers von Karla verabschiedet und ihr gesagt: „Alle meine Aufzeichnungen wurden vom Zentrum übernommen, so wichtig waren sie. Ich danke dir für deine Hilfe. Wir sehen uns vielleicht in fünfzehn Jahren wie der, denn morgen beginnt die Schaltpause, und dieses Mal wird die Abschaltung nicht versagen.“ Karla hat ihr Gespenst nie wieder gesehen. Als sie nach dem Studium als Agronom nach Grünthal zurückkehrte, stand dort eine Reihe moderner Wohnblöcke. Der Turm war abgerissen worden. Seine Steine steckten im Fundament eines sechsgeschossigen Hauses. Von einem Kristallsystem hatte leider niemand etwas bemerkt. Jork klatschte gemeinsam mit den anderen stürmisch Beifall und sagte dann nachdenklich: „Eine gute Geschichte, die uns beweist, daß ein Mensch, der viel weiß und viel kann, sich nie zu fürchten braucht und auch unter widrigen Umständen einen Ausweg findet. Doch jetzt müssen wir uns beeilen, in dreiundzwanzig Minuten ist Nachtruhe!“
Mat saß beim Frühstück neben Kra. Erst druckste er einige Male herum, dann flüsterte er seiner Nachbarin hastig zu: „Du kannst mich auslachen, aber ich habe auch so ein Gespenst gesehen, wie es bei Karla war! Hier in der Station! Kurz vor der Nachtruhe! Auf dem Sicherheitsbildschirm über der vierten Tür, der eigentlich den nächsten
Gangabschnitt zeigen soll, erschien plötzlich ein Kosmonaut, ein fremder Kosmonaut!“ Ehe Kra antworten konnte, erhob sich Jork von seinem Platz und verkündete: „Liebe Freunde, unsere Arbeit beginnt. Gestern abend ist unser Sender erneut für zwanzig Minuten ausgefallen. Hat jemand etwas Besonderes bemerkt?“ Schweigend überlegten alle. Schließlich meinte Kra: „Ich denke doch, Mat muß uns eine unglaubliche Sache berichten, die sicher bedeutungsvoll ist.“ Damit hatte sie Mat den Mut gegeben, allen von seinem Gespenst zu erzählen. Mit hochrotem Kopf erläuterte er: „Gestern abend habe ich auch ein Karla-Gespenst gesehen!“ Mot und Lit wollten lachen, doch Jork warf ihnen einen strengen Blick zu, der sie verstummen ließ. Mat sprach weiter: „Ich war im 3. Gangabschnitt. Der Kontrollbildschirm für den nächsten Sektor zeigte kein Bild. Da dachte ich, Lat hält die Hand vor die Aufnahmekamera und winkte deshalb mehrmals in Richtung der Kamera auf meiner Seite. Doch als ich den Durchgang passiert hatte, fand ich niemand im 4. Abschnitt. Das Fernbild über der Tür zeigte aber nicht den Teil der Station, aus dem ich gekommen war, sondern einen engen dunklen Gang. Außerdem sah ich einen fremden Kosmonauten in einem roten Raumanzug, der angestrengt zu mir herschaute, ohne mich jedoch zu sehen. Ich vermute, er hat mich nur beobachten können, als ich auf der anderen Seite gewinkt habe. Mit einem Male war dann das Bild verschwunden. Es erschien wieder das Bild des 3. Gangabschnittes, statt des Kosmonauten sah ich Lit und Mot.“ Jork faßte zusammen: „Ein Gespenst war das sicher nicht. Unsere Fernsehaufnahmekamera hat irgendwie ferne Signale aufgefangen, die Kamera auf der anderen Seite hat diese abgestrahlt. Kra hat recht. Das könnte zu der geheimnisvollen Störung gehören. Wir setzen uns von nun an in den Gang, vielleicht wiederholt sich die Erscheinung. Doktor Med nimmt mit den drei Großen Platz auf der Seite mit dem Gespensterbild. Unsere kleineren Kosmonauten kommen mit mir auf die Seite der Aufnahmekamera. Wir können trotzdem unsere Geschichten erzählen, die Lautsprecheranlage gewährleistet, daß alle hören, was ich jetzt erzähle.“
Die einsamen Teddybären Das erlebte ich kurze Zeit, bevor ich meine zweijährige Dienstzeit im Bereich der Planetoiden beendete. Auf den größeren dieser Kleinstplaneten befinden sich Sender, die fortwährend Funksignale abstrahlen, um alle Raketen vor einem Zusammenstoß zu warnen. Wenn ich bemerkte, daß ein Warnsender nicht mehr in Ordnung war, landete ich und reparierte ihn. Am Ende des neunten Arbeitstages sprach ich gerade mit der Basis auf dem Mars, um mir einen geeigneten Planetoiden zum Landen zuweisen zu lassen, auf dem ich die Ruhezeit verbringen konnte, als die Verbindung plötzlich abbrach. Ungeduldig rief ich wiederholt: „Basis, bitte melden! Bitte melden!“ und vernahm als Antwort nur meine eigene Stimme: „Bitte melden!“ Ich wußte sofort, was das bedeutete: Meine Rakete war in einen der gefürchteten elektromagnetischen Wirbel geraten, der jede Funkverbindung verhinderte und die Steuergeräte so zerstörte, daß die Raketen nur noch in sinnlosen Kurven durch den Weltraum rasten. Den jüngeren unter euch erscheint das unmöglich. Ihr kennt doch die Dynamomaschine? Die Drehung des Antriebsrades erzeugt dort ein wechselndes Magnetfeld. Dieses Feld wirkt auf eine Drahtspule ein und läßt in ihr elektrischen Strom entstehen, den wir dann zum Beleuchten oder zum Erwärmen benutzen. Von einem elektromagnetischen Feld im Raum werden die Funkwellen verschluckt. Da es außerdem fortwährend seine Stärke ändert, wird dadurch die Metallhülle der Rakete in einen riesigen Elektromagneten verwandelt, der auf alle Drähte innerhalb des Raumschiffes einwirkt. Wie in der Dynamomaschine entstehen nun in allen diesen Drähten und Verbindungen starke elektrische Ströme. Dabei erhitzen sich die Kabel und die Schaltelemente. Die feinen Drähtchen und Spulen werden so heiß, daß sie verbrennen. Das hat zur Folge, daß alle Schaltkreise zerstört werden. Innerhalb von dreißig Sekunden war so die gesamte Steuerung der Rakete ausgefallen. Ich schaltete schnell auf Handsteuerung um und versuchte, über die optische Spiegelröhre zu erkennen, wohin ich flog. Mit einem Male sah ich einen hellen Fleck, der immer größer wurde.
Ich näherte mich einem Planetoiden, dem ich rasch entgegenstürzte, denn die Steuerung der Bremsdüsen funktionierte natürlich auch nicht mehr. Nun nahm die Oberfläche des Kleinstplaneten schon das gesamte Blickfeld ein. Ich suchte einen Landeplatz und sah plötzlich, daß mir eine riesige Rakete keinen Raum für eine Landung ließ. Da krachte und splitterte es schon und ich verlor das Bewußtsein. Als ich erwachte, lag ich angeschnallt auf einer Krankentrage und mußte an meinem Verstand zweifeln, denn sechs große Teddybären standen oder saßen um mich herum. Sie trugen elegante hellgraue Anzüge aus schmutzfester Kunstfaser, weiße Hemden und eine schwarze Halsschleife. An den Armen und am Kopf war das Fell zu sehen. Es hatte bei jedem eine andere Farbe. Auch ich war mit einem modernen grauen Anzug bekleidet, nur die Schleife fehlte. Dafür hatte ich am Kinn ein kleines und auf der Stirn ein großes Pflaster. Mein linker Arm war kunstgerecht verbunden. Die Teddys blickten mich mit schräggestellten Köpfen aufmerksam an. Einer, mit weißem Fell, der gleich neben mir saß, sagte mit tiefer Stimme: „Wir begrüßen unseren ersten Besucher und heißen dich in unserer Mitte herzlich willkommen!“ Dazu verbeugten sich alle Bären und nickten mir zu. Ich wußte nicht, wie ich mir die merkwürdige Gesellschaft erklären sollte. Träumte ich gar? Doch der Weiße sprach weiter: „Ich möchte uns vorstellen. Ich heiße Tym und bin Spezialist für Erste Hilfe. Neben mir steht unser braunfelliger Tum, der dir das Essen bereiten wird. Der nächste, mit dem blauen Fell, ist Tom, unser Techniker, der dich aus den Trümmern deiner Rakete befreite.“ „Dafür danke ich herzlich!“ unterbrach ich die Rede. „Bitte, bitte, bitte, gern geschehen!“ brummte die Teddymenge. Nun erklärte ein gelber Bär: „Ich bin Tem, zuständig für Astronomie. Neben mir, rotfellig, steht Tim, einst ein ausgezeichneter Funktechniker und Elektrospezialist. Mein anderer Nachbar ist der graue Tarn, ein wirklich hervorragender Mathematiker.“ Zu diesen Worten legte Tarn die Arme über den Bauch, hob den Kopf und befahl: „Nun möchten wir von dir wissen, wer du bist und was du kannst!“
Ich träumte nicht. Die Teddys waren Wirklichkeit, alle sechs mit ihren verschiedenen Farben und den hellgrauen Anzügen. Also antwortete ich: „Ich heiße Jork und bin Pilot im Patrouillendienst. Ich habe außerdem die Qualifikation als Automateningenieur.“ Da brach mit einem Male ein Tumult los. Die stehenden Teddys tanzten um mich herum und wackelten mit den Nasen. Die beiden sitzenden Bären schlenkerten die Arme auf und ab, nickten mit den Köpfen und wedelten mit den Ohren. Alle schrien durcheinander: „Wunderbar! Wir sind gerettet. Ein Helfer für uns, nur für uns. Ist das schön! Wir werden wieder funktionieren! Jork kann uns helfen, kann uns immer helfen!“ Leider dachte ich zu wenig über die Ausrufe nach. Als sich der Trubel endlich gelegt hatte, fragte ich: „Ist es nötig, daß ich immer noch angeschnallt liege?“ Tym schaute mich nachdenklich an, legte die Tatze neben die Nase und erklärte: „Ich habe nur die Vorschrift für die Erste Hilfe eingehalten. Aber wenn der Patient kräftig genug ist, darf er aufstehen. Das darfst du, denn wir brauchen dich dringend. Tam und ich, wir können nicht mehr laufen, bei den anderen bewegen sich die Arme nicht mehr richtig oder sie können nicht mehr mit beiden Augen sehen. Du mußt uns helfen!“ Während der Rede hatte er die Gurte gelöst, ich erhob mich, spürte einen leichten Schmerz im linken Arm, aber ich fühlte mich wohl. Ich wurde zu einem Tisch geführt. Dort nahmen wir Platz. Tam und Tym wurden mit ihrem Stuhl zum Tisch getragen. Tum kam mit großen Schüsseln und servierte mir eine Mahlzeit, die für zwölf Personen noch reichlich gewesen wäre. Während ich aß, erzählte mir Tam, wie die Bären hierher geraten waren. Für die große Weltausstellung hatten die Produktionsstätten auf dem Mars eine besonders originelle Form gewählt. Sechs als Teddybären eingekleidete Automaten sollten die Ausstellungsstücke erläutern und die Besucher betreuen. Die große automatische Lastrakete mit den Teddys und den Ausstellungsstücken geriet in den gleichen Magnetwirbel wie ich und landete dann auf diesem Planetoiden. Es war damals sehr viel über die verschwundene Ausstellungsrakete geschrieben worden, aber von Teddybären hatte niemand berichtet. Diese hatten die Rakete geöffnet, die unbrauchbar gewordenen Geräte aus dem Steuerraum entfernt und die
Luftversorgung betriebsbereit gehalten, weil sie drei Jahre lang auf einen Ausstellungsbesucher gewartet hatten. Jede Woche versorgten sie sich am Hauptreaktor mit Elektroenergie, obwohl verschiedene ihrer Funktionen ausgefallen waren. Tim, der Funktechniker, hatte sogar das Gedächtnis verloren.
Tum verbeugte sich immer wieder vor mir und forderte mich auf, ich sollte noch etwas essen, aber ich hatte schon viel zu viel zu mir genommen. Immer wieder nötigte er mich und es dauerte lange, bis ich ihm beigebracht hatte, daß er nur in der Ausstellung große Mengen hätte zubereiten müssen und daß er für mich wesentlich weniger brauchte. Das schien ihm gar nicht zu gefallen. Danach löste sich die Runde auf. Tarn und Tym wurden wieder mitsamt Stuhl an ein Tischchen mit einem Schachspiel getragen und setzten die angefangene Partie fort. Tem ging durch die Luftschleuse nach außen. Dort stand das große Ausstellungsfernrohr, mit dem er den Sternenhimmel kontrollierte, ob er auch wirklich so aussah, wie es sein Wissensspeicher angab. Tim saß hoch oben auf einer Verstrebung und ließ einen ferngesteuerten Spielzeug-Planetenerkunder durch die Rakete fahren. Tum und Tom spielten in einer Ecke auf einer kleinen Platte Tischtennis, nur selten verfehlten sie einen Ball. Ich kam mir ziemlich überflüssig vor und besichtigte die Rakete. Die anschließende kleine Werkstatt war sauber aufgeräumt und enthielt alle Werkzeuge, die man sich denken konnte. Im nächsten Raum war es sehr kalt, denn die Vorräte wurden im Kühlraum aufbewahrt. Die gleiche Temperatur herrschte auch im Laderaum, dessen düstere, riesige Halle mit Kisten und Maschinen angefüllt war. Auch die Antriebsanlage im Heck war vollständig in Ordnung, nur die Steueranlage war unbrauchbar geworden. Die nächsten Tage verbrachte ich mit der Reparatur der Automatenteddys. Festgelaufene Lager und Achsen mußten beweglich gemacht werden. Abgebrochene Schrauben und verbogene Wellen waren zu ersetzen. Die Landung der Lastrakete schien sehr hart gewesen zu sein. Außerdem mußte ich eine große Anzahl von Kontakten säubern und die Blöcke der Speicher wieder fest aneinanderstecken. Bei der Reparatur half mir Tom, der Techniker, ganz eifrig. Ihn hatte ich zuerst wieder funktionsfähig werden lassen, denn die unbekannten Konstruktionen bereiteten mir doch Kopfzerbrechen. Aber Tom hatte sehr gute theoretische Kenntnisse und kannte die Schaltpläne ganz genau. Um den Automaten Tim wieder voll in Gang zu bringen, brauchte ich sein vollständiges Funktionsschema. Das zeichnete ich mit Toms
Hilfe. Bei der Arbeit schob er mir öfter sein blaues Schnäuzchen über die Schulter und korrigierte, wenn ich einen Fehler machte oder irgend etwas nicht wußte. Als ich die Reparaturplanung beendete, dankte ich Tom. Dabei hatte ich das Gefühl, der Automat Tom sei glücklich von mir weggegangen. Tym, der Mediziner, wurde mir allmählich lästig. Aller zwei Stunden kam er angewackelt und wollte meinen Armverband erneuern. Wenn ich ihm das nicht erlaubte, schien es mir, als ginge er traurig davon. Aber Automaten können doch nicht glücklich oder traurig sein! Wenn ich aß, versuchte Tum, mir noch weitere Speisen anzubieten. Gleichzeitig saß der „astronomische“ Tem neben mir und hielt Vorträge über sämtliche Planeten unseres Sonnensystems und über die Bestimmung eines Ortes im Weltraum. Dabei konnte er aus der Nasenspitze – einem Bildwerfer gleich – Sternkarten an der Wand entstehen lassen. Trieb ich meinen Frühsport, strampelte auch der Mathematiker Tarn mit und erzählte, daß der Sauerstoff noch für 120 Jahre oder 43 840 Tage oder 1 052 160 Stunden ausreiche, daß Lebensmittel für mich für 88 888 Tage oder rund 243 Jahre vorhanden seien und daß außerhalb des Raumschiffes die Schwerkraft nur 0,0001995 Prozent der Kraft der Erde betrage. Als ich den rotfelligen Tim reparierte, standen Tom und Tarn hinter mir und redeten ununterbrochen rein. Tom hatte die durchgebrannten Drähte durch neue zu ersetzen, mußte neue Spulen einlöten und abgeplatzte Kontakte festschrauben. Tarn hatte zuvor die Leitfähigkeiten der neuen Drähte berechnet und kontrollierte sie nach dem Löten exakt nach. Ich hatte nur noch die richtigen Aufträge zu erteilen. Kaum war Tim wieder intakt, begann er mir das Verhalten von Funkwellen und Schaltkreisen in elektromagnetischen Wirbeln zu erläutern. Soweit sich die Bären nicht mit mir beschäftigten, spielten sie. Dabei hatten sie eine unwahrscheinliche Ausdauer. Natürlich brauchten die Teddy-Automaten keine Nachtruhe, wie ich sie als Mensch benötigte. Aber ich hatte festgelegt, daß sich alle bei mir versammelten, ehe ich mich schlafen legte. Tum ließ mich dann das Essen für den
nächsten Tag auswählen. Tarn erhielt den Befehl, mich pünktlich zu wecken und Tym durfte den Verband wechseln. Als nun endlich alle repariert waren, sagte ich zur abendlichen Zusammenkunft: „Jetzt funktioniert ihr alle wieder, nun müßt ihr mir helfen, von hier wegzukommen.“ Ein ärgerliches Brummen unterbrach meine Rede. Entrüstet rief Tarn: „Jork, du denkst unlogisch. Wer soll uns reparieren, wenn du nicht mehr hier bist? Die Wahrscheinlichkeit, daß erneut jemand bei uns landet, ist gering. Die Wahrscheinlichkeit, daß wieder ein Automateningenieur kommt, ist gleich Null.“ Entsetzt schrie ich: „Ihr könnt mich doch nicht allein hier lassen!“ Darauf antwortete Tim: „Wieder unlogisch. Du hast doch uns. Also bist du nicht allein.“ Geduldig beschwor ich sie: „Aber ich nehme euch doch alle mit!“ Techniker Tom schüttelte würdevoll den Kopf und meinte: „Uns gefällt es hier. Warum sollen wir von hier weg?“ Kopfschüttelnd verließen mich die sechs Teddys. Ich konnte nicht einschlafen. Mit diesen Automaten und ihren Wissensspeichern hätte ich mich sicher retten können. Warum hatte ich mir nicht mehr Zeit mit der Reparatur gelassen? Dabei wäre es mir möglich gewesen, die Schaltungen der Bären unauffällig zu ändern. Aber dafür war es zu spät. Mitleid konnte ich von den Teddys nicht erwarten, Automaten haben keine Gefühle. Doch als Mensch mußte ich ihnen überlegen sein, also mußte es auch eine Möglichkeit geben, sie zu beeinflussen. Aber welche? Vielleicht sollte ich die Eitelkeit der Bären ausnutzen? Sie wollten mir doch immer wieder ihr Fachgebiet vorführen, sie waren doch so stolz auf ihre Kenntnisse! Damit könnte ich sie an meiner Rettung interessieren. Als mir Tarn am nächsten Tag seine neuesten Berechnungen mitteilen wollte, winkte ich ab und sagte: „Das interessiert mich nicht. Hier ist doch keine Ausstellung, wo du Vorträge halten kannst.“ Dann ging ich weg und ließ ihn verblüfft und ratlos stehen, lief aber Tem in die Arme, der mich fragte: „Möchtest du etwas über Kometen erfahren? Die Kometen…“
„Nein“, entgegnete ich ihm, „hier ist keine Ausstellung.“ Tem war hartnäckig und sagte: „Ich weiß aber viele Dinge, von denen du bestimmt noch nichts gehört hast.“ „Nein“, antwortete ich energisch, „ich will nichts hören! Ich bin keine Ausstellung!“ Er gab noch nicht auf und fragte: „Warum denn nicht? Ich kann von allen Monden berichten und…“
„Nein!“ unterbrach ich ihn und setzte hinzu: „Auf der Erde, zur Ausstellung, da hättest du viele Zuhörer, aber hier nicht.“ Sichtlich enttäuscht ließ er die Ohren hängen und trottete davon. Ähnliche Gespräche führte ich mit den anderen. Tym durfte mir nicht einmal den Arm verbinden, das tat ich selbst. Von Tums Speisen aß ich nur sehr wenig, außerdem wurde ich von dem vielen Essen schon dick. Ich ging den Teddys möglichst aus dem Weg, um nicht mit ihnen reden zu müssen. Das war bald nicht schwer, denn sie verschwanden allmählich in den Räumen der Rakete. Der „Große Bär“ mochte wissen, was sie da trieben. Nur abends erschienen sie folgsam bei mir. Einige Tage später wollte ich mir ein Buch aus dem Laderaum holen, doch ehe ich die Bücherkiste erreichte, hörte ich plötzlich eine Stimme. Tum stand vor einem Zuckersack und bot ihm verschiedene Speisenfolgen an. Mit höflicher Geduld erneuerte er unermüdlich seine Angebote. Unbemerkt entfernte ich mich, da hörte ich, wie Tom vor einer großen Maschine stand und mit lauter Stimme den Wänden der Rakete die Arbeitsweise und die Verwendungsmöglichkeiten der Apparatur erklärte. Leise schritt ich weiter, ohne daß mich Tim bemerkte, der einer hohen Kiste die Vorteile des neuen Funkmeßverfahrens erläuterte. In einer dunklen Ecke erschienen pausenlos die Bilder an der Raketenwand, die Tem mit seinem Nasen-Bildwerfer erzeugte. Sie dienten als Grundlage für einen Vortrag, den der Bär zwei Waschautomaten hielt. Vorsichtig, um nicht entdeckt zu werden, schlich ich weiter. Beinahe hätte mich Tym gesehen, der einem kleinen Bagger eine Menge Verbände angelegt hatte und nun mürrisch die verbrauchten Binden wieder zusammenrollte. Als ich rückwärts auswich, stieß ich mit Tarn zusammen, der mit ausgestreckten Daumen die Höhe, Breite und Länge aller Kisten ausmaß. Schnell lief ich ihm davon. Mein Plan war richtig. Die Teddys hatten sich an den Menschen und an eine sinnvolle Tätigkeit gewöhnt und vermißten die Gespräche mit mir. Deshalb wartete ich ab und war gar nicht überrascht, als mich eines Abends Tum ausfragte: „Sind auf der Erde oft Ausstellungen?“ Alle Teddys hatten die Ohren zu mir gedreht und erwarteten meine Antwort. Deshalb entgegnete ich nur kurz: „Ja!“ Er fragte weiter: „Werden dort Erklärer gebraucht?“
„Ja!“ „Kommen viele Menschen dorthin?“ „Ja!“ „Sehr viele?“ „Ja!“ Jetzt mischte sich Tarn ein und wollte wissen: „Kommen mehr als tausend Menschen?“ „Hunderttausend!“ sagte ich. Da rief Tarn ganz laut: „Also müssen wir alle auf die Erde!“ Und die anderen stimmten ihm lautstark zu. Jetzt fragte ich: „Wollt ihr mir helfen?“ „Jaaaa!“ brummten alle. „Darf ich euch umbauen?“ „Ja.“ „Wollt ihr meine Befehle ausführen?“ „Ja.“ „Gut“, sagte ich, „dann werden wir gleich damit beginnen. Tem und Tarn, ihr geht hinaus und stellt fest, wo wir uns befinden und in welcher Richtung wir den Mars suchen müssen. Tim sucht im Laderaum nach Eisenstäben und dickem Eisendraht. Tym und Tum helfen mir, einen neuen Verbindungskontakt bei Tom einzubauen.“ Diese Verbindungen waren unbedingt nötig, denn jeder der Teddys hatte nur Wissen auf seinem Fachgebiet. Der Funktechniker Tim würde mir nur erklären können, daß man in Magnetfeldern keine Drähte benutzen darf. Da er jedoch nichts über den Schall wußte, würde er nie auf meinen Gedanken kommen, daß man Steueranweisungen auch rufen kann. Der Mathematiker Tarn konnte einfach alles berechnen, aber man mußte ihm erst die notwendigen Werte geben. Doch die Grundlagen für die astronomischen Kursberechnungen beherrschte nur Tem, der selbst nicht rechnen konnte. Durch die neuen Verbindungskontakte wurde das Wissen einer zusammengeschalteten Teddygruppe vervielfacht, konnten sie in Zukunft auch die Zusammen-
hänge zwischen verschiedenen Wissensgebieten ausnutzen. Ich hatte aus mehreren Teddys einen „höheren“, klügeren Automaten geschaffen. Nach einer Woche hatte jeder einen Anschlußkontakt an der rechten Schulter. Tim hatte ihn nach meiner Anleitung bei den anderen selbständig eingebaut. Tem hatte gemessen, an welchem Punkt des Weltraumes sich unser Planetoid befand und welche Bahn er beschrieb. Aber der gelbe Bär fand den Startwinkel zum Mars nicht. Erst, als er mit Tarn zusammengeschaltet war, konnten alle nötigen Werte ermittelt werden. Dabei mußte Tarn soviel rechnen, daß sich sein Kopf spürbar erwärmte und wir den Mathematikteddy neben einen großen Ventilator setzen mußten, der ihm immer wieder kühle Luft zublies. Aus dem großen Ausstellungsfernrohr entstand eine Spiegel-ZielEinrichtung, damit wir unabhängig von elektrischen Leitungen und Fernsehbildschirmen die Flugrichtung bestimmen konnten. Dann schweißten wir aus Eisenstäben zwei Käfige zusammen. Sie sahen aus wie Tigerkäfige aus dem Zirkus. Einen trugen wir in den Steuerraum. In ihm waren Tem, Tarn, Tim und ich vor den elektromagnetischen Wirbeln geschützt und konnten die Rakete ungestört lenken. Die Wirbel würden zwar in den Käfigstäben Strom erzeugen, aber das würde uns nicht beeinflussen. Der Strom konnte keinen Schaden anrichten und würde trotzdem den Wirbeln ihre Kraft nehmen. Außerhalb des Käfigs mußte ich auf Drähte verzichten. Deshalb stand der zweite Käfig am Heck neben der Antriebsanlage. Dort sollten Tym, Tum und Tom mit ihren geschickten Tatzen die Düsen so steuern, wie ich es ihnen zurufen würde. Damit sie mich auf die große Entfernung durch das Käfiggitter gut hören konnten, hatte mir Tim ein Sprachrohr mit Verstärker gebaut. Als ich es ausprobierte, stellte ich es auf volle Leistung ein. Mit einem Male kamen die drei Teddys vom Heck der Rakete angerannt, hielten sich die Ohren zu und baten um geringere Lautstärke. Ich hatte vergessen, daß man den Automaten ein viel besseres Gehör eingebaut hatte, als es der Mensch besaß.
Endlich war alles vorbereitet. Ich befahl den Teddyautomaten, sich am Reaktor voll mit Energie zu versorgen und danach die angewiese-
nen Plätze einzunehmen. Das kontrollierte ich und verband dabei die neuen Schulterkontakte durch kurze Kabel. Dadurch konnte ich jederzeit die Speicher aller drei Automaten ausnutzen. Ich fragte die Steuergruppe: „Können wir starten?“ Tem antwortete: „Alles startklar. Erster Zielpunkt ist der Polarstern. In dreißig Sekunden ist Start!“ Tarn ordnete an: „Hauptdüsen auf Start stellen. Vollen Schub vorbereiten! Steuerdüsen 4, 7 und 8 voll einsetzen.“ Ich gab den Befehl mit meinem Brüll-Verstärker weiter, Tum und Tom schalteten und ich rief: „Auf das Kommando ,LOS’ starten wir! Zehn… neun… acht… sieben… sechs… fünf… vier… drei… zwei… eins… Los!“ Mit einem heftigen Ruck startete die Rakete. Schon rief Tem: „Seitliche Abweichung acht Grad!“ Tarn wies an: „Steuerdüse 5 für zehn Sekunden zuschalten, dann alle Steuerdüsen aus!“ Ich wiederhole den Befehl, der augenblicklich von der Düsengruppe befolgt wurde und wir durchstießen ohne besondere Schwierigkeiten die gefährliche Wirbelzone. Doch die Käfige brummten dabei wie ein Wespennest oder wie eine ärgerliche Teddymeute. Das waren die elektrischen Ströme, die ihre Kraft an die Eisenstäbe abgeben mußten. Die Magnetwirbel drangen nicht zu uns durch, nur das Eisen erwärmte sich so sehr, daß mir der Schweiß in großen Tropfen von der Stirn perlte. Nach sechzehn Minuten sprach Tim: „Zeit für den ersten Kurswechsel! Neuer Zielpunkt?“ Tem befahl: „Sternhaufen M 74 ansteuern!“ Tarn rief: „Steuerdüsen 2 und 3 je fünfzehn Sekunden halben Schub!“ Auf diese Weise erreichten wir den Mars und die Einflugbahn. Als man im Kontrollzentrum die unangemeldete Rakete bemerkte und feststellen mußte, daß ihre Funkstation nicht arbeitete, gab man die Landeerlaubnis mit Hilfe eines großen Scheinwerfers durch Blinksignale. Glücklich landeten wir im Raketenhafen Mars X. Dort gab es ein großes Hallo, als ich mit der so lange verschollenen Rakete landete, aus der langsam und durchaus würdevoll sechs große Teddybären in tadellosen Anzügen und mit ernster Miene herauskletterten und sich einzeln vor jedem Techniker verbeugten. Der oberste Produktionsleiter ordnete an, die Wissenspeicher der Teddys zu ergänzen, damit sie im folgenden Monat zur neuen Welt-
ausstellung ihre Aufgaben erfüllen könnten. Ich schrieb pflichtgemäß und wahrheitsgetreu meinen Bericht über das Teddy-Abenteuer. Nach sechs Wochen erhielt ich den Auftrag, mich umgehend auf der Erde im Institut für Automatenforschung zu melden. Dort empfingen mich zwei freundliche Männer, denen ich meine Geschichte zweimal bis in die kleinsten Einzelheiten erzählen mußte. Dann fragte der eine: „Aber du weißt, daß Automaten nicht eitel sein können?“ „Das weiß ich wohl“, antwortete ich, „aber das Verhalten der Bären kann man nur als Eitelkeit bezeichnen.“ Da nickte der andere und meinte: „Du hast schon recht. Deine Teddys waren wirklich eitel. Damit hast du eine wichtige Entdeckung gemacht. Diese Teddy-Automaten waren für einfache Denkvorgänge programmiert. Deshalb wollten sie dir erst nicht helfen. Aber ein denkendes Wesen, ob Mensch oder Automat, kann nicht ohne sinnvolle Tätigkeit sein. Du hattest sie an regelmäßige Arbeit gewöhnt, sie arbeiteten so selbständig, wie ihr Programm es vorgesehen hatte. Aber mit einem Mal durften sie das nicht mehr. Sie waren beschäftigungslos. Das war der entscheidende Widerspruch, in den du die Automaten gebracht hattest. Für unsere Forschungsarbeit ist das ein sehr wertvoller Hinweis, für den wir dir danken.“ Das Institut entwickelte auf dieser Grundlage neue Automaten, die selbst überprüfen, ob sie wirkungsvoll genug arbeiten. Außerdem werden seitdem grundsätzlich bei allen Automaten Kopplungsanschlüsse eingebaut, mit denen man größere Gruppen zusammenschalten kann. Natürlich besuchte ich auch die Weltausstellung. Im Pavillon der Marsbetriebe stolzierten die sechs Teddys umher. Tum trug auf dem Kopf und auf der linken Tatze breite Tabletts und versorgte eine große Kindergruppe mit farbigen Milchgetränken. Den größeren Jungen stellte er auf ihren Wunsch gleich zwei Gläser mit verschiedenen Farben auf den Tisch. Tym hatte ein blasses Mädchen auf dem Schoß sitzen, streichelte ihr mit der linken Tatze den Bauch und flößte ihr mit einem blauen Löffel Magentropfen ein. Dabei brummte sein weißes Schnäuzchen beruhigende Worte in das Ohr des Kindes. Tarn beantwortete aufmerksam und schnell die Fragen, die ihm der Leiter eines mathematischen Zentrums stellte, der sich für die Rechenma-
schine interessierte, die Tom vorführte. Tim übertrug eilfertig und blitzschnell eine Reportage eines Berichterstatters an die Fernsehstation. Tarn hielt in einem verdunkelten Raum vor einer großen Zuhörerschar einen Lichtbildervortrag über die Planetoiden. Aus seinem grauen Schnäuzchen schossen die Lichtstrahlen, die Bilder dieser kleinen Himmelskörper auf der Leinwand erzeugten oder die Bahnkurven entstehen ließen.
Mich erkannten sie nicht wieder, denn dafür hat ein Automat kein Gedächtnis.
Als der Beifall verklungen war, sagte Lat bedauernd: „Schade, zwei oder drei von den Bären hätten wir hier auch gebrauchen können. Jork hat durch eine Beobachtung die richtige Lösung gefunden. Wir aber haben hier gesessen, wir haben Nachtwachen organisiert und doch an zwei Tagen nichts gesehen.“ Doktor Med sprach beruhigend: „Gut Ding will Weile haben. So leicht ist unsere Aufgabe nicht, daß wir sie einfach ruck zuck lösen können. Aber nun zur heutigen Diensteinteilung: Die erste Wache übernehmen Mot und Lit hinter der Tür, Kra, Kri und Mat davor. Dann lösen Kor, Kyr und Lat euch ab, die inzwischen einige astronomische Beobachtungen durchführen sollen. Den Rest der Nacht werde ich mit Jork gemeinsam wachen.“ Die Beobachter oben am Fernrohr sahen nur wenig, denn das obere Ende des Beobachtungsgerätes zeigte einen bläulich leuchtenden Saum, dessen Licht sehr störte. Kor blickte erstaunt auf das geheimnisvoll hin und her huschende stille Leuchten und meinte: „Das sieht aus wie die Funken an elektrischen Maschinen!“ Kyr war anderer Meinung und entgegnete: „Nicht ganz. Das Leuchten ist blasser und vor allem vollkommen geräuschlos. Funken müßten krachen oder wenigstens knistern.“ „Aber eine elektrische Erscheinung ist es doch!“ widersprach Lat energisch, „seht mich einmal an!“ Kyr schaute kurz zu ihr hin und murmelte: „Lat leuchtet nicht.“ Kor hatte aufmerksamer beobachtet und stieß unter glucksendem Lachen hervor: „Lats Haare stehen zu Berge! Sie sieht aus wie ein dicker Malerpinsel!“ Kyr wurde aufgeschreckt, blickte Lat an und rief: „Das bedeutet, daß hier alles elektrisch aufgeladen ist. Weil Lat sehr trockenes Haar hat, hat sich jedes einzelne Haar aufgeladen! Die Ladungen stoßen sich ab und deshalb sträuben sich die Haare nach allen Seiten!“ Lat, die vergeblich die ungebärdige Frisur bändigen wollte, faßte zusammen: „Wie es im Lehrbuch steht: ‚Gleiche Ladungen stoßen sich ab, ungleiche ziehen sich an!’ Alle Haare haben die gleiche Ladung und müssen sich abstoßen. Unter diesen Bedingungen können wir
nichts beobachten. Wir müssen erst überlegen, wie wir diese leuchtenden Aufladungen beseitigen können. Wir wollen Jork fragen, vielleicht kann er uns helfen!“ Als sie zum Gang hinunterstiegen, hörten sie plötzlich Mat über alle Lautsprecher aufgeregt schreien: „Der Rote ist wieder da! Jetzt kommt noch ein zweiter dazu!“ Schnell eilten sie zum Bildschirm. Tatsächlich! Zwei unbekannte Kosmonauten in roten Raumanzügen liefen hin und her und schienen miteinander zu sprechen. Plötzlich schauten sie erstaunt und verblüfft in Richtung des Bildschirms, winkten lebhaft mit beiden Armen und ließen sie enttäuscht wieder sinken. Lat erriet die Ursache der Enttäuschung und befahl der anderen Gruppe hinter der Tür: „Mot und Lit! Sofort mit beiden Armen in Richtung der Aufnahmekamera winken. Solange winken, bis ich sage, daß ihr aufhören sollt!“ Jork und der Doktor, die eben atemlos angerannt kamen, begriffen, was Lat beabsichtigte und ließen den Bildschirm nicht aus den Augen. Wirklich! Jetzt begannen die fremden Kosmonauten erneut mit beiden Armen zu winken, ihre Gesichter ließen ihre Freude erkennen. Dann verblaßte das Bild allmählich, und der Bildschirm zeigte wieder Mot und Lit auf der anderen Seite, die schweißüberströmt und mit schmerzenden Armen noch immer lächelten und winkten. Jork rief sie herüber und erklärte allen: „Die angeordneten Wachen sind überflüssig. Es ist sicher anzunehmen, daß wir diese geheimnisvolle Sendung nur in den Abendstunden empfangen können. Frühestens morgen abend werden die fremden Kosmonauten wieder zu sehen sein.“ „Aber“, mahnte Lat, „winken allein genügt nicht. Wir müssen mit ihnen Verbindung aufnehmen. Überlegen wir, was wir tun können, um herauszubekommen, wer die Fremden sind und wo sie sind.“ „Gut gebrüllt, Löwe“, lachte der Doktor, „ich werde mich mit der Basis auf dem Mars beraten, um das zu erfahren.“ „Wenn ich das richtig verstanden habe“, überlegte Kra, „beobachten wir hier auf dem Bildschirm manchmal die Fremden, diese hingegen sehen uns nicht. Sie sehen nur das, was die Kamera hinter der Tür bei Mot und Lit aufnimmt. Ich werde deshalb ein großes Schild schreiben,
auf dem steht: HIER PALLAS! WO SEID IHR? Vielleicht antworten sie uns ebenso.“ Jork rief begeistert: „Ein ausgezeichneter Gedanke! Wir werden einen Filmapparat, eine Filmkamera, aufstellen, um eine solche Antwort genau aufnehmen zu können. Aber die Zeit für die Nachtruhe ist von uns stark überschritten worden. Morgen wird zwei Stunden später geweckt.“ Beim Frühstück begrüßte ein sehr, sehr müder Jork die jungen Kosmonauten und berichtete: „Der Doktor und ich, wir haben die Nacht benutzt, um die notwendigen Erkundigungen einzuziehen. Erst nach Rückfrage im Kosmonautenzentrum auf der Erde konnte das Rätsel gelöst werden. Kosmonauten in roten Raumanzügen gehörten zur Forschungsrakete ,Sonnenwind II’, die seit zwei Jahren verschollen ist. Wichtigste Aufgabe ist es, Verbindung mit ihnen aufzunehmen, obwohl gestern abend unsere Station erneut fünfzehn Minuten gestört war. Allerdings müssen wir, der Doktor und ich, schleunigst unsere Nachtruhe nachholen. Kor und Kyr übernehmen inzwischen das Kommando.“ Beide bestätigten: „Kommando über die Gruppe übernommen.“ Dann rief Kyr: „Wir werden euch gemeinsam in den nächsten Tagen unsere Geschichte erzählen! Kyr fängt heute an!“
Neues aus Nurxanurxa Der wissenschaftliche Rat hatte den sechs Kosmonautinnen das Arbeitsprogramm über die Erprobung der neuen Generatoren zur Erzeugung von starken Kraftfeldern erläutert. Alle waren bereit, an dem Flug zu einer fernen Sonne teilzunehmen. Aber der Rat hatte keinen Beschluß gefaßt. Als die Kosmonautinnen den Saal verließen, sagte Giga, die jüngste Teilnehmerin, verwundert: „Warum wir bis morgen warten sollen, das möchte ich gern wissen!“
Reta, die Leiterin der Expedition, wandte sich an alle und antwortete: „Das kann ich euch verraten! Ihr sollt heute nachmittag bei mir im Institut für Gesellschaftswissenschaft pünktlich fünfzehn Uhr an einer Beratung teilnehmen. Dort erst erfahrt ihr Näheres!“ Neugierig saßen die jungen Wissenschaftlerinnen im verdunkelten Raum. Die beiden Pilotinnen saßen nebeneinander, links die Physikerin Mega, rechts die Chemikerin Nano. Die Gesellschaftswissenschaftlerin Tera, die für die Sicherheit der Expedition verantwortlich war, hatte sich neben die Ärztin und Biologin Deka gesetzt. Giga war Automatentechnikerin und dazu noch Planetologin, das heißt, sie kannte den Aufbau fremder Planeten so, wie es ein Erdkundler von der Erde weiß. Reta bat Giga, neben ihr Platz zu nehmen und sprach: „Vor dreißig Jahren gehörte ich zu einer Gruppe, die auf dem Planeten ‚Antiquares’ notlanden mußte.“ Dabei betätigte sie einen Druckknopf und an der Wand erschienen nacheinander Lichtbilder eines wasserbedeckten Planeten. „Ihr seht“, fuhr die Leiterin fort, „es sind zwei große Landmassen auf diesem Planeten. Auf einem der beiden Kontinente sind wir damals gelandet. Das nächste Bild zeigt unseren Stützpunkt, den wir ,Schloß der Kosmonautinnen’ nannten. In den beiden spitzen Türmen sind starke Sender. Die verhüllte Gestalt, die ihr jetzt seht, das bin ich. Wir mußten diese Gewänder tragen, die nur die Augen freiließen, weil die Einwohner nur drei Finger an jeder Hand und – seht jetzt – eine Rüsselnase hatten.“ Giga lachte laut und sagte: „Entschuldigt bitte, aber Reta erscheint mir wie ein Gespenst, und die Einwohner sehen ganz drollig aus!“ Reta lächelte und meinte: „Aber für sie haben wir eine große Verantwortung übernehmen müssen. Wir wurden damals als ‚Heilige Rrrrrrr’ verehrt, das Zeichen dafür seht ihr nun, es ist die Schemazeichnung einer einfachen Rakete. Wir halfen den Einwohnern, wo wir nur konnten. Dabei stießen wir mit den Leiterinnen der ‚Rrrrrrr’ und dem Herrn des Landes, dem ‚Großen Ryx’, zusammen!“ Dieses Mal lachten alle leise vor sich hin, weil Reta die Wörter mit „r“ durch die Nase gegrunzt hatte. Als aber das Bild mit einer aus Hütten bestehenden Ortschaft erschien und Reta sagte: „Das ist die Stadt Nurxanurxa!“, da erscholl brausendes Gelächter, und Mega rief: „Das
werde ich nie lernen, diese fremden Namen so auszusprechen!“ Reta wartete, bis sich die Mädchen beruhigt hatten und erklärte: „Das erledigten unsere Übersetzungsautomaten, die wir in unseren GespensterGewändern versteckt trugen. Aber ich glaube nicht, daß wir diese Vermummung noch tragen können.“
Deka fragte erstaunt: „Kann sich in dreißig Jahren soviel geändert haben?“ Reta nickte und sprach sehr ernst: „Ja. Daraus ergibt sich unser gefährlicher zweiter Auftrag. Wir haben den Führerinnen der ‚Rrrrrrr’
unser wahres Gesicht gezeigt, also werden sie die Gewänder geändert haben, damit ihre Gläubigen uns nicht anerkennen sollen. Wir werden deshalb Plastmasken mit Rüsselnasen tragen, in die der Übersetzungsautomat eingebaut wird. Dazu gehören auch dreifingrige Handschuhe. Die Rrrrrrr und der Ryx werden versuchen, die nördlichen Landesteile wieder zu erobern. Das müssen und werden wir verhindern, aber ohne Blutvergießen und ohne Not und Elend für die Einwohner.“ Die Kosmonautinnen schwiegen nachdenklich, bis Tera sagte: „Uns wird man nicht verehren, sondern bekämpfen und verfolgen. Deshalb wiederhole ich die Frage, die heute im Rat gestellt wurde: Seid ihr bereit, freiwillig diesen Gefahren entgegenzugehen?“ Alle erklärten: „Wir fliegen mit. Wir werden die Pflichten der Menschen der Erde dort erfüllen!“ Zwei Jahre vergingen, ehe sie im Bereich der fernen Sonne ihr Forschungsprogramm abgeschlossen hatten. Nun steuerte die Rakete den „Antiquares“ an. Reta befahl: „Wir umkreisen den Planeten und beobachten auf den Bildschirmen die Landschaft. Zuletzt müssen wir die gleiche Geschwindigkeit haben, mit der sich der Planet um seine Achse dreht. Dann werden wir scheinbar über dem See von Nurxanurxa schweben.“ Zunächst überquerten sie die unbewohnte, felsige Landmasse, bemerkten drei größere Inseln im Ozean und erreichten den bewohnten Kontinent. Reta rief aufgeregt:. „Da! Zwei große Städte! Die nördliche ist Nurxanurxa. Sie ist größer geworden und reicht nun bis zum See. Der Wald hat sehr stark abgenommen. Aber was sind das für Linien, die von den Bergen in die Ortschaften verlaufen?“ Schnell antwortete Giga: „Von den Gebirgen aus ziehen sich mächtige Wasserleitungen ins Land!“ Reta freute sich und meinte: „Wir haben den Leuten auch eingeschärft, sie sollen das Wasser sauber halten, weil schmutziges Wasser Krankheiten verbreitet.“ Inzwischen schwebte die Rakete scheinbar über dem See. Auf der Oberfläche des Planeten begann die Nacht, während das Raumschiff
noch von der fremden Sonne beschienen ward. Plötzlich schrie Tera: „Seht! Wir werden erwartet!“ Tatsächlich, unten leuchteten sechs Feuer auf, die ein Rechteck begrenzten, in dessen Mitte der See lag. Sogar Reta war überrascht und sagte: „Die Entwicklung ist noch schneller verlaufen, als wir dachten. Doch nun wissen wir sicher, daß wir bei der Landung niemand gefährden.“ Langsam ließ sich die Rakete auf der Wasserfläche nieder. Nano ließ in die unteren Tanks viele Tonnen Wasser einströmen. Dadurch konnte die Rakete nicht umkippen. Wie ein riesiger Turm stand sie im See. Die große Landebrücke fuhr aus und erreichte das Ufer direkt am „Schloß der Kosmonautinnen“. Während die anderen das Gebäude betraten, kontrollierte Tera die Umgebung. Kein Lebewesen war weit und breit zu sehen. Als der neue Tag begann, erblickten die Kosmonautinnen auf der anderen Seite des Sees die dreigeschossigen Bauten der Stadt Nurxanurxa. Vier große Boote segelten auf das Schloß zu. Nach der Landung kamen zwölf Männer und sechs Frauen an den Eingang, wo sie von Reta und Tera erwartet wurden. Einer der Männer trat drei Schritte vor und rief freudig: „Wir grüßen die Schwestern vom fernen Stern und heißen sie willkommen. Wir sind glücklich, daß ihr getreu eurem Versprechen wiedergekehrt seid, denn große Sorgen bedrücken uns.“ Reta entgegnete langsam und feierlich: „Wir erwidern euren Gruß! Kommt herein und sagt uns, warum ihr Hilfe braucht.“ Der Sprecher stellte sich als gewählter Kompaktus von Nurxanurxa vor. Er wurde von reichen Kaufleuten und Bergwerksbesitzern, aber auch von Bergleuten und Bauern begleitet. Alle nahmen am großen Tisch im Empfangsraum Platz. Der Kompaktus holte einige beschriebene Blätter aus der Tasche und begann, sie vorzulesen. Am Anfang standen nochmals Begrüßungs- und Dankbarkeitssätze, und Reta dachte im stillen: „So entwickelt sich alles. Sogar der Kompaktus kann lesen und schreiben.“ Dann wurden die Darlegungen interessanter. Der Redner berichtete: „Nachdem die Violetten der Rrrrrrr und auch der Ryx auf unser Gebiet verzichtet hatten, schlossen sich alle Ortschaften, Bergwerke und Kaufherren des Nordens unserer Gemeinschaft an. Wir bauten
Wasserleitungen und Wasserräder zum Treiben von Hammerwerken und Sägen und neue Häuser aus Stein. Im Süden des Landes herrscht jetzt der Ryx gemeinsam mit den Violetten. Sie sammeln Kriegsknechte, bauen Kriegsmaschinen und verkünden, daß sie unser Land erobern wollen, daß sie uns ‚heimholen’ wollen. Bitte schützt uns vor diesem Angriff! Sorgen bereiten uns auch seit sieben Jahren heiße Stürme, die unsere Ernte vertrocknen lassen. Helft uns auch dabei, wir sind bereit, alle euere Anweisungen auszuführen!“
Tera fragte jeden der Besucher, ob er sich diesem Versprechen anschließe. Alle waren einverstanden. Auch die verhüllte Priesterin aus Nurxanurxa erklärte: „Wir werden alles befolgen. Wir haben mit der ‚Heiligen Violetten’ von Ryxaburga nichts Gemeinsames mehr. Wir
sind dazu da, unseren Mitbürgern zu helfen und ihnen Wissen zu lehren. Wir wollen nicht wie die Violetten auf Kosten anderer leben.“ „Gut so“, lobte Reta, „das wollen wir auch. Wir werden dafür sorgen, daß euch nichts geschieht.“ Dann plauderte sie geschickt mit den Gästen, fragte die Bergleute nach ihrer Arbeit und die reichen Kaufherrn nach der neuesten Mode, ließ sich die Kleidung beschreiben und erfuhr, daß diese Mode auch in Ryxaburga getragen wurde. Natürlich nur von den Reichen, die genügend Goldstücke besaßen. Die anderen wären furchtbar arm, da der Ryx und die Violetten immer höhere Abgaben forderten. Als die Gäste wieder davongesegelt waren, rief Reta die vier anderen Kosmonautinnen herzu und sagte: „Ihr habt unsere Gespräche mitgehört. Nicht umsonst habe ich nach der Mode gefragt. Nano und Giga werden sich solche Kleidungsstücke anfertigen und als Kundschafter nach Ryxaburga gehen. Tera stellt für sie eine Menge der hier üblichen Goldstücke her. Mega studiert die Aufzeichnungen unserer Kameras und überlegt, wie sie mit dem Hubschrauber unauffällig unsere Kundschafter in der Nähe der Stadt absetzen kann. Deka beginnt damit, die Ursache der heißen Stürme zu suchen.“ Daraufhin setzte eine emsige Tätigkeit ein. Um Mitternacht flog der Hubschrauber in so großer Höhe, daß sein Motorengeräusch wie fernes Donnern eines Gewitters klang. Dann visierte Mega mit dem Nachtsichtgerät einen freien Platz südlich von Ryxaburga an, stellte den Motor ab und der Hubschrauber sank, von dem sich im Luftzug drehenden Flügelrad wie von einem Fallschirm getragen, geräuschlos in die Tiefe und setzte auf. Nano und Giga legten die Masken an. Als sie ausstiegen, standen auf einmal zwei „Antiquarianer“ vor ihnen. Flüsternd fragten sie: „Seid ihr gekommen, um uns wie unsere Brüder in Nurxanurxa zu befreien?“ Diese Begegnung war nicht geplant. Nano antwortete leise: „Ihr wißt selbst, daß das nicht so schnell geschehen kann. Aber wir wollen euch helfen. Deshalb ist es sehr wichtig, daß niemand etwas von uns erfährt. Wir müssen unerkannt nach Ryxaburga gelangen.“ Der andere Bewohner versprach: „Wir werden verschwiegen sein. Außerdem könnte ich euch mit meinem Wagen zur Stadt bringen. Ihr
seid so prächtig gekleidet, daß euch die Torwache nicht anhalten wird.“ In der Ferne grollte ein Gewitter. Mega nutzte das Donnerrollen und startete zum Heimflug. Nano und Giga begleiteten die Bauern in ihre ärmliche Behausung. Als am nächsten Morgen der von zwei achtfüßigen Tieren gezogene Wagen das Südtor von Ryxaburga passierte, grüßten die Wächter ehrfurchtsvoll mit erhobenen Spießen. Nano schenkte ihrem Fuhrmann ein Goldstück. Schneller, als sie gedacht hatten, gelang es ihnen, ein Haus zu mieten, das unmittelbar am großen Platz vor dem sechseckigen Palast des Ryx lag. Am Abend stiegen Nano und Giga auf das flache Dach, von dem aus die ganze Stadt zu überblicken war, richteten die Antennen ihres kleinen Funkgerätes auf den Taleinschnitt am Horizont, durch den die einzige Straße nach Norden führte, und gaben das Rufzeichen. Sofort meldete sich Tera. Giga berichtete, wie sie hierhergekommen waren. „Kann man euch auf dem Dach beobachten?“ fragte die Sicherheitsbeauftragte zurück. „Da kannst du beruhigt sein“, antwortete Nano, „diese vornehmen Häuser haben um das Dach herum eine Schmuckmauer mit vielen kleinen Öffnungen. Wir können alles sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Die Nachbarhäuser sind unbewohnt. Nur gegen Goldstücke vermieten die Handelsherren, denen der ganze Häuserblock gehört, diese fünf Häuser an Gäste der Hauptstadt. In unserem blauen Haus haben vor uns Bergwerksbesitzer aus dem Süden gewohnt.“ Tera war dennoch besorgt und sprach: „Ihr könnt jederzeit rufen, die Funkstation bleibt dauernd besetzt. Nehmt die Reservemasken und andere Kleider und mietet euch ein zweites Haus, dort könnt ihr euch im Notfall verbergen. Tragt stets den Raumanzug unter den Kleidungsstücken, auch ohne Helm schützt er euch. Spätestens in zwölf Stunden meldet ihr euch wieder!“
Nano blickte durch die Ziermauer in den Hof des Hauses und sagte zu Giga: „Das Quadrat unseres Häuserblocks schließt einen dicht mit Sträuchern und Bäumen bewachsenen Garten ein. Durch die Lücke, die zwischen den Häusern gegenüber liegt, fahren Handelswagen zum Entladen. Das ist morgen dein Weg! Du mietest aber nicht eines der Nachbarhäuser, sondern das erste in der Reihe, damit ein unverdächtiger Abstand bleibt.“ Am nächsten Morgen holte Giga zuerst Wasser. Dort, wo das Wasser aus der Leitung in ein großes Becken lief, standen stets einige Frauen, um die mitgebrachten Eimer mit frischem Wasser zu füllen. Da konnte man das Neueste hören. Hier erfuhr Giga, daß am Nachmittag auf diesem Platz der Ryx und die Violetten etwas veranstalteten, aber der Automat konnte das Wort nicht übersetzen. Außerdem riet man ihr, sie sollten als Fremde zu dieser Zeit ihr Haus nicht verlassen, das sei gefährlich. Als Giga an Nano berichtete, meinte diese: „Also werden wir mit Fernrohr, Filmkamera und Fernhörer auf unserem Dach sitzen und viel zu tun haben.“ Giga suchte eine andere Nasenmaske heraus, nahm ein neues Gewand, setzte die weiße Kopfhaube auf und schlich sich durch die Hintertür in den Garten. An den Handelswagen standen viele Kauflustige, so daß Giga unauffällig die nächste Straße erreichte, zweimal um die Ecke ging und dann den großen Klopfer an die Tür des Häuservermieters donnern ließ. Schnell wurden sie sich einig. Giga erhielt den großen Schlüssel des nächsten, eines roten Hauses, und verschwand in ihrer neuen Behausung. Nano schrak zusammen, als Giga plötzlich hinter ihr sprach: „Da bin ich wieder! Es führt ein versteckter Pfad durch die Büsche, so daß wir ungesehen die Häuser wechseln können. Wir müssen nur streng darauf achten, die richtige Kleidung zu tragen, wenn wir ein Haus in Richtung Wasserbecken verlassen.“ Nano nickte und sagte: „Reta hat uns befohlen, vom Mittag an mit ihr ununterbrochen Sprechverbindung zu halten. Ich habe auf dem Dach schon alles vorbereitet.“
Nano gab den ersten Bericht: „An der Palastmauer stellt man gepolsterte Bänke auf. In der Mitte werden zwei Plattformen errichtet, eine grüne mit einem grünen Polstersessel und eine violette mit einem goldenen Stuhl. Jetzt stellen sich rechts und links von den Bänken bewaffnete Söldner auf. Sechs Männer schleppen ein mannshohes Eisengestell herbei, es ist die Darstellung des Zeichens der Rakete. Aus den Häusern und von den Nebenstraßen kommen Einwohner, die meisten tragen ein Reisigbündel. Sie nehmen etwa dreißig Meter vor dem Gestell Aufstellung.“ Giga setzte die Reportage fort: „Mit näselndem Gesang kommen Frauen, die eine große blaue Perücke auf dem Kopf haben und violette Gewänder tragen. Alle setzen sich auf die eine Seite der Bänke. Das Gepiepse jetzt scheint Musik zu sein. Aus dem Palast kommen fette Männer und Frauen in prachtvoller, bunter Kleidung und setzen sich auf die restlichen Bänke. Da! Alle knien nieder, alle singen durch die Nase. Von links kommt der Ryx in einer goldenen Rüstung, von rechts…“ „Das ist die ,Hohe Violette’“, unterbrach Nano, „mein Fernhörer hat das aufgefangen! Die Leute sprechen den Namen voller Haß aus.“ „Also, die Violette kommt mit violetter Perücke und violettem Gewand. Sie sitzt auf der einen, der Ryx auf der anderen Plattform im Polstersessel. Drei grau Verhüllte bringen eine Schüssel. Die Violette springt auf und schreit: ,Das ist unser heiliges Wasser! Die Abtrünnigen in Nurxanurxa entweihen es mit Wasserrädern! Dafür wird sie unsere Strafe treffen!’ Bei jedem Satz spritzt sie mit beiden Händen Wasser nach allen Seiten. ,Nurxanurxa dient den Teufeln! Wieder sind die Teufel ins Land gekommen! Aber wir werden sie ausrotten!’ Jetzt wird… aber das ist doch nicht möglich!“ Nano schaltete sich wieder ein und rief: „Auch ich bin erschrocken. Aber es ist nur eine Puppe, die mit einem nachgemachten Raumanzug bekleidet ist. Man bindet sie mit eisernen Ketten an das Eisengestell an. Jetzt kommen die Zuschauer in einer Reihe und legen ihre Reisigbündel um die Puppe herum. Die Violette steigt herab, läßt sich eine Fackel reichen, zündet das Reisig an und brüllt: ,So werden wir alle
Teufel verbrennen!’ Die Puppe fängt Feuer. Auf den Polsterbänken jubelt man. Die Zuschauermenge schweigt.“ Giga setzt den Bericht fort: „Die Violette sitzt wieder und schnappt nach dem Gebrüll nach Luft. Jetzt erhebt sich der Ryx und redet eine Menge Quatsch, z. B. daß er der einzige Herr über alles Land und alle Einwohner ist, daß er unbesiegbar ist, daß seine Feinde vor ihm zittern. Doch jetzt verkündet er: ,Die Zeit ist gekommen. Wir brechen noch heute auf, um Nurxanurxa heimzuholen in unser Reich. Jeder von euch wird viel Beute erringen! Jeder wird einen Sklaven aus Nurxanurxa bekommen! Keiner darf die Stadt verlassen, bis wir siegreich zurückgekehrt sind.’ Die Söldner und die Leute auf den Bänken jubeln laut, von den Zuschauern nur wenige.“ „Das genügt“, unterbrach Reta den Bericht, „wir werden den Ryx gebührend empfangen. Ihr müßt inzwischen sehr vorsichtig sein, meldet euch aller zwei Stunden wieder!“ Gemeinsam mit Reta hatten die Kosmonautinnen die Reportage angehört. Deka fragte betroffen: „Was sollen wir tun? Nun beginnt doch der Krieg!“ Mega wußte die Antwort: „Wir nutzen unsere Kraftfeldforschung aus. Nur ein Tal führt von Süden nach Norden, das sperren wir mit einem Generator.“ „Das ist richtig“, bestätigte Reta, „Mega und Deka nehmen den großen Hubschrauber und stellen den Generator auf. Tera fährt mit dem Gleitboot hinüber zum Kompaktus und sorgt dafür, daß hinter unserem Kraftfeld bewaffnete Bürger stehen, damit der Ryx auch genau an dieser Stelle versucht, den Kampf zu beginnen.“ Armbrust- und Bogenschützen, mit Speeren und mit Spießen bewaffnete Leute standen auf den Plattformen, die einst von den Kosmonautinnen aus den Felswänden des Tales herausgesprengt worden waren. Mega ging mit dem Kompaktus von Gruppe zu Gruppe und schärfte allen ein, sie sollten ihre Waffen erheben, wenn der Ryx kommt, aber auf keinen Fall schießen oder werfen, das dürften sie nur andeuten.
Quietschende Wagenachsen, das Stampfen der Achtfüßler und das Klirren der Rüstungen verriet die Ankunft des Ryx, der verblüfft die
Bewaffneten vor sich sah. Wutentbrannt befahl er: „Überschüttet sie mit Pfeilen und Speeren!“ Seine Söldner gehorchten, warfen die Speere und verschossen Pfeile. Aber diese flogen immer langsamer, blieben in der Luft stehen und sausten – immer schneller werdend – wieder zurück. Das unsichtbare Kraftfeld wirkte wie ein Federbrett. Je kräftiger etwas auftraf, um so stärker wurde es zurückgeschleudert. Auf die Truppen des Feindes stürzte ein Hagel aus eigenen Speeren und Pfeilen. Der Ryx ließ die großen Steinschleudern in Stellung bringen. Dann schrie er: „Beschießt zuerst die Plattformen mit Steinen!“ Die Schleudern hatten eine größere Kraft als die Speerwerfer. Eine Wolke von Steinen und Felsblocken drang ins Kraftfeld ein. Das wirkte nun wie eine Bremse, die sich beim Bremsvorgang erwärmt. Die Geschosse verglühten in der Luft. Der Ryx verlor die Geduld. Er zog sein Schwert und marschierte an der Spitze seiner Söldner los. Aber immer langsamer schritt er aus. Das Kraftfeld stieß ihn ab. Die eisernen Rüstungen begannen zu summen und erwärmten sich. Schon flohen die ersten Söldner, andere sprangen ins Wasser, um die heiße Rüstung zu kühlen. Dabei war auch der Ryx. Aus dem Bach heraus befahl er, erneut zu schießen und Steine zu schleudern. Mega hatte inzwischen das Feld verstärkt. Wuchtiger flogen Pfeile und Speere zurück, die glühenden Steine prasselten in die Kolonnen der Söldner, die erschrocken die Flucht ergriffen. Die Achtfüßler rissen sich los, Wagen und Steinschleudern kippten um. Nur die Verletzten, die weggeworfenen Waffen und Rüstungen blieben zurück. Mega schaltete das Feld aus, der Kompaktus ordnete an, die Verletzten zu bergen und zu versorgen. Mega blieb zur Sicherheit mit zehn Bewaffneten am Generator zurück. Aber der Ryx war geschlagen und zog sich mit dem Rest seiner Truppen nach Ryxaburga zurück. Auch nach der Niederlage blieben die Tore der Stadt geschlossen. Nano und Giga mußten in Ryxaburga bleiben. Die Einwohner ließen sich kaum in den Straßen sehen, nur die wasserholenden Frauen verließen die Häuser und eilten rasch zurück. Eine Wolke von Angst und Furcht lag über der Stadt. Um nicht aufzufallen, mußten die Kosmonautinnen sowohl aus dem roten wie aus dem blauen Haus zum Brunnen gehen. Giga war gerade aus dem roten Haus zum Wasserbecken
gekommen und stand mit drei Einwohnerinnen dort, als sich das Tor des Palastes öffnete. Eine Gruppe von zwölf Bewaffneten rannten auf die Wasserholerinnen zu und umringte sie. Ehe Nano etwas unternehmen konnte, schleppten die Söldner ihre Gefangenen in den Palast des Ryx. Nano eilte auf das Dach des blauen Hauses und nahm Verbindung mit Reta auf. Diese ließ sich den Vorgang genau erzählen und fragte: „Wie sieht es jetzt auf dem Platz aus?“ Nano blickte hinab und berichtete: „Überall sind wieder viele Einwohner zu sehen. Am Wasserbecken steht eine Menge Frauen. Die Angst ist nicht mehr zu spüren.“ „Dann gehe aus dem blauen Haus zum Brunnen“, ordnete Reta an, „vielleicht erfährst du von den wartenden Frauen die näheren Zusammenhänge! Zuvor holst du alle Sachen aus dem roten Haus, die euch verraten könnten!“ Nach einer Stunde ging Nano zögernd zur Tür. Das Herz klopfte wie wild und die Hände zitterten Nano, so fürchtete sie sich. Aber der Gedanke, Giga zu helfen, gab ihr den Mut, zum Wasserbecken zu gehen. Die wartenden Frauen unterhielten sich lautstark. „Weil sich die Männer verbergen“, rief eine, „holt er jetzt die Frauen!“ Nano fragte: „Warum das?“ Ihre Nachbarin antwortete: „Ihr seid fremd, deshalb wißt Ihr nicht, daß der Ryx für jeden Mißerfolg Schuldige sucht. Am Nachmittag werden dort oben die Fenster geöffnet, damit alle zuhören müssen, wenn der Ryx Gericht hält.“ „Es ist immer das gleiche“, meinte eine andere, „die drei, die ihm die meisten Goldstücke bieten und ihn mit schönen Worten lobpreisen, die läßt er frei. Die Vierte muß dann schuld an seiner Niederlage sein und wird am folgenden Tag verbrannt, so wie die Strohpuppe neulich!“ Nano wußte genug. Sie eilte mit den gefüllten Eimern ins Haus und benachrichtigte Reta. Beruhigend sagte diese: „Wenn es soweit ist, werden die Bänke und Sessel wieder aufgestellt. Dann rufe uns. Wir werden rechtzeitig mit dem Hubschrauber eintreffen!“
Im tiefsten Keller des Palastes saß Giga mit den drei anderen. Von hier aus war eine Funkverbindung nicht möglich. Also galt es, abzuwarten. Interessiert lauschte Giga den Gesprächen der anderen. Eine sehr alte Frau tuschelte: „In Nurxanurxa sind die wahren Schwestern der heiligen Rrrrrrr zurückgekommen, vielleicht helfen sie uns!“ „Ob sie so schnell zu uns kommen können? Aber unsere Männer werden dem Ryx und der Violetten schon zeigen, daß es so nicht weitergehen kann.“ Die dritte Frau saß schluchzend in der Ecke und jammerte: „Man wird mich verbrennen, ich habe kein Gold. Was soll aus meinen Kindern werden? Gibt es keine Hilfe?“ Giga wußte nun, was ihr bevorstand und faßte einen mutigen Entschluß. Im Saal des Gerichts saßen der Ryx und die Violette auf ihren Polstersesseln. Eine Reihe Bewaffneter saß vor ihnen auf dem Fußboden und schirmte die hohen Herrschaften von den vier Angeklagten ab. An jedem der vier Fenster und an der Tür standen zwei Wachposten. Damit Nano mithören konnte, stellte Giga das Funkgerät des Raumanzuges ein. Gleichzeitig drehte sie den Übersetzungsautomaten auf die größte Lautstärke. Zuerst sprach die Violette: „Wieder sind die Teufel im Land! Sie haben auch bei uns ihre Helfer! Das seid ihr!“ Schon begannen die drei anderen zu weinen. Der Ryx schrie sie an: „Wir werden die Schuldige finden und sie nach unserem ehrwürdigen Gesetz bestrafen!“ Darauf donnerte Giga zurück: „Es gibt nur einen Schuldigen: Den Ryx! Wer verlangt immer höhere Abgaben? Der Ryx! Wer will andere Länder erobern? Der Ryx! Wer macht alles, was die Violette will? Der Ryx! Er läßt seine Soldaten marschieren, damit sie immer mehr Goldstücke anhäufen kann!“ Der verblüffte Ryx hatte mit offenem Mund die ersten beiden Sätze angehört. Dann befahl er den Wächtern, einzugreifen. Die verstanden ihn erst nicht, so laut schrie Giga. Als sie endlich aufstanden, hatte Giga schon den vierten Satz gerufen. Einer der Söldner stolperte über das Schwert des Wachhabenden, fiel der
Länge nach hin und rutschte den anderen vor die Füße. Dadurch konnte Giga noch verkünden: „Wer ist überflüssig? Der Ryx und die Violette!“ Dann erst packten sie die Männer und schleppten sie in den Kerker zurück. Nun mußte der Ryx die anderen Frauen freilassen. Dennoch blieben sehr viele Einwohner in erregtem Gespräch so lange vor dem Palast stehen, bis sie von der Wache verjagt wurden.
Mitten in der Nacht erschien der Wachhabende bei Giga und flüsterte: „Ich kann dich nicht befreien. Aber wegen deiner mutigen Worte möchte ich dir helfen. Was kann ich tun?“ Giga überlegte und sagte: „Ist es möglich, daß ich mich vor dem Anketten auf dem Platz losreißen kann?“ Der Offizier freute sich und rief: „Dafür werde ich sorgen. Wenn du in die Zuschauermenge rennst, kannst du bestimmt entkommen.“
Giga wünschte noch mehr: „Ich verspreche, nicht zu fliehen. Kannst du mich bis hinauf an ein Fenster bringen?“ „Das ist möglich, aber nur, um einmal hinauszuschauen.“ „Das genügt mir!“ meinte Giga, denn von dort aus konnte sie Nano mit dem Funkgerät erreichen. Diese berichtete eben an Reta, wie mutig Giga aufgetreten war, als plötzlich deren Stimme ertönte: „Ich werde mich drei Schritte vor dem Verbrennungsgestell losreißen und in Richtung Zuschauer fliehen!“ Wieder wurde der Platz auf die gleiche Weise für die schaurige Veranstaltung vorbereitet. Der Hubschrauber stand startbereit auf einer Bergwiese des Randgebirges. In zehn Minuten konnte er Ryxaburga erreichen. Sobald der Ryx erschien, sollte Nano das Startkommando geben. Sie beobachtete den Platz. Dieses Mal waren wohl alle erwachsenen Einwohner der Stadt gekommen. Aber keiner, nicht ein einziger, trug ein Reisigbündel. Der Ryx und die Violette erschienen. Nano gab das Startsignal. Nach einer Weile wurde Giga, noch mit Rüsselmaske und Gewand, von zwei Männern nach vorn geführt. Unvermittelt riß sie sich los. Aber sie blieb stehen, fetzte das Gewand herunter und nahm die Maske in die Hand. Die Zuschauer schrien auf. Vom linken Flügel stürmten plötzlich Bergleute mit Hacken, aus der Mitte Schmiede mit großen Hämmern und von rechts Holzfäller mit Äxten und Bauern mit Sensen auf den Richtplatz. Dröhnend schwebte der Hubschrauber über dem Platz. Die Söldner rannten davon. Als der Hubschrauber endlich landen konnte, standen der Ryx, die Violette mit ihren Helferinnen und die Leute des Hofstaates gefesselt an der Mauer des Palastes, von grimmigen Männern bewacht. Aus der Menge rief man: „Verbrennt den Ryx! Verbrennt die Violette! Verbrennt sie alle!“ Die Mächtigen, denen die Macht genommen war, schlotterten vor Angst. Wiederum mußte Reta Wichtiges entscheiden. Sie eilte mit Mega, welche die Verstärkeranlage trug, an eines der Fenster des Gerichtssaales und verkündete laut: „Niemals mehr dürfen wir zulassen, daß jemand verbrannt wird! Das gehört zur Herrschaft des Ryx und der Violetten. Aber diese Herrschaft ist vorbei und wird nie wiederkehren!“ Beifallsrufe und Freudengeschrei unterbrachen Reta, die abwartete, bis sich die Leute beruhigt hatten und weitersprach: „Wir
werden ein strenges Gericht halten und jede Schuld wird ihre Sühne finden. Aber erst ist Notwendigeres zu tun. Wählt euch eine gerechte Regierung! Keine persönliche Rache! Findet Arbeit für die Söldner des Ryx und die Leute der Violetten! Bereitet euch auf den Kampf gegen den nächsten Feind vor: Besiegt die heißen Stürme! Dann wird keiner mehr hungern müssen!“ Begeistert stimmten die Versammelten zu. Reta ließ den Ryx und die anderen Gefesselten in den Hubschrauber bringen und befahl Deka: „Du bringst sie in den verschließbaren Räumen der Rakete unter, wir dürfen nichts riskieren. Wir fliegen mit, sollen sich die Leute von Ryxaburga selbst ihre Leitung suchen!“ Ein Monat war vergangen, als Reta den Kompaktus von Nurxanurxa und den inzwischen gewählten Wombus von Ryxaburga zu einer Beratung einlud. Am großen Tisch im Schloß der Kosmonautinnen saßen die sechs Raumfahrerinnen und die beiden Gäste, vor denen der kleine Übersetzungsautomat stand. Deka berichtete über ihre Forschungen und schlußfolgerte: „Damit steht eindeutig fest: Die Hitzestürme kommen als Fallwinde von den Gebirgen herunter. Sie breiten sich so stark aus, weil zu viel Bäume gefällt wurden und der Wald an den entscheidenden Stellen fehlt.“ Betroffen entgegnete der Kompaktus: „Das läßt sich nicht vermeiden, wir brauchen viel Holz.“ Der Wombus fügte hinzu: „Ohne Holzkohle können wir kein brauchbares Eisen gewinnen.“ Giga rief lebhaft: „Man könnte nachpflanzen und künstliche Seen anlegen, aber wenn immer wieder der Wald gelichtet wird, bleiben auch die heißen Stürme.“ Mega stutzte und sprach langsam: „Kohlevorkommen gibt es hier genug. Also müssen wir den ‚Antiquarianern’ lehren, wie man Koks erzeugt und damit Eisen gewinnt.“ Nano hatte Bedenken und meinte: „Im Maßstab der Erde gerechnet, wäre das ein Sprung von drei Jahrhunderten. Mit dem Koks gewinnt man Gas, das bedeutet Gasbeleuchtung, Gasflammen und Beginn der Chemie. Das ist nahezu unvorstellbar.“
Reta entschied sich und verkündete: „Wir werden auch in Zukunft für diesen Planeten verantwortlich sein. Auch die gesellschaftliche Entwicklung überspringt dreihundert Jahre. Deshalb können wir Megas Vorschlag als einzig mögliche Lösung annehmen. Natürlich müssen wir sorgsam planen, müssen Leute ausbilden und Apparate bauen, Bäume pflanzen und Seen anlegen, viel Arbeit für das nächste Jahr.“ Der Wombus setzte einige Male zum Sprechen an und fragte dann: „Was wird mit dem Ryx und den anderen Gefangenen geschehen?“ Die Ärztin Deka berichtete: „Alle sind nach wie vor von unbändigem Haß erfüllt, alle wollen wieder die Herrschaft an sich reißen und ein bequemes Leben führen! Wir können sie nicht freilassen.“ Tera protestierte: „Keinesfalls! Sie müssen bestraft werden! Außerdem muß das Land vor diesen Blutsaugern geschützt werden!“ „Wir dürfen kein Blut vergießen“, mahnte Reta, „doch wir müssen sie unschädlich machen.“ Giga lachte auf und erklärte: „Ich habe die Lösung gefunden! Weil sie andere für sich arbeiten ließen, sollen sie selbst harte Arbeit spüren. Wir setzen sie auf dem unbewohnten Kontinent ab, geben ihnen einfache Werkzeuge, Saatgut, einige Achtfüßler und Wagen. Dann können sie so leben, wie die Leute unter ihrer Herrschaft gelebt haben.“ Reta lobte: „Wirklich, ein guter Gedanke. Sie können die Zukunft dieses Landes nicht mehr stören und haben Gelegenheit, sich durch ihre Arbeit weiterzuentwickeln.“ Auch der Wombus und der Kompaktus fanden die Strafe angemessen. Im Gerichtssaal des Ryx wurde in langer Verhandlung dem Ryx, der Violetten und jedem einzelnen seine Schuld nachgewiesen, ehe die Strafe ausgesprochen wurde. Mega, Nano und Tera brachten die Schuldigen mit der Rakete an ihren künftigen Aufenthaltsort. Giga bekam viel zu tun. Gemeinsam mit Mega plante sie große Stauseen, die diese dann mit den automatischen Baggern errichtete. Deka beriet sich mit Giga, an welchen Stellen aufgeforstet werden mußte und wo der Wald unbedingt erhalten werden mußte. Deka arbeitete im Süden mit hundert ehemaligen Söldnern, Giga im Norden
mit hundert Einwohnern aus Nurxanurxa. Durch Wachstumsbeschleuniger erreichten sie, daß die Bäume schnell Wurzeln schlugen und am Jahresende schon meterhoch waren. Nano sorgte mit gesteuerten Kraftfeldern dafür, daß die Hitzestürme zum Meer abgelenkt wurden und ergänzte dadurch den Forschungsauftrag. Tera war zur Kontrolle der Sicherheit fortwährend mit dem Hubschrauber unterwegs, aber überall waren die Leute froh, daß die Herrschaft des Ryx vorbei war. Den Kosmonautinnen drohte keine Gefahr mehr. Natürlich war es mühevoll, viele Tausende junger Bäume vom Pflanzgarten am Schloß zu ihrem Bestimmungsort zu bringen. Der Hubschrauber brachte sie nach Süden. Giga hingegen mußte die langsamen und schwerfälligen Wagen benutzen, die von zwei Achtfüßlern gezogen wurden. Aber sie rüstete ihre Truppe neu aus. Eines Morgens sah Reta erstaunt, wie die Einwohner mit dreißig hölzernen Dreirädern vorfuhren, den großen Kasten mit Setzlingen füllten und dann kräftig in die Pedale des Vorderrades traten, um schnell mit ihrer Ladung davonzufahren. Reta dachte den ganzen Tag darüber nach und sagte zur abendlichen Besprechung: „Giga hat mir mit den einfachen Dreirädern einen guten Hinweis gegeben. Ich erwarte, daß die Fahrzeuge bald von den Leuten verbessert werden. Das ist auch für uns der richtige Weg. Die Koksherstellung haben wir ihnen eingerichtet und erklärt. Aber wir können und dürfen nicht alles als Geschenk übergeben. Vom Stand der hiesigen Wissenschaft ausgehend, werden wir einige Lehrbücher schaffen und den Leuten schenken. Damit gewinnen sie eine Grundlage, auf der sie mit ihren eigenen Fähigkeiten und dem eigenen Können neue Erfindungen machen können.“ Noch ein Jahr verging. Reta hatte den Tag des Abflugs festgelegt. Vorher mußte aber noch ein großes Fest gefeiert werden, das hatten Wombus und Kompaktus mit viel Beredsamkeit erreicht. Mega belegte den zweiten Platz im Wettlauf um den See herum. Nano bekam zeitweilig Bauchschmerzen, weil sie beim Dreiradrennen so lachen mußte. Reta ließ zum Abschluß eine große Platte bringen, auf der das „Heilige Zeichen RRRRRRR“, das „Raketenbild“, zu sehen war und verkündete allen: „Dieses Zeichen ist nicht heilig, aber es soll das Zeichen der gegenseitigen Hilfe aller vernünftigen, arbeitenden Bewoh-
ner unter den verschiedenen Sonnen sein. Wir werden euch auch in Zukunft helfen.“
Lebhaft spendeten alle Beifall. Kri meinte nachdenklich: „Man kann plötzlich für sehr wichtige Dinge verantwortlich sein. Vor dieser Verantwortung darf man nicht ausweichen, man muß alle Kräfte anspannen, um seine unverhofft gekommenen Aufgaben zu erfüllen.“ „Deshalb müssen wir unser Abendessen verschieben!“ rief da der Doktor, der mit Jork gerade gekommen war. „Nachdem wir wieder zwei Tage nichts mehr vom ,Sonnenwind II’ sahen, aber auch keine Funkstörungen mehr feststellten, nahmen wir an, daß beide Erscheinungen zusammenhängen. Wir haben die Tabelle der bisherigen Funkstörungen ausgewertet und eine Kurve entwickelt, aus der wir ablesen können, daß wir in einer halben Stunde die fernen Kosmonauten für nur zehn Minuten empfangen können. Deshalb begeben sich sofort alle auf ihre Plätze. Kor und Kyr holen mit mir noch die Filmaufnahmekamera.“ Ein kurzes Durcheinander entstand, dann saßen alle auf ihren Stühlen zu beiden Seiten der Tür. Doktor Med stand hinter der Filmapparatur und Jork zählte über den Lautsprecher: „Noch zwei Minuten… noch hundert Sekunden… siebzig… sechzig… vierzig… zwanzig… jetzt!“ Tatsächlich, auf dem Bildschirm verschwand das Bild von Jork und den anderen. Es erschien eine Gruppe von drei Kosmonauten, die scheinbar zu ihnen hinsahen, mit den Köpfen nickten und dann eine große, dicht beschriebene Schrifttafel hochhielten. Der Doktor ließ die Kamera lossurren und brüllte: „Jork! Schreibt auf die Rückseite eurer Tafel ‚Werte empfangen’ und hebt sie hoch!“ Kurz darauf ließen die drei Bildschirm-Kosmonauten ihre Tafel sinken, drehten sie um und Kor las laut vor: „Rakete unbrauchbar! Fünf Überlebende! Wir…“ Mit einem Schlag verschwand das Bild und Jork, der die Tafel gemeinsam mit Mot hochhielt, war wieder zu sehen. Beim Abendessen wollten die Kleinen unbedingt wissen, was eigentlich geschehen war. Auch die Großen konnten ihre Neugier nicht länger verbergen. Jork unterbrach lächelnd seine Mahlzeit und erklärte: „Die Kosmonauten haben uns von vier verschiedenen Tagen ihre Meßwinkel zwischen Sonne und Mars sowie zwischen Sonne und Jupiter sowie ihre Entfer-
nung von der Sonne übermittelt. Aus diesen Daten kann man den Ort ermitteln, an dem sie sich befinden und eine Rakete dorthin schicken. Anscheinend sind sie auf einem der winzigen Planetoiden gelandet, von denen es Tausende gibt. Von dort aus sendeten sie in Richtung Mars, doch dort empfing keiner die Sendung. Merkwürdigerweise nahm eine Kamera bei uns die Sendung auf und die andere sendete in Richtung der Verunglückten. Da werden sich die Physiker noch sehr damit beschäftigen müssen, wie das überhaupt möglich ist. In der Empfangszeit war natürlich wieder unsere ungeklärte Funkstörung.“ „Wie geht es weiter?“ fragte Mot, noch mit vollem Mund. Damit Jork endlich essen konnte, antwortete der Doktor: „Unser Filmstreifen wird gerade automatisch zum Mars übertragen. Von dort aus wird die Erde verständigt. Während die großen Rechenmaschinen den Ort der verunglückten Kosmonauten bestimmen, wird die Rettungsrakete startfertig gemacht. Sobald die Werte vorliegen, beginnt sie ihren Flug.“ Lat meinte fröhlich: „Da haben wir wenigstens einen Erfolg erzielt. Aber mit den Störungen sind wir nicht weitergekommen.“ „Halt! Mir kommt ein Gedanke!“ rief plötzlich Kor und wandte sich an Jork: „Ich weiß, die Station wurde aus starkem harten Plast mit eingelegten Stahlsegmenten gebaut. Woraus besteht der Untergrund?“ Jork blickte verwundert auf und erläuterte: „Der Felsboden der Pallas weist viele Krater, Spalten und Risse auf. Deshalb wurde erst eine drei Meter dicke Plastschicht aufgespritzt. Damit hatte man eine ebene Fläche für den Aufbau der Station geschaffen, der sie gleichzeitig vom Felsboden isolierte, gegen elektrische Ladungen und gegen Wärmeverlust. Genügt dir die Auskunft?“ „Vielen Dank, ich glaube, das reicht. Da wir wegen der Verbindung zum ,Sonnenwind II’ sowieso noch nichts ändern dürfen, möchte ich mich erst mit Lat und Kyr beraten, ehe ich meine Gedanken vorbringe.“ „Einverstanden“, rief Jork, „aber nun beginnt für alle erst einmal die Nachtruhe.“
Als anderntags die Erzählzeit beginnen sollte, saß Lat auf ihrem Stuhl und schnitt schmale Foliestreifen. Kyr schraubte aus Metallrohren einen dreibeinigen Ständer zusammen. „Laßt euch bitte nicht stören, wenn wir uns hier ein Gerät zusammenbauen, das wir dringend brauchen und so schnell wie möglich aufstellen wollen. Wir hören trotzdem aufmerksam zu!“ versicherte Kor und fragte: „Wer erzählt heute?“ Kri schaute sich um, und als sich niemand meldete, sprach sie leise: „Ich kenne auch eine Geschichte von den Gefahren, die einem Kosmonauten drohen können!“
Nur Einzelbeispiele Das Raumschiff umkreiste den zweiten Planeten der fernen Sonne „LEM 21“. Ungeduldig lief Djug, der Kommandant, im Steuerraum hin und her. Endlich brachte der Funker Psi die Aufnahmen des einzigen Kontinents, der mitten in dem Ozean lag, der den ganzen Planeten bedeckte. Mit Djug gemeinsam prüften die Pilotin Beta und sein Stellvertreter, der Astronom Iota, die Bilder. Man mußte damit rechnen, daß der Planet II bewohnt war. Da ist es schwierig, einen Landeplatz zu finden, denn die Feuergarben der Rakete dürfen kein vernünftiges, denkendes Lebewesen gefährden. Iota begann die Auswertung und erklärte: „Hier liegt eine große Stadt, ringsum ist dichter Pflanzenwuchs mit einigen verstreut liegenden Bauwerken, das scheinen Felder zu sein. Dann folgen Hügelketten, nochmals große Felder, ein breiter Fluß, ein ausgedehnter Stausee, größeres Gebirge…“ „Da!“ rief die Pilotin dazwischen, „inmitten der Berge eine kahle Hochebene ohne jeden Pflanzenwuchs, nur nacktes Gestein. Das könnte unser Landeplatz werden.“ Der Kommandant kontrollierte die Aufnahme und ordnete an: „Wir landen genau in der Mitte dieser öden Landschaft. Dort wird sich sicher kein Lebewesen aufhalten.“
Die Rakete setzte im Mittelpunkt der Ebene auf. Ringsum versperrten Berge einen weiteren Ausblick, aber bis dahin war keine Spur von Leben zu entdecken. Die Besatzung versammelte sich im Hauptraum und der Techniker Rho erläuterte die Meßergebnisse: „Wir können ohne besondere Geräte diese Luft hier atmen. Sie ist auch sauber und enthält keine Krankheitserreger. Die Temperatur entspricht einem kühlen Herbsttag auf der Erde. Die Schwerkraft ist fast gleich. Die Luft ist ganz still, keine Spur eines Windes konnte festgestellt werden.“ Wie üblich, stritten sich nun die beiden Gruppen der Wissenschaftler, wer zuerst aussteigen sollte. Erregt beharrte der Biologe Cels auf seiner Meinung: „Nur wir können feststellen, ob von wilden Tieren
oder giftigen Pflanzen Gefahr drohen kann. Es wäre sehr leichtsinnig, ohne diese Untersuchung den fremden Planeten zu betreten.“ Äsku, der Leiter der Gruppe, und die Biologin Hipo unterstützten seine Warnung, wobei sie so viel Fachausdrücke gebrauchten, daß den anderen jeder Zusammenhang verlorenging. Diam, der Leiter der Gesellschaftswissenschaftler, fragte kopfschüttelnd: „Warum seid ihr so einseitig? An kriegerische Gesellschaftsordnungen denkt ihr wohl nicht? Wollt ihr ahnungslos in die Stadt gehen und euch dort überraschen lassen?“ Kommandant Djug entschied den Streit auf seine besondere Weise und befahl: „Die Vorschrift verlangt, daß die Rakete durch einen dichten Metallzaun zu sichern ist. Dabei werden heute alle mitarbeiten. Morgen werde ich entscheiden, wer mit mir in die Stadt fährt.“ Als der Zaun stand, verschwand die Sonne „LEM 21“ gerade hinter dem Horizont und die Planetennacht begann. Iota hatte berechnet, daß bis zum neuen Tag acht Stunden vergehen würden. Der Astronom ordnete Ruhezeit für die Besatzung an, er selbst übernahm die übliche Wache an den Nachtsichtgeräten. Nach einigen langweiligen Stunden glaubte er, an den nördlichen Hügeln eine Veränderung, eine Bewegung bemerkt zu haben. Der Kommandant hatte aber die Benutzung der Scheinwerfer verboten. Vom Funkmeßgerät hatte er aber nichts gesagt. Also schaltete Iota die Funkstrahlbeobachtung ein. Auf dem schwarzen Bildschirm erschienen sechs gleichschenklige Dreiecke vor der Hügellinie. Erstaunt notierte Iota die Beobachtung. Als er wieder auf den Bildschirm blickte, sah er zwölf Dreiecke. Beunruhigt schaltete er die Raumortung ein. Aus den Dreiecken wurden im räumlichen Bild regelmäßige mathematische Kegel, es sah aus, als ständen zwölf spitze Hüte vor den fernen Hügeln. Er weckte den Kommandanten. Als dieser kam, sah er vierzig unbewegliche Kegel. Iota flüsterte: „Sie kommen auf uns zu.“ „Unsinn! Sie stehen ohne Bewegung im Gelände. Du täuschst dich!“ meinte Djug ärgerlich. Aber inzwischen marschierten hundert Kegel auf das Raumschiff zu. Der Kommandant schwieg störrisch, er gab nie zu, daß er sich geirrt hatte.
Die Kegel schlossen innerhalb einer Stunde einen dichten Kreis um die Rakete. Iota sagte beunruhigt: „Ich schätze, es sind ungefähr dreitausend Kegel, die uns einkreisen. Das sieht bedrohlich aus.“ „Keineswegs“, antwortete Djug, „sie sind nur neugierig. Vielleicht wollen sie uns begrüßen?“ Die Morgendämmerung begann. Djug weckte die Besatzung über die Rufanlage und befahl die Leiter der beiden Forschergruppen in den Steuerraum. Draußen war es hell geworden, deshalb setzte sich Iota an das große Außenfernrohr. Gerade als Diam und Äsku den Steuerraum betraten, meldete er dem Kommandanten: „Die Kegel haben Köpfe wie ein Krokodil! Sie haben auch Arme und Beine.“ Mit einem Satz war Äsku bei ihm, schob ihn vom Fernrohr weg und beobachtete selbst. Aufgeregt berichtete er: „Das sind vernünftige Lebewesen. Grüne Ringe, die vom Hals abwärts immer breiter werden, bilden den Körper. Sie haben drei ähnlich gebaute Arme und auch drei solche Beine. Sie lächeln uns zu. Auf dem langen Maul sitzt bei den meisten ein grüner Pilz, nur wenige haben blaue Pilze. Sie blicken alle auf unsere Rakete.“ „Das genügt“, unterbrach ihn der Kommandant, „wir werden uns die Bewohner gleich aus der Nähe ansehen. Wir steigen alle aus.“ Als die Landebrücke ausfuhr, kam Bewegung in die Reihen der Wartenden. Nur wenige Minuten vergingen und alle Grünen standen in mehreren Reihen hintereinander auf dieser Seite der Rakete. Langsam verließen die Menschen ihr Raumschiff. Psi und Rho öffneten die Ausfahrt des Zaunes. Aus der Menge lösten sich vierundzwanzig grüne Kegel, alle mit einem blauen Nasenpilz, und schritten auf Djug zu, der zwei Meter vor den anderen stand. Iota faßte unauffällig nach dem kleinen Strahler, den er heimlich eingesteckt hatte. Der Gesellschaftswissenschaftler Ökon flüsterte leise: „Djug ist unverantwortlich leichtsinnig. Wie kann er nur so sorglos sein und sich und uns schutzlos diesem fremden Leben ausliefern? Gegen einen solchen zwei Meter hohen Kegel mit seinen drei langen Armen können wir uns nicht wehren.“
Doch fünf Meter vor dem Kommandanten blieben die Geschöpfe stehen. Das Krokodilmaul zog sich am inneren Ende nach oben, so daß der Eindruck entstand, die „Grünen“ lachten die Menschen an. Der Kommandant trat zwei Schritte vor, nahm eine blaue Folie aus der Tasche und begann seine Begrüßungsrede. Er sprach: „Wir grüßen euch! Von fernen Sternen sind wir zu euch gekommen, um mit euch Verbindung aufzunehmen. Wir haben friedliche Absichten.“ Während der zehnminütigen Rede starrten die Grünen unverwandt auf Djug. Als er schwieg, blickten sie ihn weiter an. Es war nicht zu erwarten, daß die grünen Kegel die Sprache der Erde verstehen würden, aber nach allen Erfahrungen, die man gesammelt hatte, hätten sie in ihrer Sprache antworten müssen. Der Biologe Cels begann nun zu reden. Vergeblich, die Kegel reagierten nicht. Trotz der schönen Rede schauten sie die Menschen nur unverwandt an. Ärgerlich rief Iota: „Steht nicht so herum! Zeigt uns den Weg zur Stadt!“ Ein langgezogenes „Mimimimi“ ertönte, die Masse der Grünen quirlte durcheinander, bis alle in einer Doppelreihe dastanden und mit den drei Armen in Richtung der Reihe, in Richtung Westen zeigten. Verstanden sie auf einmal die Sprache der Erde? Die Gesellschaftswissenschaftlerin Utos fand die Lösung und erklärte den anderen: „Sie reagieren nur auf Sätze in Befehlsform. Dabei verstehen sie weniger die Sprache, als unsere Gedanken. Wir übertragen ihnen gedankliche Befehle. Das bedeutet aber, daß diese Kegel nur sehr beschränkt denken können.“ Djug war von diesen Worten nicht überzeugt worden, deshalb befahl er: „Stellt euch weiter auseinander! Größeren Abstand halten! Weiter auseinander! Noch weiter!“ Die Grünen führten die Befehle aus! Sie hüpften zurück, bis zwischen den Reihen zwanzig Meter Abstand waren. Beta ließ den großes Geländewagen die Landebrücke herabrollen. Der Kommandant hieß die Biologen sowie Diam und Iota einsteigen und setzte die anderen als Wache ein. Als der Wagen losfuhr, rannte und hüpfte ein Teil der Grünen mit gleicher Geschwindigkeit nebenher, während die Masse der Kegel in Kolonnen nach Norden abmarschierte. Nach einer Stunde erreichte das Fahrzeug die westlichen Berge, eine gepflasterte
Paßstraße führte über sie hinweg und steil wieder nach unten. Dort begann die Stadt. Sechsgeschossige Bauten begrenzten breite Straßen, die sich rechtwinklig schnitten. Dort, wo tiefe Sprünge die Straßendecke zerrissen, wuchsen grüne und gelbe Pflanzen. Die Gebäude waren verfallen, viele der sechseckigen Fensteröffnungen gähnten schwarz und leer. Herabgestürzte Trümmer von Dächern und Häuserwänden zwangen die Kosmonauten zu langsamer Fahrt, die auf einem zentralen Platz endete. Iota erblickte ringsum ebenfalls nur Verfall. Die Stadt schien seit Jahren verlassen zu sein. Die Grünen waren bestimmt nicht die echten Einwohner. Deshalb schöpfte Iota einen noch ungewissen Verdacht und befahl: „Alle behalten den Raumanzug an. Keiner geht allein. In vier Stunden treffen wir uns hier wieder.“ Ärgerlich schnaufte der Kommandant, aber die Dienstordnung verbot ihm, solche Befehle aufzuheben. Während die Menschen noch vor dem Geländewagen standen, näherte sich ihnen eine Gruppe von sechs Grünen. Weil diese nach unsauberem Stall rochen, schlossen Diam und Iota unwillkürlich die Raumanzüge, auch den Helm. Zwei Grüne befühlten sie und verzogen unwillig das Gesicht. Dabei schien es Iota, als habe er in ihrem Maul spitze Zähne gesehen. Dann tasteten beide den Anzug des Biologen Cels ab, berührten dabei sein Ohr und schienen sichtlich zufrieden zu sein. Dann trennte sich die Gruppe der Kosmonauten. Zwei Grüne führten Djug und die Biologin Hipo weiter in westliche Richtung. Die Biologen Äskup und Cels wandten sich nach Norden, begleitet von zwei Grünen. Iota und Diam fuhren mit dem Geländewagen nach Süden, zwei Grüne hüpften ihnen hinterher. Es waren immer solche mit blauen Pilzen auf dem Maul, wahrscheinlich die Anführer. Während der Fahrt beobachteten Iota und Diam überall die gleichen verwahrlosten Häuser und Straßen. Als Iota berichtete, die Grünen hätten vermutlich spitze Raubtierzähne, hielt Diam das Fahrzeug sofort an und befahl den grünen Begleitern: „Öffnet sofort das Maul! Öffnet das Maul weit!“ Doch beide ließen das Maul geschlossen, bewegten die Arme, als wollten sie etwas wegschieben und grunzten ein ärgerliches „Mumumumu“.
Iota wiederholte den Befehl. Daraufhin liefen die beiden Grünen davon und ließen die Männer allein. „Merkwürdig“, sagte Diam, „eigentlich sollen diese Passivtiere jeden Befehl, jede einfache Anweisung ausführen. Aber uns gehorchen sie nicht. Ausgerechnet ihr Maul wollen sie nicht zeigen. Das ist sehr verdächtig. Immerhin, wir wissen nun, daß ,Mimimi’ soviel wie ‚Ja’ und ,Mumumu’ bestimmt ,Nein’ bedeutet.“
Sie fuhren weiter. Die Häuser an den Straßen waren niedrige Bauten, sie waren noch stärker zerfallen. Dazwischen lagen faulende Trümmerhaufen von Holzbaracken und primitiven Hütten. Am Ende der Stadt fanden sie die Reste eines ehemals vierstöckigen Gebäudekomplexes, der anscheinend durch gewaltige Sprengungen zerstört worden war. Diam betrachtete nachdenklich diesen Trümmerhaufen und die Bruchstücke großer Apparaturen. Dann sprach er zu Iota: „Ich vermute bestimmte Zusammenhänge, und wenn dies zutrifft, droht uns Gefahr. Diese Ruine werde ich morgen genau untersuchen und in allen Einzelheiten fotografieren.“ Diam steuerte den Geländewagen wieder stadteinwärts. Als sie den ersten sechsgeschossigen Häuserblock erreichten, meinte Iota: „Wir sind allein hier. Wer weiß, ob uns die grünen Kegel erlauben, daß wir ein Haus betreten. Nutzen wir die Gelegenheit und sehen wir uns das Innere dieses Gebäudes an. Das Fahrzeug verstecken wir hinter den Trümmern der benachbarten Ruine. Uns soll keiner bemerken, denn wir müssen sehr vorsichtig sein.“ Die Männer überquerten die Straße und suchten den Eingang in das noch ziemlich erhaltene Haus. Endlich fanden sie eine verbogene und verkeilte Tür, die sie erst mit dem Plasmastrahler zerstören mußten, ehe sie eintreten konnten. Nach zwölf Schritten nahmen sie wegen der Dunkelheit im Inneren eine Handlampe zu Hilfe. In ihrem Lichtkegel entdeckte Iota an der Wand fünf kleine Löcher, angeordnet als regelmäßiges Fünfeck, und machte Diam darauf aufmerksam. Dieser nahm seinen Handschutz ab und steckte alle fünf Finger in die Öffnungen. Sofort wurde es hell. Die gesamte Decke leuchtete, ohne daß die Kosmonauten eine Lampe oder andere direkte Lichtquelle bemerkten. „Das habe ich erwartet“, erklärte Diam, „die grünen Kegel haben nur vier dicke Finger, also können sie diese Schalter nicht betätigen, also haben sie nie in diesen Häusern gewohnt. Es muß andere Einwohner gegeben haben. Aber warum sind sie verschwunden?“ Die Männer durchschritten alle Räume des Gebäudes und sahen ein Bild fürchterlicher Zerstörung. Von der ursprünglichen Einrichtung
lagen nur Trümmer umher, es war unmöglich, aus diesen Bruchstücken zu erkennen, welche Möbelstücke einst in diesen Zimmern gestanden hatten. Iota war von der ungeheuerlichen Verwüstung sehr beeindruckt und flüsterte: „Es sieht aus, als wäre hier auf Leben und Tod gekämpft worden und die Sieger hätten in sinnloser Zerstörungswut alles vernichtet. Das müßten aber die Grünen gewesen sein.“ Diam stimmte zu und löschte in allen Räumen sorgsam die Beleuchtung, ehe sie zurück zum Sammelplatz fuhren. Äsku und Cels erreichten nach zwanzig Minuten drei breite und lange Hallen. Ihre Begleiter öffneten ein großes Tor an der Stirnseite. Die Biologen traten ein und fanden die Wohnungen der Grünen. Sie standen in einer Stallanlage für 600 Tiere. In großen Boxen waren jeweils zwölf grüne Kegel untergebracht. Ein Teil von ihnen schlief. Dabei zogen sie mit den Armen die Beine hoch und standen auf dem Grundkreis ihres Körpers. Der Gestank im Raum war unbeschreiblich, so daß die Kosmonauten immer schneller zum anderen Ende des Raumes schritten, wo aus dicken Rohren ein grüner Pudding in große Tröge floß. Dort drängte sich eine große Herde grüner Tiere, um ihre Nahrung zu schlürfen. Drei Tröge waren leer. Äsku verglich die Schalter an den Rohren und bemerkte, daß hier die Hebel auf AUS standen, obwohl so viele Tiere fressen wollten. Der Biologe stellte die drei Schalter um. Sofort füllte die grüne Masse die leeren Futterstellen, die von den drängelnden Grünen schnell besetzt wurden. Die blaupilzigen Begleiter schnatterten ein begeistertes „Mimimi“. Immer mehr belästigte der Gestank die Kosmonauten. Deshalb eilten sie durch die nächste Tür ins Freie. Dort begannen große Felder voller mannshoher Büsche mit fleischigen grünen Blättern und Stengeln. Einige Grüne knickten mit ihren dicken Fingern die Büsche kurz vor den Wurzelknollen ab. Andere nahmen je drei Büschel in jedem Arm und trugen sie zu einem großen Trichter, in den sie alle neun hineinwarfen. Äsku erblickte auf dem Boden des Trichters ein Förderband. Die Biologen gingen in Richtung des Bandes weiter, bis sie endlich ein Gebäude erreichten, wo mit elektrisch betriebenen Maschinen der grüne Pudding hergestellt wurde. Dicke Rohrleitungen führten nach verschiedenen Richtungen, auch in Richtung der Tröge, von denen die
Biologen kamen. Plötzlich ließen drei grüne Tiere die Büsche fallen und eilten auf Cels zu, der unwillkürlich den Raumanzug schloß. Sie schnupperten ihn von oben bis unten ab und hielten ihn mit allen drei Armen fest. Doch die blaupilzigen Begleiter sprangen herbei und schlugen den Neugierigen derb auf die grünen Schnauzenpilze. Heulend wälzten die Geschlagenen sich am Boden, rollten zur Seite, erhoben sich mühsam und rannten davon. Ein Blick auf die Uhr veranlaßte Cels zu der Mahnung: „Wir müssen zurück zum Treffpunkt, sonst verspäten wir uns.“ Djug und Hipo waren zunächst eine Stunde durch Staudenfelder geführt worden, bis sie eine stark besuchte Sportanlage erreichten. Auf einem großen, quadratischen Platz standen zwei Gruppen mit je zwölf Grünen. Die rechte Mannschaft hatte ein gelbes, die andere ein schwarzes Tuch ums Maul gebunden. In der Mitte des Spielfeldes lag ein Holzwürfel, der so schwer war, daß nur zwei Spieler gemeinsam die Last heben konnten. Aber die gegnerische Mannschaft sperrte ihnen den Weg, hielt sich am Klotz fest und versuchte, die Gegner auf den grünen Maul-Pilz zu schlagen. Doch diese stießen wuchtig vor, rissen dabei einige der grünen Kegel um, daß diese zur Seite rollten und lange strampelten, ehe sie wieder auf die Beine kamen, denn sie wurden immer wieder umgestoßen. Endlich gelang es drei Spielern der gelben Mannschaft, den Würfel hinter die Feldlinie der „Schwarzen“ zu schieben. Großes Gebrüll der Zuschauer, ein Teil jubelte „Mimimi“, die anderen gaben ihr Mißfallen durch „Mumumu“ kund. Djug war begeistert und brüllte mit. Hipo lachte pausenlos über die komischen Bewegungen der zappelnden und rollenden Umgeworfenen. Als das Spiel mit einem Sieg der Schwarzen endlich endete, blickte die Biologin erschrocken auf ihre Uhr und rief: „Wir müssen uns sehr beeilen, wenn wir noch pünktlich unseren Treffpunkt erreichen wollen.“ Djug beruhigte sie: „Halb so schlimm, schließlich bin ich der Kommandant. Aber allzusehr verspäten möchten wir uns nicht. Gehen wir schnell los.“ Die Wartenden hatten sich gegenseitig ihre Erlebnisse berichtet. Die Dämmerung setzte ein. Iota schaltete sämtliche Scheinwerfer des
Fahrzeuges ein. Sofort flüchteten alle Grünen, die bisher in der Nähe durch die Straßen hüpften. Diam stellte erfreut fest: „Das müssen wir uns gut einprägen. Die Grünen scheuen das elektrische Licht, sie vertragen es anscheinend nicht. Eine wichtige Entdeckung, die uns von Nutzen sein kann.“ Endlich kamen die Verspäteten. Sofort fuhr Diam los. Djug und Hipo erzählten vom Klotz-Spiel, das sie erlebt hatten. Als das Fahrzeug den Paß der Bergstraße erreicht hatte, blickte Iota besorgt in die dunkle Stadt zurück und schilderte die Beobachtungen der Gruppe. Er schloß seine Erläuterungen mit den Worten: „Deshalb ist es notwendig, daß wir sehr vorsichtig sind und den Grünen nicht trauen.“ „Unfug“, antwortete der Kommandant, „diese tolpatschigen Tiere sind ungefährlich. Ihr habt ein einziges Haus gesehen! Aus diesem Einzelfall kann man nicht verallgemeinern.“ Hipo ergänzte eifrig: „Wie sollen Passivtiere, die jedem Befehl gehorchen, für uns gefährlich werden? Tiere, die von Pflanzenprodukten leben, sind ungefährlich.“ Diam wies auf die Befehlsverweigerung hin, die er erlebt hatte. Djug winkte ab und brummte: „Würdest du auf irgendeinen Befehl hin bereitwillig den Mund aufreißen? Hier leben rund viertausend solcher Tiere, wenn euch zwei Tiere nicht gehorchten, dann ist es nur ein zufälliges Einzelbeispiel.“ Bei dieser Meinung blieb auch der Kommandant in der abendlichen Beratung und wies an: „Morgen wird sich die Pilotin Beta mit den beiden Technikern um das Auffüllen der Wasservorräte kümmern und den Fluß im Norden aufsuchen. Die anderen setzen mit mir in der Stadt die Forschungen und Kontakte fort. Ich halte das Tragen des Raumanzuges für unnötig. Die Wache in der Rakete übernimmt Iota.“ Damit rächte sich Djug für die unbequeme Anweisung, die Iota in der Stadt gegeben hatte. Am anderen Morgen standen neben dem Geländefahrzeug auch die beiden leichten Personenwagen, mit denen die Wissenschaftler in die Stadt fahren sollten. Die Techniker Rho und Psi beluden das Geländefahrzeug mit der Pumpe und der Schlauchtrommel, Beta schloß das
freie Ende des Druckschlauches an den Wasserstutzen der Rakete an. Das im Schlauch eingesponnene Stromkabel für den Betrieb der Pumpe wurde von Iota am Anschluß der Landungsbrücke befestigt.
Diam hatte den Gesellschaftswissenschaftlern seiner Gruppe das Tragen des Raumanzuges befohlen. Ökon fand es richtig, aber der zierlichen Utos gefiel das gar nicht. Iota verfolgte an den Bildschirmen des Steuerraumes die abfahrenden Gruppen. In Richtung des Flusses beobachtete er sowohl die Wassersucher als auch die fernen Berge. Gleichmäßig fuhr der Geländewagen auf eine Tallücke zwischen ihnen los, bis Iota plötzlich über den Sprechfunk warnte: „Achtung, Beta! Langsamer fahren. Dort, wo ihr den Fluß erreichen wollt, sammelt sich eine große Herde grüner Tiere. Jetzt marschieren sie auf euch zu. Haltet unauffällig die Laserstrahler bereit, aber wartet ab.“ Die Grünen schwärmten zu einer Linie aus und versperrten dadurch dem Geländewagen eindeutig den Weg zum Fluß. Iota studierte das Luftbild der Landschaft und befahl: „Wir wollen einen Zusammenstoß möglichst vermeiden. Deshalb fahrt ihr im Bogen ein Stück zurück. Ich gebe euch dann die Richtung an, in der ihr den Fluß weiter im Nordwesten erreichen könnt.“ Die List hatte Erfolg. Als die Pilotin einen Kilometer zurückgefahren war, eilten die Tiere davon und verschwanden hinter den Hügeln. Iota verständigte Beta und leitete sie nordöstlich. Nach zwei Stunden leuchteten zwei Lampen am Schaltpult des Steuerraums auf. Die Wassereinnahme begann. Der Kommandant war vom zentralen Platz aus, gemeinsam mit Utos, zielstrebig zum Sportfeld gegangen. Dort führten sie die grünen Begleiter zu einigen freien Sitzplätzen in der ersten Reihe. Heute boxten die Kegel. Seltsamerweise traten immer drei gegeneinander an, die mit allen drei Armen aufeinander losschlugen und sich gegenseitig gegen die Beine traten. Einer fiel dabei um, der Kampf wurde unterbrochen und der erste Verlierer mußte den Kreis verlassen. Die beiden Sieger schlugen erneut los, wobei sie auf den Maul-Pilz des Gegners zielten. Ein mächtiger Hieb ließ den Getroffenen umfallen und sich schmerzerfüllt auf dem Boden wälzen, bis ihn vier Grüne wegtrugen. Der Sieger wurde bejubelt und erhielt einen kleinen gelben Würfel, den er sofort ins Maul steckte. Sofort folgte der nächste Kampf, bei dem ein Grüner erschlagen wurde. Aber das störte die Zuschauer
nicht. Unbeeindruckt schauten sie zu, wie der Tote weggetragen wurde und brüllten begeistert, als die Schlägerei weiterging. Die Gruppe der Biologen versuchte vergeblich, ein Gebäude zu betreten. Immer waren zwölf grüne Tiere zur Stelle, die sie abdrängten. Notgedrungen sammelten die Wissenschaftler Proben der verschiedenen Pflanzen, die überall wuchsen. Das führte dazu, daß die grünen Wächter allmählich verschwanden. Nur einer schritt hartnäckig hinter Cels her. Obwohl Äsku die Tiere für harmlos hielt, ließ er doch den Verfolger nicht aus dem Auge, sein Verhalten hatte doch einen Verdacht geweckt. Plötzlich schlug der Grüne mit allen drei Armen gleichzeitig zu, so daß Cels niederstürzte und wehrlos am Boden lag. Als der Grüne erneut ausholte, betätigte Äsku ohne Zögern den Plasmastrahler, zerfetzte den grünen Maul-Pilz und tötete so den Angreifer. Besorgt blickte sich Hipo um. Aber sie waren allein, keiner hatte den Zwischenfall bemerkt. Äsku und der hinkende Cels rollten den kegelförmigen Körper dicht an die Wand eines halb zerfallenen Hauses. Hipo richtete den Strahler auf einen Eisenträger, der aufglühte und unter der Last abknickte. Die herabstürzende Wand begrub das Tier unter sich. Alle Spuren des Vorfalls waren gelöscht. Ökon und Diam lenkten ihr Fahrzeug nach Süden. Zwei Begleiter folgten ihnen und ließen sie nie allein. Deshalb hielt Diam an und beide begannen, an vielen Stellen die Breite der Straße zu messen. Das war zwar eine sinnlose Tätigkeit, aber sie hatte Erfolg. Die Begleiter sahen gelangweilt eine Zeitlang zu, dann drehten sie sich um und hüpften davon. Sofort setzten die Wissenschaftler ihre Fahrt fort und fotografierten den geheimnisvollen, gesprengten Gebäudekomplex von allen Seiten. Diam kletterte trotz seines Alters auf schwankenden Mauerresten entlang, um die zerstörten Apparate genau ins Bild zu bekommen. Als die Grünen wieder auftauchten, waren Diam und Ökon schon auf dem Rückweg zum Sammelplatz. Dort standen die ratlosen Biologen vor den Trümmern des zweiten Wagens. Im Umkreis von fünfzig Metern fanden sie die Sitze, die Steuerung, die Türen und die Ersatzräder. Mitten auf dem Platz lagen die plattgewalzten Reste des Fahrzeuges. Ebenfalls pünktlich kamen von der anderen Seite Utos und Djug, ihre grünen Begleiter verschwanden, als sie den zertrümmerten Wagen
sahen. Mühsam zwängten sich die Forscher in Diams Wagen, der dann langsam in Richtung Rakete davonfuhr.
Unmittelbar nach der Ankunft begann die Beratung. Die Biologen berichteten vom Abdrängen und vom Überfall. Jetzt war Djug zum ersten Male besorgt, doch aus anderen Gründen, denn er beruhigte sich rasch, als Äsku beschrieb, wie sie alle Spuren verwischt hatten. „Das ist gut so“, sagte der Kommandant, „denn sonst würden die guten Beziehungen zu den anderen Tieren gestört.“ Cels protestierte aufgeregt: „Der Überfall mahnt uns alle zu größter Vorsicht. Um ein Haar wäre ich das erste Opfer der Grünen gewesen.“ Djug schüttelte den Kopf und entschied tadelnd: „Das ist völlig falsch. Schon wieder wollt ihr einen Einzelfall verallgemeinern, bloß weil euch von viertausend Tieren ein einziges angegriffen hat.“ „Und unser Wagen?“ fragte Äsku entrüstet. Ärgerlich entgegnete der Kommandant: „Das ist allein eure Schuld. Ihr habt an der falschen Stelle geparkt. Eine Elefantenherde auf der Erde hätte ihn genauso zugerichtet, wenn er ihr im Wege gewesen wäre. Ein unglückliches Einzelbeispiel, mehr nicht.“ Diam sagte ganz ruhig: „Kurz vor der Abfahrt wollte mir ein Grüner den Raumanzug aufschlitzen. Erst als ein Blaupilziger auf ihn einschlug, ließ er davon ab. Noch ein Einzelbeispiel dazu?“ Störrisch beharrte Djug auf seiner Meinung: „Du sagst selbst, daß die Blaupilze für Ordnung sorgen. Der beste Beweis dafür, daß nur ein einzelner Grüner falsch gehandelt hat. Schluß jetzt mit der Panikmacherei! Die Beratung ist beendet, Iota teilt die Dienste für morgen ein.“ Damit verließ der Kommandant den Raum, die anderen folgten ihm. Bei Iota blieben nur die beiden Leiter der Gruppen und die Pilotin zurück. Beta teilte aufgeregt mit: „Wir erhalten nur noch die Hälfte der Wassermenge, die fließen müßte. Ich finde hier keine Ursache dafür, wir müssen die Leitung kontrollieren.“ Iota bestätigte den Auftrag und fügte hinzu: „Ich fahre selbst mit euch zum Fluß. Diam und Cels übernehmen morgen die Wache, ich nehme an, Cels kann die Rakete sowieso nicht verlassen, die Schläge
haben ihm doch schmerzhafte Prellungen zugefügt. Ansonsten teilt jeder Gruppenleiter selbst ein!“ Als die anderen ihre Plätze verließen, beugte sich Diam zu Iota hinüber und flüsterte: „Wenn das zutrifft, was wir beide vermuten, erwarte ich über Funk das Kennwort ‚Krokodil’, damit ich sofort handeln kann. Ich übernehme freiwillig morgen die Wache.“ Am folgenden Tag nahm Djug schweigend zur Kenntnis, daß nur Ökon und zwei Biologen mit ihm zur Stadt wollten und daß alle drei den vollständigen Raumanzug trugen. Cels blieb im Labor, um die Aufnahmen auszuwerten, die Diam ihm übergeben hatte. Iota fuhr mit seinen drei Begleitern mit Höchstgeschwindigkeit zum Ufer, an dem die Pumpe stand. Dort sahen sie die Ursache der Störung: Der Schlauch war an zwölf Stellen zusammengequetscht und aufgerissen worden. Die Isolierung des Stromkabels hing zerfetzt herab, doch dadurch mußten die Zerstörer elektrische Schläge bekommen haben und hatten den Schlauch fallen lassen. Rho und Psi schnitten mit den Plasmastrahlern das beschädigte Stück ab. Glücklicherweise konnten sie durch Straffen des verlegten Schlauches die nun fehlenden acht Meter einsparen. Beta und Iota hielten ihre Strahler einsatzbereit und beobachteten aufmerksam die Umgebung. Plötzlich stürmten von links zwölf grüne Tiere auf Rho und Psi zu, die gerade die Pumpe wieder anschlossen. Die aufgerissenen Mäuler der Grünen, die lange, spitze Zähne erkennen ließen, die ausholenden Spiralarme verrieten ihre Absicht, die beiden wehrlosen Männer zu überfallen. Erbarmungslos betätigten Iota und Beta im gleichen Augenblick die Strahler. Innerhalb weniger Sekunden wurden alle Angreifer getötet. Iota stieg in den Geländewagen und schob damit die regungslosen Kegelkörper in den rauschenden Fluß, in dem sie versanken. Dann befahl er: „Beta und Psi bleiben immer zur Verteidigung bereit und beschützen Rho, der für die Pumpe verantwortlich ist. Laßt sie noch eine Stunde laufen, dann baut sie Rho allein ab. Fahrt dann das Fahrzeug hoch an den obersten Uferrand. Seid startbereit und äußerst wachsam! Ich werde inzwischen flußaufwärts kundschaften, denn von dort kommt die Gefahr!“
Iota vermied es, den Uferweg zu betreten, den die Grünen benutzt hatten, sondern schlich sich dicht daneben im flachen Wasser entlang. Hinter der zweiten Flußbiegung sah er die hohe Mauer des Stausees vor sich, auf der hunderte grüner Tiere geschäftig hin- und herliefen. Unten, auf dem Weg, standen zwanzig Grüne und bewachten die Treppe, auf der zwei Kolonnen Tiere herabstiegen. Iota schloß den Raumanzug, tauchte ins tiefe Wasser und schwamm mühsam gegen den Strom, bis er die Mauer erreichte. An ihrem Fuß wuchsen dichte
Büsche, die ihm eine ausgezeichnete Deckung boten. Schnell fand er das, was er suchte: In jeder Staumauer müssen Überwachungsgänge sein! Durch eine schmale, rechteckige Öffnung zwängte er sich hinein. Für die Grünen war der Zugang viel zu schmal. Schon nach wenigen Schritten bemerkte Iota im Schein der Handlampe eine Reihe von Skeletten, die dem menschlichen Knochenbau sehr ähnlich waren. Das war alles, was von den Erbauern der Stadt und der Talsperre übrig geblieben war. Weiter hinten stand ein kleiner, roter Kasten. Iota öffnete ihn vorsichtig und fand viele Bilder, auf denen eindeutig zu sehen war, daß die Bewohner des Planeten „Zwei“ von den grünen Tieren aufgefressen worden waren, soweit sie nicht in ihren belagerten Zufluchtsorten verhungerten. Der Kosmonaut steckte die BildDokumente in die Innentaschen des Raumanzuges und schlich zielstrebig den Gang entlang, stieg viele Stufen hinauf, bis er durch eine ebenso schmale Öffnung die leere Schaltwarte erreichte. Vorsichtig blickte er aus dem Fenster. Am Ufer des Stausees standen in langen Reihen die grünen Tiere, es mochten mehr als dreitausend sein. Kolonne um Kolonne formierte sich und marschierte in Richtung der Stadt oder stieg über die Staumauer ins Flußtal hinab. Jetzt tat Eile not! Iota betrachtete die Schalttafel. Gezeichnete Symbole und die angebrachten Meßgeräte verrieten ihm die Funktionen einiger Schalter. Er drückte die beiden größten Hebel kraftvoll nach unten, zwängte sich durch die Öffnung des Ganges und rannte die Treppe hinab. Als er unten ins Freie trat, stand er unmittelbar vor dem spritzenden, schäumenden Hochwasser, das jetzt unter der Staumauer hervorquoll, die Büsche überschwemmt hatte und das Tal voll ausfüllte. Es überflutete den Weg so, daß die dort marschierenden Grünen weggeschwemmt wurden und im Wasser versanken. Iota schloß seinen Raumanzug, verstellte die Ventile der Luftversorgung so, daß sich der Anzug aufblies und ließ sich ins wirbelnde Wasser fallen. Wie ein Boot schwamm er auf den Wellen. Rasch trug ihn die Strömung zur Landestelle. Eilig stieg er die steile Uferböschung hoch, schwang sich in das abfahrbereite Fahrzeug und befahl keuchend: „Sofort losfahren! Funkverbindung zur Rakete aufnehmen und dreimal das Wort ‚Krokodil’ durchgeben. Sonst nichts weiter!“
Kaum waren sie hundert Meter gefahren, als plötzlich der Feuerschweif einer kleinen Rakete schräg über dem Horizont aufstieg. Dann donnerte eine mächtige Explosion. Über der fernen Stadt bildete sich eine dichte, dunkelrote Wolke. Beta rief erstaunt: „Das Signal für sofortigen Start! Schneller fahren, die Erde ruft uns zurück!“ Iota lächelte verstohlen, denn das Raketensignal war die Antwort auf das vereinbarte Kennwort „Krokodil“. Die Expeditionsgruppe in der Stadt schien den Startbefehl erwartet zu haben. Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, bis alle am Wagen waren, dessen starke Scheinwerfer die durch die Wolke hervorgerufene rote Dämmerung erhellten. Als letzter kam Djug angerannt, ihm folgten seine grünen Begleiter. Als der Kommandant einsteigen wollte, riß das neben ihm stehende Tier das Maul auf und biß ihn in den ungeschützten linken Arm. Geistesgegenwärtig schlug Hipo dem Grünen mit einem Hammer auf den blauen Pilz. Aufheulend riß das Tier das Maul auf und fiel zu Boden. Gleichzeitig wehrte Ökon die Schläge des zweiten Grünen mit dem Strahler ab. Mit einem Ruck fuhr Äsku mit höchster Geschwindigkeit los. Unbehelligt erreichten sie den Stadtrand. Doch die Auffahrt zum Paß war durch zwei Gruppen dicht stehender Grünen gesperrt. Äsku steuerte den Wagen direkt auf sie zu und Ökon warf ihnen eine Sprengladung vor die Füße, die krachend detonierte. Ein Teil der grünen Kegel kippte um und rollte beinezappelnd zur Seite, die anderen flüchteten voller Angst. Der Wagen jagte bergauf. Hipo blickte sich um und meldete: „In der Stadt sind jetzt viele Kolonnen Grüner zu sehen, die zur Auffahrt rennen. Eine Kolonne folgt uns im Abstand von zweihundert Metern.“ Doch an der höchsten Stelle der Straße stand schon Iota mit dem Geländewagen. So grell leuchteten dessen Scheinwerfer, daß die Verfolger stehenblieben. Der Wagen mit der Expeditionsgruppe fuhr bereits bergab, als Iota und Psi vom Geländewagen aus die Strahler einsetzten und die Straßendecke zum Glühen brachten. Als die Tiere die Hitze spürten, wichen sie zurück. Aber immer neue Kolonnen verstärkten die Reihen der Verfolger. Nach einer Stunde heulte eine Signalrakete heran und detonierte über ihnen. Iota rief: „Die andern haben das Raumschiff erreicht. Wir können abfahren.“
Im Höllentempo raste das Fahrzeug hinunter. Die Straße war hell erleuchtet, Diam hatte die großen Suchscheinwerfer der Rakete auf die Paßstraße gerichtet. Psi hatte den Blendschutz herabgeklappt und nahm die Kurven wie ein Rennfahrer. Erschöpft erreichten sie die Rakete. Die geblendeten Tiere brauchten viel Zeit, um die grell beleuchteten Stellen zu umklettern und die Straße wieder zu betreten. Als die ersten hundert Grünen gegen den Schutzzaun donnerten, startete die Rakete mit einer Feuerwolke und ließ die Angreifer zurückweichen.
Wieder umkreiste die Rakete den Planeten. Die gesamte Besatzung war im Hauptraum zusammengekommen. Iota zeigte die im Staudamm gefundenen Bilder, Diam erklärte die Fotos von dem gespreng-
ten Gebäude und Ökon erzählte die Geschichte des Planeten: „Vor siebenundsiebzig Jahren faßten die Herren der Produktionsstätten und des Kraftwerkes, die Besitzer der Gebäude und der Bodenschätze den Beschluß, denkfähige Tiere zu züchten, die alle Arbeiten ausführen sollten. Das Schicksal der Besitzlosen kümmerte sie nicht, nur die Wissenschaftler und Ingenieure brauchte man für die Leitung der Betriebe. Die grünen Tiere zeigten sich sehr anstellig. Sie übernahmen die Arbeit auf den Feldern, in den Fabriken und Bergwerken, bedienten die Besitzenden und säuberten die Stadt. Sie boxten und spielten das Holzwürfel-Spiel vor ihren Herren. Die Leute ohne Besitz, die in den alten, dunklen und feuchten Häusern und in den niedrigen Holzbaracken wohnten, fanden keine Arbeit mehr. Man erlaubte ihnen nur, sich kostenlos von dem Pflanzenpudding zu ernähren, mit dem die Arbeitstiere gefüttert wurden. Viele Einwohner starben an Krankheiten und an Entkräftung. Inzwischen hatten die Grünen heimlich alle anderen Tiere des Planeten aufgefressen. Nun wagten sie sich an die Einwohner heran. Immer wieder verschwanden von den armen Bewohnern ganze Gruppen. Aber die Besitzenden stritten stets ab, daß diese Leute Opfer der Grünen geworden waren. Immer neue Tiere wurden von der Brutanstalt geliefert. Eines Tages – vor etwa dreißig Jahren – stürzten sich die Grünen überraschend auf ihre Herren und fraßen sie auf. Nur wenige konnten sich wehren, doch die Tiere belagerten sie, bis sie verhungerten. Nur die Wissenschaftler der Brutanstalt verschonte man. Doch als diese ihre Lage erkannten, sprengten sie die Anlage und alles in die Luft, auch sich selbst. Die Produktionsstätten und Gebäude verfielen, nur das Kraftwerk, das die Futterautomaten mit elektrischem Strom versorgte, lief weiter. Die Grünen hatten die Schaltzentrale rechtzeitig besetzt, obwohl sie unfähig waren, sie zu bedienen. Deshalb wollten uns auch die Anführer in ihre Gewalt bringen. Sie brauchten Techniker, die alle Anlagen in Gang hielten. Die anderen Grünen sahen in uns nur eine Beute, die sie fressen wollten. Ich schätze, in ungefähr zwanzig bis dreißig Jahren werden die Tiere hier aussterben, denn älter als sechzig Jahre werden sie nicht. Neue Grüne kann keiner mehr ausbrüten. Wir sind unversehrt vom Planeten II weggekommen, Rache nehmen wäre sinnlos.
Ich schlage vor, wir lassen um den Planeten einen Satelliten kreisen. Ein großes Bild mit einem Grünen, der das Maul mit den Raubtierzähnen aufreißt, müßte darauf zu sehen sein. Diese Warnung wird jeder verstehen, der hier einmal landen will.“ Der Kommandant hob mühsam seinen verbundenen und geschienten Arm und fragte mürrisch: „Ist das nichts? Ich bin nicht unversehrt davongekommen. Ich verlange, daß wir etwas unternehmen.“ Äsku, der älteste der Kosmonauten, schaute ihn todernst an und sprach spöttisch: „Aber Djug! Du kannst dein Einzelbeispiel doch nicht verallgemeinern!“ Als sich das Gelächter gelegt hatte, sagte Iota leise: „Außerdem habe ich die Frage, wenn auch unabsichtlich, schon entschieden.“ Verwundert starrten ihn alle an. „Ich habe im Stausee den Grundablaß gezogen, damit die Kolonnen der Grünen nicht durch das Flußtal ziehen und uns von dort aus bedrohen sollten. Deshalb hat der Stausee kein Wasser mehr, das Turbinen treiben und Strom für die Futterautomaten erzeugen könnte.“ Alle sannen über diese Geschichte mit ihrem überraschenden Schluß nach. Nur Kor sauste sofort davon. Kyr entschuldigte ihn und erklärte: „Ihr habt doch gesehen, daß wir unseren palmenähnlichen Folienbaum auf die Plattform vor der Station gestellt haben. Kor muß ihn stündlich kontrollieren.“ Inzwischen begannen Jork und der Doktor Med mit den Vorbereitungen für die Verbindung zu den fernen Kosmonauten, die sie nach weiteren zwei Tagen ohne Empfang für heute erwarteten. Eine große Tafel mit der Inschrift: „EUER ORT BESTIMMT! HILFE UNTERWEGS!“ wurde an der Decke aufgehängt, die Filmkamera bereitgestellt und jeder setzte sich auf seinen Platz. Kor kam zurück, nickte den anderen geheimnisvoll zu und zeigte auf den Bildschirm. Urplötzlich erschienen dort alle fünf Kosmonauten, blickten angespannt nach vorn, winkten mit beiden Armen und zeigten ein Schild „Letzte Sendung“, Schon wurde der Bildschirm schwarz und zeigte dann nur noch den Gang.
Der neue Tag begann mit einer Arbeitsberatung. Zuerst berichtete Lat: „An unserem Fernrohr war ein leuchtender Saum zu sehen. Das ist eine elektrische Erscheinung, die bei Aufladungen entsteht und natürlich Funkverbindungen stören kann. Es mußte eine Ursache dafür geben. Der Name des verunglückten Raumschiffs brachte mich auf den richtigen Weg. Als ,Sonnenwind’ bezeichnet man die elektrische Teilchenstrahlung der Sonne, in deren Bereich wir jeden Abend kamen und die unsere gesamte Station mehr und mehr aufgeladen hat. Die Plastschicht unter uns verhinderte das Abfließen der Ladungen.“ „Aber“, erzählte Kor weiter, „das waren alles nur unsere Vermutungen. Der Folienbaum wurde unser Kontrollgerät. Wir stellten ihn auf das Plastfundament vor die Station. Im Laufe des Tages spreizten sich seine Streifenblätter immer mehr. Am Abend sah er aus wie Lit, bevor wir ihn ans Kämmen erinnert haben. Das war der Beweis, daß wir richtig überlegt hatten, daß sich hier allmählich ein elektrisches Feld verstärkte. Die elektrische Teilchenstrahlung der Sonne lädt unsere Station ständig auf. Das isolierende Fundament hält die Elektronen fest und läßt sie nicht abfließen. Schließlich bedeckt das Spannungsfeld die gesamte Funkstation wie ein Kissen und läßt die Funkwellen nicht mehr durch. Nur in Richtung der Mittelachse werden Funksignale gesammelt, dadurch bekamen wir Verbindung zur Rakete ,Sonnenwind II’, die genau in dieser Richtung auf einem winzigen Planetoiden liegt. Erst wenn die Ladung ihre Höchststärke erreicht hat, schlägt ein langer Blitz aus der Außenwand der Station in den Felsboden der Pallas ein und entlädt alles. Alle, die vor uns danach gesucht haben, ließen ihre Rakete mit ausgefahrener Landebrücke warten. Dadurch wurde aber die Station außen ,geerdet’, das heißt, mit dem Felsboden verbunden, und die angesammelten Ladungen flossen über die Brücke schnell ab.“ Jork nickte nachdenklich und sagte: „Es waren hervorragende Fachleute, denen die Ursache verborgen blieb. Wenn sie anwesend waren, gab es keine Störungen. Also mußten sie bei ihren Besuchen etwas Grundlegendes verändern. Ich vermute, daß die Rakete beteiligt sein könnte, deshalb stimmte ich Meds Vorschlag zu, daß wir uns ohne Rakete längere Zeit hier aufhalten sollten. Ehrlich gesagt, ich hatte
nicht erwartet, daß ihr die Lösung allein findet. Das ist eine schöne Leistung. Gleiche Anerkennung für den Mut, den Mat und Kra gehabt haben, uns von dem unwahrscheinlichen Gespenst zu berichten, dadurch können die tapferen Kosmonauten vom ,Sonnenwind II’ gerettet werden. Ihr habt alle zusammen eure Aufgabe großartig erfüllt.“ „Noch nicht vollständig!“ wehrte Lat ab, „wir müssen die Störung auch beseitigen. Ich denke, das können wir schaffen. Der Sender muß natürlich isoliert stehen, sonst könnte man nicht senden, weil die Sendeenergie abfließen würde. Doch es ist so, daß die Aufladung ganz allmählich erfolgt. Da elektrische Felder dieser Art immer an der Oberfläche bleiben, entsteht also um die Station herum eine immer dicker werdende elektrische Wolke. Wenn wir nun um das Plastfundament ein Metallband legen, das wir dann mit dem Felsboden verbinden, werden die in der Nähe liegenden Ladungen vom Sockel abfließen. Dadurch strömen die Ladungen von den anderen Teilen des Gebäudes nach und müssen gleichfalls in den Felsboden wandern. Immer wieder versucht das Feld, die entstandenen Lücken auszugleichen und verliert immer wieder Ladungen an den Felsboden. Damit kann das Feld nie mehr eine störende Größe erreichen.“ Begeistert klatschte Dr. Med in die Hände und fragte Jork: „Ist die Lösung richtig? Können wir selbst die Störung beseitigen?“ Dieser nickte und bestätigte: „Ausgezeichnet. Genauso läßt es sich durchführen. Kor wird die Löcher in den Felsboden bohren, Kyr brennt die Rinnen für das Metallband aus der Plastschicht und Lat wird mit dem kleinen Plasterzeuger die Metallbänder auf dem Fundament festkleben. Kra und Kri werden die einzelnen Streifen heraustragen und verlegen. Ich schweiße sie zusammen. Unsere drei jüngsten Kosmonauten werden von der Kuppel des Sendeturmes aus mit Scheinwerfern alle Arbeitsplätze beleuchten. Aber alle müssen durch feste Leinen am Gebäude festgehalten und gesichert werden.“ Die Arbeit war rascher beendet, als sie gedacht hatten. Beim Abendessen saßen sie fröhlich beisammen und ließen sich ihre Erschöpfung nicht anmerken. Jork gab bekannt: „Morgen mittag wird uns eine große, eine besondere Rakete abholen. Mehr darf ich euch nicht verraten.
Nach dem Frühstück werden wir hier wieder Ordnung schaffen und unsere Sachen packen.“ „Soll es wirklich schon wieder nach Hause gehen?“ fragte Lit enttäuscht. Doktor Med blinzelte ihn aus den Augenwinkeln an und flüsterte: „Das hat Jork nicht gesagt. Aber es ist und bleibt ein Geheimnis.“ Rasch war die Station wieder für neue Gäste empfangsbereit, hatten alle ihre Sachen verpackt und mußten noch vier Stunden bis zur Ankunft der Rakete warten. „Bis dahin möchten wir noch erzählen!“ mahnte Mot. „Ich fange gleich an!“ beruhigte ihn Mat.
Roboter zugelaufen Im Kombinat Nord, einige Kilometer vor der Stadt, hatte Ter sein Praktikum zu leisten. Er verzichtete auf alle anderen Verkehrsmittel und benutzte das Fahrrad, denn er wollte damit für den Zwölfkampf bei der Bezirksmeisterschaft trainieren. Eines Nachmittags, bei der Heimfahrt, bemerkte er einen Kleintransporter, der im Straßengraben lag. Das linke Vorderrad hing in der Luft. Die Seitentür war aufgerissen und baumelte hin und her. Hinter der Steuerung saß noch ein Mann. Ter fuhr besorgt heran, um ihm Hilfe zu leisten, da hörte er, wie jener mit dem Funksprechgerät meldete: „Der Transporter muß abgeschleppt werden. Außerdem ist die Ladung verschwunden!“ „Kein Gruund zur Aufregung“, antwortete eine Stimme aus dem Lautsprecher, „wir kommen gleich mit dem Kranwagen. Um die Ladung mache dir keine Sorgen, die mußte sich unter diesen Umständen selbständig machen. Um Mitternacht meldet sich unser Objekt von selbst.“ Der Fahrer kletterte mühsam aus der Kabine und blickte erstaunt auf den Radfahrer. „Kann ich helfen?“ fragte dieser.
„Danke! Das ist nicht nötig. Du kannst weiterfahren!“
Ter trat kräftig in die Pedale, er wollte die verlorene Zeit wieder aufholen. Nach fünf Minuten vernahm er plötzlich Geräusche hinter sich. Er blickte sich um und sah einen großen braunen Hund, der ihn verfolgte und ihn mit großen Augen aufmerksam beobachtete. Ter steigerte die Geschwindigkeit, doch sein Verfolger hielt mühelos mit, lief noch schneller und näherte sich immer mehr. Nun rannte er schon neben dem Fahrrad her und bellte ununterbrochen. Ter fuhr trotzdem weiter. Der Hund hob den buschigen Schwanz, setzte zu einem Zwischenspurt an, überholte den Radfahrer und versuchte, ihn aufzuhalten. Ter ließ sich nicht stören. Der Hund bellte lauter, rannte voraus, drehte sich um und sauste dabei mit unverminderter Geschwindigkeit rückwärts! Seine Augen leuchteten rot und blickten Ter vorwurfsvoll an. Verblüfft trat er auf die Bremse und hielt an. Sofort setzte sich der Hund vor das Vorderrad und hielt es mit den Pfoten fest. „Was soll das? Warum läßt du mich nicht heimfahren?“ fragte Ter ärgerlich. In diesem Augenblick vernahm er ein Donnergepolter, ein Splittern und Knacken. Ein kurzes Stück vor ihnen war ein riesiger, verzweigter Ast von einem Straßenbaum auf die Straße gestürzt. Ter schrak zusammen und wurde blaß. Wenn er weitergefahren wäre, läge er jetzt unter dem Gewirr von Ästen und Zweigen! Freundlich schaute er den Hund an und lobte ihn: „Das hast du gut gemacht! Dafür danke ich dir! Woher wußtest du das?“ Grün leuchteten die Augen des Tieres, als es antwortete: „Das Geschrei der Vögel war ein Signal für die drohende Gefahr!“ Ter mußte erst mehrmals ganz tief Luft holen, um seiner Überraschung über ein sprechendes Tier Herr zu werden, ehe er fragte: „Wie heißt du? Wirst du mich weiterhin begleiten?“ Gelb mit beiden Augen blinkend stieß der Hund hervor: „Ich bin NOGLI, das heißt neugierig orientiertes Gerät lernender Information. Ich bleibe vorläufig bei dir.“ Ter war beruhigt. Ein Robotergerät konnte natürlich etwas sprechen, schließlich studierte er Automatentechnik, da wußte er Bescheid. Langsam schob er sein Rad bis zu dem abgestürzten Ast, legte es auf die Fahrbahn und bemühte sich, das Hindernis von der Straße zu räumen. Doch der Ast war zu groß für seine Kraft. Erst als NOGLI den dicken
Ast quer ins Maul nahm, die Beine fest auf die Straße stemmte und in der gleichen Richtung zog, bewegte sich die sperrige Masse. Als die Straße wieder frei war, schwang sich Ter auf sein Fahrrad und mußte kräftig treten, um das Tempo mitzuhalten, das der Hund vorlegte. Als sie die Dachstube betraten, die Ter bewohnte, rannte NOGLI zielstrebig durch den Raum, öffnete mit den Vorderpfoten alle Schränke, steckte die Nase hinein, schnupperte alle Gegenstände an und schloß sorgsam die Türen wieder. Er schnüffelte in allen Ecken, kroch unter das Sofa und kam plötzlich auf den Hinterbeinen anspaziert, da er mit den vorderen eine kläglich piepsende Maus gepackt hatte, die er interessiert betrachtete und beroch. Dann piepste der Hund in ähnlicher Weise die Maus an und setzte sie auf den Fußboden. Schnell huschte sie davon. Der Roboterhund sprang zur Wohnungstür, öffnete sie und fiepend flitzten sechs Mäuse hinaus. Ter hatte von ihnen bisher noch nichts bemerkt, bedankte sich aber höflich bei NOGLI. Der hatte inzwischen die eiserne Tür entdeckt, hinter der in einem Blechkasten die elektrischen Sicherungen und eine Steckdose in die Wand eingebaut waren. Der Hund mußte die Schnauze zu Hilfe nehmen, um den Blechkasten zu öffnen, in dem er verschwand. Nur noch die Nasenspitze war durch die angelehnte Tür zu sehen. Ter ließ ihn gewähren. Beim Essen fragte er aus Höflichkeit: „NOGLI, willst du etwas haben?“ „Nein. Erst morgen brauche ich etwas Wasser.“ Ter schmauste weiter, räumte das Geschirr weg und schlich sich dabei zielstrebig an den Sicherungskasten heran. Mit einem Ruck riß er die Tür auf und sah, daß der Hund seinen buschigen Schwanz wie einen Stecker in die Steckdose geschoben hatte. Mit blau schimmernden Augen bellte NOGLI: „Das ist Energie für mich. Ich habe heute viel verbraucht.“ Ter versuchte vorsichtig, das Tier zu streicheln. Das schien ihm gleichgültig zu sein, denn es hatte ein künstliches Fell aus Chemiefasern. Als sich wenig später Ter zur Nachtruhe hinlegte, klappte NOGLI die Kastentür vollständig zu. Am frühen Morgen wurde Ter durch einen kräftigen Stups auf die Nase geweckt. Nochmals mißhandelte die rechte Vorderpfote des
Hundes die Nase, dazu knurrte er: „Aufstehen! Ich muß die Umgebung erkunden! Das ist meine Aufgabe!“ „Jetzt schon?“ maulte Ter, „ich habe doch heute meinen freien Tag. Laß mich weiterschlafen!“ Dabei wollte er sich auf die Seite drehen, aber ein weiterer Stoß überzeugte ihn davon, daß er das Bett verlassen mußte. Der Hund nahm beim Frühstück genau einen Liter Wasser zu sich und verlangte, daß Ter mit ihm das Haus verließ. Auf den Straßen war es noch still. Nur wenige Leute waren unterwegs. NOGLI betrachtete alles gründlich, beschnüffelte und betastete alle möglichen Gegenstände und ließ sich von Ter erklären, wozu Schleusen, Briefkästen und Hydranten dienten. Auf einmal kam ihnen ein größerer Hund entgegen und begann, ganz böse zu bellen und zu knurren. NOGLI drehte langsam den Kopf, schaute das fremde Tier verwundert an und bellte zurück. Dann trottete er langsam weiter. Nun riß der große Hund das Maul auf und stürmte wütend auf ihn zu. Doch dieser setzte sich gemächlich auf die Hinterbeine, wartete den richtigen Augenblick ab und verpaßte dem Angreifer mit den Vorderpfoten zwei kräftige Kinnhaken, die ihn zu einem vollständigen Überschlag rückwärts zwangen. Wütend rappelte er sich auf und drang ungestüm erneut auf NOGLI ein, der ihn fest packte, tüchtig schüttelte und zur Seite schleuderte. Der große Hund zog den Schwanz ein und schlich kleinlaut davon. Anerkennend meinte Ter: „Du hast Mut und Kraft. Großartig, wie du ihn verjagt hast!“ „Er wurde gewarnt und wollte nicht hören. Er ist selbst schuld!“ brummte NOGLI. Immer noch hatte er viel zu erforschen, doch bald drohte ihm eine neue Gefahr. Von einem Baum herab sprang ein großer schwarzer Kater auf seinen Rücken, fauchte und krallte sich im Fell fest. Schon wollte er zubeißen. NOGLI guckte verwundert nach hinten, schüttelte sich, doch der Gegner hielt fest. Plötzlich huschten knatternde elektrische Funken über das Hundefell und dem Kater in die Nase, der sich kläglich mauzend erschreckt zur Seite fallen ließ und sich schleunigst in einer Hecke versteckte. Ter dachte: „Dieses automatische Gerät ist gut ausgerüstet. Ich bin gespannt, welche Überraschungen unser Spaziergang noch bringt. Wir werden noch bis zum Fluß gehen, vielleicht geht er dann mit heim.“
Am Ufer hatte Ter viel Mühe, ehe es ihm gelang, dem Hund zu erklären, welcher Zusammenhang zwischen seinem Trinkwasser und dem Wasser im Fluß bestand. Dabei hatte sich ein dichter Schwarm von Fliegen und Mücken über Ters Kopf angesammelt, der ihn sehr belästigte. Er konnte mit den Händen oder sogar mit dem Taschentuch wedeln wie er wollte, die Fliegen krabbelten ihn am Hals, und die Mücken stachen in die Arme. NOGLI betrachtete kritisch den Insektenschwarm, dann stellte er sich auf die Hinterbeine und stieß einen hohen sirrenden Ton aus, der auf Ters Rücken eine Gänsehaut erzeugte und seine Zehen vibrieren ließ. Die Insekten fielen zu Boden, zappelten und krabbelten dort ein Weilchen und flogen nach allen Richtungen davon.
Unbelästigt schritt Ter mit seinem Hund weiter, bis dieser unbekannte, seltsame Tiere entdeckte. Vor einem Haus wartete eine weiße Hochzeitskutsche, die von zwei geschmückten Pferden gezogen wurde. NOGLI schlich um beide herum, schnupperte sie an, lief zwischen ihren Beinen hindurch, was sie sich friedlich gefallen ließen. Nur der Pferdelenker mit dem weißen Zylinderhut war anderer Meinung. Barsch schrie er: „Junger Mann! Ruf deinen Hund zurück! Das rechte Pferd ist heute sowieso sehr unruhig und störrisch. Ich möchte nicht, daß ein Unglück geschieht.“ Gerade dieses Pferd wieherte. Daraufhin kam NOGLI von selbst zu Ter zurück und flüsterte: „Das Tier hat einen Stein im Huf und dadurch Schmerzen.“ „Kannst du das Pferd fragen, ob wir helfen können?“ wollte Ter wissen. NOGLI eilte zu dem Tier und wieherte mehrmals. Der Kutscher schaute fassungslos und mit offenem Mund den seltsamen, wiehernden Hund an. Das Pferd wieherte kläglich und hob das rechte Vorderbein. Ter trat näher und forderte: „Das Pferd hat einen Stein im Huf, der muß sofort entfernt werden.“ Ungläubig, doch folgsam, stieg der Mann vom Kutschbock, untersuchte den Huf, ließ Ter mit zufassen und zog den Stein heraus. Ter verabschiedete sich, der Kutscher schwenkte seinen weißen Zylinder und schaute kopfschüttelnd den beiden Spaziergängern nach, die den Heimweg antraten. Ter lobte den Hund und ließ sich auch nicht stören, als ihnen unvermittelt Leute entgegenrannten, die etwas Unverständliches schrien und in die umliegenden Häuser eilten. Doch an der nächsten Straßenecke standen sie plötzlich einem ausgewachsenen Löwen gegenüber, der das Maul aufriß und sie laut anbrüllte. Als er zum Sprung ansetzen wollte, antwortete ihm der Roboterhund mit einem Gebrüll in doppelter Lautstärke und ging geradewegs auf ihn zu. Das schien ihn zu beeindrucken, er wich zwei Schritte zurück. Inzwischen übersetzte NOGLI: „Er ist sehr böse, denn er hat große Angst. Er hat Hunger und Durst.“ Ter befahl: „Sag ihm, er soll keine Angst haben. Wir helfen ihm, wenn er uns gehorcht.“
Der Hund ließ erneut ein Löwengebrüll erschallen. Das Raubtier lauschte und setzte sich hin. „Sage ihm, in seinem Käfig, oder seinem Bau, oder seiner Höhle ist er sicher. Dort bekommt er auch zu fressen!“ Hund und Löwe brüllten um die Wette. Dann rief NOGLI: „Er weiß nicht, wo er seine Höhle findet. Er hat immer noch Angst.“ „Ich weiß, wo die Höhle ist. Er soll mit uns laufen, wir führen ihn hin.“ NOGLI brüllte mit verminderter Lautstärke. Der Lowe erhob sich, links neben ihm lief Ter, rechts der Hund. Sie schlugen den kürzesten Weg zum Zoo ein. Die Straßen waren leer. Der Kommandeur der Polizei hatte Ters Absicht erraten und den Verkehr sperren lassen. Nur aus den Fenstern schauten neugierige und zugleich ängstliche Leute. Der Löwe lief immer langsamer, setzte sich und brüllte. „Durst. Viel Durst. Ich kann nicht mehr laufen, so viel Durst!“ übersetzte der Hund. Ter blickte nach oben und bat einen der Neugierigen an den Fenstern um einen Eimer Wasser. „Ich kann doch nicht zu diesem gefährlichen Raubtier gehen!“ wehrte dieser ab. „So gefährlich ist er gar nicht, das Tier hat nur Durst.“ „Ich trau dem Frieden nicht und bleibe hier. Vielleicht hat er dann Hunger und frißt mich!“ Der Löwe brüllte erneut mit Donnerstimme. Ter rief ärgerlich: „Hat denn niemand den Mut, mir ein Gefäß mit Wasser zu bringen?“ Jetzt tauchte eine Frau am Fenster auf. An einer Wäscheleine ließ sie einen gefüllten Plasteimer herab. Der Löwe witterte das Wasser, sprang hin und soff gierig. Da sein Kopf zu groß war, um den Teil des Wassers zu erreichen, der in der unteren Hälfte des Eimers war, kippte dieser um und das Wasser lief auf die Straße. Rasch zog die Frau den Eimer wieder hoch, füllte ihn, ließ ihn herab und der Löwe trank zum zweiten Male. Dann setzten sie zu dritt den Weg fort. Über ihnen brauste bereits der Hubschrauber mit der Aufnahmekamera des Fernsehens. Den Löwen störte das nicht, er hatte Vertrauen zu seinen Helfern gewonnen, die ihn bis zu seinem Käfig begleiteten. Dort sahen beide noch zu, wie das Raubtier ein großes Stück Fleisch verschlang,
nahmen ungeduldig den Dank des Zoodirektors entgegen und gaben dem Fernsehreporter nur kurze Antworten. Ter hatte selbst Hunger und Durst bekommen. Es wurde Zeit, daß er zum Mittagessen nach Hause kam. Auch NOGLI brauchte dringend Energie aus der Steckdose, die letzten hundert Meter schlich er ganz langsam.
In den Abendstunden klopfte es kräftig an die Tür der Dachstube. Als Ter öffnete, stürmten zwei Männer herein, blickten sich enttäuscht um, und der ältere von beiden fragte: „Was hast du mit unserem Gerät gemacht? Es kommt keine Meldung von ihm, hier ist es auch nicht! Dabei ist es ein wertvolles und kostbares Forschungsgerät!“ Ter betrachtete erstaunt den aufgeregten Besucher und forderte ihn auf: „Nehmen Sie mit Ihrem Begleiter bitte auf dem Sofa Platz! Sie erhalten Ihr neugierig orientiertes Gerät gleich zurück. NOGLI, komm heraus!“ Die Gäste setzten sich erwartungsvoll, doch der Hund erschien nicht. „NOGLI! Sofort herauskommen!“ befahl Ter lauter und energisch. Gedämpft erklang die Antwort: „Nein. Ich will nicht. Ich bleibe bei dir!“ Verwundert suchten die Männer nach dem Ursprung der Worte. Ter wollte die Blechtür öffnen, aber sie sprühte Funken und teilte elektrische Schläge aus. Verdattert meinte Ter: „Da drinnen, in dem Blechkasten, dort sitzt Ihr Hund. Ich verstehe bloß nicht, warum er mir nicht mehr gehorcht.“ Der Ältere griff in die Jackentasche, holte ein weißes Tuch heraus, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn tupfte, lachte vor sich hin und erklärte danach: „Wir möchten uns erst vorstellen. Ich bin Professor Rob vom Forschungszentrum für solche Automaten, die als Erkunder auf fremde Planeten geschickt werden sollen. Neben mir sitzt mein Assistent Bot, der die wichtigsten Apparaturen für den NOGLI erfunden hat. Etwas scheint nicht zu funktionieren, deshalb erzähle uns bitte ganz genau der Reihe nach, was du mit dem Hund erlebt hast. Dann werden wir weiter sehen.“ Ter berichtete, Bot schrieb ununterbrochen Notizen in ein Merkbüchlein, der Professor schlug sich mitunter vor Freude auf die Knie und NOGLI saß mäuschenstill in seinem Blechkasten, dessen Tür er spaltbreit geöffnet hatte. Nach der Berichterstattung schwiegen die beiden Männer eine Weile. Dann meinte der Professor schmunzelnd: „Es war nicht zu erwarten, daß unser Gerät ausgerechnet einem Au-
tomatik-Studenten des letzten Studienjahres in die Hände fiel. Wie du siehst, haben wir uns ein wenig informiert. Weil du nicht überrascht oder entsetzt warst, hat er dich als seine Leiteinrichtung angenommen. Beim stürzenden Ast mußte er dich zum ersten Male schützen. In seinem Blechkasten in der Wand war er wie in einem Käfig gegen Funkwellen abgeschirmt, so daß wir ihn nicht wie geplant um Mitternacht mit Funksignalen steuern konnten. Damit fehlte jede andere Einwirkung. Die Angriffe von Hund, Kater, Fliegen und die Bedrohung durch den Löwen haben NOGLI beeinflußt, sich selbst so zu programmieren, daß er künftig für deine Sicherheit sorgen muß. Eine Entwicklung, die für uns sehr überraschend ist und uns viel Arbeit beschert, denn Planetenerkunder dürfen nicht zu Haustieren fremder Welten werden. Ich unterbreite dir einen Vorschlag: NOGLI bleibt bei dir, bis du im nächsten Monat dein Studium beendest. Dann beginnst du mit ihm und uns in der Forschung zu arbeiten, denn aus dem ersten Gerät NOGLI muß eine ganze Serie entwickelt werden, deren Eigenschaften zu erproben und zu verändern sind.“ Ter sah den Professor ungläubig an. In diesem Institut zu arbeiten, das war der sehnlichste Traum vieler Studenten und es bedeutete eine große Ehre, daß ihm dieses Angebot gemacht wurde. Aber der Hund nahm ihm die Antwort ab: Er stieß die Tür ganz auf, bellte und brummte dann: „Gut so! Das werden wir machen! Ich bin dabei!“ „Das war lustig!“ rief Lat und klatschte mit den anderen um die Wette. Gerade, als sich der Beifall gelegt hatte, quäkte aus dem Lautsprecher eine Automatenstimme: „Funkstation verlangt Empfang! Funkstation verlangt Empfang!“ Jork und Med eilten hinauf. Kurze Zeit später war der Doktor zurück und rief: „Die Rakete ist in wenigen Minuten hier! Kommt mit in die Beobachtungskuppel, wir wollen uns die Landung ansehen.“ Schnell stürmten alle nach oben. Plötzlich erschien genau über ihnen ein heller Schein, den sie bald als Feuerschweif einer landenden Rakete erkannten. Als diese selbst ins Blickfeld kam, staunte sogar Kor und fragte den Doktor: „Was ist das für ein Typ? Eine mittlere Rakete mit solchen mächtigen Triebwerken habe ich noch nie gesehen!“
„Es gibt davon nur zwei. Ihr starker Antrieb ermöglicht es, daß sie im Notfall den Flug zum Mars in einem Tag zurücklegen kann“, erklärte Dr. Med, „aber schaut euch das Landemanöver genau an!“ Das war wegen der Rauchentwicklung und der Feuerwolke nicht einfach, doch dann rief Kyr begeistert: „Das ist unglaublich. Da sitzt ein hervorragender Pilot drin! Diese große Rakete so knapp und so exakt neben die Station zu setzen, daß die Landebrücke ausreicht und außerdem genau unseren Eingang trifft! Den Piloten muß ich sehen!“ „Das wirst du!“ versprach der Doktor lächelnd und befahl: „In fünf Minuten stehen alle mit ihrem Gepäck am Ausgang der Station. Kor, Kyr und Lat kontrollieren, daß nichts vergessen wird und nehmen Jorks Sachen mit!“ Langsam stiegen sie die Landungsbrücke hinauf, bemerkten verwundert die kahle Eingangshalle und kletterten mühsam die schmale Eisenleiter hinauf, die in einem engen Schacht nach oben führte. Endlich erreichten sie das nächste Stockwerk, wo ihnen ein hagerer, wortkarger Mann ihre Sessel anwies und ärgerlich fragte: „Wo bleibt Jork? Eure Mannschaft ist nicht vollzählig.“ Der Doktor meldete kurz und sachlich: „Jork erhielt Befehl, noch einen langen Funkspruch der Leitstelle für interplanetare Verbindungen aufzunehmen und wird nach Abschluß der Arbeit sofort folgen. Sein Gepäck haben wir bereits mitgebracht.“ Jetzt erst fiel es Kyr auf, daß der Fremde mit der befehlsgewohnten Stimme nicht die silbernen Dreiecke oder Sterne am Ärmel hatte, wie sie die anderen Kosmonauten trugen. Auch Kor bewunderte den goldenen dreistrahligen Kometen, der als Rangabzeichen die Uniform des Gastgebers schmückte. Lat überlegte fieberhaft, welchen hohen Dienstgrad der Fremde wohl haben könnte. Da kam schon Jork die Leiter heraufgekeucht und stieß hervor: „Gruppe Pallas vollständig zur Stelle. Funkspruch für uns.“ Dabei übergab er dem Kommandanten ein Schriftstück. Dieser warf nur einen kurzen Blick darauf, steckte es ein, hieß Jork in einem der Sessel Platz zu nehmen und setzte sich daneben. Dann rief er: „Besatzung startbereit. Ich erteile Startbefehl!“ Kurz danach drückte eine gewaltige Kraft alle fest in die ächzenden Sessel. Das war ein anderer Start als bei den gemütlichen Pas-
sagierraketen! Als der Druck etwas nachließ, richtete sich der Fremde auf und wies Kor an, über die Beseitigung der Funkstörungen zu berichten. Dieser bemühte sich, ebenso kurz und sachlich zu sprechen, wie er es von Jork und dem Doktor gehört hatte. Jetzt lächelte der Kommandant zum ersten Male und lobte: „Ausgezeichnet! Ihr habt eine sehr gute Arbeit geleistet. Damals mußte sich Doktor Med erst sehr bemühen, ehe er mich überzeugt hatte und von mir die Erlaubnis zum Sondereinsatz auf der Pallas erhielt. Aber er hatte recht gehabt. Ihr seid wirklich großartig. Wer ist Lit? Du? Dann möchte ich von dir wissen, welche Geschichten ihr erzählt habt!“ Lit erhob sich aus seinem Sessel, damit er etwas größer wirkte und sprudelte hervor: „Vom Gespenst im alten Turm zu Grünthal. Von Jork und den Teddys. Von Nurxanurxa, von Djug und den Einzelbeispielen.“ Ergrimmt wandte sich der Kommandant an Jork: „Wer hat von Djug erzählt? Wir haben doch Stillschweigen versprochen!“ Kri fiel ihm ins Wort und rief: „Ich habe die Geschichte erzählt! Aber von der Schweigepflicht wußte ich wirklich nichts!“ Die Zornesfalte verschwand von der Stirn des Kommandanten und er sagte freundlich: „So schlimm ist das nicht. Djug war noch sehr jung, als er diese schlimmen Fehler machte. Aber wir wollten nicht, daß er immer wieder daran erinnert und danach eingeschätzt wird. Woher kennst du die Ereignisse auf dem 2. Planeten?“ „Das muß ich erst mit Anlauf erklären. Ich wohne am Rande des Urwaldes, der zum 777. Erholungsgebiet gehört. Außer den Wegen und Stegen aus der Wanderkarte kenne ich noch viele versteckte Pfade und Durchgänge. Kurz vor den Ferien fand ich auf einem Trampelpfad einen Kosmonauten, den ein plötzlich stürzender Baum eingeklemmt und verletzt hatte. Ich habe ihn erst verbunden, dann bin ich zum nächsten Hauptweg gerannt und habe die Hilfsgruppe alarmiert. Doch diese war schon im Einsatz. Also habe ich am Notruf die Marschrichtungszahl und die Entfernung bis zu dem Verletzten hinterlassen und bin zu ihm zurück. In der Wartezeit hat er mir auf meinen Wunsch eine Geschichte erzählt. Als dann die Retter kamen, ging al-
les so schnell, daß ich sogar vergessen habe, ihn nach seinen Namen zu fragen!“ „Aber ich weiß, wer das war!“ bemerkte nachdenklich der Doktor. „Der Mann, der dir so schonungslos und hart erzählt hat, welche Fehler Djug beging, war der einzige Kosmonaut, der im 777. Erholungsgebiet verletzt wurde. Es war Djug selbst! Damit hat er uns bewiesen, daß er sehr viel aus seinen Fehlern gelernt hat.“ Hier unterbrach der Lautsprecher. Eine helle Stimme forderte aufgeregt: „Kann Med zu mir heraufkommen? Ich brauche ihn dringend, er hat mehr Erfahrungen als ich.“ „Einverstanden“, bestätigte der Kommandant und forderte Jork auf: „Besetze für die nächste halbe Stunde den Pilotenstand und schicke die beiden da oben zu uns herunter, damit wir uns endlich einander vorstellen können. Noch ein Wort zur Erzählung von den Einzelbeispielen. Djug wurde damals natürlich sofort als Kommandant abgelöst. Er hat aber durch Tapferkeit und unermüdliche Arbeit gezeigt, daß er seine Fehler längst überwunden hat. Heute ist er Leiter eines großen Satelliten, der zwischen Mars und Jupiter für die Sicherheit des Weltraumes sorgt. Wenn einer von euch die Geschichte einmal weitererzählt, dann ändert bitte den Namen und behauptet, der starrsinnige Kommandant habe Omega geheißen.“ Inzwischen waren zwei Frauen die Leiter heruntergekommen und hatten sich neben den Kommandanten gestellt, der nun seine Rede fortsetzte: „Ihr befindet euch an Bord der Rettungsrakete ‚Blitz 1’. Meine rechte Nachbarin ist die Pilotin Beta, euch aus der Geschichte von den Einzelbeispielen ebenso bekannt wie unsere Ärztin Hipo an meiner anderen Seite.“ Nun hatte Kyr den Meisterpiloten kennengelernt und auch die anderen blickten erstaunt auf die beiden, als Beta ergänzte: „Unser Kommandant auf diesem Flug ist der oberste Kommandeur des Kosmonautenzentrums der Erde, der Astronom Iota, den ihr ebenfalls kennt.“ Kri lachte und meinte: „Das ist schön, daß ich die Hauptpersonen aus meiner Geschichte…“
Die Stimme des Doktors aus dem Lautsprecher unterbrach sie. Besorgten Tones rief er: „Ich benötige dringend Mot und Lit. Auch die anderen sollten mitkommen!“ Iota zeigte stumm zur Leiter. Als sie oben angekommen waren, wurden sie bereits von Med erwartet, der auf eine Tür zeigte. Leise und eindringlich erklärte er: „Dort befinden sich die tapferen Kosmonauten vom ‚Sonnenwind II’. Nicht sprechen, alles Weitere erkläre ich euch später.“ Sie traten ein. Fünf abgemagerte, abgezehrte Männer blickten matt aus den Betten zur Tür. Als sie Mot und Lit sahen, flog ein Freudenschimmer über ihre Gesichter. Einer versuchte kraftlos, mit dem rechten Arm zu winken, aber es gelang ihm nur eine schwache Handbewegung. Mot, dem plötzlich die Tränen über die Wangen liefen, winkte unwillkürlich zurück, dann winkte Lit, winkten lautlos alle Kinder, bis sie der Doktor leise zur Tür hinausdrängte. „Jetzt schlafen sie endlich“, flüsterte er, „sie mußten euch, ihre Entdecker, erst einmal selbst sehen, damit ihnen ganz bewußt wurde, daß sie wirklich gerettet waren. Nun erst hat die gewaltige Nervenanspannung nachgelassen, die sie nicht einschlafen ließ und die Hipo und mir große Sorgen machte. Jetzt kommt alles wieder in Ordnung. Steigen wir wieder hinunter!“ Unten saß Jork allein neben dem Kommandanten, der erfreut von Med vernahm, daß die Kosmonauten endlich den Schock überwunden hatten. Dann knöpfte sich Iota den obersten Knopf seiner Dienstjacke zu, stand auf und bedeutete den anderen, sich ebenfalls zu erheben. Feierlich nahm er den Funkspruch aus der Tasche und sprach in die erwartungsvolle Stille: „Ich verlese einen Befehl der Leitstelle für interplanetare Verbindungen! Befehl Nummer 135: Allen Teilnehmern der Arbeitsgruppe auf der Pallas wird hiermit das ‚Abzeichen des silbernen Blitzes’ verliehen. Sie haben durch zielstrebige Beobachtungen die Ursachen für die ständigen Funkstörungen gefunden und diese beseitigt. Unterschrieben: Ökon, Direktor der Leitstelle.“ Die Kleinen jubelten laut, und auch den Großen sah man die Freude an. Iota wartete, bis sich alle wieder beruhigt hatten, nahm ein schwarzes Kästchen aus dem Fach seines Raumfahrt-Sessels, richtete sich straff auf und sprach laut und langsam: „Als Kommandant des Kosmonautenzentrums zeichne ich alle Teilnehmer der Pallasgruppe
mit dem ‚Kosmonautenstern in Bronze’ aus. Ihr habt durch euer umsichtiges und überlegtes Verhalten in gemeinsamer Arbeit die Rettung der überlebenden Kosmonauten von ,Sonnenwind II’ ermöglicht. Ohne eure Initiative wären sie verloren gewesen.“ Danach überreichte er zuerst Lit und den Kleinen, anschließend den drei Großen und zuletzt dem Doktor und Jork die Auszeichnung. Als sich Iota wieder auf seinen Platz setzte, brach ein gewaltiges Freudengeschrei los. Selbst die Großen hüpften ausgelassen in der Kabine umher. Iota hatte mehrmals zum Sprechen angesetzt, gab aber jedesmal den Versuch lächelnd wieder auf. Endlich kam er wieder zu Wort und verkündete: „Mit unserer schnellen Rakete werden wir schon morgen im Kosmonautenzentrum landen. Ihr sollt den Rest der Ferien dort bei uns verbringen!“ Schnell rutschte er in seinen Sessel zurück und hielt sich schmunzelnd die Ohren zu. Es war auch nötig.
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KNABES JUGENDBÜCHEREI Gebrüder Knabe Verlag 5300 Weimar – PSF 511