Rivalen auf Banditen-Jagd Ein mitreißender Erfolgsroman von Bill Fargo scanned by: crazy2001 @ 01/04 corrected by: mm
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Rivalen auf Banditen-Jagd Ein mitreißender Erfolgsroman von Bill Fargo scanned by: crazy2001 @ 01/04 corrected by: mm
Sie waren so verschieden wie Feuer und Wasser. Tom Kelly, der US Marshal - und Peter Philby, der den größten Coup seines Lebens plante. Sie wurden zu erbitterten Feinden, doch das Schicksal zwang sie immer wieder dazu, Seite an Seite zu kämpfen. Und so wurden sie zu einem ungleichen Paar auf dem Weg durch eine Hölle von Haß und Verrat. Zwei Rivalen auf der Jagd nach hunderttausend Dollar. Und jeder war bereit, den höchsten Preis zu zahlen, nämlich das Leben. Tom Kelly hatte geschworen, dem Gesetz treu zu bleiben bis zum letzten Atemzug. Sein Rivale dagegen wollte mit aller Macht ein reicher Mann werden...
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In das gleichmäßige, einschläfernde Rattern und Stoßen des Zuges mischte sich ein fremdes Geräusch. Tom Kelly spürte sofort die Gefahr, die auf ihn zukam. Er besaß den untrüglichen Instinkt eines Mannes, der in der Wildnis aufgewachsen war. Scheinbar in Gedanken versunken, sah er hinaus auf das Land. Aber seine ganze Aufmerksamkeit gehörte dem Geräusch hinter sich. Es waren die Schritte eines Mannes. Es mußte ein großer, kräftiger, nicht mehr sehr junger Mann sein, der sich ihm langsam und entschlossen näherte. Hinter Tom blieb der Mann stehen. Tom hörte eine tiefe, rauhe Stimme leise sagen: „Wissen Sie eigentlich, daß Larry Rawlinson im Zug ist, Marshal?“ Tom wandte sich zu dem Sprecher um. Der Mann sah genauso aus, wie Tom ihn sich vorgestellt hatte. Ein großer, kräftiger Mann in der Kleidung eines Jägers. Er war etwa fünfzig Jahre alt. Sein breites, hartes, von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht war von einem Vollbart eingerahmt. Der Mann trug einen Colt an seiner rechten Hüfte. In seinem Gürtel steckte ein breites Bowiemesser. „Ich habe Rawlinson genau erkannt“, sagte er leise, um kein Aufsehen bei den anderen Passagieren zu erregen. „Nach einem Steckbrief?“ fragte Tom. „Nein“, sagte der Mann. „Ich kenne Rawlinson. Er hat meinen Bruder erschossen. Sein Gesicht werde ich nie vergessen.“ Wieder spürte Tom die Gefahr. Er stand auf. Tom war einen halben Kopf kleiner als -2-
der Fremde. Trotz seiner breiten Schultern wirkte der Fremde schlank und nicht plump und schwer. Sein Haar war tief schwarz. Die Farbe seines scharf geschnittenen Gesichts hatte einen leichten Bronzeton. „Wie heißen Sie?“ fragte Tom. Der Mann schien von der Frage überrascht zu sein. „Calhoun“, sagte er dann. „Joe Calhoun. Rawlinson sitzt im letzten Wagen. Genauer gesagt, im letzten Passagierwagen. „ „Gut, ich werde ihn mir ansehen“, sagte Tom. „Bleiben Sie hier!“ „Ich komme mit!“ sagte Calhoun entschlossen. „Schließlich ist der Kerl der Mörder meines Bruders. Außerdem glaube ich nicht, daß Sie allein mit ihm fertig werden. Rawlinson ist ein gefürchteter Revolvermann.“ Tom ging voraus. Calhoun folgte ihm dicht auf. Sie hatten so leise gesprochen, daß niemand ihr Gespräch verstanden hatte. Niemand schenkte ihnen besonderes Interesse, als sie den Waggon verließen. Ein schmaler wackliger Steg führte von der Plattform des Waggons hinüber zum nächsten Waggon. Sie gingen den langen Gang hinunter, bis sie das Ende des Waggons erreicht hatten. Im nächsten Waggon mußte Larry Rawlinson, der Revolvermann, sitzen. Tom Kelly hatte Rawlinson noch nie gesehen. Er wußte nur, daß Rawlinson ein gefährlicher, in mehreren Staaten gesuchter Revolvermann war. Es war ihm klar, daß Rawlinson sich nicht freiwillig ergeben würde. Es würde zu einer Schießerei kommen. Und wer bei dieser Schießerei am Leben blieb, stand noch keineswegs fest. Es würde so sein wie vor drei Jahren, als Tom schon -3-
einmal einen Mann namens Rawlinson Auge in Auge gegenüberstand. Dennis Rawlinson, Larrys Bruder. Damals war Tom Sieger geblieben. Aber Larry Rawlinson war gefährlicher als sein jüngerer Bruder, skrupelloser, gerissener und schneller mit dem Colt. Tom öffnete die Tür des Waggons und trat hinaus auf die kleine Plattform. Calhoun folgte ihm. Tom blieb auf der Plattform stehen. Er hörte, wie Calhoun hinter ihm die Tür des Waggons schloß. Da war sie wieder, die Ahnung einer unbekannten Gefahr, die nach Tom griff. Tom erinnerte sich, daß Calhoun im vorigen Waggon die Tür nicht hinter sich geschlossen hatte. Warum tat er es jetzt? Wollte er nicht aus dem Inneren des Wagens beobachtet werden? Instinktiv warf Tom sich herum. Seine Hand zuckte zu dem Colt an seiner rechten Hüfte. Aber das Holster war leer. Calhoun stand dicht hinter ihm. In seiner linken Hand lag der Colt, den er aus Toms Holster gefischt hatte. Aus seiner rechten Faust ragte die lange scharfe Klinge des Bowiemessers. Auf seinem breiten harten Gesicht lag ein gefährliches, triumphierendes Grinsen. Dann stieß er mit dem Messer zu. Tom warf sich zur Seite. Calhouns Stoß ging ins Leere. Er stolperte zwei kurze Schritte nach vorn, bis er gegen das Geländer der Plattform prallte. Dann wirbelte er mit einer Vierteldrehung nach rechts herum, um von neuem auf Tom loszugehen. Toms rechtes Bein schnellte nach vorn. Seine Stiefelspitze traf das linke Handgelenk des Mannes. -4-
Calhoun stöhnte auf und ließ Toms Colt fallen. Die schwere Waffe fiel polternd auf den Boden der Plattform und von da zwischen die Schienen. Die beiden Männer standen auf der Plattform zu beiden Seiten der Tür. Der Boden unter ihnen schaukelte und schwankte. Drinnen im Waggon und auch im nächsten Wagen bemerkte niemand, daß sich hier draußen ein Kampf auf Leben und Tod abspielte. Das Grinsen auf Calhouns Gesicht verstärkte sich. Er war seiner Sache sicher. Er hatte ein Messer, und sein Gegner war unbewaffnet. Zehn, fünfzehn Sekunden lang belauerten sich die beiden Männer. Jeder wartete auf eine Bewegung des anderen. Dann warf sich Calhoun gegen Tom. Tom versuchte mit der linken Hand den Arm, der das Messer führte, beiseite zu schlagen. Vergeblich. Calhouns schwerer Körper prallte gegen.ihn. Tom fiel mit dem Rücken gegen das niedrige Geländer. Calhouns kräftige Linke umklammerte Toms Hals und drückte mit brutaler Kraft zu. Gleichzeitig lehnte sich Calhoun schwer gegen Tom und versuchte mit dem ganzen Gewicht seines Körpers, ihn über das Geländer zu drücken. Die scharfe Spitze des Bowiemessers war nur wenige Zoll von Toms Gesicht entfernt. Noch konnte Tom das Handgelenk seines Gegners festhalten. Aber er spürte, wie ihm unter dem eisernen Würgegriff seines Gegners die Luft wegblieb. Er spürte, wie ihn Calhoun immer weiter über das Geländer hinausdrückte. Toms Oberkörper war weit zurückgebeugt. Er wußte, daß er nicht lange standhalten -5-
konnte. Nur noch wenige Sekunden und er würde von der Plattform unter die Räder des Zuges stürzen. Toms linkes Knie stieß nach vorn. Er traf Calhoun in den Unterleib. Der tödliche Würgegriff um Toms Kehle lockerte sich ein wenig. Tom konnte sich jetzt wieder aufrichten. Die Gefahr, von der Plattform zu stürzen, war gebannt. Immer noch hielt Tom mit der linken Hand das Handgelenk seines Gegners umschlungen. Immer noch versuchte jeder, sich loszureißen. Aus den Augenwinkeln heraus sah Tom, wie die Tür des nächsten Waggons geöffnet wurde. Ein Mann erschien in der Tür. Er hielt einen Colt in der Faust. Tom erkannte den Mann sofort, obwohl er ihn nie gesehen hatte. Die Ähnlichkeit mit dessen toten Bruder war verblüffend. Ja, dies war Larry Rawlinson, da gab es keinen Zweifel. Sekundenlang starrte Rawlinson Tom an. Das war der Augenblick, auf den er drei Jahre lang gewartet hatte. Jetzt hatte er seinen Todfeind vor dem Lauf seines Colts. Rawlinson grinste Tom in spöttischem Triumph an. Dann hob er seine Waffe und schoß. Im gleichen Augenblick warf sich Calhoun wieder gegen Tom. Mit der Wildheit eines Raubtiers. Tom fiel mit dem Rücken gegen das Geländer. Das haßverzerrte bärtige Gesicht Calhouns war dicht vor ihm. Tom sah, wie sich das Gesicht plötzlich veränderte, Schmerz und grenzenloses Erstaunen traten in die Augen des Mannes. Dann knickte Calhoun in den Knien ein. Er versuchte, sich an Tom festzuhalten. Aber er hatte keine Kraft mehr. Langsam brach er in sich zusammen. -6-
Tom sah hinüber auf die andere Plattform zu Rawlinson. Tom stand jetzt schutzlos, ohne Waffe vor dem Colt seines Todfeindes. Rawlinson schoß noch nicht. Er wollte seinen Triumph und seine Macht über Leben und Tod möglichst lange auskosten. Tom starrte auf die drohende, dunkle Mündung der Waffe, die auf ihn zielte. Er wußte, daß er verloren war, aber er wollte nicht ohne Gegenwehr sterben. Tom duckte sich blitzartig nieder. Im gleichen Augenblick, in dem der Hammer von Rawlinsons Colt auf den Boden der Patrone schlug. Die Kugel fuhr dicht über Tom hinweg. Tom griff nach dem Colt im Holster des toten Calhoun. Er spürte das kühle Walnußholz der Waffe in seiner Handfläche und riß sie heraus. Im gleichen winzigen Bruchteil einer Sekunde erkannte er, daß er zu langsam sein würde. Rawlinson hatte seinen Colt bereits wieder auf ihn gerichtet. Zwei Schüsse fielen fast gleichzeitig, noch bevor Tom abdrücken konnte. Rawlinson wurde wie von einer gewaltigen Faust nach vorn gestoßen. Seine Kugel schlug dicht über Tom in die Wand des Waggons. Er hielt sich mit der linken Hand am Geländer fest und starrte Tom an, ohne zu begreifen. Dann versuchte er, sich umzudrehen. Es kostete ihn ungeheure Mühe, aber es gelang ihm. Er hob den Colt, um in das Innere des Wagens zu schießen. Auf einen neuen Gegner, der irgendwo dort drinnen, für Tom unsichtbar, aufgetaucht war. Wieder fiel ein Schuß aus dem Innern des Wagens, -7-
Rawlinson zuckte zusammen, als jage ein Stromstoß durch seinen Körper. Langsam ließ er den ausgestreckten Arm mit dem Colt sinken. Dann brach er zusammen und fiel auf den Boden nieder. Er rührte sich nicht mehr. Er lag ebenso still und reglos da wie Calhoun zu Toms Füßen. Auf der Plattform des anderen Wagens erschien ein Mann. Er war mittelgroß, schlank und dunkelhaarig. Er mochte etwa dreißig Jahre alt sein. In seiner linken Hand hielt er einen Colt. Aus dem Lauf der Waffe stieg dünner Rauch auf. Einige Sekunden lang sah der Mann auf Rawlinson und Calhoun nieder. Dann stieß er die leeren Patronen aus der Trommel seines Colts und begann die Waffe nachzuladen. „Sie scheinen viele Feinde zu haben, Marshal“, sagte er zu Tom. Seine Stimme klang so ruhig und gleichmütig, als sei nichts geschehen. „In meinem Beruf macht man sich nun mal nicht nur Freunde“, sagte Tom. „Besonders, wenn man eine halbe Rothaut ist“, fügte der Mann hinzu. Tom hörte den Spott und die Verachtung, die in seiner Stimme schwangen. „Schon wieder mal ein Indianerfresser! „ sagte Tom ruhig. „Trotzdem danke ich Ihnen, Sie haben mir das Leben gerettet, Mister ...“ „Philby, Peter Philby. Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Ich hab's nicht Ihretwegen getan, sondern in meinem eigenen Interesse.“ „Was meinen Sie damit?“ fragte Tom. Philby schob den geladenen Colt wieder ein. Er -8-
antwortete nicht. Auf die Plattformen der beiden Wagen schoben sich jetzt bewaffnete Männer. Sie hatten die Schüsse gehört und wollten nachsehen, was vorgefallen war. Unter ihnen war der Schaffner. Er sah gleichgültig auf die beiden Toten nieder. „Was ist geschehen?“ fragte er ohne großes Interesse. Er schien derartige Vorfälle gewohnt zu sein. „Diese beiden hier haben mich überfallen“, sagte Tom. „Der eine von ihnen ist ein Verbrecher namens Larry Rawlinson, der andere nannte sich Joe Calhoun. Lassen Sie die beiden wegbringen!“ Der Schaffner sah auf das Abzeichen auf Toms Brust. Dann nickte er. „Ich muß mit Ihnen sprechen, Marshal“, sagte Philby. „Kommen Sie bitte in meinen Wagen!“ Tom ging hinüber auf die andere Plattform. Dann folgte er Philby. Philby ging durch den ganzen Waggon hindurch bis ans Ende. An der Tür, die hinaus auf die letzte Plattform führte, lehnte ein Mann und sah ihnen aufmerksam entgegen. Seine rechte Hand lag wie zufällig neben dem Griff seines Revolvers. Zwei weitere Männer saßen auf der Bank neben der Tür. Von ihrem Platz aus konnten sie den ganzen Wagen übersehen. Philby nickte den drei Männern zu. Dann öffnete er die Tür und trat hinaus auf die Plattform. Tom folgte ihm. Philby schloß die Tür. „Gehören die drei Männer zu Ihnen?“ fragte Tom. Philby nickte. „Wir arbeiten für Wells Fargo“, sagte er. „Im Postwaggon hier hinter uns befindet sich eine kleine Kiste mit hunderttausend Dollar in Banknoten.“ -9-
„Eine Menge Geld!“ sagte Tom nachdenklich. „Es gibt nur sehr wenige Menschen, die von dem Transport wissen. Trotzdem halten meine Vorgesetzten es für nötig, den Wagen besonders gut zu bewachen. Sie rechnen mit einem Überfall. Offenbar haben sie Informationen, die ich nicht besitze. Deshalb sitze ich hier mit drei Männern im letzten Fahrgastwagen und sorge dafür, daß niemand in die Nähe des Postwagens kommt. Der Postwagen ist der vorletzte Waggon. Zwei bewaffnete Männer sitzen darin.“ „Gehören die auch zu Ihnen?“ fragte Tom. „Nein, sie arbeiten für die Eisenbahngesellschaft. Im letzten Waggon sind unsere Pferde. Es könnte ja sein, daß wir überfallen werden und die Täter zu Pferd verfolgen müssen. Zwei meiner Leute bewachen die Pferde und sichern den Postwaggon von hinten ab.“ „Sie glauben, daß der Anschlag gegen mich...?“ „Ja, das glaube ich“, sagte Philby. „Rawlinson und Calhoun hatten es auf das Geld im Postwaggon abgesehen. Sie hatten angenommen, daß Sie zur Bewachung und zum Schutz mitgefahren sind. Deshalb wollten die beiden Sie beseitigen. Der nächste Schritt in ihrem Plan wäre der Angriff auf den Postwaggon gewesen.“ „Und nach welchem Plan glauben Sie, daß die beiden vorgehen wollten?“ fragte Tom. Philby zuckte die Schultern. „Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung. Vielleicht gibt es hier im Zug noch ein paar Leute, die zu der Bande gehören. Vielleicht planen sie einen Überfall auf der Strecke.“ „Wenn noch mehr Banditen im Zug sind, werden sie jetzt wahrscheinlich die Lust an einem Überfall verloren - 10 -
haben“, sagte Tom. „Und ein Angriff auf offener Strecke scheint mir ziemlich unwahrscheinlich zu sein. Es gibt da draußen kaum Deckung. Jeder Angreifer ist auf große Entfernung zu sehen.“ „Ja, solange es hell ist“, sagte Philby. Seine Augen gingen über die sanften Hügel der Prärie, die einander folgten wie die Wellen des Ozeans. „Aber in ein paar Stunden ist es dunkel. Dann sieht die Sache ganz anders aus.“ Er sah Tom an. „Um die Wahrheit zu sagen, Marshal, noch vor wenigen Minuten hielt ich die Vorsicht meiner Chefs für völlig überflüssig. Wie gesagt, es gibt nur wenige Menschen, die von dem Überfall etwas wissen können. Aber jetzt denke ich anders. Jetzt, nach dem Angriff auf Sie, bin ich sicher, daß Banditen im Zug sind. Sie werden es wieder versuchen. Wie sie selbst sagten: Hunderttausend Dollar sind eine Menge Geld.“ Philby wischte sich nervös den Schweiß von der Stirn. Seine Ruhe und Selbstsicherheit, die er noch vor wenigen Minuten an den Tag gelegt hatte, waren verschwunden. „Sind Ihre Leute zuverlässig?“ fragte Tom. Philby zögerte mit der Antwort. „Bis zu zehntausend Dollar würde ich für sie garantieren. Aber hunderttausend Bucks sind eine große Versuchung für jeden Menschen.“ Philby bemerkte Toms amüsiertes Lächeln und ärgerte sich darüber. „Wir können nicht sehr wählerisch sein bei der Auswahl unserer Leute, Marshal. Sie wissen ja, wie das ist: Entweder wir nehmen durch und durch ehrliche Leute. Dann können sie nicht schießen und laufen bei einem Kampf davon. Oder wir nehmen Leute, die zu - 11 -
kämpfen verstehen. Dann können wir nicht allzu gründlich in ihrer Vergangenheit forschen. Notfalls nehmen wir sogar Halbindianer und Neger.“ Er sah Tom an, als erwarte er eine Erwiderung. Aber als Tom schwieg, sprach er weiter. „Die Leute, die für einen solchen Job in Frage kommen, sind Abenteurer, die für Geld ihr Leben riskieren. Sie arbeiten für jeden, der sie bezahlt. Und solange sie gut bezahlt werden, sind sie auch zuverlässig. Aber wir können ihnen nicht so viel zahlen, daß sie die kleine Geldkiste dort drüben im Postwaggon vergessen.“ „Wie lange kennen Sie die Leute schon?“ fragte Tom. „Johnson, das ist der Mann, der an der Tür steht, arbeitet seit zwei Jahren mit mir zusammen. Als Gesellschaft ist er nicht viel wert, der Mann spricht kaum etwas. Aber ich hatte nie Grund, an seiner Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit zu zweifeln. Die beiden Männer im Waggon mit den Pferden kenne ich seit einem halben Jahr. Aber die beiden anderen habe ich vorgestern zum erstenmal gesehen. Ich weiß von ihnen nicht viel mehr als den Namen.“ „Ich glaube, Sie machen sich unnötige Sorgen“, sagte Tom. „Ich bin sicher, daß Rawlinson und Calhoun nicht die geringste Ahnung von dem Geld hatten. Sie hatten es nur auf mich abgesehen.“ „Ich wollte, ich könnte Ihre Überzeugung teilen, Marshal“, sagte Philby. „Aber ich spüre es, daß noch etwas in der Luft liegt. Wenn man so lange wie ich in dieser Branche arbeitet, bekommt man einen Riecher dafür.“ „Es war ein Racheakt“, sagte Tom. „Vor Jahren habe ich Rawlinsons Bruder erschossen. Der Überfall auf mich hatte nichts mit Ihrem Geldtransport zu tun.“ - 12 -
„Wir wollen es hoffen!“ sagte Philby. „Trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, Marshal, wenn Sie die Augen offen halten würden.“ „Das werde ich tun“, sagte Tom. Die Tür zum Passagierwaggon wurde geöffnet. Johnson erschien in der Tür. Hinter ihm war der Schaffner zu sehen. „Der Schaffner möchte die beiden Toten in den Postwaggon bringen“, sagte Johnson. „Wohin sonst?“ fragte der Schaffner. „Soll ich vielleicht die Toten mitten in einen Wagen legen, damit die Fahrgäste drübersteigen müssen?“ Philby wollte etwas sagen, aber Tom kam ihm zuvor. „Wann hält der Zug wieder an?“ fragte er. „In einer halben Stunde“, sagte der Schaffner. „Am Wassertank.“ „Gut. Dort können Sie die Toten in den Postwaggon bringen. Ich glaube, dort stören sie am wenigsten.“ Der Schaffner nickte zufrieden und ging weg. Philby und Johnson schienen mit Toms Entscheidung nicht einverstanden zu sein. „Hören Sie, Marshal!“ sagte Philby. „Ich habe die Verantwortung für das Geld. Ich glaube ...“ „ ... ich glaube, daß von den beiden nichts mehr zu befürchten ist“, sagte Tom. „Oder denken Sie anders darüber?“ Philby sah ihn finster an, aber er sagte nichts. „Okay, ich sehe mich ein bißchen im Zug um“, sagte Tom. „Dann gehe ich wieder auf meinen Platz. Wenn Sie irgendetwas beobachten, was Ihnen mißfällt, dann benachrichtigen Sie mich!“ „Gut“, sagte Philby. „In der nächsten halben Stunde wird wohl nichts passieren. Erst wenn wir anhalten, gibt - 13 -
es für die Banditen eine gewisse Chance für einen Überfall.“ „Nehmen wir an der nächsten Haltestelle irgendwelche Fracht mit?“ fragte Tom. „Ja“, sagte Philby. „Eine große, rechteckige, hölzerne Kiste samt Inhalt. Mit anderen Worten: Einen Sarg mit einem Toten. Ein reicher Rancher namens Edgar Manderley ist vor ein paar Tagen gestorben. Aber offenbar hatte er keine Lust, sich auf seinem eigenen Grund und Boden beerdigen zu lassen. Deshalb bestimmte er in seinem Testament, daß sein Leichnam in seine Heimatstadt San Francisco gebracht werden soll.“ „Wann wurde dieser Transport angemeldet?“ fragte Tom. „Vor drei Tagen“, sagte Philby. „Also, schon zwei Tage, bevor meine Gesellschaft beschloß, mit diesem Zug die hunderttausend Dollar zu befördern.“ „Dann haben wir also bald drei Tote im Postwaggon“, sagte Johnson düster. „Und ich fürchte, es werden noch mehr werden.“ *** Der alte Walter Behan hatte die drei Männer längst gesehen. Sie kamen von rechts her auf die Straße zugeritten, auf der Walt ohne Eile sein Fuhrwerk lenktet Wahrscheinlich hatten sie dasselbe Ziel wie er: die Haltestelle der Eisenbahnlinie. Jetzt waren die drei Männer so nahe heran, daß Walt sie erkennen konnte. Er hatte jeden von ihnen schon einmal gesehen. Es waren Banditen, die weit über die Grenzen des Staates hinaus berüchtigt und gefürchtet waren. - 14 -
Aber Walt machte sich keine Sorgen. Er hatte nichts zu befürchten. Die drei Kerle, die auf ihn zukamen, lebten von Raubüberfällen. Aber bei einem alten ehemaligen Cowboy, der nur noch als Gelegenheitsarbeiter auf der Ranch geduldet wurde, war nichts zu holen. Das wußten auch die drei Banditen. Und die Ladung, die Walt auf seinem Wagen beförderte, war wertlos. Ein Sarg mit einem Toten darin. Walt grinste. Er hatte noch nie in seinem langen Leben gehört, daß jemand einen Sarg mit einem Toten stahl. Die drei Reiter hatten jetzt die Straße erreicht. Es war keine richtige Straße. Nur ein paar Fahrspuren, die von irgendwoher aus der unendlichen Prärie kamen und auf den Wassertank bei der Eisenbahnlinie zuliefen. Die Reiter hielten ihre Pferde an und warteten auf Walt. Immer noch war Walt mehr erstaunt als beunruhigt. Er fühlte sich völlig sicher. Er hatte keinen Cent bei sich und auch sonst nichts, was für die Banditen irgendeinen Wert haben konnte. Walt hielt seine beiden Pferde mit einem leichten Ruck am Zügel an. Er konnte nicht mehr weiter. Die drei Reiter versperrten ihm den Weg. Walt sah in die Gesichter der Männer. Zum erstenmal war er beunruhigt. Einer von ihnen war ein mittelgroßer, untersetzter, nicht mehr junger Mann. Sein grobes, hartes Gesicht war von einem schwarzen Backenbart eingerahmt. Seine schwarzen Augen ruhten nachdenklich auf Walter. Es war Bert Meany, der Boß. Den Mann links von ihm hätte man für seinen Sohn halten können. Aber trotz des großen Altersunterschieds von etwa zwanzig Jahren waren Bert und Ike Meany - 15 -
Brüder. Der dritte war der jüngste von allen dreien. Er war höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, groß und kräftig. Sein langes blondes Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Seine blauen Augen blickten Walt spöttisch an. Der Mann hieß Caine. Seinen Vornamen kannte niemand. Aber Walt hatte genug über ihn gehört, um zu wissen, daß Caine der gefährlichste und brutalste von den dreien war. Zum erstenmal spürte Walt Angst in sich aufsteigen. Die drei Banditen hatten es auf ihn abgesehen, das war ihm jetzt klar. Walt versuchte zu grinsen. „Hallo, Boys!“ sagte er, so ruhig er konnte. „Diesmal habt ihr Pech gehabt. Bei Walt Behan gibt es nichts zu holen. Nichts, was euch interessieren könnte. Das einzige, was ihr mir nehmen könnt, ist mein Leben. Und daran ist euch doch nicht gelegen, oder?“ Keiner der drei Männer antwortete. Sie sahen Walt gelangweilt, fast gleichgültig an. „Ich bin auf dem Weg zur Haltestelle des Zuges“, sagte Walt. Er deutete voraus in Richtung auf den Wassertank. Das Schweigen der Männer irritierte und erschreckte ihn. Was, zum Teufel, wollten sie von ihm? „Ich bringe einen Toten auf seine letzte Fahrt“, sagte Walt. „Meinen Boß. Er will in seiner Heimatstadt San Francisco beerdigt werden. Manche Leute haben sonderbare Launen. Mir ist's ziemlich gleichgültig, wo man mich einbuddelt, wenn ich einmal sterben muß.“ „Das ist gut!“ nickte der Blonde grinsend. „Das nimmt mir manche Gewissensbisse.“ Walt wußte nicht, was der Mann meinte. Er sah den - 16 -
Banditen unsicher und ängstlich an. „Hast du die Frachtpapiere bei dir?“ fragte Bert Meany. Walt nickte. „Laß sehen!“ Walt griff in die Innentasche seiner Weste und zog die Papiere heraus. Er hielt sie Bert Meany entgegen. Der Bandit lenkte sein Pferd nahe an den Wagen heran, auf dem Walt saß. Er griff nach den Papieren. Er überflog die Papiere nur kurz. „Okay“, sagte er. Walt wußte nicht, was Meany meinte. Er streckte die Hand aus, um die Papiere wieder an sich zu nehmen. Er sah nicht, daß Caine plötzlich seinen Colt in der Faust hatte. Er hörte nicht einmal mehr den Schuß. Er war schon tot, als er vom Kutschbock kippte und auf den Boden fiel. Ike Meany griff nach den Zügeln der beiden Wagenpferde, die durch den Knall des Schusses nervös geworden waren und durchgehen wollten. Während er die Tiere beruhigte, lud Caine ohne Eile seinen Colt nach. Bert Meany stieg auf den Wagen. Sein jüngerer Bruder Ike folgte ihm, sobald die Pferde sich beruhigt hatten. „Schöner Sarg“, sagte Ike. „So möchte ich auch einmal begraben werden, wenn ich tot bin.“ „Du wirst bald Gelegenheit haben, ihn auszuprobieren. In diesem Prunksarg wirst du dich richtig wohl fühlen.“ Caine reichte ihnen zwei kurze Stemmeisen hinauf. Bert und Ike hatten nicht viel Mühe, den zugenagelten - 17 -
Deckel des Sarges aufzusprengen. Bert sah auf den toten Rancher nieder. „Er hat sich gut gehalten, wenn man bedenkt, daß er schon fast eine Woche tot ist“, sagte er zufrieden. „Für dich bohren wir ein paar unauffällige Löcher hier unter dieser Leiste hinein. Du wirst genug Luft bekommen darin. Faß an!“ Sie hoben den Toten aus dem Sarg und warfen ihn vom Wagen. Der reiche Rancher fiel neben seinem alten Cowboy in das hohe Gras. „Wir müssen uns beeilen“,, sagte Bert. „Der Zug kommt bald.“ Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie die Atemlöcher in den Sarg gebohrt und ein Scharnier angebracht hatten, das es erlaubte, den Sarg von innen zu verschließen und wieder zu öffnen. „Soll ich mich gleich hineinlegen?“ fragte Ike. Bert sah hinüber zu dem fernen Wassertank. „Ich glaube nicht, daß wir dort irgendeinen Menschen treffen werden. Du brauchst dich also jetzt noch nicht zu verstecken.“ Er wandte sich dem Blonden zu. „Du weißt, was du zu tun hast, Caine?“ Caine nickte. „Für den Fall, daß du es vergessen hast, sage ich es dir noch einmal. Wir dürfen keinen Fehler machen. Du bringst zuerst mein Pferd von hier weg. Und zwar so weit, daß man es vom Zug aus nicht sehen kann. Dann reitest du voraus und versteckst Ikes Pferd neben dem Bahngleis. Genau an der Stelle, die ich dir beschrieben habe. Das ist wichtig. Wenn Ike das Pferd in der Dunkelheit nicht sofort findet, knallen sie ihn ab.“ „Wäre es nicht besser, wenn ich neben der Bahn- 18 -
strecke auf Ike warten würde?“ wandte Caine ein. „Es könnte sein, daß er Hilfe braucht, wenn er aus dem Zug springt. Wahrscheinlich verfolgt man ihn.“ Berts Gesicht verfinsterte sich. „Ich denke, wir haben die Sache lang und breit besprochen“, sagte er verärgert. „Falls Ike verfolgt wird, hat er allein bessere Chancen, zu entkommen und seine Spuren zu verwischen. Wir reiten einzeln und aus verschiedenen Richtungen zu unserem vereinbarten Treffpunkt. Dort verteilen wir die Beute.“ Caine sah seinen Boß finster an. „Ich hoffe nur, daß ihr mich nicht bis ans Ende aller Tage warten laßt“, sagte er. Er sprach ruhig und leise, aber die Drohung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Ikes Hand näherte sich langsam dem Colt an seiner Hüfte. „Hör auf mit dem Blödsinn!“ sagte sein Bruder warnend. „Ich lasse mich nicht beleidigen! Auch von ihm nicht!“ stieß Ike erregt hervor. Er stand hoch aufgerichtet neben dem Sarg auf dem Wagen. Sein Gesicht war vor Zorn und Nervosität gerötet. Seine Augen waren zwei schmale Schlitze, aus denen er Caine lauernd ansah. Caine saß ruhig im Sattel. Beide Hände lagen lässig auf dem Sattelhorn, weit von seinem Colt entfernt. Auf seinem Gesicht lag ein spöttisches, herausforderndes Grinsen. Bert schlug zu. Der Rücken seiner rechten Hand traf Ikes Gesicht. Ike stürzte und fiel über den Sarg. Er mußte sich - 19 -
festhalten, um nicht vom Wagen zu fallen. Bert sah wütend auf seinen Bruder nieder. „Verdammter Narr! Wann wirst du endlich begreifen, daß du nicht halb so schnell mit dem Colt bist wie Caine?“ Er wandte sich an Caine, der immer noch reglos in seinem Sattel saß und dem Vorfall grinsend zusah. „Hast du je Grund gehabt, an meiner Ehrlichkeit zu zweifeln? Habe ich dich jemals um deinen Anteil betrogen?“ „Nein“, sagte Caine. „Aber bisher ging es nie um mehr als drei- oder viertausend Dollar für jeden. Jetzt geht es um zehnmal soviel. Da ist die Versuchung auch zehnmal größer.“ „Ich habe mir ja schöne Partner ausgesucht!“ sagte Bert verächtlich. „Einen Narren, der sich mit einem Mann schießen will, gegen den er nicht die Spur einer Chance hat. Und einen Freund, dessen krankhaftes Mißtrauen uns alle noch an den Galgen bringen wird.“ Caines Grinsen wurde noch eine Spur spöttischer und gefährlicher. „Dir vertraue ich, Bert“, sagte er. „Ich vertraue dir, weil du weißt, daß ich mit dem Colt schneller bin als du. Und schneller als Ike. Du wirst nicht versuchen, mich übers Ohr zu hauen. Aber dein vertrottelter kleiner Bruder hier scheint zu glauben, daß er es mit mir aufnehmen kann. Und wenn er das glaubt, wird er auch bald glauben, auf mich verzichten zu können und nicht mit mir teilen zu müssen.“ „Er wird mit dir teilen!“ sagte Bert. „Das verspreche ich dir! Aber hör auf, ihn ständig zu reizen und herauszufordern! Er ist mein Bruder, vergiß das nicht! Im Ernstfall stehen wir beide gegen dich! Jetzt reite los, und - 20 -
verstecke Ikes Pferd! Die Zeit wird knapp. Dann reitest du sofort weiter zu unserem Treffpunkt! Wir beide kommen nach.“ Caine sah seine beiden Komplicen lange und nachdenklich an. Dann nahm er die beiden freien Pferde am Zügel und ritt davon. Den beiden Toten neben dem Wagen gönnte er keinen Blick. *** Al Simpson warf verärgert die Spielkarten auf die Kiste, die ihm und Jack Bond als Spieltisch diente. Es war eine kleine unansehnliche Kiste mit einem kleinen, unscheinbaren Schloß. Die Aufschrift besagte, daß der Inhalt aus Qualitätswerkzeugen der Firma Blackwell and Son bestand. Nichts deutete darauf hin, daß die kleine Kiste ein Vermögen enthielt. Jeder Bandit, der den Postwagen überfiel, würde diese kleine Kiste achtlos liegen lassen. „Hunderttausend Dollar!“ sagte Simpson. „Und wir spielen um Cents!“ Er starrte die Kiste finster an. Dann stand er auf. Er rückte seine Revolvertasche zurecht und ging dann zu dem kleinen vergitterten Fenster rechts neben der Tür. Es war das einzige Fenster des Waggons. Die letzten Strahlen der tiefstehenden Sonne fielen durch die kleine Öffnung genau auf die Kiste mit dem Geld. „Verdammt langweiliger Tag!“ sagte Simpson. „Nicht einmal unsere Pokerpartie ist spannend.“ „Sei froh darüber, daß nichts los ist!“ sagte Bond. „Ich jedenfalls hoffe, daß es so bleibt. Ich werde heilfroh sein, - 21 -
wenn wir heute abend am Ziel sind, ohne daß irgendetwas geschehen ist.“ Simpson sah hinaus auf die unendliche Prärie. „Was sollte denn schon geschehen?“ fragte er. „Kein Mensch weiß etwas von dieser verdammten Kiste, die vollgepackt ist mit großen Geldscheinen.“ „Wir wissen davon“, sagte Bond. „Philby weiß davon. Seine fünf Leute wissen davon. Unsere Chefs wissen davon. Und Philbys Vorgesetzte bei Wells Fargo wissen davon. Insgesamt, etwa ein Dutzend Leute. Und mehr als die Hälfte davon sind hier im Zug.“ Simpson sah seinen Kollegen erstaunt an. Bond war gut fünfzehn Jahre älter als Simpson und einen halben Kopf kleiner. Er hinkte ein wenig beim Gehen. Ein Andenken an einen der vielen Kämpfe, die er in seinem Leben schon ausgefochten hatte. Die meisten davon als bewaffneter Zugbegleiter. „Willst du etwa sagen, daß du Philby und seinen Leuten nicht traust?“ fragte Simpson. „Traust du etwa auch mir nicht?“ „Doch, dir traue ich“, sagte Bond. „Weil du in meiner Nähe bist - und ständig in der Reichweite meines Colts!“ „Ich denke, wir sind Freunde, Jack? Wie kommst du darauf, daß ich ...?“ „Freundschaft ist etwas Schönes“, unterbrach ihn Bond. „Und etwas Seltenes. Ich bin froh, dich zum Freund zu haben. Aber ich habe schon Freunde gehabt, die ich doppelt so lange kannte wie dich. Und die eines Tages versuchten, mich umzubringen. Für nicht halb soviel Geld, als hier in dieser schäbigen kleinen Kiste ist.“ „Hör mal, ich vertraue dir doch auch ...“ „Das ist ein Fehler“, sagte Bond ruhig. „Ein schwerer - 22 -
Fehler. Er wird dich eines Tages das Leben kosten. In unserem Job darf man keinem Menschen trauen. Sonst lebt man nicht lange. Wenn du aber ohne Vertrauen in deine Mitmenschen nicht leben kannst, solltest du dir einen anderen Job suchen.“ „Du siehst Gespenster, Jack!“ sagte Simpson. „Philby ist ein berühmter Mann. Einer der besten und zuverlässigsten Detektive bei Wells Fargo. Der kommt doch nicht im Traum auf die Idee, seine eigene Gesellschaft um hunderttausend Dollar zu erleichtern!“ „Woher willst du wissen, wovon Philby träumt? Er ist ein tüchtiger und ehrgeiziger Mann. Glaubst du, daß der bis ans Ende seines Lebens ein kleiner Detektiv bleiben will? Ich glaube es nicht. Der Mann wird jede Chance nützen, die sich ihm bietet, nach oben zu kommen. Die hunderttausend Dollar hier sind gewiß die größte Chance, die sich ihm je in seinem Leben geboten hat.“ „Wenn man nicht einmal dem trauen kann, verflucht noch mal, wem soll man dann trauen?“ „Keinem“, sagte Bond. „Deshalb werde ich froh sein, wenn dieser Tag genauso langweilig und ereignislos zu Ende gehen wird wie bisher.“ Die beiden Männer spürten, wie der Zug seine Geschwindigkeit verringerte. In einem großen Bogen fuhr er langsam auf den riesigen Wassertank zu, der neben dem einsamen Schienenstrang mitten in der unendlichen, menschenleeren Prärie stand. Dieser Wassertank und ein großer Stapel Feuerholz für die Lokomotive, das war alles. Es gab kein Haus, keinen Schuppen und keinen Zaun. Bond stand auf und ging hinkend zu Simpson an das Fenster. Auch er sah hinaus. „Es wird langsam dunkel“, sagte er. „Von jetzt ab - 23 -
wird die Sache gefährlich.“ Er sah hinaus auf den Pferdewagen, der neben dem Holzstapel wartete. Nur ein Mann saß auf dem Bock. Hinter ihm auf dem Wagen lag ein Sarg. „Das wird eine sehr angenehme Fahrt werden mit dem Sarg!“ murmelte Bond. „Hast du sogar vor Toten Angst?“ fragte Simpson grinsend. „Ich traue nicht einmal einer Leiche. Es sei denn, ich habe ihr selbst eine Kugel in den Kopf gejagt. Ein toter Indianer hätte mich einmal beinahe skalpiert.“ Der Mann auf dem Fuhrwerk sah dem Zug ohne großes Interesse entgegen. Er stieg auch nicht ab, als der Zug mit kreischenden Bremsen anhielt. Die Tür des letzten Waggons wurde einen schmalen Spalt weit geöffnet. Gerade weit genug für einen Gewehrlauf. Bert Meany konnte den Mann, der das Gewehr hielt, nicht sehen. Aber er sah, daß der Lauf der Waffe genau auf ihn zielte. Nur wenige Türen wurden geöffnet. Einige mit Gewehren bewaffnete Männer stiegen aus. Sie stellten sich zu beiden Seiten des Schienenstranges in der Nähe des Postwaggons auf. Es waren Männer mit harten, entschlossenen Gesichtern und scharfen Augen. Männer, die nicht zögern würden, zu schießen, wenn es sich als notwendig erweisen sollte. Auch Philby stieg aus. Als einziger der Männer trug er kein Gewehr, sondern nur einen Colt. Er ging die wenigen Schritte bis zum Postwagen. Die beiden Männer darin sahen ihn durch das kleine vergitterte Fenster kommen. - 24 -
„Ihr könnt aufmachen!“ sagte er. Bond steckte einen Schlüssel in das Vorhängeschloß, mit dem die schwere Tür des Waggons von innen verschlossen war, und sperrte auf. Dann schob er die Tür auf. Simpson blieb hinter dem Fenster stehen. Seine Hand lag auf dem Griff seines Colts. Bonds düstere Warnungen hatten ihn nervös und vorsichtig gemacht. Philby ging auf das Fuhrwerk zu. Der Mann auf dem Bock sah ihm grinsend entgegen. „Ist das nicht ein bißchen viel Aufwand für einen Toten?“ fragte er. „Soviel Ehre wurde meinem Boß in seinem ganzen Leben nicht erwiesen wie jetzt, da er nichts mehr davon sehen kann. Er hätte gewiß seinen Spaß daran gehabt.“ Der Mann spuckte seinen Kautabak dicht vor Philbys Füße. Philby sah ihn verärgert an. Dann streckte er die linke Hand aus. „Die Frachtpapiere!“ sagte er. Der Mann auf dem Wagen griff mit der rechten Hand in die linke Innentasche seiner Weste und zog seine Brieftasche heraus. Dann reichte er Philby zwei Schriftstücke. Philby las sie prüfend durch. „Okay“, sagte er. Er unterschrieb die beiden Papiere und reichte eines davon dem Mann zurück. Dann winkte er zwei seiner Leute herbei. Die beiden legten ihre Gewehre weg und kamen näher. Einer von ihnen stieg auf den Wagen und schob den Sarg an, bis er fast zur Hälfte über die Ladefläche hinausstand. Dann sprang er wieder herunter. Der Mann auf dem Kutschbock drehte sich nicht zu den beiden Wells-Fargo-Leuten um, die den Sarg vom - 25 -
Wagen hoben und zum Postwaggon trugen. Er griff in eine Tasche seiner Weste und zog ein kleines Paket Kautabak heraus. Er biß ein Stück davon ab und begann zu kauen. Er sah hinüber zu den Fenstern des Zuges. Viele Gesichter starrten neugierig zu ihm herüber. Gesichter von Männern, Frauen und Kindern. Gesichter von Menschen, die sich darüber wunderten, wie viele bewaffnete Männer nötig waren, um einen Sarg in den Postwaggon zu tragen. Der Mann auf dem Kutschbock sah scheinbar ohne Interesse hinüber zum Postwaggon. Die Tür des Waggons stand auf. Ein Mann war darin zu sehen, der dem Sarg finster und unbehaglich entgegenstarrte. Durch das vergitterte Fenster neben der Tür sah ein zweiter Mann heraus. Die beiden Wells-Fargo-Leute hoben den Sarg in den Postwagen. Bond griff danach und zog den Sarg durch die Tür herein. Dann wollte er die Tür schließen. „Halt!“ sagte Philby. „Wir haben noch zwei Tote im Zug. Der Schaffner will sie nicht in den Passagierwaggons liegen lassen. Euch kommt es ja jetzt auf zwei Tote mehr auch nicht mehr an.“ „Ich habe die Schüsse gehört“, sagte Bond. „Was war eigentlich los?“ „Larry Rawlinson und ein Mann namens Calhoun haben versucht, einen Marshal umzubringen. Marshal Tom Kelly. Es ist ihnen nicht gelungen.“ „Kelly hat Rawlinson erschossen?“ fragte Bond überrascht. „Ich hätte nicht geglaubt, daß Kelly so schnell ist.“ „Ist er auch nicht“, sagte Philby. „Ich habe Rawlinson umgelegt. Ich fürchte, daß noch mehr Kerle von dieser - 26 -
Sorte im Zug sind. Halten Sie die Augen auf, Bond!“ Der Schaffner und der Heizer trugen die leblose Gestalt eines Mannes herbei. Zwanzig Schritte von der Tür des Postwaggons entfernt hielt Philby sie an. „Legen Sie ihn hin und holen Sie den anderen!“ befahl er. „Meine Leute bringen ihn in den Wagen.“ Die beiden Männer legten den Toten nieder. Der Schaffner sah neugierig zu der Tür des Postwaggons hinüber. „Wertvolle Fracht heute, was?“ fragte er. „Gold?“ „Machen Sie sich darüber keine Gedanken!“ sagte Philby. „Dann schlafen Sie besser. Es genügt, wenn meine Leute und ich wach bleiben. Holen Sie jetzt den anderen her!“ Bert Meany auf dem Kutschbock des Fuhrwerks kaute gleichmütig auf seinem Priem herum. Er erkannte einen der beiden Toten. Larry Rawlinson. Und er hatte verstanden, was Philby zu Bond gesagt hatte. Verdammt! dachte er. Marshal Kelly ist im Zug. Dieser halbe Indianer ist der einzige Mensch, dem es vielleicht gelingen könnte, Ikes Spur zu verfolgen. Hoffentlich hat Ike gehört, was los ist. Dann ist er gewarnt. Er sah hinüber zu den Fenstern des Zuges, aber hinter keiner der Scheiben konnte er Kellys bronzefarbenes Gesicht erkennen. Trotzdem zweifelte er nicht daran, daß Marshal Kelly ihn beobachtete. Er fühlte sich unbehaglich. Es kostete ihn Mühe, seine Erregung zu verbergen. Er hoffte, daß Kelly ihn noch nie gesehen hatte und auch keinen Steckbrief von ihm. Andernfalls war die Sache schon gescheitert, bevor sie richtig begonnen hatte. - 27 -
Der Heizer hatte den Kessel der Lokomotive mit Wasser aus dem Tank gefüllt und Feuerholz geladen. Die beiden toten Banditen waren in den Postwaggon gebracht worden. Bond schob die Tür des Postwaggons wieder zu und verschloß sie von innen. Philby sah sich noch einmal nach allen Seiten um. Dann gab er seinen Leuten das Zeichen zum Einsteigen. Der Gewehrlauf in dem schmalen Türspalt des Pferdewaggons verschwand. Dann setzte sich die Lokomotive langsam und fauchend in Bewegung und zog die lange Wagenkette hinter sich her. Der Zug schien genau in die sinkende Sonne hineinzufahren. Bert Meany sah dem Zug lange nach. *** Durch das kleine vergitterte Fenster neben der Tür fiel kein Licht mehr in den Postwaggon. Draußen herrschte dunkle, pechschwarze Nacht. Nur eine blakende Petroleumlampe beleuchtete mit ihrem flackernden Schein das Innere des Wagens. Der Schein drang nicht bis in alle Ecken des langen Waggons. Dort, wo die Gepäckstücke lagen und der Sarg und die beiden toten Banditen, blieb es dunkel. Unter der hin und her schwingenden Lampe an der Decke saßen Simpson und Bond und pokerten wieder. Als Spieltisch diente ihnen die kleine unscheinbare Werkzeugkiste. Die beiden Männer sprachen nicht viel. Hinter ihnen, außerhalb des Lichtscheins der Lampe, lagen Rawlinson und Calhoun, die beiden Banditen, die bei dem Überfall - 28 -
auf Marshal Kelly erschossen worden waren. Bond und Simpson hatten das sichere Gefühl, daß in dieser Nacht noch mehr geschehen wurde, und darauf warteten sie. Aber alles blieb ruhig und still. Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das gleichmäßige, monotone und einschläfernde Rattern des Zuges. Keiner der beiden Männer hörte, wie der Deckel des Sarges irgendwo im Dunkel, außerhalb des Lichtscheins der Lampe, langsam und geräuschlos einen schmalen Spalt weit geöffnet wurde. Zwei scharfe Augen beobachteten jede ihrer Bewegungen. Dann richtete sich der Lauf eines Colts auf Bonds Rücken. „Hände hoch!“ befahl eine scharfe, aber ruhige und beherrschte Stimme. Die beiden Männer unter der Lampe erstarrten. Sie waren die einzigen lebenden Menschen hier im Waggon. Außer ihnen gab es nur drei Tote. Zwei davon hatten sie selbst gesehen, der dritte lag in einem zugenagelten Sarg. Woher, zum Teufel, kam also die Stimme? Zwei, drei Sekunden lang zweifelte Simpson an seinem Verstand. Dann zuckten seine Augen hinüber zu dem vergitterten Fenster. Vielleicht hielt sich jemand an der Außenseite des Waggons fest und schob den Lauf seines Colts durch die Gitterstäbe. Simpson sah, einen Ausschnitt des gestirnten Himmels. Das Fenster war leer. Niemand schaute herein. Der Sprecher mußte sich also im Wagen befinden! Simpson sah über Bonds Schulter in den hinteren Teil des Waggons, dorthin, wo der Sarg stand. Die Lampe schräg über ihm blendete ihn. Er konnte den Sarg im Halbdunkel des hinteren Wagenendes nur sehr undeutlich sehen. - 29 -
Bond nahm langsam die Arme hoch. „He, brauchst du eine besondere Einladung?“ fragte eine spöttische Stimme irgendwo im Halbdunkel hinter Bond. Simpson zögerte. Wahrscheinlich sieht er mich kaum, überlegte er. Jack sitzt zwischen ihm und mir. Wenn er schießt, kann er mich nicht treffen. Er trifft Jack. Aber durch das Mündungsfeuer verrät er sich. Das wäre meine Chance! Simpson sah Bond an. Er erkannte sofort, daß Bond wußte, welche Gedanken durch sein Gehirn jagten. Vielleicht würde er es an meiner Stelle versuchen, dachte Simpson. Aber ich opfere keinen Freund. Auch nicht für hunderttausend Dollar. Nicht einmal dann, wenn das Geld mir gehören würde. Simpson hob die Arme hoch. Auf Bonds Gesicht lag ein leises, dankbares Lächeln. Von jetzt an sind wir wirklich Freunde, dachte Simpson. Für immer. „Aufstehen!“ befahl die Stimme des Unsichtbaren. „Stellt euch nebeneinander! Mit dem Rücken zu mir!“ Die beiden Männer gehorchten. Jeder Versuch einer Gegenwehr war sinnlos und von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie standen genau unter der Lampe. Der Mann hinter ihnen hatte seine Waffe auf sie gerichtet. Ihm würde nicht die kleinste Bewegung entgehen. Und er würde sofort schießen. „Revolvergürtel abschnallen! Mit der linken Hand! Einer nach dem anderen! Zuerst der Kleine!“ Bond schnallte den Gürtel ab und ließ ihn zu Boden fallen. Simpson folgte seinem Beispiel. - 30 -
Ein lauter Knall hinter ihnen ließ die beiden Männer zusammenzucken. Aber es war kein Revolverschuß. Es war der Sargdeckel, der zugefallen war. Der Mann hinter ihnen lachte. „Ihr könnt euch wieder umdrehen“, sagte er fast freundlich. Die Drohung lag nicht mehr in seiner Stimme. Sie lag in seinem Colt, den die beiden Männer jetzt sahen. Und in den dunklen kalten Augen, die spöttisch und mitleidlos auf ihnen ruhten. Der Mann stand jetzt am Rande des Lichtscheins. Die hin und her schwingende Lampe an der Decke beleuchtete manchmal seine ganze gedrungene Gestalt, manchmal nur den unteren Teil, von den staubigen Stiefeln bis zu dem Colt, den der Mann in Hüfthöhe hielt. „Zwei Schritte zurück!“ befahl der Mann. Bond und Simpson gehorchten. Der Mann kam langsam auf sie zu. Jetzt stand er genau unter der Lampe, neben der Kiste mit dem Geld. Er grinste. Und dieses Grinsen war noch häßlicher, bösartiger und gefährlicher als die dunkle, drohende Mündung des Colts in seiner Faust. Mit dem rechten Fuß beförderte der Mann die beiden Revolvergurte, die auf dem Boden lagen, irgendwohin in eine der dunklen Ecken hinter sich. Simpson sah, wie sein Colt über den Boden rutschte, von ihm weg, und er begriff, daß er jetzt endgültig diesem Verbrecher ausgeliefert war. Solange der Colt noch zu seinen Füßen lag, bestand noch eine winzige Chance, eine kleine Hoffnung. Jetzt war alles aus. Der Blick des Verbrechers zuckte zu der Tür hinüber, zu dem Vorhängeschloß daran. „Wer hat den Schlüssel?“ fragte er. „Ich“, sagte Bond. - 31 -
„Gib ihn her!“ Bond griff in eine Tasche seiner Weste. Der Colt des Banditen zielte jetzt auf ihn. Die Augen des Mannes verrieten lauernde Vorsicht. Der Bandit hatte darauf verzichtet, die beiden Männer zu durchsuchen. Er mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß die beiden noch versteckte Waffen trugen. Vielleicht einen kleinen Derringer in der Tasche, in die Bond griff. Bond hatte fast den Eindruck, daß der Mann hoffte, er würde sich wehren. Als er die Hand wieder aus seiner Tasche zog und auf der offenen Handfläche den Schlüssel zeigte, schien der Verbrecher ein wenig enttäuscht zu sein. Bond warf den Schlüssel dem Banditen zu. Ike fing ihn geschickt mit der linken Hand auf. Ohne die beiden Männer aus den Augen zu lassen, ging er seitwärts auf die Tür zu. Er schob den Schlüssel in das Schloß und drehte ihn um. Dann schob er die Tür auf. Er ging wieder in die Mitte des Waggons zurück, bückte sich und hob mit der linken Hand die kleine Geldkiste hoch. Der Colt in seiner rechten Hand zielte auf die beiden Männer. Er trug die Kiste zu der Tür und stellte sie auf den Boden. Die beiden Männer sahen ihm zu. Sie wußten, daß sie keine Chance hatten, ihn daran zu hindern, das zu tun, was er tun wollte. Ike nahm mit der linken Hand eine Taschenuhr heraus und warf einen kurzen Blick darauf. Er schien zufrieden zu sein. Sein Zeitplan ging offenbar auf. Er schob die Uhr ein und wartete. Die Geschwindigkeit des Zuges verringerte sich merklich. Der Zug fuhr eine lange Steigung hinauf. Jetzt - 32 -
fuhr der Zug so langsam, daß Ike ohne Gefahr hätte hinausspringen können. Aber immer noch wartete er. Er wartete, bis der .Zug den Höhepunkt der Steigung fast erreicht hatte. Gleich würde sich die Geschwindigkeit wieder erhöhen, wenn der Zug auf der anderen Seite des Hügels hinabfuhr. Ike grinste die beiden Männer an. Dann beförderte er die Kiste mit einem Tritt ins Freie. Sekundenlang überlegte er, ob er die beiden Männer erschießen sollte. Sie waren die einzigen, die ihn gesehen hatten und die ihn beschreiben konnten. Aber seine Schüsse würden die Wachmannschaft in den anderen Waggons alarmieren. Wenn er nicht schoß, gewann er wertvolle Sekunden. Ike stieß den Colt in das Holster und sprang. Einen Sekundenbruchteil später war er in der Dunkelheit verschwunden. Er landete auf dem weichen Grasboden neben dem Schienenstrang. Der letzte Wagen des Zuges rollte an ihm vorbei. Sofort sprang er auf und rannte neben den Gleisen zurück, den lichten Abhang hinab. Hinter sich hörte er, wie der Zug schneller wurde. Er sah sich nicht um. Er wußte, daß der Zug den Kamm des Hügels überquert hatte. Auf dem abfällenden Gelände würde der Zug ziemlich lange brauchen, bis er zum Stehen kam. Dann fielen Schüsse. Wütende, ungezielte Schüsse. Ike kümmerte sich nicht darum. Er wußte, daß die beiden Männer im Postwagen sofort zu ihren Waffen gerannt waren. Aber bis sie mit ihren Colts an der Tür waren, waren kostbare Sekunden vergangen. Sie konnten ihn nicht mehr sehen. Zwischen ihnen und - 33 -
Ike war der Kamm des Hügels. Ihre Schüsse hatten nur noch den einen Zweck, die anderen Wachen zu alarmieren. Ike rannte weiter. Immer noch gewann der Zug an Geschwindigkeit. Als Ike die Bremsen des Zuges kreischen hörte, wußte er, daß er jetzt nicht mehr viel Zeit hatte. Wenn der Zug erst einmal stand, würden kurz darauf ein halbes Dutzend Reiter hinter ihm her sein. Jetzt sah Ike die Kiste neben den Schienen. Und er sah die Gestalt eines Mannes bei der Kiste auf dem Boden knien. Ike blieb keuchend stehen. Er riß den Colt heraus. „Hallo, Ike!“ sagte der Mann. Ike erkannte die spöttische Stimme. Er ließ den Arm mit dem Colt sinken. „Verdammt noch mal, Caine, was tust du hier?“ fragte er, schwer atmend. „Es war doch ausgemacht, daß du nur mein Pferd hier verstecken und dann gleich zu unserem Treffpunkt weiter reiten solltest.“ Der große blonde Mann grinste verschlagen. „Ich bin nicht so dumm, wie du und dein schlauer Bruder glaubt. Ihr beide habt nicht im Traum daran gedacht, mit mir zu teilen. Deshalb wolltet ihr mich zu einem Treffpunkt vorausschicken, an dem ich bis an das Ende aller Tage auf euch hätte warten können.“ Ike sah, daß Caine damit beschäftigt war, die Banknotenbündel aus der kleinen Kiste in seine Satteltaschen umzupacken. Die Kiste war bereits fast leer. „Du hast dich doch heute schon einmal mit mir schießen wollen, Ike“, sagte Caine leise und gefährlich. „Dein Bruder hat dich an dieser Dummheit gehindert. - 34 -
Sonst wärst du jetzt bereits tot. Aber diesmal ist dein Bruder nicht dabei.“ Ike wußte, daß Caine ihn erschießen würde. So oder so. Aber Ike wollte nicht sterben, ohne es wenigstens versucht zu haben. Er hob den Arm mit dem Colt. Bevor er die Waffe auf den am Boden knienden Mann in Anschlag brachte, sah er einen schwefelgelben Mündungsblitz, und er spürte, wie ihm ein heißes Stück Blei von schräg unten her durch die Brust fuhr. Er versuchte, seinen eigenen Colt abzudrücken, aber er war bereits zu schwach dazu. Ein dunkler Schleier zog vor seine Augen. Den zweiten Mündungsblitz aus Caines Colt sah er nicht mehr. Er knickte in den Knien ein. Als die dritte Kugel ihn traf, lag er bereits auf dem Boden. Caine stieß den Colt in das Holster. Von fern her, von jenseits des Hügels, waren die Rufe von Männern zu hören. Die Rufe kamen von weit her, aus einer Entfernung von mehreren hundert Yards. Caine raffte die letzten Banknotenbündel auf und stopfte sie in die Satteltaschen. Dann rannte er die wenigen Meter bis zu der Stelle, wo hinter Büschen die beiden Pferde warteten. Er schwang sich auf sein eigenes Pferd, nahm Ikes Pferd am Zügel und ritt los. *** Tom Kelly hörte die Schüsse, die den Lärm der Räder und das Fauchen der Lokomotive übertönten. Er riß den Colt heraus und sah durch das Fenster hinaus. Hinter den Scheiben war nichts als schwarze, - 35 -
undurchdringliche Nacht. Tom sprang auf und rannte durch den Gang zur Tür. Er stieß einige Männer beiseite und drängte sich hinaus auf die Plattform. Er hörte, wie die Bremsen des Zuges angezogen wurden, und spürte, wie sich die Geschwindigkeit verringerte. Aber er wartete nicht ab, bis der Zug stand. Er stieß den Colt in das Holster. Dann sprang er. Er fiel tiefer, als er erwartet hatte. Dann schlug er hart auf den steilen Abhang des hier mehrere Meter hoch aufgeschütteten Bahndamms auf. Sekundenlang war er von dem Aufprall benommen. Er fühlte kaum, wie er sich mehrmals überschlug, ein Stück den Hügel hinunterrollte und dann liegen blieb. Es kostete Tom Mühe, auf die Beine zu kommen. Er blutete aus einer Wunde an der Stirn. Seine rechte Schulter schmerzte heftig. Er kämpfte gegen Schwindelgefühl und Ohnmacht an, die ihn zu überwältigen drohten. Nur undeutlich, wie durch einen Nebel, sah er die Rücklichter des Zuges, der an ihm vorbeigerollt war. Immer noch entfernten sich die Lichter von ihm. Tom tastete nach seiner rechten Hüfte. Zufrieden stellte er fest, daß er den Colt bei dem Sturz nicht verloren hatte. Der Hang war auf dieser Seite steiler als auf der anderen Seite des Hügels. Tom kam nur langsam vorwärts. Oben blieb er stehen. Nichts war zu sehen als der Schienenstrang, der sich schon nach wenigen Yards in der Dunkelheit verlor. Tom rannte weiter. In langen Sätzen hetzte er den flachen Hang hinab. - 36 -
Wieder hörte er Schüsse, gut hundert Yards voraus. Er riß den Colt heraus und rannte weiter. Weit vor sich in der Dunkelheit sah er eine schattenhafte Bewegung. Noch war die Entfernung viel zu groß für einen sicheren Schuß. Tom sah die dunklen Umrisse einiger Büsche. Dort war der Schatten verschwunden. Tom rannte darauf zu. Noch war er nicht auf Coltschußweite heran gekommen, als er die gedämpften Hufschläge von zwei Pferden auf dem Grasboden hörte. Im gleichen Augenblick gaben die Wolken den Mond für Sekunden frei. Tom sah zwei Pferde. Nur auf einem davon saß ein Reiter, weit vornübergebeugt über den Hals des Tieres. Sein langes blondes Haar schimmerte im fahlen Schein des Mondes. Tom hob den Colt und zielte. Wieder verdeckte ein Wolkenfetzen den Mond. Der Reiter war nicht mehr zu sehen. Tom ließ den Colt sinken. Der Hufschlag der beiden Pferde wurde schwächer und war bald nicht mehr zu hören. Tom rannte weiter, auf die Schienen zu. Er hatte zwei Pferde gesehen, aber nur einen Reiter. Und er hatte Schüsse gehört. Das bedeutete, daß noch ein Mensch hier sein mußte. Und wenn Tom Glück hatte, lebte der Mann noch. Dann sah Tom die Gestalt eines Menschen auf dem Boden. Die Gestalt bewegte sich nicht mehr. Tom rannte darauf zu. Er sah einen mittelgroßen, untersetzten Mann. Der Mann lag auf dem Rücken. Er lebte noch, aber sein Atem ging schwach. - 37 -
Der Mann hielt einen Colt in der rechten Faust. Er versuchte, den Colt zu heben und auf Tom anzulegen. Tom nahm dem Verwundeten ohne Mühe die Waffe weg. Dann kniete er sich zu dem Mann nieder. „Wer war es?“ fragte er. „Wer hat auf Sie geschossen?“ „Caine“, sagte der Mann. „Dieser verdammte Verräter!“ Er sprach leise und mit großer Anstrengung. Seine Worte waren kaum zu verstehen. Ein dünner Blutstrom floß aus seinem Mund. Sein Gesicht war blaß und von einer maskenhaften Starre. Tom wußte, daß der Mann nicht mehr lange zu leben hatte. Die Lippen des Sterbenden bewegten sich. Tom beugte sich weiter zu ihm nieder. „Indian Springs“, sagte der Mann fast unhörbar. „Dort ...“ Er hustete. Ein dicker Blutstrom quoll aus seinem Mund. Sein Kopf fiel zurück. Seine Augen starrten an Tom vorbei hinauf zum Himmel. Er bewegte sich nicht mehr. Er war tot. Tom hörte den Huf schlag von mehreren Pferden. Er stand auf und sah den Reitern entgegen. Es waren Philby und seine Leute. Sie hielten ihre Pferde an. Philby sprang aus dem Sattel. Er sah auf den Toten nieder. „Wer ist das?“ fragte er. „Das ist der Mann aus dem Sarg“, sagte Bond. „Ich schätze, jetzt ist er wirklich tot:“ „Haben Sie ihn erschossen, Marshal?“ fragte Philby. „Nein. Das hat sein Komplice besorgt!“ „Der Mann war allein“, sagte Simpson. - 38 -
„Er war allein im Sarg“, sagte Tom. „Aber der zweite Mann wartete mit den Pferden dort drüben bei den Büschen. Doch offenbar war er nicht gewillt, mit seinem Kompagnon zu teilen.“ Philby gab der leeren Kiste einen wütenden Fußtritt. „Das Geld hat er natürlich mitgenommen, der Halunke!“ sagte er. „Wir müssen ihm nach. Vielleicht holen wir ihn noch ein.“ Er stieg in den Sattel. Tom blieb stehen. „Wollen Sie nicht mitkommen, Marshal?“ fragte Philby. „Einer meiner Leute wird Ihnen sein Pferd leihen.“ „Es hat keinen Sinn“, sagte Tom. „Den Mann finden Sie in dieser Dunkelheit nie mehr.“ „Sie sind doch Halbindianer, nicht wahr, Marshal? Sie sind in der Wildnis aufgewachsen. Wahrscheinlich sind Sie der einzige Mensch im Zug, der etwas vom Spurenlesen versteht. Sie müssen mitkommen!“ „Gerade weil ich etwas vom Spurenlesen verstehe, sage ich Ihnen, daß die Sache völlig hoffnungslos ist. Der Himmel ist bedeckt. Kaum ein Stern ist zu sehen, und die Bewölkung wird immer dichter. In wenigen Minuten wird es so finster sein wie in einem Grab. In dieser Finsternis findet nicht einmal der beste indianische Fährtenleser eine Spur.“ „Wir müssen es trotzdem versuchen!“ beharrte Philby eigensinnig. „Ich gebe nicht auf, und wenn ich ihm durch die Hölle folgen müßte!“ „Das wäre auch viel leichter“, sagte Tom. „In der Hölle ist es heller als hier.“ Philby sah Tom verächtlich an. Dann spuckte er Tom vor die Füße. „Verdammte Rothaut!“ sagte er. „Feigling!“ - 39 -
Die Männer ritten davon. Tom sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren. Dann ging er ohne Hast zum Zug zurück. Er wußte, wen er zu suchen hatte. Caine. Und er wußte, wo er ihn finden würde. In Indian Springs. *** Tom hielt einen Mann an, der aussah, als kenne er die Schattenseiten des Lebens und besonders die Schattenseiten von Indian Springs. „Wo finde ich in dieser lausigen Stadt den billigsten Fusel, die nettesten Mädchen und die betrügerischsten Kartenspieler?“ „Im Saloon von Ed Davis“, antwortete der Mann ohne Zögern. „Aber an Ihrer Stelle würde ich da nicht allein hingehen. Sie könnten dort nämlich auch Ihren Tod finden. Die Leute dort mögen keine Sheriffs und Marshals.“ Der Mann machte, daß er wegkam. In Toms Gesellschaft fühlte er sich offenbar nicht sehr wohl und nicht sehr sicher. Ich scheine in dieser Stadt bekannt zu sein wie ein bunter Hund, dachte Tom unbehaglich. Er sah auf die Stelle seiner Weste, wo sich, ziemlich genau über dem Herzen, für gewöhnlich sein Dienstabzeichen befand. Er hatte es abgenommen, bevor er in diese Stadt eingeritten war. Aber die beiden Einstiche der Spange waren für ein gutes Auge deutlich zu sehen. Tom zog die Weste aus und verstaute sie in der - 40 -
Satteltasche seines Pferdes. Dann ließ er sein Pferd stehen, wo es stand, und machte sich auf die Suche nach dem Saloon von Ed Davis. Das Grölen rauher Männerstimmen, gegen die ein verstimmtes Klavier vergeblich anspielte, wies ihm den Weg zum Ende der Main Street. Bevor er eintrat, blieb er in der doppelflügeligen Schwingtür stehen und überflog den Raum. Der Saloon hatte schon bessere Zeiten und bessere Kundschaft gesehen. Damals verkehrten hier Leute, die nicht die Gewohnheit hatten, auf den Fußboden zu spucken. Jetzt schien die Bude der Treffpunkt aller Gauner und Tagediebe im ganzen County zu sein. Tom war sicher, Caine hier zu finden. Gewiß, Caine besaß jetzt genug Geld, um sich ein Leben in kostspieligerer Umgebung leisten zu können. Aber es ist leichter, schnell reich zu werden, als von heute auf morgen seine Gewohnheiten zu ändern. Hier in Ed Davis' Saloon war Caine unter seinesgleichen. Hier war er unter Freunden und Gesinnungsgenossen, die ihn gewiß nicht verraten würden. Und die nicht untätig zuschauen würden, wenn ein Vertreter des Gesetzes kam, um ihn zu verhaften. Caine stand an der Bar, eine Flasche Whisky vor sich und ein kicherndes Tanzmädchen im Arm. Er sah genauso aus, wie Tom ihn sich hatte beschreiben lassen: ein junger, großer, breitschultriger Bursche mit wirrem blondem Haar und schlaksig wirkenden Bewegungen. Tom stieß die Tür auf und trat ein. Ein Dutzend mißtrauischer Augenpaare verfolgte jede seiner Bewegungen. Die Gespräche verstummten. Der Klavierspieler hörte auf zu klimpern. Caine ließ das Mädchen an seiner Seite los und drehte - 41 -
sich um. Seine rechte Hand legte sich auf den Griff seines tiefhängenden Colts. Es war ein wildes, verwegenes Gesicht, das Tom ansah. Das Gesicht eines Mannes, der die Gefahr liebte und keinem Kampf auswich. Und der in jedem Kampf Sieger blieb. Tom tat, als bemerke er die plötzliche Stille nicht, die über den Menschen im Saal lastete. Er ging ruhig auf die Theke zu. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf Caine, der ihm halb mißtrauisch, halb herausfordernd entgegensah. Etwas länger ruhte Toms Blick auf dem hübschen Gesicht des Mädchens neben Caine und glitt dann über ihre aufreizende Figur. Sie erwiderte den Blick mit wohlwollendem Interesse. Sie lächelte Tom an. Tom nickte ihr freundlich zu. Dann stellte er sich an die Theke dicht neben Caine, der mit dem Rücken an der Bar lehnte. Für einen Sekundenbruchteil berührte Toms Handrücken die Revolverhand des Banditen. Caine zuckte unter dieser Berührung zusammen. Seine Finger umkrampften den Griff seines Colts. Tom tat, als bemerke er nichts davon. Er lehnte sich mit beiden Unterarmen auf den Tresen und grinste den Keeper erwartungsvoll an. Der Keeper gehörte zum selben Menschenschlag wie seine Stammgäste. Seine mißtrauischen Augen im groben Gesicht wanderten hastig und nervös zwischen Tom und Caine hin und her. Schweißtropfen standen auf seiner niedrigen Stirn, und große Schweißflecken klebten sein schmutziges Hemd an den kräftigen, gedrungenen Körper. - 42 -
Er wartete. Und mit ihm warteten alle Menschen im Saal. Caine wandte sich langsam mit einer Vierteldrehung Tom zu. Immer noch lag seine rechte Hand auf dem Griff seines Colts. Er war größer als Tom, und jetzt, da er aufrecht stand und auf den über die Theke gelehnten Tom heruntersah, wirkte er noch größer. Tom gönnte dem Banditen das Gefühl der Überlegenheit. Caine war vorsichtig und mißtrauisch wie ein gejagtes Wild. Wenn er sich von Tom bedroht fühlte, würde er sofort seine Waffe herausreißen und schießen. Tom verspürte wenig Lust, herauszufinden, ob er schneller mit dem Colt war als Caine. Und schneller als Caines Saufkumpane, die hinter Tom standen, mit den Händen auf den Griffen ihrer Schießeisen. Deshalb vermied Tom jede Bewegung und jeden Blick, den Caine als Drohung auffassen konnte. Erst wenn Caine sich völlig sicher und als Herr der Lage fühlte, würde es Tom vielleicht gelingen, den gefährlichen Revolvermann zu überlisten. Tom blickte mit freundlichem, gleichgültigem Lächeln zu dem harten, mißtrauischen Gesicht des Banditen auf. Die kalten blauen Augen, die ihn herausfordernd und drohend anstarrten, waren so gefühllos wie die eines toten Fisches. „Fremd hier, was?“ fragte Caine. Seine leisen, ein wenig heiseren Worte waren bis in den hintersten Winkel des großen Saales zu hören. „Neugierig, was?“ gab Tom mit spöttischem Grinsen zurück. Einen Augenblick lang schien Caine verärgert zu sein. Dann grinste auch er. Er war es gewohnt, daß Männer, - 43 -
die hierher kamen, ihren Namen nicht nannten und keine Lust verspürten, über sich und ihre Vergangenheit Auskunft zu geben. Tom hatte sich verhalten, wie jeder der Männer im Saal sich an seiner Stelle verhalten hätte. Jetzt hielten sie den Fremden für einen der ihren. Caine wandte sich wieder dem Tanzmädchen zu. Seine rechte Hand löste sich von dem Griff seines Colts und legte sich dem Mädchen um die Hüfte. Der Bann war gebrochen. Die Männer nahmen ihre Gespräche wieder auf. Der Klavierspieler begann wieder, sein unschuldiges Instrument zu mißhandeln. Der schwitzende Barkeeper wischte sich mit dem Ärmel seines schmutzigen Hemdes über die Stirn, dann stellte er eine volle Flasche und ein Glas vor Tom auf die Theke. „Sie kommen gerade zur rechten Zeit, Mister“, sagte er. „Gleich hat Laura ihren großen Auftritt.“ „Ist Laura ein dressierter Affe oder ein Tanzbär?“ fragte Tom uninteressiert. Der Keeper lachte. „Sie werden Augen machen, Mann!“ sagte er. Tom nahm die Flasche und das Glas und ging hinüber zu einem unbesetzten Tisch neben der Treppe, die hinauf zum ersten Stock führte. Niemand kümmerte sich mehr um ihn. Die Aufmerksamkeit der Männer galt einer jungen Frau, die gerade die Treppe herunterkam und in einer Wolke aus süßlichem Parfüm an Tom vorbeischritt. Grölender Jubel der Männer empfing sie. Der Lärm hörte erst auf, als sie zu singen begann. Selbst die Kartenspieler legten ihre Pokerkarten weg. Tom hätte nicht erwartet, in diesem herunter- 44 -
gekommenen Saloon ein so schönes Mädchen zu sehen. Sie hatte eine hinreißende Figur, die durch das enganliegende Kleid betont wurde. Ihr schwarzes Haar fiel bis auf ihre nackten Schultern herab. Ihre Bewegungen wirkten lässig und träge wie die einer Raubkatze, und sie sang ihr frivoles Lied so gelangweilt, als singe sie es zum tausendsten Mal. Tom hörte ihr nur mit halbem Ohr zu. Er goß sich sein Glas voll und bemühte sich, nicht zu oft zu Caine hinüberzuschauen. Er hatte sich noch keinen Plan gemacht, wie er vorgehen sollte. Eines jedenfalls war ihm klar: Die Männer hier im Saloon waren Caines Freunde. Es würde unmöglich sein, Caine hier zu verhaften. Wenn es zu einer Schießerei kam, dann würden Tom und Caine nicht die einzigen Männer sein, die zur Waffe griffen. Tom mußte Geduld haben und warten. Warten, bis Caine den Saloon verließ. Darin lag Toms einzige Chance. Er machte sich auf ein langes Warten gefaßt. Grölender Beifall unterbrach Toms Gedanken. Laura hatte ihr Lied beendet. Sie kam auf die Treppe zu, an deren Fuß Tom saß. Sie kümmerte sich nicht um die anzüglichen Zurufe der Männer und versuchte, den Händen auszuweichen, die nach ihr griffen. Tom glaubte, in ihrem schönen gelangweilten Gesicht eine Spur von Bitterkeit zu entdecken. Zweifellos verachtete sie die Männer, vor denen sie sang, und vielleicht verachtete sie auch sich selbst. Wieder roch Tom das billige, süßliche Parfüm, als Laura an ihm vorbeiging. Auf der Treppe blieb sie stehen - 45 -
und drehte sich um. Sie warf einen kurzen fragenden Blick hinüber zur Theke, wo Caine immer noch mit dem Tanzmädchen stand. Caine nickte ihr zu. Dann griff er nach der Flasche vor sich und goß sein Glas randvoll. Tom wußte jetzt, was er zu tun hatte. Er wußte auch, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. Nur so viel Zeit, wie Caine brauchte, um sein Glas auszutrinken. Tom stand auf und ging ohne Hast die Treppe hinauf. Niemand schenkte ihm irgendwelche Beachtung. Oben im ersten Stock lagen die Zimmer der Mädchen. Es kam oft genug vor, daß einer der Männer aus dem Saloon hinaufging und ziemlich lange oben blieb. Ein abgetretener Läufer, der offenbar noch aus den Glanzzeiten des Saloons stammte, dämpfte Toms Schritte, als er den Gang im ersten Stock hinunterging. Er brauchte nur der Parfümwolke zu folgen, um zu wissen, hinter welcher Tür Laura verschwunden war. Es war die letzte Tür links. Vor der Tür blieb Tom stehen und sah sich um. Er war allein im Gang. Hinter den Zimmertüren, die an diesem Gang lagen, war es still, und auch auf der Treppe, die vom Saloon heraufführte, war kein Geräusch zu hören. Tom klopfte an die Tür von Lauras Zimmer. Sekundenlanges Schweigen. Dann hörte Tom die rauchige Stimme Lauras: „Komm herein, Caine, die Tür ist auf!“ In der Stimme des Mädchens schwang keinerlei Freude, sondern nur leises Erstaunen. Tom nahm seinen Hut ab, öffnete die Tür und trat ein. Laura saß auf der Bettkante und sah ihm entgegen. Sie wirkte nicht sehr überrascht. - 46 -
„Ich hätte mich wirklich gewundert, wenn Caine es sich angewöhnt hätte, anzuklopfen“, sagte sie. „Hauen Sie ab, Mann! Caine wird gleich hier sein!“ Tom schloß die Tür hinter sich und schob den Riegel vor. Das Mädchen auf dem Bett sah ihm schweigend zu. Er grinste. „Soll der Kerl warten, bis er schwarz wird! Ich glaube, Sie machen keinen schlechten Tausch. Bei aller Bescheidenheit möchte ich doch behaupten, daß ich viel besser aussehe als dieser Lümmel.“ Laura musterte ihn kühl. „Das stimmt“, sagte sie sachlich. „Sie gefallen mir viel besser. Aber dafür kann ich mir nichts kaufen. Caine ist gewiß nicht der Mann meiner Träume, aber er hat eine Menge Kies, und er ist sehr großzügig mit seinem Geld.“ Tom war nicht der Typ des ungestümen Draufgängers. Weder im Kampf noch in der Liebe. Aber er wußte, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. Caine würde seinen Whisky bald ausgetrunken haben. Bis dahin mußte Tom sichergestellt haben, daß ihm das Mädchen nicht ins Handwerk pfuschte. „Sie sind das schönste und verführerischste Mädchen, das ich je gesehen habe“, sagte Tom. „Und doch sind Sie nichts anderes als ein berechnendes, geldgieriges Flittchen. Die Freundin eines Verbrechers.“ „Ich bin nicht seine Freundin!“ sagte Laura heftig. „Ich kenne ihn kaum. Aber soll ich hier sitzen und auf die große Liebe warten? Sehen Sie sich doch um hier in diesem verdammten, schäbigen Loch! Ist das ein Leben? Ich möchte raus hier, und möglichst bald! Deshalb brauche ich Geld. Und deshalb gebe ich mich mit Kerlen wie diesem Caine ab. Ich weiß, daß er nichts taugt. Aber von mir wollen alle Männer immer nur das gleiche, die sogenannten anständigen ebenso wie die Halunken. Auch - 47 -
Sie wollen von mir dasselbe wie Caine. Der einzige Unterschied zwischen Ihnen beiden besteht darin, daß Caine Geld hat. Und jetzt verschwinden Sie, bevor Caine kommt! Wenn er Sie hier antrifft, knallt er Sie über den Haufen.“ „Das ist sehr wahrscheinlich“, nickte Tom. Er horchte hinaus auf den Gang. Draußen war alles ruhig. „Jeder Mann in der Stadt wird mich darum beneiden, daß es mir vergönnt war, in ihren Armen zu sterben.“ Die dunklen Augen des Mädchens ruhten nachdenklich auf Tom. Dann lächelte sie. Es war das erstemal, daß Tom sie lächeln sah. Sie stand vom Bett auf. Die Wolke von Parfüm kam auf Tom zu und hüllte ihn ein. Zwei nackte Frauenarme umschlangen seinen Hals. Zwei unergründliche schwarze Augen waren dicht vor seinem Gesicht, und zwei volle rote Lippen kamen immer näher. Für Sekunden vergaß Tom den Mann, der unten im Saloon vor einem Whiskyglas saß. Er vergaß den Haftbefehl, den er bei sich trug, und er vergaß das Abzeichen eines Marshals in seiner Tasche. Für Sekunden gab es nichts auf der Welt als diese schöne junge Frau in seinen Armen und sein immer stärker werdendes Verlangen nach ihr. Das Erwachen kam plötzlich und schmerzhaft. Tom fühlte sich wie ein schäbiger, kleiner Verräter, aber bevor er sich über seine Gefühle klargeworden war, hatte er die Arme des Mädchens gepackt, und auf den Rücken gedreht. Stählerne Ringe schnappten um ihre schmalen Handgelenke zu. Laura begriff zu spät, was geschah. Sie sah Tom an. Noch nie hatte Tom soviel Enttäuschung und soviel - 48 -
plötzlich ausbrechende Wildheit im Gesicht eines Menschen gesehen. Dann trat sie zu. Die Spitze ihres Schuhs traf schmerzhaft Toms linkes Knie. Sie machte einen schnellen Schritt zurück und öffnete den Mund, um zu schreien. Tom achtete nicht auf den grellen Schmerz in seinem Knie. Sofort war er bei Laura und hielt ihr den Mund zu. Sie wehrte sich wie eine Wildkatze. Tom hatte Mühe, sie mit einer Hand festzuhalten und am Schreien zu hindern. Mit der anderen Hand riß er die Decke von dem kleinen Tisch, der neben der Tür stand. Für einen kurzen Augenblick mußte er die Hand von Lauras Mund nehmen. Sie nutzte die Gelegenheit nicht zum Schreien, sondern versuchte, in seine Hand zu beißen. Dann war es zu spät zum Schreien. Sie war geknebelt. „Mit diesem Tuch vor dem Gesicht sehen Sie aus wie Ihr Freund Caine bei seinen Banküberfällen“, sagte Tom. Er grinste, obwohl ihm nicht danach zumute war. Zwei unergründliche schwarze Augen funkelten ihn an wie die Augen einer gefangenen Wildkatze. „Ich habe nicht die Zeit, Ihnen alles zu erklären, Laura“, sagte Tom. „Aber es wird Ihnen nichts geschehen, wenn Sie sich ruhig verhalten.“ Er nahm sie am Arm und schob sie trotz ihrer heftigen Gegenwehr zu einer Tür in der Seitenwand. Er öffnete die Tür und sah hinein. Es war ein kleiner Wandschrank. „Sie werden nicht lange da drin bleiben müssen“, sagte er. „Aber wenn Sie Lärm schlagen und Caine warnen, dann ...“ Er brauchte nicht weiterzusprechen. Er wußte, daß Laura ihn für einen Schuft hielt und ihm jede Gemeinheit - 49 -
zutraute. Sie kauerte sich auf dem Boden des Wandschranks nieder. Das letzte, was Tom sah, bevor er die Tür schloß, war die grenzenlose Enttäuschung in den dunklen Augen, die ihn unverwandt ansahen. Mit zwei langen unhörbaren Schritten war Tom bei der Tür. Leise schob er den Riegel wieder auf. Er hörte die Schritte eines Mannes die Treppe heraufkommen. Die selbstsicheren, festen Schritte eines Mannes, der wußte, was er wollte und es auch immer bekam. Die Schritte verstummten, als der Mann in den Gang einbog. Der Teppich dämpfte sie bis zur Geräuschlosigkeit. Tom zog den Colt. Er stellte sich in den toten Winkel hinter der Tür. Er wartete. Er sah, wie die Klinke hastig niedergedrückt wurde. Die Tür wurde aufgestoßen. Ein großer blonder Mann trat ein und ging auf das Bett zu. Nach zwei Schritten blieb der Mann stehen. Eine halbe Sekunde lang starrte er auf das leere Bett. Dann wirbelte er herum. Seine rechte Hand zuckte zu der Waffe an seiner Hüfte. Tom gab ihm keine Chance. Bevor Caine den Colt halb aus dem Holster hatte, war Tom bei ihm und schlug zu. Der schwere Lauf seines Colts traf Caine an der rechten Schläfe. Caine brach lautlos zusammen. Tom bückte sich nieder, nahm dem Bewußtlosen den Colt ab und schob ihn in seinen Gürtel. Dann ging er zu der Schranktür und öffnete sie. „Sie können herauskommen, Laura“, sagte er. „Wenn - 50 -
Sie irgend einen Sinn darin sehen, können Sie jetzt meinetwegen sogar schreien.“ Laura schrie nicht, als sie den bewußtlosen Mann auf dem Boden sah. Sie schien wenig Mitleid mit Caine zu empfinden. Schweigend hielt sie Tom die gefesselten Hände entgegen. Tom schloß die Handschellen auf und legte sie dem Bewußtlosen an. Es würde noch eine Weile dauern, bis Caine aus seiner Ohnmacht erwachte, aber sicher war sicher. Tom nahm sein Dienstabzeichen aus der Tasche, hauchte es an und wischte es am Ärmel blank. Dann steckte er es an sein Hemd. Es schien ihm jetzt die Zeit gekommen zu sein, seine Flagge zu zeigen. „Ein Marshal!“ sagte Laura verächtlich. „Sie sind wohl mächtig stolz auf dieses Blechding?“ „Nicht sehr“, sagte Tom. „Dieses Blechding hier ist soviel wert wie der Mann, der es trägt. Ich fürchte, die Art und Weise, wie ich Caine festgenommen habe, wird mir wenig Ruhm einbringen.“ „Meine Hochachtung haben Sie jedenfalls nicht errungen“, sagte Laura. Tom sah auf den Bewußtlosen nieder. „Vielleicht wäre es heldenhafter gewesen, wenn ich mich von Caine hätte über den Haufen knallen lassen. Vielleicht wäre ich sogar Sieger geblieben, und seine Freunde hätten mich ein paar Sekunden später über den Haufen geknallt.“ Er lächelte müde. „Ich wäre zwei oder drei Tage lang das beliebteste Gesprächsthema in Indian Springs gewesen. Dann hätte man mich vergessen. Sie auch.“ „Ich werde Sie nie vergessen!“ sagte Laura leise. - 51 -
Tom hob den Bewußtlosen auf und hob ihn sich über die linke Schulter. Dann trug er den Mann hinaus auf den Gang und die Treppe hinunter zum Saloon. Die Gespräche im Saloon verstummten auf einen Schlag. Ungläubiges Erstaunen lag in den Augen der Männer. Keiner schien zu begreifen, was er sah. Tom hielt immer noch seinen Colt in der rechten Faust. Er hielt die Waffe so lässig, als halte er es nicht für sehr wahrscheinlich, sie noch einmal gebrauchen zu müssen. Aber er wußte, daß er ohne die Waffe mit seinem Gefangenen nicht bis zur Tür kommen würde. Niemand sagte ein Wort. Niemand stellte sich ihm in den Weg. Draußen auf der Straße schien es Tom, daß sogar die Hunde stehen blieben, um ihn anzugaffen. Erst als er das Sheriff's Office erreicht hatte, schob er seinen Colt ein. Sheriff Townsend war ein baumlanger Mann mit einem traurigen Pferdegesicht, das sich zu einer komischen Grimasse der Verblüffung verzerrte, als er den Mann erkannte, den Tom hereinbrachte. *** Der Sheriff saß an seinem Schreibtisch, die Beine auf der Platte, und ölte seinen Colt. Tom nickte ihm freundlich zu und ging quer durch das Office zu der schweren Eichentür, die in den Zellentrakt führte. Er stieß die angelehnte Tür mit dem Fuß auf und ging hinein. Es gab nur zwei Zellen. Beide waren leer, und die Gittertüren standen offen. Tom trug den Gefangenen in die nächstgelegene Zelle und warf ihn auf die Pritsche. Caine war immer noch bewußtlos. - 52 -
Tom bückte sich nieder und durchsuchte den Banditen. Er fand keine Waffe bei ihm. Nur einen Schlüssel. Einen Schlüssel für das Zimmer Nr. 10 in Ed Davis' Hotel. Das Erstaunen war immer noch nicht aus dem gutmütigen Gesicht des Sheriff s verschwunden, als Tom ins Office zurückkam. Tom schob die quer über die Schreibtischplatte gelegten langen Beine des Sheriffs beiseite und öffnete die oberste linke Schublade. Er fand die Zellenschlüssel und ging wieder hinüber in den Nebenraum. Der Sheriff nahm die Beine vom Tisch, stand auf, reckte die langen Glieder, schob den Colt in das Holster und folgte Tom. Der Gefangene lag immer noch reglos auf der Pritsche. Genauso, wie Tom ihn verlassen hatte. Sein Angriff kam völlig überraschend. Plötzlich sprang er auf die Beine. Dann warf er sich mit einem Panthersprung durch die offenstehende Zellentür auf Tom. Tom trat einen kurzen schnellen Schritt zur Seite. Caines Angriff ging ins Leere. Er stolperte und fiel nach vorn. Dann prallte er gegen den Sheriff. Sein Kopf rammte mit ungeheurer Wucht in die Magengrube des langen Mannes. Bevor Townsend begriff, was geschah, riß Caine den Colt aus dem Revolvergurt des unter ihm liegenden Mannes und wälzte sich herum. Er hielt den Colt mit beiden gefesselten Händen. Der Lauf der Waffe zielte auf Toms Kopf. In den kalten blauen Augen des Banditen blitzte es in heimtückischem Triumph auf. - 53 -
Toms linkes Bein schnellte nach vorn. Seine Stiefelspitze traf von unten die aneinandergefesselten Handgelenke des Banditen. Das Echo des Schusses hallte laut und lange in dem kahlen Raum. Beißender Pulverrauch zog durch die Eisenstäbe der Zellenwände. Caine tastete auf dem Boden nach der Waffe, die er hatte fallen lassen. Sein brutales, wildes Gesicht war jetzt eine häßliche Grimasse aus Wut und Enttäuschung. Tom bückte sich nieder, packte den Banditen am Hemdkragen und riß den großen schweren Mann mühelos hoch. Noch bevor Caine ganz auf den Beinen war, schlug Tom zu. Sein erster Schlag traf Caine in der Magengrube. Der Oberkörper des Banditen kippte nach vorn. Ein knallharter Aufwärtshaken traf Caine voll am Kinn. Sein Kopf flog zurück. Seine Augen wurden glasig. Dann brach er in sich zusammen. Tom fing ihn auf, hob ihn hoch und trug ihn wieder in die Zelle. Er ließ ihn auf die Pritsche fallen und schloß die Gittertür von außen zu. Sheriff Townsend entwirrte seine langen Glieder und seine Gedanken und rappelte sich vom Boden auf. Er nahm achtlos die Zellenschlüssel, die Tom ihm reichte, und ging auf die Gitterwand zu. Er starrte den Mann auf der Pritsche an wie ein gefährliches exotisches Tier im Käfig. „Wenn mir einer erzählt hätte, daß ich mal Caine in meinem Etablissement zu Gast haben würde ...“ Er sprach nicht weiter, sondern schüttelte nur den Kopf. Er konnte es immer noch nicht fassen. „Dieses Vergnügen hätten Sie doch schon früher haben können“, sagte Tom. „Caine ist doch schon seit - 54 -
gestern in der Stadt und Sie wissen es, oder?“ „Ja“, sagte der Sheriff, ohne Tom anzusehen. „Drei Stunden lang habe ich mir Mut angesoffen. Ich fühlte mich so stark, daß ich mit bloßen Händen auf einen Grisly losgegangen wäre. Aber dann ...“ Er sah durch die Gitterstäbe auf den Gefangenen, der immer noch benommen und halb bewußtlos auf der Pritsche lag. „Wenn er so daliegt wie ein Häufchen Elend, dann sieht er ziemlich ungefährlich aus“, sagte Townsend. „Aber wenn man ihm gegenübersteht, auf zehn Schritte Entfernung, breitbeinig und leicht nach vorn geneigt, um nicht gleich vom ersten Treffer von den Beinen gefegt zu werden, dann sieht die Sache anders aus. Wenn man den kalten Griff des Revolvers an seiner schwitzenden Handfläche spürt und in die kalten Augen dieses Killers starrt, dann fallen einem all die Männer ein, die dieser Kerl im Zweikampf umgelegt hat. Man sieht nur noch eine lange Reihe Grabsteine vor sich, und auf allen Steinen steht ein Name, den man gut kennt: der eigene. Und dann murmelt man heiser: Nichts für ungut, Caine! War nur ein kleiner Spaß! Und man dreht sich um und geht weg und hofft, daß einem der Kerl keine Kugel in den Rücken jagt auch nur zum Spaß.“ Man hört das höhnische Lachen seiner Spießgesellen noch auf der Straße und sieht noch im Traum die spöttischen, kalten Augen des Killers auf sich gerichtet. Man schämt sich vor sich selbst und traut sich nicht mehr unter anständige Leute - und ist verdammt froh, am Leben geblieben zu sein. Können Sie sich das vorstellen, Marshal?“ „Ja“, sagte Tom. „Wenn Caine wieder zu sich kommt, wird er Sie beschwatzen, ihn freizulassen. Kümmern Sie - 55 -
sich weder um seine Versprechungen noch um seine Drohungen!“ „Und wenn seine Freunde kommen, um ihn herauszuholen?“ „Niemand wird kommen. Außer Bert Meany vielleicht. Aber der ist nicht mehr sein Freund.“ Das traurige Pferdegesicht des Sheriffs sah Tom ratlos und fragend an. Aber Tom hatte jetzt keine Zeit für lange Erklärungen. Er mußte zum Saloon zurück. Einige Dutzend Menschen standen in kleinen Gruppen auf der Straße und unterhielten sich miteinander. Niemand schien genau zu wissen, was vorgefallen war, aber alle wußten, daß Tom damit zu tun hatte. Tom kümmerte sich nicht um die neugierigen Blicke der Männer, die ihm bis zum Saloon folgten. Einige von ihnen drängten hinter ihm durch die Flügeltür. Tom ging quer durch den Saloon. Er kam unbehelligt bis zur Treppe und ging hinauf. Niemand folgte ihm. Zimmer Nummer 10 lag am Ende des Ganges auf der rechten Seite. Genau gegenüber dem Zimmer, in dem Laura wohnte. Tom nahm den Schlüssel, den er Caine abgenommen hatte und schob ihn in das Schloß. Er wollte den Schlüssel umdrehen. Es ging nicht. Die Tür war nicht abgesperrt. Tom zog den Colt aus dem Holster. Dann stieß er die Tür auf. Er sah auf den ersten Blick, daß. er zu spät gekommen war. Jemand hatte das Zimmer in großer Hast, aber gründlich durchsucht. Die Schubladen des Nachtkästchens neben dem Bett waren herausgerissen worden. Einige wertlose Gegenstände lagen verstreut auf dem Boden. - 56 -
Das Bett war durchwühlt. Die Matratzen waren mit dem Messer aufgeschlitzt worden. Das grasähnliche Zeug, mit dem die Matratzen gefüllt gewesen waren, lag zerstreut auf dem Boden. Das Fenster stand offen. Die zerschlissenen Vorhänge wehten leise imWind. Kein Mensch war zu sehen. Und doch wußte Tom, daß er nicht allein im Zimmer war. Links hinter ihm, im toten Winkel hinter der Tür, stand ein Mann. Der Mann bemühte sich, kein Geräusch zu verursachen. Aber er war nicht leise genug, um jemanden wie Tom, der unter Indianern aufgewachsen war, zu täuschen. Der Mann war nervös. Er war bei dem hastigen Durchstöbern des Zimmers ins Schwitzen gekommen. Sein Atem ging schnell und heftig. Es gelang ihm nicht ganz, dieses Atmen zu unterdrücken. Tom hörte die vorsichtigen, schleichenden Schritte genagelter Stiefel hinter sich auf dem hölzernen Fußboden. Er wirbelte herum. Der Mann stand bereits dicht hinter ihm. In seiner hocherhobenen Faust blitzte ein Messer auf. Tom duckte sich und tauchte unter dem Arm hinweg. Das Messer stieß ins Leere. Tom stand jetzt hinter dem Angreifer. Er hob den Colt und schlug zu. Im gleichen Augenblick warf der Mann sich herum, um wieder auf Tom loszugehen. Toms Revolverlauf traf ihn an der Stirn. Der Mann brach zusammen. Der zweite Mann lag auf dem Fußboden hinter dem - 57 -
Bett. Tom sah ihn erst, als ein Revolverlauf über den zerfetzten Matratzen auftauchte. Fast gleichzeitig mit dem Knall des Schusses ließ Tom sich zur Seite fallen. Die Kugel schlug irgendwo hinter Tom in die Wand. Der Mann hatte sich halb aufgerichtet. Tom sah jetzt seinen ganzen Oberkörper über dem Bett, genau vor dem offenen Fenster. Seitwärts auf dem Boden liegend, hob Tom den Colt und schoß. Die Kugel stieß den Mann zurück bis ans Fenster. Der Mann richtete sich ganz auf und drehte sich halb um. Einen Augenblick lang hatte Tom den Eindruck, als wolle der Mann durch das offene Fenster fliehen. Dann wandte er sich wieder Tom zu. Er hob den Colt, um zu schießen. Tom kam ihm zuvor. Der Arm mit dem Colt fiel schlaff nach unten. Die schwere Waffe polterte auf den Boden. Sekundenlang stand der Mann hoch aufgerichtet da, steif wie ein Brett. Dann kippte er nach vorn. Er schlug hart mit der Stirn auf dem Boden auf. Aber er spürte nichts mehr davon. Er lag reglos auf dem Fußboden, das Gesicht halb zur Seite gewandt. Seine Augen starrten glasig in irgendeine Ecke des Raumes. Er war tot. Tom stand auf. Totenstille lag über dem Haus. Eine drückende Stille, die er fast körperlich spüren konnte. Aber niemand kam die Treppe herauf, um nachzusehen, was vorgefallen war. Allmählich wurden unten im Saloon die Gespräche wieder aufgenommen. - 58 -
Tom lud seinen Colt nach. Er sah sich um. Die beiden Kerle hatten gründliche Arbeit geleistet. Sie hatten sogar einige Bretter aus dem Fußboden gerissen, um darunter nachzusehen. Der Mann, den Tom niedergeschlagen hatte, kam langsam wieder zu sich. Es dauerte eine Weile, bis er begriffen hatte, wo er sich befand. Er kniete auf dem Fußboden und tastete mit beiden Händen nach seinem Messer. Er fand das Messer und hob es auf. Dann sah er Tom und den Colt in Toms Faust. Jetzt begriff er. Er ließ das Messer wieder fallen und hob die Hände hoch. „Vor mir brauchst du nicht auf den Knien zu liegen wie ein reuevoller Sünder“, sagte Tom. „Ich bin nicht der liebe Gott. Steh auf!“ Der Mann stand benommen auf. Sein stoppelbärtiges, verwüstetes Gesicht war fast so blaß wie das seines toten Komplicen. Eine blutende Schramme zog sich schräg über seine Stirn. Tom fischte ihm den Colt aus dem Holster. „Setz dich auf das Bett!“ befahl er. Der Mann stieg über seinen toten Komplicen hinweg und setzte sich auf das Bett, die Arme immer noch nach oben gereckt. Tom schob den Colt des Mannes in seihen Gürtel und zog die Handschellen hervor. Der Mann wußte, was kam, und wehrte sich nicht dagegen. Er schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Tom fesselte ihn an das eiserne Bettgestell. Die Augen des Mannes wanderten langsam über die - 59 -
Verwüstungen, die er und sein Kumpan angerichtet hatten, und starrten dann auf das Loch im Bretterboden. „Verdammter Reinfall!“ sagte er. „Jack ist tot, ich habe ein Loch im Kopf, und von Caines hunderttausend Mäusen keine Spur. Caine muß das Geld irgendwoanders versteckt haben.“ „Woher weißt du von dem Geld?“ fragte Tom. „Jeder in der Stadt weiß davon. Caine selbst hat nicht darüber gesprochen, aber die Nachricht von dem Überfall war schon vor Caine bei uns. Telegrafisch.“ Tom ging zum Fenster und sah hinunter. Es war möglich, daß die beiden Kerle das Geld bei Toms Auftauchen aus dem Fenster geworfen hatten. Aber draußen auf dem staubigen Boden des Hinterhofs lag keine Tasche und kein Beutel und auch sonst nichts, worin man hunderttausend Dollar aufbewahren könnte. „War die Tür verschlossen, als ihr ...?“ „Sie war auf“, sagte der Mann auf dem Bett hastig. Er starrte ängstlich und nervös auf Toms Colt. „Ich meine, sie war nicht zugesperrt.“ „Und das Fenster war auch zu?“ fragte Tom weiter. Der Mann nickte. Er starrte immer noch auf Toms Colt. Er schien sehr erleichtert zu sein, als Tom die Waffe in das Holster schob. Tom ging auf die Tür zu. „He, was wird aus mir?“ fragte der Mann auf dem Bett. „Wenn's dir langweilig wird, kannst du dich ja mit deinem Freund unterhalten, bis der Sheriff kommt und dich abholt“, sagte Tom. Niemand kam ihm auf dem Gang und auf der Treppe entgegen. - 60 -
Im Saloon verstummten die Gespräche, als er eintrat. Die Männer sahen ihn fast scheu an. Keiner von ihnen wagte es, die Frage zu stellen, die jedem von ihnen auf den Lippen lag. Tom ging auf die Theke zu. Der schmutzige, schwitzende Kerl dahinter sah ihm unbehaglich entgegen. In seinem Gesicht zuckte es nervös. Er stellte vor Tom eine Flasche Whisky auf die Theke, als hoffe er, den Marshal damit zu besänftigen. Tom achtete nicht auf die Flasche. Er sah den Mann ruhig an. Der Mann wurde noch nervöser. Schweiß lief ihm in Strömen über das feiste Gesicht und in den schmutzigen Hemdkragen. „Sind Sie Ed Davis?“ fragte Tom. Der Mann nickte. „Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten. Unter vier Augen.“ „Was wollen Sie von Ed?“ fragte einer der Männer und schob sich langsam näher. Er sah nicht sympathischer und nicht nüchterner aus als die anderen Stammgäste dieser Spelunke. Aber er war einen halben Kopf größer als die meisten anderen und ein gutes Stück breiter in den Schultern. Außerdem war er entweder mutiger als die anderen oder neugieriger. Jedenfalls fühlte er sich zum Sprecher seiner Kameraden berufen. „Ich wollte mich nur bei Mr. Davis bedanken“, sagte Tom und grinste den schmutzigen Kerl hinter der Theke an. „Während ich Caine zum Gefängnis brachte, stellte der ehrenwerte Mr. Davis die hunderttausend Dollar sicher, die Caine von Wells Fargo geliehen hat.“ „Ist das wahr?“ fragte der vierschrötige Bursche. Ein lauernder, verschlagener Ausdruck trat auf sein Gesicht. - 61 -
„Wo hast du das Geld, Ed?“ „Das will Mr. Davis nur mir sagen“, grinste Tom. „Zu euch Galgenvögeln hat er wohl kein Vertrauen. Er fürchtet nämlich, daß ihr ein paar Flaschen auf seinem Schädel zertrümmern und mit dem Geld abhauen würdet. Also, kommen Sie, Mr. Davis!“ Er packte den Besitzer des Saloons mit hartem Griff am Arm und zog ihn trotz seines Widerstandes hinter der Theke hervor und auf eine Tür an der Rückwand des Raumes zu. Der Hüne und einige andere Männer wollten ihnen folgen. Tom wandte sich ihnen zu. „Ich habe gesagt, daß ich allein und ungestört mit dem ehrenwerten Mr. Davis sprechen möchte. Wenn einer von euch Halsabschneidern auch nur sein Ohr an das Schlüsselloch hält, verstopfe ich ihm seinen Gehörgang mit Blei, verstanden?“ Er schlug mit der flachen Hand auf sein Holster. Die Männer hatten verstanden und zweifelten nicht daran, daß Tom Ernst machen würde. Niemand folgte ihm. Ihr Respekt vor dem Mann, der Caine überwältigt hatte, war noch größer als ihr Verlangen nach dem Geld. Vorerst noch. Tom zweifelte nicht daran, daß ihre Geldgier am Ende die Oberhand gewinnen würde. Der Nebenraum, in den Tom und Davis traten, war das Schnapslager des Saloons. Fäßer aller Größen lagen auf dem Boden, ein Wandregal stand voll von staubigen Flaschen. Es stank zum Erbrechen nach verschüttetem billigem Fusel. Tom legte Davis die Hand auf die Schulter und drückte ihn nieder, bis er sich auf eines der Fässer setzte. „Also, wo haben Sie das Geld versteckt?“ fragte er - 62 -
fast freundlich. Davis blickte erst ängstlich zur Tür, die zum Saloon führte, hinüber, dann sah er fast noch ängstlicher zu Tom auf. Die Antwort kostete ihn langes und quälendes Nachdenken. Dann grinste er plötzlich. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Schnüffler!“ sagte er. „Ich habe kein Geld.“ „So verlieren wir nur unnötige Zeit“, sagte Tom tadelnd, aber immer noch freundlich, wie ein Lehrer, der einem verstockten Schüler ins Gewissen redet. „Ich weiß, daß Sie das Geld haben. Wie jener Philosoph des Altertums hat auch Caine gern alles, was ihm gehört, bei sich. Ich glaube, der nimmt sein Geld sogar mit in die Badewanne. Aber als ich ihn festnahm, hatte er keinen Cent bei sich.“ „Das ist Ihr Problem, Marshal, nicht meins“, grinste Davis. „Mir hat er seine Kröten jedenfalls nicht zur Aufbewahrung anvertraut.“ „Gewiß nicht!“ nickte Tom geduldig. „Und zur Bank hat er es auch nicht getragen. Also bleibt nur sein Zimmer.“ „Dann wird's wohl noch dort sein“, sagte Davis gleichgültig. Er schwitzte mehr denn je. „Es ist nicht mehr dort“, sagte Tom. „Zwei Kerle haben ebenso gründlich wie vergeblich danach gesucht. Jemand ist ihnen zuvorgekommen. Jemand, der einen Schlüssel zu Caines Zimmer hat. Sie!“ „Nehmen wir an, Sie haben recht, Marshal. Glauben Sie, ich wäre so dumm, Ihnen das Versteck des Geldes zu verraten? Ich bin kein armer Schlucker wie Sie, Marshal, aber hunderttausend Dollar sind auch für mich ein riesiges Vermögen. Das ist die Chance meines Lebens. - 63 -
Selbst wenn Sie mich kurz und klein schlagen, werde ich Ihnen das Versteck nicht verraten! Und Sie werden es nie finden! Und wenn Sie das ganze Haus auf den Kopf stellen!“ Tom nickte, als habe er genau diese Antwort erwartet. „Ich werde Sie nicht verprügeln“, sagte er ruhig. „Das überlasse ich Ihren Freunden da draußen im Saloon. Die wissen jetzt alle, daß Sie hunderttausend Bucks besitzen. Sobald ich weg bin, werden die Kerle über Sie herfallen. Sie sind so geistesgegenwärtig gewesen, das Geld an sich zu bringen, während ich Caine zum Sheriff schaffte. Aber Sie sind nicht der Mann, diese Beute zu verteidigen.“ Davis war nachdenklich geworden. Trotzdem versuchte er zu grinsen. „Mich kriegen Sie nicht rum, Marshal! So nicht!“ „Hören Sie, was drüben im Saloon vor sich geht?“ fragte Tom. „Ich höre nichts“, sagte Davis. Im Saloon war es still. „Jetzt sitzen sie in kleinen Gruppen zusammen. Zu zweit oder dritt. Jeder mit dem, dem er am meisten traut oder am wenigsten mißtraut. Sie beraten, wie sie an das Geld kommen können. Solange ich hier bin, sind Sie halbwegs sicher, Davis. Aber wenn ich weg bin und Sie nicht mehr schützen kann, werden die Männer da draußen Sie in Stücke reißen.“ Tom ließ Davis eine Weile Zeit, um über seine Warnungen nachzudenken. „Sie haben die Wahl, Davis“, sagte er dann. „Wenn Sie das Geld mir geben, verzichte ich auf eine Anzeige gegen Sie. Und Sie sind alle Sorgen los. Wenn Sie es behalten, müssen Sie täglich Ihr Leben für dieses - 64 -
verfluchte Geld einsetzen. Wie lange, glauben Sie, wird diese habgierige Bande da draußen Sie am Leben lassen?“ „Keine halbe Stunde“, keuchte Davis. „Ich kenne diese Lumpen. Schade, ich wäre gern ein reicher Mann. Aber noch lieber ist es mir, am Leben zu bleiben. Kommen Sie, Marshal!“ Er stand auf und führte Tom durch eine Hintertür auf einen Gang hinaus. Von diesem Gang führte eine Treppe hinauf in das erste Stockwerk. Sie trafen keinen Menschen. Davis ging bis zum Ende des Ganges. Dann öffnete er Lauras Zimmer. Die beiden Männer traten ein. Laura war nicht da. Davis schloß die Tür und schob den Riegel vor. „Ich hatte nicht viel Zeit, das Geld zu verstecken“, sagte er. „Das Versteck, das ich gefunden habe, ist nicht besonders gut. Aber ich konnte es nicht riskieren, mit Caines Satteltaschen gesehen zu werden. Wenn man nur Sekunden Zeit hat, bevor die anderen auftauchen ...“ „Das Geld!“ unterbrach ihn Tom. Davis ging hinüber zu Lauras Kleiderschrank und öffnete ihn. Die Satteltasche hing an einem Kleiderbügel, und über der Satteltasche hing ein Mantel. „Als ich Caines Zimmer verließ, hörte ich Männer die Treppe heraufkommen“, sagte Davis. „Ich hatte nicht einmal mehr Zeit, Caines Tür zuzusperren. Ich wollte den Männern auf keinen Fall begegnen und ging deshalb in Lauras Zimmer. Ich wußte, daß sie weggegangen war.“ „Ich verstehe“, sagte Tom. „Sie suchten hastig nach einem Versteck und sahen den Kleiderschrank. Sie hofften, später wieder zurückkommen zu können, um das Geld abzuholen. Zu einem Zeitpunkt, da jeder glaubte, daß sich irgend jemand das Geld unter den Nagel - 65 -
gerissen hatte und damit abgehauen war.“ Davis nickte. „Als die Männer, die ich gehört hatte, in Caines Zimmer verschwunden waren, verließ ich Lauras Zimmer und ging hinunter. Es war mir gleichgültig, ob man mich dabei sah. Ich hatte das Geld ja nicht. Aber es sah mich auch niemand. Ich ging die Treppe hinunter, die wir eben heraufgekommen sind, und vom Schnapslager aus in den Saloon. Den Leuten war kaum aufgefallen, daß ich weg war. Alle dachten, daß ich nur Schnaps geholt hatte.“ Er reichte Tom resigniert die Satteltasche. Tom öffnete sie und zählte das Geld flüchtig nach. Es schien nichts zu fehlen. Caine hatte offenbar noch nicht viel Gelegenheit gehabt, Geld auszugeben. Tom und Davis verließen das Zimmer wieder. Davis öffnete die Tür von Caines Zimmer und sah hinein. Er sah den Toten auf dem Fußboden und den gefesselten Mann auf dem Bett und die Verwüstungen, die die beiden auf der Suche nach dem Geld angerichtet hatten. „Schade!“ sagte Davis. „Beinahe hätte es geklappt.“ *** Tom verspürte wenig Lust, mit einer Tasche voll Geld mitten durch den Saloon zu gehen. Das hier war die übelste Spelunke in der schlimmsten Stadt im ganzen Staat. Unter den zwanzig oder dreißig Männern, die sich im Saloon befanden, gab es keinen, der nicht versuchen würde, an das Geld zu kommen, wenn sich ihm eine Chance bot. Aber noch gefährlicher schien es Tom, eine Hintertür zu benutzen. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran, - 66 -
daß bereits einige Kerle an den Hintertüren auf ihn warteten. Kerle, die die Absicht hatten, mit ein paar Schüssen reich zu werden. Der sicherste Weg war also doch immer noch der durch den Saloon. Noch waren sich die Männer nicht einig, wie sie vorgehen sollten. Noch mißtraute einer dem anderen. „Gehen wir“, sagte Tom. Davis ging voraus, Tom folgte ihm. Sie trafen keinen Menschen auf dem Flur. Auf der Treppe zum Saloon blieb Davis zögernd stehen. „Vorwärts!“ sagte Tom. Er schob Davis weiter. Dann zog er seinen Colt. Die Kerle sollten ruhig sehen, daß er ihnen nicht traute und daß er entschlossen war, zu schießen, wenn er angegriffen wurde, Es war still im Raum, totenstill. Alle Augen waren auf Tom gerichtet. Auf Tom und auf die Satteltasche mit den Geldscheinen in seiner linken Hand. Den Colt in seiner rechten schien niemand zu beachten. Davis fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Er wußte, daß die wenigen Schritte bis zur Tür für Tom lebensgefährlich waren. Und für jeden Menschen, der sich in Toms Nähe befand. Am Fuße der Treppe bog Davis nach rechts ab, auf die Theke zu. Er wollte möglichst weit von Tom entfernt sein, wenn die Schießerei losging. Tom hatte jetzt nach vorn keine Deckung mehr. Aber viel mehr beunruhigte ihn das, was hinter ihm passieren konnte. Ruhig, ohne Hast, ging Tom auf die Tür zu. Jeden Augenblick mußte er damit rechnen, daß einer der Männer seinen Colt zog und auf ihn schoß. - 67 -
Nicht von vorn, das würde keiner wagen, solange Tom seinen Colt in der Faust hielt. Aber jetzt, da Tom sich in der Mitte des großen Raumes befand, war fast die Hälfte aller Männer hinter ihm. Und wenn er erst einmal an der Tür stand, würde er keinen von ihnen sehen können. Dann half ihm auch sein Colt nichts. Toms sicherster Schutz war immer noch die Uneinigkeit und das gegenseitige Mißtrauen, das die Halsabschneider an einer gemeinsamen Aktion hinderte. Jedenfalls hoffte Tom das. Es kostete ihn viel Selbstüberwindung, sich nicht umzudrehen, um die Männer, die sich hinter ihm befanden, beobachten zu können. Es waren nur wenige Schritte bis zur Tür, aber diese Sekunden dehnten sich zu einer Ewigkeit. Und mit jedem Schritt, der ihn der Tür näher brachte, wuchs die Gefahr. Tom erreichte die Tür. Immer noch war es totenstill im Raum. Tom stieß die Schwingtür auf und trat hinaus auf die Straße. Eine sengende Sonne stand über der Stadt. Der leise Wind, der durch die Straßen wehte, brachte keine Kühlung. Es war ein trockener, heißer Wind, der noch schwerer zu ertragen war als die lähmende, drückende Hitze der Sonne. Trotzdem empfand Tom die Sonne und den heißen Wind fast als Abkühlung. Im Saloon war es ihm viel heißer vorgekommen als hier im Freien. Er spürte den Schweiß, der auf seiner Stirn stand und das Hemd an seinem Körper kleben ließ. Inzwischen hatten sich auf der Straße noch mehr Menschen angesammelt als vorher. Sie standen in - 68 -
kleinen Gruppen beisammen und sprachen leise miteinander. Es schien, als habe jede Gruppe Angst, von der anderen gehört zu werden. Als sie Tom sahen, verstummten die Gespräche. Über der Stadt lag jetzt fast die gleiche tödliche Stille wie drinnen im Saloon. Aber Tom wußte, daß hier die Gefahr weit geringer war. Er schob seinen Colt ein. Dann ging er auf das Sheriff's Office zu. Er ging ohne Hast, aber zielbewußt zwischen den kleinen Gruppen hindurch. Hier unter den vielen Menschen fühlte er sich ziemlich sicher. Ein einzelner Mann würde es nicht wagen, ihn zu überfallen. Er hätte keine Chance, mit dem Geld wegzukommen. Und ein gemeinsames Handeln mehrerer Männer hätte mehr Zeit zum Überlegen und Besprechen erfordert, als die Leute dieser Stadt bisher gehabt hatten. *** Tom erreichte das Sheriff's Office, ohne belästigt zu werden. Er öffnete die Tür des Office und trat ein. Sheriff Townsend stand in der Mitte des Zimmers bei seinem Schreibtisch. Er sah Tom nicht, und er hörte ihn nicht. Wahrscheinlich hätte er jetzt nicht einmal einen Kanonenschuß gehört. Er hielt ein Mädchen in seinen Armen. Ein hübsches, schlankes schwarzhaariges Mädchen, das nach billigem Parfüm roch. Laura. Der Mund des Sheriffs preßte sich auf Lauras Lippen. Seine langen kräftigen Arme schlangen sich dann - 69 -
langsam um ihren Oberkörper. Laura ließ es geschehen. Sie preßte sich fest gegen den Mann. Ihr rechter Arm lag um seinen Hals. Ihre Finger wühlten in seinen Haaren und zogen seinen Kopf zu sich herunter. Sie schien genauso entrückt und liebestoll zu sein wie der Mann, in dessen Armen sie lag. Aber in Wirklichkeit war sie ein raffiniertes Biest. Der Sheriff merkte nicht, wie Lauras freie linke Hand langsam tiefer sank. Jetzt hatten ihre Finger den Griff seines Colts erreicht, der tief an seiner rechten Hüfte hing. Langsam, unendlich vorsichtig, zog Laura den Colt aus dem Holster. Mit wenigen lautlosen Schritten war Tom zu dem Paar getreten. Jetzt packte er Lauras Handgelenk und drehte es um. Laura stieß einen leisen Schrei aus. Einen Schrei, in dem sich Schmerz, Erschrecken und Wut mischten. Sie ließ den Sheriff los und versuchte, sich zu Tom umzudrehen. Sheriff Townsend begriff gar nicht so schnell, was vor sich ging. Er hielt das Mädchen noch fest in seinen Armen. Immer wieder suchte sein Mund ihre Lippen. Nur langsam und zögernd, als erwache er aus einer Trance, ließ er das Mädchen los. Tom entwand Laura mühelos den Colt. Sie versuchte sich zu wehren und gegen sein Schienbein zu treten, aber noch hinderte sie die Umarmung des Sheriffs daran. Als sie endlich frei war, hatte Tom bereits die Waffe in seiner Hand, Laura stand jetzt stumm und ruhig da. In ihrem Gesicht war grenzenlose Enttäuschung. Ihre Augen funkelten Tom wütend an. - 70 -
Was für ein schönes Mädchen! dachte Tom. Schade, daß sie so ein Flittchen ist! Der Sheriff starrte Tom an, als blicke er durch einen Schleier. Es schien eine gute Weile zu dauern, bis er den Marshal erkannte. Er atmete schwer. „Was zum Teufel ...?“ Er brach ab. Jetzt erst sah er den Colt in Toms Hand. Noch begriff er nicht, daß es sein eigener Colt war. „Ich störe nur ungern in solchen Situationen“, sagte Tom lächelnd. „Aber in diesem Fall schien es mir erlaubt und sogar notwendig zu sein.“ Der Sheriff machte das dümmste Gesicht von der Welt. Geradezu lächerlich vor Enttäuschung und Dummheit. „Ich fürchte, ich muß Ihnen eine Illusion rauben, Sheriff“, grinste Tom. „Was die schöne junge Dame hier in Ihre Arme trieb, war nicht Liebe und rasende Leidenschaft. Sie wollte nur Ihren Colt.“ Der Sheriff sah verblüfft auf den Colt in Toms Faust. Dann tastete er nach dem Holster an seiner Hüfte. Es war leer. Sein Gesicht wurde noch länger und noch komischer. Er sah abwechselnd auf Tom und auf Laura. „Weshalb?“ fragte er. Es war nicht klar, an wen diese Frage gerichtet war. „Die Lady wollte Ihnen Ihr eigenes Schießeisen zwischen die Rippen drücken, Sheriff. Dann hätten Sie ihrer freundlichen Bitte, Caines Zelle aufzusperren und ihn herauszulassen, gewiß nicht widersprochen.“ „Was wollte sie von dem Kerl?“ fragte Townsend. Er griff nach seinem Colt und schob ihn ein. „Weshalb wollte sie ihn befreien?“ „Die Wahrheit ist manchmal sehr schmerzlich“, - 71 -
grinste Tom. „Ich kann nicht beurteilen, ob Sie als Mann auf eine Frau anziehender wirken als dieser Galgenvogel dort drinnen in der Zelle. Aber die schlichte Wahrheit ist, daß Sie Laura völlig gleichgültig sind. Daß sie in Caine verknallt ist, kann ich mir zwar auch nicht recht vorstellen, aber Caine hat einen großen Vorzug Ihnen gegenüber: Er hat viel Geld. Hunderttausend Dollar.“ „Ich verstehe immer noch nicht“, sagte Sheriff Townsend. „Das Geld hat er doch nicht bei sich in der Zelle. Weshalb sollte sie ihn also befreien wollen?“ „Mann, sind Sie denn total bekloppt, oder hat diese kleine Katze Sie um den letzten Verstand gebracht? Nur Caine wußte, wo er sein Geld versteckt hatte. Laura wollte ihn befreien, um durch ihn an sein Geld heranzukommen.“ Der Sheriff deutete auf die Satteltasche in Toms linker Hand. „Ist es da drin?“ Tom nickte. „Wie haben Sie es gefunden?“ „Es war nicht sehr schwer“, sagte Tom. „Wenn auch nicht ganz ungefährlich. Haben Sie denn nicht die Schüsse gehört?“ „In dieser Stadt wird oft geschossen“, sagte Sheriff Townsend uninteressiert. „Wenn's irgendwo kracht, schicke ich meinen Deputy hin. Meistens ist es nur ein Betrunkener, der in die Luft schießt. Wo haben Sie das Geld gefunden?“ „In Lauras Kleiderschrank.“ Der Sheriff und das Mädchen sahen ihn verblüfft und zweifelnd an. Sie wußten nicht, ob er es ernst meinte. „Jemand hat das Geld vor mir gefunden und in der Eile kein anderes Versteck gesehen als Lauras Zimmer, - 72 -
als er gestört wurde.“ Townsend deutete mit dem Daumen auf Laura. „Was machen wir jetzt mit ihr? Soll ich Sie einsperren?“ „Sie sind sehr ungalant zu Ihrer verhinderten Geliebten“, lächelte Tom. „Außerdem hätte es wohl wenig Sinn, sie einzusperren. Die wickelt Sie doch mühelos um den kleinen Finger. Die wäre doch wieder frei, noch bevor ich auch nur eine halbe Meile von der Stadt entfernt wäre.“ „Verschwinde!“ sagte Townsend zu dem Mädchen. „Hau ab!“ Laura verließ das Office, ohne dem Sheriff noch einen Blick zu gönnen. In der Tür drehte sie sich um. Sie sah Tom haßerfüllt an. „Ich wünsche dir die Pest an den Hals!“ zischte sie. Dann ging sie hinaus. Tom legte die Satteltasche mit dem Geld auf den Schreibtisch. Der Sheriff sah die Tasche unverwandt an. Wie ein eifersüchtiger Mann seine schöne Frau, dachte Tom. Halb stolz und zärtlich, halb mißtrauisch und eifersüchtig. Voller Verlangen und gleichzeitig voller Angst, sie zu verlieren. Tom stand so, daß er die beiden Fenster des Office im Auge behalten konnte. Die Menschenmenge draußen auf der Straße hatte sich jetzt vor dem Office versammelt. Einige von ihnen standen unter dem Vordach und schauten durch die Fenster herein. Der Deputy des Sheriffs war nirgends zu sehen. „Was machen wir jetzt mit dem Geld?“ fragte Townsend. Als Tom keine Antwort gab, beantwortete er - 73 -
seine Frage selber. „Am besten legen wir das Geld in mein Safe, bis die Besitzer jemanden schicken, der es abholt.“ Tom warf einen kurzen Blick auf den Safe, auf den Townsend deutete. Es war ein kleiner Stahlschrank, der hauptsächlich zur Aufbewahrung von Dokumenten diente. Gelegentlich befanden sich darin wohl auch kleinere Geldsummen. „Nein“, entschied Tom. „Solange das Geld in dieser Blechbüchse ist, habe ich keine ruhige Minute. Außerdem verspüre ich keine Lust, mich mit Ihnen und mit Ihrem Deputy abwechselnd Tag und Nacht auf das Safe zu setzen und abzuwarten, was wohl geschehen wird.“ „Glauben Sie im Ernst, daß jemand versuchen wird, uns zu ...?“ „Glauben Sie es etwa nicht? Ich habe in dieser Stadt zwei Dutzend Männer gesehen, die für einen Bruchteil dieses Geldes ihr Leben riskieren und unser Leben auslöschen würden.“ „Hatte Caine Komplicen?“ fragte der Sheriff. „Ja. Zwei. Bert Meany und dessen Bruder Ike. Bert hat Ike in einem Sarg in den Postwagen geschmuggelt. Caine brachte inzwischen Ikes Pferd an die Stelle, wo Ike aus dem Zug springen sollte. Dann wollten die drei getrennt zu ihrem Treffpunkt reiten. Dieser Treffpunkt ist offenbar Indian Springs.“ „Ich habe telegrafisch von dem Überfall erfahren“, sagte Townsend. „Aber die Nachricht war nicht sehr genau. Wer hat Ike Meany erschossen?“ „Caine. Er mißtraute offenbar den beiden Brüdern. Oder er wollte die ganze Beute für sich allein behalten. Jedenfalls erschoß er Ike, als dieser aus dem Zug - 74 -
sprang.“ „Woher wollen Sie wissen, daß Bert Meany der dritte Mann war?“ „Ike hat noch nie etwas ohne seinen älteren Bruder unternommen. Außerdem habe ich mir Meanys Steckbrief angesehen. Der Mann, der den Sarg zum Zug brachte, war ohne jeden Zweifel Bert Meany.“ „Glauben Sie, daß er hierher kommen wird?“ fragte der Sheriff. „Natürlich kommt er. Hier findet er nicht nur die Beute, sondern auch den Mann, der seinen Bruder ermordet hat.“ Der Sheriff schüttelte den Kopf. „Ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich, daß Meany sich hierher wagt. Vor mir und meinem Deputy hat er wahrscheinlich nicht viel Angst, das gebe ich zu. Aber jetzt sind auch Sie hier, und bald werden auch Leute von Wells Fargo kommen, um das Geld abzuholen. Allein kann Meany nichts unternehmen.“ „Er wird nicht lange allein sein“, sagte Tom. „In dieser Stadt gibt es genug Halsabschneider, die für ein paar Dollar bereit sind, ihr Leben zu riskieren. Was auch immer Meany vorhat, er wird ohne Schwierigkeiten Leute finden, die ihm dabei helfen.“ Sheriff Townsend sah nur noch wie abwesend auf das Geld. Er hatte keine Freude mehr daran und kein Verlangen .mehr danach. „Ich fühle mich verdammt unbehaglich“, sagte er. „Heute wird vermutlich nichts mehr passieren. Jedenfalls nicht, solange es hell ist. Aber bis die Sonne untergeht, haben sich gewiß schon ein paar Kerle zusammengefunden und einen Plan ausgeheckt. Und mein Stellvertreter, dieser erbärmliche Feigling, läßt sich nicht sehen. - 75 -
Der Teufel soll die verdammten Dollars holen!“ „Sie werden Ihre Sorgen bald los sein“, sagte Tom. Durch das Fenster sah er zwei Reiter, die sich dem Office näherten. Es waren Philby und Johnson, die beiden Männer von Wells Fargo. Sie stiegen vor dem Office ab und banden ihre Pferde fest, ohne sich um die Menschenmenge zu kümmern. Jemand stellte eine Frage an Philby. Philby sah durch ihn hindurch, als sei er nicht vorhanden. Der Mann grinste verlegen und zog sich wieder in die Menge zurück. *** Philby und Johnson traten ein. Johnson baute sich neben der Tür auf. Das schien sein Lieblingsplatz zu sein. Der Lauf seines Gewehrs lag in seiner linken Armbeuge. Er sprach nichts. Sein Gesicht wirkte ruhig und entschlossen wie immer. Philby begrüßte Tom und den Sheriff mit einem leichten Nicken. Dann sah er auf die prall gefüllte Satteltasche, die auf dem Schreibtisch lag. „Fehlt etwas?“ fragte er knapp. „Ich hatte keine Zeit, es zu zählen“, antwortete Tom. „Wenn ein paar Dollar fehlen, suchen Sie die Scheinchen doch hoffentlich nicht in meinen Hosentaschen?“ Philby lächelte kaum merklich. „Eine merkwürdige Stimmung liegt über dieser Stadt“, sagte er. „Wie beim Begräbnis eines Erbonkels. Noch sind alle still und andächtig“. Er sah hinaus auf die Menschenmenge. „Mir scheint, hier gibt es viele, die zu erben hoffen.“ - 76 -
„Mich erinnern sie an Hunde, die erwartungsvoll vor einem Metzgerladen sitzen“, sagte Townsend. „Ich habe ein paar Leute gefragt, was los ist“, sagte Philby. „Aber die Kerle haben mich nur angestarrt, ohne zu antworten. Die Bürger von Indian Springs müssen etwas erlebt haben, was sie gewaltig beeindruckte. Haben Sie Caine erschossen, Marshal?“ „Den Versuch hätte ich wohl kaum überlebt“, sagte Tom. Philby grinste spöttisch. „Ihre Vorsicht ist wohl größer als ihr Ehrgeiz.“ Tom sah ihn ruhig an. „Es gibt Leute, die einen schnellen Colt haben. Wie zum Beispiel Caine - und Sie. Und es gibt andere, die nichts haben als ihren Verstand. Zu denen gehöre ich. Ich habe nicht den Ehrgeiz, berühmt zu werden. Schon gar nicht als Revolvermann. Ich habe nur den Ehrgeiz, meine Aufgabe zu lösen.“ „Und dabei am Leben zu bleiben“, fügte Philby mit spöttischem Grinsen hinzu. „Wo ist Caine?“ „Dort drüben in der Zelle.“ „Gut“, nickte Philby. Er ging hinüber zum Schreibtisch, öffnete die Satteltasche und begann, die Geldscheine auf den Tisch zu legen. Sheriff Townsend sah abwechselnd auf Philby und auf Johnson, der immer noch, das Gewehr in der Armbeuge, unbeweglich an der Wand neben der Tür lehnte. „Wer zum Teufel sind eigentlich die beiden Kerle?“ fragte Townsend. „Sagen Sie's ihm, Marshal!“ murmelte Philby, ohne sich zu dem Sheriff umzudrehen. „Dieser höfliche Gentleman hier ist Mr. Philby von - 77 -
Wells Fargo. Und der schweigsame Herr an der Tür ist Mr. Johnson vom selben Verein.“ Townsend atmete erleichtert auf. „Gott sei Dank! Jetzt sollen die sich um das verdammte, blutige Geld kümmern! Mich geht es nichts mehr an.“ „Erwarten Sie keine Wunderdinge von Ihnen, Sheriff!“ spottete Tom. „Die beiden Gentlemen haben das Geld schon einmal bewacht. Mit geringem Erfolg, wie Sie sehen. Und wenn ich feiger Trottel nicht gewesen wäre, würde Philby immer noch durch die Gegend reiten und hoffen, daß ihm irgendwann einmal Caine vor seinen schnellen Colt läuft. Mit Johnsons Hilfe würde es ihm vielleicht tatsächlich gelingen, am Leben zu bleiben. Das Geld zu finden, dazu reichen ihre Fähigkeiten aber wahrscheinlich nicht aus.“ Johnsons Gesicht blieb ausdruckslos wie immer. Es schien, als habe er nicht gehört, was Tom sagte. Philby stand eine Sekunde lang unbeweglich am Schreibtisch, mit dem Rücken zu Tom. Er hatte zu zählen aufgehört. Jetzt drehte er sich um. Sein sonnengebräuntes Gesicht war blaß geworden. Seine dunklen Augen sahen Tom glühend an. Seine Lippen preßten sich fest aufeinander. „Unterschätzen Sie mich nicht, Marshal!“ sagte er schließlich leise. „Nicht jeder, der mehr Mut hat als Sie und mit dem Colt schneller ist, ist ein Dummkopf! Es ist Ihr Glück, daß wir beide auf derselben Seite stehen. Aber sehen Sie zu, daß Sie mir nie in die Quere kommen! Nie!“ Tom sah hinüber zu Johnson. Johnson rührte sich immer noch nicht. Er sah irgendwohin ins Leere. - 78 -
Tom fragte sich, auf wessen Seite er wohl eingriffe, wenn es zu einer Auseinandersetzung mit Philby käme. Philby drehte sich wieder um und zählte weiter die Geldscheine. Tom öffnete die Tür zum Zellentrakt und ging hinüber. Caine saß auf seiner Pritsche. Er hatte sich von dem Schlag auf seinen Kopf wieder gut erholt. Er sah Tom feindselig an. „Eines Tages bringe ich Sie um, Marshal!“ sagte er ruhig. „Noch einer, dem ich nie in die Quere kommen darf!“ spottete Tom. „Aber im Ernst: Ich mache mir Sorgen um Sie, Caine. Große Sorgen. Ich habe den Auftrag, Sie nach Carlton zu bringen, wo Sie vor Gericht gestellt werden sollen. Aber ich fürchte, daß Sie diesen Ritt nicht überleben werden.“ „Ich werde Sie töten, bevor wir in Carlton angekommen sind!“ sagte Caine. „Wenn es nicht anders geht, werde ich Sie mit gefesselten Händen erwürgen oder mit einem Stein erschlagen.“ „Ihr einstiger Freund und Partner Bert Meany wird bald hier sein“, sagte Tom, unbeeindruckt von Caines Drohung. „Vielleicht ist er sogar schon in der Stadt. Sicher ist jedenfalls, daß er längst weiß, wer seinen Bruder ermordet hat. Wie gesagt, ich mache mir große Sorgen um Sie.“ „Ich habe keine Angst vor Meany und erst recht nicht vor dem Galgen, den sie für mich in Carlton bauen“, sagte Caine. „Ich habe genug Freunde hier. Die werden dafür sorgen, daß Meany mich nicht erschießt und daß Sie mich nicht unter den Galgen schleifen.“ „Freunde?“ fragte Tom. „Wer wie Sie die Gewohnheit - 79 -
hat, seine besten Freunde umzubringen, hat bald keine Freunde mehr. Und die Kerle im Saloon? Weshalb sollten die irgend etwas für Sie tun?“ Caine antwortete nicht. Tom ging wieder ins Office zurück. Philby zählte immer noch das Geld. Der Sheriff sah ihm dabei zu. Johnson stand schweigend und reglos an der Tür. Er schenkte den Dollars auf dem Tisch keinerlei Beachtung. „Genau hunderttausend Dollar“, sagte Philby schließlich zufrieden. „Kein Cent fehlt.“ Er wandte sich den Sheriff zu. „Ich gebe Ihnen eine Bescheinigung, daß ich das Geld von Ihnen übernommen habe. Dann reite ich sofort mit Johnson los.“ „Ich würde vorschlagen, daß wir erst später reiten, kurz vor Einbruch der Dunkelheit“, sagte Tom. Philby sah ihn überrascht an. „Soll das heißen, daß Sie mit uns reiten wollen?“ fragte er. „Halten Sie uns nicht für fähig, das Geld ohne Ihre Unterstützung nach Carlton zu bringen?“ „Durchaus. Aber ich muß einen Gefangenen nach Carlton bringen. Da wir also den gleichen Weg haben, denke ich, wir sollten zusammen reiten. Oder befürchten Sie, ich würde unterwegs versuchen, Ihnen das Geld wieder abzujagen?“ „Weshalb meinen Sie, daß wir erst gegen Abend reiten sollten?“ fragte Philby. „Sie starren immer nur auf das Geld, Philby, und vergessen dabei Ihre Umgebung. Sie sollten mal zum Fenster hinaus sehen. Fällt Ihnen dabei nichts auf?“ „Ich sehe eine Menge Narren, die sich die Nase an der Fensterscheibe platt drücken, weil sie noch nie soviel - 80 -
Geld auf einem Haufen gesehen haben.“ „Es sind weniger Leute geworden“, sagte Tom. „Viel weniger.“ „Na und? Wahrscheinlich ist es ihnen langweilig geworden, und sie sind nach Hause gegangen zum Essen oder in einen Saloon, um zu saufen und zu quasseln.“ „Sind Ihnen nicht die Reiter aufgefallen, die allein oder in kleinen Gruppen die Stadt verlassen haben?“ „Na und? Was gehen diese Leute mich an?“ fragte Philby verständnislos. „Jeder Mensch in dieser Stadt weiß, daß wir hunderttausend Dollar bei uns haben“, sagte Tom. „Jeder weiß auch, daß wir mit diesem Geld nicht lange hier bleiben werden. Über Nacht hier zubleiben wäre viel zu riskant.“ „Das ist einer der wenigen Punkte, in denen wir einer Meinung sind“, nickte Philby. „Es gibt hier viel zuviel Gesindel, das versuchen wird, uns das Geld abzujagen. Mit allen Mitteln. Wenn wir hier in der Stadt bleiben, werden wir den Sonnenaufgang kaum erleben.“ „Jeder Mensch in dieser Stadt kann sich also ausrechnen, daß wir noch heute von hier verschwinden werden“, sagte Tom. „Natürlich werden wir damit rechnen, daß man uns verfolgt. Unsere Aufmerksamkeit ist also nach hinten gerichtet. Aber was ist, wenn die Kerle uns vorausreiten und uns irgendwo zwischen hier und Carl ton auflauern?“ „Das klingt vernünftig“, sagte der Sheriff. „Wenn die Banditen erst einmal vor Ihnen sind, können sie sich nach Belieben den am besten geeigneten Platz für einen Überfall aussuchen.“ „Deshalb schlage ich vor, erst am Abend zu reiten“, sagte Tom. „Bis dahin sind unsere Pferde ausgeruht. In - 81 -
der Dunkelheit wird uns niemand finden. Wir gewinnen dadurch einen großen Vorsprung. Wenn es uns auch noch gelingt, unsere Spuren zu verwischen, wird unser Vorsprung noch größer.“ Tom konnte nicht sehen, wie Johnson darüber dachte. Das Gesicht des ruhigen, schweigsamen Mannes blieb wie immer ausdruckslos. Philby jedenfalls hielt nicht viel von Toms Vorschlag. „Ich bleibe in dieser verfluchten Stadt nicht eine Minute länger als notwendig“, sagte er. „Soviel Galgenvögelgesichter wie hier habe ich noch in keiner Stadt gesehen.“ „Das ist nicht meine Schuld“, sagte Sheriff Townsend, „Die Stadt war schon so, als ich hier herkam. Für einen einzelnen Mann ohne jede Unterstützung durch die Bevölkerung ist es unmöglich, hier für Ordnung zu sorgen.“ Philby lächelte spöttisch. „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf“, sagte er. „Um diesen Stall auszumisten braucht ein Mann mehr Mut und Unternehmungsgeist, als Sie von der Natur mitbekommen haben. Es ist nicht Ihre Schuld, daß Sie kein Held sind. Aber da Sie Ihre Stadt kennen, werden Sie verstehen, daß ich möglichst schnell von hier weg will. Draußen auf dem freien Land fühle ich mich sicherer als hier. Ich will weg von hier, bevor sich alle Halunken dieser Stadt auf ein gemeinsames Vorgehen gegen uns geeinigt haben. Wenn die Kerle sich erst mal einig sind, kommen wir von hier nicht mehr weg.“ Er packte die Notenbündel wieder in die Satteltasche. Dann wandte er sich an Tom. „Johnson und ich reiten sofort los. Wenn Sie mitkommen wollen, Marshal, dann holen Sie Ihren - 82 -
Gefangenen aus der Zelle.“ „Okay“, sagte Tom. „Ich halte Ihren Plan für falsch, aber ich habe keine Lust, allein zu reiten. Können Sie mir ein Pferd besorgen, Sheriff?“ „Sie können meines nehmen, Marshal“, sagte Townsend. „Es steht vor dem Office. Der Rapphengst.“ Townsend schien sehr daran interessiert zu sein, alle Männer mit dem Geld und mit ihrem Gefangenen loszuwerden. Je eher sie ritten, um so eher war er alle Verantwortung und alle Sorgen los. „Ich danke Ihnen, Sheriff“, sagte Tom. Er ging hinüber in den Zellentrakt. Der Sheriff folgte ihm und sperrte die Tür zu Caines Zelle auf. „Geht's schon los?“ fragte Caine. Er grinste, als freue er sich auf den Ritt. Auch er schien sich wie Philby im Freien wohler zu fühlen als in der Zelle. Tom legte dem Gefangenen Handschellen an. Caine wehrte sich diesmal nicht. Aber Tom wußte, daß Caine noch nicht resignierte. Es war ein weiter Ritt nach Carlton. Ein Ritt, auf dem viel geschehen konnte. Caine brauchte nur auf seine Chance zu warten. Irgendwann würde sie kommen. *** Johnson öffnete die Tür zur Straße. Dann trat er als erster hinaus auf den Gehsteig. Neben der Tür blieb er im Schatten des Vordaches stehen, sein Gewehr schußbereit in der Hand. Die wenigen Männer, die jetzt noch vor dem Office standen, traten einige Schritte zurück. Der Weg von der Tür zu den Pferden war frei. - 83 -
Philby nahm die Satteltasche in die linke Hand und ging hinaus zu seinem Pferd. Er schien die Männer, die ihn neugierig anstarrten, überhaupt nicht zu sehen. Aber es fiel Tom auf, daß Philbys rechte Hand nahe bei dem Griff seines Colts blieb. Und Tom wußte auch, daß Philby sofort schießen würde, wenn er Gefahr witterte. Sheriff Townsend stand hinter dem Fenster und sah hinaus. Auch er hatte ein Gewehr in der Hand. Nervös beobachtete er die Straße und die Fenster der gegenüberliegenden Häuser. Dann gab er Tom einen Wink. „Vorwärts!“ sagte Tom zu Caine. Caine grinste ihn an. „Es wird ein gefährlicher Ritt“, sagte der Bandit. „Für uns beide. Es ist ein Fehler von Ihnen, mit den Männern zu reiten, die das Geld haben. Wenn Sie und ich allein wären, hätten Sie eine gute Chance, lebend nach Carlton zu kommen. Daß Meany mich unterwegs wahrscheinlich erschießen wird, kann Ihnen ja gleichgültig sein. Gegen Sie hat er ja nichts. Er will nur mit mir abrechnen. Aber die Leute, die hinter dem Geld in Philbys Satteltasche her sind, sind zu allem entschlossen. Die werden keine lebenden Zeugen übrig lassen. Außer mir. Ich beneide Sie nicht um Ihren Job, Marshal. Sie müssen nicht nur auf mich aufpassen, sondern auch auf das Geld und auf Ihr Leben.“ Sein Grinsen verstärkte sich. „Oder sind Sie etwa auch hinter dem Geld her?“ fragte er leise. So leise, daß außer Tom ihn niemand hören konnte. „Vielleicht könnte ich Ihnen helfen, an das Geld heranzukommen. Als Gegenleistung brauchen Sie nichts weiter zu tun, als mich fliehen zu lassen.“ - 84 -
„Mit einem Kerl wie Ihnen Geschäfte zu machen ist gefährlich“, sagte Tom. „Ihr Freund und Geschäftspartner Ike Meany hat das bereits erfahren müssen.“ „Na schön“, sagte Caine grinsend. „Wenn Sie nicht wollen, vielleicht ist Johnson vernünftiger. Oder gar Philby. Wer weiß? Sie werden keinem von den beiden trauen können, Marshal. Die beiden werden Ihnen ebenso wenig trauen. Sie werden einander jede Sekunde belauern. Tag und Nacht. Sie werden voreinander mehr Angst haben als vor den Banditen, die hinter Ihnen her sind. Und es ist ein weiter Weg bis nach Carlton.“ Caine brach in schallendes Gelächter aus. Er lachte immer noch, als Tom ihn hinaus zu den Pferden führte. Philby sah ihn verwundert an. Dann wanderte sein Blick weiter zu Tom. Vorsicht und Mißtrauen lagen in seinem Blick. Caines Taktik beginnt bereits zu wirken, dachte Tom. Er will uns gegeneinander aufhetzen. Wenn ihm das gelingt, sind wir verloren. Johnson sah immer noch gleichmütig um sich, als er in den Sattel stieg. Aber wer wußte schon, was hinter der Stirn dieses schweigsamen Mannes vor sich ging? Sie verließen die Stadt ohne Zwischenfälle. Tom war erleichtert, als sie die letzten Häuser weit hinter sich gelassen hatten. Rings um die Stadt dehnte sich freies, ebenes Land. Jeder Mensch, der sich ihnen näherte, war von weitem zu sehen. Es war flaches Weideland, nur selten unterbrochen von Baumgruppen und Büschen, die als Verstecke für einen Schützen dienen konnten. Und diesen möglichen Risiken konnte man leicht ausweichen. Gefährlich würde die Sache erst werden, wenn sie in - 85 -
drei oder vier Stunden die Hügelkette erreicht hatten, auf die sie zuritten. Dort gab es genug geeignete Stellen für einen Hinterhalt. Aber sie mußten durch dieses Hügelland. Es gab keinen anderen Weg nach Carlton. Die vier Männer ritten schweigend. Sie hatten sich nichts zu sagen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. *** Der Knall des Schusses war kurz und trocken wie ein Peitschenschlag. Ihm folgte eine tiefe, lähmende Stille. Tom sah keine Bewegung vor sich auf dem mit Felsen und Sträuchern übersähten Hügel oder neben sich auf dem flachen Grasland. Die vier Pferde standen still und unbeweglich. Die Reiter saßen reglos in den Sätteln. Es war, als hätte sie der Knall des Gewehrschusses gelähmt. Tom wußte, daß die tödliche Stille nicht lange anhalten würde. Er sah noch, wie Johnson vor ihm schwankte und sich am Sattelhorn festzuhalten versuchte. Dann war Tom bereits auf dem Boden. Er rannte auf den Hügel zu. Dort, hinter den Felsbrocken am Fuße des Hügels, war der einzige Ort, an dem es Deckung gab. Gleichzeitig mit Tom sprang Caine aus dem Sattel. In langen Sätzen rannte er neben Tom her. Er hatte das gleiche Ziel. Obwohl ihn die zusammengefesselten Hände beim Laufen behinderten, war er kaum langsamer als Tom. Wieder fiel ein Schuß. Aus den Augenwinkeln heraus sah Tom, wie Caine neben ihm stolperte und fiel. - 86 -
Die Gewehrschüsse peitschten jetzt in dichter Folge auf. Nur noch drei lange Sätze, dann hatte Tom den rettenden Felsbrocken erreicht. Er warf sich in Deckung. Eine Kugel traf die Oberkante des Felsens, riß ein Stück davon heraus und prallte jaulend als Querschläger ab. Tom drehte sich um und sah zurück. Caine lag reglos im Gras, mit dem Gesicht nach unten. Er schien tot zu sein. Die Schüsse fielen jetzt schnell hintereinander. Sie fielen in so regelmäßiger Reihenfolge, daß es sich nur um einen Schützen handeln konnte. Philby rannte geduckt im Zickzack auf den Felsen zu, hinter dem Tom lag. Die Kugeln schlugen dicht neben ihm in den Boden. Jede Kugel wirbelte kleine Fontänen von Sand und Erde auf. Plötzlich sprang auch Caine auf. Er wußte, daß der Schütze oben dem „Toten“ keine Aufmerksamkeit mehr schenkte. Mit zwei, drei langen Sätzen erreichte Caine den Felsen. Gleichzeitig mit Philby warf er sich in Deckung. Der Mann oben auf dem Hügel schoß ohne Pause weiter. Johnson saß immer noch im Sattel. Er war schwer verletzt. Wahrscheinlich war er zu schwach, um abzuspringen. Mit der linken Hand hielt er sich am Sattelhorn fest, mit der anderen versuchte er, sein nervöses Pferd zu bändigen. Der Mann oben auf dem Hügel feuerte weiter, zwischen die Pferde hinein. Er schien keines der Pferde zu treffen, aber die Schüsse steigerten die Nervosität der - 87 -
Tiere zur Panik. Johnsons Wallach bäumte sich wiehernd hoch auf. Johnson stürzte aus dem Sattel. Das Pferd rannte davon. Johnsons linker Fuß verfing sich im Steigbügel. Der Mann wurde von dem davonjagenden Pferd mitgeschleppt. Sein Körper verfing sich in einem niedrigen Dornbusch und blieb reglos liegen. Sein Pferd rannte weiter in der kleinen davongaloppierenden Herde. Philby sah wütend hinter den Pferden her. Er überlegte kurz. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Er riß seinen Colt heraus, zielte sorgfältig und schoß. Erst nach dem zweiten Schuß brach eines der Pferde im vollen Lauf zusammen, überschlug sich und blieb liegen. Es war Philbys eigenes Pferd. Das Pferd, an dessen Sattel sich die Tasche mit dem Geld befand. Der dröhnende Hufschlag der drei übrigen Pferde wurde immer leiser. Sonst war kein Geräusch zu hören. Philby sah mit bitteren Gefühlen zu seinem toten Pferd hinüber. „Das hat der Kerl dort oben auf dem Hügel sich fein ausgedacht“, sagte er. „Es kam ihm gar nicht so sehr darauf an, uns vier zu erledigen. Er wollte nur unsere Pferde davonjagen. Dann hätte er nur meinen Gaul einzufangen brauchen und wäre um hunderttausend Bucks reicher. Und wir hätten ihn zu Fuß niemals verfolgen können.“ „Ja, es ist nur einer“, sagte Tom. „Den Kerl sollten wir uns doch holen. Wenn wir von zwei Seiten kommen, müßten wir es schaffen. Es gibt genug Deckung, um uns nahe an ihn heranzuschleichen.“ „Ich bleibe hier“, sagte Philby entschlossen. Er sah zu - 88 -
seinem toten Pferd hinüber. „Irgendwann muß der Kerl ja herunterkommen und das Geld holen. Jetzt liegt die Tasche mit dem Geld gerade noch innerhalb der Reichweite unserer Colts. Aber wenn wir den Hügel hinaufsteigen, entfernen wir uns zu weit von dem Geld. Der Kerl braucht nur hinzureiten und es sich zu holen.“ „Na schön, dann bleiben Sie hier und passen Sie auf Ihr geliebtes Geld auf! Ich habe jedenfalls keine Lust, bis an das Ende meiner Tage hier in Deckung liegenzubleiben und zu warten, was der Bursche da oben zu unternehmen gedenkt.“ „Es ist nur eine Frage der Geduld“, sagte Philby. „Es kommt nur darauf an, wer die schlechteren Nerven hat und zuerst seine Deckung verläßt.“ „Ich glaube, der Gedanke an das Geld raubt Ihnen den Verstand“, sagte Tom verärgert. „Wir können nicht hier bleiben und warten. Irgendwann wird der Mann dort oben vielleicht Verstärkung bekommen. Und dann machen sie uns fertig! Wir müssen den Burschen also ausschalten, solange er noch allein ist.“ „Ich bleibe hier!“ sagte Philby unbeirrt. Er sah immer noch unverwandt hinaus auf die Ebene. Dorthin, wo sein Pferd lag. Der Tod seines Pferdes setzte ihm doch arg zu. Tom sah Caine an. Caine grinste, trotz der Schmerzen, die ihm seine Wunde bereiten mußte. Der Streit zwischen Tom und Philby schien genau in seine Pläne zu passen. „Hat es Sie schwer erwischt?“ fragte Tom. „Nein, nur ein Streifschuß an meiner Schulter. Das war nicht Bert Meany. Bert schießt besser. Der Mann dort oben will nicht mein Leben, er will nur mein Geld. Philby hat recht. Sie brauchen nur zu warten, bis der Bursche herunterkommt, um sich das Geld zu holen. Dann können Sie ihn leicht treffen.“ - 89 -
Tom sah ruhig in Caines grinsendes Gesicht. Es war klar, daß der Verbrecher gewinnen wollte. Caine hatte viele Freunde in Indian Springs. Freunde, die vielleicht nicht die hunderttausend Dollar mit ihm teilen würden, die aber auch nicht zulassen würden, daß Caine nach Carlton gebracht und dort gehängt wurde. Caine hatte also großes Interesse daran, hier zubleiben, bis seine Freunde kamen. „Passen Sie auf den Kerl da auf, Philby!“ sagte Tom. „Er ist zwar gefesselt und verwundet, aber bösartig und gefährlich wie eine Klapperschlange. Und wenn Sie Ihr geliebtes Geld mal eine Sekunde aus den Augen lassen können, dann möchte ich Sie bitten, mir gelegentlich Feuerschutz zu geben. Ich hole mir den Kerl da oben!“ „Viel Glück!“ sagte Philby. Tom hatte aber nicht den Eindruck, als käme dieser Wunsch von Herzen. *** Tom richtete sich halb auf und sah vorsichtig über den Rand des Felsbrockens hinauf zu dem Kamm des Hügels. Kein Schuß fiel. Keine Bewegung war dort oben zu sehen. Tom sah und hörte nichts, was ihm einen Hinweis darauf geben konnte, wo der Mann sich befand. Tom verließ die Deckung des Felsens und rannte den flachen Abhang hinauf. Bis zu dem umgestürzten Baumstamm, der sein Ziel war, waren es keine zwanzig Yards. Aber diese zwanzig Yards konnten eine riesige Entfernung bedeuten, wenn der Mann dort oben ein guter Schütze war. Tom erreichte den Baumstamm und warf sich dahinter nieder, ohne daß ein Schuß gefallen war. Wollte der Mann ihn näher herankommen lassen, oder - 90 -
hatte er sich schon zurückgezogen? Toms Augen wanderten langsam über die Flanke des Hügels. Dort oben gab es genug Verstecke. Hinter jedem Felsbrocken, hinter jedem Busch und hinter jedem Baum konnte der Mann liegen. Nichts war zu sehen. Nur weit oben am blauen Himmel kreiste ein Geier. Er wartete auf seine Beute. Tom verließ die Deckung des Baumes und kletterte weiter. Der Hügel wurde immer steiler. Stellenweise mußte Tom sich mit den Händen in den Boden krallen, um vorwärts zu kommen. Er vertraute darauf, daß das unübersichtliche Gelände ihm genauso viel Deckung bot wie dem unsichtbaren und unhörbaren Mann dort oben. Und er vertraute darauf, daß Philby die Augen offen hielt und ihm mit seinem Colt Feuerschutz gab. Tom hatte jetzt die halbe Höhe des Hügels erreicht. Er duckte sich hinter einem Felsen nieder und sah sich vorsichtig um. Weit unten, am Fuß des Hügels, lag Johnson. Er lag so seltsam schlaff da wie eine Puppe, die ein Kind weggeworfen hat. Ein Stück weiter draußen auf der Ebene lag Philbys Pferd. Tom konnte auch den Felsen sehen, hinter dem Philby und Caine lagen. Philby sah vorsichtig über den Rand des Felsens herauf. Tom sah von ihm nicht viel mehr als die schwarzen Haare und den Lauf des Colts. Irgendwo jenseits des Hügels hörte Tom ein Geräusch. Ein Geräusch wie von einem eisernen Hufeisen, das gegen felsigen Boden schlägt. - 91 -
Tom lauschte in die Stille hinaus. Der Geier hoch über ihm zog immer noch lautlos seine Kreise. Da war es wieder, das Geräusch. Tom war jetzt sicher, daß es sich um ein Pferd handelte. Ein Pferd, das langsam und vorsichtig den jenseitigen Hang hinuntergeführt wurde. Dann, nach wenigen Sekunden, wurde der Hufschlag schneller. Der Mann war aufgesessen und ritt davon. Falls es sich wirklich nur um einen Heckenschützen handelte, wie Tom vermutete, war die Luft jetzt rein. Trotzdem blieb er auf der Hut. Warum gab der Mann so schnell auf? Hatte er eingesehen, daß er es allein mit zwei Gegnern nicht aufnehmen konnte? Wartete er auf eine bessere Chance? Mit unverminderter Vorsicht kletterte Tom weiter. Er fand die Stelle, wo der Mann in Deckung gelegen hatte. Er fand die ausgeworfenen Patronenhülsen und. die Fußspuren, die von hier aus die wenigen Meter bis zum Kamm des Hügels hinauf und auf der anderen Seite hinab bis zu dem wartenden Pferd führten. Es waren die Fußspuren nur eines Mannes und die Hufabdrücke nur eines Pferdes. Der Mann war also wirklich allein gewesen. Trotz des steinigen Bodens hätte es Tom nicht sehr viel Mühe bereitet, der Spur des Reiters zu folgen. Aber er tat es nicht. Es wäre sinnlos gewesen. Zu Fuß konnte er einen Reiter niemals einholen. Der Reiter selbst war nicht mehr zu sehen. Tom schob seinen Colt ein und stieg wieder zu den anderen hinab. „Ist er weg?“ fragte Philby. Tom nickte. „Sie können jetzt Ihr Geld holen“, sagte er. „Die Luft ist rein.“ - 92 -
Philby stand auf und ging hinaus auf die Ebene. Neben der reglosen Gestalt Johnsons blieb er kurz stehen. Er war sich nicht schlüssig, was er jetzt zuerst tun sollte. Dann ging er aber doch weiter zu seinem Pferd. „Kommen Sie, Caine!“ sagte Tom. Caine grinste ihn an und blieb liegen. „Wohin?“ fragte er. „Zu Fuß kommen wir sowieso nicht weit.“ „Sie wollen wohl hier bleiben, bis Ihre Freunde kommen, wie? Es könnte aber auch sein, daß Meany zuerst kommt.“ „Die Chancen stehen halbe-halbe“, sagte Caine. „Und weshalb sollte ich vor Meany davonlaufen? Sie werden schon dafür sorgen, daß er mich nicht umlegt, nicht wahr?“ Tom packte Caine am unverletzten Arm und riß ihn hoch. Dann ging er mit ihm hinaus in die Ebene. Als sie Johnson erreichten, blieben sie stehen. Johnson hatte zwei Kugeln in der: Brust und eine tiefe Schramme an der Stirn. Vielleicht stammte diese Schramme von seinem Sturz, vielleicht ebenfalls von einer Kugel. Fest stand jedenfalls, daß der Mann tot war. Als Tom aufsah, blickte er in die Mündung eines Gewehres. Es war Philbys Gewehr. Philby hielt die Waffe lässig unter seinem Arm. Die Mündung zielte wie zufällig auf Tom. Tom sah das kaum merkliche Grinsen im Gesicht des Wells-Fargo-Mannes und die leise Drohung in den kalten dunklen Augen, die nachdenklich auf ihm ruhten. Tom ging ruhig weiter, bis er dicht vor Philby stand. Immer noch zielte Philbys Gewehr wie zufällig auf ihn. Der Lauf der Waffe berührte fast seine Brust. „Das ist die Chance Ihres Lebens, Philby!“ sagte Tom - 93 -
ruhig. „Sie brauchen nur abzudrücken und das Geld, gehört Ihnen.“ Das Grinsen in Philbys dunklem Gesicht verstärkte sich. Langsam ließ er den Lauf des Gewehres sinken. „Ich habe mein ganzes Leben für Recht und Gesetz gekämpft“, sagte er. „Glauben Sie, ich würde zum Mörder werden nur wegen dieses verfluchten Geldes hier?“ „Sie sind auf dem besten Wege dazu“, sagte Tom. Philby sah ihn halb verblüfft, halb verärgert an. „Was wollen Sie damit sagen?“ „Ich habe den Eindruck, daß Sie mehr an das Geld denken, als für Sie gut ist“, sagte Tom. „Noch sind Sie nicht so weit, daß Sie mich kaltblütig umlegen würden, nur um das Geld behalten zu können. Aber bereits jetzt hat der Gedanke an das Geld jeden anderen Gedanken aus Ihrem Gehirn verdrängt. Daß Ihr Freund Johnson tot ist, interessiert Sie kaum noch.“ „Dem kann ich nicht mehr helfen“, sagte Philby. „Aber ich habe einen Auftrag. Den Auftrag, das Geld seinem Besitzer abzuliefern. Und ich habe noch jeden Auftrag ausgeführt. Jeden!“ Er zog ein Messer, bückte sich nieder und schnitt die Tasche mit dem Geld vom Sattel seines toten Pferdes. Caine brach in schallendes Gelächter aus. „Ihr beide seid ein merkwürdiges Paar!“ hetzte der Bandit höhnisch los. „Bevor wir in Carlton sind, werdet ihr euch gegenseitig umbringen! Und ich glaube, Marshal, Philby ist schneller als Sie. Wenn Sie am Leben bleiben wollen, würde ich Ihnen raten, ihn von hinten über den Haufen zu knallen. Eine andere Chance haben Sie nicht.“ Philby stand auf. Er legte sich die Satteltasche über - 94 -
die linke Schulter. Lange sah er Caine schweigend an. „Versuchen Sie nicht, uns beide gegeneinander aufzuhetzen, Caine!“ sagte er ruhig. „Selbst wenn es Ihnen gelingt, haben Sie nichts davon zu erhoffen. Über eines müssen Sie sich jedenfalls im klaren sein: Wenn wir uns hier gegenseitig umbringen, wird der Sieger vielleicht Sie erledigen! Oder glauben Sie etwa, ich würde den Zeugen meines Mordes am Leben lassen?“ „Was jetzt?“ fragte Tom. „Zu Fuß kommen wir nicht weit. Und wo sollen wir Pferde hernehmen? Wir sind weit von der Straße entfernt.“ Philby zuckte die Achseln. „Vielleicht gibt es hier irgendwo eine Ranch“, überlegte Tom. „Caine müßte es eigentlich wissen. Er stammt aus dieser Gegend.“ _ Caine lag immer noch verkrümmt am Boden. „Steh auf!“ befahl Philby. Caine blieb liegen. Philby bückte sich, packte Caine mit der linken Hand am Hemdkragen und riß ihn hoch. Caine sah ihn haßerfüllt an. „Kennst du irgendwo in der Nähe eine Ranch?“ fragte Philby. Caine antwortete nicht. Philby hob lässig den Lauf seines Gewehres, bis die Mündung die Brust des Banditen berührte. Philbys Finger lag am Abzug. „Ich habe keinerlei Hemmungen, einen Kerl wie dich über den Haufen zu knallen“, sagte Philby ruhig. „Du bist sowieso nur ein Hindernis und eine ständige Gefahr für uns. Wenn du also willst, daß wir dich mitschleppen, dann mußt du schon etwas für uns tun. Also, kennst du - 95 -
hier in der Gegend eine Ranch?“ Caine sah Philby prüfend an. Allmählich wurde ihm klar, daß Philby es ernst meinte. „Ich bin Ihr Gefangener, Marshal“, sagte er, ohne seine Augen von Philbys drohendem Gesicht zu wenden. „Sie müssen mich in Carlton abliefern. Wollen Sie es zulassen, daß dieser Verrückte hier mich umbringt?“ „Wenn du Wert darauf legst, nach Carlton zu kommen und dort gehängt zu werden, dann solltest du mich nie wieder einen Verrückten nennen, Caine!“ sagte Philby leise und drohend. „Der Marshal kann dir jetzt nicht helfen, selbst wenn er es wollte. Er kann nicht verhindern, daß ich meinen Zeigefinger krumm mache. Und das werde ich tun, wenn du nicht sofort zu reden anfängst.“ Der Schweiß lief Caine jetzt in Strömen über das hagere, blasse Gesicht. Wahrscheinlich hatte er Angst. Er wollte leben, wollte zumindest Zeit gewinnen. Er wollte sprechen, aber er brachte keinen Ton heraus. Er wagte kaum zu atmen. Dann nickte er. „Gut“, sagte Philby und ließ sein Gewehr sinken. „Du kennst also eine Ranch?“ Caine nickte wieder. Er atmete erleichtert auf. Dann wischte er sich mit seinen gefesselten Händen den Schweiß von der Stirn. „Ja, es gibt hier eine Ranch“, sagte er heiser. „Ungefähr eine Stunde von hier entfernt. Sie gehört dem alten Hai Cornfield. Hai ist ein Gauner. Er wird einen unverschämt hohen Preis für die Pferde verlangen. Aber Sie haben ja genug Geld.“ Er grinste schon wieder. „Okay, dann führ uns hin!“ befahl Philby. - 96 -
„Ich glaube nicht, daß der Kerl sich so lange auf den Beinen halten kann“, sagte Tom. „Seine Wunde blutet stark. Sie müßte gereinigt und verbunden werden.“ „Wenn Ihnen soviel an seiner Gesundheit liegt, dann müssen Sie sich selbst darum kümmern, Marshal“, sagte Philby. „Ich rühre keinen Finger für den Kerl.“ „Sie könnten inzwischen Johnson begraben“, sagte Tom. Er zeigte hinauf zum Himmel. Da waren inzwischen zwei Geier, die dort oben ihre Kreise zogen. Philby nickte. Er zeigte mit dem Lauf seines Gewehres auf die Taschen am Sattel seines Pferdes. „Da drin ist Verbandszeug. Flicken Sie den Kerl so zusammen, daß er uns wenigstens bis zur Ranch bringen kann! Was dann mit ihm geschieht, ist mir gleichgültig.“ Er ging zu Johnson hinüber. Caine sah ihm nach. „Von christlicher Nächstenliebe hält der auch nicht viel“, murmelte er. „Er ist mir viel ähnlicher, als er glaubt. Wenn er dahinterkommt, daß wir beide aus dem gleichen Holz geschnitzt sind, dann sehe ich schwarz für Sie, Marshal! Sie sollten sich also mit mir zusammentun, bevor ich mit Philby einig werde.“ „Mit dem werden Sie keine dreckigen Geschäfte machen“, sagte Tom. „Vielleicht entschließt er sich früher oder später, das Geld für sich zu behalten. Aber Ihnen wird er nichts davon abgeben. Für Sie hat er nur eine Kugel reserviert.“ Caine grinste. „Glauben Sie, daß es Ihnen besser gehen wird, Marshal? Raten Sie mal, wer uns den Tip mit dem Geldtransport gegeben hat! Denken Sie darüber nach, wer den Plan mit dem Sarg ausgearbeitet hat! Philby!“ Tom sah hinüber zu Philby. Philby hatte keinen - 97 -
Spaten dabei. Er trug den toten Johnson die wenigen Schritte bis zum Fuß des Hügels und begann, ihn mit Steinen zuzudecken. „Ich glaube Ihnen kein Wort!“ sagte Tom. „Weil Sie Angst haben, Marshal! Wenn Sie mir glauben würden, müßten Sie Philby auf der Stelle festnehmen. Sie wissen genau, daß Ihnen das nicht gelingen wird. Philby würde Sie erschießen.“ „Ich glaube Ihnen kein Wort!“ wiederholte Tom. „Wenn Philby Ihr Komplice wäre, wäre ich der letzte, dem Sie es erzählen.“ „Ich traue ihm nicht“, sagte Caine. „Ich habe Angst vor ihm. Er wird mich umlegen. So wie ich Ike umgelegt habe. Er ist genauso ein Gauner wie ich. Aber Sie sind ein Ehrenmann, Marshal. Wenn ich mit Ihnen ein Abkommen schließe, dann weiß ich, daß Sie es halten werden.“ „Für wie dumm hältst du mich eigentlich?“ fragte Tom. „Na schön, Sie wollen mir nicht glauben. Aber ganz sicher können Sie doch nicht sein, nicht wahr? Wenn Philby tatsächlich mein Komplice ist, wird er Sie umlegen. Noch vor mir.“ Er sah Tom eindringlich an. „Sie sind eine viel größere Gefahr für ihn als ich. Sie haben eine Waffe. Erschießen Sie ihn!“ „Wenn wir in Carlton sind, kannst du deine Aussage gegen Philby machen. Vielleicht wird man dir glauben. Aber ich bin nicht Philbys Richter und nicht sein Henker.“ „Wir werden nie nach Carlton kommen, Marshal! Philby will ebenso wenig dorthin wie ich. Wenn Sie ihn nach Carlton bringen wollen, müssen Sie ihn vorher - 98 -
umlegen!“ *** Sie erreichten Cornfields Ranch kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Die Ranch lag am Rande der Ebene, am Fuße eines sanft abfallenden Hügels. Es gab nur zwei kleine Blockhäuser. Eines davon diente, wie der aus Feldsteinen gemauerte Kamin bewies, als Wohngebäude. Das andere, etwa vierzig Schritte entfernt und fensterlos, war offenbar eine Scheune. In einem großen viereckigen Korral sah Tom etwa zwanzig Pferde. Der kleinere, runde Korral daneben war leer. Auf der obersten Stange dieses runden Korrals saß ein Mann. Der Mann blickte fast gelangweilt auf, als er sie kommen sah. Er drehte in Ruhe seine Zigarette zu Ende, strich sich ein Zündholz an der Stiefelsohle an und setzte seine Zigarette in Brand. Dann sprang er vom Zaun und schlenderte auf seine Besucher zu. Außer ihm schien sich niemand auf der Ranch zu befinden. Das stimmte mit dem überein, was Caine unterwegs über Cornfield erzählt hatte. Cornfield sah die drei Männer, die zwei Schritte vor ihm stehen blieben, mit verhaltener Neugier an. Sein Blick ruhte nur kurz auf Toms Dienstabzeichen und ging dann weiter zu Philby. Philby nickte ihm nur kurz zu, dann wanderte sein Blick über die Ranch und den Hügel dahinter, als suche er etwas. Tom beobachtete Caine und Cornfield. Er konnte den sonderbaren Blick, mit dem die beiden sich ansahen, - 99 -
nicht recht deuten. Sie schienen keine Freunde zu sein, es war offensichtlich, daß die beiden einander belauerten, und doch hatte Tom. das Gefühl, daß zwischen ihnen Einverständnis herrschte. „Wie geht's, Hai?“ fragte Caine schließlich. „Offenbar besser als dir“, antwortete Cornfield. Er sah auf die stählernen Fesseln an Caines Handgelenken. „Sie haben dich also erwischt, und dabei hast du eine Menge abgekriegt. Gratuliere, Marshal! Sie sind der erste Sternträger, der einen Zusammenstoß mit Caine überlebt. Haben Sie ihm die Kugel in die Schulter ...?“ „Nein“, antwortete Caine an Toms Stelle. „Irgend so ein Schuft hat aus dem Hinterhalt auf uns geschossen. Bei mir ist's nur ein Streifschuß, aber einen mußten wir begraben.“ „Vor allem sind unsere Pferde weg“, sagte Philby. „Können wir von Ihnen ...?“ „Ja“, sagte der Mann. „Davon lebe ich“. Er deutete mit dem Kopf hinüber zum Korral mit den Pferden. „Suchen Sie sich die besten aus. Über den Preis werden wir uns schon einig werden. Aber wollen Sie nicht zuerst ins Haus kommen und einen Schluck trinken? Ich habe einen erstklassigen Brandy.“ „Gern“, sagte Philby zu Toms Überraschung. Cornfield ging auf das Haus zu. Philby folgte ihm dicht auf. Dann kamen Tom und Caine. Cornfield öffnete die Haustür und trat ein. Er blieb neben der Tür stehen und wartete, bis auch seine Gäste eingetreten waren. Dann schloß er die Tür. Er deutete auf einen rohgezimmerten Tisch und einige Stühle in der Mitte des Raumes. - 100 -
„Setzen Sie sich doch!“ sagte er. Caine setzte sich, Tom und Philby blieben stehen. Die kleine Blockhütte bestand nur aus diesem einzigen Raum. Es war ziemlich dunkel hier. Die Sonne war hinter dem Hügel im Westen untergegangen. Allmählich wurde es Zeit, die Kerosinlampe anzuzünden, die neben der Tür an der Wand hing. „Mein Brandy wird Ihnen schmecken“, sagte Cornfield. „Bei einem guten Schluck macht jedes Geschäft gleich doppelt soviel Spaß.“ „Sicher“, sagte Philby und schlug zu. Sein Handrücken traf Cornfield voll im Gesicht. Cornfield wurde von den Beinen gefegt. Er fiel auf den Rücken. Einen kurzen Augenblick starrte er Philby mehr verblüfft als erschrocken an. Dann griff er nach dem Colt an seiner rechten Hüfte. Mitten in der Bewegung hielt er inne und starrte auf die drohende Mündung von Philbys Gewehr. Philby ging auf ihn zu, das Gewehr im Anschlag. Er bückte sich nieder und nahm Cornfield mit der linken Hand den Colt ab. Dann packte er Cornfield, riß ihn auf die Beine und stieß ihn auf den Tisch zu. „Setzen Sie sich!“ befahl er. Cornfield gehorchte. Er setzte sich neben Caine auf einen Stuhl. Immer noch zeigte sich auf seinem Gesicht mehr Verblüffung als Angst. Er sah zu Tom auf, der ruhig neben der Tür stand. „Wollen Sie es wirklich zulassen, daß dieser Mann einen ehrbaren Bürger mißhandelt, Marshal?“ fragte er. „Mr. Philby handelt manchmal ein bißchen impulsiv“, sagte Tom. „Seine Art und Weise, wie er mit seinen Mitmenschen umspringt, gefällt mir nicht besonders. Ich bin - 101 -
der Meinung, daß sogar Gauner ein Recht auf faire Behandlung haben.“ „Ich bin kein Gauner!“ brauste Cornfield auf. Er wollte aufspringen, setzte sich aber nach einem Blick auf Philbys Gewehrlauf wieder nieder, bevor er ganz auf den Beinen war. „Caine sagte uns, daß der alte Hai Cornfield ein Gauner sei“, sagte Tom ruhig. „Alt sind Sie nicht, und Cornfield heißen Sie auch nicht, aber das mit dem Gauner stimmt.“ „Was reden Sie da für einen Unsinn? Natürlich bin ich Hai Cornfield. Das kann Ihnen Caine bestätigen.“ „Sie haben wohl nicht richtig zugehört, wie?“ fragte Tom. „Caine sagte wörtlich: „Der alte Hai Cornfield ist ein Gauner. Wohlgemerkt nicht: Hai Cornfield ist ein alter Gauner, was auch richtig sein mag, sondern: ‚Der alte Hai Cornfield ist ein Gauner.’ Daraus folgen ganz klar zwei Dinge: Cornfield ist ein Gauner, und er ist kein junger Mann mehr. Aber Sie sind höchstens vierzig.“ „Das ist vollkommen logisch, aber falsch“, grinste Caine. „Sie dürfen das, was ich über Hai sagte, nicht wörtlich nehmen. Hai ist gut fünfzehn Jahre älter als ich, also nach meinen Begriffen schon fast ein Tattergreis. Wenn ich einen Mann als alt bezeichne, so bedeutet das nicht, daß er so alt wie Methusalem ist.“ „Wo waren Sie heute nachmittag?“ fragte Tom. „Hier auf meiner Ranch“, antwortete der Mann schnell. „Ich habe Wildpferde zugeritten.“ „Der Kerl lügt gern, aber nicht gut“, sagte Philby. „Verdammt noch mal, warum glauben Sie mir denn nicht?“ „Sie machen es uns allzu schwer, Ihnen zu glauben“, sagte Tom. „Jeder halbwegs vernünftige Mensch schnallt - 102 -
seinen Colt ab, bevor er sich auf seinen Bronco setzt. Ein Sturz von einem verrückten Gaul ist schon schmerzhaft genug, und wenn man dabei auf seinen Colt fällt, biegt kein Arzt mehr die Hüfte gerade.“ „Natürlich hatte ich den Revolvergurt abgelegt“, behauptete der Mann. „Erst kurz bevor Sie kamen, habe ich .....“ Tom unterbrach ihn. „Der runde Korral, in dem Hai Cornfield, als er noch jünger war, seine Wildpferde zuritt, wird längst nicht mehr benützt. Es wächst Gras darin. Unberührtes Gras. Im übrigen gibt es auf der Ranch überhaupt keine Wildpferde. Ich jedenfalls habe noch nie gehört, daß Wildpferde mit Brandzeichen geboren werden. Alle Ihre Pferde tragen Brandzeichen. Und zwar das der US-Kavallerie.“ Der Mann grinste verlegen. „Ich geb's zu, die Pferde sind wahrscheinlich gestohlen. Der Preis war so niedrig, daß ich einfach nicht nein sagen konnte. Aber so was gibt man einem Marshal gegenüber natürlich nicht gerne zu. Deshalb habe ich behauptet, daß ich Wildpferde fange und zureite. Ich hätte nie geglaubt, daß Sie auf diese Entfernung die Brandzeichen gesehen haben.“ „Marshal Kelly ist eine halbe Rothaut“, sagte Philby. „Ich habe die Brandzeichen auch nicht gesehen.“ „Man sieht es einem Mann nur selten an, ob er ein Schuft ist oder ein ehrlicher Mensch“, sagte Tom. „Aber man sieht's ihm an, ob er täglich harte Knochenarbeit leistet, sein Leben lang, oder ob er seine Tage und Nächte im Saloon von Ed Davis verbringt und versucht, Kerle wie Caine hier aufs Kreuz zu legen. Sie gehören zu der zweiten Sorte!“ „Mann, ich habe in meinem Leben schon mehr und härter gearbeitet als Sie und Philby zusammen!“ - 103 -
„Mag sein“, sagte Tom. „Aber das ist schon eine Weile" her. In den letzten zwei oder drei Jahren haben Sie jedenfalls kein anderes Werkzeug mehr in der Hand gehabt als gezinkte Spielkarten - und ab und zu mal ein Gewehr.“ Der Mann sah unwillkürlich auf den Verband an Caines Schulter. „Wollen Sie damit behaupten, daß ich es war, der auf Sie geschossen hat?“ „Ich halte es für möglich“, sagte Tom. „Der Mann, der auf uns geschossen hat, hat unsere Pferde verjagt. Der einzige Ort, wo wir Pferde bekommen können, ist die Ranch von Hai Cornfield. Außer natürlich Indian Springs, aber daß wir dorthin nicht mehr zurückgehen wollten, konnte der Mann sich denken. Er durfte also damit rechnen, daß Caine uns hierher bringen würde.“ „Das einzige, was er zu tun hatte, war, eher hierzu sein als wir“, fuhr Philby fort. „Dann mußte er nur noch den alten Cornfield zur Seite ... oder um die Ecke bringen. Wo ist Cornfield?“ „Ich bin Cornfield“, beharrte der Mann. „Ich gehe ihn suchen“, sagte Tom. „Passen Sie auf die beiden Kerle hier gut auf, Philby!“ Er öffnete die Tür. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal zu dem angeblichen Cornfield um. „Es wird Sie vielleicht interessieren, daß Cornfields Pferde gar kein Brandzeichen haben. Jedenfalls kein Armeebrandzeichen. Zumindest habe ich keins gesehen.“ Er grinste Philby an. „Auf diese Entfernung würde nicht einmal eine ganze Rothaut ein Brandzeichen erkennen.“ Caine sah den Mann, der neben ihm am Tisch saß, wütend an. „Dummkopf!“ zischte er. „Deine Dummheit bringt - 104 -
uns beide an den Galgen!“ „Nicht eure Dummheit“, sagte Tom. „Eure Morde.“ Er ging hinaus. Die ganze Ranch lag jetzt bereits im Schatten des Hügels. Die Pferde drüben im Korral waren nur mehr als dunkle Umrisse zu sehen. In wenigen Minuten würde es stockfinster sein. Tom ging auf das zweite Gebäude zu. Dort war die einzige Stelle, wo Cornfield sich befinden konnte. In der Seitenwand, die Tom und dem Haus zugekehrt war, befand sich kein Fenster. Als Tom um die Ecke der Hütte herumbog, sah er die Tür. Die Tür war zu. Hinter der Tür war kein Geräusch zu hören. Toms Hand legte sich auf den Griff seines Colts. Dann zog er mit der linken Hand die Tür auf. Es war noch hell genug in der Hütte, um den Mann sofort zu sehen. Er lag auf dem Boden, lang ausgestreckt und mit dem Gesicht nach unten. Er trug keine Waffe. Sein Haar war grau. Tom bückte sich zu dem Mann nieder und drehte ihn auf den Rücken. Zwei helle blaue Augen in einem verschmitzten faltigen Gesicht sahen in leblos an. Der Mann hatte keine Angst ausgestanden, als er starb. Der Tod war völlig überraschend zu ihm gekommen. Genau in dem Augenblick, als er erfreut einen Bekannten begrüßte. Das freundliche Lächeln war immer noch nicht ganz aus seinem Gesicht verschwunden. Er hatte zwei Kugeln in der Brust, aus kürzester Entfernung abgefeuert. Er konnte höchstens eine Stunde tot sein. - 105 -
Tom wollte eben aufstehen, als er hinter sich ein leises Geräusch hörte. Ein Geräusch, wie es entsteht, wenn der Hahn eines Colts gespannt wird und die Trommel sich ein Stück weiterdreht. „Guten Abend, Laura!“ sagte Tom. Sekundenlanges Schweigen war die Antwort. Dann hörte er Lauras erstaunte Stimme: „Woher wissen Sie, daß ich es bin?“ „Philby würde jetzt sagen: Er ist eine halbe Rothaut. Damit hätte er recht. Ich habe bei den Indianern gelernt, nicht nur meine Augen zu gebrauchen, sondern alle meine Sinne. Ihr Parfüm gefällt mir übrigens nicht. Wenn wir in Carlton sind, werde ich Ihnen ein anderes kaufen.“ „Nehmen Sie die Hände hoch, und stehen Sie auf!“ befahl Laura. Tom stand auf, aber er nahm die Arme nicht hoch. Langsam drehte er sich um. Laura trug jetzt Männerkleidung, eine Hose aus dem gleichen blauen Stoff wie der Tote, und auch das karierte Baumwollhemd hatte ein ähnliches Muster. Aber sie bot einen weit angenehmeren Anblick. Sie war so schön wie eh und je. Die Männerkleidung konnte ihre weiblichen Reize nicht verbergen, betonte sogar noch ihre schlanke Gestalt. Das einzige, was Tom nicht gefiel, war der Colt in ihrer Hand. „Ich habe gesagt: Hände hoch!“ „Sie werden nicht schießen“, sagte Tom. „Sicher, Sie haben Grund, mich zu hassen. Ich habe mich Ihnen gegenüber so schlecht benommen, daß ich mich vor mir selbst schäme. Aber Sie werden nicht auf mich schießen. Sie sind nicht wie Caine!“ „Seien Sie sich Ihrer Sache nicht so sicher“, warnte - 106 -
Laura. „Ein zweites Mal werde ich nicht auf Sie hereinfallen!“ Tom machte einen Schritt nach vorn und streckte den Arm aus, um nach dem Colt in Lauras Hand zu greifen. Im gleichen Augenblick hörte er hinter sich ein Geräusch. Er wirbelte herum. Seine Hand zuckte nach dem Colt an seiner Hüfte. Er war zu langsam. Ein fürchterlicher Schlag traf seine Schläfe. Tom sah nicht einmal mehr den Mann, der mit dem Colt zugeschlagen hatte. Tom spürte noch, wie er zusammenbrach und auf den Toten fiel. Dann wurde es dunkel um ihn. *** Ein Eimer Wasser weckte Tom wieder auf. Tom saß auf dem Boden, mit dem Rücken an einen Pfeiler gelehnt, der den Heuboden stützte. Dicht vor ihm saß ein Mann auf einer Kiste und sah seinen Bemühungen, wieder zu sich zu kommen, interessiert zu. Der Mann hatte noch den Eimer in der Hand, mit dem er Tom übergössen hatte. Es war ein nicht mehr junger untersetzter Mann, dessen Gesicht von einem dunklen Bart eingerahmt war. Bert Meany. Laura stand neben der immer noch offenstehenden Tür. Tom wußte, daß er nicht lange bewußtlos gewesen sein konnte. Es war in der Zwischenzeit nicht viel dunkler geworden. Meany warf den Eimer in irgendeine Ecke der Hütte. Der Lärm, den er damit verursachte, schien ihn nicht zu - 107 -
stören. „Ich befürchtete schon, daß ich zu fest zugeschlagen habe“, sagte Meany fast gutmütig. „Ihr Mitgefühl tut mir richtig gut“, sagte Tom. Er versuchte aufzustehen, aber es ging nicht. Seine Arme waren auf seinen Rücken gebogen und hinter dem Pfeiler mit einem Seil gefesselt. Tom sah, daß sein Colt jetzt im Gürtel von Meany steckte. Der Tote lag immer noch links neben Tom auf dem Boden. Meany sah offenbar keinen Grund, ihn wegzuschaffen. „Hai Cornfield?“ fragte Tom. Meany nickte. „Wer hat ihn erschossen?“ Meany grinste. „Daß Sie mich nicht verdächtigen, beweist mir, daß Sie es bereits wissen, Marshal. Es war Sparkey, der Mann drüben im Haus.“ „Gehören Sie zu ihm?“ „Nein“, antwortete Meany. „Weiß er, daß Sie hier sind?“ „Nein. Er hat Laura und mich nicht gesehen. Wir kamen kurz vor Ihnen. Aber allmählich wird man sich drüben im Haus wundern, wo Sie so lange bleiben.“ „Richtig“, sagte Tom. „Sie werden meine Neugier verstehen, Meany, ich möchte zu gern wissen, wie Sie sich den weiteren Verlauf der Ereignisse vorstellen. „ „Einen genauen Plan habe ich auch noch nicht“, sagte Meany. „Fest steht nur, daß ich Caine umbringen werde. Das Geld werde ich mit Laura teilen.“ „Ein bezauberndes Paar!“ spottete Caine. „Wie habt ihr beide eigentlich zusammengefunden? „ „Eine Interessengemeinschaft, nichts weiter. Ich bin - 108 -
hinter Caine her und auch ein wenig hinter dem Geld, Laura ist hinter dem Geld her und auch ein wenig hinter Ihnen.“ „Wäre nicht ein Mann ein besserer Partner für Sie als das Mädchen?“ „Ich glaube nicht. Die Kerle in Indian Springs sind mir alle zu geldgierig. Aber Laura und ich, wir haben persönliche Motive. Ich hasse Caine, den Mörder meines Bruders. Laura haßt Sie. Ich weiß nicht, was Sie ihr angetan haben, aber da sie nicht nur aus Geldgier handelt, ist sie zuverlässiger als irgendein bezahlter Killer.“ Meany grinste. „Außerdem, bei Nacht ist es sehr angenehm, wenn der Partner, mit dem man reitet, ein Mädchen ist. Noch dazu ein so verteufelt hübsches wie Laura.“ Laura sah mit unbewegtem Gesicht durch die offenstehende Tür hinaus in die hereinbrechende Nacht. „Wie haben Sie hierher gefunden?“ fragte Tom. „Wir haben zwei gesattelte Pferde draußen auf der Prärie gefunden. Die Tiere waren offenbar in panischer Angst vor irgend etwas davongerannt. Eines der Pferde gehörte Sheriff Townsend. Ich weiß, daß er es Ihnen geliehen hat. Das andere war Ihr eigenes Pferd.“ „Sie haben mich in Indian Springs gesehen?“ „Ich nicht. Ich kam erst an, als Sie weg waren. Laura hat es mir erzählt. Als wir die beiden Pferde gefunden hatten, überlegte ich, daß Sie sich neue Pferde besorgen würden, wenn Sie noch am Leben waren. Pferde gibt es aber nur hier, auf Cornfields Ranch.“ „Und wie geht es weiter?“ fragte Tom. Meany hob die Schultern. „Ich weiß es auch nicht. Ich habe nur irgendwie das Gefühl, daß Sie mir helfen können. Sonst hätte ich Sie schon längst umgelegt. Aber - 109 -
ich glaube, daß Sie lebend für mich nützlicher sind als tot.“ „Was Sie auch vorhaben, auf meine Mitwirkung dürfen Sie nicht zählen.“ „Auch dann nicht, wenn ich Sie mit einem Drittel an dem Geld beteilige?“ fragte Meany. „Würden Sie mir glauben, wenn ich ja sage?“ fragte Tom zurück. „Nein. Ich glaube nicht, daß Sie bestechlich sind. Wenn Sie auf mein Angebot eingegangen wären, hätte ich gewußt, daß Sie mich aufs Kreuz legen wollen. Aber ich werde Ihnen keine Chance dazu geben. Sie bleiben gefesselt.“ Meany sah zu der Tür hinüber. Von der Tür aus konnte man nicht hinüber zum Wohnhaus sehen. Aber solange die Tür offen stand, konnte man hören, wenn sich jemand der Scheune näherte. „Alles ruhig drüben?“ fragte Meany. „Ja“, sagte Laura. „Sie haben noch kein Licht angemacht. Sie scheinen zu warten.“ „Ein vorsichtiger Mann, Ihr Freund Philby“, sagte Meany. „Er hat den Braten längst gerochen. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder er macht sich auf die Suche nach Ihnen. Dann knalle ich ihn ab. Oder er versucht zu türmen. Dann wird er sich kaum die Mühe machen, Caine und Sparkey mitzunehmen. Dann nehme ich mir Caine vor!“ „Und das Geld?“ fragte Tom. „Darüber denke ich gerade nach“, sagte Meany. „Ich hoffe, daß mir etwas einfällt, während ich mit Ihnen plaudere. Ein Gespräch mit einem intelligenten Menschen ist das beste Mittel, um sich über schwierige Dinge Klarheit zu verschaffen.“ - 110 -
Er sah Tom nachdenklich an. Dann grinste er. „Eines ist mir schon klargeworden. Wenn Philby türmt, muß er hinüber zu den Pferden. Er weiß genau, daß er zu Fuß nicht weit kommt. Also müssen wir drüben bei den Pferden auf ihn warten.“ „Er wird nicht abhauen“, sagte Tom. „Wenn er ein bißchen klüger wäre, würde er es vielleicht tun. Zumal ihm an mir sowieso nicht viel liegt. Aber Philby ist ein Mann, der weit mehr Mut als Intelligenz besitzt. Außerdem ist er stur.“ „Was wird er also tun?“ fragte Meany. „Genau das gleiche, was Sie mit ihm vorhaben: Sie erschießen!“ „Sie vergessen, daß ich eine Geisel habe: Sie!“ „Ich glaube nicht, daß Philby viel Rücksicht auf mich nehmen wird.“ Meany sah Tom nachdenklich an. Es war inzwischen so dunkel geworden, daß Tom nur noch die Umrisse des Mannes auf der Kiste sehen konnte. „Das täte mir leid für Sie“, sagte Meany. „Wenn Philby auf Sie keine Rücksicht nimmt, sind Sie für mich völlig wertlos. Dann könnte ich Sie genauso gut gleich umbringen. Aber ich glaube Ihnen nicht.“ Minutenlang herrschte Schweigen. Laura stand an der Tür und sah hinaus. Meany saß reglos auf seiner Kiste und wartete. Obwohl er kaum zwei Schritte von Tom entfernt saß, konnte Tom ihn kaum noch sehen. Dann stand Meany auf und ging zur Tür. Er sah hinaus in die Nacht. „Es ist immer noch dunkel drüben im Haus“, sagte Meany. „Philby verspürt keine Lust, sich in ein hell erleuchtetes Zimmer zu setzen und sich von draußen abknallen zu lassen. Ich weiß jetzt, was er tun wird.“ - 111 -
„Darf ich's auch erfahren?“ fragte Tom. „Warum nicht? Philby wird versuchen, mit dem Geld abzuhauen. Für den Gefangenen ist er nicht zuständig. Caine ist Ihr Gefangener, nicht seiner. Philby wird ihn also zurücklassen.“ „Und Sparkey?“ „Den haben Sie und Philby doch bereits durchschaut, oder? Also ist auch Sparkey ein Gefangener. Philby wird also die beiden Kerle fesseln, dann sein Geld nehmen und versuchen, zu den Pferden zu kommen. Es ist jetzt dunkel genug. Bisher war es zu hell für einen Fluchtversuch. Also, gehen wir!“ Die massige Gestalt in der Tür kam auf Tom zu. Tom sah, wie Meany den Colt zog. Meany stand jetzt hinter ihm. Er bückte sich nieder. Tom spürte die Mündung von Meanys Colt in seinem Rücken, ziemlich weit an der Seite, fast an der Hüfte. „Ich werde Sie jetzt losschneiden, Marshal!“ sagte Meany leise, drohend. Seine Stimme klang heiser. Er schien nervös zu sein. „Wenn Sie auch nur die geringste verdächtige Bewegung machen, drücke ich ab, klar?“ „Klar“, sagte Tom. Er wußte, daß Meany seine Drohung wahr machen würde. Meany schnitt das Seil zwischen Toms auf den Rücken gefesselten Händen durch. Der Lauf seines Colts drückte immer noch gegen Toms Rippen. „Aufstehen!“ befahl Meany heiser. „Schön langsam! Denken Sie immer daran: Eine Kugel ist schneller!“ Tom stand auf. Seine Hände lagen immer noch hinter seinem Rücken. „Treten Sie jetzt einen Schritt vor, vom Pfosten weg! Dann werde ich Ihre Hände wieder fesseln.“ Tom trat einen Schritt vor. Immer noch spürte er den - 112 -
Lauf des Colts an seiner rechten Hüfte. Aber seine Hände waren jetzt frei! Tom wirbelte links herum. Gleichzeitig hob er seinen rechten Arm, der immer noch auf seinem Rücken lag, seitwärts hoch und schlug Meanys Revolverhand beiseite. Meany schoß. Der Knall des Schusses schien die kleine Hütte zerreißen zu wollen. Die Kugel schlug irgendwo hinter Tom in die Holzwand. Tom stand jetzt Meany gegenüber. Er konnte seinen Gegner kaum sehen. Außerdem spürte er immer noch die Wunde an seinem Kopf. Er war benommen. Seine Bewegungen schienen ihm unendlich langsam zu sein. Er fühlte sich müde und schwach, sein Schädel dröhnte wie eine Indianertrommel, und seine Arme und Beine gehorchten nur schwer seinen Befehlen. Trotzdem schlug Tom zu. Er ahnte seinen Gegner mehr, als er ihn sehen konnte. Seine rechte Faust traf Meanys Gesicht. Aber Meany hatte dem Schlag den größten Teil seiner Wirkung genommen, indem er rückwärts gegangen war. Jetzt war er außerhalb der Reichweite von Toms Armen. Tom ließ sich zur Seite fallen. Im gleichen Augenblick schoß Meany zum zweitenmal. Tom spürte die Kugel, die seihen linken Oberarm streifte, wie einen Peitschenschlag. Tom lag auf dem toten Cornfield. Wenn er hier liegen blieb, würde er bald genauso tot sein. Er erinnerte sich, einen mehrere Lagen hohen Stapel von prall gefüllten Futtersäcken gesehen zu haben, solange es noch halbwegs hell war. Diese Säcke waren - 113 -
die einzige Deckung gegen Meanys Schüsse hier in der Hütte. Tom richtete sich halb auf. Dann sprang er mit einem gewaltigen Satz in den stockdunklen Hintergrund der Hütte. Er hatte die Entfernung richtig eingeschätzt. Er landete hinter den Säcken. Er fiel hart auf eine Schaufel. Es tat verflucht weh, als das Blatt der Schaufel gegen seine Brust schlug. Er unterdrückte den Schmerzensschrei, aber Meany hatte das Scheppern der Schaufel gehört. Meany schoß sofort wieder. Er feuerte Schuß um Schuß in die Dunkelheit, dorthin, wo er das Geräusch gehört hatte. Tom preßte sich flach auf den Boden. Die Kugeln pfiffen teils über ihn hinweg und schlugen in die Holzwand der Hütte, teils wurden sie von den in drei oder vier Reihen hintereinander aufgestapelten prall gefüllten Säcken verschluckt. Meany schoß, bis der Hammer seines Colts auf eine leere Patronenhülse schlug. Sofort schob er den Colt in das Holster und riß Toms Colt aus seinem Gürtel. Er starrte so angestrengt in die Dunkelheit, daß seine Augen schmerzten. Aber er konnte nichts sehen. Kein Geräusch verriet ihm, wo Tom sich befand und ob er noch lebte. Meany konnte es sich nicht leisten, Tom am Leben zu lassen. Andererseits durfte er hier keine Zeit verlieren. Es war ihm klar, daß Philby die Schüsse natürlich gehört hatte und die Gelegenheit zur Flucht nutzen würde. Er feuerte noch einen Schuß irgendwohin in die Hütte. „Weg hier!“ sagte er dann. „Zu den Pferden!“ Er packte Laura am Arm und riß sie mit sich. - 114 -
Tom hörte ihre Schritte. Er nahm die Schaufel, auf der er lag, und hob sie auf. Sie war seine einzige Waffe. Die ganze Hütte war gefüllt mit beißendem Pulverdampf. Tom stieg über die Säcke hinweg und ging zur Tür. Eben kam der Mond hinter einer Wolke hervor. Tom sah weit hinten die Pferdekoppel, und er sah den Mann und die Frau darauf zulaufen. Der Mann drehte sich im Laufen um und schoß zurück, fast ohne zu zielen. Aber Tom stand nicht mehr in der offenen Tür. Mit zwei langen Sätzen verschwand er um die Ecke der Hütte und warf sich zu Boden. Er konnte jetzt das Wohnhaus sehen. Hinter dem Fenster brannte immer noch kein Licht. Dann wurde die Tür geöffnet. Tom hörte zuerst das Knirschen der rostigen Angeln, dann erst sah er die Bewegung. Ein Mann erschien in der Tür. Er war nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen, dann hatte er sich schon zu Boden geworfen. Auch Meany hatte das Geräusch vom Haus her gehört. Er ließ Laura los, blieb stehen und hob den Colt und schoß. Der Mann drüben beim Haus sprang auf. Er lief im Zickzack auf Meany zu. Er hob den Colt und schoß im vollen Lauf. Tom sah, wie Meany zusammenzuckte. Er wurde halb um seine Achse gedreht, aber er fiel nicht. Immer noch zielte sein Colt auf den Mann, der auf ihn zurannte. Er drückte ab. Fast gleichzeitig warf der Mann sich zu Boden. Tom sah, daß er getroffen war. Er schoß nicht zurück. - 115 -
Er versuchte, aufzustehen. Es schien Tom, als wolle er davonlaufen, zum Haus zurück. Der Mann war nicht ganz auf den Beinen, als Meany wieder schoß. Der Mann richtete sich hoch auf. Dann drehte er sich um sich selbst und fiel seitwärts ins Gras. Er rührte sich nicht mehr. Meany ging langsam und vorsichtig auf ihn zu, den Colt schußbereit in der Faust. Auch Laura war stehengeblieben und sah zu der reglosen Gestalt herüber. Zwei Schritte davor blieb Meany stehen. Er sah zu dem Mann nieder. Der Lauf seines Colts zielte immer noch auf den Mann am Boden. Dann hörte Meany zehn oder fünfzehn Schritte vor sich ein leises höhnisches Lachen. Das Lachen kam von der Tür des Hauses her. Ein Mann stand dort, mit einem Colt in der Hand. Meany sah auf. Mit ungläubigem Erstaunen starrte er den Mann mit dem Colt an. Fahler Mondschein erhellte jetzt die ganze Szene und tauchte alles in gespenstisches Licht. Der Mann an der Tür war jetzt deutlich zu sehen. Es war ein mittelgroßer schlanker Mann mit dunklem Haar. Peter Philby! Meany stieß einen leisen Fluch aus. Dann hob er den Colt. Er war nicht schnell genug für einen Mann wie Philby. Noch bevor Meanys Colt auf seinen Gegner zielte, wurde er selbst bereits von der ersten Kugel getroffen. Meany knickte in den Knien ein. Immer noch versuchte er krampfhaft, seinen Arm mit dem Colt zu heben. Das war das einzige, was er noch vorhatte in seinem - 116 -
Leben. Er dachte längst nicht mehr an Caine und erst recht nicht mehr an Marshal Tom Kelly. Er wußte, daß er sterben mußte, und er wollte den Mann, dessen Kugeln ihm den Tod brachten, mitnehmen auf die lange Reise. Die Waffe in seiner Hand wurde immer schwerer. Mit letzter Kraft versuchte er, den Colt zu heben und auf seinen Gegner anzulegen. Er spürte den Schweiß, der ihm auf die Stirn trat. Ein dunkler Nebel trat vor seine Augen. Er konnte seinen Gegner durch diesen Nebel hindurch kaum noch sehen. Aber er gab nicht auf. Es gelang ihm, noch einmal abzudrücken. Er hörte den Schuß nur noch wie aus weiter Ferne. Dann machte Philbys zweite Kugel seinem Leben ein Ende. Meany kippte nach vorn. Er schlug mit der Stirn auf dem Boden auf, aber er spürte den Aufschlag nicht mehr. Sein Kopf rollte zur Seite. Seine Finger lösten sich langsam vom Griff seines Colts. Dann rührte er sich nicht mehr. Philby kam langsam näher. Er sah mißtrauisch auf das Mädchen, aber Laura hatte keine Waffe in der Hand. Meany und Caine lagen dicht nebeneinander. So nahe, daß sie sich hätten berühren können, wenn sie in der Lage gewesen wären, die Arme auszustrecken. Sie waren beide tot. Philby begann, seinen Colt nachzuladen. Dann hörte er Schritte und sah auf. Es war Tom. Er warf die Schaufel weg und ging auf Philby zu. Einige Schritte von Philby entfernt blieb er stehen. Zwischen ihnen lagen nur die beiden Toten. „Meany hat Sie unterschätzt“, sagte Tom. „Und ich - 117 -
muß gestehen, ich auch.“ Philby lachte. Er hatte jetzt den Colt nachgeladen, aber er schob die Waffe nicht ein. Sein Arm mit dem Colt hing nach unten. „Ich habe Caine eine kleine Chance gegeben, sein und mein Leben zu retten“, sagte Philby. „Ich muß sagen, er hat seine Sache recht gut gemacht. Wenn man bedenkt, daß er nur eine Kugel in seinem Colt hatte ...“ „Sie haben ihn in den sicheren Tod geschickt“, sagte Tom. „Er hatte seine Chance“, beharrte Philby. „Der Kerl hat doch immer so angegeben, was er für ein sagenhafter Schütze ist. Also habe ich ihm Sparkeys Colt gegeben mit einer Kugel in der Trommel und habe ihn hinaus gejagt. Beinahe wäre es ihm gelungen, mit dieser Kugel Meany umzulegen. Getroffen hat er ihn, aber nicht gut genug.“ „Und wenn er Meany erschossen hätte?“ „Dann hätte ich ihm zwei oder drei Sekunden Zeit gelassen, sich Meanys Colt zu holen. Wie gesagt, er hatte seine Chance.“ „Was ist mit Sparkey?“ „Der sitzt drinnen im Haus, an Cornfields schmutziges Bett gefesselt. Ich überlege mir gerade, ob ich ihn auch erschießen soll.“ Tom sah ihn überrascht an. Philby hatte noch immer seinen Colt in der Faust. Er lachte. „Ja, Marshal, ich habe mich endlich entschieden. Ich habe lange mit mir gekämpft. Glauben Sie mir, die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Ich bin kein Verbrecher. Ich hasse das Verbrechen. Aber hunderttausend Dollar sind mehr, als ich in meinem ganzen - 118 -
Leben verdienen werde. Ich will das Geld haben! Ich lasse es mir nicht mehr wegnehmen!“ Er sah auf die beiden Toten zu seinen Füßen nieder. „Es sind schon so viele Menschen wegen dieses Geldes gestorben. Der alte Walt Behan, Ike Meany, Johnson, Hai Cornfield, jetzt auch Bert Meany und Caine. Glauben Sie wirklich, daß es jetzt noch auf einen Toten mehr ankommt?“ „Das ist eine Frage, die sich jeder selbst beantworten muß“, sagte Tom. „Ich kann Ihnen die Entscheidung nicht abnehmen, ob Sie zum Mörder werden sollen oder nicht.“ „Die Entscheidung ist gefallen“, sagte Philby. „Ich habe schon viele Menschen erschossen. Immer im Dienst. Immer für die Interessen anderer. Diesmal schieße ich in meinem eigenen Interesse. Was ist daran verwerflich?“ Tom antwortete nicht. „Ich bin kein Mörder“, sagte Philby. „Ich erschieße keinen wehrlosen Mann. Caine hatte seine Chance, Sie haben Ihre Chance, Marshal! Versuchen Sie, Ihre Chance besser zu nützen!“ Tom wußte, was Philby meinte. Zu Toms Füßen, neben der reglosen Gestalt Bert Meanys, lag Toms Colt, den Meany ihm abgenommen hatte. In der Trommel dieses Colts waren noch zwei Kugeln. „Ihre Chancen sind doppelt so groß wie die von Caine“, sagte Philby. Er stand immer noch ruhig da, den Colt in der herabhängenden Hand. Tom sah ihn an. Die Entfernung zwischen ihnen war zu groß, um sie mit einem Sprung zu überwinden. - 119 -
Tom hatte nur eine Chance: sich zu bücken und den Colt vom Boden aufzuheben. Eine winzige Chance. Tom sah kurz zu Laura hinüber. Laura stand links von ihm, etwa zehn Schritte von Tom und Philby entfernt. Sie sah reglos herüber. Es war ihr nicht anzusehen, was sie dachte. Langsam hob Philby den Colt. Die Waffe zielte jetzt auf Tom. Tom rührte sich nicht. „Ich nehme Ihnen die Entscheidung nicht ab, Philby!“ sagte er leise. „Ich greife nicht zu dem Colt auf dem Boden. Wenn Sie mich umbringen, wird es ein glatter Mord sein. Sie werden nicht die Ausrede haben, daß Sie mir eine Chance gegeben hatten, so klein die Chance auch gewesen sein mag. Sie werden immer daran denken müssen, daß Sie mich ermordet haben. So wie damals Ihr Vater ermordet wurde.“ Philby sah Tom schweigend an. Immer noch zielte sein Colt auf Tom. Dann sah Tom, daß er sich entschieden hatte. „Sie werden Ihre Chance haben“, sagte Philby hart. „Wenn Sie diese Chance nicht nutzen, sind Sie selbst daran schuld.“ Er ließ den Lauf seines Colts sinken. Dann stieß er die Waffe in das Holster. Tom wußte, daß er nicht die Spur einer Chance hatte. Selbst unter völlig gleichen Voraussetzungen wäre er einem Mann wie Philby wahrscheinlich nicht gewachsen gewesen. Aber immerhin, es wäre ein Kampf gewesen. Aber das hier war kein Kampf, auch wenn Philby versuchte, es sich einzureden. Toms Colt lag auf dem Boden. Tom wußte, daß es ihm nicht einmal gelingen würde, die Waffe auch nur zu berühren. - 120 -
Aber er wußte auch, daß er es versuchen würde. Philby hatte beschlossen, ihn zu töten, und Tom war nicht der Mann, sich ohne Gegenwehr abknallen zu lassen. Philbys Hand zuckte zu dem Colt an seiner Hüfte. Es war eine tausendmal geübte Bewegung, so schnell, daß das Auge kaum folgen konnte. Tom hatte noch nie einen so schnellen Revolvermann gesehen. Instinktiv warf Tom sich zur Seite. In Philbys Faust blitzte es auf. Die Kugel ging ins Leere. Tom streckte seinen Arm nach dem Colt aus, der neben Meany lag. Seine Hand berührte den Griff der Waffe. Zwei Schüsse fielen fast gleichzeitig. Philbys Kugel schlug dicht neben Toms Kopf in den Boden. Steinsplitter zerschrammten seine Wange. Tom hob seinen Colt. Über den Lauf der Waffe hinweg sah er, wie Philby schwankte. Auf Philbys Gesicht lag grenzenloses Staunen. Langsam drehte er sich zu Laura um. Laura stand immer noch an der gleichen Stelle, zehn Schritte entfernt. Aber jetzt hielt sie einen Colt in der Hand. Philby ließ seine Waffe sinken. Er ging in die Knie. Er mußte sich mit den Händen auf dem Boden abstützen, um nicht hinzufallen. Er sah Laura an, als sehe er ein Gespenst. Er hatte das Mädchen offenbar ganz vergessen gehabt. „Ich dachte, Sie hassen ihn?“ sagte er schließlich. „Ich habe selbst gehört, wie Sie in Indian Springs sagten, Sie würden diesen verdammten Marshal umbringen.“ Ein Schuß peitschte auf. Philby brach zusammen. - 121 -
Aber es war nicht Laura, die geschossen hatte, und auch nicht Tom. Der Schütze stand irgendwo hinter Tom. Tom wälzte sich im Liegen herum und hob den Colt. Es waren zwei Männer, die aus der Richtung der Scheune auf ihn zukamen, mit den Colts in der Hand. Tom schoß. Einer der Männer brach lautlos zusammen. Der zweite versuchte, sich mit einem Sprung hinter der Ecke der Scheune in Deckung zu bringen. Tom feuerte hinter ihm her, war aber nicht sicher, ob er getroffen hatte. „Geben Sie mir Ihre Waffe, Laura!“ sagte Tom. Sein eigener Colt war jetzt leer. Laura warf ihm ihren Colt zu. Tom fing ihn auf. „Gehen Sie in Deckung!“ sagte er. „Hinüber zum Haus!“ Dann sprang er auf und rannte auf die Scheune zu. Revolverfeuer schlug ihm entgegen. Tom warf sich der Länge nach auf den Boden und schoß. Der Mann zog sich wieder hinter die Ecke der Scheune zurück. Sofort sprang Tom auf und rannte weiter. Er mußte versuchen, die Scheune zu umgehen, um den Mann von hinten anzugreifen. Der Mann hatte offenbar die gleiche Idee. Er blieb nicht hinter seiner Ecke, sondern sprang auf und rannte hinten um die Scheune herum. Dann standen sich die beiden Männer gegenüber. Tom schoß einen Sekundenbruchteil eher. Der Mann wurde von Toms Kugel zurückgestoßen. Er drückte ab, aber seine Kugel ging ins Leere. Zu einem zweiten Schuß kam er nicht mehr. Er ließ - 122 -
seinen Colt fallen. Seine Hände suchten nach Halt. Er lehnte sich an die Wand der Hütte. Langsam rutschte er an der Wand zu Boden. Tom war sicher, den Mann schon einmal gesehen zu haben. Im Saloon von Ed Davis. Während er seinen Colt nachlud, horchte er in die Nacht hinaus. Kein Geräusch war zu hören. Langsam ging Tom um die Hütte herum und auf das Haus zu. Auch der andere Mann war tot. Auch er war einer von Ed Davis' Stammkunden. „Lassen Sie die Waffe fallen, Marshal!“ sagte eine höhnische Männerstimme. „Sie wollen doch nicht, daß Ihrem Täubchen etwas passiert?“ Tom erkannte die Stimme sofort. Es war Sparkey. Irgendwie mußte es ihm gelungen sein, sich von seinen Fesseln zu befreien. Sparkey stand vor dem Haus. Er benutzte Laura als Deckung. Er stand hinter ihr. Die Mündung seines Colts drückte gegen Lauras Schläfe. „Die Kleine hat Ihnen das Leben gerettet, Marshal“, sagte Sparkey. „Jetzt können Sie ihr Leben retten, wenn Sie das Schießeisen fallen lassen. Wenn nicht, stirbt sie!“ Tom hatte keine Wahl. Er ließ die Waffe fallen. „Sehr vernünftig von Ihnen, Marshal“, spottete Sparkey. „Und jetzt kommen Sie näher!“ Tom gehorchte. Als er zehn Schritte von Sparkey entfernt war, befahl dieser: „Halt!“ Tom blieb stehen. Sparkey lachte zufrieden. „Okay, Mädchen, jetzt brauche ich dich nicht mehr“, sagte er. Er stieß Laura zur Seite, um freie Schußbahn zu bekommen. Im gleichen Augenblick fiel ein Schuß. Sparkeys - 123 -
Lachen wurde zu einem Röcheln. Er machte zwei ungelenke, schwerfällige Schritte nach vorn. Dann brach er zusammen. Philby lag, auf den linken Ellbogen gestützt, auf dem Boden. In seiner rechten Hand hielt er seinen Colt. „Dieser Narr!“ sagte er leise, kaum hörbar. „Macht den gleichen Fehler wie ich. Wollte Sie umbringen, ohne sich um mich zu kümmern. Er hielt mich für tot.“ Philby ließ den Arm mit dem Colt sinken. Dann fiel er auf den Rücken. Tom ging zu ihm und beugte sich zu ihm nieder. „Ist Sparkey tot?“ fragte Philby. „Ja“, sagte Tom. „Ich werde auch bald sterben“, sagte Philby. Das Sprechen kostete ihn große Mühe. Sein Gesicht war bereits vom Tod gezeichnet. „Wahrscheinlich ist es am besten so. Ich wäre gern reich gewesen, aber ich glaube, ich hätte einen zu hohen Preis für den Reichtum gezahlt. Ich hätte alles verraten, wofür ich immer gelebt und gekämpft habe. Ich dachte, hunderttausend Dollar würden genügen, um mein Gewissen zu beruhigen, aber ich weiß jetzt, daß das nicht wahr ist.“ „Sie sind eben kein Verbrecher“, sagte Tom. Philby versuchte zu lächeln. „Ich wäre mit dem Geld nicht froh geworden. Als Verbrecher hätte ich nicht leben können. Deshalb bin ich froh, daß ich doch noch als halbwegs anständiger Mensch sterbe. Bringen Sie das Geld nach Carlton und geben Sie es dort seinen Besitzern, Marshal! Es wird nicht ganz einfach sein, hinzukommen, aber ich bin sicher, daß Sie es schaffen.“ Er machte eine Pause. Das Sprechen fiel ihm immer schwerer. - 124 -
„Es gibt eine ganze Menge Halunken, die durch die Hügel schleichen und versuchen, Ihnen den Weg nach Carlton zu verlegen. Aber wenn es einer schaffen kann, dann sind Sie es. Alle Strauchdiebe von Indian Springs zusammen sind nicht imstande, eine halbe Rothaut wie Sie in finsterer Nacht zu finden. Darauf gehe ich jede Wette ein.“ Wieder machte er eine Pause, bevor er weitersprach. „Schade, daß ich nicht mehr dabeisein kann. Ich hätte zu gern gesehen, wie Sie es machen, die Kerle abzuschütteln. Ich habe mich immer für einen tollen Burschen gehalten. Für den besten. Aber von Ihnen könnte ich noch eine ganze Menge lernen. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Marshal!“ „Danke, Peter“, sagte Tom. „Ich möchte Sie nur noch um einen Gefallen bitten, Marshal. Sagen Sie keinem Menschen, daß ich ...“ „Sie haben mir zweimal das Leben gerettet“, sagte Tom. „Das erstemal im Zug und das zweitemal jetzt. Daran werde ich mich immer erinnern, wenn ich an Sie denke. Und das werde ich allen Leuten erzählen, die mich nach Peter Philby fragen.“ Ein zufriedenes Lächeln lag auf dem Gesicht des Sterbenden. „Nehmen Sie Laura mit nach Carlton, Marshal!“ sagte er. „Vielleicht haben Sie es noch nicht ganz begriffen, und vielleicht weiß sie es selbst nicht, aber sie ist ein wunderbares Mädchen. Viel zu schade für ein lausiges Nest wie Indian Springs.“ Er sah Tom an, aber Tom hatte das Gefühl, daß der Sterbende ihn nicht mehr erkennen konnte. Philbys Gedanken schweiften ab. „Irgend jemand ganz hoch droben muß Bert Meany - 125 -
den Tip mit den hunderttausend Dollar verraten haben und auch den Plan für den Überfall ausgearbeitet haben“, sagte er. Es schien Tom, als spreche er nur noch mit sich selbst. „Es muß irgendein hohes Tier von der Eisenbahngesellschaft gewesen sein. Ich habe oft darüber nachgedacht. Erst dadurch bin ich auf die Idee gekommen, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen und das Geld für mich selbst zu behalten. Wenn ich nur wüßte, wer der Kerl ist, für dessen Pläne so viele Menschen gestorben...“ Seine Worte waren immer leiser geworden, dann hörte er einfach auf zu sprechen, als sei er eingeschlafen. Er war tot. „Ich werde den Kerl finden“, sagte Tom, „Das verspreche ich dir.“ Er stand auf. Laura sah schweigend auf den Mann nieder, den sie erschossen hatte, um Toms Leben zu retten. Sie fröstelte. Tom legte den Arm um sie. ENDE
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