„Klapperstorch, du Guter, Bring mir einen Bruder. Adebar, du Bester, Schenk' mir eine Schwester!" elle Stimmen singen d...
84 downloads
493 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
„Klapperstorch, du Guter, Bring mir einen Bruder. Adebar, du Bester, Schenk' mir eine Schwester!" elle Stimmen singen durch den klaren, kühlen Märzmorgen, und all die blonden und braunen Köpfe blicken hinauf zum Roten Turm: Der Storch ist wieder da! Jedes Jahr um diese Zeit gibt es das gleiche fröhliche Grüßen der Kinder und das besinnliche Lächeln der Alten, wenn nach langem Winter der Frühlingsbote wiedergekehrt ist mit seinem schwarz-weißen Federkleid, den langen roten Beinen und dem roten Schnabel; wenn sein lustiges Klappern wieder von der Spitze des festgefügten, ehrwürdigen Stadttors herabklingt, das man in der kleinen Stadt den Roten Turm nennt. Das mächtige Nest dort oben wird Jahr für Jahr von Störchen besetzt, heute wie vor Jahrhunderten. Schon anno 1493, als Maximilian, der „letzte Ritter", Deutscher Kaiser ward, berichtet die alte Chronik „von denen Storeken auff dem Rothen Thore". Auf dem schönen Stich von Meister Matthäus Merlans Hand, der die liebe alte Stadt mit all ihrer Mauerwehr, ihren Toren und Türmen, Kirchen und hochgiebeligen Patrizierhäusern zeigt, ist winzig klein, aber deutlich erkennbar, auch das Nest zu sehen, genau an der gleichen Stelle, die heute noch den Störchen Wohnstatt und Kinderstube ist. Und wie es noch jedes Jahr war, so auch heuer: Ein Trupp Störche war von Süden her über die weite Heide gekommen; mit ruhigen,- mächtig fördernden Flügelschlägen hatten sie sich der Stadt genähert. Hoch am Himmel konnte man sie über den Dächern und Türmen kreisen sehen, als wollten sie beobachten, was dort unten das Menschenvolk in den engen Gassen treibe. Plötzlich war einer der Störche aus der Schar < der immer noch kreisenden ausgebrochen, war wie ein Segelflugzeug in weitausholenden Bögen immer tiefer gekommen, hatte den Roten Turm und das von den Winterstürmen arg mitgenommene Nest lange umschwebt, bis er schließlich auf dem Rand des Horstes gelandet war. Dort stand er nun, beäugte die Umgebung und benahm sich ganz so, als seien ihm dieser Turmplatz und das Städtchen keineswegs unbekannt. Die Reisegefährten droben am Himmel waren inzwischen weitergezogen und hinter dem Horizont verschwunden. •)
Unser Storch thronte noch immer auf seinem Hochnest und lauschte mit geneigtem Kopf dem Kindersang, der aus den Gassen heraufdrang: „Klapperstorch, du Guter Vier Tage, von denen er die meiste Zelt auf seinem Horst wartend verharrte, blieb unser Storch allein. Manchmal nur flog er weit hinaus zu den Wiesen um den großen See. Wer ihm dann zusah, wie er über die Felder segelte und nach kurzen Aufenthalt an den Sumpflachen seinem Turm wieder zustrebte, der konnte beobachten, wie Adebar einen kräftigen Kiefernholzknüttel oder eine Handvoll Strohhalme zum Nest trug. Am Morgen des fünften Tages aber ließ lautes Geklapper von der hohen Storchenwarte herab die Menschen erneut aufmerken: Ein zweiter Storch hatte sich dem ersten hinzugesellt, und alle freudige Erregung über die Ankunft des Partners wurde in das weithin schallende Klapperlied gelegt. Hochaufgerichtet auf ihrer Burg standen sich die beiden Störche Brust gegen Brust gegenüber, im schnellen Rhythmus schlugen die Schnabelhälften aufeinander, weit nach hinten wurde der Hals gebogen, bis der Scheitel dej Kopfes die Federn des Rückens berührte und der Schnabel zuerst gen Himmel und schließlich schwanzwärts zeigte. Nun war also das Storchenpaar beieinander. Ein eifriges Ausbessern und Bauen am Nest begann, um das Heim für die Jungen, die eines Tages dort oben aus den Eiern schlüpfen würden, behaglich zu bereiten.
* Zwei Gedanken bewegen den Menschen, wenn er im Frühling die ersten Störche sieht. Der erste ist die Freude darüber, daß der Winter nun vorüber ist. Lerche und Kiebitz sind zwar noch früher da als Adebar, aber oft genug haben sie ihre Voreiligkeit in bösen Tagen oder Wochen voller Kälte und Schnee büßen müssen. Wenn aber der Weiße Storch kommt •— im milden Holland trifft er schon Ende Februar ein, in Ostpreußen erst Anfang April —, dann ist der Winter wirklich vorbei. Mit der Freude über das Wiedererwachen der Natur verbindet der Mensch, wenn er den eifrigen Nestbauern zuschaut oder den hoch am Himmel hinstrebenden Storchenflügen nachblickt, die Frage: Woher kommen die Störche im Frühling? Wohin fliegen sie, wenn sich im Herbst ihre Scharen sammeln und sie eines Morgens fern am Horizont 3
verschwinden? Wohin ziehen die gefiederten W a n d e r e r bei dem ^ großen Aufbruch nach der Sonnenwende? Denn fast alle Vögel ^ in Garten und Feld, in W a l d -und Heide, Sumpf und Rohr, ] verstummen nach und nach, w e n n um J o h a n n i der Jahreslauf seinen H ö h e p u n k t erreicht hat, und sie verlassen uns, einige schon im heißen Hochsommer, die meisten im Laufe des Herbstes. Von den Singvögeln bleiben uns im W i n t e r n u r die Meisen und der auch bei klirrendem Frost unverzagt sangesfreudige Zaunkönig treu. Mit den gefiederten Sängern, den Schwalben und Grasmücken, Lerchen und Bachstelzen, Spöttern und Rohrsängern ziehen auch all die a n d e r e n Gefiederten, d e r e n bunte Kleider und klingende Stimmen die Sommerszeit beleben, d i e Taucher v o n den Seen u n d die Reiher v o n den h o h e n Bäumen am Flußufer, die Kiebitze v o n den Wiesen und die Brachvögel a u s dem Bruch. W o h i n ziehen sie? W a r u m ziehen sie? W e r sagt ihnen, w a n n sie aufbrechen müssen? W e r zeigt ihnen den W e g ? W e r gibt ihnen Bescheid, w a n n es schließlich an der Zeit ist, wieder zu u n s zurückzukehren? Viele Fragen für den, der den Störchen dort oben auf dem Turme zuschaut, der sich am Flug der Schwalben erfreut und am Lied der Lerchen, der nachdenklich den V o g e l h e e r e n nachsieht, die .allherbstlich über die Stoppelfelder schwärmen, den stolzen Geschwadern der mit Fanfarengeschmetter d a h i n w a n d e r n d e n Kraniche und den wirbelnden, wolkengleichen Flügen der Stare. Das Volk hat schon in u r a l t e r Zeit um Ankunft und Abzug u n s e r e r fliegenden F r e u n d e gewußt, k a n n t e die Zeiten d e s Aufbruchs und der W i e d e r k e h r , und der Volksglaube umgab die W a n d e r n d e n und H e i m k e h r e n d e n mit lieblichen M y t h e n und sinnigen Bräuchen. So galten die Schwalben als echte und rechte Glücksbringer. Im Hessenland ließen die Stadtv ä t e r noch bis zur letzten J a h r h u n d e r t w e n d e die Ankömmlinge vom Turmwächter feierlich mit dem H ö r n begrüßen: in Holland trank man zu M a r i a e Geburt, am 8. September, auf Gesundheit, glückliche Reise u n d fröhliche W i e d e r k e h r der Schwalben. Auch daß sie regelmäßig zum liebgewordenen Nestplatz zurückkehren und sogar das letztjährige Nest wieder benützen, ist dem Volke da und dort v o n altersher bekannt gewesen. Schwalben w a r e n es, mit denen einfache Leute v o r J a h r h u n d e r t e n schon echte Vogelforschung trieben, w ä h r e n d die Gelehrten noch glaubten, die Naturgeheimnisse nur aus v e r s t a u b t e n Folianten und allenfalls aus gebleichten Gerippen k e n n e n l e r n e n zu können. Man knüpfte buntfarbige 4
Bändchen um die zierlichen Vogelfüße und war erfreut, konnte man die Heimkehrer an diesen Zeichen wiedererkennen. Die systematische Erforschung des Vogelzugs freilich, der Versuch also, Schritt für Schritt die Geheimnisse um die Winterquartiere unserer Wandervögel zu lüften, um- die Wege dorthin, um die Reisegeschwindigkeit, um die Gründe, die diesen Ferntrieb zweimal im Jahr auslösen und um die Kräfte schließlich, die den Weg weisen — diese Wissenschaft vom Vogelzug ist neuesten Datums, ist eigentlich erst eine Sache unseres Jahrhunderts. Die Vogelzug-Forschung hat eine recht interessante Vorgeschichte. Als im Jahre 79 nach Christi Geburt der Vesuv in einer gewaltigen Eruption Pompeji und Herculaneum unter Lava und Asche begrub, fand ein Augenzeuge dieser Katastrophe den Tod, weil sein unbändiger Wissensdrang ihn allzunahe an den feuerspeienden Berg herangeführt hatte. Es war Gajus Secundus P 1 i n i u s, der Verfasser des 37 Bände umfassenden Naturgeschichtswerkes „Naturalis Historia". Der angesehene Römer widmete den Zugvögeln und vor allem den Störchen in seiner Naturgeschichte ein aufschlußreiches Kapitel. „Woher die Störche kommen", so schreibt er, „ und wohin sie ziehen, weiß man nicht. Ohne Zweifel kommen sie wie die Kraniche aus weiter Ferne. Vor dem Fortziehen versammeln sie sich an bestimmten Orten, und dann reist die ganze Schar an einem gleichsam durch Gesetz festgelegten Tag ab. Niemand hat sie je wegziehen sehen, wenn man auch ihre Vorbereitungen zum Abzug beobachtet hat; ebenso sieht man sie nicht zurückkehren — sie sind vielmehr mit einem Male da. Wegzug und Rückkehr erfolgen nämlich zur Nachtzeit". Daß der kluge Plinius sich hier geirrt hat, könnte ihm jeder Schulbub aus der kleinen Stadt mit dem Roten Turm nachweisen. Der Römer hatte einfach — wie es damals üblich war — seine Ansichten über das Leben der Störche von anderen Schriftstellern übernommen. „Aus weiter Ferne kommen sie" — „In weite Fernen ziehen sie", das war des Plinius letzte Weisheit über Adebar, und so blieb es Jahrhunderte lang. Der große Hohenstaufenkaiser F r i e d r i c h IL, der im 13. Jahrhundert lebte und in Sizilien nicht nur einen Musterstaat aufbaute sondern auch ein heute noch lesbares Buch über die Falknerei schrieb, über 5
„Die Kunst mit Vögeln zu jagen", wußte es schon etwas besser als Plinius. Der Kaiser, der die Vögel liebte und sie sehr genau kannte, hatte den Vogelzug in Sizilien und auf seiner Kreuzfahrt zum Heiligen Grabe recht aufmerksam beobachtet und sich darüber Gedanken gemacht. So wußte er, daß die Zugvögel bei nahendem Winter aus kälteren Landstrichen in warmere übersiedeln und aus ihnen wieder zurückkehren, wenn die Witterung günstiger wird. Das hatte auch das einfache Volk da und dort wohl schon vermutet; aber neben Zutreffendem hatte der Volksglaube doch manchmal abenteuerliche Vorstellungen: Die Schwalben verbringen den Winter, so erzählte man sich, auf dem Grunde der Teiche und Seen, der Kuckuck aber verwandelt sich in der ungünstigen Jahreszeit, in der es keine Raupen zu fressen gibt, vorübergehend in einen Sperber. Noch Alexander von Humboldt und Goethe haben zu Anfang des vorigen Jahrhunderts sich mit derartigem Aberglauben auseinandersetzen müssen. Selbst der große schwedische Naturforscher Garolus Linnaeus, der doch seinen Plinius kannte, glaubte an ähnliche Phantasien; noch anno 1757 schreibt er, der Storch verberge sich den Winter über im Wasser! Mit dem 19. Jahrhundert begann dann die klassische Zeit der Vogelkunde mit Forschern wie Johann Matthäus Bechstein, Johann Andreas Naumann Vater und seinem großen Sohn Johann Friedrich Naumann, Christian Ludwig Brehm und seinem Sohn Alfred, dem Schöpfer des weltberühmt gewordenen „Tierlebens". In der gleichen Zeit, da diese unübertrefflichen Vogelkenner ihre ewig jungen Werke über die heimische Vi gelweit schrieben, kamen auch die aufsehenerregenden Berich'" r?"" kühnen Reisenden, die den dunklen Erdteil Afrika zu erschließen begannen. Sie brachten die Nachricht nach Europa, daß sie dort Störche gesehen hatten, deutsche Störche, und zwar zu jenen Jahreszeiten, in denen es in der Heimat keine gab, während sie dagegen zur Brutzeit in Afrika fehlten. Und neben den Störchen fand man andere Vogelarten, wieder vor allem im Winter, die in der Heimat als Zugvögel bekannt waren. So schien also das Rätsel des Plinius gelöst: Nach Süden ziehen die Vögel! Und auch Eichendorffs Prager Studentenlied hatte recht: „Nach Süden nun sich lenken, die Vögel allzumal..." Schon war auch der Mann da, der meinte, verraten zu können, warum man bisher so wenig über den Vorgang der eigent-
1 1 1 1 1 1 I
liehen Wanderung der Zugvögel auszusagen hatte. Auf der Insel Helgoland, die sich als ein beliebter Ruhepunkt für die über die Nordsee ziehenden Wandervögel erwies, hatte sich nämlich der Kunstmaler G ä t k e — erstarb im Jahre 1897 — niedergelassen, um die Rätsel der Wandernden zu ergründen. Gätkes begeisterungsfähfcje und phantasievolle Künstlernatur gestaltete hinreißende Scnilderungen von diesem Wanderzug. Er glaubte, daß der Südflug der Vögel in Höhen von zehn, zwölf und mehr Kilometern und mit rasender Geschwindigkeit vor sich gehe und sich deshalb bisher der Beobachtung des Menschen entzogen habe. Aber noch konnte man Gätkes Angaben nicht im Versuch nachprüfen. Das gelang erst dem dänischen Lehrer M o r t e n s e n, einem jener „Vogelnarren", die ihr Herz an die Gefiederten und an das Studium ihres seltsamen Reisetriebes gehängt haben.
* In der kleinen Stadt mit dem Roten Turm lebt ebenfalls solch ein Vogelfreund. Seitdem das Storchenpaar dort droben sein Nest in Ordnung bringt, hat er die beiden Adebare ständig im Auge. Allzugern möchte er wissen, ob es dieselben Störche sind, die schon im Vorjahre den Turm bewohnten; denn das Storchenmännchen, das im letzten Sommer hier gebrütet hat, war ein guter alter Bekannter. Fünf Jahre zuvor war es in einem Nest großgezogen worden, das nur wenige Kilometer vom Roten Turm entfernt auf dem Wagenrad eines Scheunendaches saß. Auch für den kundigen Beobachter sieht zwar ein Storch genau so schwarz-weiß aus wie ein anderer, doch unser Vogelfreund hat seine besonderen Erkennungsmethoden: Jetzt klettert er, mit einem Fernglas bewaffnet, auf den staubigen Speicher des alten, dem Roten Turm benachbarten Hauses und sieht vorsichtig aus einer Dachluke auf das Storchennest. Drüben steht der eine der Störche und blickt seinem Ehegatten nach, der mit wuchtigen Flügelschlägen hinaus ins Land fliegt. Silbern blinkt es am roten „Ständer" des zurückgebliebenen Vogels, hart oberhalb des Fußgelenks: Der Storch trägt einen Ring aus Aluminium; er ist gleichsam ein magisches Zeichen, das eine ganze Lebensgeschichte zu erzählen weiß. Ganz nahe holt jetzt die Optik jede Einzelheit des Nestes heran. Der Beobachter erkennt die Äste und Zweige der äußeren Nestumwallung und die weiche Auspolsterung des 7
Innern. Sperlinge schwirren aus dem Polster des Horstes hervor, sie haben sich als Untermieter dort eingenistet; und da ist auch wieder der rote Storchenständer. Hell blitzt der Ring in der Frühlingssonne, und nun —• atemlos fast ist der Beobachter vor Spannung — sieht er über dem Metallring zwei farbige Ringe; gelb ist der eine und blau der andere: Ein freudiges Wiedererkennen! — Es ist der Jungstorch von damals und der Storch des Vorjahres, der „Ringvogel" B 32 521. Diese Zahl ist in den Aluminiumring eingeprägt, den der Vogelfreund vor fünf Jahren dem jungen Tier um das Bein gelegt hatte. Weil ihm das nicht zu genügen schien, hatte er außer dem Zahlenring noch zwei weitere Ringe aus farbigem Zelluloid um den Fuß des Jungvogels gelegt, Blau — Gelb — Silber! Diese Farbzusammenstellung läßt keinen Zweifel mehr: Der Storch dort auf dem Turm ist Adebar, der alte Bekannte. Die Methode, den Zug der Vögel mit Hilfe solcher Ringe zu erforschen, bat der Däne M o r t e n s e n geschaffen. Freilich, Mortensen war nicht der erste, der Vögel auf diese Weise kennzeichnete. Mit Schwadben hatte man es schon früher versucht. Liebevolle Hände legten farbige Bänder um die zierliche Füßchen oder banden gar — in der gefühlvollen Biedermeierzeit —• kleine Schilder an dünnen Kettchen um den Hals der Vögel. In den Zeiten der edlen Falknerei wurden Fischreiher mit Fußringen versehen, um sie wiederzuerkennen, und ebenso hatte es der Klassiker der deutschen Vogelkunde, Naumann, schon mit Bussarden gemacht. Aber niemand vor Mortensen hatte diese „Beringung" systematisch durchgeführt. Zu einer besonderen Berühmtheit ist in jener Frühzeit der Vogelberingung ein Kranich geworden, dem im Jahre 1892 der Großgrundbesitzer Friedrich von Faiz-Fein in Südrußland eine Kapsel mit Aufschrift um den Hals band, ehe er ihn zum Flug in den Süden entließ. Wenige Monate später, im Dezember 1892, wurde dieser Kranich in Dongola im afrikanischen Sudan erlegt. So kam die Botschaft aus Südrußland dem Gouverneur der Sudanprovinz Darfur, Rudolf Slatin Pascha, in die Hände. — Störche waren neben Staren und Enten Mortensens erste Versuchstiere; die von ihm benutzten Ringe trugen bereits fortlaufende Nummern und die Angabe des Herkunftsortes. Zwei Jahre später übernahm der deutsche Vogelforscher 8
* j i '
So sehen üie Alutiunmmringe uns, die übel all in der Welt den Zugvögeln um den Fuß gelegt werden. Die Buchstaben vor der laufenden Nummer entsprechen der Größe: AA-Ringe sind für Schwäne und Steinadler bestimmt, Ringe mit dem Buchstaben A tär Seeadler, Trappe und Uhu, B iür Störche und Reiher, C lür Bussarde, Eulen, große Möwen und Enten, D iür Krähen, Möwen und Enten mittlerer Größe, E iür kleine Möwen und Dohlen, F iür Kiebitze, Kuckucke und Häher, G iür Drosseln, Stare, Seeschwalben und kräitige Finken, H iür alle Kleinvögel unter Starengröße mit Ausnahme von Goldhähnchen, Zaunkönig, Baumläufer, Schwanzmeise, iür die die Größe K bestimmt ist. Die beringten Vögel werden nach Ringgröße und lautender Nummer in Listen eingetragen, in denen der Beringer auch genaue Angaben über die Vogelart und die näheren Umstände der Beringung niederlegt. Diese Listen werden nach jeder Beringungszeit der Vogelwarte eingesandt, die danach jeden bei ihr eingehenden Wiederiund identifizieren kann; selbstverständlich wird auch der Beringer sofort benachrichtigt. Das gleiche System wird auch in den Vogelwarten der übrigen europäischen und außereuropäischen Länder angewandt, wie überhaupt die Vogeltorscher der ganzen Welt in engster Zusammenarbeit freundschaltlich miteinander verbunden sind.
J o h a n n e s T h i e n e m a n n Mortensens Methode. Thienemann hatte beobachtet, daß die Kurische N e h r u n g in Ostpreußen v o n ahnlich dichten Vogelzügen überflogen w u r d e wie die Nordseeinsel Helgoland. Er h a t t e deshalb bei Rossitten eine Vogelwarte zum Studium der V o g e l w a n d e r u n g gegründet. T h i e n e m a n n w a r es auch, d e r die Vogelberingung großzügig ausbaute. Die Helgoländer V o g e l w a r t e übernahm die Methode einige J a h r e später. Manche besorgten Naturfreunde — unter ihnen auch der Dichter H e r m a n n Löns — warnten, weil sie befürchteten, die Beringung k ö n n e zu Vogelverfolgungen führen; in der klassischen Zeit der V o g e l k u n d e hatte schon das Eiersammeln g e r a d e g e n u g Schaden angerichtet. Die Beringung erwies sich aber in der Folge nicht nur als wissenschaftlich außerordentlich fruchtbar, sondern störte auch den ein-
zelnen Vogel in keiner Weise und schädigte ihn nicht. Heute überspannt ein Netz von Beobachtungsstationen die ganze Erde, überall legen die Beringer — meist begeisterte Vogelfreunde, die dieser schönen Aufgabe ihre Freizeit widmen — eingefangenen Zugvögel silberne Ringe an, denen neben Signatur und laufender Nummer der Name der Vogelwarte und die international verständliche Aufforderung „RETOUR" (Zurücksenden!) eingeprägt ist. Im Jahre 1927 war die erste Million Vögel beringt, und von dieser Million waren dreißigtausend wiedergefunden worden, ;die einen in der Nähe, andere viele Hunderte von Kilometern weit vom Beringungsort entfernt.
* Einen solchen Ring hatte man also vor fünf Jahren dem Storch angelegt, der jetzt auf dem Roten Turm seinen Horst bewachte. Mit diesem Ring und der Eintragung in die Liste, die nun in den Archiven der Vogelwarte ruhte, war der Storch zu einer Persönlichkeit geworden. B 32 521! Wo immer dieser Ring auftauchte, er würde mindestens ein Stückchen Zugvogelgeschichte erzählen. Freilich, der Zahlenring mußte erst wieder in die Hand eines Menschen gelangen. Das bedeutete aber bei einem verhältnismäßig großen Tier wie dem Storch — den man nicht im Netz oder mit Vogelleim einfangen und nach der Feststellung der Ringnummer wieder davonfliegen lassen kann wie eine Drossel oder einen anderen Kleinvogel —, daß er verunglückte oder tödlich getroffen wurde. Auf diese Weise erhielte man nur Kunde von einer einzigen Station seines Lebensweges, eben von Ort und Zeit seines Todes. Aber man will mehr wissen, mehr Einzelheiten erfahren, besonders auch von jenen Kleinvögeln, die öfter ins Netz gehen. Man kam deshalb auf den Gedanken, den Vögeln außer dem numerierten Ring mehrere auffallende, farbige Ringe anzulegen. Neuerdings benutzt man auch Ringe, die so groß sind, daß die eingeprägte Kenn-Nummer noch aus einiger Entfernung mit dem Fernglas auszumachen ist. Blau, gelb und silberfarbig waren die Ringe des Storches auf dem Roten Turm. Sie waren die internationale Kennkarte, die er auf seinen Fahrten über Länder und Meere mit sich trug. Wo sich B 32 521 in den beiden ersten Jahren nach der Beringung herumgetrieben hatte, darüber war allerdings nichts bekannt. Vielleicht war er im ersten Jahr nach seinem Flug in den Süden in Afrika geblieben, vielleicht gehörte er im folgenden 10
Jahr zu einem der „Junggesellen"-Trupps, die während der Brutzeit im Lande auf und ab ziehen und mit den ehrbaren Storchenfamilien nicht selten blutige Kämpfe ausfechten. Nach dem dritten Winter jedenfalls, den B 32 521 fern der Heimat zugebracht hatte, war der Storch im Städtchen aufgetaucht und mit seinem Weibe glücklicher Besitzer des Horstes auf dem Roten Turm. , Der frühere Storchenmann, der erste Gatte der Störchin — so vermutete unser Vogelfreund — war wohl irgendwo im afrikanischen Winterquartier oder auf dem Fernflug umgekommen. Die Störchin hatte sich dann — an ihre alte Brutstätte zurückgekehrt — den herangewachsenen Ringvogel B 32 521 zum Ehegatten erwählt. Sie führten beide ein friedliches Familienleben. Pflichtgetreu baute der Gatte mit der Störchin das Nest, hielt Wache, wenn sie auf Futtersuche war und saß die Hälfte der 33tägigen Brutzeit geduldig auf den Eiern. Als dann eines Tages die Jungstörche da waren, warf der Storchenmann im Verein mit der Störchin den piependen und mauzenden Jungen das Futter vor, schützte sie vor Regen und Sonnenhitze und half sie liebevoll großziehen, bis sie schließlich mit siebzig Tagen selbständig waren. In dieser Zeit gelang es, auch die Jungs.törche, einen nach dem andern, zu beringen. Im August kam dann der Augenblick, da die Storchenkinder zur ersten Südfahrt aufbrachen, wenige Tage, bevor das Elternpaar das Nest zur großen Reise verließ. Die Altstörche schlössen sich einer der großen Storchenscharen an, die sich auf den Wiesen und um den großen See gesammelt hatten und an einem der Spätsommertage nach Süden emporschwangen. Wohin sie ziehen, die Störche und die Schwalben und all die Sänger des Sommers, — diese durch Jahrhunderte rätselhafte Frage, hat der Ringversuch endlich beantwortet und zwar bei keinem Vogel besser und vollständiger als gerade beim Storch. Von deutschen Ringstörchen waren bis zum 1. Septembe 1937 nicht weniger als 377 Tiere zurückgemeldet. Die Auswertung dieser Rückmeldungen — Beringungsort und Fundort wurden in eine Erdkarte eingetragen — ergibt ein eigenartiges Bild: Die Störche aus Westdeutschland schlagen einen ganz anderen Weg ein als die Tiere, die auf ostpreußischen Horsten aufgewachsen sind oder gebrütet haben. Was an Störchen östlich der Weser — genauer gesagt östlich der Linie 1I
Südholland — Wesüalen—Rheinland—Hessen—Mainfranken— Allgäu wohnt — wandert nach Südosten ab, über den Balkan zum Bosporus, dann durch Kleinasien und Palästina nach Ägypten und immer weiter nach Süden zum Sudan, oft auch bis tief hinunter nach Südafrika, zum Kapland. Die westlich dieser Grenzscheide beheimateten Störche hingegen ziehen in südwestlicher Richtung über Frankreich, Spanien, Gibraltar und Marokko nach Afrika. Zwischen den Gebieten mit Südostund Südwestabwanderung liegt ein ziemlich breiter Streifen, in dem die Abzugsrichtung nicht so streng eingehalten wird wie außerhalb dieses „Mischgebietes". So sehr man auch durch die Ringfunde über den Weg der „Ost"-Störche nach Innerund Südafrika unterrichtet ist, so wenig kann man noch über den Weiterverlauf des „West"-Storchenzuges in der Gegend der Sahara aussagen. Immerhin spricht alles dafür, daß die Weststörche in dieser Gegend nach Südosten in Richtung auf den Weißen Nil im Sudan einschwenken. Es ist erstaunlich, welche Entfernungen der Storch alljährlich zweimal bewältigt. Von Ostpreußen bis ins Kapland und im Frühjahr dieselbe Strecke zurück — das nötigt selbst dem Menschen des Zeitalters der Ozeanclipper Respekt ab. Allerdings, unser Storch läßt sich Zeit dazu. Ende August ist B 32 521 aufgebrochen^ und vergnüglich im Verbände seiner Reisegenossen über den Balkan nach Ägypten gebummelt; Im November oder Dezember kam er glücklich in Südafrika an. Hier fand er den Tisch reich gedeckt mit den Heuschrecken der Steppen und den Fröschen der Sümpfe. In solchen Jahren allerdings, in denen der Mensch zur Bekämpfung der furchtbaren Heuschreckenplagen zum Gift als Abwehrmittel greifen muß, sterben oft Tausende von Störchen am Genuß vergifteter Insekten. Im Februar schon geht es dann wieder zurück in die Heimat; viele noch nicht brutreife Störche bleiben unterwegs wohl auch bei den „Fleischtöpfen Ägyptens", bis sie herangewachsen sind. Der Frühjahrszug der Störche nach Norden geht doppelt so schnell vor sich wie der vor allem bei schönem Wetter und reichlicher Nahrung behaglich ausgedehnte Herbstzug, bei dem der Storchenschwarm im allgemeinen „nur" eine Strecke von 200 Kilometern als Tagesleistung zurücklegt. Im Frühjahr hingegen scheint die lockende alte Heimat zur Eile zu treiben — schon Ende Februar tauchen die ersten Störche in Holland auf und Anfang April sind auch die letzten Nester Ostpreußens besetzt. 12
Sonderbar erscheint es, daß die Störche das Mittelrneer östlich und westlich umgehen. Man hat lange um diese „Zugstraßen" gerätselt und versucht, die eigenartige Erscheinung durch die angebliche Furcht der Störche vor der Alpenüberquerung zu erklären. Gerade vor dieser Gehirgsschranke aber scheut sich der Storch am wenigsten. -Man weiß, daß er sehr wohl in der Lage ist, auch hohe Bergketten zu überfliegen. Dagegen meidet der Storch den Flug über das offene Meer, in dem ihm die Luftströmungen die Art des Fliegens verwehren, die er bei seiner Wanderung besonders bevorzugt: Am liebsten legt Adebar nämlich die weiten Strecken im Segel- und Gleitflug zurück. Dafür sind aber die flugtechnischen Bedingungen am günstigsten über dem feisten Land und an der Küste, nicht über der offenen See. Was haben die kleinen Aluminiumringe dem Forscher nicht alles berichten können, nicht nur vom Storch, sondern auch von den übrigen Zugvögeln! Der Mauersegler, der von allen Zugvögeln der pünktlichste ist — fast genau am ersten Mai ist er da und fast ebenso regelmäßig ist er am ersten August wieder verschwunden — trifft sich mit unseren Störchen im tropischen Afrika und im Kapland. Südafrika wählt auch unser Kuckuck als Winterquartier. Die lustigen Wiedehopfe, die in den alten Weiden gebrütet haben, treiben sich im Winter zwischen dem Südrand der Sahara und dem Äquator herum; einzelne allerdings kommen nicht über Südeuropa hinaus. Diese Zugvögel halten sich nicht an so enge „Zugstraßen", wie der Storch, sondern ziehen „in breiter Front". Höchst interessant ist, was das Ringexperiment über den Zug so nah verwandter Vogelarten aussagt, wie es zum Beispiel Nachtigall und Sprosser sind. „Unsere Nachtigall zieht aus ihrem ganzen europäischen Verbreitungsgebiet nach Süden und überwintert in einem Gürtel, der im Süden etwa durch den Äquator, im Norden im allgemeinen durch den zehnten nördlichen Breitengrad begrenzt wird und der sich von West- über Mittelafrika ungefähr bis Uganda einschließlich erstreckt. Der Sprosser dagegen wandert aus seinem westlichen Brutgebiet — die Westgrenze seiner Verbreitung zieht sich etwa von Lübeck durch Mecklenburg zur brandenburgisch-pommerschen Grenze — nach Südosten ab und wendet sich nach Ostafrika, wo er den Winter vornehmlich in südlich des Äquators gelegenen Gebieten verbringt", schreibt der führende deutsche Ornithologe Erwin Stresemann. I.i
Brut- und Winterquartiere der sächsischen Stare Selbstverständlich ziehen nicht alle Vögel so weit. Die" Stare zum Beispiel bleiben meist in Europa; soweit sie an der Ostsee- und Nordseeküste beheimatet sind, wenden sie sich gen Westen; die aus dem Binnenland richten sich mehr nach Südwesten. Und es ist allgemein bekannt, daß die Stare der Parkanlagen und Gartenstädte sogar den ganzen Winter über seßhaft bleiben und völlig auf den Zug verzichten. Auch unsere Krähen ziehen nur verhältnismäßig kurze Strecken" — von Ostpreußen bis nach Pommern und Mecklenburg, gelegentlich auch etwas weiter bis nach Holland. Dafür leisten allerdings andere Vogelarten wieder geradezu Unwahrscheinliches: Vom M
Schlesisdie Stare Die Stare gehören nicht zu den Rekordiliegern des Vogelzugs. Sie haben ihre Winterquartiere in Europa und im nördlichsten Afrika. Merkwürdig ist, daß die Stare je nach ihren Brutgebieten, aut ihrem Herbstzug verschiedene Richtungen wählen. Nur ausnahmsweise weichen einzelne Vögel von dem allgemeinen Kurs ab. Die Stare der Städte und Parkanlagen verzichten meist aut die große Wanderung. Erklärung der Karten aut S. 14, 15, 16 Karte 1 Sächsische Stare Karte 2 Schlesische Stare Karte 3 Ostbaltische Stare schwarz gezeichnete Gebiete: Winterquartiere • Ausnahmeiunde. senkrecht gestrichelte Gebiete: Brutgebiete 15
Ostbaltisdie Stare Goldregenpfeifer der amerikanischen Arktis gibt es zwei Rassen, deren eine in Labrador brütet, während die andere in Alaska beheimatet ist. Der Labrador-Regenpfeifer reist allherbstlich über den Atlantik bis nach Argentinien und kehrt in jedem Frühjahr aus den Pampas nicht etwa auf dem gleichen Weg, sondern über das Mississippi-Tal in die Einöden Labradors zurück. Noch erstaunlicher ist die Leistung seines Vetters aus Alaska. Dieser wandert nämlich über die Aleuten und dann über das offene Wasser des Pazific bis nach Honolulu — wobei er Tausende von Kilometern ohne Nahrung, ohne Richtpunkt, ohne Raststätte über die unübersehbaren Wasserweiten zu fliegen hat. Die nordamerikanischen Rekordflieger werden aber noch von ihren ostsibirischen Verwandten übertroffen, die über Japan, die Sundainseln und Australien bis nach Neuseeland reisen. Was in diesen und ähnlichen Fällen an Flugleistungen herauskommen kann, hat man bei der japanischen Bekassine errechnet: Sie legt fünftausend Kilometer in einem Non-stop-Flug von achtundvierzig Stunden zurück. Bei der Küstenseeschwalbe gar liegen nicht weniger
ie
als rund siebzehntausend Kilometer zwischen dem Winterquartier auf der südlichen und dem Brutrevier auf der nördlichen Halbkugel. Alljährlich bringt dieser großartige Flieger also vierunddreißigtausend Kilometer hinter sich. Viele Vögel wandern nicht am Tage Wie unsere Störche, Kraniche, Wildgänse, Raubvögel, Mauersegler und Schwalben, sondern ziehen des Nachts ihres Weges. Solche Nachtschwärmer sind die Schnepfen und ihre Verwandten, die Nachtigallen, die Rotschwänzchen — sie wandern bis zum Sudan —, die Grasmücken, die ebenfalls bis ins tiefste Afrika ziehen, und die Drosseln, deren manche den Winter in Südeuropa und Nordafrika zubringen, während viele unserer Singdrosseln und Amseln sich die Winterurlaubsreisen in den Süden abgewöhnt haben. Seltsam ist auch die Tatsache, daß bei vielen Zugvögeln die reiseunkundigen Jungen schon vor den Alten abfliegen. So ist es auch bei den Störchen, doch werden die Jungstörche von „Junggesellen" als erfahrenen Reisebegleitern geführt. Beim Kuckuck hingegen ziehen die Altvögel schon einige Wochen vor ihren Jungen ab, um die sie sich ohnehin niemals gekümmert haben. Der Aufbruch der Altkuckucke erfolgt Ende Juli bis Mitte August. Die jungen Kuckucksgauche, die von Bachstelzen und Rohrsängern, Neuntötern und Rotkehlchen aufgezogen wurden, starten erst in der Zeit von Anfang August bis in den September. Sie werden nicht von ihren Pflegeeltern geführt, sondern reisen einzeln oder in ganz losem Verband. Und doch finden auch sie nach Afrika und bis ins Kapland hinab wie ihre Eltern. Im nächsten Jahr fliegen sie allein wieder nach Europa zurück, bis in ihren engsten Heimatbezirk, wo sie aufwuchsen. Man kennt Kuckucke, die so „heimattreu" waren, daß man sie zwölf Sommer hindurch immer wieder im gleichen Revier antreffen konnte. Ähnlich wie die Jungkuckucke müssen offenbar auch die amerikanischen und sibirischen Regenpfeiferjungen ihren Weg über den Ozean nach Süden ohne Führung durch ältere Artgenossen, die den Weg schon einmal zurückgelegt haben, selbst suchen. Mit jedem Rätsel, das der blitzende Aluminiumring am Fuße eines Zugvogels löst, öffnet sich dem Vogelforscher der Blick auf neue Geheimnisse. Nun da er weiß, wo die Vögel den Winter verbringen, wie ihre Zugwege verlaufen und mit welchen Geschwindigkeiten sie den Winterplätzen zustreben, drängt sich eine neue Frage auf: W a r u m ziehen die Vögel? 1?
Fast alle Vögel brechen auf, bevor die Lebensbedingungen in unseren Breiten durch den herannahenden Winter so stark verschlechtert sind, daß die Existenz der Tiere gefährdet wäre; sie kehren meist zurück, wenn der junge Frühling ihnen Nahrung in ausreichendem Maße zur Verfügung stellt. Manchmal versagt allerdings auch das Kursbuch der Zugvögel — wenn etwa ein früher Winterbeginn jäh über Schwalbenschwärme hereinbricht, die ein schöner Herbst zum Bleiben verlockt hat, oder wenn Lerchen im Frühjahr in lang anhaltende Schneefälle geraten. Die Lerchen freilich streichen bei solchen Wetterrückschlägen meist in umgekehrter Richtung wieder zurück in gastlichere Gegenden. Für die Schwalben ist ein Abreiseirrtum meist verhängnisvoll; erst in jüngster Zeit konnte der Mensch den Gefährdeten Hilfe bringen. Man hat die verklammten und matten, hilflosen Vögel eingefangen und mit dem Flugzeug über die Alpen gebracht; im milden Oberitalien erholten sich die „Fluggäste" schnell und konnten dann die Reise nach Afrika glücklich fortsetzen. Noch ein anderes Problem hat die Vogelforschung beschäftigt: w a n n wohl dieser Zuginstinkt, der die Vögel in die Ferne zwingt, zum erstenmal erwacht sein könnte. Vielleicht in den Eiszeiten, als Mitteleuropa mehrere Male über Zehnund Hunderttausende von Jahren fast völlig von Gletschern bedeckt war und den Vögeln keine ausreichenden Lebensmöglichkeiten mehr bot? Aber es ist nicht einzusehen, wie die Jahrtausende der Vergletscherung den streng jahreszeitlich gebundenen Rhythmus des Vogelzuges veranlaßt haben sollen. Zudem kennt man Vogelzüge auch in den Tropen, die nie der Vereisung unterlagen; so wandern Vögel von Madagaskar ins Innere Afrikas, von Zentralamerika nach dem Norden des südamerikanischen Kontinents. Auch diese Wanderungen erfolgen im Rhythmus der jahreszeitlichen Klimaschwankungen, im Wechsel von Trocken- und Regenzeiten. Es scheint so, als sei das Wandern fast allen Vögeln gemein. Viele durch das Ringexperiment gewonnene Beobachtungen ergaben, daß selbst die „Standvögel", Sperlinge, Meisen und Spechte, bei Nahrungsmangel oft recht weit im Lande herumstreifen. Ein solch typischer „Strichvogel" ist unser Zeisig. Vom Ende der Brutzeit im August bis zum Beginn des neuen Brütens zu Anfang Mai streichen die Zeisige aus den Fichtenwaldungen Ostpreußens, der Mittelgebirge und der Alpen allenthalben in ganz Deutschland umher. Manche geraten dabei bis in die 1»
Mittelmeerländer, einzelne dringen sogar bis Nordwestafrika vor. Andere aber bleiben seltsamerweise stets in nächster Nähe ihres Brutreviers. Vom Strichvogel kaum zu unterscheiden ist der „Zigeunervogel". Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist der Kreuzschnabel. Er ist stets dort zu finden, wo gerade der Tisch mit den Samen der Nadelhölzer, die seine bevorzugte Nahrung sind, reich gedeckt ist. Ein Zigeuner ist auch der Rosenstar Kleinasiens und Persiens. Er streunt hinter den Heuschrecken her und folgt ihren Wanderzügen bis nach Südosteuropa, wo er dann sogar zur Brut schreitet. Die Sumpfohreule hat sich auf Mäuse spezialisiert. Wo die Maus in Massen auftritt, ist auch dieser Landstreicher zu finden. Immer also ist es das reichliche Angebot an Nahrung, das die Zigeunervögel zu Wanderungen verlockt. Sind aber die Übergänge vom Standvogel zum Strichvogel, vom Zigeunervogel zum Zugvogel so fließend, und sind wir anderseits gerade heute Zeugen, wie echte Zugvögel — Drossel und Star — ganz und gar seßhaft werden, so möchte man sich der Meinung des Zoologen Richard Gerlach anschließen: „Die Leichtbeschwingten sind immer unterwegs gewesen, die Vögel sind immer gewandert, solange sie es überhaupt gibt". Muß also die Frage offen bleiben, wann und wie die Erscheinung des Vogelzuges entstanden ist, so gibt doch gerade der Ringvogelversuch manche Hinweise auf die Herkunft unserer Vogelwelt. Da gibt es Arten, die bei der Hinreise zum Winterquartier einen ganz anderen Weg einschlagen als bei der Rückreise zur Brutheimat. So legen Blaurake und Pirol ihren Wanderweg in einer „Zugschleife" zurück. Der Herbst führt sie in südöstlicher Richtung über den Balkan und Kreta nach Lybien, Ägypten und schließlich nach Ostafrika, im Frühjahr aber wählen sie nicht diese Umwege, sondern fliegen direkt von Süden her — über Malta, Sizilien und Italien — nach Deutschland. Pirol und Blaurake sollen in alter Zeit von Osten her nach Mitteleuropa eingewandert sein — ihr buntfarbiges Gefieder und ihre fremdländische Verwandtschaft deutet noch heute auf ihre Einwanderung aus wärmeren Ländern hin. „Der Herbstzug läuft ungefähr den gleichen Weg zurück, auf dem sich in erdgeschichtlichen Zeiten die Ausbreitung der Art vollzogen hat, während der Frühjahrszug den dadurch entstandenen Umweg zu den Brutgebieten der Art abkürzt". Professor Stresemann hat einen solchen Schleifenzug auch bei dem 19
hübschen Trauerfliegenschnäpper und seinem nahen Verwandten, dem Halsbandfliegenschnäpper Süddeutschlands, festgestellt, aber in genau umgekehrter Richtung) sie haben also vermutlich einst von Westen her Mitteleuropa besiedelt. Es ist ein aufschlußreicher Erfolg der Vogelzugforschung, auf diese Weise weit entlegene geschichtliche Vorgänge der Vogelwelt aufgehellt zu haben.
* Der Ringvogel B 32 521 hat auch in diesem Jahr in enger Gemeinschaft mit seiner Storchenfrau die vier Jungen glücklich aufgezogen. Als der August kam, sind die Flüggen von dannen gezogen, — jeder am Fuß den Ring, jeder eine Nummer im Buche der Vogelwarte. Der berühmte Name „Rossitten" freilich ist nicht mehr darauf zu lesen; die weltbekannte Vogelwarte hat eine neue Heimat am „Schwäbischen Meer" gefunden, in Radolfzell am Nordende der Zeller Bodenseebucht. Viele der alten getreuen Vogelberinger haben wieder den-Anschluß an „ihre" Vogelwarte gefunden, tatkräftige Hilfe aus dem In- und Ausland hat den Neuaufbau der Vogelzugforschung gefördert. Auch die Helgoländer Warte besteht nicht mehr; sie siedelte notgedrungen nach Wilhelmshaven über und richtete Beobachtungsstationen an der Nordsee ein, so auf Neuwerk und Scharhörn. Die wenigen hauptberuflichen Forscher und die vielen ehrenamtlich mitarbeitenden Freunde der Vogelwarten beschäftigen sich heute immer noch mit der Frage: Wer sagt den Jungstörchen, daß sie zu einer Zeit, da die Wiesen und Sümpfe von Fröschen wimmeln, aufbrechen sollen, wer befiehlt dem Mauersegler, schon am 1. August zum Südflug aufzusteigen, wenn in manchen Gegenden unserer Heimat der Sommer erst recht eigentlich beginnt? Es ist nicht viel, was man zu dieser Frage bisher zu sagen weiß, — n o c h nicht zu sagen weiß; denn gerade auf diesem Gebiet sind vielversprechende Ansätze gemacht. Man weiß, daß äußere Umstände eine Rolle spielen, das Klima vor allem; viel stärker aber sind die Faktoren, die im Vogelorganismus selbst wirksam werden und die „Zugbereitschaft" und den Zugtrieb auslösen und steuern. Die Keimdrüsen der Tiere sind daran beteiligt und die Hirnanhangdrüse (Hypophyse), von der man weiß, daß sie Hormone, „Botenstoffe", die auf die verschiedensten Organe einwirken, in den Körper entsendet. Die Zugbereitschaft ist auch _'ii
abhängig von der Bereitstellung von Reservefettj denn unerhörte Leistungen hat der kleine Vogelorganismus bei seiner Wanderung von Kontinent zu Kontinent aufzubringen. Manche vermuten auch ein kompliziertes Wechselspiel zwischen den äußeren und den inneren Faktoren, sie, glauben, daß Beziehungen bestehen etwa zwischen der zunehmenden oder abnehmenden Tageslänge und dem inneren Jahresrhythmus der Keimdrüsen. Solche Wechselbeziehungen sind ohne Zweifel vorhanden, weil Frühhlingszug, Paarung und Nestbau eng zusammengehören, ebenso wie das Erlöschen des Brut- und Füttertriebes und der Aufbruch im Herbst. Andere Beobachtungen deuten auch darauf hin, daß der Rhythmus der Keimdrüsen von den jahreszeitlichen Schwankungen in der Stärke der ultravioletten Strahlung beeinflußt sein könnte. Mit viel Scharfsinn, mit unendlicher Geduld, mit feiner Einfühlung in das Wesen des lebendigen Organismus sind allenthalben auf der Welt die Ornithologen bemüht, dieses komplizierte Gefüge verschiedenartigster Einwirkungen aufzudecken, und sie sind überzeugt, daß sie eines Tages auch des Rätsels Lösung finden werden. Weit mehr aber noch als diese Frage, wohin die Vögel wandern und warum, bewegt den Freund der belebten Natur und den Forscher die Frage: Wie findet der Zugvogel seinen Weg? Welche Sinne, welche Kräfte leiten zum Beispiel den Storch B 32 521 von seinem Nest auf dem Roten Turm ins Kapland, welche Kräfte rufen ihn wieder zurück eben auf dieses Nest? Wer sagt dem jungen Kuckuck, der zum ersten Male und ganz allein den Weg aus dem heimatlichen Wald nach Zentralafrika zurücklegt, welche Richtung er einzuschlagen hat? Und wer zeigt gar den Nachtwanderern die Straße in die Länder des Südens oder zurück in den Frühling unserer Breiten? Nicht zu bezweifeln ist es, daß die Tagwanderer wie Storch und Kranich sich zum guten Teil nach Landmarken orientieren. Sie folgen Flußläufen, werden unsicher über Gebieten, die sich seit dem letzten überfliegen merklich verändert haben, etwa durch große Waldbrände. Suchend kreisen sie lange darüber hin. Wer je Kraniche die Insel Hiddensee genau von Nord nach Süd hat überfliegen sehen, weiß, daß Schwärm um Schwärm von der Nordspitze der Insel halbrechts in Richtung auf die Nordspitze von Rügen einschwenkt, von wo es dann geradlinig nach Südschweden geht. Die großen Geschwa?1
der dieser schönen Vögel, die sich zum Herbstzug in den weiten Luchen nordwestlich Berlin sammelten, benutzten stets den Kirchturm des Dörfchens Linum als Richtpunkt. Bei ihrem täglichen Hin- und Herflug zwischen dem unwegsamen Rhinluch, in dem sie ungefährdet übernachteten, und dem kultivierten Havelländischen Luch, auf dessen Feldern sie am Tage ihre Nahrung suchten, war ihnen der hochragende Turm der Kirche stets ein zuverlässiger Wegweiser. Vögel lassen sich sehr stark vom Gesichtssinn leiten; die berühmten Brieftaubenversuche des Berliner Forscherehepaares Heinroth waren in dieser Hinsicht sehr aufschlußreich. In enger Zusammenarbeit mit erfahrenen Brieftaubenzüchtern wiesen sie nach, daß Brieftauben — von deren Heimfindevermögen selbst Fachleute meist unklare und weit übertriebene Vorstellungen haben — nur dann in gerader Linie vorn Ort des Auflassens zum Heimatschlag zurückzukehren vermögen, wenn sie die Landschaft schon von Ubungsflügen her kennen. Ist ihnen ein Gebiet unbekannt, so suchen sie in immer weiter werdenden Flugspiralen und Flugkreisen solange, bis sie den „Anschluß" an bekannte Flugstrecken gefunden haben. Brieftauben finden aus fremdem Gebiet um so eher heim, je „fliegemutiger" sie sind, das heißt, je besser und je länger sie nach der Anschlußlandschaft suchen. Nicht wenige Brieftauben aber fallen, fern der vertrauten Heimat aufgelassen, in den erstbesten fremden Taubenschlag ein und geben die Suche auf. Man könnte einwenden, daß Brieftauben oft auch aus ganz unbekannten Gegenden so schnell zurückfinden, daß sie unmöglich lange gesucht haben dürften. Aber man darf nicht vergessen, daß bei den großen Zielflügen der Brieftaubenvereine Hunderte und Tausende von Tauben gleichzeitig aufgelassen werden, und daß auch bei Tauben der „Herden"trieb, sich zusamenzuschließen und den vorauseilenden — fliegemutigeren oder erfahreneren — „Führern" zu folgen, sehr gut ausgebildet ist. Daß der Zugvogel beim Heimfinden von optischen Eindrücken geleitet werde, wird sicher für die Tagflüge zutreffen. Das Auge spielt gewiß eine besonders wichtige Rolle beim Wiederauffinden des engeren Heimatreviers und des Brutplatzes aus dem Vorjahr. Ganz anders aber steht es mit den Vögeln, die nachts ziehen oder als ungeübte Jungtiere ohne Führung den Weg suchen müssen. Eine Fülle sinnreicher Experimente hat auch das Rätsel der Fernorientierung dieser Art zu lösen ver29
sucht. Wieder waren es Störche, in deren Verhalten man die ersten wichtigen Aufschlüsse gewonnen hat. Man hielt in Rossitten Jungstörche solange zurück, bis alle alten Tiere, die den Weg nach Afrika bereits kannten, längst unterwegs waren. Der Erfolg dieser über mehrere Jahre wiederholten Versuche war überraschend: Alle Jungstörche schlugen südöstliche Richtung ein, genau wie die Altstörche. Dann erweiterte man die Versuche und brachte „östliche" Störche nach dem Westen, um sie hier aufsteigen zu lassen. Ein Trupp Rossittener Störche, die man ins Ruhrgebiet umquartiere, nahm nicht, wie die wesdeutschen Vettern, Kurs in südwestlicher Richtung, sondern, ihrer Herkunft getreu, nach Südosten; soweit entsprach das Experiment den Rossittener Erfahrungen. Dann aber schwenkten die Oststörche ganz unprogrammäßig stärker nach Süden ein, als es sonst der Fall war. Andere Umsiedlungsversuche mit Ostpreußenstörchen, die man ins Rheinland gebracht hatte, ergaben —• wie Ringfunde aus Belgien und Südfrankreich erwiesen —, daß die Störche den Westkurs der rheinischen Störche einschlugen. Solche Eigenwilligkeit konnte bisher noch nicht erklärt werden. Wichtige Aufschlüsse zu der Frage, welche Einflüsse den Vogel in die Zugrichtung bringen, verdankt die Forschung dem im letzten Krieg gefallenen Rossittener Ornithologen Dr. Werner Rüppell. Verblüffend ist, was er zunächst über das Heimfindevermögen von Schwalben, Staren, Wendehälsen, Neuntötern und Lachmöven ermittelte. Er fing die am Brutplatz angekommenen Vögel ein, beringte sie und verschickte sie auf schnellstem Wege — bei größeren Entfernungen mit dem Flugzeug — an bestimmte Punkte, an denen die Tiere 'wieder freigelassen wurden. Stare kehrten aus hundert Kilometer Entfernung noch am gleichen Tage heim, für Entfernungen bis zweihundert Kilometer benötigten sie nicht mehr als zwei Tage, für vierhundert Kilometer drei Tage. Schwalben wurden von Berlin nach Athen, Madrid und London geschickt. Binnen einer Woche war ein hoher Prozentsatz der Schwalben wieder da •— aus Entfernungen von 900 und 1800 Kilometern! Ein Wendehals aus dem Botanischen Garten in Berlin-Dahlem, vor seiner Bruthöhle eingefangen und mit dem Flugzeug nach Saloniki gebracht, saß am zehnten Tag nach seiner Freilassung in Griechenland wieder an seinem Berliner Nistplatz. 1600 Kilometer hatte er in zehn Tagen zurückgelegt; bei dieser Tagesleistung 23
von 160 Kilometern kann der spatzengroße Vogel die Strecke vom Balkan nach Berlin nur in der Luftlinie, ohne wesentliche Umwege zurückgelegt haben. Das gleiche muß man angesichts der schnellen Rückkehr auch für die Schwalben und die anderen Tiere der Rüppelschen Versuche annehmen. Amerikanische und englische Forscher kamen zu ähnlichen Ergebnissen mit Möven und Seeschwalben. Eine fast unglaubliche Leistung vollbrachte ein von ihnen gestarteter Sturmtaucher — ein düster braun-schwarz gefärbter Meeresvogel von Mövengestalt. Binnen vierzehn Tagen kehrte dieser tüchtige Flieger von Venedig zu seinem Nistplatz auf der englischen Insel Man zurück. Sturmtaucher sind ausgesprochene Hochseebewohner. Auf den Kontinent verirren sie sich nur in höchster Not, wenn schwere Stürme sie einmal hierhin verschlagen haben. Man darf deshalb fast als sicher annehmen, daß der Sturmtaucher der Insel Man von Venedig aus den Rückweg nicht quer durch Europa genommen hat, sondern an der Ostküste Italiens entlang um Sizilien herum durch das Mittelmeer und die Straße von Gibraltar, dann entlang der spanischen Küste und über den Atlantik. Das sind rund 6800 Kilometer in zwei Wochen! Der erste Teil des Weges längs der italienischen Küsten war dem Wanderer ganz gewiß unbekannt, denn bis hierhin dringen Sturmtaucher des Atlantik niemals vor. Beringte Sturmtaucher hat man bisher nur an den Küsten Nordspaniens, West- und Südwest-Frankreichs und außerdem an der Argentinischen Küste festgestellt. Der Rossittener Versuch mit Jungstörchen, die auch ohne Führung im richtigen Kurs davonzogen, ist kein Einzelfall; er wird ergänzt und bestätigt durch zwei Versuchsreihen mit Krähen, die unabhängig voneinander der Deutsche Rüppell und der Amerikaner Rowan unternommen haben. In beiden Fällen wurden die Krähen viele Hunderte von Kilometern westlich und östlich von ihren Heimatgebieten entfernt aufgelassen; in schöner Übereinstimmung zeigte sich jedesmal das gleiche Bild: die Wander r i c h t u n g war die gleiche geblieben. Sie kehrten zwar nicht an die Abflugplätze zurück, aber das Gebiet, in das jeder von ihnen sich wandte, lag um die gleiche Entfernung nach Osten oder Westen verschoben, um die man die Krähen zu Beginn des Experiments umquartiert hatte. Es war also, als seien die Vögel nach dem Kompaß geflogen. Jungkrähen entscheiden sieb auch ohne Führung für die gleiche Flugrichtung. 74
die von den alten Krähen eingeschlagen wird, selbst wenn die Altvögel lange vor ihnen aufbrechen und im Augenblick des Reisebeginns der Jungkrähen bereits 1000 Kilometer entfernt sind. Der amerikanische Forscher glaubt, daß diese instinktsichere Kurswahl auf einen „ererbten Richtungssinn" zurückgeht. Das führte die Forscher dazu, nach dem Organ dieses Richtungssinnes zu suchen und nach den Einflüssen, die ihn steuern. Ist es der Erdmagnetismus oder die sogenannte „CoriolisKraft", die auf der Erdumdrehung beruht, oder wirken beide Kräfte zusammen, um dem Zugvogel die Navigation zu ermöglichen? Kritische Nachprüfungen bewiesen, daß alle diese Annahmen unzutreffend sind. Auch für die Meinung, der Richtungssinn der Vögel sitze in den Bogengängen des inneren Vogelohrs, wie beim Menschen der Gleichgewichtssinn, konnten wirkliche Beweise bis heute nicht erbracht werden. So muß man annehmen, daß in jedem Zugvogel offenbar ein uns noch unerklärlicher Kompaßsinn walte, der ihm neben dem Gesichtssinn die Richtung beim Flug ins Winterquartier und bei der Heimkehr anzeigt. Die Forschung begnügt sich aber nicht mit einer solchen Feststellung oder gar mit der Annahme von „telepathischen" Kräften, sondern sucht in unermüdlicher Kleinarbeit zu erfahren, ob sich dieser vermutete Sinn nicht doch noch auf Bekanntes zurückführen läßt. Für die Tagwanderer wären jedenfalls optische Reize und Erinnerungsbilder Teile dieses „Kompaßsinnes", falls er vorhanden sein sollte. Die berühmten Versuche des Grazer Zoologen Professor von Frisch, der bei den Bienen eine Flugorientierung nach dem Sonnenstandswinkel nachgewiesen hat, lassen vielleicht Schlüsse auf ähnliche Verhältnisse auch bei den Zugvögeln zu. In allerletzter Zeit hat man nun auch das Flugzeug in den Dienst der Erforschung dieser Fragen gestellt, und schon die ersten Beobachtungsflüge führten zu höchst wertvollen Ergebnissen. Sie wurden zu einem weiteren Beweis für die Zugvögel, die am Tage ziehen, sich in unbekanntem Gelände in erster Linie nach dem Auge orientieren, wobei sie sich zunächst aufs Suchen verlassen — ganz wie die Brieftauben im Heinrothschen Experiment. Der amerikanische Vogelforscher Donald R. Griffin und sein Freund Hock sind die Ersten gewesen, die den südwärts fliegenden Vögeln unmittelbar gefolgt sind. Sie waren überzeugt, auf diese Weise am zuverlässigsten beweisen 25
Diese Erdkarte zeigt vier der eindruckvollsten „Zugstraßen", die über Kontinente und Meere hinweg Brutheimat und Winterquartiere gefiederter Wanderer verbinden, Regenpfeifer um Alaska ziehen über die unabsehbaren Wasserwüsten des Stillen Ozeans bis zu den Inselgruppen um Hawaii, während ihre Verwandten aus Kanada und Labrador über die Antillen nach den Pampas Argentiniens reisen und über
das Mississipital zurückkehren. Die mitteleuropäischen Störche haben zwei Zugwege: Einen südöstlichen über Balkan, Kleinasien und das Niltal, und einen über Gibraltar und Zentralafrika. Die „Ostslraße" endet im Kapland, vermutlich auch die „Weststraße" der Störche. Ostsibirische Schnepfenvögel schließlich wandern bis nach Hinterindien, einzelne Arten sogar bis nach Australien und Neuseeland..
zu können, „daß die Zugvögel ihren Weg regelrecht auskundschaften müssen". Griffin und Hock achteten sorgfältig darauf, daß die wandernden Vögel, die sie in der Luft verfolgten, den Weg nicht bereits kannten. Sie wählten Baßtölpel, gänsegroße schneeweiße Vögel mit schwarzen Schwingen aus der Verwandtschaft der Pelikane und Kormorane. Baßtölpel sind Zugvögel und reine Meeresbewohner. Sie eignen sich durch ihre Größe und ihr auffallendes Weiß besonders gut zur Beobachtung. Ihre Brutplätze sind felsige Steilküsten, ihr Lebensraum die offene See; über das feste Land fliegen Baßtölpel, genau wie die Sturmtaucher, nie ohne Not; werden sie einmal von einem Sturm ins Landesinnere verschlagen, fischen sie nicht einmal auf den Binnengewässern und gehen elend zugrunde. Diese charakteristischen Meeresvögel brachten Griffin und Hock von ihrem Brutplatz, einer Insel im Lawrence-Golf — zwischen Labrador, Neuschottland und Neufundland — weit ins Binnenland, das ihnen völlig unbekannt war. „Dennoch", so schreibt Griffin, „entfalteten diese Tiere eine den anderen Zugvögeln durchaus ebenbürtige Orientierungsfähigkeit". Sie wurden über eine Strecke von mehr als vierhundert Kilometern und über neun Stunden lang im Flugzeug verfolgt. Die Baßtölpel ließen sich „ungerichtet", immer zur Beschreibung von Spiralwegen geneigt, zu ihrem Brutplatz zurückleiten, orientierten sich offenbar nur mit ihrem Gesichtssinn. Man darf aus den Beobachtungen von Griffin und Hock schließen, daß direkte Heimkehrer wie die Rüppellschen Schwalben, Stare und Wendehalse ihren Weg oder wenigstens wesentliche Teile des Weges vielleicht doch schon gekannt haben. „Vielleicht erleben wir schon in den kommenden Jahren", so schließt Griff in seinen Bericht in der Zeitschrift „Scientific American", „daß fliegende Ornithologen mit Flugzeugen leichtester Bauart, vielleicht mit Hubschraubern, einzelne Vögel auf ihren Langstreckenflügen begleiten und dabei immer klarer die Bedingungen erkennen, unter denen sich die Vögel im 'Ozean der Luft zurechtfinden. Eine solche Forschungsarbeit kann bei richtiger Planung und unter Berücksichtigung aller weiteren Forschungsergebnisse eines Tages sehr wohl den Schleier des Geheimnisses von dem uralten großartigen Rätsel der Zugvögel lüften." Faßt man zusammen, was die Forschung derzeit über das Orientierungsvermögen der Zugvögel zu sagen weiß, so zeigt sich, daß sie eine einheitliche Erklärung noch nicht geben kann; 28
Vieles spricht dafür, daß der Gesichtssinn die gefiederten Wanderer leitet, daß sie in unbekanntem Gelände solange suchen, bis sie Anschluß an Bekanntes finden. Selbst ein so ungewöhnlich erscheinender Fall wie der Rekordflug des Sturmtauchers ließe sich sogar noch auf diese Axt deuten; es ist durchaus möglich, daß der Vogel solange „die Küste entlang" suchte, bis er —• in der Biscaya vielleicht — auf eine Landschaft stieß, die ihm aus der Erinnerung vertraut war. Aber mit der „Methode von Versuch und Irrtum" — wie man diese Art der Orientierung genannt hat — sind nicht alle Erscheinungen des Fernflugs der Vögel zu erklären; so lassen vor allem die Krähenversuche offenbar den Schluß auf einen „Richtungs-" oder „Kompaß-Sinn" zu. Er weist den Nachtwanderern und den ohnr? Führung durch erfahrene Altvögel erstmals gen Süden ziehenden Jungen zum mindesten die ungefähre Richtung — wenn nicht sogar sehr genau das ferne Ziel. Getrieben vom dunklen Rhythmus seines Blutes, gen Süden geführt von der rätselvollen Kraft des Richtungssinns, geleitet von seinem Gesichtssinn und den Erfahrungen, die er im Laufe seines Lebens mit jeder neuen Reise gesammelt hat, war unser Ringvogel B 32 521 auch nach seinem fünften Sommer ins Winterquartier geflogen. Die Herbststürme brausten über das Land, der Rote Turm trug eine Schneehaube, Krähen krächzten am grauen Himmel, bis schließlich wieder ein Frühling ins Land zog. Ein Storchenehepaar besetzte das Nest auf dem Turm - aber es war nicht der alte Herr des Horstes. Keinerlei Abzeichen erkannte unser Vogelfreund, als er wieder erwartungsvoll zu seinem gewohnten Auslug hinaufgeklettert war. Da glaubte er, sein alter Freund, der Ringvogel B 32 521, sei den Gefahren der Heimreise zum Opfer gefallen. Betrübten Herzens saß er über den Tagebüchern, in die er getreulich alle Beobachtungen vom Roten Turm eingetragen, als ihm ein Kind atemlos die Nachricht brachte, am Turm sei ein Storchenkampf im Gange. Dem Beobachter bot sich ein erregendes Bild. Eine erbitterte Auseinandersetzung um den Horst war im Gange. Wütend stieß der Angreifer immer wieder auf die beiden Nestinsassen, Federn flogen, hin und her ging der Streit, und man konnte minutenlang nicht erkennen, wer von den dreien der Störenfried war, bis einer der Kämpfer ermattet herabflatterte. 29
Mit wenigen Sätzen sprang der Vogelfreund auf die Gasse. Der herabgestürzte Storch war so schwach, daß man ihn ohne Gegenwehr fangen konnte. Mit einem Blick erkannte der Storchenfreund den Ringvogel. Sein Zustand war bejammerswert; in der Schulter des Storchs steckte ein Pfeil. Es war ein richtiger Negerpfeil, die Eisenspitze saß eingelassen im Rohrsdiaft. Ein Eingeborenenpfeil, aus Afrika bis hierher geschleppt! Deshalb also war B 32 521 verspätet in die Heimat gekommen und fand seinen Horst von fremden Störchen besetzt. Der lange Pfeil und die nicht verheilte Wunde hatten ihn so geschwächt, daß er sich sein Besitzrecht nicht mehr erkämpfen konnte. Sorgfältig wurde der „Pfeilstorch" — so war jetzt sein Name — behandelt, der Pfeil vorsichtig entfernt und der Kranke zur Pflege fünfzehn Kilometer entfernt auf einem Gut einquartiert. Sachverständige, die den Rohrpfeil genau untersuchten, stellten fest, daß solche Waffen in der Gegend des Tschad-Sees von den Negerstämmen benutzt wurden. Schnell erholte sich der Verwundete. Seine Wunde verheilte, aber eines Tages war er davongeflogen. Man hatte zwar • seine Flügel gestutzt, um eine Flucht zu verhindern, aber der Storch bekam noch immer genügend Luft unter die Flügel und zog in Richtung auf die Stadt, auf den Roten Turm von dannen. Schnurstracks durchflog er die fünfzehn Kilometer bis zu iseinem Horst. Aufs neue begann hier der Kampf um das Nest. Vergebens! Die neuen Bewohner waren stärker. Abgekämpft flog B 32 521 hinaus in die Wiesen, um neue Kräfte zu sammeln. Aber ermattet wie er war, achtete der Storch nicht auf die Hochspannungsleitung, die er sonst so geschickt zu überfliegen wußte. Wie ein Blitz traf die Wucht des elektrischen Schlages den müden Vogel. Jäh stürzte er in den Acker, —• ein tapferes Storchenleben hatte sein Ende gefunden. Er war mehr als nur eine Nummer in der Liste der Vogelwarte, dieser Ringvogel B 32 521; seine Merkzeichen, Buchstabe und Zahl, sind Symbol geworden für ein abenteuerliches Schicksal, das zwischen den grünen Feldern und roten Dächern der Heimat und den Steppen, Urwäldern und Sümpfen des schwarzen Erdteils verlief.
30
Die Anschriften der deutschen Vogelwarten lauten: Vogelwarte Radolizell (17b) Radolizell am Bodensee, Schloß Möggingen I Vogelwarte „Helgoland", Institut iür Vogeliorschung, (23J Wilhelmshaven. Die Vogelwarte Radolizell gibt „Merkblätter iür angewandte Vogelkunde" heraus, von denen bisher die Blätter über den Mauersegler, die Spechte und Eulen, die Raubvögel und Enten, den Storch und den Sperling erschienen sind. Der wissenschaitlichen Vogelzugtorschung ist die Zeitschrift „Die Vogelwarte" gewidmet, die im Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, z. Zt. Ludwigsburg, erscheint. Storchenbild aui der Rückseite des Umschlags: Beim Klappern wird der Hals weit zurückgebogen und der Kopf auf den Rücken gelegt. Diesen Lesebogen schrieb Fritz Bolle, Murnau. Die Ringnummer und die Lebensgeschichte des Storchs B 32521 sind frei erfunden. Die letzten Schicksale hingegen sind denen des „Pfeilstorchs von Leetza" nacherzählt.
Manni Signature Not Verified
Lux-Lesebogen
Nr.
64
/
Digitally signed by Manni DN: cn=Manni, c=US Date: 2006.05.07 12:22:35 + 01'00'
Heftpreis
20
Pfg.
Natur- und kulturkundlicte Hefte. Verlag Sebastian Lux, Murnau-München. Bestellungen (vierteljährlich 6 Hefte zu DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. Druck: Buchdruckerei Hans Holzmann, Bad Wörishofen,
31