Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 571 Das Sternenuniversum
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 571 Das Sternenuniversum
Retter der Ungeborenen von Hans Kneifel Die Unterwerfung eines Unsterblichen Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Schiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den September des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL entscheidende Impulse zu positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff Tausende von Lichtjahren zurückgelegt, und unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, hat längst eine Normalisierung des Lebens an Bord stattgefunden. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe und Gefahren. So ist es auch im sogenannten »Sternenuniversum«, in das die SOL durch einen Hyperenergiestoß versetzt wurde. Nach der Schlacht um Aqua folgt die SOL dem fliehenden Gegner und erreicht das Gers-System. Dort greifen die Solaner mit Atlan entscheidend in das Geschehen ein. Sie unterwerfen einen Unsterblichen und werden die RETTER DER UNGEBORENEN …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Unsterbliche bekämpft einen »Kollegen«. Keit - Beherrscher der EINZIGEN. Bjo Breiskoll und Sanny - Der Katzer und die Molaatin nehmen Kontakt mit den »Ungeborenen« auf. Breckcrown Hayes - High Sideryt der SOL. Federspiel - Der Mutant tritt in Verbindung mit Sternfeuer.
1. Die Stimmung an Bord teilte sich auch den Insassen der Zentrale mit; in der SOL beherrschten Zweifel und Unsicherheit die Besatzung. Seit die SOL dem Ortungsimpuls des fremden Schiffes folgte, seit die Versuche der EINZIGEN, durch überraschende Kurswechsel den Verfolger abzuhängen, fehlgeschlagen waren, hatten die Solaner rund vierzigtausend Lichtjahre durch das fremde Universum zurückgelegt. Die Besatzung des großen Schiffes betrachtete diesen exotischen Bereich des Universums mit deutlichem Mißtrauen. Sie begann, dem All Eigenschaften anzudichten, die sich mitunter weit von der Realität entfernten. Breckcrown Hayes' narbenübersätes Gesicht war ausdruckslos wie immer. Der High Sideryt lag entspannt im Kontursessel und hatte seine langen Beine ausgestreckt. Nur die unruhigen Finger, die immer wieder über den Tasten der Fernbedienungen in den Sessellehnen schwebten, verrieten seine innere Spannung. Mit seiner dunklen Stimme warf Breck in die Diskussion ein: »Immerhin ist der Ortungsimpuls deutlich zu sehen. Selbst jetzt noch!« Atlan wußte, daß die Situation alles andere als entspannt war. Das Schiff selbst und die Besatzung waren in Ordnung. Fast alles, was unter der umgreifenden Bezeichnung »innerbetriebliche Probleme« lief, konnte vergessen werden – fast alles, genaugenommen. Umso mehr störte es ihn, daß der unheimliche Gegner sich noch
immer verbarg. Nach den aufwendigen Abenteuern auf der Landschaft im Nichts und den Aqua-Planeten verfolgten sie nun das Ortungsecho des stark strahlenden Schiffes jener Schlangenwesen. Wie paßten sie in das große Puzzle hinein? Handelten sie bewußt, oder wurden sie auf undurchschaubare Weise gesteuert? Die Reise der SOL wurde länger und länger, und bisher tauchte für jede beantwortete Frage eine neue Frage auf. Mindestens eine, und sie war meist weitaus schwieriger zu beantworten als die vorhergehende. »Die EINZIGEN steuern möglicherweise auf den Blauen Riesen zu«, sagte Atlan. »Vielleicht bedeutet dies das Ende der Jagd.« Die Ziffern des Bordchronometers zeigten den 25. September 3792 an; der Tag war fast halb vorüber. »In diesem ›Sternenuniversum‹ werden wir noch Dinge sehen und Abenteuer erleben, die wir uns nicht einmal in kühnsten Träumen vorstellen können«, brummte Hayes. »Was sagt die Ortung?« Das Universum der einzelnstehenden Sonnen, in das die SOL hineingeschleudert wurde, stellte den eigentlichen Grund für die seltsame Stimmung an Bord dar. Die Ortung schaltete die Ergebnisse ihrer aktuellen Nachforschungen in die Zentrale. Grafische Darstellungen, Computerzahlen und Symbole erschienen auf den großen Monitoren. Solania von Terra interpretierte die Angaben. »Auch in diesem Sektor kein Funkverkehr, ebensowenig wie andere Raumschiffe außer dem verfolgten. Die EINZIGEN nehmen deutlich Kurs auf den Blauen Riesenstern. Erste Messungen ergeben, daß die Sonne einen Begleiter hat. Neue Daten in Kürze.« Das Schiff der EINZIGEN führte mehrere kurze Linearmanöver aus, denen die SOL ohne die geringsten Schwierigkeiten folgen konnte. Atlans Logiksektor meldete sich und erklärte:
Vergiß nicht, daß ihr soviel wie möglich über dieses seltsame Universum erfahren müßt! Denke daran, daß die Landschaft im Nichts für jeden von euch hundertprozentig real war! Verliert euch nicht darin, daß ihr winzige Einzelheiten zu lange untersucht. Bjo Breiskoll stand auf, zeigte auf den Ortungsimpuls der Sonne und grinste kurz. »Ich schlage vor, wir nennen die Sonne Blue Giant. Auch Sanny hat das Gefühl, daß wir dort etwas erleben werden.« »Wenn wir etwas erleben«, sagte der High Sideryt knapp und nickte, »dann läuft das wohl darauf hinaus, daß wir ernsthafte Schwierigkeiten bekommen.« Das stark strahlende Schiff der Schlangenwesen verschwand jenseits des großen Gestirns. Die neuen Daten liefen ein und waren weitaus präziser und reichhaltiger, als es die Insassen der Zentrale erhofft hatten. Die SOL befand sich ziemlich genau eineinhalb Lichtjahre von dem Riesenstern entfernt. Blue Giant besaß einen Planeten, und diese Welt wurde von vier Monden in unterschiedlich entfernten Bahnen umlaufen. Der Planet besaß eine Gashülle, und auf mindestens zwei Monden wurden ebenso wie auf dem Planeten die Energieemissionen von großen Kraftwerken angemessen. »Und nun«, sagte Federspiel, »müssen wir wieder einmal entscheiden, was zu tun ist.« Im Unterlichtflug näherte sich die SOL in einer Geraden der fremden Sonne. Ringsum funkelten die fast mathematisch regelmäßig verteilten Sonnen des planetenarmen kosmischen Rätselbezirks. Noch niemals hatte Atlan eine solche Zone des Alls gesehen. Nicht einmal in den Speichern SENECAS und erst recht nicht in den Erinnerungen des Unsterblichen waren Hinweise darauf vorhanden, daß es eine solche Milchstraße oder gar ein solches Universum gab. »Wir sind in sicherer Entfernung«, meinte Sanny halblaut. Sie
schien zufrieden; vermutlich deswegen, weil sie hier zu wenig oder gar kein Material für ihre Berechnungen erhalten würde. »In sicherer Entfernung vom Planeten, den das flüchtige Schiff angeflogen hat«, bestätigte der Arkonide. »Aber ich will unbedingt etwas über dieses Sternenuniversum erfahren, wie es Breck richtig genannt hat.« »Interessenkonflikt?« erkundigte sich Federspiel mit angedeutetem Spott. Atlan schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt … Was ist das?« Gleichzeitig mit dem ersten deutlichen Warnsignal der Ortungszentrale erschienen auf den Bildschirmen der Panoramagalerien neue, plötzlich aufflammende Sterne. Sekunden später korrigierten sich alle, die Gelegenheit hatten, den Vorfall auf den Schirmen anzusehen. Es waren leuchtende Kugeln. »Wie poetisch«, grollte Breckcrown Hayes, »hellblau leuchtende Seifenblasen aus dem Nichts.« Noch während er sprach, vergrößerte sich die Anzahl der Energieblasen. Tausende und aber Tausende erschienen buchstäblich ohne jedes Anzeichen aus dem Nichts, wurden durch die Annäherung an das Schiff unwesentlich größer und heller. Aus der Ortung kam ein Ruf, der Verblüffung verriet. »Sie sind winzig! Fünfzig bis hundert Millimeter nur! Sie verteilen sich rund um unser Schiff.« »Aktiviert die Schutzschirme!« ordnete Hayes an und erhielt von SENECAS Terminal die Bestätigung, daß der Bordrechner die Schaltungen unterstützte und kontrollierte. »Energieblasen …«, flüsterte Sanny wie gebannt. »Sie sind niedlich.« Es wurden mehr und mehr dieser winzigen Blasen. Trotz zahlreicher Wiederholungen der gespeicherten Aufnahmen war nicht festzustellen, wie sie entstanden. Einen Sekundenbruchteil vorher war nichts auf dem Schirm, einen Sekundenbruchteil später sahen alle eine fertig ausgebildete Energieblase. Binnen weniger
Minuten umgaben Millionen oder Milliarden dieser Kugeln die SOL und schmiegten sich an die Konturen der Schutzschirme. Atianfragte: »Bjo! Sanny! Merkt ihr etwas Besonderes?« Die Ortung und die zahlreichen Unterzentralen, von denen ununterbrochen Beobachtungen vorgenommen wurden, meldeten sich nicht. Den Insassen der SOL blieb bisher nichts anderes als die bloße optische Beobachtung. Immerhin – die Schirme wurden von den Kugeln nicht durchdrungen. Die Geschwindigkeit der SOL nahm während des bereits eingeleiteten Bremsmanövers ständig ab. In der SOL breitete sich wieder Aufregung aus. Einerseits, mußten sich die Verantwortlichen sagen, lenkte dieser Umstand von der Mißstimmung und der unterdrückten Furcht, sich im Kosmos hoffnungslos verirrt zu haben, ab. Zum anderen wurden alle Arbeiten an Bord wieder einmal gestört; noch lange war die SOL nicht zu einhundert Prozent ein perfekt funktionierendes Superraumschiff, wie es Atlan von damals in Erinnerung hatte. Aber diese neue Unterbrechung, noch ehe die Routine wieder ihre beruhigende Ausstrahlung über die Besatzung gelegt hatte, wirkte aktivierend, ablenkend und letztlich vielleicht grundsätzlich positiv auf alle, ihn selbst eingeschlossen. Sowohl Sanny als auch Breiskoll schüttelten bedauernd die Köpfe. »Nichts?« fragte Solania trotzdem. »Die Blasen sollen uns von einer weiteren Verfolgung des Kugelschiffs ablenken«, meinte der High Sideryt trocken. »Das auch, obwohl wir wissen, wo die EINZIGEN sich verstecken«, sagte die Molaatin schließlich. »Dennoch, ich kann nichts berechnen. Es sind kleine Blasen aus irgendeiner Energie. Sie besitzen nichts.« »Sie sind einfach da und kleben vor den Schirmen. Schlimmstenfalls behindern sie den klaren Blick in die Ferne«, fügte Bjo hinzu. Das Schiff driftete weiter auf das Ein-PlanetenSonnensystem zu. In der Zentrale griff Ratlosigkeit um sich.
Schnelle Reaktionen, wie beispielsweise auf einen erkennbaren Angriff, waren jetzt und hier nicht gefordert. Selbst Hayes verlor seine scheinbare Ruhe, sprang auf und schlug mit der flachen Hand auf das Pult. »Verdammt! Was sollen wir tun?« Nicht Furcht, sondern Ratlosigkeit bestimmte die Überlegungen. Aber jeder, der daran dachte, wie sich aus scheinbar harmlosen Vorfällen tödliche Gefahren entwickelt hatten, vergaß sehr bald sein Lächeln über die scheinbar possierlichen Energiekugeln. Sieben Zehntel, grob geschätzt, schillerten in hellblauen Farbtönen, der Rest schimmerte in anderen, metallisch scheinenden Farben. Schließlich rief die Molaatin mit ihrer hellen Stimme: »Ich finde die Seifenblasen niedlich. Stört euch nicht an diesem Wort. Sie sind in meinen Augen harmlos. Aber nicht einmal Bjo mit seinem kosmischen Gefühl kann etwas feststellen, weder eine Bedrohung noch das Gegenteil.« »Was schlägst du vor?« unterbrach Hayes ihren aufgeregten Redefluß. Die Panoramagalerie verwandelte die Zentrale in einen Raum, der mehr einer interessant dekorierten Vergnügungsstätte glich als dem pulsierenden Herzen der SOL. Alle Schirme zeigten den Farbenrausch der unzählbaren Energieblasen. Sanny fuhr unbeirrt fort: »Wir sollten eine Kugel ins Schiff holen. Ich gehe gern mit hinaus, wenn sich ein schlagkräftiges Team findet.« »Daran hat es sicher keinen Mangel«, warf Lyta Kunduran an. »Unter anderem unsere Buhrlos.« »Ich würde auch nach draußen gehen«, sagte der Katzer. »Sanny meint, daß sie die Kugeln vielleicht berechnen kann, wenn wir uns in unmittelbarem Kontakt mit ihnen befinden.« »Das ist sehr riskant«, gab Atlan zu bedenken. »Ich vermute ganz einfach ein Abwehrmanöver der EINZIGEN«, unterstrich Hayes. »Zwar hören und sehen wir sonst nichts von den
Flüchtenden, aber die Ereignisse lassen für mich kaum einen anderen Schluß zu.« Die SOL war durch den Ansturm der Energiekugeln zwar nicht gelähmt, aber fast blind geworden. Die Ortungsschirme gaben lediglich ein schwaches Echo der blauen Sonne wieder. Atlan blickte nacheinander alle Solaner an, die sich in der Zentrale befanden. In den meisten Gesichtern entdeckte er Zustimmung zur Anregung, die Bjo und Sanny gegeben hatten. »Wir sollten nicht zu lange über diesen Vorschlag nachdenken, Breck«, sagte er. »Einverstanden!« sagte der High Sideryt schließlich. »Stellt ein gutes Team zusammen, sichert euch entsprechend ab und untersucht diese blödsinnigen Kugeln. Aber gleichzeitig werden alle Systeme in Alarmbereitschaft versetzt.« »Einverstanden, High Sideryt«, antwortete SENECA und führte blitzschnell seine Schaltungen aus. Bjo Breiskoll und Sanny verließen die Zentrale. Atlan ging schweigend zu einem Automaten, holte sich einen Becher synthetisierten Kaffees und drückte die Taste für Grappa; daraufhin verwandelte sich der gesüßte Kunstkaffee in eine starke, aber angenehm riechende Flüssigkeit. Während er, die Schirme betrachtend, nachdachte, sagte er sich, daß der Entschluß Brecks die einzig logische Folgerung aus den Ereignissen war. Seine Erfahrung, in langen Jahrtausenden gesammelt, sagte ihm indessen, daß diese niedlichen Blasen mit Sicherheit eine ganz andere Bedeutung haben mußten. Er knurrte in sich hinein: »Warten wir's ab.«
2. Die Gruppe versammelte sich in der kleinen Reparaturschleuse der SOL. Bjo Breiskoll, Sanny, zehn Buhrlos und fünf Solaner mit
umfangreicher technischer Ausrüstung. Nur die Spezialisten waren mit Magnethaken und langen, dünnen Tauen gesichert. Die Buhrlos warteten bereits in der äußeren Schleusentür. »Verständigungsprobe«, sagte eine Stimme in den Helmen der Raumanzüge. Nicht nur Bjo, sondern auch Sanny trugen schwere, komplett ausgerüstete Anzüge und Waffen. Bjo antwortete, als die Warnlampen zu blinken begannen: »Normalerweise spüre ich eine negative Ausstrahlung. Bis jetzt ist das angesichts der Energiekugeln noch nicht der Fall.« »Hüte dich bitte vor unangebrachter Euphorie«, warnte Atlan. »Die Energieblasen sind und bleiben fremdartig!« »Keine Sorge. Ich passe auf ihn auf«, gab Sanny zurück. Einige der Energietechniker lachten und hoben ihre Geräte auf. Die Schleusenpforte glitt auf, die Atemluft entwich und kondensierte. Die Mitglieder des Teams hatten sich freiwillig gemeldet. Die Energieblasen umgaben inzwischen das Schiff in solch großer Dichte, daß der Weiterflug riskant erschien. Jenseits der leicht schillernden Schirmausschnitte ballten sich leuchtende Kügelchen. »Also! Gehen wir hinaus und fangen wir eine Kugel«, rief Sanny und stieß sich ab. Ihr Rückentriebwerk arbeitete nur kurz und brachte sie in die Richtung der optisch gekennzeichneten Strukturlücke. Bjo, die Buhrlos und die schwer bepackten Solaner folgten. Die Männer in den Anzügen sicherten sich und die Geräte an Trossen und fingen mit ihren Tests an. Sie verständigten sich leise und meist mit Handzeichen. »Spürst du etwas, Bjo?« fragte Hayes über das Bordfunknetz. »Noch nichts. Die Blasen bewegen sich.« Bisher hatten die Messungen und die Untersuchungen auch noch nichts ergeben. Umgeben vom Schwarm der Buhrlos drifteten Bjo und Sanny durch die Strukturöffnung des Schirmsektors und auf die Kügelchen zu. Die Energieblasen wichen aus, als besäßen sie eigene Intelligenz. Eine riesige Menge der leuchtenden Pünktchen bewegte sich, wich aus und bildete einen trichterförmigen Schlauch,
dessen Öffnung unmittelbar vor der Strukturlücke lag. »Sie mögen uns!« rief Sanny begeistert. »Seid vorsichtig! Kommt zurück, wenn es gefährlich wird!« rief einer der Techniker. »Es hat nicht den Anschein«, antwortete Bjo leichthin. Lautlos und gespenstisch, als stünden Tausende Energieblasen miteinander in Verbindung, bewegten sie sich. Sie wirkten wie ein riesiger Schwarm kleiner Fische, die synchron dieselben Bewegungen ausführten. Der Trichter schloß die Gruppe ein, ließ aber den Rückzug offen. Die unmittelbare Nähe der Solaner ließ die fremden Dinger reagieren. Wieder wichen die Kügelchen aus, als Bjo und Sanny versuchten, ein paar oder wenigstens eines zu packen. Auch die Buhrlos, die sich weitaus geschickter bewegten als die beiden Gestalten in Raumanzügen, »fingen« nichts. »Sie sind harmlos. Sie wollen vielleicht nur mit uns spielen?« fragte sich Sanny laut. Auch Federspiel in der Zentrale sah, zwar undeutlich, was dort draußen vor sich ging, aber seine telepathischen Fähigkeiten sagten ihm auch, was Bjo und Sanny empfanden und daß sie nichts verheimlichten. Langsam schwebten Bjo und die Molaatin auf die engere Stelle des Trichters zu. Die Buhrlos umschwirrten sie und versuchten noch immer, in einen engeren Kontakt zu den Energieblasen zu kommen. Ihre Versuche blieben vergeblich. Als sich Bjo und Sanny aus der Menge der gläsern schimmernden Körper entfernten und mit kurzen Impulsen der Rückentriebwerke immer tiefer in den Trichter hineinschwebten, fingen die Buhrlos an, die beiden zu warnen. Zwei Finger und die rechte Hand hoben sich: Gefahr! Die linke Hand wurde geballt: Komm mit! Die Buhrlos falteten die Hände und schoben sie deutlich in das Blickfeld Sannys und Bjos: Zurück in die SOL! Bjo und Sanny ignorierten die stummen Warnungen.
Der Trichter aus unzähligen meist hellblau strahlenden Kügelchen war an dieser Stelle so eng, daß Sannys und Bjos Schultern gegen die Kugeln stießen. Die kleinen Fremden wichen langsam aus. Die Buhrlos machten weiterhin warnende Handbewegungen, und jedermann, der die Vorgänge optisch verfolgen konnte, blieb skeptisch. Eine Entscheidung wurde allen abgenommen. Hinter Bjo und Sanny schlossen sich die Kügelchen. Die Bewegung hatte nichts Drohendes, sie vollzog sich weich und langsam. Hinter der Wand aus Blasen waren die Körper noch eine Weile sichtbar, dann verschwanden sie inmitten des vielfarbigen Leuchtens. Einige Sekunden später kam Breiskolls Stimme flüsternd über die Interkom-Lautsprecher. »Sie tun uns nichts. Sie sind harmlos … Ich weiß nicht, was sie von uns wollen.« Die Buhrlos und die Techniker, die noch immer alle denkbaren Antennen und Linsen auf die Energieblasen richteten, blieben hinter der Einschnürung des Schlauches zurück und blickten ratlos auf die Kügelchen, die ganz langsam durcheinanderquirlten, als ob sie sich auf einer ruhigen Wasseroberfläche befänden. Bjo drehte sich langsam herum und riskierte nicht, das kleine Triebwerk einzusetzen. Die Kugeln hatten Sanny und ihn völlig umschlossen. Und jetzt hörte oder besser spürte der Katzer etwas. »Sie flüstern – irgendwie«, sagte er ins Mikrophon. Bjo konzentrierte sich und lauschte förmlich in sich hinein. Sein Verstand wurde von zahllosen schwachen Impulsen getroffen. Er konnte es nicht anders definieren, als er es eben getan hatte: Es war ein pseudointelligentes Wispern. Ein Stimmengewirr, das von irgendwoher kam; ohne Zweifel von den vielen Energieblasen. »Sanny. Hörst du auch etwas?« fragte er leise und versuchte, irgendeine Aussage aus dem Flüstern herauszuhören. »Nein, nichts.« »Aber …?« fragte der Katzer; er hatte aus ihrer Stimme
herausgehört, daß sie eine bestimmte Beobachtung gemacht hatte. »Ich durchschaue das Prinzip. Sie wollen uns etwas sagen. Vermutlich sind sie tatsächlich intelligent.« Bjo schwieg und versuchte, aus dem leisen, wispernden Ansturm von undeutlichen Worten und Begriffen etwas herauszuhören. Es war schwierig, in den sich ständig und ununterbrochen überlagernden Nicht-Informationen etwas zu fassen, eine Bedeutung herauszufinden. Gers. »Ich habe ein Wort gehört«, murmelte er. »Sie wollen uns tatsächlich etwas sagen. Gers habe ich auf Aqua-I bei den EINZIGEN auch geespert.« Gers schien Blue Giant zu sein. Entsprechende Bedeutungen drängten sich ihm auf, und er hoffte, die einzelnen Begriffe richtig zu deuten. Das Bild einer blau strahlenden Sonne erschien in seinem Verstand. Dann manifestierte sich zugleich mit dem Bild eines offensichtlich bewohnbaren Planeten ein neuer Begriff. Gersenter. Auch diesen Namen kannte Bjo von den EINZIGEN. Er riskierte es, über Funk weiterzumelden: »Sie haben Namen genannt. Gers ist die Sonne, der erdähnliche Planet wird Gersenter genannt. Der Planet hat vier Monde.« Bjos Gefühl, daß in den Blasen intelligentes Leben vorhanden war, verstärkte sich. Er glaubte sagen zu können – jedenfalls war er davon einigermaßen überzeugt –, daß dieses Leben auf noch unerklärliche Weise daran gehindert wurde, sich zu entfalten und mitzuteilen. Die Mitteilungen der Energieblasen waren bruchstückhaft und einseitig. Die Kugeln fingen keine Gedanken Bjos oder Sannys auf. Es schien ihm, als würden die Blasen ihr Wissen oder ihre Probleme mehr unbewußt als gezielt an ihn abstrahlen. Walpur … Henster … Por-Larman … Dormigan. Für Walpur standen in den lautlosen Gedanken Begriffe der Technik. Bjo drängten sich undeutliche Impressionen auf:
Raumschiffe flogen und landeten, Raumschiffe wurden hergestellt, ununterbrochen wurden schwere Dinge und Formen produziert. Der folgende Eindruck war, daß dort ein hohes, kämpferisches Potential versammelt war. Breiskoll gab seine Eindrücke an die Zentrale wieder. Er registrierte zufrieden, daß ihn niemand mit Fragen unterbrach und seine Konzentration störte. Dormigan! Neue Eindrücke: ein Mond, den nur wenige besuchten. Wenige EINZIGE, denn dieses Bild tauchte neu auf. Es hatte eine bestimmte Bedeutung unterlegt. Der Mond schien ein Paradies zu sein. Aber trotz der Bilder blühender Gärten, Wasserfälle und wunderschöner Landschaften lag auch über diesen Informationen der düstere Nebel einer abwertenden Beurteilung. Es war, als ob die Kugeln Bjo und Sanny mitteilen wollten, daß sie diesen Himmelskörper haßten – und zugleich liebten. »Es geht ihnen offensichtlich um diesen Mond Dormigan«, sagte Bjo schließlich. »Ich habe nicht die entfernteste Ahnung, was sie uns mitteilen wollen. Atlan?« »Ja?« »Du bist gewohnt, in längeren geschichtlichen Zusammenhängen zu denken. Was kann das bedeuten?« Nun besaßen die Solaner die Namen der Sonne, des Planeten und der Monde. Atlan lehnte sich zurück und schloß die Augen. Er hatte eine Art Vision; die Energieblasen wollten nicht nur den Fremden etwas übermitteln, sondern besaßen Geheimnisse und ein uraltes Wissen, das sie auszeichnete. Sofort fing er sich wieder und gab zurück: »Es kann nur bedeuten, daß die Energieblasen irgendwie unfertig sind, unvollkommen und nicht in der Lage, sich deutlich genug zu artikulieren.« »Es scheint, daß sie auf bestimmte Weise um Hilfe bitten«, erklärte Sanny schließlich. »Ich versuche gerade zu berechnen, was sie
wirklich darstellen.« Sanny hatte die Beobachtungen paramathematisch verarbeitet. Aber sie war nicht sicher, ob sie mit ihren Berechnungen und Entschlüssen richtiglag. Für sie stellte sich die Situation etwa folgendermaßen dar: Die Energieblasen waren ungeborene Intelligenzen. Ihre Vorfahren hatten einst auf dem Mond Dormigan gelebt. Von dort waren sie vertrieben worden. Von den EINZIGEN – dieser Begriff war mehrmals aufgetaucht, hatte Bjo gesagt. Richtig oder falsch? Sanny holte tief Luft, schaltete das Mikrophon wieder ein und berichtete Atlan und dem High Sideryt, was sie von den mehr als seltsamen Ereignissen hielt. Atlan und Breckcrown verhielten sich abwartend. Sie schienen Sannys Theorie noch nicht ganz verstanden zu haben. Jedenfalls hörten sie zu und sagten schließlich: »Seid ihr in Gefahr?« »Nein«, murmelte Bjo. »Ich denke nicht.« »Dann versucht weiter herauszufinden, was die Energiekugeln wollen.« »Genau das tun wir.« Wieder strömte von allen Seiten ungeordnetes Wissen auf Bjo ein. Flüsternde Stimmen raunten Namen und Begriffe. Leise sprach Breiskoll mit Sanny und somit mit den Verantwortlichen in der Zentrale. Die Energieblasen murmelten und wisperten weiter. Die EINZIGEN hatten die – wie hießen sie eigentlich? – die Vorfahren vertrieben. Sie waren von den EINZIGEN als intelligente Lebensform beseitigt. Die EINZIGEN schienen Wesen von ausnehmend grobem Charakter zu sein. Die Dormiganer schienen es hingegen vor ihrem Untergang irgendwie geschafft zu haben, die ungeborenen Nachfolger in Form dieser Energieblasen zu erhalten. »Das ist immerhin eine Ansicht, die ich teilen kann«, sagte Atlan nach einer Weile. »Es klingt logisch.« Wieder tauchten neue Bilder auf.
Was Bjo verstand, gab er an Sanny weiter. Die Molaatin versuchte, den Wahrheitsgehalt aus den Bemerkungen herauszudestillieren. Die Folgerungen waren nicht klar, aber durchaus im Bereich der Wahrscheinlichkeit. Die Ungeborenen waren dazu verdammt, nicht zum Leben erwachen zu können, weil etwas auf dem Mond Dormigan sie daran hinderte. Wer war es? Die EINZIGEN natürlich. Sie hatten die Umwelt auf der Mondoberfläche völlig verändert und den Ungeborenen jede Lebensgrundlage entzogen. In der Zentrale sagte der High Sideryt voller Verwunderung: »Und aus diesem Grund halten sie das erste Raumschiff an und bitten die Insassen um Hilfe! Das muß eine Falle sein.« »Wir sind mit Sicherheit seit Urzeiten das erste Schiff, das diesen Bereich des Kosmos durchfliegt«, entgegnete Solania von Terra. »Vielleicht ist es eine Falle. Aber es klingt tatsächlich nach einem Hilfeschrei.« Bjo erfuhr, daß die »Ungeborenen« (so begriffen sich die Energiekugeln) zum Leben blankes Felsgestein und atmosphärelose Weltraumkälte brauchten. Wie waren solche Lebewesen beschaffen? Ein neues Rätsel. »Die Ungeborenen fühlen und handeln wie ein instinktgeleitetes Kollektiv«, unterbrach Sanny nach einer Weile die Gedanken Breiskolls. »Du hast recht. Sie wollen, daß wir ihnen folgen«, sagte Bjo. »Folgen? Wohin?« »Zum Mond Dormigan. Dort sollen wir das Unrecht mit eigenen Augen sehen, das ihnen angetan worden ist. Dabei sind die Ungeborenen wie Kinder, einfältig und vertrauensselig. Das kann erklären, warum sie jeden Fremden um Hilfe bitten.« »Die Unfertigen kennen nur die EINZIGEN. Sie sind böse. Deshalb müssen alle anderen das Gegenteil davon sein, nämlich gut.« »Ein Glück«, sagte einer der Techniker sarkastisch, »daß sie gerade
die sanftmütigen Besatzungsmitglieder der SOL getroffen haben. Was ist eure Meinung, Breiskoll?« Der Katzer hob im Raumanzug die Schultern und murmelte: »Noch keine eigene Meinung.« Und wieder handelten die Energieblasen schnell und überraschend. Sie lösten sich auf, sie verschwanden. Mit ihnen verschwanden Breiskoll und die Molaatin, die zuletzt in einer Hohlkugel strahlender Kügelchen eingeschlossen gewesen waren. Da an Bord die Blasen nicht als Gefahr eingeschätzt worden waren, unterblieb ein Alarm. Der Funkkontakt zwischen Bjo und Sanny und dem Schiff riß augenblicklich ab. Aber Federspiel gab ein beruhigendes Signal. »Ich spüre nach wie vor ihre Gedanken. Sie sind ruhig und befinden sich nach ihrer Meinung nicht in Gefahr. Bjo läßt mich wissen, daß sie im Augenblick die Umgebung verschwommen wahrnehmen und das Gefühl einer großen Geschwindigkeit haben. Vermutlich wurden sie von den nun unsichtbaren Energieblasen zum Mond Dormigan gebracht.« Atianfragte: »Die telepathische Verbindung dauert also an?« »Ja. Mit unveränderter Stärke. Ich habe den Eindruck, daß sich Sanny und Bjo nicht zu fürchten brauchen.« Sämtliche Energieblasen waren verschwunden. Sie waren unsichtbar, und zumindest eine große Anzahl von ihnen umhüllte Bjo und Sanny und steuerte mit ihnen den Mond Dormigan an. Atlan sagte sich, daß der Transport wohl mit Überlichtgeschwindigkeit vonstatten gehen mußte; sonst würden Bjo und Sanny verhungern und verdursten. »Du solltest den beiden zwei Schiffe hinterherschicken, Breck«, meinte er. »Mir scheint, daß wir auf eine bemerkenswerte Menge unverständlicher Dinge gestoßen sind. Vermutlich werden die EINZIGEN und die Ungeborenen uns eine Menge Fragen beantworten können.«
»Du hast recht. Die Ereignisse sind offensichtlich noch nicht dramatisch geworden!« Atlan wollte zwei Korvetten bemannen und einen Blitzvorstoß zum Gers-System unternehmen. Er war nicht nur neugierig, sondern auch sicher, daß die SOL dort verschiedene Auskünfte finden würde. Ob allerdings die rätselhaften Ungeborenen die tödliche Gefahr, in der das Schiff steckte, überhaupt erkannten, war fraglich. »In ein paar Tagen sind wir klüger«, brummte Atlan und hoffte, daß die Brick-Twins für den Einsatz zu gewinnen waren.
3. Wajsto Kölsch schob sich in die Zentrale. Hinter seinem auffallenden Körper hatten sich die Brick-Zwillinge aufgebaut. Als Federspiel die Piloten sah, wurde seine Erinnerung schmerzhaft stechend wieder auf seine Zwillingsschwester gerichtet. Gewaltsam verdrängte er die hochsteigenden Empfindungen und konzentrierte sich auf die Stunden, die vor ihm lagen. »Da Atlan immer wieder ablehnt, bestimmende Funktionen zu übernehmen«, dröhnte die Stimme des High Sideryt auf, »habe ich Wajsto Kölsch zum offiziellen Chef dieses wichtigen Unternehmens gewinnen können.« »Die Wahrheit ist«, meinte Kölsch, der Stabsspezialist, »daß ich mich freiwillig vorgedrängt habe.« Er reckte sein vorspringendes Kinn noch weiter nach vorn, strich über sein schwarzgraues Haar und grinste die beiden Piloten an. »Außerdem gibt es andere, weitaus talentiertere Solaner, die mitfliegen wollten.« »Sind die beiden Korvetten bereit?« fragte der High Sideryt. »Ja. HINZ und KUNZ sind startfertig. Hoffentlich bringen wir sie ohne Schrammen wieder in die Hangars zurück«, rief Vorlan Brick.
»Nicht wahr, Kleiner?« »So ist es«, gab Uster zurück. »Ich nehme an, daß Atlan und Federspiel in die HINZ wollen. Sie hätten dann den kleineren, aber wendigeren Piloten und somit den schnelleren Erfolg.« »Nehmt ihr mich mit?« wollte Hage Nockemann wissen. Er stand im Eingang der Zentrale. Atlan nickte ihm zu, dann sagte er entschlossen nach einem Blick auf die Ziffern des Chronometers: »Hört mit der kabarettistischen Darbietung auf. Wir haben keine Zeit zu verschenken.« Die Teams formierten sich, verließen die Zentrale und befanden sich nur Minuten später in den Hangarschleusen der beiden Korvetten. Natürlich besaßen die kleinen Raumschiffe andere Bezeichnungen, aber der skurrile Humor der Brick-Zwillinge sorgte dafür, daß die ungewöhnlichen Bezeichnungen beibehalten wurden. Wajsto Kölsch wandte sich an Atlan. »Abgesehen von der höchst sportlichen Auffassung, die unsere Piloten-Zwillinge von derlei Einsätzen haben – was ist dein Ziel, Atlan?« Ohne zu zögern, gab ihm Atlan die ehrliche Antwort. »Ich kenne die EINZIGEN, die auf den Aqua-Welten als GravoManipulatoren gefürchtet waren. Ich erhoffe mir von ihnen einige qualifizierte Antworten auf unsere lebenswichtigen Fragen. Was ist das Sternenuniversum, und wie schaffen wir es, aus diesem seltsamen Bezirk des Universums zu entkommen? Was ich von den EINZIGEN wirklich halte, werde ich dir sagen können, wenn wir den Planeten Gersenter unter uns haben. Noch etwas!« »Ja?« fragte Kölsch gedehnt. »Ich glaube, daß die Ungeborenen genügend Zeit hatten, um eine unendlich große Menge Wissen zu sammeln. Ich kenne einige einschlägige Beispiele. Sie alle laufen darauf hinaus, daß innerhalb langer Zeitabläufe selbst einfache Organismen sehr viel lernen.« Kölsch zog den Arkoniden an Bord der HINZ und gab zurück: »Das wiederum werden wir in einigen Stunden besser wissen.
Los! Handeln wir konsequent und schnell!« »Genau dies ist meine Absicht!« pflichtete ihm Atlan mit einem aufmunternden Lächeln bei. In den letzten Monaten war dafür gesorgt worden, daß die meisten Beiboote der großen SOL perfekt ausgerüstet, jederzeit startbereit, technisch in erstklassigem Zustand waren und mit nahezu militärischer Exaktheit gewartet und repariert wurden. Roboter, ehemalige Angehörige der unterprivilegierten Klassen und Fachleute, die ihr neues Wissen aus SENECA-Schulungskursen und eigener Erfahrung bezogen, garantierten inzwischen für die fast nahtlose Erfüllung aller Problemstellungen. Die HINZ und die KUNZ standen nebeneinander in einem großen Hangar. Die Teilnehmer dieser wichtigen Mission gingen an Bord und fanden ausgerüstete Raumanzüge ebenso mit dem ersten Griff wie jedes andere Teil der benötigten Ausrüstung. Das gleiche galt für die Bedienungsmanschaften. Sie funktionierten mit erheblicher Perfektion. Nur Minuten später öffneten sich die Schleusentore. Die Schutzschirme bildeten große Strukturschleusen aus, und HINZ und KUNZ starteten in den unbekannten Weltraum. Uster Brick hob die Hand, blickte Atlan an und sagte halblaut: »Mache dir keine Sorgen über Fragen der Kommunikation. Wir stehen mit der KUNZ in Verbindung. Wohin wollen wir?« »Auf dem kürzesten Weg zum Planeten. Dann sehen wir weiter.« »Alles klar, Chef!« brummte der Pilot und konzentrierte sich auf die Hebel, Schalter, Regler und Knöpfe seines Pultes. Atlan versuchte sich zu entspannen und überlegte zum wiederholten Mal seine Taktik. Er hatte bisher vermutet, die schlangenähnlichen EINZIGEN wären von einer übergeordneten Macht beeinflußt. Natürlich hatte sich ihm der Begriff des Hidden-X aufgedrängt. Was für die Roxharen, die Pluuh und die Ysteronen galt, würde auch für die EINZIGEN gelten. Je mehr er erfuhr, desto schwächer wurde seine Überzeugung in diesem Punkt.
Die EINZIGEN schienen neben sich kein anderes intelligentes Leben zu dulden. Sie schienen darüber hinaus diese Intelligenzen vernichten zu wollen oder hatten es geschafft, diese Nachbarn zu vernichten. Welche Rangordnung nahmen sie in diesem Kosmos ein? Keine einzige dieser Fragen vermochte er zum gegenwärtigen Augenblick zu beantworten. Aber eine Ahnung sagte ihm, daß der einzige Planet in diesem leeren Universum eine Art Angelpunkt war. »Du kannst sicher sein«, sagte er zum Piloten, »daß die EINZIGEN uns sehr bald orten und bekämpfen werden.« Uster grinste ihn breit an und versicherte: »Davon bin ich überzeugt. Gut, daß du an Bord meines Schiffes bist. Hier hast du alle Überlebenschancen – im Gegensatz zur KUNZ. Vorlan würde dich echt verladen, nicht wahr?« Sein Zwillingsbruder schickte über Sichtfunk einige Kraftausdrücke herüber, die den Freiwilligen ein brüllendes Gelächter entlockten. Federspiel sagte völlig sachlich: »Breckcrown macht einen Sprung von knapp einem Lichtjahr. Er will rund ein halbes Lichtjahr von der Sonne Gers-Blue Giant entfernt auf uns warten.« »Sehr lobenswert.« Die SOL wartete also in sicherem Abstand. Hin und wieder berichtete Federspiel, was er von Bjo Breiskoll telepathisch erfahren hatte. Bjo und Sanny befanden sich noch immer im Innern einer Kugel aus unsichtbaren Energieblasen und auf dem Weg zum GersSystem. Atlan setzte sich auf die Armlehne des Pilotensessels und sagte zu Brick: »Du weißt, daß du vermutlich alle Tricks anwenden mußt, die du kennst?« »Ich freue mich bereits darauf.
Was die EINZIGEN können, kann ich schon lange. Vorlan hätte da seine Schwierigkeiten.« »Hör gefälligst mit den Sticheleien auf, und konzentriere dich auf die Manöver«, bat ihn Atlan. »Du bist humorlos!« antwortete der Pilot noch immer gut gelaunt. »Ich denke lediglich an die Möglichkeiten der EINZIGEN, mit dem Gravo-Neutralisator zuzuschlagen. Ihr solltet eure Strategie entsprechend ausrichten.« »Wird gemacht, Atlan.« HINZ und KUNZ nahmen Fahrt auf, wurden schneller und leiteten ein kurzes Linearmanöver ein. Zwei Lichtstunden vor der Blauen Sonne sprangen die Korvetten wieder in den Normalraum zurück. Fast synchron schalteten beide Piloten die Schutzschirmprojektoren ein. Die Ortungsabteilungen begannen zu arbeiten; abgesehen von den starken Echos der Sonne, des Planeten und der vier Monde war der Raum leer. Mit unveränderter Geschwindigkeit rasten die Raumschiffe auf den Planeten zu. Gersenter wuchs auf den Schirmen und zeigte sich als entfernt erdähnliche Welt mit kleinen Wasserflächen und ausgedehnten Kontinenten. Zunächst entfernten sich die Schiffe, die bisher parallel zueinander geflogen waren, wieder voneinander. Aber schon erschienen hinter der Krümmung des Planeten winzige Echos. Zuerst zwei, dann drei weitere. »Kugelschiffe der EINZIGEN!« stellte Uster Brick trocken fest. »Ich glaube, ich weiß, was zu tun ist.« Noch sechs weitere Raumschiffe starteten vom Planeten. Die Echos wurden schärfer und deutlicher. Die Anflugkurven der Gersenter konnten relativ leicht berechnet werden. Noch war die Distanz zwischen den Korvetten und den EINZIGEN so groß, daß sich die Solaner die Art ihres Vorgehens überlegen konnten. »Kleiner!« rief Vorlan aus dem anderen Schiff. »Was gibt's, Großer?« fragte Uster zurück. »Ziemlich starker Verkehr hier, nicht wahr?«
»Und das Feuerwerk wird auch nicht lange auf sich warten lassen. Unsere Taktik, Brüderlein?« »Den Gegner dazu zwingen, nicht auf uns zu feuern, weil er sich selbst am meisten schadet. Einverstanden?« Das Wortgeplänkel täuschte nicht einmal die Piloten darüber hinweg, daß sie sich mitten in die Gefahr hineinbewegten. Fast jedermann an Bord rechnete damit, daß die EINZIGEN ebenso vorgingen wie auf Aqua, also die Schwerkraft neutralisierten. »Wir fliegen Gersenter an«, entschied Atlan. »Und die KUNZ wird versuchen, den Mond Dormigan anzufliegen«, meinte Kölsch. »Auf diese Weise splittern wir auch die Kräfte des Gegners auf.« »Wir können uns darauf verlassen, daß sie mit äußerster Härte zuschlagen werden. Oder es zumindest versuchen«, meldete sich Acarra Vy aus der Feuerleitzentrale der Korvette. »Wir schlagen zurück«, beschied ihm Wajsto Kölsch und nickte grimmig. Die Schiffe rasten auf getrennten Bahnen auf die Sonne zu. Weit vor dem Gestirn, hinter dem aus diesem Anflugwinkel heraus der Planet mit seinen Monden verschwand, entfernten sie sich in einem noch größeren Winkel voneinander. Der errechenbare Kurs führte irgendwohin in die Ferne, aber weder auf Gersenter noch auf Dormigan zu. Die Schutzschirme waren auf nahezu Maximalkapazität geschaltet. Zwar besaßen die Brick-Zwillinge keinerlei telepathische Fähigkeiten, aber sie handelten aufgrund ihrer Erfahrung fast gleichzeitig. Noch bevor die fremden Raumschiffe hinter der hauchdünnen Gasschicht der Sonnenkorona auftauchten, ertönten an Bord von HINZ und KUNZ scharfe, halblaute Kommandos und die Ausführungsbestätigungen. Die Besatzungen der Schiffe halfen sich gegenseitig in die Raumanzüge. Die Korvetten befanden sich einige Minuten später in Alarmbereitschaft. Noch waren die Geschütze und Projektoren gesichert, aber die Feuerleitzentralen programmierten bereits die
potentiellen Ziele. Als sich die Korvetten etwa auf gleicher Höhe über den Polen der Sonne befanden, veränderten die Piloten den Kurs. Die Kugelschiffe der EINZIGEN bildeten zwei gekrümmte Linien und näherten sich den Eindringlingen. HINZ und KUNZ beschrieben plötzlich eine spiralige Flugbahn, deren Kurven und Kreise weit auseinandergezogen und völlig unregelmäßig waren. Die Solaner schlossen die Sicherheitsgurte und konzentrierten sich auf die kommenden Minuten und Stunden. Atlan drückte eine Taste und rief: »Atlan an SOL. Habt ihr etwas Neues von Bjo und Sänny erfahren?« »Nein, totales Schweigen«, meldete sich augenblicklich der High Sideryt. Atlan wandte sich an Federspiel. »Du weißt etwas von ihnen?« Federspiel nickte langsam und biß sich auf die Lippen. Nach einiger Überlegung erklärte er laut: »Die Ungeborenen haben erkennen lassen, daß die einzige Quelle des Übels der Herrscher Keit in der Hauptstadt Gersenters ist. Die EINZIGEN sind überheblich, und Keit soll der Schlimmste von allen sein. Verstehst du … ich versuche, ungeordnete Gedanken in präzise Worte zu kleiden. Bjo und Sanny sind noch immer mitten in einem Pulk flüsternder Energieblasen. Sie werfen den EINZIGEN vor, daß sie der Ansicht sind, die einzigen intelligenten Wesen der Schöpfung zu sein.« »Eine Information von Bedeutung«, sagte Wajsto Kölsch zufrieden. »Noch mehr?« »Nichts mehr. Im Moment geben sich die beiden einer Sturmflut von Eindrücken hin. Sie schwelgen förmlich in Stimmungen, fremdartigem Wissen und anscheinend exotischen Erfahrungen. Vermutlich hängt es damit zusammen, daß die Ungeborenen gleichermaßen unreif, jung und uralt beziehungsweise erfahren
sind. So jedenfalls empfinden Sanny und Breiskoll.« »Verstanden!« antwortete der Arkonide knapp. Er hatte wirklich verstanden und zog seine Folgerungen aus dem, was er gehört und, ohne es genau zu wissen, bedacht hatte. Fast gleichzeitig führten beide Korvetten ein wohlausgerechnetes Linearmanöver durch. Die Schiffe wurden für die EINZIGEN kurz unsichtbar und tauchten an ganz anderen Stellen wieder auf. HINZ jagte, scharf abbremsend, auf Gersenter zu. Und KUNZ ging in einen spiraligen Orbit um Dormigan hinein.
* Bjo vergaß alles: Sanny, seine Lage, die SOL und die drohenden Gefahren, die zu erwarten waren. Er fühlte sich, als ob er in einer warmen, bernsteinfarben durchglühten Flüssigkeit schwerelos schweben, auftauchen und untertauchen würde. Unbewußt hatte er die Haltung eines Ungeborenen angenommen – eines ungeborenen Säuglings im Mutterleib. Er fühlte, wie von allen Seiten ununterbrochen Ströme von Eindrücken und Gedankenbildern auf ihn einströmten und in ihn einsickerten. Das Wissen, das hin und wieder aus dem Wispern in ihn einsickerte, war nicht sonderlich groß, aber von der Klarheit des Einfachen. Die Bilder, und dies hatte Breiskoll sehr früh merken können, entsprachen in ihrer Struktur höchst kindlichen Gedanken. Aber in der – offensichtlich – langen Zeit, die sie seit ihrer Vertreibung irgendwo verbracht hatten, waren ihnen andere Fähigkeiten zugeflossen. Als Gemeinschaft hatten sie die Fähigkeit erworben oder entwickelt, sich auf eine merkwürdige Weise aus der realen Gegenwart zu entfernen. Zwar blieb die Gegenwart noch sichtbar und war auch nicht
zeitverschoben; man sah sie wie durch einen dichten Vorhang, der sich in beiden Ebenen bewegte. Schleier und Schlieren verzerrten das Bild. Was sah der Katzer? Es war nicht viel. Den strahlenden Glanz einer blauweißen Sonne, die undeutliche Silhouette eines Planeten und die Schatten von vier Monden. Bjo war wie Sanny, von der er nichts sah und hörte, in das Funktionsprinzip dieses Vorgangs eingeschlossen und begriff ihn nicht. Er wußte nur, daß sie ungefährdet waren, unsichtbar im Schutz einer Kugel aus ebenfalls unsichtbaren Energieblasen. Die schwankenden Bilder der Sonne und des Planeten wurden undeutlicher. Dafür verstärkte sich der Eindruck eines Mondes. Dormigan. Was der Katzer »sah« war halb telepathisch, halb real und daher verzerrt. Er stürzte der Oberfläche eines Mondes entgegen. Der Mond war voller schmaler Bäche und Flüsse, voller wunderschöner Parks und Bergzüge, die künstlich aussahen und so, als habe man sie bewußt an jene Stellen verpflanzt und mit einem schimmernden Glanz versehen. Winzige Seen reflektierten das Sonnenlicht. Eine Stimme machte sich deutlich bemerkbar. »Bjo? Hier ist Sanny!« Breiskoll hatte gemerkt, daß er von Federspiel auf behutsame Weise belauscht wurde. Nun kehrte er langsam und widerwillig in die Wirklichkeit zurück und prallte gegen die harten, unangenehmen Probleme der anderen Solaner. Es war wie ein unangenehmes Erwachen. Als ob er nur aus Pflichtbewußtsein, keineswegs aus Neigung versuchte, aufzustehen und sich den kommenden Pflichten zu widmen. »Ich höre dich«, sagte er und vergaß, daß sie in schweren Raumanzügen steckten und akustisch verkehrten, nicht auf dem Weg über die Gedankenwelt. »Wir sind auf dem Weg nach Dormigan.«
»Begriffen.« »Sie wollen uns die Parkstädte der EINZIGEN zeigen.« »Das habe ich ihren Impulsen entnommen«, antwortete er. »Die EINZIGEN sind böse und hart, selbstsüchtig und von einer eisigen Skrupellosigkeit gegenüber jedem anderen intelligenten Leben.« Bjo wartete auf eine Antwort oder eine Stellungnahme. Vergebens. Er sagte schließlich: »Ich werde diese Erkenntnis an Federspiel richten, mit aller Kraft. Er wird es Atlan und dieser an die SOL weitergeben.« »Hoffentlich.« Dormigan wurde deutlicher. Die seltsame Beziehung des Kordons aus Ungeborenen machte, daß eine Art intellektueller Linseneffekt stattfand. Obwohl Bjo und Sanny in mehreren tausend Kilometern Entfernung in einem physikalisch kaum ausdrückbaren Orbit um den grünen, blinkenden, schillernden und strahlenden Mond rasten, empfingen sie einzelne Bilder, die so wirkten, als ob sie langsam über den Wipfeln großer, wunderschöner Bäume im Zickzack über die Parklandschaft schwebten. Eine Stadt tauchte auf, die Ungeborenen gaben Informationen, die Informationen waren mit Stimmungen unterlegt und drastisch verstärkt. Ein erster Eindruck einer Stadt der EINZIGEN. Ausdruck einer beherrschenden Kraft dieses Universums: kalt, hart, eigennützig. Die Philosophie der schuppigen, schlangenartigen Wesen duldete kein anderes intelligentes Leben. Die hochragenden Türme, die kantigen und geballten Formen der Gebäude drückten aus, was die Ungeborenen den Solanern zu verstehen gaben: Macht, Kraft, Herrlichkeit, erbarmungslose Stärke. Die EINZIGEN hatten diese Städte und den Park auf Dormigan mit Hilfe einer hohen Technologie geschaffen, deren Prinzipien längst vergessen worden waren. Die EINZIGEN drückten Knöpfe und zogen Hebel, aber sie kannten nur deren sichtbare Funktionen, nicht die Prinzipien.
Sanny und Bjo waren in Ketten rätselhafter Vorgänge eingeschlossen. Wieder formte sich ein Begriff oder ein Name: KEIT. Plötzlich meldete sich die Molaatin: »Sie führen uns zu einer bestimmten Stelle. Für die Ungeborenen, die Dormiganer, bedeutet dieser Punkt etwas.« »Wir müssen abwarten, was sie wollen.« »Es scheint ein ausgefallenes Stück des Oberflächenparks zu sein«, sagte Sanny. Ihre Worte störten Breiskoll in seinen Versuchen, und er schnappte kurz zurück: »Bitte! Sei still!« Noch immer hatten Bjo und Sanny keine Angst. Sie fühlten sich sicher und geschützt. Sie begriffen, daß sie unsichtbar geworden waren; eingeschlossen in eine Kugel aus unsichtbaren Energieballungen kleinster Größe. Die Blasen suchten in einem langsamen Kurs über der Oberfläche des Mondes einen Bereich zu finden, der für sie von erheblicher Wichtigkeit war. Erregung durchpulste die Ungeborenen, als sie inmitten einer hügeligen Landschaft voll von prächtigem Grün einen fast kreisförmigen Fleck ansteuerten. Im Zentrum der Fläche, die aus Kies, Sand und einzelnen Felsbrokken bestand, erhob sich eine Ruine. Sanny und Bjo konnten das uralte Bauwerk, das selbst jetzt noch gewaltige Kraft ausstrahlte, deutlich sehen. Für lange Sekunden hörte das Flirren und Schwanken auf, das bisher die Bilder verzerrt hatte. Das uralte Bauwerk machte auf die Solaner den Eindruck, als sei es eine Kultstätte oder eine Stelle, die für die Erinnerung an große Taten gebaut worden war. Reihen wuchtiger Säulen, die einmal sehr weit in den Himmel aufgeragt waren, standen auf riesigen Platten, deren Ränder ebenso zersplittert und zerfressen waren wie die Enden der Säulen. Die noch vorhandenen großen Baukörper wirkten ihrerseits, als wären sie Reste von Energieanlagen oder
Kraftwerken. An einigen Stellen ließ man das Bauwerk zerfallen, andere Teile waren auf sehr aufwendige Art wiederhergestellt worden. Während des Anflugs hatten die Dormiganer geschwiegen. Jetzt drangen wieder gewisperte Informationen auf Bjo und Sanny ein. Inzwischen glaubten die Solaner, den richtigen Weg herausgefunden zu haben, in dem Stimmengewirr die wichtigen und richtigen Begriffe herauszusuchen. Die neue Erkenntnis: Die Ruine war ein Ziel ständiger Ausflüge und vieler Besucher – aber nur von EINZIGEN, die von Gersenter kamen. Was war der Grund? Die EINZIGEN wußten aus der Überlieferung, daß die Ruine einst der Sitz des Herrschers von Dormigan war. Für die EINZIGEN waren die Dormiganer stets die ärgsten Feinde gewesen. Dormigan und das seltsame Leben auf diesem Mond paßten nicht in das kalte, von Eigennutz diktierte Weltbild der EINZIGEN! Hier, an der Stelle dieses zerfallenen Mahnmals, rühmten sich die Gersenter ihrer Taten, die sie als Heldentaten aus der Vorzeit definierten. Der Sieg über die Feinde war binnen vergleichsweise kurzer geschichtlicher Zeit zur Legende geworden. Die Auskünfte und Schilderungen der flüsternden Energieblasen schlugen in helle Empörung um. Sie ließen erkennen, daß sie die Wahrheit aussprachen. Von den Gersentern wußte niemand mehr, wer die Dormiganer wirklich waren, wie sie ausgesehen und gekämpft hatten. Die wild wuchernden Ranken der Märchen hatten alle Einzelheiten bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die EINZIGEN hatten jenen Teil ihrer Geschichte ebenso vergessen wie die Grundlagen der Technik, die sie zu Beherrschern eines riesigen Teils des Universums gemacht hatte. Das Volk der Gersenter verfiel langsam. Sie benutzten und reparierten, aber sie entwickelten nicht mehr.
Die Energieblasen verließen nach einigen Umkreisungen des ehemaligen Herrscherpalasts die Höhe, in der sie sich bisher bewegt hatten. Sie schwebten niit ihren verwunderten und sprachlosen Gästen auf einen kantigen Turm zu, von dem noch sehr viel Mauern und Zinnen standen. In diesem Moment merkte der Katzer, daß Federspiel seine Gedanken belauschte, und er richtete einen langen Ruf an ihn. – Atlan und der High Sideryt würden bald erfahren, was die zwei Solaner jetzt wußten.
4. »Ich glaube, bis zur Klärung unserer Fragen dauert es noch verdammt lange«, knurrte Kölsch und wies auf die Bildschirme. »Gersenters Bewohner zeigen sich uneinsichtig.« Fünf Raumschiffe der EINZIGEN verfolgten die Korvette HINZ. Sowohl Kölsch als auch der Arkonide glaubten die Reaktionen der Schuppenwesen richtig vorhergesehen zu haben. Durch die Ereignisse und vor allem die rücksichtslos geführten Kämpfe im Aqua-System mußten die informierten Solaner die EINZIGEN für eine Fehlentwicklung intelligenten Lebens halten; ihre geistige Einstellung, die neben den Gersentern kein anderes Planetenvolk duldete, verwirkte durch diese mörderische Taktik jeden Existenzanspruch. Was machte die EINZIGEN so bösartig und rücksichtslos? Uster Brick jagte die Korvette genau an der Grenze der dichteren Atmosphäre über den Planeten. Die Kugelschiffe versuchten, HINZ einzukesseln. Aber der Pilot steuerte das Raumschiff stets in einen solchen Winkel, daß jeder Einsatz der Gravo-Neutralisatoren auch die Planetenoberfläche treffen würde. »Paß auf, Steuermann!« rief Atlan, als zwei Kugelschiffe mit ihren gelbleuchtenden Stabilisierungsschirmen versuchten, die HINZ zu
überholen und sich unter sie zu schieben. Zweimal feuerten die Bordprojektoren in die Schirme und erzeugten ein Feuerwerk. Brick flog eine scharfe Abwärtskurve und neutralisierte damit binnen Sekunden das Manöver der EINZIGEN. Für kurze Zeit hatte die Gefahr bestanden, daß die Gersenter die HINZ erfolgreich hätten angreifen können. »Schon erledigt«, brummte er. Die Korvette raste schräg abwärts und verringerte ihre Geschwindigkeit. Ununterbrochen wich das Raumschiff aus, beschrieb enge Kurven und befand sich immer in gebührendem Abstand unterhalb der Verteidiger. »Vielleicht bringe ich es fertig«, meldete sich Federspiel laut und duckte sich unwillkürlich, als die Korvette kippte und über einen hochragenden, schneebedeckten Berggipfel hinwegheulte, »euch die letzten Neuigkeiten von Breiskoll und der Molaatin zu erzählen.« »Wo sind sie?« »Auf der Oberfläche des Mondes. Dormigan. Sie haben eben ein rätselhaftes Bauwerk entdeckt …« Mit einigen Sätzen unterrichtete Federspiel die Besatzung des Schiffes darüber, was Bjo und Sanny aus den Gedanken der Ungeborenen herausgefiltert hatten. Auch die Zentrale der KUNZ wurde verständigt, ebenso wie Breckcrown Hayes in der SOL. »Sie riskieren es nicht, ihren Neutralisator einzusetzen«, bemerkte Brick voller Zufriedenheit. Die Korvette beschrieb zwischen Bergrücken und über breiten Wasserläufen einen verwirrenden Kurs. Die Kette der Verteidigerschiffe befand sich schräg hinter ihnen – und über der HINZ. »Sie werden es versuchen«, warnte Atlan, »wenn sie die geringste Chance sehen.« Noch befürchteten die EINZIGEN, ihren eigenen Planeten zu verwüsten. Aber der rasende Flug der Korvette über die Oberfläche konnte nicht stundenlang so weitergehen. Atlan studierte mit konzentrierter Aufmerksamkeit die Schirme und prägte sich die
Einzelheiten des Geländes ebenso ein wie die Charakteristika der Gebäude. Die HINZ näherte sich dem Bereich der Dämmerungsgrenze und wich nach Norden aus, in die Richtung des Pols. Einige Minuten später faßte Atlan die Analyse seiner Beobachtungen zusammen. »Ich sehe nichts, was wie Abwehrforts oder sonstige Verteidigungseinrichtungen wirkt.« »Sie haben es gar nicht nötig!« grollte Wajsto Kölsch. »Die überheblichen EINZIGEN haben niemals einen Angriff befürchten müssen.« »Sie glauben, seit Ewigkeiten die einzigen intelligenten Lebewesen in diesem Universum zu sein«, rief Argan U. »Jedenfalls haben sie Angst! Dort!« sagte Federspiel scharf und vergrößerte die Signale eines Ortungsschirms. Irgendwo im Norden der planetaren Landschaft schien sich ein wichtiger Punkt zu befinden. Eine Schar kleiner Raumschiffe stieg auf und versuchte, ein annähernd kreisförmiges Gebiet abzuschirmen. Atlans Logiksektor meldete sich erregt: Die Hauptstadt. Vermutlich residiert dort jener Keit, von dem Bjo berichtete. Atlan hob den Arm und machte Kölsch auf sich aufmerksam. »Möglicherweise haben wir den Platz gefunden, an dem man unsere Fragen beantworten kann.« »Aber nicht beantworten wird«, beharrte Wajsto. »Die Hauptstadt, Atlan?« »Höchstwahrscheinlich.« Die Korvette ging abermals um ein paar hundert Meter tiefer, ohne die Geschwindigkeit zu verringern. Hinter dem kugelförmigen Raumschiff bildete sich in der Lufthülle ein langgezogener, nebliger Wirbel. Alle Gebäude und Bäume warfen lange Schatten; die große Scheibe der Sonne Gers sank dem Horizont entgegen. Die großen Schiffe der Gersenter, die bisher die HINZ verfolgt hatten, wichen
seitlich aus, wurden langsamer, gaben aber die Verfolgung nicht auf. »Tatsächlich, eine Stadt!« stellte Uster Brick fest. Zwischen den bewachsenen Hügeln und dem flachen Land rechts breitete sich ein riesiger See aus. In das dunkelblaue Wasser ragte eine große Halbinsel mit zahlreichen Buchten hinein. Große Gebäude in auffallend runden Formen duckten sich zwischen Felsen, die wie natürliche Pyramiden und Spitzkegel seltsam schräg aus der Erde hervorragten. Auch dieser Teil des Planeten war auf das sorgfältigste gestaltet. Die parkartige Oberfläche aber wirkte wie die Lebensphilosophie der Gersenter: geometrisch, kalt und ohne den Charme, den gärtnerische Anlagen auf anderen Welten ausstrahlten. Der See und die Halbinsel wurden von mindestens zwanzig kleineren Schiffen mit weiß strahlenden Stabilisierungsschirmen über der Metallhaut geschützt. Mit mühsam erzwungener Ruhe sagte Atlan: »Ich habe vor, zu testen, ob wir den Beherrscher Keit finden. Eine Ahnung sagt mir, daß er sich in der durchbrochenen Kuppel am Ende der Halbinsel befinden könnte.« »Wie willst du das herausfinden?« erkundigte sich aus der Feuerleitzentrale Acarra Vy. »Durch Versuche. Uster – du könntest gelegentlich uns allen und auch den EINZIGEN beweisen, daß sich deine Ausbildung bezahlt macht.« »Willst du mich beleidigen, Weißhaariger?« erkundigte sich Uster lachend und leitete ein neues Manöver ein, das die Korvette in einer beängstigend engen Kurve über dem See zurückschweben ließ, auf die verfolgenden Schiffe zu. Zweimal feuerten die Geschütze der HINZ, die Energie durchschlug die Schirme und rief im Innern der Schiffe heftige Detonationen hervor. Brennend und mit riesigen Qualmwolken stürzten die Kugeln in den See. »Das werden sie sich nicht gefallen lassen«, murmelte Federspiel. Eines der kleineren Schiffe riskierte es, den Gravo-Neutralisator
einzusetzen. Hinter der Korvette befanden sich gegnerische Schiffe und der freie Luftraum. Brick bewegte sich so schnell wie ein Robot. Die HINZ machte förmlich einen Sprung vorwärts. Im selben Moment schob sich ein großes Kugelschiff der Gersenter hinter der HINZ in den Bereich des Wirkungskegels der Waffe. In einer blendenden Detonation löste sich das große Schiff auf. Die glühenden Trümmer schlugen wie Meteore in den See und erzeugten brodelnde Dampf säulen. »Ich stelle gewisse Nervosität fest«, erklärte Federspiel unruhig. »Was bedeutet es für uns?« »Keinen wesentlichen Fortschritt«, sagte Atlan. »Brick … ein Anflug auf die Kuppel wird uns zeigen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.« »Ich habe begriffen, was du willst.« Ein Befehl Atlans aktivierte fünfundzwanzig schwere Kampfrobots. Sie waren Sekunden später voll einsatzfähig, hatten aber noch keine klare Zieldefinition. Eine zweite Schaltung verband ihn mit der Feuerleitzentrale, in der sofort die Hypnostrahler und die Paralysator-Projektionen eingeschaltet wurden. In den wenigen Minuten, die während dieser Aktionen verstrichen, zeigte Uster Brick wieder einmal, daß er auf konventionelle Art das Schiff fast ebenso gut beherrschte wie ein Emotionaut. Er flog stellenweise nur wenige Meter über der Oberfläche des Binnensees kühne Kurse, wich gleichzeitig den feindlichen Schiffen aus und bugsierte die Korvette in Positionen, in denen die Paralysatoren gezielte Schüsse abgeben konnten. Die volle Energie der Lähmstrahler entlud sich über die nahe stehenden Gebäude, packte die kleineren Kugelschiffe der EINZIGEN und bestreute das Gelände zwischen den Bauwerken. Je mehr sich die Korvette dem einzelnstehenden Kuppelbau näherte, desto heftiger wurden die Versuche der Gersenter, den Anflug abzuwehren. Wieder trafen sie mit einem schlechtgezielten Schuß des Gravo-
Neutralisators einen Teil eines langgestreckten Gebäudes, mehrere Felsbrocken und den Uferbezirk der Halbinsel. Die Materie, die sich auflöste, erzeugte eine schwere Druckwelle, die sämtliche Raumschiffe packte und auf dem Boden erhebliche Verwüstungen erzeugte. Federspiel rief laut, um die Geräusche der Vibrationen zu übertönen: »Neue Informationen von Bjo und Sanny! Der Herrscher Keit ist unsterblich, sagen die Dormiganer. Er beherrscht angeblich die Technik, andere Existenzebenen anzuzapfen und vielleicht auch Übergänge zu schaffen und zu kontrollieren!« »Sind sie ungefährdet?« schrie Atlan zurück. Der Polsektor der Schutzschirme glühte überladen auf und verlor das Glimmen nur langsam. »Sie fühlen sich weiterhin wohl.« Unglaublich, sagte sich Atlan, daß Federspiel es immer wieder schaffte, seine telepathischen Fähigkeiten einzusetzen, selbst während dieses Wahnsinnsflugs. Die Korvette näherte sich jetzt in direktem Flug der Kuppel, die von zahllosen würfelförmigen Gebäuden umsäumt war. Wieder bemächtigte sich rasende Aufregung der kleineren Schiffe. Immer wieder nahmen die Frauen und Männer um Acarra mit den Paralysatoren nahe gelegene Gebäude unter Beschuß. Torkelnd entfernten sich die Raumschiffe, die von den Strahlenkegeln der Lähmstrahlen getroffen worden waren. Meist rasten sie dicht über dem Wasser dahin und schlugen irgendwo in einer riesigen Gischtwolke auf dem See ein. »Du willst hinaus?« fragte Wajsto Kölsch nicht sonderlich überrascht. »Es gibt keine andere Möglichkeit. Wir müssen den Unsterblichen Keit zwingen, uns zu sagen, wie wir dieses Universum wieder verlassen können. Ich sehe nicht die geringste andere Chance.« »Dort hinein? Ohne zu wissen, wo wir ihn finden können?« rief
Argan U aufgeregt. Federspiel schloß die Augen, klammerte sich an den Armlehnen des Sessels fest und schien vorübergehend in Trance zu fallen. Die Korvette beschrieb einen engen Kreis über der Kuppel und feuerte ununterbrochen mit Paralysatoren und programmgesteuerten Hypnostrahlern nach unten. Acarra Vy versuchte, ein Kommandounternehmen des Arkoniden richtig vorzubereiten. »Die Dormiganer haben erstmals auf eine direkte Frage richtig geantwortet. Sie riefen den Eindruck hervor, in Form eines Bildes, den Bjo an mich weitergeben konnte. Keit lebt in der Kuppel der Halbinsel. Wir haben die richtige Stelle getroffen.« Die HINZ kreiste noch immer dicht über der flachgeschwungenen Kuppel mit dem auffallend hellen Belag. Rund um den kreisförmigen freien Platz schien alles ausgestorben zu sein. Die Lähmstrahlen hatten offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Einige der größeren Raumschiffe zogen sich in Wartepositionen zurück. Sie riskierten nicht, ihre Waffen einzusetzen, denn jeder Treffer hätte auch die Residenz zerstört. Atlan nickte Federspiel dankend zu und erklärte: »Wir riskieren es. Einverstanden, Wajsto?« »Ich mache mit, aber nur unter einer Bedingung.« »Ja?« »Das Unternehmen muß in rasender Geschwindigkeit abgewickelt werden. Die Korvette mit all ihrer Feuerkraft genügt nicht, uns zu beschützen.« »Es ist am besten«, sagte Uster Brick, »wenn ich euch absetze, starte und wieder abhole. Vielleicht braucht mich der Große im Orbit um Dormigan.« »Ausgezeichnete Idee«, sagte Atlan. »Wir müssen mit heftiger Gegenwehr rechnen. Wenn wir tatsächlich bis zum Herrscher vorgestoßen sind, wird der Kampf schnell beendet sein. Uns geht es nur darum, Antworten auf lebenswichtige Fragen zu bekommen.«
Brick rief: »Wo wollt ihr ausgeladen werden?« An mehreren Stellen führten zwischen den Baumriesen und den würfelförmigen Bunkern breite Treppen abwärts ins Innere des Gebäudes, jedenfalls unter den Rand der Kuppel. Der Arkonide deutete auf den nächstgelegenen Eingang und entschied: »Dorthin, Uster, ans obere Ende der Treppe.« »Verstanden.« Ein Trupp von etwa zwanzig hervorragend ausgerüsteten Solanern machte sich fertig. Atlan, Federspiel und Kölsch verließen die Zentrale und rannten einen Korridor entlang. Ein Antigravschacht brachte sie hinunter in die Polschleuse, in der Solaner und Roboter warteten. Durch die ununterbrochenen Interkom-Durchsagen seit dem Start von der SOL waren alle Besatzungsmitglieder der HINZ über alles Wichtige informiert. Jetzt verständigte Wajsto Kölsch sie über den Sinn und das Ziel des Vorstoßes. »Wir haben begriffen.« Die Roboter erhielten genaueste Anweisungen. Atlan, Federspiel und Kölsch rüsteten sich aus, während Uster Brick noch einmal das Raumschiff hochzog, einige Spiralkreise flog und mit allen Waffensystemen der HINZ gezielt feuern ließ. Die Feuerleitzentralen arbeiteten wie rasend und versuchten, unter die EINZIGEN Panik zu bringen, die Stärke der Solaner zu demonstrieren und so viele Gersenter zu lähmen und mit Hilfe der Hypnostrahler zu verwirren wie nur möglich. Dann fuhren zischend die Landestützen aus der Unterschale der Korvette. Das Schiff setzte nach einem flach ausgeführten Anflug dicht vor den obersten Stufen schwer auf den Platten der freien Zone auf. Die Schutzschirme standen unverändert. Drohend schwenkten die zahlreichen Projektoren in ihren kardanischen Aufhängungen. Die Schleusen fauchten auf, und die Roboter schwebten paarweise
hinaus. Dann folgte Atlan, federte unter dem Gewicht schwer in den Knien und wandte sich nach einem Rundblick in die Richtung, in die jene Treppenstufen führten. Er winkte seinen Kollegen, die wie er in schweren Kampfanzügen steckten. Die schweren Maschinen schirmten in zwei Reihen die Solaner ab. Hinter und über sich hörten sie die dröhnenden und heulenden Entladungen der Geschütze, die in schneller Folge ihre Schüsse nach allen Richtungen abgaben. Dann hob die Korvette langsam wieder ab. Die Energie ihrer Triebwerke wirbelte Staub, abgerissene Blätter und kleine Trümmerstücke auf. »Schneller!« rief Federspiel. Jetzt, etwa eine Minute nach dem Ausschleusen, gab es noch immer keine Gegenwehr der Gersenter. Die letzten Solaner stolperten und sprangen die flachen, aber großen Stufen abwärts. Die Roboter schwebten neben ihnen, drehten die Waffenarme nach allen Seiten und bewegten ihre Ortungsanlagen. Atlan, einen schweren Paralysator in der linken und einen Blaster in der rechten Hand, führte den Stoßtrupp an. Die Solaner waren in den letzten Minuten des Tages auf Gersenter gelandet. An vielen Stellen flammten jetzt Beleuchtungskörper auf. Auch an den Seiten der langen Treppe und unter dem weit vorspringenden Dach der Kuppel erhellten sich nacheinander riesige Leuchtflächen. Dunkel ragten die Kronen der Bäume in den stahlblauen Himmel. Die Explosionen und Druckwellen hatten von vielen Ästen die großen, gezackten Blätter abgerissen und kahles Holz hinterlassen. Die Luft war kühl, gut atembar und roch nach Brand und erkaltetem Rauch und irgendwie nach etwas Fauligem. Die mehr als vierzig Gestalten schafften es, etwa hundertfünfzig Stufen in flachem Winkel hinter sich zu bringen, ohne daß sie etwas von der Anwesenheit der Gersenter merkten. Dann tauchten vor ihnen, am jenseitigen Ende eines saalartigen
Raumes, der strahlend hell ausgeleuchtet war, eine größere Menge Gersenter auf. Die EINZIGEN hielten schwere Waffen in den dünnen, geschuppten Schlangenarmen und feuerten sofort. Aber die Roboter waren um Bruchteile von Sekunden schneller gewesen. Sie schoben sich nach vorn und bildeten vor Atlan und den Solanern eine Linie. Sofort donnerten die Paralysatoren der Eindringlinge auf. Aus den Waffen der zusammenbrechenden Gersenter schlugen lange, gleißende Feuerstrahlen. Sie brachen sich an den Schutzschirmen der schweren Maschinen. Zwischen den Körpern der Roboter hindurch peitschten die Paralysatoren der Solaner. Etwas langsamer rückten jetzt Atlans Freunde vor, sprangen über den Wall zusammengebrochener Körper, deren Schuppen merkwürdig stumpf zu werden begannen. »Es geht einfacher«, keuchte Kölsch und rammte mit der gepanzerten Schulter ein Portal auf, »als ich dachte.« »Irre dich nicht«, gab Atlan zurück. »Das war nur der Anfang.« Er verschwendete keinen zweiten Blick auf die Gersenter und stürmte weiter. Die Roboter zerstrahlten eine Reihe anderer schwerer Türen und Schotten und rückten dicht hinter Atlan und Kölsch vor. Die Räume, durch die Atlan und die Solaner rannten, waren in ihrer Größenordnung für rund zwei Meter große Wesen konzipiert. Obwohl Holz mit auffallender Maserung zur Auskleidung ebenso verwendet worden war, wie geschliffener Stein in allen nur denkbaren Farben und Oberflächenstrukturen, obwohl die Stiefel der Kampfanzüge über weiche Teppiche glitten, kannten die Solaner keine Beispiele dieser Art: Die Räume wirkten fremd und kalt und vor allem ungemütlich. Sie paßten wie die Formen der Bauwerke zum bisher festgestellten Charakter der EINZIGEN. Etwa hundert Meter weit konnten sich die Eindringlinge ungehindert bewegen. Die Roboter schützten die Flanken, die
Solaner rannten geradeaus. Atlans scharfes Kommando durchschnitt die Geräuschkulisse aus polternden Schritten, Keuchen, Murmeln und dem Summen der Maschinen. »Ein Roboter nach vorn. Es gibt garantiert Fallen und Sperren. Los, schnell!« Eine Maschine löste sich aus dem Verband und glitt an die Spitze der großen Gruppe. Die Solaner warteten einige Augenblicke und sahen sich um. Mit einiger Verblüffung mußten sie entdecken, daß hier, in Keits Herrscherpalast, alle Räume so seltsam kahl waren. Es gab keine Bilder, keine Friese oder Reliefs. Nur veredelte Oberflächen unterschiedlicher Materialien – und Beleuchtungskörper, die ein kaltes, grelles Licht abstrahlten. Der voranschwebende Robot bog, einem breiten Korridor folgend, nach links ab. Der Boden des Ganges führte leicht abwärts. An den Wänden waren kleine Schriftzeichen und Ziffern angebracht, die den Solanern nichts sagten. Vorsichtig folgten sie der Maschine, die ihnen summend voranglitt. Die Kuppel hatte einen geschätzten Durchmesser von mehr als vierhundert Metern. Die Solaner waren bestenfalls hundert Meter weit zum Mittelpunkt vorgedrungen. Also hatten sie nicht mehr als die Hälfte des denkbaren Weges zurückgelegt. Wajsto Kölsch hob den Arm, zeigte nach hinten und rief: »Wir sollten sicherstellen, daß uns niemand von draußen überrascht. Einige Roboter und Männer mit Funkgeräten?« »Meinetwegen«, brummte Atlan. Der Roboter weit vor ihm spürte einige unsichtbare Sperren auf und zerstrahlte die Zellen an den Seiten des Korridors. Blendende Blitze fuhren zwischen Decke und Boden hin und her und erfüllten den Raum mit mörderischem Knallen. Wieder rückten die Eindringlinge vor und verließen den Korridor. Eine wuchtige Schleusenpforte, riesengroß und mit auffallend wuchtigen Riegeln und Scharnieren, versperrte den Weg. Drei Roboter und vier Männer genügten, um mit ihrer schweren
Bewaffnung den Korridor gegen eindringende Gersenter abzusperren. Die Maschinen setzten auf Atlans Kommando die Desintegratoren ein und verwandelten die Zuhaltungen in ausgeglühte Schlacke und tropfendes Metall. Knirschend und ächzend neigte sich die schwere Platte nach innen, kippte und schlug donnernd auf einen Steinboden. Der Robot schwebte vorwärts, schob die Metallplatte zur Seite und drehte sich um dreihundertsechzig Grad. »Ein riesiger Saal«, stellte Federspiel fest und versuchte, Einzelheiten zu erkennen. Der Saal, rund hundertfünfzig Meter im Durchmesser, war kreisrund und besaß Dutzende von Ausgängen. Einige von ihnen waren mit ebensolchen gewaltigen Platten verschlossen die anderen waren offen. Licht strahlte aus ihren meist unsichtbaren Korridoren in den Saal. Hinter Federspiel und Atlan strömte der Rest des Kommandos in den Raum. »Weit und breit keine Spur des Herrschers«, brummte Kölsch verdrießlich. »Und kein Hinweis darauf, wo er sich versteckt.« Der Saal war ebenso seltsam wie alles, was die Solaner von den EINZIGEN bisher kannten. Er war nicht höher als vier Meter, die Decke bestand aus einer Art Mosaik, das wiederum aus leuchtenden Flächen und Teilen zusammengesetzt war, die nicht strahlten. Es herrschte Totenstille und, abgesehen von den ratlos wirkenden Solanern und den unbewegten Maschinen, absolute Bewegungslosigkeit. »Kannst du etwas feststellen?« wandte sich Kölsch an Federspiel. Der Telepath nickte, als wisse er es selbst nicht genau. Dann brummte er: »Ich glaube, er sitzt wie die Spinne im Netz dieser Anlage.« »Welche Richtung?« fragte Kölsch. Federspiel deutete schräg nach oben, zum Mittelpunkt des Saales. Wieder vergingen einige Sekunden völlig ereignislos. Atlan warf einen Blick nach hinten, zu den wartenden Solanern, die den Korridor absperrten.
»Vorwärts«, sagte er schließlich. »Ich erwarte jeden Augenblick einen Angriff. Robots! Jeder von euch kontrolliert einen offenen Eingang … dort, dort drüben … hier, hinter uns.« Es konnte nicht anders sein! Vorausgesetzt, die Korvette hätte mit ihrem konzentrierten Einsatz wirklich alle Verteidiger im weiten Umkreis gelähmt oder verwirrt – inzwischen mußten von anderen Teilen der Halbinsel die Schutztruppen in Marsch gesetzt worden sein. Auch mußten die Solaner damit rechnen, daß die kleinen Raumschiffe gelandet waren und ihre Mannschaften ausschleusten. Diese Gersenter waren im günstigsten Fall rasend vor Wut und vom dringenden Wunsch besessen, die Eindringlinge zu vernichten – getreu dieser Philosophie, die keinen Dialog zuließ. Unterschätze nicht die Erfahrung eines unsterblichen Wesens, warnte der Logiksektor. Ihr müßt rasch handeln. Der Arkonide holte tief Luft, schloß einige Sekunden lang die Augen und blickte dann seine Kameraden der Reihe nach an. Er nickte kurz. »Die Zeit eilt«, erklärte er. »Suchen wir also weiter nach Keit. Das alte Spiel fängt wieder an. Zeigen wir den EINZIGEN, daß sie nicht die einzigen sind, die energisch vorgehen können.« Nicht mehr so schnell wie vorher, aber energisch und nach allen Seiten sichernd, gingen die Solaner auf den Mittelpunkt der Halle zu. Als sich der letzte der Gruppe etwa zwanzig Schritte von der ausgeglühten Portalplatte entfernt hatte, erfolgte der Angriff. Sie hatten ihn erwartet und handelten mit blitzschneller Entschlossenheit. In sämtlichen Zugängen zur Halle tauchten starke Gruppen von EINZIGEN auf. Sie verteilten sich fächerförmig und feuerten auf die Eindringlinge. Die Roboter, geschützt durch starke Schutzschirme, erwiderten das Feuer. Die Solaner warfen sich zu Boden, robbten in den Schutz der Maschinen und schossen zurück. Ein Orkan aus Geräuschen und ein blitzendes Feuerwerk in
mehreren Farben erfüllte die riesige Halle. Flammen und Rauch wirbelten auf. Die EINZIGEN stießen gellende Schreie aus, als sie vorstürmten. Die Strahler und Paralysatoren der Solaner dröhnten und donnerten. Ein Robot wurde getroffen, sein Schutzschirm zerfetzte peitschend unter der überlastenden Energie, dann detonierte die Maschine und bildete für Sekunden eine Flammenwand zwischen Angreifern und Verteidigern. Aus den Eingängen, deren Wände von Einschußkratern übersät waren, rannten und sprangen noch mehr Gestalten mit schuppiger Haut, die von Kopf bis Fuß mit breiten Ringen, Gurten und Blenden bedeckt war. Die Roboter setzten ihre sämtlichen Waffen ein und schwebten, bösartig summend, auf die Eingänge der Halle zu. Die Solaner lagen auf dem kalten Steinboden hinter ihren Waffen und versuchten, den glühenden Energiebahnen auszuweichen. Der Unsterbliche hatte seine besten Truppen in den Kampf geschickt. Er schien erfaßt zu haben, daß ihm direkte Gefahr drohte – zum erstenmal in seinem langen Leben.
5. Die Kugel mit ihrem schweigend lauschenden Inhalt – Sanny und Bjo – sank langsam zwischen den bröckelnden Mauern abwärts, drehte und wand sich durch riesige Löcher in den Boden und erreichte einen gewundenen Schacht. An seinem Boden und an der Wand waren Stufen zu erkennen; Schmutz lag darauf, Pilze wucherten in den Ecken, und überall hatten sich kleine und große Haufen von zerbrochenen Quadern abgelagert. Es wurde dunkler. Der Eindruck, in ein Gewölbe hinunterzusinken, das Zehntausende von Jahren alt oder noch älter war, verstärkte sich. Bjo Breiskoll hielt bis zum letzten Moment die gedankliche
Verbindung mit Federspiel aufrecht und fragte sich, wann die KUNZ hier auftauchen und was der Pilot unternehmen würde. Wir bringen euch in ein Gewölbe, das selbst die EINZIGEN nicht kennen, flüsterten die Energieblasen. Seit sie sich in der unmittelbaren Nähe ihrer einstigen Heimat befanden, schienen sie ein neues Selbstbewußtsein gefunden zu haben. Sie waren sicherer geworden. Und dadurch waren auch ihre gewisperten Mitteilungen leichter und genauer zu verstehen. Sanny und Bjo schwebten in spiraligen Bewegungen eine lange Zeitspanne abwärts und spürten endlich, daß die Bewegung aufhörte. Sie blickten nach »draußen« und sahen, daß sie sich in einer gigantischen Höhle befanden. Sie war zu zwei Dritteln natürlich, der Rest bestand aus Mauern, Sockeln, Säulen und raffiniert zugemauerten Nebeneingängen. Dies alles leuchtete matt; fast jedes Stück Fels war mit einer dünnen Schicht von insektenähnlichen Organismen bedeckt, deren Körper langsam wedelten und ein grünes Licht abstrahlten. Auf den Sockeln und Simsen standen lange Reihen kleiner Urnen. Sie sahen wie Tongefäße aus, kleiner als Sannys Hand, und halbkugelige Deckel saßen auf den Öffnungen der schlanken Tongefäße. Bjo blickte schärfer hin. Die Tonkrüge waren von Linien in unterschiedlichen Farben verziert, und es schien, als habe jeder Krug seinen eigenen, individuellen Schmuck aus Streifen, nichtgegenständlichen Figürchen und Mustern, wie sie primitive Kulturen in ihren gebrannten Lehm geritzt hatten. Die beiden Solaner fühlten, wie sie sanft im Zentrum der Kaverne abgesetzt wurden. Unter ihren Sohlen befand sich massiver, sauberer Fels. Bjo schaltete den Atemluftindikator seines Anzuges an und verglich die Werte. Die Luft war atembar, die Temperatur entsprach der Umgebung. Über Funk sagte Bjo zu der Molaatin: »Wir könnten die Anzüge öffnen. Jedenfalls haben wir bisher recht
behalten.« »Es gab keinen Moment Gefahr für uns«, bestätigte Sanny. »Aber was sollen wir hier?« »Warte.« Bisher waren die Energieblasen unsichtbar gewesen. Jetzt erwachten sie wieder zu ihrem glimmenden, strahlenden Leben. Im Innern der grünleuchtenden Höhlen erschienen sie überall, nicht mehr in der Form einer hohlen Kugel. Zuerst leuchteten einzelne auf, dann waren es Dutzende, die langsam umherschwirrten, als würden sie einen bestimmten Platz suchen. Schließlich schwirrten Hunderte und Tausende umher. »Aber … die ganze SOL war von den Dormiganern eingehüllt! Wo sind die anderen?« wunderte sich Breiskoll. Der Katzer hatte den Raumanzug noch nicht geöffnet und fragte sich, was klüger sei. »Das ist nur eines ihrer Verstecke«, schien Sanny errechnet zu haben. »Vermutlich ist der blühende Mond voller solcher Verstecke.« Eine Bestätigung »erschien« in ihren Gedanken. So ist es. Bjo hob den Kopf und versuchte, den langsam torkelnden Flug einzelner Blasen zu verfolgen. Obwohl sie nun die tragische Geschichte dieses Volkes kannten, erschienen ihnen die leuchtenden Kügelchen nicht weniger nett als am Beginn ihres Abenteuers. Einige Kugeln bewegten sich auf die Urnen zu, und plötzlich hoben sich die Deckel der kleinen Gefäße. Bjo stieß Sannys Schulter an und deutete auf die Simse und Absätze. Dort sahen sie, wie sich sämtliche Deckel gleichzeitig gehoben hatten. Sie schienen ein unsichtbares Scharnier zu haben. »Wenn das nicht originell ist …«, sagte Breiskoll kopfschüttelnd. Die Energieblasen schwirrten aufgeregt durcheinander. Es gab eine Unmenge von Beinahe-Zusammenstößen, ehe jeder Dormiganer seinen Krug fand und darin verschwand. Eine deutliche Botschaft erreichte die zwei Solaner.
Dies sind unsere Lebenserhaltungsbehälter. Darin haben wir alles überlebt. Es ist nicht einfach, euch den Vorgang zu erklären. »Immerhin haben wir unseren kugelförmigen Schutzschirm verloren.« »Was bedeutet, daß wir nicht mehr länger unsichtbar sind.« »Richtig«, bekräftigte Bjo unruhig. »Hier unten, im Versteck der Dormiganer, sind wir noch sicher. Aber wenn hier EINZIGE auftauchen, sind wir in tödlicher Gefahr.« »Was nun?« Die letzten leuchtenden Kügelchen verschwanden. Mit einem harten, nachhallenden Klappern fielen die Verschlüsse der Krüge zu. Das Leuchten der Gewächse schien plötzlich weniger intensiv zu werden; das grünliche Licht flackerte. Bjo spürte, daß hinter ihm etwas Besonderes vor sich ging. Er drehte sich langsam herum, die Hand am Griff seiner Waffe. Sanny kletterte aufgeregt auf einen runden Felsblock und hielt sich an Breiskolls Gürtel fest. »Was ist das …?« flüsterte die Molaatin. Eine weitere Merkwürdigkeit in der Kette seltsamer Ereignisse fand dort drüben an einer Felswand statt. Zwischen zwei natürlichen Vorsprüngen, die wie zierlich gedrechselte Pfeiler wirkten, erstreckte sich eine Fläche, die ohne jene leuchtenden Organismen war. Etwa fünfzehn Meter breit, war dieses Stück ohne markante Vorsprünge. Es war, als ob der Fels von innen heraus glühte, sich selbst zu zerfressen anfing. Grelle Schriftzeichen erschienen, eines nach dem anderen, breiter als drei Finger und einen halben Meter hoch. Der Vorgang erfolgte ohne jedes Geräusch, aber das gedankliche Flüstern und Wispern drang – durch die Wände der Urnen hindurch? – in die ratlosen Überlegungen der Solaner. DIE LETZTEN UNGEBORENEN UNSERES VOLKES RUHEN HIER. Bjo zwinkerte geblendet, und Sanny schützte ihre Augen mit den Fingern beider Hände. Wieder erschienen ohne jede äußere
Einwirkung Zeichen im Fels, dieses Mal unter der ersten Schriftzeichenreihe. DIE RASSE IST VON DEN EINZIGEN NAHEZU AUSGELÖSCHT WORDEN. NUR DANN, WENN DIE EINZIGEN VERTRIEBEN WERDEN KÖNNEN, KÖNNEN DIE UNGEBORENEN WIEDER ALS VOLK ZU NEUEM LEBEN ERWACHEN. Wieder gab es eine Unterbrechung, als die Schriftzeichen mit der starken, mentalen Ausstrahlung verblaßten und nur winzige Sprünge im Gestein zurückließen. Dann leuchtete eine weitere Reihe auf. DIE EINZIGEN HABEN UNSERE WELT VERNICHTET. »Merkwürdig«, knurrte Bjo. »Der Mond Dormigan erschien mir wie ein blühendes Paradies mit guter Luft und riesigen Wäldern und allem anderen.« Der nächste Satz beseitigte seine Zweifel. DIE UNGEBORENEN BRAUCHEN KÄLTE UND LUFTLEERE, NACKTES GESTEIN UND KEINE PFLANZEN. EINE UMWELT, WIE IHR SIE KENNT, FREMDE, TÖTET UNS UND HAT UNSER VOLK SO GUT WIE AUSGEROTTET. »Das ist die letzte Information, die wir brauchten«, sagte Bjo, dessen Verblüffung nicht geringer wurde. »Das erklärt vieles.« »Aber noch nicht alles«, warf Sanny ein und starrte auf die langsam verblassenden Schriftzeichen. Dann wandte sie sich an Bjo. »Kannst du dich irgendwie den Ungeborenen mitteilen?« Schweigend schüttelte Breiskoll den Kopf hinter der Sichtfläche des Raumhelms. Er wurde in seinen Überlegungen abermals unterbrochen, als sich neue Zeichen bildeten und aufstrahlten. HELFT UNS, FREMDE! WIR HABEN GESPÜRT, DASS IHR NICHT BÖSE UND KALT SEID WIE DIE GERSENTER. HELFT DEN UNGEBORENEN VON DORMIGAN! WENN IHR DIE MACHT DAZU HABT, BRINGT DIE EINZIGEN
DAZU, UNSERE HEIMAT ZU VERLASSEN. ODER BEKÄMPFT DIE GERSENTER! HELFT DEN UNGEBORENEN, FREMDE – IHR KÖNNT ES, WENN IHR WOLLT. Langsam erlosch die Schrift. Das Glimmen der grünlichen Wände wurde wieder stärker und verbreitete eine gemütliche Atmosphäre. »Ja nun«, sagte Breiskoll halblaut und konnte sich noch immer nicht entschließen, den Raumanzug zu öffnen. »Wir sind irgendwie am toten Punkt angelangt. Hier gibt es für uns vermutlich nicht mehr viel zu tun.« »Der Auftrag, den uns die Ungeborenen auf etwas ungewöhnliche Weise erteilt haben, ist wohl nicht durchführbar.« »Wer weiß«, sagte der Katzer. »Ich muß dafür sorgen, daß wir in die SOL zurückkommen.« »Die KUNZ anrufen?« »Genau das habe ich vor.« Breiskoll drehte den Regler der Sendestärke seines Funkgeräts auf Maximum und rief auf der bekannten Frequenz. Die SOL meldete sich nicht, aber durch das statische Rauschen der schlechten Verbindung kam die scharfe Stimme Hage Nockemanns. »… haben begriffen, Breiskoll. Wir sind in einem Orbit um Dormigan und schleusen eine Space-Jet aus. Versucht, an die Oberfläche zu kommen. Es wird, wie auch immer, ein schwieriger Einsatz … eine Menge Kugelschiffe der Gersenter sind hinter uns her. Noch etwas … die SOL nähert sich im Eiltempo. Verstanden, Breiskoll?« »Wir haben verstanden. Wir bringen interessante Neuigkeiten mit.« »Bleibt auf Empfang! Wir … euch einpeilen.« »Klar. Danke. Ende, Hage!« Bjo blickte in die runden, großen Augen der Molaatin. Ihre Gesichter befanden sich, da Sanny noch auf dem Felsen saß, in gleicher Höhe. Leise erklärte der schlanke Solaner, während er aufmerksam seine Ausrüstung kontrollierte und die Feineinstellung
des Funkgeräts übernahm: »Ich glaube, wir haben einen schwierigen Weg vor uns, Sanny. Hinauf zur Oberfläche des Mondes. Und dort wimmelt es wahrscheinlich von EINZIGEN.« »Wir haben auch aus den lebensgefährlichen Fallen der Landschaft hinausgefunden, Bjo. Wir schaffen es auch jetzt.« »Ich habe auch nicht gerade vor, hier zu sterben«, brummte er. »Los. Vermutlich sucht uns die Jet in wenigen Minuten.« »Wenn sie uns überhaupt finden. Dormigan ist verdammt groß«, antwortete die Molaatin und kletterte vom Felsen. Zwischen den Steinbrocken und den flachen Stellen der riesigen Höhle fanden sie einen schmalen Pfad, der zu einem Teil der Wand führte, der nicht zugemauert oder auf andere Weise verschlossen war. Als sie den Bereich verließen, in dem die Organismen für Licht sorgten, blendeten Bjo und Sanny ihre Gürtel-Scheinwerfer auf. Sie befanden sich in einem Teil der Anlage, der nur aus den Resten von Mauerwerk und aus natürlichem Gestein bestand. Es gab keine Stufen, aber irgendwie konnten sie von Sims zu Sims, von Absatz zu Absatz klettern, ohne allzu große Mühe. Meter um Meter kamen sie durch die Öffnungen, durch die sie hereingebracht worden waren, wieder nach oben. Bjo erinnerte sich, daß es heller Tag gewesen war, als er die Kultstätte zum erstenmal gesehen hatte. Vermutlich war es, wenn sie den Turm verließen, noch immer hell. Er hoffte es jedenfalls. »Es wird noch eine Weile dauern«, meinte er nach einer halben Stunde und zog Sanny durch ein gezacktes Loch, dessen Seiten von Moos bewachsen und mit langen Flechten behangen waren. »Müde?« »Noch nicht. Molaaten sind zähe Kletterer, weißt du!« Von weit oben sickerte tatsächlich Sonnenlicht in den verwinkelten Schacht aus dunklem Gestein. Immer wieder schaute Breiskoll in die Richtung der harten Strahlenbalken. Sie trafen auf die Kanten einzelner Stufen, die aus Steinplatten bestanden. Ab und
zu hob Bjo die Molaatin hoch und half ihr, die großen Abstände zwischen den Stufen zu überwinden. Es wurde heller, und sie kamen schneller vorwärts. Schließlich lehnten sie an der Innenwand des Turmes und saßen auf der obersten Plattform, die noch einigermaßen erhalten war. Über Bjo und Sanny spannte sich ein fahlblauer Himmel, über den gerade in diesem Augenblick zwei große Raumschiffe der EINZIGEN flogen. »Bis jetzt gab es keinen Angriff.« »Noch nicht«, sagte Bjo und wartete auf die nächste Funkmeldung der Korvette oder der anfliegenden Jet. »Es geht los, wenn wir uns zeigen. Und hier kann keine Jet landen. Wir müssen hinaus ins freie Gelände.« »Davor fürchte ich mich«, gestand Bjo. Sanny nickte. »Ich auch.« Sie zogen ihre Waffen und suchten nach einem Spalt in der wuchtigen Turmmauer. Sie kletterten einmal rund um die Mauer und fanden schließlich eine Ebene weiter oben eine Öffnung. Die Luke sah aus, als habe sich hier vor Urzeiten ein Schott oder ein Fenster befunden. Von diesem Punkt aus erstreckte sich die Oberkante einer zerfallenen Mauer bis zu einem Rondell, das irgendwann renoviert worden war. Dort konnte eine Jet mühelos landen und befand sich zudem im Sichtschutz eines anderen Trümmerfragments. »Dorthin?« »Ja. Bis die Jet kommt, können wir uns hier verstecken«, sagte Bjo und suchte mit den Augen die Umgebung ab. Schräg unter der runden Plattform landete ein Gleiter. Aus einem Eingang, der außerhalb von Breiskolls Sichtbereich war, kam eine Gruppe von etwa zehn EINZIGEN. Bjo duckte sich, aber zwei Gersenter hatten ihn gesehen. Zwei aufgeregte Schreie hallten zwischen dem Gemäuer wider. Fast resignierend sagte der Katzer: »Verdammt. Sie haben uns entdeckt. Jetzt sollte sich die Jet
beeilen. Achtung, hier Breiskoll … ich rufe Vorlan Brick und die KUNZ. Wir sind entdeckt worden …« Die EINZIGEN waren ruckartig stehengeblieben. Ihre schlanken Körper bewegten sich wie Schlangenleiber schnell durcheinander. Die langen, geschuppten Arme griffen nach den Waffen, die unterschiedlichen Farben der Schuppen funkelten im Sonnenlicht auf. Aufgeregt zuckten die gespaltetenen Zungen vor und zurück, schnatternde und fauchende Laute ertönten. Dann formierten sich die Gersenter zu einer weit auseinandergezogenen Linie und drangen auf jene Rampen und Treppen vor, die zu dem gepflasterten Rondell hinaufführten. Bjo ahnte, daß nur zwei Überlegungen das Handeln der EINZIGEN bestimmten: Entweder war der Fremde – Sanny hatten sie vermutlich nicht gesehen -einer der angeblich vernichteten Dormiganer, oder er war als »Fremder« erkannt worden, womöglich als ein Angehöriger derjenigen, mit denen sie bei Aqua erbittert gekämpft und verloren hatten. In jedem Fall lautete für sie das Gesetz des Handelns eindeutig: Sie mußten vernichtet werden. Langsam hob Bjo die Waffe, entsicherte sie und kontrollierte die Ladeanzeige. Es war keine Sekunde zu früh, denn die ersten Schüsse aus den langläufigen Waffen der Gersenter schlugen gefährlich nahe in die Quadern der Mauer ein und sprengten Steinsplitter los. Bjo Breiskoll zielte sorgfältig, dann löste sich ein Schuß nach dem anderen. Während er feuerte, hörte er die Kommandos in der Kuppel der ausgeschleusten Jet. Er begriff, daß man ihn eingepeilt hatte und sich im Suchanflug befand.
* In der Halle breitete sich das Inferno aus Lärm und Zerstörungen aus.
Ein Robot schwenkte herum und schwebte mit rauchenden Gelenken auf einen Eingang zu. Unentwegt feuerten alle seine Systeme. Rund um den Bogen glühte und kochte das Baumaterial. In diesem Augenblick brach die gesamte Vorderwand ein. Tonnen ausgeglühter Steine und die Reste von schweren Metallteilen prasselten herunter, begruben einige Angreifer und verschütteten rauchend und krachend den Eingang. Die EINZIGEN feuerten ununterbrochen weiter. Die Roboter hatten kleine Schutzschirmprojektoren aufgestellt. Das meiste Feuer brach sich an den schillernden Vorhängen und flutete als Energie über deren Ränder hinaus. Wajsto Kölsch warf fluchend eine Energiekapsel nach einem angreifenden Gersenter und rammte eine frische Zelle in seine Waffe. In der Decke der Halle erschien ein Riß, der sich ständig verbreiterte und verlängerte. Noch hatte sich keine der schweren Stahltüren geöffnet. Überall huschten die schuppigen Körper umher. Die Feuerstrahlen der Waffen ließen die Schuppen aufglühen und zuckend strahlen. Die EINZIGEN bewegten sich tatsächlich mit der Gewandtheit aufgeregter Schlangen. Die langen Schwänze pfiffen durch die Luft, wenn die Wesen rannten. Die vielen Bänder und Gürtel um Rumpf und Gliedmaßen ließen erkennen, daß fast jeder aus der Elitetruppe des Keit getroffen worden war. An vielen Stellen waren nicht nur die Waffengehänge, sondern auch die Haut versengt. Die Waffen und das Echo der Schüsse erschütterten die Halle und setzten sie in schwere Vibrationen. Wieder drang eine Maschine der Solaner vor und zerstörte die Mündung eines Korridors. An mehreren Stellen hatten sich kleine Krater gebildet, die aus kochender Materie bestanden. Ätzende Dämpfe, Flammen und schwarzer Rauch brodelten in die Höhe. Immer wieder drangen dumpfe Schläge durch die schweren Anzüge und deuteten darauf hin, daß auch an anderen Stellen das Gebäude zerstört wurde. Der Robot wurde von den gewaltigen Gesteinsmassen und der
glühenden Lava verschüttet und unter den Trümmern begraben. Sekunden später detonierte das Energiezentrum der Maschine, sprengte den Trümmerhaufen auseinander und ließ einen weiteren Teil der Decke herunterbrechen. Die Druckwelle, die durch den Korridor raste, schmetterte eine weitere Kolonne der EINZIGEN zu Boden, die von außen eingedrungen waren. Atlans Stimme dröhnte durch die Helmlautsprecher. »Wir müssen hier hinaus. Der Saal wird für alle zur Todesfalle.« Die Solaner hatten sich nahe des Zentrums der Halle eingeigelt und stellten jetzt fest, daß die heftigen Kämpfe ihnen nicht sehr geschadet, sie aber ihrem Ziel auch nicht näher gebracht hatten. In kurzen, abgerissenen Intervallen waren die Informationen von außen eingetroffen. Die KUNZ befand sich im Orbit um den Mond, die HINZ versuchte im freien Raum die Schiffe der EINZIGEN abzuschütteln, die SOL drang in die Ekliptik des Planeten vor, und Bjo und Sanny versuchten, die Geheimnisse der Energieblasen zu ergründen. Aus Atlans Helmlautsprechern kamen zustimmendes Murmeln und ein paar geknurrte Bemerkungen. »Wohin denn?« schrie Kölsch durch das Dröhnen und Krachen, das von den Außenmikrophonen übertragen wurde. Atlans Antwort ging in einem gewaltigen Krachen unter. Die Decke des Saales brach genau im Zentrum herunter. Eine gewaltige Wolke aus Gesteinsstaub senkte sich auf Gersenter, Solaner und Roboter. Als sich die ersten Schwaden verzogen hatten, sahen die Solaner, daß sich eine riesige Rampe heruntergeklappt hatte; ein verborgener Gang oder Fluchtweg. Sämtliche Aufhängungen und Befestigungen waren zerstört. Aber eine starke Bahn grellweißen Lichtes strahlte durch die neu geschaffene Öffnung. »Dort hinauf! Roboter nach vorn!« schrie Atlan. Durch die Wolken aus Rauch und Staub donnerten die Energiebalken der Schüsse und ließen die Gase aufglühen. Die Maschinen setzten sich in Bewegung. Die transportablen
Schutzschirmprojektoren wurden hochgerissen und umpostiert. Das wütende Feuer der Solaner verhinderte, daß die Gersenter zu nahe kamen, aber ihre Kampfkraft wurde trotz der gewaltigen Opfer immer wieder ersetzt. Vier Roboter schwebten, nur nach den Seiten feuernd, die schräge Rampe aufwärts. Erst jetzt sah Atlan, daß der vordere Rand der klappbaren Rampe einen bestimmten Teil des Bodenmosaiks berührte, dessen Linien und Muster auf diesen Schnittpunkt hinführten. Die Solaner folgten den Maschinen, allen voran Federspiel, Atlan und Kölsch. »Hier scheinen keine EINZIGEN zu sein!« rief Kölsch. Atlan rannte die schräge Platte hinauf, schirmte seine Augen gegen das intensive Licht ab und entdeckte, daß sie sich abermals in einem runden Raum befanden, der viel kleiner und prächtiger war als der darunterliegende Bezirk. »Noch nicht. Aber sie werden kommen, ganz bestimmt.« »Vermutlich.« Die Eindringlinge verließen den verwüsteten Saal und postierten abermals eine Absperrkette am oberen Ende der etwa vierzig Schritt langen Rampe. Roboter bauten die Schutzschirme auf, die Männer des Kommandounternehmens belegten die nachstürmenden Gersenter mit wütendem Feuer. Atlan versuchte sich neu zu orientieren. Sie befanden sich nun im Zentrum der Kuppel und etwa dreißig Meter über dem Boden. Das Aussehen des Raumes deutete darauf hin, daß das Domizil Keits nicht mehr sehr weit entfernt sein konnte; zudem führten nur drei große Glasportale aus dem runden Raum hinaus. Es gab keinerlei Hinweise. Alle drei Korridore hinter den Türen waren hell erleuchtet. Atlan schickte drei Gruppen Roboter vor und teilte drei Kommandos ein. Er selbst eilte hinter den Robots her – es war ihm gleichgültig, in welche Richtung, denn er erkannte keinen Unterschied. Über Funk hörten die Solaner mit, daß alle drei Korridore
gleichermaßen mit Fallen gespickt waren. Energieschirme bauten sich knallend auf und wurden von den Maschinen beseitigt, die ihre Waffenenergie auf die Stellen konzentrierten, an denen die Schirmfelder die Begrenzungen berührten. Dicke Trennplatten, wuchtig wie Mauern, fielen aus Öffnungen der Decken. Die Roboter zerstrahlten mit den Desintegratoren die seitlichen Teile der Wände, sprengten sie auseinander und drangen rücksichtslos durch die entstandenen Öffnungen vor. Einzeln folgten ihnen die Solaner. Sie waren aufgeregt und wütend und wollten unbedingt ein Ende sehen, einen Ausweg – wie immer er aussah. Illusionistische Tricks, deren Wirkung die Menschen erlagen, die Roboter aber nicht, schufen zusätzliche Verwirrung. Die Korridore knickten nach links, rechts oder nach unten ab. Die Maschinen schwebten und schritten geradeaus, die Solaner rannten hart in Mauern und gegen Stahlplatten. Die Flüche und Verwünschungen erfüllten so lange den Funkverkehr, bis der Stabsspezialist laut brüllend nach Ruhe verlangte. Aber Schritt um Schritt drangen die Kommandos vor. Nahezu gleichzeitig erreichten die Menschen und Maschinen jeweils eine Art Wendeltreppe ohne Stufen. Sie führte aufwärts und wieder zurück zum Mittelpunkt der Anlage. Die Eindringlinge näherten sich der einzigen Stelle, die als Sitz von Keit überhaupt in Frage kam: den Räumlichkeiten direkt unterhalb der geschwungenen Kuppel. Es dauerte länger als eine Stunde. Energiewände, falsche Nischen und Stolperfallen, Sperren aus aufzuckender Energie, Illusionen und Beschuß aus automatisch ausgelösten Waffen – die Solaner hätten gewaltige Verluste gehabt, wenn nicht die schweren Kampfroboter vor ihnen gewesen wären und sie in ihrem Rücken abschirmten. Krachend sank vor Atlan und seinen Leuten eine steinerne, mit
Stahl armierte Wand nach vorn. Als sich der Staub verteilt hatte, sahen die Solaner, daß sie am Ziel waren. Atlans Gruppe hatte Keit zuerst gefunden. Die drei Korridore führten auf eine kreisförmige Galerie. Nur wenige Meter unterhalb des Geländers aus wuchtigen Steinen erstreckte sich eine Plattform. Sie war durch dicke Wände aus durchsichtigem Glas oder undurchsichtigen Platten von vielen Farben in eine Anzahl unterschiedlich großer Räume eingeteilt. Im größten Raum, von Atlans Standort aus rechts unten, saß ein einzelner Gersenter vor einem riesigen Schreibtisch, der von Kommunikationseinrichtungen übersät war. Die großen Schlangenaugen in dem ungewöhnlich dicken, klobigen Kopf starrten Atlan an, über die Distanz von etwa vierzig Meter hinweg. Hinter dem Arkoniden drängten sich die erschöpften Solaner an die Rampe. Atlan öffnete den Raumanzug, schaltete den Translator ein und rief: »Halte deine Truppen an, Keit! Wenn wir weiterkämpfen, sterben sie alle, und auch du stirbst. Und deine Residenz wird zerstört. Uns liegt nichts am Kampf und der Vernichtung. Entscheide dich schnell!« Seine Stimme war kräftig genug, um bis zum Beherrscher der Gersenter hinunterzudringen. Gleichzeitig schwebten die Roboter auf eine geschwungene Rampe zu, die nach unten führte. Die Projektoröffnungen der Waffen richteten sich auf den »Unsterblichen«. Im selben Moment brachen schräg gegenüber die Solaner durch die letzte Absperrung. Undeutlich kam die schrille, fast pfeifende Stimme, die stellenweise jenseits der Hörgrenze lag, an die Ohren der Eindringlinge. »Wir wollen sprechen. Ich schlage eine Kampfpause vor.« »Angenommen«, rief Atlan und hob die Hand, als er gegenüber Wajsto Kölsch erkannte, der ebenfalls seinen Raumanzug öffnete.
»Ich rede mit dir, Unsterblicher.« Die Solaner gingen kein Risiko ein. Sie verteilten sich, nachdem sich auch die dritte Sperrwand aufgelöst hatte, rundherum auf der Balustrade. Männer und Roboter wechselten einander ab, sie sicherten nach hinten in die Korridore hinein und beobachteten gespannt, was unter ihnen vorging. Atlan und Kölsch kamen von zwei verschiedenen Richtungen und erreichten die ersten Öffnungen in dem seltsam arrangierten Bezirk der Räume. Die kurzen Arme Keits, verblüffend dicht unterhalb des Kopfes aus dem Rumpf vorspringend, lagen auf der hohen Platte und bewegten sich; Türen glitten auf und schlossen sich wieder, fast lautlos. Atlan und Kölsch, die schweren Waffen in den Armbeugen, bewegten sich vorsichtig, aber schnell auf den großen Raum zu. Zweimal drehte der Arkonide den Kopf und schaute nach oben. Seine Freunde beobachteten jede Bewegung. Der Logiksektor meldete sich und sagte drängend: Er muß die Niederlage ahnen. Er wird sich nicht geschlagen geben. Du kannst jeden möglichen Trick erwarten. Genau dies setzte Atlan voraus. Kurz bevor Kölsch und Atlan den letzten Durchgang, der wie eine Schleuse gebaut war, passiert hatten, erkannten sie, daß über den scheinbar offenen Abteilungen als fast unsichtbare Decke transparente Energieschirme lagen. Sicher hatten sie, abgesehen von einer gewissen Schutzfunktion, eine andere Bedeutung. Atlan kam als erster in den großen Raum, dessen Boden weiß und dessen Wände transparent waren. Er lehnte sich gegen die durchsichtige Platte und sagte langsam und konzentriert: »Du bist Keit, der Herrscher?« Er hörte die ungewohnt klingende Stimme des Übersetzungsgeräts, hörte die Antwort des EINZIGEN und dann die Worte der eigenen Sprache. »Ich bin Keit. Ihr seid gute Kämpfer. Aber meine Raumschiffe werden euch vernichten.«
»Ein großes Wort, Keit. Wir sind nicht so leicht zu besiegen wie die Dormiganer. Was sollte uns hindern, dich jetzt zu töten, so wie du unzählige andere Wesen hast töten lassen?« Das Schlangenwesen, dessen Schuppen dunkelbraune Ränder besaßen, senkte seinen Kopf und tippte mit den biegsamen, krakenarmartigen Fingern auf den Tasten der Kommunikationsgeräte herum. »Ich kann darauf keine Antwort geben. Wir sind die einzigen Wesen in diesem Sternenuniversum, denen das Überleben gesichert ist.« Atlan verständigte sich kurz mit einem Blick mit Wajsto Kölsch, dann entgegnete er voller unterdrückter Wut: »Wir haben gegen euch auf den Aqua-Welten gekämpft. Wir kämpften gegen dich und deine Truppen hier auf Gersenter. Wir kennen die Namen und die Bedeutung der Worte. Ich weiß, daß du ebenso unsterblich bist wie ich. Ihr steht dicht vor der letzten Niederlage eurer Geschichte. Wir wollen aus dem Sternenuniversum hinaus, und wir stellen an dich die wichtigen Fragen.« Achtung, meldete sich der Logiksektor. Keit plant eine neue Teufelei! Mit einem blitzschnellen Griff schaltete Atlan den Translator aus und sagte zu Wajsto Kölsch: »Schließe sofort deinen Raumanzug. Keine Fragen! Und beobachte alles, was hier passiert. Ich gebe die entsprechenden Signale!« »Verstanden, Atlan«, knurrte der Stabsspezialist und tat, was Atlan ihm vorgeschlagen hatte. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann hob Kölsch den Daumen und grinste unbehaglich hinter der Sichtfläche des Helms. Atlan wußte, daß alle Vorgänge in der Nähe Keits ohne Schwierigkeiten von außen beobachtet werden konnten. Er fühlte sich deswegen keinesfalls sicherer, aber trotzdem empfand er eine deutliche Komponente der Beruhigung. Er versuchte, aus der Mimik des Schlangenkopfes mit der blitzschnellen Zunge und dem Blick der Kobraaugen etwas zu deuten; er war und blieb unsicher.
»Ihr stellt die Fragen? Was wollt ihr wissen?« erkundigte sich Keit. Wenn die Bewegungen seiner langen, ledernen Zunge als Aufregung gedeutet werden konnten, dann hatte sich erhebliche Unruhe seiner bemächtigt. Trotzdem blieb er selbstherrlich und herrisch sitzen und betätigte nur ab und zu einen Schalter vor seinen Geräten. Kölsch blickte auf einige Monitore und machte Atlan ein beruhigendes Zeichen. Er sah, daß sämtliche Kampfhandlungen eingestellt worden waren. Atlan kam, noch immer im offenen Raumanzug, auf den Herrscher zu. Die großen Schuppen des Körpers, der massiger und weniger muskulös als fett war, hatten scharfe Ränder und waren ganz leicht aufgebogen, als wollten sie sich abheben. Atlan sagte sich, daß Keit tatsächlich sehr alt sein mußte. »Du bist unsterblich?« fragte Atlan. Wenn das stimmte, dann … Der Logiksektor flüsterte: Keit muß einen Zellaktivator oder ein ähnliches Gerät besitzen. Sieh nach! »Ich bin unsterblich. Nur ein Unsterblicher kann das große und ruhmreiche Volk der EINZIGEN beherrschen!« »Du läßt alle lebenden Wesen außer den EINZIGEN gnadenlos auslöschen!« sagte Atlan scharf. »Und wir, die Fremden, wurden angegriffen, ohne daß wir die Chance hatten, auch nur ein Wort zu sagen.« »Wir sind die Ersten, die EINZIGEN und diejenigen, die alles tun können. Wir herrschen über dieses Universum. Wir dulden keine Fremden, keine Eindringlinge, niemanden.« »Unsere Absicht ist es, sehr schnell von hier wegzufliegen. Wir brauchen deine Hilfe, Keit.« »Wir erkennen nur uns als intelligente Wesen an. Ihr werdet ebenso vernichtet werden wie alles andere.« Atlan spürte einen unangenehmen Geruch. Zuerst schrieb er den Eindruck Keit zu, nämlich der Ausdünstung des Schlangenkörpers. Dann merkte er, daß der Geruch stechender und schärfer wurde.
Gas! Das war die Teufelei, von der sein Logiksektor gesprochen hatte. Keit ließ Gas in den Raum einströmen, um Atlan umzubringen. Rasend schnelle Überlegungen gingen durch Atlans Verstand – der Metabolismus der Solaner und der EINZIGEN war nicht allzu sehr unterschiedlich. Gas, das für Atlan tödlich war, würde auch Keit umbringen. Also war es ein lebensgefährlicher Test. Dein Zellaktivator! sagte beschwichtigend der Logiksektor. Atlan hob die Hand, warf Kölsch einen intensiven Blick zu und sagte dann mit Nachdruck: »Kölsch! Keit versucht, seine Unsterblichkeit zu demonstrieren. Er leitet tödliches Gas in den Raum. Ich werde seine Absicht vereiteln.« Atlan schaltete den Translator wieder ein und sagte, die Lungen bereits voll Gas, das ihn taumeln ließ: »Keit! Deine Unsterblichkeit ist nichts wert, denn ich atme wie du das Gas ein.« Er ging seitlich an den Tisch heran. Die stechenden Augen musterten ihn argwöhnisch. Atlan schwang die Waffe herum und nahm mit dem Daumen eine Einstellung vor. Von dem Zellaktivator auf seiner Brust gingen heiße Strahlungen aus, die wellenförmig seinen ganzen Körper ergriffen und seine Lungen in Zonen stechenden Schmerzes verwandelten. Keit starrte ihn unverändert an, abwartend und voll steigenden Mißtrauens. Atlans Blick glitt über den Körper Keits. Das Schlangenwesen saß in einem schmalen Sessel mit hoher Lehne. Der lange Schwanz hing schlaff zu Boden und stützte den Körper nicht ab. An fast allen Stellen bedeckten Ringe und Gurte in allen Farben den Rumpf und die Glieder. Oberhalb des weißen Bauchflecks hing an einem Metallgurt ein Gegenstand, der Atlans Interesse augenblicklich fesselte; er sah aus wie ein flachgedrückter Würfel mit auffallend stark gerundeten Ecken und Kanten. Atlan schwankte, aber er konnte genau erkennen, daß genau dieser Würfel nicht zum Rest der übrigen Ausrüstung paßte. Er war zu auffallend.
Atlans Hand deutete in einer umfassenden Bewegung zu den Solanern und Robotern auf der Rampe. »Dein Gas bringt weder mich noch dich um, Keit. Gib's auf.« Sein Finger krümmte sich um den Auslöser der Waffe. Ein dünner Energiestrahl zuckte aus der Projektormündung und traf das fremdartige Gerät. Der Würfel löste sich mit einer blendenden Stichflamme auf. Im selben Moment spürte Atlan, dessen Hände unkontrollierbar zu zittern angefangen hatten, einen heftigen, eiskalten Windstoß. Keit sprang auf, warf den Sessel um und klammerte sich mit beiden Händen an der Kante des Befehlspults fest. »Meine Unsterblichkeit … du hast ihn zerstört!« schrie er mit schriller Stimme. Atlan atmete heftig aus und ein. Die Nebel vor seinen Augen lösten sich langsam auf. Das Stechen unter der knöchernen Brustplatte ließ nicht nach. Der Zellaktivator schien auf seiner Haut zu glühen. An sieben Stellen öffnete sich der Boden. Große Platten schoben sich summend zur Seite. Die Kopfteile und Schultern von schweren Robotern erschienen in dem Zentralraum. Atlan hob die Waffe und richtete sie auf den Schädel des EINZIGEN. »Schicke die Roboter zurück. Sonst stirbst du!« Keit schaltete mit langen, biegsamen Fingern, die keine Gelenke zu haben schienen. Dann schrie er pfeifend: »Zurück! Der Befehl ist aufgehoben!« Die Roboter bewegten sich nicht; die Plattformen zogen sich wieder nach unten zurück, dann schoben sich die Bodenplatten wieder vor die Öffnungen. Keit ließ das Kommandogerät los und drehte sich halb herum. »Ihr habt gewonnen, Fremde.« Atlan fühlte den schweren Arm Wajsto Kölschs an seiner Schulter und sagte: »Alles in Ordnung. Das Gas ist abgesaugt worden. Keit gibt sich
geschlagen.« »Du bist sicher?« »Ich bin ziemlich sicher.« Der Translator arbeitete weiter und übertrug auch Atlans leise Worte. Die Haltung des Herrschers veränderte sich schlagartig. Die Selbstherrlichkeit fiel von ihm ab. Er wirkte jetzt erstaunlich humanoid; wie ein resignierender Greis. Tatsächlich sagte er schleppend: »Ich habe nicht mehr lange zu leben. Was willst du wissen, Fremder?« »Ich will zuerst einmal feststellen, ob wir deinem Volk gegenüber gnädig sein dürfen. Es liegt an dir, ob bis zur Vernichtung weitergekämpft wird oder nicht.« »Stelle deine Fragen!« »Was können wir tun, um mehr über dieses Universum zu erfahren? Wir müssen diesen Bereich verlassen; er hat nichts mit unserer langen Reise zu tun.« Keit schien kurz zu überlegen. Er war zusammengebrochen und sah ein, daß die Niederlage so gut wie vollkommen war. Schließlich erklärte er: »Ich werde Wissenschaftler der EINZIGEN zusammenrufen. Sie sollen es dir erklären.« »Wir haben Eile. Wo findet das Treffen statt?« »Warum nicht hier?« »Mir ist es recht«, sagte Atlan und sah, daß Kölsch seinen Raumanzug endlich öffnete. Einige Solaner verließen die Rampe und drangen in das System der Räume ein. Keit sprach in eine Batterie kleiner Mikrophone, und der Arkonide hörte die Übersetzung mit. Tatsächlich rief Keit eine Gruppe von Wissenschaftlern zu sich, die er fast alle namentlich aufrief. Mehrmals unterbrach er sich, um irgendwelchen Kommandanten zu befehlen, den Kampf abzubrechen und den Fremden auszuweichen. »Es wird dauern, bis die Wissenschaftler hier eintreffen«,
berichtete schließlich Keit. »Ihr werdet meinem Volk den Lebensraum lassen, den es besitzt?« »Das hängt einzig und allein von dir und deiner Bereitschaft ab«, entgegnete Atlan finster, »und davon, wie schnell wir die Antworten bekommen, die wir brauchen.« Einige Kommandos der EINZIGEN tauchten zwischen den Solanern auf. Die Reptilienwesen waren unbewaffnet und machten einen verstörten Eindruck. Ihr Weltbild schien schwer erschüttert worden zu sein. Solaner und Gersenter musterten einander schweigend und mit gemischten Gefühlen. Zum erstenmal waren sie sich auf unmittelbare Distanz nähergekommen. Zwischen ihnen standen bewegungslos die Kampfmaschinen, deren metallene Körper von den Spuren der Gefechte deutlich gezeichnet waren. Federspiel schlug Atlan gegen den Oberarm und sagte halblaut: »Ich versuchte, ihre Gedanken und Empfindungen festzustellen. Sie sind alle innerlich wie vereist. Sie können es nicht fassen.« »Verständlich. Sie denken, daß wir mit ihnen so verfahren wie sie mit allen anderen.« »Was geschieht jetzt?« »Wir haben vielleicht in ein paar Stunden alles erfahren, was wir wissen müssen. Hast du Nachrichten von Bjo und Sanny?« Federspiel senkte den Kopf. »Es sind keine guten Nachrichten von Dormigan, Atlan«, mußte er bekennen.
6. Bjo Breiskoll hatte sich entschlossen; es war ein schneller, fast zu schneller Entschluß gewesen. Wie wohl jeder Solaner haßte er den Ausbruch jäher, unkontrollierbarer Gewalt. Deswegen wußte er, daß die EINZIGEN auch wohl nicht nur in diesem Kosmos einzigartig waren: Ihre Brutalität und ihre absolute
Fremdenfeindlichkeit stießen ihn zutiefst ab. Er wußte in dem Augenblick, als um ihn herum die ersten Energieentladungen einschlugen und ihm die wabernden Glutströme ins Gesicht geblasen waren, daß ihn die Gersenter töten würden, ohne zu überlegen. In diesem Punkt handelten sie wie im Reflex. Er hob den Kopf aus der Deckung, zielte entlang des Waffenlaufs und jagte eine wilde Serie einzelner Schüsse hinunter zu den anstürmenden Gegnern. Viermal schlugen die Entladungen in Steine und Erdreich, riefen Glutbälle, Flammen, Rauch und Detonationen hervor. Dann donnerte der Paralysator auf. Einer der EINZIGEN nach dem anderen wurde mitten im Lauf oder Sprung getroffen, seine Bewegung wurde gestoppt, und der Schlangenkörper überschlug sich. Die Nachfolgenden kamen ins Stolpern, verloren das Ziel aus den Augen und liefen fast schutzlos in Bjos Lähmstrahlen hinein. Durch den Donner der Abschüsse rief Sanny: »Wir werden nicht lange mit den Lähmstrahlen durchkommen!« »Das befürchte ich auch!« knurrte Bjo und duckte sich. Wieder heulten grelle Strahlen, sich kreuzend, durch die Maueröffnung. In den Lautsprechern krächzte es: »Wir kommen! Wir haben euch exakt eingepeilt. Nur noch Minuten, Bjo …« Die Space-Jet war also im Anflug. Das bedeutete, daß sie hatte ausgeschleust werden können, während die Korvette KUNZ von den Raumschiffen verfolgt wurde. Offensichtlich war die KUNZ nicht beschädigt worden. Breiskoll rief ungeduldig und nervös: »Wie lange dauert es noch, Jet?« »Nicht länger als fünf Minuten. Wir haben Schwierigkeiten mit den Kugelschiffen.« Breiskoll sah, wie hinter ihm Sanny sich hochschob und mit dem Blaster zu schießen anfing. Auf der Mauerkrone, die zur Plattform hinunterführte, erschien eine Reihe kochender Krater, und große Quaderbruchstücke fielen nach rechts und links.
Eine zweite Folge von genau gezielten Paralysatorschüssen fällte eine Gruppe der EINZIGEN, die versuchten, im Schutz der Mauer heranzukommen. Der Boden zwischen dem Gebäudeeingang und der Rampe war übersät mit den bewegungslosen Körpern der Gersenter. Zwischen ihnen gähnten die Einschußkrater und die glühenden Spuren der Schüsse. Hinter dem Gebäude tauchten mehrere Gleiter auf, die einen Strom bewaffneter Schlangenwesen in den Kampf brachten. Ein kleines Kugelschiff schwebte in rasend schnellem Flug über den freien Ausschnitt des Himmels. Zwei schwere Explosionen ließen einen Teil der Mauer nach außen einstürzen. Das Schiff bremste ab, flog eine Schleife und setzte ein drittes Mal die furchtbare Waffe ein. Wieder sackten ein Drittel der Mauer und eine Plattform herunter und bildeten einen schrägen Kegel bis hinunter zum Boden. Bjo und Sanny wurden von den Füßen gerissen und rutschten zwischen die Trümmer. Der Sturz rettete ihr Leben, denn der nächste Treffer löste die Stelle auf, an der sie sich eben noch befunden hatten. Das Raumschiff jagte steil aufwärts und verschwand hinter den Resten des Bauwerks. »Schnell! Wir müssen hier weg!« drängte Bjo, riß Sanny auf die Beine und turnte über die Geröllfläche abwärts. Sie waren vorübergehend durch die riesige Staubwolke geschützt. Sie sprangen, rutschten und stolperten zwischen den Trümmern, überschlugen sich auf einer Sandfläche und rannten in weiten Sätzen auf den Rand des Waldes zu, der etwa tausend Meter weit entfernt mit einer Zone aus niedrigen Büschen anfing. Sie kamen etwa zweihundert Schritte weit, ohne daß auf sie geschossen wurde. Dann stoben sie aus der Wolke heraus und wurden für den Gegner deutlich sichtbar. Augenblicklich schossen die Gersenter wieder aus ihren Strahlenwaffen. Durch ein Gewitter zuckender
Strahlen rannten sie im Zickzack weiter, bis zu einem winzigen Erdwall, hinter dem sich Bjo zu Boden fallen ließ und die Waffe herumriß. Er drückte den Auslöser und schwenkte den Projektor mehrmals langsam in einem Drittelkreis von rechts nach links und zurück. Dann schaltete er auf die Strahlenenergie um und schickte einen Hagel von röhrenden Glutstrahlen flach über den Boden. Sanny sprang auf und rannte auf den schützenden Wald zu. Nach einigen Sekunden folgte ihr Bjo, hob immer wieder den Kopf und hielt nach der Jet Ausschau. Sie schwebte, ständig schwankend und kippend, von zwei Raumschiffen verfolgt, auf den Waldrand zu. »Sie sehen uns, unsere Strahlen …« Die Solaner schafften es wieder, unbeachtet eine bestimmte Strecke zurückzulegen. Die Besatzung des Diskus feuerte aus sämtlichen Projektoren nach unten und fuhr ihre Landestützen aus. Der Schutzschirm glühte und waberte überlastet. Vor den Augen Sannys und Breiskolls wurden die Büsche und dahinter die gekrümmten, gedrehten Stämme der Bäume immer größer und mächtiger. »Wir schaffen es!« keuchte der Katzer, dessen Bewegungen wegen der Erschöpfung und des hemmenden Raumanzugs ihre Eleganz und Geschmeidigkeit verloren hatten. Er rannte hinter der Molaatin her und hörte über sich die Neutralisatoren der GersenterRaumschiffe. Hinter den Baumstämmen tauchte die Seitenansicht eines flachen, größeren Gebäudes auf. Der Katzer überholte Sanny, packte ihre Hand und zog sie mit sich. Die Jet setzte zur Landung an. Als sie nur noch wenige Meter über der freien Fläche hing und langsam auf den Waldrand zuschwebte, wurde sie entscheidend getroffen. Sie sackte ab, die Triebwerke heulten greller auf, einige Luken und die Polschleuse öffneten sich dank einer Notschaltung. Dann stürzte der Flugkörper, der an zwei Stellen, schwelte,
senkrecht zu Boden. Krachend barsten die Landestützen. Wieder zog das Kugelschiff heulend über die riesige Ruine und entfernte sich. Der Funkkontakt war im Augenblick des Aufpralls abgerissen. Mehrere Projektoren der Jet feuerten noch und bewegten sich nach allen Seiten. Aus den Luken sprangen Solaner in Kampfanzügen mit geschlossenen Raumhelmen. Einige Kampfroboter schwebten summend aus dem Wrack, noch ehe es sich endgültig auf die Seite legte. Zwei Roboter schwebten auf Bjo und Sanny zu und schirmten sie ab. Inzwischen schienen sich viele der Besucher vom Planeten Gersenter nahe dem Ruinentempel zusammengefunden zu haben. Mehrere Gleiter schoben sich auf die Flüchtenden und die Insassen der Jet zu. Sanny, Bjo und die beiden Maschinen bahnten sich einen Weg durch das Gebüsch und erreichten den Wald, während rund um sie die Schüsse in das Strauchwerk einschlugen und die Blätter in Flammen setzten. Sechs Kampfroboter und sieben Männer hatten die Jet verlassen und folgten, wild um sich schießend, der kleinen Vorhut. Das Raumschiff kam wieder zurück, bremste stark ab und zerstörte mit wenigen Schüssen das Wrack der Jet. Die Flammen und die riesigen Rauchwolken bildeten für die Solaner einen Sichtschutz. Sie trafen alle zusammen, als Bjo neben einem Robot auf einer Rampe stehenblieb, die in das technisch aussehende Bauwerk hineinführte. »Sie werden hier den Neutralisator nicht einzusetzen wagen!« schrie Breiskoll. »Hierher, Freunde!« Der Robot schwebte an ihm vorbei, auf ein Portal zu und feuerte mehrmals den Desintegrator ab. Die Stahlplatten und dahinter irgendwelche Schaltanlagen lösten sich auf. Die Solaner flüchteten ins Innere des Gebäudes. Schon nach wenigen Schritten erkannten sie, daß sie in die
Schaltstation einer großtechnischen Anlage eingedrungen waren. Eine Spur von Erleichterung machte sich breit. Die Solaner öffneten die Helme der schweren Anzüge und grinsten einander an. Einer sagte selbstsicher: »Keine Ahnung, was das hier soll. Aber wir sollten uns hier verschanzen. Die EINZIGEN werden nicht so verrückt sein, ihre wertvollen Anlagen nur deshalb zu zerstören, weil wir uns darin verstecken.« »Ich glaube, du kennst die Gersenter schlecht!« widersprach Bjo. »Hat schon jemand die SOL um Hilfe gebeten?« »Ja. Breckcrown Hayes ist im direkten Anflug. Aber er teilt sein Interesse zwischen dem Planeten und dem Mond – naturgemäß.« »Er versprach, uns abzuholen«, erwiderte ein anderer Mann und spähte in die Richtung, aus der sie eingedrungen waren. Hinter den Bäumen schienen sich die Gleiter der Gersenter zu sammeln. Bjo Breiskoll sah sich um, nachdem er fünfzig Schritt weit in die Schaltstation hineingegangen war. Sämtliche Geräte waren eingeschaltet und arbeiteten. Tausende von Kontrolleuchten blinkten und wechselten ihre Farbe. An einer Längswand waren in mehreren Reihen übereinander Dutzende riesiger Bildschirme wie ein Mosaik aufgebaut. Sie zeigten in einer in die Breite gezogenen Darstellung einmal die Oberfläche eines öden Mondes mit all seinen Kratern und dem nackten Fels, darunter erstreckte sich in dreidimensionaler und farbiger Wiedergabe das Bild einer blühenden Landschaft, deren Täler und Erhebungen denjenigen der Kraterlandschaft entsprachen. Neben dem Krater sagte Sanny verwundert: »Das kann nur das Bild des Mondes sein. Dormigan – vor und nach der Umformung durch die Gersenter.« An vielen Punkten beider Landschaftsbilder befanden sich, in einem Raster angeordnet, leuchtende Markierungen. Sie blinkten gleichmäßig. Wieder gab die Molaatin einen Hinweis. »Es ist leicht zu errechnen, daß die Station jene Einrichtungen
kontrolliert.« »Du meinst«, fragte Bjo, »daß es sich um Projektoren handelt, von denen irgendwie die Lufthülle und andere Besonderheiten des Mondes kontrolliert werden?« »Ja. Genau die Dinge, die den Tod der Dormiganer hervorgerufen haben.« »Ich verstehe. Deswegen zögern die EINZIGEN, uns hier anzugreifen. Hört zu!« rief Breiskoll. »Ich muß euch schnell berichten, was es mit den Energieblasen wirklich auf sich hat. Es sind Lebewesen, denen der Mond gehört, und …« Hastig berichtete er, was sie von den Ungeborenen erfahren und was Sanny und er in der Felsgruft der unzähligen Urnen erlebt hatten. Während er sprach, sicherten die Roboter die beiden Eingänge der Schaltstation, und Sanny lief zwischen den Pulten umher und betrachtete die Anordnung aller Schalter und Hebel. »Hier wird das gesamte Lebenserhaltungssystem kontrolliert!« rief die Molaatin. »Wenn wir die Anlage abschalten, stirbt der Mond.« »Und wir hätten den Notschrei der Dormiganer nicht überhört!« rief ein Solaner. »Mir widerstrebt der Gedanke, die EINZIGEN auf Dormigan zu vernichten.« »Es wird eine schwierige Entscheidung!« versicherte Breiskoll. »Ich weiß auch nicht, was wir tun sollen. Vielleicht eine deutliche Warnung an die Adresse der Schlangenwesen?« Er winkte Sanny. »Können wir die Schwerkraft an einem ausgesuchten Punkt abschalten?« fragte er. Seine Worte riefen in der riesigen Halle ein schwaches Echo hervor. »Es ist durchaus möglich. Aber zuerst muß ich das Steuerpult finden«, gab Sanny zurück. Im selben Moment schrie ein Solaner: »Sie kommen!« Die Warnung war so gut wie überflüssig, denn einen Sekundenbruchteil später heulte ein Schuß durch den
zertrümmerten Eingang und quer durch die riesige Halle. In der gegenüberliegenden Wand bildete sich ein tiefer Einschlagkrater. Sofort feuerten die Roboter zurück und setzten einen breiten Streifen Wald und Gebüsch in Flammen. »Sie müssen tatsächlich halb verrückt vor Wut sein!« knirschte Breiskoll. »Sie bringen sich selbst um.« Der Zufall hatte die Solaner in diese Richtung flüchten lassen; ausgerechnet die wichtige Schaltstation war dabei entdeckt worden. Obwohl die EINZIGEN auch jetzt, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatten, gnadenlos angriffen, scheuten die Solaner davor zurück, die Anlage zu zerstören und dadurch den Tod von einer unbekannten Anzahl Gersenter hervorzurufen. Die Roboter und einige Solaner schossen zurück, aber noch waren sie verwirrt und unentschlossen. »Sanny! Schalte irgend etwas ab, schnell!« rief Breiskoll und entsicherte seine Waffe. »Wir müssen sie erschrecken!« Sanny und einige Männer aus der KUNZ-Jet versuchten, wenigstens einen Teil der Schaltanläge zu begreifen. Sie führten einige Schaltungen durch. Sofort fingen die Markierungen auf den Bildschirm-Mondkarten aufgeregt zu blinken und zu flackern an. Der Kampflärm schwoll von Minute zu Minute an; an einigen Stellen unterhalb der Decke erschienen in den Wänden breite Sprünge und brennende Löcher. »Wir sind von ihnen eingeschlossen!« sagte Breiskoll grimmig. »Verdammt! Sie begreifen nicht, daß sie sich selbst am meisten schaden!« Wieder trafen einige Schüsse, aus den schweren Waffen der EINZIGEN abgegeben, an den Robotern vorbei die Halle. Die Treffer in den Sockeln der Schaltpulte ließen glühende Trümmerstücke nach allen Seiten fliegen. Aus den Öffnungen quoll augenblicklich schwarzer Rauch. Bjos Stimme drang durch den Lärm. »Schließt die Raumanzüge! Es kann sein, daß wir die Gravo-Felder
zufällig abschalten! Schließt alle eure Helme!« Die Hilferufe an die KUNZ wurden nur knapp beantwortet. Die Korvette hatte Schwierigkeiten, den Raumschiffen von Gersenter auszuweichen. Auch die SOL wurde angegriffen, aber sie überstand die Angriffe der Kugelschiffe. Trotzdem befand sich Breckcrown Hayes noch nicht in unmittelbarer Nähe des Mondes beziehungsweise des Planeten. Wieder begann eine andere Gruppe der Markierungen zu blinken. Die ersten Zerstörungen in den Schaltgeräten machten sich bemerkbar, und Sannys vorsätzliche Schaltungen leiteten die Zerstörung der Mondoberfläche ein. Was allerdings die Markierungen aussagten, blieb unerklärlich. Die Solaner konnten sich vorstellen, daß die Atmosphäre ebenso geschädigt wurde wie das Wasser, das Erdreich und die Pflanzen. Und natürlich jedes Lebewesen außer den Energieblasen. Der Kampf wurde heftiger. Die EINZIGEN drangen von allen Seiten auf das Gebäude ein. Ihr Beschuß war heftig, aber schlecht gezielt. Ein Teil des Daches brach herunter und begrub eine Reihe Schaltpulte unter sich. Zwischen den Trümmerstücken schlugen Stichflammen hervor. Die Solaner gingen in der Mitte der Halle zwischen Schränken und Blöcken in Deckung. Ein Roboter ging in Flammen auf, raste zurück in die Halle und detonierte zwischen den Geräten. Die Blitze der Hochenergiewaffen zuckten hin und her. Die Zerstörung breitete sich aus. Die schwelenden Löcher in den Wänden wurden größer; die aufbrechenden Sprünge ließen Teile der Mauer nach innen und außen kippen. Ein Drittel des Daches, das ebenso schwer gebaut war wie der Rest des großen Bunkers, war heruntergesackt, hatte die technische Ausrüstung unter sich begraben und ließ den freien Himmel erkennen. Überall wehten breite Staubfahnen davon, durch die glühende Bahnen der Schüsse strahlten. Breiskoll hob den Kopf aus der Drehung und blickte nach oben. Gleichzeitig bemerkte er, daß an seinem linken Unterarm der
Indikator zu blinken angefangen hatte. Sofort erfaßte er die Bedeutung des Signals: die Luft wurde dünner – also entwichen Teile der Atmosphäre bereits in den Weltraum. Auch das Firmament änderte überraschend schnell seine Färbung. Es wurde dunkler und fahler. Die Schwerkraft an diesem Teil Dormigans war noch unverändert. »Achtung! An alle«, sagte Bjo scharf. »Wir haben gleich ein neues Problem. Die Luft entweicht ins Vakuum. Haltet euch fest; es wird hier gleich ganz anders aussehen.« »Verstanden.« Zwei Raumschiffe der EINZIGEN kamen aus der Richtung der Ruine und feuerten auf die Reste der Schaltstation. Kein Solaner war in der Lage, die Überlegungen der Schlangenwesen zu begreifen. Der Sog der entweichenden Luft wirbelte Staub hoch und verdünnte den Rauch der brennenden Waldzonen. Die Flammen prasselten nicht mehr, sondern wirkten kleiner und verkümmerten. Bjo versuchte zu erkennen, ob alle Solaner ihre Anzüge geschlossen hatten. Überall sah er nur die staubigen Sichtplatten der Raumhelme. Wieder geriet ein Kampfrobot in den Bereich des wütenden Feuers der EINZIGEN. »Sie müssen es doch endlich merken …«, wunderte sich Breiskoll. Ein Raumschiff kam herangeheult, bremste ab und landete hinter den schwarzen Baumstümpfen. Das wütende, rasende Feuer der EINZIGEN hörte schlagartig auf. Ein zweites Schiff landete außerhalb des Sichtbereichs der Solaner. Langsam stand Bjo auf und ließ die Waffe an seiner Seite herunterhängen. »Sie haben es geschafft«, sagte er. »Der Mond ist – von ihrer Warte aus zerstört.« Es wurde dunkel; die letzte Farbe wich aus dem Firmament. Ungehindert durch eine Luftschicht oder durch die letzten, dünnen Reste der Atmosphäre strahlte die Sonne Gers herunter und erzeugte gleißenden Glanz und tiefschwarze Schatten. Überall um
den zerstörten Bunker herrschte aufgeregte Bewegung. Die Gersenter flüchteten in die Raumschiffe. Ein drittes Kugelschiff setzte rechts am Horizont zur Landung an. Die meisten Bildschirme der Kontrollwand waren noch intakt. Die Warnmarkierungen flackerten und zeigten zweierlei an: An einigen Stellen des Mondes waren Anziehungskraft und Lufthülle noch intakt, doch an den meisten Stellen war Dormigans Oberfläche verwüstet, tot, abgestorben. Bjo hielt sich an den Resten eines Pultes fest und sagte: »Der Kampf ist wohl vorbei. Die Gersenter flüchten zu den Schiffen. Vermutlich dirigieren sie jedes Raumschiff, das sich in der Nähe des Mondes befindet, hierher. Inzwischen ist es bitterkalt geworden. Die Zerstörung schreitet rasend schnell fort.« Sanny tauchte zwischen den Trümmern auf und bemerkte: »Die technische Steuerstation ist so gut wie zerstört. Wenn zutrifft, was uns die Dormiganer sagten, sind die Gersenter nicht in der Lage, die Anlage wieder aufzubauen. Jedenfalls sind wir in Sicherheit.« Ein Solaner sprach bereits mit der Korvette und erfuhr, daß die Verfolgung durch die EINZIGEN schlagartig aufgehört hatte. »Holt uns ab! Und zwar so schnell wie möglich!« »Wenn nämlich der Kommandant eines der reichlich vorhandenen Kugelschiffe auf den Einfall kommt, noch einmal den GravoNeutralisator auf die Trümmer ihrer Schaltzentrale zu richten, ist es zu spät.« »Wir kommen!« Jede Sekunde schritt die Zerstörung des Mondes Dormigan weiter fort. Wie ein riesiger Schleier, unsichtbar für die gelandeten Solaner, wehten die Gase hinaus ins All. Der Sog riß und wehte eisige Kälte heran; die Blätter rollten sich auf und starben ab, die Äste platzten auf, Wasser verwandelte sich schlagartig in Dampf und wurde ebenfalls von der Oberfläche weggezerrt. Die Landschaft starb schrittweise, aber sie starb unaufhaltsam und mit furchtbarer
Gründlichkeit. Nicht nur die Kälte, das Vakuum und die herandriftende Dunkelheit bildeten die schauerlichen Eindrücke, sondern ganz besonders das Nachlassen der Oberflächenschwere. Staub und Erdreich, Quadern und Baumreste, riesige Teppiche aus Gräsern und Pflanzen, ineinander verschachtelte Stämme, in einer Wolke aus kondensiertem Gas, das noch vor kurzer Zeit das Wasser von Bächen, Flüssen und Seen gewesen war, trieben auf spiraligen Bahnen, zeitlupenhaft langsam, von der Oberfläche des Mondes weg. Der Weltraum nahm wieder Besitz von Dormigan. »Die Dormiganer werden es vielleicht merken«, sagte Sanny. »Selbst in ihren kleinen Urnen.« »Ich kann es noch nicht fassen«, bemerkte Bjo gedrückt, »daß die EINZIGEN auf diese Weise den Mond seinen einstigen Besitzern zurückgegeben haben.« Unter den Trümmern, die lautlos davontrieben und sich, irgendwelchen rätselhaften Schwerkraftgesetzen folgend, ineinander verkeilten und wieder auseinanderdrifteten, befanden sich auch zwei Kugelschiffe, die erstaunlich langsam starteten. »Offensichtlich sind die meisten Gersenter gerettet worden«, murmelte ein Solaner. In den Trümmern der Anlage bildeten sie inzwischen ein kleines, verlorenes Häufchen. Sie warteten schweigend und sahen entsetzt zu, wie sich die ehemals grüne Oberfläche des Mondes in eine Wüstenei aus Fels und Gesteinsstaub verwandelte. Wieder startete in nicht zu großer Entfernung ein Raumschiff und entfernte sich. Die Umgebung der Schaltstation erstarrte in eisiger Kälte und unter dem harten Licht der Sonne. Aus dem Dunkel über ihren Köpfen löste sich ein kleiner Punkt. Er glänzte, schien zu blinken und wurde schnell größer. »Die KUNZ!« bemerkte Sanny. »Sie holen uns.« »Es wurde auch höchste Zeit«, brummte Breiskoll. »Aber dieser Einsatz ist noch nicht vorbei. Die Dormiganer haben, auch ohne viel Hilfe durch uns, bekommen, was sie ersehnt haben.«
»Ich verstehe das alles noch nicht«, knurrte erschöpft ein Solaner. Das Wrack einer ihrer Kampfrobots schwebte, sich überschlagend, an ihnen vorbei und von der Oberfläche des Mondes davon. Sie begriffen noch immer nicht, welche Überlegungen die Gersenter leiteten. Die Mentalität der EINZIGEN blieb ihnen ein Rätsel. Die blinkenden Landescheinwerfer der Korvette lenkten die aufgeregten Gedanken der Solaner vorübergehend ab.
7. Nacheinander verließen Solaner, Gersenter und Kampfroboter den zentralen Raum des Herrschers Keit. Sie bewegten sich durch das System aufgleitender Türen und größerer Sicherheitsschleusen. Sämtliche Fallen und Schutzeinrichtungen waren desaktiviert worden. Sechs Wissenschaftler waren eingetroffen; Keit hatte Atlan ihre Namen und ihren Rang genannt. Auf jede Frage der Solaner hatten die Wissenschaftler geantwortet. Aber ihre Auskünfte waren dürftig gewesen. Die Antworten klangen, als ob sie Überlieferungen und Legenden berichteten. Viele Informationen klangen zudem höchst widersprüchlich. Schließlich sagte der Arkonide, halb enttäuscht und zum anderen ärgerlich: »Auf mich wirken eure Auskünfte so, als ob ihr alle nichts wißt. Keiner konnte bisher sagen, wie wir aus eurem Universum hinauskommen können.« Der Herrscher hob seinen kantigen Schädel und funkelte einen Wissenschaftler an. Zischend stieß er hervor: »Und die Gruft? Ihr müßt das Geheimnis kennen.« »Tatsächlich. Die Gruft. Die Maschine, die unsere Ahnen gebaut haben.«
Der Einwurf klang interessant. Sofort fragte Wajsto Kölsch zurück: »Was kann diese Maschine? Zeigt sie uns.« »Kommt mit«, erwiderte Keit und ging, nachdem er eine Reihe schneller Schaltungen ausgeführt und Befehle in alle Richtungen gezischt hatte. »Die Gruft ist tief unter meiner Residenz.« Ohne daß sie darüber gesprochen hatten, waren die Solaner inzwischen zu einer übereinstimmenden Einsicht gekommen. Sie konnten sicher sein, daß die EINZIGEN auf dem direkten Weg in die Dekadenz waren. Der Schock war vollkommen; jede Bewegung der Gersenter drückte dies aus. Sie verstanden es nicht, sich trotz dieser offensichtlichen Niederlage zu fangen und an einen Neubeginn zu denken. War es die ausgleichende Gerechtigkeit der Natur, daß sie ein großes Erbe so schlecht verwalteten? Der Korridor endete vor einer Doppelreihe großer Liftkabinen. Die Solaner und die EINZIGEN sanken mit den langsam abwärts schwebenden Würfeln weit hinunter und betraten endlich einen Bereich, der uralt sein mußte. Feuchter Modergeruch schlug den Solanern entgegen. Verstaubte Beleuchtungskörper schalteten sich knackend ein. Der Boden war dick mit Staub bedeckt. Wände und Decken bestanden aus riesigen Quadern, die fast fugenlos aufeinandergesetzt waren. Ein gewundener Gang führte waagrecht in ein System kleiner Höhlen hinein, von deren Decken Wasser tropfte, das den Staub in seifigen Schlamm verwandelte. Nach einem Marsch von mehreren hundert Metern weitete sich die letzte Höhle zu einer riesigen Gruft. Der Logiksektor flüsterte beeindruckt: Auch dies ist ein Relikt aus einer Zeit, in der die EINZIGEN ihren Namen vielleicht noch verdienten! Aber der Raum ist so verfallen wie die Station auf Aqua-I. Es war eine der seltsamsten Höhlen, die der Arkonide jemals gesehen hatte. Sie glich nicht einmal andeutungsweise einer Kuppel, sondern bestand aus einer Unzahl würfelförmiger Elemente, die unterschiedlich weit in den freien Raum hineinragten und auf
seltsame Weise neben-und aufeinandergeschichtet waren. Zwischen ihnen befanden sich staubverkrustete Beleuchtungskörper, von denen die riesige Maschine schwach angestrahlt wurde. Staunend traten die Solaner näher heran. »Das also ist das Gerät, das uns aus dem Sternenuniversum hinausbringen soll?« erkundigte sich Federspiel verblüfft. »Vor vielen Generationen haben wir die Maschine konstruiert.« »Dann schaltet sie ein!« forderte Atlan den Herrscher auf. Keit verfiel immer mehr. Sein Körper war kraftlos geworden und bog sich weit nach vorn. Keit stützte sich schwer auf einen jüngeren Gersenter. »Ich kann die Maschine nicht bedienen«, bekannte Keit. »Ich habe keine Ahnung, wie ich die Kontrollen schalten soll.« »Dann befiehl es einem der Wissenschaftler!« sagte Atlan ungeduldig. Die Maschine bestand aus Kugeln, Würfeln und Rohrstücken in unterschiedlichen Größen. Sie alle waren durch spiralige Elemente miteinander verbunden und hatten einmal in vielen Farben geleuchtet. Jetzt bedeckte eine dicke Staubschicht alle Teile und auch die Plattform, die sich inmitten des Wirrwarrs geometrischer Formen befand. Die runde Plattform war wie ein Käfig von halbkreisförmigen Bögen überspannt, die sich an unterschiedlichen Schnittpunkten trafen. »Ist das die Maschine?« wiederholte Federspiel seine Frage. »Damit sind ausgewählte EINZIGE zu ihrer Zeit in andere Universen gegangen und haben Tausende aufregender Abenteuer erlebt«, bestätigte ein Wissenschaftler. Er wandte den Kopf unsicher hin und her, dann schien ihm etwas einzufallen, und er ging bis zu einer schmalen Rampe. Sie führte hinauf zu einem Bedienungspult, das erst sichtbar wurde, als das Schlangenwesen mit beiden Händen die Staubschicht zur Seite wischte. Auf den Gesichtern der Solaner zeichneten sich Erstaunen und Ungläubigkeit ab. »Das Ding hat zumindest äußerlich eine schwache Ähnlichkeit mit
einem Transmitter«, sagte Atlan zu Kölsch. »Ich zweifle daran, ob es noch funktioniert. Ist diese Maschine älter als du, Keit?« »Sie wurde vor meiner Zeit benutzt«, bestätigte er. »Ihr solltet den Wissenschaftlern helfen, die Universen-Schleuder in Gang zu setzen.« »Mit dem Erfolg, daß vermutlich deine Residenz in die Luft fliegt«, murmelte Kölsch und ging mit zwei anderen Gersentern hinauf zum Schaltpult. »Techniker vor!« rief er. »Ich brauche Hilfe.« Ratlos standen die EINZIGEN vor den Schaltungen und entfernten noch mehr Staub von den Instrumenten und Schaltern. Die Anordnungen der Bedienungsorgane waren für die Solaner unverständlich. Schweigend versuchten sie, die einzelnen Komponenten in einen technisch korrekten Zusammenhang zu bringen. Auf keine ihrer Fragen konnten die Wissenschaftler eine zufriedenstellende Antwort geben – mit einer Ausnahme. Sie interpretierten die wenigen Aufschriften, die Symbole und die Zahlen. Die Techniker unter dem Solaner-Kommando versuchten zu begreifen. Atlan blieb neben Federspiel im Hintergrund stehen und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Herrscher der EINZIGEN. Was er sah, erschütterte ihn. Das Gerät, das bei Keit dem Zellschwingungsaktivator Atlans entsprach, schien nach anderen Prinzipien zu funktionieren … genauer: funktioniert zu haben. Der Gersenter veränderte sein Aussehen auf drastische Weise. Zunächst änderte sich die Färbung der Schuppen. Sie wurden farblos und schließlich aschgrau. Im selben Maß, wie die Farbe und die Elastizität schwanden, schrumpfte der Körper, und die Spannkraft verließ ihn. Schon mußte sich Keit auf zwei seiner Palastgardisten stützen, die ihn in zunehmender Ratlosigkeit aus ihren Schlangenaugen anstarrten. Zwar erwartete der Arkonide von den EINZIGEN keine »menschlichen« Gesten, aber ihn verblüffte und erschütterte die starre Unfähigkeit der Schlangenwesen, entsprechende
Empfindungen an den Tag zu legen, ihr Kodex, der die Verhaltensweisen steuerte, war mit nichts zu vergleichen, was Atlan in dieser Hinsicht kannte. »Ich glaube«, meinte Wajsto Kölsch nach einer qualvoll lange erscheinenden Zeitspanne, »wir können die Maschine einschalten. Ob wir sie aber steuern können, halte ich für fraglich.« »Schalte sie ein, Wajsto!« sagte Atlan. Es konnte nicht mehr schlimmer werden. Atlan rechnete inzwischen ohnehin mit einem Desaster und hoffte nicht mehr, eine zufriedenstellende Antwort auf seine existentiell wichtige Frage zu bekommen. Jedenfalls nicht hier in der Gruft zur anderen Welt. »Sollen wir es wirklich riskieren?« »Ja. Wir würden uns ewig Vorwürfe machen müssen, weil wir nicht alles getan haben, um unsere Lage zu verbessern.« »Einverstanden.« Vorsichtig bewegten die Solaner, von den Gersentern mit steigender Verwunderung und mit Respekt betrachtet, die ersten Hebel. Aus dem Inneren des Schaltpults ertönten Schaltgeräusche, die Atlans Haare sträubten. Die Mechanik protestierte knirschend und mit einer Kakophonie aus allen jenen Mißtönen, die der Arkonide aus einschlägigen Abenteuern kannte – sie kennzeichneten eine Mechanik, die ruiniert war. Zwischen den einzelnen Elementen der Maschine glomm Licht auf. »Die Maschine ist in Betrieb«, murmelte Federspiel. »Aber ich kann nicht erkennen, was sie tut.« »Sie eröffnet … angeblich!« sagte Atlan mit rauher Stimme. »Was?« »Einen Durchlaß in ein anderes Universum. Ich kann es nicht glauben.« Ein Schalter nach dem anderen wurde nach kurzem Dialog mit den sogenannten Wissenschaftlern betätigt. Die Anzeigen unter dem dünnen Staubfilm leuchteten auf und zeigten, daß Energieströme geleitet und kontrolliert wurden. Ein Summen baute sich irgendwo
in der gigantischen Kulisse der Maschine auf. Über einzelne Leitungsbündel krochen Ströme und verbrannten mit kleinen, stechenden Funken den abgelagerten Staub. Es war, als erwache ein kranker Riese aus einem unendlich langen Schlaf. Die knarzenden und knisternden Geräusche aus dem Innern des seltsamen Geräts wurden lauter. Atlan, in seiner skeptischen Beurteilung für kurze Zeit schwankend, rief hinauf zu dem Stabsspezialisten: »Schafft ihr es, das Ding richtig zu aktivieren?« Kölsch schwieg und zog in einer vielsagenden Geste die Schultern hoch. Die Bewegung war im schweren Kampfanzug nicht wahrnehmbar, also sagte er schließlich: »Keine Ahnung. Wir versuchen´s.« Die Minuten vergingen in quälender Langsamkeit. In der großen Anlage, deren einzelne Teile unter Lichteffekten und mit unterschiedlichen Betriebsgeräuschen in Funktion zu sein schienen, bildete sich ein schwacher Nebel. Es konnte aber auch der Rauch des verbrennenden Staubes sein. Von allen Seiten zog der farbig durchglühte Nebel in die Richtung der käfigartig abgegrenzten Plattform. Auch die Gersenter, die sich in einem Halbkreis um die Maschine aufgebaut hatten, waren erstaunt und schwiegen. Es wurde für die Solaner deutlich, daß jede Sekunde und jeder einzelne Vorgang den Gersentern, eingeschlossen Keit, der sich erschreckend verändert hatte, rätselhaft waren und blieben. Der Nebel kondensierte sich zwischen den geschwungenen Bögen über der Plattform. Weitere Schaltungen wurden ausgeführt, der Nebel begann sich zu drehen und ging in eine spiralige Form über. Er fing von innen an zu leuchten. Es war ein seltsames Licht, wie das glühende Gas in einer Entladungslampe. Zunächst war es hellblau, dann wechselte es in ein eisiges Blau, und während das Summen lauter tönte, wurde daraus ein kalkiges Weiß. Es verging langsam und machte
schließlich einem tiefen Schwarz Platz. Dort, wo der Durchlaß in ein anderes Universum entstehen sollte – im Raum unmittelbar über der staubigen Plattform – verschwand plötzlich der Nebel mit sämtlichen Farberscheinungen. Ein Loch entstand, dehnte sich aus und blieb existent. Es war riesig groß, füllte den sichtbaren Raum zwischen den Maschinenteilen aus und gestattete fast allen Gersentern und Solanern einen Blick ins Nichts. Ich kann nicht verstehen, was davon »anderes Universum« bedeuten soll, sagte Atlans Logiksektor. Sie starrten alle in das große, lichtlose Loch. Es waren weder ferne Sterne noch nahe Sonnen zu sehen, keine Planeten und nichts, das auf eine einzige Art jener Materiekonzentrationen hindeutete, die von den Solanern als der Begriff Universum gedeutet werden konnten. Atlan versuchte krampfhaft, in dem Loch, das zweifellos irgendwohin führte, etwas zu erkennen. Federspiel neben ihm schnappte plötzlich nach Luft und packte mit beiden Händen den Unterarm Atlans. Der Arkonide fuhr herum und blickte Federspiel an. Der junge Mann schloß, von innerem Schmerz geschüttelt, die Augen und taumelte. Atlan hielt ihn fest und stieß erschrocken hervor: »Federspiel! Was ist los? Ist dir nicht … gut?« »Sternfeuer …!« keuchte Federspiel. Er schwankte unkontrolliert hin und her und wäre zusammengebrochen, wenn Atlan ihm nicht mit einem schnellen Griff unter die Schultern geholfen hätte. Sternfeuer, in dem seltsamen Bewußtseinsverbund von ihr selbst, Oggar und Cpt'Carch eingeschlossen, hatte sich schon einmal auf diese Art und Weise bemerkbar gemacht. Federspiel holte tief Atem, öffnete die Augen und warf Atlan einen Blick voll Unverständnis zu. »Ich habe …«, fing er an, schüttelte den Kopf, um seine Benommenheit, loszuwerden, und fuhr dann gepreßt fort: »Ich habe
mich ihr nur ganz kurz mitteilen können. Es war ein starker Eindruck. Ich habe ihre Nachricht klar aufgefangen.« Atlan fragte langsam und scharf akzentiert: »Was wollte sie dir verständlich machen?« Die ersten Worte Federspiels gingen in dem klirrenden Sirren der Maschine unter. Das Loch war verschwunden; eine unerklärliche Kraft hatte den Nebel in diese Öffnung hineingesogen und aufgelöst. Über sämtliche stromführenden Verbindungen rasten Energiemengen mit seltsamen Funkerscheinungen. »Zurück!« schrie Kölsch auf und polterte die Rampe vom Schaltpult hinunter. Mit unendlicher Müdigkeit richtete sich Keit auf, blickte halb blind in Atlans Richtung und krächzte ein paar Worte. »Wie?« »Ich erinnere mich«, übersetzte an seiner Stelle der junge Gersenter-Gardist, »daß auch die Station jener Wasserwelt … wie war doch ihr Name …?« »Aqua – so haben wir sie getauft«, rief ein Solaner. »Mag sein. Auch diese Station, vor Urzeiten erstellt, arbeitet mit dem Übergang in ein anderes Universum. Derselbe EINZIGE baute sie, der auch diese Maschine herstellte. Wir wollten damit die Aquarianer vernichten.« »Die Nachricht, Atlan, war undeutlich. Ein Wirrwarr. Sie drückte merkwürdige Dinge aus. Vielleicht schaffe ich es, sie richtig zu deuten«, fuhr Federspiel fort und nahm dankbar einen tiefen Schluck aus Atlans Hüftflasche. »Es ist viel Zeit vergangen seit unserem letzten Zusammensein, sagte Sternfeuer. Sie kann nur den kurzen Kontakt im Gefängnis neben dem Zentralkegel der Landschaft im Nichts damit gemeint haben.« »Das allein ergibt noch keinen Sinn«, meinte Atlan und schraubte den Verschluß der fast leeren Flasche zu. »Viel Zeit, ein sehr relativer Begriff.« Atlan versuchte, seine Aufmerksamkeit zwischen drei
verschiedenen Vorgängen zu teilen. Von allem verstand und begriff er nicht alles; die Ereignisse liefen zu schnell und mit zu großen Effekten ab. Der Herrscher Keit: Von seinem Körper fielen die Ränder der Schuppen, die verhornt waren und zu Asche wurden. Sie rieselten förmlich an seinem zusammengebrochenen Körper herunter. Trotzdem sprach er mit seinem Gardisten. Die Maschine: Sie zerstörte sich unzweifelhaft selbst. Einige der energieübertragenden massiven Spiralschienen lösten sich auf und tropften als schmelzendes Metall abwärts. Die Tropfen fielen auf tiefer liegende Teile und zerstäubten dort in wilde Funkenregen. Sämtliche Geräusche hatten in der Lautstärke zugenommen. Federspiel: Er erholte sich schnell von dem Bewußtseinsschock, den die Botschaft seiner Schwester hervorgerufen hatte. »Sie ließ erkennen«, stöhnte er, »daß nach ihrer Zeitrechnung fünf oder sogar zehn Jahre, gemessen an der Bordzeit, vergangen sind. ,Wir sagte sie, wissen es noch nicht genau.' Damit kann sie nur das Multibewußtsein gemeint haben.« »Zutreffend!« brummte Atlan. Schrittweise zogen sich Solaner und Gersenter zurück. Die noch nicht zerstörten Kampfroboter schalteten ihre Schutzschirme ein, um die Energie der Maschine abzuschirmen. »Die Maschine«, schrie der Gardist in höchstem Entsetzen, denn er sah, wie Keit sich zu Staub verwandelte, »holte nicht nur die Wassermassen aus dem anderen Universum, sondern sie ist auch in der Lage, euch einen Weg ins andere Sternenuniversum zu ermöglichen.« Die Gardisten schleppten den schlaffen Körper davon, der nur noch schwache Lebenszeichen von sich gab. Der Schwanz löste sich in einzelnen Ringen auf, die unter den
Vibrationen der Maschine zu Staub zerfielen. Finger und Klauen wurden zu aufstäubender Asche. Die zahlreichen Ringe und Gurte fielen klirrend von dem schrumpfenden Körper ab. Atlan zog Federspiel mit sich, der nächsten, kleineren Höhle zu. Die Maschine brannte an mindestens einem Dutzend Stellen, Gersenter und Solaner flüchteten aus dem Bereich der glühenden Schaltpulte. Die erste Explosion machte aus den bogenförmigen Abgrenzungen des Käfigs über der Plattform weißglühende Linien, die in sich zusammenfielen und die Plattform in lodernden Brand setzten. »Sie haben so lange nichts mehr von uns, der SOL, mir und dir gehört«, rief Federspiel, noch immer im Bann der übermittelten Gedankenbotschaft. Offensichtlich führte also dieses Loch in der Schwärze doch in einen anderen Bereich der Schöpfung! »Auch wir selbst«, erklärte er, »sind in einer zeitverschobenen Phase. Aber jetzt ist alles wieder normal geworden.« In relativer Sicherheit, etwa hundert Meter oder mehr von der Maschine entfernt, blieben die Solaner stehen und blickten zurück. Ob nun das hohe Alter, die Überlastung oder die unsachgemäßen Schaltungen den Untergang dieses technischen Wunderwerks herbeigeführt hatten, blieb für immer ungewiß. Die Maschine brannte, detonierte in einzelnen Teilen, löste sich auf und schmolz in greller Glut, die in den Augen schmerzte. Das Summen war in eine Frequenz jenseits der Hörgrenze ausgewandert, und unter dem Monstrum bildeten sich große Pfützen aus geschmolzener Materie. Das Krachen der Explosionen ließ die Wände der Höhlen vibrieren. Die Hitze verdunstete und kochte das Wasser, und zischend kondensierten die entstandenen Dampf wolken. »Das Multibewußtsein folgte dem Schalter Hapeldan. Es hofft, daß Hapeldan-Tdibmufs sie zu Hidden-X und zum Flekto-Yn führen wird, weil sie es verfolgen. Nein, ihn verfolgen«, stotterte Federspiel
verwirrt. »Zeitverschoben, Atlan!« »Mehr nicht?« »Dann löste sich die Maschine auf, beziehungweise es gab keine Verbindung mehr. Ich versuchte, ihr optimistische Gedanken und Empfindungen zu senden. Ich muß dir sagen, daß ich einen ganz merkwürdigen Eindruck hatte, Atlan.« Sie sahen zu, wie sich die Übergangsmaschine restlos auflöste und nur noch einen Haufen glühender Schlacke und schmelzenden Schrotts bildete. Die Kampfroboter desaktivierten die Schutzschirme. »Es ist der Tag der merkwürdigen Eindrücke, mein junger Freund«, bemerkte der Arkonide sarkastisch. »Wie war dieser Eindruck?« Noch immer war Federspiel verwirrt. »Die Botschaft meiner Schwester machte auch auf mich den deutlichen Eindruck, sehr langsam und in der wirklichen Zeit abzulaufen. Die Art der Gedanken war nicht verändert. Aber die ›Worte‹ tropften wie zäher Schlamm. Langsam, deutlich verändert. Ich glaube, wir sollten diesen Hinweis nicht übersehen.« »Keine Sorge«, beschied ihm Atlan. »Spätestens an Bord der SOL werden wir versuchen, alles zu analysieren und allem die richtige Bedeutung zu geben.« »Und jetzt?« »Hinaus und nichts wie weg von Gersenter.« Langsam trottete Atlan hinter den anderen Solanern her. Er blieb stehen, als vor ihm eine Gruppe der EINZIGEN mit allen Anzeichen des Schreckens stehenblieb und dann nach allen Seiten auswich. Atlan blickte dorthin, wohin die Schlangenwesen deuteten: Keit, der Herrscher. Sein Körper bildete ein ovales Häufchen zwischen den dünnen Beinen und den stützenden Schwänzen der Gersenter. Von seiner ursprünglichen Gestalt war nichts mehr zu erkennen. Unter den Blicken der wenigen Zuschauer zerfiel dieses Stück Gewebe langsam zu hellbraun-grauer Asche.
Ein unrühmliches Ende, wisperte der Logiksektor. Denke daran, wenn du deinen Zellaktivator ablegst! Atlan dachte an die Narben in seiner Bauchhaut und zuckte zusammen. Die Schlangenaugen irrten von dem entsetzlichen Bild ab und wandten sich ihm zu. Er zwang sich dazu, den Gersentern zuzurufen: »Euer Herrscher ist tot. Eure Macht ist gebrochen. Wenn ihr nur einen Funken von Verstand habt, dann versucht ihr, aus den Trümmern eurer Zivilisation etwas aufzubauen, das euch in Frieden mit den wenigen anderen Lebewesen in eurem Sternenuniversum zu leben gestattet. Sonst ist der Tag abzusehen, an dem ihr zur Bedeutungslosigkeit abgesunken seid.« Sie antworteten nicht, aber sie alle folgten den Solanern zu den Liftwürfeln und fuhren hinauf in die Räume, die noch vor Stunden dem Herrscher gehört hatten. Atlan wandte sich an Wajsto Kölsch und beobachtete, während er mit ihm sprach, daß die anderen Solaner ihre schweren Funkgeräte eingeschaltet hatten und mit der SOL und den Besatzungen der Korvetten in Kontakt traten. »Abgesehen von allen anderen Erkenntnissen, Wajsto, eine wichtige Beobachtung: Wir müssen ernsthaft annehmen, daß hier im sogenannten Sternenuniversum die Zeit anders abläuft. Sie …« »Was heißt ›anders‹?« »Verglichen mit dem Universum, aus dem wir gekommen sind, verläuft sie, höchstwahrscheinlich, stark gerafft. Für uns vergeht die Zeit, ohne daß wir es merken, viel schneller. Wenn es stimmt, was Federspiel von Sternfeuer aufgefangen hat, dann rennt die Zeit hier in einem geradezu verblüffenden Verhältnis. Eine Woche dort wird zu einem Jahr hier oder so ähnlich.« Kölsch schüttelte verwirrt den Kopf. »Woher hast du diese verrückte Idee?« Atlan erklärte es ihm. Die Besatzungsmitglieder der HINZ verhandelten mit den Gersentern und versuchten, so schnell wie
möglich aus dem Regierungspalast hinauszukommen. Federspiel stieß zu Atlan und bestätigte, was der Arkonide in bezug auf die Differenz der zeitlichen Abläufe sich ausgedacht hatte. Kölsch konnte es noch immer nicht fassen. Sie sahen hinüber zu den EINZIGEN, die einen breiten Korridor öffneten, der unterhalb der Rampe hinaus ins Freie führte. »Wir werden nach Aqua zurückfliegen müssen, nicht wahr?« wollte ein Solaner wissen. »Das ist der einzige konkrete Hinweis, den uns dieser Einsatz gebracht hat«, bekräftigte Atlan. »Wir alle haben dafür gekämpft.« Langsam gingen sie hinaus, geschützt von den Kampfrobotern. Auf einem Platz, der nur von Büschen bewachsen war und schwere Zeichen der Verwüstungen zeigte, stand die Korvette. Es war tiefe Nacht; überall waren Kommandos der EINZIGEN dabei, Schäden zu beseitigen. Der Rand des Gebäudes lag im grellen Licht der Landescheinwerfer. Der Arkonide winkte ein paar Gersenter herbei und sagte: »Wir starten, ohne euch zu strafen – wir verschwinden einfach. Erst nach langer Zeit werdet ihr vielleicht erkennen, daß ihr euch ändern müßt. Das ist allein eure Sache. Wir kümmern uns nicht darum. Macht, was ihr wollt – aber versucht niemals wieder, uns anzugreifen.« »Wir begreifen nicht. Wir sind ohne Führung!« sagte verwirrt der Gardist. Atlan nickte grimmig. »Sucht euch eine neue Führung. Ihr habt genug eigene Sorgen und Probleme. Wir gehen.« Er wandte sich ab, ließ den EINZIGEN stehen und folgte den Solanern in die HINZ. Sämtliche Kommandos befanden sich an Bord; es gab nur unter den Kampfrobotern Verluste. Die Korvette startete und entfernte sich schnell vom Planeten Gersenter. Ein kurzes, ereignisreiches Kapitel schloß. Atlan schälte sich aus dem schweren Anzug, genoß die Wohltat einer heißen und kalten Dusche mit allem übrigen Komfort und
kam gerade rechtzeitig zur Einschleusung in die SOL in die Zentrale zurück. Längst war auch die KUNZ eingeschleust worden. Sanny und Bjo Breiskoll erstatteten dem High Sideryt Bericht über ihre Erlebnisse auf dem Weg zum Mond und in der sublunaren Kaverne. Breiskoll winkte Atlan zu und schloß: »Und deshalb bitten wir beide, einen kleinen Umweg zu fliegen und Dormigan anzusteuern.« »Es ist kein Umweg«, stimmte Hayes zu und gab Anweisung, den Mond anzusteuern, aber auf keinen Fall eine Landung einzuleiten. »Ihr wißt natürlich, daß die Ortung die völlige Verwüstung der Mondoberfläche festgestellt hat?« »Es war leicht vorherzusehen«, entgegnete Sanny. Die Molaatin und Breiskoll hatten die Raumanzüge noch nicht abgelegt. Die Ortung spielte einen Zusammenschnitt der letzten Bänder in die Zentrale. Sie zeigten ausnahmslos den Mond Dormigan. Die letzten Reste der Lufthülle, die riesige Mengen Materie mit sich riß, drifteten auf den Bildschirmen von der Mondoberfläche hinweg. An vielen Stellen lösten sich die Projektorstationen in der Form riesiger Glutflecke auf. Die Pflanzenwelt wurde vernichtet; das Sterben der Wälder und das Wasser, das sich in weißen Nebel verwandelte, kondensierte und in Flocken davontrieb, bildeten über der eigentlichen Oberfläche große, häßliche Wirbel. Das Sonnenlicht, das grell und ungehindert auf den steinernen Kern Dormigans strahlte, zeigte an vielen Stellen wieder die Krater und Täler, die Staubebenen und die Spalten des Mondes. Wieder wurden die Raumschiffe der EINZIGEN beobachtet, die von Dutzenden verschiedener Punkte mit Überlebenden starteten, nachdem die Kugelschiffe ihre Angriffe abgebrochen und die Solaner nicht mehr länger attackiert hatten. »Ein gräßliches Bild«, murmelte Atlan betraffen. »Eine blühende Welt stirbt.« »Dormigan stirbt, damit die Ungeborenen weiterleben können«,
erwiderte Breiskoll und verglich die Ortungsbilder mit der Wirklichkeit auf den Schirmen der Galerie. »Wir haben ihnen dazu verholfen, wenn auch reichlich unbeabsichtigt. Ich glaube, wir waren ebenso wie die EINZIGEN und die Energieblasen die Werkzeuge des Schicksals – wenn dies nicht zu großartig klingt.« Sanny winkte Bjo und fragte Atlan und Hayes: »Wollt ihr mitkommen? Wir wollen mit den Ungeborenen in Verbindung treten. Vielleicht kommen sie wieder aus ihren kleinen Urnen hervor.« »Wir warten hier!« entschloß sich Atlan. Langsam schwebte die riesige SOL an den nackten, kahlen Mond heran. Die wenigen Stunden, die seit der Landung der KUNZ auf Dormigan vergangen waren, hatten genügt, um den Urzustand des Mondes wieder hervorzurufen. Bjo und Sanny enterten eine Reparaturschleuse des SOL-Mittelstücks, öffneten die äußere Schleusentür und warteten. »Dort! Sieh, Bjo!« rief die Molaatin. Aus den Spalten und Löchern der Oberfläche kamen winzige Lichtpunkte, vermehrten sich rasend schnell und schwebten der SOL entgegen. Die Energieblasen schlossen sich zusammen und bildeten binnen weniger Minuten eine riesige Schicht, eine Energiefläche wie eine dünne, leuchtende Folie, die wie eine Seifenblase schwankte und sich in einigem Abstand um den Mond zu spannen begann. Große Flächen schimmerten in den unterschiedlichen Farben der kleinen Ungeborenen. Hingerissen von dem Schauspiel, hörten Bjo und Sanny die Durchsage der Ortung, daß die ersten Messungen ein verblüffendes Ergebnis zeigten. »Es ist ein Schirm aus Hyperenergie!« In die Gedanken der beiden Solaner sickerte eine Botschaft der Ungeborenen. Im Gegensatz zu allen anderen Gedankenbildern war sie von überraschender Stärke und Klarheit. Wir danken euch, Bjo Breiskoll und Sanny! Ihr seid die Zeugen unserer Geburt. Wir leben nicht länger mehr
zurückgezogen in den Urnen, um uns zu verstecken. Wir sind dank eurer Hilfe stark und mächtig und werden immer zahlreicher und stärker werden. Wir sorgen dafür, daß die EINZIGEN nicht mehr ihren Ideen und Vorstellungen folgen, die so viel Zerstörung und Leid über andere Lebewesen gebracht haben. In den unendlich langen Zeiten des NichtGeborenseins haben wir unsere geistigen Kräfte wachsen und sich vermehren lassen. Nur die Veränderung unserer Heimat hat verhindert, daß wir unser wirkliches Leben entfalten konnten. Noch mal danken wir euch und dem großen Raumschiff. Wir brauchen Ruhe und Abgeschlossenheit, um zu wachsen. Wir haben die Kälte des Weltraums, das herrliche Gestein des Kerns von Dormigan, und wir haben die Energie der Sonne Gers. Verlaßt uns und fliegt zu euren Zielen. Wir werden immer an euch denken, an die Retter der Dormiganer! Die Botschaft riß ab. Der Hyperenergieschirm hatte sich um den gesamten Mond ausgebreitet und hing starr im Licht der Sonne. Sanny und Bjo würden also niemals erfahren, wer die Dormiganer wirklich waren; auch dieses Kapitel war für die Solaner zu Ende. Bjo schloß die Schleuse, wartete den Druckausgleich ab und teilte Breckcrown Hayes mit, was sie »gehört« hatten. Während sie in die Zentrale zurückgingen, Sanny tappte klein und sehr nachdenklich hinter Bjo her, hörten sie, wie der High Sideryt den Kurs angab. Die SOL startete zurück zum Aqua-System. Die lange Reise ging weiter, und selbst wenn dort die Übertrittsmaschine funktionierte, würden die ungleich schnell verlaufenden Zeitströme für neue Aufregungen sorgen. Obwohl der Katzer einen Großteil der SOL-Geschichte miterlebt hatte, bekam er wieder einmal Furcht vor der Zukunft.
ENDE
Wenn sie das »Sternenuniversum« verlassen wollen, dürfen die Solaner kein Risiko scheuen. Das tun sie auch nicht, sondern sie setzen ihr Leben ein, als der Kampf um den Dimensionstransmitter entbrennt – der Kampf um DAS AUGE ZUM JENSEITS … DAS AUGE ZUM JENSEITS – so lautet auch der Titel des nächsten AtlanBandes. Autor des Romans ist Peter Griese.