Rendezvous mit D.C. Nora Roberts
AUS DEN TAGEBÜCHERN DES DANIEL DUNCAN MACGREGOR In meinem Alter fliegt die Zeit dahin...
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Rendezvous mit D.C. Nora Roberts
AUS DEN TAGEBÜCHERN DES DANIEL DUNCAN MACGREGOR In meinem Alter fliegt die Zeit dahin, die Jahreszeiten jagen sich. Man sollte jeden Augenblick bis zur Neige auskosten. Aber natürlich habe ich bereits mit dreißig genauso gedacht! In den letzten Jahren konnte ich erleben, wie vier meiner geliebten Enkelkinder Liebe gefunden, geheiratet und Familien gegründet haben. Erst Laura, dann Gwen; Julia, dann Mac. Ihre Augen strahlen vor Glück, in ihren Stimmen schwingt Zufriedenheit mit. Sie haben sich alle ein Haus gebaut und sich ein Leben mit dem Gefährten ihres Herzens eingerichtet. Aber warum haben sie bloß so verdammt lange dazu gebraucht, frage ich euch. Ha! Wenn ich nicht gewesen wäre, würden sie sich immer noch allein durchs Leben wursteln, und Anna hätte kein einziges Urenkelkind zum Knuddeln und Verwöhnen. Aber erwarte ich etwa Dankbarkeit? Weit gefehlt. Solange ich das Oberhaupt dieser Familie bin, tue ich meine Pflicht, ohne ein Dankeschön zu verlangen. Es ist mir Freude und Verpflichtung zugleich, dafür zu sorgen, dass meine Küken bequem – und angemessen – auf der Stange hocken. Man sollte eigentlich meinen, dass sich die anderen Enkelkinder beim Anblick all dieses ehelichen Glücks um sie herum besinnen und dem Beispiel ihrer Geschwister, Cousinen und Cousins folgen würden. Aber nein, die MacGregors sind ein sturer und unabhängiger Haufen. Und Gott segne sie dafür. Doch zum Glück bin ich ja noch da, um die Dinge ins Lot zu bringen. Ich sah drei meiner Enkeltöchter vor den Altar treten und gab meinem ersten Enkelsohn einen unauffälligen Schubs in die richtige Richtung. Manche behaupten, es wäre Einmischung gewesen. Ha! Ich nenne es Weisheit. Und jetzt habe ich beschlossen, dass es Zeit ist, meinem Enkel und Namensvetter, Daniel Campbell MacGregor, eine Prise Weisheit zu verabreichen. Er ist ein feiner Junge mit einem messerscharfen Verstand, auch wenn er ein paar Mucken hat. Und er sieht gut aus, ein bisschen so wie ich in dem Alter. Deshalb fehlt es ihm nicht an weiblicher Gesellschaft. Was in meinen Augen Teil des Problems ist. Zu viel Quantität und nicht genug Qualität. Wir müssen einen Weg finden, dieses Problem zu lösen.
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D.C. ist Künstler. Ein Maler. Auch wenn ich bei der Hälfte seiner Bilder beim besten Willen nicht sagen könnte, was ich da eigentlich sehe, hat er großen Erfolg mit seiner Arbeit. Was der Junge jetzt braucht, ist eine Frau, die diesen Erfolg mit ihm teilt und ihm Kinder schenkt, damit sein Leben einen Mittelpunkt bekommt. Aber natürlich nicht irgendeine Frau, sondern eine mit Rückgrat, die klug ist und ehrgeizig… und einem anständigen Stammbaum. Nämlich die Frau, die ich schon für ihn ausgesucht hatte, als die beiden noch Kinder waren. Ich habe mich bis jetzt in Geduld geübt, weil es wichtig ist, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Schließlich kenne ich den Jungen und weiß ihn zu nehmen. Ein bisschen verdreht ist er schon, mein D.C. Der Typ Mann, der oft links abbiegt, wenn man ihm sagt, dass er besser rechts abbiegen sollte. Ich nehme an, es kommt von den acht Jahren in seiner Kindheit, als sein Vater unser Staatsoberhaupt war und es für ihn so ungeheuer viele Regeln gab, die er befolgen musste. Nun, mit etwas Hilfe von einer guten alten Freundin werden wir es schon schaffen, dem jungen Daniel Campbell einen kleinen Schubs in die richtige Richtung zu geben – und ihn denken lassen, dass er das alles allein entschieden hat. Ein weiser Mann braucht kein Dankeschön. Nur die richtigen Resultate.
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1. KAPITEL Licht strömte durch die hohen Fenster ins Zimmer, überflutete die saphirblauen und rubinroten Farbkleckse und den Mann, der gleich einem Kämpfer vor der Leinwand stand und seinen Pinsel wie ein zweischneidiges Langschwert führte. Er hatte das energische Gesicht eines Kriegers, mit ausgeprägten Zügen, hohen Wangen und einem Mund, der zwar voll, aber jetzt vor Konzentration fest zusammengepresst war. Die Augen unter den zusammengezogenen dunklen Brauen waren von einem strahlend hellen Blau. Sein Haar fiel ihm über die Ohren und ringelte sich über dem Kragen des mit Farbklecksen übersäten Jeanshemds, das er statt eines Kittels trug. Die Ärmel waren hochgekrempelt, so dass man das Spiel der gut entwickelten Muskeln sehen konnte, während er mit dem Pinsel die Farbe auf die Leinwand brachte. Er besaß auch die Statur eines Kriegers, mit breiten Schultern, schmalen Hüften und langen Beinen. Seine Füße waren nackt und seine großen Hände mit Farbe beschmiert. Vor seinem geistigen Auge spielten sich Gefühlsausbrüche ab Leidenschaft und Lust, Begierde und Verlangen. Und all das brachte er auf die Leinwand, während der Fußboden unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Rockmusik, die aus den Boxen der Stereoanlage dröhnte, erbebte. Jedes Gemälde war für ihn eine Schlacht, eine, die zu gewinnen er entschlossen war. Wenn er in der richtigen Stimmung war, arbeitete er, bis sein Arm schmerzte und er die Finger nicht mehr bewegen konnte. War er nicht in der richtigen Stimmung, kam es vor, dass er der Leinwand für Tage, wenn nicht gar für Wochen den Rücken kehrte. Es gab Leute, die behaupteten, D.C. MacGregor mangele es an Disziplin. Die fragte er grundsätzlich, was, zum Teufel, er mit Disziplin solle. Plötzlich blitzten seine Augen triumphierend auf. Dann klemmte er sich den Pinsel zwischen die Zähne und griff nach einem Palettenmesser, um ein kühnes Smaragdgrün aufzutragen. Jetzt hatte er es. Die Schlacht war fast geschlagen. Der Schweiß lief ihm in Rinnsalen über den Rücken. Die Sonne, die glühend heiß durch die Scheiben schien, verwandelte das Atelier in einen Back-
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ofen, weil er wieder einmal vergessen hatte, die Klimaanlage einzuschalten oder ein Fenster zu öffnen, um die frische Frühlingsluft hereinzulassen. An Mahlzeiten hatte er ebenso wenig gedacht wie daran, seine Post heraufzuholen, seine Anrufe entgegenzunehmen oder einen Blick aus den herrlich großen Fenstern seines Apartments zu werfen. Aber die Lust am Malen packte ihn stets so plötzlich und heftig, dass er darüber alles andere vergaß. Als D.C. den Pinsel noch immer wie ein Piratenmesser zwischen die Zähne geklemmt und das Palettenmesser wie einen Dolch in der Hand haltend, einen Schritt von der Leinwand zurücktrat, verzog sich sein entschlossener, leicht bedrohlich wirkender Mund zu einem Lächeln. „Das ist es“, murmelte er, nahm den Pinsel aus dem Mund und stellte ihn in ein Glas mit Terpentin. Dann begann er mit mechanischen Bewegungen das Messer zu säubern, während er sein Werk studierte. Dringlichkeit, entschied er. Ja, er würde es einfach „Dringlichkeit“ nennen. Jetzt erst fiel ihm auf, wie stickig es im Zimmer war und dass die vertrauten Gerüche von Terpentin und Farben schwer in der Luft hingen. Er ging über den rohen Holzfußboden zu einem der Fenster, schob es hoch und atmete tief die frische Luft ein. Die großen Fenster mit dem Blick auf den C&O Canal waren es gewesen, die ihn veranlasst hatten, diese Wohnung zu kaufen, nachdem er sich entschieden hatte, wieder nach Washington zurückzukehren. Er war hier aufgewachsen und hatte acht Jahre seines Lebens als Sohn des Präsidenten im Weißen Haus verbracht. Er hatte ein paar Jahre in New York gelebt und gearbeitet, und er hatte sie genossen. Auch in San Francisco hatte er gelebt und gearbeitet, und er hatte es ebenfalls genossen. Und doch hatte während der rastlosen Zeit zwischen zwanzig und dreißig immer irgendetwas an ihm gezerrt. Heimweh. Washington war sein Zuhause. Die Hände in den Taschen seiner verschlissenen Jeans, lehnte er am Fenster und blickte hinaus. Die Kirschbäume standen in voller Blüte, der Kanal glitzerte in der Nachmittagssonne, Jogger trabten den Pfad am Wasser entlang. Während D.C. einen Moment müßig darüber nachdachte, welcher Wochentag wohl heute sein mochte, merkte er plötzlich, dass er kurz vor dem Verhungern stand. Ohne die Musik abzustellen, die
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noch immer auf voller Lautstärke lief, ging er hinunter in die Küche. Das Penthouse erstreckte sich über zwei Ebenen, wovon die obere als Schlafzimmer vorgesehen war. Dort hatte er sich allerdings sein Atelier eingerichtet, während er auf einer Matratze auf dem Boden im angrenzenden Gästezimmer schlief. Er war bisher noch nicht dazu gekommen, sich nach einem richtigen Bett umzuschauen. Die meisten seiner Sachen steckten noch in den Umzugskartons, mit denen sie vor fast zwei Monaten angekommen waren. Dort waren sie seiner Meinung nach gut aufgehoben, bis er die Zeit fand, sich einen Schrank zu besorgen. Auf der unteren Ebene lag das weiträumige Wohnzimmer mit Fenstern nach allen Seiten, die noch keine Vorhänge hatten. In der Mitte stand eine einsame Couch – das Preisschild hing noch daran – und ein wunderschöner Duncan Phyfe-Tisch mit einer daumendicken Staubschicht darauf sowie eine Stehlampe mit einem eingedellten Metallschirm. Der Kiefernholzboden war hier ebenfalls nackt und musste dringend gesaugt werden. Die Essnische, die von der Küche abging, war leer, die Küche selbst ein einziges Tohuwabohu. Die wenigen Teller und Töpfe, die sich nicht verdreckt in der Spüle türmten, befanden sich auch noch in den Kartons. Er ging geradewegs zum Kühlschrank und war höchst überrascht, diesen bis auf drei Flaschen Bier, eine Flasche Wein und zwei Eier leer vorzufinden. Er wäre bereit gewesen zu schwören, dass er eingekauft hatte. Eine gründliche Durchforstung der Schränke förderte ein paar Scheiben verschimmeltes Brot, eine Tüte Kaffee, sechs Schachteln Cornflakes und eine Dose Suppe zu Tage. Resigniert riss er eine Packung Cornflakes auf und stopfte sich eine Hand voll in den Mund, während er mit sich rang, ob ihm der Sinn eher nach einer Tasse Kaffee oder einer Dusche stand. Er hatte eben beschlossen, sich Kaffee zu machen und ihn mit unter die Dusche zu nehmen, da klingelte das Telefon. Er registrierte ohne großes Interesse, dass das Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte, und nahm, auf den trockenen Cornflakes herumkauend, den Hörer ab. „Hallo.“ „Da ist ja mein Junge.“ Der eisige Blick wurde warm, der harte Mund weich. D.C. lümmelte sich gegen den Tresen und grinste. „He, Grandpa, was führst du denn diesmal wieder im Schilde?“
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„Manche würde sagen, nichts Gutes“, erwiderte Daniel mit dröhnender Stimme. „Hörst du deinen Anrufbeantworter eigentlich nie ab? Ich habe dir in den letzten Tagen mindestens ein Dutzend Mal auf diese verdammte Maschine gesprochen. Deine Großmutter wollte schon das nächste Flugzeug nehmen, um sich davon zu überzeugen, dass du nicht tot im Bett liegst.“ D.C. hob nur eine Augenbraue. Es war eine allseits bekannte Tatsache, dass Daniel seine stets heiter gelassene Ehefrau vorschob, wenn er seine Enkel nerven wollte. „Ich habe gearbeitet.“ „Lobenswert. Das ist wirklich sehr lobenswert, mein Junge, aber ab und zu kannst du auch mal eine kleine Verschnaufpause einlegen, oder?“ „Das mache ich gerade.“ „Und jetzt zu meinem Anliegen. Ich wollte dich bitten, mir aus der Patsche zu helfen. Es fällt mir nicht leicht, glaub mir.“ Der schwere Seufzer, den Daniel ausstieß, veranlasste seinen Enkel, besorgt die Stirn zu runzeln. „Worum geht es denn?“ „Es wird dir nicht gefallen, und Gott weiß, dass ich dir das nicht verübeln kann. Aber ich stecke wirklich in der Klemme. Deine Tante Myra…“ „Ist alles in Ordnung mit ihr?“ D.C. richtete sich kerzengerade auf. Myra Ditmeyer war die älteste und beste Freundin seiner Großmutter, zudem seine heiß geliebte Patentante und ein hoch geschätztes Mitglied des MacGregor-Clans. D.C. verehrte sie und erinnerte sich jetzt schuldbewusst daran, dass er sich noch kein einziges Mal bei ihr gemeldet hatte, seit er wieder in Washington war. „Oh, ihr geht es prächtig, Junge. Mach dir um sie keine Sorgen. Die Frau ist munter wie ein Fisch im Wasser. Aber… nun, sie hat außer dir noch ein Patenkind. Ich weiß nicht, ob du dich an das Mädel erinnern kannst. Du hast sie als Junge ein- oder zweimal gesehen. Layna Drake, sagt dir der Name etwas?“ Es dauerte eine Weile, dann erschien vor D.C.s geistigem Auge das Bild eines mageren kleinen Mädchens mit Haaren so flauschig wie eine Pusteblume. „Was ist mit ihr?“ „Sie ist wieder in Washington. Du kennst die Drakes… die Kaufhauskette. Das ist ihre Familie. Sie arbeitet jetzt in der Hauptfiliale, und Myra… Nun, am besten rede ich nicht lange um den heißen Brei herum. Morgen Abend findet ein Wohltätigkeitsball statt, und Myra
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ist völlig am Boden zerstört, weil das Mädchen keine Begleitung hat. Deshalb hat sie mich gebeten, dich zu fragen, ob du…“ „Verdammt, Grandpa.“ „Ich weiß, ich weiß.“ Daniel seufzte leidgeprüft. „So sind sie nun mal, die Frauen. Junge, was soll ich dazu noch sagen? Sie zerren so lange an einem herum, bis man nachgibt. Jetzt habe ich ihr versprochen, dich zu fragen, ob du Layna vielleicht begleiten würdest. Du tätest mir wirklich einen riesigen Gefallen, wenn du dich dazu aufraffen könntest. Nur dieses eine Mal.“ „Verflucht noch mal, Grandpa, wenn das wieder so eine abgekartete Sache ist…“ Daniel unterbrach ihn mit einem herzhaften Lachen. „Diesmal nicht, Junge. Dieses Mädchen ist nichts für dich, glaub mir. Sie ist zwar recht hübsch und hat gute Manieren, aber dein Typ ist sie ganz bestimmt nicht. Zu kühl und ein bisschen zu hochnäsig. Nein, nein, es würde mir gar nicht gefallen, wenn du in so eine Richtung schielst. Und wenn du dich morgen nicht freimachen kannst, sage ich Myra einfach, dass du schon etwas anderes vorgehabt hättest.“ „Morgen Abend?“ D.C. fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er hasste Wohltätigkeitsveranstaltungen. „Krawattenzwang?“ „Ich fürchte, ja.“ Als Daniel darauf einen gebrummten Fluch hörte, gab er einen mitfühlenden Laut von sich. „Hör zu, ich rufe Myra gleich zurück und sage ihr, dass es dir schrecklich Leid tut, du aber nicht kannst. Schließlich gibt es keinen Grund für dich, einen ganzen Abend mit einem Mädchen zu verschwenden, das dich zu Tode langweilen würde, oder? Ich bezweifle, dass ihr auch nur ein einziges gemeinsames Interesse habt. Du solltest lieber endlich anfangen, dich nach einer richtigen Frau umzuschauen. Es wird Zeit, dass du heiratest und ein geregeltes Leben führst, Daniel Camp bell. Höchste Zeit. Deine Großmutter macht sich schon Sorgen, dass du eines Tages noch als einsamer alter Mann in deinem Atelier verhungerst. Ich wüsste da auch schon ein Mädchen. Sie ist…“ „Ich mach es.“ Die Entscheidung war reiner Reflex. Wenn Daniel nicht allzu viel von Myras Patentochter hielt, bedeutete das zumindest, dass er sich nicht alle naselang ans Telefon hängen würde, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Vielleicht würde sein Großvater ja in seinen unermüdlichen Bemühungen, seine Dynastie zu erweitern, nachlassen, nachdem er, D.C. ihm diesen Gefallen getan hatte. Einen Versuch war es immerhin wert, obwohl D.C. sich keine sehr großen Hoffnungen machte. „Um wie viel Uhr denn mor-
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gen, und wo soll ich diese, wie auch immer sie heißt, abholen?“ „Oh, Gott segne dich. Für diesen Gefallen schulde ich dir etwas. Die Sache steigt um acht im Shoreham Hotel. Am besten holst du Layna in ihrem Elternhaus in der O Street ab.“ Daniel rasselte die Adresse herunter. „Ich bin dir wirklich zutiefst dankbar, dass du mir aus der Patsche geholfen hast, D.C.“ D.C. zuckte nur die Schultern und schüttete sich direkt aus der Packung einige Cornflakes in den Mund. Während er dann mit Daniel noch Familienklatsch austauschte, fragte er sich flüchtig, wo, zum Teufel, er seinen Smoking hingepackt hatte. „Oh, Tante Myra, wirklich.“ Über dem Arm einen Traum von fließender weißer Seide, stand Layna Drake in ihrer Unterwäsche da und machte ein peinlich berührtes Gesicht. „Ein Blind Date?“ „Nicht wirklich, Schätzchen.“ Myra lächelte beruhigend. „Du hast ihn früher schon einmal getroffen… da wart ihr beide allerdings noch Kinder. Ich weiß, dass es eine Zumutung für dich ist, aber Daniel bittet mich so selten um etwas. Und es ist ja nur ein Abend. Außerdem wolltest du ja sowie so auf den Ball gehen.“ „Ja, aber mit dir.“ „Ich komme doch trotzdem mit. Er ist wirklich ein sehr netter junger Mann, Schätzchen. Ein bisschen reizbar vielleicht, aber trotzdem sehr nett.“ Sie strahlte. „Natürlich sind alle meine Patenkinder wundervolle Menschen.“ Myra behielt ihr Lächeln bei, als sie sich hinsetzte und ihre Patentochter musterte. Myra war eine kleine, quirlige Frau mit Haaren so weiß und weich wie frisch gefallener Schnee und einem Verstand, der so schnell und scharf sein konnte wie ein Klappmesser. Doch wenn die Situation es erforderte – und das tat sie jetzt –, schaffte sie es, sich mit einer Aura von Zerbrechlichkeit und Hilflosigkeit zu umgeben, die jedermann zu Herzen ging. Ja, ja, die betagte Witwe Ditmeyer, dachte sie amüsiert. „Daniel macht sich Sorgen um ihn“, fuhr sie fort. „Und ich auch. Der Junge kommt einfach zu selten unter Leute. Aber mal ehrlich, wer hätte denn gedacht, dass Daniel auf so eine Idee kommen würde, als ich ganz nebenbei erwähnte, dass du wieder in Washington seist und vorhättest, auf diesen Ball zu gehen? Ich war einfach…“, Myras Hände flatterten hilflos, „… perplex. Ich schaffte es nicht, ihm seine Bitte abzuschlagen. Obwohl ich mir darüber klar bin, dass es eine Zumutung für dich ist.“
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Weil ihre heiß geliebte Patentante plötzlich so unglücklich dreinschaute, gab Layna ihrem Herzen einen Stoß. „Na gut. Ich wollte ja sowieso hingehen.“ Mit graziösen Bewegungen stieg sie in ihr Abendkleid. „Kommt er direkt ins Hotel?“ „Nein. Oje!“ Myra warf einen Blick auf ihre Uhr und erhob sich. „Er wird gleich hier sein, um dich abzuholen. Wir treffen uns dann auf dem Ball. Du liebe Güte, wie die Zeit verfliegt. Mein Fahrer denkt bestimmt schon, mir wäre etwas passiert.“ „Aber…“ „Wir sehen uns dann in ungefähr einer Stunde, Schätzchen“, sagte Myra, während sie, überraschend flink für eine Frau ihres Alters, zur Tür eilte. „Übrigens, du siehst wundervoll aus“, bemerkte sie noch, ehe sie das Zimmer verließ. Layna stand in dem am Rücken noch offenen Kleid da und atmete laut aus. Typisch, dachte sie. Das war doch wirklich wieder einmal typisch. Ihre Patentante konnte es einfach nicht lassen, ihr ständig irgendwelche Heiratskandidaten auf einem Silbertablett zu servieren, wobei ihr die manchmal höchst unangenehme Aufgabe blieb, diese so elegant wie möglich wieder loszuwerden. Die Ehe war etwas, das sie entschieden aus ihrem Lebensplan gestrichen hatte. Layna, die in einem Elternhaus aufgewachsen war, in dem gute Manieren mehr zählten als Liebe und man über gelegentliche Affären höflich hinwegsah, hatte nicht den leisesten Wunsch, sich eines Tages in einer ähnlich gearteten Beziehung wiederzufinden. Männer eigneten sich gut zur Dekoration, solange sie selbst es war, die die Show leitete. Und im Augenblick war ihr ihre Karriere weitaus wichtiger als Verabredungen an einem Samstagabend. Sie hatte vor, auf der Leiter des Erfolgs in ihrem Familienunternehmen weiter emporzuklettern, und wenn alles nach Plan lief, würde sie in zehn Jahren ganz oben angelangt sein. Noch eine Show, die sie zu leiten gedachte. „Drake’s“ war nicht nur eine exklusive Ladenkette, sondern eine Institution. Solange Layna Single war und das auch blieb, konnte sie ihre ganze Zeit und Energie darauf verwenden, den Ruf und den Stil der Firma zu erhalten und sogar noch auszubauen. Sie war nicht wie ihre Mutter, die „Drake’s“ als ihren persönlichen Kleiderschrank betrachtete. Oder wie ihr Vater, dem der Profit immer mehr am Herzen gelegen hatte als innovative Ideen oder Traditionen, die es zu erhalten galt. Sie war sie selbst.
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Und ihr war „Drake’s“ sowohl Freude wie auch Verpflichtung. Die Ladenkette war, wie sie glaubte, ihre wahre Familie. Manche mochten das vielleicht traurig finden, aber sie fand es tröstlich. Sie griff hinter sich und schloss mit einer schnellen Bewegung den Reißverschluss. Zu ihrer Verantwortung „Drake’s“ gegenüber gehörte es auch, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und an einer Wohltätigkeitsveranstaltung wie dieser teilzunehmen. Von einer Art der Arbeit auf die andere umzuschalten bedeutete für sie etwa so viel, wie beim Fahren den Gang zu wechseln. Disziplin hatte sie sich bereits in ihrer frühesten Kindheit antrainiert, und mittlerweile war sie ihr zur zweiten Natur geworden. Und ihr Job erforderte hin und wieder eine angemessene Herrenbegleitung. Immerhin schienen bei ihrer Tante Myra diesmal keine Hintergedanken im Spiel zu sein. Es würde ihr ein Leichtes sein, mit einem praktisch Fremden einen Abend lang Konversation zu machen. Darin war sie Expertin. Sie drehte sich um und nahm die tropfenförmigen brillantbesetzten Perlenohrringe von der antiken Ankleidekommode. Dieses Möbelstück, wie auch die gesamte Einrichtung ihres Schlafzimmers, spiegelte ihren Geschmack wider – schlichte Eleganz, gewürzt mit einer hauchfeinen Prise Extravaganz. Die Kopfseite des ebenfalls antiken Bettes aus Kirschholz war mit wunderschönen Holzschnitzereien verziert, und die dazu passenden Konsolen mit den spiegelblank polierten Platten schmückten frische Blumen und sorgfältig ausgesuchte Accessoires. Das ist jetzt dein Heim, dachte sie mit leisem Stolz. Sie hatte das Haus ihrer Eltern zu ihrem Heim gemacht. Vor einem kleinen Marmorkamin stand eine gemütliche Sitzecke und rechts davon ein zierlicher Frisiertisch, auf dem sich eine Kollektion kühn geformter Parfümflakons reihte. Sie ging zu dem Tischchen, nahm eine Flasche mit ihrem Duft und tupfte sich gedankenverloren zwei Tropfen hinters Ohr, während sie sich für einen Augenblick – für einen ganz kurzen Augenblick nur – gestattete, sich nach einem ruhigen Abend zu Hause zu sehnen. Sie hatte einen Zehnstundentag bei „Drake’s“ hinter sich. Ihre Füße schmerzten, sie war müde, und ihr Magen war leer. Sie schob den Gedanken schnell beiseite und stellte sich vor den großen Garderobenspiegel, um den Sitz ihres Abendkleides zu über-
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prüfen. Es fiel von der Büste kerzengerade bis zu den Knöcheln hinab und ließ die Schultern frei. Zufrieden mit sich, schlüpfte sie noch in das dazugehörige kurze Jäckchen, zog ihre hochhackigen Pumps an und warf einen schnellen Blick in ihr Abendtäschchen. Als es an der Haustür klingelte, seufzte sie nur ein einziges Mal. Zumindest war er pünktlich. Sie erinnerte sich an D.C. vage aus ihrer Kindheit. Sie war damals zu aufgeregt und beeindruckt gewesen, dem Präsidenten zu begegnen, um sonst noch auf irgendetwas anderes zu achten. Aber sie hatte in den darauf folgenden Jahren ab und zu von ihm gehört. Ein Künstler, dachte sie, während sie die Treppe nach unten ging. Ein Maler der modernen Schule, die zu verstehen sie nicht vorgab. Layna bevorzugte in allen Dingen das Klassische. Hatte es um ihn nicht vor ein paar Jahren einen Skandal wegen einer Balletttänzerin gegeben? Oder war es eine Schauspielerin gewesen? Nun ja, es war anzunehmen, dass der Sohn des früheren Präsidenten mit fast allem, was er tat, das Interesse der Sensationspresse auf sich zog, auch wenn es noch so banal war. Und die Tatsache, dass er der Enkel von Daniel MacGregor war, steigerte diese öffentliche Anteilnahme noch. Layna hatte mehr Glück, weil sie hinter den Kulissen arbeitete. Und da er es nicht einmal geschafft hatte, für den Abend eine geeignete Begleitung aufzutreiben, konnte er bei der Damenwelt ja wohl kaum so ein Hit sein. Sie setzte ihr für gesellschaftliche Anlässe reserviertes Lächeln auf und öffnete die Tür. Nur die Jahre der strengen Erziehung in einer schweizerischen Klosterschule bewahrten sie davor, dass ihr im nächsten Moment die Kinnlade herunterfiel. Dieser Mann, der da höchst bedrohlich vor ihr aufragte, mit der schwarzen Krawatte, dem Haar, das die Farbe ihres wertvollen Mahagoni-Esszimmertischs hatte, und den Augen, die so blau und durchdringend waren wie Laserstrahlen, brauchte seinen Großvater, um eine Frau zu finden, die bereit war, mit ihm auszugehen? „Layna Drake?“ Du musst im falschen Haus gelandet sein, war alles, was D.C. denken konnte. Diese in weiße, schimmernde Seide gehüllte, äußerst attraktive Frau hatte nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem mageren kleinen Mädchen von damals. Und das glatte Haar, das ein ebenmäßiges Gesicht umrahmte, hatte nichts von einer Pusteblume, sondern mutete eher wie gesponnenes Gold an. Ihre Augen hatten ein weiches, verschleiertes Grün.
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Sie erholte sich rasch, und ihr routiniert höfliches Lächeln zitterte kein bisschen, als sie ihm eine Hand reichte. „Ja. Daniel MacGregor?“ „D.C. bitte. Daniel ist mein Großvater.“ „Na schön, dann D.C.“ Normalerweise hätte sie ihn hereingebeten und für kurze Zeit die Gastgeberin gespielt, um ihnen beiden die Gelegenheit zu geben, miteinander warm zu werden. Aber sie fühlte sich nicht hundertprozentig sicher in seiner Gegenwart. Er war für ihren Geschmack ein wenig zu groß, zu männlich, und diese Augen blickten viel zu dreist. Entschlossen trat sie aus dem Haus und zog die Tür hinter sich zu. „Mit welchem Wagen fahren wir?“ „Mit meinem.“ Kühl, hatte sein Großvater gesagt, und D.C. stellte fest, dass der Alte damit ins Schwarze getroffen hatte. Definitiv eine Eisprinzessin, trotz ihres atemberaubenden Äußeren. Es würde ein verflucht langer Abend werden. Layna warf einen Blick auf den niedrigen Sportwagen, der am Straßenrand parkte, und fragte sich, wie, zum Teufel, sie sich in ihrem langen Abendkleid da wohl hineinquetschen sollte. Tante Myra, dachte sie, was hast du mir da bloß eingebrockt?
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2. KAPITEL Sie fühlte sich wie mit einem Riesen in eine Sardinenbüchse eingesperrt. Der Mann war mindestens einsneunzig groß. Aber er hatte kein Problem, das Spielzeugauto mit Höchstgeschwindigkeit durch den regen Washingtoner Verkehr zu steuern. Layna klammerte sich mit einer Hand an den gepolsterten Haltegriff an ihrer Tür, überprüfte mit der anderen den Sitz ihres Sicherheitsgurts und betete, nicht wie ein Insekt an der Windschutzscheibe zerquetscht zu werden, noch ehe der Abend begonnen hatte. Ein bisschen Konversation würde sie vielleicht von dieser nicht sehr angenehmen Vorstellung ablenken. „Tante Myra hat mir erzählt“, begann sie, „dass wir uns vor Jahren, als Ihr Vater noch Präsident war, schon einmal begegnet sind.“ Das letzte Wort endete in einem spitzen Schreckensschrei, weil er den Wagen in die winzige Lücke zwischen einem Bus und einer Limousine quetschte. „Das habe ich auch gehört. Sie sind erst vor kurzem wieder nach Washington gezogen?“ „Ja.“ Als sie merkte, dass sie die Augen zusammengekniffen hatte, öffnete sie sie wieder und hob entschlossen das Kinn. Sie fand sich sehr mutig. „Ich auch.“ Sie duftet traumhaft, dachte er, und da es ihn ein bisschen zu sehr ablenkte, öffnete er das Fenster einen Spaltbreit. „Wirklich?“ Ihr stockte der Atem. Sah er denn nicht, dass die Ampel jeden Moment auf Rot umschaltete? Anscheinend dachte er überhaupt nicht daran, vom Gas zu gehen. Sie schluckte ein Keuchen hinunter und erstickte fast daran, als er in dem Augenblick, in dem die Ampel von Gelb auf Rot umsprang, über die Kreuzung schoss. „Sind wir spät dran?“ „Warum?“ „Sie scheinen es eilig zu haben.“ „Nicht besonders.“ „Sie sind eben bei Rot gefahren.“ Er hob eine Augenbraue. „Es war Gelb“, sagte er und scherte wieder aus, um einen Kombi zu überholen. „Ich bin bisher eigentlich immer davon ausgegangen, dass man vor einer gelben Ampel den Fuß vom Gas nimmt, um rechtzeitig bremsen zu können.“
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„Nicht, wenn man ans Ziel kommen möchte.“ „Ich verstehe. Fahren Sie immer so?“ „Wie?“ „Als hätten Sie gerade einen Bankraub begangen und wären auf der Flucht.“ Er dachte einen Moment darüber nach, dann lächelte er. „Ja.“ Er bog in die Straße ein, in der sich das Hotel befand, und brachte den Wagen mit einem prahlerischen Bremsenquietschen zum Stehen. „Es spart Zeit“, sagte er lässig, um gleich darauf seine langen Beine zu entfalten und auszusteigen. Layna blieb sitzen, wo sie war. Und während sie versuchte, ruhiger zu atmen, bedankte sie sich bei ihrem Schöpfer, dass sie schließlich doch noch mit heiler Haut davongekommen war. Sie hatte noch keinen Finger gerührt, als D.C. bereits um das Auto herumgegangen war, dem Portier die Wagenschlüssel in die Hand drückte und ihr die Tür öffnete. „Wollen Sie nicht Ihren Sicherheitsgurt lösen?“ Er wartete, bis sie so weit war, griff dann nach ihrer Hand und half ihr beim Aussteigen. Die körperliche Nähe bewirkte, dass ihm wieder ihr Duft in die Nase stieg, und einen Augenblick später besah er sich die Beschaffenheit und die Form ihrer Hand. Also gut, eine Klassefrau ist sie, das muss man ihr lassen, räumte er in Gedanken ein. Die Augen einer Meerjungfrau in einem Gesicht, das so fein geschnitten war wie eine Kamee. Ein betörender Kontrast. Obwohl er sich nur selten an Porträts versuchte, zeichnete er doch ab und zu Gesichter, die ihn interessierten. Es war nicht ausgeschlossen, dass er sich irgendwann genötigt sehen könnte, ihres zu zeichnen. Ihre Knie waren noch immer weich, aber sie war am Leben. Layna holte tief Luft. „Leuten wie Ihnen sollte man verbieten, sich aus welchen Gründen auch immer hinters Steuer zu setzen, vor allem, wenn es sich nicht um ein Auto, sondern um eine Sardinenbüchse handelt.“ „Es ist ein Porsche.“ Da sie nicht die Absicht zu haben schien, sich aus eigenem Antrieb zu bewegen, hielt er ihre Hand weiterhin fest und zog sie mit sich in die Hotellobby. „Warum haben Sie mich nicht einfach gebeten, langsamer zu fahren, wenn es Ihnen zu schnell war?“ „Ich war zu sehr mit Beten beschäftigt.“ Diese Antwort entlockte ihm ein Grinsen, ein schnelles Aufblit-
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zen von Humor. Es nahm dem Gesicht jedoch nichts von seiner Gefährlichkeit. In Laynas Augen erhöhte es sie sogar noch. „Sieht so aus, als wären Ihre Gebete erhört worden. Wo, zum Teufel, müssen wir hier eigentlich hin?“ Kochend vor Wut fegte Layna zu den Aufzügen und drückte heftiger als nötig einen Knopf. Dann betrat sie vor ihm den Lift und betätigte genauso heftig die Taste für den entsprechenden Saal. D.C. der hinter ihr stand, verdrehte die Augen. „Hören Sie…“ Wie, zum Teufel, hieß sie doch gleich wieder? „Layna, wenn Sie die Absicht haben, die beleidigte Leberwurst zu spielen, wird es ein sehr langer und zäher Abend werden.“ Sie schaute stur geradeaus und gab sich alle Mühe, ihre Wut im Zaum zu halten. Sie wusste, dass sie dazu neigte, sarkastisch zu werden, wenn sie sich nicht zusammennahm. „Ich spiele nicht die beleidigte Leberwurst.“ Ihre Stimme war so warm wie ein Winter in der Arktis. Nur ihre anerzogenen guten Manieren bewahrten sie davor, gleich weiterzugehen, nachdem sie aus dem Aufzug getreten war. So aber drehte sie sich mit einer graziösen Bewegung nach ihm um und wartete auf ihn. Als er ihren Arm nahm, registrierte er, dass sich ihre Wangen vor Zorn gerötet hatten. Das brachte Leidenschaft in ein kühles und klassisches Gesicht. Wenn er ein wie auch immer geartetes Interesse an ihr hätte, würde er es sich zur Aufgabe machen, diese Wangen so oft wie nur möglich zum Glühen und diese Augen zum Blitzen zu bringen. Aber da dies nicht der Fall war und er den Abend so schnell und schmerzlos wie möglich hinter sich bringen wollte, versuchte er sie zu besänftigen. „Es tut mir Leid.“ Es tut mir Leid, wiederholte sie im Stillen zornbebend, während sie sich von ihm in den Ballsaal geleiten ließ. War das alles, was er zu seinem rüpelhaften Verhalten zu sagen hatte? Offensichtlich hatte er weder die diplomatischen Fähigkeiten seines Vaters noch den Charme seiner Mutter geerbt. Zum Glück war der Saal voller Leute, und es spielte eine Kapelle. Was zumindest bedeutete, dass sie nicht dazu verdammt war, den ganzen Abend mit einem ungehobelten Klotz Konversation zu machen. Sobald der gute Ton es erlaubte, würde sie sich unauffällig von ihm lösen und sich jemanden suchen, mit dem sie sich gepflegt unterhalten konnte.
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„Wein?“ fragte er. „Ja, bitte.“ Er nahm sich vor, sich im Laufe des Abends so oft wie möglich von ihr abzuseilen, während er sich mit ihrem Wein und einem Bier für sich selbst wieder auf den Weg zu ihr machte. Er konnte nur dem Himmel danken, dass sein heiß geliebter Großvater, der leider die lästige Angewohnheit hatte, ständig seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken, ihn diesmal ausnahmsweise nicht verkuppeln wollte. „Da seid ihr ja!“ Myra kam mit ausgestreckten Händen auf sie zugeeilt. Oh, waren sie nicht ein schönes Paar? Sie konnte es gar nicht erwarten, Daniel zu erzählen, wie umwerfend ihre beiden Kleinen zusammen aussahen. „D.C. aus dir ist ja ein richtiger Mann geworden.“ Sie legte den Kopf schräg, als er sich zu ihr herunterbeugte, um sie auf die Wange zu küssen. „Hast du mir einen Tanz reserviert, Tante?“ „Selbstverständlich. Deine Eltern sind auch hier. Warum setzt ihr euch nicht für einen Moment zu uns?“ Sie trat zwischen Layna und D.C. und legte jedem einen Arm um die Taille. „Ich weiß, dass du dich ein bisschen unters Volk mischen musst, Layna, und natürlich wollt ihr beide auch tanzen – sie spielen wunderbare Musik heute Abend –, aber ich habe ein Recht darauf, egoistisch zu sein und euch für ein paar Minuten zu beanspruchen.“ Mit geübter Geschicklichkeit lotste Myra sie durch die angeregt plaudernde Menschenmenge und schlängelte sich mit ihnen zwischen weiß gedeckten, mit leuchtenden Frühlingsblumensträußen geschmückten Tischen hindurch. Sie wartete schon sehnsüchtig auf die Gelegenheit, die beiden zusammen zu beobachten, die winzigen Einzelheiten der Körpersprache zu studieren, zu sehen, wie sie sich benahmen. In Gedanken stellte sie bereits die Gästeliste für die Hochzeit zusammen. „Schaut mal, wen ich euch mitgebracht habe“, verkündete Myra. „D.C.!“ Shelby Campbell MacGregor sprang auf. Ihr Abendkleid aus zitronengelber Seide raschelte, als sie die Arme ausbreitete, um ihren Sohn zu begrüßen. Die kunstvoll hochgesteckten rostbraunen Locken streiften seine Wange. „Ich wusste gar nicht, dass du die Absicht hattest zu kommen.“ „Ich auch nicht.“ Er drückte sie einen Augenblick an sich, dann wandte er sich seinem Vater zu, um ihn ebenfalls zu umarmen. Alan MacGregors silbernes Haar glänzte im Licht, und über sein
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markantes Gesicht breitete sich ein Schmunzeln aus, als er seinen Sohn anschaute. „Gott, du wirst deinem Großvater von Tag zu Tag ähnlicher.“ Selbst ein Holzklotz kann seine Familie lieben, ging es Layna durch den Sinn. Dennoch verspürte sie so etwas wie Neid, weil die Liebe zwischen Vater, Mutter und Sohn und die Freude darüber, sich wiederzusehen, so offensichtlich war. Wenn sie ihren Eltern unter ähnlichen Umständen begegnet wäre, hätten sie unpersönliche Wangenküsse und ein höfliches „Hallo, wie geht’s?“ ausgetauscht. Dann drehte sich Shelby zu ihr um und blickte sie unter neugierig erhobenen, schmalen Brauen an. „Hallo.“ „Shelby MacGregor, meine Patentochter Layna Drake“, stellte Myra die beiden Frauen in vor Stolz singendem Tonfall vor. „Nett, Sie kennen zu lernen, Mrs. MacGregor.“ Shelby nahm die angebotene Hand und war erfreut über den festen Händedruck. „Sie sind Donnas und Matthews Tochter, stimmt’s?“ „Ja. Sie leben jetzt in Miami.“ „Bestellen Sie Ihnen schöne Grüße von mir.“ Sie wandte sich an ihren Mann. „Alan, das ist Layna Drake, Donnas und Matthews Tochter… und Myras Patenkind.“ „Myra hat uns schon eine Menge von Ihnen erzählt.“ Alan schenkte ihr einen herzlichen Händedruck. „Sie sind wieder nach Washington gezogen?“ „Ja, Sir. Es tut gut, wieder hier zu sein. Es ist mir eine Ehre, Sie wieder zu treffen. Ich wurde Ihnen als Kind schon einmal vorgestellt und hatte damals schreckliche Angst.“ Schmunzelnd zog er sich seinen Stuhl hervor. „War ich denn so Furcht erregend?“ „Nein, Sir, eher Respekt einflößend. Ich hatte gerade meine beiden Vorderzähne verloren und fühlte mich entsetzlich unbeholfen. Aber Sie waren so nett zu mir“, hier lächelte sie, „dass ich mich in Sie verliebte.“ „Wirklich?“ Alan zwinkerte seiner Frau zu. „Sie waren mein erster großer Schwarm. Es dauerte mindestens zwei Jahre, bis Dennis Riley an Ihre Stelle rückte, und das nur, weil er in seiner Pfadfinderuniform so unwiderstehlich aussah.“ Faszinierend, dachte D.C. während er Layna beobachtete. Wo kam bloß plötzlich diese Wärme und Lebendigkeit her? Oh, die
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Kühle war immer noch da, wie ein leichter Glanz auf der Oberfläche, aber darunter machte sich spritziger Charme bemerkbar. Wenn sie lachte, war es wie ein Murmeln. Sexy, aber diskret. Er musste zugeben, dass es ein Vergnügen war, sie zu beobachten – diese geschmeidigen, sparsamen Gesten, das glatte, im Licht golden glänzende Haar, die Art, wie sich ihre vollen, schön geformten Lippen beim Lächeln langsam nach oben bogen. Es war unterhaltsam, ihr zuzuhören, dieser tiefen, kultivierten Stimme zu lauschen. Vor allem, weil er nicht gezwungen war, mit ihr zu sprechen. „D.C. um Himmels willen.“ Myra boxte ihn unauffällig in die Rippen und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern herab. „Du hast sie noch gar nicht gefragt, ob sie mit dir tanzen möchte.“ „Was?“ „Frag sie, ob sie mit dir tanzen will“, zischelte sie ungeduldig. „Wo sind deine guten Manieren geblieben?“ „Oh, Entschuldigung.“ Zum Teufel mit den Manieren, dachte er, berührte jedoch gehorsam Laynas Schulter. Sie zuckte leicht zusammen, ihr Kopf fuhr herum, und ihr Blick begegnete seinem. Sie hatte fast vergessen, dass er hier war. Du hast deine Pflichten vernachlässigt, ermahnte sie sich, setzte ein höfliches Lächeln auf und zwang sich, ihre Aufmerksamkeit von den faszinierenden Eltern auf den rüpelhaften Sohn zu verlagern. „Möchten Sie tanzen?“ Ihr wurde unbehaglich zu Mute. Falls er so tanzte, wie er Auto fuhr, konnte sie von Glück sagen, wenn sie von der Tanzfläche zurückkehrte, ohne sich sämtliche Knochen gebrochen zu haben. „Ja, gern.“ Mit dem Gefühl, sich einem Feuergefecht zu nähern, folgte sie ihm. Wenigstens ist die Musik schön, dachte sie. Langsam, verträumt, mit schwermütig klingenden Trompeten. Eine ganze Menge Paare waren entschlossen, dies auszunützen, so dass die Tanzfläche überfüllt war. Überfüllt genug, um Layna hoffen zu lassen, dass ihr Tanzpartner nicht wie ein Irrer durch die Menge pflügen und ihr die Arme ausrenken würde. Dann blieb er am Rand der Tanzfläche stehen, legte ihr einen Arm um die Taille und begann zu tanzen. Automatisch passte sie sich seinen Schritten an. Es war die Überraschung, die blanke Überraschung, die bewirkte, dass sich ihr
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Verstand benebelte. Wer hätte gedacht, dass sich ein so großer Mann so geschmeidig bewegen konnte? Die kräftige Hand auf ihrer Taille fühlte sich weder rau noch tölpelhaft an, sondern nur sehr, sehr männlich und machte ihr nur allzu deutlich bewusst, dass sich zwischen der Hand und ihrer Haut nur eine dünne Barriere aus Seide befand. Das rotierende Licht über ihnen fiel auf sein Gesicht und auf diese nicht vollständig gebändigte kastanienbraune Mähne. Seine Schultern sind so breit, dachte sie benommen, seine Augen so blau. Sie gab sich redliche Mühe, solche lächerlichen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. „Ihre Eltern sind wundervolle Menschen.“ „Ich mag sie.“ Sie ist schlank und biegsam wie eine Gerte, dachte er. Nein, wie eine langstielige weiße Rose. Er beobachtete, wie das Licht über ihr Gesicht huschte, und zog sie unauffällig noch ein bisschen näher an sich heran. Ihre Körper fügten sich aneinander wie zwei Teile eines komplizierten Puzzles. Ihr Puls schlug schneller. Ohne zu wissen, was sie tat, legte sie ihm eine Hand auf die Schulter, wobei ihre Finger unabsichtlich seinen Hals streiften. „Äh…“ Worüber hatten sie eben noch gesprochen? „Ich hatte ganz vergessen, wie schön Washington im Frühling sein kann.“ „Hm.“ Verlangen packte ihn. Woher, zum Teufel, kam es so plötzlich? „Ich möchte Ihr Gesicht zeichnen.“ „Natürlich.“ Sie hatte kein Wort von dem gehört, was er gesagt hatte. Sie dachte nur daran, dass eine Frau in diesen blauen Augen mit Wonne versinken könnte. „Ich glaube, für morgen haben sie Regen vorausgesagt.“ Ein kleiner Seufzer entschlüpfte ihr, als sich seine Hand auf ihrem Rücken spreizte. „Fein.“ Wenn er jetzt den Kopf senkte, könnte er ihren Mund küssen und herausfinden, ob er damit dieses Verlangen, das ihn so unvermutet überkommen hatte, dämpfen oder noch weiter anfachen würde. Dann verklang die Musik. Irgendjemand prallte leicht mit ihnen zusammen, was bewirkte, dass die dünne Glasglocke, unter der sie sich einen kurzen Moment lang im Rhythmus der Musik bewegt hatten, in Millionen Scherben zerbarst. Beide traten einen Schritt zurück. Beide runzelten die Stirn. „Danke“, sagte Layna mit wieder sorgfältig kontrollierter Stimme. „Das war sehr nett.“
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„Ja.“ Er nahm ihren Arm, wobei er darauf achtete, den Körperkontakt in engen Grenzen und möglichst unpersönlich zu halten. Er wollte sie so schnell wie möglich an den Tisch bringen und sich unauffällig zurückziehen, bis sein Kopf wieder klar war. Mehr als bereitwillig ließ Layna sich von der Tanzfläche führen. Sie musste sich schnell setzen, bevor die Beine ihr den Dienst versagten.
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3. KAPITEL Für den Sonntag hatte D.C. sich vorgenommen, lange zu schlafen, reichlich und gut zu frühstücken und danach zwei Stunden in seinem Fitness-Club zu verbringen. Anschließend wollte er entweder wieder nach Hause gehen, um den Nachmittag genüsslich zu vertrödeln, oder einen Spaziergang in die M Street machen, wo derzeit das Blues Festival stattfand. Sein Plan wurde durchkreuzt, als er bereits kurz nach Sonnenaufgang aufwachte. Verärgert versuchte er, wieder in den unruhigen Schlaf zu sinken, mit dem er sich schon die ganze Nacht herumgeplagt hatte. Aber jedes Mal, wenn er abzudriften begann, musste er an sie denken. Das war ärgerlicher, als früh aufzustehen. Es gab keinen Grund, warum Layna Drake in seinem Kopf herumspuken sollte. Dieser eine Moment, in dem er sich körperlich mit ihr verbunden gefühlt hatte, war nur ein kurzer Abstecher an einem langen und ereignislosen Abend gewesen. Sie hatten einander danach mit ausgesuchter Zuvorkommenheit behandelt, sich unter die Gäste gemischt, Höflichkeiten ausgetauscht und Small Talk gemacht, zusammen und getrennt. Auf der Heimfahrt hatte er darauf geachtet, ja nicht zu schnell zu fahren, beim Abbiegen, wie es sich gehörte, jedes Mal den Blinker zu setzen und weich abzubremsen. An ihrer Tür hatten sie zum Abschied einen lauwarmen Händedruck ausgetauscht und waren jeder für sich mehr als erleichtert gewesen, dass sie endlich wieder auseinander gehen konnten. Deshalb war es lächerlich, dass er sich noch immer mit ihr beschäftigte und sich so genau daran erinnerte, wie sie sich angefühlt und geduftet hatte und wie sie ihre Augen beim Tanzen geschlossen hatte. Es war ihr Gesicht, das war alles. Es betörte ihn. Vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen natürlich. Also ging er schon zeitig ins Fitness-Studio und verbrachte ein paar Stunden damit, seine Rastlosigkeit in der Sauna auszuschwitzen. Anschließend hatte er das Gefühl, schon wieder einen viel klareren Kopf zu haben. Zurück in seiner Wohnung war er für das große Frühstück, für das er gestern extra eingekauft hatte, bereit. Er drehte die Stereoanlage voll auf, krempelte sich die Ärmel
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hoch und warf die Speckscheiben in die Pfanne. Weil er sich inzwischen schon viel besser fühlte, sang er laut zu der Musik, während er die Eier verquirlte. Als das Telefon klingelte, fischte er sich mit der einen Hand eine knusprige Speckscheibe aus der Pfanne und griff mit der anderen nach dem Hörer. „So, du bist also schon auf“, dröhnte Daniels Stimme in sein Ohr. „Stell die Musik leiser, Junge. Sonst wirst du noch taub.“ „Moment.“ D.C. schaute sich suchend nach der Fernbedienung um – er fand sie natürlich nie, wenn er sie brauchte –, dann trabte er mit dem Telefonhörer am Ohr ms Wohnzimmer hinüber, um die Musik von Hand leiser zu drehen. Auf dem Weg dorthin knabberte er an dem Stück Speck. „Ja, ich bin schon eine ganze Weile auf den Beinen. Ich war bereits in der Sauna und treffe eben alle Vorbereitungen, mir die Arterien zu verstopfen.“ „Eier mit Speck?“ Daniel stieß einen sehnsüchtigen Seufzer aus. „Oje, wenn ich daran denke, dass ich mir früher sonntags auch den Bauch mit Eiern und Speck vollschlagen durfte. Deine Großmutter ist wirklich zu streng mit mir. Sie ist so beunruhigt über meinen angeblich zu hohen Cholesterinspiegel, dass ich Glück habe, wenn ich mir Speck auf einem Foto anschauen darf.“ „Ich esse ihn gerade.“ Auf D.C.s Gesicht breitete sich ein übermütiges Grinsen aus, während er den knusprigen Speck extralaut kaute. „Ah, köstlich.“ „Du bist ein Sadist, junger Mann.“ Daniel seufzte wieder. „Und ich Trottel ruf dich auch noch an, um mich bei dir zu bedanken. Na, ich hoffe, dein Abend mit Myras Patentochter war wenigstens todlangweilig.“ „Ich hab’s überlebt.“ „Nun, ich weiß es zu schätzen. Mir ist klar, dass du mit deiner Zeit Besseres anzufangen weißt. Nicht, dass sie nicht reizend wäre, aber sie ist eben einfach nicht dein Typ. Wir suchen dir ein natürlicheres Mädel.“ D.C. schaute stirnrunzelnd auf das, was von der Speckscheibe noch übrig war. „Ich kann selbst suchen.“ „Schön, und warum tust du es dann nicht? Warum sperrst du dich den lieben langen Tag zusammen mit Farbtöpfen und Leinwänden in deinem Atelier ein? Ha! Dabei solltest du ausgehen und dich mit
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hübschen Frauen amüsieren. Ist dir eigentlich klar, was für Sorgen sich deine Großmutter um dich macht? Wenn sie sich dich dort in dieser stickigen Wohnung vorstellen muss, mit diesem Farbgeruch und allem?“ „Hm.“ D.C. der diesen Vortrag schon so oft gehört hatte, dass er ihn auswendig kannte, ging zurück an den Herd und nahm sich noch ein Stück Speck aus der Pfanne. „Eine Feuerfalle ist das, diese Wohnung unterm Dach. In deinem Alter braucht man ein eigenes Haus, eine gute Frau und Kinder, die einen Heidenradau veranstalten. Aber ich rufe nicht an, um dir etwas zu erzählen, das du bereits selbst weißt“, fuhr Daniel fort. „Ich kann dir gar nicht genug für das danken, was du für mich getan hast. Vor allem, weil ich mich noch allzu gut an die Abende erinnere, die ich schielend vor Müdigkeit mit irgendwelchen Mädchen verbringen musste, die nicht einen einzigen interessanten Satz heraus brachten. Du solltest mit so etwas wirklich nicht deine Zeit vergeuden. Und du brauchst es mit der kleinen Linda auch nicht noch einmal zu tun.“ „Layna“, brummte D.C. grundlos verärgert. „Sie heißt Layna.“ „Ach ja, richtig. Merkwürdiger Name, findest du nicht auch? Nicht Fisch und nicht Fleisch. Na ja, jetzt hast du es ja hinter dir, und es soll auch nie wieder vorkommen. Wann besuchst du uns denn endlich mal? Deine Großmutter verzehrt sich vor Sehnsucht nach dir.“ „Bald.“ Mit finsterem Gesicht warf D.C. den Rest der Speckscheibe in die Pfanne zurück. „Was stimmt denn nicht mit Layna?“ „Mit wem?“ Daniel musste in seiner Festung in Hyannis Port die Hand über die Sprechmuschel legen, bis er sein dröhnendes Lachen unter Kontrolle gebracht hatte. „Mit Layna“, wiederholte D.C. mürrisch. „Ist irgendwas faul mit ihr?“ „Oh nein, überhaupt nicht. Eine hübsche junge Frau. Beste Manieren, soweit ich mich erinnere. Aber sie ist nichts für dich. Ein ziemlich frostiges Ding, findest du nicht? Ihre Eltern sind kalt wie Fische und steif wie ein Brett, wenn mich nicht alles täuscht. Na schön, dann stürz dich jetzt mal auf dein Frühstück, Bursche, und nimm dir bald die Zeit, deine Großmutter zu besuchen, bevor sie mich noch ganz verrückt macht.“ „Okay. Sag ihr, dass ich sie liebe.“ „Oh, das werde ich tun.“ Da-
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niel legte auf, wobei er sich fragte, wie lange es wohl dauern mochte, bis sein Enkel der hübschen Layna Drake einen Besuch abstattete. Es dauerte weniger als eine Stunde, vor allem, weil D.C. plötzlich der Appetit vergangen war, so dass er seine verquirlten Eier in den Ausguss schüttete. Er packte seinen Zeichenblock, die Pinsel und ein paar Holzkohlestifte in seine abgeschabte Lederumhängetasche und beschloss, einen Spaziergang zu machen. Dabei würde er in Ruhe nachdenken können. Sein Großvater hatte natürlich Recht, obwohl ihn dieses Selbstvertrauen, mit dem der Alte auftrat, ein bisschen störte. Es störte ihn sogar ziemlich, fast so sehr, wie es ihn störte, dass er ihm ständig handverlesene Heiratskandidatinnen präsentierte. Er würde verdammt noch mal seine eigene Wahl treffen. Aber natürlich dachte er dabei nicht an Layna. Er wollte nur ihr Gesicht zeichnen. Und da sie gestern mehr oder weniger vereinbart hatten, dass er heute aus diesem Grund bei ihr vorbeikäme, wollte er es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er war selbst überrascht, dass es ihn so stark drängte, ihr Gesicht zu malen. Sie reagierte nicht auf sein Klopfen. Leicht eingeschnappt, hängte er sich seine Ledertasche über die andere Schulter und sagte sich, dass er besser daran täte, auf die M Street zu gehen und dort ein paar Skizzen anzufertigen. Aber durch die geöffneten Fenster drangen die leichten Klänge eines Chopinkonzerts. Er zuckte die Schultern und drückte die Türklinke herunter. Die Tür war nicht abgeschlossen, also trat er ein. „Layna?“ Da sie ihm gestern Abend keine Gelegenheit dazu gegeben hatte, schaute er sich jetzt interessiert in der Eingangs halle um. Der Holzfußboden war auf Hochglanz gewienert, und die Wände hatten einen matten Farbanstrich, der ihn an leicht angeröstetes Weißbrot erinnerte. Auf einem antiken Klapptisch stand eine Vase mit weißen Tulpen. Sein Blick fiel auf zwei Bleistiftskizzen an der Wand Straßenszenen, hingeworfen mit leichter Hand und einem scharfen Auge für Bewegung und Detail. Er ging zur Treppe, legte eine Hand auf den glänzenden Pfosten und rief ihren Namen. Keine Antwort. Er überlegte, ob er hochgehen und dort nach ihr suchen sollte, dann beschloss er jedoch, sich erst einmal im Erdgeschoss umzuschauen. Sie war nicht in dem würdevoll eingerichteten Salon und eben-
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falls nicht in der reichhaltig mit Büchern bestückten Bibliothek, die nach Leder und Rosen duftete. Nachdem er auch noch einen Blick ins Wohnzimmer, ins Esszimmer und in die Küche geworfen hatte, war er bereits ziemlich gut über ihren Geschmack und ihren Lebensstil informiert. Alles war elegant, traditionsbewusst, ordentlich, mit überraschend eingestreuten Farbtupfern. Eine konservative Frau, die schöne Dinge liebte, klassischen Möbeln den Vorzug gab, die gute Musik hörte, Bücher las und alles an seinem entsprechenden Ort aufbewahrte. Plötzlich entdeckte er sie durch das Küchenfenster. Er trat näher und schaute hinaus. Der briefmarkengroße Hof hinter dem Haus war von Blumenbeeten eingefasst, und Layna war eben dabei, sie mit gelben Stiefmütterchen zu bepflanzen. Sie trug braune Gartenhandschuhe, einen breitrandigen Strohhut und über der schlichten beigen Hose und einem dünnen Sommerpullover eine riesige grüne Gartenschürze. Er fühlte sich an ein Foto aus einem Country-Style-Magazin erinnert: die kompetente, elegante Frau des Hauses, der es Spaß machte, am Sonntagmorgen ein bisschen in ihrem Garten herumzuwerkeln. Das Licht war gut, wie D.C. feststellte. Es fiel durch die Zweige der Bäume, die eben grün zu werden begannen. Er blieb am Fenster stehen und warf ein paar schnelle Skizzen aufs Papier. Es amüsierte und faszinierte ihn, wie präzise sie arbeitete. Sie grub mit einer Schaufel ein kleines Loch und vermischte die ausgehobene Erde mit Dünger, dann nahm sie eine Blumenstaude aus dem Spankorb neben sich und platzierte diese exakt in die Mitte der vorbereiteten Vertiefung, die sie anschließend wieder mit Erde auffüllte und festdrückte. Sie reihte die Stiefmütterchen auf wie kleine Soldaten. Er grinste, als er durch die Küchentür nach draußen trat. Weil sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre ersten gärtnerischen Gehversuche gerichtet hatte, traf sie der Knall der zufallenden Tür wie ein Schuss. Die Schaufel glitt ihr aus der einen, das Stiefmütterchen aus der anderen Hand, als sie zusammenzuckte und herumfuhr. „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie erschreckt habe.“ „Was? Wie sind Sie hereingekommen?“ Sie musste sich eine Hand auf ihr rasendes Herz pressen, während sie ihn sehr verwirrt anstarrte.
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„Durchs Haus. Sie haben auf mein Klopfen nicht reagiert.“ Er stellte seine Tasche auf dem schmiedeeisernen Tisch in der Mitte des Hofes ab, wobei sein Blick auf das dicke Gartenbuch fiel, das, aufgeschlagen bei den einjährigen Pflanzen, dort lag. Dann schlenderte er zu ihr und bückte sich nach dem Stiefmütterchen, das ihr aus der Hand geglitten war. „Man kann doch nicht einfach unaufgefordert ein fremdes Haus betreten.“ „Doch, kann man.“ Er ging neben ihr in die Hocke und hielt ihr das Stiefmütterchen hin. „Wenn die Tür offen ist. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich heute vorbeikomme.“ Er riecht nach Juchtenseife, ging es ihr flüchtig durch den Kopf. Und er bewegte sich wie ein großer, geschmeidiger Leopard. „Das haben Sie mit Sicherheit nicht gesagt.“ „Doch. Gestern Abend. Sie sollten die Blumen lieber ein bisschen schwungvoller und nicht ganz so in Reih und Glied einpflanzen, damit die Sache mehr Pfiff bekommt.“ Er griff ihr unters Kinn, drehte ihren Kopf nach links und betrachtete sie mit prüfendem Blick. „Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Ihr Gesicht zeichnen wollte.“ Sie befreite sich aus seinem Griff, ebenso verärgert über die Berührung wie über seine Kritik an ihren gärtnerischen Versuchen. „Daran erinnere ich mich nicht.“ „Beim Tanzen. Es ist ein schönes Licht hier draußen. Das trifft sich gut.“ Er erhob sich, um seinen Zeichenblock zu holen. „Machen Sie ruhig weiter. Lassen Sie sich nicht stören.“ Beim Tanzen? Layna setzte sich auf die Fersen und versuchte nachzudenken. Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, außer dass sie vorübergehend nicht mehr ganz zurechnungsfähig gewesen war. Und jetzt saß er mit lang ausgestreckten Beinen auf dem kleinen schmiedeeisernen Gartenstuhl und zeichnete sie. „Sie müssen nicht posieren“, sagte er und warf ihr ein Lächeln zu, das ihr durch und durch ging. „Tun Sie einfach so, als wäre ich nicht da.“ Genauso gut könnte man versuchen, einen im Wohnzimmer herumschleichenden Panther zu ignorieren, dachte sie. „Ich kann nicht arbeiten, wenn Sie mich anstarren. Ich möchte diese Stiefmütterchen aber jetzt einpflanzen, denn heute Nachmittag soll es Regen geben.“ „Sie haben höchstens noch ein Dutzend, also machen Sie eine Pause.“ Er zog mit seinem Fuß den zweiten Stuhl unter dem Tisch hervor. „Setzen Sie sich ein bisschen zu mir und erzählen Sie mir
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etwas.“ Sie richtete sich auf und streifte die Handschuhe ab. „Waren wir uns nicht einig, dass wir uns nichts zu sagen hätten?“ „Wirklich?“ fragte er mit einem entwaffnenden Lächeln. Er wusste, wie er ein widerstrebendes Modell einwickeln konnte, und brachte seinen Charme rücksichtslos zum Einsatz. „Sie mögen Musik. Ich auch. Reden wir also über Musik. Chopin passt zu Ihnen.“ Sie schob die Handschuhe in die Taschen ihrer Schürze. „Und zu Ihnen jammernde Dudelsäcke, nehme ich an.“ Er hob eine Augenbraue. „Haben Sie etwas gegen Dudelsäcke?“ Sie atmete nur laut aus, dann gab sie immerhin weit genug nach, um sich hinzusetzen. „Hören Sie, D.C. ich will nicht unhöflich sein, aber…“ „Sie würden nie unhöflich sein, es sei denn, Sie legten es bewusst darauf an. Und dafür sind Sie viel zu gut erzogen. Sie haben ein hübsches Lächeln“, bemerkte er, wobei er so schnell zeichnete, wie er sprach. „Schade, dass Sie damit so geizen.“ „Das tue ich normalerweise nicht… wenn ich jemanden mag.“ Er grinste nur. „Ich verstehe. Sie legen es also bewusst darauf an, unhöflich zu sein.“ Sie war machtlos dagegen. Sie lachte. Aber ihr Lachen versiegte in einem verärgerten Fauchen, als er sich vorbeugte und ihr den Hut vom Kopf nahm. „Ihre Augen liegen im Schatten“, erklärte er und warf den Hut auf den Tisch. „Das war der Zweck der Übung.“ Kopfschüttelnd lehnte sie sich zurück. „Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irren sollte, aber soweit ich mich erinnere, haben wir uns gestern Abend nicht sonderlich gut verstanden.“ „Ja, und?“ Sie machte den Mund auf und wieder zu. Es war lächerlich, dass sie sich angegriffen fühlte, nur weil er ihr zustimmte. „Und was soll das dann hier?“ „Ich mag Ihr Gesicht. Es ist gut modelliert und sehr weiblich. Erotische Augen und klassische Züge. Ich muss mich nicht persönlich von Ihnen angezogen fühlen, um den Wunsch zu haben, Sie zu zeichnen. Für einen Maler spielt dies nicht unbedingt eine Rolle.“ „Ich weiß Ihre Ehrlichkeit zu schätzen“, entgegnete sie kühl. „Nein, das tun Sie nicht. Sie wurmt sie.“ Er blätterte um und begann mit einer neuen Skizze. Diese Regung ist übrigens auch sehr
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„weiblich. Aber warum sollte es uns ärgern, wenn wir feststellen, dass weder Sie mein Typ sind noch ich Ihr Typ bin? Das heißt nicht, dass Sie nicht schön sind. Sie sind es. Drehen Sie den Kopf ganz leicht nach links. Sie müssen sich das Haar hinters Ohr schieben.“ Er lehnte sich vor und tat es selbst, wobei er mit dem Finger ihre Wange streifte. Plötzlich wurden sie beide ganz still. Das Herz hämmerte in ihrer Brust und wollte sich nicht beruhigen, obwohl sie sich sagte, dass sie total töricht reagierte. Das goldene, vom Laub der Bäume gefilterte Sonnenlicht war plötzlich zu heiß, ihre Kehle zu trocken. „Sie haben wundervolle Haut.“ Er sagte es leise, langsam, als ob ihm die Worte fremd wären. Er ließ seine Finger über ihr Kinn wandern, ihren Kiefer entlang, dann an ihrem Hals abwärts, wo er in ihrer Halsgrube den jagenden Puls ertastete. Er wünschte sich, seinen Mund dorthin zu legen, um diesen wilden Pulsschlag unter seinen Lippen zu spüren. Immer mit der Ruhe, befahl er sich und griff wieder nach seinem Stift, obwohl er nicht wusste, wie, zum Teufel, er mit diesen tauben Fingern zeichnen sollte. „Ich dachte…“ Sie räusperte sich. „Ich dachte, Sie malen nur Formen… die moderne Schule.“ „Ich male, was mich anspricht.“ Sein Blick flog zwischen ihr und der Skizze hin und her, während sich sein Stift wieder über das Papier zu bewegen begann. „Und das tun Sie offensichtlich. Auf einer bestimmten Ebene.“ Entspann dich, sagte sie sich und öffnete die Hände, die sie unter dem Tisch zu Fäusten geballt hatte. „Eine Freundin erzählte mir von Ihren Bildern. Sie hatte vor zwei Jahren Ihre Ausstellung in New York besucht. Ich selbst habe sie nicht gesehen.“ „Macht nichts. Ich selbst kaufe auch nie bei ,Drake’s’ ein, dafür aber meine Mutter.“ Layna lachte leise auf, und das Lächeln blieb lange genug auf ihrem Gesicht, um ihn erneut zu erregen. „Schön, ich nehme an, wir haben jetzt genug unterschwellige Beleidigungen ausgetauscht. Was machen wir jetzt?“ „Wir könnten versuchen, uns normal zu unterhalten. Wie gefällt es Ihnen, wieder in Washington zu sein?“ „Sehr gut. Ich habe dieses Haus und diese Gegend immer geliebt.“ Sie warf einen Blick hinter sich auf die Stiefmütterchen, die sie gepflanzt hatte. „Ich bin mir sicher, dass es mir großen Spaß
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machen wird, mich hier einzurichten.“ Sie hob eine Augenbraue. „Was meinten Sie eigentlich damit, als Sie sagten, ich solle sie schwungvoller pflanzen?“ „Hm? Ach, die Blumen. Mehr in einem Bogen, weniger gerade Linien. Eher so wie Monet es in Giverney gemalt hat.“ „Ja, Sie haben Recht.“ In ihre Augen trat ein weicher Glanz, und ihre Mundwinkel bogen sich leicht nach oben, als sie sich das Bild vorstellte. „Ich neige dazu, exakt die Regeln zu befolgen, wenn ich lerne. Man macht auf diese Weise weniger Fehler.“ Sie neigte leicht den Kopf, Sonnenflecken huschten über ihr Gesicht und ließen es weich und verträumt erscheinen. „Aber Sie sehen die Dinge eben von der Warte des Künstlers aus. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich besonders viele Gedanken um eventuelle Fehler machen.“ „Normalerweise nicht.“ Aber jetzt hatte er plötzlich Angst, einen Fehler zu machen, hier bei ihr, wo das Licht so weich und die Luft von leiser Musik und dem Geruch nach Erde und Blumen, der sich mit ihrem Duft mischte, erfüllt war. „Ich schon, deshalb plane ich jeden Schritt sorgfältig im Voraus und weiche nur sehr selten von meinem vorgezeichneten Weg ab.“ Obwohl irgendetwas an ihm in ihr den Wunsch erweckte, wenigstens ein einziges Mal eine impulsive Kehrtwendung zu machen. Und sie konnte sich vorstellen, dass dieser Weg dann fast genauso wild und schnell sein würde wie die gestrige Fahrt mit ihm in seinem Wagen. Die Art von Fahrt, die für eine Frau sehr abrupt und sehr schmerzhaft enden kann, ermahnte sie sich. „Ich schätze, das reicht fürs Erste“, sagte er unvermittelt und schob seinen Zeichenblock in die Tasche. Er wollte gehen, bevor es zu spät war. „Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mir Ihre wertvolle Zeit geschenkt haben.“ „Nichts zu danken.“ Als er sich erhob, tat sie es auch, in der Absicht, ihn hinauszubegleiten. Aber dann standen sie sich einfach nur gegenüber, und die Distanz zwischen ihnen war zu gering, um sich wohl zu fühlen. „Ich finde allein hinaus.“ Er trat als Erster einen Schritt zurück, denn er befürchtete, womöglich etwas Dummes zu tun, wenn sie mit ihm ins Haus ginge. Wie zum Beispiel sie an sich zu ziehen und zu küssen. Und sie anschließend auf den Boden zu zerren und noch viel mehr zu tun, während um sie herum die Musik von Chopin aufbrandete.
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„Ja, gut. Also dann… auf Wiedersehen.“ „Auf Wiedersehen.“ Er schulterte seine Tasche und wandte sich um. Er war schon fast an der Tür, als er sich gegen seinen Willen noch einmal nach ihr umdrehte. Sie stand, von Sonnenlicht überflutet, noch immer an derselben Stelle und beobachtete ihn aus diesen verschleierten grünen Augen. „Im Smithsonian wird am Mittwoch eine Dali-Ausstellung eröffnet. Ich hole Sie um sieben ab.“ Nein, auf keinen Fall. „Gut“, hörte sie sich selbst mit einem Anflug von Überraschung in der Stimme sagen. „Ich freue mich.“ Er nickte kaum merklich und verschwand im Haus. Er war noch nicht an der Eingangstür, da fing er schon an, sich zu verfluchen.
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4. KAPITEL D.C. fand hundert Gründe, die Verabredung abzusagen. Er hätte es eigentlich vorziehen müssen, allein zu gehen, sich zu amüsieren und sich von der Ausstellung fesseln zu lassen. Danach würde er vielleicht eine interessante Frau finden, mit der er sich unterhalten konnte. Bei einer Tasse Kaffee oder einem späten Abend essen. So war es bisher immer gewesen. Aber er sagte die Verabredung nicht ab. Oder die nächste, die er mit ihr traf. Es erstaunte ihn, dass er ihre Gesellschaft genoss, denn sie liebte gegenständliche Malerei, bevorzugte klassische Musik und alte Filme im Originalton mit Untertiteln. Die halbe Zeit diskutierten sie angeregt über dampfenden Espresso-Tassen oder einem Glas Wein. Irgendwie brachten sie drei recht zivilisierte Verabredungen hinter sich, und er fragte sich, ob sie ebenso überrascht war wie er selbst, dass sie ihren Spaß dabei fanden. Ihr viertes Rendezvous stand kurz bevor. Vier Verabredungen in zwei Wochen, grübelte er. Es war… bizarr. Er trat von der Leinwand zurück und schaute mit gerunzelter Stirn auf sein Werk. Hin und wieder arbeitete er mit Aquarellfarben, um seinen Stil zu verändern, allerdings hatte er nicht vorgehabt, ein Porträt zu malen. Die Skizzen von Layna sollten eigentlich nur Fingerübungen sein, aber sie hatten ihn nicht losgelassen, bis er schließlich seinem Drang nachgab, ein Bild von ihr anzufertigen. Nun kam er nicht recht weiter. Aquarellfarben passten zu ihr, das war sicher. Kühle Töne, weiche Linien. Er hatte als Vorlage keine Skizze gewählt, auf der sie lächelte, sondern eine, auf der sie in die Ferne schaute, der Mund ernst, die Augen unnahbar. Kühler Sex, dachte er. Es war der Gesichtsausdruck einer Frau, die einen Mann dazu aufforderte, den Eispanzer, der sie umgab, zu sprengen. Und wenn er es tat, was erwartete ihn dann? Ein Aufblitzen oder ein Glimmen, ein langsames Brennen oder eine Explosion? Die Vorstellung war unerträglich. Und erotisch. Sie so zu malen war verführerisch und frustrierend zugleich. Er hätte es wissen müssen. Er hätte niemals versuchen dürfen, dieses Gesicht zum Leben zu erwecken, bevor er wusste, was sich dahinter verbarg.
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Als ihm dies klar wurde, ließ die Spannung in seinen Schultern nach, und seine Mundwinkel hoben sich. Natürlich, das war es. Deshalb trat er auf der Stelle. Er wollte sie malen, und er konnte es nicht, weil er sie nicht richtig kannte. Erfreut darüber, des Rätsels Lösung gefunden zu haben, legte er den Pinsel beiseite und griff nach seinem Kaffee. Er nahm einen großen Schluck, merkte, dass der Kaffee inzwischen eiskalt geworden war, und schnitt eine Grimasse. Kurz entschlossen ging er nach unten, um sich eine neue Kanne zu kochen. Als sein Summer ertönte, änderte er die Richtung und ging zur Tür. Einen Moment später sah er sich seiner Mutter gegenüber. „Störe ich dich bei der Arbeit?“ fragte Shelby. „Nein, bei einer Pause.“ Er umarmte sie. „Und jetzt darfst du den Kaffee machen.“ „Das ist nur fair. Ich habe mir nämlich erst kürzlich geschworen, nie unangemeldet bei dir hereinzuplatzen.“ Sie lächelte ihn an, während sie in die Küche gingen. „Aber Julia hat mir neue Fotos von Travis geschickt, und dein Vater ist nicht zu Hause. Irgendwem muss ich sie einfach zeigen.“ „Lass sehen.“ Er schob ungeöffnete Post, ein paar schmutzige Teller und einen Skizzenblock zusammen und nahm alles vom Tisch. Shelby fischte einen Stapel Schnappschüsse aus ihrer Handtasche und reichte sie ihm, bevor sie sich auf die Suche nach dem Kaffee machte. D.C. ist ein wandelndes Klischee seines Berufs, dachte sie beim Anblick des Zustands, in dem sich seine Küche befand. Aber solange er sich damit wohl fühlte, sollte es ihr recht sein. „Er ist ein echt toller Bursche, findest du nicht?“ „Er sieht ganz so aus wie du in dem Alter.“ „Ja?“ Mit einem fast törichten Lächeln schaute D.C. von dem Bild seines Neffen auf. „Die MacGregor-Gene. Starkes Blut“, sagte sie in einer schwachen Nachahmung von Daniels Akzent. „Gute Erbanlagen. Und da wir gerade von dem großen MacGregor sprechen – hast du eigentlich in letzter Zeit von ihm gehört?“ „Ja, erst vor zwei Wochen. Er wollte sich bei mir bedanken, weil ich ihm einen Gefallen getan habe, und dann fing er wieder mit seiner alten Leier an, von wegen, wann ich sie endlich besuchen komme und so. Grandma verzehre sich vor Sehnsucht. Na, du weißt schon.“
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Shelby lachte, während sie frische Kaffeebohnen mahlte. „Eigentlich könnte er sich mal etwas Neues einfallen lassen. Wenn man ihn so hört, sollte man meinen, Anna läuft den ganzen Tag mit einer Leidensmiene durch die Gegend.“ Sie drehte den Kopf in seine Richtung, so dass sie sein Gesicht sehen konnte, während sie Kaffee abmaß. „Was für einen Gefallen hast du ihm denn getan?“ „Layna Drake“, erwiderte D.C. ohne von den Bildern aufzublicken. „Tante Myra hatte ihn bekniet, mich zu bitten, Layna zu diesem Wohltätigkeitsball zu begleiten.“ Shelby bohrte ihre Zungenspitze in die Backe. „Ach, wirklich? Und das hast du ihm abgekauft? Dummer, dummer Junge.“ „Hä?“ Er schaute verdutzt hoch, dann zuckte er die Schultern. „Nein, es war nicht seine übliche Heirate-das-Mädchen-und-machdeiner-Großmutter-Urenkel-Tour. Er wollte einfach nur Myra zufrieden stellen.“ Shelby öffnete den Mund und machte ihn wieder zu. Sehr, sehr dummer Junge, dachte sie belustigt. „Ich verstehe. Und wie findest du sie?“ „Sie ist okay. Tolles Gesicht. Ich male sie gerade.“ „Du…“ Shelby ließ fast die einzige saubere Tasse fallen, die sie in dem Schrank gefunden hatte. „Du malst doch sonst nie Porträts.“ „Ab und zu schon.“ Er überlegte, welchen Schnappschuss er als Vorlage für das Bild des kleinen Travis nehmen sollte, das er seiner Schwester zum Geschenk machen wollte. Wieder beschloss Shelby, den Mund zu halten. Immerhin hatte ihr Sohn ja tatsächlich schon ein paar Porträts gemalt. Familienporträts, dachte sie. Von den Menschen, die ihm das Meiste bedeuteten. Aber was bedeutete Layna Drake ihm? „Du hast sie gebeten, dir Modell zu sitzen?“ „Nein, ich arbeite nach Skizzen.“ „Dann habt ihr euch noch mal gesehen.“ „Ab und zu. Ein paarmal.“ Er schaute wieder auf. „Warum fragst du?“ „Nur so. Aus reiner Neugier“, sagte Shelby leichthin. „Ich kenne ihre Eltern ein bisschen. Sie ist ihnen nicht sehr ähnlich.“ „Und ist das gut oder schlecht?“ Er rollte die Schultern. „Sie erzählt über ihre Familie nicht allzu viel.“ „Nun.“ Shelby lehnte sich an den Tresen. „Ich würde ihre Eltern als oberflächliche Leute bezeichnen. Eine Menge Lack. Sie hat zwar die Politur, aber darunter scheint mehr zu sein. Mich interessieren
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immer eher die Schichten, die sich unter der Oberfläche verbergen. Dich nicht?“ „Doch.“ Erfreut darüber, dass seine Mutter mit ihm wieder einmal einer Meinung war, grinste er. „Ich arbeite daran, ihre freizulegen. Ich mag sie, auch wenn ich bis jetzt noch nicht weiß, warum.“ „Eigentlich ist sie doch gar nicht dein Typ. Das war kein Vorwurf“, fügte sie sofort mit einem Lachen hinzu, als sein Grinsen sich in die finstere Miene verwandelte, die für die MacGregors in bestimmten Situationen so typisch war. „Und auch keine Kritik. Es war nur eine Feststellung, weil du doch normalerweise eher den extravaganten Künstlertyp bevorzugst.“ „Ich habe nicht gesagt, dass sie mein Typ ist. Ich habe lediglich gesagt, dass ich sie mag.“ Jetzt grinste er wieder. „Im Übrigen hat man mir erzählt, dass meine Mutter früher auch ein ziemlich extravaganter Künstlertyp war.“ Shelby hob die Augenbrauen. „Das habe ich auch schon mal irgendwo gehört. Was ist aus ihr geworden?“ „Sie hat sich prächtig gehalten, und sie ist immer noch die wichtigste Frau in meinem Leben.“ „Oh.“ Gerührt ging sie zu ihm, umarmte ihn und legte ihre Wange auf seinen Kopf. „Ich bin so froh, dass du wieder hier bist, wo ich dich jederzeit besuchen kann.“ „Dad hat gestern dasselbe gesagt.“ Er legte ihr einen Arm um die Taille und drückte sie. „Hör nicht auf damit.“ „Ich kann es gar nicht.“ Sie seufzte. „Aber wir wollen dir nicht ständig auf die Pelle rücken.“ „Das habt ihr nie getan. Ihr wart einfach nur da… auch dann, wenn ihr es nicht wart.“ „Das war unser Job.“ Sie küsste ihn aufs Haar und ging dann wieder an den Tresen zurück, um Wasser in die Kaffeemaschine einzufüllen. „Darf ich das behalten?“ fragte er und hielt ein Foto von Travis hoch, auf dem er mit einem stolzen Grinsen seine zwei Vorderzähne zeigte. „Klar.“ Sie kam wieder zu ihm an den Tisch. „Sind die Skizzen hier drin?“ Wie beiläufig schlug sie den Zeichenblock auf, der dort lag, und blätterte ihn durch, bis sie bei den Skizzen, die Layna Drake zeigten, angelangt war. „Sie ist hübsch“, murmelte Shelby mit einer kleinen Wehmut im Herzen. „Du fühlst dich sehr angezogen von ihr, stimmt’s?“
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„Sie hat einfach ein tolles Gesicht.“ Als der Blick seiner Mutter prüfend über ihn hinwegwanderte, zuckte er die Schultern. „Weiter ist es nichts. Grandpa hat Recht, sie ist nicht mein Typ.“ „Ja, dem großen Mac Gregor entgeht selten etwas.“ Alter Ränkeschmied, dachte sie bei sich. Wahrscheinlich stellt er bereits das Hochzeitsmenü zusammen. Sie entschied spontan, dass es Zeit für einen Einkaufsbummel war. Sie würde sich die neue Frühjahrskollektion von „Drake’s“ zeigen lassen. Laynas Assistentin bestand nur aus ehrfürchtigen Augen und einem feierlichen Flüstern, als sie den Kopf durch den Türspalt von Laynas Büro steckte. „Miss Drake, da ist eine Mrs. MacGregor für Sie.“ „MacGregor?“ Layna schaute von ihrem Musterbuch auf. „Shelby MacGregor?“ „Ja. Die frühere First Lady. Sie ist hier. Ich kann es gar nicht glauben.“ Nervös fuhr Layna sich übers Haar und warf einen schnellen Blick in die Runde, um sicherzugehen, dass in ihrem Büro auch alles an seinem Platz war. „Bitten Sie sie herein.“ Dann erhob sie sich, strich ihren Rock glatt, zog die Revers gerade und rieb die Lippen aneinander, weil der Lippenstift vermutlich verblasst war. Ein schneller Blick in den Spiegel sagte ihr, dass die Antwort Ja lautete, aber sie hatte nicht mehr die Zeit, den Lippenstift aus ihrer Tasche zu holen. Als Shelby zur Tür hereinkam, ging sie ihr lächelnd entgegen. „Mrs. MacGregor. Was für eine Freude.“ „Ich weiß, dass ich Sie bei der Arbeit störe, aber ich war eben in der Stadt und dachte mir, ich könnte mal kurz bei Ihnen reinschauen.“ „Das freut mich wirklich sehr. Bitte, nehmen Sie doch Platz. Darf ich Ihnen irgendetwas anbieten? Kaffee, Tee?“ „Nein, danke, machen Sie sich keine Mühe.“ Shelby lächelte entspannt, während sie die Frau und das Büro einer schnellen Musterung unterzog. Geschmackvoll, entschied sie und wählte einen Stuhl mit gerader Lehne und kunstvoll durchbrochener Sitzfläche. Kühl, aber nicht kalt, beherrscht, aber nicht steif. „Ich will Sie nicht lange aufhalten. Ich habe mir nur ein paar Sachen angeschaut. Sie haben eine hübsche Kollektion.“ „Danke. Ich bin schon mit dem kommenden Herbst beschäftigt.“
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Obwohl Layna ein bisschen verunsichert war, lächelte sie, als sie sich setzte. „Im nächsten Herbst sind echte schottische Plaids der letzte Schrei.“ „Oh, das wird meinen Schwiegervater aber freuen. Sie haben ihn noch nicht kennen gelernt, oder?“ „Doch. Meine Patentante hatte letzten Herbst einen Be such in Hyannis Port geplant, aber dann bekam sie plötzlich Bedenken, die Reise allein anzutreten, deshalb fuhr ich für zwei Tage mit. Es ist ein wunderschönes Haus, und Ihre Schwiegereltern sind wirklich ganz reizende Menschen.“ „Ja, das sind sie.“ Und das Komplott verdichtet sich, dachte Shelby. „Von allen Enkeln hat D.C. die meiste Ähnlichkeit mit Daniel.“ Und dann sah sie es – das Flackern in den Augen, die schwache Röte, die in den Wangen der jungen Frau aufstieg. Oje, dachte Shelby, sie hängt am Haken. „Ja, vermutlich. Sie sind beide sehr groß. Größer als normal, nicht wahr?“ „Die MacGregors sind in allem etwas größer als normal. Sie sind fordernd, aber charmant, dominant, aber großzügig. Seit ich mit einem von ihnen verheiratet bin, ist das Wort Langeweile aus meinem Vokabular gestrichen. Und sehr oft wird Chaos zu einem Schlüsselwort.“ „Sie müssen mit Chaos sehr gut zurechtkommen.“ „Oh, Layna, ich liebe das Chaos.“ Mit einem Lachen erhob Shelby sich. „Ich würde sehr gern irgendwann einmal mit Ihnen essen gehen.“ „Ich auch.“ „Dann schaue ich in meinem Terminkalender nach und rufe Sie an.“ Shelby nahm Laynas Hand und hielt sie einen Moment fest. „Wenn der Mann eine Nummer zu groß ist“, sagte sie dann, „muss die Frau klug und geschickt sein. Ich glaube, Sie sind klug und geschickt, Layna.“ „Ah… danke.“ „Ich rufe Sie an“, sagte Shelby im Hinausgehen. Aber zuerst würde sie Daniel anrufen. Und wenn sie ihm gehörig die Leviten gelesen hätte, weil er sich in das Leben ihres Sohnes einmischte, würde sie ihm sagen, wie sehr sie seine Wahl begrüßte. Das würde den alten Teufel wahrscheinlich ein bisschen aus dem Gleichgewicht bringen. Hoffentlich lange genug, damit D.C. und Layna ausreichend Zeit bekamen, um selbst herauszufinden, dass sie
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ineinander verliebt waren. Proppenvolle, laute Clubs waren anregend. Deshalb machte es D.C. Spaß, gelegentlich seine Abende in einem dieser Clubs zu verbringen. Er konnte Musik hören, dem Stimmengewirr lauschen und mit Blicken den Bewegungen der Menschen folgen. Vor allem konnte er die schattenhaften Umrisse der Gedanken und Gefühle vor seinem inneren Auge sehen. Wenn er in einem Club wie „Blues Corner“ eine Skizze zu Papier brachte, dann waren es nicht Gesichter oder Körper, sondern Gefühle. Layna beobachtete ihn dabei, wie er Striche, Kleckse und Schlangenlinien aufs Papier warf. Sie verstand nicht, was die Malereien zu bedeuten hatten, aber sie fand sie dennoch faszinierend. Genau wie den Mann, der sie schuf. Er war mit seinem Stuhl zurückgerutscht und saß in sich zusammengesunken an dem winzigen Tisch, wobei seine Schultern die Wand hinter ihm berührten. Er trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt und hatte seine Haare mit einem dünnen Lederband im Nacken zusammengebunden. Das Licht hier war von einem gedämpften Blau, alle Tische um sie herum waren bis auf den letzten Platz besetzt. Auf einer handtuchgroßen Bühne stand ein Mann mit schulterlangen Haaren und zupfte an seiner Bassgitarre. Ein anderer, der eine winzige Sonnenbrille trug, entlockte seinem Tenorsaxophon sehnsüchtige Töne, während ein schrecklich magerer junger Mann die Tasten eines ramponierten Klaviers beinahe liebevoll streichelte. Im Vordergrund saß auf einem Stuhl eine Afro-Amerikanerin, deren Gesicht so verschrumpelt war wie eine Rosine. Sie sang mit einer Stimme, die sich anhörte wie Whiskey mit Sahne, von den Irrungen und Wirrungen der Liebe. Die Musik verstand Layna auch nicht, obwohl sie sich in ihrem tiefsten Innern davon angerührt fühlte. Sie machte sie traurig. Sie weckte Wünsche in ihr. Irgendwie schaffte es die Sängerin, ihre Zuhörer davon zu überzeugen, dass die Liebe all den Kummer und die Schmerzen, die sie verursachte, wert war. Layna nippte an ihrem Wein – oder was der Club als Wein ausgab – und warf D.C. einen Blick zu. Er hatte kaum mit ihr gesprochen, seit er sie hierher gebracht hatte. Was wollte sie hier? Was wollte sie von ihm? Diesmal ist es wirklich das letzte Mal, sagte sie sich. Absolut das letzte Mal. Sie hätte sich nicht mehr fehl am Platz fühlen können als hier.
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Unter dem Tisch klopfte sie mit dem Fuß den Takt mit, und ihr Herz wurde von der rauchig melancholischen Stimme der Sängerin immer schwerer. „Sie singt toll, nicht wahr?“ „Ja.“ Layna wedelte sich gedankenverloren mit der Hand vor dem Gesicht herum, als vom Nebentisch Rauch zu ihr herüberzog. „Aber warum muss es nur so schrecklich traurig sein?“ „Der Blues geht unter die Haut und erreicht den hintersten Winkel des Herzens. Meistens fühlt man sich nachher leichter.“ „Oder einem zerspringt das Herz in tausend Stücke“, murmelte sie. Daraufhin schaute er sie verblüfft an und ließ seinen Zeichenblock sinken. „Musik soll einen bewegen. Sie dient dazu, einen entweder in eine bestimmte Stimmung zu versetzen oder eine andere zu beenden.“ „Ist es das, was Sie malen? Stimmungen?“ „Ja. Und Musik.“ Er beugte sich zu ihr vor. Ihr Haar wurde heute Abend im Nacken von einer Spange zusammengehalten. Es veränderte ihr Aussehen. Es gab ihr etwas Zerbrechliches. „In was für einer Stimmung sind Sie, Layna?“ „In einer ziemlich entspannten.“ „Sie wirken nie wirklich entspannt. Wissen Sie, wie Sie wirken?“ „Nein, aber ich bin sicher, dass Sie es mir gleich erzählen werden.“ „Perfekt. Einfach ein bisschen zu perfekt. Ich habe Sie noch nie mit zerzausten Haaren gesehen.“ Spontan streckte er die Hand aus und löste die Spange aus ihrem Haar. „Da, jetzt ist es nicht mehr ganz so perfekt.“ „Um Himmels willen.“ Sie glättete mit der Hand hastig das Haar, dann versuchte sie ihm die Spange zu entwenden. „Geben Sie schon her.“ „Nein. Mir gefällt es offen besser.“ Grinsend fuhr er mit beiden Händen in ihr Haar und brachte es durcheinander. „Steht Ihnen gut, so zerzaust. Sehr sexy. Vor allem, wenn Ihre Augen wütend blitzen und Sie einen Schmollmund ziehen wie jetzt.“ „Ich schmolle nicht.“ „Sie sehen Ihren Mund ja nicht.“ Er senkte den Blick und ließ ihn einen Moment auf ihren Lippen verweilen. Ihr Puls begann schneller zu schlagen. „Mir gefällt Ihr Mund“, murmelte er. „Genauer gesagt…“
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„Warten Sie“, unterbrach sie ihn und versuchte ihn von sich fern zu halten, indem sie ihm eine Hand auf die Brust legte. Sie wusste, dass es dumm von ihr war. Hatte sie sich denn nicht schon gefragt, warum er sie noch nie geküsst hatte? Und wie es wohl sein mochte, wenn er es täte? Und doch bekam sie jetzt Angst davor. Sie brauchte unbedingt eine kurze Verschnaufpause, um sich vor seinem Angriff zu wappnen, weil sie sich sicher war, dass sie ihn sonst nicht überleben würde. „Wir haben die Wartezeit schon hinter uns.“ Er nahm ihre Hand in seine und umfasste mit der anderen Hand ihren Nacken. „Früher oder später müssen wir es ja doch tun… nachschauen, was dahinter steckt. Oder was nicht.“ Er neigte den Kopf gerade genug, um ihre Unterlippe zwischen seine Zähne zu nehmen und ihren zitternden Atem zu spüren. „Nachschauen, in was für einer Stimmung wir sind.“ Er kostete langsam von der Süße ihres Mundes. Es war ein angenehmer Geschmack, ein klein bisschen kühl, so wie leichter Weißwein. Mehr. Er wollte mehr. Ihr Mund öffnete sich zu einem leisen Stöhnen, das unter den schluchzenden Klängen des Saxophons vibrierte. Sofort nutzte er die Chance und glitt mit seiner Zunge zwischen ihre Lippen. So verharrte er, und erst als ihre Lippen zu zittern begannen, vertiefte er den Kuss behutsam. Gott, warum habe ich bloß so lange damit gewartet, war alles, was er denken konnte. Und während er sie noch näher an sich heranzog, verlor er sich in ihr. Sie hatte das Gefühl, sie würde sinken, immer weiter nach unten, wo die Luft zu dick zum Atmen war und die Musik ins Blut einsickerte und pulsierte. Das hatte sie nicht erwartet. Ihre ganzen Abwehrkräfte hatten es nicht vermocht, sie vor diesem Anschlag auf all ihre Sinne zu bewahren. Ihr Verstand war lahm gelegt, und ihr Körper hatte das Kommando übernommen. Sie fühlte nur noch einen Schmerz in sich, einen süßen, nicht nachlassenden Schmerz. Ihr Herz kam ins Stolpern, um dann umso schneller zu schlagen. Es kostete ihn große Überwindung, den Kuss zu beenden und sich daran zu erinnern, wo sie waren. Er hielt noch immer ihre Hand. „Und nun, Layna? Machen wir weiter, oder hören wir auf?“ „Ich weiß es nicht.“ Wie konnte er von ihr eine vernünftige Ant-
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wort erwarten, wenn ihr so schwindlig war? „Falls du bereit bist, mir die Entscheidung zu überlassen…“ Seine Mundwinkel zuckten, dann breitete sich sein Lächeln übers ganze Gesicht aus, bevor er wieder mit seinen Lippen ihre streifte. „Nein, das bin ich nicht“, protestierte sie und entzog sich ihm schnell. „Wir müssen einen Schritt zurücktreten und uns das ganze Bild betrachten. Du als Maler solltest das wissen.“ „Ich sehe zwei ungebundene Erwachsene, die sich zueinander hingezogen fühlen.“ „Ich bin mir nicht sicher, was ich sehe.“ Fast panisch schnappte sie sich ihre Handtasche, sprang auf und rannte hinaus.
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5. KAPITEL D.C. holte sie draußen auf dem Bürgersteig ein, und er war verärgert genug, um sie am Arm zu packen und zu sich herumzureißen. „He, wo liegt das Problem? Du brauchst nur zu sagen: ,Nein danke, Kumpel, ich bin nicht interessiert’. Das reicht.“ Sie warf mit einem Ruck das lange Haar nach hinten, wütend darüber, dass er es in Unordnung gebracht hatte. „Nein danke, Kumpel. Kein Interesse.“ „Lügnerin.“ „Idiot.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und eilte davon. Es überraschte sie nicht, dass er sie wieder einholte und neben ihr herging, es ärgerte sie nur. „Dass du dich vorhin gewehrt hättest, kann man nicht gerade behaupten, Baby.“ Sie holte tief Luft und erinnerte sich daran, dass die Straßencafes zu ihrer Linken voller Menschen waren. Sie würde ihm auf keinen Fall auf offener Straße eine Szene machen, auf gar keinen Fall. „Ich war nur neugierig“, sagte sie mit einer Stimme, die vor Kälte klirrte wie ein Tag im Januar. „Jetzt ist meine Neugier befriedigt.“ „Du entschuldigst, wenn ich dich darauf aufmerksam mache, dass ich an diesem kleinen Experiment ebenfalls beteiligt war. Du bist dahingeschmolzen wie Butter.“ „Es war nur ein ganz normaler Kuss.“ Bestimmt war es das, versuchte sie sich mit neu aufflackernder Panik einzureden. Sie wollte nicht fühlen, was sie gefühlt hatte, wollte nicht, was sie wollte. „Einen ganz normalen Kuss gibst du deiner Großmutter an ihrem Geburtstag.“ Er hängte sich seine Tasche über die andere Schulter, wobei er sich fragte, warum er die Sache überhaupt weiterverfolgte. Wenn eine Lady ein Stoppschild hochhielt, musste man eine Vollbremsung machen. Ende der Geschichte. Aber, verdammt, er konnte sie noch immer schmecken. „Layna.“ Diesmal schüttelte sie die Hand entschlossen ab, die er ihr auf den Arm legte, und schlug den Weg zu sich nach Hause ein. „Ich lasse mich nicht so in die Enge treiben.“ „Du treibst dich selbst in die Enge. Wenn du nur eine Minute stehen bleiben würdest…“ Er fluchte, als sie ihre Schritte beschleunigte. „He, warte doch.“ Erst kurz vor ihrer Haustür hatte er sie einge-
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holt. Diesmal benutzte er beide Hände, um sie festzuhalten. Und um ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Wangen waren zu bleich, ihre Augen zu dunkel. Und in ihrem Blick flackerte nicht nur Wut. „Du hast Angst. Du hast Panik bekommen.“ Er wusste, dass es ihm Leid tun musste, aber das tat es nicht. Er hätte am liebsten gegrinst. „Ich hätte gedacht, dass du mehr Rückgrat besitzt.“ Sie zuckte zurück. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Lust, einen anderen Menschen zu schlagen. „Ich habe absolut kein Interesse an einer Fortführung dieser Unterhaltung“, sagte sie kühl. „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich gehe rein.“ „Wir könnten die Unterhaltung rasch beenden. Lass es uns wenigstens versuchen.“ Sie erriet seine Absicht. Erregung mischte sich mit ihrer Angst und ließ ihr Herz wieder sehr viel schneller schlagen. „Ich will nicht…“ Aber sein Mund lag schon auf ihrem. Es war keine behutsame Erforschung diesmal, keine langsame, geschmeidige Verführung. Er nahm in Besitz, eroberte und kostete aus. Lichter explodierten in ihrem Kopf, das Blut rauschte ihr in den Ohren. Sie konnte nicht mehr tun, als durchzuhalten und auf dieser stürmischen Welle, so gut es ging, zu reiten. Er merkte überhaupt nicht, wie er sie plötzlich hochriss, so war er in diesen Kuss vertieft. Erst als er spürte, dass sein Herz wie ein Presslufthammer gegen seinen Brustkorb schlug, hob er den Kopf und holte tief Luft. Er war sich immer seiner Körpergröße und seiner Kraft bewusst gewesen, aber jetzt hatte er das eine wie auch das andere für einen Moment total vergessen gehabt. Er stellte sie wieder auf die Füße und trat zwei Schritte zurück. „Jetzt bist du an der Reihe.“ Damit drehte er sich um und ging davon. Er verfluchte sich tagelang, nachts schlief er schlecht. Er nahm sich ein Dutzend Mal vor, sich zu entschuldigen, und verwarf diesen Vorsatz ebenso oft wieder. Am besten gehst du ihr aus dem Weg, versuchte er sich einzureden. Er musste damit aufhören, er musste mit ihr aufhören, bevor die ganze Sache noch verwickelter wurde. Jedes Mal, wenn er diesen Entschluss fasste, fühlte er sich hinterher besser. Er konnte über Stunden hinweg wie besessen arbeiten. Und dann schlich sie sich wieder in seine Gedanken und ließ ihn bedrückt, nervös und wütend
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zurück. Von daher hätte ihn nichts mehr erfreuen können als der Anruf seines Vaters, der ihm mitteilte, dass seine Großeltern auf einen Kurzbesuch gekommen seien. Ein entspanntes Familienessen war genau das Richtige. Es würde ihm gut tun, einen Abend mit den Menschen zu verbringen, die er liebte und verstand. Und wenn er Lust hatte, konnte er mit seinen Großeltern zurückfahren. Um ein bisschen Zeit mit Julia, Cullum und dem kleinen Travis zu verbringen und ein paar seiner Cousinen und Cousins zu treffen. Er brauchte nur ein paar Klamotten in seine Reisetasche zu werfen, ein paar Leinwände und Farben einzupacken und loszufahren, wann immer ihm der Sinn danach stand. Das ist eben das Schöne an meinem Lebensstil, dachte er, als er das Grundstück seiner Eltern betrat. Sein Leben war einfach und orientierte sich an seinen Grundbedürfnissen. Es gehörte ihm. Das Letzte, was er brauchte, war eine Frau, die ihn in seiner Arbeit blockierte. Und Gott wusste, dass Frauen wie Layna Drake eine Menge Komplikationen mit sich brachten. Schwer zu handhaben, entschied er, während ein Windstoß die dahinwelkenden Kirschblüten in alle Himmelsrichtungen auseinander wehte. Auf der anderen Straßenseite joggte eine langbeinige Brünette in Radlerhosen mit einem schwarz glänzenden Labrador an einer silbernen Leine vorbei. Der Hund bellte glücklich, die Frau warf D.C. ein viel sagendes Lächeln zu. Er schaute ihr gerade lange genug nach, um noch ihren einladenden Blick aufzufangen, den sie ihm über die Schulter zuwarf. Und er verfluchte sich, dass er nicht das leiseste Interesse hatte, der Einladung zu folgen. Langbeinige Brünette mit einem lasziven Lächeln waren doch immer sein Typ gewesen, oder? Und warum, zum Donnerwetter, hechelte er dann jetzt einer unterkühlten Blondine hinterher, bei der jedes einzelne Härchen sitzen musste? Kein Zweifel, Tapetenwechsel war angesagt. Er würde zwei Wochen in Boston und Hyannis Port verbringen, mit den Kindern spielen, ein bisschen arbeiten und versuchen, diese lachhafte fixe Idee loszuwerden. Er ging die wenigen Treppenstufen zum Haus hinauf. Die dunkle, schwere Eingangstür war flankiert von zwei großen Kübeln mit
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leuchtend roten Blumen, die sicher seine Mutter gepflanzt hatte. Sie liebte leuchtende Farben. Sie gaben dem würdevollen Haus erst den richtigen Pfiff. Würde gepaart mit Pfiff. Das war eine perfekte Beschreibung seiner Eltern. Beim Gedanken daran musste er lächeln. Der Staatsmann und die Töpferin. Sie hatten geheiratet und eine Familie gegründet, die ihnen viel bedeutete. Alles bedeutete, sinnierte D.C, unvermittelt ernst geworden. Doch dann lächelte er wieder, als er das dröhnende Lachen seines Großvaters durch die geöffneten Fenster hörte. Er machte sich nicht durch Klopfen bemerkbar, sondern ging einfach ins Haus. Der vertraute Duft von Blumen und Zitrusöl empfing ihn, und er hörte noch mehr Lachen und Stimmengewirr, das aus dem Salon kam. Seine Laune hob sich. Deshalb traf es ihn völlig unvorbereitet, als er den Salon betrat und Layna fast Knie an Knie mit Daniel sitzen sah. Ihren vergnügten Mienen nach zu urteilen, schienen sich die beiden prächtig zu unterhalten. „Da ist der Bursche ja!“ Daniel stemmte sich aus seinem Sessel hoch und kam mit einer Behändigkeit, die seine neunzig und mehr Jahre Lügen strafte, auf ihn zu. Seine Schultern waren breit, seine Mähne sowie sein Bart schneeweiß. Die blauen Augen, die er jetzt auf D.C. richtete, funkelten vor Freude. Daniel umarmte D.C. wie ein Bärenfänger, versetzte ihm einen Schlag auf den Rücken, der von einem Vorschlaghammer hätte stammen können, und registrierte mit dem größten Vergnügen, dass D.C. das Mädel, das er für ihn ausgesucht hatte, nicht aus den Augen ließ. „Wird auch langsam Zeit, dass du kommst. Diese Frauen flößen mir ständig Tee ein, wo doch jeder Schwachkopf sehen kann, dass ich dringend einen Whiskey brauche. Den Burschen dürstet es nach einem Whiskey, Shelby, und mich auch.“ „Zwei Finger breit, Shelby, nicht mehr.“ Anna MacGregors ruhige Stimme verriet Autorität. Sie begrüßte D.C. lächelnd und mit ausgebreiteten Armen, während sich ihr Ehemann bitterlich darüber beklagte, dass ein zwei Finger breiter Whiskey Kinderkram sei. „Grandma.“ Er neigte sich zu ihr hinab und legte seine Wange an ihre. Wie immer fand er bei ihr Güte und Stärke zugleich. Er schloss die Augen, um ihren vertrauten Duft einzuatmen. Layna wandte hastig den Blick ab. In dieser Umarmung lag aufrichtige, bedingungslose Liebe. So viel Liebe, dass es ihr einen Stich
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versetzte. Sie wollte es nicht sehen, sie wollte es nicht spüren. „Du schaust müde aus“, murmelte Anna und umrahmte mit beiden Händen D.C.s Gesicht. „Ich arbeite viel.“ Er küsste sie wieder und schaute an Layna vorbei zu Myra. „Schön, dich zu sehen, Tante Myra.“ Als er dann zu Myra ging und sie auf die Wange küsste, drückte sie fest seine Hand. „Layna kennst du ja bereits.“ „Ja.“ Jetzt schaute er Layna gerade und abschätzend an. „Wie geht’s?“ „Danke, gut.“ Ihre Hände wollten zittern, deshalb ließ sie sie gefaltet in ihrem Schoß liegen. „Setz dich und leiste Layna ein wenig Gesellschaft, Liebling.“ Myra stand auf und schob ihn unauffällig in ihren Sessel. „Ich muss Daniel etwas wegen… einer Investition fragen.“ „Es tut mir schrecklich Leid“, sagte Layna mit gesenkter Stimme und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich wusste nicht, dass du auch hier sein würdest. Tante Myra bat mich, sie herzufahren. Eigentlich war vorgesehen, dass wir zum Essen bleiben, aber mir wird schon eine Ausrede einfallen.“ „Warum?“ Er lehnte sich zurück und wünschte sich, er hätte den verdammten Whiskey mit auf seinen Platz genommen. „Es stört mich nicht.“ Das tat weh. Sie litt seit Tagen. „Ich möchte dir nicht deinen Abend mit deiner Familie verderben. Mir ist inzwischen klar geworden… wir waren wütend aufeinander.“ „Ich bin darüber hinweg.“ Er hob herausfordernd eine Augenbraue. „Du nicht?“ „Selbstverständlich.“ Sie schob würdevoll das Kinn vor. „Ich dachte nur, dass es dir möglicherweise nicht angenehm sein könnte, mich hier zu treffen, nachdem du an dem Abend wie ein zorniges Kind weggelaufen bist.“ „Soweit ich mich erinnere, warst du es, die wie ein aufgescheuchtes Kaninchen aus dem Club gerannt ist.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Aber keine Angst, deine Anwesenheit ist mir keineswegs unangenehm, Layna.“ „Schau sie dir nur an“, zischte Myra Daniel aus dem Mundwinkel zu, während sie so tat, als würde sie das Paar gegenüber gar nicht beachten. „Man sieht praktisch die Funken fliegen.“
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„Weiß gar nicht, wofür die beiden so lange brauchen“, beschwerte sich Daniel. „Der Junge schaut ja richtig finster drein. Ich sage dir doch, dass ich mir Sorgen um ihn mache.“ „Oh, sie hatten nur eine kleine Auseinandersetzung, das ist alles. Es ist so, wie ich dir gesagt habe. Layna hat schon seit Tagen schlechte Laune. Zum Glück hast du dich ja entschieden, selbst nach dem Rechten zu sehen. Das gibt ihnen vielleicht einen kleinen Schubs.“ „Ich musste dafür meine Arbeit unterbrechen“, seufzte Daniel und nippte genießerisch an seinem Whiskey. „Keine Sorge, Myra, bis zum Sommer sind die beiden verheiratet.“ Er hob sein Glas und stieß mit ihr an. „Darauf hast du mein Wort.“ Und da Daniel ein Mann war, der zu seinem Wort stand, vertrödelte er keine Zeit. Kaum hatten wenig später die Damen den Salon verlassen, um Shelbys Töpferwerkstatt zu besichtigen, stürzte er sich auf D.C. „Hübsches junges Ding“, bemerkte er betont beiläufig und zog sich, während er der sich entfernenden Stimme seiner Frau nachlauschte, eine Zigarre aus der Tasche. „Obwohl sie ruhig ein bisschen strammer sein könnte. Braucht etwas mehr Fleisch auf die Knochen.“ „Mir gefallen ihre Knochen.“ D.C. neigte den Kopf. „Wenn Grandma zurückkommt und sieht, dass du rauchst, schert sie dir den Kopf kahl.“ „Keine Sorge, sie erwischt mich schon nicht.“ Daniel stieß genüsslich eine dicke Rauchwolke aus, dann wandte er sich an seinen Sohn. „Alan, diesmal will ich einen richtigen Whiskey.“ „Das ist mir meinen Kopf nicht wert.“ „Feigling“, brummte Daniel und lehnte sich mit seiner Zigarre zurück. „Myra hat mir erzählt, dass sich das Mädchen zu sehr in der Arbeit vergräbt. Hat überhaupt kein Privatleben.“ „Es ist ihre Entscheidung.“ D.C. zuckte die Schultern, bemerkte Daniels bekümmertes Gesicht, seufzte und gab ihm sein eigenes, noch halb volles Whiskeyglas. „Du bist ein feiner Bursche“, lobte Daniel ihn und warf Alan einen tadelnden Blick zu, den der jedoch nur mit einem Lachen quittierte. „Schön, dass es wenigstens einen hier gibt, der keine Angst vor Granny hat. Also, wie schon gesagt… Myra sorgt sich Tag und Nacht um dieses Mädel. Bin froh, dass ich es geschafft habe, runterzukommen, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Dem Mädel
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fehlt der richtige Mann. Ein Banker, schätze ich, oder ein leitender Angestellter mit einer gehörigen Portion Ehrgeiz.“ „Was?“ D.C. schreckte aus seiner düsteren Stimmung auf. „Ein Banker? Wovon, zum Teufel, redest du eigentlich?“ „Von gar nichts. Ich mache mir nur ein paar Gedanken darüber, wer für Layna der Richtige sein könnte. Zufälligerweise kenne ich einen jungen Mann hier in Washington, der meiner Meinung nach ideal zu ihr passt. Hat es mittlerweile schon bis zum Abteilungsleiter gebracht. Henry ist ein schlauer Kopf“, improvisierte Daniel aus dem Stehgreif weiter. „Hat eine glänzende Zukunft vor sich. Am besten ist es wohl, ich rufe ihn einfach mal an.“ „He, Moment mal!“ D.C. sprang aus seinem Sessel auf und starrte seinen Großvater an. „Du willst Layna mit irgendeinem steifen Banker namens Henry verkuppeln?“ „Er ist ein feiner Bursche und kommt aus einer anständigen Familie.“ Daniel blinzelte ihn aus unschuldigen blauen Augen an. „Es ist das Mindeste, was ich für Layna tun kann.“ „Das Mindeste, was du tun kannst, ist, dich da rauszuhalten. Layna ist nicht interessiert, an irgendeinen Banker verhökert zu werden.“ „Verhökert! Wie das klingt!“ Während Daniels Herz einen Freudentanz aufführte, schaute er seinen Enkel tadelnd an. „Ich rede davon, zwei jungen Leuten zu einer perfekten sozialen Verbindung zu verhelfen.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, stach er mit seiner Zigarre ein Loch in die Luft. „Und wenn du dich darauf konzentrieren würdest, für dich die richtige Frau zu finden, hättest du gar keine Zeit, von deinem hohen Ross auf Dinge, die dich nichts angehen, hinunterzuschauen. Ich würde wirklich gern wissen, was Layna Drake dir bedeutet.“ „Nichts!“ schrie D.C. und warf verzweifelt die Hände in die Luft, was seinen Großvater überaus amüsierte. „Sie bedeutet mir gar nichts.“ „Da bin ich aber froh.“ Der Junge hängt ja fest am Haken, dachte Daniel und beschloss, noch ein wenig draufzusatteln. „Ihr könntet nämlich gar nicht schlechter zusammenpassen, also schiel bloß nicht in diese Richtung, Bursche. Du brauchst ein natürliches, strammes Mädel, das dir gesunde Kinder schenkt und sich nicht den Teufel um ihre Figur schert. Layna ist viel zu elegant für dich, du brauchst etwas viel Bodenständigeres.“ „Ich weiß selbst, was ich brauche.“
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Daniel erhob sich jetzt auch und schaute D.C. aus zusammengekniffenen Augen an. „Du könntest ruhig ein bisschen mehr auf die weisen Ratschläge von Älteren hören.“ „Ha!“ war D.C.s Erwiderung darauf, und Daniel musste sich beherrschen, um nicht laut aufzulachen. Aber seine Augen blinzelten vergnügt, als D.C. im Sturmschritt den Salon verließ und draußen in der Eingangshalle laut Laynas Namen brüllte. „Was führst du denn diesmal wieder im Schilde, MacGregor?“ brummte Alan. „Schau zu und lerne, mein Sohn.“ Er zog ihn mit sich zur Tür, von wo aus sie beide interessiert beobachteten, wie Layna durch die Halle herbeigeeilt kam. „Was schreist du denn so herum?“ fragte sie mit schneidender Stimme. „Komm mit.“ D.C. packte sie am Handgelenk und zerrte sie zur Haustür. „Was? Lass mich los.“ „Wir gehen.“ „Ich gehe nicht.“ Er löste das Problem auf eine Weise, die Daniels Herz vor Stolz anschwellen ließ: D.C. warf sich Layna kurz entschlossen über die Schulter und trug sie zur Tür hinaus. „Ja, sag ich es nicht? Ein echter MacGregor. Er ist… Himmel, da kommt deine Mutter.“ Daniel drückte flink seinem Sohn Whiskeyglas und Zigarre in die Hand und ergriff die Flucht. „Erzähl ihr, ich wäre ein bisschen in den Garten gegangen!“ rief er ihm noch über die Schulter zu. Shelby betrat als Erste den Salon und fuhr sich glättend mit der Hand übers Haar. „Was ist denn das hier für ein Geschrei?“ fragte sie ihren Mann, dann schaute sie sich um. „Wo ist D.C.? Wo ist Layna?“ Ihre Augen verengten sich. „Und wo ist dein Vater?“ „Nun…“ Alan betrachtete sinnend die Zigarre und beschloss, dass er sie ebenso gut genießen konnte. „Das hättest du vorhin sehen sollen…“ Er unterbrach sich und paffte an der Zigarre, als jetzt seine Mutter und Myra in den Salon kamen. „Mein Vater hat D.C. gesagt, dass Layna überhaupt nicht zu ihm passt“, begann er zu erzählen, „was D.C. natürlich wie beabsichtigt auf die Palme gebracht hat. Er schnauzte den großen MacGregor gehörig an und schleppte dann eine höchst verärgerte Layna aus dem Haus.“
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„Er hat sie aus dem Haus geschleppt?“ Myra legte sich die Hand aufs Herz, während sich ihre Augen mit Tränen der Rührung füllten. „Oh, wie schade, dass ich das verpasst habe. Ich wusste doch, dass er nur noch einen kleinen Schubs braucht…“ Sie verstummte, als sie die verdutzten Blicke ihrer Freunde auffing. „Ich wollte sagen… also… ähm.“ „Myra!“ Anna stieß einen Seufzer aus und schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich kann es nicht glauben, dass du Daniel dazu auch noch ermutigt hast. Und du“, fuhr sie an ihren Sohn gewandt fort, „wen glaubst du eigentlich mit dieser Zigarre hinters Licht führen zu können? Geh und hole deinen Vater.“ Sie setzte sich und faltete die Hände im Schoß. „Und dann hören wir uns die ganze Geschichte von ihm an.“
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6. KAPITEL „Hast du den Verstand verloren?“ Nur der Schock war daran schuld, dass Layna sich nicht eher wehrte, bis D.C. mit ihr das Haus verlassen hatte und im Sturmschritt den Gehweg hinuntereilte. „Lass mich sofort runter.“ Sie sprach ruhig, weil sie sich sicher war, dass Schreien die Dinge nur verschlimmern würde. „Lass mich runter, D.C Bitte.“ „Es ist nur zu deinem Besten“, brummte er, während er mit finsterem Blick und ohne ihrer Aufforderung Folge zu leisten weitermarschierte. „Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte man dich mir nichts, dir nichts mit irgendeinem Banker namens Henry verkuppelt.“ Ihr waren nie Gerüchte über eine Geisteskrankheit in der Familie MacGregor zu Ohren gekommen. Aber solche Dinge konnte man vertuschen. „Gut, das reicht.“ Sie waren jetzt auf dem Bürgersteig angelangt. Kinder fingen an, kichernd mit den Fingern auf sie zu zeigen. Eine Frau, die gerade ihre Petunien auf dem Fensterbrett goss, hielt abrupt inne und starrte sie mit offenem Mund an. „Ich habe gesagt, du sollst mich runterlassen, und ich meine es ernst.“ „Du gehst nicht zurück in dieses Haus. Du hast ja keine Ahnung, was für einem Ränkeschmied du da in die Hände gefallen bist. Zuerst wird es heißen: ,Ich möchte dich gern mit meinem jungen Freund Henry bekannt machen’, und als Nächstes wirst du Geschirr für deinen neuen Haushalt aussuchen. Er ist rücksichtslos.“ „Ich will nicht wie ein Paket die Straße entlanggetragen werden.“ Genauso kam sie sich vor. Er war mit seiner Last schon zwei Häuserblocks marschiert und atmete immer noch nicht schwer. Widerwillig musste sie zugeben, dass er Arme wie Stahlträger hatte. „Wenn du mich runterlässt, bin ich bereit zu vergessen, dass dies jemals passiert ist. Ich vergesse, in was für eine peinliche Situation du mich vor deiner Familie gebracht hast. Ich vergesse alles, du Idiot.“ „Er ist ein abgefeimter Schurke“, fuhr D.C. ungerührt fort. „Hinterlistig und raffiniert, und er hat dich jetzt im Visier. Gott schütze dich.“ Ihre Wut – und sie fand, dass sie sich die ganze Zeit geradezu bewundernswert zurückgehalten hatte – kochte jetzt hoch. Sie ließ
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ihre Faust auf seine Schulter niedersausen, was allerdings nur zur Folge hatte, dass ihr die Knöchel wehtaten. „Wovon, zum Teufel, redest du eigentlich?“ „Mit meiner Schwester hat er dasselbe gemacht. Und jetzt sitzt sie mit Mann und Kind da. Und drei meiner Cousinen hat er auch verkuppelt. Jetzt ist er größenwahnsinnig geworden. Bildet sich ein, er wäre der Superehestifter. Und hat dich aufs Korn genommen, Baby.“ Diesmal gab sie ihm eine Ohrfeige. Wie zu erwarten, fühlte es sich an, als haue sie gegen Granit. „Wovon redest du eigentlich? Verdammt, wenn du mich nicht auf der Stelle runterlässt…“ „Vom großen MacGregor natürlich. So, hier wären wir. Wir reden drinnen weiter.“ „Drinnen?“ Ehe sie sich versah, hatte er auch schon eine Tür aufgeschlossen. „Wo drinnen? Ich will, dass du mich runterlässt. Sofort!“ „In meiner Wohnung. Offensichtlich ist dir nicht klar, was er im Schilde führt. Woher auch? Aber du wirst mir auf Knien danken, wenn du erst alles weißt.“ „Auf Knien danken? Dir? Du wirst gleich dein blaues Wunder erleben, Daniel Campbell MacGregor.“ Weil ihr der Kopf dröhnte, wäre ihr um ein Haar entgangen, dass er sie zu einem Aufzug schleppte. Zu einem Aufzug, aus dem gerade Leute ausstiegen. Die Röte schoss ihr in die Wangen, als das adrette Paar mittleren Alters sie anstrahlte. „Hallo, D.C, wie geht’s?“ „Danke, gut.“ Er warf der Frau ein Lächeln zu. „Und Ihnen?“ „Ich kann nicht klagen. Es ist so ein herrlicher Tag heute.“ Layna schloss schicksalsergeben die Augen, als hinter ihnen die Aufzugtüren zugingen. Offensichtlich schien der Mann es sich zur Angewohnheit gemacht zu haben, Frauen gewaltsam in seine Wohnung zu verschleppen. Seine Nachbarn waren jedenfalls daran gewöhnt. Warum sollte es ihr also peinlich sein, wenn sie doch nur eine von vielen war? „Mir ist es sonnenklar, dass sich dein und mein Lebensstil widersprechen.“ Sie registrierte, dass wenigstens ihre Stimme ruhig klang, und bemühte sich, dem panischen Hämmern ihres Herzens keine Beachtung zu schenken. „Und auch wenn wir ein paar familiäre Verbindungen haben und im selben Stadtteil wohnen, dürfte es meiner Meinung nach nicht schwierig sein, uns bis zum Ende unseres
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Lebens aus dem Weg zu gehen.“ Sie holte tief Luft und atmete dann langsam aus. „Ich weiß, ich wiederhole mich, aber du sollst mich endlich runterlassen.“ Sein Zorn war so weit verraucht, dass er sich von ihrem Duft einen Moment lang ablenken ließ. Kühl, unterschwellig sexy. Und den Kopf so zu drehen, dass ihre Gesichter so dicht beieinander waren, dass ihre Münder sich fast streiften, war immerhin ihr Fehler gewesen. Was konnte ein Mann da schon anderes tun, als eine lange und ausgiebige Kostprobe zu nehmen? Also legte er seinen Mund leicht auf ihren, wartete ihr erschrecktes Zusammenzucken ab und kostete dann gierig ihre heiße Erwiderung aus. Ich habe dich vermisst, ging ihm durch den Sinn, und er wusste nicht, ob er das laut gesagt oder nur gedacht hatte. Sie schmiegte sich an ihn und umfasste seinen Nacken, während ihr Mund sich unter seinem bewegte. Aus ihrer Kehle stieg ein leises Gurren auf, das ein heftiges Ziehen in seinen Lenden verursachte. Die Aufzugtüren öffneten sich, blieben weit offen stehen und schlossen sich wieder, bevor er sie mit der Schulter blockieren konnte. Sie griff in sein Haar, hielt seinen Kopf fest, weil sie nicht wollte, dass er den Kuss beendete. Ihr Herz klopfte heftig, und das Blut schoss heiß durch ihre Adern. Begehren, pures Begehren hatte sich ihrer bemächtigt. Sie merkte nicht, wie er mit ihr aus dem Aufzug trat. Erst als er plötzlich seinen Mund von ihrem löste und laut fluchte, lichtete sich ein wenig der Nebel, der sich über ihren Verstand gelegt hatte. „Was ist?“ „Ich kriege den verdammten Schlüssel nicht ins Schlüsselloch.“ Zu befürchten stand, dass er sie gleich hier im Hausflur nehmen würde, wenn diese vertrackte Tür nicht auf der Stelle aufging. „Was ist?“ wiederholte sie, um sich sogleich beschämt die Hände vors Gesicht zu schlagen, weil ihr Kopf mit einem Mal klar wurde. „Halt. Das ist…“ „Na endlich.“ Er schloss auf, betrat die Wohnung und kickte die Tür mit dem Fuß zu. Dann nahm er erneut von ihrem Mund Besitz. „Nein, warte.“ „Wir reden später.“ Er zog sich kaum mehr als einen Zentimeter von ihr zurück und schaute sie aus seinen durchdringenden blauen Augen an. „Erst bringen wir das hier zu Ende.“
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„Nein, wir…“ Sie bekam weder Luft noch diese ihr immer wieder entgleitende Ecke ihres Verstands zu fassen. Also ließ sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben gehen und gab jeglichen Widerstand auf. „Ja, wir reden später“, flüsterte sie nur und suchte wieder seinen Mund. Er musste sie spüren, sie überall anfassen. Er stellte sie auf die Füße, drängte sie gegen die Tür und glitt mit seinen Händen über ihren Körper. Sie war gertenschlank, graziös, außergewöhnlich. Er musste sie auch schmecken. Er streifte ihr den Pullover über den Kopf und erkundete ihre nackte Haut mit seinen Lippen. Er küsste sie voller Hast, so als ob ein Teil von ihm befürchtete, sie könnte sich in Luft auflösen und entschwinden. Er wollte alles von ihr – die graziösen Rundungen ihrer Schultern, die wunderbare Wölbung ihrer Brüste, den lang gestreckten, schlanken Brustkorb. Schließlich packte er sie an den Hüften, hob sie ein wenig an und bedeckte ihren Leib mit gierigen Küssen. Sie schrie auf vor Lust und krallte ihre Finger in seine Schultern. Irgendwie mussten sich ihre Beine von selbst um seine Taille gelegt haben, denn ihre Begierde wuchs und stürzte sie in eine völlig andere Welt, wo es brutal zuging und es nur eine Antwort gab. „Jetzt. Sofort.“ Die heiseren Worte brannten ihr in der Kehle. Außer sich vor Verlangen, biss sie ihm in die Schulter, zog ungeduldig an seinem Hemd. Im nächsten Moment wälzten sie sich keuchend auf dem Boden, kämpften mit Reißverschlüssen und Knöpfen, zerrten und rissen sich gegenseitig die Kleidung vom Körper, bis nichts Störendes mehr zwischen ihnen war. Und dann lag er auf ihr. In seinem Blick flackerte ein wildes Feuer, als er ihre Hüften umfasste und ein wenig anhob. „Ja, jetzt“, sagte er und schaute ihr dabei tief in die Augen. Langsam und vorsichtig drang er in sie ein. Er füllte sie aus. Sie umschloss ihn. Die Zeit blieb stehen, allein Empfindungen existierten. Licht flutete durch die Fenster, helle Strahlen, in denen Staubpartikel tanzten. Sein Herz hämmerte gegen ihres, Schlag um Schlag. Sie versuchte diesen herrlichen Moment hinauszuzögern und sich dort zu halten, genau dort, auf diesem Schwindel erregenden, köstlichen Grat. Aber ihr Körper verlangte nach mehr, und unwillkürlich begann sie sich unter ihm zu bewegen.
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Er folgte ihrer stummen Aufforderung, zog sich aus ihr zurück und stieß kräftig zu. Wieder und immer wieder. Sie bog sich ihm entgegen, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen, und stöhnte laut, als sein Mund sich hungrig über eine ihrer Knospen schloss. Während er dann allmählich das Tempo erhöhte, folgte sie ihm und kostete jede Sekunde aus. Er konnte nicht genug von ihr bekommen, seine Hände fuhren unruhig über ihren Körper. Jedes Stöhnen und Keuchen von ihr stachelte sein Begehren noch mehr an. Plötzlich gruben sich ihre Nägel in seinen Rücken, ihr Körper spannte sich an wie ein Bogen, und hilflos musste er es geschehen lassen, wie er zusammen mit ihr in den Abgrund stürzte. Er hätte eine Woche lang schlafen können. Dieser Gedanke kam ihm, als er sich von ihr hinuntergleiten ließ und ihren Kopf auf seine Brust bettete. Mit geschlossenen Augen, in seliger Erschöpfung, streichelte er ihr träge übers Haar. Wer hätte gedacht, dass unter der kühlen, beherrschten Fassade von Miss Layna Drake eine kleine Bestie lauerte? Er war entzückt, dass es ausgerechnet ihm gelungen war, dieses wilde Tier in ihr zu wecken. Sie hingegen war entsetzt. Oder wünschte sich zutiefst, es zu sein. Sie lagen nackt auf dem Fußboden inmitten verstreuter Kleider. Sie hatte gerade völlig verrückten und hirnlosen Sex mit einem Mann gehabt, bei dem sie sich nicht einmal sicher war, ob sie ihn überhaupt mochte. Hirnlos war genau das richtige Wort für das, was geschehen war. Sie kam nicht umhin, sich dies einzugestehen. Ihr Verstand hatte einfach ausgesetzt, als D.C. sie berührte. Das war ihr noch nie in ihrem Leben passiert. An den Kleidern eines Mannes zu zerren, die Fingernägel und Zähne in ihn zu graben, ihm erlauben, sie anzufassen und wieder und wieder zu nehmen, bis sie ihre Lustschreie kaum mehr zurückhalten konnte. Und sie fühlte sich… herrlich. Es ist nur eine körperliche Reaktion, versuchte sie sich einzureden. Sie hielt die Augen geschlossen und gab sich redlich Mühe, in dem Schein des Glühens, von dem sie sich umgeben glaubte, ihren gesunden Menschenverstand wiederzufinden. Sie hatte seit… nun, seit einer sehr langen Zeit enthaltsam gelebt. Ihr Körper hatte sie verraten. Sie war eben auch nur ein Mensch und anfällig gegenüber gewissen elementaren Bedürfnissen. Und diese… Erfahrung war gewiss so elementar gewesen wie nur
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möglich. Jetzt wurde es höchste Zeit, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Sie räusperte und setzte sich auf. „Nun.“ Mehr ließ sich aus dem Tohuwabohu in ihrem Kopf nicht herausfiltern. Wo, um Himmels willen, war ihr BH? D.C. schlug die Augen auf und schaute sie an. Ihr Haar war zerzaust, ihre Haut rosig überhaucht. „Was machst du denn da?“ „Mich anziehen.“ „Warum?“ Zum Teufel mit dem BH, dachte sie. Sie würde nicht auf der Suche danach vor ihm auf dem Boden herumkriechen. „Ich habe nie… ich habe nie… Es war nur Sex.“ „Richtig toller Sex.“ Sie atmete tief durch und schaute ihn prüfend an. Sie hätte sich denken können, dass er sich jetzt amüsierte, dieser riesige, atemberaubend gut gebaute Mann mit der zerwühlten Mähne, den unglaublich blauen Augen und diesem selbstzufriedenen Grinsen auf dem Gesicht. Ihr verräterischer Körper reagierte prompt, und die faszinierende Vorstellung, auf ihn zuzuknechen, um ihn mit kleinen zärtlichen Bissen zu traktieren, kam ihr flüchtig in den Sinn. „Ich mache so etwas normalerweise nicht“, sagte sie spitz, nahm ihren Pullover und zog ihn sich über den Kopf. Er setzte sich erwartungsvoll auf und rutschte zu ihr. „Nie oder nur normalerweise?“ „Nie. Das war nur eine… spontane Gefühlsverirrung, sozusagen. Wie du schon sehr richtig bemerkt hast, wir sind beide ungebundene Erwachsene, deshalb ist kein Schaden angerichtet worden. Aber…“, sie hatte sich gerade umgedreht, um nach ihrer Hose zu suchen, als seine Hand unter ihren Pullover schlüpfte, „… ich gehe“, vollendete sie ihren Satz, doch ihre Stimme bebte. „Gut.“ Er fuhr ihr mit den Zähnen sanft über das Kinn und spürte, wie sie erzitterte. „Wir können nicht… Es war ein Fehler.“ „Und weil du nicht gern Fehler machst, sollten wir es noch einmal versuchen“, sagte er und zog ihr den Pullover wieder aus. „Vielleicht machen wir es ja diesmal richtig.“ Und wie kam es, dass sie sich viel, viel später in seinem Bett wiederfand? Das heißt, soweit man eine Matratze auf dem Fußboden
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in einem mit Umzugskartons voll gestopften Zimmer ein Bett nennen konnte. Layna starrte benommen an die Decke. Sie hatte es zugelassen. Sie war für ihre Taten selbst verantwortlich, auch dafür, dass sie sich hatte verführen lassen. Sie war eine willige Partnerin gewesen und hatte für die gegenwärtige Situation niemand anders zu tadeln als sich selbst. Und was, zum Teufel, war ihre gegenwärtige Situation? Sie hatte keine wirkliche Erfahrung mit dieser Art von verantwortungslosem, spontanem und leichtsinnigem Verhalten. Sie war eine vernunftbetonte Frau mit einer genau durchdachten Lebensplanung. Diese Art Umweg konnte nur in einer Sackgasse enden. „Ich muss gehen.“ D.C. neben ihr stöhnte. „Baby, du bringst mich noch um.“ Jedes Mal, wenn sie behauptete, gehen zu müssen, fühlte er sich verpflichtet, ihr das Gegenteil zu beweisen. „Nein, ich meine es ernst.“ Sie stemmte die Hände gegen seine Brust, als er sich wieder über sie schieben wollte. „Das muss aufhören.“ „Sagen wir lieber, wir sollten eine kleine Verschnaufpause einlegen.“ Vergnügt küsste er ihre Nasenspitze. „Ich sterbe vor Hunger. Isst du gern chinesisch?“ „Ich sagte, dass ich gehen muss.“ „Gut, dann lass uns lieber Nudeln essen. Das gibt mehr Energie.“ Wie schaffte er es bloß, dass sie den Wunsch hatte, sich die Haare zu raufen und gleichzeitig zu lachen? „Du hörst mir nicht zu.“ „Layna.“ Er setzte sich auf und rollte die Schultern. So wohlig entspannt hatte er sich schon seit Wochen nicht mehr gefühlt. „Wir wissen jetzt beide, wie gut wir uns im Bett verstehen. Und auf dem Fußboden. Und unter der Dusche. Wenn du jetzt gehst, werden wir uns spätestens in einer Stunde wünschen, dass du wieder hier wärst. Deshalb lass uns jetzt einfach etwas essen.“ Weil die Laken irgendwo auf dem Boden lagen, langte sie nach einem Kissen und hielt es sich vor die Brust, als sie sich aufrichtete. „Das wird nicht noch einmal passieren.“ „Sind Fettuccini mit Tomatensoße okay für dich?“ „Ja.“ „Gut.“ Er griff nach dem Telefon, wählte eine Nummer und gab seine Bestellung bei einem Italiener auf. „Es kommt ungefähr in
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einer halben Stunde“, sagte er dann zu ihr. „Ich habe in der Küche noch eine Flasche Merlot. Ich hoffe, du magst diesen Wein genauso wie ich.“ Er stieg aus dem Bett, schlüpfte in seine Jeans und verließ das Zimmer. Sie rührte sich eine volle Minute lang nicht. Du lässt es schon wieder laufen, dachte sie. Mit einem Seufzer stand sie auf und warf das Haar zurück. Also gut, dann würde sie ihm jetzt in die Küche folgen, zivilisiert mit ihm essen und über die Situation reden. Danach würde sie gehen und ihn nie wiedersehen.
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7. KAPITEL „Deine Wohnung ist der reinste Saustall.“ Layna saß in der Küche, nippte an ihrem Merlot und kostete von der Pasta. D.C. brummte nur, brach das Knoblauchbrot in zwei Hälften und reichte ihr eine davon. „Ich habe schon überlegt, mir eine Haushälterin zu nehmen, aber ich kann niemanden um mich vertragen, wenn ich arbeite.“ „Du brauchst keine Haushälterin, sondern musst dich erst einmal richtig einrichten. Wie lange wohnst du schon hier?“ „Zwei Monate.“ „Und deine Sachen sind immer noch in Umzugskartons.“ Er zuckte mit einer Schulter. „Früher oder später packe ich sie schon aus.“ „Aber wie kannst du in so einem Chaos leben? Wie kannst du hier arbeiten?“ Er grinste. „Meine Schwester sagt, es kommt davon, weil ich in meiner Kindheit eine ganze Weile strikte Regeln einhalten musste. Und im Weißen Haus gab es immer jemanden, der hinter einem herräumte.“ Sie hob eine schön geschwungene Augenbraue. „Glaubst du nicht, dass du diese rebellische Phase inzwischen überwunden haben solltest?“ „Offensichtlich nicht. Dir gefällt es, wenn alle Dinge immer an ihrem Platz sind, stimmt’s?“ „Bei mir waren die Dinge schon immer an ihrem Platz. Es erleichtert einem das Leben.“ „Leichter heißt nicht unbedingt befriedigender.“ „Ich denke, wir können festhalten, dass wir wenig bis gar nichts gemeinsam haben. Und deshalb ist… diese Situation ein Fehler.“ „Ein Liebespaar zu sein ist keine Situation, sondern eine Tatsache. Und nur weil du im Gegensatz zu mir ein ordnungsliebender Mensch bist, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht verrückt nach dir sein könnte.“ „Wir können aber unmöglich eine Beziehung haben.“ „Baby, wir haben bereits eine Beziehung.“ „Sex ist keine Beziehung.“ Mit trotzigem Gesicht wickelte sie sich Nudeln auf die Gabel. „Mir scheint, als hätten wir vorher auch schon so etwas Ähnli-
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ches wie eine Beziehung gehabt.“ „Nein.“ Das Gespräch wurde ihr unangenehm. „Ich will keine Beziehung, jedenfalls keine ernsthafte. Es gefällt mir nicht, was eine Beziehung mit Menschen macht.“ „So?“ Auch wenn seine Stimme recht freundlich klang, schaute er sie scharf an. „Was denn, zum Beispiel?“ „Die Menschen halten nicht zusammen. Weil sie es nicht können. Der eine betrügt, der andere sieht darüber hinweg.“ Sie zögerte, dann beschloss sie, dass die Situation Aufrichtigkeit verlangte. „Meine Familie hat kein Geschick für Beziehungen. Meine Eltern haben sich irgendwie arrangiert, und sie können beide mit diesem Arrangement leben, aber es ist nicht das, was ich mir für mein eigenes Leben wünsche. Die Drakes sind ziemlich… egoistisch“, entschied sie in Ermangelung eines besseren Ausdrucks. „Für eine ernsthafte Beziehung braucht es in meinen Augen ein gewisses Maß an Kompromissbereitschaft und Selbstlosigkeit.“ „Hattest du eine harte Kindheit?“ fragte er leise. „Nein, nein.“ Sie atmete heftig aus. Sie bewegte sich auf schlüpfrigem Boden. Es war nicht ganz einfach, einem anderen etwas erklären zu müssen, das man selbst nie ganz verstanden hatte. „Ich hatte eine sehr gute Kindheit – ein wundervolles Zuhause, die Möglichkeit, schon als Kind viel zu reisen, eine Menge Vorteile und eine erstklassige Erziehung.“ D.C. schüttelte den Kopf. Wenn ihm irgendwer dieselbe Frage gestellt hätte, wären diese Punkte die letzten gewesen, die er genannt hätte. Obwohl er im Rampenlicht der Öffentlichkeit aufgewachsen war, hatte er Liebe, Wärme, Zuneigung und Verständnis von seiner Familie erfahren. Diese Worte hatte er jedoch nicht von ihr gehört. „Haben sie dich geliebt? Deine Eltern, meine ich.“ „Natürlich.“ Obwohl sie sich oft dieselbe Frage gestellt hatte. Sie langte nach ihrem Weinglas, weil sich ihre Kehle plötzlich trocken anfühlte. „Wir sind nicht wie du, wie deine Familie. Wir haben nicht diese… Herzlichkeit und diese Ungezwungenheit, unsere Gefühle zu zeigen. Wir sind einfach anders. Ganz anders“, fügte sie hinzu. „Ich erinnere mich an Berichte aus dem Fernsehen von deiner Familie. Man konnte sogar dort sehen, wie nah ihr euch alle standet. Das ist bewundernswert, D.C, es ist schön. Aber es ist eine andere Welt als die, aus der ich komme.“ Später fragte sie sich, ob es der Wein gewesen war, der ihr die Zunge gelöst hatte, oder schlicht nur die Tatsache, dass er ihr auf-
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merksam zuhörte. „Meine Eltern sind mit ihrer Ehe zufrieden. Sie führen ihr Leben zusammen, aber dennoch jeder für sich. Und sie sind sehr diskret, was ihre Affären angeht. Die Drakes dulden keinen Skandal. Ich verstehe das und ziehe es deshalb vor, allen Verwicklungen aus dem Weg zu gehen, das musst du verstehen.“ Er überlegte, ob sie wusste, dass ihre Familie sie traurig machte, oder ob sie wirklich glaubte, dass das, was sie sagte, unvermeidlich war. „Dieser hier bist du nicht aus dem Weg gegangen.“ „Das ist genau das, was ich dir zu erklären versuche.“ Und bis jetzt nicht sehr erfolgreich, wie sie sich eingestehen musste. Nicht, solange sie in dieser lächerlich chaotischen Küche in seinem lächerlich abgerissenen Bademantel herumhockte. „Es ist dasselbe wie mit den Blumen“, fuhr sie fort. „Was für Blumen?“ „Die Stiefmütterchen. Ich habe sie ganz instinktiv fein säuberlich in Reih und Glied eingepflanzt. Einfach so.“ Sie benutzte ihre Hände, um es ihm zu demonstrieren. „Für mich war es nur logisch, es so zu machen. Doch du sahst das ganz anders. Du wolltest, dass ich ein bisschen mehr Schwung in die Sache bringe, und vielleicht hast du ja Recht. Vielleicht sieht es auf deine Art wirklich hübscher aus, fantasievoller. Aber ich komme eben besser klar, wenn ich alles nach Plan mache.“ Sie war plötzlich sehr ernst geworden, was bewirkte, dass er den Wunsch verspürte, sie möge sich auf seinen Schoß setzen und sich an ihn kuscheln. „Aber man kann seinen Plan immer ändern, wenn man sieht, dass es viel versprechender ist, eine andere Richtung einzuschlagen.“ „Ich vermeide es, meinen Plan zu ändern, weil ich dann auch viele Nachteile sehe. Mein Plan ist es, mich voll auf meine Karriere zu konzentrieren. Ich lebe gern allein. Ich bin gern ungebunden.“ „Ich auch. Aber ich bin auch gern mit dir zusammen. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum. Du bist nämlich überhaupt nicht mein Typ.“ „Wirklich?“ Ihre Stimme war kühl geworden. „Und was ist dein Typ?“ Er beobachtete sie belustigt, während er sich sein Essen schmecken ließ. „Du bist kultiviert, weltgewandt, beherrscht, hast eine eigene Meinung, mit einem Hang zum Snobismus und zur Unnahbarkeit.“ Er lächelte, als ihre Augen wütend aufblitzten. „Man könnte sagen, mein Typ ist genau das Gegenteil.“
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„Und du bist dominierend, schlampig, überheblich, mit einem Hang zum Irrationalen und Egoismus. Man könnte sagen, du bist genau das Gegenteil von meinem Typ.“ „Schön, dann hätten wir das ja geklärt.“ Unbeeindruckt hob er sein Glas und stieß an ihres an. „Aber ich begehre dich trotzdem. Ich mag dich sogar aus irgendeinem unerfindlichen Grund. Und ich weiß verdammt gut, dass ich nicht darum herumkomme, dich zu malen.“ „Wenn du glaubst, mir damit jetzt schmeicheln zu können, dann bist du auf dem Holzweg.“ „Ich wollte dir nicht schmeicheln. Komplimente hast du bestimmt schon tausendmal vorher gehört, und ich möchte meine Zeit nicht damit verschwenden. Aber ich könnte dir schmeicheln. Du bist eine schöne Frau, und diese unterschwellige Sexualität, die du ausstrahlst, hat etwas sehr Prickelndes. Nein, eher Brutales, jetzt, wo ich weiß, wie es ist, wenn du die Zügel schießen lässt. Wir beide sind ungebundene Erwachsene, die sich auf sehr elementare Weise voneinander angezogen fühlen. Und so handeln wir. Es muss nicht mehr und nicht weniger sein, es sei denn, wir wollten es.“ Sie sagte eine ganze Weile nichts. Sein Vorschlag war einleuchtend, und sie hätte nicht sagen können, warum dieser sie ein bisschen traurig machte. „Wenn wir beschließen sollten zusammenzubleiben, werden wir nicht umhin kommen, uns gewisse Beschränkungen aufzuerlegen.“ „Ich mag das Wort Beschränkungen nicht.“ Es ärgerte ihn, dass sie ausgerechnet jetzt davon sprach, wo sie ihm in dem uralten, verschlissenen Bademantel gegenübersaß, den ihm seine Mutter vor Urzeiten zu Weihnachten geschenkt hatte. Jetzt, wo der Duft nach Sex noch immer in der Luft hing und seine Sinne traktierte. „Aber gut. Solange wir miteinander schlafen, schlafen wir mit niemand anders.“ Die Schärfe seines Tonfalls veranlasste sie, die Augenbrauen zu heben. „Ich würde das keine Beschränkung nennen, sondern ein Gebot der Höflichkeit.“ „Nenn es, wie du willst. Außer mir fasst dich niemand an.“ „He, Moment mal.“ „Und wenn der große MacGregor dir Henry, den Banker, aufs Auge drückt, dann gibst du ihm auf der Stelle einen Tritt.“ „Ich kenne keinen Henry.“ Frustration stieg wieder in ihr auf. „Ich habe keine Ahnung, wie du auf die Idee kommst, dass mir dein Großvater einen Banker aufs Auge drücken könnte. Ich suche keine
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neue Bank.“ „Er will dir einen Ehemann aufs Auge drücken.“ Sie keuchte, langte nach ihrem Weinglas und trank hastig einen großen Schluck. „Wie bitte?“ Das wortlose Entsetzen, das sich auf ihrem Gesicht abmalte, erfüllte ihn mit grimmiger Genugtuung. „Ich war gerade dabei, es dir zu erklären, als wir abgelenkt wurden. Er hat dich aufs Korn genommen.“ „Henry?“ „Nein, um Himmels willen, du kennst Henry doch noch gar nicht, oder? Mein Großvater.“ Layna stellte ihr Weinglas ab und hob die Hände. „Ich verstehe jetzt gar nichts mehr. Dein Großvater ist ein glücklich verheirateter Mann in den Neunzigern.“ D.C. kniff die Augen zusammen. „Irgendwie scheinst du heute ein bisschen schwer von Begriff zu sein. Lass mich noch mal von vorn anfangen. Der große MacGregor mag dich… er hält dich für eine nette junge Frau, und das allein reicht ihm aus, um zu entscheiden, dass du einen netten jungen Mann an deiner Seite brauchst. Du sollst heiraten und Kinder kriegen. Das ist alles, woran dieser Mann denken kann. Ich sage es dir, er ist besessen.“ „Also, mir gegenüber hat er nie etwas Derartiges verlauten lassen. Er hat lediglich irgendwann erwähnt, dass deine Großmutter sich Sorgen macht, wann du endlich heiratest und eine Familie gründest.“ „Ha!“ Sie zuckte zusammen, als D.C. sein Glas auf den Tisch knallte und mit dem Finger auf sie zeigte. „Ha!“ rief er wieder. „Da hast du es. Meine Großmutter hat nichts damit zu tun. Das ist allein er. Er versucht ständig, uns seinen Willen aufzuzwingen. Und ehe man sich versieht, kauft man Windeln. Ich habe es schon mehr als einmal erlebt. Er pickt sich immer einen von uns heraus. Es ist wie ein Projekt, das er in Angriff nimmt. Dann legt er uns die perfekte Wahl vor die Füße und spielt den Unschuldigen. Meine Schwester und meine Cousinen sind ihm auf den Leim gegangen wie die Fliegen, aber das reicht ihm noch lange nicht. Solange noch einer von uns unverheiratet ist, wird er keine Ruhe geben. Der Mann kennt kein Erbarmen.“ Sie schwieg, bis er seine Tirade vom Stapel gelassen hatte. „Na schön, darüber will ich wirklich nicht mit dir streiten. Schließlich
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kennst du ihn besser als ich. Obwohl mir unverständlich ist, wie er intelligente Erwachsene dazu bringen kann, eine so weit reichende Verpflichtung wie eine Ehe einzugehen. Aber wie auch immer“, fuhr sie eilig fort, als sie sah, dass D.C. sie unterbrechen wollte, „ich habe jedenfalls nicht die Absicht zu heiraten. Nie. Deshalb hat das alles nichts mit mir zu tun.“ „Du irrst schon wieder, und genau deshalb wird er dich drankriegen.“ D.C. griff nach seiner Gabel und wog sie in der Hand, bevor er sie wieder in seinen Nudelberg stach. „Er hat angefangen, sich für dich zu interessieren, Layna. Ich finde es erleichternd, dass er seine Aufmerksamkeit von mir auf dich verlagert hat, aber es ist nur fair, dich zu warnen. Er wird sehr schlau vorgehen und so ganz nebenbei fallen lassen, dass er da diesen viel versprechenden jungen Mann kennt. Dann wird er einen Weg finden, dass ihr beide euch kennen lernt.“ „Und dieser viel versprechende junge Mann wird Henry sein.“ „Worauf du dich verlassen kannst. Deshalb solltest du dem alten Kuppler so schnell wie möglich sagen, dass du an irgendwelchen Henrys nicht interessiert bist.“ Sie konnte nicht widerstehen, ein verträumtes Lächeln aufzusetzen. „Ein Banker, sagst du? Ich frage mich, ob er Sinn für Ordnung hat. Hat dein Großvater gesagt, wie er aussieht?“ „Mach dich nur lustig. Mal sehen, ob du dich immer noch amüsierst, wenn du vor dem Altar stehst.“ „Ich bin mir sicher, dass ich diesen kleinen Anschlag parieren kann, glaub mir. Im Übrigen schmeichelt es mir, dass dein Großvater so an meiner Zukunft interessiert ist.“ „Das ist auch so ein Tick von ihm“, brummte D.C. Layna überlegte einen Moment, dann schob sie ihren Teller zur Seite und lehnte sich vor. „Und aus diesem Grund hast du dich aufgeführt wie ein Irrer, mich aus dem Haus deiner Eltern geschleppt und durch die Straßen getragen? Alles nur, weil dein Großvater sagte, dass er mich einem Banker vorstellen will? Das klingt in meinen Ohren verdächtig nach Eifersucht.“ „Eifersucht?“ Seine Augen blitzten auf. „Das ist also der Dank dafür, dass ich ein bisschen auf dich aufpasse. Beleidigungen.“ Sie stand auf und stellte ihren Teller auf die mit schmutzigem Geschirr randvolle Spüle. „Es ist nur eine Beobachtung.“ „Dann solltest du schleunigst zum Augenarzt gehen.“ „Wenn du meinst.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewe-
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gung. „Sag, hast du diesen Geschirrspüler eigentlich schon jemals benutzt?“ „Ich war nicht eifersüchtig. Ich war… besorgt.“ „Hmm.“ Sie öffnete den Geschirrspüler und stellte ihren Teller ordentlich hinein. „Wenn ich eifersüchtig gewesen wäre, hätte ich damit gedroht, Henry sämtliche Knochen zu brechen.“ „Ich verstehe.“ Da sie schon einmal dabei war, begann sie, die schmutzigen Tellerberge in die Spülmaschine einzuräumen. „Und danach hätte ich ihn nicht mehr aus den Augen gelassen.“ „Oh, wie aufregend. Bist du fertig mit Essen?“ fragte sie über die Schulter. Sie wusste, dass es albern war, aber sie kostete dennoch die wilde Erregung aus, die sie durchzuckte, als er plötzlich vom Tisch aufsprang, sie packte und zu sich herumdrehte. „Ich bin nicht eifersüchtig. Ich mag es nur nicht, wenn man mir dazwischenfunkt.“ „Na schön. Du drückst es eben so aus und ich so.“ Er schnaubte, beugte sich zu ihr hinab, und da sah er das herausfordernde Glitzern in ihren Augen. Seine Lippen verzogen sich, dann lachte er laut auf. „Zum Teufel damit“, brummte er, ehe er sie küsste. Und später, viel später, als D.C. neben Layna in der Dunkelheit lag, versuchte er sich immer noch einzureden, dass er nicht eifersüchtig war. Er versuchte einfach nur… zu beschützen, was ihm gehörte. Was vorübergehend ihm gehörte. Er war gern mit ihr zusammen, auch wenn sie ihn dazu verdonnert hatte, erst die Küche aufzuräumen, bevor sie bereit gewesen war, wieder mit ihm ins Bett zu gehen. Ihm gefielen diese kühlen, abschätzenden Blicke, die sie ihm während ihrer Unterhaltung zugeworfen hatte, ebenso wie die gierigen, wollüstigen, von denen ihr Liebesspiel begleitet gewesen war. Ihm gefiel ihre Stimme. Kühl, wenn sie sich über Kunst und Musik unterhielten, und heiser, wenn sie seinen Namen in der Dunkelheit flüsterte. Und ihn rührte dieses Mädchen, das sie einst gewesen war und das so wenig Zuneigung in seinem Leben erfahren hatte, ebenso, wie er es bedauerte. Sie habe viele Vorteile gehabt, hatte sie gesagt, aber in seinen Augen waren es nur sehr wenige. Und dieser Mangel an Geborgenheit und Liebe hatte sie dazu gebracht, den Gedanken an eine eigene Familie weit von sich zu weisen.
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Er fand das furchtbar traurig. Nicht, dass es ihm selbst mit alldem schrecklich eilig wäre. Aber eines Tages, wenn die Zeit reif war und die Frau richtig, würde er ganz gewiss eine Familie haben wollen, mit Kindern und einem Haus, in dem es kunterbunt und lärmend zuging. Es war ihm unbegreiflich, wie man sich so etwas nicht wünschen konnte. Und er glaubte, dass eine Frau, die mit einem verträumten Lächeln den Blick über Stiefmütterchen schweifen lassen konnte, in dieser Beziehung genauso dachte und fühlte wie er. Er sah sie noch immer in seinem alten Bademantel vor sich sitzen, die ausgefransten Ärmel hochgekrempelt, barfuß, aber das Haar ordentlich glatt gebürstet. Sah noch immer diesen ernsten Ausdruck in ihren Augen, als sie ihm erklärte, sie seien viel zu verschieden, als dass sich zwischen ihnen etwas entwickeln könnte. Jetzt lag sie zusammengerollt neben ihm und trug eines seiner TShirts, weil die Frühlingsnacht frisch war. Sie hatten immerhin eine Gemeinsamkeit entdeckt: Sie zogen es beide vor, bei offenem Fenster zu schlafen. Nein, ich bin nicht eifersüchtig, versicherte er sich wieder, während er behutsam den Arm um sie legte und sie noch näher an sich heranzog. Er genoss einfach nur ihre Gegenwart. Solange es dauerte.
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8. KAPITEL D.C. trat einen Schritt von dem Porträt zurück und war sprachlos über das, was er sah. Was seine Arbeit betraf, kannte er keine falsche Bescheidenheit. Genauer gesagt, hatte man ihm schon mehr als einmal vorgeworfen, dass er in Bezug auf seine Kunst oftmals ein geradezu ungehöriges Selbstbewusstsein an den Tag legte. Er malte, was er fühlte, was er sah, was er wusste oder was er wissen wollte. Es kam nur selten vor, dass er sich von einem fertig gestellten Gemälde voller Enttäuschung abwandte. Aber noch seltener kam es vor, dass er von etwas, das er mit seinen eigenen Händen und seinem Herzen erschaffen hatte, überwältigt wurde. Dieses Bild von Layna jedoch überwältigte ihn. Er hatte sich keine Skizze zur Vorlage genommen, sondern aus dem Gedächtnis gemalt, eine Momentaufnahme sozusagen, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatte und nicht weichen wollte, bis er sie auf die Leinwand brachte. Eigentlich hatte er beabsichtigt, wieder ein Aquarell zu malen, kühl in den Farben und zurückhaltend im Ton. So war sie schließlich. Es war ihr Stil. Ihr Typ. Und dann hatte er sich dabei ertappt, wie er die Leinwand präparierte, leuchtende Ölfarben und kühne Schattierungen auswählte und schwungvolle Striche pinselte. Er hatte sie im Bett sitzend gemalt. In ihrem Bett. Sie hatten inzwischen mehr als ein Dutzend Nächte miteinander verbracht, manchmal bei ihr und manchmal bei ihm und meistens in einem Zustand rasender Leidenschaft, die sie beide immer wieder in Erstaunen versetzte. Jetzt schaute sie ihn unter schweren Lidern an, den Mund im Bewusstsein ihrer Weiblichkeit leicht verzogen. Das Haar fiel ihr glatt und glänzend über den Rücken. Er erinnerte sich, wie sie in dem Bemühen, es zu glätten, mit den Fingern hindurchgefahren war – eine Eigenart von ihr –, während sie sich in dem zerwühlten Bett aufgesetzt und ihm das Gesicht zugewandt hatte. Warum dieser kurze Moment so hartnäckig in seiner Erinnerung weiterlebte, vermochte er nicht zu sagen. Diese leichte Drehung des Kopfes, dieser Anflug eines Lächelns, die Art, wie das Licht der
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Nachttischlampe auf ihre Schulter fiel. Und dann hatte sie sich einen Arm über die Brust gelegt, weniger aus Scham, sondern mehr aus Gewohnheit. Dieser kurze, intime Augenblick hatte sich ihm tief eingeprägt und ihn befähigt, etwas auf die Leinwand zu bringen, das er bis dahin nicht für möglich gehalten hätte. Es lebte. Es kannte ihn, und wenn er es anschaute, erwiderte es seinen Blick. „Wer, zum Teufel, bist du?“ murmelte er, erschüttert darüber, dass er geglaubt hatte, es zu wissen, sich aber dessen jetzt plötzlich nicht mehr sicher war. Mit einem Gefühl, das fast an Wut grenzte, warf er seinen Pinsel weg und ging mit langen Schritten zum Fenster. Wann hatte sie angefangen, ihm derart unter die Haut zu gehen? Wie hatte er das zulassen können? Und was, zum Teufel, gedachte er dagegen zu tun, dass er sich in eine Frau verliebt hatte, von der er sich nicht einmal ganz sicher war, ob sie überhaupt existierte? Wie viel von dem, was er da gemalt hatte, war Layna wirklich, und wie viel war reines Wunschdenken? Er war sich nicht ganz sicher, was er sich wünschte, aber er wusste, dass es nicht einfach nur ihr Körper war. Das war es nie gewesen, wie groß auch immer sein Verlangen nach ihr sein mochte. Sie war bereits ein Teil seines Lebens und er ein Teil des ihren, obwohl keiner von ihnen beiden es zugeben wollte. Sie hatte ihn dazu gebracht, endlich seine Umzugskartons auszupacken. Er hatte ihr eine Steige Löwenmäulchen gekauft und sie gedrängt, sie wahllos entlang ihrer Terrassenbegrenzung einzupflanzen. Dann hatten sie sich im schwindenden Licht der hereinbrechenden Dämmerung hingesetzt und das Ergebnis bewundert. Er hatte sich ein Bett gekauft, ein richtiges, und hatte sich von ihr überreden lassen, sich mit einem geschwungenen Kopfteil anzufreunden, obwohl er der Ansicht gewesen war, dass dieser zu feminin wirke. Sie waren in der Oper gewesen, auf einem Straßenfest, bei einem Baseballspiel und im Ballett. Aus irgendeinem Grund schien dieser Stil- und Geschmacksmix die perfekte Mischung zu sein. Unmöglich, dachte er. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, und sie war nicht die richtige Frau. Plötzlich sah er sie, wie sie mit beschwingten Schritten die Straße entlangkam. Sie musste sich nach der Arbeit umgezogen haben, denn im Geschäft trug sie gewöhnlich ein elegantes, klassisch geschnitte-
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nes Kostüm, nun jedoch eine schmale beigefarbene Hose und eine Bluse in der Farbe reifer Limonen. In der Hand hielt sie eine riesige Einkaufstüte, auf der das Drake-Logo prangte. Belustigt beobachtete er, wie sie gewissenhaft erst nach links und dann nach rechts schaute, bevor sie die Straße überquerte. Auch wenn er sich einzureden versuchte, dass er jetzt lieber allein sein wollte, öffnete er das Fenster und lehnte sich hinaus. Das Geräusch veranlasste sie, stehen zu bleiben und nach oben zu schauen. Sie hob eine Hand, um ihre Augen gegen die Sonne abzuschirmen, und obwohl sie wusste, dass es lächerlich war, durchzuckte sie bei seinem Anblick ein freudiger Schreck. Seine Schultern füllten die Fensteröffnung fast ganz aus. „Hallo.“ Sie lächelte und gab sich alle Mühe, sich nicht unter seinem Blick zu winden, so intensiv schaute er auf sie herab. „Arbeitest du noch?“ Er zögerte, weil er wusste, dass sie, wenn er ihre Frage bejahte, auf dem Absatz kehrt machen würde. Sie liefen sich während ihrer Arbeitsstunden nicht gegenseitig vor den Füßen herum. „Nein, komm rauf.“ Sie hatte einen eigenen Schlüssel. Das war noch etwas, das sich einfach so eingeschlichen hatte, ohne dass einer von ihnen es geplant hätte. Wie aus einem Traum erwachend, fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht und ging zur Tür. Er trat genau in dem Moment aus der Wohnung, in dem sie oben ankam. Dann standen sie sich gegenüber und schauten sich an. Gott, wie ich diese Frau begehre, war alles, was er denken konnte. Wann hörte das bloß endlich auf? „Schön, dass du zu Hause bist“, sagte sie, als er keine Anstalten machte, sie hereinzubitten, und wechselte die Tüte in die andere Hand, weil ihre Handflächen plötzlich feucht geworden waren. „Ich wollte das hier nur schnell vorbeibringen.“ Sie lächelte. „Was ist es denn?“ „Ein neuer Bettüberwurf.“ Sie hatte Mühe, ihr Lächeln beizubehalten, da ihr auf einmal Zweifel kamen. „Sehr schlicht und männlich genug, keine Angst.“ Er schien nicht gerade begeistert, denn er hob die Augenbrauen. Sie hatte es bereits übernommen, Ordnung in seine Wohnung zu bringen. Es störte ihn nicht. Es machte ihm nichts aus, in einer aufgeräumten Umgebung zu leben, solange man nicht von ihm verlangte, dass er selbst für Ordnung sorgte und womöglich sein Heim noch
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mit Decken schmückte. „Das ist sehr nett von dir.“ „Er war heruntergesetzt“, sagte sie, plötzlich steif. „Wenn er dir nicht gefällt, kannst du ja Putzlappen daraus machen. Auf jeden Fall ist er besser als der Fetzen, den du jetzt hast… obwohl du ja ohnehin nie das Bett machst.“ Sie drückte ihm die Tüte in die Hand. „Nichts zu danken.“ „Ich habe dir doch noch gar nicht gedankt. Ich wollte es gerade, aber du warst zu beschäftigt damit, mir die Leviten zu lesen.“ „Ich habe dir nicht die Leviten gelesen, es war nur eine Feststellung.“ Er ließ die Tüte fallen und packte sie am Arm, bevor sie sich umdrehen und die Treppe wieder hinunterlaufen konnte. „Wohin willst du?“ „Nach Hause. Und wenn ich das nächste Mal den spontanen Drang verspüre, dir eine Freude zu machen, werde ich widerstehen.“ „Niemand hat dich darum gebeten, mir Bettwäsche zu kaufen oder mein Geschirr zu spülen oder mir Obst vom Markt mitzubringen.“ Wut und Beschämung fochten einen erbitterten Kampf in ihr. Die Wut siegte. „Der Punkt geht an dich“, sagte sie mit eisiger Ruhe. „Und ich bin sicher, dass ich so etwas nicht noch einmal tun werde. Oder bei dir reinschneie, ohne mich vorher angemeldet zu haben, da ich offensichtlich nicht willkommen bin, es sei denn, du bist scharf darauf, mit mir ins Bett zu gehen.“ Seine Augen flammten auf. Der Zorn überfiel ihn so unvermittelt und heftig, dass er vorsichtshalber einen Schritt zurücktrat. „Es geht jetzt nicht um Sex.“ Und da er sich selbst nicht mehr traute, drehte er sich um und marschierte geradewegs in sein Atelier. „Ach nein?“ Sie folgte ihm. Ihr Schmerz und ihre Wut waren heftig und trieben sie vorwärts in einen Bereich seines Lebens, der ihr bis dahin verschlossen geblieben war. „Um was denn dann?“ fragte sie und betrat hinter ihm sein Atelier. „Ich weiß nicht.“ Als sie plötzlich stehen blieb, ging er kampfbereit um sie herum, bis er sah, dass sie wie gebannt auf ihr Porträt schaute – das Aquarell, das er zuerst von ihr gemalt hatte. „Ich weiß es nicht“, wiederholte er aufseufzend und trat wieder ans Fenster. „Du bist in eine Stimmung hineingeplatzt, Layna.“ Um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, stützte er sich mit den Händen aufs Fensterbrett und lehnte sich weit hinaus. „Ich habe eine Menge von diesen Stimmungen.“
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Und diese hier ist unversehens von Gereiztheit in Unglücklichsein umgeschlagen, dachte sie. Sie gab der Versuchung nicht nach, einzulenken. Es war weder ihre Aufgabe, ihn zu trösten, noch seine Launen zu ertragen. Sie sagte sich, dass sie lieber gehen und die letzten Wochen als Lebenserfahrung verbuchen sollte. Doch stattdessen drehte sie sich langsam um die eigene Achse und sah sich nun erwartungsvoll in dem Atelier um. Er war hier überall. Angefangen von den Leinwänden, die auf Staffeleien standen oder an den Wänden lehnten, bis hin zu dem absurden Chaos von Farbtuben, Pinseln und Gläsern. Es roch durchdringend nach Terpentin und frischen Farben, fremd und vertraut zugleich. Dazwischen hing sein eigener männlich herber Duft nach Juchtenseife. Es war ein großer Raum, von Licht durchflutet. Sie schaute auf die Bilder, bunte, kraftvolle Pinselstriche hier, kontrastierende Farben und Strukturen dort. Ein Bild düster, ein anderes leuchtend und überschäumend vor Lebenslust. Sie verstand die Gemälde nicht wirklich, aber sie lösten Gefühle in ihr aus. Und diese waren vermutlich eine exakte Widerspiegelung ihrer Reaktion auf den Künstler. „Stimmungen, ja, ich sehe.“ Sie schlenderte zu einer Staffelei. „Du hast wirklich eine Menge davon. Ich nehme an, sie machen dich zu dem, was du bist.“ Er drehte sich zu ihr um. „Und du, stabil und ausgeglichen. Das macht dich zu dem, was du bist. Was, zum Teufel, tust du dann hier, Layna?“ Diese Frage war zu erwarten gewesen, dachte sie, während sie ein Bild anstarrte, ohne es wirklich zu sehen. Es war zu erwarten gewesen, dass er irgendwann zu dieser Folgerung kommen würde. „Das habe ich mich auch schon oft gefragt.“ Sie zuckte eine Schulter, entschlossen, Vernunft walten zu lassen. „Es ist wohl so, wie wir von Anfang an vermutet hatten. Eine elementare Anziehungskraft. Rein körperlich.“ „Ist es das?“ „Das ist es.“ Sie deutete auf das Gemälde, das er nur Stunden, bevor sie in sein Leben getreten war, fertig gestellt hatte. „Das da ist alles Gefühl und Leidenschaft. Es ist roh und gefährlich, und der Anblick flößt einem leichtes Unbehagen ein.“ „Das Bild heißt Dringlichkeit“, murmelte er.
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„Ja. Dringlichkeiten treffen aufeinander, und sie können sich ändern.“ „Auch wenn es einem nicht unbedingt in den Kram passt. Komm her.“ Er streckte die Hand nach ihr aus. „Und sag mir, was du siehst.“ Sie ging quer durch den Raum zu ihm hin, nahm aber seine angebotene Hand nicht. Wenn dies das Ende sein sollte, würde es ein Fehler sein, ihn zu berühren, dessen war sie sich sicher, obwohl der Schmerz in ihrem Herzen wie Feuer brannte. „Sag mir, was du siehst“, wiederholte er, und weil sie sich weigerte, seine Hand zu nehmen, ergriff er ihre Schulter, um sie zu dem Gemälde und sich selbst umzudrehen. Ihre erste Reaktion war, ihren Arm zu heben und sich diesen nahezu spiegelbildlich zu dem Gemälde über die Brust zu legen. Ihr Herz kam ins Stolpern, ihr Hals schnürte sich zu. „Es ist anders geworden, als ich mir vorgestellt hatte“, sagte er schnell. „Oder was ich sah. Oder fühlte. Ich hatte es gerade beendet und schaute aus dem Fenster. Da kamst du.“ „Du… du hast mich schön gemalt.“ „Du bist schön.“ Es ist zu… intim, dachte sie mit einem Anflug von Panik. Die Frau auf dem Bild hatte keinen Schutzschild, keine Maske. Und die Frau, die er gemalt hatte, wusste Dinge, die sie, Layna, nicht wusste. „So bin ich nicht.“ „Es ist so, wie ich dich in diesem Moment sah. Voller Kraft und Lebensfreude. Es ist nicht das, was ich malen wollte“, sagte er wieder. „Es ist das, was aus mir herauskam.“ Er berührte ihre Wange, dann ließ er seine Finger nach unten gleiten und umfasste ihr Kinn. Hob es leicht an. „Es hat mir den Atem verschlagen. Warum haben wir uns nicht schon längst satt, Layna? Warum kann ich nicht genug von dir bekommen und wieder zur Tagesordnung übergehen?“ „War das dein Plan?“ „Verdammt richtig. Er hat aber nicht funktioniert. Du fängst langsam an, mich zu beunruhigen“, murmelte er, während sich sein Mund auf ihren senkte. Sanft, weich, kaum der Hauch eines Kusses, dennoch erschütterte er sie zutiefst. „Wir sollten uns eine kleine Verschnaufpause gönnen.“ „Da hast du Recht.“ Er legte ihr die andere Hand auf die Wange. „Wir sehen uns seit Wochen ständig.“ Sie lehnte sich an ihn und umarmte seine Taille. „Wir sollten einen Schritt zurücktreten und
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eine Bestandsaufnahme machen.“ „Leuchtet ein.“ Sie seufzte und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Es ist nicht das, was ich will.“ „Ich auch nicht.“ „Ich wollte mich nicht in dich verlieben, D.C. Ich bin auf dich nicht vorbereitet. Es würde in einer Katastrophe enden.“ „Ich weiß.“ Mit geschlossenen Augen rieb er seine Wange an ihrem Haar. „Wie nah bist du?“ „Schrecklich nah.“ „Ich auch.“ „Oh Gott. Wir dürfen das nicht zulassen. Es wird alles kaputtmachen, gerade wo…“ Und dann lag sein Mund auch schon wieder auf ihrem, lähmte ihren Verstand, und ihre Gefühle schossen an die Oberfläche, wo sie ihnen nicht mehr entfliehen konnte. „Bleib einfach bei mir, Layna.“ Er nahm sie auf die Arme, trug sie hinüber ins Schlafzimmer und legte sich mit ihr auf das Bett, das sie zusammen ausgesucht hatten. Diesmal war ihre Liebe keine wilde Achterbahnfahrt, sondern ein sanftes, verträumtes Dahingleiten. Es gab keine Ausbrüche heißer Leidenschaft, dafür aber jede Menge Wärme, die ihr direkt ins Herz ging. Behutsam, fast andächtig streichelte er sie, während die Strahlen der Nachmittagssonne durch das offene Fenster fielen. Und machte damit jede Hoffnung auf Widerstand zunichte. Das Vergnügen war still, natürlich wie das Atmen, sanft wie der Wind, der über ihre Körper strich, während er sie auszog. Sie streckte die Arme nach ihm aus, wollte mehr von diesen langsam in alle Poren kriechenden Empfindungen und bekam sie auch, als sie ihn an sich drückte, ihm den Mund entgegenhob und öffnete. Sein Körper war ihr mittlerweile vertraut – die harten Muskeln, die großen Hände, die breiten, starken Schultern. Aber die Art, wie sich seine Hände über ihren Körper bewegten, war anders als sonst und bewirkte, dass ihr Puls träge und langsam schlug. Und für ihn war es mehr, als er sich je erträumt hatte – diese selbstvergessene Hingabe, dieses kaum hörbare Seufzen, dieses anhaltende Erschauern. Er beobachtete ihr Gesicht im Sonnenlicht, während er sie mit seinen Liebkosungen langsam dem Höhepunkt
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entgegentrieb. Kurz vor dem Gipfel ihrer Lust glitt er in sie hinein, erstaunt über die Sehnsucht, ihr alles zu geben, und über das Glück, das er empfand, als sich diese meergrünen Augen verschleierten, dunkler wurden und sie seinen Namen flüsterte. Er beobachtete sie, beobachtete, bis sein Blick sich trübte, dann presste er seinen Mund auf ihren, während sein Herz und sein Körper zersprangen. Es ist nicht die Antwort, sagte sie sich und konnte sich gerade noch davon abhalten, ihrem Instinkt zu folgen und sich an ihn zu schmiegen. Wenn sie diese Gefühle zuließ, würde sie verlieren. Wenn sie sich jetzt nicht weit genug zurückzog, um nachzudenken, zu planen und sich daran zu erinnern, was sie wollte, würde sie einen Fehler machen, der nicht wieder korrigiert werden konnte. Sie stand auf und begann sich anzuziehen. D.C. sah ihr dabei zu, mit noch immer verschwommenem Blick. „Was tust du?“ Sie zögerte nur kurz, dann nestelte sie wieder an ihren Knöpfen. „Ich gehe nach Hause. Wir müssen beide nachdenken.“ „Layna, bleib.“ „Nein, es würde die Unklarheiten nur noch vergrößern. Das geht mir alles zu schnell.“ Er stand ebenfalls auf und zog seine Jeans an. „Du bedeutest mir etwas.“ Ihr Herz machte einen Satz vor Freude, doch in ihren Augen schimmerten Tränen. „Ich weiß. Ich denke… Aber genau das ist es ja“, sagte sie mit aufsteigender Panik. „Ich kann nicht mehr denken. Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen. Vielleicht haben wir uns ja hoffnungslos in unsere Gefühle verstrickt, dabei wollten wir nur eine Affäre.“ „Bestimmt ist es so.“ Er schob die Hände in die Taschen, weil er befürchtete, er könnte sie wieder an sich ziehen, und das würde nichts lösen, außer dass sein neu erwachtes Be gehren möglicherweise gestillt wurde. „Ist das nicht das Problem?“ „Ich weiß nicht, was das Problem ist.“ Und das machte ihr am meisten Angst, wie sie jetzt erkannte. Wenn sie ihn anschaute, vergaß sie Dinge… wie ihre Pläne, ihre gut durchdachten, vernünftigen Pläne. „Auf jeden Fall müssen wir uns beide dringend ein paar Gedanken machen, bevor diese… Situation noch komplizierter wird. Wir müssen uns ein paar Tage aus dem Weg gehen und uns abküh-
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len.“ Er lehnte sich gegen die Wand und zog die Augenbrauen hoch. „Und was ist, wenn wir uns nicht abkühlen?“ „Das sehen wir dann.“ „Ich will dich, Layna.“ „Ich weiß.“ Ihr Puls schlug schneller. „Das ist ja das Problem.“ „Es muss aber kein Problem sein. Seit wann ist Begehren ein Problem?“ „Für mich schon. Ich muss gehen. Ich muss nachdenken.“ Sie war schon fast an der Tür, als er ihren Namen rief, nur ihren Namen, und sie blieb ruckartig stehen. Doch sie drehte sich nicht um, wagte es nicht. Und dann rannte sie mit einem Kopfschütteln aus der Wohnung und die Treppen hinunter. Einen Moment dachte er daran, ihr hinterherzulaufen. Er könnte sie einholen, bevor sie unten auf der Straße war. Er könnte versuchen, sie zu überreden, wieder mit ihm nach oben zu gehen, sie nötigenfalls unter Anwendung von Gewalt nach oben bringen. Und dann würde er wieder mit ihr ins Bett gehen. Im Bett hatten sie keine Probleme. Und was dann? Fluchend löste er sich von der Wand und durchquerte den Raum. Er vermied es, aus dem Fenster zu schauen. Er wollte sie nicht noch einmal sehen. Stattdessen ging er in sein Atelier hinüber und betrachtete aufmerksam zwei Gemälde - Layna und Dringlichkeit – und fragte sich, wie diese beiden plötzlich eins für ihn hatten werden können.
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9. KAPITEL Sie ging nicht nach Hause. Es war seltsam, dass sie im Augenblick nirgends weniger sein wollte als daheim, obwohl sie sich dort bisher immer so wohl gefühlt hatte. Verflixt, sie war allein glücklich gewesen, ihr Leben und ihre Arbeit hatten ihr Spaß gemacht. Ihr Ehrgeiz war nur auf ein einziges Ziel gerichtet gewesen. Sie wollte aus „Drake’s Washington“ einen Kaufpalast machen und den hervorragenden Ruf der mondänen Ladenkette festigen. Und indem sie das tat, würde sie auch ihren eigenen Ruf festigen. Sie würde nicht einfach nur irgendeine Drake sein, auch nicht nur die Tochter, sondern Layna Drake in eigener Verantwortung, eine kluge Geschäftsfrau mit einem guten Blick für Mode. Sie reiste gern. Mailand, Paris, London. Sie liebte es, die großen Modenschauen zu besuchen, neue Kollektionen zusammenzustellen und neue Designer zu entdecken. Und sie machte ihre Sache gut. Während der letzten Jahre hatte sie ihre Fachkenntnisse ausgebaut, ihren eigenen Stil entwickelt und gelernt, wie man ein Geschäft führen musste. Im Geschäftsleben fand sie sich zurecht. Bei Menschen weniger. Tief aufseufzend verlangsamte sie ihre Schritte. Woher sollte sie wissen, ob sie verliebt war? Sie war vorher noch nie mit so etwas konfrontiert gewesen. Die Männer, denen sie bisher Zutritt zu ihrem Leben gewährt hatte, waren umgänglich, unkompliziert und… sicher gewesen, wie sie sich jetzt eingestehen musste. Nicht bei einem Einzigen von ihnen war sie je in Versuchung geraten, ihre Richtung zu ändern, Kompromisse einzugehen, ihre Pläne über den Haufen zu werfen. Und nicht einer von ihnen hatte ihr Herz berührt. Es ist besser so, versicherte sie sich selbst. Oh Gott, sie wollte nicht so eine Ehe führen wie ihre Eltern. Nein, sie wollte überhaupt keine Ehe führen, war das nicht der Punkt? Natürlich ist er das, entschied sie und holte tief Luft. Genau das war der Punkt. Alles, was sie jetzt tun musste, war, sich von ihm fern zu halten und ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Und dann würde sie automatisch zu dem gewohnten Leben zurückkehren. Sie würde sich freinehmen und ein paar Tage wegfahren. Egal,
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wohin. Irgendwohin, dachte sie, während sie endlich den Heimweg einschlug. Warum, zum Teufel, hatte das Schicksal es so eingerichtet, dass sie nur ein paar Häuserblocks von ihm entfernt wohnte? „Ah, da bist du ja!“ Layna hob ruckartig den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln, als sie Myra auf sich zukommen sah. Mit schnellen Schritten ging sie ihr entgegen und küsste sie auf die Wange, als sie bei ihr angelangt war. „Ich habe gerade meinen Abendspaziergang gemacht“, begann Myra, „und dachte mir, ich könnte mal kurz bei dir reinschauen.“ Sie neigte leicht den Kopf. Ihr forschender Blick suchte Laynas Gesicht ab und registrierte die blassen Wangen und die traurigen Augen. „Oh, Liebling, was ist denn los?“ „Nichts. Ich weiß nicht. Nichts“, wiederholte sie, diesmal entschlossener. „Komm mit rein. Ich mache uns einen Tee.“ „Das wäre schön.“ Myra hängte sich für die paar Schritte bis zum Haus bei Layna ein. „Und unterdessen erzählst du mir, was dich so unglücklich macht. Oder sollte ich fragen, wer?“ „Ich bin nicht unglücklich. Ich habe nur eine Menge um die Ohren.“ Layna schloss die Tür auf. „Mach es dir im Salon bequem, ich setze nur schnell Teewasser auf.“ „Kommt gar nicht in Frage. Ich leiste dir beim Teemachen Gesellschaft. Es ist gemütlicher so.“ Und es wird Layna weniger Gelegenheit geben, sich gegen meine Fragen zu wappnen, dachte sie. „Hast du auch gerade einen Spaziergang gemacht?“ „Nein. Na ja… ja, es hat sich zufälligerweise so ergeben.“ In der Küche setzte Layna Teewasser auf, dann nahm sie ihre kostbare Teekanne aus Dresdner Porzellan aus dem Schrank. Sie spülte sie erst mit heißem Wasser aus, genau wie man es ihr beigebracht hatte, dann maß sie sorgfältig Earl Grey ab. „Es ist ein herrlicher Abend zum Spazierengehen.“ „Das ist es wirklich“, stimmte Myra zu. „Nicht mehr lange und wir verschmachten in dem üblichen Washingtoner Sommer. Aber der Mai ist ein milder Monat. Romantisch. Richtig geschaffen für eine Romanze. Hast du eine, Layna?“ „Ich will keine Romanze.“ Layna beschäftigte sich, indem sie Tassen herausnahm und Sahne in ein Sahnekännchen goss. „Aber warum denn nicht?“ „Ich bin für so etwas nicht geschaffen. Die Drakes haben keine
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Romanzen. Sie machen Geschäfte.“ „Wie lächerlich.“ „Warum?“ Plötzlich verärgert, fuhr Layna herum. „Du kennst meine Eltern, du kennst meine Großeltern. Willst du mir allen Ernstes und guten Gewissens erzählen, dass sie romantische Liebesehen führen?“ „Nein.“ Myra seufzte und lehnte sich in der hübsch eingerichteten Frühstücksecke in die Polster zurück. „Nein, das kann ich nicht. Deine Mutter ‘war in dieser Hinsicht für mich eine Enttäuschung. Sie heiratete deinen Vater, weil sie fand, dass er gut zu ihr passte. Ihre beiden Lebensstile ließen sich bestens miteinander vereinbaren, und sie wusste, dass es ihr Spaß machen würde, Mrs. Drake zu sein. Ich will sie dafür nicht kritisieren“, fuhr Myra fort. „Sie hat bekommen, was sie wollte, und führt ein Leben, das sie zufrieden stellt. Und sie hat dich auf die Welt gebracht.“ „Ich kritisiere sie ja auch nicht“, entgegnete Layna müde. „Ich möchte nur nicht das, was sie hat. Ich bin gern allein. Es gefällt mir, für mein Leben selbst verantwortlich zu sein.“ Sie drehte sich wieder zu der Anrichte um. „Ehe und Kinder gehören nicht zu meiner Lebensplanung. Ich mag mein Leben so, wie es ist.“ „Und warum bist du dann unglücklich?“ „Ich bin nur durcheinander. Ganz sicher gibt es sich wieder.“ „Bist du etwa verliebt?“ „Ich verstehe nichts von Liebe, Tante Myra.“ „Was gibt es denn da zu verstehen? Sich zu verlieben hat nichts mit dem Verstand zu tun, sondern mit Gefühlen. Es passiert einfach. Und wenn es passiert, fühlt man es.“ „Ich will es nicht fühlen.“ Die in ihr aufsteigende Panik zwang Layna, die Stimme zu heben. Doch ihre Hände zitterten nicht, als sie die Teekanne zum Tisch trug. „Es macht dir Angst?“ „Wie sollte es das nicht? Glaubst du vielleicht, meine Mutter fühlt so etwas wie Liebe, wenn sie eine Affäre mit ihrem Tennislehrer hat? Oder mein Vater, wenn er mit seiner Sekretärin auf eine Pseudogeschäftsreise geht?“ Myra blies die Backen auf. „Dann weißt du also Bescheid?“ „Natürlich weiß ich Bescheid. Über die beiden und noch viele andere. Kinder sind nicht annähernd so dumm, wie Erwachsene gern glauben möchten. Ich habe einfach keine Lust zu heiraten, nur um zu hintergehen oder hintergangen zu werden.“
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„Nicht alle Ehen sind so, Liebling. Herbert und ich waren über fünfzig Jahre sehr glücklich miteinander. Ich denke immer noch an ihn. Vermisse ihn jeden Tag.“ „Ich weiß.“ Gerührt streckte Layna die Hand aus und legte sie auf Myras Hand. „Aber du bist die Ausnahme, nicht die Regel. Ich sehe es doch ständig auf meinen Geschäftsreisen, diese kleinen heimlichen Affären und Betrügereien. Oder ich sehe, wie eine intelligente Frau ihre Richtung verliert und den Sinn dafür, was sie wert ist, nur weil sie sich in einen Hornochsen verliebt hat. Es klappt einfach zu selten.“ „Die Angst, Fehler zu machen, blockiert jede Hoffnung auf Erfolg.“ „Vorsicht und eine praktische Veranlagung sind ein Garant für Erfolg.“ „Oh.“ Myra winkte verärgert ab. „Du bist zu jung, um dich so vor dem Leben zu verschließen.“ „Ich bin alt genug, um meine Grenzen zu erkennen.“ Layna musste über das grimmige Gesicht ihrer Patentante lächeln. „Und um praktisch zu denken. Ich nehme mir ein paar Tage frei und verschaffe mir ein bisschen Abwechslung. Und wenn ich zurückkomme, ist dem beteiligten Mann, wie auch mir, inzwischen klar geworden, dass wir aus der Situation alles herausgeholt haben, ‘was sich herausholen lässt.“ Das werden wir ja sehen, dachte Myra und schmunzelte in ihren Tee. „Na, das trifft sich vielleicht gut. Ich bin nämlich gekommen, um dich zu fragen, ob du ein paar Tage Zeit hast. Ich würde gern ein bisschen in den Norden fahren, aber allein traue ich mir das wirklich nicht mehr zu.“ Was natürlich eine Lüge war. Myra Ditmeyer verreiste allein, wenn ihr der Sinn danach stand, und sie verreiste oft. „Eigentlich hatte ich vor…“ „Du weißt, wie ich es hasse, anderen zur Last zu fallen, aber wo du schon ohnehin verreisen willst…“ Myra lächelte gequält und gab sich redlich Mühe, zerbrechlich zu wirken. „Ich finde mich auf den Flughäfen einfach nicht mehr zurecht. Und dann musste ich mir auch noch ein Auto und einen Fahrer mieten. Wenn man jung ist, ist alles so einfach.“ Sie seufzte schwer. „Natürlich begleite ich dich. Ich nehme mir gleich morgen frei und bereite alles vor. Wenn du willst, können wir übermorgen losfahren.“
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„Du bist wirklich schrecklich lieb zu mir. Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich anfangen würde. Oh, und es wird dir Spaß machen, ein paar Tage in Hyannis Port zu verbringen. Daniel und Anna werden sich freuen, dich wiederzusehen.“ „Bei den MacGregors?“ Layna musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sich nicht an ihrem Tee zu verschlucken. „Oh, Tante Myra, ich will ihnen wirklich nicht zur Last fallen.“ „Unsinn. Sie werden ganz aus dem Häuschen sein vor Freude, dich ein paar Tage bei sich zu haben. Ich kümmere mich dann also gleich um die Flugtickets.“ Sie konnte sich gerade noch davon abhalten, freudig erregt aufzuspringen. „Telefonieren kann ich ja zum Glück immer noch. Ich freue mich ja so, dass du mitkommst, Liebling. In meinem Alter weiß man nie, wie viel Zeit einem noch für seine Freunde und Angehörigen bleibt.“ Sie tätschelte Laynas Hand und stützte sich beim Aufstehen schwer auf dem Tisch ab. „Mach dir keine Mühe, ich finde allein hinaus.“ Sie ging langsam, bis sie aus dem Haus und außer Sichtweite war, dann beschleunigte sie ihre Schritte. Auf ihrem Gesicht lag ein entschlossenes Lächeln, ihre Augen funkelten herausfordernd. Vierundzwanzig Stunden Vorbereitungszeit, dachte sie. Mehr als Zeit genug, um Daniel anzurufen und ihn davon zu überzeugen, dass jetzt er wieder am Zug war. Daniel spähte aus dem Fenster seines Büroturms und machte ein finsteres Gesicht. Wo, zum Teufel, blieben sie eigentlich so lange? Er hatte nur ein paar Tage Zeit, um diese Angelegenheit unter Dach und Fach zu bringen, und er konnte nicht eher anfangen, bevor die ersten Spieler auf dem Spielfeld erschienen. Oh ja, es würde klappen, daran gab es überhaupt keinen Zweifel. Vor allem jetzt, nachdem sein Enkel Duncan überraschend auf einen Kurzbesuch gekommen war. Gott segne den Jungen. Er war genau der Hammer, den er brauchte, um D.C. festzunageln. Das Schicksal war seinem Plan hold. Und warum auch nicht? Es war ein guter, liebevoll ausgetüftelter Plan. Aber nicht, dass er auch nur den kleinsten Dank dafür erwartete. Wenn alles gut ging, würde er sich nur stillvergnügt ins Fäustchen lachen und kein Wort davon verlauten lassen, welche Rolle er dabei gespielt hatte. Seine Familie konnte sich nämlich über die merkwürdigsten Dinge ärgern. „Grandpa? Bist du irgendwo hier oben?“ Daniel rieb sich in freudiger Erwartung die Hände und drehte
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sich um, als der zweite Sohn seiner Tochter Serena hereingeschlendert kam. Ein gut aussehender Junge, dachte Daniel. Groß und dunkel wie sein Vater, mit den dunkelbraunen Augen seiner Großmutter und der Keckheit seiner Mutter. Und, dachte er stolz, mit dem guten Riecher seines Großvaters fürs Glücksspiel. Für den jungen Duncan hatte er auch noch Pläne, oh, in der Tat, die hatte er. Aber alles der Reihe nach. Duncan legte den Kopf schräg und warf seinem Großvater sein schnelles, ein wenig arrogantes Lächeln zu, während er schnüffelnd die Nase hob. „Was, keine Zigarre?“ Daniel setzte sofort sein Pokergesicht auf. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ „Aha.“ Duncan, der sehr gut wusste, wie man den großen MacGregor behandeln musste, machte es sich in dem tiefen Sessel gegenüber dem Schreibtisch bequem, streckte die langen Beine aus und zog eine Zigarre aus seiner Brusttasche. Ohne Daniel aus den Augen zu lassen, hielt er sie sich unter die Nase und sog den Duft tief ein. „Oha.“ Daniels Gesicht verklärte sich. „Du bist mir ja vielleicht ein Bursche.“ „Das ist meine.“ Duncan klemmte sich die Zigarre zwischen die Zähne. In seinen dunklen Augen tanzten belustigte Fünkchen. „Aber ich würde mich eventuell breitschlagen lassen, sie mit dir zu teilen, wenn du mir verrätst, was, zum Teufel, du wieder mal im Schilde führst.“ „Ich führe gar nichts im Schilde. Ich warte nur auf meine älteste und liebste Freundin und deren Patentochter.“ „Die Patentochter.“ Duncan nahm die Zigarre aus dem Mund und betrachtete sie sinnend. „Die, da bin ich mir sicher, allein stehend und im heiratsfähigen Alter ist. Gutes Elternhaus, Grandpa? Viel versprechende Erbanlagen?“ „Und wenn es so ist?“ „Danke, ich bin nicht interessiert.“ Das läuft ja immer besser, dachte Daniel und lächelte durchtrieben. „Sie ist ein feines Mädel, Duncan. Bildschön. Ihr würdet wunderhübsche Babys bekommen, du solltest es dir mal durch den Kopf gehen lassen. Ein Junge in deinem Alter…“ „Vergiss es, MacGregor.“ Duncan steckte sich die Zigarre wieder in den Mund, erfreut darüber, dass er seinen Großvater so schnell
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durchschaut hatte. „Ich bin glücklich, so wie ich bin, und im Moment macht es mir noch Spaß, alle hübschen Ladies der Reihe nach durchzuprobieren. Ich suche mir meine Frau allein.“ „Und findest allzu viele davon auf diesem Luxusdampfer, mit dem du tagein, tagaus den Fluss hinauf- und hinunterschipperst, ohne je irgendwo anzukommen.“ „Hast du die letzten Zahlen gesehen? Die ,Comanche Princess’ ist eine sehr einträgliche Lady. Und die einzige, die mein Herz besitzt.“ „Ja, ich habe sie gesehen. Du verstehst etwas von deinem Geschäft, Duncan Blade, aber was du brauchst, ist eine Frau an deiner Seite und Babys, die dir auf dem Schoß herumturnen. Und dieses Mädel, das du jetzt gleich kennen lernen wirst, hat einen Sinn fürs Geschäft. Ich erwarte…“ Er unterbrach sich, als er aus dem Augenwinkel draußen eine Bewegung wahrnahm. „So“, sagte er, während er sich vom Fenster abwandte, „sie sind da. Du wirst jetzt nach unten gehen und brav guten Tag sagen.“ Daniel zog drohend die Augenbrauen zusammen. „Und schau dir an, was ich dir Hübsches ausgesucht habe.“ „Ja, ich gehe ja schon“, murrte Duncan, reckte träge seine langen Glieder und stand auf. „Aber kauf noch keine Orangenblüten.“ Er hielt seinem Großvater die Zigarre hin, dann grinste er, wackelte mit dem Zeigefinger und zog die Zigarre weg, bevor Daniel danach greifen konnte. „Klugscheißer“, brummte Daniel und grinste breit, als Duncan das Zimmer verlassen hatte. „Du bist genau das, was wir brauchen, um deinen Cousin ein bisschen auf Trab zu bringen.“ Den Hochzeitsmarsch vor sich hin summend, ging er ebenfalls nach unten, um seine Gäste zu begrüßen. Perfekter kann es gar nicht laufen, dachte Daniel ein paar Stunden später. Duncan war natürlich sofort in sein gewohntes Verhaltensmuster verfallen und flirtete mit Layna, was das Zeug hielt. Es machte Spaß, mit anzusehen, wie gut sich die beiden verstanden, denn immerhin würden sie ja in Kürze miteinander verschwägert sein. Er legte großen Wert darauf, dass sich in seiner Familie alle mochten. „Duncan, zeig doch mal dem Mädchen den Garten. Sie mögen doch Blumen, oder? Wir haben wunderschöne Rosen.“ Daniel strahlte Layna an. „Und besonders bei Sonnenuntergang leuchten und
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duften sie um die Wette.“ „Ja, das stimmt.“ Duncan erhob sich und warf Daniel einen vernichtenden Blick zu, bevor er sich umdrehte und Layna anlächelte. „Haben Sie vielleicht Lust auf einen kleinen Spaziergang?“ „Sehr gern. Danke.“ Anna wartete, bis sie durch die Tür verschwunden waren, dann beugte sie sich in ihrem Stuhl vor. „Das selbstgefällige Grinsen kannst du dir sparen, Daniel. Diese Kinder sind nicht im Mindesten so aneinander interessiert, wie du es gern hättest. Und sie könnten nicht weniger zusammenpassen.“ Er hatte gerade widerstanden, Myra zuzuzwinkern, als diese ein Kichern unterdrückte. „Sie sind ein hübsches Paar.“ „Natürlich sind sie das.“ Anna warf verzweifelt die Hände in die Luft. „Sie sind beide attraktive junge Leute, aber diesmal sind deine Einmischungsversuche zum Scheitern verurteilt. Und wenn du nachhelfen solltest, die beiden zusammenzubringen, wirst du mich kennen lernen, Daniel, verlass dich drauf.“ Sie hob mahnend den Zeigefinger, ehe er lospoltern konnte. „Sie passen nicht zusammen. Und jeder Dummkopf kann sehen, dass dieses arme Mädchen unglücklich ist.“ „Nun, sie könnte längst glücklich sein, wenn sie nicht so stur wäre“, schnaubte Daniel. „Sie muss ihrem Herzen nur einen kleinen Stoß geben, genau wie jemand anders vor mehr als sechzig Jahren. Und wir werden schon noch sehen, ob sie nicht lächelt, wenn sie in ein paar Tagen abfährt.“ Nach diesen sechzig und mehr Jahren wusste Anna, wann sie aufhören musste, sich den Kopf an Daniels Entschlossenheit einzurennen. Deshalb wandte sie sich jetzt an ihre Freundin. „Myra, du stimmst mir doch zu, dass Layna mit Duncan einen Fehler machen würde, oder? Du glaubst auch nicht, dass sie zusammenpassen würden?“ „Ich möchte nur, dass sie glücklich wird, Anna“, wich Myra aus. „Das Kind wartet doch bloß darauf, sein Herz zu öffnen.“ „Aber nicht für Duncan“, gab Anna entschieden zurück. „Du hast selbst gesehen, wie sie und D.C. sich angehimmelt haben. Wenn sie ihn bis jetzt noch nicht liebt, ist sie auf jeden Fall auf dem besten Weg dahin, und ihr beide habt sie vor kaum mehr als einem Monat schließlich zusammengebracht. Ihr in diesem Moment Duncan zu präsentieren, der es schafft, mit seinem Charme die Sterne vom Himmel herunterzuholen, bedeutet, die Katastrophe vorzuprogram-
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mieren.“ Als Myra daraufhin laut auflachte, runzelte Anna misstrauisch die Stirn. Sie holte tief Luft und schaute von ihrem Mann zu ihrer Freundin und wieder zurück. „He, was habt ihr zwei jetzt schon wieder angestellt?“ „Nur eine Bühne aufgebaut, sozusagen“, gab Daniel zurück. „Und D.C. wird sie morgen betreten.“ „Was? D.C. kommt auch?“ Anna machte den Mund wieder zu, lehnte sich zurück und überlegte. Dann nickte sie zufrieden. „Gut.“ „Gut?“ Daniel, der sich schon auf eine Strafpredigt gefasst gemacht hatte, starrte sie verständnislos an. „Gut sagst du?“ „Ja. Diesmal bin ich ausnahmsweise einer Meinung mit dir. Obwohl ich deine Machenschaften nicht gutheißen kann, Daniel, aber darüber reden wir später.“ Ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. „Es werden zwei interessante Tage werden.“
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10. KAPITEL Als D.C. vor der Festung, die sich der große MacGregor hoch auf den Klippen über dem Meer errichtet hatte, aus seinem Auto stieg, war das Letzte, was er zu sehen erwartet hatte, sein Cousin, der Layna freundschaftlich im Arm hielt. Der Kummer, der ihn die ganze Fahrt über gequält hatte, verwandelte sich schlagartig in Wut. Laynas Haar war vom Wind zerzaust, ihre Wangen waren gerötet. Er stellte sich vor, dass sie gerade von einem Spaziergang auf den Klippen zurückkehrten, und dieser Gedanke fachte seinen Zorn noch mehr an. Plötzlich blieb Layna stehen, schaute in seine Richtung, und die Farbe, die ihre Wangen zum Glühen gebracht hatte, wich ihr aus dem Gesicht. „He.“ Duncan grinste erfreut und ging auf D.C. zu, um ihn zu umarmen und ihm einen kumpelhaften Schlag auf den Rücken zu geben. „Ich wusste gar nicht, dass du auch kommst.“ „Jetzt weißt du es. Was, zum Teufel, soll das?“ Er schaute Layna aus vor Zorn blitzenden Augen an. „Ich… ich bin mit Tante Myra für ein paar Tage hergekommen. Ich hatte keine Ahnung, dass du auch hier sein würdest.“ „Du bist einfach ohne ein Wort weggefahren.“ „Ich habe dir gesagt, dass ich mir ein paar Tage freinehmen wollte.“ „Ich hatte keine Ahnung, wo, zum Teufel, du steckst.“ „Es war eine spontane Entscheidung.“ Sie straffte die Schultern. „Meine Entscheidung.“ „Wie ich sehe, kennt ihr euch bereits“, mischte sich Duncan ein. „Halt die Klappe. Das ist etwas zwischen mir und Layna.“ „Gar nichts ist zwischen uns“, schoss sie zurück. „Entschuldige, Duncan.“ Sie drehte sich um und rannte die Treppe zum Haus hinauf. „Hast du eine Minute Zeit?“ fragte Duncan und verstellte D.C. den Weg, als dieser sich anschickte, sich an Laynas Fersen zu heften. Ihm war schlagartig klar geworden, was hier gespielt wurde. Grandpa, du alter Schurke, dachte er liebevoll und entschied, seine Rolle bis zum Ende zu spielen. Es war das Mindeste, was er für ihn tun konnte. „Geh mir aus dem Weg.“ D.C. stemmte die Hände in die Hüften.
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„Und lass deine Finger von ihr, sonst mach ich Hackfleisch aus dir.“ Duncan hob eine Braue und lächelte seinen Cousin herausfordernd an. „Wenn du darauf aus bist, nur zu. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir uns prügeln. Aber warum erzählst du mir nicht wenigstens, worum es geht?“ „Sie gehört mir.“ D.C. stach Duncan seinen Zeigefinger in die Brust. „Mehr brauchst du nicht zu wissen.“ Und mehr brauchte er selbst auch nicht zu wissen, das wurde D.C. in diesem Augenblick klar. Sie gehörte ihm. Das war es. „Wirklich? Kam mir aber nicht so vor, als wüsste sie das. Und ich nehme an, Grandpa weiß es auch nicht, weil er sie nämlich mir zugedacht hat.“ Der Spaß ist mir einen schmerzenden Kiefer wert, dachte er, während er amüsiert beobachtete, wie D.C. die Zähne zusammenbiss. „Einen Dreck hat er.“ „Er findet, wir passen perfekt zusammen“, bemerkte Duncan leichthin. „Und er könnte sogar Recht haben. Sie sieht toll aus, ist gescheit, und man kann sich gut mit ihr unterhalten. Und dann hat sie auch noch dieses sexy Lachen.“ Er zuckte kaum mit der Wimper, als D.C. ihn am Kragen packte und auf die Zehenspitzen hochzog. Doch er fand, dass es wohl besser sei, sich daran zu erinnern, dass sein Cousin gut dreißig Pfund schwerer war als er. „Hast du sie angefasst?“ „Frauen, die ich weniger als einen Tag kenne, pflege ich normalerweise nicht zu befummeln. Aber wenn du die Grenzen abstecken willst, solltest du dich besser beeilen, Cousin. Du willst sie dir also unter den Nagel reißen, das ist ja schön und gut, es ist nur…“ Er musste den Rest seines Satzes hinunterschlucken, wo bei er sich fragte, ob ihn sein Entschluss, das Spiel seines Großvaters mitzuspielen, womöglich ins Krankenhaus bringen würde. „Ich will sie mir nicht unter den Nagel reißen, du Vollidiot. Ich liebe sie!“ schrie D.C. und zerrte an Duncans Hemdkragen. „Und warum, zum Teufel, sagst du ihr das nicht?“ schrie Duncan zurück. Als er merkte, dass sein Cousin daraufhin aussah, als hätte er einen Kinnhaken verpasst bekommen, nutzte er seine Chance und befreite sich aus seinem Griff. „Es ist mir ja eben erst klar geworden.“ „Dann wäre es klüger, es ihr zu sagen, statt hier herumzustehen und mich zur Minna zu machen.“ Duncan zog sein Hemd gerade. „Ich bin völlig unschuldig.“
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„Dich zur Minna zu machen ist einfacher.“ D.C. schob die Hände in die Hosentaschen und stapfte mit großen Schritten auf das Haus zu. Er fand sie alle in dem Raum versammelt, den die Familie wegen des riesigen Sessels, in dem Daniel bei Familienzusammenkünften den Vorsitz führte, den Thronsaal nannte. Diese Zusammenkunft schien allem Anschein nach ein höchst zivilisierter Nachmittagstee zu sein. Als er, noch immer wütend, ins Zimmer trat, erhob sich seine Großmutter und eilte auf ihn zu. „D.C! Was für eine hübsche Überraschung. Es ist so gut, dich zu sehen.“ „Ich habe Grandpa gesagt, dass ich für ein paar Tage zum Malen raufkomme.“ „Das ist richtig.“ Daniel strahlte ihn von seinem Sessel aus an. „Ich habe ganz vergessen, es dir zu erzählen, Anna. Diese ganze Aufregung. Nun, komm rein, komm rein. Vielleicht sind diese Frauen ja jetzt, wo du da bist, so gnädig, mir einen Tropfen Whiskey in meinem Tee zu gestatten. Wo ist dein Cousin?“ „Draußen. Layna, ich muss dich sprechen.“ Sie hatte mit Mühe und Not ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden. „Gewiss“, sagte sie und nippte an ihrem Tee. „Unter vier Augen“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Das passt jetzt nicht. Mrs. MacGregor, dieses Buttergebäck ist wirklich köstlich.“ „Danke. Es ist eine Spezialität unseres Kochs.“ Anna schaute Daniel an und verdrehte verzweifelt die Augen, bevor sie sich wieder setzte. „D.C, es sind deine Lieblingsplätzchen. Soll ich dir einen Teller zusammenstellen?“ „Nein, ich will nichts. Falsch… ich will doch etwas. Ich will es sogar sehr. Layna, kommst du jetzt freiwillig mit mir nach draußen, oder muss ich dich wieder hinaustragen?“ Sie warf ihm über den Rand ihrer Tasse einen Blick zu, und D.C. war beinahe froh, als er die alte Angriffslust darin entdeckte. Ja, so kannte er sie. Das war seine Layna. „Ich schlage vor, du setzt dich erst einmal hin und trinkst eine Tasse Tee. Wenn du mir anschließend immer noch etwas zu sagen hast, höre ich dir gern zu.“ „Du willst, dass ich mich hinsetze und Tee trinke? Du möchtest, dass ich jetzt ganz artig sitze und meinen Tee in gezierten kleinen Schlückchen trinke, nachdem ich mit ansehen musste, wie du dich meinem Cousin an den Hals geworfen hast?“
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Sie stellte ihre Tasse mit einem leisen Klirren ab. „Ich habe mich überhaupt niemandem an den Hals geworfen.“ „Dem muss ich leider zustimmen“, sagte Duncan vergnügt und kam in den Raum geschlendert. „Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Oh, Buttergebäck!“ Erfreut stürzte er sich auf das Teetablett und bediente sich. „Ich habe dir gesagt, dass du dich da raushalten sollst, oder ich poliere dir deine hübsche Fassade.“ Layna keuchte schockiert auf, dann sprang sie hoch, während Anna seelenruhig Tee nachschenkte. „Wie kannst du es wagen, eine derart widerwärtige Szene zu machen? Duncan zu bedrohen, mich in Verlegenheit zu bringen und deine Familie so aufzuregen?“ „Lassen Sie ihm doch seinen Spaß, Mädel“, brüllte Daniel und ließ seine Faust donnernd auf seine Armlehne niedersausen. „Ich hätte keine Szene gemacht, niemanden bedroht, in Verlegenheit gebracht oder sonst wie aufgeregt, wenn du das getan hättest, worum ich dich gebeten habe. Es ist nur dein Dickschädel, der uns in diese Situation gebracht hat.“ „Jetzt wirst du auch noch beleidigend.“ Layna trat mit drohender Miene einen Schritt vor. „Ich wäre nicht hier, wenn ich gewusst hätte, dass du kommst. Und da das dein Zuhause ist, bin ich diejenige, die weicht. Ich gehe jetzt auf mein Zimmer, packen.“ „Du gehst nirgendwohin, bis wir das zu Ende gebracht haben.“ „In diesem Punkt bin ich einer Meinung mit dir. Entschuldigen Sie uns bitte“, sagte sie würdevoll, dann rauschte sie aus dem Raum. D.C. lief ihr hinterher. „Nach draußen“, brummte er und ergriff ihren Arm, um sie mit sich zu ziehen. „Lass mich los, ich kann allein gehen.“ Sie schüttelte seine Hand ab, durchquerte die Eingangshalle und riss die Haustür auf. „Ich dachte, du hättest mich schon mehr als genug gedemütigt. Jetzt sehe ich, dass ich mich geirrt habe. Du hast dich noch übertroffen.“ Er folgte ihr den gewundenen Weg zum Garten, ohne zu bemerken, dass im Haus hinter den Fensterscheiben vier Leute standen und sie beobachteten. „Du fühlst dich gedemütigt? Du? Was glaubst du eigentlich, wie ich mich fühle, wenn ich meine Großeltern besuche und ich dich an meinen Cousin geschmiegt vorfinde?“ Sie blieb abrupt stehen und wirbelte zu ihm herum. „Erstens habe ich mich an überhaupt niemanden angeschmiegt. Ich habe mit einem sehr netten Mann einen völlig unschuldigen Spaziergang gemacht.
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Und im Übrigen geht es dich nichts an, was ich tue und mit wem ich es tue.“ „Denk nach, Baby“, sagte er eine Spur zu ruhig. „Ich habe nachgedacht. Was genau das ist, was ich tun wollte. Und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass das, was sich zwischen uns entwickelt hat, nicht gut ist. Wir müssen damit aufhören.“ „Das glaubst du doch selber nicht!“ Er packte sie an den Haaren, bog ihren Kopf nach hinten und ließ seine Frustration an einem Kuss aus. „Wir sollten sie wirklich nicht beobachten“, murmelte Anna, obwohl sie einen Schritt nach rechts ging und sich vorbeugte, um besser sehen zu können. „Ach, aber schau sie doch an, Anna.“ Mit einer Träne im Augenwinkel legte Daniel ihr einen Arm um die Schultern. „Es könnte nicht richtiger sein.“ „Er zappelt an der Angel“, brummte Duncan und biss in ein weiteres Butterplätzchen. „Jämmerlich.“ „Deine Zeit kommt auch noch, Bürschchen“, warnte Daniel ihn. „Nicht, wenn ich etwas dagegen unternehmen kann.“ Im Vertrauen auf sein Geschick, verputzte Duncan das Butterplätzchen und beobachtete dabei kopfschüttelnd, wie sein Cousin mit offenen Augen in sein Unglück rannte. Der Kuss nahm eine andere Form an, Zorn verwandelte sich in Wärme. Eine Wärme, die Laynas jeglichen Widerstand dahinschmelzen ließ. „Tu das nicht.“ Doch während sie das murmelte, fuhr sie ihm mit den Händen übers Gesicht. „Tu das nicht. Es ist nicht die Antwort. Du glaubst doch nicht, dass es die Antwort sein könnte?“ „Wenn mein Herz dabei ist, ist es die Antwort, Layna.“ Er rieb seine Wange an ihrer. „Siehst du denn nicht, dass du mein Herz in deinen Händen hältst?“ Weil es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel, kam ihr eigenes Herz ins Stolpern. „Ich kann das nicht tun. Ks verändert alles. Lass mich gehen, D.C.“ „Ich dachte, ich könnte es. Ich wollte es.“ Er ließ sie los, so dass sie sich jetzt Auge in Auge gegenüberstanden. Ein Windstoß fuhr ihm durchs Haar, wirbelte es durcheinander. „Denkst du vielleicht, du bist die Einzige, die Pläne hatte und genau zu wissen glaubte, wie sie ihre Ziele erreichen kann? Weiß Gott, ich wollte das alles nicht. Ich wollte dich nicht. Und jetzt gibt es plötzlich nichts mehr außer
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dir.“ „Es kann nicht klappen. Es war schön, solange wir einfach nur Lust aufeinander hatten. Solange es noch so simpel war.“ Sie schluchzte. „An der Art, wie ich dich begehre, ist nichts simpel. Und warum weinst du, wenn es für dich so ist?“ Mit seiner großen, aber betörend sanften Hand wischte er ihr eine Träne von der Wange. „Ich halte dein Herz nämlich auch in den 1 landen. Ich werde ihm nicht wehtun.“ „Das kannst du nur sagen, weil dein Elternhaus so ist, wie es ist. Deine Familie ist so warmherzig, so liebevoll. Meine ist kalt und lieblos. Es ist nur ein Name, eine Lebensweise.“ „Du bist nicht deine Eltern.“ „Nein, aber…“ Sie unterbrach sich und blickte zu Boden. „Und keiner von uns beiden ist noch genau derselbe Mensch, der er war, bevor wir uns begegnet sind, meinst du nicht auch?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und umklammerte ihre Ellbogen. „Nein, das sind wir nicht.“ „Wir haben bereits angefangen, Kompromisse zu machen, uns etwas zusammen aufzubauen. Wir haben uns schon aufeinander eingelassen, Layna. Wir haben es nur nicht gemerkt, weil es richtig war. Es war einfach richtig. Ich liebe dich.“ Er umrahmte ihr Gesicht zärtlich mit den Händen. „Schau mich an, dann siehst du es.“ „Ja.“ Sie sah zu ihm hoch, und was sie in seinen Augen las, war erregend und beängstigend zugleich. „Ich will dich auch, so sehr. Aber was ist, wenn es nicht klappt? Wenn es meinetwegen schief geht?“ „Und was ist, wenn du jetzt wegfährst und wir es nie versuchen?“ „Dann wäre ich wieder da, wo ich dachte, dass ich sein will.“ Sie holte tief Luft und stieß sie dann langsam wieder aus. „Und ich wäre unglaublich unglücklich. Ich will nicht von dir… von uns weggehen.“ Von einem tiefen Glücksgefühl erfüllt, strahlte er übers ganze Gesicht. „Dann lass uns von jetzt an zusammen gehen.“ Er nahm ihre Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. „Wir werden nicht immer in dieselbe Richtung oder im Gleichschritt gehen wollen, aber wir können das bekommen, was wir beide brauchen.“ Sie schaute auf ihre miteinander verflochtenen Finger. Wie verschieden sie doch sind, dachte sie. Ihre Hand schmal, seine breit, ihre fast zierlich, seine so stark. Aber wie gut passten sie dennoch zu-
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sammen. „Ich habe noch nie jemanden geliebt.“ Sie hob wieder den Blick und schaute ihm in die Augen. „Ich habe es immer geschafft, um die Liebe einen großen Bogen zu machen. Ich wollte es einfach nicht. Aber bei dir konnte ich nichts dagegen tun. Meine Liebe zu dir war stärker als ich, und das hat mich wütend gemacht. Es hat mich so verunsichert, dass ich nicht fähig war, einen Schritt zurückzutreten und mir zu sagen, bis hierher ist es weit genug. Aber es ist nicht weit genug.“ Ihre Finger umklammerten seine Hand fester. „Ich möchte noch viel weiter gehen.“ Er hob ihre Hand an seine Lippen. „Niemand hat mir je so viel bedeutet wie du. Heirate mich. Lass uns ein gemeinsames Leben aufbauen.“ „Ich glaube, wir haben schon damit angefangen.“ Sie legte die andere Hand an seine Wange. „Es hat bei mir nur eine Weile gedauert, bis mir klar wurde, dass es genau das Leben ist, das ich mir wünsche.“ „Ich würde sagen, das ist ein Ja.“ Ihr Lächeln erblühte. „Ich würde sagen, du hast Recht.“ Sie lachte, als er sie hochhob und im Kreis herumschwenkte. „Komm, erzählen wir es den anderen.“ D.C. küsste sie, andächtig und lange, dann wirbelte er sie wieder im Kreis he rum. „Es wird dem großen MacGregor endlich eine Lehre sein, wenn er sieht, dass sich nicht alle seine Enkel vor seinen Karren spannen lassen. Du wärst nicht mein Typ, hat er gesagt. Ha!“ Damit stellte er sie auf die Füße und küsste sie erneut. Drinnen im Haus wischte sich Daniel eine Träne aus dem Augenwinkel.
AUS DEN TAGEBÜCHERN DES DANIEL DUNCAN MACGREGOR Die Jahreszeiten kommen und gehen schneller, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Der Frühling wechselt so plötzlich in den Sommer über, dass man die Tulpen kaum blühen sieht, bevor sie schon wieder dahinwelken. Ohne Familie, ohne die Liebe, die diese einem gibt, wäre es wahrscheinlich ziemlich einsam um einen bestellt. Ich bin nie einsam.
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Dafür bin ich jeden Tag von neuem dankbar. Für die großartige Frau, die all diese Jahre mit mir verbracht hat, für die Kinder, die wir großgezogen haben, für die Enkelkinder, die diese Kinder uns geschenkt haben. Und mir ist klar – klarer als den meisten anderen, denke ich –, dass man für solche Geschenke Verantwortung trägt. Gestern hat mein Enkel in der Kirche, in der auch mein Sohn geheiratet hat, seiner Braut das Jawort gegeben. Mit den Jahreszeiten fliegen auch die Generationen dahin. Ich weiß, wie meinem Jungen zu Mute war, als er zuschaute, wie sein Sohn diesen nächsten Schritt in seinem Leben tat. Ich kenne den Stolz, das Gefühl bittersüßen Verlusts und die Hoffnungen für die Zukunft. Nun, ich hätte Alan natürlich sagen können, dass es keinen Grund gibt, sich über die Zukunft von D. C. und Layna Sorgen zu machen. Schließlich habe ich sie ja füreinander ausgesucht, nicht wahr? Aber das sollte wohl besser unter uns bleiben. Mein Enkel soll ruhig weiterhin seinem selbstgefälligen Glauben anhängen, dass er die Wahl ganz allein getroffen hat, ohne meine Unterstützung. Vielleicht macht er seine Sache dann umso besser. Was war das doch für ein schönes Bild, als die beiden im Schein der Kerzen ihre Ringe tauschten. So ein hübsches Paar! D. C. sah meiner Meinung nach mehr als nur ein bisschen wie sein Großvater vor sechzig Jahren aus, und Layna war sehr elegant in ihrem weißen Brautkleid und dem alten Familienschleier auf dem blonden Haar. Nicht lange, und sie werden niedliche Babys für mich machen… hoppla, für ihre Großmutter natürlich. Sie konnte es sich nicht verkneifen, bereits eine Bemerkung darüber fallen zu lassen. Die Frau hat einfach keine Geduld. Jetzt, nachdem sie den Bund fürs Leben geschlossen haben und in die Flitterwochen gefahren sind, werden wir es ihnen überlassen, sich ihr Leben einzurichten. Heute habe ich mit meiner Anna einen Spaziergang auf den Klippen gemacht. Unter uns wogte das Meer, rastlos wie immer, und der Himmel über uns war von einem klaren sommerlichen Blau. Ich spürte den Wind auf meinem Gesicht und Annas Hand in meiner. Wie oft sind wir schon so einhergegangen. Von den Klippen aus konnte ich das Haus sehen, das wir uns errichtet haben. Manche nennen es eine Festung, andere eine Burg. Und es ist wohl beides. Ein kühnes Haus, erbaut aus Naturstein, mit stolzen Türmen, starken Linien und dem Familienwappen über der Eingangstür. Ein Mann vergisst seine Wurzeln nicht.
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Aber das Wichtigste ist, dass es ein Heim ist. Der Ort, an dem Anna und ich unsere Kämpfe ausgefochten, uns geliebt und unsere Kinder gezeugt haben. Wo wir sie aufgezogen und sie aufwachsen gesehen haben. Und es ist noch immer unser Heim, auch wenn unsere Kinder bereits eigene Kinder und ein paar von denen noch einmal eigene Kinder haben. Dank meiner Hilfe natürlich. Ich schätze mich glücklich, Menschen zu haben, die zu mir gehören. Ein Heim und eine Familie. Was auch immer ein Mann oder eine Frau in diesem Leben machen, die Familie ist die Basis, der Grundstein von allem. Und wo bleiben dann meine restlichen Urenkelkinder, wenn ich fragen darf? Nicht, dass wir in diesem Punkt nicht schon Fortschritte gemacht hätten, aber kein Mensch lebt ewig. Nicht einmal ein MacGregor. Bis jetzt habe ich fünf Kinder meiner Kinder heiraten sehen, und die Babys, auf die ich, nein, auf die Anna natürlich so ungeduldig gewartet hat, sind auch schon da. Wir haben vier Dreikäsehochs zum Bemuttern, und zwei sind unterwegs. Die Kleinen sind uns eine große Freude… wenn sie uns nur ein bisschen öfter besuchen kämen. Aber Kinder müssen schließlich ihr eigenes Leben leben. Darum kümmere ich mich. Auf meine Art. Und jetzt werde ich mich darum kümmern, dass Duncan – der zweite Sohn meiner reizenden Serena und unseres gut aussehenden Justin – sein Leben lebt. Oh, der Bursche glaubt natürlich, er hätte ein Leben, so wie er es sich wünscht. Frei wie ein Vogel den Mississippi hinauf- und hinunterschippern auf seinem Casino-Dampfer. Na klar, er ist ein cleverer Bursche, dieser Duncan Blade, und ein Charmeur noch dazu. Er führt die „Comanche Princess“ mit sicherer Hand, weil sich hinter diesem hübschen Gesicht mit dem schnellen, gewitzten Lächeln ein scharfer Verstand verbirgt. Und wehe jeder schönen Frau, die ihm über den Weg läuft. Durch die Adern des Jungen fließt schließlich MacGregor-Blut. Ein züchtiges, schüchternes Mädel kommt für ihn nicht in Frage. Was er braucht, ist eine Frau mit Köpfchen, die ihm Kontra geben kann. Und ich habe da auch schon eine im Auge. Alles, was ich jetzt noch zu tun habe – nur für diejenigen, die behaupten, ich würde ständig meine Nase in fremde Angelegenheiten stecken – , ist, dass ich sie für eine Weile zusammenbringen muss.
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Genauso wie die Mutter und den Vater des Jungen vor so vielen Jahren. Der Gedanke daran macht mich ganz sentimental. Und heißt es nicht, den Kreis zu schließen, wenn ich dem Sohn meiner Tochter dieselbe Gelegenheit gebe? Man wird sehen, was er damit anfängt. Und sollte er sich nicht ein bisschen beeilen, wären Anna und ich womöglich gezwungen, selbst ein paar Tage auf dem Fluss zu verbringen. Macht nichts, wir werden Spaß haben, denn schließlich spiele ich ja auch gern. - ENDE -
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