I. Krämer W. Jelkmann Rekombinante Arzneimittel – medizinischer Fortschritt durch Biotechnologie
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I. Krämer W. Jelkmann Rekombinante Arzneimittel – medizinischer Fortschritt durch Biotechnologie
I. Krämer W. Jelkmann
Rekombinante Arzneimittel – medizinischer Fortschritt durch Biotechnologie Mit 15 Abbildungen und 17 Tabellen
123
Prof. Dr. rer. nat. Irene Krämer Apotheke des Klinikums der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Langenbeckstr. 1, 55101 Mainz
Prof. Dr. med. Wolfgang Jelkmann Institut für Physiologie, Universität zu Lübeck Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
ISBN 978-3-540-87973-2 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2008 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Hanna Hensler-Fritton, Heidelberg Projektmanagement: Diana Kraplow, Heidelberg Lektorat: Bettina Arndt, Gorxheimertal Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg SPIN 12224982 Gedruckt auf säurefreiem Papier
18/5135/DK – 5 4 3 2 1 0
V
Geleitwort Technologische Durchbrüche sind nichts Neues; es hat sie immer gegeben: sei es die Erfindung des Rades, die Nutzbarmachung der Elektrizität oder die Entwicklung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein. Jede dieser Erfindungen und Erkenntnisse hatte weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft der Zeit. Was wir jedoch in der jetzigen Zeit erleben, ist eine Beschleunigung solcher technologischen Durchbrüche. Eine bedeutende Erfindung des 18. Jahrhunderts, wie die Dampfmaschine, hat den Fortschritt bis weit in das 20. Jahrhundert hinein vorangetrieben. Die Dampfkraft verursachte über einen Zeitraum von ungefähr 150 Jahren massive Verschiebungen innerhalb der Gesellschaft. Dann wurde die Dampfmaschine durch den Verbrennungsmotor abgelöst mit einem weiteren Sprung in der technologischen Entwicklung wieder begleitet von sozialem Wandel beziehungsweise Umbruch. Heute werden wir schon in viel kürzeren Abständen von Durchbrüchen auf mehreren Gebieten auf dramatische Weise direkt erfasst. Die Molekularbiologie und die Genomforschung beispielsweise stehen für den Beginn einer tief greifenden Biologisierung der Technik. Griffen wir bislang mit den Methoden der unbelebten Materie, wie der Physik und Chemie, in die belebte Natur ein, so nutzen wir zunehmend die Instrumente des Lebens selbst. Die Bio- und Gentechnologie wird unser Leben ebenso dramatisch verändern wie die Informationstechnologie. In Deutschland brauchen wir ein deutlich konstruktiveres Verhältnis zu Forschung und Wissenschaft. In den Vereinigten Staaten von Amerika gehört Forschung zur Staatsräson. Auch für Menschen ohne langen kulturellen Hintergrund war und ist es in den USA möglich, durch Fleiß, Anstrengung, Kreativität und Forschergeist nicht nur zu Ruhm und Anerkennung, sondern auch zu Wohlstand zu gelangen. Auf eine ganz eigene Art und Weise verinnerlichte die Forscherelite in den USA den Schöpfungsgedanken »sich die Erde Untertan machen«. Das beobachten wir Deutschen oft mit Skepsis und viele lächeln über den sogenannten »Polytechnismus« oder die amerikanische »Fortschrittsgläubigkeit«. Seit den 60er Jahren wird die Haltung der Deutschen zu Wissenschaft und Technik immer distanzierter. Doch müssen wir endlich erkennen, dass das Grundverständnis der Wissenschaft in den USA nicht nur für tausende von Forschern aus aller Welt attraktiv ist, sondern sie als Volkswirtschaft enorm erfolgreich macht. Amerika ist bei allen Unzulänglichkeiten eine attraktive, junge, dynamische Nation, während wir altern. Das Leitmotiv unserer Gesellschaft darf nicht Wissenschaftsskepsis bis hin zur Technikfeindlichkeit sein. Eine Gesellschaft, die das Wissen über komplexe Vorgänge unseres Lebens als Problem statt als Wegweiser in die Zukunft betrachtet, begibt sich in eine gefährliche Sackgasse. Offenheit und Neugier sind die Treiber von Forschung und Entwicklung. Nur eine Gesellschaft, deren Strukturen und Werte Innovation und Flexibilität fördern, wird die Herausforderungen der Zukunft meistern können. Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass auch die Biotechnologie die innovationsfreundlichen, notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen vorfindet, um ihre wirtschaftlichen Potenziale entfalten zu können. Es gilt, den Biotechnologie-Standort Deutschland nicht nur hinsichtlich der Zahl der Unternehmen, sondern auch der Umsatz- und Beschäftigtenzahlen an die Spitze zu führen.
VI
Geleitwort
Die Schlüsselfaktoren für die Entwicklung der Biotechnologie sind erstklassige Forschung, öffentliche Förderung, Mobilisierung privater Mittel, Vernetzung der Forschung, transparente Sicherheitsregeln, Rechtssicherheit und Nachwuchsförderung. Neben den Hoffnungen verbinden sich mit der Biotechnologie auch große gesellschaftliche Ängste in Deutschland. Viele Menschen fragen sich, ob wir uns gerade als »Zauberlehrlinge« des Lebens betätigen. Sie fürchten langfristige Unweltfolgen. Sie fürchten ethische Dammbrüche, die unsere Gesellschaften verändern könnten. Die Menschen unseres Landes erwarten von der Politik zu Recht, dass sie Rahmenbedingungen so setzt, dass sichergestellt ist, dass diese neue Technologie zum Positiven genutzt werden kann. Aber ethische Diskussionen dürfen nicht zur Blockade führen. Eine politische und gesellschaftliche Diskussion um die Biotechnologie darf nicht fast ausschließlich unter dem Aspekt »Schutz vor möglichen Risiken« geführt wird. Ein kategorisches »Nein« ist keine ethische Haltung, denn sie vergibt in ethisch fragwürdiger Weise Chancen. Ethischer Maximalismus im Gewand staatlicher Gesetze wäre der Schritt vom Fundament zum Fundamentalismus. Es ist die Aufgabe der Politik, diese Diskussion vom Kopf auf die Füße zu stellen und klar zu sagen, dass Nullrisiko eben auch Nullchance bedeutet. Gerade in der Stammzellforschung müssen wir uns Wege offen halten. Wir brauchen die Stammzellforschung in allen Facetten auch in Deutschland. Neben dem Bereich der Stammzellforschung besteht auch ein dringender Handlungsbedarf im Bereich der grünen Gentechnik. Es ist an der Zeit, dass Politiker, Wissenschaftler sowie Unternehmer sachlich und ausgewogen über die grüne Gentechnik informieren und mit den Bürgern zu diskutieren beginnen. Die Biotechnologie eröffnet also vielfältige Möglichkeiten, unsere Zukunft zu gestalten und mit den Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Umwelt besser umgehen zu können. »Die Fähigkeit zur Innovation entscheidet über unser Schicksal«, führte Altbundespräsident Roman Herzog in seiner berühmten Berliner Ruckrede aus. Innovationen brauchen eine sichere Basis, verlässliche politische Rahmenbedingungen und einen langen Atem. Dann wird auch Deutschland wieder an Fahrt gewinnen und Wachstum und Wohlstand generieren können.
Katherina Reiche, MdB Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
VII
Inhaltsverzeichnis 1
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
1.6 1.7
2
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Biopharmazeutika – rekombinant hergestellte Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Irene Krämer Aminosäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Peptid- und Proteinstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Posttranslationale Modifikationen . . . . . . . . . . . . . . 5 Herstellung in lebenden Zellen bedingt Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Charakterisierung von Biopharmazeutika mit physikalisch-chemischen Methoden oder Bioassays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Immunogenitätspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Herstellung von Biopharmazeutika nach Europäischem Arzneibuch (Ph.Eur.) . . . . . . . . . . . . . 8 Basisliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Entwicklung und Begriffe medizinischer Biotechnologie und Gentechnologien . . . .11 Wolfgang Jelkmann Traditionelle biotechnologische Prozesse . . . . . . 12 Grundlagen der Gentechnologie . . . . . . . . . . . . . . 13 Wirtszellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Reinigung und Charakterisierung der rekombinanten Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Beispiele rekombinanter Biopharmazeutika . . . 19 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3.4.3 DNA-Transfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.4.4 Zellkultursysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.5 Prozessentwicklung und Herstellung von Biologika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.5.1 Physiologie und Genetik der Wirtszellen . . . . . . . 32 3.5.2 Unterschiedlichkeit der Expressionsvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.5.3 Herstellung (Up- und Downstream) . . . . . . . . . . . 33 3.5.4 Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.6 Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4
Danilo Fliser, Jan Galle Bedeutung der Erythropoetine in der Humanphysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.2 Entwicklung von rekombinanten EPO-Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4.3 Beispiele von etablierten und potentiellen Anwendungsgebieten für rHuEPO . . . . . . . . . . . . 40 4.3.1 Renale Anämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4.4 Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
4.1
5 3 3.1 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6
3.4 3.4.1 3.4.2
Rekombinante Proteine sind Biologika . . . .23 Florian Wurm, David Hacker Motivation, Struktur und Rahmen dieses Artikels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Stabile Proteinproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Zellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Expressionsvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Nichtviraler Gentransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Selektion von rekombinanten Zelllinien . . . . . . . 27 Zellkultursysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Steigerung der spezifischen und volumetrischen Produktivität in Bioreaktoren . . . . . . 29 Transiente Genexpression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Zellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Expressionsvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Das rekombinante humane Erythropoetin als Beispiel eines Biotechnologieprodukts. . . . . . . . . . . . . . . . . .37
5.1 5.2 5.3
5.3.1 5.3.2 5.3.3
5.4 5.4.1 5.4.2
Einsatz von G-CSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45 Anke Spoo, Martina Kleber, Véronique Thierry, Monika Engelhardt Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Entwicklung rekombinanter G-CSF . . . . . . . . . . . . 47 Einsatz von G-CSF in der Hämatologie/ Onkologie und Risikobemessung für Chemotherapie-induzierte Neutropenie . . . . . . . . . . . . . . 48 Chemotherapie-induzierte Neutropenie . . . . . . . 48 Risikofaktoren für eine febrile Neutropenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Empfehlungen und Leitlinien der EORTC, ASCO und NCCN zum Einsatz von G-CSF . . . . . . 50 Indikationen für einen G-CSF-Einsatz . . . . . . . . . . 52 Primärprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Sekundärprophylaxe und palliative Therapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
VIII
Inhaltsverzeichnis
5.4.3 Ziele des G-CSF-Einsatzes neben antibiotischer Therapie und Dosisintensität . . . . . . . 52 5.4.4 Stammzelltransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5.4.5 Andere G-CSF-Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5.4.6 Unterschiede zwischen Filgrastim und Pegfilgrastim. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5.5 Zukunftsperspektiven eines möglichen bzw. in Studien geprüften G-CSF-Einsatzes . . . . 55 5.5.1 Ex-vivo-Propagierung von Stamm- und Progenitorzellen und zusätzliche Faktoren zur bestmöglichen Stammzellmobilisierung. . . . . . . 56 5.5.2 HIV-Infektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
6
Immunogenität rekombinanter Therapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .63
Wolfgang Jelkmann 6.1 Grundlagen der adaptiven Immunität . . . . . . . . . 64 6.2 Antigenität und Immunogenität . . . . . . . . . . . . . . 65 6.3 Determinanten der Immunogenität von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6.4 Charakteristika von Antikörpern . . . . . . . . . . . . . . . 66 6.5 B-Zellantworten auf Peptide und Kohlenhydrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 6.6 Immuntoleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 6.7 Faktoren, die die Antikörperbildung gegen parenteral verabreichte Proteine beeinflussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6.8 Antikörpernachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 6.9 Strukturelle Besonderheiten immunogener therapeutischer Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.10 Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
7
Zulassung biotechnologischer Nachfolgeprodukte bis zur klinischen Anwendung – EMEA-Richtlinien . . . . . . . . . .75
Michael Hallek, Dietger Niederwieser Unterschiede zwischen Biosimilars und Generika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 7.2 Zulassung auf der Basis von Vergleichsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 7.3 CHMP-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 7.3.1 Qualitätsanforderungen an Biosimilars mit rekombinanten Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 7.3.2 Präklinische/klinische Anforderungen für die Zulassung von Biosimilars mit rekombinanten Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
7.3.3 Zulassung von Biosimilars mit rekombinanten Erythropoetinen oder G-CSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 7.4 Ausblick und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
8 8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3
8.2.4
8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10
9
9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.5 9.1.6
7.1
9.1.7
9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3
Biosimilars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85 Irene Krämer Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Besonderheiten von Biopharmazeutika. . . . . . . . 87 Hohes Molekulargewicht und komplexe dreidimensionale Struktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Herstellung in lebenden Zellen bedingt Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Problem der vollständigen Charakterisierung mit physikalisch-chemischen Methoden oder Bioassays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Immunogenitätspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Zulassung von Biosimilars nach EMEAGuidelines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Zulassung von G-CSF-Biosimilars nach EMEA-Guidelines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 INN-Namensgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Substitution von Biosimilars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Gute Distributions- und Anwendungspraxis . . 93 Pharmakovigilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Wirtschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Checkliste zur Bewertung von Biosimilars . . . . . 94 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Good handling practice: Der fachgerechte Umgang mit Biopharmazeutika . . . . . . . . . .99 Irene Krämer Stabilität von Biopharmazeutika. . . . . . . . . . . . . .100 Chemische Abbaureaktionen . . . . . . . . . . . . . . . .100 Physikalische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . .101 Beeinflussung der Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . .102 Einfluss der Fertigarzneimittel-Formulierung. . 102 Temperatureinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .102 Interaktion mit Grenzflächen oder anderen Stoffen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 Lichteinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 Umgang mit Biopharmazeutika in Apotheke, Klinik und Arztpraxis . . . . . . . . . . . . . .103 Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 Lagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .104 Vorbereitung zur Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . .105 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .109
IX
Autorenverzeichnis Engelhardt, Monika, Prof. Dr. med.
Spoo, Anke, Dr. med.
Innere Medizin I, Universitätsklinikum der Albert-Ludwigs-Universität Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg
Innere Medizin I, Universitätsklinikum der Albert-Ludwigs-Universität Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg
Fliser, Danilo, Prof. Dr. med.
Thierry, Veronique, Dr. med.
Abteilung Nephrologie, Medizinische Hochschule Hannover 30623 Hannover
Innere Medizin I, Universitätsklinikum der Albert-Ludwigs-Universität Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg
Galle, Jan, Prof. Dr. med.
Wurm, Florian, Prof. Dr. rer. nat., Dipl.Biol.
Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren Klinikum Lüdenscheid Paulmannshöher Str. 14, 58515 Lüdenscheid
Labor für Zellbiotechnologie (LBTC), Eidgenössische Polytechnische Hochschule Lausanne CH-1015 Lausanne
Hacker, David, Dr. med. Labor für Zellbiotechnologie (LBTC), Eidgenössische Polytechnische Hochschule Lausanne CH-1015 Lausanne
Hallek, Michael, Prof. Dr. med. Klinik I für Innere Medizin, Klinikum der Universität zu Köln Kerpener Str. 62, 50937 Köln
Jelkmann, Wolfgang, Prof. Dr. med. Institut für Physiologie, Universität zu Lübeck Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Kleber Martina, Dr. med. Innere Medizin I, Universitätsklinikum der Albert-Ludwigs-Universität Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg
Krämer, Irene, Prof. Dr. rer. nat. Apotheke des Klinikums der Johannes GutenbergUniversität Mainz Langenbeckstr. 1, 55101 Mainz
Niederwieser, Dietger, Prof. Dr. med. Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universität Leipzig Johannisallee 32A, 04103 Leipzig
1
Biopharmazeutika – rekombinant hergestellte Produkte Irene Krämer
1.1
Aminosäuren – 2
1.2
Peptid- und Proteinstruktur – 3
1.3
Posttranslationale Modifikationen – 5
1.4
Herstellung in lebenden Zellen bedingt Heterogenität – 5
1.5
Charakterisierung von Biopharmazeutika mit physikalisch-chemischen Methoden oder Bioassays – 6
1.6
Immunogenitätspotential – 7
1.7
Herstellung von Biopharmazeutika nach Europäischem Arzneibuch (Ph.Eur.) – 8 Basisliteratur – 10
2
1
Kapitel 1 · Biopharmazeutika – rekombinant hergestellte Produkte
Biopharmazeutika sind Polypeptide oder Proteine mit komplexen dreidimensionalen Strukturen. Sie werden rekombinant hergestellt, indem die kodierende DNA für das gewünschte Produkt in einem geeigneten Mikroorganismus oder einer geeigneten Zelllinie exprimiert und in ein Protein translatiert wird. Vielfach werden die Proteine posttranslational modifiziert und auch die entsprechenden Biopharmazeutika stellen modifizierte Proteine, z. B. Glykoproteine (Proteine mit hochmolekularen Zuckerresten), dar. Für alle Wirkstoffe, die rekombinant hergestellt werden, gelten die in der Europäischen Pharmacopoe (Ph.Eur.) in der allgemeinen Monographie formulierten Anforderungen. Die derzeitige Definition legt sich ausschließlich auf Proteine als Produkte fest. Zukünftig könnten auch DNA, RNA und eventuell auch Zellen für die Gentherapie unter diese Monographie fallen. Die Fähigkeit zur Bindung des therapeutischen Proteins an die Zielstruktur und damit die Auslösung eines pharmakologischen Effektes hängt von der korrekten Struktur und Faltung des Proteins ab. Enzyme, Transportproteine, Zytokine sind typischerweise globuläre Proteine und liegen in ihrer nativen Form als kompakte, sphäroide Moleküle vor. Handelt es sich bei dem Biopharmazeutikum um ein Glykoprotein, ist das pharmakodynamische und pharmakokinetische Profil ebenfalls von der intakten dreidimensionalen Struktur des Proteins, aber auch dem Grad und der Lokalisation der Glykosylierung und der Isoformverteilung abhängig.
⊡ Abb. 1.1. Einbuchstaben- oder Dreibuchstaben-Codes
1.1
Aminosäuren
Proteine sind aus Aminosäuren aufgebaut. Von den 20 proteinogenen Aminosäuren (AS) kann der Mensch 10, die sog. essentiellen AS, nicht synthetisieren. Abgekürzt werden die AS mit Dreibuchstaben- oder Einbuchstaben-Codes (z. B. Alanin=Ala=A, ⊡ Abb. 1.1). AS sind an einem zentralen C-Atom mit einer basischen Aminogruppe, einer sauren Carboxylgruppe, einem H-Atom und einer Seitenkette (Rest=R) verknüpft (⊡ Abb. 1.2). Außer bei Glycin (R=H) bildet das zentrale CAtom bei allen AS ein Chiralitätszentrum. Von den beiden Enantiomeren kommen natürlicherweise nur die L-Aminosäuren vor. Die unterschiedliA-Kohlenstoff-Atom
H H2N
AminoGruppe
C
COOH Carboxyl-Gruppe
R
Seitenketten-Rest
R steht für die verschiedenen Seitenketten der unterschiedlichen Aminosäuren. Bei pH 7 sind sowohl die Amino-Gruppe wie die Carboxyl-Gruppe ionisiert. H -
+ H3N
C
COO
R ⊡ Abb. 1.2. Allgemeine Formel einer Aminosäure
3 1.2 · Peptid- und Proteinstruktur
chen AS unterscheiden sich in der Seitenkette, woraus sich auch deren chemische Eigenschaften wie Polarität, Löslichkeit oder isoelektrischer Punkt ableiten. Serin und Threonin sind polare, hydrophile AS. Tryptophan, Phenylalanin und Isoleucin sind hydrophobe AS. Asparaginsäure und Glutaminsäure zeigen eine Säurefunktion, die bei physiologischem pH-Wert negativ geladen ist. Lysin, Arginin und Histidin dagegen zeigen basische Funktionen und sind bei physiologischem pHWert (Histidin teilweise) positiv geladen. Die AS mit geladenen Resten werden als geladene, hydrophile AS zusammengefasst. Cystein besitzt als Besonderheit eine Thiolgruppe, die sehr reaktiv ist und durch Oxidation das durch eine Disulfidbrücke gekennzeichnete Dimer Cystin bildet. Disulfidbrücken stabilisieren viele Proteine in ihrer Konformität. AS liegen sowohl in fester Form als auch in Lösung als Zwitterionen vor. Der pH-Wert, bei dem alle Moleküle in Lösung als Zwitterionen vorliegen, wird als isoelektrischer Punkt bezeichnet. Für 15 der 20 AS liegt der isoelektrische Punkt bei pH 6–7. Die beiden sauren AS (Asparaginsäure, Glutaminsäure) haben einen niedrigeren und die 3 basischen AS (Lysin, Arginin und Histidin) einen höheren isoelektrischen Punkt.
1.2
Peptid- und Proteinstruktur
AS werden über Peptidbindungen (Amidbindungen) kovalent zu Polymeren verknüpft, die als Peptide (<20 AS), Polypeptide (20–50 AS) oder Proteine (>50 AS) bezeichnet werden. Proteine haben eine Molekularmasse über 5000 Dalton. Mit einer Molekularmasse von 5800 Dalton gehört Insulin zu den kleinsten Proteinen. Um die Peptidbindung (CO-N) gibt es keine freie Drehbarkeit, dagegen haben die benachbarten Einfachbindungen einen hohen Grad an freier Drehbarkeit. Daher kann jedes Protein eine große Anzahl von verschiedenen Konformationen (Formen) annehmen. Die Sequenz der AS in einem Protein wird als Primärsequenz (Aminosäuresequenz) bezeichnet (⊡ Abb. 1.3). Sie wird determiniert durch die Nukleotidsequenz in der DNA. Als N-terminales Ende wird die AS mit der freien Aminogruppe als
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C-terminales Ende die AS mit der freien Carboxylgruppe bezeichnet. Die AS-Sequenz wird stets von links nach rechts mit dem N-terminalen Ende beginnend geschrieben. Bedingt durch die AS-Sequenz bildet sich durch Faltungen die Sekundärstruktur der Proteine aus. Sie werden im Wesentlichen durch nichtkovalente Bindungen wie Wasserstoff-Brückenbindungen und Dipol-Dipol-Wechselwirkungen stabilisiert. Ionische Bindungen leisten nur einen geringen Stabilitätsbeitrag zu der nativen Proteinstruktur. Die bedeutendsten Faltungsmuster der Proteine sind die Alphahelixstruktur und die Betafaltblattstruktur. In dem Bandmodell (⊡ Abb. 1.3) von Proteinen werden die Helices als Schneckenband und die Faltblätter als Satz von Pfeilen, die in Richtung Carboxyende weisen, dargestellt. In der Alphahelixstruktur bilden je 3,6 AS-Reste eine Drehung, die durch H-Brückenbindung stabilisiert wird. Die Reste ragen nach außen. In der Betafaltblattstruktur bilden sich die H-Brücken zwischen parallelen oder antiparallelen Proteinketten. An beiden Strukturgebungen kann die AS Prolin nicht teilnehmen, da ihr eine Amidgruppe zur H-Brückenbindung fehlt. Ein typisches globuläres Protein besteht zu 31% aus Helices und zu 28% aus Betafaltblattstrukturen. Die verbleibenden Polypeptide nehmen eine Knäuel- oder Schleifenkonformation ein. In den abrupt die Richtung ändernden Beta-Schleifen oder auch Haarnadelschleifen finden sich häufig Prolinreste. Die Schleifen sind essentiell für die Bildung kugeliger Formen der biologisch aktiven
⊡ Abb. 1.3. Primär- und Sekundärstruktur von Proteinen
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Kapitel 1 · Biopharmazeutika – rekombinant hergestellte Produkte
Proteine. Zur Ausbildung der globulären Strukturen sind nur bestimmte Kombinationen der Strukturelemente, auch Motive genannt, möglich. Ein Beispiel dafür ist das Haarnadel-beta-Motiv, das aus zwei gegenläufigen Beta-Strängen besteht, die durch eine Schleife mit scharfer Wendung verbunden sind. Die Schleifen befinden sich in der Regel an der Oberfläche des Proteins, sind reich an hydrophilen AS und bilden oft die Bindungsstellen für andere Moleküle. Bestimmte Kombinationen von Motiven packen sich zusammen und bilden kompakte Einheiten, die als Proteindomänen bezeichnet werden. Die räumliche Anordnung des Proteins wird als Tertiärstruktur (dreidimensionale Struktur) bezeichnet (⊡ Abb. 1.4). Die Tertiärstruktur wird durch die AS-Sequenz und einige generelle Regeln der Anordnung bedingt. Diese sind die Ausbildung einer Kugelform, bei der sich die geladenen Reste an der Oberfläche und die hydrophoben Reste im dicht gepackten inneren Teil befinden. Jedes Protein faltet sich spontan in eine einzigartige Tertiärstruktur, die durch kovalente und nichtkovalente Bindungen stabilisiert wird (⊡ Abb. 1.5). Kovalente Disulfidbrücken zwischen Cysteinresten der gleichen oder verschiedenen AS-Ketten halten die Ketten zusammen. Überwiegend erfolgt die Stabilisierung des Proteins zu seiner nativen Struk-
⊡ Abb. 1.4. Komplexität von Proteinstrukturen
tur aber durch nichtkovalente Kräfte, die relativ leicht überwunden werden und zu Veränderungen der dreidimensionalen Struktur und auch Aggregation führen können. Wenn die denaturierende Behandlung milde genug war, ist sie umkehrbar und die entfalteten Proteine falten sich spontan in die ursprüngliche Konformation zurück. Die nativen Proteine können unter bestimmten Bedingungen durch Proteinassoziation, auch Cluster oder Proteinaggregate bzw. Proteinkomplexe genannt, bilden. Diese Organisationsstufe wird als quartäre Struktur bezeichnet. Die identischen oder nichtidentischen Untereinheiten oder Mo-
⊡ Abb. 1.5. Kovalente und nichtkovalente Bindungen
5 1.4 · Herstellung in lebenden Zellen bedingt Heterogenität
nomere werden durch nichtkovalente Bindungen zusammengehalten, bei extrazellulären Proteinen auch durch Disulfidbrücken. An der Ausbildung der quartären Strukturen sind insbesondere hydrophobe Reste beteiligt, die bei den betreffenden Proteinen näher an der Oberfläche liegen. Ein bekanntes Beispiel für die Ausbildung von quartären Strukturen ist die Hexamerbildung von Insulin. Jede Stufe der Proteinstrukturgebung setzt hierarchisch auf der vorhergehenden Stufe auf und führt zu zunehmender Organisationskomplexität. Die Faltungskonformation kann durch RöntgenDiffraktionsanalyse ermittelt werden. In Zellen wird ein Protein von der Bildung an einem Ribosom bis zum Abbau durch gezielte Proteolyse am Proteasom durch verschiedene Überwachungsmechanismen, z. B. Chaperone, in seine korrekte Faltung gebracht und bei falscher Faltung angeleitet, sich neu und korrekt zu falten.
1.3
Posttranslationale Modifikationen
Proteinmoleküle werden posttranslational modifiziert. Zu den möglichen Modifikationen gehören Glykosylierung (z. B. Erythropoetin, FSH, Cerebrosidase, Faktor VIII), Phosphorylierung (z. B. DNase), Sulfatierung (z. B. Faktor VIII), Methylierung, Biotinylierung und proteolytische Spaltung. Die Glykosilierung ist die Kopplung mit Kohlenhydratresten, bei der man abhängig von der Bindungsstelle N-Glykosylierungen und O-Glykosilierungen unterscheidet. N-Glykosilierungen erfolgen immer an der NH2-Gruppe der Seitenkette eines Asparaginrestes. Im endoplasmatischen Retikulum wird ein vorgefertigtes Oligosaccharid aus 14 Zuckerresten (N-Acetylglucosamin, Mannose und Glukose) auf das Protein übertragen. Die weitere Veränderung der Oligosaccharide findet im Golgi-Apparat statt. Dort findet auch die O-Glykosylierung an Hydroxygruppen von Serin-, Threonin- oder Hydroxylysin-Seitenketten statt. Die N-Glykosylierung ist die häufigste kovalente Proteinmodifikation in eukaryotischen Zellen. Der Kohlenhydratanteil in Glykoproteinen kann einen erheblichen prozentualen Anteil haben. Die Zusammensetzung der Kohlenhydratanteile hängt vom Zelltyp und auch dem Differenzierungsstadium der Zelle ab.
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Am terminalen Ende der Kohlenhydratketten befinden sich Sialinsäurereste, die für die Funktionen der Moleküle essentiell sind. Die Sialisierungsmuster sind speziesspezifisch. Bei der rekombinanten Herstellung von Proteinen können unterschiedliche Glykosylierungsmuster resultieren, denn diese sind eine Funktion der Wirtszelle und hängen u. a. auch von den Fermentationsbedingungen ab. Bakterienzellen können nicht glykosylieren. Modifikationen der Glykosylierung beeinflussen Effektivität, Gewebeverteilung, Pharmakokinetik, Antigenität und Immunogenität des Biopharmazeutikums. So unterscheiden sich beispielsweise die zur Enzymsubstitutionstherapie rekombinant in CHO-Zellen bzw. humanen Fibroblasten hergestellte Agalsidase beta und Agalsidase alfa in dem Sialierungsgrad und in der Phosphorylierung. Dieses hat Unterschiede in der Bioverfügbarkeit und dem immunogenen Potential zur Folge.
1.4
Herstellung in lebenden Zellen bedingt Heterogenität
Die Produktion biopharmazeutischer Arzneistoffe in und von lebenden Zellen stellt den entscheidenden Unterschied zur Produktion von kleinen Wirkstoffmolekülen dar. Nicht nur das Produkt, sondern auch das Herstellungsverfahren muss der übergeordneten Ph.Eur.-Monographie entsprechen. Für das Saatgutsystem (primäre Masterzellbank, sekundäre Arbeitszellbänke) muss ein Eignungsnachweis erbracht und eine behördliche Genehmigung eingeholt werden. Sie gilt nur für diese Masterzellbank (keine 2 Masterzellbänke können identisch sein). Der Wirtsorganismus soll die genetische Information möglichst authentisch und in möglichst hoher Ausbeute in ein Protein übersetzen, andererseits aber auch den Sicherheitsanforderungen an ein biologisches System entsprechen. Jede Variation der Ausgangsstoffe und der vielen Prozessschritte kann zu einem veränderten Produkt führen, was mit den Aussagen »The process is the product« und »What you feed, is what you get« trefflich beschrieben wird. Die Reproduzierbarkeit des Herstellungsprozesses ist von höchster Bedeutung. Doch produzieren auch authentische Zellen natürlicherweise Molekülvariationen, die als
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Kapitel 1 · Biopharmazeutika – rekombinant hergestellte Produkte
Isoformen und das Vorkommen der von Molekülvariationen als Mikroheterogenität bezeichnet werden.
1.5
Charakterisierung von Biopharmazeutika mit physikalisch-chemischen Methoden der Bioassays
Nur die sinnvolle Kombination einer Vielzahl von Untersuchungsmethoden ermöglicht konkrete Aussagen zur Integrität und Stabilität von Proteinen. Identität, Gehalt und Reinheit des Biopharmazeutikums werden daher mit zahlreichen physikalisch-chemischen Methoden, u. a. Chromatographie-, Elektrophorese-, Proteinanalyse- und Spektroskopiemethoden, geprüft. Von den Chromatographiemethoden werden insbesondere die »reversed phase high pressure liquid chromatography« (RP-HPLC) und die Gelpermeationschromatographie genutzt. Mit der RPHPLC können unveränderte und degradierte Proteine voneinander getrennt werden. Die Sensitivität der Methode kann durch Fluoreszenzdetektion derivatisierter Proteinmoleküle verbessert werden. Ein Nachteil der RP-HPLC ist die potentielle Denaturierung der Proteine an der hydrophoben stationären Phase. Die Gelpermeationschromatographie oder Größenausschlusschromatographie (SEC, »size exclusion chromatography«) trennt die Makromoleküle nach der relativen Größe und dem hydrodynamischen Volumen. Mit der SEC kann das Molekulargewicht des Proteins bestimmt werden und auch eine quantitative Bestimmung erfolgen. SEC-HPLC stellt eine sehr gute Methode zum Nachweis von Proteinaggregaten dar. Von den Elektrophoresemethoden werden für die Analyse von Proteinen die Gelelektrophorese, die isoelektrische Fokussierung (IEF) und die Kapillarelektrophorese genutzt. Jede der Methoden nutzt die Wanderung der Proteine aufgrund ihrer Größe und Ladung im elektrischen Feld. Mit der Natriumdodecylsulfat-Polyamid-Gelelektrophorese (SDS-PAGE) werden die Proteinmoleküle ausschließlich nach ihrer Größe getrennt, da nach Zugabe von Natriumdodecylsulfat (»sodium dodecyl sulfate«, SDS) alle Moleküle negativ geladen sind.
Diese Methode wird auch zum Nachweis von Aggregaten genutzt. Die Trennung durch Gelelektrophorese kann mit Immunoblots (Westernblot) zur Identifizierung der Proteine kombiniert werden. Bei der isoelektrischen Fokussierung (IEF) wandern die Proteine entlang einem pH-Gradienten und bleiben liegen, wenn der pH-Wert dem isoelektrischen Punkt entspricht, da an diesem Punkt die Nettoladung 0 beträgt. Die IEF kann zur Reinheitsbestimmung von Proteinen und auch zum Nachweis von Desaminierungen, die zur Bildung einer zusätzlichen Carboxylgruppe und zur Verschiebung des pH zu sauren pH-Werten führen, genutzt werden. Die Kapillarelektrophorese (CE, »capillary electrophoresis«), die für die Proteinmoleküle schonender als die RP-HPLC ist und sich mit kleinen Probenmengen durchführen lässt, wird zur Detektion mit Fluoreszenz oder UV-Methoden kombiniert. Um die Absorption der Proteine an das Kapillarmaterial zu verhindern, werden häufig oberflächenmodifizierte Materialien und Lösungsvermittler enthaltende Puffer eingesetzt. Von den Spektroskopiemethoden werden für die Proteinanalytik die UV-, Fluoreszenz-, Zirkulardichroismus-, Infrarot- und kolorimetrische Spektroskopie und das »light scattering« genutzt. Mit der UV-Spektroskopie kann der Proteingehalt einer Lösung routinemäßig gemessen werden, ohne dass mit Standards kalibriert werden muss. Tryptophan, Phenylalanin und Tyrosin bedingen die UV-Absorption. Die Methode ist allerdings nicht sehr sensitiv für Konformationsänderungen und gebildete Aggregate können durch Lichtstreuung zu falschen Ergebnissen führen. Die aromatischen AS zeigen Fluoreszenz im Wellenlängenbereich 300–400 nm nach Anregung mit Licht der Wellenlänge 250–300 nm. Die Fluoreszenzspektroskopie ist eine sensitive Methode um Konformationsänderungen nachzuweisen. Die Entfaltung von Proteinen, die häufig der Aggregation vorausgeht, führt dazu, dass hydrophobe AS an die Oberfläche gelangen und die Fluoreszenz intensivieren. Die Zirkulardichroismus(CD)-Spektroskopie nutzt die Chiralität der AS zur Bestimmung der Sekundär- und Tertiärstruktur durch Bestimmung der optischen Effektivität. Auch mit der FourierTransformed-Infrarotspektroskopie (FT-IR) kön-
7 1.6 · Immunogenitätspotential
nen Veränderungen der Sekundärstruktur von Proteinen nachgewiesen werden. Das »light scattering« kann genutzt werden, um unlösliche Aggregate zu bestimmen. In kolorimetrischen Assays wird die Färbung der AS mit Ninhydrin, Biuret (Lowry-Methode) und anderen Reagenzien zur quantitativen Bestimmung der Proteine genutzt. Die Differential Scanning Calorimetry (DSC) ist eine thermische Methode, bei der die Temperatur, die zur Entfaltung des Proteins erforderlich ist, mit einem endothermischen Peak im DSC bestimmt werden kann. Zur Bestimmung der Primärstruktur von Proteinen werden deren Endgruppen z. B. mittels EdmanAbbau sequenziert und bestimmt. Die Sequenzangaben sollen den richtigen Einbau der N-terminalen Segmente und die Anwesenheit der C-terminalen AS ermöglichen. Des Weiteren werden die Proteine unterschiedlich stark chemisch oder enzymatisch abgebaut und anschließend die Proteolyseprodukte in Form der einzelnen AS (AS-Analyse) oder in Form von Peptiden (Peptidkartierung, »peptide mapping«) mit unterschiedlichen Chromatographiemethoden charakterisiert. Aus der Peptidkartierung lässt sich unter geeigneten Bedingungen ablesen, ob Disulfidbrücken korrekt geknüpft sind. Darüber hinaus stellen moderne massenspektroskopische Methoden wertvolle Analysemethoden zur Bestimmung der AS-Sequenz dar. Mit den Immunoassay-Methoden (Radioimmunoassay = RIA, »enzyme linked immunosorbent assay« = ELISA) werden immunogene Domänen von Proteinen mit monoklonalen Antikörpern identifiziert und quantifiziert. Diese müssen nicht zwangsläufig mit den biologisch aktiven Domänen übereinstimmen. So sind beispielsweise im Insulinmolekül die immunogen wirkenden Epitope nicht übereinstimmend mit den Bereichen, die an den Insulinrezeptor binden. Immunoassays können daher nicht ohne weiteres zur Bestimmung der pharmakodynamischen Wirkung genutzt werden; es sei denn, es ist eine Korrelation nachgewiesen. Zur Bestimmung der Wirkung werden in der Regel die sog. Bioassays (z. B. Zellkulturmodelle, Tiermodelle) eingesetzt. Die ermittelten Parameter werden auf eine bestimmte Proteinmenge bezogen, was die Proteinbestimmung bedeutend macht. Dazu können Absolutmethoden (AS-Sequenz, NBestimmung nach Kjeldahl) oder validierte Alter-
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nativmethoden (Proteinbestimmung nach Lowry oder nach Bradford) angewandt werden. Für Glykoproteine muss auch das Glykosylierungsmuster und die Isoformenverteilung bestimmt werden. Hierzu wird das Protein enzymatisch gespalten und die kohlenhydrathaltigen Peptide über die Affinitätschromatographie isoliert. Durch zuckerchemische Analytik kann die genaue Struktur der Kohlenhydratreste ermittelt werden. Unter pharmazeutischen Gesichtspunkten sind weitere Reinheitsprüfungen, wie die Prüfung auf Wirtszellproteine, Endotoxine, DNA, Viren, Mykoplasmen, Pyrogenfreiheit und Sterilität, zu prüfen. Die Prüfung auf Wirtszellproteine erfolgt immunologisch mit einem Antiserum, das gegen ein Gesamtproteinextrakt eines analogen Wirt-Vektor-Systems erzeugt wurde. Der Nachweis der Abwesenheit der aus Wirtszellen stammenden DNA erfolgt mit Polymerase-Kettenreaktion. Mikrobielle Kontaminationen (Bakterien, Pilze, Mykoplasmen) und infektiöse Agenzien (Phagen, Viren) müssen durch geeignete Verfahren (s. Validierung des Herstellungsprozesses) ausgeschlossen werden. Alle Ausgangsstoffe sollen vorzugsweise durch Hitze sterilisiert werden. Ein Proteinarzneistoff verfügt über unterschiedliche Strukturebenen (primär bis quartär), deren Integrität nicht gleichzeitig mit einer Analysemethode erfasst werden kann. Um ein Proteinarzneimittel umfassend zu charakterisieren, sind daher diverse Analysemethoden erforderlich. In ⊡ Tab. 1.1 sind geeignete Analysemethoden den Zielparametern für die Untersuchung von Biopharmazeutika zugeordnet.
1.6
Immunogenitätspotential
Einen wesentlichen Unterschied zwischen kleinen Wirkstoffmolekülen und Biopharmazeutika stellt das Immunogenitätspotential dar. Die Antikörperbildung hat nicht vorhersagbare klinische Effekte bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit. Die Bedeutung der Antikörperbildung reicht von keiner Bedeutung über schwerwiegende bis zu lebensbedrohlichen Reaktionen. Antikörper können durch Bindung an das Protein zu pharmakokinetischen Veränderungen (z. B. Verkürzung, aber auch Verlängerung der HWZ) und über Neutralisierung zur
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Kapitel 1 · Biopharmazeutika – rekombinant hergestellte Produkte
⊡ Tab. 1.1. Einige analytische Methoden zur Untersuchung von Biopharmazeutika Analytischer Endpunkt Identität
Methode
N-terminale Sequenz Peptidkartierung Isoelektrische Fokussierung (IEF)
Molekülgröße
Elektrophorese Größenausschlusschromatographie (SE-HPLC) Light scattering
Struktur
N- und C-Termini Aminosäuren-Analyse Peptide mapping Kohlenhydrat-Analyse (z. B. MS) Circular Dichroismus (CD) Röntgenstrukturanalyse Spezifische Bindung Fourier-transformed-Infrarot-Spektroskopie (FT-IR) Differential scanning calorimetry (μDSC) NMR MS (z. B. MALDI-TOF)
Oberflächenladung
Isoelektrische Fokussierung (IEF) Ionenaustausch-Chromatographie (IEC) Chromatofokussierung
Gehalt (Proteinkonzentration)
UV-Absorption (280 nm)
Reinheit
Reversed phase-HPLC (RP-HPLC)
Proteinassay (Lowry, Kjeldahl) Quantitative Aminosäurenanalyse
Wirkungsabschwächung bis zur Wirkungslosigkeit führen. Es können Hypersensitivitäts- und allergische Reaktionen auftreten. Die Immunogenität bedingende Faktoren sind produkt- und patientenspezifische Faktoren. An produktbezogenen Faktoren sind zu beachten: ▬ Mangelnde Authentizität Auch kleine Molekülvariationen (veränderte Aminosäurensequenz, Glykosylierung) können eine Immunantwort auslösen. ▬ Aggregatbildung In Korrelation mit einem Anteil hydrophober Aminosäuren, auch bei fehlender Glykosylierung, kann es zur Aggregatbildung, Bildung repetitiver Sequenzen und verstärkter Antigenität kommen. ▬ Kontaminationen (z. B. Wirtszellproteine), Formulierungs- und Lagerungsprobleme können zu immunogenen Zersetzungsprodukten, Denaturierung und Aggregaten führen. Beispiele hierfür sind formulierungsabhängige Immunogenität von Interferon alfa 2a und Epoetin alfa. An patientenbezogenen Faktoren sind zu beachten: ▬ Applikationsart (s.c.- und i.m.-Applikationen zeigen verstärkte Immunogenität) ▬ Dosierungshäufigkeit und Dosierungsregime ▬ Komorbidität (kongenitale Defizienz am substituierten Protein ist mit erhöhter Immunantwort bei exogener Substitution verbunden) ▬ Komedikation (geringere Immunogenität bei immunsupprimierten Patienten)
Ionenaustausch-Chromatographie (IEC) Größenausschlusschromatographie (SE-HPLC) Natriumdodecylsulfat-PolyamidGelelektrophorese (SDS-PAGE)
1.7
Herstellung von Biopharmazeutika nach Europäischem Arzneibuch (Ph.Eur.)
Kontaminanten-spezifische ELISA Aktivität
Bioassay (in vivo, in vitro) Spezifischer Bindungsassay
Pharmazeutische Parameter
Endotoxine, Pyrogene (Ph.Eur.) Sterilität (Ph.Eur.) pH (Ph.Eur.) Osmolalität (Ph.Eur.) Visuell sichtbare Partikel (Ph.Eur.) Subvisuelle Partikel (Ph.Eur.)
Die besonderen Anforderungen an die Herstellung von Biopharmazeutika resultieren aus den Besonderheiten der Herstellung, insbesondere der Herstellung in lebenden Zellen mit fraglicher genetischer Stabilität unter Zusatz biologischer Ausgangsmaterialien, den langen, komplizierten Herstellungsprozessen und dem Poolen mehrerer Fermentationsläufe. Die Entwicklung und Produktion eines Biopharmazeutikums umfasst typischerweise folgende Stufen:
9 1.7 · Herstellung von Biopharmazeutika nach Europäischem Arzneibuch (Ph.Eur.)
▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬
Entwicklung des Wirt-Vektor-Systems Etablieren des Saatgutsystems Fermentation und Proteinproduktion Reinigung des Proteinwirkstoffs Analyse des Proteinwirkstoffs Formulierung des Proteinarzneimittels (Proteinwirkstoff plus Hilfsstoffe)
Das Ph.Eur. fordert eine ausführliche Beschreibung der Herstellung (Klonierung und Expression, Zellbanksystem, Validierung der Zellbanken) sowie die Validierung des Herstellungsprozesses (Extraktion und Reinigung, Charakterisierung des Bulkprodukts, geeignete Prüfungen zum Nachweis der Gleichförmigkeit der Produktion). Zunächst muss die Eignung des Wirt-VektorSystems nachgewiesen werden durch: ▬ Charakterisierung der Wirtszelle, einschließlich Herkunft, Phänotyp, Genotyp sowie die eingesetzten Zellkulturmedien ▬ Dokumentation der Klonierungsstrategie für das Gen und Charakterisierung des rekombinanten Vektors ▬ Charakterisierung des Wirt-Vektor-Systems (z. B. Kopienzahl und Stabilität des Expressionskonstrukts, Maßnahmen zur Induktion und Kontrolle der Expression) Aus den Unterlagen muss u. a. hervorgehen, dass ausschließlich die für eine kontrollierte Synthese des Produkts unbedingt erforderlichen Sequenzen auf dem rekombinanten Vektor vorhanden sind. Es müssen auch die Promotoren (Kontrollelemente für die Expression der genetischen Information) und die Enhancer (Verstärker für die Expression), wie auch Gene, die für Selektionszwecke genutzt werden, beschrieben werden. Als Resistenzgene für die Selektion der erfolgreich transformierten Wirtszellen dienen in der Regel Antibiotikaresistenzgene (z. B. bei E. coli das β-Lactamasegen [AmpR]). Die verwendeten Promotoren sind in der Regel induzierbar, was zur Steuerung der Produktion genutzt wird. Zur Überprüfung der Stabilität der genetischen Information muss auch die Sequenz der resultierenden RNA, auch während des Fermentationsprozesses, auf Intaktheit geprüft werden. Ist der Expressionsvektor in das Wirtsgenom integriert (in der Regel bei eukaryotischen
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Wirtszellen) und evtl. amplifiziert, kann alternativ zur Sequenzanalyse die Southern-Blot-Analyse der DNA (Hydrolyse der DNA, Chromatographie der DNA-Fragmente, Inkubieren der »geblotteten« Fragmente mit radioaktiv markierten Nukleinsäuren und Identifizierung durch Autoradiographie) durchgeführt werden. Für die Zellbanken muss die Zuverlässigkeit durch Validierung nachgewiesen werden. Dazu gehört der Nachweis der Stabilität und der Identität der Zellen. Die Zellbanken müssen frei von potentiellen onkogenen oder infektiösen Erregern sein. Besonders ist auf endogene Viren zu achten, die üblicherweise die Spezies, von der die Zelllinie abgeleitet ist, kontaminieren. Zur Überwachung ist die Messung der reversen Transkriptase geeignet, die zur Vermehrung der Retroviren essentiell ist. Für Säugetierzellen müssen Einzelheiten über das tumorerzeugende Potential der Zellbank erarbeitet werden. Praktisch alle als Wirtszellen genutzten Säugetierzelllinien sind unsterblich. Auf die onkogenen und infektiösen Eigenschaften muss auch nach der größten zulässigen Zellverdopplungszahl bei den Arbeitszellbänken geprüft werden. Die Validierung des Herstellungsprozesses umfasst alle Teilschritte der Herstellung, insbesondere Extraktion und Reinigung. Der Produktionsprozess (»up stream process«) selbst führt auch zu Verunreinigungen, die im sog. »down stream processing« entfernt werden müssen. Dazu gehören Stoffe wie Nukleinsäuren, Proteine, Endotoxine, Nährmedienzusätze (z. B. Antibiotika, Wachstumsfaktoren, Serum, Kohlenhydrate) oder Metallionen aus Produktionsanlagen und Erreger wie Bakterien, Pilze, Viren oder Prionen. Insbesondere bei der Produktion in E. coli-Zellen werden pyrogene Lipopolysaccharide freigesetzt, die z. B. durch einen spezifischen Chromatographieschritt entfernt werden müssen. Die Leistungsfähigkeit jedes Schritts zur Entfernung (Abreicherung) oder Inaktivierung verunreinigender Substanzen, die von der Wirtszelle oder aus dem Kulturmedium stammen, muss nachgewiesen werden. Die Prüfung erfolgt, ausgenommen für Viren, unter Produktionsbedingungen. Das Reduktionsvermögen für DNA wird durch Spiking überprüft. Die erreichten Abreicherungs- bzw. Inaktivierungsverfahren der einzelnen Schritte addieren sich (vgl. Virusinaktivierung bei Blutprodukten).
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Kapitel 1 · Biopharmazeutika – rekombinant hergestellte Produkte
Die Gesamtabreicherung bzw. Inaktivierung muss durch die Validierung garantiert werden können, da eine Kontamination während des Herstellungsprozesses nicht sicher zu identifizieren ist. Während des aufwendigen Reinigungsprozesses werden die Proteine chemischen Bedingungen ausgesetzt, die nur in vitro vorkommen und zur Konformationsänderung und Mikroheterogenität des Produktes beitragen können. Da jede Form der Mikroheterogenität zu veränderten pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Eigenschaften des Produktes führen kann, aber nicht jede Variation hinreichend charakterisiert werden kann, ist die Gleichförmigkeit der Produktion mit gleichförmigem Ergebnis entscheidend. Das Scaling up und die gleichförmige Aufrechterhaltung des Produktionsprozesses können aber problematisch sein. Know-how und Erfahrung in der Produktion spielen eine bedeutende Rolle. Die Einhaltung festgelegter Grenzen bei der Produktausbeute ist daher ein Kriterium, das die Gleichförmigkeit der Herstellung durch Einhaltung der Produktionsbedingungen und Reproduzierbarkeit des Produktionsprozesses belegt und zu erfüllen ist. Das fertige Bulkprodukt ist mit unterschiedlichen Methoden auf Identität, Reinheit, Aktivität und Stabilität zu prüfen. Vor der Freigabe einer Charge muss auf Identität, Gehalt und Reinheit geprüft werden. Die Biopharmazeutika als Makromoleküle haben ungünstige Arzneimitteleigenschaften und zur Herstellung stabiler Arzneimittel sind zahlreiche Hilfsstoffe erforderlich, die der Verbesserung der Löslichkeit und Stabilität dienen.
Basisliteratur Banga AK (1997) Therapeutic peptides and protein,1. Auflage, pp 3–18, Tech-nomic Publishing Co Bontempo, JA (1997) Development of biopharmaceutical parenteral dosage forms (drugs and the pharmaceutical science), 1. Auflage, pp 1–10, pp 11–30, pp 91-108, Marcel Dekker Ltd. Dembowsky K, Stadler P (2001) Novel Therapeutic Proteins: Selected Case Studies, 1. Auflage, p 4, p 7, Wiley-VCH Voet D, Voet JG (2002) Biochemie, 1. Auflage, Wiley-VCH Alberts B, Bray D, Lewis J, Jaenicke L (1990) Molekularbiologie der Zelle, 2. Auflage, pp 122–138, Wiley-VCH Europäische Pharmacopoe (Ph.Eur.) (2008) Europäisches Arzneibuch, Ausgabe 6.0
2
Entwicklung und Begriffe medizinischer Biotechnologie und Gentechnologien Wolfgang Jelkmann
2.1
Traditionelle biotechnologische Prozesse – 12
2.2
Grundlagen der Gentechnologie – 13
2.3
Wirtszellen – 15
2.4
Reinigung und Charakterisierung der rekombinanten Produkte – 17
2.5
Beispiele rekombinanter Biopharmazeutika – 19
2.6
Zusammenfassung – 21 Literatur – 21
2
12
Kapitel 2 · Entwicklung und Begriffe medizinischer Biotechnologie und Gentechnologien
2.1
Traditionelle biotechnologische Prozesse
Die Menschheit hat sich seit Jahrtausenden biotechnologischer Prozesse bedient, indem sie katalytische Eigenschaften pflanzlicher und tierischer Zellen zur Gewinnung und Veredlung von Nahrungsmitteln nutzte (⊡ Tab. 2.1). Mikroorganismen ermöglichen die Herstellung von Brot, Käse und alkoholischen Getränken (Fermentation, Gärung). Sie schenken uns Arzneistoffe wie z. B. Antibiotika und bestimmte Immunsuppressiva. Dank innovativer molekularbiologischer Forschung hat die Biotechnologie in viele Lebensbereiche Eingang gefunden (⊡ Tab. 2.2; s. auch unter http://www.bio.org). Die rote Biotechnologie umfasst die Entwicklung diagnostischer und therapeutischer medizinischer Verfahren und Arzneimittel. »Biopharmazeutika« sind nach Definition der EMEA (»European Medicines Evaluation Agency«) Arzneimittel, die mit einer oder mehreren der folgenden biotechnologischen Techniken hergestellt sind: DNA-Rekombination,
kontrollierte Genexpression und Antikörper-Methoden. Die Neukombination von Erbmaterial ist ein natürlicher Prozess, der ständig innerhalb des Organismus und zwischen verschiedenen Organismen abläuft und letztlich zur großen Vielfalt der Lebewesen auf unserem Planeten geführt hat. Selbst Mikroorganismen, die sich asexuell vermehren, tauschen untereinander genetische Informationen aus. Bestimmte bakterienspezifische Viren (Bakteriophagen, z. B. der Phage λ) treiben ihre Nukleinsäuren mit der Erbinformation durch ihren Infektionsapparat in Bakterienzellen (»Transduktion«). Bakterien können untereinander extrachromosomale ringförmige doppelsträngige DNA-Moleküle (sog. »Plasmide«) austauschen. Dieser als »Konjugation« oder »horizontaler Gentransfer« bezeichnete Vorgang verursacht die Verbreitung von Antibiotikaresistenzgenen unter Bakterien. In der Gentechnologie dienen Plasmide und andere Vektoren als Vehikel zur Einschleusung von DNA in »Wirtszellen«. Plasmide können sich vermehren, und zwar einschließlich der in ihnen enthaltenen Fremd-DNA.
⊡ Tab. 2.1. Traditionelle nicht-gentechnologische Biotechnologie Produkte
Mikroorganismen
Käse, Joghurt, Kefir, Sauerkraut
Lactobacillales (Milchsäurebakterien)
Sauerteig
Acetobacteraceae (Essigsäurebakterien)
Brot, Bier und Wein
Saccharomyces cerevisiae (Hefe)
Zitronensäure
Aspergillus niger
Antibiotika
Streptomycinae
⊡ Tab. 2.2. Zweige der Biotechnologie Zweig
Anwendungsgebiete
Rote Biotechnologie
Medizin/Pharmazeutik
Grüne Biotechnologie
Landwirtschaft
Blaue Biotechnologie
Produkte aus dem Meer
Weiße Biotechnologie
Industrie (u. a. chemische)
Graue Biotechnologie
Abfallwirtschaft
13 2.2 · Grundlagen der Gentechnologie
2.2
Grundlagen der Gentechnologie
Während sich die traditionelle Biotechnologie ausschließlich natürlicher Stoffwechselleistungen von Mikroorganismen bedient, wird bei gentechnologischen Prozessen die genomische DNA von Zellen gezielt verändert. Die gentechn(olog)isch veränderten Organismen (GVO) werden zur Gewinnung von Proteinen für diagnostische und therapeutische Zwecke genutzt. Durch Spaltung und Ligation von DNA können Gensegmente beliebig kombiniert werden. Bei der stabilen Transformation (von Bakterien und Hefen) bzw. Transfektion (von Säugetierzellen) zur kontinuierlichen Produktion von Biopharmazeutika wird die Fremd-DNA in das Genom der Wirtszelle integriert. Durch In-vitro-Mutagenese können einzelne Nukleotide gezielt ausgetauscht und damit der genetische Code dahingehend verändert werden, dass mit der Transkription und Translation Proteine mit veränderten – verbesserten oder neuen – Eigenschaften gebildet werden. Bahnbrechende Arbeiten zur Neukombination von DNA-Abschnitten (Rekombination) gelangen in den 1970er Jahren. 1972 fanden Paul Berg, John E. Mertz und Ronald Davis aus Stanford heraus, dass Genfragmente mit komplementären einkettigen Enden (»sticky ends«) durch Einwirkung des Enzyms Ligase zu rekombinanter DNA (rDNA) verbunden werden können. Ein Jahr später gelang es den Amerikanern Stanley N. Cohen und Herbert W. Boyer nachzuweisen, dass mit rDNA transfizierte »Wirtszellen« diese exprimieren. Paul Berg war federführender Organisator der »Asilomar Conference«, die 1975 in Kalifornien zur Dokumentation ethischer Grundsätze für die Forschung mit DNA abgehalten wurde. In einem Memorandum wurde empfohlen, keine Experimente mit humanen Onkogenen, und Experimente mit potentiellen Krankheitserregern nur mit nicht oder kaum pathogenen Bakterienstämmen in besonders eingerichteten Laboratorien durchzuführen. Berg erhielt 1980 (anteilig mit Walter Gilbert und Frederick Sanger) den Nobelpreis für Chemie (»for his fundamental studies of the biochemistry of nucleic acids, with particular regard to recombinant-DNA«). Bakterien exprimieren DNA-schneidende Enzyme (»Restriktionsenzyme«), mit denen sie Nuk-
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leotide eingedrungener Bakteriophagen auftrennen und damit inaktivieren können. Die unterschiedlichen Restriktionsenzyme sind nach dem Organismus und Stamm, aus dem sie isoliert wurden, und einer Isoform-Nummer benannt (z. B. ist EcoRI aus Escherichia coli, Stamm RY 13). Mit der Charakterisierung der Restriktionsenzyme als Endonukleasen, die die Spaltung von DNA an definierten Stellen katalysieren, durch Werner Arber aus Basel und Hamilton O. Smith aus Baltimore und der gleichzeitigen Charakterisierung spezifischer Genabschnitte durch Daniel Nathans aus Baltimore wurde es möglich, den Doppelstrang der DNA gezielt aufzutrennen. Arber, Smith und Nathans wurden 1978 mit dem Nobelpreis für Physiologie bzw. Medizin ausgezeichnet (»for the discovery of restriction enzymes and their application to problems of molecular genetics«). rDNA stammt definitionsgemäß aus mindestens zwei unterschiedlichen zellulären bzw. viralen Quellen. Prinzipiell kann die Transfektion homolog (mit Material derselben Spezies) oder heterolog (aus unterschiedlichen Spezies) erfolgen. Das genetische Codon, d. h. die Abfolge eines Basen-Tripletts aus den Chiffren von Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin, wird in den kernhaltigen lebenden Zellen aller Organismen identisch transkribiert und translatiert, d. h. eine humane DNA-Sequenz ergibt in einer bakteriellen Zelle die gleiche Aminosäuresequenz wie in einer menschlichen. Speziesspezifische Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich Expressionsrate und -kontrollmechanismen, Prozessierung der Messenger-RNA (mRNA), posttranslationaler Modifikation und Sekretionsfähigkeit. Die Wirtszelle wird nach ihrer Transformation bzw. Transfektion mit rDNA als Wirt-Vektor-System bezeichnet. Die für menschliche Proteine kodierende DNA kann synthetisch hergestellt sein oder als cDNA (»copy DNA«) durch reverse Transkription aus mRNA gewonnen werden. cDNA enthält nur die Sequenz der kodierenden DNA-Elemente (»Exons«) des Gens, nicht jedoch die intervenierenden DNA-Elemente (»Introns«). Letztere kodieren keine Polypeptidstücke und ihre Nachricht wird beim mRNA-Spleißen entfernt. Die Gene von Prokaryoten enhalten keine Introns. Als rekombinante Proteine (präziser wäre: »DNA-rekombinationstechnisch hergestellte Pro-
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Kapitel 2 · Entwicklung und Begriffe medizinischer Biotechnologie und Gentechnologien
teine«) werden Proteine bezeichnet, die durch Transkription und Translation von rDNA in einem – somit genetisch veränderten – Organismus gebildet werden. Das aus 14 Aminosäuren bestehende Somatostatin war 1977 das erste humane Peptid, das DNA-rekombinationstechnisch in Bakterienkulturen produziert wurde [Itakura et al., 1977]. 1978 folgte Insulin. Die Möglichkeit, humane Peptide und Proteine gentechnologisch zu therapeutischen Zwecken in Reinform herzustellen, kann als Meilenstein pharmazeutischer Forschung bezeichnet werden (⊡ Tab. 2.3). Seit den 1980er Jahren ist die Genübertragung auch auf Säugetierzellen möglich. Außerdem können artfremde Gene – auch menschliche – in das Genom von Tieren integriert werden (»transgene Tiere«). Eier transgener Hühner und Milch transgener Ziegen oder Kühe sind eine Quelle rekombinanter Proteine. Rekombinante Proteine aus kultivierten Wirt-Vektor-Systemen und von trans-
genen Tieren und Pflanzen (»Pharming«) werden seit Jahren routinemäßig für die Behandlung von Anämien, Blutstillungsstörungen, endokrinen Mangelzuständen, immunologischen und infektiösen Prozessen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologischen Störungen und Neoplasien eingesetzt. Gentechnologisch hergestellte Arzneimittel supplementieren oder ersetzen häufig ein vom Körper gebildetes endogenes Protein. Sie erfüllen so einen medizinischen Bedarf, der durch chemische Arzneimittel nicht gedeckt werden kann. In Deutschland sind etwa 100 rekombinante Wirkstoffe zur Therapie zugelassen (s. Internethinweis in ⊡ Tab. 2.4). Dazu zählen auch die besonders großen und kompliziert aufgebauten monoklonalen Antikörper (…mab = »Präfix«mab), die seit einigen Jahren ebenfalls gentechnologisch hergestellt werden. Da alle somatischen kernhaltigen Zellen des menschlichen Körpers über sämtliche Gene verfügen, ist es grundsätzlich auch möglich,
⊡ Tab. 2.3. Gewinnung therapeutischer Proteine in der Vor-Gentechnologie-Ära Protein
Quelle
Risiko
Insulin
Tierisches Pankreas
Immunogenität (Antikörperbildung), begrenzte Verfügbarkeit
Wachstumshormon (GH, Somatotropin)
Menschliche Hypophyse
Prioneninfektion (CreutzfeldtJakob-Krankheit)
Gerinnungsfaktor VIII
Menschliches Blutplasma, Plazenta
Virusinfektion (Aids, Hepatitis)
⊡ Tab. 2.4. Erste gentechnologisch hergestellte Biopharmazeutika, die in Deutschland als Arzneimittel zugelassen wurden Wirkstoff
Jahr
Indikation
Insulin
1982
Diabetes mellitus
Hepatitis-B-Vakzine
1986
Impfung
Interferon α-2a
1987
Leukämie, Kaposi-Sarkom, Melanom, Hepatitis B und C
Gewebeplasminogenaktivator
1987
Thrombolyse, Herzinfarkt
Wachstumshormon
1988
Hypophysärer Minderwuchs
Erythropoietin
1988
Renale Anämie
Listen der aktuell zu therapeutischen Zwecken zugelassenen rekombinanten Proteine werden online für Deutschland vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (http://www.vfa.de/gentech) und für die EU von der EMEA (www.emea.europa.eu/ index/indexh1.htm) und dem InfoService Biotechnology (http://www.i-s-b.org/business/rec_drugs.htm) veröffentlicht.
15 2.3 · Wirtszellen
kultivierte Zellen des Menschen mit DNA zu transfizieren, welche selber als Promotor aktiv ist oder den Promotor für ein bestimmtes Gen aktiviert [Basheer, 2005]. Der Begriff Gentechnologie beschreibt die Gesamtheit der Methoden zur Identifizierung, Isolierung, Vermehrung, Analyse und Expression von Genen in transformierten bzw. transfizierten Zellen (⊡ Abb. 2.1). Als Wirtszellen können Bakterien, Hefen, Insektenzellen, Säugetierzellen und Pflanzen verwendet werden. Zur Expression eines Transgens in den Wirtszellen muss das »Insert« in einen Expressionsvektor eingebaut werden. Als Vektoren werden meist Plasmide, modifizierte Viren (z. B. Bakteriophagen oder Retroviren), Cosmide (chimäre Vektoren aus Plasmid und Phagen-DNA) oder YAC (»yeast artificial chromosomes«, künstliche Minichromosomen aus Hefe) verwendet. Expressionsvektoren enthalten zudem bestimmte Erkennungssequenzen (Promoter-, Enhancer- und Terminatorsequenzen), die für die Transkription und Translation in das gewünschte Protein notwendig sind. Die Promotor-DNA des Transgens muss wirtszellspezies-spezifisch und – bei Säugetieren – gewebe-spezifisch sein. Zur effektiven Sekretion heterologer Proteine bedarf es der Ko-Expression und Fusion mit passenden »Signalpeptiden«. Das Signalpeptid wird durch Peptidasen abgespalten, die bei Prokaryoten in der Zellmembran und bei Eukaryoten im endoplasmatischen Retikulum und der inneren Mitochondrienmembran lokalisiert sind [Dalbey et al., 1997]. Die bei der Vermehrung entstehenden
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Nachkommen (»Zellklone«) von mit humaner DNA transfizierten Zellen bilden alle die gleiche humane DNA. Die Wirt-Vektor-Systeme werden üblicherweise in großen Bioreaktoren gezüchtet (60.000 l für Bakterien und 10.000 l oder mehr Fassungsvermögen für Säugetierzellen).
2.3
Wirtszellen
Industriell eingesetzte Produktionsorganismen müssen den GRAS (»generally recognised as safe«)Status aufweisen, d. h. sie dürfen nicht pathogen sein und keine toxischen oder antibiotischen Stoffe bilden. Mikroorganismen als Wirtszellen haben den Vorteil, dass sie anspruchslos und einfach zu kultivieren sind (kurze Fermentationszeiten). Die Bakterienstämme (sog. Defektmutanten), welche zur Produktion von Biopharmazeutika verwendet werden, vermehren sich ausschließlich unter den vorgegebenen, kontrollierten Kulturbedingungen. Außerhalb des Produktionsbetriebes gehen sie zugrunde. Das Bakterium Escherichia (E.) coli ist ein gentechnologisch bevorzugter Wirtsorganismus, weil er einfach zu züchten und sehr vermehrungsfähig ist [Sodoyer, 2004]. Zur Transformation werden häufig Plasmide verwendet, die ein bestimmtes AntibiotikaresistenzGen enthalten (sog. dominante Selektion), wie z. B. das β-Laktamase-Gen, welches Resistenz gegenüber Ampicillin vermittelt. Umgekehrt können Gene kotransfiziert werden, die das Überleben in Mangelmedien ermöglichen (rezessive Selektion). Häufig wird der E. coli-Stamm K12 als Wirtsorganismus
⊡ Abb. 2.1. Prinzip der gentechnologischen Produktion rekombinanter Proteine. Die kodierende DNA für das Produkt wird mit Hilfe eines Plasmids oder viralen Vektors in einen geeigneten Wirtsorganismus eingeführt, welcher diese DNA exprimiert und in ein Protein translatiert
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Kapitel 2 · Entwicklung und Begriffe medizinischer Biotechnologie und Gentechnologien
verwendet, u. a. für die Gewinnung von humanem Insulin, Wachstumshormon und α-Interferon. Da diese Bakterien translatierten Proteinen die Initiatoraminosäure Formylmethionin voranstellen, kann es notwendig sein, letztere enzymatisch aus rekombinanten Arzneimitteln zu entfernen. E. coli kann das gebildete Protein meist nicht ausschleusen und muss daher zur Produktgewinnung lysiert werden [Baneyx und Mujacic, 2004]. E. coli falten die translatierten Proteine oft nicht korrekt, so dass unlösliche Einschlusskörper (»inclusion bodies«) entstehen, die biologisch inaktiv sind. Kulturen von Bacillus subtilis lassen sich dagegen induzieren und sezernieren die Proteine in das Kulturmedium, wodurch die Reinigung des Produktes vereinfacht wird. Bakterien fehlen Enzyme, die Proteine posttranslational modifizieren, z. B. Enzyme zur Glykosylierung und Phosphorylierung (⊡ Abb. 2.2). Hefen sind einfache Eukaryoten, die sich wie Bakterien leicht vermehren lassen, aber in manchen biotechnischen Eigenschaften Säugetierzellen gleichen. So sezernieren Hefen z. B. die rekombinanten Proteine. Die Aufarbeitung und Reini-
gung rekombinanter Produkte aus dem Medium von Hefekulturen sind daher einfacher als aus bakteriellen Extrakten. Zudem sind die Produkte nicht mit bakteriellen Endotoxinen kontaminiert. Saccharomyces (S.) cerevisiae (Bäckerhefe) wird als Wirt-Vektor-System zur Gewinnung von u. a. humanem Insulin, Albumin oder Hepatitis-BImpfstoff verwendet. Hefen können Proteine posttranslational durch proteolytische Prozessierung, Disulfidbrückenbildung und Glykosylierung modifizieren. Gerade in S. cerevisiae kommt es jedoch häufig zur unerwünschten Hyperglykosylierung. Außerdem bilden Hefen Proteasen, die Fremdproteine abbauen und somit die Produktausbeute verringern. Durch Ausschalten (»knock-out«) bestimmter Hefegene und gleichzeitiger Transfektion humaner Gene für die Glykosylierung gelang es kürzlich erstmals, glykosyliertes humanes Erythropoietin (EPO) rekombinant in Pichia pastoris zu exprimieren [Hamilton et al., 2006]. Ein anderer relativ neuer Ansatz ist die Expression fremder Proteine durch Baculovirusvektoren in Insektenzellen (z. B. Sf9-Zellen). Hauptvorteile sind
⊡ Abb. 2.2. Beziehung zwischen Wirtszell-Typ und DNA-rekombinationstechnisch hergestelltem Produkt. Glykosylierte Biopharmazeutika werden in Säugetier-Zellkulturen gewonnen. Nach Jelkmann, 2007a
17 2.4 · Reinigung und Charakterisierung der rekombinanten Produkte
hier hohe Expressionsraten, korrekte Proteinfaltung und posttranslationale Modifikationen, ähnlich wie bei Säugetierzellen. Mit solchen Wirt-Vektor-Systemen werden Virusproteine als Impfstoffe gegen Karzinome und gegen Aids gewonnen. Zur biotechnologischen Herstellung von Glykoproteinen wie EPO, Gewebeplasminogenaktivator (t-PA) oder Gerinnungsfaktor VIII werden im Allgemeinen Säugetierzellen als Wirtsorganismen verwendet, die sich in Suspensionskultur halten lassen [Jenkins et al., 1996; Wurm, 2004]. Gängige Zelllinien sind CHO (»Chinese hamster ovary«), BHK (»baby hamster kidney«), COS (»African green monkey kidney«), HEK (»human embryonic kidney«) und HT-1080 (»human fibrosarcoma«). Die wichtigsten Zelllinien sind im Internet beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit einsehbar (http://194.95.226.234/cgi/lasso/zellen/zellen. lasso). Pharmazeutisch besonders gebräuchlich ist die Dihydrofolatreduktase defiziente (dhfr-) CHOSublinie DG44. Durch Ko-Transfektion des dhfrGens im Expressionsvektor lassen sich in Methotrexat-haltigem Kulturmedium Zellklone mit hoher Produktivität amplifizieren [Kaufman, 1990]. Hohe Produktivität und große Stabilität der Expression des therapeutischen Proteins sind wichtige Charakteristika eines guten Wirt-Vektor-Systems. Die DNA wird durch Zusatz von Kalziumphosphat, durch Elektroporation, mithilfe von Liposomen oder Mikromanipulatoren eingeführt. Ein alternatives Verfahren ist die Nutzung viraler Vektoren. Hierbei wird das zu übertragene Genkonstrukt in defekte Viren gehüllt, welche die DNA in die infizierten Wirtszellen transportieren, aber nicht vermehrungsfähig sind, da essentielle Teile des Virusgenoms fehlen. Für virale Transfektionssysteme gelten besondere Sicherheitsauflagen. Die transformierte bzw. transfizierte Wirtszelle ist ein gentechnisch veränderter Organismus (GVO). Selbstverständlich enthalten Arzneimittel wie rekombinantes humanes Insulin oder EPO keine GVO. Sie werden jedoch mithilfe gentechnisch veränderter Zelllinien hergestellt. Je nach Mikroorganismus werden gentechnische Arbeiten nach dem Gentechnikgesetz (GenTG) unterschiedlichen Risikogruppen zugeordnet. Insbesondere Säugetierzellen müssen zur Verwendung als Wirt-
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Vektor-System für Biopharmazeutika auf ihre Unbedenklichkeit, u. a. die Abwesenheit pathogener Viren, geprüft werden. So wurde z. B. zur Etablierung von COS-Zelllinien (COS-1, -3 und -7) eine etablierte Nierenzelllinie (CV-1) von Grünen Meerkatzen, die für die Vermehrung des SV40Virus permissiv ist, mit einer SV40-Mutante transfiziert, welche eine Deletion von 6 Basenpaaren (Bp) im Replikationsursprung aufweist und somit nicht mehr replikationsfähig ist. Das Glykosylierungsmuster rekombinanter Glykoproteine ist von den Charakteristika (Spezies, Gewebetyp, Zellklon) der Wirtszelle abhängig. So unterscheidet sich z. B. die Feinstruktur der Kohlenhydratseitenketten rekombinanter humaner Erythropoietine aus CHO- und BHK-Zellkulturen. Beide stammen von Hamstern, aber diese gehören unterschiedlichen Tiergattungen an (Cricetulus vs. Mesocricetus). Die originale CHO-Zelllinie wurde vor ca. 50 Jahren etabliert. CHO Zellen sind genetisch instabile Tumorzellen. Offenbar sind die verschiedenen CHO-Zelllinien, die pharmazeutische Unternehmen verwenden, zytogenetisch nicht identisch [Derouazi et al., 2006]. Die Kryopräservierung des Wirt-Vektor-Systems als »master cell bank« und – daraus subkultiviert und aliquotiert – »working cell bank« sichert langfristig die Verfügbarkeit der Produktionszelllinie und die Identität des von der Zulassungsbehörde genehmigten gentechnologischen Produktes.
2.4
Reinigung und Charakterisierung der rekombinanten Produkte
Die Isolierung der rekombinanten Expressionsprodukte aus den Zellkulturmedien erfordert hochspezialisierte Techniken, denn die Konzentration der biopharmazeutischen Proteine ist zunächst sehr niedrig. Die Integrität der rekombinanten Proteine ist zudem durch proteolytische Aktivitäten im Kultursystem gefährdet. Das gewünschte Produkt muss von anderen Proteinen, von Nukleinsäuren sowie von evtl. vorhandenen infektiösen Partikeln und Toxinen befreit werden. Die zur Reinigung eingesetzten chromatografischen Verfahren basieren primär auf allgemeinen physikochemischen Eigenschaften wie Molekülgröße
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Kapitel 2 · Entwicklung und Begriffe medizinischer Biotechnologie und Gentechnologien
oder Polarität des rekombinanten Proteins. Bei der anschließenden Affinitätsreinigung werden spezifische Eigenschaften des Proteins genutzt. Vor der Zulassung neuer Präparate sind umfangreiche präklinische und klinische Studien zur Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit notwendig. Bei gentechnologisch hergestellten Produkten muss der gesamte Herstellungsprozess zugelassen werden (⊡ Tab. 2.5). Damit besteht ein grundlegender Unterschied gegenüber nicht-gentechnologisch erzeugten Arzneimitteln. Als Therapeutika eingesetzte rekombinante Proteine werden regelmäßig auf Identität, Reinheit und Gehalt untersucht. Neben den physikalischchemischen Eigenschaften (molekulare Masse, elektrische Ladung, Löslichkeit, Hydrophobizität) werden Primärstruktur, Proteinfaltung, 3D-Struktur, Glykosylierungsmuster, Aggregationszustand und Isoformenprofil überprüft ( Kap. 1). Zu achten ist auf die Anwesenheit von aminoterminalem Formylmethionin und von Signalsequenzen, die durch die bakterielle Proteinbiosynthese bedingt sind. Ferner sind amino- und karboxyterminale Modifizierungen des therapeutischen Proteins durch proteolytische Prozesse und die Ausbildung von falschen oder zusätzlichen Bisulfidbrücken durch Oxidation auszuschließen. Bei Glykoproteinen ist die Feinstruktur der Kohlenhydratketten (Glykane) kritisch zu prüfen. Die Synthese der verzweigten N-Glykane ist ein biochemisch komplizierter Prozess [Helenius und Aebi, 2001]. Zunächst werden mehrere Zu-
cker im Cytosol an ein Lipid (Dolicholphosphat) gekoppelt und mit diesem ins endoplasmatische Retikulum transportiert. Das vorläufige Polysaccharid wird dann auf das wachsende Polypeptid übertragen (immer an Asparagin), im Golgi-Apparat modifiziert (»trimming«) und mit den endständigen Zuckern Fukose, Galaktose und – ganz außen – Sialinsäure versehen. Dagegen werden die kleinen O-Glykane von vornherein direkt an der Peptidkette aufgebaut (gebunden an Threonin oder Serin). Mit Ablauf des Patentschutzes der ersten gentechnologisch hergestellten Arzneimittel ist die Produktion und Vermarktung von Nachmachprodukten möglich geworden. Diese in der EU »Biosimilars« und in den USA »Follow-on Biologics« genannten Präparate werden von einem zweiten Hersteller mittels neuer Zelllinien, Herstellungsverfahren und analytischer Methoden produziert. Sie sind den Originalprodukten ähnlich, aber – v. a. wenn es sich um Glykoproteine handelt – nicht identisch. Gentechnologisch hergestellte Arzneimittel können nicht kopiert werden, da sie aus einzigartigen lebenden Zellen oder Organismen gewonnen werden. Biopharmazeutika sind erheblich größer und haben eine viel komplexere Struktur als klassische chemische Pharmazeutika, u. U. kommen sie durch posttranslationale Modifizierung (Glykosylierung oder Phosphorylierung) in Isoformen vor. Hinsichtlich ihrer Zulassung als Arzneimittel sind die Prinzipien, die bei chemischen Generika gelten (»wesentliche Ähnlichkeit«
⊡ Tab. 2.5. Produktionsschritte, die das gentechnologisch gewonnene biopharmazeutische Produkt beeinflussen − Aufbau der »master cell bank« und »working cell bank« Konstruktion des rekombinanten DNA-Moleküls (Vektor, akzessorische DNA-Elemente) Art der Wirtszelle (Gattung, Spezies, Gewebe, Linie) Transfektion der Wirtszelle Genamplifikation Selektion eines Wirtszell-Vektor-Klons und Vermehrung − Kultur der Produktionszellen/Bioprozesstechnik (Kulturmedium, Begasung, Fermenter-/Bioreaktortyp) − Aufreinigung des »rekombinanten« Proteins aus dem Zellkulturüberstand − Produktanalyse (Identität, Reinheit, Wirksamkeit) − Formulierung
19 2.5 · Beispiele rekombinanter Biopharmazeutika
in der EU bzw. »Bioäquivalenz« in den USA) bei Biosimilars nicht ohne weiteres anwendbar. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Isolierung und Charakterisierung rekombinanter Biopharmazeutika besonders kritisch hinsichtlich deren Wirksamkeit und Sicherheit ist. Das fertige Arzneimittel sollte ausschließlich das gewünschte Protein enthalten. Fremdproteine, Viren, Prionen oder Endotoxin müssen sicher entfernt sein. Diese Voraussetzungen waren bei einigen außerhalb der EU bzw. den USA vermarkteten EPO-Nachmachprodukten nicht erfüllt [Combe et al., 2005].
2.5
Beispiele rekombinanter Biopharmazeutika
Als erstes gentechnologisch hergestelltes Biopharmazeutikum wurde 1982 Insulin vom Bundesgesundheitsamt zugelassen (⊡ Tab. 2.3). Da Säugetierzellen Insulin initial als einkettiges Prohormon exprimieren, besteht eine Schwierigkeit bei der Herstellung von rekombinantem Insulin darin, das Signalpeptid (ggf.) sowie das C-Peptid (»connecting-peptide«) abzuspalten und die aus 21 Aminosäuren bestehende A-Kette und die aus 30 Aminosäuren aufgebaute B-Kette korrekt durch zwei Disulfidbrücken miteinander zu verbinden [Kjeldsen, 2000]. Ursprünglich wurde rekombinantes Insulin durch separate Expression der A- und B-Ketten in E. coli hergestellt und diese anschließend zum kompletten Insulinmolekül verbunden. Bei den moderneren Verfahren wird Proinsulin in einem einzigen E.-coli-Kulturstamm exprimiert und anschließend das von E. coli stets vorgeschaltete Formylmethionin abgespalten sowie das C-Peptid enzymatisch mit Carboxypeptidase B und Trypsin herausgeschnitten. Alternativ wird rekombinantes Insulin in S. cerevisiae zunächst als modifiziertes Proinsulin mit verkürztem C-Peptid translatiert, welches dann abgespalten wird. Zur individuellen Anpassung der pharmakokinetischen Eigenschaften sind verschiedene Insulin-Analoga entwickelt worden, nämlich einerseits schnell (Insulinaspart, Insulinlispro, Insulinglulisin) und andererseits protrahiert (Insulinglargin) wirkende. Diese »Muteine« sind rekombinante Produkte, in denen durch ortsgerichtete Mutagenese die DNA-Sequenz
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des Transgens – und damit die Aminosäuresequenz des translatierten Polypeptids – gegenüber dem nativen Gen des Polypeptids verändert worden ist (»site-directed mutagenesis«). Ein interessantes Beispiel ist in diesem Zusammenhang das physiologischerweise in den CZellen der Schilddrüsen gebildete Kalzitonin, welches den Ca2+-Einbau in die Knochengrundsubstanz fördert und therapeutisch bei Osteomalazie, Morbus Paget oder Hyperkalziämie bei malignen Erkrankungen indiziert sein kann. Kalzitonin ist ein lineares Polypeptid aus 32 Aminosäuren mit einer internen Disulfidbrücke. Die Aminosäuresequenz ist spezies-spezifisch. Obwohl zu therapeutischen Zwecken in der Regel synthetisch hergestelltes Kalzitonin eingesetzt wird, verwendet man in einigen europäischen Ländern (Schweiz, Großbritannien) auch rekombinantes (aus E. coli). In jedem Fall wird Kalzitonin mit der Aminosäurensequenz vom Lachs benutzt. Lachs-Kalzitonin unterscheidet sich in 16 Aminosäuren vom humanen. Lachs-Kalzitonin hat eine ca. 30-mal stärkere Wirkung als Human-Kalzitonin, da es wesentlich stabiler ist. Rekombinantes humanes Wachstumshormon (hGH, Somatotropin) wird zur Substitutionstherapie v. a. bei kindlichem Minderwuchs eingesetzt. Die gentechnologische Herstellung von hGH ist vergleichsweise einfach, da das Protein nicht glykosyliert ist und lediglich aus einer einzelnen Kette aus 191 Aminosäuren besteht. E. coli mit dem hGH-Insert produzieren ein hGH mit dem bakterientypischen zusätzlichen aminoterminalen Formylmethionin. Das damit aus 192 Aminosäuren bestehende hHG wird natürlicherweise nicht sezerniert, sondern verbleibt intrazellulär. Werden E.-coli-Kulturen jedoch mit einem Vektor transformiert, der zusätzlich zum hGH-Gen die DNASequenz für ein Signalpeptid zur intrazellulären Migration bakterieller Proteine enthält, translatieren die Bakterienzellen rekombinantes hGH und bewegen es bis in den Raum zwischen der inneren und äußeren Bakterienmembran. Dort wird das Signalpeptid zusammen mit dem Formylmethionin enzymatisch abgespalten. Zerstört man die äußere Zellmembran in hypotoner Lösung, wird das Produkt freigesetzt. Selbstverständlich sind auch eukaryotische Wirt-Vektor-Systeme zur
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Kapitel 2 · Entwicklung und Begriffe medizinischer Biotechnologie und Gentechnologien
Gewinnung von rekombinantem hGH zu therapeutischen Zwecken geeignet (ein kommerzielles Produkt stammt aus der murinen Mammakarzinomzelllinie C127). Bei einigen Patienten, die mit menschlichem Wachstumshormon aus den Hypophysen Verstorbener behandelt worden waren, bevor der rekombinante Wirkstoff verfügbar war, trat die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf. Vermutlich waren die Präparate mit Prionen kontaminiert. Gerade hinsichtlich der humanen Proteine, die für therapeutische Zwecke aus Gründen der begrenzten Verfügbarkeit oder ausgeprägter Speziesspezifität aus menschlichen Geweben extrahiert wurden, bedeutete die Möglichkeit, diese gentechnologisch zu produzieren, einen epochalen Fortschritt. Ein weiteres Beispiel sind hier die Blutgerinnungsfaktoren. Früher wurden Hämophile (weltweit ca. 250 000) mit aus Blutplasma hergestellten Gerinnungsfaktoren behandelt. In den 1970er und 1980er Jahren wurden unglücklicherweise zahlreiche Patienten durch die Gabe von nicht-virusinaktivierten Kryopräzipitaten mit HIV und/oder HCV infiziert. Rekombinanter Faktor VIII (rFVIII) kam in Deutschland 1993 auf den Markt, rFCVII 1996 und rFIX 1997. Die aktuelle pharmazeutische Bedeutung dieser Faktoren und ihre Zukunftsperspektiven (Gentherapie) sind kürzlich von Pipe [Pipe, 2003] informativ beleuchtet worden. Bei den rekombinanten Glykoproteinen ist das Ausmaß und die Art der Glykosylierung kritisch. Die kleinen O-Glykane spielen in der Regel eine untergeordnete Rolle. Dies zeigt der Vergleich von glykosyliertem vs. nicht-glykosyliertem rekombinantem humanen Granulozyten-Kolonien stimulierendem Faktor (G-CSF). Rekombinanter G-CSF wird zur Vorbeugung von Infektionen, die durch die Neutropenie bei konventioneller zytotoxischer Chemotherapie bei Patienten mit myeloablativer Behandlung und anschließender Knochenmarktransplantation entstehen können, zur Mobilisierung peripherer Stammzellen sowie bei Patienten mit schwerer chronischer Neutropenie eingesetzt. Endogener und rekombinanter G-CSF aus CHOZellkulturen (Lenograstim) sind Glykoproteine aus 174 Aminosäuren mit 1 O-Glykan (4% der molekularen Masse des Gesamtmoleküls). E. coli K12 produzieren einen nicht-glykosylierten G-CSF,
welcher darüber hinaus das bakterientypische aminoterminale Methionin besitzt (r-metHuG-CSF, Filgrastim). Obwohl In-vitro-Untersuchungen gezeigt haben, dass der glykosylierte rekombinante G-CSF pH- und temperaturunempfindlicher ist, bestehen nach s.c.-Gabe offenbar geringe Unterschiede in der Wirksamkeit von Lenograstim gegenüber Filgrastim [Hoglund, 1998]. Die Kopplung von Mono-Methoxy-Polyethylenglykol (PEG) an die aminoterminale Methionylgruppe von r-metHuG-CSF (Pegfilgrastim) verlängert die terminale Halbwertszeit und vermindert die Plasmaclearance des Arzneimittels. Die Pegylierung ist eine übliche Technik, die Wirkdauer rekombinanter Peptide und Proteine (z. B. von Interferon α) zu verlängern [Delgado et al., 1992]. Anders als beim G-CSF bestimmen die Glykane beim EPO entscheidend dessen In-vivoWirksamkeit. Rekombinantes humanes EPO (rHuEPO) ist in Deutschland seit 1988 als Arzneimittel zur Behandlung bzw. Vermeidung der renalen Anämie zugelassen. Zudem wird das Präparat zur Behandlung der Chemotherapie-assoziierten Tumoranämie und in der operativen Medizin eingesetzt [Jelkmann, 2007b]. EPO ist ein saures Glykoprotein mit einer molekularen Masse von 30 kDa. Der Proteinanteil besteht aus einer einzelnen Polypeptidkette von 165 Aminosäuren, wobei 4 Cysteinreste 2 Disulfidbrücken ausbilden. Der Proteinanteil (60%) ist für die Bindung an den EPO-Rezeptor verantwortlich, durch den EPO die Apoptose erythrozytärer Vorläufer hemmt und diese zur Proliferation und Differenzierung anregt. Vier Kohlenhydratseitenketten, 40% seiner gesamten Masse, vervollständigen das Molekül. Drei davon sind N-Glykane (an Asn 24, 38 und 83) und eines ein O-Glykan (an Ser 126). Die N-Glykane zeigen eine ausgeprägte Mikroheterogenität sowohl beim endogenen Hormon als auch bei den rekombinanten. Auch von anderen Hormonen, wie z. B. Thyreotropin oder Prolaktin, ist bekannt, dass der Organismus hinsichtlich des Glykosylierungsmusters unterschiedliche Isoformen produzieren kann. Die Mikroheterogenität der Kohlenhydratseitenketten der Glykoproteine äußert sich in Ladungsunterschieden, die mittels Elektrophorese oder isoelektrischer Fokussierung nachweisbar sind. Der Kohlenhydratanteil von EPO sichert die Stabilität
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des Moleküls und bestimmt seine pharmakokinetischen Eigenschaften. Da der EPO/EPO-Rezeptorkomplex von den Zielzellen aufgenommen und das EPO anschließend degradiert wird, besteht eine inverse Beziehung zwischen der Affinität der verschiedenen rekombinanten Erythropoiese-stimulierenden Proteine zum EPO-Rezeptor und der In-vivo-Halbwertszeit. Die Affinität von EPO zum EPO-Rezeptor nimmt mit zunehmender Zahl und Komplexität der N-Glykane ab [Elliott et al., 2003]. Daher ist die Halbwertszeit von Darbepoetin α, welches hyperglykosyliert ist und zwei zusätzliche N-Glykane besitzt, 3- bis 4-mal so lang (24 h) wie die der Epoetine α, β, δ und ζ (6–8 h), welche in ihrer Struktur dem endogenen Hormon gleichen [Jelkmann, 2007b]. Darbepoetin α, Epoetin α, Epoetin β und Epoetin ζ werden aus CHO-Zellkulturen gewonnen. Im Prinzip können auch andere Säugetierzellen, die mit der humanen EPO cDNA transfiziert sind, als Wirt-Vektor-System für die Herstellung von rHuEPO verwendet werden. In einigen Ländern wird das aus BHK-Zellkulturen stammende Epoetin ω als Antianämikum eingesetzt. BHK-Zell rHuEPO hat gegenüber CHO-Zell rHuEPO weniger O-Glykane und – als Besonderheit – ein N-Glykan mit phosphorylierten Oligomannosidseitenketten. Biochemisch sind diese Unterschiede in der Struktur der Glykane nicht überraschend, da die Glykosyltransferase- und Glykosidaseausstattung von Zellen speziesabhängig ist [Goto et al., 1988]. Zudem wird der Aufbau der Kohlenhydratseitenketten von Glykoproteinen wie rHuEPO durch den gesamten biotechnologischen Produktionsprozess bestimmt. Nachmachprodukte von Epoetin α, die außerhalb der EU hergestellt worden sind, zeigen bei der isoelektrischen Fokussierung ein Glykosylierungsmuster, welches von Produkt zu Produkt sehr unterschiedlich ist [Combe et al., 2005].
2.6
Zusammenfassung
Viele moderne diagnostische und therapeutische Verfahren sind erst durch die Verfügbarkeit DNA-rekombinationstechnisch gewonnener Proteine ermöglicht worden. Rekombinante Proteine werden hergestellt, indem die für sie kodierende
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DNA mit Hilfe eines Plasmids oder viralen Vektors in einen geeigneten Mikroorganismus oder eine eukaryotische Zelllinie eingeführt wird. Das Wirt-Vektor-System exprimiert diese DNA und translatiert die transkribierte mRNA. Die Extraktion und Reindarstellung des rekombinanten Proteins aus dem Kultursystem ist wesentlich für die Sicherheit des gewonnenen Arzneimittels. Dabei ist der gesamte biologische Produktionsprozess relevant, da durch einen Wechsel des Wirt-Vektor-Systems und des Prozesses Produkte mit nicht bekannten oder andersartigen Eigenschaften generiert werden können. Rekombinante Proteine sind durch einen zweiten Hersteller nicht authentisch nachmachbar. Die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften rekombinanter Proteine können durch transkriptionelle (ortsgerichtete Mutagenese) und posttranskriptionelle (Pegylierung) Manipulationen verändert werden.
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22
2
Kapitel 2 · Entwicklung und Begriffe medizinischer Biotechnologie und Gentechnologien
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3
Rekombinante Proteine sind Biologika Eine Erörterung der Technologie für die großtechnische Herstellung von rekombinanten Proteinen aus kultivierten Säugerzellen Florian Wurm, David Hacker
3.1
Motivation, Struktur und Rahmen dieses Artikels – 24
3.2
Einleitung – 24
3.3
Stabile Proteinproduktion – 25
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6
Zellen – 25 Expressionsvektoren – 26 Nichtviraler Gentransfer – 27 Selektion von rekombinanten Zelllinien – 27 Zellkultursysteme – 29 Steigerung der spezifischen und volumetrischen Produktivität in Bioreaktoren – 29
3.4
Transiente Genexpression – 30
3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4
Zellen – 30 Expressionsvektoren – 30 DNA-Transfektion – 31 Zellkultursysteme – 31
3.5
Prozessentwicklung und Herstellung von Biologika – 31
3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4
Physiologie und Genetik der Wirtszellen – 32 Unterschiedlichkeit der Expressionsvektoren – 33 Herstellung (Up- und Downstream) – 33 Formulierung – 33
3.6
Schlussbemerkungen – 34 Literatur – 35 Glossar – 35
3
24
Kapitel 3 · Rekombinante Proteine sind Biologika
3.1
Motivation, Struktur und Rahmen dieses Artikels
Prognosen aus dem Jahr 2006 zufolge wird bis 2010 die Marktgröße für Biopharmazeutika 70 Mrd. USDollar jährlich erreichen. Der dominierende Umsatzanteil entfällt dabei auf rekombinante Proteine, die in Bakterien und kultivierten Säugerzellen hergestellt werden, wobei der prozentuale Anteil der aus Säugerzellen gewonnenen Proteine ständig zunimmt. Die jährliche Wachstumsrate für Biopharmazeutika zählt mit 15–20% zu den weltweit höchsten überhaupt. In diesem Artikel geht es um die Frage, wie diese Produkte hergestellt werden. Die Antwort auf diese Frage gestaltet sich schwierig, da hier ein breites Spektrum unterschiedlicher Produkte und Herstellungsprinzipien zu berücksichtigen ist. Ein Kompendium zu dieser Thematik wird dringend benötigt. Dies würde die wenigen auf diesem Gebiet kompetenten Autoren jedoch vor eine sehr anspruchsvolle Aufgabe stellen. Wir werden das populärste Beispiel für ein Produktionssystem herausgreifen, nämlich Ovarzellen des Chinesischen Hamsters (CHO), und darlegen, weshalb sich diese vor rund 30 Jahren für die Synthese rekombinanter Proteine als nützlich erwiesen haben und wie sie weiterentwickelt wurden, so dass mit Hilfe von Bioreaktoren Gramm/Liter des Produkts produziert und Tonnen von rekombinanten Proteinen für pharmazeutische Anwendungen bereitgestellt werden können. Die Struktur dieses Artikels entspricht der Reihenfolge der Applikation verschiedener Produktionsaspekte. Behandelt werden Zellen, Plasmidvektoren, DNA-Transfersysteme, Selektionssysteme, (Upstream-)Prozessentwicklung, Scale-up und Produktion. Das Downstream-Processing (Gewinnung und Aufreinigung) bildet nicht Gegenstand dieses Artikels, da hier Technologien zum Einsatz kommen, bei denen es sich um Weiterentwicklungen von Prinzipien handelt, die bereits vor der »revolutionären« Arbeit mit rekombinanter DNA verwendet wurden. Außerdem werden wir einen neuen, alternativen Ansatz für die Produktion auf der Basis von kultivierten Säugerzellen ansprechen, die transiente Genexpression. Diese Technologie ermöglicht die schnellste und vermutlich auch wirtschaftlichste Synthese von
rekombinanten Proteinen. Am Schluss dieses Artikels finden sich einige wichtige Bemerkungen. Moderne biotechnologische Prozesse bringen Biologika hervor. Als solche sind alle auf diese Weise entstehenden Produkte einzigartig und lassen sich nicht von einem anderen Hersteller kopieren: Dies ist ein dramatischer und wohl der fundamentalste Unterschied zu niedermolekularen Pharmazeutika. Da das Produkt durch den biotechnologischen Prozess definiert wird, zeigt jedes Produkt beim Patienten ein hoch spezifisches Verhalten, das wiederum die Eigentümlichkeiten des vom Hersteller über viele Jahre entwickelten Produktionsverfahrens widerspiegelt. Biologika sind seit Jahrzehnten bekannt, vor allem im Bereich von Impfstoffen und Produkten, die auf Basis von menschlichen und tierischen Geweben oder Blutspenden erzeugt werden. Im Fall von Impfstoffen werden jedoch geringere Mengen je Empfänger benötigt und ihre Herstellungsmengen insgesamt fallen kleiner aus als im Fall der neuen gentechnologisch erzeugten Antikörper oder vergleichbarer Produkte. Die Allgemeinheit scheint jedoch erst jetzt zur Kenntnis zu nehmen, dass eine Reihe von spezifischen, hoch potenten und auf rekombinanter DNA-Technologie beruhenden Wirkstoffen für die medizinische Anwendung produziert wird. Daher ist es wichtig, dass die allgemeine Öffentlichkeit eine Vorstellung von den komplizierten Herstellungsverfahren für diese Substanzen erhält. Nur wenn dies der Fall ist, kann ein sicherer und aufgeklärter Umgang mit diesen Produkten gewährleistet werden. Der Einblick in die spezielle Art der Herstellung von Biopharmazeutika wird auch zu einem besseren Verständnis der Tatsache beitragen, dass Produkte verschiedener Wettbewerber mit einem identischen Peptidkettengerüst durchaus sehr unterschiedliche Wirkungen aufweisen können. – Dies ist angesichts der aufkommenden Welle der in lebenden Zellen synthetisierten »Biosimilars« (bioähnliche Produkte) ein wichtiger Aspekt.
3.2
Einleitung
Säugerzellen stellen das wichtigste Wirtssystem für die rekombinante Produktion von klinisch rele-
25 3.3 · Stabile Proteinproduktion
vanten Proteinen dar. Hierfür muss eine Zelllinie etabliert werden, in deren Genom ein aktiv exprimiertes rekombinantes Gen stabil integriert wurde. Danach erfolgt ein Scaling-up (Vermehrung der Zellen in größer werdenden Reaktoren) der Zellen; die in das Medium ausgeschiedenen Proteine werden gewonnen und aufgereinigt. Die Entwicklung dieser Herstellungsprozesse ist sehr komplex und zeitaufwendig. Doch dieses Verfahren hat im Verlauf seiner Anwendung über zwei Jahrzehnte Tonnen hochwertiger Produkte mit einer ausgezeichneten Qualität geliefert. Erst seit Kurzem gibt es für eine großtechnische Herstellung eine neue Methode, mit der Proteine in Säugerzellen hergestellt werden, bei denen das/die Transgen(e) nach dem DNA-Transfer nur wenige Tage präsent ist/sind, ohne dass eine Integration rekombinanter Gene erforderlich ist. Dieser als transiente Genexpression bezeichnete Ansatz findet in der Produktion von Proteintherapeutika noch keine Anwendung. In der Grundlagenforschung sowie zur Bereitstellung von Material für präklinische Experimente dagegen wird dieses Verfahren breitflächig angewendet. Rekombinante Gene wurden erstmals in den 1970er-Jahren in kultivierten Säugerzellen stabil transfiziert (Pellicer et al., 1978). 1986 erfolgte die Zulassung des ersten biopharmazeutischen Produkts aus Säugerzellen: Es handelte sich um den für die Thrombolysetherapie genutzten humanen Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tPA oder Activase). Inzwischen werden therapeutische Proteine mehrheitlich in Säugerzellen hergestellt. Allein zwischen 2001 und 2005 wurden 33 neue Biopharmazeutika zugelassen, deren Synthese zumeist in Ovarzellen des Chinesischen Hamsters (CHO) erfolgte (Reichert, 2006). Bei einem bedeutenden prozentualen Anteil der aus Säugerzellen gewonnenen Biopharmazeutika handelt es sich um monoklonale Antikörper. Bis zum Jahr 2005 wurden bereits 18 therapeutische monoklonale Antikörper behördlich zugelassen, mehr als 150 weitere Substanzen befanden sich in der klinischen Erprobung (Reichert, 2006). Zahlreiche in Säugerzellen synthetisierte therapeutische Proteine, angefangen bei Erythropoetin (Epogen), haben mit einem Jahresumsatz von über 1 Mrd. US-Dollar »Blockbuster«-Status erreicht. Der Grund, weshalb anstelle von Mikroorganismen Säugerzellen als Wirtssystem verwendet
3
werden, liegt vor allem in der Komplexität der meisten biopharmazeutischen Proteine. Bei Antikörpern handelt es sich beispielsweise um glykosylierte Proteinkomplexe aus vier einzelnen Peptidketten (jeweils zwei Kopien der leichten und schweren Ketten), die über Disulfidbrücken kovalent gebunden sind. Korrekte Proteinfaltung, Bildung oligomerer Komplexe und Glykosylierung lassen sich mit hoher Effizienz nur in Säugerzellen erreichen. Gleiches gilt für andere Proteinmodifikationen wie zum Beispiel proteolytische Prozessierung und Phosphorylierung. In fast allen Fällen hängen die biologische Aktivität und pharmakokinetischen Eigenschaften des Proteins von einer korrekten Faltung und posttranslationalen Modifikationen ab. Darüber hinaus werden in Säugerzellen synthetisierte rekombinante Proteine häufig im Medium ausgeschieden und sind daher relativ einfach aufzureinigen. Im besten Fall können sie mitunter bis zu 90% des zum Entnahmezeitpunkt im Kulturmedium vorliegenden Gesamtproteins ausmachen. Im Vergleich dazu werden in Bakterien kultivierte rekombinante Proteine in der Regel nicht korrekt gefaltet oder modifiziert und bilden vor der Aufreinigung nur einen kleinen Anteil in den Bakterienlysaten.
3.3
Stabile Proteinproduktion
3.3.1 Zellen
Bei der Herstellung von Activase tPA wurden CHO-Zellen als Wirtssystem ausgewählt, weil eine genetische Selektionsmethode für die Gewinnung rekombinanter CHO-Zelllinien zur Verfügung stand (s. unten). Andere Proteinhersteller folgten diesem Beispiel, da die behördlichen Hürden für die Zulassung eines zweiten, aber auf demselben Wirtssystem beruhenden Produkts wesentlich einfacher zu überwinden waren. CHO-Zellen weisen insofern mehrere Vorteile auf, als sie kein infektiöses endogenes Retrovirus produzieren, für die meisten Humanviren keinen permissiven Wirt darstellen, in Einzelzellsuspensionen gut wachsen und einfach mit DNA transfiziert werden können. Obwohl CHO-Zellen gewöhnlich das bevorzugte Wirtssystem darstellen, wurden auch andere Zell-
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3
Kapitel 3 · Rekombinante Proteine sind Biologika
linien für die Produktion rekombinanter Proteine zugelassen, z. B. aus Babyhamster-Nierenzellen (BHK-21), menschlichen embryonalen Nierenzellen (HEK-293) oder murinen Myelomzellen (NS0) generierte Zelllinien. Die ursprüngliche CHO-Zelllinie wurde nach einer spontanen Immortalisierung aus primären Ovarzellen isoliert. Um Zellen ohne Dihydrofolatreduktase-(DHFR-)Aktivität zu generieren, wurde ein Derivat der Original-Zelllinie (CHO-K1) mutagenisiert. Eine der dabei entstandenen Zelllinien, die sog. CHO-DXB11 (auch als CHO-DUKX oder CHO-DUK-XB11 bezeichnet), weist ein deletiertes dhfr-Allel und eine Missense-Mutation im zweiten Allel auf. Anschließend ist durch die Mutagenese eines weiteren Derivats der Original-CHO-Zelllinie (CHO-pro3-Linie) die CHO-DG44-Zelllinie entstanden, die sich durch eine Deletion beider dhfr-Allele auszeichnet (Urlaub et al., 1983). Diese DHFR-negativen Zelllinien sind für ihr Wachstum auf Glycin, Hypoxanthin und Thymidin (GHT) angewiesen. Obwohl diese Zelllinien nicht von Anfang an für die Produktion von rekombinanten Proteinen bestimmt waren, wurden sie in einer Reihe von bahnbrechenden Experimenten verwendet, in denen die Zellen mit einem exogenen dhfr-Gen stabil transfiziert und dann im Medium ohne GHT selektiert wurden (Ringold et al., 1981). Wie im Folgenden noch ausführlicher beschrieben, stellt dieses genetische Selektionsschema nach wie vor die Standardmethode zur Gewinnung von stabil transfizierten CHO-Zelllinien für die Produktion von rekombinanten Proteinen dar (Wurm, 2004).
3.3.2 Expressionsvektoren
Der Transfer von rekombinanten Genen in Säugerzellen erfolgt in den meisten Fällen mit Plasmidvektoren. Es gibt aber auch Methoden, die den Einsatz von Virusvektoren vorsehen. Die wesentlichen Vorteile der Plasmidvektoren sind unproblematische Konstruktion, das einfache Einbringen von DNA in Zellen mit kostengünstigen chemischen Agenzien sowie deren Biosicherheit. Zu den Vorzügen der Säugerzellen gehört ihre hohe Kapazität zur Aufnahme fremder DNA. Multiple Plasmidtransfektionen, »Kotransfektionen«
mit mehr als nur einer Polypeptid kodierenden Sequenz, stellen kein Problem dar (Wurm, 2004). Das rekombinante Gen wird typischerweise von einem starken viralen oder zellulären Promotor exprimiert. Beispiele umfassen die frühen (»immediate early«) Promotoren des humanen (hCMV) und murinen (mCMV) Zytomegalievirus, den frühen Promotor des SV40-Virus, den LTR-Promotor (»long-terminal repeat«) des Rous-Sarkom-Virus sowie die Promotoren von konstitutiv exprimierten Housekeeping-Genen, etwa das humane Elongationsfaktor-1-alpha-Gen (EF-1α) und das Chicken-alpha-actin-Gen (Makrides, 1999). Auch durch Kombination von transkriptionellen Kontrollelementen aus beiden Quellen erzeugte Hybrid-Promotoren kommen zum Einsatz. Das rekombinante Gen wird praktisch immer in Form von cDNA in den Expressionsvektor eingebracht, nicht als »full-length«-Gen. Da das Spleißen von mRNA und ihr nachfolgender Transport ins Zytoplasma funktional zusammenhängen, findet sich im Zytoplasma nur eine geringe Menge mRNA, die aus intronloser cDNA transkribiert wurde. Die meisten Expressionsvektoren enthalten daher eine Intronsequenz, die gewöhnlich zwischen Promotor und cDNA lokalisiert ist. Prozessierung und Polyadenylierung des 3’-Endes des rekombinanten Transkripts werden schließlich durch ein kloniertes Polyadenylierungssignal am 3’-Ende der cDNA kontrolliert. Die rekombinante Genexpression wird nicht nur auf Ebene der Transkription und mRNAProzessierung reguliert. Die Proteinausbeute wird letztlich auch von verschiedenen weiteren Faktoren bestimmt, darunter die mRNA-Stabilität und Effizienz der Translation. Letztere wird zu großen Teilen durch die Nukleotidsequenz im Bereich des Orts des Translationsbeginns sowie durch die Sekundärstruktur der untranslatierten 5‘-Region (UTR) der mRNA kontrolliert. Die Proteinexpression wird zudem von der Sequenz der Kodierungsregion des Gens beeinflusst. Genauer gesagt führt ein hoher Prozentanteil von G und C an der dritten Position (»wobble«) des Kodons zu erhöhten Spiegeln von rekombinanter mRNA und Protein. Die Proteinproduktion aus stabilen rekombinanten Zelllinien kann im Lauf der Zeit abnehmen – bis hin zum Verlust der Nachweisbarkeit. Dieses
27 3.3 · Stabile Proteinproduktion
Phänomen wird als Gene Silencing (Inaktivierung von Genen) bezeichnet. Bei integrierten Transgenen könnte dies auf den Einfluss von endogenem kondensiertem Chromatin (Heterochromatin) in der Nähe der Integrationsstelle zurückzuführen sein. Heterochromatin ist mit transkriptionell inaktiven Regionen des Genoms assoziiert und durch das Fehlen einer Histonacetylierung gekennzeichnet. Transkriptionell aktives Euchromatin dagegen ist weniger kondensiert und zeichnet sich durch die Gegenwart von acetylierten Histonen aus. Das Gene Silencing korreliert nicht nur mit der Deacetylierung von Histonen, sondern auch mit anderen Histonmodifikationen und einer Cytosinmethylierung innerhalb der im Promotor lokalisierten CpG-Dinukleotide und der kodierenden Region des rekombinanten Gens. DNA-Stücke wie S/MARElemente (»scaffold/matrix attachment regions«) und UCOE (»ubiquitous chromatin opening elements«), die die Kondensation von Euchromatin verhindern können, wurden in Expressionsvektoren oder separate Plasmide eingebracht, welche dann mit dem das rekombinante Gen tragenden Plasmid kotransfiziert werden. In beiden Fällen führt die Integration dieser DNA-Elemente an der Stelle des rekombinanten Gens oftmals zu einer gesteigerten Produktivität und Stabilität der Zelllinien (Wurm, 2004).
3.3.3 Nichtviraler Gentransfer
Wie bereits erwähnt, erfolgt die Generierung von rekombinanten Säugerzelllinien meistens mit Plasmidvektoren, die mittels chemischer oder physikalischer Methoden in die Zellen transferiert werden. Die drei wichtigsten zu diesem Zweck eingesetzten chemischen Reagenzien sind Kalziumphosphat, kationische Polymere, insbesondere das Polyamin Polyethylenimin (PEI), sowie kationische Liposomen. Diese Reagenzien bilden Komplexe mit negativ geladener DNA und müssen für eine effiziente DNA-Einschleusung in den Nukleus dieselben physikalischen Barrieren überwinden. Nach Bindung an die Zelloberfläche werden die Komplexe endozytiert. Schließlich gelangt eine Fraktion der DNA vor dem Verdau durch Nukleasen aus dem Endosom. Innerhalb des Zytoplasmas wird die DNA, entwe-
3
der in ungebundener oder komplexierter Form, über unbekannte Mechanismen zur Kernmembran transportiert. Offenbar gelangt nur sehr wenig Plasmid-DNA durch nukleare Porenkomplexe. Man geht stattdessen davon aus, dass der Eintritt der transfizierten DNA in den Nukleus vom Abbau der Kernmembran im Rahmen der Mitose abhängt. Nachdem Plasmid-DNA in den Nukleus eingedrungen ist, muss zumindest ein Teil davon mit Enzymen interagieren, die für die DNA-Integration in das Genom verantwortlich sind. Die Integrationsphänomene sind ebenfalls noch wenig erhellt. Eine weitere Transfermethode besteht in der Elektroporation, bei der Zellsuspensionen, die gegenüber einem speziellen Elektroporationspuffer mit hohen Konzentrationen nackter DNA exponiert sind, mit kurzen Strompulsen behandelt werden. Schließlich wäre das Verfahren der Mikroinjektion zu nennen, bei dem DNA direkt in den Nukleus von CHO-Zellen eingespritzt wird, um stabile Zelllinien zu erzeugen (Derouazi et al., 2006).
3.3.4 Selektion von rekombinanten
Zelllinien Nach dem DNA-Transfer müssen aus der Zellpopulation solche Zellen selektioniert werden, die ein integriertes und aktives rekombinantes Gen beherbergen. Wie oben bereits dargelegt, besteht die Standardmethode darin, das rekombinante Gen zusammen mit dem dhfr-Gen in eine DHFR-negative CHO-Zelllinie einzubringen (Ringold et al., 1981). Das dhfr-Gen wird normalerweise von einem schwachen Promotor exprimiert, entweder auf demselben Plasmid wie das gewünschte Produkt-Gen oder auf einem separaten Plasmid. Nach dem DNATransfer werden die Zellen in einem Medium ohne GHT kultiviert. Unter diesen Bedingungen überleben ausschließlich Zellen mit einer oder mehreren integrierten und aktiv exprimierten Kopien des exogenen dhfr. Üblicherweise überleben weniger als 5% der transfizierten Zellen die Selektion. Die überlebenden Zellen weisen immer einen einzigen Ort der Plasmidintegration auf, doch die Zahl der Kopien fällt von Integrationsort zu Integrationsort sehr unterschiedlich aus (Wurm, 2004; Derouazi et al., 2006). Wenn das dhfr-Gen und das rekombi-
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3
Kapitel 3 · Rekombinante Proteine sind Biologika
nante Gen auf gesonderten Plasmiden transfiziert werden, finden sich beide am selben Ort integriert. Diese Beobachtungen lassen darauf schließen, dass die kovalent gebundenen Multimerkomplexe der transfizierten Plasmid-DNA (Concatamere) vor der Integration gebildet werden, höchstwahrscheinlich durch zelluläre Ligasen. Die selektierten Zellen teilen sich und bilden klonale Kolonien, die einzeln in separate Kulturgefäße transferiert werden. Die Klonalität jeder Zelllinie wird häufig durch mehrere Runden einer sog. »limiting dilution« abgesichert, d. h. durch eine Technik, bei der die Zellen verdünnt und anschließend auf Multiwellplatten aufgebracht werden, sodass je Kammer nur eine Zelle ausplattiert ist. Aus jeder Transfektion gehen zahlreiche klonale Zelllinien hervor. Dabei ist in der Regel jedoch eine erhebliche Heterogenität hinsichtlich der Ausbeute an rekombinanten Proteinen zu verzeichnen, mitunter in einem Bereich von mehr als zwei Größenordnungen. Um Zelllinien mit den höchsten Proteinkonzentrationen zu erhalten, müssen daher zahlreiche rekombinante Klone evaluiert werden. Für die Generierung stabiler Zelllinien stehen neben dem dhfr-Gen auch andere metabolische Selektionsmarker zur Verfügung. So wird z. B. das Glutamatsynthetase-(gs-)Gen für die Selektion von rekombinanten NS0-Zelllinien verwendet, da ihre endogene GS-Aktivität gering ist (Barnes et al., 2000). Nach Transfektion mit dem gs-Gen und dem rekombinanten Gen werden die Zellen in ein Medium ohne Glutamat verbracht. Es überleben nur Zellen mit einer oder mehreren integrierten Kopien des funktionalen gs-Gens. Wenngleich CHO-Zellen im Verhältnis zu NS0-Zellen eine höhere GS-Aktivität zeigen, kann dieses Selektionssystem auch hier zum Einsatz kommen. Eine weitere Klasse von Selektionsmarkern besteht in Resistenzgenen für die Antibiotika Neomycin, Hygromycin B, Zeocin, Blasticidin und Puromycin. Im Anschluss an den DNA-Transfer werden die Zellen in ein Medium mit dem jeweiligen Antibiotikum überführt. Diejenigen Zellen, die das Resistenzgen nicht exprimieren, werden dementsprechend eliminiert. Sowohl im Fall der DHFR- als auch der GS-Selektion lässt sich die Expression des rekombinanten Gens signifikant verstärken, indem die Zellen gegenüber Wirkstof-
fen exponiert werden, welche die enzymatische Aktivität des Selektionsmarkers blockieren. DHFR und GS werden durch Methotrexat (MTX) bzw. Methioninsulfoximin (MSX) inhibiert (Pallavicini et al., 1990; Wurm, 2004). Im Fall von CHO-Zelllinien, die das dhfr-Gen exprimieren, stirbt die Mehrzahl der Zellen nach Exposition gegenüber MTX innerhalb von 2–3 Wochen, während wenige Zellen aufgrund ausreichend hoher DHFR-Konzentrationen überleben. In der Regel weisen überlebende Zellen eine höhere Anzahl integrierter Plasmidkopien auf als vor der MTX-Exposition. Wenn diese Zellen schrittweise mit steigenden MTX-Konzentrationen behandelt werden, kann man am Ende Zellen finden, die eine dramatisch höhere Zahl von Kopien der integrierten Gene enthalten. Mit dieser Methode der »induzierten« Genamplifikation wurden CHO-Zelllinien generiert, die hunderte bis wenige tausend Kopien der transfizierten Plasmid-DNA enthielten. Die bei den meisten »amplifizierten« Zelllinien zu verzeichnende höhere Ausbeute an rekombinanten Proteinen ist auf die höhere Anzahl an Genkopien mit einer dementprechend erhöhten Transkriptionsrate für das Gen zurückzuführen. Ähnliche Befunde ergaben sich nach Exposition von rekombinanten NS0-Zelllinien gegenüber MSX (Bebbington et al., 1990; Barnes et al., 2000). Man kann beide Systeme als experimentelle »Darwin-Versuche« betrachten, bei denen durch stringente Selektion aus einer großen Anzahl von Zellen diejenigen seltenen Zellen isoliert werden, die infolge spontaner chromosomaler Veränderungen erhöhte Genkopiezahl generiert haben, z. B. durch die Verdopplung eines Chromosomenbereichs. Im Anschluss an Selektion, Klonierung und Amplifikation der rekombinanten Zelllinien werden diejenigen mit der höchsten Wachstums- und Proteinausbeuterate weiter im Hinblick auf die Stabilität der Proteinproduktion charakterisiert. Wie oben erwähnt, bleibt die rekombinante Genexpression im Verlauf der Zeit nicht unbedingt erhalten; häufig beobachtet man in der Gesamt- oder einer Subpopulation Gene Silencing, d. h. die Stilllegung der Transkription durch Veränderungen in der Chromatinstruktur und durch Modifikationen in den Histonenproteinen, sowie durch Methylierung von DNA. Zytogenetische (chromosomale) Insta-
29 3.3 · Stabile Proteinproduktion
bilität kann ebenfalls dazu beitragen, dass sich in den klonalen Zellpopulationen im Verlauf der Zeit eine Heterogenität entwickelt. Die Zelllinien-Kandidaten müssen deshalb über einen Zeitraum von 2–6 Monaten kultiviert werden, um die langfristige Stabilität der Proteinproduktion zu beurteilen. Es ist empfehlenswert, alle oben beschriebenen Schritte in serumfreien Suspensionskulturen vorzunehmen, falls diese Bedingungen für die Herstellung des Proteins verwendet werden.
3.3.5 Zellkultursysteme
Die meisten für die klinische Herstellung genutzten Verfahren zur Proteinproduktion basieren auf der Kultur von Einzelzellsuspensionen in RührkesselBioreaktoren unterschiedlicher Größen von bis zu 20.000 l. Die Zellen werden in Medien verbracht, die speziell für das Wachstum der Suspension bis zu einer hohen Zelldichte konzipiert wurden, vorzugsweise in Abwesenheit von Serum oder anderen Produkten die von tierischem Ursprung sein könnten. In einer Batch-Kultur werden die Zellen einfach in dem anfänglich verwendeten Medium so lange belassen, bis keine weitere Erhöhung der Produktkonzentration beobachtet wird. In diesem Fall wird dann auch kein weiteres frisches Medium hinzugefügt – was die Länge der Laufzeit dieser Produktionsphase begrenzt; typischerweise beträgt sie 5–7 Tage. Alternativ kann periodisch Medium hinzugegeben werden, um die Viabilität der Zellen und die Proteinproduktion zu verlängern (FedBatch-Kultur) (Wurm, 2004). Die letztgenannte Strategie kommt heutzutage bei den meisten ausbeutestarken Prozessen zum Einsatz. Der zweite grundlegende Typ von Produktionsprozessen mit Suspensionskulturen besteht in der kontinuierlichen Perfusionskultur. In diesem Fall befinden sich die Zellen in einem Rührkessel-Bioreaktor, dem täglich mehrere Bioreaktorvolumina Frischmedium zugeführt werden, während dasselbe Volumen aus dem Kessel abgezogen wird. Mit Perfusionskulturen lassen sich noch höhere Zelldichten erzielen als mit der Batch- oder Fed-Batch-Kultur und die Viabilität der Kulturen bleibt über viele Wochen hoch. Dabei erfolgen während der Kulturphase zu mehreren Zeitpunkten Produktentnahmen. Mit
3
dieser Methode wird der Blutgerinnungsfaktor VIII (KogenateR) aus rekombinanten BHK-21-Zellen hergestellt. Bei Faktor VIII handelt es sich um das größte therapeutische rekombinante Protein (2332 Aminosäuren) auf dem Markt. Dessen Größe und Empfindlichkeit gegenüber Proteasen trugen zur Entscheidung bei, es in einer Perfusionskultur statt in einem Batch-Prozess herzustellen. Die Kumulation von Proteasen (aus Zellen) in den Batch-Kulturen führte zu einer minderwertigen Qualität und niedrigen Aktivität des gewünschten Produkts, da eine Hauptfraktion der Faktor-VIII-Moleküle während der Kulturphase abgebaut wurde. Rekombinante Proteine werden auch durch Zellen produziert, die nicht in Suspension vorliegen, sondern an eine Oberfläche gebunden kultiviert werden (adhärente Zellen). Epogen beispielsweise wird aus einer rekombinanten CHOZelllinie synthetisiert, die in nur zu 10–30% mit Medium gefüllten Rollerflaschen kultiviert wurde. Es kommt zu einer Adhäsion der Zellen an der inneren Oberfläche der Flaschen, deren langsame Rotation eine gleichmäßige Benetzung der Zellen gewährleistet. Wenige Tage nachdem die Zellen auf der Oberfläche der Flasche Konfluenz erreicht haben, wird das Medium entfernt und damit das Protein geerntet. Zellen werden auch auf Polymerkugeln (Mikrocarrier) aus Dextran, Polyacrylamid oder Polystyrol kultiviert. Jedes Kügelchen wird nach Beladung mit wenigen Zellen in Suspension gehalten und in Rührkessel-Bioreaktoren verbracht. Schließlich kann jedes Kügelchen nach einigen Zellteilungsrunden mehrere hundert Zellen enthalten. Der Nachteil dieser Methode besteht darin, dass das volumetrische Scale-up eine proteolytische Entfernung der Zellen von den Kügelchen sowie anschließend eine erneute Beladung auf einer größeren Anzahl von Kügelchen in einem größeren Volumen des Mediums erfordert.
3.3.6 Steigerung der spezifischen
und volumetrischen Produktivität in Bioreaktoren Seit der erstmaligen Verwendung von CHO-Zelllinien für die Produktion von biopharmazeutischen Proteinen vor 20 Jahren hat sich die Ausbeute um
30
3
Kapitel 3 · Rekombinante Proteine sind Biologika
mehr als das Hundertfache erhöht. Mit heutigen Prozessen lassen sich bei Einsatz von Fed-BatchKulturen 5–10 g/l rekombinantes Protein herstellen. Zu diesem Erfolg haben zwei Aspekte beigetragen. Hier wäre einerseits die gute zellspezifische Produktivität für einige Antikörperprodukte zu nennen, die in einem Bereich von 20–80 pg/c/Tag liegen können. Solche »guten« Zelllinien sind das Ergebnis umfassender Screeningprogramme, die mit 1000 oder mehr klonalen Zellpopulationen durchgeführt werden können. Die Verbesserung geht aber zu einem noch größeren Anteil auf ein fundierteres Verständnis der Zellbiologie von Suspensionskulturen in großtechnischen Bioreaktoren zurück. Mit den heutigen Zellkulturen lassen sich Zelldichten von 10 Mio. Zellen/ml oder höher erreichen und die Viabilität kann über einen Zeitraum von 20 Tagen und länger erhalten werden. Vor 20 Jahren war eine Zelldichte von 1 Mio. Zellen/ml als gut zu bewerten und die Viabilität der Suspensionskulturen nahm nach Ablauf von 7 Tagen rapide ab. Die höheren Dichten beruhen selbstverständlich auf der Zusammensetzung der Medien, die wesentlich höher in der Konzentration der vielen Komponenten sind als dies in den frühen 1980er-Jahren (Wurm, 2004) der Fall war. Angesichts der Individualität von klonalen Zelllinien stellt die Entwicklung von Medien und Prozessen nach wie vor eine bedeutende Herausforderung bei der Entwicklung von ausbeutestarken Herstellungsprozessen dar und erfordert typischerweise mehrere Monate bis zur Fertigstellung sowie gut geschultes Personal mit langjähriger Erfahrung.
3.4
Transiente Genexpression
Bei der transienten Genexpression handelt es sich, wie schon erläutert, um eine neue Technologie, die erst seit sehr kurzer Zeit für die großtechnische Produktion in Erwägung gezogen wird. Ihr Hauptvorteil liegt in der Zeitersparnis: Nachdem ein geeigneter Plasmidvektor konstruiert wurde, vergehen bis zum Erhalt ausreichender Proteinmengen typischerweise nur wenige Wochen. Die Ausbeute ist jedoch um den Faktor 10–100 niedriger als im Fall von optimierten stabilen Prozessen. Es bleibt abzuwarten, wie schnell und in welchem
Ausmaß die transiente Genexpression für die klinische Herstellung genutzt wird. Die Autoren sagen jedoch voraus, dass dies schon in naher Zukunft der Fall sein wird; zunächst mit Produkten, von denen zur Deckung der Marktnachfrage geringere Produktmengen benötigt werden. Derzeit bemüht man sich in verschiedenen Einrichtungen und Unternehmen, die Technologie für eine Produktion im industriellen Maßstab zu skalieren (Wurm und Bernard, 1999; Girard et al., 2002; Pham et al., 2003; Muller et al., 2007; Geisse et al., 2007; persönliche Mitteilung).
3.4.1 Zellen
HEK-293, die für die transiente Genexpression am häufigsten verwendete Zelllinie, wurde in den 1970er-Jahren durch Transfektion von primären humanen embryonalen Nierenzellen mit den E1A- und E1B-Genen des humanen Adenovirus hergestellt. In dem Bemühen, speziell die Proteinproduktion durch eine Förderung der episomalen Replikation der transfizierten Plasmid-DNA zu steigern, wurden zwei weitere HEK-293-Derivate generiert. HEK-293T-Zellen und HEK-293EBNAZellen exprimieren konstitutiv das SV40-LargeT-Antigen bzw. das Epstein-Barr-Virus-(EBV-) EBNA1-Protein, um die Replikation der PlasmidDNA mit dem entsprechenden viralen Replikationsursprung zu unterstützen. Wenngleich HEK293-Zellen der bevorzugte Wirt für die transiente Proteinproduktion darstellen und die höchste Proteinausbeute liefern, wurden auch CHO-Zellen zu diesem Zweck eingesetzt (Derouazi et al., 2004; Muller et al., 2007). Eine Verwendung von CHOZellen könnte von Vorteil sein, wenn zu erwarten ist, dass dasselbe Protein letztlich in einer rekombinanten CHO-Zelllinie produziert wird, um den Erhalt derselben Eigenschaften sicherzustellen, vor allem hinsichtlich der Glykosylierung.
3.4.2 Expressionsvektoren
Wenngleich sowohl für die transiente als auch für die stabile Proteinproduktion dieselben nichtviralen Vektoren verwendet werden können, ist es
31 3.5 · Prozessentwicklung und Herstellung von Biologika
möglich, signifikante Veränderungen zur Verbesserung der für die transiente Produktion verwendeten Vektoren vorzunehmen. Beispielsweise ist es nicht erforderlich, auf dem Plasmid ein selektierbares Gen zu erhalten. Die Elimination dieses Gens ermöglicht eine Reduktion der Vektorgröße. Für die Anwendung in der transienten Proteinproduktion wurden wenige virale Vektoren entwickelt. Diese können Gene effizient auf eine breite Palette von Zelllinien transferieren. Das stellt einen bedeutenden Faktor dar, wenn die Wirtszelle für die Proteinproduktion keine HEK-293- oder CHO-Zelle ist. Virale Vektoren bergen ein Biosicherheitsrisiko und sind schwieriger zu erzeugen als Plasmide. Obschon zahlreiche Viren als Expressionsvektoren konstruiert wurden, finden bei der transienten Proteinproduktion nur Mitglieder der Familie der Alphaviren (Semliki-Forest-Virus und Sindbis-Virus) und der Baculoviren (Autographa californica Nucleopolyhedrovirus) in signifikantem Maß Verwendung.
3.4.3 DNA-Transfektion
CaPi zählt nach wie vor zu den effizientesten Agenzien für den DNA-Transfer (Meissner et al., 2001). Diese Methode ist zwar einfach und kosteneffektiv, doch ein effizienter DNA-Transfer in die Zellen ist von der Gegenwart von Serum im Medium abhängig (Jordan und Wurm, 2004). Das könnte die Aufreinigung der sezernierten Proteine erschweren. Ein weiterer Nachteil der CaPi-vermittelten Transfektion besteht in der zeitkritischen Präzipitatbildung, womit die Transfektion hoher Volumina technisch schwierig wird (Jordan und Wurm, 2004). Die derzeit am häufigsten verwendete Substanz für den Transfer im Rahmen der transienten Proteinproduktion (»large scale transient expression«) ist PEI (Boussif et al., 1995). Dieses Polymer verfügt über eine Größe in einem Bereich von 800 Dalton bis über 750 Kilodalton (kDa) und liegt in verzweigten und linearen Formen vor. Die Effizienz des Gentransfers von PEI steigt bis zu einer Molekülmasse von 25 kDa und nimmt dann mit zunehmender Größe wieder ab. Die Zytotoxizität von PEI steigt ebenfalls mit dem Molekulargewicht. Für die Transfektion werden in den meisten
3
Fällen lineare und verzweigte Formen von PEI mit einer Molekülmasse von 25 kDa verwendet. Ein wesentlicher Vorteil dieser Methode gegenüber CaPi besteht darin, dass die PEI-vermittelte Transfektion generell in Abwesenheit von Serum erfolgt. PEI ist allerdings nicht biologisch abbaubar. Nach der Transfektion im Kulturmedium verbleibendes PEI kann die Proteinaufreinigung beeinträchtigen. Kationische Lipide werden aufgrund ihrer hohen Kosten im Vergleich zu PEI und CaPi bei der transienten Proteinproduktion nicht in umfangreichem Maß eingesetzt.
3.4.4 Zellkultursysteme
Eine großtechnische transiente Proteinproduktion erfolgt in Kulturen mit Einzelzellsuspensionen. Die Zellen werden entweder in Spinnerflaschen und Rührkessel-Bioreaktoren gerührt oder geschüttelt (Meissner et al., 2001, Muller et al., 2007). Es wurde eine Reihe von Kulturgefäßen für Agitationssysteme entwickelt, u. a. Schüttelkolben, WellentypBioreaktoren sowie Plastik- oder Glasflaschen. Methoden zur transienten Proteinproduktion in serumfreien Medien wurden für Kulturvolumina von bis zu 100 l entwickelt, was die Eignung dieser Prozesse für die Produktion von rekombinanten Proteinen für klinische Anwendungen belegt (Derouazi et al., 2004). Unlängst wurden im Labor des Autors orbitale Schüttelsysteme entwickelt, die für die schnelle und kostengünstige Proteinproduktion von hohem Wert sein dürften, vor allem in Kombination mit der transienten Genexpression (Stettler et al., 2007).
3.5
Prozessentwicklung und Herstellung von Biologika
Alle Arzneimittel auf Proteinbasis sind Biologika, d. h. für ihre Herstellung werden lebende Zellen benötigt. Dies impliziert, dass sich weder ihre Zusammensetzung noch ihre Funktion mit absoluter Gewissheit charakterisieren lässt. Die Entwicklung der Herstellungsprozesse und deren Umsetzung im Rahmen der industriellen Produktion sind nach wie vor durch »unbekannte« Faktoren gekennzeichnet.
32
3
Kapitel 3 · Rekombinante Proteine sind Biologika
Deshalb kann nur durch die konsequenteste Einhaltung der Prozessbeschreibungen ein Qualitätsstandard erreicht werden, der für pharmazeutische Anwendungen gefordert ist. Der wichtigste Aspekt des »Unbekannten« besteht in der molekularen Verschiedenheit der einzelnen chemischen Bestandteile im »Produkt«. Als weiterer Aspekt wäre zu nennen, dass es sich bei Präparaten mit demselben Namen (z. B. Erythropoetin), die von verschiedenen Herstellern produziert werden, in Wirklichkeit um unterschiedliche Produkte handelt, obwohl die Struktur des Polypeptids (Aminosäurensequenz) identisch ist. Um den Aspekt der molekularen Verschiedenheit zu veranschaulichen, sei hier als Beispiel ein Antikörper herausgegriffen, der aus 4 Polypeptidketten besteht und um sekundäre Modifikationen wie N-gebundene und O-gebundene Glykosylierung erweitert wurde. Man stellt fest, dass alle aus lebenden Zellen (ob rekombinant oder nicht) hergestellten Präparate immer durch eine Familie von Molekülstrukturen repräsentiert werden, aber niemals identische Moleküle enthalten. Die Ursache hierfür besteht in einem Phänomen, das der Autor als biologisches Unsicherheitsprinzip bezeichnet. Dieses Prinzip offenbart sich (bereits) dann, wenn eine Zelle auf Grundlage einer einzigen und einzigartigen DNA-Sequenz Moleküle bildet. In Anbetracht der heutigen Kenntnisse über die Proteinsynthese und -modifikation wissen wir, dass sich ein von der Zelle generiertes Antikörpermolekül höchstwahrscheinlich strukturell von dem zuvor gebildeten unterscheidet. Laut einer Kalkulation von Dr. S. Kozlowski, Abteilung für monoklonale Antikörper des zur FDA gehörenden CDER, und Dr. W. Nashabeh von Genentech, Inc. könnte ein IgG-Produkt mit all seinen Modifikationen (theoretisch) rund 108 Varianten umfassen. Diese Unterschiedlichkeit lässt sich auf folgende Veränderungen zurückführen, die bei einem Molekül auftreten könnten und – hoffentlich nur gelegentlich – erfolgen: Umwandlung von Glutaminsäure zu Pyroglutaminsäure, Desamidierung von Asparagin zu Asparaginsäure, Oxidation von Methionin, Glykierung (nichtenzymatische Maillard-Reaktion), Sialinsäure-Variationen, HighMannose-Formen sowie terminale Modifikation von Lysin. Viele dieser Veränderungen erfolgen
schon innerhalb der Zelle. Weitere Modifikationen können stattfinden, nachdem sich das Produkt für kurze Zeit im Zellkulturmedium im Bioreaktor befunden hat. Aber auch nachdem das Produkt aufgereinigt und in Durchstechflaschen verbracht wurde, sind Veränderungen über längere Zeit nicht auszuschließen. In dieser Aufzählung sind die Interaktionen zwischen dem jeweiligen Protein und den vielen verschiedenen Bestandteilen, mit denen es während der Herstellung und Aufbewahrung in Berührung kommt, noch nicht berücksichtigt. Es ist schlechterdings unmöglich vorherzusagen oder gar zu kontrollieren, welche Molekülvarianten in welchem Verhältnis am Schluss in der Durchstechflasche vorliegen, die dem Patienten ausgehändigt wird. Das relative Verhältnis dieser Molekülvarianten besitzt jedoch zweifellos Auswirkungen auf die Funktion des Präparats. Um weitere Beispiele anzuführen: Die folgenden biologischen Gesichtspunkte können zur Verschiedenheit der molekularen Entitäten in Produkten beitragen, deren Herstellung auf Prozessen mit lebenden Zellen beruht.
3.5.1 Physiologie und Genetik
der Wirtszellen CHO-Zellen stammen von einem weiblichen Tier einer speziellen Hamsterart, das für die Entnahme eines Eierstocks getötet wurde. Nachdem es in der Primärkultur zu einer spontanen Immortalisierung (1957) gekommen war, wurde die resultierende Zelllinie von den Entdeckern Drs. Kao und Puck (Puck, 1987) als CHO-K1 bezeichnet. Wie in der Einleitung bereits kurz erwähnt, wurden DerivatZelllinien generiert, von denen eine letztlich als CHO-DG44 bekannt wurde. Es handelt sich um eine DHFR-defiziente Doppelmutante, der möglicherweise weitere, größere Genomfragmente fehlen (Urlaub et al., 1983). Viele Unternehmen verwenden Subpopulationen dieser Zellen als Wirtssystem für die Produktion von rekombinanten Proteinen. In großtechnischen Bioreaktoren müssen die Zellen dazu gebracht werden, in Einzelzellsuspensionen zu wachsen, vorzugsweise in serumfreien Medien und im Idealfall mit einer hohen Proliferationsrate, während sie sich gegenüber den Auswirkungen der
33 3.5 · Prozessentwicklung und Herstellung von Biologika
industriellen Prozesse als robust erweisen sollen (Pumpen, Druck, pH, Schwankungen von Temperatur und O2-Konzentrationen etc.). Da die Manipulation dieser Subpopulationen von Labor zu Labor unterschiedlich ausfällt, selektiert jede Institution am Schluss ihre eigene Variante der Population (ja, auch in Laboratorien wirken Darwin-Kräfte). Zudem sind CHO-Zellen wie viele immortalisierte Zellen nicht diploid. Sie zeichnen sich durch eine gewisse Instabilität hinsichtlich ihrer Karyotypen aus. Daher führen diese selektiven und unterschiedlichen Umgebungen zu genetisch verschiedenen Populationen von Zellen, die letztlich für den Transfer von Genen in ihr jeweiliges Genom verwendet werden. In allen Fällen spricht man von »CHO-DG44«, doch die dadurch implizierte Identität ist in Wahrheit weit von der Realität entfernt. Zudem handelt es sich bei jedem Gentransfer um ein einzigartiges Ereignis, bei dem DNA in eine zufällige Umgebung innerhalb der Chromosomen der Wirtszelle transferiert wird. Aus diesem Grund unterscheiden sich die entsprechenden klonalen Zellpopulationen voneinander. Die Auswirkungen dieses Ereignisses sind unvorhersehbar, auch mit Blick auf so wichtige Aspekte wie Rate, Stabilität und Niveau der Expression von mRNA-Molekülen des Transgens. Angesichts dieser Tatsache werden die hergestellten Produkte letztlich unterschiedliche Merkmale aufweisen, selbst wenn die Kodierungssequenzen für die Transgene in den verschiedenen Laboratorien identisch sind.
3.5.2 Unterschiedlichkeit der
Expressionsvektoren Es wurden zahlreiche Patente zur Anwendung von Vektoren mit hohem Expressionsniveau für die Produktion von rekombinanten Proteinen in Säugerzellen eingereicht. Die Inhaber solcher Patente werden eine Verwendung dieser Vektoren durch Wettbewerber selbstverständlich verhindern. Daher wird jedes Unternehmen auf seine eigene Art eine gute Transkriptionsrate ihrer Transgene in den Zellen sicherstellen. Das schafft abermals ein unterschiedliches Szenario für die intrazelluläre Prozessierung der Polypeptidketten, was letztlich die Basis für das fertige Erzeugnis bildet.
3
3.5.3 Herstellung (Up- und Downstream)
Die Prinzipien und Einzelheiten der Herstellung werden in der Industrie als eines der wertvollsten und bestgehüteten Geheimnisse betrachtet. Wenngleich sich die großtechnischen Herstellungswerke hinsichtlich der allgemeinen Größe und des Formats ihrer Architektur ähneln, unterscheiden sie sich doch alle mit Blick auf die Durchführung der einzelnen Prozesse für ein gegebenes Produkt. Da bereits kleine Abweichungen der Werksarchitektur oder Physikochemie der Prozesse Auswirkungen auf die Produktmerkmale besitzen, werden letzten Endes unterschiedliche Produkte hergestellt. Beispielsweise kann eine pH-Erhöhung von 7,0 auf 7,1 im Produktionsprozess für einen Antikörper zu einem unterschiedlichen Glykosylierungsmuster führen. Dieses Phänomen ist besonders im Fall der Zahl endständiger Sialinsäuren auf Glykoketten in Proteinen bekannt. Das »Produkt« enthält typischerweise eine Palette von Molekülen mit einer unterschiedlichen Zahl von Sialinsäuren; eine Tatsache, die in IEF-Gelen (isoelektrische Fokussierung) sichtbar gemacht werden kann. Manche Antikörperpräparate zeigen in diesen Gelen bis zu 10 verschiedene Banden, die leichte, aber unterscheidbare Ladungen/Molekül zeigen. Die Schritte der Produktgewinnung und -aufreinigung dürften die allgemeine Produktqualität ebenfalls beeinflussen, d. h. bestimmte MolekülSubklassen können von der im Reaktorprozess generierten Familie von Molekülen sogar ausgeschlossen werden. Auch hier werden die Wettbewerber nicht preisgeben, mit welchen Schritten sich das »beste« Produkt erzielen lässt.
3.5.4 Formulierung
Die Versorgung der Patienten mit einem effizienten Arzneimittel hängt nicht nur vom Produkt selbst ab, sondern auch von den sonstigen Bestandteilen und Darreichungsformen, die das Fertigprodukt letztlich ausmachen. Um diese Aspekte geht es in Forschungsanstrengungen, die sich mit Fragen der Formulierung beschäftigt. Jede Produktdarreichung an den Patienten enthält neben dem eigentlichen Protein weitere Substanzen,
34
3
Kapitel 3 · Rekombinante Proteine sind Biologika
die u. a. sicherstellen, dass das Biologikum über viele Monate hinweg stabil bleibt und dass der Wirkstoff in seiner aktiven Form zum Patienten gelangt. Solche Formulierungen sind komplex und eigentumsrechtlich geschützt. Genauere Angaben zur Formulierung werden – wenn überhaupt – nur in Teilen öffentlich preisgegeben. Darüber hinaus enthalten alle Biopharmazeutika angesichts der applizierten Prinzipien Spurenkomponenten (auch solche deren Herkunft unbekannt ist), die von den ersten Schritten des Herstellungsprozesses stammen. Solche Spurenkontaminanten (externe Erreger) können unter bestimmten Umständen eine Gefahr für die Patientenpopulation darstellen. So ist beispielsweise bekannt, dass Poliovirus-Impfstoffe zwischen 1955 und 1963 geringe Mengen des Simian-Virus 40 (SV 40) enthielten, das bekanntlich über ein kanzerogenes Potential verfügt. Dieses Virus ist in den Impfstoff gelangt, weil die für die Impfstoffherstellung verwendeten Wirtszellen – zumindest teilweise – von Affen stammten, die mit SV 40 infiziert waren. Glücklicherweise deutete nichts darauf hin, dass die geimpften Kinder (bis zu 30 Mio.) gegenüber den Kindern, die die kontaminierte Vakzine nicht erhalten hatten, ein höheres Krebsrisiko aufwiesen (http://www.nap.edu).
3.6
Schlussbemerkungen
Die Entwicklung eines Prozesses zur Herstellung von Biopharmazeutika, aber auch die Durchführung eines solchen Prozesses sind hoch komplexe Aktivitäten. Die Entwicklung solcher Prozesse nimmt typischerweise einige Jahre in Anspruch und die Umsetzung sämtlicher Herstellungsschritte ist durch entsprechende Protokolle (SOP: Standardarbeitsanweisungen), in denen die verschiedenen Schritte in aller Ausführlichkeit beschrieben werden, streng reglementiert. Mit Hilfe dieser Vorgaben, die auch vertretbare Abweichungen von den definierten Sollwerten enthalten, wird gewährleistet, dass die Quantität und Qualität des Produkts von Prozesslauf zu Prozesslauf gleich bleiben. Die Durchführung sämtlicher Herstellungsschritte muss – über lange Zeiträume – immer auf dieselbe Weise erfolgen. Damit wird die Produktion unab-
hängig von den einzelnen ausführenden Personen und sogar von der gesamten Managementstruktur des Unternehmens. Die Philosophie, die hinter diesen Vorgaben steht und von der Industrie akzeptiert und den Aufsichtsbehörden gefordert wird, hat das Ziel zu gewährleisten, dass das Produkt durch einen streng kontrollierten Prozess definiert wird. Ein so als zuverlässig und stabil definierter Prozess bringt, gemeinsam mit umfassenden Validierungstätigkeiten, sowie einer strikten Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle, ein über viele Anwendungsjahre hinweg gleich bleibendes Produkt hervor. Die aufkommende Welle »bioähnlicher« Produkte erfordert an dieser Stelle eine weitere Bemerkung: Konkurrierende Unternehmen mit verschiedenen bioähnlichen Produkten werden niemals dieselben SOPs verwenden (d. h. keine identischen Reaktoren nutzen). Ihre Produkte werden insgesamt nicht in Übereinstimmung mit den vom Originalhersteller entwickelten Qualitätskontrollkriterien produziert. Meiner Meinung nach folgt daraus, dass »Biosimilars« in umfangreichen klinischen Studien erprobt werden müssen, bevor sie für dieselben Anwendungsgebiete zugelassen werden dürfen wie das Originalprodukt. Es bleibt abzuwarten, wie umfangreich diese klinischen Studien sein werden, und ob »Schnellverfahren« vorstellbar und zu rechtfertigen sind. Dies wird freilich von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Dennoch besteht ein gewisses Risiko, dass weder die allgemeine Öffentlichkeit noch der behandelnde Arzt in der Lage ist, zwischen den letztlich auf den Markt kommenden Produkten mit demselben Polypeptid-Backbone zu unterscheiden. Es ist von größter Wichtigkeit, dass der Ausdruck »Biosimilars« genau definiert wird, d. h. klarzustellen, dass das bioähnliche Produkt bezüglich seiner pharmazeutischen Parameter keinesfalls mit dem Originalprodukt identisch ist. Meiner Meinung nach stehen sowohl die pharmazeutischen Unternehmen, die die erste Generation der erfolgreichen Biopharmazeutika hervorgebracht haben, als auch diejenigen Unternehmen, die sich neu auf diesen Märkten etablieren möchten, vor der gewaltigen Aufgabe, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren und aufzuklären.
35 Glossar
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3
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Glossar Stabile Proteinproduktion. Synthese eines rekombinanten Proteins aus einer klonalen Zelllinie, in deren Genom ein rekombinantes Gen integriert wurde. Transiente Proteinproduktion. Synthese eines rekombinanten Proteins aus einer Population von Säugerzellen für kurze Zeit unmittelbar nach dem DNA-Transfer ohne genetische Selektion mit Blick auf die Gegenwart des rekombinanten Gens. Batch-Kultur. Aufzucht und Erhaltung von Säugerzellen über einen definierten Zeitraum ohne Zugabe von Nährmedium.
36
Kapitel 3 · Rekombinante Proteine sind Biologika
Fed-Batch-Kultur. Ausdehnung der Aufzucht und Erhaltung von Säugerzellen durch Zugabe von Nährmedium wie erforderlich.
3
Perfusionskultur. Aufzucht und Erhaltung von Zellen in einem Reaktor über ausgedehnte Zeiträume (Wochen bis Monate) unter kontinuierlicher Zugabe von Frischmedium zur Kultur, während dasselbe Volumen an gebrauchtem Medium abgezogen wird.
4
Das rekombinante humane Erythropoetin als Beispiel eines Biotechnologieprodukts Danilo Fliser, Jan Galle
4.1
Bedeutung der Erythropoetine in der Humanphysiologie – 38
4.2
Entwicklung von rekombinanten EPO-Substanzen – 39
4.3
Beispiele von etablierten und potentiellen Anwendungsgebieten für rHuEPO – 40
4.3.1
Renale Anämie – 40
4.4
Schlussfolgerung – 42 Literatur – 43
4
38
Kapitel 4 · Das rekombinante humane Erythropoetin als Beispiel eines Biotechnologieprodukts
4.1
Bedeutung der Erythropoetine in der Humanphysiologie
Das Glykoprotein Erythropoetin (EPO) besitzt eine Molekularmasse von ca. 34–39 kDa. Die aus 165 Aminosäureresten bestehende Grundstruktur von EPO ist ausreichend für die Bindung an den EPO-Rezeptor und die Stimulation der Erythropoese in vitro, während der aus 4 Seitenketten bestehende Kohlenhydratanteil, der 40% der Molekularmasse ausmacht, für das »Überleben« von EPO in vivo verantwortlich ist [1, 2]. Drei dieser Zuckerseitenketten sind über Asparagin N-glykosidisch (Asn 24, Asn 38 und Asn 83) und eine über Serin O-glykosidisch (Ser 126) mit dem Proteinanteil von EPO verbunden (⊡ Abb. 4.1) [3]. Die Seitenketten setzen sich aus den Monosacchariden Mannose, Galaktose, Fucose, N-Acteylglucosamin und N-Acetylgalactosamin zusammen [4–6]. Durch unterschiedlich lange und verzweigte Ketten entsteht eine Vielzahl von Zuckerseitenketten [7], die die Varianz des Molekulargewichtes von EPO erklären. Diese Zuckerseitenketten sind terminal mit Neuraminsäurederivaten verknüpft, die auch unter dem Namen Sialinsäure bekannt sind. Natives EPO tritt in drei Varianten auf: alpha, beta und asialo. Die Glykosylierung und vor allem die terminale Sialinsäure sind entscheidend für die biologische Aktivität von EPO in vivo: je höher der Sialilierungsgrad, desto niedriger ist die Affinität zum EPO-Rezeptor und somit auch die Serumhalbwertszeit des Hormons [8]. Behandelt man EPO mit Sialidase (ein Enzym, das die endständige Sialinsäure enzymatisch abspaltet), so entsteht eine asialilierte Isoform, die in der Leber unmittelbar durch Asialoglykoproteinrezeptoren erkannt und danach abgebaut wird [9]. Erhöht man jedoch den Sialilierungsgrad, so verlängert sich die biologische Halbwertszeit von EPO. Dieses Prinzip führte zur Entwicklung von NESP (»novel erythropoesis stimulating protein«). Um dessen Halbwertszeit zu erhöhen, wurden 5 Aminosäurenreste der Primärstruktur von EPO getauscht, so dass zwei zusätzliche N-glykosidische Seitenketten entstanden [10, 11]. Bindet EPO an seinen Rezeptor, so führt dies zu konformatorischen Änderungen der Rezeptorstruktur und damit zur Aktivierung von verschie-
⊡ Abb. 4.1. Primärstruktur des humanen EPO. Das 165 Aminosäurereste große Molekül besitzt zwei Disulfidbrücken (C7–C161 und C29–C33) sowie 4 Oligosaccharidseitenketten (N24, N38, N83 und S126) [3]
denen Mechanismen, die zur Reifung roter Blutkörperchen aus erythrozytären Progenitorzellen beitragen. Hierbei werden unterschiedliche Signalkaskaden aktiviert, von denen zwei im Mittelpunkt der EPO-Wirkung stehen: die JAK-2/STAT-5- und die PI3K/AKT-Signalkaskade (⊡ Abb. 4.2). Die Janus Kinase 2 (JAK-2) ist eine mit dem EPORezeptor assoziierte Protein-Tyrosin-Kinase, die nach Bindung von EPO an seinen Rezeptor phosphoryliert und dadurch aktiviert wird [12]. JAK-2 phosphoryliert dann den EPO-Rezeptor und eine Reihe weiterer Proteine, darunter STAT-5 (»signal transducer and activator of transcription«) [13, 14]. Das phosphorylierte STAT-5-Protein bildet dann Homodimere, wandert in den Zellkern, bindet an spezifische DNA-Elemente und aktiviert so die Transkription spezifischer Gene. EPO wirkt über die Aktivierung dieser Signalkaskade während der Erythropoese antiapoptotisch und fördert somit die Proliferation und Differenzierung erythrozytärer Progenitorzellen [15].
39 4.2 · Entwicklung von rekombinanten EPO-Substanzen
4
⊡ Abb. 4.2. Vereinfachte Darstellung der intrazellulären Signalvermittlung von EPO
Die Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K) ist verantwortlich für die Produktion von weiteren Vermittlermolekülen, indem sie die Phosphorylierung der 3’-OH-Position am Inositolring der Inositolphospholipide katalysiert. Nach Bindung von EPO an seinen Rezeptor wird durch PI3K über mehrere Zwischenschritte die Proteinkinase B (auch als Akt bekannt) phosphoryliert und damit aktiviert. Dies führt zur Aktivierung einer Reihe zell- und gewebeprotektiver Mechanismen: die Apoptose wird gehemmt, Stammzellen aktiviert und die Gefäßneubildung und -regeneration stimuliert [16–19].
4.2
Entwicklung von rekombinanten EPO-Substanzen
Die erfolgreiche Isolierung und Reinigung von EPO erfolgte 1977 aus humanem Urin [20] und führte 6 Jahre später zur Entschlüsselung der Aminosäuresequenz: 1984 wurde erstmals von einer erfolgreichen Klonierung und Expression eines rekombinanten EPO in Escherichia coli berichtet [21], 1 Jahr später gelang dies erstmals in Säugetierzellen [22, 23] (⊡ Tab. 4.1). Die Firma Amgen brachte 1989 das erste rekombinante humane EPO(rHuEPO) Präparat, Epogen (Epoetin α) auf den Markt, um niereninsuffiziente Patienten mit Anämie nebenwirkungsärmer als mittels wiederholter
Bluttransfusionen zu behandeln. Kurz danach folgten die Firmen Hoffmann-La Roche mit NeoRecormon® (Epoetin β), Johnson&Johnson mit Eprex®/ Procrit® (Epoetin α) und Elanex Pharmaceuticals bzw. Baxter mit Epomax (Epoetin ω). Epoetin α und Epoetin β werden beide gentechnisch hergestellt in genetisch modifizierten Subklonen einer Ovarialzelllinie des Chinesischen Streifenhamsters, einer sog. CHO-Zelllinie (CHO, »Chinese hamster ovary«). Dabei weist Epoetin β ein geringfügig höheres Molekulargewicht und einen niedrigeren Sialilierungsgrad als Epoetin α auf. Überraschenderweise wurde jedoch bei Epoetin β pharmakologisch eine geringfügig längere Serumhalbwertszeit als bei Epoetin α nachgewiesen. Epoetin ω wird in genetisch modifizierten Nierenzellen eines Jungtieres des Syrischen Goldhamsters (BHK, »baby hamster kidney«) gentechnisch hergestellt. Bedingt durch die unterschiedliche Expressionszelllinie unterscheidet es sich von der α- und β-Variante in seinem Glykosylierungsmuster. Im Jahr 2001 generierte Amgen unter dem Handelsnamen Aranesp (Darbepoetin α) ein gentechnisch verändertes rHuEPO, das durch den Austausch von 5 Aminosäuren weitere Zuckerseitenketten enthält, wodurch sich der Anteil endständiger Sialinsäuren und hierdurch die Serumhalbwertszeit erhöht. Hoffmann-La Roche entwickelte kürzlich ein modifiziertes rHuEPO, das kontinuierlich den
40
Kapitel 4 · Das rekombinante humane Erythropoetin als Beispiel eines Biotechnologieprodukts
⊡ Tab. 4.1. Zelllinien zur Herstellung von rHuEPO − Chinese hamster ovary cells (rHuEPO alpha and rHuEPO beta) − Baby hamster kidney cells (rHuEPO omega) − RPMI 1788 human lymphoblastoid cells − COS African green monkey kidney cells − MDCK canine kidney cells − L929 mouse fibroblast − C127 mouse mammary cells − HT-1080 human fibrosarcoma
4
EPO-Rezeptor aktiviert (CERA, »continuous erythropoesis receptor activator«). Hierfür wurde »normales« rHuEPO mit einem Methoxypolyethylenglykolpolymer verknüpft (sog. PEGylierung), was zu einer Erhöhung der Molekularmasse auf etwa 66 kDa führte – CERA ist damit fast doppelt so groß wie natives EPO. Die Halbwertszeit beträgt gemäß Untersuchungen aus klinischen Studien nach intravenöser als auch nach subkutaner Verabreichung ca. 135 h [24]. CERA wirkt somit wesentlich länger als bisher bekannte rHuEPO. Weiterhin beabsichtigt Sanofi-Aventis zusammen mit Shire Pharmaceuticals die Vermarktung eines durch Genaktivierung aus transformierten, humanen Zellen hergestellten rHuEPO unter dem Markennamen DynEpo. Nicht zuletzt entwickelt das US-amerikanische Biotechnologieunternehmen Warren Pharmaceuticals ein EPO-Derivat (CEPO, carbamoyliertes EPO) für die Therapie neurodegenerativer Erkrankungen. Beim CEPO wurde an sämtliche Lysinmonomere des EPO-Moleküls ein Carbamoylrest gekoppelt, wodurch sich seine Affinität zu spezifischen neuronalen Rezeptoren erhöht.
4.3
Beispiele von etablierten und potentiellen Anwendungsgebieten für rHuEPO
4.3.1 Renale Anämie
Ursachen Die Anämie als Begleiterscheinung einer chronischen Nierenerkrankung wurde bereits im Jahre 1836 von R. Bright ausführlich beschrieben. Anders als früher angenommen manifestiert sich die
renale Anämie allerdings bereits in sehr frühen Stadien der chronischen Niereninsuffizienz: ein Abfall des Hämoglobins wurde bereits bei einer Verminderung der glomerulären Filtrationsrate unter 70 ml/min bei Männern und unter 50 ml/ min bei Frauen beobachtet [25]. Hauptursache der renalen Anämie ist eine zu niedrige Produktion von endogenem EPO. Dabei handelt es sich jedoch mehr um einen relativen als um einen absoluten EPO-Mangel, d. h. trotz deutlicher Verminderung des Hämoglobins wird ein nur unzureichender kompensatorischer EPOAnstieg beobachtet [26]. Die Gründe für diese inadäquate EPO-Bildung bei niereninsuffizienten Patienten sind nicht vollständig aufgeklärt. Eine Anämie tritt zwar in der Regel unabhängig von der renalen Grunderkrankung auf, jedoch finden sich in Abhängigkeit von der Art der Nierenschädigung charakteristische Unterschiede – insbesondere bei Patienten mit tubulointerstitieller und diabetischer Nephropathie tritt die Anämie häufiger und bereits früher im Krankheitsverlauf auf [27]. Dies wird möglicherweise auf eine Transformation EPO-produzierender peritubulärer Fibroblasten in Myofibroblasten bei diesen Nierenkrankheiten zurückgeführt [28]. Im Gegensatz dazu findet sich bei Patienten mit Zystennieren auch bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz oft nur eine mäßige oder gar keine Anämie. Als mögliche Erklärung hierfür werden eine vermehrte Bildung von EPO in den Nierenzysten und in Folge dessen normale bis erhöhte EPO-Serumspiegel diskutiert [29]. Bei niereninsuffizienten Patienten spielt auch die chronische (Mikro)Inflammation eine wichtige Rolle in der Pathogenese der renalen Anämie [30]. Als Ergebnis dieser chronischen Entzündungsreaktion liegt eine gestörte Eisenhomöostase vor mit nur ungenügend verfügbaren Speichereisen (»funktioneller« Eisenmangel), da proinflammatorische Zytokine den bivalenten Metalltransporter-1 stimulieren und dadurch die Transferrinrezeptorvermittelte Eisenaufnahme in die Zellen des retikulo-endothelialen Systems steigern. Dort wird das Eisen eingelagert und steht für die Erythropoese nicht mehr zur Verfügung. Zudem wird die EPOProduktion auch direkt durch proinflammatorische Zytokine wie z. B., Tumor-Nekrose-Faktor-α und Interleukin-6 gehemmt. Darüber hinaus spielt
41 4.3 · Beispiele von etablierten und potentiellen Anwendungsgebieten für rHuEPO
bei der Entwicklung des funktionellen Eisenmangels auch das kürzlich entdeckte Hepcidin eine wichtige Rolle [31]. Hepcidin ist ein vor allem unter Einfluss von Interleukin-6 in der Leber synthetisiertes Akut-Phase-Protein, welches das EisenTransportmolekül Ferroportin-1 hemmt und somit zugleich die duodenale Eisenresorption sowie die Eisenfreisetzung aus den Zellen des retikulo-endothelialen Systems vermindert. Weitere pathophysiologisch relevante Faktoren bei der Entwicklung einer renalen Anämie sind eine Therapie mit ACEHemmern bzw. AT1-Rezeptorblockern (Hemmung der Angiotensin-II-modulierten EPO-Produktion) [32, 33], eine durch urämische Toxine verkürzte Erythrozytenüberlebenszeit und ein chronischer Blutverlust bedingt durch Blutungen im Bereich des Gastrointestinaltrakts, regelmäßige Blutabnahmen und Restblutmenge in den Dialysesystemen (bei bereits dialysepflichtigen Patienten). Die Anämie als Begleiterscheinung einer chronischen Herzinsuffizienz erlangte erst in den letzten Jahren größeres Interesse, nachdem in einigen prospektiven randomisierten Studien bei herzinsuffizienten Patienten die Anämiekorrektur nicht nur zur Verbesserung der klinischen Symptome und Leistungsfähigkeit führte, sondern auch zur Verminderung der kardiovaskulären Morbidität [34, 35]. Zudem wurde in epidemiologischen Studien die EPO-Serumkonzentration als unabhängiger Risikofaktor für den kardialen Tod bei diesen Patienten identifiziert [36]. Die Ätiopathogenese der Anämie bei herzinsuffizienten Patienten ist noch nicht vollständig geklärt: es ist nicht klar, ob es sich nur um eine Variante der renalen Anämie handelt, d. h. eine gleichzeitig vorliegende Nierenfunktionsstörung gepaart mit relativen EPOMangel (und evtl. Eisenmangel), oder ob auch die bei Herzinsuffizienten obligatorische Therapie mit ACE-Hemmern bzw. AT1-Rezeptorblockern eine Rolle spielt.
Therapie Die renale Anämie beeinflusst nicht nur die allgemeine Lebensqualität nierenkranker Patienten, sondern sie gilt auch als wichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor [37, 38]. Die optimale und auch kosteneffektive Behandlung der renalen Anämie
4
ist deshalb zentraler Bestandteil bei der Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten und wird heute durch leitliniengerechte Therapiestrategien unterstützt. Ergebnisse großer internationaler epidemiologischer Studien wie z. B. der European Survey on Anaemia Management (ESAM) oder der Dialysis Outcomes and Practice Patterns Study (DOPPS) haben allerdings belegt, dass trotz rHuEPO-Therapie bei bis zu einem Drittel der dialysepflichtigen Patienten die in den Leitlinien angegebenen Hämoglobinwerte nicht erreicht werden. Auch die Vorgaben bezüglich eines adäquaten Eisenstatus sind oft nicht oder nur unzureichend erfüllt [39]. Die European Best Practice Guidelines (EBPG) empfehlen einen Zielhämoglobinwert von ≥11 g/dl (Hämatokrit ≥33%) [40]. Erythropoese-stimulierende Substanzen kommen bei einer mehrfach gemessenen Hämoglobinkonzentration ≤11 g/dl trotz ausreichender Eisenspeicher bzw. vorangegangener Korrektur eines Eisenmangels zum Einsatz [40]. Der Applikationsweg ist prinzipiell parenteral, d. h. intravenös (i.v.) oder subkutan (s.c.). Zur klinischen Anwendung bei der Anämietherapie bei nierenkranken Patienten stehen verschiedene Substanzen zur Verfügung: Epoetin alfa (rHuEPO α), Epoetin beta (rHuEPO β) und Darbepoetin α, und inzwischen CERA (»continuous erythropoietin receptor activator«). Bei bereits dialysepflichtigen Patienten wird wegen der Einfachheit oft die i.v.-Gabe während der Dialysebehandlung bevorzugt, beim nicht-dialysepflichtigen Patienten ist die s.c.-Applikationsweise praktischer. Die intraperitoneale (i.p.) Gabe wird aufgrund der schlechteren Bioverfügbarkeit nicht empfohlen. Während der Korrekturphase der rHuEPO-Dosis (und evtl. auch eines Eisenmangels) und auch in der Erhaltungsphase sollte rHuEPO α und rHuEPO β 3-mal/ Woche verabreicht werden (⊡ Tab. 4.2). Allerdings ist aufgrund der veränderten Bioverfügbarkeit und verlängerten Halbwertszeit eine Verminderung des Dosierungsintervalls zumindest bei s.c.-Gabe von rHuEPO β möglich. Darbepoetin sollte zunächst 1-mal/Woche, später evtl. alle 2–4 Wochen appliziert werden. Die Anfangsdosierung aller Präparate hängt vom Schweregrad der Anämie ab; sie liegt normalerweise bei etwa 50–150 IE/kg Körpergewicht (KG) rHuEPO α oder rHuEPO β pro
42
Kapitel 4 · Das rekombinante humane Erythropoetin als Beispiel eines Biotechnologieprodukts
⊡ Tab. 4.2. Empfehlungen zur Therapie mit Erythropoese-stimulierenden Substanzen bei nephrologischen Patienten Empfehlung
Chronische Niereninsuffizienz Stadium 1–5
Hämodialyse
Peritonealdialyse
Transplantation
Applikationsweise
s.c.
s.c. oder i.v.
s.c.
s.c.
EA: 2- bis 3-mal
EA: 3-mal
EA: 3-mal
EA: 3-mal
EB: 1- bis 3-mal
EB: 3-mal
EB: 3-mal
EB: 1- bis 3-mal
DA: 1-mal
DA: 1-mal
DA: 1-mal
DA: 1-mal
EA: 2- bis 3-mal
EA: 2- bis 3-mal
EA: 2- bis 3-mal
EA: 2- bis 3-mal
EB: 1- bis 3-mal
EB: 1- bis 3-mal (s.c.)
EB: 1- bis 3-mal
EB: 1- bis 3-mal
DA: 1-mal (bis 1-mal alle 4 Wochen)
EB: 2- bis 3-mal (i.v.)
DA: 1-mal (bis 1-mal alle 2 Wochen)
DA: 1-mal (bis 1-mal alle 2 Wo.)
Applikationsfrequenz (pro Woche)
4
Korrekturphase
Erhaltungsphase
EA – rHuEPO α, EB – rHuEPO β, DA – Darbepoetin α Der Darbepoetin [μg]:Epoetin [IE] Umrechnungsfaktor für die i.v.-Gabe ist ca. 1:176 (entnommen aus [36])
Woche (in der Regel zwischen 4000 und 8000 IE pro Woche) [41]. Ziel ist die Steigerung des Hämoglobins um 1–2 g/dl pro Monat – ein schnellerer Anstieg sollte wegen potentieller Nebenwirkungen bzw. kardiovaskulärer Komplikationen vermieden werden [42]. Eine komplette Normalisierung des Hämoglobinwerts, d. h. eine Korrektur über 12–13 g/dl hinaus, sollte nach neuesten Studienergebnissen (CREATE und CHOIR) nicht angestrebt werden, da dies für die Patienten keinen weiteren kardiovaskulären Vorteil, wohl aber eine höhere Komplikationsrate mit sich bringt [43, 44]. Obwohl es keine Richtlinien zur Behandlung der Anämie bei Herzinsuffizienz gibt, ist zumindest bei gleichzeitigem Vorliegen einer Niereninsuffizienz die Therapie nach den European Best Practice Guidelines (EBPG) empfehlenswert [40]. Weitere Studien müssen zeigen, ob darüber hinaus die Anämiekorrektur sinnvoll ist bzw. zur besseren Lebensqualität und/oder Überleben der Patienten beiträgt, auch wenn noch keine (manifeste) Niereninsuffizienz vorliegt. Häufig ist im Verlauf der Therapie eine individuelle rHuEPO-Dosisanpassung notwendig, bei nicht ausreichendem Ansprechen sollte die Dosis
allerdings nicht um mehr als 25% gesteigert werden. Bei zu schnellem und/oder zu starkem Anstieg des Hämoglobins sollte eine Dosisreduktion oder sogar Therapiepause erfolgen, und die Behandlung danach mit einer niedrigeren Dosis weitergeführt werden. Der Hämoglobinwert soll zu Beginn der Therapie alle 2–4 Wochen, nach Erreichen einer stabilen Blutkonzentration alle 1–2 Monate kontrolliert werden [40]. Zu den relevanten Nebenwirkungen einer Therapie mit Erythropoese-stimulierenden Substanzen zählt mit einer Inzidenz von 20% die Entwicklung oder Verschlechterung einer arteriellen Hypertonie mit der Notwendigkeit, die Dosis der antihypertensiven Medikation anzupassen und die Blutdruckwerte engmaschiger zu kontrollieren. Das vermehrte Auftreten von Shuntthrombosen ist nicht eindeutig belegt.
4.4
Schlussfolgerung
Erythropoetine sind aus dem Anwendungsgebiet »renale Anämie« nicht mehr wegzudenken und haben seit ihrer Markteinführung für Millionen von Dialysepatienten bzw. Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz eine substantielle Verbes-
43 Literatur
serung insbesondere der Lebensqualität gebracht. Wie wohl unstrittig ist, dass die Anhebung des HbWerts durch Erythropoetine bei renaler Anämie von klinischem Vorteil ist, so ist doch noch ungeklärt, bis in welchen Bereich die Anämie ausgeglichen werden soll. Tatsächlich hat sich in aktuellen Studien herauskristallisiert, dass sich eine Normalisierung des Hb-Werts bis in den physiologischen Normalbereich eher nachteilig auswirkt – ein weiteres, unverstandenes Phänomen bei chronisch nierenkranken Patienten, das in künftigen klinischen Studien ausführlicher erforscht werden sollte.
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44
4
Kapitel 4 · Das rekombinante humane Erythropoetin als Beispiel eines Biotechnologieprodukts
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5
Einsatz von G-CSF Anke Spoo, Martina Kleber, Véronique Thierry, Monika Engelhardt
5.1
Physiologie – 46
5.2
Entwicklung rekombinanter G-CSF – 47
5.3
Einsatz von G-CSF in der Hämatologie/Onkologie und Risikobemessung für Chemotherapie-induzierte Neutropenie – 48
5.3.1 5.3.2 5.3.3
Chemotherapie-induzierte Neutropenie – 48 Risikofaktoren für eine febrile Neutropenie – 48 Empfehlungen und Leitlinien der EORTC, ASCO und NCCN zum Einsatz von G-CSF – 50
5.4
Indikationen für einen G-CSF-Einsatz – 52
5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5 5.4.6
Primärprophylaxe – 52 Sekundärprophylaxe und palliative Therapien – 52 Ziele des G-CSF-Einsatzes neben antibiotischer Therapie und Dosisintensität – 52 Stammzelltransplantation – 53 Andere G-CSF-Indikationen – 53 Unterschiede zwischen Filgrastim und Pegfilgrastim – 54
5.5
Zukunftsperspektiven eines möglichen bzw. in Studien geprüften G-CSF-Einsatzes – 55
5.5.1
Ex-vivo-Propagierung von Stamm- und Progenitorzellen und zusätzliche Faktoren zur bestmöglichen Stammzellmobilisierung – 56 HIV-Infektion – 56
5.5.2
Literatur – 56
46
Kapitel 5 · Einsatz von G-CSF
5.1
Physiologie
Hämatopoetische Wachstumsfaktoren stammen aus der Familie der Glykoproteine und spielen eine Schlüsselrolle bei der Proliferation und Differenzierung hämatopoetischer Stammzellen in verschiedenen Zelltypen (⊡ Abb. 5.1). Vermittelt wird dieser Effekt durch eine hohe hämatopoetische Wachstumsfaktor-Bindungsaffinität an spezi-
fische Rezeptoren der Vorläuferzellen, die auf der Oberfläche exprimiert werden (1–4). Der Rezeptor für hämatopoetische Wachstumsfaktoren ist ein Protein mit nur einer Untereinheit und einer molekularen Masse von etwa 150 kDa und bildet damit eine Homologie für die Rezeptoren von IL-2, Thrombopoetin und anderen Zytokinen. Der Granulozyten-koloniestimulierende Faktor (G-CSF) und der Granulozyten-Monozyten-kolo-
⊡ Abb. 5.1. Hämatopoetische Kaskade der Entwicklung zu enddifferenzierten Blutzellen aus pluripotenten Stammzellen. Schlüsselrolle in der Proliferation und Differenzierung von Stammzellen, Progenitorzellen und Effektorzellen spielen hämatopoetische Wachstumsfaktoren. BFU-E: erythroide
Kolonie, BFU-Meg: megakaryozytäre Kolonie, CFU: Koloniebildende Zellformation, G-CSF: Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor, GM-CSF: Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor, IL: Interleukin, Meg: Megakaryozyt, SCF: Stammzellfaktor
5
47 5.2 · Entwicklung rekombinanter G-CSF
niestimulierende Faktor (GM-CSF), beide aus der Gruppe der hämatopoetischen Wachstumsfaktoren können zur raschen Regeneration linienspezifischer Zellpopulationen eingesetzt werden. G-CSF besitzt eine molekulare Masse von circa 14–18 kDa und fördert die Differenzierung von Vorläuferzellen der Granulo- bzw. Monozytopoese. Darüber hinaus werden die Funktion reifer neutrophiler Granulozyten und ihre Mobilisierung aus dem Knochenmark in die Blutbahn (5, 6) und deren Zellfunktion bei der Infektabwehr aktiviert. Gesteuert wird die Proliferation und Differenzierung hämatopoetischer Vorläuferzellen durch die Interaktion zwischen Knochenmark-Stromazellen und hämatopoetischen Zellen durch Zytokine und Adhäsionsmoleküle, die den Mechanismus des sog. Stammzellhoming vermitteln (7–10). CXCR4 ist ein Mitglied der CXCChemokinrezeptoren mit einer Domäne von sieben transmembranen Ketten und an das heterogene Protein G1 gekoppelt (11). Unmittelbar nach der Bindung des Liganden SDF-1 (auch bekannt als CXCL12) wird eine Kaskade multipler Signaltransduktionen eingeleitet. Die Interaktion zwischen SDF-1 und CXCR4 reguliert das Stammzellhoming, und deren Blockade die Mobilisierung von Vorläufer- und Stammzellen aus dem Knochenmark. Lapidot et. al. (7) konnten dabei zeigen, dass G-CSF die Sezernierung von SDF-1 verringert, CXCR4 hochreguliert und dadurch die Mobilisation der Stammzellen in das periphere Blut verstärkt wird. Die mit Hilfe rekombinanter DNA-Technik hergestellten Wachstumsfaktoren unterscheiden sich – je nach Expressionssystem – nur geringfügig von den endogenen Glykoproteinen. Zur klinischen Anwendung kommen die Granulozyten-koloniestimulierenden Faktoren Filgrastim (Neupogen®), Pegfilgrastim (pegyliertes Filgrastim, Neulasta®) sowie Lenograstim (glykosyliert, identische Struktur zu humanem G-CSF, Granozyte®). Filgrastim (r-metHuG-CSF) ist ein Protein, bestehend aus 175 Aminosäuren mit einem freien Cysteinrest. Es unterscheidet sich vom natürlich vorkommenden humanen G-CSF durch die zusätzliche N-terminale Aminosäure Methionin und durch das Fehlen der O-Glykosylierung. Pegfilgrastim besitzt eine molekulare Masse von ca. 19 kDa und ist ein Konjugat des rekombinanten humanen G-CSF Filgrastim mit Polyethylenglykol.
5
Die maximale Plasmakonzentration nach subkutaner Injektion von Filgrastim wird nach 2–8 h erreicht, verbunden mit einer Plasmahalbwertszeit von wenigen Stunden. Bei Applikation von G-CSF über einen Zeitraum von etwa 5 Tagen verringert sich der Plasmaspiegel rasch und kontinuierlich, dies geht mit einer Steigerung der neutrophilen Granulozyten im Blut einher.
5.2
Entwicklung rekombinanter G-CSF
Bereits 1960 konnte gezeigt werden, dass normale Vorläuferzellen durch die Anwesenheit von löslichen Wachstumsfaktoren vermehrt werden können (12, 13). Diese Faktoren wurden aufgrund ihrer Fähigkeit zur Formation von Blutzellkolonienbildung im Knochenmark ursprünglich als »colony-stimulating factors« (CSFs) bezeichnet. In der Zeit zwischen 1970 und 1980 wurden verschiedene CSFs auf der Basis weiterer Arten von Kolonien detektiert und führten zu der Hypothese, dass Wachstum und Differenzierung der einzelnen Zelllinien durch CSFs gesteuert wird (14, 15). Basierend auf diesem Wissen wurde es zwischen 1980 und 1990 durch molekulares Klonen einzelner Gene von Wachstumsfaktoren und deren Rezeptoren möglich, die Struktur, Funktion und Biologie der rekombinaten CSFs genauer zu untersuchen (16, 17). Das humane G-CSF existiert in zwei Formen, einem Protein mit 174 und einem Protein mit 180 Aminosäuren (AS). Die aktive Form des Proteins mit 174 AS bildet die Grundlage der biotechnologischen Herstellung. In einem Mausmodell wurde erstmals 1983 in Australien ein rekombinanter Granulozyten-Kolonien-stimulierender Faktor (G-CSF) hergestellt. Es folgte 3 Jahre später eine humane, klonierte Form in Japan und USA. Das rekombinante humane G-CSF wird in einem Bakterium (E. coli) synthetisiert. Das pegylierte Filgrastim (Neulasta) wurde mit einem Methoxypolyethylenglykopolymer verknüpft (sog. Pegylierung). Dies führte zu einer Verdoppelung des Molekulargewichtes. Durch dieses Verfahren wird die Halbwertszeit erhöht und ermöglicht die Einmalapplikation pro Chemotherapiezyklus, so dass die Notwendigkeit einer täglichen Applikation entfällt.
48
Kapitel 5 · Einsatz von G-CSF
5.3
Einsatz von G-CSF in der Hämatologie/Onkologie und Risikobemessung für Chemotherapie-induzierte Neutropenie
5.3.1 Chemotherapie-induzierte
Neutropenie
5
Häufige Nebenwirkung der Chemotherapie ist die Myelosuppression mit relevanter Neutropenie. Diese sog. Chemotherapie-induzierte Neutropenie und deren Komplikationen, wie z. B. Fieber (febrile Neutropenie [FN], in vielen Fällen mit erhöhter Gefahr der Entwicklung einer lebensbedrohlichen Infektion oder Sepsis einhergehend), sind Hauptursache erhöhter Mortalität und Morbidität in der Tumorbehandlung. Infektionen sind die häufigsten Todesursachen im Rahmen einer Tumorbehandlung. Die FN erfordert zur Ursachenevaluation und Behandlung meist die Hospitalisation des Patienten mit sofortiger systemischer Breitspektrum-Antibiotikagabe und stellt – neben der Gefährdung des Patienten – einen nicht unerheblichen Kostenfaktor dar. Die FN kann zudem zur Dosisreduktion oder Verzögerung der nachfolgenden Chemotherapiezyklen führen, die das Therapieergebnis erheblich beeinflussen können (1–3, 18). Myeloische Wachstumsfaktoren (z. B. G-CSF) stimulieren die Produktion von myeloischen Zellen im Knochenmark und fördern die Ausschwemmung der Leukozyten ins periphere Blut. Während einer FN stellt – neben der antibiotischen Behandlung, Dosisreduktion oder Verzögerung der Chemotherapie – die Gabe von rekombinanten G-CSF eine Möglichkeit dar, der FN zu begegnen bzw. diese komplett zu verhindern. Neben der Sekundärprophylaxe einer FN spielen G-CSF auch in der Primärprophylaxe im Rahmen einer Chemotherapie eine Schlüsselrolle. Eingesetzt wird G-CSF zur Verkürzung der Dauer von Neutropenien sowie zur Verminderung der Häufigkeit neutropenischen Fiebers bei Patienten, die aufgrund einer malignen Erkrankung mit zytotoxischer Chemotherapie behandelt werden (mit Ausnahme von chronisch-myeloischer Leukämie und myelodysplastischem Syndrom). Zudem wird es zur Verkürzung der Dauer von Neutropenien bei Patienten eingesetzt, die eine myeloablative Behandlung mit anschließender Knochenmark-
Transplantation oder peripherer BlutstammzellTransplantation erhalten, bei denen ein erhöhtes Risiko einer verlängerten und schweren Neutropenie besteht. Ferner wird täglich zu verabreichendes G-CSF zur Mobilisierung von Blutstammzellen in das periphere Blut zur Leukozytenapherese verwendet. Die Empfehlungen der EORTC, ASCO und NCCN haben die Indikationen zum Einsatz von G-CSF, basierend auf einer kritischen Bewertung vorhandener Studienergebnisse, die sich auf die klinische Routine beziehen, neu bewertet. Aufgrund dieser Ergebnisse wurden durch die EORTC die Empfehlungsgrade A, B, C und D für höchste, konsistente, nicht-konsistente und ohne systematisch erhobene Evidenz angegeben (4). Empfohlen wird rekombinantes, täglich zu verabreichendes G-CSF (z. B. Filgrastim/Lenograstim) prophylaktisch 24–72 Stunden (h) nach der letzten Gabe einer myelotoxischen Chemotherapie bis zur Regeneration der Gesamtleukozytenzahl einmal täglich. Das lang wirksame Pegfilgrastim wird mit einer Einmaldosis von 6 mg pro Chemotherapiezyklus 24 h nach Beendigung der Chemotherapie appliziert. Alle Präparate werden subkutan (s.c.) verabreicht. Als Nebenwirkungen können unter G-CSF Schmerzen des Bewegungsapparates wie Knochenschmerzen auftreten, die in der Regel mit einem Analgetikum (z. B. Paracetamol) gut beherrscht werden können.
5.3.2 Risikofaktoren für eine febrile
Neutropenie Das Risiko, eine neutropenische Komplikation zu entwickeln, ist von mehreren Faktoren abhängig. Zur Risikobemessung wurden aus retrospektiven Daten prädiktive Risikomodelle (nicht-konditionale und konditionale Modelle) entwickelt, um Patienten entsprechend ihrem Risiko einteilen zu können (18, 19). Nicht-konditionale Modelle beruhen auf patienten-, krankheits- und behandlungsspezifischen Risikofaktoren, die vor Beginn einer Chemotherapie vorliegen und für jeden individuellen Patienten vor jedem Chemotherapiezyklus neu bestimmt werden sollten (1, 18). Unter den patientenspezifischen Fak-
49 5.3 · Einsatz von G-CSF in der Hämatologie/Onkologie und Risikobemessung
5
toren zeigten mehrere Studien, dass höheres Alter (≥65 Jahre) ein wichtiger unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer schweren Neutropenie und anderer neutropenischer Komplikationen darstellt (18–23). Ältere Patienten werden aufgrund des Auftretens dieser neutropenischen Komplikationen häufig mit niedrigeren Chemotherapiedosierungen behandelt, obwohl sie von einer intensiven Therapie genauso wie junge Patienten profitieren könnten. Die Vermeidung einer Neutropenie ist bei diesem Patientenkollektiv somit für den Therapieerfolg entscheidend (22, 24–29). Andere bedeu-
tende patientenspezifische Risikofaktoren sind der Allgemein- und Ernährungszustand, Immundefizienz, weibliches Geschlecht sowie relevante Begleiterkrankungen (wie Nieren-, Leber-, Lungen- oder Herzerkrankungen, zerebrovaskuläre und kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, Adipositas, offene Wunden, aktive Gewebeinfektionen sowie vorangegangene Pilzinfektionen und Sepsis) (1, 18, 25, 26, 30). Abnorme Laborwerte korrelieren ebenfalls mit einem erhöhten Risiko: Blutbildveränderungen mit Hämoglobinwerten <12 g/dl oder erniedrigte Lymphozyten- oder Neutrophilenwerte,
⊡ Abb. 5.2. Entsprechend aktueller Leitlinien (EORTC, ASCO, NCCN) steht die Intensität des Chemotherapieregimes in direkter Beziehung zum FN-Risiko. Chemotherapieregime mit einem ≥20% Risiko für FN beinhalten ein »hohes Risiko«, solche mit 10–20% ein »mittleres Risiko« und jene <10% ein »niedriges Risiko«. Gemäß diesen Leitlinien müssen bei der Evaluation des Gesamtrisikos individuelle Risikofaktoren, die eine FN be-
günstigen, mitberücksichtigt werden. Um eine aussagekräftige Risikoabschätzung in der intermediären (10–20%) Risikogruppe zu erhalten, müssen patientenspezifische Risikofaktoren bei der Frage, ob G-CSF verabreicht werden sollte, einbezogen werden (Aus: Aapro MS et al. European Journal of Cancer. 2006; 42: 2433–2453)
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Kapitel 5 · Einsatz von G-CSF
⊡ Tab. 5.1. Überblick über Risikofaktoren für die Entwicklung einer febrilen Neutropenie (FN) Patientenfaktoren
− Alter >65 Jahre − Weiblich − Schlechter AZ (ECOG performance status >2) − Schlechter EZ (niedriges Albumin) − Eingeschränkte Immunfunktion
Komorbiditäten
− COPD − Kardiovaskuläre/zerebrovaskuläre Erkrankungen − Lebererkrankung (erhöhtes Bilirubin, AP) − Diabetes mellitus − Erniedrigtes Hämoglobin <12 g/dl − Nierenerkrankung (NHL) − Immunerkrankung
Infektionsrisiko
− Offene Wunden − Aktive Gewebeinfektion
In Zusammenhang mit der Krebserkrankung stehend
− − − − − −
Abhängig von der Behandlung
− Vorherige Neutropenie bei gleicher Chemotherapie − Art der Chemotherapie − Geplante relative Dosisintensität >80% − Präexistierende Neutropenie/ Lymphopenie/Thrombopenie − Extensive vorherige Chemotherapie − Gleichzeitige/vorhergehende Radiotherapie − Anthrazyklintherapie − Mukositis im gesamten GI-Trakt
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Knochenmarkinfiltration Fortgeschrittenes Karzinom Erhöhtes LDH (Lymphome) Leukämien Lymphome Lungenkarzinome
sowie die Dauer und Tiefe des Nadirs vor Beginn der Chemotherapie sind prognostisch für die FNEntwicklung bedeutend (18, 31–33) (⊡ Tab. 5.1 und ⊡ Abb. 5.2). In einer Studie an NHL-Patienten, die mit CHOP-Chemotherapie behandelt wurden, waren eine erniedrigte Albuminkonzentration <35 g/l, erhöhte LDH-Spiegel sowie Knochenmarkbefall signifikante Risikofaktoren für die Entwicklung lebensbedrohlicher Neutropenien (34). Neben den genannten patientenspezifischen Risikofaktoren nehmen erkrankungsspezifische Faktoren ebenfalls Einfluss auf das FN-Risiko: Patienten mit hämatologischen Neoplasien, KMInfiltration oder mit Bronchialkarzinom zeigen
ein höheres Risiko als solche mit anderen soliden Tumoren, unter anderem bedingt durch den zugrunde liegenden Krankheitsprozess sowie die Notwendigkeit einer höheren Chemotherapieintensität. Fortgeschrittenes Erkrankungsstadium sowie eine schlecht kontrollierbare Tumorerkrankung sind ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für eine FN assoziiert (25–27, 30, 34, 35) (⊡ Tab. 5.1). Behandlungsspezifische Risikofaktoren betreffen Chemotherapieregime und -typ (z. B. Anthrazykline), die verabreichte Chemotherapiedosisintensität (geplante relative Dosisintensität >80%), gleichzeitige oder vorhergehende Radiotherapie, vorangegangene Chemotherapie sowie das Behandlungsziel (z. B. kurativ oder palliativ) (1) (⊡ Tab. 5.1). In den EORTC-Richtlinien zum Einsatz von G-CSF werden als herausragende Risikofaktoren für die Entwicklung einer FN ein erhöhtes Alter (≥65 Jahre), fortgeschrittenes Tumorstadium, frühere FN-Episoden, kein G-CSF-Einsatz und eine fehlende Antibiotikaprophylaxe angegeben (⊡ Abb. 5.2), wobei letztere aufgrund der gefürchteten Resistenzentwicklung von der EORTC nicht generell empfohlen wird (Empfehlungsgrad B) (4). Bei konditionalen Modellen handelt es sich um Modelle, bei denen neutropenische Komplikationen und der Neutropenie-Schweregrad im ersten Chemotherapiezyklus als Risikofaktoren für entsprechende Komplikationen in den Folgezyklen eingehen. Studien haben dabei gezeigt, dass der Leukozytennadir während des ersten Chemotherapiezyklus sowie erniedrigte Hämoglobin- oder Thrombozytenwerte prädiktiv für neutropenische Komplikationen in Folgezyklen sind. Bei den konditionalen Modellen ist zu berücksichtigen, dass bei vielen Tumorerkrankungen die Häufigkeit des Auftretens von FN im ersten Zyklus am höchsten ist (1, 3, 18, 28, 31, 33, 36).
5.3.3 Empfehlungen und Leitlinien
der EORTC, ASCO und NCCN zum Einsatz von G-CSF Entsprechend den verschiedenen Leitlinien steht die Intensität des Chemotherapieregimes in direkter Beziehung zum FN-Risiko. Chemotherapieregime mit einem Risiko für FN ≥20% beinhalten
51 5.3 · Einsatz von G-CSF in der Hämatologie/Onkologie und Risikobemessung
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⊡ Tab. 5.2. Beispiele für Chemotherapieprotokolle mit hohem und intermediärem FN-Risiko (Aus: Das Blaue Buch 6.1, 2006, Universitätsklinik Freiburg; adaptiert und modifiziert aus NCCN Practice Guidelines in Oncology v. 2 2005/EORTC Guidelines for the use of G-CSF 2006) Beispiele für Chemotherapieregime mit einem hohen Risiko (20%) für eine FN
Beispiele für Chemotherapieregime mit einem intermediären Risiko (10–20%) für eine FN
NHL: − VACOP-B (Vincristin/Doxorubicin/Prednisolon/Etoposid/Cyclo/Bleomycin) − DHAP (Dexamethason/Cisplatin/Cytarabin) − (R)-CHOP-21/14 (Doxorubicin/Cyclophosphamid/Vincristin/Prednison) Morbus Hodgkin: − BEACOPP (Procarbazin/Prednison/Cyclophophamid/Etoposid/Vincristin/ Bleomycin) Kopf- und Halstumor: − Docetaxel/Cisplatin NSCLC: − Paclitaxel/Carboplatin adjuvant − Gemcitabine/Cisplatin − Docetaxel/Cisplatin − Paclitaxel/Carboplatin adjuvant
NSCLC: − Paclitaxel/Carboplatin − Vinorelbin/Cisplatin − Docetaxel
SCLC: − EpiCo (Cyclo/Epirubicin/Etoposid) − PE (Etoposid/Cisplatin)
SCLC: − Cisplatin/Topotecan − EP (CE) (Etoposid/Carboplatin)
Magenkarzinom: − DCF (Docetaxel/Cisplatin/5-Fluorouracil)
Kolonkarzinom: − FOLFIRI (Irininotecan/5-FU/Leucovorin) − 5-FU/Leucovorin
Mammakarzinom: − AC(T) (Doxorubicin/Cyclophosphamid/Paclitaxel)
Mammakarzinom: − Taxotere mono (Docetaxel) − AC (Doxorubicin/Cyclophosphamid)
Ovarialkarzinom: − Paclitaxel − Paclitaxel/Carboplatin − Topotectan Hodentumor: − PEI (Cisplatin/Ifosfamid/Etoposid) − PIV (Cisplatin/Ifosfamid/Etoposid) − PE (Etoposid/Cisplatin) Blasenkarzinom: − MVAC (Methotrexat/Vinblastin/Doxorubicin/Cisplatin) Sarkom: − Doxorubicin/Ifosfamid CUP: − PCE (Paclitaxel/Carboplatin/Etoposid)
ein »hohes Risiko«, solche mit 10–20% ein »mittleres Risiko« und jene <10% ein »niedriges Risiko« (1–4). Gemäß der aktuellen Leitlinien (EORTC, ASCO, NCCN) müssen bei der Evaluation des Gesamtrisikos individuelle Risikofaktoren, die eine FN begünstigen, mitberücksichtigt werden. Um
eine aussagekräftige Risikoabschätzung in der intermediären (10–20%) Risikogruppe zu erhalten, sollten solche patientenspezifischen Risikofaktoren bei der Frage, ob G-CSF verabreicht werden sollte, einbezogen werden (Empfehlungsgrad A) (1, 4) (⊡ Abb. 5.2, ⊡ Tab. 5.1 und 5.2).
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Kapitel 5 · Einsatz von G-CSF
5.4
Indikationen für einen G-CSF-Einsatz
5.4.1 Primärprophylaxe
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Zur primären Prophylaxe während des ersten Chemotherapiezyklus und in den Folgezyklen wird supportiv G-CSF eingesetzt, um die Dauer und den Schweregrad einer Chemotherapie-induzierten Neutropenie sowie deren Komplikationen zu reduzieren. G-CSF ermöglicht weiterhin die protokoll- und zeitgerechte Applikation von Chemotherapien sowie Steigerungen der Dosisintensität (1–4, 37). Basierend auf Studienergebnissen und ökonomischen Modellrechnungen wurde in früheren Leitlinien empfohlen, ab einem FN-Risiko von >40% eine Prophylaxe durchzuführen (38). Die aktuellen Leitlinien empfehlen jetzt übereinstimmend die Primärprophylaxe mit G-CSF bei Patienten mit einem hohen Gesamtrisiko für FN ≥20% basierend auf deren Alter, Erkrankungscharakteristika, myelotoxischer Chemotherapie sowie bei Verabreichung einer dosisdichten Chemotherapie (⊡ Abb. 5.2). Da bei einigen Standardchemotherapien das FN-Risiko <20% beträgt, ist die individuelle Risikokonstellation beim Einsatz von G-CSF vor jedem Zyklus zu prüfen (⊡ Tab. 5.2). Supportive G-CSF-Gabe sollte bei Chemotherapieregimen mit intermediärem FN-Risiko (10–20%) erwogen werden, wenn Risikofaktoren wie Alter ≥65 Jahren, schlechter Allgemeinzustand, vorangegangene FN-Episoden, intensive Vortherapien (Radiochemotherapie/kombinierte Chemotherapien), KM-Befall, offene Wunden, präexistierende Infektionen oder schwere Komorbiditäten vorliegen (3, 39, 40). Bei Verfügbarkeit eines alternativen Regimes mit gleicher Effizienz, aber geringerem FN-Risiko, sollte dieses bei der Therapiewahl mitberücksichtigt werden. Im Rahmen einer palliativen Tumorbehandlung können alternative Maßnahmen wie Dosisreduktionen, Zyklusverschiebung oder Gabe einer weniger myelosuppressiven Chemotherapie miteinbezogen werden (⊡ Tab. 5.2). Bei niedrigem FN-Risiko <10% wird die routinemäßige Applikation von G-CSF nicht empfohlen (1–4) (⊡ Abb. 5.2, ⊡ Tab. 5.1 und 5.2).
5.4.2 Sekundärprophylaxe und palliative
Therapien Die Wahrscheinlichkeit für ein erneutes Auftreten einer FN ist nach vorausgegangener FN sehr hoch. Nach einer FN oder einer verlängerten Neutropenie während des vorherigen Zyklus wird die routinemäßige Sekundärprophylaxe mit G-CSF während der nächsten Chemotherapiezyklen empfohlen, falls eine Dosisreduktion den Behandlungserfolg gefährdet. Bei palliativem Therapieansatz oder ohne Anhalt, dass eine Dosiserhaltung oder -steigerung zur verbesserten Prognose führt, ist die Dosisreduktion oder Verzögerung der Chemotherapie einer G-CSF-Verabreichung vorzuziehen (3). Bei Patienten, die Fieber in der Neutropenie und ein erhöhtes Risiko für infektionsassoziierte Komplikationen haben, sollte individuell G-CSF zur Therapie in Erwägung gezogen werden (4). Studien von Rivera et al. und Silber et al. (31, 41) zeigten bei Mammakarzinom-Patienten unter adjuvanter Chemotherapie, dass im Arm mit G-CSF-Sekundärprophylaxe deutlichere Dosisintensivierungen möglich und weniger Hospitalisationen aufgrund vermiedener FN notwendig waren. Signifikante Änderungen bezüglich des Gesamtüberlebens, der Lebensqualität, Toxizität oder Kosten sind jedoch nicht in allen Studien verzeichnet, so dass weitere randomisierte Studien zur Prüfung eines signifikanten klinischen Vorteils einer Sekundärprophylaxe notwendig erscheinen.
5.4.3 Ziele des G-CSF-Einsatzes
neben antibiotischer Therapie und Dosisintensität Ziele der therapeutischen G-CSF-Applikation bestehen in der Reduktion der Infektionsrate sowie der infektionsbezogenen Morbidität und Mortalität. Bei Patienten mit afebriler Neutropenie ist die Prophylaxe mit G-CSF in der Routine nicht empfohlen, da in Bezug auf die Anzahl und Dauer der Krankenhausaufenthalte sowie Antibiotikatherapie keine Verbesserung erreicht wurden (3). G-CSF sollte als zusätzliche Therapie neben einer antiinfektiösen Therapie nicht routinemäßig bei Patienten mit Fieber und Neutropenie ein-
53 5.4 · Indikationen für einen G-CSF-Einsatz
gesetzt werden. Ausnahmen sind Patienten mit prognostisch schlechtem klinischem Verlauf oder mit erhöhtem Risiko für infektassoziierte Komplikationen. Hochrisikofaktoren sind z. B. verlängerte (>10 Tage) oder verstärkte Neutropenie (<0,1×103/ μl), nicht-kontrollierte Primärerkrankung, Alter ≥65 Jahre, Pneumonie, Hypotension, Sepsis und Pilzinfektionen, zahlreiche Begleiterkrankungen, Leukämie, Lymphome oder Bronchialkarzinome und Hospitalisation zum Zeitpunkt der Fieberentwicklung (3, 23, 25, 26, 42–44) (⊡ Abb. 5.2). Durch G-CSF-Einsatz konnten in den bisherigen Studien die Dauer der Neutropenie, Hospitalisation und Antibiose verkürzt werden. Das Gesamtüberleben blieb allerdings in den meisten Studien durch die alleinige G-CSF-Gabe unbeeinflusst (23, 42, 43). Viele Studien der letzten 5 Jahre haben durch Erhöhung der Dosisintensität oder der dosisdichten Chemotherapie gezeigt, dass diese die klinische Langzeitprognose verbessern können (45–47). Mehrere Studien unterstützen die prophylaktische G-CSF-Gabe bei diesen Regimen (48–61). Der Einsatz von G-CSF wird in den neuesten Empfehlungen der EORTC zur Neutropenieprophylaxe bei Regimen mit hoher Dosisintensität oder dosisdichten Chemotherapien empfohlen, wenn ein Überlebensvorteil nachgewiesen ist (4). Gleiches gilt für die Erhaltung der Dosisintensität und Vermeidung von Therapieverzögerungen, so dass die prophylaktische G-CSF-Gabe auch hier von der EORTC, ASCO und NCCN empfohlen wird (1, 3, 4) (⊡ Tab. 5.2).
5.4.4 Stammzelltransplantation
Im Rahmen einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation (periphere Blutstammzelltransplantation, PBSZT, oder Knochenmarktransplantation, KMT) sind die Patienten aufgrund der Grunderkrankung, der Hochdosischemotherapie, der Neutropenie – und bei allogener PBSZTdurch die Graft-versus-host-Krankheit (GvHD) und GvHD-Prophylaxe immunsupprimiert. Täglich zu verabreichendes G-CSF reduziert die Zeit bis zur hämatopoetischen Regeneration im Rahmen einer autologen oder allogenen Stammzelltransplantation und vermindert das Risiko einer Infektion sowie die Hospitalisationszeit, wodurch
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Kosten durch die Hospitalisierung oder Infektprophylaxe vermindert bzw. vermieden werden. Die infektbedingte oder therapiebedingte Mortalität bei allogen transplantierten Patienten blieb jedoch unbeeinflusst (62). Verschiedene retrospektive Studien vermuten eine erhöhte Rate an akuter GvHD (68–70) unter G-CSF, eine Metaanalyse (62) zeigte allerdings, dass weder eine akute noch chronische GvHD vermehrt unter G-CSF-Therapie auftreten. Die autologe periphere Stammzelltransplantation nach Mobilisierung durch täglich zu verabreichendes G-CSF ist der autologen Knochenmarktransplantation klinisch und ökonomisch überlegen, da erstere den Vorteil der schnelleren Regeneration nach myeloablativer Chemotherapie, einer kürzeren Hospitalisationszeit und weniger Nebenwirkungen bietet. Die Routinegabe von täglich verabreichtem G-CSF erfolgt zur Mobilisierung von autologen Patienten- und allogenen Familien- bzw. FremdSpender-Stammzellen, und wird nach autologer (in einigen Zentren heute weniger nach allogener) Stammzelltransplantation empfohlen (1, 2, 4).
5.4.5 Andere G-CSF-Indikationen
Bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) wird der G-CSF-Einsatz nur nach der initialen Induktionstherapie empfohlen, wobei davon vor allem Patienten >55 Jahren zu profitieren scheinen, oder nach Vollendung der Konsolidierung, besonders bei Erhalt einer intensiven Postremissionschemotherapie. Unter G-CSF wurden eine beschleunigte Neutrophilen- und hämatopoetische Regeneration, verkürzte Hospitalisationsdauer und geringere Inzidenz schwerer Infektionen erreicht, jedoch keine verbesserte Rate an kompletten Remissionen (CR) oder verlängertes Gesamtüberleben (63, 64). Um sog. Priming-Effekte, d. h. eine Blastenstimulation und damit ein verbessertes Ansprechen auf die nachfolgende Chemotherapie zu erzielen, wird G-CSF bei AML-Induktionstherapie nicht generell empfohlen, da das ereignisfreie Überleben (EFS) zwar verbessert wurde, das Gesamtüberleben und die Ansprechrate jedoch unbeeinflusst blieben (65).
54
5
Kapitel 5 · Einsatz von G-CSF
Bei Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) empfiehlt sich die G-CSF-Gabe in den ersten Tagen der Induktionschemotherapie oder zu Beginn der Konsolidierung, wodurch sich die Neutropeniedauer auf weniger als eine Woche verkürzen lässt. Vor allem bei älteren Patienten verbesserte sich auch die CR-Rate, ein verlängertes EFS oder Gesamtüberleben waren jedoch nicht zu verzeichnen (66). Bei pädiatrischen ALL-Patienten waren die durch G-CSF-Gabe erzielten Effekte geringer (67). Bei refraktärer und rezidivierender akuter Leukämie ist der Vorteil von G-CSF bisher fraglich, weil neben dem Therapieversagen auch der stimulatorische G-CSF-Effekt für die Leukämiepersistenz diskutiert wird. Die G-CSF-Prophylaxe wird bei Patienten ≥65 Jahren empfohlen, die z. B. bei hochmalignem NHL eine Kombination aus Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison (CHOP) oder CHOP-ähnlichen Regimen in kurativer Intention erhalten. Die Inzidenz von FN und Infektionen kann hiermit vermindert und ein verbessertes Überleben erreicht werden (3).
5.4.6 Unterschiede zwischen Filgrastim
und Pegfilgrastim Die »konventionelle« G-CSF-Gabe (z. B. Filgrastim/Lenograstim) erfolgt 24–72 h nach der letzten myelotoxischen Chemotherapiegabe bis zur Regeneration der Gesamtleukozytenzahl einmal täglich, während das lang wirksame Pegfilgrastim als Einmaldosis pro Chemotherapiezyklus 24 h nach Beendigung der Chemotherapie appliziert wird. Verschiedene Studien zeigten die klinische Wirksamkeit »konventioneller« und pegylierter G-CSF-Präparate. Crawford et al. zeigten 1991 in einer multizentrischen Doppelblindstudie die Wirksamkeit und Verträglichkeit von konventionellem G-CSF gegenüber Placebo bei 211 Patienten mit neu diagnostiziertem kleinzelligen Bronchialkarzinom (SCLC) (71). Alle Patienten erhielten eine Chemotherapie mit Cyclophosphamid (an Tag [d] 1), Doxorubicin (d1) und Etoposid (d1–3) [CDE] in 3-wöchigem Therapieintervall. An Tag 4–17 nach CDE wurden entweder
G-CSF oder Placebo appliziert. Dabei erlitten 77% der Placebo-Gruppe gegenüber 40% der G-CSFGruppe mindestens eine FN-Episode (p<0,001). Über alle Chemotherapiezyklen hinweg zeigte sich eine mediane Dauer einer Grad-IV-Neutropenie (Granulozyten <500/μl) von 6 Tagen in der Placebo- gegenüber einem Tag in der G-CSF-Gruppe. Während der Zyklen der verblindeten Therapie wurde durch G-CSF die Dauer von intravenöser (i.v.) Antibiotikagabe und Hospitalisierung sowie die Inzidenz bestätigter Infektionen um ca. 50% reduziert. Diese Daten konnten Trillet et al. 1993 bestätigen (72). In dieser Studie erhielten 130 unbehandelte SCLC-Patienten ebenfalls G-CSF vs. Placebo von Tag 4–17 nach CDE-Chemotherapie. Über alle Chemotherapiezyklen hinweg zeigten 53% der Patienten der Placebo-Gruppe gegenüber 26% der G-CSF-Gruppe mindestens eine FN-Episode (p<0,002). Dieses führte zu einer verminderten i.v.-Antibiotikagabe von 37% unter G-CSF gegenüber 58% in der Placebo-Gruppe (p<0,02) sowie zu einer signifikanten Reduktion der infektionsbedingten Hospitalisationsdauer. Darüber hinaus musste die Chemotherapiedosis um ≥15% mindestens einmal bei 61% der Placebo- gegenüber 29% der G-CSF-Gruppe reduziert werden (p<0,001). Bei 47% der Patienten der Placebogegenüber 29% der G-CSF-Gruppe (p<0,04) kam es in mindestens einem Chemotherapiezyklus zu einer Therapieverzögerung um ≥2 Tage. Beide Gruppen unterschieden sich nicht hinsichtlich ihres Therapieansprechen und Überlebens, wobei die Studie für die statistische Signifikanzprüfung dieser Fragestellung nicht mit ausreichender Patientenzahl angelegt war. In einer Metaanalyse mit 14 randomisiert kontrollierten Studien zum Einsatz von G-CSF (10 mit Filgrastim-, 3 mit Lenograstim-, 1 mit Pegfilgrastim-Gabe) wurde eine signifikante Reduktion der FN-Inzidenz, der infektionsbedingten Mortalität und eine erhöhte Dosisintensität durch die prophylaktische G-CSF-Gabe nachgewiesen (73). Der Stellenwert der Primärprophylaxe mit GCSF wurde in der Analyse von Martin et al. bestätigt (74). Im Rahmen der GEICAM-9805-Studie wurde bei Hochrisiko-Mammakarzinompatienten die adjuvante Chemotherapie mit TAC (Docetaxel,
55 5.5 · Zukunftsperspektiven eines möglichen bzw. in Studien geprüften G-CSF-Einsatzes
Doxorubicin und Cyclophosphamid) gegenüber FAC (5-Fluorouracil, Doxorubicin, Cyclophosphamid) randomisiert verglichen. Im Verlauf der Studie wurde im TAC-Arm mittels Amendment die Primärprophylaxe mit G-CSF statt der ursprünglichen Sekundärprophylaxe eingeführt. Diese Studie stellt die erste vergleichende Analyse zur Primärvs. Sekundärprophylaxe mit G-CSF dar und zeigte eindrücklich, dass mit der Primärprophylaxe die FN-Häufigkeit von 25% auf 7% gesenkt werden konnte. Interessant war auch, dass 71% der Patienten nach 4 Zyklen TAC eine Sekundärprophylaxe mit G-CSF erhielten (74). Die meisten Studien zur prophylaktischen GCSF-Gabe zeigten keinen Effekt auf das Gesamtüberleben oder progressionsfreie Überleben (PFS) aufgrund der Wachstumsfaktorgabe. Allerdings ergab eine Studie (Level II) einen signifikanten Überlebensvorteil durch dosisintensive ACE (Doxorubicin, Cyclophosphamid, Etoposid) mit G-CSF (OS 47%) vs. Standard-ACE-Gabe ohne G-CSF (39%) (53). Eine weitere Studie bei NHL-Patienten ergab ein verbessertes 5-Jahres-Überleben mit CHOP plus G-CSF vs. CHOP ohne G-CSF (75). Bei 65 SCLC-Patienten zeigte sich ein günstigeres 2-Jahres-OS nach VICE (Vincristin, Ifosphamid, Carboplatin, Etoposid) mit G-CSF als nach VICE ohne G-CSF (32% vs. 15%), wenngleich der Unterschied keine Signifikanz erreichte (55). Aktuelle Studien konnten die Wirksamkeit von Pegfilgrastim zur Verhinderung einer Chemotherapie-induzierten FN eindrücklich belegen. Vier Studien haben dabei die prophylaktische Gabe von Pegfilgrastim mit Filgrastim verglichen (76–80). Dabei zeigten zwei kleinere Phase-II-Studien eine ähnliche Wirksamkeit von Pegfilgrastim und Filgrastim in der Reduktion der Häufigkeit von FN. Für den Nachweis eines Unterschieds hatten allerdings beide Studien zu geringe Fallzahlen (78, 80). Daten beider Phase-III-, doppelblind randomisierten Multizentrumsstudien zeigten eine geringere FN-Inzidenz mit Pegfilgrastim (76, 77), wobei der Unterschied in einer Studie statistische Signifikanz erreichte (77). In einer Phase-III-Studie bei Mammakarzinompatienten war Pegfilgrastim nach DocetaxelMonochemotherapie gegenüber Placebo überlegen, die Inzidenz von FN (1% vs. 17%), FNinduzierter Hospitalisierung (1% vs. 14%) und
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i.v.-Antibiotikagabe (2% vs. 10%) zu verhindern. Auch die zeitgerechte Gabe von in 14-tägigem Abstand, also dosisdicht applizierten Chemotherapiezyklen (wie BEACOPP-14) wurde durch die Pegfilgrastimgabe innerhalb einer Phase-II-Studie ermöglicht (79). Von Minckwitz et al. (81) zeigten retrospektiv im Rahmen der GEPARTRIO-Phase-III-Studie bei Mammakarzinompatienten mit 3-wöchentlicher Pegfilgrastim- gegenüber täglicher Filgrastim-Gabe nach TAC-Chemotherapie, dass Pegfilgrastim gegenüber Filgrastim in der Primärprophylaxe zur Vermeidung von schwerer Neutropenie und FN sogar überlegen ist. Dabei wurde Filgrastim (Gruppe A, n=390) mit Pegfilgrastim (Gruppe B, n=323) und Pegfilgrastim mit zusätzlicher Ciprofloxacingabe (Gruppe C, n=236) verglichen. Neutropenie (alle Grade) trat bei 82% der Gruppe A gegenüber 64% und 60% der Gruppen B und C auf. Die Rate von Grad-III/ IV-Neutropenie lag bei 66% (A), 45% (B) und 42% (C). Die FN-Rate in Gruppe A von 17% unter täglicher G-CSF Gabe wurde sowohl mit Pegfilgrastim allein (6%) als auch bei zusätzlicher prophylaktischer Ciprofloxacingabe (4%) deutlich vermindert. Neutropenie, FN und Infektionen wurden also nach neoadjuvanter TAC-Chemotherapie am effektivsten durch eine Primärprophylaxe mit Pegfilgrastim (und Ciprofloxacingabe) vermieden. Pegfilgrastim und täglich zu verabreichende G-CSF besitzen somit klinische Effektivität zur Verhinderung von FN und FN-induzierten Komplikationen und werden von internationalen Leitlinien der EORTC, ASCO und NCCN zur Verhinderung dieser Komplikationen empfohlen (Empfehlungsgrad A).
5.5
Zukunftsperspektiven eines möglichen bzw. in Studien geprüften G-CSF-Einsatzes
Die Leitlinien der EORTC, ASCO und NCCN empfehlen den routinemäßigen Einsatz von G-CSF im Rahmen einer Tumorbehandlung bei Chemotherapieregimen mit hohem FN-Risiko und können dadurch die Durchführung vereinfachen. Durch prädiktive Risikomodelle (nicht-konditionale und konditionale Risikomodelle) kann das Komplika-
56
5
Kapitel 5 · Einsatz von G-CSF
tionsrisiko, wie z. B. FN oder Infektionen, niedrig gehalten oder verhindert werden. Durch Einmalgaben von Pegfilgrastim sind Chemotherapiekomplikationen kalkulierbarer, ermöglichen die Gabe von intensivierten Protokollen und vermindern Hospitalisationen (⊡ Abb. 5.2). Schwerpunkte laufender Forschungsprojekte sind ferner andere Einsatzmöglichkeiten von myeloischen Wachstumsfaktoren zu überprüfen, wie z. B. die Möglichkeiten zur noch effektiveren Stammzellmobilisierung und der Einsatz bei speziellen Problem-Infektionen (z. B. Pilz- oder HIV-Infektion).
5.5.1 Ex-vivo-Propagierung von
Stamm- und Progenitorzellen und zusätzliche Faktoren zur bestmöglichen Stammzellmobilisierung Myeloische Wachstumsfaktoren sind bekannte Stimulatoren von Stamm- und myeloischen Vorläuferzellen. Sie werden bei akutem sowie chronischem Knochenmarkversagen eingesetzt. Ein besseres Verständnis der molekularen Mechanismen des Stammzellmilieus wird seit Jahren angestrebt, um dieses (z. B. bei akuten sowie chronischen Knochenmarkversagen) noch besser beeinflussen zu können. Bisher sind in verschiedenen Ansätzen Kombinationen von G-CSF und anderen Faktoren (die synergistisch auf Stamm- und Progenitorzellen wirken) für die Mobilisierung bzw. zur myeloiden Stimulation in vitro oder in vivo getestet worden.
5.5.2 HIV-Infektion
Zytopenien treten in 10–20% bei Patienten mit früher HIV-Infektion und in 75–90% bei Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion auf, die keine antiretrovirale Therapie erhalten (108, 109). Ursachen der Zytopenie sind u. a. eine ineffektive Hämatopoese, Zerstörung der zirkulierenden Blutzellen durch Autoimmunität, verstärkte Apoptose und andere schwere Infekte, bösartige Erkrankungen sowie der myelosuppressive Effekt der antiviralen, antimikrobiellen und chemotherapeutischen Medikation. Neutropene HIV-Patienten haben in-
teressanterweise niedrigere G-CSF-Spiegel als neutropene Nicht-HIV-Patienten (110), u. a. bedingt durch eine verminderte G-CSF-Produktion von Knochenmarkstromazellen (111). Retrospektive Studien zeigten eine erhöhte Rate an schweren bakteriellen Infektionen bei neutropenen HIVPatienten, wobei das Risiko einer Infektion von der Dauer und dem Grad der Neutropenie abhängt (112–115). Ein verbessertes Gesamtüberleben sowie eine niedrigere Rate an bakteriellen Infektionen wurde beim Einsatz von täglich zu verabreichendem G-CSF in der Neutropenie beobachtet (116, 117). Eine große retrospektive Studie an Patienten, die G-CSF zur Unterstützung bei durchgeführter Ganciclovir-Therapie bei CMVRetinitis erhielten, zeigte einen Überlebensvorteil (56% geringere Mortalität), welche jedoch nicht sicher mit einer reduzierten Infektrate korreliert werden konnte (118). Prospektive Studien mit adjuvantem G-CSFEinsatz zeigen bisher noch inkonsistente Ergebnisse: eine große randomisierte prospektive Studie bei HIV-Patienten mit leichter Neutropenie (absoluter Granulozytenzahl (ANC) ≤750/μl) und Applikation von 300 μg Filgrastim, entweder täglich oder 3-mal wöchentlich, reduzierte die Frequenz für sekundäre bakterielle Infektionen signifikant (ohne Einfluss auf den Virusload, wobei dieses – durch die alleinige G-CSF-Gabe – auch nicht zu erwarten war) (119). Der Einsatz von rekombinanter G-CSF-Therapie bei HIV-Infizierten kann somit die Neutropenie kupieren oder vermindern, die Funktion der Neutrophilen verbessern und ermöglicht den längeren Einsatz von myelosuppressiven Medikamenten. Weitere Studien in dieser Entität sind nötig, um den Einsatz von G-CSF bei HIV-Erkrankung zu prüfen.
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6
Immunogenität rekombinanter Therapeutika Wolfgang Jelkmann
6.1
Grundlagen der adaptiven Immunität – 64
6.2
Antigenität und Immunogenität – 65
6.3
Determinanten der Immunogenität von Proteinen – 65
6.4
Charakteristika von Antikörpern – 66
6.5
B-Zellantworten auf Peptide und Kohlenhydrate – 67
6.6
Immuntoleranz – 67
6.7
Faktoren, die die Antikörperbildung gegen parenteral verabreichte Proteine beeinflussen – 69
6.8
Antikörpernachweis – 71
6.9
Strukturelle Besonderheiten immunogener therapeutischer Proteine – 72
6.10
Schlussfolgerung – 73 Literatur – 73
64
6
Kapitel 6 · Immunogenität rekombinanter Therapeutika
Das Immunsystem hat die Aufgabe, Krankheitserreger, die sich im Körper gebildet haben oder von außen in ihn eingedrungen sind, abzuwehren (immunis = frei von etwas). Immunkompetente Zellen erkennen mittels spezifischer Rezeptoren Fremdkörper an ihrer Oberflächenstruktur. Das spezifische Immunsystem reagiert auf zelluläre, partikuläre und molekulare Fremdstoffe (Antigene) über zwei Wege: durch lösliche Antikörper (spezifische humorale Abwehr) und durch Bindung an T-Lymphozytenrezeptoren (spezifische zelluläre Abwehr). Bei einem wiederholten Kontakt mit dem gleichen Antigen reagiert das spezifische Immunsystem rascher und stärker als beim Primärkontakt (»immunologisches Gedächtnis«). Spezifische Immunität ist erworben und nicht ererbt (»adaptive Immunität«).
6.1
Grundlagen der adaptiven Immunität
Im Verlauf der Ontogenese wandern Lymphozytenvorläufer, die noch keine Antigenrezeptoren besitzen, aus den hämopoetischen Geweben in die primären lymphatischen Organe Knochenmark und Thymus. Im Knochenmark (»bone marrow«) werden B-Lymphozyten und im Thymus T-Lymphozyten geprägt, d. h. sie haben nun die Fähigkeit, die für sie typischen Membranrezeptoren zu exprimieren. Die peripheren lymphatischen Organe enthalten B- und T-Zellen in drei unterschiedlichen Differenzierungsstadien: ▬ naive Zellen, die geprägt sind, aber noch keinen Kontakt mit dem zu ihnen passenden Antigen hatten, ▬ Effektorzellen, die durch das zu ihnen passende Antigen aktiviert worden sind, und ▬ Gedächtniszellen, die sehr langlebig sind. Die B-Lymphozyten (etwa 15% der Lymphozyten im Blut) bewirken die humorale Immunreaktion. Die membranständigen Rezeptoren der B-Lymphozyten sind integrale Immunglobuline, die spezifische Strukturen von Proteinen, Lipiden oder Kohlenhydraten binden. Der von den Rezeptoren erkannte antigene Molekülbereich umfasst bei Pro-
teinen ca. 6 Aminosäuren, bei Kohlenhydraten ca. 6 Zucker. Die Affinität des B-Zell-Rezeptors kann durch Hypermutation außerhalb des Knochenmarks erhöht werden. Nach einem Kontakt mit dem zu ihnen passenden Antigen proliferieren die bis dahin »naiven« B-Lymphozyten und differenzieren sich zu Plasmazellen als Effektorzellen oder zu langlebigen Gedächtniszellen. Zur Aktivierung der BLymphozyten bedarf es in der Regel bestimmter Zytokine, v. a. der von den T4-Lymphozyten (THelferzellen) produzierten Interleukine IL-2, IL-4 und IL-5. Die aktivierten B-Lymphozyten bzw. Plasmazellen schalten von der Expression membranständiger Immunglobuline auf die Synthese löslicher Antikörper um, die sezerniert werden. Plasmazellen sind gewebeständig und haben eine kurze Lebenszeit (2–3 Tage). Bei den T-Lymphozyten (70–80% der Lymphozyten im Blut) gibt es zwei Haupttypen: T4und T8-Zellen. Bei den T4-Zellen unterscheidet man zwei Subtypen: TH1-Zellen, die nach Aktivierung durch das zu ihnen passende Antigen v. a. Interferon γ (IFN-γ) und IL-2 produzieren, und TH2-Zellen, die u. a. IL-4 und IL-5 produzieren und primär humorale (= Antikörper vermittelte) Immunreaktionen (auch allergische) fördern. Die T8-Lymphozyten (»T-Killerzellen«) greifen Körperzellen an, auf deren Oberfläche sie antigene Strukturen vorfinden. T-Lymphozyten reagieren spezifisch auf kurze antigene Peptidsequenzen, die durch Spaltung von Proteinen entstehen und im Komplex mit MHC-Molekülen präsentiert werden (»major histocompatibility complex«; syn. HLA, »human leukocyte antigens« oder Transplantationsantigene). Die Rezeptoren der T-Zellen sind heteromere Komplexe aus den Glykoproteinen CD3 (CD, »cluster of differentiation«) und entweder CD4 (bei T4-Zellen) oder CD8 (bei T8-Zellen). MHC-I-Peptide werden von allen kernhaltigen Körperzellen exprimiert und von T8-Lymphozyten erkannt. MHC-II-Peptide werden von BLymphozyten, mononukleären Makrophagen und dendritischen Zellen (sog. Antigen präsentierende Zellen) exprimiert und von T4-Lymphozyten erkannt. Der einzelne B-Lymphozyt (und seine Nachkommenschaft) produziert Antikörper einer einzigen antigenen Spezifität, und der einzelne
65 6.3 · Determinanten der Immunogenität von Proteinen
T-Lymphozyt (und seine Nachkommenschaft) reagiert monospezifisch mit einer bestimmten antigenen Struktur.
6.2
Antigenität und Immunogenität
Antigene (Stoffe, die die Generierung von Antikörpern induzieren) sind Makromoleküle oder Makromoleküle enthaltende Komplexe, deren Bausteine von den Zellen des adaptiven Immunsystems spezifisch erkannt werden. Sie verfügen über antigene Strukturelemente, die als »Determinanten« oder »Epitope« bezeichnet werden. Die Determinanten eines Antigens bestimmen seine antigene Spezifität. Proteine sind in der Regel polyvalent, d. h. sie haben mehrere Determinanten und können damit Antikörper unterschiedlicher Spezifitäten induzieren. »Immunogenität« ist die Fähigkeit eines Stoffes, im menschlichen oder tierischen Organismus eine adaptive Immunreaktion hervorzurufen. Nicht alle Antigene sind Immunogene. Die Stärke der Immunogenität eines Antigens hängt von mehreren Faktoren ab: ▬ Körperfremdheit (gegen körpereigene Strukturen ist der Organismus normalerweise immuntolerant) ▬ Molekülgröße (Moleküle mit einer Masse <5 kDa und anorganische Substanzen sind normalerweise nicht immunogen) ▬ Chemische Struktur
6.3
6
mige oder aggregierte Proteine sind besonders immunogen, da sie von den Antigen präsentierenden Zellen leichter aufgenommen werden als lineare Proteine. Chemische Veränderungen können die Immunogenität steigern, z. B. fehlerhafte Faltung, Oxidation, Desamidierung oder Deglykosylierung des Proteins. Außerdem hängt die Stärke einer Immunantwort von der Dosis des potentiellen Immunogens ab. Unterhalb einer bestimmten Schwelle lösen die meisten Proteine keine Reaktion aus. Auch bei sehr hoher Dosierung kann die Immunantwort ausbleiben. Bei parenteral verabreichten Proteinen hängt die Immunogenität vom Applikationsweg ab. Im Allgemeinen lösen subkutan oder intrakutan injizierte Antigene die stärksten Reaktionen aus. Intravenöse Injektionen ermöglichen dagegen Toleranz, sofern die Antigene nicht an Körperzellen binden.
Determinanten der Immunogenität von Proteinen
Obwohl jede größere organische Struktur als Antigen wirken kann, können nur Proteine T4-Lymphozyten aktivieren und so eine vollständige adaptive Immunantwort auslösen. T4-Lymphozyten erkennen spezifisch Peptidfragmente, die nach Endozytose des Antigens durch proteolytische Spaltung in Lysosomen entstehen (⊡ Abb. 6.1). Die antigenen Peptidbruchstücke werden im Komplex mit dem MHC-II-Peptid in die Membran der Antigen präsentierenden Zelle (B-Lymphozyt, Makrophage oder dendritische Zelle) transportiert. Partikelför-
⊡ Abb. 6.1. Aktivierung der B-Zelle durch das Antigen und Zytokin sezernierende T4-Zellen
6
66
Kapitel 6 · Immunogenität rekombinanter Therapeutika
6.4
Charakteristika von Antikörpern
Die von den Plasmazellen produzierten Antikörper bilden im Blutplasma die Fraktion der γ-Globuline. Chemisch sind sie Glykoproteine mit molekularen Massen von 150–1000 kDa. In ihrer einfachsten Form bestehen sie aus 4 Ketten: 2 identischen schweren (H = »heavy«, 50 kDa) und 2 identischen leichten (L = »light«, 25 kDa). Jede Kette besteht aus Domänen (jeweils ca. 12,5 kDa), die durch Disulfidbrücken verbunden sind. Die 4 Ketten sind symmetrisch in einer Y-Form angeordnet. Die aminoterminalen Arme der H- und LKetten bilden die Antigen-bindenden Fragmente (Fab). Diese sind mit beweglichen Gelenken (sog. Angel, engl. »hinge«) mit dem kristallisierbaren Fragment (Fc) verbunden. Die Vielfalt der Antikörperspezifitäten des Menschen ist sehr groß, weil für die das Antigen erkennende variable Region (V-Region) des Fab mehrere Teilgene kodieren (V = »variable segment«, D = »diversity segment«, J = »joining segment«), die unterschiedlich kombiniert werden können. Da das Muster der Antikörperspezifität in der Ontogenese antigenunabhängig angelegt ist, gibt es auch solche, die gegen körpereigene Strukturen gerichtet sind. Dennoch kommt es normalerweise weder zur humoralen noch zur zellulären Autoimmunreaktion (immunologische Toleranz). An die Antigen bindende V-Region schließt sich die konstante (C-) Region an, die bei der LKette aus einer Domäne (CL) und bei der H-Kette aus 3 oder 4 Domänen (CH1–4) besteht. Bei den CL-Domänen kommen zwei alternative Typen vor (κ oder λ). Bei den CH-Domänen gibt es 5 verschiedene Typen (γ, μ, α, ε, δ), die sich in ihrer Aminosäuresequenz und ihrem Kohlenhydratanteil unterscheiden. Ihr Typ bestimmt, zu welcher der 5 Immunglobulinklassen (IgG, IgM, IgA, IgE, IgD) ein Antikörper gehört. IgG überwiegen mit 80% aller Immunglobuline im Plasma. Sie sind Monomere (ca. 150 kDa) und stellen den Prototyp von Antikörpern dar. Mit ihren zwei Fab sind sie bivalent. Ihre Halbwertszeit im Plasma beträgt ca. 3 Wochen. IgG aktivieren das Komplementsystem und binden mit ihren 2 Bindungsstellen (Paratope) lösliche Antigene oder zelluläre Oberflächenantigene.
Bei den IgG werden 4 Subklassen unterschieden (IgG1, -2, -3 und -4). IgM sind die größten Antikörpermoleküle im Blutplasma (ca. 1000 kDa). Ihre Halbwertszeit beträgt etwa 1 Woche. Sie bestehen aus 5 gleichen Untereinheiten, die über Disulfidbrücken verbunden sind. Damit besitzen IgM 10 Antigenbindungsstellen und können Zellen agglutinieren. Neben den pentameren IgM im Blutplasma gibt es monomere IgM, die als Antigen spezifische Rezeptoren in der Membran der B-Lymphozyten verankert sind und nicht sezerniert werden. IgA kommen als monomere Moleküle im Blutplasma und als Dimere in Sekreten, im Speichel und im Gastrointestinaltrakt vor. Physiologischerweise dienen sie der lokalen Abwehr von Fremdkörpern auf Schleimhäuten. Die ebenfalls monomeren IgD und IgE kommen im Plasma praktisch nicht vor. IgD verbleiben wie die membranständigen monomeren IgM in der Membran der B-Lymphozyten und wirken dort als spezifische Rezeptoren. Die bei allergischen Reaktionen beteiligten IgE sind mit ihrem Fc-Fragment an spezielle Oberflächenrezeptoren (Fc-Rezeptoren) basophiler Granulozyten und Mastzellen gebunden. Alle Nachkommen eines aktivierten B-Lymphozyten reagieren auf die gleiche antigene Determinante, sie bilden einen »Zellklon«. Die Zellen eines Zellklons produzieren Antikörper der gleichen antigenen Spezifität. B-Lymphozyten bzw. die differenzierten Plasmazellen können jedoch Antikörper unterschiedlicher Immunglobulinklassen mit identischer Antigenspezifität synthetisieren. Dies wird durch ein Teilgen-»Switching« während der Differenzierung der aktivierten B-Lymphozyten ermöglicht. Das Gensegment für die V-Region der H-Ketten wird in der Regel zunächst auf ein CμGensegment (Synthese von IgM) und später auf ein Cγ- (Synthese von IgG) bzw. ein Cα-Gensegment (Synthese von IgA) übertragen. Die biochemische Aktivität eines Antikörpers ist von drei Parametern abhängig: der Anzahl der Antigenbindungsstellen, der Bindungsstärke eines einzelnen Paratops zum passenden Epitop auf dem Antigen (→ »Affinität«) und der Bindungsstärke (eines polyvalenten Antikörpers) an ein polyvalentes Antigen mit all seinen Parato-
67 6.6 · Immuntoleranz
pen (→ »Avidität«). Die Affinität eines Paratops zur Antigendeterminante wird durch die Summe nicht-kovalenter Kontakte wie Wasserstoffbrücken, Van-der-Waals-Kräfte sowie ionische und hydrophobe Wechselwirkungen bestimmt. Je nach der Intensität der Wechselwirkung können Antikörper niedrig- oder hochaffin sein. Polyklonale Antikörper sind Gemische von Antikörpern, die im Verlauf von Immunreaktionen gegen die verschiedenen Determinanten eines Antigens gebildet werden. Polyklonale Antikörper zeigen häufig Kreuzreaktionen, d. h. die in ihnen enthaltenen unterschiedlichen Antikörpermoleküle können an andere Antigene als das Immunogen binden, u. U. sogar an scheinbar strukturfremde Antigene.
6.5
B-Zellantworten auf Peptide und Kohlenhydrate
B-Zellen, die Antigene an ihre membranständigen IgM oder IgD gebunden haben, nehmen diese durch Endozytose auf, prozessieren sie und translozieren die Peptidfragmente im Verbund mit MHC-II an die Zelloberfläche (⊡ Abb. 6.1). Die B-Zellen sind in diesem Stadium auf die »Hilfe« von T4-Zellen angewiesen, die ihrerseits durch dendritische Zellen oder Makrophagen aktiviert wurden. Der CD40Ligand, ein Membranprotein der T4-Zelle, bindet an das CD40-Molekül der B-Zelle und gibt dieser damit ein Proliferationssignal. Durch die Aktivierung werden die B-Zellen zu professionellen Antigen präsentierenden Zellen, die zusätzlich in ihrer Membran Liganden (CD80 und CD86) des ko-stimulatorischen Rezeptors CD28 der T-Zellen exprimieren. Unter dem Einfluss bestimmter Zytokine aus T4-Zellen erfolgt der Immunglobulinklassenwechsel durch das Teilgen-Switching. Zudem kann es in den Keimzentren zu Punktmutationen in den variablen Bereichen der schweren und leichten Ketten der Immunglobuline und dadurch zur Affinitätszunahme kommen. Ein Sonderfall der B-Zellantwort ist die T4Zell-unabhängige Reaktion gegen repetitive Zuckerdeterminanten, die v. a. in der Zellwand von Bakterien vorkommen. Da dabei aufgrund des Fehlens von Peptidantigen keine T4-Zellhilfe re-
6
krutiert wird, sollte kein Klassenwechsel bei der Antikörperbildung stattfinden und kontinuierlich IgM gebildet werden. Ein Beispiel sind hier die Agglutinine der Klasse IgM der AB0-Blutgruppensysteme, die sich eigentlich gegen Darmbakterien bilden. Da die Darmbakterien gleiche antigene Determinanten wie Erythrozyten haben (sog. heterophile Antigene), reagieren die entstandenen Anti- A- bzw. Anti-B-Antikörper mit den endständigen Zuckern der blutgruppenbestimmenden Glykolipide der Erythrozytenmembran. Aus dieser Kenntnis und der Beobachtung, dass die gegen therapeutisch eingesetzte Glykoproteine gebildeten Antikörper in der Regel IgG sind, lässt sich ableiten, dass die antigenen Determinanten der Glykoproteine im Peptidanteil und nicht im Kohlenhydratanteil lokalisiert sind. Einschränkend muss erwähnt werden, dass tierexperimentelle Studien gezeigt haben, dass Antikörper der Klasse IgG gegen die Kohlenhydratkomponenten von humanen, bakteriellen und fungalen Membranstrukturen sowie synthetischen Glykokonjugaten vorkommen können [Pazur, 1998].
6.6
Immuntoleranz
Die Fähigkeit des Immunsystems, zwischen »Selbst« und »Fremd« zu unterscheiden, wird dadurch erreicht, dass potentiell autoreaktive Bund T-Lymphozyten während des Reifungsprozesses in den primären lymphatischen Organen eliminiert werden [Goodnow et al., 2005]. Da die Antikörperspezifität während der Prägung und Reifung der B-Zellen im Knochenmark zufällig zustande kommt, entwickeln sich im Knochenmark auch B-Zellen mit Rezeptoren gegen körpereigene Merkmale (⊡ Abb. 6.2). Die Interaktion der reifenden Zellen mit Autoantigenen aktiviert jedoch zentral (im Knochenmark) und peripher Mechanismen, die die B-Zellen in die Apoptose treiben (Deletion). Um verbliebene autoreaktive Zellen zu inaktivieren, gibt es zwei weitere protektive Mechanismen: die Induktion von Anergie und die Suppression durch bestimmte Zytokine. Anergie bedeutet den Verlust der Reaktivität auf sonst immunstimulierende Signale. B-Zellen werden in der Regel anergisiert, wenn sie lösliches
68
Kapitel 6 · Immunogenität rekombinanter Therapeutika
6
⊡ Abb. 6.2. Zentrale und periphere Toleranz. Im Knochenmark wachsen B-Zellvorläufer (Pro- und Prä-B-Zellen) mit Rezeptoren für eine Vielzahl von Antigenen heran. Prä-B-Zellen mit Spezifi-
tät für Autoantigene werden in der Regel eliminiert. Verbliebene autoreaktive B-Zellen werden in peripheren lymphatischen Organen inaktiviert (Anergie) oder eliminiert (Apoptose)
Antigen binden, aber keine Hilfe von T4-Zellen erhalten. T-Zellen sollen körpereigene MHC-I- oder –II-Proteine erkennen, aber nicht auf andere körpereigene Strukturen reagieren. Dies wird durch Prozesse positiver und negativer Selektion erreicht. Bei der positiven Selektion bleiben die T-Zellen übrig, die eines der MHC-Proteine erkennen können. Bei der negativen Selektion werden die T-ZellVorläufer eliminiert, deren Rezeptoren Oberflächenantigene körpereigener Zellen mit besonders großer – zu großer – Affinität binden. Autoimmunität bedeutet, dass körpereigene Strukturen durch endogene Antikörper oder T8Effektorzellen angegriffen werden. Interessanterweise lassen sich im Blutplasma von Normalpersonen Autoantikörper gegen eine Vielzahl intrazellulärer, membranärer und löslicher körpereigener Proteine nachweisen. Die physiologische Bedeu-
tung dieser Antikörper, die der Klasse IgM, IgG oder IgA zugehörig sind, ist noch unverstanden. Einige Untersucher haben ihnen eine regulatorische Bedeutung im Sinne der Homöostase zugesprochen [Avrameas, 1991]. Möglicherweise werden durch die therapeutische Gabe von Biopharmazeutika – v. a. bei hoher Dosierung – die Lymphozytenklone, die für die Produktion der Autoantikörper verantwortlich sind, stimuliert. Eine andere Erklärung für die Bildung von Antikörpern gegen therapeutische Proteine ist der Verlust der physiologischen B- und T-Zell-Toleranz [Hall et al., 2003]. Die T-Zelltoleranz kann offenbar verloren gehen, wenn ein Fremdprotein körpereigenen Proteinen ähnelt. Weigle et al. [Weigle, 1971] haben berichtet, dass Tiere, die tolerant gegen humanes γ-Globulin waren, Antikörper gegen dieses produzierten, nachdem ihnen bovines γ-Globulin verabreicht wurde.
69 6.7 · Faktoren, die die Antikörperbildung gegen verabreichte Proteine beeinflussen
6.7
Faktoren, die die Antikörperbildung gegen parenteral verabreichte Proteine beeinflussen
Grundsätzlich sind zwei Arten der Antikörperbildung zu unterscheiden. Zum einen wird der Organismus auf parenteral verabreichte Proteine, deren Struktur a priori »fremd« ist (z. B. Streptokinase), mit anhaltender Antikörperproduktion reagieren (Vakzinierung). Zum anderen kann es zum Verlust der Immuntoleranz anerger B-Lymphozyten kommen. Die Inzidenz einer Antikörperproduktion aufgrund eines Verlustes der Immuntoleranz ist gering, und sie tritt erst nach länger fristiger, häufig wiederholter Gabe des therapeutischen Proteins auf. Die Antikörper sind in der Regel blockierend, manchmal auch neutralisierend. Ihre Produktion hört auf, wenn das therapeutische Protein nicht mehr verabreicht wird. Die molekularen und zellulären Mechanismen des Immuntoleranz-Verlustes sind weitgehend unbekannt. Bevor Insulin gentechnologisch hergestellt wurde und bovine oder porcine Insulinpräparate verabreicht wurden, war Insulinresistenz aufgrund von Antikörperbildung nicht selten [Konrad, 1989]. Rinderinsulin unterscheidet sich in drei und Schweineinsulin in nur einer Aminosäure vom humanen Insulin. Aber auch Proteine, die aus menschlichen Geweben extrahiert wurden, wie Wachstumshormone oder Blutgerinnungsfaktoren, riefen häufig Immunreaktionen hervor. Das Problem ist nicht vollständig bewältigt, seitdem Biopharmazeutika gentechnologisch mit einer den endogenen Proteinen identischen Aminosäuresequenz hergestellt werden können [Porter, 2001]. Die Prävalenz der Antikörperbildung ist bei den einzelnen Biopharmazeutika sehr unterschiedlich (⊡ Tab. 6.1). Sie ist bei Gabe von rekombinantem Granulozyten/Monozyten-Kolonien-stimulierendem Faktor (GM-CSF), IFN-α, IFN-ß, Gerinnungsfaktor VIII und Insulin besonders hoch und bei der Gabe von IFN-γ vergleichsweise gering. Dabei ist es schwierig zu beurteilen, inwieweit die Unterschiede proteinspezifisch (Aminosäuresequenz, posttranslationale Modifikationsmerkmale) oder produktionsabhängig (Wirt-Vektor-System, Kulturbedingungen, Reinigung etc.) sind. IFN-α2a ist nach Literaturangaben sehr viel immunogener
6
⊡ Tab. 6.1. Prävalenz klinisch relevanter Antikörperbildung durch Biopharmazeutika
a
Biopharmazeutikum
Prävalenz a [%]
Insulin
40–60
TNF-Rezeptor
10–20
Faktor VIII
10–30
IFN-α2a
20–70
IFN-β
3–45
IFN-γ
0
IL-2
50–60
IL-3
>80
GM-CSF
25-80
Wachstumshormon
10–20
Erythropoietin
<0,001
Anti-CD3 (OKT3)
25
Die Prävalenzangaben basieren auf den Angaben von [Porter, 2001] und [Kromminga und Schellekens, 2005]. Sie geben nur Anhaltspunkte, da die Größe der untersuchten Patientenkollektive unterschiedlich war, die AntikörperNachweismethoden nicht standardisiert waren, nicht zwischen verschiedenen Präparaten unterschieden wurde und möglicherweise die Herstellungsverfahren seit Erhebungsdatum optimiert wurden.
als IFN-α2b [von Wussow et al., 1994], obwohl sich beide nur in einer Aminosäure unterscheiden (23Lys→Arg). IFN-β1b, welches nicht glykosyliert ist, ist immunogener als das glykosylierte IFN-β1a [Karpusas et al., 1998]. Wahrscheinlich sind die Unterschiede in der Immunogenität auch durch Produktions- oder Formulierungsbesonderheiten bedingt [Porter, 2001]. Für viele Biopharmazeutika wurden die Herstellungsverfahren in den vergangenen Jahren verbessert (u. a. serumfreie Kulturmedien für die Kultur der Wirt-Vektor-Systeme) mit der Folge, dass die Inzidenz der Antikörperbildung abgenommen hat. Generalisierte Immunreaktionen (Anaphylaxie, allergische Reaktionen) gegen rekombinante Proteine kommen selten vor. Durch den Produktionsprozess bedingte Verunreinigungen und eine Aggregation der the-
70
6
Kapitel 6 · Immunogenität rekombinanter Therapeutika
rapeutischen Proteine fördern wesentlich die Immunogenität [Schellekens, 2002]. Unreinheiten oder denaturierte Produkte können zu einer T-Zellaktivierung führen, die dann eine B-Zellaktivierung bewirkt. Physikalischer Stress während der Aufarbeitung und Reinigung (Wärme, mechanischer Stress, Lyophilisation) kann zur Aggregation, Präzipitation und zu Konformationsänderungen der Proteine führen. Aggregate sind besonders immunogen [Rosenberg, 2003]. Sie können direkt eine B-Zellaktivierung auslösen [Kessler et al., 2006]. Die Stabilität therapeutischer Proteine hängt von ihrer Formulierung (pH-Wert, Antioxidantien, stabilisierende Proteine oder Polysorbat in der Injektionslösung) und Handhabung ab. Eine Untersuchung verschiedener IFN-α2a-Formulierungen hat gezeigt, dass die Immunogenität der Wirkstoffe dann sehr gering ist, wenn sie ultrarein sind und kühl gelagert werden [Ryff, 1997].
Eine wesentliche Rolle spielt auch der Applikationsweg (⊡ Abb. 6.3). Die Inzidenz einer Antikörperbildung ist bei intravenöser Gabe sehr viel niedriger als bei subkutaner oder intramuskulärer. Selbstverständlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass gegen ein therapeutisches Protein Antikörper gebildet werden, bei kurzzeitiger Gabe geringer als bei langfristiger. Die jahrelange häufige Applikation ist vermutlich mit verantwortlich für die hohe Prävalenz der Antikörperbildung gegen rekombinantes Insulin [Porter, 2001]. Bei Immunschwäche (bei Tumorpatienten oder bei Gabe von Immunsuppressiva) ist die Inzidenz einer Antikörperbildung geringer als bei aktiviertem Immunsystem (Patienten mit Virusinfektionen). Die immunologischen Reaktionen, die durch therapeutische Proteine ausgelöst werden, können von ausgeprägten systemischen [Vial und Descotes, 1995] bis zu kaum wahrnehmbaren Erscheinungen reichen. Neutralisierende Antikörper vermindern
⊡ Abb. 6.3. Faktoren, die die Immunogenität therapeutischer Proteine beeinflussen. Nach Schellekens, 2002
71 6.8 · Antikörpernachweis
den Effekt des Biopharmazeutikums und u. U. sogar des nativen endogenen Proteins. Bindende Antikörper beeinflussen die pharmakokinetischen Eigenschaften therapeutischer Proteine. Dabei kann es sogar zur Wirkungszunahme kommen, wie für Wachstumshormon beschrieben [Hayes und Ryffel, 1997].
Antikörpernachweis
6.8
Grundsätzlich eignen sich die klassischen immunologischen Messmethoden zum Nachweis der Antikörpermoleküle (ELISA, »enzyme-linked immunosorbent assay«, IRMA, »immunoradiometric assay«, ILMA, »immunoluminometric assay«, RIP, »radioimmunoprecipitation«). Dennoch bestehen verschiedene Probleme. Hierzu gehören die grundsätzlichen Fragen nach analytischer Spezifität (Selektivität), Sensitivität (Empfindlichkeit), Detektionslimit und Richtigkeit. Eine Standardisierung und externe Qualitätssicherung ist für den Nachweis von Antikörpern gegen therapeutische Proteine nicht organisiert. Daher sind Literaturangaben zur Prävalenz der Antikörperbildung gegen Biopharmazeutika kaum vergleichbar (⊡ Tab. 6.1). Abzugrenzen sind auch die Ergebnisse von »Screening«-Untersuchungen, die das Ziel hatten, die Prävalenz von Antikörpern gegen ein Protein festzustellen, von solchen, die durchgeführt wur-
den, weil Veränderungen im Therapieerfolg beobachtet wurden (z. B. Insulin- oder Erythropoetin (EPO)-Therapieresistenz). Häufig ist unbekannt, ob vor Beginn der Therapie mit einem rekombinanten Protein bereits Autoantikörper vorhanden waren. In ⊡ Tab. 6.2 sind Stärken und Schwächen der üblichen Nachweismethoden genannt. ELISA, andere Liganden-Immunoassays, RIP und BIAcore eignen sich, um das Vorhandensein von Antikörpern in Patientenseren aufzuzeigen. Mit der BIAcore-Technik, bei der die Detektion mittels Oberflächenplasmonresonanz erfolgt, ist es möglich, die Assoziation und Dissoziation spezifischer Antikörper an das antigene Protein in Echtzeit (»real-time«) zu analysieren. Zudem können mit dieser Methode Antikörper-Klassen und IgGSubtypen identifiziert werden. Die Frage, ob Antikörper neutralisierende Fähigkeiten haben, d. h. die biologische Wirksamkeit eines therapeutischen Proteins – und u. U. seines endogenen Pendants – zu unterdrücken, kann jedoch nur mit biologischen Testverfahren (»Bioassays«) beantwortet werden. Antikörper wirken neutralisierend, wenn sie die Rezeptor-Bindungsstelle eines Proteins blockieren oder wenn sie die Struktur eines Proteins so verändern, dass es seine Funktion nicht mehr ausführen kann [Thorpe und Swanson, 2005]. Die fehlende biologische Wirksamkeit kann an Zellkulturen demonstriert werden, die sich physiologischerweise durch das Protein stimulieren lassen. So unter-
⊡ Tab. 6.2. Stärken und Schwächen der Methoden zum Nachweis zirkulierender Antikörper gegen therapeutische Proteine Methode
Stärken
Schwächen
ELISA und andere Liganden-Immunoassays
Technische Einfachheit (»Screening-Assays«)
Interferenz mit anderen Immunglobulinen, geringe Empfindlichkeit für niedrig-affine Antikörper
RIP
Große Empfindlichkeit
Mangelhafte Unterscheidung von Antikörpern unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit und Funktionalität
BIAcore
Große Empfindlichkeit, Möglichkeit struktureller und funktioneller Charakterisierung der Antikörper (u. a. Unterscheidung der Ig-Klassen)
Hohe Kosten, Erfordernis von Spezialkenntnissen
Bioassay
Nachweis neutralisierender Antikörper, große klinische Relevanz
Methodischer Aufwand, Störanfälligkeit, Schwierigkeit der Validierung
Literatur in [Thorpe und Swanson, 2005]
6
72
Kapitel 6 · Immunogenität rekombinanter Therapeutika
drückt z. B. Anti-EPO Antikörper-haltiges Serum das Wachstum von UT-7-Erythroleukämiezellen, da diese EPO abhängig sind [Casadevall, 2002].
6.9
6
Strukturelle Besonderheiten immunogener therapeutischer Proteine
Bei therapeutischen Proteinen, die schwache Immunogene sind (z. B. IFN-γ), lässt sich die Inzidenz bzw. Prävalenz der Antikörperbildung aus präklinischen Prüfungen nicht vorhersagen. Tierexperimentell kann die Immunogenität eines Biopharmazeutikums für den Menschen nicht untersucht werden. Humane Proteine sind – aufgrund ihrer Fremdheit – im Versuchstier immunogen. Dies gilt auch für andere Primaten. Entsprechend lauten die Schlüsse des FDA Biological Response Modifiers Advisory Committee [U.S. Food and Drug Administration, 1999]: ▬ Es ist zur Zeit nicht möglich, Nachweismethoden für Antikörper zu standardisieren. ▬ Die Entwicklung von Antikörpern – seien sie auch neutralisierend – spricht nicht zwingend gegen den therapeutischen Wert eines rekombinanten Therapeutikum. ▬ Das wichtigste Kriterium hinsichtlich der Bedeutung der Antikörper sind die klinischen Parameter Pharmakokinetik, Pharmakodynamik, Wirksamkeit und Sicherheit. Somit ergibt sich die Frage, inwieweit sich aus der Struktur eines therapeutischen Proteins sein immunogenes Potential vorhersagen lässt. Aminosäuresequenz. In der Theorie ist anzunehmen, dass ein rekombinantes Protein besonders immunogen ist, wenn seine Aminosäuresequenz von der des endogenen Proteins abweicht. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass sich die Immunogenität aus der Primärstruktur eines Proteins nicht zwingend ableiten lässt [Schellekens, 2002]. Die Inzidenz einer Antikörperproduktion gegen Proteine mit körpergleicher Aminosäuresequenz (z. B. IFN-α2b, IFN-β) kann höher sein als die gegen Proteine mit veränderter Aminosäuresequenz.
Glykosylierung. Glykane (v. a. N-Glykane) beeinflussen die Stabilität von Glykoproteinen. Glykoproteine zeigen häufig eine stärkere Reaktivität mit B-Zellen als nicht-glykosylierte Proteine. Dies könnte mit der erleichterten Aufnahme von Glykoproteinen in Antigen präsentierende Zellen zusammenhängen. Im Allgemeinen sind die antigenen Determinanten von Glykoproteinen jedoch im Peptidanteil und nicht im Kohlenhydratanteil lokalisiert (s. oben). Die Einführung zusätzlicher N-Glykane, wie im EPO-Analogon Darbepoetin α, geht nicht zwangsläufig mit einer gesteigerten Immunogenität einher. Die Kohlenhydratseitenketten rekombinanter Glykoproteine aus CHO-Zellen unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung von denen, die humane Zellen bilden. Eine gesteigerte Immunogenität (z. B. von EPO aus CHO-Zellen) ist damit offenbar jedoch nicht verbunden [Noguchi et al., 1995]. Auch das in rekombinanten Proteinen aus CHO-Zellkulturen enthaltene Zuckerderivat N-Glycolylneuraminsäure (Neu5Gc) ist offenbar nicht immunogen [Noguchi et al., 1996]. Möglicherweise werden durch die Glykosylierung potentielle Epitope maskiert [Gribben et al., 1990]. Nicht-glykosylierter GM-CSF aus E. coli ist ein stärkeres Immunogen als glykosylierter GM-CSF. Das Gleiche gilt für das nicht-glykosylierte IFNβ1b aus E. coli im Vergleich zu IFN-β1a aus CHOZellen. Nicht-glykosyliertes IFN-β formt immunogene Aggregate [Karpusas et al., 1998]. Dagegen ist nicht-glykosylierter G-CSF aus E. coli offenbar nicht immunogener als glykosylierter G-CSF aus CHO-Zellkulturen [Kato und Miyazaki, 2003]. Pegylierung. Die Immunogenität von Proteinen lässt sich häufig durch Pegylierung (Koppelung an Polyethylenglykol) vermindern [Abuchowski et al., 1977]. Andererseits mussten die klinischen Versuche mit pegyliertem rekombinantem »megakaryocyte growth and development factor« (PEG-rHuMGDF) wegen der hohen Inzidenz der Bildung neutralisierender Antikörper – auch gegen körpereigenes Thrombopoietin (TPO) – ausgesetzt werden [Kato und Miyazaki, 2003]. PEG-rHuMGDF ist ein in E. coli exprimiertes pegyliertes Derivat aus den 163 aminoterminalen Aminosäuren des aus 332 Aminosäuren aufgebauten humanen TPO.
73 Literatur
Formulierung. Zwischen 1998 und 2003 kam es zu einer Zunahme der bis dahin sehr niedrigen Inzidenz einer Erythroblastopenie (PRCA, »pure red cell aplasia«) bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, die mit rekombinantem EPO behandelt wurden [Hall et al., 2003; Thorpe und Swanson, 2005]. Nahezu alle Betroffenen hatten subkutan das Epoetin α-Präparat Eprex/Erypo erhalten. 1998 hatte der Hersteller außerhalb der USA das humane Serumalbumin als Stabilisator durch Polysorbat 80 und Glycin ersetzt und das Arzneimittel in Fertigspritzen mit Gummistopfen angeboten. Ab 2001 sank die Inzidenz der PRCA auf normale – sehr niedrige – Zahlen, nachdem auf Teflon beschichtete Stopfen umgestellt worden war (von 4,61 auf 0,26 pro 10000 Patientenjahre) [Boven et al., 2005]. Die PRCA wurde im Median 11 Monate nach Therapiebeginn festgestellt. Bei den Antikörpern handelte es sich um hochaffine neutralisierende, die gegen Peptid-Epitope gerichtet waren (nicht gegen Kohlenhydrate). Die Tatsache, dass IgG1 und IgG4 nachgewiesen wurden, ist ein Hinweis darauf, dass es zum Teilgen-Switching für den konstanten Teil des Antikörpers gekommen war – eine Reaktion, die auf die Beteiligung von TH2-Zellen hindeutet. Die Antikörperkonzentration sank rasch nach Absetzen der EPO-Therapie. Die Behandlung mit Immunsuppressiva beschleunigte bei einigen Patienten die Erholung der Erythropoiese. Die Antikörper neutralisierten auch andere EPO-Präparate und -Analoga. Der Befund, dass die Antikörperproduktion nach Absetzen der rHuEPO-Therapie sistiert und durch endogenes EPO nicht aufrechterhalten wird, bleibt rätselhaft. Der immunologische Mechanismus, der zu der erhöhten Inzidenz der Antikörperbildung führte, ist umstritten. Möglicherweise führten Micellen aus aggregiertem EPO im Polysorbat zur Aktivierung von B-Lymphozyten. Alternativ wird diskutiert, dass Polysorbat 80 Stoffe aus den Gummistopfen der Spritzen herauslöste, die zum Verlust der Immuntoleranz bei den betroffenen Patienten führte [Boven et al., 2005].
6.10
Schlussfolgerung
Während Antigenität die chemische Bindungsfähigkeit des Paratops an ein Epitop beschreibt, ist Im-
6
munogenität ein komplexer biologischer Prozess, an dem eine Vielzahl unterschiedlicher immunkompetenter Zellen beteiligt sind, die über Membranrezeptoren und Zytokine miteinander kommunizieren. Aus der Struktur eines therapeutischen Proteins lässt sich dessen Immunogenität nicht sicher ableiten. Präklinische Modelle erlauben praktisch keine Vorhersage zur Sicherheit bei der Anwendung am Patienten. Produktionsbezogene (Aminosäuresequenz, posttranslationale Modifikation, Aggregation, Reinheit, Formulierung, Handhabung, Lagerung) und patientenbezogene Faktoren (Verabreichungsart, Dosis, Behandlungsdauer, Begleiterkrankungen und/oder -medikation) beeinflussen die Immunogenität rekombinanter Therapeutika.
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74
6
Kapitel 6 · Immunogenität rekombinanter Therapeutika
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7
Zulassung biotechnologischer Nachfolgeprodukte bis zur klinischen Anwendung – EMEA-Richtlinien Michael Hallek, Dietger Niederwieser
7.1
Unterschiede zwischen Biosimilars und Generika – 76
7.2
Zulassung auf der Basis von Vergleichsstudien – 77
7.3
CHMP-Richtlinien – 77
7.3.1 7.3.2 7.3.3
Qualitätsanforderungen an Biosimilars mit rekombinanten Proteinen – 78 Präklinische/klinische Anforderungen für die Zulassung von Biosimilars mit rekombinanten Proteinen – 79 Zulassung von Biosimilars mit rekombinanten Erythropoetinen oder G-CSF – 81
7.4
Ausblick und Diskussion – 83
76
7
Kapitel 7 · Zulassung biotechnologischer Nachfolgeprodukte bis zur klinischen Anwendung – EMEA-Richtlinien
Die Zulassung neuer Biologika in der Medizin steht heute vor einem Dilemma: einerseits ist aus Sicht der Ärzte und Patienten der (Preis-)Wettbewerb zwischen wirkungsgleichen Medikamenten nach Ablauf des Patentschutzes erwünscht, um sie preisgünstiger verordnen zu können. Andererseits erfordern der aufwändige Herstellungsprozess und die Eigenschaften dieser Substanzen auf Basis von rekombinanten Proteinen besondere Vorkehrungen, welche die Sicherheit der Präparate bei zumindest gleicher Wirkung im Vergleich zum Originalpräparat garantieren. Hierin unterscheiden sich die sog. Biologika grundlegend von den einfacher zu charakterisierenden chemischen Substanzen. Um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen, hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) in den letzten Jahren spezifische Richtlinien erlassen, die in dem nachfolgenden Beitrag referiert werden sollen. Die rechtlichen Grundlagen für die Zulassung eines neuen biologischen Arzneimittels als Nachfolgeprodukt eines bereits in der Europäischen Union (EU) aufgrund eines vollständigen Dossiers zugelassenen Originalpräparats wurden von der EMEA in Artikel 10(4) der Richtlinie 2001/83/EC fixiert. Danach hat der pharmazeutische Hersteller als Voraussetzung der Marktzulassung die Ähnlichkeit mit dem Referenzprodukt bezüglich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in vergleichenden Studien nachzuweisen. Welche wissenschaftlichen Daten erhoben werden müssen, um den Anspruch der Ähnlichkeit mit einem biologischen Referenzprodukt mit hinreichender Evidenz zu untermauern und die Anerkennung als biologisch ähnliches Arzneimittel (Biosimilar) zu erreichen, hat das bei der EMEA angesiedelte Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) in allgemeinen und produktspezifischen Richtlinien definiert. Als biologische Arzneimittel gelten medizinische Produkte, die als aktive Substanzen beispielsweise monoklonale Antikörper, Zytokine, Wachstumsfaktoren, immunologisch aktive Substanzen (wie Impfstoffe, Immunmodulatoren) oder Produkte aus Blut bzw. Plasma enthalten.
7.1
Unterschiede zwischen Biosimilars und Generika
Eine Anerkennung als biologisches Nachfolgeprodukt hängt in jedem Fall von einer hinreichenden Charakterisierung ab. Denn nur auf dieser Basis lässt sich die Ähnlichkeit mit einem zugelassenen biologischen Originalpräparat beweisen. Die Charakterisierung biologisch ähnlicher Arzneimittel gestaltet sich in der Praxis allerdings als wesentlich schwieriger als die Charakterisierung der mit chemischen Methoden hergestellten (synthetischer), allgemein als Generika bezeichneter Nachfolgeprodukte. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Wirkstoffe chemisch-synthetischer Arzneimittel sind in der Regel kleine, einfache und stabile Moleküle. Chemisch-synthetische Nachfolgeprodukte sind daher leicht als strukturidentische Kopien von Originalprodukten zu identifizieren. Ihre Zulassung nach Ablauf des Patentschutzes des Originalpräparats beruht auf der Annahme, dass sich chemisch identische Substanzen auch hinsichtlich ihrer biologischen Wirkungen im Organismus gleich verhalten. Zur Zulassung generischer chemisch-synthetischer Arzneimittel ist daher in der Regel lediglich der Nachweis der Bioäquivalenz mit einem Referenzpräparat in adäquaten Bioverfügbarkeitsstudien erforderlich. Bei den Wirkstoffen biologischer Arzneimittel handelt es sich in der Regel um Proteine, die wesentlich größer sind und eine wesentlich komplexere dreidimensionale Struktur besitzen als die Wirkstoffe chemisch-synthetischer Arzneimittel. Darüber hinaus werden die Eigenschaften biologischer Arzneimittel stets durch einen Herstellungsprozess bestimmt. Dies gilt insbesondere für biotechnologische Wirkstoffe, die unter Verwendung lebender Zellen in einem meist äußerst komplexen Prozess hergestellt werden. Nach der Produktion in einem Bioreaktor schließen sich zahlreiche Reinigungs- und Formulierungsschritte an. Da selbst geringfügige Modifikationen des Herstellungsprozesses zu signifikanten Veränderungen biologischer Wirkstoffe, z. B. der dreidimensionalen Struktur, der Zahl von Säure-Base-Varianten oder post-translationaler Modifikationen wie des
77 7.3 · CHMP-Richtlinien
Glykosylierungsprofils führen können, ist eine enge Normierung, Steuerung und Kontrolle des Herstellungsprozesses unabdingbar. Pharmazeutische Hersteller halten Informationen über den Herstellungsprozess biologischer Arzneimittel in der Regel zurück. Wenn zwei oder mehr pharmazeutische Hersteller das gleiche biologische Arzneimittel produzieren, unterscheiden sich daher zwangsläufig die Herstellungsprozesse. Folglich ist davon auszugehen, dass zwischen biologisch ähnlichen Produkten verschiedener Hersteller zumindest subtile Unterschiede bestehen, die potenziell Konsequenzen für Wirksamkeit und Verträglichkeit verursachen. Beispielsweise können Veränderungen des Glykosylierungsmusters die Immunogenität oder die Pharmakokinetik eines biologischen Arzneimittels beeinflussen.
7.2
Zulassung auf der Basis von Vergleichsstudien
Biologisch ähnliche Arzneimittel sind somit definitionsgemäß keine Generika, die mit einem Originalpräparat identisch sind. Das CHMP kommt daher in der Richtlinie CHMP/437/04 (»Guideline on Similar Biological Medicinal Products«) zu dem Schluss, dass eine Standardzulassung, wie sie für Generika vorgesehen ist, für biologisch ähnliche Arzneimittel nicht in Frage kommt. Das CHMP betrachtet Biosimilars vielmehr als eigenständige Arzneimittel, die eine spezifische Zulassung auf der Basis eines pharmazeutischen Dossiers sowie zusätzlich präklinische und klinische Vergleichsstudien benötigen. Die Vergleichsstudien müssen bestätigen, dass das biologisch ähnliche Produkt und das gewählte Referenzprodukt hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit vergleichbar sind. Nach der Marktzulassung ist weiterhin eine systematische Überwachung der Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) zu gewährleisten. Außerdem verlangt das CHMP einen Plan bezüglich des Risikomanagements. Dieser auf Vergleichsstudien basierende Zulassungsweg bietet sich in erster Linie für hochgereinigte, gut charakterisierbare (vor allem biotechnisch hergestellte) biologische Produkte an.
7
Weniger geeignet ist dieser Zulassungsweg beispielsweise für Produkte, die aus biologischen Quellen extrahiert werden und sich daher schlecht charakterisieren lassen. Den CHMP-Leitlinien zufolge ist im Rahmen von Vergleichsstudien mit Biosimilars zu berücksichtigen, dass ▬ das gewählte Referenzprodukt in der EU auf der Basis eines vollständigen Dossiers zugelassen sein muss. ▬ Daten aus Vergleichsstudien mit einem nicht in der EU zugelassenen Referenzprodukt lediglich als unterstützende Informationen gewertet werden können. ▬ das gleiche Referenzpräparat in allen Vergleichsstudien (zur Evaluation von Wirksamkeit, Sicherheit, Qualität) im Verlauf der Entwicklung eines Biosimilars eingesetzt werden muss, um kohärente Daten zu generieren. ▬ der Wirkstoff eines biologisch ähnlichen Arzneimittels dem Wirkstoff des Referenzprodukts in molekularer und biologischer Hinsicht ähneln muss. ▬ sich das Biosimilar und das Referenzprodukt hinsichtlich der pharmazeutischen Darreichungsform, der Wirkstärke sowie des Applikationswegs nicht unterscheiden. Falls das biologische Referenzprodukt für mehrere Indikationen zugelassen ist, muss der Anspruch eines Biosimilars auf Ähnlichkeit gegebenenfalls für jede Indikation separat belegt werden. In Einzelfällen kann es aber, wie das CHMP einräumt, möglich sein, den Ähnlichkeitsanspruch durch Extrapolation von einer Indikation auf eine andere zu begründen.
7.3
CHMP-Richtlinien
Die CHMP-Richtlinien weisen eine hierarchische Gliederung auf. Zusätzlich zu den Richtlinien, die für Entwicklung und Produktion aller biologisch ähnlichen Arzneimittel gültig sind (wie die »Guideline on Similar Biological Medicinal Products«), hat das CHMP spezifische Richtlinien für Biosimilars publiziert. Diese enthalten als aktive Substanzen:
78
Kapitel 7 · Zulassung biotechnologischer Nachfolgeprodukte bis zur klinischen Anwendung – EMEA-Richtlinien
▬ rekombinante Proteine, ▬ immunologische Wirkstoffe (wie Impfstoffe und Allergene) oder ▬ Blut- bzw. Plasmaprodukte oder rekombinante Alternativen.
7
Schließlich erläutert das CHMP in Annexen zu den spezifischen Leitlinien die Voraussetzungen für die Zulassung spezifischer Produkte, wie z. B. in der Gruppe der rekombinanten Proteine für die Zulassung von Insulin, Somatotropin, Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktor (G-CSF) oder Erythropoetinen. Im Folgenden werden die CHMP-Richtlinien für die Entwicklung und Produktion von Biosimilars mit rekombinanten Proteinen unter spezieller Berücksichtigung von G-CSF und Erythropoetinen thematisiert.
7.3.1 Qualitätsanforderungen
an Biosimilars mit rekombinanten Proteinen In der Richtlinie EMEA/CHMP/BWP/49348/2005 (»Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnology-Derived Proteins as Active Substance: Quality Issues«) erläutert das CHMP die Qualitätsanforderungen an biologisch ähnliche Arzneimittel, die als Wirkstoffe rekombinante Proteine enthalten – z. B. hinsichtlich des Herstellungsprozesses, der Vergleichsstudien, der analytischen Methoden, der physikochemischen Charakterisierung oder der Reinheit. Grundsätzlich räumt das CHMP die Möglichkeit ein, ein biologisch ähnliches Arzneimittel über publizierte Daten mit einem Referenzprodukt zu vergleichen. Dazu reichen die verfügbaren Daten aber nicht aus. Zur Zulassung als Biosimilar ist daher der Ähnlichkeitsnachweis im Hinblick auf Qualitätsaspekte in Vergleichsstudien unumgänglich. Außerdem fordert das CHMP ein vollständiges Qualitätsdossier.
Herstellungsprozess Die Eigenschaften eines biologischen Arzneimittels werden zum Teil durch den spezifischen Herstel-
lungsprozess des Wirkstoffs bzw. des Arzneimittels definiert. Der Herstellungsprozess kann die molekularen Charakteristika des Wirkstoffs beeinflussen und ist potenziell für die Entstehung von Verunreinigungen verantwortlich. Der Antragsteller auf Zulassung hat deshalb den Nachweis zu erbringen, dass der Herstellungsprozess des biologisch ähnlichen Arzneimittels dem derzeitigen State of the Art bzw. den aktuellen Richtlinien entspricht (z. B. im Hinblick auf das verwendete Expressionssystem, Substrate, Reinigung, virale Sicherheit, Formulierung). Außerdem verlangt das CHMP Vergleichsstudien, falls der Produktionsprozess im Verlauf der Entwicklung verändert wird. Bei der Entwicklung der Dosierungsform sollte in Studien sichergestellt werden, dass die Formulierung im Hinblick auf Stabilität, Kompatibilität (z. B. mit Vehikel, Infusionsträgerlösung etc.) und Integrität der aktiven Substanz für die beabsichtigte medizinische Anwendung geeignet ist. Diese Empfehlung gilt laut CHMP auch dann, wenn die Trägerlösung des biologisch ähnlichen Arzneimittels qualitativ und quantitativ mit dem des Referenzprodukts identisch ist.
Vergleichsstudien Qualitätsaspekte biologisch ähnlicher Produkte sind stets im Hinblick auf potenzielle Implikationen für Sicherheit und Wirksamkeit zu betrachten. Das CHMP geht a priori nicht davon aus, dass die Qualitätsmerkmale eines biologisch ähnlichen Arzneimittels und des Referenzprodukts identisch sind. Unterschiede können akzeptabel sein, wie kleinere strukturelle Veränderungen des Wirkstoffs, z. B. durch posttranslationelle Modifikationen, sie müssen aber in Vergleichsstudien gerechtfertigt werden. Die gleichen Erwägungen gelten beispielsweise im Hinblick auf Unterschiede in den Verunreinigungsprofilen. Unterschiede in den Verunreinigungsprofilen bzw. Produkt-assoziierter Substanzen können den Bedarf an präklinischen und klinischen Daten, die im Hinblick auf eine zufriedenstellende Beurteilung von Wirksamkeit und Sicherheit eines Biosimilars benötigt werden, erheblich erhöhen. Grundsätzlich ist mittels analytischer Stateof-the Art-Methoden sicherzustellen, dass der
79 7.3 · CHMP-Richtlinien
Wirkstoff des Biosimilars dem des Referenzprodukts entspricht. Daher müssen im Allgemeinen Vergleichsstudien auf der Ebene der Wirkstoffe durchgeführt werden. Da der Hersteller des biologisch ähnlichen Arzneimittels in der Regel keinen Zugang zum Wirkstoff des Referenzprodukts hat, ist es in dieser Situation unausweichlich, diesen aus dem Referenzprodukt zu isolieren. Der direkte Vergleich mit einem käuflichen Standard reicht nicht, um die Vergleichbarkeit mit einem Referenzprodukt zu beweisen.
Analytische Methoden Die in den Vergleichsstudien zur Charakterisierung des biologisch ähnlichen Arzneimittels bzw. des Referenzprodukts eingesetzten analytischen Verfahren sollten stets dem State of the Art genügen. Dem Hersteller des biologisch ähnlichen Arzneimittels obliegt es nachzuweisen, dass die gewählten analytischen Methoden geeignet sind, auch geringfügige Unterschiede in den Qualitätsmerkmalen zum Referenzprodukt zu erfassen.
Physikochemische Charakterisierung Im Rahmen physikochemischer Vergleichsstudien sind die Zusammensetzung, physikalische Eigenschaften sowie Primärstruktur bzw. Strukturen höherer Ordnung des im Biosimilar enthaltenen Wirkstoffs zu bestimmen. Außerdem fordert das CHMP, Produkt-assoziierte Substanzen und Verunreinigungen bezüglich Struktur und physikochemischen Eigenschaften zu evaluieren. Auf post-translationalen Modifikationen basierende Varianten des Biosimilars sollten identifiziert werden.
Biologische Aktivität Die biologische Aktivität von Biosimilar und Referenzprodukt ist in Vergleichsstudien mit unterschiedlichen Assays zu messen.
Verunreinigungen Das Verunreinigungsprofil eines Biosimilars sollte identifiziert und qualitativ wie quantitativ mit je-
7
nen des Referenzprodukts verglichen werden. In diesem Zusammenhang sind Ergebnisse aus Zerfallsuntersuchungen unter Stressbedingungen bzw. spezifischen Abbauexperimenten zur Identifikation heranzuziehen. Biosimilar und Referenzprodukt sollten hinsichtlich ihrer Stabilitätsprofile verglichen werden. Wahrscheinlich unterscheiden sich die Prozessassoziierten Verunreinigungen, wie z. B. Proteine bzw. DNA der verwendeten Zelllinie oder Reagenzien, qualitativ von Herstellungsprozess zu Herstellungsprozess. Ein qualitativer Vergleich dieser Verunreinigungen ist daher wahrscheinlich nicht sehr relevant. Dennoch fordert das CHMP, den Stellenwert der Prozess-assoziierten Verunreinigungen gegebenenfalls in präklinischen und/oder klinischen Studien zu klären.
7.3.2
Präklinische/klinische Anforderungen für die Zulassung von Biosimilars mit rekombinanten Proteinen
Die präklinischen und klinischen Voraussetzungen für die Anerkennung biologischer Arzneimittel mit rekombinanten Proteinen als Biosimilar definiert das CHMP in der Leitlinie EMEA/ CHMP/42832/2005 (»Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnology-Derived Proteins as Active Substance: NonClinical and Clinical Issues«).
Präklinische Studien Das Hauptziel der präklinischen Studien besteht nicht primär darin, das Ansprechen auf ein Biosimilar per se, sondern Unterschiede im Ansprechen auf das biologisch ähnliche Arzneimittel und das gewählte Referenzpräparat nachzuweisen. Entsprechend dieser Zielsetzung ist das Design der Studien zu wählen. Das Design des präklinischen Studienprogramms sollte sich an den Produkteigenschaften orientieren, die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels potenziell beeinflussen. Im Normalfall betrachtet das CHMP Rezeptorbindungs-Studien oder Zell-basierte Assays als erforderlich. In tierexperimentellen Studien
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Kapitel 7 · Zulassung biotechnologischer Nachfolgeprodukte bis zur klinischen Anwendung – EMEA-Richtlinien
sollten das Biosimilar und das Referenzprodukt hinsichtlich pharmakodynamischer Effekte und präklinischer Toxizität verglichen werden. In diesem Zusammenhang werden auch toxikokinetische Messungen erwartet, in denen u. a. Antikörpertiter sowie die Kreuzreaktivität und Neutralisationskapazität der Antikörper bestimmt werden. Andere toxikologische Routineuntersuchungen, wie z. B. zur Reproduktions-Toxikologie, Mutagenizität oder Karzinogenität, sind in der Regel nicht erforderlich.
Klinische Studien
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Da der Herstellungsprozess im Laufe der Entwicklung eines biologischen Arzneimittels in der Regel optimiert wird, empfiehlt das CHMP, klinische Studien ausschließlich mit einem nach Abschluss dieser Entwicklung hergestellten Produkt durchzuführen. Nur in diesem Fall kann sicher davon ausgegangen werden, dass das Produkt im Qualitätsprofil den später kommerziell verwerteten Chargen entspricht. Im Rahmen des klinischen Vergleichsprogramms fordert das CHMP pharmakokinetische und pharmakodynamische Studien sowie Studien zur Wirksamkeit bzw. Sicherheit. In pharmakokinetischen Vergleichsstudien ist zu prüfen, ob sich das biologisch ähnliche Arzneimittel und das Referenzpräparat hinsichtlich wichtiger pharmakokinetischer Parameter, wie z. B. Absorption, Bioverfügbarkeit, Clearance oder Eliminationshalbwertszeit, unterscheiden. Zur Durchführung pharmakodynamischer Studien sind Marker entsprechend ihrer Eignung zum Nachweis therapeutischer Wirksamkeit auszuwählen. Der pharmakodynamische Effekt sollte bei einer Population verglichen werden, bei der sich ein möglicher Unterschied zwischen dem biologisch ähnlichen Arzneimittel und dem Referenzpräparat optimal erfassen lässt. Die Designs der pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Studien müssen vom Antragsteller auf Zulassung des biologisch ähnlichen Arzneimittels begründet werden. In der Regel sind klinische Vergleichsstudien unverzichtbar, um eine klinische Äquivalenz zwi-
schen dem biologisch ähnlichen Arzneimittel und dem Referenzprodukt glaubhaft zu belegen. In bestimmten Situationen reichen aber pharmakokinetische/pharmakodynamische Vergleichsstudien aus. In diesen Situtionen müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein: ▬ Die pharmakokinetischen Eigenschaften des Referenzprodukts sind gut charakterisiert. ▬ Es liegt ein ausreichendes Wissen über die pharmakodynamischen Eigenschaften des Referenzprodukts vor (z. B. bezüglich der Bindung an Zielrezeptoren oder der intrinsischen Aktivität). ▬ Der Zusammenhang zwischen Dosis/Exposition und Ansprechen bzw. Wirksamkeit des Referenzprodukts ist geklärt. ▬ Mindestens ein pharmakodynamischer Marker ist als Surrogatmarker für klinische Wirksamkeit akzeptiert. ▬ Die Beziehung zwischen Dosis/Exposition des biologisch ähnlichen Arzneimittels und diesem Surrogatmarker ist hinreichend charakterisiert. Pharmakodynamische Marker können als Surrogatmarker für klinische Wirksamkeit akzeptiert werden, wenn sich Veränderungen des klinischen Verlaufs durch Therapie-induzierte Veränderungen des pharmakodynamischen Markers weitgehend erklären lassen. Beispiele für Surrogatmarker sind die absolute Neutrophilenzahl zur Erfassung des Effekts von G-CSF oder die frühe Viruslast-Reduktion bei chronischer Hepatitis C zur Erfassung des Effekts von Interferon α.
Klinische Sicherheit Das Nebenwirkungsprofil des biologisch ähnlichen Arzneimittels und des Referenzprodukts sollte bei einer ausreichend großen Zahl von Patienten im Hinblick auf Art, Schwere und Häufigkeit von unerwünschten Effekten evaluiert werden. Außerdem muss nach erfolgter Marktzulassung, da die Studiendaten vor Zulassung in der Regel nicht ausreichen, um alle potenziellen Unterschiede bezüglich der klinischen Sicherheit zu identifizieren, ein intensives und systematisches Monitoring durchgeführt werden.
81 7.3 · CHMP-Richtlinien
Das CHMP fordert vom Antragsteller, im Rahmen der Zulassung ein Programm bezüglich Pharmakovigilanz bzw. Risikomanagement einzureichen. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Monitorings (gemäß EU-Gesetzgebung) sollten zum Zeitpunkt der Zulassung erfüllt sein.
Immunogenität Viele Proteine bzw. Peptide induzieren die Bildung klinisch relevanter Antikörper. Die Konsequenzen der Immunogenität umfassen ein weites Spektrum von klinischer Irrelevanz bis zur lebensbedrohlichen Krise. Gegen Arzneimittel gerichtete Antikörper können Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie beeinträchtigen. Zwar können nur neutralisierende Antikörper den pharmakodynamischen Effekt alterieren, aber grundsätzlich ist bei keinem bindenden Antikörper ein Einfluss auf die Pharmakokinetik auszuschließen. Vor diesem Hintergrund wird der Immunogenität im Rahmen der Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln größte Bedeutung zugemessen. Da eine beträchtliche interindividuelle Variabilität besteht, ist die Antikörperantwort bei einer ausreichenden Patientenzahl zu untersuchen. Das mit einem biologisch ähnlichen Arzneimittel verbundene Immunogenitätsrisiko muss nach State of the Art aufgeklärt werden. Die dabei verwendeten Screening-Assays sollten ausreichend sensitiv sein, um auch niedrige Antikörpertiter bzw. Antikörper mit geringer Affinität zu detektieren. Da sich der Beginn der immunogenen Reaktion nicht voraussagen lässt, ist ein Langzeit-Monitoring erforderlich. Vor Zulassung eines Biosimilars zur chronischen Behandlung sind Follow-up-Daten über einen Zeitraum von mindestens 1 Jahr erforderlich. Zu klären ist, ob die Antikörperbildung auf einer mit dem Herstellungsprozess assoziierten Verunreinigung beruht. Falls sich ein biologisch ähnliches Arzneimittel und das Referenzprodukt bezüglich der Immunantwort unterscheiden, sind weiterführende Untersuchungen erforderlich, um die Antikörper zu charakterisieren und einen möglichen Einfluss auf klinische Sicherheit, Wirksamkeit und Pharmakokinetik zu klären.
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7.3.3 Zulassung von Biosimilars mit
rekombinanten Erythropoetinen oder G-CSF In Annexen zur Leitlinie EMEA/CHMP/BMWP/ 42832/2005 definiert das CHMP die Voraussetzungen für die Zulassung eines biologisch ähnlichen Arzneimittels, das als aktive Substanz ein rekombinantes Erythropoetin oder G-CSF enthält.
Erythropoetine Gefordert werden präklinische Studien, in denen das biologisch ähnliche Erythropoetin mit einem Referenzprodukt hinsichtlich pharmakodynamischer Effekte mit Hilfe verschiedener Bioassays (Rezeptor-Bindungs-Studien, ZellproliferationsAssays) verglichen wird. Außerdem sind die pharmakodynamischen Effekte von Biosimilar und Referenzprodukt in einem adäquaten Tiermodellbasierten Assay quantitativ zu messen. Weiterhin werden vergleichende toxikologische Studien in einem relevanten Tiermodell, deren Dauer mindestens 4 Wochen betragen sollte, erwartet. In der klinischen Studienphase sind die pharmakokinetischen Eigenschaften des biologisch ähnlichen Erythropoetins sowie des Referenzprodukts bei gesunden Probanden in Cross-overStudien nach einmaliger subkutaner sowie intravenöser Dosierung zu evaluieren. Als primärer pharmakokinetischer Endpunkt ist die AUC, als sekundärer Endpunkt z. B. Cmax oder die Halbwertszeit zu bestimmen. Pharmakodynamische Daten sollten vorzugsweise im Rahmen der pharmakokinetischen Studien erhoben werden. Als relevantester pharmakodynamischer Marker für die Messung der Aktivität von Erythropoetinen wird die Bestimmung der Retikulozytenzahl empfohlen. Zur Beurteilung der Wirksamkeit fordert das CHMP mindestens 2 randomisierte, nach Möglichkeit doppelblinde Studien mit adäquater statistischer Power. Als Zielpopulation werden Patienten mit renaler Anämie empfohlen, da Erythropoetindefiziente Patienten sich durch eine erhöhte Sensitivität gegenüber Erythropoetinen auszeichnen. Die klinische Vergleichbarkeit des biologisch ähnlichen Erythropoetins und des Referenzprodukts
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Kapitel 7 · Zulassung biotechnologischer Nachfolgeprodukte bis zur klinischen Anwendung – EMEA-Richtlinien
ist nach sowohl subkutaner als auch intravenöser Applikation nachzuweisen. Die relative Wirksamkeit eines biologisch ähnlichen Erythropoetins sollte sowohl in der Korrekturphase – in der der Hämoglobin-Wert auf einen physiologischen Zielwert angehoben wird – als auch in der Erhaltungsphase bestimmt werden. In Studien zur Wirksamkeit von Erythropoetinen in der Korrekturphase sollten therapienaive Patienten bzw. Patienten nach einer ausreichenden Erythropoetin- bzw. Transfusions-freien Zeit eingeschlossen werden. Als Studiendauer werden 6 Monate empfohlen. Studien zur Erhaltungsphase sollten mit einer 3-monatigen Titrationsphase beginnen, in der die Patienten auf eine stabile Dosierung des Referenzprodukts eingestellt werden. Danach sollten die Patienten zwischen dem biologisch ähnlichen Erythropoetin und dem Referenzprodukt randomisiert und mindestens 3 Monate, besser 6 Monate behandelt werden. Als primäre Endpunkte werden empfohlen: ▬ in Studien zur Korrekturphase die Veränderung des Hämoglobinspiegels bzw. die Ansprechrate (d. h. der Anteil der Patienten, der den ZielHämoglobin-Wert erreicht) ▬ in Studien zur Erhaltungsphase der Anteil der Patienten, die im Verlauf der Beobachtung – ohne eine Transfusion zu benötigen – innerhalb eines bestimmten Hämoglobin-Bereichs bleiben Die Sicherheitsdaten aus den Wirksamkeitsstudien sieht das CHMP für die Zulassung als ausreichend an. Allerdings werden vergleichende Immunogenitätsdaten aus einer mindestens 12-monatigen Beobachtung erwartet. Im Rahmen des Pharmakovigilanz-Programms ist insbesondere auf seltene schwere Nebenwirkungen wie die PRCA (»pure red cell aplasia«) zu achten, die als Folge neutralisierender Antikörper in der Regel nach monate- oder sogar jahrelanger Behandlung entstehen kann.
Rekombinantes G-CSF Präklinisch ist die Vergleichbarkeit eines biologisch ähnlichen G-CSF mit einem Referenzprodukt mit zellbasierten Bioassays oder Rezeptorbindungs-
Assays zu belegen. Weiterhin sollten Untersuchungen bei neutropenischen sowie nicht-neutropenischen Nager-Modellen die Vergleichbarkeit von Test- und Referenzprodukt hinsichtlich pharmakodynamischer Effekte belegen. Die Dauer der präklinischen toxikologischen Untersuchungen bei einer relevanten Spezies sollte mindestens 28 Tage betragen. Routinemäßige Tests auf Mutagenität, Karzinogenität oder Reproduktionstoxizität erachtet das CHMP als nicht erforderlich. In klinischen Cross-over-Studien sind die pharmakokinetischen Eigenschaften des biologisch ähnlichen G-CSF nach einmaliger subkutaner sowie intravenöser Dosierung im Vergleich zum Referenz-Produkt zu prüfen. Als primärer Endpunkt wird die Bestimmung der AUC, als sekundäre Endpunkte Cmax und Halbwertszeit gefordert. Als wichtigster pharmakodynamischer Marker ist bei gesunden Probanden der Einfluss auf die absolute Neutrophilenzahl zu bestimmen. Als sekundären pharmakodynamischen Endpunkt schreibt das CHMP die Bestimmung der Zahl CD34-positiver Zellen vor. Als klinisches Modell für den Nachweis der mit einem Referenzprodukt vergleichbaren Wirksamkeit eines biologisch ähnlichen G-CSF empfiehlt das CHMP die Prophylaxe der schweren Chemotherapie-induzierten Neutropenie (CINP) in einer homogenen Patientenpopulation. Bei Chemotherapieregimen mit bekannter Häufigkeit und Dauer der schweren Neutropenie wird eine 2-armige Studie als ausreichend erachtet. Werden andere Chemotherapieregime eingesetzt, ist gegebenenfalls eine 3-armige Studie unter Einschluss eines Placebo-Arms erforderlich. Als primärer Endpunkt sollte die Dauer der schweren Neutropenie (<0,5x109/l) untersucht werden. In begründeten Fällen kann der Nachweis der vergleichbaren Wirksamkeit in anderen Modellen, z. B. pharmakodynamischen Studien bei gesunden Probanden, erbracht werden. Der Nachweis der therapeutischen Äquivalenz bei der CINP erlaubt laut CHMP die Extrapolation der Ergebnisse auf andere G-CSF-Indikationen (Mobilisation peripherer Blutstammzellen, Reduktion der Neutropeniedauer nach myeloablativer Therapie, Behandlung der persistenten Neutropenie bei fortgeschrittener HIV-Infektion bzw.
83 7.4 · Ausblick und Diskussion
schweren kongenitalen, zyklischen oder idiopathischen Neutropenien), vorausgesetzt der Wirkmechanismus von G-CSF in diesen Indikationen ist der gleiche wie bei der CINP. Sicherheitsdaten sollten im Rahmen einer vergleichenden Studie zur CINP-Prophylaxe mit einer ausreichenden Patientenzahl erhoben werden. Das Ausmaß der Chemotherapie-Exposition sollte dem einer konventionellen Chemotherapie mit mehreren Zyklen entsprechen, die Dauer des Follow-up mindestens 6 Monate betragen. Im Rahmen des Pharmakovigilanz-Programms wird empfohlen, auf Immunogenität und seltene schwere Nebenwirkungen insbesondere bei chronischer Therapie zu achten.
7.4
Ausblick und Diskussion
Es ist zu überprüfen, ob für ähnliche Biopharmazeutika (Biosimilars) wirklich stets randomisierte Studien zu fordern sind. In der Regel sollten größere Phase-II-Studien ausreichen, welche die Wirkung und Sicherheit von Biosimilars ausreichend belegen. Zu hohe Hürden im Zulassungsprozess können letztlich dazu führen, dass der Markt der Biologika in Oligopol-ähnlichen Kartellen kontrolliert wird und kein echter Wettbewerb eintreten kann. Dies sollte beim Erlass neuer Vorschriften genauso berücksichtigt werden wie die Sicherheit von Patienten.
7
8
Biosimilars Irene Krämer
8.1
Einleitung – 86
8.2
Besonderheiten von Biopharmazeutika – 87
8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4
Hohes Molekulargewicht und komplexe dreidimensionale Struktur – 87 Herstellung in lebenden Zellen bedingt Heterogenität – 87 Problem der vollständigen Charakterisierung mit physikalisch-chemischen Methoden oder Bioassays – 88 Immunogenitätspotential – 88
8.3
Zulassung von Biosimilars nach EMEA-Guidelines – 89
8.4
Zulassung von G-CSF-Biosimilars nach EMEA-Guidelines – 89
8.5
INN-Namensgebung – 90
8.6
Substitution von Biosimilars – 92
8.7
Gute Distributions- und Anwendungspraxis
8.8
Pharmakovigilanz – 93
8.9
Wirtschaftlichkeit – 94
8.10
Checkliste zur Bewertung von Biosimilars – 94 Literatur – 97
– 93
8
86
Kapitel 8 · Biosimilars
8.1
Einleitung
Die moderne Arzneimittelentwicklung bedient sich anspruchsvoller Methoden wie dem »molecular targeting«, um maßgeschneiderte Arzneimittelmoleküle zu designen, und der rekombinationstechnischen Produktion, um Proteinarzneimittel (z. B. Hormone, Enzyme, Gerinnungsfaktoren, Zytokine) zu gewinnen. Letztere haben in den vergangenen 20 Jahren eine große Vielfalt und erheblichen Marktanteil gewonnen. Die DNA-rekombinationstechnisch hergestellten Produkte (insbesondere [Glyko-]Proteine, Muteine, monoklonale Antikörper [MAB]) werden nach Überführung codierender (meist menschlicher) Gene in Zellkulturen mittels Genexpression und Translation hergestellt. Jetzt hat der Patentablauf früher Produkte, wie Humaninsulin, Wachstumshormon, Erythropoetin und Granulozyten-koloniestimulierender Wachstumsfaktor (G-CSF), die Entwicklung sog. Biosimilars zur Folge. Die Nachfolgeprodukte von Biopharmazeutika können nicht den Generika von kleinen Molekülen gleichgesetzt werden, was be-
reits zur Etablierung eines speziellen Zulassungsverfahrens durch die European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA) geführt und auch die Food Drug Administration (FDA) zur Entwicklung eines spezifischen Zulassungsverfahrens für die »follow-on-biologicals« veranlasst hat. In ⊡ Tab. 8.1 sind die entsprechenden Begrifflichkeiten und Definitionen dargestellt. Die Bewertung von Biosimilars stellt eine Herausforderung für alle an der Zulassung und an der Arzneimittelauswahl Beteiligten im Gesundheitswesen dar. Bewertungskriterien sind wie bei allen Arzneimitteln Qualität, Wirksamkeit, Sicherheit/ Verträglichkeit und Wirtschaftlichkeit. Doch hat diese im Unterschied zur Bewertung kleiner Moleküle mit aufwendigeren Methoden zu erfolgen und Spezifika, wie die Immunogenität der Biopharmazeutika, zu beachten. Je schwieriger sich die Bewertung der Sicherheit darstellt, umso umfangreicher sind die von der Zulassungsbehörde vorgesehenen Pharmakovigilanz-Programme, mit denen Postmarketing-Sicherheitsdaten erhoben werden sollen.
⊡ Tab. 8.1. Begriffsdefinitionen Low molecular weight drug
Chemical medicinal product
Arzneimittel mit Molekulargewicht <400
Chemisch definiertes Arzneimittel
Generic drug
Chemical and therapeutic equivalent of low molecular weight drug whose patent has expired
Generikum
Wirkstoff qualitativ und quantitativ identisch, gleiche Arzneiform, Bioäquivalenz bei Probanden nachgewiesen Biopharmaceutical Biopharmazeutikum
»A medicinal product developed by means of one or more of the following biotechnology practices: rDNA, controlled gene expression, antibody methods« a Arzneimittel, das mit biotechnologischen Methoden, rekombinanter DNA, kontrollierter Genexpression, Antikörpermethoden hergestellt wird
Biosimilar, or similar biological medicinal product
»A biological medicinal product referring to an existing one and submitted to regulatory authorities for marketing authorization by an independent applicant after the time of protection of the data has expired for the original product« a Biopharmazeutikum, das nach Patentablauf eines Referenzproduktes, Bezug nehmend auf dieses von einem anderen Hersteller zur Zulassung eingereicht wird
a
EMEA definition; FDA: Follow-on-biologic.
87 8.2 · Besonderheiten von Biopharmazeutika
8.2
Besonderheiten von Biopharmazeutika
8.2.1 Hohes Molekulargewicht
und komplexe dreidimensionale Struktur Biopharmazeutika sind große Peptide oder Proteine mit komplexen dreidimensionalen Strukturen. Die Fähigkeit zur Bindung des therapeutischen Proteins an die Zielstruktur und damit die Auslösung eines pharmakologischen Effektes hängt von der korrekten Struktur und Faltung des Proteins ab, d. h. von der Primärsequenz (Aminosäuresequenz), Sekundärstruktur (Faltungen wie Alphahelix oder Betafaltblatt) und der Tertiärstruktur (dreidimensionale Struktur) (⊡ Abb. 8.1). Die Stabilisierung des Proteins zu seiner nativen, d. h. biologisch aktiven Struktur, erfolgt durch überwiegend nichtkovalente Kräfte, die relativ leicht überwunden werden und zu Veränderungen der dreidimensionalen Struktur und auch Aggregation führen können. Auch natives Protein kann unter bestimmten Bedingungen durch Proteinassoziation Cluster (Quartärstruktur) bilden. Viele
⊡ Abb. 8.1. Komplexität von Proteinstrukturen
8
Biopharmazeutika sind Glykoproteine (Proteine mit hochmolekularen Zuckerresten), deren Glykosylierungsmuster unterschiedlich sein können und als Isoformen bezeichnet werden. Die Glykosylierungsmuster hängen u. a. von den Produktionsbedingungen ab. Pharmakodynamisches und pharmakokinetisches Profil eines Glykoproteins sind abhängig von der dreidimensionalen Struktur des Biopharmazeutikums, dem Grad und der Lokalisation der Glykosylierung, der Isoformverteilung und dem Ausmaß der Aggregation. Ein Biosimilar muss nicht nur die identische Primärstruktur (Aminosäuresequenz) haben, sondern alle Strukturcharakteristika einschließlich der Glykosylierungsmuster müssen übereinstimmen.
8.2.2 Herstellung in lebenden Zellen
bedingt Heterogenität Im Unterschied zu kleinen Wirkstoffmolekülen werden biopharmazeutische Arzneistoffe in und von lebenden Zellen produziert und extrahiert. Das Verfahren und das Produkt müssen der
88
8
Kapitel 8 · Biosimilars
übergeordneten Arzneibuch-Monographie DNArekombinationstechnisch hergestellter Produkte entsprechen. Für das Saatgutsystem (primäre Masterzellbank, sekundäre Arbeitszellbänke) muss ein Eignungsnachweis erbracht und eine behördliche Genehmigung eingeholt werden. Sie gilt nur für diese Masterzellbank (keine zwei Masterzellbänke können identisch sein). Doch produzieren auch authentische Zellen Molekülvariationen. Die posttranslationale Modifikation ist eine Funktion der Wirtszelle. Die Glykosylierungsmuster variieren in Abhängigkeit von den Wirtszellen und den Fermentationsbedingungen. Modifikationen determinieren Effektivität, Gewebeverteilung, Pharmakokinetik, Antigenität und Immunogenität des Biopharmazeutikums. Die Kultivierungs-, Extraktions- und Reinigungsschritte müssen zur Zulassung exakt beschrieben sein. Jede Variation der Ausgangsstoffe und der vielen Prozessschritte kann zu einem veränderten Produkt führen, was mit dem Satz »The process is the product« trefflich beschrieben wird. Die Reproduzierbarkeit des Herstellungsprozesses ist von höchster Bedeutung. Aus dem Herstellungsprozess stammende Kontaminationen können Proteine und andere Bestandteile der Wirtszellen, DNA, Prionen, Viren, Endotoxine, Metalle, Zusätze (z. B. Serum, Antibiotika) und Reagenzien (Kohlenhydrate, Wachstumsfaktoren) sein. Das Scaling up und die gleichförmige Aufrechterhaltung des Produktionsprozesses können problematisch sein. Know-how und Erfahrung in der Produktion spielen eine bedeutende Rolle. Neben dem Wirkstoff selbst beeinflussen auch die Arzneimittelhilfsstoffe und die Arzneimittelformulierung die biologische Aktivität des Produktes. Das formulierte Arzneimittel ist ebenfalls empfindlich. Während Herstellung, Transport, Lagerung oder Anwendung können verschiedenste Einflussfaktoren, beispielsweise Temperatur, Scherkräfte (Schütteln), Interaktionen mit Grenzflächen (z. B. Infusionsmaterialien) oder Inkompatibilitäten mit anderen Arzneimitteln, die Wirksamkeit, aber auch die Unbedenklichkeit (z. B. Immunogenität) dieser Arzneimittel beeinträchtigen. Die deklarierten Transport- und Lagerbedingungen müssen zur Sicherstellung von Integrität und Stabilität exakt eingehalten werden.
8.2.3 Problem der vollständigen
Charakterisierung mit physikalisch-chemischen Methoden oder Bioassays Nur die sinnvolle Kombination einer Vielzahl von Methoden ermöglicht konkrete Aussagen bezüglich der Integrität und Stabilität von Proteinen. Mit zahlreichen physikalisch-chemischen Methoden, u. a. Chromatographie-, Elektrophorese-, Proteinanalysen- und Spektroskopie-Methoden, werden Identität, Gehalt und Reinheit des Biopharmazeutikums, u. a. Aminosäurensequenz, Glykosylierungsmuster, Isoformenverteilung, Aggregatgehalt, Sterilität und Pyrogengehalt, geprüft. Zur Gehalts- bzw. Aktivitätsbestimmung werden Bioassays (z. B. Zellkulturmodelle, Tiermodelle) eingesetzt. Mit den heute zur Verfügung stehenden Methoden und aufgrund der Mikroheterogenität der Produkte ist die Äquivalenz von Biopharmazeutika nicht zweifelsfrei zu belegen.
8.2.4 Immunogenitätspotential
Das Immunogenitätspotential ist ein wesentlicher Unterschied zwischen kleinen Wirkstoffmolekülen und Biopharmazeutika. Die Antikörperbildung hat nicht vorhersagbare klinische Effekte bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit. Die Bedeutung der Antikörperbildung reicht von keiner Bedeutung über schwerwiegende bis zu lebensbedrohlichen Reaktionen. Antikörper können durch Bindung an das Protein zu pharmakokinetischen Veränderungen (z. B. Verkürzung, aber auch Verlängerung der Halbwertszeit) und über Neutralisierung zur Wirkungsabschwächung bis zur Wirkungslosigkeit führen. Es können Hypersensitivitäts- und allergische Reaktionen auftreten. Die Immunogenität bedingende Faktoren sind produkt- und patientenspezifische Faktoren. Produktbezogene Faktoren: ▬ Mangelnde Authentizität Auch kleine Molekülvariationen (veränderte Aminosäurensequenz, Glykosylierung) können eine Immunantwort auslösen. ▬ Aggregatbildung In Korrelation mit dem Anteil hydrophober Aminosäuren, auch bei fehlender Glykosylierung,
89 8.4 · Zulassung von G-CSF-Biosimilars nach EMEA-Guidelines
kann es zur Aggregatbildung, Bildung repetitiver Sequenzen und verstärkter Antigenität kommen. ▬ Kontaminationen (z. B. Wirtszellproteine), Formulierungs- und Lagerungsprobleme können zu immunogenen Zersetzungsprodukten, Denaturierung und Aggregaten führen. Beispiele hierfür sind formulierungsabhängige Immunogenität von Interferon alfa 2a und Epoetin alfa. Patientenbezogene Faktoren: ▬ Applikationsart (s.c.- und i.m.-Applikationen besitzen verstärkte Immunogenität) ▬ Dosierungshäufigkeit und Dosierungsregime ▬ Komorbidität (kongenitale Defizienz am substituierten Protein ist mit erhöhter Immunantwort bei exogener Substitution verbunden) ▬ Komedikation (geringere Immunogenität bei immunsupprimierten Patienten)
8.3
Zulassung von Biosimilars nach EMEA-Guidelines
In die EG-Arzneimittelgesetzgebung wurde bereits eine Regelung für die Zulassung von Biosimilars aufgenommen. Gemäß der Ende 2005 in Kraft getretenen Richtlinie 2001/83/EG, Anhang I, Teil II »Spezifische Zulassungsanträge und Anforderungen« Punkt 4, müssen für biologische Arzneimittel, die bezugnehmend auf ein biologisches Referenzarzneimittel zugelassen werden sollen, Studien durchgeführt werden, die hinreichende Ähnlichkeit in Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit belegen. Sie sind gemäß der im Oktober 2005 wirksam gewordenen, übergeordneten Richtlinie »Guideline on Similar Medicinal Products CHMP/437/04« durchzuführen. In dieser Richtlinie sind die grundlegenden Prinzipien von ähnlichen biologischen Arzneimitteln, die Wahl des Referenzprodukts und Hinweise auf weitere relevante Richtlinien enthalten. Dabei wird unterschieden zwischen allgemein gültigen Richtlinien, Richtlinien für biopharmazeutisch hergestellte Proteine, für immunologische Produkte (Vakzine, Allergene), für Blutprodukte und für sonstige biologische Arzneimittel. Bezüglich der Qualität müssen die biologischen Arzneimittel alle Anforderungen der einschlägigen EU-Direktiven, CHMP- und ICH-Richtlinien sowie Arzneibuch-Monographien
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erfüllen. Biosimilars müssen in Arzneiform, Dosierung und Applikationsweg mit dem Referenzprodukt übereinstimmen. Wenn das nicht der Fall ist, müssen zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden, die mit der EMEA abzustimmen sind. Für das Inverkehrbringen von Biosimilars mit biotechnologisch hergestellten Proteinen als Wirkstoff sind die »Guideline on Similar Biological Medicinal Products containing Biotechnology-derived Proteins as Active Substance: Quality Issues« (EMEA/CHMP/BWP/49348/05, ersetzt Guideline CPMP/3207/00) und die »Guideline on Similar Biological Medicinal Products containing Biotechnology-derived Proteins as Active Substance – Non Clinical and Clinical Issues« (EMEA/CHMP/42832/05, ersetzt Guideline CPMP/3097/02) sowie die Produktklassen spezifischen Anhänge für Erythropoetin, Insuline, α-Interferon, Somatropin und Granulozyten-koloniestimulierender Faktor (G-CSF) zu befolgen. In den Richtlinien und Anhängen sind die für die Zulassung von Biosimilars notwendigen Untersuchungen der Qualität, präklinische und klinische Studien zum Nachweis der Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Wirksamkeit, Studien zur Sicherheit sowie Pharmakovigilanzpläne mit dem Schwerpunkt Immunogenität definiert. Der Bedeutung des Immunogenitätspotentials von Biopharmazeutika wird durch die zusätzliche EMEA Guideline 14327/06 «Immunogenicity Assessment of Biotechnology – Derived Therapeutic Proteins» Rechnung getragen. Ein biotechnologisch hergestelltes Arzneimittel ist charakterisiert durch die Eigenschaften des Moleküls (einschließlich produktbezogener Verunreinigungen) und durch den Herstellungsprozess (einschließlich prozessbedingter Verunreinigungen). Mit der Beantragung der Zulassung für ein Biosimilar muss die Gleichförmigkeit und Robustheit des Herstellungsprozesses nachgewiesen werden. Wie bei jedem Biopharmazeutikum muss eine Änderung des Herstellungsprozesses mit Vergleichbarkeitsuntersuchungen belegt sein.
8.4
Zulassung von G-CSF-Biosimilars nach EMEA-Guidelines
Der spezifische Anhang »Annex to guideline on similar biological medicinal products containing
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8
Kapitel 8 · Biosimilars
biotechnology-derived proteins as active substance – non clinical and clinical issues; Guidance on similar medicinal products containing recombinant granulocyte-colony stimulating factor (EMEA/ CHMP/BMWP/31329/05)« ist eine Anleitung zum Nachweis der Vergleichbarkeit/Ähnlichkeit von zwei r-G-CSF enthaltenden Arzneimitteln. Er spezifiziert die allgemeine Richtlinie CHMP 42832/05 entsprechend der derzeitigen Auffassung des CHMP. Das gewählte Referenzprodukt muss in der EU zugelassen sein. Dabei kann es sich um Filgrastim (r-GCSF aus E. coli, nicht glykolisiert, zusätzliches Nterminales Methionin) oder Lenograstim (r-G-CSF aus CHO-Zellen), aber nicht um PEG-Filgrastim handeln. Zur Charakterisierung des G-CSF-Moleküls stehen physikalisch-chemische und biologische Methoden zur Verfügung. Die Wirkung von G-CSF wird durch einen transmembranären Rezeptor vermittelt, für den verschiedene Isoformen mit identischer Ligandenbindungsdomäne bekannt sind, und ist auch darüber zu charakterisieren. Die hinreichende Ähnlichkeit in der Wirksamkeit soll zunächst mit In-vitro-Bioassays gezeigt werden, wobei diese ausreichende Sensitivität haben müssen, um Unterschiede feststellen zu können und eine ausreichende Zahl von Verdünnungen getestet werden muss, um die Konzentrations-WirkungsBeziehung umfassend beschreiben zu können. Die klinischen Studien sollen in der Indikation Chemotherapie-induzierte Neutropenie durchgeführt werden. Die Extrapolation der Ergebnisse auf andere Indikationen wird als zulässig dargestellt (z. B. Mobilisierung von PBSC, schwere, kongenitale idiopathische Neutropenie, persistierende Neutropenie bei HIV-Infektion). Alternative Studienmodelle, einschließlich pharmakodynamische Studien bei gesunden Probanden, sind im Design mit der Zulassungsbehörde vorher abzustimmen. Die Sicherheit des G-CSF-Biosimilars soll in Patienten mit mehreren Chemotherapiezyklen untersucht werden. Die Patienten sollen wenigstens 6 Monate beobachtet werden. Eine Mindestanzahl von Patienten ist nicht vorgegeben. Antikörper gegen das im Markt befindliche Filgrastim treten selten auf und sind für Wirksamkeit und Sicherheit nach derzeitigem Wissensstand nicht von Bedeutung. Patientenbezogene Risikofaktoren für immunologische Reaktionen sind nicht bekannt.
In ⊡ Tab. 8.2 sind die Anforderungen des Annex 31329/05 für die vergleichenden Untersuchungen kursorisch zusammengefasst.
8.5
INN-Namensgebung
INN-Namen sind nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens, sondern werden von der WHO auf Antrag des Zulassungsinhabers vergeben. Ziel der INN-Klassifikation ist es, den Wirkstoff eines Arzneimittels mit einem eindeutigen Namen zu belegen, der weltweit anerkannt und nicht patentgeschützt ist. Die allgemeinen Regeln der INN-Namensgebung für Biopharmazeutika besagen, dass bei glykosylierten Produkten Unterschiede in der Kohlenhydratseitenkette durch ein dem Namen nachgestellten griechischen Buchstaben indiziert werden sollen. Die griechischen Buchstaben werden in der Reihenfolge des griechischen Alphabets vergeben. Für Erythropoetin wurden die INNNamen Epoetin alfa (Eprex®/Erypo®) und Epoetin beta (Neorecormon®) für die ersten beiden zugelassenen Originalprodukte vergeben. Ein weiteres zwischenzeitlich zugelassenes Epoetin wurde mit dem INN-Namen Epoetin delta (Dynepo®) belegt. Epoetin delta wird in humanen Zellen produziert und hat mit humanem Epoetin identische Kohlenhydratseitenketten. Der Unterschied in den Kohlenhydratseitenketten hat folgerichtig zu einer unterschiedlichen Namensgebung geführt. Für die als Biosimilars zugelassenen Epoetine stellt sich die Frage, ob der gleiche oder ein anderer INNName als für das Referenzprodukt zu wählen ist. Die Befürworter eines anderen Namens wollen, dass die fehlende Identität durch die Verwendung einer anderen Wirtszelle und eines anderen Herstellungsverfahrens durch die Verwendung eines anderen INN-Namens zum Ausdruck kommt. Auch soll die Verwechslungsgefahr reduziert und Nachverfolgbarkeit des angewendeten Produktes verbessert werden. Die Originalhersteller plädieren für unterschiedliche Namen, um Verwechslungen auszuschließen. Bei Verordnung mit INN-Namen und/oder Substitution der Produkte auf Apothekenebene ist die Argumentation nachvollziehbar. Allerdings könnte die unterschiedliche Namensgebung auch zu Namensvielfalt mit Unübersichtlich-
91 8.5 · INN-Namensgebung
8
⊡ Tab. 8.2. Vergleichende Untersuchungen für G-CSF-Biosimilars gemäß EMEA/CHMP/31329/2005 (Studien sollen derart angelegt sein, dass pharmakologisch-toxikologische Unterschiede zum Referenzprodukt nachgewiesen werden können) Nichtklinische Untersuchungen Pharmakodynamische Untersuchungen In-vitro-Untersuchungen
Zellkultur Bioassays oder Rezeptorbindungsstudien (vollständige Charakterisierung der Dosis-Wirkungs-Beziehung)
In-vivo-Untersuchungen
Vergleich PD-Effekte in geeignetem Tiermodell (Nager, neutropenisch, nichtneutropenisch)
Toxikologische Untersuchungen: Tierstudie:
≥1 zur subakuten Toxizität in geeigneter Spezies gemäß CPMP/SWP/1042/99
Dauer:
≥28 Tage
Untersuchungsparameter:
PD und Toxikokinetik
Schwerpunkt:
Immunologische Reaktionen
Lokale Verträglichkeit:
≥1 Spezies gemäß CPMP/SWP/2145/00
Klinische Studien Pharmakokinetische Studien Studientyp:
Vergleichsstudie »single dose crossover«
Applikation:
s.c. (Absorption) und i.v. (Elimination)
Teilnehmer:
Gesunde Probanden
Parameter:
AUC, Cmax, t ½
Pharmakodynamische Studien Studientyp:
Vergleichsstudie mit Dosen aus dem linearen Bereich der Dosis-Wirkungs-Kurve
Teilnehmer:
Gesunde Probanden
Parameter:
Absolute Neutrophilenzahl CD34+ Zellzahl
Klinische Wirksamkeitsstudie Studientyp:
2-armige therapeutische Äquivalenzstudie (oder z. B. bei neuen Chemotherapieprotokollen 3-armige Studie mit Placebo)
Indikation:
Prophylaxe der Chemotherapie-induzierten schweren Neutropenie bei homogenen Patientengruppen (z. B. bezüglich Tumorentität, Stadium, vorherige Chemotherapien)
Parameter:
Primär: Dauer der schweren Neutropenie (absolute Neutrophilenzahl <500×106/L) Sekundär: Inzidenz febrile Neutropenie, Infektionen, kumulative r-G-CSF Dosis
Klinische Sicherheit Studientyp:
Kohortenstudie mit Mehrfachapplikation; bevorzugt als Vergleichsstudie, ≥6 Monate Follow-up
Parameter:
Adverse Event-Profil einschließlich Knochenschmerzen, Veränderungen von Laborparametern Erfassen von Immunogenitätsdaten entsprechend EMEA/CPMP/42832/05
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8
Kapitel 8 · Biosimilars
keit des Marktes beitragen und zu der Annahme führen, dass es sich um Produkte mit umfassender Zulassung und nicht um Biosimilars handelt. Ein effektives Pharmakovigilanzprogramm wird wahrscheinlich ohnehin der Angabe des Fertigarzneimittels und der Chargennummer bedürfen [Declerck 2007]. Die beiden zwischenzeitlich als Biosimilars zugelassenen Epoetin alfa Biosimilars haben unterschiedliche Wege zur INN-Namensgebung gewählt. Die Zulassungsinhaber von HX 575 wählte den INN-Namen des Referenzprodukts Epoetin alfa und den Zulassungsinhabern von SB309 wurde der INN-Name Epoetin zeta genehmigt. Beide Produkte werden unter mehreren Handelsnamen vermarktet und die Herstellung erfolgt nicht durch die Zulassungsinhaber selbst. Die Produkte unterscheiden sich in den zugelassenen Indikationen und angebotenen Darreichungsformen (⊡ Tab. 8.3). Damit ist der Epoetin-Markt in Deutschland bereits jetzt relativ unübersichtlich und der unbeabsichtigte Präparatewechsel nicht auszuschließen. Ähnlich verhält es sich bei den hGH- und Filgrastim-Produkten. Die von 7 unterschiedlichen Firmen zugelassenen rekombinanten hGH-Produkte benutzen gleichermaßen Somatro-
pin als INN-Namen und haben außer Omnitrope® mit Genotropin® als Referenzsubstanz alle eine umfassende Zulassung. Die mit Filgrastim als Referenzprodukt zugelassenen Biosimilars werden voraussichtlich Filgrastim als INN-Namen nutzen und in Deutschland mit 3 verschiedenen Fertigarzneimittelnamen Biograstim (CT Arzneimittel GmbH), Ratiograstim (ratiopharm GmbH) und Tevagrastim (Teva Generics GmbH) vermarktet werden.
Substitution von Biosimilars
8.6
Aus der gleichen Namensgebung von Biosimilars kann nicht ohne weiteres auf die Austauschbarkeit geschlossen werden [European Medicines Agency. Questions and answers on biosimilar medicines (similar biological medicinal products) EMEA/74562/2006. London:EMEA 2007]. Die Regularien der Substitution sind in den EU-Mitgliedsländern unterschiedlich. Frankreich und Spanien haben eigens für Biosimilars eine Gesetzgebung erlassen, die die Substitution auf Apothekenebene ohne Zustimmung des verschreibenden
⊡ Tab. 8.3. Charakteristika von Epoetin-haltigen Arzneimittel mit EMEA-Zulassung. Zugelassene Indikation
1
Anzahl [%] der Anwendungen
Epoetin alfa Biosimilar HX 5751,2,3
Epoetin alfa Biosimilar SB3094,5
Eprex® Erypo®
Neorecormon®
Dynepo®
Epoetin alfa Referenzprodukt
Epoetin beta
Epoetin delta
Renale Anämie – bei Dialysepatienten
43
X (IV)
X (IV)
X
X
X
Renale Anämie – bei Prädialysepatienten
18
X (IV)
X (IV)
X
X
X
Anämie bei onkologischen Patienten
35
X*
X*
X
X
Autologe Blutspende
~2
X*
X
X
Reduktion von Fremdblutbedarf bei großen orthopäd. Eingriffen
~2
Anämie bei Frühgeborenen
?
X*
X
X
Binocrit® Sandoz GmbH, 2 Epoetin alfa Hexal Hexal Biotech Forschungs GmbH, 3 Abseamed® Medice Arzneimittel Putter GmbH & Co. KG., 4 Silapo® Stada Arzneimittel AG, 5 Retacrit® Hospira Enterprises B.V., *extrapolierte Indikation, (IV) = nur zur intravenösen Anwendung
93 8.8 · Pharmakovigilanz
Arztes untersagt. Dies beruht auf Sicherheitsaspekten und dem Anspruch der Nachverfolgbarkeit. Da es sich bei Biosimilars nicht um Generika handelt, ist die Substitution in Deutschland auf Apothekenebene derzeit auch nicht möglich und das vom Arzt verordnete Fertigarzneimittel abzugeben. Der Austausch von Biosimilars kommt einer Aut-simile-Substitution gleich und muss mit dem verordnenden Arzt abgestimmt werden. Gemäß einer EMEA Verlautbarung (Doc.Ref. EMEA/74562/2006 s. oben) soll die Entscheidung, ob ein Patient mit dem Referenzarzneimittel oder dem Biosimilar behandelt werden soll, nach Meinungsbildung durch einen qualifizierten Fachmann im Gesundheitswesen erfolgen. Im Krankenhaus stellt sich beispielsweise die Frage, welches Epoetin ein stationär aufgenommener Dialysepatient mit bestehender Epoetin-Therapie erhalten soll. Unter immunologischen Gesichtspunkten und aus Gründen der Nachvollziehbarkeit ist ein Produktwechsel nicht angezeigt. Andererseits ist es für das Krankenhaus unwirtschaftlich, mit jedem der zugelassenen Epoetin alfa-Produkte zu versorgen. Wenn man von der Austauschbarkeit der im CoMarketing vertriebenen Epoetin-Biosimilars ausgeht, reduziert sich die Zahl der Produkte wieder. Auch stellt sich die Frage, ob die Bewusstseinsbildung für diese Thematik im niedergelassenen und stationären Sektor gleich ist und man sich durch unterschiedliches Verordnungsverhalten nicht gegenseitig konterkariert.
8.7
Gute Distributions- und Anwendungspraxis
Biopharmazeutika reagieren als Proteinarzneimittel empfindlich auf Umwelteinflüsse wie Temperatur und Schütteln. Es ist wichtig, dass die vorgesehenen Transport- und Lagerbedingungen eingehalten werden, um die Wirksamkeit und Sicherheit der Produkte zu gewährleisten. Für EPO-Produkte ist die Einhaltung der Kühlkette essentiell und muss innerhalb der Versorgungskette in der Verantwortung der unterschiedlichen Beteiligten eingehalten werden. So haben beispielsweise die Lieferanten von EPO-Biosimilars HX 575 die Auflage, bei Erstbezug der Produkte die beziehende Apotheke
8
aufzusuchen und über die Bedeutung von Kühllagerung und Kühltransport aufzuklären. Diese Vorsichtsmaßnahme ist erforderlich, um mehrmaliges Lagern oberhalb von Kühlschranktemperatur zu vermeiden. In den Packungsbeilagen von HX575 findet sich der Hinweis, dass die Produkte einmalig vom Patienten über einen Zeitraum von maximal 3 Tagen außerhalb des Kühlschranks und nicht über 25 °C gelagert werden darf. Unterschiedliche Lager- und Handhabungsbedingungen für unterschiedliche Produkte z.B. für Biosimilars und Referenzprodukt oder für unterschiedliche Biosimilars sind im klinischen Alltag fehlerträchtig. Mangelnde Aufmerksamkeit und gewohnheitsmäßiges Handeln können unmittelbar zu Medikationsfehlern führen. Produkte mit leichter einzuhaltenden Lagerbedingungen und geringer Empfindlichkeit bei abweichenden Lagerbedingungen sind daher weniger robusten Produkten vorzuziehen. Ebenso sind gelöste Produkte in der Regel einfacher zu handhaben als Trockensubstanzen und insbesondere bei Applikation durch den Patienten selbst vorzuziehen. Eine unterschiedliche Handhabung mit unterschiedlichen Applikationshilfen ist umso kritischer zu bewerten, je komplexer die Handhabung und Applikation ist und je häufiger ein Produktwechsel stattfindet. Im schlimmsten Fall wird der Therapieerfolg durch mangelnde Compliance bei erhöhtem Handhabungsaufwand gefährdet. Bei Produktwechsel besteht ein erhöhter Informations- und Schulungsaufwand, den der pharmazeutische Unternehmer mit Schulungs- und Übungsmaterialien unterstützen kann.
8.8
Pharmakovigilanz
Definitionsgemäß sind Biosimilars keine generischen Arzneimittel, da erwartet werden kann, dass geringfügige Unterschiede zwischen den Produkten verschiedener Hersteller oder zum Referenzprodukt bestehen, die nur bei langfristiger Anwendung beobachtet werden können. Selbst bei vergleichbarer Wirksamkeit können Unterschiede bezüglich der Sicherheit bestehen, die während der klinischen Studien nicht identifiziert wurden, so dass auch nach der Zulassung eine engmaschige Beobachtung zur
94
8
Kapitel 8 · Biosimilars
Sicherung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses erfolgen muss. Der Zulassungsantrag für das Biosimilar muss daher einen Pharmakovigilanzplan entsprechend der EU-Richtlinien (CPMP/ICH/5716/03) enthalten. Eine eindeutige Identifizierung des verabreichten Arzneimittels (Biosimilar, Referenzprodukt) muss dafür gegeben sein (CHMP 437/04). Die Umsetzung des Pharmakovigilanzplans muss mit dem Marktzugang des Biosimilars möglich sein. Die Durchführung wird kontrolliert. Besondere Aufmerksamkeit muss der Immunogenität gewidmet werden. Auch für G-CSF-Biosimilars muss ein Screening auf Antikörper mit einem Test ausreichender Spezifität und Sensitivität vor der Zulassung durchgeführt werden. Da sich die klinische Studie auf Patienten mit Chemotherapieinduzierter Neutropenie beschränkt, könnte eine verminderte Antikörperbildung resultieren. Nach Auffassung der EMEA sind Patienten mit vorangegangener Chemotherapie nicht inkompetent für eine Immunantwort. Da das Auftreten und die Häufigkeit der Immunogenität nicht vorhersagbar sind, sind Langzeituntersuchungen auf Antikörper in vorher festgelegten Intervallen erforderlich. Auch bei G-CSF-Biosimilars soll in der Postmarketing Surveillance insbesondere auf Immunogenität und seltene, schwere »adverse events« geachtet werden. Und es sollen insbesondere Patienten mit chronischer Applikation beobachtet werden. Auf fehlende Wirksamkeit sollen insbesondere Patienten kontrolliert werden, denen ein G-CSF-Biosimilar zur Mobilisierung von hämatopoetischen Stammzellen appliziert wird. Hiermit soll auch die Extrapolation der Ergebnisse der Zulassungsstudie bei Chemotherapie-induzierter Neutropenie auf die Indikation Stammzellmobilisierung abgesichert werden.
8.9
Wirtschaftlichkeit
Das Inverkehrbringen und die Vermarktung von Biosimilars sind für die bisherigen Generikahersteller mit wesentlichen Neuerungen verbunden. Sie müssen Erfahrung mit den biotechnologischen Herstellungsverfahren sammeln, erstmals klinische Studien und Pharmakovigilanzstudien durchführen, große finanzielle Investitionen tätigen und sich den Facharztmarkt erschließen [Belsey 2006].
Die finanziellen Risiken könnten Grund dafür sein, dass die jetzt auf den Markt kommenden Biosimilars im Co-Marketing von mehreren Firmen vertrieben werden. Dennoch wird erwartet, dass im niedergelassenen Bereich der Preis für Biosimilars etwa 25–40% günstiger als für Originalprodukte sein wird. Aus den daraus resultierenden Einsparungen sollen kostenintensive, innovative Arzneimitteltherapien finanziert und der Zugang zu den Arzneimitteltherapien im gesamten Europa verbessert werden können. Andererseits könnten die Umsatzverluste bei den Originalanbietern aber auch dazu führen, dass innovative Produkte von diesen mangels Mischkalkulation noch teurer vermarktet werden. Im freien Arzneimittelmarkt des Krankenhauses mit freier Preisbildung werden Wettbewerb und Innovation unmittelbar die Preisbildung beeinflussen und die Krankenhausapotheker valide Entscheidungen zu treffen haben. Voraussetzung für den Preisvergleich in Sinne einer Kostenminimierungsanalyse ist vergleichbare Qualität, Versorgungssicherheit, Klinische Wirksamkeit und Sicherheit der Produkte, die mit Hilfe der Checkliste (⊡ Tab. 8.4) geprüft werden kann. Sofern vorhanden sollten die Hersteller pharmakoökonomische Studien zur Kosten-Effektivität ihrer Produkte vorlegen.
8.10
Checkliste zur Bewertung von Biosimilars
Nach Zulassung eines Biopharmazeutikums stellt sich die Frage nach dem klinischen Einsatz und damit einhergehender Wirksamkeit und Sicherheit. Dies gilt gleichermaßen für Referenzprodukt und das Biosimilar. Die Substitution eines Biopharmazeutikums durch ein Biosimilar mit oder ohne Kenntnis des verordneten Arztes wird nicht auf europäischer, sondern auf nationaler Ebene durch die Gesundheitssysteme geregelt. Der Wechsel zwischen verschiedenen Produkten kann die Pharmakovigilanz erschweren. Im Krankenhaus wird der Einsatz von Biosimilars gründlich abzuwägen und deren parallele oder ersatzweise Aufnahme in die Arzneimittelliste eine Entscheidung der Arzneimittelkommission sein. Dafür muss die klinische Wirksamkeit auf jeden Fall gesichert sein. Zur Bewertung eines
95 8.10 · Checkliste zur Bewertung von Biosimilars
Biosimilars wurden von einer internationalen Arbeitsgruppe von Krankenhausapothekern Kriterien in einer Checkliste zusammengetragen. Hier angesprochene Kriterien, die für die Krankenhausapo-
8
theke von hohem Interesse sind, sind Chargenkonformität, sichere Handhabung von der Produktion bis zur Anwendung und die Versorgungssicherheit. Einen Auszug aus der Checkliste stellt ⊡ Tab. 8.4 dar
⊡ Tab. 8.4. Checkliste zur Bewertung von Biosimilars Bewertungsparameter
Informationsquellen
Qualität Allgemein − Welche Erfahrung hat der Hersteller in der Produktion, einschließlich »good manufacturing practice« (GMP), von Biopharmazeutika? − Von welcher Aufsichtsbehörde wird der Hersteller inspiziert?
− Schriftliche Selbstauskunft des Herstellers
Biologische Aktivität − Wie verhält sich die biologische Aktivität des Biosimilar im Vergleich zum Originalprodukt und mit welchen Aktivitätstests/welchem Standard wurde gemessen? − Aufgrund welcher Parameter kann auf gleiche biologische Aktivität geschlossen werden?
− Veröffentlichung(en) − European Public Assessment Report (EPAR) − Chargenzertifikate
Protein und Arzneimittelformulierung − Gibt es Unterschiede im Molekulargewicht und in der Isoformenverteilung zum Originalprodukt? − Welchen Reinheitsgrad hat das Protein? − Gibt es Unterschiede zum Originalprodukt in der Arzneimittelformulierung (Hilfsstoffe wie Stabilisatoren, Darreichungsform usw.)? − Gibt es Untersuchungen zur klinischen Relevanz der Unterschiede?
− − − − −
Veröffentlichung(en) Packungsbeilage Chargenzertifikat(e) Fachinformation Schriftliche Herstellerauskunft (unaufgefordert auch bei wesentlichen Änderungen)
Chargenkonformität − Wie sichert der Hersteller Chargenkonformität jeder Charge in Bezug auf: − Isoformverteilung? − Gehalt? − Aktivität?
− Chargenzertifikate − Schriftliche Herstellerauskunft
Versorgungssicherheit − Kann die sichere Versorgung über einen langen Zeitraum vom Hersteller garantiert werden?
− Historie von Nachlieferungen und Lieferunfähigkeit − Produktionsplanung
Good handling practices − Wie gewährleistet und dokumentiert der Hersteller/Lieferant die Produktintegrität von der Produktionsstätte bis zum Patienten (z. B. bei Lagerung, Transport, Zubereitung)? − Gibt es Unterschiede in den Lager- und Handhabungsbedingungen für das Biosimilar im Vergleich zum Originalprodukt? ▼
− Veröffentlichung(en) − Lieferantenbewertung gemäß etabliertem QM-System − Validierungsunterlagen − Historie von Rückrufen
96
Kapitel 8 · Biosimilars
⊡ Tab. 8.4. Fortsetzung Bewertungsparameter
Informationsquellen
Klinische Wirksamkeit
8
− Welche klinischen Studien wurden mit welchen Ergebnissen durchgeführt? − Wie wurden die klinischen Studien im Vergleich zur den International Conference on Harmonization (ICH), Richtlinien und Good clinical practice (GCP-)Standards durchgeführt? − Für jede klinische Studie: − Wurde die Studie kontrolliert durchgeführt (wie randomisiert, doppelblind, mit welchem Vergleichspräparat)? − Wurden die primären und sekundären Zielparameter in den beanspruchten Indikationen erreicht? Wenn nicht, gibt es eine Erklärung? − Wie unterscheiden sich die Studienergebnisse von den Studienergebnissen des Originalproduktes? − Gibt es Unterschiede in der Rezeptoraffinität und Halbwertszeit zum Originalprodukt? − Wie ist die biologische Aktivität pro Einheit und der Aktivitätsindex im Vergleich zum Originalprodukt?
− Veröffentlichung(en) − EMEA/FDA reports − Wissenschaftliche Brochüre des Produktes (CIB) Clinical study reports (CSR) − International Conference on Harmonization (ICH-)Richtlinien
− Gibt es weitere zugängliche Informationen? − Open-label-Studien, Fallberichte oder »data-on-file«
− − − −
Veröffentlichung(en) EMEA/FDA-Reports CIB/CSR Herstellerdossiers (»company data on file«)
− − − − − − − −
Veröffentlichung(en) EMEA/FDA-Reports CIB Roter Handbrief Bibliographien des Herstellers AkdÄ-Spontanerfassungssystem Datenbank Herstellerdokumentation (»data-on-file«) AkdÄ-Meldungen
Klinische Sicherheit und Verträglichkeit − Ist die Sicherheit und Verträglichkeit nachgewiesen und publiziert? − Welche (schweren) unerwünschten Ereignisse wurden berichtet? − Wurde zu irgendwelchen Zeitpunkten in den Studien Unterschiede in der Sicherheit (z. B. Immunogenität) oder Verträglichkeit zwischen dem Biosimilar und dem Originalprodukt festgestellt? Postmarketing-Sicherheit und Risikomanagement-Programme − Welche (kurz- und langfristigen) Risikomanagement-Programme sind etabliert? − Pharmakovigilanz-Systeme − Periodische »safety update reports« − Phase-IV-Prüfungen/Register − Wie groß ist der Datenpool im Vergleich zum Datenpool des Originalprodukts? − Wurden in allen klinischen Studien Antikörperbestimmungen durchgeführt? − Unterstützt der Hersteller die Bestimmung von Antikörpern bei den Patienten? − Gibt es weitere zugängliche Informationen? − Open-label-Studien, Fallberichte oder »data-on-file« Sonstige Nutzen − Ist die Kosteneffektivität des Biosimilars vergleichbar mit der Kosteneffektivität des Originalprodukts
− Pharmakoökonomische Studien
97 Literatur
[Bohn et al. 2008]. Die Sensibilität der Krankenhausapotheker für die Nutzen-Risiko-Abwägung ist nicht zuletzt wegen ähnlicher Fragestellungen bei der Auswahl von Blutprodukten (z. B. Faktorenpräparate, Immunglobuline) gegeben. Nur wenn Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit hinreichend ähnlich und ausreichend dokumentiert sind, kann die Anwendung von Biosimilars wegen eines günstigeren Preises verantwortet werden.
Literatur Bohn M, Dörje F, Krämer I. Checkliste zur Bewertung von Biopharmazeutika. Krankenhauspharmazie 2007; 28: 427-35 Crommelin D, et al. Pharmaceutical evaluation of biosimilars: important differences from generic low-molecular-weight pharmaceuticals Eur J Hosp Pharm 2005;11:11–17 EMEA. Guideline on Similar Biological Medicinal Products containing Biotechnology-Derived Proteins as Active Substance: Quality Issues (Adoption by CHMP February 2006). Available from URL:http://www.emea.eu.int/pdfs/human/ biosimilar/4934805en.pdf EMEA. Guideline on Similar Biological Medicinal Products containing Biotechnology-Derived Proteins as Active Substance: Non-Clinical and Clinical Issues (Adoption by CHMP February 2006). Available from URL: http://www.emea. eu.int/pdfs/human/biosimilar/4283205en.pdf EMEA. Guidance on Similar Medicinal Products containing Recombinant Granulocyte-Colony Stimulating Factor (Adoption by CHMP February 2006). Available from URL: http:// www.emea.eu.int/pdfs/human/biosimilar/3132905en. pdf Krämer I, Tredree R, Vulfo A. Points to consider in the evaluation of Biopharmaceuticals. EJHP Practice 2008; 14: 73–76 Mahler H-C, Thiesen J, Krämer I. Qualitätssicherung bei Transport, Lagerung und Handhabung von Biopharmazeutika aus pharmazeutisch-technologischer Sicht. Krankenhauspharmazie 2005;26:303–311 Declerck P. Biologicals in the era of biosimilars: implications for naming and presecribing. EJPP 2007; 13: 51-53. Belsey M.J., Harris L.M., Das R. R., Chertkow J. Biosimilars: initial excitement gives way to reality. Nature reviews/Drug discovery 2006: 5:535-36.
8
9
Good handling practice: Der fachgerechte Umgang mit Biopharmazeutika Irene Krämer
9.1
Stabilität von Biopharmazeutika – 100
9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.5 9.1.6 9.1.7
Chemische Abbaureaktionen – 100 Physikalische Veränderungen – 101 Beeinflussung der Stabilität – 102 Einfluss der Fertigarzneimittel-Formulierung – 102 Temperatureinfluss – 102 Interaktion mit Grenzflächen oder anderen Stoffen – 103 Lichteinfluss – 103
9.2
Umgang mit Biopharmazeutika in Apotheke, Klinik und Arztpraxis – 103
9.2.1 9.2.2 9.2.3
Transport – 103 Lagerung – 104 Vorbereitung zur Anwendung – 105
Literatur – 107
100
9
Kapitel 9 · Good handling practice: Der fachgerechte Umgang mit Biopharmazeutika
Die Qualitätssicherung von Biopharmazeutika bei Herstellung, Transport, Lagerung und Anwendung stellt eine große Herausforderung für die beteiligten Hersteller, Apotheker, Ärzte, Pflegepersonal und auch Patienten dar. Um systemische Wirkung zu erzielen, werden Biopharmazeutika üblicherweise parenteral appliziert und müssen alle Anforderungen an Parenteralia, z. B. Sterilität, Pyrogenfreiheit, Freiheit von Partikeln, erfüllen. Zu den Ausnahmen von der parenteralen Anwendung gehören Proteine zur lokalen Applikation (z. B. Becaplermin [Regranex®]) bzw. Proteine zur Inhalation (z. B. rhDNAse [Pulmozyme®], inhalatives Insulin). Die komplexe chemische Struktur eines Proteins bedingt seine Empfindlichkeit für Abbaureaktionen während Herstellung, Transport, Lagerung oder Anwendung. Verschiedenste Einflussfaktoren, beispielsweise Temperatur, Scherkräfte (Schütteln), Interaktionen mit Grenzflächen (z. B. Infusionszubehör mit großer Oberfläche) oder Interaktionen mit anderen Arzneimitteln, können die Wirksamkeit, aber auch die Unbedenklichkeit (z. B. Immunogenität) dieser Arzneimittel beeinträchtigen.
9.1
Stabilität von Biopharmazeutika
Im Laufe der Herstellung, Lagerung oder Handhabung von Biopharmazeutika können sowohl chemische als auch physikalische Instabilitäten auftreten.
Bei chemischen Abbaureaktionen kommt es zu einer Veränderung von kovalenten Bindungen der Peptidstruktur und es entstehen Produkte mit neuer chemischer Struktur. Typische chemische Abbaureaktionen sind etwa Oxidations-, Hydrolyse-, Desamidierungsreaktionen, Isomerisierungen und Disulfidumlagerungen. Im Falle physikalischer Instabilität wird die räumliche Struktur des Proteins verändert, ohne kovalente Bindungen zu zerstören. Hierzu zählen die Phänomene der Denaturierung, Aggregation, Präzipitation, Assoziation und Oberflächenadsorption von Proteinen. Jedes Protein reagiert unterschiedlich auf die stabilitätsbeeinflussenden Faktoren, doch treten bestimmte Instabilitäten bei bestimmten Aminosäuren (AS) oder Aminosäurefrequenzen häufiger auf (⊡ Tab. 9.1).
9.1.1 Chemische Abbaureaktionen
Oxidationen gehören zu den bedeutendsten Abbaureaktionen von Proteinen sowohl in Lösung als auch in lyophilisierter Form. Sie führen in der Regel zu einer Abnahme der biologischen Aktivität und – falls die Oxidation mit einer Konformationsänderung verknüpft ist (z. B. durch Disulfidbrückenbildung) – auch zu einer Veränderung der Antigenität. Oxidationsreaktionen treten insbesondere bei den AS Methionin, Cystein, Tryptophan, Tyrosin und Histidin auf. Sie werden durch Spuren von Metallionen, wie Kupfer, Eisen, Kalzium, katalysiert. Zur
⊡ Tab. 9.1. Mögliche, durch den Anwender induzierte Instabilitäten von Biopharmazeutika Aktion
Mögliche Instabilitäten
Zu Beachten
Lagerung des Fertigarzneimittels (Temperatur, Licht, Schütteln)
Chemisch (z. B. Desamidierung) Physikalisch (z. B. Aggregation)
Lagerhinweise des Herstellers, z. B. »Nicht einfrieren«, »+2-+8 °C«, Temperaturüberwachung der Lagerung
Lagerung nach Anbruch
Chemisch (z. B. Oxidation) Mikrobiologisch
Lagerhinweise des Herstellers, Cave: Aseptische Arbeitsweise validieren (mikrobiologische Stabilität)
Lagerung nach Rekonstitution (Lyophilisate)
Chemisch (z. B. Desamidierung) Physikalisch (z. B. Aggregation) Mikrobiologisch
Lagerhinweise des Herstellers, Cave: Aseptische Arbeitsweise validieren (mikrobiologische Stabilität)
Herstellen von Infusionslösungen (z. B. mit 0,9% NaCl, 5& Glucose als Trägerlösung)
Chemisch (z. B. pH-Wert, Ionenstärke) Physikalisch (z. B. Aggregation) Mikrobiologisch
Herstellerangaben, Cave: Aseptische Arbeitsweise validieren (mikrobiologische Stabilität)
Parallelinfusion (z. B. mit Zytostatika-Lösungen)
Chemisch (z. B. Alkylierung) Physikalisch (z. B. Aggregation)
Herstellerangaben, in der Regel empfohlen zu vermeiden
101 9.1 · Stabilität von Biopharmazeutika
Minimierung der Oxidation enthalten proteinhaltige Fertigarzneimittel Antioxidanzien wie Reduktionsmittel (z. B. Ascorbinsäure, Natriumbisulfit) oder Chelatbildner (z. B. EDTA bis 0,1%, Zitronensäure). Ebenfalls zur Oxidationsvermeidung werden die Ampullen oder Durchstechflaschen während der Abfüllung zur Verdrängung von Sauerstoff mit Stickstoff oder Argon begast, ein Stabilität begünstigender pH-Wert eingestellt und Lagerung im Kühlschrank und unter Lichtschutz empfohlen. Die Hydrolyse der strukturgebenden Amidbindungen der Peptide führt zu Proteinbruchstücken. Besonders Hydrolyse-empfindlich sind Asparaginsäure-Prolin-Peptidbindungen. Die Hydrolyse der Amidstruktur in der Seitenkette von Asparagin und Glutamin erfolgt insbesondere bei extremen pHWerten und es entstehen Asparaginsäure und Glutaminsäure. Da bei dieser nichtenzymatischen Desamidierung natürlich vorkommende AS entstehen, kann die Abbaureaktion erheblichen Einfluss auf die biologische Aktivität des Proteins, Konformation, Aggregation und Antigenität haben. Die Hydrolyse wird katalysiert durch Basen, Wärme und Ionenstärke. In der Regel ist Asparagin empfindlicher für Desamidierungen als Glutamin. Der optimale pHWert zur Minimierung der Desamidierung ist meistens pH 6. Insbesondere zur Stabilisierung während der Lagerung werden Biopharmazeutika-Fertigarzneimittel mit Pufferlösungen ausreichender Pufferkapazität, wie beispielsweise Succinatpuffer oder Zitratpuffer stabilisiert. Zur Isotonieeinstellung sind Zucker besser geeignet als Salze. Andererseits kann es mit Zuckern durch Kondensation der Aldehydgruppen und Aminogruppen auch zur Bildung von Schiff-Basen kommen. Außer Glycin haben alle AS ein chirales CAtom und aus den L-AS können durch basenkatalysierte Razemisierung die meist inaktiven DEnantiomeren entstehen. Besonders empfindlich für die Razemisierungsreaktion ist Asparaginsäure. Auch die Razemisierung kann durch einen geeigneten Puffer minimiert werden.
9.1.2 Physikalische Veränderungen
Der Verlust der charakteristischen Tertiär- bzw. Sekundärstruktur eines Proteins wird als Dena-
9
turierung bezeichnet. Diese kann reversibel oder irreversibel sein. Da die native und denaturierte (=entfaltete) Form eines Proteins unter physiologischen Bedingungen in einem sensiblen Gleichgewicht vorliegen, können bereits geringe Einflüsse zu dessen Verschiebung und somit zu einer verstärkten Proteindenaturierung führen. Je größer die Energiezufuhr (z. B. durch Wärmezufuhr, Ultraschall, Bestrahlung) ist und pH-Wert-Veränderungen sind, desto eher erfolgt die Aggregation. Zur Vermeidung der Aggregation werden den Fertigarzneimitteln oberflächenaktive Verbindungen (Surfactants) wie Polysorbat 80 zugesetzt. Ebenso werden Polyole, wie Zuckeralkohole und Kohlenhydrate in Konzentrationen von 1–10% zur Proteinstabilisierung zugegeben. Wahrscheinlich reduzieren sie die Wechselwirkung zwischen Protein und Lösungsmittel. Die denaturierten Proteinmoleküle können sich zu größeren, oft aus mehreren tausend Proteinmolekülen bestehenden Strukturen, sog. Aggregaten, zusammenlagern. Die ab einer Größe von etwa 50 μm visuell sichtbaren Protein-Aggregate bezeichnet man als Präzipitate. Auch natives Protein kann unter bestimmten Bedingungen Cluster bilden, was als Proteinassoziation bezeichnet wird (z. B. Insulin Hexamere). Unter Adsorption versteht man die Anlagerung von Proteinen an (fest/flüssig oder flüssig/ flüssig) Grenzflächen, z. B. Primärpackmittel (Durchstechflaschen, Stopfen), Ausrüstung und Materialien während der Herstellung oder auch der Anwendung, z. B. Infusionsschläuche, InlineFiltersysteme. Die Fähigkeit zur Adsorption korreliert mit der Primärstruktur der Proteine und der Akkumulation hydrophober AS. In der Sekundär- und Tertiärstruktur befinden sich die hydrophoben AS im Inneren und die hydrophilen AS auf der Außenseite. An hydrophoben Oberflächen kann sich das Protein entfalten und adsorbieren. Umso größer das Protein ist und umso eher es sich entfaltet, desto wahrscheinlicher erfolgt die Adsorption. Über Disulfidbrücken stabilisierte Proteine adsorbieren mit geringerer Wahrscheinlichkeit. Die Adsorption zeigt eine Sättigungskinetik und erreicht einen Plateauwert, wenn eine dicht gepackte Monolayerschicht des Proteins erreicht ist. Der potentielle Verlust an aktivem Wirkstoff
102
Kapitel 9 · Good handling practice: Der fachgerechte Umgang mit Biopharmazeutika
kann einen hohen Prozentteil der zu applizierenden Dosis ausmachen. In der Regel ist der Adsorptionsprozess irreversibel, wenn nicht Detergenzien (Lösungsvermittler) zugesetzt werden. Nach Adsorption von Proteinen, insbesondere an der Grenzfläche Flüssigkeit/Luft, kann es auch zur Proteindenaturierung und nachfolgend Aggregat-/ Präzipitatbildung kommen.
9.1.3 Beeinflussung der Stabilität
9
Während der Herstellung, Lagerung, Distribution oder Anwendung können verschiedene Faktoren einen kritischen Einfluss auf die Qualität der Biopharmazeutika haben. In der Regel laufen verschiedene chemische und physikalische Abbaureaktionen parallel zueinander ab. Die chemische Stabilität leitet sich von der Primärstruktur ab, während die physikalische Stabilität eher mit der Sekundär- und Tertiärstruktur vorherzusagen ist. Eine große Anzahl hydrophober Aminosäurereste bedingt Adsorption und Aggregation (s. oben).
9.1.4 Einfluss der Fertigarzneimittel-
Formulierung Bereits durch die geeignete Formulierung der Biopharmazeutika, insbesondere der Verwendung geeigneter Stabilisatoren, kann eine Reihe von Abbaureaktionen weitestgehend vermieden werden. Die Identifizierung des optimalen pH-Bereichs für die zu formulierenden Proteine ist essenziell zur Erzielung physiko-chemischer Stabilität. Bestandteile der Protein-Formulierung sind dann Pufferlösungen zur Einstellung und Sicherstellung des als geeignet identifizierten pH-Bereichs, stabilisierende Zusätze wie Surfactants (z. B. Polysorbat 20 oder Polysorbat 80), Aminosäuren (z. B. Arginin, Glycin), Zucker und Polyole (wie z. B. Sucrose, Trehalose) sowie Salze (z. B. Natriumchlorid). Die Art der Hilfsstoffe und deren Konzentration in der Formulierung werden im Rahmen der Formulierungsentwicklung, oftmals mit Hilfe von Stress-Tests, identifiziert. Das Ziel ist dabei die Gewährleistung der Stabilität des Proteins über die gewünschte Lagerzeit und unter der geplanten
Lagerbedingung (für Biopharmazeutika oftmals +2 bis +8 °C), aber auch die Gewährleistung der für Parenteralia erforderlichen Qualitätsparameter, wie Isotonie, Euhydrie, Freiheit von Partikeln. Für die empfindlichen Proteine kommen als Sterilisationsverfahren nur die Sterilfiltration und die aseptische Herstellung in Frage. Konservierungsmittel (z. B. Chlorobutanol, Benzylalkohol) müssen mit Bedacht ausgewählt werden, da sie sich ebenfalls negativ auf die Integrität der Proteine auswirken können. Allerdings erfordern Mehrdosenbehältnisse unabdingbar die Suche und Einarbeitung eines kompatiblen Konservierungsmittels (z. B. Insuline, Somatotropin).
9.1.5 Temperatureinfluss
Biopharmazeutika sind, wie bereits erwähnt, üblicherweise kühl zu lagernde Produkte (Lager- und Versandtemperatur 2–8 °C) und besitzen in der Regel nur begrenzte physiko-chemische Stabilität bei Lagerung unter erhöhten Temperaturen (z. B. +25 °C/60% r.h.) bzw. bei Einfrier-/Auftauvorgängen. Temperaturstress führt oft zur Denaturierung, Aggregation und Desamidierung. Vom pharmazeutischen Unternehmer werden daher nicht nur Untersuchungen zur Stabilität bei empfohlener Lagertemperatur, sondern auch bei erhöhter und erniedrigter Temperatur (Frier-Tau-Tests) durchgeführt. Die Einhaltung und Kontrolle der empfohlenen Lager- und Transportbedingungen ist ein wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung von Biopharmazeutika (oftmals auch als »good storage practices«, »good shipment practices« oder »good cold-chain practices« bezeichnet). Die Hersteller haben die unmittelbare Verantwortung für und die Kontrolle über die korrekte Lagerung und Handhabung der Produkte vom Beginn der Produktion bis zur Ankunft am ersten Lieferpunkt. Zur Qualitätssicherung durch den pharmazeutischen Unternehmer gehört auch im Falle des Transports als Kühlware die Auswahl geeigneter Verpackungen und Packkonfigurationen, die eine konstante Versandtemperatur und Resistenz gegenüber externen Temperatureinflüssen (hohe Temperaturen z. B. im Sommer oder kalte Temperaturen z. B. im Fall von Luftfracht)
103 9.2 · Umgang mit Biopharmazeutika in Apotheke, Klinik und Arztpraxis
gewährleisten sowie die Dokumentation mit geeigneten Systemen (z. B. Data Logger).
9.1.6 Interaktion mit Grenzflächen
oder anderen Stoffen Unter Anwendung von mechanischem Stress auf flüssige (bzw. rekonstituierte) Zubereitungen von Proteinen kann es zu Interaktionen des Proteins an der Grenzfläche »Flüssigkeit/Luft« und damit zum Phänomen der Denaturierung, Aggregation und/oder Präzipitation kommen. Das Ausmaß an manifestierter physikalischer Instabilität korreliert üblicherweise mit dem Ausmaß des mechanischen Stress, beispielsweise in Form von Schütteln. Aus diesem Grund sollte Biopharmazeutika generell nicht verstärkt geschüttelt werden und beim Zubereiten Schaumbildung vermieden werden. Die applikationsfertigen Injektions- und Infusionslösungen müssen frei von Proteinaggregaten sein. Aggregate oder Präzipitate können zum Verstopfen von Infusionszubehör und Filtern und zu unerwünschten Infusionsreaktionen führen. Weitere Grenzflächen sind im Rahmen der Vorbereitung und Anwendung der Biopharmazeutika von Bedeutung. Das Protein kann hier mit Oberflächen von Infusionsbeuteln, Infusionsschläuchen oder Inline-Filtern interagieren. Dabei kann sowohl Protein adsorbieren wie auch denaturieren und/oder aggregieren. Angaben zu kompatiblen und verwendbaren Behältnismaterialien finden sich in den Fachinformationen der biopharmazeutischen Produkte und der Literatur.
9.1.7 Lichteinfluss
Entsprechend der offiziellen ICH-Richtlinie zur Photostabilität werden auch biopharmazeutische Produkte auf die Lichtstabilität im Packmittel geprüft. Da auch Licht einen negativen Einfluss auf die Stabilität von Biopharmazeutika haben kann, beispielsweise durch Induktion von Oxidation oder Aggregation, sollten mögliche Angaben des Herstellers zur Lichtempfindlichkeit Beachtung finden. Die längere Lagerung von Biopharmazeutika im Sonnenlicht empfiehlt sich keinesfalls.
9.2
9
Umgang mit Biopharmazeutika in Apotheke, Klinik und Arztpraxis
Nach der Auslieferung liegt die Verantwortung für den Umgang mit Biopharmazeutika nicht mehr im Bereich des pharmazeutischen Unternehmers. Dieser aber ist bemüht, durch Schulungen und Informationen zur Handhabung der biopharmazeutischen Produkte inklusive Hinweisen zum Verhalten bei Abweichungen von den Vorgaben, die Qualität bis zur Anwendung am Patienten sicherzustellen. Es obliegt jedoch den Anwendern sich mit gesteigertem Bewusstsein der korrekten Handhabung und Lagerung der jeweiligen biopharmazeutischen Produkte auseinander zu setzen. Jedes Produkt hat unterschiedliche Anforderungen, die nicht automatisch auf andere Produkte übertragbar sind. Transport-, Lager- und Anwendungsbedingungen müssen aber auch in der Praxis (einfach) einzuhalten sein. In der Praxis ist allerdings eine hohe Komplexität und Heterogenität der Handhabungsempfehlungen festzustellen.
9.2.1 Transport
Ab dem Wareneingang in der Krankenhausapotheke ist der Krankenhausapotheker für den korrekten Transport und die korrekte Lagerung des Biopharmazeutikums verantwortlich. Für empfindliche Produkte ist eine niedrige Transporttemperatur vorgesehen, für besonders temperaturlabile Proteinarzneimittel besteht Kühlkettenpflicht. Die Kühlkette einzuhalten und zu überwachen kann in der Praxis ein Problem darstellen. Unterbrechungen der Kühlkette können vorkommen bei Verzögerungen im Wareneingang der Apotheke, Verzögerungen im Warenausgang der Apotheke hin zu Stationen, bei der Mikrologistik im Krankenhaus ohne Isolierbehältnisse und Kühlelemente, Verzögerungen im Wareneingang und inkorrekter Lagerung auf Station sowie bei Verzögerungen unmittelbar vor der Applikation. Dabei gilt es zu beachten, dass sich die Zeiten mit Unterbrechung der Kühlkette und erhöhten Lagertemperaturen addieren. Akzeptable Zeiträume für die Lagerung außerhalb des Kühlschranks variieren von Produkt zu
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Kapitel 9 · Good handling practice: Der fachgerechte Umgang mit Biopharmazeutika
Produkt, so dass sich Praxisvorgaben an kürzesten Zeiträumen orientieren müssen. Beispielsweise sollen epoetinhaltige Fertigarzneimittel nach Herstellerangaben nicht außerhalb des Kühlschranks gelagert werden. In Großbritannien empfiehlt die Medicines Control Agency (MCA), dass die Empfänger von Kühlkettenwaren diese längstens 2 h nach Wareneingang in geeignete Lagerbedingungen verbracht haben sollen. Die MCA empfiehlt für Kühlketten-Arzneimittel auch beim Transport kleinerer Mengen, insbesondere wenn viele Distributionspunkte angefahren werden und die Transportzeiten mehr als 3 h betragen, einen Kühltransporter. Bei kurzen Transportzeiten kleiner Mengen kann die Kühllagerung durch eine entsprechende Transportverpackung mit oder ohne Zugabe von Kühlaggregaten sichergestellt werden. Bei Benutzung von Kühlaggregaten ist darauf zu achten, dass kein direkter Kontakt mit dem Arzneimittel besteht, der durch zu niedrige Temperaturen zur physikalischen Instabilität führen könnte. Aufwendige Temperaturüberwachungsgeräte werden im Krankenhaus nicht routinemäßig für den Transport von kühlkettenpflichtigen Arzneimitteln eingesetzt, sind aber aus dem Transport von klinischen Prüfpräparaten bekannt. Weniger aufwändig sind Temperaturindikatorstreifen, die allerdings nur eine qualitative Information über die Umgebungstemperatur geben, aber nicht darüber, wie lange das Produkt dieser Temperatur ausgesetzt war. Der Transport innerhalb des Krankenhauses mit Rohrpost sollte für Proteinarzneimittel wegen der starken Erschütterung und resultierender physikalischer Instabilität vermieden werden. In jedem Injektions- oder Infusionsbehältnis gibt es einen luftgefüllten Überstand und durch intensives Schütteln wird die Grenzfläche Luft/Wasser derart vergrößert, dass Adsorption an der hydrophoben Grenzfläche gefördert wird. Die Wahrscheinlichkeit einer nicht korrekten Handhabung wird umso größer, je mehr und je länger die Distributionswege werden, je mehr Distributionspunkte und je weniger qualifiziertes Personal involviert sind. Dies spricht für die patientenbezogene Zubereitung und Distribution von Proteinarzneimitteln aus der Krankenhausapotheke und die Versorgung ambulant behandelter Patienten im Krankenhaus durch die Krankenhausapotheke.
Kritisch zu beurteilen sind besonders Transporte im PKW im Sommer durch uninformierte Patienten (z.B. von epoetinhaltigen Fertigarzneimitteln). Aber auch der Einsatz von Parallelimporten von Biopharmazeutika mit nicht kontrollierbaren Distributionswegen und Distributionsbedingungen ist zu hinterfragen. Eine gute Distributionspraxis mit gesicherten und kontrollierten Vertriebswegen ist für die einwandfreie Qualität von Proteinarzneimitteln wichtig.
9.2.2 Lagerung
Für die Mehrzahl der Proteinarzneimittel ist zur Sicherstellung der Integrität die Kühlschranklagerung vom Hersteller vorgesehen und deklariert. Der falsche Umgang mit temperaturempfindlichen Arzneimitteln kann durch Unachtsamkeit, mangelndes Bewusstsein aber auch durch mangelnde Information bedingt sein. Die Lagerung temperaturempfindlicher Produkte in Apothekenkühlschränken bedarf der Überwachung der Lagertemperatur. Optimal ist die kontinuierliche Überwachung mit Anschluss an ein ununterbrochenes zentrales Alarmsystem. Alternativ kann die Temperaturkontrolle mit Minimum-Maximum-Thermometern und täglicher Kontrolle und Dokumentation der abgelesenen Temperatur erfolgen. Die Pflicht zur Temperaturüberwachung gilt auch für die Kühlschränke auf den Stationen und Teileinheiten des Krankenhauses und in der Arztpraxis. Hochwertige Medikamentenkühlschranke sind auch hier für die Lagerung von Arzneimitteln zu bevorzugen. Bei Haushaltskühlschränken ist die gleichmäßige Temperatureinhaltung in allen Kühlschrankbereichen nicht immer gegeben. Auch muss darauf geachtet werden, dass die Luftzirkulation nicht durch Überfüllung behindert wird und die Arzneimittel nicht in Kontakt mit dem Gefrierfach gelagert werden. Für den Ausfall des Kühlsystems oder auch fälschliches Gefrieren empfiehlt es sich eine Verfahrensanweisung zu erarbeiten. In Abhängigkeit von der Dauer der erhöhten Lagertemperatur können verschiedene Maßnahmen erforderlich sein. Diese reichen von der normalen Weiterverwendung über eine Verkürzung des Haltbarkeitszeitraums bis zur notwendig gewordenen Vernichtung des gesamten
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Vorrats. Letzteres bedeutet einen finanziellen Nachteil, der in der Regel nicht durch eine Versicherung abgedeckt ist. Informationen über die notwendigen Konsequenzen stehen nicht ohne weiteres zur Verfügung. In der Regel wird man als erstes die Hersteller fragen. Diesen stellen Informationen für konkrete Zeit- und Temperaturbedingungen nicht ohne weiteres zur Verfügung bzw. es ist ihnen nicht erlaubt, eine zur SmPC (»summary of product characteristics«, Fachinformation) abweichende Empfehlung zu geben. Weitere Informationsquellen sind Datenbanken wie »Drugdex« oder Printmedien wie das »Handbook on injectable drugs« oder »American Hospital Formulary Service«. Wünschenswert wäre ein vom Berufsstand getragenes »Kühlkettenmanagement-Informationszentrum« (z. B. in Deutschland beim Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker), bei dem die Informationen zusammengetragen, dokumentiert und qualifiziert abgefragt werden können.
9.2.3 Vorbereitung zur Anwendung
Auch bei der Anwendung von Proteinarzneimitteln bedarf es im Vergleich zu Nicht-Proteinarzneimitteln besonderer Sorgfalt (s. auch ⊡ Tab. 9.1). Biopharmazeutika sollten nur entsprechend den Angaben des pharmazeutischen Unternehmers angewendet bzw. verdünnt werden, da auch hier Instabilitätsreaktionen auftreten können, die entweder manifest werden (z. B. Entstehung sichtbarer Partikel, Erhöhung der Trübung, Verfärbung der Lösung) oder auch larviert sein können (z. B. kovalente Reaktion des Proteins mit Bestandteilen der Infusionslösung, Denaturierung des Proteins und damit Verlust der biologischen Aktivität, Oxidation, Photolyse). Wichtig ist auch hier, die vom Hersteller empfohlenen Bedingungen hinsichtlich der Handhabung (Rekonstitution, Verdünnungslösung, Vermeidung von Schütteln und Schaumbildung, Temperatur etc.) konsequent einzuhalten. Bedingungen, die für ein Proteinarzneimittel günstig sind, können für andere Proteinarzneimittel von Nachteil sein. Vor der Applikation sollen die Proteinarzneimittel dem Kühlschrank entnommen und allmählich über 10–15 min auf Raumtemperatur erwärmt werden. Keinesfalls sollten andere Arten der Er-
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wärmung, wie z. B. in der Mikrowelle, zur Anwendung kommen. Wenn das Fertigarzneimittel vor der Anwendung zu rekonstituieren oder zur Infusion in eine Trägerlösung zu überführen ist, müssen vorgesehene Art und Menge der rekonstituierten Lösung oder Infusionsträgerlösung unbedingt eingehalten werden. Falls das Rekonstituens nicht zusammen mit dem Produkt geliefert wird, sollten der Auswahl und Menge des Lösungsmittels zur Rekonstitution und der Stabilität nach Rekonstitution (»in use stability«) besondere Beachtung geschenkt werden. Möglicherweise bestehen auch Empfehlungen hinsichtlich der Art des Zuspritzens von Rekonstituens und Art des Auflösens (z. B. »leicht schwenken«), um Schaumbildung oder Instabilitäten zu vermeiden. Schütteln bei der Rekonstitution oder Verdünnung ist in der Regel nachteilig für die physikalische Stabilität und führt durch Schaumbildung zur Dosierungsungenauigkeit, Luftalarm bei der Applikation per Pumpe und kann auch Partikel nicht erkennen lassen. Die bei der Rekonstitution oder Entnahme von Lösung häufig verwendeten »Spikes« sind wegen möglicher Partikelausstanzung nicht immer zum Durchstechen der Stopfen der Injektionsfläschchen geeignet. Die bei der Verwendung von »Spikes« automatisch in die Flasche eintretende Luft verursacht wiederum Schaumbildung. Die dabei auftretenden Scherkräfte an der Grenzfläche Flüssigkeit/ Luft haben aber keine bzw. nur geringe Auswirkungen auf die Integrität des Proteinarzneimittels. Auch bei der Auswahl des Primärpackmittels der Infusionsträgerlösung sind Inkompatibilitäten zu beachten und empfohlene Behältnismaterialien wie PE, PP oder auch PVC einzusetzen. Adsorptionsphänomene sind beispielsweise für Insulin, Filgrastim und Interleukin-2 bekannt. Die Adsorption hängt u. a. von der Konzentration des Proteinarzneimittels, der Größe der Behältnisoberfläche und der Kontaktzeit ab. Je niedriger die applizierte Dosis und die Konzentration ist, umso relevanter ist der Verlust. Um eine Adsorption zu verhindern, kann unter Umständen der Zusatz von Substanzen wie Humanalbumin (HA) (z. B. bei starken Verdünnungen von Filgrastim) erforderlich sein. Wenn stabilisierende Zusätze für verdünnte Infusions- oder Injektionslösungen von Proteinarzneimitteln erforderlich sind, muss zunächst
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Kapitel 9 · Good handling practice: Der fachgerechte Umgang mit Biopharmazeutika
der stabilisierende Zusatz (z. B. HA) zur Trägerlösung gegeben werden und erst anschließend das Proteinarzneimittel. Die zur Zubereitung oder als Primärpackmittel benutzten Einmalspritzen sind häufig zur Verbesserung der Gleitfähigkeit silikonisiert, was zur Adsorption des Proteins an das Silikon und zur Inaktivierung führen kann. Dieses Problem ist aus der Herstellung von Protein-Fertigarzneimitteln bekannt. Silikonisierte Elastomerstopfen für Ampullenflaschen führten zu erheblichen Adsorptionsproblemen und wurden durch Teflon beschichtete Stopfen ersetzt. Häufig werden zur Applikation von Proteinarzneimitteln Partikelfilter empfohlen. Es ist darauf zu achten, dass es sich um Filter mit der empfohlenen Porengröße (5 μm oder 1,2 μm Partikelfilter oder 0,2 μm Bakterienfilter) und aus geeigneten Filtermembranen mit niedrigem proteinbindendem Potential (z. B. Polykarbonat, Polyethersulfon, Polyvinyldifluorid) handelt, da andernfalls eine Unterdosierung resultieren kann. Gleiches gilt für das gesamte Applikationssystem, das aus kompatiblem Material (z. B. PE) bestehen muss. Infusions- und Injektionsleitungen bilden beträchtliche Oberflächen, an denen es zu Adsorption und Wirkungsverlust kommen kann. Das aus einem Silikonschlauch bestehende Pumpensegment von Infusionssystemen führt zur Aggregation von Insulin, so dass Insulininfusionen mit Infusionspumpen vermieden werden sollten. Extrem lichtempfindlich ist die Infusionslösung von Gemtuzumab Ozogamicin, für die Vorratsbehältnis und Infusionssystem lichtgeschützt werden müssen. Mischinfusionen von Proteinarzneimitteln mit anderen (Protein)arzneimitteln sind auf jeden Fall zu vermeiden und Infusionsmischungen in gemeinsamen Endstrecken bei Parallelinfusion nur bei nachgewiesener Kompatibilität verantwortbar. Es könnte dabei durch Änderung von pHWert oder Ionenstärke oder durch die Verdünnung der in der unverdünnten Formulierung adäquaten Menge von Stabilisatoren Proteinaggregation induziert werden. Prüfparameter wie pH, Titrationsazidität, Färbung, Trübung und Fällung liefern keine ausreichende Aussage über die Kompatibilität der Biopharmazeutika. Nur wenige experimentelle Untersuchungen belegen eine Kompatibilität für Proteinarzneimittel bei der Parallelinfusion. In
vielen Fällen wird bei solchen Untersuchungen das Auftreten von Partikeln und Fäden beobachtet. Die komplexe Zubereitung applikationsfertiger Lösungen spricht für die Zubereitung durch geschultes pharmazeutisches Personal und die komplexe Anwendung für Schulungsmaßnahmen des Pflegepersonals durch den Krankenhausapotheker. Jede applikationsfertige Zubereitung muss mit Datum und Uhrzeit versehen werden, um die Verwendbarkeit jederzeit beurteilen zu können. Für Palivizumab (Synagis®) gibt die Fachinformation beispielsweise vor, dass rekonstituierte Lösungen 20 min stehen zu lassen und innerhalb spätestens 3 h anzuwenden sind, da die Lösung kein Konservierungsmittel enthält. Bei Zubereitung unter kontrollierten und validierten aseptischen Bedingungen obliegt dem verantwortlichen Apotheker die Festlegung der Haltbarkeitsfrist. Dieser wird die Information verwenden können, dass rekonstituierte Lösungen von Palivizumab bei Lagerung im Kühlschrank (-2 bis +8 °C) bis 2 Jahre physikalisch-chemisch stabil sind und bei nachgewiesener Sterilität von mindestens 10 Tagen nach Erstanbruch durch die Verwendung von Restmengen auch bedeutende Einsparungen möglich sind. Eine flüssige Formulierung von Palivizumab befindet sich derzeit in klinischer Prüfung. Doch findet man derartige Informationen selten. Bei den meisten Biopharmazeutika endet die Suche nach Informationen in den Fachinformationen bei dem Satz: »...wird die Lösung nicht unverzüglich appliziert, unterliegen Dauer und Bedingungen für die Aufbewahrung nach Rekonstitution der Verantwortung des Anwenders«. Dieser bezieht sich eigentlich auf die mikrobiologische Stabilität, doch besteht zweifelsohne Forschungsbedarf zur physikalisch-chemischen Stabilität von Proteinarzneimitteln unter Praxisbedingungen. Wünschenswert wäre hier eine Zusammenarbeit zwischen pharmazeutischen Herstellern, pharmazeutischen Instituten und Krankenhausapothekern, um Methodenkompetenz und finanziellen Aufwand zu teilen. Bei Integrität des Primärpackmittels kann vor Erstanbruch von einer Sterilität des zur parenteralen Anwendung bestimmten Biopharmazeutikums ausgegangen werden. Bei Anbruch, beispielsweise beim Aufziehen des flüssigen Proteinarzneimittels
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oder der Rekonstitution eines gefriergetrockneten Arzneimittels (Lyophilisat), kann es unbeabsichtigt zu einer mikrobiellen Kontamination kommen. Die mikrobielle Kontamination von nicht (ausreichend) konservierten Biopharmazeutika kann zur Vermehrung der Mikroorganismen in der Proteinlösung und durch Freisetzung von Proteasen möglicherweise zum Abbau des Proteins führen. Zur Anwendung vorbereitete Injektions- und Infusionslösungen müssen sofort verwendet werden, wenn Rekonstitution, Verdünnung bzw. Entnahme nicht unter kontrollierten und validierten aseptischen Bedingungen vorgenommen wurden. Da die Bedingungen des Öffnens, der Rekonstitution, Lagerung etc. oftmals vom pharmazeutischen Unternehmer schwer vorhersagbar sind, liegt die mikrobiologische Stabilität in der Verantwortung des Anwenders und beträgt üblicherweise nicht länger als 24 h bei +2 bis +8 °C (siehe dazu auch die Note for Guidance CMPM/QWP/159/96). Bei Herstellung in der Krankenhausapotheke unter kontrollierten aseptischen Bedingungen kann, sofern physikalisch-chemische Stabilität gegeben ist, eine Haltbarkeitsfrist von mindestens 72 h (bevorzugt bei Kühllagerung) deklariert werden. Die »United States Pharmacopoeia Monographie <797>« sieht für diese aseptisch hergestellten, applikationsfertigen Zubereitungen der Niedrigrisikostufe eine mikrobiologische Haltbarkeit von 48 h bei Raumtemperaturlagerung und 14 Tage bei Kühlschranklagerung vor.
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Stichwortverzeichnis
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Stichwortverzeichnis
A Absolutmethoden 7 ACE-Hemmer 41 Activase tPA 25 adaptive Immunität 64 Adenovirus 30 Adhäsionsmoleküle 47 Adipositas 49 Adsorption 101 Affinität 66 Affinitätschromatographie 7 Agalsidase alfa 5 Agalsidase beta 5 Agglutinine 67 Aggregat 101 Aids 17 Akut-Phase-Protein 41 Alphahelixstruktur 3 Alphaviren 31 Aminosäuren 2 Aminosäuresequenz 3 Anämie 14, 39 − renale 40, 81 Anaphylaxie 69 Anergie 67 Antibiotikaresistenzgen 9 Antibiotikum 28 Antigene 64 − heterophile 67 Antigenität 73 Antioxidanzien 101 Apoptose 56, 67 Arzneibuch-Monographie 89 Arzneimittel − biologisch ähnliche 76 − biologische 76 − chemisch-synthetische 76 Asialoglykoproteinrezeptoren 38 Asparagin N-glykosidisch 38 Asparaginsäure 3 Anthrazykline 50 Antibiotika 88 AT1-Rezeptorblocker 41 AUC 81 Autographa californica Nucleopolyhedrovirus 31
Autoimmunität 68 Avidität 67
B »baby hamster kidney« 17, 26, 39 Babyhamster-Nierenzelle (BHK-21) 26 Baculoviren 31 Baculovirusvektoren 16 Bakteriophagen 12, 13, 15 Batch-Kultur 29 Betafaltblattstruktur 3 BHK (»baby hamster kidney«) 17, 26, 39 Bindungen − kovalente 4 Bindungen, nichtkovalente 4 Bioassay 7, 71, 88 Biologika 76 Biopharmazeutikum 2, 87 Biosimilars 18, 76, 86 Biotinylierung 5 Biuret 7 Blastenstimulation 53 Blutgerinnungsfaktoren 20 Blutstammzellen, periphere 82 Blutstammzell-Transplantation 48 − periphere 53 Blutstillungsstörungen 14 B-Lymphozyten 64 Bronchialkarzinom 50 Bulkprodukt 9 B-Zellaktivierung 70
C CD3 64 CD4 64 CD8 64 CD40-Ligand 67 cDNA 13
CEPO 40 CERA (»continuous erythropoietin receptor activator«) 40, 41 Chaperone 5 Chemotherapie 50, 52 Chemotherapie-induzierte Neutropenie (CINP) 82 Chicken-alpha-actin-Gen 26 »Chinese hamster ovary« 24, 39 CHMP-Leitlinie 77 CHO (»Chinese hamster ovary«) 17, 24, 39 CHO-DG44 26, 32 CHO-DUKX 26 CHO-DUK-XB11 26 CHO-DXB11 26 CHO-K1 26, 32 Chromatographie 6, 88 Cmax 81 CMV-Retinitis 56 »colony-stimulation factor« 47 Committee for Medicinal Products for Human Use 76 »connecting-peptide« 19 »continuous erythropoesis receptor activator« 40 »copy DNA« 13 COS (»African green monkey kidney«) 17 CpG-Dinukleotide 27 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 20 Cross-over-Studien 81 CXCL12 47 CXCR4 47 Cytosinmethylierung 27
D DA Biological Response Modifiers Advisory Committee 72 Darbepoetin α 21, 39, 41 Deletion 67 Denaturierung 103 dendritische Zelle 65 Desamidierung 101 Detergenzien 102
111 Stichwortverzeichnis
DG44 17 dhfr-Allel 26 Diabetes mellitus 49 Differential Scanning Calorimetry 7 Dihydrofolatreduktase-Aktivität 26 Disulfidbrücken 3, 4, 6, 7, 18, 66, 101 DNA, rekombinante 13, 24 »down stream processing« 9
E E. coli 9, 15, 47 Edman-Abbau 7 Elektrophorese 6, 20 Elektroporation 17 ELISA 7, 71 Elongationsfaktor-1-alpha-Gen 26 EMEA-Guidelines 89 Endotoxin 19 Endozytose 65 Enhancer 9 »enzyme linked immunosorbent assay« 7, 71 Epitop 65 Epoetin alfa 21, 39, 41 Epoetin beta 21, 39, 41 Epoetin omega 21, 39 Epogen 39 Epstein-Barr-Virus 30 ereignisfreie Überleben (EFS) 53 Erythropoetin 25, 38, 78, 81, 86 Eukaryote 15, 16 Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) 76, 86 European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA) 76, 86 Exon 13 Expression 9 Expressionsvektor 9, 15 Extraktion 9
F Fed-Batch-Kultur 29 Ferroportin-1 41 Filgrastim 20, 47, 90, 105 Filgrastim, pegyliertes 47 Fluoreszenzdetektion 6 Fokussierung, isoelektrische 6 Follow-on Biologic 18 Formylmethionin 19 Fourier-Transformed-Infrarotspektroskopie 6 Frier-Tau-Test 102 »full-length«-Gen 26
G Ganciclovir-Therapie 56 GCSF-Biosimilars 82, 90 Gedächtnis, immunologisches 64 Gelelektrophorese 6 Gelpermeationschromatographie 6 Genamplifikation 28 Generika 76, 86 Gene Silencing 27 Genexpression, transiente 24 Gentechnikgesetz (GenTG) 17 gentechnisch veränderter Organismus (GVO) 17 Gentransfer, horizontaler 12 Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tPA oder Activase) 25 Glycin 26 Glykoproteine 2 Glykosilierung 5 Golgi-Apparat 5, 18 »good cold-chain practices« 102 »good storage practices« 102 Graft-versus-host-Krankheit (GvHD) 53 Granulozyten, basophile 66 Granulozyten-Kolonien stimulierender Faktor (G-CSF) 20, 78, 86, 89
A–H
Granulozyten-Monozyten-koloniestimulierende Faktor (GM-CSF) 46 Granulozyten, neutrophiler 47 Größenausschlusschromatographie 6 Guideline on Similar Biological Medicinal Products 77 Guideline on Similar Biological Medicinal Products containing Biotechnology-derived Proteins as Active Substance – Non Clinical and Clinical Issues 79, 89 Guideline on Similar Biological Medicinal Products containing Biotechnology-derived Proteins as Active Substance: Quality Issues 78, 89 Guideline on Similar Medicinal Products CHMP/437/0 89
H Haarnadel-beta-Motiv 4 Haarnadelschleife 3 Hämatopoese 56 Hämatopoetische Stammzellen 94 Hämatopoetische Wachstumsfaktoren (HGF) 46 Hämophile 20 H-Brücken 3 HEK-293 30 HEK (»human embryonic kidney«) 17, 30 Hepatitis C 80 Hepcidin 41 Herzinsuffizienz, chronische 41 Herz-Kreislauf-Erkrankungen 14 High-Mannose-Formen 32 Histidin 3 HIV-Infektion 56, 82, 90 Hochdosischemotherapie 53 Homodimere 38 Homöostase 68
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Stichwortverzeichnis
horizontaler Gentransfer 12 Housekeeping-Gene 26 HT-1080 (»human fibrosarcoma«) 17 Humaninsulin 69, 86 Humanserumalbumin (HSA) 105 Hydrolyse 101 Hydrophobizität 18 Hyperkalziämie 19 Hypermutation 64 Hypertonie, arterielle 42 Hypotension 53 Hypoxanthin 26
I ICH-Richtlinie 103 IFN-γ 72 IL-2 64 IL-4 64 IL-5 64 ILMA 71 Immunglobulinklassen 66 Immunkompetente Zellen 64 Immunoblot 6 Immunogenität 63, 73 Immunogenitätspotential 7, 88 immunologisches Gedächtnis 64 »immunoluminometric assay« 71 »immunoradiometric assay« 71 Immunsystem 64 Impfstoffe 24 »inclusion bodies« 16 Inline-Filtersysteme 101 Insulin 3, 69, 78, 89, 105 Insulinresistenz 69 Interferon α 20, 80 Interferon γ 64 Interleukin-2 64, 105 Intron 13 »inuse stability« 105 In-vitro-Bioassays 90 In-vitro-Mutagenese 13 IRMA 71
isoelektrische Fokussierung 6 isoelektrischer Punkt 3 Isoformen 6, 87
J JAK-2/STAT-5 38 Janus Kinase 38
K Kalzitonin 19 Kalziumphosphat 27 Kapillarelektrophorese 6 Karzinom 17 Klonierung 9 Knochenmark 47, 64 Knochenmark-Stromazellen 47 Knochenmarktransplantation 20, 48, 53 Knochenmarkversagen 56 Konjugation 12 Kotransfektionen 26 Krankenhausapotheke 95 Kühlkettenmanagement-Informationszentrum 105 Kühlkettenpflicht 103
L »large scale transient expression« 31 Leitlinie EMEA/CHMP/42832/2005 79 Lenograstim 20, 47, 90 Leukämie 48 Leukozyten 48 Leukozytenapherese 48 Lichtstabilität 103 Ligase 13, 28 »light scattering« 6 »limiting dilution« 28
Liposomen, kationische 27 Lowry-Methode 7 Lymphozytenklone 68
M Maillard-Reaktion 32 Makrophage 65 Mammakarzinom 52 Mammakarzinomzelllinie C127 20 Marker, pharmakodynamische 80 Masterzellbank 5, 17 menschliche embryonale Nierenzellen (HEK-293) 26 Messenger-RNA 13 Methionin 47 Methylierung 5 MHC-II-Peptid 64 MHC-I-Peptid 64 Mikrocarrier 29 Mikroheterogenität 6, 10 Mikroinjektion 27 Missense-Mutation 26 »molecular targeting« 86 Monomer 4 Mono-Methoxy-Polyäthylenglykol (PEG) 20 Morbus Paget 19 mRNA 13 murine Myelomzellen (NS0) 26 Mutagenese 21, 26 Muteine 19 Myelosuppression 48
N Natriumdodecylsulfat-PolyamidGelelektrophorese 6 N-Bestimmung nach Kjeldahl 7 Neoplasie 14, 50 Nephropathie 40 NESP (»novel erythropoesis stimulating protein«) 38
113 Stichwortverzeichnis
Neulasta® 47 Neuraminsäurederivate 38 Neutropenie 20, 48, 83, 90 − afebrile 52 − Chemotherapie-induzierte 48, 90 − febrile 48 N-Glykan 20 N-Glykosilierung 5 Niereninsuffizienz, chronische 40 Ninhydrin 7 NS0-Zelllinie 28
O O-Glykan 18, 20 O-Glykosilierungen 5, 47 Ontogenese 64 Osteomalazie 19 Oxidation 100
P Paratope 66 Partikelfilter 106 Pegfilgrastim 20, 47 PEG-Filgrastim 90 Pegylierung 21, 40, 47 »peptide mapping« 7 Peptidkartierung 7 Phage λ 12 Pharmakovigilanz 77 Pharmakovigilanzplan 94 Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K) 39 Phosphorylierung 5 PI3K/AKT 38 Plasmid 12, 15 Plasmidtransfektionen, Multiple 26 Plasmidvektoren 26 Pneumonie 53 Polyethylenimin 27
Polymere, kationische 27 Polymerkugel 29 Polyol 101 Polypeptid 83 Polypeptide, rekombinante 76 Polysaccharid 18 Poolen 8 Präzipitat 101 Präzipitation 103 Primärsequenz 3 Priming-Effekt 53 Prionen 19 Progenitorzellen 38 progressionsfreies Überleben (PFS) 55 Prohormon 19 Proinsulin 19 Prokaryoten 13, 15 Promotor 9, 15, 26 Proteasen 16, 107 Proteasom 5 Proteinanalyse 6, 88 Proteinarzneimittel 25, 103 Proteinbestimmung − nach Bradford 7 − nach Lowry 7 Proteinbiosynthese 18 Proteindenaturierung 102 Proteindomänen 4 Proteine, rekombinante 13, 24 Proteinkette, parallele 3 Proteinkette, antiparallele 3 Protein-Tyrosin-Kinase 38 proteolytische Spaltung 5
R Radiochemotherapie 52 Radioimmunoassay 7 »radioimmunoprecipitation« 71 Radiotherapie 50 Rekombinantes humanes Wachstumshormon 19 Rekombination 13 Rekonstitution 105
H–S
Renale Anämie 40 Resistenzgen 28 Restriktionsenzym 13 Retroviren 9, 15, 25 »reversed phase high pressure liquid chromatography« (RP-HPLC) 6 Rezeptor-Bindungs-Studien 81 rHuEPO 39 rHuEPO α 41 rHuEPO β 41 RIA 7 Ribosom 5 Rinderinsulin 69 RIP 71 Röntgen-Diffraktionsanalyse 5 Rous-Sarkom-Virus 26 Rührkessel-Bioreaktor 29
S Saatgutsystem 5, 88 Scaling up 10, 25 S. cerevisiae 16 Schiff-Basen 101 Schweineinsulin 69 Screening-Assay 81 Sekundärprophylaxe 52 Selektion, dominante 15 Selektionsmarker 28 Semliki-Forest-Virus 31 Sepsis 49 Serin O-glykosidisch 38 Sf9-Zellen 16 Shuntthrombose 42 Sialidose 38 Sialinsäure 38 Signalpeptide 15 Simian-Virus 40 34 Sindbis-Virus 31 »site-directed mutagenesis« 19 »size exclusion chromatography« 6 »sodium dodecyl sulfate« 6
114
Stichwortverzeichnis
Somatostatin 14 Somatropin 78, 89 Southern-Blot-Analyse 9 Spaltung, proteolytische 5 Spektroskopie 6, 88 Spikes 105 Spiking 9 Stammzellen, hämatopoetische 94 Stammzellhoming 47 Stammzellmobilisierung 56, 94 Stammzelltransplantation − allogene 53 − autologe 53 STAT-5 (»signal transducer and activator of transcription«) 38 Sterilfiltration 102 »sticky ends« 13 Streptokinase 69 Succinatpuffer 101 Sulfatierung 5 »summary of product characteristics« 105 Surfactant 101 Surrogatmarker 80 SV40-Large-T-Antigen 30 SV40-Mutant 17 SV40-Virus 17, 26
T T4-Lymphozyten 64 T8-Lymphozyten 64 Teilgen-Switching 67 Temperaturindikatorstreifen 104 Tertiärstruktur 4 TH1-Zellen 64 TH2-Zellen 64 Therapie − myeloablative 82 Thrombolysetherapie 25 Thymidin 26 Thymus 64 Tiermodell-basierter Assay 81 T-Killerzellen 64 T-Lymphozyten 64
T-Lymphozytenrezeptoren 64 Transduktion 12 transgene Tiere 14 Transkriptase, reverse 9 »trimming« 18 T-Zellaktivierung 70
U »up stream process« 9
V Vakzinierung 69 Vektoren, virale 17 Verfahrensanweisung 104 Virusvektoren 26
W Wachstumsfaktoren, myeloische 48 Westernblot 6 Wirtsorganismus 5 Wirtszelle 9 Wirt-Vektor-System 7, 13, 69 »wobble« 26 »working cell bank« 17
Z Zellbank 9 Zelle, dendritische 65 Zellproliferations-Assays 81 Zirkulardichroismus-Spektroskopie 6 Zitratpuffer 101 Zwitterionen 3 Zytokine 47 Zytopenie 56