Nr. 430
Razamon, der Spion Unterwegs im Auftrag des Neffen von Marianne Sydow
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Nr. 430
Razamon, der Spion Unterwegs im Auftrag des Neffen von Marianne Sydow
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Während auch nach Thalias Tod für den Arkoniden die kosmische Odyssee weiter geht – und zwar von Säggallo zum Planeten Ghyx und von dort zum Stern der Läute rung –, wenden wir uns nun einem Pthorer zu, der vor längerer Zeit vom Dimensions fahrstuhl spurlos verschwand und der inzwischen auch eine Reihe turbulenter Aben teuer überstanden hat. Wir meinen Razamon, den Berserker. Er erhält von Duuhl Larx, dem Herrscher des Rghul-Reviers, einen Spezialauftrag und wird RAZAMON, DER SPION …
Razamon, der Spion
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Die Hautpersonen des Romans:
Duuhl Larx - Beherrscher des Rghul-Reviers.
Razamon - Der Berserker übernimmt einen gefährlichen Auftrag.
Altthargo - Ein einsamer und redseliger Roboter.
Peleff - Der Valvke verrät seine Retter.
Onfan-Parg - Kommandant der WARQUIENT.
1. Razamon zog die Brustplatte seiner Ro botausrüstung fest, klappte das Visier herun ter und befahl dem Portal, sich zu öffnen. Regungslos blieb er stehen und sah zu, wie die Schneise sich bildete. Er musterte den schmalen Weg sorgfältig. Noch heute schau derte es ihn, wenn er daran dachte, wie sorg los er beim erstenmal durch die gestaffelten Schutzschirme gegangen war. Inzwischen wußte er, daß ein falscher Schritt das Ende bedeutete. Durch die flirrenden Energie schleier hindurch sah er drei Trugen, die jen seits der Schirme an einem Kristallbrunnen standen und sich den Anschein gaben, als wären sie in eine harmlose Plauderei ver tieft. Eben verabschiedete sich eines der großen, kastenförmigen Wesen und schlen derte davon. Razamon lächelte bitter im Schutz des Visiers. Ihn konnten die Trugen nicht täuschen. Er wußte sehr genau, was als nächstes geschehen würde. Der Truge gab die Meldung wahrscheinlich schon in die sem Augenblick an den nächsten Warnpo sten weiter. Danach würde sich die Warnung wie ein Lauffeuer über den ganzen Palast komplex verbreiten. »Varkun geht um. Bringt euch in Sicher heit!« Varkun – so hatten die Bewohner von Harrytho den Mann in der grauen Eisenrü stung getauft, seit er vor nunmehr zwei Wo chen eine Gruppe von Verschwörern ausge hoben und dem Neffen ausgeliefert hatte. Varkun war ein Wort aus der Sprache der Trugen, und es bedeutete »Verräter«. Es war absurd, daß ausgerechnet die schlimmsten Ganoven von Cagendar Razamon mit die sem Schimpfnamen belegten. Allerdings
mußte er ihnen zugute halten, daß sie seinen wirklichen Namen nicht kannten, bezie hungsweise für nicht mehr aktuell hielten. Offiziell war der Pthorer Razamon tot. Das Blut des Neffen hatte ihn umgebracht, als Duuhl Larx den Berserker zu seinem Trans fusionsgebundenen machen wollte. Raza mon selbst hatte den Höflingen die traurige Nachricht verkündet, und da er in der Maske des Neffen auftrat, glaubte man ihm jedes Wort. Aber bald war es ihm zu unbequem geworden, ständig in der flammenden Ener giesphäre als Duuhl Larx durch die Gegend zu geistern, und er nahm die Außenhaut ei nes humanoid geformten Roboters, um sich daraus eine Tarnung zu basteln. Die Schneise war offen, und er stapfte los. Die Rüstung klirrte und rasselte bei jedem Schritt, daß man es weithin hörte. Wer ein schlechtes Gewissen hatte und dieses Ras seln hörte, der wandte sich eilig zur Flucht. Man hätte meinen sollen, daß dem Verräter schreck von Harrytho dies ein Dorn im Au ge war und er sich bemühte, diesen Effekt zu beseitigen. Razamon tat das nicht. Seine Feinde hielten es für einen Ausdruck von Sadismus. Wie hätten sie auch wissen sol len, in welcher Zwickmühle Varkun steckte? Es war unnatürlich still um ihn herum. In Harrytho ging es nie sehr geräuschvoll zu. Es gab auch keine Tiere in dieser mit Schät zen und Kunstwerken überladenen Land schaft. Aber wo Razamon auftauchte, da wuchs die Stille, bis man glaubte, sie mit den Händen greifen zu können. Nur der Wind strich wimmernd um die zahllosen Statuen, und aus der Ferne klangen die kla genden Stimmen der singenden Kristallblu men vom Planeten Gafghar. Razamon hielt gewohnheitsmäßig Ausschau nach der Sphä re des Neffen. Aber Duuhl Larx ließ sich nur
4 noch selten hier draußen blicken. Razamon war auf der Jagd nach Verrä tern, aber er konnte sich nicht richtig auf diese Aufgabe konzentrieren. Es widerte ihn an, den Höflingen von Cagendar nachzuspü ren und sich ihrer kleinen Geheimnisse an zunehmen. Es schien, als mache hier jeder Geschäfte auf eigene Rechnung. Razamon fragte sich, wohin das Ganze führen sollte. Wenn der Neffe jede kleine Unzuverlässig keit, jede Schlamperei als Verrat einstufte, dann würde er bald ohne einen einzigen Un tertan dasitzen. Denn Duuhl Larx kannte für Verbrechen aller Art nur eine Strafe: den Tod. Razamon vernahm ein Geräusch, das nicht in diese Umgebung paßte, und drehte sich langsam um. Neben einer Statue standen drei Trugen, zwei Noots und ein Kune. Sie waren bewaff net. Die Trugen hatten Energiestrahler und Schockschleudern bei sich, der Kune hielt eine Lanze wurfbereit in der Hand, und die Noots ließen metallene Kugeln an dünnen Seilen drohend hin und her pendeln. »Wir wollen dich sehen, Varkun!« sagte der Kune. Seine Stimme klang unnatürlich hell. Der arme Kerl hatte eine Todesangst. »Dieser Wunsch ist euch bereits erfüllt«, antwortete Razamon spöttisch. »Hier bin ich.« »Öffne das Visier!« forderte einer der Noots aufgeregt. Der Pthorer schüttelte leicht den Kopf. »Warum so neugierig?« erkundigte er sich. Der andere Noot verlor die Geduld. Die Kugel schwang nach vorne und flog durch die Luft. Razamon bückte sich blitzschnell und wich zur Seite aus. Wütend zerrte der Noot an dem Seil, aber der Flug der Kugel ließ sich nicht mehr beeinflussen. »Das hilft dir nicht!« schrie der Kune wü tend und schleuderte seine Lanze. Razamon fing die Lanze aus der Luft, wirbelte sie blitzschnell herum und schleu derte sie zurück. Der Kune sank tödlich ge troffen zu Boden. Die anderen Angreifer
Marianne Sydow stießen erschrockene Schreie aus. Die Tru gen schossen mit ihren Schockschleudern auf Razamon, aber die lähmende Energie konnte den grauen Metallpanzer nicht durchdringen. Der eine Noot holte in hekti scher Eile das Seil mit der Kugel ein. Raza mon stellte den Fuß auf das Seil, riß die Ku gel ab und warf sie dem Noot an den Kopf. Dann stürmte er los, und er war zu schnell für die vor Entsetzen halb betäubten Höflin ge. Als er wieder klar zu denken vermochte, war von seinen Gegnern kein einziger mehr am Leben. Erschüttert und entsetzt über sich selbst ließ Razamon sich auf eine aus Juwelen zu sammengefügte Bank sinken und stützte den Kopf in beide Hände. Er wußte, daß das, was eben geschehen war, nichts mit den Berserkeranfällen frühe rer Tage zu tun hatte. Die hatten sich lange vorher angekündigt, so daß er fast immer ei ne Möglichkeit hatte, sich an einen Ort zu rückzuziehen, an dem er niemanden direkt gefährdete. Was ihn da gepackt hatte, war viel gefähr licher, weil er nicht wußte, wie er sich dage gen wehren konnte. Er war zu oft und zu lange in der Nähe des Neffen. Die bösartige Ausstrahlung, die den ganzen inneren Palast erfüllte, machte sich allmählich bemerkbar. Razamon wußte, daß es bei solchen Wutausbrüchen nicht bleiben würde. Er zwang sich dazu, aufzustehen und nach seinen Opfern zu sehen. Zu helfen war kei nem mehr. »Sollen sie froh sein, daß es sie auf diese Art erwischt hat«, sagte er plötzlich zu sich selbst. »Hätte Duuhl Larx sie in die Finger bekommen, so wäre ihnen ein Platz in den Todesröhren sicher gewesen.« Er runzelte die Stirn, als ihm klar wurde, wie schlimm und zynisch diese Einstellung war. Keines von diesen sechs Wesen hatte sich bisher verdächtig gemacht. Er hatte also keinen Grund, sie dem Neffen zu bringen, und somit wären sie ihres Lebens ziemlich
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sicher gewesen, hätten sie nicht – aus mögli cherweise aufrichtigen Motiven heraus – je ne gepanzerte Kreatur angegriffen, die das Leben auf dem Kontinent Harrytho zur Höl le werden ließ. Und wenn schon! dachte er. Es sind alles Halunken. Er dachte es und erschrak abermals. Was war mit ihm los? Wohin sollte das führen? Würde er am Ende genauso bösartig wie der Neffe selbst sein?
* »Ich mag es nicht, wenn du dieses Ding dort trägst!« sagte Duuhl Larx zu Razamon. »Es ist nicht nur häßlich, sondern deiner auch noch unwürdig. Du bist mein Vertrau ter. Was sollen diese Narren da draußen den ken, wenn sie dich in diesem Aufzug er blicken?« »Das ist mir gleichgültig«, antwortete Razamon ausdruckslos. »Vergiß nicht, daß sie mich für tot halten. So soll es doch blei ben, oder willst du mich für deine Unterta nen wieder auferstehen lassen?« Der Neffe kicherte. Es war ein widerwär tiges Geräusch, böse und ohne jede Spur von Humor. Jedesmal, wenn Razamon es hörte, bildete sich eine Gänsehaut auf seinem Rücken. »Das ist gar keine schlechte Idee«, meinte Duuhl Larx. »Es würde sie beeindrucken.« Razamon schwieg. Er betrachtete die flammende Aura, hinter der Duuhl Larx sich wie üblich verbarg. Hätte er nur einmal einen Blick in das Innere der Sphäre werfen können. Wie sah der Neffe aus, welche Art von Wesen war er? Stammte er wirklich, wie manche behaupteten, von einem der Völker im Rghul-Revier ab? Oder saß Duuhl Larx gar nicht in der Sphäre, gab es dort nur einen Roboter oder eine Art Lautsprecher? Nie mand wußte es, und es schien, als würde auch der Pthorer die Wahrheit nicht heraus finden. »Es gab einen Kampf«, sagte Duuhl Larx
schließlich. »Die Roboter haben mir davon berichtet. Warum hast du die Verräter selbst gerichtet, anstatt sie mir zu überlassen?« »Es waren keine Verräter«, behauptete Razamon düster. »Ihr einziges Vergehen be stand darin, daß sie mich angriffen.« »Reicht das nicht?« wunderte sich der Neffe. »Du bist mein Vertrauter. Ein Mord anschlag auf dich ist fast so schlimm, als hätte man mich selbst angegriffen. Du hät test sie nicht töten sollen.« »Es tut mir leid«, murmelte Razamon. »Das klingt beinahe so, als meintest du es ernst«, bemerkte der Neffe amüsiert. Razamon beschloß, ein anderes Thema anzuschneiden. Im Augenblick fühlte er sich frei von diesem unheimlichen Einfluß, der von Duuhl Larx ausging. Dabei wäre er jetzt fast froh darüber gewesen, die seltsame Käl te in sich zu spüren. Dann hätte er sich we nigstens in die Gedankengänge des Neffen hineinversetzen können. So jedoch mußte er befürchten, daß der Haß ihn zu unvorsichti gen Bemerkungen verleitete. »Du wolltest mich nach Pthor schicken«, sagte er gedehnt. »Meinst du nicht, daß es an der Zeit wäre, diesen Plan durchzuführen? Wenn du noch lange zögerst, wird Chirmor Flog dir den Rang ablaufen.« »Es gibt immer noch zu viele Verräter in Harrytho!« konterte der Neffe. »Ich kann keinem mehr vertrauen. Du bist der einzige, auf den ich mich einigermaßen verlassen darf. Verlangst du wirklich von mir, daß ich dich unter diesen Umständen auf eine so lange und gefahrvolle Reise schicke?« Razamon schüttelte verzweifelt den Kopf. »Es ist nicht halb so schlimm, wie du glaubst«, behauptete er. »Niemand wird dich angreifen. Sie haben alle Angst vor dir.« »So soll es auch sein«, versicherte der Neffe kichernd. Es schien an diesem Tag nicht gut um ihn zu stehen. Razamon kannte die Symptome mittlerweile ziemlich genau. Es sah alles da nach aus, daß Duuhl Larx einem jener fürch terlichen Anfälle entgegensteuerte, in denen er schreiend und tobend durch den Palast ra
6 ste, um anschließend für mehrere Stunden in seinen Gemächern zu verschwinden. »Die Zeit drängt«, sagte er trotzdem. »Die Verhältnisse in Pthor waren zwar verwir rend, als ich von dort wegging, aber der Di mensionsfahrstuhl steht nun schon seit Wo chen im MarantronerRevier. Chirmor Flog kann kein solch großer Narr sein, daß er in dieser Zeit nicht wenigstens ein paar kleine Erfolge erzielt hat.« »Chirmor Flog ist ein Narr!« schrie der Neffe zornig. »Ja«, sagte Razamon beruhigend. »Ich weiß das. Aber er hat ebenfalls Vertraute. Einer von denen könnte mehr Verstand be sitzen, als uns lieb ist. Schick mich auf die Reise, Duuhl Larx, ehe es zu spät ist!« Die Energiehülle flackerte auf, und Raza mon fürchtete schon, der Neffe würde in sei ner Wut jede Rücksicht auf den Pthorer ver gessen und die Vernichtungsaura aktivieren. Aber Duuhl Larx fing sich noch einmal. »Kümmere dich um die Aufgaben, die ich dir gegeben habe«, forderte er. »Bis zum Abend hast du zehn Verräter zu finden. Die Todesröhren sind leer. Schaff mir Nach schub heran!« Unvermittelt tat die Sphäre einen Satz nach vorne, auf Razamon zu, der instinktiv auswich. Der Neffe lachte schrill auf, dann jagte die Sphäre an dem Pthorer vorbei durch die Tür und den Gang hinunter. Razamon warte te regungslos, bis das wahnsinnige Gelächter in den Tiefen des Palasts verhallt war. Zehn Verräter! dachte er wütend. Mehr als hundert waren es allein in der ersten Woche. Hätte ich Narr sie nur alle laufen lassen! Wofür hält dieses Monstrum mich ei gentlich? Oh, ich weiß: Wenn ich keinen hochgradig Verdächtigen habe, so muß ich eben einen der Höflinge dazu machen. Ein fach genug ist es ja. Jeder hat hier etwas auf dem Kerbholz, und Beweise lassen sich leicht beschaffen. »Diesmal nicht, Duuhl Larx«, sagte er zu sich selbst. »Ich habe dir bis jetzt Kreaturen geliefert, die wirklich Verbrechen begangen
Marianne Sydow haben. Aber ich werde keinen Unschuldigen an dich ausliefern, du Bestie!« Er lauschte den Worten nach. Sie klangen gut, aber Razamon wußte zu genau, daß nichts dahinterstand. Sein Kopf saß sehr locker auf den Schultern, seit er in den Pa last gekommen war. Fehler durfte er sich nicht erlauben. »Na und?« fragte er trotzig. »Ich möchte doch mal sehen, ob er mich wirklich um bringt!« Aber er konnte nicht beschwören, ob er den Mut aufbrachte, es wirklich auszupro bieren. Abgesehen vom Mut – jene Bösar tigkeit, die sich in unberechenbaren Abstän den in seinem Gehirn breitmachte, konnte ihm jederzeit das Konzept verderben. Wenn sie von ihm Besitz ergriff, war er nicht zu rechnungsfähig. Irgendeine Gelegenheit wird sich schon ergeben, dachte er. Ich muß die Zeit nützen, in der Duuhl Larx mich nicht stören kann. Er wußte nicht, ob das, was er tat, einen Sinn hatte. Aber er hielt verbissen an seinem Vorhaben fest. Seit Tagen wanderte er in je der freien Minute durch den gigantischen Palast, auf der Suche nach etwas, das ihm helfen konnte. Er hatte Hilfe dringend nötig. Es war ihm egal, von welcher Seite sie kam. Sein einzi ger Wunsch war, diesen Palast sobald wie möglich zu verlassen. Blieb er noch länger hier, dann würde er immer bösartiger und gefühlskälter werden, und schon lange vor her würde Duuhl Larx ihn zum Mörder ma chen. Er würde anfangen, Verschwörungen zu konstruieren, nur um den Blutdurst jenes Ungeheuers zu stillen, das jetzt irgendwo in den Tiefen des Palasts seinen Anfall austob te. Er mußte Cagendar verlassen. Es reichte nicht, wenn er nur aus dem Palast heraus kam, denn der Einfluß des Neffen war schon zu tief ihn ihm verankert. Er mußte weg von diesem höllischen Planeten. War er erst im freien Raum, so würde er sein inneres Gleichgewicht schnell zurückerobern.
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2. Im Palast war es noch stiller als sonst. Es gelangten nur selten Besucher an diesen Ort. Niemand erschien freiwillig vor dem Nef fen, und solange Duuhl Larx nicht ansprech bar war, wiesen die Roboter sowieso jeden Bittsteller zurück. Razamon, der in seiner klirrenden, rasselnden Rüstung umherwan derte, fühlte sich wie ein Schloßgespenst in einer seit Jahrhunderten ausgestorbenen Burg. Er benutzte Lifts und Treppen, um in die unteren Regionen des Palasts zu gelan gen. Dabei ging er nach einem wohlüberleg ten Schema vor. Seit Tagen suchte er den Zugang zu den Gewölben, die es dort unten geben mußte. Aber er fand auch an diesem Tag nichts. Ab einer bestimmten Tiefe ende ten alle Treppen blind, und die Lifts weiger ten sich, den geräuschvollen Fahrgast auch nur um einen Millimeter weiter nach unten zu transportieren. Ratlos stand Razamon schließlich auf ei nem Gang, an dessen einem Ende bewaffne te Roboter Wache hielten. Er hatte alle nach unten führenden Wege untersucht, ausge nommen die, die im Bereich der Privatge mächer des Neffen begannen. Er überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, an den Robotern vorbeizukommen, aber die Maschinen sahen nicht so aus, als würden sie sich auf einen Handel einlassen. Sie beobachteten ihn, wie er ratlos da stand und zu ihnen hinübersah. Als er zö gernd einen Schritt in ihre Richtung tat, ho ben sie drohend die Waffenarme. Es waren massige Konstruktionen. Sie hatten die ecki gen Körper von Trugen, und ihre Köpfe äh nelten denen der Noots. Rotglühende Seh zellen unter dicken Metallwülsten verliehen ihnen ein brutales Aussehen. Razamon zog es vor, ihre Zuverlässigkeit nicht auf die Probe zu stellen und entfernte sich so ruhig wie möglich. Wo sollte er jetzt noch suchen? Er wußte, daß es weiter unten Räume gab. Verschiedene Anzeichen sprachen dafür, daß Duuhl
Larx seinen Palast auf den noch vorhande nen Fundamenten eines viel älteren Bau werks errichtet hatte. Dieser frühere Palast bestand nicht aus zusammengebackenen Kunstwerken, sondern aus einem rauhen, grauen Gestein, das ungeheuer widerstands fähig sein mußte, denn man hatte es auch zum Bau der Geschütztürme verwendet, die rund um den Kristallbau aufragten. Warum aber hatte Duuhl Larx alle Zugänge zu dem alten Palast verschließen lassen? Was gab es dort unten, daß es nötig war, es so sorgfältig abzuschirmen? Die Türme! dachte Razamon überrascht. Er schritt schneller aus. Voller Unruhe dachte er an Duuhl Larx. Er hatte keine Möglichkeit, zu bestimmen, wieviel Zeit vergangen war, seit der Neffe den Anfall er litten hatte. Er mußte sich auf sein Gefühl verlassen, und das ließ ihm die Zeit, die er mit der nutzlosen Sucherei verschwendet hatte, übermäßig lang erscheinen. Endlich fand er eine schmale Treppe, die zu einem der Innenhöfe hinabführte. Vor sichtig stieg er die schmalen, glatten Stufen hinab. Sie waren aus der spiegelblanken Versiegelungsmasse geformt, und man hatte unzählige winzige Edelsteine in das Material eingebettet. Auch der Innenhof glich einer glitzernden, schillernden Schatzkammer. Razamon stand zwischen der Außenwand des östli chen Palastflügels und einem funkelnden Wall, aus dem wie ein häßlicher Fremdkör per die gewölbte Wand eines der Türme her ausragte. Wenn Razamon den Kopf in den Nacken legte, was ihm durch die starre Rü stung allerdings einige Schwierigkeiten be reitete, dann konnte er hoch über sich die sich unablässig drehenden Spiralläufe schwerer Energiekanonen sehen. Noch hö her spannte sich flimmernd der innere Schirm. Wieviel Angst er doch haben muß! dachte Razamon. Er sitzt in einem kostbaren, kri stallenen Käfig und fürchtet sich zu Tode. Was sollen die Kanonen da oben? Es gibt doch niemanden, auf den er schießen müßte.
8 Er schüttelte die unnützen Gedanken ab und trat an die Wand des Turmes heran. Es gab auf dieser Seite nur eine schmale Pforte. Auf den ersten Blick hielt Razamon sie so gar für ein von einer Metallplatte verschlos senes Fenster, denn die Tür ragte nur zur Hälfte über die obere Kante der Versiege lungsmasse hervor. Dann jedoch entdeckte er den Griff, und er sagte sich, daß es schon ein seltsames Fenster sein mußte, das man von außen öffnen und schließen konnte. Er bückte sich und drehte an dem Griff. Die Tür rührte sich nicht. Er dachte, sie wäre weiter unten durch die kristallklare Masse verklebt worden, bückte sich und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Metallplatte. Die Tür gab so plötzlich nach, daß er den Halt verlor und die Treppe hinabstürzte, die sich plötzlich vor ihm auftat. Die Rüstung verursachte einen Höllenspektakel. Raza mon verfluchte seine Dummheit. Um die po tentiellen Opfer des Neffen vor sich selbst zu warnen, hatte er einige Platten nicht fest genug angezogen. Jetzt brachte diese Ge fühlsduselei ihn in Gefahr. Zwei Platten wa ren abgesprungen. »Ich sollte sie alle in die Todesröhren schicken!« schimpfte er vor sich hin. »Alle, die wegen dieser verdammten Platten der strafenden Gerechtigkeit entkommen sind …« Er stutzte und verstummte beschämt. Be drückt hob er die Platten auf. Die Tür stand offen. Er schlich so leise wie möglich nach oben und spähte hinaus. Niemand war in der Nähe. Nicht einmal ein Roboter zeigte sich auf dem Hof oder der Treppe, die in den Palast führte. Vorsichtig schob er die Tür von innen zu. Der Verschluß war völlig unkompliziert. Er würde jederzeit hinaus können, wenn ihm danach war. Er zog eine Lampe aus dem Gürtel, den er über die Rüstung geschnallt hatte. Der schmale Lichtkegel zeigte ihm, wieviel Glück er gehabt hatte. Die Treppe war steil und tief genug, daß er sich den Hals hätte brechen können. Die Stufen bröckelten ab.
Marianne Sydow Er setzte sich vorsichtig nieder und befe stigte die abgefallenen Platten provisorisch wieder an der Rüstung. Dann machte er sich entschlossen an den Abstieg. Er brauchte nicht sehr weit zu gehen. Nach ungefähr zehn Metern war die Treppe zu Ende. Razamon stand in einem kleinen, quadratischen Raum. Es gab drei Türen. Zwei waren hoch und schmal und führten in Räume, die links und rechts der Treppe la gen. Er stieß sie auf, und sie öffneten sich unter protestierendem Quietschen. Die Räume hinter diesen Türen waren klein, dunkel und schmutzig. Staub bedeckte den Boden und lag dick und grau auf den schmalen Bänken, die sich an den Wänden entlangzogen. Razamon war sicher, daß seit vielen Jahrzehnten niemand mehr diese Kammern betreten hatte. Der einzig interes sante Punkt waren die deutlich erkennbaren Fenster, durch die kein Licht mehr drang. Duuhl Larx schien den fremden, älteren Pa last mit Hilfe angeschütteten Erdreichs auf das erforderliche Niveau gebracht zu haben, ehe er sein glitzerndes Schloß auf diese mas siven Mauern setzte. Die dritte, mittlere Tür war breit und be stand aus zwei geschwungenen Flügeln. Ge nau in der Mitte, etwa eineinhalb Meter über dem Boden, hingen die Reste eines Siegels an dem stumpfen Metall. Razamon hatte bereits Erfahrungen mit den im Rghul-Revier gebräuchlichen Sie geln gesammelt. Elkort, der ranghöchste Kune der Planetenschleuse und ein Transfusi onsgebundener, war in einem blauen Blitz vergangen, als er versuchte, das Handsiegel des Neffen am Heymfloz zu zerbrechen. Auf der PELEFFS RACHE hatte Razamon ein anderes Siegel relativ mühelos gelöst, und es war ihm nichts passiert. Voller Mißtrauen betrachtete er das an den Rändern völlig zer bröckelte Ding und überlegte, zu welcher Sorte es wohl gehören mochte. Schließlich aber überwand er seine instinktive Abnei gung gegenüber dem Siegel und streckte die Hand aus, um es auf seine Festigkeit hin zu untersuchen.
Razamon, der Spion Das Siegel schien nur darauf gewartet zu haben, daß eine Hand, gleich welcher Art, es berührte. Es zerfiel in mehrere Stücke, die aber nicht zu Boden sanken. Razamon wich hastig einen Schritt zurück – umsonst, denn die Bruchstücke folgten ihm. Sie ordneten sich zu einem sternförmigen Gebilde und hefteten sich auf die mittlere Brustplatte sei ner Rüstung. Gleichzeitig öffneten sich laut los beide Flügel der Tür. Razamon stand wie erstarrt. Er starrte den Stern auf seiner Brust an. Das Ding schien schwach zu leuchten, was aber auch eine op tische Täuschung sein konnte, denn die Bruchkanten glänzten wie poliertes Metall und reflektierten das Licht der kleinen Lam pe. Er griff mit beiden Händen zu und zog an dem Stern. Das Ding rührte sich nicht. Es saß wie ein Brandmal auf seiner Brust. »Es ist eine Falle!« sagte Razamon halb laut. »Irgend jemand hat gemerkt, daß ich einen Weg nach unten suchte, und er hat sich ausrechnen können, daß ich irgendwann in einen der Türme komme. Wenn ich mit diesem Stern auf der Rüstung dem Neffen begegne, wird Duuhl Larx wissen, wo ich mich herumgetrieben habe!« Aber wer hätte ihm die Falle stellen sol len? Auch wenn er sich hier an der Periphe rie des inneren Palasts befand, so war es doch sehr unwahrscheinlich, daß einer der Höflinge es gewagt haben sollte, auf eigene Faust hier unten herumzugeistern. Razamon spähte durch die offene Tür. Dahinter war es dunkel, aber er glaubte, in einiger Entfernung einen schwachen Licht schein erkennen zu können. Wo mochte dieser Gang hinführen? Vielleicht, dachte er sarkastisch, lande ich direkt in den Privatgemächern des Neffen! Aber gleichzeitig trat er durch die Tür, denn seine Neugierde war größer als seine Skepsis. Er drehte sich um und sah zu, wie die Tür sich schloß. Auf der Innenseite gab es Griffe und Hebel. Er probierte sie nach einander aus, bis er sicher war, daß niemand ihn in diesen alten Gewölben einsperren konnte. Dann machte er sich auf den Weg
9 und marschierte mit seiner klappernden Rü stung dem fernen Lichtschimmer entgegen. Nach etwa fünfzig Metern beschrieb der Gang einen Knick, und die Fortsetzung die ses Weges machte auf Razamon einen so seltsamen Eindruck, daß er unwillkürlich stehenblieb, um die Szenerie in Ruhe in sich aufnehmen zu können. Der Gang war von hier an mit Teppichen ausgelegt. Sie sahen unvorstellbar alt aus, aber ihre Farben waren frisch, und es lag kein Krümel Schmutz auf dem Boden. Die rauhen Steinwände waren mit dünnen Stof fen verkleidet. Sie waren fadenscheinig vom Alter, aber auch sie wirkten keineswegs un gepflegt. In flachen Nischen standen Statu en, und sie hatten nichts mit den Kunstwer ken gemeinsam, die Duuhl Larx sammelte. Äußerst realistisch waren Angehörige der verschiedenen Völker des Rghul-Reviers dargestellt. Razamon sah Noots, Krejoden, Kunen, Domer und viele andere. Die Figu ren auf der linken Seite des Ganges waren den lebenden Vorbildern nachgebildet, und es handelte sich ausschließlich um männli che Wesen im vollen Waffenschmuck. Rechts dagegen standen nur Skelette. Sie wirkten so natürlich, daß Razamon zunächst meinte, die echten Knochengerüste der We sen aus den jeweils gegenüberliegenden Ni schen vor sich zu haben. Aber als er das ihm am nächsten stehende Skelett untersuchte, stellte er fest, daß es Stück für Stück aus ei nem harten, weißen Stein geschnitzt war. Zögernd ging er weiter, die ganze makab re Galerie entlang. Er atmete auf, als die Nischen hinter ihm zurückblieben. An ihre Stelle traten Bilder, riesige Gemälde, auf denen Landschaften von fremden Planeten dargestellt waren. Und als auch das vorbei war, öffnete sich ei ne seitliche Tür vor Razamon, und er betrat einen Raum, wie er ihn hier in Harrytho nach den letzten Erlebnissen nicht zu finden erwartet hätte. An diesem Ort gab es weder Vorhänge noch Teppiche, schon gar keine Statuen oder Bilder. Boden und Wände waren nahtlos mit
10 einem hellgrauen Material bedeckt, dem die Zeit nichts hatte anhaben können. Eine Ein richtung im normalen Sinn gab es nicht, nur technisches Gerät stand herum, Unmengen von Apparaten und Maschinen, die dem Berserker absolut fremd waren. Während er sich verwundert umsah, wur de ihm plötzlich bewußt, daß er schon seit geraumer Zeit ein leises Summen hörte. Er legte die flache Hand gegen einen spie gelblanken Kasten, aber er spürte nichts, we der ein Vibrieren, noch die Wärme, die ein arbeitendes Gerät hätte verraten können. Eben wollte er den metallenen Handschuh ablegen, da vernahm er über sich ein leises Surren. Er warf den Kopf zurück und stieß sich das Genick am Nackenring der Rüstung. Was er sah, ließ ihn jedoch den Schmerz vergessen. Direkt unter der Decke hing ein Auge. Es sah wie ein echtes, menschliches Auge aus, nur daß die Iris rostfarben war und der Augapfel grünlich schimmerte. Aber das Ding hatte Lider, und selbst die Wimpern fehlten nicht. Das Auge war etwas kleiner als eine Männerfaust. Es sah ziemlich merk würdig aus, wie das Ding da oben in der Luft schwebte und Razamon starr fixierte. In der ersten Überraschung wollte der Berser ker das Auge sogar fragen, woher es kam und was es von ihm wollte, aber dann kam ihm zu Bewußtsein, daß er im Begriff war, sich außerordentlich dumm zu benehmen. Er war nicht legitimiert, diese Räume zu betre ten. Wäre er es jedoch gewesen, so hätte er auch gewußt, wie er mit dem Auge umzuge hen hatte. Er überlegte fieberhaft, was man von ihm erwarten mochte, und er kam zu dem Schluß, daß es am besten war, wenn er dieses Instrument weitgehend ignorierte. Das Auge folgte ihm, als er weiterging. Es störte und belästigte ihn nicht, aber er fühlte sich von da an befangen und wagte es nicht, seine Neugierde allzu offen zu zeigen. Durch drei weitere mit technischem Gerät vollgestopfte Räume gelangte er auf einen Gang, der ihm in gewisser Weise vertraut
Marianne Sydow vorkam, denn er krümmte sich nach beiden Seiten und bildete ohne jeden Zweifel einen Ring. Genau gegenüber der Pforte, aus der er kam, öffnete sich schon wieder eine Tür. Dahinter lag ein großer, runder Saal mit ge wölbter Decke. »Sei gegrüßt!« rief eine quäkende Stim me. Razamon blieb abrupt stehen. Eine Stim me an diesem Ort zu hören – das war schon ein Schock. »Tritt näher!« befahl der Quäkende. Der Berserker riß sich zusammen. Selbst wenn Duuhl Larx persönlich da drinnen auf ihn warten sollte, hatte er keine andere Wahl, als durch die Tür zu schreiten und sei nem Schicksal ins Auge zu sehen. Dem Pthorer war völlig klar, daß er in einer Falle saß, aus der es kein Entrinnen gab – falls es wirklich eine Falle war. Schon nach wenigen Schritten entdeckte er das kastenförmige Gebilde in der Mitte der Halle. Er ging darauf zu und sah sich un auffällig nach allen Seiten um. Erleichtert stellte er fest, daß es kein le bendes Wesen in dieser Halle gab. Der Raum war fast leer. Außer dem Kasten gab es nur noch ein paar kleine Geräte, die ent lang der Wände aufgestellt waren und je mandem, der sich zu verstecken wünschte, herzlich wenig Deckung boten. Die Wände bestanden aus dem grauen Gestein, das man zum Bau des alten Palasts so überaus reich lich verwendet hatte. Natürlich konnte es hier auch Spionaugen geben, über die Duuhl Larx die Halle beobachtete, aber Razamon hatte plötzlich das bestimmte Gefühl, in eine Umgebung geraten zu sein, in der er vor dem Neffen relativ sicher war. »Trödele nicht so herum!« quäkte die Stimme ungeduldig. »Komm endlich!« Die Stimme kam deutlich erkennbar aus dem großen Kasten. Razamon schritt schnel ler aus und blieb etwa einen Meter vor dem Gebilde stehen. Jetzt, aus unmittelbarer Nä he, erkannte er deutlich, womit er es zu tun hatte: Dieser Kasten war ein Roboter, ein plumpes, ungewöhnlich häßliches Gerät. Es
Razamon, der Spion schien, als könne er sich in begrenztem Um fang sogar bewegen, denn an seiner Unter seite gab es zahllose Stummelbeine mit Rol len darunter. Aber vermutlich hatte sich die ser Roboter schon seit der Zeit nicht mehr vom Fleck gerührt, in der man den älteren Palast verschlossen und versiegelt hatte. »Ich bin Allthargo!« verkündete der Ro boter. »Stell mir deine Fragen!« Razamon hatte das Bedürfnis, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, aber dazu hätte er das Visier des Helmes zurückklap pen müssen. Das wagte er nicht. Er überleg te sich, daß der Roboter ihn möglicherweise für einen Artgenossen hielt, und wenn All thargo nun erfuhr, daß ein organisches We sen in der metallenen Hülle steckte, so konn te wer weiß was geschehen. Fragen! dachte er verzweifelt. Davon ha be ich genug. Aber welche darf ich stellen? »Erlaube mir, ein wenig zu überlegen«, bat er. »Hast du deine Fragen vergessen?« er kundigte sich der Roboter mitfühlend, so weit man von einem solchen Gefühl bei ei ner Maschine reden konnte. Razamon erfaß te seine Chance. »Ja«, sagte er erleichtert. »Wir haben alle unsere Schwierigkeiten«, meinte Allthargo philosophisch. »Mich hat man für die Ewigkeit gebaut, aber niemand braucht mich noch. Dich hat man nur für ei ne begrenzte Zeitspanne konstruiert, und nun nutzt du dich ab. Erinnere dich, kleiner Bruder! War es eine Frage, die die Vergan genheit betraf?« »Es muß wohl so sein«, murmelte Raza mon ratlos. »Sonst hätte man mich wohl nicht zu dir gesandt.« »Das ist ein Trugschluß«, erklärte Allthar go würdevoll. »Ich bin auch über die Ereig nisse der Gegenwart bestens informiert. Wie ich dir bereits sagte – ich wurde für die Ewigkeit gemacht. Betrafen die Fragen, die man dir mitgab, vielleicht Vorgänge in den anderen Revieren der Schwarzen Galaxis?« Razamon glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Aber dann dachte er an
11 Pthor, das im Nachbarrevier festsaß. »Ich glaube, ich weiß es wieder«, sagte er vor sichtig. »Heraus damit!« rief Allthargo ungedul dig. Razamon mußte lächeln. Offenbar litt die ser Roboter unter der Einsamkeit. Er war so versessen darauf, sich endlich jemandem mitteilen zu können, daß er jede Frage be antworten würde. Diese Erkenntnis gab dem Berserker neues Selbstvertrauen. »Wie ist die Lage auf dem Dimensions fahrstuhl Pthor?« fragte er. Es entstand eine kurze Pause, in der er be reits befürchtete, daß er sich doch geirrt hat te und Allthargo nun Alarm schlug. Aber dann begann der Roboter zu sprechen. »Pthor ist fest in der Hand der Scuddamo ren, die in Chirmor Flogs Auftrag für Ruhe und Ordnung im Lande sorgen«, berichtete er. »Nach anfänglichem Widerstand nimmt die Säuberungsaktion jetzt einen positiven Verlauf. Verräterische Elemente wurden ausgeschaltet, so daß die Bevölkerung des Dimensionsfahrstuhls den zersetzenden Ein flüssen nicht länger ausgesetzt ist.« Allthargo schwieg. Razamon war im er sten Moment entsetzt über das, was er ver nommen hatte. Erst langsam kam ihm zu Bewußtsein, daß Allthargo im Grunde ge nommen nur Phrasen von sich gegeben hat te. »Woher weißt du das alles?« erkundigte er sich. »Chirmor Flog setzt regelmäßige Meldun gen an den Dunklen Oheim ab. Er läßt diese Nachrichten auch in seine Nachbarreviere abstrahlen.« Er will alle vorhandenen Konkurrenten auf diese Weise einschüchtern, überlegte der Berserker. Sie sollen nicht auf die Idee kom men, Chirmor Flog wäre seiner Aufgabe nicht gewachsen. »Was geschieht mit Pthor, wenn die Akti on beendet ist?« fragte er laut. »Diese Frage wurde in einem der ersten Gespräche zwischen Chirmor Flog und dem Dunklen Oheim erwähnt«, erklärte Allthar
12 go eifrig. »Pthor wird auf seine nächste Rei se geschickt, sobald die alten Zustände wie der hergestellt sind.« »Das wird nicht ganz einfach sein«, mur melte Razamon nachdenklich. »Immerhin sind die Herren der FESTUNG tot. Stehen vielleicht noch einige dieser schrecklichen Kreaturen zur Verfügung? Oder wird man dem Land andere Herrscher geben?« »Darüber ist mir nichts bekannt!« »Wer sind die Scuddamoren?« »Die Kampftruppen Chirmor Flogs.« »Kannst du mir auch Einzelheiten nen nen? Wie verlief der Kampf um Pthor? Wel che Einzelwesen spielten dabei eine Rolle?« »Ich habe keine Informationen.« Das, dachte Razamon, sagt viel über den wirklichen Stand der Dinge. Da waren die Magier, die schon den alten Herren der FESTUNG getrotzt hatten, wenn auch der Widerstand der Bewohner von Oth reichlich spät gekommen war. Immerhin – diese Leute waren nicht so leicht zu besie gen. Genauer gesagt, waren sie gar die einzi gen, die den Scuddamoren ernsthafte Schwierigkeiten bereiten konnten, denn wenn sie sich wieder unter ihren ominösen Großen Knoten zurückzogen, ließ sich auch mit brutaler Gewalt nichts gegen sie ausrich ten. Und Atlan! Für die dunklen Mächte in dieser Galaxis mußte der Arkonide so etwas wie ein Staatsfeind Nummer Eins sein. Ihm hatte man schließlich den ganzen Ärger um Pthor zu verdanken. Hätte Chirmor Flog ihn erwischt, so wäre das sicher erwähnt wor den. Es bestand also die Möglichkeit, daß At lan noch immer frei war und im Lande Pthor die Scuddamoren vor Schwierigkeiten stan den, die sich nicht so schnell aus dem Weg schaffen ließen. Razamon war zu vorsichtig, um aus alledem zu schließen, daß Pthor im mer noch relativ frei sei. Im Gegenteil – ihm war klar, daß die Pthorer gerade jetzt ihre schwersten Stunden und Tage erlebten. Chirmor Flog würde mit aller Härte zuschla gen. Gerade dann, wenn nach so langer Zeit
Marianne Sydow der Erfolg noch immer nicht hundertprozen tig sicher war, mußte der Neffe alle Rück sichten vergessen. Und wenn Chirmor Flog noch lange solche Meldungen verbreitete und den Dimensionsfahrstuhl trotzdem nicht reisebereit melden konnte, würden andere sich der Sache annehmen. Razamon zweifel te keine Sekunde lang daran, daß es dann nur noch eine Frage von wenigen Tagen war, bis Pthor seine unterbrochene Fahrt fortsetzen konnte. Auch über das Ziel der nächsten Reise gab es für ihn keine langen Fragen. Man würde wissen, daß Atlan und Razamon auf dem Planeten Terra nach Pthor gekommen waren. Damit begann die Niederlage der Herren der FESTUNG, und gegen diese Welt würde sich die ganze Wut des Dunklen Oheims richten. Pthor würde unverzüglich nach Terra zurückkehren, und es war frag lich, ob es noch einmal gelingen würde, die Erde vor einer unvorstellbaren Katastrophe zu bewahren. Es mußte etwas geschehen, und zwar schnell! In seiner Verzweiflung dachte Raz amon an den Neffen. Wenn ich wüßte, wie man an Duuhl Larx herankommt, dachte er, könnte ich ihn als Geisel verwenden und vielleicht einen Auf schub für Pthor erreichen. »Wie sieht Duuhl Larx wirklich aus?« fragte er, ohne daran zu denken, daß diese Frage unter Umständen gefährlich war. »Das weiß ich nicht«, sagte Allthargo. »Zeigt er sich noch immer nur in seinem Feuerball? Kommt er auch zu dir in dieser Gestalt?« »Ja«, antwortete Razamon. »Du kennst ihn also.« »Natürlich kenne ich ihn. Ich bin zwar dein Vorgänger, aber so alt bin ich nun auch wieder nicht.« »Du bist mein Vorgänger?« »Natürlich. In jedem Palast gibt es einen von uns. Für zwei Gersa-Predoggs ist kein Platz. Du trägst das Zeichen, also mußt du der sein, der meine Funktionen übernahm. Man hat dich schlecht gebaut, kleiner Bru
Razamon, der Spion der!« Das Zeichen – der Stern! Razamon blickte den Kasten an und entdeckte erst jetzt einen Fleck auf der metallenen Hülle. Der Fleck hatte mehrere Zacken und war etwas größer als das Gebilde, das sich auf Razamons Pan zer festgesetzt hatte. Aber das Siegel war ja auch nicht mehr vollständig gewesen. »Was ist mit deinem Stern geschehen?« erkundigte sich Razamon. »Man nahm ihn mir ab. Ich brauchte ihn nicht mehr, denn meine Aufgabe war been det.« »Aber du arbeitest doch noch!« »Ein wenig, kleiner Bruder. Wußtest du nicht, daß man uns Gersa-Predoggs nicht ab schalten kann? Ich vermute, daß man dir darum diese Form verlieh. Wahrscheinlich plant Duuhl Larx schon jetzt einen neuen Palast, dann ist dein Nachfolger an der Rei he. Im Gegensatz zu mir wirst du bald auf hören zu funktionieren.« »Sehr tröstlich«, murmelte Razamon sar kastisch, denn er versuchte sich vorzustel len, wie er auf diese Neuigkeit reagiert hätte, wäre er das gewesen, wofür Allthargo ihn hielt. Der Roboter hatte kein Ohr für die feinen Untertöne der menschlichen Sprache. »Ja«, sagte er. »Es ist tröstlich für dich. Ich wollte, Duuhl Larx hätte mir gegenüber solche Gnade walten lassen. Es ist ein schreckliches Schicksal, nutzlos zu sein. Hast du nicht noch ein paar Fragen?« »Nun gut«, meinte Razamon. »Wenn ich dir damit einen Gefallen tue: Was weißt du über den Dunklen Oheim?« »Ich kann dich ja verstehen«, seufzte All thargo. »Du möchtest die Lücken in deinen Speichern füllen. Aber glaube mir, wir alle wissen nicht mehr als du. Erlaube mir, daß ich dir einige andere Informationen gebe!« »Nein!« rief Razamon. »Halt!« Aber es war zu spät. Allthargo hatte zu sprechen begonnen, und es sah nicht so aus, als wolle der Roboter damit in absehbarer Zeit wieder aufhören. Ein Schwall von Wor ten drang aus dem Lautsprecher, und Raza
13 mon hob die Hände an den Helm der Rü stung. Während er aus der Halle floh, hörte er Allthargo reden und reden. Der in vielen Jahrzehnten – oder noch längeren Zeiträu men – angesammelte Hofklatsch, vermischt mit Daten über Planeten und Rebellionen, angereichert mit Informationen über raum fahrttechnische Probleme und gewürzt mit Ausdrücken und Redewendungen, die von Duuhl Larx stammten, ergaben einen unge nießbaren Wortsalat. Razamon rannte davon, hastete durch die vielen Räume und atmete erleichtert auf, als er in dem dunklen Gang stand, an dessen Ende die Tür mit dem Siegel ins Freie führ te. Er öffnete sie und schob die schweren Metallflügel hinter sich wieder zusammen. Erschöpft ließ er sich für einen Augenblick auf einer Treppenstufe nieder. Das Gewicht der Rüstung lastete auf ihm, aber noch be drückender wirkte der Gedanke an Pthor und an die ferne Erde, auf der man nicht wußte, welches Unheil sich schon jetzt zusammen braute. Plötzlich spürte er etwas, das an ihm zog. Verblüfft blickte er auf den Stern. Die Teile des Siegels lösten sich von seiner Rüstung und strebten von ihm weg. Wenige Sekun den später bildeten sie wieder das zer bröckelnde Siegel, das in der Mitte der brei ten Tür gesessen hatte. Merkwürdig, dachte Razamon verwun dert. Aber dann wurde ihm bewußt, daß er kei ne Zeit hatte, sich über das rätselhafte Ver halten des Siegels den Kopf zu zerbrechen. Duuhl Larx mußte seinen Anfall bald überwunden haben. Vielleicht wartete der Neffe sogar schon auf den Berserker. Er würde die zehn Verräter fordern und auch sonst so manches Anliegen haben. Razamon stieg hastig die schmale Treppe hinauf. In diesen Sekunden war er fest ent schlossen, aus dem Palast des Neffen zu flie hen und sich auf eigene Faust nach Pthor durchzuschlagen.
3.
14 Als er den belebteren Teil des Palasts er reichte, stellte er erleichtert fest, daß Duuhl Larx sich offenbar noch nicht wieder erholt hatte. Für einen Augenblick tauchte in ihm der Gedanke auf, daß es den Neffen irgendwann so gründlich erwischen würde, daß der ganze Spuk ein Ende fand. Aber das waren Wunschträume. Duuhl Larx würde ihm si cher nicht den Gefallen tun, ausgerechnet jetzt das Zeitliche zu segnen. Razamon hielt einen der umherschlei chenden Roboter an und stellte ihm einige belanglose Fragen. »Besorge mir einen Gleiter«, bat er dann. »Ich muß etwas erledigen.« Der Roboter klickte und drehte sich wort los um. Er hielt es nicht einmal für nötig, Razamons Bitte mit Worten abzuschlagen. Wütend sah der Berserker der Maschine nach. Aber noch gab er nicht auf. Diesmal suchte er sich mit großer Sorgfalt einen Roboter aus, den er schon bei einer früheren Gelegenheit als ziemlich be schränkt erkannt hatte. »Ich brauche sofort einen Gleiter!« fuhr er den Roboter grob an. »Er hat in fünf Minu ten vor dem Portal zu stehen.« Auch dieser Roboter klickte vernehmlich, wandte sich dann aber mit einem gehorsa men »Ja, Herr« um und marschierte in Rich tung Hauptportal davon. »Na also«, murmelte Razamon zufrieden. »Frechheit siegt.« Er hatte kein Gepäck, das er hätte mitneh men müssen, und so folgte er der Maschine mit der gebotenen Vorsicht. Er sah, wie der Roboter vor dem Portal stehenblieb und re gungslos verharrte – offenbar kommunizier te das Ding mit irgend jemandem. Razamon konnte nur hoffen, daß sein Plan dabei nicht durchschaut wurde. Auf ganz Cagendar war der private Gebrauch motorisierter Trans portmittel untersagt. Wer einen Gleiter ha ben wollte, mußte allerlei Belege vorweisen. Hier, auf dem Kontinent Harrytho, waren die Vorschriften besonders streng. Selbst Razamon, der mittlerweile auch den Robo tern als derzeit engster Vertrauter des Neffen
Marianne Sydow bekannt war, konnte sich nicht über diese Vorschriften hinwegsetzen. Endlich marschierte der Roboter weiter. Das Portal schwang auf. Razamon sah die Maschine, die am Ende der Schneise stand. Es war ein schnelles, wendiges Fahrzeug, dessen einziger Fehler darin bestand, daß ein Roboter an der Steuerung saß. Razamon gedachte, auch dieses Problem mit Schwung zu überwinden. »Hinaus mit dir!« befahl er, als er den Gleiter erreicht hatte. »Ich fliege die Ma schine selbst. Kümmere dich um deine son stigen Aufgaben.« Das Wunder geschah – der Roboter stieg aus und entfernte sich. Der Berserker klet terte in den Gleiter und untersuchte flüchtig die Kontrollen. Soweit er es feststellen konnte, war alles in Ordnung. Er ließ das Fahrzeug aufsteigen und nahm Kurs auf das Landesinnere, denn er wagte es nicht, direkt auf das Meer hinauszusteuern. Nach einiger Zeit, als er den Palast nicht mehr sehen konnte, bog er ab und erreichte wenig später die Küste. Vor ihm lag das Laue Meer, eine scheinbar endlos weite Wasserfläche, wild bewegt und mit schmutzigen Schaumkronen übersät, denn die Mittagsstürme waren gera de erst vorübergezogen. Weit im Norden lag der Kontinent Vedem. Dort gab es eine große Stadt und einen Raumhafen, auf dem ständig Hunderte von Organschiffen lande ten und starteten. Auf einem dieser vielen Schiffe würde es auch für den Pthorer Platz geben. Razamon nahm sich vor, unterwegs anzuhalten und einige Juwelen aus der Ver siegelungsmasse herauszubrechen, mit de nen er seine Passage zu bezahlen vermochte. Er steuerte den Gleiter auf das Meer hin aus. Plötzlich fühlte er sich unsagbar frei. Der Neffe samt Palast und Todesröhren lag hinter ihm – er würde nichts davon jemals wiedersehen. Die Rüstung störte ihn. Er hatte sich so sehr mit seinem Schicksal abgefunden, daß er in den letzten Tagen gar nicht mehr ge spürt hatte, wie unbequem dieses Ding war. Er setzte den Helm ab und spürte den Fahrt
Razamon, der Spion wind, der sein Haar zerwühlte. Lachend blickte er nach unten, sah die hohen, schmutziggrauen Wellen und streckte die Hand aus, um den Helm ins Wasser zu wer fen – da gab es einen leichten Ruck. Erschrocken legte er den Helm neben sich auf den Sitz und widmete sich den Kontrol len. Der Gleiter flog eine enge Kurve. Raza mon brauchte nicht lange nachzudenken, um zu wissen, wohin der neue Kurs ihn führte: Zurück nach Harrytho. Er zerrte am Steuerhebel. Zuerst wollte das Ding sich nicht bewegen, so daß er ge zwungen war, seine Berserkerkraft zum Ein satz zu bringen. Daraufhin gab der Hebel den Widerstand auf. Der Gleiter jedoch be hielt seinen Kurs bei. Razamon probierte es mit verschiedenen anderen Hebeln und drückte systematisch auf jeden Knopf, den er sah – nichts geschah. Verzweifelt riß er abermals am Steuerhebel und hielt einen Augenblick später den abgebrochenen Knüppel in der Hand. Etwas legte sich wie ein dunkler Schleier über seine Gedanken. »Zur Hölle mit all dem Gesindel!« schrie er laut gegen den Fahrtwind. Er mußte heraus aus dieser Falle. Jetzt war ihm klar: Der Gleiter war so präpariert, daß man Harrytho nicht damit verlassen konnte. Der Roboter, der das Fahrzeug war tete, würde sofort erkennen, daß Razamon die Flucht versucht hatte. Und wenn die Ma schine es erst wußte, war auch Duuhl Larx schon bald informiert. In den Todesröhren gab es viel Platz, und der Neffe würde dafür sorgen, daß Razamon besonders lange darin lebte. Er wollte nicht sterben. Das dunkle, kalte Etwas, das in seinem Gehirn nistete, kannte den Ausweg aus dem Dilemma, und der Berserker akzeptierte den Plan ohne Zögern. »Er will zehn Verräter«, flüsterte er, »und er wird sie bekommen!« Sein Vorteil bestand darin, daß Duuhl Larx eher bereit war, ihm zu glauben, als ei nem der potentiellen Verräter, die außerhalb des Palasts lebten.
15 Er betrachtete die Bruchstelle am Steuer hebel. Sie war glatt und sauber. Wußte je mand in Harrytho, über welch riesige Kräfte der Berserker verfügte? Nein, entschied Razamon. Aber der Hebel allein reichte nicht. In al ler Eile baute er das Instrument aus, mit des sen Hilfe sich die Richtung bestimmen ließ, in die das Fahrzeug flog. Er drehte an den metallischen Eingeweiden der Kugel herum, bis er sicher war, daß es keine brauchbaren Anzeigen mehr lieferte. Dann brach er auch noch den Hebel ab, mit dem man die Ge schwindigkeit des Fahrzeugs verändern konnte. »Das sollte reichen«, murmelte er. Und wenn der Gleiter ihn nun doch nicht vollautomatisch zum Palast brachte, sondern steuerlos mit ihm gegen irgendein Gebäude prallte? Razamon schob diesen Gedanken beiseite. Es gab anderes, worüber es sich nachzudenken lohnte. Wem konnte er die Sache in die Schuhe schieben? Den Trugen? Oder den Noots, von denen es in Harrytho immerhin auch ein paar tausend gab? Er stellte Namenslisten zusammen und verwarf sie wieder, und als der Palast vor ihm auf tauchte, hatte er sich noch immer nicht ent schieden. Ab und zu regte sich in ihm ein leiser Zweifel daran, daß das, was er tat, mo ralisch einwandfrei war. Aber der dunkle Schleier verhüllte solch lästige Gedanken. Der Gleiter wurde langsamer und senkte sich leicht. Razamon gab das Grübeln auf und beschloß, einfach die Namen zu nennen, die ihm zuerst in den Sinn kamen. Das Fahr zeug landete, er sprang hinaus und sah den Roboter auf sich zukommen. »Ich muß mit Duuhl Larx sprechen!« herrschte er die Maschine an. »Melde meine Bitte in den Palast weiter.« »Ja, Herr«, antwortete der Roboter gleich mütig und musterte mit funkelnden Sehzel len die lädierte Kontrolleiste des Gleiters. Razamon stürmte in den Palast. Wenige Minuten später schwärmten die Roboter aus, ergriffen zehn unterschiedliche Wesen und schleiften sie zu den Todesröh
16
Marianne Sydow
ren.
* Als ihm bewußt wurde, was er unter dem Einfluß der kalten, schwarzen Kraft getan hatte, da brachte die Erkenntnis den Berser ker an den Rand des psychischen Zusam menbruchs. Ihm war so übel, daß er sich übergeben mußte. Danach saß er lange Zeit wie gelähmt in einem der Räume, die der Neffe ihm zur Verfügung gestellt hatte. Er war innerlich hohl, wie ausgebrannt, und er wünschte sich, daß er sterben möge – nur um diese schrecklichen Gedanken nicht mehr ertragen zu müssen. Allmählich aber kehrte die Vernunft zu rück. Er half den armen Teufeln, die er im Zu stand nicht vorhandener Zurechnungsfähig keit dem Neffen ausgeliefert hatte, über haupt nicht, wenn er hier saß und sich selbst zerfleischte. Er konnte im Augenblick nur eines tun: Er mußte, damit er nicht abermals zum Verräter an den Gesetzen der Ethik wurde, dafür sorgen, daß er so schnell wie möglich aus der Nähe des Neffen hinweg kam. Dann erst durfte er wieder an seine eigentlichen Pläne denken. Er konnte es vor sich selbst nicht länger verantworten, daß er dem Neffen diente, weil er Pthor helfen wollte. Flucht schien auszuscheiden. Wenn er es noch einmal versuchte, so mußte er es besser vorbereiten. Das aber kostete Zeit, und gera de die stand ihm nicht zur Verfügung. Der nächste »Anfall« konnte ihn jederzeit über raschen. Er verließ seine Räume und begab sich auf die Suche nach dem Neffen. Unterwegs kam ihm jedoch ein neuer, schrecklicher Gedanke. Allthargo mochte sich keiner Lüge be wußt gewesen sein, und doch konnte es sich bei den Nachrichten, die er Razamon über mittelt hatte, um längst veraltete Informatio nen handeln. Was, wenn das Thema Pthor längst abgeschlossen war?
Dem Neffen war es durchaus zuzutrauen, daß er auch in diesem Punkt ein sadistisches Spiel mit Razamon getrieben hatte. Es war nicht schwer zu erraten, daß der Pthorer den Wunsch hegte, in seine Heimat zurückkehren zu können. Jedes andere ver nunftbegabte Wesen hätte das an seiner Stel le auch getan. Indem der Neffe dem Pthorer in Aussicht stellte, irgendwann nach Pthor gelangen zu können, hatte er sich möglicher weise die Treue des Berserkers sichern wol len. Er mußte es genau wissen. Es gab einen Ort in diesem Palast, an dem er die Wahrheit erfahren würde. Er mußte Gersa-Predogg finden, jenes Gerät, das All thargos Platz in dem neuen Gebäude einge nommen hatte. Diesmal war die Suche von vornherein weniger aussichtslos. Razamon kannte sich inzwischen sehr gut im Palast aus. Er hatte herausgefunden, daß Duuhl Larx einige be stimmte Räume in regelmäßigen Abständen aufsuchte. Dort würde er nachsehen müssen. Er hoffte, daß der Gersa-Predogg nicht ausgerechnet in den Privaträumen des Nef fen untergebracht war. Von weit her hörte er Stimmen. Die Roboter, denen er begegnete, trugen ihre Waffen schußbereit, soweit diese nicht eingebaut waren. Razamon wußte, was das bedeutete: Es fand eine Audienz statt. Das war gut so. Gerade nach solchen Tagen, an denen es mehrere Hinrichtungen gegeben hatte, übernahm Duuhl Larx alle repräsenta tiven Pflichten selbst. Der Neffe hörte sich gerne reden, und er schleuderte seinen Höf lingen heftige Beschuldigungen entgegen und trieb sie mit seinen scharfen Bemerkun gen so sehr in die Enge, daß sie schon bald wie ein Häuflein Unglück eng zusammenge drückt in der Mitte der Audienzhalle stan den, verängstigt und verwirrt, voller Sorge um ihr Leben. Unter diesen Umständen brauchte Raza mon sich nicht allzusehr vorzusehen. Von Duuhl Larx hatte er vor dem Ende des Emp fangs nichts zu befürchten. Die Maschinen gaben ihre drohende Hal
Razamon, der Spion tung sofort auf, wenn sie ihn identifiziert hatten, und sie erkannten ihn stets sehr schnell. Er hastete durch die glitzernden, lichter füllten Gänge und gelangte schon nach kurz er Zeit an sein erstes Ziel. Vorsichtig schob er eine Tür auf. Er konnte es kaum fassen. Zum erstenmal seit langer Zeit schien er wieder einmal Glück zu haben. Dort drüben stand der Gersa-Predogg. Vorsichtig trat Razamon durch die Tür. Ein schneller Blick in die Runde zeigte ihm, daß er mit dem Roboter alleine war. Kein anderes Maschinenwesen hielt sich in die sem Raum auf, von einem lebenden Ge schöpf ganz zu schweigen. Er schloß die Tür hinter sich und ging auf den GersaPredogg zu. Die Maschine war etwas kleiner als ihr Vorgänger im unteren Palast. Sie ruhte auf einem niedrigen Sockel aus tiefschwarzem, halb durchsichtigem Stein. An ihrer Front seite prangte der Stern wie eine goldgerän derte Verzierung. »Wie heißt du?« fragte Razamon vorsich tig. Die Maschine reagierte nicht. Ratlos um rundete er den Roboter. Er hatte keine Ah nung, wie man ein solches Gerät aktivierte. Er hatte auch gar nicht damit gerechnet, daß irgendwelche Manipulationen notwendig waren, sondern sich unwillkürlich darauf verlassen, daß die GersaPredoggs genau wie Allthargo über ein eigenes Bewußtsein ver fügten und von sich aus den Kontakt zu ei nem Ratsuchenden aufbauten. Woher mochten die Gersa-Predoggs kom men? Nach dem Gespräch mit Allthargo hatte Razamon gedacht, daß Duuhl Larx selbst diese Roboter herstellen ließ, wie und wann immer er sie brauchte. Jetzt kamen ihm Zweifel an dieser Theorie. Die Maschine, der er gegenüberstand, war mit Sicherheit nicht im Rghul-Revier ent standen. Razamon hätte nicht sagen können, woher er diese Überzeugung nahm, aber er war sich einer Sache ganz sicher: Die Gersa-
17 Predoggs stammten aus dem Zentrum der Schwarzen Galaxis. Er beendete seine Inspektion und blieb stehen, hin und her gerissen von dem Wunsch, Neuigkeiten über Pthor zu erfah ren, und einer instinktiven Furcht, die ihn zur sofortigen Flucht veranlassen wollte. Von diesem Roboter ging etwas aus, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ, etwas unsagbar Böses, Drohendes. Er drehte sich abrupt um, plötzlich ent schlossen, die Finger von dieser Maschine zu lassen. Seine Informationen würde er auch auf andere Weise bekommen, er mußte sich nur richtig darum bemühen. Hinter ihm klickte etwas. Er fuhr herum und starrte den GersaPredogg an. Er sah den Stern, dessen golde ne Ränder aufflammten, und spürte den Druck, der sich auf sein Gehirn legte. Von einem Augenblick zum anderen war der Pthorer wie gelähmt. Er vermochte keinen Finger mehr zu rühren. »Hier spricht Zwalltorg!« verkündete der Gersa-Predogg mit hallender Stimme. Diese wenigen Worte reichten aus. Das, was mit ihnen auf den Berserker eindrang, war mehr, als ein normales Gehirn verkraf ten konnte. Diese Maschine besaß eine Aus strahlung von derart intensiver Bösartigkeit, daß sich selbst Duuhl Larx harmlos und un schuldig dagegen ausnahm. Diese Ausstrah lung, die so vehement war, daß Razamon sie körperlich zu spüren glaubte, trug so viel kalte Grausamkeit in sich, daß sein Verstand sich weigerte, noch mehr davon zu akzeptie ren. Razamon verlor das Bewußtsein und sank vor dem Gersa-Predogg zu Boden.
* Jemand kicherte direkt neben ihm. Es war ein scheußliches Geräusch. In Razamons Kopf gab es plötzlich ein Echo, das dieses Kichern zu einem unerträglichen Getöse an schwellen ließ. Er wollte sich die Ohren zu halten, aber er hatte vergessen, daß er noch immer in der Rüstung steckte. Der Lärm
18 wurde so schlimm, daß sein ganzer Schädel schmerzte und rote Schleier vor seinen ge schlossenen Augen wallten. »Aufhören!« schrie er, aber seine Stimme war zu schwach, um das Dröhnen zu durchdringen. Trotzdem wurde es abrupt still um ihn herum. »Steh auf!« befahl eine Stimme scharf. Razamon, der noch immer unfähig war, etwas zu begreifen, bemühte sich, dem Be fehl Folge zu leisten. Er sah das leuchtende Ding vor seiner Nase, und als er endlich er kannte, daß er den Neffen vor sich hatte, kehrte auch die restliche Erinnerung zurück. Er erschrak. Der Gersa-Predogg! »Du warst neugierig, wie?« fragte Duuhl Larx höhnisch. »Nun, es ist dir schlecht be kommen, und darum will ich für diesmal darauf verzichten, dich zu bestrafen.« Razamon antwortete nicht. Er hatte genug damit zu tun, sich auf den Beinen zu halten und mit den Gedanken fertig zu werden, die ihm im Kopf herumschwirrten. »Nur die Neffen des Dunklen Oheims«, fuhr Duuhl Larx kichernd fort, »können die Aura eines aktiven Gersa-Predogg ertragen, denn diese Roboter kommen aus dem Zen trum der Schwarzen Galaxis und sind nur für uns bestimmt. Sie sind unsere Berater, und sie übermitteln uns Nachrichten, die nicht für die Ohren neugieriger Untertanen bestimmt sind. Ich hoffe, du hast das jetzt begriffen, denn wenn ich dich noch einmal hier bei Zwalltorg finde, werde ich dich tö ten müssen – und das wäre mir gar nicht recht. Du kannst ganz nützlich sein, Raza mon.« Erwartete der Neffe eine Antwort, viel leicht gar eine Entschuldigung? Razamon wußte es nicht. Er war gar nicht imstande, sich darüber den Kopf zu zerbre chen. Darum schwieg er. »Hinaus!« befahl Duuhl Larx nach einer kurzen Pause ungeduldig. »Eine Nachricht ist eingetroffen, und ich habe mich darum zu kümmern. Es ist dein Glück, daß der Dunkle Oheim mich gerade jetzt zu sprechen
Marianne Sydow wünscht. Wärest du dem Gersa-Predogg nur noch ein wenig länger ausgesetzt geblieben, so hättest du für alle Zeiten den Verstand verloren. Und jetzt verschwinde!« Razamon taumelte durch die Tür, die sich hinter ihm schloß. Halb benommen sah er sich um. Kein Roboter war in der Nähe. Sein mitgenommener Verstand regte sich. Eine Nachricht wartete auf den Neffen. Das konnte alles mögliche bedeuten, aber es gab eine gewisse Chance, daß Duuhl Larx auch etwas über Pthor erfahren würde. Die Tür war dünn und so gut wie gar nicht isoliert. Razamon hörte jedes Wort, das drinnen gesprochen wurde. Er durfte es nicht riskieren, sich von dem Neffen beim Lauschen erwischen zu lassen. Aber Duuhl Larx konnte den Berserker schlecht dafür verantwortlich machen, wenn er – ge schwächt, wie er war – noch einmal das Be wußtsein verlor. Razamon ließ sich vorsichtig zu Boden gleiten. Es war eine Wohltat, einfach dazu liegen. Nur mit Mühe konzentrierte er sich auf sein Vorhaben und schob sich näher an die Tür heran. Was er zu hören bekam, hatte nichts mit Pthor zu tun – wenigstens war das am An fang so. Es ging um innenpolitische Fragen, die allein das Rghul-Revier betrafen. Der Gersa-Predogg stellte kurze, präzise Fragen, auf die Duuhl Larx antwortete. Razamon überlegte, ob er über den GersaPredogg tatsächlich die Stimme des Dunklen Oheims hörte. Aber das erschien ihm dann doch unwahrscheinlich, auch wenn der Ro boter sich hart und bösartig anhörte. Er stell te sich vor, wie es sein mochte, wenn Duuhl Larx auf diese Weise Befehle und Anwei sungen empfing. Die ganze Zeit hindurch war der Neffe dabei der Aura des GersaPredogg ausgesetzt. Razamon schüttelte sich. Plötzlich tat ihm Duuhl Larx beinahe leid. Vielleicht, so dachte er, waren die Nef fen von Natur aus gar nicht so bösartig, wie es stets scheinen mochte. Vielleicht wären sie sogar zu positiven Gedanken und guten Taten fähig gewesen. Der ständige Kontakt
Razamon, der Spion mit der schrecklichen Aura der Roboter mußte solche Regungen schon im Keim er sticken. Jeder einzelne Befehl wurde von Impulsen begleitet, die den betreffenden Neffen dazu zwangen, bei der Ausführung mit all der Bosheit und Grausamkeit zu han deln, die der Dunkle Oheim sich von ihm er wartete. Deutete das nicht darauf hin, daß es doch dieser große Unbekannte war, der jetzt zu Duuhl Larx sprach? Konnte eine Maschi ne sonst derart fürchterliche Impulse erzeu gen? Razamon lauschte der häßlichen Stimme des Gersa-Predogg, und unwillkürlich mußte er an Allthargo denken, der im Vergleich zu diesem Monstrum von einer Maschine gera dezu wohltuend normal geklungen hatte. Aber wahrscheinlich lag das daran, daß All thargo schon seit langem nicht mehr mit dem Dunklen Oheim in Verbindung stand. Je länger Duuhl Larx mit der Maschine sprach, desto härter und häßlicher wurde auch die Stimme des Neffen. Seine kalten, zynischen Antworten gaben dem Berserker die Gewißheit, daß seine Theorie richtig war: Duuhl Larx wurde durch den GersaPredogg regelrecht aufgeladen. Die schreck liche Aura hüllte den Neffen ein und zwang ihn, ausschließlich solche Gedanken zu he gen, die dem Dunklen Oheim gefielen. Razamon vergaß diese Überlegungen, als der Name »Pthor« fiel. »Pthor wird bald wieder einsatzbereit sein«, sagte der Gersa-Predogg. »Chirmor Flog hat gesiegt. Sobald der Dimensions fahrstuhl sich auf seine nächste Reise begibt, wird Chirmor Flog ein besseres Revier er halten, eines, daß mir näher steht. Mir ist be kannt, daß du gegen Chirmor Flog zu intri gieren versuchst. Das ist schlecht für dich, Duuhl Larx!« »Ich habe niemals …«, begann Duuhl Larx stammelnd, aber Zwalltorg unterbrach ihn grob. »Ich will weder Ausflüchte noch Lügen von dir hören!« wies er den Neffen mit sei ner häßlichen Stimme zurück. »Du hattest darauf gehofft, daß Chirmor Flog an der ihm
19 gestellten Aufgabe scheitert und du seinen Platz einnehmen könntest. Laß diese Hoff nung fallen. Sie ist unsinnig. Chirmor Flog ist ein besserer Neffe als du. Halte dich aus dieser Sache heraus, oder du wirst nie aus dem Rghul-Revier herauskommen.« »Was soll ich tun?« rief Duuhl Larx ver zweifelt, und Razamon dachte, wie wohltu end es doch war, den Neffen auch einmal so zu hören. Er wünschte sich nur, er hätte diesen Teil des Gesprächs auf alle bewohnten Welten dieses Reviers am Rand der Schwarzen Ga laxis übertragen können, damit alle Unterta nen hörten, wie schwach und hilflos der grausame Herrscher von Cagendar in Wirk lichkeit war. »Wie kann ich deine Gunst erringen? Sa ge es mir, und ich werde alles tun, was du dir wünscht!« Aber der Gersa-Predogg – oder der Dunkle Oheim – schwieg. Lange Zeit blieb es still. Dann klang die Stimme des Neffen erneut auf. »Dieser Narr!« schrie er. »Sieht er denn nicht, daß Chirmor Flog ihn nur mit Prahle reien zu täuschen versucht? Wäre Pthor in meinem Revier gelandet …« Die Stimme sank zu einem unverständli chen Murmeln herab. Razamon, der ahnte, daß Duuhl Larx sich nicht mehr lange in der Nähe Zwalltorgs aufhalten würde, rollte sich von der Tür weg und kroch lautlos ein paar Meter in den Gang hinein. Er hörte hinter sich ein schleifendes Geräusch und blieb still liegen. Mit angehaltenem Atem lauschte er. Aber Duuhl Larx bewegte sich lautlos und schwebte, so daß der Berserker nichts von ihm hörte. Nach etwa einer Minute drang grelles Licht durch seine geschlosse nen Augenlider. »Steh auf!« befahl Duuhl Larx grob. »Versuche nicht, mich zu täuschen. Ich spü re, daß du wach bist. Ich spüre alles, was in dir vorgeht. Ich höre dein Herz schlagen und deinen Atem vor Furcht rasseln. Steh auf, du Narr!« Razamon rührte sich nicht. Er wußte, daß
20 Duuhl Larx log. Der Neffe wartete kurze Zeit. Dann spürte Razamon eine schwache Bewegung ganz in seiner Nähe. Er blinzelte und sah, daß der Neffe sich entfernte. Wenn Razamon jetzt nicht »erwachte«, würden die Roboter sich um ihn kümmern, und die waren durchaus fähig, den Schwindel zu durchschauen. Der Berserker schlug die Augen endgültig auf und versuchte, sich aufzurichten. Er stöhnte laut auf, und dieses Stöhnen war echt. In sei nem Kopf schien ein ganzes Hammerwerk zu arbeiten. Die Sphäre des Neffen hielt an. »Duuhl Larx!« krächzte Razamon. »Was ist geschehen?« »Nichts weiter«, antwortete der Neffe grob. »Du bist an Zwalltorg geraten und hast das Bewußtsein verloren. Erinnerst du dich daran?« »Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir wieder ein«, murmelte Razamon. Er kam auf die Beine, mußte sich aber sofort an die Wand lehnen, um nicht wieder umzufallen. »Ich glaube, du hast mir das Leben gerettet.« »Bilde dir nur ja nichts darauf ein!« be merkte der Neffe zynisch. »Ich tat es nicht deinetwegen, sondern weil ich dich noch brauche.« Razamon überging diesen Punkt, denn es schien ihm nicht ratsam zu sein, den eben erst wieder »aufgeladenen« Neffen zu rei zen. »Zwalltorg«, sagte er zögernd. »Hast du mit ihm gesprochen? Was hast du erfah ren?« »Immer noch neugierig? Aber das macht nichts, ich hätte es dir ohnehin gesagt. Die Dinge stehen schlecht, Razamon. Chirmor Flog ist gerissener, als ich erwartet habe. Er hat den Dunklen Oheim erfolgreich ge täuscht.« »Wie steht es mit Pthor?« »Das ist die Frage. Laut Chirmor Flog wird das Land schon bald die nächste Reise antreten können, und der Dunkle Oheim wird diesen Dummkopf auch noch belohnen. Du kannst nicht ermessen, was das für mich bedeutet. Diese Reviere am Rand … Aber
Marianne Sydow lassen wir das jetzt. Sage mir nur eines: Willst du immer noch für mich nach Pthor gehen, um dort für mich zu arbeiten?« Razamon fiel auf die Knie. Das war bei leibe keine Sache der Demut, sondern rührte daher, daß er sich beim besten Willen nicht mehr aufrechthalten konnte. Er brauchte sei ne verbliebenen Kräfte, um sich auf dieses Gespräch zu konzentrieren, denn er litt noch immer unter dem schwarzen Etwas, das ihn durchdrungen hatte. »Ja«, sagte er mühsam. »Das will ich. Schick mich hin, sobald wie möglich.« »Warum bist du so versessen darauf, in dieses Land zurückzukehren?« fragte Duuhl Larx lauernd. »Hier bist du jemand, und du genießt Privilegien, um die dich jeder im ganzen Revier beneidet. Warum willst du das alles aufs Spiel setzen?« Razamon hatte diese Frage schon seit lan gem erwartet. »Es ist meine Heimat«, sagte er. »Ich bin diesem Land etwas schuldig. Die, die Pthor ins Unglück stürzten, sollen bestraft werden, und ich will dabei sein, wenn es soweit ist!« Diese Antwort war ganz nach dem Ge schmack des Neffen, und darum übersah er die Doppeldeutigkeit in Razamons Worten. Er kam überhaupt nicht auf die Idee, daß man es auch andersherum betrachten konnte, und daß Razamon in Wirklichkeit von den Neffen und dem Dunklen Oheim sprach. »Wenn du Erfolg hast«, sagte Duuhl Larx, »dann werde ich dir einen Teil der Verräter überlassen, und du darfst mit ihnen tun, was dir gefällt.« Razamon brachte trotz seines schlimmen Zustands ein böses Lächeln zustande. Er hoffte inständig, daß sich eine Gelegenheit ergeben möge, den Neffen beim Wort zu nehmen, und daß er dann auch imstande war, Duuhl Larx aus seiner schimmernden Hülle herauszuziehen – denn er wollte das Gesicht dieses Monstrums sehen, wenn es soweit war. »Ich rufe jetzt einen Roboter«, fuhr der Neffe fort. »Er wird für dich sorgen. Du weißt gar nicht, wieviel Glück du hattest.
Razamon, der Spion
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Zwalltorg hätte dich töten können. Sobald du dich frisch genug fühlst, wirst du dich bei mir melden. Ich treffe unterdessen die nöti gen Vorbereitungen.« Razamon sah dem Neffen nach, der sich im Schutz seiner Flammenaura schnell ent fernte, dann sank er endgültig zu Boden. Er fühlte sich entsetzlich schwach. Dennoch tri umphierte er in Gedanken. Sein Plan ging endlich auf. Schon bald würde er unterwegs sein, und nichts sollte ihn davon abhalten, nach Pthor zu gehen und dort gemeinsam mit Atlan gegen die Mächte der Schwarzen Galaxis zu kämpfen. Woher hätte er wissen sollen, in welch verzweifelter Lage der Ar konide sich befand, und daß Atlan im Au genblick in keiner Weise fähig war, den Kampf gegen den Dunklen Oheim so zu führen, wie Razamon sich das vorstellte? Er sah einen Roboter auf sich zukommen. Die Maschine bückte sich und hob den Berserker auf. In dem beruhigenden Gefühl, dem Ziel nahe zu sein, schlief Razamon wenig später ein.
4. Duuhl Larx mochte bisweilen nicht bei Verstand sein, aber es zeigte sich, daß der Neffe durchaus klug und umsichtig zu han deln verstand, wenn er sich entsprechend be mühte. Bei den Vorbereitungen für Raza mons große Reise jedenfalls vergaß er nichts. Der Berserker hatte sich einer Proze dur zu unterwerfen, in der ihm im Schnell verfahren eine Sprache beigebracht wurde, die Garva-Guva hieß und im Marantroner-Re vier das Gonex ersetzte. Gleichzeitig trich terte man ihm die erforderlichen Grund kenntnisse über das Reich Chirmor Flogs ein. Er erhielt einige allgemeine Informatio nen über Organschiffe und den Umgang mit Raumfahrern und Galionsfiguren. Spezielle Roboter unterrichteten ihn im Gebrauch ver schiedener Waffen. Nachdem zwei von ih nen ihr elektronisches Dasein unter Raza mons Hieben ausgehaucht hatten, erklärten die verbliebenen Maschinen diesen Lehr
gang eiligst für abgeschlossen. Am dritten Tag nach dem Gespräch mit Zwalltorg rief Duuhl Larx den Berserker zu sich. »Du kennst deine Aufgabe«, sprach der Neffe. »Du wirst nach Pthor fliegen und dort Chirmor Flogs Arbeit sabotieren. Nimm da bei keine Rücksicht auf das Leben von Un würdigen. Wichtig ist allein der Erfolg. Der Dunkle Oheim soll sehen, wie unfähig mein Gegner ist. Je mehr Tote es dabei gibt, desto eher wird er bereit sein, mich als den besse ren Neffen anzuerkennen.« »Ja, Herr«, antwortete Razamon, obwohl es ihn bei diesen Worten schauderte. Aber er hätte Duuhl Larx auch seine Seele versprochen, wenn er nur endlich die Fahrt antreten durfte. »In Vedem steht ein Schiff für dich be reit«, fuhr Duuhl Larx fort. »Es ist die WARQUIENT. Die Besatzung besteht aus Trugen und Kunen. Vertraue ihnen nicht zu sehr. Ich habe sie sorgfältig ausgewählt, aber du weißt, wie gut manche Verräter sich zu tarnen verstehen. Es handelt sich übrigens ausschließlich um Leute, die dich nie gese hen haben und von deinem Schicksal so gut wie nichts wissen. Du wirst unbesorgt dieses lächerliche Ding da ablegen und dich in dei ner wahren Gestalt zeigen können. Sollte trotzdem jemand deine Tarnung durchschau en, so sei unbesorgt. Keiner von denen, die dich begleiten, wird Gelegenheit haben, das Geheimnis zu verraten. Wenn du zurück kehrst, wirst du wieder in die Rolle Varkuns schlüpfen.« Razamon hatte nicht vor, dies zu tun, aber er nickte zustimmend und wartete schwei gend auf das, was Duuhl Larx ihm sonst noch zu sagen hatte. »Die magischen Geräte, mit denen du die Aura aufbauen und meine Rolle übernehmen kannst, bleiben hier. Ich werde sie für dich aufbewahren. Mit den Gefahren, die draußen auf dich lauern, mußt du ohne sie fertig wer den. Das Risiko ist zu groß. Man könnte dich gefangennehmen oder gar töten und auf diesem Umweg mein eigenes Geheimnis
22 enträtseln.« Razamon bedauerte diese Entscheidung des Neffen. Der flammende Schutzschirm war mit einer Vernichtungsaura gekoppelt, die eine absolut tödliche, noch dazu lautlos arbeitende Waffe darstellte. Er hatte sie nie benutzt und stets gehofft, es auch in Zukunft nicht tun zu müssen, aber wenn er daran dachte, was ihn erwartete, so hätte er doch gerne die Aura zur Verfügung gehabt. Abge sehen davon war so eine Sphäre auch sonst sehr bequem. Sie stellte einen praktisch un bezwingbaren Schutzschirm dar, der es sei nem Träger noch dazu erlaubte, zu fliegen, zu tauchen oder sich mit ungeheurer Ge schwindigkeit fortzubewegen. Gegen den Willen des Neffen jedoch gab es keine Auflehnung, und so trennte sich der Pthorer von den winzigen Geräten. Er erhielt dafür andere Waffen: Handliche Strahler, Schockschleudern, Messer, Schwerter – ein ganzes Sortiment, das in einer schweren Ki ste untergebracht war. Es war bezeichnend für die Mentalität des Neffen, daß diese Ki ste auch noch andere, tückischere Waffen enthielt. Sorgsam verpackt lagen in einem abgeteilten Fach Flaschen und zerbrechliche Glasblasen, die allesamt verschiedene Gifte enthielten. »Du mußt sparsam damit umgehen«, mahnte der Neffe. »Es wird dir kaum mög lich sein, diesen Vorrat zu ergänzen.« Razamon verbarg seinen Ekel hinter einer nichtssagenden Geste. »Sorge dich nicht«, sagte er spöttisch. »Das hier wird reichen. Sicher bleibt sogar noch das meiste übrig.« »Das will ich nicht hoffen«, kommentierte Duuhl Larx. Er gab dem Pthorer noch aller lei andere »gute« Ratschläge mit auf den Weg. Razamon war überaus erleichtert, als diese Ratgeberei endlich ein Ende hatte. Der Abschied war kurz. Duuhl Larx schwebte plötzlich davon und überließ es dem Berser ker, wie er mit der umfangreichen Ausrü stung fertig werden sollte. Am liebsten hätte Razamon diese Waffen sammlung einfach stehen lassen. Aber er-
Marianne Sydow stens konnte das Ärger mit dem Neffen ge ben – und die WARQUIENT würde minde stens bis an die Grenzen des Rghul-Reviers über Funk erreichbar bleiben – und zweitens sagte er sich, daß man auf Pthor sicher jede brauchbare Waffe verwenden konnte. Er engagierte zwei Roboter und startete wenige Minuten später mit einem Gleiter, der gewiß nicht über dem Meer umkehren würde.
* Das Laue Meer empfing den Pthorer mit Sturm und Gewitterböen. Razamon ging mit seinem Fahrzeug so hoch, wie es überhaupt möglich war. Aber auch, als er etwas ruhige re Luftschichten erreichte, hatte er alle Hän de voll mit der Lenkung des Gleiters zu tun. Dennoch fühlte er sich ausgesprochen wohl. Er pfiff vergnügt vor sich hin und war fest entschlossen, sich für den Rest des Tages durch nichts und niemanden die gute Laune verderben zu lassen. Er hatte es hinter sich, ein für allemal. Falls er den Neffen jemals wiedersehen soll te, dann unter ganz anderen Umständen, das schwor er sich. Er dachte an Atlan und Tha lia, an Kolphyr und den Wolf Fenrir, und er fragte sich, wie und wo er sie finden würde. Hielten sie sich überhaupt noch in Pthor auf, oder hatte man sie bereits verschleppt? Egal – notfalls würde er sie im Alleingang aus jedem beliebigen Kerker holen. In seiner Eu phorie hielt er sich für fähig, selbst die schwierigsten Aufgaben zu meistern. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihm sein eigenes Verhalten verdächtig wurde. Er neigte sonst nicht zu übertriebenem Frohsinn. Und wie kam er dazu, sich selbst für unüberwindlich zu halten? Er mußte über diese Frage lachen, und das bewies ihm endgültig, daß etwas nicht stimmte. »Duuhl Larx!« murmelte er düster vor sich hin. »Warte nur, wenn ich dich in die Finger bekomme. Das geht auf dein Konto. Was hast du mir ins Essen mischen lassen?
Razamon, der Spion Was soll das Ganze?« Er konnte nur Vermutungen anstellen. Duuhl Larx war aus Gewohnheit mißtrau isch. Er hatte auch dem Berserker niemals völlig vertraut. Vielleicht hatte er mitbekom men, daß Razamon in gewissen Situationen Skrupel hatte, so hart zuzuschlagen, wie der Neffe es von ihm erwartete. Und darum hat te er ihm eine Droge zukommen lassen, die den Pthorer von einigen Hemmungen befrei te. Wie lange würde dieser Zustand anhal ten? Razamon spürte, wie seine Sorgen schwanden, obwohl nicht der geringste Grund dazu vorlag. Er begann laut zu sin gen, bis die nächste Phase halbwegs nüch terner Erkenntnis kam. Da aber befand er sich schon über der Kunstwüste des Kontin ents Vedem. Eine Kunstwüste war das im wahrsten Sinne des Wortes. Der Neffe hatte beschlos sen, den ganzen Planeten mit einer Kruste aus Kunstwerken und anderen wertvollen Dingen zu überziehen. Auf allen Planeten des Rghul-Reviers wurden die unterschied lichsten Wesen dazu gezwungen, solche Ge genstände herzustellen und an den Neffen zu liefern. Das ganze Zeug gelangte nach Achtol, wo es von den kunstbesessenen Do mern begutachtet wurde. Nur wirklich wert volle Gegenstände wurden anschließend in die Organschiffe verladen, die die Planeten schleuse ansteuerten. Dort wurde die Fracht einer zweiten Prüfung unterzogen, diesmal aber nicht um ihren künstlerischen Wert festzustellen, sondern um auszuschließen, daß gefährliche Dinge nach Cagendar ge langten. Auf Cagendar selbst schließlich wurde noch einmal die Spreu vom Weizen getrennt. Nur die allerschönsten Stücke ge langten nach Harrytho und wurden dort für den Bau neuer Paläste verwendet, denn die eigentliche Versiegelung dieses Kontinents war schon seit längerer Zeit abgeschlossen. In ganz Harrytho gab es keinen Fußbreit Bo den mehr, der nicht unter einem Panzer aus Kunstwerken und Versiegelungsmasse ver
23 borgen lag. Der Rest der Güter wurde auf die vier übrigen Kontinente verteilt und dort von den Trugen in die sich immer weiter ausdehnende Kruste eingefügt. Die Versie gelung so großer Flächen führte zu Klimaän derungen. Cagendar war schon jetzt eine sterbende Welt. Aber es war ein prächtiger Tod, den man diesem Planeten bereitete. Im Licht der tiefstehenden Sonne erstrahlten die sanften Hügel nördlich der Küste in den un wahrscheinlichsten Farben. Es war ein Bild, wie man es in alten Märchen heraufbe schwor, und Razamon, der zwischen unna türlicher Fröhlichkeit und tiefer Sorge um die Zukunft hin und her pendelte, empfand die Diskrepanz zwischen der Schönheit die ser Landschaft und deren unheilvoller Be deutung besonders deutlich. Es war froh, als er endlich die Stadt Ve dem erreichte, die im Zentrum des gleichna migen Kontinents lag. Der Anblick der häß lichen, schiefen, farblosen Häuser brachte seine Gedanken wieder ins Lot. Die künstliche Wüste mochte noch so prächtig anzusehen sein, sie brachte doch den Tod. Tiere, Pflanzen und zuletzt auch die intelligenten Bewohner Cagendars muß ten an der schillernden Kruste zugrunde ge hen. Und darum war dieser Plan des Neffen verwerflich. Niemand hatte das Recht, einen ganzen Planeten zu seinem Spielzeug zu ma chen und ihn wegen einer Laune zum Tode zu verurteilen. Es half nichts, wenn man die gigantische Leiche dafür mit einem noch so schönen Sarg versah. Diese Wüste war unnatürlich, wie auch die Stadt Vedem ein reines Kunstprodukt war. Die Stadt hatte keine Zeit gehabt, all mählich mit der Zahl ihrer Bewohner zu wachsen. Es gab weder Parkanlagen noch Gärten darin, und die einzigen Farbtupfer wurden durch meterhohe Ablagerungen gif tiger, schillernder Substanzen gebildet, die sich stellenweise zu regelrechten Dünen türmten. Von den Fabrikanlagen im Norden, wo in erster Linie die in Unmengen benötig te Versiegelungsmasse hergestellt wurde, stiegen vielfarbige Gas und Rauchwolken
24 auf. Immer häufiger trieben sie in die be wohnten Gebiete der Stadt und forderten un zählige Opfer. Auch Vedem starb bereits. Razamon bemühte sich, die künstliche Euphorie zu vergessen. Er steuerte den Glei ter zum Raumhafen und suchte geraume Zeit, bis er das Verwaltungsgebäude gefun den hatte, in dessen Bereich die WARQUI ENT stehen sollte. Zum erstenmal bekam er einen schwa chen Eindruck davon, welcher Aufwand nö tig war, um den vermessenen Plan des Nef fen in die Tat umzusetzen. Tausende von Trugen waren allein in diesem Gebäude, das für ein Zwanzigstel des gewaltigen Hafens bestimmend war, damit beschäftigt, die rei nen Formalitäten für die landenden und star tenden Organschiffe abzuwickeln. Ein Viel faches an Arbeitskräften war damit beschäf tigt, die Fracht auszuladen und in die gewal tigen Lagerhallen zu transportieren, wo wie derum andere Gruppen für den Weitertrans port sorgten. Das Dröhnen der Triebwerke riß niemals ab. Während die Stadt nachts nur von wenigen Lampen erhellt wurde, blieb es auf dem Hafengelände stets taghell. Unzäh lige Fahrzeuge und Roboter waren ständig auf diesem gigantischen Gelände unterwegs. Razamon hatte bereits erfahren, daß die eigentlichen Verwaltungszentren des RghulReviers sich auf einer Welt der Planeten schleuse, des Nurschug-Systems, befanden. Es hieß, daß man dafür auf Cagendar keinen Platz habe. Erst jetzt konnte Razamon sich vorstellen, was das bedeutete. Er mußte an Chirmor Flog denken, und er fragte sich, ob auch dieser Neffe ein so aufwendiges Hobby pflegte. Wenn nicht, dann war es ihm klar, warum Duuhl Larx das Rennen um die Gunst des Dunklen Oheims verlieren mußte. Zum Glück besaß er ein Schreiben mit dem Siegel des Neffen. Es öffnete ihm jede Tür und half ihm, in relativ kurzer Zeit alle Hür den der Bürokratie zu überwinden. Schließ lich kam ein Truge und bot ihm an, ihn zur WARQUIENT zu führen. Wenig später stand Razamon vor einem mittelgroßen Or ganschiff. Es erinnerte in seiner Form an ei-
Marianne Sydow ne riesige Kartoffel. Razamon konnte nicht erkennen, welche Art von Wesen in der durchsichtigen Bugkanzel saß und als Gali onsfigur diente, aber er sah die bewaffneten Trugen, die die Schleuse bewachten. Er trat auf sie zu, den Brief mit dem Siegel deutlich sichtbar in der Hand. »Ich bin der Gesandte des Neffen«, sagte er. »Bringt mich zu eurem Kommandanten.« Einer der Trugen senkte schweigend die Waffe und bedeutete dem Pthorer, ihm ins Schiff zu folgen. Razamon betrat die WAR QUIENT, und erst in diesem Augenblick wurde ihm klar, daß dies sein Schiff war. Wenn er es fertigbrachte, die Besatzung für seine Ziele zu gewinnen … Aber das war so gut wie ausgeschlossen. Im Gegenteil. Razamon war fest davon überzeugt, daß mindestens die Hälfte der Mannschaftsmitglieder keine andere Aufga be zu erfüllen hatten, als ihn zu bespitzeln. Sie würden notfalls mit Gewalt dafür sor gen, daß der Pthorer die ihm gestellte Auf gabe erfüllte und nicht etwa private Ziele verfolgte. Der Kommandant der WARQUIENT war ein Truge namens Onfan-Parg. Er empfing Razamon außerordentlich freundlich. »Ich freue mich, dich zu sehen«, behaup tete er. Razamon betrachtete Onfan-Parg voller Mißtrauen. Er fragte sich, was er Schlimmes getan hatte, daß ihm zur Strafe schon wieder ausgerechnet ein Truge vor die Nase gesetzt wurde. Onfan-Parg war ein großes, massiges We sen, gut zweieinhalb Meter groß, mit kasten förmigem Körper und einem köcherförmi gen Kopf. Mit seinen kurzen, stämmigen Beinen wirkte er plump und schwerfällig, aber Razamon wußte, wie schnell Trugen sein konnten, wenn es darauf ankam. Unan genehm war, daß diese Wesen keine Gesich ter im eigentlichen Sinne hatten. Sie sahen, hörten, rochen und sprachen mit Hilfe ver schieden langer Fühler, die im Innern des Köcherkopfs wuchsen und teilweise über dessen Rand hinwegragten. Bei extremen
Razamon, der Spion Gemütszuständen verfärbte sich die Außen haut des Köchers, aber weniger starke Ge mütsschwankungen ließen sich kaum fest stellen. Onfan-Parg hatte ein ganzes Büschel von Fühlern ausgestreckt, mit denen er Razamon intensiv zu mustern schien. »Wann können wir starten?« fragte der Pthorer, der Mühe hatte, eine Anwandlung unnatürlichen Frohsinns zu unterdrücken. »Wann immer du es befiehlst«, erwiderte Onfan-Parg mit quäkender Stimme. »Gut«, murmelte Razamon. »Dann küm mere dich darum, daß wir so schnell wie möglich von Cagendar wegkommen. Wir fliegen in Richtung Marantroner-Revier.« »Ich weiß«, quäkte Onfan-Parg gelassen. Der Pthorer zuckte leicht zusammen. Es war ihm gar nicht recht, daß dieser Truge of fenbar bereits über alles informiert war. Aber es hatte wenig Sinn, sich darüber auf zuregen, denn Onfan-Parg mochte empfind lich reagieren, wenn Razamon eine Ent scheidung des Neffen anzweifelte. »Was weißt du noch?« erkundigte er sich. »Wir fliegen nach Säggallo«, verkündete Onfan-Parg stolz. »Falsch«, konterte Razamon zufrieden. »Unser Ziel ist nicht der Planet des Neffen Chirmor Flog, sondern …« Er stockte, denn er merkte, daß er drauf und dran war, den Fehler, den Duuhl Larx begangen hatte, durch eine noch viel schlim mere Dummheit auszugleichen. »Wie du meinst«, quäkte Onfan-Parg ge lassen. »Ich jedenfalls erhielt den Befehl, Säggallo anzufliegen, und genau das werde ich auch tun.« Razamon lachte lauthals los. Er hatte überhaupt keinen Grund dazu, und ihm war auch keineswegs zum Lachen zumute. Es war die Droge in seinem Blut, die diesen Heiterkeitsausbruch herausforderte. Aber auf Onfan-Parg übte Razamons Gelächter eine sehr nachhaltige Wirkung aus. Der Tru ge wich entsetzt einige Schritte zurück. »Ich wollte dich nicht erzürnen, Herr!« versicherte er hastig.
25 Razamon verstummte ernüchtert. Ihm war klar, daß Onfan-Parg die Laute, die der Ge sandte des Neffen soeben von sich gegeben hatte, völlig falsch deutete. »Wir reden später noch darüber«, sagte er eilig. »Kümmere dich um den Start. Ich wer de mich ein wenig ausruhen.« »Warte, Herr«, bat Onfan-Parg ängstlich. »Ich rufe jemanden, der dir deine Kabine zeigt. Ich habe den größten und schönsten Raum an Bord für dich reserviert.« Razamon dachte an einen anderen Flug, den er an Bord eines Organschiffs mitge macht hatte, und er hatte Mühe, einen neuen Lachanfall zu unterdrücken. Nein, man wür de ihn diesmal sicher nicht in einen Lager raum stecken. Onfan-Parg beugte sich über die Sprech anlage, und wenig später trat ein großer, schlanker Kune ein. Er verbeugte sich vor Razamon. Sein goldgelber Hautkamm lag flach am Schädel, und der kurze, graue Pelz sträubte sich – der Kune hatte Angst vor dem Pthorer. »Mein Name ist Tuom, Herr«, sagte er leise. »Bitte, folge mir!« Razamon empfand Mitleid mit dem Ku nen. Bevor sie in den Dienst des Neffen ge preßt wurden, hatten diese Wesen ein wil des, freies Nomadenleben geführt, und sie hatten es geschafft, sich die Erinnerung an diese Zeit zu bewahren. Kein Kune mit ei nem Funken Selbstachtung hätte sich damals ängstlich vor einem dahergelaufenen Frem den geduckt, auch wenn dieser Fremde noch so mächtig sein mochte. Noch heute war in den Kunen ab und zu etwas vom Stolz der Nomaden zu spüren. »Welche Aufgabe hast du an Bord der WARQUIENT zu erfüllen, Tuom?« fragte Razamon, während er neben dem hochge wachsenen, ungeheuer schlanken Kunen durch das Schiff schritt. »Ich bin nur ein einfacher Raumfahrer, Herr«, antwortete Tuom zögernd. »Man gibt mir Befehle, und ich führe sie aus.« Razamon sah den Kunen von der Seite her an. Im Augenblick konnte der Pthorer
26 völlig klar denken. Die Wirkung der Droge schwankte offenbar in ihrer Stärke. Er über legte, ob Tuom ein Spion des Neffen sein könne, aber er verwarf diesen Gedanken. Er brauchte wenigstens ein Wesen an Bord, mit dem er reden und dem er einigermaßen ver trauen konnte. Warum sollte er nicht diesen Kunen dafür wählen? Tuom war so gut wie jeder andere dazu geeignet, und nur die Zeit konnte zeigen, ob diese Wahl gut oder schlecht gewesen war. »Hier ist deine Kabine, Herr«, sagte Tuom und blieb vor einer Tür stehen. Razamon nahm den Schlüssel, den der Kune ihm anbot, und öffnete die Tür. Er war überrascht. Der Raum, in den er hineinsah, war tatsächlich ziemlich groß und einiger maßen behaglich eingerichtet. Er hatte si cher keinem Trugen als Quartier gedient, denn diese lebenden Kästen hatten nicht ge rade das, was man als Sinn für Wohnkultur bezeichnete. »Komm«, forderte Razamon den Kunen auf. »Leiste mir ein wenig Gesellschaft.« Tuom zögerte. Seine rosa Augen, die auf kurzen Stielen saßen, bewegten sich unru hig. »Du brauchst dich nicht zu fürchten«, ver suchte Razamon den Kunen zu beruhigen. »Ich habe nicht die Absicht, dich aufzufres sen!« Es hatte ein Scherz sein sollen, aber Tuom war für derlei Späße wenig empfänglich. Er setzte zu einer blitzschnellen Drehung an, offenbar in der Absicht, so schnell wie mög lich von diesem unheimlichen Gesandten wegzukommen. Razamon hielt den Kunen geistesgegenwärtig am Arm fest. »Hiergeblieben!« befahl er. »Du meine Güte, mir scheint, da habe ich mir den größ ten Feigling an Bord ausgesucht!« Tuom riß sich los, griff unter seinen Um hang und förderte ein langes, dünnes, aus Perlmutt geschliffenes Messer zutage. »Du hast kein Recht, mich so zu beleidi gen!« rief er aus. »Auch wenn du ein Ver trauter des Neffen bist. Lieber lasse ich mich töten, als mit einer solchen Schande zu le-
Marianne Sydow ben!« Razamon blieb gelassen stehen. »So gefällst du mir schon besser«, sagte er. »Ich war Gast im Schloß von Bryson, und es hat mir dort sehr gut gefallen. Ich ha be viel über dein Volk erfahren. Ich mag Leute, die sich nicht so leicht einschüchtern lassen. Ich hatte schon befürchtet, in dir den ersten Kunen kennenzulernen, der die stol zen Traditionen von Guhrno vergessen hat.« Tuom hörte zu, senkte aber das Perlmutt messer nicht, sondern blieb kampfbereit ste hen. »Na schön«, sagte Razamon lächelnd. »Ich habe verstanden. Aber das ist sinnlos, Tuom. Ich komme von einer fernen Welt, die ganz anders als Guhrno ist. Du würdest den Kampf um deine Ehre verlieren. Zwi schen Sieger und Besiegtem jedoch kann nur schwer Freundschaft entstehen. Komm her ein und iß mit mir!« Tuom zögerte immer noch, und Razamon wartete geduldig. Er hörte von weit her die quäkenden Stimmen von Trugen, metalli sches Klappern und dann ein Dröhnen – die Triebwerke begannen zu arbeiten. Plötzlich stieg wieder diese entsetzliche Heiterkeit in ihm auf. Er sah, daß Tuom den Arm senkte und das Messer wegsteckte, und plötzlich hielt er es nicht mehr aus. Er mußte lachen, ob er wollte oder nicht. Tuom stand wie erstarrt, aber dann stimmte er in das Gelächter ein. Keuchend vor Lachen zog Razamon den Kunen mit sich. Er gab der Tür einen Tritt, daß sie kra chend gegen den Rahmen prallte, und warf sich auf einen Haufen weicher Kissen. Er krümmte sich in dem Bemühen, die grundlo se Heiterkeit niederzuzwingen, und in der ganzen Zeit hörte er Tuoms fast hysterisches Kichern. Als es endlich vorbei war, blieb der Ber serker erschöpft liegen. Schließlich richtete er sich auf. »Ich habe ein Problem!« sagte er zu Tuom. »Gibt es an Bord einen Kammdeu ter?«
Razamon, der Spion
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5. Wenig früher als die WARQUIENT war ein anderes Organschiff von Cagendar gest artet, das ebenfalls einen höchst seltsamen, geheimnisvollen Passagier beherbergte. Al lerdings war dieser Reisende nicht mit ei nem Empfehlungsschreiben des Neffen in der Hand auf den Laufsteg getreten, sondern er kam am frühen Abend, zu einer Zeit also, in der die Trugen unaufmerksam wurden, weil sie sich nach der anstrengenden Arbeit des Tages nach den Meditationshöhlen sehn ten, und er schleppte in einem schweren Ka sten einen wahren Schatz an Bord. Von dem Passagier selbst sah man so gut wie nichts. Er stammte von einem Planeten, dessen Lufthülle für Trugen, Kunen und alle anderen Sauerstoffatmer tödlich war. Darum steckte er in einem klobigen Druckanzug, der so schwer war, daß die Kreatur in sei nem Innern auf die Hilfe kleiner Schwebe aggregate angewiesen war, wenn sie sich fortbewegen wollte. Hinter der Sichtscheibe des Helmes leuchteten zwei grellgelbe Au gen durch grünliche Gasschleier, und bis weilen hatte man den Eindruck, daß dem Bewohner dieser Kapsel die Handschuhe zu eng waren, denn er bewegte die Hände auf sehr merkwürdige Weise. Ein Raumfahrer äußerte die Vermutung, daß der Passagier nicht die Sorte Schutzan zug trug, die ihm eigentlich zukam, aber nie mand nahm dieses Geschwätz ernst. Das Schiff war – wenn man es mit der schmucken WARQUIENT verglich – der reinste Seelenverkäufer. Seine Organhülle war fleckig vom Alter, und in den Gängen lag der Schmutz zentimeterdick. Die Mit glieder der Mannschaft gehörten neunzehn verschiedenen Völkern an, und jedes davon hatte seine eigenen Vorstellungen davon, was schön war oder gut roch oder angenehm in den so unterschiedlich geformten Ohren klang. Zu Beginn hatte jede Gruppe ver sucht, dem Schiff den Stempel ihres Volkes aufzuprägen, woraus sich ein ständiger
Wechsel der Inneneinrichtung ergab. Fast hätte es Krieg an Bord gegeben. Gerade noch rechtzeitig besannen sich alle Beteilig ten auf die Gesetze des Neffen. Seitdem lie ßen sie ihr Schiff in Ruhe, widmeten sich ih rer Arbeit und verbrachten den Rest der Zeit in ihren Kabinen. Einer dieser Räume wurde dem Passagier zur Verfügung gestellt. Es war eine ganz normale Kabine, die es dem Fremden nicht erlaubte, sich mit der ihm angenehmen Gas mischung zu umgeben, damit er den ungefü gen Druckanzug ablegen konnte. Niemand an Bord, nicht einmal der Kapitän, der durch den Passagier zu einem sehr wohlhabenden Noot geworden war, machte sich deswegen Gedanken. Jedem war klar, daß der Fremde in unsaubere Machenschaften verstrickt war und sich nun auf der Flucht vor dem Neffen befand, denn sonst wäre er nicht gezwungen gewesen, einen Teil seines Besitzes für eine einfache Passage zu opfern. Für die Raum fahrer war es selbstverständlich, daß der Passagier still und bescheiden in seiner Ka bine blieb und niemanden belästigte. Schließlich trugen sie alle ein gewaltiges Ri siko. Nach althergebrachter Sitte behielt der Kapitän die Hälfte dessen, was der Passagier bezahlt hatte, während die zweite Hälfte auf alle anderen verteilt wurde. Der Gewinn war für den einzelnen nicht besonders hoch, auf gar keinen Fall hoch genug, daß man dafür sein Leben wagte. Genau das aber taten all diese Wesen. Wurde der Passagier bei der abschließenden Kontrolle im Nurschug-System entdeckt, so war jedem einzelnen Besatzungsmitglied ei ne harte Strafe sicher. Der Kapitän war in diesem Fall auf jeden Fall ein toter Noot, und zwei Drittel seiner Mannschaft würden mit ihm sterben. Wer vom Planeten Cagendar zu fliehen versuchte, der brauchte nicht nur eine Men ge Juwelen, sondern auch eine gehörige Por tion Glück, um an sein Ziel zu gelangen. Für diejenigen, die einem Flüchtling halfen, galt das doppelt. Der alte Organfrachter kam nur sehr lang
28 sam voran. Die Galionsfigur, ein grünhäuti ges, zehnbeiniges Wesen, das auf den Na men Srinx hörte, steuerte das Schiff lustlos der Planetenschleuse entgegen. Eines der Triebwerke arbeitete nur mit einem Fünftel der normalen Kraft. Die anderen erbrachten knapp das Doppelte dieser Leistung. Die PHUNORT würde es nicht mehr lange ma chen. Srinx sah das Ende bereits vor sich. Er versah seinen Dienst schon seit so langer Zeit, daß der Gedanke an den Tod jeden Schrecken verloren hatte. Das einzige Vergnügen, das einer Gali onsfigur blieb, bestand in der Beobachtung des Schiffes, in dem sie festsaß. Eine pflichtbewußte Galionsfigur schaltete sich nur auf ausdrücklichen Befehl hin in die Spionanlage ein. Nicht daß Srinx seine Pflichten vergessen hatte – er war nur im Lauf vieler Jahre dahinter gekommen, daß er die Kontrollen auch ohne einen Befehl zu bedienen vermochte, und daß es an Bord der PHUNORT niemanden gab, der ihn nach ei nem Verstoß gegen die Regeln zur Rechen schaft zog. So kam es, daß Srinx sich jahrelang damit vergnügte, die Mannschaft zu beobachten. Er kannte all die kleinen Geheimnisse, die jede Gruppe eifersüchtig vor allen anderen bewahrte. Er wußte, wer an welchem Ort welche kleinen Kostbarkeiten aufbewahrte, wer wessen Feind war und sogar, wer wäh rend der letzten Reise die drei Krejoden er schlagen und beraubt hatte. Allmählich wur de selbst diese Tätigkeit langweilig. Als Srinx den Passagier entdeckte, war er wie elektrisiert. Leider fand er lange Zeit keine Gelegen heit, den Fremden unter die Lupe zu neh men. Wegen der unregelmäßig arbeitenden Triebwerke war es der PHUNORT nahezu unmöglich, sich auf geradem Kurs durch den Raum zu bewegen. Solange das Schiff beschleunigt wurde, mußte Srinx ständig auf der Hut sein und den Raumer drehen und wenden, so daß er sich in einer seltsam tau melnden Weise durch den Raum schraubte. Erst als die Grenze des Sonnensystems über-
Marianne Sydow schritten war und die PHUNORT in den Überlichtflug ging, kam Srinx halbwegs zur Ruhe. Er schaltete sich in das Spionsystem ein und dachte die Kodenummer jener Kabine, in der der Passagier untergebracht war. Er dachte mit Bedauern daran, daß er den Fremden nicht in seiner wahren Gestalt wür de sehen können, weil dieser ja mit Sicher heit in seinem Anzug steckte. Aber viel leicht ergab sich trotzdem die eine oder an dere Abwechslung für Srinx. Ein Kontakt schloß sich, und Srinx sah mit seinen eigenen Augen von einem Punkt aus, der sich direkt neben der Tür befand, in die Kabine hinein. Wenigstens schien es ihm so. In Wirklichkeit befand sich dort natür lich nur eine komplizierte kleine Kamera, die ihre Bilder in das Gehirn der Galionsfi gur übertrug. Srinx stellte zufrieden fest, daß es in der Kabine hell genug war, um alles auf normaloptische Weise betrachten zu können – und dann sah er den Fremden. Srinx stieß einen Laut des Entsetzens aus und löste vor lauter Schrecken versehentlich die Verbindung. Hastig schaltete er sich er neut in das System ein. Er dachte für einen Moment, daß er sich geirrt hätte. Vielleicht litt sein Verstand mittlerweile doch, so daß er sich von allerlei Halluzinationen täuschen ließ. Wie sollte er es sich sonst erklären, daß er an Stelle des Giftatmers ausgerechnet je nes Wesen sah, vor dem er sich am meisten fürchtete? Das System funktionierte ein wandfrei. Das übertragene Bild war so klar und deutlich, daß er meinte, er brauche nur eine seiner vielen Hände auszustrecken, um den Passagier berühren zu können. Hätte er es nur tun können – er hätte dieses Ungeheu er auf der Stelle erwürgt und sich damit zum Wohltäter aller Völker im Rghul-Revier auf geschwungen. Auf der Schlafpritsche, die an der Rück wand der Kabine stand, hockte ein aufge dunsen wirkender Zweibeiner, dessen Kör per in einem wallenden, himmelblauen Um hang steckte. Aus den Falten dieses Klei dungsstücks ragten zwei zwölffingrige Hän
Razamon, der Spion de hervor, häßlich, knochig und schwarz, mit krallenförmigen Nägeln. Der Anblick dieser Hände alleine war für Srinx so schrecklich, daß er fast in Panik verfiel. Noch schlimmer aber wirkte auf ihn das Ge sicht des Passagiers, dieser schwarze, kno chige Schädel, der nicht zu dem feisten Kör per passen wollte, der schmale, harte Mund und die stechenden, gelben Augen. Peleff, der Valvke! Srinx zitterte am ganzen Leib, während er wie hypnotisiert den Vertrauten des Neffen anstarrte. Peleff schien ihm geradewegs in die Augen zu sehen, und dieser Blick lähmte die Galionsfigur förmlich. Erst nach langen Minuten gelang es Srinx, sich aus dem Bann der Furcht zu lösen. Er sah sich mit Hilfe der winzigen Kamera um und entdeckte den lee ren Schutzanzug in einer Ecke der Kabine. Der Helm lag daneben, und deutlich erkann te er die grünlich gefärbte Schicht vor der Sichtscheibe. Nun war ihm alles klar. Peleff hatte die sen Anzug benutzt, um sich zu tarnen. Der Valvke kannte die Raumfahrer und wußte, wie er die Mannschaft der PHUNORT ein zuschätzen hatte. Er fühlte sich sicher in sei ner Kabine. Er wußte nur zu genau, daß nie mand sich um ihn kümmern würde, und an die Galionsfigur, deren Blicke bis in die ver borgensten Winkel des Schiffes reichte, dachte er nicht. Aber warum hatte Peleff sich auf diese Weise ins Schiff geschlichen? Warum hatte er dem Kapitän diese große, kostbare Kiste gebracht? Ging es wirklich nur um eine Pas sage? Srinx zog sich ratlos aus dem System zu rück. Er hatte Angst. Er hatte gemeinsam mit der PHUNORT eine ganze Reihe von Ge fahren überstanden. Eine Seuche hatte die erste Besatzung hinweggerafft, eine Explosi on zahlreiche Todesopfer gefordert. Wäh rend einer Reise zu den inneren Revieren war eine Meuterei ausgebrochen – alle Be teiligten landeten auf dem Hinrichtungsplatz der Zentralwelt von Khajh. Auf Braithym
29 hatte man den Bauch der PHUNORT mit ra dioaktiven Abfällen vollgestopft, so daß die Hülle fast gestorben wäre, und sie hatten Frachtgüter von Planet zu Planet transpor tiert, bei deren Anblick einem die Schuppen ausgehen konnten. Aber all das zusammen war nicht so schlimm wie das Unglück, das Peleff über das Schiff bringen mußte. Warum ist er gekommen? überlegte Srinx. Er ging in Gedanken alle Geheimnisse durch, die ihm von der Besatzung bekannt waren. Es gab eine ganze Reihe von Übeltä tern an Bord, aber keiner davon war so wichtig, daß Peleff selbst sich um ihn hätte kümmern müssen. Oder hatte er etwas übersehen? Wieder schaltete Srinx sich in das System ein. Eilig durchforschte er das Schiff, stän dig darauf gefaßt, im nächsten Moment Zeu ge ungeheuerlicher Verbrechen zu werden. Aber in der PHUNORT war es im Moment still und friedlich. Selbst die Hengas, die sonst ständig Streit mit irgend jemandem hatten, verhielten sich ruhig. Sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten miteinan der. Srinx wollte schon weiterschalten, da packte ihn die Neugierde. Er schaltete sich in das Gespräch der Hengas ein. Erst hinter her wurde ihm bewußt, daß diese behaarten Kreaturen gut Gründe hatten, den Valvken zu hassen, denn Peleff hatte ihrem Volk übel mitgespielt. Srinx zuckte zusammen, als er prompt den Namen »Peleff« zu hören be kam. »Es geschieht im recht«, sagte einer der Hengas. »Schade, daß es nicht früher soweit ge kommen ist«, murmelte der zweite. Und der dritte klagte: »Ich wäre so gerne dabei gewesen. Hätte ich nur gesehen, wie er starb!« »Das macht deinen Stamm nicht wieder lebendig!« gab ein anderer zu bedenken. »Gewiß«, stimmte der rachsüchtige Hen ga zu. »Aber Peleffs Tod ist eine Genugtu ung für mich. Hätte ich zusehen können …« Srinx handelte impulsiv. Er aktivierte den
30 verborgenen Lautsprecher in der Kabine der Hengas. »Peleff ist nicht tot!« verkündete er aufge regt. Die Hengas sprangen auf. Im ersten Schrecken schienen sie gar nicht zu begrei fen, was Srinx ihnen mitgeteilt hatte. Aber dann schrie einer der Haarigen empört auf. »Nicht tot? Es war nur ein Betrug?« »Das weiß ich nicht«, erwiderte Srinx. »Aber Peleff lebt.« »Wer bist du?« fragte der Henga wild. »Eure Galionsfigur.« »Wie kommst du dazu, auf diese Weise mit uns zu reden?« fragte ein anderer Henga empört, aber seine Artgenossen brachten ihn mit wütenden Gesten zum Schweigen. »Erzähle uns, was du weißt!« forderte der, der zuerst gesprochen hatte. »Es ist nicht viel«, gestand Srinx. »Ich sah Peleff hier im Schiff und dachte …« »Er ist an Bord?« schrie der Henga. »Ja. Er ist der Passagier.« »Du lügst! Der Passagier ist ein Giftgasat mer.« »Oh nein. Er tat nur so, als wäre er einer. Es war nichts als Tarnung. Er sitzt in seiner Kabine, und der Schutzanzug liegt auf dem Boden. Aktiviert euer Bildgerät, dann zeige ich es euch.« Die Hengas quirlten durcheinander. Es waren schrecklich nervöse Wesen, die sich stets heftig und schnell bewegten. Aber sie taten das, was Srinx ihnen geraten hatte, und die Galionsfigur verband den Bildschirm mit dem Spionsystem. Die Hengas riefen aufge regt Peleffs Namen und deuteten auf die Schirmfläche – einige sahen ganz so aus, als wollten sie vor lauter Haß das Gerät zer trümmern. »Seid still!« schrie der, der in dieser Gruppe das Wort führte. »Es könnte eine Falle sein. Es gibt genug Bilder von diesem Valvken …« »Nein!« sagte ein anderer scharf. »Das Bild ist echt. Ich war erst vor wenigen Ta gen in dieser Kabine und kenne sie genau. Peleff ist an Bord!«
Marianne Sydow »Er ist an Bord!« schrien die anderen Hengas wild. Srinx bekam es mit der Angst zu tun. Die se Wesen waren so voller Wut und Haß, daß man das Schlimmste befürchten mußte. Srinx hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Hengas hingegangen wären und Peleff um gebracht hätten – ganz im Gegenteil. Aber er befürchtete anderen Ärger. Kapitän Hu thrup-Vur war berühmt und berüchtigt für die Wutanfälle, die er bekam, wenn man ihn in einem unpassenden Moment störte. Und im Augenblick war Huthrup-Vur ausschließ lich damit beschäftigt, den Inhalt von Peleffs Schatzkiste zu begutachten. »Wir bringen ihn um!« verkündete der Sprecher der Hengas. Die anderen kreischten zustimmend und setzten sich in Bewegung. »Wartet!« rief Srinx hastig, aber es war zu spät – die Hengas befanden sich bereits auf dem Gang und hörten ihn nicht mehr. Es würde ein Unglück geben, dessen war Srinx sich ganz sicher. Nicht nur wegen Hu thrup-Vur, sondern wegen des Valvken selbst. Wenn die Hengas diesen Verbrecher umbrachten, würde das Verderben über sie und alle anderen Insassen der PHUNORT kommen. Srinx sah nur noch einen Ausweg. Er dachte an die nächste Kodenummer und sah den Kapitän vor seinem inneren Au ge. Huthrup-Vur war gerade dabei, einen glitzernden Kristall unter die Lupe zu neh men, als Srinx' Stimme durch die Kabine hallte. »Die Hengas haben herausgefunden, daß unser Passagier gar kein Giftgasatmer ist!« sagte die Galionsfigur. »Wir haben Peleff, den Valvken, an Bord. Sie wollen ihn töten. Sie müssen sich bereits auf dem Weg zu der betreffenden Kabine befinden.« Huthrup-Vur, der sich in seiner Kabine vor Belästigungen aller Art sicher geglaubt hatte, ließ fast den Kristall fallen. Fassungs los sah er sich um. »Wer spricht da?« fragte er mißtrauisch, als er keinen Eindringling entdecken konnte.
Razamon, der Spion »Srinx. Aber für Erklärungen reicht die Zeit jetzt nicht aus. Du mußt diese Hengas aufhalten.« Huthrup-Vur war einst mit viel Ehrgeiz an Bord eines Schiffes gegangen, und er war ein sehr kluger, intelligenter Noot. Sein ein ziger Fehler bestand in seiner Habgier. Ihr hatte er es zu verdanken, daß seine Karriere eines Tages ein abruptes Ende fand und man ihn auf diesen altersschwachen Frachter ver setzte. Den Namen »Peleff« kannte er natür lich, und er hatte auch gehört, daß man den Valvken wegen Verrats gegen den Neffen auf Cagendar hingerichtet hatte. Aber er sah auf den Kristall, dachte an die übrigen Schätze, die der geheimnisvolle Unbekannte ihm überreicht hatte, und zog seine Schlüs se. »Der Valvke«, sagte er leise. »Wenn das keine Überraschung ist …« »Ja, der Valvke!« rief Srinx ungeduldig. »Wenn er hier an Bord stirbt, ist es um uns geschehen! Sein Geist wird uns bis in alle Ewigkeit verfolgen – oder doch wenigstens so lange, bis alle miteinander tot sind.« »Abergläubisches Gewäsch!« knurrte Hu thrup-Vur verächtlich, aber er trat eilig an das Sprechgerät heran und rief die Bordwa che, die für Ruhe zu sorgen hatte. »Unser Passagier ist in Gefahr«, erklärte er. »Geht und beschützt ihn. Aber beeilt euch. Die Hengas sind unterwegs, um ihn zu ermorden.« Er schaltete sich aus, ehe vom anderen Ende der Leitung her Fragen an ihn gerichtet werden konnten. »Mir scheint, du hast Angst«, bemerkte Srinx, als Huthrup-Vur nach diesem kurzen Gespräch eine Flasche aus einem Schrank fach nahm und mit zitternden Händen ein dunkelblaues Gebräu in einen Becher goß. »Unsinn«, erwiderte Huthrup-Vur ärger lich. »Was willst du überhaupt noch?« »Nichts«, erwiderte Srinx. »Na also. Dann verzieh dich. Oder nein, warte! Bist du sicher, daß es sich um Peleff handelt?« »Es gibt nur noch diesen einen Valvken«,
31 bemerkte Srinx nüchtern. »Es ist also ziem lich schwer, sich in dieser Beziehung zu ir ren.« »Aber Peleff sollte tot sein. Duuhl Larx läßt doch keinen Verräter laufen!« »Und wenn es nun ein Trick war?« »Bei jedem normalen Sterblichen würde ich das auch vermuten. Aber nicht bei Duuhl Larx oder dem Valvken. Nein, ich bin si cher, daß Peleff es im letzten Augenblick geschafft hat, dem Neffen zu entkommen.« »Wir sollten ihn zurückbringen«, meinte Srinx hoffnungsvoll. »Vielleicht erhalten wir eine Belohnung!« »Wie alt bist du?« fragte Huthrup-Vur. »Ich weiß es nicht genau. Aber ich lebe schon ziemlich lange.« »Dann solltest du wissen, daß es kaum et was Schlimmeres gibt als eine Belohnung von Duuhl Larx. Abgesehen davon haben wir gegen das Gesetz verstoßen, indem wir Peleff an Bord gelassen haben. Wir müssen den Valvken loswerden, und zwar schnell, ehe wir in den Bereich der Planetenschleuse einfliegen.« Das Sprechgerät summte, und der Noot meldete sich hastig. »Habt ihr es geschafft?« fragte er. »Wir waren rechtzeitig vor der Kabine«, erwiderte der Krejode, der die Wache an führte. »Wir konnten die Hengas aufhalten. Hör mal, Huthrup-Vur – weißt du überhaupt, wen wir da an Bord haben?« »Ja, ich weiß es«, seufzte der Kapitän. »Leider habe ich es erst jetzt erfahren.« »Wir werden uns den Hengas anschlie ßen!« verkündete der Krejode. »Peleff soll nicht noch einmal entkommen.« »Es sind genug Wesen an Bord, die Peleff hassen«, bemerkte Huthrup-Vur gelassen. »Sie alle haben ein Recht auf Rache. Aber wir sollten nicht blindlings handeln. Der Valvke wird uns nicht weglaufen. Wir wer den gemeinsam beraten, was wir mit ihm tun sollen.« »Das ist Zeitverschwendung«, wandte der Krejode ein. »Der Kapitän will Peleff decken und in
32 Sicherheit bringen!« kreischte ein Henga da zwischen. Huthrup-Vur zuckte zusammen. Er hatte kein sehr gutes Verhältnis zu seiner Besat zung. Wenn sich der Zorn der Leute gegen ihn wandte, würde er gemeinsam mit dem Valvken sterben. »Ich habe keinen Grund, so etwas zu tun«, versicherte er eilig. »Aber ich möchte auch verhindern, daß wir alle durch eine übereilte Aktion in Gefahr kommen. Habt ihr noch nie etwas vom rächenden Geist der Valvken gehört?« Der Krejode zuckte zusammen, und die Hengas wurden bemerkenswert still. »Seht ihr«, sagte der Noot zufrieden. »Ich glaube zwar nicht an dieses Märchen, aber ich möchte auch nicht unbedingt ausprobie ren, wieviel Wahrheit in diesem Gerücht steckt. Darum schlage ich vor, daß wir uns etwas einfallen lassen.« »Werfen wir ihn doch einfach aus der Schleuse!« schlug ein Henga vor. »Das geht nicht, solange wir uns im Über lichtflug befinden«, stellte Huthrup-Vur fest. »Wenn wir aber warten, bis wir im Nur schug-System in den Normalflug übergehen, riskieren wir, daß man Peleff auffischt.« »Das wird niemandem mehr etwas nüt zen«, bemerkte der Krejode spöttisch. »Nicht einmal ein Valvke kann im Vakuum überleben.« »Wir müssen ihn samt seinem Druckan zug nach draußen befördern«, erklärte der Kapitän geduldig. »Sonst laufen wir Gefahr, seine Rache doch noch zu spüren zu bekom men. Einem Geist macht das Vakuum nichts aus.« »Ich werde unseren Flug unterbrechen«, meldete Srinx sich plötzlich zu Wort. »Das wäre eine Möglichkeit«, murmelte Huthrup-Vur nachdenklich. »Wir sind zwar der Planetenschleuse schon recht nahe, aber selbst wenn man dort etwas merkt, können wir uns leicht herausreden. Unsere Maschi nen sind ziemlich am Ende.« »Worauf wartest du noch?« fragte der Krejode ungeduldig. »Gib der Galionsfigur
Marianne Sydow den Befehl.« Huthrup-Vur hörte im Hintergrund aufge regtes Gemurmel. »Was ist bei euch los?« fragte er scharf. »Es scheint sich langsam herumzuspre chen, wen wir versehentlich eingefangen ha ben«, erklärte der Krejode gelassen. »Es wird nicht mehr lange dauern, und die ganze Besatzung ist vor Peleffs Kabine versam melt.« Ja, dachte der Kapitän verbittert. Und so bald die Horde beisammen ist, wird sich je der für stark genug halten, um es mit Peleff und seinem Geist aufnehmen zu können. Sie werden den Valvken in Stücke reißen! »Schafft ihn in die nächste Schleuse!« be fahl er laut. »Srinx, du weißt, was du zu tun hast.« Huthrup-Vur blieb in seiner Kabine. Er hörte Peleffs wütende Stimme, als man den Valvken aus seiner Unterkunft zerrte, und er vernahm auch die haßerfüllten Schreie derer, die sich nur zu gerne auf den ehemaligen Vertrauten des Neffen gestürzt hätten. Wenig später meldete sich der Krejode von der Wache wieder. »Wir sind soweit«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung«, behauptete Srinx. »Ich habe die PHUNORT ein kurzes Stück von der normalen Flugroute wegge steuert. Niemand wird den Valvken hier fin den.« »Bringt es hinter euch«, murmelte Hu thrup-Vur, und er fühlte sich gar nicht wohl dabei. Er hatte kein Mitleid mit Peleff. Dieses Ungeheuer hatte mehr Leid und Elend über die Völker des Rghul-Reviers gebracht, als man jemals würde rächen können. Etwas ganz anderes machte ihm zu schaffen. Auch wenn er es bisher als Aberglauben abgetan hatte – es bestand doch die Mög lichkeit, daß etwas an dem alten Gerücht der Wahrheit entsprach. Man sagte, daß der Geist eines gewaltsam getöteten Valvken so lange nicht zur Ruhe kam, wie auch nur ein Wesen, das am Ende seiner körperlichen Existenz schuld war, in der Schwarzen Gala
Razamon, der Spion xis lebte. Welchen Einschränkungen waren Geister unterworfen? Über welche Entfer nung hinweg konnten sie ihre Opfer aufspü ren? Huthrup-Vur drückte noch einmal die Sprechtaste. »Habt ihr an Sauerstoff gedacht?« fragte er. »Es wäre gut, wenn er noch einige Stun den zu leben hätte!« »Die Tanks seines Anzugs sind voll!« gab der Krejode zurück. Huthrup-Vur nickte zufrieden. Er rief nach Srinx, und die Galionsfigur meldete sich sofort. »Sobald er draußen ist, verschwinden wir mit Höchstgeschwindigkeit«, erklärte Srinx. »Ich habe die nötigen Vorbereitungen be reits getroffen. Bist du damit einverstan den?« »Ich wollte dich gerade bitten, genau das zu tun«, erwiderte Huthrup-Vur. Er lehnte sich zurück. Zufällig fiel sein Blick auf den glitzernden Kristall. Plötzlich mußte er über sich selbst lachen. Wieviel Zeit hatte er damit verbracht, diese Schätze zu untersuchen! Sein einziges Ziel dabei war es gewesen, der Mannschaft die weniger wertvollen Stücke zu überlassen. In diesem Augenblick war er fest entschlossen, zum erstenmal in seinem Leben ehrlich zu teilen. Und er würde sich mehr um die Galionsfigur kümmern. Nie zuvor war ihm bewußt geworden, wie sehr sie alle aufeinander angewiesen waren. »Er ist draußen!« meldete der Krejode. Die PHUNORT schüttelte sich. Sie alle kannten solche Erscheinungen und atmeten erleichtert auf. Srinx hatte das Organschiff innerhalb von Sekunden wieder in den über lichtschnellen Flug gebracht. Wenn Peleffs Geist ihnen folgen wollte, so würde er einen weiten Weg zurücklegen müssen. »Wir treffen uns in der großen Messe ne ben dem Kontrollraum«, sagte Huthrup-Vur. »Bis wir nach Guhrno kommen, haben wir noch genug Zeit, über unsere Beute zu re den. Diesmal wird ehrlich geteilt. Aber ich möchte, daß jeder von euch weiß, was uns
33 erwartet, wenn etwas herauskommt. Srinx, auch du solltest an unserer Besprechung teil nehmen – auf deine Weise!« Die PHUNORT setzte ihren Flug fort. Peleff aber blieb zurück in einer Gegend, in der es absolut sinnlos erschien, noch auf ein Wunder zu hoffen, das ihn rettete. Es erschien dem Valvken als blanker Hohn: Er schwebte in der Nähe der meist beflogenen Strecke im ganzen Rghul-Re vier, nur wenige Lichtsekunden von jener Route entfernt, auf der die Organschiffe zwischen Cagendar und dem Nurschug-Sy stem hin und her eilten. Aber all diese Raumer flogen schneller als das Licht. Sie konnten den im Raum treibenden Valvken nicht orten. Er hätte den Helm öffnen und so seinem Leben selbst ein Ende setzen können, aber er tat es nicht. Regungslos wartete er auf den Tod.
6. Schon einmal hatte Razamon sich einem kunischen Kammdeuter anvertraut, und er hatte gute Erfahrungen dabei gemacht. Auch der Heilkundige, zu dem Tuom ihn führte, machte einen zuverlässigen, vertrauenser weckenden Eindruck. Der Berserker berich tete dem Kammdeuter, was ihm so schwer zu schaffen machte, hütete sich jedoch aus verständlichen Gründen, den Neffen zu er wähnen. Der Kammdeuter Aclur stellte al lerdings auch nicht zu sehr viele Fragen. Er schien schon nach kurzer Zeit zu wissen, an welche Droge der Pthorer geraten war. »Das Zeug sollte man verbieten«, erklärte er. »Aber auf Cagendar kommt man nur zu leicht an alle denkbaren Mittelchen heran. Dein Herr, der Neffe Duuhl Larx, scheint es vergnüglich zu finden, wenn seine Unterta nen von einer Gefahr in die nächste stol pern.« »Er ist auch dein Herr«, erwiderte Raza mon ruhig. Aclur sah den Pthorer starr an. »Da hast du auch wieder recht«, murmelte
34 er schließlich. »Gut, ich werde dir das Ge genmittel aushändigen.« »Was verlangst du dafür?« erkundigte sich der Pthorer. »Daß du die Kunen an Bord der WAR QUIENT nicht mit diesem Zeug in Berüh rung bringst!« »Ich werde das Gegenmittel hier vor dei nen Augen einnehmen und nichts davon aus deiner Kabine entfernen«, versprach Raza mon. »Bist du wirklich so dumm, oder tust du nur so?« fuhr Aclur ihn an. »Ich meine nicht das Gegenmittel, sondern das Gift, das du schluckst. Du hast doch einen gehörigen Vorrat davon mitgenommen!« Razamon seufzte. »Ich hatte niemals die Absicht, mich selbst zu vergiften. Es war ein unglücklicher Zufall, daß ich an das Zeug geraten bin. Ich wußte nicht einmal, daß ich es zu mir nahm. Bevor du mir gesagt hast, daß es sich um ei ne Droge handelt, die allgemein gebraucht wird, fürchtete ich, es könne sich um ein sel tenes Gift handeln, gegen das es gar kein Gegenmittel gibt.« »Und das soll ich dir glauben?« fragte Aclur skeptisch. »Du, ein Vertrauter des Neffen Duuhl Larx, willst wirklich so ah nungslos in eine Falle getappt sein?« »Ich weiß, daß es in deinen Ohren un wahrscheinlich klingen muß!« sagte Raza mon ungeduldig. »Aber es ist die Wahrheit.« Voller Entsetzen fühlte er die schwarze Käl te in sein Gehirn kriechen. Nimm dir das Gegenmittel mit Gewalt! flüsterte eine innere Stimme ihm zu. Hast du es nötig, mit diesem Dummkopf zu diskutie ren? Es gelang ihm, den bösen Einfluß des Neffen zurückzudrängen, aber an seine Stel le trat sofort diese gräßliche Heiterkeit, die von der Droge herrührte. Er begann zu la chen, und es war schlimmer als je zuvor. Er bekam keine Luft mehr. Er stürzte zu Boden und merkte es nicht einmal. Es wurde finster um ihn herum, aber er war nicht ohnmächtig. Er vermochte ganz
Marianne Sydow klar über seine Situation nachzudenken, und er erkannte, daß die Droge ihn umbringen würde. Sicher hatte Duuhl Larx das nicht beab sichtigt. Aber der Neffe hatte nicht bedacht, daß Razamon möglicherweise stärker als ir gendein Bewohner des Rghul-Reviers auf das Zeug reagieren würde. Immerhin schien es, als bekäme er noch eine Chance. Obwohl er seinen Körper nicht mehr spürte, glaubte er doch zu wissen, daß der Anfall im Abklingen war. Und tatsäch lich fühlte er wenig später seine schmerzen den Lungen, die nach Luft gierten. Er ver gaß Duuhl Larx und lag still da, widmete sich nur einer einzigen Tätigkeit, die ihm nie zuvor als so anstrengend und schön zugleich erschienen war: Er atmete, und er genoß jeden einzelnen Atemzug. Als er endlich soweit war, daß er die Au gen aufschlagen und sich nach Aclur umse hen konnte, stellte er fest, daß der Kune ihn überaus interessiert beobachtete. »Das Gegenmittel!« krächzte der Berser ker mühsam. »Schnell, gib es mir!« »Schon geschehen«, murmelte Aclur. »Du siehst tatsächlich nicht wie ein Selbstmörder aus. Bist du wirklich so mächtig, wie man hier an Bord behauptet?« »Warum fragst du?« »Wenn du es bist, dann solltest du deine Macht gebrauchen und denjenigen, der dir eine so hohe Dosis verpaßt hat, aus dem Verkehr ziehen.« »Das geht nicht«, erklärte Razamon grim mig und richtete sich auf. Er war noch ein bißchen schwach, aber es ging ihm bereits viel besser. »Dieser Jemand ist nämlich noch um einiges mächtiger als ich.« »War es Duuhl Larx?« Hoppla! dachte Razamon. So horcht man Leute aus! »Es sähe ihm nämlich ähnlich«, fuhr Aclur fort. »Aber ich schätze, daß du dar über nicht gerne reden wirst. Eine andere Frage, die mir zu schaffen macht, seit ich von unserem neuen Auftrag zum erstenmal etwas hörte: Wie gedenkst du an Säggallo
Razamon, der Spion heranzukommen?« »Gar nicht«, brummte Razamon. »Unser Ziel liegt ganz woanders.« »Aber wir fliegen doch ins Marantroner-Re vier?« »Das schon.« »Unser aller Leben«, sagte Aclur ernst, »ist keinen lausigen Perlmuttsplitter mehr wert, wenn man uns jenseits der Grenze er wischt – es sei denn, du läßt dir eine glaub hafte Ausrede einfallen.« Razamon erinnerte sich daran, daß er sich darüber bereits den Kopf zerbrochen hatte. Die Droge hatte ihn das Problem vergessen lassen. Verdammter Duuhl Larx! dachte er bitter. »Und du solltest dir sehr schnell etwas überlegen«, fuhr Aclur fort. »Möglichst noch bevor wir die Planetenschleuse errei chen. Chirmor Flog hat einen langen Arm. Niemand weiß, wie weit seine Spione be reits in dieses Revier vorgedrungen sind. Falls auch nur der Schatten eines Verdachts auf dich fällt, kannst du alle deine Pläne be graben.« Razamon sah den Kammdeuter nachdenk lich an. »Ich danke dir«, sagte er schließlich. »Wofür?« fragte Aclur abfällig. »Es war meine Pflicht, dir zu helfen.« »Aber nicht, mir einen so guten Rat zu er teilen.« »Reiner Egoismus. Ich möchte auch le ben.« Razamon streckte Aclur die Hand hin. Der Kune war für einen Augenblick ratlos, dann begriff er den Sinn der Geste und schlug ein. »Übrigens«, sagte er, als Razamon bereits an der Tür war. »Tuom ist ein guter Junge. Du kannst dich auf ihn verlassen. In jeder Beziehung.« Razamon nickte und ging hinaus. Tuom erwartete ihn bereits. Der Berserker betrachtete den jungen Kunen, als sähe er ihn zum erstenmal. Immerhin, dachte er. Es scheint, als könn te man selbst an Bord der WARQUIENT
35 Leute finden, denen man vertrauen darf! Er nahm Tuom mit und rief von seiner Kabine aus über die interne Sprechanlage den Kapitän an. »Tuom wird seinen üblichen Dienst für die Dauer dieser Reise nicht mehr versehen können«, erklärte er. »Er steht von diesem Augenblick an in meinen Diensten!« Onfan-Pargs Reaktion auf diese Ankündi gung ließ sich nur an seiner äußerst knappen Antwort ablesen. »Du mußt wissen, was du tust!« sagte der Truge. Razamon lächelte nur und schaltete sich aus der Verbindung aus. Er wandte sich zu Tuom um. »Laß uns überlegen, wie wir ins Maran troner-Revier kommen können«, schlug er vor. »Vielleicht fällt uns gemeinsam etwas ein.« Tuom entpuppte sich im Lauf der näch sten Stunden als ein durchaus intelligenter junger Mann, an dessen fremdartiges Ausse hen sich Razamon sehr schnell gewöhnte. Sie entwickelten zahlreiche Ideen, aber bei genauerer Überprüfung erwiesen sie alle sich als undurchführbar. Als Razamon mit seinem Latein am Ende war, nahm er abermals Kontakt zu OnfanParg auf. »Gib folgenden Befehl an die Galionsfi gur weiter«, befahl er. »Die WARQUIENT soll sofort auf Unterlichtgeschwindigkeit ge hen und bis auf weiteres antriebslos auf das Nurschug-System zudriften.« »Das geht nicht, Herr!« protestierte On fan-Parg heftig. »Einen solchen Befehl kann ich unmöglich weiterleiten!« »Du kannst!« sagte Razamon grob. »Wenn du dich weigerst, wirst du Ärger mit Duuhl Larx bekommen. Also?« »Ich werde der Galionsfigur sagen, was sie zu tun hat«, gab Onfan-Parg widerstre bend nach. »Das ist gut für dich«, versicherte der Berserker lächelnd. »Außerdem wirst du da für sorgen, daß eine Direktverbindung zwi schen meiner Kabine und der Bugkanzel
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Marianne Sydow
hergestellt wird. Wie heißt eigentlich das Wesen, das unser Schiff steuert?« »Dlallau«, murmelte Onfan-Parg, und sei ne Fühler bewegten sich unruhig. »Ich lasse die Verbindung herstellen.«
* Razamon sah ein, daß er nicht weiterkam, wenn er sich allein auf Tuom und seine eige ne Erfindungsgabe verließ. Aber er wagte es nicht, die ganze Besatzung der WARQUI ENT mit seinem Problem vertraut zu ma chen. Er rief Aclur zu sich, in der Hoffnung, daß dieser die Lösung bereits kannte. Aus den Andeutungen, die der Kammdeuter ge macht hatte, glaubte er herauslesen zu kön nen, daß Aclur sich schon seit geraumer Zeit mit dieser Angelegenheit befaßte. Aber als Aclur kam und der Berserker die entspre chende Frage an ihn richtete, hob der Kune ratlos die Hände. »Es tut mir leid«, sagte er bedrückt. »Ich habe keine Ahnung, wie es funktionieren könnte.« Fast im selben Augenblick surrte es, und Razamon drückte die Taste des Sprechgeräts herunter. »Die Verbindung zur Galionsfigur besteht jetzt«, verkündete die quäkende Stimme ei nes Trugen. »Danke«, erwiderte Razamon mecha nisch, aber der unbekannte Truge hatte sich bereits wieder ausgeschaltet. »Was muß ich tun, um mit Dlallau spre chen zu können?« erkundigte sich Razamon bei den beiden Kunen. Tuom erklärte es ihm, und er rief nach der Galionsfigur. »Wie kann ich dir dienen?« fragte gleich darauf eine sanfte Stimme. »Indem du zur Kenntnis nimmst«, sagte Razamon langsam, »daß von diesem Augen blick an alle Flugmanöver, die du vollführst, meiner Zustimmung bedürfen. Es sei denn, es tritt ein Notfall ein, in dem unser aller Le ben von deinen schnellen Reaktionen ab-
hängt. In einem solchen Fall hast du ohne je de Rückfrage das zu tun, was im Interesse der Sicherheit nötig ist.« »Ich habe verstanden, Herr«, antwortete die sanfte Stimme. »Das gleiche gilt für den Fall, daß du Be obachtungen machst, die dir ungewöhnlich vorkommen. Was immer auch geschieht – ich muß davon Kenntnis haben.« »Ja, Herr.« »Und sag nicht immer Herr zu mir. Ich bin Razamon. Deinen Namen kenne ich. Von welchem Volk bist du?« »Ich bin eine Tschug.« »Eine Tschug? Bist du eine Frau?« »Ich denke schon.« »Von welchem Planeten stammst du?« »Das habe ich vergessen, Razamon.« »Das tut mir leid, Dlallau. Sobald ich da zu Zeit habe, komme ich zur dir herauf und sehe mir an, von welcher Gestalt du bist. Vielleicht kann ich dir helfen. Ich kenne sehr viele Völker.« »Es ist nicht so wichtig, Razamon«, erwi derte die Tschug gleichmütig. Diese Antwort wirkte ernüchternd. Raza mon erinnerte sich an das, was er über die Galionsfigur erfahren hatte, und er sah be troffen zu dem Lautsprecher hinüber. »Gut«, murmelte er schließlich. »Wenn ich etwas von dir will, werde ich dich ru fen.« Dlallau antwortete nicht. »Manchmal«, sagte Aclur bedächtig, »denke ich, daß diese Galionsfiguren eines Tages begreifen werden, was man ihnen an getan hat.« Razamon hob überrascht den Kopf. Es war das erstemal, daß der Kammdeuter of fen zugab, wie groß sein Unbehagen ange sichts der Verhältnisse in der Schwarzen Ga laxis war. »Gibt es überhaupt ein Wesen, daß frei ist?« fuhr Aclur nachdenklich fort. »Hier in der Schwarzen Galaxis kenne ich niemanden – die Neffen und den geheimnisvollen Dunklen Oheim ausgenommen.« Razamon dachte an die Gersa-Predoggs,
Razamon, der Spion die jeden Neffen mit ihrer unheilvollen Aura umhüllten und beeinflußten. Er schüttelte den Kopf. Nein, die Neffen waren alles an dere als frei, und es hätte ihn nicht gewun dert, wenn er irgendwann erfuhr, daß auch der Dunkle Oheim nur eine Marionette war, ein Sklave, der nach dem Willen einer noch weit größeren, unglaublich bösartigen Macht agierte. »Razamon!« klang die sanfte Stimme der Galionsfigur auf. »Was gibt es?« erkundigte sich der Ber serker beunruhigt. »Ich habe etwas geortet. Etwas treibt im Raum. Es ist noch zu weit von uns entfernt, als daß ich erkennen könnte, worum es sich handelt. Wir werden weit daran vorbeitrei ben, wenn ich den Kurs nicht ändere.« »Wir sehen uns das an«, entschied Raza mon. »Wieviel Zeit werden wir brauchen, um nahe genug heranzukommen?« »Nur ein paar Minuten. Die Entfernung ist nicht besonders groß, aber der Gegen stand ist sehr klein.« »Kannst du es mir auf dem Bildschirm in meiner Kabine zeigen, wenn es soweit ist?« »Ja, Razamon. Ich ändere jetzt den Kurs.« »Was es auch sein mag – es wird uns wohl kaum bei unserem eigentlichen Pro blem helfen«, murmelte Aclur. »Wer weiß«, antwortete Razamon lä chelnd. »Ab und zu muß man doch auch ein mal Glück haben!« Der Bildschirm begann zu flimmern. Hier, im Randbezirk der Schwarzen Galaxis, gab es nur wenige Sonnen, und es schien, als hätte Dlallau selbst diese seltenen Licht punkte aus der Ausnahme herausgefiltert. Man sah nichts als einen mattsilbernen Punkt, der in der tiefen Schwärze hing. Der Punkt wurde nur wenig größer. Aber als Dlallau die WARQUIENT abgebremst hatte, sorgte sie dafür, daß das im Raum trei bende Etwas optisch stark vergrößert wurde. »Das ist ein Druckanzug!« stieß Tuom überrascht hervor. »Wie kommt das Ding hierher?« »Ganz einfach«, murmelte Razamon
37 nachdenklich. »Es steckt jemand darin. Stimmt das, Dlallau?« »Ja«, antwortete die Galionsfigur knapp. »Kannst du feststellen, ob der Fremde noch am Leben ist?« »Ja. Er atmet noch.« »Versuche, ihn über Funk zu erreichen«, befahl der Berserker. »Ich sorge inzwischen dafür, daß er hereingeholt wird.« Er nahm Kontakt zu Onfan-Parg auf und befahl dem Trugen, einen Rettungstrupp be reitzustellen. Der Kapitän war nicht gerade begeistert. »Es kann sich nur um einen Verbrecher handeln«, behauptete er. »Das ist mir egal«, fauchte Razamon un geduldig. »Wir holen dieses Wesen an Bord.« Er schaltete um und hörte von Dlallau, daß der Fremde über Funk nicht sprechen wollte. »Sein Gerät ist in Ordnung«, behauptete die Galionsfigur. »Aber dieses Wesen sagt keinen Ton.« Razamon blieb einen Augenblick lang re gungslos vor dem Gerät stehen. Ein seltsa mes Gefühl beschlich ihn. Er gab nicht allzu viel auf Ahnungen, aber diesmal waren sie zu stark, als daß er sie hätte ignorieren kön nen. »Ich kümmere mich selbst um den Frem den«, sagte er leise, dann verließ er eilig sei ne Kabine.
* Der Rettungstrupp stand bereits vor der Hauptschleuse, als Razamon eintraf. Er stellte fest, daß Onfan-Parg nur Kunen für diesen Einsatz ausgewählt hatte. »Bringt ihn herein, aber öffnet seinen Helm nicht«, befahl Razamon den Kunen. »Ich möchte der erste sein, der mit dem Fremden spricht.« »Ja, Herr«, antworteten die hochgewach senen Raumfahrer höflich. Kaum eine Minute später gab Dlallau mit einem kurzen Signal zu verstehen, daß es so
38 weit war. Die Kunen verschwanden in der Schleusenkammer. Razamon wartete voller Ungeduld. Endlich öffnete sich das Schott, und ein Kune kam auf Razamon zu. »Er liegt dort drüben!« sagte er und deu tete in die Kammer hinein. Razamon rannte fast zu der unförmigen Gestalt hinüber. Erst als er den Druckanzug vor sich sah, schwand die kribbelnde Unruhe, die ihn die ganze Zeit über beherrscht hatte. Langsam drehte er sich um. »Laßt mich mit ihm allein!« befahl er den Kunen. Sie wandten sich schweigend ab. Raza mon ging ihnen nach und schloß das Schott. Dann erst nahm er sich Zeit, den Fremden genauer zu betrachten. Das Wesen lag regungslos auf dem Bo den. Es steckte in einem Anzug, hinter des sen Sichtscheibe es grünlich schimmerte. Razamon brauchte ungewöhnlich viel Zeit, um zu begreifen, was das bedeutete. Der Fremde war ein Giftgasatmer. Die Enttäuschung war so groß, daß er sich fast von dem Fremden ab gewandt hätte. Seine Hoffnung, dieser Fremde könne sich als Schlüssel zum MarantronerRevier erwei sen, würde sich nicht erfüllen, aber immer hin lebte der Fremde noch, und nachdem man ihn einmal an Bord gezogen hatte, mußte man sich wohl oder übel auch um ihn kümmern. Er beugte sich zu dem Fremden hinab. »Kannst du mich verstehen?« fragte er. »Wenn ja, dann gib mir ein Zeichen.« Der Fremde sagte nichts, aber er richtete sich mühsam auf und hob die Hände an den Helm. »Nein!« rief Razamon entsetzt. »Laß das bleiben. Die Luft hier an Bord ist nichts für dich, sie wird dich umbringen!« Der Fremde machte sich unbeeindruckt an den Verschlüssen zu schaffen. Er hat den Verstand verloren! dachte Razamon erschüttert. Ich muß verhindern, daß er sich selbst umbringt! Er versuchte, die Hände des Fremden her-
Marianne Sydow unterzudrücken, aber das Wesen in dem Druckanzug verfügte über erstaunlich viel Kraft. Dennoch wäre Razamon in dieser Auseinandersetzung Sieger geblieben, wäre nicht etwas geschehen, was ihn für einen Moment aus der Fassung brachte. Deutlich drang eine Stimme aus dem klo bigen Helm. Der Fremde verfluchte Raza mon mit solcher Inbrunst, daß der Berserker sich bestürzt aufrichtete. Der Fremde nutzte seine Chance, löste den Helm und streifte ihn mit einem Ruck ab. Der Berserker starrte den schwarzen, haarlosen, knochigen Kopf an, der aus dem Druckanzug hervorsah. »Du?« fragte er, und es klang nicht sehr geistreich. »Damit hast du nicht gerechnet, wie?« ki cherte Peleff schrill. »Wie kommst du in diesen Druckanzug? Und was hattest du dort draußen zu su chen?« »Immer der Reihe nach«, mahnte Peleff. »Zuerst will ich diesen verdammten Anzug loswerden. Es ist nicht gerade gemütlich darin. Hast du dich von Cagendar abge setzt?« »Ich bin im Auftrag des Neffen unter wegs«, murmelte Razamon. Er war sich nicht sicher, ob er über dieses unerwartete Zusammentreffen erfreut sein sollte. Noch vor wenigen Wochen war Peleff der Todfeind des Berserkers gewesen. Dann fiel der Valvke bei Duuhl Larx in Ungnade, und Razamon brachte das Kunststück fertig, Peleff zu überwältigen und nach Cagendar zu bringen. Peleff wurde zum Tode verur teilt, während Razamon zum neuen Vertrau ten des Neffen aufstieg. Einer der ersten of fiziellen Aufträge, die Duuhl Larx dem Pthorer gab, lautete, das Urteil an Peleff zu vollstrecken. Aber Razamon war kein Mörder, erst recht kein Henker. Er ließ den Valvken am Leben und verhalf ihm zur Flucht. Als sie auf Cagendar voneinander Abschied nah men, da geschah das in beinahe freund schaftlicher Weise. »Wohin fliegst du?« wollte Peleff wissen.
Razamon, der Spion »Ins Marantroner-Revier«, antwortete Razamon, und plötzlich kam ihm die Er leuchtung. Peleff war der Schlüssel zum Erfolg. Wenn es jemanden gab, den man auf Säg gallo zu diesem Zeitpunkt freundlich emp fangen würde, dann war das der Valvke. Es mußte sich längst bis zu Chirmor Flog her umgesprochen haben, daß Peleffs Macht zerbrochen war. Nicht umsonst war Duuhl Larx so wild darauf gewesen, den Valvken für immer zum Schweigen zu bringen. Peleff wußte mehr über den Neffen als sonst ein Außenstehender. »Du könntest mitkommen«, sagte Raza mon gedehnt. »Du wolltest doch schon frü her zu Chirmor Flog – jetzt bietet sich dir ei ne ideale Gelegenheit dazu!« Ihm fiel ein, daß es technisch möglich war, das Innere der Schleusenkammer vom Kommandoraum aus zu beobachten. Hastig deutete er auf den Helm. »Du mußt ihn noch einmal aufsetzen!« er klärte er. »Ich bringe dich in eine Kabine, in der du vor Entdeckung sicher bist. So lange wir uns noch im Rghul-Revier befinden, darf auch von der Besatzung niemand wis sen, daß du an Bord bist. Später wirst du dich frei im Schiff bewegen können. Das heißt – du mußt natürlich meinem Plan zu stimmen. Wirst du mich in das Marantroner-Re vier begleiten?« »Erwartest du etwa im Ernst eine ableh nende Antwort?« fragte Peleff spöttisch. In seinen stechenden gelben Augen leuchtete es seltsam. Aber Razamon war im Augen blick zu sehr mit seinem Plan beschäftigt, als daß er auf dieses Zeichen geachtet hätte. »Dann komm«, murmelte er. »Und gib acht, daß du dich nicht verrätst!« »Du kannst dir derartige Ermahnungen sparen«, gab der Valvke unwillig zurück. »Was meinst du, wie ich in diese von allen Geistern verlassene Gegend gekommen bin? Man hat mich erkannt, und gäbe es nicht ein paar alte Schauermärchen, die man sich noch heute über mein Volk erzählt, so hätten diese verdammten Narren mir auf der Stelle
39 die Gurgel durchgeschnitten.« »Du wirst genug Zeit haben, mir deine Geschichte zu erzählen«, sagte Razamon lä chelnd. »Aber jetzt komm endlich!« Die Kunen, die den Valvken ins Schiff gezogen hatten, warteten noch immer vor dem Schott. Razamon teilte ihnen mit, daß er sich persönlich um das Wohl des seltsa men Passagiers kümmern würde, und entließ die Männer. Razamon wartete, bis sie hinter einer Krümmung des Ganges verschwunden waren, dann ging er mit Peleff davon. Wäh rend er den Valvken zu seiner Kabine führte, dachte er an Tuom und Aclur. Ihm war klar, daß er nicht einmal diese beiden in alles ein weihen durfte. Er wußte nicht, ob sie Peleff auf den ersten Blick erkennen würden, aber die Ge fahr, daß sie es taten und dann den Kopf verloren, war einfach zu groß. Als er an einem Sprechgerät vorbeikam, setzte er sich mit Onfan-Parg in Verbindung. »Der Schiffbrüchige ist mein Gast«, teilte er dem Trugen mit. »Er wird in der Kabine wohnen, die rechts von meiner Unterkunft liegt. Sorge dafür, daß der Raum leer ist, wenn wir dort eintreffen!« »Ja«, bestätigte Onfan-Parg den Befehl, aber selbst seiner wenig ausdrucksvollen Stimme merkte man nur zu deutlich an, was er von der Sache hielt. »Sollen die Räume ganz leer sein, oder braucht unser Gast immerhin ein paar Ein richtungsgegenstände?« »Es reicht, wenn derjenige, der die Kabi ne zur Zeit bewohnt, seine persönliche Habe mitnimmt.« »Das ist sehr freundlich von dir«, behauptete Onfan-Parg. Als sie die Kabine erreichten und Raza mon sich davon überzeugt hatte, daß alles in Ordnung war, nahm Peleff den Helm ab. »Der Kapitän liebt dich geradezu«, be merkte er spöttisch. »Das macht nichts«, versicherte Razamon gelassen. »Ich habe die Galionsfigur auf meiner Seite, und das reicht mir.« »Auf Galionsfiguren bist du wohl spezia lisiert«, murmelte der Valvke anzüglich, denn auch an Bord der PELEFFS RACHE
40 hatte der Berserker sich mit einem solchen Wesen verbündet, um den Besitzer des Schiffes überwältigen zu können. Razamon ging nicht auf diese Bemerkung ein. »Ich muß dich für einen Augenblick ver lassen«, kündigte er an. »Bleibe bitte in die sem Raum.« »Ich bin nicht lebensmüde«, kicherte Peleff. »Laß dir nur ruhig Zeit. Die Reise wird noch lange genug dauern, daß wir Zeit zum Reden finden!« Der Berserker eilte in seine eigene Kabi ne. Die beiden Kunen sahen ihm erwar tungsvoll entgegen. »Wir brauchen uns nicht länger den Kopf zu zerbrechen«, sagte Razamon. »Wir haben jemanden an Bord, den man im Marantro ner-Revier kennt. Niemand wird es wagen, uns zu bedrohen.« »Wer ist das?« fragte Aclur. »Wen hast du in der Schleuse gefunden?« Razamon dachte voller Bedauern daran, daß es den Kammdeuter verletzen würde, wenn er spürte, daß der Pthorer ihm nicht völlig vertraute. Aber es ließ sich nicht än dern. »Es ist besser, wenn ich den Namen nicht ausspreche«, erklärte er. »Es geht um unser aller Sicherheit.« »Hast du auch daran gedacht, daß wir noch durch die Planetenschleuse müssen? Das Schreiben des Neffen mag zwar Wun der wirken, aber du wirst es auch damit nicht verhindern können, daß der Heymfloz Kontakt mit dem Schiff aufnimmt.« Razamon erschrak. Damit hatte er tatsäch lich nicht gerechnet. Dabei war er doch selbst bereits zweimal durch die Planeten schleuse gegangen. Aber er hatte automa tisch angenommen, daß Suchmannschaften an Bord kommen würden, und diese zu täu schen konnte nicht weiter schwierig sein. Aber Peleff kannte mit Sicherheit alle Schliche und Tricks, mit deren Hilfe man auch den Heymfloz, den Riesencomputer von Guhrno, in die Irre führen konnte. Den noch beschloß er, Aclur um Rat zu fragen.
Marianne Sydow Er hoffte, dem Kunen damit über die Enttäu schung hinwegzuhelfen. »Es gibt nur eine Möglichkeit«, behaupte te der Kammdeuter. »Du mußt die Galions figur einweihen.« »Unmöglich!« stieß Razamon hervor. »Aber Dlallau kontrolliert die Verbindun gen, über die der Heymfloz sich seine Infor mationen holt. Wäre das alles früher gesche hen, so könnte man Vorkehrungen treffen …« »Noch treiben wir im Raum«, unterbrach Razamon den Kammdeuter. »Wir können uns so viel Zeit nehmen, wie wir wollen.« »Du irrst dich. Unser Abflug von Cagen dar wurde nach Guhrno weitergemeldet. Wenn wir nicht innerhalb einer bestimmten Frist in der Planetenschleuse ankommen, wird der Heymfloz Verdacht schöpfen.« Razamon dachte an den Neffen. Sollte er Duuhl Larx um Hilfe bitten? Aber würde man ihm überhaupt die Möglichkeit geben, mit dem Herrscher von Harrytho zu spre chen? »Ich werde darüber nachdenken«, mur melte er. »Keine Angst, Aclur, ich werde sehr bald zu einem Entschluß gelangen.« Aclur war ein Kune mit guten Manieren und einem ausgeprägten Gespür für heikle Situationen. »Auf mich wartet viel Arbeit«, erklärte er, aber Razamon wußte, daß dies ein Vorwand war. »Wenn du Fragen hast, dann stehe ich dir zur Verfügung.« Razamon nickte ihm dankbar zu. Er streifte Tuom mit einem nachdenklichen Blick, aber Aclur hatte auch dieses Problem bereits bedacht. »Du wirst noch eine Dosis von dem Ge genmittel brauchen«, sagte er zu Razamon. »Tuom kann mit mir kommen und es dir bringen.« Kaum war Razamon allein, da eilte er wieder zu Peleff hinüber. »Du scheinst viel Zeit zu haben«, vermu tete der Valvke, als er Razamon durch die Tür kommen sah. »Warum nimmst du nicht die kürzere Verbindung?«
Razamon, der Spion Dabei deutete er auf eine Verbindungstür, und Razamon schalt sich einen Narren. Er hatte die Tür bereits gesehen, sie aber ver gessen, als er sich mit Aclur auseinanderset zen mußte. In seiner Kabine war die Tür hinter einem schmalen Schrank verborgen. »Beim nächstenmal werde ich da hin durchkommen«, sagte er. »Ich muß die Tür erst freiräumen. Sage mir eines: Wie bekom me ich dich durch die Planetenschleuse?« »Hm«, machte Peleff. »Die Galionsfigur könnte dir helfen, aber das ist eine heikle Angelegenheit. Wenn sie einem Volk dieser Galaxis entstammt, hat sie möglicherweise schon von mir gehört. Du wirst dich auf das Schreiben des Neffen und deinen Verstand verlassen müssen.« Und er erklärte Razamon, was er zu tun hatte. Der Pthorer war skeptisch. Was Peleff ihm vorschlug, lief letzten Endes darauf hin aus, daß er sowohl dem Heymfloz als auch allen neugierigen Kontrolleuren der Schleu se mit schrecklichen Strafen zu drohen hatte für den Fall, daß sie auch nur einen Blick in das Innere der WARQUIENT warfen. »Auf das richtige Auftreten kommt es an«, erklärte Peleff, und sein Tonfall wie auch seine Blicke bewiesen, daß er Raza mon in dieser Beziehung nicht viel zutraute. »Hätte ich noch etwas zu sagen, dann kämen wir so schnell durch die Schleuse, daß wir den Flug gar nicht zu unterbrechen bräuch ten.« Er seufzte. »Du mußt arrogant wirken, drohend, böse, spöttisch. Sie müssen vor dir zittern und dürfen keine Ahnung haben, von welcher Seite her sie dich fassen könnten.« Razamon kehrte ziemlich bedrückt in sei ne Kabine zurück und gab der Galionsfigur den Befehl, den Flug fortzusetzen. Einige Stunden später stand er im Kon trollraum und sprach mit dem obersten Kon trolleur des Nurschug-Systems, und wieder hatte er es mit einem Kunen zu tun. Er bat dieses Wesen in Gedanken um Verzeihung für jedes einzelne Wort, aber er hielt das Spiel durch, und er mußte wohl doch recht überzeugend gewirkt haben, denn der WAR QUIENT wurde tatsächlich gestattet, ohne
41 Kontrolle die Schleuse zu verlassen.
7. Mehrere Tage vergingen ereignislos. Die WARQUIENT näherte sich der Grenze des Rghul-Reviers. Sie blieb fast die ganze Zeit über im Überlichtflug. Nur ab und zu verrin gerte Dlallau die Geschwindigkeit, um den Kurs zu überprüfen und den Maschinen et was Erholung zu gönnen. Peleff blieb in seiner Kabine, und Raza mon besuchte ihn regelmäßig, obwohl er zu spüren glaubte, daß dem Valvken diese häu figen Gespräche allmählich lästig wurden. Der Berserker indessen wollte Peleff um keinen Preis der Welt für einen längeren Zeitraum sich selbst überlassen. Der Valvke beantwortete Razamons end lose Fragen lustlos, und er schien von Tag zu Tag nervöser zu werden. »Was ist los?« fragte Razamon eines Ta ges. »Etwas stimmt doch nicht mit dir.« »Unsinn!« erwiderte Peleff grob. »Mir geht es blendend. Es ist mir eine wahre Freude, unablässig diese kahlen Wände an zustarren.« Razamon schalt sich einen Narren. Natür lich, diese Erklärung leuchtete ihm ein. Peleff mußte sich in dieser Kabine wie ein Gefangener vorkommen. »Es dauert nicht mehr lange«, sagte er trö stend. »Morgen überfliegen wir die Grenze. Dann kannst du herauskommen und zum Schein das Kommando über die WARQUI ENT übernehmen. Ich glaube nicht, daß es Ärger mit der Besatzung geben wird. Sie rechnen damit, daß ich mit einem Trick auf warten werde, um nach Säggallo zu gelan gen.« Peleff sah Razamon unverwandt an. »Sind wir erst am Ziel«, fuhr der Berser ker fort, »dann brauchst du nur noch dafür zu sorgen, daß Chirmor Flog mich als Verrä ter an Duuhl Larx akzeptiert und den Rest der Besatzung in Ruhe läßt, und du wirst so frei sein, wie du nur willst.« Peleff lachte leise auf.
42 »Du hast ja keine Ahnung«, murmelte er. »Wie meinst du das?« fragte Razamon mißtrauisch. »Ach, nichts. Morgen also ist es soweit. Du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich darauf freue.« Als Razamon den Valvken an diesem Tag verließ, fühlte er sich sehr unbehaglich. Wer einen Tiger beim Schwanz packt, dachte er, darf sich nicht wundern, wenn er plötzlich dessen Zähne vor sich sieht! Und Peleff war gefährlicher als selbst das wildeste Raubtier. Razamon wußte das, und er war sich von Anfang an darüber klar ge wesen, daß es ein Risiko bedeutete, mit dem Valvken paktieren zu wollen. Aber er hatte keine große Auswahl an Möglichkeiten ge habt, die es ihm gestatteten, auch ohne Peleffs Hilfe nach Säggallo zu gelangen. Er mußte sein Ziel erreichen. Es ging jetzt nicht mehr nur um Pthor und Atlan, sondern auch um das Schicksal Terras. Er sah seine Waffen durch, ehe er sich zur Ruhe begab. Die Roboter, die ihn in Harry tho unterrichteten, hatten ihm geraten, stets eine Waffe bei sich zu tragen, weil dies sei ner Stellung entsprach. Damals hatte er noch geglaubt, solche Tricks nicht nötig zu haben. Aber da Onfan-Parg ihm nach wie vor mit offener Ablehnung begegnete, hatte er sich dazu durchgerungen, wenigstens eine Schockschleuder mitzunehmen, wenn er im Schiff unterwegs war. Fast war er entschlossen, sich jetzt auch noch mit einem schweren, trugischen Strah ler zu bewaffnen. Aber da entdeckte er et was, was ihn vorübergehend alles andere vergessen ließ: Eine der Giftkapseln, die Duuhl Larx ihm mitgegeben hatte, fehlte. Er konnte es zunächst gar nicht glauben. Er dachte, er müsse sich irren, oder er hätte sich eine falsche Zahl eingeprägt. Aber er wußte von vornherein, daß dies nur ein un sinniger Versuch war, sich selbst zu beruhi gen. Nach einigem Zögern schloß er vorsichtig den Deckel der Truhe und ging zu der Tür, die seine Kabine mit der des Valvken ver-
Marianne Sydow band. Nachdenklich blieb er davor stehen. Gleich nach Peleffs Ankunft hatte er diese Tür freigeräumt, um, ohne von einem Mann schaftsmitglied gesehen zu werden, zu dem Valvken gelangen zu können. Peleff hatte diesen Weg niemals beschritten. Er blieb in seinen Räumen, und aus irgendeinem Grund hatte Razamon sich stets darauf verlassen, daß es so bleiben würde. Was für ein Narr ich doch bin! dachte er wütend. Er stieß die Tür auf. Peleff war nicht da. Razamon durchsuchte die Nebenräume, bis er ganz sicher war. Er dachte verzweifelt darüber nach, welche Chance noch bestand, den Valvken aufzu halten. Ihm fiel nur eine einzige Möglichkeit ein, und die war ihm gar nicht angenehm, aber da es um das Leben aller an Bord ging, entschloß er sich schweren Herzens, mit On fan-Parg zu sprechen. Er kehrte in seine Kabine zurück, ließ die Verbindungstür aber offen. »Hör mir gut zu und stelle bitte nach Möglichkeit keine Fragen«, sagte er, als er Onfan-Parg auf dem Bildschirm vor sich sah. »Wir haben Peleff, den Valvken, an Bord. Er sollte uns als Schlüssel zum Ma rantroner-Revier dienen. Aber es ist etwas schiefgegangen. Der Valvke hat eine Gift kapsel gestohlen und ist in diesem Augen blick dabei, das Ding irgendwo im Schiff zu verstecken. Es handelt sich bei diesem Gift um ein absolut tödliches Gas. Die Kapsel ist mit einer winzigen Sprengladung versehen, die durch einen Funkimpuls gezündet wird. Peleff hat das dazu erforderliche Gerät be reits in seinem Besitz. Du mußt also nach dem Valvken suchen, aber es muß unauffäl lig geschehen. Peleff darf nichts davon mer ken …« »Das ist nicht mehr nötig«, sagte die kal te, spöttische Stimme des Valvken. Razamon fuhr herum. Peleff stand an der Tür und zielte mit einer kleinen, harmlos wirkenden Waffe auf den Berserker. »Es ist wirklich der Valvke!« schrie On fan-Parg entsetzt. »Warum schießt du nicht,
Razamon, der Spion Razamon?« »Weil er nicht lebensmüde ist, du Dumm kopf!« rief Peleff verächtlich. »Halte deine Leute zurück, Onfan-Parg, oder das Gift wird die WARQUIENT überfluten!« Razamon stand mit dem Rücken zum Bildschirm, so daß er nicht sehen konnte, was Onfan-Parg tat. Aber Peleffs triumphie rendes Lächeln sagte ihm genug, und tat sächlich sagte der Truge nach einer langen Pause: »Du hast wieder einmal gewonnen, Peleff. Was sollen wir tun?« »Ich verlange nicht viel«, erklärte Peleff gelassen. »Ihr werdet wie gewohnt eure Ar beit tun. In einigen Stunden werde ich in den Kontrollraum kommen und mich um einige Dinge kümmern. Bis dahin erwarte ich von euch, daß ihr die Ruhe bewahrt. Versucht nicht, mich mit Hilfe irgendeiner List auszu schalten. Auch wenn es euch gelänge, mich zu töten, ehe ich Verdacht geschöpft habe, wird der Giftgasbehälter explodieren. Ich hoffe, damit ist alles klar.« »Wir werden uns danach richten«, versi cherte Onfan-Parg. »Unterbrich die Verbindung!« forderte Peleff, und Razamon vernahm ein leises Knacken. »Nun zu dir«, murmelte Peleff. Er musterte den Berserker abschätzend. Razamon ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Er war dem Valvken überlegen, und das wußte auch Peleff. Razamon hätte den Verräter angreifen und besiegen können, ehe dieser seine Waffe einzusetzen ver mochte. »Gib dich bitte keiner Illusion hin«, warn te Peleff lächelnd. »Du selbst hättest zwar eine Chance, aber ich werde den Zündim puls abstrahlen, sobald du auch nur eine falsche Bewegung machst. Außerdem geht es für dich nicht um Leben oder Tod – je denfalls jetzt noch nicht.« »Aha«, machte Razamon spöttisch. »Worum sonst?« »Kannst du dir das nicht denken?« Peleff dirigierte den Berserker vom
43 Sprechgerät weg und befahl ihm, sich auf einen Stuhl zu setzen. Aus den Falten seines weiten Gewandes zog Peleff ein kleines Ge rät hervor, stellte es auf den Fußboden und drückte auf einen Knopf. Razamon spürte, wie sich ein Kraftfeld um ihn herum bildete. Unsichtbare Fesseln legten sich sanft um seinen Körper. Er versuchte, sich zu bewe gen. In gewissen Grenzen war das auch möglich, vor allem dann, wenn diese Bewe gungen langsam und ruhig durchgeführt wurden. Aber er merkte sehr schnell, daß er keine Chance hatte, aus diesem Feld heraus zukommen oder gar das Gerät zu erreichen, das ihn so hilflos machte. »Chirmor Flog«, sagte Peleff, »weiß Mit arbeiter zu schätzen, die ihm von Anfang an Gewinn bringen. Bis ich ihm meine Ge schichte erzählen kann und er erkennt, wel che Vorteile ich ihm verschaffen kann, wird vielleicht ein wenig Zeit vergehen, Zeit, in der ich als einfacher Untertan auf Säggallo leben müßte. Du kannst dir sicher vorstellen, daß mir dieser Gedanke gar nicht gefällt. Aber ich habe ja dich. Du kommst als Spion aus dem Rghul-Revier – das ist ein Punkt. Du arbeitest aber außerdem heimlich für Pthor, wie ich sehr wohl weiß, und somit stellst du eine gewisse Gefahr für Chirmor Flog dar. Er wird mich mit allen Ehren emp fangen, wenn ich dich an ihn ausliefere!« »Ich hätte es wissen müssen«, murmelte Razamon bitter. »Dir darf man nicht vertrau en. Ich hätte dich da draußen ersticken las sen sollen!« Peleff lachte nur. »Ich werde jetzt dieses Schiff überneh men«, erklärte er. »Wir dürften mittlerweile die Grenze zum Marantroner-Revier über schritten haben. Solltest du dich langweilen – ich an deiner Stelle würde mir schon jetzt eine Geschichte ausdenken, die du Chirmor Flog präsentieren könntest. Mir wäre es nämlich sehr lieb, wenn du ihn dazu bräch test, dich am Leben zu lassen. Es wäre amüsant, mit dir zusammenzuarbeiten!« »Du bist mir ein wahrer Freund!« sagte Razamon sarkastisch.
44 Peleff wandte sich ab und glitt davon. Die Tür zu seiner Kabine ließ er offen. Der Ber serker hörte den Valvken nebenan herum poltern. Er fragte sich, was Peleff dort drü ben anstellen mochte. Endlich verließ der Valvke seine Kabine, und Razamon war al lein. »Dlallau!« rief er leise. »Ich höre, Razamon!« »Hast du alles mitbekommen?« »Ja.« »Hast du irgendeine Idee, wie man Peleff ausschalten könnte?« »Nein.« »Weißt du wenigstens, wo der Valvke den Giftgasbehälter versteckt hat?« »Nein.« »Aber du hast ihn doch sicher beobachtet! Ich hatte dir befohlen, auf alles zu achten, was ungewöhnlich ist!« »Ich habe ihn beobachtet.« »Ich verstehe dich nicht«, sagte Razamon ratlos. »Es gibt tote Winkel in jedem Schiff«, er läuterte die Galionsfigur. »Peleff kennt die betreffenden Stellen.« »Aber dann ist doch alles klar!« rief der Berserker. »Die Gaskapsel befindet sich in der Nähe des Ortes, an dem du ihn aus den Augen verloren hast!« »So einfach ist das nicht, Razamon. Es gibt mehrere Stellen dieser Art, und Peleff hat sie alle der Reihe nach aufgesucht.« »Nimm Kontakt mit Onfan-Parg auf und teile ihm mit, welche Orte in Frage kom men!« forderte Razamon. »Er wird dafür sorgen, daß man unauffällig nach der Kapsel sucht.« »Ich kann diesem Befehl nicht folgen.« »Warum nicht?« »Peleff wird auch mich töten. Hör zu, Razamon, ich habe nichts mit Duuhl Larx oder Chirmor Flog zu tun. Ich gehorche den Befehlen, die man mir gab. Meine wichtig ste Aufgabe ist es, dieses Schiff vor Schaden zu bewahren. Ich habe die WARQUIENT so zu führen, daß sie möglichst lange einsatzfä hig bleibt. Ich dürfte das Schiff nur dann der
Marianne Sydow Gefahr der Zerstörung aussetzen, wenn es darum ginge, einen Feind der Schwarzen Galaxis zu vernichten. Das aber ist jetzt nicht der Fall. Ohne mich ist die WARQUI ENT fluguntauglich, jeder unglückliche Zu fall könnte dazu führen, daß das Schiff zer stört wird. Verstehst du nun, warum ich nichts gegen Peleff unternehmen darf?« »Nicht ganz«, murmelte Razamon depri miert. »Aber es hat wohl wenig Sinn, noch länger mit dir darüber zu diskutieren. Eine Frage habe ich noch: Wirst du dem Valvken gehorchen?« »Selbstverständlich. Ich gehorche dem, der die größte Macht an Bord hat und im Sinn der Schwarzen Galaxis handelt.« »Peleff tut das nicht. Er ist ein Verbre cher, Dlallau!« »Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beur teilen«, gab die Galionsfigur gleichmütig zu rück. »Ich sehe nur das Gesetz vor mir, und ich weiß, daß Peleff bis jetzt nicht dagegen verstoßen hat. Sollte er es jedoch tun, so werde ich versuchen, ihn unschädlich zu machen.« »Er ist ein Meuterer. Reicht das nicht?« »Nein. Ich habe jetzt keine Zeit mehr für dich, Razamon. Peleff ruft nach mir!« Bei aller Bitterkeit, die ihn erfüllte, konn te Razamon der Galionsfigur keine Vorwür fe machen. Es wäre ungerecht diesem We sen gegenüber gewesen, denn Dlallau stand ganz und gar unter dem Einfluß der Schwar zen Galaxis. Sie war dem Pthorer keine Treue schuldig. Plötzlich öffnete sich die Tür. Tuom schlüpfte in die Kabine und rannte auf Raza mon zu. »Halt!« zischte der Berserker entsetzt, als der Kune in den Wirkungsbereich des Fes selfelds zu geraten drohte. »Bleib stehen, oder du sitzt ebenfalls hier fest.« Tuom hielt an und betrachtete ratlos das Gerät auf dem Boden. Seine rosa Stielaugen bewegten sich heftig, was darauf schließen ließ, daß Tuom sehr aufgeregt war. »Wie stellt man es ab?« fragte er. »Ich habe keine Ahnung«, gestand Raza
Razamon, der Spion
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mon ein. »Drück einfach auf einen Knopf – wir werden ja sehen, was geschieht.« Der Kune gehorchte, und Razamon hoffte bereits, er werde in wenigen Sekunden frei sein. Da knackte es im Lautsprecher, und Peleffs widerliches Kichern ließ die Mem brane klirren. »Dummkopf!« höhnte der Valvke. »Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Wa rum habe ich wohl die Tür unverschlossen gelassen? Das Schicksal dieses Narren wird den anderen eine Lehre sein!« »Zurück!« schrie Razamon dem Kunen zu. Aber es war bereits zu spät. Tuom richtete sich taumelnd auf, warf sich herum und versuchte zu fliehen. Er kam bis zu Tür, dann brach er zusammen. »Gift!« bemerkte Peleff lakonisch. »Wie du siehst, handelt es sich um ein sehr schnell wirkendes Mittel.« »Ja, das sehe ich«, murmelte Razamon er schüttert. »Du bist ein Mörder, Peleff!« Ein Kichern antwortete dem Pthorer. »Du wirst deine Strafe bekommen!« schrie Razamon außer sich vor Wut.
8. Einige Stunden später kam der Valvke und schaltete das Fesselfeld aus. »Komm!« sagte er und wandte dem Ber serker den Rücken zu, als wolle er Razamon zu einem Überfall herausfordern. Die Versu chung war groß, aber Razamon beherrschte sich. Er konnte nichts gegen Peleff unter nehmen, solange die Giftkapsel sich noch in ihrem Versteck befand. Peleff wußte das, und er verließ sich darauf, daß Razamon auf keinen Fall sich selbst und die Mannschaft in Gefahr bringen würde. Der Valvke führte Razamon in den Kon trollraum. Unterwegs begegneten sie nur sel ten einem Kunen oder einem Trugen. Die Mannschaft der WARQUIENT verhielt sich auffallend still. Razamon fragte sich, ob man nicht insgeheim doch nach dem Gasbehälter suchte, und ob Peleffs nächste Niederlage
sich vielleicht gerade in diesem Augenblick in irgendeinem vergessenen Winkel des Or ganschiffs vorbereitete. »Setz dich dorthin und hör zu!« befahl Peleff, als sie den Kontrollraum erreicht hat ten. Die Zentrale der WARQUIENT war an ders beschaffen als die der großen Schiffe, die Razamon während seines Aufenthalts auf Terra gelegentlich hatte betrachten kön nen. Da die meisten Aufgaben, die mit der Steuerung und der Navigation zusammen hingen, ohnehin von der Galionsfigur über nommen wurden, fehlten sehr viele Geräte, die man für die Bewältigung raumfahrttech nischer Probleme brauchte. Trotzdem gab es einen Piloten, denn im Notfall ließ sich das Schiff auch von hier aus über kurze Strecken fliegen. Den größten Raum nahmen Funkanlagen und Ortungsgeräte ein. Ein halbes Dutzend Trugen hielt sich in der Zentrale auf. Sie ar beiteten fieberhaft an einigen Kontrollpul ten. Razamon kannte sich nicht gut genug aus, um mit Sicherheit sagen zu können, was sie im einzelnen taten, aber er nahm an, daß sie versuchten, eine Funkverbindung nach Säggallo herzustellen. »Willst du diese armen Kerle auch an Chirmor Flog ausliefern?« fragte er Peleff, und er sprach laut genug, daß jeder in der Zentrale ihn verstehen mußte. »Du wirst dich setzen und den Mund hal ten!« schrie Peleff wütend. »Oder ich werde dich knebeln, wie du es mit mir getan hast!« Razamon nickte spöttisch. Er beobachtete die Trugen, und er fragte sich, ob diese We sen überhaupt ahnten, was ihnen bevorstand. Die Trugen waren das bevorzugte Hilfsvolk des Neffen Duuhl Larx, und Razamon kann te sie als besonders gehorsame Befehlsemp fänger. Die meisten Trugen waren völlig un fähig, eigene Entscheidungen zu treffen, wenn es um Dinge ging, die über die Anfor derungen des täglichen Lebens hinausgin gen. Sie waren dem Neffen treu ergeben, und auch das hatte seinen Grund. Nicht nur, daß Duuhl Larx ihnen sagte, was sie zu tun
46 hatten – er nutzte auch die Vorliebe der Tru gen für alles, was hell und warm war, schamlos aus, indem er ihnen in einer hei ßen, grell strahlenden Sphäre gegenübertrat. Sie alle kannten Peleff und waren daran gewöhnt, dem Valvken zu gehorchen. Aber sie mußten eigentlich auch mitbekommen haben, daß Peleff wegen Verrats zum Tode verurteilt war. Niemand konnte sagen, wie sich diese seltsamen Wesen in einem sol chen Dilemma verhalten würden. Peleff schien sich völlig sicher zu fühlen. Er hatte den Gasbehälter, und er kannte zweifellos die Trugen besser als Razamon, der erst vor wenigen Wochen zum erstenmal einem solchen Diener des Neffen begegnet war. Trotzdem hoffte Razamon, daß der Valv ke sich verschätzte. Außerdem waren da noch die Kunen, die wesentlich aktiver ver anlagt waren. »Seid ihr endlich soweit?« fuhr Peleff die Trugen an. »Wir sind noch zu weit von Säggallo ent fernt, Herr!« bemerkte einer der Raumfahrer schüchtern. »Was ist mit den Wachstationen Chirmor Flogs?« fragte der Valvke. »Ich weiß, daß es auch hier draußen wel che gibt!« »Sie antworten nicht!« quäkte der Truge ängstlich. »Wir können nichts daran ändern, Herr. Es ist nicht unsere Schuld!« »Galionsfigur!« rief Peleff ungeduldig. »Überlichtflug, sofort! Nimm Kurs auf das Zentrum des Marantroner-Reviers.« Razamon beobachtete den Valvken auf merksam. Er sagte sich, daß Peleffs Unge duld ganz einfache Ursachen hatte. Aber ir gend etwas stimmte nicht. Razamon hatte den Valvken noch niemals so unbeherrscht gesehen. Die WARQUIENT beschleunigte, und die Trugen gaben ihre Bemühungen um eine Funkverbindung vorübergehend auf. Re gungslos verharrten sie auf ihren Plätzen. Sie sprachen nicht miteinander, und nicht einmal ihre Sichtfühler bewegten sich.
Marianne Sydow Eine schier unerträgliche Spannung brei tete sich aus. Razamon hatte das dumpfe Ge fühl, daß alles auf eine gewaltige Explosion hintrieb. Peleff schwebte lautlos durch die Zentrale, auf einem verschlungenen, unre gelmäßigen Kurs, der es ihm erlaubte, alles unter Beobachtung zu halten. Wie ein Dompteur in der Manege, dachte Razamon. Was ging jetzt draußen im Schiff vor? Warum unternahm Onfan-Parg nichts, um sich und seine Mannschaft zu retten? Razamon konnte zur Not noch verstehen, daß die einfachen Raumfahrer sich den Be fehlen des Valvken beugten. Im Grunde ge nommen konnte es ihnen egal sein, wem sie gehorchten, und über die Konsequenzen die ses Fluges waren sie sich vermutlich gar nicht im klaren: Chirmor Flog würde jeden einzelnen von ihnen verhören lassen, um möglichst viel über Duuhl Larx herauszube kommen. Wie diese Verhöre enden mußten, konnte Razamon sich nach seinen Erlebnis sen in Harrytho leider nur zu genau ausma len. Wenigstens Onfan-Parg mußte das alles ebenfalls wissen. Auch wenn er ein Truge war – er konnte doch nicht zulassen, daß Peleff rund einhundert Angehörige seines Volkes in den Tod schickte! Ein kaum hörbares Knacken ließ den Ber serker zusammenzucken. Um die Nerven der übrigen Anwesenden war es auch nicht bes ser bestellt. Die Trugen sprangen fast voll zählig auf, und Peleff hielt in seinem Schwe beflug inne, als wäre er gegen eine Mauer geprallt. »Was war das?« schrie er zornig. »Galionsfigur! Wie kommst du dazu, dich ungerufen zu melden?« Aber Dlallau antwortete nicht. »Ich verlange Auskunft!« brüllte Peleff. Wieder knackte es. »Sprichst du mit mir, Herr?« fragte Dlal lau sanft. »Zu wem denn sonst? Es hat im Lautspre cher geknackt. Wer wollte mich da spre chen?«
Razamon, der Spion »Niemand, Herr. Nur ich kann das Gerät ohne dein Zutun aktivieren.« »Das weiß ich«, knirschte Peleff. »Also hast du es getan. Warum?« »Es muß sich um eine technische Störung gehandelt haben«, behauptete Dlallau gelas sen. »Ich jedenfalls habe nichts damit zu tun. Wir hatten schon früher solche Proble me an Bord der WARQUIENT. Offenbar bedürfen einige Geräte der Überholung.« Peleff schien nicht recht zu wissen, ob er dieser Behauptung Glauben schenken sollte oder nicht. Er sah sich unruhig um, und wie der hatte Razamon das Gefühl, daß der Valvke sich verändert hatte. Noch vor weni gen Tagen wäre Peleff der Galionsfigur mit Hohn und Spott begegnet. Er hätte sich nicht dazu hinreißen lassen, auch nur die Stimme zu erheben. Warum war Peleff so nervös? »Wir unterbrechen den Flug«, entschied der Valvke nach einer längeren Pause. »Seht zu, daß ihr jetzt endlich eine Funkverbin dung bekommt.« Auch das war ein Punkt, den Razamon nicht ganz verstand. Peleff hätte in aller Ru he in das Marantroner-Revier hineinfliegen können, so weit, bis er sicher war, Säggallo im ersten Anlauf zu erreichen. Solange das Schiff sich im Überlichtflug befand, war es für die Wachflotten Chirmor Flogs unan greifbar, und sobald es daraus auftauchte, reichte ein kurzer Funkspruch, um sich ge gen alle Irrtümer abzusichern. Fast schien es, als sei Peleff auf Hilfe angewiesen. Er stand unter Zeitdruck. Razamon war es, als hätte ihm jemand einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen. Er starrte Peleff an, als sähe er einen Geist. Und dann dachte er an das Knacken im Lautsprecher und an Dlal laus Lüge, und fast hätte er laut aufgelacht. Er öffnete den Mund, um seinen Verdacht auszusprechen und Peleff damit den – viel leicht – entscheidenden Stoß zu versetzen, da gab einer der Trugen ein zufriedenes Quäken von sich. »Wir haben Kontakt!« rief er. Peleff stürzte sich auf das Mikrophon. Razamon dachte verzweifelt, daß er alles viel zu spät
47 begriffen hatte. Er sprang auf den Valvken zu, als könne er im letzten Augenblick ver hindern, daß die verhängnisvolle Botschaft an ihr Ziel gelangte. Er hatte nicht mit den Trugen gerechnet. Oder, besser gesagt, er hatte angenommen, daß sie Dlallaus Zeichen ebenfalls und sogar früher als er selbst erkannt hatten, daß es sich um einen Plan Onfan-Pargs handelte, in den die Mannschaft im Kontrollraum einge weiht war. Daß dies ein Irrtum gewesen war, begriff er erst, als einer der Trugen ihn festhielt und zu Boden schleuderte. Razamon stieß einen wütenden Laut aus und warf sich herum, aber es war zu spät. Peleff zielte mit der kleinen Waffe auf ihn. »Rühr dich nicht!« warnte der Valvke lei se. »Oder du wirst dieses Schiff nicht lebend verlassen!« Er hob das Mikrophon. »Ich rufe die Wachflotte«, sagte er, und seine Stimme klang verzerrt. »Hier spricht Peleff, der Valvke. Ich war ein Vertrauter des Neffen Duuhl Larx und wurde von die sem zum Tode verurteilt. Aber es gelang mir zu fliehen. Ich bringe wichtige Nachrichten für Chirmor Flog. Aber ich habe nicht mehr viel Zeit. Gebt diese Botschaft sofort an eu ren Herrn weiter, er wird wissen, wie drin gend ich seine Hilfe brauche.« Razamon bäumte sich auf, und es gelang ihm, den Trugen abzuschütteln, der ihn im mer noch festhielt. »Ausschalten!« schrie er. »Dlallau, unter brich diese Verbindung!« Peleff drehte sich ganz langsam um. »Zu spät!« sagte er. »Chirmor Flog wird nicht zögern, seine beste Flotte herzu schicken. Du hast das Spiel verloren, Ptho rer!« »Warten wir es ab«, konterte Razamon. »Noch ist nichts entschieden. Es kommt dar auf an, wer schneller ist – die Flotte, oder das Gift, das in deinem Körper wirkt.« Peleff zuckte zusammen. »Hast du den Verstand verloren?« krächz te er. »Was redest du da für einen Unsinn?«
48 »Es ist kein Unsinn, Peleff«, sagte Raza mon und erhob sich, denn der Truge war an seinen Platz zurückgekehrt und kümmerte sich nicht mehr um ihn. »Du wirst sterben. Ich hätte es gleich wis sen sollen. Schließlich hatte ich lange genug mit Duuhl Larx zu tun. Er vertraut nieman dem. Er war davon überzeugt, daß ich dich töten würde, denn er wußte, daß wir Feinde waren. Aber er verließ sich nicht ganz und gar darauf. Er hat schon vorher dafür ge sorgt, daß du auf jeden Fall sterben würdest. Was ist es? Eine Giftkapsel, die sich lang sam auflöst? Oder etwas, was er in dein Es sen tun ließ, wie er es mit mir gemacht hat?« »Er hat dich …« »Nein, nicht so, wie du denkst. In meinem Fall handelte es sich um eine relativ harmlo se Droge, für die es ein Gegenmittel gibt. Er wollte mich nicht töten, sondern nur ein paar Skrupel in mir betäuben.« »Ich werde es schaffen!« behauptete Peleff grimmig. »Noch ist es nicht soweit. Chirmor Flog wird mir helfen. Er muß es tun, denn ich bin zu wertvoll für ihn, als daß er mich sterben lassen könnte.« Razamon zwang sich zu einem Lächeln. Seitdem er wußte, daß er einen Todgeweih ten vor sich hatte, empfand er Mitleid mit dem Valvken. Es war die wohl unvernünf tigste Regung, dachte er, aber er war beina he stolz darauf. Er wertete es als ein Zeichen dafür, daß er mittlerweile fast wie ein Men sch dachte und fühlte. »Es wird schlimmer«, sagte er. »Ich sehe es dir deutlich an. Und selbst wenn die Zeit reichen sollte, wirst du doch nicht lebend nach Säggallo gelangen. Du hättest diesen Leuten hier nicht in dieser Weise begegnen sollen. Du hast sie bedroht, und sie fürchten sich vor dir. Aber im selben Augenblick, in dem sie erfahren, daß sie sich nicht länger zu ängstigen brauchen, werden sie voller Wut und Haß über dich herfallen. Und du solltest eines glauben, Peleff: Ich werde sie diesmal nicht daran hindern!« »Bist du verrückt geworden?« schrie Peleff. Die Trugen hatten dem Berserker alle
Marianne Sydow ihre Sichtfühler zugewandt. »Das Knacken war ein Zeichen, das Dlallau mir gab«, er klärte Razamon ganz ruhig. »Der Giftgasbe hälter wurde gefunden und unschädlich ge macht.« »Er lügt!« kreischte der Valvke. Einer der Trugen erhob sich. Peleff hob die Waffe und drückte ab. Der Raumfahrer brach tot zusammen. »Rührt euch nicht!« befahl Peleff. »Noch kann ich mich dieser Waffe bedienen.« »Tut ihm den Gefallen«, empfahl Raza mon spöttisch. »Es kann sowieso nicht mehr lange dauern. Einem Sterbenden sollte man einen so dringenden Wunsch nicht abschla gen.« »Ich werde dich …« Peleff brachte den Satz nicht mehr zu En de. Seine schmalen, harten Lippen verzerr ten sich, als verweigerten sie dem Valvken den Gehorsam. Razamon ignorierte die Waffe, die auf ihn gerichtet war. Er sprang vor und fing Peleff auf. Behutsam ließ er ihn zu Boden gleiten. »Sagt Onfan-Parg Bescheid!« befahl er den Trugen, die das Geschehen stumm vor Entsetzen verfolgten. »Er soll sofort kom men und den Kammdeuter Aclur mitbrin gen.« Peleff bewegte sich, als wolle er sich ge gen den Berserker zur Wehr setzen. »Bleib still liegen!« befahl Razamon scharf. »Vielleicht kann Aclur noch etwas für dich tun!« Der Valvke versuchte zu antworten, aber er brachte nur ein paar sinnlose Laute zu stande. Die Trugen verließen fluchtartig die Zen trale. Razamon blieb bei Peleff und wartete ungeduldig. Als nach einer Minute noch im mer weder Aclur noch Onfan-Parg gekom men waren, rief er nach Dlallau. »Sie warten auf seinen Tod!« erklärte die Galionsfigur, und ihre Stimme klang noch immer sanft und freundlich. »Diese Idioten!« rief Razamon unbe herrscht. »Sie sollen sofort herkommen! Wir brauchen diesen Mann noch!«
Razamon, der Spion
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»Du wirst sie davon nicht überzeugen kön nen, Razamon«, erwiderte Dlallau gelassen. »Und mir geht es nicht anders. Töte ihn. Du verlierst nur Zeit. Die Wachflotte ist bereits auf dem Weg zu uns. Je eher Peleff stirbt, desto schneller können wir diesen Ort ver lassen.« »Bring das Schiff weg von hier!« befahl Razamon. »Ich brauche dazu die Unterstützung von wenigstens einem Raumfahrer, der in der Zentrale bestimmte Schaltungen vornimmt.« »Das ist eine Lüge!« schrie der Berserker. Aber Dlallau antwortete nicht. Ratlos sah er auf Peleff hinab. Der Valvke war bei Bewußtsein, und er litt furchtbare Qualen. »Verdammter Duuhl Larx!« fluchte Raza mon in hilfloser Wut. Peleff sah ihn unverwandt an, und ein ver zerrtes Lächeln ließ das schwarze Gesicht des Valvken zu einer dämonischen Maske werden. Dann fiel das Lächeln in sich zu sammen, und die verkrampften Hände öffne ten sich. Die Waffe, die Peleff bis zum letz ten Augenblick umklammert hatte, fiel pol ternd zu Boden. Peleff war tot. Razamon richtete sich langsam auf. Er fühlte sich wie betäubt. »Es ist vorbei«, sagte er zu Dlallau. Er war sicher, daß die Galionsfigur ihn hörte. »Wir können weiterfliegen.« »Nein«, antwortete Dlallau gelassen. »Da kommt ein Funkspruch für dich. Sie sind uns schon zu nahe. Es ist zu spät, um jetzt noch fliehen zu wollen.« Ein Lautsprecher wurde aktiviert, ohne daß Razamon etwas dazu getan hätte. »Wer seid ihr? Was sucht ihr in diesem Revier?« Die Stimme klang hart und unpersönlich.
Auf einem Bildschirm erblickte Razamon ein düster glimmendes Gebilde, das sich schwach bewegte. Er wußte, daß er einen Scuddamoren sah. »Mein Name ist Razamon«, sagte er. »Gemeinsam mit dem Valvken konnte ich von Cagendar entkommen. Auch ich war ein Vertrauter des Neffen Duuhl Larx. Peleff, der Valvke, ist tot. Die Rache des Neffen traf ihn, obwohl wir uns bereits sicher vor ihm glaubten. Ich bitte euch, mich zu Chirmor Flog zu bringen.« Sekundenlang blieb es still. »Ergebt euch!« befahl der Scuddamore dann. »Beim ersten Zeichen von Gegenwehr werden wir die WARQUIENT vernichten. Bereitet euch darauf vor, ein ScuddamorenKommando an Bord zu nehmen.« Der Schirm wurde dunkel. Razamon hörte Geräusche, drehte sich um und sah OnfanParg und einige andere Trugen hereinkom men. Auch Aclur war da, aber er hielt sich im Hintergrund. Razamon wandte sich wie der ab und beobachtete einen anderen Bild schirm, auf dem jetzt die Flotte der Scudda moren zu sehen war. Einige Beiboote kamen auf die WARQUIENT zu. Er hatte sich diesen Teil des Unterneh mens anders vorgestellt. Aber nun ließ sich nichts mehr ändern. Immerhin hatte er gute Aussichten, tatsächlich nach Säggallo zu ge langen. Wie es dort weiterging, mußte die Zukunft zeigen. Er würde versuchen, Chirm or Flogs Vertrauen zu gewinnen und sich auf Umwegen nach Pthor zu begeben. Er zog es vor, im Augenblick nicht weiter dar über nachzudenken, ob und wie er dieses Ziel überhaupt erreichen würde.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 431 von König von Atlantis mit: Die Galionsfigur von Hans Kneifel