Cleve Cartmill
Raum-Geier
SCIENCE FICTION ROMAN
BASTEI-LÜBBE
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH
Band 21107 SCIENCE-FICTION...
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Cleve Cartmill
Raum-Geier
SCIENCE FICTION ROMAN
BASTEI-LÜBBE
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH
Band 21107 SCIENCE-FICTION-ACTION
Amerikanischer Originaltitel: THE SPACE SCAVENGERS
Ins Deutsche übertragen von Leni Sobez
© Copyright 1975 by Major Books
All rights reserved
Deutsche Lizenzausgabe 1978
Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach
Printed in Western Germany
Titelillustration: Agentur Thomas Schlück
Umschlaggestaltung: Roland Winkler
Gesamtherstellung:
Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh
ISBN 3-404-01061-2
Für Jake Murchison und seine Leute gibt es kein „Unmöglich“. Sie nehmen jeden Auftrag an, der Gewinn verspricht. Spezialisiert sind sie auf die Bergung havarierter Raumschiffe. Mit den Gesetzen nehmen sie es bei ihrer Jagd auf wertvolle „Beute“ nicht so genau. Nicht umsonst nennt man sie – Raum-Geier!
I Die Rettung
»Abbremsen«, sagte ich zum Piloten. Er wandte mir das Gesicht zu. Es war ein Oval gebackenen Schlammes, in dem winzige Risse nach allen Richtungen liefen; die Nase war ein Klumpen roten Sandsteines, und die Augen glichen riesigen Smaragden. Pat war ein RaumOldtimer, und er hatte mir beigebracht, wie man ein Schiff durch den Raum jagt. »Weißt du wirklich genau, was du tust, Jake?« fragte er mich. »Amos T. Grubb wird dich mit Fragen löchern.« »Nein«, antwortete ich und betrachtete das Bild auf dem Schirm. »Aber das Schiff dort ist ein Wrack, und ich bin ein schrecklicher Pedant.« Pat zuckte die Achseln und drückte den Knopf für den Nasenjet. Die Delphin wurde langsamer, und ich wog wieder meine hundertachtzig Pfund. »Ist ja dein Begräbnis«, meinte Pat trocken. Und wie recht er da fast behalten hätte! Amos T. Grubb kletterte in den Kontrollraum, stemmte sich gegen den Schub nach hinten, und sein mageres, rosiges Gesicht war ein beredtes Ausrufezeichen. Cap folgte ihm in aller Ruhe wie sonst auch direkt auf den Fersen, und sein eckiges Gesicht drückte nur sehr milde Neugier aus. »Was tut ihr…« begann Grubb mit seiner scharfen Stimme und funkelte Pat an. »Ich bin dafür verantwortlich«, unterbrach ich ihn. »Hacken Sie nicht immer auf Pat rum.«
Jetzt funkelte er mich an. »Jake Murchison, sind Sie wahnsinnig geworden?« fragte er so, als erwarte er tatsächlich eine ernsthafte Antwort. Ich deutete auf den Schirm. Der treibende Rumpf füllte ihn nun fast aus. Außer dem Umriß war kaum etwas zu sehen, aber mein Gedächtnis steuerte ein klaffendes Loch in der Seite bei. Dieses Loch hatte einen Namen, der mir gerade nicht einfiel, aber ich wußte genau, wo ich nachzuschauen hatte. Ich schob mich an Grubb und Cap vorbei und hangelte mich den Zwischengang entlang. »Bin gleich wieder da«, sagte ich. »Und wenn ich recht habe, sind wir stinkreich.«
Im runden Freizeitraum fand ich das Buch von Clem Gardner, Raum-Piraten. Das nahm ich in den Kontrollraum mit und mußte dabei kräftig gegen die Dezeleration kämpfen. »Wenn einer von euch lesen könnte, müßtet ihr euch erinnern«, sagte ich. »Wenn ich mich nicht irre, ist das die seit langem vermißte Astralot, die da draußen treibt, und sie hat einhundertfünfundachtzig Tonnen Herkulium an Bord. Ihr braucht nicht lesen zu können, um zu wissen, was Herkulium ist – oder war. Da ist irgendwo ein Foto in dem Schinken.« Ich blätterte im Buch, bis ich es fand. Jawohl, das war die hoch angesetzte Schwanzfinne, die vor hundert Jahren so beliebt gewesen war. Diese Silhouette glich genau dem Bild auf unserem Schirm. Ich zeigte es Cap und Grubb. »Sobald wir längsseits liegen, können wir den Namen feststellen«, erklärte ich. »Aber ich glaube nicht, daß es da überhaupt eine Frage gibt. Sie ist es. Mit der Ladung kann man sich jeden Planeten kaufen.« Pat drehte mir das faltige Gesicht zu. »Herk… was?«
»Herkulium. Zu seiner Zeit war es sündteuer, aber Herkules Phamign starb, ohne sein Herstellungsverfahren offengelegt zu haben. Jetzt gibt es keines mehr. Das, meine Freunde, wär’s also. Einhundertundfünfundachtzig Tonnen dieser Legierung können – ich weiß nicht wie viele – Kriegsschiffe schaffen, die bis jetzt noch als unzerstörbar gelten. Man mag es ansehen, wie man will, meine Freunde, aber so ist es.« Amos T. Grubb schaute mich an, als sei ich eine nasse Reibfläche, an der er ein Zündholz anstreichen wollte. »Wenn«, sagte er. »Wenn was?« »Wenn es da ist.« »Es ist ein Glücksspiel«, gab ich zu. »Quatsch«, erwiderte Grubb. »Wir haben einen Job zu erledigen, bei dem es keine WENNs gibt. Ich habe in dieses Rettungsgeschäft eine Menge Geld investiert, und das will ich wieder rauskriegen. Den Antrieb einschalten«, befahl er Pat. Cap hielt den Atem an. »Hier gebe ich die Befehle, Mr. Grubb – oder Jake. Erst will ich ein bißchen mehr wissen, was an der Geschichte ist, dann entscheiden wir.« Ich fand die Stelle und las laut vor. »Am neunundzwanzigsten November sprachen wir mit der Astralot. Wir manövrierten so, daß wir unsere Port-Breitseitenbatterie in Stellung bringen und ein riesiges Loch in das Schatzschiff blasen konnten. Alle an Bord müssen sofort tot gewesen sein. Ich führte die Entergruppe an, die den Schatztresor fand. Die massive Tür gab sofort nach, und wir sahen vor uns den größten Schatz, der je in der Geschichte angesammelt worden war. In diesem Moment wurde der Befehl erteilt, sofort an Bord zurückzukehren. Unsere Detektoren hatten ein Schiff der Raumpatrouille ausgemacht. Natürlich errechneten wir genauestens die Position des Wracks, schätzten
Driftgeschwindigkeit, Richtung und so weiter und kehrten eiligst zu unserer Asteroiden-Basis zurück. Ungeduldig warteten wir und träumten von riesigen Reichtümern, bis die Raumpatrouille mit Sicherheit verschwunden war. Dann kehrten wir vorsichtig an den errechneten Ort zurück. Aber die Astralot fanden wir nie mehr. Sie muß in eine unvorhergesehene und unberechenbare Umlaufbahn gefallen sein. Wir suchten den tiefen Raum des Gebietes zwei volle Jahre lang ab. Wir plünderten und mordeten, um Geld für diese kostspieligen Operationen aufzutreiben. Zu Beginn des dritten Jahres stellte uns die Raumpatrouille. Jetzt, da ich in meiner Zelle sitze und das aufschreibe, fühle ich wieder die tiefe Erregung, die mich immer packt, wenn ich an die Astralot denke, die wir gefunden hatten, als sie hilflos im Raum trieb… Und so weiter«, sagte ich. »In fünf Minuten sind wir nahe genug, um es festzustellen. Den Schatz will ich haben, er ist es wert!« Cap musterte mich nachdenklich. »Jake, wir haben keine Arbeitsausrüstung für die Arbeit im Raum. Unser Zeug ist für die Mine auf Pluto bestimmt, alles Hochdruckgeräte für die Arbeit achttausend Fuß unter der Oberfläche.« »Wir finden schon eine Möglichkeit«, sagte ich. »Und inzwischen geht unser Kontrakt auf Pluto in die Binsen«, stellte Arnos T. Grubb mit beißender Stimme fest. »Die Space Salvage, Inc. wird dann aus dem Geschäft sein. Und ich bin ruiniert. Nein, das lasse ich mir nicht bieten. Ein Vogel in der Hand, sage ich immer…« »Immer ist richtig«, unterbrach ich ihn. »Ich weiß, Mr. Grubb. Sie haben Geld hineingesteckt, schön und gut. Wenn Sie nicht den Zaster gehabt hätten, wär’ uns der Pluto
Rettungskontrakt durch die Finger gewischt. Und wir wollen ihn auch einhalten, weil uns der aus den roten Zahlen bringt. Aber die Astralot wird unser Leben erst lebenswert machen. Captain Lane und ich können uns zurückziehen und so luxuriös, lässig und leicht leben, wie es uns behagt. Wir können Ihnen einen riesigen Bonus zahlen, die Delphin abwracken und das Leben genießen.« Grubb wandte sich zu Pat um, seine Augen waren eisig. »Schalten Sie den Antrieb ein«, befahl er wieder. »Ich bezahle diese Reise und habe deshalb ein Recht, zu entscheiden, was…« Ich packte ihn an der Schulter. »Ich bin größer und jünger als Sie«, warnte ich ihn. »Wenn Sie noch einmal einen Befehl zu erteilen versuchen, werfe ich Sie persönlich durch die Luftschleuse hinaus.« Was dann geschah, kam überraschend. Ich lag platt auf dem Deck, und daß ich keinen Kieferbruch davongetragen hatte, war ein Wunder. Auf meiner Netzhaut flackerten Dutzende von Konstellationen. Den Orion erkannte ich, als er vorbeiwirbelte. Später wurde ich mir klar, daß eine Faust mich getroffen hatte, und diese unglaubliche Tatsache schrieb ich dem Umstand zu, daß ich in Flugrichtung vor ihm stand und er den Schub zur Hilfe hatte. Meinem Stolz nützte das wenig. Ich hatte einen schönen, altmodischen Kinnhaken bezogen, der mich fast umbrachte. Der Kleine war ein Schläger. Ich wollte aufstehen, sah, daß es nicht nötig war, und ließ mich an das Schott zurücksinken. Cap Lane hatte Grubb im Schwitzkasten, stieß sich vom Deck ab, und der kleine Kerl kreischte und strampelte aus Leibeskräften. Pat drehte sich mal kurz um und gab Grubb seine Eisenfaust zu schmecken. Cap legte den Burschen auf das Deck, und jetzt stand ich auf.
Grubb war eine halbe Stunde weg, und in dieser Zeit passierte allerhand. Nichts davon nützte aber meinem schmerzenden Kiefer. Cap schaute auf den Bewußtlosen hinab. »Ich wollte schon immer mal wissen, wie es ist, wenn man ein Gesetzesbrecher ist. Sieht ganz so aus, als würden wir’s diesmal herauskriegen. Ihr wißt ja, was es heißt, einen Passagier zu verprügeln.« »Er hat ja zuerst mich geschlagen«, erwähnte ich zu Pats Verteidigung. Ich wollte es wenigstens sagen, doch es kam ziemlich verstümmelt heraus. Cap rieb sich sein Kinn mit einer Hand, die so riesig und rissig war wie die Pats, und schob die schweren weißen Brauen über den grellblauen Augen zusammen. Seine Bewegungen waren ebenso gemessen wie seine Worte. Cap hatte es niemals eilig. »Du hast Hand an ihn gelegt, Jake. So sagen sie vor Gericht, und darauf kann er seine Verteidigung abstellen. Das heißt dann Verlust der Lizenz und eine Strafe, und wenn er noch Schmerzensgeld verlangt, bringt er uns um alles, was wir haben.« »Den überlaßt mir«, sagte Pat und spähte durch die Sichtluke an Starbord. »Ich werd’ schon fertig mit ihm. Und da ist sie ja.« Wir folgten seinem Blick und sahen den dunklen Rumpf der Astralot, die ungefähr fünfhundert Meter vor unserem Starbordbug hing. Pat manövrierte uns längsseits und schaltete den Antrieb ab, als wir die gleiche Geschwindigkeit wie das Wrack hatten. Das Loch war da. Es war ein großer Riß, der die lebenswichtigen Eingeweide des fast meilenlangen Schiffes fast völlig bloßlegte. Die zackig zerklüftete Kante sah wie ein Haifischmaul aus.
»Das Ding kriegen wir niemals mehr manövrierfähig«, sagte ich. »Wir müssen sie hier ausschlachten.« »Und da ist der Name«, stellte Pat fest. »Sie ist es.« »Mehr als hundert Jahre«, meinte Cap andächtig. »Angenommen, jemand hat sie schon ausgeplündert und es nicht gemeldet?« Ich zuckte die Achseln. »Möglich, aber kaum wahrscheinlich. Wenn Herkulium in sogar der geringsten Menge aufgetaucht wäre, hätte das ganze Sonnensystem davon erfahren.« »Und wie willst du an Bord kommen?« fragte Cap. »Wir haben doch keine Raumausrüstung.« »Warum hat auch niemand auf mich gehört«, beklagte ich mich bitter. »Ich wollte durchaus eine komplette Ausrüstung dabeihaben.« »Das nützt uns jetzt auch nichts«, erwiderte Jake. »Wir mußten wählen zwischen dem Zeug und dem Valadian-Bohrer. Nicht einmal für eine Feldmaus hätten wir mehr Platz auf diesem Schiff.« »Weiß ich. Ich schlage vor, wir hören uns an, was Jenkins dazu zu sagen hat. Er ist ein kluger Junge.« »Wie willst du ihn aufwecken?« »Wir haben im Medizinschrank doch ein Anti-Somnolin. Es könnte wirkender schläft ja schon lange genug.« »Und dann treiben wir hier, während du dir was ausdenkst«, fuhr Cap fort. »Und unser Pluto-Kontrakt geht uns durch die Lappen. Du kennst den Fahrplan für die Operationen.« »Wenn wir’s in vierundzwanzig Stunden schaffen, halten wir den Kontrakt immer noch ein. Wenn wir aber das Herkulium an Bord kriegen, ist mir der Pluto völlig schnuppe. Nur unser Junior wäre glücklich.« Ich deutete auf Grubb. »Und noch ein Problem«, sagte Cap. »Was tun wir mit dem da? Er macht uns mehr Ärger als ein Tank voll venusianischer Felshaie.«
»Den überlaß nur mir«, schlug Pat wieder vor. »Ich glaub’ nicht, Pat«, erwiderte Cap. »Wenn wir mit einem beschädigten Grubb auftauchen, gibt’s Ärger für uns, und dann kommt erst das Schlamassel. Na, Jake, es war nett, dein Partner gewesen zu sein.« »Ich hab’ euch da ‘reingeritten, ich hol’ euch auch wieder raus«, versprach ich. »Ich hoffe sehr. Meine Mutter hat mich nicht zum Gesetzesbrecher erzogen. ›Sohn‹, sagte sie immer zu mir, ›sei ein guter Bürger, dann stößt dir nie was zu‹. Und wenn sie mich jetzt sähe…« »Ich hole Jenkins und den Riesen. Er heißt doch Carroll? Der muß auf den Junior aufpassen. Dann machen wir aber ganz schnell«, sagte ich. Jenkins lag ganz in der Nähe der Schlafraumtür und war wie die anderen zwei Dutzend Rettungsmänner angeschnallt. Jeder von ihnen schnarchte auf einer anderen Frequenz. Ich spritzte ihm das Gegenmittel und wartete abseits. Seine Hände waren frei, und ich wollte nicht quer durch den Raum geschleudert werden; die Reaktion beim Erwachen war immer recht heftig. Er schlug herum und fluchte in seinem MerkurHinterwäldlerdialekt, aber als er geradeaus schauen konnte, grinste er über sämtliche Sommersprossen. »Sind wir schon da, Jake?« wollte er wissen. »Nein.« Ich zeigte ihm die Nadel. »Das ist etwas ganz besonderes. Komm und hilf mir bei Carroll.« Der maß ein ganzes Stück mehr als zwei Meter und war der reinste Mastbaum, nur daß seine Schultern breiter waren, aber die braucht einer für seine Arbeit. Sie waren ein paar Parsecs breit, und seine Arme glichen dicken Trossen. Ich gab ihm die Nadel, und gleich darauf sprengte er seine Riemen. Als ich wieder aufwachte, hielt mich Carroll wie ein Baby in den Armen und tröstete mich mit seiner Singsangstimme.
Wenn sein Gesicht nicht wie die dunkle Mondseite ausgesehen hätte, wäre man auf den Gedanken gekommen, er sei eine Mutter. »Jake, es tut mir ganz verdammt leid«, säuselte er. »Tz, tz, tz, wie sollte ich das auch wissen.« Ich rieb mein Kinn. »Der nächste, der mich an der Stelle anrührt, kriegt meinen ganzen Zorn zu fühlen – sobald ich aufwache.«
Carroll wollte mich nicht laufen lassen; er trug mich in den Kontrollraum und setzte mich ganz vorsichtig in den Pilotensessel. Dann sah er den bewußtlosen Grubb und blinzelte. Ich sagte ihm, was er tun solle, und er klemmte sich den kleinen Mann unter den Arm, ehe er wieder ging. Jenkins setzte ich ins Bild; er musterte nachdenklich die Astralot und strich sich mit der Sommersprossenhand durch sein strohfarbenes Haar. »Und wie willst du dort an Bord kommen?« fragte er. »Ich dachte, vielleicht hast du einen Geistesblitz«, meinte ich. Jenkins schüttelte den Kopf. »Unser ganzes Zeug ist auf Untergrundarbeit bei hohem Druck abgestellt. Aber wir könnten einen Anspruch anmelden, zum Stützpunkt zurückkehren und die Ausrüstung holen.« Ich zeigte ihm das Buch. »Captain Stag hat sie wieder verloren, und der hatte sicher einen besseren Navigator als wir. Und wenn wir noch mal umkehren, geht uns der PlutoKontrakt verloren. Selbst wenn wir das Schiff wieder finden, ist’s noch lange nicht sicher, daß der Schatz dann noch an Bord ist.« Jenkins las den Abschnitt. »Dieser Captain Stag war aber ein Bursche! Wenn man diesem Gardener glauben kann, war das
Zeug an Bord. Also müßten wir uns erst davon überzeugen, daß es noch immer da ist. Und womit, wenn ich fragen darf?« »Mit unserem Spekulierinstrument?« schlug ich vor. Er starrte mich an, formte mit dem Mund ein ›Nein‹, aber der Intercom schnitt ihm das Wort ab. »Captain Lane!« Das war ein wütender Amos T. Grubb. »Ich will wissen, welchen Status ich habe. Stehe ich unter Arrest? Und wenn, dann unter welcher Anklage?« »Na, nicht genau, Mr. Grubb«, antwortete Cap bedächtig und blies in den Grill. »Ich wollte Sie nur gut aufheben.« »Warum? Wegen dieses idiotischen Ersten Offiziers, der Ihr Partner ist? Mit dem werde ich schon fertig. Das haben Sie gesehen, als er mich anfaßte.« Unwillkürlich betastete ich mein Kinn, und Cap murmelte mir zu: »Ich hab dir’s doch gesagt!« In den Grill sprach er mit honigsüßer Stimme: »Ich denke, Sie blieben besser dort, wo Sie sind.« Doch Grubb paßte das nicht. »Ich fordere Freiheit von diesem, riesigen Affen! Ich verlange meine gesetzlichen Rechte, oder ich bringe Sie vor den Ausschuß. Jawohl, das werde ich tun.« »Ja, das könnten Sie«, gab Cap zu. »Wir wollen doch nur, daß Sie uns nicht im Weg herumstehen, solange wir unsere Angelegenheiten diskutieren müssen.« »Ich verspreche gar nichts! Aber wenn ich mich nicht sofort frei im Schiff bewegen kann, gibt es Ärger, verstanden? Und die Angelegenheiten interessieren mich ebenso wie Sie. Ich habe bei der Entscheidung auch eine Stimme.« Cap gab nach. »Okay, Carroll, laß ihn frei.« Cap schüttelte seinen silberhaarigen Kopf. »Daran hat keiner von uns gedacht, Jake. Du hast zwei Extramünder aufgeweckt, die wir jetzt durchfüttern müssen. Werden sehr kleine Rationen, bevor wir einen Hafen ansteuern können.«
»Behalt dein Hemd an, Jake«, meinte Jenkins grinsend. »Ich hab’ gedacht, das Spekuliergerät war’ nichts, aber ich hab mir inzwischen schon was ausgedacht. Kann ich diesen ValadianDrill zerlegen?« Grubb hörte das gerade noch. Die Kinnlade fiel ihm herab, und sein mageres Gesicht wurde rot wie ein sich abkühlender Stern. »Haben meine Ohren richtig gehört?« fragte er sehr eisig. »Und du, wer bist…« »Das ist Jenkins«, unterbrach ich ihn. »Feldtechniker. Grubb, Finanzstütze.« Grubb nickte kurz, und Jenkins sagte: »Ebenso.« »Sie wollen wirklich und allen Ernstes das wertvollste Gerät an Bord für diesen idiotischen Plan mißbrauchen?« »Wir bezahlen es Ihnen«, bot ich ihm an. »Womit denn?« fragte er höhnisch. »Mit Vakuumlöchern?« »Jemand muß ja schließlich entscheiden«, sagte Jenkins. »Ich kann das Spekuliergerät manövrierfähig einrichten, wenn ich das Druckluftgerät haben kann.« Sogar Grubb schaute jetzt Cap an.
Cap sah zu den Millionen Sternen hinaus. Alle schwiegen, und es dauerte lange, bis er sprach. »Das heißt also endgültig, daß wir den Pluto-Job verlieren, wenn wir den Drill zerlegen. Ein langes Glücksspiel… Aber wenn der Schatz da ist, müssen wir uns etwas einfallen lassen, um ihn herauszuholen. Wenn er in Verschlagen oder Kisten verpackt ist, können wir ihn mit einem Greifer herausholen, falls wir ihn in die Ladeluke bekommen. Aber, wenn wir die Sache schaukeln, dann heißt es ›Wiedersehen, Space Salvage, Inc.‹ Natürlich kann’s sowieso ein endgültiges Lebewohl werden.« Er schaute Grubb an. »Und Sie, wollen Sie vielleicht Klage erheben?«
»Für die Mißhandlung?« Grubbs Stimme war wieder rauh wie grobes Sandpapier. »Dann nicht, wenn wir sofort zum Pluto weiterfliegen. Damit verdienen wir Geld. Und das hier…« – er deutete auf die Astralot – »ist vielleicht nur ein Märchen, das ein Galgenvogel geschrieben hat, der sich seiner Abenteuer erinnert. Von einem solchen Schiff habe ich vorher noch nie gehört.« »Ich schon«, brummte Carroll mit seiner tiefen Stimme. Keiner von uns hatte gehört, daß der Riese gekommen war. Wir waren ganz Ohr, und ich hätte ihm mein letztes Hemd gegeben, er hätte nur darum zu fragen brauchen. »Clem Gardener«, sagte Carroll leise, »war mein Großvater mütterlicherseits. Die Astralot war wirklich verschollen, und sie hatte das Zeug an Bord. Ich habe die alten Aufzeichnungen nachgelesen.« »Soweit es mich betrifft – für mich ist alles klar«, sagte ich. Cap nickte. »Na, leb wohl, Rettungsgesellschaft«, meinte er. »Und eine Menge anderer Dinge auch«, keifte Grubb. »Ich sehe schon, ich bin überstimmt, aber wenn wir den nächsten Hafen erreichen, seid ihr eure Lizenzen, euer Schiff und euren Schatz los. Jake, Sie sind ein junger Mann mit Zukunft, wenn Sie Ihren Kopf benützen. Tun Sie’s nicht. Und wenn Sie’s tun, werde ich Sie ruinieren.« Ich versuchte ihm zu erklären, er könne sich zum Teufel scheren, hatte auch die Worte schön zurechtgelegt, doch leider blieben sie mir in der Kehle stecken. Er meinte das auch, was er sagte. Und was dann, wenn der Schatz nicht an Bord ist? Oder wir kriegen ihn nicht heraus? Ich verschluckte also meine Antwort und streckte Cap meine Hand hin. Wir brauchen kein Wort zu reden. Ich bedeutete Jenkins und Carroll, sie sollten mir folgen.
Natürlich hatte Jenkins wieder einmal recht. Das große Beobachtungsgerät explodierte nicht. Es war ein röhrenförmiges Spielzeug von ungefähr fünfzehn Fuß Länge und drei Fuß Durchmesser, hatte Stutzen für sauerstoffangereicherte Luft und einen Platz zum Durchschauen. Es bestand aus gehärtetem Spezialstahl und Quarz und hatte im Kopf ein Okular, das man in einem Schacht herunterlassen konnte, und das verlagerten wir nun ans Schwanzende, um ein Seil anbringen zu können. Für die Arbeit im Vakuum war es nicht bestimmt, aber es war absolut dicht, als ich aus der Luftschleuse glitt, der Astralot entgegen. Der Himmel, den ich durch die Okularöffnung sah, war eine blendende Glorie. Es war recht eng, denn der Lufttank und die Instrumente nahmen viel Platz ein. Die hatten wir innen installiert, weil wir fürchteten, sie könnten Schaden leiden, wenn wir sie am Rumpf außen befestigten. Die Luftschläuche befestigten wir draußen in genau errechneten Winkeln. Ich drückte auf den Geräteknopf im Stern, und das Instrument schoß vorwärts. Es war durchaus möglich, daß hier und jetzt die Karriere des Jake Murchison, ehemals Rettungsmann, endete. Ich hatte kaum Zeit, die Nasenjets einmal zu feuern und dann das Rohr noch rechtzeitig vor der Astralot abzubremsen. Der Beobachtungskopf war eine Halbkugel aus fußdickem Quarz, aber ein kräftiger Aufprall hätte ihn sicher zertöppert. Trotz der Kälte schwitzte ich wie in der Wüste, als das Rohr sich stabilisierte und stoppte. Carrolls sanfte Stimme kam aus meinem Hörer. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst diese Knöpfe nur anhauchen, als wären sie Kobras. Diesmal hast du eine Menge Glück gehabt.« »Sind die Kabel in Ordnung?«
»Ja. Wir haben ziemlich viel ausgegeben. Jenkins meint, dein erster Feuerstoß sei zu kräftig ausgefallen.« »Jenkins denkt aber auch an alles. Gib ein bißchen Spannung auf die Kabel. Ich steure die Luke an. Welch ein Glück, daß dein Piratengroßvater sie nicht zugemacht hat.« Ich kitzelte den Jet vom Starbordbug, und langsam schwang die Nase des Suchgerätes herum. Ich ließ es treiben, bremste dann aber mit dem Portjet, als die Luke direkt vor mir lag. Es war eisig kalt. Dann prägte ich mir den Stand der Instrumente genau ein. Wenn ich nur ein wenig Zeit zum Üben gehabt hätte, damit ich mir jeden Knopf genau hätte merken können, um ihn mit geschlossenen Augen zu finden! Das Schiff war ja riesig, und vielleicht mußte ich schnell mal ein Instrument antippen, um meinem eigenen Nachruf zu entgehen. Ich hauchte die Sternjets an, und im nächsten Moment war ich drin. Der große Kopfscheinwerfer schnitt durch die totale Schwärze. Dort, wo die Eingangsrampe den Hauptkorridor berührte, blieb ich stehen und schätzte den Raum ab. Vielleicht konnte ich hier mit meinem Rohr umdrehen, ohne die am Stern montierte Bohrmaschine zu beschädigen. Jetzt kannte ich die Anordnung der Knöpfe schon einigermaßen und spielte – pianissimo! – auf ihnen. Im Schneckentempo glitt ich noch ein Stückchen vorwärts, schwang herum, kratzte an der Wand, trieb frei und schwang noch einmal. Und dann schaute ich den Hauptkorridor entlang, aber nur für eine halbe Sekunde, kniff die Augen zusammen und schrie: »Einholen!« »Was ist denn los?« erkundigte sich Carroll sofort. Ich schluckte meinen Mageninhalt wieder hinab. »Egal! Hol mich ein!«
Der Rumpf des Suchgeräts beklagte sich bitter, als er ankratzte, aber sie holten mich heraus. Keuchend öffnete ich die Augen. »Was ist denn passiert?« fragte Cap sehr besorgt. »Leichen«, erklärte ich und würgte wieder. »Durch den Korridor kann ich nicht. Überall schweben die Leichen herum. Und wenn ich durchkäme, würd’ ich’s nicht noch mal versuchen. Hast du je im Außenraum an die hundert Leichen auf einmal gesehen?« »Nein, und das will ich auch gar nicht«, antwortete Cap. »Carrolls Großpapa muß einen Eisenmagen gehabt haben.« »Schau mal, Jake. Wenn du dort nicht hineingehst, sind wir, untergegangen. Wir haben unseren Fahrplan nicht eingehalten.« »Bring mich an Bord. Mir ist eiskalt.«
Sie schauten sehr enttäuscht drein. Cap formulierte vorsichtig die allgemeine Mißbilligung. »Vielleicht sollte es mal einer von uns versuchen. Ich habe keinen so rebellischen Magen.« »Mir ist schlecht geworden, und ich schäme mich nicht«, erklärte ich ihnen. »Und über diesen Korridor will ich nicht reden. Er müßte erst ausgeräumt werden, bevor ich mit unserem Suchrohr durchkomme. Mit unserer Ausrüstung dauert das einen Monat. Ich muß seitlich durch den Rumpf hinein.« Jenkins’ Sommersprossen drückten Zweifel aus. »Ist denn da ein Loch, das groß genug wäre? Und wenn, dann ist es nämlich gefährlich. Diese scharfen Zacken können unsere Kabel aufschlitzen.« »Hat jemand einen anderen Vorschlag?« Ich fror noch immer sehr, und deshalb klang vermutlich meine Stimme auch eisiger als sonst.
»Nein«, antwortete Jenkins kurz. Wir musterten die Astralot. »Dort«, sagte ich und deutete. »Durch diese Öffnung könnte ich kommen. Pat, leg dich so längsseits, daß es gerade hinübergeht. Und ich muß da auch ein bißchen Wärme haben.« Man holte einen Anzug mit dicker Unterwäsche und Heizanlage; den probierte ich, fand ihn ausreichend und schlüpfte wieder in das Suchrohr. Den UnterwäscheStromkreis schalteten wir auf den Kopfscheinwerfer, und dann war ich schon wieder weg. Das Hineinkommen war einfach. Mit der Kopflampe beleuchtete ich das Durcheinander von schadhaften Maschinen und zusammengefallenen Schotts. »Gebt mir mal Carroll an die Strippe«, bat ich. »Ja, Jake«, meldete er sich. »Das scheint ein Hilfsmaschinenraum zu sein. Hast du je einen Plan des Schiffes gesehen?« »Ja, ich kenne mich da ziemlich aus.« »Wenn du kein solcher Riese wärst, könntest du den Job selbst tun. Also, wohin soll ich gehen? Da ist eine aufgesprengte Tür, die vom Korridor aus zum Stern führt, und ein eingedrücktes Schott, durch das man nach vorne kommt.« »Nach hinten«, sagte er. »Und gar nicht weiter. Paß genau auf Starbord auf. Da müßtest du eine offene Tür finden.« »Okay. Die Leine ein bißchen straffer jetzt.« »Jake, das können wir nicht wagen«, schaltete sich Jenkins ein. »Wenn du erst im Winkel zu uns stehst, müssen wir sowieso nachgeben und hoffen, daß die Kabel nicht an den scharfen Zacken hängen bleiben.« »Ja, und wie; soll ich dann das Zeug rausholen, bitte sehr? Hier gibt es doch nur noch Trümmer. Wenn ihr das Kabel nicht straffziehen könnt, bringt ihr auch keinen Greifer durch.«
»Vielleicht ist das sentimental«, meinte Jenkins, »aber mir liegt an deiner Sicherheit ein bißchen mehr als an dem Spielzeug, daß am Suchrohr klebt. Wir müssen durch, und wenn wir den ganzen Maschinenschrott rausholen müssen. Jetzt wage ich es einfach nicht, die Kabel zu spannen. Aber geh mal hinein und sieh dich um.« »Reine Sentimentalität«, schniefte ich. »Trotzdem vielen Dank.« Ich hauchte wieder über mein Knopfpiano, drehte vorsichtig und trieb den leeren Korridor entlang. Da sah ich eine offene Tür und leuchtete mit der Kopflampe hinein. Da war es. Herkulium. Material aus dem verlorenen Verfahren. Nichts an bekanntem Material konnte es durchdringen, weder Desintegrationsstrahlen, noch Impulse von dem schwerfälligen atomischen Reintegrator. Dieser kleine Mann mit dem Klumpfuß, dieser Phamign, sagte einmal: »Zum Teufel mit allem!« als man herauszufinden versuchte, wie er das machte. Er bekam Angebote. Oh, sehr viele und ganz beträchtliche sogar! Dann starb er. Bevor er aber ins Gras beißen mußte, schickte er noch eine geheime Schiffsladung zum dritten Planten von Arcton. Mit der Astralot. So sagen die Geschichten. Ich sah vor mir den allergrößten Haufen Vermögen, der je auf einem einzigen Platz angesammelt worden war. Ich kreischte. »Da ist es! Wir sind drin, Kinderchen!« Ich hörte, wie sie schrien. »Dann fang doch an und schick es raus«, sagte Carroll. Da fiel mir das Herz in die Stiefel. Das Vermögen lag da in Barren, in dicken, grauen, glatten Barren mit abgeschrägten Kanten. Mein Greifer war für große, grobe Gegenstände wie Kisten und Verschlage bestimmt und konnte nie auch nur einen dieser Barren aufnehmen. Und wenn, dann konnte er
immer nur einen nehmen. Das hieß, daß ich mit jedem Barren eine Rundreise zu machen hatte, um ihn abzulegen, zum Schiff zurückzukehren und den nächsten aufzunehmen. Ich sagte ihnen, was ich sah und dachte und hörte sie gemeinsam stöhnen. »Ich komme jetzt an Bord. Holt den Greifer ein.« Nun begann der schwierige Weg rückwärts durch den Korridor. Hier ging es um Fingerspitzengefühl, Vermutung und genaueste Erinnerung. An der Ecke schwitzte ich fürchterlich, aber dann kam ich mit einem Kratzer weg und ließ mich herausziehen.
Wir waren ein trauriges Quartett an Bord. Amos T. Grubb legte seine zwei Cents dazu. »Wenn ihr auf mich gehört hättet«, begann er, ließ dann aber lieber alles andere ungesagt. Wir waren so deprimiert, daß niemand ihn ankeifte. Endlich kam Carroll mit einem Vorschlag. »Weiß jemand, wie Herkulium auf ein magnetisches Feld reagiert?« fragte er. Wir schnappten danach wie verhungerte Hunde, nahmen die Bibliothek auseinander, Buch für Buch, und fanden doch nichts. »Trotzdem versuchen wir’s mal«, sagte Jenkins. »Wenn es nicht geht, sind wir aufgeschmissen.« »Das ist nicht gut, Jungens«, mußte ich leider sagen. »Ich kann doch das Suchrohr nicht in die Schatzkammer bringen. Der Korridor ist viel zu schmal für eine Wendung im rechten Winkel. Ich kann mich kaum vom Maschinenraum aus durchquetschen.« Wieder waren alle deprimiert, doch Jenkins wußte einen Ausweg. »Der Arm an diesem Drill… Den können wir an der Nase von einer Angel befestigen. Damit können wir ihn so an
den Rumpf legen, daß er nicht über ihn hinausschaut. Innen bauen wir eine Kontrolle ein.« »Noch mehr Gerät«, beklagte ich mich. »Ist jetzt schon kaum mehr Platz genug zum Atmen. Okay. Ich schrumpfe halt noch ein bißchen.«
Ein paar Stunden später war ich also wieder im Wrack. Vorsichtig trieb ich durch den Korridor, schwang die Nase nach Starbord – und blieb stecken. Ich trat auf den Knopf für die Nasenjets. Nichts. Nur Metall stöhnte. Wenn ich jetzt den Rumpf aufriß, hätte ich an gar nichts mehr Interesse. Ich dachte an die herumschwebenden Leichen und würgte. »Ich stecke fest«, meldete ich. »Der große Magnet hängt oben. Ganz langsam und vorsichtig herausziehen.« Es ruckte ein paarmal, dann machte es pang! »Oh, guter Gott«, hörte ich Jenkins flüstern. Das Kabel war abgerissen. Das war’s also. Ich war eingekeilt und kam nicht mehr frei, ohne meinen eigenen Schutz zu zerstören. Und ich würde eine ganze Menge Zeit haben, darüber nachzudenken. Schnell ließ sich da gar nichts ändern. Was würde rascher zu Ende gehen, meine Luft oder die Wärme? Also: entweder ersticken oder erfrieren! Oder beides. Und selbst wenn ich ein Messer gehabt hätte, so fehlte mir der Platz, um meinen Arm soweit zu bewegen, daß ich mir die Kehle durchschneiden konnte. Ich schaltete den Kopfscheinwerfer aus. »Hat jemand Vorschläge?« erkundigte ich mich. Na, was schon, wenn meine Stimme ein bißchen zitterte. »Alles wird dankbar angenommen.« »Erkläre mir mal die Lage«, sagte Carroll. »Ich kann nicht sehen, wo ich hänge, aber es fühlt sich so an, als habe sich der Magnet an einem Vorsprung verkeilt.«
»Kannst du nach gar keiner Seite ausweichen?« Ich versuchte es, Port und Starbord. Nichts. »Antrieb hab’ ich noch, um loszubrechen, aber das geht nicht ohne Loch ab. Und was das heißt, wißt ihr ja.« Ich sah ihn direkt vor mir, wie er sich schüttelte. »Idiot!« rief er scharf. »Jake, ich meine mich. Vielleicht hab’ ich den Schalter auf ›an‹ gelassen, als ich den Magneten aktivierte. Versuch mal.« Das tat ich, und sofort kam ich frei. »Gerettet, ganz nach Programm«, meldete ich und hätte dabei um ein Haar geweint. »Es kann weitergehen.« »Gott sei Dank!« stöhnte Carroll, und ganz bestimmt blinzelte er dabei, dieser sentimentale Riese. »Wenn dir das nicht eingefallen wäre«, murmelte ich. »Junge, Junge, ich glaube, ich schulde dir einen Drink. Und jetzt, Ladies und Gentlemen, habe ich zu meiner Linken den größten Schatz der Jahrhunderte, Millionen und Abermillionen in kleinen grauen Schweinchen. Schaut mir jetzt genau zu. Ich senke den Arm meines Magneten. Ah, Kontakt! Und jetzt seht ihr, wie ich den Barren…« Aber ich hatte Angst, den Schalter umzulegen. Was dann, wenn der Magnet nicht wirkte? »Was denn?« fragte Cap. »Schon gut. Ich hatte nur Angst. Los geht’s.« Ich legte den Schalter um. Nichts. Der Magnet war in Kontakt mit sechs Barren. Ich hob ihn. Ich sah es, konnte es aber kaum glauben. Fast hundert Barren – wir zählten dann fünfundneunzig – hingen an meinem Magneten. Natürlich waren sie hier gewichtslos, und das machte den ganzen verblüffenden Unterschied aus. Ich schwitzte am ganzen Körper. »Das ist… okay«, flüsterte ich.
Der Rest war dann Routine. Mit pneumatischer Kraft bewegte ich den Magneten und streckte seinen Arm voraus. Die Ladung hatte die Neigung, immer nach der einen oder anderen Seite zu kippen, aber ich spielte dann eben ein ganz schnelles Stakkato auf meinen Knöpfen, so daß ich sie immer wieder richtig dirigierte. An Grubb und seine Drohungen mochte ich nicht denken. Natürlich hatte er uns in der Hand, vielleicht sogar unseren Schatz. Wir hatten den Kontrakt gebrochen, und in diesem Geschäft, wo es um Menschenleben und wertvolle Ausrüstung geht, sind die Strafen für Kontraktbruch ungeheuer hoch. Und das ist auch richtig so. Endlich hatten wir die ganze Ladung an Bord und so verteilt, daß das Gewicht nicht einseitig auf den Rumpf drückte und ihn durchbrach, sobald wir wieder in eine Schwerkraftzone kamen. Cap, Jenkins, Carroll und ich hatten uns je einen Barren aus Sentimentalität unter den Arm geklemmt. Und dann hielten wir eine Konferenz. Pat schaltete den Antrieb auf ›voll‹; wir waren unterwegs. »Und was tun wir jetzt mit dem?« fragte Jenkins und machte eine Kopfbewegung zu Grubb. »Wollen Sie uns noch immer verklagen?« verlangte ich zu wissen. »Natürlich nicht«, erwiderte er liebenswürdig. Von ihm klang das besonders komisch. Ich musterte ihn scharf; diese Liebenswürdigkeit war eine Maske, eine ganz dünne Maske. Das, was darunter lag, war in seinen Augen zu lesen. »Was meinen Sie damit?« fragte ich ihn deshalb. »Ist doch ganz einfach«, antwortete er fröhlich. »Ich habe das Geld für diesen Trip bezahlt, die Ausrüstung gekauft, die euch fehlte und die ihr auch nicht kaufen konntet, und wäre ich nicht
gewesen, wäret ihr nicht hier, und ihr hättet keinen Schatz an Bord. Stimmt doch, oder?« »Hm, ja«, gab Cap zu. »Aber ich verstehe schon, was Sie wollen. Nur geht das nicht so.« »Oh, doch«, antwortete Grubb lächelnd. »Interstellare Gesetze bestimmen, daß finanzielle Gewinne eines Charterschiffes – außer den Kontaktgewinnen selbstverständlich – dem Charterhalter gehören. Jeder zufällige Gewinn der Expedition steht also mir zu.« Ich schaute Cap an, und ich glaube, wir beide fühlten genau dasselbe – abgrundtiefe Verzweiflung. Dieser Witzbold. Für den hätte ich fast mein Leben eingebüßt. Lange Zeit sprach keiner, dann kicherte Grubb. Pat drehte sich zu uns um. »Ich hab’s euch doch schon früher mal gesagt, laßt mich mit der Ratte fertigwerden.« »Mal abwarten. Laß mich erst nachdenken«, sagte Cap. »Warum?« wollte Jenkins wissen. »Wir müssen ihn umbringen. Bleibt uns doch nichts anderes übrig.« Grubb schien darüber nur amüsiert zu sein. »Ja, und wie denn?« fragte er lachend. »Die Geschichte vertreibt mir nur die Zeit, bis ich – ah – mein Erbe antreten kann.« »Ich weiß es«, sagte Jenkins plötzlich. »Ist ja gar kein Problem. Wir bringen ihn in die Astralot. Was macht da drüben schon eine Leiche mehr aus? Wir schieben ihn ganz einfach durch die Luftschleuse und mit dem Suchrohr ein Stück weiter hinein.« »Aber ich nicht, ich hab’ genug Leichen gesehen«, wehrte ich mich. »Das erklärt aber seine Abwesenheit nicht«, wandte Cap ein. Grubbs Grinsen wurde eine Spur weniger freundlich. Seine Augen huschten zwischen Jenkins und Cap hin und her. »Ist doch ganz einfach«, erklärte Jenkins. »Wir haben ja wirklich ein Wrack gefunden und mit einer
zusammengebastelten Ausrüstung die Ladung geborgen. Der arme Mr. Grubb, den wir wie einen Bruder liebten, wurde zu gierig und setzte sich dem Raum aus. Er ging zuerst an Bord und versuchte, aus dem Suchrohr rauszukommen. Als wir das Ding an Bord zurückholten, blieb seine Leiche irgendwo hängen, und wir konnten sie nicht zurückholen.« Das sagte er so, als hielte er vor einem imaginären Gerichtshof eine Rede zu seiner Verteidigung. »Und, Gentlemen«, fuhr er fort, »das können wir beweisen, wenn wir das Wrack wieder finden. Natürlich und wenn jemand darauf besteht, ist die Astralot wieder verschwunden. Die Daten können wir in unserem Log leicht frisieren, und niemand wird je in der Lage sein, das Schiff zu finden.« Jetzt war Grubb das Lachen vergangen. Er war sehr blaß. »Ich frisiere mein Log nicht«, erklärte Cap. »Ist auch nicht nötig. Wir können ihn wirklich an einen Haken hängen. Gute Idee, Jenkins.« »Du lieber Gott!« schnatterte Grubb. »Ihr könnt doch nicht…« »Klappe halten«, fuhr in Pat an. »Soll ich ihn gleich in die Luftschleuse bringen, Cap?« Jetzt grinste Cap breit. »Nein, nicht nötig. Schauen Sie, Grubb, Ihr Status an Bord ist der eines Passagiers. Sie hätten gar nicht mitkommen müssen, und Sie haben auf Ihre Art für die Passage bezahlt. Die Untersuchungsbehörde könnte Ihnen vielleicht einen Anteil am Schatz zusprechen, aber ich glaube nicht, daß der sehr groß sein wird, wenn wir berichten, wie Sie uns zu beschummeln versuchten und Ihre Vorschläge und Drohungen beschreiben. Passagiere haben, wie Sie genau wissen, keinen Anspruch auf zufällige Gewinne, wie Sie meinen.«
Grubb hatte zwar dem ersten Teil von Caps Ansprache gelauscht, doch nach dem Wort ›Passagier‹ schien er nichts mehr zu hören. Seine Augen waren glasig. »Ihr könntet… es getan haben«, flüsterte er, »und damit wegkommen.« Er schüttelte sich, und dann klang seine Stimme wieder normal. »Ich nehme an, daß eine Entschuldigung angebracht wäre.« »Von wem?« wollte Cap wissen. »Von mir natürlich«, schnappte Grubb. »Weil ich habgierig war. Gentlemen, ich entschuldige mich. Und Ihnen, Captain Lane, meinen Dank. Ich weiß, es klingt sehr dramatisch, aber es ist wahr. Sie haben mir das Leben gerettet.« »Weil das schon was wert ist«, murrte Jenkins angewidert. »Danke«, erwiderte Grubb säuerlich. »Aber ich werde euch trotzdem aus grundsätzlichen Erwägungen heraus verklagen.« Wir waren erschüttert, aber nicht erstaunt. Typisch Grubb. Und man mußte es dem kleinen Kerl lassen, er hatte Mut, sich an seine Grundsätze zu halten, wenn er doch wußte, daß wir ihn ganz unauffällig beseitigen konnten. »Aus welchen Gründen?« fragte Jenkins. »Weil ihr den Pluto-Kontrakt gebrochen habt.« »Sind wir denn jetzt nicht unterwegs zum Pluto?« fragte Jenkins. »Alles, was wir tun müssen, ist, den Drill wieder zusammenzubauen.« »Das könnt ihr nicht«, erwiderte Grubb. »Das Geheimnis ist nur den Ingenieuren von Valadia bekannt. Habt ihr noch nie was von deren Monopol gehört?« »Ja, aber mein Großvater hat den Valadia-Drill erfunden«, erklärte Jenkins genüßlich. Grubb war weder erfreut noch verärgert. »Na, schön. Ich … Ich kann nichts machen.« Mir tat er leid. Er war so entschlossen gewesen, gemein zu sein, und ihm schien das sehr viel zu bedeuten. Das war aus
seiner Miene nur allzu deutlich zu lesen. Und Kämpfer mag ich. Die anderen schauten ihn nun auch gewissermaßen voll Bewunderung an, nicht mehr so amüsiert. »Mr. Grubb«, sagte ich, »ein Bursche, der so rangeht wie Sie; verdient was für einen tapferen Kampf. Hier, von mir bekommen Sie den Barren hier als Glücksschwein.« Ich schob ihm das Ding zu. »Nein, Jake«, lehnte er ab und grinste dazu. »Ich bin ja nur ein Passagier, erinnern Sie sich? Und ich bin kein Dummkopf.« Er schob den Barren kräftig in meine Richtung an. Er hatte kein Gewicht, aber sehr viel Schwung. Ich versuchte mich zu ducken, und das letzte, woran ich mich erinnern kann, war Pats: »Oh, lieber Gott! Schon wieder aufs Kinn!«
II Räuber und Dame
Wir waren weit im Himmel, und so war es für uns ganz natürlich, daß auf unserem Bildschirm ein Engel erschien. Erstaunlich blieb es trotzdem. Pat fiel fast aus dem Pilotensessel, und ich mußte auch nach einem Geländer greifen. »Dem Himmel sei Dank«, sagte die Vision. »Oh, vielen Dank!« Natürlich erwartete man von einem Engel, daß er sich beim Himmel bedankte, doch daß der Engel rote Haare, grüne Augen und… na ja, sonst noch einiges Hübsche hatte, war doch ein wenig erstaunlich. Bisher hatte ich geglaubt, Engel hätten keinen Sex-Appeal nötig. Sie, der Engel, hatte aber mehr als das, also schon eher einen diesbezüglichen Befehl. Ich unterdrückte gerade noch den üblichen anerkennenden Pfiff. »Wir sind sehr verzweifelt«, sagte sie. »Sie werden uns doch ganz bestimmt helfen wollen, nicht wahr?« Allmählich kam ich wieder zu mir. Das war also kein Engel, schon eher eine Frau. Darüber war ich froh. Selten haben nämlich meine voreingenommenen Augen ein so großartiges Mädchen erblickt, nicht einmal dort, wo sich auf allen bewohnten Planeten die Schönsten der Schönen tummelten. »Dies ist die Delphin von der Raumrettung, Incorporated«, sagte ich schließlich. »Jake Murchison, Erster Offizier, am Gerät. Um was geht’s denn?« Da sickerte die Verzweiflung aus ihr heraus und wurde ersetzt durch Eis; besser kann ich’s nicht ausdrücken. Ich weiß, daß sich Augen nicht auf Befehl zu Stein verhärten können,
denn das ist organisch unmöglich, aber die ihren schienen es zu tun. Und der üppige Mund wurde zu einem roten Bleistiftstrich, der sich an einer Seite nach unten bog. »Oh«, sagte sie, und darin lag eine Menge Verachtung. »Die Piraten!« Das ist aber ein Wort, das man besser nicht auf Raumleute anwendet, wenn man sich nicht ein neues Gebiß machen lassen will. Vermutlich wurde ich rot, denn ich meinte, jetzt sei mein Gesicht durchgebacken. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte ich sie durch den Schirm hindurch angesprungen. »Feine Art, um Hilfe zu bitten«, knurrte ich. »Einen beschimpfen. Vergessen Sie’s. Ihnen helfe ich nicht.« »Sie müssen aber«, entgegnete sie. »Interstellares Gesetz.« Es war eine Tatsache, erwähnt ohne Triumph in der Stimme, ohne Hitze, ohne Charme. Nur die Wahrheit. »Na, schön«, antwortete ich genauso kühl. »Wo fehlt es denn?« »Ich bin Helen Wall, Kapitän der Andromeda, unterwegs nach Arcton. Wir hängen an einem Asteroiden fest, haben fünfundsiebzig Passagiere und sind völlig hilflos.« Ich überlegte. »Scheint ziemlich einfach zu sein. Wir legen bei Ihnen an, Sie bringen die Leute in Rettungsbooten heraus, und wir nehmen Sie an Bord. Bringen Sie Ihre eigene Verpflegung mit. Und es wird sehr eng werden. Die Delphin ist ein kleines Schiff, und wir sind mit Gerät vollgestopft.« »Nein«, erwiderte sie. »Das ist eine ganz besondere Situation. Der Asteroid ist nämlich aus Magneteisen. Dieser Magnetismus hält uns hier fest. Der Aufprall hat unser ganzes Rettungsgerät und unsere Portjets zertrümmert. Wir können nicht ablegen, aber wir können auch das Schiff nicht verlassen. Unsere Luft wird knapp und…« »Magneteisen«, schniefte ich.
»Seien Sie ruhig und hören Sie zu«, fuhr sie mich an. »Dieser Asteroid hat einen Durchmesser von ungefähr dreißig Meilen und scheint von außen her in das System eingewandert zu sein. Er ist durch und durch aus ungewöhnlich dichtem Material und sehr – Sie werden gar nicht glauben, wie sehr – magnetisiert. Wir sahen das auf unserem Schirm und veränderten den Kurs eine Spur, um daran vorbeizukommen. Aber wir kamen doch noch ins Magnetfeld, und bevor wir es noch wußten, hingen wir schon fest.« »Sie hätten sich mit Raketen hinausschießen…« »Das weiß ich doch selbst«, unterbrach sie mich ungeduldig. »Aber wer im Raum hat schon je von einem so starken Magneten gehört, der dreißig Meilen Durchmesser hat? Ehe wir es noch ahnten, waren wir schon eingefangen. Natürlich haben wir uns mit Raketen hinauszustoßen versucht, und deshalb sind wir ja auch nicht platt wie Flundern und tot.« »Na, schön. Haben Sie Geduld. Wir müssen Hilfe holen.«
Über Interkom holte ich Cap herein, und er kam sofort aus dem Navigationsraum. Sein Gesicht blieb, wie immer, ganz ruhig, als ich ihm kurz das Problem schilderte. Er kämmte mit den Fingern sein silbernes Haar, und seine erstaunlich blauen Augen wurden vor Anerkennung ganz groß, als er Captain Wall auf dem Schirm sah. »Hol aber lieber Carroll«, sagte er. Ich holte mir aus dem Medizinschrank ein Weckmittel und ging in den Schlafraum, wo unsere Rettungsmänner bewußtlos an die Bunks gebunden waren. Ich machte die Injektion und sprang zurück. Der sieben Fuß hohe Riese schlug um sich und sprengte die Fesseln, als seien sie dünne Ranken. Ich hielt mich außer
Reichweite, bis seine Augen sich gleichschalteten. Dann lächelte er mich sanft an. »Sind wir schon da, Jake?« fragte er mit seiner weichen Stimme. »Nein.« Ich zeigte ihm die Nadel. »Notfall. Allah sei Dank, ich konnte dir noch rechtzeitig aus dem Weg springen. Beim letztenmal hast du mir fast den Kiefer zerschlagen, als ich dich aufweckte.« »Das tut mir noch immer schrecklich leid, Jake«, versicherte er mir reuig. »Und was ist jetzt los?« Wir gingen in die Pilotenkabine, und Carroll pfiff doch tatsächlich, als er diesen Rotschopf sah. Das war ein Bewunderungspfiff, und sie lächelte ihn auch an. Ich setzte ihn ins Bild, und er sprach mit ihr. »Wie weit reicht dieses Magnetfeld, Captain, Ma’am?« »Der stärkste Zug wirkte ungefähr auf eine Dreiviertelmeile«, antwortete sie. »Natürlich wird die Anziehungskraft umso größer, je näher man kommt. Und das läßt sich berechnen.« »Ah, ich verstehe. Wenn wir uns in einer Entfernung von einer Meile halten und uns auf Ihre Drift einstellen, müßten wir also sicher sein.« Sie runzelte die Brauen. »Es könnte sein, daß Sie etwas Kraft brauchen, wenn Sie sich freihalten wollen, aber ich denke, eine Meile müßte sicher sein.« »Dann müssen wir Sie also erstens einmal finden«, sagte Carroll. »Und wenn wir Sie gefunden haben, stellen Sie wohl besser Ihren Antrieb ab. Melden Sie ich vorläufig nicht mehr, außer wir rufen Sie.« »In Ordnung«, sagte sie. Wir stellten unsere Indikatoren ein, fanden das Schiff und veränderten unseren Kurs dementsprechend, bis der magnetische Asteroid unmittelbar vor uns lag. Er entfernte sich von uns fast mit der gleichen Geschwindigkeit, die wir hatten.
Auf die Art brauchten wir zweiundsiebzig Stunden, um ihn zu erreichen. »Also, tritt mal aufs Gas«, sagte ich zu Pat. Er drückte auf die Jetknöpfe, und eine Weile machte uns die Akzeleration ziemlich schwer, bis sich unser Tempo aufgebaut hatte. Ich schaute auf den Bildschirm. »Das mit den Piraten hat mir absolut nicht gepaßt«, sagte ich, »und ich glaube, ich werde Sie verklagen müssen, wenn ich Sie gerettet habe. Dann schleppe ich Sie vor’s Gericht. Und jetzt schalten Sie mal ab. Sparen Sie Energie.« Ihr Gesicht hatte nichts von seiner Härte verloren, als sie mich einen Moment lang nüchtern musterte, ehe der Schirm leer wurde. »Piraten«, knurrte ich. »Wer das wohl aufgebracht hat.« »Es muß wohl Amos T. Grubb gewesen sein«, vermutete Cap. »Könnte mir sonst keinen denken.« »Das glaube ich nicht. Er ist ein übellauniger kleiner Bursche, aber sonst ist er ehrlich. Er gab zu, daß er keinen Anteil an der Ladung Herkulium hatte, das wir aus der Astralot bargen.« »Und warum hat dann die Regierung den größten Teil davon beschlagnahmt?« »Darüber hab ich mir auch schon den Kopf zerbrochen«, gab ich zu, »seitdem der Marshal den Bericht aufnahm. Er wußte nichts, und egal war’s ihm auch, und das ist sicher. Aber selbst wenn Grubb dahintersteckt, wo kamen dann die ›Piraten‹ herein? Er war doch dort. Und er weiß, daß das Schiff ein Wrack war.« »Das kommt schon noch heraus«, meinte Carroll. »Ha, da kommt er ja!« Es war nur ein runder schwarzer Fleck auf unserem Schirm, aber auf einmal wurde der Asteroid zu einem unregelmäßig
geformten Oval mit einer Beule, dem manövrierunfähigen Raumschiff. »Orbit?« erkundigte sich Pat bei Cap. »Ja, bei ungefähr fünf Meilen Abstand. Wir schauen uns die Sache erst mal an.« Pat stellte den neuen Kurs ein, und wenig später beschrieben wir einen ungefähren Kreis mit einem Durchmesser von vierzig Meilen, der wiederum die Basis eines imaginären Kegels war, dessen Spitze die Andromeda bildete. Das Schiff lag am Asteroiden an, dessen Oberfläche da und dort ziemlich große Krater aufwies und deshalb aussah, als hätte er einmal ganz schlimme Windpocken gehabt. Wir stellten ein Beobachtungsfenster auf stärkste Vergrößerung ein, so daß wir zu dritt den Metallklumpen studieren konnten. »Wenn wir ungefähr fünfzig Schleppgeräte hätten«, meinte Cap nachdenklich, »und wenn wir Trossen an Bord bekämen, könnten wir vielleicht das Schiff wegziehen. Bei unserer Ausrüstung ist das unmöglich.« »Wird wohl so sein«, gab ich zögernd zu. »Aber natürlich wär’s schon ein ziemlicher Preis. Wem gehört das Schiff eigentlich? Wir könnten einen Vertrag für eine spätere Rettung machen, und wenn der Besitzer Geld hat, könnte er mit seinem Angebot ja so hoch einsteigen, daß wir uns eine Schlepperflotte leisten könnten.« Pat schaute schon in der Registration nach. »Oh, oh!« machte er und lachte leise. »Solar System Salvage Company, Limited«, meldete er. »Du liebe Zeit, das ist ja wohl ein Witz«, sagte ich. »Und«, fuhr Pat fort, »Philemon Wall ist Präsident und Obergeneral. Ob die hübsche Kapitän-Madam eine Verwandte von ihm ist?« »Tochter«, sagte Carroll. »Jetzt kann ich mich erinnern. Ich glaube, das ist ihre Jungfernreise, Ziel Arcton.«
»Schön, schön«, antwortete ich und rieb mir die Hände. »Jetzt verstehe ich ihre Reaktion, als sie entdeckte, daß die Raumrettung ihr SOS beantwortete. Wenn es sich im System herumspricht, daß unsere Einschiff-Firma das große Schiff gerettet hat…« »Falls wir es retten«, warf Cap vorsichtig ein. »Die Fluchtluken kleben nämlich am Asteroiden.« »Ich möchte näher rangehen«, schlug ich vor. »Vielleicht fällt mir dann was ein. Bring uns hin, Pat, bis du den Zug spürst, und dann hältst du uns hart außerhalb des magnetischen Feldes.« Pat manövrierte uns näher an den Asteroiden, ungefähr so vorsichtig wie ein Mann, der einen schlafenden Tiger anschleicht. Wir spürten alle etwas ganz Merkwürdiges, und es war etwa so, als kämen wir in ein Schwerkraftfeld, so daß man Gewicht zu spüren beginnt, aber es war doch auch noch ein bißchen anders. Der Unterschied läßt sich nicht beschreiben, denn dafür gibt es keine Worte. Wir spürten es aber, und Pat zog schleunigst ein Stück weg. Wir konnten uns recht gut vorstellen, was passieren würde, wenn wir zu weit in dieses Feld hineingerieten. »Ich gehe jetzt hinunter«, kündigte ich an. »Wie denn?« wollte Cap wissen. »Unser Rettungsboot ist aus Metall. Du kannst nie wegkommen.« »Ich gehe an der Leine. Wir sind ja nur etwas mehr als eine Meile weg. Hängt einen Hosensitz an und bringt mich mit einer Winde aus.« »Das geht vielleicht nicht«, meinte Carroll. »Ich weiß nicht recht, ob das Schwerkraftfeld dieses Erzbrockens stark genug ist, um einen Zug auf einen so kleinen Körper wie du’s bist ausüben zu können. Wenn wir nämlich außerhalb des magnetischen Feldes sind, zieht dich ja nichts. Du wirst Antrieb brauchen.«
Ich überlegte. »Dann nehme ich das Rettungsfloß mit ins magnetische Feld. Dort könnte ihr es halten, bis ich zum Hosen sitz übergehe. Wir befestigen daran eine Metallplatte, dann werde ich schon angezogen. Und danach holt ihr das Rettungsfloß wieder ein.«
Das war eine ziemlich umständliche Methode, doch es klappte. Natürlich hatte ich im Helm Sprechverbindung, und Carroll führte meine Weisungen aus, ohne Fragen zu stellen. Es war tröstlich, ihn und Cap am anderen Ende der Leine zu haben; es ging ja hier um Leben oder Tod. Ein komisches Gefühl, am Ende einer Leine zu hängen und von einer anderen Kraft als der Schwerkraft angezogen zu werden, die ja kaum spürbar war. Nackt konnte man auf dem Asteroiden tausend Fuß hoch springen, falls man keine Metallfüllungen in den Zähnen hatte, aber mit Nägeln in den Schuhen hatte man unweigerlich Schwierigkeiten beim Laufen. Von einem Fuß Entfernung zum anderen vervielfachte sich die magnetische Kraft des Asteroiden. Als ich die Oberfläche erreichte, brauchte ich mir um die Verankerung meines Stuhles keine Sorgen zu machen. Als ich noch etwa fünf Fuß von der Oberfläche entfernt war, begann die Metallplatte an meinem Sitz zu zittern, und ich sprang ab, sonst wäre vielleicht meine Verbindungsleine gerissen und hätte meinen Kopf mitgenommen. Die Platte saugte sich förmlich am Asteroiden fest und hielt den Stuhl ruhig. Ich machte eine Inspektionsrunde. An der Unterseite war der Rumpf des gestrandeten Schiffes da und dort eingedellt, die Notausstiege und Luken waren verschoben und verkeilt, so daß sie sich nicht öffnen ließen.
»Stell die Verbindung mit der Andromeda her«, bat ich Carroll. »Frag den Kapitän, ob alle Leute leckdichte Raumanzüge haben. Wir müssen wohl die Pilotenkanzel absprengen und einen nach dem anderen herausholen.« Carroll stöhnte. »Da müssen wir ja jedesmal das Rettungsboot nehmen.« »Wir bringen sie nur zum Rettungsboot im Feld«, erklärte ich. »Dreißig kriegen wir schon hinein, dann brauchen wir nur zweimal den Transport.« »Okay. Dann warte mal eine Minute.« Wenig später war er wieder da. »Jake, Schwierigkeiten. Sie beklagt sich darüber, daß das Flaggschiff nicht mehr zu reparieren ist, wenn wir die Pilotenkanzel heraussprengen.« »Schlimm, schlimm«, antwortete ich. »Frag sie, ob sie zu atmen aufhören will. Das geschieht dann nämlich und zwar sehr bald.« »Und sie sagt«, fügte Carroll hinzu, »wir versuchten damit nur einen Rivalen handlungsunfähig zu machen. Sie an deiner Stelle würde sich was Gescheiteres einfallen lassen.« »Dann soll sie halt rauskommen. Da ist eine Menge Platz. Sag ihr, entweder es wird so gemacht, wie wir es vorschlagen, oder wir verschwinden. Kostet ja nur unser Geld. Und auf Arcton wartet ein Job auf uns. He, dorthin will sie ja auch. Auf alle Fälle sagst du’s ihr.« Also, nach Arcton wollte sie, wo diese Fähre hundert Fuß tief in einem Schlammsee steckte. Darüber mußte ich nachdenken. Die Solar Salvage hatte schon manchem kleineren Rivalen einen Job weggeschnappt, weil sie früher dort war. Aber jetzt grinste ich breit. Dieses Schiff ging nirgendwohin, wenn ich es nicht sagte. »Okay, Jake«, meldete sich Carroll wieder. »Sie ist wütender als eine nasse Katze, aber sie gibt zu, daß sie auf uns angewiesen ist. Was nun?«
»Alle Passagiere ziehen Raumanzüge an. Sie sind sorgfältig zu testen. Keine Anstrengung. Sie sollen sich hinlegen, bis wir zu ihnen kommen. Die kleineren bilden eine Gruppe. Vielleicht können wir sie zu jeweils zweien herüberholen. Alle Metallgegenstände bleiben an Bord. Wir dürfen unsere Winde nicht zu sehr belasten. Und dann, das ist sehr wichtig, sollen die Ingenieure die Piloten-Sichtkanzel entfernen, nur wegschieben. Sie ist aus Quarz. Ich hab mir schon einen hübschen Gag ausgedacht.« »Was denn?« »Bin noch nicht „ganz durch. Ich werde deine Hilfe brauchen. Wenn es klappt, wirst du die verrücktesten Leute des ganzen Systems sehen.«
Ich wartete neben der Andromeda. Die Raumschwärze wurde nur von der unbeschreiblichen Schönheit der Sterne erhellt. Eine halbe Stunde später sah ich den Wirbel leichten Staubes, den ausströmende Luft verursachte. Ich hatte vergessen, ihnen sagen zu lassen, daß die Luft erst nach der Ablösung der Pilotenkanzel ausströmen durfte, weil sich alles, Passagiere, Maschinen und Navigationskarten, in der kleinen Öffnung verkeilen konnte, wenn ein unter Druck stehendes Schiff allzu schnell dem Vakuum ausgesetzt wurde. Alle Raumanzüge würden dann platzen, und ein solcher Anblick – nein, mir hob es den Magen hoch. Jemand hatte aber daran gedacht, und die Kanzel ließ sich ohne Mühe wegschieben, so daß sie ruhig über dem Asteroiden schwebte. »Los«, sagte ich zu Carroll. »Schön langsam einholen.« Das Kabel spannte sich, und der Transportstuhl schwang frei. »Jetzt wird es aber eklig. Dieses Kabelende wird sich immer nach der Delphin ausrichten wollen. Wenn Pat in einer Umlaufbahn ist
und die Pilotenkabine dieses Schiffes den genauen Mittelpunkt bildet, muß er so bleiben. Ich möchte ungefähr fünfhundert Fuß vor dieses Schiff kommen. Pat schafft es schon, aber alles langsam und vorsichtig. Ich möchte nicht unbedingt in dieses Wrack knallen.« »Jake, das ist kein Wrack. Wir haben einen Rettungsjob.« »Ist mir nur so rausgerutscht. Na, wir werden sehen. Ich will nur nicht hineinknallen. Also halt mich davon frei.« Sehr vorsichtig bewegte ich mich nun parallel zur Längsachse des Schiffes. Angst hatte ich keine, obwohl ich mir vorstellen konnte, was passieren würde, wenn der stark magnetisierte Schiffsrumpf meine Metallplatte kräftiger anzog als der Asteroid. Ich würde wie ein Geschoß daran aufschlagen, und das hieße Tod oder sonstige Komplikationen. »Ungefähr hundert Fuß einholen«, bat ich, als ich der Pilotenkanzel genau gegenüber war. »Dann bin ich auf gleicher Höhe mit der Öffnung. Nun kannst du mich hinüberbringen. Pat wird mich jetzt sehen.« Sie manövrierten mich zur Öffnung und ließen mich auf den Rumpf nieder. Gesichter in Raumhelmen hoben sich zu mir auf. Sie sahen aus, als hätten sie sich Goldfischgläser übergestülpt. Ich bedeutete zwei sehr zierlichen Frauen, sie sollten herankommen. Ich schob sie in meinen verlassenen Sitz und sagte Carroll, er solle sie wegbringen. »Cap soll sich in das Rettungsboot setzen«, sagte ich. »An der Leine hältst du ihn knapp innerhalb des Feldes. Wir müßten in drei bis vier Stunden fertig sein.« Das war vielleicht die merkwürdigste Massenrettung in der Geschichte der Raumfahrt, da wir ausgesprochene Seerettungsmittel benutzten. Endlich hatten wir alle herausgeholt, bis auf den Kapitän; sie weigerte sich. Wir konnten uns nur mittels Zeichensprache verständigen, aber die Beschimpfungen, die wir einander an
den Kopf warfen, waren eindeutig. Ihre Augen funkelten in einem grünen Feuer, und ihr Gesicht war fast so rot wie ihr Haar. Es wurde noch röter, als ich sie mir ganz einfach unter den Arm klemmte. Sie wog ja nichts, und so konnte ich zusammen mit ihr in die Hosenboje steigen, damit Carroll uns einholte. Sie wehrte sich erbittert und fluchte wahrscheinlich entsetzlich, aber sie hatte nicht die Muskeln eines Raumrettungsmannes. Wir waren die letzte Ladung, und Carroll hievte uns an Bord des Rettungsfloßes, das sofort eingeholt wurde. Ich stieg aus meinem Raumanzug und drängte mich durch die Menge zur Pilotenkabine. »Fein gemacht«, sagte ich zu Pat. »War einfach, sobald ich den richtigen Orbit hatte.« »Vielleicht für dich. Aber ich brech mir nicht den Arm, um dir gebührend auf die Schulter zu klopfen. Bleib nur knapp außerhalb des Magnetfeldes und halte uns genau hier.« Cap und Carroll kamen zusammen herein. Carrolls Größe füllte die Kabine aus, aber er benahm sich so sanft, daß man das kaum bemerkte. »Was ist mit der Winde?« fragte ich. »Die ist okay«, meinte er lachend, »aber du wirst mit dem Rotschopf allerhand Ärger bekommen. Als nämlich die erste Gruppe an Bord kam und aus dem Raumanzügen stieg… Herrje, die wußten ja nicht einmal, daß man darunter normale Unterwäsche anzieht, und deshalb haben sie sich, ehe sie hineinstiegen, bis auf die Haut ausgezogen. Jetzt schämen sie sich und jammern, weil sie nichts anzuziehen haben.« »Das ist doch ganz einfach«, sagte ich. »Da wir keine Frauenkleider an Bord haben, müssen sie entweder die Raumanzüge anbehalten – oder sie ausziehen. Mir ist egal, was sie tun.«
»Wahrscheinlich letzteres«, meinte Carroll lachend. »Jedenfalls, als die ersten an Bord kamen, unterhielten sie sich ein bißchen lauter vor Aufregung, als sie’s sonst getan hätten. Da scheint eine große Nummer von Solar an Bord zu sein, der nach Arcton kommen wollte, um uns einen Vorschlag wegen des Herkuliums zu machen. Ich zählte das zusammen, was ich gehört hatte, und glaube, daß diese Piratengerüchte nur deshalb in die Welt gesetzt wurden, weil sie uns solange am Verkauf der geretteten Ladung hindern wollen, bis sie selbst in den Handel einsteigen können.« »Wie kommt der Rotschopf in die Geschichte?« »Das ist wieder was anderes. Sie hat Angst, du könntest ihr Schiff klauen. Ihr erstes Kommando übrigens. Deshalb wollte sie an Bord bleiben, um ihre Eigentumsrechte an dem Schiff zu demonstrieren.« »Sie soll mal kommen«, sagte ich grimmig. »Allmählich langweilt sie mich nämlich.« »Jake, aber reden läßt du lieber mich«, schlug Cap ruhig vor. »Warum? Mit meiner Stimme ist doch alles in Ordnung.« »Aber du bist ein Hitzkopf. Natürlich stehe ich zu deinem Spiel.« Allen mußte es ziemlich irr erscheinen, wenn der Schiffsoffizier dem Kapitän befehlen will, aber dafür gibt es eine logische Erklärung. Wir waren alle zusammen in diesem Rettungsgeschäft – Cap Lane, Pat, Carroll, ein paar andere und ich. Jeder von uns hatte seinen Job, seine besonderen Pflichten und Spezialitäten, aber wir waren eine fest zusammengestrickte kleine Bande; jeder tat seine Arbeit und bekam den gleichen Anteil am Verdienst, und jeder von uns kämpfte um jeden Fußbreit Raum gegen die Solar Salvage System, Limited, diesen Oktopus der Raumrouten, denn diese
Firma versuchte kleinere Unternehmen kaputtzumachen, um sich selbst ein Monopol zu sichern. Wir hatten inzwischen mit der Bergung der Astralot und ihrer Ladung Herkulium einen dicken Fisch an Land gezogen, und zum erstenmal gelang es uns, dem erdrückenden Einfluß der Solar Salvage Widerstand zu leisten. Endlich waren wir flüssig genug, unsere eigenen Unternehmungen zu finanzieren, und wir kämpften nicht mehr mit dem Rücken an der Wand. Natürlich wehrte sich der große Konkurrent erbittert dagegen, uns aus seiner Oberherrschaft entkommen zu lassen. »Du schickst am besten die Leute von der Andromeda zum Unterdeck«, sagte ich zu Carroll. »Sie müssen sich zu zweit oder dritt die Schlafplätze teilen. Ihre eigenen Offiziere können Ordnung halten. Und bring das Zuckerstückchen mit.« Captain Helen Wall war immer noch sehr stürmischer Stimmung, doch die hatte sie jetzt einigermaßen unter Kontrolle. Ihre Uniform war unglaublich schick und stand ihr hervorragend. Erst schaute sie zur Sichtluke hinaus, dann musterte sie mich. »Darf ich fragen, Mr. Murchison, weshalb wir ohne Antrieb daliegen?« »Ich glaube, Captain Wall, meine Kollegen wurden noch nicht vorgestellt«, sagte ich und holte es nach. Dann stellte sie ihre Frage erneut. »Wissen Sie, Captain, Ihr Schiff ist ein großer Dampfer«, erklärte ich, »und ich möchte den Bergungskontrakt haben.« Sie lachte verächtlich. »Die Solar-System Limited ist die größte Raumrettungsgesellschaft. Glauben Sie, man würde den Kontrakt einem anderen Unternehmen geben?« »Aber wir sind hier vor Ort«, wandte ich ein. »Wir haben alle Navigationsdaten, um diesen Asteroiden wiederzufinden.« »Sind alle errechnet«, pflichtete mir Pat bei. »Ich habe sie auch«, behauptete sie nach kurzem Zögern.
»Aber die haben Sie nicht von Ihrem Schiff mitgebracht. Sie hätten nämlich sonst nicht mit der Antwort gezögert.« Wieder zögerte sie. »Wie würden Sie mein Schiff zu befreien vorschlagen?« »Berufsgeheimnis«, erwiderte ich lächelnd. Sie nickte kurz. »Ich kann die Entscheidung nicht selbst treffen.« »Aber Sie haben ein hohes Tier von Solar an Bord, der es kann. Lassen Sie ihn holen.« »Woher wissen Sie das?« fragte sie erstaunt. »Ist ja egal. Na, gut. Bei ihm liegt die Entscheidung.« Damit ging sie hinaus, ihn zu holen. »Und wenn der Bursche nicht will?« fragte Cap. »Wir verschwenden nur unsere kostbare Zeit.« »Hoffentlich tut er’s«, antwortete ich lachend. »Was soll uns das einbringen?« »Noch mal ein Vermögen.« »Das wir doch nicht ausgeben können?« fragte er ironisch. Helen Wall kam zurück mit einem jüngeren Mann, der fast so groß war wie Carroll. Er hatte kurzes blondes Haar, große blaue Augen, er lächelte breit und schüttelte Hände wie ein Front-Offizier. »Ein glückliches und zugleich unglückliches Zusammentreffen«, sagte er mit der Miene eines Mannes, der seine Minenanteile verhökern möchte. »Glücklich, weil es eher als erwartet kam, unglücklich…« Er deutete zur Sichtluke und zuckte die Achseln. Er hieß Oliver Clayborne, falls es jemand wissen wollte. Helen folgte seinen Lippen voll hingebungsvoller Aufmerksamkeit. »Captain Wall…« Sein Lächeln hatte er ausdrücklich für sie reserviert. »Captain Wall hat mir Ihren Vorschlag erklärt. Ich fürchte, Solar kann keinen solchen Kontrakt machen. Falls die
Versicherung das Schiff bergen will, holt sie selbstverständlich Angebote ein.« »Ah, ich verstehe. Dann hat also Ihre Gesellschaft die Andromeda aufgegeben?« »Endgültig«, bestätigte er. Cap versteifte sich. Er verstand, was ich vorhatte. »Das wäre also erledigt. Aber damit sind noch lange nicht gewisse bösartige Gerüchte erledigt, die von der Solar ausgehen, wie ich höre. Zum Beispiel Piraterie.« »Ah, das.« Er lachte jungenhaft. »Das war ein Fehler. Wir geben eine schriftliche Entschuldigung ab, daß wir in gutem Glauben gehandelt haben, unsere Informationen jedoch fehlerhaft waren.« »Verdammter Quatsch! Sie hatten gar keine Informationen. Sie haben sich das nur zusammengeträumt, damit unsere Ladung beschlagnahmt wurde. Warum?« Ich sah, daß er sehr genau überlegte. »Sie haben eben eine Anschuldigung erhoben und eine Frage folgen lassen. Ich kann sie beide nicht mit einem Satz beantworten. Aber ich sage soviel: Bevor ich Sie zu einer Rückfrage erreichen konnte, hoben Sie ab. Meine Firma wollte mit Ihnen wegen eines Teiles Ihres Herkuliums verhandeln und unsere Chemiker darauf loslassen. Wir sind jetzt jedoch nicht mehr interessiert.« »Warum?« Er lächelte geheimnisvoll. Helen dagegen sah zweifelnd drein. »Ich bin nicht befugt, darüber zu sprechen«, erwiderte er. »Aber ich bin es«, erklärte Carroll, und wir schauten ihn alle an. »Ich kann doch zwei und zwei zusammenzählen. Jake, ein Stückchen kommt zum anderen. Entsinnst du dich des kleinen Burschen Phamign, der den Herstellungsprozeß für Herkulium erarbeitet hat? Und erinnerst du dich an das Buch meines Großvaters, Raum-Piraten? Es enthält nämlich eine
außerordentlich wichtige Zeile über Professor Phamign. Und jetzt erkläre ich erst noch, was mit uns geschehen ist. Es kann gar nicht anders sein, weil nur so die Tatsachen zusammenpassen.« Nun sah der Junior nicht mehr ganz so jungenhaft drein. Er mußte also etwas von dem wissen, was Carroll andeutete, und er war ein gerissener Geschäftsmann, der Carroll genau beobachtete. »Solar würde den rechten Augenzahn für den Herstellungsprozeß für Herkulium geben, falls sie ihn in die Hände bekämen und den Markt mit ihrem Material überschwemmen, ehe wir unsere Ladung verkaufen könnten. Wir wären dann nicht mehr die reichste Rettungsfirma im System.« Junior schniefte, doch das klang nicht überzeugend. »Man mußte also zuerst unsere Ladung festhalten«, fuhr Carroll fort, »und dann versuchen, mit uns wegen einiger Muster zu verhandeln, damit die Chemiker daran arbeiten konnten. Das ist natürlich sehr dumm, weil Herkulium nicht analysiert werden kann, egal warum. Ich weiß es, aber das erzähle ich Solar natürlich nie.« »Alles kann analysiert werden«, wandte ich ein. »Nicht dieses Material. Später werde ich den Grund schon noch erklären. Was geschieht also jetzt? Solar hat kein Interesse mehr am Handel, und das heißt, daß jemand die Raumpiraten gelesen haben muß. Gegen Ende wird nämlich erwähnt, daß Phamign seine Notizen an einem geheimen Ort hinterlegt hat, und das Geheimnis ist mit ihm gestorben. Sie meinen nun, es käme billiger, wenn sie das Schicksal dieser Notizen klärten, statt den ursprünglichen Plan zu verfolgen. Ist das klar?« »Eine sehr raffinierte Vermutung«, sagte der Junior geringschätzig, »falls sie zutrifft.«
»Das schreit doch direkt. Aber warum hat bisher niemand dieses Geheimversteck zu finden versucht?« fragte ich. »Nun ja, mein Großvater hat das Buch ziemlich lange nach Phamigns Tod geschrieben, und außer seinen Verwandten las es niemand. War ja auch kein sehr gutes Buch. Man nahm also an, daß Verfahren zur Herstellung von Herkulium sei verschollen. Plötzlich kommen aber wir mit einer ganzen Schiffsladung. Das damit verbundene Aufsehen hat nun jemanden veranlaßt, die Raum-Piraten zu lesen. Als Solar das Buch in die Hände bekam, starteten sie ihre Jagd.« »Haben Sie dazu was zu sagen?« fragte ich den Junior. »Nichts«, erwiderte er freundlich. »Inzwischen hat sich im System herumgesprochen, wir seien Piraten«, sagte Carroll. »Soll ich ihn ein bißchen verprügeln?« »Laß lieber mich«, forderte ich und versetzte ihm einen Schwinger. Er blinzelte aber nur, doch ich sah nur, daß er damit anfing. Wie es weiterging, weiß ich nicht, weil dann seine Faust und mein Glaskinn Kontakt bekamen. Als ich wieder zu mir kam, war Junior immer noch weg. Ich rieb mein Kinn, löste mich vom vorderen Schott und machte eine Bestandsaufnahme. Carroll, Cap und Pat schienen sich wohl zu fühlen, aber Helen besah sich den Junior ziemlich besorgt. Wen kümmerte es außer ihr? »Hab ich das getan?« fragte ich und deutete auf den Junior, der auf dem Rücken lag und idiotisch lächelte. »Du hast ihn vielleicht ein bißchen aufgeweicht, aber den Sonntagshaken hat er von mir bekommen«, sagte Carroll. Junior öffnete ein großes blaues Auge und stand auf. Er rieb sich sein Kinn. Warum nur? »Jemand hat dafür noch gerade zu stehen«, sagte er leise, wenn auch ziemlich giftig. Carroll straffte seine breiten Schultern. »Noch was gefällig?« fragte er liebenswürdig.
»Vor Gericht«, erklärte Junior hastig. »Clayborne«, schaltete ich mich ein. »Sie und Captain Wall gehen jetzt in den Navigationsraum. Dort betrachten Sie sich als eingesperrt. Ich will nicht, daß Sie uns vor die Augen kommen, während wir den Schrotthaufen bergen.« »Schrotthaufen?« fauchte die Dame mit den grünen Augen. »Das ist kein Schrotthaufen!« »Der Vertreter Ihrer Firma hat die Entscheidung gefällt, daß die Andromeda ein aufgegebenes Schiff ist. Also ist es ein Schrotthaufen. Zufällig will ich ihn haben.« »Er hat nichts gesagt von…« Sie dachte ein wenig nach. »Doch, ich erinnere mich… Nette Sache«, murmelte sie. Junior war recht nachdenklich geworden. Jetzt lächelte er Helen gewinnend an. »Er muß uns ja irgendwo absetzen, Captain Wall, während er die Schlepper organisiert. Innerhalb von fünfzehn Minuten kann ich gegen ihn eine einstweilige Verfügung bekommen.« »Nur daß wir das Wrack nicht hier und jetzt bergen«, sagte ich. »Unmöglich!« knurrte er. Ich zuckte nur die Achseln, und er sah wieder nachdenklich drein. »Sie haben einen großen Ruf als einfallsreicher Rettungsmann, Mr. Murchison«, meinte er. »Wenn Sie sagen, Sie können es machen, dann können Sie’s vielleicht auch. Natürlich sind Sie sich darüber klar, daß Sie und Ihre Crew, die dabei mitmacht, die restlichen Lebensjahre auf Kragor verbringen.« Cap stutzte. »Kragor? Und warum?« »Piraterie«, erklärte Junior überlegen grinsend. Carroll war ihm ein bißchen näher als ich. Er wirbelte Junior herum.
»Das gefällt mir gar nicht«, warnte er sanft. »Sagen Sie sowas ja nie mehr.« Junior zuckte nicht mal zusammen, das mußte man ihm lassen. Er schaute Carroll fest an und verdrehte seinen Arm. Carroll ließ ihn los, und Junior trat einen Schritt zurück. Er musterte uns ernst. »Erst sagten Sie, daß Sie die Andromeda nicht wegholen könnten, daß Sie aber die Passagiere retten würden. Das haben Sie auch bewundernswert gut gemacht. Aber Sie haben angeordnet, daß keine Metallgegenstände herausgenommen werden dürften. In Ordnung. Wir haben aber zufällig etwa zweihundert Tonnen Edelmetallbarren an Bord, und unsere Passagiere, zum Teil sehr reich, führten beträchtliche Mengen an Schmuck mit sich. Auch das wurde alles aufgegeben.« Nun folgte eine dramatische Pause. Niemand sagte etwas, aber niemand wußte auch, was er vorhatte. »Das war ein schlauer Plan«, wandte er sich an mich. »Aber Sie kommen damit nicht davon. Im System gibt es bereits Gerüchte über Piratenversuche, und eine Klage gegen Sie läuft. Vielleicht kann sie nicht bewiesen werden, aber sie wiegt für diesen Fall doch ziemlich schwer. Ich denke, wir können beweisen, daß Mr. Murchison wußte, er könnte die Andromeda ganz und mit allen Passagieren wegholen, tat es aber nicht, um so buchstäblich die wertvolle Ladung und die Juwelen der Passagiere stehlen zu können.« »Das ist doch idiotisch«, wandte ich ein. »Daran dachte ich ja gar nicht, ehe wir nicht mitten in der Rettungsarbeit steckten.« »Nicht wahr, aber ein Gericht würde doch Ihren Ruf schon kennen und deshalb diese Anschuldigung glauben?« »Damit befasse ich mich, wenn es soweit ist«, erwiderte ich. »Und jetzt Schluß damit.« Er wandte sich zum Gehen und nahm Helens Arm, doch sie blieb stehen und sah mich an; verwirrt, zornig und voll
Berechnung, alles auf einmal. Eine nette Mischung. Dann erst ging sie mit ihm hinaus. »Na, Wunderknabe?« meinte Cap nach einem längeren Schweigen. »Sehr interessant«, bemerkte ich, nachdem ich tief Atem geholt hatte. »Mich würde interessieren, ob er damit wirklich durchkommt.« »Das hängt davon ab, wieviel daran wahr ist«, sagte Cap. »Nichts«, knurrte ich. »Die Entscheidung liegt bei dir, Cap. Ich kann das Schiff wieder flott kriegen. Tun wir das – oder lassen wir es da, wo es ist?« »Ich will es nicht dalassen. Wie willst du’s aber machen?« »Mit den elektrohydraulischen Winden. Schau nicht gar so skeptisch drein. Wenn sie ganz offen sind, haben sie fast eine Länge von einer Meile. Ich stelle mir vor, wir können das Schiff ins Schlepp nehmen, denn der magnetische Zug wirkt hauptsächlich auf die Kontaktpunkte, die vielleicht so schwach sind, daß wir das Schiff wegziehen können. Wenn wir dann den Antrieb wieder funktionsfähig bekommen, kann es möglicherweise sogar ohne weitere Hilfe davonsegeln.« »Das ist Unsinn, Jake«, wandte Cap ein. »Du wirst damit nur eine Menge teurer Ausrüstung riskieren und dazu noch dein eigenes Leben.« »Na, schön, die Ausrüstung verlieren wir vielleicht. Also können wir die Winden vergessen. Und im übrigen bin ich schon vorsichtig.« Cap zuckte die Achseln. Ich nahm das als Zustimmung, und so machte ich mich zusammen mit Carroll an die Arbeit.
Pat brachte uns knapp in das Feld hinein. Ich kletterte auf den ersten Flaschenzug, und Carroll fuhr ihn weg. Wir hatten zwei Kabel daran befestigt, die sich gleichzeitig von zwei Winden
abrollten. Ein Kabel allein hätte nicht gehalten. Jeder Flaschenzug hatte eine Montagebasis von ungefähr vierzig Fuß Seitenlänge. Die beiden Kabel spannten sich, und ich mußte ein wenig überlegen. Wie konnten wir es anstellen, ohne daß die Kabel rissen? Die Stellen für die beiden Flaschenzüge hatte ich mir schon ausgesucht. Links und rechts vom Schiff hatte der Asteroid eine unregelmäßige Erhebung, und dort ließ sich die Montagebasis in einem geeigneten Winkel aufstellen. »Bring mich zehn Fuß näher an die Portseite heran«, befahl ich. Dann war ich direkt über der Stelle. Pat war wirklich ein Fachmann. Carroll ließ mich ganz langsam hinab, und die beiden Kabel klirrten und sangen wie Mädchen auf einem Schulausflug. Ich kletterte den Flaschenzug entlang und legte mich auf die Montagebasis, um unten hineinschauen zu können. Als ich nur noch eine Handbreite von der Oberfläche entfernt war, stieg ich ab. »Hut ab zum Gebet und dann los«, sagte ich. Ich kam so hart auf, daß sich meine Zähne lockerten, natürlich schräg. Die obere Kante knallte selbstverständlich gegen den Rumpf der Andromeda. »Jetzt wartest du, bis ich mich hineinziehen kann.« Daß ich mir dabei den Finger quetschte, war kein Beinbruch. »Und jetzt mußt du sie rausziehen«, bat ich Carroll. »Du verstehst davon mehr als ich.« Carroll kam mit der Hosenboje, und gemeinsam befestigten wir die Kabel an den Krampen. Dann ging Carroll hinein, um das Schiff dicht zu machen und Luft hineinzupumpen. Ich schloß die Stromkabel an, ging wieder an Bord und befestigte die Kabel so am Hauptgenerator, daß sie sich selbst lösten, wenn wir abhoben.
»Hier ist die Andromeda«, meldete sich Carroll. »Vielleicht schaffen wir’s, Jake. Und wenn nicht, dann leb wohl. Denn wenn was schief geht, knall ich mit dem Kopf auf.« Nein, ich durfte nicht daran denken, wie die Sache dann aussehen würde. »He, Carroll, daran hab ich nicht gedacht. Komm sofort wieder raus. Das ist ein Befehl. Wir lassen das Zeug so, wie es ist.« »Ich mag aber nicht, Jake«, erwiderte er so sanft wie immer. »Du kannst versuchen, mich rauszuholen, oder du gibst mich auf. Ich will deinen Plan ausprobieren. Vielleicht klappt es.« Cap meinte, man könne ihn nicht zwingen, das Schiff zu verlassen. »Ich will dir keine Rede halten, Carroll, aber viel Glück wünsche ich dir.« Carroll grinste. Plötzlich wurden seine Augen immer größer. Ich schaute mich um. Sie stand da, ihre Augen waren noch immer grün, aber jetzt drückten sie eine flehende Bitte aus. »Verzeihung, Mr. Murchison, aber lassen Sie mich zusehen. Das ist ja mein Schiff.« Ich glaube, sie war den Tränen nahe. Nein, ich murmelte nichts Tröstliches und legte auch keinen Arm um sie, sondern ich nickte nur und machte ihr Platz an der Sichtluke. »Fertig?« fragte ich Carroll. »Los«, antwortete er. »Aber paß auf, wenn ich von der Oberfläche weg bin. Falls was schief geht, schalte ich den Hauptantrieb auf voll. Da könnten die Kabel reißen. Jemand sollte bei den Winden aufpassen.« Cap ging. »Gib Bescheid, wenn irgendwas geschieht.« Ich schaltete den Strom ein. Das große Schiff bewegte sich eine Spur, ein kleines bißchen mehr, noch ein Stückchen, und dann wurden die Schleppkabel schlaff. »Wie sieht’s aus?« fragte ich. »Bißchen zittrig, aber das ist nur meine Stimme«, meldete er lachend.
»Jetzt wird’s aber gefährlich. Du kannst noch immer raus, hörst du?« »Mach nur weiter.« Helen warf einen Blick auf den Schirm. Ihre Augen waren feucht und voller Tränen. Und immer weiter hob sich das Schiff. »Jake, mir ist noch was eingefallen«, sagte Pat. »Zwischen diesem Schiff und unserem besteht eine sehr starke Anziehung. Wenn diese Flaschenzüge voll ausgefahren sind, knallen wir an das Schiff und werfen es buchstäblich von den Flaschenzügen. Dann ist der Teufel los.« »Wir kommen aber nicht weg, weil die Stromkabel nicht auf Rollen laufen«, wandte ich ein, und das erklärte ich auch Carroll. »Ich hätte eigentlich daran denken sollen. Abbrechen können wir nicht, weitermachen wahrscheinlich auch nicht.« »Ernste Sache«, gab er zu. »Na, da können wir also nur noch hoffen.« »Ich kann euch noch eine ganze Weile mit verstärkter Stromzufuhr klar halten«, sagte Pat. »Allerdings…« »Okay, dann paß auf die Winden auf.« Von Minute zu Minute klopfte unser Antrieb stärker und schneller, und das Schiff hob sich immer mehr ab, bis wir mit voller Kraft liefen und die Andromeda eine halbe Meile von der Oberfläche des Asteroiden entfernt war. »Jetzt kann ich’s aber nicht mehr länger halten«, meldete Pat. »Ich nehme eine Kursänderung vor, und wenn ich signalisiere, gehen wir auf vollen Schub.« »Okay. Carroll, fertigmachen.« Er nickte und hob zwei gekreuzte Finger. Nie werde ich sein Grinsen vergessen, nie diese sanfte Stimme. »Bei drei«, sagte Pat. »Eins… zwei… drei…« »Voller Schub!«
Unsere Maschinen röhrten, und unter dem Stern der Andromeda sprühten Flammen. »Die Winden frei ablaufen lassen!« schrie ich. Die Schleppkabel spannten sich, und ich hörte sie singen, als wir von Carroll wegjagten. »Ziehen, ziehen!« rief Carroll. Es war, als seien wir auf eine Wasserwand geprallt. Allah sei Lob und Dank, daß es keine aus Ziegeln war. Carroll schrie plötzlich wie ein siegreicher Indianer. »Wir haben es geschafft, Jake! Ich bin klar. Volle Fahrt voraus, Kumpels, auf nach Arcton! Jake, ich brauche alles, was du an Kabel hast. Nur schleppen, sonst gar nichts. Ich schwimme schon mit. Und dann bringst du mich in einen Orbit um Arcton und schickst Schlepper aus, um mich hereinzuholen. Landen kann ich den Haufen schon allein.« Bei uns gab es fröhliches Gejohle, bei Helen ein paar Freudentränen, und das ging eine ganze Weile so weiter – bis uns die Worte einfielen: Piraten und Kragor. Auf Kragor legten nur Schiffe mit neuen Kunden an, meistens Piraten, die außer ihren Händen kein Werkzeug hatten. Sie kämpften gegeneinander und gegen die sechsbeinigen Kragorhunde. »Holt mal den Junior herein«, sagte ich. Helen ging und brachte ihn. Er lächelte und schaute durch die Sichtluke. »Gratuliere, ein großartiger Job«, sagte er. »Nur alles umsonst.« »Hören Sie mal«, antwortete ich ihm. »Jetzt muß ich was gestehen. An die Methode dachte ich schon, bevor wir das Schiff evakuierten, aber ich wußte, daß es eine sehr gefährliche Sache ist. Uns ist sie auch nur ganz knapp gelungen. Mir lag ausschließlich an der Sicherheit der Passagiere. Wissen Sie, ein Gericht wird mir das wahrscheinlich glauben, auch wenn Sie
das Gegenteil behaupten. Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag. Sie sagten, die Klage wegen Piraterie gegen uns werde noch weiter ausgebaut, und außerdem hätten Sie gar kein Interesse an unserer Landung, um sie zu analysieren. Wenn wir nun unser Herkulium verkaufen, brauchen wir den Bergungslohn für die Andromeda oder ihre Ladung gar nicht. Wir können die Solar Salvage dann dreimal kaufen und wieder verkaufen. Verstehen Sie, was ich meine?« Junior leckte sich die Lippen wie eine Katze, die gerade Sahne geschleckt hat. »Ich denke, wir setzen uns nicht aufs hohe Roß und wollen gar keine ernsthafte Konkurrenz sein zu einer großen Gesellschaft wie der Solar System Salvage Company, Limited. Ich spreche da auch für Captain Lane.« »Stimmt, Jake«, pflichtete mir Cap bei. »Mach nur weiter.« »Ich möchte also die ganze Sache abblasen. Wir betrachten diese Operation als Routinerettung, ganz ohne Belohnung, ohne sonst etwas, falls Sie bereit sind, Ihre Klagen zurückzuziehen und mit der Freigabe unserer Ladung einverstanden sind.« Junior leckte sich wieder die Lippen, und diesmal wunderte sich die Katze, ob die Sahne nicht vielleicht doch zu fett gewesen war. Er nickte langsam. »Unterzeichneter Vertrag?« fragte er. »Mit goldenem Siegel«, antwortete ich. »Na, schön. Ich lasse von unserem Anwalt die Papiere vorbereiten.« Die Katze war also der Meinung, die Sahne sei doch gut gewesen… »Hast du das gehört?« fragte ich Carrolls Bild. »Klar. Sag mal, hat sich deine Mutter von einem Diplomaten verschrecken lassen?«
Ich wandte mich an Helen. Komisch, ihre Augen waren jetzt grüne Sterne. »Captain Wall, ich möchte Ihnen Ihr Schiff zurückgeben. Keine Vorbehalte.« Sie lächelte. Mir fiel auf, wie schön ihr Mund doch war. »Nein, Jake. Sie sollen Ihren normalen Bergungslohn bekommen, egal welche Papiere Sie unterschreiben. Es war eine absolut gesetzliche Aktion, und Ihnen steht eine Entschädigung für die verlorene Ausrüstung zu.« »V-vielen D-dank«, Stotterte ich. »Aber warum?« Sie schaute mir tief in die Augen. »Nur so…« antwortete sie.
III Dicker als Wasser
Ich brauchte den Stern erst gar nicht zu sehen, denn ich schloß aus seinen breiten Schultern, dem wiegenden Gang und seiner überheblichen Miene, daß er ein Deputy war. »Sie müssen doch einsehen, Mr. Murchison«, sagte er, »daß es eine einstweilige Verfügung ist, die es der Space Salvage, Inc. verbietet, irgendwelche Operationen auf Arcton durchzuführen, bis die Angelegenheit mit dem Herkulium geklärt ist.« Ich besah mir das Papier. Wir standen am sonnigen Rand des zehn Meilen langen Schlammsees. Schleim wäre ein passenderer Ausdruck, denn er hatte einen ausgesprochenen Körpergeruch. Und diese Feuchtigkeit! Viel hatte ich nicht an und schwitzte trotzdem fürchterlich. »Na, fein«, sagte ich und überflog das Schriftstück. »Prentice McNamy, der in diesem Zubringerschiff hundert Fuß tief in diesem Schlammsee steckt, verbietet uns, ihn zu retten. Und uns wurde versichert, alle Personen seien aus dem Schiff, wenn wir kämen.« »Mr. Caar hat es ja auch versucht.« Der Deputy schaute den kleinen Mann an, der neben ihm stand. »Aber er kriegte die Fluchtröhre nicht zum Schiff hinunter.« »Das ist unmöglich«, quäkte Mr. Caar. »Halten Sie die Klappe«, sagte ich, entschuldigte mich aber sofort. »Wissen Sie, ich bin ein bißchen nervös. Dieses Schiff da unten hat siebenundneunzig Menschen an Bord, und die Luft ist sehr knapp. Jede Minute, die wir hier vertrödeln, bringt
sie dem Ersticken näher. Ohne Erlaubnis kann ich sie nicht herausholen. Meine Leute kommen jetzt.« Ein großer Laster rumpelte uns entgegen. Am Steuer saß Carroll, Cap Lane neben ihm. Sie hielten. Carroll entfaltete seine sieben Fuß Höhe und kam mit Katzenschritten auf uns zu. »Ärger, Jake?« fragte er sanft. Ich wartete auf den schwitzenden Cap und erklärte die Lage. »Der Teufel soll sie holen«, schloß ich. »Sollen sie doch sterben.« »Nein, Jake, das können wir nicht machen«, widersprach mir Cap ruhig. »Es sind Menschen. Wir müssen sofort die Verbindung zu ihnen herstellen.« »Wir schaffen es schon«, meinte Carroll. Wir alle schauten ihn an. Ein Sauriervogel flog über uns weg, tauchte auf die Oberfläche des Schlammsees hinab und kam mit einem neun Fuß langen Insekt in seinem Alligatormaul wieder hoch. Das Insekt strampelte heftig, bis wir es aus den Augen verloren. »Oszillatoren«, sagte Carroll. »Wir wissen doch, wo das Schiff liegt.« Im See schwamm eine Flaggenboje. »Mit einem Oszillator können wir den interstellaren Code an den Rumpf bringen. Dieser McNamy soll endlich seine Genehmigung geben, damit wir anfangen können.« Im Laster saß eine Crew von Einheimischen. Ich prüfte die Ausrüstung nach. Kompressoren, Schläuche, Winden, Balken – alles war da, nur keine Stahlrohre, und die hätten wir gebraucht, um einen Oszillator aufzubauen. Da fiel mir etwas ein. Diese Flaggenboje war doch durch ein Stahlkabel mit dem Schiff unten verbunden, und das konnten wir dafür hernehmen. »Wo können wir ein Flachboot auftreiben?« rief ich dem Deputy zu. Er kratzte sich den Kopf. »Weiter unten am See hat einer eines. Wird aber ziemlich teuer werden«, meinte er.
»Geh zu ihm«, sagte ich zu Carroll, »und hol sein Boot, und wenn du’s stehlen muß.« Er trabte sofort davon. »Und ihr baut ein Floß. Vierzig mal dreißig Fuß. Seht ihr diese Rohrstücke unten am Dock? Schneidet ein Loch in die Floßmitte, das ungefähr zwei Fuß mehr Durchmesser hat als die Rohre, und dann…« Mr. Caars nutzlose Ausrüstung lag am Dock, und dorthin schickte ich ihn. Inzwischen fuhr wieder ein Fahrzeug heran, dem Captain Helen Wall entstieg. Sie war die Tochter des Präsidenten der Solar System Salvage Co. Ltd. und die Solar hatte nicht nur unsere Herkulium-Ladung beschlagnahmen lassen, sondern auch das Gerücht in die Welt gesetzt, wir seien Piraten und versuchten nun das Geheimlabor von Professor Phamign zu finden, in dem er die Unterlagen für die Gewinnung der kostbarsten und dauerhaftesten Legierung in der Geschichte der Menschheit niedergelegt hatte. Die Solar schoß aus allen Rohren auf uns. Dieser McNamy hätte nicht von sich aus eine einstweilige Verfügung erwirkt: da mußte schon die Solar dahinterstecken, die uns hier festnageln wollte, damit sie selbst dieses Geheimlabor suchen konnte. Ich beobachtete Helen, als sie kam. Die schicke Uniform eines Raumkapitäns mit den Zwillingskometen konnte ihre herrliche Figur nicht verbergen; sie stammte ja auch von einem Meisterschneider. Ihr Haar war flammend rot, ihre Augen erschienen mir sehr grün und sehr freundlich, und ihr Mund war zu einem Lächeln leicht geöffnet. »Hallo, Jake«, sagte sie. »Wie geht es, Captain?« fragte ich sie. Es klang nicht allzu freundlich. »Was ist denn los? Ich wollte doch nur meine Hilfe anbieten. Es ist wirklich das Mindeste, was ich tun kann, nachdem Sie die Andromeda von diesem Magnetstein weggeholt haben.« »Danke«, sagte ich. »Jetzt habe ich zu tun.«
Sie gehörte eben zu Solar, und mit dem Feind soll man nicht fraternisieren. So steht es in meinem Buch, obwohl ich lieber probiert hätte, ob dieses Haar wirklich so weich war, wie es aussah…
Cap musterte die Abschnitte der Fluchtröhre; der untere Abschnitt ließ sich verschließen. »Wenn wir das Ding nach unten bringen, müßte es gehen«, sagte er. »Wir kriegen es schon hinunter«, brummte ich. »Was beschäftigt dich?« fragte er mich leise, und seine blauen Augen schweiften zu Helen. »Oh…« sagte er. »Ja, oh… Und mehr weißt du nicht? Du bist älter, also kannst du mir wohl einen guten Rat geben. Ah, spar ihn dir. Wir müssen arbeiten.« »Klar, Jake. Und hier kommt ja Carroll.« Das Flachboot surrte uns entgegen. Der Pilot, ein magergesichtiger Bursche mit einer Knollennase, glitt langsam am Dock entlang, und ich ging an Bord. »Hast du einen Hammer?« fragte ich ihn. Er machte eine Kopfbewegung zu einem Schrank, und ich sagte ihm, er solle zur Boje hinausfahren. »Harry heiß ich«, sagte er und fuhr auf eines dieser Spinneninsekten los. Das Ding schaute uns aus zwei Dutzend Augen verdutzt an, und die Fühler spielten von Orange zu Purpur. »Schmecken fein«, sagte Harry, »besonders wenn sie gefüllt sind.« Ich sagte nichts, schüttelte mich aber vor Ekel. Carroll hatte seine sieben Fuß im Stern des Bootes zusammengefaltet. »Warum der Hammer?« fragte er. Ich erklärte ihm das mit dem Stahlkabel, und er grinste breit. »Aha, russische Methoden«, sagte er, und da er es gesagt hatte, nahm ich es als großes Kompliment.
Ich erklärte ihm meinen Plan. »In diesem Sumpf wird es eine elende Schinderei werden«, meinte ich. »Na, und?« antwortete er. »Wozu hab ich diese Schultern?« Wir hatten die Boje erreicht. »Kann da nicht halten«, sagte Harry. »Muß in Bewegung bleiben, oder wir sinken. Was soll ich denn tun?« »Wir müssen aber halten«, erklärte ich ihm. »Kann doch nicht.« Das war keine Bosheit, er stellte nur eine Tatsache fest. »Dieser Ölfilm am Bug hält uns oben. Wenn wir halten, sinken wir. Aber ich kann ganz langsam fahren, Öl hab ich genug.« »Kannst du uns in einen engen Kreis um die Boje bringen, so daß wir ans Kabel herankommen?« »Kann’s ja versuchen.« Man sollte nicht denken, daß ein Flachboot von achtzehn Fuß einen so engen Kreis fahren kann, aber er schaffte es, und wir konnten uns an das Kabel halten. »Du gehst mal besser über Bord«, sagte ich zu Carroll. »Mit einer Hand hältst du dich am Boot fest, das Ohr legst du an das Kabel, um die Antwort zu hören. Sie können an die Anschlußstelle des Kabels schlagen und uns so signalisieren. Zieh das Kabel so straff, wie es geht. Ich schlage mit dem Hammer dagegen.« Ich hämmerte also das Signal und wiederholte es sechsmal, ehe Carroll sagte: »Okay, sie hören dich.« Sein Ohr lag am Kabel, und so fuhren wir ständig um die Boje herum. »Sie sagen, wir sollen weitermachen«, meldete er. Ich morste mit Klopfzeichen die Geschichte der gerichtlichen Verfügung und unsere Lage. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Antwort kam. »McNamy kaum bei Bewußtsein. Sagt, jawohl, alles, um Himmels willen, unsere Situation verzweifelt. Sechs Stunden
maximal, bis Sterben beginnt. Beeilt euch. Gezeichnet Captain Ezra Cole.« »Aushalten«, morste ich hinab und zog Carroll ins Boot. Er schaute übel aus und stank von dem schleimigen Zeug, und ich versuchte ihn wieder sauber zu kriegen. »Tut mir leid für dein Boot«, sagte ich zu Harry, als er mit Höchstgeschwindigkeit zum Dock fuhr. Er zuckte die Achseln und pflügte durch eine Riesenspinnenkolonie. »Dort unten sind Menschen, und Boote sind billig«, meinte er. Am Dock fuhr er an eine Anlegestelle, und wir sprangen heraus. Ich rannte dorthin, wo eine Arbeitsgruppe gerade letzte Hand an das Floß legte. Dort wartete rothaariger, grünäugiger Ärger auf mich und hieß Captain Helen Wall. Sie, Mr. Caar und der Deputy hatten Sehnsucht nach mir. Ich rief nach dem Vormann und bezeichnete ihm genau die Stellen, wo ich die Kompressoren haben wollte; überall brachte ich Kreidezeichen an. »Und hier schneidet ihr das Loch hinein. Löcher auch an allen vier Ecken, zwei weitere hier und dort für die Lagerfutter, um die Glocken festzuhalten.« Carroll kam herbei. Er roch wie Fisch vom vorigen Jahr. »Für diese Glocken machen wir am besten Kufen, dann können wir alles an der Küste anhängen. Auf diesem schleimigen Zeug können wir ja nicht halten. Auf dem Lastwagen sind Metaplast-platten. In jede Kufe schneidest du ein Loch von der Größe der Glockenöffnung und machst alles so fest, wie du’s fester noch nie gemacht hast. Cap, du schneidest das Loch in die Floßmitte, ungefähr sechs Fuß im Durchmesser. Ich schau mir die Kompressoren an. Männer, beeilt euch! Wir haben nicht viel Zeit.« Ich sprang vom Floß herab und trottete zum Laster. »Mr. Murchison!« rief der Deputy.
»Ein andermal, jetzt hab ich zu tun!« »Sie sollten es aber besser wissen«, sagte er grimmig. Ich trat also zur Gruppe. Helens Augen sprühten noch immer Funken, und ihr Mund war zu einem Strich zusammengepreßt, Mr. Caar sah wie eine Maus in Todesangst aus, war aber entschlossen, sein Leben zu verteidigen, solange es ging. »Was ist los?« fragte ich. »Sie müssen diesen Unsinn sofort einstellen«, forderte Helen. Mir fiel die Kinnlade herab. Nach ein paar Schocksekunden machte ich den Mund wieder zu und schluckte heftig. »Na, was denn jetzt?« fragte ich. »Mr. Caar weiß über die Sache besser Bescheid als Sie«, erklärte sie. »Es ist doch deutlich genug, was Sie vorhaben. Sie wollen also über diese Boje ankern und die Fluchtröhre zur Luke hinabbringen. Das können Sie nicht, sagt er, und er muß es ja wissen. Er hat es von einem Ballon aus versucht. Auf dieser Suppe können Sie nicht anhalten, auch nicht mit einem großen Floß. Und die ganze Mannschaft und das Gewicht… Und wenn Sie nicht bewegungslos bleiben, können Sie die Röhre nicht hinunterbringen.« »Ist das alles?« fragte ich erstaunt, und sie wurde rot. »Hören Sie auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln!« fauchte sie. »Dann benehmen Sie sich anders!« »Na, schön«, sagte sie. »Ich warne Sie, Mr. Murchison, und das vor Zeugen. Sollten Sie diesen irren Plan weiter verfolgen und die Leute da unten kommen dabei um, dann werde ich als Vertreterin von Solar System Salvage eine Klage gegen Sie einbringen wegen fahrlässigen und vorsätzlichen Mordes und gegen alle, die bei dieser sogenannten Rettung mitgeholfen haben.« Ich musterte sie lange. »Ein paar unwichtige Einzelheiten unterscheiden Sie von einem Mann«, sagte ich. »Meine
Erziehung hindert mich daran, alle Bosheit aus Ihnen rauszuprügeln. Eines sage ich Ihnen aber. Es ist charakteristisch für Solar, daß jeder Angestellte meine Ausrüstung für Pfusch hält, selbst auf Kosten dieser siebenundneunzig Leben.« Sie tat ein paar Schritte rückwärts, als hätte ich sie geschlagen. »Nein«, flüsterte sie, »das ist nicht wahr.« »Teufel noch mal, es ist wahr! Sie, als Vertreterin von Solar, haben mich jetzt schon lange genug bei diesem Job aufgehalten. Verdammt noch mal, geht es denn nicht in Ihren hübschen Dickschädel hinein, daß für diese Menschen jede Minute kostbar ist? Ist das jetzt alles?« Sie richtete sich hoch auf. »Ja, das ist alles«, erwiderte sie, ganz Raumkapitän. »Sie wollen ja auf keinen vernünftigen Rat hören, also müssen Sie auch die Folgen tragen. Und das meine ich ernst.« Ich seufzte. »Na, gut. Was schlagen Sie vor?« »Das Schiff selbst zu heben.« »Das wollten wir ja tun, und deshalb kamen wir her. Aber dieser Mister Dummkopf hier…« Mr. Caar wurde sehr verlegen. »Ich… hab’s ja… versucht…« »Tut mir leid«, knurrte ich und wandte mich an Helen. »Mr. Caar sollte die Leute vom Schiff wegbringen, aber das konnte er nicht. Ich habe meine Flaschenzüge zurücklassen müssen, als ich Ihr Schiff von diesem magnetischen Asteroiden wegholte. Ich dachte, wir hätten für diesen Job genügend Zeit, und jetzt stellt sich’s heraus, daß es sechs Stunden sind. Ich wollte die Luft aus dem Schiff pumpen und es mit Helium füllen, um es zu heben. Das kann ich aber nicht, wenn Menschen an Bord sind. Und hier gibt es keine solchen Flaschenzüge, wie wir sie zurücklassen mußten. Die waren Spezialanfertigungen. Na, dann bringen Sie doch die Klagen
gegen uns ein, wenn Sie wollen. Aber jetzt lassen Sie mich in Ruhe, ich habe zu tun.« Ich ließ ihr erst gar keine Zeit für eine Antwort und kehrte zum Lastwagen zurück. Vom Standpunkt eines neutralen Beobachters aus hatte ich das Problem noch nicht gesehen, aber sie war auch nicht neutral, und Mr. Caar, dieser lächerliche Gartenzwerg, wollte nicht zugeben, daß den Job ein anderer außer ihm tun könnte. Und sie, als Solarvertreterin, griff begeistert nach dem ersten Prügel, den sie uns zwischen die Füße werfen konnte. Recht hatte sie natürlich. Caar hatte hier einen guten Ruf, und seine Aussage würde vor einer Jury schon etwas wiegen; dazu dann noch Helens Aussage und die des Deputy, daß sie mich gewarnt hätten, mein Plan sei nicht durchführbar – wenn es nicht klappte, waren wir dran. Ich mußte mit den anderen darüber reden, und das tat ich. »Wir verschwenden nur kostbare Minuten mit diesem Palaver«, sagte ich. »Natürlich bin ich davon überzeugt, daß mein Plan gelingt, aber es kann auch anders kommen. Wir haben keine Zeit, uns was anderes auszudenken. Entweder wir gehen nach meinem Plan vor, oder wir lassen die Leute da unten sterben und verschwinden. Versuchen wir’s und haben keinen Erfolg, müssen wir die Konsequenzen tragen. Also stimmen wir ab, was getan werden soll.« »Wir machen uns an die Arbeit«, erklärte Carroll sanft und Cap nickte. Zwei Arbeiter stiegen aus. Vielleicht hatten sie Angst, oder sie waren zu faul. Der Rest blieb dabei, und Harry meinte, er könne viel mehr tun als die beiden. »Also, wo ist ein Schraubenschlüssel?« Es war nicht gerade eine fröhliche Angelegenheit, aber alle applaudierten. Ich überprüfte die Kompressoren, die aus federleichtem Metaplast bestanden; jeder war von einer 1200-Inch-Kapazität.
Der riesige Generator summte wie ein zufriedenes Baby. Ich transportierte alles zum Floß, wo wir mit dem Zusammenbau begannen. Wir koppelten die Kompressoren mit den Winden zusammen und luden zwei Abschnitte der Fluchtrohre auf. Dann befestigten wir am unteren Teil Hochdruckschläuche, die zum Schiff hin versiegelt werden konnten – falls wir sie je nach unten bekamen. Als wir mit den Vorbereitungen fertig waren, blieben uns noch drei Stunden Zeit. Harry kam zu mir herüber, schaute mich und dann den Boden an und schließlich wieder mich. »Ich glaube, ich kann da nicht mitmachen«, sagte er. »Ich werde müde«, antwortete ich. »Ich bin nur noch Schweiß und Müdigkeit. Was jetzt?« »Ich bring Sie zur Boje. Sie schwimmen vielleicht. Ich geh aber unter. Hab Ihnen ja gesagt, ich kann auf dem Zeug nicht anhalten.« Solange ich meine Geduld nicht verlor, konnte ich Kindern alles immer recht gut erklären. Diesmal kostete es mich sehr viel Schweiß. »Wir werfen ab, wenn wir hinkommen; dann kommst du eiligst hierher zurück und holst die Teile des Fluchtrohres. Du arbeitest wie ein Irrer, so schnell du kannst, denn wenn wir erst mal mit diesem Rohr anfangen, wird’s ziemlich schnell gehen.« »Oh.« Er schaute zu mir auf und grinste. »Ich erweitere meinen Ölfilm für die Kufen.« Wir brachten das Floß zu… jedenfalls in diesen Schlammsee. Jetzt bemerkte ich den Gestank schon gar nicht mehr. Das Floß wurde an Harrys Boot festgemacht, und er legte ab. Wir schoben, bis das Floß schwamm. Dann sprangen Cap, Carroll und ich an Bord. Die Arbeiter, der Deputy und sogar Mr. Caar
schrien und winkten uns zu. Helen, Captain Wall, schien zu weinen, doch dafür hatte ich jetzt keine Zeit. »Generator und Kompressoren starten«, befahl ich Cap. »Wo ist der Korkkorb?« Ich fand die Korken, erklärte Carroll deren Zweck und beobachtete die Druckanzeiger. Die Maschinen machten einen ziemlichen Lärm, aber die Nadeln näherten sich der Marke, bei der die Kompressoren sich automatisch ausschalteten. Am liebsten hätte ich die Instrumentenanzeiger getätschelt. Sie bedeuteten Leben und Tod für viele Menschen – auch für uns natürlich. »Diese Korken werden an den Ecken angehängt, direkt über der Oberfläche. Wenn ein Teil des Floßes sich senkt, kommen die Korken auf der Oberfläche auf, und die Schnur wird schlaff. Du kannst die eine Seite beobachten, ich nehme die andere. Cap hat für jede dieser Druck-Taucherglocken ein Ventil. Wir müssen ihm nur sagen, wo wir mehr Luft brauchen.« Wir müssen sehr komisch ausgesehen haben, vor allem für die Riesenspinnen, denn sie sammelten sich um uns, und ihre Antennen bewegten sich wie dünne Regenbogenruten, und das Klicken und Mahlen der Freßwerkzeuge war sogar über unserem Maschinenlärm zu hören. Carroll machten diese Tiere ein bißchen nervös, und auch meine Hände zitterten, als ein paar versuchten, an Bord zu steigen. »He, sind diese Dinger hier gefährlich?« schrie ich Harry zu. »Weiß nicht. Manchmal werden sie verrückt. Keiner weiß warum.« »Das ist ja goldig«, sagte ich zu Carroll, und er lächelte mühsam. Aber wir spannten unsere Korken, während der Kompressor fröhlich die stinkende Luft zusammenpreßte. Ich hätte mir vorstellen können, daß die Kompressionskammern würgten, als die erste dicke Luft einströmte.
Nun inspizierten die Spinnen die ausgespannten Korken, betupften sie mit ihren blau-gelben Fühlern und knabberten daran. Zum Glück schmeckten ihnen die Dinger nicht. Wir näherten uns auch allmählich der Boje. Am Rand des Schlammsees erschienen Spielzeugautos und Spielzeugleute; also hatten wir sicher eine ganze Menge Zeugen für unseren Erfolg – oder den Mißerfolg. Ein Kompressor nach dem anderen schaltete sich ab, weil die Druckgrenze erreicht war. Cap ließ ein wenig Luft, je etwa fünfzig Pfund, in die Taucherglocken. Ich dirigierte Harry geradeaus über die Boje. Mit den Kufen kamen wir gut drüber weg, aber die Flagge ragte etliche Fuß hoch in die Luft. Ich riß sie ab, als sie in meine Reichweite kam, und die Boje verschwand unter uns; das mittlere Floßloch bewegte sich langsam darauf zu. Carroll reichte mir eine Axt, und wir nahmen unseren Posten an je einer Schlepptrosse ein. »Auf das Loch aufpassen«, sagte ich Cap. »So langsam wie möglich, Harry. Cap, paß auf die Ventile auf… So, das war’s. Ihr müßt aber blitzschnell arbeiten, damit wir nicht untergehen. Natürlich geben wir euch so klare Anweisungen wie möglich.« »Boje in Sicht«, meldete Cap. »Am Lochrand, ein Fuß, zwei Fuß – ablegen!« Carroll und ich kappten gleichzeitig die Schleppleinen, warfen uns der Länge nach auf das Floß und beobachteten die Korken. Eine Schnur wurde schlaff. »Portseite hinten, etwas mehr…« Luft zischte, die Schnur spannte sich. Ich spürte etwas Kaltes, Schleimiges an meinem Nacken und versuchte es wegzuwischen. Eine Riesenspinne zockelte davon, aber sie klickte zornig mit den Freßwerkzeugen, und ihre Antennen waren tiefrot. Ich hatte keine Zeit, mich weiter mit ihr zu beschäftigen.
Endlich kam eine dicke, stinkende Blase unter der Glocke heraus. Ein paar Sekunden vergingen, dann stand ich auf. »Das wär’s«, sagte ich, »und jetzt an die Schwerarbeit!« »Aufpassen, Jake!« schrie Cap, weil die große Spinne mich langsam, drohend und dunkelrot anschlich. Ich hatte Eiszapfen im Nacken, und mir grauste, doch Carroll brauchte Luft, und diese Luft blies auch meine zornige Spinne ein ganzes Stück weg. Daraufhin zog sie es vor, zu Mama und Papa heimzukehren. Carroll rollte grinsend wieder ein Stück Schlauch auf. »Jetzt wissen wir wenigstens, was sie nicht mögen«, erklärte er sanft, und ich bedankte mich für die schnelle, wirksame Rettung. Noch einmal überprüften wir das untere und wichtigere Stück des Rettungsrohres. Die Düsen waren so angeordnet, daß sie, sobald die Röhre nach unten gebracht wurde, den Schlamm wegbliesen und die Röhre leer hielten. Der Verschluß, ein breiter Gummikragen, ließ sich von innen her betätigen. Wurde er geöffnet und die Luft abgeschaltet, so mußte sich dieser Kragen durch den Druck des Schlammes fest an den Schiffsrumpf anlegen und so das Rohr abdichten. Mr. Caar hatte deshalb keinen Erfolg gehabt, wie mir bald klar wurde, weil er die Boje als Führungspunkt betrachtet hatte. Sie war eine gasgefüllte Kugel, direkt über der Ausstiegluke, und ihr Kabel war die einzige Verbindung zum gesunkenen Schiff. Wenn die Druckluft den Schlamm vor dem Rohr wegblies, mußte sie auch die Boje wegblasen. Die Lösung war einfach. Wir verbanden die Boje mit dem Röhrenboden. Der Kapitän des Schiffes mußte dann nur das Bojenkabel ganz langsam einholen, und wir brauchten nur die Luftschläuche freizuhalten und die nächste Länge zu befestigen, wenn die vorhergehende hinabgelassen war.
Die Verständigung erfolgte mit dem Hammer. Ich morste Captain Cole die Situation zu und sagte ihm, was er zu tun habe. »Gott sei Dank«, erwiderte er. »Signalisiert, wenn ihr fertig seid.« Cap öffnete das Ventil des zweiten Kompressors, und der Schlamm blies vom Rohr weg – direkt über uns; also drehte er das Ventil wieder etwas zu, und der erste Abschnitt konnte langsam hinabgelassen werden. Der zweite wurde angeschraubt. Harry kam mit zwei Arbeitern und sechs weiteren Abschnitten, fuhr sofort wieder weg, um weitere Stücke zu holen und etliche Boote mitzubringen, die gerettete Passagiere aufnehmen konnten – falls wir sie heraufbrachten. Eine Stunde hatten wir noch Zeit, als das Röhrenende am Schiff aufsaß. Carroll und ich stanken fürchterlich. Der Schlammregen hörte erst auf, als wir den Gummikragen über dem Rohr hatten und es hinabließen. Bei zwei Kompressoren ließ der Druck nach, doch wir fanden den Fehler schnell. Carroll wollte nach unten gehen, weil er in besserer Verfassung war als ich, aber ich hielt es für besser, selbst zu gehen, da ich in den Schultern nicht ganz so breit war wie er und ich mich im engen Rohr leichter bewegen konnte. Er bestand aber darauf, ich müsse eine Signalleine mitnehmen. »Viermal ziehen«, sagte er, »heißt Luft abstellen.« Er hatte recht damit, denn wer garantierte, daß die Versiegelung mit dem Gummikragen auch wirklich tadellos wirkte? Ich ging also nach unten und leuchtete mit der Taschenlampe, bis ich die Boje direkt am Schiffsrumpf fand. Ich betätigte den Gummikragenverschluß, doch ob er wirkte, konnte ich bei dem Maschinenlärm nicht feststellen. Klappte er, war ich in Sicherheit. Ich zog viermal an der Signalleine. Das Röhren hörte auf. Nichts geschah. Der Kragen schloß dicht und hielt.
Nun klopfte ich Signale an den Rumpf und bekam Antwort. Erst mußte ich aber die gasgefüllte Boje aus dem Weg schaffen, damit sie nicht wie eine Rakete in die Höhe schoß und vielleicht im Rohr explodierte. Ich ließ sie langsam herauf und zerschnitt sie. Nun kam eine ganze Flotte von Flachbooten unter Harrys Führung heran. Er winkte und setzte zu einem weiten Kreis um uns an; die anderen folgten, und die Riesenspinnen machten sich einen Spaß daraus, immer wieder quer durch die Parade zu schlittern. Jetzt ging ich mit dem Kabel nach unten, das Ende in einer ‘ Hand. Es sah gut aus, doch Zeit zum Feiern war natürlich noch nicht. Wichtig war vor allem, daß die über neunzig Menschen da unten noch lebten, und das hoffte ich – aus ganzem Herzen. Am Schiffsrumpf hielt ich an und signalisierte, sie sollten das Kabel einholen. Das Ende verschwand nach innen, und ich hörte, wie es befestigt wurde. Ein blasses Gesicht erschien an der sich öffnenden Luke. »Gott sei Dank«, krächzte Captain Ezra Cole, dem es gehörte. Ich signalisierte, und Carroll ließ mich in das Schiff hinab. Der Kapitän war etwa vierzig Jahre alt und die einzige Person, die auf den Beinen war. Überall lagen Passagiere mit offenen Mündern und keuchten nach Luft. Einige hatten die Augen geschlossen. Waren sie tot? Wir verschwendeten keinen Atem mit Reden und befestigten den ersten Passagier, eine junge Frau mit benommenen Augen, an unserem Rettungsharnisch. »Hören Sie«, sagte ich zu ihr. »Vergessen Sie’s nicht. Sie sind in Sicherheit. Alles ist in Ordnung, aber einige von diesen Leuten hier könnten sterben, wenn sie keine frische Luft bekommen. Hier stinkt es bestialisch. Wenn Sie oben sind, dann sagen Sie den Leuten, sie sollen den Notluftschlauch herunterbringen. Haben Sie’s verstanden?« »Notluftschlauch«, wiederholte sie schläfrig.
»Das sagen Sie jetzt immer. Nicht aufhören.« Ich signalisierte, und sie verschwand in der Rettungsröhre. Die frische Luft belebte sie, und einer nach dem anderen kehrte in die Welt zurück, in der sie Miete zahlen mußten. Captain Cole und ich schickten sie nacheinander nach oben. Für mich war das schon ein automatischer Vorgang, obwohl mich jeder Muskel schmerzte. Captain Cole war hager, bärtig und blaß, und wie ich aussah, ahnte ich nicht. Ich hatte nur den Eindruck, Schleim und Schweiß hätten sich mit Sand vermischt. Endlich waren wir durch. Captain Cole und ich schauten uns um. Die große Freizeithalle war leer. »Wieviele waren es?« fragte ich. »Siebenundneunzig«, nuschelte er vor Erschöpfung. »Sie gehen jetzt hinauf. Dann zählen Sie’s durch.« »Nein, Sie. Der Kapitän verläßt sein Schiff zuletzt.« »Okay.« Ich seufzte. »Sie sind der Boß. Was zu trinken?« »Wenn ich was finden kann.« Er torkelte zu einem Schrank, sperrte auf und kam mit einer Flasche zurück. Es war genau das, was der Arzt verordnet hätte. Nach einem ordentlichen Schluck sickerte neue Energie in mein Bewußtsein, in meine schmerzenden Muskeln. Jetzt sah ich auch wieder klar. Captain Cole nahm auch einen herzhaften Schluck, und ihm gelang sogar eine Art Grinsen. Ich ließ mich also nach oben bringen, um die Geretteten zu zählen. Alle waren da, und nun konnte ich auch nach dem Kapitän schicken.
Das Krankenhaus in Arcton City war wie jedes andere, und Prentice McNamy lag wie jeder andere Patient im Bett. Er war wütend, aber nicht auf das Krankenhaus. »Ich weiß nicht, was das alles soll«, sagte er zu Cap und mir. »Ein Offizier von Solar System Salvage kam vor ungefähr
sechs Wochen zu mir und sagte, diese Ladung Herkulium sei für Cambellon, den dritten Planeten von Arcton, wie Sie sagen, bestimmt gewesen und geborgen worden. Als Erbe des ursprünglichen Käufers stünde mir ein Anteil zu, und ich sollte zusammen mit den anderen Käufern eine einstweilige Verfügung gegen Sie beantragen.« Ich erzählte ihm, was bisher geschehen war, wie Solar hinter dem Geheimnis des Herstellungsprozesses herjagte, das vermutlich an einem Geheimort des verstorbenen Professors Phamign versteckt und dieses Versteck nur ihm bekannt gewesen war. »Sie sind dahinter her, wir aber auch, und sie haben an Verzögerungstaktik eingesetzt, was ihnen möglich war. Ich nehme an, sie haben daran gearbeitet, während wir mit diesem Schiff beschäftigt waren.« »Die Leute haben mir erzählt, was Sie alles getan haben, und ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken kann. Und alles, was Sie sich von mir wünschen könnten…« Jemand kam in den Raum; ich nahm an, es war die Pflegerin, und drehte mich nicht um. »Sie haben also, wenn ich recht verstehe, im Interesse der Erben gehandelt? Und die Versicherung hat vor ungefähr hundert Jahren die Käufer der Ladung entschädigt?« »Ja, das stimmt.« »Aber Solar sagte Ihnen, Sie hätten trotzdem Rechte und überredete Sie, diese einstweilige Verfügung gegen uns zu erlassen, nicht wahr?« »Ja, das ist auch richtig.« »Nun, Mr. McNamy, Sie sehen ja selbst, welch ein Betrug das ist. Das Schiff, dessen Ladung wir bargen, war ein treibendes Wrack, so daß also nach interstellarem Gesetz das, was wir da rausholten, uns gehört.« »Natürlich, das verstehe ich auch. Aber vorher hat man mir das ja nicht gesagt. Sie redeten sogar von Piraterie. Sobald ich
meinen Anwalt kommen lassen kann, ziehe ich die einstweilige Verfügung zurück und verspreche Ihnen, daß es keine Klage mehr geben wird.« »Mehr will ich nicht«, sagte ich. »Dann können wir uns ja wieder auf den Weg machen.« »Moment noch«, bat er. »Außer mir weiß das niemand, glaube ich. Professor Phamigns Privatlabor war auf einem Asteroiden. Den Originalorbit dieses Asteroiden kann ich Ihnen geben, sobald ich in mein Büro komme. Aber die ganze Gruppe von Asteroiden, zu der er gehörte, wurde von einem zu nahe vorbeiziehenden Kometen abgelenkt und wanderte davon.« »Du meine Güter mit dieser Information könnten wir ja tatsächlich zu arbeiten anfangen, und wenn unsere Ladung freigegeben ist, können wir sie ja verkaufen. Dann haben wir genug Geld und können die Suche finanzieren. Wieso wissen Sie soviel darüber?« »Mein Großvater kannte Phamign. Er führte ein Tagebuch, und das habe ich.« »Dann kommen wir zu Ihnen ins Büro. Vielen Dank.« Ich drehte mich um und erstarrte. Es war nicht die Pflegerin gewesen, sondern Helen. »Jetzt weiß Solar auch davon«, stellte ich fest. Ihr Gesicht wurde so flammend rot wie ihr Haar. »Sie Idiot!« sagte sie und war den Tränen nahe. »Ich wußte doch gar nicht, woher diese Verfügung kam. Aber ich werde jetzt meinen Vater besuchen und veranlassen, daß ein paar Köpfe rollen. Und Sie…« – sie nickte McNamy zu –, »können beruhigt sein. Diese Information geht nicht weiter. Ich hoffe, und wie ich es hoffe, Sie bekommen das Rezept zuerst.« »Merkwürdig, daß Sie ausgerechnet an Ort und Stelle sind, kaum daß die einstweilige Verfügung erlassen wurde.«
»Na, schön«, antwortete sie, »und wenn ich mir selbst den Strick um den Hals lege. Ich wollte Ihnen nämlich nur für das danken, was Sie für meine Leute und mich taten. Und ich mag Sie und wollte Sie wiedersehen. Wissen Sie, mir gefällt Ihr schiefes Lachen, jawohl, und an dem Schiff im Schlammsee haben Sie wundervolle Arbeit geleistet. Deshalb kam ich her, um Ihnen das zu sagen. Aber Sie gaben mir gar keine Chance, Ihnen zu sagen, daß ich Ihren Standpunkt verstehe, daß ich deshalb auch gar nicht daran gedacht habe, eine Klage gegen Sie einzubringen. Nicht einmal dann, wenn Ihnen die Rettung nicht gelungen wäre. Und jetzt soll Sie der Teufel holen, Jake Murchison!« Sie wirbelte herum und lief zur Tür. Es war leicht, sie einzufangen. »He«, sagte ich. »Wie wär’s, wenn Sie uns zu einem Drink einladen würden, damit wir die Sache bequatschen können?« Sie schaute mich zwar nicht an, doch sie nickte. »Du kommst doch mit, Cap?« fragte ich. »Ich glaube, ihr kommt ohne Hilfe auch zurecht«, meinte er trocken. »Und wenn nicht, dann ist’s höchste Zeit, daß du’s lernst.«
IV Unentschieden
In den ersten fünf Minuten bezähmte ich meinen Zorn, doch dann hieb ich auf Mr. Everetts Tisch. »Moment«, sagte ich. Er drehte seine Stimme ab. »Sie sind hier etwas mehr als ein Strohmann, und Sie haben die Autorität, meinen Scheck zu genehmigen. Mehr will ich gar nicht. Mir scheint, das ist unter den gegebenen Verhältnissen wenig genug.« Er lächelte höflich. Der Mann, der mir gefolgt war, hatte mich den ganzen Morgen über beschattet und lehnte jetzt grinsend am Ablageschrank. Mr. Everett warf meinem Schatten einen berechnenden Blick zu, ehe er seine Rolle weiterspielte. »Natürlich habe ich die Neuigkeiten erfahren, Mr. Murchison«, sagte er glatt, dieser Schleicher, »unsere Buchhaltung aber noch nicht. Ich weiß, welch hervorragende Arbeit die Space Salvage an diesem versunkenen Schiff geleistet hat, aber meine Buchhaltung weiß es nicht. Ich weiß, daß Arcton Ihnen Geld schuldet, aber die Bücher haben davon noch nichts gehört. Wir haben nämlich einen festen Dienstweg.« »Fest ist richtig«, knurrte ich. Der Mann, der am Ablageschrank lehnte, grinste noch immer, aber seine dunklen Augen waren intelligent. »Warum sind Sie mir gefolgt?« fragte ich ihn. »Überall, wo ich auf diesem Geldkarussell war, sind Sie mitgekommen.« »Zufall?« meinte er.
»Nicht, wenn man’s zusammenzählt… Mr. Everett, dieser Mann ist ein Angestellter der Solar System Salvage, sie lassen mich nicht aus den Augen und wollen nicht, daß ich den Planeten verlasse. Sie wollen eine Chance haben, nach etwas zu jagen, hinter dem wir beide her sind. Ich verstehe es, wenn man mir einen Spitzel nachschickt, aber ich dachte nicht daran, daß Solar den Generalkontrolleur bestechen würde.« »Sie, beleidigen Sie mich nicht«, erklärte er frostig. »Betrachten Sie’s doch einmal von meinem Standpunkt aus«, fuhr ich ruhiger fort. »Bis gestern war meine Ladung Herkulium beschlagnahmt. Es ist das größte Vermögen im ganzen Sonnensystem, aber wir hatten noch keine Zeit, es zu verkaufen. Ich versuchte, Geld darauf zu leihen – nichts. Das hat Solar veranlaßt. Ich führte einen Kontraktjob für Arcton aus, und das geben alle zu. Aber werde ich auch bezahlt? Nein.« Der Frost in Everetts Augen verstärkte sich um etwa hundert Grade. »Ich kann es Ihnen ja nachfühlen, aber die Bücher können es nicht, wie ich Ihnen schon sagte. Sie kriegen Ihr Geld schon noch. Vielleicht in ein paar Tagen. Und jetzt, Mr. Murchison, habe ich zu tun.« Ich stampfte hinaus, mein Schatten stampfte mit. Zwei Tage! In dieser Zeit konnte sich Solar solche Vorteile verschaffen, daß ich sie nie mehr aufholen konnte. Und die Delphin wurde wegen der Hafengebühren im Dock festgehalten. Da war ich, einer der reichsten Männer der Geschichte, und hatte kein Bargeld. Als ich auf den Lift wartete, sagte jemand hinter mir: »Sind Sie Jake Murchison?« Er trug Botenuniform und reichte mir einen versiegelten Umschlag, ich unterschrieb den Beleg und ließ den Lift vorbeifahren. »Liebster Jake, komm sofort zur Andromeda. Dringend. Helen.«
Ich nahm den Lift nach oben. Dringend? Sie hatte das Wort dreimal unterstrichen. Ich stöhnte, und eine Dame neben mir drückte sich in eine Ecke. Doch dann lachte ich. Die Dame konnte nicht weiter ausweichen, also versteifte sie sich. Ich holte mir ein Dachtaxi. »Landefeld, Passagierzone«, sagte ich. Mein Schatten nahm das nächste Taxi, und so schwebten wir nebeneinander über den Dächern von Arcton City zum Ufer des Zehnmeilenschlammsees. Die riesigen Wasserspinnen liefen über der Stelle Schlittschuh, wo das begrabene Schiff lag. »Haben Sie schon das Neueste gehört?« fragte mein Fahrer. »Schiff voll toter Leute und Fusionsmaterial direkt zu uns unterwegs. Keiner lebt mehr.« »Vielleicht ignorieren wir es, und es tut dasselbe mit uns«, schlug ich vor. »Nichts zu machen. Automatische Kontrollen. Ein Notruf liegt für Jake Murchison vor.« »Na, ja.« »Ist doch ein großartiger Bursche, was?« »Das hat wenigstens seine Mutter immer gedacht.« »Du paß auf, Kumpel, kein Wort gegen Jake Murchison! Meine Schwester war nämlich in dem Schiff.« »Ah, Entschuldigung. Natürlich ist er wundervoll. Und schön!« »Na, ich weiß nicht, ob man das behaupten kann«, zweifelte der Fahrer. Die Andromeda sah nicht mehr ganz so aus wie damals, als wir sie vom Asteroiden pflückten. Jetzt glänzte ihr Rumpf frisch poliert. Der Fahrer setzte mich auf der Bühne an der Einstiegsluke ab, ungefähr eine halbe Meile vom Boden entfernt. Ich bezahlte und stieg aus.
Ziemlich weit weg war ein winziges Ding, mein Rettungsschiff, die Delphin. Sie sah aus wie nach einem noch nicht bezahlten Rettungsjob. Mein Taxischatten kam auch an. Bei diesen großen Schiffen ist es ganz anders als bei den kleinen. Wenn der Antrieb im Leerlauf ist, spürt man nichts von den Maschinen, nur die Atmosphäre der Erregung läßt sich nicht leugnen. Der Raum wartet hungrig auf einen. Passen Sie beim nächsten Flug auf, Sie werden das auch feststellen. Ich wußte sowieso, daß im Fusionstopf große Dinge kochten. Helens Gesicht drückte das auch aus, als ich den Navigationsraum betrat. Die Zwillingskometen an ihrer Uniform glänzten fast so hell wie ihre Augen. Die graue Mütze war geschäftsmäßig und schön wie sie, und auch jetzt hätte man ihrer Figur nachpfeifen können, wäre nicht die Würde ihrer Verantwortung gewesen. Auch Carroll war da, seine ganzen sieben Fuß Länge. Er beugte sich über den Kartentisch, drehte sich aber um, als er mich kommen hörte. »Hallo, Jake«, sagte er mit seiner erstaunlichen sanften Stimme, »Captain Wall dachte, ich sollte auch dabei sein.« »Wir sind zum Abheben bereit«, sagte Helen, »sobald du unsere Vorbereitungen gutgeheißen hast. Nun…« »Laß Carroll reden, er weiß, was ich will«, unterbrach ich sie. Sie war nicht zornig darüber, und das gefiel mir sehr gut. Es gibt eine Zeit zum Spielen, eine zum Arbeiten, eine für andere Dinge. Ich sollte anscheinend eine Rettungsoperation leiten. Obwohl sie Kapitän des Schiffes war und also im Rang über mir stand, erkannte sie meine Autorität auf meinem Gebiet an. »Da ist ein Schiff erster Klasse«, begann Carroll, »die Clandon, Transport Interplanetar, ganz neu. Die ganze Crew und die Passagiere sind tot. Sie liegt auf einem festen Kurs nach Arcton, und die Astrogatoren fürchten, daß sie direkt auf
das Rathaus von Kilvon trifft, wenn sie nicht auf einen neuen Kurs geschickt wird.« »Nette Astrogatoren«, bemerkte ich. »Vor ein paar Stunden bekam der Zweite Offizier über Notfunk Verbindung mit den Hafenbehörden. Er war sehr schlecht dran. Er sagte, der Pilot habe seine Instrumente fixiert und sei für eine Minute weggegangen. Das ist durchaus normal, wenn ein Offizier Wache hat. Auf einmal begannen die Leute zu sterben. Ein Steward meldete es, und dann kippte er selbst um. Er wußte, was los war.« »Was war denn passiert?« »Ein Tank mit Cynophthalin für einen Pestherd auf Arcton Vier explodierte. Du kannst dir doch denken, was das heißt.« Ich schüttelte mich. »Und was ist das mit dem Fissionsmaterial?« »Das ist für Minenoperationen, acht Tonnen Ferrocargit. Schlägt das Schiff auf, gibt es keinen Planeten mehr.« Ich überlegte. Es war also meine Aufgabe, an Bord dieses Ausreißers zu gelangen, der mit dem tödlichsten Gas gefüllt war, und den Kurs abzuändern, ohne jedoch Zeit für Vorbereitungen zu haben. »Wieviel Zeit haben wir?« fragte ich. »Ungefähr fünfunddreißig Stunden.« »Und warum ich?« fragte ich Helen. »Und warum du?« »Du bist hier der einzige wirklich tüchtige Rettungsmann, und mein Schiff ist das einzige, das die Geschwindigkeit der Glandon hat.« »Für Solar ist das nichts, weil dein Vater alles tut, mich hier festzuhalten, damit er Phamigns Labor suchen kann, um das Geheimnis der Herstellung von Herkulium zu finden.« »Ja, was tun wir dann?« Ich erzählte ihr, was am Morgen vorgegangen war.
»Aber damit habe ich nichts zu tun«, versicherte sie mir. »Vor zwei Tagen habe ich von meinem Vater verlangt, daß er Oliver Clayborne entlassen muß, denn der hat sich diese Verzögerungstaktik ausgedacht. Ich möchte lieber nicht weiter darüber sprechen. Siehst du, er ist mein Vater. Auch wenn ich nicht mit dem einverstanden bin, was er sagt und tut…« »Macht nichts«, unterbrach ich sie. »Wie ging’s mit Junior?« »Er hat noch immer seinen Job.« »Ich verstehe. Ich will also nicht für Solar arbeiten.« »Ah, jetzt verstehe ich auch. Nur deines blöden Stolzes wegen läßt du zu, daß ein Planet zu Staub zerblasen wird.« »Oh, natürlich komme ich mit, aber nicht gegen Bezahlung und nicht für Solar.« »Danke, Jake«, sagte Helen, und ihre Augen wurden weich. »Ausrüstung?« fragte ich Carroll. Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ich habe einen Flaschenzug mit einem meilenlangen elektrischen Kabel und einem Elektromagneten, Jake. Wenn wir den Magneten durch die hintere Notluke hinausführen und dann unter Strom legen, sobald wir dem Ausreißer nahe genug sind, könnte einer von uns am Kabel entlang in das Schiff gelangen.« »Das ist ganz vernünftig, nur wird der Magnet ein wenig am Kabel baumeln. Gehen wir aber weit genug herunter, um Kontakt herzustellen, sind wir in einer sehr gefährlichen Position, falls etwas nicht klappt. Wir müssen uns was Besseres einfallen lassen.« »Das hat mich ja auch gestört, als ich es mir so überlegte. Ich dachte, vielleicht…« »Laß mich mal denken. Vielleicht fällt mir was ein.« Aber ich kam auch nicht weiter. Sie ließen mich nicht aus den Augen, weil sie glaubten, ich würde erst einen Zylinder und aus dem Hut den Hasen zaubern.
Ein Anruf von der Delphin unterbrach meinen Denkprozeß, aber er war sehr willkommen. Cap Lane meldete sich. »Ich wollte euch in erster Linie Glück wünschen und dir dann melden, daß du den Generalkontrolleur Everett ja ordentlich in die Mangel genommen hast. Er sagte, was du ihm an den Kopf geworfen hast, sei eine dreckige Beleidigung.« »Vielleicht war es das, aber es klang recht vernünftig«, sagte ich. »Und vielen Dank für die Nachricht.« »Jake, hör mal… Paß auf, verstehst du?« »Heul bloß nicht«, sagte ich. »Um Himmels willen«, meinte er, und der Schirm wurde wieder dunkel. »Wir heben jetzt besser ab«, schlug ich vor. »Ich hab’ noch ungefähr fünfzehn Stunden Zeit, mir was einfallen zu lassen.« Helen drückte auf den Sirenenknopf. »Achtung, Mannschaft auf die Stationen«, befahl sie energisch. »Schließt…« Sie brach ab, als sie Schritte hörte. Ich drehte mich auch um. Es war Junior, hinter ihm mein Schatten. Junior, Oliver Clayborne, war selbstbewußt wie immer. Seine Stellung bei Solar war nicht ganz klar, aber er hatte jedenfalls einiges zu sagen. Er war fast so groß wie Carroll, lehnte an der Tür und musterte uns. Sein Haar war ordentlich, sein Lächeln breit, seine Nägel waren manikürt. »Was willst du hier?« fuhr sie ihn an. Er lächelte sein Speziallächeln für sie. »Ich bin ein Passagier. Befehl deines Vaters, Philemon Wall, Präsident der Solar.« Er zeigte ihr ein Papier. Sie überflog es. »… beauftragt, mit Leibwache zu begleiten…« Sie sah den Schatten an. »Ist er das?« Der Schatten verbeugte sich und lächelte höhnisch. »Rocky Tibbett, Captain. Zu Ihren… besser zu seinen Diensten.«
Helen legte einen Schalter um. Ein hübsches Gesicht erschien auf dem Schirm, aber so hübsch wie das Helens war es nicht. »Es ist mir eine Ehre«, sagte das Gesicht. »Hier ist Captain Helen Wall von der Andromeda. Ich will meinen Vater sprechen über Notfunk. Gebühren bezahle ich. Bitte, schnell!« Der Schirm wurde grau, spuckte, summte und schwieg. Dann erschien ein anderes Gesicht, ziemlich berühmt, breit, glatt und voll schlauer Freundlichkeit. »Hallo, Liebling«, sagte das Gesicht herzlich, doch die grünen Augen blieben mißtrauisch. »Ich bin Kapitän dieses Schiffes und will Oliver nicht an Bord haben. Er ist mir im Weg.« »Und ich bin Präsident der Gesellschaft, deren Angestellte du bist. Mein Befehl macht den deinen ungültig, außer wenn es sich um Operationen handelt, sobald dein Schiff im Raum ist. Er bleibt…Hallo, Oliver? Bist du mit deiner Leibwache zufrieden?« »Ja, Sir«, erwiderte er so ernst, wie es einem Angestellten zukam. »Warum mußt du einen Spion auf mich ansetzen?« fragte Helen. »Du mußt das vom Standpunkt der Solar aus sehen«, erwiderte ihr Vater ruhig. »Du hast für deinen größten Rivalen einen sehr fatalen Hang entwickelt. Ich bin überzeugt, daß diese Operation Erfolg haben wird, denn ich habe eine hohe Meinung von Mr. Murchisons Fähigkeiten und seinem Einfallsreichtum. Aber was hindert dich und ihn in eurer Siegesfreude daran, Phamigns Labor zu suchen? Verstehst du, Helen, deine Loyalität stelle ich gar nicht in Frage, sondern nur deine Urteilsfähigkeit. Deshalb schickte ich einen zuverlässigen Angestellten an Bord.
Wenn du nicht gerade der einzige verfügbare Kapitän wärest, hättest du nicht dieses Kommando. Aber du verschwendest nur Zeit. Erreicht dieses Ausreißerschiff seinen Bestimmungsort, dann sterben Millionen von Menschen. Du solltest längst im Raum sein.« Helen schaltete wütend den Schirm ab und wandte sich an Junior. »Du gehst mir aus dem Weg, verstanden?« fauchte sie ihn an. »Interkom. An alle. Bereitmachen zum Abheben.« Etliche Klingeln schrillten, als wir uns für die Anfangsakzeleration anschnallten. Dann waren wir unterwegs. Carroll rief den Kurs aus, als wir im freien Feld waren, und sah mich an. »Ist dir schon was eingefallen?« Ich schaute Junior und den Schatten an. »Ja, ich hab’ eine Idee. Die nämlich, daß ich gewisse Leute lieber zwei Lichtjahre weit weg sehe.« »Mr. Tibbett ist bewaffnet«, sagte Junior und grinste. »Warum haben Sie nicht gleich eine ganze Armee mitgebracht?« »Mr. Murchison, bitte, seien Sie nicht kindisch«, sagte Junior. »Es gibt keine Geheimnisse um meine Anwesenheit. Sie haben eine Ahnung, wo Professor Phamigns Labor ist. Unser Auftrag ist es, zu verhindern, daß Sie es finden, ohne daß Solar es weiß.« »Neugier«, meinte ich. »Wenn Sie es fänden und die Formel in die Hand bekämen, was würden Sie damit tun?« Er lachte schallend. »Eine Operation abschließen, die bereits angelaufen ist. Diese geborgene Herkuliumladung von der Astralot hat einen fast unschätzbaren Wert, vorausgesetzt natürlich, daß die ganze Ladung wirklich aus Herkulium besteht und daß es alles ist, was es davon gibt. Und das ist sogar wahrscheinlich.« »Welche Operation ist bereits angelaufen?«
»Eine grundlegende, mein lieber Murchison. Im System ist es bereits allgemein bekannt, daß es Phamigns Formel gibt und sich auch vermutlich bald finden läßt. Wir möchten, offen gesagt, den Wert Ihrer Ladung praktisch auf Null reduzieren, so daß Sie kein gefährlicher Konkurrent mehr sind und eine kleine Einschiff-Firma bleiben.« »Damit Sie Ihr verdammtes Monopol behalten.« »Genau. Wenn Sie jedoch zuerst auf die Formel stoßen, werden Sie leugnen, sie gefunden zu haben und sie zerreißen. Sie wären dann unermeßlich reich und könnten…« – er machte eine Kopfbewegung zu Helen – »… mit unvorstellbarem Vergnügen rechnen.« Carroll streckte Junior mit einem Schlag zu Boden, und gleichzeitig nahm der andere Arm den Schatten in die Zange, entzog ihm die Waffe, versetzte ihm einen Fußtritt, daß er den Gang entlangflog, und warf ihm Junior nach. »Das war ja ein bißchen dumm«, meinte Carroll danach. »Ma’am, Ihnen kann er nichts anhaben, egal was er sagt oder andeutet. Ich meine natürlich Captain Ma’am.« »Komm schon, wir haben zu arbeiten«, drängte ich. Helens Augen glänzten. Auf dem Weg zur Maschinenabteilung sagte ich zu Carroll: »Mit dem wirst du noch Ärger bekommen. Jetzt hast du ihn, schon zum zweitenmal auf den Boden gelegt.« »Wahrscheinlich verdien’ ich’s auch«, meinte Carroll voll Trauer. »Ja, ich weiß. Jedenfalls vielen Dank, Kumpel. Mein verdammtes Glaskinn… Wenn ich mich wieder mit Junior anlege, nehme ich einen Totschläger oder ein paar Kragorhunde mit.« »Maschinenabteilung«, las Carroll von einem Pfeil ab, und wir bogen in einen anderen Korridor ein. Es war schon gespenstisch, durch ein so riesiges Passagierschiff ohne
Passagiere zu wandern, denn Junior und den Schatten konnten wir nicht als Passagiere bezeichnen.
Der Werkstattleiter zeigte mir, was er hatte, und sagte, er freue sich, mich zu sehen. Ich bedankte mich dafür, stellte ihm Carroll vor und deutete auf ein Bündel Ersatzauspuffrohre. »Wie groß ist der Magnet?« fragte ich Carroll. »Durchmesser sechs Zoll, Jake.« »Und diese Auspuffrohre?« fragte ich den Werkstattleiter. »Die kleinen sechseinhalb Zoll, innen.« »Haben Sie eine Spiralfeder, ungefähr sechs Fuß lang mit einem Durchmesser von weniger als sechs Zoll?« »Möglich. Stoßdämpfer. Hierher.« Er führte uns quer durch den Raum zu einer Schrankreihe, und da fand ich meine Feder. »Hast du je als Kind eine Knallbüchse gehabt?« fragte ich Carroll. »Eines dieser Auspuffrohre können wir als Lauf verwenden in der Art der alten Rückstoßgewehre. Wir müssen da nur einen Triggermechanismus anbringen, und daran kommt unser Magnet. Er schießt mit ziemlicher Geschwindigkeit hinauf, wenn ich mir diese Spiralfeder anschaue.« Carroll grinste breit. »Ziemlich ungewöhnlich«, meinte er. »Druckluft, Jake. Wie kannst du etwas ohne Druckluft tun? Die Astralot, die Fähre…« »Das hatte ich vor, als ich nach dem Durchmesser fragte, aber es ist nicht dicht genug. Wir brauchen erst mal einen Ankerrahmen, verschweißt, um das ›Gewehr‹ im Notausstieg zu halten. Dann brauchen wir eine Spann- und eine Triggervorrichtung. Gib mir mal einen Bleistift.« Ich machte ein paar Skizzen, Carroll steuerte auch ein paar Ideen bei, und fünfzehn Minuten später ließen wir von vier Maschinisten das Gerät bauen.
Carroll winkte mich ein wenig zur Seite. »Jake, ich weiß nicht, wie ich dir’s sagen soll… Natürlich will ich die Geschichte in deinem Sinn spielen, aber… Sag mal, würdest du wirklich diese Herkuliumformel zerreißen?« »Natürlich. Warum nicht?« Er schaute sehr enttäuscht drein. »Ich wollte es nur wissen.« »Erstens ist sie auf ein Papier geschrieben, das über hundert Jahre alt ist, und deshalb fällt es auseinander. Das kann ich dem Interstellaren Rat sowieso nicht geben. Ich muß zuerst eine Abschrift machen. Siehst du.« Carroll grinste über sein ganzes Gesicht. »Du elender Hurensohn, du ganz elender«, sagte er und packte meinen Arm. »Hast du etwa dem Junior geglaubt?« »Tut mir leid, Jake. Es klang so logisch.« »Wenn ich hinauflangen könnte, würdest du jetzt einen Kinnhaken beziehen. Schau mal, ich will keine Reden halten, aber dieser Herstellungsprozeß ist doch ungeheuer wertvoll. Denk doch nur mal daran, wie lange ein Haus hält, wenn du es mit einer dünnen Folie davon verkleidest. Von den Kriegszwecken wollen wir gar nicht reden. Fußböden, Schiffsrümpfe und so weiter.« »Ich sagte dir ja, Jake, es tut mir leid.« »Sauer bin ich trotzdem. Jetzt hol mal Raumanzüge und einen Helm für Helen. Wir müssen in der Luftschleuse arbeiten und mit ihr Verbindung halten.« Carroll verschwand. Ich sah den Arbeitern zu, die unser Gerät zusammenbauten, und klatschte einem anerkennend auf den Rücken, als er an meinem Trigger eine Verbesserung anbrachte. »Ich will meine Waffe zurück«, sagte der Schatten neben mir. »Wie wär’s, wenn du dich in die Hölle verziehen würdest?« fragte ich ihn.
Er grinste. »Gefällt mir nicht«, meinte er. »Ich bin in der Klemme.« »Da muß ich ja weinen.« »Ich weiß. Du scheinst aber eigentlich ein netter Kerl zu sein, und dein riesiger Kumpel auch. Ich bin ein Arbeiter, und was soll ein Arbeiter ohne sein Werkzeug tun?« Er schien es ehrlich zu meinen, aber ich bin kein großer Menschenkenner und wartete auf mehr. »Noch nie hat mir einer die Waffe weggenommen, aber dieser Carroll bewegt sich ja wie ein Blitz. Das ist demütigend, doch ich muß es eben ertragen. Aber er hat mir den Job verdorben. Mein Boß weiß es nur noch nicht. Du bist dir ja klar darüber, daß ein Privatdetektiv, der auf die Nase fällt, keine Bezahlung zu erwarten hat. Ich brauche aber das Geld. Ich war als Leibwächter engagiert, aber ihr seid zu zweit gewesen, und ich kann es erklären, daß mein Objekt bewußtlos geschlagen wurde, daß ich meine Kanone los bin – Mensch, das macht mich verlegen. Und das Geld kann ich wahrscheinlich auch abschreiben.« »Verdammt noch mal«, sagte ich nur. »Da draußen ist ein Schiff voll Toter mit Mengen von Explosivstoffen an Bord, die eine ganze Welt in Staub zerblasen können und uns dazu. Carroll und ich und Captain Wall und die ganze Crew stehen zwischen Leben und Tod von Millionen. Das ist die ehrliche Wahrheit. Und du verlangst von mir, ich soll mich darüber aufregen, daß du vielleicht kein Geld kriegst?« »Ach, Quatsch«, meinte er. »Du hast immer noch alles ins Lot gebracht, was?« Er lächelte. »Du bist doch kein Idiot. Drum verstehe ich nicht, wie du dich über solche Kleinigkeiten aufregst.« »Hör mir mal zu, Mr. Murchison«, sagte er. »Ich hab’ Vertrauen zu dir und Carroll. Ich weiß viel mehr über euch zwei als ihr glaubt. Das ausgerissene Schiff macht mir kein
Kopfzerbrechen, nur das Geld. Ich hab’ eine Frau und einen Sohn. Er ist sechs. Er ist ein liebes Kind, und er hält viel von mir. Es würde ihm gar nicht gefallen, wenn er wüßte, daß einer seinem alten Herrn die Kanone abnehmen kann. Ich will sie ja gar nicht benutzen, nicht einmal geladen will ich sie haben. Nur die Kanone. Meine Familie ist doch auch davon abhängig, daß du am Leben bleibst. Du und Carroll. Und Captain Wall würde ich aus dem gleichen Grund nicht erschießen. Und meinen Klienten auch nicht.« Das klang vernünftig. Also nahm ich die Waffe aus meiner Tasche und entfernte den Energiezylinder. »Weißt du, im Notfall hätte ich dich gerne auf meiner Seite«, erklärte ich ihm. »Laß dir die Laune nicht verderben.« »Vielleicht verlierst du sie mal. Mr. Big war noch aus, als ich den Salon verließ. Auch wenn er zu sich kommt, bevor ich zurück bin, wird er nichts davon erfahren.« Er kletterte in seinen Gig und rollte weg. Carroll kam zurück und sah wie eine Glucke mit sieben verlorenen Kinderchen drein. »Ich dachte eben, wir sollten mal ein Auge voll Schlaf nehmen. Nerven und so«, schlug er vor. »Und warum nicht? Wir haben ja noch Zeit. Ich muß nur noch Instruktionen geben.« Ich sagte also dem Werkstattleiter, was zu tun sei, Carroll warf Raumanzüge und einen Helm für Helen in seinen Gig, und wir suchten natürlich den allerschönsten Anzug aus. Dann stellten wir einen Wecker, und ich schlief sofort ein. Carroll war tot für die Welt. Etliche Stunden später hatte ich alle Hände voll zu tun, ihn aufzuwecken, und ich hielt einigen Abstand für den Fall, daß er ausschlüge. »Himmel, Jake, wir haben ja gar nicht mehr viel Zeit«, sagte er nach einem Blick auf die Uhr. »Und es ist noch eine Menge zu tun.« »Na, dann tu’s doch.«
»Ich muß Captain Wall sagen, wann sie herumschwingen und wie sie sich dem Kurs des anderen Schiffes angleichen muß, aber bei etwas geringerer Geschwindigkeit als die Clandon, und dann müssen wir das Gerät…« »Das soll die Crew installieren. Wir gehen jetzt.« Er lud die Raumanzüge und den Helm in seinen Gig, und ich folgte ihm zum Navigationsraum. »Stör ihn nicht«, sagte ich zu ihr. »Unsere Zeit wird allmählich knapp.« Wir gingen so weit wie möglich weg von Carroll. Sie sah sehr ernst drein. »Wer wird an Bord gehen, Jake?« fragte sie. »Ich natürlich.« »Aber du wirst doch sehr vorsichtig sein, nicht wahr?« Jetzt war sie nicht mehr der Captain, sondern HELEN. Wenn ein Mädchen neben mir steht und mich mit Tränen in den Augen anschaut, dann auch noch meine Hände nimmt… Ich bin kein Automat, und schön ist es auch. Wir brachen unseren Clinch ab, und mein Herz hämmerte, als sei ich eine Meile gerannt. Und dann sah ich ihr nach, als sie zum Kartentisch ging. Einmal stolperte sie, und ich lachte. Aber verklagen kann mich deshalb keiner. Carroll gab ihr seine Instruktionen, und dann gingen wir zum Notausstieg. Die Crew hatte bereits den Rahmen eingesetzt, aber für das Rohr mußte ja die Außentür geöffnet werden. Ich scheuchte alle hinaus, wir zogen die Raumanzüge an und setzten die Schleuse unter Druck. »Test«, sagte ich. »Captain Wall?« »Ja, Mr. Murchison«, sagte ihre Stimme in mein Ohr. »Carroll?« »Okay, Jake.« »Captain, wir haben jetzt viel zu tun. Du mußt jetzt auf die Uhr aufpassen und die Kursänderung vornehmen, sobald wir das sagen. Jetzt übernehmen also wir das Schiff. Du mußt uns sofort und ohne Fragen zu stellen gehorchen, wenn wir Befehle
erteilen. Das trifft ebenso auf Carroll zu wie auf mich. Verstanden?« »Ja, Mr. Murchison.« »Also gut, Carroll, öffne die Schleuse.« Wir brauchten keine Worte, wir wußten auch so, was zu tun war. Wir brachten das Rohr an seinen Platz und bereiteten alles für das Schweißen vor. »Was tun wir mit dem Junior?« fragte ich Carroll und erzählte ihm von Tibbett und seiner Waffe. »Ist schon ein Bursche«, meinte Carroll lachend. »Ober den Junior brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen.« »Aber wir tun’s. Wir kennen den früheren Orbit und vielleicht auch den Standort des Asteroiden, auf dem Phamign sein Labor hatte. Junior soll uns dort um eine Nasenlänge schlagen – oder uns wenigstens aufhalten.« »Dir wird schon was einfallen, Jake. Ist doch immer so.« »Wie soll ich mir was ausdenken, wenn wir noch zwei Tage im Hafen festgehalten werden? Sobald wir landen, kann er sich umsehen – falls wir landen.« »Wir übernehmen dieses Schiff, Jake, dann können wir selbst weitermachen. Der Detektiv ist jetzt nicht bewaffnet. Mit dem Junior werden wir schon fertig.« »Meinst du das ernst?« fragte ich und hielt das Gerät fest, während er schweißte. »Natürlich meine ich’s nicht ernst«, erwiderte Carroll lachend. »Vielleicht hab’ ich nur einen Moment mein Vertrauen zu dir verloren, als du sagtest, du würdest die Formel zerreißen. Mein Vorschlag war also nur eine unbewußte Folge dieses Verlustes.« »Du lieber Gott, laß doch jetzt den Unsinn. Du bist am Ende dieser Leine, wenn ich aussteige, und da will ich keine Sorgen wegen mangelnden Vertrauens und so.« »Brauchst du auch nicht zu haben, Jake.«
»Okay. Du hast einmal gesagt, Herkulium könne nicht analysiert werden. Wenn, dann müssen wir eben die Formel finden. Aber warum läßt es sich nicht analysieren?« »Erst will ich noch was wissen, Jake. Es ist klar, daß unsere geborgene Herkulium-Ladung mehr wert ist, als du in tausend Jahren ausgeben kannst, falls es nicht noch mehr davon gibt. Mit all dem Geld läßt sich die Raumpatrouille auf Jahre hinaus finanzieren, und in ein paar Monaten gibt es keine Piraten mehr. Aber wenn du die Formel bekommst und sie dem Rat zur Verfügung stellst, sinkt sofort der Wert der Ladung. Das weißt du doch.« »Natürlich weiß ich das.« »Warum willst du dann dich und mich und Cap um ein Vermögen bringen?« Er hatte nun das Rohr an den Rahmen geschweißt. »Fertig«, sagte er. »Deine Frage verstehe ich nicht«, sagte ich. »Monopole hasse ich, und wenn ich kann, sprenge ich die Solar. Das ganze wissenschaftliche und technische Wissen sollte dem Volk zur Verfügung stehen, das ist alles. Herrje, ich rede ja wie ein Politiker.« »Aber was haben wir davon, wenn wir die Formel übergeben und den Wert unserer Ladung selbst verderben?« »Nichts. Oder nur Lizenzgebühren für jedes Pfund Herkulium, das von jetzt an hergestellt wird.« »Ah, daran habe ich nicht gedacht. Okay, Jake. Ich will dir sagen, warum Solar kein Interesse mehr an der Analyse von Mustern hat. Wieder mal das Buch meines Großvaters. Da wird in einem Abschnitt beschrieben, wie Herkulium jeder bekannten Kraft widersteht, aber es heißt dort auch, und ich kann es wörtlich zitieren, die atomare Struktur von einem Bestandteil verändert sich. Mit anderen Worten: eine Transmutation findet statt.
Verstehst du, was das heißt? Das Endprodukt kannst du analysieren, aber wenn du die Elemente kombinierst, kriegst du nur einen Metalleintopf. Wir müssen also diese Formel bekommen, Jake. Weil ich genauso denke wie du.« »Du solltest wirklich Politiker werden«, sagte ich. »Die Clandon ist in Sicht«, meldete Helen. »Und ich denke, ihr seid einfach großartig. Habt ihr vergessen, daß ich auch eingeschaltet bin?« Das hatte ich glatt vergessen. »Und du bist auch ganz schwer in Ordnung«, sagte ich. »Wir wollen ungefähr auf hundert Fuß an die Clandon herankommen. Das Manövrieren ist dein Problem. Also, weiter.« »Ja, Mr. Murchison«, antwortete sie. Jetzt mußten wir warten, aber wir füllten die Zeit aus. »Weißt du, wie groß der Zug ist, dem du ausgesetzt bist?« fragte Carroll. »Hab’ daran gedacht.« »Dann verstärken wir besser unsere Handschuhe für das Kabel.« Das taten wir auch. Und dann kam unter uns die Nase der Clandon in Sicht. »Langsam Geschwindigkeit zulegen, Captain«, sagte ich. »Und jetzt wieder etwas weniger… Hier halten… Fertig?« fragte ich Carroll. Er nickte und legte eine Hand auf den Schalter. Ich zog den Trigger. Der Magnet schoß hinaus. Carroll legte den Schalter um. Der Magnet befestigte sich am Ausreißer. Zwischen uns bestand nun eine Verbindung. »Jetzt die Geschwindigkeit beibehalten«, befahl ich und glitt das Rohr entlang. »Das wär’s also«, sagte ich. Es ist ein heikler Gedanke, an einer dünnen Leine im Raum herabzurutschen, ohne daran verankert zu sein. Meine Arme schmerzten schon vor Anstrengung, und wenn der Zug mich losriß, würde das Schiff sein Ziel erreichen und explodieren.
Ich würde im Raum herumschweben, bis ich stürbe, falls ich nicht vorher gerettet würde. Endlich erreichte ich den Rumpf. Ich folgte einer niederen Führungsschiene zum Notausstieg und öffnete ihn mit dem an meinem Handgelenk befestigten Stemmeisen. In der Luftschleuse drückte ich den Knopf, um den Druck aufzubauen. »Ich bin innen«, sagte ich und hörte, wie beide aufatmeten. Dann öffnete ich die innere Schleuse und betrat das Schiff. Sie sahen nicht so schlimm aus wie die Leute auf der Astralot, aber sie waren blau und verkrampft. Ich schaute sie möglichst wenig an, als ich zum Navigationsraum ging. Dort waren der Wachoffizier und ein Steward gestorben, sonst niemand. »Wieviel Zeit haben wir?« fragte ich. »In fünfzehn Minuten tauchen wir in die Atmosphäre von Arcton ein«, antwortete Helen. »Ich muß erst den Schlüssel für diese Instrumentenwand finden… Ah, wo ist er? Carroll, einholen. Und Daumen halten, hörst du?« »Viel Glück, Jake«, flüsterte er. »Beeil dich.« Ich mußte eine blaue Pilotenuniform finden. Da fiel mir etwas ein, und richtig, er lag an der Tür des Waschraumes. Armer Kerl. Ich fand den Schlüssel und stapfte zurück, sperrte die Instrumentenwand auf und berichtete Helen. »Und was jetzt?« fragte ich sie. »Da ist eine horizontale Wählscheibe. Hast du sie? Die stellst du auf siebzig, die vertikale auf drei. Damit kommst du in einen Orbit um Arcton. Wir hängen dich an und bringen dich herein.« »Und das Gas, Carroll?« fragte ich. »Sind alle tot an Bord?« »Außer mir. Ist nicht schön. Reden wir nicht drüber.«
»Du hast einen Raumanzug an. Mach die Ventile auf.« »Jake«, sagte Helen. »Ja?« »Ach, nur so, Jake. Nur Jake.« »Danke, Baby.« »Sag mal, Jake«, meldete sich Carroll. »Den Junior mußte ich noch mal bearbeiten.« »Mußtest du wirklich?« »Vielleicht nicht. Vielleicht ist’s nur eine Gewohnheit. Aber er hat was von professionellen Helden gesagt, das mir nicht paßte. Der Schatten bindet ihn gerade in einen Bunk und jammert über das Geld.« »Biete ihm doch einen Job bei uns an.« »Hab’ ich. Ist mit beiden Beinen drauf angesprungen.« Da erreichten wir die Atmosphäre, so daß eine Verständigung nicht mehr möglich war. Ich war im Orbit und allein in einem Schiff voll Leichen. Es gefiel mir gar nicht. Auch als ich schon das Schiff gelüftet hatte, war mir noch übel. Meinen Helm wagte ich aber nicht abzunehmen. Nach einiger Zeit meinte ich, nun müsse die Luft rein sein. Ich nahm den Helm ab und schnupperte. Dann schaltete ich den Schirm ein. Helens Gesicht erschien. »Alles in Ordnung?« fragte sie. »Ich glaube schon. Jedenfalls lebe ich noch.« »Cap ist hier. Hat angeklopft, als wir landeten.« Caps silbriger Kopf füllte den Schirm aus. Er lachte breit. »Ich weiß ja nicht, was du dem Generalkontrolleur angetan hast, aber es muß schon was gewesen sein, Jake«, sagte er. »Ist der Scheck gekommen?« »Innerhalb von zwei Stunden. Wir warten nur noch auf dich, dann können wir abheben. Die Schlepper sind unterwegs.« Es sah aus, als habe Helen Cap Lane weggeschoben.
»Jake, ich weiß nicht, wann ich dich wiedersehe. Vergiß nicht, mir ist egal, was die Leute sagen. Ich meine, du bist ein schmucker Bursche.«
V Klein-Joe
Als Schulbuben pflegten wir zu sagen: ‘ne Menge Leute tot, und alle Sterne voll Blut. So war es, und nur weil ich es vorzog, lieber lebendig gefressen als gebraten zu werden, kam ich oder das, was von mir noch übrig war, lebend von diesem Piratoiden weg. Der Doktor meint, die Haut wächst ja zum Teil wieder nach. Alles an diesem Dienstagmorgen war gut. Die Delphin war beladen, man hatte uns für die Jobs auf Arcton bezahlt, und Cap, Carroll, Pat und ich studierten im Kontrollraum die Sternkarten. Pat hatte den wahrscheinlichen Orbit des verlorenen Asteroiden errechnet und erklärte ihn gerade, als das grüne Licht auf unserem Schirm zu flackern begann. Ich legte den Schalter um und sah das grimmige Gesicht des Port Patrol Offiziers, Colonel Gray Hardy. »Wer von euch ist Jake Murchison?« fragte er. »O Heiland«, sagte ich. »Was habe ich jetzt wieder angestellt?« »Kommen Sie sofort in mein Büro«, befahl er. »Tut mir leid, ich muß Ihnen von hier aus den Abschiedskuß geben. Wir sind in einer Stunde im Raum.« Seine grimmige Miene lockerte sich. »Gut! Ich wußte nicht, daß Sie schon so weit sind. Kommen Sie sofort her.« »Ah, Colonel, ich hab’ mich ja noch nicht mal von meinen Mädchen verabschiedet.« »Das ist sehr ernst, Murchison. Und ein Befehl.«
»Okay«, brummte ich und schaltete aus. Ich rief nach einem Taxi und fragte Cap: »Was könnte Solar jetzt wieder eingefallen sein?« Cap schob seine Skippermütze aus der Stirn. »Jake, du mußt hingehen. Raumpatrouille ist Gesetz.« Pat hob sein wettergegerbtes Gesicht von der Karte, und seine smaragdfarbenen Augen blinzelten. »Das ist dein Charme, Jake. Immer will dich jemand wegen irgend etwas.« »Wir brauchen eigentlich den Kurs noch gar nicht festzulegen«, brummte ich. »Hab’ so eine Ahnung, daß wir niemals die Jagd nach Phamigns Labor aufnehmen. Komm, Carroll, wir gehen zur Landebühne.« Carroll richtete sich auf und entfaltete seine ganzen sieben Fuß Höhe. »Ich?« fragte er mit dieser sanften Stimme, die wie Musik aus einem Berg klang. »Mit dir?« »Klar. Ich könnte dich brauchen. Vielleicht muß ich jemanden verprügeln lassen.« Wir gingen zur Bühne, die dreihundert Fuß über dem Boden lag, und da kam auch schon das Taxi. Carroll faltete sich zusammen, und dann waren wir auch schon unterwegs. Da stand, ein wenig verkleinert durch die Entfernung, die Andromeda, und ihre stolze Nase ragte eine Meile in die Luft. Dort wartete jetzt Captain Helen Wall von der Solar System Salvage Co. Ltd. darauf, daß ich ihr all das ins Ohr flüsterte, was man einem Mädchen sagt, wenn man sich für eine Weile verabschieden muß. Wie eine Feder landeten wir vor dem bewachten Gebäude der Raumpatrouille, und dafür bekam der Chauffeur auch ein extrafeines Trinkgeld. Ich wies mich beim Posten aus und erklärte nach einem mißtrauischen Blick auf Carroll, er sei mein Schatten. »Ein furchtbar großer Schatten, mein Lieber. Für Sie hab’ ich einen Befehl, aber nicht für den Schatten.«
»Dann geb’ ich Ihnen einen. Er kommt mit mir«, antwortete ich. Nach einigem Hin und Her rief der Posten Colonel Hardy an, und dann konnten wir zu dessen Büro weitergehen. Ganz so einfach war es allerdings nicht, denn wir wurden ordentlich gefilzt und mußten schwören, nie, nie, niemals etwas von dem weiterzusagen, was wir im Sanktissimum sahen oder hörten. Die Strafen dafür wurden uns vorgelesen, und es waren ziemlich trockene und bürokratische Sätze, aber mir lief es doch eiskalt den Rücken hinab. Dann durften wir hineingehen. Colonel Gray Hardy saß an seinem Schreibtisch und bot uns Stühle an. Ich setzte mich nicht sofort, denn der Raum war für mich eine Überraschung. Er war groß genug, um all das zu enthalten, was darin stand oder saß, aber nicht größer, und die Männer und Frauen schienen uns gar nicht zu bemerken, denn sie schauten nicht auf, als wir kamen. Der Colonel betätigte einen Schalter. Ein Schiff füllte einen Schirm aus. Es war ein riesenhaftes Ding, dieses arme, verkrüppelte Schiff, und das Emblem der Raumpatrouille – die Erde darauf erschien dreidimensional – war stellenweise braun verbrannt. An der Seite hatte das arme Schiff einen Riß von etwa hundert Yards Länge. Langsam drehte es sich um seine Achse. Ich pfiff. »Mäuschen«, sagte ich. »Ja«, brummte Hardy. »Süße kleine Mäuschen.« Was er damit meinte? Nun, Piraten, Mörder, dreckige Hunde, die einzigen aus Kragor entkommenen Verbrecher, die schlimmste Halsabschneiderbande der ganzen Geschichte. »Also keine Überlebenden«, murmelte Carroll. »Ganz im Gegenteil«, erklärte Hardy. »Unsere Schiffe tragen Waffen, die…« Er skizzierte die Waffen, ihren Typ und ihre Zerstörungskraft. »Captain Tommy Garfield hat die
Piratenflotte mit fünf Schiffen zusammengeschlagen. Die Schäden reichen von Kleinigkeiten bis zur totalen Manövrierunfähigkeit. Die Schiffe zogen sich zurück und hinkten davon. Wir glauben, zu ihrer Basis. Von unserem Personal wurde niemand getötet, aber das Schiff…« Er deutete auf den Riß. »Wenn es eine Herkuliumverkleidung hätte…« sagte ich. »Hat es aber nicht«, knurrte er. »Schuld von Solar. Wir haben jede Menge davon, aber es war ja bis vor kurzem beschlagnahmt.« »Ist auch egal. Jedenfalls will ich, daß dieses Schiff wieder operationsfähig wird. Wenn Sie’s schnell schaffen können^, wäre es möglich, das Versteck der Bande zu finden und sie auszurotten. Sie wissen ja selbst, daß es die schlimmste… Für Sie liegt einiges drin, einschließlich ein Teil der Belohnung, wenn wir Little Joe und seine Mörderbande erledigen.« »Was ist mit den Reparaturschiffen der Raumpatrouille?« »Das nächste ist eine Woche weit weg. Sie sind da. Sie haben das nötige Material oder können es sich besorgen, um den Rumpf wieder zu flicken, damit die Männer an Bord endlich wieder aus ihren Raumanzügen herauskommen.« »Wir sind aber keine Reparaturfirma«, wandte ich ein. Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Damit kommen Sie nicht durch. Die Space Salvage, Inc. erfreut sich des Rufes, alles zusammen für alle Menschen in Schwierigkeiten zu sein. Sie können den Job tun, und Sie werden ihn auch tun. Das ist ein Befehl, Mr. Murchison.« »Seien Sie doch nicht gar so förmlich. Sagen Sie lieber Pechvogel zu mir. Wissen Sie, was Sie mir antun? Aber das ist vertraulich. Wir haben einen Hinweis darauf, wo das Labor von Professor Phamign sein könnte. Sie wissen doch, das war der Bursche, der den Herstellungsprozeß von Herkulium erfand.«
»Das weiß ich.« »Also wissen Sie auch, daß wir alles existierende Herkulium geborgen haben?« »Ja, aus dem Wrack, der Astralot. Und weiter?« »Okay. Wir rieben uns natürlich die Händchen, als wir dachten, das sei alles Herkulium, das es je geben würde, denn es war ein unermeßliches Vermögen wert. Vor kurzem erfuhren wir, daß er Notizen zum Herstellungsprozeß zurückgelassen hat, die möglicherweise in seinem Privatlabor auf irgendeinem Asteroiden zu finden sein müßten, und dieser Asteroid ist irgendwohin in den Raum gewandert. Wir glauben, wir können ihn finden.« »Tun Sie zuerst diesen Job, und dann fröhliche Jagd.« »Hören Sie, Colonel. Sie wissen doch, daß Solar System Salvage uns dauernd im Genick sitzt. Wir konnten das Herkulium nicht verkaufen, weil sie für dessen Beschlagnahme sorgten, und auch sonst haben sie uns reichlich geärgert. Und sie werden auch alles tun, um uns diese Formel abzujagen.« Er zuckte die Achseln. »Na, und? Ist doch egal, wer sie hat. Hauptsache ist, sie wird gefunden.« »Ich möchte sie aber dem Rat übergeben, damit es der Menschheit gehört, so daß es zum Vorteil aller produziert und verwendet werden kann. Ich weiß nicht, was Solar damit tun würde, aber ich habe gewisse Ahnungen. Sie haben einige ziemlich scharfe Leute. Vielleicht stellen sie’s nur her und verkaufen es eine Weile, damit wir auf dem unseren sitzen bleiben. Also will ich ihnen zuvorkommen und dem Rat die Formel übergeben, gegen eine Lizenzgebühr natürlich.« »Sehr lobenswert, Jake. Sie haben meine volle Sympathie. Aber wenn sie Ihnen einen Markt stehlen, dann haben sie ihn. Die Vernichtung dieser Piratenbande ist jetzt aber wichtiger als alles andere, und Sie werden uns helfen.«
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte ich. »Natürlich will ich Ihren Job tun, aber mir tut’s leid, daß wir offensichtlich die einzige Firma sind, die in der Nähe ist.« Ich schaute Carroll an. »Fertig?« Carroll hatte sich Notizen gemacht. »Hm. Ja. Wie ist der Kurs?« Er bekam ihn auf einer Karte eingezeichnet, und wir zogen ab. »Du kannst dich um das kümmern«, sagte ich zu Carroll. »Ich muß jetzt Helen sehen. Nicht mal die Raumpatrouille wird mich darum betrügen.« Carroll grinste breit. »Gib ihr einen Kuß von mir.« »Hab’ nichts übrig«, erklärte ich ihm.
Helen ging mir auch dann nicht aus dem Kopf, als wir Platten auf den Rumpf der Starshot nieteten. Immer sah ich rotes Haar und grüne Augen vor mir und korallenrote weiche Lippen. Meine magnetischen Schuhe hielten mich am Rumpf fest, und stand man im dunklen Vakuum, war das ungefähr so, als liege man dort, wo Schwerkraft ist. Ich brauchte also nur ein bißchen die Augen zu schließen, dann hörte ich sie wieder. »Jake, Jake. Leb’ wohl, Jake.« In ihrer Stimme waren Tränen. »Verdammt«, sagte ich und vergaß, daß ich in mein Helmmike sprach. »Was ist los?« fragte Captain Tommy Garfield. »Brauchst du mich?« wollte Carroll wissen. »Entschuldigung. Hab’ nur grade an etwas gedacht… He, Pete, jetzt hier verschweißen.« Endlich konnte ich die Crew wieder zur Delphin zurückschicken und Tommy Garfield melden: »Alles fertig.«
»Gut«, antwortete seine Stimme. »Wollen Sie mit diesem Riesen an Bord kommen?« »Sicher. Aber warum? Wir sind fertig.« »Das ist vertraulich.« »Okay. Carroll, bring das Rettungsboot.« Captain Garfield erwartete uns im Kontrollraum. Einen Arm trug er in der Schlinge. Sein Gesicht sah überanstrengt aus, und dabei war er noch keine dreißig Jahre alt. Das ganze aktive Personal der Raumpatrouille war nicht älter. Das Schiff war mit Luft vollgepumpt worden, und wir konnten unsere Raumanzüge ausziehen. »Sie kommen mit«, erklärte er uns ohne Umschweife. »Aus welchem Grund?« »Einige unserer Waffen wurden beschädigt und taugen jetzt nicht viel. Mein erster Werkstattmann ist schwerer verwundet als ich. Jetzt sind wir wieder reisefähig, aber ich möchte, daß Sie und Carroll unterwegs noch einiges reparieren. Natürlich wird das zusätzlich bezahlt.« »Okay. Aber unter einer Bedingung.« »Moment.« Er hob eine Hand. »Ehe Sie Fragen stellen, möchte ich Ihnen sagen, daß dies nicht zu Ihrem Job gehört. Sie müssen nicht. Ich werde, sobald wir Little Joe und seine Bande finden, zum Schlag ausholen. Sie könnten dabei umkommen. Also ist es ein freiwilliger Job.« »Na, gut«, erwiderte ich ungeduldig, »aber wir bringen unseren eigenen Piloten mit.« »Oh, nein. Mein Pilot ist schon in Ordnung.« »Aber er ist nur ein Pilot der Raumpatrouille.« »Ist denn das so schlimm?« wollte er wissen. »Klar, wenigstens vergleichsweise. Ich habe einen guten Trick. Cap… oh, Teufel noch mal. Tommy!« Er grinste. »Ja, Jake?«
»Erst müssen Sie meine Einstellung verstehen. Ich betrachte Sie als Captain der Raumpatrouille, und ich weiß, was das heißt. Unter einer Million ist ein Mann dafür qualifiziert. Ich bin nur ein ziemlich guter Rettungskumpel und entsprechend demütig, wenn man es manchmal auch nicht glaubt. Ich bitte also um einen Gefallen, der eine gesunde kommerzielle Basis hat.« »Ich höre gerne zu. Sie sind nie langweilig.« »Danke. Ihr Job ist die Vernichtung dieser Piraten, und weil wir schnell gearbeitet haben, können Sie die Bande verfolgen und vielleicht finden. Wenn Sie die Bande in einer Gruppe finden, brauchen Sie, soviel ich weiß, nur einmal zu schießen. Richtig?« »Richtig.« »Und das hieße totale Vernichtung?« »Es würde nicht mal genug für einen gefälschten Penny übrig bleiben.« »Das dachte ich mir. Wir sind ein Rettungsunternehmen, um Geld zu verdienen. Wenn wir diese fünf Schiffe bergen könnten, ob es nun Wracks sind, oder nicht, kämen wir gut dabei weg. Natürlich können wir nicht darauf bestehen, kassieren zu wollen, aber Sie würden uns einen Gefallen tun, wenn Sie mir die Chance gäben.« Er überlegte ein paar Minuten. »Aber weshalb Ihren eigenen Piloten? Ich kann es mir ja mal anhören, ohne etwas zu versprechen.« Ich erzählte ihm von Pats Qualifikationen und beschrieb die Rettung der Andromeda. »Es war wirklich eklig. Immer mußte die genaue Entfernung und Geschwindigkeit eingehalten werden, um das Schiff wegzuholen von diesem Riesenmagneten. Und darum geht es: Die Leute von der Raumpatrouille sind ausgebildet, genau nach festliegenden Regeln zu handeln. Wir müssen dagegen immer improvisieren,
und ich fühle mich dabei sicherer, wenn Pat an den Kontrollen sitzt.« »Und wie sieht Ihr Plan aus?« »Ich habe noch keinen. Vor allem brauche ich mehr Daten. Und Pat ist ein-blitzschneller Rechner. Er astrogiert im Kopf.« »Tut mir leid«, sagte Tommy nach einigem Schweigen. »Die Vorschriften.« Nach einer Weile fiel Carroll ein: »Er war Pilot der Raumpatrouille, ehe er die Altersgrenze erreichte.« »Das stimmt«, bestätigte ich. »Mit dreißig mußte er den Dienst quittieren, aber er redet nie darüber, so daß ich’s vergessen habe. Also weiß Pat hier genau Bescheid. Und er hat mir gegenüber nie ein Wort über die Geheimnisse der Raumpatrouille verlören.« »Hm. Das ist etwas anderes«, gab Tommy zu. »Gut. Er kann an Bord kommen. Aber selbstverständlich gut das, was ich sage. Ich spiele immer mit, wenn Ihnen etwas Gutes einfällt, weil ich weiß, daß Sie immer mit der richtigen Seite oben aufkommen, aber meine Entscheidung ist endgültig.« »Dann vielen Dank, Tommy.« Ich schickte Carroll, er solle Pat holen, und sprach mit Cap über die abgesicherte Verbindung. Das heißt, niemand konnte am Schirm das Spielzeug im Kontrollraum sehen, und das war schon etwas. »Du folgst uns so gut wie möglich«, sagte ich. »Wir werden mal wieder an Bord kommen wollen.« Ich schaute mir die Instrumente an. »Tu, was du für richtig hältst. Wir werden dich schon finden. Verirren kannst du dich ja nicht.« Es dauerte nicht lange, bis wir die Akzelerationsbunks verließen, und dann bat ich Tommy um Skizzen der Dinge, die repariert werden mußten. Er schickte eine Ordonnanz, um sie holen zu lassen.
»Der Himmel sei Ihnen gnädig, wenn Sie je ein Wort über diese Dinge flüstern«, sagte er. »Sie sind einmalig im ganzen Sonnensystem.« »Tun wir nicht«, versprach ich. »Pat, du weißt, wie diese Dinger hier zu behandeln sind. Halte dich auf jeden Fall außerhalb der Reichweite der Piraten und sag’ mir, wenn dir was ein- oder auffällt.«
Zusammen mit Carroll studierte ich die Planzeichnungen und machten uns an die Arbeit an den interessantesten Dingen, die ich je gesehen hatte. Pat half uns immer wieder mit seinem Rat, und wir waren gerade mit dem letzten Stück fertig, als Pat sich wieder meldete. »Nun, Jake«, sagte Pat so ruhig, als frage er nach der Uhrzeit, »ich dachte zwar, wir würden sie nie finden, aber da sind sie.« »Gut. Bleib so. Wir kommen.« Ich saß vor dem Bildschirm. Im Kontrollraum übersetzte Pat die Instrumentenziffern in konkrete Daten. »Planetoid«, sagte, er. »Ungefähr tausend Meilen Durchmesser. Schwerkraft null-Punkt-neun. Das ist wohl ihr Landefeld, wo alle Burschen an diesen fünf Schiffen arbeiten. Kein Hinweis auf Unterkünfte oder Gebäude irgendwelcher Art. Muß es aber geben, da sie eine künstliche Atmosphäre haben.« »Hm. Außerordentlich interessant«, bemerkte ich. »Künstliche Atmosphäre. Das heißt, sie haben ein Atmosphärenwerk. Haltet alle den Mund, ich glaube, ich habe eine Idee.« Sie warteten, und ich schaute mir das Spielzeug an, das die ganze Flotte zeigte. »Sie können uns nicht entdecken?« fragte ich.
»Nein, nicht bei dieser Entfernung. Die verschiedenen Geräte hier sind alle von einer Firma und ausschließlich für uns hergestellt. Niemand außer uns kennt sie.« Allmählich klärte sich einiges in meinem Kopf. »Und wie klingt das? Angenommen, Carroll und ich nehmen das Rettungsboot der Delphin. Wir landen am Fuß dieser Hügelkette direkt bei Einbruch der Dämmerung. Wir könnten dann bei Nacht diesen Paß überschreiten und bei Einbruch der Morgendämmerung in Sichtweite des Piratenfeldes sein. Wir nehmen alles an Waffen mit, was wir tragen können, diese Seitenwaffen etwa, auch eine Lähmungsbombe – und ich lasse mich dann gefangennehmen.« »He, da komm ich nicht mit«, sagte Tommy. »Noch mal, und langsamer!« »Captain Garn’eld, wäre es für die Raumpatrouille nicht nützlich, ein paar Kleinigkeiten über diese Anlage zu kennen? So für alle Fälle und die Zukunft.« »Sicher, das ist ja auch der einzige Grund, daß ich zuhöre.« »Schön. Ich lasse mich also einfangen, aber an meinem Schenkel habe ich eines dieser Dinger.« Ich deutete. »Ich lasse es aktiviert, und dann können Sie aufnehmen, was vorgeht. Carroll wird auch eines haben und kann also abschätzen, wann er mit der Lähmungsbombe kommen muß. Dann rasen wir wie die Irren zur Atmosphärenanlage und sperren die Luft ab. Was bleibt ihnen anderes übrig, als sich zu ergeben? Kein Blutvergießen, kein Theater.« »Idiotisch genug ist es, daß es funktionieren könnte«, meinte Tommy. »An diesen Schiffen müssen mindestens zweihundert Leute arbeiten.« »Also fürchten sie einen einzigen Mann bestimmt nicht. Und für uns ist es eine todsichere Sache. Selbst wenn etwas schief ginge, könnten Sie immer noch die ganze Bande ausrotten.«
»Vergessen Sie nicht, Sie wären dabei«, sagte er nachdrücklich. »Wenn ich schießen muß, dann stirbt alles im Umkreis von fünfzig Meilen.« »Hm. Ja. Das ist natürlich zu überlegen… Carroll, meinst du, wir schaffen es?« Er lächelte langsam und sanft wie immer, lieb wie ein nettes Mädchen. »Schaffen wir’s nicht immer? Gib mir eine Lähmungsbombe, damit bin ich ganz glücklich.« »Nun?« fragte ich Tommy. »Klar, wir versuchen es. Ich kann euch fünfzehn Stunden Zeit geben. In zwanzig Stunden können sie diese Schiffe reparieren, und ich will nicht noch mal einen Kampf mit ihnen, der aus fünf Richtungen kommt. Am Ende der fünfzehn Stunden greife ich an. Und habt ihr bis dahin nicht die Lage unter Kontrolle, dann wißt ihr, was passiert. Ihr macht das freiwillig, und ihr werdet auch ein diesbezügliches Schriftstück unterzeichnen, nur für den Fall, daß es euch erwischt.«
Wir landeten am Eingang zum Paß und hatten von der Nachtseite her Dämmerung, in deren Schutz wir uns hinaufstehlen konnten. Eine Straße oder auch nur einen Pfad gab es nicht, sondern überall nur nackte schwarze Felsen, darauf eine langfädige, moosähnliche Substanz in grünlich brauner Farbe, die sehr trocken war und knisterte und wie nasses Linoleum roch. Es war aber nicht der einzige Geruch. Die Luft war sauber und süß, aber irgendwie erinnerte sie mich an die Farbe puderblau. Warum? Das weiß ich nicht. Aber der Geruch war angenehm. Eine Stunde brauchten wir bis zum Paß, dann schlugen wir unser Lager auf; ohne Licht natürlich. Abwechselnd standen wir bis zum Morgen Wache, dann gingen wir hinab und
näherten uns dem Piratenlager bis auf etwa eineinhalb Meilen. Wir schauten ein bißchen wie Idioten drein. Die Gebäude sahen alle wie Felstrümmer aus, so daß von der Luft aus der Planetoid verlassen aussah – falls niemand sich bewegte. Jetzt ging es natürlich ziemlich hektisch zu, denn viele Männer schwärmten über die beschädigten Schiffe. Little Joe wollte sie wahrscheinlich schnellstens wieder in der Luft haben, so daß er die Raumpatrouille endgültig erledigen konnte. Jeder, der wollte, konnte also genau sehen, was vorging. Ich rief Tommy über das Ding an meinem Bein an und unterrichtete ihn von dem, was ich sah. »Das ist jetzt Ihre letzte Chance, vernünftig zu sein«, meinte er. »Sie waren doch damit einverstanden«, erinnerte ich ihn. »Und wir haben immer noch gute viereinhalb Stunden Zeit.« »Eure Chance ist aber verdammt gering.« »Vielleicht. Es ist aber jeder Schritt genau überlegt.« »Von jetzt an, Jake, lassen Sie das Ding immer an«, riet er mir. »Falls etwas schief geht, muß ich mich auf mein eigenes Urteil verlassen.« »Tommy, machen Sie mich nicht nervös. Ich weiß, wenn Sie schießen müssen, sind Carroll und ich tote Kinderchen, aber geben Sie mir die Chance bis zur letzten Sekunde. Dann schalte ich das Ding nämlich ab, bis ich was Positives erzählen kann. Wenn ich denken muß, Sie hören mit, und es geht etwas schief, dann könnte ich mir vorstellen, daß Sie wie ein Habicht herunterschießen.« »Ah, ich verstehe.« Er lachte. »Okay. Aber seid vorsichtig.« Ich schaltete das Ding ab. »Na, und wie stehen wir?« fragte ich. »Wir gehen die Sache noch mal durch«, sagte Carroll. »Du gehst hinein und läßt dich gefangennehmen. Dann schaltest du
dein Ding ein, und ich hab’ das meine auf Empfang. Ich beurteile dann selbst, wann ich mit der Lähmungsbombe und meinem Superspezialschießeisen komme. Du versuchst herauszukriegen, wo diese Atmosphärenfabrik ist, und wir beide kommen dorthin, wenn wir können. Richtig?« »Klingt doch ganz einfach, was? Wofür sind nur diese Käfige am Feldrand?« »Keine Ahnung. Hab’ mir auch schon darüber den Kopf zerbrochen.« Später kriegten wir schon heraus, wofür die waren. Aber jetzt war es Zeit anzufangen. Wir schüttelten einander die Hände, und ich ging den Hügel hinab. Und da hörte ich dann die Stimme. »Absolut stillstehen, bis wir dich entwaffnet haben.« Es war die gemeinste Stimme, die ich je gehört hatte, auch die gefährlichste, und man darf mir glauben, ich tat genau das, was sie verlangte. Stiefel klapperten den Paß herab, und Carroll wurde seiner Waffen und der Bombe beraubt. Hände tasteten mich ab, fanden nichts, und ich erlaubte mir, meine Eroberer zu beäugen. Der Anführer, die Stimme, sah noch gemeiner aus, als er redete. Er hatte ein Auge und schmutzige Ohren. Die anderen beiden waren gewöhnlichere Galgenvögel. »Wo seid ihr beide runtergefallen?« fragte der Gemeine. »Komisch, und ich hab’ mich schon gewundert, wo ihr runtergefallen seid«, sagte ich. Ich sah weder den Anfang, noch das Ende des Schlages, aber ich stieß plötzlich mit etwas zusammen, das ich später als seine Faust identifizierte, und ich verlor prompt das Interesse an den Geschehnissen. Als ich wieder zu sprechen war, dachte ich ziemlich ängstlich an die Zeit. War Tommy schon unterwegs, um uns alle –
Carroll und mich eingeschlossen – zu Staub zu zerblasen? Aber diese Sorge war nichts im Vergleich zu dem, was ich sah, als ich die Augen aufmachte, denn direkt über mir war das häßlichste, abstoßendste und gefährlichste aller Gesichter, die ich je gesehen hatte. So was kam nicht mal in meinen schlimmsten Alpträumen vor, dieser breite Kopf mit den heißen, gelben Augen, den mächtigen Kiefern und langen Stoßzähnen. Der Kerl sagte nichts, er legte nur die Ohren zurück und schaute mich an. Unwillkürlich schrie ich und rollte mich über einen dicken, wundervollen Teppich ab, worauf viele Männer wiehernd lachten. Da sah ich, daß der zweihundert Pfund schwere Kragorhund im Käfig war. Sobald ich mich rührte, lief er auf seinen sechs Beinen hin und her. Wenn ich ein schwaches Herz gehabt hätte, wäre ich schon an diesem Anblick gestorben. Der Gefährte dieses Biestes lag uninteressiert in einer Ecke. Da sah ich dann auch, daß das Wiehern von einer Bande kam; einer war häßlicher als der andere, die meisten sahen so aus, daß es einem übel werden konnte. »Ein feiner Witz«, sagte ich, als sie sich wieder beruhigt hatten. Carroll war von etlichen dieser Banditen umringt. Alle hatten ihre Waffen auf ihn gerichtet. Seine Nase war schief und blutete. Ein Auge war geschwollen, schwarz, grün und gelb. Aber sein Lachen war so lieb und sanft wie immer. Dann entdeckte ich ein paar Männer in einer Ecke, die sich nicht bewegten. Sie sahen sehr tot aus. Die Beobachtungen hatte ich in zwei Sekunden gemacht. Ich schaute auf die Uhr. Noch eine Stunde hatten wir Zeit. Ich stand umständlich auf und schaltete dabei das Ding an meinem Bein ein. Ich konnte Tommy wenigstens noch ein paar Informationen zukommen lassen.
»Das Vergnügen ist vorbei, Männer«, sagte ein kleiner, flinker Mann. »Zurück an die Arbeit.« Alle, bis auf ein paar, bewegten sich zur Tür. »Junge, Junge«, sagte er grinsend und zeigte dabei abgebrochene Zähne, »warst du spaßig.« »Du nicht«, sagte ich. »Wart’ nur, bis die Hunde im gleichen Raum mit dir losgelassen werden.« Ich schwieg voll Würde, und wenig später waren wir allein: Carroll, die Leichen in der Ecke, meine ›Eroberer‹, der kleine flinke Mann – Little Joe – und die Hunde. Der Wildere von den beiden schien an mir besonders interessiert zu sein, denn die gelben Augen hingen ständig an mir. »Wollen wir… zum Geschäft kommen?« fragte Little Joe höflich. Das war also der gefürchtetste, verzweifeltste und skrupelloseste Verbrecher, den es gab. Er war aus Kragor entkommen, wo nur verurteilte Verbrecher lebten, die man dorthin verbannt hatte. Und er hatte nicht nur seine Kumpane, alles Gangster, mitgebracht, sondern auch eine ganze Meute dieser tödlichen Hunde. Es mußten viele sein, und jetzt begriff ich auch die Käfige draußen. »Geschäft? Zu wessen Geschäft?« fragte ich. »Mr. Murchison«, meinte er freundlich lächelnd, »ich glaube, für mich ist mein Geschäft wichtig. Meine Wächter sichteten das Rettungsboot der Delphin und kamen zum Nachsehen herunter. Erstaunlich, daß man Sie fand. Woher kamen Sie denn?« »Meine Mutter hat immer gesagt, mich hat der Storch gebracht.« Er seufzte. »Nun, ich kann Sie zu keiner Antwort zwingen, Sie aber vor einer Wahl stellen. Sterben werden Sie auf jeden Fall. Sie können nur wählen, wie. Geben Sie mir nicht die
gewünschte Information, werde ich die Hunde auf Sie loslassen. Obwohl Carroll hier der stärkste Mann ist, den ich je gesehen habe«, – er besah sich die bewegungslosen Männer in der Ecke – »gegen einen dieser Hunde kommt er doch nicht an. Oh, und sie lieben lebendes Fleisch! Ich kann auch mehr Hunde hereinbringen. Mann gegen Hund, das wäre doch aufregend, nicht wahr?« »Und diesen herrlichen Teppich wollen Sie vielleicht ruinieren?« Es war ein sehr schönes Stück. Er zuckte die Achseln. »Von dem Zeug habe ich ein ganzes Lager.« »Da haben Sie sich ja ganz schön was zusammengestohlen«, sagte ich. »Mr. Murchison, Sie dürfen ruhig Ihre Meinung sagen, denn tot sind Sie ja schon«, meinte er freundlich. »Ja, in meinem… Geschäft habe ich einiges zusammengetragen.« »Mord und Folter, ja.« »Oh, natürlich. Ich finde es sehr amüsant, Menschen sterben zu sehen. Nicht die, welche wir töten, wenn wir ein reiches Schiff abfangen, denn das ist nur Geschäft. Viel lustiger ist es, die Gefangenen gegen die Hunde auszuspielen. Darüber können wir alle herzlich lachen.« Ich beschloß, ziemlich geradeaus zu sein. »Wo ist die Atmosphärenanlage?« fragte ich. Er zögerte. Seine schwarzen Augen musterten mich scharf, dann hob er die schmalen Schultern. »Oh, natürlich. Mit der Information können Sie sowieso nichts anfangen. Am Ende dieses Korridors. Und jetzt – woher sind Sie gekommen?« »Sie scheinen doch sonst alles über mich zu wissen. Warum nicht das?« »Weil es unmöglich ist, daß Sie hier sind. Ich weiß, gestern war die Delphin in Arcton City, und dann hob sie ganz
plötzlich ab. Nicht in der vierfachen Zeit könnte diese Blechbüchse hier sein.« »Vielleicht sind wir in einen Warp gegangen.« Das wischte er mit einer Handbewegung weg. »Seien Sie doch vernünftig, das gibt es doch gar nicht. Und das Schiff der Raumpatrouille hätten Sie auch in der kurzen Zeit nicht reparieren können. Also, wie kamen Sie her?« »Vielleicht ist es nur ein Traum«, schlug ich vor. Er musterte mich. »Sie haben einen Schock erlitten. Ich denke, Sie werden vernünftigere Antworten geben, wenn wir Sie ein bißchen nachdenken lassen.« »Sie haben mir den Rest meiner Wahl noch nicht erklärt.« »Oh, natürlich. Wenn Sie meine Fragen aufrichtig beantworten, dürfen Sie vielleicht die Art Ihres Todes wählen.« »Dann wünsche ich mir, daß mich meine Ururenkel mit Süßigkeiten zu Tode füttern«, erwiderte ich. »Heroische Sprüche«, meinte er lächelnd. Natürlich hatte er damit recht, aber man muß sich ja schließlich selbst Mut zureden. »Wir gehen hier weg«, sagte er, und ich sah erstaunt drein. »Wenn Sie nicht mitmachen wollen, können Sie jederzeit gehen. Passen Sie auf.« Er ging durch einen Torbogen in einen Raum nebenan, der mit einem langen Tisch und Stühlen ausgerüstet war. Da schien er einen Schalter umzulegen, denn es klickte etwas. »Nun warten Sie«, sagte er. Er und zwei der Männer, die Carroll bewachten, nahmen kurze Metallrohre von den Gürteln und stellten sich vor den Hunden auf. »Jetzt«, befahl Little Joe. Einer der Männer schritt durch den Torbogen, und da ging die Käfigtür auf. Beide Hunde taten einen blitzschnellen Satz. Sie fletschten das Gebiß, und von ihren Lefzen troff Speichel.
Little Joe und seine Wächter richteten die Metallrohre auf sie, und die Hunde duckten sich zitternd. Nein, sie winselten nicht, aber sie wanden sich. Little Joe ging auf sie zu, die Hunde zogen sich ängstlich zurück, rannten in den Käfig und duckten sich platt an die Wand. Little Joe schlug die Käfigtür zu. »Energiewaffe«, erklärte Little Joe. »Sie gibt Energie ab mit einer Frequenz, die für die Hunde unerträglich ist. Diese Türen hier sind über elektronische Sichtgeräte verbunden mit dem Türmechanismus des Käfigs. Sie können also«, meinte er lächelnd, »jederzeit gehen. Wir schauen natürlich zu, aber ich hoffe, Sie wählen richtig.« Er nahm die Seitenwaffe und die Lähmungsbombe, die ihm einer der Wächter reichte. »Das sind sehr gut entwickelte Waffen«, stellte er fest. »Aber was ist dies?« Er hielt die Lähmungsbombe in die Höhe. »Drücken Sie nur auf den Knopf, dann wird ein Salzstreuer draus«, riet ich ihm. Er lächelte nicht mal darüber. »Gut. Überlegen Sie sichs. Wir kommen jetzt durch.« Im Nebenraum klickte wieder ein Schalter, und Little Joe und seine Spielkameraden gingen mit schußbereiten Waffen durch. Dann klickte es wieder, und unsere Gäste trennten sich von uns. Carroll und ich starrten einander an, und er sah so hoffnungslos drein, wie ich mich fühlte. Er ließ die breiten Schultern nicht hängen, nein, gewiß nicht, und er lächelte sogar noch. Nur in seinen dunklen Augen bemerkte ich eine große Sorge. Worte waren hier unnötig. »Bist du sehr verletzt?« fragte ich ihn. Er zuckte die Achseln und warf einen Blick auf die Leichen in der Ecke. »Ist es denn wichtig?« fragte er. »Ja, sicher.«
»Nun ja, mit Menschen kann ich noch umgehen, aber diese da…« Er musterte hilflos die Hunde. »Können wir denn etwas tun?« fragte ich. »Wahrscheinlich nicht«, murmelte er. Ich setzte mich auf den Boden und legte den Kopf auf die Knie. Carroll legte mir seine Hand auf den Kopf. »Jake, laß dich nicht unterkriegen«, redete er mir zu. »Kämpfen ist viel leichter.« Ich flüsterte in das Ding an meinem Bein so leise, daß nicht einmal Carroll es hören konnte, schon gar nicht jemand, der uns vielleicht belauschte. Die Hunde liefen herum und schützten mich und mein Gespräch ebenfalls. »Hören Sie, Tommy, wir müssen es versuchen. Wahrscheinlich ist es Selbstmord, wenn Sie aber kommen, sind wir sowieso tot. Das ist in zwanzig Minuten. Geben Sie uns jede Sekunde. Gewinnen können wir nicht, aber wir müssen es versuchen. Ich hoffe nur, es geht schnell. Unseren Freunden erzählen Sie die üblichen Dinge. Das hier hab’ ich wohl verpfuscht, was?« Ich stand auf und schaute Carroll mit hochgezogenen Brauen an. Er nickte. Ich nahm meine Jacke ab und ließ mir auch die seine geben. Dann machte ich eine Kopfbewegung zur Korridortür. Wir rannten hin. Carroll tat einen Satz wie ein Hirsch, der Schalter klickte, die Hunde waren dunkle Todesblitze. Ich warf unsere Jacken zurück, wirbelte herum und rannte Carroll nach. Damit gewann ich ein wenig Zeit; nicht viel, auch nicht genug, aber es hielt die Biester ein wenig auf. Carroll schaffte die Tür am anderen Korridorende, und er ließ sie für mich offen. Ich kam durch, aber leider auch der eine der Hunde, der eine Vorliebe für mich entwickelt hatte. Der zweite Hund mußte draußen bleiben.
Sofort kämpften wir um unser Leben. Carroll drängte sich an die Wand neben der Tür, und die zwei Posten, die ich jetzt sah, schwangen ihre Blaster. Es verwirrte sie, daß ich Carroll folgte. Als dann auch noch der Hund da war, ging es höllisch zu. Er sprang nämlich zuerst die Posten an. Es sah wie ein freundliches Lecken aus, doch der Hund riß dem Mann die Kehle auf. Ich hielt nach einer Waffe Ausschau und sei es nur ein Stock, aber Instrumentenschalter sind da ziemlich untauglich. Dann sprang der Hund mich an. Ich tat einen seitlichen Satz, spürte einen scharfen Schmerz in meinem Bein und tat noch einen Satz. Mein kostbares Ding rollte in eine Ecke. Ich stürzte, und der Hund saß mir im Genick. Ich sah meinen Kopf schon abgerissen, aber da tat es krack, und der Hund fiel weg von mir. Ich rollte herum. Carroll duckte sich, und der Hund segelte in ein Instrumentenbrett. Es blieb nichts übrig davon. Ich sah nicht, wie der Posten schoß, aber ich hörte das Knistern, als ich einen Satz tat, um dem toten Posten seinen Blaster abzunehmen. Der Hund und ich trafen direkt aufeinander, und mir wurde einiges Fleisch abgerissen. Drei Dinge kamen mir zu Bewußtsein. Erstens, ich wurde bei lebendigem Leib aufgefressen und konnte nichts dagegen tun, zweitens, es krachte etwas, als werde ein Stock abgebrochen, und drittens – ja, das war purer Reflex, denn ich schob den Lauf des Blasters in seinen Magen und drückte auf den Aktivator. Dann wurde es schwarz um mich.
Ich kam zu mir und wußte, daß die Zeit nahezu um war. Ich schaute auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Der Posten, der vorher so flink gewesen war, hatte jetzt den Kopf in einem unmöglichen Winkel zum Körper. Das war also
das Krachen, das ich gehört hatte. Der Hund war eine blutige, dampfende Masse. Ich war sehr schwach vom Blutverlust, und draußen näherten sich Schritte. Carroll lag an der Wand und sah tot aus. Der andere Hund draußen machte auch Schwierigkeiten. Ich schleppte mich zur Tür und legte sämtliche Riegel vor. »Tommy!« schrie ich, »Tommy! Alles in Ordnung!« Dann fiel mir mein Superding ein und kroch in die Ecke, wo es lag. »Tommy, so antworte doch!« »Ja, Jake.« »Ich glaube, wir haben es geschafft, aber warte noch einen Moment, bis ich’s sicher weiß.« »Gut, Jake. Noch fünfzehn Minuten also.« Ich nahm beide Waffen und verbrannte alles im Raum zu rauchendem Abfall. Von außen rief ein paarmal Little Joe. »Okay«, sagte ich, als ich fertig war. »Deine Atmosphärenfabrik ist erledigt. Und du bist es auch, mein Freund.« »Jake, Jake«, neckte er mich. »Du glaubst doch nicht, ich hätte dir wirklich eine Chance gegeben, in meine Atmosphärenanlage zu gelangen. Der Raum, in dem du bist, ist nur ein zusätzlicher Notraum. Er war nicht mal in Funktion, als du hineingestürmt bist. Deshalb war ja auch die Tür offen.« »Du lügst«, sagte ich, aber mein Magen fühlte sich recht hohl an. »Nein, nein. Jetzt fängt erst der Spaß an. Wir bringen eine Menge Verstärkung, weil die Tür natürlich nicht eingedrückt werden sollte. Und wir bringen eine Ramme. Dich und Carroll werden wir nicht umbringen. Wir nehmen euch nur mit aufs Feld hinaus und lassen immer einen Hund auf euch los. Ein paar könntet ihr vielleicht umbringen, aber wir haben viele Hunde. Willst du rauskommen, oder sollen wir zu euch hinein?«
»Verbrenn doch, du Laus.« Ich schaute mich um. Hier gab es nur noch Trümmer, und wenn Carroll Glück hatte, war er tot. Und alles umsonst. Tommy würde jetzt angreifen, und ich bekam nichts außer einem sehr schmeichelhaften Nachruf. »Tommy«, sagte ich, »wir sind in den falschen Raum gekommen. Carroll sieht tot aus, und ich beschmiere den ganzen Boden mit meinem Blut. Mach weiter, Tommy. Glaub ja nicht, es hätte mich nicht gefreut, dich gekannt zu haben. Bis später. Sehr viel später.« Ich wartete. Er sagte nichts. Mir war, als müßte ich heulen. Wenigstens ein Wort hätte er sagen können. Ein einziges. Ich drehte durch. »Tommy«, flehte ich, »sag doch was. Irgendwas…« Draußen im Korridor gab es einen Aufruhr. Ich wußte, der Preis war ich. Würden mich die anderen zuerst finden? Oder Tommy? Wenn ich an die Hunde dachte, betete ich nur darum, daß Tommy zuerst käme, um zu gewinnen. Dann trommelten Stiefel, und ich hörte aufgeregte Stimmen. Das ging vorbei, und ich lehnte mich schwach an die Tür. Ich war auf alles gefaßt. Mich riß es hoch, als ich Tommys Stimme hörte. »Jake, es ist alles vorbei!« Ich ließ ihn ein und stolperte zu Carrol hinüber. Sein Herz schlug. Und ich wurde wieder ohnmächtig.
Als ich wieder zu mir kam, waren wir beide im Lazarett der Starshot. Carroll lag im Bunk neben mir. Er grinste. »So bald wieder da, Jake?« »Ist wirklich alles vorbei?«
»Alles. Tommy beschloß zu landen und sie von rückwärts her zu nehmen, da wir ja im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit standen. Bist du schlecht dran?« Ich zuckte die Achseln. »Jedenfalls bin ich noch da. Und wenn man bedenkt, daß ich immer nur während kurzer Bewußtseinsperioden handeln konnte, haben wir unsere Sache eigentlich ganz gut gemacht. Hast du diesen Hund von mir runtergeprügelt, als er mir auf den Rücken sprang?« »Dabei hab’ ich mir fast das Bein gebrochen. Hast du ihn tatsächlich erledigt? Dieser Posten hat mir den Blaster auf den Schädel geschlagen, als ich ihm gerade den Kragen umdrehte.« Tommy kam herein. »Na, ihr beiden?« fragte er. »Habt ihr Glück gehabt. Ihr solltet mal die ganze Beute sehen. Ihr seid steinreich.« »Fein. Dann kauf ich dir einen Drink.« »Du hast so viele Löcher in dir, daß noch eine ganze Weile nichts halten wird.« Er lachte von einem Ohr zum anderen. »Ich hab’ gehört, im Krankenhaus haben sie den Tropfapparat eigens für dich aufpoliert.« »Krankenhaus?« fragte ich. »Nein, nichts mit Krankenhaus. Da könnte mich ja jedes Mädchen mit Sorgen und jeder Captain von der Raumpatrouille finden. Ich mag nicht. Irgendwo im Raum werde ich auf die Delphin überwechseln, um mich vor Typen, wie du einer bist, zu verstecken.« Er schüttelte den Kopf. »Jake, das schaffst du nie. Irgendwer, der Sorgen hat, stöbert dich schon wieder auf. Du bist eben so.« Ich seufzte. Vielleicht hatte er recht.
VI Kein Versteck
Als Pat und Cap eine Stunde überfällig waren, wurde ich recht unruhig, doch Carroll drehte nur sein sanftes Lächeln an und tröstete mich mit seiner weichen Stimme, die so gar nicht zu diesem sieben Fuß hohen Riesen mit den Schultern, die so breit waren wie ein Berg, passen wollte. »Hier kann doch gar nichts passieren, Jake«, sagte er leise. »Auf diesem Planetoiden gibt es doch außer diesem Astrogationszentrum nichts. Und niemand weiß, daß wir hier sind.« »Na, ja, das stimmt schon. Aber wenn etwas passieren würde, dann ganz sicher der Space Salvage, Inc. – bei unserem Glück. Drei Stunden sind sie jetzt schon in dieser Bibliothek.« Ich schaute auf den Chronometer des Kontrollraumes. »In dreiundvierzig Minuten sollen wir abmarschieren.« »Keine Angst, sie schaffen es schon.« Das war leicht gesagt, aber das Gesetz der Wahrscheinlichkeit ließ mich im Kontrollraum herummarschieren und den Kuppelbauten, die das Astrogationszentrum beherbergten, besorgte Blicke zuwerfen. Sie sahen ziemlich düster aus und waren von Sand und Felsen umgeben. Also gab es doch wieder Ärger – wie üblich bei uns. Pas war eine sehr deutliche Ahnung. Ich nahm also eine wissenschaftliche Haltung ein. Die Tatsachen, daß mein Herz schneller schlug, meine Hände kalt und feucht wurden und daß ein Gefühl nahenden Unglücks mich befiel, waren, wie ich mir vorsagte, das Ergebnis kühler Berechnung, nicht Angst.
Trotzdem hatte ich Angst. »Das werde ich herauskriegen«, sagte ich, nachdem ich ein paar Meilen marschiert war. »Cap wird sauer sein«, warnte mich Carroll. »Er hat gesagt, wir müßten jede Einheit so stark wie möglich halten.« »Ja, wahrscheinlich.« Ich seufzte. »Trotzdem will ich gehen.« »Damit du umso schneller nach Arcton City zurückkehren kannst?« »Und warum nicht?« »Versteh’ mich nicht falsch, Jake. Du hast den schönsten rothaarigen Grund dafür, den ich je sah. Hast du schön daran gedacht, daß sie im Rang höher steht als du? Wäre doch ein bißchen komisch.« »Worauf willst du hinaus?« Carroll grinste breit. »Ich dachte mir nur, du würdest sagen: ›Captain Wall, Verzeihung, Ma’am, aber willst du mir vielleicht ein Steak braten oder auch zwei?‹ Das ist aber nur ein Scherz, Jake, um dich von deinen Katastrophengedanken abzulenken.« Fein, wie er das machte. Ich schaute wieder hinaus und schüttelte mich. Alles da draußen sah so verdammt nackt aus! Wenn es nur ein paar Blümchen gäbe, nur eines wenigstens, so ein kleines, blaues, dann wäre mir ganz großartig zumute gewesen. Schmetterlinge hätte ich nicht einmal verlangt. Helen. Was mochte sie jetzt tun? Ich hätte sie gerne gerufen, aber das durfte ich nicht wagen. Niemand sollte wissen, wo wir waren. Sie wußten es natürlich, aber es konnte sich ja jemand mit einschalten. Captain Helen Wall mit den Zwillingskometen an ihrer schicken Uniform. Wie würde ich mit zwei Kometen aussehen? ›Captain Helen, ich finde, du siehst wundervoll aus.‹ ›Nur weiter so, Captain Jake‹. Ich sah genau, wie ihre
grünen Augen funkelten. ›Ich wette, das sagst du zu jedem Mädchen, das Helen Wall heißt.‹ Verrückt, dachte ich. Sehnsüchten nachhängen, wenn es Arbeit gab und ein Vermögen auf dem Spiel stand. Dann fiel mir einiges ein, und ich wurde wütend. »Bist du dir darüber klar«, fragte ich Carroll, »daß wir von einer elenden Bande, der Solar System Salvage Company, Limited aufgehalten wurden? Ja, nicht wahr. Ich werde allmählich stocksauer. Das heißt, ich werde etwas dagegen unternehmen. So sauer war ich nicht immer, als unsere Ladung Herkulium beschlagnahmt wurde oder damals, als wir auf Arcton die einstweilige Verfügung vorgelegt bekamen, die uns an der Bergung dieses Schiffchens aus dem Schlammsee hinderte. Sogar da, als dieser Oliver Clayborne darauf bestand, wir sollten weiterfliegen, als ein ganzes Schiff voll Toter abgefangen werden mußte. Aber jetzt…« »Aber jetzt«, unterbrach mich Carroll sanft, »kriegst du das große Zittern, und alles, was passiert, schiebst du auf Solar. Ich kann dir das ja, weiß Gott, nicht übelnehmen, aber in Arcton City hatten wir doch ganz schön Glück, Jake.« »Wieso denn?« »Aber natürlich – Prentice McNamy gab uns den Tip wegen dieses Asteroiden, auf dem Professor Phamigns Labor zu finden sein könnte. Wenn wir das Herstellungsgeheimnis von Herkulium finden, sind wir doch gemachte Leute.« »Ah, das weiß ich natürlich«, erwiderte ich ungeduldig, »aber was mich so sauer macht, ist dies. Hier sind wir, eine Rettungsfirma, und diese dicke, aufgeblasene Solar, die uns immer Prügel vor die Füße wirft, wenn es nur irgendwie geht. Und ich habe so eine Ahnung, daß sie das jetzt wieder tun.« »Das bildest du dir doch nur ein, Jake.« »Möglich«, gab ich achselzuckend zu. Und nun bemerkte ich am weitest entfernten Gebäude einen Lichtschimmer. Es war
Caps Helm, der Arctons Licht reflektierte. Ich atmete auf, und Carroll hörte den Seufzer. »Ich hab’ dir’s doch gesagt«, bemerkte er. »Beide sind okay.« »Ja«, gab ich zu. »Ich war nur sehr nervös.« Doch dieses sehr unbehagliche Gefühl verschwand auch dann nicht, als ich Pat und Cap die Viertelmeile schwarzer Nacht queren sah. Ich spürte, daß sich etwas zusammenbraute. Wie recht ich doch behielt!
Cap stieg aus seinem Raumanzug. »Zwei Stunden«, fauchte ich ihn an. »Vier seid ihr ausgeblieben, und es ist höchste Zeit, hier wegzukommen.« Seine klaren blauen Augen musterten mich amüsiert, als er einen Kamm aus der Tasche nahm und sein silbernes Haar kämmte. »Es tut mir leid, Jake, wenn du dir Sorgen gemacht hast, aber wir mußten völlig neue Karten zeichnen. Wir hatten keine Möglichkeit, dir Bescheid zu geben. Pat wird es dir erklären.« Pat legte allerhand Dinge auf dem Kartentisch aus. »Ah, was die alles in ihrem Institut haben!« schwärmte er. »Das übertrifft alles, was ich bisher gesehen oder getan habe.« Es mußte wirklich ausgezeichnetes Material sein. Pats Gesicht war wie getrockneter Schlamm, seine Nase ein Klumpen roten Sandsteines, und seine Augen glichen zwei tiefsitzenden Smaragden. Er war der beste Pilot und Astrogator, der mir je begegnet war. Carroll und ich ließen uns von ihm die Karten erklären. »Wir hätten diese Asteroiden nach dem, was Prentice McNamy uns sagte, sicher finden können, aber es hätte verdammt lange gedauert. Meine Kalkulationen waren nur ein
Lichtjahr davon entfernt, weil ich keine sehr genauen Angaben über den Kometen hatte, der sie entführte.« »Gab es denn im Institut irgendwelche Schwierigkeiten?« fragte ich. »Nein. Von der Delphin oder von Jake Murchison hatten sie noch nie was gehört. Vielleicht der einzige Ort im ganzen System, wo du nicht sprichwörtlich bist, Jake«, meinte er lachend. »Jedenfalls erklärten wir dem Chef, wir wollten den Kometen erforschen, der die Asteroidengruppe aus ihrem ursprünglichen Orbit gerissen hatte und wie sich das auf Objekte in deren Nähe auswirkte. Der Chef schnurrte geradezu.« »Ich konnte nicht die Hälfte von dem verstehen, was gesprochen wurde«, gestand Cap. »Na, ja. Ihr ward ja auch bei der Raumpatrouille. Da lernt man eine ganze Menge und noch ein Stück mehr… Hier ist nun der Orbit der Gruppe, in der wir Professor Phamigns Labor finden werden und auch seine Notizen über die Herstellung von Herkulium. Hier befindet sich zur Zeit diese Gruppe.« Er zeichnete einen Punkt auf der roten Linie an. »Wenn wir sie nun hier abfangen, dann haben wir die kürzeste Kurve zwischen ihnen und uns. Also werden wir in…« – er schaute auf seinen Chronometer – »in vier Stunden, zehn Minuten, viereinhalb Sekunden ablegen.« »Ah, fein.« Ich seufzte erleichtert. »Ich hab’ mich furchtbar gesorgt. Jetzt müssen wir eben noch einmal vier Stunden warten.« Es dauerte ein paar Minuten, bis ich mich zu einem hohlen Lachen aufraffen konnte. Der Kontrollwand warf ich einen müden Blick zu und sah die sich bewegenden Nadeln. Ich machte mir am Richtungswähler des Schirmes zu schaffen, während die anderen den Atem anhielten.
Sofort fand ich ein Schiff, etwas kleiner als die Delphin, das zur Landung ansetzte. »War ein schöner Traum, solange er gedauert hat«, sagte ich. »Mir scheint, in der Fissionskammer ist eine Maus.« »Nein«, widersprach Carroll leise. »Es ist nur das Versorgungsschiff des Zentrums.« Richtig, denn wir konnten jetzt die Isobarinsignien ausmachen und waren recht erleichtert. »Aber die Leute an Bord werden neugierig sein. Es wird nicht lange dauern, bis sie ausgeknobelt haben, wohin wir gehen.« »Vielleicht sind wir dann schon dort«, meinte Cap. »Vielleicht auch nicht. Jedenfalls halte ich es für besser, wenn wir sofort abheben, ehe ein neugieriger Bursche hier herumschnüffelt und von uns Antworten verlangt.« Sehr fröhlich waren sie darüber nicht, und ich fuhr fort: »Wir sind also im Moment der Solar entwischt, aber wir wissen doch, daß sie uns suchen. Und wir wissen auch, daß sie viel mehr Möglichkeiten haben als die Space Salvage, Inc. denn wir haben ja nur ein einziges Schiffchen. Sie können unendlich lange Orbits um uns herum beschreiben. Und wir wissen auch, daß Oliver Clayborne kein Idiot ist.« »Ha, es war ein Spaß, ihn ordentlich durchzulassen«, sagte Carroll. »Ich sage euch, wie Junior ist«, sprach ich weiter. »Den müßte man fesseln und knebeln. Für uns war es sicher, solange zu warten, als die vom Institut nichts von uns wußten, aber im Versorgungsschiff sind bestimmt Leute, die uns kennen. Wir haben ja nicht gerade unser Licht unter den Scheffel gestellt. Junior wird also irgendwie davon erfahren und schnellstens heransurren. Dann spricht er mit dem Chef und entdeckt, was wir wollen – und waaammm! Sie sind entschlossen, das Herkulium-Geheimnis in die Hand zu bekommen, egal ob Erdbeben, Flut oder Pest.«
»Ich glaube, Jake hat recht, Cap«, sagte Carroll. »Wie üblich.« Cap dachte darüber nach. Immer dachte er nach, ehe er einen Befehl gab. »Okay«, sagte er schließlich und sprach über die Bordverständigung. »Maschinenraum, Achtung. Vorbereiten zum Abheben.« Ich sah zu, wie das Versorgungsschiff landete. Die Luke öffnete sich, und Gestalten in Raumanzügen kamen heraus. Eine hatte rotes Haar, das durch den Helm leuchtete, und die rannte auf die Delphin zu. »Alles einen Moment anhalten«, murmelte ich und lief zur Luftschleuse. Ehe sie Zeit hatte, den Signalknopf zu drücken, hatte ich schon das grüne Licht, und gleich darauf war Helen im Schiff, aus dem Anzug und für einen Moment in meinen Armen. Wir rannten zum Kontrollraum. Alle redeten gleichzeitig auf sie ein, doch dann machten sie Pause und warteten, bis sie wieder zu Atem gekommen war. »Captain Lane, Sie müssen mich mitnehmen«, sagte sie und keuchte noch immer. Cap runzelte die Brauen. »Ich fürchte, das geht nicht, Captain Wall.« »Sie müssen! Hören Sie zu. Es ist nicht viel Zeit.« Sie sprudelte die ganze Geschichte heraus. Ihre polierten Kometen glänzten ebenso wie ihre Augen, und ihre schicke Uniform war schon etwas ganz anderes als Caps ausgebeulte Hosen. Sie war jung und aufgeregt, er viel älter und ruhig, aber beide waren würdige Raumkapitäne. »Sie versuchen mich zu entführen, damit Jake ihnen erzählen muß, was er weiß. Ich erfuhr es zu spät, deshalb konnte ich nicht um Hilfe rufen. Aber ich hatte Angst. Dieses Versorgungsschiff wollte gerade abheben, und so ergriff ich die Chance, euch hier zu finden – falls ihr noch da ward. Ich mußte natürlich allerhand Märchen erzählen, aber nachdem ich
an Bord war, kam noch einer, der mir vorher gefolgt war. Ich sah ihn erst hier bei der Landung. Nun ja, was wird er tun? Natürlich Oliver anrufen.« Cap überlegte, wir schwiegen. Helen legte ihre Hand auf meinen Arm, ich legte die meine drauf. »Bis zu einem gewissen Grad ist es eine Sache der Ethik«, meinte Cap schließlich. »Sie sind die Tochter von Philemon Wall, Präsident der Solar. Und Kapitän ihres Prunkschiffes.« »Nicht mehr. Auf unbegrenzte Zeit beurlaubt.« Das mußten wir erst verdauen. »Gestern sagte ich, was ich zum Thema Ethik zu sagen hatte. Ich wies darauf hin, wie Solar die Space Salvage bei jeder nur denkbaren Gelegenheit behinderte, Lügen verbreitete, Fallstricke legte und falsche Klagen erhob. Ich sagte, ein Mann sei dafür verantwortlich, und das ist Oliver Clayborne. Ich verlangte seinen Hinauswurf. Der Firmenrat beurlaubte dann allerdings mich, da ich mich nicht wie ein Offizier und ein loyales Firmenmitglied benommen hätte.« Ich sagte nichts, sondern legte nur einen Arm um ihre Schultern. Sie holte tief Atem und warf ihre nächste Bombe. »Später am gleichen Tag trat Oliver zurück und charterte einen sehr schnellen umgebauten Kreuzer, und den hat er mit lauter Galgenvögeln vollgestopft. So sehen sie wenigstens aus. Er hat wie ein Irrer versucht, dich irgendwie zu erreichen, und dann fiel ihm ein, daß er mich festhalten könnte. Das sagte er mir selbst. Aber ich entwischte ihm, und jetzt hat er hinter einem Ohr eine dicke Beule.« Sie lächelte, als sie das erzählte. »Darf ich etwas sagen, Cap?« bat ich, und er nickte. »Verstehst du, ich sage das bei allem Respekt. Du bist mein Boß, obwohl wir hier und da alle an jedem Platz einspringen. Wir müssen sie mitnehmen. Mir paßt es selbst nicht. Es könnte gefährlich werden. Aber wir können sie nicht zurücklassen,
wenn Junior seine Spitzel hier hat und er selbst auf dem Weg ist. Natürlich kannst du ihr sagen, sie soll das Schiff verlassen, aber wenn du das tust, gehe ich mit.« »Natürlich«, antwortete Cap. Er drehte sich um und gab über Interkom einen scharfen Befehl. »In die Akzelerationsbunks. Achtung, wir heben ab.« Pat meldete sich beim Kontrolloffizier ab, und wir waren unterwegs.
Ein Mann fühlt sich meistens recht unbehaglich, wenn seine Herzallerliebste um ihn herum ist und er zu arbeiten hat. Oh, natürlich war ich glücklich, Helen zu sehen, denn ich hatte damit erst bei unserer Rückkehr gerechnet, aber was sollte ich mit ihr anfangen? Sie oder ihre unzweifelhaften Fähigkeiten brauchten wir hier nicht. Und jemanden nur herumzustehen zu haben, der so appetitlich zum Anknabbern aussah wie sie, war auch nicht das Wahre, wenn man seinen Kopf bei der Arbeit haben mußte. Das paßte mir nicht, es paßte mir aber auch nicht, daß sie es verstand. Sie war ja selbst Raumkapitän, und sie wußte, was es heißt, ein Schiff wirklich zu leiten. Sie ließ mich also in Ruhe und ich sie, und wir waren wie ein paar lebendige Stöcke. Immer, wenn ich sie sah, hätte ich am liebsten Vollmond, Gitarre und eine Piccoloflöte und Lindenduft gehabt. Das machte mich ganz verrückt. Doch man gewöhnt sich auch daran, und endlich war ich in der Lage, mich auf das zu konzentrieren, was wir tun mußten. Das heißt, ich fragte den Raum insgesamt, was das wäre. »Verschwinde, wenn möglich«, sagte Cap, sah mich mitleidig und Helen mit einem Seitenblick an, als verstünde er, weshalb ich mich so blöd anstellte. »Die Antwort liegt doch auf der Hand.«
Helen wurde ein bißchen rot. Sie wußte also, weshalb man sich mir gegenüber ausschwieg. »Natürlich, Jake«, sagte sie besorgt. »Ich verstehe es. Pat versteht es auch.« Pat lachte nun offen. »Ist doch so deutlich wie die Nase in meinem Gesicht«, meinte er. Cap sprach mit mir, als sei ich ein dreijähriges Kind. »Eine falsche Spur legen, Jake. Wir finden eine andere Asteroidengruppe. Es gibt ja etliche im Belt. Dann denkt er, hinter der Gruppe sind wir her. Also hängen wir ihn ab, und wir gehen zu unserer Gruppe.« »Na, schön«, fauchte ich. »Jetzt beantwortet mir mal ein paar Fragen. Habt ihr den Chef über unsere Gruppe ausgefragt?« »Natürlich.« »Auch über eine andere Gruppe?« »Nein«, gab Cap nachdenklich zu. »Ich verstehe, was du sagen willst.« »Ist Junior hinter uns her oder hinter dem Produktionsgeheimnis von Herkulium? Ihr braucht mir nicht zu antworten. Er kann den Chef fragen, und dann fliegt er auf dem kürzesten Weg zu unserer Gruppe, folgt also auf keinen Fall einer falschen Spur. Na, dann laßt mal den klugen Knaben in der Kapitänsuniform erklären, welcher Aktionskurs sich da anbietet?« Alle lachten jetzt. »Also, los«, sagte Cap zu Pat. »Volldampf voraus. Wir müssen dort vor Clayborne ankommen.« »Und vergeßt nicht, daß das Schiff voller Galgenvögel ist«, erinnerte ich ihn. »Und übrigens«, wandte ich mich an Helen, »du brauchst darauf nicht zu antworten, wenn du nicht willst, Captain. Aber hast du eine Ahnung, was dein Vater, besser gesagt, was die Firma vorhat, wenn Junior die Formel bekommen kann?« »Ich glaube nicht, daß ich da einen Vertrauensbruch begehe, Lieutenant Murchison, besonders deshalb nicht, weil du ja den
Finger erst jetzt darauf legst. Solar System Salvage beabsichtigt natürlich, sich das Monopol zu sichern.« »Um an wen zu verkaufen?« Jetzt wurde Helen ein wenig verlegen. »Ich fürchte, ich habe da dummes Zeug geredet. Aber ich war so zornig! Ich habe ja praktisch die Direktoren beschuldigt, Banditen und Diebe zu sein. Ich habe darauf hingewiesen, wie Solar veranlaßte, daß die von der Astralot geborgene Ladung beschlagnahmt wurde, weil sie Gerüchte in Umlauf setzten, die Space Salvage, Inc. sei eine Piratenbande. Ich sagte ihnen, daß du alle Arbeit getan hattest, das Labor zu suchen, und daß du unser havariertes Linienschiff mit allen Passagieren an Bord gerettet hast und…« »Daran ist doch nichts verkehrt«, sagte ich. »Sogar sehr anständig von dir, würde ich sagen.« »Aber dann erzählte ich auch, was du mit der Formel tun würdest. Ich sagte, sie sei das wertvollste Ding der Geschichte überhaupt, und du würdest sie dem Interstellaren Rat zur Verfügung stellen, um sie für die ganze Menschheit nutzbar zu machen. Häuser und Straßen, sagte ich, könnten ewig halten, die Raumpatrouillenschiffe könnten unverletzlich gemacht werden, man könnte aller Piratenschiffe ausrotten und eben alles, was du mir vorher gesagt hattest. Und du würdest darauf bestehen, das Material zum niedrigsten Preis zu verkaufen und nur eine Lizenzgebühr verlangen.« »Was sagten sie dazu?« fragte ich. »Sie lachten! Und wie… Von diesem Standpunkt aus hätten sie die Angelegenheit noch nie betrachtet.« Sie stützte das Kinn auf die Hände. »Es ist sehr schwierig zu erklären, denn es ist eher ein Gefühl als das, was sie richtig sagten. Sie flüsterten unter sich und tauschten Notizen aus und. Nun ja, darauf läuft es jedenfalls hinaus, wer immer das Geheimnis zur Herstellung von Herkulium entdeckt, kann den
Interstellaren Rat kontrollieren, ist sogar in Wirklichkeit der Interstellare Rat. Man stellt Bedingungen, wenn man es ihnen anbietet, und dann zieht man an den Fäden. Klingt das richtig?« »Viel zu richtig«, antwortete ich. »Es könnte durchaus so gemacht werden unter dem Vorwand, dem ganzen System einen Dienst zu erweisen. Ich habe wirklich größte Lust, die Formel zu zerreißen, wenn wir sie finden.« »Jake!« rief Helen. »Oh, vielleicht würde ich es doch nicht tun. Aber wir wären dann die reichsten Leute im ganzen System. Wir könnten Solar fünfmal kaufen und verkaufen, und wir könnten uns einen hübschen kleinen Planeten ganz für uns allein kaufen, einen, der nur uns gehört – falls diese Formel entweder gar nicht existiert oder vernichtet wird.« »Damit kämst du aber nicht durch«, wandte Helen ein. »Solar würde schon Mittel und Wege finden, den Verkauf zu verhindern.« »Wie denn? Herkulium kann nicht analysiert werden, und das Herstellungsgeheimnis war nur Phamign bekannt. Wenn wir glaubwürdig versichern können, daß es seine Notizen gar nicht gibt, haben wir alles Herkulium, das es gibt und je geben wird. Wir können unseren eigenen Preis verlangen und bekommen ihn auch, aber das wird gar nicht nötig sein. Man wird uns belagern, damit wir etwas verkaufen. Denk doch nur mal daran, wie wir alle beweglichen Maschinenteile mit einer Herkuliumschicht überziehen können, die sie praktisch unverwüstlich macht.« »Hm. Ja. Wenn du aber die Formel vernichtest, hast du keine ruhige Minute mehr, oder?« Ich seufzte. »Oh, natürlich. Es war aber ein ganz hübscher Gedanke.«
Carroll hatte seit einiger Zeit besorgt den Heckschirm beobachtet, und weil er doch sonst niemals nervös war, warf ich einen Blick darauf, sah aber nichts als nur Sterne. Ich fragte ihn, was denn los sei. »Ich überlegte nur«, meinte er auf seine sanfte Art, »wenn es mit den Ganoven Juniors zu einem Handgemenge käme, wären wir ziemlich aufgeschmissen. Die werden auf alle Fälle bewaffnet sein.« »Ist gegen das Gesetz«, erklärte ich ihm. Carroll schniefte. »Unsere einzige Chance ist die, daß wir schnellstens hinein- und ebenso schnellstens wieder herauskommen, ehe sie dort sind, und ich halte eigentlich wenig von unserer Chance.« »Wir haben einen gewissen Vorsprung.« »Wieviel denn? Wenn Juniors Spitzel im Zentrum herausfindet, wohin wir unterwegs sind, und das kann er, dann braucht Junior gar nicht erst das Zentrum anzufliegen, weil ihm sein Spitzel auch über Funk Bescheid geben kann. Er steuert die Asteroiden also direkt an. Damit spart er sehr viel Zeit, und er kann durchaus vor uns ankommen.« Damit hatte er natürlich recht, und ich mußte darüber nachdenken. Auf Geschwindigkeit allein verläßt man sich nicht gerne, denn die verlangt keinen Kopf, sondern nur ein gutes Schiff. Das unsere war gut, aber gegen einen umgebauten Kreuzer konnte es nicht antreten. Natürlich konnte dagegen nichts getan werden, und wir hatten auch keine oder allerhöchstens nur unzureichende Waffen zu unserer ganz persönlichen Verteidigung. Kam Junior zuerst an, gab es mindestens eine wüste Keilerei. Pat sagte, das würden wir in dreißig Minuten wissen, und ich überprüfte das Rettungsboot. Wir hatten es mit sämtlichen Spürgeräten ausgestattet, hatten viel Luft und genügend Ersatzbehälter für Raumanzüge, und mit Werkzeug waren wir
sowieso gut ausgerüstet, vom Dietrich angefangen, bis zum Hochleistungsbohrer. Mein liebes, altes, unbehagliches Gefühl überkam mich wieder mit neuer Wucht, als ich zum Kontrollraum zurückkehrte. Verstandesmäßig konnte ich es nicht rechtfertigen, denn ich glaubte, wir hätten nichts zu fürchten. »Da sind sie«, sagte Pat. Eine Handvoll schwarzer Punkte wurde größer und zog sich auf dem Schirm weiter auseinander. »Such dir den größten aus«, sagte ich zu Pat. Das tat er, und Pat glich Orbitaldrift und Richtung diesem großen, unregelmäßig geformten Schatten an. »Wir müssen uns das Ding anschauen«, sagte ich. »Jake, laß mich mitkommen«, bat Helen, doch ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß, ich gehöre nicht hierher, habe keine Rechte, aber… Versteht ihr denn nicht, wenn ich ihn nicht aus dem Auge verlieren will?« fragte sie die anderen. Carroll seufzte. »Ich weiß nicht, was es ist, aber du hast es, Jake.« Ich war, um es milde auszudrücken, ein Mensch mit gemischten Gefühlen. Mein Mädchen… Wohin du auch immer gehst und so. Natürlich wollte ich sie bei mir haben. »Du bist hier sicherer«, sagte ich jedoch. »Wenn die Ganoven Juniors unerwartet ankommen, können Carroll und ich eher damit fertig werden als du und ich. Du hast zwar einiges, das er nicht hat, aber seine Schultern sind bei einem Handgemenge viel wirksamer.« »Mir werden sie nichts tun«, wandte sie ein. »Ich bin die Tochter vom Boß.« »Nicht mehr. Junior arbeitet dort ja nicht mehr.« »Sein Ausscheiden war doch nur eine Finte, damit Solar offiziell nichts mit seinen stinkenden Operationen zu tun hat. Wenn er die Formel bekommt, wird er sofort mindestens in seine alten Rechte eingesetzt. Das ist doch nur vernünftig. Auf
die Dauer gesehen kann er zusammen mit Solar viel mehr erreichen als allein. Findet er die Formel, ist er das Hätschelkind der Firma.« »Das klingt vernünftig«, gab ich zu. »Und was weiter?« »Verstehst du nicht? Er wird mir nichts antun.« »Er wollte dich doch entführen, oder?« »Und ganz gewiß mit der Zustimmung meines Vaters. Dir hat er nur gedroht, aber angetan hätten sie mir nichts.« »Du kannst trotzdem nicht gehen. Es ist alles nur Theorie.« »Aber sie hat schon ein bißchen recht«, warf Carroll ein. »Jake, vorläufig ist vom Junior noch nichts zu sehen, und wir können ihn auch noch früh genug entdecken.« »Okay«, sagte ich, »dann komm mit.« Sie folgte mir wie ein geprügeltes Hündchen, und ich hatte so Angst, daß ich sie nicht einmal küssen konnte – vor Sorge um sie. Wir zogen die Raumanzüge an, stiegen ins Rettungsboot und waren wenig später draußen im dunklen Raum, unterwegs zu dem dicken Klumpen da unten. Wir machten einen Rundum-Sprechtest, und alles kam klar herein. Ich legte Helen ans Herz, nichts zu tun, wenn ich es ihr nicht ausdrücklich sagte, und sie versprach es. Und dann umkreiste ich auch schon den Asteroiden. »Paß genau auf, ob du etwas wie ein Gebäude oder sonst etwas Ungewöhnliches siehst«, bat ich Helen. »Jawohl, Jake«, antwortete Helen. Wir krochen weiter. Dann flackerte eine Kontrolleuchte, und ein Instrumentenanzeiger zitterte die Skala hinauf. »Oh, da ist etwas Radioaktives, Carroll.« »Könnt ja mal nachsehen…« Ich landete, die Nadel kroch noch höher, und mein Armbandzähler blitzte Alarm, als wir ausstiegen. Wir standen auf einer sandigen Ebene im Ausmaß von etlichen Morgen. In
allen Richtungen hin, die ich einschlug, waren die Alarmblitze gleich stark. Also mußte es der Sand sein. Ich bückte mich, nahm eine Handvoll auf, und mein Armbandzähler glühte dunkelrot. Ich hielt ihn an den Sand; er wurde hellgrün. »Guter Gott, Sand! Carroll, acht-Punkt-vier der WechreigenSkala!« Carroll pfiff erstaunt. »Wieviel Sand?« »Millionen von Tonnen.« »Hör mal, Jake, und wenn wir… Nein, warte mal…« Da war etwas faul, das ließ sich eindeutig aus Carrolls Ton schließen. Wir standen eine ganze Weile bewegungslos da, bis die Delphin plötzlich direkt über uns erschien. »Wir müssen verschwinden, Jake. Kann dir jetzt den Grund nicht sagen, hab’ zuviel zu tun. Wenn wir wegkommen, holen wir euch ab. Wenn nicht – viel Glück.« Wegkommen wovor, vor wem? »Carroll, mach wenigstens eine Andeutung«, bat ich. Keine Antwort. Er mußte also seinen Helm abgenommen haben. Helen und ich schauten einander an, und wir fühlten uns plötzlich unbeschreiblich einsam. Die kosmische Dunkelheit war so unendlich, und die winzigen, schimmernden Lichtpünktchen waren so weit weg, und wir so klein. Wortlos gingen wir zum Rettungsboot. Innen war nicht die bedrückende Unendlichkeit, das leere Dunkel. Aber selbst drinnen blitzte mein Zähler noch ununterbrochen. »Jake, ich habe Angst«, sagte Helen leise. Als Mann hat man von Natur aus immer ein bißchen das Bedürfnis, den Beschützer und Tröster der Frau zu spielen, und ich bin ein Mann. Zärtlichen Unsinn ins Haar flüstern, sie festhalten, das hätte ich jetzt gerne getan. Versuchen Sie’s mal in einem Raumanzug, Sie werden schon sehen, wie weit Sie damit kommen. Also tat ich es auch nicht.
Ich hätte auch ein wenig Aufmunterung gebraucht, denn ich hatte auch Angst. »Oh, es wird schon alles recht werden«, meinte ich und spielte den Sorglosen. »Auf Carroll ist Verlaß. Er holt uns schon raus.« »Wo soll er uns rausholen? Das stört mich doch so, Jake.« »Mich auch. Aber dagegen können wir nichts tun, bis wir mehr wissen.« »Wenn sie aber nicht zurückkommen, Jake, was können wir dann tun? Ich will nicht…« »Sterben? Ich auch nicht.« »Jake, hier ist es so einsam. Könnten wir nicht anderswo hingehen, wo wir leichter abgeholt werden können?« »Keine Aussicht, Mädchen, unser Treibstoff reicht nicht. Der Stern über uns ist Corfus. Könnten wir ihn erreichen, würden wir am Leben bleiben. Aber Corfus ist zu weit weg. Wir müssen bleiben und warten.« »Was ist das?« fragte Helen und deutete. Weit weg bewegte sich ein Feuerschwanz. Unser Schiff war nicht so schnell. Es konnte höchstens Junior sein; ein Raumschiff war es jedenfalls. Aber es verschwand sehr schnell. Für unsere Stimmung tat es jedoch etwas. Freund oder Feind – es war Leben. »Wir müßten bald von Carroll hören«, meinte ich. »Ich verstehe nur nicht… Vielleicht waren es Piraten. Aber was nützt da das Rennen? Verglichen mit einem Piratenschiff ist die Delphin doch nur eine Röhre mit Schneckengeschwindigkeit. Und war es Junior, dann hat das Davonrennen auch keinen Sinn. Er weiß, wo diese Asteroiden sind. Klüger wäre es gewesen, einfach mit der Suche fortzufahren und ihn landen zu lassen. Wäre ein schönes Versteckspiel geworden, wenn wir ihm immer um eine Nasenlänge voraus gewesen wären. Im allerschlimmsten Fall wäre er zuerst zum Labor gekommen – falls es hier ist.«
»Carroll schien sehr besorgt zu sein.« »Das stört mich ja auch. Laß mich mal nachdenken.« Schlimmstenfalls könnte unserem Schiff die Rückkehr nicht möglich sein, dann wären wir hier gestrandet und ohne Verbindung. Wir könnten, wenn wir mit Luft und Lebensmitteln sparsam umgingen, vielleicht sechs Wochen durchhalten, und dann würden wir verhungern oder ersticken, oder beides. Aber ich konnte mir keinen Grund denken, daß dies nötig wäre. Eines war sicher – wenn ich an Bord zurück wäre, würde ich einen ordentlichen Zirkus veranstalten. Das heißt, wenn… Dann war plötzlich ganz weit weg, aber klar, Carrolls Stimme zu vernehmen. »Jake, Jake, hoffentlich hörst du mich…« »Ja, ich höre dich, sprich weiter.« »Versuch nicht erst zu antworten, denn ich höre dich sowieso nicht. Ich hab für den Helmtransmitter einen Funkstrahl gefunden, ich benütze dazu die Schiffsenergie. Ich hoffe, sie genügt, denn du mußt ja wissen, was vorgeht. Jake, wir stecken in der schlimmsten Klemme. Wir konnten nicht anders, wir mußten weg und euch beide allein lassen. Junior meldete sich plötzlich bei uns auf dem Schirm und stellte uns vor die Wahl. Wir sollten entweder sofort nach Arcton zurückkehren und ihm das Feld überlassen, oder er würde uns aus dem Himmel sprengen. Er ist bewaffnet, Jake, das heißt, sein Schiff. Wie er es schaffte, einen Desintegrator an Bord zu bringen, ist mir ein Rätsel, aber er hat einen. Das ist doch nur der Raumpatrouille erlaubt. Du siehst also, wir konnten nur schnellstens abschwirren. Eine Weile versteckten wir uns hinter etlichen Asteroiden. Pat ist ein märchenhafter Pilot, aber dann zählte Junior zwei und zwei zusammen. Als ich dich vorher anrief, daß wir verschwinden müßten, hätte ich ja noch den Helm auf, zur Verständigung mit dir. Das
übersah er erst, aber als wir ihm entwischten, änderte er seinen Kurs so, daß wir nicht mit der Raumpatrouille Verbindung aufnehmen könnten. Vor ein paar Minuten hat er uns das gesagt. Er wollte erst mit dir verhandeln, dann wollte er Helen sehen. Schließlich behauptete er zu wissen, wo du bist. Er sagte, solange du nicht im Schiff seist, könne er uns nicht zu Staub zerblasen, weil er nicht noch mal den Fehler mache, dich zu unterschätzen. Solange du am Leben bist, sagte er, blieben wir es auch, und er wollte uns nicht weiter jagen. Jetzt schießt er nur ein bißchen zwischen uns und dem Zentrum hin und her, um uns abzuschneiden, wenn wir zu euch zu kommen versuchen. Wenn ihr beide an Bord wärt, könnte Pat ihn für ewige Zeiten ausmanövrieren, aber wir können euch ja nicht erreichen. Vielleicht war es ein Fehler, euch nicht unter allen Umständen an Bord zu holen, aber wir hatten nur dann eine Chance wegzukommen, wenn wir es sofort taten. Hätten wir auf euch gewartet, wäre er wie ein Habicht auf uns herabgestoßen. Und jetzt kommt das Schlimmste, Jake. Er schickt ein Beiboot mit bewaffneten Banditen zu der Gruppe, wo ihr seid, um dich und Helen zu töten. Er sagt, das kann er sich leisten. Er braucht nur zu warten, bis uns der Treibstoff ausgeht, dann sind wir lahme Tauben. Und er hat ungeheure Reserven. Also müßt ihr beide irgendein Versteck suchen. Ich kann euch da nicht raten, denn ihr seid dort und müßt es selbst finden. Das ist im Moment alles. Ich hoffe, Jake, du hast mich gehört. Ich werde dich von Veränderungen unterrichten. Oh, noch was. Mit diesem Desintegrator kann er sogar alle Beweise für einen Massenmord vernichten. Zurück bleibt nur ein bißchen Energie, die sich verflüchtigt. Den Desintegrator wirft er schließlich ab, und er kehrt in die Zivilisation zurück, ohne uns gesehen zu haben – mit oder ohne Formel. Wir werden dann eben als vermißt gemeldet. Raffiniert, was?
Also, Jake, dann bis später. Und Ihnen auch, Captain Wall, Ma’am.« »Jake, würde er das wirklich wagen?« frage Helen, als ich langsam anrollte. »Das kann er doch nicht, oder?« »Ich würde es nicht drauf ankommen lassen«, erwiderte ich grimmig. »Angewandte Psychologie ist im Moment nicht so wichtig wie die Flucht.« »Warum dann nicht mit Volldampf voraus?« »Weil man, mein Herzblatt, auf dieser Seite unsere Spur sehen würde. Ich weiß nicht, wie nahe sie sind. Jedenfalls will ich diesen Asteroiden zwischen ihnen und uns haben, ehe ich renne. Viel macht es ja nicht aus, Helen. Unsere Lage ist nicht rosig.« »Können wir uns nicht einfach verstecken, bis sie verschwinden?« »Schau mal, Süße, in dieser Gruppe sind nur ungefähr zwanzig größere Asteroiden. Wir können ihnen aus dem Weg gehen, solange unser Treibstoff reicht, und das ist nicht lange. Dieses Schiffchen ist ja dazu gedacht, daß man immer wieder auftankt. Und wenn wir keinen Treibstoff mehr haben, sind wir hilflos wie eine lahme Ente… Okay, anschnallen zur Beschleunigung.« Mir war, als gäbe ich statt des kostbaren Treibstoffes mein eigenes Blut, aber wir mußten weg von diesem Asteroiden. Ich hatte ihn zur ersten Suche als logisch ausgewählt, Junior würde also dasselbe tun. Nach fünf Minuten Akzeleration schaltete ich den Antrieb ab, und wir waren im freien Fall zum Mittelpunkt der treibenden Materieklumpen. »Jetzt nicht mehr sprechen«, warnte ich. »Sie tragen vielleicht auch Standardhelme.« Wir trieben durch die Dunkelheit, die auch von den kleinen Lichtern der Instrumentenwand nicht aufgehellt wurde. Wir fühlten uns in dieser grenzenlosen Leere verloren.
Der Mittelpunkt der Asteroidengruppe war, wie mein Infrarotstrahl angab, ein zerklüfteter, mit Löchern und Höhlen ausgestatteter Lavaklumpen. Ich ging in einen engen Orbit und suchte nach dem, was ich finden wollte. Endlich hatte ich eine breite Ebene, die an der einen Seite eingefaßt war von wilden Felszacken und grotesken Höhleneingängen. Wenig später landete ich gegenüber von diesen Felszacken und Höhlen, so weit weg, wie das Gelände es erlaubte. Ich bedeutete Helen, zu schweigen, verriegelte das Boot und setzte es unter Druck. Sie sah mir erstaunt zu, als ich aus dem Anzug schlüpfte. Dann entnahm ich einem Ersatzteilschrank zwei Konverter, zertrümmerte sie und demolierte dann auch die, welche im Maschinenraum im Gebrauch waren. Das war zuviel für Helen. Verblüfft nahm sie den Helm ab. »Sag mal, bist du wahnsinnig geworden?« fragte sie. »Nein.« Ich leerte den restlichen Treibstoff aus. »Du willst doch lebend hier wegkommen, oder?« »Jetzt können wir doch gar nicht mehr weg.« »Setz deinen Helm wieder auf, und wenn du diese Knaben hörst, laß es mich wissen. Ich muß jetzt schnell arbeiten und kann nichts erklären.« »Jawohl, Sir«, schnappte sie und gehorchte. Dann kam die große Werkzeugkiste dran, die ich in die Luftschleuse schob. Es folgte ein Behälter mit Lebensmitteln. Helen kochte, das sah ich an ihren Augen. Ich suchte mir die größte Taschenlampe heraus, etwa armdick und drei Fuß lang, gab Helen die gleiche und ließ die Luft aus dem Boot. Ich winkte ihr, sie solle mir folgen, und ging zum Ausstieg. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich jetzt schon beerdigt gewesen. Ich gab ihr die Leine für die Lebensmittelbehälter, nahm die Werkzeugkiste und stieg hinter ihr aus. Dann verschloß ich die Luftschleuse und beleuchtete unseren Weg mit kurzen Lichtblitzen meiner Taschenlampe.
Die Lebensmittel versteckte ich in einer Höhle, das Werkzeug in einer anderen, uns selbst in einer dritten. Die letzte war ziemlich eng, und als ich sie streifen mußte, erntete ich dafür einen wütenden Blick. Ich konnte aber nicht mal grinsen. Ob sie sich dafür später entschuldigen würde, wagte ich nicht einmal zu hoffen, weil ich ja nicht ahnte, ob ich nicht schon unser Todesurteil unterschrieben hatte. Ich handelte teils nach Intuition, teils nach Logik und bekannten Tatsachen. Natürlich konnte ich mich irren, aber dann waren wir schon tot. Wir erschraken beide, als wir die Stimme in den Helmen hörten. »Versuch mal den hier«, sagte er. »He, was ist denn das? Dort unten?« Natürlich konnte ich nicht sagen, ob er unser Boot gesehen hatte oder gerade einen anderen Asteroiden begutachtete. Wir hatten keinen Bezugspunkt und sahen nichts, also konnten wir den Standpunkt des Sprechers nicht ausmachen. »Das sind sie«, sagte eine andere Stimme. »Ahoi, Murchison! Bist du da unten?« »Was wollt ihr?« fragte ich. »Dich. Wie willst du’s haben? Leicht oder ein bißchen härter?« »Du sprichst immer noch in Rätseln«, erwiderte ich. »Wir wollen dich und Captain Wall. Wollt ihr euch freiwillig stellen, oder müssen wir grob werden?« »Wer ist wir?« »Egal.« Die Stimme wurde ungeduldig. »Wir sind zwölf und bewaffnet. Ihr seid es nicht. Also sei kein Narr… Landen, dort…« Wo ›dort‹ war, hatte ich mir ausgerechnet. Es war praktisch auf unseren Knien.
So war es auch. Das Beiboot hielt keine zwanzig Fuß von uns entfernt auf dem Sand. Ich bedeutete Helen, sie solle sich ruhig verhalten, und huschte zum Stern des Bootes, wo ich die Ankömmlinge zählen konnte. »Das ist deine letzte Chance, Murchison«, sagte die Stimme. »Noch zehn Sekunden…« »Neun davon kannst du dir rausgeben lassen. Komm und hol mich doch.« Elf Gestalten in Raumanzügen stiegen aus. Sie besahen unser leeres Rettungsboot und ließen die Luftschleuse dabei offen. Das hieß also, daß noch ein Mann drin war, vermutlich der Pilot, und das Schiff stand nicht unter Druck. Außer den Stimmen im Helm konnte er nichts hören. Es war also egal, wie schnell wir an Bord kamen, oder ob wir irgendwo anrempelten. »Ausschwärmen«, befahl der Anführer. »Keine Chancen. He, Murchison, ich weiß, daß du ein raffinierter Bursche bist, aber du hast wirklich keine Chancen. Sei gescheit und gib auf.« »Helen, bring das Zeug her«, befahl ich leise. Sie holte Werkzeug- und Lebensmittelbehälter aus den Höhlen, und ich redete mit den Angreifern. »Ich warne euch, wer immer ihr auch seid, daß ich mindestens acht von euch kriege, ehe ihr uns habt, das heißt, wenn ihr überhaupt den Mut aufbringt, es zu versuchen. Und daran zweifle ich. Ihr seid doch alles nur Feiglinge.« Ich ging zur Schleuse und winkte Helen, mir zu folgen. »Na, was hält euch noch auf? Wollt ihr euer Leben noch ein bißchen länger genießen? Bleibt ihr stehen, um ein wenig zu beten?« Jetzt war ich in der Luftschleuse. Ich konnte mich zwar nicht nach Helen umschauen, war aber überzeugt, sie würde ihre Sache schon recht machen. »Pete«, befahl der Anführer, »du gehst zur Luftschleuse und stellst dich seitlich auf. Der Rest von euch paßt auf. Ich gehe
hinein, und ihr kommt gerannt, wenn ich’s sage. He, hast du Angst, Murchison?« »Du hast Angst«, sagte ich, als ich vorsichtig zum Kontrollraum weiterging. Der Pilot beobachtete den Angriff, »Besonders Pete. Er hat ja Angst vor der Luftschleuse.« »Nein, wirklich?« höhnte Pete, und ich schlug dem Piloten meine große Taschenlampe ins Genick. Dann warf ich ihn ein bißchen zur Seite, schaltete den Antrieb ein – wir waren weg. Der plötzliche Feuerstrahl aus den Jets schreckte sie auf. Sie begriffen nichts, weil sie mich noch in meinem eigenen Boot wähnten. »Harry, was ist denn los?« rief der Anführer. »Komm sofort zurück!« »Fröhliche Jagd und Halali, Jungens!« rief ich ihnen noch zu. Helen taumelte herein. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. »Ich glaube, ich habe eine Rippe gebrochen«, flüsterte sie. »Bleib nur noch fünf Minuten bei Bewußtsein«, bat ich. »Hier, übernimm die Kontrollen. Geh dorthin zurück, wo wir waren.« Sie übernahm, ich handelte. Ich verriegelte das Schiffchen, setzte es unter Druck und stieg aus dem Anzug. Dann nahm ich dem bewußtlosen Piloten den Helm ab, riß den Kommunikator heraus, befestigte ihn neu und fand eine Schnur, mit der ich ihn fesseln konnte. Dann warf ich ihn den Mittelgang entlang. Ich half Helen aus dem Anzug und meinte, es sei ein einfacher Bruch, der mit Klebstreifen ruhiggestellt werden konnte. Sie wurde dabei ein paarmal kurz bewußtlos, und ich hatte ja auch noch das Schiff zu fliegen. Aber dann lächelte sie mich dankbar an. »Ist’s jetzt besser?« fragte ich. »Ja, Doktor, jetzt ist es besser… Weißt du, als ich die Schleuse schloß, stemmte ich mich zum Abheben ein, aber die Werkzeugkiste tat es nicht. Ich wurde gegen den Handschleusenverschluß gedrückt, und da brach meine Rippe
und die Leine von der Werkzeugkiste. Aber dir, Mr. Murchison, muß ich schon ein Kompliment für den ausgekochten Trick machen.« »Danke, Captain, Ma’am.« Wir sahen einander an und lachten, nicht weil etwas so spaßig war, sondern weil wir es für eine gute Idee hielten. »Kannst du jetzt mal übernehmen, während ich mich um unseren Passagier kümmere? Mir ist zwar egal, ob er sich das Genick gebrochen hat, aber…« Ich nahm Harry den Blaster ab, den Gürtel und die Ersatzzylinder und hängte mir den ganzen Christbaumschmuck selbst um. Dann schleppte ich ihn in die Kontrollkabine und setzte seinen Helm ab. Er hatte ein mageres dunkles Gesicht, einen verkniffenen Mund, ein spitzes Kinn und schwarze, gemeine Rattenaugen. »Jetzt müssen wir noch einen hungrigen und durstigen Mund durchfüttern«, sagte ich. »Schade, daß ich dir nicht den Hals umgedreht habe.« Ich wandte mich an Helen, weil der andere nichts sagte. »Was sollen wir mit ihm tun?« »Was können wir tun?« wollte Helen wissen. »Einiges. Ich könnte ihn mit seinem eigenen Blaster verschmoren, aber das gäbe Ärger. Oder wir könnten ihn an der nächsten Haltestelle absetzen. Ich hab den Kommunikator aus seinem Helm genommen, und jetzt kann er keinen rufen, der in die Nähe kommt, bevor er erfriert oder erstickt, aber er könnte sehen und sich bewegen.« Es war kaum zu erkennen, ob in den Augen auch nur eine Spur Angst flackerte. »Oder«, fuhr ich freundlich fort, »wir könnten ihn dorthin zurückbringen, wo der Rest seiner Bande ist. Ich glaube, sie würde gerne mit dem reden, der zuließ, daß sein Schiff und er selbst gestohlen wurde.«
»Nein!« Das war nur ein nacktes Angstgeflüster. »Mr. Murchison… Sir… alles andere, nur das nicht! Sie würden mich in der Luft zerreißen.« »Das würde mir das Herz brechen. Wir haben keinen Platz für dich.« »Warum nicht? Ich bin geschickt und ein guter Pilot. Ich kann helfen.« »Du bist für mich nur Ballast. Und außerdem würde ich dir keine zwei Millimeter weit trauen, viel weniger an den Kontrollen.« »Heimathafen in der Nähe. Sollen wir landen?« fragte Helen. »Ja, wo wir vorher waren… Und mit dir, Harry, befasse ich mich, sobald wir hier fertig sind.« »Was tun wir hier?« fragte Helen. »Ich habe eine Idee, die ich ausprobieren muß. Ich wollte dieses Boot haben. Es hat Wechreigen-Konverter, und die können vielleicht das tun, was die unseren nicht geschafft hätten.« Ich gab Helen den Blaster. »Du behältst diesen Knaben hier im Auge. Ich schaue mir schnell das Boot an, dann steige ich aus. Du wirst besser einen Helm aufsetzen, wenn ich hinausgehe.« Oh, wie sehr hätte ich mir Carroll im Schiff gewünscht, als ich die Konverter und den Antrieb nachsah! Ich bildete mir nicht ein, über Fissionsantriebe annähernd soviel zu wissen wie Carroll. Ich mußte mich ganz auf mein Ohr verlassen, aber wenn es stimmte, was ich hörte, waren wir für einige Zeit aus der Klemme entkommen. Ich entleerte die Konverter in einen Vorratstank und nahm aus dem Gedächtnis heraus und ganz nach Gefühl einige Veränderungen an den Instrumenten vor. Dann kehrte ich zu Helen zurück. »Wieviel weißt du über Wechreigen-Konverter?« fragte ich sie.
»Ich weiß, wie sie arbeiten«, antwortete sie, ohne einen Blick vom verschnürten Harry zu lassen, »und ich kann sie auch reparieren. Was willst du wissen?« »Siehst du, wir haben eine Menge Nitrogen fünfzehn. Der Strahlungsfaktor in unserem spaltbaren Material ist zwei Punkt-acht. Aber dieser Sand da draußen ist acht-Punkt-vier. Wenn meine Vermutung stimmt und ich die Konverter korrekt eingestellt habe, bekommen wir mehr als vierhundert Prozent Leistung, und damit kämen wir in die Raumschiffklasse. Ich habe die Zufuhrkontrolle auf sechs und die Antriebsintensität auf achtzehn eingestellt. Wie klingt das als Experiment?« »Ich würde lieber die Intensität auf zwölf zurücknehmen«, riet sie. »Vielleicht ginge auch die höhere Leistung, aber wir wollen doch nicht unbedingt zur Nova werden, wenn das nicht richtig ist. Die Strahlung verwandelt dieses Nitrogen in Nitrogen dreizehn und Helium, und du weißt, was passiert, wenn dieser Prozeß zu schnell abläuft.« »Dann wäre uns das ziemlich gleichgültig«, gab ich zu. »Warum also überhaupt das Risiko eingehen?« »Wenn wir hier bleiben, sind wir lahme Tauben. Clayborne wird sicher nachschauen, was aus seinen Gangstern geworden ist, oder er schickt jemanden her. Wenn das mit diesem Sand geht, und wir werden nicht in den Raum geblasen, wenn ich es ausprobiere, dann könnten wir nach Corfus kommen. Und dort hätten wir mehr Platz, uns zu verstecken. Willst du das Risiko eingehen?« »Was kann ich denn verlieren? Aber bleib nicht länger aus als unbedingt nötig, hörst du?« »Ich brauche ungefähr eine Stunde…« Ich sah Harry an. »Habt ihr eine bestimmte Zeit ausgemacht?« »Krieg’s doch selbst raus«, fauchte er. Ich gab Helen den Helm und zog meinen Anzug an. »Laß ihn nur ja nicht aus den Augen«, warnte ich sie. »Und wenn er eine
falsche Bewegung macht, mußt du ihn ohne zu zögern erledigen.« Sie nickte, und ich ging mit einem großen Bleikasten nach draußen. Den schaufelte ich voll Sand, brachte ihn zum Maschinenraum und arbeitete daran. »Halt die Daumen!« schrie ich, als ich damit fertig war. Ich experimentierte mit der Mindestmenge an Nitrogen, aber auch so war mir ziemlich komisch zumute. Ginge etwas schief, würde ich es nie mehr erfahren. Das Kontrollventil bediente ich wie eine zornige Kobra. Ich verstärkte die Strahlung immer nur um einen winzigen Bruchteil eines Grades; dann zischte es, und die Reaktion begann. Ich sah, daß in der Kammer riesenhafte Kräfte am Werk waren, drehte jetzt die Analysatoren an und stellte einen Ausnutzungsgrad von 98,2 Prozent fest, eine bisher unerhörte Ziffer. »Jake?« rief Carroll. »Schlechte Nachrichten. Eben hat Clayborne sein Schiff in einem Beiboot verlassen, in deine Richtung. Hoffentlich hörst du mich, Jake.« »Oh, Lord!« sagte ich zu Helen. »Ich glaube, ich schaffe es nicht mehr rechtzeitig. Hoffentlich findet er uns nicht.« »Beeil dich, Jake«, drängte sie. Aber gerade das durfte ich nicht wagen. Ich mußte ein winziges Schrittchen nach dem anderen tun, alle denkbare Strahlung abschirmen und immer wieder den Treibstoff übertragen. Eile, das hieße vielleicht in die Luft oder in das Vakuum geblasen werden. Ich war aber fast fertig, als ich Claybornes Stimme in meinem Helm hörte. Er rief seine Männer, die nichts mehr gesagt hatten, nachdem sich Carroll meldete. »Pete, Harry, wo seid ihr denn?« »Boß, wir sind auf dem Zentralasteroiden«, antwortete Pete. »Habt ihr Murchison und Miß Wall gefunden?«
»Ja, Boß. Aber schauen Sie, Mr. Clayborne, werden Sie jetzt nicht sauer. Verstehen Sie, Jake ist hier gelandet, und wir fanden ihn auch, aber er hat sein Boot demoliert, wir griffen es an und…« »Wo ist Jake Murchison«, fragte Junior bitterböse. »Ja, das wissen wir eben nicht genau. Er hat unser Boot – und Harry.« Das folgende Schweigen war unheilträchtiger und beredter als Flüche. Ich sah direkt Claybornes jungenhaftes Gesicht in grimmige Linien zerfallen. Sein Vertreterlächeln durfte ihm vergangen sein. Ich lachte ein wenig in mich hinein, als ich die Kontrollen wieder anschloß und zu Helen zurückkehrte. Ohne ein Wort zu reden, bedeutete ich ihr, sie solle zum Akzelerationsbunk gehen; dort polsterte ich ihre Rippen noch besonders gegen den Schock ab. Harry warf ich auf einen anderen Bunk, und mich schnallte ich an den Pilotensessel. Unsere Startflamme erhellte den Himmel meilenweit, bis ich sie gedrosselt hatte. »Guter Gott!« schrie Junior. »Was ist denn das?« »Murchison«, sagte ich. »Hätte ich Waffen, würde ich Ihre ganze Bande ausrotten. Bis später, Junior. Das verspreche ich.« »Aber das kann doch nicht unser Boot sein«, bemerkte er ungläubig. »Wie Sie meinen, Junior«, sagte ich gelassen. »Dich krieg ich noch, Jake«, knirschte er, »sobald ich meine Ganoven an Bord genommen habe. Du entkommst mir nicht. Und du bekommst nur noch eine einzige Chance, dich zu ergeben.« »So, so«, meinte ich. »Helen, was bekommen wir zu essen?«
Rettungsboote sind nicht unbedingt raumtüchtig, dazu sind sie auch nicht bestimmt. Der Rumpf war robust und ertrug auch Hitze, aber man hatte einfach nicht genug Platz, aus bekannten Stoffen Antriebskraft zu erzeugen, in welcher Form auch immer. Sie dienten für Rettungsfälle oder für kurze Forschungsunternehmen; für dieses eroberte Boot galt das jedoch nicht. Hinter den Knöpfen der Instrumentenkraft lauerte jede nur erdenkliche Energie. Das war sehr aufregend, doch ich widerstand der Versuchung, auf Höchstbeschleunigung zu gehen, sondern blieb auf zwei Gs, bis wir in einer weitgezogenen Kurve nach Corfus flogen. Der Planet wurde größer und blauer, und wir waren auf Gefühls-Astrogation angewiesen, doch ich ging bald auf Automatik über. »Okay?« fragte ich Helen. Sie war blaß, doch sie lächelte. »Ein bißchen rauh „war es ja schon, aber innere Verletzungen scheinen nicht vorzuliegen. Ich bin bald wieder so gut wie neu.« Oder tot, dachte ich. »Du brauchst etwas zu essen«, sagte ich. »Erst will ich etwas wissen, Jake. Was gewinnen wir auf Corfus?« Ich hatte bisher instinktiv gehandelt, mußte jetzt also einen Moment überlegen. »Zeit«, sagte ich. »Du hast doch gehört, was Clayborne versprach. Er folgt uns in seinem Kreuzer. Ich glaube nicht, daß er uns fängt und findet, ehe wir uns versteckt haben. Er weiß aber, daß wir nur nach Corfus können. Aber Carroll und Cap wissen nichts. Wenn Junior nicht auf sie aufpassen kann, folgen sie uns so schnell wie möglich.« »Warum gehen wir nicht zum Zentrum zurück und informieren die Raumpatrouille?« »Was könnten sie sagen? Daß ein bewaffneter Kreuzer unterwegs ist. Die Raumpatrouille braucht auch weitere Informationen, ehe sie Junior finden kann. Nein, Carroll wird
sich schon was ausdenken, um uns helfen zu können. Dort unten hat die Zeit noch gegen uns gearbeitet, jetzt ist sie für uns. Junior muß uns finden, ehe wir Verstärkung bekommen, oder sein Braten fällt ins Feuer. Vielleicht können wir uns lange genug versteckt halten. Wir müssen eben auf Zeit spielen.« »Ja, aber Corfus!« rief sie. »Ich weiß. Man sagt, es sei tödlich. Wollen mal sehen, ob wir was darüber herausfinden.« Ich suchte im Kartenschrank nach Informationen über den Planeten. Es war nicht viel, was ich fand. Man hatte ihn nie genau erforscht, da man ihn des Klimas und der geologischen Fakten wegen für wertlos hielt. Ich las: Entfernung von der blauen Sonne des Systems 65.231.000 mi. Durchmesser am Äquator 7.542 mi. axiale Rotation 16 Std. orbitale Drehung 254 Tage; Hurrikane gelegentlich bis zu 15.6 Carson-Skala, auch starke Flutwellen, die Boden, Flora und Fauna großenteils zerstören; eine Tierart bekannt, weitere vermutet. Beobachtet von Jackson aus geringerer Entfernung und als eine Art fliegender Reptilien klassifiziert. Vermutet aber unbewiesen sind schwarze, große, haarige Wesens. Viel war das nicht, aber es ließ sich sowieso nicht alles in Worte fassen. Und da wir eine Menge zu tun hatten, prüfte ich erst Helens Rippen und ihren Puls nach, dann Harrys Fesseln, ehe ich mich um etwaige Schäden kümmerte, die von der Werkzeug- und Lebensmittelkiste verursacht worden sein konnten. Es war eigentlich gar nicht so schlimm. Der Lebensmittelbehälter war an einen Chromastahlpfeiler gedonnert, und die Werkzeugkiste knallte in den Behälter. Dosen und Packungen lagen ziemlich verstreut herum, und das mußte wieder in Ordnung gebracht werden. Ich wußte schon, wer das tun konnte.
»Ich weiß, daß es nicht gut ist, aber wenn du auch nur einmal schief schaust, schmorst du in deinem eigenen Blasterstrahl. Räum das Durcheinander auf und bereite etwas zu essen vor.« Ich band ihn los, und er ging schweigend, aber auch haßerfüllt. Ich setzte mich so, daß ich ihn im Auge behalten konnte, aber auch die Instrumente sah. »Mein Onkel Samuel hatte einen Spruch«, erzählte ich Helen. »›Glaub mir ja nicht, daß es nicht noch schlimmer kommen kann, das tut es immer.‹« Ich erntete dafür ein mattes Lächeln. »Aber wir leben noch.« Sie zuckte die Achseln, obwohl es ihr weh tat. »Ich glaube, es kann gar nicht mehr schlechter werden«, meinte sie. »Müssen wir jetzt die Suche nach Phamigns Labor aufgeben?« »Das hängt davon ab, wie lange wir am Leben bleiben. Schau mal, du könntest ein bißchen schlafen. Harry ist beschäftigt. Zur Suppe rufe ich dich dann schon.« Sie schloß die Augen, vielleicht um über die nächste Zukunft nachzudenken, falls es diese überhaupt gab. Würde Junior versuchen, Cap und Carroll zu erledigen und natürlich Pat? Und tat er es nicht, würden die drei ihm folgen? Konnten wir überhaupt auf Corfus landen? Plötzlich hörte der Antrieb auf. Ich musterte die Instrumentenanzeiger. Alles war tot. Da nahm ich den Blaster und ging nach hinten. »He, bleib stehen, wo du bist!« rief Harry. »Sonst setze ich die Strahlung auf zwanzig.« Ich blieb stehen. Was blieb mir anderes übrig? Er war zu allem fähig. »Wirf deinen Blaster weg. Schnell.« Ich konnte ihn mit dem Strahl über die ganze Ganglänge weg nicht erreichen, also warf ich den Blaster weg. Er schwebte weiter, bis er ihn auffangen konnte. »Und jetzt zurück zum Pilotenraum«, befahl er.
Das tat ich. Der Antrieb setzte wieder ein, und er kam zum Kontrollraum, beobachtete Helen und mich und hielt den Blaster schußbereit. »Ich schnalle mich jetzt im Bunk fest, und dann gehen wir irgendwohin. Ich will nicht, daß mich diese Burschen kriegen, und du, Jake Murchison, wirst mich aus dem Schlamassel herausholen. Glaubst du, ich hätte nicht zugehört, als du mit deiner Puppe die ganze Sache bequatscht hast? Also los jetzt.« Er schnallte sich an, doch ich bewegte mich nicht. »Na, wird’s bald?« schnarrte er. »Ich will es erst für Captain Wall etwas bequemer machen, und wenn das dir nicht paßt, kannst du zur…« »Bleib, wo du bist!« fauchte er. »Ich mag nicht«, erklärte ich und ging zu Helens Bank. Ich straffte meine Schultern gegen den tödlichen Strahl, der Jakes Ende bedeuten würde. Er kam nicht. Ich schüttelte Helen sanft. »Vergiß Onkel Samuel nicht«, sagte ich leise und machte eine Kopfbewegung zu Harry. »Oh, nein, nein!« stöhnte sie angstvoll. »Ich habe die Konverter vergessen. Ich muß dich so gut wie möglich festschnallen, denn Harry-Boy wird eine Beschleunigung vorhaben. Tut mir leid, Baby.« Ich machte es für Helen so bequem wie möglich. »Was ist mit etwas Eßbarem für sie?« fragte ich Harry. »Es geht ihr nicht gut.« »Verschwendung, wenn ich sie umbringen muß«, brummte er. »Wenn du nicht spurst, ist sie zuerst dran. Sie fliegt ja dieses Boot nicht. Also, mach schon.« Ich schnallte mich an und beschleunigte allmählich. »Schneller«, fauchte er. Er hielt den Blaster auf Helen gerichtet, doch er war zu weit von mir weg, als daß ich ihn erfolgreich hätte anspringen können. Ich drehte den Kopf zu ihr um. Sie war blaß, nickte aber.
Ich drehte bis auf drei Gs auf. Harry lachte gellend und verlangte mehr. Er bekam es. Helen biß sich die Unterlippe wund, aber wir kamen auf viereinhalb, auf vierdreiviertel Gs. »Ich kann es nicht mehr aushalten!« schrie Helen. »Mehr, mehr!« brüllte Harry. Da stellte ich die Beschleunigung ab. »Wir tauchen sehr bald in die Atmosphäre«, sagte ich und deutete nach vorn. Corfus hing groß und blau direkt vor uns. »Bei dieser Geschwindigkeit wirst du plattgedrückt wie eine Wanze. Entweder schieß, oder ich bringe uns lebend hinunter.« Endlich schien ihn ein bißchen von seinem Tempowahnsinn zu verlassen; nicht viel, aber er meinte: »Hast recht. War aber ein Riesenspaß.« Dazu kicherte er kindisch. Helen schien bewußtlos zu sein, aber zu leben. Ich ging in einen langgezogenen Orbit um den blauen Planeten. Von dieser Entfernung aus konnte ich nichts Genaues ausmachen, nur etliche Wolkenhaufen. Ein Ozean ließ sich erkennen, dann ein Kontinent mit bläulichen Vegetationsklumpen. Weit weg und kalt schien die blaue Sonne Corfus. Und schließlich tauchten wir in die Atmosphäre ein. Ich kam aus dem ruhigen Raum in eine so stürmische Atmosphäre, wie ich sie mir nie hätte vorstellen können. Wir wurden unbarmherzig herumgebeutelt. Wir fühlten uns wie eine dünne Eierschale in der Hand eines Giganten. Ich versuchte, die Nase aufzurichten, so daß ich die Sternjets zünden konnte, wurde nach oben getrieben, dann wieder nach unten geworfen und herumgewirbelt, es war eine Hölle. Mir machte dieser Irrsinn schon zu schaffen, obwohl ich den zusätzlichen Schutz des Pilotensessels hatte, aber wie mochte es Helen gehen? Ich konnte mich nicht mal nach ihr umschauen. Und eine Landemöglichkeit sah ich auch nicht, denn Böen trieben uns weit über einen aufgewühlten Ozean hinaus. Ich schwitzte und versuchte Höhe zu gewinnen, und
dann packte uns wieder ein Wirbel und schleuderte uns nach oben. Ein paar Stunden dauerte dieser Kampf, es waren Ewigkeiten für mich. Der menschliche Körper und Geist kann nur in begrenztem Maß dulden, und das geschah jetzt mir. Ich wußte nicht mehr, sollte ich mich vom Sturm treiben lassen, oder gegen ihn kämpfen. Eines war so schlecht wie das andere. Und dann… Es war, als habe jemand an einem Schalter gedreht. Wir bewegten uns mit normaler Geschwindigkeit weg von der Planetenoberfläche. Natürlich wurde ich mißtrauisch und änderte den Kurs, aber alles blieb friedlich. Ich beschrieb einen weiten Kreis hoch über einer von steilen, nackten Felsen eingesäumten Ebene. Ehe ich nach Helen schauen konnte, mußte ich nach einem sicheren Platz suchen. Ich hatte, falls der Sturm wieder einsetzte, nicht mehr die Kraft, dagegen anzukämpfen. Ich war bis zur Erschöpfung und Betäubung körperlich und geistig müde, handelte nur noch wie ein Roboter und registrierte automatisch die ganze Topographie da unten. Als ich den Platz sah, fühlte ich mich nicht einmal erleichtert. Ich ging hinab zum Eingang einer großen Höhle, bediente mich instinktiv der Nasen- und Rumpfjets und näherte mich langsam dem dunklen Bogen. Dort würden wir uns sicher fühlen können. Vielleicht. Als wir dieser Höhle schon nahe genug waren, entwich daraus etwas Großes, Schwarzes und Haariges und verschwand. Eine vage Angst durchdrang meine Lethargie, und mir fiel der Ausdruck Kräfte der Dunkelheit ein. Er umschloß alles, was ich nicht mehr fühlen oder in Worte fassen konnte. Ich drückte nur noch automatisch auf Knöpfe, und das Röhren der Jets wurde zum hohlen Dröhnen, als wir in die Höhle einfuhren. Im Infrarotstrahl entdeckte ich kein
weiteres Leben, und ich setzte das Boot auf einem trockenen Felsboden auf. Dann wurde ich bewußtlos.
Ganz allmählich kam ich wieder zu mir, und da begriff ich auch noch nicht gleich, was da vor mir auf dem Boden lag – Harrys Blaster. Ich wußte nur, daß ich das Ding kriegen mußte, doch die Aufgabe war furchterregend schwer. Jede Bewegung meiner schmerzenden Muskeln war eine Tortur. Ich fummelte ungeschickt an den Verschlüssen des Sessels herum, und es war ein Wunder, daß ich mich aus dem Harnisch befreien und meinen Sessel verlassen konnte. Dann lag ich auch schon platt auf dem Gesicht. Ich hörte einen Plumps, schaute auf und sah Harry ebenfalls auf dem Boden liegen. Blut tropfte aus seinem Mund, und mühsam streckte sich seine Hand nach dem Blaster aus. Er atmete rasselnd. Wir waren beide gleich erschöpft, aber nach einer Ewigkeit schlossen sich unsere Finger gleichzeitig um die Waffe. Wir kämpften miteinander um ihren Besitz – mit der Kraft von Ameisen, und dann entglitt sie uns doch und rutschte an ein Schott. Ich fand seine Kehle, er die meine, und keiner hatte Kraft genug, auch zuzudrücken. Wir waren mit Haß bis obenhin angefüllt, doch er war wirkungslos. Harry erholte sich zuerst, denn ich hatte ja an den Kontrollen gesessen und war erschöpfter als er. Schließlich gelang es ihm, zur Waffe zu kriechen, und er lag keuchend und mit idiotischer Miene da. Ich schloß die Augen. Einige Zeit verging, und als ich meine Augen öffnete, saß Harry auf dem Boden. Er lehnte am Schott, die Waffe lag auf einem Knie und war, wenn sie auch zitterte, auf mich gerichtet. Ich war noch nicht kräftig genug, ihn anzugreifen, doch reden konnte ich.
»Bevor du etwas Drastisches tust, solltest du etwas wissen«, sagte ich. Er verzog nur müde den Mund, doch ich erzählte ihm von dem haarigen, großen Ding, das die Höhle verlassen hatte, erfand noch einige Verzierungen dazu, fügte Aberglauben und Folklore bei und schuf so einen wirksamen Hintergrund. »Siehst du, Harry, das ist da draußen«, sagte ich. »Vielleicht kommt das Ding bald zurück, aber dein Blaster nützt dir gar nichts, nur das Wissen, das ich in meinen Fingerspitzen habe.« Harry hatte während meiner Erzählung die Augen immer mehr verdreht, sein Gesicht wurde allmählich grün, und er leckte sich die Lippen. »Du weißt, ich will dich nicht umbringen«, redete ich ihm zu. »Dazu hätte ich eine Menge Gelegenheiten gehabt. Wenn du am Leben bleiben willst, laß mich die Schau dirigieren. Ich weiß, was uns bevorsteht, du hast keine Ahnung, und du hast auch keine Zeit dazu, bevor du zu kleinen…« »Okay.« Er schüttelte sich, ließ aber den Blaster über den Boden schlittern, mir entgegen. Diesmal hatte ich einen Schwächeanfall der Erleichterung. Bisher hatte ich keine Möglichkeit gefunden, mich um Helen zu kümmern. Lebte sie noch? Ich hatte Angst um sie, große Angst. Allmählich konnte ich mich aufrichten und auf Händen und Knien zu Helens Bunk kriechen. Sie war unglaublich blaß, die Augen hatte sie geschlossen, und ich konnte keinen Atemzug bemerken. Zu meiner Erleichterung ertastete ich jedoch ihren Puls, wenn er auch sehr schwach war. Sie lebte, und mein Herz kehrte dorthin zurück, wohin es gehörte. Nun war ich auch wieder stark genug, aufstehen zu können. Vorsichtig nahm ich ihr die Gurte ab und rieb ihr die Handgelenke, so gut ich konnte. Sie erkannte mich nicht, als sie die vor Schmerz dunklen Augen öffnete.
»Baby, es ist Jake«, sagte ich. »Es wird alles wieder gut.« Da lächelte sie matt. »Und was gibt es zu essen?« fragte sie. Mit Harry ging ich kein Risiko ein. Ich befahl ihm, nach rückwärts zu gehen und hielt den Blaster auf ihn gerichtet. Er mußte aufräumen, etwas zu essen vorbereiten und Helen füttern, alles unter meiner Aufsicht. Nun wurde auch sie kräftiger. »Bin ich blöd, daß ich auf deine Schauermärchen von den Biestern da draußen reingefallen bin«, sagte er nach einer Weile. »Ich hab eines gesehen«, erklärte ich ihm. »Möglich, aber sonst war doch alles ein abergläubischer Quatsch. Wenn ich nicht so schwach gewesen wäre, hätte ich das Ding noch.« Er deutete auf den Blaster, den nun Helen fest auf ihn gerichtet hatte. »Ja, ich weiß, was du meinst, mein Freund«, sagte Helen. »Jake kann sehr überzeugend sein. Ich hab’s ja selbst erlebt.« »Und du bist viel besser dran, wenn du uns hilfst«, riet ich ihm. »Bis jetzt hast du verloren. Sieh zu, daß du auf die Gewinnerseite kommst.« »Du glaubst doch nicht, daß du Mr. Clayborne entkommen kannst?« höhnte er. »Er wird dich finden, verlaß dich drauf. Bis jetzt hast du nur Glück gehabt. Höchste Zeit, daß das aufhört.« Ich mußte zugeben, daß ich ähnliche Überlegungen angestellt hatte, wenn ich das natürlich auch nicht sagte. Es war ja nur eine Zeitfrage. Wir waren insofern frei, als wir atmeten, aber gleichzeitig waren wir eingesperrt. Wir konnten hier nicht weg, denn wir fürchteten einen neuen Sturm, und wohin sollten wir auch gehen? Hatten wir denn eine Wahl? »Ich wollte, ich wüßte, was Carroll tut«, sagte ich zu Helen. »Ich dachte, das wüßtest du genau, als wir die Asteroiden verließen.«
»Da waren wir noch nicht in einer Höhle gefangen, die wie ein verbundener Daumen auffällt. Ich dachte, er würde Junior folgen und herkommen, aber…« »Genau das will Mr. Clayborne, und das hoffe ich auch, daß er euch alle zusammen kriegt«, sagte Harry. »Und dann aber whammmmm!« »Du bist ein elender kleiner Teufel«, sagte ich. »Halt die Klappe.« »Könntest du den Höhleneingang irgendwie tarnen, Jake?« fragte Helen. »Vielleicht verzögert das die Sache nur, aber Oliver könnte die Suche aufgeben, wenn er uns nicht findet.« »Eine gute Idee«, gab ich zu. Ich bedeutete Harry, er solle sich auf seinen Bunk verziehen. »Laß dich ein bißchen festbinden«, sagte ich. Er leistete keinen Widerstand, als ich ihn festzurrte. Jetzt konnte er nur noch Augen und Lungen bewegen. Er stellte sich vor, Junior müsse unbedingt gewinnen, und wenn er nicht mit uns an einem Strang zog, könnte man ihn vielleicht wieder in Gnaden aufnehmen. Vielleicht hatte er damit recht. Mit den Analysatoren prüfte ich die Außenluft. Sauerstoffgehalt war gut, die anderen Elemente fast normal vorhanden, so daß die Luft also für uns atembar war. Ich ließ mir von Helen den Blaster geben und schaute sie lange und bedeutungsvoll an. »Ich bin so schnell wie möglich wieder da«, versprach ich ihr. »Du bist aber vorsichtig, nicht wahr?« drängte sie. »Klar. Der vorsichtige Jake. Sollte ich’s nicht sein, mußt du dich auf dein eigenes Urteil verlassen. Ich habe den Schirm, nicht aber den Transmitter angestellt. Ruft jemand an, während ich draußen bin, mußt du entscheiden, ob du antworten willst oder nicht. Solange der Transmitter nicht eingeschaltet ist, kann uns niemand anpeilen.«
Sie flüsterte mir ein »leb wohl, Jake«, ins Ohr, ich fühlte ihre weichen Lippen auf den meinen, dann ging ich hinaus. Ob ich sie wohl je wieder zu spüren bekam? Natürlich. Solange man lebt, kann man auch hoffen. Aber Planeten und besonders ihre Höhlen machen mir angst. Ich brauche den unermeßlichen Raum oder Zaun drum herum. Dort fühle ich mich in Wahrheit frei. Das Höhlendach über unserem Boot war so hoch, daß ich es mit der Taschenlampe nicht ausleuchten konnte. Boden und Wände waren nackt. Wenn das Wesen hier lebte, hatte es dafür keinen Beweis, zurückgelassen. Aber es roch irgendwie ziemlich kräftig, und der Geruch paßte zu dem, was ich gesehen hatte. Nun lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken entlang, als ich vorsichtig zum Höhleneingang schlich. Hoffentlich reichte im Notfall der Blaster aus. Sonst hatte ich ja nur meine nackten Hände. Ich schaute nach links, nach rechts, dann trat ich hinaus. Links war eine breite Felsleiste, die mit Steinen besät war. Sonst war nichts zu sehen. Ungefähr fünfhundert senkrechte Fuß unter mir lag eine Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte. Da und dort stand etwas Buschwerk, und das sah im blauen Licht der Sonne Corfus’ ziemlich drohend aus. Soweit ich sehen konnte, entdeckte ich keine Bewegung. Von rechts kam ein leichter Windhauch und damit der starke Geruch. Vielleicht roch es hier immer so, aber dann hätte ich keine Lust gehabt, hier zu wohnen. Immer dieses kalte Rieseln im Genick – nein. Ziemlich große Felsblöcke standen herum, als hätten Riesen einmal an einem fröhlichen Nachmittag damit gespielt. Mit dem, was ich als Ausrüstung besaß, konnte ich keines dieser Dinger vor den Höhleneingang rollen. Ich schaute also nach oben; da waren ähnliche Blöcke. Vielleicht konnte ich einen davon lockern und in eine strategisch richtige Position bringen,
so daß kein Boot hineinkommen konnte. Sah ein Suchtrupp einen großen Block vor der Höhle, würde er annehmen, daß wir anderswo sein mußten und nicht drinnen sein konnten. Da der Geruch jetzt immer stärker wurde, zog ich mich an den Höhleneingang zurück und spähte um die Felskante. Und da war, ungefähr hundert Fuß entfernt, ein solches Ding, groß, haarig und schwarz. Es hatte vier lange Beine, die falsch eingehängt zu sein schienen, und dazu ein Paar Anhängsel, die als Arme dienen konnten. Der Körper war wie eine Walze von etwa zehn Fuß Länge und vier Fuß größter Breite und mit schwarzem, glänzendem Fell bedeckt. Irgendwie erinnerte mich das Biest an einen Tintenfisch, es hatte aber riesige Augen und einen großen, gekrümmten Schnabel. Ich schüttelte mich vor Unbehagen. Nein, eine Spinne war es nicht, obwohl es schwach daran erinnerte, da die Füße anscheinend weiche, sehr breite Polstertatzen hatten. Dieses eine Tier bewegte sich nicht, aber dafür sah ich weit weg und hoch oben einiges. Erst war es ein Punkt, und ich dachte schon, es könnte die Delphin sein. Der Punkt wurde rasch größer, und dann wurde mir klar, daß es eines der fliegenden Reptilien aus dem Kartenbericht sein konnte. Das war es auch, etwa hundert Fuß lang, schuppig und wie gepanzert, es hatte riesige lederige Schwingen und einen Kopf wie die legendäre Bestie vom Loch Ness. Es spie zwar nicht Feuer, doch die Augen glühten rot. In einem weiten Bogen schwebte es auf Schwarzhaar herab, und jetzt könnte ich mich ohrfeigen für das, was ich tat. Ich bin nämlich immer auf der Seite der Unterdrückten, und dieser fliegende Nachtmahr war eindeutig im Vorteil gegenüber dem sitzenden, sowohl was Größe, als auch Gewicht und vermutlich Beweglichkeit betraf. Und die ungeheuren Fänge waren auch nicht zu übersehen.
»Dreh dich um!« schrie ich unwillkürlich, und die Wirkung war augenblicklich zu erkennen. Schwarzhaar wirbelte herum und schrie so gellend, daß ich um meine Ohren fürchtete. Der Drache ließ sich nieder, und der lange, dicke Schwanz wippte so rasend schnell, daß die Bewegung sich verwischte. Der Schwanz erreichte sein Ziel nicht, denn vom Nirgendwoher, und das schwöre ich, kamen fünf weitere Schwarzhaare, die sich an diesen Schwanz klammerten. Der Drache quäkte verblüfft, und jetzt stank es bestialisch. Zwei Mitglieder der Schwarzhaargruppe hatten alle vier Beine auf dem Boden, und jetzt wurde mir die Bedeutung dieser Polstertatzen klar. Es waren Saugnäpfe. Der Drache erzeugte mit seinen Schwingen einen kleinen Hurrikan, kam aber nicht mehr weg. Einer lief den Schuppenrücken entlang, an den Schwingen vorbei und riß den Drachenkopf ab. Dazu legte Schwarzhaar nur die Arme um den Kopf und riß ein bißchen daran, so als rupfe man den Stengel von einer Erdbeere. Ein Springbrunnen hellroten Blutes ergoß sich über die Klippe, und der Drache stürzte ab. Ich war nur froh, daß sein Blut nicht blau war. Rotes Blut ließ mich gleich heimischer fühlen. Der Drache wurde noch von einigen schrecklichen Todeszuckungen geschüttelt und lag still. Die Vierbeiner kamen heran und zerlegten ihn. Eine so unglaubliche Kraft hatte ich noch nirgendwo gesehen. Zarte Brathühner kann man auseinanderreißen, aber hier war ein gepanzertes Monster von hundert Fuß Länge, und die kurzen Beine hatten auch einen Durchmesser von einem Fuß, aber die Schwarzhaarfamilie riß Stück für Stück davon ab, bis nichts mehr übrig war außer einem Haufen stinkender Unverdaulichkeiten. Auf einmal bewegten sie sich wie ein Mann in meine Richtung. Ich sagte: bewegten, doch es war eher eine Teleportation. Erst waren sie noch mindestens
hundert Fuß weg, dann bildeten sie, und das im nächsten Augenblick, einen Halbkreis um den Höhleneingang und sahen mich großäugig an. Davonrennen nützte nichts, und wenn ich den Blaster auch nur anhöbe, wären sie schon weg. In die Höhle verschwinden? Du lieber Gott, gegen diese vereinte Kraft schützte auch sie nicht. Ich dachte nur irgendwie, daß es eine gute Sache wäre, einen solchen Mitkämpfer auf seiner Seite zu haben, falls man in ein Handgemenge verwickelt wurde. Und je mehr, desto besser. Wir musterten einander ruhig. Ein schriller Schrei, ein zweiter, ein dritter zerriß mir fast die Ohren. Anscheinend war das ihre Sprache. Sie taten nichts, ich tat auch nichts. Welch ein Unsinn! Wenn sie mich wollten, hatten sie mich, wenn aber nicht mußte ich was tun. Ich ging ihnen also langsam entgegen, Schritt für Schritt, und vermied sorgfältig jede drohende Geste. Sie zogen sich ein wenig zurück. Es war wie ein Ballett. Bis zum Rand der breiten Felsleiste gingen sie. Dort glitten sie einfach darüber, hielten sich mit ihren Saugtatzen fest und ließen mich mit ihren großen Augen nicht los. Das genügte. Sie würden mir nichts tun, jetzt nicht. Ich drehte ihnen den Rücken zu und tat ein paar Schritte zur Höhle. Über die Schulter sah ich, daß sie wieder auf die Felsleiste zurückkamen und immer ihre Zehn-Fuß-Entfernung einhielten. Ich kletterte den Fels hinauf zu dem Brocken, der mir am passendsten für den Höhlenverschluß erschien. Hätte ich nur auch solche Saugtatzen gehabt! Schließlich stand ich über dem Felsbrocken und versuchte ihn zu bewegen, doch er rührte sich nicht. Die Schwarzhaarfamilie beobachtete mich. Und dann fiel mir etwas ein. Ich ging hinab zur Felsleiste und rannte zu einem schönen, großen Block, der den Höhleneingang wenigstens zur Hälfte
verschließen konnte. Die Haarigen beobachteten mich, versammelten sich in einem Halbkreis hinter mir, als ich anschob, und dann drehte ich mich zu ihnen um. »Ich habe euch geholfen«, sagte ich, »jetzt helft ihr mir. Wälzt mir den Stein von hier nach dort.« Ich zeigte es ihnen, und sie schauten meinen Finger an. Wie sollte ich ihnen mein Problem erklären? Würden sie mir auch wirklich helfen? Oh, interessiert waren sie, denn sie beobachteten jede meiner Bewegungen. Entweder verstanden sie mich nicht, oder es war ihnen egal. Ich setzte mich auf einen kleineren Brocken und schaute finster drein. Ihr Geruch fiel mir jetzt gar nicht mehr auf. Dann schaute ich in den Himmel hinauf, und ihr Blick folgte dem meinem! Dann sahen sie mich wieder an. Wieder schaute ich den großen Block an, und das taten sie auch. Dann ging mein Blick zum Höhleneingang, der ihre auch. Und so weiter. Zwei bewegten sich, dann wieder zwei, dann die nächsten. Alle schoben an, und dann hoben sie den Felsbrocken auf, als sei er eine Feder und setzten ihn genau dort ab, wo meine Augen hingeschaut hatten. Als sie das getan hatten, kamen sie zu mir zurück und setzten sich im Halbkreis vor mich. Sie musterten mich mit ihren großen Eulenaugen, und das Spiel wiederholte sich. Schließlich war der Höhleneingang so zugebaut, daß nur noch ein schmaler Eingang blieb. Wieder saßen sie im Halbkreis um mich herum. Ich war ordentlich verblüfft. Und was jetzt? Würden sie in die Höhle mitkommen wollen? Oder würden sie außen im Halbkreis vor dem Höhleneingang warten? Und wachen? Nun, aufhalten konnte ich sie bei dem, was sie zu tun vorhatten, doch nicht. Kein Boot konnte in die Höhle hinein oder wieder heraus, aber sie konnten es.
»Vielen Dank, liebe Kinder«, sagte ich also zu ihnen und ging in die Höhle hinein. Sie waren weder freundlich, noch drohend, aber sie folgten mir nicht. »Das wär’s also«, sagte ich, als ich drinnen war. »Was kam auf dem Schirm?« Helen seufzte. »Ich hatte solche Angst, Jake. Nein, nichts war.« Sie schnupperte. »Was riecht denn da so fürchterlich?« »Ich. Wenn man nach draußen geht, riecht man so.« Ich sagte aber lieber nichts von der freundlichen Schwarzhaarfamilie, denn wenn sie mich schon nicht fraßen, konnten sie ein As im Ärmel sein. »Und wie hat sich unser kleiner Freund benommen?« »Harry? Oh, einmal versuchte er sich zu befreien, dann gab er auf. Danach fauchte er und knurrte er nur noch.« »Das solltest du lieber nicht tun, das schadet deiner Schönheit«, riet ich ihm. Er fauchte aber wieder. »Und was tun wir jetzt?« wollte Helen wissen. »Hier sitzen. Hätten wir nur ein paar Mikrospulen, dann könnten wir wenigstens lesen.« Dann knatterte der Schirm, und Carrolls besorgtes Gesicht erschien. »Jake, hereinkommen Jake, wenn ich euch erreiche. Jake!« Ich legte schnell den Transmitterschalter herum und drückte auf den Knopf. »Was hat euch denn so lange aufgehalten?« fragte ich. Er tat einen sehr tiefen, erleichterten Seufzer. »Dacht ich mir doch, daß ihr hier zu finden seid. Wo genau seid ihr?« »Kannst du uns nicht anpeilen?« »Pat versucht es gerade. Wir sind auf der Nachtseite. Wo seid ihr?« Ich überlegte. Ja, die Schatten waren da draußen länger geworden. »Ich denke, wir sind am Zwielichtrand. Aber paß
auf plötzliche Stürme auf. Wenn ihr näher seid, hole ich euch herein. Wie seid ihr davongekommen?« »Als Clayborne mit nur einem Boot zurückkam, dachte ich mir schon, daß du ihn ausgetrickst hast. Und dann mußt du irgendeinen Antrieb ausgeknobelt haben. Ich konnte mir kein anderes Ziel für euch vorstellen. Hast du wieder mit Druckluft gearbeitet?« Er lächelte sanft. Ich erzählte ihm vom Sand, und er wurde sehr nachdenklich. »Gut. Wir werden der Sache nachgehen, falls sich dafür eine Gelegenheit bietet«, meinte er dazu. »Jedenfalls folgten wir einer Ahnung, als er mit dem Kreuzer zu den Asteroiden aufbrach und folgten ihm. Wir hätten nur Zeit verloren, wären wir erst zum Zentrum, um die Raumpatrouille zu verständigen. Es sah nämlich ganz so aus, als würde Clayborne die Asteroiden nach euch absuchen, ob ihr noch dort seid.« »Oder um Phamigns Labor zu suchen«, warf ich ein. »Ja, vielleicht. Aber jetzt kommst du wohl an Bord, dann besprechen wir, was zu tun ist. Wie geht es Captain Wall?« »Gebrochene Rippe, sonst aber in Ordnung.« »Jetzt sind wir in der Zwielichtzone. Jake, wir kommen direkt auf euch zu. Pat sagt, wir müßten euch sogar sehen.« »Paß auf eine weite, nackte Ebene auf mit steilen Felsen an einem Rand. Da ist dann ein breites Felsband, und im Halbkreis kannst du davor…« »Transmitter abschalten«, rief Carroll. »Hier kommt Junior.« Einen Augenblick lang hatte es geschienen, als kämen wir aus unserer Höhle heraus, und jetzt war sie uns eher auf den Kopf gefallen. Ich machte ein langes Gesicht und sagte Helen, ich hätte gute Lust, jetzt aufzugeben. »Aber, aber, Jake! Kein Mumm mehr in den Knochen?« fragte sie. Harry feixte.
»Wir sind wie Mäuse«, erzählte ich Helen. »Draußen lauert ein Frettchen. Keine Körner im Loch. Und selbst wenn das Frettchen uns nicht findet, hinaus können wir auch nicht. Und die Rettungsgesellschaft kann es nicht wagen, unser Versteck zu verraten. Entweder wir verhungern, oder wir werden gefunden und aufgefressen.« Mißmutig und schweigend hockten wir herum. Ich überlegte fieberhaft, aber mein Gehirn brachte nur ein fruchtloses Klicken zustande. Nun ja, wir lebten, hatten ein gutes Versteck und… und was? Der Kreuzer und die Delphin konnten einen dieser schrecklichen Stürme überstehen oder außerhalb der Atmosphäre ihr Abklingen abwarten. Ein Rettungsboot konnte das nicht. Das Schwanzende eines solchen Orkans hatte uns fast umgebracht. Zwischen Stürmen konnte Junior nach uns suchen, und er würde uns auch finden – oder unsere mageren Leichen. Dann brauchte er nur noch die Delphin zu erledigen, um dann auf den Asteroiden nach Phamigns Labor zu suchen. Dabei konnte er sich Zeit lassen. Ich schaltete den Transmitter ein und aktivierte den Schirm. »Carroll!« rief ich. »Carroll, hereinkommen!« »Jake bist du verr…« begann Helen, doch Carroll fiel ihr ins Wort. »Bist du verrückt?« fragte er. »Clayborne kann dich doch anpeilen. Sofort abschalten, Jake!« »Nein, hör mir zu, Carroll. Ich hab’ die Formel. Du kannst dir vielleicht denken, wo ich bin, aber Junior muß es erst ausrechnen. Carroll, komm schnell! Du kannst vor ihm da sein, dann kommen wir an Bord. Das Labor war in dieser Höhle. Und jetzt hör genau zu. Es sieht nicht wie eine Höhle aus, weil der Eingang mit großen Felsbrocken verschlossen ist. Einige
müssen ein paar Tonnen wiegen. Und wieviel wiegt ein Rettungsboot?« »Nun ja, so ungefähr fünfzehnhundert Pfund oder so. Warum?« »Egal. Hör mir nur zu. Vor dieser Höhle ist ein breites Felsband, und wenn du ein bißchen vorsichtig bist, kannst du leicht mit einem Rettungsboot landen. Du brauchst nur die Schleuse zu öffnen, wir rennen heraus und ins Schiff.« »Jake du mußt verrückt sein«, sagte Carroll ernst. »Mit dem Kreuzer können wir’s doch gar nicht aufnehmen.« »Du vergißt den Sand. In zehn Minuten ist er durch den Konverter gelaufen. Er wird uns nie einholen. Soviel für jetzt.« Ich muß sagen, ich atmete ziemlich schwer, als ich abgeschaltet hatte. »Jake, sag mal, bist du wirklich ganz in Ordnung?« fragte Helen besorgt. »Das kriegen wir bald heraus«, antwortete ich und küßte sie schnell. Meine schwarzhaarigen Freunde saßen auf der Felsleiste, und als ich hinter einen großen Felsen trat, von wo aus ich die Ebene überschauen, selbst aber nicht gesehen werden konnte, formten sie wieder einen Halbkreis in gewohnter Entfernung um mich. Mehr wollte ich nicht wissen. Ich lief in die Höhle zurück und schaltete den Schirm ein. Oliver Claybomes Gesicht füllte ihn aus. Jetzt lächelte er nicht mehr wie ein Staubsaugervertreter, sondern er sah erschöpft und grimmig aus, aber noch grimmiger war seine Stimme. »Diesmal«, sagte er, »kommst du mir nicht davon. Ich weiß wo du bist. Das hast du eben Carroll ja sehr genau erklärt. Zufällig bin ich genau zwischen euch und der Delphin. Ihr seid also abgeschnitten. Aber ich schlage dir ein Geschäft vor, Jake. Ich will diese Formel haben, und deshalb kann ich euch nicht
vernichten, weil sonst die Formel verloren ist. Ich hoffe, du hörst das, Jake. Wenn ja, dann melde dich.« Ich schaltete den Transmitter solange an, bis ich ihm eine lange Nase gedreht hatte. »Na, schön«, schnarrte er. »Wenn du’s nicht anders willst. Aber du hast keine Chance. Warum opferst du dich und Helen, das Schiff und alle Menschen darin? Du übergibst mir die Formel und unterzeichnest ein Papier, dann kommst du frei. Das ist deine letzte Chance. Was meinst du dazu?« Ich gab ihm die gleiche Antwort wie vorher. Seine Reaktion wartete ich aber nicht ab. Den Schirm schaltete ich nicht ab, der Unterhaltung wegen, wie ich Helen erklärte. Dann lief ich zu meinem Aussichtspunkt zurück. Meine Freunde nahmen wieder die Plätze ein. Der Himmel wurde dunkler, und die schwarze Familie folgte meinem Blick. Wie im Ballett folgten ihre Köpfe dem meinen, nach links, rechts und oben. Weit weg und vor uns wurde ein Punkt immer größer, und dann röhrte er. Der Kreuzer befand sich hoch über uns, war einige Momente später wieder zurück, kreiste über der Ebene und kam in Spiralen zur Landung herab. Ungefähr fünf Meilen von uns entfernt stand er auf der blauen Ebene. Sie mußten das Rettungsboot schon fertig beladen und flugbereit gehabt haben, denn der Kreuzer hatte sich kaum auf die Hinterflossen gesetzt, als es schon aus der Ladeluke herausschoß und Richtung Höhle nahm. Der Pilot war tüchtig, das ließ sich nicht leugnen, denn er setzte haargenau und sanft auf der Felsleiste auf. Ich wartete, bis der Antrieb abgeschaltet war, dann machte ich die haarige Bande auf mich aufmerksam. Ich schaute zum Boot, dann über den Klippenrand. Das tat ich noch zweimal, bis sie begriffen, und als die Schleuse aufging und die erste Landegruppe die Köpfe herausstreckte, waren sie dort.
Ich sah, wie das erste Gesicht leichenblaß wurde, aber die Entsetzensschreie und die zugeschmetterte Schleuse waren Bonbons für meine Ohren. Sie verklangen sehr schnell, denn meine haarigen Freunde hoben das Boot an und warfen es über die Klippe. Ich wartete nicht mehr auf den Krach, sondern machte mich ihnen bemerkbar und deutete auf die Felsblöcke vor dem Höhleneingang. Die waren im Nu weggeschafft, ich rannte zum Boot, sprang hinein und in den Pilotensessel, stieß den Antriebshebel hinein und lenkte das Boot aus der Höhle. Jemand, dessen Gesicht ich noch nie gesehen hatte, rief: »Mr. Clayborne, alles in Ordnung? Was, in aller Welt, ist passiert? Antworten Sie mir doch, Mr. Clayborne!« Ich war draußen, beschrieb einen Halbkreis und beschleunigte so, daß ich abheben konnte. »Anschnallen«, warnte ich Helen. »Ich meine, wir haben nicht allzu viel Zeit.« Unten sah ich nämlich ziemlich viele Gestalten um das Boot herumlaufen, das niemals mehr fliegen würde. Das Gesicht auf dem Schirm plapperte weiter, und ich schaltete mich ein. »Ihre Landegruppe hat die Felsleiste nicht getroffen«, sagte ich. »Alle sind verletzt, vielleicht tot. Schicken Sie lieber Hilfe.« Der Schirm wurde dunkel, und da rief ich Carroll. »Wir kommen an Bord«, meldete ich. »Gegenwärtiger Kurs wird eingehalten, öffnet die Luke und fangt mich ab.« »Jake«, erinnerte mich Carroll, »die Atmosphäre…« »Oh, verdammt, das hätte ich beinahe vergessen. Muß mal nachdenken.« So geht es einem, wenn man aus Gewohnheit handelt. Im Raum und ohne Schwerkraft fühlte ich mich viel mehr zu Hause, und es war mir daher gar nicht eingefallen, daß wir hier nicht so leicht an Bord gehen konnten wie auf den Asteroiden, wo man sich nur Kurs und Geschwindigkeit des Schiffes
anzugleichen brauchte, um wie eine Feder in die Luke zu schweben. Unter Schwerkraftverhältnissen mußte man die Bauchjets zur Landung einsetzen, und man brauchte schon eine ziemliche Geschwindigkeit, um in der Luft zu bleiben. Ein wichtiger Faktor war auch der Treibstoff. Wenn meine Berechnungen auf dem Asteroiden richtig waren, hatten wir gerade etwas mehr als genug gehabt, um Corfus zu erreichen. War jetzt noch genug übrig, um ein Rendezvous außerhalb der Atmosphäre – das wäre leichter – durchzuführen? Ich konnte es nicht wagen, Harry in den Pilotensessel zu setzen oder ihn den Treibstoffvorrat nachprüfen zu lassen, und innerhalb der Atmosphäre auf Automatik gehen – das war riskant. Was dann, wenn der Treibstoff zu Ende ging, während ich den Vorrat nachprüfte und sechzig Schritte von den Kontrollen entfernt war? Das wäre unser sicherer Tod gewesen. Also kam nur Helen in Frage. »Kannst du die Kontrollen übernehmen?« bat ich sie. »Ich muß den Treibstoff nachprüfen.« »Klar«, antwortete sie und löste die Gurte. Aber sie mußte den Atem anhalten, als sie sich aufsetzte, und Tränen traten ihr in die Augen. »Ich weiß, Baby, daß du furchtbar hergenommen wurdest«, sagte ich, »aber du mußt es tun.« »Mach dir keine Sorgen«, keuchte sie, lief ein paar Schritte und klammerte sich am Pilotensessel fest. Ich verließ den Stuhl, und sie nahm meinen Platz ein. Sie war sehr blaß, und ihre Unterlippe blutete wieder. »Braves Mädchen«, lobte ich sie, und zu Carroll sagte ich: »Warte noch.« Ein schneller Blick auf die Instrumente sagte mir, daß wir nichts riskieren durften, denn Junior würde jede Panne zu
seinem Vorteil ausnützen. »Hast du uns in Sicht?« fragte ich Carroll. »Klar, in den letzten fünf Minuten.« »Dann folge uns nach unten… Helen, kannst du das Boot landen?« »Jake, das versuche ich lieber nicht, aber in den Bunk gehe ich nicht wieder. Lieber sitze ich auf dem Boden. Und wenn du es vermeiden kannst, setz nicht zu hart auf, ja?« »Carroll, sag Pat, er soll so nahe wie möglich landen und sofort gelaufen kommen, uns zu helfen. Sieht ganz so aus, als hätten wir diesmal ziemliche Schwierigkeiten.« Im Vorübergehen hatte ich bemerkt; daß Helen den Blaster auf dem Bunk zurückgelassen hatte, als sie ihren Ausflug zum Pilotensessel machte. Ich maß ihm wenig Wert bei, da Harry verschnürt war, aber ich erfuhr sehr bald, wie ungeschickt das war. Ich erfuhr es auf die harte Art, weil nämlich die Blastermündung an meinen Nacken gedrückt wurde und Harrys Sägestimme mir ins Ohr sagte: »Tu nichts Falsches, und setz ganz vorsichtig und weich an. Hier möchte ich nämlich mein Leben wieder ins Gleichgewicht bringen.« Er hat sich ja befreit, überlegte ich ziemlich töricht, und es war ziemlich unnütz, darüber nachzudenken, wie ihm das gelungen war. Helen drehte sich rasch um, und nun verschwand der Druck auf meinem Nacken, als er die Waffe auf sie richtete. »Was willst du damit gewinnen?« fragte ich ihn, nachdem ich endlich alles begriffen hatte. »Klappe halten«, sagte er. »Und tu, was ich sage. Ich hab einmal deinen Märchen zugehört. Nie wieder. Also Klappe halten.«
Nun ja, was blieb mir anderes übrig? Ich landete also auf einer weiten Ebene und stellte den Antrieb ab. Und sagte nichts mehr. »He, auf die Beine, Süße«, sagte er zu Helen. »Ihr zwei geht vor mir her, beide nebeneinander.« Wir gehorchten, gingen durch die Schleuse und betraten festen Boden, als die Delphin ungefähr fünfzig Yards von uns entfernt so sanft auf ihren Standfinnen zur Ruhe kam, daß nicht mal ein Ei zerbrochen wäre. Pat war schon ein begnadeter Pilot. Carroll kam die Gangway herab und rannte über die dämmrige Ebene. Harry wartete, bis er nahe genug war, dann ließ er seine Waffe sehen. »Halt!« rief er. Das tat Carroll, aber er sah bestürzt drein. »Wieso das?« fragte er mich vorwurfsvoll. »Ich vergaß es zu erwähnen, daß wir einen Fahrgast haben.« »Und was kommt jetzt?« wollte Carroll wissen. »Das, was ich sage«, schnappte Harry. Plötzlich und ohne jede vorherige Ankündigung formierte sich hinter Harry in einem Abstand von zehn Fuß ein Halbkreis meiner Schwarzhaarfreunde. Natürlich wußte ich nicht, ob es die von der Felsleiste waten, oder Verwandte von ihnen, aber jedenfalls waren es sechs, und ich nahm an, es waren tatsächlich meine Freunde. Helen klammerte sich an mich, und selbst Carroll holte tief Atem. Helen zog ich ein wenig näher an mich und flüsterte ihr etwas zu. Zu Carroll sagte ich, »dir werden sie nichts tun – hoffe ich wenigstens.« Harry hatte der eulenäugigen Gesellschaft natürlich den Rücken zugekehrt und erkundigte sich mißmutig, was wir jetzt wieder auskochten.
»Nichts«, versicherte ich ihm. »Ich bin nur froh, daß du zwischen uns – und ihnen stehst.« Dazu machte ich eine Kopfbewegung. »Ja?« schniefte er. »Ich soll mich wohl umdrehen, damit ihr mich anspringen könnt, was? Sucht euch lieber einen Dümmeren.« Und da muß er aus dem Augenwinkel heraus etwas gesehen haben, denn er schnellte buchstäblich den Kopf herum und erstarrte. Das war unsere Chance, ihn zu entwaffnen, aber mich interessierte das, was nun passieren mußte, viel zu sehr, und auch Carroll hatte sich in eine hingebungsvolle Betrachtung der Dinge verloren. Wir schauten also nur zu. Ungefähr zehn Sekunden lang stand Harry wie versteinert da. In der immer tiefer werdenden Dunkelheit konnten wir sein Gesicht nicht genau sehen, aber seine Schultern fielen herab, also war auch seine Miene entsprechend. Vielleicht dachte er jetzt an meine Geschichten von den lange vergessenen Unholden und ihren Riten, die sie im Licht eines vollen, grinsenden Mondes vollzogen. Er tat einen Schrei, in dem alle Ängste der ganzen Menschheit zum Ausdruck kamen, von der Zeit, da der Säbelzahntiger die Insassen einer Höhle als Mahlzeit vereinnahmte bis zum neuzeitlichen Todesschrei aus irgendeiner technischen Ursache. Er fuchtelte wild mit dem Blaster herum, schrie wieder und rannte zur Delphin. Dort stolperte er die Gangway hinauf, wimmerte und verschwand nach drinnen. Helen übergab ich Carroll. »Keine Angst«, redete ich ihr zu. »Das ist der Murchison Fanclub, der erste auf Corfus.« Ich ging auf sie zu, denn ich wollte den Blaster haben. Sie zogen sich ein wenig zurück, ich hob die Waffe auf und stieg in das Rettungsboot. Dort zerschlug ich die Konverter mit einem Hammer und kam wieder heraus.
Mein Fanclub wartete, mit ihnen Carroll und Helen, aber nur diese beiden folgten mir zur Delphin. Cap schüttelte Helen und mir die Hände. »Bin ich froh, euch wieder an Bord zu haben«, sagte er trocken. »Was war denn das, was da hereinkam und sich in einem Schrank versteckte?« Pat grinste breit, als er den Antrieb einschaltete. Zum Händeschütteln hatte er keine Zeit. Wir schnallten uns sofort in den Akzelerationsbunks an, und während wir abhoben, erzählte ich unsere Abenteuer. »Wohin wollen wir jetzt?« fragte Pat. »Zurück zu den Asteroiden«, sagte ich. »Warum?« fragte Carroll. »Du hast doch die Formel.« »Die hab ich nicht. Das war eine Kriegslist.« »Jake, hast du ein Glück«, bemerkte er. Ich sah Helen an. Ihre Augen funkelten wieder so lebendig wie vorher, nur ihre Unterlippe war etwas angekaut. »Möcht ich auch meinen«, sagte ich, und sie wurde rot. Es stand ihr reizend. »Also, hört mal zu«, forderte Pat uns auf. »Wenn wir den Kreuzer vielleicht ein bißchen bearbeiten? Wenn er alle Überlebenden an Bord hat, wird er uns ganz sicher folgen. Wenn wir ihn aber ein wenig anblasen, mit den Schwanzjets müßte das gehen, dann wird ihr Abflug vielleicht sehr lange oder für alle Zeiten aufgeschoben.« Ich schaute Cap an. Er strich sich nachdenklich durch sein Silberhaar. »Könnte der Rumpf soweit eingebeult werden, daß er nie wieder fliegen kann?« fragte er. »Könnte«, antwortete Pat. »Nun ja, gefühlsmäßig, möchte ich sagen, mag ich keinen Mord, was immer der andere Bursche auch mit mir anstellen möchte. Nach allem, was Jake uns über die Stürme hier sagte, würden wir eine ganze Bande hilflos zurücklassen, und keiner würde vermutlich den nächsten Sturm überleben, wenn er auch
den Absturz überstehen würde. Es kann falsch sein, aber wenn die Mehrheit dafür ist, den Kreuzer manövrierunfähig zu machen, bin ich auch dafür. Was meint ihr?« »Gehen wir zu den Asteroiden zurück«, antwortete ich. »Ihr letztes Rettungsboot ist im Eimer, und sie haben einen Weg von mindestens fünf Meilen, um den Rest der Landegruppe zurückzubringen. Einmal beschreiben wir aber einen Kreis um sie und schauen mal nach, was sie tun.« Die anderen stimmten zu, und Pat flog diesen Kreis. Mit Infrarotscannern sahen wir, daß der Rettungstrupp noch kaum das Durcheinander am Fluß der Klippen erreicht hatte. Das bedeutete einige Stunden Vorsprung für uns, und wir verzogen uns eiligst aus der Atmosphäre. Im Raum zog ich Harry aus seinem Versteck heraus. Er war sehr geknickt. »Ah«, wiederholte er unzählige Male und würgte heftig dabei, »ah, ich hätte ja wirklich nicht gedacht, daß es sowas gibt, das Jake erzählt hat.« Ich mußte ihm ein paar tüchtige Ohrfeigen verpassen, damit er wieder ordentlich zu sich kam, und schließlich erfaßte er auch die Lage, wie sie war. Er schaute sich im Kontrollraum um, sah Pat, Cap und vor allem Carrolls breite Schultern. »Wo bin ich denn?« fragte er noch etwas benommen. Ich sagte es ihm. »Du gehst jetzt zur Galley und sorgst dafür, daß wir etwas zu essen und trinken bekommen. Aber eine einzige falsche Bewegung, Mensch, dann werf ich dich diesen Schwarzhaaren zum Fraß vor. Wir haben nämlich drei an Bord.« Er wurde aschfahl und verschwand im Laufschritt in der Galley. »Wir müssen eine Konferenz abhalten«, schlug ich vor. »Sobald der Junior weiß, wohin wir unterwegs sind, wird er ahnen, daß ich ihn wegen der Formel angelogen habe. Ich denke aber, wir können uns vor ihm verstecken. Sind wir dort,
schalten wir alle energiegespeisten Geräte ab, damit er uns nicht anpeilen kann. Und diesmal kommst dann du mit mir, Carroll.« »Ich war leider keine große Hilfe«, bemerkte Helen verlegen. »Darum geht es nicht. Du hast dich sogar recht gut gehalten. Aber wenn Junior uns findet, ehe wir fertig sind, könnte es Schwierigkeiten geben. Da wir ihn nicht im Kampf erledigen können, müssen wir ihn austricksen. Außerdem hast du eine gebrochene Rippe. Du kannst aber einen Helm aufsetzen, wenn Carroll und ich draußen sind und uns auf dem laufenden halten.« Sie lächelte, und Carroll sagte: »Dieser Sand interessiert mich, Jake. Ich denke, da ist ein ganz verflucht gro… ah, Verzeihung, Captain, Ma’am, da ist ein sehr großes Vermögen damit zu machen. Wenn wir den Sand verarbeiten können, würde ich vorschlagen, wir werfen alles ab, was wir nicht unbedingt brauchen und laden dafür Sand ein.« »Klar, aber erst müssen wir das Labor finden, und ich möchte zu dem mittleren Asteroiden kommen, der die vielen Höhlen hat.« Harry kam mit einem Tablett voll Essen und Trinken, das er mit zittrigen Händen herumreichte. Wir aßen, und Carroll und ich beschlossen, ein bißchen zu schlafen. Ich war erschöpft, und sogar Carroll schien sehr müde zu sein. Cap weckte uns wieder auf. »Wir sind da, und alles ist abgestellt, bis auf die Scanner. Von Clayborne ist noch nichts zu sehen. Das letzte Beiboot ist fertig.« Carroll und ich zogen Anzüge an, ich winkte Helen zu, dann verließen wir mit möglichst wenig Energie die Schiffsluke. Wir landeten neben unserem anderen Boot, das ich zum Wrack geschlagen hatte, und suchten mit Taschenlampen die Höhleneingänge ab. Einige der Höhlen waren bis zu zwanzig Fuß lang, andere waren nur kleine Nischen. Dann flogen wir
mit dem Raumboot zur anderen Seite, wo ich auch eine Reihe von Höhlen gesehen hatte. Nach etwa einer Stunde angestrengten Suchens fanden wir sie. Eine Höhle mit engem Eingang weitete sich kurz hinter der Öffnung beträchtlich aus. Wir fanden eine versperrte Metalltür, die noch jetzt so unversehrt und glänzend war wie zur Zeit des Einbaues vor zweihundert Jahren. Natürlich war sie mit Herkulium beschichtet, was denn sonst. Das Schloß öffneten wir mit Hammer und Meißel und standen in einem piekfeinen Labor. Dort, wo sie nötig waren, gab es Fliesen, auch ein mit Herkulium belegter Schreibtisch war da, und der war nicht abgesperrt. Er enthielt eine Menge beschriebenen Papiers, Bücher und Notizbücher. Alles war tadellos erhalten. »Das ist es«, sagte ich mehr zu Helen als zu Carroll. »Jake«, flüsterte sie, »habt ihr’s gefunden?« »Das Labor, ja. Die Notizen noch nicht. Wir suchen erst. Ist bei euch was los?« »Nichts. Cap und Pat hängen über meiner Schulter und wollen den Grund der Aufregung erfahren. Ich muß den Helm abnehmen, um es ihnen zu sagen. Bin in einer Minute wieder da.« Als wir dann ein Dokument nach dem anderen durchsahen, hörte ich wieder ihre Stimme: »Bin wieder da. Habt ihr etwas gefunden?« »Noch nicht… Moment mal, Carroll scheint etwas zu haben… Was ist es, Carroll?« Er antwortete eine Weile nicht, dann blätterte er schnell die Seiten des Notizbuches um und nickte. »Ja, das ist es. Ich denke, wir können jetzt gehen.« Eine neue Stimme meldete sich. »Das würde ich an eurer Stelle nicht tun, Jungens.« Es war die Stimme von Oliver Clayborne.
»Oh, Jake!« ächzte Helen. »Als wir nicht aufpaßten, schaltete Harry den Transmitter ein, deshalb haben sie uns gefunden. Pat hat ihn zwar zu Boden geschickt, aber…« »Alle schön ruhig bleiben«, befahl Junior. »Ich will diese Formel haben. Wir sind am Eingang eurer Höhle, Murchison und Carroll. Wollt ihr rauskommen, oder müssen wir hinein zu euch?« Natürlich war es möglich, wenn auch nicht sicher, daß sie wirklich am Höhleneingang waren. Wenn er uns beobachtet hatte, als wir Corfus verließen, konnte er sich ausrechnen, daß wir zum Astrogationszentrum unterwegs waren. Aber die Asteroiden lagen auf dem Weg, und über den Transmitterstrahl konnten seine Detektoren uns leicht aufpicken. Da es hier keine Schwerkraft gab, war es nicht so schwierig, einen Kreuzer hier zu landen, umso weniger als Helen und die anderen an Bord der Delphin ja so intensiv mit uns beschäftigt waren. Natürlich stellten wir uns sofort auf die neue Lage ein, verständigten uns mit Gesten und schoben den schweren Schreibtisch vor die Tür mit dem aufgebrochenen Schloß, davor noch ein paar Ablageschränke. Die bauten wir so auf, daß sie eine geschlossene Reihe zur gegenüberliegenden Wand bildeten, und verkeilten sie mit kleineren Möbelstücken. »Nun?« fragte Junior, als wir damit fertig waren. »Ich nehme an, ihr müßt zu uns kommen, aber dazu braucht ihr noch ein paar Leute. Hoffentlich habt ihr genug.« »Achtzehn«, erwiderte er verächtlich. »Wirklich? Gab es so viele Überlebende? Aber ob sie reichen?« »Ein paar sind ja ein bißchen lädiert, aber mit dir und Carroll werden wir schon fertig. Ihr könntet aufgeben, Jake.« »Noch eine letzte Chance?« fragte ich.
»Nein. Die hast du schon gehabt. Das ist sie jetzt. Wenn ihr rauskommt und die Hände schön hochhebt, wird es viel einfacher für euch.« Carroll und ich gingen zur anderen Tür. »Ich möchte lieber mal drüber schlafen«, antwortete ich. »Jetzt mache ich ein Nickerchen.« »Immer diese blöden Sprüche«, knurrte Clayborne, als wir die Hintertür öffneten. Wir folgten einem langen, gewundenen, sehr engen Gang. »Es ist absolut sicher, Clayborne«, sagte ich. »Du kannst den Zugang nicht erzwingen. Also schlafe ich, bis die Raumpatrouille ankommt.« Er bellte. Ich meine, das war als Lachen gedacht, doch Wut und auch wohl Sorge machten ein Bellen daraus. »Jake, ich kann mir noch nicht alles vorstellen, was ihr getan habt, aber ich weiß, das ist auch nur wieder ein Trick. Vielleicht habt ihr recht, und ich kann nicht ins Labor eindringen, aber dann kann ich euch aushungern. Und die Delphin können wir zu Staub zerschießen.« »Du hast unseren Spezialtreibstoff und das andere Beiboot ganz vergessen«, log ich. »Es ist jetzt schon fast im Astrogationszentrum.« »Dir glaube ich nichts, Murchison, aus Erfahrung. Ich weiß, daß du dich sehr geschickt überall herauswindest, aber bei uns konntest du das nur deshalb tun, weil du uns immer zu letzten Chancen überredet hast. Jetzt rede ich nicht mehr. Ist auch nicht nötig. Ich kann mir’s leisten, zu warten, aber das kannst du nicht.« »Ist ja deine Beerdigung«, antwortete ich, als wir am Ende des langen Ganges über uns die Sterne sahen. Ganz langsam rückten wir vor und hatten den Blaster schußbereit. Falls Junior einen zweiten Eingang vermutet und dort einen Posten aufgestellt hatte, wurde es für den lebensgefährlich. Wie
verängstigte Mäuse streckten wir die Hälse aus dem Loch, schauten nach links und rechts und sahen nichts in der sternenhellen Dunkelheit. »Willst du wirklich die Formel haben, Clayborne?« fragte ich. Er schniefte. Dieses Schniefen ließ sich nicht in Worte umsetzen. »Mich hält nichts davon ab, sie zu zerreißen«, verriet ich ihm. »Pfui! Das würdest du auch nie tun. Nicht der Idealist Murchison.« »Es könnte mir aber das Leben retten.« »Und wie?« Das klang so, als hätte er es wirklich gern gewußt, und das war irgendwie gefährlicher als eine wüste Drohung. Zum erstenmal hatte er völlig klar ausgedrückt, daß er uns umzubringen gedachte. »Wenn du die Formel nicht bekommst, gewinnst du gar nichts, falls du uns umbringst«, sagte ich. »Du hast viel Geld und Zeit darauf verwendet, und es hat dich eine Menge Toter und Verletzter gekostet. Alles umsonst.« »Jake, bist du dir nicht darüber klar, daß ich schon zu weit gegangen bin, als daß ich noch umkehren könnte? Hättest du meine anderen Angebote angenommen, wäre es nicht nötig, euch umzubringen. Aber dir traue ich nicht mehr, und wenn du tausend Eide schwörst oder vor Zeugen unterschreibst. Du wirst sterben, egal was geschieht. Jetzt kannst du dir nur noch aussuchen, ob es schnell und einfach geht oder langsam und schmerzhaft.« »Gib mir ein paar Minuten Zeit zum Überlegen«, schlug ich vor. »Klar, soviel du willst. Mir ist egal, was du tust. Du kannst herauskommen oder drin bleiben, am Ende ist das Ergebnis immer dasselbe.«
Carroll winkte mir zu, und ich folgte ihm, obwohl ich wenig Sinn darin erkannte. Aber wir erreichten nichts, wenn wir stehenblieben. »Was hältst du, von seinem Vorschlag, Carroll?« fragte ich, als unterhielten wir uns im Labor. Carroll ging sofort darauf ein. »Bis jetzt ging es recht gut bei uns, und wir können nichts verlieren, wenn wir so weitermachen.« »Aber er wird sich neue Probleme ausdenken«, wandte ich ein. »Dann lösen wir sie, wenn sie auftauchen. Du weißt doch, wenn man nicht auf die eine Seite gehen kann, probiert man’s auf der anderen.« Ich ahnte nicht, was Carroll vorhatte, obwohl ich eigentlich hätte wissen müssen, daß er immer den Dingen genau auf den Grund ging. Wir gingen vom Höhleneingang weg über unebenes, mit Lavatürmen bestücktes Gelände, auch weg vom Höhleneingang, vor dem vermutlich Junior mit seiner Bande wartete. Sie von hinten her zu nehmen, wäre Selbstmord – zwei Mann und ein Blaster gegen achtzehn bewaffnete Killer mit einem bewaffneten und schnellen Schiff, bereit zum Abflug. Unser Beiboot konnten wir auch nicht erreichen, weil sie dort wahrscheinlich einen Posten aufgestellt hatten. Es wäre auch idiotisch. Oder doch nicht? Wir erreichten den Rand der Ebene, und Carroll deutete auf einen großen, dunklen Umriß vor den Sternen. Er ging jetzt schneller und machte keinen Versuch, sich zu verstecken. Seine Strategie war klug. Selbst wenn jemand im Kreuzer uns sähe, würde niemand in dem sich nähernden Paar uns vermuten, denn wir waren angeblich in der Höhle eingeschlossen.
Diese Illusion konnte man noch vertiefen. »Clayborne?« rief ich. »Ja, Jake. Hast du dich entschieden?« »Noch nicht. Noch ein Vorschlag. Wenn ich mir die Formel einpräge und sie dann zerreiße, stehst du wieder vor einem Problem. Deine einzige Chance, sie zu bekommen, wäre dann die, mich am Leben zu erhalten. Wenn ich dir garantiere, sie dir zu geben, wenn wir in die Zivilisation…« »Mach nur so weiter«, meinte er fröhlich, »wenn du’s so haben willst. Klar, ich halte dich am Leben, aber nur knapp lange genug. Kein Mensch kann unendlich lange eine dauernde wissenschaftlich fundierte Tortur ertragen. Es wäre interessant, wie lange du aushältst.« »Du bist ein lieber Mensch.« »Glaub mir, Jake, es tut mir selbst leid«, erwiderte er ernst. »Ich will euch doch nicht alle ausrotten, aber es ist meine einzige Möglichkeit. Warum verlängerst du die Geschichte ins Unendliche?« »Weil wir noch leben.« »Aber du hast doch keine Hoffnung mehr, da rauszukommen, denn du kommst nicht raus. Die Karten habe alle ich in der Hand.« Ich seufzte, als sei ich verzweifelt, aber da hatten wir schon den Kreuzer erreicht. »Möglich. Gut, dann komme ich allein raus und übergebe dir die intakte Formel. Läßt du dann die anderen laufen?« »Aber natürlich«, erwiderte er ein wenig zu prompt. »Gut. Dann muß ich noch mal ein bißchen nachdenken, denn das ist eine wichtige Entscheidung«, meinte ich sorgenvoll. »Davon hängt schließlich meine ganze Karriere ab.« Junior lachte schallend, als Carroll den Einstieg aufknöpfte und wir hineinsprangen. »Immer gut für einen Gag«, sagte er.
Wir setzten die Luftschleuse unter Druck, Carroll gab mir den Blaster und ließ mich in den Korridor vorangehen. Jemand von meiner Größe konnte eher Claybornes Crew angehören als Carrolls Siebenfußhöhe. Ein kleiner brauner Bursche kam aus dem Kontrollraum, als ich durch die Tür trat. Er musterte mich neugierig und ging weiter mir entgegen. Ich legte ihm den Blaster seitlich an den Kopf, und Carroll fing ihn auf, als er fiel, nahm ihm den Blaster ab und schob den Mann in die Schleuse. Carroll bedeutete mir, ich könne jetzt wieder reden. Das war ein ausgezeichneter Trick, und wir machten Konversation, während wir zum Kontrollraum huschten, wo wir mit allem rechnen mußten. »Clayborne, du hast zuviel eingesetzt«, sagte ich. »Zwanzig und mehr Leute, Piraten und Mörder. Einer von ihnen wird sich bald mal betrinken, und dann quatscht er alles aus. Und du bist dann schon hinter schwedischen Gardinen.« »Ich glaube nicht«, meinte er leichthin. »Oh, ich verstehe. Du willst sie also im Raum absetzen, so daß sie erfrieren oder verhungern. Hm, gute Möglichkeit.« Es gab ein verwirrtes Murmeln, doch Juniors Stimme schnitt es ab. »Glaubt ihm nicht, Männer! Er ist ein Lügner, der nur Tricks…« »Vielleicht«, unterbrach ich ihn, »aber bei Massenmord hört es auf. Wenn ihr, Männer, euren Boß erledigt und euch auf meine Seite schlagt, dann sorge ich dafür, daß euch nichts passiert.« Es herrschte kurzes, gespanntes Schweigen, bis wir den Kontrollraum erreichten. Drei Männer standen über dem Kartentisch und wandten uns ihre Rücken zu. Einer trug einen Helm und schien unsere Unterhaltung für die anderen mitzuschreiben.
»Na, was meint ihr, Männer?« fragte ich, als Carroll auf Zehenspitzen heranschlich. »Er schmeißt euch hinaus, wenn er das hat, was er will. Dann gibt es nämlich keine Zeugen.« »Oh, um Himmels willen«, antwortete Junior gelangweilt. »Ich hab’ das längst mit den Hafenbehörden in Arcton City erledigt. Minus zwanzig Männer kann ich doch nicht zurückkommen.« »Ja, und was ist weiter?« fragte eine Stimme. »Stimmt«, sagte ein anderer, als Carroll den Helm des Schreibers abriß und ihn zu Boden schickte. Den anderen beiden quollen die Augen aus dem Kopf, als seien wir Gespenster. Ihre Hände griffen nach den Blastern, aber sie versteinerten, als Carroll sie entwaffnete, während ich den meinen auf sie gerichtet hielt. Sie mußten sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen. Ich mußte unsere Gefangenen und den Korridor im Auge behalten, während Carroll zum Pilotensessel ging. Ungefähr eine Meile brachte er das Schiff ganz sanft vom Asteroiden weg, und als eine neue Stimme erklang, lächelte er mich triumphierend an. Es war Helen, Raumkapitän Helen Wall im Kommandoton. »Mr. Clayborne, ich habe Sie und Ihre Männer in der Reichweite unserer Waffen. Legt die euren weg und kommt heraus, einer nach dem anderen und mit hoch erhobenen Händen. Jake, du rollst sie von rückwärts her auf.« Mir fiel die Kinnlade herab. Etwas grunzte, knurrte und holte tief Atem, und dann kam ein triumphierender Ausruf eines Mannes. »He, Boß, die blufft. Sie ist ja gar nicht bewaffnet.« Ich stöhnte. »Helen, was hast du getan?« »Laß mich doch los, ich kann nicht weg. Oh, Jake, ich habe Cap und Pat überredet, mich landen zu lassen, damit du uns erreichst. Aber du bist nicht gekommen. Warum? Wenn du dich beeilt hättest, wären wir weg.«
»Warum hast du ihr das erlaubt, Cap?« fragte ich. »Wir mußten ja etwas versuchen, Jake. Warum hast du nicht dein Stichwort aufgenommen?« »Du hättest doch wissen müssen, daß wir wegkommen.« Feine Worte. Wenn ich wegen Helen Verzweiflung mitklingen ließ, so verkündeten sie doch unseren Triumph. Murchison und Carroll, die Unschlagbaren. Der Gedanke schmeckte mir. Aber er wurde gallebitter, denn Junior sagte: »Jetzt.« Vier Schränke öffneten sich gleichzeitig im Kontrollraum, vier Blaster deuteten auf unsere Kehlen, vier Männer in Helmen beäugten uns voll Entschlossenheit. Wir hatten keine Chance, von unseren Beutewaffen Gebrauch zu machen. »Werft sie nur weg, Jungens«, sagte einer. Wir taten es, weil wir nicht anders konnten. Unsere früheren Gefangenen fingen die Blaster auf. »Okay, Chef, wir haben sie«, meldete der Sprecher. »Gut. Dann kommt und holt uns ab«, befahl Junior. »Aber paßt auf. Jake kennt jeden Trick… He, du hast doch nicht geglaubt, daß ich dir diesen Gag zweimal durchgehen lasse?« Clayborne war wieder der alte Staubsaugervertreter mit dem freundlichen Lächeln und den blauen Augen, als er das Notizbuch durchblätterte, das er Carroll abgenommen hatte. Wir drei standen, noch in den Raumanzügen, am Schott und wurden von mindestens einem Dutzend Waffen in Schach gehalten. »Ihr braucht jetzt keine Helme mehr, aber wenn ihr mithören wollt, wenn wir unsere kleine Konferenz abhalten, könnt ihr das tun.« Es war eine fröhliche Bande, die uns beobachtete, als Junior Phamigns Notizen durchging. Er hob den Kopf und lachte uns mit seinem vollen Gebiß an. »Wie schön. Scheint komplett zu sein. Und jetzt ihr drei… Ich ließ euch in den Raumanzügen,
weil ich dachte, ihr wollt wieder zu eurem Boot zurück. War nett, Jake, obwohl du mir manchmal Sorgen gemacht hast. Wie ist es dir nur gelungen, das Boot über die Klippen auf Corfus zu kippen? Darüber müssen wir uns in Arcton City noch unterhalten.« »Was soll dieser Unsinn?« fragte ich. »Kein Unsinn. Du bist frei und kannst gehen. Ich habe weiter kein Interesse mehr an dir. Oh, noch etwas.« Er schnippte mit den Fingern. »Erst möchte ich noch einen Verkaufsvertrag für diese Notizen. Ich lasse ihn ausfertigen.« Ich begriff noch immer nicht, Carroll und Helen schienen ebenso verwirrt zu sein. Gehen? Kein Interesse mehr? Verkaufsvertrag? »Sag’s noch mal, aber in einfacher Sprache«, schlug ich vor. Er zuckte die Achseln. »Was könnte einfacher sein? Ich wollte die Formel, die habe ich, und ich wollte sie dir abkaufen. Vollständig ausgehändigt oder so, heißt es doch.« »Und dann willst du uns wohl hinauswerfen?« »Jake, hältst du mich wirklich für so blöd, daß ich einen Mord begehe?« »Warum nicht? Du hast sonst so ziemlich jedes im Kalender verzeichnete Verbrechen begangen. Helens Entführung auf Arcton, versuchter Mord, illegale Bewaffnung…« Er lachte. »Eines nach dem anderen. Wir haben Helen nicht zu entführen versucht, sondern sie nur unter Propaganda gesetzt. Sogar ihre Entlassung gehörte dazu. Wir dachten, wenn sie sich genug aufregt, läuft sie zu dir. Wir wußten ja nicht, wo du warst und wohin du wolltest.« Helen runzelte die Brauen und zuckte die Achseln. »Ich kann ihm das Gegenteil nicht beweisen, Jake. Natürlich denke ich, er wollte mich…« »Nummer zwei. Versuchter Mord? Wen habe ich zu ermorden versucht?«
Ich überlegte. Einen Indizienbeweis konnte man aufbauen, aber wirklich geschossen hatte niemand auf mich. »Na, gut. Aber was ist mit dem Desintegrator?« Er winkte ab. »Kannst selbst nachsehen. Das ist nur eine Attrappe.« Es war eine, sogar eine sehr gute. Er lachte wieder. »Glaubst du, Murchison, du kannst als einziger bluffen? Ich hab mich nur deiner Taktik bedient und dich glauben lassen, daß es mir todernst war. Das war mein Vorteil, denn ich glaubte dir nichts mehr, nachdem du unser erstes Beiboot gekapert hattest. Ich dachte mich nur in dich hinein, und dann war alles ganz einfach.« Ich schaute in die grinsenden Gesichter, in lauter Galgenvogelgesichter, alle waren früher Piraten gewesen. Und wenn die nicht bereit gewesen wären, Helen und mich umzubringen, dann hatte ich gar keine Menschenkenntnis. Clayborne log natürlich, aber wie sollte ich ihm das beweisen? »All deine Männer sind bewaffnet«, stellte ich fest, auch wenn es trivial klang. »Wir werden hier mit dem Tod bedroht und festgehalten. Das kannst du doch nicht leugnen.« »Tu ich auch nicht. Wir haben etliche Piraten und deren Komplizen eingefangen. Und willst du leugnen, daß du dich mit Carroll in mein Schiff geschlichen hast, um es zu klauen? Und die Waffen – wir haben eine Erlaubnis, um auf Corfus Forschungen durchzuführen. Nicht einmal du kannst leugnen, daß wir dies auch bis zu einem gewissen Grad taten.« »Na, ja«, gab ich zu. »Ihr habt uns also. Aber glaub’ nur ja nicht, mich könntet ihr betrügen. Seit wir die Ladung Herkulium geborgen haben, habt ihr laufend gegen sämtliche Gesetze verstoßen, nur damit wir sie nicht zu Geld machen konnten. Und jetzt stehlt ihr uns die Formel, damit die Solar ein Monopol damit bekommt.«
»Jake, du kannst uns nichts Illegales nachweisen, und deine Unterschrift auf dem Vertrag für die Formel ist der letzte Beweis für die Gesetzlichkeit unserer Maßnahmen.« »Und wenn ich mich weigere?« Er sah Helen an, sprach aber mit mir. »Das wirst du kaum tun.« Ich wußte genau, was er meinte, und wir waren hoffnungslos in der Minderheit. Sieben zu eins. Wenn nur… Dann schien mich ein Meteor zu treffen. Ich stand fast in Reichweite der großen Instrumentenwand, weil ich die Desintegratorattrappe angesehen hatte, doch ich schaute weg, auf den Boden, überlegte, kalkulierte unsere Aussichten, schätzte die Risiken ein. Ich beschloß das Spiel zu wagen. Ich tat einen Satz, griff nach dem Schalter, der im Nu alle Luft aus dem Schiff bliese und alle Körper, die nicht durch Raumanzüge geschützt waren, in ein absolutes Vakuum versetzte. »Du kannst mich töten, aber wenn ich falle, ziehe ich diesen Schalter«, sagte ich. Alle Augen hingen an meiner Hand. Diese Piraten, Ganoven, Mörder und gewöhnlichen Männer wußten, was geschah, wenn ungeschützte Körper plötzlich in den Raum hinausgeschleudert wurden. Jetzt brach die Hölle los. Sie ließen ihre Waffen fallen und rannten zu den Schränken mit den Anzügen. Sie knurrten, schrien, seufzten und fluchten, und ich hörte alles im Helm. Clayborne überschrie ihn. »Glaubt ihm nicht! Er wird es nicht wagen!« Ich weiß nicht, ob sie das hörten, aber das spielte keine Rolle mehr, denn Carroll hatte sich zugleich mit den Männern in Bewegung gesetzt. Er sprang Junior an, entriß ihm den Blaster und schleuderte ihn an ein fernes Schott. Dann schloß Carroll
die Schiebetür zum Korridor, und Helen ging zur Tat über. Sie rannte zum Pilotensessel und schaltete den Antrieb ein. »Festhalten!« schrie sie. Carroll und ich bekamen ein Geländer zu fassen, und sie hob mit solcher Beschleunigung ab, daß es mir fast die Arme herausriß. Junior wurde an einem Schott nahezu plattgedrückt. Die Leute im Korridor sah ich nicht, aber später erfuhren wir, daß sie ihre Arme und Beine danach aussortieren mußten, und viele hatten sich die Knochen gebrochen. Helen stellte den Antrieb ab, und ich schlüpfte aus dem Anzug. »Danke für den Vortritt«, sagte ich zu Carroll, als ich mich auf Junior warf. »Das ist jetzt für alles«, knurrte ich und setzte ihm eine harte Faust in den Magen. Aus Zeitgründen hatte ich den Helm aufbehalten, und das war gut so, denn ich habe ein Glaskinn. Jeder schien es von jeher immer darauf abgesehen zu haben, und ich wurde mir nie darüber klar, ob ich an anderen Körperstellen ebenso empfindlich bin. Das entdeckte ich aber bald, denn Junior pflückte sich selbst vom Schott weg, und wir flossen die Starbordschiene entlang und krachten in einen Bunk, wobei ich als Kissen für seine Massen diente. Aus den Augenwinkel heraus sah ich, daß Carroll interessiert mit einem Blaster spielte, deshalb versuchte ich Junior die Luft abzustellen. Aber er bediente mich direkt unter dem Herzen mit einem Schlag, der mich sonst aus dem Umlauf gezogen hätte. In meiner Wut wurden mir aber nur momentan die Knie weich, und dann schlug ich auch zu. Links, rechts, links, rechts, immer weiter weg vom Bunk. Jetzt war Junior das Kissen, und ich hämmerte auf ihn ein. Plötzlich knickte er in der Mitte ab, das Kinn fiel ihm herunter, und die Augen rollte er nach oben. »Das ging aber schnell«, meinte ich verwundert.
»Wenn du immer schön an dein Kinn denkst, bist du ein recht beachtlicher Raufbold«, bemerkte Carroll. »Wir könnten ja die Helme abnehmen«, schlug Helen vor. »Und was jetzt?« Das taten wir, aber ich legte den Junior Carroll ans Herz, obwohl er damit beschäftigt war, die herumliegenden Blaster einzusammeln. Ich drehte den Transmitter an und rief Cap. Sein besorgtes Gesicht erschien auf dem Schirm. »Alles in Ordnung, Jake?« erkundigte er sich. »Ja, besser als wir vor fünf Minuten dachten. Aber wir müssen in einer Atmosphäre landen. Außer Clayborne sind alle ausgesperrt, und ich ahne nicht, was diese Witzbolde hier auskochen. Sind etliche noch bewaffnet?« fragte ich Carroll. »Nach meiner Zählung sechs oder sieben.« »Dann machst du dich sofort nach Arcton City auf den Weg, Cap, und alarmierst die Raumpatrouille, die uns hier treffen soll. Wir zockeln langsam weiter, ihr habt also Zeit.« »Erhebt jemand Anklagen?« Ich erklärte ihm, daß wir ihm tatsächlich Verbrechen nicht nachweisen konnten, denn für die Blaster hatte er die Genehmigung, und der Desintegrator war nur eine Attrappe. »Aber die Formel habe ich«, schloß ich. »Clayborne glaubt, er kann Carroll und mich auf Piraterie verklagen, aber die Raumpatrouille kennt ja den ganzen Hintergrund der Geschichte. Ich nehme an, Colonel Hardy wird die ganze Crew wegen Friedensstörung bei der Landung in Arcton City einbehalten, aber das überlasse ich ihm.« Junior richtete sich auf und nahm seinen Helm ab. Carroll spielte wieder ein wenig mit dem Blaster herum. »Okay, Jake«, sagte Cap. »Sonst noch was?« »Ja, Cap«, meldete sich Helen. »Weißt du was? Du machst dich fein für die Hochzeit, und Carroll wird natürlich unser Brautführer.«
Carroll grinste Junior an. »Nach Jakes letzter Darbietung muß ich mit dem Zweitbesten zufrieden sein, was?«