Sven Dierks (Hrsg.) Quo vadis Zeitschriften?
Sven Dierks (Hrsg.)
Quo vadis Zeitschriften? Änderung der Medienlandsch...
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Sven Dierks (Hrsg.) Quo vadis Zeitschriften?
Sven Dierks (Hrsg.)
Quo vadis Zeitschriften? Änderung der Medienlandschaft und Auswirkungen auf den Pressekäufer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Ingrid Walther VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16778-7
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch? ....................... 7 Teil 2: Medienentwicklung der letzten 25 Jahre ............................................ 13 2a
Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes – eine Analyse der Entwicklungsbedingungen .............................................. 19 Anke Tschörtner, Michael Schenk Invasion der Billigtitel? Interview mit Michael Schenk ............................. 45
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren – Die klassischen elektronischen Medien im Wandel.................................... 51 Maria Gerhards und Walter Klingler 2c
Neue Medien: Medienwirtschaft im Umbruch ........................................... 75 Stefan Heng
2d Internet und die Kannibalisierung von Print ............................................... 93 Sven Dierks Teil 3: Funktionen von Medien, insbesondere von Zeitschriften.................. 97 3a
Gesellschaft und Medien im Wandel .......................................................... 99 Dorothea Nowak
3b Was Zeitschriften besonders gut können. Die spezifischen Funktionen und Qualitäten von Print in einer sich verändernden Medienlandschaft... 113 Michael Hallemann 3c
Funktionswandel: Zur Morphologie von Zeitschriftentypen. Interview mit Jens Lönneker..................................................................... 123
Teil 4: Herausforderungen für Publikumszeitschriften .............................. 131 4a
Die Zukunft des Lesens. Interview mit Heinrich Kreibich ....................... 133
4b Demografischer Wandel und seine Bedeutung für Zeitschriften .............. 137 Christiane Heckel und Holger Rußmann
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Inhaltsverzeichnis
Teil 5: Zeitschriften in der Krise? Erfolgreiche Konzepte.......................... 149 5a
Resultate der Käufermarktforschung ........................................................ 149 Sven Dierks
5b Käufermarktforschung am Point of Sale. Interview mit Jörg Thiele ........ 169 5c
Die Zukunft des Pressevertriebs. Interview mit Peter Brummund............ 179
Teil 6: Print wohin? ........................................................................................ 189 6a
Aktionsfelder und Anforderungen an die Käufermarktforschung............. 189 Sven Dierks
6b „Zeitschriften wird es immer geben“. Interview mit Prof. Dr. Klaus Schönbach ................................................. 197 Die Autoren ..................................................................................................... 201 Literatur .......................................................................................................... 209
Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch? Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch? Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch?
In den letzten Jahren mehren sich die Anzeichen für einen vielfältigen Wandel auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt. Eines ist dabei sicher: Die Leser kaufen weniger Zeitschriften. Die Auflagen sinken langsam, aber stetig. Vor diesem Hintergrund ließen verschiedene betroffene Institutionen wie der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), der Bundesverband Presse-Grosso (BVPG) oder auch einzelne Verlage und Presse-Grossisten in den vergangenen Jahren Studien durchführen, um ein genaueres Bild über das veränderte Käuferverhalten zu gewinnen. Allein, die gewonnenen Erkenntnisse konnten die sinkenden Auflagen nicht aufhalten. Denn offenbar gibt es ein ganzes Set an Ursachen, die sich unter anderem in einem Rückgang der Verkaufszahlen äußern. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Marktteilnehmern, die sich – jeder für sich und manchmal zusammen – gegen die rückläufige Entwicklung stemmen. Tatsächlich ist die durchschnittliche Jahresauflage der Publikumszeitschriften zwischen 1997 und 2008 von 127,2 Mio. auf 116,2 Mio. Exemplare um über 8 % gesunken.1 Als eine der Ursachen wird die Entstehung und Entwicklung des Internets als konkurrierendes Medium betrachtet. Trost spendet in diesem Zusammenhang allenfalls ein – mit jeder Neuerung in der Medienlandschaft gern zitierter – Autor namens Georg Riepl, der eine gewisse Berühmtheit durch eine Dissertation erlangte, die er zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschrieben und die seinerzeit in der Fachwelt offenbar ein gewisses Aufsehen erregt hatte. Dieses Werk, das vom Nachrichtenwesen im Altertum handelt, entwickelt das berühmte Riepl’sche Gesetz, wonach neue Medien alte nicht verdrängt haben, sondern deren Funktionen nur anders verteilt wurden.2 In einem sehr abstrakten Sinne mag das Gesetz zutreffen: Radio wurde nicht vom Fernsehen verdrängt; Fernsehen wurde nicht von Videokassetten verdrängt; Schallplatten fristen heute zwar ein Nischendasein und wurden weitestgehend durch andere Tonträger wie die CDs ersetzt, welche jedoch wiederum ihren Höhenflug hinter sich haben. Aber die Menschen hören trotzdem weiter Musik, nur laden sie sich diese jetzt online auf ihren mp3Player herunter. Dieser Blickwinkel ignoriert allerdings das Schicksal der kon1 2
Vgl. IVW, http://www.ivw.de Vgl. Riepl 1972: 5
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Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch?
kreten Marktbeteiligten. Was ist eigentlich aus den Schallplattenfabrikanten geworden? Was machen die früheren CD-Händler? In den USA werden als Folge schwindender Tageszeitungsauflagen reihenweise Redakteure entlassen, deren geringster Teil von Onlinemedien oder vom Fernsehen übernommen werden dürfte. Jede Funktionsverlagerung zwischen Medien zieht gewaltige Verwerfungen nach sich. In dreißig Jahren mag man die heutigen Ereignisse als Episode abtun, gegenwärtig aber sind ganze Wirtschaftszweige von einer offenkundig im Wandel begriffenen Medienwelt betroffen. Dieser Wandel umfasst neben den Zeitschriften auch alle anderen Gattungen. So ist 2007 die Nutzungszeit TV erstmals seit 1999 zurückgegangen, obwohl noch nie so viele Kanäle empfangbar waren.3 Das durchschnittliche Brutto-Zeitbudget für Medien ist mittlerweile auf 600 Minuten pro Person und Tag gestiegen.4 Das sind zehn Stunden, eingeschlossen die parallele Mehrfachnutzung. Wenn man berücksichtigt, dass die üblichen Zeitbudgetangaben die Nutzung von Medien tendenziell eher unterschätzen und nicht alles abbilden, was medial genutzt wird (z. B. kurzfrequente Nutzungen), dann liegt die tägliche Nutzungszeit möglicherweise noch höher. Das Geschäftsmodell von Publikumszeitschriften ist relativ einfach. Es spielt sich in zwei Märkten ab:
Eine Säule der Finanzierung bildet das Anzeigenmarketing, also das Business-to-business-Geschäft. Werbungteibende Unternehmen kaufen Platz für Anzeigenseiten und erreichen damit ihre Zielgruppen. Die zweite Säule bildet das Vertriebsgeschäft. Der Hauptteil der Erlöse entfällt hier auf die Bereiche Abonnement und Einzelverkauf. Weitere Vertriebswege wie Lesezirkel, Bordexemplare und sonstige Verkäufe sind weniger als Erlösquelle als eher unter allgemeinen Marketinggesichtspunkten bedeutend, da sie z. B. für das Anzeigenmarketing einen wichtigen Beitrag zum Reichweitenaufbau leisten können.
Die Entwicklung des Anzeigengeschäfts bei Zeitschriften hängt von der Entwicklung der Käufer- und Leserschaften ab, aber auch von der Entwicklung der Medienlandschaft, der Werbekonjunktur und des gesamtwirtschaftlichen Umfelds. Obwohl das entsprechende Finanzierungsmodell simpel ist, erweist sich die dahinter liegende Wirklichkeit als äußerst komplex und alle darin enthaltenen Variablen beeinflussen sich gegenseitig. Die Alarmsignale in diesem Bereich
3 4
Vgl. Gerhard/Zubayr 2008: 106 f. Vgl. Reitze/Ridder 2006: 49
Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch?
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sind nicht zu übersehen: Die AWA 20085 konstatierte für das Gros der deutschen Publikumszeitschriften erneut einen Leserverlust. In diesem Kontext gibt die Eskalation der weltweiten Finanzmarktkrise seit dem Spätsommer 2008 derzeit wenig Anlass zu Optimismus und wirft grundsätzliche Fragen auf. Wie geht es weiter auf dem Werbemarkt? Wie werden die Verbraucher reagieren? In diesem schwierigen Umfeld agieren Verlage, Grossisten und Einzelhändler, die gemeinsam das Ziel haben, die Kundschaft dauerhaft an das Medium Publikumszeitschrift zu binden. Verlage haben dabei durchaus alternative Möglichkeiten, ihre Geschäftsfelder zu variieren, Grossisten und Einzelhändler hingegen nicht – ohne das Medienumfeld zu verlassen. Zur Situation der Verlage schreibt Helge-Jörg Volkenand im VDZ-Jahrbuch 2008: „Die klassischen Umsatzquellen […] stagnieren zwar auf hohem Niveau, aber die Aussichten im Internetbereich sind sehr viel versprechend. Entsprechend prognostizieren die Verlage auch in den kommenden Jahren relative Umsatzrückgänge in ihrem Kerngeschäft und erwarten eine teilweise Verlagerung auf internetbasierte Geschäfte.“ Der Autor schließt mit dem versöhnlichen Fazit: „Insgesamt betrachtet bereiten sich nahezu alle Verlage auf die digitale Zukunft vor und wollen die sich bietenden Chancen nutzen, ohne das Kerngeschäft zu vernachlässigen.“6 Was für Verlage hoffnungsvoll klingt, nämlich digitales Neugeschäft am Ende des Horizonts, muss jedoch die anderen Vertriebspartner beunruhigen, weil man sie in der digitalen Welt anscheinend nicht braucht. Die physische Vertriebskette ist tatsächlich auf die gedruckten Zeitschriften angewiesen, weil sie ansonsten aufgabenlos wäre. Wie sieht es also aus mit der Zukunft der gedruckten Zeitschriften? Häufig ist in Bezug auf die gegenwärtige Epoche vom multimedialen Jahrhundert, oft etwas verkürzt auch vom Zeitalter des Internets die Rede. Was richtiger ist: Seit 15 Jahren erleben wir auf der technischen Seite immer massiver die Allgegenwart medialer Angebote, vorangetrieben von der Miniaturisierung technischer Übertragungs- und Empfangsmöglichkeiten. Wir erleben eine zusehende Individualisierung der Gesellschaft, die wegführt von kollektiven hin zu kleinteiligen Unterhaltungsangeboten, und wir erfahren demografisch einen stetigen Alterungsprozess der Bevölkerung. Die Folgen dieser Entwicklung im Hinblick auf die Komsumgewohnheiten im Medienbereich sind, wie bereits angedeutet, unübersehbar, am stärksten aber leidet darunter der Einzelverkauf von Publikumszeitschriften: Von 2002 bis 2008 ist der Einzelverkauf von Publikumszeitschriften um über 14 % geschrumpft, während die Abonnements nur einen Rückgang von über 7 % hinnehmen mussten.7 Angesichts dieser Schieflage und jen5 6 7
Die AWA ist die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse, eine jährlich erscheinende repräsentative Befragung bei rd. 20 000 Deutschen ab 14 Jahren u. a. zu ihrer Zeitschriftennutzung. VDZ 2008: 108 ff. Vgl. IVW, 2002, 2008, eigene Berechnungen Jahresdurchschnittsauflagen
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Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch?
seits der Haltbarkeitsraten von Abonnements interessiert in diesem Band vor allem, was den Käufer daran hindert, eine Zeitschrift am Point of Sale zu kaufen oder überhaupt zunächst den Point of Sale aufzusuchen. Für viele Macher von Publikumszeitschriften ist die Entwicklung des Einzelverkaufs ein aussagekräftiger Indikator, eine harte Währung, für Akzeptanz und Popularität bei den Konsumenten, für die ständig neu herzustellende Produktqualität, für vorhandene oder mangelnde Alternativen in der Medienlandschaft. Popularität und unverwechselbare Qualität scheinen immer noch intakt zu sein. 2008 wurden insgesamt 464 Millionen Publikumszeitschriften verkauft,8 jeder Einwohner Deutschlands hat also etwa sechs Exemplare gekauft. Ein totes Produkt sieht wahrlich anders aus. Wo also liegen die Chancen für Publikumszeitschriften und damit für die gesamte Verwertungskette? Und wo bestehen etwaige Forschungslücken? Was hindert eigentlich den Käufer am Point of Sale, sich eine Zeitschrift zu kaufen? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden erstrangige Autoren gewonnen, die sich in ihrer beruflichen Praxis ausgewählten Aspekten der Medienforschung widmen. IFCom, das Institut für Kommunikationsberatung, Werbe- und Mediaforschung, wurde mit dieser Untersuchung beauftragt, weil sich hier Partner gefunden haben, die seit Jahren sowohl in der Medienpraxis als auch in der Forschung tätig sind und daher über ein genaues Bild dieses äußerst komplexen Feldes und der damit verbundenen aktuellen Diskussionen verfügen. Ziel dieser Publikation soll eine praxisnahe Beschreibung des Ist-Zustandes sein, um die Lücken im Wissen um den Käufer zu dokumentieren und daran anschließend eine Perspektive der Handlungsmöglichkeiten aller Beteiligten aufzuzeigen. Schwerpunkt der Untersuchung wird die Frage sein, welche Art der Käufermarktforschung am ehesten geeignet ist, einen essentiellen Beitrag zur Klärung der angesprochenen Probleme zu liefern. Nach einem kurzen geschichtlichen Abriss über die Medienlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland von Sven Dierks zeigen Michael Schenk und Anke Tschörtner auf, wie sich die deutsche Publikumszeitschriftenlandschaft in den letzten 25 Jahren gewandelt hat. Erfolgreiche Zeitschriften finden in Nischen statt. Die großen, reichweitenstarken Konzepte könnten zukünftig genauso wie austauschbare Titel in überfüllten Segmenten in eine Krise geraten. Auf der anderen Seite gibt es die elektronischen Medien Fernsehen und Radio, deren Entwicklung von Maria Gerhards und Walter Klingler beschrieben wird. Hier gab es die große Zäsur mit der Einführung des dualen Rundfunksystems. Die Autoren kommen zu einem versöhnlichen Ergebnis: Demnach werden die Medien Hörfunk, Fernsehen, Print und schließlich das Internet weiterhin nebeneinander koexistieren, wenn auch in einem verschärften Wettbewerb um 8
Vgl. IVW-Auflagenlisten: 1/2008 bis 4/2008
Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch?
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die Aufmerksamkeit des Publikums. Auch Stefan Heng sieht in seinem Beitrag zu den neuen medialen Möglichkeiten des Internets mehr Chancen für starke Medienmarken statt eindimensionaler Untergangsszenarien. Er bescheinigt den Medienhäusern, die die grundsätzlich neuen Mechanismen des Webs erkennen und bejahen, mit ihren mehrgleisigen Aktivitäten auf dem richtigen Weg zu sein. Michael Hallemann stellt die Fähigkeiten von Zeitschriften auf den Prüfstand und macht deutlich, dass es die typische Zeitschrift nicht gibt, sondern vielmehr Gruppen und Solitäre von Zeitschriften mit je eigener Vergangenheit, Konkurrenzverhältnissen und Zukunft. Zeitschriften haben Zukunft, wenn auch vielleicht in anderer Form und anderen, kleineren Auflagendimensionen. In diese Kerbe schlägt auch Jens Lönneker, der in einem Interview die psychologischen Funktionen von Medien deutlich macht. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass einzelne Gruppen von Mediengattungen nicht ersetzbare Funktionen ausüben. Doch werden Zeitschriften heute stärker an Touchpoints erworben, die man aus anderen Motiven aufsucht als dem Zeitschriftenkauf. Man muss da sein, wo die Kunden sind. Das bedeutet für den klassischen Fachhandel schwierige Zeiten. Für das Presse-Grosso mag hier ebenfalls eine neue Herausforderung entstehen. Der zu beobachtende Trend zu kleineren Auflagen bei gleichzeitigem Anstieg der Titelzahl führt Dorothea Nowak auf die zunehmende Differenzierung in der Gesellschaft zurück, die in immer kleinere Szenen zerfällt. In jenen Milieus, in denen Zeitschriften Wachstumschancen haben, ist gleichzeitig die Konkurrenz durch andere Medien am größten. Verlage können nur durch ständige Beobachtung und Anpassung bei ihren Lesern bleiben und müssen versuchen, mit ihnen zu interagieren. Denn das lernt man heute: Contentanbieter treten in Kontakt mit ihren Nutzern – und diese wiederum geben ihr Feedback. Das führt weg von der Definition des Massenmediums als Einbahnstraße Sender-Empfänger, die sich an ein verstreutes Massenpublikum richtet. Neben diesen Effekten der technischen Entwicklung, der Individualisierung und geänderter Rezeptionsgewohnheiten gibt es den Trend des demografischen Wandels, der die Gesellschaft fundamental verändert. Christiane Heckel und Holger Rußmann beschreiben in ihrem Beitrag Auswirkungen dieser Veränderungen: Mehr ältere, teilweise hochaltrige, weniger junge Bewohner in Deutschland. Die etablierten Zeitschriften können derzeit noch relativ beruhigt in die Zukunft sehen, weil die demografische Majorität zwar deutlich gealtert ist, aber die einmal gewohnten Zeitschriften immer noch liest. Vor drei Herausforderungen ist die Zeitschriftenlandschaft also gestellt: demografischer Wandel, Individualisierung und Fragmentierung der Zielgruppen und World-Wide-Web und Entwicklung neuer Medienformate.
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Teil 1: Ausgangssituation und Einleitung: Warum ein Buch?
Für den Vetriebsexperten Peter Brummund gibt es jetzt schon genügend erfolgversprechende Möglichkeiten, wie sich Grosso und Handel den neuen Gegebenheiten stellen können: Als Begleiter des mobilen Lesers und natürlich durch verbesserte Analysetools, die die Kaufwünsche am POS prognostizieren lassen (Data-Warehouse). Doch trotz eigentlich zukunftsversprechender Möglichkeiten fehlt es noch an deren Umsetzung und Nutzung. Jörg Thiele wiederum beklagt weniger die fehlende Nutzung mannigfacher Möglichkeiten als eher die generelle Vernachlässigung der gezielten Käufermarktforschung innerhalb der Vertriebsmarktforschung. Sven Dierks dagegen fragt zu Recht: Was will man als Vertriebspraktiker eigentlich wissen? In der Zusammenfassung von Workshops mit Vertriebsprofis und Zeitschriftenhändlern macht er als Forschungslücke die Klärung der praktischen Fragen aus: Wie muss ein Regal eigentlich aussehen, wie bestückt sein etc.? Er kritisiert die bisher durchgeführte Käufermarktforschung, weil sie in weiten Teilen eigentlich nur die Fragen variiert, die von der leserzentrierten Medienforschung schon beantwortet wurden, und auf die Situation am Regal überträgt.
Teil 2: Medienentwicklung der letzten 25 Jahre Teil 2: Medienentwicklung der letzten 25 Jahre
Die Entwicklung der Medienlandschaft in Deutschland In ihren Grundzügen ist die Medienlandschaft im Entwicklungszeitraum der 1980er Jahre bis heute immer noch vor dem Hintergrund der Medienpolitik der frühen Nachkriegsjahre zu verstehen. Diese war geprägt vom Bemühen um Staatsunabhängigkeit auf der einen Seite und restaurativen Tendenzen der frühen fünfziger Jahre auf der anderen Seite. Das bezieht sich auf die Kontrollfunktion der Landesmedienanstalten, die großen öffentlich-rechtlichen Sender mit ihren jeweiligen Aufträgen sowie die Konzentrationskontrollen im Pressemarkt und führt weiter über Entscheide des Kartellamts bei der Vergabe von Ausstrahlungsrechten zur Fußballbundesliga bis zu den immer noch bestehenden Gebietsrechten der Presse-Grossisten. Auch der Streit von 2008, wie sehr die öffentlichrechtlichen Medien im Internet präsent sein dürfen, ist den klassischen institutionellen Arrangements geschuldet. Und schließlich sind Wortkonstruktionen wie „Rundfunkänderungsstaatsvertrag“ nur vor dem Hintergrund starken politischen Einflusses oder dessen Verhinderung, jedenfalls vor dem Hintergrund eines starken Ringens divergierender Interessen zu verstehen. Interessanterweise findet das Segment der Publikumszeitschriften in der grundlegenden Literatur fast nur in Nebensätzen Erwähnung. Vielleicht liegt dies auch in dem Umstand begründet, dass den Publikumszeitschriften in ihrer Entwicklung selten innovative Ideen abverlangt wurden. Natürlich gab es immer wieder Titelinnovationen, doch die technische Form hat sich seit hundert Jahren kaum verändert; es bleiben gedruckte und geheftete Blätter. Dabei kann man durchaus zugestehen, dass die vollbrachten Anpassungsleistungen angesichts der sich explosionsartig ausdifferenzierenden elektronischen Medienlandschaft höchst respektabel sind. Denn seit der Einführung des dualen Rundfunksystems Mitte der 1980er kam es zu entscheidenden Veränderungen: Mehr TV-Kanäle, mehr Radiosender, mehr Nutzungszeit. Die Nutzungszeiten für Fernsehen und Radio sind bis 2007 kontinuierlich gestiegen.9 Doch auch die Publikumszeitschriften schossen in ihrer Zahl seit 1990 nach oben. Die Gesamtauflage dagegen blieb zunächst ungefähr konstant, sank dann aber wieder.10 Allein dieser Gegensatz von steigender Titelzahl und Auflagenrückgang ist ein Indiz für die Frag9 10
Vgl. Gerhards/Klingler in diesem Band Vgl. IVW, PZ-Online, http://www.pz-online.de
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Teil 2: Medienentwicklung der letzten 25 Jahre
mentierung des Marktes in immer kleinteiligere Nischenprodukte. Bei den Werbeumsätzen stagnieren die Publikumszeitschriften seit Jahren, mit 1.822 Mio. Euro bewegte sich der Umfang 2007 in etwa auf dem Niveau von 1998 mit 1.794 Mio. Euro.11 Da ist es kaum ein Trost, dass auch die anderen großen Mediengattungen die Talsohle nach dem Jahr 2000 durchschreiten mussten, zumal sie für die Zeitschriften länger anhielt. In der Rückschau ist die Einführung des dualen Rundfunksystems auch ausschlaggebend für die weitere Entwicklung der Zeitschriftenlandschaft, mit spürbaren Folgen bis heute: 1.
2.
3. 4.
Die Mediengattungen TV und Radio treten durch die kommerzielle Ausrichtung der neuen nicht öffentlich-rechtlichen Sender stärker in Konkurrenz zu den Zeitschriften a. in Bezug auf das Ringen um Aufmerksamkeit beim Konsumenten, b. in Bezug auf die Verteilung der Werbegelder. Die Ökonomisierung der verlegerischen Tätigkeit setzt sich dadurch zwangsweise fort und lässt das klassische idealistische Sendungsbewusstsein der Verleger immer weiter in den Hintergrund treten. Neue Geschäftsmodelle werden möglich, z. B. erhalten Programmzeitschriften einen ganz neuen Stellenwert. Der Begriff „Medienkonzern“ erhält für bundesrepublikanische Verhältnisse durch die möglichen Verflechtungen von Print-, TV- und Hörfunkaktivitäten einen breiteren Deutungshorizont, wie es z. B. der Aufstieg von Bertelsmann zum sechstgrößten Medienkonzern der Welt zeigt.12
Als Zäsur auf dem deutschen Fernsehmarkt wird das Jahr 1993 betrachtet, wenn man sich an den Zuschauermarktanteilen orientiert.13 Zu diesem Zeitpunkt überholt RTL erstmals sowohl die ARD als auch das ZDF. Allerdings hat sich der Umschwung in diesem Jahrtausend nicht fortgesetzt, für die vier größten Sender ARD, ZDF, RTL und ARD/Dritte haben sich die Marktanteile bei jeweils 12 bis 14 % eingependelt.14 Der zweite große Einschnitt, der für die Zeitschriftenlandschaft ungleich dramatischer ist, wird durch die „Internetrevolution“ markiert. Ähnlich wie bei der Einführung des dualen Rundfunksystems lässt sich der definitive Zeitpunkt des breitenwirksamen Durchbruchs jedoch kaum benennen. Man kann die entscheidende Phase auf den Zeitraum eingrenzen, in dem zum ersten Mal die Mehrheit der Bevölkerung das Internet zumindest gelegentlich nutzt, also zwi11 12 13 14
Vgl. ZAW 1998-2007 Vgl. IfM 2007 Vgl. Krüger 2001: 44 Vgl. Reitze 2008: 76
Teil 2: Medienentwicklung der letzten 25 Jahre
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schen 2002 und 2003.15 Doch welche unternehmerischen Implikationen damit einhergehen würden, schwante vielen Verlagsmanagern schon wesentlich früher. Seit der öffentlichen Geburtsstunde des Hypertextsystems WWW als Internetstandard im Jahr 1993 war klar, dass diese neue Technik – als Lesemedium interpretiert – neue Chancen für Verlage eröffnen, aber auch Bedrohungen für herkömmliche Geschäftsmodelle darstellen könnte. Doch damit nicht genug, innerhalb der letzten 15 Jahre erwies sich das Internet wiederholt als „Fuchs im Hühnerstall“, den so ziemlich alle denkbaren Mediengattungen zu spüren bekamen. So erinnert man sich in der Musikindustrie im Rückblick sicherlich mit Schrecken an die einsetzende Popularität des zunächst kaum ernst genommenen mp3-Dateiformates zur Kompression von Audiodaten. Spätestens seit Videoplattformen wie Youtube oder MyVideo von weitaus schnelleren Übertragungsraten durch Breitbandtechnologie profitieren und auch für das Fernsehen eine Konkurrenz auf Augenhöhe konstituiert haben, war selbst dem letzten Marktteilnehmer der Medienbranche klar, dass die Rede von der „Internetrevolution“ nicht nur eine überstrapazierte Floskel ist. Für Print, Fernsehen und Hörfunk bedeutete dieser kometenhafte Aufstieg des Internets einen intensivierten Bedarf an Gattungsmarketing mit der Betonung des jeweils spezifischen Sets an Eigenschaften der Mediennutzung, sei es haptischer Genuss und Ortsunabhängigkeit für Zeitschriften, geselliges „Come together“ und Entspannung beim Fernsehen oder die tages- und tätigkeitsbegleitenden Aspekte des Radios. Parallel zu diesen Abgrenzungen wird die neue Technologie umarmt und zur Produktdiversifikation genutzt. Dass eine herausragende Eigenschaft des Internets die Aktualität der verfügbaren Informationen ist, macht besonders die Tageszeitungen – die hier keine weitere Bearbeitung erfahren – zu einem Problemfall der klassischen Medien. Deren Auflagen sinken seit Jahren. „Newspaper Endgame“16 titelte dazu die Unternehmensberatung A.T. Kearney in einem Untersuchungsbericht von 2006: Zeitschriften hingegen gewinnen mit einem Internetauftritt potenziell die Möglichkeit der tagesaktuellen Berichterstattung hinzu und können so ihre Kernkompetenzen ergänzen. In einer kritischeren Perspektive muss man sich aber auch fragen, inwiefern Zeitschriftenverlage erstens Gefahr laufen, ihr Printprodukt durch einen Internetauftritt und die einhergehende Online-Veröffentlichung von Print-Content zu kannibalisieren, und zweitens, ob langfristig bei aller Euphorie mit dem Internet Geld verdient werden kann. Der erste Einschnitt für die Medienlandschaft im betrachteten Zeitraum, die Dualisierung des Rundfunks, hatte also im Rückblick relativ überschaubare Folgen für die Publikumszeitschriften. Eine klare Frontstellung von Print gegenüber 15 16
Vgl. ARD/ZDF-Online-Studien 2002 und 2003 sowie Frees/Gerhard/van Eimeren 2003 Vgl. Fabel 2006
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Teil 2: Medienentwicklung der letzten 25 Jahre
Fernsehen kristallisierte sich heraus, aber die Unterschiedlichkeit ihrer Funktionsweisen und die noch nicht erreichten Marktausschöpfungen ließen die Gattungen an sich weiter prosperieren. Spätestens mit dem Internet, wie wir es heute kennen, mit den Möglichkeiten von Textdarstellung und Einbindung von Ton und Bewegtbildern, jeweils in nahezu unbegrenzten Mengen, weitestgehend ortsund zeitunabhängig abrufbar, speicherbar und kopierbar, hat sich die Situation vollkommen verändert. Die alten Kontrahenten Print und Fernsehen begegnen sich nicht nur mit neuen Aktivitäten auf der gleichen Plattform, sie bekommen es außerdem mit neuen Anbietern von Inhalten zu tun, insbesondere mit Internetportalen wie Google, T-Online, AOL, Youtube etc. Erschwerend kommt hinzu, dass werbungtreibende Unternehmen zunehmend das Internet nutzen, um eigene Markenauftritte und Vermarktungsaktivitäten voranzutreiben und ihr Werbebudget in den klassischen Medien zu reduzieren. Dies ist der Status quo. Was bleibt den Zeitschriften im Strudel dieser Veränderungen an Perspektiven? Auch ohne Berücksichtigung des Internets ist der Markt der Publikumszeitschriften in vielen Segmenten reichlich gefüllt, viele Titel unterscheiden sich nur in Nuancen und eine Marktbereinigung scheint überfällig. Die bereits angedeuteten vortrefflichen Eigenschaften des Internets, nahezu unbegrenzt Informationen ansammeln und zeitunabhängig abrufbar machen zu können, gleichen einer enzyklopädischen Anhäufung, die andererseits die Kernkompetenzen und Chancen für erfolgreiche Printobjekte aufzeigt: Kreation von unverwechselbaren Inhalten, Vorselektion durch Experten und entsprechende Navigation zu relevanten Informationen. Die dominanten Medien: Entwicklungstendenzen Wer die heutige Situation und mögliche Zukunftsszenarien für den Markt der Publikumszeitschriften einschätzen will, kommt nicht an einer detaillierten Betrachtung der Entwicklung dieses Marktes in der jüngeren Vergangenheit vorbei. Um den Gesamtzusammenhang der Medienlandschaft Deutschlands besser zu erfassen, werden zusätzlich die wichtigsten konkurrierenden Mediengattungen Fernsehen und Hörfunk sowie das Internet beleuchtet. Deshalb widmet sich der erste Teil dieses Abschnitts den Publikumszeitschriften in Deutschland und ihrer Entwicklung in den letzten 25 Jahren. Der Schwerpunkt wird dabei auf quantitativen Veränderungen in verschiedenen Titelsegmenten liegen, da die Aspekte der Mediennutzung in späteren Abschnitten behandelt werden. Der zweite Teil deckt die elektronischen Medien Fernsehen und Hörfunk ab, die einen Großteil der Mediennutzungszeit beanspruchen und die sowohl den Veränderungen in der Medienlandschaft unterworfen sind als auch selbst wesentlich zu Veränderungen beitragen, die auch die Publikumszeitschriften betreffen. Schließlich beschäfti-
Teil 2: Medienentwicklung der letzten 25 Jahre
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gen wir uns mit der Frage, inwiefern das Internet zu einer Umstrukturierung der Medienwirtschaft insgesamt führt. Die Miniaturisierung und flächendeckende Verfügbarkeit elektronischer Abspielgeräte (z. B. mp3-Player) und anderer Unterhaltungselektronik, die Möglichkeiten, selbst Unterhaltung zu arrangieren und der bisher üblichen Passivität zu entfliehen (z. B. Blogs, Youtube), wirbeln die Medienlandschaft völlig durcheinander. Diese Veränderungen musste die Musikindustrie bereits schmerzlich verspüren. Musikmanager Dieter Gorny schüttelt immer noch den Kopf, wenn er feststellt, dass die anderen Industrien nichts aus dem Niedergang der Musikindustrie gelernt haben.17 Am ehesten mit der Musikindustrie vergleichbar sind wohl die Tageszeitungen: Sie bieten etwas an, was andere – nur auf den Content bezogen – mittlerweile vielleicht nicht besser können, dafür aber erhebliche Nutzungs- oder Conveniencevorteile bieten, und zwar aktueller und billiger. Infolgedessen sind Tageszeitungen ebenfalls seit Jahren in der Krise – manche wissen es noch nicht, obwohl sie schon vor 20 Jahren begonnen hat, lange bevor es das Internet gab.18 Zeitungsverleger jedenfalls machten sich schon damals Sorgen, dass ihnen die jungen Leser wegbrechen und initiierten das Projekt Zeitung in der Schule. Auch wenn Tageszeitungen es schwer haben, nehmen wir sie hier aus der Analyse heraus, weil ihre Problematiken im Moment nichts Erhellendes mehr zur Situation der Publikumszeitschriften und des Einzelverkaufs beitragen können. Freilich kann sich das ändern, wenn Tageszeitungen sich neu erfinden und sich inhaltlich stärker den Publikumszeitschriften annähern.
17 18
Vgl. Dax 2008 Vgl. Noelle-Neumann 1998: 15
2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes – eine Analyse der Entwicklungsbedingungen 2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
Anke Tschörtner, Michael Schenk
Einleitung Mitte der 1970er Jahre wagte der Kommunikationswissenschaftler Jan Tonnemacher die Prognose, die Zukunft der Zeitschrift sei belastet, da diese am entbehrlichsten und am leichtesten durch andere Medien zu ersetzen sei.19 Prognosen haben es jedoch leider an sich, dass die Wirklichkeit selbst sie korrigiert. So zeigt sich das Zeitschriftenangebot in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends äußerst lebendig – Totgesagte leben eben länger, bilanziert auch Fasel.20 Der Pressemarkt in Deutschland wird mit mehr als 2 000 Zeitschriftentiteln als einer der dichtest besetzten Medienmärkte weltweit gehandelt.21 Die Bandbreite der Produkte ist sowohl in Ausstattung, Preis wie auch Inhalt enorm, sie reicht von kostenlosen Heftchen bis hin zu hochwertigen Kunstmagazinen, von Mitgliedsund Verbandszeitschriften, Titeln der Unternehmenskommunikation, Fachzeitschriften mit beruflichem Bezug und wissenschaftlichen Journals bis hin zur Publikumspresse. Letztere vereint die meisten Titel auf sich. Für 2005 bilanzierte Vogel allein für die Publikumspresse 438 Titel22, an der brancheninternen Auflagenkontrolle der IVW23 nahmen zuletzt 897 Publikumszeitschriften24 teil. Auch dieser Bereich ist mit Blick auf die redaktionellen Konzepte schillernd: Von 19 20 21
22 23
24
Vgl. Tonnemacher 1975 Vgl. Fasel 2007 Schwab/Siebeneck 2000: 126. Die Gesamtzahl der in Deutschland verlegten Publikumszeitschriften variiert je nach Quelle und Betrachtungsweise deutlich, sei es VDZ, IVW, MediaDaten Verlag etc. Vogel 2007: 56 Die IVW, Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V., stellt seit 1949 als unabhängige Einrichtung zuverlässige Daten für die Leistungs-, insbesondere Reichenweitenkontrolle von Werbeträgern zur Verfügung. Sie wird als Brancheninstanz von den Medienunternehmen, den Werbungtreibenden sowie den Werbe- und Media-Agenturen gemeinschaftlich getragen. Die Teilnahme an der Auflagenkontrolle ist freiwillig, die Teilnahme berechtigt die Mitglieder, als Qualitätsnachweis das IVW-Logo im Impressum ihres Printtitels zu führen. Vgl. Meldung der IVW im ersten Quartal 2008
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
hochauflagigen Programm- und Frauenzeitschriften über ‚Special Interest’Zeitschriften zu jedem nur denkbaren Hobby und jeder Sportart bis hin zu Liebhabertiteln in den Bereichen Design und ‚Lifestyle’ existieren so viele Arten von Zeitschriften wie auch Interessen in der Gesellschaft. Gleichzeitig ist der Markt der Publikumspresse ein sehr dynamischer: Einstellungen alter Titel und Einführungen neuer Konzepte verändern die Zeitschriftenlandschaft laufend. Abbildung 1 gibt einen ersten Einblick in das Ausmaß der Veränderungen in den letzten 15 Jahren. Es zeigt sich, dass – bis auf wenige Ausnahmen – in jedem Jahr die Zahl der Eintritte über der Zahl der Austritte liegt, der Zeitschriftenmarkt im Hinblick auf seine Titelzahlen also kontinuierlich wächst. Abbildung 1:
Die Entwicklung der Ein- und Austritte auf dem Markt der Publikumszeitschriften 1989 bis 2007
200 180
178 163
160
156
140
135 131
123 119 107
100
106 107
123
119 113
109
105
103
98 96
87 72
81
80 77
82 85
70 67
66
60
128
108
93 83
80
152 143
140
120
156
68
40
64
Eintritte Austritte
20
Quelle: WIP Köln (2007), www.presseforschung.de, VDZ
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
0
Anke Tschörtner, Michael Schenk
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Dem Titelwachstum steht jedoch keine entsprechende Steigerung der Nachfrage, weder auf Leser- noch auf Anzeigenmarktseite, gegenüber: Der ARD/ZDFLangzeitstudie Massenkommunikation zufolge liegt die Mediennutzungsdauer für die Zeitschrift in den letzten 25 Jahren auf einem konstanten Niveau.25 Den Angaben des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) folgend, sind die Netto-Werbeeinnahmen der Zeitschriften verglichen mit allen Werbeträgern unterdurchschnittlich stark gestiegen.26 Vor diesem Hintergrund scheint die steigende Titelzahl zunächst wenig naheliegend. Der vorliegende Beitrag porträtiert die Struktur des deutschen Publikumszeitschriftenmarkts, um das Phänomen des dichtest besetzten Medienmarktes weltweit zu beleuchten. Verlagsstrategien und Titelangebot nach Titel- und Auflagenzahlen in den verschiedenen Segmenten werden dargestellt, um im Fazit die zentralen Bedingungen zusammenzufassen, die die heutige Publikumszeitschriftenlandschaft beeinflussen.
Zentrale Entwicklungseinflüsse im Zeitschriftenmarkt Verlagsstrategien der letzten 25 Jahre Lange dominierte bei den Publikumszeitschriften die Strategie der Marktdurchdringung. Diese lässt sich solange gut umsetzen, wie die Verlage dank klarer Positionierung unterschiedliche Segmente bearbeiten. Eine solche klare und kontinuierliche Positionierung der Wettbewerber in der Verlagslandschaft ist bis Anfang der 1990er Jahre zu erkennen, wobei das differenzierte publizistische Angebot noch mit einer entsprechend differenzierten, eindeutigen Erlösstrategie einhergeht.27 So findet sich in den 1980er Jahren bei der Bauer Verlagsgruppe und der Hubert Burda Media eine deutliche Vertriebsorientierung, im ersteren Fall mit Fokus auf Niedrigpreistiteln im ‚Yellow Press’-Segment, im letzteren Fall mit einem Angebotsschwerpunkt auf unterhaltenden Magazinen. Dem Axel Springer Verlag gelingt vor allem mit seiner starken ‚Bild’-Markenfamilie die Kombination von Anzeigen- und Vertriebserlösen. Gruner + Jahr sowie der Jahreszeiten Verlag hingegen positionieren sich mit höherpreisigen Titeln, die eher spezielle Zielgruppen ansprechen, vor allem mit Blick auf das Anzeigengeschäft. Anfang der 1990er Jahren verändert sich der Wettbewerb auf dem Zeitschriftenmarkt jedoch maßgeblich. Die Verlage sehen sich konfrontiert mit gesättigten Märkten, in erster Linie mit einer klaren Verteilung des Lesermarktes auf existierende Titel. Es entsteht Handlungsbedarf: Um im deutschen Markt weiterhin zu 25 26 27
Vgl. Reitze/Ridder 2006: 210 f., 214 f., 220 Vgl. ZAW 1994, 1998, 2002, 2006 Vgl. Busch/Wehrle 2002: 87 f.
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
wachsen, müssen neue Titel auf den Markt gebracht werden. Strategien der Produktentwicklung und der Sortimentserweiterung sind notwendig. Verstärkt engagieren sich vor allem die Großverlage bei Marktzutritten in bislang nicht bearbeiteten Zeitschriftensegmenten, ein deutlicher Titelzuwachs im Bereich ‚Special Interest’ ist die Folge. Noch zeigt der Werbemarkt ein stetiges Volumenwachstum, daher sind Titel, die den Interessen der Werbekunden entsprechen, wie bspw. durch eine deutliche Zielgruppenfokussierung, besonders erstrebenswert. Anfang 2000 bricht jedoch der Anzeigenmarkt nach einer Boomphase ein und liegt 2005 auf dem Nominalniveau von 1992.28 In dieser Phase kennzeichnet eine Fragmentierung des Zeitschriftenmarktes das Marktverhalten: Da die Wachstumsraten nun auch auf dem Anzeigenmarkt zurückgehen, werden immer kleinere Segmente mit neuen Titeln bearbeitet. Von besonderer Relevanz erweist sich nun die Strategie der Produktlinienerweiterung, die die Einführungserfolge neuer Titel durch bestehende Markenwerte zu optimieren sucht. So ist der Anteil der Produktlinienerweiterung an den Neuerscheinungen in den letzten zehn Jahren von 6,6 auf 16,3 % gestiegen.29 Insgesamt zeigt sich, dass sich der Schwerpunkt der Verlagsstrategien in den vergangenen zwanzig Jahren verlagert hat: Die starke Positionierung nach Erlösstrategie ist einer zunehmenden Orientierung am Anzeigenmarkt gewichen. Die Nachfrage der Anzeigenkunden nach immer stärker profilierten und spezifischeren Zielgruppen bewirkt eine Entwicklung steigender Titelzahlen mit entsprechend spezieller Orientierung.
Titelangebot der letzten 25 Jahre Die Titelzahl der Publikumszeitschriften hat sich in einem Zeitraum von 30 Jahren in Deutschland mehr als verdreifacht (vgl. Tabelle 1). Die Daten belegen, dass – wie aus der veränderten Verlagsstrategie abgeleitet – besonders Titel mit einer speziellen Orientierung verstärkt auf den Markt gebracht werden: Ihre Zahl stieg von 265 Titeln im Jahr 1975 auf 1062 Titel im Jahr 2005. Bei den Titeln mit einer generellen Orientierung zeigt sich ein Wachstum von 144 Titeln (1975) auf 376 Titel (2005). Die einzelnen Segmente weisen dabei eine unterschiedliche Dynamik auf.
28 29
Vgl. ZAW 2006 Vgl. Gravier/Hamer/Löffler 2007: 271, 276
23
Anke Tschörtner, Michael Schenk
Tabelle 1: Entwicklung der Titelzahlen in den Segmenten der Publikumszeitschriften Jahresbestand
19751
19851
1995
2005
Steigerung3 Faktor Index
Generelle Orientierung Programmpresse Frauenpresse Unterhaltung / Gesellschaft Illustrierte Kinder- / Jugendpresse Politische Presse
(142)2 8 18
(206)2 10 24
(292)2 23 32
(376)2 31 37
2,7 3,9 2,1
75 110 58
24 17 28 22
38 20 30 23
43 34 63 19
69 46 108 18
2,9 2,7 3,9 0,8
81 77 109 23
Spezielle Orientierung Familie / Leben Wohnen / Werken Motor Computer/ Kommunikation Technik Sport Kultur / Wissenschaft Musik Wirtschaft Audio / Film / Foto Diverses
(265)2 51 22 19
(539)2 81 33 40
(804)2 96 52 85
(1062)2 137 95 107
4,0 2,7 4,3 5,6
113 76 122 159
2 24 56 32 11 12 17 11
47 46 91 72 27 20 36 25
93 61 140 93 42 34 40 46
87 72 159 125 66 39 74 76
43,5 3,0 2,8 3,9 6,0 3,3 4,4 6,9
1231 85 80 111 170 92 123 196
Gesamt
407
745
1096
1438
3,5
100
1
Zahlen zum Jahresbestand einschließlich Titel der DDR Angaben in Klammern gehen nicht in die Gesamtsumme mit ein. 3 Basisjahr 1975, Steigerung bis 2005 Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung nach Daten von Vogel30 2
Die Zahl der Titel der Programmpresse hat sich von 1975 mit 8 Titeln auf 31 Titel im Jahr 2005 vergrößert (vgl. Tabelle 1).31 Diese Entwicklung ist auch der 30 31
Vgl. Vogel 2007: 56 Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Segment der Programmpresse findet sich bei: Kuhn 1994.
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
Ausdifferenzierung des Fernsehangebots geschuldet, im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Fernsehkanäle vergrößert. Inhaltlich betrachtet stellen Titel dieses Segments über einen hohen Seitenanteil hinweg das tägliche Rundfunkbzw. Fernsehprogramm dar. Vogel nennt als Selektionskriterium die „Mindestanforderung für den Umfang des Programmteils von 30 % der Gesamtseitenzahl“32. Aufgrund des eindeutigen Nutzwertes dieses Segments besteht eine hohe Substituierbarkeit. Entsprechend wird der Abverkauf stark über die Preispolitik der Verlage gesteuert, auch wenn höherpreisig positionierte Titel ihre Nische finden.33 Ebenso kennzeichnet dieses Segment aufgrund des Schwerpunkts Programmteil der Einfluss von Verbundvorteilen: Wie sich über die Mehrfachverwertung von Inhalten Synergieeffekte realisieren lassen, zeigt das Beispiel des Axel Springer-Verlags, der in einer Gesamtredaktion die drei Programmzeitschriften ‚Funkuhr’, ‚Bildwoche’ und ‚TV neu’ produziert.34 Ludwig formuliert es sehr pointiert: „das Programmzeitschriftengeschäft [wird] in der Branche selbst mit ‚Geld drucken’ gleichgesetzt“35. In der Objektgruppe der Frauenpresse zeigt sich innerhalb von 30 Jahren eine Steigerung von 18 auf 37 Titel (Steigerungsfaktor 2,1), verglichen mit dem durchschnittlichen Steigerungsfaktor von 3,5 ein unterdurchschnittlicher Wert (vgl. Tabelle 1). Bei der Frauenpresse handelt es sich um eine Sparte, „deren redaktionelle Konzepte ein breites Spektrum der frauenspezifischen Lebenswelt darstellen und durchdringen“36. Dabei genügt die Ausrichtung auf Frauen als Zielgruppe nicht. So werden wöchentliche Illustrierte mit Schwerpunkt auf Prominenz und Adel trotz des hohen Frauenanteils in der Leserschaft in dieser Teilgruppe nicht berücksichtigt. Innerhalb der Titel der Frauenpresse finden sich abhängig von der Erscheinungshäufigkeit deutlich voneinander unterschiedene Untergruppen. Die wöchentlichen Titel zeigen ein deutlich stärker unterhaltungsorientiertes Profil, die 14-täglichen Titel werden als klassisch begriffen und die monatlichen Titel stellen insbesondere die hochwertigen Zeitschriften.37 Diese Positionierung wirkt sich auch auf die Erlösstruktur aus: Die wöchentlichen Titel sind stark vertriebs-, die 14-täglichen und monatlichen Titel stark anzeigenorientiert.38 Die Frauenpresse ist von einem unsteten Käuferverhalten im Einzelhandel gekennzeichnet, Abverkäufe lassen sich deutlich von Titelbild und Schlagzeilen beeinflussen, die Substituierbarkeit der einzelnen Titel ist hoch.39 32 33 34 35 36 37 38 39
Vgl. Vogel 1998: 108 Vgl. Jahrfeld 2003: 70 f. und van Rinsum 2003: 60 f. Vgl. Schüür-Langkau 2001b: 56 f. Vgl. Ludwig 2007: 129-149 Vgl. Vogel 1998: 111 Vgl. Vogel 1998: 112 Vgl. Wolf 2001: 128 Vgl. Spitzer-Ewersmann 2001: 130
Anke Tschörtner, Michael Schenk
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Die Teilgruppe Unterhaltung und Gesellschaft hat im Zeitraum von 1975 bis 2005 einen ähnlich schwachen Anstieg wie das Segment der Frauenpresse erfahren: Waren 1975 insgesamt 24 Titel in diesem Segment zu erwerben, wurden 2005 bereits 69 Titel angeboten, das entspricht einem Steigerungsfaktor von 2,9. Zu diesem Segment werden Titel gezählt, die die Erlebnis- und Entspannungsfunktion in besonderer Weise in den Vordergrund rücken und primär gesellschaftliche Themen im Magazinstil aufbereiten.40 Prominenzberichterstattung, Begegnungsjournalismus in Form von Schicksalserzählungen, aber auch Humor und Satire sind redaktionelle Schwerpunkte. Das Segment Illustrierte weist 46 Titel für das Jahr 2005 aus. Das Angebot von 17 Titeln im Jahr 1975 hat sich bis heute um einen Faktor von 2,7 vergrößert. Charakteristisch ist der Schwerpunkt auf eine ausgeprägte Bildsprache und einem „nur latenten gesellschaftspolitischem Anspruch im Heft“41, an dessen Stelle Konzepte wie ‚Zeitgeist’ oder ‚Lifestyle’ treten. Bei den Segmenten Frauenpresse, Unterhaltung und Gesellschaft sowie Illustrierte ist die Segmentierung als Ausdruck von Teilmärkten verglichen mit den übrigen Segmenten am problematischsten. In besonderem Maße gilt dies für die Segmente Illustrierte sowie Unterhaltung und Gesellschaft, die beide ein besonders breites Themenspektrum auszeichnet. Konkurrenzverhältnisse zwischen Titeln werden insbesondere von der Objektleitung oft auch segmentübergreifend gesehen. Beispielsweise betrachtete Philipp Welte in seiner Funktion als Geschäftsführer ‚Bunte’, einer hochauflagigen Illustrierten, eher den ‚Stern’ als Konkurrenz, welcher inzwischen aufgrund der politischen Orientierung der politischen Presse zugerechnet wird. Der Verlagsleiter des Unterhaltungs- und Gesellschaftstitels ‚Gala’, Ewald Wessling (heute ist Wessling Dozent und Berater), verglich das ihm unterstellte Objekt eher mit Monatstiteln der Frauenpresse.42 Aus der Rezipientensicht hingegen ist die Abgrenzung sinnvoll, da eine funktionale Differenz schlüssig ist. Allen drei Segmenten ist jedoch ein unterdurchschnittliches Titelwachstum gemein, wie die deutlich unter 100 liegenden indizierten Steigerungswerte zeigen (vgl. Tabelle 1). Die Kinder- und Jugendpresse hingegen hat ein überdurchschnittliches Titelwachstum erfahren: Mit einem Anstieg von 28 Titeln im Jahr 1975 auf 108 Titel im Jahr 2005 hat sich dieses Segment mehr als verdreifacht (Faktor 3,9). Die Besonderheit dieser Steigerung wird unterstrichen durch die Tatsache, dass bei diesen neu hinzugetretenen Titeln ein großer Anteil an Presseprodukten, die ebenfalls primär von Kindern und Jugendlichen rezipiert werden, noch gar nicht 40 41 42
Vgl. Vogel 1998: 114 Vgl. Vogel 1998: 117 Phillip Welte und Ewald Wessling zitiert in: Schwab 2000a: 96
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
berücksichtigt sind: Reine Comic-Hefte werden der Pressegattung Heftreihe zugeordnet und sind somit nicht Ursache der Steigerung. Ähnlich wie bei der Frauenpresse geht es hier um mehr als eine reine Definition über die Zielgruppe eines Titels, nämlich um einen redaktionellen Schwerpunkt, der auf die Abbildung einer spezifischen Lebenswelt abstellt. Das Bild der hier verorteten Zeitschriften reicht von Erstzeitschriften für Kinder im Vorschulalter wie ‚Benjamin Blümchen’ bis hin zu Magazinen für die Gruppe der Teenager von 13 bis 18 Jahren wie der Auflagenspitzenreiter ‚Bravo’ mit 440 000 verkauften Exemplare im Jahr 2007.43 Besonders in jüngerer Zeit haben sich redaktionelle Konzepte, die auf Lizenzen für Serienhelden aus dem Fernsehen basieren, vervielfältigt. Diese Entwicklung wird mit der hohen ökonomischen Attraktivität solcher Konzepte begründet. So sind diese auch mit kleinen Auflagen wirtschaftlich, können kostengünstig produziert werden und bieten hohe Synergieeffekte auf dem Anzeigenmarkt.44 Beispielsweise wurde die bei 7- bis 14-Jährigen beliebte Internatsserie ‚Schloss Einstein’ des Kinderkanals von einem gleichnamigen Zeitschriftentitel begleitet. Ebenso finden sich für ‚Stars’ des Kinderfernsehens oder aus Hörspielen gleichnamige Titel, wie bspw. ‚Bob der Baumeister’ oder ‚Bibi Blocksberg’. Die Teilgruppe politische Presse ist das einzige Segment der Publikumszeitschriften, in dem ein, wenn auch schwacher, Titelschwund stattgefunden hat: 1975 konnten noch 25 Titel dieser Gruppe zugeordnet werden, 2005 waren es nur noch 18. Damit bildet die politische Presse nach Titelzahlen auch das kleinste Segment. Konstituierend für hier verortete Titel ist die „regelmäßige Behandlung gesellschaftspolitischer Themen (…), unabhängig ob sie in einer Zeitungsoder Zeitschriftenaufmachung erscheinen“45. Ebenfalls dieser Gruppe zuzurechnen ist die seit 2001 erscheinende und in der Untersuchung auch berücksichtigte Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung – als ein eigenständiges Presseprodukt und nicht als siebte Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung positioniert, ist der Titel wie auch die Wochenzeitung ‚Die Zeit’ als Publikumszeitschrift zu definieren.46 Titel aus dem Segment Familie und Leben umfassen „Themenbereiche der persönlichen Entfaltung und der sozialen Beziehungen“47. Redaktionelle Konzepte stellen hier vor allem auf Gesundheit, Tiere und Essen ab. Diese haben sich in dreißig Jahren verglichen mit dem durchschnittlichen Titelwachstum nur unterdurchschnittlich vermehrt: 51 Titel wurden für 1975 ausgewiesen, 2005 waren 43 44 45 46 47
Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung Vgl. Schüür-Langkau 2001a: 92 f. Vgl. Vogel 1998: 122 f. Vgl. Schwab 2002: 60 f. Vgl. Vogel 2007: 57
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es 137. Dieses Segment wächst jedoch auf sehr hohem Niveau, Familie und Leben ist nach der Sportpresse mit 159 Titeln das am dichtesten besetzte Segment. Entsprechend wird für dieses Segment eine Sättigung konstatiert, insbesondere für Esszeitschriften.48 Titel zu Haus und Werken haben sich 2005 gegenüber 1975 mit 95 gegenüber 22 Titeln mehr als vervierfacht. Diese Entwicklung sieht Vogel als Spiegel des gesellschaftlichen Trends ‚Rückzug in das Private’.49 Das überdurchschnittliche Titelwachstum ist gekennzeichnet durch eine deutliche Differenzierung der Titel auf Teilfunktionen wie Dekorieren oder Teilbereiche wie Bäder und durch eine Vielzahl von Titeln, die unter Dachmarken firmieren wie bspw. ‚Lisa Wohnen und Dekorieren’. Die Motorpresse untergliedert sich nach Art der inhaltlich behandelten Kraftfahrzeuge, bspw. PKW oder Motorrad. Dieses Segment kennzeichnet ein überdurchschnittliches Wachstum. Die Titelzahl ist von 19 Titeln im Jahr 1975 auf 107 Titel im Jahr 2005 gestiegen. Besonders prägnant positioniert ist dabei die Markenfamilie ‚Auto Bild’, die neben der hochauflagigen ‚Auto Bild’50 weitere segmentierte Titel wie ‚Auto Bild motorsport’, ‚Auto Bild alles allrad’, ‚Auto Bild sportscars’, ‚Auto Bild TÜV autoreport’ sowie auch noch einen Onlineauftritt und internationale Ableger vereint.51 Mit einem weit überdurchschnittlichen Wachstum sticht das Segment Computer und Kommunikation hervor. Das Segment, das im Jahr 1975 mit nur zwei Titeln zu Computern und technisch vermittelter Kommunikation wie CB-Funk oder Mobilfunk noch schwach besetzt war, hat nach Vogel eine erste Welle an neuen Titeln erfahren, als Ende der 70er Jahre der CB-Funk populär wurde.52 Das weitere Wachstum ist stark bedingt durch die massenhafte Verbreitung der Computernutzung, sowohl im privaten wie auch im beruflichen Bereich.53 Allerdings ist dieses Segment als einziges neben der politischen Presse nicht kontinuierlich gewachsen, sondern zeigte 1995 einen Spitzenwert von 93 Titeln und zehn Jahre später sechs Titel weniger. Unter den 87 Titeln, die im Jahr 2005 um die Aufmerksamkeit des Lesers gebuhlt haben, finden sich unterschiedliche redaktionelle Schwerpunkte. Der Klassiker ‚Chip’, der seit 1978 erscheint, wendet sich an den Privatnutzer, den auch technisch anspruchsvollere Themen wie Systemoptimierung oder Hardwareeinbau interessieren. Die ,Computer Bild’, der 48 49 50 51 52 53
Vgl. Hugendubel 2000: 107 Vgl. Vogel 2007: 59 Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale) beträgt 643 000 Exemplare pro Woche, eigene Auswertung Für eine ausführliche Diskussion zum Thema ‚Auto Bild’ als Beispiel der Marketingstrategie ‚Line Extension’ vgl. Gravier/Hamer/Löffler 2007 Vgl. Vogel 2007: 60 Inzwischen nutzt mit 68,1 % die Mehrheit der Bevölkerung ab 14 Jahren einen Computer (vgl. AWA 2008).
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
auflagenstärkste Titel im Segment54, spricht ähnlich wie ‚Computer Easy’ primär PC-Einsteiger an. Genauso finden sich aber auch Populärtitel, die sich an versierte Computernutzer wenden, wie beispielsweise ‚c’t Magazin für Computer’. Inzwischen werden die meisten Titel in diesem Segment zum Thema Computerspiele herausgebracht.55 Auffällig ist die Zusatzausstattung der Zeitschriftentitel mit CDs oder DVDs, die Gratis-Software enthalten. Hier sind sich die Verlagsleiter einig, dass das Fehlen einer solchen Beigabe Auflageneinbrüche zur Folge hätte.56 Ebenfalls wichtig aufgrund der Co-Nutzung von Computer und Internet ist ein weiterführendes Informations- und Serviceangebot im Internet. Über diese Medienverknüpfung lassen sich möglicherweise auch die als zu niedrig beurteilten Anzeigenpreise der Computerpresse kompensieren.57 Das Segment Technik umfasst Themen zu Modellbau, Waffentechnik, Verkehrstechnik und Elektronik. Unter den 72 Titeln, die 2005 auf dem Markt waren, finden sich Zeitschriften wie das ‚Straßenbahn Magazin’ oder die ‚Waffen Revue’. Die Auflagen dieser Titel sind niedrig.58 Gleichwohl handelt es sich um ein wachsendes Segment, die Titelzahlen haben sich im Beobachtungszeitraum verdreifacht. Die Sportpresse stellt innerhalb der Publikumszeitschriften mit 159 Titeln das größte Segment mit vielfältigen redaktionellen Konzepten dar. Die Schwerpunkte variieren von der Berichterstattung über die Ergebnisse und Ereignisse im Spitzensport bis hin zu Nutzwertjournalismus für den aktiven Sportler mit Materialempfehlungen, Produkttests und Trainingstipps. Die Sportpresse wendet sich somit an passive Sportinteressierte und an aktive Sportler.59 Als Segment weist die Sportpresse in den letzten 30 Jahren ein moderates Wachstum mit einem Steigerungsfaktor von 2,8 auf, allerdings ist anzumerken, dass im Vergleichsjahr 1975 dieses Segment mit 56 Titeln bereits sehr stark besetzt war. Die Entwicklung der Titelzahlen in der Sportpresse verläuft also auf hohem Niveau, vergleichbar mit dem Segment ‚Familie und Leben’. In der Regel fokussieren Titel der Sportpresse auf eine spezielle Sportart wie zum Beispiel Fußball mit dem Titel ‚Kicker’ oder Sportklettern mit dem Titel ‚Klettern’. Objekte mit sportübergreifenden Konzepten sind nach Vogel selten.60 Lediglich ‚Sport Bild’ mit 501 000 Exemplaren, und ‚Bravo Sport’ mit 54 55 56 57 58 59 60
Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale) beträgt 710 000 Exemplare pro Woche, eigene Auswertung Vgl. Vogel 2007: 60 Vgl. Klotz 2002: 74 ff. Vgl. Schwab 2000b: 126 Vgl. Vogel 1998: 100 Vgl. Vogel 1998: 137 Vgl. Vogel 1998: 138
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200 000 Exemplaren können sich hier behaupten.61 Mit zu den auflagestärksten Titeln zählt auch der ‚Kicker’, der zweiwöchentlich erscheint und mit der Montagsausgabe 239 000 und mit der Donnerstagsausgabe 213 000 Käufer erreicht.62 Das Segment ‚Kultur und Wissenschaft’ gehört zu den jüngsten Gewinnern hinsichtlich der Titelzahlen. Es hat sich in den letzten 30 Jahren von 32 auf 125 Titel vergrößert, davon wurden allein 52 Titel dieser Gruppe in diesem Jahrtausend gegründet.63 Hier einzuordnende redaktionelle Konzepte legen den Schwerpunkt auf Themengebiete wie Geschichte, Reisen, Kultur oder sind mit einem themenübergreifenden Anspruch als allgemeine Wissensmagazine zu umschreiben.64 Die Konzepte sind dabei stark ausdifferenziert, neue Titel besetzen eher neue Felder, als dass Produktimitation betrieben wird.65 Die besondere Popularität des Formats ‚Wissensmagazin’ ist dabei nicht nur auf die Publikumszeitschrift begrenzt, sondern findet sich insbesondere auch im Fernsehen wieder.66 Der Titelvielfalt dieses Segments steht ein eher problematischer Anzeigenmarkt gegenüber, wie bspw. bei Reisemagazinen deutlich wird. Dieser redaktionelle Schwerpunkt ist neben Kulturmagazinen der häufigste innerhalb des Segments. Hier liegt der Erlösanteil aus Werbeaufkommen bei hochpreisigen monothematischen Titeln wie ‚Merian’ unter 20 %, aber auch bei serviceorientierten Multithemenheften wie ‚Abenteuer und Reisen’ findet sich maximal ein Anteil von 30 %.67 Ähnlich sieht die Situation bei Geschichtsmagazinen aus – selbst Titel wie ‚Geo Epoche’ sind annähernd werbefrei.68 Das wirkt sich auf die Umsatzstruktur aus, bei dem Kulturmagazin und Qualitätstitel ‚Lettre International’ bspw. werden lediglich 25 % des Umsatzes mit Anzeigen erzielt.69 Andere Titel, wie das Autorenmagazin ‚Der Freund’, sind vollständig werbefrei. Entsprechend hoch fallen die Copypreise für Titel im Segment Kultur und Wissenschaft aus, die zum Teil deutlich über zehn Euro liegen.70 Musikpresse ist ein wenig gebräuchliches Segment der Publikumszeitschriften. So merkt Vogel an, dass in der Praxis viele Musiktitel, insbesondere der Musikgattungen Rock und Pop, der Jugendpresse zugeschlagen werden, der Rest unter Kultur subsumiert wird.71 Bei der IVW findet sich für themenübergreifende 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung Vgl. Vogel 2007: 57 Für eine Diskussion der jüngeren Neuerscheinungen bei Wissensmagazinen vgl. Dorn 2007 Vgl. o.V. 2004: 12 Vgl. van Rinsum 2005: 40 f. Vgl. Lob 2002: 51 Vgl. Koch 1999: 188 Vgl. Angerer 2000: 180 Vgl. Pfannenmüller/Schmidt 2004: 44 Vgl. Vogel 1998: 140
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
Musikzeitschriften wie ‚Spex’ oder ‚Visions’ die Zuordnung zur Sammelkategorie ‚Lifestyle’. Dabei lässt sich das Segment klar über den inhaltlichen Schwerpunkt abgrenzen: Zur Musikpresse sind alle redaktionellen Konzepte zu zählen, die schwerpunktmäßig über Interpreten und Musikrichtungen oder über Musikinstrumente und Ausübung berichten. Dieses Segment zeigt einen überdurchschnittlichen Steigerungsfaktor von 6,0: Die Zahl der erhältlichen Zeitschriften hat sich von 11 im Jahr 1975 auf 66 im Jahr 2005 vergrößert. Der ‚Musikexpress’ führt mit 55 000 Exemplaren die Rangliste nach Verkaufsauflage an.72 Das Segment der Wirtschaft bildet neben der Programm- und der Frauenpresse nach Titelzahlen eines der kleineren Segmente, 1975 erschienen zu diesem Themenbereich 12 Zeitschriften, 2005 waren es 39. Redaktionelle Konzepte behandeln die Themengebiete Finanzen, Märkte und Unternehmen im Rahmen einer allgemeinen Berichterstattung oder spezialisieren sich auf Themengebiete wie Geldanlage oder Verbrauchermagazine. Nach Vogel ist die Grenze zur Fachzeitschrift anhand der Kriterien „Innovation, Austausch und Berufsbezogenheit“73 zu ziehen, die von Publikumszeitschriften im Segment Wirtschaft nicht erfüllt werden. Das dargestellte kontinuierliche Wachstum der Titelzahlen der Wirtschaftspresse täuscht über eine starke Dynamik im Segment hinweg. Tatsächlich gibt es hier Phasen mit einer Vielzahl von Titelneugründungen, die sich aber nicht am Markt etablieren können.74 In jüngerer Zeit ist die Phase der ‚New-EconomyBlase’, des Booms und der anschließenden Krise der Börse, insbesondere des neuen Marktes, in den Jahren 1999 und 2000 von Bedeutung. 1999 legte der Anzeigenumsatz der wichtigsten Titel der Wirtschaftspresse im Vergleich zum Vorjahr um über 17 % zu.75 Dabei spielten die Anzeigen zu Aktien-Neuemissionen bei Börsengängen eine wichtige Rolle. Die Zahl der Börsengänge ging jedoch während der Baisse deutlich zurück: Im zweiten Quartal 2001 schrumpfte laut Zentraler Anzeigenstatistik (ZAS) das Werbevolumen im Vergleich zum Vorjahr um 20 %.76 Ähnliche Schwankungen können auch für das Leserinteresse vermutet werden: Mit der Hausse ging ein gesteigertes Informationsbedürfnis einher, da in dieser Börsenphase vor allem auch Kleinaktionäre gezielt angesprochen wurden, mit dem Einbruch an der Börse erfolgte dann eine Abkehr, nicht nur von der Aktie als Anlageform, sondern auch von darüber berichtenden Presseprodukten.
72 73 74
75 76
Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung Vgl. Vogel 1998: 143 Vogel identifiziert für die Phase zwischen 1986 und 1990 eine Vielzahl solcher Kurzläufer: „In diesem Zeitraum wurden 30 Objekte neu gegründet. Jeder zweite Titel bestand keine zwei Jahre, nur vier Zeitschriften erscheinen auch noch im Jahr 1995.“ Vogel 1998: 144 Vgl. Hochstätter 2000: 104 Vgl. Dettmar 2001: 69
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Von der Berg- und Talfahrt an der Börse waren besonders hoch spezialisierte Anlegermagazine betroffen, die nicht wie allgemeiner gehaltene redaktionelle Konzepte auf einen weniger spezialisierten Nutzwert-Journalismus zu Geldanlagen ausweichen können.77 Eine Vielzahl von Titeln wurde eingestellt, so die ‚Telebörse’ oder der ‚Nice Letter’ und der ‚Net-Investor’. Andere passten sich an eine weniger börsenorientierte Berichterstattung an und konnten dadurch bestehen. So beispielsweise ‚Focus Money’: 1999 als Anlagemagazin gegründet, erreicht dieser Titel heute, mittlerweile als allgemeiner Wirtschaftstitel positioniert, eine Auflage von 148 000 verkauften Exemplaren und steigt damit langsam in die Liga von Klassikern wie ‚Capital’ mit 206 000 oder ‚Wirtschaftswoche’ mit 188 000 verkauften Exemplaren auf.78 Das Segment Audio, Film und Foto umfasst solche redaktionellen Konzepte der Publikumszeitschriften, „die sich näher mit der medialen Freizeitgestaltung befassen“79. Die Titelzahl ist von 17 Objekten in 1975 auf 74 in 2005 gestiegen, und zeigt ein leicht überdurchschnittliches Wachstum an. Neugründungen gelten vor allem dem Schwerpunkt digitale Fotografie, hier ist die Entwicklung der Werbeausgaben auch deutlich positiver als bei Audio- und Video-Titeln.80 Ebenso werden bei Neugründungen vermehrt übergreifende Konzepte umgesetzt, seit 2003 sind hier zehn entsprechende neue Titel hinzugekommen.81 Die Männertitel sind nicht gesondert in der Tabelle 1 ausgewiesen, da hier nur für zwei Zeitpunkte Zahlen vorliegen. 1995 bilanzierte Vogel 3 Titel82, 2007 wies der Pressefachhandel 16 Titel aus. Damit ist für diesen Zeitraum ein deutlicher Anstieg der Titelzahlen zu verzeichnen, auch wenn die Einstellungen von Matador und Max im Jahr 2008 die ersten Opfer auf diesem umkämpften Markt anzeigen. Besonders auffällig ist in diesem Segment die positive Entwicklung des ‚Playboy’, der nach Übernahme der Lizenz durch die Burda Media von der Verlagsgruppe Bauer mit einem überarbeiteten Konzept seine Verkaufszahlen deutlich steigern konnte: Nach 186 000 verkauften Exemplaren in 2002 erreichte der Titel in 2007 273 000 verkaufte Exemplare.83 ‚Maxim’ hingegen musste eine entgegengesetzte Entwicklung hinnehmen und bricht von 290 000 verkauften Exemplaren in 2001 auf 124 000 verkaufte Exemplare ein.84 Dies ist aber eher
77 78 79 80 81 82 83 84
Vgl. Häuser 2001: 110 Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung Vgl. Vogel 1998: 146 Vgl. Derichs 2003: 54 Vgl. Vogel 2007: 61 Vgl. Vogel 1998: 98 Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
als Folge der Positionierung der Titel zu betrachten, für die Phase der Anzeigeneinbrüche 1999/2001 werden die Männertitel als relativ krisensicher beurteilt.85 Alle Titel in diesem Segment sind multithematisch aufgebaut, d. h., die redaktionellen Konzepte decken verschiedene Themengebiete wie Sport, Partnerschaft, Mode, Technik und Reportagen ab. Die Schwerpunktsetzung des Konzepts variiert lediglich leicht nach Positionierung: ‚FHM’ spricht bspw. ein deutlich jüngeres Publikum an, ‚GQ’ legt größeres Gewicht auf Mode, ‚Men’s Health’ auf Sport. Das Angebot innerhalb der verschiedenen Segmente lässt sich, wie gezeigt, über die Zahlen der angebotenen Titel sowie die Dynamik der Entwicklung dieser Titelzahlen in den letzten Jahren profilieren. Dabei treten deutliche Unterschiede zwischen den Segmenten zutage. Im Folgenden wird die Entwicklung der jeweils segmentspezifischen Auflagenentwicklung dargestellt, um den Bedingungen auf dem Käufermarkt schärfere Konturen zu geben.
Entwicklung der Auflagenzahlen Sieht man von saisonalen Schwankungen wie in den Sommer- und Urlaubsmonaten ab, interessiert in diesem Beitrag vor allem die langfristige nicht regelmäßige Schwankung der Auflage, die auf eine strukturell bedingte Verschiebung auf dem Käufermarkt, also auf eine Veränderung im Kaufverhalten, hinweist. Die oben diskutierte Entwicklung der Titelanzahl stellt das Angebot von Verlagsseite dar. Die Entwicklung der Auflagenzahlen, insbesondere die Entwicklung des Verhältnisses von der Gesamtauflage eines Segments zur jeweiligen Titelzahl (die Durchschnittsauflage), gibt Aufschluss über die Reaktion der Nachfrager: Werden hinzutretende Titel zusätzlich oder auf Kosten bestehender Titel gekauft? Im ersten Fall findet eine Markterweiterung statt, es werden zusätzliche Käufer gewonnen oder die Produkte werden zusätzlich zu anderen Titeln erworben. Der zweite Fall spiegelt einen Verdrängungswettbewerb wider, bei dem sich immer mehr Titel um eine gleich bleibende Käuferzahl bemühen, jeder neue Titel also Verluste für die bestehenden bedeutet. Mit Blick auf die Frage, inwieweit aufgrund des gewählten redaktionellen Konzepts unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Etablierung neuer Titel vorliegen, ist die Entwicklung der Durchschnittsauflage segmentspezifisch zu analysieren. Die IVW-Meldungen umfassen nicht alle Titel der Publikumszeitschriften. Die ‚General Interest’-Titel jedoch nehmen mehrheitlich an der Auflagenkontrolle teil, wie Vogel für 1996 zeigen kann.86 Mit einem Anteil von 65,7 % IVWgemeldeter Titel kann die Auflagenentwicklung für eine deutliche Mehrheit in 85 86
Vgl. Häuser 2002: 47 Vgl. Vogel 1998: 106 ff.
Anke Tschörtner, Michael Schenk
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diesen Segmenten zuverlässig abgebildet werden. Eine Ausnahme bilden die Segmente Kinder und Jugend sowie Politik: Den niedrigsten Anteil an auflagenkontrollierten Titeln weisen Zeitschriften der Kinder- und Jugendpresse mit 19 IVW-gemeldeten bei insgesamt 55 Titeln sowie die politische Presse mit 10 IVW-gemeldeten bei insgesamt 25 Titeln auf. Für diese Segmente ist zu erwarten, dass die Entwicklung der Auflagenzahlen zumindest hinsichtlich ihres Niveaus aufgrund der Datenbasis höher abgebildet wird, als es für das gesamte Segment zutrifft. Im Segment der Frauenpresse kennzeichnet die Gesamtauflage eine negative Entwicklung: Die Verkaufsauflage aller IVW-gemeldeten Titel ist im Zeitraum 1990 bis 2007 von 22,3 auf 20,6 Millionen gesunken (vgl. Abbildung 2, kumulierte verkaufte Auflage). Gleichzeitig stieg die Zahl der auflagenkontrollierten Titel von 45 auf 70. Das Ausmaß der negativen Entwicklung ist noch deutlicher, wenn man die Durchschnittsauflage betrachtet: Statt 495 000 verkaufte Exemplare wie noch 1990 erzielte ein durchschnittlicher Frauentitel 2007 nur einen Abverkauf von 294 000 Exemplaren (vgl. Abbildung 2, durchschnittliche verkaufte Auflage). Dieser Trend verschont auch den auflagenstärksten Titel der Frauenpresse nicht: ‚Bild der Frau’ muss einen Auflagenrückgang von 2,0 Mio. Exemplaren in 1990 auf 1,7 Mio. Exemplare in 2000 und zuletzt 1,08 Mio. Exemplare im Jahr 2007 hinnehmen.87 Bei der Programmpresse zeigt die Gesamtauflage zwar eine positive Entwicklung und steigt von 16,5 auf 21,1 Mio. Die Durchschnittsauflagen, die hier erzielt werden, sind die höchsten in der Gattung der Publikumszeitschriften. Leider ist der Einbruch hier aber ebenfalls am stärksten: von 1 650 auf 783 000 Exemplare. Das bedeutet einen stärkeren Rückgang als bei der Frauenpresse, wenngleich auf einem viel höheren Niveau. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Titel stärker gewachsen ist, nämlich von 10 auf 27, und – anders als in anderen Segmenten – jeder neue Titel aufgrund der hohen Substituierbarkeit und Ausschließlichkeit im Konsum für bestehende Titel Käuferverluste bedeutet. Die Auflagenzahlen sprechen somit bei der Programmpresse für einen intensiven Wettbewerb.
87
Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
Abbildung 2:
Die Auflagenentwicklung der ‚General Interest’-Titel 1990-2007 Kumulierte verkaufte Auflage (in Mio.) und durchschnittliche verkaufte Auflage (in Tsd.)
General General Interest: Interest: Kumulierte Kumulierte verkaufte verkaufte Auflage Auflage (in (in Mio.) Mio.) 30000000
25000000
20000000
15000000
10000000
5000000
Programmpresse Frauenzeitschriften Unterhaltung / Gesellschaft, Illustrierte, politische Presse Kinder- / Jugendpresse Männerpresse
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2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
0
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Anke Tschörtner, Michael Schenk
General verkaufte General Interest: Interest: Durchschnittliche Durchsch978-3-531-liche rkaufte veAuflage Auflage(in (inTsd.) Tsd.) 1800000 1600000 1400000 1200000 1000000 800000 600000 400000 200000
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
0
Programmpresse Frauenzeitschriften Unterhaltung / Gesellschaft, Illustrierte, politische Presse Kinder- / Jugendpresse
Männerpresse
Quelle: IVW-Auflagenzahlen 1990-2007, eigene Auswertung Die Segmente Unterhaltung und Gesellschaft, Illustrierte sowie politische Presse88 erzielen im Beobachtungszeitraum ebenfalls einen Zugewinn bei der kumu88
Diese drei bei Vogel differenzierten Segmente müssen bei der Betrachtung der Auflagenentwicklung aufgrund der Datenlage zusammengefasst werden. Die IVW-Systematik erlaubt keine eindeutige Abbildung der oben diskutierten Segmente, sie unterscheidet die Kategorien ‚Aktuelle Zeitschriften und Magazine’ und ‚Wochenzeitschriften zu Gesellschaft/Politik’, Titel der
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
lierten Auflage, diese wächst von 10,9 in 1990 auf 15,0 Mio. in 2007. Die Titelzahlen der auflagenkontrollierten Objekte steigen von 46 auf 83. Die Durchschnittsauflage ist im Vergleich zur Frauenpresse und den Programmzeitschriften von einem geringeren Rückgang betroffen, ein durchschnittlicher Titel erreichte 1990 237 000 verkaufte Exemplare, 2007 waren es 180 000. Allerdings variiert die Größe der Käuferschaft zum Teil beträchtlich, so erreicht der Titel ‚Cicero’ eine Verkaufsauflage von knapp 73 000 Exemplaren, das Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel’ rd. 1 Mio. verkaufter Exemplare89. Im Segment der Kinder- und Jugendpresse ist die Auflage aller Titel zwar am stärksten gestiegen – wenngleich auf niedrigem Niveau. Hier zeigt sich eine Steigerung von 3,7 auf 5,7 Mio. Allerdings können redaktionelle Konzepte, die diesen Markt bedienen, davon nicht unbedingt profitieren. Eine Vielzahl von Titeln ist in dieses Segment eingetreten. Gab es 1990 noch 15 Objekte, die sich der Auflagenkontrolle angeschlossen haben, waren es 2007 bereits 77. Für den durchschnittlichen Titel bleibt ein nurmehr kleines Stück vom Kuchen. Die Durchschnittsauflage ist in diesem Zeitraum von 249 000 auf 74 000 verkaufte Exemplare eingebrochen, das ist von allen betrachteten Segmenten der höchste Rückgang der Durchschnittsauflage. Verschärfend kommt hier hinzu, dass die Auflagenhöhe der IVW-gemeldeten Titel nur circa ein Drittel aller Titel abbildet. Bei den nicht gemeldeten Titeln ist von einer eher niedrigen Auflage auszugehen, so dass sich das Verhältnis von Titelzahl zu kumulierter verkaufter Auflage noch verschlechtern dürfte. Für das Segment der Kinder- und Jugendpresse ist daher von einem besonders intensiven Wettbewerb auszugehen. Die Männerpresse stellt eines der kleinsten Segmente unter den Titeln genereller Orientierung dar, das sich aber seit 1996 stetig entwickelt hat: 2007 wies der Pressefachhandel bereits 16 Titel aus, davon melden 10 ihre Auflagen an die IVW.90 Im Beobachtungszeitraum hat sich die kumulierte verkaufte Auflage von knapp 1 Mio. Exemplaren in 1996 auf 1,63 Mio. Exemplare in 2007 erhöht, ohne dass dies zunächst zu Lasten bestehender Titel gegangen wäre. Doch die durchschnittliche Auflage stieg von 198 000 Exemplaren in 1996 zunächst auf den Spitzenwert von 256 000 Exemplaren in 1999 und ging dann, vor allem aufgrund der Neuanmeldungen kleinerer Titel bei der Auflagenkontrolle, auf 163 000 Exemplare zurück. Es scheint eine Sättigung des Segments eingetreten zu sein,
89 90
politischen Presse wie ‚Cicero’ und ‚Der Spiegel’ werden aber beide wie auch ‚Gala’ zu ‚Aktuelle Zeitschriften und Magazine’ zugeordnet. Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung. Diese Titel sind im einzelnen ‚BEST LIFE’*, ‚FHM’*, ‚GQ’*, ‚MATADOR’*, ‚MAX’*, ‚MAXIM’*, ‚MAXIM FASHION’, ‚Men's Health’*, ‚Playboy Deutschland’*, ‚High Life’, ‚Penthouse’, ‚Feld Hommes’, ‚men's magazine’, ‚Player’, ‚blond magazine’*, ‚Fit for Fun’* (auflagenkontrollierte Titel mit * gekennzeichnet, vgl. IVW 2007).
Anke Tschörtner, Michael Schenk
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die Titel Men’s Health Best Life, Matador und Max wurden inzwischen eingestellt. Die wirtschaftliche Bedeutung von Zeitschriften mit einer ‚Special Interest’Orientierung ist bereits thematisiert worden: Den steigenden Titelzahlen und sinkenden Durchschnittsauflagen wird mit der Strategie der immer differenzierteren Zielgruppenansprache begegnet, was zu einer stärkeren Fragmentierung der Zeitschriftenmärkte führt.91 Vor diesem Hintergrund sind hinsichtlich der Auflagenentwicklung vor allem bei den ‚Special Interest’-Titeln schärfere Wettbewerbsbedingungen zu erwarten. Abbildung 3 zeigt die kumulierte sowie die durchschnittliche Verkaufsauflage für die Segmente der Titel mit einer speziellen Orientierung. Auch hier ist die Datenlage bei der Interpretation der Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, im Bereich der ‚Special Interest’-Titel ist nur ein Anteil von 40,3 % auflagenkontrolliert.92 Besonders betroffen sind davon Titel der Segmente Kultur und Wissenschaft sowie Computer und Technik: Hier sind bspw. für das Jahr 1996 nur 37 von 119 bzw. 44 von 136 Titeln auflagenkontrolliert. Bei der Motorpresse und den Wirtschaftstiteln, aber auch in den Segmenten ‚Haus und Leben’ sowie ‚Sport’ nehmen die Zeitschriften hingegen mehrheitlich an der Auflagenkontrolle der IVW teil. Die Rahmenbedingungen hinsichtlich der Auflagenentwicklung bei den ‚Special Interest’-Segmenten werden im Folgenden knapp skizziert. Die Auflagenentwicklung ‚Haus und Leben’ fasst die Segmente ‚Familie und Leben’ und ‚Wohnen und Werken’ nach Vogel zusammen.93 Hier hat die kumulierte Auflage zugelegt, von 1990 bis 2007 wuchs die Jahresgesamtauflage um 3 Mio. verkaufte Exemplare von 15 auf 18 Mio. (vgl. Abbildung 3). Die Gesamtauflage reicht an die der ‚General Interest’-Titel heran. Allerdings werden hier auch die meisten auflagenkontrollierten Titel angeboten: 1990 erschienen 53 Objekte, 2007 waren es schon 158. Der durchschnittliche Titel erreicht so deutlich weniger Käufer: Von 283 000 auf 116 000 ist die Durchschnittsauflage von 1990 bis 2007 um mehr als die Hälfte eingebrochen. Der Rückgang ist mit dem der Kinder- und Jugendpresse vergleichbar. Hier suchen viele kleinauflagige Titel ihre Nische und ihre Leserschaft.
91 92 93
Vgl. Gravier/Hamer/Löffler 2007 Vgl. Vogel 1998: 100 f.; 128 ff. Diese beiden bei Vogel (2007) differenzierten Segmente müssen bei der Betrachtung der Auflagenentwicklung aufgrund der Datenlage zusammengefasst werden. Dies scheint angesichts der Tatsache, dass in früheren Publikationen (vgl. Vogel 1998) ebenfalls eine zusammenfassende Darstellung in ‚Haus und Leben’ gewählt wird, wenig problematisch.
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2a Profil des deutschen Publikumszeitschriftenmarktes
Abbildung 3:
Die Auflagenentwicklung der ‚Special Interest’-Titel 1990-2007 Kumulierte verkaufte Auflage (in Mio.) und durchschnittliche verkaufte Auflage (in Tsd.) Special SpecialInterest: Interest:Kumulierte Kumulierteverkaufte verkaufte Auflage Auflage (in (in Mio.) Mio.)
25000000 20000000 15000000 10000000 5000000
Haus / Leben Sportpresse Audio / Film / Foto
Motorpresse Kultur / Wissen
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
0
Computer / Technik Wirtschaft
Special Interest: Durchschnittliche verkaufte Auflage (in Tsd.) 400000 350000 300000 250000 200000 150000 100000 50000 0 1
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3
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5
Haus / Leben Sportpresse Audio / Film / Foto
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10 11 12 13 14 15 16 17 18
Motorpresse Kultur / Wissen
Quelle: IVW-Auflagenzahlen 1990-2007, eigene Auswertung
Computer / Technik Wirtschaft
Anke Tschörtner, Michael Schenk
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Die Motorpresse erzielt Auflagenhöhen von vergleichbarem Niveau wie Titel zum Themengebiet ‚Haus und Leben’, soweit die kumulierte Auflage betrachtet wird. Auch hier ist die Entwicklung positiv, 1990 konnten knapp 14 Mio., 2007 über 19 Mio. Exemplare verkauft werden. Trotz der Titelzunahme von 42 auf 68 Objekte sank die Durchschnittsauflage hingegen nicht so stark, von 329 000 auf 285 000 Exemplare. Dieser Befund spricht dafür, dass in erster Line relativ hochauflagige Objekte der Auflagenkontrolle beigetreten sind. Objekte im Segment Kultur und Wissen zeigen eine für Publikumszeitschriften typische Entwicklung: Die kumulierte Auflage stieg innerhalb von siebzehn Jahren von 6,7 auf 9,0 Mio., die Durchschnittsauflage sank moderat von 129 000 auf 83 000. Die Titelzahlen haben sich von 1990 mit 52 auflagenkontrollierten Objekten auf 109 in 2007 deutlich gesteigert. Bei den reichweitenstärkeren Titeln, zu denen insbesondere die Wissensmagazine zählen, finden sich Käuferzahlen von 423 000 für ‚Geo’ oder 358 000 für ‚P.M.’.94 Allerdings ist speziell für dieses Segment der Anteil an Titeln, die nicht an die Auflagenkontrolle angeschlossen sind, besonders hoch.95 Die Sportpresse weist im Beobachtungszeitraum die konstanteste Auflagenhöhe aus, sowohl für die Gesamtauflage im Segment als auch für die Durchschnittsauflage. Die Gesamtauflage lag 1990 bei 3,6 Mio. und 2007 bei 4,0 Mio. verkauften Exemplaren (vgl. Abbildung 3). Spitzenwerte zeigten sich Mitte der 90er Jahre, 1996 erzielte die gesamte Sportpresse eine Verkaufsauflage von 5,1 Mio. Die Durchschnittsauflage lag 1990 bei 59 000, 2007 bei 55 000. Hier sind auch die Titelzahlen auflagenkontrollierter Objekte am wenigsten stark gestiegen, im Zeitraum von siebzehn Jahren hat sich die Titelzahl um nur zwölf Objekte auf 72 erhöht. Das Segment Audio, Film und Foto zeigt eine rückläufige kumulierte Auflage von 2,1 auf 1,3 Mio. im Beobachtungszeitraum und ist damit neben der Frauenpresse das einzige Segment mit sinkender Gesamtauflage. Gleichzeitig nahmen aber auch hier die Titelzahlen zu, die auflagenkontrollierten Objekte sind von 26 auf 32 gestiegen. Die Durchschnittsauflage hat sich innerhalb von siebzehn Jahren von 79 000 auf 40 000 verkaufte Exemplare annähernd halbiert. Dennoch finden sich auch in diesem Segment überdurchschnittliche Titel. ‚Audio Video Foto Bild’ erreicht mit 270 000 verkauften Exemplaren eine weit überdurchschnittliche Auflage, auch wenn sie im Vergleich zum Vorjahr um über 60 000 Exemplare geschrumpft ist. Ähnliche Zahlen zeigt der Titel ‚SFT Spiele Film Technik’ mit 204 000 verkauften Exemplaren. Die meisten Objekte zu den Themengebieten Audio, Film und Foto müssen sich jedoch mit Auflagenhöhen 94 95
Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung Zum 1.1.1996 zählt Vogel 82 von 119 Objekten, die nicht IVW-gemeldet sind (vgl. Vogel 1998: 101).
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um die 15 000 Exemplare zufrieden geben, so auch ‚Fono Forum’ mit 12 000 oder ‚Car & Hifi’ mit 14 000 verkauften Exemplaren.96 Die Wirtschaftspresse verzeichnet eine durchweg positive Entwicklung, mit Steigerungen sowohl der Gesamtauflage des Segments als auch der Durchschnittsauflage. Damit unterscheidet sie sich vom allgemeinen Trend der Publikumszeitschriften. Die kumulierte Auflage stieg von 1,3 in 1990 auf 5,1 Mio. verkaufte Exemplare in 2007. Ein durchschnittlicher Titel erreicht inzwischen 100 000 Abverkäufe – siebzehn Jahre zuvor waren es nur 72 000. Gleichzeitig ist auch die Titelzahl deutlich, von 18 auf 51 Objekte, gestiegen. Im Segment scheint somit eine Markterweiterung stattgefunden zu haben, neue Objekte haben neue Käufergruppen erschlossen oder werden zusätzlich gekauft. Ein Verdrängungswettbewerb ist nicht festzustellen. Im Börsenboomjahr 2000 erzielte die Wirtschaftpresse einen Maximalwert von 5,5 Mio. verkauften Exemplaren, der Einbruch in den Folgejahren parallel zum DAX blieb jedoch aus. Damit scheinen wenigstens die auflagenkontrollierten Titel die New-Economy-Blase gut verkraftet zu haben. Die höchsten Auflagen erzielen Multithemen-Objekte wie ‚Capital’ mit 206 000 und ‚Wirtschaftswoche’ mit 188 000 verkauften Exemplaren, aber auch um Allgemeinverständlichkeit bemühte Konzepte wie ‚Guter Rat’ mit 272 000 oder ‚Geldidee’ mit 141 000 verkauften Exemplaren.97 Ein weiterer Gewinner hinsichtlich der Auflagenentwicklung ist das Segment Computer und Technik (vgl. Abbildung 3). Hier stiegen sowohl die kumulierte Auflage von 1 Mio. auf 4,4 Mio. als auch die Durchschnittsauflage von 90 000 auf 129 000 verkaufte Exemplare. Doch ist die Entwicklung anders als bei der Wirtschaftspresse nicht kontinuierlich positiv, sondern weist bei der Gesamtauflage mit maximal 8,4 Mio. verkauften Exemplaren in den Jahren 1999 bis 2000 Spitzenwerte auf. Dieses Niveau hat sich in den folgenden Jahren kontinuierlich abgeschwächt, was sich auch in den Titelzahlen spiegelt: Die Objekte zu den Themengebieten Computer und Technik haben sich von 11 auf 34 Titel im Beobachtungszeitraum vermehrt, auch hier liegen die Jahre 1998 bis 2000 mit maximal 61 Titeln über den übrigen Jahren. Für die auflagenkontrollierten Titel der Computerpresse scheint sich damit eine abgeschlossene Boomphase mit anschließender Marktbereinigung abzuzeichnen.
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Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung Gemeldete IVW-Jahresdurchschnittsauflage für 2007 (4 Quartale), eigene Auswertung
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Zusammenfassung Die Beschreibung der Verlagsstrategien sowie der Zeitschriftensegmente hinsichtlich ihrer Titelzahlen und Auflagenentwicklungen lässt relevante Entwicklungsbedingungen für das Zeitschriftenangebot deutlich werden. Segmente, die mit nur wenigen Titeln besetzt sind, bergen potenziell Raum für neue Titel, so dass sich hier erleichterte Wettbewerbsbedingungen finden lassen könnten. Das Potenzial spiegelt sich recht gut in der Veränderung der Titelzahlen über die Jahre hinweg wider. Dabei fällt auf, dass einige Segmente trotz geringer Titelzahlen offensichtlich den Teilmarkt schon hinreichend unter sich aufgeteilt haben: Die Titel- wie auch die Auflagenzahlen bleiben verhältnismäßig konstant. Dies ist der Fall bei den Illustrierten, Titeln zu Themen der Unterhaltung und Gesellschaft, der Männerpresse sowie der politischen Presse. Anders hingegen verhält es sich bei der Technikpresse: Die anfangs wenigen, im Verlauf aber steigenden Titelzahlen und die damit einhergehende positive Auflagenentwicklung lassen auf Segmente mit Marktpotenzial und günstigen Wettbewerbsbedingungen schließen, so dass mit neuen Titeln noch Marktlücken besetzt werden können. Für Segmente mit konstanten Titelzahlen und konstanter Auflage ist ein gesättigter Markt anzunehmen. Für Segmente, die mit vielen Titeln besetzt sind, ist aufgrund der größeren Konkurrenz mit eher ungünstigen Wettbewerbsbedingungen zu rechnen. Allerdings zeigen sich auch hier wieder deutliche Unterschiede, je nachdem ob zu den vielen Titeln weitere hinzutreten und welche Auflagenentwicklung damit einhergeht. Bei der Kinder- und Jugendpresse wirkt sich die konstante Auflagenentwicklung bei steigenden Titelzahlen sehr negativ, die schwankende Auflagenentwicklung bei der Computer- und Wirtschaftspresse eher negativ aus. Besser bestellt ist es um die Segmente ‚Familie und Leben’ sowie ‚Wohnen und Werken’, die bei aller Titeldynamik dennoch eine leicht steigende kumulierte Auflage verbuchen können. Eine noch positivere Auflagenentwicklung besteht in den Segmenten ‚Kultur und Wissenschaft’, ‚Musik’, ‚Audio, Film und Foto’, sowie der Motor- und der Sportpresse. Für diese redaktionellen Konzepte kann eine vergleichsweise günstige Wettbewerbskonstellation identifiziert werden. Die Ursache für weiterhin steigende Titelzahlen bei konstanter Auflagenentwicklung könnte in der Orientierung am Anzeigenmarkt zu sehen sein. Dem Wachstum in neuen Segmenten, die neue Leserinteressen erschließen, ist das Wachstum in gesättigten Märkten zur Seite gestellt, das sich durch differenzierte Zielgruppenansprache, beispielsweise in der Kinder- und Jugendpresse, von der Anzeigennachfrage nährt. Bei näherer Betrachtung erweist sich daher der Publikumszeitschriftenmarkt als ein Verbund verschiedener Segmente, in denen un-
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terschiedliche Wettbewerbsbedingungen und Entwicklungsszenarien herrschen und das jeweilige Titelwachstum oder die Marktkonsolidierung sowohl durch neue, verlagerte oder schwindende Leserinteressen, aber auch durch die Nachfrage am Anzeigenmarkt gefüttert wird. Marktsegmentierung, Billigtitel und die Folgen Warum in einzelnen Zeitschriftensegmenten Titelzahlen trotz konstanter oder gar stagnierender Auflagenentwicklung ansteigen, ist nicht immer eindeutig zu bestimmen. Einerseits könnte z. B. ein Nachfrageüberhang der Werbungtreibenden auf dem Anzeigenmarkt vorliegen, der nicht durch bestehende Titelkonzepte befriedigt wird. Individualisierungstendenzen in den Lebenskonzepten und nahezu unüberschaubare Möglichkeiten der Freizeitgestaltung – inklusive konkurrierender Medienangebote – auf Rezipientenseite sind Treiber für Titelvielfalt und legen die Aufsplitterung des Marktes in immer mehr Special-Interest-Publikationen nahe: die Zeitschrift für den Hundefreund, den Kitesurfer, den Rosenzüchter. Doch solche Publikationen sind auch mit gewissen Risiken für Verlage behaftet. Die potenzielle Auflage ist durch den begrenzten Themenbereich relativ gering, womit der Anzeigenpreis eher durch die Qualität der Zielgruppe als durch die Reichweite begründet werden muss. Hinzu kommt, dass die Ansprache von enger gefassten Zielgruppen für große Markenartikler eine in der Intensität schwankende Modeerscheinung darstellt. Dagegen verfügen Produktanbieter, die direkt mit dem Special Interest verwoben sind, tendenziell über kleinere Etats für werbliche Maßnahmen oder sind in der entsprechenden Szene ohnehin bekannt und geschätzt. Und schließlich erfordert eine erfolgreiche Special-InterestZeitschrift ein redaktionelles Know-how, das die Fixkosten der Produktion – die First-copy-costs98 – auf relativ hohem Niveau hält, egal ob man die Inhalte in der eigenen Redaktion erstellt oder extern einkauft. Andererseits drängen z. B. zunehmend billige oder als bloße Kopien etablierter Titel konzipierte Programmzeitschriften und Frauenzeitschriften auf den Markt, ohne dass dies durch zusätzliche Anzeigenverkäufe oder steigende Auflagen widergespiegelt wird. Inwiefern diese Titel bei Copypreisen um 50 EuroCents überhaupt profitabel sein können, lässt sich wohl nur durch sehr geringe First-copy-costs erklären. Das heißt, es erzeugt wenig Kosten, wenn eine Zeitschrift lediglich die Grunddaten der Fernsehprogramme darstellt, ohne z. B. einzelne Sendungen kritisch redaktionell durch Journalisten besprechen zu lassen, oder die Klatschgeschichten aus anderen Publikationen des entsprechenden 98
Vgl. Wirtz 2006: 33 f.
Anke Tschörtner, Michael Schenk
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Segments lediglich recycelt – hinzu kommen die Einsparungen durch die technische Entwicklung, die Kosten bei Herstellung, Satz und Druck senkt. Offenbar gibt es einen ausreichend großen Markt für diese rudimentäre Darstellung auf Rezipientenseite, der den Erfolg der Zeitschrift auf dem Werbemarkt zweitrangig werden lässt. Leidtragende sind somit die opulenter ausgestatteten Programmzeitschriften und Frauenmagazine, die mit höherem redaktionellen Einsatz bestimmte Themen zuerst aufgegriffen haben. Die Reichweiten sinken und Anzeigenpreise geraten unter Druck. Aber auch der Kunde am Presseregal, der von der Titelflut überfordert wird und teilweise zu Recht an der besonderen Qualität von Print zweifelt, gehört zu den Verlierern dieser Entwicklung. Diese Strategie, billige Titel in den Markt zu bringen, die sich nur über die Menge im Einzelverkauf bezahlt macht, zieht mehrere Probleme nach sich: Durch die geringen Kosten des einzelnen Heftes sinken die Gewinnmargen für Händler und Grossisten; höherpreisige Titel leiden im Einzelverkauf unter der neuen Konkurrenz, was wiederum die Ertragssituation für den Handel verschärft. Ob darüber hinaus das Image von Zeitschriften insgesamt mittelfristig leidet und die Preisakzeptanz sinkt, darüber kann im Moment nur spekuliert werden. Später zeigen wir, was der USP von Zeitschriften gegenüber anderen Medien ist, nämlich Qualität. Vielleicht wird dieser USP leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
Invasion der Billigtitel? Interview mit Michael Schenk
Herr Professor Schenk, der Text zur Entwicklung des Zeitschriftenmarktes von Anke Tschörtner und Ihnen in diesem Band berücksichtigt die Trends im Printmarkt bis ca. 2006. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen seit 2006? Seit geraumer Zeit sind eine Reihe günstiger Titel mit einem Copypreis von unter einem Euro in den Markt gekommen, die interessanterweise nicht in den für den Anzeigenmarkt wichtigen IVW-Statistiken geführt werden und insofern eine machtvolle Existenz unter der Oberfläche entfaltet haben. Welche Titel sind das im Wesentlichen? Die Entwicklung bezieht sich vor allem auf Frauenzeitschriften, TV-Programmzeitschriften und Freizeittitel. Hier sind rund 40 Titel mit Copypreisen unter 70 Cent in den Markt gekommen. Welche Folgen kann man sehen? Bei den etablierten Titeln finden wir seit etwa dem Jahr 2000 einerseits einen teilweise dramatischen Verkaufsrückgang. Andererseits nimmt der Absatz von Billigtiteln zu. Es treten vermehrt Substitutionseffekte auf – die Käufer greifen offenbar öfter zu Billigtiteln statt zu teureren Zeitschriften. Was nur geringe Rückschlüsse auf die Profitabilität zulässt. Das wird für die betreffenden Verlage ein profitables Geschäft sein, für die Grossisten und den Handel eher weniger. Die großen Mengen sprechen trotzdem für ein Erfolgsmodell. Weil dem Abwärtstrend entgegengewirkt wird, scheint das zumindest kurzfristig für ein Erfolgsmodell zu sprechen. Natürlich muss man sich fragen, warum es die Anbieter teurerer Titel nicht schaffen, den Käufern zu vermitteln, mehr Geld für ihr Qualitätsversprechen ausgeben zu müssen. Hier macht sich wohl auch
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Invasion der Billigtitel?
eine stärkere Preissensibilität bemerkbar. Das ist in den genannten Segmenten das Problem. Die Frage ist, ob hier nicht Personenkreise angesprochen werden, die sich sonst überhaupt keine Zeitschrift mehr leisten können, die also sonst ohnehin verloren gehen. Hierzu gibt es keine Forschung, zumindest keine veröffentlichte. Bei den monatlichen Frauentiteln ist übrigens kein Abwärtstrend zu verbuchen. Ist die Aufteilung des Marktes in zwei Lager die zwingende Konsequenz? Es gibt ein Qualitätslager, wo Sie nicht ohne weiteres Billigtitel launchen können, und ein Billiglager, wo Sie bei weitestgehend austauschbarer Redaktion Hefte letztlich über Redaktionsbüros am Fließband herstellen können. Welche Gefahren sehen Sie in der Einführung von Billigtiteln in Segmenten, in denen sich die Titel ohnehin inhaltlich nur graduell voneinander unterscheiden? Oder genereller gefragt: Was halten Sie von der Hypothese, dass eine hohe Anzahl an Billigtiteln die Zeitschriften als Mediengattung entwerten könnte? Man kann Spiraleffekte sehen: Billigtitel verdrängen höherwertige Titel, das führt in der Tat zur Entwertung ganzer Segmente. Insofern wäre es töricht, die Gefahr zu leugnen, die von Billigtiteln punktuell in bestimmten Segmenten ausgeht. Aber es gibt eben auch den gegenläufigen Trend z. B. bei den monatlichen Frauentiteln, der dafür spricht, dass der Printmarkt im Gegensatz zu anderen Märkten stark differenziert betrachtet werden muss. Insofern kann von der Entwertung der Mediengattung Print insgesamt sicher nicht die Rede sein. Können Billigtitel auch die Symptomatik reifer Märkte sein, indem hier nur noch Potenziale durch Kannibalisierung abgeschöpft werden, aber keine Innovation mehr stattfindet? Wie gesagt, ich scheue mich, vom Printmarkt als Einheit zu sprechen. Es gibt einzelne Segmente, die sind offenbar reif, und ohne Innovation können Sie dort nur noch über Kannibalisierung und den Preis zusätzliche Marktanteile erhalten. Sie sehen aber auch an der relativ hohen Zahl an Marktein- und Austritten, dass die Verlage innovativ sind und durchaus erfolgreich sein können. Wenn Sie an die Kette Verlage-Grosso-Handel denken: Welche Chancen und welche Gefahren sehen Sie in der hohen Anzahl an Billigtiteln?
Interview mit Michael Schenk
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Für den Handel bedeutet das natürlich sinkende Roherlöse und eine hohe Unübersichtlichkeit. Einzelne Fachgeschäfte in preissensiblen Umfeldern geraten hier mittelfristig in Schwierigkeiten. Wenn Sie in Geschäften von Billigtiteln überschwemmt werden, ist es einem Käufer bei austauschbaren Titeln auch schwer zu vermitteln, warum er das teurere Heft kaufen soll. Jeder Autohändler verkauft Ihnen aktiv ein möglichst teures Auto – ich weiß nicht, ob die Zeitschriftenhändler alle Möglichkeiten ausreizen, bei vergleichbaren Produkten die für sie profitableren in den Vordergrund zu stellen. Durch andere Regalsysteme zum Beispiel? Man könnte sich eine verschämte Ecke vorstellen, in der sich die Billigtitel stapeln, und eine opulente, gut sichtbare Auslage mit den profitableren Heften. Man würde sich dann lösen von einer thematischen Ordnung. Aber Vielfalt kann auch Appetit machen. Vielleicht schaffen es die Billigtitel, Personen bei Zeitschriften zu halten, die sonst völlig zum Fernsehen abdriften würden. Das ist aber gänzlich unerforscht. Wie könnte ein Szenario aussehen, wenn Verlage weiterhin billige Titel in den Markt drücken würden? Billigtitel werden stärker nachgefragt, weil sie eben auch ein starkes Interesse befriedigen. In den hier diskutierten Fällen ist das vor allem das Bedürfnis nach leichter Unterhaltung. Bei den Freizeittiteln und Programmzeitschriften fallen etwa umfangreiche Berichte zu Stars und Sternchen auf. Offenbar scheint sich der Markt aufzuteilen in ein insbesondere für die Billigtitel empfängliches Massenpublikum und ein Elitenpublikum, das deutlich weniger bis gar nicht preissensibel ist und dem eher die Information wichtig ist. In den beiden Gruppen haben Sie auch unterschiedliche Wettbewerbssituationen durch konkurrierende Gattungen und Titel, Fernsehen bzw. Internet. Auf Fernsehen und Internet müssen sich die Verlage in ihren Innovationen auch einstellen und z. B. interaktive oder crossmediale Konzepte entwickeln. Die Verlage machen das, was aus ihrem ökonomischen Kalkül heraus am sinnvollsten erscheint. Natürlich wird es in diesem übergroßen Angebot für den Leser schwieriger, sich zu orientieren. Der Handel ist vor die Herausforderung gestellt, mit diesen Produkten zu arbeiten und seine eigenen Profitabilitätsgesichtspunkte dabei im Auge zu behalten. Insbesondere der Zeitschriftenfachhandel kämpft vielerorts ums Überleben.
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Invasion der Billigtitel?
Da wird man die Entwicklung nicht zurückdrehen können. Es fehlt auf Seiten des Handels noch an aktiven Konzepten, mit dieser überbordenden Produktpalette umgehen zu können. Die Fragen an Michael Schenk stellte Sven Dierks. Das Zeitschriftenangebot hat sich in den letzten 25 Jahren nahezu verdoppelt, während die absoluten Auflagenzahlen inzwischen eher stagnieren. Anke Tschörtner und Michael Schenk konnten die Dynamik auf dem Markt der Publikumszeitschriften aufzeigen. Als offensichtliche Folge für den Käufermarkt sticht die enorme Steigerung der Titelzahlen ins Auge: Der interessierte potenzielle Käufer muss sich heute innerhalb eines wesentlich größeren Angebots orientieren. Dies erhöht zwar einerseits die Wahrscheinlichkeit, einen den individuellen Bedürfnissen besonders nahe kommenden Titel letztlich zu finden, abhängig von der Ausstattung des bevorzugten Point of Sale. Andererseits kann die Wahl aber auch eine Qual bedeuten, der entweder durch Fachpersonal, eigene Recherche bzw. Ausprobieren verschiedener Titel abgeholfen werden muss. Der Ansatz, die Zeitschriften in thematische Segmente aufzuteilen, scheint sinnvoll zu sein, da er eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Entwicklungshintergründe und Trends anregt und somit auch zu verschiedenen Ergebnissen bei der Beurteilung grundsätzlicher Fragestellungen wie z. B. der Zukunftsfähigkeit vorhandener oder alternativer Konzepte bei der Warenpräsentation kommen kann – ein weiterer Aspekt, den man auch für Anforderungen an die Käufermarktforschung im Hinterkopf behalten sollte. So hat z. B. das Segment Computer/Kommunikation überhaupt erst durch die Verbreitung von Personalcomputern im betrachteten Zeitraum seine breitenwirksame Initialzündung erfahren. Die technische Neuerung des Internets befeuerte zunächst diesen Boom. Doch im neuen Jahrtausend scheint eine Marktbereinigung eingesetzt zu haben, nicht zuletzt, weil das Internet inzwischen viele entsprechende Inhalte selbst abbildet. Dieses Beispiel zeigt auch, dass die Entwicklung der Publikumszeitschriften in den letzten 25 Jahren nicht vollständig ohne den parallelen Werdegang der elektronischen Medien analysiert werden kann. Zunächst sind hierbei insbesondere das Fernsehen und der Hörfunk zu nennen, die seit der Dualisierung des Rundfunksystems wesentlich eher und intensiver in den Wettbewerb um Werbebudgets und Mediennutzungszeit eintraten.
Interview mit Michael Schenk
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Keyfacts für den Käufermarkt
Titelzahlen sind enorm gestiegen. Titelangebot wird weiter zunehmen. Dies führt zu Orientierungsbedarf beim Käufer, notwendiger Navigation durch Verkaufsstelle, abnehmender Chance auf Wahrnehmung einzelner Titel. Einzelne Titelsegmente erreichen ihre Grenzen, entweder in Bezug auf die vom Käufermarkt akzeptierte Titelanzahl oder das Auflagenvolumen. Einige Grenzen zwischen Segmenten verschwimmen (Segmente Frauen, Unterhaltung, Gesellschaft, Illustrierte).
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren – Die klassischen elektronischen Medien im Wandel 2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
Maria Gerhards und Walter Klingler
Eine notwendige Vorbemerkung Jede Analyse, die sich mit der deutschen Zeitgeschichte beschäftigt und dabei auch den Zeitraum vor der deutsch-deutschen Wiedervereinigung umfasst, muss eingangs klären, wie in ihr mit den beiden deutschen „Geschichten“ umgegangen wird. Unter anderem zwei Gründe führen im Folgenden dazu, die „westdeutsche“ Tradition zugrunde zu legen:
Das heutige deutsche Mediensystem ist „west-geprägt“, folgt also weit überwiegend den Spuren des Mediensystems der alten Bundesrepublik Deutschland. Die Datenlage erlaubt kontinuierliche Fortschreibungen der Ergebnisse für die alte Bundesrepublik, nicht jedoch für die neuen Bundesländer bzw. für Letztere erst ab dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung. (Die im Weiteren als mittelfristige Trends beschriebenen Entwicklungen haben im übrigen Gültigkeit auch über die Veränderungen der Grundgesamtheiten durch die deutsch-deutsche Wiedervereinigung hinaus).99, 100
Die frühen 80er Jahre als „Startphase“ des dualen Systems Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg war im deutschen elektronischen Mediensystem geprägt durch die breite Etablierung von Hörfunk und Fernsehen, was sich in Messzahlen wie Haushaltsausstattung, Ausstattung von Pkws und Büros, in den Höhen der Tagesreichweiten und der Nutzungsdauer usw. belegen lässt. Im Bereich der Veranstalter (alte Bundesländer) prägte das öffentlich-rechtliche System das Bild und die Erscheinungsformen in den Programmen (sieht man vom einstrahlenden Radio Luxemburg und den Sendern der Alliierten ab). 99
Dies gilt gleichermaßen für die Systematik der Langzeitstudie Massenkommunikation, für die Hörfunkreichweitenforschung, für die Fernsehforschung u. a. mehr. 100 Vgl. diverse Artikel zum Thema Veränderungen in der Mediennutzung nach dem 2. Weltkrieg in: Gerhards/Klingler/Roters 1999
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2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
Mit dem Start der sog. Kabelpilotprojekte am 1. Januar 1984, in deren Rahmen – und damit auch prinzipiell – privatrechtliche Veranstalter zugelassen wurden, erfolgte dann der Übergang in eine völlig neue Mediensystematik, in das sog. duale System aus öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und privatrechtlichen Anbietern. Und dies sowohl im Hörfunk als auch im Fernsehbereich.101 Gleichzeitig gewannen auch die neuen Übertragungstechnologien Kabel und später Satellit für die elektronischen Medien an Bedeutung, die heute für das Fernsehen die dominierenden Verbreitungswege sind.102
Hörfunk und Hörfunknutzung Anfang der 80er Jahre Das Programmangebot in Rundfunk und Fernsehen war bis Anfang der 80er Jahre öffentlich-rechtlich geprägt. Hierin vollzog sich allerdings ein dynamischer Prozess, der im Hörfunk auch mit der Verfügbarkeit weiterer UKW-Frequenzen zu tun hatte. Waren die späten 40er und 50er Jahre durch ein Ein- später ZweiProgramme-Angebot der einzelnen Landesrundfunkanstalten geprägt, kamen Mitte bis Ende der 60er Jahre die sog. Dritten ARD-Programme hinzu. In den 70er Jahren erfolgte dann der konsequente Ausbau der so genannten ServiceWellen, tagesbegleitend und mobil nutzbar, den aktuellen Bedürfnissituationen in der Bevölkerung folgend. 1980 bestand das ARD-Programmangebot im Hörfunk aus 567 Stunden am Tag, 63 Stunden im Schnitt pro Landesrundfunkanstalt bzw. 2,6 Programmen. Daten für die erste Phase der 80er Jahre der alten Bundesländer liegen aus einer sog. Teleskopie-Strukturerhebung mit dem Erhebungszeitraum Herbst/ Winter 1981/82 vor. Sie gibt einen guten Überblick über die Details der damaligen Radionutzung. Die Tagesreichweite des Hörfunks lag Anfang der 80er Jahre bei 78 %. Basis: Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren, Montag bis Sonntag. Männer hörten etwas häufiger als Frauen, bei den Altersgruppen zwischen 20 und 49 Jahren lag der Wert über 80 %, bei den 14- bis 19-Jährigen bei 78 %, bei den 50- bis 69Jährigen bei über 70 %, nur bei den ab 70-Jährigen unter 70 %. Dass der Wert am Anfang der 80er Jahre knapp 15 Prozentpunkte über dem Wert Ende der 60er Jahre lag, war auf die so genannten Servicewellen zurückzuführen. 196 Minuten Verweildauer waren damals für jeden Radionutzer am Tag zu notieren, also mehr als drei Stunden, wenn man Radio hörte. Sie lag im Übrigen bei den 14- bis 19-Jährigen mit 147 Minuten deutlich unter dem Schnitt, bei den 20- bis 49-Jährigen jeweils deutlich darüber. Das gleiche Bild ergibt sich bei der 101 Vgl. Schwarzkopf 1999 und Eifert/Hoffmann-Riem 1999 102 Vgl. Frank/Klingler 1987
Maria Gerhards und Walter Klingler
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Hördauer, dem mathematischen Wert für die Radionutzung aller Befragten, der aus der Verweildauer der Nutzer und der Nichtnutzung der Nichthörer resultiert. Anfang der 80er Jahre dominierte die Nutzung im Haus deutlich die anderen Zusammenhänge des Radiohörens. Die Autoradionutzung lag – Maßstab Hördauer – bei rund 10 Minuten und war hauptsächlich ein Phänomen der mobileren 20- bis 59-Jährigen bzw. der in Ausbildung Befindlichen und Berufstätigen. Die Schwerpunkte der Radionutzung im Tagesablauf lagen zwischen 6 und 9 Uhr sowie zwischen 11.30 Uhr und 13 Uhr. Gleichwohl hatte sich die Nutzungskurve im Vergleich zum Ende der 60er schon deutlich in Richtung einer „Ganztageskurve“ (bis inkl. später Nachmittag) entwickelt.103
Fernsehen und Fernsehnutzung Anfang der 80er Jahre Anfang der 80er Jahre war das Fernsehangebot – wie im Hörfunk – öffentlichrechtlich geprägt. Das Erste (ARD), das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) und die regionalen dritten Programme standen Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauern zur Verfügung. Schon vor heute knapp 30 Jahren existierten in fast allen bundesdeutschen Haushalten (alte Bundesländer) Fernsehgeräte. 96 % hatten mindestens ein Gerät. Allerdings waren weder deren Empfangs- noch deren Bildschirmqualität mit den heutigen TV-Empfängern vergleichbar. Und: Nur 21 % der Bevölkerung besaßen zwei oder mehr – tragbare – Empfänger. Deutlich beeinflusst wurde das damalige Sehverhalten im Übrigen durch die Tatsache, dass erst in weniger als der Hälfte aller Fernsehhaushalte eine Fernbedienung zur Verfügung stand. Aufstehen, zum Gerät gehen, sich wieder hinsetzen usw. prägte das Fernsehverhalten noch der Mehrheit der Zuschauer. „Zapping“ steckte damit – sowohl bedingt durch die Zahl der Fernbedienungen als auch durch die begrenzte Zahl der verfügbaren Programme – noch in den Kinderschuhen. Die Tagesreichweite lag mit 80 % schon sehr hoch. Die durchschnittliche Sehdauer lag mit 143 Minuten – allerdings durch Umfragen erhoben, die späteren Daten basieren auf Messgeräten – noch deutlich niedriger als heutige Werte jenseits der 200-Minuten-Marke. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die damals einem Berufstätigen zur Verfügung stehende Freizeit deutlich unter der heutigen lag und damit weniger Zeit für das häusliche Freizeit-Medium Nummer eins zur Verfügung stand. Es bleibt festzuhalten: Fernsehen war Anfang der 80er Jahre bereits Alltag. Und die Highlights aus der Sicht der Zuschauerinnen und Zuschauer waren damals bereits die Nachrichten, Filme, Krimis und Sport. 103 Vgl. Franz/Klingler/Jäger 1991: 400-409
54
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
Medienausstattung: Von den 80er Jahren ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts Das Medienensemble, über das ein durchschnittlicher Bundesdeutscher heute verfügt, ist gegenüber den 80er Jahren in der Breite völlig anders aufgestellt. Und dies betrifft sowohl die Hörfunkempfangsmöglichkeiten als auch den Fernsehempfang. Anfang der 80er Jahre verfügten rund 96 % aller bundesdeutschen Haushalte über mindestens ein Radiogerät, 1990/91 waren es 98 %, 2000 99 %, 2007 96 %. Dahinter verbirgt sich auch eine Vermehrung des vorhandenen Inventars. 1990/91 beispielsweise existierten in 39 % der Haushalte, 2007 in 53 % vier oder mehr Radioempfänger. Tabelle 2: Unterhaltungselektronik: Geräteausstattung1) Personen aus Haushalten mit …
1980/81
1990/91
2000
2007
Fernsehgerät ein Gerät zwei und mehr Geräte Mini-Fernseher/Watchman Fernsehen mit Flachbildschirm4) Pay-TV-Decoder/d-box4) Radiobesitz als Teil einer Stereoanlage Anzahl Radiogerätearten2) eine Geräteart zwei Gerätearten drei Gerätearten vier und mehr Gerätearten Autoradio Unterhaltungselektronik mit Radiogerät Stereo-/Hifi-/Kompakt-Anlage mit Radio Radio mit CD-Player/Kassette 2) Radio ohne CD-Player/Kass.re 4) Walkman/MP3/Handy mit Radio 4) Uhrenradio/Radiowecker 4)
96 79 21 – – – 96 45
98 72 27 – – – 98 68
98 61 37 3 – 7 99 74
98 59 39 3 13 29 96 71
37 29 18 16 56
13 22 25 39 75
7 21 29 39 83
6 18 21 53 84
74
71
69 –
52 35
–
24
–
51
55
Maria Gerhards und Walter Klingler
Küchenradio 4) Plattenspieler3) Tonband/Kassettenrecorder3) Compactdiscspieler3) Unterhaltungselektronik ohne Radiogerät Walkman ohne Radio tragb. CD-Player ohne Radio Kassettenrecorder ohne Radio MP3-Player 4) Videorecorder DVD-Player (nur Abspielgerät)4) DVD-Recorder (Aufn. u. Wiederg.)4) Festplattenrecorder4) Digitaler Fotoapparat4) Videokamera/Camcorder Digitale Videokamera4) WebCam4) Personalcomputer Laptop/Notebook4) Anrufbeantworter4) Telefaxgerät4)
62 48 –
4
75 82 25
46
Modem, ISDN-Anschluss usw.4) 1)
2) 3) 4)
– 38 69 68
36
29 19 18 – 67 – – – – 22 – – 40 6 38 15
22 28 26 34 61 59 26 8 54 20 33 10 61 27 47 22
14
63
Bezogen auf Personen ab 14 Jahren, die in Haushalten mit entsprechender Ausstattung leben. Befragung ab 2000 im CATI-Verfahren (computerunterstützte Telefonbefragung) durchgeführt, deshalb nur bedingte Vergleichbarkeit. Angaben in % Radiogerätearten: ab 2007 II nicht mehr als Teil einer Stereoanlage. Erhoben mit dem Zusatzkriterium „als Teil einer Stereoanlage“. Nicht in allen Jahren erhoben.
Quellen: für 1980: AG.MA Media Micro-Census 1981; ab 1990 Media Analyse (ma)
In dieser Zahl sind die anderen Geräte nicht mitgezählt, mit denen Radioprogramme heute empfangen werden können, wie z. B. Fernsehgeräte, PCs, Handys
56
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
usw. Im Jahr 2007 beispielsweise trugen diese Empfangsoptionen durchaus schon deutlich zur (ergänzenden) Radionutzung bei.104 Tabelle 3: Weiteste Nutzerkreise auf Empfangswegen 2007 Personen ab 14 Jahren, mindestens einmal in 14 Tagen genutzt, in %
über einen stationären Fernseher im Haus über ein Radio über einen Computer (Internet) hier über das Internet hier über eine TV-/Radio-Karte über einen MP3-Player über ein Handy über ein Minifernseher für unterwegs über einen Organizer u.ä. Keine Nutzung in den letzten 14 Tagen
Fernsehen
Hörfunk
Internet
97
2 95 4 0 4 3 0 5
0 65 2
2 3 1 1 0 2
1 35
Quelle: Informationsverhalten der Deutschen 2007, n= 1 000 Befragte ab 14 Jahren
Anfang der 80 Jahre verfügten 96 % aller Haushalte über mindestens einen Fernsehempfänger. An dieser Zahl hat sich in den nächsten Jahrzehnten nichts geändert. Allerdings: Auch hier ist die Gerätezahl pro Haushalt wie im Hörfunk gestiegen. Und auch hier spielt die Nutzung über andere Empfangsgeräte als das herkömmliche Fernsehgerät (insbesondere PC) eine zunehmende Rolle. Anders als im Hörfunk wird Fernsehen im Sinne linear ausgestrahlter Programme verstanden, aber noch sehr selten mobil genutzt. Erwartbar wird diese Entwicklung in den nächsten Jahren noch deutlich Raum greifen, verbunden mit neuen Versorgungswegen wie Handy-TV. Für die klassischen elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen gilt damit, dass sie wie in den 80er Jahren in so gut wie allen Haushalten verfügbar sind und dass die Verbreitung der Endgeräte unterschiedlichster Prägung zuneh-
104 Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2007 verfügen rund 60 % der Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz über einen PC, 44 % über einen Internetzugang, 40 % über einen Radioempfänger, 14 % über ein Fernsehgerät (9 % ohne Videotext, 5 % mit Videotext). 25 % der Berufstätigen haben kein Empfangsgerät. Quelle: SWR-Berechnungen aus der Studie Informationsverhalten der Deutschen 2007. Die Ergebnisse der Studie aus dem Jahr 2006 sind veröffentlicht unter Blödorn/Gerhards/Klingler 2006: 630-638.
Maria Gerhards und Walter Klingler
57
mend sowohl ihre multilokale Nutzung (hier zurzeit Radio) als auch die Individualisierung der Nutzung befördert.105 Gleichzeitig sind den traditionellen tagesaktuellen elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen aber neue Konkurrenten erwachsen (hier insbesondere das Internet) bzw. haben sich traditionelle Konkurrenten ausdifferenziert. Letzteres gilt beispielsweise für das heute – ergänzend zum Radio – wesentlich attraktivere und breitere Inventar zur Audionutzung mit CD, mp3, PC und Internet gegenüber dem früher dominierenden Tonträger Schallplatte. Im audiovisuellen Bereich bestehen inzwischen Möglichkeiten zur zeitversetzten Fernseh- oder Video-on-Demand-Nutzung. Dies wird beispielsweise durch die weiter wachsende Zahl der Onlinenutzer belegt. Im Jahr 2008 sind es bereits 66 % aller deutsch sprechenden Personen in Privathaushalten in der Bundesrepublik.106
Radionutzung von den 80er Jahren bis heute: Das Angebot Von den 80er Jahren bis heute hat sich der Radiomarkt vollständig verändert. Während Anfang der 80er Jahre beispielsweise noch die 2,6 Programme je öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalt sowie Deutschlandfunk, RIAS und RTL die Basis bildeten, waren es im Jahr 1990 163 und im Jahr 2007 (lt. ma 2007 Radio II) 341 erhobene lokale, regionale und/oder nationale Programme. Nicht gerechnet sind hier die verfügbaren WebChannels der unterschiedlichsten Anbieter.
Hörfunkreichweite und Nutzungsdauer Die dazugehörige Tagesreichweite des Hörfunks liest sich im Langzeitvergleich – auf Basis der jeweiligen Radioreichweitenstudien – wie folgt: 1980 ca. 80 %, 1990 80 %, 2000 79 % und 2007 77 %.107 Die Ursachen für diesen leichten Rückgang liegen in dem sich ausdifferenzierenden Medienangebot, insbesondere an der ansteigenden Internetnutzung. Am stärksten beeinflusst dies die Radionutzung bei den jüngeren Altersgruppen. Im Zeitraum von Anfang der 80er Jahre bis 2007 ging die Tagesreichweite bei den 14- bis 19-Jährigen um knapp 10 105 Zu den Ausstattungszahlen vergleiche jährlich Media Perspektiven – Basisdaten. Daten zur Mediensituation in Deutschland. Frankfurt am Main. Vgl. auch die Studie Informationsverhalten der Deutschen 2007 (siehe Fußnote 104). 106 Vgl. ARD/ZDF-Onlinestudie 2008 107 Der Vollständigkeit halber muss angemerkt werden, dass in der Erhebung der Radioreichweiten mit der Media-Analyse 2000 eine methodische Veränderung vollzogen wurde. Vor diesem Zeitpunkt wurden die Daten in mündlich-persönlichen Interviews erhoben, seit diesem Zeitpunkt telefonisch.
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2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
Prozentpunkte, bei den 20- bis 29-Jährigen um rund 12 Prozentpunkte und bei den 30- bis 39-Jährigen um etwas über fünf Prozentpunkte zurück. Umgekehrt steigt bei den älteren Gruppen die Nutzung leicht an. Der Hördauerwert zeichnet diesen Effekt ebenfalls nach. Anfang der 80er Jahre lag er, gemessen an der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren (für die Zeit vor der Wiedervereinigung Basis alte Bundesländer), bei etwas über 150 Minuten, 1990 bei 156 Minuten, im Jahr 2000 bei rund 203 Minuten und 2007 bei 186 Minuten, was einem Minus von rund einer Viertelstunde gegenüber dem bisherigen Höchstwert von 2000 entspricht. Auch hier ist der Rückgang der Hördauer auf Nutzungsveränderungen in den jüngeren Zielgruppen zurückzuführen, insbesondere auf ein höheres Zeitbudget für das Internet, aber auch für die Speichermedien wie CD oder mp3. Die Komplementärmedien weisen ihre Stärken insbesondere in den Bereichen zielgruppenspezifischer Angebote, ihrer zeitsouveränen Nutzungsmöglichkeit, aber auch der Option der selbst-konfektionierten Angebote auf – mit der Wirkung zunehmend individualisierter Nutzung.108 Tabelle 4: Tagesreichweiten und Nutzungsdauer des Hörfunks nach soziodemografischen Gruppen Personen ab 14 Jahren, Mo-So, 5.00-24.00 Uhr
Tagesreichweite in %
Hördauer in Min.
Jahr
Ges.
14-19 J.
20-29 J.
1981/82
78
78
83
30-39 J. 40-49 J.
83
81
50-59 J.
60-69 J.
ab 70 J.
79
74
66
1989/90
80
80
84
83
83
81
77
67
2001 II
79
77
78
83
85
83
79
67
2007 II
77
70
71
77
82
82
80
72
1981/82
153
115
175
184
166
152
136
112
1989/90
156
118
166
174
170
162
157
121
2001 II
203
127
203
239
236
220
200
145
2007 II
186
95
172
199
215
214
193
163
Quellen: für 1981/82 Teleskopie, seit 1989/90: Media Analysen (ma)
108 Das Internet steht dabei gerade auch bei Jüngeren im hohen Maße für eine Kombination aus eigener Kommunikation – Communitys, E-Mail, Chat u. a. – und Nutzung von Inhalten und zieht damit Zeitbudget von anderen Tätigkeiten, eben auch von den klassischen elektronischen Medien ab. Vgl. zur Einbindung von Kommunikation und Inhaltenutzung z. B. Neuwöhner 2008: 247-254. Und zum Thema Verquickung von Kommunikation und Inhaltenutzung bei der Internetnutzung vgl. Gerhards/Haas/Klingler/Trump 2007: 215-222.
Maria Gerhards und Walter Klingler
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„Relevant Set“ und Programmauswahl Radio Das steigende Angebot führte in den letzten Jahrzehnten zur verstärkten Selektivität bei der Auswahl der Programme, die dann von jedem Einzelnen seinem persönlichen „Relevant Set“ zugeordnet werden. Definiert man den Relevant Set als die Programme, die zumindest einmal in 14 Tagen gehört werden, so stieg die Zahl von schätzungsweise 2,0 in der Mitte der 80er Jahre über 2,8 im Jahr 1990 auf 4,3 im Jahr 2007. Dies hat einen umso härteren Wettbewerb zwischen den Anbietern zur Folge: Zum einen ist die Zahl der Konkurrenten um einen Platz im Relevant Set größer, zum anderen ist die Konkurrenz zwischen den 4,3 Programmen um die tagtägliche „Einschaltgunst“ intensiver. Denn die Zahl der dann tatsächlich an einem Tag genutzten Programme ist im Zeitraum von 1990 bis 2007 nur von 1,3 auf 1,6 gestiegen (Mitte der 80er Jahre 1,1), was gleichzeitig für eine relativ hohe Programmtreue am Tag steht.
Nutzung unterschiedlicher Programmformate Den Programmformaten der frühen 80er Jahre steht heute – wie beschrieben – eine Ausdifferenzierung der Radiolandschaft gegenüber. Die quantitativ größte Rolle spielen Mitte bis Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends die Programme, die sich musikalisch unter „Mainstream-Pop“ fassen lassen. Ihre Tagesreichweite beträgt heute – über die Systemgrenzen zwischen öffentlichrechtlichem Rundfunk und privatrechtlichen Anbietern hinweg – rund 45 % der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren. Das zweitgrößte Cluster, gemessen an der Tagesreichweite, bilden die Programme, die sich stark auf deutschsprachige Titel, hier insbesondere Schlager, stützen. Je nach Bundesland liegt der Wert zwischen 15 % und 25 %. Hinzu kommen Kultur- und Informationsprogramme, Jugendprogramme und beispielsweise – ein Trend der letzten Jahre – verstärkt Programme, die die Generation der Beatles- und Abba- Fans und die Liebhaber der 80er-Jahre-Musik besonders ansprechen.109
Radionutzung im Tagesablauf Der Nutzungsverlauf für das Radio war in den 80er Jahren an Werktagen noch deutlich geprägt durch die Spitzen am Morgen und am Mittag. Die Verschiebungen zwischen In-Haus- und Außer-Haus-Nutzung haben dieses Bild der Einbin109 Zu Radioformaten vgl. Stümpert 2004 und Benecke 2004
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2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
dung in den Alltag seitdem verändert. Aus den „Höckern“ ist eher eine vom Morgen bis in den weiteren Nachmittag hineinreichende, dort allerdings leicht zurückgehende Fläche entstanden. Abbildung 4:
Radionutzung im Tagesverlauf 2007
35,0
30,0
25,0
20,0
15,0
10,0
5,0
0,0 5:00
6:00
7:00
8:00
9:00 10:00 11:00 12:00 13:00 14:00 15:00 16:00 17:00 18:00 19:00 20:00 21:00 22:00 23:00
Personen ab 14 Jahren, Mo-So, BRD gesamt, Tagesreichweite in % Quelle: ma 2007 Radio II
Nutzungsorte des Hörfunks Anders als in den 80er Jahren sieht das Verhältnis der In-Haus- und der AußerHaus-Nutzung des Hörfunks aus. Überwog damals noch deutlich die In-HausNutzung, sind die Werte 2007 stark zusammengerückt: Den 105 Minuten Hördauer im Haus stehen 79 Minuten außer Haus gegenüber. Und bei den 30- bis 49-Jährigen beispielsweise ist das Verhältnis mit 91 Minuten zu 115 Minuten umgekehrt. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich das Phänomen, dass die Radionutzung in der Freizeit zu Hause in den letzten Jahren zurückgegangen ist, während sie sich überall dort, wo sie Freiheit für andere Aktivitäten – z. B. Auto fahren – gewährt, stabil bleibt bzw. bei zunehmender Ausstattung zum Teil zunimmt.
Maria Gerhards und Walter Klingler
61
Nutzungsmuster der Radionutzung Zugleich sehen auch die Nutzungsmuster über den Tag und die Woche hinweg anders aus als vor 25 bis 30 Jahren. Von den 64,8 Mio. potenziellen Hörerinnen und Hörern in Deutschland zählen (nach dem Stand der ma 2007 Radio II) rund 7,6 Mio. zu einem Typus, der sich als „Vielhörer“ bezeichnen lässt. Ihre Tagesreichweite liegt bei fast 95 %, die durchschnittliche Hördauer bei 428 Minuten, bedingt durch die sehr intensive Tagesbegleitung durch das Radio. Zu den rund 14,1 Mio. „Frühhörern“ gehören alle Bevölkerungsgruppen relativ gleichmäßig. Sie kommen auf eine Tagesreichweite von 91 %, was insbesondere auf stark ritualisiertes Morgenhören zurückzuführen ist. Die Hördauer liegt mit 179 Minuten im Schnitt der Gesamtnutzung des Mediums. Rund 10,7 Mio. Personen gehören heute zum Typ des „Vormittagshörers“ mit deutlich älterer Hörerstruktur. Die Tagesreichweite beträgt hier rund 91 %, die Hördauer im Schnitt 283 Minuten. Als „Späthörer“ gelten 9,1 Mio. Personen mit 89 % Tagesreichweite bei 182 Minuten Hördauer. Auffällig ist in dieser Gruppe der überproportionale Anteil an Berufstätigen. Bleiben schließlich noch die beiden Gruppen, die dem Hörfunk etwas oder deutlich distanziert gegenüberstehen: 17,1 Mio. Radiokonsumenten lassen sich heute zu den „Gelegenheitshörern“ zählen. Sie kennzeichnet eine noch durchaus hohe Tagesreichweite von 66 % und eine Nutzungsdauer von 87 Minuten. Überdurchschnittlich stark sind hier die Jüngeren sowie damit korrespondierend die Gruppe der noch in Ausbildung Befindlichen vertreten. Weitere rund 6,2 Mio. Personen umfasst die Gruppe der „Wenighörer“. Ihre Tagesreichweite liegt bei nur 16 %, ihre Hördauer dementsprechend bei 19 Minuten. Auch diese Gruppe verfügt über eine jüngere Altersstruktur und weist einen deutlich überdurchschnittlichen Anteil der Außer-Haus-Nutzung auf. Vermutlich fallen die zu Hause vermehrt zur Verfügung stehenden Konkurrenzmedien hier besonders ins Gewicht.110
Nutzungsmotive des Hörfunks Die Stärken des Radios waren im Jahr 1980 Gegenstand der damaligen Welle der Massenkommunikations-Studie. Dabei erhielten zwei Statements besonders hohe Zustimmungswerte. Rund drei Viertel aller Befragten stimmten der Aussage „Bringt die neuesten Nachrichten besonders schnell“ zu, zwei Drittel konnten die Aussage „Sorgt für Entspannung und Ablenkung“ auf sich beziehen. Somit 110 Vgl. Klingler/Müller 2007: 461-471
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2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
waren damals zwei Dimensionen des Radiokonsums von Belang, der Bedarf an Information und die Unterhaltung.111 In der Fortschreibung der Langzeitstudie wurden im Jahre 2005 erneut die Motive der Nutzung des Radios erfragt, wenn auch mit etwas abweichenden Statements. Daraus ergab sich ein ähnliches Bild: Auf den drei vorderen Plätzen finden sich – gemessen erneut an den Zustimmungswerten: Ich nutze Radio, „weil es Spaß macht“, mit 90 % vor „weil ich mich informieren möchte“ mit 83 % und „weil ich dabei entspannen kann“ mit 80 %. Im Grundprofil der gesamten Hörerschaft zeigen sich damit nur wenige Unterschiede über einen Zeitraum von einem Vierteljahrhundert hinweg. Die Bindung an den Hörfunk Bleibt schließlich die Frage, wie sehr der Hörfunk der bundesdeutschen Bevölkerung nahe liegt. Nach den Ergebnissen der Massenkommunikation gaben im Jahr 1980 52 % aller Befragten an, sie würden den Hörfunk sehr stark oder stark vermissen, wenn es das Medium nicht mehr gäbe. 1990 waren es 57 %, im Jahr 2000 58 %. Das jüngste in dieser Zeitreihe vorliegende Ergebnis lautet 57 %. Tabelle 5: Bindung an die Medien: Vermissen und Entscheidung BRD gesamt1), Personen ab 14 Jahren in % 1980
1990
2000
2005
Es würden sehr stark/stark vermissen... Fernsehen Hörfunk Tageszeitung Internet
Medien
47 52 60 -
51 57 63 -
44 58 52 8
44 57 46 21
Es würden sich entscheiden für... Fernsehen Hörfunk Tageszeitung Internet
51 29 18 -
52 26 20 -
45 32 16 6
44 26 12 16
1)
Bis einschließlich 1990 nur alte Bundesländer.
Quelle: ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation 111 Vgl. Berg/Kiefer 1982
Maria Gerhards und Walter Klingler
63
Nimmt man diese Zeitreihe als Maßstab, dann hat der Hörfunk – trotz aller beschriebenen Veränderungen und trotz zunehmender Konkurrenz – nach wie vor eine hohe Attraktivität. Vieles spricht dafür, dass die grundsätzliche Wertschätzung des Radios geblieben ist, selbst wenn es in der einen oder anderen Situation nicht mehr so häufig genutzt wird oder wenn heute auf Grund der Medienkonkurrenz weniger Zeit für die Nutzung zur Verfügung steht.112
Fernsehnutzung von den 80er Jahren bis heute: Angebot und Reichweite Die massiven Veränderungen im Radioangebot bei gleichzeitig relativ stabilen Image- und Bindungswerten sind bereits beschrieben. Die Umwälzungen innerhalb der Fernsehlandschaft stehen diesen gewiss in nichts nach. Ein durchschnittlicher Fernsehzuschauer konnte Anfang der 80er Jahre, je nach Empfangbarkeit eines oder zweier Dritter Programme, zwischen drei oder vier Fernsehprogrammen wählen. Ende 2007 waren es im Schnitt über alle Empfangswege hinweg 63 Programme, acht mehr als im Vorjahr. Die Basis für diese langfristige Angebotszunahme bilden einerseits Veränderungen der genutzten Empfangswege, von der terrestrischen hin zu einer dominant Kabel- bzw. Satelliten-gestützten Versorgung, andererseits die in den letzten Jahren einsetzende Digitalisierung.113 Die Tagesreichweite des Mediums hat dies allerdings relativ wenig beeinflusst. Anfang der 80er Jahre lag sie bei Personen ab 14 Jahren in Fernsehhaushalten bei rund 80 % (lt. Umfrage), 1990 bei 73 % (anhand von Messgeräten), 2007 bei 72 %. Die Sehdauer lag Anfang der 80er Jahre im Schnitt bei 143 Minuten, zu Beginn der 90er Jahre bei etwa 170 Minuten, im Jahr 2000 bei 190 Minuten, 2007 bei 208 Minuten (höchster Wert bisher 2006 mit 212 Minuten). Insgesamt wird damit 2007 rund eine dreiviertel Stunde mehr ferngesehen als etwa 15 bis 20 Jahre zuvor. Der aktuelle Rückgang verläuft gleichmäßig über alle Altersgruppen.114 Anzumerken ist allerdings, dass die Fernsehforschung zurzeit nur die lineare Fernsehnutzung über das Fernsehgerät misst, nicht über PC und Internet. Von daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die „verlorenen“ Minuten sich auf anderen Empfangswegen wieder finden ließen.
112 Vgl. Reitze/Ridder 2006 113 Vgl. z. B. Engel 2006 114 Vgl. Gerhard/Zubayr 2008: 106-119. Vgl. für die vorangehenden Jahre jeweils die entsprechenden Artikel über die Fernsehnutzung im jeweils abgelaufenen Jahr.
64
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
Tabelle 6: Tagesreichweiten und Sehdauer des Fernsehens nach soziodemografischen Gruppen Personen ab 14 Jahren, Mo-So, 5.00-24.00 Uhr Jahr
Tagesreichweite in %
Ges.
14-19 J.
20-29 J.
30-39 J.
80
74
75
781)
2000
73
59
60
73
2005
74
56
61
74
2007
72
51
57
71
1978/79
143
117
123
1361)
1990
149
112
114
132
2000
190
118
146
174
2005
208
100
156
192
1978/79
40-49 J. 50-59 J. 60-69 J.
ab 70 J.
86
852)
75
78
82
84
76
80
83
86
75
77
83
86
156
1742)
144
160
192
191
207
222
254
270
216
251
282
290
1990
Sehdauer in Min.
Quellen: für 1978/79; tele FMA; 1990 ma, weitere Daten: AGF/GfK Fernsehforschung, PC#TV. Fernsehpanel (D+EU)/vor 2001 Fernsehpanel (D) 1)
30 bis 49 Jahre
2)
60+ Jahre
„Relevant Set“ und Programmauswahl Fernsehen Angesichts der Zunahme der Programme ist es spannend zu betrachten, wie sich die Zuschauerinnen und Zuschauer im Detail verhalten. Im Prinzip zeigt sich hier dieselbe Struktur wie beim Hörfunk. Die Zuschauer reagieren mit einer Vorauswahl der Programme, die zu ihrem Relevant Set gehören. Durch die Fernbedienung kann es allerdings durchaus auch passieren, dass man diesen Bereich verlässt, ebenso wie bei besonderen Programmevents. Aber in der Regel gilt der Relevant Set, der seine Manifestation meist auch in den Plätzen der Programme auf der Fernbedienung erfährt. Auf die 10 Programme, die ein Zuschauer durchschnittlich am stärksten nutzt, entfallen rund 90 % seiner gesamten Programmnutzung, wobei allein für die fünf Favoriten bereits rund zwei Drittel der Nutzung zu registrieren sind. Die Relevant Sets der verschiedenen Zuschauergruppen weichen dabei mittlerweile sehr deutlich voneinander ab. Dies war Anfang der 80er in dieser Form
Maria Gerhards und Walter Klingler
65
überhaupt nicht möglich, waren doch nur drei bis vier Programme verfügbar. Wie unterschiedlich diese Relevant Sets heute aussehen, lässt sich an einem Beispiel für das Jahr 2007 einfach dokumentieren. Die vier marktanteilsstärksten Angebote waren in diesem Jahr bei den 14- bis 49-Jährigen RTL, ProSieben, SAT.1 und VOX. Sie kamen in dieser Zielgruppe auf einen Marktanteil von zusammen 46,2 %. Bei den ab 50-Jährigen waren die stärksten Programme Das Erste der ARD, das ZDF und die Dritten (gesamt) mit insgesamt 47,1 % Marktanteil.115 Im Wettbewerb der Sender um die Relevant Sets des Publikums spielt auch der so genannte Audience Flow eine besondere Rolle. Er beschreibt den Zuschauerübergang von einer laufenden zur nachfolgenden Sendung. Je besser dieser einem Programmanbieter gelingt, umso höher ist die Zuschauerzahl der folgenden Sendung. Der Audience Flow ist damit ein prägender Begriff der deutschen Fernsehlandschaft geworden, als Ausdruck des Bemühens, die Gunst des Zuschauers dauerhafter zu binden.
Die Nutzung der Fernsehprogramme Die Veränderungen des Fernsehangebots seit den 80er Jahren lassen sich nicht nur an den Strukturen des Relevant Sets erkennen, sondern auch an den Marktanteilsentwicklungen der unterschiedlichen Programme. Anfang der 80er Jahre war die Verteilung der Fernsehnutzung – gemessen in Marktanteilen – relativ einfach: 100 % entfielen auf die öffentlich-rechtlichen Programme. Die Frage war, ob Das Erste oder das ZDF die Nase vorn hatte und wie groß der Abstand zwischen beiden war, die nächste Frage galt dem Gewicht der Dritten.116 Insgesamt aber hatte der Begriff des Marktanteils eine entschieden geringere Bedeutung als heute. Im Jahr 1990 hatte sich das Bild bereits gewandelt. Auf Basis der Fernsehzuschauer ab 14 Jahren ergab sich damals folgende Rangfolge: Das Erste der ARD erreichte einen Anteil an der gesamten TV-Nutzung von 30,9 %, das ZDF von 28,7 %, es folgte RTL plus mit 11,7 %, dann die Dritten gemeinsam und SAT.1 mit jeweils 9,1 %. Pro 7 kam auf 1,2 %, Tele 5 auf 0,7 %, sonstige Sender vereinten 8,6 % auf sich.117 Im Jahr 2007 hat sich dieses Bild erneut deutlich verändert – diesmal auf der Basis von Zuschauern ab 3 Jahren. Das erfolgreichste Programm war Das Erste der ARD mit 13,4 %, das ZDF kam auf 12,9 %, RTL auf 12,4 %, die drit115 Vgl. Beisch/Engel 2006: 572-584 116 Vgl. hierzu insbesondere auch die entsprechenden (jährlichen) Darstellungen und Zusammenfassungen in den Jahrbüchern der ARD und des ZDF. Zur Nutzung eines Dritten vgl. exemplarisch Steinmann/Stolte 1975. 117 Zur Programmauswahl in den 90ern vgl. z. B. Schneiderbauer 1991
66
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
ten Programme erreichten zusammen 13,5 % Marktanteil, SAT.1 erzielte 9,6 %, ProSieben 6,5 %. Die verschiedenen Relevant Sets belegen die Ausdifferenzierung der Zielgruppen. Die im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten geringeren Gesamtmarktanteile der „Großen“ deuten auf den insgesamt zurückgehenden Nutzungsumfang der einzelnen Programme hin. Zusammengenommen sind dies Kennzeichen einer sich vollziehenden Segmentation der Fernsehnutzung.
Nutzung von Sparten und Inhalten Mitte der 80er Jahre deuteten die Kabelpilotprojekte in Hamburg, Ludwigshafen, Mainz und München an, in welche Richtung die Spartenentwicklung – sowohl in Bezug auf das Angebot als auch auf die Nutzung – gehen könnte. Das privatrechtliche Lager trug zu einer deutlichen Erhöhung des Anteils an unterhaltenden bzw. fiktionalen Sendungen bei. Auf der Nutzungsseite bedeutete dies damals, dass Kunst- und Kultur-Sendungen, Politik- und Wirtschaftssendungen sowie die Nachrichtenmagazine am späteren Abend unter den neuen Konkurrenzbedingungen am deutlichsten Zuschauer verlieren würden.118 In den folgenden 20 Jahren119 hat sich dieses Bild dann bestätigt. 2007 entfielen rund 35 % der Fernsehnutzung in Deutschland auf Angebote aus dem Bereich Information/Infotainment, fast so hoch war der Anteil für den Bereich Fiction mit 33 %. 15 % entfielen auf Unterhaltungssendungen, 8 % auf Sport, 8 % auf Werbung und schließlich 3 % auf Sonstiges (z. B. Programmüberleitungen u. a.). Vergleicht man dabei den Angebotsanteil mit dem Nutzungsanteil, zeigt sich, dass Fiction und Unterhaltung deutlich überproportional genutzt werden, Information und Infotainment – so die Sammelkategorie – deutlich unterproportional. Auch hier bestehen wieder deutliche Segmentationen. Jüngere Zuschauer beispielsweise nutzen überproportional Fiction-Angebote, ältere Zuschauer eher Informationssendungen.120
118 Vgl. diverse Artikel zum Thema Veränderungen in der Mediennutzung nach dem 2. Weltkrieg in Gerhards/Klingler/Roters 1999 119 Zu den Veränderungen im Angebotsbereich und zur Struktur der Angebote der einzelnen Programme vgl. insbesondere die jährlichen Fortschreibungsartikel von Udo-Michael Krüger in Media Perspektiven. Vgl. auch z. B. die Programmanalysen, die im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (ALM) durchgeführt werden, siehe die dortigen Jahrbücher. Vgl. Gerhards/Klingler 2007b 120 Basis: GfK-Codierung, diese erfasst rund 88 % der Fernsehnutzung in Deutschland. Vgl. Gerhards/Klingler 2007b
67
Maria Gerhards und Walter Klingler
Tabelle 7: Spartenangebot und -nutzung im deutschen Fernsehen 20071) Mo bis So, 3.00 bis 3.00 Uhr, BRD gesamt, Zuschauer ab 3 J., in % Angebot
Nutzung
Nettoreichweite2)
Index3)
46
35
63
77
Sport
7
6
20
83
Unterhaltung
9
15
44
166
24
33
59
135
Werbung
9
8
55
85
Sonstiges
4
3
64
74
Information/Infotainment
Fiction
1)
2) 3)
Basis: 20 Programme: Das Erste/ARD, ZDF, 7 Dritte Programme, 3sat, RTL, SAT.1, ProSieben, kabel eins, RTL II, VOX, Super RTL, DSF, Eurosport, N24. Nettoreichweite: Programmsparte mindestens eine Minute fortlaufend gesehen. Indexwerte: Nutzung zu Angebot, Angebot = 100.
Quelle: AGF/GfK, pc#tv, Fernsehpanel (D+EU), eigene Berechnungen
Exkurs: Videotext/Teletext Im Kontext des Fernsehens muss auch der Videotext/Teletext Erwähnung finden. Hier nimmt der Teletext aktuell eine begleitende Position ein, mit hoher Bewertung durch das Publikum. Quantitativ ist seine Nutzung in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Betrug die Reichweite 1996 noch 5,3 Mio. Zuschauer, so stieg sie 2006 auf bereits 17,1 Mio. Zuschauer ab 3 Jahren an. An einem Durchschnittstag hat somit rund jeder vierte in einem Fernsehhaushalt lebende Deutsche oder EU-Ausländer mit den Angeboten Kontakt. Gleichzeitig ist im dargestellten Zeitraum die Sehdauer in Sekunden von 31 auf 90 Sekunden gestiegen.121 Viel spricht dafür, dass die so verbreitete textgeleitete und schnelle Information, durchaus in der Parallele zum Internet, große Zustimmung genießt.
121 Vgl. z. B. Engel 2006
68
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
Fernsehnutzung im Tagesablauf Unverändert liegt heute wie in den 80er Jahren der quantitative Schwerpunkt der Fernsehnutzung über den Tag hinweg am Abend. An den beiden Wochenendtagen – auch dies hat sich nicht geändert – wird früher und länger Zeit vor dem Fernseher verbracht. Die Zunahme der Fernsehnutzung seit den 80er Jahren vollzieht sich über den gesamten Tag hinweg, in den letzten Jahren spielte dabei die Zeit zwischen 12 Uhr und 17 Uhr die größte Rolle. Dass die Strukturen der Fernsehnutzung über den Tag trotz dieses Anwachsens relativ stabil geblieben sind, hat insbesondere mit der Rolle des Fernsehens als abendliches Freizeitmedium zu tun. Abbildung 5:
Fernsehnutzung im Tagesverlauf 2007
50
40
30
20
10
0 6:00
7:00
8:00
9:00
10:00 11:00
12:00 13:00 14:00 15:00 16:00 17:00 18:00 19:00 20:00 21:00 22:00 23:00
0:00
Personen ab 14 Jahren, Mo-So, BRD gesamt, Tagesreichweite in % Quelle: AGF/GfK Fernsehforschung, PC#TV. Fernsehpanel (D+EU)
Orte der Fernsehnutzung Fernsehen war und ist zurzeit (noch) ein In-Haus-Medium, sieht man von der oftmals „eventgesteuerten“ Nutzung beispielsweise bei Freunden oder von Pub-
Maria Gerhards und Walter Klingler
69
lic Viewings bei ganz wenigen besonders hochkarätigen Sportereignissen (und guten Wetterbedingungen) einmal ab. Im Jahr 2000 fanden gut 98 % der gesamten Fernsehnutzung „im Haus“ statt, 2006 waren es 97 %. Mobile TV-Nutzung hat danach, trotz der vielfältigen Spekulationen über den baldigen breiten Durchbruch beispielsweise des Handy-TVs, aktuell noch keine hohe Relevanz.
Nutzung des heimischen TV-Bildschirms für nicht-lineare Angebote Das Zeitbudget für TV- und Video-Speichermedien ist heute gemessen an der Gesamtbevölkerung noch relativ gering. Die höchsten Anteile sind bei den 14bis 19-Jährigen und bei den 20- bis 29-Jährigen zu verzeichnen. Insgesamt wächst die Nutzung von Speichermedien allerdings an. Bei den 14- bis 29-Jährigen liegt der auf lineare Fernsehprogramme entfallende Anteil der Bildschirmnutzung des TV-Geräts bei zwischen 90 und 95 %, der der Videos, DVDs usw. bei zwischen 5 und 10 %. Für die Gesamtheit aller Zuschauer führt die Nutzung gespeicherter oder gekaufter Videos zur Erweiterung der Bildschirmnutzung jedoch nicht zu einer Reduzierung der Nutzung linearer Fernsehprogramme.122 Soweit die vorliegenden Daten zur Bildschirmnutzung. Für alle Zugänge zu Videomaterial gilt heute gleichermaßen, dass Film- (traditionell) und FernsehProduktionen einen hohen bzw. wachsenden Stellenwert bei der Nutzung von Speichermedien haben. So ist beispielsweise der Anteil der TV-Produkte am DVD-Kaufmarkt im Zeitraum 2003 bis 2006 von 10 % auf über 20 % des Umsatzes gestiegen. Dies ist ein Indiz dafür, dass das Thema Video-Nutzung über Festplatte, DVD, Videorecorder und Internet eng mit dem Thema Fernsehen und dort praktizierten Markenstrategien zusammenhängt.
Motive der Fernsehnutzung und Vermissen des Mediums Zurück zum linearen Fernsehen über das TV-Gerät. 1980 wurden in der Studie ‚Massenkommunikation’ auch die Motive der Fernsehnutzung erfragt. Die Spitzenwerte erzielten dabei jene Items, die auch beim Hörfunk am höchsten gepunktet hatten: „Bringt die neuesten Nachrichten besonders schnell“ mit einer Zustimmung von 70 % und „Sorgt für Entspannung Ablenkung“ mit 62 %. Etwas stärker als beim Hörfunk waren darüber hinaus drei weitere Statements positioniert. „Gibt einen vollständigen Überblick über alle wichtigen Entwicklungen in der Politik und im Zeitgeschehen“ mit 59 %, „Bringt viele Dinge, über die man 122 Vgl. Gerhards/Klingler 2007a
70
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
sich mit Freunden und Bekannten unterhalten kann“ mit 56 % und schließlich „Berichtet klar und verständlich über politische Ereignisse“ mit 51 %.123 2005 hat sich an den prinzipiellen Aussagen zu den Motiven des Fernsehkonsums wenig geändert. Ich sehe fern, „weil ich mich informieren möchte“, kam mit 90 % Zustimmung auf Platz eins, gefolgt von „weil es mir Spaß macht“ mit 83 % und „weil ich dabei entspannen kann“ mit 79 %. Die Aussage „damit ich mitreden kann“, mit 62 % auf Platz vier positioniert, umfasst gleichzeitig zwei Aspekte: Zum einen kann man über aktuelle Ereignisse, zum anderen auch über Sendungen und Programme mitreden. Insgesamt zeigt der detaillierte Vergleich der Ergebnisse aus den 1980er und den 2000er Jahren identische Positionierungen des Fernsehens, bei einer allerdings etwas stärkeren Profilierung des unterhaltenden Bereichs. Dies entspricht durchaus den beschriebenen Veränderungen der Spartennutzung, aber auch Veränderungen, wie sie das Fernsehen durch die aktuelle Konkurrenz des Internets erfahren hat.124
Die Bindung an das Fernsehen Auch für das Fernsehen wird die Vermissens-Frage in der Studie Massenkommunikation nun schon seit den 70er Jahren erhoben. 1980 erklärten 47 % aller Befragten, sie würden das Fernsehen bei Absenz sehr stark oder stark vermissen. Dieser Wert vermittelt Bindung und Distanz gleichermaßen, damals auch schon begleitet von der Frage, wie viel Fernsehen denn eigentlich sein sollte. Interessant ist insofern neben der Höhe der Zustimmung insbesondere auch der Trend: 1991 waren es 51 %, die das Fernsehen sehr stark oder stark vermissen würden, 2000 44 % und 2005 erneut 44 %. Stellt man abschließend allerdings die Frage, auf welches der Medien man am wenigsten verzichten möchte (Fernsehen, Hörfunk, Tageszeitung und seit 2000 auch das Internet), bleibt das Fernsehen in all den Jahren deutlich auf Platz eins: 1980 mit 51 %, 1990 mit 52 %, 2000 mit 45 % und 2005 mit 44 % (vgl. Tabelle 5).
Zäsuren und Entwicklungstendenzen Veranschaulicht man sich die Geschichte der letzten 25 Jahre, so besteht der entscheidende Einschnitt im Übergang zum dualen System, dem Nebeneinander zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privatrechtlichen Anbietern. 123 Vgl. Berg/Kiefer 1982 124 Vgl. Reitze/Ridder 2006
Maria Gerhards und Walter Klingler
71
Davor konkurrierte das elektronische Medium des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit den Printprodukten der Verleger. Nun boten auch Verleger elektronische Medien an – regional vor allem im Hörfunk, national im Fernsehen. Der sozusagen „national-internen“ Konkurrenz folgte der Einstieg internationaler Konzerne im Fernsehmarkt (z. B. von Rupert Murdoch, aber auch von Finanzinvestorengruppen), mit heute nur schwer zu beurteilenden mittel- und langfristigen Auswirkungen. Im Hörfunk stellt der Start der landesweiten Privatradios im Anschluss an die Kabelpilotprojekte den zweiten deutlichen Einschnitt nach der Einführung des dualen Systems dar. Die folgende Ausdifferenzierung des Angebots machte den Hörfunk im Grunde stärker trotz oder gerade wegen der heute vielfältigen Alternativen. Nur drei Beispiele für diese Ausdifferenzierung seien hier noch einmal festgehalten:
Info-Radios wie z. B. Bayern 5, die mit ihrer 15-Minuten-Taktung das Prinzip des (fast) jederzeitigen Zugriffs auf aktuelle Informationen realisiert haben, bevor dies durch das Internet im heutigen Umfang möglich war. Radios für die so genannte „mittlere Generation“ wie z. B. bei Radio Bremen oder beim Südwestrundfunk, die die musikalische (und biographische) Lücke zwischen deutschsprachigen Schlagern und hoch aktuellen Pop-Titeln geschlossen haben. Jugendradios privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Provenienz, die zielgruppengerecht zugeschnitten versuchen, die junge Generation trotz aller medialer Konkurrenz an das Medium Radio zu binden.
Im Fernsehen zeichneten sich im Laufe der Jahre vielschichtige, sich gegenseitig beeinflussende Entwicklungen ab. Einige wichtige seien nachfolgend nochmals festgehalten:
Die Entwicklung der Verbreitungswege stellte in den zurückliegenden 25 bis 30 Jahren immer mehr Kapazität zur Verfügung. Aus drei bis vier verfügbaren Programmen wurden in digitalen Satellitenhaushalten hunderte Angebote. Auf Seiten der Programmveranstalter führte dies zur strategischen „Familienbildung“ und der Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen. Die Vermehrung der Empfangsgeräte (TV-Empfänger plus andere Optionen) führte zu einer individualisierten TV-Nutzung, bei der man Fernsehen beispielsweise von anderen Familienmitgliedern getrennt konsumieren kann. Das Angebot an Medien zur zeitversetzten Nutzung steigt weiter (z. B. Mediatheken und Videoportale).
72
2b Hörfunk und Fernsehen in den letzten 25 Jahren
Alle skizzierten Befunde führen in ihrer parallelen Entwicklung dazu, dass die/der Einzelne immer stärker ihr/sein eigener Programmdirektor wird bzw. heute schon ist. Bleibt festzuhalten, dass es sich bei den in den letzten 25 bis 30 Jahren stattgefundenen Veränderungen weniger um echte Zäsuren als um zeitweise parallele, teilweise zeitversetzte Entwicklungen auf unterschiedlichen Feldern handelt.
Die Zukunft der klassischen elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen Hörfunk und Fernsehen werden ebenso wie die Printmedien als Medien erhalten bleiben. Die Stärken dieser drei klassischen Mediengattungen bleiben trotz zunehmender medialer Konkurrenz bestehen. Der entsprechende Bedarf der Konsumenten existiert weiter, wenn auch anders, zum Teil mit erkennbaren Abstrichen. Gleichzeitig wird die Vernetzung der Medien zunehmen, wie z. B. Der Spiegel und Spiegel online belegen. „Marken“ – also Angebote mit hohem Vertrauen und hoher Bindung der Nutzer – werden dabei immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das Zeitbudget der Nutzerinnen und Nutzer verteilt sich neu, so dass weniger Zeit auf den einzelnen Anbieter und das einzelne Angebot entfallen wird. Dies geht einher mit Neuverteilungen von Finanz- und Werbebudgets, die heute schon zu neuen Finanzierungsströmen führen, weg z. B. von den klassischen Medien Tageszeitung und Hörfunk und hin zum Internet. Ob sich auf diese Weise allerdings alle zukünftigen Entwicklungen finanzieren lassen werden, bleibt zu bezweifeln. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung und einen möglichst vielfältigen demokratischen politischen Diskurs ist neben all den medialen Neuerungen der Fortbestand der qualifizierten, traditionellen und journalistischen Medien – Printmedien, Hörfunk und Fernsehen – jedenfalls zu wünschen. Die vergangenen 25 Jahre waren von erheblichen Umschichtungen der elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen geprägt, die sich auch in Zukunft fortsetzen werden. Da ist es schon fast erstaunlich, dass angesichts dieser beispiellosen Entwicklung des Programmangebotes das „Relevant Set“ der fünf beliebtesten Sender des einzelnen Zuschauers den größten Anteil, nämlich etwa zwei Drittel des Gesamtkonsums, ausmacht, obwohl die anderen Angebote ohne Umschweife verfügbar sind. Die Zunahme des Medienangebots sowohl bei den elektronischen Medien als auch bei den Publikumszeitschriften lässt auch die möglichen Optionen der Adressaten massiv ausufern: Jeder Nutzer wird sein eigener Programmdirektor. Diese Kleinteilung sollte eigentlich den Publikumszeitschriften
Maria Gerhards und Walter Klingler
73
zugute kommen, denn mit dem Trend weg von großen dominanten Massenmedien hin zu spezialisierten Angeboten wird das Aufmerksamkeitsgefälle nivelliert. Andererseits bieten die elektronischen Medien, speziell das Fernsehen, inzwischen eine Nutzungseigenschaft, die früher exklusiv dem Printbereich vorbehalten war, nämlich die nicht-lineare Nutzung zunächst in Form von Videorecordern, dann DVD-Geräten und schließlich Festplattenrecordern.
Keyfacts für den Käufermarkt
Ausdifferenzierung der elektronischen Medien zu Special-Interest-Angeboten, ähnlich dem Markt der Publikumszeitschriften (z. B. Sportkanal oder Musikkanal). Nicht-lineare Nutzungsmöglichkeiten sind nicht mehr exklusiv den Printmedien vorbehalten. Massive Zunahme der Ausstattung mit Unterhaltungselektronik bietet neue Nutzungssituationen, die in Konkurrenz zur potenziellen Zeitschriftennutzung treten (Fernsehen allein statt in Gesellschaft, Radio auf Kopfhörern im öffentlichen Verkehrsmittel etc.).
Doch damit nicht genug, denn seit Mitte der 90er Jahre kam das Internet als neuer Player unter den Mediengattungen hinzu und sorgte für eine weitere Verkomplizierung der medialen Gesamtsituation. Wie die Medienwirtschaft sich unter Berücksichtigung des Internets verändert, zeigt der folgende Aufsatz.
2c Neue Medien: Medienwirtschaft im Umbruch Stefan Heng
Brechts Medientraum muss für die Medienwirtschaft nicht zum Albtraum werden Seit der Erfindung der beweglichen Lettern im Druckereigewerbe haben sich die grundsätzlichen Mechanismen in der Medienwirtschaft kaum verändert. Bis heute kennzeichnen eine sehr kleine Zahl professioneller Medienhäuser und eine sehr große Zahl passiver Medienrezipienten (Leser, Hörer, Zuschauer) die Medienlandschaft. Doch nun stößt der Fortschritt bei den Informations- und Kommunikationstechnologien einen fundamentalen Umbruch in der gesellschaftspolitisch zentralen Medienwirtschaft an: Dieser zeigt sich bei den Angeboten der klassischen (Massen-)Medien selbst, aber noch deutlicher bei den neuen Angeboten im Web. Hier stoßen Podcasts, Videocasts, Blogs, Wikis, soziale Netzwerke und virtuelle 3D-Welten auf ein schnell wachsendes Publikum.
Statistiken bieten bislang überraschend wenig Überraschendes Weltweit setzte die gesamte Medienwirtschaft (Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichten-Websites) im Jahr 2005 1,3 Billionen Euro um; bis 2010 werden es 1,8 Billionen Euro sein (durchschnittliches Wachstum: + 7 % p. a.). Der größte Medienmarkt ist Nordamerika mit einem Anteil von 42 %, mit deutlichem Abstand gefolgt von Europa, dem Nahen Osten und Afrika (EMEA) mit 32 %, Asien (23 %) und Lateinamerika (3 %).125 Deutschland hält einen Anteil von etwa 6,7 % am Weltmarkt. Im Vergleich zu den klassischen Mediengattungen bilden die Nachrichten-Websites (von der Online-Zeitung bis hin zum interaktiven Online-Tagebuch) ein kleines Segment der deutschen Medienwirtschaft. Noch im Jahr 2004 trugen sie in Deutschland lediglich 0,7 % zum gesamten Umsatz der Branche bei. Mit einem Anteil von 41 % am Gesamtumsatz der deutschen Medienwirtschaft stellte das Fernsehen zu dieser Zeit die umsatzstärkste Mediengattung dar (siehe Abb. 6). Mit deutlichem Abstand folgten die Zeitungen, die Zeitschriften und das Radio. 125 Vgl. PricewaterhouseCoopers 2007
76 Abbildung 6:
2c Neue Medien: Medienwirtschaft im Umbruch
Anteile am Umsatz der deutschen Medienwirtschaft 2004
NachrichtenWebsites 0,7%
Zeitungen 31%
TV 41%
Radio 10%
Zeitschriften 17%
Quelle: Nielsen Media Research, 2005
Der mediale Umbruch – nicht nur ein technologischer Effekt Bei ihrer Finanzierung zielen die Medienhäuser sowohl auf den Markt der Rezipienten als auch auf den Markt der Werbetreibenden. Dabei bezieht sich der Wettbewerb um die Werbetreibenden vorwiegend auf die Wirkungsintensität (zumeist gemessen in Tausendkontaktpreis), der Wettbewerb um den Rezipienten dagegen vorwiegend auf die Inhalte der jeweiligen Formate. Beim Wettbewerb um die Werbetreibenden kommen Faktoren aus 4 Kategorien zum Tragen: Diese Faktoren sind struktureller Art (politische Interventionen durch nationale Regulierer), gesellschaftlicher Art (Veränderungen des Lebensstils, demografischer Wandel) oder auch technischer Art (Fortschritt der Informations- und
Stefan Heng
77
Kommunikationstechnologien). Darüber hinaus gibt es aber auch Sondereffekte (intensiv beworbene Sportgroßveranstaltungen wie Olympische Spiele oder Fußballmeisterschaften), die den Wettbewerb um die Werbetreibenden nachhaltig beeinflussen. Der sich derzeit vollziehende fundamentale Wandel der Medienwirtschaft bezieht sich insbesondere auf den Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologien und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen (Mitteilungs- und Geltungsbedürfnis der Rezipienten in den verschiedenen „WebCommunities“ von der „Blogosphäre“ bis hin zu den virtuellen 3D-Welten). Die Veränderungen des Marktes treiben auf technologischer Seite vor allem die zunehmende Akzeptanz breitbandiger Übertragungstechnologien im Festnetz (xDSL und Web-Zugang über das Stromkabel oder das TV-Kabelmodem)126 und breitbandiger Übertragungstechnologien über Funk (wie UMTS, WLAN, WiMax) sowie die damit verbundene stärkere Verbreitung des Web an. Dabei wird der breitbandige Zugang zu multimedialen Web-Diensten durch die Triple PlayAngebote der Telekommunikations- oder TV-Kabelunternehmen für den Endkunden nochmals attraktiver. Somit ist Triple Play zugleich sichtbare Folge als auch Katalysator des Umbruchs der Medienwirtschaft.
Verlagshäuser müssen sich der Herausforderung stellen Immer mehr Leser ziehen die ständig aktualisierte, unterhaltsam aufgemachte Information der Nachrichten-Websites der nüchtern sachlichen Information von Zeitungen oder Zeitschriften vor. Je überregionaler die Ausrichtung beziehungsweise je aktualitätsbezogener die Nachricht (Sportgroßereignisse, Katastrophen), desto eher entscheidet sich der Leser für Nachrichten-Websites – und somit also gegen klassisch gedruckte Artikel aus Zeitungen oder Zeitschriften. Somit sinkt die Nutzungszeit deutscher Zeitungen, während gleichzeitig das Web allein rund 70 % zum kräftigen Anstieg des gesamten Medienzeitbudgets (siehe Abb. 7) beisteuert (zwischen 1999 und 2006: +15 %). Bei sinkenden Verkaufszahlen, fallenden Anzeigenpreisen sowie wegen der neuen Konkurrenz bei der Schaltung von Werbung, Kleinanzeigen und Stellenmärkten fürchten die Verlagshäuser um ihre künftigen Einnahmen (siehe Abb. 8).
126 Vgl. Heng 2005
78
2c Neue Medien: Medienwirtschaft im Umbruch
Abbildung 7:
Medienkonsum in Deutschland Medienkonsum, [Minuten pro Person und Tag], Deutschland, 2006
Fernsehen
(+15)
Radio
(-16)
(+15)
Internet
(+48)
Bücher
(+8)
PC-/ Videospiele
(+11)
(+7)
Video/DVD
(-4)
Zeitung
insg. 507 Min (+67 Min) Zeitschrift
(-2)
Teletext
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In Klammern: Veränderung 2006 vs.1999 Quellen: SevenOne Media, DB
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Abbildung 8:
Werbeeinnahmen deutscher Werbeträger 2006 in Mrd. Euro
Tageszeitungen
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Fernsehen
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Direktw erbung
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Zeitschriften
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Hörfunk
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Online-Werbung
insg. EUR 20,4 Mrd. (+3%)
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In Klammern: Veränderung 2006 vs. 2005, % Quelle: ZAW, 2007
Während manche Verlagshäuser sich darauf zurückziehen, die Kannibalisierung ihres klassischen Geschäfts durch innovative Angebote zu beklagen, hat ein Großteil der Verlagshäuser das Web längst als Chance erkannt, um mit innovativen Angeboten zum einen ihre angestammten Leser enger zu binden, zum anderen aber auch neue Leser zu gewinnen – insbesondere bei den jüngeren Kohorten.127 Dabei sind ständig aktualisierte Textbeiträge auf einer ergänzenden Website ein erster Schritt, der oft um weitere interaktive Web 2.0-Applikationen wie Blogs (Web-Tagebücher, siehe Exkurs Blogs), Wikis (Online-Enzyklopädien), 127 Beispielsweise liefern Kaiser und Kongsted aus der empirischen Beobachtung abgeleitete Argumente, die für die komplementäre Beziehung zwischen Druck- und Online-Ausgabe sprechen, vgl. Kaiser/Kongsted 2005.
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2c Neue Medien: Medienwirtschaft im Umbruch
Podcasts (abonnierbare Audio-Dateien zu ausgestrahlten Beiträgen), Videocasts (abonnierbare Video-Dateien zu ausgestrahlten Beiträgen), soziale Netzwerke oder virtuelle 3D-Welten ergänzt wird. Blogs zwischen wertvoller Information und oberflächlichem Geplapper Ein Weblog oder Blog (Kombination aus „Web“ und „Logbook“) ist eine WebSite, die regelmäßig aktuelle pointierte Einträge präsentiert. Blogs stellen Verknüpfungen mit anderen Web-Sites her. So kann der Leser rasch Informationen und Meinungen zum gesuchten Thema finden. Die diskutierten Themen sind inhaltlich und qualitativ breit gefächert. Die Spannweite reicht etwa vom Tagebuch eines jungen Musikfans bis hin zum Beitrag des ausgewiesenen hochrangigen Experten. Bei diesen Web 2.0-Applikationen begnügen sich die Mediennutzer nicht mehr mit der Rolle des rein passiven Konsumenten von durch professionelle Redaktionen und Agenturen vorgefertigten Informationen. Stattdessen wollen sie selbst ihre Meinung verbreiten und beteiligen sich an Diskussionen im Web (siehe Abb. 9). Da sich die Nutzer auch über Produkte und Unternehmen austauschen, steigt die Markttransparenz. Zudem sorgt die soziale Einbindung auch für die Emotionalisierung von Geschäftsbeziehungen. Abbildung 9:
Mitmachweb – Web-Nutzer, die Informationen ins Internet stellen
Deutschland, % der Alterskohorte, 2008 50 40 30 20 10 0 14 - 29 Quellen: Bitkom, Forsa, 2008
30 - 44 Jahre
45 - 59
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In der Welt des neuen Informationsverhaltens sind diese Web 2.0-Applikationen keine Zukunftsvision, sondern längst Realität. Folgende fünf Beispiele belegen dies:
Die WAZ-Gruppe (unter anderem Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Westfälische Rundschau, Neue Ruhr Zeitung) betreibt mit einer Redaktion von gut 20 Journalisten das Web-Portal DerWesten.de. Das interaktive Portal stellt für 140 Städte im Rheinland, Ruhrgebiet, Sauerland, Siegerland und am Niederrhein lokale Nachrichten bereit. Über das Portal erhält der Leser die Meldungen aus allen Lokalredaktionen der angeschlossenen Verlagshäuser, aber auch Podcasts und Videos. Neben dieser Versorgung mit Meldungen der Medienhäuser ruft das Portal seine Rezipienten auf, sich selbst mittels Weblog an der Verbreitung und Kommentierung von Informationen zu beteiligen. Der Axel-Springer-Verlag interpretiert mit seinem AvaStar den Begriff der Lokalmeldung in einer innovativen Weise. Der AvaStar ist eine Boulevardzeitung aus der virtuellen Welt für die virtuelle Welt. In etwa 30 farbigen Zeitungsseiten berichtet diese Zeitung über Ereignisse, anstehende Termine und Trends in der virtuellen Welt. Der AvaStar erscheint wöchentlich in englischer und deutscher Sprache. Der Guardian, die Londoner Times und die Financial Times haben Printund Online-Redaktionen zusammengelegt. Sie verfolgen nun das ‚OnlineFirst’-Prinzip. Die Redaktionen wollen mit brandaktuellen Meldungen nicht mehr auf die Druckausgabe warten, sondern diese Meldung unmittelbar im Web publizieren. El País verfolgt mit der ‚Häppchen-Zeitung’ eine leicht abgewandelte Strategie. Diese Zeitung zielt auf Leser, die auch unterwegs über die aktuelle Nachrichtenlage informiert sein wollen. Dabei erhält der Leser mehrfach täglich die aktuellen Meldungen in speziell aufbereiteter Form per PushDienst auf sein mobiles Endgerät. Die Los Angeles Times ging in ihrer Web-Strategie noch weiter und stellte bereits 2005 ihre gedruckte nationale Ausgabe zu Gunsten einer OnlineVersion ein.
Mit solchen multimedialen Angeboten und dem Gütesiegel ihrer etablierten Marke wollen sich die Verlagshäuser ihren Platz in der sich wandelnden Medienlandschaft sichern.
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2c Neue Medien: Medienwirtschaft im Umbruch
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Diskussion Der Umbruch der Medienwirtschaft macht auch vor dem Rundfunk nicht Halt und hinterfragt hier insbesondere das bisherige Geschäftsmodell der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten. In der multimedialen Welt, in der die Rezipienten jederzeit und überall Informationen erhalten, erklären die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten heute ihre Existenzberechtigung nicht mehr über die Grundversorgung mit Information, sondern über die gesellschaftliche Notwendigkeit eines journalistisch hochwertigen, vielfältigen Programmangebots.128 In dieser Definition des eigenen Auftrags sehen sich die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten durch das deutsche Bundesverfassungsgericht gestützt, das in seinem Urteil vom 11. September 2007 zum Programmangebot der privatwirtschaftlichen Fernsehveranstalter feststellte: „Der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck und das publizistische Bemühen um die immer schwerer zu gewinnende Aufmerksamkeit der Zuschauer führen beispielsweise oft zu verzerrender Darstellung, etwa zu der Bevorzugung des Sensationellen und zu dem Bemühen, dem Berichtsgegenstand nur das Besondere, etwa Skandalöses, zu entnehmen. Auch dies bewirkt Vielfaltsdefizite.“ Zudem spielt bei der Definition des eigenen Sendeauftrags auch die öffentliche Meinung eine große Rolle. So entbrannte mit der anstehenden EUFernsehrichtlinie, die eine kostenintensive Speicherung von Verbindungsdaten vorsieht, in Deutschland eine lebhafte Diskussion um die Medienpolitik. Diese Diskussion wurde durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. September 2007, das die Festsetzung der Rundfunkgebühren durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs beschreibt, weiter angeheizt. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die Festsetzung der Rundfunkgebühr „frei von medienpolitischen Zwecksetzungen erfolgen solle und dabei die Trennung zwischen der medienpolitischen Konkretisierung des Rundfunkauftrags und der Gebührenfestsetzung“ zu gewährleisten sei. Ziel dieser richterlich angemahnten Trennung ist es, die „mittelbare Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Programmauftrags zu verhindern und die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten“ zu sichern. Seit das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung des Programmauftrages bei der Festsetzung der Gebühren unterstrich, nehmen verschiedene Institutionen diesen Ball immer wieder auf, um über eine grundsätzliche Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu diskutieren. Beispielsweise griff Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes, in die Diskussion um die Zukunft des öffent128 Beispielsweise zeigt Hutter in einem ökonomischen Modell, dass bei vollkommener Konkurrenz im Medienmarkt die Medienhäuser lediglich minimal differierende Inhalte anbieten würden, vgl. Hutter 2006.
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lich-rechtlichen Rundfunks ein und formulierte: „Das gefällige Zuckergussfernsehen dominiert auch im öffentlich-rechtlichen System in einer Weise, die mit dem Programmauftrag der Information und der Bildung der Zuschauer schwer in Übereinstimmung zu bringen ist. [… Allerdings setzt die] Aufrechterhaltung der Gebührenfinanzierung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk voraus, dass dieser über sein Programmangebot Unverwechselbarkeit und Unverzichtbarkeit dokumentiert.“129
Verlagshäuser verweisen auf Benachteiligung Die privatwirtschaftlichen Medienhäuser kritisieren die zusätzlichen InternetAngebote der Öffentlich-Rechtlichen. Dabei verweisen sie zum einen darauf, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre diesbezüglich selbst auferlegte Budgetbeschränkung von maximal 0,75 % ihres Gesamthaushalts in der Gebührenperiode 2005 bis 2008 überschritten hätten.130 Zum anderen betonen insbesondere die Verlagshäuser, die zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Internet-Angebote gingen in Art und Umfang weit über den eigentlichen Sendeauftrag hinaus. Tatsächlich kann von einer Unterversorgung mit vielfältigen und hochwertigen Informationen im Internet keine Rede sein. Insbesondere die Verlagshäuser befürchten daher, dass die Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem enormen Budget und dem umfassenden Korrespondentennetz die privatwirtschaftlichen Engagements im Internet dauerhaft zunichte machen. Ihre Befürchtung untermauern die privatwirtschaftlichen Medienhäuser beispielsweise mit dem Hinweis auf die Worte des ZDF-Intendanten Markus Schächter, der anlässlich der Verabschiedung des Haushaltsplans 2008 im ZDF-Fernsehrat ankündigte: „Die mit großen Schritten voranschreitende Digitalisierung erfordert eine deutliche Erhöhung der Investitionen in den nächsten Jahren.“131 Im Eifer des Gefechts entsprechen etliche Argumente nicht der Komplexität der modernen Medienwirtschaft. So ist es im Sinne des veränderten Medienverhaltens der Konsumenten tatsächlich berechtigt, dass die Öffentlich-Rechtlichen die innovativen Technologien in ihr Geschäftsmodell integrieren. Durchaus berechtigt ist allerdings auch die Forderung der privatwirtschaftlichen Medienhäuser nach einer sinnvollen Grenze des öffentlich-rechtlichen Engagements. Speziell verlangen sie, dass die veranschlagten Kosten und die zu erwartenden Auswirkungen auf den Markt bei jedem einzelnen Engagement zunächst genau durchgerechnet werden. Dadurch soll zum einen der soziale Nutzen des Enga129 Zitiert nach von Festenberg 2006: 115 130 Vgl. Stöcker 2007 131 Zitiert nach Kuri 2007
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2c Neue Medien: Medienwirtschaft im Umbruch
gements, zum anderen aber auch die Verdrängungswirkung auf privatwirtschaftliche Investitionen transparent werden. Die EU-Medienkommissarin Viviane Reding springt den privatwirtschaftlichen Medienhäusern zur Seite und formuliert: „Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum nun mit den vom Gebührenzahler eingezogenen Geldern privaten Verlagen im Internet unlauterer Wettbewerb gemacht werden soll.“132
Neue Ära der Mediennutzung bricht an Mit den innovativen Informations- und Kommunikationstechnologien halten interaktive und personalisierte Anwendungen ihren Einzug in die Medien, besonders ins Internet, wo sie ihr optimales Feld finden. Wissenschaftler sehen eine neue Ära der Mediengeschichte nahen. Beispielsweise spricht der Medienwissenschaftler Norbert Bolz davon, dass nach dem Übergang von mündlicher zu schriftlicher Kommunikation als der ersten Ära, der Verbreitung des Rundfunks als der zweiten Ära, nun mit dem Web 2.0 die dritte Ära der Mediengeschichte bevorstünde (siehe Infokasten „Web 2.0“).133 „Web 2.0 is an attitude, not a technology“ Bis heute ist der 2004 von Tim O’Reilly geprägte Begriff des Web 2.0 nicht eindeutig abgegrenzt. Im Gegensatz zum Web 1.0 stellt das Web 2.0 keine technische Basisinnovation dar. Mit Angeboten für die soziale Interaktion wie Blogger.com, Del.icio.us, facebook, Flickr, GarageBand, Habbo-Hotel, MySpace, Linkedin, Spoke, Studylounge, You-Tube, Wikipedia und Xing dokumentiert das Web 2.0 lediglich die Erkenntnis, dass das Web niemals nur digitaler Marktplatz, sondern schon immer ein sozialer Raum zum Austausch von Meinungen war. Das entscheidende Merkmal der Web 2.0-Anwendungen ist damit die vermenschlichte Information. Die Versuche, das Web 2.0 zu definieren, verfangen sich bislang zwischen IT-Akronymen (z. B. Atom, AJAX, API, RSS, SVG, XML, XUL) und visionärem Berater-Vokabular (z. B. Prosument, Mini-Preneur, kollektive Intelligenz, User Generated Content, Bürgerjournalismus, Mitmachnetz, Weisheit der Massen) (siehe Abb. 10).
132 Zitiert nach Kafsack/Theurer 2008 133 Vgl. Bolz 2002
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Abbildung 10: Treiber der Internetentwicklung
Quelle: VDZ
Tatsächlich wohnt dem Web 2.0-Modell ein völlig neuer Medienansatz inne. Erstmals sind es nämlich nicht mehr nur Journalisten eines klassischen Medienhauses, die ihre Informationen massenhaft über kapitalintensive Infrastruktur an die passiven Leser, Hörer oder Zuschauer verteilen. Stattdessen materialisiert sich im Web 2.0 der von Bert Brecht 1927 geforderte Kommunikationsapparat, der es versteht, „nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen“.134
Web bereitet die Bühne für jedermann Das Web 2.0 bietet verschiedene Möglichkeiten der Interaktion und offeriert damit den Nutzern eine Plattform zum Mitreden, Mitteilen und Mitgestalten. Heute stellen Privatpersonen massenhaft ihre Informationen und Meinungen in Web-Plattformen, z. B. Blogs, virtuellen 3D-Welten oder Wikis ein – oft ohne 134 Bertolt Brecht entwickelte seine Medientheorie ab 1927 u. a. in seinen Aufsätzen „Radio – Eine vorsintflutliche Erfindung?“, „Vorschläge für den Intendanten des Rundfunks“ oder „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“. Zitat aus Brecht 1967: 129.
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2c Neue Medien: Medienwirtschaft im Umbruch
Rücksicht auf das Urheberrecht. Die Qualität von Inhalten lässt sich grundsätzlich nach den drei Kriterien Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität bewerten. Die Bewertung dieser drei Qualitätskriterien fällt unterschiedlich schwer. Während viele Privatpersonen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Meldung üblicherweise nur aus der persönlichen Erfahrung mit diesem Medium (Verlagshaus, Sender, Webportal etc.) ableiten können, ist das Kriterium der Aktualität für sie einfacher zu bewerten. Für diese Bewertung müssen sie lediglich den Zeitstempel der Meldungen bei den verschiedenen Medien vergleichen. Dies führt tendenziell dazu, dass sich die Medienanbieter besonders um das recht simpel vergleichbare Kriterium der Aktualität kümmern und dabei die anderen beiden Kriterien, nämlich Richtigkeit und Vollständigkeit, nachrangig behandeln. So gewinnt im Web 2.0 die Meinung der Massen erheblich an Gewicht gegenüber der im qualitativ hochwertigen Journalismus bislang üblichen Fundierung des Wissens. Ein prominentes Beispiel für die Beteiligung der Massen an der Informationsverbreitung ist Wikipedia. In dieser Online-Enzyklopädie verfassen Privatpersonen unentgeltlich täglich mehr als 8 000 Artikel; allein die deutsche Version von Wikipedia umfasst rund 700 000 Fachbeiträge (siehe Abb. 11). Weitere Beispiele für die Beteiligung liefern die weltweit mehr als 70 Millionen Blogs. Die verschiedenen Web 2.0-Anwendungen machen es Privatpersonen einfach, die Einschätzungen anderer Privatpersonen in die eigenen Entscheidungen einzubeziehen. Abbildung 11: Wachstum Internetangebot Wikipedia Anzahl der deutschen Artikel bei Wikipedia in Tsd. 700 600 500 400 300 200 100 01
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0 07 Quelle: Wikipedia, 2008
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Medienhäuser starten Versuchsballons Trotz der fortwährenden Herausforderung hinsichtlich der Sicherung der inhaltlichen Qualität erkennen etliche klassische Medienhäuser das Web 2.0 als große Chance. Sie nutzen das Web, um Informationen zu sammeln, Trends aufzuspüren und Rezipienten emotional an das eigene Haus zu binden. In dezentralen Peer-to-Peer-Netzen verschwimmt die Trennlinie zwischen Medienkonsument und Medienmacher. Dies weckt das Interesse der klassischen Medienhäuser an Web 2.0-Projekten (siehe Abb. 12). Abbildung 12: Angebotene Dienste von Zeitungswebsites in den USA US-Zeitungen, die diesen Dienst anbieten in %
RSS-Feeds
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Die Vorboten zeigen sich bereits: Die Mitarbeiter der Medienhäuser greifen in ihrem Alltag verstärkt auf Informationen aus dem Web zurück (siehe Abb. 13). Journalisten recherchieren und diskutieren in Weblogs. Auch Bilder-Plattformen wie Flickr unterstützen schon lange die Arbeit der klassischen Massenmedien. Die FlickrGründer preisen ihre Plattform als „Augen der Welt“ und versprechen, weltweit bei Großveranstaltungen und Katastrophen aktuellere Bilder zu lie-
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fern, als dies Nachrichtenagenturen leisten können. Im Zusammenhang mit dem Tsunami in Südostasien, dem Hurrikan Katrina an der amerikanischen Golfküste, den Terroranschlägen in der Londoner U-Bahn und den Studentenunruhen in Paris konnte Flickr seine ambitionierten Versprechungen bereits unter Beweis stellen. US-amerikanische Medien-Magnaten sorgen mit milliardenschweren Zukäufen von Plattformen im Web 2.0 für Schlagzeilen. Neben den US-Medienhäusern engagieren sich in Web 2.0-Projekten auch deutsche Medienhäuser – einschließlich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Diese Projekte sind breit gefächert von Portalen zur Partnerbeziehungsweise Job-Vermittlung über soziale Netzwerke bis hin zu Portalen zur Versteigerung von Handwerkerleistungen.
Abbildung 13: Internet als journalistisches Arbeitsmittel Tool, das deutsche Journalisten in ihrem Arbeitsfeld als relevant erachten, % Google Firmen-Site Red.-Archiv Wikipedia dpa/ New s aktuell Spiegel-Online Web-Foren Blogs Xing Genios YouTube Flickr Second Life 0 N = 924
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Quelle: Smart Research, 2007
Schwarze Balken: Angebote, die ursächlich aus dem Internet entstanden sind.
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Mit ihrem Web 2.0-Engagement wollen die Medienhäuser nun auch soziodemografische Gruppen gewinnen, die ihnen bislang weitgehend verschlossen sind (zum Beispiel junge Erwachsene). Darüber hinaus wollen sich die Medienhäuser ihren Platz im Web sichern. Da sich die Web-Portale des ‚Bürgerjournalismus’ überwiegend über kontextsensitive Werbung finanzieren, spiegeln die oft respektablen Kaufpreise der Web-Portale heute weniger die tatsächlichen Erträge wider als vielmehr die Bedeutung, die die klassischen Medienhäuser einer auf das Web 2.0 gestützten Geschäftsstrategie in der umbrechenden Medienlandschaft zuschreiben. Chancen für anerkannte Medienmarken als Navigatoren Mit der steigenden Flut an Informationen können die Medienrezipienten deren Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit oft nur grob über die Anzahl der Treffer in der Ergebnisliste einer Suchmaschine abschätzen analog zum Publikumsjoker in einer Quizsendung. Die Flut an Informationen in der heutigen Zeit ist damit eine Chance für anerkannte Marken, die Größe und Glaubwürdigkeit vermitteln: Diese Marken können Rezipienten anziehen und im Netzwerk des Bürgerjournalismus als Kondensationskern für die schnell wachsenden Portale des Web 2.0 fungieren. Wie in der althergebrachten Medienwirtschaft führt dieser selbstverstärkende Netzgütereffekt im Web 2.0 ebenfalls zu Marktkonzentration. Je mehr Nutzer sich für einen Web-Anbieter (z. B. Internet-Auktionshaus, soziales Netzwerk) entscheiden, umso attraktiver wird es für weitere Nutzer, sich ihnen anzuschließen. Mit der breiten Akzeptanz eines Anbieters kommt dann eine Spirale aus neuen Möglichkeiten und größerem Mehrwert in Gang. Umgekehrt sorgt der Netzgütereffekt aber ebenso dafür, dass alternative Web-Angebote es zunächst sehr schwer haben, sich gegen bereits etablierte Anbieter durchzusetzen. Bei dem anstehenden fundamentalen Wandel werden also auch die klassischen Mediengattungen ihren Platz behalten. Fazit: Brechts Medientraum muss für die Medienwirtschaft nicht zum Albtraum werden Die Medienwirtschaft hängt von strukturellen Faktoren (gesellschaftlichen Veränderungen, politischen Interventionen), von Sondereffekten (intensiv beworbene Großveranstaltungen) und vom Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologien ab. Wegen dieser Faktoren fließt die Information heute nicht mehr allein unidirektional mittels kapitalintensiver Infrastruktur vom professionellen Medienmacher hin zum passiven Medienrezipienten. Somit finden etliche mehr oder minder professionelle Informationsquellen in der neuen Medienwelt
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ihre Bühne. Mit diesem bidirektionalen Informationsaustausch verschwimmen die in der althergebrachten Medienwirtschaft klar festgelegten Grenzen zwischen Medienmacher und Medienrezipient. Heute bereits setzen die verschiedenen Mediengattungen die Informationsund Kommunikationstechnologien ein, um den Kontakt mit ihren Lesern, Hörern oder Zuschauern zu intensivieren. Die klassischen Medienhäuser des Verlagsund Rundfunk-Segments haben das breit gestreute Mitmachnetz Web 2.0 längst als strategisches Feld erkannt. Sie reagieren auf die fortschreitenden Neuerungen, indem sie ihr Geschäftsmodell neu ausrichten und erweitern. Darüber hinaus engagieren sie sich auch selbst in einer breiten Spanne von Web-Projekten – von Podcasts oder Videocasts bis hin zu Blogs, sozialen Netzwerken oder virtuellen 3D-Welten. Web 2.0 ist keine Zukunftsvision, sondern längst in allen Bereichen der Medienwirtschaft angekommen. Mit der um das Web erweiterten Angebotspalette wollen die klassischen Medienhäuser den Bedürfnissen ihrer Stammkunden entgegenkommen und gleichzeitig neue Kunden anwerben. Daneben dokumentieren und demonstrieren die Medienhäuser mit ihrem Engagement ihre Innovationsfreudigkeit. Nicht jede Mediengattung eignet sich im gleichen Maße für den Einsatz innovativer Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Einschränkungen ergeben sich unter anderem daraus, dass nicht jede Mediengattung eine typische Nutzungssituation vorzuweisen hat, in der Interaktion und Personalisierung vom Medienkonsumenten gewünscht oder überhaupt möglich ist. Marken, die für glaubwürdige Inhalte stehen, kommt angesichts der Flut an Informationen heute eine noch größere Bedeutung zu als zu Zeiten des althergebrachten Mediengeschäfts. Diese Bedeutung der Marke in Verbindung mit dem Netzwerkeffekt bei Medien-Portalen führt dazu, dass wir trotz des fundamentalen Umbruchs der Medienwirtschaft auch künftig mächtige Medienhäuser mit Meinungsführerschaft sehen werden. Entscheidend für die Entwicklung des Geschäftsmodells in der Medienwirtschaft ist die Werbung. Wegen deren zentraler Stellung hat die teilweise vertretene These, interaktive und personalisierte Elemente würden grundsätzlich die Werbung aus den Medien verbannen, die Medienwirtschaft in Aufruhr versetzt. Tatsächlich erfordern Interaktion und Personalisierung neue Ansätze in der Werbung – eine Herausforderung für klassische Medienhäuser und ihre Designer. Weckt der oben beschriebene fundamentale Umbruch in der Medienwirtschaft den Unternehmergeist des Entscheiders, wird der sich mit dem Web 2.0 realisierende Brecht’sche Traum vom neuen Kommunikationsapparat keinesfalls zum Albtraum für die Medienwirtschaft. Vielmehr erkennt und nutzt der weitblickende Entscheider die großen Chancen des Web 2.0, ohne sich blind der Faszination der digitalisierten Welt zu ergeben.
Stefan Heng
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Der Beitrag von Stefan Heng macht deutlich, warum das Internet eine Revolution für die Medienwirtschaft darstellt: Es bietet als erstes Medium die umfassende bidirektionale Kommunikation an, jeder kann Sender und Empfänger von potenziell weltumspannenden Botschaften sein. Diese Errungenschaft hat auch ihre Kehrseite, namentlich den Primat der Aktualität auf Kosten von Richtigkeit und Vollständigkeit sowie die Entprofessionalisierung von Inhalten. Hier können sich starke Medienmarken als Felsen in der Informationsflutbrandung positionieren und dem Nutzer Orientierung geben sowie Vertrauen schaffen. Für Verlage bietet die neue Medienwelt vielfach Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Allerdings erfordert dies auch Experimentierfreude und die Bereitschaft zu Investments mit ungewissem Ausgang, denn der Werbemarkt hinkt der allgemein proklamierten Bedeutung des Internets für die Medienlandschaft hinterher. Es darf nicht verschwiegen werden, dass sich diese Versuche allesamt im Bereich Content abspielen, der nicht unbedingt auf die Printversion angewiesen ist. Wo bleiben die Chancen für Zeitschriften?
Keyfacts für den Käufermarkt
Internet greift insgesamt alle anderen Mediengattungen an. Dadurch erfolgt die potenzielle Substitution von Zeitschriften. Printtitel, deren USP auch von Websites angeboten wird, haben es schwerer.
2d Internet und die Kannibalisierung von Print Sven Dierks
Die stärkste sichtbare Bedrohung, die Publikumszeitschriften in den letzten Jahren erfuhren, brachte das Internet mit sich. Warum sichtbar? Weil die Entwicklung der Onlinemedien sicherlich die deutlichste Veränderung der Medienlandschaft in den letzten 10 Jahren darstellte und man geneigt ist, die offenkundigsten Erscheinungen auch für den stärksten oder sogar alleinigen Einfluss zu halten. Dieser sich aufdrängende Zusammenhang aus weniger Zeitschriftenverkäufen einerseits und Bedeutungsgewinn des Internets andererseits ist bei näherem Hinsehen allerdings umstritten. Der Kannibalisierungsindex aus dem Jahre 2007135 löst die vorgeblichen Zusammenhänge teilweise auf. Dieser Index untersucht und beschreibt Neigung und Einstellungen der Bevölkerung, Publikumszeitschriften durch das Internet zu ersetzen. Zunächst überrascht es wenig, dass verschiedene Gruppen mit unterschiedlich stark ausgeprägter Neigung bestehen, die Nutzung von Publikumszeitschriften durch die Internetvariante derselben Zeitschrift zu ersetzen – also Print zu kannibalisieren. Der Index erreicht Skalenwerte zwischen 0 und 100: 0 meint überhaupt keine Kannibalisierung von Print durch Online; 100 meint eine vollständige Kannibalisierungsgefährdung. Derzeit liegt dieser Index in der Gesamtbevölkerung im unteren Mittel bei 36. Die Substitutionsneigung ist also nicht so stark ausgeprägt, wie im Allgemeinen vermutet wird. Betrachtet man den Index nur bezogen auf die Leserschaft der großen, in der Media-Analyse berücksichtigten Titel, so liegt er im unteren Bereich bei 19. Mit anderen Worten: Die Leserschaften dieser Titel sind gegenwärtig relativ gesichert, zumindest droht ihnen keine wesentliche Zersetzung durch Onlinemedien. Doch wendet man sich den Details zu, ergibt sich ein komplexeres Bild: Der Leserverlust ist am höchsten bei Titeln mit einem niedrigen Indexwert, dazwischen stabilisiert sich die Situation bis hin zur konstanten Leserschaft; erst bei Titeln mit einem extrem hohen Indexwert sinkt die Reichweite wieder. Das bedeutet, dass es offenbar noch andere Faktoren gibt, die Leserschaften beeinflussen und nichts mit dem Internet zu tun haben. Hier könnte man den Einfluss des Fernsehens vermuten. 135 Vgl. Dierks 2007
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2d Internet und die Kannibalisierung von Print
Bei den Einzelverkäufen existiert ebenfalls eine parallele Entwicklung, allerdings wiederum mit starker Streuung. Zunächst verlieren Titel mit einem hohen und Titel mit einem niedrigen Index am stärksten Käufer, wobei besonders die Titel mit einem geringen Kannibalisierungsrisiko durch Onlinemedien betroffen sind. Und es gibt wiederum ein Mittelfeld, das im besten Fall sogar Einzelverkäufe dazugewinnt.
Abbildung 14: Der Cannibal-Index in Relation zu Reichweite und Auflage Reichweite Auflage 10% Mittlerer Gewinn/Verlust in % 5%
0%
-5%
-10%
-15%
7LWHO&DQQLEDO,QGH[JHULQJ
7LWHO&DQQLEDO,QGH[KRFK
Reichweite: Mittlerer Reichweitenverlust von Media-Analyse 2007 I zu Media-Analyse 2006 I Auflage: Auflagenentwicklung 2006 zu 2005 Einzelverkauf Inland, 140 Titel (IVW) Quelle: IFCom 2007
Wesentlich wichtiger als die allgemeine Bedrohung durch das Internet sind einzelne Funktionen, die vom Internet übernommen werden und die bislang bei Zeitschriften aufgehoben waren. Auch hier besteht eine Reihe von Hinweisen, dass einige Themengebiete (z. B. Aktuelles, Geldanlagen, Börsentipps, Reiseinfos) verstärkt im Internet bevorzugt werden, andere Themen (z. B. Hintergrundberichte, Wellness, Lifestyle) lieber in Zeitschriften gelesen werden.
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Was folgt daraus? Gewiss stellen konkurrierende Onlinemedien eine Bedrohung für die bestehende Zeitschriftenlandschaft dar. Dennoch trifft diese Aussage nicht pauschal zu. Manche Titel sind eher bedroht, andere werden sogar beflügelt. Deutlich bemerkbar macht sich die Existenz einer völlig veränderten Medienlandschaft, so dass Print sogar in jenen Gruppen Leser und Käufer verliert, die vom Internet nicht tangiert werden. Wahr ist aber auch, dass neue Nutzerschaften heranwachsen, die offenbar Zeitschriften durch Internet substituieren. Diese Auswirkungen werden die Probleme von morgen sein!
Teil 3: Funktionen von Medien, insbesondere von Zeitschriften
Zeitschriften haben eine Aufgabe – eine Funktion – die sie für ihre Zielgruppen erfüllen. Diese Funktion hat sich im Laufe der Jahre immer weiter ausdifferenziert, wie allein schon die Entwicklung der Publikumszeitschriften seit 1945 zeigt, welche die nachfolgend aufgeführten Phasen durchlaufen hat:
1945-1949: Kontrolliertes Wachstum unter Lizenzbedingungen der Alliierten 1950-1974: StagnierendeTitelzahl bei steigender Gesamtauflage und steigendem Werbeumsatz 1975-1985: Starke Zunahme der Titelzahl, steigende Gesamtauflage und steigender Werbeumsatz 1986-1990: Weiteres Wachstum der Titelzahl, stagnierende Gesamtauflage, steigender Werbeumsatz 1991-1996: Wachsende Titelzahl, wachsende Gesamtauflage durch die deutsche Einheit, zunächst steigender Werbeumsatz, der dann aber stagniert 1997-2000: Wachsende Titelzahl, zunächst stagnierende Gesamtauflage, die dann sinkt, steigender Werbeumsatz 2001-2004: Stagnierende Titelzahl, sinkende Gesamtauflage, einbrechender Werbeumsatz 2005-heute: Steigende Titelzahl, stagnierende Gesamtauflage und stagnierender Werbeumsatz136
Die Entwicklungen der Zeitschriftenlandschaft sind deutlich verwoben mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, und zwar weniger mit der ökonomischen als mit der soziokulturellen Entwicklung. Für den Soziologen Pierre Bourdieu waren noch in den achtziger Jahren Zeitschriften Ausdruck des Lebensstils und der Möglichkeiten, soziale Unterschiede zu symbolisieren.137 Eine Standort- und Zukunftsbestimmung der Zeitschriftenlandschaft muss sich unweigerlich fragen, wie Zeitschriften diese Aufgaben heute noch erfüllen. Dabei stellen wir fest, dass unser Versuch, die Zeitschriftenlandschaft zu untersuchen, einem Blick in einen 136 Vgl. Vogel 2007 137 Vgl. Bourdieu 1987
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Teil 3: Funktionen von Medien, insbesondere von Zeitschriften
Ameisenhaufen ohne Lupe gleicht. Man sieht Gewimmel. Aus Sicht der einzelnen Titel ist das Bild insofern klarer, als sich jeder Titel daran messen muss, was seine Leser von ihm wollen und – noch viel besser – was er ihnen bieten kann. Fürs Erste ist dabei ein Blick auf Titelgruppen hilfreich, die dem Wandel in der Gesellschaft unterliegen, diesen aber gleichzeitig vorantreiben und auch Ausdruck desselben sind. Beobachtet man diesen Wandel, so kann man am ehesten eine strategische Standortbestimmung für Publikumszeitschriften vollziehen. Abstrahiert man von dieser gesellschaftlichen Positionsbestimmung und sieht die Verortung der Zeitschriften in Bezug zu anderen Medien, bleibt die Frage, wie sich Zeitschriften in diesem Umfeld positionieren können.
3a Gesellschaft und Medien im Wandel Dorothea Nowak
Um eine gesellschaftliche Standortbestimmung der Medien, insbesondere der Zeitschriften, vorzunehmen, um Veränderungen und sich abzeichnende zukünftige Entwicklungen in diesem Bereich zu beschreiben, beginnen wir mit einer kurzen Zeitreise durch den Wertewandel der letzten 50 Jahre (siehe Abb. 14). Abbildung 15: Wandel der Werte und Lebensstile
Quelle: Sinus Sociovision 2008
Bei dieser Zeitreise möchten wir vier Etappen hervorheben. 1. Traditionelle Werte und Normen haben dramatisch an Bedeutung verloren. Sie werden nur noch von der älteren Generation vertreten, deren Leben geprägt ist durch Sicherheitsstreben, Bescheidenheit, Konformismus, Orientierung an gängigen Konventionen und Anpassung an die Notwendigkeiten. Dieser Lebensstil verschwindet allmählich. Das gelegentliche Aufgreifen von Ritualen aus der Vergangenheit durch Jüngere bedeutet dabei nicht die
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3a Gesellschaft und Medien im Wandel
Übernahme der alten Werte. Es ist selektiv und findet in einem völlig anderen Kontext statt. Die ausgeprägten Tendenzen zu Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung des eigenen Lebens und der sich entwickelnde Hedonismus in den 70er und 80er Jahren ließen Pflicht- und Akzeptanzwerte brüchig werden und bereiteten der Individualisierung der Lebensstile, der Bedürfnisse und Erwartungen den Weg. Während die einen sich um die Zukunft der Erde sorgten, führten die anderen das Leben ganz im Hier und Jetzt. Beide protestierten auf ihre Weise: entweder gegen den wachsenden, kruden Materialismus oder die Spießigkeit der (klein-)bürgerlichen Kultur. Die sich immer weiter ausdifferenzierenden individualistischen und hedonistischen Tendenzen waren wiederum Geburtshelfer für die Multi-Optionalität – mit „Everything is possible“ beginnend, nach dem Crash der New Economy in ein „Anything is possible“ mutierend. Loyalitäten begannen zu bröckeln, lebenslängliche Konzepte verloren und verlieren im privaten wie beruflichen Leben an Bedeutung. Physische und virtuelle Mobilität wuchs und wächst nach wie vor sprunghaft und führt zur Erschließung bisher fremder Welten, Kulturen und Lebensstile. Die Flexibilisierung des Lebensumfelds und sich ständig wandelnde Gegebenheiten prägen den Lebensstil der schon multimedial aufgewachsenen jungen Generation. Der Umgang mit dieser Komplexität, Multi-Tasking, Networking, gleichzeitig in realen und in virtuellen Welten unterwegs sein, ist für sie selbstverständlich und Lebenselixier. Sie sind immer auf der Suche nach Neuem, wechseln schnell ihre Präferenzen, sind neugierig auf andere Lebenswelten und nutzen intensiv die multimedialen Angebote. Interaktivität, Flexibilität und Mobilität, die Vermischung von Realem und Virtuellem kennzeichnen ihr Lebensgefühl. Seit einigen Jahren wird aber auch bei ihnen eine Suche nach Regrounding deutlich – das Bedürfnis, manche früheren Rituale wieder zu beleben, verbindliche Spielregeln zu formulieren, Kontakte zu Familie und Freunden zu pflegen.
Persönliche Werte beeinflussen in hohem Maße den Lebensstil. Im Zuge des Wertewandels haben sich daher auch die Lebensstile ausdifferenziert und fragmentiert. Das geduldige Sammeln von Briefmarken, Rezeptkarten und Zinntellern ist weitgehend ausgestorben, heute werden exotische Trophäen gesammelt, Objekte, die sonst niemand hat. Reiseziele, Sportarten und Freizeitaktivitäten mit dem besonderen Thrill sind en vogue. Die Interessen und Bedürfnisse werden immer vielfältiger und spezifischer. Betrachtet man das Medienangebot im vergleichbaren Zeitraum, so veranschaulicht es die geradezu explosionsartige Entwicklung in diesem Bereich (siehe Abb. 15).
Dorothea Nowak
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Abbildung 16: Wandel der Medienwelt
Quelle: Sinus Sociovision 2008
Die Vervielfältigung der Möglichkeiten bedient und treibt die gesellschaftliche Fragmentierung und Individualisierung. Für die Informationsbeschaffung, Unterhaltung, Networking, Service und Convenience gibt es immer mehr konkurrierende Medien und Nutzungsangebote. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lässt sich daher streng genommen kaum noch von Massenmedien sprechen. Vielmehr müssen die Angebote immer passgenauer auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten werden, wenn sie erfolgreich sein wollen. Print versus Online – Print und Online Mediennutzung ist – das zeigen vielfältige Studien – in hohem Maße eine Frage der Sozialisation, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Auf zwei Aspekte wollen wir hier eingehen. 1. Primär werden die Medien genutzt, mit denen man groß geworden ist. Die Aufnahmebereitschaft für neue Medien ist gering. Wenn wir den Wertewandel und den Wandel der Medienlandschaft unter der Perspektive unterschiedlicher Generationen in der Gesellschaft betrachten, dann gilt in erheblichem Maße: Medien, mit denen man aus Kindheit und Jugend nicht vertraut ist, erreichen diese Zielgruppen nur langsam oder gar nicht. Jüngere, die mit einer
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3a Gesellschaft und Medien im Wandel
Vielzahl von Medien groß geworden sind, finden unkomplizierten Zugang zu ihnen und nutzen sie souverän nebeneinander. Konkret heißt das, Ältere lesen mehr und sehen mehr fern, Jüngere sind dagegen multimedial unterwegs, die Lese-Intensität nimmt ab. Diesen vielfältigen Angeboten werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch treu bleiben, wenn sie älter werden. Es spielt aber nicht nur eine Rolle, in welcher Zeit man sozialisiert worden ist, sondern vor allem in welchem sozial-hierarchischen Umfeld. Menschen mit gehobenem Bildungs- und Einkommenshintergrund haben schon in der Kindheit die Bedeutung von Wissen vermittelt bekommen, haben gelernt, dass Wissen ständig aktualisiert, erweitert und spezifiziert werden muss, um sich persönlich wie beruflich weiterzuentwickeln. Die Leitmilieus in der Gesellschaft – Etablierte, Postmaterielle und Moderne Performer – haben sich, nahezu altersunabhängig, früh die Möglichkeiten des Internets erschlossen und nutzen es intensiv. Ihr immer schon hoher Print-Konsum hat darunter nicht gelitten. Ihre Informations-, Unterhaltungs- und Convenience-Bedürfnisse werden immer spezifischer. Insbesondere Etablierte und Postmaterielle befriedigen ihre Special Interests sowohl in Print als auch im Internet. Beide Medien befeuern sich eher, als dass sie sich kannibalisieren: Die schnelle, aktuelle Information und gelegentliche kurze Ablenkung via Internet, das tiefere Eindringen und der gelegentliche Escape aus dem Zeitstress durch Print.
Während zu Beginn der Entwicklung des Internets von einer digitalen Spaltung der Wissensgesellschaft gesprochen wurde – auf der einen Seite die Gewinner mit Zugang zum Internet, auf der anderen die Verlierer ohne einen solchen –, muss man dies inzwischen differenzierter sehen. Rund 70 % der Bevölkerung haben in Deutschland Zugang zum Internet. Der eigentliche Unterschied liegt heute in der Art und Intensität der Nutzung, und die ist, entsprechend der Lebenswelt und dem Lebensstil, sehr unterschiedlich. Für die Late Arrivals im Internet stellt dieses eine nützliche und aktuelle Informationsquelle dar (Produkt- und Preisinformationen, Fahrpläne, Klärung medizinischer Fragen etc.) und dient dem gelegentlichen Austauschen privater Botschaften und Photos. Für die Early Adopters ist es über diesen punktuellen Gebrauch hinaus eine noch vielfältiger genutzte Quelle von Informationen, Wissensangeboten und Unterhaltung, es ist das Medium für virtuelle Behördengänge, Banking und Shopping. Jüngere nutzen es zudem als Kontaktbörse, zum Networken, Gamen und als Plattform zur Selbstdarstellung. Aus dieser unterschiedlichen Nutzung ergibt sich eine wachsende Wissenskluft zwischen Älteren und Jüngeren und insbesondere zwischen gehobenen und unterschichtigen Zielgruppen. Diese auseinanderdriftende Entwicklung wirkt sich auch auf die Erwartungen an Zeitschriften aus. Während im traditionellen Lesersegment alles mehr oder
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minder beim Alten bleiben kann und muss, verändern sich im modernen Segment die Maßstäbe der Gestaltung von Printangeboten immer schneller. Zeitschriften müssen in ihren Inhalten, in Bild- und Textgestaltung, in Service und Kommunikationsangeboten ganz neuen Anforderungen genügen. An einem Beispiel ausgedrückt: Das Neue Blatt darf nur behutsame, kleine Veränderungen vornehmen, InStyle und InTouch müssen sich permanent proaktiv weiterentwickeln. Veränderungen im Zeitschriftenmarkt – Wer verliert? Wer gewinnt? Natürlich spielen das Altern der Bevölkerung und das Abschmelzen traditioneller Zielgruppen bei diesen Veränderungen ebenso eine Rolle wie finanzielle Zwänge. Aber nicht das Internet per se setzt die Zeitschriften unter Druck, sondern die sich herausbildenden unterschiedlichen Lebenswelten, sich ausdifferenzierende Lebensstile und Lernkurven mit neuen Medien. Nach wie vor gibt es wachsende Bereiche im Zeitschriftenmarkt. Angebote, die sich den soziokulturellen Veränderungen anpassen, die inhaltlich und gestalterisch Trends bedienen wie Sinnsuche, Authentizität, Zeitsouveränität, neue Formen von Status oder Trend-Paradoxien aufgreifen, zum Beispiel das Leben im Global Village und Heimatnostalgie, Networking und Cocooning, zeigen eine positive Entwicklung. Um die große Zahl der Titel für eine nachfolgende Untersuchung zu strukturieren, haben wir uns einer Faktorenanalyse138 bedient. Deren Faktoren fassen Zeitschriften zu Kategorien zusammen, die von derselben Zielgruppe gelesen werden. Diese Faktorenanalyse weist 10 Zeitschriften-Bündelungen aus, die in sich klar definierbare Schwerpunkte, aber auch eine gewisse Streuung über Genres hinweg aufweisen, eben weil sie von derselben Zielgruppe genutzt werden. Die Faktoren bündeln:
Traditionelle Frauenzeitschriften Nachrichten-, Wirtschafts- und Wissenschafts-Magazine Wohn-, Garten- und Koch-Zeitschriften Lifestyle- und People-Zeitschriften Auto-, Technik- und Sport-Zeitschriften Jugendzeitschriften Computer- und moderne Männer-Magazine Unterhaltungs-, Frauen- und Freizeit-Titel Jüngere Frauenzeitschriften Eltern- und Familien-Magazine
138 Quelle: BCN – Typologie der Wünsche Intermedia 2007/08, eigene Berechnung
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3a Gesellschaft und Medien im Wandel
Im Folgenden werden einige dieser Zeitschriftenkategorien auf ihren Erfolg respektive ihre Schwierigkeiten im Markt hin betrachtet. Da sich diese Analyse auf die aus der Faktorenanalyse gebildeten Gruppen bezieht, können einzelne Titel innerhalb dieser Gruppen durchaus von den ermittelten Ergebnissen abweichen. Eine Einzelbetrachtung solcher Titel ist angesichts der Fülle der Titel im Zeitschriftenmarkt nur in besonders repräsentativen Ausnahmefällen möglich. Die zahlreichen traditionell geprägten Frauentitel (z. B. Das Neue Blatt, Das Goldene Blatt, Echo der Frau, aber auch Fernsehzeitschriften wie Fernsehwoche, Funk Uhr) leiden, insgesamt betrachtet, unter einem zum Teil deutlichen Auflagenschwund. Ihre fast ausschließlich ältere, dem traditionsverwurzelten Milieu entstammende Leserschaft schrumpft seit vielen Jahren. Damit verschwindet allmählich der Konsumentenkreis, der vor allem Print, Fernsehen und Radio nutzt und an dem neuere Medienentwicklungen vorbeigegangen sind. Der Lebensstil dieser Leserschaft ist geprägt durch Bescheidenheit und Anpassung. Experimente und „Neumodisches“ lehnt sie ab. Das prägt auch ihre inhaltlichen und ästhetischen Ansprüche an Zeitschriften. Traditionell orientieren sie sich an Autoritäten und anerkannten Leitbildern. Das schlägt sich nieder im ausgeprägten Interesse an Geschichten über Königshäuser, über Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, aus Film, Funk und Fernsehen und der Anteilnahme an deren Schicksal. Ratgeber, Tipps aus unterschiedlichen Lebensbereichen sowie medizinische Sprechstunden finden große Aufmerksamkeit. Eines ihrer Hobbies ist das Lösen von Kreuzworträtseln, die sie nicht nur in ihren Zeitschriften suchen, sondern auch als Spezialhefte kaufen. Betrachtet man unter altersspezifischen Gesichtspunkten die nachfolgende Generation von Lesern, zum Beispiel die bürgerliche Mitte, so finden diese Zeitschriften dort zwar noch eine gewisse, aber deutlich kleinere Leserschaft als im traditionsverwurzelten Milieu. Die bürgerliche Mitte (siehe später) bevorzugt mehrheitlich modernere Frauenzeitschriften, spezielle Magazine, zum Beispiel zu Wohnen, Kochen und Garten, Lifestyle & People. Für sie sind die traditionellen Frauenzeitschriften Titel, die ihre Mütter und Großmütter lesen und in die Welt von gestern gehören. Das hindert sie auch daran, Modernisierungstendenzen der traditionellen Titel überhaupt wahrzunehmen. In einer ähnlich schwierigen Situation befinden sich die Zeitschriften, die im Faktor Unterhaltung, Frauen und Freizeit gebündelt sind (z. B. SUPERillu, Viel Spass, Guter Rat, SUPER TV, Frau im Trend). Die Leserschaft kommt überwiegend aus dem traditionellen und modernen Unterschicht-Mainstream. Besonders hoch ist der Anteil der Leser aus dem DDR-nostalgischen Milieu, einem Milieu, in dem sich die Verlierer der Wiedervereinigung finden. Sie leben in bescheidenen Verhältnissen, fühlen sich abgehängt und setzen sich kritisch mit der westlich dominierten Gesellschaft auseinander. Gelesen werden diese Zeitschriften zudem von den Traditionsverwurzelten und den Konsum-Materialisten. Es geht ihnen um
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Unterhaltung, Lebenshilfe und vielseitige Anregungen für wenig Geld. Auch wenn sich die SUPERillu auf hohem Niveau hält, kämpfen die Zeitschriften dieser Kategorie insgesamt mit sinkenden Auflagen. Folgen wir weiter dem Konzept der Faktoren-Analyse, so bündelt diese jüngere Frauenzeitschriften wie Laura, Lisa, tina und bella. Als Gruppe betrachtet steht auch sie unter Auflagendruck. Ihr Leserschwerpunkt findet sich in der bürgerlichen Mitte und im konservativen Milieu. Der bürgerlichen Mitte bieten diese Zeitschriften vielfältige Unterhaltung und Anregungen, die in ihre Lebenswelt passen. Ihr Lebensstil ist geprägt vom harmonischen Leben in der Familie und im Freundeskreis, von vielfältigen gemeinsamen Aktivitäten. Aufmachung und Inhalte entsprechen ihren Präferenzen: sich moderat-zeitgemäß zu kleiden, ein bürgerlich-gehobenes, dekoratives Wohnumfeld zu schaffen und dieses immer wieder zu verändern, das Beste für die Entwicklung der Kinder zu tun und sich durch ihren Lebensstil deutlich nach unten abzugrenzen. Aufgeschlossen sind sie für Beratung im weiteren Sinne (How to do), anschaulich beschrieben und möglichst attraktiv bebildert. Die Zeitschriften bedienen diese Bedürfnisse nach Status, Entlastung und dekorativem Cocooning. Dass diese jüngeren Frauenzeitschriften gerne auch von den deutlich älteren Frauen aus dem konservativen Milieu gelesen werden, verwundert nur auf den ersten Blick. In ihrer Wertorientierung sind diese Frauen zwar konservativ, im Lebensgefühl aber jünger und vor allem auch anspruchsvoller als die Traditionsverwurzelten. Die traditionellen Frauenzeitschriften entsprechen nur partiell ihrer Selbstwahrnehmung. Inhaltlich und ästhetisch erwarten sie mehr, als dort geboten wird. Zudem ist ihnen die Familie wichtig. Sie stehen in intensivem Dialog mit ihren Kindern und Enkelkindern und nehmen insbesondere am Leben ihrer Töchter teil. Auch hierzu vermitteln ihnen die jüngeren Frauenzeitschriften Einblicke und relevante Themen. Warum aber sind auch diese Titel unter Auflagendruck? Dabei hilft der Blick auf die Zeitschriften zu Wohnen, Garten, Kochen und Lifestyle & People. Betrachtet man zunächst die Gruppe der Wohn-, Koch- und Gartenzeitschriften, dann finden sich, wie bei den jüngeren Frauenzeitschriften, in der Leserschaft die bürgerliche Mitte und das konservative Milieu, Letzteres in markanter Ausprägung. Zudem ziehen diese Zeitschriften Leser aus zwei Leitmilieus, dem etablierten und dem postmateriellen, überdurchschnittlich an. Unter den in dieser Kategorie zusammengefassten Titeln behaupten sich die Wohnzeitschriften mit geringen Abstrichen auf relativ stabilem Niveau. Die Titel (z. B. Schöner Wohnen, Wohnidee, Zuhause Wohnen) unterscheiden sich in ihrem Konzept. Die einen bieten mehr für die gehobene Zielgruppe mit entsprechenden finanziellen Ressourcen, einer ausgeprägten Premium-Orientierung und Affinität zu Design. Zudem bedienten und bedienen sie zusätzliche Interessen aus dem sich erweiternden Lebensumfeld ihrer Zielgruppe: zunächst zum Bei-
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spiel deren Präferenz für den mediterranen Raum, später gefolgt von der Faszination der fernöstlichen Kultur. Sie bieten eine Art Lifestyle-Hilfe dafür, wie die Leser ihre Reiseerfahrungen und Entdeckungen aus dem Global Village in das Leben zuhause, in das Personal Village, integrieren können. Auch Trends wie zum Beispiel die kommunikative Küche und Wellness haben sie früh aufgegriffen und verfolgen sie in deren Weiterentwicklung. Die übrigen Titel dieser Rubrik richten sich eher an diejenigen, denen ihr Zuhause zwar ebenso wichtig ist, die aber eher Trend-Follower sind, auf das Geld achten müssen oder sich noch nicht für die Ewigkeit einrichten möchten. Im modernen Mainstream finden inzwischen mediterrane Gegenstände, Materialien und Farben großen Anklang, ebenso der Landhausstil und die Inszenierung älterer Möbelstücke anstelle teurer Antiquitäten. Auch die kommunikative Küche und Wellness werden aufgegriffen mit Anregungen zu moderatem Preis. Das Angebot zielt weniger auf Status und Prestige, sondern mehr auf das Machbare, das Patchworking mit den Gegebenheiten und die Mobilität des Lebenskonzeptes. Das Thema Wohnen und Einrichten ist aber so interessant, dass auch die Trendsetter zumindest gelegentlich die Titel der Trend-Follower lesen und umgekehrt. Heterogen dagegen entwickeln sich die Titel aus dem Bereich Kochen und Essen (z. B. Essen & Trinken, Kochen und Genießen, Lisa Kochen & Backen). Dort gibt es Gewinner und Verlierer. Angesichts des Hype um die Kochsendungen im Fernsehen stellt sich die Frage, inwiefern die erfolgreichen Titel das Thema auf vergleichbare Weise bedienen: eine Mischung aus Entertainment, Cocooning und Networking. Das gemeinsame Kochen mit Freunden – kooperierend und konkurrierend – ist angesagt, ebenso wie die Vermittlung und Bestätigung von Connaisseurship. „Kochen“ wird zum Sammelbecken für Aktivitäten mit Freunden, Unterhaltung, die Inszenierung eines Events und die Selbstinszenierung. Es handelt sich um eine neue Art von Statussymbol, sich souverän in diesem Umfeld zu bewegen. Das Vermitteln von Rezepten, von „How to do“, ist weit weniger spannend. Aus dem Rahmen fällt die Entwicklung der Titel, die sich dem Garten widmen (z. B. Mein schöner Garten, Wohnen & Garten, Landlust). Für moderne Zielgruppen ist der Garten nicht mehr die Produktionsstätte für Nützliches, Landwirtschaft en miniature, sondern die Erweiterung des Hauses nach draußen. So, wie man mit seinem Haus und dessen Einrichtung seine stilistischen Präferenzen ausdrückt, tut man dies heute auch mit dem Garten. Er ist ebenfalls zum Statussymbol geworden. Zu diesem Status zählt durchaus, dass man Kräuter und die eine oder andere Gemüsesorte selbst erfolgreich zieht. Das ist Ausweis von gehobenen Ansprüchen an die eigene Küche. Der Garten ist aber nicht nur Mittel zur Selbstdarstellung, sondern Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Regrounding: dem Wunsch, Wurzeln zu schlagen, mehr Konstanz, Verlässlichkeit und Entschleunigung in das eigene Leben zu bringen. Es ist eine der modernen Paradoxien, dass immer mehr Menschen sich als
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– freiwilliges oder unfreiwilliges – Mitglied des Global Village sehen. Privat und beruflich reisen sie immer häufiger und weiter, die Komplexität und Vielfalt der Anforderungen steigt. Als Reaktion darauf suchen sie Orientierung und Verankerung im Nahraum. Das äußert sich zum Beispiel in einer modernen Form von Heimatnostalgie, dem Wunsch, sich verzaubern zu lassen von ursprünglichen Dingen. Das Personal Village schafft Balance. Eine Zeitschrift wie Landlust – Die schönsten Seiten des Landlebens bedient diese Sehnsucht in ausgeprägter Weise, generationenübergreifend, Traditionen wiederbelebend, schlichte, vermeintlich bescheidene Themen neu und opulent inszenierend. Eine interessante Entwicklung erfährt die Gruppe der Lifestyle- und PeopleTitel. Die meisten entwickeln sich positiv. Das gilt zum Beispiel für InStyle, Glamour, Gala und Joy – in diesem Umfeld hat sich Vanity Fair angesiedelt –, aber auch für InTouch und in – Das STAR und STYLE-Magazin. Die Gruppe dieser Zeitschriften, die in sich durchaus heterogen ist, findet Leser vor allem unter den modernen Performern und, mit einigen Abstrichen, auch den Experimentalisten. Beides sind moderne, junge Milieus, die neben harter Arbeit vielfältige Outdoor-Unterhaltung suchen, zu den intensiven Kinogängern gehören und sich weltweit tummeln, teils real, teils virtuell. Ihre Interessen sind nur selten monothematisch, sondern – um es in ihrer Sprache auszudrücken – multifacetted, immer auf der Suche nach vielfältigsten Erlebnissen, den aktuell spannendsten Angeboten und neuesten Stilen. Drückt man es im Sinne des Wertewandels aus, so sind sie am weitesten entfernt von lebenslänglichen Konzepten. Ihr Leben ist Patchworking und adaptives Navigieren. Das zeigt sich auch in ihrer Nutzung vielfältigster Medien und unterschiedlichster inhaltlicher Angebote nebeneinander. Differenziert man innerhalb der Kategorie Lifestyle und People, so ziehen Titel mit gehobener Aufmachung (Inhalte, Fotos, Papierqualität) und einem höheren Preis neben den Performern und Experimentalisten auch Leser aus dem postmateriellen Milieu an – einem Milieu mit gehobenen, differenzierten Ansprüchen, stilsicher, wissensorientiert und wohlhabend. Die bunten, billigeren Titel (viele Fotos, wenig Text) finden neben den modernen Performern und Experimentalisten auch Anklang im hedonistischen Milieu, das immer auf der Suche ist nach starken Reizen, Abwechslung im tristen Alltag, Unterhaltung ohne Anstrengung. Was sind die Motive der Attraktion? Die Postmateriellen, die modernen Performer und die Experimentalisten haben ein modernes Lebensgefühl und sind in hohem Maße mit dem Internet vertraut. Informationen und Unterhaltung, auf diesen modernen Lifestyle zugeschnitten, mit interaktiven Angeboten verknüpft, sind für sie eine Selbstverständlichkeit. Sie wollen auf gehobenem Niveau up to date sein in Sachen Styling, Mode, Beauty, Kultur und Reisen. Sie schätzen Hitlisten, Info-Guides und stilistische Beratung auf gleicher Augenhöhe, das heißt von Kennern und Insidern der jeweiligen Szenen. Schrilles, Provokantes lehnen sie ab.
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3a Gesellschaft und Medien im Wandel
Die anderen – wiederum in starkem Maße die modernen Performer, aber auch Experimentalisten und Hedonisten – suchen News über Promis und knallige Unterhaltung. Auch sie wollen Berichterstattung auf gleicher Augenhöhe, die hergestellt wird durch eine Relativierung, zum Teil sogar eine Degradierung von Idolen, das Aufzeigen von deren Schwächen. Eine kritische Berichterstattung in dieser Form amüsiert und befriedigt sie: Die Stars haben zwar mehr Geld, aber auch mehr Probleme. Unterhaltsame, zum Teil schrille Berichte über Sex- und Drogen-Skandale, berufliche Misserfolge, Beziehungsdramen, Figurprobleme und stilistische Missgriffe der Promis amüsieren nicht nur, sondern stärken das Selbstbewusstsein: Sie selbst sind besser und schlauer. Sie machen kleinere Fehler, erleben undramatischere Pannen. Ihre Figurprobleme und modischen Ansprüche lösen sie geschickter und mit weniger Geld. Nicht nur Lifestyle und People ist ein wachsender Bereich, sondern auch ein ganz anderer, der sich an eine andere Zielgruppe richtet. Insgesamt gesehen entwickelt sich die Gruppe der Nachrichten-, Wirtschafts- und WissenschaftsTitel am positivsten. Der Faktor bündelt eine Fülle von Print-Angeboten: Überregionale Tageszeitungen, Wochen- und Sonntagszeitungen, Nachrichten- und Wirtschaftsmagazine, aber auch die Titel, die die Welt erklären und aus der Wissenschaft berichten. Gemeinsam ist den meisten dieser Zeitungen und Zeitschriften, dass sie sich überwiegend an eine gehobene Zielgruppe wenden, an Postmaterielle, Etablierte und Konservative. Wie ein roter Faden ziehen sich durch deren Mediennutzung Themen wie Nachrichten, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Spezielle Aufmerksamkeit finden auch Kultur und Reisen. Sie lesen nicht nur die einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften, sie gehören auch zu den Intensivnutzern entsprechender Sendungen im Fernsehen bei sonst unterdurchschnittlichem Fernsehkonsum. Etablierte und Postmaterielle sind darüber hinaus intensive Nutzer des Internets, und zwar speziell zu den hier aufgeführten Themen. Der Informationsbedarf dieser Milieus zu Nachrichten, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kultur und Reisen ist so hoch, dass sich die einschlägigen Medienangebote nicht kannibalisieren, sondern wechselseitig stärken. Während sich die Konservativen lebensalterbedingt erst spät und langsam mit dem Internet vertraut machen, ist für Etablierte und Postmaterielle das Doppelspiel von Print und Online schon lange selbstverständlich. Aus den Websites der Zeitungen und Zeitschriften suchen sie die schnelle, aktuelle Information, auch zu anstehenden Fragen und Entscheidungen. „Ease it“ ist in derartigen Situationen die Devise. Sie wollen das Wichtigste auf einen Blick, in komprimierter Form, ohne Beiwerk, zeitschonend. Dieselben Menschen schätzen aber auch, ausführliche Hintergründe kennenzulernen, wichtige Details zu erfahren, unerwartete Anregungen zu bekommen. Dafür suchen sie kleine Zeitinseln, um sich in das zu versenken, was sie wirklich interessiert. Diese Form der nachhalti-
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gen Lektüre befriedigt ihr Bedürfnis nach Zeitsouveränität. Die Souveränität, sich seine Zeit zu nehmen, sich nicht von anderen jagen zu lassen, ist in diesen Milieus zum eigentlichen Statussymbol geworden. Im besonderen Maße profitieren hiervon Magazine wie zum Beispiel Geo, National Geographic und Bild der Wissenschaft, auch Geosaison oder Brand Eins reihen sich hier ein. Die intensive Beschäftigung mit den Inhalten, vielleicht nur einigen ganz speziellen, bedeutet für diese Leser das Auftanken der Ressourcen. Neben den Inhalten ist die optische und haptische Qualität der Magazine – gerade im Kontrast zum Internet und zur schnellen täglichen Zeitungslektüre – sehr wichtig. Ein Magazin, das nicht nur intelligente Inhalte, sondern ein ansprechendes Layout, hochwertige Photos und Photostrecken und beste Papierqualität bietet, befriedigt sinnliche Bedürfnisse und verstärkt das Erlebnis der Selbstbelohnung. Dafür geben deren Leser auch gerne viel Geld aus.
Einige Schlussfolgerungen Fasst man die Erkenntnisse über die unterschiedlichen Gruppen der Zeitschriften und Magazine zusammen, so wird deutlich, dass das Wachstum in diesem Markt vor allem in den Leitmilieus – Etablierte, Postmaterielle und moderne Performer – stattfindet, mit Abstrichen auch in der bürgerlichen Mitte und bei den Experimentalisten. Voraussetzung für den Erfolg der Titel in diesem Segment ist eine präzise Definition der Zielgruppe. Innerhalb einer Zielgruppe verändern sich thematische Interessen und stilistische Präferenzen über die Zeit. Das sich wandelnde Lebensgefühl und der Lebensstil bedürfen deswegen permanenter sorgfältiger Beobachtung dahingehend, welche Inhalte, Ästhetik und Art der Kommunikation von dieser Zielgruppe gesucht und geschätzt werden. Auf diese Weise lassen sich auch immer spezifischere Special Interests entdecken. Das, was man im Internet gelernt hat, das Networking und den Austausch von Erfahrungen mit anderen, die Chance zu persönlicher Stellungnahme und Selbstdarstellung, der direkte Dialog mit dem Anbieter, haben das Interesse geweckt für vergleichbare Angebote im Print-Bereich. Shopping- und Star-Events, Einladungen zu besonderen sportlichen und kulturellen Ereignissen, spezielle Dinners in ausgewählten Restaurants, Reisen zu Gärten und Parks, Vorträge zu speziellen Themen durch Zeitzeugen sind nur einige der erfolgreichen Beispiele, dass sich Leser als Mitglieder einer attraktiven Community von Gleichgesinnten erleben, einer Gemeinschaft, die man nicht ohne weiteres verlässt.
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3a Gesellschaft und Medien im Wandel
Abbildung 17: Das Wachstumspotenzial der Premium-Zeitschriften im SinusMilieumodell Oberschicht / Obere Mittelschicht
Sinus B1
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Etablierte 10%
Sinus A12
Sinus B12
Konservative 5%
Mittlere Mittelschicht
Moderne Performer 10%
Sinus B2
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Bürgerliche Mitte 15%
Sinus AB2 Sinus A23 Traditionsverwurzelte 14%
Untere Mittelschicht / Unterschicht
Sinus C12
Postmaterielle 10%
DDRNostalgische 5%
Sinus C2
Experimentalisten 8%
Sinus BC3
3
Soziale Lage Grundorientierung
Sinus B3
Konsum-Materialisten 12%
A
B
Hedonisten 11%
C
Traditionelle Werte
Modernisierung
Neuorientierung
Pflichterfüllung, Ordnung
Individualisierung, Selbstverwirklichung, Genuss
Multi-Optionalität, Experimentierfreude, Leben in Paradoxien
Quelle: Sinus Sociovision 2008
Was heute relativ leicht fällt, nämlich Zeitschriften den baldigen Untergang vorauszusagen, hat der Beitrag von Dorothea Nowak relativiert. Offensichtlich gibt es bestimmte Zielgruppen, besonders in den Leitmilieus, die nicht so einfach auf Zeitschriften verzichten möchten. Parallel gibt es positive Beispiele, wie sich Zeitschriften entwickeln. In jüngster Zeit z. B. Neon oder Landlust, die innerhalb kürzester Zeit Auflagensprünge vollzogen. Neon verkaufte im ersten Halbjahr 2008 durchschnittlich ca. 212 000 Exemplare pro Ausgabe, Landlust im ersten Halbjahr 2008 durchschnittlich 299 000 Exemplare. Das ist bei Neon ein Anstieg seit 2006 um rund 28 %, bei Landlust seit 2007 sogar um etwa 85 %.139 Hinter solchen Zahlen stehen vor allem innovative inhaltliche Konzepte, die sich an den allmählich wandelnden Bedürfnissen in der Gesellschaft orientieren. So lebt Neon auch von der spielerischen Verknüpfung der Print- und Onlinemedien zu einer kohärenten Einheit. Um den Kondensationskern der Printausgabe mit ihren originellen Themen, die alle Leser miteinander teilen können, lagert sich die 139 Vgl. IVW/PZ-Online: Neon: durchschnittlicher Verkauf Quartale I und II: 165 000 Exemplare (2006), 212 000 Exemplare (2008); Landlust: durchschnittlicher Verkauf Quartale I und II: 162 000 Exemplare (2007), 299 000 Exemplare (2008)
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Website mit den Möglichkeiten, Musik zu hören, eigene Artikel einzustellen oder einfach mit anderen Interessierten in Nischen über speziellere Gebiete zu diskutieren. Die Leserinnen und Leser von Neon können ihr jeweils präferiertes Mischungsverhältnis aus großer Gemeinschaft, kleinerer Community und Individualismus selbst bestimmen. Ganz anders gelagert, aber im Erfolg um nichts nachstehend, zeigt sich die Zeitschrift Landlust. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie sich weitestgehend auf ihren opulenten Printauftritt beschränkt und beschreibt das eigene Konzept als „geerdet“.140 In der Tat scheint diese Form der thematischen Entschleunigung als Kontrast zur oftmals als schnelllebig wahrgenommenen Zeit, die stilvolle Verschönerung des Eigenheims, Besinnung auf ursprüngliche und als einfach empfundene Genüsse bei einer hinreichend großen und immer noch wachsenden Zielgruppe im Trend zu liegen.
Keyfacts für den Käufermarkt
Printtitel, die bereit sind, sich den ständig ändernden gesellschaftlichen Trends anzupassen, werden auch in Zukunft erfolgreich sein. Printtitel die sich an ältere, in ihrem Mediennutzungsverhalten veränderungsrenitente Käufer klammern, werden zwangsläufig aussterben. Leitmilieus mit höheren Einkommen und Bildungsgraden sind die Eckpfeiler einer möglichen positiven Entwicklung. Verkaufsstellen sollten Angebot und Präsentation auf die Bedürfnisse ihrer Kernzielgruppen zuschneiden.
Im allgemeinen Hype um die Zukunft von Zeitschriften gibt es Titel, die ihre eigene Zukunft in die Hand nehmen. Das macht hellhörig, denn offenbar gibt es doch etwas, was nur Zeitschriften können und was ihnen dauerhaft eine gute Zukunft bescheren könnte. Mehr zu den ganz konkreten Funktionen, die Zeitschriften auch heute noch erfüllen können, findet sich im nächsten Abschnitt.
140 Vgl. Landlust – Preisliste Nr. 5, gültig ab 1.4.2008, Landwirtschaftsverlag, Münster: 2
3b Was Zeitschriften besonders gut können. Die spezifischen Funktionen und Qualitäten von Print in einer sich verändernden Medienlandschaft 3b Was Zeitschriften besonders gut können
Michael Hallemann
Wenn wir heute die generellen Veränderungen der Medienlandschaft betrachten, fallen zunächst die immer stärker sichtbar werdenden Auswirkungen der digitalen Revolution ins Auge. Speziell das Internet bietet völlig neue Möglichkeiten der persönlichen und massenmedial verbreiteten Kommunikation. Und die Leistungsstärke der Prozessoren, Browser und Server sowie die Palette der Angebote der Provider wächst permanent. Bald wird man die einzelnen Online-Phasen kaum noch durchnummerieren können, auch wenn wir erst beim Web 2.0 sind. Durch das Netz verschwimmen die einst klaren Profile der Medienanbieter. Verlage produzieren Bewegtbilder im Internet und Fernsehsender schreiben dort Nachrichtentexte. Die Medienkonvergenz schreitet voran. Natürlich bilden sich schon durch das Aufwachsen mit dem Computer neue Mediengewohnheiten heraus, aber die „Internetsozialisation“ schafft auch hier neue Dimensionen: Wird es in Zukunft nur noch darum gehen, zu wissen, wie man sich aus der schier unerschöpflichen Vorratshaltung des Internets das gerade Gefragte heraussucht? Auf jeden Fall verändert das Internet als Medium der gezielten Informationssuche unser Bild der Welt. Neben der Informationsfunktion des Internets stehen mindestens gleichwertig die Möglichkeiten der direkten Transaktion und der Kommunikation mit mehr oder weniger Gleichgesinnten in den „Communities“. So bleibt die Frage: Was ist eigentlich der spezifische Nutzenvorteil, den Zeitschriften bieten? In der Studie Medienprofile, Medienbegabungen141, die wir in den Jahren 2006 und 2007 mit dem Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt haben, gab es dazu einen interessanten Befund: Zeitschriften waren die einzige Mediengattung, die von den Befragten nicht als solche empfunden wurde. „Die Zeitschriften gibt es eigentlich nicht“, war eine häufige Antwort in dieser psychologischen Leitstudie. Es gibt „solche und solche“ Zeitschriften, unterhaltende, informierende, hochwertige, billige, anspruchsvolle und leichte. Bei allen anderen Gattungen, den Tageszeitungen, dem Fernsehen, dem Hörfunk 141 Vgl. Goedecke/Hallemann 2009
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3b Was Zeitschriften besonders gut können
und verblüffenderweise selbst dem Internet gab es diese Vorbehalte nicht. Nur Zeitschriften werden – trotz aller Vielfältigkeit zum Beispiel der Tageszeitungen, von überregionalen Abonnementszeitungen bis zur Boulevardpresse, trotz der unendlichen Fülle des Internets – nicht als homogene Gattung wahrgenommen. Umgekehrt bedeutet dies, es ist vor allem die Vielfältigkeit, die die Zeitschriften auszeichnet. So unterscheiden sich etwa die Leser von Nachrichtenmagazinen stark von den Lesern unterhaltender People-Magazine. Während Nachrichtenmagazin-Leser vor allem den Informationscharakter, die Glaubwürdigkeit, den Wissensaspekt, den Beitrag zur eigenen Meinungsbildung und die Tiefe und Hintergründigkeit der Magazine betonen (siehe Abb. 17), stehen für die Leser von People-Magazinen Spaß, Unterhaltung und Entspannung im Vordergrund. Sie betonen geradezu, dass das Lesen „nicht mit geistiger Anstrengung verbunden“ ist. Wichtig ist ihnen, dass Zeitschriften „schöne und ansprechende Bilder“ bringen (siehe Abb. 18). Abbildung 18: Zeitschriften als Informationsmedium A ng ab en i n % Z eit schr i f t en si nd i nf o r mat iv, man ler nt viel
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G laub wür d i g
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M an kann si ch d o r t b eso nd er s g r ünd li ch und ausf ühr li ch inf o r mier en Z eit schr i f t en sind eine g ut e Hi lf e, sich eine eig ene M einung z u b il d en Z eit schr i f t en machen es leicht er , schw ier i g e Sachver halt e z u ver st ehen
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B evo r z ug t e Z eit schr i f t SPIEGEL, St er n o d er F o cus Z ei t schr if t enleser insg esamt
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 14 Jahren Quelle: Medienbegabungen und Medienprofile
So ist es nicht verwunderlich, dass es vor allem die Bandbreite von Zeitschriften ist, die als Besonderheit der Gattung hervorgehoben wird. Zeitschriften bringen Inhalte, die die Interessen der Leser treffen: Viele interessante Themen, Berichte
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Michael Hallemann
und Reportagen, eine große Auswahl, abgestimmt auf die eigenen Präferenzen, persönliche Interessen und Hobbys. Eine vielleicht damit ursächlich zusammenhängende Funktion von Zeitschriften ist die des Impulsgebers (siehe Abb. 19). Zeitschriften sind die führende Gattung bei der Aussage: „Ich erhalte dort immer wieder interessante Anregungen und Ideen“. Damit dienen Sie vor allem auch der Horizonterweiterung: Sie machen häufig „auf interessante Dinge aufmerksam, auf die man so nicht gekommen wäre“. Es ist also gerade die redaktionelle Aufbereitung der Themen, die Recherche, das Agenda-Setting, das Zeitschriften vor anderen Medien auszeichnet (siehe Abb. 20). Dies stellt sich aus LeserPerspektive so dar: „Jemand hat für mich die Welt geordnet, das Interessante herausgesucht, in einen ordnenden Zusammenhang gestellt und damit eine ‚zuverlässige Überraschung’ (Klaus Schönbach) geliefert.“ Abbildung 19: Zeitschriften als Unterhaltungsmedium A ng ab en in %
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Z ei t schr if t enlesen macht Sp aß
Z ei t schr if t en b r ing en häuf i g schö ne, ansp r echend e B il d er
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M an wi r d d o r t g ut unt er halt en
Z eit schr i f t enl esen ist ni cht mi t g ei st i g er A nst r eng ung ver b und en B ei m Z eit schr i f t enl esen kann ich mich g ut ent sp annen Leser vo n Peo p le- M ag az inen
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Z eit schr f it enl eser i nsg esamt
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 14 Jahren Quelle: Medienbegabungen und Medienprofile
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3b Was Zeitschriften besonders gut können
Abbildung 20: Medien als Impulsgeber im Vergleich „Ich erhalte dort immer wieder interessante Anregungen und Ideen“ A ng ab en in %
Z eit schr if t en
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Per so nen mi t ho her A f f i nit ät z um M ed i um
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Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 14 Jahren Quelle: Medienbegabungen und Medienprofile
Vielleicht haben Zeitschriften deshalb den geringsten Habitualisierungsgrad in der Nutzung, was sich als entscheidender Vorteil entpuppt: Die Unabhängigkeit von Zeit und Ort. Der Leser ist absolut autonom in seinem Nutzungsverhalten, er kann beim nicht transitorischen Print-Medium den Ablauf, das Lesetempo und die Wiederholungen selbst bestimmen. Das ist nebenbei bemerkt auch ein großer Vorteil für die Werbewirkung im Medium Print. Die vertiefende Beachtung von Anzeigen erfolgt rein interessengesteuert. Ein TV-Spot läuft im eigenen, gestalterisch bestimmten Tempo, mit eigenen Schnitten und Phrasierungen, ob es dem Zuseher passt oder nicht. Die Anzeigenbeachtung erfolgt im Kontext völlig selbstbestimmter Zuwendung und in der passenden Leseverfassung. Über ein Drittel der Leser nutzen häufig die Möglichkeit der Archivierung von Zeitschriften oder Artikeln. Und das mehrfache In-die-Hand-Nehmen von Zeitschriften ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel bei der Lektüre.142
142 Vgl. Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 2480, April/Mai 2006
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Abbildung 21: Qualitäten des Agenda-Settings „Macht häufiger auf interessante Dinge aufmerksam, auf die man so nicht gekommen wäre“ A ng ab en in %
Int ernet
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Int ensive N ut z er d es jeweilig en M ed iums
14 - 6 9 - jähr ig e
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 14 Jahren Quelle: Medienbegabungen und Medienprofile
Letztlich spielt natürlich auch die Handhabung von Zeitschriften, das Haptische und das Materielle eine Rolle. Zeitschriften sind generell in der Nutzung und speziell in der Übersichtlichkeit außerordentlich komfortabel. Zeitschriften haben – und das muss man die Nutzer gar nicht fragen – das beste „User Interface“. Der Blick kann über Inhaltsverzeichnis und Beiträge schweifen, Zeitschriften können überall mit hingenommen werden, in die Bahn, ins Büro, ins Bett, auf die Toilette und in die Badewanne. Damit sind Zeitschriften quasi die intimsten Medien. Wir lassen sie schon rein körperlich am dichtesten an uns heran. Zeitschriften machen ihre Inhalte im wahrsten Sinne des Wortes „erfassbar“. Das taktile Berühren kann dabei den Charakter der Zeitschrift – von hochglänzendedel bis zum vielleicht etwas „ruppig-bodenständigen“ – übersetzen. Form und Inhalt bilden eine Einheit. Die grundsätzliche Frage nach der Austauschbarkeit von Inhalten ist damit noch nicht beantwortet. Wir finden zwar durchaus Vorlieben für das Anfassbare in einer zunehmend digitalen Welt,143 aber dennoch können manche mobile Ge143 So stimmen 84,8 % der Internetnutzer folgender Aussage zu: „Im Zeitalter der digitalen/virtuellen Inhalte finde ich es gut, auch mal eine Zeitschrift anfassen zu können.“ Quelle: G+J Werbewirkungspanel 2007, Onliner im Alter von 14 bis 64 Jahren, N=4 000
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3b Was Zeitschriften besonders gut können
räte, vor allem das Handy, was die räumliche Nähe und Beweglichkeit angeht, ohne Frage mit Print konkurrieren. Und auch wenn heute noch eine Mehrheit der Bevölkerung (54 %) das Lesen auf bedrucktem Papier dem Bildschirm vorzieht – online gewinnt. Schon heute sagen 30 % der Onliner, dass sie Texte genauso gern am Bildschirm lesen wie auf Papier. Und je jünger die Befragten sind, desto häufiger findet sich diese Antwort. Bei den Unter-30-Jährigen präferiert bereits die Mehrzahl den Bildschirm.144 Abbildung 22: Entwicklung des strukturierten Informationsverhaltens (Gesamtbevölkerung) zwischen 1999 und 2008: „Wenn man sich über ein Thema näher informieren möchte…“ A ng ab en i n % acht et man auf B er i cht e i m F er nsehen
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liest man B er icht e in Z ei t ung en
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liest man B er icht e in Z eit schr i f t en
sucht man im Int er net
acht et man auf B er i cht e i m R ad i o
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Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 14 Jahren Quelle: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalysen 1999 und 2008
Auch steigt in den USA zurzeit der Verkauf von E-Books deutlich an. Ob allerdings die Prognose von Microsoft-Chef Steve Ballmer stimmt, dass es in 10 Jahren keine gedruckten Zeitungen und Zeitschriften mehr geben wird, ist mehr als ungewiss und eher als medienwirksame Extremposition zu betrachten. Andererseits ist klar, dass das Internet unsere Strategien im Umgang mit Medien massiv beeinflussen wird. Nicht nur, dass es Anteile der insgesamt für die Mediennutzung verfügbaren Zeit für sich beansprucht, es verändert auch die 144 Quelle: G+J Werbewirkungspanel 2007, Onliner im Alter von 14 bis 64 Jahren, N=4 000
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Michael Hallemann
Wege im Informationsdschungel. Das Internet ist vor allem das Medium für den strukturierten und gezielten Informationsbedarf. Wer einen solchen Bedarf hat und über ausreichende Online-Kompetenz verfügt, geht heute ins Internet (siehe Abb. 21 und 22). Abbildung 23: Entwicklung des strukturierten Informationsverhaltens (20 bis 29-Jährige) zwischen 1999 und 2008: „Wenn man sich über ein Thema näher informieren möchte…“ A ng ab en in % acht et man auf B er icht e im F er nsehen
li est man B er i cht e i n Z eit ung en
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li est man B er i cht e i n Z ei t schr if t en
sucht man im I nt er net
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Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung von 20 bis 29 Jahren Quelle: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalysen 1999 und 2008
Gleichzeitig findet man durchgängig, dass das „Scannen“ von Informationsquellen als Strategie deutlich zugenommen hat. Auch der Zwang, sich bei der Mediennutzung an feste Zeitstrukturen anpassen zu müssen, wird zunehmend als unangenehm empfunden. Dies sind aber Veränderungen, die nicht gegen Zeitschriften sprechen. Eher sind es Bedürfnisse, die Zeitschriften schon immer besonders gut erfüllt haben. So ist es auch keineswegs verwunderlich, dass junge intensive Internetnutzer zugleich besonders print-affin sind und Zeitschriften in hohem Maße schätzen (siehe Abb. 23).
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3b Was Zeitschriften besonders gut können
Abbildung 24: Junge Internetnutzer schätzen Zeitschriften 20 bis 29-Jährige A ng ab en in % M ir g ef äl lt an Z ei t schr if t en, d ass man sie üb er al l lesen kann
V iel f äl t ig es A ng eb o t , aus d em man nach eig enen Int er essen auswählen kann
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wenig er i nt ensi ve o d er keine N ut z ung
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung von 20 bis 29 Jahren Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 2480, April/Mai 2006
Die Vorteile von Zeitschriften
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Geringster Habitualisierungsgrad der zeitlichen Nutzung Inspiration Horizonterweiterung Impulsgeber Große Bandbreite an Themen Gründliche Information und Meinungsbildung Unterhaltung, Entspannung und attraktive Bilder Autonomie der Lektüre Unabhängig von Zeit und Ort Selbstbestimmtes Lesetempo Eignung für wiederholte Lektüre und Archivierung
Michael Hallemann
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Wer heutzutage viel Kontakt mit Berichten über Medien hat, muss den Eindruck gewinnen, dass Printmedien sich auf dem geordneten Rückzug aus einer zunehmend verlustreichen Schlacht befinden und unter dem Strich die unbarmherzigen Auflagenzahlen verbleiben. Folgerichtig müssten die Funktionen, die Zeitschriften für die Mediennutzer bieten können, inzwischen in hohem Maße von anderen Mediengattungen aufgefangen worden sein. Dagegen hat Michael Hallemann in seinem Beitrag gezeigt, dass Zeitschriften nach wie vor wichtige Aufgaben erfüllen, sei es das Agenda-Setting, Orientierung, Vermittlung von Hintergründen oder die frei gestaltbare Nutzung. Viele dieser Aufgaben werden in der Gewohnheit als selbstverständlich hingenommen und nicht immer auf Zeitschriften zurückgeführt. Vielleicht das wichtigste Ergebnis seiner Betrachtung ist die nicht wahrgenommene Geschlossenheit der Mediengattung als „Zeitschriften“, denn es stützt die bereits in den vorherigen Abschnitten geäußerte Vermutung: Man kann nicht alle Zeitschriften über einen Kamm scheren. Letztlich muss jede Zeitschrift, wenn auch oft eingebettet in eine bestimmte Titelkategorie, ihren eigenen Mix aus Unique Selling Points finden und sich darauf auch konzeptionell besinnen. Ein General-Interest-Titel sollte sich eben eher der Themensetzung verschreiben, während ein Special-Interest-Titel für neue Inspirationen im begrenzten Themenbereich sorgen muss. Im Interview mit Jens Lönnecker graben wir noch etwas tiefer und beleuchten auch die psychologische Komponente der Zeitschriftennutzung: Zeitschriften bieten Freiräume im Tagesablauf, sie ermöglichen einen Rückzug. Aber natürlich wandeln sich auch die Erwartungen und die Funktionen im Zusammenspiel – oder in der Auseinandersetzung – mit den anderen Mediengattungen.
Keyfacts für den Käufermarkt
Zeitschriften verfügen nach wie vor über ein einzigartiges Set an USPs, die es zu betonen gilt. Werden die positiven Zeitschriftenfunktionen angemessen am POS widergespiegelt? Inwiefern lässt sich Gattungsmarketing für Zeitschriften rechtfertigen, wenn sie nicht als kohärente Mediengattung wahrgenommen werden?
3c Funktionswandel: Zur Morphologie von Zeitschriftentypen Interview mit Jens Lönneker
Was sind die derzeit grundlegenden Faktoren der Zeitschriftennutzung? Die Stärke der Zeitschriften besteht nach wie vor paradoxerweise gerade darin, dass sie nicht so sehr auf unmittelbare, brandaktuelle News zielen wie andere große Medien. Zeitschriften beleuchten – psychologisch betrachtet – gerade die Aspekte unserer Welt, die uns jenseits des ganz konkreten Tagesgeschehens so wichtig sind. Das können die allgemeinen, großen Zusammenhänge sein, wie sie etwa die Polit- oder People-Magazine darstellen, die breite Bevölkerungskreise ansprechen. Aber auch die Special Interest-Titel offerieren wichtige Infos: Sie vertiefen ausgiebig ganz spezifische Ausschnitte der Wirklichkeit und sprechen damit eine spezielle Klientel wie etwa IT-Freaks oder Motorsportfans an. Oder aber sie bedienen spezielle Nutzungskontexte wie etwa die Geldanlage oder den Hausbau. Je schnelllebiger sich unsere Welt gestaltet, desto mehr steigt der Stellenwert von substantiellen, hintergründigen und überdauernden Perspektiven, wie sie gerade Zeitschriften entwickeln können. Gibt es eine Funktionsaufteilung zwischen den klassischen Medien Fernsehen, Zeitungen, Radio und Zeitschriften? Medien begleiten uns in dem ewigen Wechsel von Tag und Nacht. Sie helfen uns morgens in den Tag, halten uns tagsüber am Laufen, um uns abends wieder für den Schlaf empfänglich zu machen. Die psychologischen Funktionen der einzelnen Mediengattungen sind dabei nicht gleich oder austauschbar. Sie entwickeln unterschiedliche Stärken und haben auch verschiedene Nutzungsschwerpunkte im Tagesablauf. Dahinter stecken unterschiedliche psychologische Nutzungsprofile. Fernsehen und Tageszeitung sind dabei Antagonisten. Das Fernsehen entführt in eine bunte, atemberaubende Bilder-Welt. Wir können im TV dabei eigenen und fremden Passionen nachgehen. Der Fernseher liefert uns Abenteuer, Eifersucht, Betrug, Verrat, Mord, Sex etc. in unsere eigenen vier Wände. Es führt uns wie früher die Märchenerzähler auf den Märkten in faszinierende Welten, die traumhafte, aber auch alptraumhafte Züge annehmen. Dieses Profil würde bei der Tagesarbeit stören, passt aber wunderbar in den Feierabend. Das Fernsehen be-
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3c Funktionswandel: Zur Morphologie von Zeitschriftentypen
reitet damit im Tag-/Nachtzyklus letztlich auf den Schlaf vor. In unseren ganz eigenen Träumen während der Nachtruhe kommt dann unser Seelenleben voll zur Entfaltung, ohne von Realitätszwängen behindert zu werden. Dies hat schon Sigmund Freud aufgezeigt, der den Traum als Hüter des Schlafs betrachtet hat. Ganz anders sehen dagegen die psychologischen Anforderungen am nächsten Morgen aus, wenn es ums Aufstehen geht. Dies ist die hohe Zeit der Tageszeitungen. Die Traumwelt muss nun schnell verlassen werden, um in der realen Welt bestehen zu können: Nicht Passion, sondern Aktion ist gefragt. Informationen haben am Morgen Vorrang vor Fiktionen und reinem Entertainment. Denn um im Tagesverlauf agieren zu können, bedarf es handlicher, prägnanter und möglichst verlässlicher Informationen, die weniger Raum für Geschichten und Träumereien lassen. Man möchte die Welt sozusagen schwarz auf weiß aufbereitet haben. Das Radio ist für die meisten Menschen wiederum ein Tagesbegleiter, der uns im Alltag seelisch stabilisieren soll. Es wird vor allem eingesetzt, um Routinetätigkeiten während des Tages wie etwa Autofahren, Bügeln, Putzen etc. klanglich anzureichern, praktisch als eine Art Vertonung des Monotonen. Das Wechselspiel von Musik und redaktionellen Beiträgen bietet dabei eine reizvolle seelische Kulisse, die immer wieder kurzzeitig auf sich aufmerksam macht, ohne dabei allzu sehr zu fordern. Psychologisch wird dadurch ein Wechselspiel von Tagtraum und Realitätsbewältigung belebt. Der Hörfunk hält uns munter, indem er unsere Tagträumereien so in die Realität einbindet, dass wir den Alltagstätigkeiten elanvoller nachgehen, als es ohne seine Begleitung möglich wäre. Zeitschriften stehen psychologisch für eine tagesübergreifende Perspektive. Sie ist den Lesern ausgesprochen wichtig. Denn man möchte sich nicht allein von der kurzatmigen Hektik des Alltags beherrschen lassen. Die Zeitschriftenausgaben symbolisieren diese Perspektive. Sie liegen daher oft lange „herum“ und werden recht spät entsorgt. Die tagesübergreifende Perspektive benötigt dennoch Freiräume im Tagesablauf. Abonnenten schaffen sich diese Räume gezielt, indem sie sich durch die regelmäßige Zustellung zur Lektüre anhalten. Andere Leserkreise lassen sich durch die Aufmachung der Titelseiten anregen. Zeitliche „Freiräume“ im Alltag entstehen, wie etwa bei einer Zugfahrt oder beim Arztbesuch, und werden zudem gerne genutzt, um mit der Zeitschriftenlektüre gezielt eine tagesübergreifende Perspektive einnehmen zu können. Wie haben sich die Funktionen dieser Medien im Laufe der letzten 10 Jahre verändert bzw. verschoben? Grundsätzlich ist die Verteilung der Medien mit ihren jeweiligen Funktionen in den letzten 10 Jahren weitgehend konstant geblieben. Nach unseren Erkenntnissen hat es jedoch zwei zentrale Veränderungen gegeben:
Interview mit Jens Lönneker
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Erstens: Das Internet offeriert im Kernbereich der klassischen Medien jeweils neue Angebote und hat sich als neuer Player etabliert. Zweitens: Der Tageslauf als Orientierungsmatrix für die Gestaltung des Alltags und auch der Mediennutzung hat an verbindlicher Bedeutung verloren. Arbeits- und Essenzeiten werden z. B. zunehmend an individuellen Bedürfnissen ausgerichtet. Für die Mediennutzer gerät der Tagesablauf dadurch zugunsten von den Tag übergreifenden Interessen in den Hintergrund. Dieses Phänomen spielt natürlich den Zeitschriften in die Hände. Aber die anderen Medien haben darauf auch reagiert, indem sie – wie etwa die Zeitungen – verstärkt entsprechende Angebote machen: Supplements, die sich z. B. mit Gesundheit, Reisen, Mode beschäftigen, oder beigelegte Magazine, die eigentlich eigene kleine Zeitschriften darstellen. Wie hat das Internet die Funktionsverteilung zwischen den klassischen Medien verändert? Aus unserer Sicht hat das Internet weniger eine Änderung zwischen den klassischen Medien als vielmehr eine teilweise Substitution oder auch Ergänzung bewirkt. Ich ziehe ‚Ergänzung’ vor, weil das Internet nur dann zur Konkurrenz wird, wenn man die Kompetenz eines Mediums auf seine Erscheinungsform wie etwa die Printausgabe reduziert. Psychologisch ist das aber nicht der Fall. Denn man kann den „Spiegel“ jetzt gezielter und auch aus unmittelbar aktuellerem Anlass lesen, wenn man es online tut. Man möchte aber immer noch den Spiegel lesen. Ein anderes Beispiel: Die Zeitungen leben davon, dass sie morgens ihren Lesern die für sie wichtigen Aspekte der Welt immer wieder tagesaktuell aufbereiten. Dieser Wunsch nach einem morgendlichen Überblick über die Lage besteht nach wie vor, aber er wird durch das Internet neu und anders erfüllt. Heute schalten junge Menschen häufig zunächst ihr Notebook an, um „E-Mails zu checken“. Wenn sie dann schon einmal dabei sind, können sie mit ein paar Klicks im Internet auch die Zeitung online lesen und gleichzeitig am Notebook für Musik sorgen. Die Zeitung wird online immer noch häufig gelesen – aber anders als bislang. Es geht demnach eher darum, die Funktionen der klassischen Medien auch im Internet anzubieten und sie dort dem Medium gerecht neu zu interpretieren. Beobachten Sie einen Trend zur Individualisierung von Mediennutzung? Also weg von zentralen Sendeangeboten (Straßenfegern, reichweitenstarken Zeitschriften), aber auch weg von Kollektiverfahrungen? Die letzten vier Jahrzehnte sind in den westlichen Gesellschaften stark von einer Bewegung zu immer mehr individuellen Freiheiten geprägt. Die Initialzündung waren sicher die Studentenproteste Ende der sechziger Jahre. Diese Bewegung
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3c Funktionswandel: Zur Morphologie von Zeitschriftentypen
hat bestehende Normen und Regeln immer weiter in Frage gestellt und damit auch die Entwicklung von kollektiven Interessen in den Hintergrund gedrängt. Dies spiegelt sich grundsätzlich auch in den Medien wider. Gerade Universalmedien wie große Zeitschriften und Zeitungen, aber auch das TV kämpfen mit den Folgen der Individualisierung. Es gibt jedoch nach unseren Erkenntnissen Licht am Ende des Tunnels. Denn in jüngerer Zeit wird eine Umkehr des Trends deutlich. Es besteht wieder mehr Interesse daran, Bindung und Gemeinschaft aufzubauen. Die Formen sind zum Teil neu und anders. Sie umfassen oft stärker als bislang Freunde, Kollegen und sind nicht mehr vor allem auf die Familie fokussiert. Aber auch auf dem Feld der „Massenpsychologie“ tut sich etwas, wenn man die weiter wachsende Attraktivität des Fußballs und Phänomene wie das Public Viewing beobachtet. Hier gibt es nach wie vor und zum Teil in neuer Form Straßenfeger. Es gibt Anzeichen, dass Mediennutzung schweifender wird, stärker unterbrochen wird. (Selbst Fußballspiele kommen nur noch auf Verweildauern von wenigen Minuten, Spielfilme werden kaum noch konstant durchgesehen – zumindest im TV.) Wie ändert sich die Mediennutzungskultur? Wir haben in den letzten Jahren eine Veränderung von einer analogen zu einer digital ausgerichteten Kultur der Mediennutzung durchgemacht. Früher konnte man z. B. an einer Schallplatte auch ganz materiell und visuell erfahren, wie Song für Song analog abgetastet wurde. Bei einer CD ist die Reihenfolge der Songs beliebig geworden. Der erste Song kann genauso schnell angesteuert werden wie der zwölfte. Es gibt zudem eine Random-Funktion, die die Reihenfolge des Abspielens dem Zufall überlässt. Der Computer eröffnet sogar noch weitere Möglichkeiten. In einer digitalen Kultur ist das Nacheinander weniger von Bedeutung als das Gleichzeitige. Die Folge ist, dass sich die Nutzer oft mit verschiedenen Tätigkeiten parallel beschäftigen. Die Medien werden dadurch häufig tatsächlich weniger konstant und konzentriert verfolgt. Dennoch werden sie genutzt. Man sollte auch die Skills nicht unterschätzen, die für das Multi-Tasking nötig sind und von den Nutzern entwickelt wurden. Da wird oft noch erstaunlich viel parallel mitbekommen. Manche Experten vermuten, dass Zeitschriften für bildungsferne Schichten Leser an das TV verlieren. Woran liegt das? Fernsehen und Zeitschriften sind in der Nutzung psychologisch verwandt, weil beide Medien nicht auf die Bewältigung des ganz konkreten Tages abzielen. Das TV hat daher durchaus in den letzten Jahren Angebote machen können, die vor-
Interview mit Jens Lönneker
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her nur von Zeitschriften offeriert wurden. Die von Harald Schmidt als „Unterschichtenfernsehen“ bezeichneten Formate wie etwa einige Talk-Shows schaffen heute eine Bühne für Underdogs und ihre Alltagsthemen, wie es sie bislang noch nicht gab. Derzeit werden verschiedene Kannibalisierungsszenarien diskutiert: Jüngere werden mit dem Internet sozialisiert und gehen so den Zeitschriften als zukünftige Leser verloren. Bildungsferne Ältere über 50 werden zu TV-Junkies und gehen den Zeitschriften ebenfalls verloren. Bleibt die mittlere Altersgruppe, die noch relativ konstant Zeitschriften nutzt. Wie ist Ihre Deutung dieser drei Szenarien? Ich halte diese Darstellungen für maßlos übertrieben. Die starke Verbreitung der Computer hat nicht zu einer Senkung, sondern zu einer Steigerung des Papierkonsums geführt. Es besteht nach wie vor ein großes Interesse an gedruckten Ausgaben. Man sollte jedoch das Internet oder das TV nicht als ein anderes Medium, sondern als eine Erscheinungsform für eine bestehende Zeitschrift betrachten. Der Spiegel ist ein Paradebeispiel dafür, dass der Kern des Mediums nicht in seiner Erscheinungsform, sondern in seinem psychologischen Format liegt. Der Spiegel ist als Printausgabe, online und im TV sehr erfolgreich. Es geht also darum, das psychologische Format über mehrere Medienkanäle zu präsentieren. Darin liegt die Zukunft. Welche Zeitschriften(-typen) wird es auch in den nächsten 10 Jahren geben, wer wird vom Markt verschwinden? In den westlichen Gesellschaften ist ein deutlicher Trend zu spüren, der darauf drängt, wieder verstärkt neue und auch alte Normen und Regeln aufzustellen bzw. wieder einzuführen. Damit werden es eskapistische Formate eher schwer haben. Dagegen haben diejenigen Titel Zukunft, die sich mit dem Aufbau und der Umsetzung von Regeln für den Alltag beschäftigen: Ratgeber, Frauen-, aber verstärkt auch Männer-Magazine, Brautmoden, Elternzeitschriften, Special Interest-Titel etc. Wir sprachen über Nutzungs- und Kaufmotivation: Derzeit gibt es ca. 120 000 Zeitschriftenhändler. Worauf muss sich aus Ihrer Sicht der klassische Hefteinzelverkauf gefasst machen?
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3c Funktionswandel: Zur Morphologie von Zeitschriftentypen
Ändert sich etwas für das Fachgeschäft? Ändert sich etwas für den Bahnhofsbuchhandel (Flughafen etc.), also die Stellen, an denen Leute auf Passage sind oder Zeiten überbrücken müssen?
Die Konsumenten wollen heute ganz generell angesichts der Explosion des Warenangebots eine Komplexitätsreduktion. Daher kaufen sie ihre Zeitschriften gerne an „Touch Points“, an denen sie sich sowieso wegen anderer Käufe/Wege bereits aufhalten. Davon profitieren der LEH, der Bäcker, der Kiosk auf dem Weg zur Arbeit. Man muss jedoch davon ausgehen, dass das Fachgeschäft immer weniger allein wegen eines Zeitschriftentitels aufgesucht werden wird. Es drohen hier eher noch schwerere Zeiten für den Fachhandel. Ganz anders stellt sich die Situation allerdings für den Handel am Bahnhof und Flughafen dar. Hier wird der Kunde explizit in einer Verfassung erreicht, in der er sich oft sogar auf die Zeitschriftenlektüre bei seiner Reise richtig freut. Er muss auch keine Umwege gehen. Die Zeitschrift ist da, wo er seine Reise antritt. Unsere Prognose für den Bahnhofs- und Flughafenhandel ist daher gut. Welches sind perspektivisch Erfolg versprechende Zukunftskonzepte für Publikumszeitschriften? Wer auf eine solche Frage Patentrezepte verkündet, macht sich gleich verdächtig. Denn es ist natürlich schwer, erfolgreiche Zukunftskonzepte zu entwickeln. Und wer so tut, als lägen sie auf der Straße und man könne sie in einem Interview einfach mal nennen, ist ein Scharlatan. Aus unserer Forschung kristallisiert sich jedoch zunehmend ein Problem heraus, mit dem sich in westlichen Gesellschaften zunehmend vorbewusst beschäftigt wird: Wie können wir wieder Normen, Regeln, Gemeinschaft, Bindung und am Ende eine Sicherheit der Lebensumstände realisieren, ohne die schönen, individuellen Freiheiten aufgeben zu müssen, die wir uns in den letzten Jahren erkämpft haben? Antworten auf diese Fragen im Großen (Polit- und WirtschaftsMagazine, Zeitschriften zum Thema Bildung und Erziehung) und im Kleinen (Zeitschriften rund um Ernährung, Bewegung, Essen, Trinken) werden gefragt sein – in der Zukunft wird nach „guten Regeln“ gesucht! Die Fragen an Jens Lönneker stellte Sven Dierks. Lässt man die bisherigen Ausführungen Revue passieren, dann stellt sich die Situation der Publikumszeitschriften differenziert dar. Von einem allgemeinen Niedergang kann nicht die Rede sein. Zeitschriften erfüllen weiterhin wichtige Funktionen, aber eben nicht mehr für alle Bevölkerungsgruppen und hier wie-
Interview mit Jens Lönneker
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derum je nach Zielgruppe andere. Daraus erklärt sich auch die Schwierigkeit, eine für alle Autoren dieses Bandes verbindliche Zeitschriftentypologie zu entwickeln. Typen bildet man, um eine große Menge von Titeln zu wenigen, handhabbaren Kategorien zu verdichten. Doch gibt es hier das Problem verschiedener Maßstäbe, nach denen die Titel verdichtet werden sollen. Ist es der Berichtsgegenstand? Sind es die Fotos? Ist es der Stil? Ist es die anvisierte Leserschaft? Sind es die Überschneidungen in der Leserschaft? Richtet man sich nur nach den Medienfunktionen – die seit dem InternetSiegeszug und den damit einhergehenden Änderungen im Mediennutzungsverhalten neu verhandelt werden –, so können Publikumszeitschriften auf vielen Gebieten weiterhin punkten. Zeitschriften bieten tiefer gehende Hintergründe und thematische Anregungen jenseits von Schlagzeilen und bestimmen das gesellschaftliche Agenda-Setting erheblich mit. Zeitschriften sind mit ihrer tagesübergreifenden Perspektive, die in der Nutzung weniger an bestimmte Tageszeiten gebunden ist, wie z. B. Zeitungen und Fernsehen, ein Komplement zur zunehmend individualisierten und weniger ritualisierten Tagesstruktur der Mediennutzer – Inseln der Ruhe, für die man sich im selbstbestimmten Tempo an beliebig wählbaren Orten bewusst Zeit nimmt.
Keyfacts für den Käufermarkt
Die Zeitschriftenkäufer sind bequemer geworden: Es werden gebündelte Einkaufsgelegenheiten bevorzugt sowie solche Touch Points, die auf alltäglichen Routinewegen liegen. Pressefachgeschäfte ohne Standortvorteile werden es schwer haben. Zeitschriften mit praktischen Funktionen (Ratgeber, Orientierung, Bildung etc.) haben vermutlich eine stabilere Zukunft als rein auf Unterhaltung angelegte Formate.
Teil 4: Herausforderungen für Publikumszeitschriften
In den bisherigen Ausführungen konnten eine Reihe wichtiger Faktoren analysiert werden, die die Entwicklung von Publikumszeitschriften gegenwärtig beeinflussen. Wir konnten auch zeigen, dass die Rede von den Publikumszeitschriften eine zweckmäßige Verkürzung ist, um umständliche Wortkonstruktionen zu vermeiden. Denn eigentlich ist der Begriff der Publikumszeitschriften ein Konstrukt der Medienwirtschaft, mit dem sie ihre Ware beschreiben kann. In der Welt der Leser und Käufer gibt es einzelne Titel, an die man unterschiedlich stark gebunden ist. Und insofern gibt es natürlich auch heute extrem erfolgreiche Titel. Wenn man nur diese betrachtet, würde man nicht auf die Idee kommen, dass das Marktsegment insgesamt in schwieriges Fahrwasser geraten sein könnte. Ein wichtiger Faktor bei der Suche nach einer Erklärung der Frage, warum bestimmte Zeitschriftensparten es zunehmend schwerer im Markt haben, ist der demografische Wandel, der sich besonders in Deutschland bemerkbar macht. Dass es ihn gibt, weiß jeder, doch welche Konsequenzen er schon jetzt hat, ist sicher nicht allgemein ins Bewusstsein eingedrungen. Mit demografischem Wandel ist gemeint: Es werden (deutlich) weniger Menschen in Deutschland geboren als sterben. Durch den Sterbeüberhang schrumpft die Gesellschaft. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt. Ein weiteres Phänomen, das direkt mit dem erhöhten Durchschnittsalter korrespondiert, tritt hinzu: Das Sterbealter steigt, wir beobachten einen Trend zur Hochaltrigkeit. Männer, die heute 60 sind, haben noch gute 20 Jahre vor sich, 60-jährige Frauen sogar noch rund 25 Jahre.145 Die bislang skizzierten Veränderungen in der Medienlandschaft betreffen vielfach Jüngere, die sich als Pioniere neuer Medien erweisen. Doch diese Anwendung setzt eine grundlegende Kulturtechnik als weiteren Faktor voraus, der nötig ist, um Zeitschriften in ihrer heutigen Form zu nutzen: Das Lesen. Um das Lesen aber ist es schlimm bestellt. Der Geschäftsführer der Stiftung Lesen Hartmut Kreibich äußert sich in nachstehendem Interview zur gegenwärtigen und zukünftigen Lesefähigkeit der Deutschen. 145 Quelle: Statistisches Bundesamt Sterbetafeln Deutschland 2004/2006
4a Die Zukunft des Lesens Interview mit Heinrich Kreibich, Geschäftsführer der Stiftung Lesen
Wie ist es um die Lesefähigkeit der Deutschen bestellt? Rund vier Millionen erwachsene Deutsche können so schlecht lesen, dass sie als funktionale Analphabeten gelten. Sie sind nicht in der Lage, die Texte einer regionalen Tageszeitung oder andere Gebrauchstexte zu verstehen. Das sind 5 % der Gesamtbevölkerung. Eine ausgesprochen große Gruppe. Und sie wird immer größer: PISA und andere Studien belegen, dass jeder fünfte 15-jährige Schüler akut gefährdet ist, ebenfalls sein Leben lang funktionaler Analphabet zu sein. Welche gesellschaftliche Gruppe steht bezüglich ihrer Lesekompetenz in der Didaktik und Forschung besonders im Fokus? Eine zentrale Gruppe sind die jungen Familien. Hier findet die entscheidende Lesesozialisation, also die Vermittlung von Freude an Zeitungen, Zeitschriften und Büchern als Basis für erfolgreiches Lese-Lernen, statt – oder eben nicht. Hier stellen wir fest: Mangelnde Lesekompetenz wird leider weitergegeben. Einer Studie der Deutschen Bahn in Kooperation mit der Stiftung Lesen zufolge lesen 42 % der Eltern von Kindern im „besten Vorlesealter“ ihren Kindern nicht vor. Diesen Kindern werden wichtige Bildungschancen vorenthalten. Gibt es Typen, die sehr leseaffin sind? Etwa den Mann mittleren Alters, verheiratet, 2 Kinder – Mittelschicht. Er schätzt Krimis, ist auch interessiert an Sachbüchern. Oder die Romanistik-Studentin mit einem Faible für aktuelle italienische Autoren wie Andrea Di Carlo. Ein Drittel der Deutschen sind leseaffin, lesen im Jahr recht viele Bücher bzw. sind regelmäßige Nutzer von anderen Printmedien. Ein Drittel könnte man als Gelegenheitsleser bezeichnen: Sie lesen im Urlaub ein oder zwei Krimis oder haben die Lokalzeitung abonniert. Ein Drittel der Deutschen liest praktisch gar nicht. Die Spanne zwischen hochkompetenten Viel-Lesern, bei denen der aktuelle Trend Richtung „Lektüre von englischsprachigen Texten“ zwecks SprachkompetenzVerbesserung weist, und Nichtlesern ist ausgesprochen groß. Zwischen diesen gesellschaftlichen Gruppen klaffen Welten – häufig auch ökonomisch.
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4a Die Zukunft des Lesens
Verpassen die Nichtleser wirklich den Anschluss – oder können sie ihr mangelndes Lese-Interesse mit der Nutzung neuer Medien wettmachen? Lesekompetenz bildet immer die Basis-Kompetenz für Wissenserwerb – auch in der modernen Informationsgesellschaft. Das ist Common Sense bei Pädagogen, Lernpsychologen und Medienforschern. Zum einen, weil – zumindest derzeit – auch das Internet dann, wenn es um Informationsvermittlung geht, ein LeseMedium ist. Zum anderen, weil, wie es der Computerpionier Joseph Weizenbaum formulierte, Lesen in besonderer Weise das Denken schult. Lesen macht nicht einfach im landläufigen Sinne klug, indem es Informationen eintrichtert. Es trainiert die Fähigkeit, Informationen zu bündeln, zu strukturieren, zu bewerten. Und es motiviert dazu, sich über dieses Wissen auszutauschen, denn Lesekompetenz und Sprachkompetenz hängen selbstverständlich eng zusammen. Also: verpassen – ja, wettmachen – nein. Wie veränderte sich die Lesemotivation in den letzten Jahren? Wenn man Kaufverhalten als Indikator für Lesemotivation nimmt, ist die Lage gut. Denn der deutsche Buchmarkt ist auf Rekordkurs: Im vergangenen Jahr wurden nach Berechnungen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels hierzulande mit Büchern 9,58 Milliarden Euro Umsatz gemacht, 3,4 % mehr als 2006. Und wenn man Bibliotheksnutzung als Indikator nimmt, stößt man ebenfalls auf eindrucksvolle Zahlen: Jeden Tag kommen 670 000 Leser in die rund 11 500 Bibliotheken in Deutschland. Jedes Jahr entleihen in ihnen 11 Millionen registrierte Leser 432 Millionen Medien. Diese Angaben geben jedoch naturgemäß nur indirekt den Lesemotivations-Stand wider. Befragt man Menschen aller Altersgruppen ganz direkt nach ihrer Lesemotivation, dann wird deutlich: Leser brauchen weit häufiger einen Motivationsschub als noch vor einigen Jahren. Wer für Publikum schreibt, muss sich auf Folgendes einstellen: Seine Adressaten werden immer anspruchsvoller, ungeduldiger – und brechen die Lektüre rigoros ab, wenn sie ihren Erwartungen nicht entspricht. Diese Entwicklung zeichnet sich in unseren Studien deutlich ab. Fernsehen, Radio und Internet geben die Taktzahl vor, die klassischen Printmedien sehen sich gezwungen, mitzuziehen. Damit wird die Entwicklung weiter beschleunigt. Insbesondere der Anspruch an Sachtexte wächst: Informationen müssen zum einen immer knapper präsentiert werden, zum anderen dürfen sie nicht nackt dastehen, sondern müssen durch Leseanreize, so genannte Teaser, ergänzt werden. Generell, auf bildungspolitischer Ebene, bleibt festzustellen: Lesemotivation hängt ganz eng mit Bildungsmotivation zusammen. Wir müssen auf breiter Ebene weit stärker als bislang geschehen die Menschen motivieren, Kompetenzen zu erwerben und weiterzuentwickeln. Und das ein Leben lang.
Interview mit Heinrich Kreibich, Geschäftsführer der Stiftung Lesen
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Bleiben Zeitungen und Zeitschriften Felsen in der Brandung der Informationsangebote? Felsen in der Brandung werden wie kaum ein anderes geologisches Gebilde geund verformt. Insofern ist das Bild sicher ausgesprochen treffend: Beide Mediengattungen werden sich stark verändern, vielleicht sogar wirklich noch einmal revolutionieren. Hier lassen sich jedoch schlecht konkrete Prognosen abgeben. Allerdings: Wenn Zeitungen lediglich die Nachrichten vom Vortag präsentieren und keine anderen Schwerpunkte setzen, werden sie keine Chance haben. Man kann der Meinung sein, dass noch nie so viel geschrieben und gelesen wurde wie heute. Selbst bildungsferne Gruppen schreiben sich E-Mails und lesen sie. Kann man beruhigt in die Zukunft sehen? Leider nein. Denn wenn man sich Inhalt und Form vieler Mails anschaut, handelt es sich um Kommunikation an der Grenze des Sich-Mitteilen-Könnens. Bezüglich Mediennutzung und Medienkompetenz existieren Parallelwelten nebeneinander her, die fast nichts miteinander zu tun haben. Kompetente Mediennutzer können sich nicht vorstellen, dass es eine große Gruppe in der Bevölkerung gibt, die diese für sie selbstverständlichen Kommunikationsmittel nicht sinnvoll nutzen kann. Mit fatalen Folgen – nicht zuletzt auch für unsere Demokratie, denn diese Gruppe wird immer stärker ausgegrenzt. Woher beziehen wir aktuelle Daten zum Leseverhalten? Haben wir aktuelle Daten? Die Stiftung Lesen ist gerade dabei, im Rahmen von mehreren groß angelegten Studien aktuelle Daten zu erhalten. Zu den derzeit realisierten Projekten gehört die Forschungsstudie „Leseverhalten in Deutschland 2008“, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Ein weiteres aktuelles Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ermöglicht: die Studie „Lesesozialisation von Kindern in der Familie“. Was sind Ihre Wünsche an eine Leserforschung in der Zukunft? Je komplexer unsere Gesellschaft wird, desto wichtiger ist es, die Instrumentarien zu optimieren, um Daten zum Lese- und Medienverhalten zu erheben. Selbst bei einer relativ klar abgegrenzten Frage wie die nach dem Vorleseverhalten in Familien mit Migrationshintergrund muss genau überlegt werden, welche Migrationsgruppen befragt werden. Denn die orale Erzählkultur spielt in Migrationsgruppen aus Osteuropa eine andere Rolle als in solchen aus Nordafrika. Hinzu kommt: Je schneller die Medien-Revolution voranschreitet, desto aktueller
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4a Die Zukunft des Lesens
muss die Leseforschung reagieren. Leseverhalten schwebt nicht im luftleeren Raum, es ist eng an diese Entwicklungen gekoppelt. Aus Ihrer Sicht: Wie entwickelt sich die Lesekompetenz in der Bevölkerung insgesamt? Die Lage ist weit dramatischer, als es die nach der zähen Post-Pisa-Debatte verständlicherweise etwas abgestumpfte Öffentlichkeit wahrhaben will: Große Teile unserer potenziellen Leistungsträger von morgen können diese Rolle nicht erfüllen – schlicht und einfach, weil sie nicht richtig lesen können. Das ist eine demografische Hypothek mit fatalen Folgen. Solange beispielsweise viele Familien nicht begreifen, dass Vorlesen und Erzählen einer der wichtigsten Erziehungsbestandteile sein muss, solange fehlt es an einer wichtigen Starthilfe für die betroffenen Kinder für einen erfolgreichen Bildungsprozess. Mit hohen sozialen Folgekosten. Die Fragen an Heinrich Kreibich stellte Sven Dierks. Heinrich Kreibich zeichnet ein düsteres Bild der zukünftigen Lesekultur, indem er großen Teilen unserer Leistungsträger von morgen die Lesefähigkeit abspricht. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Von diesen Leistungsträgern wird es künftig insgesamt weniger geben. Natürlich kann man sich vorstellen, Zeitschriften anders zu konzipieren, so dass sie auch von weniger Leseerfahrenen genutzt werden können. Doch insgesamt werden sich die Effekte einer langfristig schrumpfenden Bevölkerung mittelfristig negativ auf dem Zeitschriftenmarkt bemerkbar machen.
Keyfacts für den Käufermarkt
Käuferpotenziale erodieren, wenn die Lesefähigkeit insgesamt abnimmt. Verkaufsstellen sollten nicht zuletzt auch Werbeflächen für die Leselust sein. Wenn sich Lesegewohnheiten ändern, droht Gefahr für das bestehende Set an Zeitschriften. Print passt sich tendenziell den Bedürfnissen der Konsumenten an, wenn weniger gelesen wird, werden Zeitschriften weniger Text haben. Letztlich sind Verkaufsstellen davon abhängig, ob Verlage ein Produkt erstellen, das nachgefragt wird.
4b Demografischer Wandel und seine Bedeutung für Zeitschriften Christiane Heckel und Holger Rußmann
Die Verschiebung des Altersschwerpunktes der Bevölkerung in Deutschland wird immer deutlicher. Nicht zuletzt die Erhöhung des Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre zeigt klar, dass die Zielgruppendefinitionen, die bei 49 Jahren enden, die Realität in der Gesellschaft nicht mehr korrekt erfassen. Die Beschäftigung mit demografischen Daten kann sowohl dabei helfen, aktuelle Verschiebungen von Leserschaftspotenzialen zu erklären, als auch bei Prognosen zur Entwicklung des Printmarktes Einblicke in zukünftige Szenarien zu gewähren. Hierzu soll der folgende Beitrag einige Beispiele skizzieren. „Das durchschnittliche Alter der Bevölkerung (siehe Abb. 25) steigt unaufhaltsam an. Bereits von 1990 bis 2005 hat es von 39 Jahren auf 42 Jahre zugenommen. Dieser Trend setzt sich in allen Varianten der Bevölkerungsvorausberechnung fort: Das Durchschnittsalter nimmt im Zeitraum von 2005 bis 2050 um mindestens sechs („relativ junge“ Bevölkerung) und maximal zehn Jahre („relativ alte“ Bevölkerung) zu. Bei annähernd konstanter Geburtenhäufigkeit und der Basisannahme zur Lebenserwartung („mittlere“ Bevölkerung) beträgt es im Jahr 2050 circa 50 Jahre.“146 Erschwerend kommt die niedrige Geburtenziffer in Deutschland hinzu. Obwohl zuletzt ein leichter Aufwärtstrend zu erkennen war, liegt die durchschnittliche Kinderzahl je Frau mit 1,37 im Jahr 2007147 viel zu niedrig, um die absolute Bevölkerungszahl nur annähernd auf stabilem Niveau zu halten. Unter diesen Voraussetzungen wird die Bevölkerungszahl in Deutschland im Jahr 2050 von derzeit etwa 83 Mio. Menschen auf nur noch zwischen 69 und 74 Mio. Menschen geschrumpft sein.148
146 Vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 17 147 Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland 148 Vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 17
138
4b Demografischer Wandel und seine Bedeutung für Zeitschriften
Abbildung 25: Bevölkerungsprognose
Quelle: Statistisches Bundesamt 2006
Was bedeutet diese Entwicklung für die Zeitschriften und ihre Leser? Zwei Folgeerscheinungen sind offensichtlich: Erstens werden die potenziellen Leser im Durchschnitt altern und zweitens verringert sich das Potenzial der lesenden Bevölkerung insgesamt. Doch dieser Rückschluss berücksichtigt nicht ausreichend die unterschiedlichen konzeptionellen und funktionalen Verfasstheiten verschiedener Zeitschriftengattungen, weswegen hier für eine etwas differenziertere Analyse die Zeitschriften in drei grobe Gruppen unterteilt werden:
Titel, die sich einem speziellen Thema widmen, z. B. Garten, Wohnen, Motorradfahren, Fotografieren, PC-Spiele, EDV-Hard- und Software, Fernsehen, Reisen, Titel, die entweder von der breiten Themenmischung und Zielgruppenorientierung leben und/oder nicht auf eine bestimmte Altersgruppe fokussiert sind, z. B. Frauenzeitschriften, die den gesamten Lebensbereich von Frauen darstellen, oder aktuelle Zeitschriften, die den öffentlichen Lebensbereich einer Gesellschaft abbilden, Titel, die eine abgegrenzte Lebensphase begleiten, z. B. Kinder- und Jugendtitel, Elternzeitschriften.
Christiane Heckel und Holger Rußmann
139
Zweifellos wird diese einfache Einteilung nicht der Komplexität des Marktes gerecht, sie ist aber ausreichend, um einige Folgen der Verschiebung des Altersschwerpunktes aufzuzeigen, denn man darf vermuten, dass diese Gruppen unterschiedlich stark von der Alterung ihres Zielpublikums betroffen sind.
Beispiel 1: Titel mit speziellem Thema Die wöchentlichen Programmzeitschriften wurden Anfang der 90er Jahre noch relativ konstant über alle Altersgruppen hinweg gelesen. Dies aber wohl nur, weil Alternativen fehlten. Mit dem Markteintritt der 14-täglichen Magazine, die sich inhaltlich und optisch deutlich vom bisherigen Angebot absetzten, und eine jüngere Zielgruppe erreichen wollten, haben die „traditionellen“ Titel bis zu zwei Drittel ihrer Reichweite verloren (siehe Tab. 8). Die höchsten Reichweiten erzielen diese Titel heute bei Lesern, die 60 Jahre und älter sind. Die Gewohnheit, wöchentlich eine neue Programmzeitschrift im Haus zu haben, eine langjährige Leser-Blatt-Bindung, aber auch die breitere Themenmischung – mit Ratgebern, Lebenshilfen und Rätseln –, die laut Funktionsanalyse nur zu 60 % aus Programm-Information besteht, zeichnen diese Titel und die Bedürfnisse ihrer Leser aus. Doch anscheinend treffen diese Qualitäten nicht mehr im hinreichenden Maß die Ansprüche jüngerer Leser an eine TVZeitschrift, so dass die relativen Anteile der älteren Leserschaft in den letzten gut zwanzig Jahren kontinuierlich gewachsen sind (siehe Abb. 26). Als innovative Herausforderer traten ab den 90er Jahren die 14-täglichen Programmzeitschriften in den Markt, zunächst TV Spielfilm, dann TV Movie. Im Vergleich der Medianalysen 1995 und 2008 II können sie eine deutlich positivere Reichweitenentwicklung aufweisen, als das für die wöchentlichen Titel der Fall ist (siehe Tab. 9). Die 14-täglichen Programmzeitschriften setzen klar auf die Information rund um TV, Filme und Internet, bieten zusätzliche DVDs mit Filmen an, haben einen Internet-Programmplaner und Vieles mehr. Damit grenzen sie sich deutlich über den Inhalt zu den „klassischen“ Programmzeitschriften ab und erreichen im Schnitt jüngere Leser. Trotzdem „altern“ sie, wenn auch längst nicht so dramatisch wie die wöchentlichen Titel.
140
4b Demografischer Wandel und seine Bedeutung für Zeitschriften
Tabelle 8: Top 4 wöchentliche Programmzeitschriften
30-39 Jahre
40-49 Jahre
50-59 Jahre
21,8
16,7
17,5
20,7
20,1
20,0
18,3
6,8
4,3
3,7
3,4
5,2
7,5
11,0
11,8
Index
36
20
22
19
25
37
55
64
ma 1990
7,7
9,1
9,9
7,7
6,5
6,5
7,3
6,6
ma 2008 II
4,8
2,1
2,0
2,8
3,8
4,7
6,9
9,9
Index
62
23
20
36
58
72
95
150
Total
70 Jahre und älter
20-29 Jahre
19,0
ma 2008 II
Reichweite in %
60-69 Jahre
14-19 Jahre
Altersgruppen
TOP 4*: wöchentliche Programmzeitschriften
HÖRZU ma 1990
auf einen Blick
TV Hören und Sehen 13,4
16,3
13,8
13,7
13,1
13,4
13,3
11,2
ma 2008 II
ma 1990
4,8
3,1
2,8
3,3
4,1
5,5
6,7
7,6
Index
36
19
20
24
31
41
50
68
Fernsehwoche ma 1990
10,5
11,4
10,6
10,5
10,4
9,6
10,6
11,1
ma2008 II
3,0
1,8
1,2
2,0
2,6
3,5
4,4
4,9
Index
29
16
11
19
25
36
42
44
*TOP 4: wöchentliche Programmzeitschriften mit den höchsten Reichweiten (LpA) Media-Analyse 2008 II
141
Christiane Heckel und Holger Rußmann
Abbildung 26: Reichweitendurchschnitt Top 4 wöchentliche Programmzeitschriften Reichweitendurchschnitt (LpA) Auf einen Blick, Hörzu, Fernsehwoche, TV Hören und Sehen in Prozent 16,00 12,00 8,00 4,00 0,00 14-19 Jahre ma 1990
20-29 Jahre ma 1995
30-39 Jahre
40-49 Jahre
ma 2000 II
50-59 Jahre
60-69 Jahre
ma 2005 II
70 Jahre + ma 2008 II
Quelle: Media-Analysen 1990, 1995, 2000 II, 2005 II, 2008 II, eigene Berechnungen
Wöchentliche und 14-tägliche Programmzeitschriften setzen bei unterschiedlichen Altersniveaus an, bedingt durch das spezielle Themeninteresse, und „altern“ dann mit ihrer jeweiligen Leserschaft (siehe Abb. 27). Das Beispiel der Programmzeitschriften lässt sich sicherlich nicht ohne Einschränkungen auf alle anderen Zeitschriftengruppen übertragen, die sich einem speziellen Thema widmen. Dies bietet sich bei einer Betrachtung der demografischen Entwicklung aber an, weil sie im Betrachtungszeitraum über alle Altersgruppen hinweg genutzt werden, im Gegensatz z. B. zu Computerzeitschriften. Die wöchentlichen Programmzeitschriften stehen bei diesem Vergleich nicht unbedingt im Licht des Erfolges, was unter Berücksichtigung des Markteintritts zahlreicher Konkurrenten – 14-tägliche Magazine, 4-wöchentliche Magazine und Billigtitel – in den letzten 20 Jahren kaum verwundert. Trotzdem wäre es verfrüht, ihren kollektiven Abgesang anzustimmen, dazu weist die zukünftige Entwicklung zu viele Unbekannte auf. Zumindest zeigt dieses Beispiel, dass es Programmzeitschriften im Laufe ihres Bestehens äußerst schwer fällt, die Altersstruktur ihrer Leserschaft auf konstantem Niveau zu halten, tendenziell ist eine Alterung sichtbar. Positiv gewendet spricht dies für eine treue Leserschaft, unter skeptischer Perspektive könnte man sagen, dass es Programmzeitschriften zunehmend schwer haben, junge Leser für sich zu gewinnen.
142
4b Demografischer Wandel und seine Bedeutung für Zeitschriften
Tabelle 9: Top 2 14-tägliche Programmzeitschriften Altersgruppen
20-29 Jahre
30-39 Jahre
40-49 Jahre
50-59 Jahre
60-69 Jahre
70 Jahre und älter
ma 1995
7,8
14,0
13,5
11,7
7,9
4,8
2,1
1,1
ma 2008 II
9,7
13,9
13,0
13,8
12,2
8,6
5,2
2,7
Index
124
99
96
118
154
179
248
245
ma 1995
7,1
13,1
12,0
10,4
7,3
4,5
2,3
1,1
ma 2008 II
9,8
16,9
12,7
13,2
11,7
7,5
4,4
2,8
Index
138
129
106
127
160
167
191
255
Total
14-19 Jahre
Reichweite in %
TOP 2*: 14-tägliche Programmzeitschriften
TV Spielfilm
TV Movie
*TOP 2: Programmzeitschriften mit den höchsten Reichweiten (LpA) Media-Analyse 2008 II
143
Christiane Heckel und Holger Rußmann
Abbildung 27: Programmzeitschriften und ihre alternde Leserschaft Wöchentliche und 14-tägliche Programmzeitschriften 60,0 50,0
0LWWHOZHUW$OWHU
40,0 30,0 20,0 10,0 0,0
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
Top2 14tgl
31,7
32,8
34,7
35,3
36,1
36,4
36,8
36,9
37,6
37,8
38,3
38,5
38,9
39,4
40,1
39,2
wöchentl. Top4
44,00 45,40 45,60 47,30 47,70 48,20 49,20 49,30 50,90 51,20 51,60 51,70 52,30 53,30 53,80 53,30
Basis: Gesamt – Mittelwert Alter (Filter: WLK) Quelle: Media-Analysen 1993-2008
Beispiel 2: Titel mit breitem Themenbereich Je breiter die Themen in einer Zeitschrift angelegt sind und je größer die Gesamtreichweite eines Titels ist, umso stärker verschwindet eine altersmäßige Fokussierung. Der Titel altert im Durchschnitt der Bevölkerung und spiegelt teilweise deren Strukturveränderung über die Zeit. Dieses Phänomen lässt sich sehr trefflich an den Beispielen Der Spiegel, Stern und ADAC Motorwelt zeigen. Spiegel und Stern sind aktuelle Magazine mit breitem Themenhorizont quer durch alle gesellschaftlichen Lebensbereiche. Die ADAC Motorwelt ist laut Media-Analyse seit jeher aufgrund ihrer Versendung an die Mitglieder des ADAC die reichweitenstärkste Zeitschrift in Deutschland und sollte deswegen besonders gut die allgemeine demografische Entwicklung nachzeichnen, wenn man davon ausgeht, dass bei einem Titel mit maximaler Reichweite die Leserschaftsstruktur mit der Bevölkerungsstruktur identisch ist. In den Abbildungen 28 und 29 sind die prozentualen Zusammensetzungen der jeweiligen Altersgruppen innerhalb der Leserschaften im Vergleich zur Bevölkerung dargestellt. Sowohl für die ma 1990 als auch die ma 2008 II lassen sich ähnliche Schwerpunkte und Verläufe feststellen. So stellten 1990 die 20- bis 29-Jährigen in
144
4b Demografischer Wandel und seine Bedeutung für Zeitschriften
den Leserschaften der Zeitschriften und in der Bevölkerung den größten Anteil (siehe Abb. 28). Im Jahr 2008, also 18 Jahre später, hat sich dieser Schwerpunkt folgerichtig in die Gruppe der 40- bis 49-Jährigen als stärkster Lesergruppe und größter Altersgruppe in der Bevölkerung verschoben (siehe Abb. 29). Abbildung 28: ma 1990 – Prozentuale Anteile von Altersgruppen in der Bevölkerung und in Leserschaften ma 1990 - Zusammensetzung in Prozent
% 30 25 20 15 10 5 0 14 - 19 Jahre
20 - 29 Jahre
30 - 39 Jahre
Bevölkerung
40 - 49 Jahre Spiegel
50 - 59 Jahre Stern
60 - 69 Jahre
70 Jahre und älter
ADAC
Quelle: Media-Analyse 1990, Ba sis für Leserschaften: LpA
Angesichts der seit Jahrzehnten niedrigen Geburtenraten wird der derzeit größte Bevölkerungsanteil der 40- bis 49-Jährigen auch in absehbarer Zukunft die Struktur der Altersverteilung in der Bevölkerung dominieren. Er wird sich nur entsprechend weiter verschieben, so dass in zehn Jahren voraussichtlich die 50bis 59-Jährigen die größte Altersgruppe stellen werden. Allerdings muss hier offen bleiben, inwiefern diese Entwicklung auf die betrachteten Zeitschriften und ihre Leserschaftsstruktur übertragbar ist, da zu viele nicht vorhersehbare Variablen diese beeinflussen können, z. B. nachlassendes oder zunehmendes Interesse an gesellschaftlichen Themen im Allgemeinen, konzeptionelle Neupositionierungen oder Einführung neuer Titel mit innovativen Konzepten. Dies gilt eher für die Zeitschriften Spiegel und Stern, während die ADAC Motorwelt als kostenfreie Clubzeitschrift nicht so stark den Marktmechanismen unterliegt.
145
Christiane Heckel und Holger Rußmann
Abbildung 29: ma 2008 II – Prozentuale Anteile von Altersgruppen in der Bevölkerung und in Leserschaften ma 2008 II - Zusammensetzung in Prozent
% 30 25 20 15 10 5 0 14 - 19 Jahre
20 - 29 Jahre
30 - 39 Jahre
Bevölkerung
40 - 49 Jahre
50 - 59 Jahre
Spiegel
Stern
60 - 69 Jahre
70 Jahre und älter
ADAC
Quelle: Media-Analyse 2008 II, Basis für Leserschaften: LpA
Beispiel 3: Titel für abgegrenzte Lebensphasen Nur Titel, die sich durch ihren Heftinhalt voll auf eine bestimmte Altersgruppe oder begrenzte Lebensphase beschränken, bleiben beim Alter der Leserschaft stabil. Ein gutes Beispiel dafür ist Bravo GIRL!, die sich über einen Zeitraum von 1993 bis 2008 bei einem Durchschnittsalter von etwa 23 Jahren eingependelt hat und dieses konstant hält (siehe Abb. 30). Titel dieser Art zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Leserschaft nicht dauerhaft an sich binden, sondern sie durch eine bestimmte Lebensphase begleiten und ihre Inhalte in unregelmäßigen Abständen wiederholen. Nach Abschluss dieser Phase nehmen andere Titel diese Leser auf, während andererseits neue Leser am unteren Rand des Altersspektrums der Zielgruppe hinzutreten. Für Titel, die wie BravoGirl! eine bestimmte Altersgruppe in den Fokus nehmen, besteht eine besondere Abhängigkeit von der demografischen Entwicklung, was eventuell mittelfristig redaktionelle Schwerpunktverschiebungen erfordert. Setzte sich die BravoGirl!-Leserschaft 1990 noch zu 20 % aus 20- bis 29-Jährigen Leser(innen) zusammen, so halbierte sich dieser Anteil bis 2008 auf 9 %.149 Der 149 Quelle: Media-Analyse 1990 und 2008 II
146
4b Demografischer Wandel und seine Bedeutung für Zeitschriften
Anteil der 14- bis 19-Jährigen stieg dagegen im gleichen Zeitraum von 59 auf 74 %. Es ist also davon auszugehen, dass entweder die gleichen Themen im Laufe der Zeit von immer jüngeren Lesern nachgefragt werden oder die redaktionelle Konzeption einer jüngeren Zielgruppe angepasst wurde, wobei diese beiden Tendenzen auch miteinander einhergehen können. Eine umgekehrte Entwicklung findet sich z. B. bei der Leserschaft der Zeitschrift Eltern. Hier steigerte sich in den Kernzielgruppen der Anteil der 30- bis 49-Jährigen von 1990 bis 2008 von 50 auf 63 %, während der Anteil der 20- bis 29-Jährigen von 37 auf 27 % abnahm.150 Neben der bereits festgestellten absoluten Abnahme der jüngeren Altersgruppe in der Bevölkerung könnte der in der Lebensbiografie zunehmend später realisierte Kinderwunsch als Erklärung herangezogen werden. Abbildung 30: Mittelwert Alter der Leser von BravoGIRL! 30
28
26
24
22
20
18
16
14 1993
1994
1995
1996 1997 II 1998 II 1999 II 2000 II 2001 II 2002 II 2003 II 2004 II 2005 II 2006 II 2007 II 2008 I
Basis: Frauen – Mittelwert Alter (Filter: WLK) Quelle: Media-Analysen 1993-2008
150 Quelle: Media-Analyse 1990 und 2008 II
Christiane Heckel und Holger Rußmann
147
Demografischer Wandel als Plangröße für die Entwicklung von Zeitschriften Die Alterung von Leserschaften lässt sich aufgrund der demografischen Alterung der Bevölkerung kaum vermeiden. Gleichwohl wird von Zeitschriften nach wie vor gefordert, dass sie wesentliche Teile der „werberelevanten Zielgruppen“ im Alter von 14 bis 49 Jahre erreichen. Dabei wurde längst erkannt, dass der Werbemarkt an den „Silver Surfern“ oder auch „Best Agers“ als konsumstarken Zielgruppen mit Markenbewusstsein im gehobenen Alter nicht ungestraft vorbeikommt.151 Und in zehn Jahren werden die 50- bis 59-Jährigen das im Vergleich mit den anderen Altersgruppen größte Stück des demografischen Gesamtkuchens stellen. Die vorangegangenen Beispiele haben gezeigt, dass die demografische Entwicklung Zeitschriftenverlagen Reaktionen abverlangt. Dabei könnten die Printhäuser durchaus in Aktion treten, wenn sie nur die unvermeidliche Entwicklung besser antizipieren würden. Die Verschiebung des Bevölkerungsschwerpunktes in die mittleren Altersgruppen liegt schon lange als erwartbare Plangröße vor, was in vielerlei Hinsicht helfen kann, zukünftige Chancen und Bedrohungen für bestehende Titel und mögliche Neueinführungen abzuschätzen. Doch leider ist Einsicht in demografische Entwicklungen nur ein Mosaikstein solcher Planungen, der allerdings eine prominentere Positionierung neben den üblichen Faktoren wie Änderungen des Mediennutzungsverhaltens, Marktauslastung bzw. Konkurrenzsituation, allgemeines Themeninteresse der Leser bzw. Nachfrage verdient hätte. Zusätzlich ist aber auch zu bedenken, dass demografische Betrachtungen mit feingliedrigeren Analysen der gesellschaftlichen Differenzierung korrespondieren müssen – es ist eben nicht jeder 45-Jährige wie der andere, nachwachsende Generationen werden unter immer wieder erneuerten Bedingungen mit Medien sozialisiert und nicht zuletzt altert jede Generation durch neue Lebensverhältnisse anders als die Generation ihrer Eltern. Trotzdem hat dieser Beitrag einige Fingerzeige gegeben, die in die folgenden weiter zu diskutierenden Thesen münden könnten:
Die Bevölkerung altert und schrumpft unter den aktuellen demografischen Voraussetzungen. Da dies ein Trend ist, der sich nicht von heute auf morgen umkehren lässt, müssen sich Erwartungshaltungen gegenüber Leserschaftspotenzialen und zukünftige Titelkonzepte daran messen. Publikationen in Zeitschriftensegmenten, die in ihrer Art über lange Zeit stabil waren, können durch innovative Neueinführungen ihre Vormachtstellung sowie einen wesentlichen Teil ihrer flexibleren jungen Leserschaft verlieren.
151 Vgl. Gaßner 2006
148
4b Demografischer Wandel und seine Bedeutung für Zeitschriften
Je länger ein Titel neben einer Vielzahl ähnlicher Konkurrenzprodukte auf einem Markt besteht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass seine Leserschaft mit ihm altert, wenn keine einschneidenden redaktionellen Auffrischungen oder Neupositionierungen vorgenommen werden. Titel mit breiter Themenmischung und/oder großer Reichweite spiegeln näherungsweise die allgemeine demografische Entwicklung in ihrer Leserschaft wider. Titel, die in ihrer konzeptionellen Ausrichtung an eine bestimmte Altersgruppe oder abgegrenzte Lebensphase gebunden sind, besitzen bezüglich des Umfangs ihrer Leserschaft eine größere Abhängigkeit von demografischen Entwicklungen.
Die in diesem Kapitel geschilderten Herausforderungen spannen einen gewissen Rahmen um die künftigen Entfaltungsmöglichkeiten von Publikumszeitschriften: Die Lesekompetenz und damit Bildung und Zukunftschancen werden sich in einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung ungleicher als bisher verteilen. Unter dem Strich verbleiben nicht nur kleinere Leserschaftspotenziale, sondern auch eine geringere Zahl an Mediennutzern insgesamt, der Kampf der Mediengattungen um die Gunst der Aufmerksamkeit wird sich weiter verschärfen.
Keyfacts für den Käufermarkt
Die langfristige demografische Perspektive verlangt nach altersgerechten Verkaufsstellenkonzepten. Angesichts vermuteter Mobilitätseinschränkungen der Käufer stellt sich die Frage, inwiefern Verkaufsstellen partizipieren können, wenn zukünftig die Sparten Abonnement und Lesezirkel auf Kosten des Einzelverkaufs an Bedeutung gewinnen sollten. Angesichts der schrumpfenden Bevölkerung stellt sich auch die Frage, ob die bundesweite Verkaufsstellenzahl (ca. 120 000) überhaupt konstant gehalten werden kann.
Teil 5: Zeitschriften in der Krise? Erfolgreiche Konzepte 5a Resultate der Käufermarktforschung Sven Dierks Leser vs. Käufer Käufer und Leser sind zwei Welten. Printprodukte finden mehr Leser als Käufer, weil jedes Heft Mitleser hat. Einige Titel erreichen viele Mitleser, andere Titel erreichen nur wenige Mitleser. So hat der Spiegel z. B. 5,9 Leser-pro-Exemplar, Men’s Health 3,0 Leser-pro-Exemplar, ADAC Motorwelt 1,4 Leser-pro-Exemplar. Die Bandbreite ist also relativ groß.152 Traditionell werden Leser intensiv erforscht, Käufer weniger bis gar nicht. Das findet den einfachen Grund darin, dass die Anzahl und Struktur der Leser über den Anzeigenpreis einer Zeitschrift entscheidet. Der Presse-Käufer selbst ist daher ein eher unerforschtes Wesen. Bei der Käufermarktforschung steht also der Käufer und nicht der Nutzer eines Mediums im Zentrum des Bemühens. Im Focus-Lexikon steht dazu: „Während die Leserschafts- und Zielgruppenforschung seit langem zum Forschungsrepertoire von Zeitschriftenverlagen gehört, wird Käufermarktforschung hingegen recht selten betrieben.“153 Besonders mit Käufermarktstudien profiliert hat sich der Burda-Verlag, auch der VDZ initiiert in unregelmäßigen Abständen Käufermarktstudien. Teils werden diese Studien am Point of Sale (POS) durchgeführt, teils in persönlichen Interviews außerhalb des POS.
152 Leser-pro-Exemplar (LpE) ist der Quotient aus Leser-pro-Ausgabe (LpA) und verbreiteter Inlandsauflage; Basis: IVW/PZ-Online: Durchschnitt verbreitete Auflage Quartale I und II 2008; MA 2008 I, Leser pro Ausgabe 153 Vgl. Koschnick 2003: 1394
150
5a Resultate der Käufermarktforschung
Tabelle 10: Käufermarktstudien Jahr
Studie
1991
Analyse des Käuferverhaltens bei Zeitungen und Zeitschriften Presse-Grosso/SPIEGEL-Verlag
1993
Analyse des Käuferverhaltens bei Zeitschriften Grossist Keppel
1996
Verhalten und Zufriedenheit von Presse-Käufern am Point of Sale Grossisten Jost/Keppel/Schmitz
1997
VDZ-Käuferstudie
2002
Burda-Offensive Käufermarktforschung (POS)
2002
VDZ Käuferstudie Ost (POS)
2006
Emnid-Studie
2007
Burda-Offensive Käufermarktforschung (POS)
Die Burda-Offensive Käufermarktforschung (BOK) Als wohl größte dieser Studien kann die BOK von Burda gelten, für die rd. 5 400 Zeitschriftenkäufer interviewt und fast 11 000 Personen am Regal beobachtet wurden. Die Studie umfasst eine Reihe von Ergebnissen, die für die gesamte Branche hilfreich sind, zumal erstmals ein wirklicher Längsschnittvergleich in diesem Forschungsbereich möglich ist. Kernergebnis ist, dass der Käufer auf Distanz geht und die Bindung zwischen Käufer und Titel sinkt.154 Zwischen der letzten Untersuchung im Jahr 2002 und der aktuellen im Jahr 2007 ist die Verweildauer am Regal um 42 Sekunden gesunken. 2002 standen die Kunden im Schnitt 3,3 Minuten vor dem Regal, aktuell hält es sie dort nur 2,6 Minuten. Wider erwarten bleiben jüngere Nutzer länger vor dem Regal stehen als ältere. Das deckt sich übrigens mit anderen Studien, wonach Jüngere durchaus Interesse an Zeitschriften haben. Man muss sie nur mit Themen packen und im Augenblick des Durchblätterns mitreißen. Wenn man sich mit Zeitschriftenvertrieblern unterhält, gewinnt man oft den Eindruck, eine weitere Regalbereinigung im Sinne einer Titelreduzierung sei der Königsweg und übersichtlichere Regale würden den Verkauf fördern: Doch nur 154 Vgl. Malerius 2007a
Sven Dierks
151
9 % der Befragten empfinden die Regale als zu unübersichtlich. Allerdings ist der Anteil der Personen, die Regale als sehr übersichtlich empfinden, in den dazwischen liegenden Jahren um 10 Prozentpunkte gesunken. Doch natürlich muss die Bewertung des Zeitschriftenangebots als „übersichtlich“ nicht zwingend mit den Verkäufen zu tun haben. Sie ist die Rationalisierung eines vorgefundenen Zustandes. Die meisten Zeitschriftenkäufer haben schon vor Betreten der Verkaufsstelle die Absicht, eine Zeitschrift zu kaufen. Doch auch dieser Wert ist seit 2002 gesunken: von damals 87 % auf nunmehr 77 %. Auf der anderen Seite bedeutet das heute: Fast ein Viertel der Kunden muss man am Regal vom Produkt überzeugen. Dazu passt auch, dass der Anteil der habituellen Käufer, also jener Typen, die jede Ausgabe eines Titels kaufen, über die Jahre gesunken ist. Hinsichtlich der Treue zur Einkaufsstätte teilen sich die Kunden in drei Segmente. Ein knappes Drittel kauft immer an der gleichen Stelle, ein Drittel meistens an einer Stelle, das letzte gute Drittel schwankt dagegen und ist nicht fest gebunden. Gruppiert man die Zeitschriftenkäufer nach ihrem Einkaufsverhalten, so lassen sich fünf Typen ausmachen:
Die flexiblen Spontankäufer (24 % der befragten Käufer). Sie haben eine geringe Titelbindung und fällen ihre Kaufentscheidung am Regal. Die Lustkäufer (17 % der Befragten), sie kaufen viele Titel, lassen sich mehr Zeit, bevor sie ihre Kaufentscheidung treffen, und blättern interessiert. Die kritischen Substituierer (23 % der befragten Käufer). Sie sind nicht auf bestimmte Zeitschriften festgelegt, fühlen sich von dem Angebot auch überfordert. Sie neigen am ehesten dazu, stattdessen im Internet nachzusehen. Die nutzwertorientierten Qualitätskäufer (19 % der befragten Käufer). Sie haben ein festes Zeitschriftenset, das sie kennen, und achten auf qualitätsvolle Inhalte, die sie auch am Preis festmachen. Die treuen Gewohnheitskäufer (17 % der Befragten). Für sie kommen nur wenige Titel infrage; sie verbringen auch wenig Zeit am Regal, sondern wissen genau, was sie suchen.
Die meisten Zeitschriftenkäufe geschehen also spontan, der regelmäßige Käufer eines Titels befindet sich auf dem Rückzug. In diese Kerbe schlägt auch die Studie der TNS Emnid zum Kaufverhalten. Demnach fallen die Kaufentscheidungen spontan am POS, Aktualität ist hierfür ausschlaggebend.155 Ein weiteres wichtiges Ergebnis: Nur 19 % der Käufer fühlen sich richtig wohl in ihrer Zeit155 Vgl. TNS Emnid 2006a
152
5a Resultate der Käufermarktforschung
schriftenverkaufsstätte. Das ist ein Hinweis auf den Bedarf, stärker an der ansprechenden Gestaltung der Verkaufsstätten zu arbeiten. Ergebnisse der BOK Regalverweildauer: Im Durchschnitt beträgt die Verweildauer am Zeitschriftenregal 2,6 Minuten. Bei Frauen ist sie etwas höher als bei Männern. Je älter die betreffende Person, desto kürzer ist die Regalverweildauer. Die Verweildauer steigt mit breiterem Sortiment. Rund die Hälfte der Kunden nimmt auch mindestens ein Heft zum Blättern in die Hand. Allerdings: 2002 nahmen noch 64 % der Kunden ein Heft zum Blättern in die Hand. 67 % der bis 19-Jährigen nehmen mindestens ein Heft in die Hand, in den darüber liegenden Altersgruppen sinken die Werte, bis schließlich nur noch 39 % der ab 60-Jährigen ein Heft in die Hand nehmen. Übersichtlichkeit: Nur noch 48 % der Befragten empfinden die Zeitschriftenpräsentation als übersichtlich, 2002 waren es noch 58 %. Kurioserweise wird auf Bahnhöfen und Flughäfen von 68 % der Befragten das Regal als übersichtlich beurteilt, wobei hier das Angebot generell größer ist. Kaufentscheidung: 77 % der Befragten hatten schon vor Betreten des Geschäftes die Absicht, eine Zeitschrift zu kaufen. 2002 waren es noch 87 %. An strukturierten und beleuchteten Regalen finden mehr Spontankäufe statt als an anderen Regalformen. Stärker als früher spielt heute mittlerweile der Verkaufspreis vergleichbarer Titel eine Rolle. Hauptsächlich jedoch muss das Heft den Käufer überzeugen, etwa durch Titelbilder oder Schlagzeilen. Der Gewohnheitskäufer geht zurück. Eine höhere Zahl findet sich bei Älteren, bei den 20- bis 29-Jährigen sind es nur noch 14 % der Befragten. Verhalten bei Ausverkauf: Nur noch 42 % der Kunden meinen, sie würden bei Ausverkäufen eine betreffende Zeitschrift woanders kaufen, 2002 waren es noch 62 %, jeder dritte Käufer greift zu einer anderen Zeitschrift.
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Handlungsmöglichkeiten der Käufer Überraschen diese Ergebnisse der aktuellen Käufermarktforschung? Die offensichtlich gesunkene Bindung an die Titel wird auch in der Leserschaftsforschung mit insgesamt sinkenden Reichweiten und im Vertriebsmarkt durch die schrumpfenden Auflagen bestätigt. Käufermarktforschung zeigt den Ist-Zustand und in einer Zeitreihe die Effekte von Veränderungen von Konzepten im und rund um den POS auf. Wobei die stärksten Effekte natürlich die Auswirkungen der Veränderungen auf den Verkauf ausmachen: Wie viele Zeitschriften werden nach Veränderungen mehr oder weniger verkauft als vorher? Hat diese bisher ausgeübte Käufermarktforschung überhaupt Sinn, wenn sie nach „den Zeitschriften“ fragt und den Kunden Reflexionen über Kaufgründe, Kaufhemmnisse und Was-wäre-wenn-Szenarien abverlangt? Welchem Käufer sind die Motive seiner Kaufentscheidung schon tatsächlich präsent?156 Unbestritten zeigt die Käufermarktforschung die Einstellungen der Zeitschriftenkäufer und die langsame Distanzierung von den Produkten am Point of Sale. Unterstützt durch weitere Methoden, die im Zusammenhang mit der BOK bzw. parallel dazu eingesetzt wurden, wie die verdeckte Beobachtung oder die Blickverlaufsanalyse am Regal, lässt sich ein hinlänglich kohärentes Bild vom Käufer bzw. von Käufertypen und ihren Bedürfnissen im Presseeinzelhandel formen. Was fehlt, sind jedoch diejenigen Personen, die überhaupt nicht mehr ans Regal treten oder in die Geschäfte gehen. Defizite aus der Sicht operativ im Vertrieb Tätiger Auf der Suche nach dem geeigneten Weg, die Bedürfnisse der Käufer zu untersuchen, schien es uns angebracht, zunächst mit den operativ Verantwortlichen aus Verlagen, Grosso und Handel Workshops durchzuführen. Sie hatten das Ziel, die einflussreichen Trends im Einzelverkauf und die dazu bestehenden Fragen herauszuarbeiten. Warum wir so vorgingen, hat folgende Gründe:
Wir wollten die vermuteten Ursachen für die Kaufzurückhaltung herausfinden. Wir wollten im nächsten Schritt wissen, was über den Käufer überhaupt schon bekannt ist.
156 In der Sozialforschung ist das ein schon vor Jahren heiß diskutierter Punkt. Schnell, Hill und Esser resümieren in ihrem Lehrbuch zur Sozialforschung mit Bezug auf Labaw (1982): „Die praktische Konsequenz [...] ist, dass in Befragungen Fragen zu hypothetischem Verhalten, zu Handlungsabsichten [...] weitgehend vermieden werden sollten.“ Vgl. Esser/Hill/Schnell 2008: 330
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5a Resultate der Käufermarktforschung
Dahinter stand letztlich unsere Einsicht, dass Projekte zur Käufermarktforschung von allen Seiten mit derart vielen Erwartungen und Anforderungen überhäuft werden, dass sie bei naturgemäß gegebenen Budgetrestriktionen gar nicht erfüllt werden können. Dieses Vorhaben beinhaltete auch vorgegebene Festlegungen auf bestimmte Methoden: Die oft im Rahmen von Käufermarktforschungen durchgeführten Point-of-Sale-Befragungen haben eben nur noch begrenzten Erkenntniswert im Hinblick auf eine ganze Reihe von Fragestellungen, weil man nur jene Personen befragt, die sich gerade im Laden befinden. Was aber ist mit den Leuten, die Geschäfte kaum noch aufsuchen, aber dennoch potenzielle Zeitschriftenleser sind, weil sie vielleicht auf anderen Wegen zu Leseexemplaren gelangen? Ein weiteres Problem stellt der Akquisedruck privater Umfrageinstitute dar, die als Ansprechpartner im Rahmen von Forschungsprojekten die erste Adresse sind, die manchmal aber jedes noch so fragwürdige Tool in den Markt drücken wollen und es als Allheilmittel für jedes beliebige Forschungsproblem anpreisen. Für rational handelnde Unternehmen steht hier natürlich die kurzfristige Erlössteigerung im Vordergrund. Stoßen hier Nachfrager (Vertrieb) mit extrem komplexen Fragestellungen und Auftragnehmer (Umfrageinstitut) mit kurzfristigen und oft strengen Gewinnmaximierungsinteressen zusammen, so dient dies nicht unbedingt der erwarteten Erhellung des Gegenstandes.
Die Workshops Im September 2007 fanden in Hamburg drei Workshops statt. An den ersten beiden nahmen Vertreter aus Grosso, Vertrieb und Handel teil, die nicht in VDZoder BVPG-Gremien vertreten waren; der dritte Workshop bestand aus den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Marktforschung im Pressemarkt Vertrieb. Damit war eine große Heterogenität der Teilnehmenden gewährleistet und die Auswirkungen der déformation professionnelle mit den daraus resultierenden Wahrnehmungsbegrenzungen, die Gremiumsmitgliedern üblicherweise anhaften und wiederum auf deren Entscheidungen Einfluss nehmen, deutlich reduziert.
Trends Die Erwartungen der Teilnehmer an Käufermarktstudien erwiesen sich als sehr unterschiedlich, ließen sich jedoch zu drei Bereichen verdichten:
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Aussagen über gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und ihre Folgen für den Printkauf, Hinweise auf operative Maßnahmen, überwiegend am POS, und entsprechende Erfolgskontrolle, Wissenstransfer, Schulung der Verkäufer.
Ein vierter Bereich wurde angesprochen: Natürlich hat der Verkauf von Zeitschriften auch etwas mit den Produkten selbst zu tun, auf die der Vertrieb aber keinen Einfluss hat. Insofern beschäftigen sich die folgenden Konzepte nur mit Einflussmöglichkeiten bei gegebener Produktpalette. Die Änderung der Titelpalette und ihrer Preisgestaltung, die sich unmittelbar auf das Geschäftsmodell und die Erlösquellen des Zeitschriftenverkaufs auswirkt, ist Aufgabe der Verlage. Kaufhemmnisse haben unter Umständen aber auch etwas mit der spezifischen Käuferstruktur eines Titels und der für diese Käufer unangemessenen Präsentation zu tun.
Die Akteure am Markt Die Händler Händler haben den unmittelbarsten und intensivsten Kontakt zu Zeitschriftenkäufern und zu Grossisten. Befragt man Händler zu ihrer Einschätzung des Pressemarktes, so erhält man vielfach eine negatives, ja fatalistisches Bild: Presse wird als schrumpfendes Segment ohne Alternative für die Händler gesehen. Auch vom Grosso wird in dieser Wahrnehmung keine Hilfe erwartet, vielfach werden Grossisten nur als Verwalter betrachtet. Überzeichnet man diese Auffassung weiter, blockieren schließlich Verlage mit einer falschen Titelpolitik die Regale. Aus dieser Sicht heraus mache Verkaufen keinen Spaß. Auf der anderen Seite gibt es aber auch zufriedene Händler. Sie profitieren von Standortvorteilen wie etwa Neuansiedlungen in Gewerbegebieten oder haben das darbende Geschäft vom Vorgänger übernommen und auf Vordermann gebracht. Die jährlich durchgeführte Einzelhandelsstrukturanalyse Ehastra weist 61 unterschiedliche Pressehandelstypen aus. Bei dieser Vielfalt erwartet man eigentlich auch höchst unterschiedliche Vorstellungen zu Lösungsansätzen, doch fragt man Händler, was sie gegen das stagnierende Geschäft konkret tun könnten, so kreisen die Antworten im Schwerpunkt meist um die folgenden drei möglichen Maßnahmen gegen den allgemeinen Absatzrückgang:
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5a Resultate der Käufermarktforschung
Ausverkäufe vermeiden, prokatives Verkaufen: Kunden ansprechen, Kundenkontakte pflegen, anders sein als andere: USP hervorheben.
Keine Alternative bieten nach mehrheitlichen Aussagen der Händler Standortverlagerungen. Hierzu fehlen mittlerweile die Mittel. Das gilt auch für die Sanierung und Optimierung der Geschäfte; vermutlich ist dort inzwischen ein erheblicher Investitionsstau entstanden.
Grosso und Verlage Den Experten aus Grosso und Verlagen zufolge gibt es unterschiedliche Gründe für die Kaufzurückhaltung. Die Printlandschaft ist vielfachen Bedrohungen ausgesetzt und der Rückgang im Einzelverkauf habe darin seine Ursachen. Gleichzeitig erwachsen daraus – teilweise jedenfalls – auch Chancen. Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Konstellationen, die zunächst keine Chancen bieten, wie die wirtschaftliche Lage der Konsumenten, das Internet und die Bevölkerungsentwicklung: Die wirtschaftliche Lage Gefahren, Ursachen Euro, allgemeine Teuerung Jobangst Zu wenig Geld in der Haushaltskasse Hefte sind teuer geworden Zu starke Preiserhöhungen (Spiegel +13 %)
Chancen
Internet Gefahren, Ursachen Infos werden frühzeitig abgerufen
Chancen
Bevölkerungsentwicklung Gefahren, Ursachen Geburtenrückgang
Chancen
Demgegenüber bestehen auch Konstellationen, die Chancen versprechen.
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Lifestyle/Zeitbudget Gefahren, Ursachen Anderes Freizeitverhalten Weniger Zeit zu lesen Zeitmangel Zu kleines Presseangebot Andere EK-Gewohnheiten
Chancen „Urlaub steht an“ Freizeitlektüre
Inhalte Gefahren, Ursachen Zu viel Werbung in den Heften, geringe Werthaltigkeit Negativ-Schlagzeilen Falsche Inhalte
Chancen Neugierde, besonders im People-Bereich Käufer sucht Beratung Interesse am Hauptthema Zusatznutzen Spezieller Informationsbedarf (Hobbies) Zielgruppenorientierte Werbung
Pro-Print Gefahren, Ursachen Abonnement Andere Beschaffungswege (lesen ohne Kauf)
Chancen Stammleser (donnerstags kauft man Bunte, montags Focus) Genuss/Kultur Kaufanreiz durch optische Hervorhebung Faszination Print Hintergrundinfos
Die Läden Gefahren, Ursachen Schlechte Ladenbausysteme Unattraktive Regale Investitionsstau Unfreundliches Personal
Chancen Erlebniskauf Impulskäufe: Titel spricht spontan an Übersichtliche Präsentation
Die Titel – Titelflut Gefahren, Ursachen Hohe Titeldichte, Belegungsgrad Schlechte Ladenbausysteme Unübersichtlichkeit Keine Orientierung Kunde findet sein spezielles Thema nicht Ware nicht vorhanden/Frühremission
Chancen Bei vielen Titeln findet jeder sein Thema
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So gesehen ist die rein negative Sicht auf Print nicht gerechtfertigt, denn es bieten sich etliche Chancen, mit Bedrohungen umzugehen. Die oft geschmähte Titelflut bietet eben auch die Gelegenheit, dass jedermanns Interesse bedient werden kann. Die Frage ist: Wie kann man diese Chancen auch nutzen?
Trend 1: Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen Bislang wurden in diesem Band globale Trends vorgestellt, die Zeitschriftennutzung insgesamt behindern können. Diese Trends spiegeln sich wider in den Erfahrungen der Händler vor Ort, die vielfach bei ihren Kunden ein zunehmend distanziertes Verhältnis zur Presse wahrnehmen. Sieht man von den konkreten Erfahrungen der Händler vor Ort ab, so variieren auch die bisher durchgeführten Käufermarktstudien nur die Diagnose eines sich ändernden Mediennutzungsverhaltens. Das zeigt sich z. B. auch an sinkender Verweildauer vor Regalen. Hier bieten Käufermarktstudien Diagnosehilfen, sie zeigen aber zunächst nicht, was man konkret anders machen müsste.
Trend 2: Operative Maßnahmen am POS In allen drei Gruppen spielten handlungsunterstützende Ansätze im konkreten Verkauf am POS eine wichtige Rolle. Damit sind Fragen der besseren Ladengestaltung oder Ladenführung verbunden, aber auch Fragen einer anderen Produktpolitik. Hier bestehen sehr viele Vermutungen, die jedoch allesamt nicht gestützt sind. Das bedeutet auf der einen Seite, dass es eine Vielzahl an Ideen dazu gibt, wie der Einzelverkauf sich heben ließe, dass es auf der anderen Seite aber an konsequentem Controlling über den Erfolg dieser Maßnahmen fehlt. Im Moment wird eine Reihe an Einzelmaßnahmen vorgenommen, deren tatsächlicher Erfolg allerdings noch nicht hinreichend evaluiert ist. In den Bereich der handlungsunterstützenden Maßnahmen fallen auch Optimierungsversuche zu den bestehenden Geschäftsabläufen wie Remission, Ausverkaufssteuerung, Verhinderung von Frühremission etc.
Trend 3: Wissenstransfer Ein weiterer Bereich der handlungsunterstützenden Maßnahmen ist die Beratung der Einzelhändler. Dazu zählen Unterstützung bei werblichen Maßnahmen, beim Regalbau, bei der Auswahl an Zusatzsortimenten oder auch der Suche nach neuen Standorten. Wissenstransfer stellt einen der Schwerpunkte unter den Maß-
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nahmen am POS dar, auch dessen Schlüsselrolle im Verlauf der Workshops und die Vielzahl an Ausgestaltungsmöglichkeiten rechtfertigen die Hervorhebung dieses Aspekts als einen eigenständigen Themenbereich. Wie könnte die Weiterqualifizierung aussehen? Sie kann sich auf das kaufmännische Know-how beziehen, sie kann die Produktkenntnis erweitern oder die werbliche und die ladengestalterische Qualifikation erhöhen. Die Händler bleiben natürlich Händler und sollen keine Werbeexperten werden, jedoch kann die Kenntnis von Grundzusammenhängen hier förderlich sein.157
Hauptfragestellungen Betrachtet man zusammengefasst die Hauptproblemfelder, dann lassen sich diese auf eine Frage reduzieren: Mit welchen Maßnahmen können unter veränderten Mediennutzungsbedingungen die möglichen Käufer wieder motiviert werden, mehr Zeitschriften zu kaufen? Die bisherige Käufermarktforschung hat mit ihren Möglichkeiten versucht, die Symptome der schon an anderer Stelle festgestellten Veränderungen in der Medienlandschaft zu diagnostizieren. Dabei differenzieren sich die bestehenden Fragestellungen in eine Vielzahl von Unterfragestellungen, die man mit einer globalen Käufermarktforschung nicht beantworten kann (siehe Tab. 11). Denn diese Fragestellungen sind zu kleinteilig und verlangen nach eigenen Verfahren und teilweise experimentellen Designs. In der Arbeitsgruppe Marktforschung wurden die bestehenden Hypothesen zusammengetragen und nach den in Tabelle 11 aufgeführten Oberbegriffen zusammengefasst. Nach Punkten gewichtet liegen 62 % der Fragestellungen in den Bereichen Regal, Wertigkeit und Titelvielfalt (negativ: Titelflut), wobei Stichworte die dahinter liegende Komplexität vereinfachen. Problematisiert man die obigen Fragestellungen, so erhält man viele weitere Punkte wie zum Beispiel:
Fragen nach Mehrverkauf durch eine Maßnahme am POS beinhalten auch die Frage nach möglichen negativen Folgen dieser Maßnahmen für die Nachbargeschäfte. Bei der Frage nach der Wertsteigerung der Presse wäre im Vorfeld zu prüfen, ob und welche Presse als nicht oder wenig werthaltig gesehen wird.
Kurz: Die meisten seitens der Arbeitsgruppe aufgeworfenen Fragestellungen sprengen den üblichen Umfang einer Point-of-Sale-Befragung, die mit völliger 157 Damit sind basale Dinge gemeint: Ein aufgeräumter Laden zieht mehr Kunden an als ein unaufgeräumter; Zigarettenrauch ist nicht unbedingt gut für das Image eines Geschäftes; ein verstaubtes Schaufenster mit vergilbten Zeitschriften wirkt abschreckend etc.
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5a Resultate der Käufermarktforschung
Sicherheit nur die Geschäftsstellenbewertung ermöglicht, in anderen Bereichen auf das getrübte Erinnerungsvermögen oder gar auf nicht bewusste Konstrukte der Befragten angewiesen ist. Viele Bereiche sind auch gar nicht erst zu erfragen. So müsste man zunächst Regalalternativen haben, um ermitteln zu können, welches gestalterische Arrangement beim Käufer besser als die bisherigen Lösungen ankommt. Tabelle 11: Käufermarktstudie: Mögliche Themen und Priorität Wichtigkeit Oberbegriff in % 28 %
Regal: bessere, andere Ordnung
Zum Beispiel
17 %
Wertigkeit
17 %
Titelvielfalt
13 %
Globale Fragestellungen
12 %
Schulung
7%
Remission/Benchmarking
6%
EH
Warum wird nicht gekauft trotz Kontakt mit Presse am Regal? Führen Änderungen am Regal zu höheren Verkäufen? Erhöhen bessere Ordnungskriterien den Presseabsatz im EH – und wie müssen diese Kriterien aussehen? Führt eine Wertsteigerung des Produktes Presse zum Mehrverkauf? Wie wirkt sich Titelvielfalt in verschiedenen Regionen und verschiedenen Zielgruppen aus? Gibt es Reaktanz durch Titelvielfalt? Mit welchen Kampagnen zum Erfolg? Welchen Einfluss hat die Erfahrung mit Zeitschriften in jungen Jahren? Was bringt Schulung im EH für den Absatz? Wie würde der Umsatz ohne Frühremission aussehen? Haben wir zeitgemäße Angebotsstellen im Sortimentsmix? Welchen Einfluss haben EHMaßnahmen?
Hier ergeben sich für viele der o. g. Fragestellungen Analysemöglichkeiten auf Basis der Ehastra, der jährlich durchgeführten Einzelhandelsstrukturbefragung. Optimierungspotenzial bietet die Ehastra bei der möglichen Untersuchung von Kundenströmen, weil die demografischen Daten diese nicht abbilden. Kundenströme, verstanden als sozialräumliche Strukturen, berücksichtigen die Aktionsradien der Bewohner und sind die Bereiche, in denen die Menschen sich regelmäßig bewegen. Man kann also in der Nachbarschaft eines Geschäftes wohnen
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und würde somit den demografischen Merkmalen nach zum Einzugsgebiet dieses Geschäftes zählen, sucht es aber nie auf, weil z. B. eine breite Straße dazwischen liegt und deswegen eine u. U. entferntere Verkaufsstelle aufgesucht wird oder weil der individuelle Aktionsradius daran vorbeiführt. Das ist z. B. oft bei Berufstätigen der Fall, die ihre Presse nicht am Wohn- sondern am Arbeitsort erwerben. Wenn es möglich wird, diese individuellen Einzugsbereiche von Pressegeschäften besser abzubilden, lassen sich die Effekte von Maßnahmen viel adäquater nachzeichnen. Durch die Vielzahl an Verkaufsstellen lässt sich eine Vielzahl an vergleichenden Maßnahmen durchführen – und das quasi unter kontrollierten Bedingungen, welche durch die Strukturmerkmale der Ehastra schon jetzt möglich sind. In der Tat werden schon jetzt verschiedene Experimente durchgeführt. Die entscheidende Frage besteht jedoch darin, ob die jeweiligen Maßnahmen zu wirklichen Mehrverkäufen führen oder ob sie nur Umsatz aus den umgebenden Geschäften abziehen. Beispiele für verschiedene Vertriebskonzepte Wenn man nicht direkt die Produkte (Zeitschriften) verändern kann, so bleibt die Möglichkeit, an den Vertriebselementen etwas zu verändern. Ein Hebel für Mehrverkäufe sind Maßnahmen am Point of Sale. Presse-Grossist Umbreit: Fortbildung Der vielfach anzutreffenden Kritik an schlecht qualifizierten Verkäufern versucht z. B. der Presse-Grossist Umbreit mit seinem ‚Umbreit Colleg’ zu begegnen. Im eigenen Schulungszentrum werden seit 2006 in regelmäßigen Abständen Seminare für Händler durchgeführt. Das Ziel dieser vier bis fünf Seminare pro Jahr ist, die Händler insgesamt besser zu qualifizieren und ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern. Themen sind z. B.
Grundlagen des Pressevertriebs Vom Kassierer zum Verkäufer. Wie schafft man Kontakte zum Kunden? Wie geht man mit Beschwerden um? Aktives Verkaufen Zeitschriftenpräsentation Attraktiv präsentieren auf engstem Raum Inventurdifferenzen und ihre Ursachen
Durch die Form des Seminars ist es möglich, auf dem Fortbildungswege Veränderungen am Point of Sale zu initiieren, für die es sonst keine Möglichkeiten der
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5a Resultate der Käufermarktforschung
Umsetzung gäbe. Voraussetzung ist jedoch auch die Mitmachbereitschaft der potenziellen Teilnehmer, die über Mailings und persönliche Ansprache durch den Außendienst erreicht werden. Vermutlich erreicht man damit nur jene Händler, die ohnehin bereit sind, etwas zu verändern oder sich fortzubilden. Eine systematische Erfolgskontrolle wurde bislang nicht durchgeführt.
Premium-Shops Breites Sortiment, ansprechende Ausstattung, kompetentes Personal, gute Lage: So könnte man das Konzept der Premium-Shops charakterisieren. Sie gibt es beispielsweise in Halle/Saale oder Hannover, aber auch in anderen Grossobetrieben wird mit diesen Konzepten experimentiert. Sie werden von den Grossounternehmen selbst betrieben.
Halle/Saale: Den Zielgruppen folgen In Halle/Saale leben viele Studenten und es besteht ein akademisches Umfeld. Die Grundidee war, die Bedürfnisse dieser Klientel zu befriedigen. Im April 2008 hat der Pressevertrieb Halle in der Stadt einen Medienmarkt eröffnet. Von den insgesamt 400 qm Verkaufsfläche befinden sich allein auf 100 qm im Erdgeschoß Presse-Produkte. Hier soll eine Vielfalt präsentiert werden, wie sie sonst nur im Bahnhofshandel üblich ist. Unter den Titeln findet sich neben den Klassikern wie z. B. Zeit, Spiegel, Stern, Süddeutsche Zeitung auch internationale Presse in hoher Bandbreite: El Pais, Corriere della Sera, englische Titel, asiatische Tageszeitungen oder französische Einrichtungsmagazine, insgesamt über 1 300 Titel. Neben der akademischen Zielgruppe gibt es eine weitere wichtige Zielgruppe, nämlich junge Leser bzw. Käufer. Sie werden über ein Medienangebot, das unter anderem Videospiele und Mangacomics umfasst, in die Verkaufsstelle gelockt. Als flankierende Marketingmaßnahmen gibt es Flugblattaktionen und Wurfsendungen. Um stärker jüngere Käufer zu binden, finden z. B. Signierstunden von Mangacomics oder Lesewettbewerbe in Schulen statt.
Hannover: Standortrettung und Qualität Standortrettung klingt negativ: Tatsächlich gibt es immer wieder Standorte von Pressegeschäften, die aus irgendwelchen Gründen vor dieser Aufgabe stehen. In Langenhagen und Garbsen, zwei Vororten von Hannover, hat der Pressevertrieb Karl Crämer sein Konzept der Premiumshops realisiert. Primär wurde das Ziel
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verfolgt, hervorragende Standorte zu retten. Dazu wurden zwei defizitäre Geschäfte übernommen und gänzlich neu gestaltet. Dies geschah unabhängig von anvisierten Zielgruppen, vielmehr sollte die Kundenfrequenz insgesamt weiter erhöht werden. Dazu wurden ebenfalls, wie im vorherigen Beispiel, weitere profitable Sortimentsbausteine in den Shop aufgenommen. In diesem Fall sind dies neben den klassischen Bausteinen Presse, Lotto und Tabak ein Nahverkehrsticket-, ein Kartenverkaufscenter und ein Coffeeshop, die sich gegenseitig befruchten. Sinnvollerweise heißen die Geschäfte ‚Presso’, was die Symbiose zwischen Presse und Espresso zum Ausdruck bringen soll. Wesentlicher Pressebestandteil ist wiederum das breite Angebotspektrum: 1 100 bzw. 1 900 Titel in Geschäften von je ca. 100 qm, mit 98 bzw. 139 Bordmetern. Sie werden inszeniert in warm eingerichteten Räumen, mit eigenem Beleuchtungskonzept und angeschlossenem Café/Bistro. Ein wesentlicher Eckpfeiler ist eigenes, speziell geschultes Personal, das in einem einheitlichen Erscheinungsbild auftritt. Abbildung 31: Premiumshop Ulrich Medienwelt (PV Halle)
Quelle: Presse-Vertrieb Halle/Saale
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5a Resultate der Käufermarktforschung
Premiumshops: Wirtschaftlich erfolgreich? Der Begriff Premiumshop ist nicht geschützt, so dass man sicherlich allerlei Shopkonzepte unter diesem Dach subsumieren kann. Fasst man das Grundkonzept der Premiumshops aus den Beispielen zusammen, dann lässt sich daraus die folgende Formel entwickeln: Premiumshop = breites Sortiment + hochwertige Titel + hochwertige Ausstattung + frequenzerhöhende Maßnahmen. Daran schließt sich die Frage nach dem wirtschaftlichen Erfolg dieser mit einem hohen Investitionsvolumen verbundenen Konzepte an. Alle Erfahrungen mit den neu gegründeten Premiumshops sprechen bislang für deren Erfolg. So werden an alten Standorten teilweise Umsatzsteigerungen von 30 % erzielt, ohne dass auf der anderen Seite die benachbarten Zeitschriftenverkaufsstellen über nennenswerte Umsatzverluste klagen. Hier scheinen also echte Mehrverkäufe generiert zu werden.
Weigelt: Franchiseketten Die PWV GmbH & Co Presse Shops KG wurde 1998 als Tochter des Presse Weigelt Vertriebs gegründet und betreut derzeit 30 Franchiseunternehmen überwiegend in den neuen Bundesländern. Infrage kommende Ladenflächen liegen in Einkaufszentren mit mehr als 2 000 qm, teilweise handelt es sich um Shop-inShop-Geschäfte. Der Franchisenehmer mietet die Ladenfläche und bekommt die Geschäftsausstattung gestellt. Die Franchisegebühr richtet sich nach dem Nettoumsatz. Die Vorteile liegen nach Auskunft des Unternehmens u. a.
im einheitlichen Markenauftritt und daher in der Wiedererkennbarkeit, in besseren Einkaufsbedingungen, die sich speziell im Pressesegment nicht umsetzen lassen, in der steuerlichen Beratung und im sicherem Geschäftsablauf durch optimale Beratung in allen Fragen.158
Dem Unternehmen zufolge sind die so geführten Geschäfte erfolgreich. Jedoch weiß man nicht, ob der Umsatzzuwachs aus tatsächlichen Neugewinnen besteht oder ob er eher zu Lasten von Nachbargeschäften erzielt wird. Ein Vorteil besteht hier in der optimalen Standortauswahl, die bei üblichen Händlern nicht unbedingt vorliegt. Denn diese können ihre Geschäfte an beliebigen Standorten gründen, auch wenn das unter Presseaspekten nicht ratsam wäre. 158 Quelle: Unternehmensauskunft
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Der Blaue Globus Eine andere Form der Dachmarkenstrategie ist der 1997 ins Leben gerufene ‚Blaue Globus’. Dessen ursprüngliche Idee bestand darin, ein eingängiges Markenzeichen für Presse-Fachhändler zu etablieren, die im lokalen Markt ein optimales Presseangebot und einen überdurchschnittlichen Service garantieren. Beratungskompetenz und Motivation des Einzelhändlers standen dabei im Vordergrund. Ein ganzes Set an Erwartungen wurde mit dem Blauen Globus verbunden:
Sicherung des Marktzutritts Erhaltung des Pressevertriebssystems Orientierungshilfe für den Verbraucher Bündelung der Nachfrage Profilierung des Facheinzelhandels Profilierung für Verlage und Grosso Lenkung von Käuferströmen Erschließung neuer Käuferschichten
Insbesondere die Einzelhändler setzten hohe Erwartungen in dieses neue Facheinzelhandelskonzept, das ihnen eine Überlebenschance sichern sollte. Doch daraus erwuchs eine Reihe an Problemen. Die großzügige Vergabe des Blauen Globus ohne strenge Beachtung von Qualitätsstandards führte zu einem uneinheitlichen Auftritt der Geschäfte und zu einem uneinheitlichen Verhalten des dortigen Verkaufspersonals. Dadurch wird der Verbraucher in die Irre geführt und es wird ihm erschwert, etwas Spezifisches mit dem „Blauen Globus“ zu verbinden bzw. diesen als Marke zu identifizieren. Eine regelmäßige Erfolgskontrolle findet zwar statt, allerdings werden dem Händler die Markeninsignien nur ungern wieder entzogen. Die Markenbekanntheit des Blauen Globus ist unzureichend. Dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem zu geringen Werbebudget, das hierfür bereitgestellt wurde.159
159 Quelle: Interview Sven Dierks mit Elmar Mathews, Referent des Fachressorts EH-Marketing des Bundesverbandes Deutscher Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten e.V. (BVPG), am 21.8.2008
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5a Resultate der Käufermarktforschung
Qualitätsoffensive des BVPG: „Grosso, die tun was“ Die auch in den Käufermarktforschungsprojekten von Burda festgestellten Defizite der Verkaufsstellen bestätigen die Richtigkeit des Ansinnens, am POS etwas zu ändern. Auf der Grossotagung 2008 wurden Ergebnisse der „AktionshändlerQualitätsoffensive“ vorgestellt. Bis zum Zeitpunkt Herbst 2008 wurden bei 2 800 Händlern Maßnahmen durchgeführt. Dazu gehörten u. a:
Einführung von Stufenträgerregalen Durchführung strukturgebender Maßnahmen Beleuchtungen und Orientierungshilfen Neue Innenraumausstattungen Umrüstungen auf ‚Ihre Presse-Welten’ Einzelhändler-Schulungen Schaufenstermaßnahmen (werbliche Maßnahmen)
Insgesamt wurden 9 000 Einzelmaßnahmen durchgeführt. In ersten Analysen bei 700 ausgewählten Geschäften konnten die wöchentlichen Umsätze von 963 Euro vor der Umrüstung auf durchschnittliche 1 017 Euro nach der Umrüstung erhöht werden. Absolut sind das 54 Euro pro Woche mehr, relativ 5,6 %. Dies zeigt, dass sich ein nach Optimierungskriterien eingerichtetes Geschäft positiv im Umsatz bemerkbar macht. Es bleibt jedoch die Frage, innerhalb welchen Zeitraums sich die Maßnahmen amortisieren. Das hätte wiederum Auswirkungen darauf, in welchem Umfang die vielleicht notwendigen Maßnahmen überhaupt realisiert werden könnten. Hauptsächlich stellt sich aber eine andere Frage: Handelt es sich um echte Mehrverkäufe oder nur um Marktanteilsverschiebungen zu Lasten schlechter ausgestatteter Geschäfte? In kurzen Schlaglichtern wurde aufgezeigt, dass es eine Reihe von Maßnahmen zur Optimierung der Verkaufsstellen gibt, deren Erfolg im Sinne tatsächlicher Mehrverkäufe sich jedoch nicht ohne weiteres nachweisen lässt. Hier kristallisieren sich Forschungslücken heraus, die Gegenstand künftiger Untersuchungen sein sollten. Doch mit welchen Zielen im Einzelnen? Es ist zwar nachvollziehbar, dass etwa ein gut aufgeräumtes Regal höhere Absätze generiert als ein unübersichtliches. Doch wirken solche Maßnahmen in allen Käufergruppen gleich? Oder haben Stammkäufer andere Ordnungskriterien als Spontankäufer? Es ergeben sich also weitere Fragen in dem wichtigen operativen Feld des Vertriebs von Zeitschriften, auf die spontan keine Antwort gegeben werden kann. Es bestehen somit offensichtlich recht viele Erkenntnislücken über die Vorgänge am Point of Sale.
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Keyfacts für den Käufermarkt
Burda-Offensive Käufermarktforschung: Unterschiedliche Käufergruppen haben unterschiedliche Bedürfnisstrukturen. Burda-Offensive Käufermarktforschung: Sinkende Regalverweildauern lassen Verkaufsstellen immer weniger Zeit, den Käufer zu überzeugen. Von Fortbildung bis zu Premiumshops: Es gibt erfolgreiche Maßnahmen in den Verkaufsstellen, aber sie sind nicht kostenlos. Änderungsmaßnahmen am POS müssen systematisch evaluiert werden.
5b Käufermarktforschung am Point of Sale Interview mit Jörg Thiele
Herr Thiele, man hat den Eindruck, Burda ist einer der wenigen Verlage, der Vertriebsmarktforschung betreibt. Ist das so? Fakt ist sicher, dass die Erforschung des Käufers – als ein wesentlicher Bestandteil der Vertriebsmarktforschung – im Gegensatz zur Leserforschung bislang eine nur untergeordnete Rolle gespielt hat. Es gibt heute mehr als 10 Markt-MediaStudien, mit der Media-Analyse zusätzlich auch eine reine ReichweitenUntersuchung. Vergleichbare Anstrengungen existieren auf Seiten der Käuferforschung nicht. Über den Leser weiß man somit fast alles – über den Käufer hingegen fast nichts. Ohne Käufer gibt es aber auch keine ausreichenden Leserschaften – diese Auswirkungen vertrieblicher Entscheidungen auf die Reichweitenentwicklung müssten somit nicht nur für den Vertriebsmarkt von Interesse sein. Insofern verwundert es schon, wenn man sich die Anzahl von in der Vergangenheit durchgeführten größeren Käuferstudien anschaut. Hier gibt es auf Seiten des VDZ die 1997 vom Institut für Demoskopie Allensbach im Rahmen einer Nachbefragung zur Allensbacher-Werbeträgeranalyse (AWA) durchgeführte Käuferbefragung mit 1 611 Interviews. Diese Untersuchung hatte aber den Nachteil, dass die Befragung nicht am Kaufort, sondern im Wohnumfeld der Probanden erfolgte. Gleiches gilt auch für eine Untersuchung von TNS-Emnid aus dem Jahr 2006. Gerade die für ein Verständnis der Käufer so wichtigen Fragestellungen nach den Gründen, weshalb ein bestimmter Titel gekauft wurde (Preis, Titelthema etc.), lassen sich auf diese Weise nur schwer erfassen. Auch die Frage, wo Zeitschriften gekauft werden, überfordert Probanden zumeist: Mit unserer aus der Vertriebspraxis heraus entwickelten Geschäftsarten-Klassifikation können Käufer naturgemäß nicht viel anfangen, denn schon unter dem Begriff „Fachgeschäft“ dürfte jeder etwas anderes verstehen. Um solche Dinge zu erfassen, muss man möglichst nah an den eigentlichen Kaufakt heran – und ist damit bei der recht teuren Variante einer KaufanschlussBefragung. Beim Burda Medien Vertrieb haben wir uns dieser Herausforderung nach 2002 im letzten Jahr bereits zum zweiten Mal gestellt, mit knapp 5 400 Interviews und mehr als 10 000 Beobachtungen war dies die bislang größte Käuferstudie in Deutschland. Gleichzeitig konnten wir mit Hilfe der analog durchgeführten ersten Untersuchung vor fünf Jahren erstmals einen Trend nachzeichnen – hier zeigt sich der Vorteil einer systematisch betriebenen Marktforschung.
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5b Käufermarktforschung am Point of Sale
Dennoch sind diese Studien auch Investitionsentscheidungen, die andere Verlage vielleicht scheuen. Doch Forschung lohnt sich – vor allem dort, wo sie in Ermangelung anderer Studien einen echten Wissensvorsprung und damit auch Wettbewerbsvorteil darstellt. Was sind Ihre Schwerpunkte in der Vertriebsmarktforschung? Zum einen natürlich die empirische Erforschung des Zeitschriften-Käufers, wie zuletzt in größerem Umfang mit der Burda-Offensive Käufermarktforschung 2007. Daneben haben wir zur Beratung unserer Verlagskunden eine ganze Reihe von Forschungs-Tools für spezifische Marketing-Fragestellungen entwickelt, die letztlich nur ein Ziel haben: die Performance der Marken unserer Kunden zu verbessern. Ein Beispiel dafür sind Titelbild-Analysen, die wir mit Erkenntnissen der Gestaltungs-Psychologie verknüpfen und zusätzlich um ein Salesmodelling ergänzen, um verkaufsrelevante Einflüsse bis auf die Einheit genau beziffern zu können. Der Vorteil liegt auf der Hand: Unsere Verlagskunden wissen, welche Ergebnisse ein Forschungstool erbringt und für welche Fragestellungen es sich eignet. Außerdem lassen sich die Ergebnisse mehrerer Testreihen so besser vergleichen. Diese Unterstützung der Verlage hat für uns höchste Priorität, denn im Gegensatz zur Veröffentlichung der Reichweite – zweimal jährlich im Rahmen der Media-Analyse und einmal jährlich im Rahmen der Allensbacher Werbeträger-Analyse – erfolgt ein Feedback aus dem Vertriebsmarkt bei einem wöchentlich erscheinenden Titel 52 mal pro Jahr, was eben auch 52 vertriebsrelevante Entscheidungen impliziert. Letztlich bildet natürlich auch die beständige Analyse und intelligente Verdichtung von Vertriebskennziffern eine große Rolle – diese hat mit Instrumenten wie beispielsweise der MAPRO oder den Marktausschöpfungs-Kennziffern eine lange Historie in unserem Haus. Welche Spielräume gibt es am Point of Sale für Zeitschriftenverkäufer? Zunächst einmal das Zeitschriften-Regal, hier scheint für mich in Zukunft der wichtigste Hebel zur Steigerung des Abverkaufs zu liegen. Denn eines zeigt sich beim Vergleich unserer aktuellen Käuferstudie mit der aus dem Jahr 2002: Die Zahl derjenigen Interessenten, die sich erst am Regal für den Kauf einer Zeitschrift entscheiden, hat sich innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt, übrigens bei den jüngeren Konsumenten überproportional stark. Gleichzeitig hat die Attraktivität der Präsentation gelitten, mit 48 % finden heute 10 % weniger Käufer das Warenangebot sehr übersichtlich.
Interview mit Jörg Thiele
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Genau hier setzen neue Konzepte mit einer Strukturierung und Beleuchtung der Warenträger an, die im Wesentlichen auf eine bessere Navigation der Kunden zielen. Die Erfolge sind bereits jetzt messbar: Strukturierte und beleuchtete Regalsysteme werden als übersichtlicher wahrgenommen, gleichzeitig finden sich an diesen auch mehr Spontankäufer, die sich von der Warenauslage angezogen fühlen. Somit muss ein Regal heute beides sein, Kundenmagnet und Navigationshilfe durch den Zeitschriften-Dschungel. Doch es gibt auch weitere erfolgskritische Faktoren, die nicht unerwähnt bleiben sollen, wenngleich sie eigentlich altbekannt sein müssten. Beispielsweise das große Zeitschriftensortiment, für jeden zweiten Käufer ist dies ein wichtiger Grund, gerade in dieser Verkaufsstelle Zeitschriften zu kaufen. Das ist, wenn man so will, eine Rückbesinnung auf alte Stärken: Vielfalt ist keine Bedrohung, auch wenn das manchen Händlern so erscheint, sondern vielmehr eine Kernkompetenz, welche die Käufer schätzen. Dafür braucht es aber – und da schließt sich der Kreis – neue Warenträger, damit die Fülle an Titeln nicht erdrückend wirkt. Mit unserer in 2007 durchgeführten Blickaufzeichnungs-Studie ließ sich zeigen, das bei strukturierten und beleuchteten Regalen die Käufer sehr schnell in der Lage sind, relevante Bereiche räumlich abzugrenzen und sich weitestgehend darauf zu konzentrieren. Damit ist die absolute Titelanzahl im Regal weitestgehend irrelevant, in jedem Fall wirkt Fülle hier nicht als Bedrohung. Dies ist der richtige Schritt, denn wir bieten mit unseren Zeitschriftensortimenten wirklich „jede Woche eine neue Welt“, diese Vielfalt gilt es zu bewahren. Braucht man Vertriebsmarktforschung oder verfügt man nicht allein durch die Vielzahl an Geschäften über ein „Trial-and-error-System“, mit dem man Maßnahmen auf ihren Erfolg hin überprüfen kann? Wohl kaum, denn trotz der vielen „Beobachtungen“ hapert es an der Vergleichbarkeit. Denn genauso groß wie die Zahl der Geschäfte ist die Menge an Einflussfaktoren, welche auf den Verkauf eines Objektes in einer bestimmten Verkaufsstelle einwirken. Das weiß jeder Händler, der beispielsweise eine Baustelle vor seinem Geschäft hat und den damit verbundenen Rückgang des Kundenstroms verkraften muss. Viele dieser Einflussfaktoren sind uns auch nicht bekannt, so dass sich auch kaum auf statistischem Wege die für einen Vergleich notwendigen „Laborbedingungen“ herstellen lassen. Gleichwohl lassen sich Titelvarianten in unterschiedlichen Vertriebsgebieten auf ihren Erfolg hin testen, was in der Praxis auch häufig zur Anwendung kommt. Unproblematisch ist aber dieses „trial and error“ oder besser „survival of the fittest“ nicht, aufgrund der schwierigen Stichproben-Bildung und nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Sichtbarkeit für die Wettbewerber. Gleiches gilt
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auch für die Gestaltung von Verkaufsräumen, die Einrichtung neuer Regale oder die Anordnung der Titel darin: Die Wirkung, ausgedrückt in Verkaufsrelationen, ist auch von externen Einflüssen abhängig. Allgemein gesagt: „trial and error“ mag in einer stabilen Umwelt durchaus aus probates Mittel sein, nur die haben wir eben leider nicht. Fehlt es nicht eher an der systematischen Identifikation erfolgreicher und nicht erfolgreicher Konzepte auf der Basis bestehender Maßnahmen? Das ist, so muss man zugeben, durchaus ein kritischer Punkt, wobei die Betonung auf dem Wort „systematisch“ liegt. Bei aller Transparenz in unserem Markt gibt es eben auch die gerade angesprochenen vielfältigen Einflussfaktoren. Das führt dazu, dass man trotz einer hohen Datenfülle keine weiteren Erkenntnisse generieren kann, also quasi den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Hier gibt es ein probates, wenn auch nicht immer streng wissenschaftliches Mittel, um unterschiedliche Konzepte, die beständig von allen Marktteilnehmern getestet werden, vergleichbar zu machen. Gemeint ist eine formale, standardisierte Beschreibung des Konzeptes, der wesentlichen Umfeldbedingungen und Zielgrößen. Derartige „use cases“ findet man in unserer Branche nicht in genügendem Umfang, was nicht optimal ist, da eine objektive Diskussion erschwert wird. Nur über eine systematische Aufarbeitung erfolgreicher – oder auch nicht erfolgreicher – Konzepte kann es uns gelingen, aus der wenig objektiven Betrachtung von Einzelfällen herauszukommen. Welche Bereiche sind noch nicht erforscht? Wo sind Wünsche offen? Es gibt – und das freut mich gerade als Forscher – in unserer Branche noch jede Menge weiße Flecken auf der Landkarte, die es zu entdecken gibt. Zusätzlich werden sich viele bereits erschlossen geglaubte Bereiche wieder in Forschungsgebiete verwandeln, eben weil das Konsum- und Medienverhalten der Menschen in der heutigen Zeit einem starken – manche meinen auch dramatischen – Wandel unterliegt. Es bedarf nur einmal eines Benchmarking mit den großen MarkenartikelHerstellern oder den Handelsketten: Hier stehen wir mit unseren Forschungsinitiativen noch ganz am Anfang. Selbstredend kann man nicht alle Studien auf den Vertriebsmarkt mit seinen vielen Besonderheiten und vor allem seinen einzigartigen Produkten übertragen. Schon weil sich der Kauf von Zeitschriften gegenüber anderen Produktgattungen doch abhebt: Von den Konsumenten gelernte Heuristiken wie z. B. „die preiswerten Produkte liegen unten“ treffen ja auf das Presseregal nicht zu. Gleichwohl ist einer der zukünftig zu beleuchtenden Sach-
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verhalte die Anordnung der Segmente im Regal. Unsere BlickaufzeichnungsUntersuchen lassen erkennen, dass Zeitschriften-Käufer eine Vorstellung davon haben, welches Objekt und welches Segment wo zu finden sein müsste. So werden beispielsweise die Wirtschaftstitel neben den Nachrichtenmagazinen vermutet und nicht in der Nähe von Programmzeitschriften. Ein Forschungsfeld sollte also sein, diese „Brain-Maps“, also die Positionierung der Objekte und Segmente in der Wahrnehmung der Verbraucher, zu erforschen und auf die Regale zu übertragen. Ein weiteres Forschungsfeld sehe ich auch im Bereich der GeodatenAnalyse. Hier hat es zwar in der Vergangenheit Untersuchungen gegeben, deren Ergebnisse aber bislang nicht zufrieden stellend waren. Erkenntnisse, beispielsweise aus den Wanderungsbewegungen von Konsumenten, könnten für diverse vertriebstechnische Themenfelder von Interesse sein. Mein Eindruck ist: Vertriebsmarktforschung beschäftigt sich mit den Personen, die bereits irgendwie vorhaben, Zeitschriften zu kaufen. Personen, die keine – oder nur sporadisch – Zeitschriften kaufen, finden kaum Beachtung. Wie sehen Sie das? Ob dies generell so ist, mag ich nicht beurteilen. Eines ist sicher wahr: Der potenzielle Käufer steht ganz vorn im Ranking der relevanten Gruppierungen, aus denen die Einnahmen der Verlage, Händler und Grossisten gespeist werden. Außerdem liegen die Dinge – wie so oft – nicht so einfach. Es gibt auch in der Vertriebsmarktforschung wenig schwarz und weiß, dafür umso mehr Grautöne. Dies beginnt schon bei der Definition des Käufers: Ist das derjenige, der den Kauf anregt, etwa die Frau, die ihrem Mann aufträgt, eine Zeitschrift vom Einkauf mitzubringen? Oder ist es derjenige, der den Kaufpreis entrichtet? In der Realität dürfte diese Trennung, vor allem wenn gemeinsam eingekauft wird, recht schwierig sein. Dies zeigt sich übrigens auch in der Betrachtung von Käufergruppen. Hier gilt oftmals die altbekannte 20-80-Regel, wonach 20 % der Kunden für 80 % der Umsätze verantwortlich sind. Natürlich hat es eine andere Relevanz für den Gesamtverkauf, wenn ein Käufer, der von einem Titel bislang jede Ausgabe gekauft hat, seine Kauffrequenz halbiert, als wenn dies ein seltener Käufer tut. Unterstellen wir einen „Kiosk-Abonnenten“ mit einer Kauffrequenz von 52 Heften pro Jahr, so führt dessen Entscheidung, stärker auf die Heftthemen der aktuellen Ausgabe zu achten, dazu, dass er nur noch jedes zweite Heft braucht und auch kauft. Damit entspricht die negative Auswirkung auf den Gesamtverkauf minus 26 Hefte. Verglichen mit einem seltenen Käufer, der von bislang zwei gekauften Exemplaren auf 50 % verzichtet, ist dies doch eine erhebliche Menge. In der Tat, so zeigen unsere Untersuchungen aus Haushaltspanel-Daten, sind die starken Verkaufsrückgänge in den letzten Jahren bei den meisten Objekten eher nicht darauf zurückzuführen, dass eine zunehmende Menge an Käufern verloren geht, sondern
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vielmehr auf die nachlassende Kauffrequenz der (ehemals) regelmäßigen Käufer. Dies ist der Megatrend im Bereich des Zeitschriften-Konsums: Der Gewohnheitskauf ist – ebenso wie der reine Gewohnheitskäufer – auf dem Rückmarsch. Ein weiterer Befund der aktuellen Burda-Offensive Käufermarktforschung weist ebenfalls darauf hin, dass die Zahl der Nichtkäufer, also quasi der „Zeitschriften-Verweigerer“, in den letzten Jahren nicht gestiegen ist. In der Beobachtung der Probanden am Regal stieg die Zahl derjenigen Kaufinteressenten an, die sich zwar am Regal umschauen, anschließend aber nichts kaufen. Unterstellt man die Hypothese, wonach ein zunehmender Anteil der Käuferschaft gar keine Zeitschriften mehr kauft, so hätte etwas anderes beobachtet werden müssen. Der Anteil der Nichtkäufer am Regal müsste sinken, da nur noch die ohnehin zum Kauf entschlossenen Konsumenten das Regal überhaupt aufsuchen. Somit ist auch auf globaler Ebene nicht davon auszugehen, dass die derzeitigen Verkaufsrückgänge auf einen kategorischen Konsumverzicht ganzer Bevölkerungsgruppen zurückzuführen sind. Eine etwas andere Betrachtung ergibt sich aber, wenn man die zukünftige Entwicklung zu antizipieren versucht. Über die Folgen der Veränderung des Mediennutzungsverhaltens im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Internets ist bereits viel geforscht und noch mehr geschrieben worden. Ich möchte das hier nicht wiedergeben, sondern lediglich ein weiteres Puzzleteilchen zum Gesamtbild hinzufügen. Wir hatten in der letztjährigen Käuferstudie auch Fragen zum Mediennutzungsverhalten, sowie zu Einstellungen in Bezug auf Medien formuliert. Dabei zeigte sich eine höhere Substitutionsbereitschaft zwischen Print- und Online-Inhalten bei denjenigen Käufern, deren zeitliche Online-Nutzung im Vergleich zum Lesen von Zeitschriften bereits heute größer ist. Eine besondere Relevanz hat das bei jüngeren Zielgruppen und da insbesondere bei jungen Männern bis 19 Jahren, von denen fast jeder zweite der Ansicht ist, auf den Kauf mancher Zeitschrift verzichten zu können, weil es entsprechende Angebote im Internet gibt. Insofern sind Aktivitäten, die Zeitschriften in die Erlebniswelt von Kindern und Jugendlichen bringen, besonders wichtig. Denn wie die letzte Allensbacher Werbeträger-Analyse gezeigt hat, ist Mediennutzung kohortenspezifisch, wer also nicht mit Zeitschriften aufwächst, der wird sie auch in späteren Lebensphasen nicht zu seinem Hauptmedium machen. Stichwort Touchpoints: Mit Zeitschriften da sein, wo mögliche Käufer sind, die aus einer besonderen Verfassung heraus Zeitschriften kaufen. Wird das gemacht? Wird es gut gemacht? Und haben Sie dazu irgendwelche Erkenntnisse? Untersucht man die Kaufplanung am Point of Sale, so zeigt sich, dass jeder vierte Käufer das Geschäft ohne das feste Ziel betreten hat, irgendeine Zeitschrift zu kaufen. Auch der Planungs-Käufer wird im Regal bei der Suche nach einem
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bestimmten Titel noch die ein oder andere interessante Zeitschrift entdecken, so dass auf alle Kaufakte gerechnet ein deutlicher Anteil spontaner Käufe realisiert wird. Ich denke, dass das im Vordergrund stehen muss: das Sortiment so zu präsentieren, dass der Käufer Lust bekommt, in den Titeln zu stöbern, und ihn in diesen etwas mehr als 2 ½ Minuten, die er durchschnittlich vor dem Regal steht, zu einem Kauf zu bewegen. Denn eines ist offenkundig: Bei einem Sortiment von mehreren hundert Titeln ist für jede Bedürfniskategorie etwas dabei. Im Übrigen sind diese Bedürfnisse auch recht unterschiedlich gelagert, es gibt eben auch noch jene Käufer, die gezielt das Zeitschriftenregal aufsuchen, um sich dort inspirieren zu lassen. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass über die Systeme der Bezugsregulierung eine Anpassung der Titel nach Verkäuflichkeit vorgenommen wird, was in der Tendenz zu zielgruppenoptimierten Sortimenten führt. Stichwort Erlebniswelten: ZZ-Fachgeschäfte in Hamburg Barmbek (OmaGegend) sehen genauso aus wie in Hamburg-Schulterblatt (Szenegegend). Haben hier die Fachgeschäfte nicht über Jahre Trends verschlafen, denen andere Branchen schon längst gefolgt sind? Erlebniswelten sind in jedem Fall ein wichtiges Fernziel für die Vertriebsbranche, wobei man gerade bei den inhabergeführten Geschäften nicht die Problematik der oftmals begrenzten Ressourcen vergessen darf. Außerdem erfordert die Umsetzung erlebnisorientierter Strategien auch ein gewisses Maß an Konstanz, was eine uniforme Einrichtung bis hin zu expliziten Gestaltungsvorgaben bedeuten würde. Gleichwohl ist der Aufbau von Erlebniswelten erstrebenswert, nicht zuletzt deshalb, weil dadurch die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten positiv beeinflusst werden kann. Dies erklärt eben auch, weshalb Leute anstandslos drei Euro für ein Heißgetränk zahlen, gleichzeitig aber die Investition von zwei Euro für ein journalistisches Qualitätsprodukt sorgfältig abwägen. Bei „Starbucks“ wird eben für diesen Betrag nicht nur Kaffee, sondern auch ein Stück UrlaubsFeeling angeboten. Dieses Potenzial haben Zeitschriften auch, nur wird die Art und Weise der Präsentation diesem Anspruch nicht gerecht. Die Lösung könnte hier – wie so oft – in der Mitte liegen. Über eine verbesserte Ausstattung der Händler mit modernen Regalen, deren Gestaltung und Bestückung einheitlich ist, wird der PresseBereich insgesamt aufgewertet. Zusätzlich ist auch das Thema Gattungsmarketing von Bedeutung – da besonders das Herausheben der Vielfalt am Regal, die für jeden Käufer den für ihn individuell passenden Titel bietet. Allerdings müssen dafür erst die Vorraussetzungen geschaffen werden, denn eines ist auch offenkundig: Mediale Versuche des Aufbaus einer Erlebniswelt sind zum Scheitern verurteilt, wenn die Realität die Erwartungen nicht erfüllen kann.
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Dies gilt aber für alle Geschäftsarten gleichermaßen, nicht nur für ZZFachgeschäfte. Wir müssen eben auch die besondere Rolle dieser Verkaufsstellenart innerhalb des Pressevertriebs beachten. Nirgendwo sonst ist die Interaktion mit dem Kunden größer als dort, spielen Themen wie freundliches Personal oder fachkundige Beratung eine größere Rolle. Gleichzeitig ist auch der Anteil an Stammkunden in dieser Geschäftsart am größten. Die Beispiele der ähnlich aussehenden Geschäfte gibt es eben auch bei Tankstellen und Lebensmittel-Geschäften. Stichwort: Proaktives Verkaufen, auf die Leute zugehen. Haben Sie dazu Erkenntnisse? Nicht direkt. Wir wissen aber, dass die fachkundige Beratung für jeden vierten Kunden ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl seines Geschäftes ist. Unter Stammkunden, die ihren Titel immer in derselben Verkaufsstelle kaufen, ist dieser Wert sogar knapp doppelt so hoch. Ein solches Urteil muss sich aber erst bilden – in der Regel basierend auf positiven Erfahrungen. Allgemein würde ich aber sagen, dass vor allem der Rahmen stimmen muss – denn das freundliche Personal, die angenehme Atmosphäre sowie die Möglichkeit, in Ruhe seine Auswahl treffen zu können, sind auf Basis der uns vorliegenden Befragungsergebnisse weitaus wichtigere Komponenten. Stichwort: Umwandlung der Medienwelt: Zeitschriften kämpfen um das Zeitbudget der Leser, und ihre Funktionen werden von anderen Gattungen übernommen. Was ist Ihre persönliche Prognose für die Zukunft der Publikumszeitschriften? Prognosen eilt ja meist der Ruf voraus, sowieso falsch zu sein, was genau genommen auch wieder eine gute Vorhersage ergibt. Ich würde daher an diese doch recht existenzielle Fragestellung empirisch herangehen: In der Vergangenheit hat noch kein Medium ein anderes vollständig verdrängt. Somit ist auch nicht davon auszugehen, dass dies bei Zeitschriften der Fall sein wird. Sicher wird – je nach Funktion – eine schwächere oder aber stärkere Umverteilung zu beobachten sein. Nach wie vor wollen Leser einfach, schnell und unkompliziert unterhalten werden, dafür eignen sich Zeitschriften sehr gut. Lange Texte werden im Internet nicht gern gelesen, vertiefende Hintergrundinformationen haben in Print also eine Chance. Zudem sind Zeitschriften auch ein physisches Produkt, dessen Erwerb und Konsum nach außen hin sichtbar wird, auch dies ist eine wichtige Funktion. Nicht zuletzt bieten Zeitschriften eine Orientierung über recherchierte und aufbereitete Themengebiete, die im Idealfall optimal auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten sind. Die Menge an Informationen ist sinnvoll begrenzt – im Gegensatz zur prinzipiell unendlichen, aber in vielen Teilen auch irrelevanten und Zeit fressenden Informationsdichte der Online-Medien.
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Ich denke, dass die Markenbindung, somit die Leser- oder KäuferBlattbindung in Zukunft der entscheidende Faktor sein wird. Es gibt, trotz aller Hiobsbotschaften, auch immer wieder erfolgreiche Beispiele für Marktneueinführungen. Hier haben wir auch ein leistungsfähiges System: Über ein Netz aus reichlich 120 000 Verkaufsstellen, bei denen im Durchschnitt etwas mehr als 200 Wettbewerber-Titel um die Gunst der Käufer werben, ist die Sichtbarkeit eines neuen Objektes, also quasi der Share of Voice, weitaus größer als im Internet mit einer erheblich größeren Zahl potenzieller Wettbewerber. Insofern eignet sich der Pressevertrieb auch heute noch zum Aufbau starker Marken – was nicht zuletzt durch die vielen Objekte bewiesen wird, die am Kiosk zu ihrer heutigen Stärke gefunden haben. Die Fragen an Jörg Thiele stellte Sven Dierks. Jörg Thiele beklagt eine allgemeine Vernachlässigung der Käufermarktforschung, vor allem gemessen am Umfang der vorhandenen Leserschaftsforschung. Dabei könnte auch die Leserschaftsforschung von einer Erhellung der Situation am Point of Sale profitieren, denn ohne Käufer gäbe es letztlich kaum Leser. Im Fokus der Forschung sieht Thiele zurzeit die Optimierung des Presseregals in Bezug auf die Anforderungen der Attraktivität des Angebots sowie der Navigationshilfe. Erweitert man die Betrachtung auf die Ladenebene, so stellt sich das Problem der vielen unterschiedlichen Einflussfaktoren, die einer eigentlich notwendigen systematischen Aufarbeitung von Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren am POS entgegenstehen. Darüber hinaus müsse sich, so Thiele, die Forschungsperspektive laufend den sich ändernden Mediennutzungsgewohnheiten anpassen, denn schließlich liege der sinkende Presseabsatz ursächlich in der Frequenzverringerung des einzelnen Käufers – also dem abnehmenden Gewohnheitskauf – statt in der völligen Konsumabstinenz des Nichtkäufers begründet. Bei aller Dringlichkeit der Aufgabe, junge Zielgruppen vermehrt mit Publikumszeitschriften in Kontakt zu bringen, vertraut Thiele auch zukünftig auf die Möglichkeiten der Markenbindung und Kommunikationsstärke der Publikumszeitschriften. Keyfacts für den Käufermarkt
Die Optimierung der Regale am POS ist noch nicht ausgeschöpft. Die Kooperationsbereitschaft von POS-Betreibern mit der Forschung ist gefragt. Eine künftig vorrangige Frage wird sein, ob und wie am POS die Titelbindung der Käufer erhöht werden kann.
5c Die Zukunft des Pressevertriebs Interview mit Peter Brummund
Vor welchen besonderen Herausforderungen steht der Einzelverkauf in den nächsten Jahren? Immer mehr Verlage nutzen das Internet nicht nur für den elektronischen Handel mit multimedialen Produkten oder für den Absatz eigener oder fremder Presseerzeugnisse im Abonnement oder Einzelverkauf, sondern auch für völlig neue Formen des Online-Publishing und des Online-Vertriebs. Das hat direkte Auswirkungen auf das Presse-Grosso und den Presse-Einzelhandel, die sich neu ausrichten und repositionieren müssen. Durch den vermehrten Einsatz moderner Internet-, PC- und Informationstechnologie, die die Verlage näher an die Leser bzw. Nutzer heranrückt, wird sich die Einschaltung des traditionellen Presse-Einzelhandels zumindest für solche Vertriebswege erübrigen, auf denen digitale Presseprodukte abgesetzt werden. Natürlich verursacht die Vorstellung, dass der digitale Vertrieb dem traditionellen Pressehandel den Todesstoß versetzt, allen mit der konventionellen Machart von Zeitungen und Zeitschriften sympathisierenden Vertriebsfachleuten ein gewisses Unbehagen. Internet und E-Commerce sind jedoch integraler Bestandteil der Medienwelt geworden und werden nicht wieder verschwinden. Was könnte also getan werden? Für die Zukunft des Pressevertriebs muss es als zentrale Herausforderung angesehen werden, eine geeignete Kombination aus traditionellem und elektronischem Vertrieb zu finden und gezielt zu versuchen, die Komplementarität der beiden Bereiche durch Verknüpfung der Stärken der jeweiligen Absatzwege zu generieren. Eine Doppelstrategie mit Print- und Multimedia-Angeboten ist überlebenswichtig, denn wenn die Verlage dies nicht tun, werden andere diese Aufgabe übernehmen. Das gilt für den Pressevertrieb in gleicher Weise. Trotz aller damit verbundenen Probleme sollte es für alle etablierten Pressevertriebsfirmen eine Herausforderung darstellen, diejenigen Leistungsbereiche ausfindig zu machen, in denen eine Entbündelung ihrer Handelsfunktionen am wahrscheinlichsten erscheint, und zu versuchen, sich selbst als Funktionsspezialist oder Intermediär
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5c Die Zukunft des Pressevertriebs
zu etablieren. So könnten z. B. der Pressefachhandel und der Bahnhofsbuchhandel als wichtige Teile des Premiumhandels für Zeitungen, Zeitschriften und Bücher einen Weg vor sich haben, der zu einer Art Full-Service-Station für mobile Leser führt. Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Probleme des Einzelverkaufs? Um den seit 1998 um 25 % zurückgegangenen Presseabsatz und die über 8 000 verlorengegangenen regulären Zeitungs- und Zeitschriftenhändler wettzumachen, ist der Pressevertrieb gezwungen, neben Discountern, in die schon wesentliche Käuferströme abgewandert sind, weitere Verkaufsstellenarten einzuschalten, wie z. B. Apotheken, Bau- und Heimwerkermärkte, Fachdrogerien, Getränkemärkte, Sortimentsbuchhandlungen usw. Vor dem Hintergrund fortschreitender Aufsplitterung des Presse-Einzelhandels und Umsatzverlagerungen in den Lebensmittelhandel und zu den Discountern besteht das Problem für den traditionellen Presse-Einzelhandel darin, den Fachhandel in den lokalen Märkten zu stärken, um das entsprechende Händlernetz gegenüber Filialbetrieben mächtiger Handelskonzerne aufrechtzuerhalten. Viele Zeitungen und Zeitschriften werden kostenlos an Flug-, Fahr- und Hotelgäste abgegeben bzw. unentgeltlich in frei zugänglichen Beuteln oder Zeitungsboxen angeboten. Neben den zur Gratispresse zählenden, lokalen amtlichen Blättern, Firmen-/Kundenzeitschriften, Anzeigenblättern und Sonntagszeitungen, die kostenlos an private Haushalte, Geschäfte oder Passanten verteilt werden, hat sich auch die Zahl der „Bordexemplare“, d. h. Publikumszeitschriften, die in Wartezonen und in Flugzeugen unentgeltlich an Passagiere abgegeben werden, drastisch erhöht. Man denke hierbei nur an den zum Premiumhandel zählenden Flughafenbuchhändler, der nur wenige Meter von den Gates entfernt von den Verlagen angehalten wird, die selben Objekte gegen volle Entrichtung des Copypreises an Besucher, Benutzer oder Angestellte des Flughafens zu verkaufen. Diskriminierender kann Wettbewerb im Pressevertrieb nicht sein. Das hört sich ein wenig nach Kritik an der Vertriebspolitik der Verlage an. Sollten die Verlage dem Einzelhandel mehr Unterstützung gewähren? Das Überleben des Pressefachhandels kann nur durch die Beibehaltung der Marktführerschaft in der Objektvielfalt und durch die Besetzung der besten, schönsten und aktivsten Verkaufsplätze im Einzelhandel gesichert werden. Eine solche Strategie erfordert hohe Investitionen, denn an diesen Plätzen sind natürlich auch andere Einzelhandelsgeschäftsarten außerhalb des Presseverkaufs interessiert. Sie sichert jedoch andererseits eine durch den Service örtlicher Wettbewerber nicht angreifbare Marktposition mit beispiellosen Kundenfrequenzen,
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Umsätzen und Absatzzahlen pro Angebotsstelle, die von den Verlagen durch eine höhere Partizipation des Fachhandels an der Wertschöpfung aus dem Presseverkauf mitfinanziert werden muss. Der Presse-Einzelhandel ist in den zurückliegenden Runden bei den Rabatten mehr als nur stiefmütterlich behandelt worden. Das muss sich ändern, wenn man einen leistungsfähigen Presse-Fachhandel will. Sehen Sie in den letzten Jahren erfolgreiche Presseverkaufsstrategien, die vom Handel selbst beeinflusst werden? Da wäre das Gattungsmarketing: Um die Absatzstärke des Presse-Fachhandels zu festigen und zu steigern, wurde in Zusammenarbeit zwischen Verlagen, Grossisten und maßgeblichen Vertretern des Einzelhandels (BB) ein Marketingkonzept entwickelt, welches auf abverkaufswirksamen Point-of-Sale-Präsentationen für einzelne Titel oder Sortimentsgruppen basiert. Das Marketing-Konzept besteht aus mehreren Säulen (Sortimentsmarketing, Kundenbindung, Objektverkaufsförderung), die miteinander verbunden sind, sich gegenseitig ergänzen und damit die Wirkung auf den Pressekäufer verstärken. Das Sortimentsmarketing fördert im Rahmen eines festen Aktionsplans unterschiedliche Objektgruppen und stellt alle entsprechenden Titel in einer bestimmten Zeitperiode optisch und thematisch heraus. Grundlage können saisonale Anlässe oder wichtige überregionale Veranstaltungen wie z. B. Messen oder große Sportereignisse sein. Die Objektverkaufsförderung beinhaltet die temporäre Herausstellung und Promotion einzelner Objekte im Schaufenster oder mit Hilfe anderer Präsentationsmittel. Eine weitere Strategie ist die Spezialisierung: Überschaubarer wird ein aus mehreren tausend Objekten bestehendes PresseSortiment durch Spezialisierung in separaten Läden mit Fachhandelscharakter. Kleine Titel und Newcomer erhalten so eine reelle Chance, im Dschungel des Gesamtangebotes vom Käufer wahrgenommen zu werden. Die Spezialisierung, wie wir sie z. B. bereits aus dem Bahnhofsbuchhandel kennen, fördert die Sortiments-Kompetenz und das Image des Premiumhändlers als unvergleichlicher Partner der Verlage. In Anbetracht der sehr starken Konkurrenz von Lebensmittelfilialisten und Discountern, die den Löwenanteil des Umsatzes mit hochauflagigen Titeln realisieren, ist Spezialisierung eine hervorragende Möglichkeit, die Verlage von der Notwendigkeit eines Absatzweges Premiumhandel zu überzeugen und diesen darüber hinaus besser zu dotieren, ohne den übrigen Einzelhandel zu diskriminieren.
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Wie bewerten Sie den Einsatz von Verkaufsförderungstools? Beim Vertriebsmarketing im Einzelverkauf muss unterschieden werden, ob der Handel oder der Verbraucher angesprochen wird. Bei den handelsorientierten Aktionen dominieren unmittelbar am Point of Sale zum Einsatz kommende Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Platzierungs- oder Dekorations-Wettbewerbe sowie Verkaufshilfen unterschiedlichster Art (Zeitungsleitern, Zeitungstürme, Zeitungsklammern, Aufstelltafeln, Händlerschürzen). Inwieweit die Verkaufshilfen tatsächlich genutzt werden, hängt vom Umsatzinteresse des betreffenden Einzelhändlers und von der Kontrolle und Inspektion durch den Verlags-Außendienst ab. Der Außendienst war viele Jahre integrierter Bestandteil des VerlagsVertriebs. Problematisch ist jedoch der Umstand, dass ein flächendeckender Besuch des Presse-Einzelhandels nur mit eigenem Personal nicht bewerkstelligt werden kann, weshalb Werbe- und/oder Verkaufsförderungsaktionen im PresseEinzelhandel vermehrt zusammen mit externen Dienstleistern durchgeführt werden. So werden z. B. im Frühjahr und im Herbst die wichtigsten Verkaufsstellen besucht und vertriebliche Maßnahmen abgestimmt. Die Angebotsbedingungen für die eigenen Verlagstitel werden überprüft und korrigiert, Werbemittel verteilt und Verkaufsförderungsaktionen durchgeführt, um die Präsentation und Verfügbarkeit der eigenen Objekte sicherzustellen. Und welche Rolle spielt dabei der Fachhändler? Ein guter Presse-Fachhändler begnügt sich nicht damit, passiv Zeitungen und Zeitschriften auszulegen, sondern stellt ein aktives Medium dar, einen Ort für Verkauf und Kundenansprache, in dem Verlagsprodukte in einer Erlebniswelt in modernen Warenträgern, Schaufenstern, Vitrinen und auf Tischen präsentiert werden und so die Aufmerksamkeit der Käufer auf sich lenken und zum Verweilen einladen. Damit steigen die Verkaufschancen neuer und etablierter Titel, vor allem wenn sie im Ladenlokal beworben und nicht nur unter der Objektgruppe im Regal, sondern zusätzlich mit einer Sonderplatzierung, z. B. in der Kassenzone oder auf der Ladentheke, angeboten werden. Ein auf Sortimentsmarketing, Objektverkaufsförderung und Kundenbindung basierendes Fachhandels-Konzept stärkt die Premiumverkaufsstellen im PresseEinzelhandel, vereinfacht die Kommunikation mit den Lieferanten und gibt Special-Interest- und Very-Special-Interest-Titeln eine neue Chance im Vertriebsmarketing. Zu den positiven Effekten für die Verlage zählt in erster Linie der nachweisbar höhere Abverkauf, den auch Tageszeitungen verzeichnen. Ob kostenpflichtige Schaufensteraktionen im Premiumhandel von den Verlagen genutzt werden, hängt von Angebot und Nachfrage ab. Die Kosten für derartige Präsentationsformen müssen jedoch so gestaltet werden, dass sie auch von kleineren
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Verlagen getragen werden können. Prinzipiell gibt es keinen Grund, warum nicht ein kostenintensiver Premiumhandel zuzüglich zu einem auskömmlichen Rabatt auch einen angemessenen Deckungsbeitrag aus Werbung und Verkaufsförderung erwirtschaften soll, solange eine echte Leistung dagegensteht, d. h. das Preis-/ Leistungsverhältnis in Ordnung ist. Kein Verlag wird gezwungen, Präsentationsund Werbeflächen im Premiumhandel zu mieten, aber diejenigen, die es tun, können die Verkäufe und die Aufmerksamkeit für ihre Titel zum Teil beträchtlich steigern. Was sind Ihrer Auffassung nach die größten Innovationen im Presseverkauf in den letzten Jahren? Die Pressevertriebsunternehmen sind im Rahmen dynamischer Wettbewerbsprozesse zu permanenten Innovationen, Rationalisierungen und kundenorientierten Leistungsprogrammen gezwungen. Insbesondere das Presse-Grosso hat sich gegenüber den Wünschen der Verlage, die auf das Erbringen zusätzlicher Vertriebsleistungen abzielten, aufgeschlossen gezeigt und in den letzten Jahren eine große Zahl von Innovationen in das Vertriebssystem hineingetragen, wozu u. a. gehörten: 1. Die kontinuierliche Weiterentwicklung und der Ausbau des vertrieblichen Instrumentariums, insbesondere im Bereich der regionalen und demografischen Feinsteuerung. Ein typisches Beispiel dafür sind die so genannten Regiograph-Auswertungen. Mit einer speziellen Software werden die regionalen Stärken und Schwächen eines Titels erfasst und die Ursachen analysiert. Untersucht werden Kriterien wie Händlerdichte oder Lieferung/Verkauf je 1 000 Einwohner bzw. Haushalte im Vergleich zum Cluster- und/oder Bundesdurchschnitt, um den Marktausschöpfungsgrad zu messen. 2. Die Optimierung der internen Kommunikationstools und Workflows. So sind z. B. die Außendienste im Presse-Grosso und bei den Verlagen mit interaktiven Notebooks ausgestattet, die alle relevanten Vertriebsdaten der jeweiligen Objekte abrufen und mit anderen Daten in Beziehung setzen können, um Schieflagen im Gespräch mit den Vertriebspartnern im Einzel- oder Bahnhofsbuchhandel vor Ort auszugleichen. 3. Einsatz und Nutzung leistungsfähiger Warenwirtschaftssysteme mit Scanner-Kassen (im Einzelhandel) und barcodegesteuerte, automatische Remissionsverarbeitungsanlagen, die ein genaues und sicheres Erfassen der Remission per Einzelhändler und die rasche Meldung der Verkaufszahlen an die Verlage ermöglichen. 4. VMP-Datenmeldung: VMP ist die Abkürzung für „Verkaufstägliche Marktbeobachtung am Point of Sale“ und eine auf Zeitungen und Zeitschriften bezogene, auf dem Gedanken des „Efficient Consumer Response“ basierende Methode der elektronischen Datengewinnung durch über 8.500 online angebunde-
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ne Presse-Fachhändler und Einzelhandelsfilialisten mit Scanner-Kassensystemen, mit deren Hilfe die Verlage tagesaktuelle Informationen über die Abverkäufe ihrer Titel gewinnen. 5. Data Warehouse: Seit 2005 steht den Presse-Grossisten ein Marktanalysetool zur Verfügung, welches einen hohen Nutzen für die Marktbeobachtung stiftet. Jeder Grossist kann mit dem Data Warehouse eine Vielzahl eigener Vertriebsdaten mit entsprechenden Werten auf Regionalebene oder im Cluster vergleichen, den Erfolg der eigenen Vertriebsarbeit bewerten und Maßnahmen für das eigene Vertriebsgebiet ableiten. Sehen Sie eine Gefährdung des Presse-Einzelhandels durch boomende, individualisierte Medien (Internet, MP3-Player, DVD, Video-on-Demand etc.)? Für den Presse-Einzelhandel hat sich durch die Ausbreitung der neuen Medien das Kauf- und Kundenverhalten dramatisch verändert. Kennzeichnend für die Situation der Handelspartner im Pressevertrieb sind seit Jahren rückläufige Umsatz- und Verkaufszahlen, rasch sich wandelnde Bedürfnisse und steigender Kosten- und Konkurrenzdruck bei gleichzeitiger Forderung der immer schwerer erreichbaren Leser/Käufer nach niedrigen Copypreisen und besserem Service. Wenn klassische Wertschöpfungsketten wie im traditionellen Pressevertrieb sich in einer Phase des Umbruchs befinden, ergeben sich für neue Anbieter wie Funktionsspezialisten oder Intermediäre (wie z. B. www.epaperstar.de, LeserAuskunft oder amazon.de) insbesondere dort neue Tätigkeitsfelder, wo der konventionelle Pressehandel Schwachstellen aufweist. Das Internet hat mit ECommerce einen kostengünstigen, unmittelbaren Kontakt der Verlage zum Einzelhandel und zum Endverbraucher (One-to-one-Marketing) ermöglicht. ECommerce, d. h. die digitale Anbahnung, Aushandlung und/oder Abwicklung von Transaktionen über das Internet ist ein ernst zu nehmender Faktor, der die Ausschaltung des traditionellen Handels fördert. Durch das Internet ist es zu einer höheren Markttransparenz und zu einer Erhöhung der Abwicklungsgeschwindigkeit gekommen, die Raum und Zeit nahezu bedeutungslos macht. Electronic Commerce ermöglicht in einer virtuellen Welt Darstellungs- und Suchformen, die den Möglichkeiten des traditionellen Handels weit überlegen sind und die zu marginalen Kosten jederzeit reproduziert werden können. Im Gegensatz zum stationären Presse-Einzelhandel ermöglicht ECommerce, Informationen in Form umfangreicher Produktpräsentationen, Liefermodalitäten und Konditionengefüge beliebig oft und unabhängig von Raum und Zeit zu minimalen Kosten bereitzustellen, was die Frage aufwirft, welche Daseinsberechtigung die Handelsunternehmen im Pressevertrieb künftig noch haben werden. Denn auch die Sortimentsgestaltung kann sich in einer solchen Umwelt erübrigen, wenn es den Lesern, Abonnenten, aber auch den Wiederverkäufern von
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Zeitungen und Zeitschriften aufgrund der Kürze der elektronischen Wege möglich ist, ihren Pressebedarf durch individuelle Kombination verschiedener Direktanbieter bzw. Verlage zusammenzustellen und so eine Kernfunktion des Pressehandels, d. h. die Sortimentsgestaltung, selbst zu übernehmen. Wie hat man sich diese eigenständige Sortimentsgestaltung vorzustellen? Konventionell gedruckte Zeitungen, Zeitschriften und Bücher werden unter Ausschaltung des Presse-Einzelhandels im Sortiment einer virtuellen PresseVerkaufsstelle angeboten. Über Stichwörter kann der reale Kunde nach Titeln oder Themengebieten suchen, entsprechende Produkte aus einem multimedialen Universalkatalog auswählen und diejenigen davon in einen Warenkorb legen und bezahlen, die seinen Wünschen und Vorstellungen entsprechen. Die bestellte Ware wird umgehend an den Wunschort des Kunden geliefert. Kollaborative Filtersysteme „spionieren“ das Kaufverhalten des Kunden in der virtuellen Presse-Verkaufsstelle aus. Auf der Basis der Produkte, die er und andere Kunden mit ähnlichem Kaufverhalten in der Vergangenheit bestellt haben, werden ihm bei Wiedereintritt in die virtuelle Presseverkaufsstelle oder per E-Mail weitere Verlagsprodukte zum Kauf empfohlen. Jeder Kunde, der sich in die virtuelle Presse-Verkaufsstelle einloggt, wird von einem Affinitäten-Generator, der wie ein echter Verkäufer in einem realen Pressegeschäft den Kunden immer besser kennenlernt, erkannt. Auf der Basis der kollaborativen Filtertechnik entwickeln sich Feedback-Schleifen, die die virtuelle Presseverkaufsstelle zu einem lernenden Unternehmen machen. Je häufiger der Kunde einkauft, desto zielgenauer kann der virtuelle Presseladen sein One-to-One-Marketing an den Bedürfnissen des einzelnen Kunden ausrichten und ihm ein optimiertes Angebot unterbreiten. Eine weitere Möglichkeit für Funktionsspezialisten bzw. Intermediäre, an die Stelle klassischer Handelsbetriebe zu treten, besteht darin, die konventionell gedruckte Zeitung oder Zeitschrift komplett aufzulösen und ein auf die individuellen Bedürfnisse des Lesers abgestimmtes Informationssortiment zusammenzustellen. In diesem Fall ist nicht mehr der Zeitungs- oder Zeitschriftentitel, sondern nur der individuelle Inhalt der Information Gegenstand des Handels und damit des Sortiments. Es könnte aber auch auf eine von einem so genannten „Content-Packager“ betriebene Nachrichtensammlung hinauslaufen, der nach den Präferenzen des Internetnutzers oder Lesers aus den unterschiedlichsten Quellen einen Nachrichtenmix erstellt. Vor allem im Geschäftskundenbereich (B2B) besteht ein großes Interesse an speziell aufbereiteten Informationspaketen, die dem Nutzer Zeitaufwand und damit Kosten sparen helfen. Ein Zuviel an Information, wie bei den Suchmaschinen, verhindert, dass sich der Nutzer einen schnellen Überblick verschaffen kann. Es ist daher not-
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wendig, den Kunden durch den Informationsdschungel zu geleiten und seinen Zeit- und Kostenaufwand für die Bewältigung und Ordnung der Informationsfülle zu reduzieren. Aus dem Bedürfnis vieler professioneller Nutzer nach besonderen, präzisen Informationen und der Notwendigkeit, diese schnell und kostengünstig einkaufen zu können, könnten zwei Arten von Content Packager entstehen: wenige große Packager für jeden Zweck einerseits und eine Vielzahl von spezialisierten Nischenanbietern andererseits. Content Packager können aus technologisch führenden Unternehmen (Netzwerkbetreibern, Internet-Portalen, Suchmaschinen) hervorgehen, aber auch aus großen Einzelhandels-Filialisten oder Kreditkartenunternehmen, die große Kundendatenbanken besitzen. Das hört sich an, als ob es zukünftig nur noch maßgeschneiderte Informationslieferungen und keine Printprodukte mehr gäbe. Kann man denn dieser Entwicklung irgendetwas Positives für den klassischen Pressehandel abgewinnen? Zeitungen, Zeitschriften und Bücher in elektronischer Form werden nicht das finanzielle Überleben der Verlage in der Zukunft bestimmen. Da sie jedoch eine Reihe multimedialer Vorteile aufweisen, die der internetaffinen Leserschaft zusagen, sind entsprechende E-Publikationen (E-Paper, E-Books) ein lohnenswertes Unterfangen für Printverlage. Die genaue Beobachtung der eigenen Leserschaften, ihre Zielsetzungen, Vertrautheit mit neuen Technologien und die Zahl der breitbandigen Internetanschlüsse können Hinweise darauf geben, ob es sich lohnt, einen digitalen Vertrieb und entsprechende Geschäfts- und Preismodelle auszubauen. Durch die Einführung des breitbandigen Universal Mobile Telephone Systems (UMTS) werden Mobiltelefone und Personal Computer immer mehr miteinander verschmelzen und mobilfunktaugliche Handheld Computer die wichtigste MultiMedia-Anwendung in der Zukunft werden. Darauf müssen sich die Verlage ebenso vorbereiten wie ihre Handelspartner im Groß- und Einzelhandel. Neuere Technologien für die Umsetzung von E-Commerce wie das Internet und Elektronische Retailing-Systeme (ERS) eröffnen auch dem Handel neue Perspektiven für den Verkauf multimedialer Produkte. Bei der Diskussion um Potenziale im E-Commerce stand in den letzten Jahren zumeist das Internet im Mittelpunkt. ERS bzw. Kiosksystemen am Point of Information und Point of Sale wurde dagegen nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt, obgleich solche Selbstbedienungs-Computerterminals zeitunabhängige und personalentlastende Kundenberatungen, animierende Produktpräsentationen, Produktwerbung und das Eingehen auf individuelle Informationsbedürfnisse ermöglichen. Pressefachgeschäfte sind seit Jahren unter Druck. Sinkende Umsätze und Weggänge von Geschäften, auf der anderen Seite kommen Discounter und Bäckerei-
Interview mit Peter Brummund
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en als Pressehändler hinzu. Wird das Auswirkungen auf die bestehende Titellandschaft haben? Neben Spezialverkaufsstellen und Bäckereien sind die Discounter der dritte Angebotstyp, der von vornherein nur ein eingeschränktes Sortiment bzw. eine begrenzte Anzahl von Titeln durch das Presse-Grosso erhält. Das Grosso muss sich als Mittler für alle im Einzelverkauf tätigen Verlage bundesweit entscheiden, ob und wie es unter Modifikation seiner Vertriebsgrundsätze (Neutralität, Preisbindung, Remissionsrecht, Dispositionsrecht, Verwendungsbindung) solche Teilsortimenter beliefert. Angesichts der gewandelten Konsummuster und der veränderten Lage im Lebensmittel-Einzelhandel ist es legitim und nachvollziehbar, dass einzelne Verlage mit hochauflagigen Titeln natürlich ein Interesse daran haben, dass ihre Objekte bei Discountern angeboten werden. Wenn das Grosso jedoch nur für wenige Verlage bzw. hochauflagige Titel die Vertriebslinie Discounter erschließt, dann muss es für Special-Interest-Verlage auch Autowerkstätten, Baumärkte, Gartencenter, Computer-Shops, Möbelhäuser, Reisebüros oder andere Spezialverkaufsstellen, gegen deren Erschließung es sich bisher aus Kostengründen gesträubt hat, beliefern. Vertriebsleiter mittelständischer Verlage fordern denn auch, dass Verlage und Presse-Grosso gemeinsam neue Verkaufsstellen zu den gleichen Bedingungen erschließen, wie dies für die Discounter praktiziert wird. Die Kosten der Belieferung solcher Verkaufsstellen hätte, wie im Falle der Bäckereien und Discounter, das Gesamtsystem aus Verlagen und Grossisten zu tragen. Wer als Presse-Einzelhändler unter dem derzeitigen Wettbewerbsdruck überleben will, muss sich vom Mittelmaß entfernen und sich in einer Art Gegenbewegung zu hochfrequentierten Verkaufsstellen mit begrenzten Sortimenten (Discounter) an die Spitze einer Entwicklung zu einem leistungsstarken, vollsortierten Premiumhandel in zentraler Lage setzen. Für die Pressefachhändler heißt dies, die Wahrnehmbarkeit ihrer Geschäfte und die Attraktivität der Ware „Presseerzeugnis“ und deren Präsentation, aber auch den Aufenthalt in den Läden und die Relevanz des Angebots durch das Sortimentsniveau und die Sortimentskompetenz auf die Spitze zu treiben. Es ist die Aufgabe der Verlage, die Zukunft des vollsortierten Presse-Fachhandels in Deutschland zu sichern. Leider ist es so, dass über die Zukunft viel geredet, aber oft zu wenig getan wird. Es gibt keine Krise des Handels, es fehlt nur an innovativen Ideen und Menschen, die den Mut haben, sie durchzusetzen. Die Fragen an Peter Brummund stellte Sven Dierks.
Teil 6: Print wohin? 6a Aktionsfelder und Anforderungen an die Käufermarktforschung Sven Dierks
Ausgangspunkt der Überlegungen, die zu diesem Band geführt haben, war die Frage nach den notwendigen Anforderungen an eine noch zu initiierende künftige Käufermarktforschung. Diese Kernfrage der hiesigen Untersuchung mag zunächst Widerspruch hervorrufen: Es gibt doch so viele Nachforschungen zum Käufer (bzw. Weniger-Käufer, Nicht-Mehr-Käufer etc.) – und vor allem die grundlegende Frage, warum weniger Zeitschriften am Kiosk gekauft werden. Ja, es gibt viele Fragen. Und einige sind auch schon beantwortet. Diese Antworten zu ermitteln und zusammenzutragen war die erste Aufgabe dieses Buches. Somit spiegelt sich darin sowohl aus Sicht von Praktikern als auch von Wissenschaftlern der aktuelle Stand der infrage stehenden Literatur wider, die sich im Anhang aufgelistet findet. Von der anfänglichen Überlegung, eine reine Literaturstudie zu erstellen, wurde übrigens Abstand genommen, weil die Originalbeiträge letztlich aktueller sind und in ihnen auch Erkenntnisse Berücksichtigung finden, die bislang noch nicht publiziert wurden. Die zweite Aufgabe dieses Buches bestand darin, die Desiderata an eine künftige Käufermarktforschung zu skizzieren. Zusammengefasst könnte man die Leitfragen dieser Studie so formulieren: Was wissen wir bereits? Und was müssen wir noch wissen, um dem Trend sinkender Verkaufszahlen im Zeitschriftenhandel entgegenzuwirken und die Zeitschriftenverkäufe zu steigern? Gewiss stehen alle Forschungsbemühungen unter dem Imperativ, in der Praxis Mehrverkäufe am Zeitschriftenmarkt zu generieren. Doch die dahinter stehende Leitfrage kann eben erst dann sinnvoll beantwortet werden, wenn Unterfragestellungen extrahiert werden. Betrachtet man die veröffentlichte Käufermarktforschung der vergangenen Jahre, so lassen sich die folgenden Charakteristika ausmachen:
Den Untersuchungen zugrunde gelegte Kundenbefragungen fanden in einem bestimmten zeitlichen Abstand zum Kaufakt statt. Entweder wurde noch am Regal oder kurz nach dem Verlassen des Geschäfts gefragt oder aber ganz un-
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6a Aktionsfelder und Anforderungen an die Käufermarktforschung
abhängig davon, wann eine Zeitschrift gekauft wurde.160 Was jedoch fehlt, ist die weitere Nachfrage auch bei potenziellen Käufern und die Evaluation der gesamten Kette des Entscheidungsprozesses. Hier macht sich als besonders problematisch bemerkbar, dass Publikumszeitschriften die gesamte Bandbreite zwischen Low-Involvement- und High-Involvement-Positionen besetzen, für die es bei üblichen Konsumgütern klare Differenzierungen gibt. In HighInvolvement-Situationen können bei Zeitschriften also andere Kauftreiber als in Low-Involvement-Situationen wirken. Käufermarktforschung steht daher vor dem grundsätzlichen Problem, wie sie Kaufmotivation, Kaufzurückhaltung, Geschäftsbewertung etc. angesichts einer Vielzahl an Titeln (aktuell: rd. 4 000) in hochgradig unterschiedlichen Segmenten erfassen will. Hinzu kommen die vielfältigen, jeweils variierenden – subjektiven und objektiven – Einflüsse der einzelnen Geschäftsstellen. Die Vielfalt der individuellen Geschäftsstellenmerkmale stellt die Käufermarktforschung vor erhebliche Herausforderungen, wie in einem nicht veröffentlichten Projekt der IFCom für den VDZ und BVPG einmal mehr deutlich wurde. Es wurde versucht, anhand der Ehastra- und Axciom-Mikromarktdaten homogene Gebietsmerkmale zu ermitteln und deren Einfluss auf Verkäufe herauszufiltern. Auch Geschäftsstellen, die strukturell ähnliche Daten aufweisen, konnten im Durchschnitt ungefähr jeweils gleich viele über- wie unterdurchschnittliche Verkäufe realisieren.161 Als wichtigstes Ergebnis konnte festgestellt werden, dass die Individualität der Geschäftsstellen, die über die im Rahmen der Ehastra und der Axciom-Mikromärkte beschreibbaren Merkmale hinausgeht, ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg war. Unmissverständlich soll hier auch festgehalten werden: Die Ehastra-Merkmale sind in der Lage, die Leistungen und die Potenziale einer Geschäftsstelle sehr gut zu beschreiben, darüber hinausgehende hoch individuelle Merkmale bis hin zu der Art und Weise, wie ein Geschäft geführt wird, sind in ihrem Rahmen jedoch nicht ohne weiteres erhebbar.162 Diese Individualität der Geschäftsstellen hängt eng zusammen mit ihrer Besucherstruktur. Über diese Besucherstruktur und deren Potenzial gibt es letztlich keine Kenntnisse.
160 Versuche, diesen zeitlichen Rahmen durch die Befragung von Panelteilnehmern zu umgehen, gelingen nur bei sehr großen EV-starken Titeln. Allerdings hört man auch nur wenig über Erfolgsmeldungen der Panelforschung im Rahmen der Käufermarktforschung. 161 Mit den Ehastra-Daten 2005-2007 wurden im Frühjahr 2008 umfangreiche Analysen für einige prototypisch ausgewählte Grossogebiete durch die IFCom durchgeführt. 162 Jedenfalls verlangt diese Aufgabe erheblichen Mehraufwand, der das jetzige Organisationsgerüst der Ehastra vermutlich sprengen würde. So müssten u. a. einheitliche Bewertungskriterien für Geschäftsstellen gefunden werden, die den bisherigen Katalog deutlich erweitern würden und die letztlich stark subjektiv gefärbt wären. Dazu gehören zum Beispiel Aspekte wie: „Laden ist aufgeräumt oder nicht“, „Laden hat homogene Besucherstruktur oder nicht“ etc.
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Solange Käufermarktforschung sich in erster Linie als Forschung des Kaufverhaltens begreift, das sich am POS manifestiert, orientiert sie sich an einem rationalen Menschenbild. Der Käufer/Nichtkäufer wird in der Befragungssituation als ein über die Kaufentscheidung bewusst reflektierendes Wesen verstanden, dem Käufer selbst zum Teil unbewusste in den Kaufakt eingehende Motive können auf diese Weise jedoch nicht transparent gemacht werden. Blickt man dagegen in der Makrosicht auf den Zeitschriftenkäufer, erhält man in der Regel nur allgemeine Einstellungsfragen zum Zeitschriftenkauf. Fraglich bleibt jedoch, ob diese allgemeinen Einstellungen immer zwingend etwas mit dem jeweiligen Kauf zu tun haben.
Somit findet sich die – ob in Verlagen oder in Verbänden – bisher praktizierte Käufermarktforschung in diversen Dilemmata. Sie muss ihren Auftraggebern signalisieren, dass sie „am Ball“ ist; sie hat eingeschränkte finanzielle Ressourcen; sie ist explorativ und verfügt über kein theoretisches Käuferkonzept,163 ihre Auftraggeber haben zum Teil widerstreitende Interessen und sie findet in einem Feld statt, das durch die Differenziertheit der Produkt- und Händlerfelder sicherlich einen der schwierigsten Arbeitsbereiche bildet.164 Bricht man Käufermarktforschung für Print auf deren konkrete Problemfelder herunter, so ergeben sich drei Bereiche:
das allgemeine Mediennutzungsverhalten und daraus resultierend das veränderte Printnutzungsverhalten, Effekte der Ladengestaltung und Geschäftsstellenpositionierung, und schließlich Effekte einzelner Titel.
In den begleitenden Workshops zur Bestimmung der Trends im Einzelverkauf wurden wiederum zwei gewichtige Punkte herausgearbeitet:
Worin bestehen aktuelle Erschwernisse für den Zeitschriftenmarkt? Wie verändert sich das Mediennutzungsverhalten und beeinflusst damit, völlig unabhängig von den Verkaufsstellen, den Kauf von Print? Welche Handlungsmöglichkeiten haben einzelne Zeitschriftenhändler bei diesem Gegenwind?
163 Tatsächlich fehlt die Berücksichtigung des Käufers in seiner Motivationslage. 164 Verlage und Grossisten müssen jeden Händler mit allen Printtiteln beliefern. Vor diesem Problem stehen andere Hersteller-Händler-Konstellationen nicht. Mittlerweile zahlen Lebensmittelproduzenten Geld dafür, wenn sie mit einem neuen Produkt in einem LEH vertreten sein wollen.
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Wohl noch nie haben sich die Mediennutzungsgewohnheiten so radikal gewandelt wie heute. In diesem Band wurden verschiedene Sichtweisen auf Print und das begleitende Umfeld erarbeitet. Zunächst die gute Nachricht: Publikumszeitschriften werden auf längere Sicht noch Bestand haben, auch wenn es auf mittlere Sicht deutliche Indizien für Funktionsverschiebungen gibt. Dabei kristallisieren sich drei Eckpfeiler heraus.
Die Miniaturisierung und die Mobilisierung technischer Medien ermöglichen fortwährend aktuellen medialen Zugang, akustisch, visuell, interaktiv und hochgradig individualisiert. Hier bedrängen also diverse Convenienceund Aktualitätsaspekte die Publikumszeitschriften. Ihnen werden Funktionen streitig gemacht. Die Individualisierung in der Gesellschaft wiederum erfordert neue Contentangebote, die natürlich auch von Zeitschriften geboten werden können. Die Tendenz geht hier aber zu kleinauflagigen Titeln, die individuelle Interessenlagen bedienen. Hier haben Zeitschriften eine starke Zukunft und dies insbesondere auch in den gesellschaftlichen Leitmilieus. Der dritte Eckpfeiler ist der demografische Wandel. Die alternde gesellschaftliche Majorität ist noch mit der bestehenden Zeitschriftenlandschaft groß geworden und wird dieses Medium auch künftig nicht substituieren. Die nachgewachsenen, mit dem Internet sozialisierten und ein völlig anderes Mediennutzungsverhalten aufweisenden Bevölkerungsgruppen sind zahlenmäßig zu gering, als dass sie kurzfristig eine nachhaltige Erosion der Printlandschaft bewirken könnten; sie signalisieren jedoch Handlungsbedarf. Visionen zukunftsgerichteter Verlage konzentrieren sich aus gutem Grund auf die langfristige Perspektive multimedialer Publikationen, was ihren wirtschaftlichen Bestand langfristig sicherstellen soll. Grossisten und Händler spielen hierbei eine nur untergeordnete Rolle.
Käufermarktforschung: Und nun? Betrachtet man die Fragestellungen der Vertriebspraktiker auf allen Ebenen – vom Verlag bis hin zum Handel –, dann fällt auch die Diskrepanz zwischen den Erwartungen an die Käufermarktforschung und den bisher gelieferten Ergebnissen der bekannten Studien auf. Diese beinhalten nur auf einer anderen Ebene, nämlich bezogen auf den Kaufakt am POS, das, was aus der Leserschaftsforschung und der übrigen Medienforschung, z. B. Zeitbudgetstudien und Forschungen zu anderen Mediengattungen, bereits bekannt ist: Das Mediennutzungsverhalten hat sich deutlich verändert. Konstatiert in diesem Zusammenhang die Leserschaftsforschung, dass Reichweiten und durchschnittliche Heftnutzung
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sinken, so stellt die Käufermarktforschung fest, dass die Verweildauer am Regal sinkt. In der Konsequenz kommt dabei das Gleiche heraus, wenn auch eben aus einer jeweils anderen Perspektive. Ein Problem bildet insgesamt die nichttitelbezogene Forschung, die tatsächlich nur sehr allgemeine, und – auf die Titellandschaft bezogen – durchschnittliche Ergebnisse liefern kann. Kaufzurückhaltung indes kann sich titelspezifisch äußern und verschiedene Ursachen haben, die im Rahmen einer globalen Studie nicht zu klären sind, weil zu viele äußerst individuelle Faktoren zu berücksichtigen sind. Wenn die Gattung unter Druck steht, dann ist das nicht über eine wie auch immer geartete allgemeine Kaufzurückhaltung alleine zu klären. Gewiss befindet sich die Printnutzung in einem Abwärtstrend. Die hierfür in erster Linie verantwortlichen Variablen wurden in diesem Band aufgezählt. Dennoch gibt es eine Reihe von Hebeln, mit denen die Akteure den Trend bremsen können. Entsprechend existieren etliche Aktionsfelder, in denen Käufermarktforschung hilfreich sein kann.
Aktionsfeld 1: Point-of-Sale-Maßnahmen und konsequente Evaluation Bislang liegen noch keine systematisch erfassten Erkenntnisse darüber vor, welche Maßnahmen am POS wirken oder nicht. Es gibt eine Vielzahl an Einzelergebnissen, die auch mit Marktforschungsmethoden ermittelt wurden, z. B. dass Titel in einem aufgeräumten Regal schneller als in einem unordentlichen Regal gefunden werden. Es fehlt aber an einer systematischen Erfassung und Kontrolle der Wirksamkeit von Maßnahmen. Statt also alles untersuchen zu wollen und damit nur der allgemeinen Erkenntnis der Medienforschung von einer deutlichen Umwuchtung in der Medienlandschaft neue Nahrung zu geben, ist es erfolgsträchtiger, kleinteilig die Wirkung einzelner Maßnahmen systematisch zu untersuchen, zu sammeln und die entsprechenden Erkenntnisse weiter zu verbreiten.165 Auf dieser Ebene wird auch der Informationsbedarf der Vertriebspraktiker befriedigt.
Aktionsfeld 2: Konsequente Ehastra-Analyse Mit der Ehastra steht den Vertriebsorganisationen ein leistungsfähiges Analyseinstrumentarium zu Verfügung. Dazu zählt insbesondere der Einsatz multivariater statistischer Verfahren, die den Einfluss mehrerer Größen auf den Verkauf 165 Wie uneindeutig die Folgen von Maßnahmen am POS sind, zeigt zum Beispiel das Interview mit Lars-Henning Patzke, dem Geschäftsführer des Deutschen Pressevertriebs (DPV) im dnv vom 17.1.2008. Vgl. Krebs 2008
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6a Aktionsfelder und Anforderungen an die Käufermarktforschung
oder die Verkaufsentwicklung erhellen könnten. So werden beispielsweise die Fragen untersucht, ob Discounter zusätzliche Zeitschriften-Verkäufe bringen oder Käufer nur von den Fachgeschäften abziehen; ob Sortimentsreduzierung Umsatzreduzierung bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung herbeiführt oder ob es langfristige Effekte quantifizierbarer Maßnahmen am POS gibt. Reformbedürftigkeit weisen solche Fragestellungen bei der Ehastra insoweit auf, als noch kein schlüssiges Merkmal existiert, das die sozialräumliche Nähe von Geschäftsstellen definiert. Damit ist also nicht die geographische Nähe gemeint, sondern der Verlauf von Kundenströmen. Im Sinne einer konsequenten Analyse müssen systematischer als bisher die Einflüsse der Geschäftsstellenmerkmale, ihrer Veränderungen im Zeitverlauf, der Sortimentsbreite usw. auf die Verkaufsentwicklung am POS untersucht werden. Aktionsfeld 3: Konsequente Titelanalyse Befinden sich die beiden vorgenannten Aktionsfelder in der Zuständigkeit von Gremien, Händlern, Grosso und Vertrieb, so liegt die konsequente Titelanalyse bei den Verlagen, die die Leserbedürfnisse – auch die ehemaliger Leser – weiter untersuchen müssen, um hier am Puls der Zeit zu bleiben. Das beinhaltet schließlich auch das Loslassen vergangener Konzepte und den Mut, neue Heftkonzepte zu entwickeln.166 Eine höhere Experimentierfreudigkeit ist vor dem Hintergrund sich rasch wandelnder Rahmenbedingungen unumgänglich. Aktionsfeld 4: Konsequente Experimentierfreudigkeit Käufermarktforschung kann helfen, Verhalten zu analysieren und als allgemeine Konsumentenforschung Trends auf der Makroebene aufzudecken. Doch bietet sie kaum Antworten auf komplexe hypothetische Fallkonstellationen. Hier hilft konsequente Experimentierfreude am POS, um veränderte Kundenorientierungen besser erkennen und auf sie reagieren zu können. Auf der einen Seite muss dabei Input dahingehend geleistet werden, wie sich Konsumenten insgesamt, unabhängig von ihrer Eigenschaft als Zeitschriftenkäufer, ändern. Auf der anderen Seite müssen auf diese Änderungen Antworten gefunden werden, die sich letztlich nur im Feldversuch, am POS, entwickeln lassen. Bei einem solchen Trial-and-errorPrinzip hilft Käufermarktforschung, die optimale Passung der Maßnahmen zu den Bedürfnissen zu finden. 166 IFCom und ihre Partner beraten seit vielen Jahren Verlage auch in Fragen der Heftoptimierung. Viele Verlage machen sich kaum Gedanken, warum ihre Titel Leser verlieren und ob das etwas mit der Heftkonzeption selbst zu tun haben könnte.
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Welche Perspektive haben Zeitschriften aus der Sicht der Experten? Bedrohungen werden übereinstimmend von allen skizziert, gewiss scheint, dass gedruckter Content an Bedeutung verlieren wird. Auch wenn sich keiner der Experten eine printlose Zukunft vorstellen kann oder mag. Denn auch für die nachwachsenden Jahrgänge scheint es keine printlose Zukunft zu geben, trotz der Absetzbewegungen dieser Zielgruppen, die empirisch gesichert sind. Auch für sie haben Zeitschriften nichts von ihrer Faszination verloren. Dafür sprechen die höchsten Regalverweildauern dieser Zielgruppen sowie an sie gerichtete erfolgreiche Printinnovationen. Der oft vorhergesagten Einbahnstraße in den Bedeutungsverlust der Printmedien mag sich auch der Kommunikationsforscher Klaus Schönbach nicht anschließen, der aufgrund der spezifischen Eigenschaften von Print durchaus Hoffnung sieht, wenn auch bei einer deutlichen Verschiebung des Marktes.
6b „Zeitschriften wird es immer geben“ Interview mit Prof. Dr. Klaus Schönbach
Sehen Sie Funktionsverschiebungen von Publikumszeitschriften zu anderen Medien? Ich würde hier immer unterscheiden zwischen Massentiteln und Special-InterestTiteln. Erfolgreiche Publikumszeitschriften arbeiten mit dem Mittel der „zuverlässigen Überraschung“. Ich kaufe sie mir und weiß, es interessiert mich und ich werde vom Inhalt immer wieder neu überrascht – im positiven Sinne. Sie liefern mir unendlich viel Material, sortieren es aber vor, betten es ein, erklären es. Titel, die nicht mit diesem Element der zuverlässigen Überraschung arbeiten, sondern stark informationslastig im Sinne von Neuigkeiten, Marktinformationen oder Rankings orientiert sind, werden sicherlich irgendwann durch das Internet substituiert. Ein weiterer Dreh- und Angelpunkt sind die Themen. Wenn die Leser sich nicht mehr für die Themen interessieren, dann hat es ein Titel schwer. Wenn z. B. das Politikinteresse in der Bevölkerung sinkt, werden Zeitschriften, die sich darauf konzentrieren, nicht mehr gelesen – auch nicht im Internet. Deshalb verlieren die Tageszeitungen in Deutschland schon seit langem an Auflage? Deren Themen stoßen einfach auf weniger Interesse, wie man das auch in der ganzen westlichen Welt beobachten kann. Aber das sind hoffentlich zyklische Effekte: 2020 kann das wieder ganz anders sein. Wie können Publikumszeitschriften weiter Kaufappeal bewahren? Ein ganz wichtiger Punkt ist meines Erachtens die Professionalität. Solange man als Leser die Garantie mitkauft, zuverlässig recherchierte und eingeordnete Berichte zu erhalten, gibt es genügend Kaufimpulse. Auf der anderen Seite heißt das aber auch: Wenn Zeitschriftenverlage im derzeitigen Kostendruck mit Auswirkungen auf Professionalität und Qualität sparen, nehmen sie sich den wichtigsten USP weg?
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6b „Zeitschriften wird es immer geben“
Hierin liegt sicherlich die größte Gefahr: Eine Schwelle könnte unterschritten werden, unterhalb derer die Werthaltigkeit rasant sinkt. Braucht man eigentlich die Printform für erfolgreiche Zeitschriften? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Zeitschriften immer geben wird. Ich bin mir aber sehr unsicher, ob diese Zeitschriften in 20 Jahren noch so aussehen werden wie heute. Professionalität und zuverlässige Überraschung sind ja nicht an die Printform gebunden. Vielleicht gibt es in 20 Jahren ja nur eine Folie als Bildschirm, auf die Sie in hervorragender technischer Qualität Inhalte ziehen können, wie sie heute nur in Zeitschriften zu lesen sind, und man braucht keine gedruckten Hefte mehr. Insofern wird sich die heutige Kette Vertrieb-Grosso-Handel wandeln. Um ganz visionär zu werden: Man kann sich z. B. so eine Art Musterladen vorstellen, wo ich alle Zeitschriften einsehen kann, danach bestelle ich sie dann auf mein Display. Wie sehen Sie Konkurrenzverhältnisse zum Internet oder Fernsehen? Es geht um Funktionen, die ein Medium besser ausfüllen kann als andere. Wenn andere Medien etwas besser können als Zeitschriften, kriegen Zeitschriften Probleme. Können auch Zeitschriften wiederum neue Funktionen gewinnen? Ja, bei allem, was man bündeln und sozusagen zwischen zwei Pappdeckel pressen kann und wofür ich eine hohe Professionalität der Auswahl und Verarbeitung brauche, findet sich grundsätzlich auch eine Lücke für Zeitschriften. Entwerten sich Zeitschriften manchmal nicht selbst? Ich denke an die ganzen Beigaben auf den Titeln wie DVDs oder CDs … Je stärker diese Beigaben etwas mit dem Inhalt zu tun haben, desto hochwertiger wird das Gesamtpaket. Wenn eine Musikzeitschrift z. B. gleich Hörproben mitliefert, ist das eine positive Ergänzung. Wenn Zugaben und Inhalte nichts miteinander zu tun haben, entwertet das sicherlich die Zeitschrift selbst. Hier muss man sehr vorsichtig arbeiten. Wie ist die Situation am Point of Sale: Hilft Übersichtlichkeit zu Mehrverkäufen? Ist weniger mehr?
Interview mit Prof. Dr. Klaus Schönbach
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Natürlich muss man Zeitschriften sehen. Je höher die Chance ist, dass ich einen Titel bemerke, desto höher ist die Chance, dass er auch gekauft wird. Verdrängung kleinauflagiger Special-Interest-Titel in die Fachgeschäfte und die Konzentration auf wenige Blockbuster bei Discountern senkt die Chance, dass die kleineren Titel überhaupt noch bemerkt werden. Wie ist denn ihre Prognose für kleinere Zeitschriftenläden? Vieles von dem, was wir hier besprechen, sind Übergangsformen. Sicherlich wird es auch zukünftig opulente Printtitel geben, die man auch nur in Papierform sehen und kaufen möchte. Entsprechend muss dann aber auch ihre Präsentation sein. Ein Element könnten Premiumshops sein, die es schaffen, Zeitschriften ansprechend zu präsentieren. Auf der anderen Seite wird es eine Art Katalogshop geben, wo Sie einen Überblick über das Gesamtangebot finden. Kleine Kioske, wie wir sie heute kennen, werden da wohl zerrieben. Aber das steht und fällt mit der weiteren technischen Entwicklung. Klingt ja pessimistisch?! Nein, ich würde eher sagen: melancholisch. Mittelfristig gibt es für eine Reihe von Zeitschriftentypen einen Trend weg vom Papier. Für die Titel, die dann auf Papier übrig bleiben, wird es entsprechende hochkarätige Präsentationsflächen geben. Aber der Pressehandel in 20 Jahren wird nicht mit dem heutigen Pressehandel vergleichbar sein. Trotzdem: Zeitschriften wird es immer geben. Was ihre physische Form dagegen angeht, werden wir uns auf Wandel einstellen müssen. Die Fragen an Klaus Schönbach stellte Sven Dierks.
Die Autoren Die Autoren
Peter Brummund Dr. rer. pol. Peter Brummund, geboren 1952, ist Geschäftsführer der BSB epaperstar Ltd. & Co. KG in Köln. Nach der Ausbildung zum Kaufmann im Zeitungs- und ZeitschriftenGroßhandel studierte er an der Hochschule für Wirtschaft in Bremen Betriebswirtschaftslehre und anschließend an der Universität Oldenburg Ökonomie, wo er auch 1985 zum Thema „Struktur und Organisation des deutschen Pressevertriebs“ promovierte. Sein beruflicher Werdegang über verschiedenste Leitungsfunktionen in Vertrieb und Geschäftsführung, u. a. für die IP Internationale Presse, und seine grundlegenden Arbeiten zum deutschen Pressevertrieb als Buchautor ließen Brummund zu einem der bedeutendsten deutschen Experten zu Fragen des deutschen Pressevertriebs-Systems werden. Seit 2006 ist Brummund Geschäftsführer von epaperstar, Deutschlands erstem Presse-Shop für elektronische Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften.
Sven Dierks Dr. phil. Sven Dierks, M.A, geboren 1965, ist Geschäftsführer des IFCom-Instituts in Hamburg und beschäftigt sich dort mit den Bereichen Media- und Werbeforschung. Nach seinem Studium der Soziologie, Psychologie und Statistik in Hamburg war er drei Jahre lang Leiter der Werbeforschung beim Radio Marketingservice und danach sieben Jahre lang stellvertretender Leiter bzw. Leiter der Marktforschung beim Spiegel-Verlag. Seit 2006 ist er bei IFCom. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die nationale und internationale Entwicklung der Medienlandschaft und die wirtschaftliche Entwicklung der Medienunternehmen. Damit hängt die Frage zusammen, wie Medienunternehmen auch zukünftig noch Geld verdienen können.
202 Maria Gerhards Maria Gerhards, geboren 1966, M.A., studierte Germanistik, Psychologie und Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seit 1994 arbeitet sie in der Abteilung Medienforschung/Programmstrategie des SWR (vorher SWF) als Programmberaterin für die Hörfunk-, Fernseh- und Onlineangebote. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Mediennutzung in der Zukunft: Sie untersucht Trends und Perspektiven im Umgang mit den elektronischen Medien.
Michael Hallemann Dr. Michael Hallemann, geboren 1956, ist Leiter Gruner + Jahr Media-Forschung und -Service. Nach dem Studium der Publizistikwissenschaft, Betriebwirtschaftslehre und Soziologie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demoskopie Allensbach (1985-88). Seit 1988 ist er in der Markt- und Media-Forschung bei Gruner + Jahr in Hamburg als Ressortleiter Markt-Medienforschung (1991-1994), stellvertretender Leiter MarketingForschung und -Service (1994-2003), Leiter Media-Forschung und -Service (seit 2003) tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind angewandte Medienforschung für das Anzeigenmarketing, redaktionelle Forschung, Gemeinschafts-, Grundlagen- und (Werbe-)Wirkungsforschung, u. a. das G+J Werbewirkungspanel, Forschungsmanagement, Aus- und Weiterbildung, diverse Lehraufträge zu Themen der Media-Forschung und -Planung. Dr. Hallemann ist Mitglied der Technischen Kommission der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (ag.ma) und im Vorstand der Deutschen Werbewissenschaftlichen Gesellschaft (DWG).
Die Autoren
Die Autoren
Christiane Heckel Christiane Heckel (Dipl.-Sozialwirtin), geboren 1962, leitet den Bereich Stichproben und Statistik bei BIK ASCHPURWIS + BEHRENS GmbH und ist damit verantwortlich für den Auf- und Ausbau der ADM-CATI-Telefonauswahlgrundlagen sowie für die ADM-Face-to-Face-Auswahlgrundlage (Arbeitskreis deutscher Marktforschungsinstitute). Dazu kommt die Auswertung und Aufbereitung amtlicher Statistik, mit dem Schwerpunkt Bevölkerungsstatistik. Das Phänomen der alternden Gesellschaft wird bei BIK bereits seit Jahren im Rahmen verschiedener Projekte beobachtet. Christiane Heckel ist Mitglied im BVM-Fachbeirat und in der Deutschen Statistischen Gesellschaft.
Stefan Heng Dr. rer. pol. Stefan Heng, Dipl. Volkswirt, geboren 1969, ist seit dem Jahr 2000 in wechselnder und wachsender Verantwortung als Senior Economist bei Deutsche Bank Research tätig. Sein Aufgabenschwerpunkt liegt in der volkswirtschaftlichen Analyse des durch innovative Informations- und Kommunikationstechnologien getriebenen strukturellen Wandels, hier insbesondere in den Bereichen E-Commerce, Telekommunikation, neue Medien, innovative Bezahlsysteme und RFID. Vor seiner Tätigkeit bei der Deutschen Bank arbeitete Dr. Heng in einem Schwerpunktprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er promovierte an der Universität Mannheim mit einer verkehrsökonomischen Arbeit. Dr. Heng ist u. a. regelmäßiges Mitglied im Organisationskomitee der International Telecommunications Society (ITS), regelmäßiges Mitglied im Zukunftspreis-Komitee der VO.IP Germany, „Young Leader“ der Atlantik Brücke e.V. Er verfasste zahlreiche Studien und Buchbeiträge.
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204 Walter Klingler Dr. Walter Klingler, geboren 1951, Diplom-Soziologe, studierte Soziologie, Zeitgeschichte und Politische Wissenschaft an der Universität Mannheim. Seit 1981 ist er Mitarbeiter des SWF (Südwestfunks), seit 1989 Leiter der Abteilung Medienforschung/Programmstrategie im SWR (vorher SWF).
Heinrich Kreibich Heinrich Kreibich, geboren 1951, ist Geschäftsführer der Stiftung Lesen. Nach seiner Ausbildung zum Erziehungswissenschaftler (Dipl. Päd.) war Kreibich Einsatz- und Ausbildungsoffizier bei der deutschen Luftwaffe. Es folgte ab 1979 eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Schwerpunkt schulische Sozialisation an der Universität Mainz. Seit 1981 ist Heinrich Kreibich bei der Stiftung Lesen tätig. Zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, von 1994 bis 1997 als Mitglied der Geschäftsleitung und ab 1997 als Geschäftsführer. Kreibich ist u. a. seit 2003 Mitglied des Fachausschusses „Kultur und Bildung“ des Deutschen Kulturrats sowie seit 2005 Chairman der „EU Read“ (European Platform for Reading Promotion). Unter mehreren Auszeichnungen für seinen fortwährenden Einsatz ragt die Verleihung des „Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland am Bande“ in Würdigung seiner Verdienste um die Leseförderung in Deutschland heraus.
Die Autoren
Die Autoren
Jens Lönneker Diplom-Psychologe Jens Lönneker, geboren 1957, ist Geschäftsführer von rheingold Institut für qualitative Marktund Medienanalysen. Er lebt in Köln und befasst sich national und international mit tiefenpsychologischen Analysen – von der Grundlagenforschung und Produktentwicklung bis hin zur Überprüfung von Werbemaßnahmen in den Bereichen Food, Getränke, Duft und Printmedien. Er veröffentlicht zudem Beiträge zu den Themenfeldern Ernährung, Medien, Sponsoring und Verfassungsmarketing und ist als Referent im In- und Ausland tätig. Zudem hat er Lehraufträge an der Universität der Künste in Berlin und der University of Management and Communication (UMC) in Potsdam und ist Gastreferent an der Universität St. Gallen. Nach der Schulausbildung kam er nicht direkt zur Psychologie, sondern absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Erst 1980 begann er sein Psychologie-Studium an der Universität Köln. Sieben Jahre später gründete Lönneker in der Domstadt zusammen mit Stephan Grünewald das auf tiefenpsychologische Forschung spezialisierte rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen. rheingold ist heute eine der ersten Adressen in der qualitativen Marktforschung.
Dorothea Nowak Dorothea Nowak, geboren 1940, ist Gründerin, Gesellschafterin und Geschäftsführerin von Sinus Sociovision. Nach dem Studium der Psychologie und Soziologie an den Universitäten Freiburg, Paris und München begann Dorothea Nowaks berufliche Karriere 1968 bei Infratest München. Dort leitete sie ab 1970 die Abteilung Psychologische Marktforschung. 1974 gründete sie zusammen mit ihrem Mann, Horst Nowak, das Sinus-Institut, heute Sinus Sociovision. Dorothea Nowak ist Spezialistin für psychologische Marktforschung, Zielgruppenforschung, insbesondere auf Basis der Sinus-Milieus, und soziokulturelle Trendforschung. Die Expertise in diesen Forschungs- und Beratungsfeldern wendet sie regelmäßig auch in der Medienforschung und Strategieentwicklung an.
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206 Dorothea Nowak ist Mitglied im BVM, zurzeit auch Mitglied der Jury des Preises der Deutschen Marktforschung. Sie vertritt Sinus Sociovision im ADM und ist Mitglied im Beschwerderat des Rates der Deutschen Marktund Sozialforschung e.V. (ADM, ASI, BVM).
Holger Rußmann Diplomsoziologe Holger Rußmann, geboren 1972, ist Projektleiter des IFCom-Instituts in Hamburg. Nach einer Ausbildung zum Verlagskaufmann beim SPIEGEL-Verlag studierte er an der Universität Hamburg Soziologie, Politologie, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften. Parallel zum Studium konnte er im Anzeigenmarketing des SPIEGEL-Verlags in verschiedenen Funktionen (Verkaufsassistenz, Webcontent-Manager SPIEGEL MEDIA) den wachsenden Einfluss der Onlinewelt auf das Printgeschäft aus erster Hand beobachten. Seit 2006 ist er bei IFCom tätig und beschäftigt sich vor allem mit der Wirkung von Print und Online in der Werbung und der Entwicklung der Medienlandschaft.
Michael Schenk Univ.-Prof. Dr. rer. pol. Dr.habil. Michael Schenk, geboren 1948, ist geschäftsführender Leiter der Forschungsstelle für Medienwirtschaft und Kommunikationsforschung an der Universität Hohenheim (Stuttgart). Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Regensburg und Promotion an der Universität Augsburg (Dr. rer. pol. 1977) war Prof. Schenk als Projektleiter in der Marketingforschung von Infratest/Burke, München, tätig. 1983 habilitierte er an der Universität Augsburg und folgte einem Ruf auf eine Professur für Medienwirtschaft an der Universität Mainz, Institut für Publizistik. Seit 1986 ist er an der Universität Hohenheim und hat den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft und Sozialforschung inne (bis 1991 Stiftungsprofessur des SDR). Die Lehr- und Forschungsgebiete von Prof. Schenk erstrecken sich auf Medienökonomie, Medienmarketing und Methoden der empirischen Kommunikationsforschung.
Die Autoren
Die Autoren
An der Forschungsstelle für Medienwirtschaft und Kommunikationsforschung wurden unter seiner Leitung wiederholt Projekte für verschiedene Verlage durchgeführt; z. B. „Wirtschaftsberichterstattung in Zeitschriften“ (Hubert Burda Medien), Finanz-Meinungsführer (SpiegelVerlag), Entscheider-Netzwerke (manager magazin). Prof. Schenk ist ferner Mitglied der Medienwissenschaftlichen Kommission der Mediapulse AG, Bern.
Klaus Schönbach Univ.-Prof. Dr. Klaus Schönbach, geboren 1949, ist Professor und Inhaber des BBDO-Lehrstuhls für Medienwissenschaft der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen und des Lehrstuhls für Allgemeine Kommunikationswissenschaft der Universität Amsterdam sowie Vizepräsident der Zeppelin-Universität für Internationale Beziehungen. Sein Werdegang umfasst die folgenden Etappen: Studium der Publizistik, Soziologie und Germanistik in Mainz. 1975 Promotion bei Elisabeth Noelle-Neumann. Leiter der Inhaltsanalyse-Abteilung des Zentrums für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim. Akademischer Rat am Institut für Publizistik der Universität Münster, dort 1982 Habilitation in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. 1983 Professor für Angewandte Kommunikationsforschung am Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) der Universität München; 1985 Univ.-Professor für Journalistik mit dem Schwerpunkt Kommunikationswissenschaft am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Dort Aufbau der Studiengänge Journalistik und „Medienmanagement (Angewandte Medienwissenschaft)“. Insgesamt über ein Jahr Gastprofessor an verschiedenen Universitäten der USA. 1998 Wechsel nach Amsterdam. Seit 2005 Lehrstuhl auch in Friedrichshafen. Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind: Medienmarketing, Publikum und Wirkungen der Massenmedien, politische Kommunikation, Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Berater und Gutachter für Tageszeitungen, für die Programmplanung von Radio und Fernsehen, für die Evaluation von PR und Werbung.
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208 Jörg Thiele Jörg Thiele, geboren 1973, ist Leiter Vertriebsmarktforschung beim BURDA Medien Vertrieb in München. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Käuferforschung, Verkaufsprognosen und Sales Modelling, Analysen zur Marktausschöpfung, Titelbild-Analysen, Data Mining und statistische Modellbildung. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Chemnitz mit den Spezialisierungsrichtungen Marketing, Controlling und Wirtschaftsrecht mit Abschluss zum Diplom-Kaufmann war er wissenschaftlicher Assistent an der Professur für Marketing und Handelsbetriebslehre der Universität Chemnitz. Anschließend wurde er Projektleiter für Analysen und Methoden beim BURDA Publishing Center, Bereich Kommunikationsforschung.
Anke Tschörtner Dr. Anke Tschörtner, geboren 1976, arbeitet als Assistentin der Verlagsbereichsleitung im Georg Thieme Verlag. Ihre universitäre Ausbildung schloss sie nach einem zwischenzeitlichen Aufenthalt einschließlich M.A.-Qualifikation an der London Guildhall University zunächst als Diplom-Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Hohenheim ab. Es folgte ein Engagement als Dozentin für Medienforschung an der Berufsakademie Ravensburg. Nach ihrer Rückkehr an die Universität Hohenheim als Projektmanagerin und Dozentin der Forschungsstelle für Medienwirtschaft und Kommunikationsforschung war Anke Tschörtner an der Konzeption und Durchführung vielfältiger Medienstudien und Reichweitenanalysen im deutschsprachigen Raum beteiligt. In ihrer Dissertation (Dr. oec.) untersuchte sie die empirischen Erfolgsfaktoren bei der Einführung neuer Zeitschriften in den Publikumsmarkt, darunter im Besonderen den Einfluss der Expertise von Verlagsleitern.
Die Autoren
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