G.F. Unger SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE � Band 1289 �
Queens-Reiter Als ich sie zum ersten Mal in meinem Leben sah, ...
35 downloads
1191 Views
690KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
G.F. Unger SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE � Band 1289 �
Queens-Reiter Als ich sie zum ersten Mal in meinem Leben sah, da steckte sie mächtig in der Klemme. Denn sie saß mit drei Hartgesottenen in einer Pokerrunde im Big River Saloon, und im Pott lag ein Haufen Geld – nein, keine Chips, die man einlösen musste, sondern bares Geld, Yankeedollars. Und die waren zumindest so begehrt wie schöne Frauen, wenn nicht noch mehr. Denn jetzt nach dem Krieg war das Südstaatengeld nichts mehr wert. Ich hatte die Frau von der Bar aus immerzu beobachtet. Doch das taten fast alle Männer im Saloon, die hier die ganze Nacht auf die Weiterfahrt der »River Bee« hinunter nach New Orleans warteten. Ja, sie war nicht einfach nur eine Schönheit. Sie war mehr. Denn sie strömte etwas aus, was nicht so einfach zu beschreiben ist. Dieses Gesicht im Lampenschein war von einer eindringlichen Schönheit, von der Sorte, die das Leben formt. Und zugleich war es das wachsame, herbe und herrliche Gesicht einer jungen Frau, der Liebe und Enttäuschungen nicht fremd blieben und der dennoch der Stolz nicht abhanden kam…
Sie hatte schwarze Augen, welche ziemlich weit auseinander standen. Ihre Lippen waren voll und vermochten gewiss viele Gefühle auszudrücken: Doch jetzt hatte sie sie unter Kontrolle. Und so wirkte ihr Mund beherrscht, fast hart. Am bewundernswertesten aber war ihr Haar. Es leuchtete wie Rotgold, poliertes Rotgold. Ich musste sie von der Bar her immer wieder ansehen wie ein schönes Bild. Einige Male, wenn einer der anderen Spieler die Karten mischte und ihr Blick in die Runde schweifte, da trafen sich unsere Blicke für einen Moment. Nun wusste ich es endlich genau. Sie war eine selbstbewusste Frau, die einem Mann gerade in die Augen sehen konnte, die seinem Blick nicht auswich und ihn dennoch auf Distanz hielt. O Himmel, so etwas wie sie war mir in meinem Leben noch niemals begegnet. Und zugleich wurde mir klar, dass sich nicht viele Männer an sie heranwagen würden. Wir alle bekamen immer wieder mit, wie das Spiel verlief. Sie spielte mit hartgesottenen Burschen. Einer war Eigner und Kapitän eines Dampfbootes. Ein anderer Mann gehörte zur Lotsen-Bruderschaft, war also ebenfalls ein River-Kapitän. Und der dritte Mann war ein gut getarnter Berufsspieler, ein Kartenhai also. Er gab sich seriös, als wäre er ein reicher Reeder. Aber ich kannte die Sorte. Das Spiel geriet nun in seine entscheidende Phase. Der Kapitän und der Lotse passten, boten nicht mehr mit. Und die Schöne konnte nicht mehr im Spiel bleiben, weil ihr die schönen, nagelneuen Yankeedollars ausgegangen waren. Der Kartenhai aber erhöhte um fünf Zwanzigdollarstücke und fragte sanft: »Können Sie im Spiel bleiben, Lady?« Sie konnte nicht. Wir alle begriffen es in diesem Moment. Aber sie sah nochmals in ihrer Handtasche nach. Doch das tat sie wahrscheinlich nur, um etwas Zeit zu gewinnen und nach einem Ausweg zu suchen. Wenn sie nichts mehr einzusetzen hatte, dann war sie von diesem Kartenhai aus dem Spiel geblufft worden. Ihr Blick ging nun in die Runde und blieb dann auf mir haften. Wir sahen uns nur wenige Sekunden in die Augen. Doch sie wusste plötzlich, dass ich ihr helfen würde. Und so erkannte ich in ihren schwarzen Augen im Lampenschein das Versprechen. Ja, sie würde mir mehr als nur mit Worten dankbar sein. Wenn sie mittellos war, konnte sie nur ihre Schönheit verkaufen. Jetzt hatte sie noch die Wahl, nämlich mich. Hatte sie erst alles verloren, konnte sie nicht mehr wählerisch sein. Nun, ich entschloss mich also.
In meiner Tasche befanden sich ganze einhundertsiebenundfünfzig Dollar. Würden sie reichen, um den Kartenhai aus dem Spiel zu bieten? Ich dachte nicht länger darüber nach, sondern stieß mich von der Bar ab. Es waren nur sechs oder sieben Schritte bis zum Pokertisch. Dann hörte ich mich sagen: »Mary, wie viel brauchst du, um im Spiel zu bleiben?« Ich kannte natürlich nicht ihren Namen. Doch Mary hießen viele Frauen. Warum also sollte sie nicht Mary heißen? Sie lächelte ernst zu mir empor. »Vorerst brauche ich nur hundert Dollar, Bill«, erwiderte sie. »Und dann werden wir sehen, was der Gentleman noch auf der Pfanne hat.« Sie hatte mich Bill genannt, so wie ich sie Mary. Und es war von der ersten Sekunde an ein stillschweigendes Einverständnis zwischen uns. Ich trat neben sie und legte die hundert Dollar zum anderen Geld. Dann trat ich einen halben Schritt zurück, verhielt etwas seitlich von ihr und wartete ab. Der Blick des Spielers war voller Feindschaft und Drohung. Ja, er war binnen einer Sekunde mein Todfeind geworden. Ich hatte ihm die fette Beute weggeschnappt. Denn er hatte geblufft. Die besseren Karten hatte die Schöne. Ich wusste es, bevor aufgedeckt wurde. Der Kartenhai hatte nun ausdruckslose Fischaugen. Er hielt alles tief in sich verborgen. Dennoch spürte ich seine Feindschaft. Er hatte ebenfalls seine letzten Dollars ins Spiel gebracht. Vielleicht hatte er noch einen Notgroschen in der Tasche, aber diese paar Dollars riskierte er nicht mehr. Denn er glaubte, dass er gegen mich nicht ankommen konnte. Ja, er würde nun sozusagen gegen mich weiterspielen müssen. Und so deckte er auf. In ihm war nur noch eine schwache Hoffnung, dass sein Blatt vielleicht doch gut genug sein würde. Doch er hatte nur drei Damen. Mary aber deckte vier Könige auf. Dabei hätten drei Könige für sie schon gereicht. Der Spieler erhob sich, wortlos, starrte mich nur noch einmal ausdruckslos an und ging hinaus. Die beiden Flusskapitäne grinsten. Sie nickten zuerst Mary und dann mir zu. Einer sagte: »Eine schöne Frau hat immer Glück.« Der andere – er war der Lotse – sprach etwas neidvoll: »Die ›River Bee‹ geht erst in sechs Stunden wieder in den Strom.« Dann gingen sie. Die Spannung löste sich im Saloon. Überall kam die Unterhaltung wieder in Gang. Die Schöne sammelte das Geld ein und tat es in ihre Handtasche. Meine hun-
dert Dollar ließ sie liegen. Dann sah sie mich mit ihren schwarzen Augen an und lächelte: »Ich heiße nicht Mary, sondern Rachel – Rachel Winger. Warum hast du mir beigestanden wie ein guter alter Freund?« »Mein Name ist Justin Hays«, erwiderte ich, »nicht Bill. Und ich half dir aus der Klemme, weil es wohl vom Schicksal so gewollt war. Oder nicht?« Sie sah mir wieder in die Augen. Ich hatte Platz genommen, saß ihr gegenüber. »Und du möchtest mich haben, Justin Hays?« So fragte sie. »Deshalb hast du mir geholfen?« Ich nickte. »Ja, vom ersten Augenblick an, da ich dich sah, wollte ich dich haben, Rachel Winger. Aber ich will dich nicht, weil du mir dankbar sein möchtest. Du musst mich ebenfalls wollen.« In ihren Augen war nun ein Funkeln. »Gut«, sagte sie, »dann gehen wir ins Hotel. Ich kam mit der Postkutsche und will morgen mit der ›River Bee‹ nach New Orleans hinunter. Wir haben noch einige Stunden Zeit. Finden wir heraus, was morgen sein wird.« * Draußen graute bereits der Morgen, als wir erschöpft nebeneinander lagen und noch unsere Wärme spürten. In meinem ganzen Leben hatte ich noch niemals eine Frau besessen, die alles gab und alles forderte, sodass wir uns wahrhaftig dem Himmel nahe brachten. Anders konnte ich die Stunden nicht beschreiben. Ich fragte. »Nun, hast du es herausgefunden, Rachel?« Sie schwieg noch einige Atemzüge lang. Dann murmelte sie: »Justin, du hast mich sehr glücklich gemacht. Ich schwebte auf einer Wolke und gehörte dir ganz und gar. Es war schön, wunderschön, und ich möchte es immer wieder erleben. Doch ich…« Sie verstummte, zögerte, überlegte noch, lauschte vielleicht tief in sich hinein. Dann sprach sie flüsternd weiter: »… ich bin eine Katze, eine zweibeinige zwar, aber im Wesen doch eine Katze. Ich will mich nicht binden, sondern weiter durch die Welt ziehen, mich behaupten. Das Leben ist voller Abenteuer. Sie machen das Leben schön. Man muss sich den Dingen stellen. Das gefällt mir. Ich wusste im Saloon von Anfang an, dass du mir beistehen würdest. Du könntest mit mir durch die Welt ziehen als mein Beschützer. Doch ich halte dich für einen Mann, der nicht damit zufrieden sein würde, eine Art Prinzgemahl zu sein. Also werden wir uns trennen. Aber ich möchte mehr von dir wissen. Ich weiß nichts von dir, gar nichts. Wer bist du, woher kommst du? Wohin willst du? Und wo könnte ich dich zumindest brieflich erreichen?«
Als sie schwieg, da verspürte ich ein starkes Bedauern. Ja, sie war wohl eine Katze, und Katzen wollten frei und unabhängig sein, sich nicht ewig binden. Katzen sind Jäger, stets auf der Suche nach Beute. Selbst die zahmen Hauskatzen jagen zumindest Mäuse. Und so sagte ich leise: »Aaah, ich war vor dem Krieg nur ein Cowboy. Dann ritt ich in den Krieg wie viele Texaner. Ich wurde Offizier, kam in Gefangenschaft und wurde erst sehr spät aus dem Lager entlassen. Ich wollte nicht als Satteltramp heimkehren, und so nahm ich einen Job an, beschützte den Besitzer eines Frachtwagenzuges, der nichts anderes als ein fahrender Generalstore war. Wir versorgten die Büffeljägercamps mit Waren jeder Sorte. Und mein Boss schleppte zuletzt mehr als zehntausend Dollar mit sich herum, als wir seine Ware fast gänzlich verkauft hatten. Ich konnte ihn dann doch nicht beschützen, als Indianer uns in das Hochwasser des Cimarron jagten. Er ertrank, weil die Golddollars in seinem Gürtel unter dem Hemd zu schwer waren. Nun bin ich auf dem Heimweg nach Texas. Ich habe mal zu meiner Verwandtschaft geschrieben, sodass sie wussten, wo ich postlagernd erreichbar war und dass ich den Krieg überstanden hatte. Es lag dann in Kansas City ein Brief für mich postlagernd in der Posthalterei. Mein Onkel ist gestorben und hat mir seine kleine Ranch vererbt. Aber sie ist zurzeit nicht viel wert, weil die Rinder nichts wert sind. Die texanischen Longhorns haben sich während des Krieges wie Kaninchen vermehrt, aber es gibt in Texas keine Absatzmärkte. Ich will die Ranch dennoch übernehmen und abwarten. Irgendwann wird man Texasrinder ja wohl verkaufen können. Weißt du, Rachel, ich habe während des Krieges immerzu kämpfen und töten müssen. Jetzt will ich Frieden auf einer kleinen Ranch und alles, was ich in den fünf Jahren während des Krieges und auch in den zwei Jahren danach erlebte, vergessen wie böse Träume. Mein Leben auf der kleinen Ranch in Texas am Brazos wäre nichts für dich, Rachel.« Als ich verstummte, da seufzte sie und flüsterte tonlos: »Ich hielt dich für einen Revolvermann.« »Der wurde ich während des Krieges als Soldat. Sie haben mich befördert, weil ich viele Feinde tötete. Aber das war als Soldat meine Pflicht. Und ich konnte andere Männer führen, manchmal geradewegs in den Tod. Rachel, ich habe viel zu vergessen.« »Gut«, flüsterte sie. »Dann wünsche ich dir viel Glück. Und die kleine Ranch, wo du sein wirst, liegt am Brazos?« »Bei Brazosville«, murmelte ich. Dann hörten wir beide das Dampfhorn der »River Bee« an der Landebrücke, zu der es kaum mehr als hundert Schritte waren. Es war das erste Tuten. Sie würde in Abständen von einer Viertelstunde noch zweimal ihre Stimme
ertönen lassen, so als wäre sie ein Untier. Dann würde sie die Leinen losmachen und in den Strom gehen. Rachel rollte sich noch einmal auf mich und ließ mich noch einmal ihren Körper spüren. Wir küssten uns lange. Dann stieg sie aus dem Bett. Durchs Fenster fiel das erste graue Licht. Ich sah ihren wunderschönen nackten Körper undeutlich. Sie sprach seltsam ruhig: »Vielleicht besuche ich dich mal, Justin Hays. Vielleicht muss auch ich mal etwas vergessen wie böse Träume. Hoffentlich bist du dann noch auf der kleinen Ranch.« Ich erhob mich ebenfalls. Es gab eigentlich nichts mehr zu sagen. Als dann das Dampfhorn der »River Bee« zum dritten Mal losdröhnte, da hatte ich Rachel bis zur Gangway begleitet. Sie küsste mich nicht zum Abschied, verharrte nur kurz vor mir und sah zu mir hoch. »Mach’s gut, Cowboy«, sprach sie ernst. »Ich glaube nicht, dass ich dich irgendwann vergessen werde – dich nicht.« Dann ging sie an Bord. Ich hatte ganz vergessen, sie zu fragen, woher sie in diesen kleinen Ort hier am Mississippi gekommen war mit einer Postkutsche von Westen her. Ich sah sie wenig später oben auf dem Kabinendeck an der Reling. Sie winkte mir noch einmal zu und verschwand in einer Kabine, indes die »River Bee« ablegte. Es war vorbei, und ich glaubte nicht, dass ich sie noch einmal wiedersehen würde. Ich konnte ja nicht wissen, dass ich eines Tages für sie reiten, kämpfen und auch töten würde. Nein, ich konnte es nicht mal ahnen, was für ein Spiel das Schicksal noch mit uns spielen würde. * Als ich nach dem Frühstück zum Mietstall ging, war ein starkes Bedauern in mir. Denn vielleicht hätte ich doch mit Rachel nach New Orleans gehen sollen. Nie wieder in meinem Leben würde ich solch einer Frau begegnen. Doch dann bekam meine Vernunft die Oberhand. Nein, solch ein Leben wäre nichts für mich gewesen. Ich wollte heim nach Texas und die kleine Ranch meines verstorbenen Onkels übernehmen. Daheim würde ich gewiss auch einige alte Freunde aus meiner Jugendzeit wiederfinden – wenn sie nicht im Krieg gefallen waren. Ich erinnerte mich auch an einige Mädchen, mit denen ich als junger Bursche damals im Heu lag und meine ersten Erfahrungen sammelte.
Und an eine erinnerte ich mich besonders gern. Sie hieß Jane. Was mochte in den vergangenen sieben Jahren aus ihr geworden sein? Vielleicht hatte sie Pete Skinner geheiratet und jetzt einige Kinder von ihm. Denn Pete Skinner und ich, wir waren damals beide hinter ihr her gewesen. Und vielleicht hatte sie auch mit ihm im Heu gelegen. Denn sie war ein sehr lebenslustiges Ding. Ich dachte plötzlich kurz vor der Einfahrt zum Mietstall wieder an jenen Spieler, dem ich in der vergangenen Nacht so mächtig den Spaß verdorben hatte. Gewiss hatte er sich schon Hoffnungen auf die schöne Frau gemacht. Mittellos hätte sie sich vielleicht mit ihm einlassen müssen. Ich fragte mich, ob er sie bekommen hätte. Ich bog nun in den Hof des Mietstalls ein. Und da sah ich ihn. Jawohl, da war er, und er hatte auf mich gewartet. Das war mir sofort klar. Als er den Spieltisch verlassen hatte, da war er als mein Todfeind gegangen. Und er war es immer noch. Er hatte auf mich gewartet, weil er noch eine Rechnung mit mir offen zu haben glaubte. Und deshalb wollte er es an diesem noch ziemlich grauen Morgen mit mir austragen. Er war also nicht nur ein Spieler, sondern auch ein Revolvermann, der sich eine Menge zutraute, weil er bisher stets schneller war als seine Gegner. Er hatte im Vorraum des offenen Stalles auf der Futterkiste gesessen und mich kommen sehen. Nun trat er mir entgegen, versperrte mir also den Weg zu meinem Pferd. Ich hielt mitten auf dem Hof inne und wartete, bis er acht Schritte vor mir verhielt. Seine Jacke war offen. Ich wusste, dass er den Revolver in einem Schulterholster trug und verdammt schnell ziehen würde, wenn sich in seinem Holster auch noch eine Sprungfeder befand. Ich vermutete, dass er auch noch einen Derringer im linken Ärmel verborgen hatte. Denn acht kurze Schritte ergaben etwa sechs Yards. Auf diese Entfernung erzielte man auch mit einem Derringer noch Wirkung. Ich verhielt also und wartete. Er sagte etwas heiser: »Ich hatte mehr als fünfzehnhundert Dollar im Pott und hätte den gleichen Betrag gewonnen, wenn du dich nicht eingemischt hättest. Du hast sie vor mir gerettet. Dafür durftest du für eine halbe Nacht zu ihr ins Bett. Und auf dieses Vergnügen hatte ich gehofft. Aber mir nimmt niemand was weg, was es auch sein mag – niemand! Ich werde auf deinem Pferd von hier wegreiten. Ich ließ es vom Stallmann schon satteln, auch dein Gepäck festschnallen. In deiner Sattelrolle ist eine Offiziersuniform der Rebellenarmee. Nun gut…« Er sprach nicht weiter, sondern zauberte seine Waffe aus dem Schulterholster.
Ja, er war verdammt schnell. Doch ich war ein Texaner vom Brazos, der schon als Junge mit anderen Jungs um die Wette schoss. Ich traf ihn voll, indes ich in sein Mündungsfeuer sah. Doch meine Kugel stieß ihn schon jenen Sekundenbruchteil früher, auf den es beim Revolverkampf ankommt. Seine Kugel verfehlte mich deshalb. Und so fiel er auf die Knie und stöhnte schmerzhaft. Ich trat zu ihm und sprach bitter: »Das hattest du nicht nötig, denn ich wollte keinen Kampf mit dir.« Er seufzte fast tonlos: »Fahr zur Hölle!« Dann fiel er nach vorn und streckte sich im Staub. Es war vorbei. Ich lebte noch und hatte wieder einmal getötet – doch diesmal nicht als Soldat im Krieg. Ich hatte getötet, um am Leben zu bleiben. Der Stallmann kam aus dem Stall. Er war ein krummbeiniger Bursche. Heiser stotterte er: »Dededer hahahat mimir gedroht. Dododoch ich kakakann dem Marshal bebebezeugen, dass er Sie zu diesem Kampf zwang.« Zuletzt stotterte er nicht mehr. Ich nickte nur, ging in den Stall, fand dort mein gesatteltes Pferd mit all meinem Gepäck und schwang mich in den Sattel. Dem Stallmann warf ich fünf Dollar zu. Dann ritt ich aus der Stadt nach Westen. * Irgendwann nach Wochen erreichte ich endlich das Brazos Valley, ritt am Brazos entlang stromaufwärts und erreichte schließlich drei Tage später Brazosville. Und das war meine Stadt gewesen. War sie es immer noch? Nun, ich würde es herausfinden. Es war Nacht und die Lichter von Brazosville wirkten warm und freundlich, nicht so kalt und unirdisch wie die Sterne über mir am Texashimmel. Brazosville war vor dem Krieg nur ein kleines Nest gewesen mit einem Saloon, einem Store und drei Huren im Paradise House, die an den Wochenenden manchmal ein ganzes Dutzend Ranchmannschaften bedienten. Mein Wallach war müde vom langen Weg, und so ritt ich sofort bei der Schmiede am Ortseingang in den Hof des Mietstalls. Charly Scott kam heraus. Ja, er war hier immer nach Stallmann und sieben Jahre älter geworden. Er bewegte sich trotz seines Holzbeins nicht schwerfällig, sondern geschickt. Ich sah vom Sattel aus auf ihn nieder. Und er sah zu mir hoch. Aber im Mondund Sternenschein erkannte er mich nicht.
»Hey, Charly«, sprach ich, »du lebst ja auch noch.« Nun konnte ich spüren, dass er wie ein Fuchs witterte. Dann sagte er: »Ich komme bestimmt schneller darauf, wer du bist, wenn du mir ein wenig hilfst.« Ich lachte leise, und gewiss war in meiner Stimme ein Beiklang von Freude, nun endlich wieder auf der Heimatweide zu sein. »Charly, ich bin einer von den Jungs, die damals mit schwarzer Farbe aus dem Schimmel von Lance Thorn einen Schecken machten.« »Aaah«, machte Charly nun, »du bist Justin Hays, jetzt weiß ich es wieder. Haben dich die Yanks doch nicht ins Jenseits schicken können? Du kommst aber spät heim, um deinen Onkel Zane zu beerben, sehr spät. Aber eigentlich lohnte es sich auch gar nicht wegen der armseligen Ranch…« Ich saß ab und gab Charly einen Dollar, den er fast gierig nahm und schnell verschwinden ließ, so als hätte er Angst, ich könnte ihn wieder zurückhaben wollen. Dann sagte er: »Ich werde dein Pferd gut versorgen. Wir hörten, dass du Offizier geworden wärest. Oder war das nur ein Gerücht?« »Nein«, erwiderte ich. »Aber ein Offizier der Rebellenarmee war eigentlich nur ein Anführer auf Kriegszeit.« Ich wandte mich zum Gehen, nahm nur meine Satteltaschen mit. Dann aber hielt ich noch einmal inne und fragte: »Einige von den Mädchen damals, die wurden inzwischen Frauen. Gibt es noch diese Jane Selby? Hat Pete Skinner sie bekommen?« »Nein, der nicht.« Charly grinst. »Aber sie hat es dennoch geschafft, sich in ein warmes Nest zu setzen. Ihr gehört nun der Store von Logan Weatt. Als dessen Frau so früh starb, nahm er sich Jane als Haushälterin und heiratete sie ein Jahr später nach Ablauf der Trauerzeit. Vor einem halben Jahr wurde er von einem Banditen hinter dem Ladentisch umgepustet. In der Ladenkasse sollen nur siebzehn Dollar und ein paar Cent gewesen sein. Und unser Deputy Sheriff verfolgte den Banditen und erschoss ihn keine zehn Meilen von hier. Der Bursche hatte ein zu schlechtes Pferd.« Ich verhielt einige Sekunden lang still. Oha, Jane hatte sich gut versorgt. Sie war damals das erste Mädchen gewesen, welches ich als junger Bursche knackte, wonach ich mich als Mann fühlte. Und nun besaß sie den Generalstore von Brazosville. Ich setzte mich in Bewegung, und indes ich aus der Hofeinfahrt wieder hinaus auf die staubige Straße trat, die nichts anderes war als der Wagenweg, welcher durch die Stadt führte, da dachte ich wieder einmal an Rachel Winger. Oh, ich hatte unterwegs oft an sie gedacht und mich an alles erinnert, was sie mir gegeben hatte. Und immer dann wusste ich, dass ich dies nie wieder mit einer Frau erleben würde. Aber es hatte keinen Sinn, darüber wehleidig zu wer-
den. Ich ging den Plankengehsteig entlang, kam am Saloon vorbei und zögerte. Einige Sattelpferde standen an den Haltebalken. Es waren Rinderpferde, an deren Sattelhörnern Wurfseile hingen. Lichtbahnen fielen auf die Straße. Im Schatten der Veranda des Saloons saß ein Mann in einem Schaukelstuhl. Ich hatte angehalten und zögerte immer noch. Denn mir war nach einem Drink. Der Mann im Schaukelstuhl fragte mit ruhiger, doch bestimmt klingender Stimme: »Fremd hier in meiner Stadt?« Ich wusste nun, wer er war, nämlich Deputy Sheriff Hogan McGill, ein Excowboy, der vor dem Krieg diesen Job vom County Sheriff übertragen bekommen hatte. Und dieser County Sheriff hatte seinen Sitz in Hills Boro. Hogan McGill war zufrieden mit diesem Job, denn er verdiente doppelt so viel wie ein Cowboy. »Hogan«, sagte ich, »vielleicht erinnerst du dich noch an mich? Immerhin hast du mir geschrieben, dass mein Onkel gestorben ist und mich zum Erben machte.« »Aha«, machte er, »da bist du ja endlich heimgekommen, Justin Hays. Aber die Ranch ist zurzeit keine hundert Dollar wert. Nichts ist mehr was wert in Texas. Komm morgen in mein Office. Ich bin ja als Deputy auch Testamentsvollstrecker. Ich trage dich dann ins Grundbuch ein. Und ich muss die Grundsteuer für zwei Jahre kassieren. Dein Onkel hat sie nicht mehr bezahlen können.« »Na gut, Hogan«, erwiderte ich und ging weiter. Im Saloon hinter mir klang nun das Klimpern einer Gitarre. Dann begann eine Frauenstimme ein mexikanisches Lied zu singen. Ich fragte mich, ob die drei Huren von damals noch da waren und ihrem Gewerbe nachgingen. Ich wollte nun zu Jane Selby, die ja jetzt Jane Weatt hieß. Und so trat ich wenig später in den Generalstore von Brazosville ein. Jane stand hinter dem Ladentisch und sortierte offenbar Knöpfe in Schachteln. Als ich eintrat, hielt sie inne und sah zu mir her. Sie erkannte mich nicht. Ich stand im Schatten. Auch beschattete die Krempe meines Hutes mein Gesicht. Doch ich schob den Hut zurück und sagte ruhig: »Hallo, Jane.« Und da erkannte sie mich. Sie starrte mich an mit ihren grünen Augen im Lampenschein und ließ die Knöpfe achtlos fallen. Dann schluckte sie etwas mühsam und sagte: »Du verdammter Strolch bist in den Krieg geritten, ohne Abschied von mir zu nehmen. Was willst du jetzt?« »Ich bin heimgekommen«, erwiderte ich. »Und mein erster Weg führt zu dir,
nachdem Charly Scott mir sagte, wo ich dich finden könnte. Ich kam zurück, um die Ranch meines Onkels zu übernehmen. Also werde ich bleiben. Ich reite nicht mehr fort, denn ich will den ganzen Krieg vergessen.« Sie starrte mich an. Und ich sah, dass sie sich von einem hübschen Mädchen wahrhaftig zu einer mehr als hübschen Frau entwickelt hatte. Nun war sie eine junge Witwe. Als ich nachrechnete, da wusste ich sofort, dass sie ein Jahr jünger war als ich. Und ich war sechsundzwanzig geworden. Oder war sie zwei Jahre jünger? Nun, so ganz genau wusste ich es nicht mehr. Aber eines wusste ich, nämlich dass ich der erste Mann in ihrem Leben gewesen war. Sie hob stolz ihr Kinn. »Scher dich zum Teufel, Justin Hays«, sprach sie ruhig. »Ich habe schon lange nicht mehr auf dich gewartet. Du bist kein Mann, auf den eine Frau sich verlassen kann. Hau ab!« Ich nickte. »Gut«, erwiderte ich ernst, wandte mich um und ging. Es war eine Enttäuschung in mir. Und zugleich verspürte ich ein Gefühl von Achtung gegenüber Jane. Verdammt, was hatte ich mir denn eingebildet? Sie war kein dummes Mädchen mehr, welches voller Neugier war und die Liebe kosten wollte. * Es war am nächsten Vormittag, als ich hinaus zur Ranch ritt. Ja, es war nun meine Ranch. Ich hatte die Grundsteuer bezahlt und war als Erbe meines Onkels anerkannt und eingetragen worden. Die Grundsteuer betrug siebenundfünfzig Dollar. Mein Schädel brummte noch von den Whiskys, die ich im Saloon geschluckt hatte. Dennoch hatte ich das Frühstück im Hotel heruntergewürgt und eine Menge Kaffee getrunken. Sonst wäre ich wahrscheinlich noch immer nicht ganz nüchtern gewesen. Es waren von Brazosville bis zu meiner Ranch etwa sieben Meilen. Ich erreichte sie am späten Vormittag, und schon als ich auf sie zuritt, da konnte ich ihre Armseligkeit erkennen. Es war alles mehr oder weniger heruntergekommen und halb verfallen. Wenn ich das alles wieder in Ordnung bringen wollte, dann lagen an die zwei Jahre harter Arbeit vor mir. Als ich vor das dreiräumige Haus ritt, da sah ich Paco. Und Paco kannte ich. Er war einer der drei Reiter gewesen, die mein Onkel auf seiner Lohnliste hatte. Paco verstand sich auf alles. Er war Wildpferdjäger, Raubzeugjäger, Zureiter und
Vaquero – also ein mexikanischer Cowboy. Er war am Brunnen beschäftigt, holte dort Wasser heraus. Als er den Hufschlag meines Pferdes hörte, wandte er sich um und sah mir entgegen. Erst als ich bei ihm hielt, erkannte er mich. Da grinste er, zeigte mir seine braunen Zahnstummel und sagte fast betend: »Bei der Heiligen Jungfrau, da sind Sie ja, Patron. Ich habe lange auf Sie gewartet und glaubte schon, Sie würden nicht mehr kommen.« * Es verging ein Jahr, ein verdammt hartes, langes Jahr. Paco – sein richtiger Name war Francisco Hernandez – war mir ein guter Helfer, obwohl ich ihm eigentlich nur Unterkunft und Essen garantieren konnte. Denn wir hatten keine Erträge, also auch keine Einnahmen. Rinder waren immer noch nichts wert in Texas. Doch manchmal schickte ich Paco nach Brazosville, gab ihm etwas Geld für Einkäufe mit und auch mal zwei oder drei Dollar für den Saloon und eines der Mädchen dort. Einmal kam er grinsend zurück und sagte: »Patron, ich soll Sie von der Señora grüßen. Sie fragte mich, warum Sie nicht in die Stadt kommen und immer nur mich schicken. Sie erkundigte sich sehr neugierig nach Ihnen und unseren Fortschritten hier.« Ich hörte es also, aber ich sagte nichts zu Paco, schüttelte nur den Kopf. Was hätte ich auch sagen sollen? Jane hatte mich damals beleidigt weggeschickt. Und nun wollte ich nichts mehr von ihr, gar nichts, verdammt. Ich hatte in all diesen Wochen und Monaten immer wieder an Rachel Winger gedacht, oft von ihr geträumt und immer wieder die paar Stunden jener Nacht am Mississippi erlebt. Ja, ich hatte sie immer noch in meinem Blut, konnte sie nicht vergessen. Unsere harte Arbeit konnte mich nicht ablenken. Immer wieder sah ich Rachel vor mir und erinnerte mich an alles, was in diesen wenigen Stunden geschehen war. Wir deckten in diesen Wochen das Haus und die Scheune neu mit Maisstroh. Wir reparierten, sägten, hämmerten, stellten Adobeziegel her, besserten die Corralumzäunungen aus. Wir brachten auch das Windrad wieder in Gang, welches die Pumpe im Brunnen bediente, sodass all unsere Tränketröge wieder ständig gefüllt wurden. Und immer wieder ritten wir für zwei oder drei Tage hinaus auf die Weide und brändeten Rinder. Das ganze Land war voller Rinder. Unser Brandzeichen war ein verschnörkeltes H, welches fast einer dieser spa-
nischen Kandaren glich. Mein Onkel war ein Bruder meines Vaters, und so hatte er als Brand das H der Hays’ gewählt. Es wäre also alles sehr gut gewesen, wenn mir nicht das Geld ausgegangen wäre. Immer wieder hatte ich von Paco in Brazosville notwendige Dinge holen lassen, angefangen von Nägeln, kleinen Fensterscheiben und Proviant bis zu Hufeisenrohlingen und vielen anderen Dingen. Nun war ich pleite und nach einem Jahr harter Arbeit ein armer Hund, weil mir das Bargeld fehlte. Die nächste Bank gab es in Hills Boro, aber die würde mir gewiss kein Geld leihen, um ein Treiben zu organisieren. Für tausend Rinder – und die hätte ich als Herde sammeln können – brauchte ich mehr als ein halbes Dutzend Reiter und einen Koch, Ausrüstung, Proviant und eine Pferderemuda von zumindest drei Dutzend guter Rinderpferde. Was konnte ich tun? Sollte ich vielleicht doch zu Jane in die Stadt reiten und ihr eine Partnerschaft anbieten, wenn sie die Sache finanzieren würde? Aber das brachte ich nicht fertig. Nein, ich kroch nicht zu Kreuze, niemals. Und so sagte ich zu Paco: »Amigo, wir sind am Ende. Wir haben zwar hier alles in Ordnung gebracht, länger als ein Jahr wie die Sklaven geschuftet und viele, viele Rinder gebrändet, sodass die Ranch wieder etwas wert ist – aber jetzt sind wir am Ende. Es ist so, als wären wir gegen eine Wand geritten. Ich werde nach Brazosville reiten und mich dort umhören, ob jemand eine kleine Ranch kaufen will. Ich kann auch eine Nachricht nach Hills Boro senden mit der nächsten Postkutsche. Vielleicht finde ich einen Käufer. Dann bekommst du auch deinen rückständigen Lohn, Paco.« Er sah mich traurig und voll Bitterkeit an, würgte in seinem Hals einen Kloß herunter, den es dort gar nicht gab, und nickte dann stumm. Und so war ich wenig später zum ersten Mal nach einem Jahr und drei Wochen unterwegs nach Brazosville. Ich hatte im vergangenen Jahr nur Paco und ein paar Nachbarn gesehen, die dann und wann zu Besuch gekommen waren und denen es nicht besser ging als mir. Nun würde ich wieder andere Menschen sehen, sicher auch Jane. Es war später Mittag, als ich in Brazosville einritt. Es war ein heißer Tag. Ich ritt an der Sattlerei und am Barbierladen vorbei. Auf der anderen Seite war der Sargladen, der zur Schreinerei gehörte. Es folgte der Schneiderladen. Als ich am Generalstore vorbeiritt, da trat Jane heraus, so als hätte ich sie gerufen. Ich sah vom Sattel aus zu ihr hin und griff an meine Hutkrempe.
Aber sie hob eine Hand und rief zu mir herüber: »Justin, steig ab und komm herein!« Aber ich schüttelte den Kopf und ritt weiter durch den Staub der Mainstreet von Brazosville. Irgendwie tat Jane mir Leid. Aber ich wollte nichts mehr mit ihr anfangen. Denn ich wusste nun, sie konnte mich Rachel nicht vergessen lassen. Und so würde ich sie gewissermaßen betrügen, weil ich für sie nicht das empfinden konnte, was sie von mir erwartete und wünschte. Ich erreichte das Office von Hogan McGill, hielt an, saß ab, warf die Zügel um den Haltebalken und ging hinein. Er saß hinter dem narbigen Schreibtisch, rauchte und hatte eine halb volle Flasche Tequila und ein leeres Glas vor sich stehen. Er sah mich düster an. »Verdammt«, murrte er, »du hast es gut. Du kannst dich dort draußen auf deiner Ranch vor der ganzen Welt verstecken. Ich aber…« Er brach bitter ab, beugte sich vor und füllte sein Glas neu. »Willst du auch was von der Pumaspucke?« So fragte er. Ich schüttelte den Kopf und setzte mich auf den zweiten Stuhl. »Was ist los, Hogan?« So fragte ich. »Was macht dich so bitter?« Er leerte erst das Glas, schüttelte sich und stellte es hart auf den Tisch zurück. Dann schob er mir einen dünnen Stapel von Steckbriefen zu. Ja, ich sah sofort, dass es Steckbriefe waren, die der County Sheriff in die Runde zu seinen Deputys in den umliegenden Distrikten sandte. Ich blickte auf den oberen Steckbrief. Er versprach fünfhundert Dollar Belohnung für die Einlieferung eines gewissen Hogjaw Paladine, der wegen mehrfachen Mordes gesucht wurde. Die Prämie würde für tot oder lebendig gezahlt werden. »Er sitzt drüben im Saloon«, sagte Hogan McGill. »Ich müsste hinübergehen und ihn festnehmen. Aber er würde mich töten. Ich weiß es. Dem ist keiner gewachsen – keiner. Der kann eine ganze Mannschaft blitzschnell erschießen mit seinen beiden Colts. Er hat schon mehr als ein Dutzend Männer getötet, sagt man sich, Indianer und Mexikaner nicht mitgezählt. Er ist ein böses Tier. Was würdest du an meiner Stelle tun, Justin?« Er sah mich mit flackernden Augen an, wollte einen Rat – vielleicht Hilfe. Und so sagte ich: »Stell ein Aufgebot zusammen, sechs Mann mit Schrotflinten. Und wenn er aus dem Saloon kommt und zu seinem Pferd will, dann keilt ihr ihn ein. Er wäre ein Narr, gegen sechs Schrotflinten zu kämpfen. Oder nicht?« Er schüttelte den Kopf. »Der würde kämpfen. Es gibt eine Menge Geschichten von ihm. Der ist ein wildes Tier. Die Bürger der Stadt kennen alle Geschichten über ihn. Die treten
nicht gegen ihn an. Der würde von sechs Mann zwei oder drei mit in den Tod nehmen. Es wäre meine Aufgabe und Pflicht allein. Denn ich trage den Stern. Oh, verdammt!« Wir schwiegen einige Atemzüge lang. Dann sagte er: »Übrigens, auch für dich kam mit der Mittagspost vorhin ein Brief. Ich sah ihn, als ich meine Post und diese Steckbriefe beim Posthalter holte.« Als er verstummte, da staunte ich. Denn wer konnte mir nach Brazosville geschrieben haben? Wer wusste denn, dass ich hier in der Gegend lebte? Plötzlich dachte ich an Rachel Winger. Oh, verdammt, konnte es sein, dass sie geschrieben hatte? Ich erhob mich und machte mich auf den Weg zur Posthalterei, ließ Hogan McGill mit all seiner Bitterkeit und seinem Frust zurück. Ich musste am Saloon vorbei, wo bei meiner Ankunft vor einem Jahr Hogan McGill in der Dunkelheit im Schaukelstuhl gesessen hatte. Nun saß der Mann, dessen Gesicht ich soeben auf dem Steckbrief gesehen hatte, dort mit einem Glas Bier in der Hand. Ja, das war also jener Hogjaw Paladine, der berüchtigte Killer, auf den fünfhundert Dollar Prämie ausgesetzt waren. Paladine sah ziemlich gefährlich aus. Er ließ bei seinem Anblick an einen bösen, schwarzen Büffelwolf denken. Unsere Blicke trafen sich kurz. Dann war ich vorbei. Und ich spürte irgendwie, dass er mir nachstarrte. Aber alles in mir war auf den Brief gerichtet – und auf Rachel Winger. Denn nur sie konnte mir geschrieben haben. Wer sonst? An Hogjaw Paladine hinter mir auf der Saloonveranda verschwendete ich keinen Gedanken mehr. Wenig später erreichte ich die Posthalterei und hielt dann den Brief in meinen Händen. Ja, er war von Rachel Winger. Ich sah sofort nach dem Absender. Und dann las ich: Oh, lieber Justin, es geht mir gut! Ich machte überall reiche Beute und führe in New Orleans ein großes Haus. Man nennt mich hier die Lucky Queen, denn ich gewann alles beim Spiel. Ja, ich fand auch Freunde und Beschützer, so wie damals dich. Nun will ich mir ein Dampfboot kaufen, einen schwimmenden Amüsier-Saloon. Doch das würde dir wohl nicht gefallen. Du wolltest ja zu dieser kleinen Ranch, welche dein Onkel dir vererbte. Schade, denn ich hätte dich gern an meiner Seite, auch im Bett. Viel Glück, Justin! Rachel, die dich nicht vergessen kann. Ich las den Brief dreimal. Der Posthalter beobachtete mich und fragte: »Das ist wohl ein guter Brief – oder?« Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. War der Brief gut oder nicht gut? Das fragte ich mich selbst.
Sie hatte wieder Beschützer gefunden, und sie bezahlte für diesen Schutz. Sie war also doch eine Art Edelhure. Ich gab dem Posthalter keine Antwort, sondern steckte den Brief in die Tasche und ging. Er sagte hinter mir her: »Der Brief ist wohl doch nicht so gut.« Draußen auf der Straße wurde ich mir wieder meiner anderen Probleme bewusst. Ich brauchte Geld. Also musste ich meine Ranch zum Verkauf anbieten. Und so war es wohl angebracht, Hogan McGill zu informieren. Vielleicht konnte ich einen Anschlag an sein Bekanntmachungsbrett neben der Tür anheften. Ich musste wieder am Saloon vorbei, wo dieser Hogjaw Paladine saß. Er hatte das Bierglas geleert und zeigte es mir, wobei er sagte: »He, Cowboy, hol mir ein volles Glas heraus!« Ja, er hielt mich für einen Cowboy. Ich war ja auch ziemlich abgerissen. Meine Kleidung war ziemlich ruiniert. Man konnte mich auch für einen Satteltramp halten. Ich hielt inne. »Na los, komm her und hol mir ein volles Glas heraus!« Hogjaw Paladines Stimme klang nun noch härter und barscher als zuvor. Und ich spürte einen bösen Zorn in mir aufsteigen. Zugleich dachte ich: Der ist fünfhundert Dollar wert. Und so nickte ich und sagte, indes ich die Verandastufen hochstieg: »Yes, Sir, ich hole Ihnen ein Bier heraus. Ich weiß ja, wer Sie sind, und wäre ein verdammter Narr, würde ich Ihnen nicht gehorchen.« Ich trat zu ihm, nahm ihm das leere Glas ab und ging in den Saloon. Weaverly, der Salooner, stand hinter der Bar. Er hatte alles gehört und war schon dabei, ein Glas zu füllen. »Die ganze Stadt fürchtet sich vor ihm«, murrte er. »Es sprach sich schnell herum, wer er ist. Nun fragen sich alle, was er hier will.« Er hatte das Glas nun gefüllt. Ich hätte es gern selbst geleert. Die weiße Schaumkrone sah verlockend aus. Mit dem vollen, schweren Glas trat ich zu Hogjaw Paladine und sah ihm die lauernde Wachsamkeit an. Aber ich hielt das Glas in meiner Rechten. Und da ich auch meinen Revolver rechts trug, wusste Paladine, dass die Rechte meine Revolverhand war. Seine lauernde Wachsamkeit legte sich. Er glaubte nicht mehr an eine böse Überraschung. Doch er erlebte sie nun. Denn ich sagte freundlich: »Ist es so recht, Sir?« Dann goss ich ihm das Bier ins Gesicht und stieß ihm das leere Glas auf die Nase, bevor ich es ihm auf den Kopf schlug. Ich hatte dann meinen Revolver schneller heraus als er, denn er war in Not. Das Bier hatte ihn geblendet – und die Nase
schmerzte gewiss höllisch. Denn das Nasenbein war hin. Er brachte einen seiner Colts jedoch noch halb heraus, doch dann traf ich ihn mit dem schweren Revolverlauf. Und da lag er nun. Ich hatte ihn erledigt. Es war recht einfach gewesen, fand ich. Ja, ich hatte ihn ziemlich übel reingelegt. Aber was hätte ich anderes tun können? Er hatte sich mit mir angelegt und meine Reaktion herausgefordert. Und er war fünfhundert Dollar wert. Daran dachte ich jetzt erneut. Bevor er wieder zur Besinnung kommen konnte, nahm ich ihm die beiden Revolver weg. Es waren zwei wunderschöne Waffen, richtige Kunstwerke mit kostbaren Beingriffen. Hogan McGill kam mit schnellen Schritten angelaufen. Und auch einige Bürger der Stadt kamen herbei. Das böse, gefährliche Tier war ja unschädlich gemacht worden von mir. Nun brauchten sie sich nicht mehr zu fürchten. Hogan McGill sah mich fragend an. Und so sagte ich: »Den bringe ich selbst nach Hills Boro. Ich brauche die fünfhundert Dollar.« Er nickte nur. Aber einer der Bürger sagte neidvoll: »Das war schnell verdientes Geld, nicht wahr, Hays?« »Jeder von euch hätte es verdienen können«, erwiderte ich nur. * Es war später Nachmittag, als wir unterwegs waren. Nun, lieber Leser meiner Geschichte, es wurde ein ziemlich harter Ritt. Wir blieben bis in die Nacht hinein in den Sätteln, legten nur eine kurze Rast ein und ritten dann weiter. Er drohte mir immer wieder, dass man mich noch vor Hills Boro erwischen würde. Mehr sagte er nicht, aber ich vermutete, dass er sich nicht zufällig in Brazosville aufgehalten, sondern dort wahrscheinlich auf ein paar Kumpane gewartet hatte. Er hoffte wohl, dass diese jetzt hinter uns her waren und ihn befreien würden, bevor wir Hills Boro erreichten. Deshalb schlug ich ein höllisches Tempo an. Als wir am nächsten Morgen nach einem Fünfzehnstundenritt in Hills Boro einritten, da sagte er heiser zu mir: »He, wenn sie mich wirklich hängen sollten, dann werde ich dir in deinen Träumen erscheinen. Eines Tages treffen wir uns in der Hölle.« Ich erwiderte nichts. Vor dem City House stand der County Sheriff mit zweien seiner Deputys. Zu-
erst staunten sie, dann aber grinsten sie. Der County Sheriff sagte: »Den haben Sie aber ziemlich hart behandeln müssen, Mister! Wer sind Sie?« »Mein Name ich Justin Hays«, erwiderte ich. »Es war ein harter Ritt, denn wahrscheinlich sind einige seiner Partner oder Kumpane hinter uns her. Er wollte sie wohl in Brazosville versammeln für irgendeinen Coup, der jedoch mit Brazosville nichts zu tun haben kann. Denn das Nest ist zu arm. Sir, ich möchte die Belohnung kassieren und sofort wieder von hier weg.« Er sah mich mit schmalen Augen an, indes seine beiden Deputys den Gefangenen vom Pferd losbanden und ins Gefängnis brachten. »Ich habe doch Hogan McGill in Brazosville als meinen Vertreter«, sagte er lauernd. Da grinste ich ihn an und erwiderte: »Es hat sich so ergeben, dass Paladine sich mit mir anlegte, als er mich ein Bier für sich holen ließ.« Da nickte er. »Gut, kommen Sie herein in mein Office. Ich zahle die Prämie aus.« * Ich war eine Stunde später auf meinem müden Pferd wieder unterwegs. Das Tier hatte sich nur wenig erholen können. Doch ich wollte ja nicht weit reiten. Nur raus aus Hills Boro wollte ich. Denn wenn Paladines Partner kamen… Ich ritt weiter nach Süden und schlug dann einen Halbkreis, der auf einem der flachen Hügel östlich der Stadt endete. Und kaum hatte ich es mir mit meinem Pferd dort oben bequem gemacht, da sah ich sie kommen. Es waren drei Reiter auf schweißbedeckten Pferden. Kurz vor der Stadt ließen sie ihre Pferde in Schritt fallen. Sie hatten den Wettritt verloren. Vielleicht würden sie versuchen, Paladine zu befreien. Aber da war ich nicht sicher. Wahrscheinlich würden sie aufgeben. Denn Hills Boro war kein kleines Nest wie Brazosville. Ich erhob mich, trat zu meinem Pferd und sagte: »Nun, Buddy, bringen wir noch ein paar Meilen gemütlich hinter uns.« Als ich aufsaß, spürte ich den Beutel mit den fünfhundert Dollar unter meinem Hemd. Es waren fünfundzwanzig Zwanzigdollarstücke. Sie waren schwer, weil aus Gold. Und sie waren zurzeit in Texas ein kleines Vermögen. Irgendwann kam ich endlich heim. Paco empfing mich erleichtert. Er sagte: »McGill hat einen Jungen zu mir geschickt, der mir alles erzählte. Glück gehabt, Patron, nicht wahr?«
Ich übergab ihm mein Pferd und nickte. »Das alles gehört zum Spiel, welches das Schicksal immer mit uns Menschen spielt, Paco«, sagte ich. »Aber nun muss ich die Ranch nicht mehr verkaufen, sondern eine Herde nach Kansas bringen. Ja, das muss ich tun, weil das alles irgendwie so gewollt ist.« Paco nickte und erwiderte: »Ja, wenn einem das Schicksal solch eine Chance gibt, dann muss man alles wagen.« Ich nickte stumm. Aber ich war nun bereit für das Treiben nach Kansas. Den ganzen Tag unterwegs hatte ich immer wieder an Rachel Winger denken müssen. Ob ich sie noch einmal wiedersehen würde oder wenigstens weitere Briefe dann und wann von ihr erhielt? Auch mit mir konnte es jetzt mächtig aufwärts gehen, wenn ich es schaffte, tausend Rinder nach Kansas zu bringen, bevor der Winter die Kansas-Prärie mit Schnee bedeckte. Es würde ein hartes Treiben gegen die Jahreszeit werden. Doch wenn ich es schaffte, meine Herde nicht verlor, meine Treiber gut genug waren, dann… * Es war vier Monate später, als ich auf meine Ranch zurück kam, die Paco gut verwaltet und in Schuss gehalten hatte. Ich hatte für meine Herde in Dodge City zwölftausend Dollar bekommen. Ich hatte meine Treiber ausgezahlt und ihnen auch noch eine gute Prämie draufgelegt. Und so kam ich mit fast zehntausend Dollar zurück und sagte zu Paco: »Jetzt geht es aufwärts mit uns, Paco. Jetzt machen wir lange Schritte. Was gibt es an Neuigkeiten inzwischen?« »Keine«, erwiderte er glücklich. »Ich bin sehr froh, Patron, Sie wohlbehalten wiederzusehen. Und jetzt würde ich gerne für zwei oder drei Tage nach Brazosville reiten. Mein Amigo Alvarez kam manchmal hier vorbei und erzählte mir von der neuen Puta. Sie heißt Juanita und soll die Hombres besonders glücklich machen.« Ich gab ihm Geld. Wenig später sah ich ihm nach. Und ich gönnte ihm eine Menge Spaß. Er hatte alles hier auf der Ranch wirklich gut in Schuss gehalten. Auf ihn konnte ich mich also verlassen. Als ich dann in mein kleines Haus trat, da sah ich den Brief auf dem Tisch liegen. Jemand musste ihn herausgebracht haben, wahrscheinlich jener Alvarez, welcher Pacos Amigo war. Der Brief war von Rachel Winger. Paco hatte vergessen, mir was von diesem Brief zu sagen. Er war wohl schon zu sehr auf seinen
Besuch bei Juanita eingestellt. Was hatte Rachel Winger mir diesmal geschrieben? Und dann konnte ich lesen: Lieber Justin, das Leben ist voller Höhen und Tiefen. Man muss alles nehmen wie die Karten in einem Spiel. Manchmal gewinnt man, doch manchmal nicht. Ich hatte einen wunderschönen Mississippi-Steamer, einen schwimmenden Amüsier- und Spielpalast. Doch ich verlor alles, als die Kessel explodierten und das Feuer ausbrach. Nun beginne ich wieder von vorn. Ich hoffe, dir geht es besser. Immer wieder denke ich an dich und frage mich, warum ich dich nicht vergessen kann. Rachel Ich begriff, dass sie diesen Brief in einer tiefen Depression geschrieben hatte, um sich gewissermaßen auszuweinen. Doch dann fragte ich mich, ob sie überhaupt weinen konnte. Ich selbst würde ihr nicht schreiben können. Denn ich wusste ja nicht, wohin ich den Brief senden sollte. Überdies würde solch ein Brief Wochen unterwegs sein. Und Rachel war jetzt gewiss ständig unterwegs, auf der Jagd wie eine Katze. Und so konnte ich nichts tun, gar nichts. Vielleicht schrieb sie mir bald wieder. * Die Wochen und Monate vergingen nach meiner Rückkehr wie im Flug. Ich war mit zehntausend Dollar auf die kleine Ranch zurückgekommen und konnte lange Schritte machen. Ich stellte ein halbes Dutzend Reiter ein und machte Paco zum Vormann. Denn Paco hatte sich in den vergangenen zwei Jahren mächtig entwickelt und war mit seinen Aufgaben gewachsen. Wir wurden so etwas wie Freunde. Er sagte auch nicht mehr Patron zu mir, sondern Señor Hays, Und weil er etwas von Rindern und Pferden verstand, respektierten ihn die Reiter. Es lief alles mächtig gut. Obwohl ich tausend Rinder nach Dodge City trieb, war die Weide immer noch voller Longhorns ohne Brandzeichen. Man musste sie nur einfangen und ihnen ein »H« aufbrennen. Dann gehörten sie mir. So einfach war das. Ich hatte natürlich in einiger Entfernung in der Runde Nachbarn. Aber das waren kleine Rancher, so genannte Small-Rancher, denen die Dollars fehlten, um mit einer Herde für vier Monate auf den Trail gehen zu können. Ja, sie kamen sogar zu mir, um sich einige Dollars zu verdienen. Und so wurde ich immer größer, weil wir jeden Tag einigen Dutzend Rindern
meinen Brand aufdrückten. Ich kaufte auch einigen meiner Nachbarn Weideland und Wasserrechte ab. Und so wurde ich noch größer und auch mächtiger. Ja, ich war auf dem besten Weg, ein Cattleking zu werden. Ich ließ ein neues und größeres Ranchhaus bauen. Meine Mannschaft bestand nun aus acht Reitern, einem Raubwildjäger, zwei Pferde- und Maultier-Pflegern und einem Koch. Für den weiteren Aufbau der Ranch ließ ich Handwerker aus Brazosville kommen. Und sie alle freuten sich, dass sie Dollars verdienen konnten. Wir begannen dann, edle Pferde zu züchten und brachten eine Maultierzucht in Gang. Es ging nur noch aufwärts. Eines Tages kam Jane herausgefahren. Sie saß in einem zweirädrigen Buggy mit Lederdach und auf Lederpolstern und hatte sich so richtig zurechtgemacht. Ja, sie war eine schöne Frau. Als sie vor meinem neuen Ranchhaus hielt, da trat ich heraus, half ihr vom Wagen und führte sie auf die Veranda. Dort sagte sie: »Justin, du hast mich nun lange genug dafür bestraft, dass ich dich damals…« Die Stimme versagte ihr. Doch ich vollendete: »… davonjagte. Oh, ich habe die Worte nicht vergessen. ›Hau ab‹, das sagtest du. Aber das ist lange her. Und ich hatte nie die Absicht, dich zu bestrafen. Es ist nur so, dass ich eine andere Frau liebe und du mich diese Frau nicht vergessen lassen könntest. Das habe ich irgendwann begriffen. Und so würde ich dich gewissermaßen betrügen, wenn ich mit dir im Bett liegen und an die andere Frau denken würde. Fahr heim, Jane. Aus uns kann nichts mehr werden. Es ist nun mal so.« Sie stand nur da und starrte mich an. Dann stieg der Stolz endlich wieder in ihr hoch. Sie hob ihr Kinn. »Gut«, sagte sie. »Nun weiß ich endlich Bescheid, verdammt noch mal, und muss mir nicht mehr den Kopf zerbrechen, warum du mich meidest. Aber damals, da wolltest du mich, am Tage deiner Heimkehr.« »Um die andere Frau vergessen zu können«, erwiderte ich. »Damals hoffte ich noch.« Sie nickte stumm, wandte sich ab, sprang leichtfüßig die drei Stufen der Veranda hinab und stieg in ihren Wagen. Vom Bock aus sagte sie: »Viel Glück, Justin. Ich weiß ja jetzt, wie es ist, wenn man nicht bekommen kann, was man sich wünscht.« Dann ließ sie den Rappen antraben. Ich sah ihr nach und verspürte ein tiefes Bedauern. Vielleicht hätte sie mich Rachel doch eines Tages vergessen lassen können. Oh, verdammt, ich war ein erfolgreicher Großrancher geworden und auf dem Weg zum Cattleking nicht mehr aufzuhalten.
Doch das ganz große Glück blieb mir versagt. * Das Jahr verging. In Kansas zahlte man zwischen dreizehn und vierzehn Dollar für jedes Longhorn auf dem Huf, welches lebendig in einen der Viehwagen verladen werden konnte, sodass es voraussichtlich auch lebend in Chicago ankommen würde, um dort in den Fleischfabriken verarbeitet zu werden. Ich machte mich abermals mit einer Herde auf den Weg nach Kansas und vertraute meinem Vormann Paco die Ranch an. Paco war noch mehr über sich hinausgewachsen. Ja, er war nun der zweite Mann im Land, ein Patron, der nur mich über sich anerkannte. Und wir waren Freunde – Amigos – ohne viele Worte. Wir vertrauten uns wie Brüder. Und so konnte ich wieder auf den Trail gehen, diesmal mit mehr als dreitausend Rindern und drei Dutzend Reitern. Würde ich auch diesmal die Herde durchbringen und alle Schwierigkeiten überwinden? Denn auf dem tausend Meilen langen Treibweg gab es ständig Ärger, tausend Schwierigkeiten, also Stampeden, Unwetter, Präriefeuer, Viehdiebe, Indianer, Trockenheit, reißende Ströme. Nun, lieber Leser meiner Geschichte, ich will es kurz machen. Auch mein zweites Treiben nach Dodge City war erfolgreich. Nach fast fünf Monaten kehrte ich heim. Und so war es fast wieder so wie beim ersten Mal. Paco empfing mich mit einem freudigen Grinsen und ließ mich daran erkennen, dass daheim alles in Ordnung war und er die Ranch gut verwaltet hatte. Er sagte dann nach den ersten Begrüßungsworten: »Es ist wieder ein Brief gekommen, so ein Brief wie damals.« Ich hörte es und wusste, dass Rachel Winger geschrieben hatte. Und so ging ich in mein großes Haus und fand den Brief auf meinem Schreibtisch liegen, nahm ihn mit leicht zitternden Fingern und öffnete ihn. Und da konnte ich lesen, was Rachel diesmal schrieb: Justin, ich brauche dich! Komm zu mir! Sei mir ein getreuer Ritter. Denn ich wurde wieder eine Lucky Queen. Nun bin ich eine reiche Witwe. Viele Feinde jedoch wollen mir mein Erbe stehlen. Komm her und steh mir bei! Rachel. Das waren ihre Worte. Ich las den Brief immer wieder und spürte einen Sturm vieler Gefühle und Gedanken in mir. Dass in diesem Brief kein zärtliches Wort war, störte mich nicht sehr.
Der ganze Brief war ein Fordern um Hilfe, so als hätte sie einen totalen Anspruch darauf, obwohl wir uns damals nur sechs Stunden lieben konnten, bevor sie an Bord ging. Hatte sie wirklich einen Anspruch auf meine Hilfe? Ich musste hier dann alles stehen und liegen lassen – alles, was ich bisher erreicht hatte. Verdammt, wie konnte sie das von mir fordern! Das waren meine ersten Gedanken. Doch dann spürte ich wieder jenen Zauber, der von ihr ausgegangen war und den ich niemals vergessen konnte. Ja, er hatte sich in den vergangenen Jahren sogar verstärkt. Und ich musste das alles hier ja nicht aufgeben. Ich konnte zurückkehren. Mein Amigo und Vormann Paco würde die Ranch gut verwalten. Ich war ja auch mit der Treibherde lange fort gewesen. Und so sah ich nach, wohin ich reiten musste. Ich las den Ort Silvertown und Silvertown Company. Ich hatte den Namen dieses Ortes schon gehört. Er lag jenseits des Pecos im Gebiet der Sacramento Mountains von New Mexiko, etwas westlich von Roswell und Carrizozo. Silvertown Company – was war das für ein Unternehmen? Gehörte es Rachel? Es konnte wohl nicht anders sein. Ich las es noch mal: Rachel Winger-Stanton, Silvertown Company, Silvertown. Rachel hieß also durch Heirat Stanton und führte offensichtlich nun einen Doppelnamen, nämlich Winger-Stanton. Verdammt, ich wollte sie wiedersehen. Und ich wusste nun, wo ich sie finden konnte. Und so würde ich mich auf den Weg machen und dem treuen Paco wieder einmal die Ranch anvertrauen. * Es war ein weiter Weg zum Pecos. Der Fluss bildete damals die Grenze zwischen Recht und Gesetzlosigkeit. Selbst die legendären Texas Ranger wagten sich nur ungern über den Fluss in dieses Land. Ich konnte keine Postkutschen benutzen. In diese Richtung verkehrten keine Postlinien. Und so musste ich reiten. Nach einer Woche ritt ich nördlich vom El Capitan Peak durch den Pecos. Weit vor mir sah ich die Kette der Sacramentos von New Mexico. Sie schien in der trockenen Luft sehr nahe zu sein, aber ich ließ mich nicht täuschen. Ich musste noch einige Tage reiten und meine Ungeduld unter Kontrolle halten. Es war einige Tage später in einer hellen Sternennacht und mit einem Silbermond am Himmel, als ich die gelben Lichter von Silvertown in der Ferne sah. Eine knappe Stunde später erreichte ich die ersten Hütten und Häuser der Sil-
berstadt. Ja, es war eine Silberstadt. Überall rechts und links des Weges sah ich die Lichter der Minen und Claims. Gewiss verunstalteten bei Tage die vielen Halden das Land. Denn es wurde von menschlichen Maulwürfen umgewühlt und verschandelt. Wahrscheinlich wurde hier auch Gold gefunden. Denn wo Silber geschürft werden konnte, da gab es zumeist auch Gold. Ich ritt im Schritt in die Stadt und sah mir vom Sattel aus alles an. Es war eine Minenstadt mit mächtig viel Betrieb. Überall sah ich Minenarbeiter und all die Silber- und Goldschürfer, die in die Stadt gekommen waren, um sich für die harte Arbeit zu belohnen. Belohnen mit den vielen käuflichen Sünden, die es in dieser Stadt gab. Silvertown brummte sozusagen wie ein Bienenkorb. Ich ritt an einem großen Amüsierpalast vorbei, der seinen Namen mit großen Lettern auf einem Schild über dem Haupteingang so viel versprechend zeigte. QUEEN’S PALACE Musik klang heraus. Ein Anreißer stand vor der Doppeltür und rief immer wieder lockende Worte, Versprechungen. Und die durstigen Kehlen strömten hinein. Ich ritt weiter in die Stadt hinein, sah auch Rinderpferde an den Haltebalken, die mir sagten, dass es in der Nähe Ranches geben musste. Auch betrunkene Frachtfahrer konnte ich erkennen. Manche trugen sogar noch ihre Maultierpeitschen wie Ordensketten vor der Brust. Ich ritt weiter, hielt manchmal an und sah auf den Trubel um mich herum. Dann kam ich auf die Plaza. Diese Plaza entstand wahrscheinlich schon in der Spanierzeit. Denn die Gebäude rings um den Platz und dem großen Brunnen waren alte Bauwerke, einst erbaut von den Sklaven der spanischen Ritter, die hier überall nach Gold suchten. An einem der großen Gebäude war ein Schild angebracht, welches rechts und links von zwei Laternen angeleuchtet wurde. Davor hielt ein Mann mit einer Schrotflinte Wache. Als ich näher heranritt, da konnte ich lesen: Silvertown Company Handels- und Bodenverwertungsgesellschaft Ich war am Ziel. Der Mann mit der Schrotflinte vor der Tür brachte die Waffe wie zufällig in den Hüftanschlag schräg nach oben und auf mich gerichtet. Er hätte mich leicht aus dem Sattel pusten können. Und so sprach ich freundlich zu ihm nieder: »Ich will zu Mrs Winger-Stanton. Wenn sie dort drinnen zu finden ist, dann melden Sie mein Kommen an. Sie erwartet mich. Mein Name ist Hays, Justin Hays.«
Er starrte misstrauisch lauernd zu mir hoch und konnte im Laternenschein unschwer erkennen, dass ich einen langen und harten Ritt hinter mir haben musste. Und so nickte er und erwiderte: »Ja, wir warten hier auf einen Justin Hays.« Dann klopfte er gegen die Tür. Als diese geöffnet wurde, sagte er trocken: »Hays ist da.« Da wurde die Tür noch weiter geöffnet. Ein großer Mann füllte sie aus und sah zu mir hoch. »Na gut«, sprach er, »da sind Sie ja endlich. Kommen Sie herein.« Ich betrachtete den Mann und ließ meinen Instinkt gegen ihn strömen. Der Bursche war von meiner Sorte, nämlich ein harter und erfahrener Bursche. Und er sah überdies recht gut aus. Man hätte uns für Brüder halten können. Doch das waren wir gewiss nicht. Ich fragte mich in diesen Sekunden, in welchem Verhältnis er zu Rachel stand. Doch dann saß ich ab, stampfte mir im Staub der Straße die Sattelsteifheit aus den Beinen und klopfte mit meinem Hut den Staub aus der Kleidung, so gut es ging. Der Mann gab mir den Eintritt frei und sagte dabei: »Das Pferd wird sofort bestens versorgt.« Ich nickte nur und trat in das große Haus ein. Der vordere Raum war wie ein Office eingerichtet. Dann aber gelangte ich in eine Wohnhalle. An der hohen Decke hing ein schwerer Kronleuchter mit einem Dutzend brennender Kerzen. Darunter stand ein großer, runder Tisch. Dort saß Rachel Winger-Stanton mit drei Männern. Und jener, der mich eingelassen hatte, fragte: »Rachel, ist er es?« Sie erhob sich mit einem Freudenlaut und kam zu mir, umarmte mich, zog sich an mir auf die Zehenspitzen hoch und küsste mich auf meine stoppelbärtigen Wangen. Nein, sie bot mir nicht den Mund zum Kuss, und ich wusste warum. Denn die vier Männer beobachteten uns. Ich spürte ihre Blicke fast wie körperliche Berührungen. Rachel löste sich von mir, nahm mich jedoch bei der Hand und wandte sich neben mir den vier am Tisch sitzenden Männern zu. Ich sah, dass auch die drei anderen zur selben Sorte gehörten. Rachel sagte neben mir: »Justin, sieh sie dir an. Sie sind meine Ritter. Ich bat sie um Hilfe, so wie ich es bei dir getan habe. Und sie kamen sofort. Mit dir habe ich nun fünf getreue Ritter auf meiner Seite.« Sie nannte mir nun ihre Namen. Und die waren: Herb Warlock, Dave Millard, Larry Donovan und Tom Hobson. Letzterer hatte mich eintreten lassen. Abermals spürte ich im Kerzenschein ihre forschenden Blicke und erwiderte sie ruhig und fest.
Rachel sagte: »Du wirst hungrig sein von deinem weiten Weg zu mir. Willst du in der Küche essen oder hier am Tisch bei uns?« »Hier«, erwiderte ich und setzte mich in einen der schweren Armstühle, legte meinen Hut neben mir zu Boden. Rachel verschwand irgendwohin, wahrscheinlich in die Küche. Und so waren wir allein am Tisch Herb Warlock sagte langsam: »Sie hat also irgendwann und irgendwo auch dich verzaubert, Justin Hays. Und das hat sie auch mit uns getan. Und so kamen wir her so wie du. Einige von uns werden es wahrscheinlich nicht überleben, also für Rachel sterben. Bist auch du dazu bereit?« Ich hob die Schultern, ließ sie wieder sinken und erwiderte: »Vielleicht sollte ich erst einmal wissen, worum es geht.« Da nickten sie. Meine Frage gefiel ihnen. Sie wussten nun, dass ich nicht vorschnell handelte. Tom Hobson erhob sich, brachte eine Flasche mit fünf Gläsern auf den Tisch und schenkte ein. Dann tranken wir. Ich spürte immer noch, wie sie mich mit ihrem Instinkt abtasteten. »Wir haben noch nie etwas von dir gehört, Hays«, sagte Larry Donovan. »Und ich nicht von euch«, erwiderte ich. »Wir haben wohl alle keinen legendären Kriegsnamen.« Die Gläser waren nun gefüllt. Wir nahmen sie und tranken uns zu. Dann aber bekam ich zuhören, um was es hier ging. Herb Warlock begann zu reden: »Wir alle standen Rachel irgendwann mal bei und halfen ihr aus einer Not. Dafür belohnte sie uns, so wie damals Kleopatra jenen Cäsar belohnte. Sie verzauberte uns, sodass wir sie nie wieder vergessen konnten. Doch sie wollte immer frei sein wie eine jagende Katze. Und wir mussten das respektieren. Doch dann traf sie hier auf Henry Stanton. Er war in diesem Land der King. Man nannte ihn Big Henry oder gar Duke. Er hatte sich ein Imperium geschaffen, ein Riesenreich auf fast hundert Meilen in der Runde. Und natürlich machte er sich eine Menge Feinde. Jeder Eroberer macht sich Feinde. Und er war ein Eroberer. Er konnte auch Rachel erobern. Sie war seine wertvollste Beute. Doch dann brachte ihn jemand mit einer Buffalo-Sharps aus vierhundert Yards Entfernung um, als er stolz durch sein Reich ritt. Und alle, die ihm weichen mussten, die er aus dem Land jagte und auf vielerlei Art besiegte, die machen Rachel das Erbe streitig. Wir müssen sie besiegen. Und wenn alles ausgekämpft ist, wird einer von uns – so er am Leben geblieben ist – Rachel bekommen. Ist dir jetzt in groben Zügen alles klar?« Ich nickte stumm. Und meine Gedanken und Gefühle jagten sich. Ich musste nachdenken und in meinem Kopf alles ordnen. Dave Millard sagte: »Ja, sie ist unsere Queen. Wir sind ihre Ritter. Basta!« Da-
mit hatte er alles gesagt. Wir tranken nochmals die frisch gefüllten Gläser leer. Es war bester Bourbon. Mein Magen war leer. Ich begann den Whisky im Kopf zu spüren. Jetzt musste ich vorsichtig sein. Rachel kam mit einem Tablett aus der Küche. Ich roch den Duft eines Steaks mit Bratkartoffeln und Gemüse. Sie hatte mir das Abendessen selbst zubereitet. Sie sahen mir dann zu, wie ich meinen Hunger stillte. Ich schlang nicht gierig. Trotz meines Hungers aß ich bedächtig. Später dann – unsere Gespräche waren leicht und lässig – sagte Rachel ruhig: »Du kannst in der Badestube ein Bad nehmen. Herkules – er ist hier der gute Geist im Haus – hat schon Feuer unter dem Wasserkessel und wird dir das Badefass füllen. Ich habe auch frisches Zeug für dich. Herkules wird dir dein Zimmer zeigen. Wir reiten morgen bei Sonnenaufgang los. Man wird dich wecken, Justin.« Sie erhob sich und ging die geschwungene Treppe hinauf. Herb Donovan beugte sich vor und sah mich fest an: »Merk dir eines, Hays: Sie bevorzugt keinen von uns. Denn täte sie es, verlöre sie die anderen. Aber irgendwann, wenn alles ausgekämpft ist, wird ein Überlebender von uns sie bekommen.« Er hatte alles gesagt, auch für die anderen. Denn die nickten stumm. Und so wusste ich Bescheid und glaubte immer noch, dies alles zu träumen. * Wir waren tatsächlich bei Sonnenaufgang unterwegs. Rachel führte uns an. Sie trug einen schwarzen Lederanzug. Ihre Hose saß ziemlich knapp. Der Anzug verbarg kaum ihre Formen. Es war ungewöhnlich – wenn nicht gar unschicklich – in dieser Zeit, dass Frauen so gekleidet waren. Selbst die Cowgirls, die bei der Arbeit Hosen trugen, zogen sich weite Beinkleider an. Rachel hatte ihren Stetson an der Windschnur hinter dem Nacken hängen. Ihr rotes Haar leuchtete in der Morgensonne wie poliertes Kupfer oder dunkles Rotgold. Ihr ganzer Aufzug ließ erkennen, wie wenig sie sich um die gültigen Regeln der Menschen hier kümmerte. Ich traute ihr zu, dass sie auch selbstbewusst völlig nackt durch die Stadt reiten würde, wenn ihr danach war. Sie wirkte jetzt herausfordernd, wunderschön, lockend und stolz zugleich. Herb Warlock ritt neben mir. Er hob die Hand und deutete mit dem Daumen über die Schulter zurück auf
die Stadt hinter uns. Dann sprach er zu mir hinüber: »Silvertown ist ganz und gar in unserer Hand, so wie es zuvor in Stantons Hand war. Wir mussten einige aufmüpfige Narren zurechtstutzen oder aus der Stadt jagen. Ja, es gab einige Kämpfe. Nun parieren sie alle. Der Marshal frisst Rachel aus der Hand. Queen’s Palace war damals Stantons Hochzeitsgeschenk für Rachel. Das Haus macht in dieser Stadt den größten Gewinn.« Ich nickte. Dann fragte ich: »Und wohin reiten wir jetzt? Um was geht es diesmal? Was erwartet uns?« Er grinste mich unter dem Sichelbart an. »Es geht um die Aurora-Minengesellschaft, zu der ein halbes Dutzend Minen, ein Stampfwerk, eine Erzmühle und eine Schmelze gehören. Henry Stanton war mit fünfzig Prozent beteiligt. Doch diese Beteiligung erkennt sein Partner der Witwe gegenüber nicht mehr an. Wir glauben, dass er auch den Killer bezahlte, der Stanton mit einer Buffalo-Sharps abschoss wie einen Büffelbullen. Nun, wir sind zu diesem Jack Sharkey unterwegs, um es auszukämpfen. Er wartet mit seinen Revolverschwingern auf uns. He, Hays, du wirst heute an diesem schönen Morgen töten müssen für unsere Queen.« Er sprach es zuletzt grimmig, so wie jemand, der eine schwere und bittere Pflicht zu erfüllen hat. Diesen Grimm spürte ich nun auch. Dann sah ich nach vorn auf Rachel. Sie ritt an der Spitze. Es war wunderschön, sie so auf dem Pferd im Sattel zu sehen. Wir alle genossen diesen Anblick. Er gehörte zu dem Zauber, den sie fortwährend auf uns ausübte. Aber da war noch etwas. Es wurde mir jetzt erst so richtig klar. Sie ritt mit uns in einen Kampf wie eine Amazone. Denn sie trug einen Waffengurt mit einem Colt im Holster. Ja, sie würde kämpfen. O Himmel, dachte ich, was ist das für ein Spiel um alles oder nichts! * Wir ritten eine knappe Stunde im leichten Trab. Dann sahen wir unser Ziel vor uns. Es war fast eine kleine Stadt mit Hütten, Magazinen, ein paar Steinhäusern, einem Wagenhof mit Stallungen – und im Mittelpunkt ragte der Förderturm einer Mine in den Himmel. Dicht daneben floss ein Creek, der die Wassermühle eines Stampfwerkes betrieb. Es gab auch eine Erzmühle daneben und eine Schmelze. Das also war die Aurora-Minengesellschaft. Und ein gewisser Jack Sharkey erwartete uns dort mit seinen Revolverschwingern. Sie waren nicht zu sehen. Es regte sich zwischen den Hütten, Häusern und
sonstigen Gebäuden kein Leben. Alles wirkte wie verlassen, so als wäre dort ein Geisterort. Wir hielten an, bildeten mit Rachel eine Linie. Dann aber sah ich oben im Förderturm eine Bewegung. Auch die anderen sahen es. Herb Warlock sagte grimmig: »Wenn der Bursche dort oben eine BuffaloSharps hat, dann ist er vielleicht der Hurensohn, der Stanton erledigt hat. Aber eine schwere Sharps ist nur für bewegungslose Ziele gut. Wenn wir schnell genug reiten…« Er beendete den Satz nicht. Das musste er auch nicht. Wir wussten alle, dass man mit dieser Sharps zwar auf fünfhundert Yards und mit Hilfe eines Zielfernrohrs einen ruhenden Büffelbullen töten konnte. Doch für Schnappschüsse auf sich schnell bewegende Ziel war das Gewehr zu schwer. Rachel beugte sich im Sattel vor und blickte nach rechts und links. Dann fragte sie mit einem metallischen Klang in der Stimme: »Seid ihr bereit? Wollt ihr immer noch?« Es war eine Herausforderung. Und wer konnte da kneifen? Keiner von uns konnte es, denn sie würde ja mit uns angreifen. Ja, sie war eine Amazone, unsere Queen. Ich fragte mich in dieser Sekunde, wie hart sie wirklich war. Erst jetzt begriff ich, dass sie zwei Seiten hatte. Sie war eine wunderschöne Frau, von der ein Zauber ausging, der auf uns wie Hypnose wirkte. Ja, wir befanden uns in ihrem Bann. Dann ritten wir an auf unseren schnellen Pferden. Ja, wir ritten auf wunderbaren Tieren. Mein Tier, auf dem ich nach Silvertown gekommen war, befand sich gut versorgt im Stall. Der riesige Neger Herkules hatte es mir versichert beim Frühstück. Ich ritt jetzt auf einem schwarzweiß gefleckten Pinto. Wir ließen unsere Tiere aus dem Stand anspringen und waren sofort in blitzschneller Bewegung. Und da das Gelände rau war, galoppierten unsere Tiere nicht schnurgerade, sondern wichen kleinen Hindernissen aus oder sprangen darüber hinweg. Der Sharpsschütze oben auf dem Förderturm der Aurora-Mine schoss zuerst. Ich sah nach rechts und links. Sie alle saßen noch in den Sätteln. Die schwere Kugel hatte also nicht getroffen. Und da eine Sharps nur einschüssig war, musste der Schütze dort oben nachladen. Das dauerte fast zehn Sekunden. Doch wir kamen in zehn Sekunden gewiss hundert Yards näher. Wann würden die anderen Schützen mit ihren Winchester- und Spencer-Karabinern auf uns zu feuern beginnen? Wir ritten wie die Teufel – und dennoch kam es mir wie eine Ewigkeit vor, bis
wir auf hundert Yards heran waren. Wir mussten in die Deckung der Hütten, Häuser und Gebäude kommen. Der Sharpsschütze feuerte wieder von oben. Ich sah das Mündungsfeuer. Doch immer noch saßen wir vollzählig in den Sätteln oder lagen über den Pferdehälsen. Nun schlug uns Gewehrfeuer entgegen. Es war wie bei einem Kavallerieangriff auf einen verschanzten Gegner. Ich war solche Angriffe gegen Artillerie geritten. Ich kannte mich aus und wusste, dass wir Verluste haben würden. Dann brach mein Pferd unter mir zusammen. Ich segelte über den Kopf des Tieres hinweg und überschlug mich am Boden, rollte in einen Busch. Einige Atemzüge lang blieb ich am Boden liegen. Dann aber kam ich hoch und begann zu laufen. Ja, ich griff an. Neben mir lief Tom Hobson auf die Hütten und Häuser zu. Er brüllte wild: »Los! Geben es wir ihnen!« Die anderen hatten offenbar die Siedlung rings um die Mine zu Pferde erreicht. Wir sahen ihre Pferde da und dort stehen. Larry Donovan hockte grinsend an einer Hüttenwand, beugte sich immer wieder vor und schoss um die Ecke. »Denen geben wir es!« Er brüllte es fast begeistert. Dann hörten wir das Krachen einer Sprengladung. »Das war Herb Warlock«, grinste Hobson neben mir keuchend. »Der hat die erste Sprengstoffstange mit kurzer Lunte geworfen. Die räuchern wir aus!« Es wurde nun still. Dann rief eine Stimme: »He, wollt ihr die ganze Mine vernichten, ihr verdammten Narren mit eurer schönen Queen?« »Dann kommt doch raus aus euren Löchern und stellt euch!« So rief Warlocks Stimme als Antwort. Und wieder blieb es eine Weile still. Dann rief Warlock: »Wir haben noch einige Sprengstoffstangen! Wir machen hier alles platt, wenn ihr euch nicht stellt!« Nun mussten wir noch länger warten als zuvor. Dann brüllte eine Stimme wild: »Wir kommen und stellen uns! Wir erwarten euch auf der Plaza vor dem Turm!« Ich sah hinauf zum Turm. Dort hing ein Mann halb über dem Geländer oder der Brüstung. Er war tot. Es musste der Sharpsschütze sein, den jemand von uns getroffen hatte. Wir erhoben uns, traten aus der Deckung und sammelten uns. Rachel trat zu uns. Sie rauchte einen Zigarillo und lud ihren Revolver neu. Wir betrachteten sie bewundernd. Ja, sie war jetzt eine eiskalte Amazone. Sie hatte wie ein Mann gekämpft, mit uns angegriffen. Und nun war sie wieder be-
reit. Ich fragte mich in diesen Sekunden, ob ich das bewundern sollte. Denn als schöne Frau, die von der Schöpfung ja wohl dazu bestimmt wurde, Leben zu schenken, Wärme und Liebe zu geben, Kinder aufzuziehen, tat sie jetzt das Gegenteil von ihrer Bestimmung. Sie hatte ihre Waffe nun geladen, nahm noch einen tiefen Zug aus dem Zigarillo und warf ihn weg. »Gehen wir«, sagte sie metallisch. Und so gingen wir, zwei von uns rechts von ihr; drei an ihrer anderen Seite. Wir bogen um das Haus der Silberschmelze und sahen die kleine Plaza vor uns. Es gab hier einen Brunnen, um den einige Cottonwoods standen. Und dort sahen wir Jack Sharkey mit seinen Revolverschwingern. Sie waren sieben. Alle anderen Leute der Aurora-Mine hielten sich verborgen. Gewiss gehörten auch einige Frauen dazu. Aber sie hielten sich in den Hütten und Häusern auf. Doch mit diesen Menschen hatten wir keinen Streit. Denen war es auch egal, auf wessen Lohnliste sie standen und von wem sie ihre Befehle erhielten. Wir hatten es nur mit den sieben Männern da drüben beim Brunnen unter den alten Cottonwoods zu tun. Wir setzten Schritt für Schritt. Mit Rachel waren wir sechs. Als wir nahe genug waren, hielten wir an. Der Mann, den ich für Jack Sharkey hielt, trat einen Schritt vor und hob die Hand. »Mrs Rachel, wir sollten uns jetzt einigen, bevor wir uns umzubringen versuchen!« So rief er heiser. Aber Rachel rief zurück: »Ich gebe euch freien Abzug, mehr nicht! Wenn ihr bleiben wollt, dann müsst ihr es auskämpfen! « Als sie verstummte, da brüllte jener Jack Sharkey wild auf und schnappte nach seinem Revolver. Aber auch wir griffen nach unseren Waffen und begannen zu feuern. Und dann war es binnen weniger Sekunden vorbei. Jener Jack Sharkey lag im Staub, ebenso zwei seiner Revolverschwinger. Die anderen standen mit erhobenen Händen da. Sie gaben in jenem Moment auf, da sie ihren Boss schwanken und fallen sahen. Ich blickte mich um. Warlock und Millard waren angeschossen worden. Ich sah sie schwanken. Doch sie blieben auf den Beinen. Also konnten sie nur verwundet sein, gewiss nicht schwer oder gar lebensgefährlich. Ich selbst verspürte einen Streifschussschmerz am linken Oberschenkel, so als hätte mich ein Peitschenhieb getroffen. Rachel war unversehrt geblieben, ebenso Donovan und Hobson.
Die Stimme von Rachel klang hart, als sie den Revolverschwingern, die mit erhobenen Händen vor uns standen, zurief: »Haut ab! Verlasst das Land! Wenn wir euch noch mal zu sehen bekommen, werdet ihr das bedauern! « * Es war am Abend, als wir nach Silvertown zurückritten. Tom Hobson ritt nicht mit, sondern blieb im kleinen Ort der Aurora-Minengesellschaft als eine Art Statthalter. Er würde hier alles leiten und dafür sorgen, dass die Mine für Rachel Winger-Stanton Gewinn brachte. Wir ritten langsam, so wie Kämpfer aus einer Schlacht heimkehrten. Als wir in Silvertown einritten, traten die Leute aus den Häusern und Läden. Es hatte sich ja in der kleinen Stadt herumgesprochen, wohin wir am frühen Morgen geritten waren. Wir hielten vor dem großen Haus der Silvertown Company. Der riesige Herkules kam heraus, um unsere Pferde zum Stall zu bringen. Wir gingen hinein. Drinnen wandte sich Rachel uns zu. Ihre Stimme klang wieder weich und melodisch. »Meine Freunde, meine Ritter«, begann sie. »Es ist schlecht für euch, dass ich euch alle liebe, nicht nur einen. Was wäre ich ohne euch? Verloren wäre ich, so wie damals, als mein schönes Dampfschiff auf dem Mississippi abbrannte.« Sie machte eine Pause, sah uns der Reihe nach an. »Jeder von euch hat mich aus einer Klemme befreit – jeder! Ich danke euch.« Sie wandte sich ab, so als wollte sie uns ihre Tränen nicht zeigen, und eilte die Treppe hinauf in ihre Zimmer. Ja, sie wollte offensichtlich allein sein. Wir sahen ihr schweigend nach, bis sie oben verschwunden war. Dann sprach Warlock: »Ich könnte jetzt einen Schluck vom besten Bourbon vertragen. Ihr auch?« Er wartete nicht auf unsere Antwort, sondern füllte einfach die Gläser. Dann tranken wir uns zu und sahen uns in die Augen. Dave Millard sprach dann: »Ja, wir sind Queens-Ritter!« Wir setzten uns an den runden Tisch, waren noch zu viert. Hobson fehlte ja. Und nochmals füllte Warlock die Gläser. Nachdem wir abermals getrunken hatten, sagte er: »Ja, jedem von uns hat sie etwas zu verdanken. Immer wollte es ihr Schicksal, dass einer von uns zur Stelle war. Wie war es damals mit dir, Justin Hays? Willst du es uns erzählen?« Ich sah sie der Reihe nach an. »Wenn auch ihr mir erzählt, wie ihr sie gerettet habt aus einem Tief.«
Da nickten sie. »Warum nicht!« Millard grinste. »Wir sind ihre Ritter und müssen uns auch selbst vertrauen können, als wären wir Brüder. Warum nicht. Also fang an, Justin Hays.« * Nun, ich erzählte ihnen, wie es damals am Mississippi gewesen war. Ich ließ nichts aus, denn ich wusste, sie würden es spüren. Sie kannten ja Rachel wahrscheinlich besser als ich. Denn ich war ja kaum mehr als sechs Stunden mit ihr zusammen gewesen. Ich schloss dann mit den Worten: »Und so trennten wir uns, weil sie frei sein wollte, ich aber eigentlich ein nach Texas heimkehrender Cowboy war, der eine kleine Ranch geerbt hatte. Ich wurde mir erst später darüber klar, dass ich sie im Blut und in meinen Erinnerungen hatte wie ein süßes Gift. Und wenn ich gewusst hätte, wo ich sie finden könnte, dann…« Ich verstummte und hob die Hände, zeigte ihnen meine Handflächen als Zeichen einer gewissen Hilflosigkeit. Sie aber saßen da, sahen mich an und dachten nach. Ich erkannte es daran, dass sich ihre Blicke nun gewissermaßen nach innen richteten, so als würden sie nicht mehr auf mich, sondern in sich selbst hineinsehen. Dann sprach Herb Warlock heiser: »Ja, sie ist wie ein süßes Gift. Wir alle haben es gekostet. Mir ging es ähnlich wie dir, Justin Hays. Das war damals in New Orleans. Man nannte sie dort Lucky Queen. Jeder dieser ganz großen Burschen dort wollte sie haben und glaubte sie am Spieltisch besiegen zu können. Es waren drei mächtige Männer in New Orleans. Einer war Reeder und besaß vier große Seeschiffe, welche ständig nach Europa fuhren. Ein anderer besaß eine Werft, welche berühmt war für ihre Luxus-Steamer, denn diese waren schwimmende Paläste, wurden von manchen Passagieren für Weltwunder gehalten. Der dritte Mann war der Herrscher des Hafens von New Orleans. Sie waren alle drei Pokerspieler der Extraklasse, doch keiner konnte sie mit den Karten besiegen. Wenn sie im Palais Francais spielten, da gab es stets hundert und noch mehr Zuschauer in respektvoller Entfernung. Auch ich gehörte zu diesen Kiebitzen. Mir erging es wie allen anderen. Wir hatten nur Augen für diese Frau, für Lucky Queen. Als sie gegen Ende einer Nacht zu ihrem Hotel ging, begleitet von zwei Beschützern, da war sie plötzlich allein. Eine Kutsche kam angefahren, welche neben ihr hielt. Jemand wollte sie in die Kutsche zerren. Doch sie vermochte sich loszureißen: Aber sie kam mit ihrem langen Kleid nicht weit. Der Mann, welcher sie in die Kutsche zerren wollte, war schneller, holte sie ein und griff in ihre Haare. Er wollte sie an den Haaren in die Kutsche zerren, deren Fahrer oben auf dem
Bock wild lachte. Nun, ich hatte vor dem Palais auf Rachel gewartet, wollte eigentlich nur wissen, wohin sie ging in der sterbenden Nacht. Vielleicht hatte mich ein Instinkt irgendwie dazu gebracht. Nun, ich griff also ein und erschoss den Mann, der sie an den Haaren zerrte. Dann schoss ich auch den anderen Mann vom Bock der Kutsche. Es war Nebel aus dem Hafen heraufgestiegen. Man konnte wenig später keine drei Yards weit mehr sehen. Aber Rachel nahm mich bei der Hand.« Herb Warlock machte nun eine Pause. Er fiel in ein tiefes Nachdenken hinein und lebte in diesem Moment in Erinnerungen. Doch dann hob er den Kopf und sprach weiter. »Sie zog mich durch den dichter werdenden Nebel zu ihrem Haus. Es war ein wunderschönes Haus. Sie hatte es gemietet. Es war ein kleines Palais. Ich blieb einen Tag und eine Nacht bei ihr und erlebte die größten Freuden meines Lebens. Doch am nächsten Morgen beim Frühstück sagte sie mir, dass wir uns trennen müssten. Ich wollte es nicht glauben, doch sie machte mir klar, dass es für sie keine feste Bindung geben könne, weil sie frei sein wollte. Sie hätte vor drei Tagen ein Dampfboot gekauft und ausrüsten lassen für die Fahrt den Strom hinauf nach Saint Louis. Das Dampfboot lag an der Landebrücke. Sie zeigte es mir vom Fenster des Hauses aus, zu dem sie mich im Nebel geführt hatte. Es war ein wunderschönes Schiff, ein schwimmender Palast. Man hatte den Namen geändert. Ich konnte die goldenen Lettern lesen: LUCKY QUEEN. Und als ich fragte, warum ich nicht mit an Bord kommen könnte, um sie weiter zu beschützen, da sprach sie mit einem echten Klang von Bedauern in der Stimme: ›Das geht nicht. Ich kann nicht mit einem Liebhaber und Beschützer an Bord kommen. Ich bin auf den Kapitän, den Steuermann und den Lotsen angewiesen. Solange jeder von ihnen glaubt, mich eines Tages bekommen zu können, werde ich ihrer Treue sicher sein. Ich kann sie nur auf diese Art beherrschen. Das siehst du gewiss ein, Herb, nicht wahr?‹ Nun, ich musste es einsehen. Und so trennten wir uns. Ich begleitete sie nicht mal mehr zum Hafen hinunter, sah nur vom Fenster aus, wie sie an Bord ging. Ein junger Bursche folgte ihr mit einem Handwagen, der mit ihrem Gepäck beladen war. Und an Bord empfingen sie drei Männer.« Als Herb Warlock verstummte, da sahen wir ihm an, dass er alles gesagt hatte. Ich aber fragte: »Und sie wusste immer, wo sie dich erreichen konnte?« Warlock nickte stumm. »Ich war Marshal in Galveston«, sprach er. »Nach New Orleans war ich mit einem Gefangenen zum dortigen Gerichtshof gekommen. Aber ich wäre nicht nach Galveston zurückgekehrt, wenn Rachel mich mit an Bord der Lucky Queen genommen hätte. Ich bekam dann manchmal einen Brief von ihr. Im letzten Brief bat sie mich um Hilfe.« Nun hatte er endgültig alles gesagt. Wir dachten schweigend nach, und ich wusste, jetzt wurde jedem von uns etwas klar. Jeder von uns hoffte, dass er sie
eines Tages bekommen würde, so wie damals. In jedem von uns waren die Erinnerungen zu stark. Warlock sah Dave Millard an und sprach: »Ich habe alles erzählt, wie Justin Hays vor mir auch. Jetzt bist du an der Reihe, Dave Millard.« Dieser nickte, schwieg aber noch eine Weile, dachte tief in sich hinein, so wie es zuvor schon Warlock getan hatte. Ja, auch Millard erlebte in seinen Erinnerungen noch einmal alles, was er nun erzählen sollte. Er nickte schließlich und begann. »Ich war an Bord der Lucky Queen der Chef unserer Bordpolizei. Mir waren sechs Revolvermänner unterstellt. Es gab einige Passagiere an Bord, die sich gut getarnt hatten – Diebe, Falschspieler, auch steckbrieflich gesuchte Mörder und anderes Gesindel. Die Lucky Queen war ein schwimmender Amüsierpalast. Es fanden aber auch Theatervorstellungen statt. Doch die Hauptsache war der Spielsaloon. Es wurde an vielen Tischen gespielt. Roulette, Faro, Black Jack und Poker, auch Würfelspiele, einfach alles. Sämtliche Passagiere waren mit einer Menge Dollars an Bord gekommen, doch die wurden nun jeden Tag und jede Nacht umverteilt. Wir warfen in diesen Nächten ein halbes Dutzend Mistkerle über Bord. Ich musste auch einen Revolverhelden erschießen, der einen meiner Männer getötet hatte. Und so fuhren wir Tag und Nacht den Vater aller Ströme hinauf. Wir hatten auch Edelhuren an Bord, die sich wie seriöse Ladys gaben. Mehr als zweihundert Passagiere beförderten wir. Es konnte durchaus sein, dass mehr als zwei Millionen Dollar an Bord waren, dazu noch der wertvolle Schmuck der Frauen. Doch Rachel hatte einen großen Fehler gemacht, einen riesengroßen Fehler.« Dave Millard machte eine Pause. Er hob die Hand und strich sich über Stirn und Augen, so als könne er auf diese Weise böse Bilder fortwischen. Dann sah er uns der Reihe nach an, beugte sich vor und füllte unsere Gläser mit dem guten Bourbon. Wir tranken uns zu. Larry Donovan fragte fast gierig: »Und wie ging es weiter?« »Was für einen Fehler?« Dies wollte Warlock fast grob klingend wissen. Und da sprach Millard: »Die Organisation, der Trust oder das Imperium – die Bande hat viele Namen. Sie beherrscht die Ströme, nicht nur den Mississippi, sondern auch den Missouri, den Ohio und andere kleinere Wasserstraßen. Sie beanspruchen das Monopol auf alles, setzen die Preise fest. Wer sich ihnen nicht anschließt, den vernichten sie. Es gibt da keine Gnade. Die Zahl der freien Eigner auf den Strömen nimmt ständig ab. Und Rachel wollte eine freie Eignerin bleiben. Das passte zu ihr. Sie trat dem Trust nicht bei, zahlte keine Abgaben. Es war dicht vor Saint Louis, als in beiden Kesselfeuerungen die Explosionen stattfanden. Wir konnten die Lucky Queen noch auf Grund setzen. Doch sie brannte ab. Rachel und ich, wir sprangen vor dem Feuer über Bord wie fast alle Passagiere.
Wir wurden meilenweit abgetrieben. Als wir endlich an Land gelangten, wurden wir von einigen Passagieren gejagt. Denn auch sie waren wie wir an Land gelangt und hatten begriffen, was passiert war. Sie lasteten Rachel an, dass sie sich mit dem Trust angelegt hatte und deshalb die Lucky Queen verlor. Es erging ja auch anderen Dampfbooten so. Wir wurden also von wütenden Passagieren, die alles verloren hatten, gejagt. Rachel war auf meinen Schutz angewiesen. Und später dann, da bedankte sie sich, so wie sie sich ja auch bei Hays und Warlock bedankt hat.« Er verstummte hart. Wir warteten schweigend. Dann forderte Donovan: »Weiter, verdammt, weiter! Du bist noch nicht fertig mit deiner Geschichte – oder?« »Nein«, erwiderte Millard. Dann aber sprach er: »Wir hatten alles verloren bis auf einen wertvollen Ring, den Rachel am Finger trug. Ich fand am Ufer ein altes Boot. Damit ließen wir uns stromabwärts treiben, nachdem wir unseren Verfolgern an Land entkommen waren in der Nacht. In einer Stadt verkaufte Rachel den Ring für tausend Dollar, obwohl er gewiss fünftausend wert war. Wir konnten uns einkleiden. Rachel besaß genügend Spielkapital und dazu noch ihre Schönheit, mit der sie alle Mitspieler verzauberte. Ich war eine Weile ihr Beschützer und bekam von ihr, was auch ihr bekommen habt als Belohnung. Ja, sie schenkte sich auch mir und sorgte so dafür, dass ich sie niemals vergessen konnte. Eines Tages hatte sie genug Geld angesammelt und sagte mir, dass wir uns nun trennen müssten. Es erging mir wie euch. Sie wollte frei sein, sich nicht binden, nicht auf die Dauer von einem Mann und dessen Schutz abhängig sein. Sie wollte nach San Francisco. Aber sie versprach, mir postlagernd nach Saint Louis zu schreiben. Sie hatte mir auch genügend Geld abgegeben, dass ich eine Büffeljägermannschaft ausrüsten konnte, zwölf Mann, also Jäger, Abhäuter, Frachtfahrer für ein halbes Dutzend Frachtwagen für den Häutetransport. Die Post von Saint Louis ließ ich mir nach Kansas City senden. Und eines Tages kam der Brief, der mich um Hilfe bat.« Er hatte nun alles gesagt. Wir schwiegen lange. Dann sagte ich ganz ruhig: »Sie hat immer dafür gesorgt, dass sie uns finden konnte in der Not und wir ihr wie die Ritter einer Queen zu Hilfe kommen würden. Sie hat sich auf diese Art versichert. Und jetzt ist es so, dass wir alle bei ihr sind. Doch solange sie mit keinem von uns eine Nacht verbringt, keinen bevorzugt, solange wird es unter uns keinen Verdruss geben, denke ich. Wie hast du ihr beigestanden, Larry Donovan? Wie wurdest du ihr Ritter?« Ich sah Donovan bei meiner Frage an. Auch die anderen taten es. Ihre Blicke wirkten gierig. Larry Donovan wirkte sehr ernst. »Bei mir war es sehr einfach«, sprach er
dann. »Sie hatte in Sacramento einen jungen Burschen getötet, der sie in ihrem Hotelzimmer überfallen hatte und vergewaltigen wollte. Sie jagte ihm ihr Messer in den Bauch. Aber der junge Bursche war der Sohn eines mächtigen Mannes. Und so saß sie im Gefängnis. Der mächtige Mann wollte ihren Tod. Er sorgte für Zeugen, die aussagten, dass sie den jungen Burschen nach sich verrückt und ihm Hoffnungen gemacht hätte. Nun, vielleicht wäre sie verurteilt worden, vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich hätte sie die Jury mit ihrer Schönheit und Ausstrahlung für sich eingenommen. Aber ich holte sie aus dem Gefängnis. Ich hatte sie am Spieltisch beobachtet und war von ihrem Anblick verzaubert worden. Ich dachte und hoffte, dass sie mir dankbar sein würde. Und so war es auch. Ich holte sie aus dem Gefängnis. Dann ritten wir drei Tage und drei Nächte und entkamen allen Verfolgern. In der vierten Nacht gehörte sie mir. In einer kleinen Stadt trennten wir uns dann. Es war wie bei euch. Sie wollte sich nicht binden, sondern frei sein. Sie war immer noch auf der Suche nach etwas, was sie wahrscheinlich selbst nicht kannte. Aber es war wohl eine Ahnung in ihr, dass sie sich ihre Freiheit erhalten musste. Und ich wurde Sheriff in dieser kleinen Stadt.« Er verstummte nachdenklich. Dann sah er uns der Reihe nach an. »Sie fand dann Stanton, dessen Namen sie ja jetzt zu ihrem eigenen trägt. Sie muss ihn wirklich geliebt haben, denn sonst hätte sie sich nicht an ihn gebunden. Er war wohl der Mann, den sie gesucht hatte. Uns hatte sie nur für unsere Ritterdienste gedankt. Und jetzt sieht es so aus, als wären wir auch zum Sterben für sie bereit. Sie hat uns mehr als nur verzaubert, nein, sie hat uns verhext. Oder könntet ihr jetzt fortreiten?« Seine Frage klang herausfordernd. Wir schüttelten stumm die Köpfe. Einer von uns füllte abermals die Gläser. Wir tranken uns zu. Und dann dachten wir alle über alles nach. Wahrscheinlich dachten wir alle die gleichen Gedanken, nämlich: Was für eine Frau! Was für eine Abenteurerin! Was für eine Spielerin im Spiel des Lebens! Und jeder von uns hatte sie besessen. Jedem hatte sie sich geschenkt. Deshalb hatten wir sie nicht vergessen können. Gewiss hatte jeder von uns nach ihr auch andere Frauen gehabt – aber keine war wie sie gewesen, keine übte diesen Zauber aus. Und nun würden wir weiter für sie kämpfen. Denn sie war durch das Erbe ihres Mannes eine Queen geworden über weites Land, über vielerlei Besitz. Sie brauchte treue Ritter. Oh, verdammt, vielleicht würde zumindest einer von uns überleben und sie bekommen, so wie Stanton sie bekommen hatte. Wir erhoben uns endlich vom runden Tisch und suchten unsere Zimmer auf. * �
Am nächsten Morgen saßen wir mit Rachel beim Frühstück. Der Chinakoch bediente uns flink und lautlos. Wir aber genossen den Anblick unserer Queen. Ja, es war stets ein von ihr ausgehender Zauber, der uns in Bann hielt. Und jeder von uns erinnerte sich gewiss wieder daran, wie es war, als jeder von uns sie für kurze Zeit besessen hatte. Jetzt war alles anders. Sie war klug genug, keinen von uns vorzuziehen. Denn das hätte ihm die Feindschaft aller anderen gebracht. Sie sah uns immer wieder abwechselnd an und schenkte jedem von uns ihr Lächeln. Dann aber, als wir beim Kaffee saßen, sonst alles vom Tisch abgeräumt worden war, da wurde sie ernst und ließ uns ihre andere Seite erkennen, nämlich die harte, kühle und zielstrebige, die so unnachgiebig sein konnte. Sie klatschte mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte spröde: »Nun gut, kommen wir zur Sache. Fassen wir alles noch einmal zusammen.« Sie machte eine kleine Pause und sah uns mit ihren funkelnden schwarzen Augen an. Dann sprach sie: »Die Silvertown Company ist ein vielseitiges Unternehmen. Mein Mann hat Großes geschaffen, Riesengroßes. Wir haben die Aurora-Minengesellschaft zurückerobert. Sie gehört nun hundertprozentig uns. Und Tom Hobson wird dafür sorgen, dass dies so bleibt. Er ist dort der Statthalter eines Teils unseres Imperiums. Alle Gewinne fließen hierher. Tom Hobson hat freie Hand. Wenn er will, kann er ein halbes Dutzend Revolvermänner anwerben, um dort alles unter Kontrolle zu halten.« Sie machte eine kleine Pause und sah dann auf Herb Warlock. »Herb, dir vertraue ich unsere Post- und Frachtlinie an, ebenso unsere Kette von Generalstores. Wir dürfen keine Konkurrenz dulden und müssen das Monopol behalten. Herb, du wirst auch die Banditen bekämpfen müssen, welche gewiss wieder versuchen werden, unsere Silbertransporte zu überfallen. Das Gebiet auf mehr als hundert Meilen in der Runde wird von uns beherrscht. Daran darf sich nichts ändern.« »Das wird es auch nicht, Rachel.« Herb Warlock grinste hart. In seinen grauen Augen war nun ein hartes Glitzern. Sie wirkten wie Flintstein. Rachel nickte ihm zu. »O ja, Herb, ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann wie auf einen getreuen Ritter.« Sie wandte sich Dave Millard zu. »Was macht deine Wunde?« Millard grinste. »Aaah, das ist kaum mehr als ein Mückenstich, Rachel. Was kann ich fürs Imperium tun – oder soll ich sagen für dein Königreich?« Sie lachte melodisch. Jetzt war es wieder jenes Lachen, welches uns stets betörte. Für einen Moment war die Härte in ihr gewichen.
»Dave«, sprach sie zu Millard, »wir müssen alle anderen Minen dieses Landes in unseren Besitz bringen, auf welche Art auch immer. Mache diesen Minen klar, dass sie Schutz brauchen und diesen Schutz auch bekommen, wenn sie uns beteiligen mit fünfzig Prozent. Und wenn sie darauf nicht eingehen, dann stutze sie zurecht, bis sie begriffen haben, wie dumm sie sind. Wir beherrschen Silvertown. Der Marshal ist unser Mann. Aber du wirst ihm auf die Finger sehen müssen. Er könnte sich überschätzen und den eigenen Vorteil suchen. Es darf nicht sein, dass er überall kassiert und sogar in den Bordells besondere Rechte beansprucht. Wenn er nicht unser folgsamer Handlanger ist, dann jag ihn davon. Mach ihm klar, dass er ohne uns ein Wicht in der Silberstadt ist, den man leicht ersetzen kann. Du solltest dir einen schönen Silberstern an die Weste stecken, Dave, einen Sheriffstern. Wir sind hier westlich des Pecos. Hier kann sich jeder zum Gesetz machen, wenn er mächtig genug ist. Und du wirst die Macht der Silvertown Company hinter dir haben. Als Sheriff kannst du überall Grundsteuern eintreiben für die Verwaltung eines werdenden Countys. Wir haben westlich des Pecos noch viele Möglichkeiten.« Sie verstummte hart. Wir aber staunten. Aber sie sah es wohl richtig. Hier westlich des Pecos gab es noch kein richtiges Gesetz. Am Pecos endeten Recht und Ordnung. Irgendwann würde sich das ändern. Aber dann war in diesem Lande schon alles verteilt, was es zu verteilen gab an wenige Mächtige, welche die Politik bestimmten. Rachel nickte Dave Millard zu. Dann wandte sie sich an Larry Donovan. Was würde dessen Aufgabe sein? Hobson war nun der Manager der Aurora-Minengesellschaft. Warlock würde den Verkehr und den Handel im Land kontrollieren und beherrschen. Dave Millard würde den Sheriffstern tragen und dennoch ein Bandit sein. Denn er sollte alle noch freien Minen in die Silvertown Company einbringen und sogar Grundsteuern eintreiben. Und Larry Donovan? Wir alle waren neugierig, ganz besonders er. Aber Rachel sagte ganz selbstverständlich: »Larry, reite mit einer starken Mannschaft, die du dir nach eigenem Ermessen zusammenstellen kannst, in die San Andreas Mountains und bring das Holzgeschäft unter unsere Kontrolle. Es gibt dort Dutzende von Holzfällermannschaften, die auf eigene Rechnung die Hänge kahl schlagen. Eines Tages wird das Holz knapp werden. Dann will ich gewaltige Vorräte in einigen Lagern bei den Sägemühlen haben. Und natürlich müssen uns auch die Sägemühlen an den Flüssen und Creeks gehören. Stanton hatte erst drei solcher Mannschaften und zwei Sägemühlen. Ich will sie alle. Ich
will das ganze Holz der San Andreas Mountains haben – alles! Wirst du das schaffen, Larry Donovan?« »Sicher«, sagte dieser und grinste hart. »Wir werden das ganze Holz bekommen.« Rachel nickte, und auch ihre Augen funkelten nun, so als wären sie schwarze Riesendiamanten. Dann aber richteten sich alle Blicke auf mich. Denn es war ja klar: Nun war ich an der Reihe. Was für eine Aufgabe würde Queen Rachel mir übertragen? Wahrscheinlich wussten es die anderen drei »Ritter«, denn sie kannten sich ja besser aus. Ich war noch nicht lange hier. Ich sah in Rachels glitzernde Augen. Sie aber lächelte und sprach: »He, Justin, du warst doch mal Cowboy und wurdest ein Rancher. Ich weiß nicht, wie groß deine Ranch am Brazos ist, die du verlassen hast, weil ich dich rief. Aber ich vertraue dir jetzt eine riesengroße Ranch an. Mein Mann hatte sie schon vor dem Krieg aufgebaut. Die Weide dort in diesem großen Tal ist voller Rinder. Die Mannschaft ist eine faule Bande. Du wirst gewaltig aufräumen müssen. Die Rinder sind jetzt etwas wert. Noch sind viele Tiere ohne Brandzeichen. Justin, ich brauche dir nicht zu sagen, was zu tun ist. Zwanzig Meilen von hier liegt das Riesental, in dem sich mehr als zehntausend Rinder befinden. Jeden Tag werden es mehr. Reite hin und sichere mir mein Erbe. Es gibt einige böse Burschen in der Mannschaft dort. Wahrscheinlich wirst du töten müssen. Mach also einigen Hurensöhnen klar, dass die Ranch nach dem Tod meines Mannes mir und nicht ihnen gehört. Justin, vielleicht hast du die schwerste Aufgabe von meinen Rittern.« Ja, sie sagte tatsächlich nun selbst das Wort »Ritter«. Als sie schwieg, sahen sie mich alle fest an, und irgendwie war ein Lauern in ihren Blicken. Aber ich nickte nur und erwiderte: »Ja, das ist wohl eine Aufgabe für einen Rindermann, der mal Cowboy war.« Wir leerten wie auf ein stillschweigendes Kommando unsere Kaffeetassen. Es war alles gesagt. Die Aufgaben waren verteilt. Als Stanton erschossen wurde, drohte seiner Witwe alles aus den Händen zu gleiten. Stantons Reich begann zu zerfallen. Die Aurora-Minengesellschaft wollte den Anfang machen. Doch dann ließ Rachel uns kommen. Nun würden wir ihr Erbe nicht nur erhalten, sondern noch vergrößern und wertvoller machen, was gewiss nur durch viele Kämpfe zu ermöglichen war. Stanton hatte ein Imperium geschaffen, übte also Macht auf vielerlei Gebieten aus. Nach seinem Tod wollte es sich auflösen. Einige Männer, die ihm gedient hatten, wollten sich selbstständig machen und sich vom Kuchen Stücke abschneiden.
Doch nun waren wir bei Rachel. Wenn wir wollten, konnten wir viele Revolverschwinger anwerben. Das war kein Problem. Doch es würde stets auf den Boss solcher Mannschaften ankommen. Und die Bosse würden wir sein, * Ich ritt am nächsten Morgen aus Silvertown in Richtung Südwesten. Rachel hatte mir den Weg durch die Täler und Canyons gut beschrieben. Es war ein schönes Land hier zwischen den Sacramento und den San Andreas Mountains, ein ganz anderes Land als bei mir daheim am Brazos. Würde ich überhaupt eines Tages dorthin zurückkommen? Oh, ich wusste, mein Amigo Paco war ein guter Vormann und Verwalter. Er würde meine immer noch recht kleine Ranch gut verwalten, vergrößern, ausbauen. Und wenn ich nicht heimkehren sollte, dann würde alles ihm gehören. Das hatte ich ihm schriftlich hinterlassen. Ich ritt am frühen Mittag aus einem Canyon und traf auf einen Reiter, der einige Rinder trieb. In einiger Entfernung sah ich ein Feuer neben einem Wagen. Ich begriff sofort, dass dies eine Brennmannschaft war. Am Feuer warteten zwei Mann mit den Brandeisen. Ich folgte dem Reiter und half beim Treiben des Rinderrudels. Er grinste zu mir herüber, rief mir zu: »Hoiii, suchst du einen Job oder möchtest du nur mit uns zu Mittag essen?« Er hatte zuvor auf das Brandzeichen meines Pintos gesehen. Es war diesmal mein eigenes Pferd, welches sich inzwischen vom Ritt vom Brazos nach Silvertown erholt hatte. Und der Brand an meinem Pferd war ja das verschnörkelte H, welches einer spanischen Kandare glich. Er hielt mich also für einen der durchs Land streifenden Reiter, welche über den Pecos kamen, weil sie Schatten auf ihrer Fährte hatten. Ich grinste nur als Antwort. Und als wir dann am Feuer waren, da half ich ihnen beim Bränden. Wir schwangen unsere Wurfseile, brachten die Rinder zu Fall und drückten ihnen den Brand auf. Ich sah, dass es nicht der Stanton-Brand war, denn dieser war ein S-im-Kreis. Aber am Wagenbrett war dieser S-im-Kreis-Brand zu sehen. Wir hockten uns dann ans Feuer, über dem ein Topf mit Bohnensuppe hing. Auch eine Kaffeekanne stand in der warmen Asche am Rande. Und auf einem Stein lag Fladenbrot. »Wo kommst du her?« So fragte einer kauend. »Vom Pecos«, erwiderte ich. »Zu welcher Ranch gehört ihr? Was ist das für
ein Brand?« »Ach, das ist unser Brand«, grinste einer kauend. »Das ist eine Acht-im-Kreis.« Ich nickte und erwiderte: »Gewiss kann man aus einem S leicht eine Acht machen. Da am Wagenbrett sehe ich ein S-im-Kreis. Vielleicht seid ihr Viehdiebe und bestehlt eure eigene Ranch. Oder sehe ich das falsch?« Nun konnte ich sehen, dass sie böse wurden. »He, wer bist du wirklich?« So fragte einer wild. Dann erhoben wir uns zu gleicher Zeit. Sie waren drei, ich war allein. Doch sie waren einfache und normale Cowboys, die ihre Revolver nur gegen Raubwild benutzten. Ich aber war wohl das, was man einen Revolvermann nannte. Und das spürten sie nun endlich. Überdies sagte ich ruhig: »Jungs, ich bin der neue Boss der S-im-Kreis. Eigentlich sollte ich euch zum Teufel jagen. Oder was meint ihr?« Sie waren nun hellwach und lauerten. Ich stand ruhig vor ihnen und hatte meine Revolverhand hinter dem Kolben meiner Waffe hängen. Und so konnten sie spüren, dass es an ihnen lag. In ihren Hirnen begann es zu arbeiten. Und deshalb begriffen sie, dass man gewiss keine Pfeife als Vormann und Verwalter zur Ranch geschickt hatte. Einer stieß hervor: »Sogar Big Stanton hat damals vor dem Krieg mit gestohlenen Rindern angefangen. Um uns hat sich schon wochenlang niemand gekümmert. Diese Ranch ist so gut wie herrenlos geworden.« »Das ist jetzt vorbei«, erwiderte ich. »Habt ihr auch ein richtiges Brandzeichen mit einem S-im-Kreis dabei?« »Haben wir«, sprach einer heiser und noch ziemlich mürrisch. »Dann brändet jetzt mit dem richtigen Eisen«, sprach ich. »Und wenn ich euch noch mal als Viehdiebe erwische, dann… « Ich sprach nicht weiter, sondern hielt plötzlich meinen Revolver in der Faust. Und nun wussten sie sicher, dass sie verloren hätten. Sie atmeten aus. Ich ging zu meinem Pferd, saß auf und ritt weiter. Es konnte nicht mehr weit zur Ranch sein. Dabei dachte ich über die drei Cowboys nach, die ja eigentlich Viehdiebe waren. In Texas wurden Vieh- und Pferdediebe zumeist gehängt. Zumindest schnitt man ihnen ein Stück von den Ohren ab. Wenn man sie abermals erwischte, wusste man, dass sie Wiederholungstäter waren. Dann gab es keine Gnade. Doch wir waren hier westlich des Pecos nicht mehr in Texas, sondern im New Mexico-Territorium. Hier galten andere Regeln. Die drei Cowboys hatten ungebrannte Rinder mit ihrem Brand gebrändet, also Mavericks gejagt. Nun war es zwar so, dass ungebrannte Rinder auf einer Weide Nachkömmlin-
ge der Stammherde waren, also dem Besitzer der Stammherde gehörten. Aber alles konnte auch anders ausgelegt werden. Ich konnte die drei Cowboys gut verstehen. Sie wollten ihre eigene Herde und ihre eigene Ranch. Das alles sagte mir, wie sehr die S-im-Kreis-Ranch von Stanton vor der Auflösung stand, sodass sie ausgeplündert wurde. Rachel hatte das nicht verhindern können. Nun, ich ritt gemächlich weiter, hielt immer wieder auf flachen Hügeln und Bodenwellen an und machte mich mit dem Land vertraut, merkte mir bestimmte Punkte, die, einem als Landmarken die Orientierung erleichtern. Überall sah ich Rinder. Die älteren Tiere trugen den S-im-Kreis-Brand, doch es gab viele ungebrändete Tiere. Und dann endlich – in einer Senke an einem See und neben Wald gelegen –, da sah ich plötzlich die Ranch. Ich hielt an und staunte. Heiliger Rauch, das war was, oho! Mein Respekt vor Rachels Mann wuchs mächtig. Er hatte hier etwas geschaffen, was sich sehen lassen konnte. Und es war erst der Anfang gewesen, sozusagen die Basis für weitere große Schritte. Und diese musste er ganz zwangsläufig machen, weil das Überangebot von Rindern während des Krieges zu groß wurde. Stanton musste sich ein Imperium schaffen, sich also auf vielen anderen Gebieten Macht verschaffen. Das Haupthaus war zweistöckig mit einem umlaufenden Balkon. Und um das Haus gab es viele weitere Gebäude: das große Bunkhouse, Werkstätten, Ställe, Scheunen, Corrals und in einiger Entfernung die Weidekoppeln. Es war ein prächtiges Kingdom inmitten einer weiten Weide in einem weiten Tal. Wenn ich da an meine Ranch am Brazos dachte, auf die ich so stolz war, da kam ich mir ziemlich klein vor. Aber Stanton hatte ganz andere Möglichkeiten gehabt. Hier war alles noch freies Land. Er hatte sich nur mit den Apachen arrangieren müssen irgendwie – entweder durch harten Kampf oder durch Geschenke. Und seine ersten Rinder hatte er gewiss aus Mexiko geholt. Ja, so etwa hatte sich das abgespielt. Es war nun später Mittag geworden. Auf der Ranch regte sich nichts. Die Tiere in den Corrals und Weidekoppeln hatten den Schatten alter Cottonwoods aufgesucht, von denen es viele gab, besonders am kleinen See. Ich sah keinen Menschen. Und so ritt ich wieder an und näherte mich langsam im Schritt. Dann aber hörte ich etwas. Ich konnte es zuerst nicht glauben, steckte sogar meinen Finger ins Ohr und rüttelte.
Aber ich hatte keinen Hörschaden. Was ich hörte, war wirklich. Jemand hämmerte auf einem Klavier herum wie in einem Saloon. Und dann grölten trunkene Stimmen ein schmutziges Lied, welches von der dicken Nelly handelte, die unersättlich war in der Liebe. Ich hielt dann vor der Veranda, saß ab und ging über die Veranda, trat in eine große Wohnhalle. Nun sah ich sie. Es waren ein Dutzend grölende Burschen, die sich um ein Klavier gruppiert hatten, an dem einer von ihnen saß und auf die Tasten hämmerte. Dabei paffte er gewaltig auf einer dicken Zigarre. Immer wieder schlug er auf die falschen Tasten und erzeugte Missklänge, doch das störte die Kerle nicht. Im Gegenteil, sie brüllten dann besonders begeistert. Einer von ihnen hatte sich ein großes Tuch wie einen Rock um die Hüften gebunden und versuchte wie eine Tänzerin zu tanzen. Dabei verrenkte er sich fast so gekonnt, wie es die Schlangenmenschen im Zirkus taten. Ja, er nahm sogar den Kopf zwischen die Beine, tat so, als würde er unter seinen Rock blicken. Ich lehnte mich neben dem Eingang an die Wand und sah eine Weile zu. Die ganze Bande nahm mich vorerst gar nicht wahr. Oder war es keine Bande, sondern die Mannschaft dieser Ranch? Hatten sie einen Grund für diese Feier? Nun, ich würde es gewiss bald herausfinden. Dann endlich – als sie mal eine Pause einlegen mussten –, da sahen sie mich. Der Mann am Klavier drehte sich mir zu. Nachdem er mich ganze drei Sekunden angestarrt hatte, erhob er sich mit einer leichten Bewegung, etwa so wie ein Berglöwe, der auf einem Felsen ruhte. »He, wer bist du denn?« So fragte er hart, und ich wusste von diesem Moment an, dass er hier der Bulle im Corral war, also der Bursche, der das Sagen hatte. Seine lauernde Wachsamkeit kam wie ein kalter Hauch zu mir herüber. Ich spürte seine Gefährlichkeit. Ganz ruhig sagte ich: »Die Erbin und Besitzerin dieser Ranch ist Mrs Rachel Winger-Stanton, richtig?« Sie begannen zu grinsen. Dann sagte der Anführer: »Ach, was soll denn eine Frau mit solch einer großen Ranch? Damit wäre sie doch total überfordert. Sie war auch klug genug, sich hier nach dem Tod ihres Mannes nicht blicken zu lassen. Ich glaube – nein, wir alle glauben es –, dass wir die Erben von Stanton sind, nicht sie. Was willst du hier? Was soll deine blöde Frage?« Ich stieß die Schulter von der Wand ab, und ich wusste, es ging jetzt um alles oder nichts für mich. Er wartete auf meine Antwort auf seine barsche Frage. Und so sagte ich mit gewiss trügerisch klingender Freundlichkeit: »Mrs Win-
ger-Stanton hat mich hergeschickt, damit ich an ihrer Stelle ihr Erbe verwalte und ihre Interessen vertrete: Ich bin also euer Boss.« Sie waren mehr oder weniger betrunken. Auf einem Tisch stand ein Tequilakrug. Nur dieser dunkelhaarige Bursche, der fast wie ein Comanche aussah, der sich als Weißer verkleidet hat, wirkte nüchterner als die anderen. »Hau ab«, sprach er, »oder ich mache dir Beine! Und die schöne Rachel, für die Stanton sogar das Klavier herschaffen ließ, die soll sich hier nicht blicken lassen. Hau ab!« Er klatschte bei seinen letzten zwei Worten gegen seinen Revolverkolben. Sie alle trugen ihre Revolver, obwohl sie doch hier im Haupthaus waren und etwas zu feiern hatten. Ich ahnte, dass sie hier und jetzt ihren Entschluss feierten, die Ranch für sich in Besitz zu nehmen. Und so dachte ich bitter: Oh, Rachel, was hast du mir da aufgebürdet, verdammt! Ja, sie hatte mir eine Riesenlast aufgebürdet. Und wenn ich nicht aufgeben und mich davonschleichen wollte, dann musste ich kämpfen. Und so sprach ich ruhig: »Wer du auch bist, Mann, ich glaube jetzt fast, dass ich dich töten muss.« Ich hatte es kaum gesagt, da zog er, so als hätte er nur auf einen Grund zum Ziehen gewartet. Gewiss hielt er sich für einen unüberwindlichen Revolvermann. Als er den Lauf hochschwang und ihn wie einen großen Zeigefinger in meine Richtung stieß, da traf ihn meine Kugel. Denn ich war schneller als er. Ich hatte gar keine andere Wahl. Und so stieß ihn meine Kugel bei seinem Abdrücken. Ich sah in sein Mündungsfeuer. Doch die Kugel riss oder zupfte nur an meiner Schulterspitze. Dann fiel er auf die Knie und konnte seinen Revolver nicht mehr halten. Die Waffe war ihm plötzlich zu schwer geworden. »O Vater im Himmel«, hörten wir ihn alle tonlos flüstern. Dann fiel er vorüber. Und ich wartete mit dem noch rauchenden Colt schussbereit in der Faust. Aber sie hielten immer noch den Atem an, staunten mich an wie ein Weltwunder und versuchten in ihren mehr oder weniger trunkenen Köpfen Entschlüsse zu fassen. Doch sie waren daran gewöhnt, gesagt zu bekommen, was zu tun ist. Und so begriffen sie, dass es vorbei war. Der Bulle war der einzige Revolvermann unter ihnen. Sie aber waren nur Cowboys. Ich ließ meinen Revolver mit einer schnellen Bewegung ins Holster gleiten. Dann trat ich näher an den Mann am Boden heran, kniete nieder und fühlte
nach seiner Halsader. Sie schlug nicht mehr. Er war tot. Aber es war kein Triumph in mir, nur Bitterkeit. Er hatte mir diesen Kampf aufgezwungen, und ich hatte so schnell ziehen müssen wie vielleicht noch niemals zuvor. Da war keine Zeit mehr gewesen, um zu zielen. Ich musste voll draufhalten in diesen Sekundenbruchteilen. Und so hatte ich ihn voll auf das Brustbein getroffen. Es war so wie damals im Krieg. Und in diesen Krieg hier hatte mich Rachel geschickt. Oh, verdammt, warum hatte ich meine kleine Ranch am Brazos verlassen? Ich erhob mich und sah die Männer an. Sie wirkten nun etwas nüchterner. Ihre vorhin noch so lärmende Fröhlichkeit, in die sie von dem Klavier spielenden Revolvermann versetzt wurden, war einer bitteren Betroffenheit gewichen. Ich sah sie Mann für Mann an, und keiner konnte meinem Blick standhalten. Und so fragte ich: »Wer war dieser Mann?« Dabei deutete ich auf den Toten. Einer der Cowboys sagte heiser: »Sein Name war Kelly, Vance Kelly. Er kam vor einigen Wochen zu uns und blieb. Unser Vormann Al Rourke hatte nichts dagegen.« Als er verstummte, fragte ich: »Und wer von euch ist Al Rourke?« »Der ist verschollen, seit sieben oder acht Tagen verschollen. Er ritt hinaus auf die Weide und kam nicht wieder. Wir haben nach ihm gesucht, konnten ihn jedoch nicht finden. Es muss ihm was zugestoßen sein. Auch sein Pferd ist verschwunden. Doch er ist gewiss nicht fortgeritten. Rourke hätte uns nicht einfach so verlassen, der nicht.« Der Cowboy verstummte bitter. Ich aber begann zu ahnen, warum sie alle mehr oder weniger angetrunken waren. Sie wollten wohl etwas vergessen. Und dieser Klavier spielende Revolvermann Vance Kelly hatte sie zum Trinken animiert und ganz und gar unter seine Kontrolle gebracht mit seiner scheinbaren Lustigkeit, Leichtigkeit und Sorglosigkeit. Sie sollten offenbar ihren Vormann vergessen. Was sollte ich mit ihnen tun? Sie waren einfache Cowboys. Gewiss konnten einige von ihnen nicht lesen und auch nicht schreiben, weil sie niemals Gelegenheit hatten, eine Schule zu besuchen. Aber sie verstanden etwas von Pferden und Rindern, konnten Raubwild jagen und Wildpferde zureiten. Und sie liebten die Freiheit im Sattel, waren dabei genügsam und bescheiden. Sie brauchten nur dann und wann einen Besuch in einem Saloon und bei einem käuflichen Mädchen. Und eigentlich waren sie arme Hunde. Viele alterten vorschnell und fürchteten sich davor. Denn wenn sie mit spätestens fünfzig nicht irgendwo ein Gna-
denbrot fanden, dann führten sie ein erbärmliches Leben. Sollte ich sie zum Teufel jagen? Das fragte ich mich einen Moment lang, um diesen Gedanken dann sofort wieder zu verwerfen. Ich brauchte sie ja auch hier auf der Ranch. Und selbst wenn ich mir eine neue Mannschaft zusammensuchte, würde sie nicht aus anderen Reitern bestehen können. Sie hatten ihren Vormann verloren und waren unter den Einfluss dieses Revolvermannes geraten. Und so sprach ich ruhig: »Ihr habt jetzt wieder einen Vormann, nämlich mich. Mrs Winger-Stanton gab mir euren rückständigen Lohn mit. Je zwei von euch können nacheinander für zwei Tage nach Silvertown reiten und sich dort amüsieren, so gut das möglich ist. Die Reihenfolge müsst ihr unter euch auslosen. Die anderen gehen an die Arbeit. Ich habe auf dem Herweg eine Menge ungebrändeter Rinder gesehen. Ich werde mich in den nächsten Tagen erst mal auf diesem Weidegebiet umsehen und dann besser wissen, was getan werden muss. Wer ist hier der Koch?« Einer der Männer, der sich einen Zuckersack als Schürze umgebunden hatte, hob die Hand. »Ich, Boss, ich bin hier der Doc.« Er sagte Doc, weil alle Ranchköche scherzhaft Doc genannt wurden. Aber sie verstanden sich zumeist auch auf Wundbehandlung und sie kannten auch Mittelchen gegen Krankheiten, also Tees und Salben. »Wir haben keine Vorräte mehr, Boss«, sagte er. »Dann nimm einen Wagen, fahre nach Silvertown und kauf ein. Sag jedoch zuvor im Office der Silvertown Company Bescheid. Also los, mach dich sofort auf den Weg. Und jetzt schafft den Toten hinaus. Wenn es einen Ranchfriedhof gibt, dann beerdigt ihn dort. Ihr habt ja soeben noch mit ihm so lustig gefeiert. Er hat für euch Klavier gespielt. Vielleicht wird einer von euch an seinem Grab das Vaterunser oder ein anderes Gebet sprechen können. Beerdigt ihn christlich. In einer Stunde zahle ich im Ranchoffice euren rückständigen Lohn aus. Ich muss nur erst noch in das Lohnbuch sehen. Und jetzt raus hier!« Meine Stimme knirschte nun. Sie hörten meine Bitterkeit. Und so stolperten sie hinaus und nahmen Vance Kelly mit. Ich war nun allein und zerbiss bittere Flüche auf meinen Lippen. Obwohl ich genau wusste, dass es falsch war, mich mit Schnaps zu betäuben, trat ich an den Tisch und nahm den Tequilakrug hoch, trank einen großen Schluck daraus. Als der Agavenschnaps dann in meinem Magen brannte, da dachte ich wieder an Rachel. Ja, sie hatte mich hergeschickt wie eine Queen einen getreuen Ritter. Wann würde sie mich für meine Treue belohnen? Als ich mich das fragte, da dachte ich wieder an jene Nacht am Mississippi.
Verdammt, sie würde mich abermals belohnen müssen. Das war sie mir schuldig. Ich begann durch das große Haus zu wandern, machte mich mit den Räumlichkeiten vertraut. Dann setzte ich mich im Office hinter den Schreibtisch und begann in den Büchern zu blättern. Der Vormann Al Rourke hatte über alle Dinge genau Buch geführt. Ich bekam einen Überblick. Die Mannschaft hatte schon einige Monate keinen Lohn erhalten. Die Stunde war um. Sie kamen nun herein und bildeten eine Schlange, die von meinem Schreibtisch bis hinaus auf die Veranda reichte. Einer sagte: »Wir haben ihn beerdigt nach Christenart. Williams hat ein Gebet gesprochen.« Ich nickte nur, ließ mir dann ihre Namen nennen und suchte sie im Lohnbuch. Ich zahlte jedem achtzig Dollar aus und ließ sie quittieren. Einige machten tatsächlich nur ein Kreuz als Unterschrift. Und so kam alles in Gang und würde weiter in Gang bleiben. Ich machte mir bezüglich der Mannschaft keine Sorgen. Sie alle würden bleiben. Selbst diejenigen, die mit ihrem Lohn nach Silvertown reiten durften, um sich dort jene Sünden kaufen zu können, die nun mal zur Menschheit gehörten, würden zurück auf die Ranch kommen. Ich war dann allein im Office. Der Doc brachte mir Kaffee und einige Tortillas. »Boss, mehr kann ich Ihnen nicht bieten«, sagte er. »Ich habe den Wagen anspannen lassen und fahre jetzt los. Noch in der Nacht komme ich zurück. Es wird dann für alle ein prächtiges Frühstück geben. Gut so, Boss?« Ich nickte nur. Er verhielt noch, zögerte, dann trat er noch einmal näher an den Schreibtisch heran und legte mir ein Papier hin. Als ich es öffnete, da sah ich, dass es ein zusammengefalteter Steckbrief war mit einem Bild. »Wir fanden es in Kellys Sachen«, sagte Doc. »Er trug seinen eigenen Steckbrief mit sich herum, so als ob er stolz darauf gewesen wäre. Er fand hier bei uns also eine Zuflucht, hatte Schatten auf seiner Fährte. Er war hier einige Tage sozusagen der Vormann.« Ich sah auf den Steckbrief. Ja, Vance Kelly wurde in einigen Staaten steckbrieflich gesucht. Auch eine Belohnung gab es. Aber wer sollte die hier westlich des Pecos auszahlen? Und ich hätte sie ohnehin nicht gewollt. Der Doc ging hinaus. Ich hörte dann den Wagen aus dem Ranchhof fahren.
Auch einige Reiter ritten aus dem Hof. Rufe klangen. Die Reiter wollten mir zeigen, dass sie ihre Arbeit nicht erst morgen aufnehmen, sondern dies jetzt noch am frühen Nachmittag tun wollten. Vielleicht würden wir gut miteinander auskommen. Ich war fair zu ihnen gewesen. Meinen Erfahrungen nach wurde Fairness nicht immer honoriert. Es gab immer wieder Menschen, die hielten sie für Dummheit, die man ausnutzen konnte. Nun, wir würden sehen, wie es zwischen uns lief. Und ich konnte verdammt hart sein, wenn man mich für einen Deppen hielt. * Einige Tage vergingen. Ich war ständig unterwegs: Einmal übernachtete ich in einer unserer Weide- oder Grenzhütten. Jede große Ranch hatte solche Vorwerke. Unsere hier waren nicht besetzt. Ich würde sie wieder besetzen lassen. Unser Weidegebiet im weiten Tal war zu groß. Ich würde weitere Reiter einstellen müssen. Die S-im-Kreis-Mannschaft bestand nur aus einem Dutzend Reitern, dem Koch und drei mexikanischen Ranchhelfern. Ich hatte nun eine Übersicht bekommen und schätzte unseren Rindersegen auf mehr als zwanzigtausend Tiere. Und es wurden immer mehr. Bald würde ich eine große Herde sammeln und nach Kansas treiben müssen. Dann würde ich vier oder fünf Monate weg sein. Ich sah in diesen Tagen die Reiter überall bei der Arbeit. Ja, es mussten viele Rinder gebrändet werden. Es gab auch einige Wildpferdherden im Land. Sie kamen immer wieder aus den Querschluchten ins große Tal. Denn hier gab es überall Wasser. Der größte Teil der Weide war Blaugras-Weide. Und Blaugras enthielt ganz besonders wichtige Mineralien. Rinder und Pferde gediehen auf einer Blaugrasweide besonders gut. Ich fragte mich in diesen Tagen des Umherreitens, wann ich wohl auf die ersten Viehdiebe stoßen würde. Denn es konnte gar nicht anders sein, es musste Viehdiebe geben. Im weiten Umkreis – und das mochten zweihundert Meilen sein – gab es viele Minen, die ständig Frischfleisch nötig hatten für ihre Arbeiter. Und es gab gewiss in den Seitentälern auch Rustler, welche Treibherden sammelten, um damit in Kansas das große Geschäft zu machen. Es war am siebten Tage, als ich die ersten Viehdiebe traf. Diesmal waren es keine Cowboys der Ranch, die nun wieder getreue Reiter der S-im-Kreis waren. Nein, die da waren drei ziemlich abgerissen und heruntergekommen wirkende Fremde. Einer war mexikanischer Abstammung.
Sie sahen mir mit lauernder Wachsamkeit entgegen und ließen mich an Wölfe denken, die um ihre Beute kämpfen wollten. Sie gehörten zu den Tramps und Ruhelosen, die nirgendwo einen Job bekamen oder auch gar nicht haben wollten, weil sie dann einen Boss hätten und sich nicht mehr frei fühlen konnten. Als ich bei ihnen mein Pferd anhielt, da befanden sie sich zwischen mir und ihrer kleinen Herde, die sie in eine enge Schlucht treiben wollten. Sie starrten mich feindlich an, so als würden sie schon wittern, dass ich ihr Feind war. Und überdies ritt ich ein Pferd mit dem S-im-Kreis-Brand. Ich befand mich einmal mehr in der Klemme. Als Vormann der Ranch konnte ich sie nicht mit unseren Rindern entkommen lassen. Also würde ich kämpfen müssen. Ich sagte: »Ihr stehlt Rinder der S-im-Kreis-Ranch. Ich würde euch ohne Rinder abziehen lassen.« »Nein, nicht ohne Rinder!«, rief einer wild. Und dann griffen sie zu ihren Revolvern, stellten sich dabei in den Steigbügeln hoch. Aber dabei sahen sie schon in die Mündungsfeuer meines Colts. Es war eine präzis funktionierende Waffe. Man konnte damit unwahrscheinlich schnell feuern. Und so schoss ich sie aus den Sätteln. Dann spürte ich, dass auch ich getroffen worden war. Der Bursche, auf den ich zuletzt schoss, der bekam diese Chance. Und so hockte ich fluchend im Sattel und hielt mir die schmerzende Seite, spürte das Blut unter meinem Hemd warm aus dem Körper laufen. Und so zog ich mein Pferd herum und ritt weg. * Als ich nach einem Ein-Stunden-Ritt die Ranch erreichte, ging es mir ziemlich schlecht. Ich hielt vor dem Haupthaus. Zwei der Ranchhelfer arbeiteten bei den Corrals und Weidekoppeln. Aus der Küche neben dem Bunkhouse trat der Doc heraus, blickte zu mir herüber. Ich winkte ihm zu, dass er kommen solle, saß stöhnend ab und ging mühsam die drei Stufen hinauf. Er kam schnaufend vom schnellen Laufen dicht hinter mir ins Haus. »Boss, was ist passiert?« Ich zeigte ihm meine blutgetränkte Seite. Er half mir, den Oberkörper freizumachen, und sah sich die Wunde an. »Glück gehabt«, knurrte er dann. »Die Kugel prallte von einer der Rippen ab und riss eine tiefe Furche wie von einem Säbelhieb. Das muss genäht werden mit
Nadel und Zwirn. Doch das habe ich während des Krieges schon mehr als einmal gemacht. Boss, ich war Sanitätssergeant. Und ich machte manchem jungen Feldarzt etwas vor. Legen Sie sich hin – ich meine oben auf Ihr Bett. Dann komme ich mit all dem Zeug herauf, was ich für die Behandlung benötige. Ich bringe auch eine Flasche Brandy mit. Den brauchen wir beide für innen und außen.« Er eilte wieder hinaus. Ich aber stieg die Treppe hinauf. Oben trat ich vor den Spiegel und konnte nun selber die Wunde richtig betrachten. Sie schmerzte bei jeder Bewegung. Und wegen der angebrochenen Rippe konnte ich nur ganz flach unter erträglichen Schmerzen atmen. Verdammt, ich hatte mächtig Glück gehabt! Der Doc verrichtete wenig später eine gute Arbeit. Er goss dann eine Menge des starken Brandys auf die genähte Wunde und schmierte die Wunde mit einer grauen Salbe aus einem kleinen Topf ein. Dabei grinste er: »Diese Salbe ist ein Indianergeheimnis. Sie hilft auch gegen Läuse und wund gerittene Pferderücken. Sie hilft gegen alles. Warum sollte sie nicht auch den Heilungsprozess dieser Wunde beschleunigen? Ich sollte mir diese Salbe im Osten patentieren lassen, hahaha!« Er war bester Laune, denn er hatte immer wieder einen Schluck aus der Flasche genommen. Doch plötzlich wurde er ernst. Ich sah ihm an, dass ihm etwas eingefallen war. Nun sagte er es mir mit den Worten: »Kalispel und Jube fanden Al Rourke, als sie einem Rinderrudel in eine Schlucht folgten, die an einem Abgrund endete. Unten sahen sie Al Rourke liegen, und sein Pferd lag zerschmettert neben ihm. Kalispel kletterte hinunter. Rourke und auch sein Pferd waren erschossen worden, also schon tot, als man sie in den Abgrund warf. Das Pferd hatte der Mörder gewiss dicht an den Abgrundrand geführt, bevor er es erschoss. Kalispel hat unseren Vormann dann unten mit Steinen zugedeckt.« Der Doc verstummte mit grimmiger Bitterkeit. Dann dachten wir nach. Und zu gleicher Zeit sprachen wir den gleichen Namen aus: »Vance Kelly!« Ja, wir sagten es zweistimmig. Der Doc sagte bitter: »Er kam hierher und wollte das Sagen haben. Unser Vormann war ihm dabei im Weg. Vance Kelly hatte hier bald alles im Griff. Er hätte sich bald die ganze Ranch angeeignet, nachdem er die Verhältnisse hier begriffen hatte. Und dann wäre er auch als Ranchboss für seine Verfolger – und er hatte gewiss welche auf seiner Fährte – unangreifbarer gewesen. Welcher Kopfpreisjäger hätte sich dann hierher gewagt? Ja, so war es wohl.« Ich nickte nur. Denn der Doc hatte alles gesagt.
* � Einige Tage vergingen. Dann und wann kamen unsere Reiter zur Ranch, doch zumeist blieben sie draußen auf der Weide und arbeiteten von den verstreuten Grenzhütten aus. Sie hatten auch die Stelle gefunden, wo ich mit den Viehdieben kämpfte. Doch sie fanden dort nur Blutspuren. Ich hatte die Kerle also nicht getötet, sondern nur ziemlich böse angeschossen. Und so waren sie offenbar noch auf ihre Pferde gekommen und zu ihrem verborgenen Camp geritten, welches sich außerhalb unseres Riesentals befand. Ich war sicher, dass sie nicht wieder auf unsere Weide kamen. Es wurde an diesem dritten Tag später Nachmittag, als plötzlich Rachel Winger-Stanton angeritten kam. Endlich sah ich sie wieder. Und sie kam zu mir gewiss aus Sorge, denn man hatte sie von meiner Verwundung benachrichtigt. Sie war von Silvertown aus an die zwanzig Meilen geritten, doch sie wirkte frisch und so jung wie ein Mädchen. Dabei war sie eine Frau etwas über dreißig. Als sie vor der Veranda das Pferd anhielt, verharrte sie noch eine Weile im Sattel und sah zu mir herüber. »Hey«, sagte ich, »du wirst immer schöner. Ich träume immer wieder von dir und von jener Nacht am Mississippi.« Sie bekam nun schmale Augen. Dann sagte sie: »Ich sehe und höre, dass du schon fast wieder gesund bist. War deine Verwundung doch nicht so schlimm, wie man mir berichtet hat?« »Dein Anblick kann Halbtote gesund machen.« Ich grinste sie an. Nun saß sie lachend ab und kam zu mir. Einer der Ranchhelfer holte ihr Pferd und brachte es hinüber zu den Corrals. Rachel stand nun vor mir. Ihr enger Reitanzug ließ eine Menge von ihrem makellos gewachsenen Körper ahnen. Aber an ihrer Seite trug sie einen Revolver tief unter der Hüfte. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, sprach sie. Dann zog sie einen der Armsessel herbei, setzte sich neben mich und zündete sich einen Zigarillo an. Der Doc kam mit einem Krug Limonade und fragte nach weiteren Wünschen. »Ich bleibe auch zum Abendbrot«, sagte sie. »Dann mache ich Hammelbraten, Lady.« Der Doc strahlte und ging wieder. Wir schwiegen eine Weile. Sie sagte dann leise: »Ja, auch ich denke und erinnere mich oft an unsere Nacht am Mississippi, Justin.« Ich grinste und erwiderte: »Dann bleib hier.« »Du bist krank, ein angeschossener Wolf, der seine Wunden erst noch lecken muss.«
Sie sprach es mit einem neckenden Klang in der Stimme, doch in ihren schwarzen Augen erkannte ich einen tiefen Ernst. Doch dann änderte sie unser Geplänkel. Denn sie sprach: »Es wird dich gewiss interessieren, welche Fortschritte wir gemacht haben seit eurem Kommen. Wir haben alles unter Kontrolle. Unser ganzes Imperium funktioniert. Meine vier Ritter sind erfolgreiche Statthalter. Inzwischen haben wir unsere Mannschaften auf allen Gebieten stark vergrößert. Alle zusammen sind nun eine kleine Armee. Aber es kostet was. Wir müssen jetzt unsere Einnahmen verstärken. Hobson muss Silbertransporte auf den Weg nach Socorro bringen. Die Bank dort kauft Silber und Gold. Wir werden die Silbertransporte schützen müssen. Und so lässt Hobson die Barren besonders schwer gießen: Wir transportieren nur Hundert-Pfund-Barren.« Sie machte eine kleine Pause. Dann sprach sie weiter: »Herb Warlock hat eine Menge Waren für die Generalstores und kleineren Handelsläden gekauft. Einige unserer Frachtzüge sind noch unterwegs, schaffen weitere Ware herbei. Doch das muss erst einmal vorfinanziert werden, bevor man es mit Gewinn im Verlauf von Wochen und Monaten verkaufen kann. Und die Löhne müssen pünktlich bezahlt werden.« Als sie verstummte, schwieg ich noch. Sie sprach dann weiter: »Dave Millard musste einige kleine Minen aufkaufen. Auch das kostete Dollars. Ebenso steht es mit dem Holz der San Andreas Mountains. Die Gewinne kommen später, manchmal sehr viel später. Man nennt das wohl Amortisation, also Wiedererwirtschaftung der Investitionen.« Sie machte abermals eine Pause. Dann klang ihre Stimme härter als zuvor. »Justin, du musst so schnell wie möglich eine große Herde nach Kansas treiben und unsere Rinder in harte Dollars umwandeln. Man kann ein Königreich nur mit Hilfe einer Armee erhalten und gegen alle Gegner sichern. Aber Revolverschwinger kosten Revolverlohn.« Sie hatte nun alles gesagt. Und ich hatte es auch sofort begriffen. In dieses Territorium, welches noch kein Staat war, würden bald die Menschen in Scharen strömen. Und nur die Mächtigen konnten sich behaupten. Und so sagte ich: »Für zehntausend Rinder benötige ich mehr als drei Dutzend Treiber, eine Pferderemuda von mehr als dreihundert Pferden, zwei Köche und zwei Wagen, dazu einiges Geld für unterwegs. Ich könnte in zwei bis drei Wochen aufbrechen und würde erst in vier bis fünf Monaten mit dem Erlös zurückkommen. Ist dir das klar, Rachel?« Sie nickte heftig und leerte dann das Glas Limonade. »Wir werden bald Politiker kaufen müssen, auch Abgeordnete, nicht nur Senatoren, vielleicht sogar zukünftige Gouverneure. Denn wir werden unseren großen Raub hier eines Tages nur mit Hilfe des Gesetzes behalten können. Justin,
ohne Geld kann man nicht regieren. Ich werde dir eine Menge Reiter schicken, unter denen du dir die Treiber aussuchen kannst.« Nach diesem Versprechen schwieg sie eine Weile und rauchte den Zigarillo fast gierig. Dann sagte sie: »Ich bin allein gekommen, weil ich diese Nacht bei dir bleiben will, Justin. Oder bist du noch zu krank von deiner Verwundung?« Als sie mich das fragte, da begriff ich, dass ich sie haben konnte wie damals am Mississippi. »Wenn dich mein breites Pflaster über der Rippe nicht stört…«, murmelte ich. * Als ich am nächsten Morgen erwachte, schien draußen die Sonne. Und Rachel war nicht mehr neben mir im Bett. Und so glaubte ich, dass ich alles nur geträumt hätte. Doch dann roch ich noch ihren Duft. Ja, sie war bei mir gewesen die ganze Nacht. Wir hatten uns geliebt, zwar vorsichtiger als damals am Mississippi, doch umso zärtlicher, nicht so wild. Ja, sie hatte mir gehört, sich mir geschenkt. Hatte sie mich damit umso stärker verpflichtet, sozusagen gekauft? Ich wischte den Gedanken einfach weg. Und ich war bereit, alles für sie zu tun, sie nicht zu enttäuschen. Gewiss hatte ich sie nun wieder in mir wie ein süßes Gift. * Es vergingen drei Wochen. In diesen drei Wochen kam Rachel zweimal von Silvertown herausgeritten, um mich zu besuchen. Doch sie blieb beide Male nicht über Nacht, sondern ritt stets vor Nachtanbruch wieder heim. Aber das war mir eigentlich recht. Ich hatte zu viel zu tun. Und ich hatte mich in die Aufgabe verbissen, als wollte ich mir selbst etwas beweisen. An einem dieser letzten Tage vor dem Aufbruch nach Kansas, da kam Dave Millard zu mir auf Besuch. Ich saß im Ranchoffice und stellte eine Liste auf von all den Dingen, die wir für den langen Trail benötigten und in den beiden Wagen mitnehmen mussten. Ich würde die Liste nach Silvertown zu Rachel schicken. Sie würde dann die Wagen beladen und zu mir zurückschicken. Dave Millard setzte sich, goss sich einen Drink aus der Flasche ein, die auf dem Schreibtisch stand, und nahm sich auch eine Zigarre aus der Kiste. Er sah mir schweigend eine Weile zu, wartete, bis ich fertig war und ihn ansah.
Wir wussten beide, dass wir niemals Freunde sein würden. Das war nun mal so. Doch es war ein gegenseitiger Respekt voreinander in uns vorhanden. Ich sah, dass er unter seiner Weste tatsächlich einen Sheriffstern auf der Hemdtasche trug. Er sagte: »Rachel will, dass ich hier während deiner Abwesenheit nach dem Rechten sah. Also musst du mir wohl sagen, auf was es ankommt. Doch ich bin auch noch aus einem anderen Grund zu dir gekommen.« Nach diesen Worten machte er eine Pause, und weil ich ihn immer noch fest ansah, konnte ich spüren, wie sehr in seinem tiefsten Kern etwas verborgen war. Aber was war es? »Was ist?« So fragte ich knapp. Er zögerte etwas, und nun spürte ich, dass er sich Sorgen machte. Oder war es vielleicht sogar Furcht? In seinen rauchgrauen Augen flackerte es ein wenig. Doch dann verdrängte er die Furcht wieder in seinen Kern. Seine Stimme klang ruhig und fest, als er sagte: »Als wir damals die Aurora-Minengesellschaft eroberten, den kleinen Ort rings um die große Mine angriffen, da gab es doch einen Mann mit einer Buffalo-Sharps. Jemand von uns hat ihn dann oben auf dem Turm getroffen. Wir stellten fest, dass er ein ehemaliger Büffeljäger gewesen sein musste. Jedenfalls stank seine Lederkleidung nach Büffel. Wir glaubten auch, dass er der Bursche gewesen wäre, welcher vor mehr als einem halben Jahr Stanton tötete und Rachel zur Witwe machte. Aber es gibt nun wieder einen Sharpsschützen in unserem Gebiet.« Nach diesen Worten schwieg er und paffte dann stärker an der Zigarre, hüllte seinen Kopf in eine Rauchwolke ein. Ich lehnte mich zurück in meinem Armsessel und legte den Federhalter hin. »He«, machte ich nur. Sein Gesicht wurde nun wieder deutlicher im Zigarrenrauch. Er sagte: »Er hat schon zweimal aus großer Entfernung auf mich geschossen. Da ich immerzu im Land umherreiten muss, um die Minen zu kontrollieren, kennt er meine Wege. Ich entkam seinen Kugeln nur durch zufällige Bewegungen. Einmal stolperte mein Pferd – und der zweiten Kugel einige Tage später entkam ich durch eine rasche Bewegung im Sattel, als ich in die Satteltasche griff. Solch eine Sharpskugel legt ja einen weiten Weg zurück. Auf vierhundert Yards trifft man da nur ein bewegungsloses Ziel. Nun, vielleicht erwische ich diesen Hurensohn in den nächsten Tagen. Oder er erwischt mich. Ich habe auch schon Larry Donovan gewarnt, denn auch der reitet ja viel herum zwischen drei Holzfällercamps in den San Andreas, kümmert sich auch um die Holztransporte zum großen Holzlager in der Nähe von Silvertown. Nur Tom Hobson ist nicht viel unterwegs. Herb Warlock habe ich noch nicht erreichen können. Nun, jemand will uns also abschießen lassen, damit Rachel abermals ohne Schutz ist, so wie vor unserem Kommen. Jetzt weißt du Bescheid, Hays. Es könnte sein, dass wir
hier während deiner Abwesenheit abgeschossen werden, es sei denn, ich finde unseren Feind, der den Sharpsschützen in unser Land kommen ließ. Pass auf dich auf, Justin Hays, schon wegen Rachel. Die braucht den Erlös für die Herde. Wir haben zuviel investiert und können nicht sofort Gewinne machen. Alles braucht seine Zeit. Allein die drei Holzfällermannschaften kosten ein Heidengeld. Das Holz aber ist gewiss erst in einigen Jahren zu verkaufen, nämlich dann, wenn das New Mexico-Territorium ein Staat wird und die Menschen es dichter besiedeln.« Er erhob sich nach diesen Worten und wandte sich zum Gehen. Ich sagte: »Soll der Koch dir was machen? Du musst nur hinüber in die Küche gehen.« Er hielt inne und schüttelte den Kopf, ging dann zur offenen Tür und hielt dort noch einmal inne, so als müsste er sich erst noch dazu überwinden, auf die Veranda zu treten. Er blickte hinaus in die Ferne. Dort im Osten waren einige Hügel keine Viertelmeile entfernt. Ich begriff, dass er sich wie ein gejagter Wolf fühlte, auf den überall ein Jäger lauern konnte. Dave Millard sagte über die Schulter zu mir zurück: »Wir bekommen nur heraus, wer der Auftraggeber ist, wenn ich den Sharpsschützen lebend bekomme und mit den Füßen in ein Feuer lege.« Abermals wollte er sich in Bewegung setzen. Dann aber fiel ihm etwas ein. Doch vielleicht fiel es ihm gar nicht erst jetzt ein, sondern hatte es nur unterdrückt. Er fragte: »Rachel war einige Male hier, nicht wahr? Ich hörte in Silvertown, dass ihr Pferd einmal eine ganze Nacht nicht im Stall stand. Also war sie wohl hier bei dir die ganze Nacht. Was war zwischen euch? Verdammt, sag es mir!« Ich grinste ihn an und erwiderte: »Eifersüchtig? Oho, Dave Millard! Ich lag angeschossen im Bett. Meine Wunde war mit Zwirn zusammengenäht. Wenn ich nicht böse angeschossen gewesen wäre, würde Rachel nicht geblieben sein.« Er starrte mich misstrauisch an und murmelte: »Ja, ich hörte, dass du mit drei Viehdieben kämpfen musstest. Macht es dir was aus, mir die Wundnarbe zu zeigen?« Einen Moment lang wollte ich böse reagieren. Doch ich beherrschte mich. Ich hatte ihn ja schon mit einer Notlüge angelogen, Rachel zuliebe – nur allein wegen ihr. Und nun müsste ich wohl auf dieser Linie bleiben. Also erhob ich mich und zog mein Hemd aus der Hose hoch. Er trat näher und betrachtete die Narbe über meiner Rippe. Dann nickte er und knurrte: »Ich danke dir, dass du mir die Narbe gezeigt hast. Denn eines ist wohl klar, Hays: Rachel würde drei ihrer Ritter verlieren, wenn sie mit dem vierten ins Bett ginge.«
Nach diesen Worten wandte er sich endlich endgültig zum Gehen und verschwand. Er trieb sein Pferd sofort zum Galopp an, und ich wusste warum. Denn er war ja schon zweimal durch schnelle Bewegungen der Sharpskugel entkommen. Ich saß noch eine Weile hinter dem Schreibtisch und dachte nach. Musste auch ich mich vorsehen? Doch da kam ich zu dem Schluss, dass mir keine Gefahr drohte. Dies würde wohl erst der Fall sein, wenn ich mit dem Erlös für die Herde zurück zu Rachel nach Silvertown kam. * Eines Tages war es dann so weit. Wir hatten die große Herde in einer weiten Senke gesammelt. Die Rinder waren jeden Tag unruhiger geworden. Ihre Weide war zu knapp geworden. Den kleinen See hatten sie verunreinigt, die Ufer zertrampelt. Wir hätten die große Herde nicht mehr lange halten können. Wir mussten in Bewegung kommen. Und so geschah es an einem grauen Morgen noch vor Sonnenaufgang. Ich hielt auf einem Hügel und hatte guten Überblick über die weite Senke, sah im Morgengrauen die gehörnten Köpfe und knochigen Rücken. Die Herde brüllte. Sie spürte, dass etwas passieren würde. Meine Mannschaft war rings um die Herde verteilt. Ich stellte mich auf dem Hügel in den Steigbügeln hoch, schwang meinen Hut und ließ den Schrei tönen, den wir auch während des Krieges brüllten und kreischten, wenn unsere Texas-Brigade angriff. Es war der Pumaschrei, markerschütternd und wild. Und die Treiber in der weiten Runde nahmen den Schrei auf. Fast alle waren sie Texaner. Sie schwangen ihre Hüte und ließen die Bullpeitschen oder Lassoenden auf die Rinderrücken klatschen. Der Leitbulle, den zwei Reiter am Nasenring und zwei Leinen führten, begann brüllend in die von uns gewünschte Richtung zu wandern. Und die Herde schloss sich an. Sie würde gegen Mittag eine meilenlange Schlange bilden. Wahrscheinlich kamen wir an diesem ersten Tag kaum mehr als drei Meilen vorwärts. Und erst in einigen Tagen würde die Herde richtig wandern oder marschieren. Irgendwann würden wir zehn und noch mehr Meilen schaffen, an guten Tagen sogar an die fünfzehn, wenn das Gelände gut war. Unsere beiden Wagen fuhren an der Spitze.
Rechts von der Herde lief die Pferderemuda. Wir waren also unterwegs. An die tausend Meilen lagen vor uns. Zuerst mussten wir nach Osten zum Pecos, diesen durchfurten und in Richtung San Angelo. Dort würden wir auf den Herdentrail stoßen, der von San Antonio kam und einst von Jesse Chisholm geprägt wurde, als dieser mit seinen Frachtzügen überall Depots für die Umsiedlung eines ganzen Indianervolkes anlegte, bevor er einige Jahre später selbst Rinder zu treiben begann. Ja, wir mussten zum Chisholm Trail, der in Dodge City endete. Ich fragte mich, ob ich Rachel noch einmal zu sehen bekam, und begleitete die Herde etwas abseits, hielt mich auf den leichten Höhenzügen und Bodenwellen, von denen ich eine gute Übersicht hatte. Es war dann am späten Nachmittag – und wir waren keine drei Meilen von Silvertown entfernt –, als ich Rachel kommen sah. Wir trafen uns auf der von der Herde abwandten Seite in einem Cottonwoodwäldchen. Sie kam sofort in meine Arme und flüsterte in mein Ohr: »Du sollst eine gute Erinnerung an mich mitnehmen und dich nach meiner Liebe sehnen, Justin Hays.« Oh, verdammt, wir liebten uns im Cottonwoodwäldchen. * Die Tage und Nächte vergingen. Wir kamen immer besser vorwärts und ließen den Pecos hinter uns. Ich hatte mir die Mannschaft gut ausgesucht, die richtigen Männer zu Vormännern ernannt und alles voll im Griff. Auch das Wetter war auf unserer Seite. Doch ich wusste aus Erfahrung, dass es irgendwann Schwierigkeiten geben würde. Das konnte gar nicht anders sein auf einem so langen Treibweg. Und immer wieder dachte ich an Rachel und unseren Abschied. Sie vertraute mir. Und sie hatte in mir den heißen Wunsch erweckt, sie nicht zu enttäuschen. Ja, ich würde ihr mehr als hunderttausend Dollar zurückbringen für die Herde. Und dann? Ja, was würde dann sein? Irgendwann durchfurteten wir den Brazos, keine zweihundert Meilen weiter nördlich von meiner Ranch, wo ich den getreuen Paco wusste. Ich wäre zu gern hingeritten. Doch ich konnte und durfte die Herde nicht verlassen. Hin und zurück hätte ich an die vierhundert Meilen reiten müssen. Ich wäre länger als eine Woche unterwegs gewesen. Und ich konnte die Schwierigkeiten schon wittern wie ein Wolf die Fallen.
Wir mussten nun durch den sogenannten »Pfannenstiel von Texas« und dann ein Stück durch Oklahoma, das Land des roten Mannes. Wir waren genau achtundvierzig Reiter. Dazu waren noch die beiden Köche und die Fahrer unserer beiden Wagen zu zählen. Wie viele Nieten würden sich unter uns befinden, denen alles bald zu hart und mühsam wurde? Ich war sicher, dass es Deserteure geben würde. Doch ich konnte keinen einzigen Treiber entbehren. Wir hatten den Wichita hinter uns und erreichten vier Tage später östlich des Palo Duro Canyons den Red River. Dann begann es unaufhörlich zu regnen. Ich wusste, dass wir den Red River bald nicht würden durchfurten können, denn er stieg jetzt jede Stunde um einen Zoll an. Und so trieb ich die Mannschaft unbarmherzig vorwärts. Es war sozusagen ein Wettrennen gegen den ständig ansteigenden Fluss. Wir alle waren nass bis auf die Haut und mussten die Sturmböen ertragen. Der verdammte Sturm mit den Regenschauern kam von Norden. Die Treiber hatten sich längst in heulende und fluchende Teufel verwandelt, waren angefüllt mit Bitterkeit gegen alles auf dieser Erde. Und ich war der Oberteufel, der sie antrieb. Denn ich musste die Herde nach Dodge City bringen. Ich durfte Rachel nicht enttäuschen. Ich ritt zur Herdenspitze vor, wo meine beiden Vormänner Johnny Laredo und Jake Kendall die Herde anführten. Sie kannten die Furt durch den Red River dicht bei der Fähre und der dort entstandenen Siedlung. Ich rief ihnen zu: »Jagt sie hindurch! Wir teilen die Herde in vier Gruppen! Jagt sie in den verdammten Fluss und schickt zuvor ein Dutzend Treiber hinüber, die unsere gehörnten Karnickel eine halbe Meile flussabwärts in Empfang nehmen! « Sie fluchten als Antwort, aber ich wusste, sie würden gute Arbeit leisten und das einzig Richtige tun. Doch andere würden dies nicht tun. Und so ließ ich mich zurückfallen, bis ich am Ende unserer Riesenherde war. Die Sicht war schlecht, denn die Regenschauer waren so dicht wie Wolkenbrüche. Man hatte manchmal Mühe, Luft zu schnappen. Ich trieb einige Nachzügler näher an die Herde heran, übergab sie den beiden Schlussreitern und ließ mich abermals zurückfallen. Denn meine ganze Erfahrung, die ich während meiner vorherigen Treiben gesammelt hatte, sagte mir, dass sich bei dem schlechten Wetter gewiss einige Feiglinge abzusetzen versuchen würden. Wenig später sah ich drei Reiter aus einer Regenböe kommen, tief über die
Pferdehälse gebeugt. Sie verschwanden im nächsten Wolkenbruch. Ich ritt hinter ihnen her und holte sie eine halbe Meile weiter ein. Sie hatten zwischen einigen roten Felsen Schutz gesucht, von denen einige oben überhingen, sodass sie fast eine Höhle bildeten. Als ich bei ihnen verhielt, erkannten sie mich nicht sofort, denn ich hielt den Kopf gesenkt, um das Wasser aus der Hutkrempe ablaufen zu lassen. Dann aber, als ich den Kopf hob, da sahen sie, wer ihnen gefolgt war. Einer begann zu fluchen. Ein anderer aber heulte böse: »Verdammt, Boss, lassen Sie uns reiten! Wir verzichteten ja schon auf den bisher verdienten Lohn! Wir wollen nicht mehr weiter mit dieser verdammten Herde – nicht bei diesem Wetter! Und wir können auch nicht schwimmen. Wir würden ersaufen im Red River!« Sie trugen ihre Ölmäntel und waren dennoch nass bis auf die Haut. Doch ihre Hände waren unter den Ölhäuten verborgen, die auch ihre Knie bedeckten. Es konnte sein, dass sie nach ihren Waffen greifen würden. Dennoch glaubte ich das letztlich nicht. Sie waren keine Revolverschwinger, sondern einfache Cowboys, Herdentreiber. Sollten sie mir Leid tun? Aber selbst wenn sie mir leid getan hätten, ich hätte sie nicht desertieren lassen können, wollte ich die Mannschaft zusammenhalten. Und so rief ich ziemlich hart: »Ihr habt eine Verpflichtung unterschrieben, die bis Dodge City gilt. Und jetzt habt ihr die Wahl, ob ich euch erschießen muss, ihr im Red River ersauft oder einfach Glück habt, weil eure Pferde schwimmen können! Also entscheidet euch. Schnell!« Sie zögerten nur wenige Sekunden und wussten zu gut, dass alles für sie auf des Messers Schneide stand. Dass ich ein Revolvermann war, wussten sie auch. Und so rief einer von ihnen heiser durch den Sturm und den peitschenden Regen: »Schon gut, Boss! Schon gut! Wir wollten ja hier nur für eine Weile Schutz suchen und ausruhen! Gewiss wären wir nachgekommen und hätten die Nachzügler eingesammelt! « Es war ein fast verzweifelnd und bittender Klang in der Stimme. Sie wussten genau, dass ein Desertieren unterwegs auf dem Trail ein Verbrechen war. Sie ritten nun an und schlugen den Weg zum Red River ein, wollten also Anschluss an die Herde suchen. Ich folgte ihnen. Wir fanden unterwegs noch ein Dutzend Nachzügler und erreichten den Schluss der Herde. Ich ritt wieder nach vorn und musste fast eine halbe Meile reiten, bis ich die ersten Rinder in der Furt des Red River sah. Doch die Furt war keine Furt mehr. Der Red River war ein wilder Strom ge-
worden, und wir kämpften mit unseren Rindern in ihm. Die Rinder wurden weit abgetrieben und trotteten dann brüllend an Land, wurden in Empfang genommen von den Reitern, die meine Vormänner hinübergeschickt hatten. Als das letzte Rind drüben war, brach die Nacht an. Der Regen hörte schlagartig auf. Aber der Red River würde in den nächsten zwei Tagen noch gewaltig ansteigen und länger als eine Woche benötigen, bis er wieder den normalen Wasserstand führte. Ich hatte also über eine Woche gewonnen. Wie viele Rinder hatte uns das gekostet? Am nächsten Morgen ging die Sonne an einem klaren Himmel auf. Aber so war das nun mal auf dem Trail nach Dodge City. * Nun, ich will es kurz machen, lieber Leser meiner Geschichte. Wir mussten noch eine Stampede überstehen, nachdem ein Blitz mitten in die Herde schlug. Doch sonst hatten wir eine Menge Glück und erreichten Dodge City. Als die Herde verladen und dabei gezählt wurde, da fehlten einhundertsiebenundfünfzig Tiere. Ich hatte also nicht sehr viele verloren. Meine Mannschaft und ich, wir konnten stolz auf uns sein. Jedes Tier brachte dreizehn Dollar. Und weil wir ja auch die große Pferderemuda verkauften, kassierte ich insgesamt mehr als einhundertzwanzigtausend Dollar. Es war eine gewaltige Summe für Rachel und ihr Imperium. Ich zahlte die Treiber aus und legte auch noch eine gute Prämie drauf. Ich wusste, sie würden fast alles binnen weniger Tage in der wilden Treibherdenstadt verjubeln bei käuflichen Mädchen, Whisky, Spiel und all den anderen Sünden. Sie hatten länger als vier Monate hart gearbeitet und sich nach diesem Austoben gesehnt. In dieser wilden Stadt würde man ihnen sozusagen die Haut abziehen. Aber jeder Mann ist sein eigener Hüter. Zwar warnte ich jeden, dem ich die Dollars gab und dafür in meinem Buch quittieren ließ, doch ich wusste, fast alle würden sich nicht danach richten. Ich aber wollte verdammt schnell zurück zu Rachel Winger-Stanton. Ich würde stolz zu ihr zurückkommen. Und sie würde mich belohnen müssen. Meine Heimreise würde verdammt gefährlich werden. Denn ich hatte das ganze Bargeld in einer Reisetasche, als ich die Postkutsche nach San Angelo bestieg. Doch außer mir stiegen noch drei andere Herdenbosse hinzu. Jeder hatte einen Revolvermann bei sich. Denn auch sie führten die Verkaufserlöse für ihre Herden als Bargeld bei sich.
Einer sagte unterwegs, kaum dass wir losgefahren waren und Dodge City hinter uns gelassen hatten: »Es ist doch wohl klar, dass wir Partner sind, die sich nicht von Banditen das Geld abnehmen lassen?« »Die sollen es nur versuchen«, erwiderte ein anderer Herdenboss. »Es war schon bitter genug, dass der Süden den Krieg gegen die Yanks verlor. Jetzt will ich nicht mehr zu den Verlierern gehören.« Wir anderen Passagiere nickten nur. Und so fuhren wir Tag und Nacht durch Kansas und Oklahoma zurück nach Texas, welches hinter dem Red River begann. Diesmal setzten wir mit der Fähre über. Der Fluss hatte normalen Wasserstand. Und weiter ging die Reise auf dem Chisholm Trail. Die Postkutschen wechselten alle dreißig Meilen bei den Relaisstationen die Gespanne. Wir kamen in einer einzigen Stunde so weit vorwärts auf dem Heimweg wie mit der Herde auf dem Hinweg nach Dodge City in einem Tag. Und so begann ich mich immer mehr auf Rachel zu freuen. Was würde sein? Was hatte sich im Silvertown-Land verändert? Oder hatte sich gar nichts verändert? In mir waren viele Fragen. Ich musste mir dann in San Angelo ein Pferd mit Sattel kaufen. Denn zum Pecos fuhren keine Postkutschen. Zum Pecos musste man reiten. Und jenseits des Pecos würde ich nur in den Nächten reiten, mich mit dem vielen Geld tagsüber auf guten Aussichtspunkten verbergen, von denen man das Land beobachten konnte. Und jede Nacht würde ich Rachel um etwa vierzig Meilen näher kommen. * Vielleicht hatte ich damals nur Glück, ganz einfach unverschämtes Glück. Ich hatte eine gewaltige Summe Geld bei mir. Und Rachel verließ sich darauf, dass ich es zu ihr bringen würde. Ich hatte Rachel mehr denn je wie ein süßes Gift in meinem Blut, wie eine Wunderdroge, der man nicht widerstehen kann und nach der man süchtig ist. Ja, ich wollte Rachel ganz und für immer. Und so kam mir damals nicht in den Sinn, dass ich ein Narr sein könnte. Immer dann, wenn ich mich das fragte, da wischte ich es einfach weg, so wie etwas, was völlig unmöglich ist. Es war schon Nacht, als ich die Lichter von Silvertown endlich vor mir auftauchen sah. Ich hielt mein müdes Pferd an und dachte: Dort ist Rachel. Sie wartet gewiss schon sehnsüchtig auf mich. Dann ritt ich im Schritt weiter. Denn es war für mich eine sehr siegreiche und
deshalb befriedigende Heimkehr. Ich wollte dieses Gefühl auskosten. Irgendwann ritt ich dann in den Hof des Mietstalls von Charly Scott. Als ich anhielt, kam er heraus. Das Doppelflügeltor stand offen. Er hatte auf der Futterkiste im Vorraum gesessen und den Blechteller leer gekratzt. Nun sah er im Laternenschein zu mir hoch und erkannte mich noch nicht. Erst als ich sagte: »He, Charly, da bin ich wieder«, da zuckte er zusammen und stammelte: »Oooh, dada sind Sie ja wieder. In Silvertown wurden eine Menge Wetten abgeschlossen, ob Sie zurückkommen würden oder nicht. Ich habe zwanzig Dollar gesetzt und gewonnen. Denn da sind Sie ja.« Er verstummte so richtig glücklich, denn zwanzig Dollar waren für ihn ein ganzer Monatslohn. Ich aber blieb noch im Sattel, nahm nur meine Füße aus den Steigbügeln. Ich war heimgekehrt. Das Treiben nach Dodge City und der Heimweg mit dem Geld waren geschafft. Das alles lag hinter mir. Und so tat es mir gut, im Sattel meines müden Pferdes eine Minute zu verharren. »Was gibt es an besonderen Ereignissen zu berichten, Charly?« So fragte ich ruhig. Charly Scott zögerte ein wenig. Dann aber erwiderte er zu mir hinauf: »Oh, Mr Hays, es ist eine Menge Böses geschehen im Land. Es gibt einen Sharpsschützen, der sich wie ein böser Geist unsichtbar machen kann. Und dieser Killer hat in den vergangenen Wochen drei von Mrs Winger-Stantons Rittern abgeschossen – drei! Mit Ihnen, Mr Hays, waren es fünf, nicht wahr? Jetzt gibt es nur noch Sie und Tom Hobson.« Er verstummte mit einem Klang von Bedauern und Mitgefühl in der Stimme. Dann fügte er hinzu: »Unser City Marshal ist eine Niete. Der kann Mrs WingerStanton keinen Schutz geben. Sie hat drei getreue Ritter verloren, die als Statthalter ihr Imperium schützten und erhielten. Die vielen Mannschaften des Imperiums sind ohne Anführer. Und sie kosten Löhne. Alles bricht zusammen.« Charly Scott verstummte bitter. Ich konnte mir leicht denken, dass auch er sich in Rachel verliebt hatte, wenn sie auch unerreichbar für ihn blieb wie ein höheres Wesen. Sie verzauberte ja alle Männer. Und nun litt er wohl. Ich saß endlich ab. Verdammt, es war wohl allerhöchste Zeit, dass ich heimgekommen war! Heimgekommen? Verdammt, mein Heim war die Ranch am Brazos! Wie konnte ich das vergessen? Ich nahm die mit Geld gefüllten Satteltaschen vom Pferderist und machte mich auf den Weg zu Rachel. Es war wie damals bei meiner ersten Ankunft in Silvertown. Vor dem Eingang des Hauses der Silvertown Company stand ein Wächter mit
einer abgesägten Schrotflinte. Er erkannte mich ziemlich schnell und klopfte an die Tür. Dabei rief er: »Hoiii, aufmachen! Mr Hays ist aus Kansas zurück! Aufmachen!« Die Tür wurde ziemlich schnell geöffnet. Ich trat ein in das Office der Silvertown Company und sah mich drei Männern gegenüber, die ich für Revolverschwinger hielt. Einer hatte mir die Tür geöffnet, zwei andere saßen am Besuchertisch in der Ecke. Dort lagen auch Karten auf dem Tisch. Sie hatten Karten gespielt. Einer war aufgestanden und hatte mir geöffnet. Dieser Mann sagte nun: »Gehen Sie nur weiter, Mr Hays. Hobson ist bei Mrs Winger-Stanton.« Er deutete auf die Tür, die zu Rachels Office führte. Ich machte die Tür auf und trat ein, stieß die Tür hinter mir mit dem Absatz zu. Meine Sporen klirrten dabei. Und da stand ich nun mit zwei Satteltaschen über der Schulter, in denen sich der Erlös für die Herde befand. In mir stieg plötzlich das böse Gefühl von Ärger und Enttäuschung hoch. Verdammt, da saß Tom Hobson mit Rachel am Tisch. Und sie hatten halb gefüllte Gläser vor sich stehen. Sie tranken Wein. Ich sah es an der fast leeren Flasche. Sie tranken Wein, verdammt! Und ich hatte mir meine Rückkehr anders vorgestellt. Fast fünf Monate hatte ich für Rachel alles gegeben, was ich als treuer Ritter nur geben konnte. Ich trieb eine Riesenherde nach Dodge City und kam mit einem Haufen Geld zurück. Ich hatte gekämpft, mich Tag und Nacht um die Herde gesorgt und eine wirklich große Leistung vollbracht. Und nun saß da Tom Hobson bei Rachel. Rachel erhob sich mit einer raschen Bewegung und ließ einen Freudenruf hören. »Justin, oh, Justin, der Himmel hat all meine Gebete erhört! Da bist du ja endlich wohlbehalten zurück!« Sie rief es mit einem Klang von Freude und Erleichterung in der Stimme. Ich trat an den Tisch, legte die beiden prall gefüllten Satteltaschen zwischen die halb mit rotem Wein gefüllten Gläser und nahm dann Rachels Glas, leerte es mit zwei langen Zügen und setzte mich auf den dritten Sessel. »Ja, da bin ich wieder«, sprach ich und sah Tom Hobson an. »Und was tust du hier, Hobson?« Meine Frage klang gewiss nicht freundlich. Dabei blickten wir uns in die Augen. Aber seine Augen wirkten stumpf. Sie verrieten nichts. Er hielt alles tief in sich verborgen. Dennoch spürte ich irgendwie seine Feindschaft. Sie war vorhanden wie die Witterung, welche von einem Raubtier ausging. Er grinste, zeigte blinkend seine prächtigen Zahnreihen und sagte knapp: »Glück gehabt, Hays.«
Ich aber wartete auf eine Antwort auf meine Frage. Es war dann Rachel, welche antwortete: »Justin, er ist hier, um mich zu schützen. Warlock, Millard und Donovan sind tot. Sie wurden wie mein Mann von einem hinterhältigen Sharpsschützen aus großer Entfernung abgeschossen wie Büffel. Und unser Imperium, alles was wir auf fünfzig Meilen in der Runde besitzen und beherrschen, war plötzlich in Gefahr. Also musste Tom drei meiner Ritter ersetzen. Er ist hier, weil wir die Lage immer wieder besprechen müssen. Und seine Männer schützen das Hauptquartier der Silvertown Company und somit auch mich. Ich bin sehr froh und dem Himmel dankbar, dass du wieder zurück bist. Was ist in den beiden Satteltaschen?« Sie deutete auf die zwei prall gefüllten Dinger. »Mehr als hunderttausend Dollar«, erwiderte ich. Dann sah ich Hobson an, dessen Augen jetzt doch ein Funkeln erkennen ließen, und sagte zu ihm: »Du kannst jetzt wieder zurück zur Aurora-Mine. Ich bin jetzt hier bei Rachel.« »Du hast die Riesenranch am Hals.« Er grinste. »Du kannst dich nicht um alles kümmern. Ich aber habe erstklassige Vorleute und Vertreter. Ich habe sie herangezogen und kann mich auf sie verlassen. Unsere Geschäfte laufen wie geschmiert, mag es sich um die Minen, den Handel, die Frachtlinien oder das Holzgeschäft handeln. Nur mit einer Rinderranch kenne ich mich nicht aus. Alles andere habe ich in den Griff bekommen. Rachel vertraut mir. Sie kann sich auf mich verlassen. Nicht wahr, Rachel?« Seine Frage zuletzt klang hart. Und Rachel nickte stumm. Dann sprach sie: »Justin, ich bin dir sehr dankbar. Wir sind zwar inzwischen auch flüssig geworden, weil jetzt die Erlöse unserer Investitionen immer besser werden. Doch wir müssen immer noch rückständige Löhne zahlen. Besonders die Holzfällermannschaften in den San Andreas Mountains und die Fahrer der Holztransporte lassen sich nicht länger hinhalten. Ich schlage vor, dass wir unsere Aufgaben und unsere Kompetenzen genau festlegen und aufteilen. Tom Hobson wird weiter die Aurora-Minengesellschaft führen, dazu aber noch die Aufgaben von Warlock und Millard übernehmen. Du, Justin, leitest weiter die Ranch und kümmerst dich um das Holzgeschäft. Dieses bringt noch keinen Gewinn, weil wir nur wenig Holz verkaufen können. Doch das wird sich bald ändern. Ich muss in den nächsten Tagen nach Santa Fe reisen, um meine Erbschaftsangelegenheiten behördlich festschreiben zu lassen. Und so muss ich einige Tage alles hier euren treuen Händen überlassen.« Als sie geendet hatte, grinste Tom Hobson wieder blinkend. Er war ein Mann mit schwarzen Haaren und dunkler Haut und ließ bei seinem Anblick an einen Toro denken, also einen Kampfstier, Er hielt den Kopf zumeist etwas gesenkt und blickte sein Gegenüber unter der Stirn hinweg an. So wirkte er stets angriffs-
lustig. Ich war äußerlich das Gegenteil von ihm, denn ich war ein blonder und hellhäutiger Texaner, dessen Vorfahren aus England kamen, die schon damals in Texas lebten, als das Land noch zu Mexiko gehörte. Und einer meiner Vorfahren kämpfte bei Alamo. Ja, wir waren äußerlich sehr verschieden. Und nun spürte ich immer stärker, dass wir es auch auf allen anderen Gebieten waren. Jetzt waren wir Rachels zwei letzte Ritter. Und das machte uns zu Konkurrenten. Nun, wir hatten noch allerlei zu besprechen, und es war dann schon Mitternacht, als ich mich auf den Weg zur Ranch machte. Ja, wir hatten auch das Geld gezählt. Rachel gab mir zehntausend Dollar mit. Als ich ging, da folgte mir Tom Hobson, denn er wollte jetzt auch zur AuroraMine, die ja fast eine kleine Stadt war. Er ließ seine drei Revolverschwinger hier, würde allein zurückreiten. Und Rachel würde oben in ihrer Wohnung gut beschützt sein, Bevor Hobson in Richtung Mietstall ging, wo er sein Pferd stehen hatte, wandte er sich nochmals an mich und sprach trocken: »Pass auf dich auf, Hays. Lass dich nicht abschießen wie ein dummer Hirsch. Denn dann…« Er sprach nicht weiter, sondern ging davon. Aber ich wusste, was er hatte sagen wollen. Und so knurrte ich ziemlich böse: »… gehört dir Rachel allein, denkst du.« Dann saß ich auf. Mein Pferd hatte sich etwas ausgeruht und auch Wasser trinken können aus dem Tränktrog am Haltebalken. Den ganzen Weg – es waren ja an die sieben Meilen – dachte ich darüber nach, was da für ein böses Spiel in Gang gekommen war. Es gab wieder einen Sharpsschützen im Land, dem Warlock, Millard und Donovan zum Opfer gefallen waren. Nur Hobson und ich waren verschont geblieben. Hatte Hobson nur Glück gehabt und würde auch er an die Reihe kommen? Oder… Immer, wenn ich mit meinen Gedanken bei diesem »Oder« angekommen war, da hielt ich inne. Denn was ich dann hätte denken müssen, konnte doch nicht sein. Oder doch? Konnte es sein, dass Tom Hobson so ein Hundesohn war? Wollte er sich alles unter den Nagel reißen, Rachel und das ganze Imperium? Wollte er die Queen ablösen und der große King werden? War dies das böse Spiel? Denn ohne ihre treuen Ritter war Rachel verloren, es sei denn, sie würde sich Hobson total ergeben.
Doch noch vermochte ich nicht zu glauben, dass Hobson ein Bursche ohne Ehre war. Es konnte auch andere Feinde geben, Feinde, die sich schon Rachels Mann gemacht hatte. Ich erreichte mit all diesen Gedanken im Kopf endlich zwischen Mitternacht und Morgen die Ranch. Der Wächter trat mir mit schussbereiter Schrotflinte entgegen, als ich vor dem Haupthaus hielt. Doch er erkannte mich schnell. »Oh, Boss, wie gut, dass Sie wieder zurück sind«, sagte er. Ich übergab ihm das müde Pferd und ging hinüber in die Küche beim Bunkhouse. Ich fand ein Stück Rauchfleisch und einen Kanten Brot. Denn mein Hunger war gewaltig. Rachel hatte mir nicht mal was angeboten, obwohl sie sich gewiss hätte denken können, wie groß mein Hunger war. In mir war Bitterkeit. Verdammt, was hatte ich nicht alles für sie getan! Ich war wohl doch ein Narr. * Als ich am nächsten Morgen spät erwachte und nach unten kam, hatte der Doc für mich ein prächtiges Frühstück gemacht. Und auch mein Vormann wartete auf mich. Ich war noch ungewaschen, verschwitzt und unrasiert, denn ich war angekleidet aufs Bett gefallen und von einem Atemzug zum anderen in einen tiefen Schlaf gesunken. Der Doc sagte vorwurfsvoll: »Boss, warum haben Sie mich nicht geweckt? Wir alle haben hier sehnsüchtig auf Ihre Rückkehr gewartet.« Er war tatsächlich beleidigt. Der Vormann aber sagte: »Sie können sich das Frühstück richtig schmecken lassen, denn ich habe Sie gut vertreten. Sie werden nichts auszusetzen haben. Es gibt keine ungebrändeten Rinder mehr auf unserer Weide. Und auch sonst…« Er brach ab wie ein Mann, der sich nicht zu sehr selbst loben will. Und in seinen Augen erkannte ich eine Frage, die er nicht auszusprechen wagte. Und so sagte ich: »Ja, Charly, ich habe Geld mitgebracht und kann alle rückständigen Löhne zahlen. Die Jungs können wieder abwechselnd in Silvertown alle Sünden begehen.« Da grinsten sie beide. Und ich fiel über das Frühstück her, welches aus Eiern mit Speck und frischen Biskuits bestand. Zwischendurch stellte ich Fragen, ließ mir berichten und dachte dabei immerzu an den Sharpsschützen, der schon drei von uns Queens-Reitern abgeschossen
hatte. Und so fragte ich schließlich: »Habt ihr auf der Weide einen Mann mit einer Buffalo-Sharps herumreiten sehen – vielleicht getarnt als Wolfs- und Raubwildjäger?« Sie schüttelten die Köpfe. Der Vormann sagte: »Ja, wir wissen natürlich, dass es Tote gab da und dort. Aber hier in unserem Tal gab es nur einige Viehdiebe, denen wir Beine machten, sodass sie nicht wiederkommen werden. Hier bei uns reitet niemand mit einer Buffalo-Sharps herum.« * Es war am nächsten Tag, als ich durch das Tal ritt. Da und dort traf ich auf unsere Reiter. Sie waren überall in meilenweiter Runde verteilt und kümmerten sich um die Rinder, säuberten die Wasserstellen und jagten das Raubwild, welches hinter den neu geborenen Kälbern her war. Zwei von den Reitern hatten einen Puma erlegt und waren dabei, ihm bei einer der Grenzhütten das Fell abzuziehen. Sie hatten ihn mit dem Kopf nach unten an den Hinterbeinen aufgehängt wie ein großes Kaninchen und grinsten mich stolz an. Ich ritt weiter, denn ich wollte in die San Andreas Mountains zu den Holzfällercamps, um dort ebenfalls die fälligen Löhne auszuzählen. Doch ich ritt vorsichtig, hielt immer wieder an und sah mich um. Ich achtete besonders auf die Vögel am Himmel und all die anderen Zeichen, zum Beispiel auf ein Blinken, welches Sonnenlicht auf Metallteilen erzeugt. Und die ganze Zeit dachte ich an den Sharpsschützen. Doch wenn auch ich zum Abschuss bestimmt war, dann würden wohl erst noch einige Tage vergehen, bis er mir auflauerte. Er musste ja erst den Auftrag bekommen und meine Wege wissen, die ich in den nächsten Tagen ritt. Nur dann konnte er sich irgendwo auf die Lauer legen mit seinem weitreichenden Gewehr. Ich zweifelte nicht daran; dass ich auf der Abschussliste stand. Denn wenn das nicht so war, warum hatte er dann schon drei von uns abgeschossen? Ich ritt den ganzen Tag und erreichte am späten Abend das erste Camp. Sie empfingen mich dort mürrisch, fast böse, und sie wurden noch böser, als ich ihnen erklärte, dass ich nun an Larry Donovans Stelle ihr Boss wäre. Aber als ich das Lohnbuch herausholte und ihnen sagte, dass es endlich die rückständigen Löhne geben würde, da änderte sich alles. Nun war ich für sie ein verdammt guter und nobler Boss. Wer konnte ihnen die Wandlung verdenken? Sie wussten ja nun, dass sie nicht umsonst gearbeitet hatten. Ich würde noch einige Tage herumreiten müssen, um alle Mannschaften und
auch die Holzfahrer mit den Dollars zu beglücken. Ja, es war ein richtiges Freudenfest in den Camps. Und so hätte ich eigentlich zufrieden sein können. Mir schien es, dass die Axtschläge und das Kreischen der Zweimannsägen lauter und schneller zu hören waren, nachdem sie die Löhnung erhalten hatten. Ja, eigentlich konnte ich zufrieden sein. Aber ich wurde den Gedanken an die Buffalo-Sharps und den unbekannten Schützen, den Killer, nicht los. Nach drei Tagen machte ich mich auf den Rückweg ins Valley der S-im-KreisRanch. Würde er schon irgendwo auf der Lauer liegen? Ich verspürte ein ungutes Gefühl in mir, welches ständig stärker wurde, wenn ich an diesen Mistkerl dachte. Aber was konnte oder sollte ich tun? Ich musste zurück zur Ranch. Es war spät am Abend, als ich die Ranch erreichte. Den ganzen Tag war ich lauernd und vorsichtig geritten. Nun lag die Ranch vor mir im Schein der sinkenden Sonne. Es sah alles friedlich aus. Als ich dem Pferdeburschen mein Pferd übergab, da sagte er: »Boss, Sie haben Besuch. Mrs Winger-Stanton wartet schon seit Mittag auf Ihre Rückkehr.« Ich hielt einen Moment den Atem an. Rachel war gekommen. Oho, sie war gekommen und hatte gewartet. In mir war nun ein Glücksgefühl. Denn ich wusste genau, warum sie gekommen war. Ich dachte in diesem Moment wieder an jenen Tag, als die Herde in Marsch gesetzt wurde und wir uns auf der anderen Seite der Hügelkette in einem Cottonwoodwäldchen liebten. Sie hatte mir etwas mit auf den Weg geben wollen, um sich meiner Treue sicher zu sein. Und jetzt würde sie mir wieder etwas geben. Da war ich sicher. Und so wusch ich mich schnell am Tränktrog bei den Corrals und ging hinüber zum Haupthaus. Sie saß im Schaukelstuhl im dunklen Verandaschatten. »Du hättest dich nicht zu waschen brauchen«, sagte sie. »Ich mag dich, wenn du nach Schweiß, Pferd und Feuerrauch riechst. Ich bin gekommen, damit wir uns eine lange Nacht lieben können. Ich habe mich nach dir gesehnt. Und übermorgen muss ich nach Santa Fe. Ich muss das Erbe auf mich überschreiben lassen. Mein Anwalt dort hat mir geschrieben, dass alle Formalitäten nach den vielen Monaten endlich geklärt sind und man meine Unterschrift haben will.« * Nun, wir liebten uns die ganze Nacht. Sie belohnte mich für meine Treue, so wie � eine Queen ihren Ersten Ritter nur belohnen kann. Ja, ich fühlte mich als ihr Ers-
ter Ritter. Doch als Rachel am nächsten Morgen nach dem Frühstück davonritt und ich ihr nachsah, da verspürte ich ein seltsames Gefühl. Es war mir tief in meinem Kern, als würde ich etwas verlieren. Verdammt, was war das? Solch ein Gefühl hatte ich noch niemals gehabt. Aber sie wollte doch nur nach Santa Fe, um dort einige Formalitäten zu erledigen. Die Overland Stage fuhr alle drei Tage nach Santa Fe und Taos. Und auch die Gegenpost kam alle drei Tage nach Silvertown. Irgendwo auf halbem Weg begegneten sich die Kutschen. Ich verdrängte mein ungutes und irgendwie trauriges Gefühl. Ich hatte eine Menge Arbeit zu erledigen. Zum Glück musste ich mich um die Ranch nicht besonders kümmern. Mein Vormann hatte sie fünf Monate gut verwaltet, alles richtig gemacht. Warum sollte ich das ändern? Und so machte ich mich bald auf den Weg zum großen Holzlager westlich von Silvertown. Dort am Creek befanden sich auch die Sägemühle und die kleine Schindelfabrik. Ich ritt abermals langsam und beobachtete wachsam alle Dinge in der Umgebung. Denn ich wusste, wenn dieser Sharpsschütze, der schon drei von uns umgebracht hatte, irgendwo auf der Lauer lag und auf mich wartete, dann würde er aus großer Entfernung schießen, um sicher entkommen zu können, sollte er mit dem ersten Schuss nicht treffen. Es war wahrhaftig ein verdammt gemeines und hinterhältiges Spiel. Ich fühlte mich als lebende Zielscheibe und konnte mich nur auf meinen Instinkt und meine guten Augen verlassen. Denn verkriechen konnte und wollte ich mich nicht. Ich musste überall nach dem Rechten sehen, alles überwachen und kontrollieren. Doch es gab unterwegs keine bösen Überraschungen für mich. Sicher lag das daran, dass der Killer meine Wege noch nicht kannte und deshalb nicht wusste, wo er sich auf die Lauer legen musste. Es gab für mich auch beim Holzplatz, der Sägemühle und der Schindelfabrik nichts zu bemängeln. Larry Donovan hatte sich seine Leute gut ausgesucht. Die Vormänner legten mir die Bücher vor. Ich stellte fest, dass die Umsätze ständig stiegen, also Gewinne erzielt wurden. Man konnte hier die Löhne aus den Einnahmen zahlen und häufte jeden Tag Werte an Holz an, sei es Bauholz, Bretter, Schindeln, Zaunpfosten oder Abfallholz. Larry Donovan hatte alles hervorragend im Griff gehabt. Und ich war sicher, dass auch Dave Millard und Herb Warlock in ihren Aufgabenbereichen nicht weniger gut gewesen waren. Rachel Winger-Stanton hätte sich keine besseren Verwalter und Beschützer ihres Imperiums wünschen können. Wir waren die treuen und zuverlässigen Statt-
halter einer Queen, die uns verzaubert hatte, sodass wir sie liebten. Aber sie war zuletzt mit mir ins Bett gegangen vor ihrer Abreise nach Santa Fe. Oder hatte sie sich auch den anderen dann und wann geschenkt? Nun waren nur noch Tom Hobson und ich bei ihr. Hatte sie auch Hobson mit Liebesnächten belohnt? Als ich mich das fragte, da verspürte ich ein jähes Gefühl der Eifersucht und des Zweifels. Es war dann später Mittag, als ich nach Silvertown ritt. Denn es war nun Zeit, mit dem City Marshal zu reden. Ich kannte ihn kaum, da ich bisher nichts mit ihm zu tun gehabt hatte. Als ich an diesem frühen Nachmittag sein kleines Office im City House betrat, da saß er hinter einem narbigen Schreibtisch und löffelte aus einer Schüssel eine dicke Suppe. Er war ein bullig wirkender Bursche mit den Narben des ehemaligen Preiskämpfers im Gesicht. Unter seinen buschigen Augenbrauen hinweg starrte er mich an. »Ich habe von Ihnen gehört«, sagte er zwischen zwei Löffeln der dicken Fleischsuppe. »Mein Name ist Weaver, Bill Weaver. Was kann ich für Sie tun, Mr Hays?« Ich setzte mich in den Armstuhl und holte mein Rauchzeug hervor, drehte mir eine Zigarette und rauchte sie an. Dann fragte ich: »Gibt es hier einen Reiter mit einer schweren Buffalo-Sharps? Dies ist Ihre Stadt. Sie sehen alle kommen und gehen. Was ist mit einer Sharps?« Er grinste mich an. »Dass mich überhaupt jemand fragt…«, knurrte er dann. Aber dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich sah hier niemanden mit einer Sharps, weder einen Reiter noch einen Fußgänger. Machen Sie sich Sorgen, dass auch Sie dort draußen bald abgeschossen werden?« »Solche Sorgen würden gewiss auch Sie sich machen – oder?« Er nickte kauend. »O ja, das würde ich, verdammt! Das ist ein ungutes Gefühl. Ich kann Sie gut verstehen, Mr Hays.« Ich erhob mich und ging zur Tür. Da sagte er hinter mir her: »Aber ich kann Ihnen sagen, Mr Hays, wer SharpsMunition in der Satteltasche mit sich führt.« Ich hielt inne und wandte mich ihm wieder zu. Er grinste mich an. »Man hält mich hier in Silvertown für einen dummen Nachtwächter«, sagte er. »Ich schlafe in einer der drei Gefängniszellen und muss mir selbst etwas kochen. Mein Gehalt beträgt dreißig Dollar im Monat.« Ich trat zu ihm und warf ein Zwanzigdollarstück auf den Tisch. Dabei fragte ich knapp: »Wer?«
Er grinste zu mir hoch und sagte schließlich: »Er sieht aus wie ein halber Comanche und war gewiss mal Büffeljäger. Und jetzt sitzt er auf der Saloonveranda und beobachtet das Leben und Treiben unserer prächtigen Stadt.« Ich nickte nur und ging. Als ich wenig später über die Veranda in den Saloon ging, da warf ich einen schnellen Seitenblick auf den Mann, den Weaver mir beschrieben hatte. Ja, er sah wie ein halber Comanche aus, war in befranstes Leder gekleidet und trug Apachenstiefel. Von ihm ging etwas aus wie von einem gefährlichen Raubtier. Sein schräger Blick traf mich einen Moment lang. Dann war ich drinnen im Saloon und bestellte mir ein Bier, trat an den FreiImbiss-Tisch und bediente mich dort. Ich wählte ein Brot mit Bratfleisch. Der Barmann sah mich eine Weile schweigend an und sagte dann: »Drei von euch Queens-Reitern hat es schon erwischt. Fürchten Sie sich, Mr Hays?« »Sicher«, erwiderte ich. Dann leerte ich das Glas, spülte damit den letzten Bissen hinunter, warf einen Vierteldollar auf den Schanktisch und ging. Der Mann, welcher wie ein halber Comanche aussah, war weg. Und auch der hagere Pinto, den ich bei meinem Kommen am Haltebalken sah, war nicht mehr dort. * Es war später Nachmittag, als ich mich auf den Weg zurück zur Ranch machte. Ich hatte mir erst noch die Haare schneiden lassen und in unserem Generalstore einige Einkäufe gemacht, die ich natürlich nicht bezahlen musste. Ich hatte mir ein neues Rasiermesser gekauft, auch etwas Tabak und einige Paar Socken. Als ich aus Silvertown ritt, da wusste ich, dass dies ein gefährlicher Ritt sein würde. Ich war mir sicher, dass ich den Killer gesehen hatte. Der City Marshal hatte mir einen großen Dienst erwiesen. Irgendwann musste er in den Satteltaschen des Halbblutmannes nachgesehen und die Sharps-Munition gefunden haben. Diese bestand aus großen Papppatronen vom Kaliber 45-190-550, es waren also mächtige Dinger, deren Geschosse fast wie kleine Kanonenkugeln rauschten. Nun, ich ritt also gen Süden, und die Sonne sank zu meiner Rechten. Wenn der Sharpsschütze es jetzt versuchen würde, dann mit der untergehenden Sonne im Rücken. Er würde nicht auf der Ostseite meines Heimweges im Hinterhalt liegen. Als ich drei Meilen geritten war, erhob sich im Westen ein langer Hügelrücken. Er war länger als zwei Meilen. Die Hänge waren zum Teil bewaldet, aber auch mit Mesquite und Sagebusch bewachsen.
Ich hielt mich in fast vierhundert Yards Entfernung zu diesem Hügelzug, ritt also abseits des Fahr- und Reitwegs zur Ranch. In mir war ein merkwürdiges Gefühl. Ich vermochte es nicht zu beschreiben. Doch es hing mit dem Halbblutmann zusammen, den ich ja gesehen hatte. Es war eine gefühlsmäßige Abneigung ihm gegenüber entstanden, und so bestand irgendwie eine Verbindung zu ihm. All meine Instinkte waren alarmiert, angespannt, warteten auf Zeichen, Ahnungen oder wie man es sonst nennen mochte. Verdammt, würde mich mein Instinkt warnen? Wenn ja, dann mussten es gleichsam hellseherische Signale sein. Vielleicht war es einfach nur Glück, dass mein Pferd einem Dornenbusch auswich und so eine unvorhersehbare Bewegung machte. Ich sah in diesem Moment das Mündungsfeuer auf dem Hügelkamm, hörte die Kugel heranrauschen, doch noch nicht den Knall. Dann stürzte mein Pferd, warf mich dabei ab. Und da lag ich nun und dankte dem Himmel. Denn ich war nicht getroffen, spürte nur einige Dornen da und dort in meinem Fleisch. Mein Pferd aber kam wieder auf die Hufe. Es war offenbar nur von der Kugel gestreift worden und hatte sich wohl mehr aus Schrecken aufgebäumt und dann fallen lassen. Jetzt stand es neben mir mit hängenden Zügeln: Es gehörte zur allerersten Lektion eines Rinderpferdes, dass es sich nicht von der Stelle rührt, wenn die Zügelenden am Boden liegen. Nun stand es also neben mir und schnaubte nervös. Ich aber blieb liegen und beruhigte es mit sanften Worten. Dann wartete ich. Und der Bursche ließ mich lange warten. Länger als eine Stunde lag ich so und glaubte schon, dass er nicht kommen würde. Inzwischen sank die Sonne im Westen hinter die San Andreas-Mountains. Am Himmel war nun ein Rot, welches sich langsam in Violett wandelte. Und dann kam er endlich. Ich lag auf dem Rücken und hatte den Colt in der Hand. Als sich der Bursche über mich beugte, da schoss ich ihn in den Bauch und trat mit dem Fuß zugleich den Gewehrlauf zur Seite, dessen Mündung auf mich gerichtet war. Er drückte einen Sekundenbruchteil zu spät ab. Die schwere Kugel ging dicht neben meiner Hüfte in den Boden. Und dann war es vorbei. Ich wartete, bis er wieder einigermaßen bei Sinnen war und schmerzvoll zu fluchen begann. Als er stöhnend verstummte, da sagte ich, dicht neben ihm
hockend: »Es klappt nicht immer auf große Entfernung mit einer Sharps. Das Schicksal war diesmal gegen dich. Ich denke, dass du in weniger als einer Stunde tot bist. Aber dein Auftraggeber wird sich weiter seines Lebens erfreuen. Wer ist es?« »Fahr zur Hölle«, knirschte er. »Warum soll ich ihn verraten?« »Weil ich dich dann beerdige, als wärest du ein guter Christ gewesen, und dich nicht den Aasfressern überlasse. Ist das kein gutes Geschäft für dich?« Ich fragte es ernst. Er dachte nach und stöhnte immer wieder, hielt dabei beide Hände auf das Einschussloch gedrückt. Doch er verblutete innerlich. Er war verloren. Und er wusste es. »Das Sterben gehört zum Leben«, flüsterte er. »Man muss wieder zu Erde werden, um wieder auferstehen zu können. Ich möchte nicht voll geschissen werden von einem Coyoten, verdammt!« Ja, er teilte sich in einer sehr deftigen Ausdrucksweise mit. Dann aber stöhnte er: »Ay, schwörst du mir, dass du mich christlich beerdigst?« »Ich schwöre«, erwiderte ich ernst. Er ließ mich noch eine Weile warten. Dann sprach er stöhnend: »Dieser Tom Hobson zahlte mir für den Abschuss zweihundert Dollar. Dafür hätte ich zweihundert Büffel töten müssen. Es war ein gutes Geschäft bis jetzt für mich.« »Bis jetzt«, erwiderte ich. Er stöhnte wieder. Dann murmelte er mühsam: »Ich schenke dir mein Prämiengeld. Du musst mich nicht damit beerdigen.« »Doch«, erwiderte ich. »Dieses Blutgeld will ich nicht haben.« Wir schwiegen dann lange, und es ging mit ihm zu Ende. Ich hörte es an seinem Atem. Schließlich sprach er seine letzten Worte: »Wir wurden fast Amigos, denke ich. Weißt du, ich habe schon so viele getötet, dass ich mal meine Strafe bekommen musste. Ich habe immer gewusst, dass es so kommen würde – eines Tages.« Er hatte nun alles gesagt. Und ich hielt mein Wort und begann mit seinem großen Bowiemesser den Boden aufzukratzen, machte ein langes Loch und deckte ihn auch noch mit Steinen zu. Ja, er würde zu Erde werden. Dann hockte ich im Mond- und Sternenschein noch eine Weile neben dem Grabhügel und dachte an Tom Hobson. Er hatte alles gewollt – nicht nur Rachel, sondern das ganze Imperium, welches sie mit unserer Hilfe wie eine Quee beherrschte. *
Ich ritt noch in dieser Nacht auf dem Pinto des Killers zur Aurora-Mine. Mein eigenes Pferd hatte einen Streifschuss quer über der Brust. Ich sattelte es ab. Mehr konnte ich für das Tier vorerst nicht tun. Es würde nicht sterben, sondern zur Ranch wandern. Dort würde man sich seiner annehmen und sich um mich Sorgen machen. Aber ich wollte nicht warten, sondern hinter mich bringen, was getan werden musste. Und so gelangte ich irgendwann zwischen Mitternacht und Morgen vor das Haupthaus der Aurora-Minen-Gesellschaft, saß ab und zog mich in einen halb offenen Schuppen zurück, in dem eine Menge Maisstroh lag. Es war still in der Siedlung rings um die Mine. Nur ein Hund kam herbei und beschnüffelte mich. Doch es war ein Hund, der gerne gestreichelt werden wollte, weil er wohl sehr einsam war. Ich legte mich auf das Stroh und ruhte aus. Dann dachte ich über Rachel nach. Wenn ich Tom Hobson töten konnte, hatte sie nur noch mich. Und das gefiel mir mächtig. Ich schlief ein wenig. Dann wurde es Tag. Und so erhob ich mich, trat zu einem der Wassertröge und wusch mich ein wenig. Beim Haupthaus öffnete sich ein Fenster. Ich erkannte Tom Hobson. Er sah eine Weile zu mir herüber. Ich winkte ihm zu und rief: »Komm heraus und bring deinen Revolver mit!« Es hatten sich nun rings um den Platz einige Frühaufsteher versammelt. Die Mine würde bald in Gang kommen – auch die kleine Stadt. Und Tom Hobson kam heraus. Wir gingen aufeinander zu, trafen uns mitten auf dem Platz und hielten im Abstand von etwa sechs Yards voreinander inne. Er starrte mich an und wusste, was geschehen war. Er konnte es mir ansehen. Und so sprach er kein einziges Wort mehr, sondern zog. Er war ein sehr schneller Revolvermann und vertraute auch jetzt auf seine Schnelligkeit. Doch ich war schneller. Ja, ich schoss ihn von den Beinen. Dann trat ich zu ihm und blickte auf ihn nieder. »Sie hat mich verrückt gemacht«, stöhnte er. »Ich wollte sie für mich allein haben. Ich wollte alles oder nichts, verdammt!« Dann starb er. Ich sah mich um, hielt den Revolver noch in der Faust. Doch sie kannten mich hier. »Wer ist Hobsons Stellvertreter?« So rief ich scharf. Einer der Männer kam näher.
»Der bin ich«, sprach er. »Mein Name ist Peters, John Peters. Sie sind Mr Hays, nicht wahr?« * Als ich mich wieder auf den Weg machte, hatte ich alles geklärt. Der Vormann, der ja Tom Hobsons Stellvertreter war, würde alles weiter in Gang halten. Ich hatte ihn an Hobsons Stelle zum Manager befördert. Und so würde er gewiss alles tun, um diesen Posten behalten zu können. Ich hatte ihn über alles aufgeklärt und mit den Worten geendet: »Hobson hat zu viel für sich gewollt. Doch sein Killer machte Plätze frei für Nachfolger von Warlock, Millard und Donovan. Es rücken andere Männer nach, die sich bewähren müssen, so auch Sie, Mr Peters. In einigen Tagen wird Mrs Winger-Stanton zurück sein und meine Entscheidungen gewiss gutheißen.« John Peters nickte und erwiderte: »Ich war hier schon Vormann, als Mr Stanton noch lebte und die Aurora-Minen-Gesellschaft noch zur Hälfte Jack Sharkey gehörte. Ich kenne mich hier bestens aus. Und ich war stets nur Angestellter, der die Befehle des jeweiligen Bosses ausführte. Nun ist es anders.« Ich dachte über seine Worte nach, indes ich auf dem Rückweg war. Und auch nach jenem Halbblutmann mit der Sharps hatte ich ihn gefragt. Aber den hatte man hier bei der Aurora-Mine nie gesehen. Es war fast Mittag geworden, als ich einige Reiter sah, die mir entgegenkamen. Es waren Cowboys von der Ranch. Als sie vor mir anhielten, da wirkten sie sehr erleichtert, so richtig froh. Und mein Vormann sagte: »Boss, Ihr Pferd kam leicht angeschossen zur Ranch. Und da machten wir uns auf den Weg. Jacinto fand dann den Platz. Es gab Blutspuren und ein Grab. Als wir es freilegten, lagen nicht Sie darin, sondern ein Fremder.« Bei seinen Worten zeigte der Vormann auf einen Reiter, den ich als Raubzeugjäger eingestellt hatte. Er war zur Hälfte ein Apache und hieß Jacinto. Er grinste mich stolz an. Ich nickte ihm zu. Dann ritten wir gemeinsam weiter. Aber als wir Silvertown erreichten, ließ ich vor dem Saloon halten. »Jungs, ich gebe einen aus«, sagte ich. »Ihr habt euch einen Drink verdient.« * Einige Tage verstrichen. Eigentlich konnte ich zufrieden sein. Ich hatte alles unter Kontrolle und voll im Griff, ich, als Rachels letzter Ritter. Ich war in diesen Tagen ständig unterwegs, denn ich hatte ja eine Menge zu
überwachen und kontrollieren. Doch die Vorleute enttäuschten mich nicht. Rachel Winger-Stantons kleines Imperium, welches ja zusammen aus vielen Unternehmungen bestand, funktionierte und machte Gewinne. Manchmal – wenn ich im Office in Silvertown war, da betrachtete ich den großen und schweren Geldschrank. Er war mit einem Zahlenschloss zu öffnen. Aber ich kannte die fünf Zahlen nicht, die man einstellen musste, um die Zuhaltungen der Verriegelung zu öffnen, sodass man die Verriegelung bewegen konnte. Ich hätte gern die Einnahmen unserer vielen Aktivitäten in den Tresor getan. Besonders die Silbertransporterlöse kamen jetzt herein. Aber ich konnte das schwere Ding nicht aufbekommen, und ich glaubte auch, dass sich noch ein großer Teil des Erlöses für die Herde in diesem Tresor befand. Warum hatte mir Rachel nicht die Zahlen genannt? Was war der Grund für diese Vorsicht? Ich hatte ihr doch längst bewiesen, wie sehr sie mir vertrauen konnte. Nun, es vergingen also einige Tage. Ich hielt mich stets nur kurze Zeit im Hauptquartier in Silvertown auf. Aber wenn ich hier einige Stunden schlief, dann tat ich es oben in Rachels Wohnung und in ihrem Bett. Verdammt, wann endlich kam sie heim? Sie wurde nun schon überfällig. Auch die Postkutsche von Santa Fe nach Silvertown kam ohne sie. Nun würden wieder drei Tage vergehen, bis die nächste Stage hier eintraf. Aber dann würde sie gewiss darin sitzen. Und ich würde ihr beim Aussteigen helfen. Gewiss würde sie mich wieder belohnen mit einer Nacht der Liebe. Ja, ich sehnte mich nach ihr, war stolz auf meine Leistung und völlig sicher, dass sie für immer meine Frau werden würde, so wie sie damals Stantons Frau wurde, weil sie ihn für den besten Mann hielt. Nun würde sie mich für solch einen Mann halten. Es konnte gar nicht anders sein. Da war ich mir sicher. * Es vergingen auch die nächsten drei Tage. Ich war wieder ständig unterwegs, besuchte unsere Unternehmungen, prüfte die Ergebnisse, sah in die Bücher und gab Anordnungen, traf Entscheidungen. Dann kam der dritte Tag, an dem wieder eine Stage aus Santa Fe eintreffen musste. Ich saß auf der Veranda des Hotels, vor dem die Postkutschen stets hielten, um die Fahrgäste aussteigen zu lassen und deren Gepäck auszuladen.
Die Kutsche kam ziemlich pünktlich. Aber es stiegen nur zwei Männer aus, die ich für Handelsvertreter hielt, dann eine füllige Mexikanerin und zuletzt ein Mann, der recht elegant und fast wie ein Städter aus dem Osten gekleidet war. Dennoch wirkte er nicht wie ein Dandy, sondern wie ein harter, erfahrener Boss, ein Mann, welcher gewohnt war, Befehle zu erteilen wie ein Colonel oder General in Zivil. Er trug einen wertvollen Koffer und kam auf die Veranda. Ich hatte mich erhoben und sah immer noch auf die Kutsche, hoffte, Rachel nun zum Vorschein kommen zu sehen. Doch es stieg niemand mehr aus. Der elegant nach englischer Art gekleidete Mann mit dem Koffer hielt auf der Veranda an und richtete seinen Blick auf mich. Ich sah ihm fest in die Augen. Und da erkannte und spürte ich, dass ein besonderer Bursche nach Silvertown gekommen war. Und mein Instinkt sagte mir plötzlich, dass ich mit diesem Burschen auf irgendeine Art zu tun bekommen würde. Ich ahnte also instinktiv etwas. Doch dass es mich wie ein Hammer mitten auf den Kopf treffen würde und zugleich wie ein Lanzenstich mitten ins Herz, das konnte ich in diesem Moment noch nicht wissen. Nicht mal in einem verrückten Traum hätte ich das träumen können. Der Mann sah mich immer noch wie witternd an. Dann fragte er: »Sind Sie Mr Justin Hays?« »Bin ich«, erwiderte ich. Er nickte und sprach weiter: »Mrs Winger-Stanton hat Sie mir gut beschrieben. Und sie war auch sicher, dass Sie hier sein würden, um dem Eintreffen der Postkutsche beizuwohnen, wie man so sagt.« Er machte eine Pause und sagte schließlich: »Sooo, Sie sind das also. Nun gut, ich verstehe nun einiges besser. Ich habe einen Brief für Sie, Mr Hays. Mein Name ist Edward Hamilton. Am besten lesen Sie erst den Brief von Mrs WingerStanton. Und nehmen Sie sich Zeit dafür.« Er ging nach diesen Worten mit seinem Koffer hinein, ließ mich mit dem Brief in der Hand zurück. Es war ein Brief von Rachel. Ihr Name stand als Absender auf der Rückseite. Ich starrte auf den Brief in meiner Hand und verspürte Furcht davor, ihn zu öffnen. Und so ging ich erst zum Schaukelstuhl, in dem ich auf die Postkutsche gewartet hatte und ließ mich wieder darin nieder. Dann öffnete ich den Brief und konnte lesen: Lieber Justin, ich werde dich gewiss nie vergessen, doch es ist jetzt wieder so wie damals vor Jahren am Mississippi. Ich will wieder frei sein, und vielleicht rette ich dir dadurch das Leben.
Dies macht mir alles etwas leichter. Denn ich bin mir fast sicher, dass Tom Hobson drei meiner Ritter umbringen ließ. Er will mich und alles, was ich besitze. Er wird auch dich umbringen lassen. Ich musste nach Stantons Tod lange warten, bis alle Formalitäten bezüglich meines Erbes erfüllt waren. Doch jetzt bin ich die von der Gouverneur-Behörde rechtmäßig beurkundete Erbin. Ich habe mein ganzes Erbe an die ›Sea Rock Enterprise‹ verkauft. Dies ist ein weltweit operierender Trust von mächtigen Magnaten. Ich bin nun eine freie und reiche Frau und werde mir die ganze Welt ansehen. Leb wohl, Justin! Eine Katze wie ich, die kann nicht treu sein. Sie muss jagen. Rachel Ich las den Brief einige Male. Dann erhob ich mich und ging ins Hotel. Dort stand jener Edward Hamilton an der kleinen Bar und hielt noch das halb gefüllte Glas in der Hand. Seine rauchgrauen Augen betrachteten mich ernst, und ich ahnte, was in ihm vorging. Er sagte: »Sie ist eine wunderschöne Frau, die jedem Mann den Kopf verdrehen und ihn süchtig nach ihr machen kann. Sie hat gewiss ein riskantes Spiel gespielt. Wir haben ihr drei Millionen Dollar gezahlt. Und ich wette, sie wird diese große Summe irgendwo auf unserer Erde verdoppeln oder gar verzehnfachen. Sie ist schlau und schön und wird sich stets besondere Männer dienstbar machen. Sie ist so und kann nicht anders.« Er machte eine Pause und winkte dem Hotelmann zu, dass dieser auch mir ein Glas eingießen sollte. Dann tranken wir uns zu. Schließlich fragte er: »Meine Mannschaft kommt geritten. Ich habe sie schon vorgestern von Santa Fe losgeschickt. Mr Hays, wollen Sie mir einige Tage lang helfen bei der Übernahme, mir alles erklären? Oder sind Sie nachtragend? Es war Mrs Winger-Stantons freie Entscheidung. Wir haben sie nicht bedrängt. Sie wollte dieses Geschäft machen.« Ich ließ mir nochmals das Glas füllen, denn ich brauchte diesen Drink. Und in dieser einzigen Minute durchlief ich alles noch einmal in meiner Erinnerung, angefangen bei der Nacht am Mississippi bis zu Rachels Abreise nach Santa Fe. Nun wusste ich auch, dass sie den Tresor gewiss geleert hatte. Ich sah Hamilton an und erwiderte: »Ich helfe Ihnen, weil ich gute Leute eingesetzt habe als Vormänner oder Manager, wirklich gute Leute. Ich will diese mit Ihnen bekannt machen und sie Ihnen empfehlen. Aber in einigen Tagen werde ich heimreiten. Ich besitze eine kleine Ranch am Brazos.«
Er sah mir fest in die Augen und nickte, und irgendwie gefiel er mir als Mann. Gewiss waren wir uns in vielen Dingen sehr ähnlich und hätten Freunde werden können. »Gut«, sagte er, »gut.« * Irgendwann traf ich endlich auf meiner Ranch ein und hatte unterwegs alles überwunden, war mit mir wieder im Reinen. Als ich in Brazosville einritt, trat Jane aus ihrem Store, so als hätte ich ihren Namen gerufen. Ich zog den Hut vor ihr. Sie winkte mir zu. Dann rief sie: »Schön, dass du wieder daheim bist, Justin! Paco hat deine Ranch gut geführt. Ich habe ihn manchmal besucht, um vielleicht etwas über dich zu erfahren. Soll ich morgen zu dir hinauskommen?« Es war ein klares Angebot. Und sie war eine kluge Frau, die sich ausrechnen konnte, dass ich jemanden brauchte, der mich beim Vergessen unterstützte. Sie war nicht so schön wie Rachel, aber sie könnte dennoch einem Mann seine Niederlage vergessen lassen. »Ich würde mich freuen, Jane!« So rief ich zurück und ritt weiter durch die Stadt in Richtung meiner Ranch. O ja, es würde gewiss alles gut werden für mich. Ich war wieder daheim. Paco war mein Amigo und Partner. Und Jane würde immer wieder kommen, bis ich sie bitten würde, für immer zu bleiben. ENDE