Exposé-Redaktion: H. G. Ewers
Band 83 der Fernseh-Serie Raumpatrouille
H.G.Ewers
Quarantänewelt Zuletzt brachten wir...
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Exposé-Redaktion: H. G. Ewers
Band 83 der Fernseh-Serie Raumpatrouille
H.G.Ewers
Quarantänewelt Zuletzt brachten wir in der ORION-Serie eine Rückblendung in die Zeit, in der Cliff Allistair McLane in der Terrestrischen Raumakademie kurz vor der entscheidenden Prüfung steht, Der junge Atan Shubashi wird aus einem Simulator heraus entführt. Im Simulator erscheint dafür die Kopie des angehenden Raumfahrers. Shu bashi dagegen fand sich auf einem unbekannten Planeten wieder und mußte vor schattenhaft sichtbaren Gestalten flüchten, die Jagd auf ihn machten. Cliff Allistair McLane erfuhr von dem rätselhaften Ereignis und setzte alle Hebel in Bewegung, um Atan Shubashi, wenn irgend möglich, zu helfen und um sich persönlich an der Aufklärung des Falles zu beteiligen. Dabei scheute er auch nicht davor zurück, vor den Verantwortlichen der Raumflot te den Mund aufzumachen. Die großen „Tiere" von Regierung und Raumflotte erklärten sich bereit, Cliff McLane der Expedition zum System Alpha Centauri zuzuteilen, die das Ver schwinden des Astronautenanwärters Shubashi aufklären soll. Im Verlauf dieser Expedition zeigte der junge McLane bereits Durchset zungsvermögen und jene Art von Disziplinlosigkeiten, die ihn später bei den Verantwortlichen der Raumflotte so berüchtigt und bei den meisten anderen Menschen so beliebt machen sollten. In einem späteren Band mehr über die Jugenderlebnisse unseres Helden. Der vorliegende Roman befaßt sich wieder mit dem „reiferen" McLane und seiner Crew und mit der unheimlichen Invasion der Grappos. Unsere Freunde werden verschlagen auf eine seltsame QUARANTÄNEWELT . . .
schwebte und den größten Teil seiner Sensoren und unidentifizierbaren Aus wüchse auf den Steinkreis richtete. Geduckt erreichten sie den Steinblock, Der Invasor hatte etwa die Größe von einen mächtigen Monolithen aus blaugrau zwei erwachsenen Menschen, besaß die em Sandstein, der etwa fünf Tonnen Form einer sichelförmig gebogenen wiegen mochte und etwas außerhalb der Salatgurke, deren Enden sich korkenzie kultischen Anlage von Stonehenge lag. So herartig verdreht hatten. wie sie ankamen, ließen sie sich zu Boden In das Knattern und Krachen der Ener fallen - mit Ausnahme von Argus, der gieblitze mischte sich plötzlich ein hohles selbst stehend von dem uralten Steinblock Brausen. Seine Phonstärke mußte gewaltig verdeckt wurde, bis auf den oberen Teil sein, denn es übertönte zuweilen das des kuppelförmigen Kopfes. Krachen und Cliff McLane Die Hauptpersonen des Romans: Knattern völlig. spähte über den Cliff McLane — Der Commander gelangt Unter diesen grasigen Hang zu auf eine Quarantänewelt. Umständen war an dem seltsamen Hasso, Helga, Mario, Atan, Arlene, eine normale aku Wesen hinüber, das Leandra de Ruyter und Hargus — McLanes Begleiter bei einer neuen stische Verständigemächlich auf den Reise in die Unendlichkeit. gung nicht zu den Steinkreis zuArgus — Ein frecher Roboter. ken, deshalb klappte schwebte. Cliff McLane den Da sagte Hasso: Prcl-Hooch — Ein Grappo, der mit sich reden läßt. Druckhelm nach „Mir ist, als gellvorn, aktivierte das ten mir noch die Helmfunkgerät und bedeutete seinen Schreie der angreifenden Kelten in den Gefährten durch Handzeichen, es ihm Ohren." gleichzutun. „Schallaufnahme negativ, Hasso-Baby!" schrillte die immer etwas hohe Stimme Die übrigen Mitglieder der ORIONvon Argus. Crew hatten bereits den gleichen Gedan Cliff drehte sich um, blickte den wan ken gehabt und realisiert. Deshalb brauch delnden Datenspeicher zornig an und ten nur Admiralin Leandra de Ruyter und wollte ihn gerade darauf hinweisen, daß Harlan Gustavson, kurz Hargus genannt, derart laute Töne verräterisch sein mußten, Cliffs Beispiel zu folgen. Bei Argus waren als zwischen den zirka fünfzehn Metern solche Maßnahmen unnötig; der müllton entfernten Monolithen des äußeren Stein nenförmige Roboter konnte sich sowohl kreises ultrahelle Blitze hin und her normalakustisch als auch über alle zuckten. Funkkanäle verständlich machen. Geblendet schloß der Commander die „Cliff an Argus!" sagte Cliff. „Ortest du Augen. Die Ohren konnte er nicht ver den Aufbau einer Überlappungszone schließen - und so betäubte ihn das beziehungsweise temporale Perforatio Krachen und Knattern der Entladungen nen?" beinahe. „Nichts dergleichen, Cliff McLane!" Cliff wandte den Kopf und öffnete quäkte die Funkstimme des Roboters aus langsam die Augen. Es dauerte eine Weile, dem Helmfunk. „Beides war nämlich noch bis er wieder etwas sehen konnte. gar nicht abgebaut. Es hat sich nur Als erstes bemerkte er, daß der Grappo verstärkt." sich nicht mehr bewegte, sondern in etwa „Soll ich dich vorsichtshalber abschal einem Viertelmeter Höhe über dem Boden ten, Argus?" fragte Harlan Gustavson 1. DER FALSCHE DRUIDE
besorgt, denn beim ersten Auftreten solcher Phänomene wie Überlappungszo nen und temporalen Perforationen hatte der Datenroboter Anfälle von Schwach sinn gezeigt. „Das ist nicht nötig, Harlan", antwortete Argus. „Ich bin weitgehend immun gegen derartige grappogrüne Grasfelder über nappobraunen Le derkargen Krcks..." „Jetzt hat es ihn doch wieder erwischt!" stellte Mario de Monti fest. Hargus wollte zu seinem robotischen Partner hinüberkriechen, um ihn zu desaktivieren, damit er keine irreparablen Schäden erlitt, als das Krachen und Knattern der Entladungen schlagartig verstummte. Dennoch wurde es keines wegs still; im Gegenteil, das hohle Brausen schwoll noch mehr an. Über den Steinkreisen von Stonehenge waberte ein bereits bekannter Kranz bläulichen Leuchtens. Argus umfaßte mit seiner Greifhand das Handgelenk seines Partners. „Sie wollen mich doch nicht etwa um bringen, Mister Gustavson?" fragte er schrill. „Ich wollte dich zu deinem eigenen Schutz ausschalten", erklärte der Pro grammierungsspezialist. „Aber das hat sich offenbar erübrigt." Argus ließ die Hand seines menschli chen Partners los und meinte: „Selbst im Schwachsinn bin ich in telligenter als der Mensch." „Still!" flüsterte Arlene beklommen. „Hat da nicht jemand geschrien?" Cliff McLane schaltete die Außen mikrophone seines Druckhelms ein und lauschte. Im nächsten Augenblick fuhr der Com mander unwillkürlich zusammen. Jemand hatte geschrien! Jemand? Oder etwas? Abermals klang der Schrei auf. Es waren modulierte, hervorgepreßte Laute in einer unbekannten Sprache, die zu einer bestimmten Lautstärke anstiegen und dann
abbrachen. „Es ist keltisch", stellte Argus fest. „Aber es ist kein Kelte, der da schreit." Es fiel Cliff wie Schuppen von den Augen. Ja, diese Art von Lauten hatte er während ihres Aufenthalts bei den Kelten der vorchristlichen Zeit gehört. „Was schreit der Unbekannte?" rief Atan. „Er ruft um Hilfe", antwortete Argus. Die Blicke aller Menschen richteten sich auf das Zentraum der Kultanlage. Das Schreien kam von dort. Es klang immer drängender - und es weckte in den Menschen das Bedürfnis, zu helfen. Aber sie alle wußten, daß der Grappo jeden sehen würde, der das deckungsfreie Gelände zwischen dem einzelnen Mono lithen und den Steinkreisen betrat. „Und wenn schon!" sagte Cliff und erhob sich. „Der Grappo wird dich sehen, Comman der McLane!" zeterte Argus. „Das meinte ich mit meiner Be merkung", erklärte Cliff und schaute seine Freunde an. „Ich sehe, ihr denkt wie ich." „Es ist wichtiger, einem in Not be findlichen Wesen zu helfen, als einem Grappo aufzulauern", erklärte Arlene Mayogah und stellte sich neben Cliff. Er klappte seinen Druckhelm zurück, und die Gefährten folgten seinem Beispiel. Helga Legrelle erhob sich ebenfalls. „Worauf warten wir noch!" „Sollte der Grappo abziehen wollen, werden wir versuchen, ihn einzukreisen und gefangenzunehmen", sagte Mario de Monti. Er schaute Leandra de Ruyter an. „Einverstanden, Admiralin?" „Vielen Dank, daß wenigstens einer daran denkt, mich nach meiner Meinung zu fragen - nachdem alles geregelt ist", erwiderte Leandra de Ruyter sarkastisch. „Aber jetzt gehen Sie endlich, Cliff!" *
Während des Laufes über die freie Fläche warf Cliff McLane einen Blick zurück und sah, daß der Grappo sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Aber zu Cliffs Erleichterung entfernte er sich nicht, sondern schwebte näher. Cliff zog seine HM-4, entsicherte sie und bedeutete Arlene und Helga mit Handbewegungen, ihm notfalls Feuer schutz zu geben. Schließlich wußten sie nicht, was sie in der kultischen Anlage erwartete. Unwillkürlich preßte Cliff die Lippen zusammen, als er nur noch wenige Schritte von der nächsten Lücke zwischen zwei Monolithen entfernt war. Nur zu gut erinnerte er sich noch daran, was vor ihrer unfreiwilligen Zeitreise geschehen war, wenn jemand versuchte, sich aus dem Steinkreis zu entfernen. Aber diesmal geschah nichts. Oder würde es erst jetzt geschehen? dachte Cliff, als er sich genau zwischen den beiden riesigen Steinblökken befand. Die Überschlagsblitze würden tödlich sein. Aber würden sie sofort töten? Zwei Schritte weiter wischte er sich mit dem Rücken der freien Hand den Schweiß von der Stirn, während sein Blick konzent riert umherwanderte. Plötzlich ruckte seine rechte Hand mitsamt der HM-4 hoch, so daß die Abstrahlmündung auf den verkrümmt daliegenden Körper zielte, der sich soeben geregt hatte. Und abermals erscholl der entsetzliche Schrei, der den Raumfahrern der ORION das Blut beinahe in den Adern erstarren ließ. Die verkrümmte Gestalt bäumte sich beinahe auf, dann sackte sie haltlos zu sammen. Cliff schaute sich um und sah, daß Arlene und Helga neben den Steinblöcken links und rechts von ihm kauerten und ihm mit ihren Waffen Flanken- und Rückende ckung gaben. Er nickte ihnen zu, dann bewegte er sich mit langen flachen Sprün
gen auf die Gestalt zu. Am auffallendsten war die humanoide Körperform. Die Verwunderung darüber machte der Erkenntnis Platz, daß das Wesen nach dem keltisch-britannischen Stil der vorchristlichen Zeit gekleidet war. Goldener, mit Rubinen und Smaragden de korierter Schmuck verriet, daß es sich um einen wohlhabenden Kelten handelte. Ein Kurzschwert mit vergoldetem Griff ließ darauf schließen, daß sein Träger es kaum als Waffe, sondern zur Hervorhebung seiner Würde benutzte. In dem Augenblick, in dem Cliff neben dem Fremden niederkniete, erkannte er, daß das, was er für das Gesicht des Wesens gehalten hatte, nur eine Maske war. Cliff zögerte, während sein Blick über den Körper des Fremden flog und vergeb lich nach Verletzungen ausschaute, dann packte er das obere Ende der Maske und riß es ruckartig nach unten. Im nächsten Moment fuhr er hoch und taumelte zurück. Auf seinem Gesicht malte sich schockartige Überraschung. Schnelle, leichtfüßige Schritte näherten sich, dann standen Arlene und Helga neben Cliff. Sie waren zweifellos gekom men, um ihm beizustehen, aber in den ersten Sekunden vermochten sie nur überrascht zu keuchen. McLane beruhigte sich ziemlich rasch wieder. Aufmerksam musterte er das „Gesicht" des Fremden, das eine gewisse Form- und Strukturähnlichkeit mit der Maske eines Degenfechter hatte. Nur bestand das Netzwerk hier nicht aus Metalldraht, sondern aus einem hellgrünen Fasergeflecht, auf dem wimpernähnliche weiße Härchen zu vielen Tausenden saßen und sich ständig im gleichen Takt nach wechselnden Richtungen bewegten. „Ein Dogger!" flüsterte Helga Legrelle. Cliff nickte und ging langsam auf das fremde Wesen zu, von dessen Volk sie in STERNENSTADT einer zahlenmäßig
großen Gruppe begegnet waren. Damals war es zu einem heißen Gefecht gekom men, doch daran trugen weder Menschen noch Dogger die Schuld, sondern ein un heimliches Wesen namens SOMAR, das die Dogger unter Vorspiegelung falscher Tatsachen für seine Zwecke mißbraucht hatte. „Nicht, Cliff!" rief Arlene. McLane blieb stehen und blickte seine Lebensge fährtin an. „Willst du ihn töten?" fragte Arlene vorwurfsvoll. „Du weißt doch, daß Dogger von Bakterien oder Viren umgeworfen werden, die für uns Menschen harmlos sind, weil unser Immunsystem uns wirksam vor ihnen schützt." „Dieser Dogger trägt die Kleidung eines Druiden und spricht Keltisch. Folglich muß er längere Zeit unter Kelten gelebt haben - und hinsichtlich Hygiene sind unsere werten Vorfahren nicht gerade vorbildlich. Wir können ihm also nicht viel mehr Krankheitserreger anhängen, als er schon hat." Helga eilte an ihm vorbei, kniete ent schlossen neben dem Vertreter der seltsamsten Lebensform, dem die ORIONCrew bisher begegnet war. Es sei denn, die Grappos würden sich als noch seltsamer herausstellen. Dogger waren Produkte einer Dreiecks symbiose, an der jeweils zwei Vertreter einer tierischen Art und ein Vertreter einer pflanzlichen Art beteiligt waren. Sie wurden weder in Symbiose geboren noch vermochten sie sich als komplette Lebens gemeinschaft fortzupflanzen. Jede Art für sich verfügte über ungefähr die gleiche Intelligenz wie irdische Katzen oder Hunde; im Dreiecksverbund aber steigerte sich durch eine komplizierte Wechsel wirkung die Intelligenz bis ungefähr zur durchschnittlichen menschlichen Intelli genz. Helgas Medogerät mit seinem lei stungsfähigen Kleincomputer gab eine Reihe von Piepstönen von sich, während
von ihm flackerndes Licht in unterschied lichen Intervallen über den Körper des Doggers tanzte. Cliff und Arlene hockten sich neben die Funkerin der Orion X. Ge duldig warteten sie darauf, daß die Gefährtin die Untersuchung abschloß. Nach einigen Minuten erlosch das Flackerlicht. Dafür erschienen im Leseteil des Medogeräts eine Reihe von Worten. „Unser kleiner Doktor ist einigermaßen ratlos", erklärte Helga Legrelle. „Er stellt fest, daß der Patient nach seinen Speicher daten als Dogger eingestuft werden muß und daß die pflanzliche Komponente eine absinkende Vitalkurve aufweist, kann aber keine Ursache dafür und auch kein Mittel dagegen benennen." „Wenn er wenigstens sprechen könnte!" sagte Cliff. „Er hat gesprochen - Keltisch", sagte Arlene. Cliff McLane deutete auf das Innere der schalenförmigen Gesichtsmaske und klopfte mit der Kuppe des Zeigefingers leicht gegen eines von drei gleichförmigen schwarzen Erzeugnissen einer fortgeschrit tenen Technik. Die Gebilde glichen in der Form uralten Münzen mit zirka fünf Zentimetern Durchmesser und waren durch silberglänzende Leiter verbunden, die als zweidimensionale „Bündel" zu je zehn Stück ins Material der Maske eingepreßt worden waren. „Ich wette, daß wir hier etwas vor uns sehen, das in seinen Funktionen dem Licht-Schall-Wandler gleicht, den wir beim Kontakt mit den ersten Doggern in STERNENSTADT zusammenbastelten. Mit seiner Hilfe trat er bei den Kelten offenbar als Druide auf." „Vielleicht funktioniert die Sprechmaske nur, wenn man sie aufs Gesicht preßt", riet Helga. McLane schaltete seinen ArmbandDetektor ein und richtete den keilförmigen Meßkopf auf das „Gesicht" des Doggers. Nach einigen Sekunden nickte er.
„Er versucht zu sprechen. Jedenfalls sendet er mit einigen Wärmepunkten in seinem Gesicht modulierte Infrarotstrah lung aus. Leider liegt unser Licht-SchallWandler in der ORION .. ." „Und die ORION liegt auf dem Mond", warf Arlene ein. Helga nahm die Maske und legte sie behutsam mit der Innenfläche auf das „Gesicht" des Doggers. Cliff rief unterdes sen über das Armbandfunkgerät Argus an und forderte ihn auf, schnellstens nachzu kommen, damit er eventuelle keltische Worte des Doggers übersetzen könnte. Aber bevor der kleine Roboter ankam, sprachen die Geräte in der Druidenmaske an. Cliff, Helga und Arlene glaubten, so etwas wie „Cruptholcoatl" zu hören, aber sie waren sich keineswegs sicher. Und dann sagte Helga, die die Sensoren und Lichttaststrahlen des Medogeräts erneut auf den Dogger gerichtet hatte: „Er ist tot." Cliff nahm dem fremden Wesen die Maske ab und schaute auf das „Gesicht". Er stellte fest, daß die zahllosen Härchen sich nicht mehr bewegten. Zu seiner Verwunderung registrierte er bei sich Trauer. „Warum?" flüsterte er aufblickend. Und wieder wurde seine Frage verstan den, obwohl er doch ihren Inhalt nicht ausgesprochen hatte. Es war ein uraltes Phänomen, das sich keineswegs auf die ORION-Crew beschränkte: Menschen, die sehr lange Zeit zusammenleben und ge meinsam zahlreiche Krisensituationen bewältigen, sind psychisch so stark gleichgerichtet, daß sie, ohne es zu wollen, vielfach das gleiche fühlen und denken. „Weil wir fühlen, daß Materie, die sich ihrer eigenen Existenz bewußt ist und die die Fähigkeit besitzt, die Gesetze des Universums zu erkennen und sich ihrer zu bedienen, das Kostbarste ist, was es überhaupt gibt", sagte Arlene. „Ich danke dir, Frau Mayogah", schrillte
die Stimme von Argus. „Die Einsicht, daß ich das Kostbarste ..." „Sei still!" fuhr Cliff ihn wütend an. „Ein Bruder ist gestorben - und du reißt hier deine dummen Witze!" Argus stieß ein paar unartikulierte Töne aus. Seine Datenfenster blinkten aufgeregt. „Ich wußte nicht, daß der Fremde ge storben ist", sagte er nach einer Weile kläglich. „Du sagtest mir, ich sollte seine Worte übersetzen, Commander McLane." Cliffs Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommen war. Behutsam legte er die Druidenmaske wieder auf das „Gesicht" des Doggers, dann sagte er: „Ich schlage vor, wir bestatten ihn außerhalb des Steinkreises. Argus, du solltest mehr nachdenken, bevor du zuviel denkst. Aber vielleicht gelingt es dir, das einzige Wort zu übersetzen, von dem wir glauben, es verstanden zu haben." „Ihr Menschen seid sonderbare Wesen", meinte Argus. „Aber nur zu, Cliff McLa ne! Sage mir das keltische Wort, und ich werde es übersetzen!" „Cruptholcoatl", sagte Cliff und blickte Helga und Arlene fragend an. Die beiden Frauen nickten. „Cruptholcoatl", wiederholte der Daten roboter. „Das ist nicht keltisch, sondern eine Vorläuferform des Nahua, der Sprache des ehemaligen AztekenReiches." „Also wahrscheinlich ein Name. Viel leicht der Name eines Azteken-gotts, der auch bei den frühen Kelten oder zumindest bei ihren Druiden noch Geltung besaß", meinte Helga. „Wahrscheinlich werden wir es niemals erfahren", sagte Arlene. „Argus, faß mal mit an!" sagte Cliff McLane und schob seine Hände unter die Schultern des Doggers. „Wir sollten ihm seine Trommel mit ins Grab legen", warf Helga ein und bückte sich nach der einsaitig mit Schweinsfell bespannten und farbig bemalten Trommel
mit sich verjüngendem zylindrischen Körper, die neben dem toten Dogger lag. Sie wollte sie an der aus Leder ge flochtenen Schnur aufheben, die am Trommelzylinder befestigt war. Im nächsten Augenblick schrie sie überrascht auf. Arlene war im Nu bei ihr, aber Helga Legrelle benötigte keine Hilfe. „Ich kann sie schon tragen", meinte sie und schaute die Trommel an. „Ich war nur überrascht, weil sie nicht so schwer aussieht wie sie ist." „Einen Moment!" sagte Commander McLane und ließ den Oberkörper des toten Doggers wieder auf den Boden sinken. Nachdenklich ging er zu Helga, griff nach der Lederschnur und zog daran. „Mindestens zehn Kilogramm", stellte er fest. „Dem Aussehen nach dürfte es aber höchstens ein halbes Kilogramm sein." McLane nahm sein Mehrzweckmesser, stach es durch das Trommelfell und führte einen halben Kreisschnitt aus. Danach hob er das Fell an und blickte ins Innere der Trommel. Seine Miene wurde undurch sichtig, als er vorsichtig hineinlangte, etwas aus dem Innern der Trommel herauszog und auf den Boden legte. Die drei Menschen und der Roboter musterten das Gerät prüfend. Es sah gar nicht so schwer aus, wie es war. Im wesentlichen bestand es aus einem metallisch schimmernden Rahmen, der zu verraten schien, daß es irgendwo befestigt gewesen war, und einem Gebilde aus halb glasartig halb metallisch erscheinendem Material, das annähernd die Form eines gedrungenen Keiles mit drei zylindrischen und zwei kuppelförmigen Auswüchsen hatte. „Wie eine Kreuzung zwischen einem der alten Periskopsextanten von der Raumaka demie und einem geschrumpften Io noskop", stellte Helga sachlich fest. „Ein Ionoskop kann nicht schrumpfen, verehrte Frau Legrell", wandte Argus ein.
„Es dürfte weder das eine noch das andere sein", meinte Arlene. Abermals nahm Cliff das Gerät in die Hände, wog es prüfend und musterte es konzentriert von allen Seiten. „Zweifellos handelt es sich um das Produkt einer Technologie, die der unseren überlegen ist", sagte er. „Wahrscheinlich werden wir niemals herausbekommen, welchem Zweck es diente, aber ich schlage dennoch vor, daß wir es mitneh men." „Vielleicht ist es das, wonach die Grap pos mit ihrem Zeittunnel suchten", sagte Helga. Argus richtete seine Sensoren auf das Gerät. „Es ist von einer sechsdimensionalen Aura durchdrungen", stellte er fest. „Wahrscheinlich wäre es besser, wenn wir es vergraben würden", sagte Arlene. „Wenn es eine sechsdimensionale Aura besitzt, ist es möglicherweise etwas, womit die Zeit manipuliert werden kann und wenn ich mir vorstelle, daß einer von uns es versehentlich aktiviert..." „Auch mir ist nicht wohl bei dem Ge danken, das Ding mit mir herumschleppen zu müssen", erwiderte Cliff McLane. „Aber es würde mir noch weniger gefal len, wenn die Grappos es fänden." Er schob das Gerät wieder in den Trommel zylinder zurück, hob ihn auf und klemmte ihn sich unter den linken Arm. Danach schob er seine HM-4 ins Halfter zurück. Wortlos packten Arlene und Helga den toten Dogger an den Schultern, Argus ergriff seine Füße, dann verließen die Gefährten den Steinkreis von Stonehenge.
2. VERBANNUNG Kaum hatten die Gefährten die äußere Reihe der Monolithen hinter sich gelassen, blieben sie abrupt stehen. Die beiden Frauen und der Roboter legten den Dogger
behutsam ab. In der von niedrigem Gras bewachsenen Ebene unterhalb des Kulthügels bewegten sich die übrigen Mitglieder der ORIONCrew sowie die Admiralin und Harlan Gu stavson gemeinsam mit dem Grappo in komplizierten Linien umeinander. „Was machen sie denn da?" entfuhr es Helga Legrelle. „Sie versuchen, den Grappo einzu fangen", erwiderte Cliff und beobachtete, wie der Grappo spielerisch zur Seite auswich, als Mario ihm sein Nylonseil, aus dem er eine Art Lasso gemacht hatte, über den Körper werfen wollte. Bei seinem Ausweichmanöver kam der Grappo bis auf etwa fünf Meter an Atan heran, der ebenfalls ein provisiorisches Lasso schwang. Als die Seilschlinge auf ihn zuflog, wich er abermals aus - und schwebte bis auf zirka fünf Meter an Hasso Sigbjörnson heran. Diesmal wartete er nicht, bis der Ingenieur sein Lasso warf, sondern schwebte dicht über dem Boden auf Leandra de Ruyter zu, wich vor ihr aus und hielt rund zehn Meter vor Harlan Gustavson an. „Das sieht mir aber eher danach aus, als ob unsere Freunde und der Grappo miteinander spielen", meinte Helga. „Er arbeitet nach den Regeln einer psychologischen Testreihe", rief Argus aufgeregt. „Der Grappo versteht es dabei, den Testpersonen das Gefühl zu vermit teln, sie würden ihn einem Test unterzie hen." „Na, endlich!" sagte Cliff McLane. „Das beweist doch, daß zumindest dieser eine Invasor endlich gemerkt hat, daß wir Menschen intelligente Lebewesen sind." „Ich wette um ein Mikromodul, daß er es nicht gemerkt hat", erklärte der kleine Roboter. „Im Grunde genommen sind ja Menschen keine echten Intelligenzen." Er stieß einen schrillen Pfiff aus, als Cliff versuchte, ihn zu treten, bewegte sich in seinem unbeholfen wirkenden Wat
schelgang um den umgestürzten Monolit hen außerhalb des Steinkreises herum und streckte ziemlich abrupt die Arme nach beiden Seiten aus, um das Gleichgewicht zu erhalten, das dadurch bedroht war, daß sein linker Fuß in das Loch eines Wildka ninchenbaues geraten war. McLane konnte seine Verfolgung nicht rechtzeitig abbremsen. Eine Greifhand des Roboters schlug mit voller Wucht gegen die Druidentrommel und zertrümmerte den lederbespannten Holzzylinder. Cliff warf sich blitzschnell zur Seite und rettete dadurch mit großer Wahrschein lichkeit seine Füße, denn dort, wo sie vorher gestanden hatte, prallte das rund zehn Kilogramm schwere Gerät auf den felsigen Boden. Geistesgegenwärtig rollte sich McLane zurück und wälzte sich auf das Gerät. Es half nichts. Als der Commander den Kopf hob, um sich davon zu überzeugen, daß der Grappo nichts von dem seltsamen Gerät aus der Vergangenheit ahnte, merkte er sofort, wie sehr er sich geirrt hatte. Der Invasor war lautlos auf etwa hundert Meter Höhe gestiegen. An seinem Körper blinkten und funkelten zahlreiche farbige Flecken oder Linsen, fühlerartige Sensoren streckten sich und richteten sich auf die Stelle aus, an der Cliff McLane lag. „Also doch ein Roboter!" flüsterte Arlene Mayogah und sah besorgt zu Cliff. „Wenn er sich das Gerät holen will, laß es ihm, Cliff." Der Commander schüttelte den Kopf. „Zum ersten Mal will einer der In vasoren etwas Konkretes von einem Menschen. Das ist die Gelegenheit, auf die wir gewartet haben. Wenn der Grappo so intelligent ist, wie wir diese Wesen eingestuft haben, dann wird er Kontakt aufnehmen, um das zu bekommen, was er haben will." „Jetzt!" rief Helga Legrelle. Cliff sah, daß der Grappo seine Position
verließ und in seine Richtung schwebte. Das vielfarbige Leuchten aus den linsen ähnlichen Gebilden an seiner Körperober fläche wurde so stark, daß es das Wesen in eine bunte, pulsierende Aureole hüllte, die den Blick auf den eigentlichen Körper verdeckte. Leandra de Ruyter zog langsam ihre HM-4, entsicherte sie und stellte sie auf Betäubung. „Tun Sie es nicht, Chefin!" beschwor McLane seine direkte Vorgesetzte. „Wir wollen wenigstens versuchen, unsere Beziehungen zu anderen Intelligenzen ohne die Anwendung von Gewalt zu gestalten. Und bisher hat der Grappo keine Gewalt gegen uns angewendet." Zögernd senkte die Admiralin die Hand mit der Strahlwaffe. Aus halb zusammen gekniffenen Augen blickte sie auf den Grappo, der seine Geschwindigkeit erhöhte und anscheinend einen Zusam menprall mit Cliff McLane riskierte. Der Commander stand auf, aber er wich nicht aus. Das fremdartige Gerät mit beiden Händen festhaltend, blickte er dem Invasor entgegen. Der Grappo zögerte, als er die Hälfte der Entfernung zu McLane überwunden hatte. Ungefähr fünf Meter vor Cliff hielt er an und ließ sich bis dicht über den Boden sinken. Das vielfarbige Leuchten schwächte sich ab. Reglos verharrte das seltsame Wesen. Leandra de Ruyter seufzte, dann schob sie ihre Waffe wieder ins Halfter zurück. Argus hatte seinen Fuß aus dem Loch des Kaninchenbaues ziehen können, richtete sämtliche Antennen auf den Grappo und funkte ihn mit höchster Sendeleistung auf den Frequenzen aller Wellenbereiche, die die irdische Funk technik kannte, an. Gleichzeitig vollführ ten seine Datenfenster ein wahres Feuer werk an grellen Blinkeffekten. Der Grappo schien keine Notiz davon zu nehmen. Er startete unverhofft wieder, befand sich plötzlich dicht vor Ciiff und
raste wenige Zentimeter über den Kopf des Commanders hinweg. Cliff drehte sich um. Seine Lippen waren zusammengepreßt und seine Augen funkelten. Als er sah, daß der Grappo in ungefähr zwanzig Metern Entfernung stoppte und anfing, Pirouetten zu drehen, atmete er hörbar auf. „Beinahe hätte ich das Gerät vor Schreck fallengelassen", meinte er. „Wenn ich erschreckt wäre." „Das war beabsichtigt, Commander McLane", sagte Argus. „Und der Grappo wird nicht eher aufgeben, als bis er sein Ziel erreicht hat." * Piing! Etwas war auf den halbkugelförmigen „Kopf" des kleinen Datenroboters geprallt und als Querschläger davongewirbelt. Cliff sah dieses Etwas nicht, aber er sah, daß es einen reifen LöwenzahnSamenstand köpfte und eine Wolke von stabförmigen Samen hochschleuderte. „Er montiert offenbar ab", stellte Cliff McLane fest und meinte damit den Grappo, dessen Pirouette so rasant geworden war, daß man befürchten konnte, er würde sich in den Boden schrauben. Im nächsten Moment verging ihm das Lachen, denn etwas pfiff mit tödlicher Drohung dicht an seiner rechten Schläfe vorbei - und wieder kam es aus der Richtung des Grappos. „Was habe ich diesem Unhold bloß getan!" jammerte Argus. „Er hätte mir beinahe ein Datenfenster zerschmettert. Warum unternimmt niemand etwas gegen den Aggressor? Wozu habe ich Begleit schutz?" „Woraus soll dein Begleitschutz beste hen, du Jammerkreisel?" fragte Atan Shubashi, der als letzter zu der Gruppe aufschloß. „Du bildest dir doch nicht etwa
ein, wir wären deine Leibwächter!" Cliff sah, wie ein würfelförmiges, unge fähr faustgroßes Ding aus dem Wirbel flog, der alles war, was die Menschen von dem Grappo sahen. Es prallte bereits nach wenigen Metern auf den Boden, sprang mit sirrendem Geräusch von einem Kieselstein ab und blieb zirka fünf Schritte von Cliff entfernt liegen. Der Commander wollte sich diesen Fund nicht entgehen lassen. Er eilte darauf zu, stellte das seltsame Gerät des Doggers daneben und wollte nach dem Würfel greifen, als ihn ein Zuruf Marios warnte. Instinktiv begriff Cliff, worum es ging. Er ließ von dem Würfel ab, packte das Dogger-Gerät und zog sich darüber. Der Grappo, der bereits dicht über ihm schwebte, erzeugte ein hohles Brausen und schwebte unter schillernden Lichteffekten davon. Aber schon nach knapp hundert Metern hielt er wieder an. Cliff Allistair McLane stand auf, blickte zu dem Invasor hinüber und rief grimmig: „Du mußt mir schon in Worten sagen, was du von mir willst, du arroganter Fremdling! Beim Siebengestirn! Es wird sich doch eine akustische Verständigungs basis finden lassen!" „Vorausgesetzt, der Grappo hält eine akustische und differenzierte Verständi gung mit uns für möglich, Cliff McLane", warf Argus ein. „Ich fürchte, er kommt gar nicht auf diesen Gedanken, denn ich habe sein Verhalten analysiert." „Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen, Partner?" fragte Harlan Gustavson. „Das Verhalten des Grappos ist charak teristisch für ein Lebewesen, das etwas haben will, das sich im Besitz eines subintelligenten Lebewesens befindet", antwortete Argus mit seiner hohen Stimme. „Ein Mensch würde sich bei spielsweise einem Hund gegenüber ähnlich verhalten, wenn der Hund einen für den Menschen wertvollen Gegenstand
im Maul hält. Er würde auch versuchen, ihn so zu erschrecken, daß er den be wußten Gegenstand fallenläßt - und, sollte das nicht funktionieren, wirft er ihm andere Gegenstände als Köder hin, weil er weiß, daß der Hund den von ihm begehr ten Gegenstand fallenlassen muß, bevor er den neuen Gegenstand aufnehmen kann." „Ich würde mit dem Hund reden", mein te Cliff. „Deine entsprechende Motivation wäre rein emotional bedingt, McLane", sagte Argus. „Ein echt intelligentes Wesen dagegen kennt emotional bedingte Motivationen nur in extremen Ausnahme situationen." Bevor Cliff etwas darauf erwidern konnte, näherte sich der Grappo abermals. Diesmal schwebte er im Fußgängertempo heran, hielt ungefähr drei Schritte vor McLane an und blinkte abwechselnd mit irgendwelchen Linsengebilden auf der ei nen und auf der anderen Körperhälfte. Abermals sah Cliff, daß die Außenfläche eines Grappos zwar metallisch glitzerte, aber offenbar doch nicht aus Metall oder Metallplastik bestand. Zweifellos aber bestand es auch nicht aus organischer Materie. Möglicherweise handelte es sich um eine Art Schutzanzug. Die andere Möglichkeit, daß die Grap pos Roboter sein könnten, glaubte Cliff McLane ausschließen zu können. Er nahm nämlich an, daß Argus in der Lage gewesen wäre, eine solche Verwandtschaft festzustellen und sich dem Grappo als „Artgenosse" zu erkennen zu geben. Er sah, daß Hasso Sigbjörnson sich langsam von links nach rechts schob, hinter Leandra de Ruyter, die auf gleicher Höhe mit dem Grappo links von ihm stand, stehenblieb und dort verstohlen gestikulierte. Zuerst wunderte sich McLane über dieses Verhalten, dann begriff er, was der Ingenieur damit beabsichtigte. Er nickte ihm zu - und fing sofort damit an, das
Spiel Hassos mitzuspielen. Das fiel ihm um so leichter, als der Grappo soeben einen weiteren Versuch unternahm, ihn zur Herausgabe des Dogger-Geräts zu verleiten, indem er mit einem Greifwerkzeug etetwas aus seiner Körpermitte herauszog und es auf den Boden legte. „Ein Kreditkartenabtaster!" entfuhr es Atan. „Irdisches Fabrikat", ergänzte Mario. „Der Bursche muß ihn irgendwo geklaut haben." „Nicht nur das", stellte Helga fest. „Ich sehe beispielsweise das Druck begrenzungsventil eines Stratoliners. Anscheinend können die Grappos alle möglichen technischen Dinge in sich integrieren." „Wenn sie nicht zu groß sind", sagte McLane und trat einen Schritt auf den Grappo zu. Dadurch stand er mit den Füßen nur noch einen halben Meter von dem stabförmigen Kreditkartenabtaster entfernt. Er bückte sich und tat so, als wollte er das Dogger-Gerät ablegen und nach dem Kreditkartenabtaster greifen. Dabei beobachtete er aufmerksam den Bordinge nieur der ORION. Hasso Sigbjörnson schlenderte scheinbar absichtslos aus seiner Sichtdeckung hinter der Admiralin in den „Rücken" des Grappos. Nach kurzem Zögern griff er mit beiden Händen nach einem aus der Mitte des Fremden herausragenden Gegenstand. Im nächsten Augenblick öffnete er den Mund zu einem Schrei, der niemals über seine Lippen kam. Seine Hände ließen den aus dem Grappo ragenden Gegenstand los und fuhren an seine Brust, dann knickte Hasso im Zeitlupentempo zusammen. Der Grappo schwebte einige Meter zur Seite, dann schleuderte er den Gegenstand, den Hasso berührt hatte, in Cliffs Rich tung. Der Gegenstand fiel ins Gras vor Cliff McLanes Füßen, aber der Comman
der beobachtete ihn nicht, sondern blickte fassungslos auf Sigbjörnson, der of fensichtlich an einem Herzschlag ge storben war... * Niemand sagte etwas. Dafür stürzten Helga Legrelle und Leandra de Ruyter gleichzeitig zu Hasso, der reglos und mit halb geöffnetem Mund im Gras lag. Während Leandra die Raumkombination Sigbjörnsons über der Burst aufriß und das Unterzeug mit ihrem Mehrzweckmesser zerfetzte, ließ Helga die Taststrahlen des Medo-Geräts über Kopf und Oberkörper des Ingenieurs fahren. „Herzstillstand!" sagte sie nach wenigen Sekunden, während sie das Medo-Gerät zur Seite legte und nach ihrer Erste-HilfeTasche griff. „Wahrscheinlich durch einen starken Stromstoß." Cliff McLane sah erst jetzt, daß auch er neben Hasso Sigbjörnson kniete. Er wußte nicht mehr, wie er dorthin gekommen war. Alle Mitglieder der ORION-Crew umring ten den Ingenieur. Cliff wollte es nicht wahrhaben, daß der alte Freund und Weggefährte klinisch tot war - und doch wußte er es. Aber auch er verlor nicht die Nerven. Seine Hände umklammerten nach wie vor das rätselhafte Gerät, das der tote Dogger aus der Vergangenheit in die Gegenwart gebracht hatte - aus welchen Gründen auch immer. Er war kurz darauf gestorben. Und auch Hassos Tod stand im Zusammenhang mit diesem Gerät. Helga Legrelle schraubte den Düsenkopf vom Medo-Injektor und ersetzte ihn durch ein Fertig-Spritzbesteck mit langer dünner Nadel aus Hochvakuum-Edelstahl. Unwillkürlich preßte Cliff die Lippen zusammen, als Helga die Hand mit dem Medo-Injektor hob und dann die Nadel kraftvoll bis zum Anschlag in Hassos
Brust rammte. Im nächsten Moment zischte das Medikament in Hassos Herzmuskel. Helga zog die Nadel zeraus, legte den Medo-Injektor zur Seite und wollte künstliche Atmung durchführen, aber Mario de Monti zog sie sanft weg. Unterdessen hatte Leandra de Ruyter ihre Raumkombination ausgezogen und zusammengerollt unter Hassos Rücken gelegt. Danach zog sie seine Zunge heraus, befestigte sie am Unterkiefer und drehte seinen Kopf zur Seite. Mario nickte ihr dankbar zu, dann drehte er Hasso auf die rechte Seite und legte einen Arm unter den Kopf. Mit dem Arm der oben liegenden Seite wandte er die Beatmungstechnik an, die durch ihre Druckbewegungen gleichzeitig das Herz massierte. Es verging ungefähr eine halbe Minute, dann hob und senkte sich die Brust Hasso Sigbjörnsons von selbst - und wenig später schlug der Ingenieur die Augen auf. Cliff ertappte sich dabei, daß seine Augen sich mit Tränen füllten. Er wollte sie verstohlen wegwischen, als er sah, daß seine Gefährten und Freunde ungehemmt weinten. Nur Leandra de Ruyter nicht! Besorgt schaute McLane hoch - und sah, wie die Admiralin wie in Trance auf den Grappo zuging, der langsam zurückwich, als empfände er die Annäherung als lästig. „Chefin!" rief Cliff. Die Admiralin schien ihn nicht zu hören. Anscheinend war für sie zur Zeit außer dem Grappo nichts vor handen. Cliff McLane sprang auf. Er verstand, welche Gefühle Leandra de Ruyter bewegten. Der Grappo hatte brutal auf die Berührung durch einen Menschen reagiert. Hasso Sigbjörnson war wie ein lästiges Insekt getötet worden. Doch das bedeutete keineswegs, daß der Grappo grausam war, wie Leandra in ihrem Gefühlssturm offenbar glaubte. Der Grappo hatte ja nicht angegriffen - und er war offensichtlich nicht in der Lage, die
Menschen als intelligente Wesen einzu stufen. Etwas stimmt mit den Grappos nicht! erkannte Cliff in diesen Sekunden. Ihre Intelligenz mag viel höher als die von uns Menschen sein, sie mögen aus einer Zivilisation kommen, gegen die die menschliche nicht höher entwickelt ist als ein Termitenstaat. Aber alles das hat auch auf die Föderation der Inselstaaten zu getroffen - und doch waren ihre Mitglieder in der Lage, Menschen als Vertreter einer intelligenten Art einzustufen. Und sie hatten zu ihrer Zeit dafür gesorgt, daß die Angehörigen unterentwickelter Zivilisati onen vor den Gefahren des gewaltigen Schwarzloch-Transit-Systems der Födera tion bewahrt und behutsam an die Er kenntnisse und Erzeugnisse einer haus hoch überlegenen Zivilisation herange führt wurden. Dazu hatten Toleranz und Einfüh lungsvermögen gehört - und genau das fehlte den Grappos. Das alles ging Cliff blitzartig durch den Kopf, während er das Dogger-Gerät fallenließ und auf Leandra de Ruyter zulief. Er wollte sie vor einer Unbeson nenheit bewahren. Aber er kam zu spät. Die Admiralin hatte ihre HM-4 gezogen und gefeuert, bevor er sie erreichte. In dem Augenblick, als der scharf gebündelte Hochenergielaserstrahl im Ziel einschlug, erinnerte sich Cliff daran, daß Leandra de Ruyter ihre HM-4 von Betäuben wieder auf Zerstören geschaltet hatte, bevor sie sie ins Halfter zurückschob - und jetzt hatte sie keine Schaltung vorgenommen. Die Wirkung war augenblicklich zu erkennen, aber sie fiel ganz anders aus, als Cliff McLane befürchtet hatte. Der Grappo wurde überhaupt nicht von dem Laserstrahl erreicht. Vielmehr sah es so aus, als endete der Energiestrahl wenige Zentimeter vor dem Invasor und als stünde der Grappo hinter einer wildbewegten
Wasserwand. Ein Schutzschirm? Cliff sprang und riß die Admiralin zu Boden. Aus den Augenwinkeln heraus sah er im Stürzen, daß der Grappo unbeschädigt auswich, dann senkrecht emporstieg und sich aus zirka fünfzig Metern Höhe einfach auf die Stelle fallenließ, an der die übrigen Mitglieder der Crew sowie das Team Hargus und Argus noch um Hasso Sigbjörnson herumstanden. Nein! wollte Cliff schreien, als die Freunde und Gefährten nach allen Seiten davonstoben und dabei zwar Hasso, nicht aber das Dogger-Gerät mitnahmen. Aber er brachte keinen Ton heraus, weil Leandra de Ruyter ihm ihre Handkante auf die Nase schlug. Durch ein buntes Sternengefunkel hin durch sah Cliff Allistair McLane, wie die Admiralin abermals schoß - und er sah, daß der Hochenergielaserstrahl den Grappo erreichte, als er dicht hinter dem Gerät landete. Erneut sah es aus, als stünde der Grappo hinter einer wildbewegten Wasserwand. Aber diese „Wand" erfaßte diesmal das Dogger-Gerät, das sich schlagartig hinter einer kugelförmigen Energiewand verbarg. Der Grappo gestiulierte wild. Er schien begriffen zu haben, daß er es mit intelli genten Wesen zu tun hatte. Wäre Leandra de Ruyter nicht so erregt gewesen, hätte sie verstehen müssen, was er ihr mitteilen wollte. So aber feuerte sie verbissen weiter. Die Energiekugel, in der sich das Gerät verbarg, zog sich zusammen und wurde undurchsichtig, dann schlug von ihr eine Art Lichtbogen zu dem Grappo über. Für die Menschen war nur für Bruchteile einer Sekunde ein blendendheller Blitz zu sehen. Als Cliffs Augen sich von der Blendung erholten, sah er voller Entsetzen, wie der Grappo gleich einer langsam erlöschenden Bildprojektion immer mehr verblaßte und schließlich spurlos verschwand ...
* Die Admiralin feuerte in blinder Wut noch immer auf die Stelle, an der der Grappo geschwebt hatte. Das DoggerGerät wurde wieder sichtbar, als die kugelförmige Energiewand erlosch. Endlich raffte sich Cliff McLane auf, packte mit einer Hand den Lauf von Leandras HM-4 und hieb die andere Hand kräftig auf das rechte Handgelenk der Admiralin. Leandras Finger spreizten sich, und die HM-4 blieb in Cliffs Hand. Langsam näherten sich die Freunde und Gefährten. Sie bildeten einen Kreis um den Commander und die Admiralin, der in Richtung des unheimlichen Geräts eine Lücke aufwies. Leandra de Ruyter seufzte. Sie hatte zu sich selbst zurückgefunden. Schuldbewußt blickte sie McLane an. „Es tut mir leid, daß ich die Beherr schung verloren hatte, Cliff", sagte sie. „Aber ich war außer mir, weil der Grappo sich Hasso so brutal vom Leibe gehalten hatte. Dennoch ist das keine Entschuldi gung. Ich habe, in meiner Eigenschaft als Verantwortliche der Terrestischen RaumAufklärungs-Verbände, eine krasse Fehlentscheidung getroffen und werde die erforderlichen Konsequenzen daraus ziehen." Hasso Sigbjörnson schüttelte den Kopf. Er konnte bereits wieder auf eigenen Füßen stehen. „Sie haben in Ihrer Eigenschaft als Mitmensch gehandelt, Admiralin" erwiderte er. „Sicher war Ihr Vorgehen ein Fehler, aber es war auch menschlich verständlich." McLane nickte. „Hasso hat recht, Chefin", erklärte er. „Also Schwamm darüber. Außerdem ist noch nicht gesagt, daß der Grappo getötet wurde. Wir alle haben lediglich gesehen, daß seine Wahrnehmbarkeit abnahm."
„Das betrifft aber nur seine optische Wahrnehmbarkeit, Commander McLane!" rief Argus schrill. „Ich sage euch, daß der Grappo nicht verschwunden ist, sondern sich verwandelt hat - und zwar in eine Art siebendimensionaler Trägerwelle." „Was ist eine siebendimensionale Trä gerwelle?" wollte Helga Legrelle wissen. „Das kann ich dir nicht erklären, Frau Legrelle", sagte Argus. „Es hat nichts mit den Trägerfrequenzen zu tun, die zu deinem Fachgebiet gehören, sondern gehört in einen Bereich, den ein hypotheti scher Bewohner des Hyperraumes einen Hyperbereich nennen würde. Für uns ist so etwas nicht wahrnehmbar. Sogar ich habe die siebendimensionale Trägerwelle nur aus anderen Effekten berechnet." Cliff McLane blickte sich unbehaglich um und meinte: „Ich denke, wir sollten, anstatt uns weise Vorträge anzuhören, lieber aus dieser Gegend verschwinden, bevor weitere Grappos hier auftauchen. Mit den Flugag gregaten ..." „Kommen wir keinen Meter weit", fiel ihm Mario ins Wort. „Mir fiel vorhin ein, daß die Aufheizelemente der Aggregate nicht arbeiten, weil auf der Erde seit Beginn der Invasion keine Kernfusions prozesse mehr ablaufen - und die Aufheiz elemente arbeiten mit Kernfusionsener gie." „Dann gehen wir zu Fuß!" sagte Atan und blickte nachdenklich auf den Dogger. „Vorher aber sollten wir vielleicht diesen armen Kerl bestatten - und ihm seinen Apparat ins Grab legen. Ich bin der Meinung, daß wir weder ihn noch das Gerät den Grappos überlassen dürfen." „Wenn ich könnte, würde ich das Gerät zerstören", sagte Cliff finster. „Nicht genug, daß es wahrscheinlich am Tod des Doggers und teilweise am Tod des Grappos schuld ist - wer weiß, was die anderen Grappos damit anstellen, wenn sie es in die Finger bekommen."
„Menschen!" sagte Argus verächtlich. „Was sie nicht begreifen, wollen sie zerstören. Ich halte es für sehr wahrschein lich, daß das Gerät etwas sehr Wertvolles ist." „Wohl kaum für die Menschheit", gab Arlene zurück. „Da, es geht schon los!" sagte Cliff. „Los, wir vergraben den Dogger und sein Gerät dort hinten im Wald!" Gemeinsam mit Mario de Monti, Atan Shubashi und Harlan Gustavson hoben sie den Leichnam des Doggers auf und trugen ihn durch den Steinkreis hindurch, während in der Ebene nach dem ersten Grappo weitere Invasoren materialisierten. Argus hatte das Gerät mit beiden Grei forgangen gepackt und trug es hinterher. Dabei gab er ständig piepsende und quietschende Laute von sich. Wie McLane gehofft hatte, gab es in dem Waldstück lockeren Boden und zahlreiche Vertiefungen. In eine der größeren Vertiefungen wurde der Dogger gelegt. Das Gerät kam vor seine Füße. Danach „schaufelten" die Raumfahrer und ihre Gefährten mit Messern, bloßen Händen und kräftigen Ästen steinige Erde und Laub darüber, bis die Bodenvertiefung nicht mehr zu sehen war. Zuletzt streute Mario eine Lage trockenen Laubes darauf. Anschließend kehrten sie alle in den Steinkreis zurück, um die Grappos, die inzwischen auf zirka tausend Individuen angewachsen waren, nicht unnötig auf das Versteck des Geräts aufmerksam zu machen. Als ungefähr zwanzig sich äußerlich gleichende Grappos aus einer Formation ausbrachen und auf den Steinkreis zuschwebten, drängten sich die Menschen und der Roboter eng zusammen, als könnten sie in der Geborgenheit ihrer Gemeinschaft Schutz vor jeder Bedrohung finden. „Ob sie uns bestrafen wollen?" flüsterte Arlene an Cliffs Seite und griff nach der
Hand des Geliebten. „Es sieht eher danach aus, als wollten sie uns wieder einmal durch einen Überraum zu einem anderen Ort befördern", meinte der Commander. „Wir sind ihnen lästig geworden", bemerkte Argus. „Sozusagen sind wir ihnen für ihren Geschmack zu lange auf bloßliegenden Nerven herumgetreten." „So etwas ist für die ORION-Crew ja Routine", ließ sich Leandra de Ruyter vernehmen. „He, Hasso, Sie sind ja ganz zittrig! Halten Sie sich an mir fest, sonst kippen Sie noch um!" „Ihr Befehl ist mein Wunsch, Ad miralin", erwiderte Hasso Sigbjörnson. Er legte einen Arm um die Schultern Leand ras und lächelte dabei zufrieden, obwohl die Blässe seines Gesichts verriet, daß er sich tatsächlich noch sehr schwach fühlte. Die zwanzig Invasoren schienen durch sichtig zu werden, doch ihr Aussehen stabilisierte sich wieder. „Das ist das Vorspiel", bemerkte Mario de Monti. ..Genauso haben wir es schon einmal erlebt, bevor wir von Paris nach Stonehenge befördert wurden." Abermals schienen die Grappos durch sichtig zu werden. Aber im Unterschied zum letzten „Beförderungsvorgang" verschwanden sie diesmal nicht, sondern verwandelten sich lediglich in scharf umrissene schwarze Schatten, deren Ränder goldfarben glühten. Mit fauchendem Geräusch kon densierten winzige leuchtende Partikel in der Luft. Sie drehten sich wie rasend um einen gemeinsamen Mittelpunkt. Nach kurzer Zeit hatte sich aus ihnen ein linsenförmiger silbrig leuchtender Wirbel gebildet, der sich rasend schnell zu einem Trichter zusammendrehte. Und das Innere dieses Trichters schien die Menschen, den Roboter und die zwanzig Grappos aufzusaugen ...
3. DURCH RAUM UND ZEIT Es war anders als beim erstenmal! Cliff Allistair McLane sah die Grappos und die Gefährten verschwimmen und bereitete sich auf eine längere Zeit des Treibens im Unbekannten vor. Doch plötzlich löste sich die silbrig schimmernde Linse auf. Helles Licht fiel von allen Seiten auf den Commander - und auf die Gefährten, die wie Cliff in der Luft zu schweben schienen. Im ersten Moment dachte Cliff, daß auch die zwanzig Grappos da wären. Aber das war eine optische Täuschung. Nur die Ränder ihrer Konturen glommen noch eine Weile rotgolden, dann wurden sie Erinne rung. Der Commander kämpfte erfolgreich gegen die Illusion des Fallens an, die vom Fehlen jeglicher fester Materie unter und über ihm hervorgerufen wurde. Mit behutsamen Arm- und Beinbewegungen lotete er seine Möglichkeiten aus, sich zu bewegen. Er stellte fest, daß er schwerelos war, sich aber dennoch nicht beliebig fortbewegen konnte. Vielmehr stand ihm nur ein Freiraum von zirka zwanzig Metern Durchmesser und von Kugelform zur Verfügung. Es gab keine sichtbare Grenze, aber niemand vermochte den Freiraum zu verlassen. Und hinter dem Freiraum lag in unbe stimmbarer Entfernung etwas, das wie die Wandung einer Energieblase aussah ... „Wie in der Wachboje!" sagte Mario de Monti. „Eine Blase aus passiver bezie hungsweise erstarrter Energie", sagte Atan Shubashi laut zu sich selbst und beschwor die Erinnerungen an die Erlebnisse der Crew im Kugelsternhaufen M3. „Die Einfangkomponente eines gigantischen Sicherheitssystems, das verhindern sollte, daß Raumfahrer sogenannter Entwick lungszivilisationen zu nahe an die gefähr lichen Gezeitenkräfte eines Transitpunkts
gerieten." „Damit fing alles an", sagte Hasso Sigbjörnson leise. „Das Ende erleben wir jetzt." „Dreihundertfünfzigtausend Kilometer", warf Arlene ein. „Das war der Durchmes ser der Wachboje. Hier scheinen wir es mit einer erheblich kleineren Energieblase zu tun zu haben." „Sie durchmißt rund einen Kilometer", erklärte Argus. „Ich habe es ausgemessen. Aber die Wandung der Energieblase ist alles andere als passiv. Sie wird ständig von verschiedenen Energieformen durchströmt." „Ein Kilometer!" erwiderte Cliff Al listair McLane bedeutungsvoll. „Das ist der Durchmesser, der von Hassan Shamyl für die Energieblasen angegeben worden war, mit denen die Invasion der Grappos anfing." Er wurde blaß, als er an die ganze Palette der Folgerungen dachte, die sich aus dieser Tatsache ergeben konnten. Immerhin schienen diese Energieblasen auf noch unbekannte Weise dem Transport von Invasoren und Nachschub auf die Erde zu dienen -und folglich konnte von ihnen auch etwas in umgekehrter Richtung transportiert werden ... Cliffs Gedanken eilten zu Han Tsu-Gol und den anderen Menschen, die auf dem Saturnmond Titan ausharrten und darauf warteten, daß die ORION-Crew wieder einmal ein Wunder vollbrachte. Diesmal würden sie vergebens warten. Auch die ORION-Crew vermochte kein Wunder zu vollbringen, wenn ihr dazu die notwendigen Voraussetzungen fehlten. Sie besaß nicht einmal die Spur einer Mög lichkeit, sich aus eigener Kraft aus der Energieblase zu befreien, in die die Grappos sie befördert hatten. Möglicherweise ließen die Invasoren sie hier einfach „hängen", dann konnten sie ihnen jedenfalls nicht noch einmal in die Quere kommen. „Immerhin sind wir bisher die einzigen
Menschen, die von den Grappos beachtet werden", sagte Cliff laut. „Das Gerüst der Energieblase ist sechs dimensional", sagte Argus. „Eine der eingefügten Komponenten könnte in der Lage sein, die Hochenergie-Blockade auf der Erde zu verursachen." „Hochenergie-Blockade?" fragte Harlan Gustavson verwundert. „Richtig!" erwiderte der kleine Roboter. „Meinst du damit die Blockierung aller Kernverschmelzungsund MAMProzesse?" fragte Hasso Sigbjörnson. „MAM-Prozesse?" echote Argus. „Materie-Anti-Materie-Prozesse", er klärte der Ingenieur. „Dann bejahe ich deine Frage, Herr Sigbjörnson", sagte Argus. Marios rechte Hand fuhr an eine Gürtel tasche seiner Raumkombination. „Diese Energieblasen machen also die Menschheit wehrlos gegen die Invasoren!" stieß er aufgebracht hervor. „Wenn wir im Innern eine Mikro-Atombombe ..." Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Ich bin ein Esel! Es kann ja nicht funktionieren, wenn die Blasen die Hochenergie-Blockade verursachen." „Nicht in ihrem Innern", sagte Argus. „Sonst funktionierten die Blasen nämlich nicht, Herr de Monti. Ich würde dennoch an deiner Stelle nicht mit Atombomben spielen. Das Ding würde uns zerfetzen, die Blase aber kaum beeinträchtigen, da die Entfernung bis zur Wandung fünfhundert Meter beträgt, der Wirkungsradius der Mikrobombe dagegen nur sechzig Meter." Mario schüttelte den Kopf. „Das hätte ich schon nicht getan, du Datenfresser. Es war nur ein erster impulsiver Gedanke." Seine Augen weiteten sich. „Hört ihr das auch?" flüsterte er. Niemand antwortete. Auch Cliff McLa ne nicht, denn er war viel zu fasziniert von dem eigenartigen Raunen, das er zu hören
glaubte. Er spürte bald, daß er es nicht mit den Ohren hörte, sondern direkt in seinem Bewußtsein empfing. Es war, als flüsterten zahlreiche andere Bewußtseine miteinander, fremde Bewußt seine und dennoch verwandt, wie Cliff intuitiv erkannte. Allerdings vermochte er nicht zu verste hen, worüber die anderen Bewußtseine miteinander raunten. Das erschien ihm aber im Augenblick unwichtig, denn das, was er verstanden beziehungsweise begriffen hatte, war ihm wichtiger als der Inhalt der Kommunikation der Fremden. Er hatte begriffen, daß die Invasoren trotz ihrer Andersartigkeit etwas mit den Menschen gemeinsam hatten, etwas, das vielleicht die Möglichkeit des Brücken schlags zwischen weit voneinander entfernten Zivilisationen in sich barg. Arlene seufzte tief. Cliff erwachte aus seiner Art Trance. Er erkannte, daß das Raunen verstummt war. Und er sah, daß die Wandung der Blase heftig pulsierte. Er wollte etwas sagen, doch bevor er den Mund aufmachte, schien die Blase sich bis zu ihrem Mittel punkt zusammenzuziehen und wieder auszudehnen, aber da war es bereits keine Energieblase mehr, sondern eine Art Transportfeld, das in dem Augenblick er losch, in dem die „Passagiere" ihr erstes Ziel erreicht hatten. * „Achtung, Gefahr!" schrie Argus und hastete über rötlich schimmernden Stahl auf seinen Partner zu, um ihn zu beschüt zen. Leandra de Ruyter griff nach ihrer Waffe - aber sie zögerte, den Blick auf die Raumfahrer der ORION gerichtet, die keine Anstalten trafen, ihre Strahlwaffen zu ziehen. „Die Kontrollwand!" flüsterte Arlene Mayogah und schaute auf eine Wand aus
dunklem Material, die aus scheinbar großer Entfernung langsam auf die Menschen und den Roboter zuglitt. Die riesige Wand bewegte sich dabei über einen anscheinend bodenlosen Abgrund, in dem ein hellblauer Lichtkreis mitten in violetter Dämmerung schwebte. Und auf der Wand glühten komplizierte Muster von Sensorpunkten in rund dreihundert verschiedenen Farbschattie rungen. „Es ist wie in Dyson-Land!" sagte Mario de Monti. „Wie in der Halle mit dem Hilfsinstrument für Primitive, die die Bedienung des eigentlichen Instruments niemals erlernen können." „Die Primitiven waren wir", sagte Cliff zu Leandra de Ruyter. „Aber man kann doch alles erlernen, wenn man die nötigen Anweisungen erhält", meinte die Admiralin. „Keineswegs, Chefin", sagte Mario sachlich. „Es gibt Dinge, die das Be griffsvermögen von Menschen über steigen." Er wandte sich an Argus und sagte ironisch: „Ich werde dir erklären, wie man diese Kontrollwand eines Haltepunkts bedient, du Blechbüchse - und ich hoffe, daß du meine Erklärungen nicht nur verstehst, sondern auch praktisch anwenden kannst." „Lassen Sie diese Mätzchen, de Monti!" sagte die Admiralin im Befehlston. „Wir müssen uns auf eine einzige Aufgabe konzentrieren, nämlich auf die, aus der Gewalt der Grappos zu entkommen. Und wenn das hier einer dieser mysteriösen Haltepunkte der Föderation ist, dann schalten Sie die Kontrollen so, daß wir in einen anderen Haltepunkt kommen - egal, in welchen!" Der Kybernetiker nickte. „Ich werde es versuchen, Chefin. Bitte, stört mich in den nächsten Minuten nicht, denn es gehört vor allem eine ungeheure geistige Kon zentration dazu, die Kontrollwand zu ver
anlassen, erst einmal die Realvision der Haltepunkt-Übersicht in mein Bewußtsein einzuspielen. Noch größere Konzentration gehört zur geistigen Aufnahme des Reflexkodes und zur Aktivierung des Transportvorgangs." „Scharlatanerie!" zeterte Argus und blinkte empört mit seinen Datenfenstern. „Geistige Konzentration kann niemals fundiertes Sachwissen ersetzen!" „Wem die Trauben zu hoch hängen, der nennt sie sauer", erklärte Arlene. „Von geistiger Verinnerlichung und Konzentra tion hältst du doch nur deshalb nichts, weil dir beides verschlossen ist. Und was das ,fundierte Sachwissen' angeht, so ist es bei denen, die in der Schwarzen Pyramide von Dyson-Land dabei waren, die Grundlage für eine zielgerichtete Konzentration. Diese Sensorpunkte hier dienen dabei nur als Konzentrationshilfe." Argus schwang summend die Arme. „Menschliche Überheblichkeit!" schimpfte er. „Aber ihr sollt ruhig sehen, wie ihr künftig ohne mich auskommt. Ich will nicht länger unter euch leben." „Argus!" rief Harlan Gustavson er schrocken. „Nichts bringt mich von meinem Ent schluß ab, auch Ihr Flehen nicht, Harlan." Er ging mit seinen kurzen Schritten auf den Rand des Abgrunds zwischen der terrassenartigen Plattform aus rötlich schimmerndem Stahl und der langsam heranschwebenden Kontrollwand zu - und er hatte sein Tempo so genau mit dem Tempo der Kontrollwand abgestimmt, daß der Spalt sich in dem Augenblick schloß, als er den Rand der Plattform erreichte. „Die Schicksalsmächte haben ge sprochen", sagte Argus. „Es sollte nicht sein." „Die Götter wollten ihn nicht haben, denn sie brauchen ihre Nerven noch", scherzte Atan. „Ergieße nur deinen Spott über...!" sagte Argus und unterbrach sich, als das
Leuchten über der Stahlterrasse sich verstärkte und auch das erhellte, was bisher jenseits des Lichtkreises ringsum gelegen hatte. Helga Legrelle schrie unterdrückt auf, doch dann faßte sie sich wieder und winkte die Freunde und Gefährten zu sich heran. Schließlich standen sie alle beisammen und blickten auf die Verlängerung der Terrasse, die erst durch die stärkere Ausleuchtung sichtbar geworden war. Dort lagen, vermischt mit Kleidungsund Ausrüstungsstücken, die Knochen mehrerer menschlicher Skelette und daneben fünf zylindrische Stäbe aus silbrig schimmerndem halbdurchsichtigen Material, über die jeweils ein Ring gestreift war. „Atlantis!" entfuhr es Atan Shubashi. „Was meinen Sie, Atan?" fragte Leandra de Ruyter verwundert. „Er meint, daß das die Überreste von atlantischen Kriegern sind", sagte Cliff. „Wir kämpften gegen Männer aus Mu, die genauso gekleidet waren und die gleichen Waffen trugen, deren Wirkung übrigens auf einem Antimaterieeffekt beruht. Das war während der Amnesie, als wir bei der Verfolgung von Atlantern, die ein terrest risches Raumschiff geraubt hatten, in die unterirdische Bastion der Könige von Mu gerieten." „Ich habe den Bericht gelesen", sagte die Admiralin. „Aber wie kommen die Skelette von Atlantern hierher - in einen Haltepunkt der Föderation, die doch längst vor der Entstehung der atlantischen Kultur untergegangen sein dürfte?" „Neugier", warf Hasso ein. „Die Atlan ter werden neugierig gewesen sein, so wie beispielsweise die Raumfahrer einer gewissen ORION." Cliff hob eine der stabförmigen Waffen auf. Aufmerksam musterte er die Stelle, durch die eigentlich jener geheimnisvolle Kristall hätte schimmern müssen, dessen
Strahlung die Atome der getroffenen Ma terie in Antimaterie umwandelte, wodurch sie mit den Atomen der umliegenden Materie explosiv reagierte. Solche Waffen waren damals gegen die ORION-Crew eingesetzt worden. Glückli cherweise erfolgte die sogenannte Trans mutation der Materie nicht so schnell, daß ein Treffer tödlich gewesen wäre. Dazu hätte der Transmut-Strahl mehrere Sekunden lang die gleiche Stelle treffen müssen. „Ich sehe keinen Kristall", sagte der Commander. Er richtete die Abstrahlmün dung der Waffe auf die Stahlterrasse, etwa fünf Meter von ihm und den Gefährten entfernt, dann drückte er auf den Ring, mit dem der Kristall zur Strahlung angeregt werden sollte. Nichts geschah. „Wahr scheinlich wurde der Kristall entfernt", meinte Cliff. Mario hatte unterdessen die übrigen vier Waffen untersucht. „Hier sind ebenfalls keine Kristalle zu sehen", erklärte er. „Aber die Ausrüstung ist eindeutig die von Atlantern." „Mit einem Unterschied", sagte Arlene. „Diese Atlanter tragen keine Schutz schirmprojektoren." „Man wird sie ihnen abgenommen haben", sagte Harlan Gustavson. „Wie ich sehe, sind die Atlanter nicht alle auf diesem kleinen Fleck gestorben. Vielmehr hat jemand, als die Verwesung und Verrottung abgeschlossen war, sie dort zusammengeschoben." Leandra nickte. „Die ersten Grappos, die hier ankamen, haben die Skelette wahrscheinlich dort vorgefunden, wo sie ihnen im Wege lagen: direkt vor der Kontrollwand. Sie werden sie zur Seite geschoben haben." „Die Grappos sind also zweifellos genau wie wir in der Lage, dieses Hilfsinstru ment zu bedienen", sagte McLane. „Ich frage mich, ob die Atlanter sich auch damit auskannten." „Offenkundig nicht", sagte Mario.
„Sonst wären sie nicht hier verschmachtet. Opfer von Gewaltanwendung sind sie jedenfalls nicht." „Ich vermute, nur die Könige von Mu besaßen das Wissen und die Konzentrati onsfähigkeit, die zur Bedienung des Hilfsinstruments notwendig sind", meinte Arlene. „Diese Krieger haben vielleicht den Rückzug ihrer Könige vor Feinden ge deckt und wurden zurückgelassen. Sie werden versucht haben, das Instrument ebenfalls zu bedienen. Oder es waren Aufständische, die hinter das Geheimnis der Herrschenden gekommen waren." „Da es keinen normalen Weg herein oder hinaus gibt, müssen diese Krieger zu ihren Lebzeiten über einen anderen Haltepunkt hierher abgestrahlt worden sein", erwiderte Cliff McLane. „Auf jeden Fall muß sich unser Hilfsinstrument in einem phantastisch geschützten Tiefbun ker innerhalb des versunkenen Atlantis befinden. Freunde, wenn wir später einmal von hier aus an die Oberfläche des Kontinents vordringen könnten, wir würden Geheimnisse entschleiern, von denen bisher niemand zu träumen wagte!" „Cliff, Sie sind ein Phantast!" tadelte die Admiralin lächelnd. Mario de Monti trat nervös von einem Bein aufs andere. „Wir sollten weniger reden, sondern mehr handeln", kritisierte er. „Einverstanden!" erwiderte Cliff McLa ne. „Bitte Ruhe, damit unser Chefkyberne tiker sein Pseudohirn auf die Aufgabe konzentrieren kann!" „Pseudohirn!" protestierte Mario. „Dafür werde ich dich bei Gelegenheit einen Bruchpiloten nennen!" Das darauffolgende Gelächter brach jäh ab, als die Tausende von Sensorpunkten der Kontrollwand wie rasend zu blinken begannen. Die Beleuchtung wurde noch intensiver, beschränkte sich aber wieder auf die Fläche der Terrasse, die direkt vor der Kontrollwand lag. Dort ergoß sich
blendendhelles weißes Strahlen über die Menschen und den Roboter. „Was ist das?" schrie Arlene voller aufkeimender Panik. „Das ist doch ganz anders als damals!" „Richtig, Mädchen", sagte McLane tonlos. „Es ist wirklich ganz anders als damals, denn wir waren gerade noch in der Lage, das Hilfsinstrument zu bedienen die Grappos aber haben das Hilfsinstru ment per Fernbedienung aktiviert, und das geht nur, wenn sie sich mit der Bedienung des eigentlichen Instruments auskennen." „Eines Instruments, dessen Bedienung Menschen niemals begreifen werden, weil auf ihrer Stufe der Evolution ihr Gehirn noch zu primitiv funktioniert", meinte Atan Shubashi niedergeschlagen. „Freun de, die Grappos besitzen nicht nur über legene technische Mittel, sondern überle gene Gehirne. Sie besiegen zu wollen, wäre ungefähr so, als wollten Regenwür mer die menschliche Zivilisation auslö schen." „Du siehst zu schwarz, Atan", ent gegnete Cliff. „Wir, die ORION-Crew und einige ihrer Gefährten, wir sind meiner Meinung nach intelligenter an die Lösung von Problemen herangegangen als die Invasoren. Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir früher oder später auch das Problem lösen, wie die Invasion der Erde ohne Krieg abgewendet werden kann." Das rasende Blinken der Sensorpunkte verschmolz zu einer Art gelber Spirale, dann entfernte sich die Kontrollwand schnell und völlig lautlos von der Terrasse. Irgendwann verschwand sie aus der Sicht der Menschen und des Roboters. Im nächsten Moment quoll blaues Leuchten über den Rand des Abgrunds und strahlte eine schnelle Folge goldfarbe ner kalter und lautloser Lichtblitze nach oben. Dann formte sich das blaue Leuch ten zu einem Kreis. Und plötzlich wurden die Menschen und der Roboter auf den blauen Kreis zugezo
gen und von ihm verschlungen ... * Ein Kreis blauen Leuchtens spie eine kurze Serie von Blitzen aus, die auf einer sanft nach innen gebogenen Terrasse aus schwarzglänzendem Stahl zu aufrecht stehenden oder schwebenden goldfarbenen Kokons wurden, die sich rasch zu humanoiden Körpern formten. Cliff McLane hatte das Gefühl, als drehte das Universum sich rasend um ihn. Er taumelte, ging in die Knie und stützte sich haltsuchend mit den Händen auf dem Boden ab. Etwas prallte gegen seine rechte Seite und stieß ihn um. „Entschuldigung!" sagte die atemlose Stimme Leandra de Ruyters. „Keine Ursache!" erwiderte Cliff me chanisch. Nicht weit entfernt gab es einen schep pernden Krach, dann hörten Cliff und Leandra das schrille Keifen des Datenro boters. Dazwischen war die Stimme Gustavsons zu vernehmen, der seinen robotischen Partner zu beruhigen versuch te. Allmählich verlangsamte sich die Rota tion des Universums. Cliffs Augen sahen nicht mehr nur grelle Wirbel, sondern hin und wieder die Andeutungen von Kontu ren. „Cliff?" Das war Arlenes Stimme. „Alles klar, Arlene!" rief McLane zu rück. „Ich werde für den Rest meines Lebens kein Geld mehr für Ka russellfahrten ausgeben müssen, denn mir reicht es auch so." Er blieb bewegungslos liegen, bis er genau sehen konnte, wohin er griff. Erst dann richtete er sich auf und half der Admiralin auf die Beine. Ringsum kamen die Freunde und Gefährten hoch. Nur Argus blieb auf dem Boden liegen, strampelte mit den kurzen Beinen gab
jämmerlich klingende Pfeiftöne von sich. „Eine Gegenstation", stellte Hasso Sigbjörnson fest. „Funktionen der Atlan tis-Station entsprechend, aber vom Design her verändert. Die Erbauer gehörten zweifelsohne einer anderen Subzivilisation an als die Erbauer der Haltepunkte im Sonnensystem und in Dyson-Land." „Weißt du, was du damit sagst, Herr Bordingenieur?" quäkte Argus und rappelte sich überraschend schnell hoch. „Du bist vorlaut, Datenheger!" rügte Sigbjörnson. „Hargus, erlegen Sie Ihrem Partner Stillschweigen auf!" „Nein!" rief die Admiralin. „Ich will wissen, was Argus gemeint hat! Oder wollen Sie Ihrer Vorgesetzten wichtige Informationen vorenthalten?" „Ich wollte Sie schonen, Admiralin", erklärte Hasso. „Was ich mit meiner Bemerkung vorhin meinte, wenn auch unausgesprochen, das ist die Erkenntnis, daß wir uns vermutlich in einer anderen Galaxis befinden." „Außerhalb der Milchstraße?" entfuhr es Leandra de Ruyter. Erschrocken starrte sie den Ingenieur an. „Hasso, halten Sie es für möglich, daß diese grausamen Invasoren uns in eine andere Galaxis deportiert ha ben, weil wir sie auf der Erde störten?" Hasso Sigbjörnson sah die Admiralin mitleidig an. Er erkannte, daß sie dem Weinen nahe war. Das war begreiflich, denn beim derzeitigen Stand der irdischen Raumfahrttechnik lagen die Nachbargala xien jenseits der Reichweite der besten Fernraumschiffe. Wer in eine andere Ga laxis verschlagen wurde, sah die Heimat nicht wieder - es sei denn, es geschah ein Wunder. „Für möglich halte ich es, Chefin", antwortete er. „Aber das hier ist ein Haltepunkt wie alle anderen Haltepunkte der Föderation auch. Und wir können zumindest das Hilfsinstrument bedienen das heißt, Cliff, Mario, Arlene und ich können es.
Han Tsu-Gol und Wailing-Khan besit zen ebenfalls das höhere Wissen, aber sie sind natürlich nicht hier. Was ich sagen will, ist das: Es spielt nur eine untergeord nete Rolle für uns, ob wir einige tausend Lichtjahre oder einige Millionen Lichtjah re von der Erde entfernt sind." „Danke für den Trost, Hasso", sagte Leandra de Ruyter. Cliff McLane schaute die Kontrollwand an, dann meinte er nachdenklich: „Da die Grappos ihre Haltepunktsysteme per Fernsteuerung bedienen, läßt sich mit den Hilfsinstrumenten wahrscheinlich überhaupt nichts anfangen. Ich bin dennoch dafür, es zu versuchen. Aller dings nicht jetzt." Er blickte die Admiralin an. „Chefin, ich schlage vor, daß wir uns hier genau umsehen, wenn wir schon einmal hier sind. Vielleicht befinden wir uns auf einem Planeten der Grappos. Dann wäre es erst recht notwendig, Fakten zu sammeln." „Ich stimme Ihnen zu, Cliff", sagte Leandra. „Es gibt allerdings keinen Ausgang", erklärte Argus. „Sonst hätte ich ihn geortet." „Ich versuche, eine überlicht-schnelle Transportspirale zu schalten", sagte Mario de Monti. „Das sollte ebenso leicht sein wie auf Dyson-Land." „Zu schalten?" echote der kleine Robo ter. „So, wie der TECOM-Ableger unter Paris einen Ausgang an die Oberfläche schaltete?" „Du hast es erfaßt, Kleiner", meinte Hasso Sigbjörnson. „Freunde, ich stelle fest, daß die Menschheit nicht gar so rückständig ist. Immerhin beherrscht sie bereits einen Teil jener Technik, die auch in der Föderation benutzt wurde." „TECOM beherrscht diesen Teil der Technik", erwiderte Leandra de Ruyter. „Die Menschheit ahnt nicht einmal, wie das Terrestrische Computerzentrum die Schaltung eines hyperdimensionalen
Transportfeldes konstruiert hat. Das bedeutet, daß TECOM auf eigene Faust arbeitet und mit Hilfe der Hyperfunksen dungen vom Transpluto der Evolution der Menschheit schon vorausgeeilt ist. Es ist uns überlegen, und ich erkenne die Gefahren dieser Entwicklung." „Sicher, TECOM ist der Menschheit voraus", warf Argus ein. „Aber es hat ja gerade in letzter Zeit bewiesen, daß es ausschließlich zum Wohle der Menschheit arbeitet. Ich nenne als Beispiele dafür die Transmitterkuben und das unterirdische Tiefbunkersystem." Cliff McLane schaute den kleinen Robo ter verwundert an, dann lachte er und sagte: „Danke, Argus! Du bist gar nicht so übel, wie du manchmal getan hast. Aber jetzt wollen wir zusehen, daß wir hinauf kommen, sofern das möglich ist." Mario nickte und konzentrierte sich auf die Sensorpunkte der Kontrollwand. Doch plötzlich wich die Wand zurück und gab den Blick in den schon bekannten unendlichen Abgrund frei. Über die Kante der Stahlterrasse stieg ein grellweißes Leuchten und hüllte die Menschen und den Roboter ein. Cliffs Reaktion kam ebenso zu spät wie die der Gefährten und Freunde. Er bewegte sich, als ihn bereits ein Energie feld eingehüllt hatte. Das Ergebnis davon war, daß er von der Innenwand des Feldes abprallte und heftig mit Leandra de Ruyter zusammenstieß, die von der gegenüberlie genden Seite des Energiefelds auf ihn zugeflogen kam. Der Commander griff fest zu. „Entschuldigung, Leandra", sagte er. „Halte dich an mir fest. Ich glaube, wir stecken in einem Transportfeld." Er merkte nicht einmal, daß er die Admiralin gedutzt hatte - und Leandra de Ruyter sagte nichts. McLane versuchte, durch die Wandung des Energiefelds nach draußen zu sehen.
Zuerst gelang ihm das nicht, denn die Wandung strahlte zu grell. Allmählich aber verblaßte das Leuchten - und Cliff entdeckte draußen vier weitere Energiefel der. Sie hüllten jeweils zwei Personen ein. Nur Argus befand sich ganz allein in einem Energiefeld. Als die Terrasse relativ zum Abgrund nach vorn kippte, wußte der Commander, daß die Energiefelder nur dazu dienten, die „Passagiere" zusammenzuhalten und in den blauen Lichtkreis zu befördern, der das diesseitige Ende der überlichtschnel len Transportspirale darstellte, die auch auf Dyson-Land der KurzstreckenBeförderung gedient hatte. Die Grappos ahnten also nicht einmal, daß ihre „Gefangenen" die Transportspira len selbst bedienen konnten. Noch viel weniger konnten sie dann ahnen, daß die Menschen - oder genauer vier von ihnen sogar in der Lage waren, die Haltepunkt verbindungen zu schalten, wenn auch nur mit dem Hilfsinstrument für Unterentwi ckelte. Aber immerhin. „Das ist gut!" sagte Cliff. 4. QUARANTÄNEWELT Das Gefühl, aus tiefster Finsternis aufzu tauchen, war den vier Raumfahrern der ORION, die die Schwarze Pyramide von Dyson-Land als Lehrmeister gehabt hatte, vertraut. Es machte ihnen nicht allzuviel aus, während die Gefährten und Freunde, die diese Erfahrung noch nicht gemacht hatten, ein paar Minuten brauchten, um sich von dem Schock zu erholen. „Nichts besonderes, Chefin", erklärte Cliff und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Schaltungen an einer Wand der Felsenkammer, in der die überlichtschnelle Transportspirale sie abgesetzt hatte. „Alles wie gehabt. Von dieser Kontrollstation aus gibt es normalerweise einen räumlichen
Zugang an die Oberfläche des betreffen den Himmelskörpers." „Auch das kennen Sie von Dyson-Land her, Cliff?" fragte Leandra de Ruyter. Cliff McLane nickte, und Mario de Monti sagte: „Nur war die entsprechende Kon trollstation auf Dyson-Land etwas gepfleg ter ausgestattet, Admiralin. Hier sind die Wände überhaupt nicht verkleidet. Es scheint, als herrschte auf dieser Welt chronischer Mangel an Metallen. Sogar an der Schaltanlage hat man mit Metall gespart. Rund sechzig Prozent des verwendeten Materials dürften aus Glas unterschiedlicher Zusammensetzungen bestehen." „Die Grappos dürfte ihre Gründe dafür haben", warf Arlene ein. „Sicher verwen den sie Glas nicht aus Mangel an anderen Werkstoffen. Das würde sich nicht mit ihrem hohen Entwicklungsstand vereinba ren, auf dem es zweifellos möglich ist, die oberen Schichten von Sonnen ’berg bautechnisch' auszubeuten." „Bisher wissen wir noch nicht, ob wir uns tatsächlich auf einem Planeten der Grappos befinden", meinte Helga Legrelle. „Nicht eine einzige Datenzapfstelle ist hier!" jammerte Argus und rüttelte an den Schaltungen. „Herr Gustavson, haben Sie vergessen, daß ich zu meinem Wohlerge hen ständig neue Daten sammeln und speichern muß?" „Ich habe es keineswegs vergessen", erwiderte Harlan Gustavson. „Aber wo keine Daten sind, kann auch ich keine hinzaubern. Doch vielleicht findest du einen Ausweg aus unserem Dilemma, dann kannst du auch wieder Daten futtern." Argus ließ von den Schaltungen ab und wandte sich der gegenüberliegenden Wand zu. Dicht davor blieb er stehen, dann schabte er mit einer Greifhand über den nackten Fels. Eine dreifingerbreite Bahn glasartigen Materials wurde sichtbar, wo
die Greifhand eine dünne Schicht grauer Farbe abgekratzt hatte. „Da ist die Tür, die nach draußen führt!" erklärte der kleine Roboter und blinkte mit seinen Datenfenstern. „Sehr gut abgedich tet, elektronisch gesteuert, auf Energie gleitkissen gelagert." „Kannst du sie öffnen?" fragte Hasso Sigbjörnson. „Wenn es weiter nichts ist, Bordin genieur", antwortete der Roboter. Eine Antenne auf seinem Schüsselkopf setzte sich in kreisende Bewegung, dann richtete sie sich auf eine bestimmte Stelle der Tür aus. „Warte!" rief Cliff. „Wenn die Tür hermetisch abgedichtet ist, dann gibt es möglicherweise triftige Gründe dafür." Seine Warnung kam zu spät. Lautlos drehte sich die Tür auf unsichtbaren energetischen Lagern. Ein Felstunnel wurde sichtbar. Glücklicherweise gab es keine explosive Dekompression. Zwar bestand ein gewisses Druckgefälle zwischen Kontroll station und Tunnel, aber es war so flach, daß der Ausgleich nur langsam erfolgte. Dafür gab es eine andere Gefahr - und nur dank der ständigen elektronischen Wachsamkeit von Argus wurde sie noch rechtzeitig erkannt: Die Atmosphäre des Tunnels bestand fast ausschließlich aus molekularem Stickstoffgas. Argus' Warnruf veranlaßte die Men schen dazu, schnellstens ihre Druckhelme zu schließen und innerhalb der von ihnen mitgeführten künstlichen Umwelt zu atmen und die Helmfunkgeräte einzuschal ten. „Du warst voreilig, Argus", sagte Harlan Gustavson zu seinem Roboter, nachdem er sich von seinem Schreck erholt hatte. „Herr Sigbjörnson hatte mich gefragt, ob ich die Tür öffnen könnte", verteidigte sich Argus. „Aber er hat nicht gesagt, daß du sie öffnen sollst", entgegnete der Programmie
rungsspezialist. Argus gab einige schrille Töne von sich, dann zeterte er: „Was würden Sie denn tun, wenn Sie jemand daheim nach einer bestimmten Straße fragte - und zwar so: Können Sie mir sagen, wie ich zur Plejadenstraße komme? Würden Sie nur ja sagen und weitergehen?" „Selbstverständlich würde ich ihm den Weg beschreiben", erwiderte Gustavson. „Aber das läßt sich nicht mit Herrn Sigbjörnsons Frage vergleichen." Cliff schaltete seine Helmlampe ein und betrat den Tunnel. „Allerdings nicht, Herr Gustav! Ich schlage vor, daß wir weniger über den Lapsus des Kleinen reden und uns statt dessen draußen umsehen. Wenn die Atmosphäre über der Oberfläche des Planeten ebenfalls fast nur aus molekula rem Stickstoff besteht, können sich hier keine intelligenten Lebewesen entwickelt haben, denn molekularer Stickstoff ist nicht nur reaktionsträge, er verhindert auch die meisten chemischen Reaktionen - und Leben setzt nun einmal einen Stoffwechsel voraus, der wiederum nur durch chemische Reaktionen ermöglicht wird." „Ich danke dir, Commander Cliff McLa ne", sagte der Roboter. „Du irrst dich allerdings, wenn du intelligentes Leben von chemischen Reaktionen abhängig machst. Dabei brauchst du nur mich anzusehen. Ich bin intelligent, ohne daß ich chemisch mit meiner Umwelt reagiere und umgekehrt." Der Lichtkegel, den Cliff McLanes Helmlampe verstrahlte, wanderte über nackten Fels, der teilweise von Rauhreif überzogen war. In regelmäßigen Abstän den wurden Decke und Wände des Tunnels durch Glasfasersegmente mit Rippen und Flanschen gestützt. Auf dem Boden lagen Gitterroste, die ebenfalls aus Glasfasermaterial bestanden. „Eine kalte, an Metallen arme Welt",
konstatierte Hasso Sigbjörnson. „Ein etwa erdgroßer Planet", meinte Cliff. Vorsichtig ging er weiter. Bisher war ihnen noch kein anderes Lebewesen begegnet, aber das konnte seine Wach samkeit nicht einschläfern. „Woher wollen Sie das wissen, Cliff?" fragte die Admiralin. „Meiner Meinung nach ist die Schwerkraft geringer als die der Erde. Folglich müßte diese Welt auch eine geringere Masse als die Erde besit zen." „Das denke ich auch", erwiderte McLa ne. „Da der Anteil an schweren Elementen aber erheblich geringer sein dürfte als in der Erde, weniger dichtes Material aber ein größeres Volumen beansprucht, .." „Begriffen, Commander McLane", sagte Leandra de Ruyter. Cliff blieb so abrupt stehen, daß die Admiralin ihm mit voller Wucht in den Rücken lief. Der Commander stieß eine Ver wünschung aus, verlor den Halt und stürzte in den dunklen Schacht, wegen dem er stehengeblieben war. Leandra wäre hinterher gefallen, wenn Arlene sie nicht festgehalten hätte. „Cliff!" flüsterte die Admiralin verstört. Die Außenmikrophone der Helme über trugen einen anhaltenden röhrenden Ton. Arlene Mayogah holte erleichtert Luft. „Hier funktionieren die Flugaggregate!" stieß sie hervor. „Stimmt!" sagte Cliff McLane über Helmfunk. Sein Oberkörper hob sich über den unteren Rand des Tunnels. „Andern falls hätten Sie die Grabrede für mich halten müssen, geschätzte Vorgesetzte." „Es tut mir furchtbar leid, Cliff", sagte Leandra de Ruyter zerknirscht. „Aber auf so etwas war ich nicht gefaßt." „Ich auch nicht", erwiderte McLane. „Die Bewohner dieses Planeten sind vermutlich Vögel, denn der Schacht enthält weder Stufen noch sonstige Kletterhilfen. Man muß entweder Flügel
besitzen oder auf einem Plasmastrahl reiten, wenn man hinauf oder nicht zu schnell hinunter will. Ich fliege einmal voraus und sehe nach, ob wir oben ins Freie kommen." „Sie werden nicht allein fliegen, Cliff!" entschied Leandra de Ruyter. „Nehmen Sie Mario mit. Sie beide ergänzen sich in idealer Weise." „Weil wir beide ursprünglich diametral entgegengesetzte Anschauungen vom Leben im allgemeinen und vom Flotten dienst im besonderen hatten, verehrte Admiralin", erklärte Mario de Monti. „Inzwischen haben das Leben und der Dienst die Gegensätze weggeschliffen." „Und der Alkohol hat die Gehirn windungen geradegebogen, so daß sie parallel zueinander verlaufen", warf Hasso Sigbjörnson ein. Leandra lachte, wurde aber gleich wie der ernst. „Ich wollte, wir hätten einen kleinen Notvorrat bei uns, Mario. Sind Sie mit meinem Vorschlag einverstanden?" „Immer zu Diensten, Dompteuse der Holzaugen der Raumflotte", spottete der Kybernetiker. „Cliff?" „Einverstanden, Mario!" antwortete der Commander. „Schnall dein Holzbein an und gib Gas!" Leandra de Ruyter blickte konsterniert von Cliff zu Mario und von Mario zu Cliff. „Dompteuse der Holzaugen, Holzbein, Gas geben!" sagte sie gedehnt. „Was sind das für Ausdrücke - und was bedeuten sie? Und überhaupt: Mir scheint, meine Befehle bedürfen immer erst der Bestäti gung durch Commander McLane!" „Wenn ich einen Einsatz leite, dann gelten nur meine Befehle, Admiralin de Ruyter", erwiderte McLane steif. „Weitge hende Entscheidungsfreiheit auf unterer Ebene ist ein Grundsatz der Raumflotte." „Sie müssen sich irren, Commander McLane!" rief die Admiralin aufgebracht.
„Genau das Gegenteil ist der Fall. Auf unterer Ebene soll zwar Initiative bei der Erfüllung von Befehlen entwickelt werden, aber die Befehle werden stets nach errechneten Daten von oben gegeben und dürfen von den unteren Ebenen nicht abgeändert werden." Mario de Monti schwang sich in den Schacht und aktivierte sein Flugaggregat. „Das wußten wir nicht, Admiralin", rief er durch das gedämpfte Röhren und Fauchen der Plasmastrahlen zurück. „Dann ist ja nunmehr alles in Ordnung", stellte Leandra erleichtert fest. „Leider nicht", meinte Cliff. „Aber ich finde, es wird Zeit, daß wir Ordnung schaffen. Bis bald, gestrenge Zuchtmeiste rin der ehemaligen Terrestrischen-RaumAufklärungs-Verbände!" Er und Mario schalteten ihre Flug aggregate hoch. In dem Schacht klang das Triebwerksgeräusch wie der Start einer Raumforschungsrakete. Als es leiser wurde, blickte die Ad miralin Arlene an und sagte: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Cliff und Mario recht verstanden habe. Natür lich habe ich niemals unsere Dienstvor schriften starr gehandhabt, aber das heißt doch nicht, daß es sie nicht mehr gibt und daß sie im Zweifelsfall nicht strikt eingehalten werden müssen." „Das heißt es nicht, Admiralin de Ruy ter", erwiderte Arlene mit verstecktem ironischem Lächeln. „Es heißt nur, daß sie geändert werden müssen, da sie einen Rückfall in dunkle Zeiten darstellen." Leandra schaute Arlene zweifelnd an. „Ich schätze die gesamte ORIONCrew", sagte sie. „Gerade deshalb kann ich mir nicht vorstellen, daß sie auf eine Zerstörung der Ordnungskräfte hinarbei tet." „Das tut sie auch nicht, liebe Admi ralin", warf Helga Legrelle ein. „Oder wozu, glauben Sie, schlagen wir uns mit den Invasoren herum und riskieren, die
Erde nie wieder zu sehen?" Leandra de Ruyter nickte grübelnd. „Wahrscheinlich bin ich etwas durchein ander", meinte sie. „Oder Major Hackler hat Sie endlich doch zu seiner Haltung bekehrt", sagte Atan Shubashi. „Steter Tropfen höhlt den Stein." Zuerst ganz leise, dann immer lauter, war das Röhren der Plasmastrahlen zu hören, die von den Flugaggregaten ausgestoßen wurden und nach einiger Zeit als leuchtende Säulen zu sehen waren. „Was werden sie uns berichten können?" flüsterte Helga. Cliff McLane und Mario de Monti schalteten ihre Flugaggregate aus. Es wurde still. „Am Ausgang warten neun Ener giesphären auf uns", berichtete Cliff. „Wir werden nicht umhin kommen, uns ihnen anzuvertrauen", sagte Mario. „Auf diesem Planeten können wir näm lich nur in der künstlichen Umwelt einer Station oder unserer Raumanzüge existie ren", erklärte McLane. „Und die Luftvorräte unserer Anzüge reichen trotz Regenerierung nicht ewig", fügte de Monti hinzu. „Was haben Sie von der Oberfläche gesehen, Commander McLane?" er kundigte sich Admiralin de Ruyter. „Nicht viel", antwortete Cliff McLane. „Vom Ausgang reicht die Sicht nicht weiter als hundert Meter. Es herrscht rötliches Dämmerlicht, das durch eine anscheinend total geschlossene Wolkende cke sickert. Die Temperatur betrug vorhin minus sechzig Grad Celsius. Die Atmo sphäre besteht überwiegend aus moleku larem Stickstoffgas und ist erheblich dichter als die Erdatmosphäre. Zusammen mit der geringeren Schwerkraft ergibt das soviel Auftrieb, daß ein Mensch ohne schwere Ausrüstung frei in der unteren Luftschicht schweben könnte. Infolgedes
sen segeln alle möglichen Dinge in der Luft herum, angefangen von Staub und Eiskristallen bis hin zu undefinierbaren lockeren Gebilden." „Keine Hinweise auf eine Zivilisation?" fragte Leandra de Ruyter. „Sind neun Energiesphären kein Hin weis auf eine Zivilisation, Admiralin?" fragte Mario de Monti zurück. „Nicht unbedingt auf eine auf dem Planeten beheimatete Zivilisation", erwiderte Leandra. „Akzeptiert", sagte Cliff. „Was halten Sie von meinem Vorschlag, daß wir uns den Energiesphären anvertrauen, Admira lin?" „Nicht viel, Commander", antwortete Leandra. „Aber es wird uns angesichts der Lage nichts weiter übrigbleiben, als Ihren Vorschlag anzunehmen. Bitte, fliegen Sie uns voraus!" „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Chefin!" erwiderte McLane und schaltete sein Flugaggregat ein. „Es würde mir völlig genügen, wenn meine Befehle Ihnen Befehl sein würden", gab Leandra de Ruyter ironisch zurück, während sie sich darauf vorbereitete, mit Hilfe ihres Flugaggregats einen dunklen Schacht hinaufzusteigen - einer un gewissen Zukunft entgegen. Zehn Minuten später schwebten die Menschen und der Roboter durch eine Öffnung in der Oberfläche des Planeten, durchquerten fliegend eine dunkle Kuppelhalle und gelangten durch ein Tor ins Freie. Für Sekunden nahmen sie die fremdarti gen, bizarren und teilweise bedrohlichen Eindrücke der seltsamsten Welt in sich auf, die sie bisher kennengelernt hatten, dann senkten sich durchsichtige, flim mernde Blasen aus kalter Energie auf sie herab und verschlangen sie. Anschließend stiegen die Energie sphären auf eine Höhe von zirka fünfzig Metern und schwebten mit zunehmender
Geschwindigkeit in eine bestimmte Richtung. Da die Menschen voneinander isoliert waren, denn die Energiesphären ließen keine Funkwellen durch, konnten sie ihre Ansichten über ihre Beobachtungen nicht sofort austauschen. Um so konzentrierter aber beobachteten sie alles, was sie sahen, damit sie später gemeinsam zu einer nutzbringenden Auswertung kommen konnten. Am seltsamsten waren die Gebilde, die durch die Luft segelten. Sie hatten unzählige unterschiedliche Formen. Ihre Größe bewegte sich zwischen der eines Staubkorns und der eines irdischen Perlhuhns. Teilweise sahen sie aus wie flockige kristalline Strukturen - und bei zahlreichen von ihnen gewannen die Menschen den Eindruck, daß sie durch Anlagerung und Integrierung von Riesen molekülketten wuchsen. Cliff McLane prägte sich alles ein. Besonders interessierte ihn die Oberfläche, die nur an wenigen Stellen wirklich flächig war. Ansonsten zeichnete sie sich durch eine lockere, schwammig wirkende Struktur aus, die zudem in ständiger Veränderung zu sein schien. Dann sah er das erste oberirdische Bauwerk, das eindeutig ein Produkt einer technisch-wissenschaftlich orientierten Zivilisation war. Es handelte sich um eine halb transparente Energiekugel von ungefähr fünfhundert Metern Durchmesser, die unbeweglich dicht über der Oberfläche hing und in der unablässig hochenergeti sche Prozesse abliefen. Die Tatsache, daß alle Sphären einen weiten Bogen um die Energiekugel machten, ließ den Schluß zu, daß ein Überfliegen gefährlich gewesen wäre. Cliff vermutete, daß die Energiekugel ein MAM-Kraftwerk war und daß das Kraftwerk die erzeugte Energie per Mikrowellen zu Verteilerstationen
schickte, die den Planeten umkreisten und ihrerseits die Verbraucher drahtlos mit der benötigten Energie versorgten. Das Vorhandensein eines einzigen MAM-Kraftwerks mußte selbstverständ lich nicht bedeuten, daß der Planet eine eigenständige Zivilisation besaß. Auf ihm mochte sich lediglich eine Kolonie befinden, die von fremden Raumfahrern gegründet worden war. Als Cliff McLane aber zwei weitere Kraftwerke entdeckte und außerdem riesige Bauten, die trotz ihrer Fremdartig keit den Charakter von Wohnbauten verrieten, da war er sicher, daß der Planet eine eigenständige Zivilisation besaß. Allerdings entdeckte er keine Hinweise darauf, wer die Träger dieser Zivilisation waren. Natürlich lag es nahe, an Grappos zu denken, aber der Commander schloß auch die Möglichkeit nicht aus, daß die Grap pos, die die Erde besetzt hielten, ihn und seine Gefährten lediglich auf den am weitesten entfernten Planeten expediert hatten, damit sie ihnen nicht noch einmal in die Quere kämen. Als die Energiesphären sich auf eines der kleineren Bauwerke herabsenkte, das wie eine Ansammlung gelblicher Raupe neier aussah und die Form eines halbierten Hühnereies mit einer Länge von zirka achtzig und einer mittleren Breite von dreißig sowie einer maximalen Höhe von fünfundzwanzig Metern hatte, ahnte Cliff McLane, daß die Zeit der Ungewißheit vorbei war. 5. EIN HAUS FÜR GÄSTE Die Energiesphären versammelten sich am spitzen Ende des Bauwerks, änderten ihre Struktur und verschwanden. Die acht Menschen und der Roboter aber fanden sich in einer Schleusenkammer mit dreieckigem Grundriß wieder. Hinter
ihnen flimmerte eine blaue Energiewand und vor ihnen öffnete sich langsam ein halbrundes Tor. „Die Atmosphäre entspricht der ir dischen", stellte Argus lakonisch fest. „Lufttemperatur genau zweiundzwanzig Grad Celcius, gemessen mit permanent geeichtem Thermoelement." Cliff McLane klappte seinen Helm zurück und holte vorsichtig Luft, dann sagte er: „Scheint einwandfrei zu sein, nur etwas steril." Langsam ging er auf das Tor zu, das sich unterdessen vollständig geöffnet hatte. Als er es passiert hatte, blieb er verwundert stehen und musterte die zahllosen Sensor punkte, die in den aus glasartigem Material bestehenden Wänden leuchteten. Die Decke war etwa fünf Meter über dem Boden, der aus einem gelben Kunststoff material bestand, in dem sich Millionen stecknadelkopfgroßer Vertiefungen befanden, die auf Cliffs Schuhsohlen einen sanften Saugeffekt ausübten, wodurch die Minderschwerkraft - die schätzungsweise drei Fünftel betrug - weitgehend ausgegli chen wurde, ohne daß ihre positiven Auswirkungen völlig verschwanden. „Wenigstens hat man hier einen Sinn für Technisches", bemerkte Hasso, der als nächster durch die Öffnung kam. „Es sieht aus wie in einem riesigen Supercomputer", sagte Argus und bewegte sich zielstrebig auf eine Ballung von Sensorpunkten an der linken Wand zu. „Keine Experimente!" warnte Harlan Gustavson. „Wir befinden uns in einem Erzeugnis einer Technologie, die der irdischen mit großer Wahrscheinlichkeit um viele Jahrtausende voraus ist. Es wird einige Zeit dauern, bis wir mit ihr umge hen können." „Ich suche eine Datenzapfstelle, Herr Gustavson", erwiderte Argus quengelig. „Wie sollen wir die fremde Technologie jemals verstehen, wenn es keine Daten
zapfstelle gibt, an der ich die Gebrauchs anweisungen besorgen kann!" „Wir dürfen ja wohl nicht ernstlich erwarten, daß man uns, die wir ja nichts anderes als Gefangene oder Verbannte sind, den sinnvollen Gebrauch der fremden Technik beibringt", meinte Leandra de Ruyter. Cliff McLane trat neben den Da tenroboter und musterte ebenfalls die Ballung verschiedenfarbiger Sensorpunk te. Die Sensorpunkte glichen weitgehend denen an den Kontrollwänden der Halte punkte, aber sie schienen nicht der geistigen Konzentrationshilfe zu dienen. In dem zwischen ihnen befindlichen Muster aus verschiedenen Segmenten des glasarti gen Materials gab es nicht nur farbige Kontrollstreifen, sondern auch so etwas wie Datenfenster. Sie waren viel kleiner als Argus' Datenfenster und wölbten sich außerdem nach innen, aber die Bilder und Symbole auf einigen von ihnen konnten kaum etwas anderes sein als Daten, die dem Betrachter vermittelt wurden. „Was erwartet man von uns?" überlegte Cliff laut. „Vielleicht, daß wir uns selbst um bringen", sagte Gustavson. Mario de Monti schüttelte den Kopf. „Das wäre eine äußerst umständliche Art, uns zu beseitigen", erwiderte er. „Wenn man uns töten wollte, hätte man sich nur nicht um uns zu kümmern brauchen, dann wären wir nach dem Verbrauch unserer AtemluftRegenerationselemente erstickt. Außerdem glaube ich nicht, daß man diese Anlage extra für uns gebaut hat." Er wandte sich an Argus, legte ihm eine Hand auf den Schüsselkopf und deutete auf eine bestimmte Konstellation von Sensorpunkten inmitten der Ballung, die der Roboter seit einigen Minuten unver wandt musterte. „Riskieren wir einen kleinen Versuch, Argus?"
„Du denkst auch, daß diese Kon stellation nicht zufällig ist, Chefky bernetiker?" „Kybernetiker genügt", erwiderte Mario. „Ich beantworte deine Frage mit ja. Schalten wir im Uhrzeigersinn oder gegen ihn?" „Das ist egal." „Also im Uhrzeigersinn." Mario de Monti streckte einen Arm aus und berührte mit den Fingern in schneller Folge die zirka hundert Sensorpunkte der erwähnten Konstellation, wobei er rechts herum von außen nach innen ging. Außerhalb der Konstellation blinkten die farbigen Kontrollstreifen wie verrückt. Die nach innen gewölbten Datenfenster kreisten langsam von rechts nach links und zeigten laufend neue Bilder und Symbole. Helga Legrelle stieß einen halblauten Schrei aus, als sie von etwas angestoßen wurde, das neben ihr materialisierte beziehungsweise projiziert wurde. Cliff McLane und Hasso Sigbjörnson zogen vorsichtshalber die Waffen und zielten damit auf das, was neben Helga entstand, während Arlene Helgas Arm packte und die Funkerin zur Seite zog. Mario wandte den Kopf und sah, wie die Konturen des Gebildes schärfer hervortra ten. „Es ist ein Pulsphasenmodulator!" rief er überrascht. „Allerdings nicht so einer, wie wir ihn aus dem Technischen Museum von Paris kennen, sondern der Bestandteil einer modernen Hyperfunkanlage." Helga schüttelte verwundert den Kopf. „Es scheint tatsächlich zu stimmen, Mario, obwohl einige Konstruktions merkmale von unseren PPM-Geräten abweichen." Cliff und Hasso sicherten die Waffen und steckten sie in die Halfter zurück. „Kannst du das Gerät bedienen, Helga?" fragte Cliff. „Ich werde es versuchen", antwortete Helga Legrelle. „Allerdings ist das PPM-
Gerät nur Bestandteil eines Hyperfunkge räts und kann nur dann senden - und zwar ausschließlich senden -, wenn ihm die erforderliche hyperdimensionale Energie zugeführt wird." Sie berührte einige Sensorpunkte auf einer abgeschrägten Seitenwand des Pulsphasenmodulators. „Das kann gar nicht funktionieren!" sagte Leandra de Ruyter. „Wahrscheinlich sollen wir nur getestet werden." „Wir werden sehen", meinte Helga. Sie überlegte kurz, dann schaltete sie weiter. Der Pulsphasenmodulator leuchtete von innen heraus bläulich auf, dann blinkte er in kurzen Intervallen. Dort, wo Mario de Monti und Argus standen, erlosch die Konstellation der Sensorpunkte, mit deren Hilfe Mario das PPM-Gerät hatte entste hen lassen. Für einige Sekunden schien die Luft in dem ganzen Raum zu flimmern. Die Menschen erlebten in rascher Folge unterschiedliche Halluzinationen, die sich vermischten und so plötzlich verschwan den, wie sie erschienen waren. Im selben Augenblick verschwand auch der Pulsphasenmodulator - und die bewußte Sensorkonstellation leuchtete in den gleichen Farbtönen auf wie zuvor. * Mario de Monti stieß eine Verwün schung aus. „Was hat das zu bedeuten, de Monti?" fragte Leandra de Ruyter. „Der Klartext ist nicht für die zarten Ohren einer Dame geeignet, Admiralin", erklärte der Kybernetiker. „Die bewußte Verwünschung entfuhr mir ungewollt infolge eines Schocks, der mich traf - und zwar deshalb, weil der Pulsphasenmodu lator kein Pulsphasenmodulator ist, sondern etwas ganz anderes, und weil größeres Unheil nur durch Ansprechen einer Sicherheitsschaltung verhindert
wurde, die offenkundig dem Zweck dient, Schäden zu verhüten, die sonst durch unsachgemäße Schaltungen verursacht werden könnten." „Das ist doch ausgezeichnet!" entfuhr es Harlan Gustavson. „Nicht wahr, Argus?“ „Sie haben mehr oder weniger recht, Partner", erwiderte der kleine Roboter. „Es nützt uns nur nichts, wenn Sicherheits schaltungen eingreifen, ohne daß wir verstehen können, was gleichzeitig erklärt wird, damit wir beim nächstenmal richtig schalten." „Was wird von wem erklärt?" fragte Mario. „Ich habe jedenfalls nichts gehört." „Es handelt sich um modulierte sechs dimensionale Übertragungsfrequenzen", sagte Argus. „Ich konnte sie anmessen, aber natürlich nicht entschlüsseln. Eigent lich sollten Menschen psychisch eine gewisse Wirkung zeigen, wenn die 6-DÜberträgerfrequenzen mit Hypersinussig nalen moduliert werden." „Die Halluzinationen!" rief Atan Shu bashi. „Habt ihr sie ebenfalls gehabt?" „Und wie!" sagte Arlene Mayogah. „Ich versuche, die Erinnerungen daran zu verdrängen." Cliff Allistair McLane sah seine Le bensgefährtin nachdenklich an, dann sagte er: „Ich bin dafür, daß wir zuerst sporadisch und später, wenn wir einige Grunderfah rungen gesammelt haben, einigermaßen systematisch alle Schaltungen ausprobie ren. Wenn die Sicherheitsschaltung bei jedem Fehler anspricht, dürfte das Risiko für uns gering sein. Was haltet ihr davon?" „Ich halte das für die einzige Mög lichkeit, initiativ zu werden", erklärte Mario de Monti. „Zu oft mußten wir in letzter Zeit etwas passiv hinnehmen." „Die Frage bleibt immer noch, warum uns die Grappos zu diesem Planeten deportiert haben und warum die Eigentü mer dieses elektronischen Rätselhauses uns mit ihrer Elektronik herumprobieren
lassen - und natürlich steht immer noch die Frage im Raum, ob die Invasoren auf unserer Erde und die intelligenten Bewoh ner dieses Planeten identisch sind", sagte Harlan Gustavson. „Dieses ,Gästehaus' dient wahrschein lich dazu, den intelligenten Beherrschern dieses Planeten die Möglichkeit zu geben, uns zu testen und dem Ergebnis entspre chend einzustufen", sagte Argus. „Wir sollten die gesamten Apparaturen zerschießen!" brach es aus Leandra de Ruyter heraus. „Es ist eine unerträgliche Zumutung, daß man uns hier hereinsetzt, als wären wir Ratten in einem Labyrinth." Die gesamte ORION-Crew wechselte bedeutungsvolle Blicke. Für sie war es ein Mittel der Kommunikation, das gleichwer tig neben der Lautsprache stand. In diesem Fall bedeuteten die Blicke soviel wie: Leandra ist mit den Nerven am Ende und steht kurz vor einem hysteri schen Ausbruch. Wir müssen ihr auf jede nur mögliche Weise helfen. Nicht nur ihretwegen, sondern auch um der Mensch heit wegen, für die wir hier - vielleicht stellvertretend getestet werden. „Ich habe einmal ein Testprogramm für Delphine ausgearbeitet", sagte Harlan Gustavson. „Später, als das Programm lief, unterhielt ich mich mit der Frau, die die Versuche leitete - und mit der ich eng befreundet war. Sie erzählte mir, daß man anfangs das Verhalten der zu testenden Delphine für sehr eigenwillig gehalten habe - bis man merkte, daß man überhaupt kein brauchbares Ergebnis bekommen konnte, weil die Delphine beschlossen hatten, die beteiligten Menschen ihrerseits psychologischen Tests zu unterziehen." „Ich weiß, was Sie meinen, Harlan", sagte Leandra de Ruyter müde. „Aber es gibt einen krassen Unterschied zu unserer Situation: Die irdischen Delphine sind uns Menschen an Intelligenz tatsächlich ebenbürtig, auch wenn sie ihre Intelligenz nicht zum Aufbau einer Zivilisation
benutzt haben - aber wir Menschen stehen tatsächlich mehrere Phasen der Evolution unter den Grappos." „Das muß sich erst noch herausstellen", warf Atan Shubashi ein. „Ich befand mich vorhin, während unserer Halluzinations phase, weit in der Vergangenheit und kämpfte gegen Extraterrestrier, die es damals wirklich gab und die uns vor ihrem Auftauchen und auch zu Beginn ihres Angriffs als weit überlegen erscheinen mußten. Sie waren es nicht." „Die Frogs", stellte die Admiralin fest, ohne richtig auf Shubashi einzugehen. Ihr Blick wirkte geistesabwesend. „Ich möchte wissen, wie die Grappos sich verhalten würden, wenn sie sich plötzlich ihrer eigenen Technik beraubt sähen und nur noch die technischen Mittel besäßen, die die Menschen der Erde zur Zeit besitzen", sagte Cliff Allistair McLane. „Möglicherweise würden sie sich dümmer anstellen als wir mit ihrer Technologie." Mario versetzte der Sensorwand vor sich einen kräftigen Fußtritt. An drei Stellen leuchteten Sensorpunkte stärker auf. Datenfenster flimmerten und füllten sich mit wechselnden Symbolen. In der Mitte des Raumes bildete sich in der Luft eine strahlende Energieballung. Die Energie ballte sich stärker zusammen, während ihr Leuchten sich verstärkte. Plötzlich verschwand die Ballung. Das Leuchten erlosch. Dafür schwebte ein etwa unterarmlanger zweifingerdicker Stab aus halbtransparentem hellgrünen Material in der Luft. Hasso Sigbjörnson griff danach. Seine Finger glitten durch den Stab hindurch, der daraufhin grell aufleuchtete und verschwand. Die drei Gruppierungen von Sensorpunkten erloschen. Und abermals erlebten die Menschen Halluzinationen, die ihre seelische Widerstandskraft zu zermürben drohten ...
* Als McLanes Bewußtsein aus dem Bann der Halluzinationen entlassen wurde, fühlte der Commander sich wie zerschla gen. Er ahnte, daß sie es nicht mehr lange aushalten würden, wenn es ihnen nicht gelänge, die Bedienung der Schaltungen zu erlernen. Cliff stieß sich von der Wand ab, an der er während der Halluzinationen gelehnt hatte. Sein Verstand arbeitete noch träge, deshalb benötigte er rund fünf Minuten, um nach dreimaligem Zählen festzustellen, daß eine Person fehlte. Leandra de Ruyter! Mit einem Schlag war Cliff McLane hellwach. „Die Admiralin ist verschwunden!" rief er. „Hat jemand von euch gesehen, wohin sie gegangen ist?" Nacheinander schaute er in die Gesichter der Freunde und Gefährten, aber überall erntete er nur ein Kopfschütteln als Antwort. Außer bei Argus. Argus antwortete überhaupt nicht. Mit wenigen Schritten war Cliff bei dem Datenroboter. „Er ist desaktiviert", stellte er fest. „Harlan, haben Sie nichts davon gemerkt, daß Argus desaktiviert wurde?" Harlan Gustavson schüttelte den Kopf. „Ich merke es jetzt kaum, Cliff. In meinem Kopf dreht sich alles. Ist es möglich, daß man es auch im Wach zustand spürt, wenn man die Halluzination hatte, jemand hätte einem etwas über den Kopf geschlagen?" Diesmal war es an Cliff, den Kopf zu schütteln. „Nicht in Ihrem Fall, Harlan, denn ich habe soeben die Beule gesehen, die sich über Ihrem linken Ohr gebildet hat. Jemand hat Ihnen einen durchaus realen Schlag über den Kopf verpaßt, damit Sie ihn nicht bei der Desaktivierung von
Argus stören." „Das hätte Argus nicht zugelassen, Cliff", wandte Hargus ein. Er betastete vorsichtig seine Beule und verzog schmerzlich das Gesicht, als ein stechender Schmerz durch seinen Schädel zuckte. Mario de Monti trat von hinten an Argus heran und betätigte die Aktivierungsschal tung. „Euch scheint es schlimmer erwischt zu haben als mich", meinte er. „Ihr steht herum wie die Ölgötzen, anstatt etwas zu unternehmen. Argus, weißt du, wohin die Admiralin gegangen ist?" „Nein, denn sie hat mich heimtückisch desaktiviert, Herr de Monti", antwortete der kleine Roboter. „Die Admiralin tat so, als wollte sie eine Schraube aufheben, die hinter mir zu Boden gefallen sein sollte und plötzlich schaltete sie mich aus." „Also müssen wir Leandra suchen!" stellte Mario energisch fest. „Sie ist durchgedreht! Begreift ihr das! Womög lich läuft sie mit offenem Druckhelm ins Freie." „Man wird dafür gesorgt haben, daß wir nicht fliehen können", erwiderte McLane. „Warum sollte man?" fragte Mario zurück. „Keiner von uns kann unter den natürlichen Bedingungen dieses Planeten überleben - außer Argus. Und unsere Unbekannten – oder Grappos - wissen ganz offensichtlich nicht, daß wir in der Lage sind, die Hilfsinstrumente von Haltepunktsystemen sachgerecht zu bedienen. Sie dürften also keine Notwen digkeit gesehen haben, uns einzusperren. Los, kommt!" Er eilte auf das halbrunde Tor zu, hinter dem die Schleusenkammer lag, durch die sie gekommen waren. Wenige Meter davor klappte er seinen Druckhelm nach vorn. Seine Gefährten folgten ihm etwas lang samer. Unmittelbar vor dem Tor mußte Mario de Monti seinen Lauf ziemlich abrupt stoppen, denn das Tor öffnete sich nicht
von selbst, wie er erwartet hatte. Verwünschungen ausstoßend, untersuch te er den Torrahmen, aber er erwartete nicht ernsthaft, eine Möglichkeit zur Öffnung des Tores zu finden - nicht in diesem supermodernen Bau, wo alles automatisch funktionierte. „Wenn du das Tor nicht aufbekommst, hat Leandra es auch nicht geschafft", sagte Arlene Mayogah. „Bestimmt gibt es noch mehr Ein- und Ausgänge." „Wir versuchen es auf der anderen Seite", sagte Cliff. Sie entdeckten hinter dem ersten Raum einen Korridor, dessen Wände ebenfalls aus glasartigem Material bestanden. Allerdings war es nicht durchsichtig, sondern dunkelblau gefärbt. Der Korridor führte in mehreren Windungen nach oben und plötzlich standen die Menschen und der Roboter in einem kuppelförmigen Raum, dessen Wände von einer Galerie flimmernder flacher Energiefelder bedeckt waren. „Ein Beobachtungsraum", stellte Argus fest. „Wenn ich nur wüßte, wie die Beobach tungssysteme aktiviert werden!" sagte Atan Shubashi. „Ich bin schon total frustriert." „Das bist du so wenig wie wir alle - mit Ausnahme von Leandra", erwiderte Cliff. „Wir haben schon zu vieles von fremden Supertechnologien gesehen und erfahren, als daß wir dabei noch Minderwertigkeits gefühle bekommen würden." „Eine psychische Schutzschaltung sozusagen", meinte Helga Legrelle. „Sie ist notwendig zum Überleben in geistiger Gesundheit", sagte Hasso Sigbjornson. „Dennoch ist es jammerscha de, daß unsere Seelen sich gegen die großartigen Erzeugnisse von Supertechno logien sozusagen gepanzert haben. Ich entsinne mich noch genau, wie wir anfangs vor ungläubigem Staunen in eine Art Rausch versetzt worden waren."
„Alles stumpft einmal ab", sagte Cliff. „Aber deshalb wissen wir dennoch genau, wie wunderbar das alles ist. Nur sollten wir nicht vergessen, daß wir nicht deshalb hier sind. Wir müssen versuchen, Kontakt mit den Grappos aufzunehmen oder sonst wie Möglichkeiten zu finden, die Invasion der Erde beziehungsweise des Sonnensys tems zu beenden und die Menschheit aus ihrer ohnmächtigen Verzweiflung zu befreien. Und zuvor müssen wir Leandra finden." Er blickte Atan auffordernd an. Der Astrogator seufzte, nahm Mario de Monti am Arm und flüsterte mit ihm. Der Kybernetiker antwortete. Beide Männer einigten sich auf die Art des gemeinsamen Vorgehens. Sie waren beide Koryphäen auf ihren Fachgebieten, aber im Vergleich zu den Erbauern dieser Anlagen fühlten sie sich als Lehrlinge. Nur gab es niemanden, der sie etwas hätte lehren können. Sie mußten sich alles selbst beibringen: angefangen bei der Methode, wie sie feststellen konnten, wo sie anfangen mußten zu schalten. Die Schwierigkeiten waren beinahe ungeheuerlich. Doch nach einiger Zeit hatten Mario und Atan begriffen, wie sie sich durch den Dschungel von Schaltun gen und Sicherheitsschaltungen hindurch tasten konnten, indem sie die Zahl der unterbrochenen Schaltungen systematisch verringerten. Die ersten, wenn auch noch un deutlichen, Bilder der Umgebung ihres Gefängnisses flimmerten auf den Wänden. Sie entstanden, indem die flachen Energie felder sich plastisch verformten und dabei verfärbten, so daß ein farbiges und pseudodreidimensionales Abbild der Umgebung entstand. Von Leandra de Ruyter war aber nichts zu sehen. Bei dem Bemühen, auch weiter entfernte Geländeausschnitte des Planeten optisch heranzuholen, erlebten Mario und Atan
eine Überraschung. Sie schalteten plötz lich und gar nicht absichtlich ein Beobach tungssystem ein, das sich im Weltraum befinden mußte, denn ein Bildfeld zeigte eine wolkenverhangene Planetenkugel, die mit großer Wahrscheinlichkeit identisch mit dem Planeten war, auf dem sich die Menschen und der Roboter befanden -und ein anderes Bildfeld zeigte einen Bildaus schnitt des Weltraums mit einer trübroten Sonne vor einem nachtschwarzen Hinter grund, den es gar nicht geben durfte. „Was bedeutet das?" rief Harlan Gustav son, „Sind wir irgendwo im intergalakti schen Raum?" „Dann müßten wir statt der gewohnten Sterne Galaxien sehen", erwiderte Atan. „Es sei denn, wir befänden uns im Außenbezirk des Universums und empfin gen ein Bild von ’draußen'. Aber das wird sich herausstellen." Gemeinsam mit Mario de Monti probier te er weiter an den Schaltungen herum. Inzwischen kamen die beiden Männer schon so gut damit zurecht, daß von zehn Schaltvorgängen nur noch vier durch eine Sicherheitsschaltung unterbrochen wurde. Nach und nach zeigten die Bildfelder ringsum den Blick aus dem System der trübroten Sonne hinaus in alle Richtungen - und sie zeigten ausnahmslos nur lichtlose Schwärze. „Kein Stern, keine Galaxis, kein leuchtender Gasnebel - überhaupt nichts!" stieß Mark» de Monti hervor. „Das gibt es doch gar nicht, Freunde!" „Es läge natürlich nahe, an eine Täu schung zu glauben, die unsere ,Gastgeber' vorprogrammiert haben", sagte Cliff McLane. „Aber das glaube ich einfach nicht, denn welchen Sinn sollte eine solche Täuschung haben! Ich vermute eher, die ses Sonnensystem verbirgt sich ebenso hinter einer Dunkelfeldbarriere wie unseres." „Dunkelfeldbarriere?" fragte Hasso Sigbjörnson verwundert. „Die Bezeichnung fiel mir eben ein",
erwiderte Cliff. „Jedes Kind braucht eben seinen Namen." „Dann ist dieses Sonnensystem wahr scheinlich genauso von den Grappos okkupiert wie unseres", sagte Harlan Gustavson. „Sie meinen, auch hier haben die Grap pos das gesamte System mit einer Barriere umgeben, die verhindern soll, daß Einhei mische es verlassen oder von außerhalb Unterstützung bekommen?" fragte Arlene. „Das nehme ich an", antwortete der Programmierungsspezialist. „Es könnte aber auch ganz anders sein", überlegte Helga Legrelle laut. „Wir haben zumindest erahnt, wie groß die Macht gewesen sein muß, die die Föderation der Inselstaaten ausgeübt haben muß. Falls die Grappos schon damals existierten und sich als Störfaktor betätigten, dürfte die Föderation nicht untätig zugesehen haben." „Du denkst, sie könnte die betreffenden Sonnensysteme unter Quarantäne gestellt haben?" fragte Cliff ungläubig. Helga nickte eifrig. „Warum nicht, Cliff! Wir wissen, daß die Föderation die entspre chenden Mittel besessen hat." „Aber warum liegt dann auch unser Sonnensystem hinter einer Dunkelfeldbar riere?" warf Mario de Monti ein. „Es ist doch kein System der Grappos." „Nein?" fragte Helga. „Wird es nicht von den Grappos beherrscht - und zwar uneingeschränkt?" „Ich wage nicht, mir das vorzustellen!" flüsterte Atan. „Denn wenn unser Sonnen system unter Quarantäne steht, könnte es nur mit Erlaubnis der Föderation daraus entlassen werden - und die Föderation besteht nicht mehr." „Und nicht einmal die Grappos mit ihrer überlegenen Technologie scheinen ein Mittel gegen die Dunkelfeldbarrieren gefunden zu haben", stellte Helga Legrelle fest. Die Frauen und Männer blickten sich
betroffen an. Wahrscheinlich hätten sie noch stundenlang über das Für und Wider von Helgas Hypothese geredet, wenn Argus nicht eigenmächtig eine neue Schaltung vorgenommen hätte und eines der Bildfelder die nähere Umgebung des „Gästehauses" zeigte - und Admiralin de Ruyter, die mit Hilfe ihres Flugaggregats davonflog. Angesichts der geringen Sichtweite auf diesem Planeten gab es keine Diskussion über Einzelheiten der Verfolgung. Cliff bestimmte, daß er, Mario sowie das Team Hargus u. Argus der Admiralin folgen sollten, um sie zurückzubringen. Die anderen Gefährten sollten die Beobach tungen fortsetzen und weitere Schaltungen ausprobieren. 6. SPIELPLATZ Der leuchtende Ring hatte einen Durch messer von zirka dreihundert Metern und spannte sich direkt unter der optisch undurchdringlichen Wolkenschicht. Unter ihm befand sich ein Loch in der Oberfläche des Planeten. Es durchmaß ebenfalls rund dreihundert Meter und war die Öffnung eines zylindrisch geformten Schachtes, dessen Tiefe sich nicht erken nen ließ, weil er ab etwa hundert Metern von einem goldfarbenen Wabern und Wallen erfüllt war. In kurzzeitigen Abständen blitzte es innerhalb des Ringes unter den Wolken grell auf. Im nächsten Augenblick weitete sich das goldfarbene Wabern und Wallen über die Ränder des Loches aus und stieg bis in den leuchtenden Ring hinein. Dort oben löste sich dann nach kurzer Zeit ein „Stück" des Wallens und ver schwand. Für die menschlichen Beobachter ver schwand es spurlos. Argus jedoch konnte mit seinen Ortungsinstrumenten anmessen, wo das Undefinierbare ankam.
„Vermutlich wird der Sonnenstoff in eine Raumstation transmittiert, wo er zu Metallen, Plastik und Metallplastik verarbeitet wird", erklärte der Datenrobo ter. „Das mußt du näher erklären, Argus", sagte Cliff McLane. „Was verstehst du unter Sonnenstoff?" „Sonnenmaterie", antwortete Argus. „Allerdings bin ich nur rechnerisch zu diesem Schluß gekommen, der auf der chemischen Zusammensetzung der Materie beruht, die sich euch als goldfar benen Wabern und Wallen zeigt. Wahr scheinlich gibt es auf sonnennahen Kreisbahnen Aggregate, die Sonnenmate rie absaugen können - möglicherweise unter Ausnutzung von Sonneneruptionen. Diese Materie wird auf mir unbekannte Weise abgekühlt und danach in dem Schacht vor uns materialisiert. Hier wiederum werden die schweren Elemente aussortiert und durch den Wolkentransmit ter in Raumstationen befördert, die sie verarbeiten und - beispielsweise Fertigbauteile aus Metallplastik, Maschi nen oder sogar Raumschiffe herstellen." „Das klingt phantastisch", sagte Cliff. „Aber ich halte das durchaus für möglich. Nur drängt sich mir allmählich die Frage auf, ob es in diesem Sonnensystem überhaupt noch intelligente Lebewesen gibt oder ob die robotischen Anlagen nach dem Verschwinden ihrer Herren einfach weitergearbeitet haben. Bisher jedenfalls haben wir weder einen Grappo noch ein anderes Intelligenzwesen gesehen." Er beobachtete Leandra de Ruyter, die sich gefährlich nahe an den Schacht mit dem goldfarbenen Sonnenstoff begeben hatte. Aus diesem Grund wagten sich Cliff und seine Begleiter nicht näher an sie heran. Sie fürchteten eine lebensgefähr liche Kurzschlußreaktion. Als das goldfarbene Wabern und Wallen der Sonnenmaterie abermals emporstieg, zog die Admiralin ihre HM-4 und feuerte
hinein. Die Energie der Strahlwaffe bewirkte eine begrenzte Erhitzung und Ausdehnung des „kühlen" Sonnenstoffs. Es kam zu Instabilitäten innerhalb einer Randzone. Die Erbauer der Anlage hatten für solche und ähnliche Fälle vorgesorgt. Leandra de Ruyter wurde blitzartig in ein kugelförmi ges Energiefeld mit spiegelnder Außenhül le gehüllt, das sich im nächsten Moment verdunkelte und dann spurlos verschwand. Ratlos blickten Cliff, Mario und Gustav son sich an. „Hoffentlich ist ihr nichts Schlimmes passiert", meinte Mario. „Sie ist bewußtlos, scheint aber sonst in Ordnung zu sein", sagte unverhofft Helgas Stimme in den Helmfunkempfängern der drei Männer. „Was ist geschehen?" Cliff McLane berichtete und schloß: „Wir werden uns noch eine Weile umse hen. Wenn es hier schon keine intelligen ten Lebewesen mehr gibt, dann existieren vielleicht Aufzeichnungen von ihnen, aus denen hervorgeht, was aus ihnen geworden ist." Als Helga nichts darauf erwiderte, sagte er: „Was ist los bei euch, Mädchen? Warum antwortest du nicht? Werdet ihr angegrif fen oder was?" „Du solltest dich nicht beunruhigen, Commander McLane", sagte Argus. „Jemand oder etwas hat ein Störfeld zwischen uns und dem Gästehaus aufge baut." Hargus zog seine HM-4 und fügte hinzu: „Und dieser Jemand scheint es auf uns abgesehen zu haben, Freunde!" Cliff und Mario schauten in die Rich tung, in die Gustavsons Waffe drohte. Etwas näherte sich aus der Richtung, in der das „Gästehaus" lag. Es war nicht groß, glitzerte in einem metallischen Grau und schwebte mit geringer Geschwindig keit dicht über dem Boden. „Wäre das Ding nicht so klein, würde
ich sagen, es sei ein Grappo", meinte Mario de Monti. „Eine eigenartige Form hat es", fügte Harlan Gustavson hinzu. „Ich finde keinen Vergleich." „Das würden die wenigsten Menschen", sagte Cliff McLane. „Kaum jemand bekommt nämlich in unserem Zeitalter der vollrobotischen Produktion und der kontaktlosen Werkstoffverfestigung noch einen jener prähistorischen Ambosse zu sehen, mit denen noch bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts manche Menschen sogenannte Schmiedearbeiten ausführten." „Kurz gesagt, das Ding hat die Form eines Ambosses, der als widerstandsfähige Unterlage für schmiedende Werkstoffbe arbeitung diente", ergänzte Mario de Monti. „Zur Kadettenausbildung auf der Raumakademie gehörte früher eine praktische Unterweisung in Schmiedear beiten, damit jeder Flottenangehörige in der Lage war, beim Besuch vergleichswei se technologisch-primitiver Kolonien zuzupacken und den Kolonisten eventuell noch etwas beizubringen." „Entsetzlich!" sagte Argus und gab einige quietschende Laute von sich. „Was ist entsetzlich?" fragte Mario. „Die Vorstellung, Werkstoffe mit Hilfe von Feuer, Ambossen, Hämmern und so weiter - und dazu noch mit den Händen zu bearbeiten", erklärte Harlan Gustavson. „Im Gegenteil", sagte Cliff McLane. „Gerade bei dieser Arbeit lernt man, beherzt zuzupacken, wenn es notwendig ist. Heutzutage wissen viele Menschen nicht einmal, woher die Frühstückseier kommen. Hm, ich fühle mich unbehaglich, wenn wir das Ding noch näher an uns herankommen lassen." „Also, starten wir!" sagte Mario. „Oder versuchen wir, friedlichen Kontakt mit ihm aufzunehmen?" „Eigentlich sollten wir das", erwiderte McLane. „Aber zuvor will ich feststellen,
wie das Ding reagiert, wenn wir uns vor ihm zurückziehen." Er und Mario schalteten ihre Flug aggregate ein und hoben ab. Harlan Gustavson blieb auf dem Boden und schaute ihnen verdutzt nach. „Was ist mit Argus?" rief er. „Wir können ihn doch nicht zurücklassen - und allein kann ich ihn nicht mitnehmen!" „Lassen Sie ihn stehen, Gustavson!" rief Cliff zurück. „Wir wollen sehen, wie sich der Unbekannte ihm gegenüber verhält." „Notfalls greifen wir schon ein", beru higte Mario den Programmierungsspezia listen. * Der „Amboß" beschleunigte, dann stoppte er rund zwanzig Meter vor Argus. Cliff sah jetzt deutlich, daß das Ding tatsächlich sehr stark einem altertümlichen Schmiedeamboß ähnelte. Es hatte auch ungefähr die gleiche Größe und besaß damit etwa ein Drittel des durchschnittli chen menschlichen Körpervolumens. Das agte aber noch nichts über das Gewicht aus. Einige Unterschiede zu einem normalen Schmiedeamboß gab es jedoch. So verfügte dieser „Amboß" über zwei hornförmige Enden, besaß keine stumpf ablaufende gehärtete Bahn und hatte längere Fußauswüchse. Außerdem waren die beiden „Hörner" dünner und gebogener als bei einem echten Amboß. Cliff McLane hätte nicht gezögert, das Ding als Grappo anzusehen, wenn es nicht so klein gewesen wäre. Wenn man sich seine Masse zusammengeballt vorstellte, dann betrug sie nur etwa ein Fünftel der Masse eines Menschen. Die Grappos, die er und seine Freunde kennengelernt hatte, besaßen aber ein Volumen, das vom halben Volumen eines Menschen bis zum Volumen von reichlich drei Menschen reichte.
Aber der Commander zögerte nur solan ge, bis er die beiden Auswüchse sah, die aus dem Mittelteil des „Ambosses" ragten. Es handelte sich hier im Unterschied zum Sechsfach-Navigationssystem der Flotte um ein Achtzehnfach-Navigationssystem. Aber das war nicht das Wesentliche an Cliffs Beobachtungen. Wesentlich war die Tatsache, daß der „Amboß" technische Geräte integriert hatte, denn das war charakteristisch für Grappos. Das kleine amboßförmige Ding gehörte also zu jener Rasse, die die Menschheit des Sonnensystems überfallen und in tiefste Verzweiflung gestürzt hatte! Cliff mußte an sich halten, um nicht einfach zu schießen. Der kleine Grappo ruckte plötzlich an, raste auf Argus zu und schien ihn rammen zu wollen. Im letzten Augenblick wich er aus und schoß millimeterweit an ihm vorbei. Argus reagierte, aber er reagierte zu spät. Seine Arme mit den Greifhänden konnten nur noch die Luft hinter dem Grappo umrühren, der in einer engen Kurve umkehrte. Aber diesmal flog der Grappo den Roboter nur zum Schein an. Etwa zehn Meter vor ihm schwenkte er so scharf nach rechts, daß Cliff glaubte, das Wesen würde zerbrechen. Im nächsten Moment raste der Grappo zwischen ihm und Mario hindurch. Die beiden Männer drehten sich ruckar tig um und blickten dem Grappo nach, der sich in langsamem Flug der Grenze des menschlichen Sichtbereichs näherte. „Ob er das Interesse an uns verloren hat?" meinte Mario zweifelnd. Cliff McLane drehte die Augen nach oben, damit er auf das schmale Band des Anzug-Kontrollfensters schauen konnte, auf dem ständig alle Funktionswerte angezeigt wurden. „Keineswegs, Freund", erwiderte er. „Dieser Bursche weiß vielmehr genau, daß er uns nicht aus den Augen verliert, weil
wir ihm nämlich folgen müssen. Exakt: Ich muß ihm folgen, denn offenbar hat er das Robotsteuer-Element meines Über lebens-Aggregats mitgenommen." Harlan Gustavson steuerte sich hinter den Commander und blickte zu der Öffnung im Überlebens-Aggregat, in der eigentlich das schnell auswechselbare Robotosteuer-Element stecken müßte. „Es ist weg", stellte er verblüfft fest. „Ich frage mich, wie der Grappo das so schnell bewerkstelligt hat. Immerhin mußten drei Sensorpunkte kontaktiert und ein physikalischer Verschluß geöffnet werden." „Und mich beschäftigt die Frage, wie der Bursche herausgefunden hat, welche Bedeutung das stabförmige Element besitzt, von dem er außerdem nur die Verschlußkappe sehen konnte", meinte Mario de Monti. „Er ist eben ein Grappo", sagte Cliff McLane mit säuerlichem Lächeln. „Und ich bin das Element los, wenn ich nicht sofort nachsetze." Mario lachte leise. „Wenn ich den Grappo richtig ein schätze, dann kehrt er um, falls du ihm nicht folgst, Cliff. Aber rase ihm ruhig schon hinterher. Harlan und ich holen Argus und folgen dir." McLane gab seine Zustimmung durch eine Handbewegung kund, dann beschleu nigte er. Von dem Grappo war nur noch ein Schemen zu sehen, denn die Sichtver hältnisse hatten sich bisher nicht gebessert. Es war weder Tag noch Nacht, sondern ein optischer Zustand, der sich mit nichts vergleichen ließ, was es an Sichtverhält nissen auf der Erde gab. Eigentlich hätte ich ihn schon aus den Augen verlieren müssen! schoß es dem Commander durch den Kopf. Anscheinend hat er verlang samt. Das bedeutet, er legt Wert darauf, daß ich ihm folge. Er will mich demnach in eine Falle locken. Aber diese Erkenntnis bewahrt mich nicht davor, ihm dennoch zu
folgen, denn ohne das RobotsteuerElement bricht die AtemluftRegenerierung innerhalb einer halben Stunde zusammen - und ohne logistischen Background läßt sich der Verlust nicht ersetzen. Unwillkürlich griff Cliff McLane zur HM-4, aber er zog die Hand wieder zurück, als ihm bewußt wurde, daß diese Reaktion im Vergleich zu der List des Grappos äußerst primitiv gewesen wäre. Inzwischen war er dem Grappo so nahe gekommen, daß er ihn wieder deutlich sah, doch schon wenige Sekunden später tauchte das Wesen in ein dünnes Nebelfeld ein, in dem seine Konturen nur seltsam verzerrt zu sehen waren. Cliff Allistair McLane mußte ihm not gedrungen folgen. Er besaß nur die Möglichkeit, durch erhöhte Wachsamkeit eine eventuelle Falle rechtzeitig genug zu erkennen. Deshalb musterte er den Boden unter der Nebelschicht besonders aufmerksam - und er entdeckte im Verlauf der Verfolgungs jagd tatsächlich etwas Besonderes. Eine Wannenfömige Vertiefung von schätzungsweise fünf Kilometern Breite, zehn Kilometern Länge und fünfzig Metern Tiefe, die zur Hälfte mit einer braungelben soßenartigen Substanz gefüllt war, deren Oberfläche sich kräuselte, Wellen schlug und vor exakt kreisrunden Löchern, die zur Hälfte aus der Substanz ragten, Strudel bildete. Über der „Wanne" war es deutlich wärmer als an anderen Stellen des Planeten. Deshalb auch der Nebel, der dadurch entstand, daß die aus der „Wanne" aufsteigende feuchtwarme Luft mit den eiskalten Luftmassen von außerhalb zusammentraf. „Zellplasma!" flüsterte Cliff. Der An blick erinnerte ihn sofort an Mahab, das Planetenmonstrum, aber er weckte nur freundliche Assoziationen, denn Mahab hatte sich damals trotz seiner monströsen äußeren Erscheinung als kooperationsbe
reiter freundlicher Partner erwiesen, auch wenn es kein absolutes Verständnis zwischen Menschen und dem Plasmawe sen gegeben hatte. Als der Commander sah, daß der Grappo seine Geschwindigkeit verringerte und nach rechts abbog, verminderte er seine Geschwindigkeit ebenfalls. Trotz seiner prekären Situation konnte er es nicht lassen, das Zellplasma in der „Wanne" konzentriert zu beobachten. Er riskierte so gar einen Tiefflug, um festzustellen, ob das Plasma darauf reagierte. Das Ergebnis war negativ. Cliff gewann den Eindruck, daß das Zellplasma kein Bewußtsein besaß und lediglich die Vorstufe von etwas darstellte, das irgendwo in der Tiefe hinter den kreisrunden Löchern saß und am laufen den Band mit Zellplasma versorgt wurde. In Gedanken versunken, hatte der Com mander fast völlig abgestoppt. Plötzlich schwebte der kleine Grappo dicht an seinem Gesicht vorbei, beschleunigte abermals und jagte davon. Cliff McLane seufzte, dann schaltete er sein Flugaggregat hoch und nahm die Verfolgung wieder auf. Wenige Minuten später sah er, wie der Grappo in einer Öffnung untertauchte, die sich in der Außenwand eines Bauwerks gebildet hatte, das so ähnlich aussah wie das „Gästehaus", aber ungefähr doppelt so groß war. Wieder stoppte Cliff unwillkürlich. Er drehte den Kopf und sah, wie Mario und Harlan aus dem Nebel über der „Wanne" auftauchten und auf ihn zuflogen, zwi schen sich Argus. „Warte!" rief Mario über Helmfunk. „Ich folge dem Grappo", erwiderte Cliff. „Mir bleiben höchstens noch zwanzig Minuten, also habe ich nichts mehr zu verlieren, wenn ich in eine Falle gehe. Aber ich fühle irgendwie, daß der Grappo nichts Böses will." „Ich wollte, ich könnte auch so etwas
fühlen", sagte Mario de Monti. „Aber du hast wirklich keine Wahl. Wir folgen dir jedenfalls sofort, Cliff." McLane winkte, dann flog er in die Öffnung, durch die der Grappo im Innern des Bauwerks verschwunden war. Ein unsichtbarer Energiestrudel packte den Commander und riß ihn durch einen röhrenförmigen Korridor von etwa drei Metern Durchmesser. Cliff fühlte sich hilflos herumgewirbelt. Zuerst versuchte er, mit seinem Flugag gregat der fremden Kraft entgegenzusteu ern. Als er merkte, daß das nichts nützte, schaltete er das Aggregat aus. Wenig später setzte ihn der Ener giestrudel in einer Halle mit leuchtenden Wänden ab, die von zahllosen farbigen Sensorpunkten wimmelten. Aber McLane achtete weniger darauf als auf den Grappo, der in zirka dreißig Metern Entfernung dicht über dem Boden auf der gegenüber liegenden Seite der Halle schwebte und so etwas wie ein Greiforgan ausgestreckt hatte, in dem er das Robotsteuer-Element hielt, als wollte er es Cliff zeigen. „Wenn ich nicht auf das Element ange wiesen wäre, könntest du mich!" schäumte Cliff. „Aber du weißt genau, daß ich es brauche - und du nutzt diese Tatsache schamlos aus." Er ging zu Fuß auf den Grappo zu. Allerdings kam er nur etwa fünfzehn Meter weit, dann prallte er so hart gegen eine schwach federnde unsichtbare Wand, daß er einige Meter zurückflog. Nach einigen Sekunden und einem Dutzend Flüchen fand der Commander sich mit der Tatsache ab, daß er nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen konnte, auch wenn die Wand eine unsichtbare war. Dennoch blieb sein Zorn auf den Grappo, der anscheinend höhnisch mit dem Robot steuer-Element winkte. In diesen Sekunden wäre Cliff McLane mit bloßen Fäusten auf den Grappo losgegangen, wenn die unsichtbare Wand
nicht gewesen wäre. Er kochte innerlich noch immer vor Zorn, als Mario, Harlan Gustavson und Argus eintrafen. „Dein Blutdruck ist explodiert", stellte Mario nach einem Blick in Cliffs Gesicht fest. „Er steht erst vor der richtigen Ex plosion, du Affe!" brauste Cliff auf. „Danke, gleichfalls", erwiderte Mario trocken. „Argus, marschiere doch mal hinüber und hole den Grappo!" Cliff öffnete den Mund, als wollte er etwas entgegnen, doch dann schloß er ihn wieder. In seinen Augen trat ein schaden frohes Glitzern, aber er drehte sich so, daß Mario es nicht sah. Argus marschierte los, von Cliffs Bli cken verfolgt. Als der Roboter die 15 Meter-Marke überschritten hatte und seinen Weg ungehindert fortsetzte, stieß Cliff eine gräßliche Verwünschung aus und rannte ihm hinterher. Aber schon nach wenigen Metern stopp te er wieder, streckte die Hände vor und ging langsam weiter. „Was machst du da eigentlich, Cliff?" fragte Mario und holte den Freund ein. „Übst du Schlafwandeln?" McLane wedelte mit den Händen. „Geh mir aus dem Weg, Chefkybernetiker!" Unwillkürlich wich Mario de Monti in Richtung auf den Grappo aus. Nach drei Schritten prallte er mit der Rückseite des Druckhelms gegen eine unsichtbare Wand und flog zurück. Nach hartem Anprall gingen er und McLane gemeinsam zu Boden. „Das war aber nicht fein, Herr McLane!" meinte Mario ironisch, nach dem er und Cliff sich entwirrt hatten. Plötzlich setzte sich McLane auf und lachte. „Jetzt dreht er vollends durch", bemerkte de Monti und seufzte. „Harlan, können Sie mir helfen, den Verstand McLanes wieder geradezubiegen?" „Tut mir leid, Mario", erwiderte Gustav son. „Aber wenigstens eine gute Informa tion gibt es: Die Luft in der Halle ist ein
atembares Sauerstoff-Helium-Gemisch und hat eine Temperatur von zweiund zwanzig Grad Celsius." „Tatsächlich!" sagte Cliff Allistair McLane nach einem Blick auf seinen Armband-Detektor und klappte seinen Helm zurück. Er stand auf und ging zu der linken Wand, an der eine bestimmte Kon stellation von bunten Sensorpunkten rhythmisch blinkte. Nach einem langen Blick darauf berührte er nacheinander verschiedene Punkte. Mario de Monti und Harlan Gustavson klappten ebenfalls ihre Helme zurück und schauten dem Commander verwundert zu. „Würdest du mir verraten, welches Spielchen du da spielst, Cliff?" erkundigte sich de Monti nach einer Weile. „Ein ziemlich kindisches Spiel", antwor tete McLane. „Aber wir haben es schließ lich mit einem Kind zu tun. Deshalb habe ich auch zuerst falsch reagiert, denn ich konnte ja nicht wissen, daß der Grappo nur mit uns spielen möchte." Mario de Monti warf einen miß trauischen Blick auf den Grappo, der sich nicht vom Fleck gerührt hatte. Er schien von Argus nichts zu befürchten. Allerdings war der kleine Roboter etwa zwei Meter vor ihm stehengeblieben und rührte sich nicht mehr. Cliff McLane hatte unterdessen alle Sensorpunkte der Konstellation berührt und trat einen Schritt zurück. Die Sensor punkte erloschen nicht, sondern verfärbten sich und leuchteten dann konstant in einem klaren Weiß. „Ich denke, damit habe ich die Barriere desaktiviert - und das war es wohl, was der Grappo von mir erwartete, obwohl er mich nicht als besonders intelligent eingestuft haben dürfte", sagte McLane. „Auf das nächste Spiel bin ich schon gespannt." Er ging zum drittenmal auf die Mitte der Halle zu - und diesmal fand er keinen Widerstand.
„Warum ist Argus durchgekommen?" fragte Mario und setzte sich ebenfalls in Bewegung. „Wahrscheinlich, weil er kein Le bewesen ist", sagte Cliff. „Aber das ist eine Vermutung." Er blickte den Grappo verwundert an. „Hallo, es wird Zeit, daß du ver schwindest!" sagte er. „Sonst kriege ich dich noch." Der Grappo bewegte sich nicht von der Stelle. Statt dessen streckte er Cliff sein Greiforgan mit dem Robotsteuer-Element entgegen. Der Commander war so verblüfft, daß er das Element an sich nahm und den Grappo ratlos anstarrte. Er hatte das Gefühl, als starrte der Grappo zurück, aber auf der Oberfläche des Wesens waren weder Augen noch Ohren zu sehen - und es gab anscheinend auch nichts, was einem menschlichen Sprechorgan ähnelte. Konnte es sein, daß die Grappos keine Verständigung mit den Menschen suchten, weil es zwischen ihnen und den Menschen aus biologischen Gründen keine Verstän digung geben kann? fragte sich der Commander. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Zwischen intelligenten Lebewesen muß es immer Möglichkeiten der Verständi gung geben, auch wenn sie sich noch so sehr voneinander unterscheiden! Aber Cliff wußte auch, daß das nur eine Annahme war, denn bisher hatte die Menschheit noch nicht so zahlreiche Kontakte mit fremden intelligenten Lebensformen gehabt, daß sie daraus auf die Kontaktmöglichkeiten mit allen existierenden Lebensformen zu schließen vermochte. „Gib schon her!" sagte Mario und nahm Cliff das Robotsteuer-Element aus der Hand. Innerhalb von drei Sekunden hatte er es wieder ins Überlebensaggregat eingesetzt. Als hätte der Grappo nur darauf gewar
tet, setzte er sich unvermittelt wieder in Bewegung. In der Wand hinter ihm bildete sich eine Öffnung, in der es rötlich leuchtete. Der Grappo tauchte in das rötliche Leuchten ein und verschwand. Und im nächsten Augenblick war Harlan Gustavson ihm gefolgt. 7. KINDERMUND „Was ist mit dir los, Mülltonne?" fuhr Mario den Roboter an. „Dein Partner jagt einem Grappo hinterher, und du stehst hier faul herum." Aber Argus antwortete nicht. Reglos stand er auf demselben Fleck. „Wir kümmern uns nachher um ihn!" rief Cliff dem Kybernetiker zu, als er sah, daß Mario den Roboter näher untersuchen wollte. „Zuerst müssen wir den Grappo wieder einholen!" Er stürzte sich ebenfalls in das rötliche Leuchten. Wie er fast erwartet hatte, geriet er abermals in den Sog eines Energiestru dels. Doch diesmal versuchte er gar nicht erst, sich dagegen zu wehren. Sekunden später wurde er sich der Tatsache bewußt, daß er aus unbekannten Gründen dem Grappo beziehungsweise den von den Grappos geschaffenen Einrichtungen vertraute. Irgendwann setzte der Energiestrudel Cliff auf dem Boden einer halbkreisförmi gen Halle ab, von deren etwa zehn Meter hohen gewölbten Decke zahllose konisch zulaufende Gebilde ragten, die großen Isolatoren ähnelten. Die glasartigen, aber nicht durch sichtigen Wände enthielten die inzwischen vertrauten Sensorpunkte. Aber sie enthiel ten noch mehr. Zwischen der verschiede nen Konstellationen der Sensorpunkte ragten ebenfalls konisch zulaufende Gebil de aus den Wänden. Auch sie ähnelten großen Isolatoren, aber sie waren durch schnittlich nur etwa zwei Meter lang,
während die von der Decke hängenden Gebilde durchschnittlich fünf Meter lang waren. Der Boden bestand aus einem me tallartigen, auf Hochglanz polierten Material, der unablässig die winzigen Entladungen widerspiegelte, die laufend zwischen den aus der Decke ragenden Gebilden erfolgten. Cliff McLane fühlte sich nicht nur unbehaglich, sondern auch wie jemand, der in einem Labor für experimentelle Hochenergieblitzerzeugung steht und darauf gefaßt sein muß, im nächsten Augenblick in einem grellen Blitz zu verschmoren. Das einzige, was ihn daran hinderten, sich sofort aus dieser „Todeshalle" zurückzuziehen, war das andere Bild, das sich ihm auf der gegenüberliegenden Seite bot. Dort stand Harlan Gustavson neben dem schwebenden Grappo und verfolgte interessiert, wie scheinbar von selbst mehrere Sensorpunkte flackerten und dann weiß wurden. Als dieses Phänomen aufhörte, tastete der Programmierungsspe zialist langsam, aber offenbar zielbewußt auf den Sensorpunkten derselben Konstel lation herum. Plötzlich ertönten unheimlich wirkende Laute. Sie klangen so ähnlich wie die Vokallaute, die ein zahlenmäßig großer Chor erzeugt, wenn er eine Melodie summt. „Gregorianischer Choral, gesummt", klang Marios Stimme neben Cliff auf. „Ähnliches genossen wir schon einmal als Stonehenge-Gesang." Cliff McLane neigte den Kopf leicht nach vorn und lauschte. „Nein, das hier ist anders, Mario", flüsterte er. „Das klingt mir mit einemmal mehr nach einem hymnischen Chorgesang - und ich höre sogar einzelne Worte, auch wenn ich sie nicht verstehen kann." „Ein Ode", erwiderte Mario de Monti
nachdenklich. „Ode an das Gute - so hoffe ich." Der Commander hob den Kopf wieder und starrte verblüfft zu Gustavson und dem Grappo hinüber und sagte: „Ich verwette meinen gesamten Konto stand gegen eine durchgewetzte Reithose, daß Harlan und der Grappo gemeinsam etwas schalten, das der gegenseitigen Überzeugung unserer sprachlichen Äußerungen dienen soll!" „Wieviel Minus hast du auf deinem Konto?" spottete Mario. Er war allerdings nicht ganz bei der Sache, denn auch er hatte einzelne Worte gehört, die entweder von dem Grappo oder von Harlan Gustav son oder von beiden Individuen kamen und - unter anderem - in der Sprache der Menschen übersetzt worden waren. Harlan schaute herüber und rief: „Jetzt funktio niert es für die einfache Verständigung! Die Grappos verständigen sich nur mit sechsdimensionalen Kommunikationsfel dern, die wir nur vage und unübersetzbar wahrnehmen können. Deshalb haben PrclHooch und ich gemeinsam eine WandelReflex-Schaltfeld-Kombination aufge schaltet, die die KOM-Felder in für uns hörbare Schwingungen verwandelt, während sie unsere Sprache in sinnvoll modulierte KOM-Felder umwandelt." „Ich werde verrückt!" entfuhr es Mario. „Es besteht kein Anlaß für euer Unter bewußtsein, sich in irrationale Vorstellun gen zu stürzen", ertönte es mit beinahe menschlicher Stimme. „War das der Grappo, der gesprochen hat?" fragte Cliff Allistair McLane und spürte, wie eine Welle freudiger Erregung ihn überschwemmte. Endlich eine sprach liche Verständigung zwischen Menschen und Grappos! „Wir sind die Grappos Prcl-Hooch", kam die Antwort - aber sie kam offenkun dig von einem Lebewesen. Cliff begriff, daß es einige gram matikalische Probleme gab, aber er war entschlossen, sie auszuklammern, denn es
gab Wichtigeres. „Ich bin Cliff McLane", sagte er. „Ver treter der irdischen Menschheit. Es stimmt mich sehr positiv, daß es zwischen uns zu einer sprachlichen Verständigung gekom men ist. Das läßt mich erwarten, daß es demnächst auch zwischen uns und den Grappos auf unserem Heimatplaneten zu einer Kommunikation kommen wird." „Deine Erwartung wird sich nicht erfül len, Cliff McLane", erwiderte der Grappo. „Unsere Intelligenz ist eine Vorstufe der Intelligenz erwachsener Grappos. Sie scheint in diesem unkomplizierten Vorstadium echter Intelligenz viele Gemeinsamkeiten mit eurer Intelligenz zu haben. Nur scheint es uns, daß ihr bereits die fertigen, erwachsenen Angehörigen eures Volkes seid." Mario wurde blaß. „Was redet er da?" hauchte er zutiefst erschrocken. „Ist es möglich, daß er meint, unsere Intelligenz ...? Nein, das kann nicht sein!" „Ich denke, es ist doch so", sagte Cliff McLane mit blassen Lippen. „Obwohl ich mir winzig vorkomme, wenn ich mir vorstelle, daß dieses Grappo-Baby sich nur deshalb mit uns verständigen kann, weil das, was bei ihm nur eine Vorstufe späterer echter Intelligenz ist, ungefähr auf der Basis menschlicher Intelligenz steht. hat einmal jemand gesagt, daß Kinder sich oft auf Anhieb glänzend mit Tieren verstehen?" „Es steht in einem Buch über Psycholo gie", sagte Mario de Monti. „Menschliche Kinder haben bis zum dritten Lebensjahr ein relativ gering differenziertes Zentral nervensystem. Es ähnelt in dieser Phase der Entwicklung funktionell dem soge nannter intelligenter Haustiere. Ab dem dritten Lebensjahr differenziert es sich sehr stark, bis es sich beinahe grundlegend von dem vorherigen Gehirn unterscheidet und deshalb sogar keine Erinnerungen der ersten Phase mehr besitzt." „Menschen können also niemals klüger
werden als Grappo-Babys", stellte Cliff tonlos fest. „Nun, das läßt sich nicht ändern. Aber wenn wir schon die Chance erhalten, mit einem Grappo zu sprechen, der auf unserem niedrigen Intelligenzni veau steht, dann wollen wir auch versu chen, möglichst auf alle mit den Grappos zusammenhängende Fragen die richtigen Antworten zu bekommen." * „Wir werden euch helfen, so gut wir können, wenn ihr uns versprecht, später mit uns in diesem Spiel- und Lernhort zu spielen", erklärte Prcl-Hooch. „Das versprechen wir dir", erwiderte Cliff McLane. „Als erstes interessiert uns, was ihr Grappos eigentlich seid. Manch mal dachten wir, ihr wäret so etwas wie Roboter, aber manches an eurem Verhal ten schließt eine robotische Natur aus." „Das kommt darauf an, welchen Ent wicklungstyp von Roboter du meinst, Cliff McLane", sagte der Grappo. „In der Föderation gibt es Roboter, die sowohl physisch als auch psychisch und ethisch sowie psionisch über manchen Subzivilisa tionen der Föderation stehen." „In der Föderation gibt es Roboter ...?" fragte Cliff. „Wir nahmen an, die Födera tion existiert schon seit vielen Tausenden, wahrscheinlich sogar seit vielen Millionen Jahren nicht mehr, da die Schwingen der Nacht beide Urmächte vernichteten." „Das wußten wir nicht", erwiderte PrclHooch. „Aber dann sind wir Grappos ja seit unendlich langen Zeiten grundlos auf die Quarantänewelten verbannt!" „Am besten erzählst du uns etwas über die Entwicklungsgeschichte der Grappos, Prcl-Hooch!" warf Mario de Monti ein. „Unser Wissen darüber ist lückenhaft, da die Älteren manche Fakten geheimhalten", erklärte der Grappo. „Aber soviel wissen wir, daß wir Grappos uns ursprünglich getrennt - und zwar auf Welten mit ganz
unterschiedlichen Lebensbedingungen entwickelten, bevor beide Komponenten eine Symbiose eingingen. Die Gor-Ramen-Akith (die WandelReflex-Schaltfeld-Kombination nannte den Namen der Grappo-Sprache und zusätzlich den Sinngehalt in der Sprache der Men schen, in diesem Falle Die-im-Dunkeln leben) entwickelten sich auf Planeten, die infolge Aufbereitung und Ausbeutung ihrer Sonnen durch die Föderation stark abgekühlt waren und durch herangewehten Aufbereitungsabfall eine Anreicherung der Oberflächen mit schweren Elementen erfahren hatten. Da die assoziativen Prozessoren, also die materiellen Voraussetzungen für die Intelligentwerdung, bei den Gor-RamenAkith selbstverständlich auch aus schwe ren, leitenden Elementen bestehen, verwenden sie selbstverständlich als Signalträger elektrische Ströme, können also erheblich schneller denken und kombinieren als organische Intelligenzen." „Soll das heißen, die Gor-Ramen-Akith seien anorganische Lebewesen?" fragte Cliff erregt. „So ist es, Cliff McLane", antwortete Prcl-Hooch. „Die Gor-Ramen-Akith machten, nachdem sie erst einmal die Basisstufe der Intelligenz erreicht hatten, eine Art Intelligenzexplosion durch. Das verschaffte ihnen innerhalb der Föderation eine Sonderstellung." „Welcher Art war denn diese Son derstellung?" wollte Mario de Monti wissen. „Auf der Erde haben beispielswei se Psychopathen auch eine Sonderstel lung." „Wir verstehen nicht", sagte der Grappo. „Das ist auch nicht möglich", erwiderte Cliff. „Mario, laß bitte solche Bemerkun gen, die für Fremde erst nach langwierigen Erklärungen verständlich werden. Bitte, Prcl-Hooch, berichte weiter!" „Das Rudraja, also das Böse, das seine Kräfte im Dunklen Imperium gesammelt
hatte, fürchtete, die Gor-Ramen-Akith könnten zur führenden Kraft der Föderati on werden und infolge ihrer Intelligenz den bis dahin unentschiedenen Kampf zwischen Rudraja und Varunja für das Varunja entscheiden. Sie setzten deshalb ihre durch genetische Manipulationen herangezüchtete Geheimwaffe, die PjuPara-Oker-Sam (Ihr-sät-die-Kraft-wir herrschen) auf die Gor-Ramen-Akith an. Beide Rassen lieferten sich einen wech selhaften, verlustreichen Kampf, bis die Gor-Ramen-Akith es infolge ihrer überle genen Intelligenz fertigbrachten, daß sie und die Pju-Para-Oker-Sam sich verbün deten. Ihr Ziel war die Beseitigung der Mächte des Rudraja und des Varunja und die gemeinsame Herrschaft über das Universum. Damit keine Seite Verrat üben konnte, gingen die beiden Rassen eine Symbiose ein, die in dem Sinn unlösbar war, daß ein Auseinandergehen der Symbiosepartner zum Intelligenzverfall geführt hätte." „Gor-Ramen-Akith - Pju-Para-OkerSam", sagte Cliff nachdenklich. „G-r-a-p p-o-s. Der Name ist also aus der Zusam menziehung der Anfangsbuchstaben beider Artennamen entstanden. Deshalb sprichst du auch von dir in der Mehrzahl, Prcl-Hooch, denn du bestehst aus zwei Symbiose-Partnern. Grammatikalisch gibt es demnach bei euch keine Einzahl. Aber ich denke, wir Menschen lassen es bei der bisherigen Sprachregelung. „Eine aufregende Sache", stellte Harlan Gustavson fest. „Wie sieht diese Symbiose zwischen organischem und anorganischem Partner eigentlich praktisch aus? Ver schmelzt ihr miteinander?" „Der anorganische Partner bildet die Hülle des gemeinsamen Körpers aus und führt die manuellen Tätigkeiten durch", antwortete Prcl-Hooch. „Der organische Partner lebt im Innern dieser Hülle und schützt sie vor schädlichen Umwelteinflüs sen, indem er sie mit seiner psionischen
Ausstrahlung durchtränkt." Prcl-Hooch redete weiter, aber Cliff Allistair McLane hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Vor seinem geistigen Auge rollte eine Entwicklung ab, die so phantastisch war, daß die Exobiologen der Erde bei ihren theoretischen Möglichkeits konstruktionen von Extraterrestriern diese Möglichkeit niemals errechnet hatten. Eine Symbiose zwischen zwei Extremen von intelligenten Lebensformen: organi schem und anorganischem Leben, deren Evolutionen total verschiedene Wege gegangen sein mußten. Der anorganische Exosymbiont gab dem Grappo, der eigentlich „die Grappos" heißen mußte, das äußere Erscheinungsbild, besorgte Wahrnehmungen und manuelle Handlun gen - und dominierte wahrscheinlich. Der organische Endosymbiont lebte innerhalb des anorganischen Hüllkörpers, der ihn sicherlich vollständig versorgte - und er besaß eine psionische Ausstrahlung, die den anscheinend empfindlichen anorga nischen Hüllkörper durchtränkte und ihn damit vor schädlichen Umwelteinflüssen schützte. Und gemeinsam verfügten beide Symbi onten über ein Intelligenzpotential, das auch qualitätsmäßig weit über dem menschlichen lag. Kein Wunder, daß die erwachsenen Grappos niemals auch nur die Möglichkeit erwogen hatten, die dominierende Art der Erde könnte intelligent sein. Oder hätten sie es doch merken müssen? Immerhin hatten sogar die mehr oder weniger leblosen Hinterlassenschaften der Föderation die Raumfahrer der ORION als intelligente Lebewesen eingestuft, wenn auch, schmerzlich für die Menschen, als Angehörige einer sogenannten Ent wicklungszivilisation. Etwas stimmte hier nicht. *
Cliff erwachte aus seinem Grübeln und merkte, daß der Grappo schwieg. „Warum liegt um dieses Sonnensystem eine Dunkelfeldbarriere?" fragte er. „Du meinst wahrscheinlich den Quaran täneschirm, Cliff McLane", erwiderte PrclHooch. „Das Varunja hat seine Projizie rung und Langzeitstabilisierung veranlaßt. Als die Grappos - den Namen hat übrigens die Föderation aus den beiden Ras sennamen gebildet - sich gegen das Varunja und das Rudraja vereinten, kämpften beide Mächte gegen sie. Das Rudraja schickte ganze Raumflotten zu den Heimatwelten, setzte riesige Heere von Mharuts ab und ließ die Grappos verfolgen und töten. Den Überlebenden blieb weiter nichts übrig, als in ihre Raumschiffe zu steigen, ihre Heimatwelten zu verlassen und auf fremden Planeten Zuflucht zu suchen. Viele von ihnen gerieten in die getarnten Quarantänefallen des Varunja. Dort wurden sie durch die Quarantäneschirme gegenüber dem übrigen Universum isoliert, aber auch wirksam gegen die Verfolger geschützt. Seitdem sind zahllose Generationen gekommen und vergangen. Aber wir Grappos haben nie aufgehört, nach Möglichkeiten zu suchen, die Quarantäne schirme aufzubrechen. Gleichzeitig konstruierten wir Geräte, mit denen wir uns in die unzähligen Haltepunktstationen der Föderation einzuschalten versuchten, um durch andere, nicht gesperrte Sonnen systeme in die Freiheit zu gelangen. Es mißlang bis vor kurzer Zeit, als sich plötzlich eine Phasenüberlappung mit einem Haltepunktsystem in einem anderen Sonnensystem ergab. Wir Grappos auf Eltthor nutzten die Chance - das heißt, die Erwachsenen nutzten sie - und gingen durch unseren Haltepunktanschluß in das andere Sonnensystem. Dort trafen die Erwachsenen auf Grap pos von anderen Quarantänewelten, die
ebenfalls entschlossen waren, die Chance zu nutzen. Da das andere Sonnensystem mit einer unbekannten Sicherheitsschal tung versehen worden war, die bald nach unserem Eintreffen einen Quarantä neschirm um das betreffende System aufbaute, war uns Grappos abermals der direkte Weg in die Freiheit versperrt." Die drei Menschen konnten lange Minu ten nichts sagen. Die Informationen, die der Grappo ihnen gegeben hatte, ließen ihnen die eigene Existenz und die Existenz der Menschheit erneut als unscheinbares Nebenprodukt biochemischer Prozesse erscheinen - ein Nichts gegen das, was einmal gewesen war. Mario de Monti befreite sich zuerst von der Depression, in die sie alle gestürzt worden waren. „Aber warum bleiben dann die Grappos im Sonnensystem der Menschheit?" fragte er gequält. „Wenn sie doch von da aus nicht in die Freiheit kommen, warum stürzen sie die Menschheit in so tiefe Ver zweiflung?" „Genau können wir es nicht sagen", erwiderte Prcl-Hooch. „Dazu sind die wissenschaftlichen Voraussetzungen zu kompliziert für unsere gerade erwachende Intelligenz. Wir wissen nur, daß die Grappos versuchen wollen, sogenannte Schwingungs-Träger-Modulatoren - wir bemühen uns um vereinfachende Definiti onen von Fakten und Prozessen, die ihr in ihrer Kompliziertheit niemals verstehen könntet - zu finden, die von einem Hilfsvolk des Varunja dort deponiert wurden, und mit ihrer Hilfe die reale und fortlaufende Trägerschwingung durch gezielte Beeinflussung des Modula torkomplexes zu irrealisieren und die Trägeramplitude mittels einer verwandten Schwingung zu modulieren." Mario stöhnte verzweifelt. „Ich verstehe kein Wort! Cliff, hast du etwas begriffen?" „Die Begriffe sind andromeda'sche Planetennamen für mich", erwiderte
McLane bedächtig. „Aber ich verstehe, daß die Invasoren auf der Erde eine Hinterlassenschaft aus dem Kosmischen Inferno suchen, die ihnen dabei helfen soll, ihre Freiheit wiederzugewinnen." „Aber dann haben sie die Erde und die Nachbarplaneten nur deshalb überfallen, weil sie verzweifelt sind und nach etwas suchen, das ihnen hilft!" stieß Harlan Gustavson hervor. „Ich glaube, ,überfallen' ist sogar über trieben, denn sie sind einfach nur gekom men, um etwas zu suchen - und haben dabei nicht bemerkt, daß sie einem Volk schaden, das dabei ist, intelligent zu werden", sagte Mario de Monti. „Nur eines begreife ich nicht, Prcl-Hooch: Warum schaffen die Grappos es trotz ihrer hohen Intelligenz und ihrer ebenfalls sehr hochstehenden Technologie nicht, die Quarantäneschirme beziehungsweise Dunkelfeldbarrieren aufzureißen? Ich möchte wetten, wir Menschen hätten das Problem innerhalb einiger Jahre gelöst." „Glaubst du das wirklich?" fragte PrclHooch. „Aber selbstverständlich!" ereiferte sich Mario. „Wir müßten vorher nur feststellen, woraus die Dunkelfeldbarriere besteht." „Genau können wir das nicht sagen", erwiderte der Grappo. „Wir wissen nur, daß alle Quarantäneschirme je eine Innenund eine Außenfläche haben, die durch schnittlich neunzig Milliarden Kilometer voneinander getrennt sind. Die In nenflächen lassen sich von beiden Seiten im Hyperspace durchdringen; die Außen flächen dagegen sollen jeden derartigen Versuch mit Vernichtung strafen, da eine sogenannte Syntho-Reaktions-Rückkop plung alle von außen auftreffende Materie in Antimaterie verwandelt. Die Folge ist eine Reaktionsschicht, die sich über alle Dimensionen erstreckt, so daß sie prak tisch der Grenze zu einem anderen Universum gleichkommt und damit undruchdringlich wird."
„Das bezweifle ich!" rief Mario de Monti. „Diese Reaktionsschicht ist doch nichts anderes als die gute alte Leiden frostschicht, von der wir auf der Raum akademie alles lernen mußten, was man damals davon wußte." Er preßte die Fingerspitzen an seine Schläfen und dachte mit geschlossenen Augen nach, dann öffnete er die Augen und sagte: „Es gab sogar eine Theorie darüber, wie man eine solche Schicht durchlöchern und an der hypothetischen Grenze zwischen unserem Universum aus Normalmaterie und dem spiegelbildlichen Universum aus Antimaterie unbeschränkte Mengen Energie gewinnen könnte. Wie hieß doch der Wissenschaftler, der diese Theorie aufgestellt hatte?" „Es war der Ambiplasma-Physiker Professor Dr. Dr. Eugen Charlier", sagte Cliff McLane aufhorchend. „Seine Theorie klang recht überzeugend. Prcl-Hooch, aus dem Spiel ist Ernst geworden. Vielleicht sind wir primitiven, unintelligenten Men schen in der Lage, euch superintelligenten Grappos zu helfen - und unser Heimatsys tem dadurch von einer Invasion zu befreien, deren psychische Schockwirkung das Schlimmste sein dürfte, was der Menschheit jemals zugestoßen ist." 8. WEG INS UNGEWISSE Eine ganze Weile sagte niemand ein Wort. Die Menschen hatten genügend gehört, worüber sie grübeln konnten - und das Grappo-Baby nahm offenbar Rück sicht darauf. Das Schweigen wurde Minuten später durch das Auftauchen Argus' gebrochen. Der Roboter wurde von dem gleichen Energiestrudel ausgespien, der die drei Menschen und Prcl-Hooch befördert hatte. Mit blinkenden Datenfenstern, langsam rotierenden Antennen und gleichmäßig
schwingenden Armen bewegte sich der Roboter summend und pfeifend auf den Grappo zu, der neben Harlan Gustavson dicht über dem Boden schwebte. „Ich habe deine Erklärungen mitgehört, Prcl-Hooch", sagte er und gab ein paar melodische Pfeiftöne von sich. „Du bist zwar kein Roboter wie ich, aber wir beide stehen doch hoch über rein organischen Intelligenzen. Laß uns Freunde sein!" „Freunde?" fragte der Grappo. „Die KOM-Felder schaffen keine Entsprechung in der sechsdimensionalen Sprache unserer Völker. Was bedeutet das Wort?" „Freundschaft zwischen zwei Le bewesen bedeutet, daß jeder die Interessen des Freundes genauso achtet wie seine eigenen Interessen und in jeder Lage zu ihm hält." „Kurz gesagt, daß man miteinander Pferde stiehlt", warf Mario de Monti ein. „Was heißt ,Pferde'?" fragten Argus und Prcl-Hooch gleichzeitig. „Pferde sind große Tiere mit vier Bei nen, die sich von Menschen zum Reiten benutzen lassen und früher sogar Räder fahrzeuge gezogen haben", sagte Harlan Gustavson. „Sie haben noch viel mehr für die Menschheit geleistet", warf Cliff McLane ein. „Und warum stehlen Freunde Pferde?" erkundigte sich das Grappo-Baby. „Stehlen ist doch ein Eigentumsdelikt, oder?" „Richtig!" antwortete Mario. „So etwas kennt ihr also trotz eurer Intelligenz auch. Aber im Fall der Freundschaft darf das mit dem Pferdestehlen nicht wörtlich genom men werden. Es bedeutet nur, daß Freunde einander blind vertrauen können." „Wir finden, das ist eine schöne Ange wohnheit", sagte Prcl-Hooch. „Argus, es stimmt uns positiv, daß wir Freunde sein wollen." „Na, das ist doch wenigstens etwas!" meinte Cliff sarkastisch. „Wir haben zwar
die Menschheit nicht gerettet, aber wenigstens Freundschaft zwischen einem Kind der Invasoren und einem irdischen Roboter gestiftet!" „Wir bedauern sehr, daß wir euch nicht helfen konnten", sagte Prcl-Hooch. „Vielleicht kannst du uns doch helfen", sagte Mario. „Wenn du zwischen euren Erwachsenen auf Eltthor und uns vermit telst, wäre der Menschheit schon viel geholfen. Auf dich würden sie doch sicher hören, wenn du ihnen erklärst, daß wir ge nauso oder fast genauso intelligent sind wie du selbst." „Wir wissen nicht, ob sie auf uns hören würden", erwiderte der Grappo. „Aber es ist gar nicht möglich, es zu versuchen, denn alle Erwachsenen sind durch das Haltepunkt-System gegangen." „Alle Erwachsenen?" fragte Mario verblüfft. „Wie viele Erwachsene leben denn auf Eltthor?" „Rund dreitausend", antwortete PrclHooch. „Nur rund dreitausend?" wiederholte McLane. „Dann müssen Grappos von sehr vielen anderen Sonnensystemen in unser Sonnensystem gekommen sein, denn allein bei Stonehenge hatten sich rund zehntau send versammelt." „Deshalb das unterschiedliche Aussehen der Grappos!" sagte Mario. „Klar, auf jeder früheren Heimatwelt unterschieden sich die Umwelt-bedingungen von den anderen Grappo-Welten und führten natürlich auch zu Unterschieden zwischen den Evolutionsprodukten." Er schüttelte den Kopf. „Dennoch begreife ich nicht, warum die Gemeinsamkeiten überwiegen. Wenn sich die Grappos auf zahlreichen verschiedenen Welten entwickelt haben, dürfte es so gut wie keine Gemeinsamkei ten geben - außer der Intelligenz viel leicht." „Aber wir haben doch erklärt, daß wir Grappos von zwei Rassen abstammen, die sich unter sehr ähnlichen Bedingungen
entwickelten. Alle Heimatwelten der GorRamen-Akith waren ursprünglich heiße Planeten, die infolge der Aufbereitung und Ausbeutung ihrer Sonnen durch die Föderation wegen Verringerung des Strahlungseinfalls stark abkühlten und zuvor durch den von starken Sonnenerup tionen und Sonnenwinden herangewehten Aufbereitungsabfall mit schweren Ele menten angereichert wurden. Alle diese Planeten, die außerdem noch die gleiche Größe und Masse und etwa das gleiche Alter besaßen, brachten als Ergebnis der gleichartigen Veränderungen in einer explosiven Evolution im Prinzip gleichartige Intelligenzen hervor. Die Unterschiede in Form und Körpermasse sind deshalb lediglich Variationen im Rahmen eines genetischen Grundtyps." Erneut sahen sich die drei Menschen vielsagend an. Es war fast zuviel, was sie geistig verar beiten sollten, und es überstieg im Grunde genommen die menschliche Vorstellungs kraft, daß sich auf Hunderten oder sogar Tausenden von Planeten verschiedener Sonnensysteme und vielleicht sogar ver schiedener Galaxien unabhängig vonein ander anorganische intelligente Lebewesen entwickelt hatten, die trotz fehlender genetischer Verwandtschaft in ihren Metabolismen und ihren Eigenschaften und Fähigkeiten Identität aufwiesen. Und das alles sollte dadurch ausgelöst worden sein, daß die Föderation zahlloser Zivilisationen aus zahllosen Galaxien zahllose Sonnen „bergbautechnisch" aufbereitete und ausbeutete. Es mußten Milliarden von Sonnen gewesen sein, die auf diese Weise teilweise „abgebaut" worden waren, denn selbstverständlich konnte sich durch diesen Vorgang nur dort intelligentes Leben entwickeln, wo die betreffenden Sonnen überhaupt Planeten besaßen und wo die betreffenden Planeten nicht zu weit von ihrer Sonne entfernt und nicht zu groß und nicht zu klein waren -
und was der Voraussetzungen sonst noch sein mochten. Die Menschheit war tatsächlich im Vergleich zu den Grappos unwissend. „Prcl-Hooch!" sagte Cliff McLane nach einiger Zeit. „Wir müssen zu unseren Gefährten zurückkehren und mit ihnen beraten, was wir tun können. Möchtest du uns begleiten oder wollen wir eine Zeit und einen Treffpunkt vereinbaren? Selbstverständlich möchten wir mit dir in Kontakt bleiben." „Wir sollten eine Zeit und einen Treff punkt ausmachen", entschied der Grappo. So geschah es. * Sie saßen auf gepolsterten Bänken aus Glasfaserpkastik in einem Raum im „Gästehaus" und aßen aus gläsernen Schüsseln, die vor ihnen auf einem langgestreckten Tisch standen. „Das habt ihr wirklich ausgezeichnet hingekriegt", meinte Cliff McLane. Hasso Sigbjörnson klopfte sich auf den Bauch. „Intelligenz, Leute! Wer hungrig ist, findet auch einen Weg zur gefüllten Speisekammer." Leandra de Ruyter lächelte. Sie hatte sich inzwischen wieder gefangen. Im Grunde genommen ging alles ganz leicht, nachdem wir herausgefunden hatten, daß es ein Bild-Ton-Verständi gungssystem in dieser kombinierten Wohn-Lern-Maschine gibt. Wenn man die richtigen Schaltungen betätigt, bekommt man alles - oder doch fast alles. Nur mit metallenen Gütern scheint man hier zu geizen." „Weil Metalle die lebensnotwendigen Nahrungsbestandteile der Exosymbionten sind", erklärte Mario de Monti. „Sie scheinen außerdem relativ knapp zu sein und die Grappos können ihr Sonnensystem nicht verlassen, weil der Quarantäne
schirm sie daran hindert." Leandra nickte. Mario hatte im Grunde genommen nichts Neues für sie gesagt, denn Cliff hatte schon berichtet, was sie von PrclHooch erfahren hatten. Helga Legrelle trank aus einem Glas ein synthetisches Fruchtgetränk, dann sagte sie: „Hier auf Eltthor können wir nichts mehr für die Menschheit tun, Freunde. Wir müssen zur Erde zurück und noch einmal versuchen, eine Kommunikation mit den Grappos herbeizuführen." „Du meinst, indem wir das Halte punktsystem benutzen?" fragte Atan Shubashi. „Zu Fuß werden wir es kaum schaffen", erwiderte die Funkerin ironisch. „Wir wissen ja nicht einmal, wo der Planet Eltthor sich befindet, ob fünfzig, fünftau send oder fünfzig Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt." „Es dürfte den Grappos mißfallen, wenn wir ihre Gastfreundschaft verschmähen", meinte Arlene. „Auf Eltthor sind keine Grappos", entgegnete Hargus. „Doch, mein Freund Prcl!" entrüstete sich Argus. „Richtig!" sagte Cliff McLane und blickte Harlan Gustavson an. „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihren Roboter mal hinausschicke, damit er ein paar Bodenproben holt und einige der herum schwebenden Strukturen einsammelt?" „Aber nein!" antwortete der Pro grammierungsspezialist. „Du hast es gehört, Argus?" „Gehört schon!" keifte Argus. „Aber ich gehe nicht. Ich sammle Daten, aber keinen Müll!" Harlan Gustavson errötete und suchte vergeblich nach Worten. Mario de Monti erhob sich und trat zu dem Roboter, der am Kopfende des langen Tisches stand. „Er will mich verschrotten!" zeterte
Argus. Der Kybernetiker grinste und tätschelte den „Kopf" des Roboters. „Aber nicht doch, Argilein! Ich will dir nur erklären, daß es sich bei den Boden proben und den Schwebestrukturen keineswegs um Dreck handelt, sondern um die möglicherweise wertvollsten Datenträ ger, die der Menschheit jemals vor die Füße gelaufen sind. In ihnen stecken näm lich Daten über die wichtigsten Lebens grundlagen der Grappos und über andere organische und anorganische Lebewesen dieses Planeten. Die Daten brauchen nur durch entsprechende Untersuchungen zu Tage gefördert werden. Aber wenn du die Datenträger nicht sammelst, wirst du später auch nicht die betreffenden Daten sammeln können." Er wandte sich um, ging zu seinem Platz zurück und setzte sich, ohne Argus weiter zu beachten. Der Datenroboter blinkte eine Weile mit seinen Datenfenstern, ließ die Sensoren rotieren und flöteten nachdenklich, dann sagte er: „Deine Erklärungen wurden ausgewertet und für logisch begründet befunden, Herr de Monti." Er bewegte sich zum Schott und verließ den Raum. Cliff McLane atmete auf und sagte: „Gut gemacht, Mario!" er seufzte. „Mir fiel vorhin gerade noch rechtzeitig ein, daß wir in Argus' Anwesenheit nicht über unsere Flucht von Eltthor reden dürfen, denn da der Roboter Prcl als seinen Freund ansieht und davon überzeugt ist, daß Freunde keine Geheimnisse voreinander haben dürfen, hätte er ihn bestimmt informiert." „Und Prcl ist trotz allem ein Grappo", fügte Mario hinzu. „Er hätte es sicher für seine Pflicht gehalten, uns am Verlassen von Eltthor zu hindern - und wahrschein lich wäre es ihm leichtgefallen." „Wann?" fragte die Admiralin und
bewies damit, daß sie grundsätzlich mit einer Flucht einverstanden war. „In einer Stunde brechen wir auf", sagte McLane. „Harlan, Sie werden unmittelbar vor dem Aufbruch Ihrem Roboter sagen, wir wollten Prcl-Hooch suchen, um mit ihm zu verhandeln. Falls Argus behaupten sollte, er würde den Grappo schneller finden als wir, dann schicken Sie ihn auf die Suche und erklären ihm, er möchte mit Prcl-Hooch zu dem Bauwerk kommen, in dem wir vorhin miteinander gesprochen haben. Das wird ihm logisch erscheinen, da nur dort eine sprachliche Verständigung mit Prcl-Hooch möglich ist." „Aber dann bliebe Argus ja auf Eltthor zurück!" sagte Harlan Gu-stavson entsetzt. „Ich denke, das wäre nicht schlimm für ihn", erwiderte Cliff. „Er bliebe ja bei einem Freund." Die Menschen schauten dem Roboter nach, wie er mit der Dunkelheit außerhalb des Sichtbereichs verschmolz. „Ich habe direkt ein schlechtes Ge wissen", meinte Gustavson. „Wir holen ihn zurück, wenn das mög lich ist", versprach Cliff Allistair McLane. „Sie haben mein Wort darauf, Harlan." Sie waren inzwischen mit Hilfe der Flugaggregate weitergeflogen und bremsten ab, als in zirka hundert Metern Entfernung die Kuppel aus Glasfaserplas tik auftauchte, in der sich der Eingang zu dem Schacht befand, durch den man indirekt zum hiesigen Haltepunkt gelangte. Die Menschen landeten unmittelbar vor der torähnlichen Öffnung der Kuppel. Aufmerksam sahen sie sich um. „Prcl-Hooch scheint nicht einmal auf den Gedanken zu kommen, daß wir mit Hilfe des Haltepunkts fliehen könnten", meinte Hasso. „Um so besser", erwiderte Cliff McLa ne.
Sie drangen in die Kuppel ein, flogen durch den Schacht und kamen durch den Tunnel und die Schleuse in die Felsen kammer und von dort aus mit Hilfe einer Transportspirale auf die stählerne Terrasse mit dem Hilfsinstrument des komplizierten Transportsystems. „Wir wußten, daß ihr kommen würdet", sagte Prcl-Hooch, der vor den Schaltungen schwebte. „Ihr hattet keine Fragen gestellt, als wir das Haltepunkt-System erwähnten. Es erschien deshalb logisch, daß ihr damit vertraut seid. Aber dieser Haltepunkt kann nur aktiviert werden, wenn er einen Kurzimpuls aus sechsdimensionaler Energie erhält. Das haben wir getan. Wir wünschen euch Erfolg." Die Menschen waren überwältigt. Sie hatten Widerstand erwartet und bekamen Unterstützung. „Wir danken dir, Prcl-Hooch!" sagte Cliff McLane. „Und wir wünschen, daß wir uns wiedersehen." „Nehmt mich mit!" rief Argus von der Schleuse her. „Ihr wolltet mich doch nicht zurücklassen?" „Aber, aber!" erwiderte Mario de Monti. Cliff McLane konzentrierte sich auf das Sensormuster, bis nichts außer ihm existierte. Als seine eigene Existenz in den Hintergrund des Bewußtseins gerückt war, bekam Cliff die Realvision der Halte punkt-Übersicht eingespielt - und er erkannte nach einiger Zeit, wo sich Eltthor befand. Mühsam hielt er die Konzentration aufrecht, nahm den Reflexkode in sich auf und verdrängte das Wissen um die ungeheure Entfernung, die es zu überbrü cken galt. Ein kleiner, amboßförmiger Grappo schwebte im Hintergrund der Halle und beobachtete, wie die Umrisse der Menschen und seines Freundes Argus unscharf wurden und die Besucher schließlich verschwanden.
ENDE
Die Erlebnisse auf der Quarantänewelt und die Freundschaft mit Prcl-Hooch öffneten den Raumfahrern der ORION und ihren Begleitern die Augen über so manche Rätsel, die im Zusammenhang mit der Grappo-Invasion aufgetaucht waren. Sie zeigten auch eine vage Möglichkeit auf, wie die Invasion beendet werden könnte, ohne daß es zu einem „heißen Krieg" käme, der der Menschheit mehr schaden würde als die Invasion selbst. Wie die ORION-Crew versucht, diese Möglichkeit zu realisieren, schildert Hans Kneifel in vier Wochen in seinem neuen ORION-Roman mit dem Titel BRÜCKE INS ALL