IMPRESSUM Romane des Projekt 99 erscheinen mit freundlicher Genehmigung der Erben Kurt Brands und des HJB Verlag + Shop bei HEUL-Press für den REN DHARK Club. Anzeigenleitung, Bestellungen & Vertrieb: Heinz Mohlberg, Hermeskeiler Str. 9, 50935 Köln Fon/Fax 0221 / 43 80 54 email:
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REN DHARK
DIE GROSSE SF STORY VON KURT BRAND Band 106
Quarantänezone Terra! Thomas Martner
Es ist den Terranern gelungen, einen Grako in ihre Gewalt zu bringen, einen jener goldenen Menschen, die vor langer Zeit Terror und Vernichtung über die Milchstraße gebracht haben sollen. Eine Untersuchung in der Cyborg-Station im Brana-Tal ergibt, daß der Grako von einem Mental-Parasiten, einem Mensiten, kontrolliert wird. Mit den Synties, jenen rätselhaften, tropfenförmigen, halbenergetischen Lebewesen, geht eine unerklärliche Veränderung vor sich. Ohne ersichtlichen Grund greifen sie das Volk der Nogks an und zwingen diese, sich hinter mehrdimensionale Schirmfelder zurückzuziehen. Colonel Huxley erfährt von den Utaren, den engsten Vertrauten der Synties, daß er eine Antwort auf das Rätsel nur auf dem Planeten der Quelle des Lebens finden wird. Ren Dhark startet unterdessen mit der POINT OF zu einer Rettungsaktion, denn man hat einen Notruf der Amphis empfangen. Als die POINT OF in jene Dunkelwolke eindringt, aus der der Notruf kam, wird sie angegriffen und in das HyKon, eine unbekannte Dimension geschleudert. Die Terraner geraten in die Hände der gestrandeten Amphibienwesen, denen sie die Rettung bringen wollen. Der
Commander begegnet ihrem Anführer Enok, den er von einer Zusammenarbeit überzeugen kann. Enok vertraut ihm an, daß die Amphis versuchten, ihre Brut vor den Magnetorkanen der Galaxis in Sicherheit zu bringen. Mit Hilfe von Ralf Larsens Centauri-Geschwader bringt man die Amphis zurück nach Ondur. Janos Szardak indes findet tatsächlich die Heimat der Synties und trifft dort auf die Zeittänzerin Haika. Sie erklärt Szardak die Ursache für die Entartung der Synties und kennt die einzige Möglichkeit sie zu heilen. Die Rückkehr zur Quelle! Doch damit sich alle Synties dort versammeln muß ein neues Energiewesen geboren werden – einer der Menschen muß sich transformieren lassen. Die unheilbar erkrankte Janna Czohr opfert sich und rettet so in letzter Sekunde die Nogks vor der Vernichtung Olan, der weise Anführer der Salter, entrinnt auf Terra nur knapp einer Katastrophe. Der Wohnturm, in dem er seine Mitarbeiter aufsuchen wollte, explodiert. Seine Artgenossen, die sich dort aufhielten, sind alle dem Unglück zum Opfer gefallen. Aber war es wirklich ein Unglück? Bernd Eylers bezweifelt dies und betraut seinen besten Agenten mit den Ermittlungen. Im Brana-Tal wird Viren-Alarm gegeben. Der Mensit ist detoniert und hat einen Menschen verseucht. Die Folgen sind unabsehbar! Die Erde wird zur QUARANTÄNEZONE TERRA...
Personenverzeichnis: Ren Dhark ..................... die Rückkehr nach Terra ist ihm
verwehrt Dan Riker ...................... Weggefährte Ren Dharks Henner Trawisheim ..... der Regierungschef der Erde muß wieder einmal eine schwierige Entscheidung treffen Bernd Eylers ................. der GSO-Chef ist beunruhigt Echri Ezbal ................... den Brahmanen plagen große Sorgen Jos Aachten van Haag .. der GSO-Agent findet eine heiße Spur Olan ............................... droht dem Anführer der Salter ein neuer Anschlag?
Colonel Huxley ............. kehrt zurück nach Reet
Cyra Simmons .............. die meistgesuchteste Frau Terras
Bert Stranger ................ der Reporter recherchiert wieder
Martin Nicholls ............. ein Mann verändert sein Leben
PROLOG (Jos Aachten van Haag) »Stirb!« Dies war das letzte Wort in seinem Leben, das Jos vernehmen würde. Schmerzen überfielen ihn, tosend, wallend, den ganzen Körper ungleichmäßig durchziehend und dadurch, wegen der Unregelmäßigkeit, viel intensiver zu spüren. Alles tat weh – und doch war der körperliche Schmerz nicht das Schlimmste, sondern etwas nicht zu Benennendes, das in seinem Kopf, auf mentaler Ebene, stattfand. Er fühlte sich eingezwängt. Die Schmerzen schienen nahezu seinen ganzen Körper eingehüllt zu haben, während sein Ich, sein Geist, von etwas Unbekanntem eingefangen und in einen Käfig gesteckt wurde, um langsam zusammengepreßt zu werden! Er sah keine Möglichkeit mehr, dem hinter einer unsichtbaren, aber näher kommenden Schwelle liegenden Tod zu entgehen. »Stirb!« Dieses eine Wort nur hatte Olan (Olan?) ausgesprochen, und in diesen fünf Buchstaben lag all das, was van Haag nicht begriff. Warum tötete Olan ihn? Warum hatte der Salter all die komplizierten Mechanismen in Bewegung gesetzt, nur um ihn auszuschalten? »Stirb!« Dieses eine Wort hallte in seinem Kopf hin und her, wie der dröhnende Klang einer Glocke, der nicht abbrechen wollte. Und dann starb er...
1.
»Was denn, ihr wollt heiraten? Barbara muß verrückt geworden sein!« Jeff Walkers herzhaftes, offenes Lachen verriet, wie wenig ernst er es meinte. Kameradschaftlich klopfte der blonde Mann Jerry Cattrall auf die Schulter: »Es freut mich für euch, ehrlich. Wann soll die Hochzeit stattfinden?« Unentschlossen schüttelte der junge Wissenschaftler den Kopf. »Einen festen Termin wissen wir noch nicht, wir wollen auch nichts überstürzen.« Er konnte seine Freude kaum verbergen und übertrug sie auf den Zuhörenden, der ihm schon des Öfteren peinliche Scherze gespielt hatte. Er dachte nur an die von Walker per Computer aufgebaute Persönlichkeit des Bibliotheksterminals, die ihn nun schon einige Jahre ärgerte, immer zur Belustigung der anderen Anwesenden. Und in all den Jahren hatte er versucht, ebenso wie heute noch, Jeff Walkers Manipulationen zu umgehen. Doch Walker war ihm bei dieser nie ernsthaften Angelegenheit in der ganzen langen Zeit mehr als einen Schritt voraus, so ungern er dies auch zugab. »Das wird wieder eine Junggesellenparty geben!« brachte Walker das Gespräch auf den wahren Kern seines Interesses. Cattrall rümpfte ahnungsvoll die Nase. Nicht, daß er etwas gegen Feiern hatte, ganz im Gegenteil. Leider wußte er nur allzugenau, wieviel Jeff Walker und seine sonstigen Kollegen vertrugen. »Jetzt ist es, warte mal«, Walker hob den Arm, um die Ziffern auf seinem Chrono besser lesen zu können, »1.30 Uhr! Setzen wir uns in sechs Stunden zusammen, um deine zukünftige Dauerhaft zu besprechen?« »Wenn du mich einlädst!« konterte Jerry Cattrall Jeffs
Junggesellenpartypläne. Barbara Walkers jüngerer Bruder wandte sich wieder kurz seiner Arbeit zu, ohne ihm eine klare Antwort zu geben. Sein in den nichtvorhandenen Bart brummeln konnte man definieren, wie man wollte; da half Cattrall nur des anderen Motto: Alles zu seinen eigenen Gunsten auslegen! In der Logistik der Wissenschaftsabteilung des Brana-Tales gab es heute früh, wie meistens um diese Tageszeit, keine unbedingt eiligen Dinge. Dennoch gehörte Jeff zu den Männern, die ihre Arbeit gewissenhaft erledigten, und sich nicht einmal durch die bevorstehende Hochzeit einer älteren Schwester aus dem Konzept bringen ließen. Nicht einmal die Aufregung um das Verschwinden von Cyra Simmons und ihrem Forschungsobjekt, dem Mensiten, hatte dies erreicht – was war da schon eine kleine Hochzeit? Neben Jeff Walker befand sich kaum jemand in der Logistik-Abteilung. Im Gegensatz zu den Raumschiffen und der dortigen Unsitte, alle Arbeitsschichten in etwa gleich stark einzuteilen, orientierten sich hier im Brana-Tal, mit der Sicherheitsabteilung und der wissenschaftlichen Projektüberwachung als große Ausnahme, die Menschen an der Sonne und arbeiteten hauptsächlich am Tag, sah man von einigen wenigen freiwilligen Nachtarbeitern ab. Jeff liebte die Arbeit während der meist ereignislosen Nächte über alles: Er hatte jede Menge eigener Ideen und konnte ihnen zusätzlich zu seinen normalen Tätigkeiten nachgehen, die in der Nachtschicht deutlich spärlicher ausfielen als bei den anderen zwei Schichten. Manche Wissenschaftler hielten es ähnlich. Mitunter war es schon vorgekommen, daß ein Wissenschaftler immer noch über einem Problem brütete, während ein Zweiter, am gleichen Projekt Beteiligter, es bereits eine Nacht vorher gelöst hatte. Trotzdem gab es derzeit einigen Ärger. Nichts, was direkt
ihn betreffen würde; immerhin überschnitten sich seine Arbeitsgebiete kaum mit Cyra Simmons Forschungsarbeiten. Trotzdem mußte er eingestehen, daß ihn ein wenig der rundumgreifenden Aufregung ebenfalls befiel. Angesichts der möglichen Gefahr wäre eine Panik angebrachter gewesen als diese – trügerische? – Ruhe. Es sprach für die Menschen der Forschungsstation, daß sie den Energieschirm über dem Tal so gelassen hinnahmen. Relativ gelassen! »Jerry, wie sieht es eigentlich mit dem Mensiten aus? Gibt es schon Neuigkeiten?« Alle Freude wich aus Cattralls schmalem, hageren Gesicht, war dieser doch selbst an der Mensitenforschung mit unterstützenden Projekten beteiligt. »Nein, leider nicht. Weder vom Mensiten noch von Cyra gibt es eine Spur. Da wird auf den Sicherheitsdienst noch einiges zukommen.« Jeff verstand, warum sich der Freund darüber ernsthafte Sorgen machte. Jerry Cattrall war nicht umsonst als Wissenschaftler unter der Leitung Echri Ezbals ungewöhnlich schnell aufgestiegen und hatte sich einen sehr guten Ruf erworben. Einen Ruf, den der Freund sich selbst in den letzten Jahren erarbeitet hatte, vielleicht gefördert von dem alten Brahmanen, aber nicht bevorzugt! In diesem Moment betrat Echri Ezbal unerwartet die Logistik-Zentrale seiner Abteilung. Normalerweise konnte man ihm seine Gefühle nie ansehen, obwohl ihn trotzdem kein Mensch als gefühllos bezeichnen würde. Jetzt war seine charakteristische Ruhe allerdings bedenklich ramponiert, auch wenn er sich bemühte, dies niemandem merken zu lassen. Jerry Cattrall, der ihn besser kannte als jeder andere Mensch, blieb die Besorgnis, die hinter der typisch stoischen Miene lag, nicht verborgen. Ezbal kam auf die beiden zu.
»Mr. Walker, stellen sie bitte eine Verbindung mit Alamo Gordo her!« Jeff Walker nickte. Viel Auswahl hatte er sowieso nicht. Bei den derzeitig geltenden Sicherheitsbestimmungen war nur eine Verbindung zum Regierungssitz und der neuerrichteten Schwesterstation T-VII möglich. Da er die Eigenheiten des Brahmanen kannte, wußte er, daß Echri Ezbal den Namen Alamo Gordo mit der Person Henner Trawisheims gleichsetzte. Kein gutes Zeichen! Jerry Cattrall trat einen Schritt zurück, um seinem väterlichen Freund Platz zu machen. *** »Speichervorgang fortführen!« Ärgerlich tippte Pierre Wells diese zwei Worte ein und sprach sie danach laut aus. Bei dieser hohen Sicherheitsstufe, immerhin wurden die kompletten bislang erarbeiteten Intervallfelddaten mit den dazugehörenden Versuchsreihen abgespeichert, mußte auch der Stimmendecoder zufriedengestellt werden! Schon vor einer geschlagenen Stunde hatte er den ersten Versuch gestartet. Ohne jegliche Ankündigung war kurz darauf jedoch wieder einmal diese Wissenschaftlerin, Che Le Sung, in sein Büro hereingestürmt, hatte ihn gebeten, einmal kurz mit ihr zu kommen und ihren Vorgesetzten dadurch veranlaßt, den Speichervorgang zu unterbrechen. Den Datenträger, der ansonsten jedem (im Gegensatz zu den gesondert gespeicherten Daten des Zentralcomputers) zugänglich gewesen wäre, hatte er in einer Tasche seines Anzuges untergebracht. Als stellvertretender Leiter der Ringraumerforschungsstation mußte er eben darauf gefaßt sein, im falschen Moment durch Wissenschaftler gestört zu werden. Doch diese Che Le Sung ließ es nie bei nur einer Störung
bewenden. Die kleinwüchsige Frau war als Wissenschaftlerin eine Fachkraft, wie es keine zweite gab. Ansonsten war sie mit ihrer immerwährenden aufgesetzten Höflichkeit, die nach seiner Meinung charakteristisch für die Chinesen war, ein Ärgernis ersten Grades. Manchmal bekam Pierre Wells sogar den Eindruck, sie würde ihn beobachten und ihm nachspionieren. »Mr. Wells, ich habe da noch ein Problem...« Jetzt durfte er schon nicht einmal mehr an den ›Teufel‹ denken, ohne daß sie gleich kam! Lautlos, wie gewohnt, und den digitalen, durch den Computer gesetzten Laufschriftzug BITTE NICHT STÖREN auf der Tür ebenfalls wie immer ignorierend. Womit hatte er das verdient? Schnell schaltete er den Monitor ab, so daß Che Le Sung nicht erkennen konnte, was er da abspeicherte. Nein, zu spät! Sie mußte es gesehen haben. Der gleichzeitig fragende wie auch wissende Blick der Chinesin bestätigte dies. »Was ist denn jetzt noch?« versuchte er ihr Interesse auf andere Dinge zu lenken. »Das Energieproblem können wir so nicht lösen, Mr. Wells!« Sie hielt ihm einige Berechnungen hin, die auf ein zerknittertes Blatt Papier gekritzelt waren – er betrachtete sie flüchtig. Sollten sich andere mit dem Problem herumschlagen. Ihm brannte die Zeit auf den Nägeln! »Tut mir leid, ich habe jetzt dafür keine Zeit. Warum setzen Sie sich nicht mit der Technischen Abteilung auseinander?« Che Le Sung nickte gereizt. Ihre Hoffnung, Pierre Wells könne ihr schnell und ohne Formulare das Benötigte beschaffen, war in Sekundenschnelle verflogen. Plötzlich ertönte es aus einem Lautsprecher: »Mr. Wells, bitte sofort in der Zentrale melden! Dringend!« Tief atmete Pierre Wells ein. Heute verschwor sich alles gegen ihn. Kurz blickte er auf das Terminal. Das kleine
leuchtende Lämpchen bewies: Der Speichervorgang war immer noch nicht beendet. Verflixt! Und er konnte auch nicht länger warten. Wenn die Zentrale ein ›dringend‹ hinter ihre Meldung setzte, so hieß das meistens, daß irgendein hohes Tier ihn sprechen wollte, und dabei hatte eben das Wort ›sofort‹ in aller Regel eine magische Bedeutung. Er sah der Chinesin nach, die soeben den Raum verließ. Sollte er den Speichervorgang noch einmal unterbrechen? Bei diesen Daten dauerte das komplizierte Durchschreiten der Sicherheitsvorschriften eine wahre Ewigkeit, und in einer Stunde war für ihn heute, was die Arbeit betraf, Schluß. Besser gesagt, es hatte Schluß zu sein, da er einigen privaten Terminen nachkommen mußte. Nein! entschied er, stand auf, verließ sein Büro – und vergaß dabei nicht, es gegen unerwünschte Besucher, sprich: jeden außer ihm, abzusichern. Verärgert machte er sich auf den Weg. Kurz darauf stand Che Le Sung vor Wells Büro, und ohne auch nur ihre Identifikationskarte zu benutzen, öffnete sich die Tür automatisch, so als wäre keine der Sicherheitsvorkehrungen aktiviert worden. Die kleinwüchsige Frau schritt sofort zielstrebig zum Terminal und bemerkte am Verlöschen des Lämpchens, daß der Speichervorgang soeben beendet wurde. Sie schaltete den Monitor ein und überflog schnell und konzentriert die Dateninhalte. Bereits nach den ersten gelesen Zeilen des Inhaltsverzeichnisses wurde ihr Verdacht bestätigt, der sich ihr aufgedrängt hatte, als sie bemerkte, wie Pierre Wells auf so eigenartige Weise den Speichervorgang vor seinen Mitarbeitern geheimhalten wollte: Sie hielt die kompletten bisherigen Ergebnisse aller Forschungsarbeiten der Station in den Händen! Daten, die einen Menschen ohne viel Mühe reich werden
ließen. Oder ihn schnell ins Grab bringen konnten! *** »Mr. Trawisheim, Echri Ezbal ist auf Leitung zwei.« Nachdem Eleni, seine Sekretärin, ihm dies mitgeteilt hatte, zog sie sich aus der Leitung zurück. In den Jahren, die sie für den jetzigen Regierungschef Henner Trawisheim arbeitete, hatte sie gelernt: Für Echri Ezbal nahm sich ihr Chef immer Zeit! Sofort stellte der Regierungschef die Verbindung mit Ezbal her. Wenn der geniale Wissenschaftler sich um diese Zeit meldete, mußte es sich um etwas wichtiges handeln. Auf Alamo Gordo strahlte zwar die frühe Nachmittagssonne herab, doch Henner wußte, daß im Himalaja jetzt tiefe Nacht herrschte. Vor ihm auf dem Bildschirm zeigte sich das von grauen Haaren umrahmte Gesicht des Forschers. Ungewöhnlich tiefe Falten deuteten auf Probleme, mit denen sich der über hundertjährige wohl herumschlug. Aller Optimismus, der einfach zu Ezbal gehörte, war verschwunden. Mit einem zurückhaltenden Kopfnicken grüßte er den Regierungschef. Trawisheim setzte ein Lächeln auf. Kein natürliches, sondern das altbekannte und für die TV-Kameras einstudierte. Diese Geste gegenüber einem gern gesehenen Mitarbeiter war außergewöhnlich und machte deutlich, daß Trawisheim hinter dem Anruf mehr vermutete. Und dieses mehr sich um nichts anderes als neue Probleme drehen konnte. »Echri, was ist los? Sie sehen mitgenommen aus!« »Ich habe auch allen Grund dazu: Cyra Simmons ist verschwunden. Aber es kommt noch schlimmer! Sie war mit einigen Untersuchungen des Mensiten beschäftigt. Dank der Kameraüberwachung konnten wir feststellen, daß der Mensit
detoniert ist, während Cyra sich im gleichen Raum befand!« Henner Trawisheim nahm Platz auf dem gut gepolsterten Stuhl vor dem Monitor. Er ahnte, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein mußte, denn Echri Ezbal gehörte zu der Sorte Mensch, die in jeder Situation Ruhe bewahrten. Ruhig war der Brahmane zugebenermaßen noch, doch schien er übersehen zu haben, daß Henner Trawisheim mit seinen Worten nicht viel anzufangen wußte. »Cyra Simmons – verschwunden?« »Cyra Simmons«, erklärte der Brahmane geduldig, »war mit der Erforschung des Mental-Parasiten beauftragt. Heute am späten Abend zerplatzte der Organismus in Partikel von viraler Größe, denen Miß Simmons schutzlos ausgeliefert war. Die Bio-Kontamination löste einen Viren-Alarm aus. Die CyborgStation steht unter Quarantäne! Cyra Simmons ist nicht aufzufinden und ihr gesundheitlicher Zustand ist uns unbekannt.« »Ezbal, die Cyborg-Station ist unser modernstes Biolaboratorium. Wie konnten die Schutzmaßnahmen versagen?« »Unsere bisherigen Forschungen am Mensiten offenbarten uns nicht diese Eigenschaften. Daher haben wir nur übliche Standardmaßnahmen ergriffen und den Mensiten nicht vollständig von seiner Umwelt isoliert. Mein Team und ich haben in der Beurteilung dieses Organismus versagt.« »Können sich die Viren noch ausbreiten?« hakte Trawisheim nach. Echri Ezbal schüttelte vorsichtig den Kopf und schien zu erkennen, daß sein Gesprächspartner die Lage noch nicht richtig einschätzte. »Partikel viraler Größe«, korrigierte er. »Wir wissen noch nicht einmal, ob es wirklich Viren im klassischen Sinne sind. Aber bleiben wir vorläufig bei diesem Terminus.«
Trawisheim war jetzt nicht nach Wortklaubereien zumute. »Können sich die Viren noch ausbreiten?« wiederholte er seine Frage. »Sie verkennen das wahre Problem: Nicht die Viren im Labor sind das Problem, denn die konnten schnell und ohne Gefahr beseitigt werden, sondern Cyra. Sie hat sich bei der Detonation des Mensiten im Labor befunden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde sie... nun, wie soll ich sagen, infiziert. Sie braucht dringend medizinische Hilfe. Wir wissen nicht wie sich die Infektion auf sie auswirkt. Möglicherweise wird sie daran sterben oder schlimmer noch... ein MentalParasit reift in ihrem Körper heran!« Mehr mußte er nicht sagen, die wahrscheinlichen Parallelen zu den Grakos konnte Henner selbst ziehen. Ihm kam ein weiterer Gedanke: »Stellt Cyra Simmons eine Infektionsquelle dar?« »Unbekannt. Trawisheim, ich bin vollkommen ratlos. Alle bisherigen Erkenntnisse über den Mensiten helfen uns bei der Beurteilung dieser Situation kaum weiter. Von unseren Begegnungen mit den Grakos sind uns keine entsprechenden Berichte bekannt. Alles deutet darauf hin, daß dieses Wesen ideal an die Grakos angepaßt sind. Wie sich die viralen Partikel in einem menschlichen Organismus verhalten, können wir überhaupt nicht abschätzen. Wir sind nur auf Vermutungen angewiesen.« »Befindet sich Cyra Simmons noch im Brana-Tal?« Wenn ja, so reichte es, den Schutzschirm um die Forschungsstation aufzubauen, der mit hundertprozentiger Sicherheit undurchlässig war. »Ich weiß es nicht! Wir haben gleich nach dem Virenalarm einen Schutzschirm um das Tal aufbauen lassen, so wie es die Sicherheitsbestimmungen fordern. Nur, Cyra ist seitdem unauffindbar, schlimmer noch: Sie kennt sich innerhalb der
Station wahrscheinlich besser aus als ich. Auch wenn es beinahe unmöglich ist: Es kann sein, daß sie die Station schon verlassen hat, noch bevor der Schirm aufgebaut wurde!« Henner biß sich gedankenverloren auf die Unterlippe. Er selbst ahnte nicht, wie sehr sein Gesichtsausdruck inzwischen dem Ezbals glich: Sorgenfalten gruben sich tief in seine Stirn und von Optimismus konnte nun auch bei ihm keine Rede mehr sein. »Wir wissen also nichts außer, daß Miß Simmons infiziert ist und eine potentielle Gefahr für uns alle darstellt«, faßte der Regierungschef zusammen. Er gab sich innerlich einen Ruck. »In Ordnung, ich werde alle notwendigen Maßnahmen einleiten. Die Erde darf nicht zu einem neuen Ausgangspunkt für die Geißel der Galaxis werden!« »Wie darf ich das verstehen?« »Wir werden einiges, sehr schwerwiegendes, in die Wege leiten müssen, um zu verhindern, daß sich die Viren weiter ausbreiten können. Mit allen Konsequenzen!« Er schloß kurz die Augen, verschob dieses Problem auf später. »Echri, kann ich Bernd Eylers veranlassen, zusätzliche GSO-Leute ins Brana-Tal zu schicken? Kann man diese dann wieder aus dem Tal herausholen, ohne daß die Gefahr besteht, daß sie sich infiziert haben und den Virus auf der ganzen Erde verbreiten?« Der weise Brahmane nickte zurückhaltend. »Laut den Aufzeichnungen, die automatisch gemacht wurden, steht fest, daß es bei Cyra bereits nach etwa 20 Minuten Zeichen dafür gab, infiziert worden zu sein.« »Wenn wir ein kleineres Schutzfeld um einen Transmitter im Tal aufbauen, das den Raum vom Rest der Station abschottet, dann könnten wir...« »Nur wenn wir den Virenalarm beenden und auf die zweithöchste Alarmstufe zurückgehen!« wurde er
unterbrochen. »Und, wie ist Ihre Meinung dazu? Können wir es verantworten?« fragte Trawisheim. »Lassen Sie es mich so formulieren: Es besteht nur eine Gefahr für die Station, wenn Cyra eine Infektionsquelle darstellt. In diesem Falle ist es leicht, vorauszusehen, was dann geschehen wird. Was aber geschieht, wenn tatsächlich ein Mensit in ihr heranreift und die Kontrolle über sie erhalten hat? Was hat dieses... Wesen dann vor?« Er machte eine kurze Pause, um auf seine eigene Frage konkret zu antworten: »Wenn wir die Transmitterstationen – beide, sowohl die Empfangs- als auch die Abstrahlstation – unter einen separaten Virenschirm stellen, so glaube ich, haben wir alles mögliche getan. Sollten Sie mir zustimmen, dann wäre es am sinnvollsten, einen Transmitter von T-VII einzusetzen. Falls etwas schiefgeht, was ich fast ausschließen möchte, dann besteht dort ein ähnliches Sicherheitssystem wie bei uns.« Die Station T-VII in China, nahe der Grenze zu Bhutan, war erst vor wenigen Monaten zu einem staatlichen Forschungslabor umfunktioniert worden. Die ihr übertragenden Aufgaben stellten eine Ergänzung zur Cyborgstation dar. Und falls bei einer der Stationen, egal ob Cyborg-, T-VI- oder bei den erst im Umbau befindlichen T-III- und T-IV-Stationen ein Ernstfall eintrat, so fand automatisch ein Datenaustausch statt. Die übertragenen Daten waren dann zwar immer noch nicht absolut frei zugänglich – schon aus Sicherheitsgründen – aber sie konnten mit den entsprechenden Codes und KryptografieProgrammen wieder zugänglich gemacht werden. »Gut. Ich werde dann veranlassen, daß Bernd Eylers Ihnen Fachkräfte schickt. Vielleicht läßt sich doch noch etwas über den Verbleib von Miß Simmons herausfinden!« Mit einem aufmunternden, gut gemeinten und schlecht
geschauspielerten Augenzwinkern brach Trawisheim den Kontakt zu Ezbal ab. Seine Finger wollten bereits eine neue Verbindung herstellen, diesmal zu Marschall Bulton. Im letzten Moment zog er die Hand zurück. Was war in so einem Fall zu tun? Wenn er jetzt eine Ewigkeit mit Ted Bulton diskutierte, kostete dies nur Zeit. Und genau das war es, was ihnen fehlte. Daraufhin fällte er eine schwerwiegende Entscheidung, für deren Auswirkungen er später vielleicht, sollte sich sein Entschluß als falsch erweisen, zur Verantwortung gezogen werden würde. Langsam, immer noch ruhig, stellte er die Verbindung her. Wenige Sekunden später konnte er mit Marschall Bulton sprechen. »Marschall, lassen Sie kein Raumschiff, egal ob terranisch oder extraterrestrisch, mehr starten! Dieses Verbot gilt für ganz Terra. Alle bis vor einer halben Stunde gestarteten Raumschiffe müssen zurückkehren und wieder landen!« »Moment einmal«, fiel ihm Ted Bulton polternd ins Wort. In den letzten Monaten hatte sich sein cholerisches Wesen zum Guten hin verbessert, wehe jedoch, es beschnitt jemand seinen Kompetenzbereich. Und ein absolutes Startverbot tat dies auf eine Art und Weise, die für ihn einer Inhaftierung gleich kam. »Es tut mir leid, Ted, aber es muß sein. Allen anfliegenden Schiffen wird mitgeteilt, daß Terra zur Quarantänezone erklärt wurde.« Bulton ließ langsam und geräuschvoll die Luft ab, bevor er wieder tief einatmete. Seine rot gewordene Gesichtsfarbe bewies den tieferen Sinn dieser sekundenvergeudenden Handlung. Trawisheim konnte sich gut vorstellen, wie der Marschall langsam und lautlos 21, 22, 23 zählte, denn sein Gesprächspartner wußte genauso gut wie er, was diese Entscheidung bedeutete.
»Gut, ich erledige dies. Ich hoffe. Sie können mir anschließend alles plausibel erklären.« Er nickte dem Regierungschef zu und beendete die Verbindung. Die Quarantänezone Terra würde noch viel Arbeit erfordern, dessen war sich Henner Trawisheim bewußt. Die Transmitterverbindungen zu den anderen Planeten des Solsystems sowie zu den Ast-Station und allen anderen Stützpunkten mußten abgebrochen werden, und die nogkschen Schutzschirme würden dafür sorgen, daß auch kein Raumschiff mehr durch die Atmosphäre des blauen Planeten ein- oder ausfliegen konnte. Ab jetzt mußte sich Terra selbst versorgen! Und dies zog viele Probleme nach sich! *** »Colonel Neep, wir müssen Terra zum Quarantänegebiet erklären! Die Anordnung erhielt ich vor knapp einer Stunde persönlich durch Henner Trawisheim und sie wurde inzwischen von der Regierung abgesegnet. In wenigen Minuten wird, wie für solch einen Vorfall vorgesehen, der nogksche Schutzschirm errichtet. Wir hier auf der Erde verlieren dadurch zwar nicht die Verbindung mit den anderen Planeten oder den Raumstationen, dennoch hat es wenig Sinn, von hier aus alles verwalten zu wollen. Durch den Schutzschirm wird uns zwangsläufig der manchmal entscheidende Überblick verloren gehen!« Bulton ließ Colonel Neep nicht erst zu Wort kommen, obwohl diesem bereits mehrere Fragen auf der Zunge lagen. Der Marschall wußte genau, wie gerne sich der Colonel vor Bürokratenjobs drückte, so daß er ihm keine Gelegenheit für einen Ausweg lassen wollte.
»Während dieser Zeit übernehmen Sie ab sofort auf dem Mars das stellvertretende Kommando über die Flotte im SolSystem. Wenn die Verbindung zu Ihnen abbricht, aus welchen Gründen auch immer, brauche ich einen Mann, der diese Aufgabe übernehmen kann. Bauen Sie die Station auf dem Mars zu Ihrem hoffentlich nur vorübergehenden Hauptquartier aus!« Neep nickte bedächtig. Seine Gestik bewies, was Ted Bulton geahnt hatte. Von dem neuen Job war der Colonel nicht gerade begeistert. »Darf ich fragen, warum Terra zum Quarantänegebiet ernannt wird? Ich meine, bekommen Sie die Ursachen für diese gewiß nicht leichtfertige Entscheidung unter Kontrolle?« wurde er zumindest zwei seiner zahlreichen Fragen los. »Im Brana-Tal ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein extraterrestrischer Virus ins Freie gelangt beziehungsweise hat sich bereits in einem Menschen, nun ja, eingenistet. Mehr kann ich Ihnen jetzt hierzu nicht sagen, ich konnte mich leider nur mangelhaft informieren. Echri Ezbal und die Wissenschaftler des Brana-Tales suchen natürlich bereits nach Möglichkeiten, den Virus zu ›entschärfen‹. Was die Wissenschaftler darunter verstehen, weiß ich nicht. Auf jeden Fall besteht Hoffnung, daß wir mit dem Problem fertig werden! Ich werde veranlassen, daß Sie alle wichtigen Daten zugespielt bekommen.« Nachdenklich hielt der Marschall kurz inne, drehte sich dann vom Monitor weg. Colonel Neep nahm an, daß er gleich dafür sorgen wollte. Doch sein Vorgesetzter wurde von einem Adjutanten aufgehalten, der ihm etwas überreichte. Bulton wirkte sichtlich erleichtert, als er wenige Sekunden später das Gespräch mit dem wartenden Colonel wieder aufnahm. »Colonel, die Regierung hat soeben beschlossen, die zweite noch auf dem Mars stationierte Ringraumerflotte nach Cromar zu senden. Die Verbindung nach Cromar ist abgebrochen,
wahrscheinlich von Seiten der Tels gewollt abgebrochen worden! Wir befürchten jedoch, daß der Kluis, der anscheinend wieder die Macht über die telsche Regierung übernommen hat, unser gesamtes Botschaftspersonal festnehmen und exekutieren ließ – aus der Annahme heraus, wir Terraner wären für das Auftauchen dieser unbekannten Ringraumerflotte über Cromar verantwortlich! Unsere Regierung vertritt die Ansicht, wir müßten uns diesem Vorwurf stellen und den Tels gegen die Invasionsflotte beistehen. Die Tels haben in der Vergangenheit oft genug bewiesen, daß sie selbst über schlagkräftige Waffen verfügen und die Angreifer somit einige Zeit abwehren können. Unsere Flotte hat daher noch eine gute Chance, rechtzeitig eingreifen zu können.« »Gut, ich werde den sofortigen Start veranlassen! Gibt es Informationen, wer diese unbekannte Ringraumerflotte losgeschickt hat?« »Nein, wir tappen vollkommen im Dunkeln. Allerdings gibt es einige Befürchtungen. So könnten die Raumer vielleicht zur Babylonflotte gehören!« Colonel Neep hörte es mit Bestürzung. Falls diese theoretische Befürchtung sich als Wahrheit herausstellen sollte, dann bestand die Gefahr, daß die angreifenden Ringraumer Verstärkung bekommen würden. Eine Verstärkung von schlimmstenfalls 300.000 Ringraumern! Wie alle Flottenangehörigen hatte er von der Katastrophe über dem Planeten Babylon während der gigantischen Schlacht mit den Grakos gehört. Noch während der Kampfhandlungen, bei denen fast eine Million Ringraumer und 54.000 Schattenstationen zerstört worden waren, setzten die über dem Planeten Babylon stationierten Raumer ohne Befehl einen unbekannten Kurs und waren seither verschollen.
Bis jetzt? »Hoffen wir es lieber nicht!« sagte er nur. Verstehend nickte Bulton, stellte diese hypothetischen Befürchtungen aber hintenan: »Wenn wir die Flotte losschicken, wieviel Schiffe befinden sich dann noch zum Schutz der Planeten im System?« »Genug, um die Welten zu schützen. Einzig die Zone um Terra ist ein eigenes Thema!« entgegnete Neep. Humorlos lächelte Marschall Bulton: »Nein, es ist kein eigenes Thema. Durch die Quarantäne sind genug Schiffe in der Atmosphäre von Terra gefangen. Sogar zu viele, um sie alle auf den Raumhäfen landen zu lassen. Einige Schiffe haben wir auf eine stationäre Umlautbahn eingewiesen. Auf jeden Fall reicht es aus, um Terra zu schützen. Das lassen Sie nur unsere Sorge sein.« Also ein Problem weniger! »Meinen Sie, daß die Tels oder andere Rassen die Notsituation im Sol-System ausnutzen werden?« fragte Neep. »So schnell bestimmt nicht, Colonel. Ich nehme an, die Tels haben derzeit genug eigene Probleme. Dennoch gebe ich Ihnen den Rat, sich auf diesen Fall in kürzester Zeit vorzubereiten. Wobei ich hoffe, daß diese Vorbereitungen allesamt überflüssig sein werden.« »Dieser Hoffnung schließe ich mich an«, sagte Neep in ernstem Tonfall. »Sollte der Magnetsturm in den nächsten Tagen wieder sein Maximum erreichen und eine Funkverbindung auch innerhalb des Sol-Systems unmöglich machen, haben Sie freie Entscheidungsgewalt!« schloß Bulton das Gespräch. Zumindest hatte er für den Notfall vorgesorgt und die Leitung einem der fähigsten Offiziere übergeben, die er kannte. »Marschall! Ich wünsche Ihnen auf der Erde viel Glück – und in einigen Tagen möchte ich meinen Urlaub auf Terra
verbringen!« Colonel Neep wollte das Gespräch bereits mit diesen Worten beenden, doch mit seinem gewollt optimistischen Schlußsatz hatte er Bulton auf einen neuen, noch nicht angesprochenen Punkt gebracht. »Colonel, wissen Sie vielleicht, ob Janos Szardak seinen Zwangsurlaub angetreten hat? Seit gut fünf Wochen habe ich nichts mehr von ihm gehört. Falls er noch auf dem Mars sein sollte, ist sein Urlaub selbstverständlich beendet. Seine Erfahrung wäre Gold wert!« »Nein, tut mir leid. Janos ist mit Sicherheit nicht mehr auf dem Mars. Welcher normale Mensch würde seinen Urlaub hier verbringen wollen? Außerdem habe ich ihn schon ewig nicht mehr gesehen!« entgegnete Neep. »Ich dachte nur. In den letzten Jahren hat er sich immer erfolgreich um seinen Urlaub gedrückt, so daß ich annahm... ach, vergessen Sie es. Ich wünsche Ihnen ebenfalls Glück. Und unterschätzen Sie die Tels nicht!« Neep war ein ausgezeichneter Offizier, der wußte, wie er mit Menschen – und auch Außerirdischen – umgehen mußte. Daß Colonel Neep die Tels unterschätzen würde, war kaum anzunehmen. Allerdings war es kein Geheimnis, daß Neep gerade mit dieser Rasse kaum Erfahrung hatte. Nach den warnenden Worten beendete der Marschall das Gespräch. Es gab sicherlich noch vieles zu klären, doch Colonel Neep würde mit allem alleine fertig werden. *** Martin Nicholls sah aus dem Panoramafenster des zentralen Raumhafens auf die neuangelegten Landeflächen des Mars. Mehr als 10.000 Ringraumer waren hier stationiert. Mehr als sich ein Mensch überhaupt vorstellen konnte, im Grunde nur
eine fünfstellige Zahl in irgendeinem unbedeutenden Computer. Dennoch, mit den auf dem Hafen liegenden Schiffen konnten Träume realisiert werden, darunter auch seine eigenen. Ja, er war ein Träumer, der sich in seiner Freizeit ins virtuelle Music-Net einloggte und zur richtigen Musik, möglichst aufregend natürlich, actionreiche Abenteuer erlebte: Leider nur in seiner eigenen Phantasie. Irgendwann würde er tatsächlich seinen gesamten Mut zusammenkratzen und die Bitte um Versetzung auf einen Ringraumer einreichen. Besatzungen wurden in Hülle und Fülle gesucht und da er als Lagerverwalter, sogar stellvertretender Leiter des Lagerdepots auf dem Mars, immer kontinuierlich gute Leistung lieferte, dürfte es für ihn keine Schwierigkeiten geben. Doch so paradox es klingen mochte: Der Traum selbst hielt ihn immer wieder von dem Verfassen eines Versetzungsschreibens zurück. Was war, wenn nur irgend ein langweiliger Job auf ihn zukam? Er wartete. Noch zwei Minuten bis zum Start der ersten Raumer. Innerhalb von nur 60 Minuten sollten alle 10.000 Ringraumer gestartet sein – ein Anblick, den er um nichts auf der Welt versäumen wollte, so alltäglich ein Start inzwischen auch geworden war. Vor fast genau 10 Jahren hatten die Menschen noch nicht einmal gewußt, daß es außer ihnen noch Intelligenzen im All gab. Zwar hatten es einige aufgrund einiger Funde auf fremden Planeten vermutet, beweisen jedoch konnte es damals niemand. Eine Minute noch. Die Zeit schien langsamer zu vergehen. Vor zehn Jahren – er mochte diese nostalgischen Gedanken – besaß die Erde nur ganze zwei Kolonistenraumer, die GALAXIS und die ANDROMEDA, abgesehen von den
Einheiten der intersolaren Flotte und keinen zwanzig Versuchsschiffen. Was wäre wohl gewesen, wenn Sam Dhark damals den Start der GALAXIS nicht gewagt hätte? Er fand diesen Gedankengang sehr reizvoll. Nicht nur er, wie einige erst vor kurzem veröffentlichte Parallelweltromane bewiesen. Der Start stand bevor. Zeitgleich hoben die ersten Raumer ab, gefolgt von der zweiten Staffel, die bereits startete, bevor er den ersten Schwarm aus den Augen verloren hatte. Ja, er genoß diese Augenblicke. Wieviel würden zurückkehren? Laut Einsatzorder der Raumer war Cromar, die Hauptwelt der Tels, der Zielpunkt. Nach den zur Erde gelangten, zum Teil unvollständigen Berichten wurde Cromar von mehreren hundert Ringraumern angegriffen. Ringraumer flogen aber nur die Terraner! Sofort kursierten innerhalb der Flotte die wildesten Gerüchte. Man munkelte sogar, daß es sich hierbei vielleicht um die über Babylon verschollenen Schiffe handelte. Wenn dies tatsächlich zutraf, dann bestand die Gefahr, daß plötzlich nicht nur die bislang angreifenden Ringraumer die Hauptwelt der Tels attackierten, sondern eine Verstärkung von etwa 300.000 weiteren Raumern ins Kampfgeschehen eingriff. Und dieses zweite, jetzt startende Geschwader sollte den Tels bei ihrem Kampf gegen die Invasoren beistehen. Nun, ob die 10.000 Einheiten schlimmstenfalls den Kampf gegen mehrere hunderttausend aufnehmen und standhalten konnten? Die Antwort ersparte er sich. 2. »Alex, ich brauche Ihre Hilfe!« Pierre Wells sah den Mann
hilfesuchend an. In den letzten Minuten hatte er sehr viel von seinem Gehabe verloren. Jetzt saß er nicht mehr auf dem hohen Roß, von dem er anderen einfach Befehle erteilen konnte, ohne daß diese nachfragen durften. »Wobei?« Mehr fragte Alexander Besrell nicht. Noch nicht. »Eine unserer Wissenschaftlerinnen, Che Le Sung, hat die bisher gewonnenen Daten für die Intervallfelder entwendet.« »Wie hat sie die entwenden können? Um an diese Daten ranzukommen, hat sie mindestens zwei Sicherheitstests bestehen müssen. Sofern sie keinen höheren Posten hat, ist sie in keinem der beiden registriert. Außerdem müssen diese Daten immer von zwei registrierten Leuten abgefragt wer...«, hakte der Leiter der Sicherheitsstation nach, wurde jedoch von Pierre Wells energisch unterbrochen: »Ja, ich weiß! Es war mein Fehler, Sie verstehen? Und ich möchte nicht, daß dies bekannt wird. Finden Sie die Frau und nehmen Sie ihr die Daten ab, ohne daß es Aufsehen gibt. Dann ist alles erledigt!« Alex Besrell nickte. Er sah es gerne, wenn sein Vorgesetzter gewisse Schwierigkeiten hatte. Wie schon sein Großvater immer gesagt hatte: »Hilf anderen Leuten, dann kennst du viele Menschen, die dir einen Gefallen schulden.« Diese Worte hatte er zu einer Lebensweisheit erhoben und richtete sich danach so gut es ging. Und er wußte ganz genau, wann er wessen Hilfe beanspruchen mußte! »Sind Sie sicher, daß Che Le Sung die Daten hat, oder könnte auch ein anderer Wissenschaftler die Da...« Oh Gott, wenn er eins haßte, so war es, mitten im Satz unterbrochen zu werden. Pierre Wells tat es nun bereits zum zweiten Mal: »Ja, ich bin mir sicher!« Besrell ersparte sich einen Kommentar, denn wenn diese Sung wirklich die wichtigen, geheimen Daten gestohlen hatte, so eilte es in der Tat. Er konnte von Wells nur dann etwas zum richtigen Zeitpunkt fordern, wenn er seinen Teil erledigte.
Darin aber sah er in diesem Moment kein Problem. »Okay, ich setze einige meiner Leute darauf an. Machen Sie sich nur keine übertriebenen Sorgen!« Es bereitete ihm Freude zu sehen, wie wenig seine tröstenden Worte halfen. Pierre Wells dachte anders: Er war froh, den unsympathischen Kerl nicht schon vor Monaten hinausgeworfen zu haben. Alex Besrell machte sich auf den Weg, ohne seinem Vorgesetzten noch einen Blick zuzuwerfen. In seinem Büro versuchte er festzustellen, ob Che Le Sung die Forschungsgebäude durch einen der drei Eingänge bereits verlassen hatte, doch fündig wurde er nicht. Erst als er beim Transmitter nachfragte, bekam er eine Antwort: Che Sung hatte das Gebäude bereits vor 25 Minuten mit Hilfe des Gerätes verlassen. Sie war in einem der Wohntürme von Cent Field rematerialisiert! *** Verdammt noch einmal, wohin wandte sich ein Mensch zuerst, wenn er um seine Verfolgung wußte? Da gab es nur eine Antwort! Che Le Sung würde versuchen, Kontakt mit einem Mittelsmann aufzunehmen, dem sie die Daten übergeben konnte. Die von ihr hinterlassenen Spuren verwischten dadurch immer mehr. Dem konnte er abhelfen. Wenn Che Le Sung ein Vipho benutzte, so mußte sie ein öffentliches verwenden, denn eine eigene Wohnung besaß sie nicht in dem Wohnturm, den sie bislang über den Transmitter der Forschungsstation noch nie aufgesucht hatte. Selbst diesmal war reiner Zufall gewesen, da der Transmitter eben auf diesen Gegentransmitter geschaltet war.
Es bestand natürlich die Möglichkeit, daß sie trotzdem in gerade diesem Wohnturm Freunde oder Bekannte vorfinden würde, doch dies war dank Alamo Gordos Größe eher unwahrscheinlich. Das alles zusammen ergab den Fakt, daß sie, sobald sie etwas kaufte oder öffentliche Geräte wie Viphos benutzte, mittels Kreditkarte bezahlen mußte. Eine Karte, die sie durch die persönliche Codenummer verraten würde. Außer natürlich, sie zahlte in bar. Da diese Unsitte nur noch selten getätigt wurde, konnte er diese Möglichkeit allerdings vernachlässigen. Er würde sie also ausfindig machen können. Allmählich wurde es Zeit, einen alten Schuldner zu befragen und sich einen Gefallen auszahlen zu lassen! Schnell drückte er einige Knöpfe am Vipho, um eine Verbindung zu Ben Winkler herzustellen. Dieser Mann war kein hohes Tier im Polizeidienst des Wohnturmes. Trotzdem konnte er immerhin die installierten Sicherheitstechniken benutzen, ohne tagelang Formulare ausfüllen zu müssen. Dies war eine der negativen Seiten seines Berufes: Seine eigene Macht erstreckte sich quasi nur über die Ringraumerforschungsgebäude. Und danach war Schluß. Langsam kristallisierte sich das Antlitz von Ben Winkler auf dem Schirm heraus, der dann, als er den wartenden Alex Besrell erkannte, beinahe erschrocken zusammenfuhr. »Ben, Sie müssen einige Dinge für mich erledigen!« überfiel dieser ihn gleich, was den Polizeibeamten sofort noch mißtrauischer werden ließ. »Alex, Sie wissen...«, wollte er seinen Gesprächspartner von dessen Absichten abbringen, noch bevor er sie überhaupt gehört hatte. Immerhin kannte er ihn schon einige Jahre, und die reichten ihm, um dem Sicherheitschef der Forschungsstation ein gesundes Mißtrauen entgegen zu bringen. Besrell ließ sich jedoch nicht beirren:
»Ich gebe Ihnen die Codenummer einer Kreditkarte, warten Sie! 02 165 377 908 332 433! Sollte mit dieser Nummer jemand zahlen, ein Vipho benutzen oder sonst etwas wollen, dann möchte ich dies wissen! Schnellstens! Sollte diese Frau den Wohnturm auf irgend eine Weise verlassen wollen, sei es per Transmitter, Gleiter oder Schwebebahn, dann muß ihr das verweigert werden! Falls ihr sie ausfindig machen könnt, dann nehmt sie fest und liefert die Frau an unsere Sicherheitsabteilung aus. Die Begründung: Datendiebstahl! Klar?« »Sicher ist es klar. Daß dies nicht ganz legal ist, wissen Sie. Ich meine, im Grunde darf ich Befehle von Ihnen nicht annehmen!« wagte Ben Winkler vorzubringen. »Natürlich weiß ich das, sowie noch einige andere Sachen!« blockte Besrell ab. Winkler erstarrte. Daher also wehte der Wind. »Okay, ich mache es für Sie. Aber es muß unter uns bleiben!« »Mit Garantie! Ach ja, sollte Che Le Sung per Vipho Kontakt mit anderen Leuten aufnehmen wollen, dann möchte ich das Gespräch hören!« dehnte Besrell den Auftrag aus. »Das geht zu weit. Sie wissen nicht, wieviel öffentliche Viphos sich im ganzen Turm befinden!« »Aber es ist möglich, oder!?« wollte Alex Besrell wissen, um eine positive Antwort zu erhalten. »Ja, aber nur in Ausnahmefällen. Haben Sie schon einmal etwas von Datenschutz gehört? Wenn mir da jemand auf die Schliche kommt...« »... müssen Sie sich keine Sorgen machen, Ben. Es wird alles von oben geregelt, nur muß es leider unbedingt schnell gehen! Die Daten sind enorm wichtig für uns. Da muß man eben ungewöhnliche Mittel in Kauf nehmen. Ach ja, ich schicke Ihnen einige Männer vorbei. Wenn Sie eine Fährte von Sung aufnehmen, dann werden meine Männer alles weitere
erledigen und sie in Haft nehmen!« Ben Winkler nickte nur, ohne eine Antwort laut auszusprechen. Da hatte er eine schöne Arbeit aufgehalst bekommen. *** »Hast du das Monster schon gesehen?« Wolfgang Heppe sah seinen vierzehnjährigen Freund fragend an, der ihm den Gefallen tat und verneinte. »Es ist mindestens vier Meter groß. Aber nicht nur ein einfacher Fladen, sondern überall dicht behaart. Am ganzen Körper hat es riesige Auswüchse mit scharfen Krallen, die noch schwärzer sind als das Fell. Und wenn ihr es seht«, sein Blick fiel auf seine elfjährige Schwester, denn ihr wollte er Angst einjagen, nicht Peter Schreiber, der ihm die Geschichte sowieso nicht abnahm, »müßt ihr auf die gierigen, kleinen, bösen Augen achten. Doch wehe ihr betrachtet sie zu lange, dann hypnotisiert euch das Wesen!« »Erzähl nicht soviel Unsinn, sonst sage ich es Mama. Dann erlaubt sie es nicht mehr, daß du Vampira liest!« erwiderte seine Schwester Sandra, die sich allerdings immer öfter umsah und um die Nase ein bißchen blasser wirkte. Das konnte durchaus an dem Halbdunkel der Kanalisation liegen, durch deren Tunnel sie wanderten. Der kleine, noch nicht abgerissene Rest des alten Ortes, aus dem die relativ neue Stadt Alamo Gordo geworden war, bot sich als idealer Abenteuerspielplatz dar: Nicht zur Freude der Eltern, da die Kinder von der Kanalisation vollauf begeistert waren und abends immer völlig verdreckt nach Hause kamen. »Nein, Sandra, ich meine es ernst. Vor vier Tagen habe ich das Monster gesehen. Es ist nicht mehr weit von hier entfernt. Ich hoffe, es ist noch hier... hm, was ich nicht glaube. Es wird
sicherlich die Kanalisation verlassen und einige Menschen zum Fressen gesucht haben. Ihr hättet die Zähne sehen sollen, so etwas habt ihr noch nie gesehen! Mindestens 20 Zentimeter lang! Der kürzeste!« Um seine Worte zu bekräftigen, nickte er, was von den anderen nicht bemerkt wurde. Jeder sah nur auf den Boden, um den größeren Pfützen auszuweichen. Der Gestank in den Kanälen war widerlich, dennoch kein Grund, der neugierige Kinder und Jugendliche auf der Suche nach Abenteuern abhalten konnte. »Wie weit ist es denn noch?« Sandras Stimme war noch nie laut gewesen, jetzt konnte man sie kaum mehr verstehen. »Keine 150 Meter mehr«, antwortete ihr Bruder, der nur mühselig ein lautes Auflachen unterdrücken konnte. Schon am Vortag war er hier gewesen und hatte einige eindeutige Spuren gelegt, unter anderem mehrere Fußabdrücke mit einer Länge und Breite von mindestens einem halben Meter! Wenn sie den Beweis nicht akzeptierte, half sowieso nichts mehr. »Hast du das gehört?« fragte Sandra plötzlich. Was zum Teufel hatte seine kleine Schwester auf einmal? Sie sollte etwas sehen und nichts hören! »Nein, geh weiter!« »Nee, ich habe wirklich etwas gehört! Seid einmal still, bitte!« Wie angewurzelt blieben sie stehen, hielten sogar den Atem an, um kein Geräusch zu machen. Tatsächlich, da war wirklich etwas, weder laut noch beständig, dafür hörte es sich aber sehr gefährlich an. »Also dein Monster habe ich mir lauter vorgestellt!« wisperte Sandra mit zitternder Stimme. Daß ihr Bruder plötzlich ebenfalls nicht mehr so selbstsicher war, bemerkte sie nicht. »Los, gehen wir weiter!« Peter Schreiber hatte sich in den letzten Minuten zurückgehalten. Die Neckereien sollten die
Geschwister gefälligst unter sich ausmachen. Jetzt allerdings begann ihn die Sache zu interessieren. Vorsichtig gingen sie weiter. So aufmerksam sie auch horchten, die Laute wiederholten sich nicht. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als in jeden größeren Seitenarm zu blicken, was aber nicht ausschloß, daß sie etwas übersahen. Für eine gezielte Suche war es trotz dem von ihren Taschenlampen erzeugten Licht viel zu dunkel »Seht einmal!« Peter Schreiber deutete nach vorn. Wirklich, da lag etwas halb auf dem Betonsteg und halb im normalerweise geleerten, durch das Regenwasser aber beträchtlich gefüllten Kanal. Das Wesen vor ihnen war bestimmt keine vier Meter groß! Je näher sie kamen, um so mehr ähnelte es einem Menschen. Sein dichtes, schwarzes Fell glich bei näherem Hinsehen normalem Haar. Bis auf einige rötliche, noch feuchte Strähnen! Blut! Der Mann war verletzt, und ziemlich schwer, wie es aussah! Peter erfaßte die Situation als erster und beugte sich vor zu ihm. »Ich glaube, ich kann den Puls fühlen, atmen tut er auch noch, Gott sei Dank! Wolfgang, lauf los und hol' Hilfe, schnell!« *** »Sir, die Funkzentrale teilt mir mit, daß wir einen wichtigen Anruf vom Mars erhalten«, sagte ein Mann der Zentralebesatzung zu Ralf Larsen. Der Kommandant nickte, dachte daran, daß es ein wenig ungewöhnlich sei, im Sol-System bei einem direkten Anflug auf Terra zuerst vom Mars angefunkt zu werden und sagte dann: »Auf den Schirm!« Das Gesicht eines Mannes wurde auf dem Hauptmonitor der Zentrale abgebildet.
»Colonel Larsen, ich muß Ihnen leider mitteilen, daß Ihnen und Ihrem Geschwader der Anflug nach Terra verweigert wird. Terra wurde heute zum Quarantänegebiet erklärt!« Larsen stand auf. Das war eine überraschende und gleichzeitig bestürzende Meldung. Terra eine Quarantänezone? »Können sie mir näheres mitteilen?« fragte er nach. »Nein, bedaure. Terra hat uns zwar alle Daten zugesendet, sie sind aber nicht frei zugänglich.« Der Mann drehte den Kopf zur Seite und sprach mit jemanden, der nicht zu erkennen war. Wenige Sekunden später wandte er sich wieder Ralf Larsen zu. »Sir, ich erfahre soeben, daß Sie das File mittels Ihres Kommandocodes aus der zentralen Datenbank abrufen können!« »Danke. Wird die Meldung über die Quarantäne auch allen anderen Schiffen der Flotte mitgeteilt?« »Natürlich, Colonel. Alle Schiffe, egal ob der Flotte zugehörig oder nicht, werden zum Mars umgeleitet. Die meisten extraterrestrischen Einheiten kehren von sich aus wieder um.« Das war verständlich. Zwar wurden in den letzten Jahren die Anlagen des Mars voll ausgebaut, Raumhäfen angelegt und ein weitergehendes Terraforming eingeleitet, doch von letzterem war bislang kaum etwas zu sehen. Dies waren Langzeitpläne, die selbst mit Salter-Technik nicht von heute auf morgen realisiert werden konnten. Insofern verfügte der vierte Planet des Sol-Systems über alle technischen Möglichkeiten, doch Terra ersetzen konnte er nicht und würde dies auch nie können. Larsen begab sich zum Suprasensor und leitete den Datentransfer ein. ***
Der Ringraumer startete, langsam, gleichmäßig beschleunigend – großartig anzusehen. In großen, schwarzen Lettern stand auf der Unitall-Außenwand ›POINT OF‹ geschrieben. Das Raumschiff flog einsam im All dahin, eingerahmt von unzähligen Sternen, die ihre Standorte langsam verließen und in ihrer Gesamtheit die Gesichtszüge von Joan Gipsy annahmen. Die POINT OF verhielt vor dem Gesicht, bis unerwartet und ohne Vorwarnung aus dem Nichts ein greller Blitz auf das Schiff zuraste, es gezielt traf und die Intervallfelder überlastete, so daß sie zusammenfielen und das ehemalige Flaggschiff schließlich explodierte. Lautlos, kein großes Ereignis. *** Schweißüberströmt wachte Ren Dhark auf, öffnete die Augen. An den Traum erinnerte er sich mit aller Deutlichkeit, bis ins kleinste Detail. Wenn er sich die Zeit nehmen und sich tief konzentrieren würde, dabei die Augen schloß, so könnte er nach einigen Sekunden bestimmt sagen, in wieviel Splitter sich die explodierende POINT OF aufgelöst hatte. Doch an dieser Spielerei hatte er kein Interesse. Er sah neben sich auf das Bett. Joan war bereits aufgestanden und erkundete wohl die TERRA III, Ralf Larsens Flaggschiff. Ein wenig ärgerlich registrierte er, daß es bereits nach zwölf war. Er hatte mindestens dreizehn Stunden geschlafen. Es wird Zeit, daß du dich wieder an feste Schlafzeiten gewöhnst, Herr Dhark. Um zwölf Uhr aufstehen... Das war eben der Nachteil der Raumfahrt: Man mußte sich immer wieder auf die unterschiedlichsten Rotationszeiten der Planeten einstellen.
Warum hatte Joan ihn nicht geweckt? Die Antwort konnte er sich selbst geben: Sie wollte, daß er sich erholte. Und er mußte zugeben, lange nicht mehr so ausgeruht gewesen zu sein wie heute, auch wenn er schlecht geträumt hatte. Noch einmal sah er auf die Uhr. Ja, es war wirklich Zeit zum Aufstehen. Er nahm seine ganze Kraft zusammen und erhob sich. Unerwartet kam eine Meldung: »Ren Dhark, bitte sofort in der Zentrale melden!« Nun, er würde doch nicht zum Duschen kommen. Schnell holte er seine Uniform und zog sie an, wobei er sich Ralf Larsens Grundsatz zu eigen machte: Keine Falte ist zuviel darin... Wenige Minuten später betrat er die Zentrale, in der bedrückende Stille herrschte. Nebenbei registrierte er, daß sich inzwischen auch Dan Riker eingefunden hatte. Fragend zog Ren die Augenbrauen hoch. »Was ist los, Ralf?« Der Colonel sah auf. »Wir können die Erde nicht anfliegen! Wir haben vor zwanzig Minuten einen Funkspruch vom Mars erhalten. Demnach ist Terra zur Quarantänezone erklärt worden.« »Ist etwas genaueres bekannt?« »Nicht viel«, bedauerte Larsen, bevor er nach einer Sekunde mit belegter, leiserer Stimme fortfuhr: »In dem Dossier, das sie uns überspielt haben, steht, daß jemand durch einen sogenannten Mensitenvirus infiziert wurde. Die Regierung hat es daraufhin für nötig befunden, den nogkschen Schutzschirm um Terra einzuschalten.« Larsen schüttelte hilflos den Kopf. »Wir kommen um knapp zehn Stunden zu spät.« Nachdenklich rieb sich Dhark mit der linken Hand über das unrasierte Kinn. »Das dürfte kaum ein Grund sein, Terra nicht anzusteuern.
Den Schutzschirm kann man sicherlich überwinden.« »Sicher, aber was bringt dir das?« Den Einwand brachte Dan Riker vor. Wie immer, wenn ihn ein Problem nervte, zeigte sich an seinem Kinn ein roter Fleck. Seine Freunde bemerkten es schon nicht mehr. »Vielleicht können wir helfen!« antwortete Dhark. »Nein, Ren, da liegst du falsch. Was bitte schön meinst du zu bewirken, was Leute – fähige Leute – wie Echri Ezbal, Henner Trawisheim oder der Marschall nicht ebensogut erledigen können?« Dan Riker hatte sich verbissen. Er kannte Dhark schon seit Jahren und wußte, wie stur der Commander der Planeten sein konnte und wollte ihm die Idee, zur Erde vorzudringen, gleich ausreden. Diesmal wollte Dan Riker seine berechtigten Einwände durchbringen. Vielleicht brachte dieser Augenblick auch die Entscheidung, der er sich schon so lange stellte und sie doch immer wieder vor sich her schob: Ein eigenes Kommando oder zweiter Mann in Dharks Schiff. Jetzt, auf die Antwort Ren Dharks kam es an. Dhark senkte den Kopf, bevor er sagte: »Du hast recht!« Zornig ballte er die rechte Hand zur Faust. »Dennoch regt es mich auf, wenn da eine Gefahr über Terra schwebt und wir nichts tun können!« Selbst überrascht wegen seiner Überreaktion öffnete er die Hand wieder. Lasse ich mich wirklich viel zu sehr von meinen Gefühlen beeinflussen? »Meinst du, uns geht es nicht ebenso, verdammt noch mal? Es wird allmählich Zeit, daß du lernst, nicht alles selbst erledigen zu können!« Der rote Punkt auf Rikers Kinn wurde noch intensiver. Nein, erkannte Dhark, diesmal gibt Dan nicht nach! Ralf Larsen erhob sich und sagte zu einem Crewmitglied: »Versuchen Sie die CHARR zu erreichen und überspielen Sie
Colonel Huxley das Mensiten-Dossier. Er soll die Nogks fragen, ob sie etwas über die Mensiten wissen.« Dan Riker und Ren Dhark nickten anerkennend. Es war einen Versuch wert. Die Nogks waren den Menschen im Weltraum zumindest um Jahrtausende an Kenntnissen voraus. Es konnte also durchaus sein, daß sie einige Daten hatten oder auch nur einige Berichte aus eigener Erfahrung liefern konnten. Jede noch so kleine Notiz konnte wichtig sein. Colonel Larsen sah Riker und Dhark ernst an. »Hoffentlich können die Funker die CHARR erreichen. Die Magnetischen Stürme werden es ihnen ziemlich schwer machen.« »Sie werden schon eine Möglichkeit finden!« meinte Dan. »Bleibt immer noch die Frage, was wir jetzt machen!« erinnerte Dhark. Jeder konnte es ihm ansehen, wie wenig ihm das aufgezwungene Nichtstun paßte. »Auf dem Mars müßte die GALAXIS II liegen, sofern ich mich damals richtig informiert habe!« warf Dan Riker ein und bewies damit, der TF, der er einmal vorstand, immer noch verbunden zu sein. Ren Dhark zog die Augenbrauen zusammen. Worauf wollte der Freund hinaus? »Ren, wir können der POINT OF nicht ewig nachtrauern. Ich habe sie mindestens genauso gemocht wie du, aber allmählich wird es wieder Zeit, ein eigenes Kommando zu übernehmen!« erklärte Dan Riker. Vorsichtig hob Ren Dhark den Kopf: »Mit dir oder ohne dich?« Überrascht fuhr Dan Riker auf. »Wie meinst du das?« »Verdammt Dan, wie lange kennen wir uns jetzt? Auf jeden Fall lange genug, um die Gedanken zu erraten, die du dir während der letzten Zeit gemacht hast!« Ren hatte es also tatsächlich geahnt. Geahnt, daß er bereits seit langer Zeit überlegt hatte, ein eigenes Kommando zu übernehmen – und er hatte nichts gesagt, sondern ihn seine
eigene Entscheidung unbeeinflußt fällen lassen! »Natürlich mit mir! Meinst du, man könnte dich alleine durch die Galaxis schicken? Die ganzen Extraterrestrier würden einen Schock fürs Leben bekommen!« Dhark hielt ihm die Hand hin. In seinen Augen konnte Dan eine Entschuldigung herauslesen. Aber gab es überhaupt einen Grund für eine Entschuldigung? Dan Riker wußte es nicht. Sicherlich hatte er vieles an Ren Dhark zu kritisieren, vor allem auch, was dessen spontane Entscheidungen betraf. Doch wo sollte er da die Grenze ziehen zwischen Intuition und Sturheit? Jedem Kommandanten mußte ein Spielraum gegeben werden, und war Ren Dharks einziger Fehler nicht, daß er diesen Spielraum bis an die Grenzen ausnutzte? Nein, als reine Entschuldigung konnte er diese Geste nicht auslegen. Eher sollte diese ausgestreckte Hand ein neuer Beginn für ihre Freundschaft werden. Und von Dan Rikers Seite sollte diese nicht scheitern. *** »... ich habe etwas, das Sie interessieren dürfte! Sollten Sie Interesse haben, dann erwarte ich Sie morgen um 13 Uhr in der Ringabteilung des Wohnturms.« Alex Besrell fluchte. Diese Che Le Sung nötigte ihm allmählich Respekt ab. Der Treffpunkt um 13 Uhr in der neugebauten Ringabteilung des Wohnturmes war mehr als genial! Die Schwierigkeit, sie dort zu entdecken, erhöhte sich wieder um einiges. Aber auch dieses neuentstandene Problem würden sie bewältigen. Er mußte – und er würde! – sie erwischen! Wenn er Glück hatte, faßten seine Männer die Frau in den
nächsten Minuten. Winkler hatte sie sofort benachrichtigt, als er das von Che Le Sung geführte Gespräch hereinbekam. Gewissensbisse wegen des unerlaubten Abhörens des Gesprächs entwickelte Alex Besrell keine. Diese Art der Gefühlsregung hatte er bereits vor Jahren aufgegeben, und bislang gereichte ihm diese Unverfrorenheit meist zum Vorteil. In seinem Job hatte er früh gelernt, daß sich die ›Guten‹, zu denen er sich natürlich selbst zählte, die Methoden der ›Bösen‹ zu eigen machen mußten. Warum hörte er neben den Stimmen keine anderen Geräusche? Einen überraschten Aufschrei der Frau, der darauf schließen ließ, daß die Sicherheitsmänner Che Le Sung faßten? Oder die Stimme eines Sicherheitsmannes, die ihm mitteilte, daß der Fall abgeschlossen war? Es ist noch zu früh! Die Männer sind erst vor einer Minute aufgebrochen! sagte er sich selbst. Währenddessen lief das Gespräch ungestört fort: »Wie finde ich Sie?« hörte er eine ihm unbekannte Stimme sagen, der wiederum ein: »Keine Sorge, es reicht, wenn ich Sie finde. Gehen Sie einfach um den innersten Ring herum!« gesprochen von Le Sung folgte. Sprich weiter! Noch eine Minute und wir haben dich! Mach es uns doch nicht so schwer! Erwischen werden wir dich doch! Trotz dieser bittenden und flehenden Gedanken endete das einseitige Gespräch. Die Letzte seiner Hoffnungen, die, daß die Polizisten Che Le Sung beim Verlassen des Sprechgerätes fassen würden, zerschlug sich, als Winkler eine Meldung entgegennahm. Immerhin hatte das kurze Gespräch ausgereicht, den Gesprächspartner zu identifizieren. Zumindest den Ort, wo das Gespräch hinlief, und da gab es nicht allzuviele Alternativen. Nachdem Besrell den Namen von Ben Winkler gehört hatte, wurde ihm erst richtig klar, wer im Kampf um die
Intervallfelddaten alles mitmischte. Allmählich konnte Besrell die Aufregung von Pierre Wells verstehen. Der Gegner war hochkarätig, und es war ein Mann, dem man so einen Diebstahl nicht zutrauen würde, und der dennoch ein groß angelegtes Katz- und Mausspiel inszenieren konnte. Es war nur noch nicht klar, wer die Maus war! Plötzlich schaltete sich das Bild an einem weiteren Monitor um, der den TV-Nachrichtenkanal empfing. Henner Trawisheims Gesicht bildete sich ab. Wieder einmal eine wichtige Meldung, die keinen Aufschub duldete. Obwohl Alex Besrell solche Sendungen in die Schubladen Propaganda und Unwahrheiten einordnete, hörte er zu. Er drehte den Ton lauter, den er vorher abgestellt hatte, um sich besser auf das Thema ›Che Le Sung‹ konzentrieren zu können. »... aufgrund eines Unfalles in der Cyborgstation wurde eine Wissenschaftlerin gestern mit unbekannten Viren infiziert. Diese Wissenschaftlerin«, das Foto von ihr wurde eingeblendet und zeigte eine hübsche junge Frau, »... ist seitdem unauffindbar. Jede Nachricht über ihren derzeitigen Aufenthaltsort kann weiterhelfen! Sollte jemand sie sehen, unternehmen Sie bitte nichts, sondern wenden Sie sich an die Polizei. Eine Übertragung der Viren ist unter normalen Umständen auszuschließen, dennoch haben wir uns gezwungen gesehen, Terra unter Quarantäne zu stellen. Dies geschah aus reinen Sicherheitsgründen. Eine augenblickliche Gefahr besteht nicht! Unsere Wissenschaftler sind der Ansicht, in Kürze mit den Problemen fertig zu werden. Näheres erfahren Sie hierzu in einer ausführlichen Stellungnahme um 18 Uhr!« Quarantänegebiet? Das hieß mitunter auch, daß keine Schiffe mehr landen beziehungsweise starten durften. Mit anderen Worten: Dieser Che Le Sung und ihrem Partner wurden alle Möglichkeiten entzogen, die Daten von Terra weg
zu bringen! Was hatte Trawisheim noch gesagt? Unfall! Dieses Wort wurde für vieles verwendet – auch für Sabotage. Die GSO hatte die nächsten Tage also viel zu tun, zumal die Agenten der Organisation wahrscheinlich auch für die Suche nach der Wissenschaftlerin eingesetzt werden würden. Und wenn es so war, so konnte er das Katz-und-Maus-Spiel um einige Züge erweitern! Und sich selbst zum Kater ernennen! Entschlossen griff er zum Vipho. Wenige Minuten später hatte er erreicht, was er wollte: Unterstützung der GSO! Durch einen Trick hatte er es geschafft, Bernd Eylers selbst an den Apparat zu bekommen. Dem GSO-Chef war anzusehen, wie stressig die letzten Stunden und Tage für ihn gewesen waren. Wahrscheinlich war es nur diesem Faktor – Überarbeitung – zu verdanken, daß Alex Besrell ihm vier Beamte der GSO abnötigen konnte, die Che Le Sungs Spur morgen verfolgen sollten. *** »Weiß zufällig jemand, wo sich Jos Aachten van Haag aufhält?« Bernd Eylers blickte in die Runde der arbeitenden Angestellten. Niemand gab eine positive Antwort. Einer von den Büroangestellten konnte den Hinweis geben, daß sich van Haag mit der Zerstörung des Wohnturmes befaßte und vor drei Tagen deswegen den Suprasensor der Zentrale benutzte. Seitdem hatte man nichts mehr von ihm gehört. Der schlaksige GSO-Chef nahm es zur Kenntnis. Ich hoffe, du hast gefunden, was du gesucht hast, Jos, dachte er. Den Hinweis, daß van Haag seitdem verschwunden war, nahm er nicht sonderlich ernst. Bei dem Mann war das absolut keine
Seltenheit. »Wo befindet sich Holger Alsop?« versuchte er Ersatz zu finden. »In T-VII in Quarantäne. Die Zeit dürfte er bald abgesessen haben. Er hat im Brana-Tal auch keine Spur oder einen neuen Hinweis gefunden«, kam es von seiner linken. Bernd Eylers wollte den Fall Besrell abhaken und suchte Männer dafür, die den Fall übernahmen. Bewährte Männer! Denn etwas hatte ihn an den Ausführungen von Alex Besrell gestört. Es war ihm so vorgekommen, als hätte er zwar die Wahrheit gesagt, diese aber durch bewußte Weglassungen verdreht. Ja. Alsop war der richtige Mann für diesen Job. »Gut. Teilen Sie ihm mit, er soll sich bei Alex Besrell, dem Sicherheitschef der Ringraumerforschungsstation Alamo Gordo melden, sobald er T-VII verlassen darf. Er hat absolute Entscheidungsfreiheit, soll mir dafür aber Erfolge bringen! Langsam wird es ja mal wieder Zeit dafür. Ach ja, er soll noch drei weitere Männer nehmen, die ihm helfen können«, trug Eylers dem Mann zur linken auf. »Mr. Eylers! Ich habe hier zwei Nachrichten für Sie!« Regina Hard, seine Sekretärin, sah ihn fragend an. Hatte er Zeit? »Na, ich hoffe, es gibt endlich einmal gute Neuigkeiten...«, antwortete Eylers. »Marschall Bulton will sie sprechen. Soll ich ihn durchstellen?« »Was will der denn?« Sowohl Bulton als auch Eylers versuchten sich aus dem Weg zu gehen, soweit es ging. »Keine Ahnung. Soll ich ihn nun durchstellen?« wollte sie wissen. »Gut. Hoffentlich geht es schnell!« Gleich darauf stand die Verbindung. Der Marschall mußte
bereits auf ihn gewartet haben. »Was kann ich für Sie tun, Marschall?« »Nichts besonderes. Sie sollen sich nur erkundigen, ob sich Janos Szardak auf der Erde aufhält«, erklärte Ted Bulton. »Was soll Janos denn auf der Erde machen? Der kann sich bestimmt nie vom Weltraum und seinem Schiff trennen.« Bernd Eylers wurde neugierig. »Hm, ich habe ihm vor einigen Wochen Zwangsurlaub gegeben, da er in den letzten Jahren immer eine Ausrede gefunden hat, diesem Ärgernis zu entgehen!« »Okay, ich werde dem nachgehen. Viel Hoffnung habe ich nicht, ihn zu finden. Wenn Janos einmal Urlaub macht, verzieht er sich sicherlich in irgendeine unbelebte Ecke«, meinte Bernd Eylers. »Kann schon sein. Versuchen Sie ihr Bestes. Danke!« Bernd Eylers konnte förmlich spüren, wieviel Überwindung Bulton das letze Wort kostete. Die Beziehung zwischen der Terranischen Flotte und der GSO war schon einmal besser gewesen, viel besser! Mit einem kurzangebundenen Kopfnicken verabschiedete er sich vom Marschall, bevor er seiner Sekretärin den Auftrag gab, herauszufinden, wann Janos Szardak zuletzt etwas von seinem Konto abgebucht hatte. »Sie haben etwas von zwei Nachrichten gesagt!« erinnerte er seine Sekretärin danach an ihre Worte. »Ja, leider. Jos Aachten van Haag wurde gefunden. Gestern schon. Er liegt im Krankenhaus. Schädelfraktur. Drei Kinder haben ihn in der Kanalisation im alten Teil Cent Fields gefunden.« »Und das sagen Sie mir erst jetzt!« ärgerte sich Eylers. »Ja, natürlich. Hätte ich die andere Meldung erst nachher machen wollen, hätten Sie sich nicht mehr damit abgegeben. Außerdem können Sie Jos sowieso nicht helfen; er ist bei den
Ärzten gut aufgehoben.« Es tat ihm leid, daß er sie so angefahren hatte, zumal Regina Hard recht hatte. Wenn sie diese Nachricht wirklich an erster Stelle gebracht hätte, wäre keine Zeit mehr für Bulton geblieben. Und eine weitere Verschlechterung des Klimas zwischen TF und GSO konnten sie sich nicht leisten. »Entschuldigen Sie bitte. Sie haben ja recht. Können Sie dann veranlassen, daß Jos in die Cyborgstation verlegt wird? Wenn er verlegt werden darf, natürlich. Dann möchte ich noch einen Bericht über seinen Gesundheitszustand.« »Natürlich, wie Sie wollen«, antwortete sie leicht schnippisch. Tatsächlich, sie war eingeschnappt! Ein weiteres Problem. Erste Regel für einen Chef, auch wenn nur vom Staat bezahlt: Lege dich niemals mit deiner Sekretärin an, denn sie ist mehr als dein Gedächtnis. Sie ist dein Gewissen! Sie wurde wieder etwas sanfter (aber wohl nur, weil es um Jos, ihrem besonderen Liebling unter den GSO-Leuten, ging!): »Jos geht es gut. Er ist zumindest außer Lebensgefahr, allerdings wird es einige Zeit dauern, bis er wieder einsatzfähig ist«, erklärte sie ihm. Wenige Minuten später kam sie zurück. »Mit Jos ist alles geregelt. Die Ärzte hoffen, daß sie ihn, wenn alles gut verläuft, in etwa drei Stunden ins Brana-Tal verlegen können.« Anerkennend nickte Bernd Eylers, was die Frau wieder auftauen ließ. »Was Janos Szardak betrifft: Er hat in den letzten fünf Wochen absolut nichts abgebucht. Ist mir unverständlich, wie der Mann ohne Geld Urlaub machen kann!« Das verstand Bernd Eylers schon eher. Vor mehr als zehn Jahren waren sie beide an der Fertigstellung der POINT OF beteiligt gewesen. Während dieser Zeit waren sie gute Freunde geworden. In den folgenden Jahren hatten sie sich zwar nur noch selten gesehen, dennoch
gab es ein freundschaftliches Band zwischen ihnen. Aus diesen Gründen kannte Bernd Eylers auch die Vorliebe von Janos Szardak für einsame Strände, an denen er ungestört nachdenken konnte. Auf Hope hatte der damalige Zweite Offizier der POINT OF sich in seiner Freizeit regelmäßig in eine von ihm entdeckte Bucht zurückgezogen. Etwas, was Bernd Eylers an Janos Szardak tief beeindruckt hatte, war seine Menschenkenntnis. Er hatte immer genau gewußt, wem er wieviel zutrauen konnte, und auch, wie er bei den damals Deportierten die Arbeitsmoral nicht sinken ließ, obwohl er von vielen schief angesehen wurde. Manche Leute hatten nie verstanden, warum er kaum menschliche Regungen zeigte. Janos Szardak hatte es dennoch nie für nötig befunden, erklärend auf seinen Unfall hinzuweisen, der ihm eine künstliche Hautpartie im Gesicht beschert hatte. Und wahrscheinlich hatte der jetzige Colonel (eine Beförderung zum General wurde von ihm konsequent abgelehnt) sich in eine einsame, stille Bucht zurückgezogen und war somit unerreichbar. *** »Colonel, ein weiterer Funkanruf!« Überrascht fuhr Ralf Larsen auf. Sollte der Mars weitere Daten haben? »Wieder vom Mars?« erkundigte er sich. »Nein. Ein Freier Händler. Glaube nicht, daß es interessant ist«, meinte der Funkoffizier in einem Tonfall, der seine Meinung über die Freien Händler deutlich zum Ausdruck brachte. Ralf Larsen vertrat eine andere Ansicht, denn ohne Grund meldete sich ein Sternentramp nicht. Die ›Freien Händler‹ waren froh, wenn sie nicht mit der Raumflotte in Berührung kamen. »Ich möchte trotzdem mit ihm sprechen, wenn es genehm
ist!« Ren Dhark hinter ihm nickte zustimmend. Ralf Larsen vertrat ganz seine Ansicht. Auf dem Schirm zeigte sich ein alter, sicherlich über 75 Jahre zählender Mann. Die Augen! dachte Ren Dhark! Die Augen kennst du! Und trotzdem wußte er, daß er den Mann noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Da war er absolut sicher! »Tag, Männer!« grüßte der Alte mit überraschend kräftiger Stimme. Sie erwiderten den Gruß, bevor Ralf Larsen nachfragte: »Was können wir für Sie tun?« »Nun, wissen Sie, Colonel, da Sie ein hohes Tier sind, habe ich mir gedacht, daß Sie trotz des Energieschirms nach Terra fliegen. Da wollte ich fragen, ob es möglich wäre, daß ich mich mit meiner DRACHENLADY anschließen kann«, erklärte der Mann. »DRACHENLADY?« grinste nicht nur Colonel Larsen. Auch Ren Dhark und Dan Riker konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen, ein ehemaliges GIANT-Schiff so zu nennen, was den Kommandanten des Händlerschiffes einen beleidigenden Fluch ausstießen ließ. »Jawohl, DRACHENLADY, das beste Schiff diesseits von Andromeda. Was versteht ihr jungen Hüpfer schon von Raumschiffen? Ich bin schon im All herumgetrampt, da habt ihr noch in den Windeln gelegen. Ha, was wollt ihr denn mit euren Ringraumern. Ist doch ein Schiff für Idioten, oder? Da einmal einen Knopf drücken, dort einmal; und das ist alles. Muß doch todlangweilig sein!« ereiferte er sich. Es wäre doch einmal interessant zu wissen, was der Mann von der Gedankensteuerung der POINT OF hält! dachte Dan Riker.
Die Zentralcrew der TERRA III stellte das Lachen ein, um den Mann nicht noch stärker zu beleidigen. Auch wenn sich der eine oder andere Gesichtsmuskel nicht daran halten wollte. Das jedoch übersah der alte Händler, der seinen Namen immer noch nicht genannt hatte, geflissentlich. »Wie sieht es jetzt aus? Kann ich mich bei Euch einreihen?« Larsen schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Mister...« »Gardner, Isaac Gardner«, stellte er sich vor. »Freut mich, Sie kennenzulernen! Auf jeden Fall gilt die Quarantänezone für uns ebenso wie für alle anderen Schiffe!« entgegnete Larsen. Gardner nickte langsam und bedächtig, nachdem er zuerst Larsen nach dessen Worten ungläubig angestarrt hatte und fuhr sich mit der linken Hand durch seine wenigen verbliebenen grauen Haare. »Verdammt, ich müßte nach Terra. Brauche dringend einige Ersatzteile...« »Gibt es die nicht auf dem Mars?« erkundigte sich Joan Gipsy. Überrascht drehte sich Dhark um. Er hatte nicht bemerkt, daß seine Freundin in die Zentrale gekommen war. »Ich fürchte nein, Lady. Normalerweise gibt es sie nicht einmal auf der Erde, doch wenn ein anderer Freier Händler dort wäre, hätte ich zumindest gute Chancen...« Bedauernd nickte Joan. Sie verstand sehr gut, was Gardner meinte. Im Gegensatz zu den Ringraumern waren die alten Giant-Schiffe sehr reparatur- und wartungsbedürftig. Zusammen mit Ren Dhark hatte sie sich damals vor einigen Monaten für die Freien Händler eingesetzt, als es darum gegangen war, die Ansichten und Forderungen der Sternentramps gegen den Willen der Regierung durchzusetzen. »Nun, kann aber auch sein, daß andere Händler den Mars ebenfalls anfliegen müssen!« meinte sie dann. Gardner verneinte: »Glaube ich nicht. Wir Händler können uns nur über Wasser halten, wenn wir Marktlücken finden. Da
rentiert's sich nur, wenn wir die Ladung auf Terra löschen. Der Mars als Zwischenstation ist zu teuer. Die werte Konkurrenz wird also schleunigst das Solsystem verlassen und sich woanders nach Aufträgen umsehen!« Da hatte der alte Mann recht. Leider konnte ihm niemand helfen. Zu unterschiedlich war die Giant-Technik im Vergleich zur saltischen. Und dann blieben immer noch die Augen des Mannes. Wo hatte Ren Dhark sie schon einmal gesehen? Er kannte sie, er wußte nur nicht, woher! *** »Zugriff erlaubt.« Zufrieden nickte Holger Alsop. Niemand konnte es sehen, denn er befand sich alleine in der Notzentrale der Station T VII. Nur einzelne kleine Lämpchen verschiedener Aggregate und Maschinen durchbrachen mit ihrem schwachen Leuchten die vorherrschende Dunkelheit. Normalerweise schaltete sich die Beleuchtung automatisch ein, sobald registriert wurde, daß jemand den Raum betrat. Da allerdings die Notzentrale dann auch all ihre anderen Funktionen aufgenommen hätte, hatte Alsop vorher dafür gesorgt, daß sein Eintreten weder bemerkt noch registriert wurde. Ebenso wenig würde jemand die Veränderungen feststellen, die er jetzt unternahm. Veränderungen, die niemand bemerken durfte. Außer seinem Auftraggeber. Als der Cyborg wenig später den Raum wieder verließ, so unauffällig, wie er ihn betreten hatte, leuchteten alle Lämpchen genauso wie vorher. Eine Stunde später erfuhr Holger Al-sop, daß er sich bei dem Sicherheitschef der Ringraumerforschungsstation melden
sollte. *** »Colonel Neep! Kann ich Sie kurz sprechen?« Martin Nicholls sah den kommandierenden Offizier fragend an. Normalerweise war Major Sordan Nicholls direkter Vorgesetzter, doch der hatte sich in sein Quartier zurückgezogen. Außerdem war Neep während der Quarantänezeit Terras Bultons Vertreter. »Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Neep. »Ich möchte mich auf einen Ringraumer versetzen lassen. Hier ist mein Versetzungsschreiben«, erklärte Nicholls, während er Colonel Neep die Papiere gab. In den letzten Stunden war er nicht vom Thema Versetzung weggekommen. Schließlich hatte der Start der Ringraumer den Ausschlag gegeben und er hatte sich entschieden. Dennoch lieferten sich seine Gefühle einen turbulenten Kampf: War es sinnvoll, sich von einem geregelten Posten auf einem sicheren Planeten zu einem härteren, vielleicht auch gefährlicheren Job versetzen zu lassen? »Nun ja, normalerweise müßten Sie sich da in der Personalabteilung melden. Allerdings will ich in den nächsten Tagen sowieso eine Besatzung für die GALAXIS II zusammenstellen. Melden Sie sich beim Raumer und sagen Sie der Offizierscrew, daß ich Ihnen zugesagt habe, auf die GALAXIS II zu kommen.« Er reichte ihm die Papiere wieder zurück, ohne einen Blick hineingeworfen zu haben. »Diese hinterlegen Sie bei der Personalabteilung. Wird allerdings einige Zeit dauern, bis diese Ihre Daten verarbeiten werden. Die Leute dort haben viel um die Ohren.« Der Colonel machte eine kurze Pause und musterte sein Gegenüber. »Ich hoffe, Sie haben sich das mit Ihrer Versetzung gut überlegt, Nicholls! Denken Sie nicht, daß jeder Mann für
das All geeignet ist!« Diese Feststellungen und Argumente hatte Martin Nicholls sich selbst auch immer wieder gesagt. Trotzdem war sein Urteil positiv ausgefallen, und die Art, wie Neep sie aussprach, unterstützte seine Entscheidung nur noch. »Colonel Neep! Ralf Larsens TERRA III landet in wenigen Minuten. Commander Dhark ist bei ihm«, teilte ihm ein Funkoffizier mit. Neep wandte seine ganze Aufmerksamkeit auf andere Dinge und konnte Nicholls keine Zeit mehr widmen. Dem war es so auch ziemlich recht, hatte er doch endlich den ersten Schritt getan, um seinen Traum zu verwirklichen. *** Che Sung wartete. Mehrmals hatte sie bereits nach dem Verbindungsmann Ausschau gehalten, ihn aber noch nicht in dem großangelegten Ringcenter entdeckt. Konnte es sein, daß Pierre Wells ihr Vipho-Gespräch abgehört hatte? Das würde sie eine in eine peinliche Lage bringen, denn dann wären gewiß einige Sicherheitsbeamte der Forschungsstation hier. Wieder einmal betrachtete sie die verschiedenen Ringe im Zentrum des Wohnturmes. Die Ringe, im Grunde mehr eine Spirale, umfaßten einen großangelegten Park. Außen um die Kreisringfläche waren viele kleine Geschäfte, die mehr nostalgisch als modern gebaut waren. Alles sehr stilvoll und wunderschön anzusehen. Die Spirale stieg immer weiter an – pro Umdrehung um zwei Stockwerke und der Durchmesser dehnte sich nach oben hin weiter aus. Von ganz oben konnte man alle Terrassen überblicken. Die Geschäfte brauchten ihren Platz, und genau davon war jede Menge vorhanden. Die Bauzeichner und Ingenieure hatten
damit nicht gegeizt, was dem Ergebnis nur zugute kam. Und die Bewohner des Wohnturmes nutzten die fein angelegten Geschäftsräume. Die meisten Passanten nahmen sich die Zeit, um alles bewundernd zu betrachten oder einfach nur wegen eines entspannenden Spaziergangs. An manchen Sehenswürdigkeiten stauten sich die Menschen. Es wurde viel geboten. Ein antiker Springbrunnen, der zumindest alt aussah, obwohl er sicher ein Nachbau war, und mehrere Künstler, Akrobaten und Gaukler, die die Blicke der Anwesenden auf sich zogen. Hier konnten Talente entdeckt werden, viele der Schausteller hätten es verdient. Sogar echte Bäume standen auf dem breiten, nur für Fußgänger zugänglichen Gehweg. Ein etwas eigenartig aussehender Scotchterrier legte dort gerade seine Duftmarke. Doch sie war nicht hier, um dies alles zu betrachten. Sie suchte einen Mann, von dem sie annahm, ihm Vertrauen schenken zu können. Sicherlich hätte es noch viele Alternativen gegeben, allerdings wollte sie den Besten, und das schränkte die Auswahl drastisch ein. Sie gesellte sich zu einer Menschentraube, wo ein Zauberer sein Können vorführte. Mal zog er ein Karnickel aus dem Hut, mal nur eine kleine, stachelige Rose für eine schöne Zuschauerin. Die Trinkgelder für den Mann konnten sich sehen lassen. Che Le Sung betrachtete die Zuschauer eingehender. Ja, der von ihr gesuchte Mann war dabei. Er sah zwar sehr verändert aus, dennoch konnte nur er es sein. Dummerweise stand er ihr genau gegenüber. Sie nahm den Behälter mit dem Datenträger in die Hand und machte sich daran, sich durch die stehengebliebenen Passanten zu drücken, die diesen Vorgang durch ein ärgerliches Gemurmel begleiteten.
In den letzten Stunden hatte sie einige zusätzliche Texte auf den Datenträger gespeichert, die alles nötige erklärten. Sie mußte den Mann also nur anrempeln, möglichst so, daß es rein zufällig aussah und ihm den Datenträger in die Hand drücken! Nur noch zwei Meter, dann war sie am Ziel! In diesem Moment hatte Holger Alsop Che Le Sung zwei Etagen unter sich entdeckt. Langsam und bedächtig hob er seinen Schocker und legte an. Bei dieser Entfernung und der Streustrahlung würde er einige der Passanten ebenfalls erwischen, dennoch drückte er ab. Und traf! Che Sung verlor sofort ihr Bewußtsein und stürzte ebenso wie drei um sie Stehende zu Boden. Ihr Kontaktmann fuhr hoch und rannte im Gegensatz zu den weglaufenden Passanten auf die vier Menschen zu. Einige Frauen und Männer schrien, kreischten vor Angst, Rosen, vor Schreck fallengelassen, wurden zertrampelt und ein Karnickel lief umher und verstand die Welt nicht mehr! Mit anderen Worten: Es war Panik ausgebrochen, und da die Leute in alle Himmelsrichtungen liefen, fand der Mann auch die Zeit, den Datenträger aus Che Sungs verkrampften Händen zu entfernen, ohne daß ein weiterer Paralysestrahl ihn treffen konnte, obwohl mehrere Schüsse ihn nur knapp verfehlten. Danach mischte er sich unter die Flüchtenden und entfernte sich so schnell wie möglich aus dem Chaos. Sowohl Holger Alsop als auch seine Kollegen bemerkten die Flucht und setzten sich auf seine Spur. *** Jetzt hatten sie ihn, es gab keine Alternative... Che Le Sungs Kontaktmann mußte in das geräumige Bad geflüchtet sein.
Alsop und die anderen GSO-Männer hatten ihn von vier Seiten in die Zange genommen – und trafen sich nun selbst wieder, ohne einen flüchtenden Dieb in ihrer Mitte. Nur der Eingang in ein Hallenbad bot sich an. Alsop nickte den anderen zu. Gemeinsam betraten sie in voller Montur das Schwimmbad, dem ein weiterer Freizeitpark angeschlossen war. Er mußte sich verbessern: Es war kein weiterer Freizeitpark, das Bad mündete in einen Ausläufer des Parkes der Ringstation. Sie befanden sich also am Anfang der Ringstraße. Wie hatte er das nur nicht registrieren können? So etwas kam selten vor, normalerweise hatte Alsop ein ausgezeichnetes Ortsgedächtnis! Jetzt boten sich dem fliehenden Mann wieder viele Möglichkeiten. Mehr als sie zu viert überwachen konnten, zumal Holger Alsop auf die Fähigkeiten der anderen nicht allzuviel gab. Oder hatte er sich bereits so an seine Cyborgfähigkeiten gewöhnt, daß er alles mit einem anderen Maßstab verglich? Konnte durchaus sein, doch diesem Gedanken konnte er später nachgehen. Seine Cyborgfähigkeiten benutzte er nicht mehr, seitdem er in das Bad eingetreten war. Wenn er einige der anwesenden Badenden oder auch nur entspannenden Menschen nach einen angezogenen, fliehenden Mann fragen wollte, brauchte er seine Gefühle, seine Intuition, um den Hinweisen nachzugehen und sie richtig auszulegen. Ein kleines Mädchen sah ihn neugierig, fast schon aufdringlich an. Ja, er mußte wirklich ein eigenartiges Bild abgeben, voll angezogen unter nackten Menschen. Und genau das gleiche Bild mußte bereits jemand vor ihm abgegeben haben, dachte er! »Hey, kleine Dame! Kannst du mir sagen, ob bereits ein Mann mit seinen Kleidern hier vorbei gelaufen ist?« fragte er sie mit höflicher Stimme.
Eifrig nickte sie. »Ja, er hat die Rutsche benutzt!« Sie deutete ihm die Richtung. »Bist du auch so verrückt, und ziehst deine Kleider bei der Wasserrutsche nicht aus?« »Weiß ich noch nicht, aber danke für den Tip!« Himmel, was ragte denn da aus dem Wasser? Der Kopf eines Terriers, der bereits die Schräge hinunterrutschte. Erst zu diesem Zeitpunkt dachte er an einen Artikel, den er kürzlich gelesen hatte. Darin wurde ein Wohnturm wegen seinen brandneuen und alternativen Freizeitgestaltungen gelobt. Ein Lob hatte auch eine großzügig gebaute Wasserrutsche bekommen, die sich über 30 Stockwerke in die Tiefe erstreckte. Ein neuausgetüftelter Gravitationssicherheitsmechanismus sollte sicherstellen, daß niemand dabei zu Schaden kam. Und diese Rutsche sollte sein Gegner als Fluchtweg verwenden? Was der konnte, beherrschte ein Cyborg mindestens genau so gut! sagte er zu sich selbst und stieg ins Wasser. Mit Kleidung und einem Gefühl, sich selbst zum Idioten zu stempeln. Doch was sollte er tun? Wenn der Flüchtige 30 Stockwerke tiefer das Bad verließ, würde er ihn verfolgen müssen – und er konnte nicht nackt das Bad verlassen. Er schaltete um auf seine Cyborgfähigkeiten. Nicht nur aus dem Grund, weil er damit die Strömung, das Gefälle und das Wasser besser ausnutzen konnte und damit wertvolle Zeit gewann, sondern auch um seine Gefühle zu eliminieren, vorrangig das, sich lächerlich zu machen. Währenddessen ging das Mädchen in den Park zurück, in die Büsche, wo sich ein Mann versteckt hielt und öffnete ihre kleine Hand. »Mister! Das kostet etwas!« sagte sie mit hochnäsigem Ton. »Schon verstanden, kleine Dame!« lachte der unfreiwillig schlank gewordene Bert Stranger auf und gab ihr einen 10
Dollarschein. Als Reporter brauchte er oft Kleingeld. Innerlich lobte er sich selbst, daß er sich von Chris Shanton Jimmy geborgt hatte. »Nimm es mit, das Mistvieh, will ich sowieso nicht mehr sehen«, hatte der nur gemeint und sich wieder ins Bett zurücksinken lassen. Chris Shantons Immunsystem arbeitete noch nicht wieder so gut wie Strangers, denn Shanton erlitt öfter Rückschläge während seiner Genesung. Auch Bert Strangers Bekannte erschraken zuweilen noch, sobald sie ihn sahen. Zu sehr war er ihnen als der dicke, freche Reporter in Erinnerung, während er jetzt ein Gewicht erreicht hatte, das so gar nicht zu ihm passen wollte und ihn im Vergleich zu früher wie ein wandelndes Skelett erscheinen ließ. Er nahm den Datenträger in die Hand. Waren die Aufzeichnungen das alles wert? Und noch eine Frage stellte er sich mehrmals: Warum hatte Alsop auf ihn geschossen? Der Cyborg mußte ihn doch kennen! Warum hatte er dann also die Verfolgung nicht aufgegeben? Ja, warum hatte er überhaupt auf Che Le Sung geschossen, ohne Rücksicht auf die anderen Passanten? Diese Fragen würde er Eylers ebenfalls stellen! Schon bald und sehr ausführlich! 3. »Marschall, wir haben eine Nachricht von Cromar!« Ein Mann gab Ted Bulton einen Zettel. Sofort las der breitschultrige TFChef die Nachricht durch. Der Kluis hat die Macht über Cromar und im ganzen Telschen Imperium übernommen. Wer Dro Cimc sowie andere Sympathisanten wurden auf Befehl des Kluis verhaftet, ebenso wie das terranische Botschaftspersonal. Was mit den Tels und
Terranern geschieht, konnten wir nicht herausfinden, wir befürchten jedoch das schlimmste. »Ist das alles?« Scharf sah Bulton den Mann an. »Ja, leider. Ich bin schon froh, daß wir die Nachricht überhaupt bekommen haben. Unseren Leuten auf Cromar steht offiziell kein Funkweg mehr offen. Leider weiß ich aus diesem Grund auch nicht genau, wie alt die Nachricht ist«, bekam der Marschall zur Antwort. Die Lage auf Cromar mußte wirklich katastrophal sein. Besonders der Ausfall von Wer Dro Cimc war bedauerlich. In den letzten Monaten war dieser Mann mehr und mehr in eine Vermittlerrolle geschlüpft. Die Abkommen und Verträge mit dem Telschen Imperium standen schon immer auf wackeligen Füßen, da machte sich der Marschall nichts vor. Hatten sich die Terraner zuviel zugetraut? Konnten sie die eingefahrenen alten Gleise, die Machtstrukturen und die Herrschaft des Kluis wirklich nicht erneuern oder zumindest neu strukturieren? Es war wirklich zum Verzweifeln. Die Tels hatten das Wissen, mit dem sie den Terranern um Jahrhunderte voraus waren und die Menschen (zumindest die meisten unter ihnen) hatten die Idee, das Universum friedlich zu besiedeln – sofern die Magnetstürme dies überhaupt zuließen, und doch kam es zu keiner Zusammenarbeit. Die Magnetstürme waren ebenfalls ein Thema, über das ewig diskutiert werden konnte. Und auch hier hatten die Tels beim Aufbau des Noah-Projektes mit Zurückhaltung geglänzt. Jedes intelligente Wesen mußte doch sehen, daß das alteingefahrene Imperium den Bach hinunterschwamm. Keine intelligente Rasse konnte es sich leisten, die Gefahr einfach zu ignorieren. Wahrscheinlich versuchten die Tels selbständig die Auswirkungen der Stürme für ihr Reich unter Kontrolle zu bekommen, dennoch wäre es vorteilhafter, wenn alle technisch
führenden Rassen sich gemeinsam des Problems angenommen hätten. Diese Zusammenarbeit funktionierte doch auch mit den Nogks, den Utaren und einigen anderen Fremdintelligenzen. Einzig die Tels bildeten eine Ausnahme, obwohl gerade diese Rasse im Gegensatz zu vielen anderen von der Mentalität her den Terranern ähnlich war. Der Marschall hoffte, daß die Tels die von ihnen gestartete Ringraumerflotte, die Cromar schon bald erreichen mußte, als das verstanden, was es war: Beistand gegen einen unbekannten Gegner. *** »Colonel Neep, haben Sie einen Ringraumer für uns zur Verfügung?« stellte Ren Dhark die entscheidende Frage, nachdem er den Bericht über die Vernichtung der POINT OF abgeschlossen hatte. »Geben Sie es zu, Sie schielen auf die GALAXIS II?« tat Neep seine Meinung kund, womit er voll ins Schwarze traf, wie ihm ein Seufzer Dharks bewies. »Sicher! Können Sie mir verraten, woher Sie das wissen? Anscheinend muß ich noch an einem besseren Poker-Face feilen!« antwortete Dhark mit einer Gegenfrage. »Berufsgeheimnis, Commander«, meinte Colonel Neep in nicht ganz ernsthaftem Ton. Dhark grinste. Der Humor seines Gegenübers gefiel ihm. »Und, bekomme ich das Schiff?« »Natürlich, allerdings ist noch nicht einmal eine Mindestbesatzung gestellt. Bin bislang noch nicht dazu gekommen, einige Leute für das Schiff abzustellen!« »Wo sind eigentlich meine Leute aus der POINT OF? Sind die Flash inzwischen eingetroffen?« Humorlos lachte Colonel Neep auf. »Ja, sie sind
eingetroffen. Die meisten der Flash sind samt ihren Besatzungen auf der Erde.« »Verdammt!« seufzte Dhark. Diesmal hatte sich wirklich alles gegen ihn verschworen. »Gut, versuchen Sie, alle Crewmitglieder aufzutreiben, die irgendwo im Solsystem herumschwirren.« Neep konnte Ren Dhark gut verstehen. Auch er selbst versuchte immer die ihm vertrauten Leute für seine Missionen zu gewinnen. »Werde sehen, was sich machen läßt. Versprechen will ich dennoch nichts! Hm, noch etwas. Kürzlich traf ein Bericht von Hope über die Transmitterstationen Methans ein. Wenn Sie ihn sehen wollen, können Sie ihn über ein Terminal abfragen!« »Ren, auf Cromar überschlagen sich die Ereignisse. Wenn wir wirklich mit der GALAXIS starten wollen, sollten wir uns beeilen!« warf Dan Riker ein, der auf sie zugegangen war, nachdem er sich in der im Ausbau befindlichen Zentrale eingehend umgesehen hatte. Dhark nickte. Als Riker ihm den Vorschlag machte, mit der GALAXIS II Cromar anzufliegen, wollte er ihn annehmen – und daran hatte sich auch nichts geändert. Andererseits interessierten ihn die Neuigkeiten von Methan ebenso. Was hatten die Wissenschaftler über den Transmitter herausbekommen? Er erinnerte sich wieder an die unfreiwillige Transition, die damals vor knapp zehn Jahren glücklich endete. »Geben Sie mir eine Kurzfassung und lassen Sie den offiziellen Bericht an mein Schiff weitergeben!« Wie schnell sich die Menschen doch an Neues gewöhnten. Es war immer wieder faszinierend. Erst vor einigen Tagen wurde der Traum der Menschheit zerstört, die POINT OF, und jetzt sagte er bereits zur GALAXIS II mein Schiff. Seine Gedanken wurden unterbrochen von dem mündlichen Bericht Neeps: »Nun, ebenso wie bei Ihnen ging bei der
Forschungsmannschaft etwas schief! Sechs Männer wurden unfreiwillig durch den Raum versetzt – und nicht nur durch den Raum!« Dhark horchte auf. Was wollte Neep damit sagen? Der Colonel tat ihm leider nicht den Gefallen, sondern ließ sich mit seinem Bericht nicht aus dem Konzept bringen: »Natürlich erforschten die Männer den Sauerstoffplaneten, auf dem sie rematerialisierten. Überraschend hierbei ist, daß es sich um eine bekannte Welt handelte, nämlich um Wega IV!« »Wie konnten die Wissenschaftler das so einfach feststellen? Ich meine, wenn sie unfreiwillig den Transmitter benutzt haben, kann ich mir nicht vorstellen, daß sie ausreichend Instrumente mitgenommen haben!« warf Dan Riker ein. Jetzt war ebenso wie bei Dhark seine Neugierde erwacht. Neep zog verschmitzt die Augenbrauen hoch. Jeder der beiden Männer konnte sehen, daß es ihm wahrlich Freude bereitete, Spannung zu erzeugen. »Lassen sie mich doch ausreden, bitte! Vielleicht erinnern sie sich noch an das Schwesterschiff des Kolonistenraumers GALAXIS?« Riker nickte zustimmend: »Sicher. Ich habe damals Glück gehabt. Meinen Dienst hätte ich beinahe auf diesem Schiff antreten müssen. Gerade noch rechtzeitig habe ich den Antrag gestellt, auf die GALAXIS versetzt zu werden.« Auch Ren Dhark wußte dazu etwas zu sagen: »Der Kommandant war Ron Argon. Ein guter Freund meines Vaters, gleichzeitig aber auch sein größter Konkurrent. Wenn die beiden an einem Tisch saßen, übertrafen sie sich immer mit den haarsträubendsten Stories!« Er dachte gerne an diese Zeit zurück. »Nun, auf jeden Fall fanden die sechs Männer die ANDROMEDA, was Ihre Frage beantworten dürfte.
Komischerweise war der Kolonistenraumer noch in einwandfreiem Zustand, so als wäre er gerade eben gelandet...« Dhark holte tief Luft, und auch Riker zeigte seine Überraschung, bevor er einwandte: »Die ANDROMEDA wurde doch auf Wega IV vor gut 10 Jahren zerstört!« Beide konnten die Worte Neeps nicht so recht glauben. »Genau das müssen sich die Männer ebenfalls gedacht haben. Und genau diese Zerstörung durch Giant-Raumer konnten sie beobachten – und, was Sie vielleicht besonders interessieren mag: es gab zwei Überlebende. Einer davon ist Ron Argon!« Das war mehr als eine Überraschung, eine Sensation! Dhark erinnerte sich gerne an Argon und freute sich, daß der Mann überlebt hatte. »Und wie sind die Männer wieder zurückgekehrt?« brachte Riker das Gespräch auf ein anderes Thema. »Soviel wir wissen, kann man durch die Zeit nur in eine Richtung reisen – in die Vergangenheit...!« Colonel Neep war ratlos. »Keine Ahnung, auf jeden Fall sind sie durch die gleiche Anlage zurückgekehrt! Doch wie das funktionierte, wissen wohl nicht einmal die Wissenschaftler.« »Danke, Colonel. Sehr interessant der Bericht.« Dhark hing seinen Gedanken noch nach, während Neep sich kurzfristig anderen Dingen zuwandte. Für den Colonel war es doch kein Bürojob, wie er anfangs befürchtet hatte. Soviel wie auf dem Mars war er noch nie gerannt. Man konnte an allen Ecken und Enden sehen, daß die Aufbauarbeiten auf diesem Planeten zwar sehr weit fortgeschritten, aber noch lange nicht abgeschlossen waren. Währenddessen beobachtete Riker still und sichtlich vergnügt Ren Dhark. Da hatte der Freund einige Rätsel gefunden, die ihn so schnell nicht wieder loslassen würden. »Commander!« Colonel Neep riß sowohl Dhark als auch
Riker aus ihren Überlegungen. »Ja?« Ren Dhark ließ das Gespräch mit Neep Revue passieren, doch er fand keine Fragen mehr offen vor. Insofern konnte es sich nur um eine weitere Meldung handeln. Er wurde in dieser Hinsicht enttäuscht. »Wenn ich Ihnen die GALAXIS II überlasse, dann müssen Sie mir einen ausführlichen Bericht über die Einsätze zukommen lassen. Im Gegensatz zur POINT OF gehört das Schiff nach wie vor zur TF!« »Ich werde mir Mühe geben!« versprach Ren Dhark dann auch, nach einem kurzen Blickwechsel mit Dan Riker, der diesem verdeutlichte, an wem diese Arbeit hängen bleiben würde. »Und noch was: Falls es möglich sein sollte, bitte ich Sie, sich nicht wieder eine Ewigkeit ohne Nachricht herumzutreiben!« Dem Colonel bereitete es wirklich Freude, die bekannte Kritik der Regenbogenpresse neu aufzuwärmen. Dhark grinste und sein Grinsen sagte nur eines: »So oft habe ich mich nun wirklich nicht im All herumgetrieben, ohne daß ich mich nicht gemeldet hätte, oder?« Anja Riker, die zur Herrenrunde vorgedrungen war und die letzten Worte hörte, besaß eine andere Meinung und unterstützte Neep: »Hört, hört... vor allem du, Ren, solltest dem Colonel einmal aufmerksam zuhören!« Ren Dhark kniff die Augen zusammen und deutete auf Dan Riker, ohne ihn anzusehen, bevor er leise in ihre Richtung sagte: »Er war's, aber sag's nicht weiter. Mein Ruf ist sonst in Gefahr!« *** »Wie sieht es aus?« fragte Jerry Cattrall den Chef des BranaTales, der gerade den GSO-Mann Jos Aachten van Haag
eingehend untersuchte. »Ich habe ein komisches Gefühl«, gab der alte Brahmane zu. »Irgend etwas stimmt nicht. Es sah kurz nach Jos' Einlieferung so aus, als ob er sich wirklich schnell erholen würde, und jetzt ist er vor wenigen Minuten ins Koma gefallen!« »Ist Aachten van Haag denn überhaupt einmal zu Bewußtsein gekommen?« Verschmitzt sah Ezbal auf. »Ja, einmal. Hatte etwas interessantes zu sagen...« »Was denn?« »Er wachte kurz auf und flüsterte, so daß man es kaum verstehen konnte: nie wieder trinke ich so viel...« Ezbal fuhr fort, Jos zu untersuchen, wobei er immer etwas vor sich hin brummte. »Eylers hat kürzlich angefragt, ob van Haag wieder vollständig gesunden wird«, fuhr Jerry Cattrall fort. »Das kann ich noch nicht sagen. Körperlich ja, aber geistig... Schläge auf den Kopf sind nicht zu unterschätzen. Und trotzdem, genau aus diesem Grund habe ich ein eigenartiges Gefühl! Einige Verletzungen, vor allem die im limbischen System des Gehirns, machen den Eindruck, als ob sie bewußt herbeigeführt worden wären. Meines Erachtens trifft das gerade auf den Erinnerungsteil des Hirnes zu – einen Teil, der durch den Bruch normalerweise nicht beeinflußt worden sein dürfte!« wurde Echri Ezbal präziser. »Ich will sogar noch weiter gehen: Das Koma kann möglicherweise auf gerade diese Schädigungen im Hirn zurückzufuhren sein!« »Sind sie sicher?« Die Frage war unnötig. Der Brahmane war nicht der Typ Mensch, der auf die Schnelle aufgestellte Theorien in die Welt hinausposaunte, und dennoch schüttelte er den Kopf. »Nein, ich bin mir nicht sicher. Das menschliche Gehirn ist
bei weitem noch nicht voll und ganz erforscht. Es ist also durchaus möglich, daß die Schäden doch vom Schlag herrühren und ich das Wie nur nicht erkenne. Es wäre ungewöhnlich, ja, aber möglich.« Er machte eine kurze Pause, bevor er einige Worte anhängte: »Und sehr zufällig...« Mit anderen Worten, jemand hat den GSO-Agenten nicht nur krankenhausreif geschlagen, sondern auch noch in seinem Gehirn herumgepfuscht!, übersetzte Cattrall es sich auf seine Weise. »Können wir die Schädigungen beheben?« Er selbst hatte den schwarzhaarigen Mann noch nicht untersucht. Erst jetzt warf er einen Blick auf das Display des tragbaren Terminals, das neben dem Bett Jos Aachten van Haags lag. Von Echri Ezbal kam wieder nur ein Kopfschütteln, das Ahnungslosigkeit ausdrückte. »Henner Trawisheim habe ich vor Jahren zu einem geistigen Cyborg gemacht, ja – und nur ihn. Immer wieder habe ich gesagt, daß es zu gefährlich ist, einem Menschen soviel unnatürliche, nicht durch die Evolution entstandene Intelligenz zu geben! Was wäre geschehen, wenn Henner nicht nur an das Wohl der Menschheit denken würde? Das sind meine Gründe, warum ich niemals einen zweiten Menschen zu einem geistigen Cyborg machen werde. Den wohl entscheidendsten Grund habe ich jedoch verschwiegen: Ich habe einfach Angst, daß mein Wissen versagt, daß bei der Operation etwas geschieht, das ich nicht verstehe. Und genau den letzten Grund kann man auch auf Jos übertragen.« Einige Sekunden starrte er auf den Patienten, bevor er weitersprach: »Doch hier ist es noch schlimmer. Henner hatte ich auf die Operation vorbereitet, und auch auf das Risiko, das zugegeben – relativ – gering war. Er hier«, er deutete auf van Haag, »kann mir diese Zustimmung jetzt nicht geben und ich weiß nicht, ob ich für ihn diese Entscheidung fällen darf!
Vielleicht erwacht er von sich aus wieder aus dem Koma, und wenn wir in seinem Kopf herumpfuschen...« Jerry Cattrall nickte verstehend, war jedoch anderer Ansicht. »Jos Aachten van Haag ist ein GSO-Agent, der weiß, daß er täglich in Gefahr geraten kann. Trotzdem hat er diesen Job übernommen! Ich kenne ihn nicht, kann deshalb auch nicht sagen, ob er seine Arbeit nur für das Wohl der Allgemeinheit macht, oder ob er einfach nur die Gefahr liebt. Nichtsdestotrotz, Bernd Eylers hält viel von ihm – soviel, um anzunehmen, daß er irgend etwas Lebenswichtiges herausgefunden hat. Niemand würde sich die Mühe machen, im Gehirn eines Menschen ohne Grund herumzubasteln. Wenn Sie also davon überzeugt sind, daß die Operation klappt und der Unsicherheitsfaktor gering ist, würde ich sie durchführen. Und, falls Ihre Vermutung zutrifft, daß das Koma auf die Schädigungen zurückzuführen ist, dann bleibt Ihnen sowieso keine Wahl!« Nachdenklich hörte Ezbal der Rede zu und zollte ihr Respekt. Sein junger Kollege hatte zumindest nicht unrecht. Wenn allerdings das Koma nicht auf eine späte Nebenwirkung des Schlages oder eine bewußt herbeigeführten Manipulation zurückzuführen war, sondern sie einfach den wahren Grund bislang noch nicht entdeckt hatten, dann drehte sich wieder alles um den einen Spruch, den er laut aussprach: »Das Wohl eines Einzelnen gegen das der Allgemeinheit!« »Genau! Aber sie sollten bedenken, daß sich der Mann da vor uns bereits entschieden hat – damals, als er GSO-Agent wurde. Und damals muß er sich zwangsläufig Gedanken zu diesem Thema gemacht haben, immerhin nimmt Eylers für seinen Verein keine Idioten. Und nur Idioten würden solch einen Job ausüben, ohne an den Tod zu denken!« Langsam und bedächtig nickte der Brahmane. Cattrall hatte
recht und er würde die Operation durchführen. Die Gefahr, daß der Eingriff mißlingen würde, war, obwohl vorhanden, minimal. Trotzdem mußte er unter normalen Umständen seinen Patienten eine freie Entscheidung zubilligen, die er nicht beeinträchtigen durfte. Dennoch – keine Regel ohne Ausnahme. Sollte Jos Aachten van Haags Koma wirklich durch andere Einflüsse entstanden sein, so mochten diese erst einmal entdeckt werden. Denn einige Rätsel des menschlichen Körpers blieben selbst Echri Ezbal verschlossen. »Ja, Sie haben recht. Ich werde ihn operieren!« Cattrall nickte: »Freut mich zu hören. Hm, bevor Sie die Operation vorbereiten, wollte ich Sie noch um etwas bitten!« Neugierig sah Ezbal auf. »Um was denn?« »Barbara und ich suchen einen Trauzeugen und wir haben da sofort an Sie gedacht!« Ezbal war über das Angebot sichtlich gerührt. Er sah seinen jungen Kollegen, von dem er so viel hielt – dies hatte ihm er aber bislang nie direkt gesagt –, lange an, bevor er seine ehrlich gemeinte Gefühle in hölzern ausgesprochene Worte packte: »Es wird mir eine Ehre sein. Ich freue mich für euch...« *** »Mr. Eylers, ich habe ungebetenen Besuch für Sie!« Regina Hard war ihrem Chef nicht mehr böse, zumindest konnte er ihr nichts mehr anmerken. Oder lag es vielleicht an dem ungebetenen Besuch? Wenn seine Sekretärin dieses Wort verwendete, konnte nur ein Mensch damit gemeint sein: Bert Stranger! »Wimmeln Sie ihn ab, lassen Sie ihn rauswerfen oder flirten Sie mit ihm, auf alle Fälle habe ich keine Zeit!« Eylers' Hand krachte demonstrativ auf die Konsole seines Terminals, und ein
gut zu vernehmendes Knirschen bewies, wie empfehlenswert ein solcher Umgang damit war. »Es tut mir leid, aber es ist zu...« Mehr brauchte Regina Hard nicht zu sagen, denn in diesem Moment riß der ungehobelte Reporter die Tür zu Bernd Eylers kleinem Büro auf, das neben der GSO-Hauptzentrale lag. »Sie schon wieder? Sie sollten sich auskurieren und arbeitende Männer ihren Job verrichten lassen!« knurrte Eylers. Von dessem schlechten Gewissen in Bezug auf Strangers Krankheit, zu der man auch einfach nur ›versuchter Mordanschlag‹ sagen konnte, spürte der Reporter zu dieser Stunde nichts mehr. Dennoch irritierte dies den unfreiwillig schlank gewordenen Mann nicht. Es war nur eine weitere Situation für ihn, bei der er improvisieren mußte. »Eylers, Sie haben ein Problem, nur wissen Sie es noch nicht!« Wütend wollte der GSO-Chef bereits eine saftige Bemerkung zum Thema »Problem« ablassen, als er das ernste Gesicht seines Gegenübers bemerkte. Vorsichtig, beinahe ein wenig überrascht, ließ er sich in seinen Sessel zurücksinken. Dies würde wohl ein längeres Gespräch werden. »Was wollen Sie damit sagen, Stranger?« »Kürzlich hat ein Alex Besrell Sie um Ihre Mithilfe bei einem Diebstahl gebeten.« »Uninteressant, Stranger! Es stimmt, soviel kann ich sogar Ihnen gegenüber sagen, doch ich habe einen sehr erfahrenen Mann darauf angesetzt, und der müßte das Problem bald in den Griff bekommen.« Eylers deutete auf die Tür: »Wenn das alles war...?« »Fast, aber nicht ganz. Lassen Sie mich einmal alles aufzählen, was ich zu diesem Fall herausbekommen habe: Ein Mann, Pierre Wells, stellvertretender Leiter der Ringraumerforschungsstation speichert eine Datei ab, wozu er
zwei Sicherheitseinrichtungen überwinden muß – und, jetzt kommt's: Eine Sicherheitseinrichtung, bei der zwei Personen gleichzeitig notwendig sind, um die Sperre auszuschalten!« Eylers erstarrte und ahnte, worauf der Reporter hinaus wollte. »Che Le Sung, eine Wissenschaftlerin mit bislang vollkommen weißer Weste, bemerkt den Speichervorgang, der von ihrem Vorgesetzten im Alleingang ausgeführt wird, weiß um die Gefährlichkeit der Daten und bringt sie an sich, was diesem Wells absolut nicht gefällt. Also gibt er dem Sicherheitschef der Anlage, Alex Besrell, den Auftrag, für ihn die Daten wieder zu beschaffen. Doch auch die Wissenschaftlerin ist währenddessen nicht untätig geblieben und will die Daten wieder loswerden. Also ruft sie einen ihr namentlich bekannten Reporter an...« Bert Stranger griff in seine Tasche und holte einen Datenträger hervor, um ihn auf den Tisch zu legen. »Sie behaupten also, Pierre Wells wollte die Daten selbst an sich bringen«, hakte der GSO-Chef nach. Stranger nickte. »Ja, auch das. Den Mann können sie gleich festnageln, die Beweise dürften ausreichen. Sie brauchen ihn ja nur zu fragen, wie er es geschafft hat, die Daten ohne einen zweiten Berechtigten aus dem Computer zu locken! Wenn Sie Glück haben, hat er die Forschungsergebnisse erneut auf einen Datenträger kopiert. Das würde die Sache wohl vereinfachen.« »Steckt Besrell auch mit drinnen?« erkundigte sich Bernd Eylers, um zumindest diesen Teil abzuhaken. »Nein, vielleicht wegen Erpressung, aber über Wells' Betriebsspionage wußte er nichts. Die Daten über ihn werde ich später mal der Polizei übergeben – oder 'ne Story draus machen, mal sehen!« Bernd Eylers gab über Vipho an zwei seiner Männer den Auftrag, Pierre Wells festzunehmen, bevor er wieder an
Stranger gewandt leise sagte: »Ja, auch das...« »Wie meinen Sie das?« »Nun, Stranger, das haben Sie vorher gesagt, als ich mich über Wells erkundigte. Also nehme ich an, Wells ist nicht unbedingt der Grund, weswegen Sie hier sind!« Stranger stand mit einem breiten Grinsen auf und ging zu Eylers Bar, um sich einen doppelten Whisky einzuschenken. »Ja, Sie haben recht, Wells ist innerhalb dieses Falles nur ein kleiner Fisch. Vielmehr würde mich Holger Alsop interessieren – und warum er auf mich bei der Datenübergabe geschossen hat, obwohl er mich genau erkannt haben muß!« Eylers schüttelte den Kopf. »Kann es ihm nicht verübeln, wenn ich ehrlich sein soll.« Trotz dieser Worte nahm er Strangers Vorfallbeschreibung ernst. »Er hat nicht nur auf mich geschossen, sondern auch Che Le Sung und einige unschuldige Passanten paralysiert. Da er ein Cyborg ist, dürfte er keinen ausreichenden Grund für sein Handeln gehabt haben. Ich meine, für ihn wäre die Wissenschaftlerin kein schweres Problem gewesen – auch ohne Schocker.« »Sie meinen also ernsthaft, Alsop – gerade Alsop! – wäre nicht mehr normal?« »Nun, ich erinnere mich noch an zwei andere Cyborgs, die bereits vor einigen Jahren...« Bernd Eylers winkte ab. »Ich kenne den Fall, und es wäre möglich, ich gebe es zu. Aber wer würde dahinterstecken? Alsop würde von sich aus so etwas niemals unternehmen, außerdem geht ihm das nötige Wissen ab! Genau! Wer außer Echri Ezbal kennt sich mit der Cyborgtechnik genügend aus, um einen Cyborg manipulieren zu können?« »Zum Beispiel Cyra Simmons!« Kalt, ohne jede Gefühlsregung im Tonfall hatte es der Reporter gesagt. Und jetzt verstand Bernd Eylers ihn. Ja, Pierre
Wells war, wenn die Vermutung von Stranger stimmte, nur ein kleiner Fisch, der eben nur an seinen Profit gedacht hatte. Aber an was dachte ein von Mensitenviren verseuchter Mensch? Erst jetzt fiel Bernd Eylers etwas auf! »Woher wissen Sie über Cyra Simmons Aufgabengebiet Bescheid, Stranger?« »Verdammt, ihr GSO-Leute stellt zu viele Fragen. Ihr seid ja schlimmer als die meisten Reporter, Eylers!« »Ja, ich weiß, aber nur schlimmer als die meisten.« »Wollen Sie mich als die berühmte Ausnahme hinstellen?« versuchte der Reporter mit dem ausgemergelten Gesicht Bernd Eylers von seiner Frage abzulenken, was ihm nicht gelang. »Keine Ausflüchte! Woher haben Sie die Informationen über Cyra Simmons?« hakte Bernd Eylers eisern nach. »Nun, ob sie es glauben oder nicht, ich kann durchaus schweigsamer sein als jeder GSO-Agent!« erwiderte Bert Stranger ironisch und stand auf. »Ich hoffe, Sie können mit meinen Informationen etwas anfangen... Und sagen Sie Ihrer Sekretärin, sie soll bald wieder für Nachschub sorgen!« Er deutete auf Eylers Bar. »Für meine Informationen muß ich ja irgendwie entschädigt werden, nicht?« Bernd Eylers ließ es bleiben. Gegen den Reporter würde er nicht ankommen. Dies mußte er dem Kerl lassen: Der Mann wußte, wie er seine Arbeit zu verrichten hatte! *** »Schönes Schiff!« murmelte Glenn Morris, ohne zu bemerken, wie aufmerksam er nach diesen Worten von Ren Dhark gemustert wurde. Meinte der Mann diese Worte ernst? Oder versuchte sich Morris mit diesen Worten nur selbst davon zu überzeugen, daß die GALAXIS II die POINT OF ersetzen
konnte? Nach einigen Sekunden der Musterung gab der kosmische Botschafter auf. Der andere zeigte keine Gefühle, die er eindeutig unter echt oder geschauspielert einordnen konnte. »Was hältst du davon, Dan?« Sein langjähriger Freund schüttelte den Kopf. »Frag lieber nicht, Ren, die Antwort würde dein Seelenleben nur weiter erschüttern!« Ren Dhark sah sich die Zentrale der GALAXIS II genau an, sein Blick fiel über die Konsolen, die Bildschirme und Monitore und alles andere, was sich in der Zentrale befand – und an der Stelle, wo bei der POINT OF der Checkmaster angebracht war, verharrte er kurz. Ja, dieser Ringraumer war schön, sogar ein erstklassiger Beweis, wie weit es die Menschheit in den letzten zehn Jahren gebracht hatte – doch bei einem Vergleich mit dem langjährigen Flaggschiff der terranischen Flotte konnte er nur verlieren. »Mußt du mich so entmutigen, Dan?« beanstandete Dhark und schloß kurz die Augen. Nachdem er sie wieder geöffnet hatte, musterte er die Zentrale noch einmal. Vielleicht sah er sie jetzt, beim zweitenmal, anders, objektiver? Der gewünschte Erfolg blieb aus, die Einrichtung, obwohl viel eher auf terranische Bedürfnisse zugeschnitten als die der POINT OF, benagte ihm immer noch nicht. Wieviel Vertrauen hatte er in den letzten Jahren zum Checkmaster entwickelt? Hatte er sich wirklich so sehr an das Gerät gewöhnt, daß er sich einen Ringraumer ohne dieses künstliche Gehirn nicht mehr vorstellen konnte? Seine Gedanken nahmen einen anderen Verlauf: War es nicht der Checkmaster gewesen, der bei den ersten Flügen der POINT OF alle Kontrollen des Raumers an sich gerissen hatte und unbarmherzig angreifende Gegner vernichtete, obwohl es damals auch andere Möglichkeiten gegeben hatte?
Zusammen mit Dan Riker trat er weiter in die Zentrale hinein und setzte sich in den Pilotsessel. All die kleinen fehlenden Eigenheiten der von ihm benutzten Einrichtungen seines vernichteten – oder nur verschollenen? – Raumers wühlten ihn auf. Plötzlich entstand hinter ihm, genau in der Mitte der Zentrale, eine zwei Meter durchmessende Bildkugel. Der Mars mit seinen Stationen und den darauf gelandeten Raumschiffen wurde dargestellt. Überrascht sog Ren Dhark die Luft ein. Eine Bildkugel in einem von Terranern gebauten Schiff? Bislang hatte nur die POINT OF über dieses Gerät verfügt. Dan Riker bemerkte die Überraschung seines Freundes. »Du hast nicht gewußt, daß in der GALAXIS II eine Bildkugel vorhanden ist?« fragte er und sah ihn eigenartig an. Dhark schien es, als würde Dan über seinen Gesundheitszustand ernsthaft nachdenken. Er konnte es sogar verstehen. Normalerweise hielt er sich immer über die neuen technischen Errungenschaften auf dem laufenden – und etwas so wichtiges wie die Bildkugel war ihm entgangen! Er konnte es ja selbst kaum glauben. »Die GALAXIS II ist das erste von uns gebaute Schiff, das die Bildkugel vorweisen kann!« erklärte ihm Riker, und auch wenn er nicht mehr TF-Oberkommandierender war, so konnte Dhark den Stolz heraushören, der im Tonfall mitschwang. »Ich fürchte, ich werde alt«, meinte er und starrte weiterhin fasziniert auf die Darstellung des Mars. Er mußte sich nahezu von diesem Anblick losreißen, aber andere Punkte waren wichtiger. »Dan, wieviel Besatzungsmitglieder sind an Bord?« fragte er seinen Freund. »Ich schätze, es dürften so um die 45 sein. Noch nicht einmal die Mindeststärke von 50 Mann haben wir erreicht...« »Noch sind die anderen mit ihren Flash nicht eingetroffen«,
antwortete Dhark optimistisch, obwohl Colonel Neep noch vor einer knappen Stunde ausgesagt hatte, die meisten würden sich auf Terra befinden. »Mal sehen, wieviel wirklich eintreffen!« »Mach dir nur keine übertriebenen Sorgen! Notfalls nehmen wir Roboter mit!« brummelte Ren Dhark verstimmt (Dan wußte, wie wenig sein Freund Roboter mochte) und sah dann überrascht auf, als er Anja Riker und Joan Gipsy erst jetzt eintreten sah. »Was macht ihr denn schon hier?« fragte Dan Riker noch vor ihm. »Wir hatten noch ein Gespräch mit Colonel Neep!« erklärte Joan Gipsy und wollte es dabei belassen, erweckte aber gerade dadurch das sofortige Interesse der beiden Männer. »Um was drehte sich das Gespräch?« fragte Ren Dhark neugierig nach. »Tja, der Colonel wollte uns dazu überreden, während der Krise hier auf dem Mars zu bleiben, da er noch Fachkräfte braucht.« »Ist ja...«, begann Dan Riker, um dann ein: »Das sieht dem Mann ähnlich!« hinzuzufügen. »Und, was habt ihr geantwortet?« wollte Ren scherzhaft wissen. »Ein klares ›Nein‹ natürlich! Was meinst denn du, Ren? Die Frauen wollen um nichts von der Welt von uns getrennt sein...« Doch Dan wurde enttäuscht. »Wir haben um Bedenkzeit gebeten!« Todernst sagte Anja es. Verblüfft wurde sie von zwei Paar Augen angestarrt. Erst als sich ihre Mundwinkel leicht nach oben hin verzogen, erkannten Ren und Dan, daß sie auf ihre Worte hereingefallen waren. »Hm, Anja, vielleicht wäre es besser, du würdest dir Neeps Angebot ernsthaft überlegen! Du trägst jetzt immerhin die
Verantwortung für zwei!« brachte Dan Riker ein ernstgemeintes Argument vor. »Keine Sorge, Dan. Ich habe mich für die GALAXIS II entschieden – und wenn du meinst, dem Schiff droht tödliche Gefahr, dann ist ein Start des Schiffes von vornherein sinnlos!« Diesem Argument konnte Dan Riker sich nicht verschließen. Glenn Morris, der die Gruppe um Dhark zwischenzeitlich verlassen und den Funkraum aufgesucht hatte, meldete sich. »Dhark, Colonel Neep ruft Sie!« »Okay, geben Sie ihn auf die Bildkugel!« Wenig später konnten die beiden Männer miteinander sprechen. »Commander, ich habe gute Nachrichten für Sie! Es haben sich einige Schiffe gemeldet, die Männer entbehren könnten...« »Wieviel Besatzungsmitglieder könnten es maximal werden?« »Es würde ausreichen, die GALAXIS II voll zu besetzen, also Sie würden noch einmal zweihundert Männer und Frauen bekommen können!« »Können?« hakte Dhark nach. »Ja, können. Es wäre mir lieber, Sie würden statt dessen einige Roboter nehmen, damit auch mir hier noch Leute bleiben würden!« Ren Dhark dachte nach. Dan Riker flüsterte ihm zu: »Ren, hundert Leute reichen auch, immerhin können wir auf einige Abteilungen an Bord verzichten!« Er meinte damit die wissenschaftlichen Abteilungen. Die GALAXIS II war in erster Linie als Forschungsraumer konstruiert worden, wofür immerhin gut die Hälfte der Räumlichkeiten vorgesehen waren. Ren Dhark deutete auf Dan Riker: »Colonel, Sie haben es gehört. Einhundert reichen aus, auf weitere Roboter verzichten wir dann allerdings!«
»Gut! In knapp einer Stunde haben Sie Ihre Besatzung beisammen! Ich wünsche Ihnen und Ihrer Besatzung einen guten Jungfernflug!« Mit diesen Wünschen beendete er das Gespräch. *** »Wo ist Mr. Trawisheim?« Bernd Eylers hatte den Regierungschef in seinem Büro aufsuchen wollen – fand ihn jedoch nicht vor. »Er ist in seinem Privat-Appartement. Nach der Sendung vor zwei Tagen, in der er die Mensitengefahr Öffentlich bekannt gab, kam es zu vielen kleinen Ausschreitungen. Soviel ich weiß, will der Sender mit Henner wieder ein Interview machen, in der er nochmals Gelegenheit hat, auf die Quarantäne einzugehen.« Eylers wußte da mehr als Trawisheims Sekretärin. Es war tatsächlich zu Konflikten in den letzten Tagen gekommen – und es hatte sogar einige Todesfälle gegeben. Terras Bürger wußten genau, daß ihr Planet nun auf das Weltall und die Planeten der Milchstraße angewiesen war. »Ich muß ihn trotzdem sprechen. Sofort!« Bernd Eylers blieb stur. »Gut, ich melde Sie bei ihm an.« Wenige Minuten später saßen sich die so unterschiedlich wirkenden Männer gegenüber. »Henner, es gibt ein Problem!« begann Eylers, wurde vom Regierungschef jedoch unterbrochen. »Es gibt derzeit viele Probleme – zu viele! Welches davon meinen Sie?« fragte Trawisheim, der es fertig brachte, gleichzeitig spöttisch und ernst zu wirken. »Sie werden lachen, Henner, aber dieses eine werden Sie noch nicht kennen! Es geht speziell um die Cyborgs! Stranger
– genau, der Reporter – will herausgefunden haben, daß Holger Alsop sich geistig verändert hat. Er geht mit seinen Vermutungen sogar noch weiter und meint, daß Alsop von Cyra Simmons irgendwie... hm, beeinflußt worden ist!« Trawisheim ließ sich zurück in den Drehstuhl sinken. Noch ein weiteres schwerwiegendes Problem, das da auf ihn zukam. Diese Simmons hatte wirklich das Potential, Cyborgs ohne Echri Ezbals Hilfe und ohne die Ausstattung des Brana-Tales nach ihren Wünschen zu manipulieren. »Was schlagen Sie vor?« »Gehen Sie ins Brana-Tal und lassen Sie alle Eingriffe wieder rückgängig machen!« Der Regierungschef wollte auffahren, unterdrückte diese Gefühlsregung aber im letzten Augenblick. Wußte der GSOChef überhaupt, was er da von ihm verlangte? Die Gefahren, die trotz des Fachwissens von Ezbal nicht zu unterschätzen waren, fingen schon beim operativen Eingriff an. Doch das war nicht einmal das Schlimmste. Viel mehr fürchtete Henner Trawisheim die psychischen Folgen: Wie würde er selbst mit den Konsequenzen der Operation fertig werden? Für ihn würde es so sein, als wäre er ein Krüppel, ein geistiger Krüppel, der zu jedem Zeitpunkt wußte, daß ihm etwas genommen worden war. Himmel, er hatte seine speziellen Fähigkeiten immer nur zum Wohl der Menschheit eingesetzt, warum also tat das Schicksal ihm das an? Aber er würde sich der neuen Sachlage stellen müssen. »Sind die Fakten, die Sie von Bert Stranger bekommen haben, wirklich komplett und eindeutig?« »Was heißt eindeutig?« begann Eylers mit der Erklärung. »Holger Alsop hat bei einer Aktion ohne wirklich gegebenen Grund einige Passanten paralysiert – und dies auch bei Stranger versucht. Ob die Ursachen für diese Tat wirklich bei
Simmons zu finden sind, kann und will ich nicht sagen. Wenn das Fehlverhalten Alsops jedoch von außen verursacht worden ist... Wer käme in Frage? Ezbal scheidet aus, für den Brahmanen lege nicht nur ich meine Hand ins Feuer, also bleibt nur noch Cyra Simmons. Sie steht möglicherweise schon direkt unter dem Einfluß des Mentalparasiten.« Bedächtig nickte Trawisheim, wenngleich Eylers ihm anmerkte, daß er ihn noch nicht vollkommen überzeugt hatte. »Wenn ich an Cyra Simmons Stelle wäre, von einem Mensiten übernommen, dann wären Sie für mich eins der vorrangigsten Ziele. Sie haben Einfluß auf die Bevölkerung, die Menschen vertrauen Ihnen. Es gäbe niemanden, der Cyra Simmons’ Ziele besser verfolgen könnte als Sie!« »Unterstellen Sie dem Mensiten dann nicht automatisch menschliche Eigenschaften? Nicht einmal Ezbal wäre so vermessen!« Trawisheim versuchte, die Argumente des GSOChefs zu widerlegen. »Ist das so abwegig? Der Mensit befindet sich in dem Körper eines Menschen, und wenn unsere Befürchtungen zutreffen, dann kann er ziemlich schnell mit diesem Körper umgehen. Könnte es da nicht sein, daß er sich zwangsläufig auch die Gefühle und Fähigkeiten von uns Menschen zu eigen macht, sich irgendwie darauf einstellt?« Diese Spekulation, so wenig sie derzeit auch nachzukontrollieren war, konnte Trawisheim nicht von der Hand weisen. »Henner, stellen Sie sich vor, was passieren könnte, wenn die Mensitenviren Sie ebenfalls kontrollieren. Dieser Gefahr, mag sie auch noch so klein sein, können wir die Erde nicht aussetzen!« »Gut, ich werde mich operieren lassen! Bevor ich ins BranaTal gehe, werde ich jedoch noch einiges erledigen müssen!« »Bis Sie ins Brana-Tal gehen, werden Sie eine Leibwache
der GSO erhalten. Es ist einfach zu riskant, eine Gefahr dieses Ausmaßes herunterzuspielen. Stellen Sie sich vor, was passieren kann, wenn Sie in Ihrer Position nicht mehr Sie selbst wären!« Nachdenklich wurde Bernd Eylers von Trawisheim gemustert. Der Blick des Regierungschef sagte eindeutig, was er von Kindermädchen hielt. Allerdings sah er ein, daß Eylers von seiner Position aus übervorsichtig sein mußte, ja, daß es für sein Gegenüber keine Alternative gab! »Sagen Sie Ihren Leuten, daß sie nicht zu aufdringlich werden sollen. Es tut mir leid, Eylers, aber einige Tage müssen Sie mir schon lassen. Sie wissen ja selbst, wieviel in letzter Zeit passiert ist.« *** Still saß Pierre Wells da, harrend darauf, was auf ihn zukommen würde... Er war aufgeflogen. Der verdammte Reporter hatte es geschafft, die Daten Bernd Eylers zu überreichen. Aber er hegte kaum Groll gegen Bert Stranger – vielmehr richtete sich der Ärger gegen sich selbst, wenn er über seine eigene Rolle in diesem Spiel nachdachte. Einen wundervollen Plan hatte er gehabt, mehr als drei Monate hatten die langwierigen und umfangreichen Vorbereitungen gedauert. Nichts war schwieriger zu umgehen als die Sicherheitseinrichtungen, die es zu überwinden galt, um an die Daten heranzugelangen. Und genau daran war das Ganze letztendlich gescheitert. Ihm war es gelungen, die Sicherheitseinrichtungen zu manipulieren; gerade das wurde ihm zum Verhängnis – obwohl er nur einen Teil davon stillgelegt hatte, war es schon zuviel gewesen. Che Le Sung, die von ihm unterschätzte Wissenschaftlerin,
konnte ohne Identifikation in sein Büro und an die Daten gelangen, da er ungewollt auch in diesem Bereich die Kontrolleinrichtungen ausgeschaltet hatte, ohne es zu merken. Warum auch? Niemand wäre ohne diese dämliche Che Le Sung hinter den geplanten Diebstahl gekommen! Und auch sie nur, wegen dieses dummen Zufalls, der sie in sein Büro geführt hatte. Müde fuhr seine rechte Hand durch seine Haare, kämmte sie zurück. Er hatte verloren. Alles! Er suchte verzweifelt nach Auswegen. Es kam ihm in den Sinn, sich gefälschte Papiere zu beschaffen und woanders neu zu beginnen. Aber hierzu fehlten ihm die richtigen Kontakte. Nein, er würde sich stellen und schließlich vor Gericht die Verantwortung für seine Tat übernehmen müssen. Wie schwer würde die Strafe ausfallen? Es war das erste Delikt, das er je begangen hatte. Wahrscheinlich gehörte das nicht zu den Gründen, die einen unparteiischen Richter beeindrucken konnten – aber es war doch ein Aspekt, auf den er ein klein wenig hoffen konnte. Vielleicht konnte sein Rechtsanwalt daraus sogar mehr machen! Er wußte es nicht. Vorher, als er den Plan ausheckte, hatte er sich darum wirklich keine Sorgen gemacht. Wenn er in Betracht gezogen hätte, daß er auffliegen würde, hätte er diesen Diebstahl nie durchgeführt. Er wartete grübelnd weiter, ließ den ganzen Vorgang vom Anfang bis zum Ende noch einmal Revue passieren und versuchte, die Geschichte bewußt objektiv zu betrachten. Es würde nicht mehr allzulange dauern, bis einige Beamte vorbeikommen würden, um ihn abzuholen. Noch einmal ließ er niedergeschlagen den Blick über das
Büro schweifen. Er hatte nichts übersehen. Das wenige persönliche Eigentum hatte er bereits weggeräumt und dadurch die Neugier des einen oder anderen hier beschäftigten Wissenschaftlers geweckt. Die wußten noch nichts. Das kleine Lämpchen am Bildsprechgerät leuchtete blinkend auf. Jemand wollte ihn sprechen, und er ahnte bereits, um wen es sich dabei handelte. Er hatte nicht vor, den Beamten die Verhaftung schwerer als nötig zu machen. 4. Prewitt klopfte dem Navigationsoffizier Eugene Sitosch auf die Schulter, bevor er sich umdrehte und Frederic Huxley besorgt musterte. Der Colonel fand schon seit Tagen keine Ruhe mehr, die Sorge um die Nogks zehrte ihn kräftemäßig auf. Doch der I.O. der CHARR wußte auch, daß sein Vorgesetzter zäh im Nehmen war. »Die nächste Transition findet in drei Minuten statt«, teilte er ihm mit. Ein Ruck ging durch die asketisch wirkende Gestalt des Colonels, der bei seiner Besatzung einen ausgezeichneten Ruf genoß. Er nahm sich die Zeit, um Prewitt dankbar zuzulächeln. Drei Minuten bis zur Transition! dachte Huxley. Drei Minuten bis zur letzten Transition! Dann hatten sie das CorrSystem erreicht, und die Ungewißheit fand ein Ende. Was hatte sich seit seinem Aufbruch nach Esmaladan im nogkschen System ereignet? Seither waren nur einige wenige Tage vergangen, und trotzdem konnte sich die Situation auf dem neubesiedelten Planeten der Nogks gänzlich geändert haben. Auf Esmaladan hatte er von der Quelle des Lebens erfahren und Bulton als Befehlshaber der Terranischen Flotte daraufhin
per Funk gebeten, alle Raumschiffe im nur grob durch die Utaren angegebenen Gebiet nach diesem Planeten, auf dem sie sich befinden sollte, suchen zu lassen. Ob diese Suche inzwischen erfolgreich verlaufen war, wußte er nicht. Frederic Huxley war dem Marschall dankbar, die Suche sofort eingeleitet zu haben, wenngleich er über die geringe Zahl der abkommandierten Suchschiffe – noch dazu NoahRaumer! – enttäuscht war. Trotzdem bewies es dem Colonel, wieviel Vertrauen ihm von den Leitern der TF entgegengebracht wurde. Zuerst hatten sie nach seinem Einsatzbefehl 7000 Ringraumer ins Corr-System geschickt, und jetzt war auch noch jedes Schiff in dem kaum erforschten Sektor, in dem sich die Quelle des Lebens befand, auf der Suche nach eben dieser. Aus diesem Grunde hatte er Marschall Bulton auch nicht die Bitte abschlagen können, Anja Riker, Doris Doorn und Joan Gipsy zu Larsens TERRA III zu bringen. Als er Larsens Flotte schließlich in der Dunkelwolke ausfindig gemacht hatte, waren die Mißverständnisse zwischen den Amphis und den Terranern gerade aus der Welt geschafft worden. Die Ursprünge des riesigen Fremdraumschiffes hingegen, das kurz vor Eintreffen der CHARR in der Raumverwerfung verschwand und auf dessen Konto die Vernichtung der POINT OF ging, konnten jedoch nicht geklärt werden. Die CHARR transistierte. Anders als bei den von den Menschen übernommenen Giant-Schiffen war der Raumsprung bei dem nogkschen Ellipsenraumer mit keinem Schmerz verbunden. »So gut wie keine Abweichung von den Zielkoordinaten, Sir«, stellte Navigationsoffizier Sitosch kurz darauf beruhigt fest. Colonel Huxley hatte es nicht anders erwartet. Während des
ganzen Fluges hatte es kaum Abweichungen gegeben. »Colonel, ich kann den Raum um Corr komplett orten. Die 7000 Ringraumer befinden sich im Orbit um Reet. Ich kann keine Aktivitäten feststellen. Die eingenommene Position der Schiffe ist äußerst ungewöhnlich.« »Ungewöhnlich?« fragte Colonel Huxley in scharfem Tonfall nach. Er.konnte es nicht leiden, unvollständige Fakten vorgesetzt zu bekommen. »Ja, Sir. Die Position der Schiffe dient bestimmt nicht dazu, das System zu verteidigen! Einige hundert Schiffe befinden sich sogar auf dem Planeten!« Huxley erstarrte. Dies konnte bedeuten, daß das SyntieProblem inzwischen beendet war und aus diesem Grunde die Ringraumerflotte eine Warteposition eingenommen hatte. Oder hatten die Synties die Ringraumer als Hindernis erkannt und ihrerseits das Problem auf eine andere Art gelöst? War es ihnen gelungen, die Roboter an Bord der Schiffe in ihre Gewalt zu bekommen? »Versuchen Sie Funkkontakt mit einer der Ringstädte herzustellen!« befahl Prewitt dem diensthabenden Funker. »Sir, ich orte einen Noah-Raumer«, meldete Eugene Sitosch. Was zum Teufel hat hier im Nogk-System ein Noah-Raumer zu suchen, fragte sich der Colonel. Die Noah-Raumer hatten den Auftrag, Schutzschirmgeneratoren auf lebensspendenden Planeten zu errichten, die von den kosmischen Strahlenstürmen gefährdet wurden. Das ungewöhnliche an der Anwesenheit des Noah-Raumers war, daß gerade dieses System von den Stürmen verschont wurde, weswegen sich die Nogks hier überhaupt erst niedergelassen hatten. »Befehl zurück. Stellen sie statt dessen einen Funkkontakt
zum Noah-Raumer her!« Etwas leiser fügte er dann hinzu: »Möchte doch wissen, was der hier zu suchen hat.« Auf dem Monitor erschien wenige Augenblicke danach ein Bild, wurde innerhalb einer Zehntelsekunde scharf und erreichte beinahe die Qualität der saltischen Bildkugeln. Ein junger Mann mit etwa 25 Jahren wurde dargestellt, der beinahe erschrocken feststellte, daß er sich jetzt dem Kommandanten gegenüber sah und nicht, wie anscheinend erwartet, nur dem Funker. »Funk-Z des Noah-Ringraumers LEMUR. Was möchten Sie?« fragte der junge Mann, ohne sich mit Namen vorzustellen. Ein typischer Zivilist eben. »Colonel Huxley, Kommandant der CHARR. Mich würde interessieren, was ein Noah-Ringraumer hier in diesem System sucht.« »7000 Ringraumer, die hier umsonst stationiert waren, weswegen ich sie schon bald nach Terra zurückschicken werde!« Die Kamera zeigte den Sprecher nicht, nur die Stimme war zu vernehmen. Auf jeden Fall verschlug es Huxley erst einmal die Sprache. Da erdreistete sich also ein Zivilist, Entscheidungen zu fällen, die der TF vorbehalten waren. Diese Eigenmächtigkeit der Noah-Crew würde noch ein Nachspiel haben. »Hallo Frederic. Freut mich, dich zu sehen.« Der Sprecher aus dem Hintergrund war jetzt in den Kamerabereich getreten, so daß Huxley ihn erkennen konnte. Es handelte sich um keinen anderen als Janos Szardak! Janos Szardak auf dem Ringraumer einer zivilen Institution? Der Kollege würde ihm viel zu erklären haben. Sehr viel. ***
Keine zwei Stunden später trafen sich die beiden Colonels auf Reet mit Charaua. Frederic Huxley konnte die Mimik des Nogks inzwischen gut genug einordnen, um zu erkennen, daß das Oberhaupt der Extraterrestrier erleichtert und optimistisch gestimmt war. Bei einem Terraner wäre das Wort glücklich angebracht gewesen, doch ob das auch auf die Nogks übertragbar war, wußte kein Mensch. Zu groß waren die Unterschiede zwischen diesen beiden so verschiedenen Rassen, denen es trotzdem gelungen war, eine dauerhafte Freundschaft aufzubauen. Vor allem die Facettenaugen, die unaufmerksame Betrachter als starr und gefühlskalt einstufen mochten, drückten die momentanen Empfindungen der Nogks aus, bei denen das Individuum nur die Aufgabe kannte, der gesamten Rasse zu dienen. Als einzigen einigermaßen stimmigen Vergleich mit den Nogks ließen sich die Strukturen der Ameisen aus der terranischen Tierwelt heranziehen, wobei diese jedoch vom Instinkt gesteuert werden und das Verhalten nicht vom Intellekt dominiert wird wie bei den Humanoiden mit dem Insektenkopf. In den vergangenen zwei Stunden hatte Frederic Huxley viel mit Janos Szardak über Funk gesprochen und sich die Neuigkeiten berichten lassen. So hatte er alles Bekannte über die Quelle des Lebens erfahren, von Haika, von der Ursprungsrasse des Planeten, deren Bewohner nach der Aufgabe ihres Körpers zu den Synties geworden waren und auch, daß die Synties alle paar hundert Jahre ihre Tropfenkörper einer Regeneration in der Quelle des Lebens unterziehen mußten. Die letzte Regeneration war durch einen der immer wieder aufkommenden Strahlenstürme gestört worden, so daß es zu Mutationen gekommen war. Viel schlimmer dagegen war, daß die mutierten Synties nur
noch die Energien des nogkschen Lebensspektrums aufnehmen konnten und die Nogks dadurch unfreiwillig töteten. Im letzten Moment (dank der Opferbereitschaft des todkranken LEMUR-Besatzungsmitglieds Janna Czohr) konnten die Synties zur Quelle des Lebens zurückgerufen werden. Die Gefahr für die Nogks war also gebannt. Der Kommandant der CHARR bekam von Janos Szardak später sogar die Erklärung, warum dieser altgediente Haudegen der terranischen Flotte sich an Bord der LEMUR befand, die doch einer zivilen Institution unterstellt war. Es war bei weitem nicht so spektakulär, wie Huxley anfangs gedacht hatte. Szardak hatte von Marschall Bulton einen Zwangsurlaub verordnet bekommen, und der Dienst an Bord des NoahRaumers entsprach genau seinen Vorstellungen, sich Freizeit um die Ohren zu schlagen. Jetzt saßen sie zu dritt an einem Tisch, und nicht die Neuigkeiten auf Reet standen im Mittelpunkt, sondern die Mensitengefahr auf Terra. Während des Fluges zum Corr-System hatte die CHARR eine Nachricht von Larsens TERRA III empfangen. Die darin enthaltene Bitte, die Nogks über das Mensitenproblem zu informieren und zu fragen, ob sie dazu etwas wußten oder gar in der Vergangenheit bereits einmal selbst auf Mensiten gestoßen waren, wollte er jetzt nachkommen. Genauere Daten über die Mensiten waren der CHARR kurz nach dem ersten Funkruf vom Mars zugesandt worden. Colonel Huxley sprach, verzichtete auf die telepathische Kommunikation, da diese zwar Charaua verstanden hätte, Janos Szardak jedoch leer ausgegangen wäre. Anders herum ergaben sich keine Probleme, denn den Nogks bereitete es keine Mühe, sich mehreren Menschen gleichzeitig mitzuteilen. Diese telepathischen Impulse waren trotz ihrer
Verständlichkeit nur dem Sinn nach zu erfassen. Manchmal übertrugen die Nogks den Menschen sogar ganze Bildsequenzen, doch Sprache in Form von Wörtern übten diese so fremden Wesen nicht aus, auch wenn sie in der Lage sein mußten, diese zu verstehen und sich darauf einzustellen. Denn wie sonst hätten sie ein kleines, kugelförmiges Übersetzungsgerät bauen können, das die Kommunikation zwischen ihren Rassen überhaupt ermöglichte? »Ralf Larsen hat durch Zufall einen Grako gefangen nehmen und ihn ins Brana-Tal bringen können, wo sich dann Echri Ezbal des Falles annahm. Die ersten Ergebnisse seiner Forschungen waren überwältigend: Dieser eine Humanoide wurde von einem Mensiten kontrolliert! Der Begriff Mensit ist eine Abkürzung und steht für Mental-Parasit. Ein MentalParasit ist fast reine Gehirnmasse, die sich im Kopf des Grakos eingenistet und den Körper des Grakos mental, wie der Name schon sagt, übernommen hat. Dabei ist noch nicht klar, ob dies bei dem Grako von Geburt an der Fall war, oder ob er erst später übernommen wurde.« »Meint Ezbal, daß alle Grakos von solchen Parasiten übernommen worden sind?« fragte Janos Szardak. »Von diesem aufgefundenen Grako lassen sich wohl keine Rückschlüsse ableiten. Aber es werden mit Sicherheit mehr Grakos befallen sein. Ezbal hat ihm den Mensiten operativ entfernt, und dieser Grako ist nach der Operation nurmehr eine humanoide Hülle ohne eigenes Bewußtsein. Demnach ist dies ein Beweis, daß der Parasit kurz nach der Geburt bereits im Körper war, oder aber, daß das eigentliche Grako-Bewußtsein nach der Parasitenübernahme ausgelöscht wird.« Das so kalt klingende Wort ›ausgelöscht‹ hatte Colonel Huxley mit Bedacht ausgewählt: Weil man es mit Tod und Vernichtung in Zusammenhang brachte. Und um genau das ging es bei der Übernahme durch einen
Parasiten. Um den Kampf zweier Bewußtseine um einen Körper. »Wie kommen die Mental-Parasiten in den Kopf der Humanoiden?« Frederic Huxley beantwortete die lautlose Frage des Nogks: »Durch virenähnliche Bruchstücke! Der Körper nimmt diese auf, wahrscheinlich über die Atemwege, und dann arbeiten sie sich vor bis in den Kopf, nisten sich ein, übernehmen das Gehirn.« Er schob sowohl Janos Szardak als auch dem Nogk jeweils einen Datenträger zu. »Darauf sind alle bislang ermittelten Daten enthalten. Charaua, könntest du nachforschen lassen, ob euch Nogks etwas über diese Mental-Parasiten bekannt ist? Vielleicht gibt es Aufzeichnungen darüber oder über ähnliche Parasiten.« »Ja.« »Du hast doch einen Grund für diese Fragen!« Janos Szardak sah ihn neugierig an. Seine Menschenkenntnis sagte ihm, daß Huxley noch etwas zu berichten hatte, womit er auch voll ins Schwarze traf. »Bedauerlicherweise! Wie ich vorher schon sagte, hat Ezbal den Mensiten aus dem Kopf des Grakos entfernt. Dieser Mensit ist später... sozusagen detoniert. Und dabei wurde eine Assistentin Ezbals mit dem Virus infiziert. Diese Frau ist seither verschollen, unauffindbar. Anders gesagt: Es besteht die Möglichkeit, daß durch diese Frau weitere Menschen infiziert werden, was dann durch das Schneeballsystem bis zur totalen Übernahme der Menschheit Terras weitergeführt werden würde!« Janos Szardak war ein Mann, dem nachgesagt wurde, seine Gefühle in seiner Gewalt zu haben. Jetzt aber zeigte sich, daß er auch Nerven besaß. Obwohl er immer noch ruhig am Tisch saß, hatten seine Hände sich zu Fäusten geballt.
»Ich werde nachforschen. Wir werden versuchen, euch zu helfen.« Mehr gab Charaua nicht von sich, was ansonsten auch überrascht hätte. Der mehr als zwei Meter vierzig große Nogk stand auf, griff mit seiner ungeheuer biegsamen Hand nach dem Datenträger, fächelte noch ein wenig stärker mit seinen vier Fühlern als gewöhnlich und verließ den Raum. Die beiden Colonels wußten, daß ihr Freund alles versuchen würde, was es zu versuchen gab, um ihnen zu helfen. Aber Wunder würden die Nogks auch nicht vollbringen können. 5. Martin Nicholls sah von der Galerie hinab auf die eigentliche Zentrale und beobachtete die Arbeit der dort unten Tätigen. Das ›Nerven-Zentrum‹ des Ringraumers gefiel ihm. Er konnte nicht genau sagen, weswegen; ob es an der Faszination lag, die die Zentrale auf ihn ausübte, die Betriebsamkeit, die vorherrschte oder aber lag es einfach nur an seinem neuen Job? Er hatte endlich seinen inneren Schweinehund besiegt und war jetzt auf einem Ringraumer stationiert! Und nicht nur irgendein Ringraumer, nein, es handelte sich um den Commander Dharks. Der braunhaarige, 1,82 Meter große Martin Nicholls verfolgte das Geschehen mit großem Interesse. Er konnte es sich auch leisten. Für ihn als neuen Lagerchef war nicht der eigentliche Flug die Zeit der hektischen Betriebsamkeit, sondern vielmehr die Landungen und die danach stattfindende Aufstockung der Vorräte. Dan Riker sah zu ihm hinauf. Ein wissendes Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Sind Sie mit den A-Grav-Sitzen bereits fertig?« wollte er wissen.
Da die GALAXIS II nun das Schiff des Commanders der Planeten geworden und damit zu rechnen war, daß hochrangige Persönlichkeiten anderer Planeten desöfteren an Bord zu Besuch sein würden, hatte Ren Dhark befohlen, den vorhandenen, bislang nur spartanischen ausgenutzten Platz in der an die Zentrale anschließenden Messe voll auszunutzen, um weitere Konsolen und vor allem Sitzgelegenheiten unterzubringen. Keine schwere Arbeit, da die notwendigen Schnittstellen für solche Fälle bereits eingebaut waren. Trotzdem hätte Martin Nicholls diese Arbeit normalerweise einem Techniker überlassen, wenn die Gerätschaften nicht gerade in der Messe angebracht worden wären. Diese Möglichkeit, die Galerie zu betreten und Einblick in den Alltag der hier Anwesenden zu nehmen, wollte er nutzen. »Sicher!« antwortete er und nickte dem stellvertretenden Kommandanten zu. Riker wußte, was in ihm vorging. »Wenn Sie hier unten Platz nehmen wollen, dürfen Sie es gerne tun!« Dann wandte er sich wieder anderen Dingen zu. Nicholls nahm die Einladung an, ging zum in der Zentrale angebrachten kleinen Antigravschacht, der einzig das sechste Deck mit dem fünften verband. Die GALAXIS II hatte insgesamt zehn Decks, zwei mehr als die POINT OF und sechs weniger als die bislang größten von Terranern hergestellten Ringraumer. Dem Bau solch großer Raumer mit einem Außendurchmesser von knapp 360 Metern hatte man auf Terra den Rücken gekehrt: Es lohnte sich kaum. Für die normalen Einsätze reichten kleinere Schiffe leicht aus, und schon um diese ausreichend zu bemannen, fehlte es an ausgebildeten Besatzungen. »Dhark, wir bekommen Bilder von unserer Flotte um
Cromar!« ertönte eine leise, trotzdem deutlich hörbare Stimme. Nicholls vermutete, daß sie zu einem Mann aus der Funk-Z gehörte. »Gut, geben Sie sie bitte herein, Glenn!« befahl der im Pilotensessel sitzende Ren Dhark. Auf einem Monitor, den jedermann hier in der Zentrale einsehen konnte, erschien Cromar, die Hauptwelt der Tels. Die von einem Ringraumer gemachten Sequenzen bewiesen, daß dieser den Planeten in großem Abstand überflog, weswegen auch kaum etwas von der Oberfläche zu erkennen war. Dies registrierte nicht nur Nicholls, denn jemand zoomte die Oberfläche des Planeten weiter heran. Ungeheuer große Städte wurden sichtbar, Raumhäfen, die man nur mit dem Wort »gigantisch« beschreiben konnte. Hier zeigte sich in aller Deutlichkeit, daß die Erde eben doch noch Jahre hinter Cromar, gemessen an der Bebauung, her hinkte. Martin Nicholls gefiel diese Welt nicht sonderlich. Von der Natur, die auf diesem Planeten ursprünglich vorhanden gewesen sein mußte, konnte er kaum noch etwas erkennen. Eigentlich war dies logisch! Soviel er wußte, wurden die Geschicke des telschen Imperiums lange Zeit von einem Robotgehirn, Kluis genannt, gelenkt. Und was scherte sich schon ein lebloser Großcomputer um Gefühle, die in jedem Lebewesen vorhanden waren? Die Landschaft auf dem Monitor veränderte sich. Zerstörte Gebäude und verbrannte Ebenen wurden gezeigt, waren der Beweis, daß Cromar wirklich erst vor kurzem angegriffen worden war. Oder immer noch angegriffen wurde? Nein, das konnte er sich kaum vorstellen. Wenn es noch Kampfhandlungen um den Planeten gab, so mußten sie weit draußen im All stattfinden, denn von angreifenden Ringraumern war im Augenblick nichts zu entdecken.
Commander Dharks Stimme ertönte: »Tino, können Sie die Standorte aller Raumer um Cromar auf die Bildkugel geben?« »Sofort!« gab der Ortungsspezialist zur Antwort. Wenige Sekunden später baute sich die Bildkugel mitten in der Zentrale schwebend auf. Im Zentrum davon befand sich Cromar, und um diesen Planeten unzählige kleine Punkte, die die Ringraumer darstellen sollten. Daß dieses Szenario nicht maßstabsgerecht war, nicht sein konnte, war von vornherein klar, trotzdem bot es einen ausgezeichneten Überblick über das augenblickliche Geschehen um diesen Planeten. Die feindlichen, rot dargestellten Ringraumer, zahlenmäßig weit unterlegen, zählten ungefähr dreihundertfünfzig. Dennoch wurde ersichtlich, daß die terranische Flotte kein so leichtes Spiel hatte, wie man aus diesem Zahlenverhältnis zu schließen meinte. Immerhin mußten die 10.000 TF-Raumer nicht nur den Planeten absichern, sondern auch die Schiffe der Tels vor den immerwährenden Angriffsversuchen der Invasoren schützen. Trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, bis die Angreifer als Unterlegene das Kampfgeschehen verlassen würden. Sofern sie es dann noch verlassen konnten. 25 zu 1 war eine Quote, die man nicht durch Taktik, Erfahrung oder Mut wettmachen konnte. Dies wurde bereits dadurch gezeigt, daß sich das Kampfgeschehen weit ins All hinaus verlagert hatte. »Gehören diese Raumer nun zur Flotte, die um Babylon verschollen gegangen ist? Tino, können sie Anhand der Ortungen Vergleiche anstellen?« wandte sich Ren Dhark wieder an den Ortungsspezialisten. »Nein, tut mir leid! Mir stehen für einen Vergleich zuwenig Daten zur Verfügung.« Betrübt nickte Dhark ihm dankend zu. Er wußte, daß Grappa sein Bestes gab. Wenn er sagte, er konnte es nicht feststellen, so hieß das im Normalfall, daß es wirklich keine
Möglichkeiten gab. Er kannte keinen Menschen, der sich mit den Ortungsanlagen besser auskannte als der Mailänder. »Glenn, versuchen Sie, Kontakt mit Cromar herzustellen!« befahl Dhark wenige Sekunden darauf. »Tino, können Sie Cromar zeigen, dabei die Schäden durch den Angriff hervorheben?« Grappa machte einige wenige Handgriffe und ließ den Bordcomputer die Bildkugel neu gestalten. Die kleinen Punkte, die die Ring- und Telraumer darstellten, verschwanden, Cromar hingegen dehnte sich soweit aus, bis der Planet die ganze Kugel einnahm. Wenige Zehntelsekunden später erschienen auch noch rote Hervorhebungen, die die Zerstörungen darstellten. Die Zahl dieser rot gekennzeichneten Orte war einerseits hoch, wenn man andererseits bedachte, daß anfangs etwa vierhundert Ringraumer Cromar angegriffen hatten, so schien diesem durchgeführten Angriff viel zu wenig Erfolg beschieden gewesen zu sein. Doch dieses andererseits war rein durch logische Gesichtspunkte und nüchternen Gedankengänge geprägt. Die dargestellten Zerstörungen reichten dennoch aus, um die Beobachter erbleichen zu lassen. Auch Commander Dharks Gesicht wurde kalkweiß. Während sich die anderen in der Zentrale noch mit den naheliegenden Gedanken um die Toten und die Zerstörungen herumschlugen, dachte er bereits weiter. Wie würde die Regierung oder der Kluis, sollte dieser wirklich alleine wieder die Geschicke des telschen Imperiums lenken, auf diesen Angriff reagieren? Würden es sich die Tels so einfach machen und ihnen, den Terranern, die Schuld für diese Invasion zuschieben wollen? Diese Gefahr bestand! Es war kein Geheimnis, daß Wer Dro Cimcs politische
Gegner gegen eine Zusammenarbeit mit den Menschen waren. Und diese Gegner würden solch eine günstige Gelegenheit nicht verstreichen lassen! »Commander! Die feindliche Flotte formiert sich neu!« meldete Tino Grappa mit ruhigem Tonfall. »Auf die Bildkugel!« Die jetzige Darstellung Cromars wurde verkleinert und die Positionen der Raumschiffe wieder eingefügt. Deutlich war zu erkennen, daß sich die gegnerische Flotte tatsächlich neu formierte, während die terranischen Schiffe alles versuchten, dies zu unterbinden. Das Erlöschen zahlreicher roter Punkte bewies dabei, daß diesem Vorhaben sogar größerer Erfolg beschieden war. Aber was plante der Gegner? Das Zusammenziehen aller Schiffe forderte von vornherein hohe Verluste. Worin also lag der Sinn dieses Manövers? »Die Invasionsflotte schlägt einen neuen Kurs ein, Zielrichtung kann noch nicht genau bestimmt werden. Auf alle Fälle jedoch weg von Cromar!« meldete Tino Grappa. »Unsere Schiffe versuchen, ihnen zu folgen.« Die Manöver wurden auf der Bildkugel plastisch dargestellt. Immer weiter entfernten sich die beiden sich bekämpfenden Pulks von dem Planeten. »Wahrscheinlich werden sie transistieren. Tino, versuchen Sie, den Zielpunkt herauszufinden, sobald dies geschieht!« befahl Dan Riker. Er wurde genauso enttäuscht wie all die anderen in der Zentrale. Die feindliche Ringraumerflotte beschleunigte nur mit Sternensog, ohne einen zeitlosen Transitionssprung durchzuführen, und beschränkte sich darauf, den Abstand zu der inzwischen ebenfalls formierten verfolgenden Flotte zu halten. »Immer noch keine Transition?« murmelte Dan Riker leise,
so daß nur er die selbstgestellte Frage verstand, die eigentlich nur eine unvermutete, aber gegebene Tatsache umschrieb. Es blieb dabei. Die unbekannten Ringraumer beschleunigten nur mit Sternensog, hielten einen beinahe gleichbleibenden Abstand zu den Verfolgern und bestimmten dadurch den Kurs, der laut Bordcomputer keinen bekannten Zielpunkt aufwies, sondern nur in den leeren Weltraum führte. »Es hat keinen Sinn, daß wir uns darüber den Kopf zerbrechen!« Ren Dhark gab sich einen Ruck. »Es sind genügend unserer Schiffe hinterher, wir sollten uns daher um Cromar kümmern.« Unaufgefordert ließ Tino Grappa die Bildkugel verschwinden. Sobald die feindliche Flotte entgegen aller Logik zurückkehren wollte, würde er es schnell genug bemerken und rechtzeitig melden. Für den Rest der Zentralemannschaft war die optische Darstellung uninteressant geworden. Ren Dhark wandte sich mittels Sprechverbindung an Glenn Morris, der die Funk-Zentrale unter sich hatte. »Glenn, besteht schon Kontakt mit den Tels?« »Positiv, Commander! Ein Raumhafen wird ein Peilsignal senden, um uns einzuweisen. Das wichtigste jedoch: Sie legen Wert darauf, daß von unserer Seite keine Handlungen erfolgen, die falsch ausgelegt werden könnten!« »Wir werden daran denken. Wann wird das Peilsignal gesendet?« »Es trifft gerade ein. Ich gebe die Daten in den Computer!« »Gut, danke. Gibt es eine Möglichkeit, eine Verbindung mit der Regierung oder dem Kluis zu bekommen?« »Leider nicht!« antwortete Morris. »Ich habe nur Kontakt mit einem der Raumhäfen, alle anderen Anfragen werden ignoriert.« Ren Dhark drehte sich um zu Leon Bebir, der die Rolle des
Piloten inzwischen übernommen hatte und im zweiten Pilotensessel saß: »Leon, Sie haben es gehört. Geben Sie den Tels keinen Anlaß, wütend auf uns zu werden.« Der Offizier bestätigte und nahm dann die Kurskorrekturen vor, die den Ringraumer dank des Leitstrahls sicher auf den Planeten bringen sollten. »Kein herzlicher Empfang«, meinte Anja Riker zu ihrem Mann und Ren Dhark. »Wer sollte es ihnen verdenken? Vergiß nicht, daß es sicherlich Millionen von Toten bei dem Angriff gegeben haben muß!« warf Dan ein. »Sicher. Aber weswegen lassen sie uns das spüren? Es kommt mir beinahe so vor, als würden die Tels uns den Angriff in die Schuhe schieben wollen.« Jetzt nahm Anja Riker neben Dan Platz. »Wir benutzen nun einmal saltische Raumer. Ist es da verwunderlich, wenn sie meinen, die Invasionsflotte gehört zu uns Menschen?« Der schwarzhaarige Mann versuchte, sich in die Mentalität der Tels hineinzuversetzen, stieß dann auf eine Hürde, die er nicht bezwingen konnte und sprach seine Überlegung laut aus: »Eigentlich ist es verwunderlich! Immerhin sind wir nicht die einzigen Intelligenzen, die das technische Erbe der Salter übernommen haben. Selbst die Tels benutzen es, und wieviel weitere Rassen es noch gibt, die es gleichfalls tun, mag ich gar nicht erst spekulieren!« »Damit sind wir wieder am Anfang. Weswegen reagieren die Tels so abweisend?« Anja wollte nicht aufgeben. »Vielleicht deshalb, weil sie uns die Schuld zuschieben wollen?« »Und vielleicht, weil der Kluis jetzt eine Möglichkeit sieht, gegen uns vorzugehen! Wir Terraner waren damals schuld, daß die Tels eine eigene Regierung gebildet und den Kluis
zurückgedrängt haben. Vielleicht möchte er uns jede Möglichkeit nehmen, ihn auch in Zukunft wieder abzusetzen?« »Bodenkontakt in fünf Minuten!« unterbrach Leon Bebir diese wenig ergiebige Diskussion. Er beließ es bei dem kurzen Hinweis, konzentrierte sich weiter auf die Landung. Das Steuern des Ringraumers war nicht schwierig, allerdings konnte jede manuelle Steuerung nie die Schnelligkeit der nur in der POINT OF und den Flash vorhanden gewesenen Gedankensteuerung erreichen. Doch der Vergleich mit der POINT OF erübrigte sich. Die Tels ließen Vorsicht walten und erlaubten Bebir nur einen langsamen Sinkflug. Peinlichst genau hielt er sich an die Vorgaben. »Ich kann starke Energieemissionen am Raumhafen feststellen!« Tino Grappa war sichtlich beunruhigt. »Waffen?« fragte Dan Riker, ehe Ren Dhark ihm zuvor kommen konnte. »Nein, eindeutig nicht!« Grappa beschäftigte sich immer noch mit seinen Geräten, versuchte herauszufinden, was auf dem Planeten, präziser: dem geplanten Landeplatz, vorging. »Es sieht so aus, als würden sie ein Terrain, etwa 3 auf 3 Kilometer, extra für uns räumen!« Ren Dhark warf Dan Riker einen besorgten Blick zu. »Sie scheinen wirklich Angst vor uns zu haben!« »Vielleicht wäre es besser, wenn wir erst später, in einigen Tagen, versuchen würden, Kontakt mit den Tels aufzunehmen«, meinte Dan Riker. Es war ihm anzusehen, daß er die Vorgänge am Hafen äußerst skeptisch beurteilte. »Nein!« Ren Dhark war entschlossen. »Wir sind den Tels zu Hilfe gekommen und wir müssen gemeinsam mit ihnen herausfinden, wer diese Ringraumer geschickt hat. Je eher dies geschieht, um so besser können wir uns gegen eine neue Invasion schützen.« Dan Riker nickte. Sein Freund hatte recht. Wenn sie den
Landeanflug abbrachen, dann würden sie erst recht das Mißtrauen auf sich ziehen. Wenn es etwas zwischen den Terranern und Tels zu klären gab, dann war jetzt der beste Zeitpunkt. Und all diese unerklärlichen Vorsichtsmaßnahmen der Tels bewiesen, daß es viel zu klären gab. Auch wenn niemand an Bord wußte, weswegen die Schwarzen Weißen ein beinahe krankhaftes Mißtrauen ihnen gegenüber an den Tag legten. Zwar war bekannt, daß die Tels anfangs davon ausgegangen waren, die Terraner hätten die Invasionsflotte geschickt, doch durch den Einsatz der 10.000 Einheiten, die den Kampf um den Planeten aufgenommen hatten, hätten sie diese Vermutung doch wieder fallen lassen müssen. Dan hob den Kopf und betrachtete auf den Bildschirmen die Landung. Nur noch wenige hundert Meter unter ihnen befand sich die karge, künstliche Oberfläche des Landeplatzes. Leon Bebir behielt die bisherige langsame Geschwindigkeit bei, so daß es allen Menschen vorkam, als würde die GALAXIS II in Zeitlupe aufsetzen. »Leon, schalten Sie die Intervallfelder ab.« Der Franzose meinte leise: »Hoffen wir, daß sie so viel guten Willen nicht als geschleimt auffassen«, und führte den Befehl Dharks aus. »Commander! Die Tels funken, daß sie bald einen Flash schicken werden!« meldete Glenn Morris. »Bald?« Dem Commander gefiel es nicht, daß die Tels sich so vage ausdrückten. »Keine näheren Hinweise? Auch keine Angaben, wer zu Besuch kommt?« »Nein, Commander. Der Kontakt ist bislang recht einseitig. Alle meine Versuche, Kontakt aufzunehmen, werden nach wie vor ignoriert. Ich kann nur warten und darauf hoffen, daß sich die Tels selbst melden!« »Na, hoffentlich lassen sie uns nicht zu lange zappeln.«
Kaum hatte Ren Dhark dies laut ausgesprochen, als Tino Grappas Ortungen anschlugen. »Der Flash! Er ist gerade gestartet. In zwei Minuten wird er einfliegen!« »Glenn, Peilsignal für den Flash, der ihn zum Beiboothangar dirigiert. Ich möchte von ihm nicht unbedingt hier in der Zentrale aufgesucht werden!« Ren Dhark wollte sich erheben, doch Dan Riker war schneller. »Ich gehe, Ren. Mal sehen, wen sie uns schicken.« Gemeinsam mit seiner Frau Anja verließ er die Zentrale. Der Commander sah den beiden hinterher, erhob sich trotzdem und ging zu Grappas Arbeitsplatz. Der junge Mailänder zuckte zusammen, seine Hände bedienten die Instrumente vor ihm blitzschnell. Betroffen sah Ren Dhark ihn an. Ohne den Blick von seinen Anzeigen abzuwenden meldete Grappa heiser: »Commander, ich registriere neue Energieemissionen! Diesmal stammen die Werte eindeutig von Waffen!« Die Gedanken Dharks überschlugen sich. Mehrere Möglichkeiten, die diesen Vorgang erklären konnten, fielen ihm ein, aber keine befriedigte ihn. Verzweifelt preßte er die Lippen zusammen. Sollte er einen Alarmstart befehlen? Das Intervallfeld aufbauen lassen? Oder sollte er die von Grappa gemessenen Werte ignorieren? »Welche Waffen? Zielen sie auf uns?« Kurz und präzise stellte er seine Fragen. Er wollte keine Zeit verlieren. »Leon, machen Sie sich bereit, die Intervallfelder zu aktivieren. Sofort danach einen Alarmstart!« Martin Nicholls erstarrte. Irgendwie lief das Geschehen an ihm vorbei. Alle hier auf der Brücke hatten Arbeit, und er war zum Zusehen verdammt. Eiskalt lief es ihm den Rücken hinab,
als er Dharks knappe Befehle vernahm. Dies war das Einzige am Commander, an dem er feststellen konnte, daß sie – vielleicht – in Gefahr schwebten. »Die Waffen sind eindeutig auf uns gerichtet! Es müssen schwerste Strahlgeschütze sein! Sie sind in wenigen Augenblicken einsatzbereit!« Tino Grappa sprach schneller, doch auch er erlaubte sich nicht den Luxus, Aufregung oder gar Panik in seiner Stimme mitschweben zu lassen. Seine Aufgabe hier war es, das Geschehen um sie herum zu messen und weiterzuleiten. Und dies tat er. Schnell, präzise und dabei ruhig – ja beinahe gelassen. Martin Nicholls beneidete ihn ein wenig darum. Und auch wenn er an sich keine Anzeichen von Panik feststellen konnte, wußte er, daß sie hier an Bord der GALAXIS II höchstwahrscheinlich in Lebensgefahr schwebten. »Leon, Intervallfelder! Start!« Der Franzose hatte nur auf diese Befehle gewartet. Zielsicher führte er beide aus. Die Monitore zeigten, wie sich die Intervallfelder um den Ringraumer aufbauten, sich überlappten. Dann kam der Start, für Martin Nicholls nur durch die Bildschirme festzustellen. Plötzlich wurde er geblendet. Die schweren Strahlgeschütze feuerten alle gleichzeitig. Sicherlich auch mit aller Energie, die sie aufbringen können, vermutete Nicholls, der seinen Kopf schnell zur Seite gedreht hatte. Automatisch wurde die intensive Helligkeit herausgefiltert. Dennoch war das Flackern der Intervallfelder, das Auftreffen der Strahlen auf das Energiefeld noch immer gut zu beobachten. Die beiden Felder hielten dem Ansturm stand. Es blieb bei dem Flackern, das nicht aus dem Zusammenbrechen der Felder resultierte, sondern nur deswegen entstand, weil verschieden hohe Energiemassen auf die energetische Oberfläche prallten. »Schadensmeldungen an Zentrale!« Der Rundruf Dharks
mußte im ganzen Schiff zu hören sein. Die Resonanz darauf blieb aus. Das Schiff hielt der Belastung stand, und endlich wurde eine Höhe erreicht, die es den Schwarzen Weißen unmöglich machte, den Beschuß aufrecht zu erhalten. Leon Bebir erlaubte es sich, dem Commander einen fragenden Blick zuzuwerfen. Was hatte der Beschuß für einen Sinn? Eine Frage, die sich der Commander bereits selbst stellte, seitdem Grappa die empfangenen Energiewerte gemeldet hatte. Es war, als ob sie von dem Planeten hätten verschwinden sollen! Plötzlich keimte eine Ahnung in ihm auf. Wenn die Tels dies wirklich getan hatten, dann... Der Commander ging an ein Pult und rief Dan Riker über Funk: »Dan, ist der Flash noch vor dem Beschuß eingetroffen?« Tino Grappa nickte hinter seinem Rücken, obwohl Ren Dhark dies nicht sehen konnte. Ja, der Kleinstraumer war an Bord der GALAXIS II! Und als auch Grappa zum gleichen Ergebnis kam wie Ren Dhark, wurde er leichenblaß, denn die mögliche Erklärung für den überraschenden Beschuß mochte für die Besatzung des Ringraumers trotz der gelungenen Flucht noch den Tod bedeuten. Die Tels hatten sie zu einem Start von Cromar zwingen wollen, weil sie ihnen etwas an Bord gebracht hatten, was den Planeten nicht erreichen sollte! »Ja, er ist an Bord!« Ein Stöhnen war zu vernehmen. »Ren, er ist leer! Aber die Temperatur im Flash ist ungewöhnlich hoch! Verdammt, Ren, wir haben das Vario an Bord!« 6.
Jos Aachten van Haag erwachte. Er spürte nur noch ein dumpfes Brummen, so als würde ein Hornissenschwarm in seinem Kopf herumschwirren. Der schlaksige GSO-Agent öffnete die Augen. Langsam stellten sich die Pupillen auf die Umgebung ein, auf das gedämpfte und normalerweise angenehme Licht. Es dauerte eine Weile, bis er die Männer neben seinem Bett bemerkte, die ihn allesamt in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit gestellt hatten. Zumindest schien ein jeder von ihnen es höchst interessant zu finden, Jos Aachten van Haag zu beobachten. »Nächstes Mal verlange ich Eintritt«, versuchte er zu sagen, es wurde allerdings nur ein klägliches Wispern daraus. »Nun, falls wir Eintritt zahlen sollen, dann dürfen wir zumindest einen besseren Ton erwarten!« sagte einer der Weißkittel und zog daraufhin seine Mundwinkel nach oben. Wirklich ein Witzbold! »Ist hier etwas los, was ich sehen sollte?« fuhr Jos Aachten van Haag fort. »Ja, uns kommt es so vor, als würde die künftige Hauptperson des 37. James-Bond-Filmes auf dem Bett liegen!« wich auch der Arzt nicht von der scherzhaften Linie ab. »Interessantes Angebot. Wieviel Gage steht denn in Aussicht?« »Das kommt darauf an, was Sie uns zu bieten haben! Zum Beispiel würde uns ganz stark interessieren, wer Sie so zugerichtet hat!« Jos Aachten van Haag schloß für einen Moment die Augen und dachte angestrengt nach – und kam zu keinem eindeutigen Ergebnis. »Ich sehe Olan vor mir, begleitet von vier weiteren Männern, und höre ihn sagen: Stirb!« flüsterte Jos, machte eine Pause und fuhr fort: »Aber so war es nicht, es war ein Traum!
Ein Traum, den ich schon hatte, bevor ich krankenhausreif geschlagen wurde!« »Sind Sie sicher?« hakte der weißgekleidete Witzbold nach, der den Namen Olan nicht mit dem weltbekannten Salter in Verbindung brachte. »Nein, leider nicht. In meinem Kopf dreht es sich, ich habe Schwierigkeiten, wieder alles auf die Reihe zu bekommen.« Van Haag ließ sich zurücksinken und sagte zu sich selbst im Flüsterton: »Olan!« Aber war es wirklich Olan gewesen? War diese Szene, die so bildlich, so real ablief, Wirklichkeit oder nur ein Traum? Er konnte es nicht sagen, wußte aber, daß Olan eine entscheidende Rolle in diesem Szenario spielte. Weswegen war er überhaupt zusammengeschlagen worden? Was hatte er gemacht, daß das Interesse eines Unbekannten hatte erwachen lassen? Der explodierte Wohnturm! fiel es ihm wieder siedend heiß ein. Die Erinnerungen kamen langsam zurück – immer so wenig, daß er keine klare Linie in das Gedankenchaos hineinbrachte, aber doch so viel, daß er die Fragmente richtig in das große Puzzle einordnen konnte. Olan! Alles mußte irgendwie auf diesen Salter hinauslaufen! Er wußte nur noch nicht, in welcher Form der ehemalige Flottenkommandant bei der Zerstörung des Wohnturmes eine Rolle spielte. Bevor einer der Mediziner den Agenten daran hindern konnte, richtete er seinen Oberkörper auf und schwang die Füße über die Bettkante. Sein Schwindelgefühl verstärkte sich nicht – für ihn ein klarer Beweis, daß es nur durch das Chaos in seiner Erinnerung hervorgerufen wurde und nichts mit seinen Verletzungen zu tun hatte. Dafür jedoch hatte ihn dieser Kraftakt ausgelaugt. Die ganze Kraft, die er zu haben glaubte, war hinweggepustet worden
durch diese kleine körperliche Anstrengung. Verbissen kämpfte er darum, diesen Schwächeanfall vor den Ärzten zu verbergen, was ihm nicht so recht gelingen wollte. »Sie sollten sich noch ausruhen,« meinte einer der Umstehenden, was ihm einen verweisenden Blick von Jos Aachten van Haag einbrachte. »Wie lange habe ich hier gelegen?« fragte er statt dessen. »Fast vier Tage. Wenn Sie schon aufstehen, dann denken Sie daran, daß die zweite Operation erst vor knapp zwei Tagen durchgeführt wurde!« »Hm!« brummelte er nur. »Kann ich die Station verlassen?« »Rein körperlich haben wir sie soweit wieder auf Vordermann gebracht, und was den Rest angeht, haben Sie nur einen Helfer – die Zeit! Und die arbeitet für Sie!« Jos nickte lächelnd. Er konnte verstehen, daß der Arzt ihn nur ungern gehen ließ. Trotzdem wollte er sich nicht aufhalten lassen, denn hier in der Krankenstation war er von allem abgeschnitten. Keine Terminals, keine Datenbänke, keine... Allmählich verstand er es auch, das immer noch vorhandene Gedankenchaos zu ignorieren oder zumindest beiseite zu drängen. Langsam und behutsam versuchte er, aufzustehen. Einer der Umstehenden griff schnell zu, denn ohne die Mithilfe hätte Jos Aachten van Haag es nicht geschafft. Kalter Schweiß stand auf Jos' Stirn, und beinahe hätte er sich doch noch entschlossen, das Krankenbett freiwillig länger zu hüten. Aber anscheinend hatte Bernd Eylers das Krankenhauspersonal vor seiner Sturheit gewarnt, denn am Bettende stand ein Rollstuhl, zu dem ihn der Arzt führte. Dankbar ließ er sich in den sich seinem Körper anpassenden Pneumositz hineinsinken. Jetzt sieht die Welt gleich ganz anders aus, dachte er nur und machte sich mit der Technik des Stuhls vertraut. Auch kein
Problem. *** Knappe vier Stunden nach seinem Erwachen aus der Narkose hatte Jos Aachten van Haag in Begleitung des Wissenschaftlers Jerry Cattrall und der eigenwilligen Reporterin Ina Kirkendall das Brana-Tal verlassen – nicht, ohne vorher mit Echri Ezbal einige Worte zu wechseln, der ihn mit einem sorgenvollen Gesichtsausdruck betrachtet hatte. Ein Gesichtsausdruck, der mehr vermittelte, als jedes gesprochene Wort. Nachdem der alte Brahmane ihn noch über die aktuellen Ereignisse der letzten Stunden unterrichtet hatte; unter anderem auch darüber, daß der Regierungschef Henner Trawisheim in etwa 36 Stunden hier im Tal eintreffen würde, um seine CyborgFähigkeiten rückgängig machen zu lassen; benutzte er den Transmitter, um wieder eigenen Plänen nachzugehen. Inzwischen war der Transmitterraum und auch die Gegenstation mehrfach abgesichert worden. Die Gefahr, daß Cyra Simmons auf diesem Wege die Station verlassen konnte oder sich von ihr verbreitete Viren durch die Transmission auf andere Gebiete der Erde ausbreiten würden, war ausgeschaltet worden – sofern Cyra Simmons sich überhaupt noch im Tal befand. Für die Techniker der Cyborg-Station war es kein übermäßiges Problem, die Viren durch speziell konstruierte Geräte aufzufinden, selbst wenn sie bereits im Kreislauf eines menschlichen Organismus wären. Nachdem Jos Aachten van Haag zusammen mit Ina Kirkendall und Jerry Cattrall die Sicherheitstests in der Cyborg-Station und in T-VII hinter sich gebracht hatte, suchte er nach dem erneuten Durchschreiten des Transmitters sein kleines Appartement in einem der Wohntürme von Cent Field auf.
Es war nur spärlich eingerichtet, da er es erst vor einem halben Jahr bezogen und dabei viele Dinge seines Besitzstandes ausgemustert hatte, ohne daß in der Zwischenzeit etwas Neues hinzugekommen wäre. Die alte, weitaus geräumigere Wohnung rentierte sich nicht für ihn. Er konnte die Tage des vergangenen Jahres, die er Zuhause verbracht hatte, beinahe an seinen zehn Fingern abzählen. Müde ließ er sich in einen Sessel fallen. Hier versuchte er nun, in vertrauter Umgebung, seine rotierenden und sich überschlagenden Erinnerungen wieder in Einklang mit dem tatsächlich Geschehenen zu bringen. Und langsam gelang es dem schwarzhaarigen Mann auch. Immer mehr Lücken wurden geschlossen, immer mehr Daten und Fakten drängten danach, Bernd Eylers, seinem Chef, berichtet zu werden... *** Er ging mit seinen Erinnerungen wieder zurück an den Tag, an dem ein Wohnturm Cent Fields durch eine immense Explosion zerstört worden war. Doch nicht diese Katastrophe stand im Vordergrund seiner Gedanken, sondern der Besuch bei einem Transmitterexperten, den er zwei Tage danach aufgrund seiner Nachforschungen aufgesucht hatte, um mögliche Unfallursachen herauszufinden. Hans Vereb, ein kleiner, schon etwas älterer Mann mit angegrauten Haaren und immer wachen und wissend funkelnden Augen, kannte er bereits seit einigen Jahren. Zu wenig, um ihn als Freund zu bezeichnen, aber doch so gut, um zu sagen, daß er innerhalb kürzester Zeit einer werden konnte. »Hallo Jos! Freut mich, Sie wieder einmal zu sehen!« wurde er freundlich von dem Alten begrüßt, der ihn etwas überrascht und zugleich neugierig musterte. Es kam selten vor, daß der
GSO-Agent Hans Vereb in seiner Wohnung aufsuchte, und wenn, so stellte der schwarzhaarige Mann meist Nachforschungen zu einem Fall an, bei dem er die Hilfe Verebs dringend nötig hatte. »Tag, Hans! Störe ich Sie?« »Nein, seitdem ich im Ruhestand bin, kann mich kein Mensch mehr stören, wenn ich es nicht möchte! Treten Sie nur ein!« entgegnete der Transmitterexperte. Es war für Jos Aachten van Haag immer wieder unglaublich, daß ein Mann dieses Alters sich zu dem Experten in einer vollkommen neuen, hochkomplizierten Technologie wie der der Transmitter entwickeln konnte. Bereits kurz nach dem Rückzug der Giants von der Erde war das Interesse von Hans Vereb an den Transmittern erwacht. Mit allerlei Fingerspitzengefühl und auch sonstigen Tricks hatte er einen Posten in einem Forschungsteam ergattert, das fast ausschließlich der neuen Technologie seine Aufmerksamkeit schenkte. Augenzwinkernd und unter dem Siegel der Verschwiegenheit hatte er Jos einmal verraten, daß der Reporter Bert Stranger bei dieser ›Jobbeschaffung‹ nicht unbedingt unschuldig gewesen war – und seitdem ahnte der GSO-Mann auch, warum der Reporter einen persönlichen Transmitter sein eigen nennen konnte. »Aber ich sehe Ihnen an, daß Sie nicht ohne Grund hier sind«, fuhr der Alte nach einigen Sekunden fort, sah das Nicken sowie das begleitende Augenzwinkern von Jos und holte daraufhin zwei Bierflaschen. Wenig später saßen die Männer am Tisch und prosteten sich zu, während Jos über die Explosion des Wohnturmes berichtete. Eindringlich sah er Hans Vereb an, bevor er schloß: »Kann ein Transmitterunfall, oder eine Manipulation der Transmitter, diese Explosion hervorrufen?« Sein Gegenüber nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche,
lehnte sich in den Sessel zurück, um über die Frage nachzudenken, bevor er eine Antwort gab. »Ich weiß es nicht eindeutig. Nein, sagen Sie nichts, lassen Sie mich noch etwas vorausschicken. Die Transmitter – zumindest aus der saltischen Produktion – haben allesamt eine Schutzfunktion, ein Energiefeld, das mögliche schädliche Einflüsse wie Giftgase, Wasser, Vakuum, et cetera nicht durch das Tor hindurchläßt. Und genau dieses Energiefeld muß den Salter Olan, der, wie Sie berichtet haben, den Transmitter während der Explosion durchschreiten wollte, wieder zurückgeworfen haben. Soweit die herkömmliche Funktion der Geräte. Bislang nichts außergewöhnliches. Aber, und jetzt kommt es, genau dieses Energiefeld ist, wenn man das nötige Fachwissen, das Können und die Zeit hat, manipulierbar. Es kann dann sogar zu einem unkontrollierten Energiestau kommen, der dann...« Er hielt inne, und Jos hakte nach. »Wie wirkt sich so eine Manipulation aus? Kann sie die Zerstörung eines kompletten Wohnturmes nach sich ziehen?« Hans Vereb schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Haben Sie die Bauunterlagen des Wohnturmes zufällig hier? Wenn ja, dann könnte ich den Vorfall durchsimulieren...« Jos gab ihm einen Datenträger. Er hatte in weiser Voraussicht von der Untersuchungsbehörde eine Kopie des Originals erstellen lassen. Die bislang vertretene Meinung, die Zerstörung des Wohnturmes resultiere aus dem Versagen der A-Gravsteuerung, wollte er nicht glauben. Die Männer standen auf, um an den Computer zu gehen. »Lassen Sie mir einige Minuten Zeit, und ich kann Ihnen eindeutig beweisen, ob eine Explosion solchen Ausmaßes durch eine Manipulation der Geräte möglich ist«, sagte Vereb ruhig und ließ sich dann wirklich durch nichts mehr stören. Gebannt sah Jos Aachten van Haag zu, wie auf dem Monitor
ein 3-D-Bild entstand, das einen teilgeschnittenen Wohnturm darstellte. Hier zeigte sich, daß der Privatmann Hans Vereb in diesem Bereich nicht auf dem aktuellen Stand der Technik war. Eine Holographie, die den Ablauf des Computerprogrammes in der Luft abspielte, konnte der veraltete Computer nicht erstellen. Dennoch trauerte Aachten van Haag dem nicht nach, da der normale, bildliche Ablauf auf dem Monitor für seine Ziele ausreichen würde. Vereb veränderte die Energiewerte des Transmitterfeldes und ließ eine Simulation ablaufen – ein kleiner Bereich des Turmes verwandelte sich in ein Chaos aus herumwirbelnden Trümmerstücken. »Das entspricht wohl nicht Ihren Erwartungen, Jos?« murmelte der Alte. »Noch nicht ganz!« Hans Vereb nickte und veränderte wiederum einige Parameter, die die Transmitter betrafen. »Vielleicht klappt es jetzt!« Die Simulation lief ein zweites Mal ab. Diesmal jedoch wurde nicht nur ein Teil des Wohnturmes in Mitleidenschaft gezogen, sondern das ganze Gebäude verwandelte sich in kürzester Zeit in kleine Fragmente, die auseinanderstoben. Wie ein zerplatzender Luftballon, dachte Jos. Wie unscheinbar dieses Ereignis, das so vielen Menschen den Tod gebracht hatte, auf dem Monitor doch aussah! Nach der Katastrophe war er dort gewesen, bei den Überresten den Turmes, nahe genug, um die verzweifelten Versuche der Rettungsmannschaften zu sehen, die die wenigen Überlebenden vor den aufwallenden Flammen und aus ihren dunklen, schwarzen, scheinbar immer enger werdenden Gefängnissen zu befreien versuchten. Die TV-Sendungen, die beinahe auf allen Kanälen über die Explosion berichteten, taten ein übriges. Die Bilder von den verstümmelten, verbrannten
und erschlagenen Menschen würde er nicht mehr so schnell aus seiner Erinnerung verbannen können. Tief hatten sich diese Bilder der Verzweiflung und des Sterbens in ihm eingegraben. Romeyke! Die junge Frau, die unter Schock stehend ihre Freundin betrauert hatte. »Wer hat das nötige Wissen, um eine solche Manipulation vorzunehmen?« fragte er, während er die Simulation nicht aus den Augen ließ und gleichzeitig an Romeyke dachte. Nur einige Stunden hatte er mit ihr verbracht, und trotzdem glaubte er, sie schon seit langem zu kennen. »Ich kenne nicht viele! Auf Terra? Da dürften es um die zehn sein. In Cent Field: Nur ein Mensch!« Jos zog eine Augenbraue nach oben. Hans Vereb verstand die Geste richtig. »Er sitzt neben Ihnen, und wenn Sie ihn nicht sofort von Ihrer Liste streichen, bekommen Sie nie wieder ein Bier!« Der GSO-Mann lächelte nur flüchtig. »Schreiben Sie mir die Namen bitte auf, ja?« »Gerne. Allerdings, eines müssen Sie bedenken: Ich bin seit mehr als einem Jahr weg von den offiziellen Transmitterforschungen, habe kaum mehr Kontakte zu den Kollegen. Dennoch glaube ich, daß ich für sie alle die Hand ins Feuer legen kann.« Und bei einem würdest du sie dir wahrscheinlich verbrennen, dachte Jos, sprach diesen Satz jedoch nicht laut aus. »Mal sehen!« murmelte er statt dessen. Seine Gedanken gingen bereits andere Wege, beschäftigten sich mit dem weiteren Ablauf des Falles, so wie Jos ihn sich vorstellte. Welcher dieser aufgelisteten Namen hatte Kontakt zu den Saltern? Wer wollte Olan töten oder ihn auf mörderische Weise warnen? Noch kannte er die Antworten auf die selbstgestellten
Fragen nicht – aber er hatte eine Spur, die ihn früher oder später an das gewünschte Ziel führen würde! *** Henner Trawisheim sah auf sein Chrono: 20 Uhr, 05.08.2061. Es war Zeit, sich auf den Weg zu machen. Bring es hinter dich, alter Junge, sprach er sich selbst Mut zu. Er war nervös. Nervöser noch als in all den Konferenzen, in denen er Entscheidungen über Wohl und Wehe der Menschheit traf – selbst wenn er sich vollkommen mit seiner Aufgabe identifizierte, so waren diese Entscheidungen etwas Unpersönliches, etwas, das ihn nicht direkt betraf – nur Entscheidungen, die aufgrund von Fakten, Tatsachen und natürlich Weitsicht, gepaart mit einer Portion Intuition und Gefühl getroffen wurden. Hier jedoch, wenn Echri Ezbal die übermenschlichen Cyborgfähigkeiten rückgängig machte, betraf es ihn, nur ihn allein! Er würde damit fertig werden müssen. Für ihn würde es ähnlich sein, als ob er der Zivilisation entlaufen und in der Steinzeit landen würde. Er fühlte sich nicht als Übermensch, bei weitem nicht... Trotzdem müßte er lügen, wenn er behaupten würde, die IQ-Steigerung hätte den Menschen Henner Trawisheim in keinster Weise beeinflußt. Er erhob sich aus seinem Bürosessel und ging zusammen mit den beiden Sicherheitsmännern der GSO, die vor seinem Büro postiert waren, zur internen Transmitterstation, die ihm den Weg zu T-VII öffnen würde. Das private Gerät in seinem Arbeitsraum war vorläufig gesperrt – noch wollten die Fachleute der GSO nicht zulassen, daß vielleicht später noch wichtig werdende Spuren zerstört oder verändert wurden. Falls der Anschlag auf den Wohnturm wirklich Olan gegolten hatte,
dann mußte die Explosion genau mit dem Betreten des Transmitters abgestimmt worden sein. Mit seinen zwei Begleitern schritt Henner Trawisheim durch die Transmitteröffnung. Der Übergang ging wie gewohnt ohne Nebenerscheinungen vonstatten. In der Station T-VII angekommen, fand er sich gleich wieder vor einem etwa zweieinhalb Meter großen Tor. Der Diensthabende stand daneben und gab an seiner Konsole den Sendecode ein, der die Gegenstelle in der Cyborgstation aktivierte. Ein kurzes Nicken bewies Henner, daß der vorbereitete Transmitter bereit war. Das schützende Energiefeld flimmerte leicht, besser gesagt, das Energiefeld war nur durch ein leichtes Flimmern zu erkennen, ähnlich dem, wie es bei erhitzter Luft entstand. Er trat hindurch, während die GSO-Leute zurückblieben, da ihr Auftrag erfüllt war, ging durch das Tor und kam in der Cyborg-Station an. Schlagartig erloschen sowohl das Energiefeld als auch die Verbindung zum Gegentransmitter hinter ihm. Ungewöhnlich schlagartig, dachte er, bevor er die Gestalt an der Konsole bemerkte – und sie erkannte! *** (Jos Aachten van Haag: Erinnerungen) Eigentlich hatte er ins ›Stargate‹ gehen wollen, um sich zu entspannen. Trotzdem, der Traum, den er noch so bildhaft vor Augen hatte, ließ ihn nicht los. Nein, hier würde kein alkoholisches Getränk die düsteren Gedanken beiseite schieben. Zu sehr hatte er sich in den Fall verbissen. Einer seiner größten Fehler war, daß er einen Auftrag immer
persönlich nahm. Wenn er eine Spur verfolgte, ließ er sie nicht mehr aus den Augen, bis er die Lösung fand. Aber was hatte dieser Traum mit dem Fall zu tun? Er wußte haargenau, daß es eine Verbindung gab... mehr jedoch nicht. Mit den Namen, die der Transmitterexperte Hans Vereb ihm gestern gegeben hatte, konnte der GSO-Computer keine Verbindungen zu Olan oder einem anderen Salter knüpfen. Diese Spur war im Sande verlaufen. Hans mußte sich doch nicht seine ins Feuer gelegte Hand verbrennen. Trotzdem bedauerte Jos es selbstverständlich, waren diese Namen doch die einzige Spur, auf die er setzen konnte! Wer sonst hätte die Transmittertechnologie so gut beherrscht, um die inzwischen bewiesene Manipulation vorzunehmen? Er dachte wieder an den Traum. »Stirb!« hatte Olan, umringt von anderen Saltern, zu ihm gesagt! Stirb! Warum legte sein Unterbewußtsein Olan dieses Wort in den Mund? Was wollte es damit bezwecken? Er zog fest an seiner Zigarette, die er sich angesteckt hatte, inhalierte tief und blies den blauen Rauch langsam aus. Was zum Teufel übersah er? Irgendeine Verbindung mußte es geben zwischen dem Traum und dem gelungenen Anschlag auf den Wohnturm! Was hatte Hans Vereb gesagt? In Cent Field gab es nur einen Menschen, der sich gut genug mit der verzwickten Technologie auskannte... Vor mehr als einem Jahr war Hans aus dem offiziellen Forschungsprogramm ausgestiegen, anders gesagt hieß das, daß er seit gut einem Jahr nicht mehr auf dem laufenden war. Wer hatte sich während dieser Zeit, in diesem Jahr, das geeignete Wissen aneignen können? Wer? Und plötzlich wußte er es. Er wußte, daß er die ganze Zeit
die Frage falsch gestellt hatte. Wer hatte dieses Wissen bereits vor den Experten? So mußte er fragen! Und darauf gab es nur eine einzige Antwort: Die auf der Erde befindlichen Salter! Und jetzt ahnte er auch, was ihm sein Traum hatte sagen wollen! Wenig später, statt entspannt im Stargate in der nüchtern wirkenden GSO-Zentrale, fand er mit Hilfe des Suprasensors noch mehr Hinweise, die seinen Verdacht noch bestärkten. Laut Suprasensor hatten einige der auf der Erde befindlichen Salter seit einigen Tagen kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Als er den Namen nachging, stellte er fest, daß es sich hierbei um enge Vertraute oder Mitarbeiter Olans handelte. Konnte es möglich sein, daß eine dieser Vertrauenspersonen seinen Artgenossen Olan hatte ermorden wollen? Nein, das war unlogisch – wenn Olan hätte ermordet werden sollen, dann wäre er auch inzwischen tot. Ein Transmitterexperte hätte genau gewußt, daß das schützende Energiefeld Olan vor größerem Schaden bewahren würde. Blieb nur noch eine Alternative: Olan selber wurde gedroht. Diese Explosion war eine Warnung an ihn, um... ja, um was zu erreichen? Niemand bedrohte jemanden ohne Sinn und Zweck, riß Zehntausende von Menschen grundlos für nichts in den Tod! Da Jos keinen einzigen Hinweis auf den oder die Täter hatte, konnte ihm nur einer sagen, welchen Grund dieses Attentat hatte: Olan selbst! *** »Es freut mich, Sie hier begrüßen zu dürfen, Mr. Trawisheim!« Mit diesen höflich ausgesprochenen Worten empfing ihn Cyra Simmons.
Henner kniff die Augen zusammen – was wurde hier gespielt? Die Assistentin Ezbals war doch von einem Mensiten übernommen worden! Eingehend musterte er die kleingewachsene Frau. Immer noch sah sie bezaubernd aus, doch die ihr scheinbar angeborenen sympathischen Züge waren unverkennbar verschwunden. Diese Charaktereigenschaft ging vollkommen unter einem hochtrabenden, vielleicht sogar hochnäsigen Ausdruck verloren. Auf ihn wirkte sie... ja, siegessicher war der richtige Ausdruck. Und er konnte sie verstehen. Jeden, von Bernd Eylers bis zu ihrem Kollegen Echri Ezbal hatte sie getäuscht – und es war ihr gelungen, ihn, Terras Regierungschef, ins Brana-Tal und somit in die gestellte Falle zu locken. Gibt es wirklich keine Möglichkeit mehr, die Transmitterkontrolle zu übernehmen und sich rücksenden zu lassen? Anscheinend las die Frau in ihm wie in einem offenen Buch, denn sie lächelte und trat zwei Schritte zurück. »Versuchen Sie es!« meinte sie nur. Machte Cyra Simmons da keinen Fehler? Verzweifelt dachte er nach. Sie war schnell, und jetzt kaum mehr zu berechnen. Trotzdem glaubte er, daß sie ihm wirklich die Chance lassen würde, ohne ihn daran zu hindern. Aber was versprach sie sich davon? Selbst wenn sich einige Mensitenviren in der Luft befanden, würde das schützende Energiefeld um das Tor die Viren nicht hindurchlassen. Es sei denn... Es sei denn, er hatte diese Viren bereits in sich aufgenommen, da sie im ganzen Brana-Tal in der Luft verteilt waren! Er konnte sich da ebenso wenig sicher sein wie Cyra
Simmons; aber sie wußte genau, daß er das Risiko, die Viren außerhalb des Tales zu verschleppen, nicht eingehen würde, auch wenn er wußte, daß die einzige noch erreichbare Gegenstation ebenfalls unter einem Schutzschirm lag. »Und wie geht es jetzt weiter?« fragte er nur, die Kontrollen bewußt ignorierend. »Es kommt nicht oft vor, daß Sie soviel Zeit haben wie jetzt! Diese Gelegenheit bietet sich geradezu an, um eine höchst interessante Besichtigungstour für Sie zu unternehmen. Ich hoffe, Sie sind mit mir als Führerin einverstanden!« Er nickte nur. Auf ihren Wortschatz hatte die geistige Übernahme durch den Mensiten anscheinend keine Auswirkungen. Wie mochte es sein, von Mensitenviren und dem daraus entstehenden Bewußtsein übernommen zu werden? Würde er selbst in den hintersten Winkel seines Ichs verdrängt werden? Nur Dunkelheit um ihn herum und ohne Zeitgefühl? Oder würde er weiter alles sehen, riechen, fühlen, spüren können wie bisher, nur mit dem Unterschied, daß er seinen Körper nicht mehr bewußt leiten konnte, sondern dies einem zweiten, einem anderen Bewußtsein überlassen mußte? Er konnte diese Fragen nicht beantworten. Dennoch würde er es bald am eigenen Leibe erfahren... Er unterdrückte die Angst, die ihn befallen wollte und schritt hinter der Wissenschaftlerin her, die ihn durch verschiedene, ungewöhnlich menschenleere Korridore führte. »Sie haben die Cyborg-Station also nie verlassen?« versuchte er ein Gespräch aufzubauen. Ohne sich umzudrehen beließ sie es bei einem kargen: »Nein!« Er seufzte. Endlich, nachdem sie einen engen, schmalen Raum betreten hatten, blieb sie stehen.
»Nein, ich habe die Cyborgstation nicht verlassen! Warum auch? Ich hatte und habe hier die besten technischen Möglichkeiten!« ging sie jetzt doch noch auf seine Frage ein. Da hatte sie recht. »Was versprechen sie sich von der Übernahme von uns Menschen?« »Es gibt viele Gründe dafür. Einige davon kennen sie sicherlich: Macht, Fortpflanzung, Neugier... Andere Aspekte sind für euch Menschen nicht verständlich. Zu sehr unterscheiden sich unsere Rassen, zu groß sind die Unterschiede in manchen Punkten! Dieser Planet hier, die Erde, hat auch noch einen anderen Reiz für uns: Die Bewohner sind gerade am Beginn der Weltraumfahrt. Für uns in der Hinsicht interessant, da viele andere Rassen auf euch noch nicht aufmerksam geworden sind und die Übernahme nicht so schnell registrieren werden!« Je mehr sie sagte, um so deutlicher wurde ihm, wie gefährlich die Lage für die Terraner und später für alle Bewohner der Milchstraße wirklich war. Vielleicht gehörte der von Ralf Larsen gefundene Grako sogar zu einem großangelegten und für Menschen undurchschaubaren Plan? Waren sie alle hier nur noch Spielfiguren, die von den Grakos so benutzt wurden, wie diese sie brauchten? »Weshalb haben Sie mich hierher gebracht?« fragte er und bekam ein provozierendes Lachen zu hören. »Wissen Sie, Trawisheim, ihr habt hier auf der Erde eine interessante Spezies: Die Katzen. Es gefällt mir immer wieder, wie diese Tiere mit den Mäusen spielen, bevor sie sie töten!« Kalt sah sie ihn an und drückte einen unscheinbaren Knopf. Langsam glitt eine in der Wand eingelassene Rollade hoch, so daß nur noch eine Glasfront den Raum vor dem angrenzenden Labor, das die Größe einer kleinen Halle hatte,
abtrennte. Dieses Labor war in seiner Bestimmung offenbar umfunktioniert worden. Darin reihte sich eine leblose Gestalt an die andere, nur einige wenige Menschen... Menschen? schritten zwischen den Gängen umher. Unter diesen Bewachern erkannte er Bram Sass! Wahrscheinlich waren die anderen Aufpasser ebenfalls bereits umgewandelte Cyborgs. Im Grunde war es das Vernünftigste, was Cyra hatte machen können. Zuerst die Cyborgs umwandeln, um mit dieser Macht die reguläre Besatzung, seien es die Wissenschaftler oder die stationierte Militäreinheit, überwältigen zu können! Holger Alsop mußte sie dennoch anders verändert haben. Als er auf den Reporter Bert Stranger schoß, stand er bestimmt mit hundertprozentiger Garantie noch nicht unter dem Einfluß der Mensiten, denn sonst hätte er die Sicherheitsvorkehrungen beim Verlassen des Tales nicht überwinden können. Der Anblick der am Boden liegenden Menschen war schockierend, obwohl er bereits geahnt hatte, nachdem die ganzen Korridore so ausgestorben wirkten, daß die Besatzung des Brana-Tales von den Mensiten übernommen worden war. Oder dies gerade geschah. Trotzdem hatte in ihm bislang noch ein kleiner Funke Hoffnung geglüht, der ihm einreden wollte, daß es noch einige normale Terraner geben mußte, die ihn aus seiner mißlichen Lage reißen mochten – und dieser glimmende Span in der Dunkelheit war jetzt erloschen. Spätestens jetzt mußte er sich mit seinem Schicksal abfinden! »Geben Sie zu, Mr. Trawisheim: Sie sind beeindruckt!« »Wer wäre das nicht?« wich er ihr aus, dachte daran, daß eigentlich 75 Prozent der Mäuse, mit denen Katzen ihr brutales Spiel aufzogen, doch noch mit dem Leben davonkamen und fragte statt dessen: »Können Sie mir noch eins sagen, bevor Sie
mich zu ihresgleichen machen?« »Bitte fragen Sie!« »Was passiert mit uns Menschen, wenn wir endgültig von Ihnen übernommen werden?« Sie schaute ihn an, lange, fast ein wenig traurig. »Ich weiß es nicht...« *** (Jos Aachten van Haag: Erinnerungen) »Mr. Olan, ich muß Sie sprechen!« Jos Achten van Haags Glück blieb ihm treu. Er erwischte den Salter gerade noch, bevor dieser sein Appartement verließ. »Ja? Weswegen?« fragte Olan kurzangebunden. Jos bemerkte die Eile seines Gegenübers »Über die Explosion des Wohnturmes – und welche Rolle Sie dabei spielen!« Trotz der Hektik nahm sich Olan die Zeit, um zu lächeln. »Sieh an, hat doch tatsächlich ein Mensch die Spur zu mir verfolgt...« Ehrlicher Respekt lag in dieser Aussage. Jos schien es so, als ob er nicht erwartet hatte, daß ihn jemand, noch dazu ein Mensch, darauf ansprach. »Was genau möchtest du wissen, Aachten van Haag?« »Ich halte es für keinen Zufall, daß die Wohnkugel genau zu dem Zeitpunkt explodierte, als Sie den Transmitter – einen manipulierten Transmitter – benutzen wollten. Wenn ich diesen Gedankengang fortspinne, komme ich nur zu einem Ergebnis: Es war eine Warnung für Sie!« »Und jetzt möchtest du wissen, wer mir diese Warnung hat zukommen lassen, nicht?« entgegnete Olan gelassen. Jos gefiel es nicht, wie ruhig Olan blieb. Seine Ruhe paßte nicht zu einem Mann, der bei einem Mordanschlag viele
Freunde verloren hatte und beinahe selbst getötet worden wäre. Aber zumindest bestritt Olan die Drohung nicht. »Mitunter möchte ich auch das wissen! Desweiteren: Welcher Salter hat das nötige Wissen, um einen Transmitter in dieser Form zu manipulieren?« »Zur letzten Frage: Fast jeder meiner Artgenossen wäre dazu in der Lage, einschließlich ich selbst. Dennoch mußt du eins bedenken: Gerade die Fähigsten unter uns sind bei der Zerstörung des Wohnturmes ums Leben gekommen!« Natürlich wußte Jos um den Tod von Kuli, Gord, Razi und Rolloso, die sich in einem Konferenzraum gerade dieses Wohnturmes aufgehalten hatten; ebenfalls eine weitere Frage, warum diese Salter sterben mußten, wohingegen Olan mit dem Leben davongekommen war. Was versprach sich der Attentäter davon? »Was die Drohung oder die Warnung betrifft, auf diese Schlußfolgerung bin ich übrigens ebenfalls gekommen, da kann ich dir jetzt noch nicht weiterhelfen. Wenn du mich jedoch begleiten willst? Ich verfolge gerade eine Spur, die mir hoffentlich näheres aufzeigen und erklären wird!« »Wohin wird uns diese Spur führen?« »In die Anden. Der Flug wird also etwas länger dauern, um die vier Stunden. Ich hoffe, du hast heute keine dringenden Termine mehr!« »Nein, keinen, der wichtig wäre.« Wenig später saßen sie in einem von Olan vorbereiteten Gleiter, der sie an einen für Jos immer noch unbekannten Punkt in die Anden bringen sollte. Die Gebirgskette war groß, zog sich fast über den ganzen südamerikanischen Kontinent. Jos war erfahren genug, um den Zielpunkt hintenan zu stellen. Für ihn gab es wichtigeres, und vier Stunden in dem Gleiter alleine mit dem führenden Kopf der Salter wollten genutzt werden.
Das Gespräch zwischen den beiden ungleichen Männern entwickelte sich nur langsam – aber die beginnende Diskussion weitete sich auf andere Themen aus, die keinen Bezug hatten zu Jos' Fall und den Flug in die Anden. Je länger sie in dem engen Cockpit des Gleiters beieinander saßen, um so mehr bekam Jos den Eindruck, daß Olan sich über ihn noch nicht im klaren war. Der GSO-Agent konnte nicht bestimmen, woraus dieses Gefühl resultierte, aber ihm kam es so vor, als hätte Olan bereits eine Entscheidung getroffen, die ihn in unbekannter Weise betraf, und jetzt, eingepfercht, fühlte er sich beobachtet. Beinahe so, als wüßte Olan noch nicht, ob die getroffene Entscheidung richtig war. Interessant fand Jos auch die Themen, auf die Olan im Gespräch zustrebte: Terras Weltregierung, die Außenpolitik der Menschen, ihr Verhältnis zu anderen Rassen, Dhark als Commander der Planeten, die Machtstruktur der Tels. Selbst auf die Nogks kam der Salter zu sprechen. Nun gut, solange er keine Geheimnisse über seine Arbeit ausplaudern mußte, hielt der GSO-Mann seine Meinung nicht zurück, und diese entlockte Olan manchmal ein befriedigtes, nur angedeutetes und kaum einzuordnendes Nicken. Nachdem sich das Gespräch totzulaufen begann, sie bereits eine halbe Stunde kein Wort mehr gewechselt hatten, sondern statt dessen ihren Gedanken nachhingen, fiel Jos in einen leichten Schlaf, der fast die restliche Dauer des Fluges in Anspruch nehmen sollte. Olan störte sich nicht daran, seine Konzentration richtete er auf den Kurs. Er flog die Maschine schon seit dem Start manuell – ebenfalls eine Tatsache, die Jos verwundert registriert hatte, ohne darüber ein Wort zu verlieren. »Wir sind am Ziel!« Schneller als von Olan erwartet erwachte Jos, dem man die Nachwirkungen des Schlafes nicht ansehen konnte. Die
Übergangsphase zwischen Schlaf und Wachsein war bei dem GSO-Mann extrem kurz. Die Nacht war bereits hereingebrochen, weswegen Jos durch die Scheiben des Gleiters kaum etwas erkennen konnte. Es handelte sich hier um eine Talsenke, umgeben von steinigem Gebirge, in der Olan das Fahrzeug zielstrebig gelandet hatte. Nachdem er nach einigen Sekunden immer noch nicht mehr sah, räusperte er sich fragend. Olans Hand drückte daraufhin einen Knopf des eingebauten Funkgerätes. Jos nahm an, daß der Salter einen bestimmten Impuls abgesendet hatte. Was dies dem Salter brachte, stellte der GSO-Agent schnell fest, als von draußen grelles Licht in den Gleiter hereinflutete. Die Scheiben verdunkelten selbständig, so daß die beiden Männer ihre Blicke weiterhin über das Gelände schweifen lassen konnten, ohne geblendet zu werden. Im Zentrum des Lichtes stand ein Ringraumer! Ein Ringraumer? Damit hatte Jos hier in dieser Einöde absolut nicht gerechnet. »Was hat der Ringraumer mit der Zerstörung der Wohnkugel zu tun?« fragte er den Salter. Seine Gedanken überschlugen sich, ohne jedoch einen Sinn in diesem weiteren Puzzleteil zu entdecken. »Nicht viel... Jos, du siehst hier einen Ringraumer – und es liegt an dir, ob du, wenn er startet, mit an Bord bist!« Olan machte eine Kunstpause, um dem Gefährten Zeit für Spekulationen zu lassen. »Du kannst dich geehrt fühlen, daß ich dich frage, ob du uns Salter begleiten willst. Jos, ich gebe dir die Gelegenheit, mit uns zu kommen und unsere technische Hinterlassenschaft auf all den Planeten wieder in Besitz zu nehmen. Ich habe nicht viele Menschen gefragt. Aber du, Jos, du bist – und vor allem – du denkst wie ein Salter!«
Während Olan sprach, richtete sich Jos Aachten van Haag im Sessel auf. Jetzt hatte er das letzte Teil erhalten, um das Rätsel vollkommen zu lösen – aber noch wußte er das Fragment nicht richtig einzuordnen. Olan wollte also mit seinen saltischen Weggefährten und diesem Ringraumer, der da draußen im Tal startbereit stand, wieder ins All aufbrechen. Jetzt verstand Jos, daß Olan es nicht nur bei der Kritik an der terranischen Weltregierung belassen, sondern selbst die galaktische Politik diktieren wollte. Und ihn, einen Menschen, wollte er als Begleiter haben. Olan meinte es ehrlich, Jos spürte es ganz deutlich. Der ehemalige Flottenkommandeur der Salter würde niemals einen Vertrauten hintergehen oder in irgendeiner Form überrumpeln. Was aber war, wenn er ablehnte, wenn er ihm sagte, daß er lieber auf der Erde blieb? Bei den Diskussionen mit ihm hatte sich deutlich herauskristallisiert, daß Olan mit den Menschen, den Terranern, als Nachfolger nicht sehr glücklich war. Er hielt diese Spezies, die vom körperlichen Aufbau im Grunde völlig identisch mit den Saltern war, für zu zimperlich. Seiner Meinung nach war die Menschheit nicht dazu bereit, das Erbe anzutreten, um eine von ihm gewünschte Vormachtstellung vor den anderen Rassen der Milchstraße einzunehmen. Würde Olan ihn, nachdem er ihm einige Andeutungen derart geheimer Pläne gemacht hatte, ziehen lassen? Würde der Salter ihn noch als Gleichrangigen betrachten, wenn er das Angebot ablehnte? Erst jetzt fiel Jos auf, daß er Olan durchaus kriminelle Handlungsweisen zutraute, wenn es dessen Pläne voranbrachte. Er stellte hier innerlich Fragen, die so schnell keine Antworten finden würden. Er mußte zurück zum Ausgangspunkt, um dieses Gemisch aus Andeutungen, Beweisen und Vermutungen zu einem befriedigenden Ende zu
bringen. Und der Anfang war die Zerstörung des Wohnturmes, die so vielen Menschen den Tod brachte. Was hatte Olan im Gespräch in Cent Field gesagt? Er verfolge selbst eine Spur, die in die Anden führen würde! Das Ende dieser Spur lag im Ringraumer vor ihm; allerdings keine Verbindung zum Wohnturm! Oder doch? Vier Salter waren bei dem Anschlag ums Leben gekommen – Salter, die mit den Menschen zusammengearbeitet hatten. Wenn jedoch die Artgenossen der Ermordeten sich mit diesem Ringraumer absetzen wollten, um ihre eigenen Pläne zu verfolgen, Pläne wohlgemerkt, in denen Terraner oder sonstige Milchstraßenvölker keine eigene Rolle spielten, dann lag hier ein erstklassiges Tatmotiv vor, das diese Besatzung anprangerte! »Sie erwarten von mir, daß ich mit zigtausendfachen Mördern in diesem Ringraumer starte?« Olan lächelte; im Grunde immer noch sympathisch, dennoch gleichzeitig geheimnisvoll. »Du bist schneller draufgekommen, als ich dachte. Du bist intelligent, und das macht dich für uns um so wichtiger. Wir Salter sind nur noch wenige. Zu wenige, um alles so zu verwirklichen, wie wir es uns vorstellen. Trotzdem gefällt mir nicht, wie du das Wort Mörder betonst. Ich glaube, hier hast du einen falschen Standpunkt bezogen. Man darf dieses Ausschalten gewisser Quergänger nicht mit ethischen Grundsätzen bewerten. Es war schlicht und ergreifend notwendig. Glaube nur nicht, ich hätte es gerne getan. Aber es mußte sein, um unsere Ziele nicht zu gefährden!« »Und mit all Ihrer Intelligenz haben Sie keinen anderen Weg gefunden, um...« Olan ballte die Fäuste. »Sicher hätte es andere Möglichkeiten gegeben. Doch wie du bereits gesagt hast: Die
Explosion war eine Warnung – wenn auch nicht für mich!« Sondern für die Menschen, ergänzte Jos Aachten van Haag. Er begriff allmählich, wie wenig Chancen er von Anfang an hatte, diesen Fall selbständig zu lösen. Zu sehr unterschied sich die Mentalität der Salter von der der Menschen. Andererseits: Die vier getöteten Salter hatten keine Einwände gegen eine Zusammenarbeit gehabt. Olan drückte einen Knopf, und die Außentüren glitten leise beiseite. »Steigen wir aus.« Ruhig standen sie beide wenig später neben dem Gleiter und beobachteten das Firmament am Himmel. Unzählige Sterne zeigten ihre Pracht. Die Zeit verrann, und Jos' Gedanken drehten sich nur um einen Punkt: Wie kam er aus dieser verdrehten Situation wieder heraus? Es blieb nur eine Möglichkeit, die ihm blieb: Er mußte Olan mitteilen, daß er unter keinen Umständen ein Anhänger von dessen diktatorischen Plänen werden würde. Wie Olan dann reagieren würde, schien offen. Er dachte wieder an den Traum, den er so realistisch empfunden hatte. Würde er Wirklichkeit werden? Er war kein Hellseher, insofern würde er jede wissenschaftliche Erklärung bereitwillig akzeptieren, die ihm in den Sinn kam. Er wußte kaum etwas über Traumdeutung, im Grunde nur das Wort, unter dem man viel verstehen konnte. Dennoch, es war durchaus möglich. Fast alle wichtige Daten hatte er bereits, bevor er den Traum hatte, und die wenigen ungeklärten Teile des Puzzles konnte er durch Schätzungen und Variablen ergänzen, um so im Traum auf die verzerrte Lösung des Falles zu stoßen – ohne es zu erkennen! »Olan, Sie werden ohne mich starten müssen!« Er sprach die Worte ruhig aus, ließ nichts von der inneren Unsicherheit durchscheinen, die ihn befallen hatte und wandte seinen Blick unverdrossen den Sternen zu.
»Das habe ich befürchtet!« Auch Olan ließ keine Gefühlsregung erkennen. »Gib mir bitte den Paraschocker, den du sicher versteckt dabei hast, van Haag!« Der GSO-Agent holte ihn hervor und hob ihn hoch. »Er könnte meine Lebensversicherung sein.« »In dem Fall hättest du eine schlechte Versicherung abgeschlossen. Du bist bereits im Zentrum verschiedener Fadenkreuze!« Wortlos erhielt er daraufhin die Waffe ausgehändigt. Jos war viel zu erfahren, um die Aussage anzuzweifeln. Olan hatte während seines Schlafes genug Zeit besessen, um das Nötige vorzubereiten. Dies bewies der kurze Funkimpuls, den Olan getätigt hatte. »Die Trümpfe sind in Ihrer Hand, Olan!« »Ich weiß!« War es jetzt doch ein wenig Genugtuung, die im Tonfall mitschwang? Verdrängte Olans Stolz die entstandene Enttäuschung? »Leider weiß ich nach deiner Absage nichts mehr mit dir anzufangen!« Der Salter hob Jos' Waffe, stellte sie auf die stärkste Betäubung ein und drückte ab. Jos schwanden die Sinne. *** EPILOG (Jos Aachten van Haag) Ruhig saß er da, im bequemen Sessel, spürte die Polsterung, die sich seinem Körper genau anpaßte. Das Licht war gedämpft, er genoß die Stille, die im Raum vorherrschte. Kein Geräusch drang von draußen herein. Er hing seinen Gedanken nach, ging den Fall um den zerstörten Wohnturm noch einmal von vorne bis zum Schluß durch. Die Schuld Olans stand eindeutig fest. Bernd Eylers, dem er die wichtigsten Aussagen seiner zurückgekehrten
Erinnerungen berichtet hatte, hatte daraufhin eine Fahndung nach ihm eingeleitet. Ohne Erfolg. Olan hatte Terra mit seinem Ringraumer bereits verlassen, noch vor dem Errichten des nogkschen Schutzschirmes. Und wie um sie zu ärgern, hatten sie herausgefunden, daß Olan Tarran, den Wissenschaftsplaneten der Salter, als Zielort bestimmt hatte. Tarran, der nur von Kommandoraumern der Salter angeflogen werden durfte. Das ausgefeilte Sicherheitssystem dieses Planeten hätte alle anderen anfliegenden Raumer, selbst wenn es sich um normale Ringraumer der Salter handelte, in einen glühenden Schlackehaufen verwandelt. Und die Ironie des Schicksals war, daß die POINT OF gerade jetzt im Hy-Kon verschollen war. Oder gar vernichtet? Egal. Dharks Schiff war unerreichbar. Und Tarran damit auch. Denn die POINT OF war der einzige Kommandoraumer, der in terranischem Besitz war. Trotzdem war der Fall gelöst. Was hatte Olan mit ihm angestellt? Das war die Frage, die er sich immer wieder stellte. Oder der er sich immer wieder stellen mußte! Eins stand fest: Olan, der ehemalige Oberkommandierende der saltischen Flotte tat nichts ohne Grund. Was also hatte ihn dazu bewogen, etwas mit seinem Kopf anzustellen? Die Verletzungen und auch der daraus resultierende Erinnerungsverlust waren sicherlich kein Zufall. Andererseits konnte Echri Ezbal, der weise Brahmane, keine Manipulationen mehr feststellen. Oder wollte Olan auch mit Jos' Verletzungen etwas beweisen. Etwa: Van Haag, ich habe dir die Gelegenheit gegeben, mit mir zu kommen, und du hast abgelehnt. Ich hätte
dich töten oder geistig manipulieren können, beides habe ich bewiesen, aber ich habe es nicht getan. Also halte dich raus. Du bist eigentlich tot, also laß die Finger davon! War dies die letzte Warnung Olans? Weil er ihn respektierte? Jos wußte es nicht. Aber er würde die Finger nicht zurückziehen, und mochte der Fall noch so heiß werden. - Ende
Cyra Simmons ist ein Opfer des Mensiten geworden und hat Terras wichtigstes Forschungszentrum in ihre Gewalt gebracht. Was sind ihre Pläne? Ren Dhark hat wieder das Vario an Bord. Doch die GALAXIS II ist nicht die POINT OF... Kann es Rettung geben? Wird die terranische Raumflotte über Cromar Vergeltung üben? Die Antworten darauf finden sich möglicherweise
IM ZENTRUM DER GOLDENEN
STADT