BERNDT LANG
PUPPENTANZ Eine Lebensgeschichte aus dem Milieu
Originalausgabe
Scanned by Doc Gonzo
WILHELM HEYNE VERLA...
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BERNDT LANG
PUPPENTANZ Eine Lebensgeschichte aus dem Milieu
Originalausgabe
Scanned by Doc Gonzo
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE ALLGEMEINE REIHE Nr. 01/6910
Copyright © 1987 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1987 Umschlagfoto: Berndt Lang Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin Druck und Bindung: Ebner Ulm ISBN 3-453-00345-4
Der Sprung aus dem Fenster Im Zeichen des Krebses wurde ich 1943 geboren. Mein Vater war Diplom-Ingenieur, meine Mutter eine verwöhnte Tochter aus gutbürgerlichem Hause, also Hausfrau. Da war ich nun, mitten im Krieg, auf die Welt gesetzt, und es schien als bald, als sollte ich alle Unbill, die unserer Familie in dieser Zeit und den folgenden Nachkriegsjahren widerfuhr, auf meinen kindlichen Schultern austragen. Ich wurde zum Ge spött der anderen Kinder unserer Wohngegend und meiner Mitschüler, denn ich war spindeldürr, käseblaß und mußte Sommer wie Winter kurze Hosen tragen, dazuhin in der kälteren Jahreszeit lange Wollstrümpfe und Strapsgürtel. Meinen Haarschnitt verpaßte mir mein Vater mit der Papier-, die zugleich als Nagelschere diente. Es war wirklich eine gottserbärmlich arme Kindheit - erlebt in München-Neuhausen. Zwar bekam ich auch, wie andere Buben, zu Weihnachten einen Fußball, nur, der meinige war aus Stoffresten zusammengestückelt und mit Sägemehl gefüllt. Versuchte ich damit einen Elfmeter zu schießen, hieß das, daß diese >Gurke< prompt an einer Stelle aufplatzte und mir das Sägemehl um die Ohren flog. Schläge und Prügel waren zu Hause nahezu >mein tägliches Brot<. Bisweilen wurden dazu auch ein Kochlöffel oder das Rührholz des Waschbottichs benutzt. Nach solchen Strafaktionen sperrte ich mich immer ins Badezimmer ein und weinte bitterlich. Ich kühlte meine Blessuren unter dem Wasserhahn und spürte das ohnmächtige Gefühl, ein hilfloses Kind zu sein. So manches Mal wurden meine Eltern zur Schulleitung zitiert, wo man ihnen Vorhaltungen machte, daß ich, würde ich weiterhin derartig grün und blau geschlagen und dem Gelächter meiner Umgebung ausgesetzt, für mein ganzes Leben schwer gezeichnet sein würde. Nachdem ich eine Freundin meiner Schwester beim ge-
meinsamen Seilspringen der Mädchen zu Fall gebracht hatte, mußte ich, waren die Freundinnen meiner Schwester bei uns zu Besuch, auf scharfkantigen Holzscheiten knien, wobei mein Vater die ganze Schar anspornte, mich auszulachen. Klar schämte ich mich damals mit meinen neun Jahren ungeheuerlich. Und ganz, ganz langsam dämmerte etwas in mir auf, ein vages Gefühl zunächst, eine Empfindung, die ich nicht zu deuten vermochte. Und dennoch war es wie eine Verheißung, die meine kindliche, gedemütigte Seele stärkte. Mit jedem Lebensjahr wuchs dieses Gefühl mehr in mir und reifte schließlich zur Gewißheit. Und ich schwor mir, daß der Tag kommen wird, wo kein Mensch mich mehr auslacht, kein Mensch mich demütigen, mich niemand mehr schlagen wird. Mit vierzehn Jahren war ich mit der Volksschule fertig, und ich wollte weder meinen Lehrern noch meinen Eltern den Gefallen tun, in einen >höheren Bildungsgrad< einzusteigen, Ich begann eine Lehre in einem bekannten Münchner Schuhhaus, und zwar als Schaufensterdekorateur. Die Elvis -Presley- und Bill-Haley-Ära brach an, die Nachkriegsjugend begann, sich auszutoben. Nur ich durfte von zu Hause aus nicht mit dabeisein - eine Bluejeans wäre im übrigen mein Traum gewesen. So kam es denn, daß ich immer öfter vor dem Zubettgehen heimlich die Haus- und Wohnungsschlüssel vom Bord nahm und kurzerhand aus dem Fenster des ersten Stocks auf den Graswall darunter sprang. Ich wollte dabeisein, wollte das aufregende Nachtleben kennenlernen, und natürlich reizte mich, überstreng gehalten, wie ich war, das verruchte Viertel in der Bahnhofsgegend. Ich hatte auch eine irre Sehnsucht, mal ein Mädchen zu berühren, gar vielleicht- zu vernaschen. Ach, du meine Güte! Man stelle sich vor - ich in meiner Naivität und diesem total gebrems ten Selbstwertgefühl! Weshalb das vorerst mal nichts war, mit den Mädels. Aber zu sehen gab's massig und zu erleben. Oft kam es vor dem einen oder anderen der Lokale, die damals etwa >Rumba< oder >Bongo-< oder >Dolly-Bar< hießen und in denen bis -
weilen Paul Würges aufspielte oder die Musikboxen dudelten, zu einer Schlägerei. Für meine Begriffe geschah da ziemlich Schreckliches. Diese Schlägereien verliefen ungeheuerlich brutal. Die Kampfhähne kloppten einander den Kopf an den Randstein - immer und immer wieder. Es konnte vorkommen, daß eine riesige Lache von Blut die Straße entlanglief. Rippen-, Schädelbrüche, ausgekugelte Arme und wer weiß was sonst noch alles, das gab es jede Nacht ein paarmal. Messerstiche inklusive. Da habe ich gelernt - der Starke, der Brutale, der Totschläger wird gefürchtet und bei den Gleichgesinnten geachtet. Geld hatten diese Burschen immer. Es stammte aus Raubüberfällen, von Diebstählen, war durch sonstige Gangstereien zusammengebracht worden. Wieder einmal sprang ich des Nachts aus dem ersten Stock, nur war ich diesmal mit einem riesigen Küchenmesser bewaffnet. Ich lenkte meine Schritte spontan zu einem Park, der tagsüber den Erholungssuchenden angenehme Stunden spenden mochte. Aber nun war ich dorthin unterwegs, es war Nacht, und ich führte ein großes Messer bei mir. Mein erster Raub war also programmiert, das Opfer würde sich finden. Brauchte ich doch dringend Moneten, um in den Kneipen etwas bestellen, trinken zu können, mich dort aufzuhalten, wo es für mich interessant war. Es war eine wolkenverhangene, ungewöhnlich düstere Sommernacht. Lediglich vereinzelte Straßenlaternen spendeten dem schmalen Parkweg ihr gespenstisches Licht. Ich verbarg mich hinter einem Busch und lauschte. Ein Mann kam des Weges, mit Späherblick vermochte ich seine Silhouette gegen den Lichtschein einer der Laternen auszumachen. Ich war zu allem entschlossen. Mit einem Satz sprang ich hinter dem Busch hervor und stieß den Unbekannten auf eine nahe Parkbank. Ich setzte ihm das Messer an die Kehle und suchte in meiner Brust den tiefsten Ton. »Geld her - sonst steche ich zu!« Der etwa Fünfzigjährige verblüffte mich durch seine Ge faßtheit, die er trotz seiner spürbaren Angst erkennen ließ. Er
zeigte mir seine Monatskarte der Straßenbahn samt seinen Brotzeitstullen und erklärte: »Mehr habe ich nicht, ich bin auf dem Weg zur Nachtschicht.« Da war ich vielleicht platt. Wie ein Wiesel lief ich davon in die Nacht - ohne Beute. Nach Hause kam ich immer so gegen drei Uhr in der Früh, wobei ich auf Zehenspitzen zu meinem Zimmer schlich, nachdem ich die Schlüssel an ihren Platz zurückgehängt hatte. Für lange Zeit blieb es unentdeckt, daß ich nur mit ganz wenigen Stunden Schlaf zur Arbeit ging. Eines Tages holten mich zwei Mann der Kripo von meinem Arbeitsplatz, was zur Folge hatte, daß mir meine Lehrstelle aufgekündigt wurde. Mittels Prügeln und sonstigen Drohungen suchte man mich dazu zu bringen, die räuberische Erpressung an einem Bankdirektor zuzugeben, der mein Firmpate war. Das geschah, nachdem ich auf Aufforderung hin ahnungslos den betreffenden Erpresserbrief nachgemalt hatte. Anscheinend hatte ich dabei große künstlerische Begabung an den Tag gelegt, denn der Polizeigraphologe kam aufgrund des Schriftbildes zu der Überzeugung, ich sei der Hersteller des Originals gewesen. Die Beamten einschlägiger staatlicher Stellen und der Polizei berieten gemeinsam mit meiner Familie, ob man mich in ein Erziehungsheim stecken solle. Als ich das spitzbekam, gab es für mich nur eins - viel Geld mußte her, damit ich flüchten konnte, egal, wohin. Unter keinen Umständen wollte ich in ein Erziehungsheim eingewiesen werden. Es galt, sofort zu handeln. Die falschen Verdächtigungen erweckten Haß und Zorn in mir. Also erpreßte ich den Bankdirektor schließlich tatsächlich, nur in einer anderen Variante, nämlich telefonisch. Zwanzigtausend Mark, die hätte ich gern von ihm gehabt, aber selbstverständlich wurde ich bei der Geldübergabe gefaßt. Nun sah es der mit dem Fall betraute Jugendrichter erst recht als bewiesen an, daß ich das erstemal ebenfalls der Übeltäter war. Meiner Überstellung in ein Erziehungsheim stand nun nichts mehr im Wege. Und, was soll ich sagen? Da traf ich
doch viele der Gesichter, jene Gangster, Schläger, Streuner u. a. wieder, die mir aus den Kneipen bekannt waren. Man war also unter sich, und das machte die Sache etwas leichter. Im übrigen bekam ich wegen der vermeintlichen Doppelerpressung meine ersten vier Wochen Gefängnis aufgebrummt. In Gesellschaft der Knackis, der >stärker Kriminalisierten< lernte ich sodann abermals einiges dazu. Doch- ich hatte noch immer nicht mit einem Mädchen geschlafen, das machte mich ganz verrückt! Natürlich wichste ich in dem Erziehungsheim (späterhin auch im Gefängnis) auf Teufel komm raus. Wie es schien, hatte mich der Heimgeistliche dabei beobachtet, und für mich ergab sich wieder einmal eine Situation, die mir tödlichblamabel erscheinen wollte. Der betreffende Pfarrer nämlich rief mich vor versammelter Gruppe zu sich und befragte mich: »Hast du heute gewichst?« Ich erwiderte: »Nein!« Peng! Schon traf mich ein Hieb, und dies ungeheuer hart. So hart, daß ich bewußtlos umfiel. Mit einem Eimer voll Wasser wurde ich wieder ins Leben zurückgerufen. »Hast du gewichst??« »Nein.« Peng! Wiederum wurde mir ein fürchterlicher Schlag verpaßt, diesmal mit dem Handballen. Ich taumelte abermals und betete für mich: »Berndt, nicht wieder umfallen, ja nicht mehr umfallen. Nicht noch einmal die schlimme Schmach erleben müssen, am Boden zu liegen.« »Hast du gewichst?« kam aufs neue die Frage. Ich überlegte nun nicht mehr auch nur den Bruchteil einer Sekunde, gestand statt dessen vor geschlossener Mannschaft: »Ja.« Welch perversen Genuß mußte es diesem Seelsorger bereiten, derartig in meine Intimsphäre eingedrungen zu sein, dieses Eingeständnis aus mir herausgeprügelt zu haben! Diese Demütigung, die noch dazuhin vor meinen Kameraden erfolgt war, heizte meine Gedanken und Fantasien vollends an. Ganz fest nahm ich mir vor, daß, wenn der Tag ge-
kommen sein würde, da ich groß und stark wäre, mich kein Mensch auf der Welt mehr umhauen würde. Meine Gedanken verfinsterten sich immer mehr, ich haßte nun so langsam die Brutalität der Menschen und die Demütigungen, die sie mir zufügten. >Mit mir macht ihr das nicht mehr lange<, so gärte es in mir. Ich züchtete förmlich Killer-Ambitionen in mir heran, gedachte, alles und jeden an Brutalität zu schlagen. Mit dem Gesellenbrief des Dekorations- und Kirchenmalers wurde ich nach drei Jahren Heimaufenthalt in die goldene Freiheit entlassen. Meine Eltern wollten mich nicht mehr (hatten sie mich je gewollt?). Ein paar Wochen arbeitete ich als Maler und Anstreicher, sodann überredeten sie mich, freiwillig zwei Jahre zum Militär zu gehen. Achtzehnjährig wurde ich 1961 zur Luftwaffe eingezogen und der RadarFlugsicherung zugeteilt. Und da ging es so langsam los! Nach den täglichen Dienstzeiten fühlte ich mich irgendwie frei - erwachsen, gewappnet, dem Leben fest und stolz entgegenzutreten. Ich begann, meinen kräftigen Körper kennenzulernen, war bei allen physischen Leistungsbeweisen ausdauernder als viele meiner Kameraden. Ich fing an, diese Mischung aus Intelligenz, Kraft und gutem Aussehen, die mir mitgegeben worden war, bei meiner Umgebung auszuspielen. Auszuspielen wie ein teuflisches As im Ärmel. Ich maß mich bei Schlägereien mit Fallschirmspringern einer nahe gelegenen Garnisonsstadt. Hemmungslos, skrupellos, brutal und ohne Warnung schlug ich mit Eisenfäusten zu. Und siehe da, in meiner Kaserne war ich recht bald im Gespräch, um nicht zu sagen: gefürchtet. Ab und zu gab es für mein haltloses Treiben Strafwache, Urlaubsund Ausgehverbot. Tja, auch im kleinen Städtchen Lindau war man recht bald informiert, daß mit mir nicht gut Kirschen essen war. Nach ein paar Wirtshauskeilereien hatte ich, für jedermann unmißverständlich, die Rangordnung hergestellt. Schließ-
lich mußte ich dann die damals härteste Strafe beim Militär 21 Tage Haft - absolvieren. Aber, was kümmerte mich das! Für mich stand zu diesem Zeitpunkt fest: Berndt, du wirst ja sowieso nie und nimmer die sogenannte normale Gesellschaftsform mitmachen. Mittlerweile schien es das Allernormalste der Welt zu sein, daß mein Sexualleben >rauschende Ballnächte< feierte. Viele Mädchen machten mir schöne Augen. Und so habe ich - wo ich ging und stand - alle nur willigen Mädels umgelegt und gefickt. An Hauswände und Bäume gestellt, in Häuschen von Bushaltestellen, ja sogar in abgestellten Eisenbahnwaggons. In Parks und nächtens auf menschenleerer Straße. Der Schnee peitschte mir im Winter um den Arsch - aber egal Hauptsache - ficken! Meine Potenz war außer Rand und Band geraten. Schon in aller Frühe, nach dem Wecken, nahm ich die Seifenschale in die Hand, das Handtuch dazu und trug meinen steifen Pimmel zum Waschraum. Ich genoß es ungeheuerlich, den weiblichen Körper kennenzulernen, hatte ich damit doch allzu lange nur in meiner Fantasie umgehen dürfen. Auf ein Mädel war ich besonders geil, hatte ich eigentlich immer Lust. Die Kleine sollte später meine Frau werden. Ja, und schließlich lehrte mich die ordentliche, brave Gesellschaft die Vaterlandsverteidigung, den Umgang mit Waffen, das Töten bei Bedarf. Mit diesen Kenntnissen versehen ging ich 1963 als Gefreiter und Reservist wieder ins Zivilleben zurück. Von engen Verwandten mütterlicherseits wurde ich nach Westfalen gerufen, ich sollte von der sogenannten >Pike< auf lernen, mal eine große Fabrik zu leiten. Es handelte sich um ein Marmor- und Edelputzwerk. Ich verlud täglich an die 20 Tonnen Gestein oder Zement oder Kunststoff-Fässer. Durch diese Tätigkeit kam es, daß ich vollends vor Kraft strotzte. Die süße Zuckermaus kam mir aus Lindau nachgereist, und, wie es oft so geht, schwängerte ich sie aus Versehen. Scheiße, dachte ich bei mir, und das Kraut wurde vollends fett, als mich die Verwandtschaft zur Hochzeit drängte. Du mußt ein Ehrenmann sein - und so weiter. O.K., ich ließ mich
überreden, mir war aber wirklich nicht wohl in meiner Haut. Es sollte sich dann auch alsbald herausstellen, daß die Sache mit der Fabrikübernahme ein glatter Reinfall war. Mein Onkel verweigerte mir eine schlichte Gehaltserhöhung, und so langsam erhärtete sich mein Verdacht, daß ich lediglich als fleißiges Arbeitstier zu billigem Familientarif herbeigeholt worden war. Da fackelte ich nicht lange und hakte dieses Thema ab. Wieder in München gelandet, überprüfte und überwachte ich meine beschissene Situation. Eben einundzwanzig Jahre alt, verheiratet, und so ein Schreihals unterwegs. Diese Lebensumstände waren sicherlich nicht gerade maßgeschneidert für mich. Ich arbeitete sodann als Dekorateur in einem Münchner Pelzhaus. Nach der Arbeit war ich ganz hübsch damit beschäftigt, das mir Eingebrockte auszulöffeln. Mit dem mittlerweile geborenen Töchterchen und der Ehefrau teilte ich nun ein dreißig Quadratmeter großes Apartment. Auf kleinstem Raum zu leben, zu schlafen, zu essen - dazu dieses herzerfrischende Babygeschrei, all das zerrte an meinen Nerven. In mir tickte förmlich eine Zeitbombe. Wie lange dies wohl gutgehen würde? Ich wechselte meinen Arbeitsplatz und war dann Chefdekorateur in einem anderen Pelzgeschäft. Nachdem diese Branche überwiegend in den Händen jüdischer Geschäftsleute ist, lernte ich viele von diesen kennen. Mancher jüdische Gastronom und Nachtlokalbesitzer ließ sich von mir seinen >Laden< umbauen oder renovieren, das waren für mich gute Nebenverdienste. Auf diese Weise kam ich mit dem Nachtleben wieder intensiv zusammen, lernte so manche Barmiezen, Stripperinnen oder sonstige Blüten der Nacht kennen. Nun ja, das ist es, so dachte ich bei mir, und die Nacht hatte mich wieder. Was vorauszusehen gewesen war, traf prompt ein, mich interessierte keine Ehefrau mehr und auch kein Töchterchen. Die Scheidung lief, und die Familie samt Apartment löste sich in Luft auf. Aber es war nicht alles so goldig, wie es glänzte, denn die
meisten Damen der Nacht wollten nur ein paar Runden mit mir bumsen und legten mich dann zu ihren Akten. Au weia ein soziales Abgleiten ins Pennermilieu war eingeläutet.
Bahnhofsverbot und Postlerheim »Stehen's auf, wie hätt' mir's da...« Diese Worte und immer wieder Tritte gegen meine Schuhsohlen weckten mich. Ich lag so herrlich warm in einem Untergrundschacht des Münchner Hauptbahnhofes. Da gab es Duschkabinen und Toiletten für die Rangierer, Heizer und Putzfrauen - und an diesem Ort lag ich nun am Boden, was sich im wahrsten Sinne des Wortes auf mein ganzes Ich münzen ließ. Ich war müde, durchgefroren und durchnäßt von der kalten Frühjahrsnacht. Es war das einzige gewesen, was mir in meinem trostlosen Dasein zum Übernachten eingefallen war. Ich kannte die >Katakomben< des Hauptbahnhofes aus der Zeit, als ich noch arbeitete. Hatte ich doch damals als Maler die Bahnhofshallen frisch geweißelt. Ums Verrecken wäre ich nicht heim zu meinen Eltern gegangen, denn deren Beschimpfungen und all das Rumnörgeln hätten mir das schöne warme Bett vermiest, das sie zu bieten hatten. Wer ist denn das schon wieder, der mich aus meinem Schlummer reißt? So dachte ich und schaute hoch. Leck mich am Arsch - die Bahnhofspolizei und gleich drei Mann hoch! Oje ~ machte ich innerlich und rappelte mich auf. Ich mußte meinen Ausweis zeigen und mitkommen. Auf dem Bahnhofsrevier wälzte einer der Bullen ein dickes Buch, und siehe da, er stellte fest, daß ich schon zweimal in ähnlicher Situation verwarnt worden war. Er setzte sich an die Schreibmaschine und tippte ein paar schlaue Sätze, die ich unterschreiben mußte. Dazu hob er den Zeigefinger und teilte mir mit, daß das nun ein schriftliches Hausverbot sei, welches für das ganze Bahnhofsgelände gelte. Ich war aber noch so schlaftrunken, dazuhin so hungrig und erschöpft, daß ich mit diesem Beamten keine
Kommunikation betrieb, auch gar nicht wollte. Als ich dann schließlich mit diesem sozialen Verweis von dannen zog, war es so um die Mittagszeit eines stinknormalen Werktages. Es herrschte ein regnerisches Tau weiter. Viele Menschen, einem aufgescheuchten Ameisenhaufen gleich, huschten durch die Innenstadt. Aber ich nahm sie nicht richtig wahr. Ein fahles Gefühl begann in mir hochzukriechen, nicht zuletzt auch spürte ich die klamme Kälte meiner dünnen, nassen und verdreckten Klamotten. In meiner Magengegend herrschte Leere. Der Hunger meldete sich also überdies. Ich stellte mich in eine Geschäftspassage und betrachtete mich in einer Schaufensterscheibe. Mein lieber Schwan - das Ganze ergab das Spiegelbild eines jungen Menschen, dessen Leben gerade erst so richtig beginnt, den man aber - rein optisch gesehen - bereits wegschmeißen konnte. Es war also an der Zeit, die Sache sofort zu überdenken. Wie sollte es mit mir weitergehen? Zum Überlegen begab ich mich ins geheizte Post- und Telegraphenamt und setzte mich dort auf eine Bank. Ich rauchte genußvoll ein Zigarettchen und zählte meine Barschaft. Als ich mein gesamtes Vermögen in der Hand hielt, dämmerte mir, wie nahe ich vor dem Ende stand. Es reichte nicht einmal mehr für eine Schachtel Zigaretten. Wie soll's nur mit dir weitergehen, mein Lieber? So fragte ich mich. Ich rieb mir die Augen und fuhr mir mit der Hand übers Kinn. Tagelang nicht rasiert! Ich wog in Gedanken die Fakten ab und kam zu dem Schluß, ein großes kriminelles Ding will ich nicht drehen. Blieb also nur mein Wissen um, meine Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Um aber Schlag bei den Damen zu haben, mußte ich vom Äußeren her ansprechend wirken, also auch sauber sein, gepflegt und dazuhin schick gekleidet. Ja, so lief's. Nun mußte ich also noch einmal den Bahnhof betreten, was kümmerte mich das Hausverbot. In den Waschräumen gab's nämlich Rasierautomaten, die beim Einwurf von fünfzig Pfennigen funktionierten. Außerdem bekam man für einen bestimmten Betrag Seife und Handtuch. Ich wusch und rasierte mich. Was einen Kamm betraf, den
nannte ich noch stolz mein eigen. So richtig durchgestylt flitzte ich schließlich an der Wartefrau vorbei - deren Tellerchen auf dem Tisch blieb leer. Sie konnte sowieso froh sein, daß sie ihre letzten Zehnerl schon eingestrichen hatte, sonst hätte ich mir die paar Groschen mitgenommen. Raus aus dem Bahnhof - und schon war ich wieder besser gelaunt. Nur die Sache mit dem Hunger war noch nicht geregelt, aber das sollte jetzt gleich drankommen. Zielstrebig begab ich mich, nicht weit vom Bahnhof entfernt, in eine Festbierhalle. Ich setzte mich an den ersten Tisch am Eingang und bestellte etwas, das ich gern gegessen hätte. Aber mir war klar, daß ich leider nie in den Genuß der fürstlichen Speisung gelangen würde, denn ich hatte ja etwas anderes im Sinn. Bis die Bedienung mit dem Bier und dem Menü ankam, war ich in der Zwischenzeit mit dem Körbchen voller Brötchen abgedampft. Ich würgte die trockenen Dinger rein, der Magen war beruhigt. Überhaupt, es ging mir rundherum besser, und ich begann, mich regelrecht wohl zu fühlen. So Berndt, sagte ich mir, jetzt brauchst du nur noch ein paar gute Klamotten. Gesagt, gedacht, getan - in der Sonnenstraße, in Stachusnähe, standen damals solch niedrige Behelfsbauten, in denen zumeist Juden saloppe Oberbekleidung verkauften. Ich sah durch die Schaufenster eines dieser Geschäfte. Darin waren zwei Verkäuferinnen mit Kunden beschäftigt. Das bewog mich, den Laden zu betreten. Ich äußerte ganz freundlich-bestimmt und lässig meine Wünsche, ließ mir sodann die entsprechenden Bekleidungsstücke in die Umkleidekabine reichen. Nach einem bißchen Hin und Her behielt ich das Passendste und meiner Meinung nach auch Kleidsamste an. Ich trug frische Socken, eine neue Cordhose samt T-Shirt sowie eine neue wattierte Windjacke am Leib; und weiße Turnschuhe hatten sie auch noch für mich. So war ich nun von Kopf bis Fuß neu eingekleidet. Die Verkäuferin fragte mich, ob sie die Dinge verpacken solle, oder ob ich alles gleich anlasse? »Ach - ich lasse sie an«, antwortete ich - Kamm, Ausweis und mein Kleingeld kramte
ich aus den Taschen meiner alten Sachen und rollte das ganze Zeug zusammen. »Ich bedanke mich für Ihren Einkauf«, sagte freundlich die Verkäuferin und deutete mit einer Geste hin zur Kasse. Vorsichtshalber sprach sie es auch noch aus: »Da vorne ist die Kasse, mein Herr.« Hahaha - da vorne ist die Kasse, ja die Alte hat vielleicht Nerven, dachte ich - und mit einem tierischen Satz war ich aus dem Laden draußen, als wäre der Teufel hinter mir her. Ich hörte nicht, was hinter mir passierte, so schnell war ich weg; vielleicht wäre dies ein neuer l000-Meter-Rekord gewesen. Ich lief durch ein paar Seitenstraßen, um die Spur zu verwischen, im Falle, daß man mich verfolgte. Tja, so änderte sich für mich die Situation innerhalb weniger Stunden. War ich mittags noch ein Penner gewesen, konnte ich jetzt mein Glück als Gigolo versuchen. Überdies traf ich einen nicht minder liederlichen Burschen, als ich dies war, der mir ein paar Biere spendierte, und eine Schachtel Zigaretten konnte ich ihm auch noch abbetteln. Somit konnte ich die Zeit überbrücken, bis die Disco, die ich ins Auge gefaßt hatte, aufmachte und sich so langsam mit Gästen füllte. >Playboy< hieß der Laden auf der Sonnenstraße, bei dem es treppabwärts ging. Dieses Lokal sollte heute mein Jagdrevier sein. Ich sah mich ein bisserl in diesem verhältnismäßig großen Lokal um, schätzte Möglichkeiten und Chancen ab, was da für mich am besten aufzureißen wäre. Dann setzte ich mich an einen Tisch zu zwei netten Mädchen und flirtete auf Teufel komm raus. Mal mit der einen, mal mit der anderen; mein Überschmäh war schier grenzenlos. Unvermittelt fragte ich sie, ob sie mir ein Bier ausgeben würden oder auch zwei. Weil ich mir gerade neue Klamotten gekauft hätte, sei mir das Geld ausgegangen - und so. Ich bekam von jeder ein Küßchen und war eingeladen. Ich tanzte abwechselnd mit den Girls und war drum und dran, das ganz schnelle und große Feuer zu legen, welches ein Herz zu entflammen imstande ist. In jedem Falle schien die eine schon mal recht willig für alles zu sein.
Ich flüsterte ihr ins Ohr, ob wir später zu ihr gehen könnten, ob das technisch möglich wäre - ob sie alleine wohne? »Ja, wir könnten schon zu ihr gehen«, erwiderte sie, nur müßten wir recht leise sein, weil sie in einem Mädchen-Heim des Fernmeldeamtes wohne. Mein Gott, war ich froh, dies zu vernehmen, denn somit war diese Nacht schon mal gerettet. Und obendrein bekam ich noch eine geile Maus ins Bett. Ich wollte mir eine Schlafstelle anlachen, es war mir gelungen. Aus Dankbarkeit streichelte ich ihr unterm Tisch schon mal ganz zärtlich die Innenseite ihrer Schenkel. Sie konnte ja nicht ahnen, daß ich mich mehr auf ihr Bett freute als auf sie selbst. Und nun merkte ich, daß die andere eifersüchtig auf unser Geplänkel war. Auf diese Weise wurde mir bestätigt, daß ich auch für dieses Mädel ein recht willkommenes Spielzeug war. So um Mitternacht brachen wir auf, weil die beiden ganz früh zur Arbeit mußten. Wir konnten zu Fuß gehen, denn es war nicht weit zu dem Heim. Wir standen schließlich vor einem großen alten Haus, es war abgesperrt. Und ich dachte schon, daß da vielleicht aus moralischen Gründen ein Portier oder etwas Ähnliches zu überwinden wäre - dem war aber nicht so. Paßt schon dachte ich bei mir. Es führten breite Holztreppen hinauf. Das eine Mädchen verschwand im ersten Stock, wünschte uns linkisch eine gute Nacht. Es wohnten so ungefähr fünfzehn Mädels in dem Bau, erfuhr ich. Mittlerweile waren wir im dritten Stockwerk angekommen. Als meine Begleiterin ihr Zimmer aufsperrte, trat ich in ein recht großes Altbauzimmer - viel Platz war da. Aber ich schielte gleich auf das recht geräumige Bett. Nun folgte ein echter sogenannter Dankbarkeits-Beischlaf. Ich gab mir innige Mühe, dieses Mädchen nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen. Außerdem hatte ich, als ich ihr genüßlich beim Entkleiden zusah, große Lust auf diese zierliche, aber doch recht knackige etwa Neunzehnjährige bekommen. Ihre langen, dunklen Haare wallten seidig über das blütenweiße Kissen. Ich küßte und leckte ihr zunächst den ganzen Körper, in der Mitte verharrte ich. Zaghaft spreizte sie ihre
Beine, löste sich dann aber langsam in ihrer Lust. Krallte sich an meinen Schultern ein und drückte mir ihren Schoß entgegen - bis zu einem spitzen Aufschrei. Ich fiel in einen totenähnlichen Schlaf. Marianne hieß sie, und sie stand am frühen Nachmittag an meinem Bett. Gerade von der Arbeit gekommen, hatte sie mich mit einem Küßchen geweckt. So lange hatte ich geschlafen! Ich fühlte mich wie neugeboren. Marianne hatte mir Zigaretten mitgebracht und eine ausgiebige Brotzeit, die ich förmlich verschlang. Natürlich bildete ein Schäferstündchen das Dessert. So turtelten wir ein paar Wochen rum, der Frühling war warm und schön geworden. Zwischenzeitlich aber bumste ich mich durch das ganze Haus, je nachdem die Tagesoder Nachtschicht gerade frei hatte. An den jeweiligen Zahltagen gab mir jede meiner Geliebten ein paar Hunderter, so ließ es sich ganz angenehm leben. An einem schönen Maientag machte ich mich mit vier Mädels des Postlerheimes zum Picknick an einem verträumten Plätzchen der Isarauen auf. Nun wurde der Tisch in Mutter Natur gedeckt, das Isarwasser aber war noch zu kalt zum Baden. Verstohlen flirtete ich mal mit der einen, mal mit der anderen, es war ja bekannt, daß ich mit Marianne ein Verhältnis hatte. Aber jede der anderen drei nahm für sich in Anspruch, mich zu lieben. Das amüsierte mich natürlich - und ich lernte auch gleich fürs Leben, daß Frauen höchst talentierte Schauspielerinnen sind, wenn es darum geht, eine Liebschaft zu vertuschen. Natürlich kam der Tag, da dieses mein Treiben nicht länger unentdeckt blieb, aber bis dato hatte ich schon das ganze Postlerheim abgegrast, was Betten und Lohntüten betraf. Ich wollte aber nicht wieder auf der Straße stehen und schon gar nicht mehr im Bahnhof übernachten. So probierst du es mal mit ein paar Runden Arbeit - dachte ich
mir. Ich suchte mir aus einer Tageszeitung einen Job - die gleichfalls angebotene >Wohnmöglichkeit< hatte es mir angetan. Ein neuer Abschnitt meines Lebens war angesagt.
Gina macht mich zum Zuhälter Es war die Zeit, als ich für einen großen Lesering Kunden warb, die Klingeln und Türklinken putzte. Mal schrieb ich einwandfreie Aufträge, mal waren es getürkte Abschlüsse mir wurde klar, dies ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Aber ich hatte zur Stunde noch keine Alternative hierfür. Es hielt mich sowieso nicht zu Hause, in meinem dürftig eingerichteten, möblierten Zimmer, schon gar nicht am Wochenende. An dem betreffenden Abend besuchte ich alle möglichen Lokale. Ich war immer auf der Suche nach irgend etwas, ohne eigentlich zu wissen, was ich suchte. Schließlich führte mich mein Weg in eine Kneipe, die bis drei Uhr früh geöffnet hat - ich wußte, da verkehrt alles, nur keine Pfarrgemeinde. Es war so kurz vor Mitternacht, der Zigarettenqualm hatte schon längst über die Belüftung gesiegt. Viele Mädels in knallengen, superkurzen Mini-Röcken schmückten die Palette - es war schwer auszumachen, welche Maus zu wem gehörte. Es waren Rock and Roll-Mädchen. Friseurlehrlinge? Gut verdienende Hürchen? Die Jungs hatte ich schon öfters auch woanders gesehen, würde aber drauf wetten, daß diese alle nicht mit der Arbeit verheiratet waren. Das Lokal war groß, es war voll, doch war vereinzelt noch, oder schon wieder, da und dort ein Tisch frei. An einem freien Vier-Personen-Tisch nahm ich Platz, bestellte ein Bier. Besah mir die Szenerie, beobachtete und nahm alles um mich herum auf. Wo die Jungs nur die guten Weiber her haben? ging es mir durch den Sinn. Die eine mit den langen Beinen war schon ein geiles Luder, tanzte aufreizend, benahm sich vulgär.
Wir flirteten mittels Augenkontakt über eine Sechs-MeterDistanz, doch sie saß unterdessen auf einem anderen Schoß, hielt so ein Stiergenick fest umschlungen. Naja, dachte ich, der Tag ist ja noch nicht zu Ende, bevor nicht der Morgen graut. Irgend etwas wirst du schon zum Bumsen aufreißen. Ich fühlte mich pudelwohl, gepflegt, adrett gekleidet - und war mir meiner recht sicher. Nur mit dem Nachbestellen meiner Bierchen haperte es, denn ich hatte, wie immer, wenig Geld einstecken. Ich drehte mich nach der Bedienung um - eins geht schon noch, dachte ich. Mich durchfuhr es wie ein Blitz, was ich da zu sehen bekam. Hinter mir, drei Tische weiter, saß an einem kleinen Tisch eine wunderschöne Frau, und zwar alleine. Ich war von ihrem Äußeren so beeindruckt, daß ich sie nahezu wie gelähmt anstarrte. Wie die Maus, die vor einer Schlange hockt, möchte ich fast sagen. Eine solch bezaubernde Frau hatte ich wohl noch nie gesehen - in meinem ganzen Leben noch nicht. Schwarze, lange Haare, zum Pferdeschwanz gebunden, über die Schultern nach vorne gelegt, wallten über ihren prächtigen Busen. Aus ihrem Schwanenhals wuchs ein edel geformter Kopf; sie besaß ein Gesicht, das das der Aphrodite oder Nofretete in den Schatten gestellt hätte. Die Unbekannte trug ein weißes Kostüm, der tiefe Ausschnitt des Jäckchens gab die Ansätze einer traumhaften Oberweite frei. Ihr sonnengebräunter Teint, die großen Kulleraugen, die vollen Lippen und dieses blauschwarze Haar - danach hätte man bei ihr leicht auf eine Südländerin schließen können. Hätte sie nicht in einem süßen Bayerisch noch einen Underberg bestellt. Sie mußte wohl schon etwas länger dort gesessen haben, denn es waren fünf kleine Magenbitter-Flaschen auf dem Tisch aufgereiht. Auf ihrem leicht getönten Dekollete glitzerten herrliche Juwelen, ebenso an ihren grazilen Armen und Fingern. Selbstverständlich rückte ich meinen Stuhl so zurecht, daß
ich eine günstigere Position einnahm, um dieses schöne Menschenkind besser betrachten zu können. Ich wagte fast nicht, der jungen Frau ins Gesicht zu schauen, ich wollte kein >Gaffer< sein. Dieses total edle Wesen, es mochte nach meiner Schätzung so um die zwanzig herum sein, war sichtlich nervös, vielleicht auch leicht alkoholisiert. Denkbar war es - nach den aufgereihten Fläschchen. Ich weiß nicht mehr, was mir durch den Sinn ging. Es gab auch keine Zeit zum Nachdenken. Galt es doch, diese Frau in ihrer Schönheit mit Haut und Haaren aufzunehmen. Ich sah ihr schließlich ins Gesicht, unsere Blicke trafen sich. Uii, leck mich am Arsch, sie schaut mich doch tatsächlich an! Vorsichtshalber drehte ich mich um, vielleicht meinte sie doch jemanden anderen. Nein, sie meinte mich, musterte mich interessiert, lächelte gar geheimnisvoll. In diesem Moment dachte ich bei mir: >Mein lieber Schwan, eine solche Alte aufzureißen, sein eigen zu nennen... so ein Glück müßte man haben.< Mir schlug das Herz bis zum Halse, wie man so schön sagt. Ich dachte, ich sehe nicht recht, die Übermaus nickte mir zu und winkte mich einladend zu sich. Nach einer Schrecksekunde - man mag mir mein Erstaunen angesehen haben setzte ich mein geübtes Lächeln auf. Ich ging an ihren Tisch und rasselte sofort meinen >Sonntagsschmäh< herunter. »Hallo - wie geht's, du siehst gut aus, wo steht dein Bett...?« Und so weiter. »Setz dich doch«, sagte sie, »ich heiße Gina und du?« Ich war noch immer verdattert und hatte meine liebe Mühe, mir dies nicht anmerken zu lassen. Im Unterbewußtsein fragte ich mich, wieso gerade ich das Glück hatte, den größten >Schuß< hier im Lokal aufzureißen. Anscheinend war ich so verblendet, daß ich gar nicht registrierte, wie sie dabei war, mich aufzureißen. Ungeachtet dessen kam jetzt etwas, das mir im Leben noch nie passiert war, was ich im Leben noch nie gehört hatte. Ohne Umschweife umklammerte sie zart meine beiden
Handgelenke, sah mich mit ihren geheimnisvollen, großen Augen an und bat um meine Aufmerksamkeit. Sie neigte sich näher zu mir, und ein bezaubernder Duft erreichte meine Riechnerven. Ich sah sie nur an und dachte, mein Gott, bist du schön, Gina. Und dann begann sie, mit einer melodiösen Stimme zu sprechen, und was sie sagte, kam Engelsgesang gleich - ich werde diese Worte im Leben nie vergessen. »Berndt, wenn du lieb bist zu mir, kriegst du von mir alles du bekommst einen Jaguar (damals war das lange Cabrio - E Typ - das Traumauto für jedermann), du bekommst Pelze, Schmuck, egal, wieviel Karat. Du bekommst alles von mir nur mußt du lieb sein zu mir. Du darfst mich nicht schlagen, hörst du?« Immerhin war ich geneigt, zu denken, ob ihr nicht vielleicht der Alkohol ein Schnippchen schlug. »Bestelle dir, was du trinken willst - ich lade dich ein«, sagte sie. Ich orderte eine Whisky-Cola - und nun mußte ich erst mal mit meinem Glück fertig werden. Natürlich war sie sehr von sich überzeugt, denn es kam ihr gar nicht in den Sinn, zu zweifeln, ob ich überhaupt dazu bereit war, ihr Angebot anzunehmen. Aber welche Frage - und ausgerechnet bei einem Typen wie mir! Absolut zielsicher hatte sie Amors Pfeile abgeschossen, denn ich war tatsächlich schon allein ihrem Äußeren erlegen. Nun kam noch dieser ihr Spruch dazu, also war das Kraut rundherum fett. Nach ein paar Getränken zahlte sie alles, auch das, was ich zuvor verkonsumiert hatte. Sie hatte ein Geldbündel lose in ihrer Christian Dior-Tasche stecken, es waren mehrere zerknüllte Hunderter. Hm... - sollten nun meine Armut, meine Geldlosigkeit ihr Ende haben?... Meine Gefühle waren geteilter Natur - zum ersten die Riesen-Alte, zum zweiten, was mich nun in Zukunft erwarten würde. Wir fuhren zu ihr heim, der Taxi-Stand war direkt vor dem
Lokal. Als wir bei ihr zu Hause angekommen waren, registrierte ich erstmals ihre Körpergröße und all das, was ich beim Sitzen hatte nicht beäugen können. Sie war nicht sehr groß - ungefähr so um die einsfünfundsechzig. Aber dafür war sie wohlproportioniert. Elegante, sehr hohe Stöckelschuhe verhalfen ihr zu einem erotisch wiegenden Gang. Ich sah mich ein bißchen in ihrer Wohnung um, sie öffnete ganz fachmännisch eine Flasche Champagner. »Du weißt, was ich mache?« fragte sie und meinte wohl ihren Job damit. »Ja, ich kann's mir denken«, gab ich zur Antwort. »Ich arbeite im IMEX-Haus«, womit sie das damalige Münchner Puff meinte. »Heute habe ich blaugemacht, weil mich alles ankotzt«, sprach sie weiter. »Und warum ist so eine Zuckermaus alleine?« wollte ich wissen. »Ich habe mich von meinem Alten getrennt, der Drecksack fickt doch nur laufend fremd«, sagte sie. Sein Foto stand auf dem Nachttisch, in einem hübschen Silberrahmen. Ich kannte diesen Typen, ich hatte ihn schon öfters irgendwo gesehen. »Wer ist das?« fragte ich. »Der Kölner-Olaf«, antwortete sie desinteressiert. Das Foto in Kombination mit einer solchen Namensbezeichnung ließ mich meine Gefahren-Witterungs-Antenne ausfahren. Ich war für ein paar Momente damit beschäftigt, meine Situation einzuschätzen, abzuwägen. Aber: Ich trank Champagner mit einer schönen Frau, die Geld besaß, meine Risikobereitschaft nahm merklich zu. Ja, ich war bereit, mich in Zuhälter-Angelegenheiten einzumischen. Die Zündschnur hierzu war in Brand gesetzt. Das mit der Verhältnismäßigkeit ging für mich in Ordnung, komme, was da wolle. Die ganze Stimmung, die Frau, die Wohnung mit dem Feinsten eingerichtet, waren dazu angetan, mir alles zu versüßen - doch ich war realistisch genug, daran zu denken, daß jederzeit der Kölner-Olaf kommen konnte.
Er kam nicht - der Beischlaf mit dieser Schönen war von meiner Unruhe überschattet. Am nächsten Tag gingen wir gepflegt essen, und wir sprachen uns beide alles von der Seele, was es zu bereden gab. O. K. - gebongt, ich hatte nun meine erste Partie. Wir kamen überein, daß ich, vorläufig noch, in meinem Apartment wohnen blieb, ihr aber jederzeit zur Verfügung stand. In den darauffolgenden Tagen kam zwar alles etwas anders wie zunächst besprochen, aber mein Aufschwung war erkennbar. Sie kaufte mir einen alten, aber sehr gepflegten Opel-Kapitän - ein enormes Schiff, was Blech und Motor anbelangte. Meine Hauptaufgabe bestand darin, daß ich ihren Pudel >Gassi< führen und für den gesamten dritten Stock des Imex-Hauses öfters Fleischpflanzerl braten mußte (weil ich dies als besondere Spezialität beherrschte). Aufgrund dessen aber hatte ich >milieubedingten< Zugang zum Imex-Haus. Ich war nun Zugehöriger der >Zunft<. Als mir Gina auftrug, ihr Puffzimmer frisch zu weißein, kam ein Sprung in die Schüssel, ich weigerte mich. Wollte ich doch Weltmeister werden und nicht Hausmeister. Gina war wirklich eine liebe Maus, nur war sie ganz sicher nicht psychisch mit ihrem Job zurechtgekommen. Sie war nach sechs Jahren Anschaffen regelrecht fertig mit der Welt. Sie nahm volle Hände von Aufputschtabletten, im fliegenden Wechsel dazu auch gleich eine Handvoll Schlaftabletten. Das Ganze wurde mit Whisky und Underberg runtergespült - ihr Kreislauf war völlig durcheinander. Ganz zu schweigen von ihrem nervösen Verhalten; auch wirkte sie häufig der Wirklichkeit entrückt. Haha, Pelze gab's auch nicht für mich - war es ja Sommerzeit. Jeden Abend trafen wir uns, besser gesagt, nachts um zwei, im >Pferdestall<. So hieß das Lokal im Münchner Herzen, das vornehmlich von gutem Publikum besucht wurde. Vier Musikanten spielten Wiener-Musik, manchmal auch ungarische und Zigeunerweisen. Um jede einzelne Gästebox herum waren Blumenkästen mit echten Geranien als Umran-
dung angebracht. Normalerweise wäre dies nicht sonderlich erwähnenswert, aber in unserem Falle kam diesen Blumenkästen eine besondere Bedeutung zu. Gina gab mir täglich in diesem Lokal exakt dreihundert Mark in die Hand. Für mich sozusagen. Aber dann entwickelte sich ein Spielchen, welches sich jeden Tag haargenau wiederholte: Wir aßen und tranken, anschließend wollte Gina immer Sekt. So geschah es. Nur - mir war dieses Getränk zuwider, ich nippte lediglich ab und zu an meinem Glas. Gina bestellte im Laufe der Nacht immer mehr Sekt, auch wenn sie diesen nicht mehr trinken konnte. Sie achtete darauf, daß wir genau zweihundert Mark Zeche hatten. Den nicht getrunkenen Sekt goß sie in die Geranien. Ihr Trachten war es nämlich, daß mir bloß der eine Hunderter blieb. Mehr sollte ich nicht zur Verfügung haben. Oft sagte ich zu ihr, sie solle doch >das verdammte Pillen< aufgeben, sie würde sich doch auf diese Weise nur körperlich fertigmachen. Ganz zu schweigen davon, daß sie jeden Tag blöder würde in der Birne. So begeistert ich anfangs auch war, wie stolz es mich auch immer machte, eine Partie zu haben, vom Unzuchtsgeld zu leben, um so gelangweilter sah ich mittlerweile unserem Verhältnis zu. Ich hatte einfach keinen Bock mehr und nahm an, daß sich der Kölner-Olaf damals aus ähnlichen Gründen verpißt hatte. Ich glaube, ein Vierteljahr waren wir zusammen, bis wir uns im gegenseitigen Einvernehmen trennten. Na ja, ich hatte zumindest ein Auto und ein paar Tausender geschnappt. Tragisch, traurig war es dennoch, wenige Wochen später erfahren zu müssen, daß Gina einer Herzattacke erlegen war. Gott habe sie selig!
Fische im Glitzernetz Irgendwann im Frühjahr 1966 ging ich eines Abends in die >Pique Dame<-Bar. Ich hatte gehört, daß dort gute Hasen einund ausgehen sollten. Es handelte sich um einen Night-Club mit Striptease, geführt von einem Profi-Fußballer des damaligen Renommier-Clubs TSV 1860. An der Bar lernte ich ein leicht angeduseltes, hübsches Mädchen kennen. Die Kleine war hochgewachsen, bei mir hieß das immer, die Betreffende >hat einen hohen Wasserfalle Sie wirkte sehr fraulich, hatte einen gewissen österreichischen Charme, sehr lange Haare und irgend etwas Aufreizendes an sich. Sie hielt ein paar Rosen in der Hand, als handle es sich um ein Bündel Petersilie, unter den Arm geklemmt trug sie eine in Leder gebundene, große Bonbonniere. Später wurde mir klar, daß diese Utensilien typisch waren für eine >Schlepperin nach Feierabend <. Doch im Moment war ich verwirrt, konnte nicht abschätzen, wen ich da vor mir hatte. Ich dachte zunächst, es handle sich um eine Dame, die mitten unter einem schönen Abend ihrem Galan davongelaufen ist. Ich sollte aber bald von ihr selbst erfahren, was das mit der >Schlepperei< auf sich hat. Sie nahm mich mit zu sich nach Hause, und wir schliefen miteinander. Es war eine wunderschöne Liebesnacht, ich hatte noch nie ein Mädchen im Bett, welches so innig und wehklagend beim Orgasmus wimmerte und schrie, wie sie dies tat. Ihr ganzes Sexualverhalten und viel von ihrer sanften, intelligenten Art verbanden mich sehr intensiv mit ihr. Die folgenden Tage erzählte sie mir von ihrem außergewöhnlichen Job als Schlepperin. Und - wir wurden ein Paar. Teils naiv, teils mit gespielter Lässigkeit, als ob ich das ja alles längst schon wüßte, verriet sie mir alle Tricks (auf diese werde ich noch ausführlich zu sprechen kommen). Mich interessierte aber zunächst, wieviel man auf diese Weise an einem Abend verdienen kann. Yvette, so hieß sie, meinte, das
sei von Fall zu Fall verschieden, aber ein Fünfhunderter pro Abend sei der Schnitt. Ich lebte bei ihr und von ihrem Geld, sie kleidete mich vom Teuersten ein, und es ging mir ausgezeichnet. Ich saß dann so manches Mal an der Bar des betreffenden Lokals, wo sie sich mit einem geangelten Gast den Hals vollschüttete. Und bisweilen war ich doch recht eifersüchtig, wenn der jeweilige Typ mit meiner Yvette flirtete, weil ich nicht umhinkonnte, festzustellen, was es doch für verteufelt charmante Männer gibt auf dieser Welt. Manchmal glaubte ich von meinem Barplatz aus zu spüren, daß mein Mädel tatsächlich bei einem der Typen Feuer gefangen hätte, wäre ich nicht als Aufpasser zugegen gewesen. Nun ja, es waren halt meistens Geschäftsleute, weltgereiste Herren von Format - da hatte ich damals sicherlich noch Komplexe, den Arsch zu weit unten. Ich lernte auf diese Weise dann alle Kolleginnen und Freundinnen von Yvette kennen, auch die ganze Szenerie der Gastronomen. Besonders stolz machte mich die Tatsache, daß meine Yvette die ungekrönte Königin der Schlepperinnen war, dies bestätigten alle neidlos. Sie hatte immer ein besonderes Feeling für die Anmache eines Gastes und verstand es, dem jeweiligen Herrn aber auch die allerletzte Kohle abzuknöpfen. So manch andere Schlepperin ließ es mich spüren, daß sie mich mochte, mehr oder weniger kokettierten sie alle mit mir. Das schmeichelte einerseits meiner Freundin, andererseits war Eifersucht ihre Stärke. Aber später mehr darüber. Ein gelungener Schlepp-und-Nepp-Deal läuft ungefähr folgendermaßen ab: Die Schlepperin geht am frühen Abend außer Haus, gediegen elegant gekleidet; ein attraktives Äußeres zählt da schon. Sie schlendert durch die Straßen oder flaniert in der Nähe von noblen Hotels, denn gerade ortsfremde, angereiste Herren sind von Interesse. Natürlich kommt dann irgendwann das ewige Spielchen - ein männliches Wesen beginnt, um die Dame herumzuscharwenzeln. Sie schaut scheinbar interessiert in die Auslage eines Ge -
Schaftes, doch benützt sie die Schaufensterscheibe als Beobachtungsspiegel. Wenn der Typ es dann wagt, die Lady anzusprechen, beginnt deren so oft gespieltes Spielchen. »Ach - hallo, ich warte hier auf meine Freundin! Wie bitte - Sie wollen mich einladen? Ach, ich weiß nicht, ich muß schon auf meine Freundin warten - außerdem kann ich mich doch wohl schlecht von der Straße weg einladen lassen, das müssen Sie schon verstehen!« Der Herr bemüht sich weiter, weil ihn ihre Freundlichkeit ermuntert. Die Schlepperin hat inzwischen schon alles beäugt, was für sie von Interesse ist. Wie hoch ist die Qualität der Schuhe, die der Typ anhat? Sie fragt kurz: »Wie spät ist es bitte?« Dadurch kann sie sehen, welche Uhrenmarke er trägt. Woher kommt er? Aha, aus Japan, oder - oh, aus Australien, oder - si Signore, aus Italien. Die Schlepperin kann an vielen Dingen ziemlich treffsicher die finanzielle Spannweite< eines potentiellen Kunden erkennen. Travellerschecks und Kreditkarten jeder Güteklasse sind Garant dafür, daß dieser Herr später eine sehr hohe Zeche begleichen wird. Nun, das Geplänkel geht so lange weiter, bis die Schlepperin meint, >nun bin ich mir sicher, daß mich meine sonst so zuverlässige Freundin heute wohl versetzt hat<. Dann fühlt sich der Mann als Gewinner und bemüht sich nochmals darum, die Dame einladen zu dürfen. Diese erklärt: »Also schön, aber bitte nur nach meinem Vorschlag. Vor längerer Zeit war ich mal in einem ganz süßen Lokal - da gefiel es mir, da würde ich gerne wieder hingehen.« »Aber bitte sehr«, erwidert der Herr. Daß er auf diesen Vorschlag eingehen würde, darauf hätte man jede Wette gewinnen können. Einem Taxi wird gewunken, und der Fisch ist im Netz!! Eine gute Schlepperin spricht sowieso Englisch, wenn nicht gar noch weitere Fremdsprachen, und raffinierte schauspielerische Eigenschaften müssen vorhanden sein, das ist klar wie Kloßbrühe. In diesem Sinne geht es weiter. Vorhang auf zum zweiten Akt. Denn auch die Besatzung des
betreffenden Lokals ist ein traumhaft eingespieltes Team. Ein gepflegter Kellner empfängt die Gäste - »guten Abend die Herrschaften!« Er nimmt die Garderobe ab, als hätte er die Dame nie im Leben gesehen. - »Welchen Tisch hätten Sie gerne?« - Elegante Nischen, weiß gedeckte Tische und antike Kerzenleuchter ergeben eine angenehme Atmosphäre. Ein Entertainer singt unaufdringlich zu Play-Backs. Der perfekt geschulte Kellner tritt an den Tisch, auch er spricht mehrere Sprachen. Die Getränkekarte liegt, aus ganz besonderem Grund, angekettet auf dem Tisch. - »Was darf ich servieren? Hier, bitteschön, die Karte.« Die Schlepperin setzt ihren gelernten Blick auf und faßt den Herrn zärtlich am Arm. Sie schaut interessiert mit in die Karte und versucht dabei, ihre Haare an seine Wange zu schmeicheln. Das törnt ihn an, und, wie könnte es anders sein, als daß er der Dame in diesem Moment ihre Bestellwünsche zu erfüllen bereit ist. Die Getränkekarte weist eine Menge fantasievoller Champagnernamen auf und - saftige Preise. Eine Flasche französischer Schaumwein, deren Einkaufspreis bei sieben Mark liegt, wird in etwa für einhundertundachtzig DM offeriert. Davon bekommt die Schlepperin in der Regel die Hälfte, die andere Hälfte wird vom Gastronomen eingesteckt. »Wo ist hier bitte die Toilette?« will das betreffende Mädchen wissen, wenn so langsam die erste Flasche zur Neige geht. Was natürlich herrlich verlogen ist, denn in jener Toilette hing dieses Mädchen nach der xten Flasche jenes angeblichen Champagners schon des öfteren über der Schüssel. Die Frage nach dem gewissen Örtchen ist eigentlich nur das Zeichen dafür, daß die Schlepperin draußen mit dem Kellner reden möchte. »Du, der Typ hat eine American-ExpressKarte und ist ein französischer Modefritze, da gehen bestimmt noch ein paar Flaschen. Bitte, mach jetzt keine Zwischenrechnung. Ich will noch ein paar Flaschen sehen, bevor er womöglich geschockt bezahlt und nichts mehr nachbestellt.« So bespricht man sich hinter den Kulissen. Pralinenschachteln sind häufig recht dekorativ in Glasvitri-
nen arrangiert. Es kann durchaus vorkommen, daß die Schlepperin den Kellner fragt - sofern sie spürt, daß ihr Ga lan spendabel ist -, »Herr Ober, verkaufen Sie diese Pralinen auch?« - »Selbstverständlich, gnädige Frau«, kommt prompt die Antwort. Dann erfolgt abermals ein schmachtender Blick von der Schlepperin, adressiert an den Herzkönig dieser Stunde. »Magst du welche?« äußert der. »Ja«, seufzt sie. Und der Typ wird wiederum hundert Mark los. Der Einkaufspreis einer solchen Schachte] bewegt sich im Großhandel so um die zwanzig Mark herum. Derartige Lokale haben aber mehrere Schlepperinnen engagiert, man kann sagen, im Schnitt so um die fünfzehn Mädchen. Alle kommen auf die zuvor beschriebene Art an. Man kennt sich im übrigen, bildet so etwas wie eine Familie, eine klitzekleine Mafia. Und das Finanzamt hat sowieso das Nachsehen. Keine Schlepperin steigt anschließend mit einem Gast ins Bett, würde er ihr auch noch soviel bieten. Also keine Prostitution. Aber, erweist sich ein geangelter Gast als mittellos oder knausrig, wird er ganz schön rüde verabschiedet. Das betreffende Mädel ist dann eine Stunde später mit einem neuen Gast da. So passiert es schon manchmal, daß ein guter Gast den ganzen Abend in seiner Nische hockt und sieht im Laufe der Stunden ein und dasselbe Mädchen mit drei verschiedenen Partnern aufkreuzen. Der wundert sich gewiß arg, aber meist sind derlei Leute zu fein oder zu unbeholfen oder auch zu besoffen, als daß sie sich laut dazu äußern würden. Doch manchmal gab's auch Durchblicker, und mit denen war kein Geschäft zu machen. Manche verweigerten schlicht die Bezahlung oder bestanden darauf, die Polizei zu rufen. Eines Tages eröffnete ich mein eigenes Schlepperlokal, ein potenter Geldgeber hatte das Ganze finanziert, die anderen einschlägigen Gastronomen mußten die Konkurrenz zur Kenntnis nehmen. Es war ein schicker Laden, der noch dazu in einer schicken
Gegend lag, nämlich in der Theatinerstraße. Es gab darin viel roten Plüsch und Spiegel, eine Tanzfläche aus Messing, eine feinabgestimmte Beleuchtung, nicht zu schummrig. Die Ge tränkekarten waren im übrigen deswegen angekettet, weil manch zahlungsunfähiger Gast es darauf anlegte, später zu behaupten, er sei über die Preise nicht richtig informiert gewesen. Jaja, selbstverständlich haben sich manche der armen Opfer gewehrt, ein kleines Vermögen für ein hinterhältiges Spielchen hinzublättern. Viele Uhren wurden als Pfand hinterlassen, die nie mehr abgeholt wurden. Bisweilen gab's sogar Tränen bei diesen tollen Hechten, die einmal auf die Schnelle wieder Romeo spielen wollten, aber dafür nicht reichlich genug Kohle einstecken hatten. So mancher hatte wohl das Gefühl, in den Nesseln zu sitzen, wenn die Rechnung auf dem silbernen Tablettchen prangte. Einer hoffte seinerzeit gar, durchs Toilettenfenster entkommen zu können. Aber, da ging halt nichts, Gitter machten ihn zum Ge fangenen der Situation. Natürlich hatten sie fast alle Frau und Kinder zu Hause sitzen, die gut und gerne von ihrer Zeche hätten einen Monat lang leben können. Also, immer, wenn es schwierig wurde beim Bezahlen, wurde der Geschäftsführer gerufen - mithin ich. Nun lag es an mir, das Optimale an Kohle herauszuholen. Die Schlepperinnen sahen es nämlich gar nicht ein, daß sie sich für nichts den Hals vollsoffen, und mir lag auch nichts daran, den Verlust zu übernehmen, damit irgendein Gnom mit ein paar Nutscherln davonkam. Gerade deswegen hatte ich eine besonders treue Schar von Schlepperinnen, weil diese wußten, der Berndt kämpft schon um unsere Kohle. Außerdem kämpfte ich ja schließlich auch um mein eigenes Geld. Da fuhr ich schon öfters in die verschiedenen Hotels, wo die Typen noch weitere Schecks aufbewahrten. Meine Starbedienung hieß Babsy, sie unterhält heute eine gemütliche Pilskneipe im Münchner Norden. Wenn es hieß: »Fräulein, der Champagner ist zu warm«, dann nahm Babsy den Sektkühler nebst Flasche und verschwand zum Eisholen. Kam sie zurück, entschuldigte sie sich brav, schlenkerte
hörbar mit den neuen Eisstückchen im Kübel - nur! - die Flasche war dann fast ausgegossen. Meine Yvette kam eines Abends mit einem recht heruntergekommenen Typen an, da mußte ich mich schon sehr wundern. Doch sie gab mir auf der Toilette zu verstehen, daß dieser gammelige Zuchtpferdehändler gerade von einem großartigen Geschäft komme, sehr viel Kohle dabeihabe und dies auch noch in Cash. Dieser Gast war zwar nicht ganz wohlriechend und nicht gerade passend für meine Plüschtapeten angezogen, ließ aber dann doch gut und gerne ein halbes Rennpferd bei uns liegen. Naja, so kam es schon oft vor, daß spendable Gäste mit meinen Hübschen eine wirklich angenehme Baratmosphäre erlebten. Aber genausogut waren Tage dabei, die man verfluchen konnte, da konnte oder wollte fast keiner zahlen. Logisch, daß ich dann böse wurde und ungehalten; so manchem schnürte ich die Krawatte enger oder hob ihn mit paar Hieben von seinem Sitz. Zwei Italiener wollten mich mal erschrecken und sagten, es gäbe Rache, sie seien von der Mafia. Ha, da konnte ich nur lachen! Ich zog die Tresenschublade auf und ließ sie hineingucken. Darin lag nämlich das reinste Waffenarsenal: Gummiknüppel, Revolver, Pistolen jeden Kalibers. Ich sagte schlicht zu denen - ich sei selbst von der Mafia. Manchmal zahlte auch ein Gast ganz brav und kam dann mit der Polizei wieder, eben weil er sich geneppt fühlte. Aber da gab es lediglich einen Austausch der Personalien, der Typ hätte prozessieren müssen, da wurde selten was draus. Allerdings, wenn ich mal so einen auf die Birne haute, gab's natürlich schon Strafanzeige. Nachdem sich solche Fälle häuften, wurde mir das Lokal von Amts wegen geschlossen. Aber wenige Tage später eröffnete ich dann die >Baby-Bar< in der Landsberger Straße. Es war sowieso Glückssache, ob die gerufenen Bullen zu uns hielten oder zum geprellten Gast. Die Kripo führte mich damals bereits in ihren Akten, und zwar als >Schlepper-Berndt<. Die Polizei kannte mich und mein eigenartiges Geschäftsgebaren recht gut; manchmal ver-
guckte sich auch so ein Streifenbeamter in eine meiner Schlepperinnen. Flossen Sekt und Schampus an den sechs Tischen in Strömen und wurde die Sperrstunde überschritten, fuhr ein Streifenwagen vor. Nicht aber, um diesem bezechten Treiben Einhalt zu gebieten - es hatte einen anderen Grund. Es verstand sich von selbst, daß man, in einer Colaflasche getarnt, Cognac oder Whisky in den Streifenwagen reichte. Tja, man kannte sich halt. Eines Tages kam ich um Mitternacht vom Zocken, ich wollte in meinem Laden die Abrechnung vornehmen. Als ich so die Landsberger Straße entlangfuhr, bemerkte ich schon von weitem ziemlich viel Blau-, blitzendes Rot- und Gelblicht sowie angestellte Scheinwerfer. Beim Näherkommen dachte ich, ich sehe nicht recht. Das alles spielte sich vor meiner >Baby-Bar< ab. Ach du meine Güte, da gewahrte ich nun, wie die Feuerwehr mir meine Fensterfront zunagelte, das Ganze mit feinsäuberlicher Schreinerarbeit sicherte. Meine Bedienung informierte mich über folgendes Geschehen: Ein Ölmufti arabischer Herkunft, recht jung noch, in fließende weiße Gewänder gehüllt und mit der dazugehörenden Kopfbedeckung ausgestattet, wie dem Bilderbuch von >Tausend und einer Nacht< entstiegen, war unser Gast gewesen. Eine Schlepperin hatte ihn sich vor einem exklusiven Hotel geangelt. Der Wüstensohn war ganz frisch in München eingeflogen. Möglicherweise waren Sprachschwierigkeiten oder eben unsere üblichen unverschämten Praktiken schuld daran gewesen, in jedem Falle schien dieser die Nerven verloren zu haben. Er versuchte, sich vor seiner hohen Rechnung dadurch zu retten, daß er mit einem Riesensatz durch meine Vorhänge ins Freie wollte - auf und davon. Doch in Old-Germany gibt es halt Glasscheiben hinter den Gardinen. Und so hechtete der Unglückselige - volles Programm - durch eine recht dicke Glasscheibe. Ich hörte, daß der Sanitätswagen ihn bereits abtransportiert hatte. Es blieb, eine riesige Blutlache vom Gehsteig zu schweppen. Der Herr
aus dem Morgenlande mußte sich ganz schön zerschnitten haben. Irgendwie wurde sein Vater ermittelt und gerufen, der auch prompt des Sohnes Zeche bezahlte. Da war ich platt, was diese Leutchen für eine Lebensart besitzen. Klar erzählte mir meine Yvette des öfteren, daß sie gelegentlich Anträge bekäme, für gutklingende Summen mit einem Gast anschließend ins Bettchen zu hüpfen. Nach einem bißchen Hin und Her kamen wir zu dem Schluß, daß bei ihr die Prostitution ab DM fünfhundert ins Programm aufgenommen würde. So ging dann ab und zu auch diesbezüglich die Post ab. Ich war froh darüber, denn nun kam Kohle ins Haus, daß es nur so krachte. Meine Liebesmoral warf ich dabei schnell über Bord, konnte ich doch dafür meinen ersten nagelneuen Benz aus der Tiefgarage eines renommierten Münchner Autohändlers lenken. Eines Nachts wickelte sich folgendes ab. Ein Mann, so um die zweiundzwanzig Jahre, war vorher schon ein Schleppopfer. Auf der Toilette sagte mir Yvette, sie hätte den Eindruck, daß dieser ein kleiner Ganove sei, aber mit viel Kohle in der Tasche. Sie nähme ihn mit nach Hause, ich solle ihr aber unmittelbar nachfahren, weil sie sich nicht sicher sei, wie er sie behandeln würde. Ich fuhr nach und blieb im Wagen sitzen, immer wieder auf die Uhr sehend. Mit ihrem Wissen, daß ich >greifbar nahe< war, hat Yvette eine ganz clevere Show abgezogen. Sie ließ sich nicht auf ein Schäferstündchen ein. Doch dieser Typ, so langsam geil gemacht, war drauf und dran, eine Notzucht einzuläuten. Mir dauerte es im Auto schon zu lange, und ich dachte mir, daß nach dem Rechten zu sehen nicht falsch sein könne. Blitzschnell öffnete ich die Wohnungstür, da war der Gute doch sehr verwirrt. Yvette stand da, mit einem völlig zerfetzten Kleid am Leib, und spielte ihre Rolle gut. »Gott sei Dank kommst du zufällig vorbei, dieses Schwein wollte mich gerade vergewaltigen«, so schluchzte sie. Der verhinderte Freier war baff und ziemlich geschockt, sicherlich erkannte er mich von dem Lokal wieder.
»So, so«, machte ich, »was willst du, du leere Hose? Jetzt, mein Lieber, kriegst du erst mal die Prügel deines Lebens, und dann rufe ich die Polizei« - bluffte ich. Der also Angesprochene ging in Kauerstellung und flehte mich an, er bedaure den Vorfall schrecklich und ob er sich nicht aus dieser Situation freikaufen könne. »Das ist wieder etwas anderes« erwiderte ich und begann gleich laut zu rechnen. Mein Mädel verschwand ins Bad. »Ein kaputtes Modellkleid - die Schande und Schmach - die Körperverletzung und die Frechheit schlechthin -... machen wir's doch so, Junge, du drehst jetzt alle deine Taschen um, ich helfe dir dabei. Und dann schleichst du dich auf der Stelle, bevor ich dir doch noch den Hals umdrehe.« Es kamen alle möglichen Währungen hervor, es war für mich erstaunlich, was der alles mit sich führte. Ein Klappmesser war auch dabei, aber ich erklärte diesen >Zahnstocher< für konfisziert. Insgesamt zwei Mille kamen auf den Tisch - das war ganz nett. Mit einem Arschtritt wurde der Typ vor die Tür gesetzt. Dieses Intermezzo ist ganz in meinem Sinne abgelaufen, ich hätte mitten in der Nacht in der Wohnung sowieso keinen Zirkus machen können, alleine schon wegen der total kleinkarierten und pseudo-bürgerlichen Nachbarn. Vor wenigen Tagen erst hatte ein Brief in unserem Kasten gelegen, unterzeichnet von allen Hausbewohnern. Wir sollten gefälligst unser lautes Bettgeflüster etwas reduzieren, unser schrilles animalisches Geschrei sei unzumutbar, so hieß es darin. Auch meinten die Leutchen, von uns verlangen zu können, immerzu die Fenster geschlossen zu halten. Ich gestehe aber, irgendwo hatten sie recht, denn unser tierisches Gebrüll beim Orgasmus war uns selbst auch schon bewußt geworden. Yvette und ich hatten uns nämlich im Laufe der Zeit herrlich darauf eingespielt, gleichzeitig zum Orgasmus zu kommen. Diese Art und Weise beim Bumsen haut natürlich besonders rein und spornte uns immer zu lüsternen Wonneschreien an. Wir trieben es auch reichlich oft miteinander, Tag und Nacht, wie wir gerade Zeit und Lust hatten. In jedem Falle entlockte
es mir immer ein Schmunzeln, wenn ich jemandem vom Hause auf der Treppe begegnete; dachte sich doch jeder seinen Teil. Mittlerweile hatte ich die ganze Schlepperszene in München total im Griff, es gab vielleicht außer mir noch zwei, drei Lokale, wo diese Richtung praktiziert wurde. Ich feilte natürlich dieses trickreiche Treiben noch etwas aus. So gab es zur Oktoberfestzeit Schokoladenherzchen mit allerliebsten Beschriftungen, oder einfache, große Brezen mit aufwendigen Schleifen. Was so ein Ding für den Freier kostete, war nicht von Pappe. Es ging lustig zu, zur Wiesenzeit, waren doch deswegen sehr viele Fremde in unserem Städtchen. Der Musiker sang - Es wird Nacht Senorita, und ich hab' kein Quartier, nimm mich mit in dein Bettchen - ich will gar nichts von dir... Manchmal hielt er das Mikro den Gästen hin, die bisweilen mit schlimmer Stimme weiterkrächzten. Und dann fiel mir etwas ganz Spezielles ein, was ich meinen Mädels gleich unterbreitete. Der Schampus-FlaschenUmsatz und somit der Verdienst konnten dadurch erheblich gesteigert werden. Die Schlepperinnen täuschten dem jeweiligen Gast vor, daß sie mit ihm ins Hotel zu gehen beabsichtigten und daß man zu diesem Zwecke noch zwei Flaschen mitnehmen solle. Das klappte auch ganz gut, so mancher bestellte noch zwei Flaschen zum Mitnehmen. Und hier, mein Über-Gag: Diese Flaschen tat ich jeweils in eine eigens dafür bereitgelegte Papiertüte, der Tütenboden war stark angenäßt. Der jeweilige Herr bekam beim Verlassen des Lokals die Tüte in die Hand gedrückt. Er war kaum zur Lokaltür draußen, da flutschten ihm auch schon die schweren Flaschen durch den aufgeweichten Tütenboden. Im günstigsten Falle kamen die Herren zurück und kauften nochmals zwei Flaschen. Diese trugen sie aber nun lieber in der Hand. Zur Winterszeit war alles ein bisserl schwieriger, da kam es schon mal vor, daß es den Schlepperinnen zu kalt wurde, sie in ein Cafe gingen, um sich aufzuwärmen. Dem wirkte ich
entgegen, indem ich die Innenstadt mit meinem warmen Wagen abfuhr, ausgerüstet mit einer Buddel Glühwein. Ich lud dann die >Streunenden< in meinen Wagen, spendete ihnen einen heißen Schluck und gutes Zureden, auf daß sie wieder weitermarschierten, anstatt jagdfaul zu werden. Wenn ich so auf meinen Innenstadt-Streifzügen war, erlebte ich auch des öfteren, daß meine Mädels von total unqualifizierten Typen angesprochen, ja angemacht, gar arg belästigt wurden. Sobald die Mädels meinen Wagen sahen, riefen sie leise um Hilfe. Ich stieg sofort aus, egal, wie mein Wagen stand, und spielte den Beschützer. Manchem der Typen war nicht ganz klar, warum ein >Fremder< so schnell und hemmungslos für die betreffende >Fußgängerin< Partei ergriff. Ich fackelte nämlich in diesen Situationen nicht lange, sondern es gab gleich anständig eins auf die Birne. So fühlten sich meine Mädels immer beschützt. Sie dankten es mir mit vielen angeschleppten Gästen. Meine >Baby-Bar< schien unter einem nicht sonderlich guten Stern zu stehen, ein neuerlicher Vorfall brachte wieder einmal die Behörden auf die Barrikaden. Ein adretter, graumelierter Herr war Gast bei mir, klar war er irgendwo aufgerissen und abgeschleppt worden. Jedenfalls bestellte er aus der Karte, und weisungsgemäß machte Babsy nach der dritten Flasche die Zwischenrechnung. Der elegante Herr winkte ab, wollte die Rechnung nicht sehen, wollte in Ruhe gelassen werden. Ganz so gesellschaftsfähig war er aber dann doch nicht, denn er versuchte laufend unter dem Tisch dem Mädel, das ihm Gesellschaft leistete, zwischen die Schenkel zu grabschen. Nach der vierten Flasche wollte er dann doch zahlen, es war eine Rechnung über um die achthundert Mark. Was nun kam, hält kein Mensch im Kopf aus er legte zwanzig Mark auf den Tisch, zog sich den Mantel an und machte sich wortlos in Richtung Ausgang auf den Weg. Nachdem ich das alles so beobachtet hatte und meine Schrecksekunde nachließ, hechtete ich dem Flüchtling nach. Kurz vor der Tür bekam ich ihn zu fassen.
Der übliche Schmarrn war zu hören, »I call the police -1 call the police!« Ihn festhaltend sagte ich ihm ganz ruhig, daß ich hier die Polizei sei, er solle gefälligst zahlen. Er schlug wie wild um sich, traf sogar mein schönes Antlitz - und da war für mich der Ofen aus. Es gab Hiebe vom Feinsten für die graue Eminenz. Der Notarztwagen kannte im übrigen schon seit längerem die Anfahrtswege zur >Baby-Bar<. Erst später erfuhr ich, daß dieser Mann ein französischer Polizeioffizier war, ich konnte also schon erahnen, daß dessen Anzeige happige Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die Anzeigen wegen Körperverletzung häuften sich, aber das war vorläufig noch egal. O. K. - klar, ich wurde immer grantiger, denn meines Erachtens gab es eine bestimmte Gruppe von Menschen, die anscheinend nur die Sprache aus der Schulter heraus verstanden. Oder war ich urlaubsreif? Ein paar Tage zuvor hatten mich meine Eltern ermuntert, dieses Jahr doch einmal im schönen Jugoslawien Urlaub zu machen. Meine Eltern fuhren schon das sechste Mal in ununterbrochener Folge nach Opatija, und sie kamen immer, davon schwärmend, zurück. Alles klar, Yvette und ich sagten zu, etwas Urlaub, etwas Ruhe tat uns sicher gut. Meine Eltern fuhren voraus, ich sollte jeden Tag meinen neuen Mercedes geliefert bekommen, deswegen konnten wir nicht gleich mitfahren. Also verabredeten wir, uns in Opatija zu treffen. Der Wagen wurde geliefert, wir fuhren los. Ich hatte die Karosse noch keinen Meter eingefahren, raste aber dennoch damit über Berg und Tal, durch Serpentinen und über Ländergrenzen hinweg. In Opatija angekommen, besuchten wir gleich meine Eltern am Strand, der gut ausgeschildert und damit leicht zu finden war. Nach der Begrüßung fuhren wir weiter nach Rijeka, weil ich mir dort eine Harpune kaufen wollte. Meine Taucherausrüstung samt Flaschen hatte ich mitgebracht, am nächsten Tag wollte ich, der Felsküste entlang, auf den Grund schauen. Yvette und ich kamen im Hotel
>Quaneer< unter, man sagte mir, daß der Schlagersänger Ivo Robig der Inhaber dieses Ladens sei. Meine Eltern und Ge schwister wohnten in einer günstigen Pension - schon seit Jahren. Der erste Urlaubstag begann - und es sollte sich sehr bald herausstellen, daß dieser auch gleichzeitig unser letzter war. Es war herrliches Wetter, ein azurblauer Himmel spannte sich wolkenlos von der Küste bis zum Horizont. In der Ferne setzten weiße Segel der Fischerboote lebendige Akzente auf dem glitzernden Meeresspiegel. Es war wunderschön, fast ungewohnt, sich fallen lassen zu können in eine normale Welt. Kinder spielten und plantschten im seichten Wasser, ältere Leute unterhielten sich im Schatten. Ein paar hübsche Mädchen schlenderten mit großen Eistüten in der Hand vorbei - um so knapper waren dafür ihre Bikinis. Die Sonne auf der Haut, ab und zu ein zärtliches Streicheln von Yvette, so ließ ich es mir auf meiner Luftmatratze Wohlergehen und genoß es, nichts tun zu müssen, rein gar nichts tun zu müssen. Ich mußte keine Sektflaschen in große Eisschränke nachfüllen, es gab kein Theater mit zahlungsunfähigen Gästen, keine Schlägereien, keine Polizei - einfach herrlicher Frieden herrschte. Sechstausend Mark hatte ich mitgenommen für diese zehn Tage, ich wollte uns allen Luxus zukommen lassen, auch meinen Eltern und Geschwistern ein paar schöne Einladungen bieten. Mein Verhältnis zu meiner Familie hatte sich irgendwie neutralisiert - ich bin einfach nicht nachtragend. Und jetzt, da ich der zahlungskräftige Sohn und Bruder war, ging man mir sowieso ganz schön um den Bart. Es war denn auch schließlich für mich ein ganz angenehmes Ge fühl, mir meine Zuneigung nun wenigstens erkaufen zu können. Irgendwann ging ich ins Wasser, gleich mit voller Taucherausrüstung, denn ich liebe das Meer so unsagbar, kommt doch schließlich dieses ganze Leben auf unserem wunderschönen Planeten aus dem Wasser. Ich sehne mich geradezu in die Tiefe des Meeres, an dieser geheimnisvollen Welt kann ich mich nicht genug satt sehen.
Ich hatte Glück, beobachten zu können, wie sich ein stattlicher Krake an etwas tiefer liegenden Felsen zum Mittagsschläfchen festhielt. Mein Jagdfieber war entfacht, ich schoß meine starke Harpune ab, dabei auf ein Auge zielend. Mehr als ein Streifschuß wurde wohl nicht daraus, denn ich sah meine Pfeilspitze den Fels zersplittern. Dafür aber wurde das aufgeschreckte Meerestier ganz schön wütend, sein ganzes Ich färbte sich in ein tiefes Rot. Kraken wechseln die Farbe fast so wie auf dem Lande die Chamäleons - und wenn sie wütend werden, färben sie sich rot. Ich sah unter Wasser, daß meine Pfeilspitze stark verbogen war durch den Schuß an den Fels - ich mußte also an Land, denn nun war ich unbewaffnet, in einer nicht ungefährlichen Situation. Ich tauchte auf, um mit einem Stein meine Pfeilspitze wieder zu begradigen, wollte aber für heute Schluß machen mit meiner Jagd. Dem Kraken versprach ich sein morgiges Ende, vorausgesetzt, ich fände ihn wieder. Ich legte meine Sauerstoff-Flaschen ab und aalte mich noch einige Zeit in der Sonne. Die Wärme der Strahlen und diese Nichts-tun-Stimmung regten mich sehr an, stimulierten mich. Yvette und ich verstanden uns hervorragend darin, einander anzudeuten, daß einer den anderen begehrt. So brachen wir spontan am hellichten Nachmittag vom Strand auf, um ganz schnell ins Hotel zu kommen, unsere Sehnsüchte zu stillen. Ich schnappte mir meine ganzen Mitbringsel, SauerstoffGerät, Harpune, Luftmatratze usw. Mein großes Schlauchboot ließ ich verankert im Wasser zurück. Yvette und ich überwanden die Ufertreppe, in der Nähe stand mein Wagen. Auf der obersten Treppenstufe angekommen, dachte ich, ich sehe nicht recht. Da lümmelten sich vier Jugos auf der Motorhaube meines nagelneuen Autos. Auf diese zugehend, schrie ich zornig: »Ja wollt ihr da nicht gleich runtergehen, ihr Scheißtypen!« Als knappe Antwort kam zurück: »Du deutsches Kapitalistenschwein!« Das altbekannte Gefühl kam in mir hoch. Ich achtete auf gar nichts mehr, mir war es egal, ob es einer oder vier Gegner
waren, ob ich mich im In- oder Ausland befand. Mir war es egal, wie eh und je - ich hatte wieder einmal, was Psychologen wohl ein Black-Out nennen. Nur ich weiß, daß bei mir Killerreflexe wach werden, ohne Rücksicht auf das Nachher. So ließ ich alles fallen, was ich in Händen hielt, und schnappte mir gleich den ersten. Ein anderer hob sofort meine Harpune auf. Ich erkannte blitzschnell, in welcher Ge fahr ich mich befand und machte meine Wagentür auf, um diese als Schutzschild zu benutzen. Mir war klar, wenn mich der Pfeil der Harpune durchbohrte, dann konnte man daran nur noch vorne und hinten ein paar Brezen aufhängen. Auf der Fahrerseite steckte in der Türtasche mein Gummiknüppel. Als ich merkte, daß der Typ mit der Entsicherung meiner Harpune nicht zurechtkam, nützte ich diesen Bruchteil einer Sekunde und schlug mit all meinen Kräften zu, und zwar auf alles, was sich bewegte. Es ging sehr schnell, da krümmten sich die vier bösen Buben auch schon vor Schmerzen. Ein Menschenauflauf hatte sich gebildet, ein paar Touristen und eine Menge Einheimische brabbelten durcheinander, zappelten mit Händen und Füßen. Auweh, dachte ich. Mir war klar, die Situation war bedenklich. Das alte Lied - die Polizei wird gleich kommen. Und da war sie auch schon. Yvette, die ja meine diesbezüglichen Auftritte kannte, stand eher gelangweilt dabei. Sie hatte es aber von uns beiden als erste beköppt, daß wir im Ausland einige Schwierigkeiten haben würden. Dem war auch so, wir wurden zumindest gleich mal in den Polizeiwagen geschubst, und ab ging's wieder einmal - auf ein Polizeirevier. Irgend jemand mußte meine Familie am Strand verständigt haben, mein Vater und meine Schwester trafen jedenfalls auch bald auf dem Revier ein. Etwas Jugoslawisch sprach mein Vater ja, doch es war ein Dolmetscher vonnöten. Auch ein deutschsprachiger Anwalt wurde gefunden, und es kristallisierte sich ganz schnell heraus, daß es vorerst wieder einmal um mich geschehen war. Ich war zwar überzeugt, in Notwehr gehandelt zu haben, doch gegen die parteiischen Jugoslawen war schwer anzu-
kommen. Der Paß wurde mir abgenommen, ich durfte Opatija nicht verlassen. Mein Anwalt empfahl mir, meinen Wagen sofort außer Landes bringen zu lassen, sonst würde dieser auf dem Schadensersatzwege gleich mal sichergestellt. So fuhr mein Vater den Wagen ins benachbarte Italien. Nachts kamen die Brüder der Betroffenen, schlichen ums Hotel, wollten wohl Blutrache üben. Am nächsten Tag waren sogar die Frauen der Jugos aufmarschiert, drohten, Yvette mit riesigen Haarnadeln aus Fischbein die Augen auszustechen. Dann ging's wieder los, ein einarmiger Mann trat mit einer blitzenden Machete auf mich zu. Im selben Moment aber fuhren Polizeifahrzeuge vor, wofür ich sehr dankbar war. Es kam wieder Ruhe in die Reihen. Meine Eltern klagten - »O Gott, jetzt kommt einmal der Berndt in unsere Urlaubsidylle, und schon ist wieder der Teufel los!« Meine Angehörigen hatten nur noch den Wunsch - sofort und unversehrt außer Landes zu kommen, sie fuhren nachts nach Italien. Tränen der Ratlosigkeit standen auf ihren Gesichtern, als sie mich verließen. Ich hatte gebeten, Yvette mitzunehmen, ich stünde dies hier schon alleine durch. Die Gefahren waren einfach für jeden Beteiligten zu groß. Eine Schnellverhandlung wurde anberaumt - diese sollte in drei Tagen stattfinden. Mein Anwalt schluckte schon mal viertausend De-Emmchen und verlangte nochmals eine Mille für den Kauf eines Zeugen zu meinen Gunsten. Ich war nun seit zwei Tagen alleine in Opatija und grübelte natürlich, wie diese Scheiße wohl ausgehen würde. Der deutsche Konsul war durch die Presse informiert und kam aus Zagreb angereist. Er sagte mir, daß er zwar in die Verhandlung nicht eingreifen könne, doch wolle er dieser beiwohnen. Also wird es dann wohl ein fairer Prozeß werden, dachte ich bei mir - morgen ist es ja soweit, wir werden sehen. Um mich ein bisserl zu zerstreuen, ging ich in eine Kneipe am Strand. Da lachten mich zwei Mädchen an, eine hübscher als die andere. Was mache ich mit zwei Mädels - wo ich noch dazuhin keine Silbe Jugoslawisch spreche? ging es mir durch
den Sinn. Egal, zuprosten schadete nichts. Sie kamen zu mir herüber, wir sprachen und gestikulierten, aber keiner verstand den anderen. Ich bedeutete ihnen, ob wir rausgehen sollten, an den Strand womöglich. Ich ging voran und winkte ihnen, mir zu folgen. Sie kamen mir tatsächlich nach. In mir arbeitete es. Ich fand die Situation gut, aber nicht ganz unproblematisch. Entweder war ich in meiner Fantasie zu weit gegangen - oder? Es würde sich ja gleich herausstellen. So begab ich mich an jene Stelle des Ufers, wo mein Schlauchboot stand und winkte sie weiter zu mir heran. Sie stiegen tatsächlich mit ein. Tja, damit war mir klar, ab sofort ist alles erlaubt. Ich ruderte vielleicht so fünf Minuten vom Ufer weg, weg von der Beleuchtung der Promenaden, hinein in die dunkle Nacht. Die Babys waren gut, null prüde, zeigten keinerlei Hemmungen. Sie zogen sich von alleine aus - so was machen die bestimmt öfters, dachte ich. Ich tat es ihnen nach, und ganz flugs war die eine gleich mit meinem Rohr beschäftigt. Zärtlichkeit war nicht eben ihre Stärke, aber um so attraktiver waren ihre fast noch kindlichen Körper. Zierlich gewachsen waren diese und besaßen doch eine satte Weiblichkeit an Brüsten und prallen Ärschen. Wie alt mochten die Zuckerpuppen sein? Während ich die eine bumste, ließ ich bei der anderen den Finger einrasten und umgekehrt. Ich achtete nicht sonderlich darauf, ob die Mädels einigermaßen von mir etwas hatten ich betrieb dieses reizende Sexspiel recht egoistisch. Die laue Sommernacht, das in den Wellen wogende Gummiboot, das einem Wasserbett gleichkam - es war so ganz nach meinem Geschmack. Per Zufall schaute ich einmal hoch in die Nacht, über die Gummiwülste des Bootes. Ich wollte mich orientieren, ob uns vielleicht jemand vom Strand her
beobachtete. Leck mich am Arsch - was war denn das?! Die Strömung hatte uns gut drei Kilometer hinausgetragen, man sah die Lichter des Ufers nur noch ganz schwach. So traumhaft leergevögelt wie ich war, ging es nun darum,
alle nur erdenkbaren Kräfte zu mobilisieren, um an Land zu paddeln. Das Ganze noch dazu gegen die Strömung, das mochte ja heiter werden. Und die blöden Hühner lachten und kicherten, amüsierten sich, wie ich verzweifelt paddelte. Das tat ich etwa zwei Stunden lang, das Morgengrauen löste fast die Nacht ab, als ich Fels unter den Füßen hatte. Ich war halbtot - in vier Stunden war Verhandlung. Ich verabschiedete mich von diesen zwei süßen, geilen Ge schöpfen, schlenderte zu meinem Hotel, warf mich aufs Bett. Aber ich durfte nicht liegenbleiben, also stand längeres Duschen auf dem Programm. Der erste Gast im Frühstücksraum war ich, die ersten Sonnenstrahlen trafen die Meeresoberfläche. So ein schöner Tag, dachte ich bei mir, was wird er bringen? Ich saß im Gerichtssaal ziemlich gleichgültig rum, mein Geist war leer. Mein Anwalt sollte das Seine tun - aus meiner Sicht war es tatsächlich nur Notwehr gewesen. Die Zeugen kamen rein, also jene, die ich aufgemischt hatte. Einer trat mit Kopfverband in Erscheinung, der andere trug den Arm in der Schlinge; ich war mir nicht sicher, ob ich sie so stark verletzt hatte - eher schien es mir, daß sie dadurch ein Schmerzensgeld herausschlagen wollten. Und wieder ergoß sich ein stundenlanges Blah-Blah über mich. Ich bekam meinen Paß wieder, ein zehnjähriges Landesverbot wurde mir auferlegt. Der Gummiknüppel blieb selbstverständlich auf dem Richtertisch liegen, als ich den Saal verließ. Ich telefonierte mit Yvette und meinen Eltern, mein Vater holte mich mit seinem Wagen ab und brachte mich über die Grenze. Ich drückte Yvette ganz fest an mich, nahm sie zärtlich in die Arme und küßte sie lange und innig. Ich liebte sie sehr, nur - ich konnte es nicht ändern - war ich ihr wieder einmal fremdgegangen. Aber ich dachte mir, mein bestes Stück ist ja nicht aus Seife, also kann es sich auch nicht abnützen, wird nicht weniger, keiner merkt's.
Yvette und ich fuhren umgehend nach Hause, nach München. Meine Eltern kehrten wieder nach Opatija zurück, etwas mulmig war ihnen aber wohl doch. Kurz vor München konnte ich gerade noch tanken und uns eine Schachtel Zigaretten kaufen, wir waren nach nur fünf Tagen total blank. Es war ein Urlaub, den man ganz schnell vergessen sollte, hielten wir uns vor. Alle Freunde waren verdutzt, daß wir schon wieder aus dem Urlaub zurück waren, ich konnte nur müde abwinken. »Na ja«, - meinte Yvette, »dann geh' ich halt gleich wieder schleppen.« Ich, für meine Person, war abermals hinter der Theke der >Baby-Bar< zu finden. Am selben Abend schleppte Yvette einen tollen Typen an, draußen, vor meinem Laden, stand sein nagelneuer schwarzer Porsche auf dem Gehsteig geparkt. Sie tranken vier Flaschen Sekt, er war schick gekleidet, doch seine roten Pausbacken verrieten seine Bauernburschen-Herkunft. Yvette bedeutete mir auf der Toilette, daß sie mit ihm auf Stich ginge, er hätte ihr tausend Mark geboten. »Alles klar«, sagte ich, richtete noch eine Flasche zum Mitnehmen her - und sie verschwanden. Nach zwei Stunden klingelte in der >Baby-Bar< das Telefon, Yvette war dran, aufgelöst und am Heulen. »Beruhige dich doch, was ist denn los?« fragte ich. Fetzenhaft erzählte sie mir ihre Lage. Der schnuckelige Typ hat ihr also keine tausend Mark gegeben, sie vielmehr auf die Autobahn gefahren und vergewaltigt. Und jetzt sei sie über Felder gelaufen bis zu einem Dorf, um mich anrufen zu können. Ich ließ mir den Standort sagen und raste los, um meinem Baby zu helfen. Aber, was heißt hier helfen - ein unbändiger Haß kam in mir auf, als sie mir die Einzelheiten schilderte. Sie tat mir fürchterlich leid -, und ich..., ich kam mir so beschis sen vor. Es wurde mir deutlich, daß ich wegen der dämlichen Kohle die Ehre, Gesundheit und gar das Leben meiner Ge liebten aufs Spiel setzte. Ich sah es eher als eine Pflichtübung an, die Autobahn
nochmals abzufahren, den Platz des Geschehens zu inspizieren. Natürlich hatten wir keine Autonummer, glaubten uns aber an Tölzer Buchstaben zu erinnern. Freilich würde diese Drecksau auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein, aber probieren wollte ich es, wollte meinem guten Willen zur Rache Ausdruck verleihen. Ich fuhr jeden Rastplatz ab - reine Routine. Und, wie immer in solchen Situationen - ich dachte, mein Herz bleibt stehen. Ich sah schon von weitem einen schwarzen Porsche in einer der Landschaftsbuchten. Da war doch dieser Tölpel glatt am Tatort stehengeblieben, hatte wohl gemütlich sein Räuschlein ausschlummern wollen. Jedenfalls fanden wir den Typen ruhend vor. Yvette war jetzt zur Furie geworden, ich mußte sie bremsen. »Du bleibst hier im Wagen sitzen«, sagte ich ihr, holte aus meinem Kofferraum den Wagenheber und schritt gemächlich zu dem Schlafenden. Ich suchte die Wagentür aufzumachen, aber das ging nicht. Vielmehr riß ich mir dabei ganz tief einen Fingernagel ein. Die Türen waren von innen verriegelt. Und da wurde er wach, erkannte mich wohl von der >Baby-Bar< wieder. Ich drosch sofort mit meinem Wagenheber auf das schöne Auto ein, zuerst kam die Frontscheibe dran, dann das Dach, dann nahm ich mir die Seitenfenster vor. Dreißig-, vierzigmal prasselte mein ungewöhnliches Zuchtinstrument auf dieses Auto hernieder, der Wagen sah schließlich gottserbärmlich aus. Motorhaube, Seitenteile - da war nichts mehr ganz. Der Tag wurde immer heller, es mag so um die sechs Uhr früh gewesen sien. Ich hätte leicht zum Mörder werden können. Plötzlich öffnete er die Tür, startete aber im selben Moment und gab Gas. Er steckte den Kopf aus der Tür, um sehen zu können, wohin er fuhr - durch die zertrümmerten Scheiben gab es keine Sicht. Mein letzter Hieb, den ich anbringen konnte, war auf seine Hand gewuchtet, die Hand, welche die Tür offenhielt. Ich hörte die Knochen splittern, sein Aufschrei war tierisch. Im Zickzack suchte er sein Heil in der Flucht. Ich war ausgelaugt, leer, aber zufrieden - wollte für nichts
in der Welt dem Flüchtling nachsetzen. Wir fuhren ganz langsam mit offenem Schiebedach nach Hause, schweigend sogen wir den jungfräulichen Morgenduft des neuen Tages ein. Yvette wollte am liebsten in der Badewanne schlafen, sie fühlte sich geradezu beschmutzt. Ich rauchte noch ein paar Zigaretten und ließ meine Gedanken schweifen. Mit geschlossenen Augen überdachte ich meine jüngste Vergangenheit und kam zu dem Schluß: Jaja, es ist schon so, man muß von früh bis spät unentwegt die ganze sogenannte normale Welt auf die Schnauze haun! In der letzten Zeit hatte ich mehr Keilereien gehabt als jeder professionelle Preisboxer.
Mit der Nürnberger-Anni auf Stich Natürlich gab es Schlepperinnen, die nicht nur des Geschäftes wegen zu mir kamen - nein -, ab und zu war auch schon mal eine geil auf mich. Aber, nachdem sie alle ziemlich gute Weiber waren, war es klar, daß ich von Fall zu Fall mit einer im Bettchen landete. Ich nahm leichtsinnigerweise mal eine Maus mit in Yvettes Wohnung - zum Schäferstündchen. Christa war ein großes Mädchen, besaß lange Beine, eine Wespentaille, blonde lange Haare und hatte einen Superarsch. Ein Schlüssel drehte sich, das Licht ging an, und Yvette stand im Zimmer. Tja, solch eine Situation ist ja bekanntlich äußerst peinlich, ich muß vielleicht blöd aus der Wäsche geguckt haben. »Raussss, alle beide - und du nimmst gleich deine Klamotten mit!« machte Yvette ganz sachlich. Und so geschah es denn auch - unsere große Liebe war in diesem Moment verspielt. Aus, Äpfel, Amen! Yvette und ich hatten am nächsten Tag in einem Lokal nochmals eine Aussprache, diese führte aber zu nichts. Am Ne-
bentisch, genau in meinem Blickfeld, saß ein hübsches Mädchen und flirtete mit mir. Nachdem hier, an meinem Tisch, sowieso nichts mehr lief, dachte ich mir, kann ich gleich mit dem Nachbartisch anbandeln. Yvette bemerkte dies auch sofort und sagte: »Na bitte, die. Weiber stehen sowieso alle Schlange bei dir.« Damit erhob sie sich und war verschwunden. »Ich heiße Anni, und wie heißt du?« fragte die kecke Maus über den Tisch hinweg. »Setz dich halt her - war jetzt deine Alte sauer und ist deswegen gegangen?« wollte sie in einem niedlichen Nürnberger Dialekt wissen. »Das macht mir aber nichts aus«, fügte sie selbstsicher hinzu. Freiweg erzählte sie mir, daß sie anschaffe - auf der Landsberger Straße -, und sie sei gerade solo. Nicht schlecht, dachte ich bei mir, ich konnte im Augenblick nicht genug Kohle kriegen, für meine Anwälte und so weiter. Meine Gedanken rotierten - wollte ich doch zu gerne in dieses Geschäft einsteigen. Sie hatte ein Apartment im Westend, wir tranken viel und bumsten ein paar Runden. Ich verließ sie in den Morgenstunden. So, der Anfang ist gemacht, dachte ich - und nachmittags schickte ich ihr per Boten einen Riesenstrauß roter Rosen. Zwei Tage später wollte ich am Abend meine >Baby-Bar< aufsperren, da fand ich das Amtssiegel an der Tür. Mein Laden war verplombt, und ein behördlicher Absender teilte mir mit, auch hier sei endgültig Schluß. Das war nun das sechste Lokal, das sie mir auf diese Art schlössen, und ich war ganz schön konsterniert. Ich dachte mir, die Yvette ist weg, meine Existenz ist weg - was soll werden? Die einschlägigen Stellen konnten meine Akten schließen, polizeilich war ich als Schlepper-Berndt in München mittlerweile amtsbekannt.
Aus Überlebensnot gab es jetzt nur noch eine einzige Möglichkeit - und die hieß: Anni. Ich rief sie an und bat sie, gleich zu mir zu kommen. Wir sprachen über alles, ich erzählte ihr von meiner Pleite mit der >Baby-Bar<. Sie berichtete ihrerseits, daß sie schon drei Jahre anschaffe, daß sie ein Kind vom Uwe habe, welches in Nürnberg lebe, daß sie auf der Landsberger Straße fest etabliert sei und gut verdiene. Uwe, ihr >Ex<, habe eine andere Biene, und deswegen sei sie seit ein paar Tagen solo. Ich zitterte innerlich am ganzen Leibe, ich sah hier wirklich meine Chance gekommen, blieb aber äußerlich ruhig, ja, sogar lässig. »Wie schaut's aus, schmeißen wir uns zusammen?« fragte ich sie schließlich. Ich war felsenfest entschlossen, wieder dem Milieu beizutreten. Diesmal fing ich es auch gleich ganz anders an, stellte sofort ganz keß meine Forderungen. Ein zweiter >Fall Gina< sollte mir nicht mehr passieren. »Allerdings will ich viel Kohle sehen«, setzte ich hinzu, »schaun wir mal, wie gut du stehst.« Und Anni stand lange und fleißig und dadurch auch mit Erfolg, was die Kohle anbelangte und was mir auch echt imponierte. Bisweilen aber hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht; der Tag kam, als Anni zu mir sagte, sie wolle sich gerne mit ihrem neuen Typen zeigen - also mit mir. »O. K.! Ich hole dich heute nacht irgendwann vom Strich ab, und dann gehen wir noch ein schönes Fläschchen trinken«, äußerte ich. Ich machte mir zwar den ganzen Tag Ge danken darüber, welche Reaktionen es geben würde, wenn ich mich heute als Profi-Lude präsentierte, aber ich verdrängte diese immer wieder. Wir werden sehen, beruhigte ich mich. Auf jeden Fall verbrachte ich die ganze zweite Tageshälfte damit, mich feinzumachen, mich rauszuputzen - auf daß
Anni mit mir Staat machen konnte. Meinem Auto ließ ich sogar eine Handwäsche zugute kommen. Nachts fuhr ich ja sowieso mehrmals Streife, besser gesagt, ich kontrollierte, ob Anni stand oder gerade auf Stich war. Ob
sie sich auf dem Autoparkplatz aufhielt, wo sich die Mädchen ihres Reviers mit ihren Freiern hinbegaben, oder ob sie mit einem >Besserzahlenden< in ihrem Apartment weilte. Ich war ja unter anderem dazu da, aufzupassen, daß ihr nichts passierte. So geschah es auch in dieser Nacht, und es mag so um Mitternacht gewesen sein, daß ich sie Feierabend machen ließ. Wir fuhren, ihrem Wunsche gemäß, ins >Boccaccio<. Auch sie war besonders hübsch zurechtgemacht, hatte einen geilen Fummel am Leib. Ein paar Jungs standen schon an der Bar, als wir hereinkamen. Anni grüßte sie alle freundlich, doch blieb sie unnahbar dabei. Wir setzten uns an einen der Tische, bestellten eine Flasche Whisky, eine Karaffe Cola und turtelten mit Worten. Ein >Liebhaben< im üblichen Sinne gibt es nicht in diesem Milieu, kein Streicheln, kein Anfassen, kein Händchenhalten. Man würde sofort als >Liebeskasperl< abgestempelt, das täte dem Ruf als Lude nicht gut. Die Einrichtung des >Boccaccio< ist gediegen - Samttapeten, Plüschbespannung, Mahagoni-Mobiliar, aus Mahagoni auch die Bar. Vereinzelt hängen geschliffene Spiegel an den Wänden, dekorativ gerahmt, ein Velourteppich in leuchtenden Farben, flammend gemustert, bedeckt den Boden. Die Pseudo-Quatro-Musikanlage gibt einen guten Sound ab, nicht zu laut - man kann sich noch unterhalten. Das Publikum ist bunt zusammengewürfelt, aber ein leichter Überhang des Ganoventums ist unverkennbar. Da kann kein Seidenhemd und auch nicht der feinste Nadelstreifen darüber hinwegtäuschen. Mehr oder weniger Karat blinken vom kleinen Finger der Herren. Das ist in den meisten Fällen dem Blinken des Gelblichts einer Verkehrsampel gleichzusetzen da ist Vorsicht geboten. »Du, da droben, komm doch mal runter«, hörte ich es hinter mir von der Bar her rufen. Ich brauchte mich gar nicht umzudrehen, ich wußte genau, diese Aufforderung zu überhören, hätte keinen Sinn gehabt. Ich erhob mich von meinem Platz, und Anni sagte noch halb flüsternd: »Paß auf.« Ich ging die vier Stufen der Empore hinunter und schritt mit gespielter Teilnahmslosigkeit auf die Gruppe zu, die mich rief.
»Was gibt's?« fragte ich. »Wir haben gehört, daß du die Anni poussierst - magst du dich nicht einmal vorstellen bei uns? Wer bist du denn überhaupt?« Ich sah dem Sprecher in die Augen, ein hübscher Bursche ist das, fiel mir auf. Alle meine Beobachtungen nahm ich in Sekundenbruchteilen auf. Fünf Typen waren es insgesamt, einer schlenkerte die Eiswürfel in seinem Glas, ein anderer tat ganz geistesabwesend - starrte ins Leere. Zwei weitere musterten mich, auf Barhockern halb sitzend, halb stehend. Ich dachte - Berndt, eine der wichtigsten Stunden deines Lebens ist eingeläutet, jetzt mußt du durch, jetzt oder nie. Sprüche sind da zwecklos. Noch ein Sekundenbruchteil, dann vermochte ich nichts mehr zu denken - die Kampfmaschine war eingeschaltet. Ich eruptierte wie ein ausbrechender Vulkan, schlug zu, einem Kamikaze gleich, legte mich mit allen fünfen gleichzeitig an. Gezielt und hart traf ich, das Überraschungsmoment war auf meiner Seite. Keiner hatte damit gerechnet, es spritzte Blut. Mit einem Barhocker tat ich einen Rundumschlag, die Gegenwehr begann. Ich bekam eine Flasche über den Kopf gezogen, ich schüttelte mich. Das Blut lief mir über meinen neuen, schneeweißen Frottee-Pullover. Ich sah in diesem Ge wühl urplötzlich Annis Arme herumfuchteln, begleitet von ihrem hysterischen Schreien. »Hört doch auf, ihr blöden Säue!« Das war wohl gerade der richtige Zeitpunkt, denn das Klicken eines Schnappmessers kam meinem Ohr gefährlich nahe. Es war nun für einen Augenblick mucksmäuschenstill, nur die Musik dröhnte. Noch immer ging Gefahr von dieser blitzenden Klinge aus, aber der Typ hielt inne. »Ich bin der Lang Berndt!« sagte ich laut, ging unbehelligt aus dem Lokal - und war mir sicher, mich damit vorgestellt zu haben. Anni hatte bezahlt und fuhr nun mit mir ins Krankenhaus. Das sollte meine erste Begegnung mit der Nußbaumklinik sein, welches Haus ich noch des öfteren betreten sollte.
Ich hatte neben der Kopfverletzung noch eine klaffende Wunde entlang der Knöchelpartie des linken Handrückens. Mit einigen Nähten wurde ich wieder hingeflickt. Als wir das Krankenhaus verließen, sagte Anni in ihrem lustigen Nürnbergerisch, »das habe ich kommen sehen.« Heimlich dachte ich bei mir, - ich auch. Kurze Zeit später aber lernte ich so ziemlich alle Jungs der Münchner Szene kennen; irgendwie war jeder einzelne von ihnen eine beeindruckende Persönlichkeit. Freilich hatte ich hin und wieder mal Ärger mit dem einen oder anderen, denn keiner war ein Kind von Traurigkeit. Jeder wollte und mußte auch sein Verhältnis zu mir abklären. Ich war aber aufgenommen in einem festen Verbund, bekam ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Und jetzt konnte ich mich im Milieu entfalten. Es war ein schönes Gefühl, einer von ihnen zu sein - mittendrin in Action, ausgefüllt von einem Leben, das nicht jeder leben kann. Nachdem mir nun endgültig klar war, daß hauptsächlich rohe Gewalt über vieles entscheidet, begann ich in einem Body-Building-Center zu trainieren. Je besser der Hammer, desto besser die Position - dachte ich mir. Und je besser die Position, desto besser stimmt die Kohle - und dies waren nicht nur Gedanken, sondern eine ganz nüchterne Feststellung. Ich konnte viel lernen - wie man sein Baby poussiert, wie man neue Partien angräbt, welche Alte man wo am besten aufstellt. Ich war nie mehr alleine, immer gab es Ansprech- oder Freizeitpartner. Nichts erschien mir mehr bedrohlich - schon gar nicht meine Existenz. Durch die viele Kohle konnte man sich allerlei Wünsche erfüllen. Es war damals in, nur beim Schneider arbeiten zu lassen. Wer von uns finanziell besonders gut stand, leistete sich zum >Edel-Car< noch einen >Heißen Ofen< - ein Motorrad der Easy-Rider-Art. Ich kaufte mir eine Moto-Guzzi, eine Achthundertfünfziger, California. Ließ alle Teile abbauen und verchromen, außergewöhnliche Extras wurden montiert. Zum Beispiel eine Stereo-Anlage, ein Feuerlöscher, ein Ziga-
rettenanzünder, eine Zwei-Meter-Peitschenantenne, fünf Zusatz-Halogen-Scheinwerfer. Was Anni betraf, sie wurde mir zu frech. Es gab aber bereits Ersatz für sie, und deshalb trennten wir uns ohne viel Aufhebens. Kurz zuvor hatte ich eine Blondine kennengelernt, die gerade ihre Liaison mit einem Südländer beendet hatte. Nachdem sie spitzgekriegt hatte, daß ich von der Zunft war, fragte sie mich, wo sie anschaffen könne. Mittlerweile hatte ich schon gelernt, daß die unproblematischsten Partien jene sind, die man nur aus der Ferne poussiert. Zweimal die Woche telefonieren und alle vierzehn Tage hinfahren zum Kohleholen - das war es. So verfrachtete ich Heien nach Mannheim, da kann man je nach Laune rund um die Uhr vor den Schotten stehen. Außerdem erinnerte ich mich des sogenannten Pay-Days, das ist der Tag, an dem das U.S.-Militär Geld bekommt, das dann zumeist gleich verfickt wird. Heien war noch nicht versaut durch Suff und Drogen oder sonstiges, sie war fleißig und brav. Ihr Äußeres ließ es zu, von allen Männern angegeilt zu werden. Als die Mannheimer Jungs ihr Glück bei meiner Heien versuchten, fuhr ich mit ein paar Münchnern rauf - und dann gab es Zunder. Aber Probleme sind dazu da, um bereinigt zu werden, und ich konnte auch in Mannheim Freunde finden. Durch die Tatsache, daß man oft in Puffs verkehrte - im Münchner Imex-Haus kam es häufig zu zwanglosen Sit-ins, zu denen sich Insider des Gewerbes vor den Apartments der Mädchen trafen, sich zu einem Schwatz in den davor aufgestellten Sesseln räkelten, mit den gerade nicht beschäftigten Ladies schäkerten, ihre Witze über die Kunden rissen, die im übrigen von derlei Ansammlungen nicht erbaut waren, da sie eher verschämt auf Stich gingen - lachte ich mir eben in jenem Imex-Haus noch eine Maus an. Naja, Klara, ein Rubensweib, war für meine erotischen Vorstellungen zwar nicht eben maßgeschneidert, sie war aber eine gute Anschafferin. Also egal, Hauptsache Kohle ging ein.
Tatü-tatü Ob Imex-Haus oder andere Puffs, es sind immer Schmelztiegel der verschiedensten Gesellschaftsklassen. Eierdiebe bieten ihre heiße Ware feil, und Huren sind besonders prädestiniert, Stücke, die auf dem normalen Markt teuer wären, fix ganz billig zu erwerben. So tauchte fast allabendlich ein Mann im Imex auf, der dort seine Beute an den Mann brachte - besser gesagt, an die Frau. Ob Pelze, Schmuck oder gar Perücken, sein Angebot war stets vielfältig. Natürlich war sein tägliches Risiko mit seinen täglichen Einnahmen bei weitem nicht identisch. Er war ein kleiner, drahtiger Kerl, hatte sehr schütteres Haar, um nicht das Wort Glatze zu gebrauchen. Er besaß schmale Lippen, listige Augen, und seine Gehirnschale war vollgepackt mit krimineller Energie. Selbstverständlich lernten wir Jungs ihn alle im Laufe der Zeit kennen, wir wollten natürlich schon wissen, von wem unsere Weiber die heiße Ware bezogen. Denn wenn ein charakterloser Idiot von Dieb einmal erwischt wurde und bei den Bullen petzte, an wen er sein Diebesgut verkaufte, waren unsere Weiber wegen Hehlerei dran. Alf hieß er, und er war schon fast einer von uns geworden, er war natürlich kein Hauer, aber ein Typ mit Stil und Ganovenehre. Alf machte auch keinen Hehl daraus, daß er sich schon länger mit dem Gedanken trug, ans direkte Geld, ans Bargeld, zu kommen. Und dieses liegt nun mal bei Zahlstellen, Kassen oder Banken. Er war allerdings der Meinung, zwei Mann und ein Fahrer wären die optimale Besetzung solcher Unternehmungen. Und es dauerte auch nicht lange, bis er zwei Mann aus unserem Kreise für sein Vorhaben erwärmen konnte. Ich war nicht eingeweiht, doch konnte ich beiläufig erfahren, daß konkrete Pläne geschmiedet wurden. Das Objekt, eine Bank, stand fest - und nun kam man auf mich zu. War es doch bekannt, daß ich über einen gewissen Fundus an Waffen aller Art verfügte. Ich staffierte also diese sonderbare Expedition
mit zwei Pusten aus, es waren allerdings nur Leihgaben. Wir handelten aus, daß ich dafür alles Kleingeld bekäme, das sie >einnehmen< würden. Alle Hartgeldrollen, alle Zehner und Zwanziger. In der Hoffnung, daß die Bank über recht viel Kleingeld verfügen möge, gab ich meinen Segen und wünschte viel Glück. >Tatü-tatii-tatü-tü - hier ist ,Bayern Drei', wir geben eine Fahndungsmeldung der Polizei bekannt: Auf eine Filiale der Dresdner Bank in der Münchner Innenstadt wurde soeben ein Raubüberfall verübt, die Täter flüchteten mit einem BMW-V-Acht, Farbe dunkelblau, mit dem amtlichen Kennzeichen Ingolstadt SW-431. Vorsicht, die Täter sind bewaffnet! Tatü-tatü-tatü-tü.< So klang es aus dem Radio, am nächsten Tag um 15 Uhr 50. Ich saß auf meinem Balkon und wartete förmlich auf diese Durchsage, denn derlei Meldungen sind bei >Bayern Drei< seit langem Usus. Also sind sie schon mal zumindest weggekommen, dachte ich bei mir, grinste in mich hinein und drehte mir gleich auf dieses Faktum hin einen Joint. Selbstverständlich war der betreffende BMW gestohlen. Wenn nach zwanzig Ecken unauffällig umgestiegen wird und keine Spuren hinterlassen werden, dann beißen sich die Bullen an einem solchen Fall die Zähne aus. Es ging alles gut, wir trafen uns nachts im Imex. Ich bekam meine >Engelmacher< wieder sowie ungefähr viertausend in Rollen und kleinen Scheinen. Es wurde gesoffen, der Ablauf geschildert, und Alf ging auch gleich einen Stock höher zum Picken. Insgesamt hatten sie runde Achtzigtausend erbeutet, und Rolf, ein Mittäter, erzählte mir begeistert, wie herrlich einfach doch dieses Geschäft mit der Angst sei. »Du machst den Leuten ein paar Minuten Angst und kassierst ein Haufen Geld dafür«, sagte er. Ich hatte fast den Eindruck, als sähe er solches tatsächlich als ein reelles Geschäft an.
Nun - ich war froh, daß sie nicht geschossen hatten, sonst wäre ja eine meiner Waffen sehr heiß geworden. Denn irgendwann hätte eine Projektiluntersuchung mich zum Bankräuber stempeln können, obwohl es ja nicht den Tatsachen entsprach. Der Wetzl Anton hatte eine uralte Pension in der Innenstadt gekauft, war aber der Ansicht, daß das Betten-Vermieten an Touristen nicht so einträglich sei. Um vieles mehr bekam er da schon von den Bordstein-Schwalben, die sich vor der Haustür ihre Freier angelten. Ich besuchte ihn ab und zu, einmal zum Zocken, zum anderen auch, um nachzusehen, welche Hürchen er gerade beherbergte. Er hatte im ersten Stock ein großes Zimmer zu einer gemütlichen Bar umfunktioniert, deren Tür immer einladend geöffnet war. Andererseits war Anton aufgrund der offenen Tür stets im Bilde, was sich im ganzen Hause abspielte. Ich hatte bei ihm vor ein paar Tagen eine süße Maus zum Nulltarif gebumst, und auch heute fiel mir ganz besonders eine Neuerscheinung auf. »Die ist vorgestern erst aus Berlin gekommen«, sagte Anton zu mir, »ich glaub', die ist ihrem Macker abgehauen, weil er sie immer nur aufs Maul gehauen hat«, meinte er aufmunternd. Ich lud sie auf einen Piccolo ein, flirtete mit ihr und erzählte ihr einen Schmarren nach dem anderen. Wie gut sie es bei mir hätte, daß ich sie traumhaft schön fände, daß ich sie liebe und schließlich noch, daß ich mit ihr täglich etwas unternehmen würde. Unser schönes München zeigen, gar das ganze Bayernland - Versprechungen, Blah-Blah. »Höre für heute mit dem Arbeiten auf, wir gehen uns amü sieren«, schlug ich ihr vor. Es war zwar eine Einladung, aber genau besehen, war das mein erster Befehl an sie. So ein hübsches Mädchen verd ient bestimmt nicht schlecht, die wird mir eine gute Partie sein, dachte ich bei mir. Sie wohnte auch in der Pension, da hatte ich keine Scherereien, von wegen bei mir einziehen - und so weiter.
Ich ging also mit Anschy aus, suchte mir aber schon ein Lokal aus, wo ich nicht bekannt war. Schließlich baute ich mir gerade eine Alte auf, die immerhin schon meine dritte sein würde. Und München ist ein Dorf, die Zufälle sind oft merkwürdiger Natur. Nur nicht gesehen, um nicht verraten zu werden! Anschließend fuhren wir zu mir, die Kleine war nicht schlecht im Bettchen. Am nächsten Tag kurvten wir auch tatsächlich etwas über Land, wir eroberten per Seilbahn den Wallberg in der Nähe des Tegernsees. Dort oben genossen wir im Liegestuhl die Sonne, machten eine deftige Brotzeit, und nebenbei erklärte ich ihr, vorsichtig aber bestimmt, wieviel Kohle ich täglich von ihr sehen wolle. Aber so ein Naturbursche bin ich nun auch wieder nicht, dieser eine Ausflug hatte vorerst zu genügen. Sollte Anschy lieber Freier suchen - das lag viel mehr in meinem Sinne. Dennoch, an diesem Tag nahm ich sie mit zu Muttern, die hatte mich eingeladen. Meine Eltern bewohnten jetzt ein Häuschen am Stadtrand, zu dessen Anschaffung ich finanziell beigetragen hatte. Ich fuhr zu jener Zeit gerne zu ihnen raus, wenngleich nicht zu oft. Da gab's immer gut zu essen, und ich ließ oft ein paar De-Emmchen liegen, für einen Sonntagsbraten oder etwa für ein Fahrrad für meinen kleinen Bruder. Meine Eltern schüttelten nur immer den Kopf. Meine Mutter sah wieder einen neuen Ring von meiner Hand blitzen, mein Vater tat verschämt und meckerte: »Immer diese leicht angezogenen Mädchen, was sollen sich die Nachbarn denken!« Versäumte es aber nie, auf die kurzen Rocknähte der also Gescholtenen zu stieren. Bei jedem Besuch mahnte mich mein Vater: »Junge, Junge - wenn das nur gutgeht! Ich habe im Leben noch nie mit der Polizei zu tun gehabt, und du stehst fast täglich in der Zeitung.« »Aber freuen tust du dich über jeden Hunderter, den ich dir gebe. Woher meinst du, kommt denn die Kohle, ha?« So und ähnlich gab ich ihm manchmal zur Antwort. »Mein Gott, sind die Weiber blöd«, antwortete er dann resignierend, und
es kam mir vor, als grüble er über sein Leben nach. Warum er so dumm gewesen war und nicht auch einmal eine Alte abgekocht hatte. Meine Mutter ging trotz allem ganz gut und freundlich mit meinen Mädels um, schmunzelte sogar, wenn sie immer wieder neue Gesichter sah. Der Tag war vorbei, ich fuhr Anschy zu ihrer Pension, dann begab ich mich nach Hause. Ich wollte etwas fernsehen, anschließend ins Imex, um die Klara abzukassieren. Im Imex, im Flur in einen Sessel gelümmelt, fand ich Alf. Er hielt sich schon wieder an einer Flasche Kognak fest. Ich erklärte ihm, daß in der Straße, in der ich wohne, eine schnukkelige Bankfiliale stehe. Die Gegend sei ausgesprochen ruhig, viele mögliche Fluchtwege für einen Raubzug gegeben. »Ich schaue mir das mal an«, meinte er, war aber durchaus begeistert von meiner Nachricht, denn er brauchte unbedingt wieder frische Kohle, wie er hinzufügte. Nach ein paar Tagen war klar - diese Bank wird gemacht. Diesmal sollte kein gestohlenes Fahrzeug eingesetzt werden. Zwei Mann sollten genügen, geflohen wurde mit eigenem Motorrad. Nur ein Nummernschild mußte geklaut werden, somit würden die Spuren verwischt sein. Diesmal gab ich ihnen eine abgesägte Jagdbüchse mit, der Doppellauf sah ganz schön bedrohlich aus. Alf hatte sich in der Bank umgesehen, er meinte, wenn keine Kunden drinnen seien, werde es ein leichter Deal, weil nur drei Leutchen die Besetzung bildeten. Der andere sollte draußen mit der Maschine warten - mit laufendem Motor, versteht sich. Aufgesprungen und weg, leicht durch jeden Verkehr zu kommen - das empfand ich als gute Idee. Sie hatten auch schon eine nahe liegende Garage, in die sie hineinfahren und das Nummernschild wechseln wollten, ausbaldowert. Die Maschine sollte dann ein paar Tage stehenbleiben, man wollte mit dem Taxi in die City fahren. Besser noch - mit der Straßenbahn. Ich war bei meinen Eltern zu Besuch, um wieder einmal ei-
nen Tausender vorbeizubringen. Da kam das Gespräch auf, daß ich für mein süßes Leben doch eines Tages würde teuer bezahlen müssen. Das war gar nicht so ganz falsch gedacht von meinem Herrn Papa, denn insgeheim wußte ich ja, daß die bisherigen Anzeigen gegen mich irgendwann einmal eine Strafe nach sich ziehen würden. Aber das wischte ich geistig stets vom Tisch, im Gegenteil, ich fühlte mich wohl im Underground. Besonders bei meinen Eltern spielte ich immer den Prahlhans, es war, als wollte ich mich für meine allzu ärmliche Kindheit revanchieren, ja fast rächen. »Haha - schalte mal das Radio ein, du wirst sehen, in den nächsten Minuten wird ein Bankraub in München verübt!« sagte ich. »Ich habe alle Fäden in der Hand, ich weiß, was wann, wo, wie passiert.« Nachdem ich ja wußte, daß Alf heute wieder zuschlagen würde und auch wo und um wieviel Uhr, war meine Weissagung nicht schwer. Denn präzise jetzt, um 15 Uhr dreiundvierzig - Sekunden vor Bankschluß - mußte Alf den Kassenraum betreten. Na ja, an einem guten Gelingen war mir gelegen. Und tatsächlich, ich schaute sofort auf die Uhr, kam eine Fahndungsmeldung über den Sender. Mein Vater wurde blaß, nun hatte er den Beweis dafür, daß sein Sohn mit dem aktiven Verbrechen in Zusammenhang stand. Ihm wurde es sicherlich schlecht bei dem Gedanken, ich gefiel mir ganz gut in meiner Rolle. Interessant aber war, daß die Radiomeldung nichts über Fluchtfahrzeug und Fluchtweg aussagte. Es hieß nur - >von dem Täter fehlt jede Spur.< Nun - ich würde es ja nachts erfahren. Mit lautem Hupen gab ich übermütig Gas, als ich meine Eltern verließ, ich konnte nur erahnen, mit welch gemischten Gefühlen und traurigen Gedanken sie mir nachsahen. Alf erzählte mir nachts, daß es ein Kinderspiel gewesen wäre, aber auch, daß die Beute dementsprechend weniger sei. Er hatte die Angestellten kurzerhand in die Toilette ge-
sperrt, deswegen konnten sie gewiß kaum irgendwelche Angaben machen. Ich bekam wieder mein >Kleingeld und Alf entschloß sich, nun selbst eine Waffe zu kaufen. So mögen die Jungs vielleicht noch des öfteren gute Kasse gemacht haben, ich war nicht mehr informiert. Leider mußten sie irgendwann doch einmal absatteln - die Aktionen selbst hatten immer geklappt, andere Umstände führten eines Tages zu ihrer Verhaftung. Es gab mehrere Gründe, warum wir alle traurig waren bei dieser Nachricht - ein paar Huren vermißten einen gutzahlenden Freier, gute, heiße Ware war nicht mehr auf dem Markt, und in den Knast zu gehen, ist an sich schon schlimm und traurig genug. Ein Jahr später hörte ich, daß die ausgesprochenen Freiheitsstrafen ganz schön happig ausgefallen waren. Diese bewegten sich alle so um die zehn bis dreizehn Jahre.
Das Platzt als Nabel der Nacht Das >Tilbury< am Münchner Platzl bildete sozusagen die Nachbarschaft des Hofbräuhauses. Diese Disco war auch einer unserer In-Treffs, da waren immer gute Teenies und Weiber anzutreffen - Fotohasen und Models, oder solche, die es werden wollten. Schlank und rank, jung und schön, mit fast nichts an, räkelten und wanden sie sich nach den Klängen der HundertWatt-Anlage. Damit wir diese Augenweide ungestört genießen konnten, hatten wir den großen Tisch, direkt an der Tanzfläche, zu unserem Stammtisch erklärt. Niemand anderer durfte dort Platz nehmen, auch wenn noch keiner von uns erschienen war. Setzte sich einmal ein Fremder daran, wurde er nicht bedient - ja, ganz schnell weggescheucht. Irgendwann in der Nacht kam dann einer nach dem anderen von uns an. Die plüschenen Sitzgelegen-
heiten reichten an diesem Tisch für gut zehn Mann, waren wir mehr, wurde die Sitzgruppe auf die Tanzfläche hinaus erweitert. Wir bestellten selbstredend immer nur flaschenweise - Wodka, Whisky oder Champagner. Diese Disco war immer bomb envoll, der Einlaß wurde durch einen Türsteher geregelt. Daß unser Tisch stets frei war, bis wir gnädigst eintrudelten, diese Tatsache blieb natürlich den anderen Gästen nicht verborgen, und sie warfen uns verstohlene Blicke zu, mieden indes jeglichen Kontakt mit uns. War unser Tisch vollbesetzt, saßen da, locker zusammengerechnet, ungefähr hundert Jahre Knast beisammen. Und das war für jedermann ersichtlich, da nützten auch unsere teuere Garderobe und unser scheinbar sanftmütiges Gehabe nichts. Ich saß besonders gern in diesem Laden, die Abschußquote war recht gut. Da habe ich so manchen Teenie rausgefickt. Das war natürlich nicht schwer, mit allen Privilegien des Lokals ausgestattet, wie wir waren, dazuhin immer reichlich Getränke auf dem Tisch, gutes Aussehen, guter Spruch und immer gut gelaunt. Da kamen die Girls wie die Motten ans Licht. Man wußte auch, daß die dicken Autos vor der Tür an unseren Tisch gehörten. Ja - und nicht zuletzt war das >Tilbury< der ehemalige >Pferdestall<. Den >Pferdestall< hatte ich doch häufig mit meiner ersten Hure, nämlich der Gina, besucht. >Die modert auch schon im Grab so leise vor sich hin<, ging es mir einmal recht undankbar durch den Sinn. Dabei überdachte ich meine gegenwärtige Situation und stellte fest, daß ich meine >Pferdchen< heute ganz anders im Griff hätte. Nun, der >Pferdestall< war eines Tages abgebrannt, was in der Gastronomie nicht unüblich ist. Läuft der Pachtvertrag ab, ändert sich die behördliche Konzession, oder ist ein Laden renovierungsbedürftig - meistens brennt dann der betreffende Schuppen. Versicherungen werden daraufhin ganz hübsch zur Kasse gebeten, zahlen den Löwenanteil der Neueinrichtung. Unser guter Berger, ein kleiner Wieseltyp von Mann, ein Jude, war der neue Besitzer des >Tilbury<. Er besaß schon mehrere
Kneipen rund ums Platzl, schlief meistens, auf einer Bank zusammengerollt, in einem seiner Separees, machte fast stündlich in jedem seiner Läden die Abrechnungen, auf daß er um keinen Pfennig betrogen würde - von seinen Animiermiezen und Barfliegen. Berger ernährte sich mit drei, vier trockenen Semmeln am Tag, war mit dieser Einstellung Millionär geworden. Er, der Berger, war bekannt bei jedermann, der in der Nacht unterwegs war. Er hatte so manchem sein Mädchen in einer seiner zahlreichen Finten als Animierdame untergebracht, außerdem trafen sich Diebe und Hehler in seinen schummrigen Budiken zu ihren Geschäften. Eines Abends war ich auch wieder am Platzl unterwegs, in irgendeinem Gebäude wurde im ersten Stock gezockt. Mal schaun, dachte ich, vielleicht steht mir heute das Glück zur Seite, und ich mache aus einem Tausender womöglich drei oder vier- oder gar fünf. Ein Typ sprach mich an, der mir und anderen als hochkarätiger Autoschieber bekannt war. Ohne Umschweife machte mir dieser ein interessantes Angebot, worüber ich nachzudenken versprach. Jedenfalls offerierte er mir zehntausend Mark, wenn ich ihm meinen Sechshunderter Benz überlassen würde. Nachdem der Wagen aber fabrikneu und gute Achtzigtausend wert war, würde ich zu den Zehntausend noch die volle Kaufsumme dazu von meiner Versicherung bekommen - wenn ich das Gefährt als gestohlen meldete. Mein Wagen sollte also nach den Vereinigten Staaten verschoben werden und hierzulande als gestohlen gelten. Wenn das Auto binnen sechs Wochen nicht mehr aufgefunden wurde, mußte die Versicherung den vollen Kaufpreis berappen. Selbstverständlich konnte es nicht mehr aufgefunden werden, weil es zu dieser Zeit schon längst, und womöglich umfrisiert, auf irgendeinem High Way in den USA spazierenfuhr. Also auf diese Weise macht der seine Geschäfte, ging es mir durch den Sinn. Wie teuer würde er wohl drüben meinen
Schlitten verkaufen können? Aber mit dieser Frage brauchte ich mich nicht zu beschäftigen. Für mich ging es ganz konkret um ein neues Auto und - um Zehntausend Gewinn. »O. K. - der Deal wird durchgezogen«, erklärte ich dem Burschen am nächsten Tag. Der Ablauf des Plans war einfach: Ich sollte ihm noch in derselben Nacht um dreiundzwanzig Uhr mein Fahrzeug nebst Papieren und Schlüssel übergeben und bekam in diesem Moment Zehntausend auf die Hand. Der Typ hatte vor, die ganze Nacht hindurch nach Amsterdam zu fahren, den Wagen auf ein Schiff, das für die USA bestimmt war, zu verladen, um mit dem nächsten Flugzeug nach München zurückzukehren und mir die Papiere sowie den Schlüssel auszuhändigen. Anschließend würde ich auf ein Polizeirevier gehen und den vermeintlichen Diebstahl meines Autos melden. Und genauso präzise, wie geplant, lief es dann auch ab. Meine geschauspielerte Traurigkeit über den Verlust meines geliebten Autos klappte ganz gut. Der Polizeibeamte meinte nur ganz lapidar, daß solch großkalibrige Karossen meistens nicht mehr auftauchten. Das sei die allgemeine Erfahrung, konstatierte er. Ich wartete fünf Wochen, nachdem ich meine Versicherung durch ein Telegramm vom Diebstahl meines Kfz's informiert hatte. In wenigen Tagen mußten sie >zur Kasse schreiten^ Mal sehen, was ich mir dann für einen neuen Wagen zulege, dachte ich. Die Tage wollten einfach nicht vergehen, ich war des Taxifahrens schon langsam leid. Aber morgen ist es soweit, stellte ich an dem betreffenden Tag unterm Zähneputzen bei mir fest. Es war bereits Mittag, ich wollte meinen alltäglichen >Frühstücksschmaus< holen frische Semmeln, einen Liter Milch, etwas Aufschnitt. Die Zeitung nicht zu vergessen. Um Gotteswillen, was war das?! Ich vergaß meinen Einkauf,
wurde kreidebleich, mir schnürte sich der Magen zu. Das durfte doch nicht wahr sein! Die fettgedruckte Schlagzeile verriet schon alles. »MÜNCHNER AUTOSCHIEBERRING AUFGEFLOGEN! <
Mit dieser Schlagzeile präsentierte sich das Münchner Boulevardblatt, das ich immer las. Ich schnappte mir die Zeitung nur schnell nach Hause und ganz ruhig bleiben, redete ich mir zu. Ich las den Artikel gleich mehrmals, selbstredend wurde meine schlimme Ahnung bestätigt. Eine ganze Schiffsladung Nobelkarossen war nach Auskunft der Rotterdamer Hafenpolizei sichergestellt worden. Die internationale Zusammenarbeit der betreffenden Stellen habe einen raschen Zugriff möglich gemacht. Alle Beteiligten seien in Haft. Na sauber, lautete mein Kommentar. Ich nahm mir vor, mich still zu verhalten, abzuwarten, was geschehen würde. Ein paar Tage später teilte mir meine Versicherung mit, daß sich mein Wagen erfreulicherweise angefunden hätte. Dieser sei von einem Überseeschiff heruntergehievt worden und würde mir in den nächsten Tagen durch die Bundesbahn zugestellt. Etwaige Schäden solle ich melden. Mit freundlichen Grüßen und so weiter... Na, damit hatte ich ihn also sozusagen wieder. Nur! würden die Jungs einen Teufel tun und mich decken, indem sie angaben, sie hätten mein Gefährt geklaut. Also würde ich des Versicherungsbetrugs angeschuldigt werden. Und so kam es auch. Ich wurde als Zeuge geladen, als der Schieberring in München vor den Schranken des Gerichtes stand. Auf ihre Verpflichtung, die Wahrheit auszusagen, aufmerksam gemacht, gestanden die Betreffenden die Sachlage. Mir hatte meine Geldgier mithin wieder einmal bösen Ärger eingebracht. Also hatte ich mein Auto wieder, nur das Autotelefon hatte man mir stiebitzt. Indes, ich konnte abermals unterwegs sein und befand mich auch alsbald auf der Autobahn nach Mannheim - mal gucken, wieviel Kohle mein Baby da droben angesammelt hatte. Heien versteckte ihr Geld immer an einem anderen Ort in ihrem Zimmerchen, auf daß kein Gast fündig werden und sie berauben könnte. Und wenn ich auftauchte, hatte sie stets eine diebische Freude daran, mich die Kohle
suchen zu lassen. Mal war ich mit dem, was ich aufspürte, mehr, mal weniger zufrieden. Es war immer dasselbe Ritual - ich wußte, was sie nach dem Geldzählen wollte, und sie wußte, was ich wollte. Sie legte sich sofort aufs Bett, machte die Beine breit und erwartete mich sehnsüchtig. Ich aber konnte Heien nur bumsen, wenn sie eine Strumpfhose anhatte, den Zwickel fein säuberlich ausgeschnitten. Denn das Nylon auf ihrer überdurchschnittlich schwitzenden Haut ergab dann wiederum ein geiles Gefühl, wenn sie mich mit ihren Beinen umschlang und umspielte. Heien war sehr hingebungsvoll beim Bumsen, manchmal weinte sie dabei stumm. Einmal passierte in Sekundenschnelle folgendes: Ein Trampeln und Poltern die Treppe herauf war zu hören, unsere Tür wurde aufgestoßen. Zwei Typen standen an unserem Bett. Der eine war der Wirtschafter des Puffs, den anderen kannte ich nicht, er hielt einen Baseball-Schläger in der Hand. »Ach herrje -!« machten die Eindringlinge. »Ihr geilen Schweine seid bestimmt an den Alarmknopf gekommen«, stellten sie fest. »Ach du Scheiße«, erwiderte ich, »nun - alles klar hier, macht, daß ihr rauskommt!« Ebenfalls zur Gewohnheit wurde es bei uns, nach unserem Schäferstündchen irgendwohin zum Essen zu gehen. Oder, wenn wir uns tagsüber getroffen hatten, machten wir danach auch schon mal eine Schiffsfahrt den Main hinunter. Abends aber mußte Heien wieder anschaffen - mir hätte ja eine Mark auskommen können. Währenddessen ging ich dann mit den Mannheimer Jungs um die Häuser - in die Discos. An einem solchen Abend saß ein besonders hübsches Mädchen an der Bar eines Lokals, das ich betreten hatte. Ich stellte mich gleich neben die Kleine. Sie sprach mich an, hörte, daß ich Münchner war. Da wolle sie immer schon hin, München sei eine tolle Stadt, erklärte sie. »Ja, Baby, hopp - ich nehme dich gleich mit!« entgegnete ich und war schon ganz flott an ihrer Wäsche. »Du bist jung und schön, du hättest eine glorreiche Zukunft in Mün-
chen«, fuhr ich fort, und wir diskutierten des längeren und breiteren alles mögliche durch. Sie hatte eine braune, samtene Haut, ihr einziges Kleidungsstück war ein locker sitzender, kurzer Baumwollfummel. Sie trug darunter keinen Slip. Ich deckte sie mit meinem Körper ab und fuhr ihr langsam zwischen die Beine. Höher, bis ich ihr durchs Schamhaar kraulen konnte. Sie schmiegte sich an mich, hauchte mir heiß ins Ohr. Keiner im Lokal konnte etwas bemerken, wir schauten ziemlich scheinheilig aus der Wäsche. Sie spreizte nun leicht ihre Schenkel, mein Finger glitt sofort in ihr nasses, heißes Vötzchen. Sie hatte ein göttliches Muskelspiel in ihrer Grotte, sie vermochte gar, meinen Mittelfinger zuckend zu umschließen. »Wahnsinn - bist du ein geiles Schweinchen«, raunte ich ihr zu. »O. K., wenn dich hier nichts hält - dann komm doch gleich morgen mit mir nach München!« Am nächsten Tag, um Punkt elf Uhr, fuhr ich in die Autobahnauffahrt in Richtung München ein. Dort sollte Manuela mit ihrem Gepäck stehen. Und ich dachte mir, wenn die jetzt tatsächlich da steht, dann habe ich zumindest die nächsten paar Tage zu Hause was Geiles im Bettchen. Wie es dann weiterging, würde man sehen. Ich hatte noch nicht zu Ende gedacht, da sah ich sie schon mit ihren dürftigen Habseligkeiten stehen. Mein Herz schlug höher, denn es war wieder einmal die Bestätigung für mich, daß ich mir auch die besten Weiber unter den Nagel reißen konnte. »Hey, Baby, steig ein! Toll, daß du pünktlich bist, toll, daß du mitkommst!« Sie warf ihre Siebensachen auf den Rücksitz, stieg ein und gab mir einen langen Kuß. Schon unter der Fahrt schmiedeten wir Pläne. Es schien für sie von Haus aus klar gewesen zu sein, daß sie in München anschaffen gehen würde. Nur wollte sie sich nicht deswegen behördlich melden, darauf bestand sie. Weil ich unterm Fahren mit einer Hand mit ihrem Körper spielte, wurde ich geil. »Oh, Baby, meine Hose wird zu eng, magst du mich nicht befreien?« Sie öffnete diese und
nahm meinen Schwanz ganz zärtlich in ihre beiden Hände, legte meine Härchen zur Seite, als ob sie etwas Kostbares freilegen wolle. Sie küßte meine Eichel. Nun galt es für mich, den Wagen in schneller Fahrt auf der Straße zu halten. Sie stülpte ihre vollen Lippen über meinen Schwanz, ich spürte ihre heiße Mundhöhle und ihre spielende Zunge. Mit einer Hand wühlte ich in ihrem vollen Haar. Schließlich mußte ich vom Gas gehen, das Gefühl übermannte mich. Sie richtete sich auf, pellte ganz lässig einen Kaugummi aus dem Papier, kaute und lächelte mich an. »Du bist ja sagenhaft, wo hast du das gelernt?« wollte ich wissen. »Naturtalent« - lautete ihr schlichter Kommentar. In München angekommen, ruhten wir uns etwas aus, machten uns schick und gingen aus. Wir feierten unsere große Liebe, prosteten auf die Zukunft. Natürlich habe ich Manuela überall dorthin geschleppt, wo ich meine neue Partie den anderen Jungs stolz präsentieren konnte. »Der schöne Berndt hat wieder zugeschlagen«, ulkten die Jungs, und in leisem Ton gaben sie mir zu verstehen, daß diese Maus ganz sicher gut verdienen werde. Aber das war mir selbst schon klar. Doch - wo stelle ich sie hin? war meine Sorge. Es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis meine Weiber voneinander erfuhren. Hatte ich doch die Klara im Imex >stehn<, die Anschy beim Wetzl-Anton in der Pension und die Heien in Mannheim. Also entschloß ich mich, Manuela in der City wackeln zu lassen. Als Unterkunft besorgte ich ihr gleich am nächsten Tag ein Apartment. Das sollte gleichzeitig meine Zweitwohnung sein. Ich tat mir eine >Wanze< ein, ein klitzekleines Mikrophon mit Sender. Ich konnte dann, vor dem Haus parkend, im Autoradio auf Mittelwelle 1,5 alles hören, was sich da oben abspielte. Mit dem Ding war alles gut und klar zu hören- selbst, wenn eine Maus gehustet hätte, wäre das übergekommen. So war ich immer informiert, wie Manuela arbeitete, wie-
viel Geld sie vom Gast bekam - oder aber auch, wenn ein Gast eine bedrohliche Situation heraufbeschwor. Manuela entwickelte sich zu einer guten Geldquelle, aber auch zu einem eigensinnigen Trotzkopf. Ich saß im >Tilbury<, der Laden schloß gleich. Ich hatte mir so ein geiles Gerät von der Tanzfläche geangelt. Sie kam aus gutem Hause, konnte sich denken, wovon ich lebte. Deshalb erzählte mir diese Schöne schon die ganze Nacht, daß sie zwar mit mir ins Bett hüpfen, aber nie im Leben für mich Anschaffen gehen würde. Wir waren bereits sehr alkoholisiert, auch ein paar Jungs und etliche Hürchen saßen an unserem Stammtisch. Auf einmal stand meine Manuela am Tisch und funkelte mich mit ihren Augen an - vor Eifersucht. Sah sie doch, wie meine Hände an diesem Teenie spazierengingen. Ich aber hatte all meinen Weibern verboten, das >Tilbury< zu betreten. Tja, nun stand sie da, die Manuela, mit stolz erhobenem Haupte. Schön sah sie aus, in diesem Disco-Licht. Aber die Situation erforderte von mir andere Reflexe. »Was willst du denn hier? Ich hab' dir doch verboten, in dieses Lokal zu kommen!« machte ich ätzend. »Mir ist jetzt auch klar, warum! Damit du meine Kohle hier mit den soliden Weibern verbraten kannst«, erwiderte sie. Das war ganz schön starker Tobak. Wie frech die mit mir umsprang! Das wurde mir trotz des reichlich genossenen Alkohols denn doch zuviel. Ich mußte da >ein Denkmal setzen<; durfte keinerlei Schwäche zeigen, vollends vor den anderen nicht, die das alles mit beobachteten. Also langte ich der Manuela die erste über den Tisch und setzte mit der zweiten sofort nach. »Raus hier«, schrie ich und zerrte sie auf die Straße. Als ich wieder an den Tisch kam, war die Schöne der Nacht verschwunden. »Die ist getürmt«, erklärten mir die Jungs, und ich war ganz schön frustriert. Am nächsten Tag holte ich die Manuela ab, und wir fuhren zum Ludensee. Eine Aussprache war fällig. Aber Manuela
blieb souverän. Sie ließ sich überhaupt nicht von mir einschüchtern. Für sie war der Fisch gefressen. Sie wollte weg von mir, ausziehen und für sich alleine anschaffen. »Ha, Baby - das ist aber echt nicht in meinem Sinne, dann verschwindest du umgehend aus München, gehst dorthin zurück, wo du herkommst!« war meine letzte Einlassung. Und somit hatte Manuela von mir >München-Verbot< erhalten bis vierundzwanzig Uhr derselben Nacht sollte sie abgedunstet sein. Die Zeiger der Uhr rückten auf zwölf, als ich wieder im >Tilbury< landete. Ich dachte, mich laust der Affe, sitzt an einem der hinteren Tische die Manuela. Das schlägt dem Faß den Boden aus, fuhr es mir durch den Kopf, und ich ging sofort auf den betreffenden Tisch zu. Ich wollte mich gerade künstlich aufplustern, meine Macht demonstrieren - da wurde es dunkel um mich. Ich spürte wie im Traum, daß ich Hiebe auf den Kopf bekam. Erst Momente später begriff ich, was geschehen war. Aus Angst vor einer gehörigen Tracht Prügel hatte Manuela offensichtlich ihren Schuh ausgezogen und mir mit dessen Pfennigabsatz mit aller Gewalt auf dem Schädel herumgedroschen. Als ich wieder begann, durchzublicken, dachte ich erst, eine Sektflasche wäre ihre Waffe gewesen - denn diese Hiebe hatten mich für einen Augenblick tatsächlich schachmatt gesetzt. Aber dem war nicht so, es war, wie gesagt, ihr Stöckelschuh. Und ich sah nun obendrein noch aus, als wäre ich unter die Wölfe geraten. Ein Kellner kam gleich mit einem rohen Steak angepest und hielt es mir auf das geschwollene Auge. Ein unbändiger Haß kroch in mir hoch - die Erniedrigung war übergroß. Jetzt nach Manuela zu suchen, hatte gar keinen Sinn, die war auf und davon. Aber, ich würde sie finden! Nachdem ich mich auf der Toilette gesäubert und die Dellen gekühlt hatte, verließ ich das Lokal, ohne zu zahlen. Mir stand nichts anderes mehr im Sinn, als dieses Luder aufzutun, um meine Schmach zu rächen. Ein paar Stunden weiter sah ich sie auf einem Zebrastreifen
stehen, sie winkte in diesem Augenblick einem sich nahenden Taxi. Ich gab Gas, die Reifen quietschten. Es ging alles furchtbar schnell - die Handbremse angezogen, raus aus dem Wagen. Ich bekam Manuela zu fassen. Zum Taxler, der recht verdutzt die Szenerie erkannte, bemerkte ich: »Hau ab, du Arsch!« Manuela begann hysterisch zu schreien, aber sie war gleich wieder still. Ich schlug mit der Faust zu. Mein erster Schlag ließ ihre Sinne schwinden - kein Mensch war um halb fünf in der Frühe auf der Straße. Nur weit entfernt blinkte das Gelblicht einer Straßenreinigungsmaschine. Sie taumelte - ich schlug weiter, wie besessen, auf sie ein. Den nahezu leblosen Körper zog ich in meinen Wagen, Blut lief Manuela über das Gesicht. »Du hast Stadtverbot!« sagte ich ihr unaufhörlich. Draußen, an der Stadtgrenze, an dem Schild, auf dem stand >Herzlich willkommen in München da legte ich sie ab und pißte noch ein bißchen darüber. Wie hatte ich doch mir selber in meiner Kindheit innigst geschworen? ... mich schlägt kein Mensch mehr ungestraft!!! Ab diesem Moment habe ich von Manuela nichts mehr gehört. Doch viel später sollte dieses Mädel nochmals eine Rolle in meinem Leben spielen.
Abgehoben Eine neue Nacht, ein neues Glück - so geht es tagein, tagaus, ob Sommer oder Winter. Ob Sonn- oder Feiertag. Unter diesem Motto begeben sich alle Huren allabendlich außer Hauses ins Puff, auf die Straße oder sonstwohin, wo man für die >Ware Körper< Geld bekommt. Auch Ramona war eine, die außer Hauses ging. Ich hatte sie im >Boccaccio< aufgerissen, besser gesagt, sie war mir dort in die Arme gelaufen. Sie kam geradewegs aus Frankfurt und
wußte nicht, wo sie schlafen sollte, wie sie mir sagte. Dem war leicht abzuhelfen, ich besaß ja noch eine Zweitwohnung in München. Ich besah mir diesen Zahn - eine eingefleischte, abgewichste Hure, dachte ich mir im stillen. Na ja, eine Partie mehr konnte nie schaden, es war mir klar: Die schafft bestimmt gut an. Lederstiefel bis zum Knie hatte sie an und einen Minirock - so kurz, daß man jederzeit dieses geile Dreieck unter dem Spitzenslip und die herauslugenden Schamhaare sehen konnte. Ich dachte nicht sonderlich darüber nach, daß sie kein Ge päck bei sich hatte, sondern zog mit ihr in meine Zweitwohnung, denn mit meiner eigentlichen Bleibe wollte ich sie gar nicht erst vertraut machen. Und innerhalb einer Woche hatte sie mir tatsächlich schon eine ganz nette Mark abgesteckt. Heute, an diesem Abend, wollte sie meinen Wagen haben zum Anschaffen. Sie erzählte mir, wie teuer sich die Huren in Frankfurt verkaufen können, wenn sie mit einem Superschlitten durch die City gleiten. Entsprechende Herren mit noblen Karossen hängen sich dran bis zu einem günstigen Stop. Dann zeigt ihnen ein Blick durchs offene Wagenfenster ein Supergirl mit fast nichts an. Auf diese Weise knüpfen die Huren der Mainmetropole an die glorreichen Zeiten der legendären Matura und Nitribitt an. Auch Ramona hatte in dieser Manier traumwandlerisch Kohle verdient - sagte sie. Das leuchtete mir ein, und, obwohl es mir nicht ganz geheuer war, meinen schönen neuen Wagen aus der Hand zu geben - den Kultgegenstand eines jeden Zuhälters -, willigte ich ein. Schmeichelte der Gedanke doch meinem Ego, eine Edeldirne auf dem Wackel zu haben. Und obendrein konnte ich ja den Hals nicht voll genug kriegen. Noch mehr Kohle zu sehen, mit dem Gedanken war ich immer gut Freund. Zudem war mein Baby sehr genügsam, ihr reichten ein paar Brühwürfel zum Aufkochen - ein leeres Süppchen also und vielleicht zwei trockene Semmeln dazu. So sah ich ihr also vom Balkon aus nach, wie sie in meinen Wagen stieg. Meine Gefühle überlagerten sich. Fand ich es
doch erregend, direkt unter mir durchs offene Schiebedach nur nackte Schenkel zu sehen und volle Titten, in einen durchsichtigen Seidenschal gebunden. Andererseits aber vertraute ich meine größte Liebe, das Auto, nicht gerne einem anderen Lenker an. Eine gewisse Unruhe hatte also von mir Besitz ergriffen. Aber, wie schon gesagt, wenn sich das Ganze in Kohle oder wesentlich mehr Kohle bemerkbar machte, konnte ich vielleicht mit dieser Unruhe leben. Ramona lächelte noch einmal zu mir herauf, startete und war um die Ecke verschwunden. Und jetzt, geradezu lächerlich, kam richtige Trauer in mir auf. Mein geliebtes Auto stand nicht mehr vor der Tür, wartete nicht mehr auf mich, allgegenwärtig, um mich wann immer wo immer hinzubringen. Es handelte sich um einen Mercedes vom Typ 300 SEL, 6,3 Liter, gerade vier Monate alt; die Zusatzausstattungen waren reichlich und teuer gewesen. Es war schon ein erhabenes Ge fühl, dieses sanfte und doch so kraftvolle Geschoß, vollgepackt mit allen technischen Finessen, zu steuern. Außerdem war ich mit diesem Gerät auf allen Straßen der Chef. Wie sehr brauchte ich doch dieses Gefühl der ständigen Selbstbestätigung! Zudem wurde mir klar, daß ich jetzt ohne mein Auto meine Unabhängigkeit verloren hatte. Auf ein Taxi angewiesen zu sein, der Gedanke machte mich ganz krank. Mit Ramona hatte ich ein außergewöhnliches Abkommen getroffen. Wenn sie die ganze Nacht anschaffen war, mußte sie mir erst die verdiente Kohle durch den Briefschlitz in der Wohnungstür werfen. War es meiner Ansicht nach zu wenig, öffnete sich schon gar nicht erst die Tür für sie, bei der der Schlüssel von innen steckte. Da gab es keine Diskussionen, vielleicht durch den halbgeöffneten Türspalt oder so, nein. Wenn einfach alles stillblieb, sich nichts rührte, konnte sie gleich wieder abdampfen. Indes, in der Regel durfte sie beim >zweiten Abliefern< dann doch hinein und ins Bettchen. Meine Gegenleistung war entsprechend, konnte Ramona
schließlich bei mir schlafen, mit mir schlafen, konnte bei ihren Kolleginnen prahlen, sie sei mit dem > Schönen Berndt< liiert. Und jetzt vermochte sie gar noch als Edeldirne sehr bequem auf honorige Freier Jagd zu machen. Das war also die momentane Situation... Ich wandte mich von der Balkonbrüstung ab, begab mich zurück in die Wohnung und schaltete den Fernseher an. Es war am frühen Abend, aber alle Programme versprachen nicht eben viel. In solchen Fällen hatte es sich bei uns Jungs eingebürgert, daß wir uns früher oder später in einer Stammkneipe zu ein paar Runden Billard trafen. Und dies war für mich einer jener Abende, wo man zu Hause nichts verloren hatte. Außerdem war die betreffende Bude schlicht nur meine Zweitwohnung, primitiv eingerichtet, eben gut genug, um mal einen besonders vielversprechenden Freier dahin abzuschleppen (vorausgesetzt, daß mein Wagen nicht vor der Tür stand, was über lange Strecken der Nacht zumeist nicht der Fall war, da ich mich immer irgendwann einmal auf Trebe oder Kontrollfahrt befand). Gerade, daß es nicht nach Gummi und Sperma stank. Also rief ich mir telefonisch ein Taxi und ließ mich in den >Billard-Saloon< chauffieren. Und siehe da, ich war nicht der einzige, den es vor der Glotze nicht gehalten hatte - fünf, sechs Jungs standen bereits an der Bar und süffelten Sekt. Es war ein alter Brauch bei uns, daß der Besteller jeder neuen Flasche durch den Flipperkasten ermittelt wurde. Zum einen gab das immer Spaß und Spannung, denn jeder von uns wollte doch stets der Beste sein. Zum anderen, was machte das schon, wenn man mal verlor. Das waren dann lächerliche dreißig Mark, die man für eine Buddel >Sauerampfer< auswarf. Ich stieß also zu den anderen, und deren Stimmung schlug umgehend auf mich über. Die drei Billardtische standen noch leer, die Kugeln warteten darauf, mit gefühlvollen oder auch kräftigen Stößen in die Löcher karamboliert bzw. gepeitscht zu werden. »Ha, der Berndt ist gekommen!« jubelten sie, um zu ulken:
»Wir haben nämlich schon auf einen Freier gelauert, der die nächste Flasche ausgibt.« »Und ich wollte mich heute kostenlos besaufen«, gab ich zur Antwort. Es war immer ein schönes Gefühl, unter Gleichgesinnten zu sein, es gab unentwegt Neuigkeiten zu berichten. Von unseren eigenen Weibern, von Idioten-Freiern oder einer lustigen Schlägerei, die da oder dort stattgefunden, von einem geilen Teenie, den man umgelegt hatte. Zwei junge Burschen betraten den Saloon, ließen sich Kleingeld geben, machten sich daran, einen der Billardtische für ein Spiel vorzubereiten. Es waren zwei Figuren, die uns augenscheinlich noch nicht kannten. »Weg da!« schrie einer von uns, »die Tische sind reserviert. Ihr könnt da nicht spielen!« »Jaaa - aber ihr spielt doch gerade nicht«, kam der durchaus logische Einwand. »Halt die Schnauze, Kleiner, sonst kriegst du das Queue übers Maul gezogen!« Einer von uns ging, den Billardstock in der Hand, bedrohlich auf die beiden zu, die anderen folgten ihm, scharten sich um die Gruppe. Klar machten wir nur Spaß, würden diese Leutchen nicht einfach so mir nichts dir nichts verprügeln. Das konnten jedoch die armen Burschen nicht ahnen, denn unsere Mienen ließen auf bitteren Ernst schließen, wobei unsere Staturen - keiner von uns maß unter einsachtzig, Brustkörbe hatten wir wie Gorillas - wohl allein schon jedem eine Gänsehaut besorgt hätten. Es bereitete uns einfach Spaß, Angst zu verbreiten. Ganz schnell schnappten sich die zwei jungen Männer ihre Jacken von den Haken und ergriffen die Flucht. Das elektronische Dideldumdei erklang alsbald am Flipper, die Lichter unter der Scheibe tanzten wie verrückt- eine neue Flasche Sekt wurde ausgespielt. Am Ende war ich zweiter Sieger, konnte ihnen also nicht den Gefallen tun, die anstehende Flasche zu bezahlen. Irgendwann wandten wir uns den Billardtischen zu, es wurde um Geld gespielt. Das schaffte einfach mehr Anreiz, und das Gewinnenwollen steckte in jedem von uns.
Ich war bäuchlings über den Tisch geneigt, es galt gut zu zielen. Wenn nämlich dieser Stoß saß, die letzte Kugel im Loch verschwand, war ich um hundert Mark reicher. »Deine Alte kommt, hat die heute frei?« hörte ich den Robby hinter mir äußern. Es durchfuhr mich wie ein Blitz. Wie gelähmt hielt ich im Stoß inne. In meiner Körperhaltung verbleibend, drehte ich lediglich den Kopf, ich ahnte millionenprozentig, was nun kommen würde. Langsam löste ich mich aus meiner Starre, richtete mich auf. Ramona stand vor mir, und wenn man nicht diese geilen Brüste durch den Schal hätte schimmern sehen, hätte man in diesem Moment meinen können, ein Kommunionsmädchen flehe um den Segen. »Das... der... dein Wagen ist kaputt«, stotterte sie. »Ich kann aber nichts dafür, glaube mir. Ich hatte geparkt, bin ein paar Schritte zu Fuß gegangen, der Wagen stand, und ich weiß von nichts —«, sprudelte sie nun ganz aufgeregt hervor. Ich schloß für Momente die Augen, ein klitzekleiner Schwindel überkam mich. »Wo, wie ist das passiert?« Ich hörte meine eigenen Worte von sehr weit herkommen. Leeren Blickes stammelte ich: »Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn. « Die Jungs schüttelten mich, holten mich wie aus einem Traum in die Realität zurück. »O. K., zeig mir die Unfallstelle«, herrschte ich Ramona an. Alle gingen sie mit, da Ramona angegeben hatte, der betreffende Ort befinde sich um die Ecke. Da stand er nun, mein metallicsandfarbener, mein sanfter Riese. Und das Auto wirkte mindestens genauso traurig wie ich. Fast vermeinte man, sein Wehklagen zu vernehmen. Die Erschütterung kroch mir durch Mark und Bein. Das Blech der Motorhaube und des einen Kotflügels stand in bizarrer Weise in die Luft. Überall war der Lack abgesplittert, als Mercedes war dieses Gefährt kaum noch zu erkennen. Aus etlichen Fugen und Schläuchen tropfte es, gerann im Rinnstein zu einer Mixtur aus Wasser, Öl, Benzin, der Flüssigkeit der Air Condition - die ganze Vorderfront war in den Klump gefahren.
Kein einziges Indiz fand sich allerdings dafür, daß der Wagen im geparkten Zustand gerammt worden war. Sofort war mir und den anderen klar, daß der Unfall nicht hier, an dieser Stelle, stattgefunden hatte. »Ramona!« schrie ich in die Nacht, »beide Scheinwerfer sind kaputt, wo sind die Glasscherben? Wo die Lackspuren und die gelben Splitter des Blinkers?« »Das muß jemand alles zusammengekehrt haben«, entgegnete sie beschwörend. »Berndt, ich liebe dich so sehr, bitte, bitte, glaube mir!« Mir aber konnte sie diesen Schmarrn nicht erzählen, mir war es absolut klar, daß dieser schwere Unfall woanders passiert war, und sie hatte den Wagen, so gut es ging, in diese Straße verbracht. Mir war klar, ich wurde hier schamlos belogen - ich sah ihr in die Augen. Eine schlimme Ahnung überkam mich. »Ramona«, zischte ich leise durch meine unbewegten Lippen - »hast du gekifft oder gepult?« Sie nahm nämlich gerne diese Aufputsch-Dinger, weswegen ich ihr schon öfters mal eine übergebraten hatte. Die stark erweiteten Pupillen verrieten sie. »Ramona«, sagte ich jetzt ruhiger - denn es begann sehr ernst zu werden. »Ramona, wo, um Gottes willen, hast du den Unfall gebaut? Zeugen werden die Nummer - meine Nummer - notiert haben, das gibt einen bitterbösen Fall von Fahrerflucht! Bitte, sag mir alles ganz genau, vielleicht kann ich dann noch, gerade noch, diese Sache bereinigen. Morgen nämlich kommen die Bullen, weil dann der Tatbestand der Unfallflucht glasklar ist!!« »Nein, Berndt, ich liebe dich, ich würde dich niemals belügen - bitte, bitte glaube mir. Hier hab' ich das Auto abgestellt, und hier fand ich es auch beschädigt wieder!« Haß stieg in mir auf, unbändiger Haß. Wollte sie mich obendrein noch für dumm verkaufen? Ich sagte ihr nur noch: »Hau ab, zieh deine Kreise zu Fuß! Tag und Nacht wirst du von jetzt ab strampeln und anschaffen, bis dir das Blut kommt -! Verstanden?!«
Und sie zog Leine, war sichtlich froh, daß ich ihr nicht auf der Stelle den Kopf abriß. Aller Zorn aber nützte jetzt nichts, ich mußte wieder zu Besinnung kommen, mußte meine Fassung wiederfinden. Nach einigem fachlich-sachlichen Palaver gingen die Jungs wieder in den >Billard-Saloon<, ich bestieg mit Robby ein Taxi. Ich war felsenfest davon überzeugt, hier, ganz in der Nähe, hatte der Unfall stattgefunden. Dem Taxler gab ich Anweisung, er solle mal um ein paar Ecken kurven, die eine oder andere Straße abfahren. Eigentlich suchte ich nach Blaulichtern. So ein Rumms konnte meines Erachtens nicht unbemerkt geblieben sein. Robby hatte im Rücksitz des Taxis Platz genommen und fragte mich nun so ganz nebenbei: »Hat denn diese blöde Kuh überhaupt einen Führerschein?« Das traf mich voll in die Magengrube, der Atem stockte mir. »Um Gottes willen, Robby, wenn nicht, dann ist ja wohl alles zu spät!« Ich hielt nach allem Ausschau, was auch nur nach einer Ansammlung von zwei Personen aussah. Die Taxifahrt dauerte keine fünf Minuten, ich spürte mich förmlich, wie mit einem Magnet, zu der Unfallstelle hingezogen. Wir fuhren durch die Paul-Heyse-Unterführung, und, kaum wieder auf eben verlaufender Straße angekommen, sah ich von weitem schon die Misere. Der beleuchtete Straßenstempen an der Straßenbahnhaltestelle war umgefahren - lag wie abrasiert mitten auf der Straße. Mein Herz pochte heftig, fühlte ich mich doch geradezu als Detektiv. »Anhalten, hier ist es!« Daß das Ganze ausgerechnet hier unbeobachtet geschehen sein sollte, war mir zwar schleierhaft, aber immer noch lag
dieser Mords-Stempen mitten auf dem Straßenbahngeleis. Dann dachte ich mir jedoch, vielleicht war zu der späten Nachtzeit die Straße gänzlich menschenleer gewesen? Egal, sei es nun wie es sei, ich sah die Lackschiefer in der Farbe meines Wagens, ich sah die Scherben meiner Schein-
werfer. Einen großen, scharfen Scherben steckte ich mir ein, wollte indes kein großes Aufsehen mehr verursachen - nur schnell weg hier. Ich setzte Robby am >Billard-Saloon< ab, bedeutete ihm, ich würde Ramona suchen, um sie nochmals zu interviewen. Sie fror augenscheinlich in dieser milden Sommernacht, hatte sie ja schließlich fast nichts an. Ich sah sie, in sich zusammengesunken, in einem Hauseingang lehnen. Ich winkte sie zu mir ins Taxi, wir setzten uns zum Gespräch auf die Rücksitze. Der Diesel-Motor surrte, die Taxiuhr tickte, leise Musik spielte aus dem Autoradio. Und dennoch war es gleichsam totenstill. Ich sah Ramona an - »Zeig mir deinen Führerschein!« Sie riß ihre Augen noch weiter auf, auf dieses spezielle Ansinnen war sie nicht gefaßt. »Ich habe keinen«, lispelte sieund eine schreckliche Verzweiflung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich schnob laut, es klang, als blähe ein wildes Pferd die Nüstern. Also doch! Robby hatte instinktiv recht gehabt. »Sag mir jetzt ganz genau, wo und wie das passiert ist - haben dich Leute gesehen?« forschte ich sie aus. Dann wurde ich um eine Nuance ruhiger - ich mußte ihr den Ernst der Lage klarmachen. »Es fällt ja jetzt alles auf mich, nachdem du keinen Führerschein hast!« Mir selbst wurde klar, daß alleine schon der Taxifahrer ein Zeuge in dieser Sache war. Ich war ziemlich geknickt ob meiner aussichtslosen Lage. Und nun auch noch die dreiste Lügerei von diesem vollgepillten Suppenhuhn! Dennoch zeigte ich Beherrschung, hatte mich in der Gewalt - was mußte sich schließlich der Taxler denken? ABER... was hatte sie meinem geliebten Auto zuleide getan! Dennoch sah ich für mich ein - ganz schnell durchzuckte mich dieser Gedanke -, Berndt, das hat dir nur deine Geldgeilheit eingebrockt! Immer mehr, noch mehr - jetzt hast du die Kacke! Und Ramona fing wieder an, als hätte sie ein Tonband verschluckt, als bringe ihr verpilltes Hirn keine andere Gedan-
kenvariante mehr zustande: »Berndt, ich schwöre dir, ich habe keinen Unfall gebaut. Ich liebe dich, ich würde dich nie belügen.« Eine riesige Leere kam in mir auf, matt pochte das Blut in meinen Adern. Was saß da neben mir für ein moralisches Gänseblümchen! Und dieses Herzchen säuselte noch von Liebe. Meine Gedanken wallten, kochten lautlos zum Jähzorn auf. Blitzschnell ergriff ich sie am Scheitel, zog zur selben Zeit mit der anderen Hand den Scherben aus der Tasche. Ich schrie wie von Sinnen: »So, du Sau, und was ist das für ein Scherben??! Was war auf der Paul-Heyse-Straße - hm? Die umgefahrene Lichtkeule, was ist mit der? Ha?! Von Liebe sprichst du?... Du, du, du... Satansschnepfe, du dreckige!« Ich zerrte ihr den Kopf an die Rückenlehne, ihr Schwanenhals war leicht nach hinten gebogen - »und jetzt... und jetzt«, sagte ich, »jetzt schneide ich dir mit diesem Scherben den Hals ab!!« Was nun passierte, da konnte ich nur noch staunen und nochmals staunen und schließlich darüber lachen. Ramo na entschlüpfte mir flugs, rutschte vom Sitz, war raus aus dem Taxi - die Todesangst hatte ihr Flügel verliehen. Da saß ich nun, immer noch die Haare in der Linken - es war eine Perücke, die ich festhielt. Die Wagentür stand sperrangelweit auf, laut um Hilfe schreiend, warf sie ihre Stöckelschuhe unterm Laufen von sich und schrie und lief und lief und schrie. Weg war sie - was sollte sich der Taxler denken? Noch immer saß ich wie versteinert und betrachtete die Objekte in meinen Händen. Eine Perücke und ein Glasscherben, was war das doch für eine eigenartige Zusammenstellung!! Ich warf das Zeugs aus dem Wagen und hieß dem Fahrer, mich in ein bestimmtes Lokal zu fahren. Wohin Ramona so schnell und laut schreiend hingelaufen war, wurde mir sehr bald danach klar. Zwei Herren mit ausgebeulten Sakkos, die ich übrigens bereits gut kannte, traten links und rechts an meinen Bar-Platz, nickten freundlich
und sagten: »Berndt, du kannst noch deinen Whisky austrinken.« Hm - ich dachte an meinen Anwalt und daran, wieviel idi wohl diesmal wieder an Kaution würde für meine Freiheit hinblättern müssen.
Am >Ludensee< Man muß sich vorstellen, daß Zuhälter, in der Zeit ihres >Wirkens<, Männer in den besten Jahren sind. Ich meine, in Saft und Kraft stehen, dabei die Ungestüm eines jungen Mannes besitzen. Und, wenn dann noch reichlich Kohle vorhanden, ein Leben in Saus und Braus angezeigt ist, dann sind der Übermut, ein verrücktes Verhalten, ihr steter Begleiter. Dazu kommt noch ihre Mentalität, zu ALLEM bereit zu sein. So nimmt es nicht wunder, daß wir allerorten mit der normalen Welt auf Kriegsfuß standen. Ob wir sehr deutlich Mädels angeierten, obwohl sie in Begleitung waren, oder ob ich einen von seinem Barhocker hob, um seinen Platz einnehmen zu können -, es war immer Übermut und eine Kriegserklärung an >Otto Normal<. Ein Daueraufenthalt, wo wir unseren Übermut kühlen konnten, war jeden Sommer, an jedem sonnigen Tag, ein See am Rande Münchens. Wir nannten dieses Gewässer >Ludensee<, weil wir uns das halbe Ufer davon zu eigen gemacht hatten. Wenn man ab München die Autobahn Stuttgart befährt, kommt gleich rechts der Langwieder See. Etwa sechs Kilometer weiter, an der Ausfahrt Dachau/Fürstenfeldbruck, liegt unser Ludensee. Er ist ein wenig veralgt, aber rein und idyllisch. Dieses Stückchen Landschaft samt See verspricht jedem Erholungssuchenden wahre Freuden. Gleich die ersten hundert Meter des Ufers sind von Wohnwagen-Freaks besiedelt. Links führt ein trocken-staubiger Pfad an die gegenüberliegende Seite des Sees. Dort steht ein süßes, kleines He-
xenhäuschen, ein Ziegelbau. Es handelt sich um eine urige, gemütliche Wirtschaft, davor sind stets ein paar Tische aufgestellt. Die Inhaber dieser Uferwirtschaft, ein Pärchen, waren unsere Freunde. Kein Wunder, ihre Tagesumsätze waren traumwandlerisch, wenn wir angefahren kamen, weil die Sonne schien. Es machte ihnen überhaupt nichts aus, wenn wir ihnen das Geschäft mit den >Soliden< versauten, denn deren paar Bierchen oder Eis standen in keinem Verhältnis zu dem, was wir konsumierten. An heißen Sommertagen, wenn wir Jungs gerade aus dem Frühlokal fielen, holten wir unsere Weiber von der Maloche und fuhren direkt zum Ludensee zum Schlafen. Bräunen, erholen, Gaudi haben, unter uns sein - diese Wünsche ließen uns dort immer wieder zusammentreffen. Wenn ein dunkelblauer Jaguar E von der Autobahn abzweigte, konnten wir schon von weitem sehen - jetzt kam der Uwe. War es ein roter Maserati - dann kam Fredl, der dunkelrote Benz-Cabrio war Benno - und so weiter. Meistens waren unsere Weiber dabei, oder aber sie schafften gerade rund um die Uhr an. Wir schliefen, schwammen oder spielten Karten, soffen oder palaverten - manchmal auch dummes Zeug. Wenn >Otto Normal< kam, war immer Stimmung angesagt. Meist traten die Ausflügler mit Kind und Kegel auf, suchten in diesem Eckchen Entspannung, ohne aber zu ahnen, daß sie sich hier in der Einbahnstraße des Ärgers bewegten. Wir warteten förmlich schon darauf, wenn jene zu schnell angefahren kamen. Denn dann staubte der trockene Pfad fürchterlich. Und so lag immer schon eine Handvoll Steine bereit, womit wir die Autos bei ihrer Ankunft kräftig bewarfen. Erlaubte sich einer, sich darüber aufzuregen, erfolgte die Antwort: »Hau doch ab hier, aber schnell.« Ganz Mutige ließen sich auf Anhieb nicht vertreiben, bereuten es aber irgendwann. Einige von uns unternahmen ein Ablenkungsmanöver, mit einem Fußball zum Beispiel. Währenddessen schlich sich ein anderer auf Indianer-Manier an
das fremde Auto und stach einen Reifen an. Bald war der platt, und wir amüsierten uns kindlich, wie der Typ nun den Reifen wechselte. Wenn die Leutchen vorher frech waren, gingen eben zwei Reifen drauf. Dann gab es nämlich keinen Reifenwechsel mehr, denn zwei Reserveräder hat niemand dabei. Und so blieb die Rostlaube stehen. Mit dem >Polizei-Holen< haben es ein paar Leute probiert, aber das war zwecklos, es konnte schließlich jeder, rund um den See, gewesen sein. Unser Übermut trieb uns auch manchmal zu richtiger Arbeit an. Wir schaufelten und gruben Querrinnen in den Weg, und zwar an einer Stelle, die wir selbst nie befuhren. Mit Pappendeckeln und Staub getarnt, wurden sie zu bösen Fallen, in die einige fuhren. Je nach Geschwindigkeit gab's sogar Achsenbrüche. Unsere Miezen liefen oft oben-ohne herum, manchmal lagen sie ganz nackt in der Botanik. Wenn sich nebendran eine brave Familie niedergelassen hatte, dann war Ärger programmiert. Die fetten Eheweiber beschimpften ihre Männer oft aufs übelste, wenn die Armen immerzu gierig zu unseren Huren rüberpeilten. »Schamloses Gesindel!« rief so manch Frustrierte zu uns herüber. Im günstigsten Falle gab es unsererseits nur Gelächter. Bennos Alte besaß einen Apricot-Pudel, der war stets mit von der Partie. Luci hieß sie, und sie hatte immer einen Heidenspaß, die Leute zu schocken. Sie ermunterte ihren Hund, schickte diesen betont lautstark zu den fremden Kötern, und dies ungefähr mit den Worten: »Geh Hubsi, geh schön hin zu dem Dackel-Mädchen, und fick sie schön rein! Ei, ist das schön -!« Also kurz und gut, alle Erholungssuchenden, Fremden wurden unentwegt weggeekelt. Aber nicht nur zu unserer Belustigung, sondern wir wollten unter uns sein. Wir hatten mit uns selbst genug zu tun. Es gab Fachsimpeleien, die nie.-
manden sonst etwas angingen, oder beim Zocken gab's im Suff auch schon mal Keilereien unter uns. Der Braunschweiger-Edgar, ein Mann - Typ Kleiderschrank - war mal sturzbesoffen und suchte mit seinen Mitspielern Streit. Er warf den Tisch um, das Bier spritzte und Gläser gingen in Scherben. Dabei waren wir alle barfuß. Karl zerschnitt sich den Fuß und war stocksauer. Er klappte seinen Gartenstuhl zusammen und zog diesen dem Edgar mit Vehemenz über den Schädel. Brumm, broch - Edgar zeigte null Wirkung, verharrte einen Moment und flüsterte uns sodann zu: »Psst, habt ihr das gemerkt? Da geht jemand auf uns los!« Einmal sprang Peter besoffen ins Wasser, machte seine Faxen - tauchte. Wir alle schauten auf den ruhigen Wasserspiegel, Peter kam nicht mehr hoch. Ich war der erste, der die Situation erkannte. Ich sprang in den See und suchte Peter unter Wasser. Es war vielleicht vier Meter tief an dieser Stelle, ein paar Meter weiter ging's aber viel tiefer abwärts. Ich war ein guter Schwimmer, ein guter Taucher - ich mußte ihn finden. Peter war nun schon gut drei Minuten unten. So eine Scheiße, wegen der blöden Sauferei gluckert einer von uns direkt vor unseren Augen ab! Die Sonne war schon weg, es war dunkel im Wasser, die Sicht war sowieso nicht gut, der Grund war stets von den Badenden aufgewühlt. Ich wollte gerade wieder hoch, um Luft zu holen, da machte ich schemenhaft einen blassen Leib zwischen den Algen aus. Ich ging nicht an die Oberfläche zum Luftholen, drei, vier Schwimmstöße noch, dann war ich bei ihm. Ich glaubte, es würde mir die Lunge zerreißen, aber ich wollte ihn jetzt gleich mit nach oben nehmen. Jede Hundertstelsekunde zählt, dachte ich mir. Ein Fuß von ihm hatte sich in den Algen verfangen. Auch mir wollten die Sinne schwinden, mit letzter Kraft kam ich nach oben. Jetzt sprangen alle anderen ins Wasser, um uns zu bergen - Peter hatte bereits Herzstillstand. Ich machte bei ihm wie verrückt Wiederbelebungsversuche - Arme hoch, Arme auf die Brust gedrückt, den ganzen
Körper auf den Kopf gestellt, und das Ganze wieder von vorne. Mein Gott, er spuckte Wasser und begann wieder, ganz schwach, zu leben! Ich machte weiter, bis der herbeigerufene Krankenwagen eintraf. Tatü, tatü, Peter wurde weggebracht, und wir waren alle sehr betreten. Als ich Peter am nächsten Tag in der Klinik besuchte, kam kein Wort des Dankes über seine Lippen, vielmehr donnerte er los: »Du bist mir schon der richtige Lebensretter - sieben Rippen hast du mir eingedrückt!« Hab' ich den doch wohl zu kräftig wiederbelebt, dachte ich mir beim Verlassen des Krankenhauses. Naja, wir waren halt rauhe Burschen.
Hochzeit in Heidelberg In meiner Zeit als Zuhälter habe ich mir meine Eltern- und Geschwisterliebe regelrecht erkauft. Und, was meinen Lebenswandel betraf, was blieb mir anderes übrig, als diesen etwas zu kaschieren. Meine Geschwister waren vielleicht zu naiv, um genau zu wissen, woher ich mein >Großes Geld< hatte. Meine Eltern mochten es vielleicht erahnen, aber schoben solche Gedanken sicherheitshalber von sich - klar, als brave Bürger. Ich sagte auch meistens, daß meine Lokale ganz gut liefen. Meine Schwester ging dann irgendwann zum Studium nach Heidelberg. Germanistik, glaube ich, war angesagt. Natürlich braucht man erfahrungsgemäß nicht lange darauf zu warten, bis sich dann so ein Mädel, weg vom elterlichen Herd und der Strenge seiner Erzeuger, etwas fürs Herze sucht. Prompt war es dann soweit, ein Student, ein recht netter junger Mann, ward auserkoren. Ich hörte dies so am Rande der Familiengespräche. Meine Mutter bat mich, ich solle meine Schwester mal in Heidelberg besuchen. Ich hatte
nämlich erwähnt, daß ich in Mannheim öfters geschäftlich zu tun hätte. Und wieder einmal war ich auf der Autobahn MünchenMannheim unterwegs, um meiner Heien einen Besuch abzustatten - sprich: Kohle zu holen. Es war ein Frühlingswochenende; und ich sagte, »komm Schnuckelchen, wir fahren nach Heidelberg aufs Schloß, Kaffee trinken.« Auf dem Heimweg fuhr ich durch die Innenstadt, um das Haus, in dem meine Schwester wohnte, zu finden. Es handelte sich um ein recht altes Rückgebäude, und ich entdeckte die Klingel mit ihrem Namen. Auf längeres Läuten hin machte ihre Zimmerwirtin auf und sagte, daß meine Schwester außer Hauses sei. Ich stellte mich als ihr Bruder vor und fragte, ob ich ihre Wohnung sehen könne? Ich wurde in ein dunkles Zimmer geleitet, und ich erschrak, wie spartanisch meine Schwester hauste. Wirklich nur das Allernötigste war vorhanden. Zwei Matratzen lagen am Boden, welche offensichtlich als Lagerstatt und Liebesnest dienten. Schnell wandte ich mich ab und war froh, mein Mädel im Wagen gelassen zu haben. Für soviel Armut hätte ich mich fast geschämt. Auf jeden Fall drückte ich der Wirtin einen Hundertmarkschein in die Hand mit der Bitte, das Geld meiner Schwester zu übergeben. »Richten Sie ihr bitte schöne Grüße von ihrem Bruder aus« - und damit war für mich die Sache erledigt. Ein Jahr später, im Sommer, erfuhr ich von meinen Eltern, daß meine Schwester Gaby in Heidelberg heiraten wolle. Meine Eltern drucksten rum, sagten, daß die lange Fahrt dorthin strapaziös sei und daß so eine Hochzeit auszustatten recht viel Geld koste. Man kenne auch den Bräutigam wenig und und so weiter. Dieses Gerede kannte ich von meiner Hochzeit damals, da kamen meine Eltern nämlich auch nicht. Spontan entschloß ich mich, zum ersten meiner Schwester und zum zweiten meinen Eltern eine Freude zu machen
und die Hochzeit zu organisieren. Mir war ja klar, daß es sich hier vor allem um die Finanzierung handelte; feiern an sich das täte man schon gerne. Also orderte ich telefonisch im Heidelberger Schloß-Cafe einen Mittagstisch für den Tag der kirchlichen Trauung, später sollte dann noch ein Kaffeestündchen statthaben. Es war ein schöner Sommermorgen, noch ganz früh, als ich meine Eltern abholte. Ich fuhr den damals ganz neuen Mercedes 280 SE Automatik, dieser Wagen war gerade sechs Wochen alt. »Danke schön, Berndt, daß du uns hinbringst, wir wären doch schon zu alt, um so eine weite Strecke zu fahren. Und, wer weiß, ob das unser altes Autochen überhaupt noch mitgemacht hätte«, und so weiter. Ach, welch fromme Lügen - dachte ich bei mir und gab Gas, die Nadel des Tachos glitt langsam auf die 200 zu. Ich amüsierte mich ein bißchen, wie sich mein Vater auf dem Beifahrersitz einstemmte, weil er mit dieser Geschwindigkeit nicht ganz zurechtkam. Hinten saßen meine Mutter und mein kleiner Bruder. So fraß ich, wie gewohnt, die Kilometer. Ich glaube, ich kannte jede Kurve schon blind, denn diese Strecke fuhr ich seit einem guten Jahr alle vierzehn Tage. Kurz vor Mannheim, bei Schwetzingen, deutete ich nach links und rechts. »Von diesen Feldern hier kaufe ich den frischen Spargel, den ich euch immer mitbringe«, sagte ich. Na ja, es war ja sowieso egal, was ich sagte oder tat, es drehte sich immer nur darum, daß es meine Angehörigen durch mich schön und angenehm hatten, daß immer alles kostenlos war - sogar einige Luxuseinlagen. Was soll's, dachte ich mir immer- das ist mein bürgerlicher Kontakt, und auch so was muß gepflegt werden. Um Punkt neun Uhr trafen wir in Mannheim ein, ich hielt am Stadtbrunnen. Erst jetzt gab ich meinen Eltern zu verstehen, daß ich für eine halbe Stunde noch ein schnelles Geschäft zu tätigen hätte. Entsetzen brach aus, als meine Eltern von meinem Vorhaben vernahmen. »Ja«, sagte ich großspurig, »man erwartet von mir die Fi-
nanzierung der Hochzeit samt allen anderen Unkosten, also muß ich mich auch drum kümmern, daß das Geld dafür hereinkommt. Es dauert nicht lange, ich werde in einer halben Stunde wieder da sein. Schaut euch derweilen den schönen Brunnen an, setzt euch hier auf die Bank, um ein bisserl Sonne zu tanken, ich bin gleich wieder da.« Ganz leise fragte meine Mutter: »Was sind das denn für Geschäfte, die du in ein paar Minuten abwickelst?« Sie sahen mir wohl mit gemischten Gefühlen nach, als ich um die Ecke, Richtung Lupinenstraße verschwand. Das ist dort die Puff-Straße. Sie hat eine Länge von ungefähr 200 Metern und ist am Anfang und Ende durch eine Stahlblech-Konstruktion zugebaut. Nur ein schmaler Einlaß gibt diese Zeile der Sünde frei. Links und rechts in den Häusern leben zirka 150 Liebesdamen; aus den Parterrefenstern werben sie um die Freier. Manche lehnen an den Hauswänden, viel Fleisch gibt's zu sehen, spärlich verpackt in kitschige Spitzen. Im Haus Nummer 12 schaffte mein Baby an, und die Wirtschafterin sagte mir, daß die Heien gerade in ihrem Zimmer auf Stich sei. Fleißig, fleißig, dachte ich mir, sah auf die Uhr, weil es mich immer wieder interessierte, wie schnell meine Mädels arbeiteten. Nach einer Zigarettenlänge wollte ich nicht länger warten und ging hinauf. Ich betrat ganz einfach ihr Zimmer, obwohl ich ja wußte, daß der betreffende Freier ganz schön dumm gucken würde. So war es denn auch; ein blasser Mehlsack sah mich im Zimmer stehen, und wahrscheinlich ist ihm die ganze Pimperei vergangen, als ich meine Heien begrüßte und von ihr verlangte: »Schmeiß ihn raus, den Kerl!« Der Gast sah mich mit großen Augen an, und ich sagte zu ihm: »Hast du nicht gehört? Raus hier, aber schnell, nimm deine Klamotten mit, du kannst dich draußen anziehen.« Der verstand die Welt nicht mehr, grabschte unbeholfen nach seinen Siebensachen und trollte sich, vor sich hin murmelnd, ins Treppenhaus. »Du spinnst«, sagte mein Baby, »das ist ein Super-StammFreier von mir, der wird wohl nie mehr wiederkommen. Was machst du hier, so unangemeldet?« wollte sie wissen, denn
das kam wirklich nicht alle Tage vor, daß ich außerplanmäßig erschien. »Ach, ich wollte dich nur mal überraschen, überprüfen, ob alles klar ist hier mit dir« erwiderte ich. »Du weißt doch, daß ich brav und fleißig bin«, kam die Antwort. »Na ja, das war ja auch nur Spaß«, sagte ich, »außerdem muß ich gleich wieder gehen. Wo ist die Kohle, Baby?« »Im Schrank, unten im Schuhkarton, aber warum gehst du gleich wieder?« erkundigte sie sich. Ich zählte runde dreitausend Mark, schob das Geld ein und erzählte ihr von der heutigen Hochzeit meiner Schwester und wo wir feiern würden. Und weil meine Heien immer schon ein bisserl eifersüchtig war, kam auch prompt die Frage: »Stimmt das denn auch? Oder hast du in Heidelberg vielleicht eine neue Partie aufgerissen?« Ich antwortete darauf nur, daß mir ihre blöde Eifersucht auf den Wecker ginge, und das habe schon alles seine Richtigkeit. Sie könne sich ja überzeugen, die Hochzeitsgesellschaft feiere im Heidelberger Schloß-Cafe. Ein flüchtiger Kuß - und weg war ich, denn meine halbe Stunde war schon überzogen. Ich holte meine Eltern vom Springbrunnen ab, und wir fuhren wie der Teufel nach Heidelberg. Als Treffpunkt war die Kirche Sankt Sowieso vereinbart. Ich hielt aber rasch noch vor einem Blumenladen, ließ mir auf die schnelle ein Riesenbukett Rosen auf die Motorhaube kleben - und wir erschienen fast pünktlich zur Trauung. Meine ältere Schwester war ebenfalls mit ihrem Mann und ihren Kindern angereist, damit war unsere Familie komplett. Von der Bräutigamseite her waren ungefähr zehn Angehörige anwesend. Man machte sich vor dem Kirchenportal bekannt. O mein Gott, dachte ich, diese Leute hier sind alle nicht nur solide - sondern stocksolide. Der Vater des Bräutigams war evangelischer Pfarrer. Seine Frau, dürr und grauhaarig, paßte zu ihm. Der Rest - alles Studierte, meine Familie ja mit inbegriffen. Sie waren sämtlich dezent-hausbacken
gekleidet, ich stach mit meinem blütenweißen Maßanzug direkt heraus. Doch das machte mir gar nichts aus, ich hätte allerdings besser in >Casablanca< mit Humphrey Bogart gepaßt als in diese gutbürgerliche Hochzeitsgesellschaft. Nun sagte sich das Paar ein lautes JA. Ich glaube, die Kirchenmusik kam über Tonband von der Chor-Empore. Die Braut weinte ein bißchen vor Glück, aber so was soll es ja tatsächlich geben. Wir fuhren auf das Heidelberger Schloß, die Tafel war wunderschön dekoriert, und ich hatte das Ge fühl, ich hätte das Ganze telefonisch gut hingekriegt. Ich meldete mich beim Boß des Restaurants, stellte mich vor und erklärte diesem, daß ich für die Rechnung verantwortlich zeichnen würde. Ich nahm am Kopfende der Tafel Platz, um der Gesellschaft zu suggerieren, daß ich der >Pate< dieser Versammlung sei. Na ja, wie das so ist - mit der Suppe wurde begonnen, Kalbsmedaillon mit Kroketten und so weiter folgten; als Dessert gab es Eis. Jeder sprach mit mir nur das Nötigste und umgekehrt. Mir war ziemlich schnell klar, daß wohl hinter hohler Hand getuschelt wurde, was ein >Durchblicker< unschwer erkennen konnte - daß ich ein Zuhälter war. Aber genau das kannte ich ja schon seit Jahren, daß solide Leute leicht elektrisiert mit mir verkehrten. Und da saßen wir nun, tafelten, gabelten und tranken Wein. Mir stockte der Atem. Ach, du meine Güte, das war ja ein Ding! Stand da in der Tür mein Baby. Das war wieder einmal ein Bild für die Götter. Bekleidet war Heien mit einer hautengen Nappalederhose - fliederfarben. Dazu trug sie, haargenau farblich passend, hohe Lackpumps und ein Seidentop. Ihre langen, blonden Haare fielen über ein weißes Breitschwanzjäckchen. In diesem Aufzug wäre sie eine Augenweide für alle >Playboy<-Leser gewesen, indes, sämtliche Anwesenden waren irritiert. Teuer und geschmackvoll trat diese Frau schon auf, das mußte ihr der Neid lassen. Aber ihre auffällige Gesichtsschminke verriet doch einiges mehr. Die paßt genau zu diesem Typen, so
hörte ich es förmlich in den Köpfen der Gäste klicken. Meine Gedanken rasten. Mir war klar, Heien war mir aus Eifersucht gefolgt. Aber, warum nicht? Ich jedenfalls freute mich, daß sie gekommen war. Zudem, was immer den anderen durch den Sinn gehen mochte, ich war stolz auf dieses Geschoß. Diese Pharisäer sollten mich am Allerwertesten. Schließlich fraßen sie alle, wenn man es genau besah, auf Kosten dieser Hure. Mithin fielen sämtliche Punkte zugunsten meines Babys aus. Mein momentanes Unbehagen wich. Zudem flüsterte mir Heien nun ins Ohr, daß dies kein Nachspionieren sei, sie habe mir eine Freude machen wollen. Warum auch nicht? wiederholte ich bei mir. Ich streichelte ihr übers Haar und orderte eine Flasche Champagner mit zwei Gläsern. Die Blicke der übrigen waren süß-säuerlich bis hart. Ich mußte in mich hineinschmunzeln. Noch aufregender wurde es, als meine Maus ihr Jäckchen auszog und damit ihre sonnengebräunten, grazilen Arme und Schultern freigab, ebenso ihr sonnenverwöhntes Dekollete, denn das sommerliche Seidentop wies nur ganz schmale Spaghetti-Träger auf. Ihre prachtvoll stehenden, festen Titten zeichneten sich sehr erotisch unter der Seide ab, besonders, wenn sie sich bewegte, da sie keinen BH trug. Ohne hinzusehen, spürte ich, daß alle Augenpaare auf diese Brüste gerichtet waren. Dazu kam, daß ich Heien sehr lieb hatte, von ihrer Erscheinung angefangen, bis hin zu der Art und Weise, wie sie sich verhielt. Da gab es nie Probleme, keine Auftritte. Außerdem war sie brav und fleißig, verdiente gut. Weswegen ich sie im übrigen auch verwöhnte. Zu jedem nur erdenklichen Anlaß bekam sie von mir Goldgeschmeide und Brillanten. Und heute hatte sie offensichtlich Lust verspürt, dies alles spazierenzutragen. Sie war behängt wie ein Christbaum. Die Klunkern funkelten auf ihrer gebräunten, jugendlichen Haut. Jetzt aber kam der Taxifahrer herein. »Ach, den hab' ich ganz vergessen«, äußerte mein Baby. Der hatte unterdessen
wohl um seinen Fahrlohn gebangt. Ich ließ den Mann von der Bedienung auszahlen. Und nun hatte mein Baby wahrlich für genug Aufregung gesorgt. Man ging zur Tagesordnung über. Es war ja schließlich eine Hochzeitsfeier im Gange. Nach dem Mittagessen war ein Spaziergang durch die Schloßanlagen geplant, und so geschah es denn auch. Wir schlenderten in verstreuten Grüppchen durch den Park. Und wenn schon jemand mit uns sprach, dann entstanden lediglich oberflächliche und vor allem nur ganz kurze Konversationen. Irgendwann war ich es dann leid, derartig schräg angesehen zu werden. Ich drängte darauf, daß wir den Kaffee einnahmen. Wie so oft hatte ich auch diesmal die Schnauze voll von der >soliden Welt<. Randvoll. Ich war heilfroh, als sich das Brautpaar schließlich verabschiedete, sich die Gesellschaft langsam auflöste. Mir blieb zu zahlen. Es machte an die zweieinhalbtausend Märkerchen. Nun verspürte ich den innigen Wunsch, meiner Umwelt mal wieder mitzuteilen, was Sache war. Ich ließ mein Baby auf dem Beifahrersitz Platz nehmen; die Familie mußte sich hinten zu dritt drängen. So ein biss'l ein betretenes Schweigen herrschte, als wir gen Mannheim fuhren. Es war gerade 18 Uhr, als ich Heien provozierend am Puffstraßeneingang absetzte. Ich stieg noch kurz mit aus, um mich zärtlich von ihr zu verabschieden. »Wir telefonieren, Baby, tschau -!« Und schon waren wir wieder unterwegs, auf der Autobahn Mannheim-München. Meine Leutchen bedankten sich auf der Heimfahrt und meinten, wie schön doch alles gewesen sei an diesem Tag, und so. Doch für mich waren es - edle Züge hin, edle Züge her Strapazen gewesen, und ich hatte einen Haufen Geld ausgegeben. Wieder einmal war ich, aufgrund meiner Gutmütigkeit, zum Ausgenutzten geworden.
»Sternfahrt« nach Regensburg Es war im Spätsommer 1971. Ich saß zu Hause, einen Steinwurf weit von der grünen Isar entfernt. Wohl zum x-ten Male lief mein Lieblingstonband - Fats Domino. Ich wippte dazu mit dem Fuß im Takt. Auf meinem Tisch waren zerrissene Leinentücher und Wollfetzen ausgebreitet. Darauf lagen die fachmännisch zerlegten Einzelteile meiner Waffen. Mich erinnerte die Situation an meine Militärzeit - an das Waffenreinigen, daran, wie man mit verbundenen Augen eine Waffe auseinandernehmen und wieder zusammensetzen mußte. Heute hatte ich auch, zwar illegal, eine Neun-MillimeterWalther-Pistole vor mir liegen, dazuhin noch eine amerikanische Armee-Pistole vom Kaliber 11,2. Schön ölig glänzend, wie eingelegte Aal-Stückchen, lagen alle Teile vor mir. Sogar die einzelnen Patronen wurden von mir geölt ins Magazin gesteckt. Denn wenn ich die Waffen unter Umständen brauchen würde, durften sie keine Ladehemmung haben. So manches Mal dachte ich mir - wen wohl diese oder jene Kugel treffen würde. Feinde gab es überall. Ferner galt es immer, meine Interessen durchzusetzen, nötigenfalls mit einer Kanone. Das Telefon klingelte. Der Falco war am Apparat, fragte, ob ich Zeit hätte. »Nun ja - um was geht's denn?« wollte ich wissen. Er wolle mir das am Telefon nicht sagen, ein dringender Fall sei eingetreten. Er bitte mich, auch im Namen anderer, ich möge sofort zu einem Treff kommen. »Okay, ich komme«, erwiderte ich. Eine Kneipe am Platzl war als Treffpunkt ausgemacht. Ich setzte meine Waffen zusammen, schlug diese in einen Nappalederlappen, legte das Ganze in eine Schublade und fuhr zu besagtem Lokal. Dunkel war's, denn die Spelunke war Tag und Nacht zu dem Zwecke geöffnet, irgendeinem ahnungslosen Trottel durch häßliche Barschlampen all seine Kohle abzuknöpfen. Ich
machte im hintersten Eck meine Freunde aus. Ein bißchen ratlos sahen sie alle aus der Wäsche - stumm vor sich hinrauchend, offensichtlich auf mich wartend. »Wie spät ist es denn?« fragte ich in den Raum. »Ahh achtzehn Uhr, da geht schon der erste Whisky - eine Flasche Johnny Walker also!« orderte ich. »Na, warum schaut ihr denn so belemmert aus der Wäsche?« fragte ich. »Was ist passiert? Zuallererst aber mal prost, meine Herren!« Die anderen schwiegen. Auch Bulle war anwesend. Wir nannten ihn so, weil er entsprechend aussah, dementsprechend die Weiber bestieg und in seinem Furor alles wie ein Bulle niederbügelte - zumindest auf Grashöhe. Falco meldete sich endlich zu Wort, die anderen vier nippten stumm an ihren Gläsern. »Dem Bullen seine Alte schafft in Regensburg an«, erfuhr ich nun. »Sie wird seit vier Tagen vermißt. Sie ruft nicht an, seit vier Tagen kommt auch kein Geld mehr. Wenn Bulle dort im Puff anruft, wird eingehängt, ist die Leitung sofort tot. Bulles Existenz ist gefährdet, sicher hat irgendein Strolch seine Alte an sich gerissen, sie wird dort gewaltsam festgehalten.« Das war eine böse Sache. Wer wagte es, uns Münchnern in die Suppe zu spucken? Egal, wie die Dinge lagen oder wer es war, sofortiges Handeln war heiligste Pflicht. Wir - das waren im Augenblick sechs anwesende Jungs - beschlossen, noch heute nacht würde Vergeltung geübt, würde Angriff gefahren werden. Die Maus vom Bullen würden wir dort rausholen. Wir kamen überein, daß wir sechs Mann genügten. Hannes hätten wir gerne noch dabeigehabt. Er hatte Dynamit in den Fäusten, war aber leider nicht erreichbar. Wir überschlugen, ob diese >Armada< von gefährlichen Jungs nötigenfalls mit einer ganzen Stadt fertig werden würde. Aber das war jetzt eigentlich nur noch eine Frage der Bewaffnung. Alles klar. Wir fuhren sämtlich nach Hause, um unser jeweiliges Waffenarsenal zu holen und uns Punkt zweiund-
zwanzig Uhr in einem Rummsladen an der Stadtgrenze Münchens zu treffen. >Greger-Bax< hieß die Hütte an einer Ausfallstraße in Richtung Ingolstadt. Ich bezeichne dieses sonderbare Unternehmen deswegen mit >Sternfahrt<, weil drei Mercedes und lediglich ein Jaguar, Typ E, mit von der Partie waren. Darüber, wie unser Vorhaben ablaufen sollte, wurde nicht mehr gesprochen. Unsere verschworene Gesellschaft war komplett. Man trank noch zwei, drei Bierchen, und los ging's - Richtung Regensburg. So ungefähr um die zweihundert Kmh fuhr diese entschlossene Kolonne auf der Autobahn Nürnberg-Frankfurt, die sich irgendwann in Richtung Regensburg gabelt. Der erste blinkte bei der nächsten Tankstelle alle anderen rechts raus. Er mußte tanken, brauchte Zigaretten. In dieser Zeit schauten wir uns an, was Kofferräume, Handschuhfächer und Rücksitze so alles an Waffen beherbergten. Gummiknüppel, Totschläger, Schlagringe, ein armdickes Stromkabel und sogar ein Schaum-Feuerlöscher waren an Bord. Jimmi hatte eine 7,65-kalibrige Beretta im Gürtel stekken, ich meine Neun-Millimeter-Walther im Handschuhfach. Wir meinten, daß ein Überraschungsangriff auf das dortige Puff mit derartiger Bewaffnung unbedingt zu unseren Gunsten ausgehen müsse. Robby, ein untersetzter Mann von durchaus freundlichem Aussehen, wurde von uns auserkoren, den Club als erster zu betreten. Denn er sah einem normalen Freier am ähnlichsten, konnte den Türraum absichern, bis wir nachgestürmt waren. Bulle war besonders gespannt, ob er denn seine Alte auch dort antreffen würde. Wir beruhigten ihn. Lediglich er wirkte nervös, wir anderen waren noch so ausgeglichen-friedlich, als hätten wir vor, eine Messe zu besuchen. Es schlug gerade Mitternacht, als wir die Stadtgrenze erreichten. In wenigen Minuten würde dieses Nest eine böse Überraschung erleben. In den Straßen war es bereits ganz ruhig. Die Laternen am Donauufer streuten verträumtes Licht.
Bulle saß im ersten Wagen, er kannte den Weg zum Club. Von weitem schon war die rote Laterne zu sehen. Kurz vorher parkten wir die Autos so, daß wir im Eventualfall ganz schnell vor anrückender Polizei flüchten konnten. Der Himmel war sternenklar, leichter Tau machte die Luft diesig und die Grasstellen am Donauufer feucht. Der >Club Cheri< lag an der Uferstraße, einer eigentlich bürgerlichen Häuserzeile mit zumeist zweistöckigen Fachwerkhäusern. Bulle erklärte uns, daß hier im ersten Stock die ganzen Zuhälter des Abends vor dem Fernseher säßen oder sich die Zeit mit Zocken vertrieben. Wie viele würden es wohl sein? Aber das war jetzt auch schon egal, wir würden es ohnehin gleich wissen. Wir standen nun vor dem Haus mit der roten Laterne. Wir fünf preßten uns fest an die Hauswand - der sechste, unser guter Robby, betätigte die Klingel mit der Aufschrift >Club<. Wir hielten den Atem an, um unsere Gegenwart nicht zu verraten. Robby stand lässig und scheinbar mutterseelenallein vor der Türe, und mir war klar, ihm wird diese sicherlich ganz ahnungslos geöffnet. Das Guckloch der Eingangstür wurde freigemacht, für uns fünf war das zwar nicht zu sehen, aber zu hören. Eine Mädchenstimme hauchte: »Hallo.« Und man witterte bei Robby s Anblick wohl wieder einen Stich mehr heute abend. Ich konnte Robby sehen, wie er scheinheilig in dieses Guckloch plierte. Und dann kam der Augenblick... Ein Riegel wurde zurückgeschoben, die Klinke von innen gedrückt, die Tür wurde geöffnet. In diesem Moment fiel der Lichtkegel aus dem Inneren auf die Straße, das war das Zeichen für uns zu stürmen. Was jetzt geschah, kam einem Spuk gleich. In Sekundenschnelle waren wir alle im Haus, schlössen die Tür hinter uns. Angesichts unserer mitgeführten Schlagwaffen und Kanonen bekamen alle Weiber im Kontaktzimmer einen Schock. Sie kreischten derartig hysterisch, daß das ganze Haus in wenigen Sekunden zu einem Horror-
Laden wurde. Ungefähr zehn Huren standen da, dünn bekleidet weinend und schluchzend, gellend um Hilfe flehend. Und diese kam auch schon vom ersten Stock heruntergetrampelt. Die armen Jungs hatten ja keine Ahnung, wie schlimm es um sie und den Hausfrieden bestellt war. Sicherlich vermuteten sie einen, zwei oder gar drei besoffene Randalierer oder ähnliches; vier Mann kamen da runtergestürzt. Der allererste war ein Berufscatcher, wie sich später herausstellte, von gut und gerne hundertfünfzig Kilo. Unsere Stahlruten, Gummiknüppel und das dicke Kabel bewirkten, daß bei ihm an den getroffenen Stellen die Haut platzte. Das war ein Gemetzel! Die nachfolgenden Pipiluden kamen im vollen Lauf die steile Treppe herunter, konnten schier nicht mehr bremsen, liefen uns voll in die Arme. Mit schreckgeweiteten Augen sahen sie ihre letzte Stunde gekommen. Es ging alles so schnell, daß keiner von ihnen begriff, was eigentlich geschah - und warum. Nun begannen ansonsten tolldreiste Zuhälter, um ihr Leben zu betteln, sie jammerten und schrien. Das ganze Treppenhaus war eine riesige Blutlache. Ich aber beobachtete, womöglich als einziger, wie ein fünfter Mann die Treppe herunterhastete, der jedoch, als er dieses Blutbad sah, gleich wieder hinauflief. Ich stieg über die blutenden Fleischberge hinweg, bemerkte aber noch aus meinen Augenwinkeln, daß Bulle offensichtlich seine Ge liebte und Geldquelle wiedergefunden hatte. Doch ich wollte diesen fünften Mann haben, lief ihm die Treppe hinauf nach. Ich rutschte indes auf den vor Blut feuchten Stufen aus, konnte den Flüchtenden nicht mehr erreichen. Ich sah gerade noch, wie er in einem Zimmer verschwand, und hörte, wie er den Schlüssel im Schloß drehte. Ich schrie von oben die Treppe hinunter und meinte damit die am Boden liegenden: »Hey, wer ist euer Boß, oder wer ist für diesen miesen Menschenraub verantwortlich - ihr wißt schon, daß es hier um Bulles Alte geht, oder? Gebt mir Antwort, ihr Schweine, oder ich puste euch den Schädel runter!« »Der ist noch oben«, meinte einer, der, sich vor Schmerzen krümmend, an der Wand kauerte. Aha - das war also der
Drecksack, der bestraft werden mußte, und ausgerechnet der verkroch sich jetzt so feige. Also rief ich durch die verschlossene Tür, der Betreffende solle öffnen. Nichts rührte sich, kein Mucks war zu vernehmen. Darüber war ich so wütend, daß ich kurzerhand mein ganzes Magazin durch die Tür ballerte. In der Hoffnung, irgendeine Kugel würde diese linke Type getroffen haben, stob ich die Treppen wieder hinunter. Ich wollte hören, was die Tücken da unten zu berichten hatten, wie das gelaufen war mit Bulles Alter. Doch die Jungs sagten: »Los, weg hier, aber schnell, die Schüsse werden jeden Moment die Polizei auf die Matte rufen!« Vier schwere Motoren heulten auf, und hätte jemand die Zeit gestoppt, so hätte er wohl feststellen können, daß dieser Spuk keine vier Minuten dauerte. Jetzt jagten unsere Autos planlos in verschiedene Richtungen davon; das Allerhöchste war wohl, daß Bulle nicht mal seine Alte mitgenommen hatte. Das war aber nicht weiter schlimm, die würde wohl niemand mehr festhalten wollen. Also konnte sie ja jederzeit nachkommen. Hauptsache war - weg hier, und das ganz schnell. Ich war mit meinem Wagen schon ungefähr zehn Kilometer aus der Stadt, Falco war mit mir gefahren. Ich fuhr auf einen Rastplatz der Schnellstraße, ich wollte warten, ob noch ein Auto von uns dieselbe Richtung fuhr. Licht aus, die Fenster senkten sich elektrisch. Wir schauten und lauschten auf alles, was sich tun würde. Sodann: Weg vom Rastplatz, weg vom Präsentierteller, den Wagen zwei, drei Meter in den Wald gestellt. Jetzt war die Luft kalt und schwer, wir atmeten tief ein, sprachen fast nichts. Und nun wurde der andere Teil des Dramas lebendig. Wir konnten die ganze Talsenke überschauen; geradezu gespenstisch tauchten massenhaft Blaulichter auf, von nah bis fern. Es war ganz still, lediglich das Aufzucken dieser bläulichen Lichter ließ diese ruhige Landschaft seltsam entrückt erscheinen. »Sie werden überall Straßensperren errichten«, sagten
wir uns. An unserem Standort tat sich nichts, ein VW -Bus mit Firmenaufschrift fuhr vorbei - sonst null. Ich war entschlossen, wieder zurückzufahren, nach meinen Freunden zu sehen. Ein paar Meter zurück, um eine Kurve nur, war tatsächlich der weiße Benz vom Uwe gestoppt worden. Zwei Bullen filzten seine Papiere, standen dabei recht leichtsinnig auf der Fahrbahn. Ich fuhr vorbei, wendete nach der nächsten Krümmung. Ich äußerte Falco gegenüber, daß ich diese zwei Arschlochbullen jetzt zu Matsch fahren würde, so daß dann Uwe mit seinem Wagen weiterfahren, flüchten könne. Doch Falco sagte: »Mach doch nicht so einen Quatsch, du Wahnsinniger.« Wir brauchten dieses Thema gar nicht länger zu diskutieren, ein VW -Bus mit sechs Mann kam daher, und per Megaphon forderte man uns auf, uns flach auf den Boden zu legen, alle Viere von uns gestreckt. Die Scheinwerfer tauchten alles in ein grelles Licht- ich mußte meine Waffe aber noch loswerden. Ich suchte für Sekundenbruchteile den Sichtschatten meines Wagens, warf meine Plempe vielleicht fünf, sechs Meter von mir ins hohe Gras, bevor ich mich auf den Boden bemühte. O. K. - alle sechs Mann hoch trafen wir uns im Regensburger Polizei-Hauptquartier wieder. So langsam trudelten die Streifenwagen ein; ein paar von uns trugen Handschellen. Falco und ich hinwiederum spürten einen Druck im Rücken, der wohl von Maschinenpistolen stammte. Selbstverständlich wurden wir einzeln verhört, man legte uns Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung zur Last. Das sollte aber nicht sonderlich schlimm sein, wir rechneten damit, daß wir nach unseren Aussagen gleich wieder auf freien Fuß gelangen würden. Ich erfuhr so nebenbei, daß alle unsere Autos sichergestellt seien, wir mit den Zug nach München heimfahren müßten. Tatsächlich kam einer nach dem anderen an meiner Zelle vorbei und sagte, daß er nun frei sei. Die ganze Nacht war verstrichen, es wurde mir schon Frühstück gereicht. Wir Jungs
hatten uns für Zwölf Uhr mittags verabredet, als Treff war durch die Zellentür der Hauptbahnhof ausgemacht worden. Bei mir rührte sich nichts, rein gar nichts, ich saß um zwölf immer noch in meiner Zelle .Dann nahm mich die Kripo vor es war die Abteilung Mordkommission. »Wir wissen, Sie haben geschossen«, sagte ein Fettwanst zu mir. Er holte einen Plastikbeutel aus seiner Schublade und zeigte mir ein undefinierbares Etwas. Dieses Etwas, etwa handgroß, ähnelte einem Spiegelei. Der Beamte sagte: »So ein Bleimantelgeschoß zerlegt sich beim Aufprall - mit so was zu schießen ist Mord!!« Es zuckte mir durchs Hirn, habe ich den glatt durch die Tür umgelegt? Mir wurde jetzt angst und bange. Leck mich am Arsch - so eine Scheiße. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Schweißausbrüche überkamen mich. »Ich will mit meinem Anwalt telefonieren«, so sagte ich schon fast wie auswendig gelernt. Es wurde mir gewährt, ich bekam meinen Baron an die Strippe. Ich erbat sein sofortiges Kommen, hier sei die Kacke am Dampfen. Er könne frühestens morgen kommen, meinte er. Na bitte schön, eine Nacht im Knast brachte mich auch nicht um. Doch diese Schweinebullen, so stellte sich heraus, ließen mich nur im Ungewissen schwitzen, ich hatte den Arsch hinter der Tür überhaupt nicht getroffen. Dennoch, man legte mir einen Mordversuch zur Last. Aber wieder einmal mehr machte sich mein Staranwalt bezahlt. Er zerlegte die Meinung des untersuchenden Beamten, die Anklage war nicht zu halten. Ich hörte meinen Anwalt noch sagen: »Sie sind frei, Herr Lang, ich nehme Sie gleich mit.« Ich gestehe, hier war ich am Rande einer Ohnmacht. Ich glaube, ich war nie glücklicher in meinem Leben als in diesem Moment. Denn, wenn diese Anklage Bestand gehabt hätte, wären es sehr viele Jahre gewesen, die ich von meinem Leben hätte hergeben müssen, welches ich doch so sehr liebte. Ich war - wie immer - stolz auf meinen Anwalt, begaben
wir uns doch, zusammen mit dem Staatsanwalt, in die Kantine. Mich ging das zwar alles nichts mehr an, ich war frei. Doch mußte ich schmunzeln, als mein Anwalt dem Staatsanwalt den Vorschlag machte: »Wir schicken einen Schreiner, der die Löcher der Tür repariert - und damit hat es sich.« Mein Wagen war allerdings immer noch beschlagnahmt, so fuhr ich mit meinem Anwalt nach Hause. Alles andere würde sich klären und finden. Nicht weit von Regensburg entfernt hieß ich meinen Anwalt anzuhalten. Ich suchte und fand meine Kanone im hohen, nassen Gras, da, wo ich sie vorgestern hingeworfen hatte. Es war kein bißchen Rost daran, weil sie stets gut geölt wurde!!!
Hurenarbeit und Zuhälterleben Die Arbeit ist dieselbe, das Milieu ist dasselbe - und doch ist das Huren- und Zuhälterleben vielschichtig und stark unterschiedlich. Ich beginne mit der Arbeit der Dirnen. Die Dirne steht voll und ganz zu ihrem Milieu, zu ihrer Arbeit, zu ihrem Jungen. Sie steht auch dazu, daß sie gesellschaftlich dem Abschaum zugeordnet wird. Die eine arbeitet auf der Straße, die andere im Puff. Eine weitere ist in ihrem Apartment tätig, eine vierte hinwiederum in einem Saunaclub. Überall gelten verschiedene Arbeitsmethoden, andere Preise. Überall lauern Gefahren. Jede ist ihre eigene Chefin, dennoch sind alle gewissen Ritualen unterworfen. Der Dirnen engster Begleiter ist die Angst, und auch dazu stehen sie - täglich aufs neue. Jede Sekunde können sie sich einem blindwütigen, heimtückischen, bestialischen Mörder gegenübersehen. Und der nächstbeste Bekannte ist der Ekel, den es immer wieder runterzuwürgen gilt. Eine verschissene Unterhose bei einem Freier läuft noch unter der Rubrik >normal<. Ätzende Schweißgerüche sind zu ertragen, und oft genug soll die Hure einem impotenten Knochen auf die Sprünge helfen.
Vom Fressen und Saufen stehen die Männer auf, und es fällt ihnen ein, daß es ja noch ein Vergnügen gibt! Schweinsbratenrülpser und Knoblauchfahnen, jegliche Arten von Magengemischen und Mundgerüchen, Nikotin- und alkoholfahnen suchen den verlockenden Kirschenmund. Der seit Tagen ungewaschene Pimmel wird aus dem soliden holländischen Anzug, Marke >Van der Stange<, gekramt und gar gönnerhaft präsentiert. Beim großen Geschäftsessen war man noch so nobel... und noch ein Dessert und noch eine Flasche vom Feinsten denn Geld spielt ja keine Rolle. Für die gar nicht so nette Bedienung gab's ein fürstliches Trinkgeld, denn die anderen sahen es, und, schöne, volle Titten hatte sie auch noch. Aber jetzt, auf dem Zimmer der Hure, gilt es orientalisch-feilschend, ärmlich-mies um jeden Heiermann zu kämpfen. Jetzt ist er alleine mit ihr, keiner sieht ihn, den jämmerlichen Hemdenmatz. Da kann er sein Spielchen spielen mit dieser minderwertigen Matratzendame. Aber - er irrt sich. Er irrt sich fürchterlich, denn sie ist die Königin - sie regiert in diesem Moment über dieses geile Etwas. Sie stellt die Regeln auf, gewährt für wenig Geld auch wenig. Und die angeblich minderwertige Matratzendame ist sehr sauber und gepflegt, ja, könnte gar jeden Schönheitswettbewerb bestreiten. Sie trägt teures Parfüm, und manchmal glitzern wertvolle Schmuckstücke auf ihrer schimmernden Haut. Käthe Kruse hätte ihre Freude an den niedlichen Puppengesichtern gehabt, wie sie Dirnen nicht selten aufweisen. Dazuhin diese anmutigen Luxuskörper, die seidigen Haare! Dies alles samt der dargebotenen Erotik macht sie zur Königin. Da ist er nun, der Freier, und (dabei spielt es keine Rolle, welcher Gesellschaftsschicht er entstammt) jammert den gerade abgelegten achtzig Mark nach, fiebert dem schönen Fleisch entgegen. Er will die also Gekaufte in Besitz nehmen, einem Tintenfisch gleich, als verfüge er über sechs Arme, will er alles begrapschen. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn, irgendein geiles Gefasel kommt über seine Lippen. Und nun möchte er - er, der ganz Wichtige - das Mädel auch noch geil
auf sich machen. Mit derbem Fingerspiel, so glaubt er doch glatt, könne er ihr den Liebessaft entlocken. Aber nur, wenn er Glück hat, fickt er überhaupt in diesem traumhaften Schoß - denn zumeist ist die Hure so traumwandlerisch geschickt, daß der Schwanz des Freiers lediglich durch den Schenkelansatz fährt, wenn nicht gar bloß durch ihre Finger. Falleschieben nennt man das. Sehr viele Männer gibt es, die eine Hure aufsuchen, um ein eigenartiges Treiben zu veranstalten. Sie bringen Fetische in den unglaublichsten Ausführungen mit - Nappaleder-Slips sowie Strapse und BHs für sich selbst, Schnüre zum Eierabbinden, Straußenfedern und Boas, Pfauenaugen, einzeln oder gebündelt. Mit derlei Dingen maskiert, die Federn in den Hintern gesteckt, hüpfen und tanzen sie - die Männer, wohlgemerkt. »Juhu - ich bin ein Hahn!« Die Arme mimen Flügelschläge, so läuft ihre Show ab, bis zum Orgasmus. Andere wälzen sich wie räudige Hunde zu Füßen der Herrin Hure und winseln um Gnade und Absolution. Geloben Besserung, nachdem sie ihm mit der fünfschwänzigen Peitsche ein paarmal eins übergezogen hat. Es gibt leider keinen faßbaren Grund, warum ein Mann um Prügel und Peitschenhiebe bittet. Diese >Maso-Liebe< kostet ein paar Mark mehr, und es gibt genügend Dominas, die sich auf solche Gäste spezialisiert haben. Richtige Folterkammern stehen dafür bereit, mit Büßer-Bock, schmerzenden Hand- und Fußschellen. Gar Kreuzigungen stehen laufend auf der Freier Wunschlisten, Daumenschrauben und Ketten, das alles wollen diese Männer spüren. Sie lecken den Fußschweiß zwischen den Zehen der Herrin ab und schlürfen, oft genug, genußvoll die vollgespritzten Pariser der vorherigen Gäste aus. Und es kommt noch weit verwegener. Da ist das Kapitel >Sekt und Kaviar<. >Sekt< steht stellvertretend für Pisse, und >Kaviar< soll elegant das Wort Scheiße ersetzen. Es geschieht bestimmt nicht selten, daß der Wunsch an die Hure herangetragen wird, sie solle sich nackt über den Kopf des Freiers hocken und ihm ein paar Schlucke Urin verabreichen. Ge -
nauso bringt diese Art von Kavalieren ein kleines silbernes Tellerchen samt einem kleinen silbernen Löffelchen mit. Die Abart, Scheiße oral zu genießen - die gibt es. Wieder ein anderer schleppt Knöpfe, Nadel und Faden an - möchte gerne einen Knopf an die Vorhaut genäht kriegen, schon auch mal direkt an die Eichelspitze. Oft fließ Blut dabei, und ein paar Hunderter muß der Herr mit Knopfschmuck schon dafür hinblättern. Manche Mädels machen dies alles - klar, es gibt sehr viel mehr Geld dafür. Andere hinwiederum pfeifen auf die Kohle und lassen sich auf solchen Unfug nicht ein. Seltener zwar, aber das passiert schon auch, kommen relativ angenehme Gäste zu den Damen der Zunft. Die wollen absolut nichts Erotisches treiben. Vielmehr geht ihr Begehren dahin, Händchen zu halten, daß die betreffende Dame mal über ihren Scheitel streicht, und sie wollen sich - unterhalten. Und dafür zahlen diese Herren dieselben Sätze wie die übrigen, je nach Zeit bemessen. Warum aber wollen sie sich mit einem käuflichen Mädchen unterhalten? Weil sie zu Hause mit ihren Ehefrauen nicht mehr reden können. Und so finden sie den Weg zu den Dirnen. Sie brauchen jemanden, der ihnen zuhört. Was heißt, daß Huren auch etliches an seelischem Ballast verarbeiten, als seelische Müllkippe ihrer Gä ste herhalten müssen. Und hier sind wir beim Thema Ehefrau bzw. Ehemann. Neunzig Prozent aller Freier sind verheiratet, gehen also lustig hie und da fremd. Das machen diese Herren mit einer solchen gelassenen Selbstverständlichkeit, daß man nur staunen kann. Soviel zur heuchlerischen Moral der sogenannten >bürgerlich-soliden< Gesellschaftsschichten. Na ja, selbstverständlich läßt sich eine Reihe von Gründen dafür aufführen, warum die braven Ehemänner so munter durch die Puffs bumsen. Gewißlich gibt es liebende Gattinnen, die dem Ehemann nicht den Wunsch erfüllen, ihr mal auf die Titten spritzen zu dürfen oder ihm mal genüßlich einen zu blasen. Geile Sprüche und andere Positionen als die Missionarsstellung sind in den bürgerlichen Schlafzimmern
noch immer eine Seltenheit. Auch klagen viele Freier unverblümt, daß sich die einstmals hübsche Ehefrau seit der Heirat gehen ließe, sie sei unförmig, fett geworden oder wirke verschrumpelt und sei ungepflegt zu nennen. Zumeist füngiert Manne nur noch als Geldverdiener, als Versorger der Familie und muß förmlich darum bitten, seine träge Ehefrau besteigen zu dürfen. In aller Deutlichkeit soll an dieser Stelle einmal auf die harte Arbeit der Dirne hingewiesen werden. Von wegen, daß ein solches Mädchen die Kohle leicht und im Schlafe verdienen würde! Vierzehntägig, häufig gar wöchentlich unterziehen sie sich einer ärztlichen Untersuchung im Gesundheitsamt der jeweiligen Stadt. Untersuchungen, Abstriche garantieren, daß ihre Gesundheit und Hygiene auf dem neuesten Stand sind. »Heute gehe ich auf den Bock« - sagen dazu die Mädels, womit der Untersuchungsstuhl gemeint ist. Eine, die als ihr tägliches Revier den Straßenstrich gewählt hat, friert jährlich gute fünf Monate bitterlich. Die Damen der teuren Etablissements sind wohl vor Gelegenheitsmördern sicher, doch die Besucher mit den volleren Brieftaschen mö gen keine Gummis, ficken lieber >live<, auch wenn es mehr kostet. Doch hier lauert AIDS, die mörderische Krankheit, die nach ein paar Monaten qualvollen Siechtums tödlich endet. Und dann gibt es noch die tabulosen Sex-Gespielinnen, die gerne bei gepflegten, schicken, attraktiven und interessanten Männern auf alle Wünsche eingehen. Ja, die sogar entzückt sind von deren Art von Leidenschaft. Sie geben sich gerne hin und schauen darauf, daß sie sexuell ebenfalls auf ihre Kosten kommen. In diesem Falle handelt es sich nicht lediglich um ein professionelles >Abkochen< - nein, die betreffenden Damen gelangen durch ihren Job in unzählige Genüsse, die eine normale Frau nicht zu einem Hundertstel durchleben wird. Letztlich ist die Hure stolz darauf, daß sie jeder >Normalfrau< im Sexual-Erleben weit überlegen ist. Die Mädchen verdienen dadurch viel Geld, obwohl die
>Füllhornzeiten< der vergangenen zwei, drei Jahrzehnte wohl vorerst dahin sind. Aber daß dieses >Kohle-Machen< reibungslos funktioniert, daß der Schutz der Mädchen weitestgehend gewährleistet wird, daß diese Organisation organisiert bleibt, dafür sorgt der Zuhälter. Ich habe schon genug fatale, nicht der Realität entsprechende Schilderungen in den Massenmedien erlebt, was die >Zunft< betrifft. Nun will ich über ein paar Seiten hinweg den Scheinwerfer richtig einstellen, dieses Thema etwas besser beleuchten. Ein altes Sprichwort besagt: Der Zuhälter wird nicht geboren, er wird dazu gemacht. Das heißt im Klartext, daß zumeist das Mädel dem Jungen den Vorschlag machen wird, für ihn anschaffen zu gehen. Aber schön der Reihe nach, der Kreis schließt sich letztlich stets. Irgendwelche Lebensunebenheiten, welche auch immer, entzünden bei einer jungen Frau diese oder ähnliche Gedanken. Sie entdeckt ihren Körper, erfährt auch schon bald, daß alle Männer absolut vordergründig nur nach diesem verlangen. Und so gibt es eine relativ große Zahl von Frauen, die sehr schnell mit sich klar kommen, aus diesem >Urquell< zu schöpfen. Nur, ihr Instinkt verrät der Willigen, daß sie, ganz alleine auf sich gestellt, in dieser Szene zu schwach ist. Sie spürt, sie ahnt, sie weiß, daß es in diesem Milieu sehr hart zugeht - also braucht sie einen Macker. Ich möchte sagen, sie geht nun auf die Suche nach Ihm. Da tun sich für sie zwei Möglichkeiten auf, zwischen welchen beiden sie wählen kann und wählen wird. Zum ersteren, sie zieht sich geil an, um zu zeigen, welches Kapital ihr Körper bildet. Und sie geht zielsicher in die Kneipen, Discos oder Treffs des Milieus - macht auf sich aufmerksam, vergißt aber nicht, gleichzeitig ihren Geschmack auf die Waagschale zu legen. Das heißt, sie gibt zu erkennen, welcher Typ ihr besonders gefallen würde. Damit ist sie schon >daheim<, mittendrin. Sie erwartet von ihrem Jungen, daß er
sich um alle technischen Abläufe kümmert; daß er sich schützend vor sie stellt und sie als seine Frau deklariert, versteht sich von selbst. Sie wird sich sofort wohl fühlen in dieser ihr neuen Welt, denn es war ihr Wunsch, ihr Wille, darin einzutauchen. Ihrem Verständnis nach bleibt ihr ein Leben erspart, wovor sie insgeheim Alpträume entwickelte. Nämlich, täglich zur Maloche zu müssen, Anschisse vom Chef zu kriegen, oder als Tippmamsell stets kurze Fingernägel tragen zu müssen, auch das erscheint ihr unerträglich. Der Drang zum Luxus, inklusive Porsche, Freizeit, der Sonne der Karibik, einigen Karat an den Händen - das alles läßt ein labiles Mädchenherz schon ziemlich hoch schlagen. Eine solche Anfängerin wird schnell lernen und ihren Job schlafwandlerisch beherrschen, auf daß ihre Wünsche sich rasch erfüllen. Die zweite Möglichkeit, sich einen Typen zu angeln, sieht folgendermaßen aus. Nachdem bei einer jungen Dame der Entschluß gereift ist, anschaffen zu gehen, sieht sie sich im reichhaltigen Männerangebot einer Großstadt um. Sie sucht sich genau den, in den sie sich verlieben kann und mit dem es sich für sie lohnt, solch ein >schönes< Leben zu leben. Sie sucht sich nach ihrer Einschätzung das Feinste vom Feinsten in der Überzeugung, er wird sie, die Zuckermaus, nicht ablehnen, zumal für die Zukunft große Kohle ins Haus steht. Und deswegen sei gesagt, daß Zuhälter keineswegs Lederjacken tragende Ungeheuer sind, sondern meist gutaussehende, junge, starke Männer. Natürlich muß das Mädel in ihrer Wahl auch darauf achten, daß dieser Typ in Psyche und Physis stark genug ist, diesen gefährlichen Weg gehen zu können. Na ja, und schon ist dieser bislang unbescholtene Junge dazu überredet, ins Milieu einzusteigen - er wird zum Zuhälter gemacht. Es erwartet ihn zunächst ein Dornenpfad, ein Spießrutenlauf, ein Weg, den alle Jungs vor ihm gehen mußten. Es ist eine eigene Welt mit festgemauerten Prinzipien, Methoden und Abläufen. Er muß sich durchsetzen, sich einen Namen
schaffen - ein gewisser Bekanntheitsgrad ist und bleibt Voraussetzung, um in diesem Lebenskreis bestehen zu können. Es wird immer wieder einmal seine Einstellung geprüft oder seine Schlagfertigkeit - die anderen Jungs wollen nämlich ganz genau wissen, wo er steht. Ist er schwach? Ist er feige? Ist er einer von unserer Güte? Putzt er sich den Mund ab, wenn er mal eine auf die Schnauze kriegt? Oder geht er zu den Bullen? Nimmt er unsere ungeschriebenen Gesetze an? Kann man mit ihm rechnen, wenn es gegen andere geht? Hat er seine >Alte< gut im Griff, daß die ebenfalls im Milieu keine Scheiße baut? All das und vieles mehr wird dieser Neuling durchexerzieren müssen. Wenn er eines Tages dieses schwere Einmaleins beherrscht, dann ist er ebenbürtig, und die Lehrjahre haben ihn zu einem gefährlichen Zeitgenossen gemacht. Und >Otto Normal< tut gut daran, seine Kreise nicht zu stören. Wenn ich zuvor diese Welt als in sich vielschichtig und unterschiedlich bezeichnete, dann geschah dies deshalb, weil ich weiß, daß darin genauso Individualisten leben, wie in der sogenannten mormalen Gesellschaft.;. Die einen Mädels bevorzugen den Straßenstrich oder das Wohnmobil, da wird der Freier ganz unkompliziert in fünf Minuten abgefertigt. Andere wiederum fühlen sich im Puff geborgen, können dort gar schlafen und leben. Edeldirnen arbeiten überwiegend in feudalen Clubs. Wenn's noch gehobener zugehen soll, dann reichten ein Luxusapartment und ein volles Notizbuch mit mehr oder weniger bekannten Namen unserer Zeit. Flippige, meist jüngere Hürchen wählen die Art einer gutbezahlten Reisebegleitung von Playboys. Ob Cote d'Azur oder Ibiza, überall liegen ja die schnuckeligen Schiffchen, da gibt's ein paar Riesen und viel Spaß und Sonne. Allerdings muß so eine Luxusmaus jederzeit und auch für den Freundeskreis des Betreffenden verfügbar sein. Daß dabei der Alkohol fließt, ist klar; und die moderne Zeit hat den Joint und andere Drogen besonders in diesen Schickimicki-Kreisen zur Selbstverständlichkeit gemacht.
Woran mir lag, war, aufzuzeigen, wie wichtig die Stellung der gewerblichen Liebesdienerinnen innerhalb der Gesellschaft ist, wobei dies in menschlichen Zivilisationen nie anders war. Im vierten Jahrhundert vor Christus, dem Zeitalter der berühmten Hetären (griech. hetaira = Gefährtin), schämten sich berühmte Geister deren Begleitung nicht. Wegen Aspasia von Milet trennte sich Perikles von seiner ersten Frau und ehelichte das hochgebildete ehemalige Freudenmädchen. Alexander der Große schätzte die Gegenwart von Thais, einer Hetäre aus Athen, obschon er, wie wir wissen, Knaben den Vorzug gab und sie an seinen General Ptolemaios weiterreichte. An einigen Orten stand das Hetärenwesen mit dem Aphroditekult im Zusammenhang. Oder nehmen wir Madame de Pompadour (1721-1764), die als Jeanne Antoinette Poisson Zugang zur Residenz Ludwigs XV. fand, seine Kurtisane und schließlich geadelt wurde, um großen Einfluß auf die damalige französische Politik auszuüben. Unser bayrischer Kini, Ludwig I. (1818-1861), flippte auf Lola Montez aus; Christine Keeler und Mandy Rice-Davis brachten englische Politiker ins Schleudern. Also, liebe Freunde, sei es, wie es sei - ich plädiere dafür: »Die Gläser hoch - für das älteste Gewerbe der Welt!« Dem Zuhälter kommt im übrigen eine weitere wichtige Position zu. Denn all diese Mädchen haben privat auch ein Herz, eine Seele, sehnen sich genauso nach Liebe und Geborgenheit wie andere Frauen, wollen ihren Orgasmus mit ihrem Liebsten erleben. Sie hegen insgeheim ebenfalls den Wunsch nach einer intakten Familie, wollen allerdings erst durch ihren Job einen finanziell gesicherten Status erlangen. Ihr Partner und Lebensgefährte soll ihnen dabei in ihrem Alltag zur Seite stehen, gerade sie sind, wie bereits erwähnt, ja besonders schutzbedürftig. Und hier führt kein Weg vorbei dieser muß sich im Milieu auskennen, er muß dafür besonders geschaffen und geeignet sein. An den Arbeitsplätzen der Mädchen, wo Gefahren lauern,
sind die Jungs jederzeit präsent. Da halten sie, wenn immer dies nötig ist, ihre Knochen hin, verhindern, daß die Mädels zum Freiwild werden. Auch unter den Luden wird laufend die Rangordnung zurechtgerückt. Rolex oder Kaufhaus-Watch, Nobelkarosse oder Mittelklassewagen drücken letztlich den Rang eines jeden Zuhälters aus. Nicht ohne zu schmunzeln, möchte ich behaupten, daß diese Minderheit >Milieu< ganz schön die Wirtschaft mit belebt. Denn man gibt das >leichte Geld< stets mit vollen Händen wieder aus. Großvolumige Autos - teuerst in Haltung und Verbrauch -, Schmuck, Klamotten und noble Accessoires sollen eine gute Visitenkarte des halbseidenen Lebens abgeben. Karibik-, Malediven- oder Seychellen-Urlaube verstehen sich von selbst. Das alles zusammen, samt snobistischen Diners oder gar Waffenkäufen auf dem Schwarzmarkt machen auch die vollsten Geldbeutel ganz schnell wieder leer. Hinzu kommt das >Zocken<. Schon mancher Junge ließ in einer Nacht sein ganzes Geschmeide auf dem Spieltisch zurück, sogar Autoschlüssel bzw. das dazugehörige Gefährt wechselten des öfteren den Besitzer. Das nennt man in >Fachkreisen< - »Ablegen«! Jeder, der ein Weilchen in diesem Leben steht, hat sich angepaßt, kennt alle Regeln, ist sozusagen etabliert. Kommen das Mädchen oder ihr Lude in Schwierigkeiten, wird geholfen; der größte Feind der Dirnen und Zuhälter ist die Polizei. Das ist wie Himmel und Hölle, wie Feuer und Wasser. Begeht jemand einen fatalen Fehler, gibt es ungeschminkt eine aufs Maul, auf die Ohren, oder manchmal gibt's die Kugel. Fast immer ist der Junge der Anlaufpunkt, er muß auch für seine Alte >geradestehen<. Wenn er seine Interessen wahrnehmen will, geht das selten mit Spruch ab - meistens fliegen die Fäuste, zückt man leichtere oder schwerere Waffen. Jedenfalls trägt man laufend seinen Kadaver zu Markte, man muß immer mit Blessuren rechnen, manchmal gar mit seinem Ableben.
Natürlich wird so eine rauhe Schale mehr und mehr >mit Stacheldraht umwickelt<, die Feinsinnigkeit eines solchen Mannes kommt in den Safe - brutales Überleben dominiert in dieser Szene. Aber, nehmen wir einen ganz normalen Tag - so weist die Statistik auf-, geschehen im bürgerlichen Leben mehr Schlägereien, Körperverletzungen, kleine oder große Verbrechen als im Milieu. Also,... Wer wirft den ersten Stein?!
Putz im Bayerischen Wald Hannes und Bodo, zwei Brüder aus dem Bayerischen Wald, hatten sich im Münchner Nachtleben seßhaft gemacht. Sie waren sehr sympathisch, hatten eine herzhafte Art, waren stets frische Burschen mit einer geraden Gesinnung. Bei ihnen traf das Körpermaß - Länge mal Breite - so richtig zu. Beide waren sie pfiffig, witzig, immer für einen Scherz zu haben. Das konnte aber nie darüber hinwegtäuschen, daß die >kerndl-gefütterten< Burschen Körper aus Gußeisen besaßen. Bei Auseinandersetzungen schien es, als wären sie bei sämtlichen Schmieden dieser Welt in die Lehre gegangen. Vom Rausschmeißer bis zum Clubbesitzer hat sich Hannes hochgearbeitet - wir waren dicke Freunde. Hannes hatte zu Hause in seinem kleinen Städtchen etwas zu tun, dies wollte er an einem bestimmten Wochenende erledigen. In einer feucht-fröhlichen Runde tat er dies kund, spontan entschlossen sich drei Mann, ihn in dieses Wochenende zu begleiten. Einige Gründe sprachen dafür - wir Großstadt- und Nacht-Geschädigten wollten uns einmal für ein paar Tage im Bayerischen Wald entspannen. Ferner sicherte uns Hannes zu, ein paar Teenies für unsere Nächte dort parat zu haben. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, daß wir in einem nahegelegenem Steinbruch ein paar Schießübungen abhalten konnten. Alles zusammen versprach, daß wir
Gaudi-Tage erleben würden. Übermorgen also sollte es losgehen. Falco, der Neger-Bomber, Hannes und ich, wir begaben uns schon frühmorgens mit zwei Mercedes-Schlitten auf die Landstraße. Falco, ein Mischlingsjunge, 1,90 groß, mit einem Athletenkörper wie aus Bronze gegossen, besaß ein besonderes Kennzeichen: Er hatte einen Glatzkopf wie Yul Brynner. Seine vollen Lippen und blitzenden Zähne lachten immer. Er war eigentlich sanftmütig wie ein Lamm - nur, gefährlich war's, den Leu zu wecken. Der Neger-Bomber machte seinem Namen alle Ehre. Er war ebenfalls ein wuchtiger Typ - in Bayern geboren - ein Besatzungskind also. Wenn dieser Sarotti-Mohr Bayerisch sprach, dann wirkte das echt lustig. Ich hatte einen Koffer voll Klamotten dabei, so daß ich zu jeder Situation das Richtige anziehen konnte. Einen Anzug, wenn's fein zugehen sollte, hautenge Lederhosen, wenn's in die Disco ging. Hemden en Gros, mehrere Paare hochhackiger Stiefeletten, und so weiter und so weiter. Meine Pistole, die Beretta 7,65, war zwischen der Unterwäsche verstaut. Den großkalibrigen Colt hatte ich ja >allzeit bereit< unter meiner Fußmatte im Wageninneren liegen. Aber ganz speziell für dieses Wochenende hatte ich mir schnell noch ein Kleinkaliber-Gewehr mit Zielfernrohr gekauft. Dieses war, noch orininal verpackt, auf der Hutablage im Fond untergebracht. Ferner war mit an Bord - ein riesengroßer Teddy-Bär, den ich auf dem Oktoberfest gekauft hatte. Er sollte im Steinbruch als Zielscheibe dienen. Selbstverständlich hatten die anderen ebenfalls ihre Waffen dabei und reichlich Munition. Es war ein schöner Herbsttag. Ja, wenn Engel reisen, lacht der Himmel. Ein bißchen windig war's zwar, buntes Laub wirbelte über Straßen und Landschaft hin. Runter vom Gaspedal, das Ortsschild >Cham< tauchte auf; die Ziellinie war überschritten. Gleich schräg links gegenüber befand sich eine Tankstelle mit Auto-
Waschanlage. Diese fuhren wir an, wollten wir doch mit blitzenden Wagen die Bühne betreten. Mein SechshunderterBenz war schon sauber, irgendein Tankwart lederte noch trinkgeldheischend, gewissenhaft ein paar Tropfen ab. Der weiße Dreihundertfünfziger-Benz vom Falco war noch der Pflege mit Schaum und rotierenden Borsten ausgesetzt. Ich wollte die Gelegenheit nützen, meinen Spezis meine neuerworbene Waffe zu zeigen. Ich kramte die längliche Schachtel aus meinem Wagenfond und packte das Gewehr so zärtlich aus, als wäre es ein Baby. »Hey - super!« klang es wie im Chor; die Waffe ging durch aller Hände. Ein paar prüfende und zielende Blicke durchs Visier des Zielfernrohres - ich erklärte ihnen, genug Munition dabei zu haben, so daß jeder damit ausgiebig schießen könnte. Das Ding wurde wieder verpackt und verstaut, der CarService bezahlt; schnell wurde noch eine Stange Zigaretten gekauft. Hannes zeigte uns das schickste Hotel am Ort, man würde uns da gewiß großzügig gewisse Freiheiten einräumen, meinte er. Hatten wir uns doch vorgenommen, reichlich Teenies durch die Betten zu ziehen. Kohle hatten wir alle genug dabei - gegen fürstliches Trinkgeld durften wir sicherlich die Sau rauslassen. Wir mieteten vier Doppelzimmer, das war für Kleinstadtverhältnisse schon eine ganze Suite. Wir stellten die Koffer ab und prüften die Betten. Es war gerade Mittagszeit - wir wollten nun gepflegt essen gehn. Auch hier spielte Hannes den Fremdenführer, unsere Wahl fiel auf ein uriges Restaurant. Hannes war natürlich stadtbekannt - genauer gesagt, ein bißchen gefürchtet. Denn etliche Bauernburschen und Bürgerliche hatten schon seinen >Dampfhammer< zu spüren bekommen. Er sagte uns kurz im Vorüberfahren: »Da, an dieser Stelle, hab' ich schon mal ein >Indianer-Feuerchen< gemacht«, und deutete dabei aufs Rathaus. Vor dem Restaurant angekommen, suchten wir nicht
lange erst einen Parkplatz, wir parkten direkt vor der Tür. Es bestand dort zwar Halteverbot, doch was juckte uns das. Ein schöner, runder Tisch, groß genug für acht Personen, gehörte uns. Jeder bestellte, was sein Herz begehrte, der Kellner schrieb eine unendlich lange Bestell-Liste. Mit einem Aperitif begann das Ganze, wir rauchten jeder eine, warteten auf die Suppe. Wir fragten den Hannes nach den Weibern aus, die hier im Städtchen aufzureißen seien. Doch er winkte ab und meinte, wenn es Abend würde, würde er uns schon zeigen, wo sie ihr Nest hätten. Genug Material und vom Feinsten gäbe es auf jeden Fall bis spät in die Nacht in der Disco namens >Hölle<. Aha, die Suppe kam, wir löffelten in unserer Terrine Wildcreme. Ich hatte den Sitzplatz zufällig so, daß ich durchs Fenster sehen konnte. Bäuerliche Rüschen umrahmten selbiges, und auf dem Fensterbrett stand eine prächtige alte Zinnkanne mit einem aufwendigen Gesteck Strohblumen darin. Mein Augenmerk galt nun dem, was sich da draußen abspielte. Viele Polizeifahr/euge fuhren vor, auch Mannschaftsbusse, deren Bremsen quietschten. Schwerbewaffnete Bullen sprangen behende aus den Autos. Reflexartig äußerte ich zu meinen Kumpels: »Die führen sich vielleicht auf, wegen unserem bißchen Falschparken!« Die schwereichene Tür der Gaststätte sprang auf und, förmlich drängelnd, stürzten sie herein. Beamte mit Maschinenpistolen im Anschlag, manche hatten ihre Dienstpistole gezückt, und sie schrien: »Hände hoch!« Das Ganze in Richtung unseres Tisches. Das war vielleicht ein Bild für die Götter. Ich ließ bei der Aufforderung >Hände hoch!< gleich den Löffel in den Teller fallen, daß es nur so spritzte. Geschwind waren wir alle in Handschellen verpackt. Uns war es echt ein Rätsel, was hier vor sich ging - anscheinend hatte das Ganze mit Falschparken nichts zu tun. Es ging wohl um mehr. Wir wurden nach Waffen untersucht. »Was ist mit unseren Autos?« fragte ich, als ich in das Polizeiauto geschubst wurde. »Schau'n wir mal, vielleicht
braucht's ihr längere Zeit kein Auto mehr!« meinte das Rotbäckchen hinterm Steuer - und schnaufte und pustete vor Aufregung, als sei es kurz vor einem Herzkasperl. Überhaupt taten alle beteiligten Kleinstadt-Sheriffs gerade so, als hätten sie soeben die Cosa Nostra hops genommen. Im Polizeirevier angekommen, sperrte man uns einzeln ein, zwei Zellen waren vorhanden, die anderen von uns wurden gleich zur Vernehmung geführt. Ich sah aus meinem Zellenfenster hinunter in den Polizeihof. Hatte man doch glatt, nachdem man uns die Schlüssel abgenommen hatte, unsere Autos nach hierher verbracht. Ein paar Bullen durchsuchten unsere Fahrzeuge. Selbstredend hatte einer schon mein Gewehr samt Karton im Arm. Ebenso hatten sie sich meinen Gummiknüppel angeeignet, der stets in der Tasche der Fahrertür steckte. Ich war immer noch sprachlos und ratlos, fragte mich, was hier gespielt wurde. Ich sollte aber im nächsten Moment Aufklärung darüber erhalten. Die Riegel meiner Zellentür wurden zurückgeschoben, der Schlüssel drehte sich im Schloß. Wieder klickten die Handschellen, ich wurde ins Vernehmungszimmer geführt. »Sie werden verdächtigt, letzte Woche in der Stadtsparkasse Schwandorf einen bewaffneten Raubüberfall verübt zu haben«, sagte der Typ am Schreibtisch. Mir fiel regelrecht ein Stein vom Herzen, als ich dies vernahm. Denn hier irrten sich die Bullen, das hatte ich, das hatten wir ganz sicher nicht getan. Der Oberboß, mit ein paar Sternen auf seinem Schulterstück, fuhr fort: »Ihr seid deswegen dringend der Tat verdächtig, weil an diesem Raub zwei Weiße und zwei Farbige beteiligt waren, ... und ihr seid doch zwei Weiße und zwei Farbige - nicht wahr? Außerdem wurdet ihr an der hiesigen Tankstelle beobachtet, wie ihr mit Waffen hantiertet. Die Waffen haben wir gefunden, also, es spricht wirklich etliches gegen euch. Nun warten wir zusammen, bis die Bankangestellten hier eintreffen und euch identifizieren.« »Sauber«, sagte ich, »wann kommen denn die wichtigen
Herrschaften, sollen wir hier vielleicht so lange schmoren, bis die womöglich aus ihrem Wochenendurlaub heimgekehrt sind?« »Was wolltet ihr denn mit den Waffen - hm?« kam die Frage zurück. Ich erzählte ihm den wahren Sachverhalt, und anscheinend hatten die anderen wahrheitsgetreu dasselbe ausgesagt. Nun wurden sie bereits etwas unsicherer, diese Uniformierten, und uns wurden schon mal die Handschellen abgenommen. Wir durften auch wieder zusammen in einem Nebenraum verweilen, bis die Sparkassen-Mannschaft uns >freisprechen< würde. Wir vier diskutierten untereinander, welches Pech wir hatten, welcher Zufall uns in eine solche Situation gebracht hatte. Es war Punkt neunzehn Uhr, wir hatten Glück - die Sparkassenangestellten wurden mit einem Polizeibus vorgefahren. Ich dachte mir, daß es wohl jetzt das Höchste sei, wenn uns einer irrtümlich >wiedererkennen würde. Wir wurden wiederum einzeln vorgeführt, wir mußten ein paar Sätze sprechen, so daß man uns eventuell auch akustisch identifizieren konnte. Ich stand also fünf Leuten gegenüber, die ich noch nie im Leben gesehen hatte, und konnte nur hoffen, daß diese derselben Ansicht waren. Sie beäugten mich wie ein fremdes Wesen von einem anderen Stern, und nun sollte ich etwas sagen. »Ich heiße Berndt Lang, komme aus München, habe mit eurer Sache nichts zu tun und will endlich raus hier«, so sprach ich. Ich konnte abtreten, hörte aber noch im Hinausgehen, daß sich alle Beteiligten einig waren, wir seien nicht
die Bankräuber. Ab diesem Moment hatten wir Jungs wieder Oberwasser und drängten, freigelassen zu werden. Ein paar halblaute Entschuldigungen waren zu vernehmen, aber die Anzeigen wegen unerlaubten Waffenbesitzes wurden fein säuberlich
in die Schreibmaschine getippt. Bei uns allen galt, keine Angaben zur Sache zu machen, das sollte die Aufgabe unserer Anwälte sein. Wir wurden sämtlich in einen Raum geführt, wo alle unsere Waffen, samt Munition, einer Ausstellung gleichkommend, auf einer Decke lagen. Nun sollte jeder seine Waffe benennen. Und siehe da, offensichtlich hatten die Bullen auch unser Hotelgepäck durchsucht, denn die Ballermänner, die wir in unserer Wäsche verborgen hatten, waren ebenfalls präsent. Nur eine Waffe fehlte, nämlich meine große amerikanische Armeepistole. »Die haben sie anscheinend nicht gefunden«, durchzuckte es mich. Die Polizisten erwiesen sich ein bißchen hilflos angesichts der Tatsache, daß hier großkalibrige Munition vorhanden war, die zu keiner Waffe paßte. Ich dachte mir, wenn sie schon zu blöd waren, diese Waffe zu finden, dann konnte ich sie ja auch weiterhin für dumm verkaufen. Nachdem die Munition bei mir im Koffer gefunden wurde, war ich ihr Gesprächspartner. Ich erzählte ihnen, daß ich meine Beretta hätte aufbohren wollen, den Lauf vergrößern, so daß dann diese große Munition gepaßt hätte. Denn natürlich wollte ich nicht preisgeben, daß da unten in meinem Wagen die dazugehörige Puste unter der Matte lag. Also hatten wir es geschafft, nach diesem aufregenden Nachmittag nun endlich gegen zweiundzwanzig Uhr frei zu sein. Wir bekamen alle unsere Papiere wieder, unsere Autoschlüssel und dachten - nichts wie weg hier. Wir fuhren schnurstracks zum Hotel, bestellten eine Flasche Whisky aufs Zimmer und besprachen das soeben Erlebte nochmals ausgiebig. Alle Koffer lagen durchwühlt auf den Betten, und ich berichtete ganz stolz, daß sie meine Plempe unter der Autofußmatte nicht gefunden hatten. Jetzt waren wir alle natürlich aufgeheizt und beschlossen, uns in der Disco wieder abzuregen. Wir duschten, zogen uns um. Ich fand in meinem durchwühlten Koffer mein reingoldenes Zigaretten-Etui nicht mehr, entweder hatte sich das die Polizei oder das Hotelpersonal unter den Nagel gerissen.
Ich konnte aber deswegen keinen Zirkus machen, denn ich hatte es >lauwarm< erst letzte Woche gekauft. Der Einbrecher hatte mir bedeutet, es käme aus einer Starnberger Villa und er hätte gern tausend Mark dafür. Ich kaufte es ihm ab, denn es war gut und gerne siebentausend Mark wert. Und nun war es bereits wieder weg! Scheiße. Selbstverständlich gab es viele Neugierige und Gaffer, als uns die Polizei vom Mittagstisch wegholte - also waren wir das absolute Gespräch dieses Wochenendes. Gar viele waren erstaunt, uns wieder frei rumlaufen zu sehen. Auch die Wirtsleute konnten es gar nicht fassen, als wir vor der Disco einen Schlenker an ihrem Restaurant vorbei machten, um zu zahlen. Wo wir auch im Städtchen gesichtet wurden, wurde hinter hohler Hand getuschelt. Uns war es recht, ein bisserl Werbung schadet nie, gerade, wenn man um jeden Preis auffallen will. Kurz vor Mitternacht trafen wir in der >Hölle< ein, und nun ging hier richtig die Post ab. Ich bestellte zwei Sektkübel, jeden randvollgegossen mit Sekt - und tauchte meine Füße hinein. Es war erfrischend und auffallend. Und weil alle Gä ste so blöd guckten, gab ich fürs ganze Lokal eine Sektrunde aus. So kamen sie alle nicht umhin, uns zuzuprosten, unsere Anwesenheit zu würdigen. Unser Hannes und auch die Kellner schwärmten im Lokal aus, um alle Mädels an unseren Tisch zu holen. Da kam allerhand zusammen, es waren zwischen zehn und fünfzehn Stück Frischfleisch. Und damit uns der eine oder andere Bauernbursche nicht gram wurde, legte ich schon mal demonstrativ meine Kanone auf den Tisch. Es wurde getanzt, gelacht, gescherzt, mal an die Titten gegriffen, mal zwischen die Beine. Wir luden den Disco-Chef ein und die Kellner, wir tranken Wodka, Whisky, Sekt, alles durcheinander. Unmengen Eiswürfel wurden hereingebracht, mit denen warfen wir lustig durchs Lokal. Die beworfenen Gäste fanden das gar nicht lustig, lachten uns aber wie versteinert zu.
Nach dem Motto >Mit unserem Geld dürfen wir alles< hausten wir wie die Vandalen - und, wenn's mal kritisch wurde, dann ließen wir keinen Zweifel an unserer Gefährlichkeit. Die Bullen konnten uns sowieso am Allerwertesten, die hatten sich ja blamabel in die Nesseln gesetzt, uns irrtümlich als Bankräuber festzunehmen. Sie konnten in dem Lokal schon die Polizei rufen - aber die würde ganz sicherlich nicht kommen! Im Laufe der Nacht hatten sich sechs Mädchen einverstanden erklärt, mit uns im Hotel weiterzufeiern. Falco schloß mit mir spontan eine Wette ab, er behauptete, die kleine Supermaus mit dem Glitzerfummel, die würde ich nicht ins Bett kriegen. Die anderen Jungs müßten Zeugen spielen - wenn ich ihren Slip vorweisen könne, dann genügte das als Beweis. Es ging um zehn Flaschen Wodka. Ich mußte sie mir auch aus anderen Gründen als erste vornehmen, sie müsse wenigstens vor dem Morgengrauen wieder zu Hause sein, sagte sie mir. Wir beide waren alsbald alleine in meinem Hotelzimmer, da zierte sie sich überhaupt nicht mehr. Im Gegenteil, bei einem langen Kuß tasteten meine Finger an ihr Vötzchen und fühlten, wie naß sie im Schritt war. Sie bumste sodann wie eine Weltmeisterin. Sie stemmte sich dabei von der oberen Bettkante ab und warf mir wellenartig ihren grazilen Körper entgegen. Ganz wenige, kurze, seidige Schamhaare hoben sich tiefschwarz von ihrer blassen Haut ab. Die kleinen, festen Brüste genossen meinen Zugriff. Es war eine echte Wonne, dieses wilde, schöne Kätzchen zu lieben. Splitternackt, mit dem Slip der Kleinen, lief ich zu den anderen, wollte meine Jagdtrophäe vorweisen. Alle grölten im Chor: »Falco - zehn Flaschen Wodka!« Wir saßen alle in Hannes Bett, der Bomber mußte deswegen mit einem der Mädchen auf dem Teppich bumsen. Das machte anscheinend den beiden nichts aus, sie ließen sich jedenfalls nicht stören. Falco wollte nun auch sein Glück probieren bei meiner Maus der letzten Stunde, doch gerade da betrat diese, schon angezogen, unser Zimmer. Offensichtlich aber ohne Slip,
denn den hielt ich ja in der Hand. Sie nahm noch zwei Mädels mit, und weg waren sie, so schnell konnten wir gar nicht schauen. In diesem Moment klingelte das Zimmertelefon, die Rezeption bat uns, »bei aller Liebe«, unsere Orgie zu beenden. Für mich persönlich war es das offizielle Zeichen, jetzt endlich schlafen zu gehen. Ich verfügte mich in mein Zimmer, schloß ab und bald darauf die Augen. Zu der Zeit, als wir aufstanden, gab's kein Frühstück mehr. Es war vorangeschrittener Nachmittag, und so verlegten wir unser Frühstück in die lokale Eisdiele, »wo immer gute Weiber sitzen«. Wie Hannes meinte. Wo wir uns auch zeigten, es war überall zu merken, daß wir das aktuelle Stadtgespräch waren. Zwei bildhübsche Töchter und die Mami höchstselbst, aus der Familie eines Stadtrats, interessierten sich sehr für uns. So konnte es nicht wundernehmen, daß die zweite Nacht auch schon wieder Unterhaltung versprach. Nur sollte dem Alkohol nicht mehr so reichlich zugesprochen werden, weil Hannes ja morgen früh etwas zu erledigen hatte. Im Hotel war man froh, als wir zu erkennen gaben, daß wir am folgenden Tag abreisen würden. Es war Montag morgen, wir saßen am Frühstückstisch und konnten prompt den hiesigen Tageszeitungen entnehmen, wo wir wann was gemacht hatten. Drei, vier Pressefotos ergänzten die zwei Seiten, die man uns gewidmet hatte, offensichtlich hatten sie uns aus sicherer Entfernung, vom Kirchturm aus, fotografiert. Ebenso war unser ganzes Waffenarsenal abgebildet, mit dem Untertitel - BESCHLAGNAHMT! Überschrift des Ganzen war -»Zwei Weiße und zwei Neger machen unser Städtchen unsicher.« Da waren Falco und der Bomber nicht mehr zu halten. Wir beschlossen, den Zeitungsschmierer aufzusuchen. Ebenso war noch eine Rechnung zu begleichen mit dem Unternehmer, der am Ort eine Fahrschule betrieb. Der nämlich, so hatten wir erfahren, hatte uns an der Tankstelle beobachtet - mit dem Gewehr. Und hatte uns an die Bullen verpfiffen.
Wir warteten, bis Hannes wiederkam, und suchten dann das Büro der Stadtzeitung heim. Wir wollten wissen, wer eine derartige Scheiße geschrieben hatte, und vor allen Dingen, das Wort >Neger< würde uns mißfallen. Einer schob es von den Angsthasen auf den anderen. Wir warfen ein Regal um und gingen wortlos von dannen. Sofort anschließend fuhren wir zur Fahrschule, mit ganz handlichen Steinchen versehen. Da gingen in Sekunden alle Scheiben zu Bruch, und - weg waren wir. ... »von wegen, unser sauberes Städtchen und so«, schrieb die Zeitung! Also machten wir noch ganz geschwind vor unserer Abfahrt die Aktion >Saubere Stadt<. Wir kauften im Supermarkt zehn Riesenpackungen Waschpulver und fuhren mit unseren zwei Autos vor den Stadtbrunnen am Rathausplatz. Der jeweilige Beifahrer sprang raus, um ein Paket Waschpulver in den Brunnen zu schütten. Dann fuhren wir eine Runde ums Haus, und die nächste Ladung wurde geschüttet. Als wir nach der fünften Runde unser letztes Paket losgeworden waren, war der Brunnen schon ganz lustig am Überschäumen. Der ganze Marktplatz war zum Schaumbad geworden, der Wind trug dicke Seifenblasentrauben nach überall hin. »Da habt ihr eure saubere Stadt«, machten wir spöttisch und verschwanden in Richtung München. Erst jetzt fiel uns auf, daß wir tatsächlich die ganze Zeit über nie mehr einen Bullen zu Gesicht bekommen hatten. Nun, zu Hause würden wir unseren Anwälten beichten müssen, was wir wieder für eine Scheiße verbrockt hatten. Denn unerlaubter Waffenbesitz war ja nicht unbedingt bloß ein Kavaliersdelikt.
Oktoberfest-Zeit Jedes Jahr, Ende September bis Anfang Oktober, geht's auf die Wies'n. Es hatte sich seit Jahren ein gebürgert, daß wir Zuhälter einen Stammtisch hatten - im Augustiner-Festzelt. Es war ein großer, runder Tisch, gut zwölf Personen fanden daran Platz. Die Bedienung wurde alljährlich aufs neue bestochen, auf daß dieser Tisch jederzeit für uns reserviert blieb. Verschiedentlich gingen wir Jungs auch mal nachmittags mit unseren Weibern auf die Wies'n. Wir Männer jedoch waren allabendlich dort anzutreffen. Natürlich war diese Angelegenheit nicht ganz billig, aber man konnte nur mit einer sehr hohen Summe diesen >Reservierungs-Service< beeinflussen und beanspruchen. Aber schließlich spielte Geld für uns die geringste Rolle. Jedem Außenstehenden mußte es als nichts Besonderes erscheinen, daß wir ausgerechnet diesen Tisch besetzt hielten. Aber es war - weiß Gott - kein Zufall. Denn dieser war der letzte Ecktisch innerhalb der Barriere, hinter welcher alles Weibliche vorbeigehen mußte, das auf die Damentoilette strebte. Wir streckten nur die Arme aus, und wie in einem grobgeknüpften Fischernetz blieb eine gewisse Ausbeute hängen. Es waren immer ein paar Solo-Hasen dabei, manche auch mit Freundinnen, oder sie waren mit einem Bekanntenkreis da, wovon sie sich ohne Komplikationen absetzen konnten. Andere Mädels aber waren mit Mann, Freund, oder >fester Bindung< im Saal - und doch blieben sie bei uns sitzen. Und, wie bei einem Volksfest üblich, man trank und flirtete - gar gingen Küßchen hin und her. Der Typ der einen oder anderen Maus machte sich nach einer gewissen Zeit Sorgen und suchte den Weg zur Toilette ab. Ja - meine Herren, da gab's dann meistens Stunk, wenn der seine Herzallerliebste an unserem Tisch rumknutschen sah. Mancher machte es recht diplomatisch, seine Maus wieder dafür zu gewinnen, mit ihm an den alten Platz zu gehen. Tja - aber der Alkohol zeigte seine Wirkung auch in der Weise, daß sich andere hinwiederum überschätzten. Entwe-
der zogen sie ihre Geliebte an den Haaren mit sich, oder sie fingen mit uns zu streiten an. Na ja, wie auch immer- so gab es oft herrliche Keilereien. Außenstehende mischten dann auch gerne mal mit, einfach, weil ihnen gerade so zumute war. Einmal hatte unser ganzer Tisch, vielleicht fünfzehn Jungs, eine Massenschlägerei angezettelt, und unsere Kontrahenten wurden mehr und mehr. Die Saalordner hatten alle Mühe, in diesem verbissenen Menschenknäuel noch etwas auszurichten - geschweige denn - zu ordnen. Ich war von der eigentlichen Szenerie schon weit abgedrängt worden, stieß und schlug auf alles ein, was auf mich eindrang. Wenn ich falle, ist es aus, dachte ich mir noch, denn es waren mindestens zwanzig Feinde mit mir beschäftigt. Fast möchte ich behaupten, sie wollten mich lynchen, denn sie hatten gesehen, wie böse ich einen von ihnen mit einem Aschenbecherscherben zugerichtet hatte. Ich wurde von allen Seiten an der Kleidung festgehalten. Was sage ich: Kleidung - die Fetzen hingen mir vom Leib. Keiner konnte mir helfen - ich war alleine. Und... ich fiel! Ich spürte Fußtritte ins Gesicht und am ganzen Körper Angst hatte ich keine, denn daß ich gnadenlos eingestampft werden würde, das war mir klar wie Kloßbrühe. Ich wunderte mich vielmehr, warum ich noch keinen einzigen Wirkungsschlag kassiert, das heißt: noch nichts gebrochen hatte oder noch nicht besinnungslos war. Das Getümmel um mich stob plötzlich auseinander, ein bekanntes Gesicht war über mich gebeugt. Leck mich am Arsch die Polizei, dein Freund und Helfer. Ein Bulle in Zivil, von der Sonderfahndung, der mich schon öfters festgenommen hatte, war nun mein rettender Engel. Er legte mir Handschellen an und sagte ganz dienstlich: »Sie sind verhaftet!« Einige Zuschauer klatschten Beifall, andere aber, die mich gerne noch ein bißchen massakriert hätten, sahen sich ihrer Beute beraubt. Sie tobten und schimpften, hatten aber deutlichen Respekt vor diesem Zivilbullen.
Der Kripo-Willi, wie er bei uns genannt wurde, brachte mich ins Freie und ließ es deutlich raushängen, daß er mich vor weit Schlimmeren bewahrt hätte. Ich konnte nicht anders - ich mußte ihm recht geben. Er führte mich in die Polizei-Baracke, nahm mir den Achter ab und gab mir die Mahnung mit auf den Weg, daß er mich im Wiederholungsfalle anzeigen würde. Für mich war es für heute genug, ich winkte ein Taxi, um zu Hause meine Blessuren zu pflegen. In Gedanken hoffte ich, daß sich unsere Jungs wacker geschlagen hatten. Uns hielt aber nichts auf, daß wir uns am nächsten Tag nicht wieder an unserem Stammtisch auf der Wies'n getroffen hätten. Der eine mehr, der andere weniger lädiert, zerkauten wir den Vorfall von gestern, Nach der dritten Maß aber waren die Gespräche schon auf etwas ganz anderes gekommen. Zum Beispiel warfen wir wieder unsere Angeln aus, um etwas Hübsches, Weibliches an unseren Tisch zu kriegen. Flirten und Poussieren war doch unser allerschönstes Hobby. »Heut Schlägern wir nicht, heut bumsen wir«, meinte der Michl, und die Krüge schepperten zusammen. »Prost - auf die geilen Mösen! Prost.« Und der Michel war es auch, der die erste an Land zog. Eine unentschlossene Einzelgängerin, eine ausgesprochen hübsche Maus, schlenderte an unserem Tisch vorbei. Das hätte sie lieber nicht tun sollen. Lieb lächelnd setzte sie sich zu uns und stellte sich als Elke vor. »Ich bin der Michl, und das ist der schöne Berndt, vor dem muß du dich in acht nehmen, weil der immer nur bumsen will«, flachste der Michl. Etwas verwirrt sah Elke in die Runde. »Da brauchst dir nichts zu denken, mach dir nichts draus, das stimmt schon alles, was die sagen«, ulkte der Karl. Wir Jungs lachten zwar köstlich amüsiert, wie das Mädchen einen nach den anderen von uns musterte, aber die kleine Maus war nun doch recht verunsichert. Sie quälte sich dennoch ein Lächeln ab - ihr gefiel es anscheinend trotz allem, mit lauter schicken Jungs zusammenzusitzen.
Irgendwann fiel es uns ein, aufzubrechen - wir wollten in unseren >Billard-Saloon<. Wir winkten der Bedienung, zahlten und gaben ihr die Erlaubnis, daß sich andere Gäste hier hersetzen dürften. Wir hatten nicht vor, heute noch einmal zu kommen, und ein Tisch mehr bedeutete für die Kellnerin mehr Umsatz und mehr Trinkgeld. Haha, die Ausbeute für heute war zwar kärglich, aber dieses eine Mädchen fuhr schon mal mit. Das Außergewöhnliche, Besondere an diesem hübschen Teenie waren die Haare. Lange, sehr lange, pechschwarze Haare fielen seidig über Elkes Schultern. »Sie reichen genau bis zu ihren Schamhaaren«, bemerkte Karl. Er meinte auch, sie könne sich mit ihren Haarspitzen selber >einen runterbürsteln<. Im >Billard-Saloon< angekommen, sorgten wir sogleich dafür, daß alle anderen den Saloon räumten. Wir wollten unter, uns sein. Wir flipperten, um zu ermitteln, wer die erste Runde Sekt bezahlte. Heute war ich am dransten. O.K. - O.K. - O.K. - drei Flaschen Sekt, und - hoch die Tassen! Die Musikbox dröhnte unsere gedrückten Wünsche, ab und zu tappte mal jeder an der Alten rum. Die war sowieso schon ganz schön zu - wir hatten sie gehörig abgefüllt. Einer von uns kam auf die übermütige Idee, daß wir diese Maus total besoffen machen und ihr dann die Haare abschneiden sollten. Wenn wir das gut machten, würde sie nichts davon merken. Au-ja, das machen wir - zu unserer Lustigkeit kam also jetzt auch noch Spannung hinzu. Eine Schere wurde besorgt, nun mußten wir den richtigen Moment abwarten. Nachdem ich mich schon am meisten in sie reingeschmust hatte, sollte ich also die Ablenkung übernehmen. Aber, da mußten noch ein paar Flaschen Sekt für uns bestellt werden, zwischendrin überredeten wir Elke zu zwei Magenbittern, weil's ihr so schlecht war. Am Ende hing sie mehr auf dem Barhocker, als daß sie drauf saß. Sie war schon richtig fertig mit der Welt, als wir dann die Zeit gekommen sahen, Friseur zu spielen. Ich ging auf den Barhocker zu, auf dem sie saß, und um-
armte sie wortlos. Dann streichelte ich ihren Hals, legte ihre Haare über meinen Arm. Sie war total ahnungslos, daß sie bei dem folgenden Kuß gehörig Federn lassen würde. Durch meine Umarmung, mein Spiel an ihrem Halse und einen ausgedehnten Kuß, nahm ich ihr alle Empfindungen dafür, was sich hinter ihrem Rücken abspielte. Karl seinerseits erfaßte die Mähne mit der linken Hand - in seiner Rechten blinkte die Schere. Kitsche - ratsche - fast wie bei Max und Moritz wurde dieser grausige Streich vollzogen. Ich hätt' mich fast angepißt, als der Karl die Trophäe hinter ihrem Rücken hochhielt. Er sah wirklich aus wie ein besoffener Indianer, der seinen gerade errungenen Skalp spazierenträgt. Ich löste meine Arme von dem frischgeschnittenen Pagenkopf, Karl verschwand auf der Toilette, um die Haare durchs Klo zu spülen. Da wurde nun diese herrliche Pracht in die Kanalisation gespült - und, o Wunder! Die Maus merkte immer noch nichts davon. Jeder von uns machte Rundgänge um ihren Barhocker, wir konnten uns vor Lachen nur noch biegen. Also - die sah aus - hm - Wahnsinn. Das wirkte so bekloppt abgefranst, als sei ein Mähdrescher über sie hinweggegangen. Sie meinte halt, wir lachten über sie, weil sie so zugesoffen war. Als sich schließlich unser Haufen auflöste, nahm ich das Mädel mit zu mir nach Hause - ein bißchen Bumsen schadet nie. Sie war nicht so recht bei der Sache, des reichlichen Alkoholgenusses wegen - aber, was sollte es. Wieder eine Kerbe mehr in meinem Colt. Als mein Baby dann ins Bad ging, um sich meinen Samen aus ihrem Vö tzchen zu spülen, hörte ich jenen Schrei, den ich eigentlich schon länger erwartet hatte. Aber erst jetzt sah sie im Spiegel, was mit ihr geschehen war. Sie war entsetzt und weinte bitterlich. Nach ihrer Meinung war ich der Täter, denn das bekam sie einfach nicht in die Reihe, daß ihre Haarpracht schon stundenlang fehlte. Jetzt mußte ich mit ihrer Hysterie ganz alleine
fertig werden. Ich schwor ihr, daß ich nicht wüßte, wer da an ihr rumgeschnipselt hätte. Ich versuchte ihr sogar einzureden, daß es, todsicher, von uns Jungs keiner war. Aber - sie wollte nur noch weg von mir, bestellte sich ein Taxi. Sie hatte sich wohl die Adresse gemerkt, denn zirka drei Wochen später bekam ich wieder einmal eine Vorladung zur Vernehmung bei der Kripo. Körperverletzung hielt man mir vor. Ich mußte leise in mich hineinlachen, denn da hatte ich wieder etwas gelernt. Also war Haareabschneiden - Körperverletzung. »Erstens war ich das nicht, zweitens kenne ich diese Frau überhaupt nur mit kurzen Haaren, und drittens möchte ich hier gleich meinen Friseur anzeigen, weil der mir letzte Woche die Haare schnitt!« sagte ich zu dem vernehmenden Beamten. Irgendwann flatterte mir dann ein behördlicher Zettel ins Haus, worauf stand, daß dieses Verfahren - mangels Beweises - eingestellt sei.
Von einsamen Wölfen und anderen Die Winterzeit ist stets etwas ruhiger. So, wie das kalte Wetter und der Schnee unsere Breitengrade frieren läßt, so schließt sich unser aller Herz und Gemüt in ein graues Mäntelchen. Ein Großteil der Freier, nämlich die Familien-Papis, freiem dann nur noch selten. Denken sie doch schon an die Kosten der Weihnachtsgeschenke. Oder aber das Auto springt nicht mehr an, und somit wird lieber eine neue Batterie gekauft als eine Hure. Oder geht es mit Kind und Kegel in den Schneeurlaub? Auch liegen viele mit Grippe im Bett- also mit Angina, anstatt mit Dolores. Wir Jungs motten unsere Maschinen jeweils ein, bevor der Frost einsetzte; nichts ging dann mehr mit Easy-Rider-Action. Unsere Hürchen wollten natürlich alle einen neuen
126 Pelz, und den sowieso nur vom Feinsten. Also, der Winter macht uns Menschen alle anders. Hauptsächlich sind es zu jener Jahreszeit die Ausländer, die ihre Weihnachtsgratifikation zu den Dirnen tragen oder ansonsten einsame Wölfe. Diese Kohle versoffen wir überwiegend in allen möglichen Kneipen und Kaschemmen. Ich fuhr am >Tilbury< vor, wollte mir eine Flasche Wodka reinkippen - mal sehen, wer sonst noch dasaß von uns. Der Türsteher riß die Wagentür auf und sagte: »Weißt du's schon?« Ich fragte: »Was?« »Unser Platzl-König Berger war seit vier Tagen spurlos verschwunden, heute früh hat man ihn aus dem Chiemsee gefischt. Mit einem pikfeinen Loch zwischen den Augen. Ein Chiemsee-Fischer hatte ihn im Netz, obwohl er mit einigen Kilo Hantelscheiben beschwert wurde.« »Da schau her, sportlich, sportlich«, lautete mein Kommentar. Ich stieg aus meinem Wagen und ging hinein. Natürlich war jeder mit diesem Thema beschäftigt. Gründe, Hintergründe - Wissen oder Besserwissen. Haha, in jedem Falle konnte keiner der Schlaumeier den Mord aufklären. Am nächsten Tag stand es in der Zeitung, man hatte auch schon eine voreilige Verhaftung zu vermelden. Nach jüngsten Ermittlungen sollte es der Geschäftsführer gewesen sein - und nicht der Gärtner. Aber diese Beschuldigungen waren nicht zu halten - der Gute mußte nach wenigen Tagen wieder freigelassen werden. Die Kripo setzte einen >Spezial-Berger-Ermittlungstrupp< ein, und dieser Stab hatte nichts Eiligeres zu tun, als mich in seine Diensträume zu laden. Da saß ich nun im Zimmer dreihundertelf - an der Tür stand >Mordkommission<. Drei freundliche Herren boten mir Kaffee an, ein gußeisernes Lächeln lag auf jedem dieser Ge sichter. Ich war so frei und begann mit der Unterhaltung. »Ja,
spinnt's ihr? Was soll ich hier auf diesem Zimmer? Auf dem Zimmer der Abteilung Mordkommission?!« Nachdem ich aber bis zu diesem Moment nicht wußte, warum ich hierherzitiert worden war, perlte bei mir bereits der Achsel- und Handschweiß. Vielleicht war Manuela an ihren Verletzungen gestorben? überfiel mich heimlich die Angst. Ich konnte nur abwarten, mit welchem Thema ich konfrontiert werden würde. Je nach Sachlage käme kein Wort über meine Lippen, und mein Anwalt müßte her. Die Gedanken schössen ungeordnet und wirr durch meinen Kopf, ich versuchte, meine Unsicherheit zu überspielen. Scheinbar unbeteiligt und lässig fragte ich wieder: »Was ist los? Was wollt ihr von mir?« Die Sekunden der Stille, die eintraten, machten mich schier wahnsinnig - wußte ich doch nur zu gut, daß der Stuhl, auf dem ich saß, ein heißer Stuhl war. Hier zu sitzen war nicht lustig - da hörte meistens der Spaß auf. Endlich, nachdem mich die drei Masken schweigend studiert hatten, ergriff einer von ihnen das Wort. »Ja, Herr Lang - wissen Sie, wir dachten halt...!« Der Sprecher sah sinnend aus dem Fenster, stockte in seinem Satz. Wieder Sekunden dieser gräßlichen Stille - der marternden Ungewißheit, auf was er hinauswollte. Der Bulle fuhr endlich fort: »Wir dachten uns, weil Sie doch immer so durch die Ge gend schießen... -« Um Gottes willen, jetzt fiel mir siedendheiß ein, daß ich vor wenigen Tagen einem Ferrari-Fahrer nachgeschossen hatte, der mich auf der Autobahn teuflisch geärgert hatte. Nun ging mein Puls wie rasend, und dennoch fühlte ich mich matt. Ich kramte wie in Trance nach meinen Zigaretten und steckte mir eine davon an. Ich pustete meinen ersten Zug aus - ich wollte damit mein hörbares Schneller-Atmen kaschieren. »Ja, und?« fragte ich, und es tat mir gut, wenigstens mich selbst reden zu hören. Nun ließ er die Katze aus dem Sack - mit einem Riesensatz war er bei mir - vor mir. Ganz dicht war sein Gesicht vor dem
meinigen, er starrte mich an - sein Blick ging bis auf den Seelengrund. »Vielleicht haben Sie zufällig den Berger getroffen?« herrschte er mich an. Reflexartig fragte ich: »Wo?« »Zwischen die Augen«, antwortete er ganz leise, aber schneidend. Meine Seele war nun ein Volksfest geworden - mit Kitschblumen und Plüschtieren, mit Mandelduft und Riesenrad, Steckerlh'sch und Starkbier. Ich schloß für Sekunden die Augen und genoß es richtig, hier falsch verdächtigt zu werden. Aber wenn auch mein Gemüt ein Feuerwerk abbrannte, saß ich doch hier in einer Geisterbahn. Nun mußte ich also zurück, auf den Boden der Tatsachen. Ich begann, mich frei und ungezwungen zu äußern. Daß ich, zum ersten, nie ein Feind vom Berger gewesen sei - eher schon ein Freund. Zum zweiten müßten wir mein Alibi durchkämmen, bei der in Frage kommenden Tatzeit, und so. Zum dritten sei ich schon jahrelang nicht mehr an den Chiemsee gekommen - und so weiter, und so weiter. Spätestens an diesem Tage, zu dieser Stunde, konnte ich lernen, wie ausgefuchst die Mordkommission ihr Metier beherrscht. Denn nach etlichen Fangfragen war ihnen echt klar, daß ich sicher nicht für diese Geschichte in Frage kam. Sich in leisem Ton entschuldigend, meinten sie am Schluß unserer Sitzung: »Na ja, wir müssen halt in unserem Job allen nur denkbaren Möglichkeiten nachgehen.« »Da habt ihr euch aber den falschen Spielkameraden ausgesucht«, meinte ich im Rausgehen. Jetzt brauchte ich einen Whisky. Ich fuhr zum Wetzel Anton, um auch gleichzeitig nachzusehen, was eigentlich meine Anschy machte. Wieviel Kohle sie in den letzten vier Tagen schon wieder zusammenhatte. Als ich abends dann abermals ins >Tilbury< ging, bestellte ich eine >Fischsuppe ä la Berger mit Hantelscheiben<, und der Kellner wußte nun wirklich nicht, was er mit dieser Bestellung anfangen sollte. Der Junge hat aber auch gar keine Fantasie, dachte ich bei
mir. Man merkte bereits, daß der Laden herrenlos war. Das Niveau sank in den folgenden Wochen, das Publikum blieb aus, die Bedienung wurde schlechter - der Laden war im Eimer. Doch anscheinend verkaufte die Witwe die Disco gerade noch im richtigen Moment, denn da war urplötzlich ein neuer Besitzer. Auch ein Jude, namens Marmorstein. Er fing das Geschäft wieder einigermaßen auf, und es war klar-von unserem Stammtisch erklang allabendlich die Hymne: »Marmor, Stein und Eisen bricht - aber unsere Lieeeeebe nicht!... »Alles, alles geht vorbei — doch wir sind uns treu...!« Womit wir das >Tilbury< meinten.
Turbulenzen Am Platzl gab's auch die >Madam-Bar<. Sie besaß reichlich rote Samtvorhänge, eine Bühne mit etlichen bunten Scheinwerfern, eine primitive Bestuhlung. An der hufeisenförmigen Bar saßen die Animierdamen herum, wie die Hühner auf der Stange. Die Augen mußten sich erst an das Dunkel gewöhnen, um dann prüfen zu können, mit welchem Aussehen und Sexappeal diese Mädels bestückt waren. Jede trug eine andere, aufdringliche Duftnote, aber ihr Schweißgeruch überbot dennoch die gesamte Parfümindustrie. Zwei kohlrabenschwarze Micki-Mäuse waren sicherlich aus Kenia durchgebrannt, auch sie suchten hier an dieser Bar ihr Glück und Deutsch-Marks. Sie hatten gar nichts Frauliches an sich. Ich kannte sie alle, die hier jede Nacht wie ein Hyänenrudel auf ihre Opfer warteten. Ich hatte seinerzeit am Platzl selbst drei Schlepplokale. Jeden Monat wechselte der Laden sein Programm, dann kamen immer vier bis fünf neue Stripperinnen. Deshalb ging ich ab und zu in diese Bar - Stripperinnen aufreißen. Das letztemal, als ich drin war, hatten sie sich einen ganz netten Spaß mit mir erlaubt. Fiel ich doch glatt auf einen superblonden Überzahn rein,
gab reichlich zu trinken für die Dame aus - und im Geiste hatte ich sie schon im Bett. Doch ganz zum Schluß stellte sich heraus - jene war ein Transvestit. Ich konnte nur noch staunen und selber darüber lachen. Man lernt einfach nie aus, dachte ich bei mir. Lautlos ging jetzt der Vorhang der Bühne auseinander, ein Tonband führte uns das gehauchte >Je t'aime< zu Gemüte. Ein graziles Geschöpf schwang seinen durchsichtigen Nylonumhang im ultrablauen Lichtkegel. Dieses Licht ließ den Körper der Nachtblüte tiefbraun erscheinen, ihre weißen Dessous leuchteten verlockend. Geschmeidig wiegte sie ihren Körper, brachte ihre Finger überall dorthin, wo ich die meinigen gerne gehabt hätte. Lange, braune Haare umschmeichelten ihren zierlichen Kopf und ihre Schultern. Jetzt zupfte sie am Schleifchen ihres Slips - die Regie drehte gleichzeitig das Licht runter, als sie, völlig nackt, ein Küßchen ins Publikum warf. War die Alte stark,... die mußte ich haben. Ich gab der Barfrau einen Wink, sie solle mir die Zuckermaus vorstellen und schon mal eine Flasche Sekt herrichten - aber natürlich die billigste. Denn den Sauf freier zu spielen, war wohl das Unlukrativste, was ich mir denken konnte. Die Barfrau machte das ganz professionell, führte die Schöne an der Hand zu meinem Barplatz: »Das ist der schöne Berndt, und er möchte dich auf eine Flasche einladen«, erklärte sie ihr. Ich war entzückt von der Anmut der Kleinen, große, braune Augen sahen mich an, sie lächelte etwas gekünstelt. »Ich bin die Mira«, sagte sie leise, als sie neben mir auf einem Barhocker Platz nahm. »Du schaust gut aus, kann man mit dir eine Runde flirten?« fragte ich. »Danke, du auch, und das mit dem Flirten - probier's halt mal«, gab sie zurück. Ich hörte ganz schwach einen österreichischen Dialekt heraus. »Aha - Austria« stellte ich laut fest.
»Ich bin keine Profi-Stripperin, ich mache das nur als Urlaubsjob«, erklärte sie mir sodann weiter. »Hast du Lust, mit mir noch ein bisserl um die Häuser zu gehen, wenn du hier Feierabend hast?« wollte ich wissen und wühlte unterdessen schon in ihrem Haar. Sie war sehr ernst und scheinbar unnahbar, doch ließ sie sich alle meine Kunstgriffe gefallen. »Wenn ich an mein tristes Pensionszimmer denke, dann gehe ich lieber noch mit dir«, erwiderte sie. O. K. - das war schon mal gebongt. Sie meinte auch, daß man es mir deutlich ansehen würde, in welchem Gewerbe ich tätig sei, aber das sei ihr Wurst. Ich wartete draußen im Wagen auf sie, es war sehr kalt, und viel Schnee war gefallen. Aber meine Standheizung hatte meinen Wagen schon wohlig aufgewärmt, ich schob eine Kassette ein - natürlich Fats Domino. Sie kam aus der Bar und sprang in den Wagen. Sie warf ihren Fuchs vom Hals, weil es doch recht warm war. Ich griff ihr gleich mal vorsichtshalber ins Dekollete, befühlte nun ihren nackten, wohlgeformten Busen. Denn ich dachte mir, wenn diese Alte lange Zicken macht, und wenn nichts läuft, dann lasse ich sie gleich im nächsten Laden sitzen. Sie hielt aber still, und ich betrachtete sie nun jetzt schon als mein Opfer. Wir zogen durch zwei Frühlokale, überall traf man Jungs. Die einen mit ihren eigenen Weibern, die anderen mit Neuaufgerissenen. Es war schon Tag geworden, als wir sturzbesoffen meinen Wagen vom Schnee befreiten. Wir fuhren zu mir, und ich beugte mich erst einmal über die Kloschüssel. Steckte meinen Kopf unter den Kaltwasserhahn und putzte mir die Zähne. Sie lag schon im Bett und mimte die Schlafende. »He Baby, gleich kannst du schlafen - aber erst wird mal schön gebumst!« Ach herrje, war das eine lahme Ente, sie spreizte gelangweilt die Beine, um mich zu empfangen. Ich genoß ihren schönen Körper und dieses schöne Haar - und weil sie so unbeteiligt war, wollte ich nur meinen schnellen Orgasmus, um
dann schlafen zu können. Vielleicht bin ich so acht Minuten drauf rumgeritten - und diese acht Minuten wurden die teuersten meines Lebens. Denn irgendwann im darauffolgenden Sommer setzte sich in irgendeinem Lokal so ein schwangeres Etwas neben mich, lachte mich an und sagte: »In drei Monaten ist es soweit.« Es dauerte Momente, bis ich das Gesicht in meiner Erinnerung unterbrachte - und dann begriff ich erst den vollen Ernst der Situation. Ich sagte: »Spinnst du - was erzählst du mir hier?« Der Schock saß tief, und ich wollte das Ganze gar nicht wahrhaben. Ich lehnte es einfach ab, solche Gedanken in meine Birne zu holen - ein treffliches Beispiel von Vogel-Strauß-Politik. Kopf in den Sand - und die Situation ist einfach nicht gegeben. Na ja, nach einigem Hin und Her mit Vaterschaftsfeststellungsklagen und so weiter bin ich bis heute noch lustig damit beschäftigt, monatliche Alimente auszupacken. Ich weiß nicht, wie oft ich die Strecke München-Mannheim und zurück schon gefahren bin. Jedenfalls kam ich gerade wieder von dort. Die winterlichen Straßen verlangten immer ihre Opfer. Heute sah ich bestimmt ein Dutzend Fahrzeuge über die Fahrbahn schießen oder ihr Ende an den Leitplanken nehmen. Ein Auto mit einer Familie überschlug sich gar, aber alle krabbelten sie munter aus dem Wrack. Nachdem ich das beobachtet hatte und we iterfuhr, redete ich laut vor mich hin: »Ja - haha, ihr Penner, sicherlich mit glatten Sommerreifen auf großer Fahrt - wahrscheinlich so stier, daß keine Winterreifen mehr drin sind. Ja, du Arsch, du mußt halt deine Alte zum Anschaffen schicken - dann kannst du dir Winterreifen leisten. Aber sicher bumst sie den Nachbarn umsonst, wenn du in der Maloche bist. Ach, ihr armen Irren!« Zu Hause angekommen, klingelte das Telefon. Klara war am Apparat, mein Baby aus dem Imex. Ganz aufgeregt teilte sie
mir mit, daß mich die Bullen mit Großeinsatz suchten. Mit Foto und Haftbefehl würden sie das ganze Milieu abklappern. Was ist denn jetzt schon wieder los, dachte ich und machte mir erstmal einen schönen, starken Kaffee. Und dann kam ich ins Grübeln, überlegte sodann fieberhaft, was denn so schlimm gewesen sein könnte, daß für meine Person ein Haftbefehl erstellt wurde. Und es fiel mir partout nichts ein, was von solch großer Bedeutung gewesen wäre. Egal, ich schlafe heute nacht mal bei der Klara zu Hause, und morgen gehe ich mit meinem Anwalt zur Schmier, entschied ich. Ich rief Klara an, und wir verabredeten, daß sie heute um zwei Uhr nachts das Arbeiten aufhörte. »Ich komme dann so etwa um drei Uhr zu dir«, sagte ich ihr. Kurz vor drei fuhr ich los, es waren ja nur ungefähr zweitausend Meter bis zu ihrer Wohnung. Und ich dachte mir noch - schnell wieder runter von der Straße, rein in die Tiefgarage bei Klara. Die Gegend war menschenleer - kein einziges Fahrzeug war unterwegs. Ich raste durch fünf, sechs Straßen. Auweh-zwick - da kam einer, und der hatte Vorfahrt. Um ein Haar wäre es passiert. Wir wichen beide aus und kamen zum Stehen. Hilfe! Das durfte doch wohl nicht wahr sein - das war ja ein Streifenwagen. Also Zufälle gibt's! Beide Beamten traten an mein Fenster - mein Fensterheber summte, die Scheibe senkte sich. Relativ freundlich sagte der eine: »Guten Morgen, das wäre ja noch einmal gutgegangen!« »Ja«, erwiderte ich, »das habe ich glatt übersehen, entschuldigen Sie bitte.« »Ist schon gut, h aben Sie auch Ihre Papiere dabei?« wollte er wissen. »Klar.« »Dann fahren Sie bitte mal rechts ran.« Beide nahmen meine Dokumente und verschwanden im Streifenwagen. Na, wenn das nur gut ging, wahrscheinlich war ich jetzt geliefert. Und wieder überlegte ich fieberhaft, was der Haftbefehl wohl zu bedeuten hatte. Beim Zurückkommen waren die Herren schon nicht mehr
so freundlich. Der eine knöpfte seinen Pistolenhalfter auf, und nun kam die Aufforderung, den Wagen zu verlassen. »Sie sind vorläufig festgenommen - sind Sie bewaffnet?« Ganz scheinheilig fragte ich zurück: »Was bin ich - verhaftet? Warum, wieso?« Einer der Bullen tastete mich nach Waffen ab und führte mich in den Streifenwagen. Als wir auf der Fahrt ins Präsidium waren, waren die Herren wieder freundlicher. Sie waren wohl erleichtert, daß ich unbewaffnet gewesen war. Ganz bestimmt war über Funk die Warnung an sie ergangen -»Vorsicht, gefährlich.« Ich fragte sie, ob nicht zu erfahren wäre, warum ich verhaftet sei. »Gleich kriegen Sie in der Zentrale Auskunft darüber«, beruhigten sie mich. Klara wird sicherlich warten, dachte ich bei mir. Ich fand die Situation bekloppt, denn es war heute nacht nur ein Auto unterwegs - und das waren die Bullen gewesen. Also verrückter ging's wohl nicht. Sollte man das als Schicksal deuten? Im Präsidium angekommen, wurde ich gleich in ein Vernehmungszimmer gebracht. Mein lieber Schwan, da war vielleicht ein Leben in der Bude, das war ja unglaublich! Mindestens zwanzig Beamte in Zivil waren hier im Nachtdienst beschäftigt. Ein Penner wurde in eine Ausnüchterungszelle verbracht, ein Eierdieb legte gerade dem vernehmenden Beamten ein Geständnis ab. Eine abgetakelte Viktualienmarktdirne gab an, vergewaltigt worden zu sein. Der Fernschreiber tickte, zwei Fahnder schnallten sich den Schulterhalfter um, eine weitere Verhaftung stand an. Ein Drogendealer spielte mit seinem jungen Schäferhund - beim genauen Hinsehen entpuppte sich der Mann ebenfalls als ein Bulle. Aber, alle Achtung - toll verkleidet. Er mischte sich sicherlich so, gut getarnt, in die Münchner Rauschgiftszene. Er klebte sich mit Klebeband eine kleine Sieben-Fünfundsechziger an die Wade, stülpte das Hosenbein drüber. Dies alles beobachtete ich durch die offene Tür - aber jetzt kam einer mit einem Akt in der Hand und schloß diese Tür. Jetzt gibt es Aufklärung - dachte ich bei mir.
»Der Grund Ihrer Verhaftung ist - Verdacht der Zuhälterei, angezeigt von einer Manuela Mickel«, sagte der Typ ganz trocken. Morgen konnte ich meinen Anwalt anrufen und jetzt ab in die Zelle! So war das also, na ja, jetzt wußte ich wenigstens Bescheid. Diese elende Filzlaus. Aber wie kam das nur, nach so einer langen Zeit nun eine Anzeige? Ich konnte mir überhaupt keinen Reim darauf machen. Na ja, wir würden morgen sehen, was Sache war. Ich wurde in eine Sammelzelle geschubst, da lungerten schon sechzehn andere herum. Einer schnarchte, der nächste furzte, ein anderer haute mich gleich um eine Zigarette an. Das Elend in diesem Raum war groß - was hatte das noch mit Menschsein zu tun? Einer saß auf der Kloschüssel, und es stank gottserbärmlich. Wer die Schuhe ausgezogen hatte, gab eine Superwerbung >für deutschen Käse frisch auf den Tisch< ab. Ein graumelierter Herr erklärte mir ganz genau, daß sein Warentermingeschäft äußerst seriös geführt und daß er total unschuldig verdächtigt wurde. Ich war müde, legte mich auf so eine Wanzenmatratze und schlummerte ein, bis die Türriegel zurückgeschoben wurden und es Kaffee gab. Mit dieser Brühe hätte ich mir nicht einmal die Zähne geputzt, ganz zu schweigen, daß ich so was trank. Im Laufe des Vormittag rief man meinen Namen auf, und ich durfte meinen Anwalt anrufen. Mein treuer Baron schickte mir unverzüglich seinen Adjutanten, und dieser bemühte sich, mich rauszuholen. Aber diesmal ging nichts diesmal sperrten sich Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter. Sie waren der Meinung, mein Konto sei überzogen. Das war nun eine ganz neue Situation für mich. Und der Tag war noch nicht zu Ende, da fand ich mich doch glatt im Untersuchungsgefängnis München-Stadelheim wieder. Ich ließ durch meinen Anwalt Klara informieren und ihr meine Wagenschlüssel übergeben, auf daß der Wagen bei ihr in die Tiefgarage gefahren würde. Denn schließlich hatte ich doch noch eine Waffe unter der Fußmatte liegen. Beim nächsten
Anwaltsbesuch erfuhr ich ganz genau, warum ich hier in der Patsche saß. Und das Ganze noch ausgerechnet vier Tage vor Heiligabend. Seit allerjüngster Zeit war es verboten, in der Innenstadt von München anzuschaffen. Manuela war offenbar in München geblieben und war in der City auf Kundenfang gewesen. Man hatte sie aufgegriffen und eingesperrt. Die Bullen hatten ihr sodann das Angebot gemacht, sie wieder laufenzulassen, wenn sie über den schönen Berndt auspakken würde. Und prompt ging sie auf diesen Kuhhandel ein, holte sich allerdings das Versprechen der Bullen, daß ich in Haft bliebe - weil sie um ihr Leben fürchtete. Und aus diesem Grunde war es meinem Anwalt sehr schwergemacht worden, mich wieder frei zu bekommen. Aber mein Schutzengel ließ mich auch diesmal nicht im Stich, letztlich konnte mein Baron eine Kautionssumme vereinbaren, mein Paß wurde einbehalten, und ich mußte mich nun täglich melden. Und just zu dem Zeitpunkt, als jeder einen Christstollen in die Zelle gereicht bekam, gelangte ich nach wohl zwanzig verschlossenen Türen in die Freiheit. Dieses Weihnachten fiel karg aus, denn ich mußte alles Bargeld für die hohe Kaution der Gerichtskasse auf den Tisch blättern, und mein Anwalt wollte auch ein nettes Sümmchen sehen. Aber Hauptsache, ich war frei. Ich wußte aber nun, daß für mich die Uhr tickte. Wenn ich eines Tages vor Gericht stehen würde, würde es nur so Jährchen hageln. Ich durfte Manuela auch nicht suchen, denn, wenn ich sie finden würde, konnte ich für gar nichts mehr garantieren. Anschy fuhr zu Weihnachten zu ihren Eltern. Heien kam aus Mannheim angereist. Klara schaffte auch am Heiligabend an, denn da ist ja fast keine Frau im Puff. Also gehörten ihr nahezu konkurrenzlos alle Freier, die durchs Haus streunten. Das ist ein Geheimtip - am Heiligabend gibt’s für fleißige Huren sehr viel Geld. Es gibt genug ein-
same Menschen, auch und vor allem in dieser Nacht. Viele Männer suchen in diesen Stunden auf diese Weise menschliche Kontakte. Ich war froh, als der Feiertagsrummel vorbei war; die Weiber waren auch wieder alle an ihrem Arbeitsplatz. Das Leben lief seinen alltäglichen Trott. Selbstverständlich mußte ich mich erst langsam daran gewöhnen, mich täglich bei der Polizei vorzustellen. Mit meiner Unterschrift wurde die jeweilige Anwesenheit kontrolliert. Meine Freunde fuhren zum Autorennen nach Monte Carlo, und ich konnte lediglich ihre Ansichtskarten entgegennehmen. Dann machten vier Jungs einen Afrika-SafariTrip, mir wurde das Herz schwer, nicht dabei sein zu können. Ich schenkte ihnen einen neuen Riesenkanister, ließ diesen volltanken und schrieb darauf mit Filzstift: »Ein Stück von mir soll euch begleiten, kommt gut heim, Jungs Berndt.« Ich ging täglich zum Body-Building-Training, dadurch konnte ich in einem normalen Konfektionsgeschäft überhaupt nichts mehr kaufen. Also mußte der Schneider alle meine Klamotten basteln. In einer Disco traf ich eines Abends Mandi. Der hatte ja einen Schuß dabei - Wahnsinn. Ich trank nur noch einen Piccolo, gleich aus dem Fläschchen. Das sei der einzige Alkohol, den ich trinken dürfe, hatte mir mein Body-Building-Trainer gesagt. Dann nahm ich Mandi zur Seite und fragte ihn, wie er zu dieser Übermaus käme. Sie hatte eine knabenhafte Figur, aber festes Fleis ch, und steinharte Supertitten zeichneten sich durch ihren Mohair-Pulli hindurch ab. Ein ganz knappes bayerisches Lederhöschen hatte sie an, aus rotem Veloursleder, die Taschen waren mit Eichenblättern ausgeputzt. Und, wie gesagt, das Höschen war so kurz - es hätte eher die Bezeichnung >Slip< verdient gehabt. Dann kamen braune Schenkel, weiße Kniestrümpfe und rote Pumps. Im stillen dachte ich, was die Huren doch für ein Talent haben, sich so zu kleiden, daß man ihnen sofort ihren Job ansieht. »Du, das ist die Freundin meiner Alten, die ist gerade
solo«, sagte Mandi. »Ich darf sie ja nicht angraben, sonst wird meine Alte sauer«, fügte er hinzu. »Aber probier halt mal dein Glück«, meinte er. O. K., freie Fahrt. Das wäre eine neue Partie und obendrein ein Supergirl. Ich plapperte meinen hundertjährigen Schmarr'n daher, wie schön sie sei, und daß ich solch einer Frau ja ewig treu sein könnte, und so. Und wie gut sie es bei mir hätte; das Schmalzfaß lief schon fast über. Da entgegnete sie mir, daß sie vom schönen Berndt bereits viel gehört hätte - bei dem gab's mehr auf die Ohren als zu fressen. Scheiße - ich war erkannt. Aber das störte mich gar nicht weiter, ich gab nicht auf. Mandi lachte sich hinter meinem Rücken ins Fäustchen. Ich rief ihn zur Ordnung und sagte ihm: »Sei nicht blöd, Mensch, hilf mir halt ein bisserl! Wenn ich die Alte aufstellen kann, dann bekommst du auch einen Batzen Kohle von mir.« Daraufhin wurde er deutlicher und verriet mir, wie ich an sie herankommen könne. »Die ist so blöd«, meinte er, »bei der mußt du ihre Hund' poussieren, dann klappt es.« Mandi hatte aber nicht viel Zeit, mich besser zu unterrichten, denn die Schöne kam schon wieder von der Toilette zurück. Aber ich war wenigstens schon ein wenig unterrichtet. Na ja, das muß es ja auch geben, daß man nicht auf der Stelle zum Erfolg kommt. Also säuselte ich noch ein wenig von Liebe und bat um ihre Telefonnummer. Am nächsten Tag fragte ich telefonisch an, ob ich sie besuchen dürfe. Ich brachte ihrem Dackel haufenweise Wurst mit und spielte auch eine ganze Weile mit dem Köter. Das schien ihr zu gefallen, da hatte mir Mandi wirklich einen guten Tip gegeben. »Wo arbeitest du denn, ich hab' dich ja noch nie gesehen?« fragte ich sie, und sie erzählte mir von einer Pension, nicht weit vom Stachus entfernt. »Hahaha, ich dachte, da arbeiten nur abgewrackte Omis«, gab ich zurück. Sie machte uns Tee, und ich trank dieses lauwarme Ab-
Spülwasser. Aber ich war ihr schon ganz schön an die Wasche gegangen. .. .keine Gegenwehr! Sie ließ sich von mir bumsen. Sie war sehr rein, sauber-superhygienisch, und ich glaube, ich hatte, rein optisch, noch nie so ein schönes Vötzchen gesehen. Natürlich züngelte ich mit Genuß an ihrem Kitzler, spielte gerne mit ihren kleinen, prallen Schamlippen. Stimulierte mit dem Daumen ihre Va gina - daran hatte sie Vergnügen und krallte sich in die Kis sen. Beim Bumsen ist immer der blöde Köter aufs Bett gesprungen - das war für mich der reinste Horror. Sobald ich mich unbeobachtet fühlte, gab ich dem Tier so einen mittleren Tritt, dann verschwand es zeitweise unters Bett. Glücklicherweise ergab es sich, daß die Pension, in der sie arbeitete, schließen mußte. Kirstin war verzweifelt, aber ich nicht. Denn ich hatte sowieso vor, sie nach Stuttgart zu verbringen. Da gab es traumhafte Summen zu verdienen, hatte ich von einem Freund gehört. Ich besprach dies mit Kirstin und setzte sie in den Zug nach Stuttgart, denn sie mußte alleine dort vorstellig werden. Das >Drei-Farben-Haus< (das offizielle Stuttgarter Puff) stand nämlich total unter der Fuchtel des dortigen Sittendezernats. Sie kam zurück mit der erfreulichen Nachricht, daß sie ab ersten Juni in Stuttgart arbeiten könne. Sie bekam gleich ein sündhaft teures Brillantencollier von mir geschenkt. Jetzt nämlich hatte ich ausgesorgt - Stuttgart bot die Garantie für eine Zwanzigtausend-Mark-Einnahme - monatlich. Jeden Samstag abend kam Kirstin mit dem Flugzeug, oder zwei Kolleginnen teilten sich das Taxi mit ihr nach München. Dadurch daß wir uns wöchentlich nur ein bis zwei Tage sahen, wurde sie sehr liebebedürftig. Und ich begann echt, diese Frau in den wenigen Stunden, die sie bei mir war, sehr zu verwöhnen. Sie hatte eine liebenswürdige Art, mir die Kohle zu überreichen. Sie bündelte die Geldscheine jeweils mit einem dekorativen Schleif chen. Die Hunderter, die Fünfziger, die Zwanziger, die Zehner - jedes Bündel war zudem mit einem Zettelchen versehen - einer Liebesbeteuerung, einem Herzchen oder einem Vers. Dann war auch jedes Wo-
chenende ein kleiner Gabentisch gedeckt. Es gab ein paar extravagante Slips für mich oder ein goldenes Feuerzeug, auserlesenes Herrenparfüm oder einen kleinen Perser als AutoFußmatte. Obwohl ich mich immer sehr darüber freute, suchte ich ihr einzuhämmern, sie solle mir nichts mehr kaufen, weil in wenigen Wochen mein neuer Mercedes zu bezahlen sei. Ich hatte mir das Drei-Fünfer-Coupe bestellt. Es war ein Dienstag - so um die Mittagszeit. Ich kam gerade aus dem Frühlokal, wir Jungs hatten hinten etwas abseits gesessen und gezockt. Ungefähr zweitausend Mark hatte ich verloren - und besoffen war ich wie die Sau. Ich wollte gerade mit einem Hecht ins Bett, als es an der Tür Sturm läutete. Nackt, wie ich war, öffnete ich die Tür. Meine Heien aus Mannheim stand vor mir. Ich dachte, ich träume - sollte die nicht gerade vor den Schotten stehen? »Was machst du denn da?« fragte ich ziemlich bedripst. Sie warf ihre Reisetasche in die Ecke, legte ab und war ganz ernst. »Ich muß mit dir reden«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Ha - aber doch nicht jetzt, ich bin sturz-zu und schweinemüde«, entgegnete ich ihr. Aber ich ahnte ja schon, warum diese überraschende Anreise, warum diese Bitterkeit in ihrer Art. Sie hatte sicherlich Wind davon bekommen, daß ich noch woanders eine Alte abkassierte. Aber von welcher wußte sie? O mein Gott, dachte ich, und dieses Theater ausgerechnet heute, wo ich so fertig bin und meine Ruhe haben will. Das interessierte Heien indes nicht, und sie kam auch gleich zur Sache. »Du bist gemein, du bist mies, du...« - weiter kam sie nicht, ich langte ihr gleich eine und schrie: »So redest du nicht mit mir, verstanden?!« Aber der Streit war im Gange - und natürlich wollte mich Heien mit aller Gewalt davon überzeugen, daß sie nur aus Liebe zu mir anschaffen ginge. Ich sagte ihr, daß es eine Frechheit sei, so unangemeldet nach München zu kommen, und sie solle sich mit dem nächsten Zug nach Mannheim trollen. Sie entgegnete, sie stünde Tag und Nacht mit Auf-
putschmitteln vor den Schotten, nur um mir genügend Geld zu verschaffen. Sie würde sich nichts leisten, kaum etwas für Essen und Trinken ausgeben, wenn sie erkältet oder krank sei, würde sie halbnackt an der Tür stehen mit jedem Freier die ekligsten Sachen machen, nur um mich zufriedenzustellen. Sie konnte einem leid tun, wegen dem, was sie da sagte und wie sie um meine Liebe winselte. Ihr Gesicht war mit Schminke verschmiert, weil sie Rotz und Wasser heulte. Ich begann zu pokern, setzte meine scheinheiligste Miene auf und wollte Genaueres wissen. »Gestern ist eine Neue bei uns eingezogen«, erklärte sie denn auch, die ist aus dem Stuttgarter Haus rausgeflogen wegen irgendeiner Unkorrektheit. Und die erzählte mir, daß der schöne Berndt der Typ von der Kirstin ist.« Aha, dachte ich bei mir, also so ist das gelaufen - nein, was es doch für Zufälle gibt auf der Welt! »Ja - und?« sagte ich, »das muß doch überhaupt nicht stimmen! Du glaubst auch jeden Scheißdreck - das ist nicht wahr!« »Oh, doch«, entgegnete sie, »denn ich hab' heute nacht mit der Kirstin telefoniert.« Bumm - das saß wie ein Hammer. »Was? Was hast du?« Jetzt bekam ich einen ungeheuerlichen Haß und flippte aus. Sah ich doch die Gefahr, gleich zwei Partien zu verlieren. Ich schlug blindlings auf Heien ein, ihre Eifersucht würde mich noch wahnsinnig machen. Das Blut lief ihr aus Nase und Mundwinkeln - und dennoch war sie auf den Knien vor mir und winselte immerzu: »Bitte, nimm doch mein Geld und nicht das von der anderen!« »Du folgst ja nicht, fährst einfach hierher, ohne meine Erlaubnis - ich verlange von meiner Alten unbedingten Ge horsam!« schrie ich sie an. »Den verspreche ich dir ja, wenn du nur die andere aufgibst!« flennte sie - und eine ihrer künstlichen Wimpern, die sich losgelöst hatten, klebte an ihrer Backe.
In diesem Moment überkam mich eine Perversität ohnegleichen, und in mir wuchs ein grausamer Gedanke. Ich sagte zu Heien: »O. K. - wenn du ab sofort folgen willst wie ein Hund, dann bist du jetzt mein Hund. Los, ausziehen!« Ich warf mir meinen roten, seidenen Morgenmantel über, suchte einen Gürtel und sagte zu ihr: »Hundis müssen Gassi gehen - komm, wir gehen Gassi!« Heien wartete mit starkem Kaffee auf mein Erwachen, und sie drängte mich, daß ich schnell auf das Polizeirevier ginge, um meiner täglichen Meldepflicht Folge zu leisten. »Du besoffener Uhu, so was Hemmungsloses wie dich habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen«, meinte sie. Als ich von der Schmier zurückkam, gab es eine gemäßigte Aussprache. Aber mit meinem Kater bekam ich das Ganze geistig nicht in die Reihe. Ich dachte nur so in mich hinein, wenn Heien wüßte, daß es da noch eine Klara und Anschy gibt, die würde sich glatt vor den Zug werfen. Aber nachdem ich auf die Stuttgarter Kohle ganz sicherlich nicht verzichten wollte, redete ich nun der Heien mit Engels zungen zu, daß alle Kohle, die aus Stuttgart komme, dazu dienen würde, daß wir zusammen eine Kneipe aufmachen könnten. In jedem Falle würde ich nur sie lieben, und sie solle bald mit dem Anschaffen aufhören. Das sei mein Sinn und Zweck mit der Stuttgarter Hure, verklickerte ich ihr. Nachdem ich ja wußte, daß alle Huren der Welt den Ge danken des Aufhörens stets in ihrem Herzen tragen, hoffte ich, daß mein Vortrag Früchte tragen würde, was auch der Fall war. Denn alle Anschafferinnen, auch die abgewracktesten Strichmütter, sehnen sich nach einem Mann, der sie aus diesem elendigen Leben herausholt. Sie befreit von all dem Leid und der Schmach - nur ganz ganz wenige sind auserwählt, den Weg aus diesem Leben aus eigener Kraft zu gehen. Wir gingen schön zum Essen und dann heim, eine Runde bumsen. Heien weinte die ganze Nacht. Es war schwer für
sie zu begreifen, daß sie ihren Geliebten teilen mußte. Um elf Uhr am nächsten Vormittag ging ihr Zug nach Mannheim - ich hatte keine Lust, sie mit dem Auto hochzufahren. Klara, die dicke Nudel aus dem Imex, wurde krank und wollte sich bei ihren Eltern in Hamburg gesundkurieren. Sie ward aber niemals wieder gesehen. Na ja, auf ihre paar Mark konnte ich gut und gerne verzichten. Ich kümmerte mich auch weiter nicht um die Sache. Ein Münchner Junge hatte sich heimlich von uns abgeseilt. Er eröffnete in der Nähe von Basel einen Sauna-Club. Der Rolex-Pit, so nannten wir ihn alle, war einer von den ganz guten Jungs, und wir vermißten ihn sehr. Mandi und ich verabredeten uns, in der nächsten Woche den Pit zu besuchen. »Aber nur für ein paar Stunden, denn ich muß mich ja am nächsten Tag wieder melden«, sagte ich. »Mal schau'n, was der für geile Mädels hat, ein bißchen bumsen und dann wieder heimfahren - ja, das wird ein netter Trip.« Als das gerade besprochene Sache war, kam Falco mit drei Weibern in die Kneipe. Das Hallo war groß, nicht unbedingt wegen Falco, vielmehr wegen den Schüssen, die er im Schlepptau hatte. Unser gemeinsamer Freund, der Impresario Klaus Berenbrok, hatte heute einen Gala-Abend zum Tourneebeginn des Entertainers Salvatore Adamo veranstaltet. Und von daher hatte Falco die drei kessen Dinger abgeschleppt. Es waren zwei Schwestern mit einer Freundin, alle so um die achtzehn Jahre alt. Wir füllten die Mädels ganz schön ab, sie gaben sich recht enthemmt. Aber mir lief der blöde Sekt auch bereits zu den Ohren raus. Falco verabschiedete sich abrupt, er schleppte die zwei Schwestern ab. »Viel Spaß beim Dreier!« winkte ich ihnen nach. Die Marlies, die dritte war mir sicher - sie führte sich auf, als ob wir alleine wären. Jetzt kamen zwei Luden mit ihren Weibern an unseren Tisch. Ein kurzes Hallo, eine der Huren konnte es sich nicht verkneifen, sich laut zu äußern: »Den schönen Berndt sieht
man aber auch jeden Tag mit einer anderen.« »Ich möchte dich nicht geschenkt haben, mit deiner Untreue«, sagte die andere. Das zeigte aber bei meiner Tischdame null Wirkung - sie war gerade damit beschäftigt, halb verdeckt unter dem Tisch, meinen Reißverschluß zu öffnen. »Dann fahrt's halt heim, wenn's schon so pressiert!« meinte einer der Luden. Aber das war leichter gesagt als getan, denn ich war heute absolut, total besoffen. Heute lasse ich einmal im Leben meinen Wagen stehen - so weit konnte ich gerade noch denken. »Gleich ist Schluß hier, dann nehme ich euch mit - ich wohne ja bei dir um die Ecke!« sagte der andere. Wir zahlten, und ich schleppte mich aus dem Lokal. Wir waren vor meinem Haus angekommen, es mag so halb fünf Uhr morgens gewesen sein. Ich war, im Auto zusammengekauert, eingeschlummert, und man weckte mich. »Ja, ja aussteigen - O. K. - klar.« Ach du Mist, da war ja noch die Micki-Maus. O je, jetzt noch bumsen müssen - bei diesem Gedanken wurde ich nicht unbedingt geil. Na ja, das werden wir auch noch überstehen, dachte ich in meinem Suffkopf. Nach dem Hausschlüssel gekramt, aufgeschlossen. Ich wartete vergeblich auf den Aufzug. Ja, war denn der schon wieder kaputt? O je, jetzt auch noch in diesem Zustand Treppen steigen! Marlies trottete mir nach wie ein Hündchen. Endlich an der Bettkante angekommen, entledigte ich mich umständlich meiner Kleider. Ebenso tolpatschig zog ich Marlies aus. Schlecht war's mir, ich öffnete sperrangelweit die Fenster ich brauchte frische Luft. Aber nachdem weitgehendst mein Gehirn und meine Reflexe ausgeschaltet waren, vögelte ich die Maus stundenlang - bis mich dann schließlich mein Orgasmus vollends in das Reich der Träume holte. Drrring, Drrrring, klingelingeling, dring... Ohrenbetäubendes Kungeln an der Tür. Es hätte Tote wieder wachgeklingelt. Ich
schaute auf die Uhr, es war drei Uhr nachmittags. Mein Kopf und meine körperliche Gesamtverfassung waren jetzt noch demolierter als zu dem Zeitpunkt, da ich schlafen ging. Kein Gedanke hatte Raum, nur mein Unterbewußtsein wehrte sich gegen dieses marternde Klingeln. Nun kamen noch Klopfen und Trommeln an der Tür dazu. Es war zu schlimm, ich mußte aufstehen. Ich torkelte zur Tür und öffnete diese. Zwei Herren waren die Urheber dieses Höllenlärms. Einer drückte mich sofort zur Seite, war schon in meiner Wohnung. Der Zweite zeigte mir seine Kripo-Marke. O Alkohol, warum quälst du mich so?! Ich blicke ja überhaupt nicht durch - was ist denn nur los, um Himmels willen? Nackt, wie ich war, ließ ich mich wieder auf mein Bett fallen - und versuchte überhaupt erstmal, mein Gehirn in Gang zu kriegen. Aha - ich war alleine! also war die Maus irgendwann gegangen - O. K.! So - nun zum zweiten, was wollten die Bullen von mir? Hatte ich mich gestern nicht auf der Polizei gemeldet? Doch! Nein? - Scheiße! »Um was geht's denn?« waren nun meine allerersten Worte. Und ich hoffte, daß sie keinen Hausdurchsuchungsbefehl dabeihatten, denn in meiner obersten Schublade lagen alle meine Waffen. »Jaaaa, nix mehr hinlegen - anziehen, mitkommen!« sagte der eine Bulle. »Und wieso?« wollte ich wissen. »Sie werden doch wohl wissen, was Sie heute nacht gemacht haben!« meinte der andere. Was konnte ich heute nacht gemacht haben? prüfte ich mich selbst, so gut es ging. Und wurde in diesem Moment, trotz meines schlimmen Katers, bester Dinge. Ich empfand genau dasselbe Gefühl, welches ich auf dem Stuhl der Mordkommission erlebte, als man mich wegen Berger falsch verdächtigte. Denn ich war mir sicher, heute nacht hatte ich nichts Ver-
botenes getan. Und was ich dachte, sagte ich ihnen. »Ich habe nichts gemacht.« »Nur ein bisserl Notzucht, Vergewaltigung und so!« äußerte einer von ihnen. »Was?! ... Was? .. .was hab' ich?« fragte ich, und ich glaubte, mein Herz bleibe stehen. »Na ja, was reden wir da, anziehen, mitkommen!« befahlen sie mir. Was war geschehen??? Was mir nun auf dem Polizeipräsidium vorgehalten wurde, mußte ich erst mal für mich auf die Reihe bringen. Bevor ich dazu Stellung nahm, brauchte ich eine Zigarettenlänge Bedenkzeit - gab ich zu verstehen. Es war ein grausames Spiel, das man da mit mir spielte war ich doch momentan eine halbe Leiche. Hatte ich doch einen total verkorksten Magen, ein flaues Gefühl im ganzen Leib. Mein Mund hatte keinen Speichel, meine Zunge klebte mir am Gaumen. Ich vermochte nicht, einen klaren Gedanken zu fassen - vermutlich hatte ich immer noch ein gutes Promille im Blut. Zu alledem kam der Schock der Verhaftung, und der Gipfel des Ganzen war diese gemeine, falsche Beschuldigung. Immerhin wurde Notzucht als ein Verbrechen geahndet. Da schaute ich wieder einmal ganz schön geküßt aus. Überdies war ich fassungslos darüber, wie diese dreckige Schlampe so etwas behaupten konnte. Haha, genau besehen hatte sie sogar mich vergewaltigt - unter dem Tisch in der Disco. Zeugen hatte ich ja. »Das darf man alles nicht so eng sehen« - dachte ich bei mir. Ich drückte meine Zigarette aus und sagte dem Kriminaler, er solle mir nochmals die Vorwürfe der Zeugin Marlies Bäumler vorlesen. Sinngemäß stellte sie es so dar, daß ich sie in der Disco stark unter Alkohol gesetzt hätte, dann hätte ich sie nach Hause geschleppt. Ich hätte sie gepeinigt und geschlagen, ihr mit Gewalt die Kleider vom Leib gerissen. Sie habe sich verzweifelt gewehrt, denn sie dürfe ja, ihrem Glauben entsprechend, vor der Hochzeit keinen Verkehr ausüben. Sie sei überzeugte Zeugin Jehovas und bekäme vom
Vater immer wieder eingetrichtert, sich an die strengen Regeln und Gebote dieser Glaubensgemeinschaft zu halten. Und nun hätte das Mädel schwere körperliche und seelische Schäden davongetragen. Der Anzeigende war der Vater, das Gutachten eines Krankenhauses lag bei. Ich verlangte etwas zu trinken. Der Gönner an der Schreibmaschine spendierte mir doch glatt eine Büchse Limo aus dem Automaten. »Soso«, sagte ich, »und jetzt erzähle ich Ihnen, wie es wirklich war! Diese Drecks...«, setzte ich an und wurde gleich unterbrochen. »Nur keine Beleidigungen, Herr Lang, wenn ich bitten dürfte...«, meinte der Typ. »O. K. - O. K., noch mal von vorne. Also, da waren drei Damen in der Disco, und zwei gingen mit meinem Freund mit nach Hause. Das Fräulein Marlies blieb noch bei mir und öffnete mir die Hose, man beachte - mitten in der Disco! Zeugen dafür gibt's. Dann konnte ich vor lauter Rausch nicht mehr Auto fahren, und mein Kumpel mit Frau fuhr uns zu mir heim. In meiner Wohnung waren alle Fenster geöffnet, und Marlies hätte ja in ihrer angeblichen Not schreien können. Wenn ihre Kleidung zerschlissen ist, so kann das sein, weil ich so tolpatschig daran zerrte. Sie legte sich in mein Bett und ließ sich stundenlang bumsen. Dann weiß ich nichts mehr, weil ich eingeschlafen bin. So war es und nicht anders! Bitte, nehmen Sie dies zu Protokoll.« Das tat der Beamte denn auch, und man merkte ihm seine gemischten Gefühle an, wem er nun letztlich Glauben schenken solle. Aber das sei nicht sein Bier, meinte er, das müsse das Gericht herausfinden. Mit diesen gegensätzlichen Vernehmungsprotokollen würde ihnen indes kein Ermittlungsrichter einen Haftbefehl ausstellen. Also mußte man mich laufen lassen, es gab ja keine Fluchtgefahr - bei festem Wohnsitz. Wiederholungsgefahr gab's ihrer Meinung nach auch nicht, denn mein Vorstrafenregister wies zwar viel auf, aber dieses Delikt war nun nagelneu. Nach telefonischer Anmeldung saß ich wieder auf dem Stuhl vor dem Arbeitstisch meines Anwalts. Er glaubte mei-
nen Schilderungen zwar, doch er meinte, die endgültige Klärung sei erst bei der Hauptverhandlung möglich. Er schien mich gut zu kennen, denn er warnte mich ausdrücklich davor, dieses Mädel zu suchen. Wenn da etwas vorkommen sollte, würden sie mich sofort einbuchten, und auch er könne mir dann nicht mehr helfen. Es war schrecklich, alle Zeichen sprachen dafür, und ich spürte es innerlich: Ich war gebrandmarkt. Ich konnte in keiner Einbahnstraße mehr rauchen, ohne nicht gleich mit der Polizei in Konflikt zu geraten. Wo stand ich? Was war los mit mir? Ich fuhr gleich nach dem Anwalt zu Anschy in die Pension. Ich wollte ihre Kohle, sie wollte mit mir bumsen. Es ging nicht, ich war heute noch nicht beim Melden. »Aber danach komme ich gleich zurück«, versprach ich ihr. Allerdings wußte ich jetzt schon, daß ich heute sicher nicht wiederkommen würde. Und überhaupt war ich sowieso auf die blöde Bumserei stark angefressen. Zumindest heute. Ich wollte ganz alleine sein, wollte nachdenken oder mich zerstreuen. Was von beidem, das wußte ich selbst noch nicht. Ich fuhr zum Starnberger See hinaus, es war schon später am Abend. Auf der Promenade waren noch ein paar Spaziergänger, engumschlungene Pärchen gingen langsamen Schrittes dahin. Ich hätte auflachen können über den Quatsch, den sie sich gewiß einredeten, nämlich, sich ganz fest und innig zu lieben. Daß ich nicht lachte! Aber - was ging das mich an. Ich setzte mich auf eine leere Bank, schaute in die Nacht, starrte in das dunkle Wasser. Ich sah all die Schönheiten, auch wenn es dunkel war. Kleine, weiße Schaumkronen legten sich um die Pfähle der Bootsanlegestellen. Träge schoben sich Wolkenfetzen am Mondlicht vorbei. Ein leichter, aber frischer Wind wehte mir über das Gesicht, als schenkte er mir eine neue Haut. Ich wußte, warum ich heute derart in mich gekehrt war. Mein heutiger Anwaltsbesuch gab Anlaß dazu.
Ich war kein Träumer, eher schon ein Realis t - und es war sicher, ich würde meine Freiheit verlieren. Sie würden mich einsperren - und gewiß nicht wenig. Der Tag würde kommen, wo mich Gitterstäbe von dieser schönen Welt trennen würden. Wie viele Jahre würden sie mir aufbrummen? Wie konnte man da drinnen existieren, unter so vielen Entbehrungen? Ich merkte, daß ich kettenrauchte, seit ich auf der Bank Platz genommen hatte. Meine Gedanken jagten sich. Ich wog die Dinge ab, saß über mich selbst zu Gericht und sprach mein eigenes Urteil: »Gekniffen wird nicht, vor nichts. Jawolllll!« Heute würde ich auf den blöden Schampus pfeifen, heute würde ich Wodka saufen. Ich ging in das schöne Tanzcafe des Strandhotels. Alle Leute hier waren lustig, nur ich nicht. Ich lud die nette Barfrau zu einem Drink ein, auf daß überhaupt jemand mit mir prostete. Zwei ältere Damen saßen alleine an einem Tisch, sie wisperten und kicherten. Ich dachte mir, die können nicht einmal ihr Glas heben, soviel Klunkern haben die an den Pfoten. Na ja, die haben halt ihr Leben lang ihre Macker abgekocht, bis die in die Kiste hupften. Und jetzt spielen sie die lustigen Witwen und verdecken ihre Falten am Hals und ihre Gichtpfoten mit ein paar Karat. »Ja ja, Omis, eure Zeit ist abgelaufen«, so dachte ich. Ich war voll, die Flasche leer. Ich bezahlte und fuhr hinein - in das Nachtleben einer Großstadt. Ich ließ die Scheibe herunter, ich genoß den Fahrtwind und - daß ich lebte!
Frühlokal Ich hatte schon durch ein paar Kneipen geguckt, ich wollte eigentlich den Falco finden. Wollte ihm die Geschichte erzäh-
len von der Drecks... und der angeblichen Vergewaltigung. Vielleicht traf ich ihn im Frühlokal, also fuhr ich jetzt am besten gleich mal hin. Selbstverständlich hat München etliche Frühlokale, das heißt, Kneipen, die ab fünf Uhr früh geöffnet werden. Das ist eine Frage der Konzession, die, je nachdem, von den Ämtern genehmigt wird oder nicht. Und alles, was nachts unterwegs ist, der Underground Inbegriffen, entscheidet, welcher Laden gerade in ist. Mitten in Schwabing, in einer kleinen Seitenstraße, steht ein wunderschönes Patrizierhaus. Das Grundstück ist mit einer niedrigen Mauer umgrenzt, aus welcher herrliche Schmiedeeisen-Ranken zu einem Zaun emporwachsen. Zwei verträumte Figuren aus Granit säumen den Eingang des stets offenen Tores, viele Jahrzehnte liehen diesen Figuren eine schmuddelige Patina. Der Keller des Gebäudes ist zu einem Frühlokal ausgebaut worden, das schick und teuer eingerichtet ist. Es hat eher Clubcharakter - es kommt auch nicht jedermann rein. Ein Spion ist in der Tür angebracht und der Kennerblick dahinter entscheidet über den Einlaß. Die Belegschaft dieses Ladens weiß, was sie den etablierten Nachtschwärmern schuldig ist. Gewisse Leute finden jederzeit Einlaß, nicht erst ab fünf Uhr früh. Und die Zuhälter samt Huren gehörten zu jenen gewissen Leuten. Als ich vorgefahren kam, sah ich schon einige Fahrzeuge von den Jungs geparkt. Das mit den Parkplätzen war hier immer schwierig, also standen wir auf Gehsteigen oder auch in zweiter Reihe geparkt. Aber wie oft war es schon vorgekommen, daß wir vor lauter Feiern, Saufen oder Zocken die Zeit vergaßen. Draußen pulsierte dann der Alltag - und unser Auto war abgeschleppt. Nachdem mir das schon viermal passiert war, war ich von der wilden Parkerei bedient. Ja Wahnsinn - heute hatte ich Glück. Ein Superparkplatz
direkt vor der Tür war frei. Da mußte vor wenigen Minuten erst einer weggefahren sein. Ich leitete meinen Parkvorgang ein und wollte gerade in die Lücke zurücksetzen. Als ich durch das Heckfenster sah, dachte ich, mich knutscht ein Elch. Ein VW -Bus fuhr rasant von vorne schräg in meine Lücke. Bremsen quietschten, lauter animierte Leute sprangen aus dem Bus, fünf Männer und eine Frau. Das ist doch wohl nicht dein Ernst? dachte ich bei mir und sprang aus meinem Wagen. »Ja, ihr Erzidioten - wollt ihr nicht gleich meinen Parkplatz freimachen?!« schrie ich und ging auf sie zu. Die Gesellschaft war schon im Begriff, in das Lokal zu gelangen. Sie lachten mich regelrecht aus, und einer meinte: »Was willst du? Deinen Parkplatz? Mach mal die Augen zu, dann siehst du, was dir gehört!« Womm - das traf mich ungemein. So eine unverschämte Beleidigung - das war schon der Gipfel. Aber noch dazu dieser abgewichste Spruch - jetzt reichte es mir aber. Das waren auch wieder so Typen, die einfach nur die Sprache aus der Schulter verstanden. Mein Wagen stand immer noch mitlaufendem Motor in zweiter Reihe. Ich kriegte den frechen Hund zu fassen, wollte ihn am Hals schütteln- da kamen alle auf mich zu. Auch die Frau. »Bürschchen, dich haben wir gleich zerlegt!« ... Und das sagte einer zu MIR - Wahnsinn, jetzt langte es. Ich sprang behende fünf, sechs Sätze zurück zu meinem Wagen und öffnete den Schlag. Meine Gegner dachten wohl, dies wäre mein Rückzug. Aber da irrten sie sich gewaltig. Ich holte unter meiner Fußmatte meine Plempe, Fabrikat Walther - neun Millimeter, hervor. So! Und nun war ich der Chef im Ring geworden. Dementsprechend waren jetzt auch meine Sprüche. »So, so, zerlegen wollt ihr mich? Schaut mal her, was ich da habe!« Es war schier unglaublich, wie diese illustre Gesellschaft urplötzlich zu Salzsäulen erstarrte. Alle standen sie da, krei-
debleich und mit weit aufgerissenen Augen - in ihren Bewegungen innehaltend. Die Frau ließ gleich ihre Handtasche fallen- sie bückte sich nicht danach. Es herrschte Totenstille in diesem Straßenabschnitt, nur der Motor meines Wagens surrte gleichmäßig vor sich hin. Ein ganz vorsichtiges Grau löste nun die Nacht ab, und im nahegelegenen Park begann der erste Vogel zu zwitschern. Noch hielt ich den Lauf der Waffe gen Himmel gerichtet. Das Klicken meines Durchladens brachte wieder Leben in die Szenerie. Alleine das >Klick-Klick<, wenn man den Schlitten zurückzieht und wieder nach vorne gleiten läßt, ist ein erhebender Moment für den, der die Waffe bedient. Aber der andere, der dieses Ge räusch ebenso vernimmt, ist fertig. Er weiß - eine Kugel ist im Lauf - und er kann nur noch mit dem Teufel pokern. Dieser sein Atemzug kann sein letzter sein. Ich richtete meine Puste mit einem leichten Schlenker aus dem Handgelenk gleichmäßig auf alle. »So und jetzt zeige ich euch mal, wie Neun-Millimeter-Löcher aussehen! Jetzt stellt euch da mal schön am Mäuerchen auf - ja, so ist's brav.« Mit erhobenen Händen hielten sie sich rückwärts an dem schmiedeeisernen Blattwerk fest und traten von einem Fuß auf den anderen. Einer faßte seinen ganzen Mut zusammen und begann zu sprechen: »Spinn nicht, es ist doch schon gut -wir wollen nichts von dir.« Mir aber begann die Sache Spaß zu machen. Erst recht frech und dann Blut schwitzen! Es war wirklich lustig, wie Hampelmänner zuckten da diese Trauerfiguren herum, schön aufgereiht und folgsam. Meine Perversität kam wieder durch - die immer nur dann durchdringt, wenn man mich vorher in ein seelisches Tief gelockt hat. Ich begann also, meine schlauen Sprüche fortzusetzen. »Nun, nun, ihr wolltet mich doch zerlegen! Aber jetzt erkläre ich euch, daß es genau umgekehrt kommt. Die Sache mit den neun Millimetern schaut folgendermaßen aus. Vorne gibt es ein kleines Loch nämlich neun Millimeter im Durchmesser - und hinten, da, wo das Projektil wieder austritt, da zerfranst es euch faustdick!« Es war nun für mich eine richtige Gaudi geworden,
diesen Arschlöchern Ballistikunterricht zu erteilen. Sie sahen gebannt auf die Mündung meiner Waffe und begannen alle; auf mich beruhigend einzureden. »Na, schön«, sagte ich schließlich, »dann packe ich das Ding wieder weg.« Ich legte die Kanone zurück unter die a Fußmatte des Wagens, schaltete den Motor ab und verschloß mein Fahrzeug. Also blieb es in der zweiten Reihe stehen. Als ich gerade das Schloß der Zentralverriegelung drehte, trat ein Kumpel von mir aus dem Lokal. Ich ging in Richtung Eingang, da wurden die soeben noch Ängstlichen abermals bedrohlich. Jetzt wollten sie Rache üben, nachdem ich ja wieder unbewaffnet und augenscheinlich alleine war. Aber mein Kumpel bekam die Lage richtig mit - ging wieder zurück ins Lokal und erzählte den Jungs, daß der Berndt draußen Ärger hätte. Und genau in dem Moment, da ich bitterlichst aufgemischt werden sollte, kam ein Rudel Loddeis aus der Kneipe. Ohne Ansage, ohne ein Wort der Verständigung schlugen die Jungs auf diese Typen ein, es war sofort eine furchtbare Schlägerei im Gange. Ich aber krallte mir den einen, der zuvor besonders unverschämt gewesen war. Und auf daß er nicht mehr so flotte Reden schwinge, haute ich ihn auf die Schnauze. Ein Mädel unserer Zunft mischte gleich das blöde Weibsbild auf. Es bekam also jeder sein Fett weg - und so gut sie noch konnten, liefen diese Wichser in alle Richtungen davon. »So, das war ein schönes Morgentraining«, meinten die Jungs und gingen wieder zu ihren Getränken zurück. Ich bat einen von ihnen, meinen Wagen wegzufahren und die Waffe vorläufig in seinem Auto zu verstecken. Man wußte ja nicht, ob die nicht gleich mit den Bullen zurückkamen. Ich hatte mir leider wieder meine alte Verletzung zugezogen, denn ich schlug meistens den Kontrahenten in die Zähne. Und dabei schlitzte ich mir immer wieder meinen Handrücken auf. Auch heute wieder. Also brachte mich ein anderer schnell in die Nußbaumklinik zum Nähen. Da steht doch einer, den ich kenne - dachte ich bei mir, und tatsächlich war das einer von den frechen sechsen. Aus
dem Augenwinkel läuft ihm Blut, er wird gerade zum Verarzten geführt. Mit dem noch sehenden Auge erkannte er mich und fing gleich zu winseln an: »Ich bin selber Arzt dieser Klinik - hier ist neutrales Territorium, bitte nicht mehr schlagen!« Seine Kollegen im weißen Kittel wunderten sich über seine Angst und brachten ihn fort. »Dem hat der Karl gleich seine Brille ins Auge gedrückt«, flüsterte mir mein Begleiter zu. Na ja, das kommt davon, dachte ich. Ich streckte meine Linke hin, auf daß mir fünf Nähte wieder alles zusammenhielten. Der Verband stank nach Jod, und kurz darauf saßen wir alle wieder vereint, als ob nichts gewesen wäre, im Frühlokal - obwohl es bald Mittag wurde. Ich fragte meinen Kumpel, wo mein Wagen stehe, pfiff mir noch eine Bloody Mary rein und ging - denn ich hatte jetzt etwas Wichtiges zu erledigen. Ich fuhr in die City, parkte diesmal ohne Schlägerei. Ging in ein großes Kaufhaus, und zwar in die Spielwarenabteilung. »Was wünschen Sie?« fragte eine rundliche, kleine, freundliche Frau. »Zeigen Sie mir bitte alle Spielzeugpistolen, die Sie auf Lager haben«, gab ich zur Antwort. Sie zeigte mir das ganze Repertoire, mit und ohne Knallblättchen-Verwendung, und so weiter. Doch ich hatte schon gefunden, was ich wollte. Die Verkäuferin konnte ja meinen gezielten Wunsch nicht erraten. Aber, wie gesagt, ein Stück zog mich sofort an. Mein Interesse galt einer Spielzeugpistole, die meiner Original-Waffe sehr ähnlich sah. Daß dieses Ding aus Kunststoff gepreßt war und obendrein noch als Wasserspritzpistole funktionierte - besser ging's nicht mehr. Vierundzwanzig Mark zahlte ich für diese gefährlich aussehende Erfrischungs-Puste, und ich war es sehr zufrieden. Und mein Instinkt gab mir recht. Denn wieder einmal klingelte es Sturm an meiner Tür. Und ich hätte jeden Betrag gewettet - da klingeln die Bullen. Nur
dieses Mal war ich vorbereitet, öffnete freundlich und tat ganz erstaunt: »Ja, was ist denn jetzt schon wieder los?« fragte ich scheinheilig.« : »Haben Sie einen Wagen mit dem amtlichen Kennzeichen M-LA 1500, und wo steht dieser jetzt?« wollten sie wissen. Ich mußte wieder einmal in mich hineinkichern, denn ich wußte ja, wenn's um Waffen ging, wurden die Bullen ganz schön nervös. Ich stellte mich dumm.« »Ja, mein Wagen steht in der Tiefgarage - warum?« ... »Dürfen wir uns den einmal näher anschauen?« entgegneten sie. »Selbstverständlich.« Und wir gingen zusammen hinunter. Einer verlangte den Schlüssel des Wagens bereits im Aufzug. »Bitte schön« - ich gab diesen aus der Hand. Der Beamte mit dem Schlüssel sperrte die Fahrertür auf und warf gleich meine Fußmatte zur Seite. Seine Augen glänzten, als er die Waffe fand. Genüßlich griff er danach, aber als er sich aus seiner Hockstellung wieder aufrichtete, war der Gute ganz schön fertig mit der Welt. Er hielt eine Plastikpistole in der Hand. Er brauchte aber letztlich noch den Beweis, ob da auch wirklich Wasser raus kam. Er spritzte also einen feinen Strahl Wasser an den grauen Beton der Tiefgarage - und ihm stand die Enttäuschung direkt ins Gesicht geschrieben. Immer noch tat ich so, als sei ich der Boß aller Unschuldsengel, und fragte nun höflichst: »Ist das denn drin bei euch, zwei Beamte abzustellen, um Spielzeug zu besichtigen?«... Sie fuhren ganz dienstlich fort: »Ja, so ist das nun auch wieder nicht, es liegt uns schon eine ganz massive Anzeige vor, Herr Lang!« »Das müssen Sie mir schon näher erklären«, meinte ich. Aber die Herren zückten nur ein Stück Papier, das sie berechtigte, Wohnung, Keller und Auto zu durchsuchen. Sie gingen peinlichst genau ihrer Aufgabe nach, ich würde danach Anschy anrufen müssen, daß sie hier gleich wieder alles in Ordnung brachte.
Aber keine Waffe wurde gefunden oder was hätte auf eine solche hinweisen können. Ja - da hatte ich doch sehr, sehr recht, meine Vorkehrungen zu treffen. Ich hatte nämlich all mein diesbezügliches Hab und Gut in einen verschließbaren Koffer verstaut und diesen unten, beim Kaufmann, abgestellt. Trotzdem sollte ich am anderen Tag, pünktlich um elf Uhr, ins Präsidium kommen, auf daß ein Protokoll ausgefertigt werden konnte. Ach, was war ich es schon langsam leid, immer und ewig diesen Weg zu gehen! Ich nahm mir selbst die Handschiene ab und den Verband - diese paar Stiche ließen sich leicht durch ein unauffälliges Pflaster überkleben. Auf diese Weise sah es nicht ganz so wild aus, wenn ich morgen wieder von den Bullen mit Argusaugen abgetastet werden würde. Ich kam eine Stunde zu spät, aber ich sollte trotzdem dableiben, wenn ich nun schon mal da sei - hieß es. »Kommen Sie gleich mal hier herein«, wies mich ein Beamter an. »Ich lese Ihnen gleich vor, was Ihnen zur Last gelegt wird. Am dritten, dritten haben Sie sechs Personen mit einer scharfen Waffe bedroht und wortwörtlich gesagt: Jetzt zeige ich euch mal, was neun Millimeter für Löcher ergeben. < Anschließend haben Sie die Waffe wieder in Ihrem Auto verstaut und begingen mit acht anderen Männern, gemeinschaftlich handelnd, mehrere Körperverletzungen.« »Hm - und jetzt sage ich Ihnen was - erstens war das eine Wasserpistole, und zweitens ist das überhaupt nicht mein Wortschatz - von wegen, >was neun Millimeter für Löcher geben<, so etwas habe ich nie gesagt!« Und ich hatte noch die Frechheit, dem Beamten weiszumachen, daß ich die sechs Leutchen total naßgespritzt hätte. Der Beamte war ratlos, hatte er doch über dies den Bericht der gestrigen Durchsuchung vorliegen. »Nichts gefunden da kann man nichts machen«, meinte er. Zudem war ja auch kein Schuß gefallen. Also war es möglich, daß die Theorie mit der Wasserpistole zu meinen Gunsten anerkannt wurde. »Aber - hier hätten wir noch die Körperverletzungen!«
»Ja ja, dazu gebe ich keine Stellungnahme ab - erstens war es Notwehr, und zweitens sage ich ohne Anwalt überhaupt nichts...« DAS war's dann wohl - Auf Wiedersehen. Er sah mir gedankenverloren nach und murmelte:»... Auf Wiedersehen, ganz sicher!«
Der Autounfall Mit Nagelschere und Pinzette zog ich mir selbst die Fäden, goß mir einen Schluck Whisky über den Handrücken - und fertig war der Lack. Ich hatte der Heien versprochen, heute nach Mannheim zu kommen, weil sie Geburtstag hatte. Ach du Sch... - ich hatte noch kein Geschenk für sie. So telefonierte ich den Münchner Schwarzmarkt ab, Hehler und Eierdiebe, ob sich ein schönes Schmuckstück wohlfeil finden ließe. Nicht lange danach stand schon jemand vor meiner Tür, breitete alsbald ein schwarzes Samttuch auf meinem Tisch aus. Ungefähr zwanzig Schmuckstücke strahlten mir in ihrer Herrlichkeit entgegen. Ich griff zielsicher sofort nach dem schönsten Stück - einem Ring vom Feinsten. Eine gewundene Schlange in achtzehn Karat, der Kopf war aufwendig mit Brillanten besetzt. Der Anbieter schwor mir fast auf Knien, daß diese Steine reinste Blue-River seien und zusammen zirka zwei Karat ausmachten. Es war ein kurzer Kampf, aber ein bitterer für den anderen, denn ich bot zwei Riesen dafür und keine Mark mehr. Er war kurz vorm Heulen, aber das Geschäft war gemacht. Dieses Stück hatte der Juwelier gewiß nicht unter sechstausend aus der Hand gegeben. Und wieder war ich auf der Autobahn nach Mannheim, heute, am Wochentag, war viel Verkehr. Aber keine Baustellen - das hob sich dann also wieder auf. Ich konnte sowieso nur noch kurze Ausflüge unternehmen, meine tägliche Meldepflicht ließ nichts anderes mehr zu.
Als ich ankam, fiel mir Heien schon besoffen um den Hals, sie feierte bereits seit Mitternacht mit ihren Kolleginnen. Die Freude war groß über mein Mitbringsel. Am Mittelfinger paßte der Ring. Ein schneller Geburtstagsbeischlaf und ein hastiges Essen irgendwo in der Stadt - und schon machte ich mich wieder auf den Heimweg. Denn ich hasse besoffene Weiber - oder auch zugepillte. Die Kohle hatte ich geschnappt, was wollte ich mehr. Das Telefon klingelte, als ich gerade die Tür aufsperrte. Mandi war am Apparat - man hatte ihm heute nacht den Führerschein genommen. Immer der Sch.. .-Alkohol. Aber er hatte schon gestern mit Rolex-Pit telefoniert und unseren Besuch für heute abend angesagt. »O. K.« sagte ich, »ich komme zwar gerade von großer Fahrt aus Mannheim, aber wir fahren trotzdem. Denn verabredet ist verabredet und - aus - Schluß - basta.« Ich ging unter die Dusche, packte, wie immer, eine zweite Garnitur Klamotten ein. Entweder kippte man sich mal einen Drink drüber, oder eine Schlägerei zerriß die Erstausstattung. Deshalb nahm ich immer eine zweite Minelli mit. Ich warf meinen knöchellangen Black-Diamond-Nerzmantel auf die Rücksitze und fuhr zum Polizeirevier. Es war schon dunkel geworden, als ich Mandi in der Stadt abholte. Quietschvergnügt befanden wir uns bald darauf auf der Autobahn. Mandi erzählte mir nochmals ausführlich, wie er sich aufgeführt hatte, als man ihn zur Blutprobe brachte. Ich begann zu gähnen, verspürte leichte Müdigkeit. Ich stellte die Heizung runter, öffnete etwas mein Fenster aber im Nu war es kalt geworden. Also - Heizung wieder voll auf, Fenster zu. Dann öffnete ich per Knopfdruck das elektrische Schiebedach - ja, so war es angenehm. »Wenn
wir da so um elf Uhr ankommen, ist das genau richtig«, sagte ich zum Mandi und bog von der Autobahn ab. Nun begann ein längeres Stück Landstraße, quer durch den Schwarzwald. Mandi meinte, es spiele doch keine Rolle,
wenn wir auch eine Stunde später ankämen. »Die Weiber laufen uns ja nicht weg«, äußerte er. Schließlich befänden wir uns auf einer Landstraße mit Geschwindigkeitsbegrenzung hundert. »Ja - pro Person!« gab ich ihm zur Antwort. Das war auch das letzte, was ich sagte - ... was ich weiß. Ich schlief in dieser Sekunde, bei voller Fahrt, ein. Mein Unterbewußtsein übermittelt meinem Ich eine Vision: Eine Weggabelung ist aufgetaucht. Leicht nach links geht ein Feldweg ab, schön breit zum Weiterfahren, inmitten einer unendlich großen, wunderschönen blühenden Wiese. Nach der Wegscheide verläuft rechts weiterhin der Asphalt, der mich an mein Ziel bringen soll... Das war das letzte Bild, das ich mitnahm aus meinem irdischen Dasein, von diesem wunderschönen Erdball, den ich, jung und voller Lebensfreude, wie ich war, so sehr liebte. War dies der Augenblick des Todes? Ich bin im Jenseits - mit diesem einzigen Schritt, den ich hinübergetan habe, bin ich allwissend. Der >Chef<, so laßt mich ihn nennen, erteilt jedem, der drüben anlangt, umgehend die absolute Gleichberechtigung. Doch nicht nur der belebten Kreatur, nein. Jedes Sandkorn, das sich irgendwann in nichts zerreibt, jedes Atom, jedes Teilchen, und sei es auch noch so klitzeklein, wie es sich ein Menschenhirn gar nicht auszudenken vermag, sie alle werden im Jenseits allwissend. Alle Nöte, alle Fragen, jeder Kummer, jede Krankheit, jedes Glück werden mit diesem einen Schritt nach drüben erklärt. Ich bekomme Aufklärung über alles - es ist wunderbar, tot, unvorstellbar schön, endlich nach drüben gelangt zu sein. Nicht daß du drüben deinen Bruder treffen würdest. Das ist eine menschliche Vorstellung. Denn da drüben ist alles eins... Ziemlich widerwillig kam ich zurück, mein >Sein< nahm wieder völlig irdische Dinge wahr. Ein Sanitätsauto beeilte sich, mich in eine Klinik zu bringen, ich fand mich auf einer Bahre wieder, und das Tatü-tatü lieferte mir den akustischen Beweis -ich lebte. Ich erlebte allerdings alles nur geistig, spürte keinen Körper, keinen Schmerz. Zwei Sanitäter oder Not-
ärzte zurrten die Bahrenriemen fester. Mandi saß neben mir. O Gott-jetzt erst kam mir, was passiert war. Wir hatten einen Unfall gehabt! Und ich kannte den genauen Ablauf des Geschehens. Ich nahm nicht den Feldweg, den es wirklich gibt, ich nahm auch nicht die Straße. Ich fuhr vielmehr zielsicher an den einzigen Baum, den es entlang dieser Straße gibt. Die Polizei brauchte mir das nicht zu sagen, ich wußte es jetzt schon, daß ich mit exakt Hundertvierzig frontal daraufzugefahren war. Später erfuhr ich, daß der Tacho bei dieser Geschwindigkeit stehengeblieben war. Mandi schoß mit der Frontscheibe weit über die Straßenböschung in eine weiche Wiese. Ich aber blieb im Wagen. Und, nicht angeschnallt, flog ich, einem Tennisball gleich, durchs Wageninnere, um mich in Ruhestellung auf dem Rücksitz wiederzufinden - alle Türen waren auf. Ich kroch raus, so gut es ging, und schrie nach Mandi. Der meldete sich prompt von irgendwoher - damit wußte ich, daß er noch lebte. Ich konnte meinen Kopf nicht mehr heben, und so krallte ich mich am Straßenrand ein - zog den Kopf gleichsam hinten nach. Ich wollte Mandi zu Hilfe kommen... Und dann ging ich für ein Weilchen >hinüber< Die Ärzte stellten einen Genickbruch fest sowie Brüche des dritten und siebenten Brustwirbels. Ein ganzer Stab von Ärzten und Professoren der Medizin stand um mein Lager herum, und sie waren mit ihrem Latein am Ende. Denn: Der Bruch des Atlas ist tödlich - und die Brüche des dritten und siebenten Wirbels bedeuten Ganzlähmung. Ich bekam ein Kinngeschirr, welches über Rollen mit fünf Kilogramm Gewicht meinem Kopf ständig vom Körper zog. Also machte ich es mir mal für einige Zeit hier gemütlich am Rande des Schwäbischen Jura - nämlich in der Chirurgischen Abteilung des Tuttlinger Krankenhauses. Meine Eltern wurden sofort verständigt, und sie kamen auch umge-
hend angereist. Meine Mutter beugte sich über mich und weinte bitterlich. »Bitte, bewege dich nicht, jede Bewegung kann immer noch tödlich sein, sagten mir die Ärzte - mein Junge.« Ich konnte ja nicht reden, aber ich dachte bei mir - wenn ihr nur alle wüßtet, wie schön es ist, wenn man tot ist. Jeder, der an mein Bett trat, meinte, wie sehr ich doch Glück gehabt hätte. Ein Professor kam angereist und fragte mich - ob ich die Zehen bewegen könne? Ich verstand ihn zwar, konnte ihm dies aber auch nicht sagen - so bewegte ich halt meine Fußzehen. Der Gute war fix und fertig - wollte gar an Wunder glauben, da er ja meine Röntgenbilder kannte. Also war ich weder tot noch querschnittsgelähmt - ein Pfarrer kam und gab mir dennoch vorsichtshalber die letzte Ölung. Ich glaubte, Salbe und Salz auf meinen Lippen zu spüren, sein Sprüchlein war sehr feierlich. Nur- seine Story vom Himmel und dem lieben Gott, der jeder Seele gnädig ist, mit dieser Interpretation lag er bei mir wohl ein bißchen verkehrt. Aber wenige Tage später verwischten sich mein Wis sen und meine Gedanken über das Jenseits - die Sperre für alles Irdische war wieder eingerastet. Der Pfarrer war also in meinem Fall zu früh am Wirken gewesen. Nun wurden auch wieder normale menschliche Bedürfnisse wach - das Egozentrische fraß wieder Raum. Jedes Krankenhaus hat eine >Gipswerkstatt<, und die Spezialisten der >Gipswerkstatt< des Tuttlinger Krankenhauses fertigten mir eine Gipsschale an, damit mein ganzer Körper in Ruhestellung versetzt werden konnte. Als dies geschehen war, hätte ich jederzeit als ägyptische Mumie ins historische Museum gestellt werden können. Meine Zugmaschinerie am Kinngeschirr wurde entlastet, das Gewicht auf zwei Kilo reduziert. So war es mir auch wieder möglich, den Mund zu öffnen und sachte zu sprechen. Nun stellten sich Schmerzen ein, Hunger und Durst - der Prozeß der Wiedergenesung begann. Aber es sollte bis zur Gesundung noch sehr viel Zeit vergehen, nämlich fast auf den Tag genau - ein Jahr. Jetzt ließen die Ärzte auch die Polizei an mein Krankenlager, die Be-
amten wollten fürs Unfallprotokoll einiges von mir wissen. Natürlich waren die Polizisten davon in Kenntnis gesetzt, daß ich einer täglichen Meldepflicht unterlag - aber diese war nun selbstverständlich für die Zeit meines Krankenhausaufenthaltes außer Kraft. Mein Körper, oder besser gesagt, meine zerschmetterten Knochen, begannen zu heilen, die Kallusbildung war auf neuerlichen Röntgenbildern schon zu erkennen. Aber mein psychischer Leidensweg erfuhr Woche für Woche, Monat für Monat eine Steigerung. Ich mußte wieder lernen, meine Arme zu bewegen, meine Hände sollten greifen. Man gab mir einen Wattebausch, den ich zusammendrücken mußte, es ging von Tag zu Tag besser. Eingeschalt, wie ich war, hätte ich ein Vermögen dafür bezahlt, mich einmal nur da oder dort kratzen zu können. Man gab mir einen Spiegel in die Hand, mit Hilfe dessen ich meine Umwelt, den Raum, in dem ich lag, erleben durfte. Mein Blick war doch ansonsten >einzementiert<, nur an die Zimmerdecke gerichtet. Nach einigen Tagen war übrigens Mandi an mein Bett getreten und hatte mir berichtet, welche Verletzungen er davongetragen hatte: Rippenprellungen, eine Halswirbelverrenkung, einige Schnittwunden im Gesicht und am Handgelenk. Er würde heute entlassen, sagte er mir, und er würde sofort die ganze Münchner Szene von unserem Unglück in Kenntnis setzen, samt allen meinen Weibern. Er sagte noch, wie froh er sei, daß doch alles einigermaßen glimpflich ausgegangen wäre. Und dann fuhr er mit dem Zug nach München. Ein fremder Mann stand vor meinem Bett, und ich besah ihn mir mit Hilfe meines Spiegels. Er sei hier in der Nähe der Stadt ein Bauersmann, sagte er. Habe an der Straße außerdem eine Werkstätte für Traktoren und Landmaschinen. In einer seiner Hallen stehe mein Autowrack, nachdem es von den untersuchenden Behörden freigegeben worden sei. Er bot mir an, das Fahrzeug so lange bei sich stehenzulassen, bis ich wieder ganz gesund wäre und mich diesem Problem widmen könnte. Egal, wie lange es auch dauern würde. Das alles selbstverständlich kostenlos, und er wünsche mir gute Bes-
serung. Mein Herz wurde warm bei diesen Worten. Und ich verbrachte Wochen damit, darüber nachzudenken, was es doch für wunderbare Menschen gibt auf dieser Welt. Hatte ich denn das wirklich mein ganzes Leben lang übersehen?? Die Ärzte, das gesamte Pflegepersonal, fremde Menschen - alle waren sie gut zu mir und Tag und Nacht für mich da. Ein neues Gefühl für meine Mitmenschen erwachte in mir. Der Bauer hatte mir gesagt, daß mein Auto zum Wegwerfen sei. Es war mein erstes Fahrzeug, ohne Vollkasko-Versicherung. Also waren auch beträchtliche Märker zum Teufel. Na ja - wir würden sehen, erst mal wieder gesund werden, erst mal wieder auf die Beine kommen. Ich hätte ja eigentlich zufrieden sein können, man löffelte mir leichte Nahrung ein, mir wurde der Arsch abgewischt doch dieses Elend, meine Notdurft im Bett verrichten zu müssen, war grausam. Ich wurde rasiert, und alle freien Hautstückchen wurden gewaschen. Nach und nach wurden die Pillen weniger, die ich schlucken mußte, und auch die Flaschen mit Venen-Anschluß verschwanden. Mandi war übrigens gerade zwei Tage entlassen, als meine Heien aus Mannheim an die Zimmertür klopfte. Ich sah sie in meinem Handspiegel eintreten, sie kam an mein Bett und war erschüttert. Sie weinte lange und still, streichelte, unterdrückt schluchzend, meine Hand. Das erste, was sie sagte, war: »Ich hab' viel Geld dabei!« Natürlich konnte ich fast gar nicht darauf reagieren, aber diese Worte riefen in mir Signale wach. Wie war das doch vorher? Ja, Geld mußte ich immer haben, um mein Leben zu leben. Und jetzt? Jetzt bin ich schon froh, wenn meine Knochen wieder zusammenwachsen - wenn ich nur schon wieder aus eigener Kraft auf die Toilette gehen könnte. Wie herrlich bescheiden ich sein konnte! Heien hatte sich für zwei Tage in der Stadt ein Hotelzimmer genommen, sie wollte am liebsten dableiben, bis ich genesen bin. Aber ich erklärte ihr mühselig, daß ich für dieses Unglück würde ein Vermögen auspacken müssen. Ich war nämlich nicht krankenversichert. Immer öfter kamen die
recht ernst dreinschauenden Damen der Geschäftsstelle der Klinik an mein Bett. Jede Tablette, jedes Röntgenbild, jedes Kilo Gips - der Chefarzt bis zur Schwester - alles wurde mir fein säuberlich in Rechnung gestellt. Und diese Rechnungen stapelten sich nun in meiner Nachttischschublade. Außerdem hegte ich seit kurzem den Wunsch, nach München verlegt zu werden. Der Hubschrauber mußte dann aber auch aus eigener Tasche bezahlt werden. Ganz zu schweigen davon, daß alle vierundzwanzig Stunden mein Bett mit hundert Mark in Rechnung gestellt wurde. »Du mußt Tag und Nacht stehen, Baby, jetzt bin ich noch teurer geworden als vorher«, sagte ich der Heien. Sie mußte nun gehen, morgen durfte sie aber schon wieder ganz früh am Tag zu mir. Ihr Besuch hatte mich sehr gefreut - und hatte mir Kraft gegeben; doch es waren anstrengende Stunden, ich schlief erschöpft ein. Am nächsten Tag brachte sie mir einen Riesenstrauß Blumen mit und ein Stofftier, welches sie mir ans Fußende des Bettes band. »Da kannst du es mit deinem Spiegel immer sehen und an mich denken«, meinte sie. Wir Sprachen noch über einiges - auch darüber, daß sie mit meinen Eltern in Kontakt bleiben solle. ... »Und bitte, komme erst in einem Monat wieder, wenn du genug Kohle hast!«... Mandi härte das Zeug dazu gehabt, ein Top-Manager zu sein, denn er verstand es offensichtlich sehr gut, meine Weiber alle zeitlich exakt einrasten zu lassen. Er schickte mir ein Telegramm, und ich war mächtig stolz, dieses schon selbständig, ohne fremde Hilfe, öffnen zu können. Ich hielt es mit beiden Händen senkrecht in die Höhe - und las. »Lieber Berndt, alle erforderlichen Schritte eingeleitet, du erhältst reichlich Besuch. Stuttgarter-Kirstin kommt dieses Wochenende. Anschy ist spurlos verschwunden. Viele Grüße von allen - gute Besserung.« Es nahte das betreffende Wochenende - Kirstin besuchte mich. Sie sah das alles ziemlich cool, ich war überrascht, wie sachlich sie unser Problem aufarbeitete. Dieses Luder hatte sich doch glatt meine Abwesenheit zugute kommen lassen.
Sie trat ins Zimmer in einem beigefarbenen, neuen Lederkostüm - selbstverständlich Maßanfertigung. Ihre langen, kastanienfarbenen Haare waren dazu ein augenfälliger Kontrast. Sie habe schon mit den Ärzten gesprochen, wann ich transportfähig sei. Sie wolle, daß ich so schnell wie möglich in eine Münchener Klinik verlegt werde. Sie meinte, da könnten mich dann alle Freunde und Jungs täglich mit dem Feinsten betreuen. Ich fand diese Idee nicht schlecht, sagte ihr aber gleichzeitig, daß leider alles eine Kostenfrage sei. »Das macht nichts, wenn's weiter nichts ist!« äußerte sie, und dann holte sie die Rechnungen aus meiner Nachttischschublade. Und, ehe ich mich's versah, war mein Baby aus dem Zimmer. Als sie zurückkam, hatte sie alle Details mit der Klinik-Geschäftsstelle besprochen. »So!« sagte sie, »jetzt werden sie dich in Ruhe lassen, es ist alles bezahlt. Außerdem habe ich einen Sanitätswagen geordert, der bringt dich nach München ins Schwabinger Krankenhaus, sobald du transportfähig bist. Und das wird in zwei Wochen sein.« Ich überschlug schnell in Gedanken, daß sie da unten knappe Fünftausend hingeblättert haben mußte. Sie hatte auch vereinbart, daß ich als Privatpatient im Schwabinger Krankenhaus unterkam und damit ein Einzelzimmer erhielt. Also, seitdem Kirstin heute aufgetaucht war, hatte sie hier ganz schön rumgewirbelt. Und das an einem Samstagmittag. Ich war stolz auf sie, hätte ihr das nie zugetraut. Sie sagte nur: »Ich habe gehört, du wirst wieder total gesund - und ich meine, das ist das Wichtigste, alles andere findet sich.« Und: »Gib mir deinen Wohnungsschlüssel, ich fahre gleich zu dir nach Hause, werde aufräumen und in den Briefkasten sehen. Montag in aller Frühe werde ich deinen Anwalt aufsuchen und dir in der Stadt ein paar Schlafanzüge kaufen. Sollte es irgend etwas Dringendes geben, werde ich dir schreiben. Aber du bist ja bald in München, dann bin ich jedes Wochenende bei dir.« Ein langer Kuß - und weg war sie auch schon wieder. Ich
behielt noch für Momente ihren süßen Parfümduft in der Nase - und war dem Leben wieder ganz nahe. Die zwei Opas, mit denen ich das Zimmer teilte, meinten, im Leben noch nie so schöne Frauen gesehen zu haben, und fragten mich, wie viele ich davon denn noch hätte? »... BEEERNDTEEEEE, wir kooooommeeen!« hörte ich es eines Nachmittags schon von unten grölen. Ein paar Wagenschläge fielen zu, und kurz danach war dieser Riesenlärm schon auf dem Flur zu vernehmen. Elf Mann hoch polterten meine Freunde ins Krankenzimmer, mein kleiner Spiegel konnte gar nicht alle so schnell erfassen. Sämtlich trugen sie Riesengestecke oder Blumensträuße, legten diese mitten im Zimmer ab und begrüßten mich. Natürlich waren sie alle angetrunken, denn dieser Besuchsfahrt zu mir hatten sie gleich einen gewissen Ausflugs-Charakter beigegeben. Ein mittlerer Kürschner-Laden hatte sicherlich nicht soviel wertvolle Pelze auf Lager, wie sie hier im Augenblick vertreten waren. Hennes brachte gleich aus seinem Wolfsmantel eine Flasche Bier zum Vorschein und fragte: »Geht das schon?« Uwe zauberte einen Flachmann aus seinem Rotfuchs - und schwenkte ihn über mein Blickfeld. Zwei Krankenschwestern kamen rein, baten um etwas mehr Ruhe und kümmerten sich freundlicherweise um meine Blumen. Es war ein Hallo im Zimmer wie auf der Kirmes, alle babbelten sie durcheinander. »Komm du nur raus hier - wir zeigen dir schon, was draußen los ist - du Feigling, im Gips verstecken gilt nicht!« Diese und andere derbe Liebenswürdigkeiten rührten mich sehr, die Jungs waren gekommen, um mir Kraft zu geben. Mich wieder hineinleben zu lassen in unser Leben. Sie wußten sicherlich von Mandi, daß ich dem Sensenmann ein Schnippchen geschlagen hatte, und sie wollten mir zeigen, daß wir in jeder Sekunde zusammenstehen. Mit drei Autos waren sie gekommen, hatten an jeder Raststätte gehalten und einen auf mich und meine Gesundheit getrunken. Das war typisch für sie - das konnte ein Normalbürger nicht be-
greifen. Sie träufelten mir ein paar Schlückchen aus dem Flachmann ein, es folgten ein paar Schlucke Bier - und dann war ich auch schon besoffen. Sie erzählten, wer wen auf die Schnauze gehauen hatte,... wie der F. C. Bayern in den letzten Wochen spielte... und sie wußten auch, daß meine Stuttgarter Alte eine Super-Steherin war. Sie würden mich in München versorgen, sagten sie und wollten wissen, wie lange sie noch warten müßten, bis ich wieder mit ihnen an der Theke stünde? Ich war überglücklich über diesen Besuch, doch ich fühlte mich erschöpft. Mein Kreislauf brach zusammen wegen der paar Schlückchen Alkohol. Es war für mich zuviel der Aufregung, zuviel des Trubels - merkte ich doch jetzt wieder, daß ich immer noch ein schwerverletztes Bündel Mensch war. Am nächsten Tag erschienen viele neugierige Schwestern und auch Kranke, sie wollten wissen, wer denn da so Wichtiges in diesem Zimmer lag. Weil ja abends immer die Blumen aus dem Krankenzimmer auf den Flur verbracht wurden, war die Blumenmenge, die ich erhalten hatte, nicht zu übersehen gewesen, wer wird schon in ein solches Blumenmeer gebettet? Der Tag war gekommen, der Arzt gab das O. K. für den Transport nach München. Meine zerschmetterten Wirbel schmerzten, wenn der Sanka auch nur etwas durch die Kurven schaukelte - aber ich biß die Zähne zusammen. Hauptsache, ich kam wieder in heimische Gefilde. Ich wurde in ein schönes Zimmer verbracht, durch meinen Spiegel entdeckte ich sogar ein Telefon am Bett. Am nächsten Tag wurde ich in einen neuen Gips gewikkelt. Mir kullerten nur so die Tränen runter, es war, glaube ich, das erstemal seit meiner Kindheit, daß ich weinte. Mein Gott - was war mit meinem schönen, starken Körper geschehen! Ich war gerade aus der alten Gipsschale gehievt worden und konnte erstmals meinen nackten Körper betasten. Alle Muskelpakete, die ich mir jahrelang antrainierte, waren nicht mehr vorhanden. Ich war ein häßliches Häufchen Haut und Knochen.
Dann war ich wieder neu verpackt, und mit diesem Panzer mußte ich nun drei Monate leben. Von den Haarwurzeln bis zur Hüfte reichte dieses weiße Korsett. Nach weiteren zwei Wochen durfte ich mittels eines Gestells auf Rädern das Laufen lernen. Meine Mädels und meine Freunde kümmerten sich sehr um mich. Ich bekam wieder einen neuen Gips in derselben Ausführung - und durfte nach Hause. Bodo holte mich mit seinem Rolls Royce ab, darin konnte man bequem mit derartiger Gipsbandage Platz nehmen. Endlich... endlich sah ich die Welt wieder aus der Senkrechten - endlich durfte ich heim in mein Reich. Mein Bett, mein Telefon, mein Fernseher, mein Bad - das alles baute mich psychisch wieder sehr stark auf. Zwischenzeitlich kam von der Staatsanwaltschaft die Anklageschrift, alle offenstehenden Anklagepunkte waren darin zusammengezogen. Bald würde also das Landgericht die Hauptverhandlung anberaumen. Aber... heut war heut, was kümmerte mich im Moment das Überübermorgen. Heien war angereist, badete mich, pflegte mich, holte mir meinen Friseur ins Haus. Kümmerte sich um die Wäsche und kochte für uns. Sie zog mich an, und wir gingen einmal am Tag ganz langsam ums Haus. Der Gipspanzer war sehr schwer und fing echt an, lästig zu werden. Als ich eines Nachmittags ermattet wieder in die Federn sank, kam Heien nackt ins Schlafzimmer, poussierte mir meinen Schwanz in die Höhe und setzte sich behutsam drauf. O -welch herrliches Gefühl! Mir war, als wäre es der erste Fick meines Lebens. Langsam stemmte sie sich auf und ab, ihr Ve nushügel rieb sich am Rand meines Gipskorsetts. Ich hatte wohl all meine Gefühle nur noch in meinem Schwanz vereint, ich genoß diese heiße, nasse, meinen Pint umschließende Grotte unsagbar. Das Leben lohnte sich schon alleine des Bumsens wegen, dachte ich, und ergoß mich wohl hektoliterweise in Helens Schoß.
Ich mußte immer schön darauf achten, daß die eine außer Hauses war, wenn die andere kam. Beide Weiber wußten mittlerweile voneinander, es war einfach nicht zu verheimlichen gewesen. Also zogen sie beim Weggehen stets ein Ge sicht - als ob Blicke töten könnten. Immer, wenn ich alleine war, machte ich ein paar Kniebeugen, hielt mich dabei am Schrank fest. Ich mu ß wieder zu Kräften kommen, hämmerte ich mir ein. Irgendwie war meine Wohnung, mein Reich, zu einem Gefängnis geworden. Ein paar Schritte ins Bad, ein paar Schritte ins Bett, oder vor die Glotze - in der Küche steht mein Bier. Bald war wieder Weihnachten, jetzt umschloß mich dieses elende Gipsgerüst schon sieben Monate als meine zweite Haut. Das Telefon klingelte, es war Hannes. Es gäbe kein Wenn und Aber, die Jungs wollten mich heute abend abholen mit mir eine Sause machen. Ich glaubte, ich höre nicht recht, aber sie bestanden darauf, ich solle zu Hause nicht versauern. »Wie bitte, ich - in meinem Zustand?« »Es geht alles, wenn man nur will«, war die Antwort. Mandi kam schon ein paar Stunden vorher, um mir dabei zu helfen, daß ich heute ausgehen konnte. »Als erstes schneidest du mir zwanzig Zentimeter von meinem Gips weg«, lautete meine Anweisung. Er besorgte sofort einen Fuchsschwanz, eine Eisensäge und eine Geflügelschere und machte sich ans Werk. Er gab sich große Mühe und hantierte so vorsichtig, als knacke er einen Safe, der unter einer Alarmanlage steht. Nun war ich bis zum Rippenansatz frei, genüßlich kraulte ich mich erst mal eine lange Zeit. Dann das Zeremoniell mit dem Waschen, Cremen, Duftsprayen und so weiter! Es war mir nicht nur in der Seele leichter geworden, sondern auch im Ganzen. Das abgeknabberte Stück wog immerhin drei Kilo - welche ich jetzt weniger mit mir rumschleppen mußte. Dann stülpte er mir meinen Wollpulli über, und jetzt
konnte ich mir mit meinem Stückchen Freiheit mehr selbst meine Hosen anziehen. Sie schlabberten um meinen Unterleib, als gehörten sie mir nicht. Schuhe an und den Nerz über die Schultern geworfen, ich war fertig zum Ausgehen. Nochmals einen Blick in den Spiegel - da war gar nichts mehr übrig vom schönen Berndt! Ich bezeichnete mich nun selbst als Zombie. Unten hupte es hell, mein Freund, Chauffeur und BodyGuard war vorgefahren. Der Motor des Rolls sang sein leises Lied in die kalte Nacht, ich stieg recht unbeholfen, aber ohne Hilfe in den Fond, begrüßte Hannes und Bodo. Mandi setzte sich neben mich, und nach langer Zeit sah ich die Leopoldstraße wieder. »Viele Jungs stehen an der Bar und warten schon - der Wodka ist bereits kaltgestellt«, erklärte Hannes. Ich bemerkte darauf, daß ich sicherlich schon nach zwei Stunden aus den Latschen kippen würde. »Du brauchst nur zu sagen, wann du heimwillst - aber jetzt wird erst dein zweites Leben gefeiert«, entgegnete Bodo. Ich mußte mich bei ihnen rechts und links einhängen, und SO trugen sie mich die Stufen der Dis co hinunter. Mandi ging voraus und stob alles zur Seite, was in unserem Weg stand. Auch ein Mädel an der Bar mußte dran glauben. »Weg da, macht Platz dem Landvogt!« Und so saß ich, dank meiner Freunde, heute abend nicht vor der Glotze, sondern ich konnte mich recht und schlecht an einer wahrhaftigen Bar festhalten. »Wenn du Bock auf Weiber hast, dann besorgen wir dir schon eine, die dir unter den Gips kriecht«, sagte Hannes, aber dem war heute nicht so. Heute sah ich in all die Gesichter, die mich da umgaben, erblickte jene, die mich besucht hatten in Tuttlingen und andere, die ich gut kannte. Aber heute sah ich sie mit anderen Augen. Jeder zeigte auf seine Art sein Mitgefühl. In diesen Augenblicken dachte ich, wie glücklich ich war, einer von ihnen zu sein. Ich fühlte mich geborgen wie ein Neugeborenes im sicheren Mutterschoß. Und dieses Gefühl vermittelten mir ausgerechnet diese alten,
durchtriebenen Haudegen. Ich war ihnen im stillen, sehr, sehr dankbar dafür. Ich nippte vorsichtig mein Getränk, denn ich wollte so lange wie möglich durchhalten. Aber meine Vorhersage traf ein. Um zirka einundzwanzig Uhr war ich die Treppen hinuntergebracht worden - jetzt war es dreiundzwanzig Uhr, und ich war fällig für den Abschleppdienst. Die Jungs verstanden dies und brachten mich sofort nach Hause. Sie zogen mich aus, und kaum, daß ich im Bett war, fiel auch schon die Tür ins Schloß. Meine herzerwärmenden Gedanken, was eine solch innige Freundschaft betraf, nahm ich mit in den Schlaf. Das Weihnachtsfest, der Besuch meiner Eltern, jeder Tag, der nicht vergehen wollte, alles war uninteressant geworden - bis die Stunde kam, als man mir im Krankenhaus den Gips abnahm. Das war im Februar 1972. Ich fuhr mit dem Taxi heim und befühlte stundenlang meinen Körper, streichelte mein Genick und betastete die Stelle, deren Verletzung eigentlich hätte meinen Tod bedeuten müssen. Eine gottserbärmliche Figur stand da vor dem Spiegel Arme und Beine waren jetzt dünn wie Bindfäden. Ich müsse ganz vorsichtig Gymnastik machen, hatte der Arzt gesagt. Ich fing sofort damit an. Am nächsten Tag war ich gleich beim Friseur - und nach wenigen Tagen konnte keiner mehr erkennen, welch fürchterliche Zeit hinter mir lag.
Die Verhandlung Heute war ich wieder einmal die Hauptperson, aber auf diese Rolle hätte ich liebend gerne verzichtet. Heute würden über mich die Messer gewetzt, mein ganzes Leben würde bis zum heutigen Tag aufgerollt werden - vier Verhandlungstage waren angesetzt. Punkt neun Uhr vormittags saß ich in den Räumlichkeiten der Dritten Strafkammer des Landgerichts München I. Drei Herren in schwarzen Roben betraten soeben den
Raum, nahmen auf der abgetrennten Empore Platz. Ihre scharfgeschnittenen Gesichter, die Verkleidung der drei Amtsträger, die da hoch über allen thronten - mir wollte das Ganze wie eine Bühneninszenierung erscheinen. Die drei Herren in ihren Roben waren nicht alleine aufgetreten, vier Personen in Zivilkleidung nahmen links und rechts von den schwarzen Kuttenträgern Platz. Das waren die Schöffen, Vertreter aus dem Volk, heißt es - und es wurde ein ernstes Stück gespielt, heute, auf dieser Bühne da oben. Alle, alle da droben waren also meine Feinde, wollten mir ans Leder. Zwei Anwälte saßen an meiner Seite; ich hatte ein sehr inniges Verhältnis zu diesen beiden Herren. Der eine, Freiherr von Thielmann, war eine berühmte Figur in der Strafverteidigung. Er konnte zwar nichts ungeschehen machen, was seine Mandanten ausgefressen hatten, aber er war ein Fuchs, wenn es darum ging, Strafmaßmilderungen aufzuzeigen. Wo auch immer das Wort »Verteidiger« in München auftauchte, lag die Eminenz von Thielmann in aller Munde. Liebevoll nannte ihn jeder, der mit ihm zu tun hatte, »Baron«. Der Baron würde die Akten schließen, er hatte sich entschlossen, aufzuhören. Seine allerletzte Verteidigung vor Gericht war die Akte Berndt Lang, er hatte es mir versprochen - weil er mich persönlich sehr gut leiden könne - hatte er gemeint. Dieses letzte Mal vertrat er eine der schillerndsten Figuren des Milieus, hatte dazu seinen Adjutanten mitgebracht. Also kämpften wir drei gegen die glorreichen Sieben, die von da oben auf uns herabblickten. Und - da war noch jemand, der mir den Garaus machen wollte, nämlich der Herr Staatsanwalt - dieser Lümmel hatte unser heutiges Treffen arrangiert. Ich hatte auf Anraten meines Anwalts alle Jungs und Nutten gebeten, nicht den Zuhörerraum zu bevölkern - es wäre eine ungünstige Stimmungsmache gewesen. Als ich mich also umsah, waren einige wenige Hausfrauen, Rentner und sonstige Neugierige auf ein paar Stühle verteilt. »Die Hauptverhandlung der Großen Kammer des Landge-
richts in Sachen Berndt Lang ist eröffnet«, sagte der Boß der glorreichen Sieben. Mein Puls schlug nun schneller, obwohl mein Körper noch die Restbestände der Schlaftabletten aufarbeitete, die ich gestern nacht eingeworfen hatte. Ich konnte keinen Schlaf finden und wußte doch, daß ich morgen gut ausgeschlafen sein mußte - wenn es darum ging, so gut wie nur möglich, meinen Kopf aus einer bereits geknüpften Schlinge zu ziehen. Der Herr Staatsanwalt begann, die Anklageschrift vorzulesen - und er redete sich förmlich in einen Rausch, wie viele böse Dinge ich doch verbrochen hätte. Meine Anwälte machten sich schon die ersten Notizen, und ich hätte jetzt sonst was dafür gegeben, wenn ich eine Zigarette hätte rauchen können. Außer dem Klang dieser monotonen Stimme war es mucksmäuschenstill im Saal, ich spürte aller Anwesenden Blicke auf mich gerichtet. Fast eine Stunde verlas der Staatsanwalt meine Böse-Buben-Arie, mittendrin wurde die Tür des Zuhörerraums geöffnet. Ohne mich umzuschauen, nahm ich wahr, daß viele Leute in den Saal kamen, wenngleich dies sehr leise geschah. Ich spürte, wie sich etliche Blicke in meinen Rücken bohrten es waren hoffentlich nicht doch ein paar Jungs gekommen? Ich konnte mir nicht helfen, ich drehte mich um, ich wollte wissen, wer da erschienen war. Offensichtlich war es eine ganze Schulklasse junger Mädchen mit der Lehrerin - sicherlich sollte der Prozeß als Anschauungsunterricht dienen. Die Mädchen sollten hautnah erfahren, wie schlimm das Leben ist, ... um nie abzugleiten in ein Hurenleben. Der Vorsitzende fragte mich nun über alles mögliche aus, zunächst über meine Kindheit und Berufslaufbahn. Dann wollte er mein Abgleiten ins Milieu transparent machen - er blieb sehr sachlich und fair bei seinen Fragen. Als erstes sollte ich sodann schildern, wie ich die Geschichte mit dem Gast der »Baby-Bar« erlebte. Der betroffene Franzose war als Zeuge angereist, und mit Hilfe eines Dolmetschers wurde die Szene von damals wieder wachgerufen. Seine Darstellungen
lagen weit neben der Wahrheit; der Pipi-Playboy schob es weit von sich, einer Dame damals auch nur einen Tropfen Sekt ausgegeben zu haben. Und schon begann mein Baron, den feinen Herren mit stechenden Fragen zu bearbeiten, da gab es doch offensichtlich erhebliche Unstimmigkeiten im Vergleich zu dessen damaliger polizeilicher Aussage. Aber seiner heutigen Glaubwürdigkeit lag rein gar nichts im Wege, denn meine rüden Methoden als Schlepper-Berndt lagen aktenkundig auf dem Richtertisch. Auf räuberische Erpressung lautete dieser Anklagepunkt, und der Richter erklärte mir, das sei, rein gesetzlieh, dasselbe, als ob ich einen Bankraub verübt hätte. »Einem Menschen etwas mit Gewalt zu nehmen, das einem nicht gehört, bezeichnet das Gesetzbuch als Raub.« Das war mir zwar nicht neu, weil ich das schon öfters mit meinem Anwalt durchgekaut hatte, aber: Traf denn das auf mich zu? Dieser Kerl hatte doch reichlich von meinem Sekt gesoffen! Als nächstes kamen zwei weitere Körperverletzungen zur Diskussion - man mochte gar nicht glauben, wie brav urplötzlich meine damaligen Kontrahenten nun da im Zeugenstand herumstanden. Als könnten sie kein Wässerchen trüben. Keiner konnte sich mehr daran erinnern, warum er von mir Prügel bezog. Nur ich ganz alleine war böse, blutrünstig, der gefährliche Typ, vor dem die ganze Welt zitterte. Na ja, einen Millimeter hatten sie ja recht, aber diese heutigen Schilderungen kamen einem schlechten Krimi gleich. Endlich war für uns alle Mittagspause angesagt, obwohl es ja schon fortgeschrittener Nachmittag war. Schweißgebadet stand ich auf, rauchte eine Zigarette nach der anderen. Natürlich war ich völlig irritiert über den bisherigen Verlauf des ersten Verhandlungstages - es wurde buchstäblich aber auch alles auf den Kopf gestellt. Alle Scheinwerfer beleuchteten jetzt urplötzlich alles Ge schehene aus einer ganz anderen Perspektive - und gnade mir Gott, ausschließlich zu meinen Ungunsten. Wir gingen
zum Essen ins »Mövenpick« in der Nachbarschaft des Justizpalastes. Mein Baron tröstete mich, während ich in meinem Krabben-Cocktail herumstocherte. Der nächste Programmpunkt der glorreichen Sieben war, ihrem Katalog entsprechend, »ausbeuterische Zuhälterei an Ramona«. Die Sitzung wurde fortgesetzt, die jungen Mädchen, sie mochten so um die fünfzehn, sechzehn Jahre alt sein, sahen mich an, als sei ich Kaiser Nero, Dracula und Napoleon, alles zusammen in einer Person. Ramona war als Zeugin geladen, ich hatte sie aber weder auf dem Flur gesehen, noch war sie anwesend, als sie jetzt ab Zeugin aufgerufen wurde. Sie glänzte also durch Abwesenheit - was meinen Verteidigern eher recht war. Es wurde zu Protokoll genommen, daß man sie wegen des unentschuldigten Fernbleibens zu einer Ge ldstrafe verurteilte, und es genügte, ihre polizeiliche Vernehmung zum Gegenstand zu machen. Der Baron riet mir, zu dieser Sache weiter nichts vorzutragen. So war den neugierigen Zuhörern hinter meinem Rücken die Show gestohlen, sie konnten sich nicht an dem weiden, was eine Nutte zu erzählen hat. Der erste Verhandlungstag war beendet, morgen um zehn sollte es weitergehen. Zu Hause angekommen, hielt ich mir erst mal ausgiebig eine Flasche Whisky an meine Gurgel. Dann riefen meine Weiber an, wie es so gelaufen sei - wollten sie wissen. In groben Zügen teilte ich ihnen mit, daß die da ganz schön Schlitten fuhren mit mir. Wenn die Verhandlung vorbei sei, dürfe Heien für zwei Tage nach München kommen - versprach ich ihr. Aber nur wochentags, versteht sich. Am nächsten Tag war ein weiteres Verbrechen der ausbeuterischen Zuhälterei, in Tateinheit mit kupplerischer Zuhälterei, das Verhandlungsthema. Manuela sollte dazu als Zeugin erscheinen, sie hatte aber ihre Abwesenheit durch einen Anwalt entschuldigen lassen- wegen längeren Auslandsaufenthaltes (hieß es).
»Da schau her«, dachte ich bei mir, »diese Suppenhühner drücken sich alle vor der Wahrheit.« Denn, wenn man genau hinschaute, hatten es diese beiden Damen sehr gern mit mir zu tun, obwohl jede wußte, was Sache war. Wenn sie mich wenigstens nur wegen Körperverletzung angezeigt gehabt hätten, dann wäre die Schwere der Vorwürfe heute für mich nicht so erdrückend gewesen! So häuften sich also Verbrechen auf Verbrechen, da waren Vergehen des Waffenbesitzes oder Vergehen des Versicherungsbetruges direkt nur kleine Schönheitsfehler. Für mich persönlich wurde es erst richtig spannend, als meine »sogenannte Notzucht« zur Sprache kam. Ich hatte alle Zeugen aufmarschieren lassen, die damals in der Disco mitbekommen hatten, von welchem Kaliber dieses Luder war. In Erinnerung an damals, da das »Opfer« viele Treppen erklimmen mußte und bei offenem Fenster nicht um Hilfe schrie, wollte ich jetzt gerne wissen, welche Antworten die Betreffende den Fragen meines Anwalts entgegenhalten würde. Es wurde natürlich ein sehr peinliches Frage- und Antwortspiel, aber heute waren überraschend wenige Zuhörer hinter mir. In der nächsten Pause meinte der Baron, daß diese Anklage sehr wackele und sicherlich kein Urteil hierüber gefällt werden könne. Ich war aber voller Argwohn war ich doch immer wieder aufs neue überrascht, welche schauspielerischen Qualitäten die Menschen vorweisen können, wenn's eng um sie wird. War eine glasklare Auskunft gefordert, konnten sie sich an nichts erinnern, hatte sich jemand in Widersprüche verwickelt, war es, gütigst betrachtet, nur ein kleiner Irrtum. Und so war der zweite Verhandlungstag zu Ende, ich fuhr nach Hause und nahm ein heißes Bad. Das Telefon klingelte unentwegt, aber ich ging nicht ran - ich schlüpfte in Jeans, schlüpfte ins Lederhemd, und schon war ich wieder draußen aus der Tür. Ich suchte mir ein ruhiges Plätzchen bei meinem Freund, dem Pizzabäcker Eboli - und sorgte erst mal für mein
leibliches Wohl. Ein leichter, schmackhafter Tafel-Rose brachte wieder Leben in meine Blutbahn, die Lasagne war ausgezeichnet. Im stillen dachte ich bei mir, ich wäre gerne schon zwei Tage älter, dann wüßte ich um vieles mehr. Wie viele Jährchen würde mir Fortuna aus ihrem Füllhorn schütten? Diese Antwort konnte ich mir fast selber erteilen denn Justitia war schließlich eine Frau - und alle Frauen in meinem Leben hatten mir immer und reichlich gegeben. Jaich sah tatsächlich die Statue der Justitia vor meinem geistigen Auge, wie sie - stellvertretend für alle Frauen - blindlings alle Männerschicksale in die Waagschale warf, ohne deren Gedeih und Verderb zu prüfen. Ging ja auch nicht, wegen der Augenbinde. Vom guten Wein leicht angetörnt, wollte ich seit längerem wieder mal ins »Boccaccio« schaun. Wieder einmal war kein Parkplatz zu erspähen, so parkte ich direkt vor der Kneipentür auf dem Gehsteig. Ich würde öfters den Kellner rausschicken, auf daß mir kein lieber Fußgänger, wie gehabt, seinen Haustürschlüssel durchzog. Ein paar Leute waren drinnen, ein Loddel poussierte gerade eine Alte, sein eindringliches Reden und seine Gesten mußten eigentlich Erfolg haben. Sie hörte ihm andächtig zu, manchmal nickte sie sanft mit ihrem zierlichen Köpfchen, streichelte verliebt seine Hand - eher schon eine Maurerkelle. Manchmal blieb sie an seinem kleinen Finger hängen, daran war sein aufwendig gefaßter Zwei-Karäter schuld. Ein gepflegter, grauhaariger Herr belaberte die MickyMaus hinter der Bar- aber das hätte ich ihm jetzt schon sagen können, daß da nichts lief. Die ließ nämlich für kein Geld der Welt einen alten Schlabbersack an sich ran - andererseits aber trieb sie es ohne weiteres mit fünf jungen Burschen gleichzeitig - zum Nulltarif. Na ja, Wissen war eben Macht. Ich saß wohl schon eine Stunde da und schlürfte meinen Whisky, die Bude war ganz schön voll geworden. Eine kleine, süße, freche Maus sprach mich an, es dauerte ein bißchen, bis ich merkte, daß sie mich meinte. Aber sie sprach ja
von meinem Wagen vor der Tür, also stimmte meine Adresse. Sie mußte wohl vom Lokalinhaber erfahren haben, daß das mein Auto sei, woher wüßte sie es sonst. »Du parkst, wo du willst, nicht wahr?« fragte sie mich, und ich gab ihr zurück, daß ich immer das mache, was ich wolle. »Oh! - ein verwöhnter Junge bist du also«, meinte
sie. Sie war alleine hier und hatte mich anscheinend schon länger beobachtet - weil ich meinte, ich döse ständig vor mich hin. Sie hatte recht damit, war ich doch laufend in Ge danken versunken gewesen, um zu rekapitulieren, was sich tagsüber alles so abgespielt hatte. Aber dieses nette Mädel holte mich nun aus meinem Dornröschenschlaf, und ich fing munter an, mit ihr zu flirten. Sie sei Krankenschwester im »Rechts der Isar« und faulenze gerade ihre vielen Überstunden ab - sagte sie. Natürlich klickte es sofort bei mir. Nach meinem Erfahrungsschatz zählten Friseusen und Krankenschwestern zu der absolut geilen Kategorie. Und dieser Fall hier schien ähnlich gelagert, denn die Kleine begann schon, mich zu betatschen. Sie spielte scheinbar unauffällig mit ihren Fingerchen meinen Schenkel auf und ab - so stand sie neben mir an meinem Barhocker. Das Auffälligste an ihr war, daß sie überhaupt nicht geschminkt war - sie brauchte auch ihre klaren Gesichtszüge nicht zu kaschieren. Ihre vollen, geschwungenen Lippen riefen wohl in jedem Manne den Wunsch wach, von diesem Mund verwöhnt zu werden. Und ihre liebenswürdige, pfiffige Art unterschied sie von anderen grauen Mäusen. Unsere Unterhaltung wurde nun rein erotisch. Es schien ihr zu gefallen, daß durch ihre Streicheleien mein Schwanz zu erigieren begann... Ich sprach sie auf ihre wunderschönen Lippen an, und für mich gab es kein Halten mehr. Ich rief den Max zu mir, den Kneipenbesitzer, und erklärte ihm, er solle mal vor der Herrentoilette Wache schieben. Es sei nur für ganz kurze Zeit - versprach ich ihm. Der Gute war wieder fix und fertig, griff sich gleich an Herz und Magen.
Er war ein ganz nervöser Mensch geworden, seit sich die Luden in seinem Laden breitmachten. Das, was ich jetzt von ihm verlangte, war ihm sicherlich noch nie untergekommen. Und nun faselte er wieder von seinem Magengeschwür - und ob es denn unbedingt sein müsse? Aber, ich nahm die Kleine an der Hand und zog sie mit mir. Sie setzte sich auf die Schüssel, und ich packte mein Rohr aus. Ich stand vor ihr. Damit ich alles besser sehen konnte, streifte ich ihre Haare nach hinten und hielt ihren Kopf mit beiden Händen. Liebevoll umschlang sie mein Glied mit der einen Hand und umschloß mit ihren Lippen die Eichel. Ganz sanft umspielte ihre Zunge meine empfindliche Lanzenspitze... Es war sehr spät geworden in dieser Nacht, gemessen daran, daß ich gut ausgeruht in meinen dritten Verhandlungstag gehen sollte. Nach zwei Stunden Schlaf schrillte mein Weckradio erbarmungslos einen Ohrwurm der Everly Brothers. Ich fühlte mich leer und eher besoffen als gut ausgeruht. Eine kalte Dusche erbrachte nur ein Einigermaßen-Ergebnis. Ich probierte es noch mit einer Tasse heißer Milch - und nichts wie hin, zum Justizpalast. »Packen wir's wieder«, mit diesen Worten begrüßte mich der Baron - und er vergaß es auch heute nicht, mir aufmunternd die Schulter zu tätscheln. Heute war die Schießerei in Regensburg ä la carte sowie fünf verschiedene Delikte des unerlaubten Waffenbesitzes. Ferner der Versicherungsbetrug in Sachen Mercedes - es schien, als wolle die Jagd auf mich nie mehr enden. In der ersten Pause kam ein Journalist auf mich zu, er wollte mich interviewen. Aber dazu hatte ich heute echt keinen Nerv, außerdem mußte ich die knappe Pausenzeit nutzen, mich über die Verhandlungsstrategie mit meinen Anwälten zu beraten. Meine Knie waren weich, meine Zunge klebte mir am Gaumen, ein fahler Geschmack verbreitete sich in meinem Mund und in meiner Seele. Alles, was mir heute vorgeworfen wurde, konnte ich nicht
leugnen - dort oben, auf dem Richtertisch, lagen sämtliche Beweisstücke. Fast lächelnd fragte mich der Vorsitzende, ob ich vorgehabt hätte, einen Krieg zu führen, bei solch einem aufwendigen Waffenarsenal könne man zu keinem anderen Schluß kommen. Beinahe hätte ich selber darüber lachen müssen, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre. Schelmisch dachte ich auch daran, daß unter meiner Fußmatte im Auto noch so eine Puste lag. Die vier Schöffen schielten teils neugierig, teils angewidert auf diesen Fundus an gefährlichem Metall. Natürlich wollte man von mir wissen, woher ich all diese Tötungswerkzeuge bezogen hatte. Hier bat mein Anwalt um eine kurze Verhandlungspause, auf daß er seinen Mandanten - also mich - beraten könne. Auf dem Flur garantierte mir der Baron eine Strafmilderang, wenn ich wenigstens ein bis zwei Namen derer nennen würde, die mir die Waffen verkauften. Aber das war für mich unmöglich, denn ich konnte nicht für das von mir provozierte Dilemma andere in die Scheiße reiten. Mein Verteidiger atmete tief durch, ich drückte meine Zigarette aus, und weiter ging's im Takt. Ein paar Zeugen wurden in den Verhandlungssaal gerufen, meistens waren es Polizisten, die mir die Waffen irgendwann abgenommen hatten. Eine Handvoll Jungs aus Regensburg waren auch angereist, mußten aus ihrer Sicht den damaligen Vorfall schildern. Ihre Aussagen waren recht loyal, was das Milieu betraf, aber natürlich konnte keiner von ihnen das Ganze als nicht geschehen vortragen. Während ich die Jungs so betrachtete, war es für einen Insider wie mich direkt zu spüren, daß sie jetzt gerne überall auf der Welt wären - auf der Alten oder beim Saufen - aber nur ungernst hier vor Gericht. Selbst, wenn sie bloß als Zeuge geladen waren. So plätscherte auch dieser Verhandlungstag dahin, ich dachte fast an nichts mehr - nur noch an mein Bett. Morgen waren die Plädoyers des Staatsanwaltes und der Verteidiger dran, wenn's zeitlich gut lief, gab's morgen auch noch das
Urteil. Dann wußte ich ja endlich, was meine Uhr geschlagen hatte. Ich würgte mir schnell in einer Wirtschaft zwei Steaks rein und ging noch bei Tageslicht am frühen Abend in die Federn, Irgendwann hörte ich mein Telefon klingeln, aber dann sackte ich ganz tief ab, in einen totenähnlichen Schlaf. Oh, wie ging's mir heute gut - ausgeruht und guter Dinge saß ich an meinem Frühstückstisch, wobei ich nur starken Kaffee zu mir nahm. Ich wählte sodann meinen taubenblauen Anzug aus dem Schrank, der immer noch gottserbärmlich um meine mickrige Figur schlotterte. Schließlich war dies eine Maßanfertigung gewesen, auf den Körper eines Body-Builders geschneidert... Ein weißes Leinenhemd, dazu eine dezente Krawatte, und ab ging's wieder, in den Glückshafen. Ab neun Uhr durfte der Staatsanwalt seine Version darlegen, und er zog mich tatsächlich ganz in seinen Bann. Er genoß jetzt richtig seinen Auftritt, fein rasiert war seine mattgraue Haut. Seine weiße Fliege, eher aber schon gelb, zitterte mit jedem seiner Worte mit. Silbergraues Haar, etwas fettig vielleicht, in der Mitte gescheitelt, fiel in Strähnen über seine Augen. Lägen seine listigen Augen nicht so tief in dunklen Höhlen, würde er fast einem possierlichen Yorkshire-Terrier ähnlich sehen. Während er sprach, setzte er unentwegt seine geballte Faust ganz behutsam auf die Akten. Immer und immer wieder dieselbe Geste. Aber... was er da sagte, das konnte er doch wohl nicht im Ernst meinen, konnte er selbst nicht ganz glauben! Er versuchte, allen Anwesenden und Beteiligten einzureden, daß ich der Teufel in Person sei. Daß ich eine Bedrohung der Menschheit darstelle - und daß es das beste sei, ich würde für immer und ewig hinter Schloß und Riegel verbracht. Weil er ja bei seinem Vortrag stehen mußte, wippte er mit seinem ganzen Körper, federte von den Fußspitzen bis zu den Fersen, was aussah, als wiege sich eine Pappel im Wind. Er ereiferte sich immer mehr in seinen Ausführungen, so wurde sein fahles Gesicht zu einer theatralischen Fratze, der Geifer lief ihm zwischen den Zähnen spa-
zieren. Er beantragte für jedes einzelne Delikt die Höchststrafe - und er warf da so mit den Jahren um sich wie der Nikolaus mit den Nüssen. Spätestens jetzt begann ich, diesen Mann zu hassen. Alle möglichen Gedanken schössen mir durch den Kopf - Hatte ich dem sein Geld vielleicht auch schon versoffen? War er schon mal Gast bei meiner Alten? Ließ der sich auch einen Knopf an seine Nulle nähen? Fraß er ebenfalls die Scheiße einer Hure? Oder war er impotent? Höchstrichterliche Mittagspause war angesagt, nachdem der Dummschwätzer nun ausgebabbelt hatte. Ich ging wieder mit meinen Anwälten rüber, zum »Mövenpick«. Heute fraß ich aus Wut ein wuchtiges Menü mit Vor- und Nachspeise. Ich fragte den Baron, ob der Staatsanwalt wohl noch alle Tassen im Schrank hätte - aber der beruhigte mich. Er ließ ganz leicht durchblicken, daß er einen engen Kontakt mit dem Vorsitzenden pflege - gemeinsames Fischen und sonstige gemeinsame Wochenenden hatten sie einander vertraut gemacht. Also war hier ein Hauch von Beziehung zu erahnen. Jedenfalls würde die Zeit reichen, heute noch zu einem Urteil zu kommen. Na, dann wußte ich ja alles! Wir traten gerade durch die große Portaltüre des Justizpalastes, da wurden wir vehement zur Seite gestoßen. Ein junger, kräftiger Bursche lief um sein Leben, besser gesagt, um seine Freiheit. Vielleicht schaffte er einen neuen Weltrekord, jedenfalls flitzte er in Richtung Stachus. Und da kamen auch schon seine Verfolger - sechs, sieben Justizbeamte in dunkelgrüner Uniform versuchten, ihn wieder einzufangen. Aber reflexartig stellte ich mich ihnen, scheinbar ganz unbeholfen, in den Weg. Einer strauchelte, verlor seine Mütze - es war, als hätte er in diesem Moment seine ganze Würde, seine Persönlichkeit verloren. Wie ein Kasper rutschte er auf den Knien herum, um seine weggeschleuderte Mütze wiederzuerlangen. Auch den anderen Verfolgern kostete mein bloßes Dasein einige Sekunden. Ich bin mir sicher, sie haben ihn nicht mehr erwischt - zumindestens nicht bei dieser Verfolgungsjagd.
Nun wurde es aber wieder ernst im Sitzungssaal zweihundertvierzehn, mein Baron hielt sein Plädoyer. Er trat vor, dicht an die Schranken, an die Barriere der glorreichen Sieben und schritt während seiner Ausführungen bedächtig auf und ab. Alle Notizen, die er sich im Laufe der Verhandlung machte, hatte er glasklar im Kopf- in seinem Gedächtnis. Jedem Für und Wieder, jeder Ungereimtheit der Zeugen, ja jeder Möglichkeit, eine Wortverdrehung vorzunehmen, maß er äußerste Wichtigkeit bei. Er hielt einen Bleistift in der Hand, und manchmal schien es, als benütze er diesen als Taktstock. Die Bleistiftspitze zog wie magisch die Blicke vieler auf sich. Die ganze Zeit über hatte der Baron eine Freundlichkeit in seiner Stimme - ihm zuzusehen und zuzuhören war für mich wahrhaftig eine gewisse erlösende Beruhigung. Die Schöffen schienen ebenfalls von seinem Vortrag gefesselt. Knappe drei Stunden wanderte der gute Baron da vorne auf und ab und plädierte zum Schluß für eine Gesamtstrafe unter fünf Jahren. Er persönlich fände, drei Jahre Freiheitsentzug wären ausreichend. Stille, Totenstille herrschte im Saal, als sich der Baron setzte. Das Gericht zog sich zur Beratung zurück. Eine Stunde war als Pause vorgesehen - jetzt brauchte ich einen Whisky! Den trank ich in der Gerichtskantine, und am liebsten hätte ich mir den Anzug vom Leib gerissen, so heiß war es mir geworden. Jetzt bekommst du dein Fett, mein Lieber - so dachte ich bei mir. »Bitte eintreten zur Urteilsverkündung« - hieß es, und nun pochte mein Puls wie eine Maschinenpistole. Ich schloß die Augen - ich wollte für mich ganz alleine sein, das Urteil emp fangen wie die scharfe Klinge der Guillotine. Und so ähnlich kam es dann auch, der Vorsitzende Richter sprach mich in allen Anklagepunkten schuldig. Meine Gebißmuskeln malmten, meine Gedanken überschlugen sich. Zwölf Jahre und neun Monate brachte der Schwarzkuttenträger da oben aufs Tablett. Es gab Sekunden, da ich mich auch von meiner Verteidigung verschaukelt fühlte. Ich
mußte mich setzen, ich war einer Ohnmacht nahe. Immer noch hielt ich die Augen geschlossen - ich konnte nicht aufsehen, wollte auch nicht. Ich war ganz alleine mit meinem Herzschlag und einsam auf diesem Erdball. Ich wünschte mir klare Gedanken, wollte jetzt, jetzt in diesem Moment, entscheiden - zwischen Demut oder Rache. Es gelang mir nicht, ich war nur noch eine Hülle, einer abgestreiften Schlangenhaut gleich, sozusagen tot. Der Geist des Lebens war aus mir gewichen. Aus weiter Ferne hörte ich die Stimme meiner Vernichtung -der Richter gab nun seine Urteilsbegründung. Es war aber eher seine eigene Rehabilitierung und Rechtfertigung. »Das letzte Wort hat der Angeklagte«, hörte ich ihn sagen. Es war schwer für mich, meine Lider zu heben, meine Augen zu öffnen. Ich hielt mich an die Stuhllehne geklammert, machte den Versuch, aufzustehen. Ich wollte nichts sagen, war gar nicht in der Lage dazu. Jedenfalls stand ich, und ich sagte auch etwas. Doch es müssen Reflexe meiner innersten Gedanken gewesen sein. Schemenhaft sah ich die da oben sitzen - ich blickte durch sie hindurch und hörte mich sprechen: »Ja liebe Leut', hier wird immer von Zeitstrafe gesprochen - was soll das denn, so viele Jahre?? Ich bin doch keine Schildkröte mit einer Lebenserwartung von hundertzwanzig Jahren?!« Das hohe Gericht zog sich nochmals zurück - um aus den vielen Einzelstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden, und mein Baron erklärte mir, daß gewiß eine erhebliche Strafverkürzung dabei herauskäme. Also wartete ich wieder, auf dem Flur nervös auf und ab gehend, was nun hier als »Netto-Betrag« herauskäme. »Gesamtstrafe sechs Jahre Haft«, lautete der letzte Spruch der glorreichen Sieben. Na bitteschön - sechs Jahre waren auch eine kleine Ewigkeit. Wortlos verließ ich dieses Tollhaus. Mein Anwalt rief mir noch nach, daß er in die Revision gehen werde. Ich fuhr wie ein Blinder nach Hause, ich glaub', mein Wagen fand den Weg von alleine. Alles, was ich am Leibe trug,
zog ich aus, knäulte es zusammen und warf es samt den Schuhen in den Müllschlucker. Ich ließ mir ein ganz heißes Bad ein und lag wohl stundenlang in der Wanne. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen und wollte vergessen. Die größte Beleidigung für mich an diesem Tage war, daß man mich der Notzucht schuldig sprach. Wie herrlich lapidar war die Erklärung gewesen - wenn der immer so brutal ist, dann hat er auch dies getan. Das Gericht kam einfach zu dem Schluß, daß in diesem Falle eine Schuldzuschreibung vertretbar und damit ebenfalls eine Verurteilung vorzunehmen sei.
Präludium Eigentlich war ich jetzt schon eingesperrt, denn alleine meine Gedanken hielten mich gefangen. Sechs Jahre vor der Brust, lange Zeit die tägliche Meldepflicht - keine Zukunft vor Augen. Oder besser gesagt, wartete eine Zukunft auf mich, die der bekannten Redensart entsprach: >lebendig begrabene Und somit begann ein leichtes Abbröckeln meiner Persönlichkeit. Die erste Zeit nach meiner Verhandlung schwächte mein Rückgrat, ließ gleichsam mein Rückenmark eintrocknen. Nun wurde es mir auch egal, ob ich viel Geld hatte oder wenig, meine Weiber langweilten mich. Die Jungs des engsten Kreises flehten mich an, ich solle doch >Gas geben<, mich absetzen, nach Spanien oder sonstwohin. Sie boten mir ihre Wohnungen im Ausland an - in jeder Himmelsrichtung. Aber in mir wuchs und festigte sich der Gedanke - >Ich stehe das durch! < Nein, so grausam es auch war, ich wählte den anderen Weg. Für alles im Leben muß man bezahlen - und hatte ich es im Kreuz, lauter Quatsch im Leben zu fabrizieren, dann mußte ich es auch im Kreuz haben, die Konsequenzen dafür zu tragen. O. K. - ich würde diesen bitteren Kelch trinken, aber jetzt lebte ich nur noch von einem Tag auf den anderen.
Ich kümmerte mich darum, daß mein Schrotthaufen aus dem Schwarzwald nach München überführt wurde - mein lieber Schwan, an dem Auto war ja gar nichts mehr ganz. Also kam dieser Blechhaufen zum Ausschlächter, es gab immerhin noch vierhundert Mark dafür. Ha, ha, ha... Und... da ich in dieser sogenannten bürgerlichen Welt war, bald würden mich Mauern und Schlösser davon trennen, ließ ich es mir gutgehen, jeden Tag, den ich noch in Freiheit verbringen durfte, aufs neue. So wurden auch mein Ich und mein Charakter wieder stabiler, der Knast wurde nun in meinen Gedanken ein fester Bestandteil meines Lebens. Ich gab mein Geld mit vollen Händen aus. Mein Kürschner und mein Schneider waren durch meine Aufträge voll beschäftigt, ebenso mein Juwelier. Ich ließ mir kiloweise Ketten und Ringe anfertigen, alles nach meinen Einfallen und Zeichnungen. An jedem Finger trug ich Rockerschmuck, speziell, wenn ich mit meinem Motorrad unterwegs war. Ein Ring ist besonders erwähnenswert, er hatte zirka zweihundert Gramm und war als Krone gearbeitet. Sechs gefährliche Zacken, mit Brillanten besetzt, gaben gleichzeitig einen brutalen Schlagring ab - eine Waffe, vom Juwelier gefertigt, sozusagen. Ferner gab ich eine Fahrradkette in Auftrag, nur sollte jedes Glied in Gold gefertigt werden, und das in Handarbeit. Als der gute Mann aber nach Monaten erst acht Glieder fertig hatte, unterbrach ich diesen Auftrag. Denn wenn er fertig ist, sitze ich schon lange - dachte ich mir. So wurde dieses Stückchen Kette mein Schlüsselanhänger, mit dem Gewicht eines halben Pfundes. Als ich eines Tages aus einem Lokal kam, saß eine süße Mieze auf meinem Motorrad, sie schien sich wohlzufühlen auf diesem verchromten Kraftpaket. Ihre abgeschnittenen Jeans gaben mehr Arschbacken frei, als sie verdeckten. So sah das Ganze entzückend aus - dieser kleine, geile Arsch auf meinem breiten Sattel. »Hey Baby, nun mußt du da runter - ich muß fahren!« sagte ich.
»Wahnsinn, ist das deine Maschine? Nein, hier geh' ich nicht mehr runter!« entgegnete sie. »Tja - dann wirst du wohl überall mit mir hinfahren müssen, zum Beispiel fahre ich jetzt nach Hause.« ... »Dann fahre ich halt mit dir nach Hause, aber hier kriegt mich keiner mehr runter!« Na, dann mal los, dachte ich bei mir, hieß sie, sich an mir festzuhalten, und ab ging die Post. Es war mir nichts Neues, daß so eine Motorradfahrt einen weiblichen Unterleib zum Kochen bringt. Also wollte diese Maus ein derartiges Vergnügen erleben. Ich sah in meinen Seitenspiegeln ihr langes blondes Haar flattern, ich spürte ihre vollen Brüste fest an meinen Rücken gedrückt. Ich drehte meine Stereo-Anlage voll auf und ließ jeden Gang aufröhren, bevor ich weiterschaltete. Als wir an einer Ampel standen, fragte ich über die Schulter, wie sie denn heiße? »Nicole -« »... Und ich bin der schöne Berndt«, gab ich zurück. Das Zittern des Sattels als Übersetzung der schlagenden Kolben stimulierten dieses Mädel merklich, denn schon spielte die Kleine mit ihren Händen an meiner Vorderpartie - aber unter der Gürtellinie. Zu Hause angekommen, war diese Kleine Wachs in meinen Händen. Ich wollte gerade eine Flasche Sekt öffnen, da kam sie schon splitternackt aus dem Bad und ging sofort zur Sache. »Du hast nicht nur eine Wahnsinns-Maschine, du siehst auch noch gut aus!« meinte sie. Ich erklärte ihr, daß ich nicht umsonst »der schöne Berndt« genannt werde. »Und du lebst alleine?« fragte sie mich. Ich zog mich ganz unbeholfen aus, weil ich nur eine Hand frei hatte. Die Schließmuskeln ihrer Vagina hielten meinen einen Mittelfinger gefangen. Schließlich landeten wir im Bettchen, und diese Lustnudel bumste wie eine Alte. Sie schrie und krallte ihre langen Nägel über meinen Rücken ich mußte ihre Hände festhalten und in die Kissen drücken.
Denn solche Spuren sahen meine Weiber nicht gerne an mir. Als wir ermattet dalagen und eine genüßliche Zigarette rauchten, machten wir uns vordergründig die Mühe, uns kennenzulernen. Sie jobte in einer Schwabinger Boutique, war erst vor zwei Wochen »Wahlmünchnerin« geworden. Ich erzählte ihr, daß ich zwar alleine wohne, aber meine Weiber stünden irgendwo in Deutschland vor den Schotten. Sofort hörte ich aus ihrer Fragestellung heraus, daß sie sehr wohl auch geneigt sei, es mal auf dem Strich zu probieren. In ihrem jetzigen Job gäbe es nur eine dünne Gage, und man könne sich davon nicht mal eine Wohnung leisten. Nach wenigem Hin und Her war mir da eine neue Partie ins Haus geschneit. Ich hatte aber keinen großen Bock, ihr das Handwerk einer Dirne beizubringen, sondern steckte sie einfach zum Wetzl Anton in die Pension. Der Arnold Ferry sah uns mal in einer Disco und nahm mich zur Seite. Er meinte, diese Alte sei der pure Wahnsinn, er würde weiß Gott was dafür geben, wenn er diese Maus sein eigen nennen könnte. Ich sagte ihm, daß er sie ja freiem könne, oder aber, ich würde ihm Nicole als Partie verkaufen. »Überleg dir das mal - wir haben ja Zeit!« sagte ich ihm, und so ruhte vorläufig dieser Menschenhandel noch. Nachdem so gute zwei Wochen vergangen waren, stellte ich fest, daß Nicole herzlich wenig durchs Anschaffen verdiente. In jedem Falle sah ich fast keine Mark von ihr. Wenn ich sie darauf ansprach, was denn los sei, zuckte sie nur die Achseln. Ich sprach mit ihren Kolleginnen und wollte wissen, ob das Geschäft allgemein gerade so schlecht liefe - hier in dieser Straße und Pension. Aber es schien an Nicole ganz alleine zu liegen, sie war halt einfach eine Schlafmütze. Ich schaute mir das Ganze noch ein paar Tage an, dann riß mir der Geduldsfaden. Der Arnold Ferry hatte ein Liebesetablissement vom Feinsten, draußen, im Westen von München. Sein Haus war als »Weiße Villa« weit über die Münchner Grenzen hinaus auch den nobelsten Freiern der Gesellschaft bekannt. Auf seiner
Gästeliste führte er nur beste und berühmte Namen, der Champagner floß dort in Strömen. Der vorhandene Swimmingpool war seinerzeit, in den sechziger Jahren, ein echter Luxus und gab dem Ganzen auch noch einen feudalen Anstrich. Die Weiber, die dort anschafften, waren alle Extraklasse und eine Augenweide. Heute wollte ich mit Nicole einmal dort hinfahren, ich dachte mir, vielleicht verdiente sie mehr, wenn sie in der Weißen Villa arbeiten würde. Ich klingelte am Gartenportal, mit Nicole im Schlepptau - und sofort begannen die in den Büschen installierten Kameras hin- und herzuschwenken. So konnte man, unten von der Bar aus, jeden Neuankömmling mustern und identifizieren. Der Ferry mußte da sein, denn sein Maserati stand in der offenen Garage - also würde der Junge mir heute einen ausgeben müssen, wenn ich schon diese »Traumfrau« mitbrachte. Der Abend war noch jung, es war erst ein Gast da, und der tummelte sich mit zwei Hasen in der geräumigen Sauna. Der Ferry tat ganz wepsig und schwänzelte gespielt übertrieben um mein Baby rum. Noch glaubte Nicole an einen Scherz, als jetzt der Ferry ohne Umschweife darlegte, daß er sie am liebsten mir abkaufen würde. »Das ist eine Frage des Preises«, war mein Kommentar dazu. Ich sah lächelnd mein Mädel an und fragte: »Na, was hältst du davon, hier in diesem Luxus Hausherrin zu werden??« Ich spürte sofort, wenn ich diese Sache mit dem nötigen Druck forcieren würde, könnte dieser Kuhhandel am Ende wohl klappen. Ich nahm Ferry in ein Nebenzimmer und erklärte ihm, daß ich jetzt mal schnell zum Melden fahre, er solle zwischenzeitlich die Alte ein bisserl poussieren. Wenn ich zurück sei, sähen wir weiter. Ich ließ mir Zeit mit dem Wiederkommen, es war wirklich besser, die Maus zu verkaufen - dachte ich. Lieber eine gewisse Summe sofort, als irgendwann ein paar Märker zu zählen. Nein, schließlich war ich ja kein Hartgeldloddel.
Nicole traute ihren Augen nicht, als sechs Riesen abgezählt vor mir auf dem Tisch lagen. »Das ist mein letztes Angebot«, erklärte Ferry und nahm gleich das Mädel besitzergreifend in seine Arme. Ich steckte das Geld ein. Nun erkannte wohl Nicole den Ernst der Situation und fing an zu weinen. Ich beruhigte sie und sprach davon, daß ich ja sowieso bald in den Knast müßte - und so könne sie beim Ferry bleiben, bis ich wiederkäme. Ich trank schnell aus und mit den Worten: »Hier hast du es doch gut« sowie mit einem flüchtigen Küßchen verabschiedete ich mich - weg war ich. Ich fuhr jedoch mit gemischten Gefühlen weg, nicht etwa wegen Nicole - sondern eher deshalb, weil ich Bedenken hatte, ob die Sache auch gutgehen würde. So sah ich das Geld, die sechstausend Mark, noch lange nicht als meines an, ich schob es achtlos unter die Fußmatte im Auto - und dachte mir noch, es liegt vorläufig gut da. Ich lebte eine ruhige Zeit, fast möchte ich sagen, es kamen Wochen ohne besondere Vorkommnisse. Ich fuhr auch immer weniger nach Mannheim, ließ mir von Heien das Geld ins Haus schicken. Fast hatte ich mich daran gewöhnt, daß es etwas ruhiger zuging, da kam es wieder Schlag auf Schlag. Exakt nach zwanzig Tagen stand Nicole vor der Tür und heulte sich die Augen aus. Sie könne einfach nicht mit dem Ferry leben, und so weiter und so weiter - und wie sehr sie mich doch liebe und welche Sehnsucht sie nach mir hätte. »Weiß denn der Ferry, daß du jetzt da bist - bei mir?« fragte ich sie. Aber natürlich wußte er nichts davon, sie hatte ihm vorgelogen, sie gehe zum Friseur. Spätestens jetzt fielen mir wieder die Sechstausend unter meiner Auto-Fußmatte ein - und ich war natürlich stocksauer darüber, diese nun wieder brav zurückbringen zu müssen. So war alles an meiner Nase vorbeigelaufen. Ich hatte auch keinen Nerv für Nicoles Geflenne, denn eigentlich hatte sie mich zum Gelackmeierten gemacht. Hoffentlich blieb das
zwischen dem Ferry und mir geheim, sonst machte mich diese blöde Kuh noch glatt zum Gelächter im Milieu. Aber da gab es nur eins, ich erklärte ihr, daß sie in München ab sofort nicht mehr anschaffen dürfe. Außerdem stünde ich nicht auf sie, und es sei überhaupt gescheiter, sie packe ihre Siebensachen und verschwinde in eine andere Stadt. Ich setzte sie ganz unkompliziert vor die Tür und fuhr schnurstracks zur Weißen Villa, griff unter meine Fußmatte und knallte dem Ferry die Kohle wieder auf den Tisch. Ich sagte ihm, daß Nicole weinend bei mir war und daß ich ihr in München Anschaff-Verbot erteilt hatte. »Also, halte dich auch daran, Ferry, hier ist dein Geld wieder«, sagte ich ihm, und: »Eigentlich war die ganze Sache nichts weiter als ein herrlicher Irrtum von uns allen dreien.« Als ich wieder heimfuhr, konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, vor Irrtümern war man nie gefeit. Da fiel mir ein, vor zwei Jahren hatte ich wohl für die kürzeste Zeit eine Partie aufgestellt, kürzer ging's kaum. Als ich damals mit meinem Wagen durch die Stadt fuhr, es war ein bitterkalter Wintertag, lud ich ein Mädel in mein Auto ein. Dieses arme Geschöpf hatte auf einer Straßeninsel herumgeschlottert und auf die Straßenbahn gewartet. Ich hatte die Maus nicht einmal mit nach Hause genommen, hatte sie nicht einmal geküßt. Ich ging mit ihr essen, und auf meinen Vorschlag hin, für mich Anschaffen zu gehen, war sie spontan bereit gewesen. Das war's, das war's, was ich immer wissen wollte. Es war eine Manie - ich war pervers darauf. Und wenn ich auch die schönste Frau der Welt sah, dachte ich diese sofort in Scheine um, in viele, viele Scheine unserer Währung. Nun, dieses Mädel damals sollte mir sofort, am selben Abend noch, beweisen, daß sie eine gute Partie zu werden versprach. Ich setzte sie mutterseelenallein am Viktualienmarkt ab, auch da kurven die Freier mit ihren Autos rum. Ich drückte ihr ein paar Gummis in die Hand und überließ sie ihrer neuen Aufgabe. Ich sprach mit ihr ab, daß ich in einer Stunde wieder vorbeischauen würde. Ich gab Gas und war
verschwunden. Aber nur scheinbar, denn ich wollte ihr unbemerkt meinen Schutz geben. So fuhr ich leise und ohne Licht den Platz von einer anderen Seite an und blieb stehen. Ich holte meine Kanone hervor und lud diese durch. Denn ich hatte bisher noch nie Kontakt zum Viktualienmarkt. Natürlich wußte ich aber, daß auch da ein paar abgewrackte Weiber anschaffen und daß gelegentlich ein Leberkäs-Loddel sein Revier begeht. Aber- es tat sich nichts, kein Feind war zu erkennen. Zu erkennen aber war, daß die Micky-Maus da frierend vor sich hinhüstelte - sie bot ein Bild des Jammers. Ich fuhr sofort um ein paar Ecken - zum Platzl. Ging in den erstbesten Animierschuppen und rief alle Weiber zusammen. »Wer verkauft mir seinen Mantel?« fragte ich. Zwei Angebote kamen, es wurde ein bisserl gefeilscht, und so ersteigerte ich mir mitten in der Nacht einen Damenmantel für meine nagelneue, frierende Viktualienmarkt-Partie. War nicht ganz billig, das Ganze. Aber ohne Investitionen kann kein Geschäftsmann etwas werden. Schnell war ich wieder zurück und legte dieser jämmerlich frierenden Gestalt den Mantel über. Sie blickte mich dankbar an und gab mir ein Küßchen auf die Backe. Ich sah aber schon ein paar Autos kreisen, wollte dem kommenden Geschäft nicht im Wege stehen und fuhr von dannen. Irgendwo nahm ich einen Drink, um dann auch gleich wieder meine Kontrollfahrt zu machen. ... Weg war sie - aha, ihr erster Stich, dachte ich bei mir. Immer wieder wunderte ich mich darüber, daß ein großer Teil von Freiern lieber im unbequemen Auto bumste als auf einem angenehmen Bett im Puff. Der Preis war doch derselbe. Jedenfalls wartete ich auf meine neue Geldquelle - aber die kam auch nach Stunden nicht wieder. Sie hatte sich den Mantel geschnappt und war auf Nimmerwiedersehen verschwunden ... so ein Pech! Das war meine kürzeste Partie, sie stand keine Stunde... Also war das Thema Nicole auch abgehakt - ich machte mich frisch, zog mich an und wollte in den >Billard-Saloon<. Das Telefon klingelte, Heien aus Mannheim war am Appa-
rat. Ich hatte schon Unterhosen und Socken an, wollte nur gerade das Hemd überstreifen. »Was gibt's, Baby?« fragte ich in die Leitung. Und sie faselte ganz wirr etwas von Lebensgefahr und Schießereien in der Puffstraße. »Ich komme sofort«, war mein knapper Kommentar. »Pack deine Koffer, ich bin gleich da«, und hängte ein. Ich schlüpfte in meinen Bademantel, schnappte mir unterm Rausgehen noch meine Brieftasche mit den Fahrzeugpapieren und Geld, riß mir das Badetuch vom Haken und - saß auch schon im Auto. Und wieder einmal war ich auf der Autobahn München-Mannheim unterwegs. Nur, diesmal fuhr ich Weltrekord, ich raste, als sei der Teufel hinter mir her. Mich kümmerten keine Geschwindigkeitsbegrenzungen an Baustellen, oft überholte ich rechts. Das wäre ja wohl noch schöner, ich lasse doch meiner treuen Geldquelle nicht den Schädel runterschießen - dachte ich bei mir. Eineinhalb Stunden war ich schon unterwegs, aber gleich mußte die Autobahn zu Ende sein. Danach mußte ich noch die Stadt durchqueren, um zur Lupinenstraße zu kommen, der kleinen Mannheimer Meile der Sünde. Das war nun echter Rekord. Mist, die Blechtore waren zu, also mußte ich zu Fuß bis zum Haus Nummer elf, wovor Heien nun schon seit Jahren tagein tagaus stand. Also ging ich, im Bademantel, die durchgeladene Pistole im Anschlag, jedoch das Badetuch darumgewickelt, zum Elfer-Haus. »Heien, schmeiß die Koffer aus dem Fenster!« schrie ich hinauf, und es war tatsächlich etwas unheimlich in diesem Stück Straße. Kein Mensch war zu sehen, nur ich stand da mutterseelenalleine rum. Wollte aber für Heckenschützen kein Schützenfest bieten, also preßte ich mich in den Hauseingang - und da flogen auch schon drei Gepäckstücke knapp an mir vorbei auf die Straße. Ab und zu zeigte sich mal an einem Fenster verstohlen ein Frauengesicht, war aber auch gleich wieder verschwunden. Also mußte hier ganz nett was los sein, dachte ich mir, indes, eine genaue Erklärung
fand ich natürlich nicht. Das wird mir schon die Heien auf dem Heimweg erzählen, dachte ich bei mir - und hatte noch nicht ganz ausgedacht, da fielen in rascher Folge zwei Schüsse. Das war aber nicht unmittelbar hier, so wollte es mir scheinen, das war eine Straße weiter. Dieses tiefe, laute Bellen der Schüsse ließ auf eine schwere amerikanische Armeepistole schließen. Ich kannte diesen lauten Donner sehr wohl. Heien erschien im Eingang, ich zischte ihr zu, sie müsse zwei Koffer selber tragen. Ich konnte nur ein Gepäckstück nehmen, weil ich in der anderen Hand mein Badetuch samt Inhalt trug. Mit ein paar Sätzen waren wir aus dem Tor und am Wagen, und ich gab Vollgas in Richtung Heimat. Ach du meine Güte - jetzt erst tauchte die Polizei auf, aber dafür gleich mit gut und gerne zwanzig Autos. Sie spritzten aus allen Straßen und machten einen Höllenlärm mit ihrem dämlichen Tatü - tatü. Aber da kam ich nicht ganz mit - sollte ich schneller aus München dagewesen sein, als die hier von der Zentrale ins Puff gelangten? Heien gab mir unter der Fahrt Aufklärung, was meine Fragezeichen anbelangte. Zunächst aber, als wir schon die Autobahn befuhren, machte sich mein Baby lauthals über mich lustig. Heien amü sierte sich, in welchem Aufzug ich da ins Puff eingelaufen war. Es mußte tatsächlich ein Bild für die Götter gewesen sein. Ein Typ läuft auf Socken und im Bademantel, mit einer Kanone in ein Handtuch gewickelt, durch die menschenleere, geisterhaft anmutende Puffstraße... Die Schießerei in der Lupinenstraße hatte folgenden Hintergrund: Schon seit Tagen wurde in Mannheim ein DealerKrieg ausgetragen. Hauptsächlich waren darin die schwarzen Soldaten der dortigen U. S.-Armee verwickelt. Eigentlich war der Hauptaustragungsplatz ein Kneipenviertel am Rande der Stadt. Doch hatten sich einige Verfolgte in der unübersehbaren Puffstraße verschanzt - und so war das Puff urplötzlich zu einem Nebenschauplatz geworden. Es pfiffen Kugeln über den Asphalt, berichtete mir Heien, und eine
Gunstgewerblerin wurde in den Allerwertesten getroffen. Erst, als diese Dame im Krankenhaus erschien, wurden die Bullen ins Puffviertel beordert. So erklärte es sich, daß ich tatsächlich schneller war als die Polizei. Zu Hause angekommen, spürte ich Stacheldraht leicht um meine Seele gelegt. Jetzt war Heien in München, besetzte geradezu selbstverständlich meine Wohnung, beschnitt mir allerhand Freiheiten. Ich brachte sie am nächsten Tag im ImexHaus unter. Am Wochenende, wenn Kirstin aus Stuttgart kam, mußte sie im Puff schlafen. Sie spürte die Nähe ihrer Rivalin - und hinterher gab es jedesmal Theater. Heien neigte sich nun, seelisch belastet, wie sie war, dem Alkohol zu. Manchmal holte ich sie frühmorgens ab vom Puff, ging auch schon mal mit ihr sodann in ein Frühlokal. Sie wurde von all meinen Bekannten und Freunden sehr geachtet, gar mit >Frau Lang< angesprochen. Heute holte ich sie wieder ab, wollte mit ihr in den >George-Club<, eine Flasche Whisky paßte noch in meinen Hals. Heien stand nicht auf dem Flur, ihre Kolleginnen sagten mir, sie sei gerade auf Stich - sie hatte also einen Freier. Sofort schaute ich auf die Uhr, es interessierte mich immer, wie schnell meine Weiber arbeiteten. Wenn sie mal recht lang auf dem Zimmer blieben, mußten sie, logischerweise, entsprechend mehr Kohle nachweisen können. Nicht - daß sie da mit so einem Typen, der ihnen vielleicht gefiel, eine Hochzeitsnacht abhielten. Vertrauen war gut - Kontrolle war besser. Helens Tür ging auf, sie kam raus mit dem Ga st - ein freundlicher Gastarbeiter verabschiedete sich mit einem lauten »Arrivederci« von allen Weibern des dritten Stocks und schwebte wie auf Wolken die knarzenden Treppen hinab. Ich sah auf Anhieb, die Heien war wieder sturz-zu. Sie kam leicht schwankend auf mich zu und umarmte mich. Dann erzählte sie mir, heute wäre ein Wahrsager dagewesen, er hätte ihr aus der Hand gelesen. Es stünde nicht allzu gut um uns beide und unsere Liebe.
m ihrer Hand sei zu lesen, daß sie nur ausgenommen würde. Der Saturn stünde schlecht zum Orion - und somit würde unsere Beziehung bald enden. Da bekam ich vielleicht einen Prass auf diese Scheiße, die ich mir da anhören mußte. Und sie hatte für diesen Käse auch noch fünfzig Mark bezahlt! Ich gab ihr eine schallende Ohrfeige und schrie sie an: »Daß du Bescheid weißt - der Mars steht auch schlecht zur Venus, du blöde Kuh! Du schaffst jetzt an, bis du wieder nüchtern bist, rund um die Uhr, verstanden?!« Und ich ging. Begab mich alleine ins Frühlokal, um mir einen Joint reinzupfeifen und das Ganze mit reichlich Alkohol nachzuspülen. Ein paar Jungs waren schon anwesend, irgendwo hatten sie ein paar kleine Mädchen aufgerissen. Diese buntgewürfelte Gesellschaft lud mich ein, ich solle doch mitfahren an den Ludensee. Ein bißchen >Schwimmen gehen<, hieß es. Also fuhren wir los, ich konnte nur noch schemenhaft den Verkehr erkennen, ich war stockbesoffen. Ich fuhr alleine, die anderen hatte alle ein Mädel bei sich. Aber irgendwie werde ich schon auf Stich kommen, dachte ich bei mir und fuhr den anderen hinterher. Der ganz junge Tag war noch sehr kühl, wir machten uns ein Feuerchen - und ich, in meinem Suffkopf, warf ein paar Patronen rein, weil das so schön knallt. Wie leicht hätte doch so ein Projektil jemanden von uns durchlöchern können! Wir waren sechs Jungs und fünf Mädels, und natürlich hingen wir so halb in und aus den Klamotten. Irgend jemand warf eine Kleine ins Wasser, und deren Kleider waren daraufhin klitschnaß. Also zog sich diese aus, und drei, vier Jungs rieben sie warm, aber hauptsächlich nur ihre Titten und Schenkel. Freilich flutschte aus Versehen so mancher Finger dabei in ihr Vötzchen - aber das Mädel tat nur so, als würde es sich wehren. Also - allgemeine Geilheit war ange-
sagt, und das erste Pärchen verdrückte sich auch schon ins nahe Gebüsch. Ich krallte mir ebenfalls eine Zuckermaus und schlich mich mit ihr davon. Sie hatte am ganzen Körper festes
Fleisch wie aus Stein. Es war direkt drollig, wie unbeholfen sie die Beine breitmachte - oder war gar ich derjenige, der da so im Vollrausch tolpatschig in dieses junge Fleisch bumste? Nach einer gewissen Zeit schrie einer von uns Jungs, als würde ihm der Schwanz abgeschnitten. Aber sicher war er von uns der Nüchternste, denn er hatte es als erster gemerkt Wir alle wälzten uns da auf einem kleinen Fleckchen Muttererde, das von vorne bis hinten zugeschissen war. Sicherlich verrichteten hier alle feinen Badegäste den ganzen Sommer über ihre Notdurft - und wir waren gerade dabei, eine Lustwiese daraus zu machen. Es war einfach eklig, die Weiber hatten das verschiedentlichste Braun in ihren Haaren verschmiert. Wir sprangen allesamt ins Wasser und versuchten abzuwaschen, was abzuwaschen ging. Blitzschnell trafen wir die Absprache, daß wir Jungs jetzt sofort Gas geben und die stinkenden Mädels hier alleine ihrem Schicksal überlassen würden. Da sie alle mit ihrer Haarwäsche länger zu tun hatten, waren wir ganz raschln den Klamotten und sprangen in die Autos. Ich konnte im Rückspiegel die kreischenden Nackedeis sehen und sie nur bedauern - aber ich stank ja selber noch, schlimmer wie ein Iltis. Gott sei Dank war heute meine Heien nicht zu Hause - aber was würden die anderen Jungs ihren Weibem erzählen, wenn sie von oben bis unten nach Scheiße rochen? Am nächsten Abend, als wir uns im >Billard-Saloon< trafen, haben wir diese »Scheiße« im wahrsten Sinne des Wortes herzlich belacht. Seit sehr längerer Zeit hatte es sich in München herumgesprochen, wer und was ich war. Galt ich doch als schillerndste Figur des Undergrounds - brutal, gefährlich, verrückt vielleicht. Die gesamte Regenbogenpresse, zeitweise auch alle Tageszeitungen, berichteten mal mehr oder weniger ausführlich, wenn der Fernschreiber im Polizeipräsidium in meinem Namen tickte. Meine Mutter erzählte mir, wie sie eines Tages unter der
Heißlufthaube beim Friseur saß und in Illustrierten blätterte. Zwei Seiten waren mir in irgendeinem Blatt gewidmet. Diese vermittelten den Lesern meine Verhaftung in Regensburg. Es war auch ein großes Farbfoto dabei, welches zeigte, wie ich gerade in Handschellen abgeführt wurde. Meine Mutter berichtete mir, es hätte sie fast der Schlag getroffen, ihr sei immer heißer unter der Haube geworden. So wurde ich auch durch die Presse zu einer traurigen Berühmtheit, auf welche Tatsache ich aber damals eher stolz war. Eines Tages, ich saß, alleine noch, an unserem Stammtisch im >Tilbury<, gesellte sich ein feiner Herr zu mir. Er war Ge schäftsmann und fragte mich, ob er sich auf ein Gespräch zu mir setzen dürfe? Ich war echt gespannt, was da kommen würde - aber zuerst mal kam gar nichts, außer einer Flasche Whisky auf den Tisch, die der Herr spendierte. Und so langsam rückte dieser solide Bürger mit seinem Anliegen heraus. Er sagte, er besäße am Stadtrand von München einen großen Schrottplatz, betreibe aber hauptsächlich eine Autovermietung. Nun habe er aber auf der anderen Seite der Straße auch noch ein Grundstück, welches er verpachtet hätte. An einige Ausländer - die hätten vorgegeben, nur in Alteisen und Schrott zu handeln. Eine Autoverwertung dürften sie nicht betreiben, denn da hätte er ihnen eine KonkurrenzAusschlußklausel im Vertrag verpaßt. Aber die Söhne des Orients hielten sich nicht mehr daran und machten dem netten Herrn, dem ich gerade eine Audienz gewährte, böse Konkurrenz - in Sachen Autoverwertung. Diesen Lümmeln sollte man mal in die Suppe spucken, meinte er und schaute mich dabei mit treuem Hundeblick an. »Tja, und was soll ich denn nun mit deinem Problemchen?« fragte ich ihn. Und da sprudelte es aus ihm heraus, daß ich der richtige Mann wäre, der da hemmungslos aufräumen würde - und so weiter und so weiter. Ich unterbrach ihn in seinen euphorischen Ausführungen,
klopfte ihm auf die Schulter, sah an ihm vorbei an die Decke und äußerte gelangweilt: »Es ist alles eine Frage des Geldes.« Er rückte etwas näher, suchte mein Ohr und sagte etwas von einem Tausender. Ohne Zögern hielt ich ihm zwei Finger vors Gesicht, so daß klar erkennbar war, daß ich das Doppelte haben wollte. Ich untermalte meine Geste mit den Worten, daß wir schließlich mit zwei Mann zur Sache gehen würden. Ich ließ ihn jetzt alleine mit seinen Gedanken, er schlürfte seinen Whisky und schien zu überlegen. Er holte gerade aus, um etwas zu sagen, da gesellten sich zwei Freunde an unseren Tisch - also war das Gespräch für heute gestorben. Ich bat ihn aufzustehen, um uns nicht zu stören, und ich sagte ihm, daß ich morgen mittag bei ihm vorbeikomme. Am nächsten Tag fuhr ich hin, ein wunderschöner Altweibersommer-Tag ließ mich meine Maschine wählen. Er wartete schon auf mich, er war alleine in seinem Büro. »Wie schaut's aus?« fragte ich, und er nickte nur stumm. »Halbe-halbe«, war mein Kommentar, wobei es klar schien, daß ich einen Riesen Vorschuß meinte und der andere Tausender nach getaner Arbeit zu berappen war. Er hätte dann aber doch zu gerne gewußt, wie denn unsere Arbeit aussehen würde. »Innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden wirst du schon erfahren, was deiner Konkurrenz passiert ist, jetzt fahre mal mit deiner Kohle rüber, weil ich keine Lust habe, hier groß gesehen zu werden!« Ich griff nach dem Schein, den er recht umständlich aus seiner Brieftasche zupfte, und sprang auf meinen Heißen Ofen. Draußen fuhr ich noch zweimal die Straße auf und ab, ich wollte mir ein Bild machen, gegen wen und was ich angesetzt wurde. Ich speicherte ganz schnell alles Wissenswerte und fuhr nach Hause. Bei Fats Domino-Musik grübelte ich ein bißchen, auf der Couch gammelnd. Ich wollte diesen Fall sofort, heute nacht noch, hinter mich bringen. Es war nicht unbedingt des Geldes wegen, warum ich mich
zu dieser Aktion hatte überreden lassen - nein, dieser Ge schäftsmann hatte instinktiv bei mir den richtigen Nerv getroffen, ohne es zu wissen. Gefahr und Abenteuer ergaben den absoluten seelischen Superorgasmus für den Berndt. Als Partner wählte ich mir, ohne lang nachzudenken, den Robby. Er war ähnlich gelagert wie ich, machte sich nichts aus Tod und Teufel. Aber ich mußte ihn erst finden, besser gesagt: telefonisch erreichen. Er hob nicht ab, wo trieb er sich denn schon wieder herum? Er wußte ja auch noch nichts von seinem Glück. Aber ich war mir sicher, er würde mitmachen. In jedem Falle würde ich aufs Material losgehen, nicht auf den Mann. Mein Plan war, zwei Brandsätze zu legen, auf daß die Bude ein bißchen qualmte. Ganz schnell mußte das gehen, und es sollte ein Ausmaß erreichen, daß die Typen einen beträchtlichen Schaden hatten und obendrein ins Grübeln kamen. Die gestapelten Autoreifen würden ein nettes Futter abgeben für die fressenden Flammenzungen. Außerdem war für die paar Mark auch nicht mehr drin, letztlich waren das ja nur ein paar Flaschen Whisky, für die ich nicht die Taste »Risiko« drücken wollte. Nun- ich war bereit, aber wo war Robby? Ich probierte es nochmals, wählte seine Nummer, und endlich hob er ab. »Hallo, Robby, du alter Strawanzer, wo steckst du denn die ganze Zeit?« fragte ich ihn, und ohne seine Antwort abzuwarten, bat ich ihn, doch gleich, auf der Stelle, zu mir zu kommen. In wenigen Minuten war er da und gespannt, was denn so dringlich war. Ich erzählte es ihm, und es kam, wie ich es erwartet hatte: Natürlich war Robby dabei, außerdem brauchte er sowieso dringend Geld. Also ging ich los, kaufte schnell beim Pizzabäcker zwei Zweiliterflaschen Chianti. Mein Reservekanister aus meinem Kofferraum mußte dran glauben. Mein Badezimmer wurde zu unserem Labor, der Wein floß in die Toilette. In der Badewanne wurden die Flaschen gespült, und danach faßte ich die Dinger nur noch mit Handschuhen an. Nachdem sie feinsäuberlich getrocknet waren, füllte ich sie gleich ab, die ganze Wohnung stank nach
Sprit. Nun mußte mein Bademantel herhalten, besser gesagt, der Gürtel davon. Das leichte Frotteegewebe bot sich ausgezeichnet als Docht, als Lunte an. Mit Watte wurden die Flaschenöffnungen etwas abgedichtet, nun waren die Feuerwerkskörper fertig. Ungefähr zehn Zentimeter schauten die Dochtenden aus den Flaschen, sie wurden nochmals gut mit Benzin getränkt. Ich kleidete mich total in schwarze Klamotten, und wir warteten auf die Nacht. Ein paar Bierchen und ein bißchen Fernsehen, und schon war es bald Mitternacht. Wir fuhren los, Robby saß auf dem Beifahrersitz und hielt die beiden Flaschen in der Hand-wie Kommunionskerzen. Wir waren angekommen, ich parkte auf dem gegenüberliegenden Grundstück - bei unserem Auftraggeber. Bevor wir ausstiegen, besprachen wir noch, ganz leise zu sein, keinesfalls auch nur ein einziges Wort zu reden. Sollte ein Hund dasein, würde ich den erschießen. So... alles klar? Los ging's. Es herrschte fast kein Verkehr auf dieser Ausfallstraße um diese Uhrzeit - unser Objekt lag friedlich und still. Ich dachte mir noch im stillen, das darf doch wohl nicht wahr sein, daß man einen Schrotthaufen noch kaputter machen kann. Aber dazu waren wir jetzt unterwegs. Kein Hund, kein nichts! Robby suchte sich im Dunkeln etwas Handliches, zum Öffnen der Eingangstür. Doch das war überflüssig, ich drückte die Klinke, die Tür war unverschlossen. Robby turnte über verschiedene Autowracks hinweg ans andere Ende der Halle, und nun zuckten zwei Feuerzeuge auf. Die benzindurchtränkten Dochte fingen sofort Feuer, jetzt mußten wir blitzschnell diese gefährlichen Dinger loswerden, auf daß sie nicht in unseren Händen explodierten. Jeder schleuderte seine Flasche mit Wucht an eine der Wände. Die Szenerie war so beeindruckend, als wäre sie dem James-Bond-Film »Feuerball« entnommen. Dem Geräusch der splitternden Scherben folgte der dumpfe Knall der Explosion. Ein wahrer Feuerregen sprühte nieder, fraß um sich. Unsere Arbeit war getan - nun nichts wie raus hier. In dieser Situation, wo sich
licht und Schatten ablösten, die Flammen gespenstisch um die Wette fauchten, hörte ich plötzlich einen Schrei von Robby. Es mußte etwas ganz Außergewöhnliches passiert sein, daß er unser verabredetes Schweigen nicht einhielt, und ich brüllte zurück, was denn los sei? »Da pennt einer in so einer Karre, schau mal nach, ob du auch jemanden findest!« Hätte ich etwas mehr Zeit gehabt, hätte ich mir einen Schock geleistet, doch ich war auf jeden Fall von den Socken. Auf diese Idee wäre ich nie gekommen, daß wir mit unserer Aktion Menschenleben in Gefahr bringen könnten. Ich blickte hastig durch Autofenster, öffnete Wracktüren - und tatsächlich lag da noch einer auf einer Rückbank eines ausgeschlachteten, uralten Kapitäns. Die Autos standen alle ohne Räder auf ihren Achsen, und sicherlich waren es zwei Arbeiter, die hier ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Die Flammen schlugen schon ganz nett hoch, und es war höchste Zeit, diese Gestalten aus ihrem Schlaf zu reißen, denn so hatten wir nicht gewettet, daß da vielleicht jemand draufging! Also wurden die Penner wachgerüttelt, und sie suchten, über Autodächer hüpfend, ihren Weg ins Freie. Robby und ich liefen getrennt in die Dunkelheit hinaus, die Nacht verschluckte uns. Aus der geplanten knappen Minute waren nun gute fünf Minuten geworden, als wir uns nach Umwegen an meinem Auto wiedertrafen. Mit Vollgas und ohne Licht fuhren wir in Richtung Stadtmitte, und unsere Sorge war groß, ob nicht doch noch jemand in den Flammen schlummerte. Am übernächsten Tag erschien in den Zeitungen nur eine kleine Notiz, daß die Feuerwehr einen Brand zu löschen hatte - der Sachschaden sei gering und Personen seien nicht zu Schaden gekommen. Man vermutete einen politischen Hintergrund - mir fiel echt ein Stein vom Herzen. Ich ließ mir den restlichen Tausender per Post schicken, ich wollte mich da draußen nicht mehr sehen lassen. Robby war froh um das Geld; er erzählte mir, daß er mit seiner trinkfreudigen Alten ewig Zoff habe - der andauernde Suff mache sie noch ganz
blöd in der Birne, meinte er. Und deswegen sei er schon längere Zeit nicht mehr im Puff gewesen, um sich von ihr Geld zu holen. Das gab's doch nicht, dachte ich und sagte es auch, daß so ein guter Junge hier in München stier herumlief, und andererseits gab es jede Menge Solopartien. »Das soll sich aber ganz flott ändern«, meinte ich zu Robby, »morgen fahren wir beide mal zum Wetzel Anton und schauen, welche Mieze dort solo ist.« Heien war am Wohnungsaubermachen. Das war wohl der einzige Grund, warum ich froh war, daß sie nun in München wohnte. So brauchte ich mich eigentlich um gar nichts mehr zu kümmern. Nicht ums Kochen, Waschen, Putzen, Bügeln - und jeden Tag gab's Frisches, was die Kohle anlangte. »Warum stinkt es im Bad so nach Benzin?« fragte sie mich, und ich erteilte ihr die Antwort, daß es wohl ihr Nagellackentferner sei, der da so bestialisch stinke. Außerdem sorgte sich Heien geradezu rührend um mich, wenn ich laufend besoffen nach Hause kam. Manchmal half sie mir über die Kloschüssel, oder sie machte mir ein Behelfsbett auf dem Balkon, wenn ich das so wollte. Immer, wenn ich sturz-zu war, eher tot als lebendig, konnte mich nur noch der ständige Sauerstoff wiederbeleben. Also schlief ich so manches Mal auf dem Balkon. Heute war ich mit Robby verabredet, wir wollten uns im >Billard-Saloon< treffen. Mal schauen, ob man ihm eine Partie aufs Auge drücken konnte, schließlich mußte er doch von etwas leben. Als ich den Saloon betrat, war Robby schon an der Bar, zwei andere von uns Jungs ebenfalls. Es ging ein bißchen laut zu, und erst nach einigen Momenten konnte ich erkennen, daß Robby mit einem fremden Typen Streit hatte. »Was ist denn los, Robby, wer ist denn dieser Typ, und was will der?« fragte ich, doch Robby sagte nichts darauf. Die anderen Jungs klärten mich auf - der eine da sei der WienerPeter, und eigentlich gehe es um überhaupt nichts. Der Robby fühle sich genervt von dessen aufschneiderischem Wiener-Schmäh - um wieviel besser doch die Wiener Jungs
seien, verglichen mit den Münchnern. Also, wie so oft, führten vorlaute Sprüche zu Ärgernissen. Keiner mischte sich ein, auch ich nicht. Der Wiener-Peter war eine ganz schöne Ecke von Mann. Auf den ersten Blick war erkennbar, daß er sicherlich ein richtiger >Hauer< war. Aber wir brauchten uns um Robby keine Sorgen zu machen, schließlich war auch er raufhändelerfahren genug und brachte gut und gerne seine hundertzehn Kilo auf die Waage. Seine Rechte war ein regelrechter Dampfhammer. Mal flaute der Disput ab, dann eskalierte das Ganze wieder sehr gefährlich. Wir tranken alle viel, auch die beiden Streithähne. So ging das vielleicht eine Stunde hin und her - der Wiener-Pit mußte sehr wohl wissen, daß er hier eine äußerst brisante Vorstellung gab. Schließlich befand er sich auf fremdem Territorium, wir Münchner hatten sozusagen Heimspiel. Sollte Robby bei einer Keilerei in Bedrängnis kommen, kriegte es der Wiener Strizzi von uns allen. Jaja, der Suff unterstützt oft die Selbstüberschätzung; und vielleicht meinte der Träumer, er schaffe uns alle vier. Natürlich weckten diese Gedanken auch in uns Unbeteiligten die nötigen Reflexe und riefen Aggressionen wach. Mal sehen, wie lange das Spielchen noch dauerte, bis es krachte. Allzu lange brauchten wir nicht zu warten, nach ein paar Schimpfworten und Beleidigungen zog Robby voll durch. Wir anderen sprangen sofort von unseren Barhockern und standen angespannt zu allem bereit. Aber-Fehlalarm. Denn dieser eine Hieb von Robby traf so überraschend, so präzise und eisenhart diesen Wiener Schwätzer, daß er sofort bewußtlos in sich zusammensackte, wie ein leerer Mehlsack. Dabei fiel er derart unglücklich - wir konnten es alle kaum fassen. Er schlug exakt mit dem Schädel auf der gefliesten Bodenkante auf, jener Stufe, die vom Saloon zu der Barerhöhung führte. Es gab ein dumpfes Geräusch, als zerplatze eine Melone am Boden. Womöglich hatte der Aufprall den Schädel des Wiener-Peter gespalten. Aus der klaffenden Wunde floß jedenfalls sehr viel Blut. Nach einer Schrecksekunde rief
die Bedienung sofort den Krankenwagen, der auch recht schnell vor dem Saloon vorfuhr. Nachdem der Unglückliche abtransportiert, das zuckende Blaulicht vor den großen Fenstern verschwunden, die Sirene verklungen war, war sofort wieder lockere Atmosphäre angesagt. Robby meinte lapidar, das, was mit dem Wiener-Peter geschehen sei, sei dessen eigene Schuld gewesen. Wir tranken Sekt und gingen von Fall zu Fall auf die Seite, während die Bedienung mit dem Putzlappen versuchte, das Blut wegzuwischen. Wir bedienten den Flipper, als sei überhaupt nichts geschehen, heute gewann Robby jedesmal. Also war er auf der Siegesstraße, da würde es auch klappen, ihm eine Existenzquelle zu verschaffen. Um Gottes willen, es war gleich Mitternacht, und ich war heute noch nicht beim Melden! »Ich fahre rasch los, erledige das und bin gleich wieder zurück«, rief ich den anderen im Hinauseilen zu. Als ich zurückkam, waren meine Getränke schon bezahlt, alle warteten auf mich, wollten sämtliche dem Wetzl Anton einen Besuch abstatten. Naja, ich war halt ein andermal dran mit Zahlen. Wir fuhren los, vielleicht ging eine Zockerrunde zusammen. Nachdem wir vor der Pension angekommen waren, ließ ich die anderen vorgehen. Den Robby hielt ich am Hemdzipfel fest und bedeutete ihm, ein paar Sekunden zu warten, bis wir wirklich alleine wären. Aber, was hieß hier: alleine? Es standen so ungefähr sechs Huren rum, teils am Eingang, teils an der Frontmauer. Ich ging auf die nächstbeste zu, ich hatte sie noch nie gesehen. »Hey, Baby, wie heißt du?« fragte ich sie und stand fast hautnah vor ihr. Sie schaute mich mit großen Augen fragend an und zögerte ein wenig, bevor sie ganz leise »Ina« sagte. »Schaffst du hier beim Conny an?« wollte ich weiter wis sen, und ich entdeckte sogar im spärlichen Licht der Straßenbeleuchtung ihre süßen Sommersprossen. Sie nickte
und verstand mein Frage-Spielchen wohl nicht. »Wer ist dein Alter und wie heißt er?« »Ich habe keinen Alten!« kam es jetzt eher trotzig von ihr. Sie war wohl noch keine zwanzig Jahre alt, hatte eine schmale Püppchenfigur und war ganz keß gekleidet. »Und wer beschützt dich, wem steckst du deine Kohle ab?« drängte ich weiter - Robby schaute verlegen in den dunklen Nachthimmel, als wolle er zwischenzeitlich alle Sterne zählen. Mit einer hellen Glöckchenstimme, aber mit Wut im Unterton, giftete sie mich nun an: »Das ist alles mein Geld, ich stecke niemandem etwas ab, und beschützen braucht mich auch niemand!« Kaum, daß sie dies ausgesprochen hatte, versuchte sie, sich der Situation zu entziehen, indem sie sich, an der Wand entlang, an uns vorbeimogeln wollte. Ich hielt sie aber an der Schulter fest, meine Hand ruhte wie ein Schraubstock auf ihrem zierlichen Knochengerüst. »Darf ich dir vorstellen, das ist der Robby - und dem steckst du ab sofort täglich einen Hunderter ab, hörst du?« sagte ich ihr in ruhigem Ton und sah ihr dabei tief in die Augen. Ohne zu überlegen antwortete sie mit einem knappen »Nein« und versuchte abermals, sich unserer Zudringlichkeit zu entziehen. Ich gab ihr eine schallende Ohrfeige, und dies wäre weiter nicht schlimm gewesen, wenn sie nicht so dicht an der Hausmauer gestanden hätte. Aber so knallte sie mit ihrer Birne an die Wand und... einen ähnlich dumpfen Knall hatte ich heute schon einmal gehört. Natürlich hielt sich diesmal alles in Grenzen, sie wurde nicht bewußtlos, und es floß kein Blut. Aber nun war sie durch meine Brutalität deutlich gewarnt und versuchte einzulenken. Warum, wieso gerade sie und so weiter... Damit war auch ich bereit, ihr alles in Ruhe darzulegen: »Siehst du, jetzt hättest du zum Beispiel einen Beschützer gebraucht«, und ich war auf meine Logik stolz. »Dir macht doch ein Schein täglich echt nichts aus. ... und durch deine Liebesgabe bist du dann immerzu beschützt - ist das
denn gar nichts? Komm, jetzt gehen wir hoch, und du lädst uns auf einen Drink ein, Baby!« Mich dem Robby zuwendend, zwinkerte ich diesem mit einem Auge zu und erzählte ihm die altbekannte Weisheit, daß die erste Kuppe sowieso immer versoffen wird. Unsere Freunde saßen tatsächlich schon mit Anton am Tisch beim Zocken - und der schien ganz nett zu verlieren. Wenn's nicht läuft beim >Seven-Eleven<, dann kann man ganz schön stier gehen. Robby, ich und die Micky-Maus setzten uns an einen anderen Tisch, und Robby bestellte eine Flasche Wodka. Als ob wir heute nicht schon genug gesoffen hätten! Aber es gab ja in diesem Moment etwas ganz Besonderes zu feiern. Robby hatte eine Partie, die haute zwar nicht unbedingt einen Cowboy vom Sattel, aber dreißig Tage mal hundert Mark waren auch dreitausend. Ich sah der Frischgekürten in die Augen und mußte hellauf lachen. Denn sie saß wirklich recht verdutzt auf ihrem Stuhl, konnte das Ganze wohl nicht so schnell verdauen. »Was schaust d u denn so zerknittert, Mädel?« fragte ich sie lachend und klopfte ihr auf die Schenkel. Und damit die ganze Sache einen offiziellen Charakter bekäme, grölte ich beim ersten Glaserheben: »Ein Prosit auf diese Verlobung!« So..., nun wußten alle Huren und Jungs, zumindestens die hier anwesenden, daß diese Frau dem Robby gehörte, also für jeden anderen unantastbar war. »Macht dich das denn nicht stolz, daß du jetzt deinen eigenen Body-Guard hast?« fragte ich sie scheinheilig - und fügte hinzu, daß die Liebe dann sowieso immer von alleine käme. Ich ließ die zwei mit ihrem Glück alleine und gesellte mich zu den anderen. Mal schauen, vielleicht fielen heute die Würfel gut für mich. Nein, dem war nicht so, es dauerte zwei Stunden, dann hatte ich keinen Pfennig Bares mehr in der Tasche. »Da kannst du dir ja morgen ein neues Auto kaufen«, sagte ich zum Karl, denn der hatte einen ganz beachtlichen Berg
zerknitterter Scheine vor sich liegen. Er hatte einen guten Lauf, aber dies sollte ihm vergönnt sein, denn ganz München wußte, daß er letzte Woche wohl so um die Zwanzigtausend verloren hatte. O.K.- ich war stier, also würde ich gleich meine Alte von der Maloche holen, da gab's wieder Frisches. Die freute sich natürlich, daß ich sie abholte, denn der Streß reiche ihr für heute, sagte sie. Sie erzählte mir, daß die ganzen Weiber vom dritten Stock heute nacht einen Freier in der Mache gehabt hätten, weil der angeblich einer beim Fikken den Hals zugedrückt hätte. Anschließend solle der Typ ganz schön geküßt ausgesehen haben - denn auch die Weiber führten Hieb- und Stichwaffen bei sich. Er sei zwar mit der Polizei zurückgekommen, aber in solch einem Falle war wohl jeder chancenlos, würde schwer etwas beweisbar sein, wenn nämlich die Huren zusammenhielten. Erst letzte Woche hatte der Puffhausel einen Ausländer vom vierten Stock in den Treppenhausschacht geworfen. Da war nur noch Brei übrig, und letztlich würde sich wohl nie klären lassen, wie das gelaufen war. Konnte es nicht sein, daß der Betreffende das Übergewicht gekriegt hatte und über das Treppengeländer kippte -? Jedenfalls hat derjenige, der im Puff Stunk macht, immer die schlechteren Karten. Nach einer Ewigkeit bestieg ich heute wieder meine Heien, ach, war das herrlich, seit neuestem heulte sie immer beim Orgasmus. Am nächsten Tag fuhren wir zusammen raus, zu meinen Eltern. Erstens ließen wir uns ein bißchen bekochen und genossen im Garten die Sonne. Zum zweiten stand es ja an, daß ich meinen Eltern endlich einmal erzählte, daß ich für ein paar Jährchen ins Gefängnis mußte. Als ich es ihnen bei Kaffee und Kuchen unterbreitete, war der Schock groß. Mutter
weinte, Vater wurde blaß. Alles, was er nun sagte, es änderte auch nichts mehr. Ich nahm ihn zur Seite und sagte ihm, daß ich ab sofort wöchentlich einen Tausender bei ihm vorbeibringen würde. Wenn mit meinen Weibern etwas schieflau-
fen sollte, hätte ich dann eine gewisse Summe zur Verfügung, wenn ich bargeldlos aus dem Knast entlassen würde. Er könne die Jahre über über dieses Geld verfügen, meinte ich, wenn ich rauskäme, hätte ich einen gewissen Notgroschen. »Wann ist es denn soweit?« wollte meine Mutter wissen. Und ich erklärte ihnen, daß ich mich schon seit einer Ewigkeit täglich melden müsse und daß es bei der Verhandlung sechs Jahre geschneit hätte. Die Revision würde sicherlich verworfen werden. Jedenfalls wußten sie nun Bescheid, und es war auch schon später Nachmittag geworden, ich drängte zum Gehen. Am liebsten hätte ich Heien gleich ins Imex gefahren, aber sie brauchte noch ein paar Sachen von zu Hause und wollte sidi auch schminken. Heute machte sie sich als Indianerin zurecht, zumindest in diese modische Richtung. Sie war indes eine blonde Indianerin mit einem kunstvoll gearbeiteten Zopf als Stirnband, dunklem Rouge auf den Wangen und einem recht knappen Stückchen Fell um die Schamgegend. Am fleischfarbenen BH hingen ein paar lustige Federchen also Winnetou hätte seine wahre Freude daran gehabt. Ihre aufgeklebten Wimpern klimperten verführerisch. »Morgen mußt du im Puff schlafen«, sagte ich ganz locker, weil ja Kirstin am Wochenende kam. Ich dachte mir gar nichts dabei, ich wollte ihr lediglich die Tatsache ins Bewußtsein rufen, daß die Woche schon wieder um war. Um Gottes willen, da hatte ich ihr gewaltig auf den Nerv gebohrt, mit dieser Bemerkung. Da wurde sie vielleicht hysterisch - von wegen, daß sie das sehr gut selber wüßte und daß ihr das alles sowieso zum Hals raushinge. Sie brauste auf, da konnte ich nur staunen. »Baby, nur nicht frech werden!« warnte ich sie. Aber das juckte sie im Moment scheinbar überhaupt nicht. Sie stand da vor mir, so schön wie sie war und noch dazuhin unglaublich chic zurechtgemacht. Sie stand vor mir wie eine Herrin, die ihrem Diener gerade mal schnell Bescheid sagt. Sie kam sich sehr gut vor in dieser Pose und Rolle. Ich sah sie länger
an und schien ihr auch zuzuhören, aber dem war nicht so. In Wirklichkeit vernahm ich ihre Worte gar nicht, ich machte mir meine eigenen Gedanken. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, daß sich Frauen tatsächlich um einige Grad verwandeln, wenn sie sich geschminkt und rausgeputzt haben. So interessant ihr Auftritt auch war und wie sehr sie auch recht haben mochte wegen Kirstin - aber nun riß mir der Ge duldsfaden. Ein paar Ohrfeigen holten sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn bei mir darf eine Frau reich werden, krank werden, glücklich werden, kurzum, sie darf alles werden - nur nicht frech. Ich ging ihr ins Schlafzimmer nach, wo sie, auf dem Bett kauernd, am Heulen war. Ich befahl: »Aufstehen - wird's bald!« Aber sie meinte wohl, es würde noch ein paar Hiebe setzen, hielt ihr Gesicht in den Armen verborgen und rührte sich nicht. Ich zog sie an den Haaren hoch und zerrte sie vor den Spiegel der Kommode. »Da schau dich an - hey, du meinst, weil du so schön geschminkt bist, kannst du frech werden - ha!? Ihr Haar stand durch das Spray von ihrem Kopfe, als wolle sie den Struwwelpeter nachäffen, eine Lippe war geplatzt und blutig, die schwarze Soße von ihrem Augen-Make-up lief, mit Tränen vermischt, als Rinnsal in ihre Titten. Die Wimpern hingen halb dran, halb weg... »Wo ist nun deine Selbstsicherheit Ha? Schau dich doch an - Schminke weg, Frechheit weg!« Sie kramte sich ein paar Dinge zusammen, rief ein Taxi und war verschwunden. Sie betrat nie mehr meine Wohnung, Sie schaffte noch ein paar Wochen im Imex an und schlief auch dort. Immer, wenn ich sie im Puff besuchte, gab sie mir ihr ganzes Geld - aber sie war dabei, sich von mir abzuwenden. Das spürte ich, sagte aber nichts. Was sollte ich denn auch mit zwei Weibern, die sich anfeindeten, wenn ich in der Kiste sitzen würde. Das würde sowieso nicht gutgehen, also mal abwarten, wie sich das weiter entwickelte. Es kam der Tag, als ich Heien nicht mehr vorfand, und es konnte mir auch kein Mensch sagen, wo sie sich aufhielt. Aber ihr gefestigter Charakter erwies sich wieder aufs neue,
als sie mich am nächsten Tag anrief. Sie sei nun in Ulm im Puff, und sie wolle sich von mir in aller Güte verabschieden. Ich möge sie in Ruhe lassen, sie fange ganz von vorne an, wolle von neuem beginnen. Das respektierte ich, und ich versicherte ihr jegliche Hilfe und meine Freundschaft für immer. Wenn sie mal mit einem Jungen Schwierigkeiten hätte, brauchte sie mich nur anzurufen, ich sei in einer Stunde da. Also war das Thema auch abgehakt, mit Sicht auf meinen Knast war alles gut so, wie es war. Natürlich trug ich in meinem Herzen einen gewissen Schmerz, doch es lag ja ganz alleine an mir, zwischen Heien und Kirstin zu wählen. Aber von der Heien war dies eine gewisse Erpressung gewesen, so nach dem Motto: »Ich - oder die andere.« Aber das war ein Spiel, welches ich nicht mitspielte. Weg war weg!
Das Ganze noch einmal Es war der erste Mai 1973. Ein traumhafter Tag, die Sonne brannte, als sei es Hochsommer. Ich hatte zwei Tage und zwei Nächte durchgesoffen - hatte danach ausgiebig geschlafen. Diese Sufftour, die gerade hinter mir lag, hatte ihren guten Grund. Ich hatte vor Tagen Post vom Oberlandesgericht erhalten, worin man mir mitteilte, daß die Revision verworfen wurde. Es war als eine ganz wichtige Urkunde verfaßt mit geprägtem Adler und Dienstsiegel und Schleifchen. Nach Rücksprache mit meinem Baron war ich nun im Bilde, daß ich mit der Strafantrittsladung in den nächsten zwei Monaten zu rechnen hatte. Na, das waren vielleicht Aussichten! Aber heute, bei diesem traumhaften Sonnenschein, schob ich, so gut es ging, diese Gedanken etwas von mir. Mir fiel ein, daß an jedem ersten Mai unsere Kneipe am Ludensee Saisoneröffnung feierte. Da würde ich heute rausfahren, eine deftige Brotzeit sollte meinen Kater gänzlich vertreiben. Ich döste in der Badewanne, überlegte mir, wie die Bademöglichkeiten im Knast wohl sein mochten. Ich rasierte mich,
suchte meine Sommerklamotten im Schrank durch, wählte meine maßgeschneiderten, superknappen Hot-Pants und ein weißes Seidenhemd. Ich würde bei diesem schönen Wetter mit meiner Maschine fahren, vielleicht wurden meine Schenkel schon etwas braun. Ich schnürte meine Boxerstiefel und hängte mir so ziemlich meinen ganzen Klimbim an, den ich besaß. Schwere Goldketten, lange und kurze, die ganzen Pfoten voller Ringe. Los ging's. Das Chrom meines Motorrades blitzte in der Sonne, ein sogenannter Edelrocker gab Gas. Meine Musikanlage war dazu angetan, ganze Stadtviertel zu unterhalten, durch die ich gerade fuhr. Damals gab es noch keine Helm-Pflicht, und ich genoß es, von Millionen Kubikmetern Sauerstoff und Sonnenschein umschmeichelt zu werden. An einer Ampel am Mittleren Ring gab es Ärger in einem VW neben mir. Eine nette Maus gaffte sich nach mir und meiner Maschine die Augen aus, lächelte mich vielsagend an. Der Fahrer des VW's, sicher ihr Freund oder Mann, flippte gleich aus vor lauter Eifersucht. Ich kannte diese Szenen zur Genüge - ich konnte nur darüber lachen. Mein Gott, dachte ich mir immer, was sollte bloß aus solchen Pärchen werden? Die ging ihm doch sowieso bei der nächsten Gelegenheit fremd - bekam er denn das nicht in die Birne? Ich gab bei Grünlicht Gas und ließ die beiden mit ihrem Ärger alleine. Kurz vor Autobahnanfang fährt man direkt an der Weißen Villa vorbei, kh würde schnell beim Ferry halten und ihn überreden, mitzukommen. Er faulenzte in einer Hollywood-Schaukel im Garten und freute sich über meinen Besuch. Er ließ sofort von einer seiner Miezen von der Tagschicht eine Flasche Champagner servieren. »Eine Neue«, sagte er ganz stolz, und es war auch ein Engel von Frau. Ihre langen blonden Haare umschmeichelten ihre nackten Brüste, sie trug nur ein Schrittband. Sicherlich machte sie Body-Building, denn ihr Po war eine Sehenswürdigkeit. »Die bumse ich am Tag drei-, viermal selber«, meinte Ferry, »eben weil sie so antörnt.« Sie verdiene auch sehr gut bei ihm, erklärte er, was ich ihm blind abnahm. Wo sie nur immer solche Hasen aufreißen? dachte ich mir
im stillen und vergaß dabei, daß sie mir ja auch immer zuflögen. »Also, Ferry, was ist los, kommst du mit an den Ludensee? Das gibt bestimmt eine Gaudi, sicher sind alle Jungs draußen!« Es gelang mir, ihn zu überreden, aber er wollte seinen Neuaufriß mitnehmen. O. K., er fuhr also mit seinem Wagen. Ich fuhr schon mal los, wir würden uns sicherlich auf der Autobahn wiedertreffen. Auf der Höhe des Langwieder Sees sah ich schon in meinen vier Rückspiegeln den auffallend roten, flachen Sportwagen von Ferry. Es war ein Schweine-Verkehr heute auf allen Straßen. Na klar, jeder wollte diesem schönen Tag die Sonne entreißen. Es dauerte Momente, bis Ferry sich mit Lichthupe und Rechtsüberholen an den anderen Fahrzeugen vorbeimogelte. Gleich würde er meine Höhe haben - ich gab Gas, meine Augen tränten trotz Sonnenbrille. Mein Tacho zeigte ungefähr zweihundert an, als der Ferry mit seiner Maserati-Flunder leicht mit zweihundertvierzig an mir vorbeizischte. Der Fahrtwind raubte mir bei dieser Geschwindigkeit fast mein Gehör, und dennoch konnte ich diesen satten Donner seines Auspuffs vernehmen. ... Das war das letzte, was ich hörte. Was jetzt kam, erschien mir wie eine Ewigkeit, und doch waren es nur Sekundenbruchteile. Durch meine hohe Geschwindigkeit, im Zusammenspiel mit der Luftverdrängung des noch schnelleren Maseratis, verriß es mir den Lenker. Ich konnte noch so kräftig dagegensteuern, mein Lenker wackelte hin und her wie ein Kuhschwanz. Meine Vorderachse konnte sich ebenfalls nicht beruhigen, denn es kam jetzt noch die Unwucht dazu, die alle meine Anbauten bei dieser hohen Geschwindigkeit »zum Tragen« brachte. Meine Windschutzscheibe, die zwei Boxen der Stereo-Anlage, die fünf Scheinwerfer, die vier Rückspiegel - all das ruhte auf dem Lenker bzw. war an der Gabel angebracht. Mit solch einem Gefährt volle Pulle zu fahren, war an sich schon halber Selbstmord. Und dann noch der Seitenwind des überholenden Autos... da war es pas-
siert. Ich versuchte, die Geschwindigkeit zu drosseln, aber ich schleuderte schon. Ich muß runter vom Sattel - das war mein letzter Gedanke. Zumeist erschlägt einen sonst die eigene Maschine. Ich stieg ab - so ungefähr bei hundertfünfzig Stundenkilometern. Diesmal ringe ich mit dem Tod: Ich möchte gerne tot sein. Ich flehe denChef an, mich den Schritt tun zu lassen. Doch ich schwebe zwar, aus meinem Körper gelöst, über dem Operationstisch - aber ich darf diesmal keine Sekunde hinüber. Jedenfalls wurde ich im Hubschrauber wach. Gerade am ersten Mai fliegen genug Hubschrauber zur Verkehrsübersicht und zur Rettung über die Autobahnen. Und deswegen war so eine rettende Libelle gleich zur Stelle. Über meiner Bahre im Helikopter waren solch verchromte Arzneikästen angebracht, und ich sah mich darin wie in einem Spiegel. Das durfte doch wohl nicht wahr sein, daß ich noch immer lebte!!! Ich war echt stinksauer darüber - mehr aber noch: verwundert. Dann schwanden meine Sinne wieder, und ich wurde erst - wieder einmal - im Raum der Intensivstation wach. Abermals hingen eine Menge Schläuche an mir rum, Pumpen stampften ihre monotone Melodie. Da lag ich also, mehr tot als lebendig, aber ich erholte mich ganz schnell. Und wieder war ein Wunder geschehen: Ich hatte diesmal keinen einzigen Knochen verbogen. Ich war lediglich so an die zwanzig Meter über die Autobahn gerutscht, einem Radiergummi gleich. Am ganzen Körper war meine Oberhaut abgeriffelt - jetzt lag ich in einer Aluminiumfolie, wie ein Grillbraten, der gleich ins Rohr geschoben wird. Natürlich hatte ich eine ellenlange Platzwunde am Kopf, man sagte mir, siebenundzwanzig Nähte seien notwendig gewesen, um sie zu schließen. Am meisten amüsierte ich mich über meinen zur Hälfte kahlgeschorenen Kopf; ich sah aus wie ein nachgemachter Schirokese. Und meine Kirstin stand wieder an meinem Bett. Diesmal organisierte sie die Bergung meiner Maschine. Diese hatte sich derart überschla-
gen, daß sie hohe Luftsprünge vollführte. Jedenfalls hing sie schließlich an einem Baum in drei Metern Höhe. Ich fror schrecklich in meiner Folie, denn das Temperaturschild Haut war weg - war mir abhanden gekommen. Nach einer guten Woche, als man mir die Fäden zog, verkrusteten so langsam alle meine Abschürfungen. Wieder hatte ich viel Substanz verloren, war eher einem Magermilchbubi gleich; es war nicht mehr zu erkennen, daß ich ein »Kleiderschrank« gewesen war. Ich drängte die Ärzte, ich wolle heim, entlassen werden. Das schaffte ich auch, aber auf eigene Verantwortung. Selbstverständlich übernahm ich diese, verantwortete ich ja .schließlich schon seit einiger Zeit' mein ganzes Leben selbst - mit allem Pipapo. So ein Mist, es war herrliches Wetter, und ich konnte nicht in die Sonne. Es war ja keine Haut da zum Bräunen, sondern nur Kruste. Das Auto zu lenken, ging schon wieder einigermaßen, das Motorrad war in der Werkstatt. Mein Friseur verpaßte mir eine Perücke. Mit der Zeit bekam ich eine ganz junge, neue Haut - also war das Ganze mehr oder weniger eine plastische Verjüngungskur. Aberjetzt, wenn ich um die Häuser ging, steckte meine Kanone im Halfter oder Gürtel. Immer und immer wieder tauchte das Trauma in mir auf, daß ich bald gefangen sein würde, einem wilden Fohlen gleich, das sich an den Sattel zu gewöhnen hat. Diese Gedanken machten meinen Geist nun vollends wirr. Kirstin war in allem, was sie tat, dachte oder sprach, einfach Klasse. Natürlich war sie stolz, daß sie über Heien gesiegt hatte. Sie war stolz, mein Vertrauen zu besitzen. Wir redeten jedes Wochenende über dasselbe Thema. Ich vertraute ihr, würde ihr meine Wohnung überlassen, mein Wagen blieb in der Garage, angemeldet - alles sollte so sein, als ob ich jeden Moment wiederkäme. Sie sollte meinen Geruch spüren in unserem Nest, sollte arbeiten und sparenjahrelang eben. Das alles wurde in jeder Einzelheit jedes Wochenende durchgekaut, aber- und abermals. Die Jungs sagten es mir jeden Abend, ob ich nicht ganz richtig in der Birne sei, all meinen Besitz dieser Maus zu über-
lassen? »Die ist eines Tages weg, mitsamt deiner Barschaft«, meinten sie. Aber was sollte ich tun? Würde ich jetzt die Wohnung aufgeben und alle meine Wertsachen verkaufen oder verstauen - das wäre ein offizieller Mißtrauensantrag gegen meine Alte, dann wäre sie sofort weg gewesen. Das Ganze war für mich ein Roulettespiel: Wenn ich auf Rot setzte und es kam Rot, dann hatte ich die Superkohle von sechs Jahren. Wenn Schwarz kam, hatte ich eben Pech gehabt. Aber von vornherein wollte ich die Situation nicht vergewaltigen. Alles im Leben muß sich erst einmal zeigen, sich herausstellen - dachte ich bei mir. Langsam waren meine Haare wieder gewachsen, ich konnte Gott sei Dank auf diese Perücke verzichten. Auch konnte ich wieder in die Sonne gehen, meistens fuhr ich nach meinen Sauftouren gleich morgens zum Ludensee, zum Schlafen. Das Schwimmen war gut für meine körperliche Verfassung, und ich wurde auch zusehends wieder muskulöser und beleibter. Das Leben normalisierte sich, abgesehen von dem Damoklesschwert, welches über mir hing. Urplötzlich sah und erkannte ich Dinge, die mir zuvor auch in den tiefsinnigsten Momenten nicht auffielen: die ganzen Käfer im Gras - was da so kreuchte und fleuchte. Schaute ich in den hellen Sommerhimmel, erfreute mich jeder Vogel, der da seine Kreise zog. Jedes Lebewesen, welches sich frei bewegen konnte, hatte es nun tausendmal schöner als ich. Ich holte mir lächerliche Vergleiche in meine Gedanken, prüfte, ob ich gar mein Augenlicht dafür geben würde, ein Bein oder meine rechte Hand - als Zoll für meine Freiheit. Natürlich legte ich solchen Quatsch ganz schnell wieder zu den Akten. Aber das Thema beschäftigte mich immer mehr und mehr. Wie viele Monate, Wochen oder Tage würde ich noch frei sein? Es war wieder ein Wochenende, Kirstin kam spät nachts mit dem Taxi aus Stuttgart. Wahnsinn, diese Woche hatte sie ein kleines Vermögen verdient. Wieder waren all die Scheine sorgfältig mit einem Schleifchen gebündelt, und eine gol-
dene Uhr von Omega gab es überdies. Meine Rolex war nach dem Motorradunfall nur noch als Schrottgold zu verwerten gewesen. Meine Ringe waren auch alle verformt, so hatte mein Juwelier wieder genug Arbeit. Ich freute mich zwar über soviel Kohle, legte aber das Bündel achtlos in das vergolt dete Tabernakel. Bei diesem handelte es sich um einen herrlichen Schrein, sicherlich fehlte er in irgendeiner Dorfkirche. Jedenfalls wurde mir dieses vergoldete Möbel letztes Jahr am Platzl aus dem Kofferraum heraus angeboten, und ich kaufte das schöne Stück sofort. Und wo normalerweise die Monstranz verschlossen wurde, lag jetzt das Unzuchtsgeld. Ich konnte es mir nicht verkneifen und sagte zu Kirstin: »Ja Baby, ich brauch' bald keine Kohle mehr.« Sie meinte, ich solle es mir in der Zeit, die mir noch überblieb, recht gutgehen lassen und mir jeden Wunsch erfüllen. Der Absprache gemäß fuhr ich von Fall zu Fall zu meinen Eltern und lieferte jedesmal einen Riesen ab. Jetzt hatte ich schon fünftausend gebunkert. Ich fuhr mit Kirstin ins Grüne, wir picknickten und spazierten über die Wiesen, pflückten Riesensträuße Schlüsselblümchen. So ein Wochenende ist ja ruckzuck vorbei; am Montag brachte ich sie zum Bahnhof, zum Intercity. Sie setzte sich während der Fahrt nach Stuttgart immer in den Speisewagen, frühstückte etwas und schmökerte in ihren Liebesromanen. Abends ging ich in den >Billard-Saloon<, war zunächst der erste von unserer Clique. Die Barfrau sagte mir, daß vor kurzem eine junge Dame nach mir gefragt hätte. Sie käme später nochmals wieder. Ich übte mich etwas am Flipper, daß ich gut in Schwung war, wenn wir dann um die Wette spielen würden. Die betreffende Dame kam wieder, ging sofort zielsicher auf mich zu: »Du bist doch der schöne Berndt, nicht wahr?« sagte sie. Nachdem sie recht hübsch war, kratzte ich mein bißchen Charme zusammen und fragte sie, um was es denn ginge? Ich ließ die Kugel auslaufen und setzte mich mit ihr an die
Bar, weil sie mich ganz aufdringlich einlud. Sie begann zu erzählen, daß sie seit zwei Wochen schon ihren Bockschein hätte, weil sie sich entschlossen hätte, anschaffen zu gehen. Sie hätte keinen Typen und hätte es vier Tage auf der Landsberger Straße probiert. Aber da sei sie von den alten Steherinnen verjagt worden - sie wäre wohl eine zu große Konkurrenz gewesen. Also hätte sie sich entschlossen, sich für eine gewisse Zeit einen Zuhälter zu kaufen. Und ich schien ihr der geeignetste. Weil jeder Manschetten vor mir hätte, meinte sie. Ich solle ihr ein Revier zuweisen und mich als ihr Alter ausgeben, so daß sie in Ruhe arbeiten könne und einen gewissen Schutz hätte. Sie heiße Simone und stehe ab sofort zu meiner Verfügung, sagte sie. Das war mal was Neues in meiner Raupensammlung, so was hatte ich noch nicht erlebt. Die Alte war nicht blöd. »Wie schaut es mit der Kohle aus?« wollte ich wissen. »Was schlägst du vor?« fragte sie mich. Und ich hatte auch schon mein Konzept: Ich stelle sie auf die Luisenstraße, da steht sie gut. Denn erstens war in diesem Karree gute Kohle zu machen, und zum zweiten kannte ich alle Weiber dort. Wenn ich erklärte, daß das meine neue Maus sei, würden sich die anderen sogar um sie kümmern. Dann hatte sie schon Schutz genug. »0. K. Baby, ich schaukle das für dich«, erklärte ich ihr nach einer Kunstpause, und ich machte die ganze Sache recht spannend. Ich sah ihr in die Augen und sagte ganz schnell, wie aus der Pistole geschossen: »Einen Monat lang deine ganze Kohle - jeden Pfennig, den du verdienst! Und natürlich muß ich dich erst einmal testen, ob du auch so gut im Bett bist, daß du meine Alte sein könntest.« Klar, das war nun etwas hoch gepokert, aber Frechheit siegt. Außerdem. .., warum sollte ich ihr nicht sagen, daß ich geil auf sie war - und wenn sie schon was von mir wollte, dann konnte ich auch etwas von ihr wollen! Sie brauchte nicht zu antworten, ihr schneller Wimpernschlag verriet mir alles. »Geht das klar, mit der Kohle?« fragte
ich trocken, und nun gab ich mir überhaupt keine Mühe mehr, charmant zu sein. Hatte ich doch das Spiel gewonnen, bevor es begann. Gedacht - getan, ich lud sie in meinen Wagen und fuhr sie in die Luisenstraße. Stellte Simone an einen günstigen Platz an eine Kreuzung. Vier Bordsteinschwalben waren schon auf der Straße unterwegs, obwohl sich die Sonne erst blutrot hinter der Häusersilhouette senkte. »Hier stehst du gut und wirst deine Ruhe haben.« Und damit dies auch stimmte, rief ich lauthals alle Weiber zusammen. »Das ist Simone, und sie ist meine neue Maus, hier steht sie und hier bleibt sie - seid so nett und paßt ein bißchen auf sie auf!« »Jaja - schon klar«, lautete der Kommentar, und ich hatte es auch nicht anders erwartet. Es wurde im übrigen umgekehrt ein Schuh draus, weil nämlich die anderen auf diese Weise immer Kontrolle über Simone hatten, so daß sie mir nicht so leicht von der Fahne gehen konnte. Ich sagte noch zu ihr, daß ich von Fall zu Fall hier vorbeikäme, um mir mein Geld zu holen. Wünschte ihr: »Toi, toi, toi!« und fuhr in den Saloon zurück. Naja, dachte ich bei mir, das sind auch wieder gute Zehntausend - und das fürs Nichtstun. Natürlich hätte ich sie mir als feste Partie unter den Nagel reißen können, aber das paßte schon so - in Anbetracht meiner nahen Zukunft. Jetzt waren auch die anderen Jungs da und quälten bereits den Flipper. Ich gesellte mich dazu und verlor gleich. Es ging nicht ums Geld - mich wurmte nur die Schadenfreude der anderen. In einer Spielpause tranken wir und unterhielten uns. Morgen war in einem großen Filmtheater Münchens die Premiere des Simmel-Films »Alle Menschen werden Brüder«. Da würden wir hingehen, Freikarten hatten wir genug, denn ein paar Zuhälter von uns spielten in diesem Film mit. Damals, als ich nach meinem Autounfall in der Klinik lag, waren gerade die Dreharbeiten für diesen Streifen. Die Jungs stellten die wilde Motorrad-Horde dar. Das glaubte ich gerne,
daß diese super-gestylten, heißen Öfen im Film gut rauskamen. Ja so was - Luden als Filmstars. Der Flipper langweilte uns, wir spielten nun Billard, und zwar um beträchtliche Einsätze. Anschließend fuhren wir zum Anton, da konnten wir ganz ungestört dem »Seven-Eleven« frönen. Mist - wieder kein Parkplatz, es war zum Verrücktwerden in dieser Straße. Um die Ecke ging's, halbschräg auf dem Gehweg. Beim Betreten des Treppenhauses polterte mir ein Typ entgegen - der hat's aber eilig, dachte ich mir noch. Oben, vom Treppenhaus, hörte ich nun eine Weiberstimme kreischen, und Falco kam runtergestürmt: »Hättest du ihn halt aufgehalten!« rügte er mich, aber mir war ja die Situation nicht klargewesen. Jedenfalls wußte ich jetzt wenigstens, daß dieser Mann zu bremsen sei - irgend etwas würde ja wohl los sein, es würde schon seinen Grund haben. Ich rannte die paar Meter auf die Straße zurück und sah den Flüchtenden um sein Leben laufen - Richtung Sendlinger Torplatz. Er war sicherlich zu Fuß nicht mehr einzuholen. Da gab's nur eins: Ich riß meine Kanone aus dem Gürtel und zielte. Die Kugel wird dich noch erreichen, dachte ich und schoß. Nun begann der wie ein Hase einen Zickzack-Slalom, ich hatte nicht getroffen. Noch einmal hob ich die Waffe, mit der anderen Hand stabilisierte ich mein Handgelenk, um ruhiger zielen zu können, besser zu treffen, der Rückschlag sollte mir nicht die Waffe verreißen. Die Kugel spritzte in wohl hundert Metern Entfernung auf den Granitrandstein. Das Funkensprühen belebte für Sekundenbruchteile die stille, ruhige Nacht. Der Betreffende lief noch immer, und ich wurde auf mein Unvermögen sauer. Ich zielte zum dritten Male, aber Falco drückte mir die Faust nach unten. Der Schuß fiel, wurde indes wenige Meter von uns entfernt zum Querschläger nach nirgendwo. »Bist du verrückt«, sagte Falco, und nun war der Typ um ein paar Ecken verschwunden. Ich erfuhr, daß er nur den Slip einer Hure geklaut hatte - er war ein Sammler dieser eigenartigen Jagdtrophäen. Und für solch ein Fetzchen Nylon hätte
ich fast einen Menschen umgelegt! Das hatte ich wirklich, noch gebraucht. War ich tatsächlich so verrückt - oder war das nur immer dieser Scheiß-Suff? Jedenfalls mußte ich weg hier, vielleicht kam der Typ doch glatt mit den Bullen zurück. Also fuhr ich gleich am besten nach Hause. Um acht Uhr früh klingelte mein Telefon gnadenlos. Schlaftrunken hob ich ab, wer wollte denn um diese unchristliche Zeit etwas von mir? Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Meine allerbesten Freunde waren am Apparat. »Kriminalkommissariat - Högl ist mein Name, spreche ich mit Herrn Lang?« fragte mich eine aufgeräumt e Stimme. »Was wollt denn ihr schon wieder von mir?« entgegnete ich, wobei ich schon mal eine Runde wacher wurde. »Langsam, langsam, hier geht es um eine Aussage zweier junger Mädchen, die vor einer gewissen Zeit als Ausreißerinnen in München aufgegriffen wurden.« »Ja, und was geht das mich an?« fragte ich zurück. Und dann erzählte mir der Kommissar, daß er die zwei Mädels befragt hätte, wo sie genächtigt, wie sie sich denn auf ihrem wochenlangen Trip ernährt hätten. Sie gaben dann zu Protokoll, daß sie mitunter auch bei einem Berndt Lang in München übernachteten. Zur Finanzierung ihrer weiteren Tournee hätten sie diesem siebenhundert Mark aus seinem goldenen Geldschrank geklaut. Und nun wollte der Bulle von mir wissen, ob und wann ich vorbeikäme, um eine Anzeige dazu zu machen. Aber alle Vorsichtssignale gingen in mir hoch, und ich wimmelte den guten Mann mit Engelszungen ab. Ich war froh, nicht weiter behelligt zu werden, denn ich konnte mich gut erinnern - an diese Ausreißerinnen. Beim letzten Oktoberfest liefen sie mir in die Arme, und ihr verwahrlostes Äußeres konnte über ihr junges, geiles Fleisch nicht hinwegtäuschen. Jedenfalls war es für diese Streunerinnen wie Geburtstag, Weihnachten und Ostern zusammen, auf alles eingeladen zu werden, im Mercedes fahren und in einem schönen, warmen Bett schlummern zu können.
Dafür machten sie munter die Beine breit, und ich erinnerte mich gerne daran. Jungfrauen waren sie beide nicht mehr, und bumsen taten sie noch lieber als Achterbahn fahren. Ihre Brüste waren wie Stein, ihre Schlitze prall gesäumt, wie noch nicht reife Pflaumen. Das sprießende Schamhaar fühlte sich an - da war Seide ein Dreck dagegen. Drei Tage und drei Nächte waren sie bei mir zu Gast, diese Zeit war ein wahres Orgasmus-Festival. So so, dann hatten mir die Luder doch ein paar Mark mitgehen lassen! Das war mir nicht aufgefallen, und ich konnte eigentlich froh darüber sein, daß sie mir nicht meine ganze Barschaft ausräumten. Dann wäre es mir zwar aufgefallen, zehn Mille lagen immer in meinem Schrein. Tja - was es doch so alles gab auf der Welt! Aber dann schlief ich weiter und wurde mittags wach. Ich mußte noch zum Schneider, mein weißer Sommeranzug war fertig. Den würde ich heute zur Filmpremiere anziehen. Dann noch zur Kosmetikerin, eine Gesichtsmassage würde mir meine versoffenen Gesichtszüge wieder geradebügeln. Zum Schluß war der Friseur dran - Haare waschen, fönen, und dann konnte ich noch durch eine halbe Stunde Bestrahlung meine Gesichtsbräune aufdoppeln. Um neunzehn Uhr trafen wir uns vor dem Kino. Und da waren nicht nur wir, sondern der übliche Filmglimmer war vielköpfig vertreten. Hauptdarsteller Inbegriffen. Alle waren sie eingekreist von Presseleuten und Fotografen. Unsere Gruppe erhielt den Lorbeer für Statisten, nämlich gar keinen und noch weniger Beachtung. Das machte aber nichts, denn wir Jungs vertraten den olympischen Gedanken, der da heißt - dabeisein ist alles! Um zwanzig Uhr war die Filmvorführung angesetzt, deshalb leerte sich der Vorplatz - man begab sich nach drinnen. Es war lustig für mich, meine Freunde auf der Leinwand zu sehen, sie brachten ganz schöne Action in ihren Szenen - sie verkörperten eine Horde junger Männer, von denen Gefahr und Gewalt ausging. Dieses Tatsache bedurfte eigentlich keines Drehbuchs, die Einstellungen brachten sozusagen Alltag
und Originalton über. Der Film war zu Ende, der Vorhang senkte sich, die Hauptdarsteller traten auf die Bühne, die-in grelles Scheinwerferlicht getaucht - ein Blumenmeer bildete. Tosender Applaus und - Ende der Show. Vor dem Filmtheater blitzte wieder ein Lichtergewitter auf. Aus einer kleinen Gruppe, gleich neben mir, löste sich eine gepflegte Dame mittleren Alters. Sie trat die zwei, drei Schritte auf mich zu, grüßte freundlich und hielt mir ihre Hand hin. Sie stellte sich als Elly Sielmann vor, ich drückte ihre Hand und muß wohl sehr erstaunt dreingeschaut haben. Vorsichtshalber lächelte ich mal und sagte ebenfalls meinen Namen. Sie reichte mir ihre Visitenkarte und bat mich, ich solle sie morgen anrufen. Sie verabschiedete sich und stellte sich wieder zu ihrer Gruppe. Wir Jungs gingen die paar Schritte rüber zum >Billard-Saloon<. Auf der Karte, die ich soeben bekommen hatte, stand: »Elly Sielmann, Künstleragentur, München/USA«, mit Telefon und Adresse. Meine Freunde verulkten mich, ich sei als Star entdeckt worden - das koste aber ein paar Runden. Am nächsten Tag rief ich in der Agentur Sielmann an, und man bat mich, doch gleich mal vorbeizukommen. Ich stieg in ein Taxi, weil ich zunächst meine Maschine abholen wollte, die wieder fahrbereit war. Daran war eigentlich so ziemlich alles kaputt gewesen, die Reparaturkosten hatten sich denn auch gewaschen. Alsdann fuhr ich zur Agentur. Die Elly machte mich wirklich staunen - sie wollte mich doch tatsächlich ins Filmgeschäft bringen. Sie nahm meine Daten auf, Adresse usw., und schickte mich zum Fotografen. Ich konnte mich nur schwer an einen solchen Gedanken gewöhnen, aber ich mußte diese Frau ernst nehmen, zeigten doch die an die Wand gepinnten Fotos lauter Berühmtheiten, die sie entdeckt oder gefördert hatte, wie sie mir erklärte. Nun gut, ich war entdeckt - aber wie und wo sollte ich die Filme drehen? Im Knast vielleicht? Bei diesem Gedanken fuhr ich zunächst mal schnell aufs Polizeirevier, um mich zu melden. Dann war das auch schon für heute erledigt.
Die Sommerhitze hatte ein Gewitter heraufbeschworen, die ersten dicken Tropfen fielen. Da machte das Motorradfahren echt keinen Spaß - schnell nach Hause also. Gerade noch, so recht und schlecht, erreichte ich meine Garage, dann prasselte ein regelrechtes Unwetter hernieder. Der Regen reinigte die Luft und die Straßen - nach einer Stunde war alles vorbei. Die Vögel zwitscherten wieder aufgeregt. Ich schaute noch eine Zeit in die Glotze und wollte dann heute mal in die Luisenstraße. Erstens gab's da Kohle, und dann würde ich das Mädel auch mal durchbumsen. Ich war gespannt, wie hoch die Gage ausfallen würde, immerhin stand die Kleine ja schon gute zehn Tage. Ich befuhr die Kreuzung, wo ich sie damals aufstellte, aber sie war nicht da. Naja - entweder war sie gerade auf Stich, oder sie war noch gar nicht erschienen. Also fuhr ich mal wieder ans Platzl, vielleicht gab's da wieder eine nette Stripperin für mich. Ich konnte ja im Laufe der Nacht nochmals die Luisenstraße abfahren. Am Platzl wollte mich ein Kerl überreden, ihm spottbillig einige Teppiche abzukaufen. Schön waren diese Stücke schon, die da in seinem Kofferraum zusammengerollt lagen und eigentlich waren sie fast geschenkt, so billig, wie sie mir angepriesen wurden. Doch was sollte ich damit, ich hatte für solche Sachen keine Verwendung mehr. Oder sollte ich mir meine Zelle damit auslegen? Tatsächlich waren in der >Madam-Bar< zwei hübsche Stripperinnen zu bestaunen, die tanzten aber nur für mich da oben auf der Bühne, der Laden war total leer. Aber es war ja auch noch früh, die Nacht noch jung. Und die Maus, die mich interessiert hätte, war verheiratet, ihr Typ holte sie nach Feierabend immer ab. Aber wir verschwanden trotzdem ins Separee, heute spielte ich mal den Sauffreier. Champagner vom Feinsten mußte es sein, denn ich trank selber mit. Ich fingerte ihr Möschen wund, und sie wichste mir einen - na ja, besser als gar nichts. Fast unbeholfen saß sie nun da, mit meinem Samen in ihrer Hand - ich reichte ihr die Sekt-Serviette. Es war Mitternacht, ich zahlte und verließ das Separee. Un-
term Rausgehen stellte ich fest, daß sich in der Zwischenzeit einige Gäste eingefunden hatten, die gierten jetzt alle auf die runtergelassene Leinwand, auf welcher ein billiger Pornostreifen lief. Ich hatte knappe siebenhundert Mark bezahlt, für dieses Einmal-Abstreifen. Mein lieber Schwan, so ein üblicher Freier war wohl das Dümmste, was auf der Welt ruinlief. Heute war ich auch so einer gewesen. Ich fuhr zur Luisenstraße, suchte meine »Pseudo-Partie«. Die Ecke, an der sie stehen sollte, war leer. Nun fuhr ich dfe Straße ab und befragte die anderen Mädels. Ja, sie war von Fall zu Fall zu sehen, sie sollte auch relativ gut stechen, viele Autos hielten bei ihr. Aber in den frühen Morgenstunden hole sie stets ein Typ ab, den keiner hier kenne. Ich erfuhr lediglich, daß es ein alter Opel Kapitän war, in den sie immer einstieg, Farbe: dunkelblau. Aha - da stimmte was nicht, sicherlich war das ihr Alter, der seine Hure auf meinen Namen hier wackeln ließ. So oder so ähnlich mußte es wohl sein. Ich war fest entschlossen, mir das Ganze heute mal anzusehen. Ja so ein Luder mit ihrem Möchtegernzuhälter! Hm, denen würde ich es passend machen. Ich fuhr nach Hause, zog mich um. Ich hatte immer schon für prekäre Situationen meinen speziellen Kampfanzug: schwarzer Pulli, schwarze Jeans, breiter Gürtel, der eng geschnürt wurde, und meine Fallschirmspringerstiefel, die, an Spitze und Ferse beschlagen, eine wirksame Waffe darstellten. Natürlich steckte auch meine Kanone im Gürtel, so konnte überhaupt nichts mehr schiefgehen. Ich fuhr wieder die besagte Kreuzung an, aber diesmal von der Querstraße her, blieb auch genug weit weg von der Ecke. Ich parkte ein, alles ohne Licht- verhielt mich still. Ich sah sie tatsächlich da vorne stehen, mich reizte es sehr, jetzt zu ihr zu gehen - womöglich alles klarzustellen. Aber so war das ja nicht gedachtmein Jagdfieber war größer, ließ mich auf dem Autositz verharren. Der Motor war aus, leise Musik vertrieb mir die Zeit. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen, hatte nur noch sie im Visier. Ein Mercedes hielt bei ihr, sicherlich ein Freier,
der sich für sie interessierte. Sie stieg ein, und der Benz verschwand. Fast automatisch schaute ich auf meine Auto-Uhr, ich wollte wissen, wie lange sie sich mit dem Freier befaßte. Es war sechs Minuten nach drei Uhr. ... Ja, schau mal her, wer da kam! Der dunkelblaue Kapitän paßte genau ins Bild. Der Wagen hielt an dem betreffenden Eck, der Motor wurde abgestellt - das Licht ging aus. Nichts rührte sich, der Fahrer blieb drinnen sitzen. Nun hielt mich nichts mehr hinter meinem Steuer, ich stieg aus, schlenderte in besagte Richtung. Aber ich ging noch nicht auf den Wagen zu, sondern bog in die Luisenstraße ein, im Schütze der Bäume blieb ich als Fußgänger unentdeckt. Auf der Höhe zweier Mädchen überquerte ich die Straße. Obwohl ich jetzt im Schein der Straßenlichter hätte zu bemerken sein müssen, fuhren die beiden Mädels zusammen, als ich sie ansprach. Sie hatten sich unterhalten, und ich stand da, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie bestätigten mir, daß der Wagen da vorne jener sei, mit dem Simone öfters abgeholt würde. Danke, das genügte! Nun, Freundchen, gab es eine Rechnung zu begleichen. Ich verschwand wieder auf der dunklen Straßenseite unter den Bäumen. Ab und zu fuhr mal ein Auto des Weges, tauchte auf, entfernte sich. Ich war wieder an der Kreuzung angelangt, und jetzt gab es kein langes Fackeln mehr. Mit ein paar Schritten war ich an dem Wagen, stand vor der Fahrertür, klopfte ans Fenster. Die Scheibe senkte sich, und, eher mit einer gewissen Neugier in meiner Stimme, fragte ich: »Bist du der Alte von der Simone?« Ich versuchte, das Dunkel mit meinen Augen zu durchdringen, wollte in erster Linie wissen, ob ich den Typen kannte. Wie ein Blitz durchfuhr es mich - ich bemerkte lange, gewellte, blonde Haare. War das eine Frau, Simones Freundin vielleicht? War Simone les-
bisch? Doch ich brauchte nicht weiterzurätseln, denn eine kesse Burschenstimme antwortete mir: »Ja - warum?« Meine Vermutungen wurden zur Gewißheit. Ich griff mit beiden Händen in den Wagen, machte mir gar nicht erst die Mühe, die
Wagentür zu öffnen. Ich bekam seinen Kopf zu fassen, am Hals, unterm Kinn. Ich zog ihn aus dem Autofenster und griff nach. Ich hatte ihn an den Schultern der Lederjacke gepackt und zog, als ob ich um mein Leben zu ziehen hätte. Es war mein Moment, der Überraschungsmoment nämlich, und nun mußte meine Brutalität die Situation ergänzen. Plötzlich öffnete sich die Autotür, nun hing er halb aus dem Fenster und halb aus der Tür. Der Idiot konnte oder wollte sich nicht entscheiden, auf welchem Weg er den Wagen verlassen sollte. Jedenfalls war er in dieser Stellung für meine Fußtritte erreichbar. Mein altbewährtes »Elfmeterschießen« begann, und meine Treffer zeigten Wirkung. Ab und zu zuckten meine Fäuste nach vorne, sie trafen immer ihr Ziel. »Ihr Schweinpack, wo ist meine Kohle?« schrie ich. Der Typ ließ keine Gegenwehr erkennen. Er befreite sich schließlich aus seiner mißlichen Position, stand vor mir und hielt abwehrend die Hände vor sich. Er war größer als ich und noch recht jung. Und dazuhin nicht schlecht gebaut. Deswegen wollte ich erst gar nicht abwarten, daß die Situation zum Kippen käme, und mein zweiter Angriff war eingeleitet. Meine Stiefelspitze traf wirksam seine Magengrube, eine empfindliche Stelle des Nervensystems. Er klappte nach vorne über, und meine Fausthiebe trommelten auf seinen Kopf. Er bettelte, ich solle aufhören, er würde mich auszahlen, er verstünde meine Wut - und so weiter und so weiter. Er lag fast mitten auf der Straße, ein Auto kam - der Fahrer hielt. Die Lichtkegel des Wagens waren auf mein Opfer gerichtet. Wahrscheinlich dachte der gute Mann, es handle sich um einen Unfall, und er wollte helfen. Aber da konnte ich ihn eines Besseren belehren. Der Herausspringende machte wie versteinert halt, als er ganz dicht vor meiner Pistolenmündung stand. Wie hypnotisiert ging er rückwärts, immer in das kleine Löchlein schauend, das jederzeit Feuer und Tod spucken konnte. Er hatte es bis ans Steuer geschafft - und gab Gas. Ich trat noch ein paarmal in den liegenden Körper, meine üblichen Be-
schimpfungen übertönten die dumpfen Treffer meiner Stiefel. »Morgen habe ich die ganze Kohle, mein Lieber, sonst kriegst du jeden Tag dein Fett!« schrie ich. Und nun mußte ich mich aber ganz schnell trollen, denn der verschreckte Verkehrsteilnehmer würde sicherlich die Polizei verständigt haben. Mit einer Hechtrolle war ich über die Hecke der gegenüberliegenden Straßenseite schon mal im Dunkeln. Natürlich waren die ganzen Huren der Straße am Ort des Ge schehens zusammengelaufen und schnatterten nun alle durcheinander. Ich robbte bäuchlings im Schütze der niedrigen Hecke bis auf Höhe meines geparkten Wagens. Ich startete leise und fuhr ohne Licht davon. Das war ein Sieg ganz nach meinem Geschmack. Ich war zufrieden mit mir. Derlei Pipi-Zuhälter sollten sich hüten, auf solch linke Tour ihre Weiber aufzustellen. Wenn noch dazu einer auf meine Kohle losging, dann war ich nicht zu halten. Schließlich bekam ich ja auch nichts geschenkt. Am nächsten Morgen weckte mich das Telefon, der Typ war dran, mein Kontrahent von heute nacht. Er tat sich offenbar schwer beim Reden, wollte sich aber mit mir arrangieren. »Wieviel Geld willst du?« kam die Frage; und eigentlich gefiel mir sein Ton. Er war also doch nicht unbedingt so ein Heini - er stellte sich dem Problem. Er sähe es ein, daß ich mich übergangen gefühlt hätte, aber Simone hätte das wohl zu lässig gesehen. Als er mir schilderte, daß nach meinem Verschwinden tatsächlich die Bullen gekommen seien, war ich neugierig, wie er sich verhalten hatte. Er versicherte mir aber, daß er mich gedeckt und alle Fragen mit >er wisse von nichts< beantwortet habe. Ja - das fand ich wieder gut von ihm, und nun lag es auch an mir, fair zu sein: »Schick drei Mille rüber - und der Schmarren ist vergessen!« sagte ich ihm. O. K. - das war gebongt, er würde mir gleich die Kohle mit dem Taxi vorbeischicken, meinte er. Der Tag versprach, wieder schön zu werden, mit viel Sonnenschein. Also würde ich zum Ludensee fahren - zum Bräunen und Schwimmen. Das
Taxi kam, die Kohle landete im Tabernakel, und ab ging's m die Sonne. Es war unglaublich, jedesmal dasselbe Theater. Die soliden Schädel konnten sich nicht daran gewöhnen, daß das unser See war. Einer war ein ganz Schlauer. Weil er zu schnell gefahren war und es recht staubte, hatten ihm unsere Wurfgeschosse etwas den Lack lädiert. Er wollte deswegen die Polizei rufen, aber unser Kneipenwirt verweigerte ihm das Telefon. »Das ist kaputt«, erklärte er ihm. Daraufhin machte sich der Typ auf die Socken, um von einer Notrufsäule an der nahe gelegenen Autobahn aus die Polizei zu rufen. Das hätte er aber lieber nicht tun sollen, denn in der Zwischenzeit lösten wir ihm auf der verdeckten Seite seines Wagens die Radmuttern und warfen diese weit in den See hinaus. Also hingen ein Vorder- und ein Hinterrad nur noch angehaucht an den Achsen. Die Bullen kamen, und der Typ nahm eine Siegerpose ein. Doch die Sache ging wie immer wie das Hornberger Schießen aus. Somit stand der Wichtigtuer leider im Abseits. Nur... wir warteten alle schon sehnsüchtig auf den Moment, da er seinen Badetag beenden würde. Jetzt war es soweit- wir saßen an einem der Tische, spielten Karten und lauerten aus den Augenwinkeln, daß das Fahrzeug in die Knie gehen würde. Mancher von uns konnte sich das Lachen schon nicht mehr verkneifen. Schließlich hatten wir den ganzen Tag über ganz schön dem Alkohol zugesprochen. Der Moment war gekommen, das Auto mit den lockeren Sandalen setzte sich in Bewegung. Es kam genau zehn Meter weit, dann lag das Ge fährt schräg. Ein Rad überholte das Ganze, im wahrsten Sinne. Der Typ war verzweifelt, um nicht zu sagen: geschockt. Es dauerte einige Augenblicke, bis er begriff, was Sache war. Er führte sich auf wie Rumpelstilzchen, hüpfte um seinen Wagen herum, war außer sich vor Wut. Wir bogen uns vor Lachen, begaben uns zum Ort des Geschehens und führten schlaue Reden. »Da fehlen offensichtlich Schrauben«, meinte der eine, und ein anderer vermutete, daß die
Bullen das gemacht haben könnten. Wahnsinn, der Betroffene spuckte förmlich Galle, als einer von uns fragte, ob er denn gut tauchen könne. Vielleicht lägen die Schrauben auf dem Grund des Sees. Ich riet ihm, alle noch vorhandenen Schrauben der einen Seite auf alle vier Räder zu verteilen so hätte jedes Rad wenigstens ein bisserl was. Naja- egal, die Sonne senkte sich, ich fuhr heim. Schnell noch zum Melden, dann hatte ich das auch für heute hinter mir. Mein Telefon klingelte wie verrückt, das hörte ich schon von unten durch die offene Balkontür. Als ich oben aufsperrte, klingelte es immer noch. »Hallo?« »Gott sei Dank! Wo stecken Sie nur den ganzen Tag?« Ich erkannte die Stimme von Frau Sielmann. Ich hätte morgen meine erste Rolle zu spielen, der Regisseur wolle mich heute noch sehen. Dieser warte schon den ganzen Nachmittag auf mich, und zwar im Hotel »Königshof«. Ach du meine Güte, sofort ging gar nichts, ich war verdreckt, voller Sonnenöl, mußte in die Badewanne. Haarewaschen, Föhnen - das alles dauerte gut eine Stunde. Rein in den weißen Anzug und ab - in Richtung Stachus. An der Rezeption fragte ich nach dem Regisseur. Dieser drückte mir sodann ein Drehbuch in die Hand, erklärte mir, was ich morgen zu spielen hätte. Es war ein Film mit Roy Black - »Alter Kahn und junge Liebe«. Ich hatte lediglich eine Einstellung zu spielen, vier Sätze zu sprechen. Das Ganze haute nach einer Probe und zweimaliger Klappe hin. Am nächsten Tag sollte ich in die Agentur kommen, was ich auch tat. Frau Sielmann drückte mir ein Kuvert in die Hand mit einem Flugticket nach Düsseldorf. Sie hatte mir einen Dreh arrangiert für die ZDF-Sendung »XY ungelöst«. Im ersten Moment mußte ich darüber lachen, denn wie leicht hätte ich schon mal in dieser Sendung ausgestrahlt werden können - nur aus umgekehrter Sicht. Ich bedankte mich für den Auftrag und war nun mit meinem Problem alleine. Genau in diesen Tagen war der Flugverkehr in Deutschland eine reine Glückssache, denn - es war Fluglotsenstreik.
Was war nun, wenn ich nicht pünktlich wieder zurück war zum Melden? Also pfiff ich auf das Ticket, ich mußte mit meinem Wagen fahren. Ich meldete mich kurz nach Mitternacht schon für den kommenden Tag und latschte nach dem Modell »Eisenfuß« aufs Gaspedal. Ich kam in der Frühe an, suchte und fand den Drehort und schlief eine Runde im Wagen, bis ich vor die Linse mußte. Das war nun gar nicht so leicht. In einem Lokal sollte sich eine Drogenszene abspielen, die in Wirklichkeit im schwäbischen Raum geschah. Also mußte ich meine paar Sätze Schwäbisch sprechen, und der Regisseur flippte schier aus mit mir. Ein Bayer, der Schwäbisch sprechen soll, ist nahezu eine Unmöglichkeit. Nach dem achten Mal vielleicht war die Einstellung so recht und schlecht gestorben, und ich konnte mich wieder auf den Heimweg machen. Es war kurz vor Mitternacht, als ich gleich von der Autobahn runter aufs Revier fuhr. So war die Kiste gut getimed. Wer weiß, ob mich ein Flugzeug pünktlich zurückgebracht hätte, bei diesem blöden Streik. Ich bekam drei Tage später eine Gagenüberweisung, achtzehnhundert Mark hatte ich bei dieser kurzen Vorstellung verdient. Huii - das wäre ja eine Super-Sache, wenn, ja wenn ich nicht bald in den Knast müßte. Nun bohrte auch das schlechte Gewissen in mir. Es war nicht fair Frau Sielmann gegenüber, denn diese hängte sich voll rein, aus mir einen Star zu machen. Und ich wußte ja, daß es verlorene Liebesmüh war - das mußte ich ihr eigentlich »gestehen«.
Im Knast Wiederum traf Kirstin zum Wochenende ein. Wir waren bis spät abends am See zu finden. Abends waren andere Leute in der Seewirtschaft vertreten als tagsüber. Da kamen die Männer aus der näheren Umgebung, denn hier konnte man saufen, grölen, vielleicht in einer schwülen Nacht auch mal ins
Wasser springen. In der Ecke saß dann meist einer mit einer Gitarre, es wurde mitgesungen. Vom einen gut, vom anderen weniger gut - Hauptsache: laut. Heute ertappte ich mich dabei, wie ich mitsang - Wahnsinn, ich war ja ein ganz normaler Mensch! Und noch ein Stamperl Schnaps, eine urige Brotzeitplatte und gleich noch ein Stamperl hinterher. Der Kirstin gefiel es ebenfalls; ihr war etwas kalt, und sie schmiegte sich eng an mich. Ein paar Burschen waren mir im Spaß neidisch auf diese liebe, attraktive Maus. Die Sonne hatte uns heute ganz schön erwischt, unsere Birnen glühten. Irgendwann fuhren wir heim, waren stundenlang zärtlich zueinander. Seitdem Kirstin meine einzige Partie war, war zwischen uns ein viel innigeres Verhältnis entstanden. Erst, als ich ihr am Bahnhof über ihre schönen, kastanienfarbenen, langen Haare streichelte, durchfuhr es mich wieder: Wie lange würde ich überhaupt noch diese Frau streicheln können? Meine Vorahnung war nicht unberechtigt, am Dienstag klingelte mich der Postbote aus dem Bett. Es war ein Einschreibbrief, den er für mich hatte - ein nichtssagendes, blaues Kuvert, aber mir verriet es alles. »Ladung zum Strafantritt« - stand da wie selbstverständlich als Überschrift. Zwischen dem Kleingedruckten war mit Handschrift eingesetzt: »innerhalb zehn Tagen«. Ich war wie versteinert, gaffte lange ins Nichts. Obwohl ich diesen Moment fast eine Ewigkeit vor Augen hatte, mit dieser Wahrheit saufen, bumsen, schlafen ging, traf es mich jetzt, als wäre es etwas ganz Neues. Schwäche und Stärke kämpften in mir, ich sah automatisch auf den Kalender. Na klar, heute war der Dreizehnte. Also war am Dreiundzwanzigsten Ende der Stange. Zehn Tage durfte ich noch leben, das war sehr lange oder soviel wie - übermorgen. Meine Backenknochen malmten, ich schluckte Speichel, der nicht da war. Ich wollte saufen und doch nüchtern bleiben, ich wollte bumsen, obwohl ich keinen hochkriegte, ich wollte weinen und wußte nicht, wie das ging. Ich dachte nur noch wirres Zeug, wollte Koffer packen. Kofferpacken ist symptomatisch für Fortgehen, Ver-
reisen, aber ich brauchte ja kaum etwas mitzunehmen - in den Sarg mit offenem Deckel. So vergingen Stunden, ich wurde immer ruhiger und gefaßter. Dann griff ich zum Telefon und rief meine Kirstin an. Sie sollte es als erste wissen. »Hallo, Baby! Stell dir vor, es ist soweit!« Sofort hörte ich ein herzzerreißendes Schluchzen, und sie fragte mich, ob sie kommen solle? Ich sagte: »Nein. Aber wenn du am Wochenende kommst, bleibst du die letzten sechs Tage bei mir, mein Engel.« Da schau her - jetzt, in meiner seelischen Qual, war diese Hure plötzlich für mich zum Engel geworden. O. K. - ich würde heute um die Häuser gehen, daß es nur so krachte. Ich mußte es den Jungs erzählen, mußte einen ausgeben, darauf trinken. Meine erste Station war der >Billard-Saloon<. Als ich aus dem Wagen stieg, kam der KripoHeinz, eine legendäre Figur der Münchner Szene, ein ausgebuffter Kriminalbeamter der Sonderfahndung, auf mich zu. Er hatte einen Polizeireporter mitgebracht, anscheinend hatten die beiden Burschen schon auf mich gelauert. Ob ich so freundlich wäre und eine kleine Story liefern würde? meinten sie. Haha - wie kam ich denn zu dieser Ehre? Die beiden bekamen taufrisch mitgeteilt, daß ich nichts zu sagen hätte, weil ich für ein paar Jahre die Bühne des Milieus verlassen würde. So langsam trudelten die Jungs ein. Wir diskutierten stundenlang, ob ich noch ganz richtig sei in der Birne. Alle meinten nämlich, daß keiner sich freiwillig sechs Jahre einsperren ließ, der noch ein wenig bei Verstand war. Doch das hatte ich ja schon zig Male bei mir selbst beschlossen, daß es so sein sollte. Jetzt war aber Schluß damit, jetzt würde gesoffen und von was anderem geredet werden - oder wir machten ein Spielchen. Wir wechselten ein paarmal die Lokale in dieser Nacht und nun wußte es das ganze Kinky München: Der Berndt muß abtreten.
Ich fuhr zu meinen Eltern und berichtete die Neuigkeit. Sie beknieten mich, wenigstens ein paar Wertsachen bei ihnen zu verwahren. Es nützte nichts, sie stießen auf taube Ohren. Elly Sielmann rief an, sie hatte eine Hauptrolle für mich ob ich reiten könne? Irgendein Wildwest-Streifen sollte in Jugoslawien gedreht werden. Mein Gott, sie meinte es so gut mit mir! Sie konnte aber nicht wissen, daß ich in Jugoslawien noch immer Landesverbot hatte - und zudem mein Knast vor der Tür stand. Ich traute es mir aber nicht zu sagen, ich schämte mich. Ich erzählte ihr ganz scheinheilig, daß ich gerade im Begriff sei, nach Amerika auszuwandern - und daß sie deshalb leider mit mir nicht mehr rechnen könne. Das war eine dumme Ausrede, denn sie konterte sogleich, daß es überhaupt nichts ausmache, auf welchem Fleckchen Erde ich wohne. Das Filmgeschäft machte also alles möglich. Dennoch war es unser letztes Gespräch; sicherlich habe ich mir mit dem Knast auch eine Filmkarriere versaut. Kirstin kam, sie hatte sich im Puff Urlaub genommen. Ich ging viel mit ihr aus. Wenn ich Kumpels traf, wollten diese mich immer wieder dazu überreden, doch noch nach irgendwohin Gas zu geben - nur nicht rein in den Knast. Das war aber für mich kein Thema mehr, niemand hätte an meinem Entschluß rütteln können. Zu Hause weinte Kirstin viel, sie liebe mich mehr als ihr Leben- sagte sie! So langsam wurde ein Koffer gepackt, die Zusammenstellung meiner Siebensachen erfolgt nach den Kriterien, was ich irgendwann für meinen ersten Hafturlaub brauchen würde. Zehn Stangen Zigaretten waren ebenfalls darunter und ein vakuumverpackter Schinken von vier Kilo. In allen möglichen Ritzen versteckte ich Geldscheine. Ich entwickelte klägliche Versuche, irgend etwas in mein Grab mitzunehmen. Als der Koffer geschlossen war, wurde mir klar mehr konnte ich nicht mitnehmen aus meiner Vergangenheit - nur noch Erinnerungen waren mit von der Partie. Ich überlegte, ob ich durch meinen Anwalt einen Strafaufschub beantragen sollte. Aber so oft ich darüber nachdachte,
so oft verwarf ich diesen Gedanken wieder. Ein Freund rief mich an und fragte, ob er meine Maschine kaufen könne? Ich überlegte nicht lange - ich dachte, wenn mein Motorrad durch die Stadt fährt, ist auch mein Geist unterwegs in diesen Straßen. »Komm her und hole sie dir - bring aber genug Geld mit!« erwiderte ich. Einer schuldete mir noch einen Tausender von unserem letzten Spielchen, den wollte ich noch haben - obwohl ich gar nicht wußte, was ich mit dem Geld anfangen sollte. Wohl tausendmal fragte ich meine Kirstin, ob sie mir in gewisser Hinsicht treu bleiben würde? Ich verstünde ja, daß sie es hin und wieder mal zwischen die Beine brauche - aber sie solle sich keinen Zuhälter zulegen; die Kohle sollte für mich gespart werden. Außerdem dürfe sie meine persönlichen Dinge nicht in Gefahr bringen, veruntreuen - oder so einen Liebeskasperl gar in unsere Wohnung mitnehmen. Sie mache es sich sowieso lieber selber, sagte sie, und das klang gut in meinen Ohren. Jedenfalls machte sie von mir noch ein paar Polaroid-Fotos, Nahaufnahmen von meinem Ständer. Diese intimen Fotos steckte sie in den Rahmen des Spiegels der Schlafzimmerkommode. Es war der zweiundzwanzigste August 1973. Ich hatte für heute abend das >Boccaccio< für eine geschlossene Gesellschaft gemietet. Die Gästeliste war klar, alles, was in meinem Dunstkreis lebte, vorrangig natürlich meine Freunde mit und ohne Frauen, waren eingeladen. Elegante Robe war selbstverständlich. Jeder konnte bestellen, was er wollte, sozusagen: Getränke bis zum Abwinken. Speisen reichte der Kochalles auf meine Rechnung, verstand sich. Trotz des traurigen Anlasses war es eine gelungene Nacht. Wir plauderten von vergangenen Zeiten und Tagen, es gab viel zu lachen über den Quatsch, den wir bisweilen zusammen fabrizierten. Manche, die schon mal in der Kiste waren, gaben mir noch wertvolle Tips, wie man auch da drinnen am besten zurechtkommt. Aber da hatten meine Ohren Durchzug, ich mußte selber sehen, wie das lief. Zeit genug hatte ich ja dazu. Einer
belehrte mich lauthals, nur ein Wahnsinniger würde sich freiwillig in solch lange Haft begeben. Er bot mir ein letztes Mal seinen Wohnsitz auf Gran Canaria an. Ich weiß nicht, wie das vor sich ging, sicherlich hatte der Türsteher mal nicht aufgepaßt - jedenfalls kamen zwei Pärchen ins Lokal, die nichts mit uns zu tun hatten. Rein optisch waren das schon stocksolide Figuren. Die zwei Frauen traten ein paar Schritte in den Raum, die Herren blieben im Flur an der Garderobe stehen. »Ist denn überhaupt was los?« wollte der eine von seiner Begleiterin wissen. Diese war bereits schon wieder auf dem Rückweg. »Nein-außer ein paar Hürchen ist hier nichts los!« sprach sie mit Absicht laut. Daß sie damit in ein Wespennest stechen würde, das konnte sie sich garantiert nicht vorstellen. Wie der Blitz sprang Carmen von ihrem Barhocker und hatte die Gnädigste am Haarschopf. So schnell konnte man gar nicht schauen, wie es da Ohrfeigen gab, die sich gewaschen hatten. Jaja, nicht umsonst sprachen alle von ihr als der »wilden Carmen«. Und jetzt spielten sich die Dreikäsehochs von Männern auf, als wären sie Deutschlands Zorros. Aber ganz schnell bildete sich eine Mauer von Zuhältern, so daß das kesse Suppenhuhn seiner gerechten Strafe nicht entkommen konnte. Und die zwei Begleiter wurden am Hals geschüttelt, mit dem Vermerk: »Schön brav sein.« Die Eindringlinge durften ihre lädierte Giftspritze mitnehmen und wurden rausgeschubst: »Ein Prosit auf unsere Rausschmeißer - die Tassen hoch!« grölten wir im Chor, und es floß reichlich Champagner. Aber für die Handvoll Akteure war es nun höchste Zeit, mal schnell das Lokal zu verlassen. Sie würden rasch in eine andere Kneipe fahren und dann hier anrufen, ob die Luft wieder rein war. Schon wenige Momente später erfüllte sich unsere Weissagung. Zwei Funkstreifenbeamte kamen zuerst herein, die vier Kasperl hintenangedrängelt.
»Ja die liebe Polizei ist da«, tönte ich und fuhr fort: »Wie geht's denn, Herr Amtmann?« Die Bullen ignorierten mich. Die vier schauten verzweifelt um sich, suchten wohl ihre Peiniger. Aber es waren nur noch Leute anwesend, die absolut nichts getan hatten. Auf verschiedene Fragen sagten wir: »Wissen wir nicht, kennen wir nicht, sind gegangen -« Carmen und die Jungs kamen eine Stunde später wieder zurück - ach, das war ja wohl eine unserer leichtesten Übungen gewesen. Es wurde weitergefeiert, mein Baby hielt ununterbrochen ihre Hand auf meinem Schenkel. Als der Morgen fast schon graute, war für die meisten von uns die Party zu Ende. Denn jeder, der mich begleiten würde, wollte noch ein wenig schlafen. Ich ging mit dem Kellner in ein stilles Eckchen, bezahlte den Spaß. Runde vier Mille waren angesagt, drei Scheine Tip freuten ihn sehr. Ich klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Auf Wiedersehen in sechs Jahren.« Er drückte mich ganz fest an sich, küßte mir die Backe, und fast hätte ich feuchte Augen deswegen bekommen. Jedenfalls kam ich mit glasigem Blick zurück, nahm mein Mädel an der Hand und winkte nun wortlos. Ich fuhr im Schrittempo nach Hause, alle Autoscheiben waren runtergelassen, das Schiebedach war offen. Die letzten Atemzüge in der freien Luft, der Freiheit schlechthin. Engumschlungen schliefen wir ein, ich konnte in dieser letzten, kurzen Nach mein Baby nicht mehr lieben. Der Ge danke an die nächsten Stunden mochte mich impotent gemacht haben. Der Radiowecker quiekte seine Melodien, als ob heute ein ganz normaler Tag sei. Ja, eigentlich stimmte es ja auch azurblauer Himmel, kein einziges Wölkchen war zu sehen. Es war mein ganz persönliches Dilemma, warum an diesem schönen Tag keine Freude bei mir aufkam. Kirstin machte Kaffee, ich verschwand ins Bad. Verflucht sei dieser Tag. Noch nicht ganz nüchtern von dieser Nacht, probierte ich es mal
mit Zähneputzen, um diesen fahlen Geschmack loszuwerden. Es klingelte Sturm an der Haustür - ich betätigte aber nicht den Drücker, sondern wollte vom Balkon aus überprüfen, wer da so einen Terror veranstaltete. Wenn es nicht so zum Heulen gewesen wäre - dieser Anblick, der sich mir da bot, wäre herzerfrischend gewesen. Die rahige Straße, in der ich wohnte, war ja schon einiges von mir gewohnt. Meine laute Maschine mit der Stereo-Anlage zum Beispiel, oder meine volltrunkenen Heimgänge, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß ich mal eine nackte Maus Gassi führte. Aber heute war es wohl das größte Spektakel, das diese Zeile erfuhr. Die ganze Straße entlang parkten in zweiter Reihe meine Freunde. Da standen sie, die geschniegelten, gestriegelten Nobelkarossen - hochpoliert, wohl zwanzig an der Zahl. An jeder Antenne waren lange, schwarze Bänder am Baumeln - und eine Horde ungewöhnlicher Männer stand unter meinem Balkon. Der Achim rief in den wunderschönen Sommervormittag hinein: »DER HERR RIEF, UND ALLE KAMEN!« Ich stand da in meiner Unterhose auf dem Balkon und winkte auf sie herab - das sah bald so ähnlich aus, wie der Papst beim Urbi et Orbi. Mein Baby war schon angezogen, sie sah todschick aus. Weil ja bei uns Geld keine Rolle mehr spielte, hatte ich extra für diesen Tag meinen Kürschner bei Kirstin maßnehmen lassen. Er verpaßte ihr ein Chinchilla-Kostüm, wobei der Rock mehr als mini ausfiel. Sie trug schwarze Spitzenstrümpfe dazu, und auf dem Haupt saß ihr ein schwarzer Modellhut mit schwarzem Schleier. Das war alles, was sie am Leibe trug, ihre Strümpfe wurden von Strumpfbändern gehalten, unter dem Kostüm war sie nackt. Ihre schwarzen Lack-Pumps machten sie zehn Zentimeter größer - sie war anzusehen wie eine wahre Sex-Göttin. Nur ihr Antlitz wirkte ruhig und traurig. Knapp dreißig Gäste drängten nun in meine Wohnung. Ich zog mich schnell an. Obwohl es ein heißer Sommertag war, wählte ich heute meinen schwarzen Samtanzug - etwas Pas-
senderes brachte mein Kleiderschrank nicht hervor. Ich warf mir meinen weißen Seidenschal um, er sollte die gelegentlichen Tränen von Kirstin trocknen. Jeder wollte etwas zu trinken, und im Nu wirkte meine Bude wie eine Kneipe. Sekt aus dem Kühlschrank, die Hausbar geplündert, laute Musik. Keiner hatte seine Alte mitgebracht, denn das, was es zu heute zu tun gab, war eigentlich Männersache. Die Jungs waren angezogen, als gingen wir auf einen Faschingsball. Der Jimmi war im hautengen, schwarzen Nappalederanzug erschienen - Klunkern, Ketten, andere Accessoires, die er trug, waren reichlich und vom Feinsten. Der Überhammer aber war sein Stahlhelm von der Bundeswehr - nur war dieser verchromt und blitzte wie ein Spiegel. Der Uwe steckte in einem dunklen Nadelstreifen, der Achim trug zum Jeansanzug einen Zylinder. Hannes war barfuß, mit Bermudashort und Pythonschlangenweste bekleidet. Seine nackten, braunen Arme wirkten wie die Keulen von Steinzeitmenschen. Rene trat im Frack an, der Bodo im weißen Zweireiher. Khakihemden, Seidenhemden wirbelten durcheinander - es war die reinste Kostümschau. Uwe hatte seine Video-Kamera mitgebracht - und in dem Moment, als sein greller Scheinwerfer mich ausleuchtete, fraß die grausame Wirklichkeit an meinen Magenwänden und an meinen Gehirnwindungen. Ich war der Delinquent - der jetzt gefälligst die Platte zu putzen hatte. Ich drängte zum Aufbruch, wollte nun der Wahrheit ins Auge sehen. Gestern war ich das letztemal beim Melden gewesen, und ich hatte den Bullen gesagt, daß ich heute einrücken würde. Benno fragte mich, ob ich ihm meine Kanone verkaufen würde - ich überlegte einen Atemzug lang und schenkte sie ihm. Bevor wir runtergingen zu den Fahrzeugen, ergriff ich nochmals laut das Wort: »Paßt gut auf euch auf, Jungs, ich will keinen von euch da sehen, wo ich jetzt hin muß. Ich danke für euer Kommen, für eure Begleitung, und nun fahren wir. Das Ziel ist bekannt- Landsberg. Los geht's!« Betretenes Schweigen herrschte, sie hielten für Augenblicke die
Köpfe gesenkt. Ich stieg mit Kirstin in den ersten Rolls dieser langen Autoschlange, der Uwe filmte wie ein Profi-Kameramann. Unsere Autokolonne setzte sich in Bewegung, der Jimmi glitt mit seiner Harley-Davidson als Wegbereiter an die Spitze. Es waren alle Automarken vertreten - Sechshunderter-Benz, zwei Rolls Royce, Porsche, Cadillac, Jaguar, Maserati, und so weiter. Ich weiß nicht, wie lange wir fuhren, ich weiß auch nicht, welchen Weg wir nahmen - ich saß gedankenverloren im Fond. Ich spürte die leichte Last von Kirstin, die mehr über mir hing als neben mir saß. Sie weinte lautlos. Es war überhaupt still im Wagen - Bodo chauf fierte und Hannes schwieg ebenfalls. Meine Hand schob ich unter das seidenweiche ChinchillaFell, ertastete den heißen Schenkelansatz meiner Geliebten, kraulte ihr Schamhaar und ließ meine Hand dort ruhen. Mit meiner anderen stützte ich meinen Kopf auf und sah aus dem Fenster. Ich blickte hinauf in den Himmel, hinein in sein sanftes Blau, das die Sonne zu vergolden schien. Hannes bemerkte kleinlaut, daß wir soeben das Ortsschild Landsberg hinter uns gelassen hätten. Also waren wir angekommen. Ich sah durchs Rückfenster - unsere Kolonne war wirklich so lang, wie das Auge reichte. Es war schon in München beschlossene Sache gewesen, daß wir hier erst nochmals irgendwo einkehren würden, sozusagen auf ein Abschiedsmahl in letzter Sekunde. Für Kleinstadtverhältnisse war es ein feiner Laden, wo Bodo anhielt. Alle anderen der Kolonne parkten wieder in zweiter Reihe. Es mußte aber wohl, für gutbürgerliche Begriffe, die Mittagstischzeit schon vorbei sein, denn als wir eintraten, war der Laden total leer. Nein, noch schlimmer, man wollte gerade schließen. Der Wirt, in seiner Zusatzrolle als Chefkoch, wollte uns nichts mehr servieren. So jedenfalls äußerte sich dieser gute Mann hinter seiner Durchreiche hervor. Hannes ließ ihn kaum ausreden, da griff er über die Theke und hatte ihn auch schon an seinem blütenweißen Halstuch. Machte ihm die Gurgel eng und empfahl ihm, weiterzukochen, keine Zicken zu machen. Doch sicherheitshalber wurde ein Mann als Wache in die Kü-
ehe abgestellt. Und dann wurde gekocht, aber nicht etwa ä la carte, sondern jeweils nach persönlichem Wunsch. Der Wirt gab sich denn auch sehr Mühe, was man an den Schweißtropfen ablesen konnte, die seine Stirn alsbald bedeckten. Bis zum Tafeln war noch genug Zeit, uns ein paar Flaschen Schampus zu Gemüte zu führen. Wir benötigten keine Gläser, der Flascheninhalt wurde in den Zylinder von Achim geschüttet, und daraus tranken wir, immer rundherum. Aber bei dieser Saufkultur ging mehr über die Klamotten als in den Hals. Ich aß zum letzten Male für Jahre Kalbsmedaillon auf Ananas. Es war mir klar, daß ich derartige Speisen da drinnen nicht zu erwarten hatte. Kirstin hing an mir wie eine Klette und heulte sich die Augen aus. Ich sagte zu ihr: »Du tust ja gerade so, als ob du in den Knast müßtest- höre doch mit dem Weinen auf, mein Schatz.« Mein weißer Seidenschal war voll von ihren Tränen und ihrer Schminke. Ich ließ ihn mit dem schmutzigen Geschirr und den Servietten zusammen abräumen. Durch die Fenster war zu beobachten, wie die Bullen fleißig dabei waren, an unsere Autos Strafzettel zu heften. Ein paar Neugierige standen herum, bildeten einen dünnen Halbkreis um die Kolonnenspitze. Ich war ganz schön besoffen, aber nüchtern genug, jetzt, auf der Stelle, den bewußten Schritt tun zu wollen. Irgend jemand zahlte. Es waren nur noch wenige Meter zu fahren bis zur halbrunden Auffahrt des Gefängnisses, die mit etwas Grün und niedrigen Sträuchern umgrenzt war. Unsere Autos hatten alle Platz vor dem Portal. Die zwei Wachhabenden an der Pforte drückten sich am Fenster ihrer Stube ihre Nasen platt. Ich stieg aus dem Wagen, sah mir das Gebäude nur flüchtig an - aber um so intensiver die Tür. Eines Tages würde ich durch diese wieder in die Freiheit treten. Die Jungs scharten sich um mich, alles geschah wortlos. Ich gab jedem den Patenkuß auf zwei Wangen, hob der Kirstin den Schleier und küßte sie flüchtig auf den Mund. Ihr Gesicht glühte. Ich griff ihr auf offener Szene nochmals zwischen die Beine drehte mich auf dem Absatz um und klingelte an dem blitz-
blank polierten Messingknöpfchen. Bodo drückte mir meinen Koffer in die Hand, ich drehte mich nicht mehr um. So ein Wachhund in grünen Klamotten öffnete, ich drückte ihm meine Ladung in die Hand - und ich war von dieser Welt verschwunden. Das schwere Tor fiel hinter mir zu, ich dachte nur noch Sekunden über meine Begleiter nach, die nun vor der Tür standen - in der Freiheit also. Obschon ich alkoholisiert war, stark benebelt und scheinbar desinteressiert, nahm ich alles wahr, was meine Augen und Ohren erfassen konnten. Ein dickbäuchiger Wachtel kam aus dem Gefängnistrakt, um mich von der Torwache zu >übernehmen<. »Besoffen ist er, den legen wir auf die Zugangszelle im BBlock, aber zuerst muß er auf der Kammer seine Persönlichkeiten abgeben!« sagte der eine zu dem anderen. Für einen Moment schloß ich die Augen und hörte diese Worte wie ein Echo nachklingen. Ich sollte wohl nicht meine Persönlichkeit auf der Kammer abgeben, sondern meine persönlichen Effekten. Ich ging nun durch viele Türen und Tore, Gitter, nichts als Gitter. Alles, was in Angeln hing, wurde auf- und zugesperrt, sogar selbstschließende Türen bekamen nochmals eine Schlüsseldrehung. Das Gebäude war wie ein Stern angelegt. Von einem riesigen Rund in der Mitte gingen strahlenförmig fünf Gänge ab. Und das Ganze vier Stockwerke hoch. So schritt ich an langen Gittergeländern entlang, erklomm Wendeltreppen. Und immer und immer wieder - das ewige Schlüsselbundklappern, die Schließgeräusche. Als ich an all diesen verschlossenen Zellentüren vorbeikam, erklärte sich mein Innerstes sofort mit jedem einzelnen dieser armen Teufel hinter jeder dieser Türen solidarisch. Hinter jeder dieser Türen saß ein armes Schwein, ein elendes Schicksal. Tief drunten waren Fangnetze gespannt. Offensichtlich für den Fall, daß jemand in selbstmörderischer Absicht in einem der oberen Stockwerke über das Geländer ging, um sein trauriges Dasein zu beenden.
Alles war wie geleckt sauber auf meinem Weg zur Kammer. Wenn sich zwei Beamte etwas zuriefen, hallte es wie in einem Dom. Im ersten Stock des Treppenschachtes befand sich eine riesige Glaskanzel, das war offensichtlich die Zentrale, das Herz dieser Pest >Knast<. In der Kammer angekommen, erblickte ich meine ersten Mithäftlinge. Blaß, neugierig, verhärmt und linkisch sahen sie mich an, als sei ich gerade vom Mond gekommen. Einer grinste, als ob er mit mir flirten wolle - oder was zu rauchen. Jedenfalls bleckte er sein Gebiß, welches keines war. Es sah mehr nach einem stillgelegten Steinbruch aus - nach gelbbraunen Felsenresten. Der andere machte laufend Bücklinge und Diener vor dem Kammerbeamten, wie eklig - so ein Schleimer. Der dritte Kammerbursche zeigte stolz seine dilettantischen Tätowierungen auf seinen nackten Oberarmen vor. Irgendwie erfaßte mich ein Gefühl des Mitleids mit diesen Burschen. Vielleicht auch hegte einer ein ähnliches Emp finden für mich? Man nahm mir den Koffer ab, den mitgebrachten Schinken, und nur drei Stangen Zigaretten durfte ich behalten. Ich mußte mich nackt ausziehen, und ein Grünrock verlangte von mir, daß ich mein Arschloch inspizieren ließe. Das war so ziemlich bisher mein härtester Schock! Meine Kleidungsstücke wurden weggehängt, ein Knastdrillich wurde mir nach Konfektionsgröße verpaßt. Wie anders war das alles doch als meine Maß-Termine bei meinem Schneider! Es war gut, daß ich diese ersten Momente mit einer besoffenen Birne erlebte - mir schien alles nur wie ein schlechter Traum. »Wo kommst du her...? Wegen was mußt du sitzen...? Und wie lange?« wollte einer von den Knackis wissen. Ich hatte aber keine Lust, derlei Fragen zu beantworten, wollte keine Unterhaltung. Ich gab jedem eine Schachtel Zigaretten, da kamen sie alle ins Grinsen. Jeder betrachtete seine Zigarettenschachtel wie ein Wunder, ganz feierlich waren ihre Mienen. Logisch - ich lernte recht bald, daß ein paar Brösel Tabak und Papierblättchen in diesem Haus eine Währung darstell-
ten, vergleichbar etwa dem Wert eines Goldbarrens. Ich bekam mein Bettzeug in die Hand gedrückt - und ab ging's in die Zelle. Heute bezog ich eine Zugangszelle, morgen sollte ich auf eine Gemeinschaftszelle verlegt werden. Der Schlüssel drehte sich, Eisenriegel schlugen in Eisenösen - ich war alleine. Zwei mal vier Meter mochte dieses Loch haben. Ich richtete mir oberflächlich meine Schlafstätte, warf lediglich die frischen Tüchter über die stinkende Matratze. Sodann legte ich mich darauf, rauchte und starrte an die Decke. Ich schlief ein und entkam dadurch vorübergehend meiner Situation. Erst das Riegelschlagen am nächsten Tag weckte mich, und nun bekam ich durch eine Klappe in der Tür etwas gereicht, was hier augenscheinlich als Kaffee galt. Leck mich am Arsch - und so was sollte ich jahrelang trinken? Ich wärmte mir lediglich die Hände an dem heißen Blechnapf, es war ganz schön kühl hier, in diesen dicken Mauern. In diesem Haus brauchte man nicht zu denken, es wurde einem alles vorgeschrieben, man wurde überall hingeführt. So stand ich alsbald vor dem Gefängnisdirektor. Er war also der Oberindianer, der Häuptling von den Grünkitteln. Er blätterte in meinem Akt, sah mich an und ließ mich wieder gehen. Wieder ein anderer Schließer brachte mich zurück. Wir gingen nebeneinander durch die vielen Gänge. Ich sah mir den Fettwanst von der Seite an. Auf seinen Schädel traf zu, was man so schön immer folgendermaßen umschreibt: ein Zitronenscheibchen ins Maul und etwas Petersilie in die Ohren - und fertig ist der Schweinskopf. Geradezu pusten tat er, mein Rotbäckchen. Und nun mußte ich meine Zelle wechseln. Es war eine Vier-MannZelle, in die ich verlegt wurde, und drei böse Buben waren schon drin. »Jetzt sind wir ja komplett!« sagte ich, und das übliche Frage-und-Antwort-Spielchen begann. Ich wollte ihnen am liebsten gar nicht antworten, ich wollte meine Ruhe haben. Aber ich war froh, nicht alleine zu sein. Natürlich war ich ein gefundenes Fressen für die drei, ein Neuer von draußen konnte viele Neuigkeiten erzählen. Sie
wollten alles von mir wissen - ich glaube, aber nur, um ihren eigenen Jammer zu überspielen und zu vergessen. So langsam erzählten sie auch von sich. Der eine meinte, er sei total unschuldig und wisse überhaupt nicht, wie seine erdrosselte Frau in sein Bett gekommen sei. Der zweite war ein junger Bauernbursche und geistig nicht ganz in der Reihe - er mochte wahnsinnig gerne kleine Schulmädchen. Der dritte gab an den Tankstellen immer Gas, anstatt seine Rechnung zu bezahlen, außerdem verstand er es offensichtlich gut, Villen, Kioske und Autos zu knacken. Der Jungmädchen-Freund erbot sich, mir immer dienlich zu sein, wenn ich ihm was zu rauchen gäbe. Ich warf ihm eine Schachtel Zigaretten hin, die ich noch überdies mit hereingeschmuggelt hatte, und schon war er dabei, mein Bett zu überziehen. Das war mir sehr recht. Wer was auf sich hält im Knast, hat sowieso einen Diener. Schuhputzen, Zigarettendrehen waren fortan sein Job, später trieb er meine Außenstände an Tabak und Kaffee ein. So lebte er von meinem Fundus immer mit. Im Schnitt mußten alle hier in Landsberg ihre zwei bis sechs Jahre sitzen. Es war für mich erstaunlich, wie gelassen sie ihre Zeit da so abbrummten. Sie sagten, daß man sich damit abfände, das bringe die Zeit ganz alleine mit sich. Die ersten Tage sah ich beim Hofgang hin und wieder altbekannte Gesichter. Kleinere und größere Gaunereien brachten die Betreffenden von Fall zu Fall hinter Gitter. Na ja, da war ich nun, einer mitten unter ihnen, nicht besser und nicht schlechter - im Abfalleimer der Gesellschaft. Ich wurde zur Arbeit in die Gefängniswäscherei eingeteilt. Unser Aufseher war ein älterer, absoluter Hirnbrand. Der konnte offensichtlich nichts anderes als Türen auf- und zusperren. Manchmal sagte er etwas, und das kam wie von einer Tonbandaufnahme...: »Mensch, Mensch, Mensch, mach mal!« Nun war ich schon bald drei Monate hier, der Knastalltag hatte mich fest im Griff. Die Knastprofis lehrten mich alle Tricks, wie man sich das Leben hier drinnen etwas angeneh-
mer gestalten konnte. Kaffee und Tabak waren die Währung, wer seinen Spind davon voll hatte, war ein gemachter Mann. Heute würde mich Kirstin wieder besuchen, sie brachte mir immer ein Dupontfeuerzeug mit, welches ich gleich nach der Besuchszeit gegen unsere Währung tauschte. Auch Bargeld war gefragt, danach rissen sich die Jungs, die in Bälde entlassen werden sollten. Sie alle hatten Zukunftsangst. Kirstin brachte mir auch ein Knäuel kleiner Geldscheine mit, es gelang mir trotz Aufsicht, diese Scheine in meinen Schuh zu stecken. Ich sah Kirstin mehr und mehr als Versorgungsquelle an, die Liebe war bei dieser kurzen Besuchszeit kein Thema. Und das spürte sie, wirkte kühler und abgeklärter. Wir schienen uns zu entfremden. Das machte mir große Sorgen. Die Jungs sagten mir: »Das kannst du abwarten, das mußt du auch erst noch lernen - jeder im Knast verliert seine Liebe!« Mein Argwohn wuchs, ging in Ohnmacht über - ich glaubte es schon zu spüren, daß die Jungs womöglich recht hatten. Es wurde mir klar, hier drinnen war ich fertig, am Ende, am Ende meiner Möglichkeiten. Ich konnte nichts und niemanden mehr beeinflussen, niemanden bedrängen, erpressen, bedrohen oder sonstwie in die Knie zwingen. Hier biß sich die Katze in den Schwanz. Weil ich vorher mit Gewalt Einfluß geübt hatte, war ich jetzt hier. Damit ich niemandem mehr schade, nicht mehr mit gesetzlosen Methoden die Menschen quälen konnte. Hier wurde ich zum Schutze der anderen verwahrt. Hier war mein Spielchen zu Ende. Nach fünf Monaten kam Kirstin nicht mehr zum vereinbarten Besuchstermin, ich hatte auf Rot gesetzt - und Schwarz war gekommnen. In aller Eile beorderte ich meine Eltern in meine Wohnung, um nachzusehen - und zu retten, was zu retten war. Die Nachricht war schmerzlich, die Wohnung leer, und weit und breit von Kirstin nichts mehr zu sehen. Das erste Gefühl war Haß. Ich haßte meine Mitgefangenen, weil sie recht gehabt hatten, ich haßte mich selbst, weil ich
das naivste Arschloch auf Gottes Erdboden gewesen war. Ich, der ich immer von der Liebesgöttin reichlich bedient worden war, dem weibliche Wesen stets im Überfluß und wahllos zur Verfügung standen, ich hatte jetzt keine einzige Frau mehr, kein Herz mehr, welches für mich schlug. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß ich bei dieser Entwicklung ein bettelarmer Mann geworden war. Was konnte geschehen sein, wo war Kirstin, wer hatte sie angemacht? Wer wagte es, mir meine Frau zu entreißen? Ich spielte wochenlang ein grausiges Gedankenspiel, Ge wißheit wechselte mit Ungewißheit - die Hoffnung löste manchmal diesen gordischen Knoten, daß sich doch alles noch zum Guten wenden würde. Vielleicht war Kirstin nur krank, war zu ihren Eltern gezogen - zeitweise. Oder konnte es sein, daß meine Freunde bemerkt hatten, daß sie mir von der Fahne ging - und sie hatten meine Wertsachen für mich sichergestellt? Ich würde jetzt sofort dem Hannes schreiben, der würde mir mehr sagen können als meine Eltern. Die Jungs in der Zelle ließen mich in Ruhe in meinem Schmerz, trugen meine gedrückte Stimmung mit. Ab und zu wollten sie mich aufmuntern, aber ihre Sprüche waren kindisch und an den Haaren herbeigezogen. Ich wartete auf Post von Kirstin, zumindest auf Post von Hannes. Wahnsinn! Ein Brief von Kirstin traf ein, ich drückte den Umschlag fest an mich, war glücklich. Aber dieses Glücksgefühl schlug um - ich hatte plötzlich Angst, den Brief zu öffnen. Warum nur - warum war ich freiwillig hierher gefahren, hatte mich diesem elendigen Leid ausgeliefert? Es war ganz und gar meine Schuld, daß ich jetzt ein seelisches Wrack war. Ich legte mich bäuchlings auf mein Lager, ich war ganz alleine mit mir, meine Zellengenossen waren nicht vorhanden für mich. Ich studierte das Kuvert, prüfte den Poststempel und Absender. Stuttgart. Ich öffnete den Briefumschlag, mein Herz pochte, ich las.
Tatsächlich schrieb sie, daß sie krank sei und gewisse Schwierigkeiten habe. Sie könne aber darüber nichts schreiben. Und sie konnte tatsächlich nicht alles schreiben, weil ja jede aus- und eingehende Post hier gelesen, zensiert wurde. Würde Kirstin von ihrem Job schreiben, könnte der Gefängnisdirektor weiteren Kontakt verbieten. Saß da ein Zuhälter und poussierte doch glatt vom Knast aus - wo bliebe denn in diesem Falle die Moral von der Ge schieht'? Natürlich war ich verzweifelt ob meiner Lage. Meine Stimmungen wechselten, ich wollte ihr glauben, andererseits... log sie nicht womöglich ganz raffiniert - diese Drecks...? Brauchte sie Hilfe, die ich ihr jetzt nicht geben konnte? Ach... alles Scheiße! Sie liebe mich, wäre mir treu, und sie würde schon nichts Falsches tun - schrieb sie. Wollte sie mich nur einlullen? Ich schrieb ihr postwendend von meiner Verzweiflung, meinem Mißtrauen. Ich schrieb an meine Adresse, wenn sie diesen Brief erhielt, hatte sie noch Wohnsitz dort. Aber warum war dann die Wohnung leer? Diese Ungewißheit machte mich verrückt - und ich konnte nicht raus hier, Wahnsinn! Ein paar Tage später bekam ich Besuch, zwei Beamte der Landpolizei saßen mir gegenüber. Sie erzählten mir nichts Gutes. Kirstin fahre ohne Führerschein mit meinem Wagen sei dabei erwischt worden. Nun wollten mir die Bullen ein Verfahren anhängen - ich hätte das Fahren ohne Führerschein begünstigt. Und das lediglich deshalb, weil ich meinen Wagenschlüssel zu Hause liegen ließ. Ich verstand die Welt nicht mehr: »Seid ihr denn alle bekloppt?« schrie ich. Aber, was sollte es, ich war auf der Verliererstraße, chancenlos, etwas dagegen zu tun. Ja - und nach weiterem Hin und Her war Kirstin nicht mehr in meinem Leben. Hannes schrieb mir, sie sei wie vom Erdboden verschluckt. Aus! Alles aus! -... Sie hatte mich (also doch!) nur belogen und betrogen! Ich hatte zeitweise kritische Phasen - manchmal wollte ich
nicht mehr leben, gleich darauf wollte ich nur noch dafür leben, alles zu rächen. Nun war ich doch in meinen tiefsten Ge danken zum Mörder geworden. Bald war ein Jahr vergangen, den ersten Christbaum hatte ich schon hinter mich gebracht, wie die Knackis hier auf ihre Art die Jahre zählten. Die Schneeballschlachten beim Hofgang waren längst vorbei, der Frühling wurde wärmer und wechselte in den Sommer. Wir vier in unserer Zelle vertrugen uns ganz gut, heckten auch allerlei Blödsinn aus. Wir hatten das so geschickt hingekriegt, daß wir jetzt alle vier in der Wäscherei arbeiteten. So waren wir eine eingeschworene Gruppe, bei Tag und Nacht zusammen. Ich bin ja eine technische Null, aber der Holger war ein pfiffiger Junge. »Heute abend, nach Einschluß, steigt eine Grillparty«, sagte er eines Tages. Er würde sich um den technischen Bereich kümmern. Ich brachte es fertig, durch meine Beziehungen zu den Küchen-Knackis etwas Speck und vier Eier zu besorgen. Meinen Lakaien schickte ich mit ein paar Päckchen Tabak >zum Einkäufern. Er sollte versuchen, herauszubekommen, ob jemand einen >Angesetzten< vorrätig hatte. Wenn ja, sollte er dem das Zeug abkaufen bzw. dem Betreffenden ein Päckchen Tabak aufs Bett schmeißen. Das Wochenende stand bevor, heute, am Freitag, war schon um vier Uhr nachmittags Einschluß. Kaum daß der Wachtel sein >Gute Nacht< genuschelt hatte, die Riegel vorgeschoben waren, kam Leben in die Bude. Holger nahm einen Stuhl und hantierte an unserem Zellenlautsprecher herum, der inmitten des Raumes von der Decke herabhing. Dann holte er ein Bügeleisen unter seinem Kopfkissen hervor, verband Drähte, schraubte hier und da mit einem Schmiermesser aus Plastik herum. Fertig war die Kochplatte. Peter hatte es auch glatt geschafft, den hausüblichen Alkohol heranzuschaffen - heißa, das würde eine tolle Nacht geben! Gekocht würde später werden, jetzt soffen wir erst mal und spielten Karten. Tolle Stimmung herrschte, jeder von uns vergaß sein bitteres Elend und schob die Tatsache von sich, daß wir alle noch ein paar Jahre vor der Brust hatten. Der Spaß steigerte
sich nun zum Höhepunkt, wir fingen an zu kochen. Peter hatte noch seine Wurst von der Abendration, so würde unser Imbiß sehr vielfältig ausfallen. Margarine in den Blechnapf, Speck und Wurst wurden angebräunt. Rühreier dazu, und es duftete wie in der Küche eines Dreisterne-Restaurants. Offensichtlich war dieser Duft aber durch alle Ritzen bis zur Nase eines Wachtels gedrungen. Jedenfalls standen mit einer Schlüsseldrehung fünf Beamte in unserer Zelle und trauten ihren Augen nicht. Das war wohl noch nie dagewesen, denn sie waren echt erstaunt über unsere elektrotechnischen und kulinarischen Künste bzw. Fähigkeiten. Lautsprecher weg, Bügeleisen weg, Rühreier weg - und am nächsten Tag Strafrapport. Jeder von uns bekam zwei Monate Einkaufssperre und ebenso zwei Monate Kinover- bot. Alle vier Wochen gab's nämlich einen Kinofilm, der im Speisesaal vorgeführt wurde. Kein Einkauf, keine Zusatzration, kein Tabak - nichts - Scheiße. Wir mußten uns etwas einfallen lassen, aber da brauchten wir gar nicht lange zu überlegen, wir würden uns mit unserer eigenen Brauerei über Wasser halten. Das war an sich nichts Neues, im Knast wurde immer schon in allen möglichen Behältern Alkohol angesetzt. Etwas Obst kleingeschnitten, etwas Zucker dazu und aus der Küche (Bäckerei) Hefe besorgt - kräftig umgerührt und stehengelassen. Dann gärt diese Mischung, und es entwickelt sich Alkohol. Eine recht einfache Sache - vom Rezept bis zur Fertigung. Wenn, ja wenn... man nicht immer aufpassen müßte, nicht dabei erwischt zu werden. Ein leeres Pulverkaffeeglas gab zwar keine große Menge, aber so ein kleines Behältnis konnte man noch relativ gut verstecken. Die Chancen, dabei nicht erwischt zu werden, standen fünfzig zu fünfzig. Wurde indes so ein Glas irgendwo herrenlos aufgefunden, dann war man wieder einmal um seinen Ge nuß gebracht. Das war letztlich, für Knastbegriffe, eine recht teuere Angelegenheit, die Küchenfritzen ließen sich hoch bezahlen, für ihren Griff ins Hefepaket. Oder, wenn man sich Obst kaufte, war kein Geld mehr für Tabak übrig. Aber mein
Schrank war doch ganz gut gefüllt - und außerdem brauchte ich für die Hefe nichts zahlen. Also abgemacht - wir würden im großen Stil arbeiten. Wenn wir fünfundzwanzig Liter >Champus< herstellen und diesen verkaufen würden, waren wir gemachte Männer. Nachdem wir vier ja alle keine Einkaufsmöglichkeiten hatten, ließen wir uns von anderen Obstkonserven kaufen. Ich gab dann für diese Büchsen Tabak. Für unser Vorhaben emp fahlen sich Erdbeeren und Pfirsiche, auch Ananas, diese Konserven enthielten konzentrierten Fruchtsaft, fast schon Sirup. Der Fruchtzuckergehalt dieser Säfte jedenfalls kam uns sehr entgegen. Zucker und Hefe kriegte ich aus der Küche geliefert. Alle Zutaten wurden in der Wäscherei versteckt, nur der Behälter fehlte uns noch. Den bekam ich bei den Häuseln, dem Putzgeschwader des Hauses. Ein weißer Plastikbehälter, der flüssiges Bohnerwachs enthalten hatte, sollte uns gute Dienste tun. Aber das wurde eine SchweineArbeit, den sauber zu kriegen. Wohl an die hundertmal spülten wir dieses Ding, während unser Aufseher die Mangel bediente. Einer stand immer Schmiere, auf daß wir nicht schon im Ansatz erwischt würden. Mit Essig versuchten wir, den Behälter geruchsneutral zu machen - irgendwann war er gebrauchsfertig. Wenn der Wachtel mit der Beamtenwäsche ans Haupttor geht, werden wir unser Gemisch mixen. Es war soweit - er ging, sperrte zu. Nun aber los. Flinke Hände öffneten mit einem Büchsenöffner die Konserven, vier Kilo Zucker liefen durch die verschraubbare Öffnung des Behälters. Hefe, zwischen den Fingern zerdrückt, kam dazu, und nun den Wasserschlauch reingehalten. Eine Handbreit blieb Luft, etwas Platz für die Gärungsgase. Zugeschraubt und kräftig dieses schwere Ding geschüttelt, und - fertig war der Lack. Wir stellten den Kanister in unsere Trockenkammer, das Heißluftgebläse würde dem Gärungsprozeß noch auf die Sprünge helfen. Einen Riesenstapel Hemden warfen wir darüber - und nun mußten wir so zwischen sechs und acht Tage
warten. Allerdings blieb zu hoffen, daß diese große Ladung unentdeckt blieb, es wäre ein herber Verlust für viele Insassen-von der Strafe ganz abgesehen. Außerdem mußten wir täglich einmal den Verschluß das Kanisters öffnen, auf daß die angesammelten Gärungsgase entweichen konnten. Diese Handlung brachte immer einen verräterischen Geruch mit sich. Also waren alle Fenster der Wäscherei zu diesen Zeiten stets sperrangelweit offen. Natürlich wußten einige Mithäftlinge von unserer Zauberküche - und jeder freute sich schon auf das nächste Wochenende. Dann nämlich sollte der beherzte Umtrunk stattfinden - wenn... wenn alles gut gingEs war Freitagnachmittag, wir hatten noch etwas Zeit bis zum Einschluß. Unser wertvoller Behälter stand nun volle acht Tage, jetzt kam das wohl größte Problem. Wie schafften wir das Ding unbemerkt in unsere Zelle? Wir mußten noch dazu an der Zentrale vorbei. Doch wir wurden jäh von diesem Problem befreit, denn unser Wachtel stand in der Trokkenkammer und wühlte im Hemdenhaufen. 0 Gott, ich fürchtete, nun war es passiert - wir waren entdeckt, erkannt. Für Sekunden dachte ich, Verrat sei im Spiel. Reflexartig versuchte ich ein Ablenkungsmanöver. Ich schrie richtiggehend: »Herr Beamter, Sie sollen dringend und sofort zum Herrn Direktor kommen!« Es gab jetzt zwei Möglichkeiten - entweder er ging nur in seine Ecke, wo sein Telefon installiert war, oder aber er eilte schnurstracks zum Chefbüro. Mir war es egal, was er tat Hauptsache, er ließ mal für einen Moment von diesem blöden Hemdenhaufen ab. Und er ließ tatsächlich ab von diesem Wäscheberg, schaute mich dumm an und murmelte: »Mensch, Mensch.« Er kramte nach seinem Schlüsselbund und war verschwunden. Huiii..., das hätten wir noch einmal hingekriegt, und nun aber, auf Teufel komm raus, weg mit diesem Kanister! Ich schnappte mir einen Schrubber und Putzlappen und sprang aus der Luke, die als Wäscheausgabe diente. Holger reichte mir den Kanister nach. Und so schlenderte ich die Gänge ent-
lang, fünf Beamte kreuzten meinen Weg. Ein Wachtel stand knapp vor unserer Zelle, dem erklärte ich, daß heute Großreinemachen anstehe. Und, weil er mir noch bis in die Zelle nachsah, stellte ich schon mal vorsichtshalber die Stühle auf den Tisch. Geschafft, gerettet - keiner wollte etwas von mir. Rein damit, in den Schrank mit dem Zeug. Ich blieb als Wache vor unserer Zellentür stehen, lehnte scheinbar gelangweilt im Türrahmen. Die anderen kamen von der Arbeit, gleich war Einschluß. Ich dachte mir schon, wie dumm wohl der Herr Direktor und der Wäscherei-Wachtel geschaut haben mochten, weil ja schließlich keiner von dem anderen etwas wollte. In meinem Schrank war nun diese Kostbarkeit verstaut, die anderen wußten bereits, daß mein Transport gut verlaufen war. Jetzt wurde noch durch unsere Türklappe das Abendessen gereicht, heißen Tee und >Negerbeutel< gab's, dazu reichlich Brotscheiben. Klappe zu, nun waren wir ungestört. >Negerbeutel< nannten wir diese undefinierbare Blutwurst, die konnte man nur mit viel Pfeffer und Salz in sich reinwürgen. Das Wochenende war immer besonders trist, und die Jungs auf den Einzelzellen langweilten sich beinahe zu Tode. Bei uns aber war heute Ostern und Weihnachten zusammen. Und nun kam der große Augenblick, es durfte indes immer noch nicht genascht oder probiert werden. Denn jetzt mußte erst geseiht, gefiltert werden. Jeder von uns gab ein frisches Unterhemd her - und durch das Gewebe lief rosaroter Alkohol. Der Gestank der Rückstände, der Maische konnte uns abermals verraten. Daher: Fenster auf, und alles, was den Geruch verursachte, wurde laufend in die Toilette gespült. Auch unsere Unterhemden landeten, schön kleingerissen, in der Schüssel. Jetzt hatten wir den edlen Saft gewonnen, alle zur Verfügung stehenden Behälter waren gefüllt - Wasserkannen, Tassen, leere Kaffeegläser. Nur mußten wir heute klug sein, durften nicht übermütig werden. Eine zu laute Fete würde uns wieder die Wachhunde aufs Programm rufen. Ganz leise lagen wir uns in den Armen, es war wunderbar, hoch die Tassen!
Ein edler Tropfen - er schmeckte wie eine Mischung aus Dom Perignon und Ananas-Bowle. Fantastisch, einfach fantastisch! Es dauerte auch nur Momente, bis der dünne Alkohol in unserem Kreislauf Wirkung zeigte. Es wurde viel geredet und gelacht, aber wir riefen uns immer wieder zur Ordnung, auf daß wir nicht ertappt würden. Wir spielten Karten, pokerten um Tabak - und wir setzten leichtsinnig. Als um zehn Uhr nachts das Licht ausging, tat unsere selbstgebastelte Kerze ihren Dienst. Das war eine große Niveabüchse, die wir voll Margarine gestrichen hatten. Als Docht diente ein Schuhband, das Ding brannte ausgezeichnet. Mit einem Superrausch schliefen wir ein, der Kaffee am nächsten Morgen wurde von uns verweigert. Sobald unsere Zellen aufgesperrt wurden, damit wir uns zum Duschraum begeben konnten, standen unsere Leidensgenossen schon Schlange an unserer Tür. Jeder hatte sein Kaffeeglas dabei ich verkaufte eine Füllung für zwei Päckchen Tabak. Zum Schluß wurde dieser Handel irgendwie unkontrollierbar, alle vier Stockwerke des B-Flügels waren besoffen. Also, das war nun wirklich nicht mehr zu vertuschen - die Beamten fanden recht schnell den Ursprung dieser lockeren Party - nämlich wieder einmal unsere Zelle. Aber das war uns fast schon egal, denn wir hatten unsere Geschäfte bereits getätigt. Der Tabak war in unserer Hand. Natürlich waren wir alle vier am folgenden Montag wieder beim Strafrapport versammelt. So langsam war der Häuptling recht sauer auf mich geworden. Erste Maßnahme: Wir wurden gleich einmal auseinandergelegt. Das traf uns recht hart, zugegebenermaßen, denn wir hatten uns wirklich gut verstanden. Da saß ich nun in einer Einzelzelle in einem ganz anderen Flügel - und das zweite Weihnachten im Knast stand mir bevor. Mein Zellennachbar, der Wand an Wand mit mir lebte, war ein Typ, den ich ein Leben lang nicht vergessen werde. Er war ein blau-schwarzer Neger und hatte die Statur eines Gorillas. Sein Kopf saß ohne Hals direkt auf seinem Monsterkörper, und wenn er randalierte, mußten im-
mer zehn Mann hoch mit Gummiknüppeln und Gasdosen gegen ihn anlaufen. Und es ging fast täglich rund. Jedenfalls machte er sich einen Spaß daraus, die gesamte Wachmannschaft zu beschäftigen, ihn wieder in seine Zelle zu kriegen. Zum Beispiel nahm er einmal den Suppenkübel mit dem heißen Inhalt vom Servierwagen (Inhalt zirka 50 Liter) und schleuderte diesen gegen die Beamten. Aber das alles hatte einen tiefen Hintergrund, sein Ziel war, immer und immer wieder von deutschen Gerichten verurteilt zu werden. Denn wenn er seine Strafe abgesessen hatte, würde er in sein Heimatland abgeschoben werden, und dort erwartete ihn die Todesstrafe. Aber auch andere Jungs waren froh, hier ein bißchen sitzen zu dürfen. Eine warme Zelle, täglich dreimal Essen und stets saubere Wäsche, das hatten sie draußen alles nicht. Da erzählte mir einer, daß er irgendwo nachts in ein Lebensmittelgeschäft eingebrochen sei. Er schlug mit einem Pflasterstein die Scheibe ein, so daß jeder den Lärm hören mußte. Dann holte er sich eine Salami, setzte sich ins Schaufenster und nagte an der Wurst, bis endlich irgendwann die Funkstreife kam. Unterm Futtern ließ er sich dann gerne festnehmen, denn es war kalt, und er hatte ansonsten nichts zu essen. So ging er lieber für eine gewisse Zeit in geordnete Verhältnisse - in den Knast nämlich. Ach - es lohnte sich gar nicht, jedem einzelnen zuzuhören, warum er hier war. Vor ein paar Tagen hatte sich einer die Pulsadern geöffnet. Als man ihm in der Frühe den Kaffee reichte, war der Ärmste leblos, ausgeblutet. Die außergewöhnliche Geschichte eines Gefangenen brachte mich allerdings ins Grübeln. Zu was alles doch die deutsche Rechtsprechung fähig war! Heute war ein neues Gesicht beim Hofgang zu sehen gewesen, ein hagerer Bursche schlenderte langsam seine Runden. Ein paar Zuhörer gingen an seiner Seite, und das fiel auf. Was hatte der denn Schönes zu erzählen - dachte ich mir und gesellte mich dazu. Er kam gerade aus der Sanitätsabteilung, hat seinen Hungerstreik abgebrochen. Hier in groben Zügen seine Story:
Im Olympiastadion zu München 1972 - die Disziplin Marathonlauf wird gerade ausgetragen. Im vollen Stadion rechnet man in wenigen Momenten mit dem ersten Einläufer. Wer jetzt einläuft, ist ziemlich sicher der Sieger. Es ist soweit, da... da läuft er ein. Wer ist es? Welche Nationalität hat er? Das fragt sich jeder im Stadion, das fragen sich besonders die Reporter und die Reportagesprecher. Der Sportler hat nahezu eine Runde im Stadion hinter sich gebracht, läuft auf der Zielgeraden. Er genießt den rauschenden Applaus und die stehenden Ovationen. Das Stadion tobt, man kann an einem Hemdzipfel des jungen Mannes die schwarz-rot-goldenen Farben erkennen. Die Menge ist begeistert dabei, den Sieger zu seinen letzten Schritten zu pushen. Nur... »Meine Damen und Herren« - so dringt es jetzt über den Äther und die Bildschirme der ganzen Welt -, »das ist kein echter Marathonläufer. Meine Damen und Herren, da hat sich lediglich jemand einen Spaß erlaubt!« Der Sportsmann wird nun von den Stadionwärtern verfolgt und ergriffen, Funktionäre und Organisatoren sehen, peinlich berührt, zu. Und das alles live in der Television, rund um die ganze Welt! Ich hatte es selbst auf meinem Bildschirm gesehen, konnte mich daran erinnern, ich amüsierte mich sehr damals über diesen gelungenen Streich. Und nun hatte ich diesen Spaßvogel von damals vor mir einen Sportstudenten von dreiundzwanzig Jahren. Er wurde für sein Späßchen seinerzeit mit einer Geldbuße belegt - und diese bezahlte er nicht. Dafür gab's ersatzweise ein paar Tage Haft, die er aber auch nicht antrat. Als man ihn aus seiner Wohnung heraus verhaftete, wehrte er sich - das war Widerstand gegen die Staatsgewalt. Das brachte ihm gleich wieder ein paar Wochen ein. Und so kam es, daß einer, der sich nur ein Späßchen erlaubte, im Knast landete. Das wollte aber der Gute mit Recht nicht ganz einsehen und begann seinen Hungerstreik. Ich weiß nicht, warum er diesen dann abbrach, sicherlich hatte man ihm einen gewissen Straferlaß versprochen.
Eines Tages sprach der Häuptling zu uns im Speisesaal. Sein dämlicher Knast sei überfüllt, Leute mit längerer Strafdauer müßten damit rechnen, in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt zu werden. Logisch - ich war dabei, als es soweit war. Mist, nun mußte ich mich wieder in eine neue Umgebung eingewöhnen. Also saß ich im Schubbus nach Kaisheim - ja, wo die Hunde nur überall ihre Knasthütten aufstellen? dachte ich bei mir. Noch nie im Leben hatte ich etwas von der Kleinstadt Kaisheim gehört. Dabei sollte da ein altehrwürdiges Kloster stehen, auf der Kirchenorgel sollte schon Mozart gespielt haben - ja so was! Also mußte man schon mal hiergewesen sein - nur dann war man >inClub<, der Psychologe war ein seelenguter Mensch. Wenn es nach ihm ginge, wäre keiner eingesperrt - sagte er immer.
Zum zweiten hatte mein Vater für mich erwirken können, daß ich bald in den offenen Vollzug kam. Also war die Freiheit gar nicht mehr so weit entfernt, wenn man schon mal außerhalb der Mauern zur Arbeit eingeteilt wurde. Nun wurden oft Therapiestunden angesetzt, mal in der Gruppe, mal im Einzelgespräch. Sein Innerstes nach außen zu kehren, war gar nicht so leicht; sein Fehlverhalten zuzugeben und zu analysieren, gehörte bereits zu einem Fortgeschrittenen-Lehrgang. >Ja - ich war ein Gewalttäter, heute saß ich auf dem >Heißen Stuhl<. Alle befragten mich peinlichst, beschimpften mich, daß meine Gewalt >nur ein Seitenruder meiner Arroganz< sei. Huiii - und so ging es reihum, solche Gespräche nahm man auch mit ins Bett. Man war tatsächlich zum Nachdenken gezwungen. Und wer nicht über sich nachdachte, würde sich nie ändern, wollte sich gar nicht ändern - kam aber dafür immer wieder. Dahin zurück, wo wir uns gerade befanden. Ja - ich dachte über sehr vieles nach, was ich ändern mußte, um nicht noch einmal in dieses Drecksloch zu müssen. Einmal und nie wieder, Berndt, so schwor ich mir. Allerdings wurde ich in meinen Gefühlen immer hin- und hergerissen, denn mein Freundeskreis wartete ja da draußen auf mich. Naja, O. K.! Ich konnte wohl in diesem Kreis verweilen, aber ich mußte mir meine Gewalttätigkeit abschminken. So zumindest war ich schon mal bereit, eine Konzession an meine Zukunft zu machen. Wieder vergingen Wochen und Monate, so langsam begann ich, von draußen zu träumen. In den vergangenen Jahren hatte ich mich zu einem Weltmeister entwickelt, was das Wichsen anbelangte. Einmal war es Körperöl, dann wieder Rasierschaum, die man auf die Handfläche verteilte - und dann schön das Rohr durchflutschen lassen. Beim Spritzen schön zusammendrücken, daß es meterweit schießt. Aber es war nicht nur die Sehnsucht nach einer Möse, eher noch waren es die Streicheleinheiten, die ich jetzt so sehr vermißte. Das Kuscheln, das mir früher immer so auf den Geist ging, das wünschte ich mir nun. Ich würde jetzt meinen ganzen
Tabak dafür gegeben haben, wenn ich mich mit einer Frau hätte lediglich unterhalten können. Welch lächerlicher Handel - ja, ich war schon sehr weit der Wirklichkeit entrückt. Und dann ging es Knall auf Fall, die Gefängnismauern wurden für mich durchlässig. Ich durfte auf dem Städtischen Sportplatz für das Sportabzeichen trainieren, gleichzeitig wurde ich einer nahe gelegenen Großgärtnerei als Hilfsarbeiter zugeteilt. Es war märchenhaft, die ersten Schritte ohne Bewachung und Gitter zu tun. Mit viel Ehrgeiz und Fleiß erledigte ich alle mir aufgetragenen Arbeiten, so bekam ich bei allen Firmenangehörigen einen Stein im Brett. Kantinenessen und Bier traten an die Stelle von Schweinefraß und Tee. Ich wurde mit den Arbeitern gut Freund, und so konnte ich auch mal jemanden in München anrufen - meine Eltern oder Freunde. Die schickten mir dann Geld an die eine oder andere Adresse meiner Arbeitskollegen. So versorgte ich mich mit allem, was mein Herz begehrte. Die ersten Kontakte mit Frauen waren ein Ölbad meiner Seele. Sogar die Firmentochter meinte es außerordentlich gut mit mir. Am Rande des riesigen Firmengeländes hatte sie ihre Villa stehen, ich sollte dieser einen neuen Anstrich verpassen. Ich war mit meinen Farben und Pinseln den ganzen Tag alleine auf mich gestellt. Kaffee und Kuchen, Bier und Zigaretten waren stets für mich bereitgestellt. Ich lebte wie im Schlaraffenland. Zur Mittagszeit schlenderten immer die jungen Mädchen des naheliegenden Gymnasiums am Gartenzaun vorbei. Eine Maus davon wollte es offensichtlich mit mir treiben. Die Signale waren für mich unübersehbar. Zu einer günstigen Gelegenheit verschwanden wir im Gartenhäuschen. Mein Gott, war das traumhaft schön, nach so vielen Jahren der Enthaltsamkeit in diesen jugendlichen, nassen, heißen Schoß einzudringen! Meine Orgasmen waren wie Explosionen in meinem Unterleib. Ich leckte ihr jeden Zentimeter ihres Körpers mit der Zunge ab - ihre Jungmädchenbrüste waren hart wie Beton. Dieses seidige Schamhaar
verzückte mich, ich war der Kleinen für ihr Gewähren sehr dankbar. Aber was heißt das schon, sie hatte ja auch ihr Vergnügen. Am nächsten Tag kam sie noch einmal. Ja, so könnte man den Knast ertragen - dachte ich bei mir. Abends wurde ich immer vors Portal gefahren und in der Frühe abgeholt. Also war ich nur noch zum Schlafen im Gefängnis - und von den Nächten bekam ich herzlich wenig mit, denn ich ging allabendlich ganz nett angetrunken in dieses >Hotel<. Natürlich mußte ich die Schnauze halten, was meinen angenehmen Tagesablauf betraf, und erst recht durfte ich nichts von meinem Teenager erzählen. Der Neid ist ein großer Feind - und gerade die Uralt-Zuchthäusler hatten mich gelehrt, daß sie alle linke Ratten sind. Verrat stand bei denen an erster Stelle, um sich dadurch eine Vergünstigung zu erschleichen. Ich dachte, es bricht eine Welt für mich zusammen, als ein paar Tage später mein Teenie am Gartenzaun stand. So mir nichts, dir nichts wuchtete sie mir einen Spruch über den Zaun, der bei mir wie ein Blitz einschlug. »Ich glaub', ich bin schwanger von dir, ich bin schon acht Tage über meine Zeit!« sagte sie. Himmel! Hab' ich denn überhaupt kein Glück im Leben? fragte ich mich. Wenn sie wirklich schwanger war, wenn das die Anstaltsleitung erfuhr, wenn das irgendwie rauskam - war ich geliefert. Dann saß ich meinen Knast ab, bis zur letzten Minute. Und das alles wegen dem bißchen Bumsen - Scheiße. Abends, in meiner Zelle ging ich die wenigen Zentimeter auf und ab, fand keinen Schlaf. Was konnte ich nur tun? Die Hände in den Schoß legen und der Dinge harren, die da kommen würden? Nein, das war nicht meine Art. Am nächsten Tag rief ich meine Schwester an und beichtete ihr mein Mißgeschick. Sie war meine Retterin in der Not. Sie schickte mir an die Adresse eines Arbeiters ein kleines Päckchen. Eine Doppelpille für danach war der Inhalt, und nun lag es an mir, daß der Teenie die einnahm. Zum zweiten mußte man abwarten, ob es auch nützte. Ich stand da an der Schule der Kleinen rum wie ein begos-
sener Pudel. Sie kam raus. Ich erklärte ihr, daß sie jetzt eine Pille schlucken solle und am Nachmittag die zweite. Sie tat dies offenbar, und die Wirkung stellte sich tatsächlich ein. Noch eine Nacht verging mit Zittern, am nächsten Tag kam die Micki-Maus strahlend am Zaun vorbeispaziert. »Alles klar!« rief sie, und es hörte sich an wie Engelsingen. Verdammt, verdammt, das Schicksal meinte es doch gut mir mir! Ich reichte meinen ersten Urlaub ein, ferner stellte ich den Antrag auf vorzeitige Entlassung. Das hatte aber alles lange Wege, war mit viel Bürokratie verbunden. Aber immerhin entflammte die Hoffnung in mir, daß diese schwere Zeit bald vorbei sein würde. Es war Feierabend, ich ging in meine wohlvertraute Zelle, dekorierte sie mit ein paar Tannenzweigen. In vier Tagen war Weihnachten - mein vierter Christbaum. Unser Psychologe rief mich, ich solle zu ihm kommen. Er habe sich sehr für mich verwendet, mein Urlaubsgesuch sei genehmigt. Wau! - Wahnsinn! Ab sechzehnten Januar durfte ich für fünf Tage mein eigenes Leben leben. Der Christstollen war hart, der Punsch hatte nur RumAroma. Die Tage vergingen, die Nächte kamen. Ich lag lange wach, dachte an alles mögliche. Was würde ich tun, diese fünf Tage über? Ich stellte fest, mein Abstand zu Kirstin war groß geworden. Ich nahm mir fest vor, nur die schönen Dinge dieser Tage anzunehmen, wollte keine Probleme an mich heranlassen. Das andere hatte Zeit, bis ich für ganz entlassen war. Ich schrieb dem Hannes, daß ich auf Urlaub käme. Postwendend schickte er mir ein Telegramm: >Wir holen dich ab, sind pünktlich - deine Freunde. < Ich war wie gelähmt vor Freude - war es denn möglich, nach so vielen Jahren diesen Kontakt nicht eingebüßt zu haben? Nun sah ich auch meinen Koffer wieder und meine Kleidung, die ich schon vor Jahren für die betreffende Stunde wählte. Ein Stacheldraht legte sich um meine Seele, als ich für eine Sekunde daran dachte, daß dies die einzige Klei-
dung war, die ich überhaupt besaß. Es kam ja angeblich alles weg, schon vor einer sehr langen Zeit. Na, wir würden sehen. Halb fünf Uhr war es, als man mich vor die Tür setzte. Als der Pforten-Heini den elektrischen Türöffner betätigte, rief er durch sein Panzerglas-Gehäuse: »Sie werden schon erwartet!« Dunkel, kalt, knöchelhoher Schnee - da stand der dicke silbergraue Benz, mit Standlicht. Die Jungs sprangen aus dem Wagen - meine alten Freunde. Wohlgenährt und bullig, in Wolfsmäntel verpackt - lebendige Denkmäler der Lebenslust. »Schnell weg hier«, sagte Hannes, der sich mit dieser Umgebung ganz offensichtlich nicht anfreunden konnte. Rein in den warmen Wagen und Gas gegeben, daß der Schneematsch nur so spritzte! Günther hielt mir gleich eine WhiskyFlasche an den Hals, jawohl, das war ein adäquates Frühstück. Es gab viel zu erzählen. Ich erfuhr, da, wo wir jetzt hinfahren, warteten alle anderen Jungs schon auf uns - auf mich. Rasch waren wir am Ziel - München hatte mich wieder. »Das ist mein Laden!« sagte Hannes, als er die Tür des Frühlokals aufstieß. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, aber ich hatte auch herzlich wenig Zeit dazu, über das eine oder andere nachzudenken. Denn die ganze lange Bar dieses Ladens entlang standen meine Freunde. Das war ein Hallo, Händeschütteln und Umarmen! Sie hatten sich überhaupt nicht verändert, nur ich war der einzige, der eine Wandlung durchgemacht hatte. Sie drückten mir ein hübsches Mädchen in den Arm und verlangten förmlich von mir, diese Mieze jetzt gleich im Nebenzimmer zu bumsen. Tja - dann mal ran an den Speck, das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Bereitwillig wie ein Opferlamm tippelte sie mit mir nach nebenan. In der Zwischenzeit ließen sie einen Sektkübel reihum gehen, jeder warf ein paar Scheine rein - für mich. Kollekte also. Sie hatten sich alle ganz schön gemausert. Der eine besaß
Lokale, der andere einen Sex-Club, wie ich erfuhr. Da kam ja ganz nett Kohle rein, wie mir scheinen wollte. Und ich kämpfte schon jahrelang um ein paar Päckchen Tabak! Die Aufregung, der reichliche Alkoholkonsum hatten mich ganz schön geschlaucht, irgendwann bestellte ich ein Taxi und fuhr zu meinen Eltern. Da war ebenfalls die Freude groß, aber ich fiel kraftlos in die Federn. Am nächsten Tag erfuhr ich dann die bittere Wahrheit, daß nichts mehr von meinen früheren Zeiten übrigblieb. Also war ich ein armer Mann. Kein Auto, keine Klamotten, kein Geld - und immer noch nicht endgültig frei. Naja, wir würden sehen, daß es wieder aufwärts ging - wenn ich nur erst einmal alles hinter mir hatte. Es sah ja eigentlich so aus, als würde ich in diesem Sommer noch entlassen werden. Dann allerdings brauchte ich das Geld dringend, das ich meinen Eltern zur Verwahrung gegeben hatte. Freunde hatte ich auch noch, also würde das schon irgendwie gehen. Am Abend holte mich der Bodo mit seinem Rolls ab, auf den Rücksitzen hatten zwei Traumfrauen Platz genommen. »Heute machen wir mal eine gepflegte Nacht vom Feinsten - nur wir vier«, meinte Bodo. Die beiden Hübschen stellten sich vor, sie waren wirklich von allererster Qualität. Ein Tisch im >Piroschka< war bestellt, wir speisten bei Kerzenlicht. Zigeuner geigten abwechslungsweise mal feurige, mal melancholische Weisen an unserem Tisch. Erlesene Weine machten mir den grausamen Unterschied zu unserer Knast-Brauerei deutlich, teures Porzellan ließ mich flüchtig an unsere Blechnäpfe denken. Ich erlebte alles wie in Trance. Bodo und ich, wir kramten in Erinnerungen. Die zwei Mädels dufteten so intensiv und doch so sanft, ich bekam meine Augen nicht mehr weg von ihren Dekolletes. Bodo bemerkte dies und schmunzelte. Flambierte Früchte gab's zum Nachtisch. Bodo zahlte mit einem Tausender. Die Musiker grüßten überaus freundlich zum Abschied, weil Bodo noch einen Hunderter in eine ihrer Geigen klemmte. Wir fuhren zum >Moulin Rouge<, da war der Staudinger der Boß. Er war jetzt, nach seinem Weggang
vom Hamburger Kiez, der große Zampano in München. Bei dem Lokal hatte er mit großen Mitteln zugeschlagen, der Laden war eine Wucht. Alles Plüsch, viel Geglitzer und Spiegel - der große Lüster hatte eine Viertelmillion gekostet, erfuhr ich. Nun war es wohl an der Zeit, daß ich mich mal an so eine Maus ranmachte. Ich nahm meine Favoritin um die Taille, ihr dünner Seidenfummel und ihr ranker Körper faßten sich närrisch gut an. Die blonden Engelshaare und ihr süßer Duft stimulierten mich. Ich merkte aber auch, daß mein Selbstbewußtsein in den vergangenen Jahren gelitten hatte, ich war unsicher. Bei einer weiteren Flasche Schampus wurde jedoch alles etwas lockerer. Ich dachte, mich tritt ein Pferd, als mich die andere fragte, für welche von ihnen beiden ich mich nun entscheiden wolle? Na - das ist vielleicht ein Ding, dachte ich bei mir. Es schien sich wohl in diesen Jahren doch nicht soviel verändert zu haben, daß ich noch immer solch ein Glück bei Frauen hatte. Bodo tat unbeteiligt, schmunzelte nur unentwegt. Aber ich blieb bei der Lady, an die ich bereits Hand angelegt hatte. Es war ein wundervoller Abend, Bodo fuhr uns dann zu meiner Angebeteten nach Hause. Sie nannte ein luxuriöses Apartment ihr eigen, ihre Liegestätte hatte gigantische Ausmaße und war voller Felle. Es war schon aufregend, so eine Top-Frau zu bespringen, diese Nacht fand schier kein Ende mehr. Ich spielte mit ihrem grazilen Körper, mal zärtlich, mal einem Tiere gleich. War ich einmal matt, streichelten wir uns zur nächsten Runde hoch. Ihre Lust fand ebenfalls keine Grenzen - wir bumsten uns schier besinnungslos. Irgendwann weckte mich leise Radiomusik, ein würziger Duft von heißem Tee strich um meine Nasenflügel. Dazu gab's warmen Zwieback und einen Kuß. Es war Mittag geworden, ich sollte, so langsam mal, an meine Eltern denken. Ich sprang ins nächste Taxi und fuhr zu ihnen. Prompt rügten sie mich auch gleich, es sei nicht gerade resozialisierend-
nur immerzu zu saufen und Weiber im Kopf zu haben. Allerdings bestand ich auf Ve rständnis, nach solch argen Entbehrungen nun endlich wieder mal aus dem vollen schöpfen zu wollen. Erst viel später übrigens erfuhr ich, daß Bodo mir beide Damen kaufte. Es waren also Edeldirnen, ich war ahnungslos gewesen. Und ehe ich mich es versah, waren die Tage um - ich mußte wieder zurück, von wo ich herkam. Kurz vor der Entlassung bekam ich nochmals Urlaub, es war sozusagen eine Neuauflage vom letztenmal. Mein Gesuch zur Gewährung eines Straferlasses wurde positiv beschieden. An all diesen Rädchen hatten mein Eltern ganz schön mitgedreht. Ich war ihnen sehr dankbar dafür. Mein Entlassungstag stand fest der siebenundzwanzigste September 1977. Zwei Wochen vorher kam ich knallvoll am Knasttor an, das war auch gleich der letzte Tag, an dem ich draußen arbeitete. Die letzten Tage steckten sie mich noch in die Schuhmacherei, ich mußte mit der Hand Halbschuhe herstellen. Nun hatte ich in meinem Leben aber schon nahezu alles gemacht. Obwohl ich ja die letzte Zeit viel Freiheit gewohnt war, fieberte ich dennoch ganz ungeduldig der betreffenden Stunde entgegen. Vor lauter Aufregung war die letzte Nacht an Schlaf nicht zu denken. Zu viert waren wir in der sogenannten Abgangszelle, wir vier würden morgen entlassen werden. Der Sepp, der gute alte Hausl, war acht Jahre hier. Er habe richtig Angst vor der Freiheit, klagte er uns bis tief in die Nacht hinein. Als in aller Herrgottsfrühe die Tür aufgesperrt wurde, war er tot. Ganz heimlich hatte er sich vom irdischen Jammertal verabschiedet. Die erste Prognose des Arztes war: Herzstillstand. Hatte er soviel Angst vor draußen gehabt?
Danach Nun mußte ich bei Null beginnen. Wenige Tage war ich erst in München, da mußte ich meinen Vater im Krankenhaus besuchen. Ich sah ihn ein letztes Mal, er starb ein paar Stunden später. Es war mir so, als ob er nur noch auf mich gewartet, nur noch so lange durchgehalten hätte, bis ich frei war. Es war sicherlich keine Bilderbuchliebe zwischen uns gewesen, aber ich war sehr erschüttert. Nun stand laufend mein Bewährungshelfer vor der Tür, wollte dies, wollte jenes. Aber ich verklickerte ihm, daß ich ganz gut selber wisse, was zu tun sei. Ich rannte auf alle Ämter, sämtliche Papiere mußten neu ausgestellt werden. Das Jugendamt meldete sich, wollte von mir ab sofort Alimente haben. Nun mal sachte - Freunde! Man erwartete von mir, daß ich mir eine Arbeit suchte, und das war mein größtes Problem. Ich grübelte, wen ich von den alten Bekannten noch ansprechen könne, Leute aus der Ge schäftswelt. Irgendwo mußte ich doch offiziell eine Arbeitsstelle durchlaufen - inoffiziell war ja für mich gesorgt. Denn Bodo würde mir einen seiner Betriebe geben - einen attraktiven Sauna-Club. Da solle ich mir mal meine ersten Sporen verdienen in meinem neuen Leben - und die erste Kohle natürlich, hatte er gemeint. Aber das würde dem lieben Bewährungshelfer sicherlich gar nicht gefallen. Also mußte ich hier ein bißchen tricksen. Ich konnte den guten Klaus Berenbrok ausfindig machen, ich hatte seine Telefonnummer. Aber ich brauchte noch eine Woche für mich, ich bezog gerade mein eigenes Apartment in Schwabing. Die Einrichtung war billigst, ich kaufte mir die Dinge in einem Großmarkt. Es paßte ja auch nicht viel rein in meine kleine Bude - sie war gerade doppelt so groß wie meine bisherige Zelle. Aber trotzdem entstand ein kleines Schmuckkästchen, mit wenig Mitteln, aber viel Liebe machte ich mir diese vier Wände wohnlich. So, das >stand< schon mal. Ab heute funktionierte mein Telefon, mein erstes Telefonat führte ich mit Berenbrok. Er
war Impresario, konzipierte Veranstaltungen von weltbekannten Künstlern, arrangierte Tourneen. Wie oft hatte ich ihm in Zeiten, da es mir noch gutging, mit Kohle ausgeholfen. Ich finanzierte ihm des öfteren jene Kultur, die er verbreitete. Jetzt mußte er mal etwas für mich tun. Er lud mich gleich auf ein Gespräch in sein Büro ein, er freue sich narrisch, daß ich wieder unter den Lebenden weile. Ich fuhr zu ihm. Er war immer noch in seinem Busineß, seine Bürowände waren voll von Plakaten. Die Chansonetten Juliette Greco, Susann Aviles, die Entertainer Adamo, Gilbert Becaud, Udo Jürgens, der Schauspieler Klaus Kinski, der Pantomime Marcel Marceau prangten da. Klaus ließ gleich von seiner Sekretärin Kaffee machen, eine Flasche Cognac holen. Ich erzählte, er erzählte - so waren also die Jahre vergangen, ich hatte die meinen auf meine Weise hinter mich gebracht. Ich berichtete ihm ausführlich von meinem Anliegen, vom Bewährungshelfer und so weiter. Er hörte mir lange und stumm zu. Grundsätzlich sagte er sofort >ja< zu meinem Wunsche, aber es schien ihm jetzt um etwas anderes zu gehen. Er sei seiner Impresario-Rolle müde, meinte er, sei gerade dabei, sich zu verändern. Verschiedenes sei schon konkret. Die Entwicklung ließe die Maßnahme zu, einen gewandten, tatkräftigen Mann einzustellen. Und mich schicke der liebe Gott. Ich solle mir es bitte sehr gut überlegen, ob ich nicht bloß pro forma, sondern tatsächlich bei ihm, mit ihm arbeiten wolle. Er redete auf mich ein, drang in mich - Überzeugungskraft hatte er ja immer schon. Worin meine potentielle Mitarbeit, Tätigkeit und Aufgabe bestehen sollte, war mir noch nicht ganz klar, aber ich kam zumindest schon mal ins Grübeln. Das Hauptprojekt schilderte er mir so: Er hatte einen Künstler an der Hand, Kunstmaler und Erfinder seines Zeichens, der ein neues Patent herauszubringen gedachte: Ölgemälde, die aus der Maschine liefen - Reproduktionen, auf den neuesten Stand gebracht. Dieses Produkt herzustellen, weiterzuentwickeln und weltweit zu vermarkten, das sei
seine neue Kiste. Er lud mich herzlich und dringlich ein, diesbezüglich mitzumachen. Kunst und Kultur hätten der Welt und der Gesellschaft schon immer Maßstäbe gesetzt - meinte er. Außerdem sei große Kohle drin, die ganz große Kohle. Er ließ mich gar nicht mehr aus, der gute Klaus Berenbrok, steigerte sich förmlich hinein in den Gedanken, daß ich bei dieser Sache mitmachen müsse. Der Kaffee-Cognac brachte unseren Kreislauf zum Wallen. Klaus sagte: »Heute zerreiße ich sowieso nichts mehr, komm, ich lade dich zum Abendessen ein. Gleich unten, nebenan ist ein uriges Lokal - ein bayerisches, vom Feinsten.« Die Sekretärin war froh, heute dadurch eine Stunde eher gehen zu können. Klaus brachte einen Zettel an der Tür an, daß er in der besagten Wirtschaft zu finden sei. »Das ist für meinen Teilhaber, den Künstler, der kommt heute ganz bestimmt noch«, erklärte er. Wir waren gerade bei der Bouillon, ich erzählte von meinen verfluchten Zeiten in der Kiste, da kam sein Mitmacher. Wir wurden durch Klaus miteinander bekannt gemacht. Ohne große Umschweife schilderte Klaus dem Herrn meine Story, mir machte es rein gar nichts aus. Der andere schien aber aufmerksam zuzuhören, saugte meine Vergangenheits-Chronik förmlich in sich auf. Heinz-Wilhelm Becker hieß der Erfinder - und ich dachte spontan an Daniel Düsentrieb aus dem Micki-Maus-Heft. Er war ein guter Mittvierziger, sympathisch, seine listigen Augen wirkten zwar gelassen, schienen sich aber immer etwas einzuverleiben. Mir kam es vor, als möge er mich. Mein agiles Wesen ließ ihn wohl auch zu der Überzeugung kommen, daß es ein Geschenk des Himmels sei, wenn ich mitstritte bei der Eroberung des riesigen Feldes Kunsthandel. Die Schweinshaxe war knusprig und würzig, es gab hier wirklich eine gute Küche. Sollte ich tatsächlich im Hause nebenan meine neue Arbeitsstelle antreten? Dann würde ich hier immer speisen. Als ob Klaus meinen Gedankengang durchschaut hätte, sagte er in diesem Moment zu mir: »Also Junge, du kommst
morgen im Anzug um zehn Uhr zum Arbeitsbeginn - womit du einen ganz neuen Lebensabschnitt beginnst!« Tja, was sollte ich dazu sagen - morgen ging es sowieso und überhaupt nicht, denn morgen hatte ich genug damit zu tun, mir ein schönes Auto zu suchen und zu kaufen. Meine Haus- und Privatbank von früher akzeptierte eine Vollfinanzierung, egal in welcher Höhe. »Gut - dann halt übermorgen«, drängte Klaus weiter, und wurde gar nicht müde darin. »Hm, wir werden sehen!« Er legte seinen letzten Köder - Arbeitsvertrag, mit sofortiger Wirkung die Prokura und ein Festgehalt von zwei Tausendern netto. In diesem Sinne löste sich der angenehme Abend auf, wir nahmen noch einen Kurzen gegen die Saukälte da draußen. Es würde mein erstes Weihnachtsfest in wiedererlangter Freiheit sein. Es würde ein weißes Weihnachten werden, der Schnee lag hoch, und es herrschte klirrende Kälte. Ich fand bei einem etablierten Mercedeshändler einen schönen Wagen, einen Dunkelblau-Metallic-Dreifünfziger SE. Achtundvierzigtausend kostete der gebrauchte Traum, stand aber da wie neu. Ich fuhr ihn erst mal durch die Stadt, ich dachte, ich träume - ich schwebte wie auf Wolken dahin. Aber dadurch, daß ich jetzt motorisiert war, fühlte ich mich noch freier, noch unabhängiger. Ich telefonierte mit meinem Bewährungshelfer, lud ihn zu mir ein - zeigte ihm stolz alle meine neuen Papiere und meine kleine Bude. Das neue Auto verheimlichte ich ihm, er hätte sonst sicherlich gerne gewußt, wie ich die Raten bezahlen wolle. Außerdem stand in den mir bekannten Bewährungsauflagen, daß ich keine Schulden machen dürfe. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daß einmal der Direktor des Gefängnisses von Landsberg persönlich die Zellen inspizierte. Und da hing, aus irgendeiner Illustrierten ausgeschnitten, der neue Mercedes-Typ an meiner Wand. Er deutete darauf und meinte sarkastisch: »Was soll denn die Träumerei von einem solchen Auto, einen derartigen Wagen kön-
nen Sie sich doch sowieso nie leisten, wenn Sie ein ehrliches Leben führen!« Da hatte sich der gute Mann aber offensichtlich geirrt, denn jetzt war ich erst ein paar Tage draußen und saß schon in demselben. Als mich der Bewährungshelfer fragte, wie es um meine Bemühungen wegen Arbeit stünde, konnte ich ihm guten Gewissens antworten, daß sich das alles in den nächsten Tagen entscheiden würde. Als er gegangen war, machte ich mich gleich wieder auf die Socken. Ich wollte heute abend genüßlich den Mittleren Ring befahren - einmal rund um München. An einer Tankstelle kaufte ich mir noch zwei Musikkassetten, die Stereoanlage im Wagen war die reinste Wucht. Beim Bezahlen der Kassetten bemerkte ich, wie sehr doch meine Barschaft zusammengeschmolzen war. Ja - wenn ich dann heimkam, wollte ich mich vor die Glotze lümmeln, es mir gemütlich machen - um mal in Ruhe darüber nachzudenken, was ich eigentlich tun wollte. Denn - ohne Moos nichts los! Schier geräuschlos schwebte ich über den Asphalt, die Heizung blies wohlig warme Luft in den Wagen, die Gruppe Abba sang mir aus vier Lautsprechern etwas vor. Ein schönes Gefühl erwärmte mein Herz, ich war stolz auf mich, ich hatte viel erreicht - in diesen paar Tagen. Schneeflocken tanzten, klebten an der Scheibe fest. Ich kam wieder in den Münchener Norden, die Scheinwerfersäulen um die Olympia-Zeltkonstruktion beleuchtete die bezuckerte Oberfläche. Das sah wunderschön aus, ich hätte schreien können vor Glück und guter Stimmung. Wie liebte ich mein Leben! Ich stellte meinen Wagen ab, ließ ihn aber unverschlossen. Ich hasse Schlüssel - ich hasse das Auf- und Zusperren. Der kleine Schlüsselbund in meiner Hand war zwar notwendig,
wegen des Zünd- und Haus- bzw. Wohnungsschlüssels, aber er machte mich aggressiv, beleidigte und verletzte mich, war wie Gift in meiner Hand. Schön warm war es in meiner Bude, ich schaltete immer sofort den Fernseher ein, das gab mir das Gefühl, ich sei nicht alleine.
Irgendwie hatte ich mich damit abgefunden, daß ich ganz von vorne anfangen mußte, es lohnte sich nicht, der Vergangenheit nachzutrauern. Aufs >Gehabt-Haben< gab mir kein Mensch etwas - weg war weg - und ich war ganz alleine schuld daran. Natürlich zürnte ich der Kirstin, daß sie mir alles um die Ecke brachte, aber ich war ja schließlich der naive Trottel gewesen. Hatte man mich nicht genug gewarnt? Gut, ich könnte nahtlos wieder ins Sex-Geschäft einsteigen, leichter konnte ich es gar nicht haben, wenn mir der Bodo schon einen Club zur Verfügung stellte. Aber wehe, aber wehe, wenn ich auf das Ende sehe! Da mußte ich volles > Engagement bringen, vielleicht sogar einen Freier auf die Birne hauen, wenn es meine Mädels zu schützen galt. Viele junge Burschen waren nachgewachsen, seit der Zeit, als ich weg mußte. Ich mußte mich also von neuem durchsetzen und behaupten. Was hieß, daß ich wieder mit harten Bandagen arbeiten mußte. Und wo würde das hinführen? Freiweg in die Einbahnstraße nach Kaisheim! Mensch - was machte ich bloß? Ich döste am Fernseher vorbei, ich kämpfte mit mir. Ich schonte mich nicht, es war ein harter Kampf. Ich dachte an den Knast, dachte an den guten Psychologen, dachte an meinen verstorbenen Vater letztlich dachte ich an mich. ...! Ich entschied mich... morgen würde ich echt beim Klaus anfangen zu arbeiten! Ich kam mir schoflig vor, fühlte mich als Verräter meiner alten Zunft - aber ich wollte aus tiefstem Herzen, aus reinster Überzeugung nicht mehr. Ich freute mich nun auf morgen, stellte den Wecker und schlief alsbald ein. »Ich erscheine zwar nicht im Anzug, aber ich bin da«, sagte ich anderntags zum Berenbrok. Er freute sich und der Erfinder auch. Es gab in gewissem Sinne einen Einführungsunterricht- die Sache begann mich zu interessieren. Am nächsten Tag schrieb Klaus meinen Arbeitsvertrag und die Bestätigung an meinen Bewährungshelfer, während ich mich in die Vorgeschichte des neuen Produktes einarbeitete. Natürlich
bat ich um Vorschuß, aber das war schon klar, bevor ich gefragt hatte. Ich kaufte mir ein kleines Bäumchen, stellte dies auf mein Sideboard, schmückte es. Heiligabend wollte ich komischerweise alleine sein, aber am nächsten Tag fuhr ich zur Mutter. Zwei schöne Pullover frischten mein Kleiderkonto auf, die Gans schmeckte. In irgendeiner Kneipe hatte ich eine süße Barmieze aufgerissen, ihr Verständnis war mir wichtiger als die Bumserei. Rita besaß einen großen weißen Afghanen, wir liefen oft mit ihm über weite verschneite Felder und Wiesen die Freiheit war unendlich. An einem Feiertag ging ich mit dem Künstler um die Häuser - und wir duzten uns von da ab. Wir stellten die Reproduktionen erst in niedrigen Auflagen her, unser Konzept beschränkte sich vorläufig auf die Marktforschung. Das heißt, wir wollten zunächst die Reaktionen erfahren, ob dieses Produkt tatsächlich alles bisher Dagewesene vom Markt drängte. Wir fertigten sozusagen die Prototypen, wobei ich immer Gemälde meine. Die Vervielfältigungsmaschinen standen woanders, gehörten uns noch nicht. Mit der hergestellten Fließbandware besuchten Heinz und ich den Kunst-, Einzel- und Großhandel sowie Konzerne. Die Ware sprach für sich, landauf, landab gab es ein Bombenecho. Bestellungen flatterten dem Klaus nur so auf den Tisch, Warenhausketten wollten bemustert werden. Der Erfolg schien unsere Grenzen sprengen zu wollen, wir mußten jetzt hoch investieren, auf daß wir den deutschen Markt beherrschen würden. Ganz zu schweigen von den Nachfragen aus Übersee und sonstwo. Berenbrok inserierte in Wirtschaftsblättern, bot Beteiligungen gegen Bares. Ein paar Millionäre meldeten sich. Ein bestsituierter Herr aus dem Rheinland war unser Favorit. Er spuckte eine Viertelmillion aus, nicht zuletzt auch deswegen, weil ich ihm als Vertriebsmanager bestechende Argumente lieferte. Ja - der Mann war überzeugt, das Geld war gutangelegtes Geld. Wir zogen in München um, wir brauchten Fertigungshallen und Maschinen. Der Countdown lief. Alle zwei Monate
mußte ich beim Bewährungshelfer vorsprechen, das war aber schon seit langem reine Routinesache. Meine Freizeit wurde immer knapper, zugunsten der Firma. Hatte ich mal einen Abend zum Flitzen, war ich dann immer mit Heinz unterwegs. Er mochte die Frauen ebenfalls, wir waren überall gern gesehene Gäste. Unsere lockere Art machte viele Damen und Mädels kontaktfreudig. Natürlich suchte mein Herz einen Ankerplatz, aber mit Gewalt geht halt nichts. Dann waren wir wieder unterwegs, Tag und Nacht, über Schnee und Eis. Über alle Autobahnen Deutschlands huschte mein Benz, von einem Ort zum anderen. Ich saß mit Heinz im Hilton-Hotel. Ganz oben, im fünfzehnten Stock, liegt eine der schönsten Night-Club-Discos, die ich kenne. Eine elegante Dame flirtete mit mir, als ich mal rausging. Ich trat auf sie zu, bat sie an unseren Tisch. Bei näherem Hinsehen war sie, trotz ihrer gediegenen Eleganz, noch recht jung. Sie war, wie sich herausstellte, Bankkauffrau und sehr helle in der Birne. Am folgenden Tag überredeten wir einander, zusammen ins Bettchen zu hüpfen. Sie war sehr fraulich und hingebungsvoll. Sie war nicht lediglich ein Spaß für eine Nacht, ich wollte >nachfassen<. Ich verliebte mich in sie. Sie hatte große Dinge vor im Leben, durchlebte gerade eine schöpferische Pause. Ich nahm sie manchmal mit auf Reisen, quer durch Deutschland. Sie stellte etwas dar, ich war stolz auf sie. Auf den langen Strekken sprachen wir über alles mögliche. Das Wort Gastronomie hatte bei ihr einen gewissen Klang. Also redeten wir ausgiebig darüber, dachten schließlich daran, ein verträumtes Bistro zu eröffnen. Mit meiner Erfahrung konnte ich ihr alle notwendigen Anweisungen geben. Ich würde mir zudem etwas Zeit stehlen, um ab und an selbst im Laden zu stehen. Es dauerte Wochen, bis wir etwas Geeignetes gefunden, und noch einmal Wochen, bis ich den Laden nach unseren Vorstellungen umgebaut hatte. Ich war mächtig stolz auf mich - und hundemüde. Was sollte es, die Einladungen wurden verschickt. Sie hatte im übrigen zwanzig Mille für das
Unternehmen ausgegeben, ich hatte die Maloche erbracht. Ich nannte sie immer >Flamme<, weil sie mein Herz lichterloh zum Brennen brachte. Es war ein hübscher Club geworden - ein großes Wohnzimmer für alle, die nicht alleine in ihrem Wohnzimmer hokken wollten. Ein paar Couchen machten die Sache gemütlich - hier in einer Ecke, dort als Halbrund arrangiert. Die holzgetäfelten Wände waren auf Mahagoni gebeizt. Überall hingen Gemälde an den Wänden, kein Wunder - es waren Repros unserer Firma. Mit Kristallüstern wurde alles unter Dimmer gesetzt, man konnte die Stimmung rauf- und runterdrehen. Klaus Berenbrok und Heinz begrüßten es, daß wir nun sozusagen unsere eigene Kneipe hatten. Denn wenn wir mal unsere nächtlichen Streifzüge unternahmen, warfen wir ja stets den anderen unser gutes Geld in den Rachen. So blieb jetzt dieses in der >Familie<. In vierzehn Tagen würde die Eröffnungsfeier sein, unsere Gästeliste konnte sich sehen lassen. Flamme und ich nützten die >Kunstpause< zu einem außergewöhnlichen Zehn-TageTrip. Genauso schnell, wie wir buchten, genauso schnell waren wir auch schon in der Luft. Zehn Tage Ceylon - ein richtiger Liebesurlaub. Vierzehn Stunden Flug, nur eine Zwischenlandung in Dubai, den Vereinigten Emiraten. Das erstemal in meinem Leben erlebte ich die Tropen. Eine Hitzewand von achtunddreißig Grad knallte uns entgegen, als wir in Colombo aus dem Flugzeug stiegen. Am Strand fand ich Ruhe, mein Leben lief an mir vorbei, als sei ich tot. Vielleicht eine Stunde lang war ich mit mir inbrünstig am Aufräumen. All die Qual zu ertragen, das hatte jetzt seinen Lohn bekommen. Smaragdgrün das Wasser, vom Tiefgrün bis hin zu Pastell, der Sand schneeweiß und heiß... Wenige Meter entfernt turnten Affen von Ast zu Ast, bissen in Palmblätter, als wollten sie sich die Zähne putzen. Unser Hotel hielt Taucherbrillen und Schnorchel bereit, das Leben unter Wasser, hier im Indischen Ozean, war farbenprächtig und unverdorben. Wir tauchten jeden Tag, das
Unterwasserleben zog mich an wie ein Magnet. Die bunten Fischlein in ihrer Vielfalt schwammen um mich herum, als sei ich eines von ihnen. Die Nächte mit meiner Flamme waren die schönsten meines Lebens. Sie liebte so ergeben und doch verlangend. Sie bot ihren Schoß ganz still, sie sprach mit ihrem Körper und mit ihren Fingerspitzen. Ich war hoffnungslos verknallt in dieses sanfte Geschöpf. Die Tage vergingen, unsere Haut hielt den sengenden Sonnenstrahlen nicht ganz stand. Um die Mittagszeit vom Strand ins Wasser zu gelangen, bedeutete, sich die Fußsohlen zu verbrennen. Die Sonne, das Meer und die Liebe hatten mich endgültig genesen lassen. Natürlich vergingen diese wenigen Tage zu schnell, wir mußten den Koffer zur Abreise packen. Ein Taxi würde uns nach Colombo bringen, wir würden gute vier Stunden fahren. Eine Schlange kroch über den groben Asphalt- das Auto blieb ehrfürchtig stehen. Elefanten arbeiteten brav und hart am Straßensaum, Kinder boten an Kreuzungen Bananen feil. Oh - Romantikerherz, was willst du mehr! Jäh erstarb die Romantik - da, wo das Leben brodelte. Das Taxi brachte uns zum Sheraton-Hotel von Colombo, es liegt direkt an der Brandung des Meeres. Man sieht weit, dahinter kommt nichts. Wir verzichteten auf den abendlichen Imbiß, um lieber durch die Hauptstadt des Landes zu schlendern. Eine Schar verkrüppelter Kinder lief uns nach, vielleicht an die sechzig. Einige rollten auf Brettchen mit Rädern - ohne Beine. Ganz geschwind waren wir eingekreist. Jemand, offensichtlich ein Urlauber, schrie von der anderen Straßenseite auf englisch zu uns herüber: »Um Gottes willen, ja nichts geben - sonst sind es im Nu zweihundert!« Gerne hätten wir die Stadt und die Auslagen der Geschäfte noch gesehen, aber ich entschied mich zur Umkehr. Als die Kinder merkten, es gibt nichts, fingen sie an, uns zu bespukken, ein paar holten ihre klitzekleinen Pimmel hervor, um an unsere Beine zu urinieren. Im Hotel erzählte man uns, daß die Eltern den Kindern die
Gliedmaßen brächen, diese amputierten, auf daß die Kleinen mehr Erfolg beim Betteln hätten. Die Not war gewaltig. Ich war ziemlich deprimiert. Und wieder flog meine Melancholie nach irgendwohin. Meine Flamme schaute sich eine Darbietung in der Lobby an - ich ging aufs Zimmer und nahm mir das Hotel-Schreibpapier vor. Ich schrieb an die psychologische Wohngruppe in Kaisheim - West-Germany. Um acht Uhr früh ging das Flugzeug. Wieder gab es den Stopp zum Tanken - irgendwo bei den Öl-Muftis. Meine Flamme war schlecht dran, sie hatte soeben ihre Zeit bekommen. Ich streichelte ihr süßes Bäuchlein bis nach MünchenRiem. In wenigen Stunden würde unser neues Kind aus der Taufe gehoben werden - wir waren etwas erholt, es konnte losgehen. Der beste Gast des Abends war und blieb Berenbrok. Die nächsten Tage wurden ruhiger, ich riet meiner Flamme, ganz leicht verhalten zu animieren. Männer sind immer geil auf nette Mädels - das würde sich im Umsatz bemerkbar machen. Sie mußte mich falsch verstanden haben, oder kam es jetzt erst raus, daß sie ein Luder war. Der erste Champagner-Freier, ein Autohändler aus Freising, hat sie sich sofort unter den Nagel gerissen. Weg war sie - weg war meine Liebe, ich mußte bitterlichst weinen. Etwas später kam sie wieder, faselte von einer kleinen Dummheit. Aber mir brauchte sie nichts zu erzählen, sie war geil auf seinen Pint und auf seine pralle Brieftasche gewesen. Denn sie liebte Geld - und ich hatte keines. Letztlich hatten wir uns nichts mehr zu sagen und zu geben - man trennte sich. Unser Lokal verschwand - das Anwesen fiel dem Bagger zum Opfer, es sollte darauf neu gebaut werden. Zwei Jahre waren vergangen, mein Bewährungshelfer hatte noch weniger Lust, mich zu treffen, als ich ihn. Er wußte - bei mir war alles klar.
Unsere Firma bereitete sich auf die Frankfurter Internationale Herbstmesse vor. Wir wollten den ganz großen Markt erobern. Klaus schmiß achtzigtausend an Werbekosten raus. Für Prospekte in teurer Aufmachung, Werbegeschenke, die Standgebühren und so weiter. Containerweise verfrachteten wir unsere Ware auf dem Bahnweg nach Frankfurt. Es war eine geschäftige, großzügige und weltweite Atmosphäre in all den Hallen - ich fühlte mich wohl und gefordert. Auf der Autobahn klingelte mein Motor schon verdächtig, es wurde höchste Eisenbahn, daß ich den Wagen abstieß. Wenn ich wieder nach München kam, würde ich mit meiner Bank darüber verhandeln, ob ein Fabrikneuer drin war. Ich verkaufte unsere Artikel gut, schrieb massig Aufträgeeine bekannte deutsche Kaufhauskette nahm uns in ihr Verkaufsprogramm auf. Frankfurt ist ein ruheloses Pflaster. Huren sprachen mich auf offener Straße an, sie brauchten noch ein paar Märkerchen, auf daß sie wieder >drücken< konnten. Wenn ich Zeit hatte auf der Messe bzw. Klaus löste mich mal an unserem Stand ab, ging ich durch die Hallen. Besonders angetan war ich von den Ständen, wo mit Original-Gemälden gehandelt wurde. Immer wieder zogen mich diese an - das war halt Qualität, das war echt. Aufmerksam registrierte ich, wie die Händler verkauften. Jedes Gemälde hatte anscheinend seine eigene Geschichte, es wurde schöngeistig darüber gesprochen. Es wurde mal aus der Nähe, mal von weiter ab betrachtet, auch mal ans Licht gebracht. Die Verkäufer besaßen eine starke Überredungskunst, wer sich für irgend etwas interessierte, kaufte dann auch meist. Und dann kam Kohle rüber - ja Wahnsinn! Die Brieftaschen der Verkäufer quollen förmlich über. Sooft ich konnte, ging ich hierher. Ich wollte mehr wissen, wollte lernen. Es war wirklich unglaublich - das Ganze sah so seriös aus, die Verkäufer gaben sich cool. Mir entging es jedoch nicht, daß sie trotzdem alle miteinander ganz ausgefuchste Geldhaie waren. Das reizte mich, es war kein langer Prozeß - ich beschloß bei mir: Berndt, das machst du auch! Ganz heimlich, nur für mich ganz alleine, lief ich mit meinem Entschluß schwanger.
Die Messetage waren vorbei, wir stellten noch ein paar weitere Arbeiter ein, ich lernte sie an. Ich sprach mit meiner Bank, ich könne mir ein neues Auto kaufen - meinten sie. Ich war stinksauer, in ganz München gab es keinen einzigen nagelneuen Benz der neuen Serie. Wo ich auch vorsprach, wurde ich mit einer gewissen Wartezeit vertröstet. Ich sah ins Schaufenster von General Motors - und dachte mir, da stehen so viele neue Autos rum, warum sich nicht eines aussuchen? Aus Trotz kaufte ich den ersten > Ami< meines Lebens. Die Probefahrt erschien mir einfach als optimaler Ge nuß. Und noch ein Pluspunkt meiner spontanen Entscheidung - dieser Wagen war wesentlich billiger als der Benz. Heinz war gleich noch mehr begeistert als ich, er war beim Autokauf dabei. Als ich meinen soeben erworbenen Chevrolet streichelte, rief Heinz nach mir. »Komm doch mal her, hier gibt es nicht nur schöne Autos, sondern auch schöne Mädchen!« Ich blickte um die Ecke des Raumes, und da saßen zwei nette Gören beim Kaffeetrinken auf der Ledercouch. Ich hatte keine besonders großen Augen für die beiden, denn mein Auto erfüllte gerade meine Gedanken. Aber die eine lachte so nett - und man soll eigentlich keine Gelegenheit verschmähen. Deshalb fragte ich sie ganz lokker, ob wir heute eine abendliche Probefahrt unternehmen wollten? Sie sagte ganz schnell >ja< - da war ich platt. ... »O. K. - ich hole dich ab.« Sie wohnte zur Zeit in einer Pension in der Innenstadt. Ich kam eine halbe Stunde zu spät, aber sie war noch da, stieg zu mir in den Wagen. Ich fuhr mit ihr ins Hilton - von wegen spazierenfahren, jetzt wurde geschwoft und angemacht! Ich hatte sie mir immer noch nicht richtig angesehen, wußte eigentlich gar nicht, wer da neben mir saß. Wir hatten an der Bar Platz genommen, sie legte ihre Stola ab. Weiße Schultern wurden frei, ihr schwarzes Spitzenkleid begann erst an ihrem Busenansatz. Und was das für ein Busenansatz war! Da wurde es mir gleich schwindelig. Erst jetzt sah ich ihr richtig ins Gesicht. Sie lachte gerne, und sie hatte Zahnreihen wie Perlen. Achtzehn Jahre alt war sie und hieß Iris. Sie kam aus
dem Bayerischen Wald und war nur deshalb in München, weil sie ihrem Geliebten gefolgt war. »Die Kiste ist aber seit ein paar Wochen erledigt«, sagte sie ganz unbeteiligt und leger. Wir tranken exotische Mixturen, die Kleine fesselte mich immer mehr. Sie war so göttlich natürlich und schön. Ich lockte sie zu einer langsamen Melodie auf die Tanzfläche, unsere Körper waren aneinandergeschmiegt. Als wenn sie meine Böse-Buben-Absicht erkannt hätte, sagte sie, daß heute nacht aber nichts liefe. »Tja, dann halt nicht«, entgegnete ich locker, war aber ganz schön verunsichert. Als wir uns allerdings dann weiter unterhielten, erzählte sie, daß sie eine gute Friseuse sei. - HAHAHAHA! Jetzt allerdings lachte meine Erfahrung. Aber auch ich erzählte ihr freiweg, was sich alles so in meinem Leben abgespielt hatte - sie nahm es ungerührt zur Kenntnis. Es war ein schöner Abend, und sie hatte mir vollends den Kopf verdreht. Wir waren die letzten Gäste, die Stunde der Wahrheit war eingeläutet. Sie fuhr nun doch mit mir nach Hause, trotzdem sah ich mich noch lange nicht als Sieger. Denn jetzt mußte mir eine Frau schon recht deutlich zu verstehen geben, daß ich mich mit ihr einlassen solle - am liebsten täte ich sie alle erst unterschreiben lassen, dafür. Meine Verurteilung wegen der angeblichen Notzucht würde sicherlich ein ganzes Leben in mir stecken - ich war jetzt immer auf der Hut. Aber, wir würden sehen. Der Wagen fuhr nicht, man hatte das Gefühl, der flog mit sechzig Kmh. Jetzt war ich gar nicht mehr so beleidigt, daß ich keinen Benz bekam. Ja, so was, heute hatte ich einen Parkplatz direkt vor der Haustür! Mein Kühlschrank gab nicht viel her an Getränken, aber das schien jetzt auch gar nicht so wichtig zu sein. Wir lümmelten uns mit den Kleidern auf meinem Bett, tauschten Zärtlichkeiten. Es wurde immer wilder, meine Finger waren wieder überall. Mein Gott, hatte die einen herrlichen Po! Also diese Alte war die reinste Wuchtbrumme. Na klar, sie hatte nur geblufft im Hilton, sie war nämlich genauso geil wie ich. Sie zog sich aus, und ich bekam die größten Stielaugen meines Lebens. Ich
hatte noch nie so schnell meine Klamotten vom Leib wie jetzt. Zärtlich war dieses Kind - als o, ich flog geistig von einer Ecke in die andere. Und die Krönung des Ganzen war die Tatsache, sie war so eng gebaut, daß eine Jungfrau nur davon träumen konnte. Am nächsten Tag rief ich in der Firma an, daß ich mal für ein paar Tage nicht komme. »Das geht schon in Ordnung«, meinte Klaus, aber ich solle mich mal zwischendurch am Flughafen um eine bestimmte Luftfracht kümmern. Ich war fest überzeugt - die Iris, das ist sie! Sie ist meine Traumfrau, und ich fing an, mich in sie zu verlieben. Sie war auch eindeutig entschlossen - also würden wir es probieren. O. K. - Baby, raus aus der Pension und rein zu mir, denn die Liebe hat auch in der kleinsten Hütte Platz! Aber ich hatte keine große Lust, für sie Transportunternehmer zu spielen. »Du mußt dich selbst drum kümmern, wie du deine Siebensachen hierherbringst«, sagte ich zu ihr. Demnach war ein Taxi das Geeignetste. Ich kam so langsam auf den Horror, der Plastiktüten wurden immer mehr, die sie raufbrachte, es schien nie mehr enden zu wollen. Die ganze kleine Bude war auf einmal mit Plastiktüten übersät: »Wenn du jetzt noch eine bringst, dann fliegen sie über den Balkon«, sagte ich wütend. Aber sie meinte beschwichtigend, daß es nur noch drei seien. Ich flippte aus, als ich in die Tüten sah. Da waren nur Schallplatten drin, dutzendweise auch Musikkassetten. Etwas Kleidung und Schminksachen. Den Schmarren unterzubringen, würde nicht ganz leicht sein. Aber sie war bei mir, sie gehörte mir, ich war glücklich ich war verliebt. Ich würde ihr den Himmel auf Erden schenken, nahm ich mir ganz fest vor. Ich würde sie verwöhnen, würde lieb zu ihr sein, würde ihr geben, was ich zu geben vermochte. Ich hatte ja versprochen, etwas für die Firma am Flughafen zu erledigen. Ich nahm Iris mit. Mein Wagen war gerade eine Woche alt, und sie verstreute ihre Zigarettenglut auf dem Ve loursitz. In diesem Moment hätte ich einen Psychiater gebraucht, denn ich war nicht mehr zurechnungsfähig. Ich
schrie und tobte, flippte aus. Sie sagte ganz trocken, daß das schließlich jedem mal passieren könne. Eigentlich waren ihre unkomplizierte Art, ihre Unbefangenheit, ihre Naivität sehr liebenswert. Ich fing an zu verbrennen, ich liebte sie zutiefst. Ich war fest entschlossen, dieses Juwel in eine königliche Fassung zu setzen. Hm - dafür war Kohle notwendig. Das traf sich gut, genau in dem Moment, da ich an Geld dachte, kam es auch schon. Meine Mutter zahlte mir das Erbteil meines Vaters aus. Mein Entschluß stand sofort fest-ich würde meiner Iris mal zuallererst einen Traumurlaub bieten. Außerdem wäre ich ja diesbezüglich mit der Nutznießer. Also, keine Frage - buchen! Ein Jumbo der British-Airways brachte uns auf die Seychellen, und zwar die Insel Mähe. Wie sagt man doch so schön? Dieses Fleckchen Erde hat der liebe Gott am Sonntag nach dem Nachmittagsschläfchen gemacht. So war es hier! Kilometerlange einsame Strande, wir bewegten uns splitternackt. Jetzt wußte ich, wie Adam und Eva lebten. Wir liebten uns am feuchten Strand, da, wo die letzten Wasserzungen den heißen Sand noch benetzten. Streckenweise klatschte die Brandung an hochaufragende Felsen, dichter Busch im üppigsten Grün überwucherte weiter oben das Gestein. Es wehte immer eine leichte Brise über dieser Inselgruppe, die im offenen Ozean liegt, so merkte man nicht, daß die Sonne jedes Lebewesen heimlich röstete. Ich bestieg Palmen, die mehr schräg über den Strand hingen als daß sie sich aufrecht der Sonne entgegenstreckten. Ich ließ Tarzanschreie los, kein Mensch hörte mich, Iris schoß ein paar Fotos von mir in meinen Posen. Untertassengroße Spinnen suchten Schatten, Iris fürchtete sich. Manche Tage lagen wir auch lieber am Hotel-Pool, nur einen Steinwurf weit vom Strand entfernt. Man sprach hier Englisch und Kreolisch, Iris beherrschte besser Englisch als ich. Sie organisierte uns einen Tages-Kapitän mit Boot, ich schwärme für die Hochseefischerei. Wir sind mit einem Sechzehn-Meter-Boot auf hoher See, das
Wetter ist ein Traum. Vier Angeln mit verschiedenen Ködern stecken in den Halterungen - die Viecher beißen hier wie verrückt. Der Käpt'n und ich haben alle Hände voll zu tun, unsere Beute einzuholen. Mancher Thunfisch von zehn Kilo kämpft hervorragend gegen seine Mörder - nämlich gegen uns. Manchmal sind gut tausend Meter Schnur ausgezogen, die wieder eingezogen sein wollen. Ein Köder mit Baumwollflachs durchzieht das Wasser, das peitschende Surren meiner Angelwinde verrät, daß ich einen Blue Mariin am Ende meiner Leine habe. Er kann machen, was er will - er ist verloren, gehört uns. Seine schwertartige Schnauze ist rauh wie grobes Schleifpapier und das Knäuel des Köders verfängt sich rettungslos in seiner rauhen Nase. Er kann mich höchstens über Bord holen, er ist ungeheuerlich stark. Vielleicht dreihundert Meter weit von uns entfernt springt er aus dem Wasser, jedes Mittel ist ihm anscheinend recht, von dieser tödlichen Baumwolle loszukommen. Aber jede Anstrengung zieht ihm die Faser nur noch tiefer in die schrundige Hautoberfläche. Ich muß mich am Bootssitz anschnallen, der Fisch ist gute drei Meter lang. Er wiegt vielleicht vierzig Kilo, im Wasser hat er die dreifache Kraft wie ich. Eine Stunde lang lasse ich ihn laufen, hole ihn wieder ein. Und dieses Spielchen beginnt immer wieder von vorn - bis er müde wird. Indes, unsere Chancen sind doch relativ gleich verteilt, ich kämpfe ohne Motorkraft - nur mittels Arme und der Leine. Ich habe ihn am Rande des Bootes, er schaut mich mit seinen großen Augen an - und mir scheint, als wolle er sagen - >Wärst du doch nur in München geblieben< Er spreizt seine gewaltige Rückenflosse als Segel gegen den Wasserwiderstand, nimmt noch einmal Reißaus. Ich geb' ihm keinen Meter Schnur, die Angel biegt sich hufeisenförmig. Jetzt reicht's aber - willkommen an Bord. Iris sieht allem gelassen zu, sonnt sich lieber auf dem Oberdeck. Wir kommen abends mit reichlicher Beute heim, ich schenke alles dem Kapitän. Er kriegt ganz schön Geld dafür, von den
Hotelküchen hier. Aber nun bin ich so begeistert von diesem Jagderlebnis, daß ich täglich einen Hochseetrip buche. Wir sind also abermals auf dem Meer. Eine Schildkröte taucht aus dem Wasser, fast so groß wie ein VW. Sie blinzelt neugierig, taucht wieder unter. Das ist für uns das Zeichen, daß jetzt besondere Maßnahmen notwendig sind. Wo sich Schildkröten aufhalten, sind ganz gewiß Haie in der Nähe. Ich bin süchtig nach der Gefahr, ich will einen Hai besiegen. Wir zerstückeln ein paar schon gefangene Thunfische, spülen das Blut aus dem Eimer ins Meer, werfen die Fischstücke hintenach. Mit einem Stück ist ein richtiger Fleischerhaken getarnt, verbunden mit einer Luftboje. Wir entfernen uns vom Ort des Geschehens und warten, bis die Boje zu wandern beginnt. Im Jagdfieber starre ich mit dem Fernrohr auf den gelben, großen Ball, der da auf den Wellen tänzelt. Der Ball ist weg! Er kann nur unter Wasser gezogen worden sein. Richtig! Er taucht auf, verschwindet wieder. Er wandert. Mit dröhnendem Motor verfolgen wir die Gischtspur, bleiben aber immer ungefähr zwanzig Meter von der Boje weg. Der Haken muß erst gut geschluckt sein, bis das Tauziehen einsetzen kann. Es ist soweit - Boje an Bord, das Seil an die Winde gefädelt. Der Käpt'n dreht langsam bei, der Motor steht still. Jetzt wird sogar Iris neugierig. Ich stehe mit dem Enterhaken an der Bootskante und suche das ruhig liegende Meer ab. Längsseits sehe ich unter dem Boot einen großen, weißen Schatten im tiefblauen Wasser. Für Sekunden durchzucken mich wahnwitzige Gedanken. Ich bedaure, diesen Meeresmörder nur per Angelhaken gejagt zu haben. Möchte es am liebsten rückgängig machen, ins Wasser springen und ihn in freier Wildbahn erlegen. Der samtgraue Fischkörper ist im Boot - knapp zwei Meter mißt er. Der Käpt'n zertrennt ihm mit einem kräftigen Beilhieb knapp hinter dem Kopf die Gebißmuskeln. »Sonst beißt er uns sogar noch im Boot einen Fuß ab«, meint er. Hundertzwanzig Kilo hat der bestimmt, und Iris knipst
gleich ein paar Fotos von mir mit meiner Beute. Für heute wenden wir, wir fahren bestimmt eine gute Stunde, bis Land in Sicht kommt. Mittendrin kommt ein Sturm auf, es regnet wie aus Kübeln. Wir haben gefährlichen Wellengang, der Käpt'n hat Mühe, unsere Nußschale gegen die Wellen zu steuern. Iris fliegt in der Kajüte aus der Koje, obwohl sie sich festhält. Sie schreit - aber wir wissen, sie braucht nichts Schlimmes zu befürchten. Keine acht Minuten, dann ist der Spuk vorbei. Unglaublich, als ob nichts gewesen wäre - geglättete Wogen, Sonnenschein, und am Horizont spannt sich ein Regenbogen. Diese Farbenpracht der Natur fotografiere ich auch gleich. Als wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten, gestand mir Iris, daß sie keine zehn Pferde mehr auf das Boot bekommen würden. Wenn ich weiterhin Lust dazu hätte, sollte ich, bitteschön, alleine auf See gehen. Abends gingen wir in die Hoteldisco, und ihre Überraschung gelang, indem sie unter dem hauchdünnen Mantelkleid aus königsblauer Rohseide, das sie sich einmal um den Körper gewickelt hatte, nichts trug. Wenn man genau hinsah in dem Halbdunkel der DiscoBeleuchtung, dann konnte man bei jedem ihrer Tanzschritte ihr Kleid aufgehen sehen - so daß ihre nackte Muschi freilag. Ja, ich hatte meine Perle gefunden, ganz zufällig wurde sie zugespielt - ich erkannte deren Wert. Sie wußte es nicht, aber sie war mein >Treibstoff< für die Fahrt in eine hoffnungsvolle Zukunft. Alles was sie sagte, hörte ich gerne, es baute mich auf und versetzte mich in die Lage, alles zigfach zurückgeben zu wollen. Sie war Kind, sie war Frau, sie war da, einfach da. Ich hatte solche Sehnsucht, daß sie für immer dabliebe. Wir sprachen viel darüber, wie es weitergehen sollte mit uns. Ich schilderte ihr mein Vorhaben, daß ich unbedingt Kunsthändler werden wollte. Ich wollte an die große Kohle ran - und zwar alleine, aus eigener Kraft. Ich unternahm noch einmal das Abenteuer Hochseefischen, Iris wollte heute im Schatten ein Buch lesen. Als ich
wieder von Wellen umgeben war, sinnierte ich in die Endlosigkeit des Meeres - ich fragte mich, warum ich so ein Verlangen nach dem Salzwasser in mir trug. War ich in einem früheren Leben einmal ein Pirat oder gar ein Hai gewesen? War es der Umstand, im Sternzeichen des Krebs geboren zu sein? Oder lockten mich einfach das Geheimnisvolle, die Gefahr, das Unergründliche? Jäh wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als zwei Leinen gleichzeitig zu singen anfingen. Wir hatten offensichtlich einen Wanderpfad der Thunfischschwärme durchkreuzt, denn schon waren alle vier Leinen am Zurren. Daß diese Wasserstelle sehr belebt war, zeigten uns bereits die vielen Seevögel am Himmel. Heute machten wir reichlich Beute, ein Blue Mariin war auch dabei. Als wir heimwärts fuhren, begleiteten uns eine kleine Gruppe springender Delphine. Als ob sie uns grüßen wollten, so sprangen sie aus dem Wasser und quiekten. Auch fliegende Fische sprangen auf, führten, immer so zwanzig Meter weit, ihre Luftakrobatik vor. Die Nächte waren lau und voller Liebe. Iris reizte mich zu jeder Sekunde - ihr ganzes Sein war reine Wollust. Auch mittags waren wir oft nicht am Strand zu finden, da hatte ich engsten Kontakt zu der Welt schönstem Busen. Manchmal waren wir das Barbecue im Hotel leid, gingen dann zu einem nahegelegenen italienischen Restaurant. Iris hörte nie auf, mich glücklich zu machen. Sie sagte wohl viele hundert Male den Satz: »Ich möchte dich nur noch lachen sehen, du sollst immerzu glücklich sein - dafür sorge ich!« Ich schenkte zum Abschied unserem Kapitän und mittlerweile auch Kumpel meine Taucheruhr, und ich versprach ihm, daß wir uns wiedersehen würden. Wir sahen das wunderschöne Fleckchen Erde nur noch aus zwölf tausend Metern Höhe und düsten Richtung Heimat. Es waren zwanzig Stunden Flug, und wir empfanden den Temperaturunterschied als grausam. Der Alltag hatte mich wieder, ich sprach mit meinen Freunden in der Firma, daß ich umsatteln, gern selbständig
sein wolle. Von Heinz holte ich alles heraus, was er mich als Kunstmaler lehren konnte. Ich kaufte mir entsprechende Lektüre und studierte nächtelang Kunstwissen. Die verschiedenen Jahrhunderte, Kunstepochen und deren hervorstechendste Meister. Mich konnte niemand mehr abhalten, ich würde das machen, was ich in Frankfurt gesehen hatte. Der Tag war gekommen, ich bestellte meinen ersten Stand auf der Wochenendmesse eines Veranstalters. Wochenlang hatte ich günstige Ware zusammengetragen, alle privaten Zeitungsanzeigen durchforstet. Auf Flohmärkten hatte ich Billigstgemälde gekauft, aber immerhin Originale. Sie wurden aufpoliert, durch einen neuen Firnis wurde ihnen ein bißchen Frische verpaßt, außerdem wurden sie schön gerahmt. Mit Engelszungen bot ich meine Ware an, es machte mir einen Heidenspaß, die Leute zu bereden, zu überreden - sie dumm zu reden. Das schönste Gemälde ist nämlich das verkaufte Gemälde - fand ich ganz schlicht heraus. Ich spielte hoch, ich spielte va banque. Ich kaufte immer teurere Stücke, ich entpuppte mich als Leichenfledderer. In den Tageszeitungen studierte ich die Sterbefälle und suchte die Adressen aus dem Telefonbuch. Es waren /umeist trauernde Witwen, denen ich zu brutalen Preisen die Bilder von der Wand kaufte. Die Kunsthändler in München horchten auf - ja, jetzt gab es mich. Auch in dieser Sache wollte ich an die Spitze - wie immer und überall eben. Mein Geheimnis lag im billigen Einkauf, die Konkurrenz konnte nur noch staunen. Jedes Wochenende waren mir einige Tausender sicher. Ich konnte anfangen, mir - uns - eine neue, große, schicke Bleibe zu suchen. Um die Ecke in Schwabing fand ich eine Luxus-Dachterrassen-Maisonetten-Wohnung. Vier Zimmer, Küche, Bad. Mir reichte der Handel mit Gemälden nicht mehr, ich wollte mehr. Ich kaufte alles, was billig und attraktiv war. Ich schickte Iris zum Führerscheinmachen. Bevor sie diesen in
Händen hielt, stand ein schöner Chevi-Malibu vor ihrer Fahrschule - bereit, um heimgelenkt zu werden. Aber mein Liebling war zu nervös, schaffte es nicht beim ersten Durchgang. Egal mein Engel. In vierzehn Tagen schaffst du es. Ich hatte Sitzungen beim Steuerberater, keine mehr beim Bewährungshelfer. Ich hatte gebeten, daß meine Bewährung schon nach vier Jahren abgegolten sein solle, anstatt erst nach fünf. Mein Anwalt hatte das erledigt. Unsere Wohnung war teuerst und traumhaft eingerichtet. Ich kaufte einen ganzen Kreuzweg, das Werk eines Meisters des neunzehnten Jahrhunderts aus Regensburg. Ich inserierte diese Antiquität in einer Zeitung. Der erste Kunde war entweder nicht zahlungskräftig, oder aber er war ein Liebhaber der sakralen Kunst. Denn die Kripo stürmte meine Wohnung. »An die Wand, Beine breit! Wo ist die Ware?« Ich war zwar geschockt, mußte aber trotzdem lachen. Ich hatte einen einwandfreien Nachweis der Herkunft. »Tja, meine Herren - daran müssen Sie sich gewöhnen, ich bin ein seriöser Geschäftsmann geworden.« Iris schaffte den Führerschein, sie fuhr gerne Auto. Besuchte häufig ihre Eltern im Bayerischen Wald. Ich trug sie auf Händen - die Brillanten wuchsen förmlich an ihren schönen Händen. Und noch ein Nerz und noch ein Fuchs und... ich hatte Iris noch nie betrogen!!! Heinz und Klaus hatten mir eine schlechte Nachricht mitzuteilen, ein Unternehmer aus früheren Zeiten, bei dem wir anfangs unsere Ware herstellen ließen, betätigte sich als Trittbrettfahrer. Nur weil er damals unsere Replikate herstellen durfte, beanspruchte er jetzt das Patent. Also entwickelte sich ein riesiger Rechtsstreit. Das war nicht gut für die aufstrebende Firma. Desolate Zustände herrschten alsbald, ein Sequester übernahm alle vorläufigen Befugnisse. Ich war froh, diese Situation nicht mehr miterleben zu müssen; ich war längst auf einem anderen Ast. Ich verkaufte in unserer Wohnung die teuersten Antiquitäten, ich war bei einem Monatseinkommen von ungefähr fünfzehn Mille netto. Ich stieß meinen Ami-Schlitten ab, legte mir einen Mercedes SL zu. Das machte Laune, so einen Sportwagen zu lenken - es war
mein erster. Iris hatte genug mit dem Haushalt zu tun, aber sie wünschte sich ein Wesen, das immer um sie herum war. Am liebsten wollte sie ein Kind von mir, die Diskussion ging schon längere Zeit. Aber ich kannte die Problematik des Kinderhabens - ich bin der Meinung, ein Baby darf nur in optimalen Verhältnissen geboren werden. Und die hatte ich noch lange nicht erreicht. Am liebsten wäre es mir, ein Haus kommt her. Ich war kreuz und quer unterwegs durch Bayern, jedes Wochenende eine andere Stadt. Auch meine Iris bekam ihren Benz - und anstatt eines Kindes kriegte sie von mir ihren heißersehnten Schoßhund. Ich fand ihr aus der besten Zucht einen Yorkshire-Terrier - Kostenpunkt viertausend. Jeder konnte an meiner Tür klingeln und um eine Spende bitten - ich spendete immer. Das Rote Kreuz, der Kriegsgräber-Bund, Anstalten für Schwerbehinderte, Blindenvereine, Kinder der dritten Welt - alle sollten mein schlechtes Gewis sen tilgen, das mir noch aufgrund meines erstens Lebens schlug. Es war Januar 1984. Ich unterschrieb den Mietvertrag für eine Neubau-Villa im Münchner Stadtteil Nymphenburg- unweit vom Schloß. Es hatte den Anschein, als sei dies ein alt-ehrwürdiges Patrizierhaus, der Architekt war offensichtlich ein Könner gewesen. Schneeweiß war der Rauhputz, fünfzehn Zimmer boten uns Platz. Außerdem waren zwei Bäder vorhanden. Im Tiefgeschoß richtete ich uns einen Body-Building-Raum ein. Ein parkähnlicher Garten führte großzügig rund um das Haus, Zwergtannen hatten noch den schweren Schnee zu tragen. Lauter noble Nachbarn in dieser Gegend mein großer Wunsch war in Erfüllung gegangen. Und weil das Haus so groß war, konnte Iris nicht alle Hausarbeit alleine verrichten. Also fand ich ihr eine Putzkraft, die auch unsere Wäsche erledigte. Ich war vom Streß des Umzuges ges chafft, ich wollte gerne eine Woche nach Gran Canaria düsen. Nur vier Stunden Flug und praktisch immer Sonnengarantie. Iris fuhr lieber in dieser Zeit heim zu ihren Eltern.
Es waren die Osterfeiertage. Ich lag am Strand, sprang in die Fluten, tauchte oft unter, so daß mich das Meer überall berührte. Viel Tourismus hier, Tag und Nacht waren Discos geöffnet. Deutlicher Frauenüberschuß war erkennbar. Ich trennte die Damen aus Erfahrung glasklar. Ich sah sofort, was eine Anschafferin war und wer eine sogenannte >Solide<. Die soliden Weiber führten sich auf wie Huren, die Huren gar nicht. Die Geschäfte blühen auf dieser Insel, die VerkaufsShops drängeln sich. Las Palmas ist ein Welthafen und somit steuerfrei. Ja - in Las Palmas gibt's auch eine Puffstraße; absolute Superweiber lehnten an den Hauswänden. Mich interessierte, was das so kostete - und erfuhr, daß es hier für vierzig Mark eine Hochzeitsnacht gab. Aber ich wandte mich zum Gehen, hatte ich doch das Allerbeste zu Hause. Iris holte mich vom Flughafen ab, gleich ging's mal zuallererst ins Bettchen. Meine aufgebrannte Haut machte Iris eifersüchtig - ich würde ihr eine Jahreskarte für das BräunungsCenter kaufen. Unterm Bumsen klingelte das Telefon, soeben war ganz überraschend Klaus Berenbrok gestorben. Er war in meiner Abwesenheit ins Krankenhaus eingeliefert worden, und es war alles zu spät für ihn. Ein heimtückischer Nierenkrebs hatte ihm keine Chance gelassen. Mit siebenundvierzig war sein Leben beendet. Das stimmte mich nachdenklich. War es nicht richtig, jeden Tag voll auszuleben? Jede Sekunde konnte unsere letzte sein. Heinz litt sehr unter dem Verlust seines Freundes und Partners, außerdem hatte er, die reine Künstlernatur, sein geschäftsführendes Pendant verloren. Prompt klappte auch nichts mehr bei ihm, ein ganz cleverer, graumelierter Spitzbube knöpfte dem Heinz schließlich für ein Butterbrot sein ganzes Geschäft ab. So war es aber immer schon, Erfinder blieben zumeist bettelarm, und jeder, der ihre Erfindungen ausbeutete, machte sich satt über Generationen hinweg. Meine Villa stand voll von Antiquitäten, manchmal war es so, daß niemand im Hause war. Da dachte ich an einen Wachhund. Und überhaupt wollte ich auch gerne ein Tier,
denn der Yorkshire war zwar da, aber war mir immer fremd . Der Kleine hatte sich wohl auf Iris eingeschossen. Da konnte man schon manchmal eifersüchtig werden. Also hätte ich am liebsten einen richtigen Männerhund gehabt. Ich besprach das mit Iris, und sie freute sich über meinen Entschluß, einen großen Hund anzuschaffen. Ich war alsbald auf der Suche nach einem Mastino-Napoletano. Dafür gibt es ganz wenige Züchter in Deutschland. Diese Rasse stammt aus Süditalien, hat eine jahrtausendealte Vergangenheit - man sagt, Kaiser Nero habe sich diese Hunde als Kampfhunde gehalten. Wochenlang fuhr ich zu drei Zwingern in Bayern, um zu prüfen und zu lernen, wie man mit solch einem Tier umzugehen hat. Ich bekam die telefonische Nachricht, daß gerade ein Muttertier sechs Junge geworfen hatte. »Nichts wie hin«, sagte ich zu Iris, und wir sahen uns die kleinen Fellknäuel an. Die Großtiere waren ein Anblick zum Markerzittern - halbe Kälber, aber flink wie Katzen. Ihr Gebiß wirkt bedrohlich, und man hält automatisch einen gewissen Sicherheitsabstand. Nach sechs Wochen Mutter-Aufzucht holten wir uns einen kleinen Rüden ab - wir hatten ihn jetzt schon ganz fest ins Herz geschlossen. Die nächsten Tage drehten sich nur um unseren Zuwachs. Ein Mastino muß von Anfang an im Freien leben. Eine Hundehütte wurde angeschafft. Einer von uns ging immer mit dem Tier Gassi - im nahegelegenen Park. Er wuchs rasch. Im Nachbarhaus wurde eingebrochen - uns würde wohl niemand besuchen wollen. King war sein Name, und diesen trug er auch zu Recht. Es hatte sich herumgesprochen im Kunst- und Antiquitätenhandel, meine Villa galt als feine Münchner Adresse, wenn man schöne Stücke sehen, Wertvolles erwerben wollte. Manchmal gab ich auch Vernissagen für moderne Künstler. Beispielsweise für den Maler Herdin Radtke oder den Glaskünstler Peter Brake. Iris wünschte sich sehnlichst einen Porsche - diesen Wunsch wollte ich ihr zu ihrem nächsten Geburtstag erfüllen. Aber jetzt im Herbst, wo der Winter vor der Türe stand,
ging ich der Sache instinktiv aus dem Wege. Sie drängelte indes, und ich konnte meinem Engel nichts abschlagen. Also gingen wir auf die Suche, und alsbald stand ihr knallroter Traum auf unserer Auffahrt. Aber wir unternahmen noch ein paar Übungsstunden zusammen. Wir befuhren die Autobahn, auf daß sie die Lage der Gänge blind erlernte. Wir fuhren durch Vorstadtstraßen und schließlich in die City - sie sagte, ich mache sie nur nervös. Aber ich machte mir so meine Gedanken - diesen Wagen beherrschte sie nicht, mein Schatzilein. Hoffentlich passierte ihr nie etwas. Ich liebte sie so sehr, sie bedeutete für mich mein ganzes Glück auf Erden, es durfte ihr nichts zustoßen. Iris fuhr gerne spazieren, hatte urplötzlich Freundschaften, die es vorher nie gab. Das war zur Zeit ihre Lieblingsbeschäftigung, war ihr am wichtigsten: Einsteigen und losbrausen. Laß sie nur machen - dachte ich und kümmerte mich um meine Geschäfte. Heute kam Iris zur Abendessenszeit wieder. Sie hatte extra nichts vorbereitet, weil sie gerne mit mir aufs Oktoberfest wollte, zum >Brotzeiteln<. Einen Steckerlfisch hatte sie sich eingebildet, und den bereiten sie nun mal ganz frisch - auf der Wies'n. »Hey - Baby, dein Wille sei mir Befehl! O. K., ziehen wir uns dementsprechend an.« Selbstverständlich blieben unsere Autos in der Garage. Ein Taxi fuhr vor, und wir waren um achtzehn Uhr auf dem Rummelplatz. Wir waren fröhlich und ausgelassen - keiner von uns beiden ahnte, daß die Zeitbombe bereits tickte. Unser erstes Ziel war das Fischzelt. Heute hatte Iris ihren giftgrünen Leder-Overall angezogen, in derselben Farbe waren ihre Mokassin-Stiefel. Je nach Regulierung ihres Reißverschlusses konnte sie züchtig oder vulgär aussehen - und mit diesem Reißverschluß spielte sie auch nach Laune und Gelegenheiten. Obwohl ich sie im Laufe unseres Zusammenlebens einige Male zum Süffeln hatte überreden können, nahm sie heute nur einen Schluck Bier zu sich - ihr voller Maßkrug begann fast zu kochen, so lange stand das Bier schon vor ihr. Nein, sie wollte heute nichts trinken -
lediglich die Atmosphäre der Geselligkeit und den leckeren Fisch genießen. Sie schien sehr glücklich, anlehnungsbedürftig und lieb. Wir lustwandelten anschließend noch ein wenig, schössen wie immer ein paar Fotos. Herrlich kitschig mußten auch die Blumen sein, die ich ihr an einem ändern Stand schoß. Denn ich liebe entweder das Überfeinerte oder das extrem Kitschige. Sie wünschte sich noch ein kuscheliges Tierchen, am liebsten einen Koala-Bären. »Ja, mein Schatz, jetzt suchen wir einen Koala-Bären.« Gebrannte Mandeln hielten unser Vorhaben etwas auf, aber wir fanden einen. Das übliche Schokoladenherzchen hängte ich ihr auch noch um - mit der Aufschrift: >Ein Leben ohne Dich - war' ein Jammertal für mich!< Ich war bestgelaunt, wir waren gutgelaunt - ein bißchen kalt wurde es schon. Unser Taxifahrer brachte uns zu unserer Villa - zwanzig Mark kostete das kleine Vergnügen, seinen Führerschein noch länger behalten zu können. Iris verschwand im Bad, eine Liebesnacht war angesagt. Da klingelte das Telefon. Es war bereits nach zweiundzwanzig Uhr - wer wollte noch etwas von uns? Iris hatte im Bad abgehoben, kam raus und bat mich um Verständnis, daß sie einer Freundin einen Liebesdienst erweisen müsse. Der Notarzt sei gerade bei der Betreffenden, sie liege darnieder und brauche ein bestimmtes Rezept aus der Nachtapotheke. Na klar machte das meine Maus - sie war nämlich immer hilfsbereit. Der Porschemotor heulte auf - und weg war sie. Ich küßte anstatt Iris nun meinen Hund aufs Ohr, ließ ihn von der Kette - er durfte auf der Terrasse >sitz< machen. Ich drückte die Fernbedienung des Fernsehers - da klingelte es Sturm am Gartentor. King bellte mörderisch, ich ging auf das Tor zu: »Was ist los?« »Du sofort kommen - nix Angst haben - alles schlimm aber Frau leben!« rief mir ein Südländer zu - und ich brauchte lange, bis ich begriff... Um Gottes willen, es war passiert... Ich war fast von Sinnen.
»Du nix fahren - du mit mir kommen!« sagte der Unbekannte, an dessen Gesicht ich mich nicht mehr erinnern kann. Keine hundert Meter von unserem Haus entfernt bot sich mir ein Bild des Grauens. Ich sah einen roten Porsche, total zerschmettert, auf dem Dach liegen. Ich sah in meiner Hysterie wohl Millionen Blaulichter - ich sah, wie man einen leblosen Körper am Straßenrand zudeckte.
Liebling - ist es Traum oder Wirklichkeit - du stehst am Straßenrand und wartest auf mich??? Stimmt denn das, daß du da leibhaftig stehst?? Ich vermeinte zu träumen, und doch war es Wirklichkeit. Ja!!! Mein Liebling stand da, war offensichtlich unversehrt weinte! Ich konnte immer noch nicht begreifen, was hier Sache war. Aber in dem Moment, da ich Iris in meinen Armen hielt, war alles andere egal. Was genau war geschehen? Iris hatte die Straße mit hoher Geschwindigkeit befahren und ein unentschlossener Fußgänger wollte diese überqueren. Einmal raus, einmal rein zwischen zwei Autos - und wieder raus. Iris wußte nicht mehr, wo sie hinlenken sollte, schleuderte, hielt dadurch voll auf den Fußgänger zu. Der war auf der Stelle mausetot. Sie aber fuhr auf eine Niedrigmauer auf, ihr Fahrzeug überschlug sich - sie war aber angeschnallt. Die Sanitäter führten nun meine Iris in den Sanka - ich durfte nicht mit hinein. Verschiedene Polizisten vermaßen irgendwelche Strecken und Spuren. Iris mußte in ihrem Schock alles mögliche von sich gegeben haben, hatte wohl auch vom Oktoberfest gesprochen. Nun wollten sie Iris zuallererst mal zur Blutprobe bringen und dann erst in die Klinik zur Behandlung. Ich bequatschte sie alle mit Engelszungen, sie sollten doch meine Freundin zuerst in die Klinik bringen - und dann erst zur Blutprobe. Ich drohte mit meinen Anwälten, bluffte, daß schon einer
nach hier unterwegs sei. Da kamen sie ins Grübeln und entschieden sich dafür, >gleich mal ins Rechts der Isar zu fahren< Ich lief wie der Teufel um die Ecken, die paar Meter nach Hause. Startete meinen SL und fuhr dem Blaulicht hinten nach. Ja - auch ich stand unter Schock, ich wußte gar nichts mehr. Wieviel hatte Iris getrunken auf der Wies'n? Hatte sie einen Schnaps gekippt oder nicht? Mein Gott, der Tote - und das Auto war Schrott, ich hatte es nicht Vollkasko versichert! Wie tief waren die Verletzungen bei Iris? Wieviel Promille würde sie haben? Ich nahm für alle Fälle meinen silbernen Flachmann aus dem Wagen mit hinein in die Klinik. Wenn ich ihr unter Zeugen Whisky einträufelte, konnte man die Blutprobe nicht mehr genau bestimmen. Mein Gott - wie konnte ich ihr helfen??? Ich stand vor den Flügeltüren der Ambulanz, zwei Bullen ebenso. Sie mußten sie bewachen, bis sie ihr Blut hatten. Huuiii - die Lage war brenzlich. Sie fuhren sie auf einer Bahre zum Röntgen - ich durfte mit hinein, bis sie drankam. Jetzt die Gelegenheit war günstig, ich setzte ihr meinen Flachmann an den Mund, ich hatte ihr schon erklärt, für was das gut sein solle. Ich erzählte ihr auch, daß sie einen Menschen getötet hatte. Zwei Schwestern sahen uns zu, während ich laut sagte: »Das wird dir guttun, so ein Schluck Alkohol!« Iris wurde mit drei Stichen am Handgelenk genäht, die Ge sichtsschnitte waren so schwach, daß Jodtinktur genügte. Ein Bulle kam sodann nebenan im Wartesaal auf mich zu. Ich wußte, was er wollte! »Haben Sie der Dame Alkohol zum Trinken gegeben?« fragte er mich - wo ich das Behältnis in der Hand hielt. Ich tat ganz verdutzt und sagte: »Ja, ich hatte meinen Flachmann dabei, und sie wollte einen Schluck trinken, als wir beim Röntgen waren. Das konnte ich ihr nicht abschlagen, ich weiß nicht, wieviel sie trank!« Das Ganze heißt in der Rechtsprechung >Nachtrunk<, und diesen hätten die Polizisten eigentlich verhindern sollen. Aber man nahm der Iris dennoch das Blut ab. Und dies geschah gleich hier, in der Klinik. Iris und ich konnten nun ge-
hen, sie war ärztlich versorgt. Betreten sahen uns die Bullen nach. Als wir heimwärts fuhren, an der Unfallstelle vorbeikamen, graute schon der Tag. Die Straße lag friedlich da, an der Unfausteile war feinsäuberlich aufgeräumt worden. Der Porsche war abgeschleppt. Die Leiche in der Gerichtsmedizinganz sicher. Die Scherben zusammengekehrt, das ausgelaufene Benzin von der Feuerwehr neutralisiert und aufgenommen. Nur die roten Lackspuren an der niedrigen Mauer waren noch ein sichtbares Zeichen dafür, daß wir mal einen roten Porsche hatten. >Schöne Porschefahrerin fährt Urlauber tot<... lautete am folgenden Tag die Schlagzeile einer Boulevardzeitung. Unser Anwalt, Iris und ich fieberten dem Ergebnis der Blutprobe entgegen. Null-Komma-Null-Null, hieß die Auskunft nach ein paar Tagen. Wir rätselten alle, wie dieses Ergebnis zustande kam - möglicherweise hatte Iris tatsächlich nur einen Schluck Bier auf der Wies'n getrunken, und der verflog bei der Fahrt auf dem Doppellooping. Na ja, so ganz unschuldig wollte man Iris auch nicht davonkommen lassen: Zwei Gutachter errechneten eine Mindestgeschwindigkeit von ihr von dreiundsiebzig Kmh. Also brummte man ihr die erhöhte Geschwindigkeit auf. Aber da sie nicht vorbestraft war, kam der Richter zu einer milden Strafe von siebentausend Mark Geldbuße. Der sogenannte Nachtrunk kam auch zur Sprache, aber die paar Schluck Whisky waren noch nicht in die Blutbahn gelangt, als man ihr das Blut abnahm. Auch das kann man errechnen. Na ja - ich hatte es nur gut gemeint, wollte der Iris helfen. Mir klingt heute noch der Satz im Ohr, den der Sohn des Unfallopfers zu seiner Mutter im Gerichtssaal sagte: »Woos, war unsa Papa nur siemtausend Mark wert?« Aber dieses Thema ließ Iris kühl - und mich streifte die Empfindung, daß sie tatsächlich ein eiskaltes Wesen sei. Ich kaufte ihr einen großen Buik Monte-Carlo, einen Ami. Mit seinem Luxus und der Automatik war dieser für Iris das Richtige. »Mit dem Auto fahre ich gleich nach Hause, in den Wald«, sagte sie, und ich merkte daran, daß sie noch immer
ein Kind war. Ihre Schwester, die jüngere, würde dieser Tage heiraten, wir sollten den Feierlichkeiten beiwohnen. Ich kaufte als Ge schenk für die Braut eine Goldkette mit einem schönen Anhänger. Der Bräutigam war ein recht frischer Bursche mit einem treuen Geschau, wir mochten uns sofort. Als ich in der Kirche saß, dachte ich so über den Kult einer Hochzeit nach. Wieviel Bräute gab es schon, die vor Glück an diesem Tag in Tränen ausbrachen - und sie wußten nicht, daß sie früher oder später vor dem Scheidungsrichter stehen würden. Nicht zu vergessen die Kinder solch gescheiterter Ehen - sie schauen ihre streitenden Eltern mit großen Augen an, haben Angst um die Zukunft, wenn ihr Nest ausgehoben wird. Ich fragte mich, während ich da so auf der Holzbank kniete, würde diese Ehe halten? Würden diese jungen Menschen zu ihrem Wort stehen, welches sie sich jetzt gerade gaben? Ich wünschte es ihnen von ganzem Herzen. Der Hochzeitsschmaus in der nahen Wirtschaft war lecker, abends war der Tanzboden voll. Irgendein Bauernbursche holte meine Iris zum Tanzen, nahm sie mir von meiner Seite. Ich wußte nicht, ob ich richtig sah, machte sie ihm tatsächlich schöne Augen? Ich saß wie versteinert am Brauttisch. Ich war verwirrt. Wußte gar nicht so recht, was ich tun sollte. Oder war das ganz normal, daß ein Mädel halt mal tanzt? War ich derjenige, der die Welt nicht mehr mit richtigen Augen sah? Iris kam zum Tisch zurück, ich pflegte noch einige Momente, ganz scheinheilig, Konversation mit ihren Eltern und dem Herrn Pfarrer. Aber ich konnte nicht gegen meine Natur handeln - ich war fertig, gelähmt, ganz durcheinander. Am nächsten Tag, in aller Frühe, erzwang ich die Heimfahrt, ich führte irgendwelche geschäftlichen Ausreden ins Feld. Zu Hause angekommen, kümmerten wir uns um King und alles, was so anlag. Ganz unvermittelt begann Iris sodann ein Gespräch, welches uns stundenlang in die Sessel zwang. Heiße Diskussion war angesagt.
Iris wollte heiraten! Es sei ihr schon lange danach, sich den üblichen gesellschaftlichen Riten anzuschließen - und jetzt sei sie durch die Heirat ihrer - dazu noch jüngeren - Schwester besonders motiviert. Sie wollte auch gerne Mutter werden. Ich erklärte Iris meine Bedenken, meine Einstellung zu diesen Dingen. Und plötzlich durchzuckte mich ein schlimmer Gedanke. Ich hatte den Eindruck, Iris meinte gar nicht unbedingt mich mit dem Heiraten! War ich jahrelang blind durch den Alltag gegangen? Hatte ich nie die tiefsten Seelengründe dieser Frau erforscht? Mein Puls pochte, in meiner Magengrube drehten und wendeten sich tausend Rasierklingen - mir fiel das Atmen schwer. Ich hatte Angst vor mir, ich hatte Angst vor ihr - ich wollte keine Eskalation. Ich war der Liebe zuliebe feige. Wo bleibe ich denn in ihrem Herzen? fragte ich mich, und ich ließ die Erinnerung aufleben, daß ich sie schon einmal eis kalt erlebt hatte. Scheinbar war das Thema unter den Teppich gekehrt, unsere Liebe plätscherte so vor sich hin. Mal innig, mal gleichgültig waren unsere Begegnungen. Außerdem lenkte uns der Alltag ab - ich mußte wieder ganz schön Gas geben, meine Finanzen waren gleich null. Ich stellte fest, ich war Iris hörig. Was sollte es, nun lief das Spielchen eben mal umgekehrt. Vor zwanzig Jahren waren mir die Mädels hörig. Ihr Geburtstag war in Sicht, was würde sie sich wohl wünschen? Ein Fußkettchen mit einem Briller na klar, sollte sie haben. Ich wollte gerne diesen Tag alleine mit ihr feiern, und zwar in unserem schönen Heim. Was auch geschah. Ein Vierteljahrhundert wurde sie alt, ach, welch wunderschöner Lebensabschnitt! Ich bemühte mich sehr um sie, dafür durfte ich auch mit ihr schlafen. Wir hatten für den nächsten Tag meine Mutter eingeladen. Sie sah unsere Bleibe zum erstenmal. Ich zeigte ihr alle Zimmer und das Anwesen, und sie fragte mich ganz unbefangen: »Für wen macht sich die Iris denn immer so schön - wen will sie mit ihren Brillanten blenden, dich hat sie ja schon?!«
Ein Zufall ließ mich ein Geschäft wittern - ich konzentrierte mich darauf. Eine Bauernfamilie aus dem Oberbayerischen hatte vor, ihren Land- und Forstbesitz zu veräußern. Man beauftragte mich mit dem Verkauf. Sie wollten mit dieser Kohle nach Südamerika - sie hatten von Deutschland die Nase voll. Sie hatten bereits eine Anzahlung geleistet - auf eine Riesenfarm in Paraguay. Ich dachte an die Vorfinanzierung einer Bank, das wäre für den Anfang besser, als holterdiepolter den Hof zu verschleudern. So bekäme der gute Bauer seine Kohle, um in Paraguay cash seine Verpflichtungen zahlen zu können. Für den Verkauf hätte man dann ausgiebig Zeit. Ich stellte zu einigen Banken Kontakte her, nachdem ich mir schriftliche Vollmacht hatte geben lassen. Grundbuchauszüge besorgen, Notarbesuche - da gab es einiges zu tun, bis eine Bank die Summe ausspuckte, die der gute Mann für seine neue Zukunft benötigte. Ein paar Märker fielen für mich ab - und nun war ich neugierig geworden, was denn an Paraguay so interessant sei. Als die Familie zum Auswandern rüstete, war auch ein Platz für mich mitgebucht - in der Maschine, die den südamerikanischen Kontinent anflog. Ab Frankfurt ging es nach Paris. Von Paris nach Rio, von dort nach Säo Paulo-Asunciön. Mit all den Zwischenlandungen waren wir genau vierundzwanzig Stunden im Jumbo festgenagelt. Und wieder knallte mir die berühmt -berüchtigte Heißluftwand entgegen, als wir wie gerädert die Maschine verließen. Wir wurden von dem dortigen Immobilien-Team mit Autos abgeholt. Es ging sofort zur Sache. Exakt hundert Kilometer von der Hauptstadt Asunciön entfernt lag die traumhaft schöne Estancia, auf die die Familie ihre Anzahlung geleistet hatte - mit eingerichtetem Bungalow, Bediensteten-Häusern und, last not least, siebenhundert Hektar gerodetem Land. Das Ganze gehörte zu der Kleinstadt San Jose. Mit einem gemieteten Jeep kamen wir dort nach einer außergewöhnlich romantischen Fahrt an. Der Cavador (der Landarbeiter und Viehpfleger) wartete
schon auf uns, auf seinen neuen Herrn. Kaum waren wir angekommen, schlachtete er ein Lamm. Seine Frau reichte Säfte und Wein. Da saßen wir nun, wollten alles Neue mit Gewalt förmlich aufsaugen, aber zunächst aßen wir genüßlich das beste Lammfleisch unseres Lebens. Vier Reitpferde gehörten mit zur Kaufsumme - ich war nach dem Essen gleich im Sattel. Ich wollte über die Weiden und mal ganz vorsichtig den Urwaldrand inspizieren. Der Cavador gab mir seine Waffe, ich wurde darüber aufgeklärt, daß hierzulande das Waffentragen erlaubt war. Der Schweiß lief mir aus allen Poren, die Luftfeuchtigkeit war der reinste Wahnsinn. Die Moskitos gingen auf mich los - als ob sie mich als echtes Greenhorn erkennen würden. Große Raubtiere sollten in dieser Gegend selten zu sehen sein, aber ich solle unbedingt auf Schlangen achten, riet man mir. Es gäbe Schlangen, deren Gift sehr schnell wirke man sei rascher tot, als man das Krankenhaus erreichen könne. Also solle man vorsichtshalber jede Schlange, deren man ansichtig wurde, erschießen. Mein Pferd war brav und gehorchte - als sei Hüüüa international. Ich wagte einen Ga lopp über die weite Steppe, das ging ganz schön ab. Ich klebte förmlich mit meinem Oberkörper am Hals des Pferdes und desen zotteliger Mähne. Im Geis te suchte ich mir schon die Seite aus, nach der hin ich mich abrollen würde, wenn ich den Sattel unfreiwillig zu verlassen gezwungen wäre. Ein paar aufgeworfene Termitenhügel waren höher als das Gras, sonst war alles eben. Nicht ein einziges Wölkchen stand am Himmel, das Stahlblau spannte sich von überall nach nirgendwo. Es wehte stets eine leichte Brise. Ich war am Niedrig-Busch angelangt, wollte heute nicht eindringen. Ich kehrte um und beließ mein Pferd in seiner ruhigen Gangart. Ein kleiner See gehörte auch zu diesem Riesenanwesen, sein Wasser war klar. Am gegenüberliegenden Ufer schielte ein Fischreiher auf den Grund - auf ein Opfer? Als ich zurückkam, kümmerte sich der Cavador um das
Pferd, und wir fuhren in die Stadt, um ein paar Kästen Bier zu holen. Das Haus war nach alter Tradition im spanischen Stil erbaut. Es hatte glatte, schneeweiße Wände, der Boden zeigte ein herrliches Muster aus Mosaikfliesen. Das Mobiliar war handgeschnitzt, die Sitzflächen und Lehnen aus dicker Rinderhaut. Prunkvoll geschmiedete Nägel hielten und verzierten alles. Die Räumlichkeiten bestanden aus zwei Fremdenzimmern, einem Schlafzimmer, dem Wohnzimmer in Saalgröße, der Küche und drei Duschbädern. Alle Decken wurden durch alte, schwere Palisanderbalken getragen. In jedes Fenster des Bungalows waren hauchdünne Moskitogitter eingesetzt. An den Decken hingen schwere, schmiedeeiserne Lüster. Hier spielten Quadratmeterzahlen überhaupt keine Rolle, die Terrasse war so groß angelegt wie eine halbe Bahnhofshalle. Da saßen wir nun draußen, tranken unser eiskaltes Bier und redeten durcheinander. Jeder wollte seine Eindrücke mitteilen. Der Abend brach herein, und, wie das so ist in Äquatornähe, die Nacht fraß den Tag in kürzester Zeit. Es war ein fantastisches Naturereignis. So ungefähr um achtzehn Uhr war noch Tag - und um achtzehn Uhr vierzehn war es bereits stockdunkle Nacht. Das Zwischendrin, die Dämmerung, bot ein orangerotes Flammenmeer, scharf und schwarz zeichneten sich dabei die Silhouetten der Palmen in der Ferne ab. Die leichte Brise brachte uns akustisch den jetzt erregten Urwald vor die Haustüre. Alle möglichen Laute trafen unser Ohr. Wo ich auch hinkam auf der Welt, ich erlebte stets eine Steigerung. Wie herrlich ist doch diese Erde, stellte ich fest. Ich saß fast wie in Trance. Wir wollten früh in die Betten. Der Flug, die Hitze und all die Aufregungen ließen dies angeraten sein. Die Betten waren schneeweiß bezogen, ich schlief sofort tief. Einige Kolibris weckten mich durch ihren vielfachen Flügelschlag. Sie naschten gierig an den Orchideenblüten vor meinem Fenster. Ein schöner Tag - der Himmel wie gestern.
Wir wollten heute in die Hauptstadt zurück - wir würden im Club Aleman übernachten. Denn es gab so viel zu tun, die ganzen Behördengänge waren zu erledigen. In Asunciön wurden schöne Häuser und Bungalows zum Verkauf angeboten; mit Swimming-pool und voll eingerichtet, kosteten diese um die vierzigtausend. Wenn ich daran dachte, was ich alleine für meine Autos ausgab! Ich freundete mich bereits mit dem Gedanken an, hier zu leben. Als ich der Familie nach unserer Rückkehr auf die Estancia gestand, daß ich große Lust hätte, es ihnen gleichzutun, boten sie mir gleich den Zipfel ihres Grundstücks an, welcher gegenüber der Straße weiterverlief. Aus Dankbarkeit, weil ich ihnen in allen Belangen zur Seite gestanden hatte, würden sie mir dieses Grundstück schenken. Da war ich baff, und ich mußte sofort an Iris denken, denn nun war es nur noch ein kleiner Schritt ins Eheglück und in eine sonnige Zukunft. Ganz schnell war es für mich klar, daß ich am Straßenrand eine Tankstelle und ein Motel mit einem deutschen Restaurant hinsetzen würde, ebenso ein Wohnhaus mit Swimming-pool. Derweilen ich an unserer Zukunft bastelte, konnte Iris ruhig auf unseren Nachwuchs warten. Wir waren uns sehr nahe gekommen, die Familie und ich. Der Tag brach an, da sie mich alle zum Flughafen brachten. Der Abschied fiel mir nicht leicht, dennoch war ich glücklich, bald meine Iris in den Armen zu halten. Ich klappte meinen Sitz zurück und versuchte, dahinzudösen. Ich dachte viel - dachte an meinen Liebling. Das leise Fauchen der Bord-Air-Condition trottelte mich in den Schlaf. Kaffeeduft weckte mich und die Tatsache, daß wir nach dem Frühstück bereits wieder in Europa sein würden. Paris wurde angeflogen - ich sah nichts als Wolken, Wolken. Ach, was ging das mich an, ich würde bald in der ewigen Sonne leben. Ein Airbus nahm mich ab Frankfurt mit nach München. Was für ein Wetter - und das mitten im Sommer! Ich drückte Iris halbtot, mein unrasiertes Kinn scheuerte das ihre wund.
Als ich im Ami saß, dachte ich, daß ich dieses Auto wohl verschiffen würde. Es war ein guter Wagen für Paraguay. Seine Air-Condition war nämlich eine Wucht. Gerade zur Tür herein, riß ich Iris und mir die Kleider vom Leib, gierig frönte ich meiner Fleischeslust. Und dann erzählte ich ihr von dem fernen Kontinent - und von allem, was ich erlebte. Was ich sah, was ich tat, was ich dachte. Ich zeigte ihr meine Papiere von drüben, auch mein Scheckbuch der Banco-Exterior. Zweitausend Mark hatte ich bei dieser deponiert. Damit wollte ich zu erkennen geben, wie ernst es mir war, mit ihr dort drüben zu leben. Anstatt über den Wolken zu schweben, blieb Iris eher sachlich - fragte nach Ungeziefer, Ratten, Spinnen und was sonst noch. Das normale Leben fing mich wieder ein. Doch immer waren Zettel und Bleistift parat, ich war häufig am Rechnen. Zweihunderttausend mußte ich haben, dann machten wir den großen Abflug. Also mußte ich noch einige Geschäfte tätigen, meinen SL verkaufen und meine antike Einrichtung. Naja, das klappte schon. Dann fiel mir ein, daß ich ja auch Werbung für Paraguay machen könne - warum sollten sich nicht ein paar Interessenten finden. Vielleicht kaufte sich jemand eine Estancia, die Vermittlungsprovision wäre in diesem Falle nicht schlecht. Ein paar Hunderter legte ich dafür hin, in allen deutschen Tagesblättern zu inserieren. Ich ließ Handzettel drucken und Visitenkarten mit dem Staatswappen Paraguays. Wenn ich heimkam, war Iris meis tens weg - heute war ich müde. Ich hatte den ganzen Abend in der Villengegend von Grünwald meine Handzettel in die Briefkästen gesteckt. Ich hörte Iris kommen, und alsbald machte ich mir ganz schön Luft, was das denn eigentlich die ganze letzte Zeit solle? Also, was ich da zu hören bekam, das war für mich eine völlig neue Iris. Ich müßte das verstehen, sie genösse es, wenn sich andere Männer nach ihr umdrehten, sich für sie interessierten. So fühle und denke jede Frau - erklärte sie mir. Außerdem sei sie jung - und wolle halt auch mal in die
Disco. Mein Handel mit dem alten Kram aus Omas Zeiten, der interessiere sie nicht. Und überhaupt - warum hätte ich ihr denn die schönen Klamotten gekauft, wenn sie diese jetzt nicht anziehen dürfe? Warum besäße sie das schöne Auto, wenn sie damit nicht fahren dürfe? »Wir beiden sind halt zu verschieden«, sagte sie. Bei diesen Worten würgte ich, als stecke mir ein Knödel im Hals. Doch... letztlich schwenkte Iris ein, umarmte mich und strich mir übers Haar. »Du eifersüchtiger Bub!« sagte sie halb schmollend. Aber heute hätte sie noch eine Verabredung mit einer Freundin, die wolle sie trotz allem einhalten - ich solle ihr bitte nicht böse sein. ... Natürlich nicht. Als Disco-Queen aufgetakelt, sprang sie leichtfüßig in den Ami und gab Gas. Ich ging ins Untergeschoß und bewegte einige Kraftmaschinen. Gute fünfzig Riesen brauchte ich noch für ein Leben im Paradies. Ich ging schlafen. Ich schlief gut, als das Telefon klingelte. Schlaftrunken hob ich ab, zog den Hörer ans Ohr. »Hallo - Berndt?« ... Träumte ich? Das war doch die Stimme von Iris! Ich griff rüber, an die Seite, wo sie immer lag, spürte nur das kalte, leere Bettzeug. Um Gottes willen, war etwas passiert? Ich war hellwach, saß nun im Bett. ... »Du - Berndt, ich wollte dir nur sagen, daß ich nicht mehr komme!« »Was heißt das, wo bist du? Ist etwas passiert?« ... »Nein, nichts ist passiert, aber ich komme nicht mehr verstehst du? Es ist aus!« Ich traute mich nicht mehr zu atmen - meine Sinne waren höchst konzentriert. Ich versuchte, das feinste und kleinste Geräusch zu erhäschen - durch diese blöde Muschel. War da Musik im Hintergrund? Raschelte Bettzeug? Rief sie aus einem Telefonhäuschen an? Sprach im Hintergrund ein Typ? War sie gar besoffen? EinBlickauf die Uhr-es war fünf Uhr früh. »Hallo, sagdoch was - warum kommst du nicht mehr?« wollte ich wissen.
Sie erwiderte, ohne den Tonfall ihrer Stimme zu verändern: »Weil wir uns nicht mehr verstehen.« Das war nicht meine Iris, ich sprach mit einer Fremden. In jedem ihrer Worte war Eiseskälte - und ich verglich die jetzige Situation mit der damals, als sie den Mann totgefahren hatte. Eiskalt war sie »Wann kann ich meine Sachen holen?« lautete ihre nächste Frage. Sarkastisch nannte ich den Termin - heute mittag um zwölf Uhr. »Gut, ich bin pünktlich«, kam die Antwort, und schon machte es >klick< in der Leitung. Ich saß, mit dem Hörer in der Hand, wie versteinert im Bett. Einem Schlafwandler gleich stand ich schließlich auf und zog mir meinen Morgenmantel über. Ich ging in die Küche und setzte das Kaffeewasser auf. Ich öffnete die Terrassentür - es versprach ein schöner Tag zu werden. Ich schritt barfuß durch das feuchte Gras und löste King von der Kette. Ich nahm ihn mit ins Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch, trank Kaffee und döste in das Mittelblau des jungen Tages. Alle möglichen Gedanken schössen mir durch den Kopf. Ich rauchte hektisch. Ich streichelte King zu meinen Füßen, er schaute mich an, als hätte er alles vorausgeahnt. Wie würde ich mich verhalten, wenn sie kam? Würde ich sie zu halten, zu überreden versuchen? Hoffentlich erschien sie alleine, sonst konnte ich für nichts garantieren! Mein Traum von Paraguay platzte wie eine Seifenblase. Was hatte ich falsch gemacht? Hegte ich jetzt Haß, oder war ich traurig? Ich wußte es selbst nicht. Mein Gott, wie hatte ich diese Frau vergöttert und verwöhnt! Mit Plastiktüten hatte ich sie aus einer Pension aufgelesen, und nun fuhr sie mit einem Wagen, der eines Bankdirektors würdig war, davon. Schmuckbehangen wie ein Christbaum, im Besitz von Klamotten und Pelzen vom Feinsten. Das wäre alles nicht so doll gewesen, aber ich verlor ein Herz. Und das bohrte sich tief in meine Seele. Einfach so, mir nichts dir nichts, gab sie von heute auf morgen Gas.
Ich mußte meine Reaktionen überprüfen - ich fühlte mich jetzt äußerst gefährdet. Ich hatte Angst vor mir. Ich mußte unbedingt cool bleiben, durfte meinen Emotionen keinen freien Lauf lassen. Die Stunden waren vergangen, es war bereits zehn Uhr, und der Aschenbecher quoll über. Wieder und wieder prüfte ich mich - ich wollte nicht wis sen, warum sie ging, wollte nicht wissen, wohin sie ging, wollte nicht wissen, zu wem sie ging. Jawollllll - alles klar, jetzt konnte es meinetwegen zwölf Uhr werden. Und pünktlich fuhr sie vor, meine Liebe - oder meine Ex-Alte? Egal. Ich sah durchs Speisezimmerfenster, sie war alleine. Gott sei's getrommelt und gepfiffen. Ich öffnete ihr die Tür, sie blickte mich trotzig an. Natürlich war sie übernächtigt, wegen wem wohl?... ... Schluß, Berndt!... Ich nahm jetzt das Heft in die Hand, als sei es das Normalste der Welt, daß sie auszog. Ich stellte keine Frage - lediglich die nach dem Hausschlüssel. Ich bat sie, es schnell zu machen - sie brauche alle meine Koffer, sagte sie. Selbstverständlich. Mal schaute ich ihr zu, wie sie ihre Sachen in die Koffer drückte, mal tigerte ich nervös durchs Haus. Der Hund draußen war unruhig - was Tiere doch für ein Feeling haben! Iris beeilte sich wirklich, sie lief treppauf, treppab, alles wurde in den Wagen geworfen. Na - da war ja genug Platz. Als ich so durch die Räume wandelte, sah ich, daß ihr Badezimmer schon völlig ausgeräumt war. Im Schlafzimmer schaute ich ihr ins Gesicht, sie schaute an mir vorbei. »Kannst du mir helfen...?« - »Nein, ich helfe dir bei gar nichts«, erwiderte ich scharf. Mein Herz pochte im Leib, meine Handflächen waren naß. Sie legte mir den Hausund den Briefkastenschlüssel in den Aschenbecher im Kaminzimmer. Im selben Moment bemerkte sie, daß sie das mit dem Postnachsendeantrag schon selbst regeln würde. Es waren verteufelt gespenstische vierzig Minuten gewesen - ihre Arbeit war getan. Ich konnte nicht anders, ich zog sie an mich, als sie an
mir vorbei wollte. Ich küßte sie auf den Mund, der sich nicht öffnete. Ihr Gesicht war glühend heiß, sie weinte dicke Tränen. Die Haustür blieb offen - ich sah ihr nicht nach. Ich hörte nur noch das sanfte Böllern der starken, sanften Maschine und das Luftsaugen der Air-Condition. Auch diese Geräusche waren nun nicht mehr da, es sah aus im Haus, als ob hier niemand mehr wohnen würde. Obschon, sie hatte ja nur ihre >Persönlichkeiten< mitgenommen. Wohl minutenlang stand ich starr und unbeweglich - ich fühlte mich wie tot. Dann aber gab ich mir einen Ruck - lief förmlich zu meinem Hund und nahm diesen mit ins Haus. Ich schloß alle Türen, Schränke, das Bad, das Schlafzimmer. Mitten auf dem Teppich sitzend, drückte ich das Tier an mich - ich weinte nicht, meine Seele aber weinte bitterlichst. Alles aus - für was hatte ich gelebt? Oder war es besser so? Urplötzlich erschien der Knastpsychologe in meinen Ge danken. Er war die Schlüsselfigur dafür, daß es auch in der Folge kein Blutbad gab. Es nützte kein Hadern, es war eine neue Situation eingetreten, die ich zur Kenntnis nehmen mußte. Ich war alleine. Die ersten Tage fragten schon die Leute, wo denn meine bessere Seite sei? Zuerst schluckte ich, dann murmelte ich irgend etwas vom Bayerischen Wald - Eltern und so. Immer deutlicher wurde mir, mir war ein großes Stück Lebensglück abhanden gekommen. Aber da war noch mein King, den ich oft an mich drückte und streichelte. Als ob dieses Mordsviech verstand, kam es immer öfter ins Haus geschlichen und legte sich zu meinen Füßen. Ach - übrigens - ich weiß bis heute nicht, ob Iris um die Ecke wohnt oder in China. Und das ist gut so. Es blieb eine Narbe mehr auf meinem Herzen, und der Rest ist - Mundabputzen. Die Putzfrau kam immer noch, als wenn sich nichts verändert hätte. Eines Tages fiel mir auf, daß nur noch sie in meinen fünfzehn Zimmern zu tun hatte - mir genügte der Meter zur Couch, der Meter zum Fernseher und mein Telefon in
unmittelbarer Nähe. Mein herrschaftlicher Stand bröckelte ich bat die gute Frau, nicht mehr zu kommen. Ich kündigte das Haus, fand einen Nachmieter. Ich wollte hier nicht mehr weiterleben - es schien mir wie ein Geisterhaus. Ich machte eine sogenannte Haushaltsauflösung, per Inserat. Natürlich fanden die schönen, wertvollen Sachen ganz schnell ihre Abnehmer, denn es waren Schleuderpreise angesagt. Ich ging mit King in den Wald und redete mit ihm, als sei er ein Mensch. Ich erklärte ihm stundenlang, daß ich ihn für eine gewisse Zeit zu seiner Geburtsstätte zurückbrächte. Er könne dort im Zwinger mit vielen Mastinos spielen, und ich würde ihn oft besuchen, um ihn dann wiederzuholen. Ich baute in meinem SL den Beifahrersitz aus, so daß King gemütlich Platz hatte - und brachte ihn dort hin, wo ich ihn gekauft hatte. Der Züchter nahm ihn gerne als Gast auf und seinem Herrchen ähnlich, war er gleich hinter einer jungen Mastino-Hündin her. Ich fühlte mich auf der Heimfahrt ziemlich elend, war leergesaugt und hatte nur noch wenig Kraft. Als ich wieder in München war, fuhr ich gleich in die Leopoldstraße und stieß die Tür meines Reisebüros auf. »Eine schnelle Sonne - am liebsten Gran Canaria - und am liebsten gestern«, sagte ich. Der Computer spuckte Flugnummer und Hotel sowie die Abflugzeit aus: Samstag, um acht Uhr früh. Der Samstag fing schon gut an - eine hübsche Taxifahrerin brachte mich zum Flughafen. Ich trank schnell an der Stehbar noch einen Piccolo. So - das war mein Frühstück. Als der Vogel abhob, wurde mein schweres Herz etwas leichter. Den Stewardessen drückte ich alsbald flockige Sprüche rein. Ich checkte die Fluggäste durch, ob nicht 'ne süße Maus dazwischen saß. Für vierzehn Tage hatte ich gebucht - da würde einiges passieren. In dieser Gewißheit bestellte ich mir einen Whisky und schaute hinab auf diese wunderschöne Welt. Es dauerte nicht lange, und wir überflogen die Pyrenäen.
Es war noch gar nicht lange her, da war ich auch in der Luft - und hatte etwas ganz anderes im Sinn. Ja, es gab keine Ga rantie auf Liebe und Glück! Wir landeten - die Sonnenbeständigkeit auf den Kanarischen Inseln ist einfach eine Wucht. Ich nahm ein Taxi - von Las Palmas nach Playa del Ingles. Der Fahrer sprach ein blendendes Deutsch. Das brachte mich auf eine Idee. Ich bot ihm zweihundert Mark, wenn er die ganze Nacht für mich fuhr, mit mir in Las Palmas in eine Dicso, in einen Puff ging. Um einundzwanzig Uhr sollte er vorfahren. Ich begab mich ins Hotelzimmer, raus aus den Klamotten und rein in den Hotel-pool. Eine Sangria an der Pool-Bar und schon sah ich die Welt mit ganz anderen Augen. Ein hübsches Mädchen saß mit halber Pobacke auf dem NachbarBarhocker, halb stand die Kleine. Schön braun war sie, und wie versteinert sah ich auf ihr Handgelenk. Sie trug die gleiche Brillant-Rolex, die ich meiner Iris kaufte. Die Meeresluft hatte mich hungrig gemacht, eine Runde Calamari war bestellt. Morgen würde ich an den Strand gehen - ober übermorgen - ... Manana! Die Maus neben mir war offensichtlich alleine hier, wurde aber schon von drei Typen angemacht. Ich wollte nicht der vierte sein. Ich zog meinen weißen Overall an, nichts drunter und nichts drüber. Was ich noch brauchte, war ein Bündel Scheine - ich wechselte mein Geld an der Rezeption. Ein paar Duftspritzer - und ab ging's nach Las Palmas. Eine knappe halbe Stunde - und schon lag der Internationale Hafen mit all seinen Lichtern zu unserer Rechten. Links davon, etwas rein in die Stadt, kamen die Gäßchen der käuflichen Liebe. Ohne Umweg wollte ich jetzt dahin. Wahnsinn - was da für Schüsse standen! Na, das mußte ich erst mal verkraften, das mußte ich mir erst einmal ausgiebig betrachten. Am liebsten hätte ich das ganze Angebot hier gebündelt vernascht. Aber die Nacht war ja noch jung! Ich ging in das erste Haus, drei Mädels bemühten sich um mich. »Du Aleman - ahhhh!«
»Wieviel?« Mein Dolmetscher sagte mir etwas von fünfzig Mark. Ja, Baby, das bist du mir echt wert. Mein Begleiter konnte sich etwas zu trinken bestellen oder vor der Tür warten - das war mir egal. Sie wusch zuerst meinen Schwanz so hingebungsvoll, als wollte sie ihn später verspeisen. Sie war groß und schlank, ihr Alter vermochte ich nicht zu schätzen. Aber sie war eine gottbegnadete Liebesdienerin. Ich hörte mich selber schreien wie ein Tier. Eine uralte Puffmutter stand urplötzlich im Zimmer - sie wollte ihren Obolus dafür, daß sie das Waschwasser gebracht hatte. So hat jeder seinen Trick drauf, um an ein paar Nutscherl ranzukommen, dachte ich, als ich wieder in meinen Overall schlüpfte. Es war gar nicht viel Zeit vergangen, als ich wieder vor dem Haus stand. Mein Driver fragte mich, ob ich zufrieden war - aber, was heißt das schon. Eine wildfremde Frau zu besitzen, in sie genüßlich einzudringen, das ist wie ein Bonbon lutschen - eigentlich. Denn der Moment, da das Bonbon aufgelutscht ist, ist der Moment, da du dich wieder anziehst. Ein kurzer Genuß - ein heimlicher Triumph vielleicht. Aber vorbei ist vorbei, und keiner fragt mehr nach dem, was vorher war. »Komm, wir wollen weiterschauen«, sagte ich zu dem Taxifahrer, und ich lud ihn auf eine Runde Bumsen sein. Aber das machte er nicht - er sei verheiratet, erklärte er mir. Keine zehn Meter weiter fand ich wieder ein Mädchen begehrenswert. Aber ich machte aus dem Haus, zu dem die Maus gehörte, erst mal einen Night-Club. Alle Huren dieses Hauses bekamen von mir etwas zu trinken, ich selbst bestellte mir eine Flasche Whisky. Welch ein Zufall - eine stramme Dame setzte sich zu uns, sie war Deutsche. Sie bemühte sich erst gar nicht, ihre Fettwülste zu überspielen. Sie verdiene ganz gut mit dieser Schwarte - sagte sie. Naja - nun konnte gar nichts mehr schiefgehen. Ein bißchen fachsimpelte ich mit ihr, aber auch sie sollte nicht den alten Luden in mir erkennen. Jedenfalls verdolmetschte sie mir, daß dieses schöne Kind auf mich ste-
hen würde. Sie deutete auf das Fräulein, welches ich sowieso genommen hätte. Irgendwann gehe ich mit diesem aufs Zimmer und bin wieder angetan, wie göttlich schön ein Frauenkörper doch ist. Sie war besonders lieb zu mir und küßte, als wäre es unsere Hochzeitsnacht. Sechzig Mark hatte sie zuvor verlangt, das Ganze natürlich in Pesetas. Sie ließ mich rausflutschen, aber mit Absicht. Sie züngelte meinen ganzen Körper ab und streichelte diesen mit ihren langen schwarzen Haaren. Sie tat mehr als eine Hure sonst sie nahm sich selbst etwas von unserer Zweisamkeit. Nach einer Stunde saßen wir wieder beim Whisky, und meine Liebesdame tuschelte auf spanisch allerhand hinter ihrem kleinen Händchen. Sie wollte ihren Kolleginnen anscheinend etwas Aufregendes mitteilen. Sie war wunderschön, irgendwie meiner Iris ähnlich - und doch ganz anders. Ich mußte pissen, man zeigte mir, wo es langging. Ich hielt meinen Schwanz in der Hand - er hatte heute Feiertag. Als ich aus der Toilette kam, stand meine Maus vor der Tür, sie drückte mir mit Gewalt etwas in die Hand und verschwand. Ich öffnete meine Hand und war baff. Das Geld, das ich ihr gegeben hatte, lag darin... Toll, diese Frau, einfach toll - die stand zu sich selbst! Ich ließ unser Saufgelage Saufgelage sein - mich interessierten trotzdem die übrigen Blüten der Nacht. Ich käme wieder, gab ich zu verstehen, und - draußen war ich aus dem muffeligen Gebäude. Mein Taxler glaubte, er müsse mein Body-Guard sein, er war immer an meiner Seite. »Mit der mußt du nicht gehen«, sagte er beispielsweise, als wir an einer attraktiven Blondine vorbeikamen, »das ist ein Typ.« Er meinte damit, daß dies ein als Frau verkleideter Mann sei. Aha - wo die Matrosen der ganzen Welt anlegten, war so manches möglich. Auf alle Fälle ging ich ein paar Häuser weiter nochmals auf Stich - mein Begleiter wunderte sich. »Was? Dreimal?!« Er konnte nicht wissen, daß ich heute aus Wut bumste.
Ich ging wieder zurück zu meiner Whisky-Flasche, und die fette deutsche Hure wollte ein ernstes Wort mit mir sprechen. Diese Supermaus von vorhin wolle mich zu ihrem Typen haben. Sie sei überwältigt von meiner Stärke. Ich mußte nicht lange überlegen, was sie damit meinte. Sie sei solo und möchte, daß ich hierbliebe - so zumindest wurde mir das verklickert. Ich holte meinen Taxler, damit ich auch wirklich richtig im Bilde war. Also, die Peseten-Währung umg erechnet, würde sie mir pro Tag mit Garantie Zweihundert abstecken. Innerlich schmunzelte ich, aber das wollte ich optisch nicht zu erkennen geben. Warum sollte ich auch eine Hure auslachen, die auf mich stand?... Aber, das war doch kein Thema für mich... Oder doch? Das wären schließlich auch sechs Mille im Monat. »Ich komme morgen wieder, ganz bestimmt!« So versprach ich, als wir wieder nach Playa del Ingles aufbrachen. Ich bekam noch einen innigen Kuß durchs Autofenster - und ich sah in hoffnungsvolle Augen. Am nächsten Tag lag ich bei strahlendem Sonnenschein in meinem Liegestuhl am Strand - eingeölt und happy. Was mache ich nur - wie soll mein Leben weitergehen?
Glossar Ablegen
= beim Spiel um Geld Wertgegenstände einsetzen, wobei Schmuck oder kostbare Uhren demonstrativ abgenommen und auf den Spieltisch gelegt werden müssen Anschafferin = Freudenmädchen, Prostituierte, vor allem aus der Perspektive des an ihr Verdienenden, des Zuhälters, gesehen Bockschein = gesundheitsamtliches Attest für Prostituierte, muß alle 14 Tage erneuert werden drücken = sich Rauschmittel spritzen Falleschieben = einen »Freier« beim Sexualakt täuschen Fleischpflanzl = bayer., Bulette, Fleischklops Hausei = bayer., im bürgerlichen Sinne: Hausmeister, Hausknecht, Hausmann. Im Gefängnis: Häftling, der hauspflegerische Innendienste versieht, auch jener, der anderen Häftlingen für entsprechende Gegenleistungen mit allerlei Dienstbarkeiten zur Verfügung steht Heiermann = fünf Deutsche Mark Herzkasperl = bayer. , Malheur aller Art mit dem Herzen vom heftigen Herzklopfen über Herzrhythmusstörungen bis hin zur ausgewachsenen Herzattacke Kuppe = Liebeslohn lauwarm = etwas wird als Hehlergut erworben link = falsch, hinterhältig die Minelli = Fummel, Klamotten Partie = Anschafferin, s. o. eine Partie angraben = ein Mädchen für den Strich »auftun«
Plempe Prass/Brast Puste Riese die Schmier Steherin
Stich stier Zeitstrafe ausschließt
= Schußwaffe = Kummer, Not, Zorn = Schußwaffe = Tausendmarkschein = die Polizei = Anschafferin, s.o., wobei nicht nur die Straßendirne, sondern auch die in einem Bordell Arbeitende gemeint sein kann = Vulgarismus für bezahlte Sex-Leistung = ohne Geld = begrenztes Strafmaß, das »lebenslänglich«