Joe Juhnke
Pulverrauch und blaue Bohnen Allein gegen die Mächtigen der Stadt
Vor vier Jahren schon wollte Clifton Hi...
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Joe Juhnke
Pulverrauch und blaue Bohnen Allein gegen die Mächtigen der Stadt
Vor vier Jahren schon wollte Clifton Hill seinen alten Freund Hank Intyre in Roy Mills besuchen, um mit ihm einen netten, kleinen Schwatz zu halten und um eine alte Schuld zu begleichen. Clifton Hill war ein Mensch, der so schnell nichts vergaß, auch nicht, daß er dem Freund vierhundert Dollar schuldete, die dieser ihm, kurz bevor ihr gemeinsamer Trail endete, geliehen hatte. Im Gegensatz zu ihm stand Hank Intyre fest auf den Beinen. Heute besaß er in der Nähe von Roy Mills 'ne kleine Ranch. Und er, Clifton Hill? Mit einem schwachen Lächeln strich der schlanke sonnenverbrannte Reiter über das glatte samtfarbene Fell der Stute und blickte dabei über das grüne blühende Weideland zu der nahen Stadt hinüber, deren Dächer neugierig über einen sanften Hang hinausragten. Was er besaß, war ein guter Gaul, 'nen alten Büffelsattel, eine durchgerutschte Hose, zwei große, blitzende und wohlgepflegte Eisen an den Schenkeln, 'ne Büchse im Futteral und ein zweites Hemd in dem Schlafsack. Dazu vierhundert Dollar im Gurt, die dem Freund gehörten. Dazu kamen noch ein Dollar und achtzig Cent in der Hosentasche für den ersten gemeinsamen Drink in Roy Mills. Das war Cliff Hills armselige Ausbeute von vier vergeblichen Jagdjahren nach dem Glück. Die ersten Häuser tauchten aus dem Schatten der Hügel auf. Niedriggehaltene Lehmhütten mit verwitterten Büffelgrasdächern, Holzhütten, deren Dächer mit aufgeschnittenen Konservendosen gedeckt waren und rostig in der Sonne glänzten.
Aus irgendeiner der vielen Kneipen wehten wimmernde Gitarrentöne über die windstille Straße. Eine schmalzige Frauenstimme sang dazu eine mexikanische Serenade. Einige Mädchen winkten ihm zu, und auch er hob lächelnd die Hand. Sicher gehörten sie in eine der vielen Tanzdielen hier. Er kannte diese Art der Kundenwerbung zur Genüge aus anderen Städten. Doch Cliff Hills Lächeln gefror plötzlich in jähem Umschwung seiner Gefühle. Mit einer harten Bewegung brachte er seine Stute zum Stehen. Eine mächtige Eiche zog seine Blicke mit fast magischer Kraft an. Ihm war auf einmal, als kratze eine eiskalte Hand seinen Rücken blutig, und ein seltsames Würgen ging durch seine Kehle. Diese Eiche hatte einen recht seltsamen, schaurigen Schmuck. Es war eine Zierde in Gestalt eines Menschen, der schlaff in einer Hanfschlinge hing. Es war ein verzerrtes Gesicht, das Hill da entgegenstarrte. Cliff Hills blaue Augen blitzten plötzlich kalt und glänzend in kristallener Härte, seine Lippen schlossen sich zu einem messerscharfen Strich. »Hank Intyre«, kam es über die blutlosen Lippen, »mein Freund Hank!« Und dann schoß jäh alles Blut in seinen Schädel. Seine Rechte machte eine kurze Bewegung. In der Sonne blitzte der kalte Stahl eines Fünfundvierzigers auf, und eine harte Detonation brach sich an den Fassaden der Häuser. Durch die Gestalt des Hängenden ging eine Bewegung, denn der Strick barst. Die Füße knallten in den Staub, und mit einer grotesken Bewegung fiel der Tote zusammen. Clifton Hill war schon aus dem Sattel geglitten. Zwei Schritte brachten ihn neben den toten Freund. Er kniete nieder und
bettete den Kopf Intyres in seinen Schoß. Clifton Hill war ein verdammt harter Mann und zeigte selten seine Gefühle. Aber er schämte sich nicht der Tränen, die aus den Augenwinkeln direkt auf das längst erstarrte Gesicht des Freundes fielen. Seine Finger fuhren immer wieder über das zerfallene, von Leichenblässe bedeckte Gesicht des toten Freundes. Da berührte eine Hand seine Schulter, eine Stimme drang an sein Ohr, knarrend wie altes, brüchiges Leder. »Wer hat dir erlaubt, Intyre von der Eiche zu nehmen, Bursche?« Sanft ließ Cliff den Toten in den Sand zurückgleiten. Im Aufrichten schob er die Hand von seiner Schulter und drehte sich um. Vor ihm stand ein Mann, klein, gedrungen, ein wahres Muskelpaket mit niederer Stirn und tiefliegenden Augen. Der lang herabhängende Schnauzbart zuckte unruhig, und unruhig war auch das Licht seiner Augen. »Wer hat Intyre aufgehängt?« fragte Clifton Hill mit einem bösartigen Unterton in der Stimme. Seine Finger schlossen sich zu Fäusten. Sein Atem ging röchelnd, und er streifte den hastig Zurücktretenden. »Ich«, erwiderte der andere und deutete auf das Schild an seiner Brust. »Ich, Rondo Sullivan, in meiner Eigenschaft als Town-Marshal. Und nun möchte ich wissen, wer du bist, Bursche.« Cliftons Fäuste sprangen jäh vor. Sie bohrten sich in das aufreizend feiste Gesicht des Town-Marshals und rissen diesem die Beine weg. Er schlug auf die Straße, der Staub wirbelte hoch. Cliff setzte sofort hinterher. Vorbei war es mit seiner Beherrschung, die er bisher noch in jeder Situation zeigte, vorbei seine Achtung vor dem Gesetz,
die er bisher nie verweigert hatte. Es sah verdammt schwarz aus für den Marshal, weil Cliff eben rot sah, und Sullivan wäre bestimmt für den Rest seines Lebens ein Invalide geworden, wenn Cliffs Groll nicht unvermutet einen Dämpfer bekommen hätte. Und dieser Dämpfer war der bleierne Griff eines Schießprügels. Clifton Hill küßte dieses Eisen und legte sich stumm ebenfalls in den Straßenstaub. »Beim Satan, ich werde dich aufhängen«, nuschelte der verprügelte Marshal, während er wankend auf die Beine kam, »und ich werde dir den Knoten so setzen, daß du erst noch 'ne Weile luftschaukelst, ehe du in die Hölle abfährst. Ich danke dir, Head.« Sullivan wischte sich mit dem Rockärmel das Blut aus dem Gesicht, dann knallte er seinem Gehilfen die Stiefelspitze in die Nieren, »steh auf, du Stinktier, hast doch den ganzen Tag Zeit, dich auszuruhen. Jetzt, wo du mal gebraucht wirst, willst du wohl hier ein kleines Schläfchen halten.« Kim Flesch hob stöhnend den Kopf. Mit einem stumpfen Blick aus glasigen Augen grinste er den Marshal an, ehe sein Gesicht wieder in den Staub zurückfiel. »Kalkuliere, Rondo, dein Gehilfe ist noch nicht ganz fit.« Tom Head lächelte geringschätzig, während er seine Kanone unter dem Rock verstaute, »werde dir helfen, den Burschen ins Jail zu bringen. Das ist ein ganz bösartiger Puma, und ich glaube, der ist am ungefährlichsten, wenn er hinter festen Gittern hockt.« Tom Head machte ganz den Eindruck eines feinen Pinsels. Er trug einen erstklassigen Schneideranzug mit einer taubengrauen Seidenweste. Eine makellose Erscheinung. Er packte nun ohne alle Umschweife zu, und Sullivan blieb keine andere Wahl, als es ihm gleichtzutun.
Eine breite Schleifspur zog sich durch den Sand, und sie endete unter dem Vordach des Jails. Clifton Hill träumte hinter Gittern, ohne etwas davon zu ahnen, wo er sich befand. »Wie kam es denn eigentlich zu dieser stürmischen Auseinandersetzung?« Der Gentleman Head reinigte sich die Hände im Wasserbottich und bot danach dem Marshal einen schwarzen Zigarillo an. »Verdammt harte Fäuste hatte er.« Fluchend spuckte Sullivan eine Ladung Blut aus dem offenen Fenster. »Aber er wird mir büßen.« »Sicher, Rondo.« Head hob beschwichtigend die Hand und lächelte. »Schätze, er ist ein guter Freund Intyres, drum wird es auch nicht schwer sein, ein Freiticket für den Höhentrail auszustellen.« Rondo Sullivan schwieg einen Augenblick überrascht. Seine Stirn legte sich in tausend Falten, stupide starrte er zu dem smarten Mr. Head hoch. Tom Head lächelte gleichgültig. »Der Fremde ist gefährlich, Tom«, sagte er, sich abwendend, »und Intyre war ein Viehdieb. Wahrscheinlich wird er auch einer sein. Wir sehen uns doch heute abend in der ›Oase‹.« Klappernd schlug die Tür ins Schloß. * Roy Mills war eine aufstrebende junge Stadt. Vor fünfzehn Jahren grasten hier noch völlig ungestört die Kühe, und nur das Postgebäude von Roy Mills stand an der Straße. Nach und nach kamen dann noch ein paar Hütten dazu. Einmal war es ein Store, dann eine Schnapskneipe, die sich rentierte, weil die Route gut befahren war. Yeah, und dann war aus Roy Mills armseliger Poststation
plötzlich eine Stadt geworden. Eine Stadt, mit Stores und Kneipen, mit Händlern und Bürgern, mit halbwilden Burschen und hübschen Tanzmädchen. Und sie wurde mit jedem Tag größer. Doch was kümmerte Clifton der Werdegang und der rasche Aufstieg dieses Drecknestes, das seiner Ansicht nach auch immer ein Drecknest bleiben würde. Hier ging es um seinen Hals. Der Marshal wollte ihn mit aller Gewalt hängen, und er hatte auch schon eine Handhabe dafür, dabei wußte Sullivan bestimmt ebenso gut wie er, Clifton Hill, daß er kein Viehdieb war. Aber der Marshal wollte seine Rache. »Zum Satan mit dir«, knurrte Hill wütend. »Ich komme geradewegs aus Montana und habe mit den Viehdiebstählen hier nicht das geringste zu tun, und mein Freund auch nicht, das sage ich dir, Marshal.« »Hank Intyre wurde aber überführt«, sagte Sullivan durch die Gitterstäbe, »die Posse fand auf seiner Weide Longheadschen Brand. Intyre sagte zwar, daß die Tiere sich auf seine Weide verlaufen hatten, aber das glaubten ihm die Richter nicht. Wie sollte das auch gehen, denn es waren Longheadsche dreijährige Kühe. Die prächtigsten, die er besaß, und sie grasten am Rapid Ear, also hundert Meilen von Intyres Grenze entfernt. Aber was erzähle ich dir alles. Du weißt es bestimmt viel besser als ich.« Hill hockte sich auf die Pritsche. Durch seine halb geschlossenen Lider betrachtete er den Marshal und ließ sich dessen Worte durch den Sinn gehen. * Tom Head wanderte ungeduldig wie ein Tiger durch das große Zimmer im Obergeschoß der >Oase<.
Die >Oase< war eines der größten Hotels am Platz, und Head hatte hier gewissermaßen den Direktorposten inne. Der Boß war Lo Garret, eine bildhübsche Endzwanzigerin. Lo hatte ein bildhübsches Gesicht, zwei kluge, wache smaragdgrüne Augen und eine gerade Nase. Die hohe Stirn, die schmalen Augenbrauen, leicht nach oben abgewinkelt, zeigten, daß sie neben Verstand auch die nötige Portion Willen hatte, ein einmal gestecktes Ziel zu erreichen. »Du machst mich langsam verrückt, Tom«, begann sie und blickte im Spiegel zu dem Mann hinüber, der nicht nur ihr Geschäftsführer, sondern auch ihr Geliebter war, »trinke einen Schnaps und setz dich hin. Hast doch sonst so eiserne Nerven, und nun kommt da ein Bursche an, der dich einfach aus dem Gleichgewicht bringt.« »Er ist ein Freund von Intyre«, knurrte Head heiser und unterbrach einen Augenblick seine unstete Wanderung, »das paßt mir eben nicht.« »Du sagtest aber doch selbst, daß ihr ihn einfach aufhängen werdet.« »Bei Intyre gab es schon böses Blut. Der Rancher hatte einen verdammt guten Ruf.« »Ha, ein Rancher, der Kühe klaut?« spöttelte der hübsche Vamp und färbte sich kunstvoll ihren hübschen Kirschenmund. »Es gibt eben zu viele Leute, die daran zweifeln. Intyre war tatsächlich ein korrekter Geschäftsmann. Wir hätten es eben anders drehen müssen, vielleicht so wie bei Yanter.« »Eine Kugel in den Rücken bringt die Siedler ebenfalls in Fahrt. Marshal Yanter hat viele Freunde, Sullivan aber nicht.« »Weil er ein Trottel ist«, knirschte Head wütend. »Du hast aber doch selbst alles darangesetzt, um ihn zum Marshal zu machen.« Silberhell klang das Lachen der Frau durch den Raum.
»Weil ich ihn brauche. Aber er begeht in der letzten Zeit Fehler über Fehler. Als der Fremde ihn heute morgen angriff, hätte er ihn umlegen können. Kein Mensch hätte dann erfahren, daß der Fremde ein Freund Intyres war.« »Konntest du das denn nicht besorgen?« »Du kennst doch mein Prinzip, Lo.« Head trat neben die Frau und fuhr mit der Rechten über ihre nackte Schulter. Er beugte sich impulsiv nieder und küßte die weiße, mattschimmernde Haut, »ich lege niemanden um.« »Du meinst, das tun andere für dich, oder aber es geschieht unter dem Deckmantel des Gesetzes.« Bittend blickte sie zu dem Geliebten hoch. »Wäre es nicht besser, du gäbst die Sache ganz auf? Wir beide haben doch genügend Geld auf der Bank, und mein Laden wirft doch eine ganze Menge ab. Wir könnten ganz bestimmt ein ruhiges, glückliches Leben führen.« »Er läßt mich aber doch nicht aus den Klauen, Lo«, ein gequälter Zug trat in Heads Gesicht, »nicht, bevor er das ganze Land zwischen dem Pease River und den Wichitas besitzt.« »Nun sag' mir doch endlich, Tom, wer eigentlich dieser geheimnisvolle, unheimliche Mann ist, für den du arbeitest?« »Ich kenne ihn nicht, er aber kennt leider meine Vergangenheit. Ein Wort von ihm genügt, um mich an den Galgen zu bringen. Ich sage dir, er ist ein Teufel.« »Weshalb fliehen wir dann nicht, Tom? Ich würde hier gern alles aufgeben. Allein deinetwegen, denn du weißt doch, wie sehr ich dich liebe.« »Wir kämen nicht weit. Er kennt jeden meiner Schritte, und er warnte mich noch vor zwei Tagen vor irgendeiner Dummheit. Er drohte, mir einen Strick zu drehen, wenn ich jemals auf dumme Gedanken käme. Und ich traue ihm auch alles zu.« »Und weshalb willst du denn den Fremden überhaupt bau-
meln lassen?« forschte sie neugierig. »Weil er ein Freund Intyres ist, Darling. Es wird genauso Ärger geben, wie wir ihn mit Intyre hatten.« »Du meinst, wenn es bekannt wird, daß ihr dieses Mal einen Freund des Ranchers hängen wollt.« »Well, das meinte ich damit«, bestätigte Head. »Dann lasse ihn doch einfach laufen«, riet der rothaarige Vamp. »Bist du vielleicht verrückt, Mädchen? Wenn wir ihn auf freien Fuß setzen, wird er das ganze Tal durchschnüffeln. Die Jungs sind uns zwar sicher, aber ich bezweifle kaum, daß der eine oder andere umfällt, wenn mit einer Frage auch eine Kanone vor seiner Nase steht. Dann schon lieber ein wenig Aufregung.« »Du verstehst mich falsch, Darling.« Sie trat nahe an den Schminkspiegel heran und betrachtete ihr Antlitz. »Du brauchst ihm doch gar keinen Prozeß zu machen. Laß ihn laufen, wenn er eine ordentliche Ordnungsstrafe bezahlt hat. Sagen wir, hundert Dollar. Das würde für die Prügel genügen, die Sullivan bezogen hat.« »Und dann?« »Läßt du ihn einfach gehen.« »Total verrückt.« Unbeherrscht sprang Head auf. »Wieso?« tat sie ganz erstaunt und wandte sich langsam um. Mit leicht wiegenden Hüften trat Lo auf den Geliebten zu. »In den Rock Falls ist schon so mancher unauffällig verschwunden, der euren Interessen im Weg stand. Dieser Hill ist für euch ein unbequemer Kunde, außerdem ist er völlig fremd im Land. Weshalb sollte nicht auch er in einer der grundlosen Schluchten enden? Niemand wird nach ihm fragen, und wenn
es doch einer tut, könnte man tausenderlei Erklärungen geben, weshalb dieser Hill fort ist.« »Wenn es so einfach wäre, wie du es dahinredest.« Nachdenklich schüttelte Head den Kopf und nahm seine unterbrochene Wanderung wieder auf. »Aber noch kennt doch Hill seine Gegner nicht«, stichelte sie weiter. »Und wer sollte es tun?« »Duke Landy, Cress Limit und Flam Bred sitzen unten. Ich hatte sowieso das dumme Gefühl, als langweilten sie sich zu Tode. Sie wären sicher froh, mal wieder einen kleinen Nebenverdienst ergattern zu können.« Lo Garret starrte in das Halbdunkel des Raumes. Ein Fenster war klirrend zersprungen, und über den dicken Teppich rollte ein Gegenstand. »Was bedeutet das?« hauchte sie leise und starrte Head an, der sich zögernd niederbeugte und den Gegenstand aufhob. Es war ein faustgroßer Stein, der mit einem beschriebenen Blatt Papier umwickelt war. Nervös bewegte sich Heads Zunge über die Lippen, als er das Blatt auseinanderfaltete. »Eine Botschaft vom Boß.« Head schluckte schwer. Seine Augen überflogen hastig das Schreiben, das als Unterschrift lediglich das Initial »R« trug, dann schüttelte er unmutig den Kopf. »Was schreibt er denn?« »Ich soll keine Dummheit begehen. Der Mann dürfe nicht öffentlich gehängt werden. Der Boß fürchtet, daß die ganze Geschichte dann erst breitgetreten wird. Er möchte vor allen Dingen, daß Gras über die Geschichte mit Intyre wächst. Sie scheint ihm irgendwie unangenehm zu sein. Vor allem deshalb, weil die Erregung der Leute nicht abflaut.«
»Will er den Fremden denn laufen lassen?« Lo Garret atmete erleichtert auf. Doch es war zu früh, denn Tom schüttelte langsam den Kopf. »Er meint, es gäbe da noch viele andere Möglichkeiten, um solch einen unbequemen Kunden unauffällig beiseite zu schaffen. Er denkt an die Rock Falls. Lo, geh, schicke mir jetzt die Jungs herauf. Ich möchte mit ihnen sprechen.« Er küßte flüchtig ihre Stirn und schob sie sanft zur Tür. Sie trat auf den schmalen Gang, der nach unten führte. Seufzend schloß Tom Head die Tür hinter ihr. Zehntausend Dollar gäbe er gern, nur um aus den Klauen dieses mysteriösen Mr. »R« zu kommen, zehntausend blanke Gold-Dollar, sofort auf den Tisch. Aber es schien, als wäre er dem unbekannten Anführer der Bande eine Stange mehr wert, als diese wirklich nicht gerade schäbige Summe, mit der Tom Head in Gedanken spielte. * Nicht ohne Erstaunen begann Hill seine Barschaft nachzuzählen, als man ihn am anderen Morgen ohne große Erklärung aus dem Jail holte. Eigentlich hatte er erwartet, daß man ihn zu einer Gerichtsverhandlung schleppen würde, aber da drückte ihm der große breitschultrige Mann, der sich Richter Head nannte und ein recht sympathisches Gesicht besaß, mit einem breiten Lächeln seine Barschaft in die Hand. Den Waffengurt legte er dabei auf den Schreibtisch. Clifton unterbrach plötzlich seine Beschäftigung und starrte auf eine Banknote. »Stimmt etwas nicht, Hill?« fragte der Richter Hill sehr freundlich.
Der schlanke Hüne hob den Kopf und blickte in das Gesicht des Fragestellers. »Hier stimmt so manches nicht, Mister«, begann er gelassen. »Zuerst fand ich meinen besten Freund mit einer Schlinge um den Hals, dann traf ich diesen komischen Sheriff, oder Town-Marshal, wie er sich nennt, der behauptete, mein Freund Intyre sei ein dreckiger Rinderdieb gewesen.« »Dafür haben Sie ihn dann ja wohl auch niedergeschlagen.« »Es hat mich hundert Dollar Strafe gekostet. Aber das ist es ja nicht, was mir nicht in den Schädel will«, umständlich begann Hill seinen Kanonengurt um die Hüften zu binden und schnallte die Halftertaschen auf die Schenkel. Dann trat er einen Schritt zurück. Er probte den Sitz der Waffen und ließ sie unvermutet aus den Halftern springen. Erschreckt starrten Head und Sullivan in die schwarzen, drohenden Mündungen. Es waren weniger die schwarzen Mündungen, die sie erschreckten, als die Tatsache, mit welcher Schnelligkeit dieser blonde Bursche die Kanonen aus dem Gurt brachte. Sie warfen sich einen kurzen Blick zu, ehe Tom Head unmutig zu knurren begann. »Was soll denn der Unsinn, Hill?« »Ich wollte nur feststellen, ob mein Zug noch fix genug ist. Sie waren es doch, der mir gestern zu einem Stündchen Schlaf verholten hat?« »Ich mußte es ja tun, Hill«, Head lächelte anscheinend verlegen, »sonst hätten Sie unseren Marshal umgebracht, und ich müßte Sie nun wirklich hängen.« »Aber mein Freund Hank Intyre war nach Ihrer Überzeugung ein Viehdieb?« Bedauernd hob Head die Schultern. »Ich hatte es anfangs ja selbst nicht geglaubt, Hill«, heuchelte er, »aber als einige Siedler den Marshal darauf aufmerksam
machten, daß ihnen in fast regelmäßigen Abständen Rinder gestohlen wurden und einige dieser Tiere bei Intyre gefunden wurden, beobachtete der Marshal den Rancher. Er konnte ihn überraschen, als er und einige seiner Männer gerade eine große Herde auf die verborgenen Weideplätze der Intyreranch treiben wollten. Er wurde also auf frischer Tat ertappt und festgenommen. Seine Helfer aber konnten nach einem kurzen Gefecht leider entfliehen.« Head hatte eine faustdicke Lüge erzählt. Tatsächlich hatte Intyre vor einigen Tagen eine Herde fremder Kühe über sein Gebiet getrieben, aber nach Osten, dorthin, wo sie hergekommen waren, nämlich von der Longhead-Ranch. Und die Siedler, von denen Head sprach, waren niemand anders, als seine eigenen Leute, die dann auch ihre vorher besprochenen Aussagen vor Gericht beeideten. »Wo finde ich diese Siedler?« Diese Frage stimmte Head ziemlich optimistisch, ja, er hatte geradewegs darauf gelauert. Deshalb kam auch seine Antwort recht schnell. »Am Fuße der Rock Falls. Es ist nicht weit bis dorthin. Ich könnte Sie begleiten.« »Werd's auch allein finden«, wehrte Hill ab und wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er noch einmal stehen. »Noch eine Frage, Richter.« »Bitte?« »Wo stecken Hank Intyres Jungs, auf der Ranch?« Head wechselte einen schnellen Blick mit dem Marshal. Einen Augenblick wirkte er recht unbefangen, und Clifton merkte es auch. »Irgendwo in den Bergen«, begann er dann zögernd, »sie haben den ganzen Herdenbestand weggetrieben.« »Nanu, kann eine Herde denn samt der Mannschaft so einfach verschwinden?«
»Die Wichitas sind ein rauhes Bergland. Sie sind zerrissen und zerklüftet und von Tausenden von unbekannten Schluchten durchzogen.« Heads Stimme wurde leidenschaftlich, und es sprach ein ehrlicher Ärger aus seinen Worten. »Bisher konnten wir sie trotz eifrigster Suche nicht finden.« Hill drehte sich eine Zigarette und blies einige Ringe in die Luft. »Was geschieht eigentlich mit Intyres Land, jetzt, wo er tot ist?« »Es wird nach einem halben Jahr versteigert, wenn…« »Wenn, Richter?« Diese fragenden, durchdringenden Augen machten Head fast verrückt. Er spürte deutlich den Schweiß auf der Stirn, »wenn sich keine Erben melden.« »Intyre hatte niemanden. Ich reite nun zu den Rock Falls. Übrigens, wie heißen denn die Leute, die als Zeugen auftraten, und weshalb meldete sich niemand von Hanks Crew?« »Die Intyre-Mannschaft hatte wohl anderes zu tun.« Head begann wieder hämisch zu lächeln. »Eine Herde bringt ihnen bestimmt mehr, als ein toter Rancher bezahlen kann.« »Ich denke, sie hält sich in den Bergen verborgen?« »Das vermuten wir ja bloß, doch Gewißheit haben wir nicht.« Hill blies wieder einige helle Rauchwolken zu der nikotinbraunen Decke hoch. »Also, wie waren noch die Namen der Gegenpartei?« »Der Zeugen wollten Sie wohl sagen, Mr. Hill.« »So könnte man sie auch nennen«, kam es gelassen zurück. »Na?« »Big Chester, Young Kid…« »Young Kid?« Cliffs Augen blitzten überrascht. Heads Lider aber zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Er war plötzlich hellwach und reagierte auf jede Bewegung des ande-
ren. »Kennen Sie Young Kid?« »Hab' den Namen schon mal gehört. Weiß aber im Moment nicht, in welchem Zusammenhang. War noch einer mit von der Partie?« »Ein gewisser Flam Brend.« »Danke, Richter. Schätze, Sie haben mir einen guten Dienst erwiesen. Dann also, auf bald.« * Clifton Hill entdeckte schon nach wenigen Meilen, daß ihm ein paar Schweißhunde auf den Fersen waren. Natürlich wußte er nicht, ob dies nur ein Zufall war, daß die Reiter vielleicht den gleichen Weg wie er hatten. Darum wollte er sich auch erst einmal vergewissern, was ihre beharrliche Begleitung bedeutete. Die Wichita Mountains leuchteten wie eine breite Purpurwand im Westen. Mattschimmemd, als schmales Rinnsal, zog, aus den wilden Bergen kommend, in großen Schleifen und engen Windungen der Pease River durch das grünleuchtende Feld der riesigen Weideflächen. Nur einige Male wurde diese unregelmäßige Linie unterbrochen, wenn der Fluß hinter einem der vielen Hügel verschwand. Cliff ließ sich Zeit und sicherte sich, indem er in regelmäßigen Abständen von einer Erhöhung aus nach seinen beharrlichen Verfolgern Ausschau hielt. Das Dreigespann, das seit Roy Mills auf seiner Fährte saß, war anhänglich wie ein Straßenköter, dem man mal etwas Gutes getan hatte. Und sie blieben ständig auf seiner Fährte. Auch dann noch, als er allmählich einen Bogen schlug und über den Paß-River ritt.
Allmählich gewöhnte er sich an seine Verfolger, und die Sache begann ihm sogar Spaß zu machen. Doch als er schließlich den Spieß umdrehte und den Burschen bei den Fitisch Wellings auflauern wollte, wartete er dort entgegen aller Berechnung vergebens. Dann nahm er seinen Gaul und zog weiter. Mit dem »Spiel« hatte er viel Zeit verloren, und wenn auch die Rock Falls ihre Schatten weit ins Tal warfen und diese schon recht nahe schienen, wußte er doch, daß er sein Ziel heute nicht mehr erreichen konnte. Und bei Nacht etwas zu suchen, was er selbst am Tage nur mühsam finden konnte, hielt er für ein aussichtsloses Unterfangen. Er ritt daher vorerst weiter, bis die Finsternis hereinbrach, und erreichte ein kleines Walddickicht. Im filzigen Unterholz suchte er sich dann einen Unterschlupf für die Nacht. Nach einem kurzen Mahl, und nachdem er seinen Gaul abgetrieben hatte, haute er seinen abgespannten Körper auf die Decke und verlegte sich aufs Nachdenken. Clifton Hill verfiel in einen kurzen, unruhigen Schlaf, aus dem ihn plötzlich ein Laut weckte. Es klang wie das Brechen eines Zweiges. An sich kein ungewöhnlicher Laut, denn die Nachtluft war sowieso erfüllt mit fremden, geheimnisvollen Lauten, aber es machte ihn trotzdem irgendwie mißtrauisch. Angestrengt lauschte er. Über ihm rauschten die Blätter einer uralten Buche im Nachtwind. Dieses einschläfernde Geräusch wurde zeitweilig durch den nüchternen Ruf eines Kauzes unterbrochen. Irgendwo in der Nähe heulten einige Präriehunde den Mond an. Es konnte gar nicht weit von seinem Lagerplatz entfernt gewesen sein. Und dann brach wieder ein trockener Ast. Ein schwaches Schnauben durchdrang das Buschwerk. Cliftons Rechte umspannte fester das Eisen. Der Kolben saß wie
angegossen in der Faust, und der Zeigefinger lag am Abzug. Ein Schatten tauchte jenseits des Feuers auf. Abermals schnaubte ein Gaul. Ein kurzes Lächeln huschte über Cliftons Gesicht, als er die Silhouette seines eigenen Pferdes im Widerspiel des Lichtes erkannte. Jenny hatte den Braten also auch schon gerochen, dachte er und wußte nun endgültig, daß eine Täuschung ausgeschlossen war. Ja, auf seine Stute war schon Verlaß. Nachdem sie nun zum dritten Male ihr mahnendes Schnauben hatte hören lassen, tauchte sie wieder in der Finsternis unter. Mensch und Tier verstanden sich. Clifton neigte leicht den Kopf. Ganz in der Nähe schrie ein Kauz. Es klang verdammt echt, doch Cliff konnte der Ruf nicht täuschen, weil der Laut vom Boden her kam und ein Kauz hoch in den Ästen zu hocken pflegte. Mit der Antwort des Schreies knackten auch wieder die Äste. Armselige Stümper, dachte der einsame Kämpfer, nicht mal ein Opfer anschleichen können sie, wie wollen sie es da schaffen, ihn zu killen? Der Buschklepper erreichte nun das Feuer und umging es dann vorsichtig. Ein Blitzen in seiner Faust zeigte, daß er die Kanone schußbereit hielt und der ganzen Sache nicht so recht traute. Eifrig spähte er umher. Dann tauchte ein zweiter Mann neben dem Feuer auf. Auch er hielt den Sechsschüsser fest umspannt. Sie flüsterten miteinander und schienen unschlüssig, weil sie ihr Opfer nicht finden konnten. Nun beugte sich der eine nieder. Als er sich wieder aufrichtete, lag etwas Gehetztes in seinem Blick. Hill konnte es genau beobachten, denn das Flammenspiel streifte sein Gesicht. Ein breites Gesicht mit einer brandroten Narbe.
Cliffs rechter Fuß glitt hinter dem Stamm vor, tastend, suchend, ehe er ihn fest aufsetzte, und der Satan wollte es, daß unter seinem Fuß ein trockener Zweig knackte. Und da schimpfte er die anderen Stümper, wo er sich selber als ein solcher benahm. Die beiden Männer nickten herum. In diesem Augenblick bellte direkt hinter Clifton ein Schuß auf. Zirpend fuhr ein heißes Blei durch die Äste. Noch einmal dröhnte diese Kanone auf. Noch während Cliftons Kopf herumflog, hörte er das unangenehme, bösartige Summen des Bleis an seinem Ohr. Für den Bruchteil einer Sekunde fuhr ein flammender Blitz durch die Finsternis. Das genügte. Cliff Hills Fünfundvierziger hustete einmal kurz, und er hustete dem hinterlistigen Schützen genau ein Blei ins Gesicht. Der Bursche brach durch ein paar Äste und legte sich still zum ewigen Schlaf ins Laub. Durch den Schuß hatte Clifton natürlich seinen Standort verraten, und ehe er wieder hinter seine Deckung springen konnte, fegten ihm einige Bohnen um die Ohren. Clifton ließ den anderen nun keine Chance mehr, vor allem, da sie günstig standen und anscheinend ganz vergessen hatten, daß das Feuer ihre verkommenen Verbrechervisagen hell erleuchtete. Er schickte eine Handvoll Blei auf die kurze Reise und die beiden Halunken in die Hölle. Die Gefahr war gebannt. Es gab keine drei Verfolger mehr, die wie Kletten an seinen Fersen hingen, nur noch drei Leichen, die zu bestatten jetzt seine nächste Aufgabe sein würde. Trotzdem war er doch neugierig, die Gesichter der Männer zu sehen, die ihm ans Leder wollten. Clifton war fest davon überzeugt, daß er noch keinem der drei je in seinem Leben begegnet war. Er suchte eine Weile im Dickicht herum und
schleifte dann das dritte Blatt dieses so rasch zerrissenen Kleeblattes ans Feuer. Er warf einen Scheit nach, daß die Funken hochstiegen, und drehte ihre Gesichter ins helle Licht. Nun, wo er die Visagen ganz nahe vor sich hatte, kam ein überraschtes Pfeifen über seine Lippen. »Duke Landy, Cress Limit«, sagte Hill, »tut mir leid, daß ich euch Stümper nannte. Ihr wart es verdammt nicht, wenn ich überlege, daß die Staatsbank von Kansas für euren Hals allein schon drei glatte Tausender herauswirft.« Clifton wußte nicht, daß er die Hoffnung zweier Männer aus Roy Mills schmählich enttäuscht hatte. * Young Kid hatte die beachtliche Länge von einem Meter sechsundneunzig. Er war eine grotesk komische Erscheinung. Er wirkte dürr und trocken wie eine Telegraphenstange. Sein Gesicht war faltig, wie ein schlechtgegerbtes Stück Leder, und wirkte borstig und spröde im Bronzeton seiner Haut. Die einzige Wucht an ihm war sein mächtiger Schnauzbart, dessen Enden stets stramm gezwirbelt waren und weit herabhingen. Solch ein Monstrum trug man in Texas, und es war dort die große Mode. Bei Young Kid wirkte es aber weder modisch, noch elegant, noch texanisch. Er sah eher aus wie ein Walroß nach einer Hungerkur. Dabei war Young gerade dreißig, sah aber aus, als stünde er an der Schwelle des absteigenden Lebens. Trotzdem aber war sein Körper geschmeidig und voller Elastizität. Man erzählte von ihm, daß er selbst in der Nacht die beiden Kanonen trug. Young Kid hatte einen fixen Zug und ein halbes Dutzend Kerben an den abgegriffenen Knäufen.
Bisher lebte er wie der Vögel im Hanfsamen, und er sah den Boß an wie die Henne, die die goldenen Eier legte, so gut ging das Geschäft, und so reichlich flossen auch die Dollars. Bisher wenigstens. Aber da stand eines Nachts ein Mann vor seinem Bett. Er hörte ihn weder kommen, noch bemerkte er, daß er die Nachttischlampe anzündete. Er wurde nur wach, weil ihn auf einmal das Licht blendete. Als er mit einem wilden Fluch hochfahren wollte, drückte ihm ein verdammt kaltes Eisen die Kehle zu und drängte ihn in die Federn zurück. Und der, der das kalte Eisen hielt, hockte auf dem Bettrand und grinste ihn an. »'n Abend, Young«, Clifton Hill lächelte amüsiert über das ratlose erschreckte Gesicht des Banditen. Dabei hätte er ihm so manche Erklärung geben können. Zum Beispiel, daß es ein Kinderspiel war, die Wache auf dem Hof einzuschläfern, ebenfalls kinderleicht, durch ein offenes Fenster in ein Zimmer zu steigen. Daß Clifton gleich das richtige Zimmer gefunden hatte, war kein Zufall. Er lag schon seit Mittag auf einem nahen Hügel der Rock Falls und beobachtete die langgestreckte Hütte. Er zählte die Leute auf dem Hof und kam zu der Überzeugung, daß er mit den vier Burschen dort jederzeit fertig werden würde. Und auch Young hatte er heute schon einige Male gesehen, selbst seine fluchende Stimme gehört, und da Young im Laufe des Tages auch dreimal seinen langen, dürren Hals aus dem gleichen Fenster streckte, konnte selbst ein Dummkopf erraten, daß doch hier auch Youngs Kammer liegen müsse. Dies alles und noch manches andere hätte er dem langen Laster erzählen können, aber er sparte sich all diese Worte und ging gleich zum eigentlichen Thema über. »Abend, Young«, wiederholte er noch einmal und beugte
sich etwas tiefer, »ich hoffe, du willst nicht an einer Bleibohne ersticken. Und es ist keine leere Drohung, wenn ich dir sage, daß es der Fall sein wird, wenn du deine Fresse allzugroß aufreißt.« Der Bandit nickte zaghaft, während sein Adamsapfel bei jeder Schluckbewegung rauf und runter sauste. »Clifton Hill«, stöhnte er mit einem Male, und panische Angst lag in seiner Stimme. »Hill, seit wann gehst du denn als Einbrecher?« »Es ist wahrhaftig das erstemal, Young«, Hill lächelte hart, »es wird vielleicht auch gleichzeitig das letztemal sein. Möcht' mich mit dir nur einmal unter vier Augen unterhalten. Klettere also schon aus den Federn und zieh dich an.« Während er sprach, zog er die Decke weg. »Ich habe wenig Zeit.« »Weshalb kommst du in der Nacht?« Ächzend richtete Young sich auf. Hill trat einen Schritt zurück. »Du konntest doch auch am Tage die Ranch betreten.« »Ah, Ranch nennst du das hier?« fragte Hill erstaunt, »verdammt feiner Name für diese elende Schlangengrube, findest du nicht auch?« »Aber, Clifton«, brauste der Bandit auf, »ich bin ein ehrlicher Mann geworden. Der Marshal wird es dir bestätigen.« »Ich werde ihn bei Gelegenheit fragen. Also, nun aber rein in die Hose. Das andere Zeug läßt du ruhig liegen. Mit der Hose bist du gesellschaftsfähig genug. Außerdem gehen wir auch nicht weit.« Während Hill sprach, zog er mit der Linken ein Brandeisen hinter dem Nachttisch hervor. »Ha«, murmelte er, »du hast eine eigene Ranch und ein fremdes Zeichen? Kannst du mir das vielleicht erklären!« »Ich hab's gefunden. Irgendwo da draußen am River lag es. Weiß nicht mal, wem es gehört.«
»Hm.« Hill legte treuherzig den Kopf zur Seite. Er betrachtete Young, wie ein Dobermann seinen Herrn betrachtet. »Könnte es nicht Hank Intyre heißen?« Das war eine Spitze, und sie traf. Young Kids zerknittertes Gesicht verlor alle Farbe. Ruckartig winkelten sich seine langen Arme. Doch da grinste ihm schon wieder diese verfluchte schwarze Mündung entgegen. »Wir können gehen, Young«, sagte Hill sanft und deutete zum Fenster, »heute ausnahmsweise mal auf diesem etwas ungewöhnlichen Weg.« Zähneknirschend folgte Young Kid diesem Befehl. Er war bestimmt kein Feigling, aber vor Clifton Hill hatte er einen Heidenrespekt. Der Blonde hatte ihn schon einmal in den Knast gebracht. Es ging damals um einen geklauten Gaul. Gott sei Dank wußte damals niemand, daß der wirkliche Dieb 'ne blaue Bohne von Kid schlucken mußte, weil diesem der Schecke gefiel. Deshalb trabte er auch jetzt gehorsam vor seinem Bewacher her. Sie hatten sich etwa fünfhundert Yards vom Haus entfernt. Hill führte seinen Gefangenen über den Hügel, wo ihn seine Stute freudig begrüßte. Clifton Hill nestelte umständlich in der Satteltasche des bereitstehenden Gaules herum und brachte einen dünnen Hanfstrick zum Vorschein. »Zeige deine Patschhändchen, lieber Freund, möchte sie gern zusammenbinden, damit sie unterwegs nicht verlorengehen. Nein, nicht so«, lächelnd schüttelte der Sprecher den Kopf, als Young ihm die Hände entgegenhielt. »Von hinten ist das auf alle Fälle sicherer.« Der Bandit knirschte mit den Zähnen. »Wohin willst du mich denn schleppen?«
»Zu alten Freunden, Young. Steige auf.« Kid hatte eigentlich noch eine Frage auf den Lippen, aber er verbiß sie. Er stieg in die Hand Hills und schwang das Bein über den Sattel. Und aus dieser erhöhten Perspektive sah er dann eine einmalige Chance. Unvermutet knallte er Jenny die dürren Hacken in die Flanken. Jenny aber machte nur einen kleinen Bocksprung, und Young landete ziemlich unsanft auf dem Ausgangspunkt. »Yeah, Young, sie läßt nicht mit sich scherzen«, kicherte Hill mit diabolischer Freude, als sich Young ächzend aufrichtete, »und vor allem läßt sie sich nur von ihrem Herrn kitzeln. Sie hält schon etwas auf sich.« Young war sichtlich beeindruckt von diesem heimtückischen Biest. Er verhielt sich dann auch still, als er ein zweites Mal im Sattel landete. Mit ihrer doppelten Last zog Jenny dann gen Osten. Tiefblau im matten Licht der Nacht lag das hügelige Weideland vor ihnen. Mit jedem Yard, den sie sich weiter von der Ranch entfernten, wurde Young Kid unruhiger. Was hatte Hill bloß mit ihm vor? Was führte er im Sinn? * Purpurn zog der neue Tag ins Land. Golden stachen die ersten Sonnenstrahlen durch das Blätterdach des großen Buchenwaldes. Schweigend stocherte Hill mit dem Brandeisen in der schwelenden Glut. Young Kid rutschte über den feuchtfaulen Stamm und fror erbärmlich. Er trug nur Hemd und Hose, und es war am Morgen noch mächtig kalt.
Plötzlich zog Hill das Eisen aus dem Feuer. Es war weißglühend, und er hielt es gegen die Wange. »Du willst mir also nicht sagen, wie der fremde Brand auf die Intyre-Weide kam?« »Ich weiß es doch nicht«, stöhnte der große Bandit und starrte fasziniert auf die glühenden Initialen, die aus dem Eisen herausleuchteten. »Ich schwöre dir, ich weiß überhaupt von nichts.« »Dein Schwur ist keinen einzigen Nickel wert, und daß du plötzlich so gar nichts mehr wissen willst, stimmt mich besonders nachdenklich.« Langsam richtete Hill sich auf. Er wanderte gesenkten Hauptes um das Feuer, ehe er stehenblieb und das Eisen in die Flammen zurückstieß. »Du warst Zeuge, Young. Du hast auch vor dem Richter beeidet, daß Intyre ein Viehdieb war. Wie kommt es denn da, daß du plötzlich Gedächtnisschwund hast?« Young Kid preßte die Lippen aufeinander und starrte düster auf das Intyresche Brandeisen, das langsam wieder zu glühen begann. Sein Herz pochte dabei hart und schnell. Verdammt, dieser Hill wußte doch eine ganze Menge, und es versetzte ihn in Erstaunen. »Ich lasse dir zwei Minuten für eine gütliche Aussprache. Danach aber beginnt es ernst zu werden. Dachte immer, du wärst ein vernünftiger Junge.« Aber er konnte doch nicht sprechen. Er konnte Hill nicht erzählen, daß er selber mit dabei war, als die Kühe von der Longheadschen Weide zum Intyre-Gebiet getrieben wurden. Er durfte nicht verraten, daß Sullivan und Tom Head hinter der ganzen Sache standen. Und das hatte einen sehr einfachen Grund. Wenn er quatschte, würden Head und Sullivan ihm eine
Meute Leute auf den Hals hetzen und ihn richten nach den Gesetzen der Bande. Young hatte einen dürren Hals, und er spürte schon in Gedanken den kratzenden Strick. »Was kümmert dich denn Intyre?« fragte er mit rauher Stimme. »Hank Intyre war mein Freund«, antwortete Clifton Hill, »also, wie war es?« In des anderen Gesicht begann zu zucken. Deutlich konnte man das Erschrecken sehen, das über seine Züge lief, als Hill ihm diese Erklärung gab. Hank Intyre war also Clifton Hills Freund gewesen. Der Blonde stand neben ihm, doch als Young Kid nichts sagte, klatschte er ihm mit unerhörter Härte seine flache Hand ins Gesicht. Sie warf Kid förmlich um. Als der Rustler sich wieder aufrichten wollte, stand Clifton schon über ihm. Er hielt das glühende Eisen in der Faust, und die Initialen näherten sich zu Kids Entsetzen seinem Gesicht. »Clifton«, röchelte er jetzt zu Tode erschreckt. »Clifton, du willst mich doch nicht wie ein Stück Vieh auf diese gemeine Weise brandmarken? Nein, das wirst du nicht.« »Du bist ja selbst noch minderwertiger als ein Stück Vieh. Nun aber raus mit der Sprache. Weshalb habt ihr Hank Entyre den Raub angedreht? Weshalb mußte er hängen?« In Youngs Augen schillerte tödliche Angst. Dicke Schweißtropfen rollten über seine Stirn, und er preßte den Nacken tief ins Laub. »Nein, Hill, nein.« Cliftons Lippen wurden schmal, sein Blick kalt. Seine Rechte machte eine kurze Bewegung. Sie stieß zu. Sekundenlang zerriß ein gellender Schmerzensschrei die frühmorgendliche Stille. Brandiger Geruch stieg gen Himmel. Als er die Hand zurückzog, stand auf Youngs Brust ein
großer verbrannter Fleck. Klar und deutlich lesbar prangte Hank Intyres Zeichen auf Youngs Haut. »Willst du vielleicht jetzt endlich sprechen, Young?« Hills Worte klangen wie ein frostiger Hauch. Sie entbehrten jeder menschlichen Regung, jedes Gefühls. »Wirst du nun dein Maul aufreißen?« Wieder näherte sich die Rotglut des Eisens Youngs schreckund schmerzverzerrtem Gesicht. »Nein, nein«, röchelte der Bandit ersterbend, »nein, Clifton, ich sag's ja, ich erzähle dir alles, aber tue endlich das verfluchte Eisen weg.« Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden. Man hörte nur Kids klägliches Wimmern. Erst ein Brandy, den Hill dem dürren Rustler zwischen die Lippen kippte, brachte Young wieder einigermaßen auf die Beine. »Also?« »Sullivan hatte es angeordnet«, keuchte Young mühsam. »Wir sollten von der Longheadschen Weide einige Dutzend Rinder stehlen und sie auf Intyres Gebiet treiben. Oh, Clifton, ich verbrenne.« »Du bist ja selber schuld. Doch weiter!« »Wir taten, wie er es befohlen. Er wartete schon auf uns. Gemeinsam legten wir uns auf die Lauer. Sullivan mußte gewußt haben, daß Intyre jeden Tag hier vorbeikam. Er kam denn auch gegen Mittag. Zwei seiner Leute waren in seiner Begleitung. Sie entdeckten die Herde und beratschlagten, wie die Kühe auf ihr Gebiet kommen konnten, denn zwischen Longhead und Intyres Ranch lagen immerhin fast hundert Meilen. Und während sie noch beratschlagten, trat der Marshal in Aktion. Er verhaftete Intyre, und dabei kam es zu einer Knallerei, weil Intyre und seine Jungs was gegen die Festnahme hatten.
Den beiden Reitern gelang die Flucht. Intyres Hände aber steckten in Handschellen. Er wurde nach Roy Mills gebracht, und das Weitere weißt du ja schon.« »Ist Sullivan der Boß der Bande?« Stöhnend schüttelte der Rustler den Kopf. Sein Widerstand schien jetzt restlos gebrochen. »Tom Head, der Richter, führt die Bande.« »Und wie stark seid ihr?« »Wir haben sechs Gruppen, Clifton. Insgesamt sind es vierzig Leute. Sie wohnen auf einigen Ranchen, die von den Siedlern aufgegeben wurden.« »Aufgegeben?« Hill wurde plötzlich hellhörig. »Hier ist doch gutes Land, das gibt man doch nicht so einfach auf.« »Sie konnten sich aber nicht mehr halten«, preßte der Bandit über die Lippen. »Gib mir noch einen Schnaps, Clifton, bitte.« Seine Augen ruhten bettelnd auf der Feldflasche, die Hill in der Hand hielt. »Sie konnten sich nicht halten, weil ihr ihnen die Kühe gestohlen habt. So war es doch, oder?« Hill flößte Young noch einige Tropfen des belebenden Getränks ein. Dieser nickte schwer atmend. Hill ging zu seinem Gaul und schnallte den Sattelgurt fest. Das Pferd am Zügel hinterherführend, kehrte er zum Feuer zurück. »Wo finde ich die Intyre-Crew?« wollte er noch wissen. »Niemand weiß es, Clifton.« Youngs Stimme nahm einen beschwörenden Klang an. »Willst du mich vielleicht hier verrecken lassen?« »Du verreckst ganz bestimmt nicht von der kleinen Brandwunde«, sagte Clifton kalt. »Hier hast du einige Verbandpäckchen und eine Brandsalbe. Sie wird den Schmerz lindern.« Er warf Young die Sachen zu, beugte sich rasch nieder und
durchschnitt mit dem Bowieknife die Fesseln. »Ich gebe dir einen guten Rat, Young Kid, verdufte, solange du noch Zeit hast. Wenn wir uns das nächstemal wiedersehen, stempele ich dich nicht mit einem Brandeisen, sondern mit einer Bleibohne, und wo ich diese hinzusetzen pflege, dürfte dir nicht ganz unbekannt sein. Und nun auf Nimmerwiedersehen.« Der Sprecher kletterte behende in den Sattel. Zungenschnalzend trieb Hill seine Stute an und lenkte sie mit den Schenkeln über den wildumrankten Pfad, der durch das Unterholz führte. »Zur Hölle mit dir«, keifte Young Kid hinter dem Entschwindenden her und vergaß einen Augenblick den brennenden Schmerz, der in seiner Brust wühlte. »Die Pocken sollen dich erwischen, Hill.« * »Hände hoch, Stranger!« Irgendwo aus der Steilwand kam dieser Ruf. Ruckartig zügelte der Reiter seine Stute, seine Augen suchten den Rufer, der sich irgendwo dort oben verborgen hielt, und Clifton Hill vergaß dabei ganz die Aufforderung, seine Hände zu heben. Sie kam nicht ein zweites Mal. Hart und peitschend warf die Felswand das Echo eines Schusses zurück. Steine und Sand spritzten vor den Hufen Jennys hoch, und das Tier schnaubte unruhig und begann, auf der Hinterhand zu tänzeln. »Steh«, sagte der Reiter, und seine Schenkel umschlossen die Flanken der Stute mit eisernem Druck. Aus der Steilwand stieg eine Pulverwolke in den blauen Himmel. Abermals krachte ein Schuß. Es war eine zweite Warnung.
Clifton streckte nun gehorsam die Hände über den Kopf. Ein Zeichen der Resignation. Trotzdem aber war Hill auf der Hut. Seine Beine winkelten sich leicht, die Colts auf den Schenkeln hoben sich ganz unmerklich in Gurthöhe. Seine Lippen umspielte ein abwartendes Lächeln. Eine ganze Weile verging. Längst war das Echo der beiden Schüsse verhallt, hatte Hill den Standort des hinterhältigen Schützen entdeckt. Er lag etwa zwanzig Yards über ihm auf einer halbmondförmigen Plattform, die teils im Schatten des Felsens, teils im prallen Sonnenlicht lag. Als nichts geschah, rief Hill: »He, du Stinktier, wie lange soll ich mich denn noch am Himmel festhalten? Sage schon, was du willst und laß einen friedlichen Reiter seines Weges ziehen.« »Weshalb hast du es denn plötzlich so eilig, Bruderherz? Wir beobachteten dich schon eine geschlagene Stunde, und in dieser Zeit bist du mit der Nase wie ein Dobermann über die Felsen gerutscht. Wir hatten ganz den Eindruck, als suchtest du etwas ganz Bestimmtes.« Als diese Stimme hinter Hills Rücken aufklang, zuckte er leicht zusammen. Er hatte seine Sinne ganz auf den Schützen in der Wand konzentriert. Dabei vergaß er eine Weile, daß der Bursche bestimmt noch Freunde und Helfer besaß. Und einer von ihnen stand nun hinter ihm, und als Hill sich umsah, stellte er ohne Verwunderung fest, daß der Mann eine Kanone in der Faust hielt und grinste. Etwas anderes war ja auch gar nicht zu erwarten. Es war ein stattlicher Bursche, der ihn da anlachte. Breitschultrig wie er selber, und sein Gesicht war braunverbrannt. »Steig ab, Onkel«, forderte der Mann mit einer bezeichnenden Geste, »und störe dich nicht an meinem schäbigen Anzug.
Auf ihn kommt's letzten Endes ja auch nicht an. Meinen Sie nicht auch?« Clifton Hills Körperhaltung entspannte sich leicht. Auch er lächelte und rutschte dann aus dem Sattel. Als er die Hände wie unabsichtlich herunternehmen wollte, drohte der andere mit dem Colt. »Keine Dummheiten, Kamerad, hab' zwar bisher noch niemanden umgelegt, aber wo man uns schon zu Dieben und Rustlern gestempelt hat, kommt's bei mir jetzt auch nicht mehr auf eine Leiche an.« »Mir scheint, dann bin ich ja gerade an die richtige Adresse gekommen.« Hill hielt die Arme oben, um den anderen nicht noch mehr zu erregen. »Du gehörst doch zur Intyre-Crew, stimmt's?« »Du hast uns also gesucht?« »So ungefähr.« »Sie geben also in der Stadt noch immer keine Ruhe.« Grimmig spie der Cowboy Hill direkt vor die Füße. »Aber sie täuschen sich. Den Alten haben sie aufgehängt, den Boden werden sie wohl auch noch bekommen, aber von den Kühen werden sie kein Schwanzende zu sehen bekommen. Schnall deine Kanone ab und bau dich in den Sattel. Dann reite in die Stadt und bestelle Sullivan: wenn er noch einmal einen seiner Freibeuter in diese Ecke der Wichitas schickt, bekommt er ihn prompt als Leichnam zurück. Klar? Das war eine einmalige Drohung, und wenn Sullivan glaubt, es wären leere Worte gewesen, dann soll er es noch einmal versuchen.« Cliff Hill lächelte. Dabei musterte er den Erzürnten mit stiller Befriedigung. Der Bursche war okay. Wenn Hanks übrige Crew so war wie er, dann ließe sich mit den Jungs schon etwas anfangen. »Führst du die Mannschaft, Schwarzer?« Hill wählte einfach
diesen Namen, weil der Cowboy rußschwarze Haare hatte. »Was geht es dich an?« entgegnete der andere grimmig. »'ne ganze Menge, denn ich möchte mit dem Vormann sprechen.« »Dooly gibt dir hundert mit der Neunschwänzigen, wenn er erfährt, daß du ausgerechnet aus Roy Mills kommst und einer von Sullivans Schergen bist.« »Und woran siehst du, daß ich ein solcher bin?« »Was solltest du denn sonst hier anderes suchen? Hab' also keine Sehnsucht nach Bret Dooley. Unter Garantie würdest du nach der Unterredung auf dem Bauch heimreiten müssen. Ob das aber ein Vergnügen ist, möchte ich bezweifeln.« »Ich ließ es drauf ankommen.« »He?« Der Cowboy sperrte Mund und Nase auf. Dieser Bursche hatte ja ein verdammt großes Maul. »Du wagst es trotzdem?« Er begann plötzlich zu grinsen, hinterhältig, spöttisch und voller Schadenfreude. »Na gut, Blonder, gib mir deine Kanone, und der Handel ist perfekt. Du wirst also Dooley kennenlernen, in seiner ganzen Größe«, fügte er verheißungsvoll hinzu und streckte die Hand hin. Clifton Hill schnallte gemächlich den Gurt von den Hüften und überreichte ihn dem Boy. »Ansonsten trenne ich mich ja nicht von ihnen, Schwarzer. In diesem gesegneten Land ist ein Colt die beste Lebensversicherung, und außerdem, man fühlt sich dann so nackt und hilflos wie ein Baby.« »Nackt beziehst du aber höchstens eine Tracht Prügel, Blondy«, kicherte der andere, »aber wenn du mit einem Eisen vor Bret hintrittst, faßt er es als Kriegserklärung auf und pfeffert dir ohne viel Federlesens ein Pfund Blei zwischen die Augen. Wärst nicht der erste, dem Bret Dooly auf diese Art einen To-
tenschein ausgestellt hat. Na ja, du wirst dich ja selber davon überzeugen können. Los, Dummkopf, gleich hinter der Wegbiegung liegt die Haustür.« Von einer Haustür konnte natürlich keine Rede sein und war nur so eine Redensart. Was Hill fand, war ein schmaler Felsspalt, der gerade einen Reiter durchließ. Es herrschte völlige Finsternis auf der Schluchtsohle, und vom blauen Himmel war nur ein schmaler Streifen zu erkennen. Doch nach einiger Zeit erweiterte sich plötzlich die schmale Schlucht. Sie begann langsam anzusteigen. »Habt ihr vielleicht hier die Kühe hochgetrieben?« fragte Cliff einmal und wandte den Kopf nach seinem Begleiter um. In der hier immer noch herrschenden Halbdämmerung entdeckte er seinen Bewacher, der noch immer mißtrauisch den Colt in der Hand hielt. »Bist ja mächtig neugierig, Blondy, das tut nie gut«, kam es abweisend, »mache dich lieber schon jetzt mit dem Gedanken vertraut, daß eine Tracht Prügel bitter schmeckt, und daß Bret im Augenblick verdammt schlechter Laune ist. Er hat's noch nicht überwunden, daß dieser verfluchte Banditenmarshal unseren Boß gehängt hat. Und wir haben es auch noch nicht und werden das unsere dazu beitragen, daß diese Schurkentat gesühnt wird. Wenn du zu dieser blutgierigen Bande gehörst – und das werden wir schnell heraushaben – mach' schon ruhig dein Testament. Diesen Weg wirst du dann nicht mehr zurückreiten und kannst also auch nichts von unserem Schlupfwinkel verraten. Aber jetzt weiter, vorwärts, Sonnyboy.« Wortlos setzte nun Hill den Weg fort. Dumpf hauten die Hufe seiner Stute gegen die Felswände und rollten vielfach verstärkt durch die einsame Bergwelt, die diesen Männern eine neue Heimat geworden war.
* Seit dem Zusammentreffen mit Clinch Rogger, so hieß der schwarzhaarige Cowboy, war Clifton Hill gespannt, dem Vormann gegenüberzutreten. Aus den Reden Clinchs hatte er entnommen, daß selbst die Crew Respekt vor dem Burschen haben mußte. Nachdem sie dann endlich den Grat des Felsens überschritten hatten, zog sich eine schmale Serpentine in ein breites Tal hinab. Auf einer leuchtend grünen Matte grasten viele tausend gesunder Longhorns. Abseits der Herde, an einem kleinen Bach, der dieses versteckte Tal durchfloß, standen vier große Zelte. Sie wurden völlig verdeckt durch hohes Buschwerk, und erst sichtbar, als sie bis auf dreißig Yards an das Lager herangekommen waren. Als sie nun dieses Lager betraten, war's für Clifton wie ein Spießrutenlauf. Clinch Rogger aber sorgte auch reichlich dafür, denn schon von weitem machte er eine Riesenpropaganda und prahlte, einen von Sullivans stinkenden Guards erwischt zu haben. Dafür hätte Hill dem Schwarzen am liebsten die Faust zwischen die Augen gesetzt. Er tat es aber nicht, denn dann wäre er wohl kaum mit einem blauen Auge davongekommen. Als er von Rogger nun zwischen die Zelte geschoben wurde, kam drohendes Murren auf. Einer, ein Baum von einem Mann, kraftstrotzend und gesund, spie ihm den Tabaksaft vor die Füße. Hill aber verlor einen Augenblick die Farbe. Seine Fäuste ballten sich, und es schien, als wollte er gegen den Mann angehen. »Mach' keinen Quatsch, Blondy«. kicherte Rogger, der aus dem Mienenspiel Hills gesehen hatte, daß er nahe daran war,
sich auf eine Prügelei einzulassen. »Nevada verdaut dich zum Nachtisch, und er frißt dich, ohne vorher groß das Maul aufzumachen. Dort hockt der Vormann.« Hill verlor für den Augenblick das Interesse an einem Match mit diesem Nevada und betrachtete das Ungetüm von einem Mann, der am Feuer saß und unruhig in die Flammen starrte. Dieser Mann besaß die Ausmaße eines ausgewachsenen Grisly, und als Hills Blick einmal über die Hände des Burschen glitt, erschauerte er leicht. Diese sehnigen Fleischpranken konnten ohne jede Anstrengung einen Suppenteller verstecken. Dooley machte einen verdammt wilden Eindruck. Seine Kleidung war zerschlissen, und wo die Haut zum Vorschein kam, sah man nur Muskeln und Sehnen. Ein schwarzer zottiger Bart umrahmte das Gesicht. Dieser zog von Schläfe zu Schläfe und verdeckte alles, was unterhalb der gewaltigen Kolbennase saß. Bret Dooley hatte so gar nicht das Aussehen eines gewöhnlichen Rindertreibers, er machte viel eher den Eindruck, als wäre er ein Holzfäller aus den kanadischen Wäldern. Dort oben liefen genau solch struppige Gestalten herum. Sie hatten auch genau solche Fäuste und Muskeln wie dieser Dooley. Dooley hob nun den Kopf. Unter dichten, buschigen Brauen blitzten zwei grelle Lichter. Aber sie streiften nur ganz kurz Clifton Hill, ehe sie an Clinch Rogger hängen blieben. »Habe ich nicht befohlen, daß kein Fremder das Lager betritt?« grollte er, und es war auch wirklich ein Grollen. Es klang dumpf und dröhnend, wie ein unterirdischer Fluß, der einen Fels zu sprengen versuchte. Es war eine Stimme, die ganz auf diesen Naturburschen abgestimmt war, ein mächtig tiefer Baß. Clinch Rogger begann kläglich zu grinsen. »Er hatte aber doch solche Sehnsucht nach dir, Bret, daß ihn nicht mal die angedrohte Tracht Prügel von dir abhalten konn-
te. Ich habe ihm gesagt, daß er sie hier oben bezieht. Er war also gewarnt.« »Du hast ja noch weniger Gehirn als ein stupides Stück Rindvieh«, begann Dooley und fluchte. »Da kommt jemand den Berg hoch, und du Rindvieh schleppst ihn dann ganz einfach hierher. Weshalb bringen wir dann nicht gleich die ganze Herde zu Sullivan in die Stadt. Es ist doch ganz klar, daß er sofort unser Versteck verrät, wenn wir ihn in die Stadt zurücklassen.« »Wir können ihn ja doch vorher ein klein wenig aufhängen«, schlug der beleidigte Clinch vor. »Hängen, so, wie sie den armen Boß baumeln ließen. Schätze, das wäre ein Spaß.« Neben Hill tauchte ein dürres, langes Ende auf. Nicht ganz so groß wie Young Kid, aber mindestens ebenso mager. Und er war auch älter als Young, außerdem fehlte ihm eine Anzahl Zähne. Und durch die Lücken lachte er Clifton, der wieder ein wenig Farbe verloren hatte, mitten ins Gesicht. »Man hängt keinen Menschen zum Spaß«, donnerte Dooley und richtete sich langsam auf. »Da muß ich dir beipflichten, Vormann«, begann Clifton schnell und staunte über die Ausmaße Dooleys, die nun erst voll zur Geltung kamen. Unwillkürlich fragte er sich, welch einen Gaul wohl dieser Mann reiten mochte. Ein gewöhnlicher Broncho würde bei diesem Dooley bestimmt nicht ausreichen. »Halt's Maul.« Der Riese machte nur eine kurze Handbewegung. Die mächtige Pranke durchschnitt die Luft, und Clifton glaubte fast, den Windzug davon zu verspüren. Aber er hielt nicht das Maul, wie es der andere barsch forderte. Letzten Endes ging es ja um seinen eigenen Hals. Für Hill gab's im Moment nur eines. Er mußte diese Männer davon überzeugen, daß er nicht in Sullivans Lager stand. Und das
wiederum lag ganz an seiner Redegewandtheit. »Höre zu, Dooley«, begann er deshalb bedächtig und nahm den Sombrero vom Kopf, den er dann langsam zwischen den Händen zu zerdrücken begann, »ich klettere bestimmt nicht eine Woche lang durch diese dreimal verdammten Berge, weil's mir Vergnügen macht oder gar deshalb, weil mir einer den Befehl gegeben hatte.« »Du sollst dein freches Maul halten.« Drohend pumpte Dooley die Lungen voll Luft und schob den massigen Schädel vor. »Hier hat außer mir niemand etwas zu sagen.« »Du kannst mir doch den Mund nicht verbieten.« Trotz stieg in Hill auf, und er mußte sich blitzschnell bücken, um der niedersausenden Pranke des hünenhaften Vormannes auszuweichen. »Damned«, fluchte er leise. Dieser Kräftespeicher war ja der reinste Despot. Er kannte anscheinend außer der eigenen keine andere Meinung und fühlte sich hier ganz als Herrscher. Und noch während Dooleys gespreizte Hand über ihn hinwegsegelte, schoß Hills Faust vor. Hill kannte so einige empfindliche Stellen, die selbst einem solchen Muskelmann die Luft nahmen. So traf denn auch seine Faust dicht unterhalb des Rippensatzes, bohrte sich tief in die Weichteile und drückte unangenehm auf Dooleys Milz. Dooleys zornrotes Gesicht wurde violettblau, und ehe er sich wieder so recht fassen konnte, traf ihn ein zweiter Schlag, diesmal aber mit der flachen Hand ausgeführt, genau zwischen Kiefer und Halsansatz direkt auf die Schlagader. Sekundenlang dröhnte es in Dooleys Schädel, es dröhnte hohl, denn der furchtbare Handkantenschlag hatte jäh die Blutzufuhr zum Hirn unterbrochen. Dann sackte der Klotz ächzend zusammen. Einen Augenblick herrschte betroffenes Schweigen in der
Runde. Ein halbes Dutzend Augenpaare stierte auf den niedergeschlagenen Riesen, ihr unantastbares Idol, ihren Herrscher und ausnahmslos anerkannter Führer. Aber Clifton Hill wußte genau, daß der Tanz noch nicht zu Ende war, im Gegenteil, daß er jetzt erst recht beginnen würde. Er rieb sich noch die schmerzende Faust, als sie auch schon herankamen. Allen voran der kläffende, zahnlose Hagestolz. Hill wußte, daß es jetzt um sein Leben ging. Um diese verfluchten Burschen von seiner guten Absicht zu überzeugen, genügten jetzt nicht mehr Worte allein. Hier mußte eine verdammt härtere Sprache gesprochen werden. Und so kam denn auch als erstem dem dürren Long Flamer das Mittagessen, das er dazu noch selber gekocht hatte, hoch. Nicht etwa deshalb, weil's ihm nicht bekommen wäre, sondern es anscheinend ein Eisenhammer gewaltsam hochtrieb. Und dieser Eisenhammer war Hills Faust. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine spitze Nase schleunigst zwischen das niedergetretene Gras zu schieben und die Augen einwärts zu verdrehen. Clinch Rogger, der zweite Stürmer, spuckte ein paar Zähne, ehe es ihm schwarz vor den verwunderten Augen wurde. Dann kam Nevada, anscheinend das Paradestück der Crew, heran, jener Nevada, der kurz zuvor noch Hill seine Verachtung damit zeigte, daß er ihm seinen Priem vor die Füße spie, jener Bursche, von dem Clinch behauptete, er nähme zwei von Hills Sorte als Nachspeise zu sich. Sein erster Angriff war nicht von Pappe. Er rammte Hill mit einer ungeahnten Wucht die Faust in den Magen, daß es nur so krachte. Cliftons Gesicht verkrampfte sich im Schmerz, und ihm wurde verdammt übel.
Nevada mußte sehr von sich und seinem präzisen Schlag überzeugt sein. Er glaubte wohl, daß ein Schlag seiner Faust einen, an sich nicht allzustark aussehenden Mann wie Hill, sofort kampfunfähig machen würde, denn nicht anders war's zu erklären, daß er so nahe an den Gegner herantrat. Doch da hatte Hill auch schon den größten Teil der Schlagwirkung überwunden. Als die ausgestreckte Hand des anderen nach ihm greifen wollte, erfaßte er Nevadas Gelenk, drehte sich um hundertachtzig Grad, wippte mit den Hüften und schleuderte den Koloß mit fast spielerischer Leichtigkeit über die Schulter. Für Hill war es eine Erleichterung, als er den mächtigen Körper des Cowboys platschend in den kleinen Fluß fahren sah. Für den erstaunten Nevada aber war es eine Luftpartie, die ihm schier endlos erschien, und da der Bach eigentlich nur ein kleines Rinnsal war und kaum die Steine darin bedeckte, war die Landung recht unsanft. Er grunzte wie ein Ferkel, als er aufprallte, denn er verstauchte sich dabei recht unangenehm das Steißbein. Hills Atem ging keuchend. Es war nicht allein die Anstrengung, die ihn so schwächte. Er spürte auch noch immer die Nachwirkung des wuchtigen Schlages, den Nevada bei Kampfbeginn hatte landen können. Ein grelles Flimmern lag vor seinen Augen, und er konnte und konnte es nicht abschütteln. Drei Gegner hatte er jetzt schon vor sich, und sie standen mit geballten Fäusten vor ihm, anscheinend mit der lobenswerten Absicht, ihn gleichzeitig anzuspringen. Ob er das bei seiner Benommenheit auf sich nehmen konnte oder ob er nicht doch lieber klein beigeben sollte? Da schaute hinter ihm ein rauhes Lachen auf, das so gar nicht in die Kampfstimmung hineinpaßte. Die Blicke der Männer irrten ab, suchten den Lacher und fanden Bret Dooley, der
am Boden hockte und wohl den letzten Teil der Auseinandersetzung mit Nevada miterlebt haben mochte. »Heh, Jungs, das war Klasse. Nevada hat das Fliegen gelernt, und ich selbst wurde ebenfalls um einiges klüger. Laßt den Jungen in Ruhe, er ist in Ordnung. Ja, er ist gerade das, was wir hier brauchen. Stimmt's, Clifton Hill?« Verblüfft senkte Hill die Arme und starrte mißtrauisch zu dem Lacher hin, der sich nun langsam erhob. War das vielleicht nur eine Finte? Aber nein, Dooley nannte ihn ja beim Namen. »Zum Teufel«, brummte Hill schwer atmend, »woher kennst du mich plötzlich?« »Als du mir die beiden Dinger versetztest, kam mir plötzlich eine Ahnung, aber ich konnte ja 'ne ganze Weile überhaupt nicht mehr denken. Als ich dann wieder sehen konnte, sehen, wie Nevada das Fliegen lernte, wußte ich Bescheid. Du bist Clifton Hill, der ›Scharfe Cliff‹ und Hank Intyres bester Freund und Kampfgenosse aus seiner Wanderzeit. Habe ich recht?« »Ja, aber…«, stotterte der Blonde ganz verwirrt. »Woher weißt du das?« »Ich werde es dir mit ein paar Worten erklären, Hill.« Der Sprecher trat auf Clifton zu und hielt ihm die riesige Pranke entgegen. »Denselben Luftsprung, den du da gerade unserem Freund Nevada machen ließest und dieselben Staucher, die ich selber schluckte, verteilte der Boß schon einmal. Damals gab es eine kleine Keilerei zwischen unseren Boys und der FleachMannschaft. Da Intyre nicht nur der Boß war, sondern auch immer zu seinen Leuten stand, wollte er für uns die Sache bereinigen. Er forderte Bredden, den Vormann der Fleach-Ranch, zum Faustkampf heraus. Eigentlich hätte das mir zugestanden. Aber der Boß wollte es nicht. Nun, Bredden war ein wah-
rer Hüne, und wir sahen alle schwarz für Intyre. Well, Hill.« Dooley grinste, als ein Blick ihn streifte. »Bredden hatte genau meine eigenen Ausmaße, aber er legte sich doch schlafen, ehe er 'ne Hand ausstrecken konnte. Der Boß setzte ihm eins zwischen die Rippen, eine andere an den Hals, und da das Ding nicht richtig gesessen hatte, nahm er noch den Überzug. Bredden flog auch genauso weit wie Nevada, nur landete er nicht im Wasser, sondern inmitten eines gefüllten Schnapsregals. Später fragte ich ihn einmal, wie er zu diesen Kniffen kam, und er erzählte mir die Geschichte seines Freundes Clifton.« Er drückte dabei die Rechte Hills, als wollte er sie zermalmen. »Heh, Jungs«, schrie er dabei begeistert, »das ist ein Freudentag, den ich nicht vergessen werde.« »Ich auch nicht«, knurrte Nevada, der gerade hinkend aus dem Bach kletterte. Aber auch er streckte Hill versöhnlich die Hand entgegen, als er heran war. »Nichts für ungut, Kamerad, aber ich hatte doch eine Stinkwut, als du Bret und die beiden anderen so schnell schlafen schicktest. Zwei tun's ja immer noch.« »Gib ihnen etwas Wasser ab«, sagte lächelnd Doole und zog Clifton Hill ans Feuer. »Mit Vergnügen«, antwortete der tropfnasse Nevada und schleppte die beiden Bewußtlosen die Böschung hinunter. »Nun, Hill, wie kommst du eigentlich so plötzlich hierher?« fragte Dooley und reichte dem anderen den Tabaksbeutel. »Ich kam vor einer Woche nach Roy Mills, Dooley« »Nenn mich Bret, wie es die anderen auch tun«, forderte Dooley, und seine Miene verfinsterte sich. »So, also vor einer Woche. Da geschah es.« Clifton nickte düster. »Ich kam leider ein paar Stunden zu spät in die Stadt, sonst wäre es nicht geschehen. Aber als ich vor dem Galgen stand, war Hanks Leichnam schon kalt. Aber
sie werden es büßen.« »Sie werden es«, stieß der Vormann grimmig hervor, »ich habe erst wieder Ruhe, wenn Sullivan unter der Eiche hängt.« »Und Tom Head daneben.« »Der Richter?« Dooleys Augenbrauen begannen düster zu flackern. »Was hat denn Head damit zu tun?« »Head ist der eigentliche Urheber dieses ganzen abgekarteten Spiels, nicht Sullivan. Sullivan ist ja nur eine ganz kleine Leuchte, die einfach nach der Pfeife des Richters tanzen muß. Der Kopf der Bande ist Tom Head.« »Das ist doch bloß eine Vermutung von dir.« Brets Bartgeflecht zitterte leicht vor Erregung. Weit bog sich sein Oberkörper nach vorn. »Nein, ein Mitglied der Bande hat es mir erzählt. Er tat es zwar nicht ganz freiwillig. Ich kitzelte Young Kid ein wenig mit einem glühenden Brenneisen.« »Young Kid? Ja, das ist auch einer von denen. Big Chester, Flam Brend und er haben vor Gericht beschworen, daß sie gesehen haben, wie wir die Kühe von der Longheadschen Weide trieben. Damned, das war eine glatte Lüge.« Beschwichtigend legte Hill dem Erzürnten die Hand auf die Schulter. »Ich weiß es ja, Bret, weiß auch, daß sie von Sullivan gedungen waren. Ich werde Rechenschaft von dem verdammten Gesindel fordern, und vor allem möchte ich wissen, weshalb das alles geschah. Hanks Tod brachte doch keinerlei Vorteile, oder?« »Natürlich nicht. Das einzige…, hm…« »Na, Bret?« forschte Hill, als der andere stockte. »Das Land, sie könnten es aufkaufen, denn der Boß hat ja keine Erben. Es kommt eben alles unter den Hammer und ist billig zu erwerben.« »Ach?«
»Well, die Fratolli-Ranch ging auch so weg. Sie hatte einen Wert von mindestens vierzigtausend Dollar. Ein gewisser Rapid ersteigerte sie für viertausend.« »Wer ist denn dieser Rapid?« fragte Hill interessiert. »Habe ihn noch nie gesehen.« »Er hat auch die B-B-Ranch aufgekauft, nachdem Ed Berrigan das Interesse am Viehtreiben verloren hatte, weil ihm eine Kugel im Hinterkopf saß«, erwiderte Dooley. »Starb Fratolli auch auf diese Weise?« »No, er bekam einen Herzschlag. Diese Geschichte mußte ganz reell gewesen sein, bis auf den Verkauf, da war Schiebung dabei.« »Konnte denn Fratolli nicht auch ermordet worden sein?« »Kaum. Herzschlag stand auf dem Totenschein, den Doc Rosher ausstellte.« »Dieser Rosher, ist das nicht der alte Makler und Anwalt aus Roy Mills?« »Well, ein feiner alter Knabe. Er fürchtet weder Sullivan noch Head. Er steht ganz für Recht und Gesetz. Sonst säße er auch bestimmt nicht in diesem windschiefen Drecknest. Er soll nämlich droben am Red River 'ne Ranch besitzen. Um sie an der schmalsten Stelle zu durchqueren, brauche man zwei Tage und in der größten Ausdehnung gar eine gute Woche. »Und du glaubst es?« Dooley hob die Achseln. »Ich habe das Land nie gesehen, aber Rosher verschwindet einmal im Jahr für etliche Wochen, und man munkelt, er führe dann auf seine Ranch. Aber was kümmert uns der Doc, wir haben ja mit Tom Head und Sullivan abzurechnen.« »Es wäre aber gar nicht so schlecht, einen Verbündeten in der Stadt zu haben. Vor allem, weil sich keiner von euch dort sehen lassen darf. Sie haben nämlich einen Steckbrief hinter euch
her gejagt.« »Sollen sie ruhig.« Dooley begann zu grinsen. Man sah es nur an den Augen, aber Hill war überzeugt, daß Dooley den Mund höhnisch verzogen hatte. »Wegen Diebstahls, und zwar wegen Viehdiebstahls. Und dieses Mal haben sie noch gar nicht mal so unrecht, denn die Intyres-Rinder fehlen ja tatsächlich.« »Sie sind in guter Obhut.« Dooley lachte dröhnend. »Es stinkt ihnen wohl, daß wir ihnen diesmal zuvorgekommen sind.« »Wir werden einen verdammt schweren Stand haben. Unsere Gegner haben das Gesetz noch auf ihrer Seite. Ja, sie verkörpern es sozusagen. Nur ein Fehler kann sie zu Fall bringen.« »Selbst der gerissenste Gauner macht Fehler.« »So ist es«, bestätigte Hill, »aber wir wollen nicht darauf warten. Inzwischen räumen wir erstmal ihre Bollwerke aus. Das wird eure Aufgabe sein. Ich halte mich in der Stadt auf und bewache die beiden schwärzesten Schafe.« »Dann kennst du also das Lager der Bande?« »Es gibt gleich sechs. Ich lege eine Karte an, wo sie zu finden sind. Das andere überlasse ich dann euch.« »Wir werden sie einäschern. Auf uns kannst du dich auf jeden Fall verlassen. Aber wie halten wir miteinander Verbindung?« »Werden schon einen Weg finden, Bret.« Clifton Hill lächelte hart, als er sich aufrichtete. »Im Augenblick habe ich auf jeden Fall einen verdammten Kohldampf und könnte ein gutes Steak vertragen.« »Long wird dir einen Schlag fertig machen. Er ist ja jetzt wieder fit.« »Ach«, fragte Clifton, »der Magere ist euer Koch?«
»He, Long«, rief Dooley, »mach einen Schlag zurecht für unseren Freund, und dann will ich die Jungs sprechen, aber alle, verstehst du, es tut sich was, und die faule Zeit hört endlich auf.« Während Clifton an der Vertilgung seiner Riesenportion arbeitete, berichtete der Vormann Dooley den Jungs, was Clifton ihm über ihre Gegner in Roy Mills gesagt hatte und teilte ihnen seine Pläne für die nächsten Tage mit. Der Jubel bei den Männern war groß, hatten sie jetzt doch endlich eine Handhabe, den Mördern ihres Bosses beizukommen. Noch bis spät in die Nacht hinein herrschte rege Tätigkeit im Lager, und man sah überall nur vergnügte und tatendurstige Gesichter. »Clifton, wir sind bereit«, sagte spät am Abend Dooley zu seinem neuen Freund. »Die Gejagten werden nun die Jäger sein.« »Und wir werden die Bande samt ihrem Führer restlos zusammenschlagen.« »So sei es, Freunde, Rache für Intyre.« »Rache für den Boß«, fielen auch die anderen ein. * »Tag, Marshal!« Rondo Sullivan fielen fast die Pockennarben aus dem Gesicht, als er den Mann erkannte, der ihm diesen Gruß entbot. Staubbedeckt von einem langen Ritt und ein wenig schmutzig wirkte Clifton Hill, aber das ließ bei Sullivan keinen Zweifel aufkommen, daß dies der verdammte Fremde war, hinter dem drei der besten Leute der Bande mit einem Frachtzettel für die Hölle hergejagt waren. Sullivan glaubte Hill bereits zerlegt im Magen einiger satter Kojoten, zumindest aber einige
Fuß unter der Erde. Hölle und Verdammnis, nun stand dieser Mann plötzlich in seinem Office und lächelte mit der Scheinheiligkeit eines Methodistenpredigers, der gar keiner war. Kein Wunder also, daß es dem Marshal einen Augenblick förmlich die Sprache verschlug. »Mr. Hill«, das war ein unsicherer Ausruf, »ich dachte, ich glaubte…« »Was haben Sie geglaubt, Marshal?« fragte Hill mit scheinheiligem Gesicht. »Wir haben Sie schon gesucht, Mr. Hill. Waren in großer Sorge, denn man hat seit über einer Woche nichts mehr von Ihnen gehört.« »Und wo haben Sie gesucht, wenn ich fragen darf?« Sullivan fühlte sich bei einer Lüge ertappt. Nicht weiter bis zur >Oase< war er in dieser Woche gekommen, und die lag doch keine zwanzig Yards von dem Marshal's Office entfernt. »Überall«, stotterte er mühsam weiter, »am Pease River, am – Rock Falls…« »Auch auf der Young Kid-Ranch?« »Selbstverständlich auch dort«, bekundete Sullivan schnell, und seine Schluckbewegungen wurden immer mühsamer. »Und hat Young Kid nicht erwähnt, daß ich ihn besucht habe?« »Kein Wort hat er davon erzählt.« »Dann wissen Sie es also noch gar nicht?« »Was, was soll ich wissen?« Sullivan begann auf dem Stuhl hin und her zu rutschten. Er hielt den Atem an, als der Blonde sich über den Schreibtisch beugte und ihn fest ins Auge faßte. »Yeah, es ist Schreckliches geschehen.« »Ach.« »Well, Young Kid hatte mächtig Pech. Er war gerade beim
Brennen einiger Rinder, als ich ihn traf. Stellen Sie sich bloß vor, er benutzte dazu ein fremdes Brandzeichen, und als ich ihn danach fragte, wie das möglich sein könnte, rutschte er aus und fiel in den glühenden Stempel. Schrecklich, Marshal, er hat geschrien wie ein junges Kalb, das man zum erstenmal brennt. Naja, es war ja auch tatsächlich das erstemal, daß seine Haut versengt wurde.« Sullivan wechselte ständig die Farbe, je länger ihm Clifton diesen merkwürdigen Unglücksfall demonstrierte. »Sind Sie krank, Marshal?« fragte Hill, anscheinend voller Teilnahme, während er sich innerlich mächtig freute, daß der Marshal so langsam ins Schwitzen kam. »Natürlich nicht«, stöhnte Sullivan als Antwort, »bin nicht krank, aber diese verdammte Hitze.« »Ja, diese ekelhafte Hitze. Aber das war ja noch nicht das schlimmste, Marshal. Ich lagerte in der Nähe der Rock Falls in einem kleinen Wald. Es war schon ein recht häßlicher Wald, fast ein Dschungel, wild und feucht und unheimlich düster. Ich war gerade eingeschlafen, da hatte ich einen Traum, der mich aus dieser wenig angenehmen Umgebung direkt ins Paradies führte. Es war eine Hochzeit, die ich da erlebte. Mensch und Tier fühlten sich glücklich und lebten friedlich zusammen. Der Wolf und das Schaf, der Luchs und das Rind fraßen gemeinsam aus einer Krippe, und der Fuchs spielte mit der Gans, kurzum, es war eine fröhliche, friedliche Stimmung. Eine geheimnisvolle, unsichtbare Musik spielte zum Tanztee auf, und ein wunderbarer, fast himmlischer Gesang ertönte aus den Büschen. Aber plötzlich stand ein finsterer Geselle mitten unter uns allen auf der Tanzfläche. Es war ein Gerippe, und sie nannten ihn den Tod. Und er rief den Satan herbei, der sollte einen großen Tanzreigen eröffnen. War das nicht ein ganz seltsamer, unwahrscheinlicher Traum, Marshal?«
»Ich halte nichts von Träumen«, stöhnte Sullivan und beugte sich weit zurück, »außerdem finde ich das alles recht unsinnig und direkt unmöglich. Solchen kindischen Blödsinn kann doch gar kein vernünftiger Mensch träumen.« »Sehen Sie, Marshal«, triumphierte Hill, und ein zynisches Lächeln lief um seinen Mund, »das dachte ich ja auch alles, zumal meine bisherigen Träume immer recht real waren. Aber als ich dann am Morgen die Augen aufschlug, lagen zu meinen Füßen drei Männer, und Sie mögen es glauben oder nicht, Marshal, sie waren alle drei mausetot.« »Drei Männer?« röhrte Sullivan, und es klang wie der Brunftschrei eines Hirsches. »Männer?« Der Märchenerzähler schien erst zu überlegen. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ach, Männer waren es ja eigentlich nie, sie glaubten es nur zu sein. Der gute Duke Landy, hätte er sich doch nur früher einen anderen, weniger gefährlichen Job ausgesucht. Und dann Cress Limit, für ihn wäre es bedeutend besser gewesen, er hätte sich noch einige Jahre einkasten lassen. Den dritten kannte ich überhaupt nicht, aber er hatte genau solch ein Galgengesicht wie Landy und Limit. Möchte heute noch wetten, daß es einen Staat gibt, der für seine Visage ein ordentliches Handgeld zahlen würde.« »Sie haben sie erschossen?« »Ich?« Entrüstet richtete Hill sich auf. Vorwurfsvoll blickte er zu Sullivan hinab. »Aber, Marshal, ich bin doch der friedlichste Mensch auf der Welt. Ich tue keiner Fliege was zuleide, und Blut kann ich überhaupt keins sehen. Sie waren doch schon tot, als ich sie fand. Ich glaube fast, sie hatten sich zu Tode gefürchtet, denn der Wald war ja auch wirklich ganz unheimlich. Kannten Sie denn das Dreigespann, das dort vor Angst umgekommen ist?«
Sullivan fühlte sich in die Enge getrieben. Sagte er nun ja, dann verriet er sich am Ende gar selber, verneinte er die verfängliche Frage, dann konnte er Hill vielleicht an den Kragen. Drum biß er lieber in den sauren Apfel und schüttelte den Kopf. »Sie haben das doch alles sicher nur geträumt, Mr. Hill?« »Das kann natürlich auch sein, Marshal, vielleicht hat dieser gespenstische Wald meine Sinne verwirrt und ließ mich da drei Tote sehen, wo überhaupt nichts war«, es schien fast, als lächelte Hill auf einmal befreit, »dann brauche ich wohl auch keine Anzeige zu erstatten?« »Natürlich nicht«, bekundete eifrig der Marshal. »Gott sei Dank. Mir scheint es nun fast selber, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen. Sie nehmen mir mit Ihrer Auskunft einen Alp vom Herzen, Marshal. Wenn ich Sie zum Dank dafür zu einem Drink einladen dürfte? Vielleicht im ›Blue Bean‹, oder in der ›Oase‹?« »Angenommen, Mr. Hill.« »Fein, Marshal, dann wollen wir auch unseren kleinen Streit begraben. Sie wissen doch, als wir uns zum ersten Male begegneten.« »Ja, sicher, sicher.« Sullivan nickte schwerfällig, »aber jetzt gehen Sie bitte, ich habe noch mächtig zu tun.« Dabei deutete er auf einen Aktenstoß, der vor ihm lag. Diese Akten lagen natürlich nur zur Tarnung da, denn Sullivan hatte bisher weder in sie hineingesehen, noch die Absicht und überhaupt die Möglichkeit dazu, denn mit seiner Schreib- und Lesekunst war es nicht weither. »Klar, will Sie nicht weiter aufhalten, so ein Marshal hat schon seine Arbeit, wenn er ein pflichtgetreuer Beamter des Staates ist. Also, dann auf Wiedersehen, Marshal, bis heute abend.« Vergnügt pfeifend, stampfte Hill aus dem Office.
Hinter ihm aber sank mit einem tiefen Seufzer Marshal Sullivan in seinem Sessel zusammen. »Dieser verdammte Hund«, wimmerte er, »dieser Hund hat also doch Lunte gerochen. Einer muß da gesprochen haben, einer der drei, oder Young Kid.« Wie elektrisiert ruckte er hoch. »Ich muß sofort mit Head sprechen. Head ist der einzige, der sicher noch einen Ausweg aus dieser gefährlichen Situation findet.« Er nahm seinen Sombrero vom Wandhaken und trat ans Fenster. Drüben verschwand gerade Clifton Hill in einer kleinen Seitengasse. »Schleimige Kröte«, begann Sullivan aufs neue zu fluchen, wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und eilte sporenklirrend nach draußen. Sein Ziel lag nur wenige Yards entfernt, es war die ›Oase‹, das ständige Quartier Richter Tom Heads. Und an irgendeiner Ecke stand ein blonder, großer Mann. Er lächelte hart, als er den Marshal eiligst die Straße heraufstampfen sah. »Ich kriege sie doch noch alle«, flüsterte er leise. * »Er ist wieder da!« Mit diesem alarmierenden Ruf stürzte Sullivan aufgeregt in Tom Heads Zimmer. Head beschäftigte sich gerade mit seiner Freundin Lo. »Kannst du nicht wenigstens anklopfen, wenn du in ein fremdes Zimmer kommst?« fragte Head verärgert und ließ seine Freundin los. »Wer ist denn nun schon wieder da?« »Clifton Hill!« Diese zwei Worte wirkten sofort ernüchternd auf den eben noch im siebten Himmel schwebenden Head. »Wo hast du ihn
gesehen?« »Er war eben bei mir im Office.« »Verdammt, Hill ist doch viel gefährlicher, als ich dachte. Willst du ein wenig Spazierengehen, Lo?« Er wandte sich mit diesen Worten seiner Freundin zu, die schmollend den Mund verzog. »Wenn du glaubst,Tom?« »Ja, ich glaube schon, es wird gut sein.« Sie warteten schweigend, bis Lo Garret das Zimmer verlassen hatte, dann wandte Head sich wieder an den erregt schnaubenden Marshal. »Und Duke, Limit und Brend?« »Sie sind tot!« »Er hat sie niedergeschossen?« Sullivan hob die Schultern. »Wer wohl sonst?« brummte er lakonisch. »Er gab es zwar nicht offen zu, sondern brachte es nur durch die Blume. Und dann erzählte er mir noch etwas von Young Kid. Kid soll sich an einem Brandeisen verbrannt haben, und zwar an einem fremden.« »Er hatte Intyres Brandstempel im Haus.« Head begann zu wandern. Er tat es immer, wenn er erregt war und nach einer klaren Entscheidung suchte. Sullivan trank inzwischen Heads guten Brandy, um sich wenigstens etwas von seinem Schrecken zu erholen. »Was nun?« fragte er einmal, als Head in seine Nähe kam. Wütend wirbelte der Richter herum. »Was nun«, äffte er den Dicken wütend nach, »er muß natürlich verschwinden, und das allerschnellstens.« »Und wie?« »Das ist ganz gleich, nur ganz unauffällig muß es geschehen.« »Also nicht öffentlich?« »Du weißt doch, der Boß hat es strikt verboten, und er hat
nur allzu recht damit. Die verdammte Geschichte mit Intyre ist noch zu frisch, und wir dürfen die Leute im County nicht noch mehr erregen. Wer von den Jungs ist heute in der Stadt?« »Keiner.« »Verflucht.« Head begann seine Wanderung fortzusetzen. Seine Unruhe wurde immer größer, und krampfhaft suchte sein Gehirn nach einem Ausweg. Sullivan soff heimlich, aber unheimlich den edlen Brandy weiter und gestand sich innerlich, daß der Talmi-Richter kein Kostverächter war und etwas Besseres trank, als im allgemeinen in der ›Oase‹ an die Cowpuncher verzapft wurde. Plötzlich stand Head vor dem erschrocken mit seiner Tätigkeit aufhörenden Sullivan, der schon glaubte, Head würde ihn wegen dieses Mundraubes zur Rede stellen. Aber dieser schien nichts gemerkt zu haben, oder keinen Wert darauf zu legen. Er starrte den Marshal von eigenen Gnaden nur eine Weile finster an, dann sagte er: »Du wirst ihn selbst umlegen, und zwar noch heute nacht!« Sullivan verschluckte sich vor Schrecken und begann, mächtig zu husten. »Mann, Toni«, ächzte er schwerfällig, »warum denn ausgerechnet ich?« »Weil doch niemand anderes in der Stadt ist, wie du selbst sagtest.« »Könnten wir denn nicht wenigstens bis morgen damit warten?« »Wir haben keine Zeit bis morgen. Du wirst ihm in der Nacht auflauern und ihn umlegen.« Sullivan stöhnte bitter und dachte an Landy, Limit und Bred. »Als wenn der sich so einfach umlegen ließe. Warum tust du es denn nicht selber«, brauste er im nächsten Augenblick auf, »bisher hast du immer andere vorgeschoben, die die heißen
Kohlen aus dem Feuer holten. Selbst Yater mußte ich umlegen.« »Dafür hast du ja auch jetzt seinen Posten, die Stadt zahlt ja zwar nicht allzuviel für diese Stellung, aber es ist immerhin ein Nebenverdienst, wenn man bedenkt, daß die Haupteinnahmequelle ganz auf der Gegenseite des Gesetzes liegt. Im übrigen verbiete ich mir diese Ruppigkeiten. Bezähme dich und vergiß nie, hier habe ich nur Anweisungen zu geben, ich und der Boß. Für Aufsässige gibt es eine bestimmte Strafe. Denke an Plister, oder denke an Flaps Hondra. Solche Sachen übernimmt der Boß bekanntlich selber. Ich brauche ihm deine Aufsässigkeit nur bei der nächsten Gelegenheit unter die Weste zu schieben, und du kampierst eine Nacht auf dem Termitenhaufen.« Während Tom Head sprach, wurde der aggressive Sullivan merklich kleiner. Er hatte tatsächlich einen Moment vergessen, daß ja Head die Befehle gab. Wenn auch Head, seiner Meinung nach, keine allzugroße Leuchte war, er war immerhin die rechte Hand des großen Unbekannten, des Bosses. Und »R« konnte verdammt ungemütlich werden. »Schon gut«, brummelte er daher schließlich, ganz zerknirscht tuend, »ich tue es ja schon. Aber du mußt mir dabei helfen. Hill hat mich heute abend zu einem Drink in die ›Oase‹ eingeladen. Ich werde mit ihm ordentlich saufen und dann gegen Mitternacht einmal rausgehen. Du wirst ihn mir dann nachschicken. Wenn er draußen ist, brenne ich ihm eins aufs Fell. Kann dann ja immer noch behaupten, es wäre ein anderer gewesen. Werde dann noch einige Löcher in die Luft knallen, damit es überzeugender wirkt. Aber das sage ich dir, wohl fühle ich mich bei der ganzen Sache nicht.« »Weil du inzwischen zu faul und träge geworden bist. Früher machte es dir doch herzlich wenig aus, einen Menschen umzulegen, auch wenn er nicht so gefährlich wie dieser Bursche
war.« »Erinnere mich bloß nicht an früher«, seufzte Sullivan ergeben und vertiefte sich in den Inhalt der Brandyflasche, um seinen Kummer, seine Erinnerungen und vor allem seine Angst in Alkohol zu ertränken. * Hinter Clifton lag ein offenes Wort mit Doc Rosher. Er hatte ihm mit aller Deutlichkeit den wahren Charakter zweier Männer geschildert, die in Roy Mills großes Ansehen besaßen. Doc Rosher war von dem, was er da hörte, entsetzt. »Kein Wort in der Öffentlichkeit«, flehte der Alte zum Abschied, und er verbürgte sich dafür, seinen Ruf und sein Ansehen höhererseits für die Sache zu verwenden. Das genügte Hill fürs erste, vor allem, da Rosher gleich morgen telegrafisch mit dem Gouverneur in Verbindung zu treten versprach. »Toller Betrieb hier, was, Mr. Hill, Prosit!« Clifton schreckte aus seinen Gedanken auf und schaute einen Augenblick wie abwesend in das zerfranste Gesicht Sullivans. »Prost, Marshal, es ist wirklich ein verdammt feiner Laden hier. Der Richter ist doch wahrlich ein Glückspilz.« »Wirklich«, antwortete Sullivan lachend, »aber nicht in bezug auf dieses Geschäft, sondern weil er eine Frau wie Lo Garret bekommt. Ich beneide ihn darum.« Er stürzte seinen Brandy in die Kehle und schob das Glas über die Theke. »Schenk noch einmal ein, Red, auch für Mr. Hill. Prosit«, Sullivan setzte sein zynisches Lächeln unter Alkohol. Ihm war es schon ganz recht, daß Hill so trinkfreudig war, denn jeder Schluck, den der andere nahm, brachte ihn ein Stückchen näher an sein Ziel. Hill begann schon recht verdächtig zu schwanken, und wenn
er so weitertrank, mußte er bald groggy sein, was ihm seine Aufgabe bedeutend erleichtern würde. Das Tanzhaus war zum Bersten voll. Auf der Bühne gab Lo gerade einen besonders schmalzigen Song zum besten. Sie wurde von zwei gitarrezupfenden Mexicanos begleitet. Die Masse war hingerissen, und ihr Erfolg war wieder einmal gesichert. Gegen Mitternacht entschuldigte sich Sullivan und stampfte durch die Hintertür in den Hof. Sein Gang war schwankend, und es schien, als habe er selber Gleichgewichtsstörungen. An seiner Stelle tauchte auf einmal Tom Head neben Hill auf. Das wirkte wie auf Bestellung und mahnte Clifton sofort an erhöhte Wachsamkeit. Der Richter forderte frische Drinks, und sie stießen zusammen an. Dieser aalglatte Bursche konnte verdammt amüsant plaudern, und die Zeit flog so dahin. »Wo nur der Marshal steckt?« fragte er dann mit einem Male, und er schien sich plötzlich daran zu erinnern, daß Sullivan über Gebühr lange fort blieb. »Entschuldigen Sie, Mr. Hill, ich werde mich mal nach ihm umsehen. Sicher konnte er den vielen Whisky nicht vertragen, und er liegt nun in irgendeiner Ecke und pennt.« Head wirkte sichtlich erregt, als er herankam. Hill fragte: »Was ist mit dem Marshal?« »Ach je«, Head beugte sich näher und flüsterte, »er hat eine Entdeckung gemacht. Er bat mich, Sie mal rauszuschicken. Sie finden ihn am Stall.« Clifton Hill nickte. Es schien ihm eine weitere Bestätigung seiner bisherigen Vermutung. Seine ›Freunde‹ sahen in ihm wohl ein lästiges Wesen, das irgendwie schwierig werden und Unheil anrichten konnte. Die Nacht war dunkel. Hill anscheinend ziemlich blau, und eine Bleibohne war schnell und un-
auffällig geschluckt. »Na gut, Richter«, er leerte gemächlich sein Glas, »mal sehen, was er denn da gefunden oder entdeckt hat.« Hill schien tatsächlich doch noch ein Greenhorn und auf jeden Fall im Augenblick vollkommen arglos zu sein, als er ruhig und gelassen auf den Hinterausgang zustampfte. »Brandy, Red«, flüsterte Head, und seine Augen ruhten wie gebannt auf dem Rücken des Entschwindenden. Seine Hände, die hastig das Glas ergriffen, fühlten sich kalt und feucht an. In Tom Head stieg eine tiefe Erregung auf. Er umkrampfte das Glas und lauschte angestrengt nach draußen. Hell und durchdringend spielte die Musik. Und mitten hinein in dieses Spektakel fielen höchst disharmonisch einige dumpfe Schüsse. »Erledigt.« Aufatmend kippte sich der Verbrecher den Brandy in die Futterluke. Hill zögerte einen Moment an der Tür. Er tat es aus einem ganz bestimmten Grund. Er schloß die Augen, um sich an die Finsternis draußen zu gewöhnen. Erst dann drückte er die Klinke herunter und trat in den Hof. Natürlich hatte er nun sofort die Augen wieder offen. Hill war ein verflucht kaltschnäuziger Hund. Obwohl er ahnte, daß dort im Dunkel ein Schießprügel auf ihn zeigte, ließ er sich keinerlei Erregung oder gar Angst anmerken. Aber seine Schritte wurden nun weich und gleitend, als er über den Hof schritt. Clifton Hill bewegte sich wie ein Puma auf der Fährte. Über das flache Dach des Stalles strich gerade der Mond. Er warf sein kaltes Licht in den Hof. Drüben, im Dunkel des überstehenden Schuppendaches, glaubte er eine Bewegung zu sehen. Seine Schußhände krochen über den Gurt, glitten wie kosend die Schenkel hinunter. Hinter ihm, in der ›Oase‹, spielte man zum Totentanz auf.
Fast hatte Hill den Schatten erreicht, den das Dach auf den Hof warf, da zuckte eine grelle Ramme aus der Finsternis auf ihn zu. Blitzschnell warf er sich zur Seite und entging dadurch mit knapper Not einem Volltreffer, denn sein Gegner war ein recht guter Schütze. Aber ein glühender Hauch streifte seinen linken Arm und lähmte ihn. Er blieb bei Besinnung und fühlte sofort, daß die Rechte noch völlig intakt war. Sie lag auf dem Knauf des Sechsschüssers, als er einen spitzen Schrei ausstieß und sich um die eigene Achse drehte, langsam ging er in die Knie. Ein halblautes, triumphierendes Lachen kam aus dem Dunkel. Eine Gestalt trat langsam näher. Da fuhr Hill jäh in die Höhe. Ein bleicher grauer Pulverschleier quoll aus der Mündung des Colts, ein Todeslächeln mischte sich in die peitschende Detonation. Langsam zerfloß die Gestalt vor ihm in ein Nichts. Was blieb, war ein harter Fall und ein grauer Fleck am Boden. Langsam trat der Schütze näher. Er schob das rauchende Eisen in den Gurt und beugte sich nieder. Ein Zündholz flammte auf, und das armselige Licht geisterte über das häßliche, zerfressene Antlitz des Toten und verlosch. »Pech gehabt, Sullivan.« Ein hartes, kaltes Lachen kam von den Lippen Hills, als er sich wieder aufrichtete. Mit unverminderter Lautstärke spielte drinnen immer noch die Kapelle. Als Hill die Tür erreichte, drehte er sich noch einmal um. Er blickte in die Richtung, in der der tote Marshal lag. No, Hill schien es sich zu überlegen, er ging doch lieber durch den vorderen Eingang. Schleppenden Schrittes überquerte er den Hof, überstieg eine niedere Mauer und stand in der schmalen Seitenstraße, in die er schon einmal am Morgen von der Hauptstraße aus abgebo-
gen war, als er Sullivan auf seinem Weg zur ›Oase‹ beobachtet hatte. Zuerst zündete sich Hill eine Zigarette an. Er brauchte sie, um die aufgepeitschten Nerven zu beruhigen. Nach dem zweiten Zug ließ er plötzlich die Zigarette fallen, seine Rechte zuckte zur Hüfte, wirbelnd sprang der Colt aus dem Halfter. Etwa zehn Yards vor ihm stand ein Mann. Er stand, genau wie er, im Dunkel, aber das helle Licht, das über der Hauptstraße lag, schmiegte sich konturenhaft um die Gestalt des plötzlich vor ihm Aufgetauchten. »He, wer bist du, und was suchst du hier?« rief Hill den Mann an. Die Antwort war eine grelle Flamme, die aus den dunklen Umrissen herauszuckte. Rein instinktiv warf sich der Blonde zu Boden und drückte den Stecher durch. Die Kugel ging daneben. Die Gestalt war wie ein Spuk verschwunden. Sofort stand Clifton auf und lief geräuschlos die Gasse hinauf. Bei den letzten Schritten, kurz vor dem Ausgang zur Hauptstraße, zögerte er. Vorsichtig spähte er um die Ecke und suchte blitzschnell, aber eifrig die vor ihm liegende Straße ab. Doch leer lag die Straße vor ihm, und all das soeben Erlebte erschien ihm wie eine Halluzination. Und er hätte es auch fast geglaubt, wenn der unabstreitbare Schuß nicht gewesen wäre. Dieser Schuß! Er war Tatsache. Und da es eine Tatsache war, glaubte er auch, den heimtückischen Schützen zu kennen. Hill setzte über die Balustrade und betrat den Eingang der ›Oase‹.
Blauer Tabakdunst stieg ihm in die Nase. Tom Head stand noch immer dort, wo er ihn verlassen hatte. Er zeigte ihm den Rücken und hielt sein Glas in der Hand, dabei starrte er intensiv auf die Hintertür. Du kannst mich nicht bluffen, dachte Hill finster und näherte sich dem Ahnungslosen. »Hallo, Richter, erwarten Sie jemand?« fragte er sanft und legte seine Rechte auf Heads Schulter. Tom Head zuckte erschreckt zusammen. Diese plötzliche Berührung und die Stimme ließ ein feines Prickeln über seine Haut laufen. Sein Lächeln wirkte erschreckt und schien förmlich in seine Züge eingebrannt, als er sich zögernd umwandte. »Mr. Hill«, stammelte er und suchte vergebens nach Worten. »Sicher, Richter, immer noch Mr. Hill, oder hatten Sie jemand anders erwartet?« »Natürlich nicht«, Head machte einen tiefen Atemzug, langsam wich die Beklemmung aus seinem Herzen, und selbst die Starrheit verlor sich aus seinem Gesicht. Was blieb, war ein unruhiges Feuer in seinen Augen. »Natürlich nicht«, Head rang noch immer um die Festigkeit seiner Stimme. Er durfte jetzt keine Angst zeigen. Er durfte sich auch nicht verraten. »Aber ich hatte Sie ja durch die Hintertür erwartet.« »Machte auch einen kleinen Spaziergang, Richter.« Hill lächelte harmlos und bestellte beim Keeper einen Brandy. »Übrigens habe ich den Marshal gar nicht angetroffen. Komisch, nicht wahr?« Er lügt, dachte der andere und war nahe daran, Hill diese Worte ins Gesicht zu schreien. Doch Clifton Hill sprach bereits weiter. »Dafür aber traf ich einen Mann. Er hatte das Bedürfnis, mir ein Pfund Blei in die Brust zu jagen. Hier, seht«, er winkelte den linken Arm, über den sich eine blutige Schramme zog, »zu
meinem Glück hat er schlecht getroffen. Und das wiederum war sein eigenes Pech.« »Pech?« echote Head. »Wirkliches Pech.« Gelassen schob Hill seine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie umständlich an. Er paffte nachdenklich eine Wolke zur Decke und fuhr fort: »Er hatte wirklich Pech, der arme Teufel, denn wenn mein Eisen einmal in die Horizontale springt, bellt sie gleich wütend los. Der hinterhältige Schütze muß jetzt da draußen irgendwo im Schatten des Pferdestalles liegen. Habe mich weiter nicht darum gekümmert. Übrigens, Sie tragen da einen sehr netten Colt.« Ehe Head es verhindern konnte, hatte Hill ihm die Waffe aus dem Halfter gezogen. »Eine ganz vorzügliche Arbeit, wohl eine Sonderanfertigung, aber der Knauf ist zu klein für meine Hand.« Er ließ die Waffe prüfend über die Hand gleiten, schnappte einmal zu und drückte den Handballen gegen den Kolben. »Er sitzt nicht recht«, bemerkte er fachkundig. Head wußte im Augenblick nicht, worauf der andere eigentlich hinauswollte, und es sollte ihm auch ein ewiges Rätsel bleiben. Hill löste die Sicherung und ließ die Trommel herausspringen. Er betrachtete die Patronen, und zum ersten Male zeigten sich Unmut und Enttäuschung in seinem Gesicht. Er roch an der Mündung, ehe er die Trommel wieder einschnappen ließ und die Waffe an Head zurückgab. »Waren Sie eben nicht mal draußen, Richter? Ich meine, hatten Sie nicht in den letzten Minuten das Bedürfnis, draußen ein paar Züge frische Luft zu schnappen?« »Nicht eine einzige Sekunde.« Immer rätselhafter erschien dem Richter Hills Gebaren. Was stellte der Mann da bloß für dumme Fragen? Weshalb untersuchte er überhaupt seinen Colt? Hills so wohlüberlegtes Konzept geriet immer mehr in Ver-
wirrung. Er hätte geschworen, daß Heads Kanone nach Pulver riechen würde, er hätte geschworen, daß in der Trommel eine Patrone fehlte. Aber nichts, einfach nichts. Verärgert fuhr er mit der gesunden Rechten über die blutende Wunde am Arm. »Werd' mich vom Doc verbinden lassen«, brummelte er dann schließlich und wandte sich ohne weitere Erklärung ab und verließ die ›Oase‹. * Head brauchte nicht lange zu suchen. Der Schatten des Daches war inzwischen kürzer geworden, denn der Mond stand jetzt höher. Der dunkle Fleck vor dem großen Stalltor, der zum Teil vom Mondlicht angestrahlt wurde, war Sullivan. Heads Untersuchung war nur kurz, und als er sich aufrichtete, war es für ihn klar, daß Sullivan unauffällig von hier verschwinden mußte. Dieser Hill hatte noch immer einen weiteren Trumpf in der Hand, und wenn er auspacken würde, dann wäre es vorbei mit der goldenen Zeit und Tom Heads Freiheit. Also nur kein Aufsehen erregen. Eine Viertelstunde später erinnerte nur noch eine Handvoll loser Erde an Rondo Sullivans irdische Wanderung. Und dort, wo ein guter Christ sein Kreuz stehen hat, lag auf dem toten Sullivan die Last einiger ausrangierter Tische und Stühle. Sichtlich erleichtert rieb sich Head den Schweiß aus der Stirn und trat zurück. Nach seiner Überzeugung hatte er richtig gehandelt. In aller Eile verließ er die Stadt und strebte den Bergen entgegen. Die Schatten der Nacht verblaßten, blutrot stieg im Osten die Sonne auf.
Tom Head merkte in seiner Erregung nicht, daß ihm in abgemessenem Abstand ein Reiter auf den Fersen war. Sein Blick war nur stur nach Westen gerichtet, und sein Ziel lag am Pease River. Er hatte die Absicht, zwei Gruppen der Bande in die Stadt zu holen, die Hill zusammenschießen sollten. Aber Tom Head erlebte eine neue Enttäuschung. Nicht nur, daß dieser Clifton Hill wahrscheinlich sein Geheimnis kannte, ein neuer Mitwisser kannte sein allerletztes, unheimliches Tun, die Beseitigung Sullivans. Head glaubte sich in der Nacht unbeobachtet. Und doch hatte jemand seinem Treiben zugeschaut. Und dieser Jemand konnte ihm eines Tages ebenso gefährlich werden wie Clifton Hill. Aber noch wußte Tom Head davon nichts, und sein ganzes Sinnen und Trachten ging dahin, den verhaßten Hill zu beseitigen. Er selbst war dazu nicht in der Lage, denn ein Mann, der drei seiner besten Leute umlegte und auch mit Sullivan fertig wurde, dem war er nicht gewachsen, das gestand er sich selbst ein. Seine Stärke lag auf einem anderen Gebiet. Nur mit Hilfe seiner Mannschaft konnte er es wagen, Hill anzugreifen und fertigzumachen. * »Dein Stern hat an Glanz verloren, Head.« Heads Rechte zuckte zur Hüfte, da schob sich aber schon ein hartes Eisen in seine Nieren. »Kerne Dummheiten, Richter, mir ist's ganz gleich, ob ich dich umlege, verdient hast du es schon lange, und deinem Freund Sullivan wäre es sicher recht, wenn er schon sobald Gesellschaft bekäme. Es muß für ihn kein angenehmes Gefühl sein, für deine Schandtaten in der Hölle mitzuschmoren.
Möchte wetten, er hat Sehnsucht nach dir.« Heads Hand wanderte wieder zurück. Langsam drehte er den Kopf zur Seite. Haß, tödlicher Haß leuchtete aus seinen Augen. Sein Blick war eine gemeine Drohung, doch der andere nahm es mit einem gelassenen Lächeln hin. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die niedergebrannte Blockhütte vor ihnen, aus deren Asche wie schwarze Zahnstümpfe verkohlte Stützbalken herausragten. »War's nicht eine saubere Arbeit, die die Intyre-Boys hier leisteten?« »Du bist ein ganz verdammter Hund, Hill.« Head mochte nun doch eingesehen haben, daß er bei diesem Mann endgültig verspielt hatte. Drum deckte er jetzt auch seine Karten auf. »Aber noch hast du nichts erreicht, auch dann nicht, wenn du mich hinter Sullivan herschickst. Die Bande bleibt doch bestehen, denn sie hat noch einen Kopf.« »Yeah, dieser Gedanke kam mir auch schon vor einiger Zeit, denn so viel Geist, um eine Banditencrew zu führen, hast du gar nicht, wirst du auch nie bekommen. Da wir nun einmal bei unserer netten Plauderei angekommen sind, wollen wir auch gleich dabei bleiben. Setz dich, Head«, Hill deutete dabei auf einen Baumstumpf, »im Sitzen schwatzt es sich doch viel besser.« Ein derber Stoß mit dem Coltknauf gaben den nötigen Nachdruck. Es war denn auch mehr ein Hinfallen als ein Hinsetzen, als Head diesem Befehl nachkam. Clifton nickte zufrieden und hockte sich ebenfalls nieder. Er spielte mit dem Colt, wirbelte ihn durch die Luft und starrte mit scheinheiliger Freundlichkeit in Heads erregtes Gesicht. »Und nun singen wir zweistimmig eine Arie, Bruderherz. Ich stelle die Fragen, und du wirst mir antworten. Fangen wir also an. Wer ist denn nun wirklich der Boß eurer feinen Gesellschaft, wenn du es nicht bist und
Sullivan es nicht war?« Trotzig schloß Head die Lippen. Längst tat es ihm schon leid, daß er in seiner Unbeherrschtheit mehr verraten hatte, als er eigentlich wollte. »Versuchen wir es einmal anders herum. Wer ist denn dieser Mr. Rapid, der für billiges Geld dieses Land hier aufkauft?« Head zuckte leicht zusammen und verlor an Farbe. Sein Lächeln war schäbig, als er sagte: »Tut mir leid, Hill, ich kenne keinen Rapid. Und das, was ich dir vorher vom Boß erzählte, war natürlich Unsinn. Sullivan und ich leiteten zusammen die Bande. Wir sind ja jetzt allein, und ich kann dir's offen erzählen, denn du weißt es ja doch schon längst. Aber es nützt dir wenig, Hill. Du brauchst handgreifliche Beweise, um mich zu Fall zu bringen, und die fehlen dir eben.« Clifton Hill blickte gelangweilt hinter einer Rauchwolke her, die im blauen Zenit zerflatterte. »Fertig, Head?« fragte er dann kaltlächelnd. »Ja.« Klatsch. Hills Hand war nicht sonderlich groß in ihren Ausmaßen, aber sie hatte eine verdammte Härte. Head begann, sein eigenes Blut zu spucken, und er spuckte es wütend aus. Dabei nahmen seine schöngeschwungenen Lippen beträchtliche Ausmaße an. »Wer steckt hinter dem Namen Rapid?« wiederholte Hill seine Frage. Sie klang sachlich, kühl und ohne jede Erregung. Heads Augen begannen wieder Blitze zu schießen. Er war bestimmt kein Schwächling, er war nur feige. Aber selbst für einen Feigling gibt es ein bestimmtes Maß, das er erträgt. Und das war nun übergelaufen. Er fuhr hoch und wollte seinem Peiniger den Schlag zurückgeben. Es blieb nur ein Wollen. Cliff besaß die Behendigkeit einer
Katze. Ehe Head zum Schlag ausholen konnte, saß des anderen Faust bereits in seiner Magengegend und nahm ihm die Luft. Er klappte zusammen wie ein Taschenmesser und fiel auf den Stamm zurück. »Nur keine Aufregung, Head, wir sind ja noch beim friedlichen Teil der Unterhaltung.« »Eine schöne Friedfertigkeit, die du da an den Tag legst«, stöhnte der Richter. »Hast es dir selber zuzuschreiben. Also jetzt raus damit, wer ist Rapid?« »Ich weiß es doch nicht«, antwortete der andere gequält, »ich weiß es wirklich nicht, Hill. Er arbeitet im Dunkeln und meldet sich nur von Zeit zu Zeit, um mir die nötigen Anweisungen zu geben.« »Das kannst du jemandem erzählen, der die Weste auf dem Rücken zuknöpft. Willst mir doch nicht erzählen, daß ausgerechnet du dich einem anderen auslieferst. Einem Mann, der dich jederzeit fallenlassen kann, ohne daß du ihm dabei gefährlich wirst?« »Aber es ist doch tatsächlich so«, stöhnte Head und preßte die Fäuste auf den Magen. »Er kennt meine Vergangenheit.« »Aha!« Hill horchte auf. »Da gibt es einen dunklen Punkt in meinem Leben.« »Nur einen?« fragte Hill mit bissigem Spott. »Er kannte diese Geschichte und drohte mir, sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Dann aber wäre ich ein für allemal restlos erledigt gewesen.« »Also, er kam dann zu dir?« »Er schickte mir eine Nachricht und forderte mich auf, in der Nacht an einer gewissen Stelle in den Bergen zu erscheinen.« »Und du kamst dann dieser Aufforderung nach?« »Was blieb mir schon anderes übrig?« Head zuckte mit den
Achseln. »Aber ich ging nicht dorthin, um mich mit ihm in ein Geschäft einzulassen. Lo Garret war meine Freundin, und wir hatten schon unser Auskommen.« »Du wolltest wohl den Mitwisser deines süßen Geheimnisses umlegen?« Hill grinste breit und häßlich wie ein Zuhälter. »Ja, aber es kam ganz anders. Er mußte wohl Ähnliches geahnt haben. Obwohl ich schon einige Stunden vorher in der Hütte war, kam ich zu spät. Er war vor mir dort. Er mußte meine Vorbereitungen lange genug beobachtet haben, um sich ein klares Bild von meinen Plänen machen zu können. Ich bezog damals die größte Tracht Prügel meines Lebens. Das machte mich ein für allemal kirre und zu einem guten Werkzeug dieses Mannes.« »Weshalb scheust du dich denn, den Namen Rapid auszusprechen?« »Es geschah nur zufällig«, beteuerte der Sprecher. »Trefft ihr euch denn noch immer in der Berghütte?« Head schwieg einen Augenblick. Er haßte diesen Hill, er haßte ihn genauso wie diesen geheimnisvollen Mister »R«, weil er diesen beiden Männern unterlegen war. Und trotzdem, vor »R« hatte er doch noch den größeren Respekt, die größere Furcht. Was dieser Rapid fertigbrachte, würde Hill niemals übers Herz bekommen. Und diese unheimliche Furcht zwang ihn, wieder zu lügen. »Well, wir treffen uns noch immer dort.« »In regelmäßigen Abständen?« »No, nur dann, wenn er es für nötig hält, oder wenn er etwas Besonderes erkundet hat.« »Hält er auch Verbindung mit den übrigen Bandenmitgliedern?« »Nein, selbst Sullivan erhielt von mir seine Anweisungen. Gib mir eine Chance, Hill, eine letzte. Ich werde von hier ver-
duften, und du wirst nie wieder von mir hören.« Clifton Hill senkte den Blick. Er schien zu überlegen. »Na gut«, begann er nach einer Weile, »ich will dir eine Chance geben, genau wie ich sie Young Kid gab. Du lieferst mir Rapid, und ich gebe dir dafür vierundzwanzig Stunden Vorsprung. Der Westen ist groß, und wenn du Glück und einen schnellen Gaul hast, kannst du irgendwo untertauchen, und ich werde dich dann vergebens suchen.« »Ich kann ihn nicht verraten, Rapid ist unheimlich, und seine Strafen sind grausam.« Anscheinend widersetzte er sich dem Vorschlag des Blonden, in Wirklichkeit frohlockte aber sein Herz »Er ahnt alles, er weiß auch alles und sieht anscheinend auch alles. Er würde mich umlegen, noch ehe ich ihn verraten hätte.« »Du brauchst mir nur Nachricht zu geben, wenn er dich zum nächsten Treffen bestellt. Ich gehe dann an deiner Stelle. Die Zeitspanne, während ich mich mit ihm unterhalte und nach Roy Mills zurückkehre, ist dann dein Vorsprung.« »Das geht aber bestimmt nicht gut aus.« »Im Augenblick aber deine einzige Chance. Oder ist es dir lieber, wenn ich dich mit ins Lager der Intyre-Crew nehme? Obwohl die Jungs dich gar nicht mögen, würden sie sich mächtig freuen und hochleben lassen. Und wenn sie dich einmal oben haben, im Camp gibt's 'ne kräftige Buche, dann lassen sie dich so schnell nicht wieder runter. Also?« »Gut, ich muß es schon tun. Wo bist du zu finden?« »Werde in den nächsten Tagen Stammgast in der ›Oase‹ sein. Noch eins, Head. Mach keine Dummheiten und denke nicht an Verrat. Ich habe eine fixe Hand, und du könntest verdammt schnell 'ne Leiche sein. Außerdem kannst du jetzt schon deine Helfer abschreiben. Young Kid hat sämtliche Stellungen eurer Bande verraten. Bret Dooley ist bereits dabei, die Nester aus-
zuheben.« »Und die Männer? Was wird mit ihnen geschehen?« »Sie kommen alle vor ein ordentliches Gericht, wenn Roy Mills wieder ehrliche Gesetzesvertreter hat. Nun klemme dich schon auf deinen Gaul und zurück, schnellstens zurück. Ich selbst komme erst am Abend dorthin.« Head atmete befreit auf, als er im Sattel saß. Wortlos ritt er in die Ebene zurück. Mit verkniffenen Augen und nachdenklichem Gesicht blieb Clifton Hill zurück. »Vielleicht war's eine Dummheit, die ich da begangen habe«, brummte er unzufrieden mit sich selbst, »ich traue ihm nicht. Aber es ist vielleicht die einzige Chance, an den Hauptganoven heranzukommen.« Hill wartete, bis der Reiter in der Ebene untergetaucht war, dann trat er zu seinem Pferd, das er hinter der Wegbiegung zurückgelassen hatte, und stieg in den Sattel. Sein Ziel lag im Westen, dort, wo jetzt rotglühend die Steilwände der Wichita Mountains in den Zenit aufragten. * Tom Head erreichte gegen Mittag Roy Mills. Sein Gaul war völlig abgetrieben und troff vor Schweiß. Auch Head selbst machte einen müden und abgehetzten Eindruck, als er die ›Oase‹ betrat. Lo Garret erwartete ihn auf ihrem Zimmer. Als er eintrat, stand sie gerade am Fenster und starrte sinnend auf die Straße. »Hallo, Lo«, sagte Head rauh und steuerte zuerst auf den Flaschenschrank zu, der eine ganze Ecke des Raumes ausfüllte. Er trank rasch hintereinander einige Brandys, ehe er wieder fest auf den Beinen stand und zu Atem gekommen war. »Hallo, Tom.«
Lo wandte sich langsam um. Eine gewisse Nervosität lag in ihrer Bewegung. Selbst ihr anscheinend so gelassenes Wesen konnte nicht darüber hinwegtäuschen. »Du warst lange fort. Hatte große Angst ausgestanden und dachte schon, dir wäre es wie Sullivan ergangen.« »Du weißt?« war Heads entsetzte Antwort, und sein Gesicht wurde kalkweiß. »Ich habe alles vom Fenster aus beobachtet, hatte bloß keine Gelegenheit mehr, mit dir darüber zu sprechen. Aber sage mir, wo du warst?« »Wollte unsere Jungs in die Stadt holen, damit sie diesen verdammten Hill aus dem Wege räumen. War in zwei Camps, aber sie waren leer und verlassen, die Blockhütten abgebrannt. Im zweiten Camp stieß ich dann auf den blonden Gunner.« »Wie kam es denn, daß er dich laufen ließ. Oder hast du ihn?« »Hill hat mir einen Vorschlag gemacht.« »So?« »Ja, ich soll ihm ›R‹ in die Hände spielen, dafür will er mir einen Vorsprung zur Flucht geben.« »Und du hast angenommen?« Ihre Augen glommen hoffnungsvoll auf. »Darling«, sie trat nahe an ihn heran, »das ist doch unsere Chance. Wenn er den Boß aus dem Wege räumt, ist der Weg ins Glück für uns frei!« »Du hast mich falsch verstanden, Lo. Er hat durchaus nicht die Absicht, mich zu schonen. Er will mir nur eine Galgenfrist geben. Hill wird mich jagen, auch wenn er ›R‹ erwischt hat. Er haßt mich glühend, und wir beide kennen auch den Grund dazu.« »Hank Intyre?« »Ja.« »Vielleicht überlebt er es aber gar nicht. Wäre es nicht mög-
lich, daß sie sich beide umbrachten? Ich glaube, sie sind doch gleichwertige Gegner. Tom, wir müssen es eben versuchen.« Sie wurde dabei ganz aufgeregt und begann zu zittern. »Hier«, Lo nestelte hastig einen Umschlag aus dem Ärmel und reichte ihn dem Mann. »Was ist das?« fragte Head befremdet. »Das lag heute früh in meinem Zimmer, Tom. Eine Botschaft von ›R‹. Er will dich sprechen.« »Er war hier?« Head verlor alle Farbe. Seine Lippen bebten, als er das zerknitterte Papier auseinanderblätterte. Die Frau trat einen Schritt zurück und betrachtete aufmerksam den Geliebten. Sie bemerkte, daß er mit sich zu kämpfen begann, daß die Furcht vor diesem unheimlichen ›R‹ zu wachsen begann. Als er das Blatt senkte, trat sie an ihn heran und legte ihm die Hände um den Nacken. Ganz nahe war ihr Gesicht dem seinen, und ihre Augen trafen sich. »Tue es, Tom«, flüsterte sie einschmeichelnd, »tue es, unserer Liebe willen.« Die Lockung ihrer verführerischen Augen, der Duft ihres Haares berauschten ihn. »Na schön, Lo«, flüsterte er mit rauher Stimme, »ich werde ihn verraten!« Ihre Lippen trafen sich zu einem heißen Kuß. Langsam flatterte die Botschaft ihres unheimlichen Gebieters, des unbekannten Mr. ›R‹, zu Boden. * Doc Rosher war ein richtiger Eigenbrötler. Er schien die Menschen zu fürchten, zum mindesten aber absichtlich zu meiden, denn die Einfriedigung seines verwahrlosten Anwesens bestand aus einer fast zwei Meter hohen Mauer, in der zu allem Überfluß oben als Abschluß auch noch alte Glasscherben ein-
gegossen waren. Die an sich schmale Tür wirkte wuchtig wie eine Panzerplatte, und von dem Haus war von außen überhaupt kaum etwas zu sehen. Hill mußte die alte, verrostete Türglocke erst ein halbes dutzendmal in Bewegung setzen, ehe drüben auf der anderen Seite der Mauer eine knarrende Stimme nach dem Begehren des Einlaßfordernden fragte. »Ich bin's, Doc, Clifton Hill!« Einen Augenblick blieb es drüben still. Dann hörte man ein paar klappernde Pantoffeln über den Kiesweg schlurfen. Ein Schlüssel drehte sich knirschend im Schloß, und die Tür ging auf. Sie tat es mit einem schrillen, mißtönenden Quietschen, das genau zu dem ungepflegten, verwilderten Garten paßte, der sich nun vor Hill auftat. »Tag, Doc«, grüßte Hill. Doc Rosher schien wirklich erfreut über den anscheinend unerwarteten Besuch. Er lächelte freundlich über die dicke Nickelbrille hinweg. »Guten Tag, Hill, treten Sie ein.« »Danke, Mr. Rosher.« Nachdem der alte Rosher das Tor wieder sorgfältig geschlossen hatte, schlurfte er vor dem Gast ins Haus. »Bringen Sie vielleicht wieder neue Nachrichten, Hill?« wollte er wissen, während er seinen Gast ins Zimmer treten ließ. »Setzen Sie sich.« Er deutete dabei auf ein verschossenes Sofa und hockte sich selbst in den verschlissenen Sessel hinter dem altersschwachen Schreibtisch. Und so etwas soll eine Ranch besitzen, für die man, um sie zu umreiten, vierzehn Tage braucht, dachte Clifton und grinste unwillkürlich. »Über was freuen Sie sich denn so, Hill?« forschte Rosher, und sein dürres, abgemagertes Gesicht beugte sich weit über
die mit Akten belagerte Schreibtischplatte. Seine Augen waren rot und entzündet, und er schien trotz der dicken Brille schlecht zu sehen. Im Halbdunkel, die im Zimmer herrschte, sah er aus wie ein alter Uhu. »Ich habe einen feinen Tip, Doc.« Hill begann heftig zu rauchen. Er rauchte fast immer, wenn er sich mit jemandem unterhielt. »Etwas, das Sie glatt umwerfen wird.« »Nun, ich bin ja als Anwalt schon sehr viel gewohnt«, Doc Roshers Nasenspitze zitterte leicht, und es schien ein leises Lachen zu sein, »in vierzig Jahren, in denen ich schon eine Praxis führe.« Mit einer Handbewegung unterbrach Hill den Sprecher und hob dann seinerseits an: »Haben Sie schon etwas in unserer Sache unternommen?« »Noch nicht, ich wollte es aber heute tun.« »Glaube, es wird jetzt überflüssig sein, Doc.« »So?« Verwundert runzelte der Alte die Stirn. Seine Haut war blaß und welk und wirkte wie eine Maske. »Sullivan ist tot.« »Oh!« Der Doc schien unangenehm berührt. »Wie konnte es geschehen?« »Ich habe ihn heute nacht erschossen, als er mich auf dem Hinterhof der ›Oase‹ umlegen wollte. Und Tom Head wird bald sein Amt niederlegen und verduften. Kalkuliere, er wird aber nicht allzuweit kommen. Dooley und die alte IntyreMannschaft heben inzwischen die einzelnen Banditennester aus. Zwei haben sie schon ausgeräuchert.« »Donnerwetter, das sind ja gute Nachrichten!« Die Züge des Alten zuckten erregt, er schien begeistert. »Aber das Tollste kommt ja noch, Doc«, triumphierte Hill und legte eine Kunstpause ein, um die Spannung zu steigern. »Noch mehr?« Rosher nahm die Nickelbrille von der Nase.
Er senkte die entzündeten Lider, als er die Brille zu putzen begann. »Ja, weder Sullivan noch Head waren der eigentliche Kopf der County-Bande. Der richtige Mann heißt Rapid!« Ein ungläubiges Lächeln zog über das faltenreiche Antlitz des alten Fuchses. »Rapid. Rapid?« Er schien in seinem Gedächtnis herumzugraben. »Irgendwie kommt mir ja dieser Name bekannt vor. Irgendwo habe ich ihn schon einmal gehört. Weiß nur im Moment nicht, in welcher Verbindung. Hm, weiß nicht, wo ich ihn hintun soll.« »Yeah, und hinter diesem Namen verbirgt sich der Mann, der alle Verbrechen in dem County arrangiert, der Kapital aus der Sache schlägt und später über verschiedene Mittelsmänner das verwaiste Land der ermordeten oder vertriebenen Rancher aufkauft.« »Das ist alles so phantastisch, so unwahrscheinlich, was Sie mir da erzählen, Hill, daß ich es kaum glauben kann. Und doch ist es eine feststehende Tatsache. Heute nacht noch werde ich diesen Rapid kennenlernen.« Roshers Hände zitterten leicht. Er schien stark erregt. Die Geschichte, die Hill da erzählte, hatte ihn anscheinend mächtig mitgenommen. Nun ja, er war ja auch kein junger Mann mehr, und das Ganze klang mehr wie ein geheimnisvoller Kriminalroman. Er sagte schließlich kopfschüttelnd: »Woher haben Sie alle diese Weisheiten, wer kann uns bestätigen, daß das alles stimmt?« »Tom Head hat geplaudert. Er hat sich damit sozusagen einige Tage Leben erkauft.« »Einige Tage?« Rosher wackelte mit seinem dürren Greisenschädel. »Sie werden ihn also doch töten?« »Ich werde ihn jagen, wenn ich erst diesen Rapid habe. Aber
er soll eine Chance bekommen. Ich gab bisher jedem meiner Gegner eine Chance, selbst dann, wenn er sie gar nicht verdiente. Auch Sullivan gab ich eine solche, obwohl er mich aus dem Hinterhalt angriff. Aber er war zu dumm, sie zu begreifen und gleich zu türmen, als er glaubte, mich umgelegt zu haben.« Doc Rosher nickte. Er fand diese Einstellung gerecht. »Und heute nacht werden Sie also diesem Rapid begegnen. Und wo?« »Am Toffert-See. Dort soll eine kleine halbzerfallene Hütte liegen.« »Der Toffert-See liegt doch kaum zwei Meilen von der Stadt entfernt.« Rosher war sichtlich erschreckt. Ängstlich starrte er durch das Fenster in den verwilderten Garten, den die hohe Mauer umschloß. »Dann wäre es ja durchaus möglich, daß dieser Rapid in unserer Stadt wohnt. Vielleicht kenne ich ihn sogar.« »Davon bin ich sogar fest überzeugt.« »Daß ich ihn kenne?« Roshers Lächeln war kläglich. »Natürlich nicht, Doc. Aber ich glaube ganz bestimmt zu wissen, daß er in Roy Mills zu Hause ist. In dieser Annahme wurde ich besonders durch die Tatsache bestärkt, daß gestern nacht ein zweiter Anschlag auf mich verübt wurde. Nachdem ich Sullivan erschossen hatte, kletterte ich über die Einfriedigung der ›Oase‹ und landete in der kleinen Seitenstraße neben der Kneipe. Ich brannte mir gerade einen Glimmstengel an, da sah ich kurz vor der Hauptstraße einen Schatten. Teufel, dachte ich, das sieht ja aus, als wolle mir hier noch so eine Kanaille auflauern. Hatte auch gleich einen ganz bestimmten Mann im Verdacht.« »Tom Head?« »Ja, aber Head war es nicht. Ich habe nachher seine Kanone
genau untersucht. Aus ihr war kein Schuß abgefeuert worden, und dabei wollte der Unbekannte mir doch eine Kugel aufbrennen. Gott sei Dank ging der Schuß haarscharf an mir vorbei.« »Haben Sie ihn wenigstens erkennen können?« Bedauernd schüttelte Hill den Kopf. »Leider nein.« »Ich habe Sie doch gestern nacht verbunden, Hill. Weshalb haben Sie denn davon nichts erwähnt?« forschte Doc Rosher vorwurfsvoll und schneuzte laut in sein großes buntkariertes Taschentuch. »Die Wunde, die ich verband, stammte wohl von diesem Unbekannten?« »Nein, die hat mir Sullivan in die Haut gepflanzt, gewissermaßen als Abschiedsgeschenk, ehe er auf den höllischen Trail ging. Das wollte ich Ihnen noch sagen«, langsam richtete der Sprecher sich auf. »Wenn mir etwas passieren sollte, Doc, bringen Sie die Sache mit Bret Dooley und der Mannschaft in Ordnung? Solange ein Steckbrief hinter ihnen herjagt, werden sie sich nicht mehr in die Stadt wagen. Und es ist nicht gut, wenn Rauhreiter lange in der Abgeschlossenheit leben müssen. Sie verwildern dann rasch, und es könnte möglich sein, daß sie eines Tages das werden, was Sullivan und Head ihnen angedichtet haben – Viehdiebe. Ich gäbe dann für die Rinder der Rancher im County keinen Pfifferling mehr. Hank Intyre hatte eine verdammt harte Mannschaft um sich versammelt, und wo sie hinhauen, fallen Späne.« »Sie können beruhigt sein, Hill, ich werde mich bestimmt darum kümmern.« »Danke, Doc.« Impulsiv streckte Hill dem alten Mann die Hand entgegen. »Zu Ihnen habe ich wenigstens noch Vertrauen.« »Schon gut, mein Freund.« Ächzend erhob sich Rosher aus dem Sessel. »Ich bringe Sie nach draußen. Eh, was ich noch sa-
gen wollte. Nehmen Sie doch lieber ein paar Freunde mit zum Toffert-See. Ich kenne einige vertrauenswürdige Männer hier. Sie sind heute noch Freunde von Intyre.« »Danke für das freundliche Angebot.« Sie gingen bereits den breiten Kiesweg entlang auf die Außenpforte zu. »Aber ich möchte Rapid nicht verjagen. Es ist also schon besser, wenn ich allein gehe. Kommen wir mit mehreren Personen, können wir uns nicht so leicht heranpirschen. Ich verstehe mich darauf, und ein einzelner Mann fällt nicht so leicht auf.« Rosher hatte inzwischen das Tor aufgeschlossen. Noch einmal reichte er Hill die Hand. »Na, Mr. Hill«, sagte er mit warmer Stimme, »ich wünsche Ihnen viel Glück und alles Gute. Hoffentlich haben Sie Erfolg und bringen diesen ominösen Mr. Rapid zur Strecke.« »Danke, Doc, das Glück, das Sie mir wünschen, kann ich gut gebrauchen, denn ein Greenhorn ist der Mann bestimmt nicht.« Rosher blieb noch so lange in der offenen Tür stehen, bis der junge Mann hinter der nächsten Häuserecke verschwunden war, dann wandte er sich ab und verschloß sorgfältig, wie es so seine Art war, das Tor und schob auch noch einen schweren Innenriegel vor. Mit einem stummen Kopfschütteln, aber nicht, ohne auch noch in dem verwilderten Garten ängstlich Umschau zu halten, wanderte er bedächtig in das seltsame Haus zurück. * Red Milton, der kahlköpfige Keeper in der ›Oase‹ unterbrach seine Beschäftigung, schob mit einem eleganten Schwung die nicht mehr ganz saubere Serviette, mit der er gerade die Gläser polierte, über die Schulter und blinzelte erwartungsvoll, mit
devoten Lächeln im übernächtigten Gesicht, den frühen Gast an. Sein geschulter Blick sagte ihm, daß der fremde Gast todsicher über das nötige Kleingeld verfügte, denn die ganze Art, wie der Mann ging und sich benahm, war äußerst lässig und herablassend. Er trug eine schwarze Lederhose, ein buntes Flanellhemd, eine Weste von der gleichen Farbe wie die Hose, ein kariertes Seidenhalstuch und dazu einen grauen Stetson, an dem aber auch nicht ein Stäubchen zu finden war und der bestimmt nicht billig war. Als Schmuck trug er auf den Schenkeln zwei pikfeine Colts, die in silberbeschlagenen Halftern steckten. Reds geschulter Blick sagte ihm ebenfalls sofort, daß der Fremde das erstemal über den Mississippi kam, daß seine Kanonen genauso neu waren, wie sein Anzug noch nach Laden stank. Zusammenfassend kam er schließlich zu der Überzeugung, daß es sich todsicher um ein blutiges Greenhorn aus dem Osten handelte, das hier ein bißchen Wind machen wollte. Ein richtiger Westmann aber hatte Falten im Gesicht, er legte auch keinen allzugroßen Wert auf seine Kleidung. Red machte einen fast korrekten Diener und fragte nach den Wünschen seines Gastes. Die Antwort jedoch versetzte ihn einigermaßen in Erstaunen. »Ist Head im Hause?« fragte der auffallende Fremde und schob dabei recht unternehmungslustig den neuen Stetson ins Genick. »Nein«, stotterte Red, eingedenk seiner Instruktionen, die er erhalten hatte. »Dann nicht«, mit demselben lässigen Gang, den Red schon einmal bei dem Fremden gesehen hatte, bewegte er sich auf die Treppe zu, die ins Obergeschoß führte. »He, Fremder«, rief Red Milton laut hinter dem seltsamen Fremden her. »Sie haben mich wohl falsch verstanden. Mr.
Head ist vor einer Stunde ausgeritten.« »Zimmer vier war es doch, Keeper, wenn ich nicht irre?« Unwillkürlich spuckte Red ein Ja heraus und sah dann mit vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen, wie der Bursche ruhig und gelassen seinen Weg nach oben fortsetzte. Milton hob schließlich resigniert die Schultern. »Wird wohl ein guter Freund von Tom sein«, brummelte er und begann wieder, seine Gläser zu wischen. Der Mann hatte inzwischen die von ihm genannte Zimmertür erreicht. Er hielt lauschend den Kopf gegen die Füllung. Ein breites Grinsen zog über sein blasses Antlitz, als er drinnen ein Geräusch vernahm. Seine Hand, schlank und zart, legte sich auf den Drücker und schob ihn bedächtig herab. Vorsichtig öffnete er die Tür, lugte kurz durch den Spalt und huschte, als er Heads Rücken sah, lautlos in den Raum. Head war gerade eifrig damit beschäftigt, das Notwendigste seiner Habe zu verpacken. Er hatte mit Lo vereinbart, daß er bis Denver vorausreisen und dort auf sie warten wollte, bis sie den Laden verkauft hatte. Der Fremde hatte es sich inzwischen auf der Couch bequem gemacht. Er schlug die Beine lässig übereinander und folgte gelangweilt Heads fieberhaften Reisevorbereitungen. Head war so in seine Arbeit und Gedanken vertieft, daß er ihn noch nicht bemerkt hatte. Nun schob sich der Fremde sogar eine Zigarette zwischen die Lippen und rollte sie von einem Mundwinkel in den anderen. Ein hämisches Lächeln umschloß die Lippen. Der Fremde zog einen Colt aus dem Halfter, legte eines der Sofakissen darüber und spie die Zigarette aus. »Hallo, Tom«, kam es freundlich über seine schmalen Lippen, »mir scheint fast, du willst verreisen.« Tom Head wirbelte blitzschnell herum. Sein Blick erfaßte
rasch die Gestalt und schätzte sie prüfend ab. »Wie kommst du hier herein, Bursche?« Der Blasse bewegte ruhig den Kopf zur Tür hin. »Von dort natürlich. Ein Gentleman geht nur durch die Tür, und das auch nur, wenn sie offen ist. Tom, finde, du packst einen Haufen ganz unnötigen Plunder ein.« »Scher dich sofort raus«, grollte Tom Head drohend. »Wo ich gerade erst Mühe hatte, ungesehen hereinzukommen?« Entwaffnend lächelte der Schwarze Head an. »Habe allerhand Erfahrung im Reisen. Bin hier, um dir behilflich zu sein, dein Gepäck zusammenzustellen. Der ganze Krempel ist doch überflüssig, Tom, glaub mir's. Du brauchst nur ein Totenhemd und ein Gebetbuch.« Ein schrilles Lachen folgte diesen Worten, die sich wie ein schlechter Witz anhörten. »Du brauchst selbst nicht mal ein Gebetbuch, weil der Satan davon doch nichts hält.« Das höllische Lachen ging Head auf die Nerven. Außerdem stieg in ihm ein erschreckender Verdacht auf. Sollte dieser grüne Jüngling vielleicht der mysteriöse Rapid sein? Hatte er bereits etwas von dem Verrat erfahren und war gekommen, ihn zu richten? Aber woher sollte er es erfahren haben? Nur Clifton Hill wußte davon, und der hatte doch nur das größte Interesse daran, daß die Sache geheim blieb. Aber no, Lo wußte auch davon. Von ihr kam doch überhaupt erst der Gedanke. Tom Heads Blicke irrten durch den Raum, kehrten zu dem Fremdling zurück und ruhten schließlich auf dem Kissen, das er auf dem Schoß trug. Seine Lippen wurden trocken und spröde. Der Fremde, der solch blutige Worte sprach, hielt einen Colt
in der Faust. Deutlich erkannte Head den langen Lauf, der aus dem Kissenwulst herausragte. Und dieser Lauf deutete genau auf seine Brust. »Wer bist du?« flüsterte er mit krächzender Stimme, und der Verdacht, den er zuerst hegte, nahm neue Formen an. »Rapid?« »No, Bruderherz, ich bin nicht ›Rapid‹. Aber er hat mich geschickt.« Da wurde Head klar, daß der Tod im Zimmer stand, daß ihm keine Chance blieb, und daß Lo vergebens mit den Pferden warten würde. Aber ließ sich denn nicht mit dem Tod handeln? Dieser Gedanke belebte ihn sofort, und er wurde wieder zuversichtlicher. »Zwanzigtausend, wenn du mich laufen läßt!« sagte er hastig. Der andere schüttelte energisch den Kopf. »Dreißig, vierzig, no, ich zahle dir fünfzigtausend Dollar bar auf den Tisch.« Zitternd griff er nach dem Lederbeutel, der bisher unbeachtet auf dem Tisch lag, »hier sind runde fünfzigtausend Dollar drin.« Wieder ein verneinendes Nicken. »Tut mir sehr leid, Tom, habe aber das Geschäft schon abgeschlossen, mit Rapid. Orgando treibt keinen doppelten Handel. Er befriedigt immer seine Kunden, wenn sie gut bezahlen. Rapid hat es getan.« »Orgando?« Tom Heads Knie wurden weich, seine Lippen suchten nach Worten, und als er sie endlich fand, stöhnte er nur noch etwas von einem ›schwarzen Blitz‹. Well, Orgando war der ›schwarze Blitz aus Wyoming‹. Er war einer jener Revolvermänner, die ihre Colts gegen bares Geld vermieteten. Er hatte eine schnelle Hand und einen
schmutzigen Charakter. Für ihn war das Morden zum Beruf geworden. Ein bezahlter Mord bedeutete für ihn nicht mehr als ein Kuhhandel für einen Rancher. Wer den höchsten Preis bot, dem diente er, und hatte er erst einmal zugeschlagen, war er unbestechlich. Die dunklen Existenzen im Westen wußten dies, und sie mieteten deshalb gern Organdos Schießeisen. »Yeah,Tom«, mit einer bedauernden Geste hob der Killer die Achseln und preßte die Linke auf das Kissen, das den gefährliche Colt barg, »hast dich etwas übernommen, als du glaubtest, Rapid übers Ohr hauen zu können. Hast du noch einen letzten Wunsch?« Head spürte, wie sein Blut schneller floß, wie es in seinem Schädel dröhnte. Er fühlte den Schweiß, der perlend über seine Stirn rann, und streckte abwehrend die Hände aus. Mit einem Male erkannte er, wie schwer doch das Sterben war, vor allem, wenn es so schnell und unvermutet kam und wenn man gerade dabei war, ein neues Leben zu beginnen. »Tu es nicht, Orgando, bitte!« Er fiel auf die Knie. »Ich flehe dich an, nein, nein!« Head begann gellend zu schreien. Da fegte ein gelber Blitz durch die Kissenfalte, der harte Schlag der Detonation wurde weitgehend von der Daunenhülle gedämpft. Eine unwiderstehliche Gewalt riß Head auf die Beine. Er streckte sich in einer grotesken Bewegung zur Decke. Zug um Zug erlosch der Glanz seiner Augen, über das Gesicht schlängelte sich, von der Nasenwurzel kommend, ein dünnes Rinnsal. Dumpf war das Röcheln, das über seine Lippen drang, langsam, unsagbar langsam kippte der Oberkörper vornüber und sank lautlos auf den schweren, dicken Teppich. Noch einmal zuckte sein Körper, dann lag er still. Orgando blies gelassen den Rauch von der Mündung der
Waffe, ließ sich Zeit, um die verschossene Patrone zu ersetzen, und richtet sich dann auf. Mit zwei Schritten trat er an sein Opfer und beugte sich nieder. Ein kurzer Ruck, und der pralle Lederbeutel, den der Niedergeschossene in der Faust verkrampft hielt, wechselte den Besitzer. Als Orgando sich wieder aufrichtete, grinste er äußerst zufrieden. Aus der Weste zog er ein beschriebenes Blatt Papier und legte es auf Heads Brust. Zufrieden betrachtete er dann einen Augenblick sein Werk. Mit einem leisen Lachen zog sich dann der unheimliche Fremde zur Tür zurück. Red Milton betrachtete nicht gerade sehr freundlich den kaltschnäuzigen Fremden, der nun pfeifend die Treppe herunterkam und zur Theke trat. »Gib mir einen Brandy, Glatzkopf, oder gib schon gleich zwei, du trinkst doch sicher auch einen mit?« Orgando legte eine Fünfdollarnote auf die Platte, hob sein Glas und prostete dem Keeper zu. »Auf unsere Gesundheit!« Er trank sein Glas mit einem Zug aus und wandte sich ab. An der Tür blieb er noch einmal stehen. »Den Rest kannst du als Trinkgeld behalten, Plattkopf. Und noch eins, Tom möchte nicht gestört werden, von niemandem, außer von seiner Freundin oder von Clifton Hill. Du kennst doch Hill?« »Selbstverständlich, Sir.« Reds Diener war diesmal noch tiefer, und sein Gesicht lag in freundlichen Falten. Selbst den Glatz- und Plattkopf schien Red völlig überhört zu haben, obwohl er gerade in dieser Beziehung mehr als empfindlich war. »Yeah, also dann auf ein andermal.« Lässig tippte Orgando an die Krempe des Stetson und trat pfeifend auf die Straße. * Als Clifton Hill vor der ›Oase‹ aus dem Sattel kletterte, war die
halbe Stadt auf den Beinen, und wer in der Kneipe nicht untergekommen war, der lagerte unter dem Vordach und versuchte, durch das Fenster einen Blick in das Innere des Schankraumes zu erhaschen. »Was ist denn hier los, Mister, schenkt Lo Garret etwa Freibier aus?« fragte Clifton einen der Männer. Sein Herz begann zu klopfen, denn er spürte sofort, daß dort zwischen den vier Wänden etwas geschehen sein mußte, das eng mit ihm zusammenhing. Der Angesprochene betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, ehe er das Maul aufriß. »Mann, weißt du es denn noch nicht? Sie haben im Stall der ›Oase‹ den Marshal gefunden. Er hatte eine Kugel in der Brust. Und droben im Zimmer liegt der Richter. Tot und stumm wie ein Fisch!« Clifton Hill wühlte und boxte sich kraftvoll durch die angestaute Menschenmenge, kam schließlich durch die Eingangstür bis in die vollgepferchte Schnapsdiele. Es herrschte hier ein Heidenlärm und ein wüstes Gedränge. Hill lief der Schweiß in Strömen von der Stirn, ehe er die lange Theke erreichte, wo Red Milton schwitzend und bleich seines Amtes als Barkeeper waltete. Als Hill Milton anrief, kam dieser trotz seiner Beschäftigung sofort heran. »Gott sei gelobt«, stieß er hastig hervor, »daß Sie endlich kommen. Sie haben den Richter ermordet, den Richter und den Marshal. Im Stall hat man vor einer Stunde Sullivan ausgegraben, und als die Leute den Richter sprechen wollten, ging ich rauf, obwohl mir es verboten war. Und was fand ich dort? Tom Head lag mitten auf dem Teppich und starrte mich mit einem gräßlichen Blick an. Zwischen seinen Augen, genau über der Nasenwurzel, steckte eine blaue Bohne. Ach, die arme Miß Garret. Sie hockt jetzt oben und weint sich die Au-
gen aus dem Kopf. Er beugte sich weit über den Tresen, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Ich habe den verfluchten Mörder selbst gesehen. Mehr noch, ich habe sogar mit ihm einen Brandy getrunken, als er wieder von oben kam. Fünf Dollar zahlte er mir für die zwei Brandys, brrr«, Red schüttelte sich in komischem Entsetzen, »fünf Dollar Blutgeld!« »Du kennst also den Mann?« »Kennen ist übertrieben. Ich sah ihn heute zum erstenmal.« »Nannte er dir seinen Namen? Vielleicht Rapid?« Red zuckte zusammen, als wäre ihm die Neunschwänzige über den Rücken gefahren. »Rapid? Oh, Mr. Hill.« Mit einer hastigen Bewegung verschwand seine Rechte unter der schmutzigen Schürze und kam mit einem beschriebenen Blatt Papier zurück. »Das hier lag auf des Richters Brust.« Dabei schob er Hil den Zettel hin. »Heute abend, Hill«, las Cliff halblaut, »vergiß nicht unser Rendezvous am Toffert-See, und lasse dich nicht durch das kleine Zwischenspiel mit Tom Head stören. Red.« Keine Regung, die auf seine Gedanken schließen konnte, zeigte sich in Hills Gesicht. Nur seine Lippen waren etwas schmaler geworden, als er das Schreiben zusammenfaltete und in die Tasche schob. Red Milton blickte ihn offen an. Offenbar wollte er eine Erklärung von Clifton Hill. »Du kanntest doch die Geschäfte des Richters«, fragte er leise. Red nickte bestätigend. »Dann ist wohl jeder Kommentar überflüssig.« »Möchte auch gar nichts wissen, Mr. Hill«, begann Red auf einmal hastig zu sprechen, »mich geht alles nichts an. Ich bin bei Miß Garret lediglich als Barmann angestellt und werde auch von ihr bezahlt. Sie haben doch diesen Namen eben er-
wähnt. Kennen Sie denn den Mann?« »Es ist derselbe, der mit dir den teuren Schnaps getrunken hat.« Ängstlich blickte Red sich um. Mart rief nach ihm und verlangte Schnaps. Es schien fast, als begänne die ganze Gesellschaft schon jetzt langsam Tom Heads Haut zu versaufen, noch ehe er begraben war. »Er war elegant gekleidet, so, wie die große Ausstellpuppe in dem Clarkstore. Er trug einen schwarzen Reitanzug, und sein Koppelzeug roch noch nach frischem Leder. Als er den Saloon betrat, glaubte ich eine Musterkollektion eines Maßschneiders aus dem Osten vor mir zu haben. Er sah so neu und frischgebügelt aus. Nicht ein einziges Stäubchen hing auf seiner Kluft, und die Eisen, die er trug, glänzten, als wären sie gerade eingefettet worden.« »Und sein Gesicht, hatte er vielleicht irgendwelche besonderen Merkmale?« Red blickte den Frager an. »Hm, das Gesicht? Moment mal, das verdammte Pack macht mich noch verrückt.« Er bediente seine Gäste. Nachdem er die Drinks kassiert hatte, kehrte er wieder zurück. »Das Gesicht«, begann er verlegen, »es war eigentlich so ein richtiges Einheitsgesicht, und ich hab' mir's nicht mal so genau angesehen, weil schon die elegante, auffällige Kleidung der reinste Blickfang war. Wüßte im Augenblick auch nicht, ob er blaue oder braune Augen hatte, ob sein Haar dunkel oder hell war.« Mit dieser nichtssagenden Beschreibung war recht wenig anzufangen. »Wollen Sie ihn sehen?« »He? Wen?« Cliff fuhr aus seinen Gedanken auf, als diese unvermutete Frage kam. Mit ziemlich dummem Blick mußte
er Red gemustert haben, denn der zog unwirsch die Augenbrauen hoch. »Tom Head, natürlich«, grunzte er dann, »er ist oben im Zimmer.« »Habe was gegen Tote.« Hill schüttelte den Kopf. »Mir wird's immer übel, wenn ich eine Leiche sehe.« »So?« Ungläubig blinzelte Red Milton hinter dem Sprecher her, der sich bereits wieder durch die Menschenmauer nach draußen schob. »Hm, so ganz bin ich davon aber nicht überzeugt.« Seine Gedanken wurden aber rasch wieder abgelenkt. Er war ja letzten Endes Keeper, und der Laden war mit trinkfreudigen, neugierigen Männern überfüllt. Hill hatte inzwischen die Straße erreicht und kletterte auf den Gaul. Nachdenklich trabte er die breite Straße hinunter. Anscheinend hatte er doch seinen Gegner stark unterschätzt. Seine Hand schob sich in die Tasche, und das Papier knisterte vernehmlich. ›Rapid‹ war ein verdammt freches Aas. Er erwartete ihn am Toffert-See, und er wartete bestimmt nicht, um mit Clifton Hill nur einen gemütlichen Schwatz zu halten. Vielleicht kam er nicht einmal allein dort hin, sondern brachte seine Helfer mit. Das Ganze stank schwer nach einer Falle. Wenn ich wenigstens Dooley und die Crew benachrichtigen könnte, dann würde das Eisen nicht so heiß sein. Doc Rosher könnte ihm vielleicht helfen. Kurz entschlossen wandte Clifton Hill sein Pferd und trabte den Weg zurück, um mit Doc Rosher zu sprechen. * Erst, wenn man ganz nahe an der halbzerfallenen Hütte am Toffert-See stand, konnte man den trübgelben Lichtpunkt er-
kennen. Sonst wurde der Bau von niederen Büschen und wucherndem Gestrüpp verdeckt. Doch wenn man diesen erst entdeckt hatte, wurde er zum Blickfang und Wegweiser. Clifton Hill lächelte grimmig, als er von seiner Stute stieg und ihr beruhigend übers Fell strich. »Rapid hält uns anscheinend für ziemlich naiv und blöde«, flüsterte er leise und ließ die Zügel fahren. »Verhalte dich ruhig und mache mir keine Schande.« Geräuschlos löste er sich von dem knorrigen Stamm, der ihm bisher Deckung gab, und huschte vorsichtig und leise am Ufer des kleinen Sees entlang. Es war eine rabenschwarze Nacht, und Hill kam nur langsam voran. Tief hingen die Wolken über dem Land, satt und angefüllt mit Regen. Nur ab und zu riß der schwarze Schleier für einen kurzen Augenblick auf, um einen sternenbesäten Himmelsstreifen freizugeben. In diesen wenigen Sekunden sprang das kalte Licht des Mondes über das einsame Land, tauchte es in Helligkeit, um gleich darauf wieder zu verflackern. Mitternacht war längst vorbei. Hills Hoffnung, daß die Intyre-Boys doch noch rechtzeitig eintrafen, erfüllte sich nicht. Aber er konnte nun nicht mehr länger warten. Diesen verdammten Rapid wollte er unter allen Umständen zur Strecke bringen. Er war der Kopf der Bande, wenn er fiel, zerfiel auch der klägliche Rest seiner Bande. Dreißig Yards noch schätzte Hill den Weg bis zur Hütte, einen Steinwurf weit. Geheimnisvoll lag die Stille um ihn. Er lauschte angestrengt, um irgendeinen verdächtigen Laut zu vernehmen. Doch nur das stets gleichbleibende Raunen der Bäume war zu vernehmen. Fast hatte es den Anschein, als wäre er ganz allein in dieser Einsamkeit. Doch dort drüben leuchtete aber ein schwaches
Licht aus dem quadratischen Viereck eines Fensters. Er fiel in einem sich erweiternden Kegel auf den laubbedeckten Boden. Dort mußte sich also Leben befinden, oder war es nur ein Truglicht, das ihm dort Leben vorgaukelte und hinter dem sich die Schattenseite des Lebens, der Tod, verbarg? Langsam verrann die Zeit, die Minuten dehnten sich ins Endlose und wurden zu Stunden. Clifton Hill glitt weiter. Er suchte etwas ganz Bestimmtes. Mit gespenstiger Lautlosigkeit huschte er durch das Buschwerk. Einmal strich flügelschlagend ein großer Vogel über ihn hinweg. Clifton hielt inne und lauschte erschreckt, bis das Geräusch sich verlor und alles wieder still war. Dann eilte er weiter. Zweimal umging er die Hütte, und dann stieß er endlich auf das, was er schon seit einer Stunde suchte. Auf einer kleinen Lichtung stand ein einzelner Gaul, der bei seiner Annäherung unruhig zu schnauben begann. Irgendwie war er enttäuscht, nur ein Pferd vorzufinden. Zeigte es nicht, daß Rapid es ehrlich meinte? War es nicht der klarste Beweis dafür, daß Rapid die Sache mit ihm allein ausfechten wollte? Oder steckte da doch etwas anderes dahinter? Hill glitt zu seinem Ausgangspunkt zurück. Nun lag er wieder dreißig Meter von der Hütte entfernt, zwischen wildem Wacholder. Noch immer schien er zu überlegen. Doch das ganze Überlegen brachte keine Entscheidung. »He, Rapid«, schallte seine kräftige Stimme durch das Unterholz, »komm raus!« Er wartete. Es blieb still zwischen den vier Wänden der morschen Behausung. Nur das Licht im Innern flackerte träge. Clifton hatte es auch nicht anders erwartet. Für einen Augenblick sprang da gerade der Mond hinter einer Wolkenwand hervor und übergoß die schmale Schneise, die zur Hütte führte, mit ihrem kalten Licht. Aber schon ver-
sank alles wieder in Finsternis. Hill wurde ungeduldig. Es blieb still, nur der Wind fegte schärfer durch das Blättergewirr der Bäume und kündete das Nahen eines Unwetters an. Es mußte inzwischen drei Stunden nach Mitternacht sein. Noch zwei weitere Stunden, und der neue Tag würde beginnen. »Rapid, hörst du mich, ich bin hier, ich, Clifton Hill«, brüllte er noch einmal zur Hütte hinüber. Und wieder wartete Hill vergebens auf Antwort. Aber plötzlich wurde er hellhörig. Knackte da nicht gerade ein Zweig in seiner Nähe? Hörte es sich nicht an, als tappten Männerstiefel durch das fußhohe Laub, das den Waldboden bedeckte? Fester umspannte seine Faust das Eisen, und er begann, seine nähere Umgebung genauer zu mustern. Er starrte in die schwarze Wand, die vor ihm lag, und sagte sich, daß die Hütte mit dem Licht nur ein ablenkender Blickfang sein sollte. Dumpf rollte das Echo eines Donners über die Wichitas hinweg, ein greller Blitz sprang aus dem nachtschwarzen Himmel und riß die Wolken auf. Für den Bruchteil einer Sekunde lag das Land vor ihm in tagheller Beleuchtung. »Auch das noch«, fluchte Hill. Noch lag ihm das Grollen des Unwetters in den Ohren, als hinter seinem Rücken ein leichtes Klirren von Sporen zu hören war. Hill wandte sich überraschend, indem er einfach über die Schulter abrollte. Auf diese Weise kam er auf den Rücken zu liegen. Es mochte ein Zufall gewesen sein, daß gerade in dieser Sekunde wieder ein Blitz zur Erde herniederfuhr. Groß und geisterhaft wirkte die Gestalt, die kaum zwei Schritte hinter ihm stand und anscheinend in den Himmel
wuchs. Rapid. Unwillkürlich kam Hill dieser Gedanke. Instinktiv rollte er sich weiter und bewegte dabei den Zeigefinger. Schüsse erfüllten die Nacht. Längst war es wieder dunkel um die beiden Kämpfer geworden. Man sah nur die grellen Flammen, die aus ihren Coltläufen schlugen und hörte das Peitschen von Schüssen. Hill, dessen Körper in ständiger Bewegung war und über das Laub rollte, wurde es ganz unheimlich. Eine ganze Coltladung hatte er auf den Punkt verfeuert, den er für den Bruchteil einer Sekunde sah. Sechs gute Fünfundvierziger-Kugeln. Aber der verdammte Bursche schoß noch immer. Er schoß beidhändig. Nur fegten seine Schüsse komischerweise immer in den Busch hinein, ohne jedes Ziel. Was hatte das zu bedeuten? Plötzlich hörte die Knallerei auf. Sie endete so jäh, wie sie ausbrach, und hinterließ eine lähmende Stille. Dennoch traute Clifton dem Frieden nicht. Er richtete sich langsam auf, und erst jetzt spürte er den Schmerz im Schädel. Seine Hand fuhr rasch über die Stirn und kam feucht zurück. Getroffen, ging es ihm durch den Sinn. Aber es schien nur eine unbedeutende Schmarre zu sein. Hill neigte lauschend den Kopf. Wuchtig fegte der Wind durch die Äste, der Donner wurde stärker, und die ersten Regentropfen fielen. Aber das war alles nicht, was Hills Sinne so anstrengte. Es war der rasselnde Atem eines Menschen, ein mühsames Keuchen. Rapid lebte also noch. Hill tastete sich durch die Finsternis. Seine Hände strichen durch das Laub, bis sie einen warmen Körper berührten. Und
dieser Körper zuckte leicht. »Rapid?« flüsterte Clifton Hill, und sein ganzer Groll gegen den Burschen verflog schlagartig, als er ein Zündholz anriß und das Gesicht des vor ihm Liegenden anleuchtete. Es war wirklich ein bleiches Kindergesicht, in das er blickte, genauso, wie es Milton beschrieben hatte. Es wirkte gelb und wächsern und war schrecklich verzerrt. Oberhalb des Schlüsselbeines war das Hemd zerrissen und blutig, und als Hill einen kurzen Blick darunter warf, erschauerte er leicht. Das Blei, welches das Schlüsselbein durchschlagen hatte und nun in dem Halsmuskel saß, mußte durch seinen halben Körper gefegt sein, denn auch unterhalb des Rippenabsatzes zeichnete sich ein blutiger Fleck auf dem Hemd ab. »Rapid«, flüsterte Hill. Der Mann öffnete die Augen. Es waren Augen, denen jeder Glanz fehlte, Augen, in die der Tod bereits sein Siegel gedrückt hatte. Sie waren stumpf und ohne jedes Leben. Da verlöschte das Zündholz zwischen seinen Fingern. »Hill.« Des Todwunden Worte streiften Clifton wie ein heißer Atemzug. »Hill, du hast mich also doch verdammt fertiggemacht. Ah, werde wenigstens jetzt nicht weich und mach ganze Arbeit, setz mir noch eine zwischen die Augen, damit der verfluchte Schmerz aufhört.« »Ich bringe dich in die Hütte, Rapid.« Ein leises Wimmern war die Antwort. Anscheinend hatte der andere keine Kraft mehr, um zu widersprechen. Behutsam schob Hill die Arme unter den schlaffen Körper und richtete sich vorsichtig auf. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, als er mit federnden Schritten der Hütte zustrebte, die ihm und auch dem Schwerverletzten Schutz vor dem aufkommenden Unwetter bieten
sollte. Bevor er das alte Blockhaus betrat, überzeugte er sich mit einem schnellen Blick durch das Fenster, ob sie wirklich keine anderen Gegner mehr beherbergte. Es war mehr eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn Hill war fest davon überzeugt, daß Rapid allein gekommen war. Das einzelne Pferd im Dickicht nahm ihm jeden Zweifel. Er trat ein und bettete den Schwerverletzten auf die faulen, feuchten Dielen der Hütte. Dann trat er nach draußen und pfiff nach Jenny. Als er mit der Feldflasche zurückkehrte, hatte der Sterbende die Augen offen. Er beugte sich nieder und hielt ihm die Flasche an die Lippen. Mit gierigen Zügen trank der Mann. Auch Clifton nahm einen Schluck. Einen Teil schüttete er in die Handfläche und strich damit über seine Kopfwunde. Es brannte verflucht höllisch. Der andere beobachtete aufmerksam sein Tun. Ein schwaches Grinsen zog über sein schmerzentstelltes Antlitz. »Eine Genugtuung habe ich wenigstens doch. Hill, du wirst für immer ein Andenken von mir tragen. Gib mir noch einen Schluck.« Hill erfüllte den Wunsch des Sterbenden, indem er behutsam dessen Kopf hob und ihm die Flasche an die Lippen setzte. Er trank gierig und in vollen Zügen. Der Brandy lief ihm aus den Mundwinkeln. Ein dankbarer Blick traf den Blonden. »Nun ist's genug, Rapid.« Hill setzte die Flasche ah. »Möchte mir die Wunde ansehen, vielleicht kann ich dir doch noch irgendwie helfen.« »Unsinn, Hill, mir kann keiner mehr helfen. Ich spür's doch selbst am besten. Du warst der größte Gegner, den ich bisher vor dem Lauf hatte. Ich hatte dich schon sicher, und trotzdem,
du warst schneller. Der Preis war hoch, der auf dir stand. Es hätte für die nächsten zehn Jahre gereicht.« »Wovon sprichst du denn eigentlich?« Orgando, er war der Schwerverletzte, machte eine müde und schwerfällige Kopfbewegung. »Dort«, flüsterte er mit schwacher Stimme, »dort in der Ecke…, siebzigtausend, das war der Preis.« Der Sprecher bäumte sich auf. Als er zurückfiel, brachen seine Augen. »Rapid – Rapid!« Wild schüttelte Hill die schlaffe Gestalt. »Von welchem Preis hast du gesprochen? Sag mir, du bist doch Rapid, bist doch der Boß im Hintergrund gewesen. Sag mir's doch bitte… Rapid, bitte!« Clifton merkte in seiner Erregung gar nicht, daß Orgando längst tot war, daß er eine seelenlose Hülle schüttelte. Doch als er es erkannte, ließ er den Toten behutsam zurückgleiten. Hill richtete sich auf und trat in die bezeichnete Ecke. Hinter einer morschen Holzkiste fand er nach einigem Suchen einen prallgefüllten Beutel. Mit zitternden Händen öffnete er ihn. Eine Unmasse Geld floß ihm entgegen, Dollarnoten und Dollarstücke. Es war ungezählt schon ein Vermögen. Der Preis, der Preis, jagte es durch sein Hirn. Welchen Preis meinte er nur? Sein Blick streifte verzweifelt das erstarrte Gesicht des Toten. Nahm er ein Geheimnis mit in die Hölle? Clifton schüttelte den Kopf. Das war der Mann, der Head getötet hatte. Die Beschreibung des Keepers paßte genau auf ihn. Schwarze Hose, schwarze Weste. Das buntkarierte Tuch um den Hals lag unter einer Schicht von Blut. Er ist es, dachte Hill, und der Blick ruhte auf dem grauen Stetson, der fein säuberlich auf dem Tisch lag. Aber Milton muß es mir zuerst noch bestätigen, sonst finde ich keine Ruhe. Als Clifton mit seiner unheimlichen Last in die Stadt zurück-
ritt, begann bereits der Morgen aufzuziehen. Grau lag der Regenschleier über der schlafenden Stadt. Und selbst der Hufschlag zweier Pferde konnte die Menschen nicht wecken. Vor der ›Oase‹ zügelte er die Stute und hielt das Handpferd zurück. Er band die Tiere an die Halfterstange und eilte durch die Seitenstraße. Er kannte den Weg zu Miltons Kammer und brachte den tief schlafenden Mann rasch auf die Beine. Milton hatte keine Zeit, sich lange anzuziehen. Im Nachthemd schleifte Clifton ihn auf die Straße zurück. Alles Zetern und Wehren hatte keinen Zweck, und ehe sich der Keeper umgesehen hatte, standen sie draußen bei den Pferden. »Ist das Rapid?« fragte Clifton den vor Angst und Kälte zitternden Keeper und deutete auf die leblose Gestalt, die über dem Sattel des zweiten Pferdes hing. Red Milton starrte entsetzt die Leiche an und betrachtete sie eine Weile. Dann konnte er nur bejahend nicken und hastete schleunigst ins Haus zurück. Und nun erst entspannten sich Hills Züge. »Also doch«, sagte er zufrieden, »der Trail ist zu Ende.« Und er stampfte weiter die Straße, an deren Ende der kleine Friedhof lag, hinunter. Als der Tag endlich zum Durchbruch kam, zeigte ein frischer Grabhügel, daß auf dem Friedhof von Roy Mills ein neuer Gast Quartier bezogen hatte. Rapid, der Schrecken des ganzen County. Clifton sprach ein kurzes Gebet und begann plötzlich erbärmlich zu frieren. Er war naß bis auf die Haut. Und trotzdem dachte er noch nicht an Schlaf. Er konnte es eben nicht, denn die Freude über seinen letzten, entscheidenden Erfolg hatte ihm die Ruhe genommen. Er entschloß sich, der Intyre-Mannschaft entgegenzureiten, um ihnen die frohe Botschaft zu verkünden.
Als Roy Mills endlich zu neuem Leben erwachte, war Hill bereits auf dem Weg in die Berge. * Die Herden zogen ins Tal zurück. Intyres Weideland, das einige Wochen verwaist war, belebte sich wieder mit gesunden und kräftigen Longhorns. Aber die Zukunft der Intyre-Ranch war immer noch ungewiß. Sie hatte keinen Herrn und auch keinen Erben. Sie fiel an den Staat, und da der Staat sie selbst nicht verwalten konnte, mußte sie eben versteigert werden. Diese Versteigerung stand als drohendes Gespenst über dem großen Anwesen, das vorerst von Clifton Hill verwaltet wurde. »Geld müßte man haben«, sagte eines Tages Dooley, als sie gemeinsam beim Frühstück saßen, »zwanzigtausend Dollar würden vielleicht schon ausreichen. Wir beide würden aus der Ranch schon etwas machen. Sie hat guten Grund und bestes Viehmaterial.« Hil nickte, und er dachte dabei traurig an die siebzigtausend Dollar, die er einmal besessen hatte, die aber nicht sein Eigentum waren und die er dem Distrikt-Marshal in Kingsfisher übergeben hatte. Hätte er die Entwicklung der Dinge vorausgeahnt, vielleicht wäre er doch noch zum Dieb geworden und hätte zum mindesten einen Teil des Geldes behalten. Aber er hatte es nicht getan, weil er eine durch und durch ehrliche Haut war. Nun schlummerte das Geld auf der Staatsbank in Kingsfisher und wartete auf seinen Besitzer, der sich nicht meldete. Wahrscheinlich ging es diesen Penunsen genauso, wie es der ganzen Intyre-Ranch gehen würde. Sie landeten eines Tages in Uncle
Sams großem Staatssäckel, und eine kleine Prämie fiel dann vielleicht eines Tages Hill zu, als schäbiger Finderlohn. Ein Tausender vielleicht, oder auch zwei, im Höchstfall, denn Gevatter Staat war knauserig im Geben. »Ja«, seufzte auch Hill, und ihm schmeckte auf einmal der Kaffee nicht mehr, »zwanzigtausend Dollar, aber wir haben sie eben nicht, Bret, drum geht sie eben für uns verloren und kommt unter den Hammer. Du wirst dir dann mit der Crew einen neuen Job suchen müssen.« »Und was sind deine weiteren Pläne?« Trotz aller Sorgen schien es Dooley zu schmecken. Er kaute eifrig. »Ich?« Hill hob mißmutig die Achseln. »Ich ziehe eben weiter, wie ich es all mein Lebtag tat, bin an die Wanderschaft gewöhnt.« »Und wohin?« »Wer weiß, Bret.« Ein trauriges Lächeln umspielte Hills Mundpartie. »Der Westen ist doch so groß, und ich werde weiter nach dem Glück suchen. Hörte, in Kalifornien wurden wieder neue Goldfelder entdeckt.« »Und wann?« »Nun, wenn hier alles vorbei ist. Möchte nur gern noch den neuen Besitzer kennenlernen, der Hanks Anwesen übernimmt.« »Auf den Aufruf des Deputy-Marshals hat sich bisher nur einer gemeldet.« »Kenne ich ihn?« »Sogar sehr gut.« Erwartungsvoll blickte Clifton den Hünen an, der sich schmatzend über die Lippen fuhr und seinen Teller zurückschob. »Wer ist es?« wollte er wissen. »Unser neuer Richter.« »Doc Rosher? Was will denn der Doc mit der Ranch? Er ver-
steht doch nichts von Kühen.« »Du vergißt wohl ganz, daß er auch am Red River schon eine riesige Ranch haben soll.« »Das ist natürlich Unsinn.« Unwirsch winkte Hill ab. Er begann zu rauchen. Hastig und mit tiefen Zügen. Dabei starrte er, anscheinend nachdenklich, in den sonnenklaren Tag hinein. »An jedem Gerücht hängt aber doch immer ein klein wenig Wahrheit, Clifton«, gab Bret Dooley zu bedenken und richtete sich rülpsend auf. »Ich reite zu den Clipperweiden, 'ne Herde soll dort die Zäune niedergetrampelt haben, werd' mir den Schaden besehen. Der neue Herr auf der Intyre-Ranch soll später nicht sagen können, wir hätten den Betrieb verloddern lassen.« Clifton Hill nickte in Gedanken. Sein Blick ruhte dabei immer noch starr in der Ferne, und er merkte anscheinend noch nicht einmal, daß Bret bereits über den Hof ging. Ein seltsamer Gedanke geisterte durch sein Hirn, direkt grotesk und zu unmöglich, um glaubhaft zu wirken. Aber trotz allem, der Gedanke ließ ihn nun einmal nicht mehr los, im Gegenteil, sein Verdacht verdichtete sich immer mehr, und seine Zweifel wurden immer stärker. Irgendwo mußte er sich Gewißheit verschaffen. Entweder stellte er fest, daß er phantasierte, oder daß er recht hatte. »Ich werde zum Red River reiten«, murmelte er in einem plötzlichen Entschluß vor sich hin. Mit einer brüsken Bewegung stand er auf und schob den Stuhl zurück. Er trat ins Haus und rüstete sich für einen längeren Trip. In der Proviantkammer füllte er seinen Verpflegungsbeutel, aus seinem Zimmer nahm er Waffen und Schlafsack und ging dann zum Stall hinüber. Bret Dooley zog dort gerade seinen Hengst aus dem Tor und blickte erstaunt auf den Ankommenden.
»Nun«, fragte er verwundert, »ich dachte, du wolltest doch bis nach der Versteigerung hierbleiben? Und nun sieht es ja beinahe aus, als wolltest du ganz plötzlich von hier verduften. Weshalb hast du denn auf einmal deinen Plan geändert, Clifton?« »Mir kam da auf einmal etwas ganz Wichtiges in den Sinn. Bin in spätestens zwei Wochen wieder zurück. Schätze, ihr schafft es so lange hier auch ohne mich.« »Na ja, so unentbehrlich bist du ja auch wieder nicht, daß wir dich nicht mal zwei Wochen vermissen könnten.« Bret grinste gutmütig, und man erkannte an seinem pfiffigen Gesicht, daß es nicht so gemeint war. »Willst du mir aber nicht wenigstens sagen, worum es geht?« »Wenn ich zurückkomme, gern, Bret, dann sollst du alles erfahren«, versprach Hill und trat in den Stall. »Ich glaube«, der Hüne schüttelte nachdenklich den Kopf, »manchmal spielt der gute Hill etwas verrückt.« Weiter in seinen schwarzen Bart brummelnd, kletterte der riesenhafte Vormann auf den Rücken seines grobknochigen, schweren Hengstes. Er verließ die Ranch in Richtung auf die Weiden. Kurz darauf ritt Hill ebenfalls aus dem Hof. Sein Ziel aber lag im Osten, fünf Tagesritte entfernt. Ein böser Verdacht brannte in seinem Herzen, und er wurde ihn auch nicht mehr los. Er spornte Jenny zu immer schnellerer Gangart an und gönnte weder sich noch der armen Kreatur eine ausgiebige Rast. Durch diesen erbarmungslos forcierten Ritt erreichte Red schon nach vier Tagen den Red River und begann sofort mit seinen Nachforschungen. An Jennys glanzlosem Fell und ihrem müden Gang erkannte man sofort, wie viele Meilen Hill in der letzten Woche geritten
war. Faltig und ungepflegt hing das braune Fell herab, und die Rippen drückten sich deutlich sichtbar durch. Und auch Hill hatte einige Kilo verloren. Er sah abgespannt und übernächtigt aus und war ebenso fertig wie der Gaul. War es vielleicht auch ein Wunder? Bis nach Chieldress war er gezogen, und nun befand er sich in der Nähe von Denison. In nackten Zahlen ausgedrückt waren das runde fünfhundert Meilen in sieben Tagen. Und dabei war Clifton nicht nur geritten. Er besuchte Rancher und Siedler und fragte sie nach einer ganz bestimmten Ranch. Er hockte in den Kneipen und sprach mit Cowboys und Postkutschern. Aber bisher konnte ihm niemand eine befriedigende Auskunft geben. Es schien fast, als jage er hinter einem Phantom her. Doch dann, eines Tages, ganz unvermutet, sollten seine Bemühungen wenigstens halbwegs belohnt werden. Sherman war ein winziges Nest, das auf einem flachen Hügel am Red River lag. Es zählte kaum vierzig Seelen. Und der einzige Schnapspanscher, den es hier gab, hieß Samuel Hopkins. Hopkins hatte einen großen Kundenkreis, und zu ihm kamen sie von weither, weil er den Brandy selbst brannte, und weil er ihn gut und scharf zu brennen wußte, so, wie die Männer ihn hier in der Gegend liebten. Clifton hatte in Ryan schon gehört, daß Samuel Hopkins so ziemlich über alles Bescheid wußte, was am ganzen River geschah. Er war darum auch Hills letzte Hoffnung, eigentlich nur ein Strohhalm, an den er sich wie ein Ertrinkender klammerte. Die Unterhaltungsgrundlage für seine Frage war, als er in Hopkins Schnapsdiele kam, zuerst eine Lage, die er springen ließ. Sie machte Sam auch gleich gesprächig wie ein Markt-
weib, und die zweite Lage stimmte ihn sogar zum scharfen Nachdenken. »'ne Rosher-Ranch?« Hopkins schien angestrengt nachzudenken und überlegte recht lange, ehe er bestimmt den Kopf schüttelte. »Die gibt es hier nicht auf fünfhundert Meilen im Umkreis. He, Jungs«, der Sprecher wandte sich an seine anderen Gäste, »kennt einer von euch vielleicht eine Ranch, deren Besitzer Rosher heißt?« Die Männer, wohl alles Cowboys aus der Umgebung, schüttelten verneinend den Kopf. »Dachte es mir, Stranger«, Sam nickte zufrieden, »was ich hier im Land nicht kenne, das gibt es auch nicht.« »Und eine Rapid-Ranch gibt es wohl auch nicht?« Wieder ein Schnaps, wieder ein angestrengtes Überlegen, und wieder ein Kopfschütteln. »Tut mir leid, Fremder.« Clifton lächelte süßsauer. »Da hab' ich wohl wieder mal Pech gehabt.« »Scheint so. Aber hast du denn sonst gar keine Anhaltspunkte, vielleicht hast du dich im Namen geirrt, oder in der Gegend?« wollte Sam Hopkins wissen, und er schien selbst traurig, einen so freigiebigen, aber auch sonst sympathischen Gast nicht die befriedigende Auskunft geben zu können. »Ich weiß nur, daß es ein riesiger Laden sein soll!« »Groß? Dann müßte ich sie ja doch kennen. Die dickste Ranch am ganzen River gehört Doc Raylight. Er hat ungefähr zehntausend Morgen Land und mindestens fünfzigtausend Kühe. Er selbst lebt irgendwo im Westen und kommt meist nur einmal im Jahr auf seine Ranch.« »Sagtest du, er nennt sich Doc?« Clifton wurde es plötzlich trocken im Hals. Erregt drehte er sein Glas in den Fingern, während seine Augen sich an Hopkins' Lippen festzusaugen
schienen. »Er nennt sich nicht nur so, er soll sogar einer sein.« »Kannst du ihn mir vielleicht beschreiben?« »Sicher, er war doch schon etliche Male mit seinen Leuten hier. Er ist etwa fünfeinviertel Fuß groß und schlank.« »Trägt er eine Brille?« »No, der Doc hat anscheinend noch verdammt gute Augen.« »Wie alt ist er ungefähr?« »Schwer zu schätzen. Denke aber etwa fünfunddreißig. Er reitet den ungebrochenen Broncho ebenso sicher wie einen wilden Stier. Er ist ein toller Bursche, und seine Leute sind von ihm jedesmal ganz begeistert, sie bedauern immer nur, daß er nicht länger bleibt und nur einmal im Jahr seine Ranch besucht.« Eine tiefe Enttäuschung zog in Cliftons Herz, eine neue Hoffnung war wieder im Sand verlaufen. Trotz aller Enttäuschung mußte er innerlich lachen, denn es wäre doch ein verdammt komischer Anblick, den verknöcherten, gichtgeplagten Doc Rosher auf dem Rücken eines wilden Broncho sitzen zu sehen. Komisch und direkt unmöglich. »Aber er kommt immer nur einmal im Jahr auf seine Ranch?« fragte Hill doch noch einmal. Er tat dies eigentlich nur, um überhaupt noch etwas sagen zu können. »Jedes Jahr zum Auftrieb im Frühjahr. Er bleibt zwei Monate und verschwindet dann wieder. Ist es vielleicht dein Mann?« »Leider nein. Hier sind fünf Dollar, gib noch 'ne Lage für die Jungs.« Verdutzt starrte Sam Hopkins hinter seinem Gast her. * Es ließ Clifton aber einfach keine Ruhe. Nachdem er erfolglos
auf die Intyre-Ranch zurückgekehrt war, wurde er mit jedem Tag finsterer und unleidlicher. Das entging selbst Long Framer nicht, und er erzählte es Dooley. Doch Bret Dooley hatte es schon gemerkt, und eines Tages spuckte er es in seiner tölpelhaften Art auch aus. »Sag mal, Clifton«, begann er die Unterhaltung, »seitdem du zurück bist, läufst du mit einer Miene herum, als wolltest du jemandem zu einem Begräbnis verhelfen. Du kümmerst dich nicht mehr um den Laden hier, tust ganz so, als ginge dich das Ganze nichts mehr an. Dabei haben wir hier noch nicht mal mit der Inventuraufnahme begonnen. In drei Tagen wird die Intyre-Ranch versteigert, und wir haben noch alle Hände voll zu tun. Also, was ist los mit dir?« »Nichts, Bret«, wich Hill aus und versuchte, ins Haus zu entkommen. Doch der riesenhafte Dooley, versperrte ihm ganz einfach den Weg. »Damit kommst du mir diesmal nicht weg. Glaub mir, Clifton, bin gewiß nicht sonderlich klug. Aber dich bedrückt etwas, und ich will nun endlich wissen, was es ist. Wo warst du in den zwanzig Tagen?« »Am Red River.« »Ach!« Bret schneuzte sich vernehmlich. »Was hast du denn dort gesucht?« »Die Rosher-Ranch.« »He?« »Du hast schon richtig verstanden. Ich habe sie nur nicht gefunden. Niemand kannte dort den Namen.« »Und weshalb wolltest du die Ranch finden?« »Weil mir bei unserer letzten Unterhaltung ein dummer Gedanke kam. Es war richtiger Quatsch, und ich verstehe mich heute selber nicht, wie ich dazu kam.«
»Was war das für ein Gedanke, und was ist Quatsch?« Bret drängte den Freund mit der breiten Brust zum Aufgang, und sie stetzten sich auf die Treppe. Clifton lächelte schwach. »Bist ja verdammt neugierig, Freund. Aber du sollst es wissen, sonst findest du wahrscheinlich keinen Schlaf mehr. Mir kam damals plötzlich der Gedanke, daß der Mann, den ich am Toffert-See erschossen habe, gar nicht dieser mysteriöse Rapid war. Der Bursche sprach so wirres, komisches Zeug, ehe er starb.« »Und was war das?« »Er faselte von einem hohen Preis, der auf meinem Kopf gesetzt sein sollte, siebzigtausend Dollar. Ich fand auch das Geld.« »Es ist das, das du dem Deputy-Marshal gegeben hast?« Hill nickte bestätigend. »Ja.« »Weiter«, drängte der Hüne und schien plötzlich mächtig interessiert. »Dann erzähltest du mir, daß der Doc diese Ranch ersteigern wollte. Da wurde ich plötzlich wieder stutzig.« »Da hattest du wohl den Gedanken, daß er dieser Rapid sein könnte?« Bret klappte vor Erstaunen sein mächtiges Maul auf. Er schien einen Augenblick sprachlos, dann aber lachte er unbändig und schallend auf. »Mann, Clifton, Doc Rosher ist doch ein verkalkter alter Knabe. Wenn sein Kalk auch nicht im Hirn sitzt, denn das ist ja noch mächtig rege, aber in den Knochen hat er ihn bestimmt. Wenn er keine Ranch hat und im Frühjahr doch auf einige Monate verschwindet, dann lungert er bestimmt in irgendeinem Sanatorium herum. Vielleicht ist ihm das nun auf die Dauer zu teuer geworden, und er macht jetzt aus der Ranch sein eigenes Erholungshaus.« »Im Frühjahr verschwindet er also?« »Ja, im Frühjahr, wenn hier der Auftrieb beginnt. Dann hatte
er hier ja sowieso immer wenig zu tun.« Hill, der seinen Verdacht bisher immer noch nicht loswerden konnte, schüttelte endlich seine Benommenheit ab. »Sag mal, Bret, seinerzeit, als ich die Sache mit Rapid austrug, hatte euch da Rosher nicht irgendeine Nachricht zukommen lassen, hat er jemand mit einem bestimmten Auftrag zu euch gesandt?« »No, im Camp war auf jeden Fall niemand.« »So?« Hills Gedanken begannen wieder zu arbeiten. Da gab es doch noch so einige Punkte, die ihm plötzlich irgendwie sonderbar erschienen. Da war zum Beispiel der Tod Tom Heads. Niemand außer Lo Garrett und dem Doc wußten, daß Head den Boß verraten hatte, und trotzdem wurde er ermordet. Und dann seine eigene Geschichte. Rasher wußte, daß er diesen Rapid entlarven wollte. Er wußte auch, daß er Hilfe brauchte und versprach sogar, die Intyre-Boys aus den Bergen holen zu lassen. »Seltsam, ganz seltsam«, unbewußt sprach Cliff seine Gedanken laut aus. »Was ist seltsam, Clinton?« wollte der andere wissen. Hills Augen aber begannen plötzlich zu funkeln. »In dreiTagen ist die Versteigerung?« »Genau.« »Und Rosher ist der einzige Bewerber?« »Bis jetzt immer noch.« »Würdest du mir einen Gefallen tun, Bret?« »Sicher, wenn ich nicht gerade jemanden umlegen soll.« »Das werde ich wohl selber besorgen müssen«, ein hartes Lachen kam über Hills Lippen. »Reite doch morgen früh in die Stadt und locke Doc Rosher unter irgendeinem Vorwand hier auf die Ranch. Sage ihm mei-
netwegen, ich hätte plötzlich eine dicke Erbschaft gemacht und wolle die Intyre-Ranch ersteigern. Sage ihm, daß ich vorher mit ihm darüber sprechen wollte und er mir ratend zur Seite stehen soll.« »Aber er will doch selber…«, stotterte Bret, der so schnell nicht schalten konnte, in sein Bartgestrüpp. »Eben darum. Schätze, er wird ganz aufgeregt werden und ohne Zögern kommen. Well, Bret, und dann auf dem Weg hierher mußt du es arrangieren, daß sein Buggy ein Rad verliert. Bringst du das fertig?« Bret grinste. »Wenn ich darin einen Sinn sähe, würde ich dafür sorgen, daß sein Buggy beide Räder und der Gaul obendrein noch sämtliche Eisen verlieren würde.« Clifton Hill beugte sich weit vor. Seine Stimme wurde flüsternd. Mit offenem Mund und staunenden Augen hörte der Hüne zu. Einige Male schüttelte er den Kopf, dann platzte es plötzlich aus ihm heraus: »Aber, Clifton, dieser alte Mann?« »Du wirst noch dein Wunder erleben, Bret«, Hill lachte fröhlich und stand federnd auf. »Du wirst noch glauben, ich sei der liebe Gott, und der liebe Gott sei dein bester Freund. Bret, daß ich da aber nicht schon früher drauf kam.« Fröhlich ein Liedchen vor sich hin pfeifend, verschwand er dann im Ranchhaus. * Schnell muß die Sache gehen, sagte sich Clifton, als er den Buggy um die Ecke biegen sah, und drückte sich in die dunkle Toreinfahrt. Er war mit Dooley in die Stadt geritten und hatte sich versteckt. Von hier aus beobachtete er Doc Rosher, der mit allen Zeichen sichtlicher Erregung den Einspänner sofort in eine flotte
Gangart versetzte. Hinterher trabte auf seinem riesigen Gaul Bret Dooley. Sein mächtiger Bart flatterte wie eine Fahne im Wind. Hill wartete noch einige Minuten, dann löste er sich aus seinem Versteck. Mit schnellen Schritten überquerte er die Straße und bog dann in einen Seitenweg ein. Kurz darauf stand er vor der hohen Einfriedigung, hinter der Roshers geheimnisvolles Haus lag. Heiß und trocken war der Tag. Über die Hauptstraße von Roy Mills rollte quietschend ein schwerer Chuck. Clifton hörte deutlich die fluchende Stimme des Kutschers. Doch hier, wo er jetzt stand, war es ruhig und vor allem einsam. Er brauchte auch keine Zuschauer für das, was er vorhatte. Er wollte unbemerkt das Schlußkapitel einer schmutzigen Episode zu Ende führen. Dazu mußte er aber zuerst über die hohe Mauer. Hill war von der fixen Idee beseelt, daß Doc Rosher niemand anders war als Rapid. Abschätzend wanderte sein Blick die Front entlang. Eine große Trauerweide neigte ihre Äste über die Mauer. Mit einem Sprung konnte er vielleicht einen der biegsamen Zweige erwischen und sich an der Mauer hochangeln. Clifton überlegte nicht lange und versuchte es. Beim dritten Sprung erwischte er einen Zweig, packte fest zu und stemmte die Füße gegen die Mauer. Alles war das Werk von höchstens einer Minute, und er landete glücklich in dem verwilderten Garten Roshers. Ohne Aufenthalt hastete er weiter. Am Haus erlebte er eine Enttäuschung. Dichte Läden verschlossen die Fenster. Sie aufzubrechen, kostete Mühe und Zeit. Aber er fand eine Leiter, die er an die Fassade stellte und dann die Sprossen hochstieg. Das Dach war mit rauhem Binsengras gedeckt, mit zum Teil schon völlig
verfaultem Gras, das unter seinen wühlenden Händen zerfiel. So gelangte Clifton über das Dach auf den Speicher und von dort nach unten. Daß eine Tür dabei ihre Füllung verlor, kümmerte ihn keineswegs. Er kannte Roshers Arbeitszimmer und ging auch hier durch die Füllung. Hill war hemmungslos in seiner Leidenschaft. Ohne die Gefahr zu beachten, daß Rosher ganz unerwartet zurückkehren könnte, öffnete er das Fenster, schob den Riegel hoch und stieß den Laden auf. Halbdämmerung erfüllte nun den Raum. Mehr Licht aber brauchte er auch nicht. Und nun begann Clifton, systematisch den Raum zu durchsuchen. Er begann mit dem alten Schreibtisch, dessen Inhalt er auf dem mottenzerfressenen Teppich ausbreitete und endete mit dem langen Bücherregal. Aber Clifton fand nicht, was er suchte. In seiner Enttäuschung und Ratlosigkeit riß er selbst an einigen Stellen den Fußboden auf. Nichts, das seinen Verdacht bestätigen konnte. Nur Verkaufsbestätigungen über Land, die Scheidungsakten des Barbiers und einen Gerichtsbeschluß betreffend eine Pfändung, waren die ganze Ausbeute. Die ersten Bedenken stiegen in ihm auf. Bret war mit Rosher auf dem Weg zur Ranch, und er saß hier wie eine Wühlmaus in Doc Roshers Haus. Dabei drängte die Zeit, denn wenn Rosher ihn nicht auf der Ranch antraf und später hierher zurückkehrte, würde er bestimmt Verdacht schöpfen. Vor allem, da es sich recht bald herausstellen würde, daß seine Erbschaft Utopie war. Das einzige, was ihn in diesen Minuten hochhielt, war die Flasche Scotch, die er versteckt im Bücherregal fand. Er begann noch einmal von vorn. Er tastete jeden Zoll des Schreibtisches ab, hoffend, auf irgendein Geheimfach oder einen doppelten Boden zu stoßen. Er durchblätterte sämtliche Bücher, in der Hoffnung, doch noch eine Bestätigung seines
Verdachtes zu finden. Nichts, nichts, immer wieder nichts. Mit der Enttäuschung stieg auch sein Zorn. Um diesem Luft zu machen, pfefferte er den alten, schwachen Lehnstuhl, der hinter dem Scheibtisch stand, wütend in die Ecke. Wie zu erwarten, brach das hundertjährige Stück ächzend zusammen. Ein Bein rollte davon. Da wurden Cliftons Augen plötzlich groß. Dieses Sesselbein, breit und mächtig in der Form, hatte am oberen Ende eine Aushöhlung. Wie ein Panther stürzte er sich darauf und trat damit ans Licht. Seine Hände zitterten leicht, als er ein kleines Notizbuch und einen Briefumschlag herauszog. Ihm fielen die Augen fast aus den Höhlen, als er feststellen mußte, daß dieser Briefumschlag seine eigene Adresse enthielt. Clifton Hill stand in fetten Buchstaben auf dem gelben Papier. Einen Brief, der eine Adresse trug, zu öffnen, hielt Cliff für eine Selbstverständlichkeit. Ein Stück Papier kam zum Vorschein, das er nun mit fahriger Bewegung auseinanderfaltete und ans Licht hielt. Mein Letzter Wille. Der Tatsache entsprechend, daß ich weder einen leiblichen Verwandten noch sonstige Anverwandte in den Staaten besitze, setze ich hiermit meinen Freund Cliff nach meinem Ableben als Universalerben der Intyre-Ranch ein. Es folgte dann eine Aufstellung über das gesamte Inventar, eine gesonderte Liste über den derzeitigen Stand der Rinder und Gerätschaften. Unterschrieben war dieses gültige Testament mit Hank Intyre. Als Zeugen zeichneten Tom Head, in seiner Eigenschaft als Richter, Rondo Sullivan, als Marshal und Doc Rosher als Beauftragter und Testamentsvollstrecker
Hanks. Cliff schluckte schwer, als er das Blatt senkte. Daß Hank an ihn überhaupt noch gedacht und ihn so großzügig bedenken würde, darauf wäre er von sich aus nie gekommen. »Armer Hank«, flüsterte Hill düster und faltete das Dokument zusammen, »das hier war so gut gemeint und wurde doch dein Todesurteil.« Sorgfältig verbarg er das Kuvert in der Brusttasche und ging wieder auf Entdeckungsreise in dem ausgehöhlten Stuhlbein. Das nächste, was er herausbeförderte, war ein Paß auf den Namen Irwin, Jerme Raylight und die Erkennungsnummer der Ärztekammer in Washington. Dann folgte noch ein kleines rotes Notizbuch und eine Gummimaske. »Ahnte ich es doch«, flüsterte Hill und starrte in das Gesicht Roshers, das ihm hier in einer Gummiausgabe aus leeren Augenhöhlen anstarrte. Es dauerte lange, ehe er sich von diesem Anblick trennen konnte. Und ein düsteres Lächeln umschloß seine Mundwinkel, als er sich in den Inhalt des kleinen Notizbuches vertiefte. Es war eine spannende Lektüre, die Doc Rosher, alias Raylight, und sein Leben in allen Einzelheiten schilderte. Selbst genaue Daten und Summen fehlten nicht. So verschaffte Clifton Hill sich innerhalb einer einzigen Stunde einen genauen Überblick über Doc Roshers Vergangenheit, die einer einzigen, sich über Jahre hinziehenden Schandtat glich. Selbst den Burschen, den er am Toffert-See erschoß, lernte er so kennen und wußte nun auch, was dieser mit der auf ihn ausgesetzten Summe gemeint hatte. Du wirst jetzt was erleben, mein Freund, dachte er und verbarg sorgfältig seinen kostbaren Fund in der Tasche, alle haben sie bezahlt, und du wirst dich auch nicht drücken können. Sie
warten schon auf dich, Rosher, deine Werkzeuge Sullivan, Head, Orgando und auch der Satan. In dieser düsteren Stimmung kletterte er rasch aus dem Fenster und dann über die Mauer zurück auf den kleinen Seitenweg. Er hatte es plötzlich mächtig eilig, zur Ranch zurückzukommen. Hoffentlich schaffte er es noch. * Clifton Hill saß in der Wohnstube und blickte aus dem Fenster. Gerade bog ein leichter Buggy durchs Hoftor auf den Hofweg ein, eskortiert von Bret Dooley, der gerade einen der vorbeigehenden Cowboys ansprach, dabei aber weiterritt. Mit wirklich gekonntem Schwung lenkte der Richter sein Gefährt bis vor das Haupthaus und zog dann hart die Zügel an. Jooley glitt aus dem Sattel und winkte einen Mann von der Freiwache herbei, damit er die Pferde abreiben und tränken möge. Mit hartem Lächeln zog Cliff seine Eisen aus den Halftern. Prüfend ließ er die Trommeln durch die Hände gleiten, wirbelte sie über die Daumen und schob sie dann in die Halfter zurück. Leicht schob er den Tisch vor, um so bessere Bewegungsfreiheit zu haben. Dann nickte er zufrieden vor sich hin. Der Spaß konnte beginnen, das Raubtier saß in der Falle. Was seine Eisen betraf, so waren sie nur als eine Sicherung für besondere Umstände gedacht. Es lag absolut nicht in Cliftons Absicht, Doc Rosher zu töten. Vor drei Monaten hätte er es vielleicht noch getan, damals, als er vor seinem toten, so scheußlich hingemordeten Freund stand. Aber heute, da sah die Sache doch ganz anders aus. Gewiß, er haßte diese Bestie, die sich Doc Rosher nannte, über alle Maßen, aber eine Kugel, das wäre für diesen kaltblü-
tigen, habgierigen Verbrecher ein viel zu schneller und milder Tod. Hängen würde er, genauso wie einst Hank Intyre gehängt worden war. Cliftons Hände glitten über die Bank. Dicht neben ihm lag das Beweismaterial, lagen jene Indizien, die Doc Rosher endgültig überführen würden. Stiefel knirschten über den Verandavorbau. Es waren vornehmlich Bret Dooleys ungewöhnlich große Stiefel und seine außergewöhnliche Last, welche die Dielen strapazierten. Man hörte Stimmen, und dann sprang die Tür auf. Flammender Haß züngelte im Moment noch aus Hills Augen, doch als Doc Rosher über die Schwelle trat, war er augenblicklich erloschen. Er lag verborgen hinter einem freundlichen Lächeln. »Hallo, Doc, Sie lassen mich ja recht lange warten.« Hill reichte dem Mann die Hand und deutete dann auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich, bitte.« »Wir hatten Pech, Clifton.« Dooley blinzelte vertraulich mit dem Auge, aber so, daß es Rosher nicht sehen konnte. »Verloren erst unterwegs ein Rad, und dann ging mir nachher der elende Karrengaul durch. Aber wir haben's dann doch noch geschafft.« »Brandy, Richter?« fragte er. »Danke, ich trinke nicht«, und getreu seiner Rolle und Maske hüstelte der Verbrecher, »ich vertrage es eben nicht mehr. Ich vernahm von Dooley die erfreuliche Nachricht, Ihnen sei eine Erbschaft zugefallen?« »Ach ja«, Clifton nickte wieder, »deshalb habe ich Sie ja gerade herbitten lassen. Ich brauche Ihren sachverständigen und freundschaftlichen Rat.« »Stehe Ihnen gern zu Diensten, Hill. Worum geht es also?« »Ich habe ganz unvermutet eine Erbschaft gemacht, Doc«,
begann Hill, und er lehnte sich leicht zurück. »Anfangs glaubte ich ja, es wäre Bargeld. Aber es war dann nicht der Fall, ich habe eine Ranch geerbt.« »Donnerwetter, da kann man gratulieren«, Rosher schien hocherfreut, »aber…« »Was aber?« forschte Hill schnell und beugte sich weit vor. »Was kann ich dabei tun?« »Sie sollen als mein Anwalt vorerst einmal die Echtheit des Dokumentes prüfen. Ich bin nun mal ein skeptischer und höchst pessimistischer Mensch, und wenn einem da plötzlich ein Vermögen in den Schoß fällt, ist das immer so eine Sache. Vor allem, wenn man gar nicht damit gerechnet hat.« »Sie haben die Dokumente hier?« Rosher wurde unruhig und unsicher. Sein Blick ruhte starr auf Hills Gesicht, und es schien ihm plötzlich, als grinse Hill ihn höhnisch an. Clifton griff neben sich und legte einen zusammengefalteten Bogen Papier auf den Tisch. »Hier, Richter, lesen Sie bitte.« Doc Rosher bewegte sich nicht. Er saß starr auf dem Stuhl, so, als wäre sein Körper ohne jedes Leben und blickte mit einem Anflug des Entsetzens auf den beschriebenen Bogen. Er brauchte den Inhalt des Dokumentes gar nicht zu lesen. Er kannte ihn ja, hatte ihn selber mit unterschrieben. Aber wie kam dieses gefährliche Ding so plötzlich hier auf den Tisch, in die Hände dieses verfluchten Clifton Hill? Da er keine Anstalten machte, das Papier aufzuheben, tat es der neugierige Dooley. Und diesmal staunte Dooley nicht schlecht. »Mann, Clifton«, begann er zu stottern, »das ist doch die Handschrift des Bosses? Das ist doch sein Testament, und du bist der alleinige Erbe?« Roshers Gedanken begannen fieberhaft zu arbeiten. Eines war ihm inzwischen bereits klargeworden: der merkwürdige Zwischenfall mit dem Rad und dem durchgegange-
nen Gaul auf der Fahrt war eine abgekartete Sache gewesen und das Ganze hier eine höchst gefährliche Falle. Roshers Augen flohen gehetzt durch den Raum. Dort war das Fenster, doch Clifton Hill versperrte es. Dicht hinter ihm stand Bret Dooley, sein massiger Körper versperrte den Weg zur Tür. Noch stand sein Buggy auf dem Hof, noch war Dooleys Hengst gesattelt. Er fühlte sich wie eine Ratte in ihrem Loch, das man von außen zugemauert hatte. Clinton Hill hatte ihn hereingelegt. Während er auf dem Weg zur Ranch war, hatte Hill in aller Ruhe sein Haus in Roy Mills durchstöbert. Weshalb hatte er auch nicht schon längst dieses so gefährliche Material vernichtet? Hills Gesicht veränderte sich jäh. Seine Lippen wurden schmal und sein Blick kalt. »Dein Spiel ist aus, Rosher, alias Rapid, und alias Irwin Jerome Raylight. Es endet unter dem Galgen, und ich werde diese Stunde auskosten, wenn du endlich zur Hölle fährst.« Roshers Gestalt straffte sich leicht, er sah ein, daß sein Spiel verloren war, deshalb konnte er nun auch die hindernde Maske fallen lassen. Seine Rechte glitt rasch über das Gesicht und streifte eine hauchdünne Maske ab. Es war ein ganz anderes Gesicht, das Hill und dem zurückprallenden Dooley da auf einmal entgegenblickte. Schmal und dunkel getönt, aber trotzdem männlich, jung und frisch. Das war kein verbrauchter und schmuddeliger alter Doc Rosher mehr, das war ein sehniger, verwegener Rustler, der jahrelang die Menschen von Roy Mills genarrt hatte. Raylight lachte leise auf. Es lag Bewunderung in diesem Lachen. »Alle Achtung, Hill, hätte dir – zu meinem Leidwesen – nie
zugetraut, daß du mir hinter die Schliche kommen würdest. Welchen Fehler habe ich denn eigentlich begangen, daß es so weit kommen konnte?« »Drei waren es sogar, Raylight«, begann Cliff kalt, »der erste war, daß du Tom Head hast erschießen lassen. Der zweite war die Nachricht auf der Brust des Toten. Du hattest mich zum Toffert-See eingeladen. Nur zwei Menschen wußten, daß Verrat im Spiel war, Lo Garrett und du!« Der Verbrecher nickte verstehend. Er spielte dabei lächelnd mit seiner Gesichtsmaske und schien keine Furcht zu haben. »Und welches war mein dritter Fehler?« fragte er neugierig weiter. »Dein plötzliches Interesse an der lntyre-Ranch. Als Dooley es mir erzählte, wurde ich stutzig. Erst da erkannte ich rückblickend so manchen Fehler, den du inzwischen begangen hattest, und konnte so verstehen, was mir bis dahin unerklärlich war.« Wieder nickte der Bandit. Es schien ihm einleuchtend, was Hill ihm da erzählte. »Selbst vor dem dümmsten Gesicht muß man auf der Hut sein, und selbst nicht mal einem herumziehenden Abenteurer soll man trauen.« Raylights Hände sprangen unvermutet vor. Sie erfaßten blitzschnell die Tischkante, und mit einer Kraft, die niemand der schlanken Gestalt zugetraut hätte, hob er den Tisch an und warf ihn auf Hill, noch ehe dieser seinen Colt hochreißen konnte. Und im selben Augenblick sprang auch die Rechte zurück, verschwand unter dem schäbigen Gehrock und kam mit einem kleinen Derringer zum Vorschein. Hill versuchte vergebens, freizukommen. Aber Bret Dooley, er stand frei.
Als er die Waffe in Raylights Faust blitzen sah, hoben sich seine Hände gleichzeitig und schlugen zusammen. Es klatschte verdammt hart, als die Pranken Raylights ergraute Schläfen trafen. Der Bandit vergaß seine Waffe. Sein Körper erschlaffte. Leblos fielen die Arme herab. »So geht es natürlich nicht«, sagte Bret Dooley, und sein Bart erzitterte vor Freude und Genugtuung, »sind gerade mal wieder froh, endlich 'nen Boß zu haben, der uns zusagt, und schon willst du ihn in die Hölle schicken. No, Sonnyboy, ohne mich.« Erst jetzt öffnete er die Hände, und Raylight fiel hart zu Boden. »Danke, Bret«, Hill hatte sich endlich von der Last des Tisches befreien können. Ächzend erhob er sich und reichte dem Freund die Hand. »Nichts zu danken, Clifton«, Dooley grinste und drückte Cliftons Hand fast zu Mus. * Es war ein ekelhaftes Schauspiel, das Roy Mills erlebte, und die ganze Stadt war auf den Beinen, um den Mann hängen zu sehen, der jahrelang ihre friedliche Gemeinschaft terrorisierte, der Tod und Leid über die Menschen brachte, der kaltblütig und gewissenlos gemordet hatte und der nun als elender Feigling starb. Fast eine ganze Woche dauerte die Verhandlung, in der Raylight sein eigener Verteidiger war und diese Woche lang immer noch zäh und verbissen um seinen Hals kämpfte. Hängen wirst du doch, hatte Clifton Hill ihm einmal während eines Besuches im Gefängnis ins Gesicht geschleudert. Die Antwort war ein hämisches Lachen, ein zynisches Grin-
sen. Raylight vertraute zu der Zeit noch auf sein Glück, auf seine Geschicklichkeit und seine enormen Kenntnisse des Gesetzbuches. Aber sein Lachen und seine an den Tag gelegte Arroganz vergingen ihm doch, als die Jury ihren Spruch fällte. Tod durch den Strang, lautete das harte, aber gerechte Urteil. Bei Verkündigung dieses Urteils war es auf einmal vorbei mit Raylights künstlich aufrechterhaltener Fassade der Sicherheit und Gelassenheit. Nachdem das Glück ihm auf einmal untreu geworden war, wurde er das, was er schon immer gewesen war, aber immer so geschickt zu verbergen gewußt hatte, ein Feigling. Und so starb er auch wie eine feige Kreatur. * Clifton stieg in den Sattel seines Pferdes und trabte aus der Stadt. Weit dehnte sich das schöne, fruchtbare Land vor ihm aus, sein Land, seine neue Heimat. ENDE
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