Frank Keuper / Bernhard Hogenschurz (Hrsg.) Professionelles Sales & Service Management
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Frank Keuper / Bernhard Hogenschurz (Hrsg.) Professionelles Sales & Service Management
Frank Keuper Bernhard Hogenschurz (Hrsg.)
Professionelles Sales & Service Management Vorsprung durch konsequente Kundenorientierung 2., aktualisierte und erweiterte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Prof. Dr. Frank Keuper ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Konvergenz- und Medienmanagement an der School of Management and Innovation der Steinbeis-Hochschule Berlin und Herausgeber der betriebswirtschaftlichen Fachzeitschrift Business + Innovation – Steinbeis Executive Magazin. Weiterhin ist er Direktor und Akademischer Leiter des Sales & Service Research Center (Kooperationspartner Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH) und der Business School T-Vertrieb (Kooperationspartner Telekom Deutschland GmbH). Bernhard Hogenschurz ist Geschäftsleiter HR bei der Telekom Deutschland GmbH, Bereich Geschäftskunden.
1. Auflage 2008 2. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Barbara Roscher | Jutta Hinrichsen Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1528-3
Vorwort Die gegenwärtigen Wettbewerbsbedingungen sind aus Sicht des Sales & Service Management vor allem durch eine Internationalisierung des Wettbewerbs gekennzeichnet. Die Globalisierung führt dazu, dass die Wettbewerbsintensität immer weiter steigt. Gleichzeitig haben sich in den letzten 30 Jahren die Kundenerwartungen massiv verändert. So fordern die Kunden auch im Massengeschäft qualitativ hochwertige Produkte, geringe Preise und kurze Lieferfristen. Darüber hinaus ist TIME-Branchen1-übergreifend zunehmend ein Trend zur Individualisierung der Produkte festzustellen. Der Konsument wird zum Prosumenten, wobei der Co-Design-Vorgang umfangreiches Wissen über die immer komplexer werdenden Produkte erfordert. Die Komplexität der Produkte ist vor allem durch die technologische Konvergenz (www. konvergenz-management.com) gekennzeichnet, bei der unterschiedliche Basistechnologien in einem Produkt miteinander verschmelzen und so ein Systemprodukt mit einer Vielzahl an Funktionalitäten entsteht (z. B. Mobiltelefone oder Home-Entertainment-Konzepte). Gleichzeitig ist branchenübergreifend eine zunehmende Angleichung der Produkte hinsichtlich ihres Designs und ihrer Funktionalitäten zu verzeichnen. So ist es oftmals aus funktionaler oder auch aus Design-Sicht unerheblich, ob sich der Kunde für das Produkt A oder B und damit auch für das Unternehmen A oder B entscheidet. Problematisch ist zudem, dass die Kundenloyalität gegenüber den bisher präferierten Unternehmen und deren Produkten zunehmend schwindet. Varity Seeking lässt immer häufiger die Kundenbindung erodieren oder erst gar nicht entstehen. Um die Kunden dennoch an sich zu binden, forcieren die Unternehmen zunehmend den technologischen Wandel, weil über First-Mover-Strategien die Innovationskraft eines Unternehmens stark gebrandet wird und damit gleichzeitig Marktbarrieren aufgebaut werden können. Positiv korreliert ist damit jedoch eine Verkürzung der Produktlebenszyklen der immer komplexer werdenden Produkte. Hinzu kommt die allgemeine „Geiz ist geil!“-Mentalität und der Wunsch nach „Luxus für die Masse“. Smart Shopper zu sein ist in! Die skizzierten Entwicklungen im Handel verdeutlichen, dass Unternehmen, die qualitativ hochwertige Produkte und Leistungen anbieten, zunehmend ihrer Differenzierungswahrnehmung beraubt werden. Die einzige nachhaltige Möglichkeit dieses Problem zu lösen, besteht darin, den kundenindividuellen Service als oberste Maxime im Unternehmen über alle Hierarchie-Ebenen und in allen Funktionsbereichen eines Unternehmens zu verorten und noch wichtiger, zu leben. Dabei sind die festzustellenden Zielgruppenverschiebungen im Service-Portfolio eines Unternehmens zu berücksichtigen. Die Vielzahl unbekannter Unbekannte, die den gegenwärtigen und vor allem den zukünftigen Wettbewerb ausmachen, erfordern eine Kundenbindung über den persönlichen Zugang und Kontakt zum Kunden. Da nur so wirkliche Barrieren vor den unbekannten Unbekannten aufgebaut werden können. Wenn schon Produkte und Leistungen nahezu identisch sind oder aus Sicht des Kunden zumindest identisch erscheinen, dann ist der kundenindividuelle Service vor, während und nach dem Kauf der zentrale Erfolgsfaktor, um im Wettbewerb dauerhaft bestehen zu können. Kundenindividueller Service ist nicht imitierbar! Hinzu kommt, dass nicht nur der persönliche Kontakt zum Kunden von herausragender Bedeutung ist, um sich im Wettbewerb erkennbar zu differenzieren, sondern das gesamte Kaufumfeld. Daher sind zunehmend zielgruppenspezifische Erlebniswelten und Flagship1
TIME steht für Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien und Entertainment.
VI
Vorwort
stores zu implementieren, die dem Kunden über alle Sinne stimulieren. Eine multiple Sinnesstimulation lässt zudem das Varity Seeking zunehmend erodieren. Entsprechend der notwendigen integrierenden Betrachtung von Strategie, Sales und Service teilt sich die vorliegende 2. Auflage des Sammelbands in vier inhaltliche Bereiche auf.
Teil 1:
Marken-Management und Marketing-Management als Erfolgsfaktor
Teil 2:
Sales Management als Erfolgsfaktor
Teil 3:
Service Management als Erfolgsfaktor
Teil 4:
Controlling und IT-Management als Erfolgsfaktoren
Teil 5:
Personalmanagement als Erfolgsfaktor
Abbildung 1:
Struktur der 2. Auflage des Sammelbands
Der erste Teil des Sammelbands widmet sich dem Marken-Management und Marketing-Management als Erfolgsfaktor einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Einleitend widmet sich FRANK KEUPER dem strategischen Denkansatz des Marked-based View von PORTER und untersucht, inwieweit dieser sich zur Ableitung von Wettbewerbsstrategien im Allgemeinen und Servicestrategien im Besonderen eignet. MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN GÖTZ HASTENTEUFEL und FLORIAN DICKGREBER zeigen anschließend die Erfolgsfaktoren für eine Neuausrichtung des Vertriebs auf. Diese Erfolgsfaktoren sind eine aus der Unternehmensstrategie abgeleitet Vertriebsstrategie, ein daran angepasstes Marktangangsmodell, Transparenz über die Budgetverwendung und Zielerreichung sowie die Balance operativer Kontrolle mit vertrieblicher Freiheit. Die Autoren stellen in diesem Zusammenhang den von A.T. Kearney entwickelten STEP-Ansatz vor, der aufzeigt, wie über die Ausgestaltung der eruierten Erfolgsfaktoren der Vertrieb professionalisiert und in einen echten Aktivposten verwandelt werden kann. Die Deutsche Telekom setzt im Vertrieb hingegen auf ein spezielles Point-of-Sales-Konzept für die junge Zielgruppe. Das dafür entwickelte Konzept und dessen Umsetzung des 2008 in Berlin eröffneten Shops „4010 – Der Telekom Shop in Mitte“ stellen IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN vor. Anschließend verdeutlichen HENRIK RUTENBECK und THORSTEN BALD am Beispiel der Loewe AG, wie eine Markenprofilierung für einen Premium-Produzenten durch werteorientierte Retail-Marketing- und ServiceKonzepte erfolgen kann. Schließlich diskutieren MARTIN STROBEL und STEPHAN WEINGARZ verhaltenswissenschaftliche Phänomene im Marketing von Finanzdienstleistern. Der zweite Teil des Sammelbands widmet sich dem Sales Management als Erfolgsfaktor einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Zunächst beschäftigen sich MARKUS DEUTSCH und RENÉ HANS mit den Vertriebsherausforderungen im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen. Sie geben einen Überblick über strategische Handlungsmöglichkeiten und stellen das Vertriebskanalmanagement als zukünftige Kernkompetenz der Gesetzlichen Krankenversicherung vor. Über den Channel Mix in der Telekommunikation informieren anschließend CHRISTOPH HÜNING und STEPHAN KÖHLER. Die Untersuchung der Bedeutung des Point of Sale ist dabei zentral. JAN WIESEKE und TILL HAUMANN widmen sich
Vorwort
VII
anschließend den Prädikatoren der Preisbereitschaft von Kunden. Sie geben einen Überblick über den Status-quo der aktuellen Sales- und Service-Forschung. Der dritte Teil des Sammelbands widmet sich dem Service Management als Erfolgsfaktor einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. BERNHARD HOGENSCHURZ, FRANK KEUPER und ARNE KOCH verdeutlichen in ihrem Beitrag die besondere Bedeutung des Service-Gedankens in der TIME-Branche. Anschließend stellt FRANK BAUMGÄRTNER neue Chancen im Service Management durch Sprachbiometrie vor. In seinem Beitrag untersucht er auch Sprachbiometrie als Effizienz-, Sicherheits- und Servicetreiber. Im Gegensatz dazu erläutert CARSTEN VON GLAHN das Service Management als Erfolgsfaktor des IT-Offshoring. Insbesondere das Service Management als Hebel zur Reduktion von Unsicherheiten steht dabei im Fokus der Betrachtung. Service Excellence ist das Thema von BERNWARD MÖNCH und MARKUS GOLLER. Aus der Perspektive der Praxiserfahrung stellen die Autoren die vielfältigen Ansatzpunkte eines solchen Gesamtkonzepts dar. Der vierte Teil des Sammelbands widmet sich dem Controlling und dem IT-Management als Erfolgsfaktoren einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Das Thema von ALEXANDRA ZIGIC und JENS UWE KRÄMER ist die variable Vergütung und das Performance Management im Vertrieb. Neben der Darstellung von Anforderungen und Gestaltungsformen der Vertriebsvergütung stellen die Autoren ausführlich ein Praxisbeispiel vor. Mit Valuebased Selling als kundenwertorientierten Verkaufsansatz beschäftigen sich BERND EGGERS und SEBASTIAN HOLLMANN. Auch sie bereichern ihren Beitrag mit einem konkreten Beispiel aus der Praxis. Im Gegensatz dazu diskutiert MARTIN GRÜNBLATT das Erfolgspotenzial von Kooperationen zwischen der Markenartikelindustrie und dem Lebensmitteleinzelhandel im Hinblick auf eine Service-orientierte Wertschöpfungskette. Anschließend diskutiert WILLMS BUHSE Enterprise 2.0 und seine positiven Auswirkungen auf das Management einer Organisation. Diese sieht er insbesondere in der entstehenden Innovationsdynamik und Kreativität, die die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens steigern. Der letzte Teil des Sammelbands widmet sich dem Personalmanagement als Erfolgsfaktor einer modernen und nachhaltigen Unternehmensführung. Sowohl MARKUS LECKE als auch FRANK KEUPER, GITTA HANNIG und KLAUS RIELÄNDER beschäftigen sich in ihren Beiträgen mit dem Thema Bologna@Telekom. MATTHIAS SAKOWSKI stellt die Business School Telekom Vertrieb vor. In allen drei Beiträgen werden die Erfahrungen der Deutschen Telekom mit ihrem Angebot akademischer berufsbegleitender Weiterbildung für ihre Mitarbeiter vorgestellt. Anschließend widmen sich GITTA HANNING und FRANZ KRUMM der Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit als Einflussfaktor auf die Kundenzufriedenheit. SABINE SCHWARZ beschäftigt sich schließlich mit der Reorganisation des Vertriebs. Dabei wird generisch der Einsatz des Change Management zur Konzeptualisierung und Begleitung einer Vertriebsstrategie dargestellt und kritisch reflektiert. Auch in der 2. Auflage gilt ein besonderer Dank allen Autorinnen und Autoren. Trotz des engen Zeitplans und des in der Literatur nur stiefmütterlich behandelten Themas haben sie mit außerordentlichem Engagement und in hoher Qualität ihre Beiträge für diesen Sammelband erstellt.
VIII
Vorwort
Die Einhaltung der Projektdurchlaufzeit vom Projektstart im November 2008 bis zur Abgabe des reproreifen Skripts an den Gabler-Verlag in 2010 war zudem nur möglich, weil wie immer viele „virtuelle Hände“ im Hintergrund agierten. Vor diesem Hintergrund gilt der außerordentliche Dank der Herausgeber insbesondere Frau INES WÖLBLING, die als Mitarbeiterin am Sales & Service Research Center Hamburg (Förderer ist die Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH) der Steinbeis-Hochschule Berlin die Planung, Koordination und Organisation der mit der Erstellung und Publikation des Sammelbands anfallenden Aufgaben übernahm. Daneben stand sie den Autorinnen und Autoren bei allen Fragen mit Rat und Tat zur Seite. Besonderen Dank schulden die Herausgeber darüber hinaus auch Frau BARBARA ROSCHER und Frau JUTTA HINRICHSEN vom Gabler-Verlag für die angenehme Kooperation bei der Publikation dieses Sammelbands. Hamburg/Bonn, im März 2010 PROF. DR. FRANK KEUPER und BERNHARD HOGENSCHURZ
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Marken-Management und Marketing-Management als Erfolgsfaktor Die Implosion des Market-based View FRANK KEUPER (Steinbeis-Hochschule Berlin) STEP Mit Strategie und Transparenz zu mehr Vertriebserfolg MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN GÖTZ HASTENTEUFEL und FLORIAN DICKGREBER (A.T. Kearney) 4010 Ein Point-of-Sales-Konzept für die junge Zielgruppe am Beispiel der Deutschen Telekom AG IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN (Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, Deutsche Telekom Laboratories und Technische Universität Berlin) Markenprofilierung durch werteorientierte Retail-Marketingund Service-Konzepte am Beispiel der Loewe AG THORSTEN BALD und HENRIK RUTENBECK (Loewe AG) Vertrieb und Marketing von Finanzdienstleistungen aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive MARTIN STROBEL und STEPHAN WEINGARZ (Akademie Deutscher Genossenschaften)
1 3
47
71
89
115
X
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil Sales Management als Erfolgsfaktor Vertriebsherausforderungen im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen MARKUS DEUTSCH UND RENÉ HANS (TellSell Consulting) Channel Mix in der Telekommunikation Renaissance des POS? CHRISTOPH HÜNING und STEPHAN KÖHLER (Lischke Consulting) Prädikatoren der Preisbereitschaft von Kunden Status-quo der aktuellen Sales- und Service-Forschung JAN WIESEKE und TILL HAUMANN (Ruhr-Universität Bochum)
133 135
151
169
Dritter Teil Service Management als Erfolgsfaktor
207
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche BERNHARD HOGENSCHURZ, FRANK KEUPER und ARNE KOCH (Deutsche Telekom, Steinbeis-Hochschule Berlin und Technische Universität Braunschweig)
209
Neue Chancen im Service Management durch Sprachbiometrie FRANK BAUMGÄRTNER (TellSell Consulting)
233
Inhaltsverzeichnis
Service Management als Erfolgsfaktor von Offshoring und Internationalisierung der IT CARSTEN VON GLAHN (Siemens) Service Excellence Vom Know-how zum Do-how BERNWARD MÖNCH und MARKUS GOLLER (TMI Training und Consulting)
XI
259
283
Vierter Teil Controlling und IT-Management als Erfolgsfaktoren
309
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb ALEXANDRA ZIGIC und JENS UWE KRÄMER (T-Mobile Austria und Deutsche Telekom)
311
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz BERND EGGERS und SEBASTIAN HOLLMANN (EGGERS & PARTNER Management Consultants)
343
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel zur Optimierung der Wertschöpfungskette Konzepte, Status-quo und Perspektiven MARTIN GRÜNBLATT (Electronic Arts) Enterprise 2.0 im Management Frischzellenkur für Sales & Services WILLMS BUHSE (doubleyYUU)
363
405
XII
Inhaltsverzeichnis
Fünfter Teil Personalmanagement als Erfolgsfaktor Bologna@Telekom Ein Beispiel für die Multioptionalität des Studierens MARKUS LECKE (Deutsche Telekom) Bologna@Telekom Berufsbegleitende Sales-&-ServiceStudiengänge der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft FRANK KEUPER, GITTA HANNIG und KLAUS RIELÄNDER (Steinbeis-Hochschule Berlin und Telekom Shop Vertriebsgesellschaft) Business School Telekom Vertrieb Erfolgsfaktor Know-how: Moderne Verkäuferqualifizierung nach akademischem Vorbild auch ohne Abitur MATTHIAS SAKOWSKI (Deutsche Telekom) Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit als Einflussfaktor auf die Kundenzufriedenheit GITTA HANNIG und FRANZ KRUMM (Telekom Shop Vertriebsgesellschaft) Reorganisation des Vertriebs – Change-Management-Perspektiven SABINE SCHWARZ (BearingPoint. Management & Technology Consultants)
419 421
435
445
467
501
Autorenverzeichnis
537
Stichwortverzeichnis
545
Erster Teil Marken-Management und Marketing-Management als Erfolgsfaktor
Die Implosion des Market-based View FRANK KEUPER Steinbeis-Hochschule Berlin
1
Wettbewerbsstrategische Herausforderungen des Market-based View ............................. 5 1.1 Marktkomplexität..................................................................................................... 5 1.1.1 Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexität......................................... 7 1.1.2 Massenmarktkomplexität........................................................................... 10 1.2 Konvergenzkomplexität ......................................................................................... 11 1.3 Zwischenfazit......................................................................................................... 14 2 Strategiekontext des Market-based View ........................................................................ 15 3 Grundlagen des Market-based View................................................................................ 19 4 Kritische Betrachtung des Market-based View................................................................ 26 4.1 Methoden- und Strategieschlüssigkeit ................................................................... 26 4.2 Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität ................................................ 31 4.3 Gültigkeit der Generik ........................................................................................... 36 4.4 Nachfrager-, Nachfragerstruktur- und Massenmarktkomplexitätskongruenz ....... 37 4.5 Konvergenzkomplexitätskongruenz....................................................................... 39 5 Wettbewerbsstrategischer und methodischer Zusammenbruch des Market-based View 41 Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 42
Die Implosion des Market-based View
1
5
Wettbewerbsstrategische Herausforderungen des Market-based View
Der Market-based View von PORTER1 ist der in praxi am weitesten verbreitete und in der Theorie am intensivsten publizierte und herangezogene strategische Denkansatz zur Ableitung von Wettbewerbsstrategien. Aber warum ist dies so? Liegt es an der Klarheit und Einfachheit seines Weltbilds? Ist es die Stabilität seines theoretischen Fundaments? Oder liegt es daran, dass der Market-based View schlicht zu den ersten strategischen Denkanschauungen gehört und daher aufgrund seines First-Mover-Charakters weite Verbreitung gefunden hat? Vor dem Hintergrund und dieser offenen Fragen erscheint eine intensive Methodendiskussion unumgänglich. Dies ist insofern vor allem für Service-Organisationen und Dienstleistungshandelsunternehmen von Bedeutung, als die jeweilige Produkt- und Servicestrategie sich als Funktionalstrategie aus der gewählten Wettbewerbsstrategie dekomponiert. Leitet z. B. ein Unternehmen der TIME-Branche (Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien, Entertainment) mithilfe des Market-based View seine Wettbewerbsstrategie ab und dekomponiert das Unternehmen aus der gewählten Wettbewerbsstrategie seine Servicestrategie, so könnte, wenn der Market-based View methodeninhärente Defizite aufweist, sich die gewählte Servicestrategie als falsch erweisen. Ziel des Beitrags ist es somit, den Market-based View einer kritischen Methodenanalyse zu unterziehen. Da Wettbewerbsstrategien die Speerspitze eines Unternehmens zur Handhabung der relevanten Markt- bzw. Geschäftsfeldkomplexität sind, ist der Ausgangspunkt einer notwendigen Methodenanalyse die Marktkomplexität.
1.1
Marktkomplexität2
Die Markt- und die Gesellschaftskomplexität bilden die Umweltkomplexität, die alles umfasst, was außerhalb eines Unternehmens für das wirtschaftliche Handeln von Bedeutung ist,3 wobei die Gesellschaftskomplexität vor allem durch die Ausgestaltung und Stabilität der politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Systeme sowie durch ökologische und kulturelle Faktoren definiert wird.4 Gesellschaftskomplexität und Marktkomplexität unterscheiden sich vor allem darin, dass für ein Unternehmen die Gesellschaftskomplexität im Wesentlichen ein Datum darstellt, wohingegen zwischen einem Unternehmen und der Marktkomplexität ein interdependentes Verhältnis besteht.5 Die Marktkomplexität setzt sich aus der Nachfragerstruktur-, der Nachfrager- sowie der Wettbewerbsstruktur- und der Beschaffungsmarktstrukturkomplexität zusammen.6 Während die Nachfragerstrukturkomplexität durch die Unterschiedlichkeit der Teilmärkte sowie die Größe und Stabilität der Zielgruppen charakterisiert ist, wird die Nachfragerkomplexität durch die Anzahl, Vielfältigkeit und Stabilität der Präferenzen der Kunden definiert. Im Gegensatz dazu determinieren die Anzahl und Vielfältigkeit 1 2 3 4 5 6
Vgl. PORTER (2000) und PORTER (2008). Die nachfolgenden Ausführungen im Gliederungspunkt 1.1 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 39 ff., an. Vgl. BEA/HAAS (2005), S. 74 ff. Vgl. PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f. Vgl. GERYBADZE (2003), S. 85 ff. Vgl. ADAM (1998), S. 33 ff., PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f., und BLISS (2000), S. 5 f.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
KEUPER
6
der Wettbewerber sowie die Stabilität der Wettbewerbsstruktur die Wettbewerbsstrukturkomplexität. Eine weitere Komponente der Marktkomplexität ist die Beschaffungsmarktstrukturkomplexität, die von der Verfügbarkeit der Ressourcen sowie den Beziehungen zu den Lieferanten beeinflusst wird.7
Konvergenzkomplexität Marktkomplexität
Ma rktkomplexität
Nachfragerkomplexität
Nachfragerstrukturkomplexität
Nachfragerkomplexität
Nachfragerstrukturkomplexität
Beschaffungsmarktstrukturkomplexität
Wettbewerbsstrukturkomplexität
Beschaffungsmarktstrukturkomplexität
Wettbewerbsstrukturkomplexität
Gesellschaftskomplexität Komplexität des politischen Systems
Komplexität des Wirtschaftssystems
Komplexität des Rechtssystems
Komplexität ökologischer und kultureller Faktoren
Abbildung 1:
Umweltkomplexität
Umweltkomplexität8
Zwischen der Markt- und der Gesellschaftskomplexität bestehen vielfältige Beziehungen. So haben das Wirtschafts- und das Rechtssystem als Determinanten der Gesellschaftskomplexität z. B. durch Deregulierungsmaßnahmen Einfluss auf die Wettbewerbsstrukturkomplexität. Umgekehrt führen spezifische Wettbewerbsstrukturen, z. B. Monopolisierungstendenzen, u. U. zu einer Liberalisierung des Wirtschafts- und Rechtssystems. Auch zwischen den Parametern der Marktkomplexität bestehen vielerlei Beziehungen, sodass eine überschneidungsfreie Differenzierung nicht möglich ist. Beispielsweise hat ein Monopolist im Rahmen der Wettbewerbsstrukturkomplexität Einfluss auf die Beschaffungsstrukturkomplexität, indem er z. B. seinen Lieferanten die Lieferung an Wettbewerber untersagt. Neben den allgemeinen Strukturparametern der Marktkomplexität sind für die Konzeption einer Wettbewerbsstrategie vor allem die gegenwärtigen wettbewerbsstrategischen Entwicklungen von Bedeutung. Hier ist insbesondere die Veränderung der Nachfrage und Nachfragestruktur, die branchenübergreifend seit Mitte der 60er Jahre festzustellen ist und unter dem Begriff Marktwandel subsumiert wird,9 zu nennen.
7 8 9
Vgl. PICOT/FREUDENBERG (1998), S. 70 f. Vgl. KEUPER (2004), S. 40. Vgl. DOYLE (1987), S. 125.
Die Implosion des Market-based View
1.1.1
7
Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexität
Mitte der 60er Jahre setzte der strukturelle Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt ein, dessen Initialzündung die gesättigten Grundbedürfnisse bei Sachgütern waren. Während in ungesättigten Märkten, die eine geringe Kundenorientierung der Leistungsprogramme aufweisen, eine hohe Kapazitätsauslastung bei Massenfertigung entscheidend für den Markterfolg ist, verlangen gesättigte Märkte bereits 1997 konnten branchenübergreifend ca. 80 % der Märkte als gesättigt eingestuft werden danach,10 die richtige Leistungsqualität zum richtigen Zeitpunkt kostengünstig bereitzustellen.11 Qualität
Kunde
Kosten
Abbildung 2:
Zeit
Integratives strategisches Erfolgsfaktorendreieck Kosten, Qualität und Zeit12
Viele Industriegütermärkte sind von jeher durch heterogene Nachfragebedürfnisse gekennzeichnet. Dies gilt insbesondere für das Anlagen- und System-, aber auch zunehmend für das Produktgeschäft mit Komponenten.13 Dabei zielt eine Individualisierung der Gebrauchsgüter im Industriegüterbereich vor allem auf den Auf- und Ausbau singulärer Prozesse ab. Dementsprechend sollen die bezogenen Produktionsfaktoren dazu dienen, firmenspezifische Besonderheiten der Wertaktivitäten zu unterstützen, um als strategisches Erfolgspotenzial14, also als Bündel aller produkt-marktspezifischen, erfolgsrelevanten Voraussetzungen, das spätestens dann bestehen muss, wenn es um die Erfolgsrealisierung geht, Basis für einen strategischen Wettbewerbsvorteil zu sein. Unter einem strategischen Wettbewerbsvorteil wird dabei allgemein eine im Vergleich zu den Wettbewerbern überlegene Leistung verstanden, die sich aus Kundensicht auf ein kaufentscheidendes Merkmal bezieht, die vom Kunden tatsächlich
10 11 12 13 14
Vgl. STEINBACH (1997), S. 15. Vgl. ROLLBERG (1996), S. 10 ff. KEUPER (2004), S. 41. Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 144 ff. Vgl. GÄLWEILER (1990), S. 24.
KEUPER
8
als vorteilhafte Leistung wahrgenommen wird und die für den Initiator dauerhaft ist und somit nicht unmittelbar von Imitatoren substituiert werden kann.15 Neben der steigenden Individualisierung der Gebrauchsgüter zeichnet sich auch bei den Verbrauchsgütern im Industriegüterbereich eine zunehmend heterogene Nachfrage ab, weil die Produktflexibilität als ein sehr wichtiger Wettbewerbsfaktor angesehen wird.16 Letztlich sind die Gründe für eine Individualisierung der Industriegüternachfrage aber vielschichtig. So ist z. B. eine Ursache darin zu sehen, dass moderne Organisationsformen anstelle einer Kleinteilebeschaffung eine System- oder Modulbeschaffung präferieren mit der Konsequenz,17 dass die komplexeren Vorleistungen stärker an die spezifischen Bedürfnisse des Abnehmers angepasst werden müssen. Bei der synchronen Beschaffungs- und Produktionsstrategie ist sogar zunehmend eine Tendenz zur ausschließlichen Beschaffung über einen Zulieferer zu verzeichnen, woraus der Schluss gezogen werden kann, dass eine solche bewusst eingegangene Abhängigkeit im Wesentlichen nur dann erfolgt, wenn der jeweilige Abnehmer mit ganz spezifischen Komponenten und Problemlösungen beliefert wird.18 Waren in der Vergangenheit die Abnehmer bereit, Wartezeiten für spezielle Problemlösungen hinzunehmen, so werden heute Zulieferer gesucht, die Entwicklung, Produktion und Inbetriebnahme der Industriegüter in Rekordzeit und kostengünstig ermöglichen.19 Ferner kann davon ausgegangen werden, dass in dem Maße, in dem die Endkunden auf den Konsumgütermärkten individuelle Produkte verlangen, die Hersteller auf ihre Lieferanten ebenfalls mit Druck in Form einer heterogenen Nachfrage reagieren werden, um so die fragmentierte Konsumgüternachfrage zu befriedigen. Darüber hinaus unterliegen auch die Kaufentscheider der Unternehmen als Individuen den kognitiven Veränderungen innerhalb der Konsumgüternachfrage. Entsprechend dem kulturgebundenen Ansatz20, bei dem die Mitarbeiter eines Unternehmens gleichzeitig als Teilnehmer des gesellschaftlichen Umsystems betrachtet werden, erscheint es naheliegend, dass der Individualisierungswunsch im privaten Konsum trotz objektiver Herangehensweise bei Kaufentscheidungen im Industriegüterbereich zunehmend internalisiert wird. Letztlich zeigt sich, dass die Industriegüternachfrage sowohl heterogen als auch hybrid ist. In den Blickpunkt der wettbewerbspolitischen Überlegungen tritt damit zunehmend der hybride Käufer21, der neben einem niedrigen Preis simultan auch eine hohe Qualität sowie eine rasche und flexible Bedürfnisbefriedigung fordert.
15 16 17 18 19
20 21
Vgl. SIMON (1987), S. 386. Vgl. PILLER (2006), S. 80. Eine Effektivitäts- und Effizienzanalyse verschiedener Beschaffungsstrategien findet sich bei KUHL (1999), S. 175 ff. Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 15. Vgl. PILLER (2006), S. 81. In der Literatur herrscht Uneinigkeit darüber, ob sich im Industriegüterbereich der Preis oder die Qualität als Entscheidungskriterium in den Vordergrund stellen wird; vgl. hierzu SCHAD (2000), S. 82. Zum kulturgebundenen Ansatz vgl. OBERG (1963), S. 141 ff. Vgl. GIERL (1989), S. 422.
Die Implosion des Market-based View
9
Auch endkonsumentenseitig wächst die Heterogenität der Kundenanforderungen auf vielen Märkten zu einer Fragmentierung der Zielgruppen heran mit der Konsequenz,22 dass an die Stelle von standardisierten Produkten vermehrt kundenindividuelle Produkte und Dienstleistungen treten. Die Gründe für ein hybrides Käuferverhalten in der Konsumgüterindustrie sind analog zum Kaufverhalten im Industriegüterbereich vielschichtig. So fällt es vielen Kunden immer schwerer, die angebotenen Leistungen objektiv zu unterscheiden. Die Angleichung der Produkte äußert sich insbesondere darin, dass die Leistungsmerkmale und das Design standardisierter Massenware häufig nahezu identisch sind.23 Um der gestiegenen Wettbewerbsintensität auf den Verkäufermärkten entgegentreten zu können und sich produktspezifisch von den Wettbewerbern zu differenzieren, zeigen sich demzufolge international agierende Unternehmen verstärkt technologie- und innovationsorientiert. An die Stelle eines Wachstumswettbewerbs tritt dabei zunehmend der viel intensivere Verdrängungswettbewerb.24 Dabei liegt das Dilemma darin, dass sich auf der einen Seite durch die Wettbewerbsdynamik die Marktzyklen verkürzen, dass sich aber auf der anderen Seite aufgrund der Komplexität der Technologie und der Kundenanforderungen die Entwicklungszeiten und damit verbunden auch die Entwicklungskosten erhöhen. Dies bedeutet, dass bei tendenziell sinkenden Marktanwesenheitszeiten die Möglichkeiten zur Amortisierung der Entwicklungskosten bzw. zur Realisierung adäquater Gewinne erschwert werden. Nur derjenige Anbieter, der sein Produkt zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt bringt, kann ein ausreichendes Marktvolumen akquirieren. Zudem reicht der Innovationsgrad allein als Differenzierungsmöglichkeit gegenüber der Konkurrenz i. d. R. nicht mehr aus, weil aufgrund quantitativer wie auch qualitativer Sättigungstendenzen die Konsumenten häufig dazu neigen, ganze Produktgenerationen zu überspringen (Leapfrogging-Behavior-Effekt). Hinzu kommen die steigende Zahl der Einpersonenhaushalte und die Veränderung der Zusammensetzung der Bevölkerung durch internationale Zuwanderungen, die ebenfalls zu einer heterogeneren Nachfrage führen. Ferner ist festzustellen, dass mit zunehmendem Wohlstand, der sich u. a. in einem höheren Einkommen, mehr Freizeit sowie einem höheren Bildungsniveau manifestiert, der Wunsch nach individuellen Produkten wächst.25 Dieser Trend lässt sich zum einen mit der Bedürfnispyramide von MASLOW26 und zum anderen durch die soziologisch begründete Argumentation der Individualisierung untermauern.27 Letztere kommt zu der Erkenntnis, dass die eintönigen standardisierten Massenprodukte dem menschlichen Bedürfnis nach Abwechslung und Neuheit nicht entsprechen. Gerade kaufkräftige Konsumenten versuchen zunehmend, sich durch eine individuelle Produktwahl zu profilieren bzw. ihre Persönlichkeit hervorzuheben. Der Wunsch nach Abwechslung und Neuheit lässt zudem die Markentreue zunehmend erodieren, selbst wenn die Konsumenten mit dem Produkt zufrieden sind (Variety Seeking28), was letztlich zu einer Divergenz der Ansprüche verschiedener Nachfrager führt (Interindividualisierung).
22 23 24 25 26 27 28
Vgl. WAMSER (2000), S. 22. Vgl. STEINBACH (1997), S. 18. Vgl. PILLER (2006), S. 87. Vgl. PILLER (2006), S. 82. Vgl. MASLOW (1943). Vgl. BECK (1986), S. 206 f. Vgl. hierzu insbesondere BÄNSCH (1995), S. 343.
KEUPER
10
Der gesellschaftliche Wertewandel, der Ausdruck in der Forderung nach mehr Lebensqualität erhält, die u. a. durch Freizeit- und Arbeitsqualität sowie durch ein ökologisches Bewusstsein charakterisiert ist, offenbart sich zunehmend in einer verstärkten Hinwendung zur Erlebnisund Designorientierung.29 So weisen ca. 20 bis 30 % der Käuferschaft ein hedonistisches Kaufverhalten auf, das auf individueller Ebene durch kurzfristige und spontane Kaufentscheidungen geprägt ist und bei einer aggregierten Betrachtung zu einer heterogenen Nachfrage führt.30 Durch den wachsenden Freizeitbereich steigt zudem der Wunsch nach einer konsumtiven Erlebniswelt, wobei gleichzeitig ein neues Qualitäts- und Funktionsbewusstsein zutage tritt. Insgesamt ist somit ein deutlicher Wandel in der Gesellschaft weg von der Entwederoder- hin zu einer Sowohl-als-auch-Mentalität festzustellen, an dessen Ende eine multioptionale Gesellschaft mit einer in allen Lebenslagen unüberschaubaren Vielzahl von Handlungswünschen steht.31 Charakteristisch für eine solche Gesellschaftsform ist das vagabundierende Kaufverhalten, das sich darin äußert, dass der Konsument seine Kaufentscheidungen nach verschiedensten Mustern trifft, die einmal preis- oder qualitätsorientiert, ein anderes Mal image- oder prestigeorientiert ausgestaltet sein können.32 Damit zielen gegenwärtige Produkte zunehmend auf Nachfrager, die sich einerseits stark von anderen Konsumenten abheben (interindividuelle Heterogenität), andererseits aber auch in ihrem eigenen Konsumentenverhalten inkonsistent sind und stark divergieren (intraindividuelle Heterogenität).33 1.1.2
Massenmarktkomplexität
Die vorangehend skizzierte Darstellung und Analyse der Nachfragerstrukturveränderungen lässt die Aussage von KOTLER „Der Massenmarkt ist tot“34 in einem anderen Licht erscheinen, sodass sich vielmehr der Sinnspruch formulieren lässt: „Der Massenmarkt ist nicht tot! Er ist lediglich individualisiert!“ Generell kann sowohl im Rahmen der Industriegüternachfrage als auch auf der Seite der Konsumgüternachfrage aufgrund gesellschaftlicher, kultureller, informations- und kommunikationstechnologischer Entwicklungen eine zunehmende inter- und intraindividuelle Heterogenität des Abnehmerverhaltens festgestellt werden. Gleichzeitig weist das Kaufverhalten eine ausgeprägt hybride Struktur auf. Für die Führung und Steuerung von Industrieunternehmen sind somit die zielsetzungsgerecht zu beeinflussenden strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit gleichzeitig und (nahezu) gleichwertig von Bedeutung. Insofern wird insbesondere in der Zukunft das Ziel der strategischen Unternehmensführung und -steuerung darin bestehen müssen, durch kontinuierliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Wirtschaftlichkeit die langfristige Überlebensfähigkeit und damit den Markterfolg der Unter-
29 30 31 32 33 34
Vgl. REICHWALD/PILLER (2000), S. 600. Vgl. PILLER (2006), S. 83. Vgl. KEUPER (2001c), S. 6. Vgl. HILDEBRAND (1997), S. 13. Im Gegensatz zum zeitraumbezogenen Variety Seeking ist vagabundierendes Kaufverhalten bzw. hybrides Käuferverhalten zeitpunktbezogen; vgl. BÄNSCH (1995), S. 343. Vgl. HAUSER/KRUG (1996), S. 68. Vgl. KOTLER (1989), S. 47.
Die Implosion des Market-based View
11
nehmen zu sichern.35 Dabei kann die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens an der Effektivität und die Wirtschaftlichkeit an der Effizienz sämtlicher Prozesse gemessen werden, was letztlich bei gleichwertiger Verfolgung von Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten zu einer Simultaneitätsstrategie führen muss. Insofern ist es für das „richtige Tun der richtigen Dinge“ unabdingbar, zielgerichtet und simultan auf die mit der Effektivität und der Effizienz korrespondierenden strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit einzuwirken. 60er/70er Jahre
80er Jahre
90er Jahre
2000er Jahre
Kosten
Kosten
Kosten
Kosten
Qualität Vielfalt
Abbildung 3:
1.2
Zeit
Qualität Vielfalt
Zeit Qualität Vielfalt
Zeit
Qualität Vielfalt
Zeit
Entwicklung der Bedeutung der strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit36
Konvergenzkomplexität
Neben den allgemeinen Veränderungen der Nachfrager- und Nachfragerstruktur- sowie der Marktkomplexität ist vor allem die seit einigen Jahren zu verzeichnende Konvergenz, die durch die fortschreitende Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK-Technologie) sowie der Fertigungstechnologie seit Beginn der 90er Jahre offenkundig wird und Märkte konvergieren und divergieren lässt, von entscheidender Bedeutung für die Ableitung von Wettbewerbsstrategien. Allgemein kann im Zusammenhang mit der Diskussion über die Ausgestaltung von Wettbewerbsstrategien unter Konvergenz ein „ Prozeß der Interaktion zwischen der Unternehmensumwelt bzw. der Wettbewerbsstruktur und der Unternehmensstrategie verstanden werden, der zur strukturellen Verbindung bislang getrennter Märkte führt“37. Basis für die Verschmelzung von bestehenden Märkten zu einem neuen Markt ist zum einen die Kombination neuer Technologien und zum anderen die angebotsinduzierte Bündelung von Teilleistungen und Funktionen sowie das gleichzeitige Vorliegen nachfrageinduzierter Anreize nach dem potenziell verbundenen Bedarf.38 Insofern sind konvergierende Märkte durch eine Kombination von Leistungen verschiedener Branchen in Form von Integration und Kooperation oder durch 35 36 37 38
Vgl. MÜLLER (2009). Vgl. KALUZA (1995), S. 1064, erweitert um die 2000er Sichtweise. THIELMANN (2000), S. 9. Eine ähnliche Definition findet sich bei KRIEB (2001), S. 29 f. Vgl. THIELMANN (2000), S. 9.
KEUPER
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Marktbeziehungen sich komplementierender Unternehmen gekennzeichnet.39 Die Integration verschiedener Branchen respektive der damit verbundenen Leistungsoptionen geschieht im Hinblick auf eine mögliche Austauschbarkeit der Leistungen zur Erfüllung von Funktionen in einem gemeinsamen Markt sowie im Hinblick auf eine mögliche Komplementarität der Leistungen zur Erfüllung neuer Funktionen in einem hybriden bzw. einem neuen hybriden Markt.40 Basis dieser Entwicklung sind volkswirtschaftliche, gesellschaftliche und technologische Konvergenztreiber, wie z. B. Deregulierungsmaßnahmen, die zunehmende Tendenz zur Selbstverwirklichung oder die voranschreitende Digitalisierung bzw. die Entwicklung immer leistungsfähigerer Technologien.41 Damit Märkte letztlich konvergieren, muss gleichzeitig eine technologische, nachfrage- und angebotsseitige Konvergenz vorliegen.42 Technologische Konvergenz beschreibt allgemein die „fortschreitende Diffusion einer Basistechnologie bzw. bestimmter Prozesse in vielfältige Branchen hinein sowie ihre dortige Verankerung, wodurch verschiedene Funktionen in eine Leistung integriert bzw. neue Funktionalitäten initiiert werden“43. Beispiele für die Konvergenz der Technologien sind die Verschmelzung von Internet und Fernsehen44, die Fixed Mobile Convergence45 (FMC) oder die Vision des Pervasive Computing46. Die Integration der Nachfrage verschiedener Bedürfnisgruppen und damit die Eliminierung bestehender Barrieren zwischen den bisher isolierten Bedarfsgruppen wird als Konvergenz der Nachfrageseite bezeichnet.47 Entsprechend steht die Konvergenz der Nachfrage in funktional-äquivalentem Zusammenhang mit der Konvergenz der Technologien.48 Durch die Angleichung von Bedarfsstrukturen und Kaufmustern führt eine Integration von Funktionen, wovon jede einzelne Funktion bereits auf eine bestimmte Bedürfnisbefriedigung abzielt, zu einer Zusammenfassung ökonomischer Nachfrage.49 Dies setzt jedoch eine entsprechende Kaufkraft und die Bereitschaft der Konsumenten voraus, Bedürfnisbefriedigung durch Leistungsbündel bzw. neue Funktionen der Bedürfnisbefriedigung nachzufragen.50
39 40 41 42 43 44 45 46
47 48 49 50
Vgl. THIELMANN (2000), S. 9. Vgl. DOWLING/LECHNER/THIELMANN (1998), S. 8, und THIELMANN (2000), S. 10. Zu den Konvergenztreibern vgl. ausführlich KEUPER/HANS (2003b), S. 37 ff. Vgl. hierzu ausführlich KEUPER/HANS (2003a), S. 793 ff. KEUPER/HANS (2003), S. 42. Vgl. KEUPER (2002), S. 611 ff. Vgl. KEUPER (2002), S. 612 ff. Das Pervasive Computing zielt auf die leichte Bedienbarkeit von Technologien ab, greift das Bedürfnis nach Mobilität und nach multimedialen Diensten auf und kann somit als eine Weiterentwicklung der beschriebenen Konvergenztrends bezeichnet werden. Dieses Konzept wurde bereits Ende der 80er Jahre als Ubiquitous Computing im ELECTRONICS AND IMAGING LABORATORY von XEROX entwickelt; vgl. WEISER/GOLD (1999). Die Grundidee ist, die Informationstechnologie von der Verknüpfung mit Standardrechnern, wie PC oder Notebooks, zu lösen und in die reale Welt und deren Abläufe einzubinden. Insofern kann dieses Konzept als ein gegensätzliches Prinzip zur virtuellen Realität verstanden werden. Vgl. THIELMANN (2000), S. 11. Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 55. Vgl. KEUPER (2001b), S. 393. Vgl. THIELMANN (2000), S. 11.
Die Implosion des Market-based View
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Die Leistungsbündelung von Funktionalitäten und Komponenten aufgrund antizipativer ökonomischer Rationalität bzw. die potenzielle Substituierbarkeit von Leistungskomponenten initiiert die Konvergenz auf der Anbieterseite.51 Nur so können durch einen Wissenstransfer den verschmelzenden Bedarfsstrukturen adäquate Systemprodukte gegenübergestellt werden.52 Insbesondere die zunehmende Bedeutung von Systemleistungen und die damit einhergehende Integration von Sach- und Dienstleistungen erodieren bestehende Branchengrenzen und stellen starre Kompetenz- und Branchenstrukturen in Frage. Ziel der angebotsseitigen Konvergenz ist es, durch die Kombination bisher getrennter Aktivitäten, die in unterschiedlichen Unternehmen z. T. auf unterschiedlichen Märkten erfolgten, die potenziellen Synergien für die beteiligten Unternehmen weitestgehend auszuschöpfen. Die angebotseitige Konvergenz kann dabei wertschöpfungsstufenübergreifend vertikal oder wertkettenübergreifend horizontal erfolgen.53 Insofern kommt es zu einer Vielzahl horizontaler und vertikaler Kooperationsformen, wobei vermehrt auch Kooperationen zwischen Unternehmen stattfinden, die bisher meist in unterschiedlichen Branchen agierten. Kooperationen von Unternehmen der gleichen Branche bedingen, dass die Unternehmen sich zunehmend mit dem Freund/FeindGedanken54 befassen müssen, der einerseits eine Konkurrenzsituation auf bestimmten Gebieten und gleichzeitig eine Kooperation auf anderen Gebieten zwischen mehreren Unternehmen zulässt.55 Der Freund/Feind-Wettbewerb führt jedoch dazu, dass sich bisher bestehende Freund/Feind-Bilder zunehmend auflösen. Die Konkurrenten von heute können somit die Verbündeten von morgen sein und umgekehrt. „Dies entspricht einem ambivalenten Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmen bzw. Branchen, was zu paradoxen Wettbewerbsstrukturen führen kann.“56 Da die Marktkonvergenz einen Prozess darstellt, sind das kompetitive Paradigma und das komplementäre Paradigma als zwei konträre Ausprägungen im Rahmen der Konvergenz der Märkte „lediglich als Zeitpunktbetrachtung innerhalb der zeitraumbeanspruchenden Konvergenz“57 anzusehen. Während beim komplementären Paradigma durch die Verschmelzung zweier Märkte ein neuer dritter, gemeinsamer Markt entsteht (1+1=3), lösen sich beim kompetitiven Paradigma die ursprünglichen Märkte nahezu vollständig auf, um einen neuen Markt zu generieren (1+1=1). In beiden Fällen werden komplementäre Leistungen auf Basis einer technologischen Konvergenz in einem Systemprodukt verbunden und entweder auf dem gemeinsamen, neu entstandenen Markt oder auf dem neuen Markt angeboten. Charakteristisch für konvergierende Märkte sind die unscharfen und unklaren Marktgrenzen, die darauf zurückzuführen sind, dass eine eindeutige Produktabgrenzung zwischen verschiedenen Märkten nicht mehr möglich ist. Die Frage, ob z. B. Smart-Clothing-Produkte Kleidungsstücke oder Entertainmentoder Telekommunikationsprodukte darstellen, ist nicht eindeutig zu beantworten. Dies wäre aber notwendig, um den Markt für Smart-Clothing-Produkte eindeutig abgrenzen zu können, damit auf Basis der Marktabgrenzung eine Positionierung mit Hilfe von Wettbewerbsstrate51 52 53 54 55 56 57
Vgl. THIELMANN (2000), S. 11. Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 56. Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 56. Der Freund/Feind-Gedanke wird auch als Coopetition bezeichnet, wobei Coopetition eine Wortschöpfung aus Cooperation und Competition ist; vgl. BEST (1990), S. 19. Vgl. SCHAD (2000), S. 197. KEUPER/HANS (2003b), S. 56. KEUPER/HANS (2003b), S. 59.
KEUPER
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gien erfolgen kann. Zudem besteht auf konvergierenden Märkten eine hohe Unsicherheit hinsichtlich des Markterfolgs, weil die nachfrageseitige Konvergenz die Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexität ansteigen lässt. Ferner entwickeln sich die Marktstrukturen aufgrund der Dynamik der Konvergenz nur sehr langsam und latent. Häufig divergieren dabei sogar die Marktstrukturen, bevor sie sich gefestigt haben.
Technologie
Nachfrager
Komplementarität
Abbildung 4:
1.3
Markt
Anbieter
Kompetitivität Kompetitivität
Dimensionen und Ausprägungen der Konvergenz58
Zwischenfazit
„Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Konvergenz der Märkte als ein spezieller Innovationsprozess von Branchen verstanden werden kann, welcher gekennzeichnet ist durch intensive, branchenübergreifende Wettbewerbsverflechtungen.“59 Dabei erodieren zunehmend etablierte Branchenstrukturen, was die Lebenszyklen der betroffenen Branchen dramatisch verkürzt (Divergenz). Wettbewerber von heute können Kooperationspartner von morgen sein, wobei sich die gegenwärtige Konkurrenzbeziehung u. U. nur auf einen (unscharfen dynamischen) Markt bezieht, sodass gleichzeitig auf anderen (unscharfen dynamischen) Märkten kooperiert wird (Freund/Feind-Wettbewerb). Zudem können aufgrund der technologischen, angebots- und nachfrageseitigen Konvergenz sowie der raschen technologischen Diffusion die potenziellen Wettbewerber von morgen, weil sie aus unterschiedlichen Branchen in einen hybriden, neuen oder bestehenden Markt einbrechen, u. U. nicht verifiziert werden. Die gegenwärtigen Marktprozesse sind somit durch rasch wechselnde, strukturverändernde Konvergenz und Divergenz gekennzeichnet, was dazu führt, dass sich die bestehenden Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle60 evolutionär oder revolutionär transformieren.61 Evolutionäre Veränderungen von Geschäftsmodellen transformieren lediglich lokal Teilbereiche von Wertschöpfungsketten, sodass die wesentlichen Leistungen und Strukturen einer Branche erhalten bleiben. Diese Veränderungen stellen den typischen Prozess der ökonomischen Weiterentwicklung dar und traten bereits in der Vergangenheit auf. Kennzeichen evolu58 59 60 61
KEUPER/HANS (2003b), S. 60. KEUPER/HANS (2003b), S. 62. Vgl. KEUPER/HANS (2006). Vgl. HAERTSCH (2000), S. 33.
Die Implosion des Market-based View
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tionärer Veränderungen im Rahmen der Konvergenz ist die Häufigkeit, d. h. die Kürze der Abstände, mit denen diese schrittweisen Veränderungen auftreten, sowie deren branchenübergreifende Ubiquität. Hinzu kommt, dass evolutionäre Wertschöpfungskettenveränderungen in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens bzw. des jeweiligen Geschäftsfelds durchaus revolutionär sein können. Jedoch werden zukünftig evolutionäre Veränderungen weiter an Bedeutung verlieren, weil sich die technologischen Entwicklungen vermehrt in Quantensprüngen vollziehen, was revolutionäre Veränderungen der Wertschöpfungsketten bedingt. Dabei liegt eine revolutionäre Transformation dann vor, wenn, wie dies die Konvergenz der Märkte initiiert, ganze Wertschöpfungsketten bzw. große Bereiche von ihnen beeinflusst und durch neue Geschäftsmodelle ersetzt werden. Dies begründet die große residuale Unsicherheit, die trotz einer detaillierten Analyse der Konvergenz der Märkte bestehen bleibt. Besonders emergente Branchen oder Geschäftsfelder, die durch technologische Innovationen getrieben werden, zeichnen sich dadurch aus, dass lediglich eine Schar von möglichen Zukunftsformen identifiziert werden kann. Diese werden durch eine Vielzahl von Schlüsselvariablen definiert, sodass die tatsächliche Zukunftsform einer Branche innerhalb des durch die Schlüsselvariablen definierten Bereichs liegt, wobei einzelne, diskrete Szenarien nicht definierbar sind. Im Extremfall kann auch eine echte Ambiguität vorliegen, bei der mehrere Unsicherheitsdimensionen interagieren, sodass eine Datensituation entsteht, aus der keine Voraussage dahingehend getroffen werden kann, wohin sich eine Branche bzw. der Markt langfristig entwickeln wird. Zur komplexen Umfeldsituation von Unternehmen kann somit insgesamt festgehalten werden, dass die gegenwärtige Markt- und Konvergenzkomplexität nicht nur durch eine heterogen-hybride Nachfragestruktur, sondern vor allem auch durch eine hohe Unsicherheit, Dynamik und den Druck, Systemprodukte anbieten zu müssen, gekennzeichnet ist. Systemprodukte erfordern aber, wie dargestellt, das Eingehen von Kooperationen (angebotsseitige Konvergenz). Zudem unterstützt die nachfrageseitige Konvergenz die Tendenz einer heterogenhybriden Nachfragerstrukturentwicklung, weil im Rahmen der nachfrageseitigen Konvergenz die Präferenzen unterschiedlicher Nachfragergruppen verschmelzen.
2
Strategiekontext des Market-based View62
Das deutsche Wort Strategie wurde in Anlehnung an den französischen Begriff stratégie gebildet, der dem altgriechischen strataegeo entstammt, wobei sich das Ursprungswort aus stratos für Heer und agein für führen zusammensetzt.63 Ursprünglich war Strategie die Kunst der Staatsführung, wohingegen die begriffliche Einengung auf die Kunst der Kriegsführung, also auf den Militärbereich, erst später stattfand. Über die Spieltheorie hat der Strategiebegriff wahrscheinlich erstmals durch VON NEUMANN/MORGENSTERN64 Einzug in die betriebswirtschaftliche Literatur gehalten. Allerdings hat sich bislang noch keine einheitliche betriebswirtschaftliche Definition für Strategie herausgebildet.
62 63 64
Das nachfolgende zweite Kapitel lehnt sich eng an KEUPER (2004), S. 51 f., an. Vgl. GÄLWEILER (1990), S. 65. Vgl. VON NEUMANN/MORGENSTERN (1947).
KEUPER
16
Unter einer Unternehmensgesamtstrategie wird die globale Wegbeschreibung verstanden, die planmäßig festlegt, auf welche Weise strategische Erfolgspotenziale aufgebaut bzw. erhalten werden können, um die sich im Umfeld bietenden Chancen unter weitestgehender Abwendung der Risiken auszuschöpfen, wobei dabei die obersten Unternehmensziele65 mithilfe strategischer Wettbewerbsvorteile auf den jeweiligen Geschäftsfeldern verifiziert durch strategische Erfolgsfaktoren bestmöglich zu erreichen sind.66 Kosten, Qualität und Zeit sind hierbei die drei strategischen Erfolgsfaktoren im Strategiekontext.
Q u al ität
KErfolg un de
K o sten
Z eit Effizienz
Abbildung 5:
Erfolgsfaktorendreieck67
Kosten, Qualität und Zeit bilden zudem die Operationalisierung der zwei Seiten des unternehmerischen Erfolgs nämlich der Effektivität und der Effizienz. Während die Effektivität darauf abzielt, im Rahmen der marktorientierten Zweckmäßigkeit „die richtigen Dinge zu tun“, fordert die Effizienz als Wirtschaftlichkeitsdimension, „die Dinge richtig zu tun“.
65 66
67
Allgemein können unter Zielen erwünschte Sollzustände verstanden werden; vgl. KIESER/KUBICEK (1992), S. 10. Vgl. ROLLBERG (1996), S. 13 f. Im Weiteren wird die Strategie adaptiv interpretiert, sodass unterstellt wird, dass Strategien zwar sich wandelnden Kontextfaktoren anzupassen sind, ihre konkrete Ausgestaltung jedoch nur zum Teil durch die jeweiligen Umwelterfordernisse determiniert wird. Der andere Teil wird durch Ressourcen des jeweiligen Unternehmens beeinflusst; vgl. ZÄPFEL/PÖLZ (1987), S. 257. Vgl. KEUPER/OECKING (2008b), S. VII, und KEUPER/OECKING (2008a), S. 487.
Die Implosion des Market-based View
Effektivität
Abbildung 6:
17
Erfolg = Überleben
Effizienz
Zielsetzung des strategischen Managements68
Inhaltlich werden somit durch die Unternehmensgesamtstrategie die Geschäftsfelder und Märkte, in denen das Unternehmen tätig sein möchte, definiert, selektiert sowie die Allokation der Ressourcen auf die verschiedenen Geschäftsfelder so vorgenommen, dass eine vorteilhafte gesamtunternehmerische Wettbewerbsposition eingenommen werden kann.69 Darüber hinaus hat die Unternehmensgesamtstrategie insbesondere die Aufgabe, die dynamische, evolutionäre Entwicklung des Unternehmens sicherzustellen. In der Charakterisierung der Unternehmensgesamtstrategie spiegelt sich deutlich eine ressourcenorientierte Sichtweise wider, weil sowohl der ressourcenorientierte Ansatz (Resource-based View)70 als auch der darauf aufbauende Kernkompetenzansatz das Unternehmen als Kombination materieller und immaterieller Ressourcen charakterisieren.71 Beide Ansätze fordern, Strategien so zu formulieren, dass die Ressourcen marktwirksam, also in strategische Wettbewerbsvorteile, charakterisiert durch strategische Erfolgsfaktoren, transformiert werden (Von-Innen-nach-Außen-Perspektive).72 Darüber hinaus deutet der Aufbau und Erhalt strategischer Erfolgspotenziale mit der Zielsetzung, strategische Wettbewerbsvorteile zu generieren, zwangsläufig auf einen langfristigen Planungszeitraum hin, was mit der Pfaddeterminiertheit des Kernkompetenzansatzes korreliert. Kernkompetenzen sind hochgradig komplexe, organisationale Lernprozesse aufeinander abgestimmter und integrierter Gesamtheiten von Wissen (wie personenabhängiger, intangibler Fähigkeiten, Technologien, oder wie sich gegenseitig bedingender materieller Aktiva und organisatorischer Prozesse), die dem Kunden nutzen, geeignet sind, um sich im Wettbewerb i. w. S. zu differenzieren, dabei schwierig zu imitieren sind und Tore zu neuen Märkten öffnen.73 Dementsprechend stellen Kernkompetenzen eine Konfiguration distinktiver Ressourcen dar,74 wobei distinktive Ressourcen dadurch gekennzeichnet sind, dass sie einen überlegenen Kundennutzen stiften und durch Informations-, Transfer- und Replikationsbarrieren geschützt sind.75 Informationsbarrieren bestehen, wenn ein betrachtetes Unternehmen keine Erkenntnisse darüber hat, welche Zusammenhänge die eigenen strategischen Wettbewerbsvorteile bzw. die der Wettbewerber determinieren. Hingegen basieren Transfer- und Replikationsbarrieren vornehmlich auf Patenten sowie auf der sozialen oder technologischen Kom68 69 70 71 72 73 74 75
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 9. Vgl. BECKER (1996), S. 134 f. Vgl. PRAHALAD/HAMEL (1990). Vgl. KEUPER (2008). Vgl. BÖRNER (2000), S. 66. Vgl. BÖRNER (2000), S. 79. Vgl. PRAHALAD/HAMEL (1990), S. 83 f. Vgl. BÖRNER (2000), S. 73.
KEUPER
18
plexität einer Ressource. Die soziale und die technische Komplexität bedingen, dass die Ressourcen nur integriert wirksam werden können,76 weil z. B. das Wissen für die Produktionsdurchführung auf viele Mitarbeiter verteilt ist und zudem für eine bestmögliche Produktionsdurchführung vielfältige Maschinen und Parameter koordiniert werden müssen. Aufgrund seiner strukturellen Offenheit können mithilfe des Resource-based View sowohl Unternehmensgesamt- als auch Wettbewerbsstrategien abgeleitet werden. Unternehmen
Unternehmensgesamtstrategien
ressourcen- bzw. kernkompetenzgetriebene Unternehmensgesamtstrategien
Geschäftsfelder
Kostenführerschaftsstrategie
Wettbewerbsstrategien, z. B.:
Hybride Wettbewerbsstrategien
Differenzierungsstrategie
marktorientierte oder ressorcen- bzw. kernkompetenzgetriebene Wettbewerbsstrategien/Geschäftsfeldstrategien
Betriebliche Funktionsbereiche
Beschaffungs- / Produktionsstrategie
Funktionalstrategien, z. B.:
Marketing- / Vertriebsstrategie
Servicestrategie
Wettbewerbsstrategieorientierte oder ressorcen- bzw. kernkompetenzgetriebene Funktionalstrategien
Abbildung 7: 76
Strategie-Ebene
Vgl. BÖRNER (2000), S. 72 f.
Die Implosion des Market-based View
19
Wettbewerbsstrategien explizieren im Gegensatz zu Unternehmensgesamtstrategien die Art und Weise, mit der ein Unternehmen auf ausgewählten strategischen Geschäftsfeldern (Produkt-Markt-Kombination) mit Wettbewerbern konkurriert. Insofern wird im Rahmen von Wettbewerbsstrategien die Frage geklärt, ob das betrachtete Unternehmen sich auf dem ausgewählten Geschäftsfeld als Kostenführer, Differenzierer oder hybrider Anbieter leistungsseitig positionieren will. Wettbewerbsstrategien haben somit im Gegensatz zu Unternehmensstrategien immer einen eindeutigen Produkt-Markt-Bezug. Ist die jeweilige Wettbewerbsstrategie getroffen, sind aus der Wettbewerbsstrategie konsistente Funktionalstrategien für die betrieblichen Funktionsbereiche (z. B. Beschaffung, Produktion, Absatz und Service) abzuleiten.
3
Grundlagen des Market-based View
Das Ziel marktorientierter Strategieansätze besteht darin, mit Hilfe von Wettbewerbsstrategien unter Beachtung der jeweiligen Wettbewerbssituation in einer Branche bzw. einem Geschäftsfeld strategische Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Insofern dient eine Wettbewerbsstrategie dazu, das bestehende Komplexitätsgefälle zwischen Markt-, konkret Geschäftsfeldkomplexität, und der Komplexität der strategischen Geschäftseinheit bzw. des Unternehmens zweck- und zielorientiert zu handhaben. Hierfür ist jedoch eine eindeutige Produkt-MarktAbgrenzung bei hinreichender Marktstrukturstabilität zwingend erforderlich. Der Market-based View, dessen zentraler Vertreter PORTER77 ist und dessen Erkenntnisse auf den Gedankengängen von MASON (1939)78 und BAIN (1956)79 basieren, stellt einen Outside-inAnsatz dar, bei dem ausgehend von der strategischen Positionierung final kurzfristig die Wertschöpfungskette gestaltet wird. Das dem Market-based View zugrunde liegende Structure-Conduct-Performance-Paradigma von MASON geht dabei davon aus, dass die Marktstruktur für ein Unternehmen als gegeben anzusehen ist und dass diese Marktstruktur das Verhalten aller Marktteilnehmer und somit auch das des betrachteten Unternehmens im Markt determiniert. Das Verhalten des Unternehmens wiederum beeinflusst dessen Ergebnis. FeedbackEffekte, also Effekte, durch die das Unternehmen die Marktstruktur beeinflusst, werden nivelliert. Gemäß dem Market-based View erfolgt somit zunächst eine Analyse des möglicherweise relevanten Markts. Weist der betrachtete Markt eine hinreichende Rentabilität auf, so kann sich ein Unternehmen innerhalb des relevanten Markts als Kostenführer oder Differenzierer positionieren. Ausgangspunkt für die Formulierung von Wettbewerbsstrategien ist somit die Analyse der Branchenstruktur,80 weil die Auswahl der Branche, in der sich das Unternehmen strategisch positionieren will, maßgeblich für den Unternehmenserfolg verantwortlich ist. Die Auswahl und Definition definiert somit den Erfolg und die wettbewerbsstrategische Positionierung! Da die direkte Ermittlung der möglichen Rentabilität einer Branche aus Sicht eines 77 78 79 80
Vgl. PORTER (2000) und PORTER (2008). Vgl. MASON (1939). Vgl. BAIN (1956). Vgl. PORTER (2000), S. 33 ff.
KEUPER
20
Unternehmens schwierig ist, wählt der Market-based View den indirekten Weg über die Branchenstrukturanalyse. Ziel der Branchenstrukturanalyse ist daher die scorebasierte Ermittlung der Branchenattraktivität. Ist eine Branche aus Sicht des planenden Unternehmens attraktiv, so wird auch die angestrebte Rentabilität hoch sein, so der lineare Gedankenzusammenhang. Die Branchenattraktivität und damit indirekt die Branchenrentabilität wird dabei nach PORTER durch fünf Wettbewerbskräfte determiniert.81 Das Fünf-Kräfte-Modell verdeutlicht, dass das Gewinnpotenzial einer Branche durch die Verhandlungsmacht der Lieferanten und der Abnehmer, die Rivalität zwischen den Wettbewerbern sowie das mögliche Eintreten von Mitbewerbern in den Markt und die Bedrohung durch Substitutionsprodukte determiniert wird. Ist z. B. das Branchenwachstum relativ gering, so ist die Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern hoch und damit die Attraktivität der Branche gering. Gleiches gilt u. a., wenn weitgehend homogene Produkte im bestehenden Markt angeboten werden.82 Ferner ist die Bedrohung durch neue Wettbewerber beispielsweise dann besonders groß, wenn die Marktbarrieren, wie z. B. Wissensvorsprünge oder Kostendegressionseffekte der etablierten Wettbewerber, gering sind. Da neue Wettbewerber die Produktionskapazitäten erhöhen, um Marktanteile zu gewinnen, führt der Zugang neuer Wettbewerber i. d. R. zu Preissenkungen und damit zu einer Verschlechterung der Rentabilität und der Attraktivität der Branche. Existieren für die Abnehmer alternative Produkte und Leistungen (Substitute), so wächst die Wettbewerbsintensität, und die Rentabilität in der betrachteten Branche sinkt. Besteht zudem für die Abnehmer die Möglichkeit, im Rahmen einer Rückwärtsintegration die eigene Fertigungstiefe zu erhöhen, so sinkt die Bedeutung der extern zu beziehenden Produkte. Gleichzeitig wächst jedoch die Verhandlungsmacht der Abnehmer, wodurch die Branchenattraktivität sinkt.83 Analog zur Entwicklung der Verhandlungsmacht der Abnehmer wird das Gewinnpotenzial einer Branche durch die Verhandlungsstärke der Lieferanten determiniert.84 Insbesondere wenn die Qualität der Vorleistungen entscheidend für die Qualität des Enderzeugnisses ist und zudem nur relativ wenige Lieferanten i. d. L. dazu sind, z. B. kurzfristig die benötigten Qualitäten zu liefern, führt dies zu einer Verstärkung der Wettbewerbsintensität innerhalb einer Branche, wodurch die Branchenattraktivität sinkt. Zudem besteht auf der Lieferantenseite ggf. die Option der Vorwärtsintegration, wodurch die Rivalität unter den Wettbewerbern intensiviert wird.85
81 82 83 84 85
Vgl. PORTER (2008), S. 32. Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 5. Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 5. Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 90. Vgl. KEUPER/HANS (2003b), S. 90 f.
Die Implosion des Market-based View
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Bedrohung durch potenzielle neue Konkurrenten
Rivalität unter den Verhandlungsstärke der Lieferanten
Verhandlungsmacht der Abnehmer Wettbewerbern einer Branche
Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste
Abbildung 8:
Wettbewerbskräfte nach PORTER86
Die Bewertung der fünf wettbewerbsrelevanten Kräfte erfolgt in praxi mithilfe von ScoringModellen, was in den nachfolgenden Abbildungen beispielhaft visualisiert ist.
86
PORTER (2000), S. 29.
KEUPER
22
Kriterium
Beschreibung
Bewertung Wert (1=unattraktiv, 5=attraktiv)
Gewicht (1=gering, 5=hoch)
Summe
Reaktion der Konkurrenz Economies of Scale Produktdifferenzierung Kapitalbedarf Umstellungskosten für Kunden (bei Systemwechsel) Zugang zu Vertriebskanälen Vertragliche Bindung der Abnehmer (z. B. Strom, Telefon) Staatliche Politik (z. B. Subventionen) Gesamtbeurteilung
Abbildung 9:
Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Bedrohung durch neue Wettbewerber
Kriterium
Beschreibung
Bewertung Wert (1=unattraktiv, 5=attraktiv)
Gewicht (1=gering, 5=hoch)
Summe
Konzentration der Lieferanten Wert der Produkte (hoher Wert = sensible Abnehmer) Standardisierung der Produkte (differenzierte Produkte = hohe Umstellungskosten Æ starke Position der Lieferanten) Möglichkeit der Rückwärtsintegration (Übernahme von Lieferanten) Markttransparenz Gesamtbeurteilung
Abbildung 10:
Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Verhandlungsmacht der Abnehmer
Die Implosion des Market-based View
Kriterium
23
Beschreibung
Bewertung Wert (1=unattraktiv, 5=attraktiv)
Gewicht (1=gering, 5=hoch)
Summe
Anzahl der Zulieferer Know-how-Verteilung bei den Zulieferern Vorhandene Überkapazitäten Bedeutung des Zulieferers als Marke Rahmenvertragliche Bindung der Zulieferer Vertragliche Position der Zulieferer Gesamtbeurteilung
Abbildung 11:
Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Verhandlungsmacht der Zulieferer
Kriterium
Beschreibung
Bewertung Wert (1=unattraktiv, 5=attraktiv)
Gewicht (1=gering, 5=hoch)
Summe
Anzahl der Produkte Ähnlichkeit (z. B. Flugreise versus Bahnreise) Leistung Preis Gesamtbeurteilung
Abbildung 12:
Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Bedrohung durch Substitute
KEUPER
24
Kriterium
Beschreibung
Bewertung Wert (1=unattraktiv, 5=attraktiv)
Gewicht (1=gering, 5=hoch)
Summe
Anzahl der Wettbewerber Wachstum der Branche Vorhandene Überkapazitäten (Kapazitätsauslastung) Heterogener Wettbewerb (Einhaltung von Spielregeln, z. B. Preisabsprachen, ist schwerer) Höhe der Austrittsbarrieren (ökonomisch, strategisch, emotional) Branchenkultur Gesamtbeurteilung
Abbildung 13:
Beispielhafte scorebasierte Ermittlung der Rivalität unter den Wettbewerbern
Letztlich müssen die in einer Branche agierenden Unternehmen auf Basis der mithilfe des Fünf-Kräfte-Modells gewonnenen Informationen strategische Verhaltensweisen an den Tag legen, mit denen sie langfristig erfolgreich sind. Gemäß dem Market-based View kann ein Unternehmen dabei drei strategische Verhaltensweisen verfolgen. Verfolgt das Unternehmen eine aggressive Verhaltensstrategie, so wird das Unternehmen versuchen, aktiv Marktanteile zu gewinnen und den Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Im Gegensatz dazu basiert eine defensive Verhaltensstrategie darauf, seinen bestehenden Marktanteil zunächst zu halten und sich aus dem Wettbewerb zwischen den Unternehmen weitestgehend herauszuhalten. Sind die Wettbewerber durch ihre wettbewerbsstrategischen Aktivitäten geschwächt, kann das defensiv agierende Unternehmen u. U. leicht ex post Marktanteile gewinnen („Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“). Bei einer proaktiven Verhaltensweise wird das Unternehmen auf Basis der Branchenstrukturanalyse sich frühzeitig entscheiden aus dem betrachteten Markt auszusteigen und in einen neuen Markt einzusteigen. Jede der drei strategischen Verhaltensweisen kann dabei durch eine Kostenführerschafts- oder Differenzierungsstrategie umgesetzt, d. h. operationalisiert werden, wobei im Rahmen einer proaktiven Verhaltensweise eine Differenzierungsstrategie zu priorisieren ist, weil das in den Markt eintretende Unternehmen i. d. R. eine wesentlich schlechtere Kostenposition aufweisen wird als etablierte Unternehmen. Damit eine strategische Verhaltensweise und die sie umsetzende Wettbewerbsstrategie gewählt werden, bedarf es einer Zwei-Zeitpunkt-Betrachtung, die jedoch im ursprünglichen Market-based View nicht vorgesehen ist. Da eine Wettbewerbsstrategie längerfristig Kapital bindet und zudem die gewählte Wettbewerbsstrategie i. d. R. nicht kurzfristig revidierbar ist, muss neben der durchgeführten Status-quo-Branchenattraktivitätsanalyse auch eine zweite zukunftsgerichtete Analyse stattfinden. Hierbei legt das Strategieteam einen für das betrachtete Geschäftsfeld vor dem Hintergrund der Geschäftsbereichs- und Unternehmensziele sinnvollen Planungshorizont fest und simuliert anschließend für diesen Zeitpunkt noch einmal die Branchenattraktivitätsmessung. Wichtig ist dabei, dass über die zukünftigen Rahmenbedingungen zweckdienliche und sinnvolle Annahmen gesetzt werden. Erst durch den Vergleich der beiden sich ergebenden Attraktivitätswerte kann entschieden werden, wie das Unternehmen sich verhalten soll.
Die Implosion des Market-based View
25
Aktuelle Situation
Zukünftige Situation
unattraktiv attraktiv 1
2
Bedrohung durch potenzielle Konkurrenz
Bedeutung 3
4
1
unattraktiv attraktiv
5
1 1
2
Bedrohung durch potenzielle Konkurrenz
Bedrohung durch Ersatzprodukte
1
2
8
Bedrohung durch Ersatzprodukte
Marktmacht der Abnehmer
1
2
8
Marktmacht der Abnehmer
Marktmacht der Lieferanten
1
1
4
Marktmacht der Lieferanten
1
3
Rivalität des Wettbewerbs
7
25
Summe
3,6
Beurteilung der Branche
Rivalität des Wettbewerbs
1
Summe Beurteilung der Branche
Abbildung 14:
2
Bedeutung 3
4
1
1 1 1 1
5 1
2
2
2
2
6
1
4
1
2
7
16 2,3
Beispielhafte Zwei-Zeitpunkt-Betrachtung
Im Anschluss an die planerisch erfolgte Positionierung im Markt findet die Planung der Erfolgsposition statt. Konkret bedeutet dies, dass entschieden werden muss, welche Charakteristika der zu positionierende strategische Wettbewerbsvorteil aufweisen soll. Daran anschließend wird die Wertschöpfungskette als Ausprägung der strategischen Erfolgspotenziale operativ ausgestaltet. Zweck der Unternehmen = Sicherung der langfristigen Überlebensfähigkeit
Positionierung im Markt
Unternehmensgesamtstrategien
Maximierung des unternehmerischen Erfolgs
Effektivität Planung der Erfolgsposition
Wettbewerbsstrategien
Effizienz
Qualität
Zeit
Strategischer Wettbewerbsvorteil
Operative Ausgestaltung der Wertschöpfungskette (z. B. der IT)
Strategisches Erfolgspotenzial
Wertschöpfungskette
Market-based View
Abbildung 15: 87
Struktur des Market-based View87
KEUPER (2008), S. 23.
Kosten
KEUPER
26
4
Kritische Betrachtung des Market-based View
Während vorangehend die elementaren Grundlagen des Market-based View dargestellt wurden, findet nachfolgend eine kritische Betrachtung des Market-based View anhand von fünf Perspektiven statt. ¾ Methoden- und Strategieschlüssigkeit ¾ Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität ¾ Gültigkeit der Generik ¾ Nachfrager- und Nachfragerstrukturkomplexitätskongruenz ¾ Konvergenzkomplexitätskongruenz
4.1
Methoden- und Strategieschlüssigkeit88
Wie bereits dargelegt, leitet der Market-based View anhand der Informationen des FünfKräfte-Modells drei strategische Grundhaltungen ab.89 Während die defensive Strategie lediglich darin besteht, mögliche Bedrohungen seitens verschiedener Wettbewerbskräfte abzuwehren, zielt eine offensive Strategie darauf ab, das Kräftegleichgewicht nicht mehr als Datum anzusehen. Insofern beinhaltet eine offensive Strategie den Aufbau von Marktbarrieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Veränderungen der Markt- bzw. Branchenstruktur so früh zu erkennen (proaktive Strategie), dass das Unternehmen vor der Konkurrenz auf Branchenstrukturveränderungen reagieren kann, um so die eigene Position zu verbessern bzw. die Branche zu verlassen. Aufbauend auf den drei strategischen Grundhaltungen leitet PORTER vier Wettbewerbsstrategien ab. In Abhängigkeit von der Breite der Marktabdeckung90 weites oder enges Marktsegment ergeben sich vier generische Normstrategien Differenzierung, umfassende Kostenführerschaft, Differenzierungsfokus und Kostenfokus ,91 mit denen ein Unternehmen die Wettbewerbskräfte so kontrollieren kann, dass sie überdurchschnittliche Erträge erwirtschaftet. Insofern zielen die vier generischen Normstrategien darauf ab, das Gefälle zwischen der bestehenden Marktkomplexität, charakterisiert durch die heterogen-hybride Nachfrage und die Konvergenz der Märkte, zu handhaben. Zu beachten ist dabei, dass nach PORTER die Normstrategien dichotom sind, sodass er eine erfolgreiche simultane Verfolgung von Differenzierungs- und Kostenführerstrategie ausschließt. Daher handelt es sich bei den klassischen PORTER`schen Strategietypen um so genannte Nichtsimultaneitätsstrategien.
88 89 90 91
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.1 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 55 ff., an. Vgl. PORTER (2000), S. 64 ff. Die Ordinate der Matrix beschreibt das Wettbewerbsfeld, d. h. in wie vielen Marktsegmenten einer Branche konkurriert werden soll. Vgl. PORTER (2008), S. 37 ff.
Die Implosion des Market-based View
27
Abbildung 16:
Differenzierung
Kosten
weit
Differenzierung
umfassende Kostenführerschaft
eng
Breite der Marktabdeckung
Wettbewerbsvorteil
Differenzierungsfokus
Kostenfokus
Generische Wettbewerbsstrategien des Market-based View92
Die Strategie der umfassenden Kostenführerschaft strebt gegenüber den Konkurrenzanbietern eine überlegene Kostenposition bei angemessener, paritätischer Qualität der Leistung an, sodass es in einer Branche jeweils nur einen Kostenführer geben kann. Da Faktoren wie Qualität der Leistung bzw. Kundennähe lediglich dem marktüblichen Standard entsprechen müssen, weisen sie den Charakter von Nebenbedingungen auf.93 Somit zielt das Streben nach permanenter Kostenreduktion auf die Schaffung eines komparativen Kostenvorteils ab, wobei alle intrabetrieblichen (und interbetrieblichen) Bereiche, vornehmlich jedoch die produktionsorientierte Dimension, optimiert werden. Insofern stellt die umfassende Kostenführerschaft einen effizienzzentrierten Strategietyp dar. Zudem basiert die Realisierung dieses generischen Strategietyps auf dem Vertrieb eines weitestgehend homogenen und standardisierten Produkts in stabilen Märkten, sodass entsprechende Kostendegressionseffekte ausgeschöpft werden können. Demgegenüber ist die Differenzierungsstrategie94 ein effektivitätszentrierter Strategietyp, bei dem durch die Differenzierung des Leistungsangebots branchenweit etwas Einzigartiges geschaffen wird. Analog zur umfassenden Kostenführerschaft gilt auch für die Differenzierungsstrategie, dass eine vollständige oder annähernd paritätische Kostenposition gegenüber den Konkurrenten bestehen muss.95 Eine Differenzierung von der Konkurrenz kann z. B. durch eine überlegene Produktqualität, besseren Kundenservice, zusatznutzenstiftende Leistungen, Standortvorteile, höhere Innovationsintensität, bessere Logistikleistungen oder durch ein hohes technologisches Image erzielt werden. Entsprechend der Vielschichtigkeit der Differenzierungsdimensionen können in einer Branche mehrere Differenzierer gleichzeitig erfolgreich agieren.96 Die Differenzierung geht dabei mit einer abnehmenden Preiselastizität 92 93 94 95 96
CORSTEN (1998), S. 94. Vgl. CORSTEN (1998), S. 94. Vgl. PORTER (2008), S. 40 f. Vgl. PORTER (2008), S. 41. Vgl. PORTER (2008), S. 41.
KEUPER
28
einher und verschafft dem Unternehmen, sofern die Preise über den Zusatzkosten der Einmaligkeit liegen, einen preispolitischen Spielraum. Im Gegensatz zur umfassenden Kostenführerschaft setzt die Differenzierungsstrategie nicht bei den betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen des Anbieters, sondern bei den Bedürfnissen des Nachfragers an.97 Während die umfassende Kostenführerschafts- und die Differenzierungsstrategie auf die gesamte Branche abzielen, streben Anhänger der Konzentrations- oder Nischenstrategie durch Fokussierung der betrieblichen Aktivitäten auf eine spezifische Zielgruppe bzw. Marktnische ein vorteilhafteres Preis-Nutzen-Verhältnis an, als es diejenigen Konkurrenten anbieten können, die ein breites Wettbewerbsfeld bearbeiten.98 Innerhalb der Nische ist jedoch wiederum entweder eine Kostenführerschafts- oder aber eine Differenzierungsstrategie zu verfolgen.99 PORTER schlägt zur Klärung der Frage, wie ein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil durch Kostenführerschaft oder Differenzierung erreichen kann, eine Analyse bzw. Optimierung der Wertkette vor.100 Die Wertkette gliedert ein Unternehmen in strategisch relevante Tätigkeiten, um so das Kostenverhalten und die Differenzierungsquellen bewerten zu können, was letztlich einer Optimierung der Wertschöpfung gleichkommt.101 Dabei kann die Wertschöpfung allgemein als die Differenz der von einer Wirtschaftseinheit geschaffenen und der von ihr eingesetzten Werte interpretiert werden.102 Innerhalb eines Unternehmens erfolgt die Wertschöpfung selten in einem einzigen, ganzheitlich gestalteten Prozess, sondern zumeist gestuft in mehreren aufeinander folgenden Prozessen. Die Gesamtheit der Wertzuwächse der einzelnen Prozesse ergibt die gesamte Wertschöpfung des Unternehmens, wobei diese letztlich auf fünf generische, primäre Wertaktivitäten (Hauptaktivitäten), die sich mit der physischen Produktion, dem Verkauf und dem Kundendienst befassen, und auf vier unterstützende, generische Wertaktivitäten (unterstützende Aktivitäten) zurückzuführen ist.103 Die primären, im eigentlichen Sinne wertschöpfenden generischen Aktivitäten umfassen die Eingangslogistik, die Operationen (zur Herstellung eines Produkts), das Marketing und den Vertrieb, die Ausgangslogistik und den Kundendienst. Zu den unterstützenden Aktivitäten gehören die Unternehmensinfrastruktur, die Personalentwicklung und -verwaltung, die Forschung und Entwicklung sowie die IuK-Technologie, wobei diese der Aufrechterhaltung der Primäraktivität dienen und somit grundsätzlich während jeder Primäraktivität anfallen. Darüber hinaus gehört zur Wertschöpfungskette neben den Wertaktivitäten auch die Gewinnspanne, die sich aus der Differenz zwischen den Kosten der Wertschöpfungsaktivitäten und dem am Markt erzielbaren Preis für das Ergebnis der Wertschöpfungskette ergibt.104
97 98 99 100 101 102 103 104
Vgl. PILLER (2006), S. 215. Vgl. ROLLBERG (1996), S. 16. Vgl. PORTER (2008), S. 42. Vgl. PORTER (2008), S. 63 ff. Vgl. PORTER (2008), S. 63. Vgl. PORTER (2008), S. 35. Vgl. PORTER (2008), S. 66. Vgl. PORTER (2008), S. 68.
Die Implosion des Market-based View
29
unterstützende Aktivitäten
Unternehmensinfrastruktur Personalentwicklung und -verwaltung Forschung & Entwicklung Informations- und Kommunikationstechnik Eingangslogistik
Operationen
Marketing und Vertrieb
Ausgangslogistik
Hauptaktivitäten
Abbildung 17:
Kundendienst Gewinnspanne
Wertschöpfungskette nach PORTER105
Die von PORTER aus der Branchenstruktur abgeleiteten generischen Wettbewerbsstrategien umfassende Kostenführerschaftsstrategie und die Differenzierungsstrategie bildeten die strategische Stoßrichtung für die in den 80er und 90er Jahren entwickelten Konzepte zur strategischen Unternehmensführung.
Lean Management
Kosten
Erfolg
Qualität
Total Quality Management
Zeit
Time-based Management
Abbildung 18:
105 106
Erfolgsfaktorfokussierung des Lean Management, Total Quality Management und Time-based Management106
PORTER (2008), S. 66. KEUPER (2001c), S. 64.
KEUPER
30
Ziel der drei strategischen Konzepte zur Unternehmensführung ist es, die vier Aktionsparameter107 der strategischen Unternehmensführung Strategie, Organisation, Technologie und Unternehmenskultur zielsetzungsgerecht simultan so einzusetzen und auszurichten, dass sämtliche Prozesse möglichst effektiv unter Beachtung einer zu den Konkurrenten paritätischen Mindesteffizienz oder möglichst effizient unter Beachtung einer zu den Konkurrenten weitgehend paritätischen Mindesteffektivität dazu beitragen, dass die drei Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit, jeweils weitgehend isoliert betrachtet, marktgerecht erfüllt werden. Dabei ist allen Konzepten zur Führung eines Unternehmens jedoch eine von der jeweils verfolgten Wettbewerbsstrategie mehr oder weniger stark ausgeprägte Kundenorientierung zu eigen, sodass die klassische, produktionsorientierte Wertschöpfungskette nach PORTER in eine durch die zielgruppenspezifischen Informationen ausgerichtete Wertschöpfungskette transformiert werden muss, in der die Marktinformationen sämtliche Haupt- und unterstützenden Aktivitäten determinieren und initiieren.
unterstützende Aktivitäten
Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Unternehmensinfrastruktur Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Personalentwicklung und -verwaltung Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Forschung & Entwicklung Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Informations - und Kommunikationstechnik Ermittlung Ermittlung zielgruppenspezifischer zielgruppenInformation spezifischer Information mithilfe des mithilfe des Marketings/ KundenVertriebs dienstes und und Ausrichtung des Ausrichtung Marketings/ des Kunden-dienstesauf Vertriebs auf die Ziel-die gruppe Zielgruppe
Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Eingangslogistik
Hauptaktivitäten
Abbildung 19:
107 108
Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Operationen
Auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtete Ausgangs-logistik
Gewinnspanne
Zielgruppenorientierte Wertschöpfungskette moderner Konzepte der Unternehmensführung108
Zu den vier Aktionsparametern der strategischen Unternehmensführung vgl. ausführlich ROLLBERG (1996), S. 13 ff., BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 12 ff., und KEUPER (2001a), S. 21 ff. KEUPER (2004), S. 59.
Die Implosion des Market-based View
31
Während das Lean Management109 vornehmlich darauf abzielt, sämtliche unternehmensinternen Prozesse zu „verschlanken“, d. h. so kostengünstig wie möglich auszugestalten und unter Beachtung einer marktgerechten Kundenorientierung auszurichten,110 setzt das Total Quality Management die Qualität respektive die Differenzierung in den Fokus der Betrachtung. Dementsprechend verzichtet das qualitätsorientierte Management auf eine extreme Kostenminimierung und versucht statt dessen, u. U. auch mittels kostenintensiver, aber effektiverer qualitätsorientierter Prozesse, die optimale kundenorientierte Qualität vielschichtig und dauerhaft zu generieren.111 An die Stelle einer Effizienzfokussierung, wie sie im schlanken Management vorherrscht, tritt somit eine Effektivitätsfokussierung. Auch das Time-based Management112 als zeitorientierter Ansatz repräsentiert ein effektivitätsfokussierendes Unternehmensführungskonzept, weil der strategische Erfolgsfaktor Zeit im Hinblick auf eine marktorientierte Zweckmäßigkeit interpretiert wird. So zielt das zeitfokussierende Management auf eine möglichst rasche bzw. termingerechte Bedürfnisbefriedigung, auf eine schnelle Anpassung an die spezifischen Wünsche des Kunden sowie auf eine schnelle Bereitstellung innovativer bzw. verbesserter Produkte und Leistungen ab.113 Da alle Unternehmensführungskonzepte ein Konglomerat aus bekannten Konzepten, Ansätzen und Instrumenten darstellen, bleibt es nicht aus, dass einzelne Instrumente, isoliert betrachtet, konträr zur generellen Ausrichtung des jeweiligen Unternehmensführungskonzepts stehen. Nur so ist auch eine paritätische Ausgestaltung der jeweils „vernachlässigten“ Wettbewerbsdimension unter Beachtung des jeweiligen PORTER`schen Strategiefokus` in einem stabilen Markt umsetzbar. Daraus zu folgern, das schlanke Management oder das qualitätsorientierte Management seien Konzepte zur Unternehmensführung, die eine Kostenführerschaft und eine Differenzierung gleichermaßen und gleichzeitig verfolgen, ist jedoch unzutreffend.
4.2
Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Stabilität114
Der marktorientierte Strategieansatz und insbesondere seine Wettbewerbsstrategien basieren auf der Unvereinbarkeitshypothese. Die Grundlage der Unvereinbarkeitshypothese bilden wiederum das Konvexitäts-Konzentrations-Konsistenz-Paradigma (KKK-Paradigma) und die Hypothese der Generik der Wettbewerbsstrategien.115
109 110
111 112 113 114 115
KRAFCIK verwendete erstmals den Begriff schlanke Produktion; vgl. KRAFCIK (1988), S. 41 f. Demgegenüber sieht ROLLBERG (1996), S. 135 ff., das schlanke Management als ein „neutrales“ Unternehmensführungskonzept an, das i. d. L. ist, die jeweils gewählte generische Strategie umfassende Kostenführerschaft bzw. Differenzierung zu unterstützen, wohingegen CORSTEN/WILL (1992) sowie WILL (1996), S. 166 ff., einzelnen Elementen und Instrumenten des schlanken Managementkonzepts gleichzeitig Effektivitäts- bzw. Effizienzpotenziale attestieren. Letzteres ist korrekt, wobei bei integrativer Sichtweise aller Instrumente des schlanken Managements deutlich die Effizienzfokussierung hervortritt; vgl. KEUPER (2001c), S. 66 ff. Vgl. KEUPER (2001c), S. 102. Vgl. LAUK (1990), S. 82. Vgl. KEUPER (2001c), S. 131. Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.2 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 60 ff., an. Vgl. FLECK (1995), S. 13 ff., und WILL (1996), S. 29 ff.
KEUPER
32
Unternehmen, die keinen Wettbewerbsvorteil generieren können bzw. die gleichzeitig mehrere Wettbewerbsvorteile aufbauen wollen und somit mehr als eine Wettbewerbsstrategie verfolgen, sitzen entsprechend dem marktorientierten Strategieansatz „zwischen den Stühlen“.116 Eine solche Positionierung zwischen den Stühlen, die einer Quasi-Nicht-Positionierung entspricht, ist somit der Garant für eine strategische Mittelmäßigkeit und damit für die Generierung nur unterdurchschnittlicher Ergebnisse.117 Basis dieser Argumentation ist das KKKParadigma118. Entsprechend der Konvexitätshypothese innerhalb des KKK-Paradigmas, die auch als Marktanteilshypothese119 bezeichnet wird, ist eine umfassende Kostenführerschaft, wie bereits erläutert, unabdingbar mit einem hohem Marktanteil verbunden, wohingegen eine Fokus- oder eine Differenzierungsstrategie mit einem niedrigen Marktanteil einhergehen. Während die Kostenführerschaftsstrategie den hohen Marktanteil benötigt, um größenbedingte Kostendegressionseffekte bei der Herstellung standardisierter Massenprodukte zu generieren, basiert der geringe Marktanteil von Differenzierern häufig auf dem exklusiven Image einer solchen Strategie.120 Da nur die generischen Wettbewerbsstrategien einen überdurchschnittlichen Erfolg generieren, ergibt sich nach PORTER eine konvexe Beziehung zwischen der Gesamtkapitalrentabilität und dem Marktanteil.121 Gesamtkapitalrentabilität
Fokus oder
Kostenführerschaft
Differenzierung
Marktanteil
Abbildung 20:
116 117 118 119 120 121 122
Rentabilitäts-Marktanteils-Beziehung nach PORTER122
Vgl. PORTER (2000), S. 78 ff. Vgl. FLECK (1995), S. 12. Vgl. FLECK (1995), S. 13 ff. Vgl. BARZEN/WAHLE (1990), S. 107. Vgl. PORTER (2000), S. 74. Vgl. PORTER (2000), S. 81. FLECK (1995), S. 13.
Die Implosion des Market-based View
33
Aus der vorangehenden Abbildung wird deutlich, dass nach PORTER eine umfassende Kostenführerschaft unvereinbar mit einer Differenzierungsstrategie ist, weil beide Strategien auf unterschiedlichen Marktanteilen basieren. Dieser angeblich kausale Zusammenhang wird jedoch zumindest dadurch teilweise relativiert, dass sich empirisch für unterschiedliche Branchen auch unterschiedliche Regressionsfunktionsverläufe zwischen Gesamtkapitalrentabilität und Marktanteil nachweisen lassen.123 Insofern kann festgehalten werden, dass ein eindeutiger empirischer Nachweis für die Konvexitätshypothese nicht erbracht werden kann. Dieser Erkenntnis trägt auch PORTER Rechnung, indem er die Konvexitätshypothese zwar nicht für alle Branchen postuliert,124 diese respektive die ihr inhärenten unterschiedlichen Marktanteilserfordernisse aber gleichwohl für die Unvereinbarkeit der beiden generischen, branchenneutralen Strategietypen begründend heranzieht,125 was einen Widerspruch darstellt. Das Konzentrationsprinzip besagt, dass aus Unternehmenssicht die technologischen und organisatorischen Produktivitätsgrenzen eine maximale Positionierung bei mehreren Erfolgsfaktoren limitieren, sodass ein Unternehmen sämtliche Ressourcen, Organisationsstrukturen, Technologien und die Unternehmenskultur auf einen Wettbewerbsvorteil konzentrieren muss, um sich auf dem Markt gegenüber den Wettbewerbern adäquat zu positionieren.126 Zentral für dieses charakterisierte Verhalten ist die Divergenz zwischen effektivitätsorientierten Maßnahmen, wie z. B. der Konzeption einer variantenreichen Produktion, dem Aufbau von Flexibilitätspotenzialen oder einem Kundenservice, somit also komplexitätstreibenden Effekten, und effizienzorientierten Maßnahmen, wie z. B. der Standardisierung von Produkten und Prozessen, somit also komplexitätssenkenden Maßnahmen. Beispielsweise kann ein Unternehmen, das eine Kostenführerschaft anstrebt, Spezialmaschinen zur preiswerten Fertigung standardisierter Produkte auf Basis einfacher Prozesse einsetzen, wohingegen Differenzierer teure Universalmaschinen und flexible Fertigungssysteme anschaffen müssen, um so kundenindividuelle Varianten (i. d. R. bezogen auf eine Zielgruppe) herzustellen. Insofern werden Unternehmen, die eine Mischstrategie verfolgen, in jedem Segment auf Wettbewerber stoßen, die sich auf einen Wettbewerbsvorteil konzentriert haben und somit das jeweilige strategische Erfolgsfaktorpotenzial besser ausschöpfen können. Daher muss sich nach PORTER das Handeln (Ressourcenauswahl, Konzeption von Anreizsystemen, Wahl des Führungsstils usw.) auf die jeweils ausgewählte, generische Wettbewerbsstrategie fokussieren, um eine Spitzenstellung zu gewährleisten.127 Jedoch ist zu hinterfragen, inwieweit die von PORTER postulierte Umstrukturierung der Wertkette im Hinblick auf die Verfolgung der jeweiligen Wettbewerbsstrategie zu Inkonsistenzen in seiner generellen Argumentationskette führen kann. So hat die Branchenstruktur für PORTER einen weitgehend statischen Charakter, was lediglich graduelle, aber keinesfalls strukturelle Veränderungen zulässt. Daraus folgt, dass die generischen Wettbewerbsstrategien Plazierungsstrategien in einem statischen Markt sind.128 Reorganisiert aber ein Unternehmen seine Wertkette, so tritt in dem statischen Konzept der generischen Wettbewerbsstrategien eine dynamische Komponente in den Vordergrund der Betrachtung, was u. U. eine branchenstrukturverändernde Dynamik nach sich zieht. Damit wäre aber der PORTERsche Strategiean123 124 125 126 127 128
Vgl. MAUTHE (1984), S. 318 ff. Vgl. PORTER (2000), S. 81. Vgl. PORTER (2000), S. 70 ff. Vgl. PORTER (2000), S. 77 f. Vgl. FLECK (1995), S. 15. Vgl. BÖRNER (2000), S. 61.
KEUPER
34
satz einer rekursiven Selbstzerstörung ausgesetzt. Darüber hinaus gilt für den marktorientierten Strategieansatz, dass zwar einerseits von interbranchenspezifischen Unterschieden hinsichtlich der möglichen Rentabilität ausgegangen wird, dass aber andererseits die Wettbewerbsstrategien der Differenzierung und der Kostenführerschaft auf relative Interbranchenunterschiede zurückgreifen.129 So kann in Abhängigkeit von der Definition der zu betrachtenden Branche zwar die relative Positionierung im Markt bzw. deren damit jeweils verbundener Wettbewerbsvorteil unverändert Bestand haben, der Wert des jeweiligen Wettbewerbsvorteils erodiert jedoch aufgrund der u. U. zurückgegangenen Branchenattraktivität. Letztlich kann dies bedeuten, dass in einer anders oder neu definierten Branche ein Unternehmen, das im ursprünglichen Markt als Kostenführer oder Differenzierer agierte, im Extremfall durch die Neudefinition in die Unrentabilität abdriftet.130 Trotz der postulierten generellen Gültigkeit der Konzentrationshypothese formuliert PORTER vier Situationen, in denen eine gleichzeitige Realisierung von Kostenführerschaft und Differenzierung möglich erscheint.131 Zum einen besteht die Option, dass die Konkurrenten selbst „zwischen die Stühle“ geraten sind, sodass sie auf beiden Feldern (Dimensionen) angreifbar sind.132 Zum anderen können die Kosten u. U. weitgehend von Markanteilen oder wirtschaftlichen Verflechtungen beeinflusst werden, was z. B. bedingen kann, dass über einen hohen Marktanteil und damit realisierte Kostenvorteile (Erfahrungskurveneffekte, Kostendegressionseffekte usw.) Differenzierungsaktivitäten quersubventioniert werden können. Oder aber die Fokussierung auf eine Nische ermöglicht es, aufgrund der geringen Komplexität gleichzeitig eine Differenzierungs- und Kostenposition einzunehmen.133 Auch ist die Situation denkbar, dass ein Unternehmen proprietär über organisatorische bzw. technologische Innovationen (Quantensprünge) verfügt, die gleichzeitig kostensparend und differenzierungssteigernd wirken. Die vier Situationen stellen jedoch nach PORTER nur temporäre Alternativen zur Alternativhypothese dar. Wird hingegen der Vorsprung durch die Nachahmer adaptiert, so muss sich z. B. das Pionierunternehmen auf eine der beiden generischen Grundpositionen zurückziehen, um nicht von einem leistungsstarken, eindimensional ausgerichteten Wettbewerber überholt zu werden.134 Damit spricht der marktorientierte Strategieansatz Simultaneitätsstrategien die Nachhaltigkeit respektive die Dauerhaftigkeit ab.135 Dementsprechend kann mit einer Simultaneitätsstrategie kein strategischer Wettbewerbsvorteil generiert werden, weil, wie eingangs erläutert, ein Wettbewerbsvorteil durch die Wichtigkeit mindestens einer Leistungsdimension, durch die Wahrnehmung und die Dauerhaftigkeit charakterisiert ist. Letztlich relativiert PORTER seine Konzentrationshypothese jedoch selbst durch die Forderung, die Unternehmen müssten neben dem notwendigen generischen Strategiefokus gleichzeitig eine paritätische Position hinsichtlich der jeweils „vernachlässigten“ Wettbewerbsdimension einnehmen. Dies steht jedoch konträr zu der Forderung des marktorientierten Strategieansatzes, dass die Verfolgung einer generischen Wettbewerbsstrategie bedingt, dass die Ressourcen, Organisationsstrukturen, Technologien und sogar die Unternehmenskultur zwingend, einheitlich und eindeutig auf die Unterstützung des jeweils gewählten Strategiefokus` 129 130 131 132 133 134 135
Vgl. BÖRNER (2000), S. 63. Vgl. BÖRNER (2000), S. 63. Vgl. PORTER (2008), S. 45 ff. Vgl. PORTER (2008), S. 47. Vgl. FLECK (1995), S. 15. Vgl. ROLLBERG (1996), S. 18. Vgl. FLECK (1995), S. 15.
Die Implosion des Market-based View
35
auszurichten sind. Zudem wird auch die Konvexitätshypothese durch die Paritätsnebenbedingung erodiert, weil nun offensichtlich die Marktanteilshypothese dahingehend relativiert wird, dass z. B. eine Differenzierung wohl doch nicht mehr ausschließlich mit einem geringen Marktanteil verbunden sein muss. Insofern ist durch die Erosion der Konzentrationshypothese respektive durch die Forderung, neben dem Strategiefokus eine paritätische Position hinsichtlich der vernachlässigten Wettbewerbsdimension einzunehmen, ein inkrementeller Schritt zur vermeintlich unmöglichen Simultaneität einer Kostenführerschaft und Differenzierung getan.136 Das Konsistenzprinzip besagt, dass Maßnahmen zur gleichzeitigen Verfolgung unterschiedlicher Strategietypen ab einem bestimmten Zeitpunkt zu Zielkonflikten und damit zu Inkonsistenzen führen.137 Wenn also tatsächlich eine prinzipielle Unvereinbarkeit der generischen Wettbewerbsstrategien vorliegt, dann müsste es sich bei den beiden Vorteilskategorien entweder um End- oder Extrempositionen derselben Dimension oder aber um zwei verschiedene, jedoch negativ korrelierte Dimensionen handeln. Im Hinblick auf den Ausschluss der ersten Begründungsvariante für eine prinzipielle Unvereinbarkeit vermuten JONES/BUTLER, dass es sich bei der zugrundeliegenden Dimension um ein Kostenkontinuum handelt, an dessen jeweiligen Eckpunkten die beiden generischen Wettbewerbsstrategien lokalisiert sind, was unabdingbar mit zwei sich gegenseitig ausschließenden Strategietypen verbunden ist.138 Auf Basis transaktionkostenanalytischer Überlegungen beweisen die Autoren, dass es sich bei Kostenführerschaft und Differenzierung keinesfalls um zwei divergente Extrempositionen eines Kontinuums handelt. Vielmehr unterscheiden sich die beiden Strategietypen hinsichtlich der Relation von Produktions- und Transaktionskosten, wobei unter Einbeziehung der Preise die Existenz von Mischstrategien nachgewiesen wird. Auch der zweite Begründungsansatz zweier unabhängiger, jedoch negativ korrelierter Vorteilsdimensionen für die Manifestation der Unvereinbarkeitshypothese hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. So weist KARNANI auf Basis spieltheoretischer Überlegungen für oligopolistische Markt- und Wettbewerbsstrukturen nach, dass die Dichotomie zwischen Kostenführerschaft und Differenzierung nicht zwingend geboten ist. Vielmehr ist der Wettbewerbserfolg auf solchen Märkten in einer integrierten Kostenführerschafts-Differenzierungsstrategie begründet, wobei die zwei Dimensionen einer solchen integrierten Wettbewerbsstrategie multiplikativ miteinander in Beziehung stehen und sich somit auch in ihrer Wirkung verstärken können.139 Darüber hinaus beweist KEUPER im Rahmen systemtheoretisch-kybernetischer Überlegungen, dass eine Navigation im Effektivitäts-Effizienz-Dilemma derart möglich ist, dass dauerhaft eine hybride Wettbewerbsposition eingenommen werden kann.140 Insofern bleibt festzuhalten, dass es sich bei den generischen Wettbewerbsstrategien um zwei unabhängig voneinander existierende Vorteilsdimensionen handelt, was bedingt, dass die Unvereinbarkeit der Wettbewerbsvorteile „niedrige Kosten“ und „Differenzierung“ nicht zwingend geboten ist. Damit stellt sich auch die Frage, inwieweit die Kostenführerschaft und die Differenzierung überhaupt generisch sind.
136 137 138 139 140
Vgl. FLECK (1995), S. 16. Vgl. SIMON (1988), S. 469 ff. Vgl. JONES/BUTLER (1988), S. 203 ff. Vgl. KARNANI (1984), S. 377 ff. Vgl. KEUPER (2004).
KEUPER
36
4.3
Gültigkeit der Generik141
Terminologisch kann eine generische Wettbewerbsstrategie als unabhängige Variable definiert werden, die zur Rentabilität als abhängiger Variable in einer bestimmten Beziehung steht, wobei die gewählte generische Wettbewerbsstrategie zu einer Rentabilität führt, die über dem Branchendurchschnitt liegt.142 Insofern kann die Generik der generischen Wettbewerbsstrategien alternativ dahingehend interpretiert werden, dass ¾ die Umweltzustände keinen Einfluss auf die Beziehung zwischen Strategie und Rentabilität haben bzw. ¾ die Umweltzustände als Moderatorvariable fungieren, die zwar die Stärke, nicht aber die Art der Beziehung verändert, oder aber dass ¾
die Umweltzustände als Moderatorvariable auch die Art der Beziehung zwischen Strategie und Rentabilität verändern.143
Während die erste Hypothese von PORTER logischerweise abgelehnt wird, was sich auch daraus begründet, dass er für die Implementierung und Umsetzung eines Strategietyps von Branche zu Branche unterschiedliche Maßnahmen fordert,144 sollte die dritte Hypothese nicht gelten, weil andernfalls generische Strategien nur fallweise wirksam wären und somit den Charakter einer heuristischen Vorgehensweise bekämen. Insofern bleibt letztlich die Erkenntnis, „daß der Einsatz einer generischen Wettbewerbsstrategie zu einer Performance führt, welche über dem Branchendurchschnitt liegt, wobei spezifische Umweltfaktoren als Moderatorvariable die Stärke, aber nicht die Art der Beziehung“145 verändern. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Aussagen von PORTER selbst diesbezüglich weniger prägnant sind, weil er davon ausgeht, dass in einigen Branchen weder eine noch mehrere Strategien realisiert werden können, „aber in vielen Branchen die drei Strategietypen rentabel nebeneinander stehen, solange die Unternehmungen verschiedene Typen verfolgen oder [...] unterschiedliche Ausgangspunkte wählen“146. Dass Simultaneitätsstrategien nicht nur bei Bedarf eine mögliche Option,147 sondern auch einen Erfolg versprechenden Weg zum Aufbau eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils darstellen, wird in einer Reihe empirischer Untersuchungen belegt.148 Insofern kann die Generik der generischen Wettbewerbsstrategien nicht als unabdingbares Postulat aufrechterhalten werden; vielmehr stellen die PORTER`schen Wettbewerbsstrategien wie auch hybride Wettbewerbsstrategien kontextabhängige Strategieoptionen dar mit der Konsequenz, dass die Performance jeder Strategie, bedingt durch die Wirkungsweise der Moderatorvariablen, unter-, über- oder nur durchschnittlich sein kann. Daher wäre sachlich korrekt nicht von generischen Wettbewerbs-, sondern von Nicht-Simultaneitätsstrategien zu sprechen.
141 142 143 144 145 146 147 148
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.3 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 65 f., an. Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen ausführlich FLECK (1995), S. 40 ff. Vgl. FLECK (1995), S. 40. Vgl. PORTER (2008), S. 37 f. FLECK (1995), S. 41. PORTER (2008), S. 49 f. Vgl. CORSTEN (1998), S. 120. Vgl. z. B. KIM/LIM (1988).
Die Implosion des Market-based View
37
Letztlich aber basiert die Auflösung der Generik der generischen Wettbewerbsstrategien dabei sowohl auf unternehmensexternen Veränderungen, wie z. B. der Entwicklung einer heterogen-hybriden Nachfrage oder der Konvergenz der Märkte, als auch auf unternehmensinternen Entwicklungen, wie z. B. neuen Fertigungsverfahren, neuen Organisationskonzepten und modernen Informations- und Kommunikations-Technologien (IuK-Technologien).
4.4
Nachfrager-, Nachfragerstrukturund Massenmarktkomplexitätskongruenz149
Die Analyse der aktuellen Entwicklungen im wettbewerbsstrategischen Umfeld zeigt, dass sowohl im Industriegüter- als auch im Konsumgüterbereich das Nachfrageverhalten vermehrt als intra- und interindividuell heterogen-hybrid zu charakterisieren ist, was bedingt, dass eine zunehmende Individualisierung der Präferenzen der Kunden zu verzeichnen ist. Es reicht nicht mehr aus, effektivitäts- oder effizienzorientiert am Markt zu agieren; vielmehr fordert die zunehmend hybride Nachfrage die Simultaneität von Effektivität und Effizienz. Insofern ist auf vielen Märkten, um adäquate Erträge zu erwirtschaften, eine reine Kostenorientierung bzw. eine reine Differenzierungsstrategie nicht mehr zwingend Erfolg versprechend. Zwar versucht PORTER dies dadurch zu berücksichtigen, dass er betont, dass die Konzentration auf eine der beiden Wettbewerbsstrategien eine annähernde Parität gegenüber den Konkurrenten bei der jeweils nicht verfolgten Strategiedimension bedingt, womit quasi der erste Schritt im Hinblick auf eine Simultaneitätsstrategie vollzogen ist, jedoch berücksichtigt dies nur approximativ das hybride Käuferverhalten, das eine simultane und gleichwertige Erfüllung der strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit fordert. Mindesteffektivität bzw. Mindesteffizienz, gepaart mit einer markt-kunden-orientierten Effizienz bzw. Effektivität, reicht daher auf vielen Märkten nicht mehr aus. Der demografischen Entwicklung hin zu einer Konsumentenschicht, die sich zunehmend über Produkte profiliert bzw. ihre Persönlichkeit über Produkte hervorhebt, trägt das eher technokratisch ausgerichtete Konzept der monoerfolgsfaktorzentrierten Wettbewerbsstrategien wenig Rechnung. So ist die Differenzierung zu stark auf technologische Attribute wie Produktqualität oder Innovationsgrad und zu wenig auf die Präferenzbildung150 der Abnehmer ausgerichtet. Eine Erlebnis- oder Designorientierung sowie die Möglichkeiten des Marketings, wie z. B. die Generierung preisorientierter Abnehmer, bleibt unberücksichtigt bzw. wird einer objektiven Produktdifferenzierung oder einem produktionswirtschaftlichen Kostenvorteil nachgeordnet.151 Darüber hinaus wird das Problem des Zeitwettbewerbs in den generischen Wettbewerbsstrategien kaum berücksichtigt. Die immer schnellere Diffusion von technologischen Entwicklungen lässt Marktbarrieren zunehmend erodieren mit der Folge, dass die Marktanwesenheitszeiten der Produkte sich dramatisch verkürzen. Damit wird aber der Kostenführerschaftsstrategie in vielen Branchen die Erfolgsgrundlage entzogen. Nur hinreichend stabile Märkte, in denen homogene und standardisierte Produkte über einen längeren Zeitraum abgesetzt werden können, ermöglichen es, insbesondere im Produktions- und Logistikbereich 149 150 151
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.4 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 66 ff., an. Zu Profilierungsstrategien auf Basis von Präferenzstrategie und Preis-Mengen-Strategie vgl. MEFFERT (1994), S. 137. Vgl. PILLER (2006), S. 215.
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38
Größenvorteile und Erfahrungskurveneffekte zu realisieren. Darüber hinaus liegt oftmals aufgrund verfahrenstechnologischer Innovationen eine Schar von Erfahrungskurven vor, sodass nicht ausschließlich der Marktführer erfahrungskurvenbedingte Kostensenkungspotenziale erschließen kann.152 Zudem ist aufgrund produktionstechnologischer, organisatorischer und IuK-technologischer Entwicklungen, wie z. B. durch den Einsatz flexibler Fertigungssysteme in virtuellen Organisationen, festzustellen, dass das Ausschöpfen erfahrungskurvenbedingter Kostensenkungspotenziale geringere kumulierte Produktionsmengen erfordert. Durch die Verringerung der optimalen Betriebsgröße können Wettbewerber mit geringen Marktanteilen kostenoptimale Positionen einnehmen. Letzteres wird auch durch die zunehmend gesättigten Märkte verstärkt, weil auf stagnierenden Märkten die Kostenstrukturen der Wettbewerber weitgehend homogen sind, was jedoch PORTERs Annahme einer monopolartigen Kostenführerschaft widerspricht.153 Insofern bietet es sich in einer solchen Situation an, unter Beibehaltung einer günstigen Kostenposition die Differenzierung voranzutreiben.154 Zudem treten im Zeitwettbewerb aufgrund von Sättigungstendenzen häufig Programmüberspringungseffekte auf, die wiederum der reinen Differenzierungsstrategie die Daseinsberechtigung entziehen. So wird der zusätzlich angebotene Nutzen vom Kunden nicht mehr als „echter Nutzen“ wahrgenommen und honoriert. Dies hat zur Folge, dass ganze Produktgenerationen übersprungen werden. In einer solchen Situation bietet es sich dementsprechend an, unter Beibehaltung einer optimalen Differenzierungsposition die Kostenführerschaft bzw. eine annähernd äquivalente Position zu erreichen. Zudem treten Zielkonflikte zwischen Differenzierung und Kostensenkung immer nur dann auf, wenn entweder sämtliche Effizienzpotenziale dauerhaft ausgeschöpft worden sind oder aber das Differenzierungspotenzial im Hinblick auf die Kundenpräferenzen optimal ausgestaltet ist. Dies ist aber in der Praxis nicht der Fall, weil zum einen die Differenzierungsstrategie mehrdimensional ist und somit vielfältige Ansatzpunkte zur Optimierung bietet und zum anderen real niemals alle Unwirtschaftlichkeiten beseitigt sein werden. Schließlich kann die Differenzierungsstrategie auch durch Maßnahmen der Wettbewerber konterkariert werden, wenn wettbewerbsseitige Modifikationen das Preis-/Leistungsverhältnis derart verändern, dass die Bereitschaft der Nachfrager abnimmt, für einen höheren Nutzen auch einen höheren Preis zu bezahlen.155 Aufgrund der Marktkomplexität und der ihr inhärenten Marktdynamik kann zudem eine Branchenanalyse anhand der fünf Wettbewerbskräfte nie vollständig sein.156 Damit stellt sich insbesondere für dynamische Märkte die Frage, ob eine eindimensionale Strategieentscheidung vor dem Hintergrund der Informationsunsicherheit die richtige Entscheidung sein kann oder ob nicht der konsequente Aufbau einer ressourcen- bzw. kernkompetenzgetriebenen Differenzierungsposition, die i. d. R. auch schwieriger zu adaptieren ist, unter Beachtung einer nahezu kostenführerschaftsäquivalenten Position die richtige Antwort ist.
152 153 154 155 156
Vgl. WILL (1996), S. 37. Vgl. CORSTEN (1998), S. 95. Vgl. PILLER (2006), S. 216. Vgl. KLEINALTENKAMP (1987), S. 36 ff. Vgl. WHITTINGTON (1993), S. 23.
Die Implosion des Market-based View
4.5
39
Konvergenzkomplexitätskongruenz157
Die gegenwärtigen Wirkungen der Konvergenz führen dazu, dass zunehmend bestehende Marktbarrieren und Branchenstrukturen erodieren, weshalb die Branchenlebenszyklen sich immer weiter verkürzen. Dies bedingt evolutionäre, vor allem aber revolutionäre Transformationen der Wertschöpfungsketten bzw. der Geschäftsmodelle. Insofern konvergieren und divergieren Branchen, noch bevor sie zumindest temporär einen stabilen und transparenten Zustand erreicht haben.158 Eine analysierbare, hinreichend stabile Branchenstruktur ist aber die unabdingbare Voraussetzung für die eindimensionale Strategiewahl, wie sie PORTER vorschlägt.159 Durch die Dynamik der Branchen und die immer schneller auftretenden Veränderungen werden aber eine Zukunftsvorhersage und die Planung einer monolithischen Positionierung praktisch unmöglich.160 Für die Umsetzung einer eindeutigen Kostenführerschaftsbzw. Differenzierungsstrategie ist eine detaillierte Analyse der Branchenstruktur unumgänglich, weil eine auch nur infinitesimal schlechtere Positionierung nach PORTER schon zu dramatischen Ertragseinbußen führen kann. Liegt hingegen eine homogene Dynamik in einem Geschäftsfeld vor, d. h. existieren strategische Basistrends, wie z. B. die Filialisierung im Handel, so kann trotz Marktdynamik eine eindeutige Positionierung als Kostenführer bzw. als Differenzierer verfolgt werden. Allerdings ist eine solchermaßen homogene Dynamik gerade nicht das Kennzeichen der Konvergenz; vielmehr zeichnet sich die Konvergenz durch ein hohes Maß an Diskontinuität161 aus. Insofern erscheint es gerade in konvergierenden Märkten geboten, ein Leistungsbündel durch entsprechende Komplementierer162 so zu schnüren, dass es kosten-, qualitäts- und zeitorientiert ausgerichtet ist. Die Komplexität eines solchen Leistungsbündels und die Intransparenz der dahintersteckenden Prozesse repräsentieren auch in Zeiten konvergierender Märkte eine weitaus höhere und dauerhaftere Replikationsbarriere als eine eindimensionale Strategiewahl, deren Wettbewerbsvorteil rasch durch entsprechende Kooperationen oder Partnerschaften mit Wettbewerbern oder branchenfremden Unternehmen egalisiert werden kann. Dementsprechend sinkt auf konvergierenden Märkten durch die Verfolgung einer Simultaneitätsstrategie die Imitationsgefahr durch die Wettbewerber. Darüber hinaus stellen gerade die möglichen Inflexibilitäten, die mit einer Entweder-oder-Strategie verbunden sind, vor dem Hintergrund konvergierender Märkte ein großes Gefahrenpotenzial für die strategische Mittelmäßigkeit dar. Gerade die durch die Konvergenz entstehenden flexiblen, integrierten Produkt- und Prozesstechnologien fordern auch flexible, ganzheitliche und hybride Strategieformen. PORTER berücksichtigt aber weder die aus der Konvergenz abgeleitete unabdingbare Forderung nach Leistungsbündelung mittels kooperativ-konstituierender Systemprodukte noch den sich häufig aus der Konvergenz ergebenden Freund/Feind-Wettbewerb. Insofern sind die fünf Marktkräfte zumindest um eine sechste Kraft, den Komplementierer, zu erweitern, um in konvergierenden Branchen überhaupt eine Analyse der Struktur zu ermöglichen. Dabei beste157 158
159 160 161 162
Die nachfolgenden Ausführungen zu Gliederungspunkt 4.5 lehnen sich eng an KEUPER (2004), S. 68 ff., an. PORTER geht davon aus, dass die Konvergenz ein zeitlich begrenztes Kontinuum darstellt, in dem die meisten Experimente wirtschaftlicher Art fehlschlagen werden, sodass sich nach und nach eine stabile Branche für eine klare monoerfolgsfaktororientierte Positionierung herausbildet; vgl. PORTER (2001), S. 68 ff. PORTER lässt bei emergierenden Märkten durchaus Dynamik zu; allerdings sind seine strategischen Empfehlungen sehr vage; vgl. PORTER (2000), S. 65 f. Vgl. HAERTSCH (2000), S. 128. Diskontinuität beinhaltet nichtlineare Veränderungen, die durch unterbrochene Handlungs- und Ereignisfolgen gekennzeichnet sind; vgl. PERICH (1993), S. 95. Vgl. BRANDENBURGER/NALEBUFF (1996), S. 18.
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hen zwischen komplementierenden Parteien interdependente Beziehungen mit dem Ziel beider Parteien, einen gemeinsamen Markt aufzubauen, wobei jedoch i. d. R. jede Partei einen möglichst großen Teil des gemeinsamen Markterfolges für sich behalten will.163 Durch die Machtverlagerung zum Kunden und die zunehmende Spezialisierung der Unternehmen steigt die Bedeutung der Komplementierer, weil nur so hybride Leistungsbündel (Systemprodukte) generiert werden können, um den hybriden Käuferpräferenzen gerecht zu werden. Die Berücksichtigung der Komplementierer als sechste Wettbewerbskraft in konvergierenden Märkten unterstreicht die Möglichkeit, dass eine Simultaneität der generischen Strategieoptionen nicht zwangsläufig zu einem „Sitzen zwischen den Stühlen“ führen muss.164 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Auswirkungen der Konvergenz auf die fünf Wettbewerbskräfte von PORTER vielschichtig sind. Die Komplexität des Zusammenspiels zwischen den Komplementierern und den fünf Kräften des Marktes bedingt, dass Wirkungsintensität und Wirkungsrichtung ex ante nicht vorhersagbar sind. Insofern muss der Branchenstrukturanalyse generell die Planungsfunktion aufgrund der hohen Dynamik auf konvergierenden Märkten in weiten Bereichen abgesprochen werden; vielmehr nehmen Branchenstrukturmodelle ausschließlich den Charakter eines strukturierenden Analysewerkzeugs für einen spezifischen Zeitpunkt an.165 Dabei ist zu beachten, dass die Gültigkeit der Analyseergebnisse auf konvergierenden Märkten sehr gering ist. Die unzureichende Planungsfunktion von Branchenstrukturmodellen wird u. a. in einer Studie über die Erfolgsfaktoren im Business-to-Consumer-E-Commerce eindeutig belegt.166 Im Rahmen dieser Studie konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der allgemeinen Wettbewerbsintensität, der leistungsbezogenen Wettbewerbsintensität, der preislichen Wettbewerbsintensität und dem Erfolg eines Unternehmens gefunden werden.167 Ferner kann das verwendete Bild einer linearen Wertschöpfungskette, bei der die Wertschöpfungsschritte in sequentiellem Zusammenhang stehen, vor dem Hintergrund konvergierender Märkte und der damit verbundenen Zunahme informationsintensiver Güter die vernetzten und rekursiven Produktionsprozesse, wie sie z. B. in der Medienbranche vorliegen, kaum adäquat widerspiegeln.168 Vielmehr repräsentieren Wertschöpfungsnetzwerke oder Wertschöpfungskreisläufe häufig den Wertschöpfungsprozess besser als linearisierte Denkmodelle.169 Insofern wird auch die an sich schon kaum zwingend abzuleitende zweifelsfreie Unterscheidung zwischen primären und sekundären Aktivitäten noch weiter erschwert.
163 164
165 166 167 168 169
Vgl. BRANDENBURGER/NALEBUFF (1996), S. 36. BLECKER bezeichnet im Rahmen seines Konzepts der grenzenlosen Unternehmung die sechste Kraft als Netzwerkexternalitäten. Dahinter verbirgt sich ebenso wie im Fall des Komplementierers schwerpunktmäßig der Versuch, über Kooperationsformen den Anforderungen des Marktes adäquat entgegenzutreten. Auf den Wettbewerb innerhalb einer Branche wirken sich Kooperationen unterschiedlich aus. So kann z. B. die Wettbewerbsintensität sinken, weil die Unternehmen zur Partizipation neigen und kollusives Verhalten zeigen; vgl. BLECKER (1999), S. 101. Allerdings führt ein Wettbewerb zwischen kooperativ agierenden Verbünden zu einer extremen Intensivierung des Wettbewerbs, weil die Marktmacht der wenigen großen Verbünde sehr ausgeprägt ist. Vgl. HAERTSCH (2000), S. 128. Vgl. BÖING (2001), S. 109 ff. Vgl. BÖING (2001), S. 127 ff. Vgl. KEUPER (2001b), S. 395. Vgl. hierzu z. B. die Content-Erstellung von Zeitungs- und Publikumszeitschriftenverlagen in KEUPER (2001b), S. 395 f.
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5
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Wettbewerbsstrategischer und methodischer Zusammenbruch des Market-based View
Vorangehend ging es nicht darum, den Market-based View und dessen „generische“ Wettbewerbsstrategien generell zu verwerfen. Nach wie vor besteht die Möglichkeit, dass es stabile, reife, sich homogen-dynamisch entwickelnde Branchen und Märkte geben kann, in denen eine outside-in-getriebene Vorgehensweise zur Ableitung einer umfassenden Kostenführerschaft oder einer Differenzierung die ausschließlich richtige Strategie ist. Allerdings sind diese Voraussetzungen gegenwärtig schon selten vorzufinden, und in der Zukunft werden sie immer seltener anzutreffen sein. Zunehmend werden Unternehmen ressourcen- bzw. kernkompetenzgetrieben Simultaneitätsstrategien umsetzen, um sich zu differenzieren, weil auch in Zukunft mit weiter erodierenden Branchen, lediglich temporär stabilen Konvergenzergebnissen sowie einer zunehmend heterogen-hybriden Nachfrage sowohl im Industrie- als auch im Konsumgüterbereich zu rechnen ist. Insofern ist die ressourcen- bzw. kernkompetenzgetriebene Verfolgung einer Simultaneitätsstrategie zukünftig als eine zentrale Strategieoption zu sehen, die nicht zwangsläufig zu einem „Sitzen zwischen den Stühlen“ führt,170 sondern die dichotomen Strategietypen ergänzt171. Zweck der Unternehmen = Sicherung der langfristigen Überlebensfähigkeit
Positionierung im Markt
Unternehmensgesamtstrategien
Maximierung des unternehmerischen Erfolgs
Effektivität Planung der Erfolgsposition
Qualität
Wettbewerbsstrategien
Effizienz
Zeit
Strategischer Wettbewerbsvorteil
Wertschöpfungskette
Pfaddeterminierte, inkrementell entwickelbare distinktive Ressourcen (z. B. IT im Zusammenspiel mit anderen Funktionsbereichen)
Distinktive Ressourcen Resource-based View
Abbildung 21:
170 171 172
Struktur des Resource-based View172
Vgl. CORSTEN (1995), S. 352. Eine andere Auffassung hat FLECK (1995), S. 32. KEUPER (2008), S. 26.
Kosten
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KEUPER
Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass die PORTER`schen Entweder-oder-Strategien zwar die Strategiediskussion in Theorie und Praxis geprägt haben, die strategische Eignung im Hinblick auf die gegenwärtige Marktkomplexität jedoch in weiten Bereichen als eher gering einzustufen ist. Ferner ist zu attestieren, dass der Modellansatz von PORTER erhebliche Inkonsistenzen, widersprüchliche Annahmen sowie nicht eindeutig belegbare Hypothesen aufweist und aus transaktionskostentheoretischer, spieltheoretischer und systemtheoretischkybernetischer Sicht ad absurdum geführt wird. Letztlich sind die Entweder-oder-Strategien nicht i. d. L., eine heterogen-hybride Nachfragestruktur zu berücksichtigen. Auch die sich aus der nicht zutreffenden Dichotomisierungsannahme evolutorisch entwickelnde Starrheit des Produktionssystems, das per se nicht darauf ausgerichtet ist, mehrere strategische Erfolgsfaktoren gleichzeitig zu verfolgen, schränkt das notwendige Flexibilitätspotenzial auf konvergierenden Märkten stark ein. Insofern haben die PORTER`schen Wettbewerbsstrategien nur einen geringen Bezug zur gegenwärtigen Marktkomplexität, sodass ketzerisch formuliert sich die Marktorientierung des Market-based View und der PORTER`schen Wettbewerbsstrategien nicht auf die dem Markt inhärente Komplexität bezieht, wodurch der Kunde zum Vasallen der Strategen wird. Damit wird auch deutlich, dass die monoerfolgsfaktorzentrierten Wettbewerbsstrategien von PORTER nicht i. d. L. sind, das bestehende Komplexitätsgefälle zwischen Marktkomplexität und der Komplexität eines Unternehmens adäquat zu handhaben.
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STEP – Mit Strategie und Transparenz zu mehr Vertriebserfolg MARTIN SONNENSCHEIN, HAGEN GÖTZ HASTENTEUFEL und FLORIAN DICKGREBER A.T. Kearney
1 2 3 4 5 6
Vertrieb aktuell – Eine Bestandsaufnahme...................................................................... 49 Ursachenanalyse .............................................................................................................. 54 Erfolgsfaktoren im Vertrieb erkennen ............................................................................. 57 STEP – Der Ansatz zu systematischem Vertriebserfolg.................................................. 58 Vertriebsstrategie – Was soll im Markt erreicht werden?................................................ 59 Go-to-Market – Welche Aufstellung ist zur Erreichung meiner strategischen Ziele geeignet? .......................................................................................................................... 61 7 Kommerzielles Modell – Wie und mit welcher Profitabilität können die Ziele erreicht werden?............................................................................................................................ 63 8 Operations – Wie kann die Zielerreichung sichergestellt werden?.................................. 65 9 Enabler – Wie können die Voraussetzungen zur Zielerreichung geschaffen werden? .... 68 10 HR-Entwicklung – Wie wird das optimale Team zur Zielerreichung entwickelt? .......... 68 11 Vertrieb als echter Aktivposten – Klaviatur von Strategie bis Performance.................... 69 Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 70
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
1
49
Vertrieb aktuell – Eine Bestandsaufnahme
Ab Mitte 2008 waren Vertriebsorganisationen in praktisch allen B2B-Industrien von den starken Einbrüchen im Auftragseingang geprägt. Insbesondere die produzierenden Industrien wurden von den Auswirkungen der globalen Krise hart getroffen. Die Effekte setzten sich auch in vermeintlich krisensichere Infrastruktur-Industrien wie Telekommunikation, Energiewirtschaft und IT-Industrie fort. Einbrüche in der Produktion, bei den Geschäftsreisen und bei Neuinvestitionen konfrontierten die Außendienste dieser eher wachstumsverwöhnten Industrien ebenfalls mit neuen Herausforderungen – auch in den Infrastrukturindustrien kann ein Rückgang in den Auftragseingängen von immer noch um die 10% beobachtet werden (siehe Abbildung 1). Auch in B2C-orientierten Industrien sind – in abgeschwächter Form – die Auswirkungen der globalen Krise spürbar geworden. Was bedeutet dies für den Vertrieb? Rückgang der Auftragseingänge in der produzierenden Industrie
Textil
Chemie
Elektotechnik & Elektronik
Metallprodukte
Automotive OEM
Maschinenbau
Umsatzeinbrüche Infrastruktur – Branchen 2009 ITServices
EnergieTelekommunikation versorgung
3,0% 18,6% 21,8%
23,5% 26,5% 30,5%
9,0% 35,1%
Abbildung 1:
10,0%
Entwicklung Auftragseingang in Deutschland1
Wie eine gemeinsame Studie von ABSATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY zeigt,2 liegt die Antwort der Mehrzahl von Unternehmen in einem stärkeren Fokus auf Vertriebseffizienz und -effektivität, immerhin noch 47% der Unternehmen reagieren mit einer Anpassung der Vertriebsziele. Wie die Auswertung ebenfalls zeigt, wollen nur zwischen 25% und 34% der Unternehmen ihre Vertriebsstrategie, ihren Marktangang oder ihre Vertriebspartner strukturell anpassen (siehe Abbildung 2).
1 2
Die Abbildung enthält von A. T. KEARNEY aufgearbeitete Daten des STATISTISCHES BUNDESAMTES. Eine gemeinsame Studie von ABSATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY mit mehr als 190 Teilnehmern; vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
50
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Frage 1: Welche Stellhebel Ihres Vertriebs passen Sie im Zuge der Wirtschaftskrise an? Steigerung der Vertriebseffizienz und -effektivitität
51%
Anpassung der Vertriebsziele
47%
Neuformulierung der Vertriebsstrategie
34%
Neuer Marktangang
29%
Anpassung der Vertriebskanäle und Vertriebspartner
25%
Anpassung des Entlohnungssystems Sonstiges
Abbildung 2:
19%
3%
Stellhebel Vertrieb in der Krise
Ein solcher reflexartiger Fokus auf das Performancemanagement des Vertriebs lässt sich häufig in Krisensituationen beobachten, verhindert aber eine grundlegendere Diskussion um die Ausrichtung und Aufstellung des Vertriebs. In vielen Unternehmen hat diese Diskussion bereits vor der Krise begonnen und wird nun von den operativen Problemen überlagert3 – andere Unternehmen nutzen die Situation aber bewusst, um die Frage zu stellen, wie der Wert des Vertriebs für das Unternehmen maximiert werden kann. Wie kann der Vertrieb als ein wirklicher Aktivposten des Unternehmens genutzt werden? Hierbei stellt sich zunächst die Frage nach der tatsächlichen Performance des Vertriebs, die zunehmend von den anderen Funktionsbereichen des Unternehmens gestellt wird. Welche Hintergründe haben diese Diskussion und wie lässt sich ihnen begegnen? Bemisst man die Bedeutung des Vertriebs am Gewicht des Vertriebsbudgets am Gesamtbudget eines Unternehmens, so stellt man fest, dass der Anteil der Vertriebsbudgets in vielen Industrien prozentual wächst. So sind beispielsweise im Mobilfunk bei stagnierenden bzw. schrumpfenden Umsätzen die Kosten für die Gewinnung neuer Teilnehmer und Verlängerung von bestehenden Kunden von 25% auf 28% der operativen Kosten gestiegen.4 Dieser Kostenausweitung steht bei vielen Netzbetreibern kein korrespondierender Markterfolg gegenüber,
3 4
Vgl. A.T. KEARNEY (2009c). Vgl. A.T. KEARNEY (2009b).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
51
da auch der Anteil der Vertriebskosten5 am Umsatz von 14,4% auf 16% vom Umsatz in 2008 gestiegen ist (siehe Abbildung 3). Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in vielen Industrien beobachten und lässt sich in der Struktur der Einsparprogramme vieler Unternehmen erklären. Während in vielen Funktionsbereichen des Unternehmens Kostensenkungsmaßnahmen durchgeführt werden, wird „am Kunden“ also im Vertrieb in der Regel erst relativ spät oder gar nicht gespart. Split der operativen Gesamtkosten
Vertriebskosten als Teil des Umsatzes +3%
100%
100%
100%
100%
Vertriebs- 25% kosten
26%
27%
28%
Andere direkte 33% Kosten
33%
34%
34%
Andere indirekte 42% Kosten
41%
39%
38%
2006
2007
2008
2005
Abbildung 3:
14.6%
14.9%
2005
2006
16.0%
16.0%
2007
2008
Entwicklung Vertriebskosten6 im Mobilfunk7
Hinzu kommt die in vielen Märkten stattfindende Saturierung und damit einhergehende Verschärfung des Wettbewerbs, die dazu führt, dass Vertriebsbudgets häufig noch wachsen. CEOs und COOs, die eine unternehmensübergreifende Perspektive haben, müssen hier jedoch die Frage der optimalen Budgetverwendung auch im für Einsparmaßnahmen sakrosankten Vertrieb stellen. Diese Frage ist zunehmend berechtigt, wenn man betrachtet, dass Vertriebsbudgets oft im Fortschreibungsmodus erstellt werden, also die Mittel des vergangenen Jahres an die – üblicherweise steigenden – Ziele des neuen Jahres angepasst werden. Hierbei werden strukturelle Anpassungen unbeachtet gelassen, aber zugleich auch keine Anreize gesetzt, solche Anpassungen überhaupt vorzunehmen. Wie das Beispiel Privatkundenvertrieb im Mobilfunk zeigt, führt dies nicht immer zu einer optimalen Mittelverwendung (vgl. Exkurs 1).
5 6 7
Vertriebskosten definiert als Summe aller direkten Vertriebskosten (Provisionen, Kommissionen, Werbekostenzuschüsse) und indirekten Vertriebskosten (Personal, Miete, externe Dienstleister, etc.). Vertriebskosten definiert als Summe aller direkten Vertriebskosten (Provisionen, Kommissionen, Werbekostenzuschüsse) und indirekten Vertriebskosten (Personal, Miete, externe Dienstleister, etc.). A.T. KEARNEY (2009b).
52
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Exkurs 1: Kanalentwicklung Mobilfunk In einer Untersuchung westeuropäischer Telekommunikationsmärkte stellte A.T. KEARNEY fest, dass entgegen der von allen großen Telekommunikationsunternehmen postulierten Strategie, die eigenen Vertriebskanäle und dabei insbesondere die eigenen Shops zu stärken, tatsächlich eine Ausweitung der gesamten Vertriebsoberfläche stattgefunden hat (siehe Abbildung 4). Insbesondere der indirekte Vertrieb hat seine Oberfläche sogar prozentual fast ähnlich stark steigern können wie der direkte Vertrieb. Diese Entwicklung führt nicht nur dazu, dass erhebliche Investitionen in den Ausbau des Shop-Netzwerkes nicht zu einem deutlich höheren Anteil des Kanals am Absatz führen, sondern auch bei stagnierenden Umsätzen eine sinkende Produktivität des Vertriebs zu beobachten ist. Netzbetreiber Shops
Franchise Shops
147%
+14%
+10% +5%
124% 100%
106%
2005 2006 2007 2008
Abbildung 4:
Handel
108%
100%
96%
2005
2006
2007
116%
121%
125%
2006
2007
134%
100%
2008
2005
2008
Entwicklung Vertriebsoberfläche Westeuropa8
Neben der außerhalb des Vertriebs oft nicht nachvollziehbaren Budgetplanung und -verwendung besteht ein weiteres Transparenz-Problem, das die Akzeptanz von positiven Vertriebsleistungen deutlich erschwert. Vertriebsziele werden – vergleichbar zu den Budgets – aufbauend auf den Zielen des Vorjahres definiert. Eine übergeordnete Vorgabe aus dem Geschäftsplan wird zwar oft integriert, also bspw. eine Absatz- oder Umsatzsteigerung um x%, diese ist aber üblicherweise nicht an der Marktentwicklung ausgerichtet. In Projekten zur Optimierung des Vertriebs stößt A.T. KEARNEY dementsprechend oft auf die Situation, dass der Vertrieb erneut das historisch beste Ergebnis des Vertriebs feiert, tatsächlich aber im Wettbewerbsvergleich Marktanteile verloren wurden. Eine Zielerreichung von 120% oder mehr im Vertrieb und damit verbundene Ausschüttung von Boni und anderen variablen Gehaltsbestandteilen steht dabei oft in starkem Widerspruch zu den Gesamtergebnissen des Unternehmens und der Zielerreichung anderer Bereiche. Nach den Erfahrungen von A.T. KEARNEY zeigt sich bei einer starren, nicht am Wettbewerbserfolg orientierten Zielsetzung vor allem gegen Jahresende noch ein weiteres gefährliches Phänomen: Hat der Außendienst seine Ziele für eine maximale Ausschüttung des variablen Anteils erst erreicht, wird die Marktbearbeitung deutlich zurückgefahren und dem Unternehmen geht Umsatz verloren. Dieses Phänomen stellt sich teilweise bereits im November ein. In einer gemeinsamen Studie von ABSATZWIRTSCHAFT und A.T. KEARNEY gaben außerdem immerhin 14% der Unternehmen an, 8
A.T. KEARNEY (2009b).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
53
dass die Ziele in der Krise nach unten korrigiert werden und weitere 17% die Ziele von vornherein so konservativ geplant hatten, dass weitere Anpassungen nicht erforderlich sind9. An diesen Zahlen wird deutlich, dass über die Anpassung der Ziele Vertriebsorganisationen von den negativen Ergebnissen des Gesamtunternehmens abgekoppelt werden und zumindest moderate Zielerfüllung aufweisen können (siehe auch Exkurs 2). Deutlicher werden die Probleme einer klassischen Vertriebssteuerung aber immer dann, wenn die Ergebnisse sich nicht wie erwartet einstellen. In einer Vielzahl von Projekten konnte A.T. KEARNEY feststellen, dass in diesen Fällen auch Mängel in der operativen Steuerung von Vertriebsorganisationen zu Tage treten. Diese bestehen vor allem in einer ungenügenden Kenntnis und Struktur der Vertriebs-Pipeline, nicht ausreichenden Leads zur Befüllung dieser Pipeline und auch einer unzureichenden Kenntnis der Kundenbedürfnisse. Zur Behebung solcher Probleme wird versucht, mittels Vertriebs-Wettbewerben, speziellen Incentives für Kanäle oder aber sogar Kostensenkungen durch Veränderungen bei den Back-Office-Prozessen die Performance kurzfristig zu verbessern. Diese Maßnahmen greifen jedoch insgesamt zu kurz. Angesichts des starken Fokus` auf operative Performance Steigerung gepaart mit fortgeschriebenen Vertriebsbudgets und unzureichender Transparenz in der Vertriebssteuerung lässt sich zusammenfassend von einer oft unzureichenden Professionalisierung des Vertriebs sprechen. Bevor ein Ansatz aufgezeigt wird, der nach Erfahrung der Autoren zu einer Professionalisierung des Vertriebs führt, ist noch weitere Ursachenanalyse erforderlich. Als ein positives Beispiel für eine adäquate Krisenreaktion lässt sich die Reaktion eines großen integrierten Telekommunikationskonzern anführen, der bei sich abzeichnenden Einbrüchen im Auftragseingang genau nicht mehr einem mehr an Formularen und Kontrolle geantwortet hat, sondern über eine verbesserte Segmentierung den Produkt-Markt-Fokus verschoben und durch eine Unterstützung des Vertriebs mit Zielkundenlisten und deren Nutzungsprofil für eine bessere Transparenz des Außendienstes über seine Kunden gesorgt hat. Hier lässt sich von einer wirklichen Professionalisierung des Vertriebs sprechen. Exkurs 2: Balance Vertriebs- und Unternehmensziele Im B2B-Vertrieb eines Anbieters für Dentaltechnologie erreichte der Vertrieb Jahr für Jahr eine Zielerreichung von über 120%. Die Absätze wurden Jahr für Jahr gesteigert und auch der Umsatz wuchs kontinuierlich. Aus der Sicht der Unternehmensführung war die Einschätzung der erzielten Erfolge nicht gleichermaßen positiv, da der Marktanteil kontinuierlich sank. Die Fortschreibung der Ziele im Vertrieb erfolgte also offensichtlich vorbei am Wachstum des Marktes und der Entwicklung des Wettbewerbs. Ein Problem auf das aber weder Controlling noch Strategieabteilung des Unternehmens rechtzeitig aufmerksam geworden waren. Ein Abgleich mit der Gesamtplanung des Unternehmens hätte hier für Abhilfe sorgen können.
9
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
54
2
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Ursachenanalyse
In einer branchenübergreifenden Vertriebsstudie mit mehr als 30 Teilnehmern aus der Konsumelektronik, Telekommunikation, Energiewirtschaft und dem High-Tech-Sektor, die sowohl den B2B- als auch den B2C-Sektor abdeckte, hat A.T. KEARNEY verschiedene Aspekte des Vertriebs der beteiligten Unternehmen untersucht. Ein wesentliches Ergebnis dieser Studie war die bei den Teilnehmern unzureichende Definition der Vertriebsstrategie. Bei der Frage nach der Formulierung einer Vertriebsstrategie wird diese zwar üblicherweise bejaht, jedoch stellt sich bei Abfrage der definierten Elemente eindeutig heraus, dass Absatz, Umsatz und Profitabilität die dominierenden Elemente sind. Quantitative Vertriebsziele werden also mit der Vertriebsstrategie gleichgesetzt.10 Die genannte Studie hat in den Interviews mit den Vertriebsleitern ebenfalls gezeigt, dass sich die Vertriebsorganisationen deutlich stärker mit der Definition von Zielen und dem operativen Performance-Management auseinandersetzen, als mit den strategischen Fragestellungen der Produkt-Marktsegmentierung und des Kanalmixes, dem Go-to-Market (siehe Abbildung 5). Ebenfalls unterrepräsentiert sind Fragen der Marktpositionierung, Exklusivität und Abhängigkeit von Kanälen bzw. der Kontrolle über die Kanäle oder die Personalentwicklung. Bei der Frage nach der Umsetzung der Vertriebsstrategie zeigt sich, dass vor allem die Absatz- und Umsatzelemente operationalisiert werden – nicht aber der Go-to-Market oder aber die Kompetenzausbildung des Vertriebs. Vergleichbare Ergebnisse zeigen weitere Studien von A.T. KEARNEY.11
10 11
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009), bei der die Unternehmen als wesentliche Strategieänderung in der Krise den stärkeren Fokus auf Vertriebseffizienz und -effektivität nannten. Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
55
Wichtigkeit high 5
Umsatz Absatz Kundenloyalität Produkt Rentabilität Kanalmix
4
Exklusivität der Kanäle Marktpositionierung
Personalentwicklung
3
Preisniveau/ RabatteKundensegmente Bedeutung direkte Marktanteil Kanäle vs. Indirekte Kontrolle der Kanäle Kanäle 2
1
low
Marke
0 0%
25%
50%
75%
100%
Nennungen Abbildung 5:
Häufigkeit und Wichtigkeit von Elementen der Vertriebsstrategie12
Dieses wenig ausgeprägte Denken in Fragen der Vertriebsstrategie kommt auch im Management des Kanalmixes zum Ausdruck. Diese Frage ist aufgrund der nach wie vor großen Dominanz des Außendienstes im B2B-Bereich weniger relevant als im Bereich B2C. Es zeigt sich jedoch, dass auch im Business-Bereich der richtige Kanalmix erfolgsentscheidender wird. Bei der Frage nach Ausprägung und Bedeutung der Kanalstrategie zeigte besonders die Telekommunikationsindustrie ein ausgeprägtes Bewusstsein für Fragen der Kanalstrategie. Dies bezog sich insbesondere auf die Frage der Gewichtung direkter gegenüber indirekten Kanälen und die Kontrolle dieser Kanäle beziehungsweise entstehende Abhängigkeitsverhältnisse. Insbesondere in der Konsumelektronik aber auch in der Energiewirtschaft waren Fragen der Kanalstrategie aber deutlich unterrepräsentiert – insbesondere in der Konsumelektronik zeichnet sich hier jedoch ein starkes Umdenken ab.13 Die Frage nach der strategisch richtigen Ausgestaltung der Kanalstrategie stellt sich nach Beobachtung von A.T. KEARNEY zunehmend auch im B2B-Bereich. Nur wenige Innovationsführer im B2B-Bereich denken allerdings bereits strategisch in einem Multi-Kanal-Ansatz, in dem strategische Vertriebs-Partnerschaften genauso entwickelt und eingesetzt werden, wie Online Shops und Affiliate Marketing (siehe Exkurs 3). Studien von A.T. KEARNEY zeigen aber auch, dass Unternehmen zunehmend Krisensituationen nutzen, um den Kanalmix zu ihren Gunsten zu ge12 13
A.T. KEARNEY (2008a). Vgl. A.T. KEARNEY (2008b).
56
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
stalten und insbesondere ihre Vertriebspartnerschaften neu zu sortieren. So wollen 27% leistungsschwache Vertriebspartner durch neue ersetzen und 24% der befragten Unternehmen ihr Vertriebspartnermodell grundsätzlich überarbeiten und Partner übernehmen. Immerhin 13% planen Übernahmen von Vertriebskanälen.14 Exkurs 3: Übernahmepolitik eines Office-Elektronik-Anbieters Ein Marktführer für Büroausstattung analysierte konsequent seinen Kanalmix und die Profitabilität seiner verschiedenen regionalen Vertriebspartner. In einer Region stieß der Hersteller auf starke Kanalkonflikte zwischen eigenem Außendienst und dem externen Händler, der zugleich eine relativ geringe Profitabilität aufwies. Als sich im Zuge der globalen Wirtschaftskrise eine finanzielle Instabilität des Händlers zeigte, nutzt der Anbieter diese Gelegenheit für eine Übernahme. Diese Übernahme war abgestimmt mit der allgemeinen Vertriebsstrategie, den eigenen Außendienst zu stärken und dessen Profitabilität zu verbessern. Die beschriebene fehlende Ausformulierung von Vertriebsstrategien und die fehlende Operationalisierung der Elemente dieser Strategie führen auch zu einer eindimensionalen Ausrichtung der Vertriebsziele, die dementsprechend rein auf Absatz und Umsatz ausgerichtet sind. Die Orientierung an der Wettbewerbsposition – also eine relative Formulierung von Zielen – findet sich nur bei einer Minderheit der Unternehmen.15 Aber auch unterstützende Elemente für den Vertriebserfolg sind in der Regel nicht ausreichend in den Vertriebszielen und Erfolgssystemen verankert. Als Beispiele hierfür sind die Profitabilität der gewonnen Kunden, die Qualität der Beratung und die Zufriedenheit der Kunden im B2C-Bereich zu nennen. Im B2B-Bereich sind die unterrepräsentierten Pendants die Pflege der Kundeninformationen, die Qualität des Vertriebs-Pipeline wie ebenso die Profitabilität der Abschlüsse. Je größer die Bedeutung in den Erfolgssystemen ist, desto intensiver ist dann auch die Aufmerksamkeit mit der der Vertrieb diesen Themen nachkommt. Als Ursachen für eine unzureichende Vertriebsperformance bzw. auch die fehlende Akzeptanz der Leistungen des Vertriebs lassen sich also fehlende strategische Ausrichtung, mangelnde Transparenz und teilweise fehlender Fokus auf Effektivität feststellen. Eine erforderliche Professionalisierung des Vertriebs muss diesen Unzulänglichkeiten Rechnung tragen.
14 15
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009). In der gemeinsamen Studie mit der ABSATZWIRTSCHAFT gaben 12% der Unternehmen eine Ausrichtung der Ziele am Absatzmarktanteil und nur 6% am Umsatzmarktanteil an; vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
3
57
Erfolgsfaktoren im Vertrieb erkennen
In zahlreichen Projekten in verschiedenen Industrien, ausführlichen Studien und Analysen hat A.T. KEARNEY die Erfolgsfaktoren im Vertrieb untersucht. Hierbei kristallisierten sich die folgenden Faktoren heraus (siehe Abbildung 6): ¾ Aus der Unternehmensstrategie abgeleitete Vertriebsstrategie – abgestimmt mit Marketingstrategie ¾ Vertriebsstrategie in Marktangangsmodell operationalisiert und übersetzt in Vertriebsbudget ¾ Transparenz über die tatsächliche Budgetverwendung ¾ Objektive Messung und Transparenz der Zielerreichung ¾ Performance Management balanciert zwischen vertrieblicher Freiheit und operativer Kontrolle Die Erfolgsfaktoren haben eine leicht unterschiedliche Bedeutung im B2B- und im B2CVertrieb. Während im B2B-Vertrieb aufgrund des weniger komplexen Go-to-Market eher die Fragen der Zielerreichung, des Leistungscontrollings und des Performance Managements im Mittelpunkt stehen, dominieren im B2C-Vertrieb vor allem die Abstimmung mit der Marketingstrategie, die Umsetzung in den Marktangang und Vertriebsbudgets sowie die Transparenz über die Budgetverwendung. Bedeutung Erfolgsfaktoren
Unwichtig
Weniger wichtig
Mittel
Wichtig
Sehr wichtig
Vertriebsstrategieaus Unternehmensstrategie abgeleitet
88%
Vertriebsstrategie abgestimmt mit Marketingstrategie
88%
Go-to-Market abgeleitet aus Vertriebsstrategie
75%
Go-to- Market operationalisiert in Vertriebsbudgets
63%
Transparenz über Budgetverwendung
88%
Objektive Messung der Zielerreichung
88%
Übergreifender Steuerungs- und Managementapproach
63%
Operatives Leistungscontrolling
50%
Balance zwischen Kontrolle und vertrieblicher Freiheit
88% B2B-Vertrieb
Abbildung 6:
B2C-Vertrieb
Erfolgsfaktoren im Vertrieb16
Um die aufgezeigten Erfolgsparameter im Management des Vertriebs umzusetzen, ist ein Umdenken bei Vertriebsleitern gefragt. Performance Management und Leistungscontrolling bleiben weiterhin zwar wichtige Elemente in der Führung eines Vertriebs – diese müssen jedoch in ein vielschichtigeres Modell eingebracht werden, das stärker an strategischen Gesichtspunkten orientiert ist. Der Vertrieb kann nur dann stärker in einen hochwertigen Aktiv16
A.T. KEARNEY (2008a) (Branchenübergreifende Vertriebsstudie mit Teilnehmern aus Energiewirtschaft, Telekommunikation, High Tech und Konsumelektronik).
58
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
posten transformiert werden, wenn die Unternehmensstrategie konsequent in eine Vertriebsstrategie übergeleitet wird, die wiederum abgestimmt ist mit der Marketingstrategie. Operativ bedeutet dies, dass sich beispielsweise Vertrieb und Marketing konkret abstimmen, welche Kundensegmente mit welchen Produkten mit welcher Priorität bedient werden sollen. Nur so lassen sich in der weiteren Folge auch abgestimmte Kommunikations- und Vertriebskampagnen erreichen. Die Abstimmung von Werbung und Vertriebsmaßnahmen zeigt nach Erfahrung von A.T. KEARNEY relativ verlässlich, inwieweit Marketingstrategie und Vertriebsstrategie aufeinander abgestimmt sind. Die Vertriebsstrategie wiederum muss dann in das passende Marktangangsmodell übersetzt werden, das mit den entsprechend allokierten Vertriebsmitteln gesteuert wird. So muss nach Erfahrung der Autoren insbesondere darauf geachtet werden, dass der angestrebte Kanalmix tatsächlich auch durch die Budgetallokation unterstützt wird. Durch versteckte Budgets und sonstige Zuwendung an einzelne Kanäle wird oft der StatusQuo beibehalten. Die vollständige Transparenz über die Verwendung der Budgets und der mit ihnen erreichten Ziele muss durch einen übergreifenden Management- und Steuerungsansatz unterstützt werden, der ein operatives Leistungscontrolling gewährleistet. Dabei sollte immer noch die Balance zwischen Kontrolle und vertrieblicher Freiheit gewährleistet sein. In der Projektarbeit haben die Autoren festgestellt, dass der gute Vertriebsleiter genau nicht in einem Kontrollwahn alle Details erfassen muss, sondern die Einhaltung der wichtigen Elemente seiner Vertriebsstrategie erfasst und den Grad der Kontrolle auch nach der Leistung der einzelnen Vertriebsmitarbeiter variiert. Welche Veränderungen sind nun konkret gefordert? Der Vertriebsleiter, der seinen Vertrieb auf Erfolg ausrichten will, muss sich von einem starken Fokus auf das Leistungsmanagement des Vertriebs abwenden, und seinen Vertrieb entlang eines umfassenden Ansatzes von Vertriebsstrategie hin zu den kulturellen Faktoren neu ausrichten.
4
STEP – Der Ansatz zu systematischem Vertriebserfolg
Der von A.T. KEARNEY entwickelte STEP-Ansatz trägt diesen Anforderungen Rechnung. STEP steht hierbei für die entscheidenden Elemente in jeder Vertriebsorganisation: Strategie, Transparenz, Effektivität und Personal (siehe Abbildung 7). Der grafische Aufbau des Ansatzes spiegelt hierbei die bisher beschriebenen Erkenntnisse wider, dass die strategische Ausrichtung des Vertriebs und der Marktangang die Grundlage für einen aus Unternehmenssicht erfolgreichen Vertrieb darstellen. Das Element der Transparenz sorgt für die Umsetzung dieser strategischen Elemente in die Steuerung der Effektivität und Effizienz. Alle Elemente bauen auf der Strategie auf. Unter dem Element Strategie lassen sich die Vertriebsstrategie und das Marktangangsmodell subsumieren. Hier wird die Frage beantwortet, welche Markt- und Markenpositionierung erreicht werden soll und welche Produkt-Markt-Segmente in welchen Regionen bedient werden sollen. Ferner werden die Ausgestaltung des Vertriebs hinsichtlich Kanalmix, Vertriebsmodell und -intensität, Dimensionierung und Abdeckung sowie die Vertriebsorganisation behandelt.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
59
Im Element Transparenz werden alle Aspekte des kommerziellen Modells des Vertriebs beleuchtet. Dies beginnt bei der Gestaltung der Provisions- und Anreiz-Modelle, dem Vertriebspartner-System, den Zielsystemen und den Messgrößen sowie der Preisgestaltung. Unter dem Element Effektivität sind alle operativen Hebel und die unterstützenden Faktoren, die sog. Enabler zu verstehen. Unter Operations fallen dabei das klassische Performance Management, das Management der Vertriebs-Pipeline, Vertriebsaktionen sowie das Management der Abschlussquoten. Im Bereich der unterstützenden Faktoren sind die IT-Systeme, die Prozess-Landschaft sowie die Aftersales- und Backoffice-Optimierung eingeordnet. Das Element Personal beinhaltet die gesamte Personalentwicklung mit dem Aufbau der notwendigen Skillsets, dem Training sowie Maßnahmen zur Gestaltung der Vertriebskultur. Der STEP-Ansatz wurde basierend auf den Erfahrungen der Autoren in zahlreichen Vertriebsprojekten in verschiedenen Branchen und den Ergebnissen unterschiedlicher Vertriebsstudien entwickelt. Auch in der methodischen Anwendung des Ansatzes kommt die deutlich stärkere Gewichtung von Vertriebsstrategie und Marktangangsmodell im Vergleich zur operativen Vertriebsoptimierung zum Tragen. Was ist bei der Ausgestaltung der einzelnen Elemente zu beachten?
5
Vertriebsstrategie – Was soll im Markt erreicht werden?
Das Strategie-Element des STEP-Ansatzes umfasst die Vertriebsstrategie selbst sowie die Ausgestaltung des Marktangangs (siehe Abbildung 7). Gerade die Definition der Vertriebsstrategie bleibt für viele Unternehmen und Vertriebsleiter ein Buch mit sieben Siegeln. Häufig ist unklar, welche Elemente eine Vertriebsstrategie beinhalten sollte. Dabei sind hier als grundsätzliche Leitlinien zu positionieren, welche Stellung das Unternehmen im Markt einnehmen und wie die Marke positioniert werden sollte17. So führt beispielsweise eine klare Festlegung auf eine Positionierung als ein moderner Premium-Anbieter mit Innovationsführerschaft auch zu einer entsprechenden Umsetzung in der Vertriebsstrategie beispielsweise bei der Wahl der Vertriebskanäle und der Gestaltung der Ladenlokale. Beide Strategie-Elemente sind für die spätere Bestimmung von Zielen und Messgrößen wesentliche Ausgangsparameter. Grundlage hierfür ist eine fundamentale Kenntnis des Marktumfelds und der Reife der Industrie (siehe Exkurs 4).
17
In den Vertriebsstudien von A.T. KEARNEY werden als wesentliche Elemente einer Vertriebsstrategie immer wieder Umsatz und Absatz genannt.
60
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Enablers
• Kommissionen/ Anreizsysteme • Partner-Modell
• Zielsysteme
• Preissetzung/ Transparenz Rabatte
• Kanal-Mix Gestaltung Go-to-Market • Vertriebsmodell • Vertriebsorganisation
• Abdeckung • Ressourcen Dimensionierung
• Marktpositionierung • Produkt-Markt Fokussierung • Geographischer Fokus
• Marken-Position • Skillset Entwicklung
Personal
Kommerzielles Modell
Effektivität
Performance Management Sales Pipeline Management Aftersales Optimierung Backoffice Optimierung
HR-Entwicklung
Operations
• • • •
• Training • Prozesse • IT Tools
Strategie
Vertriebsstrategie
Abbildung 7:
STEP – Strategie, Transparenz, Effektivität und Personal
Weiterhin sollten Unternehmen zwingend festlegen, welche Produkt-Markt-Fokussierung sie wählen, also welche Produkte in welchen Kundensegmenten mit welcher Priorität verkauft werden sollen. In den Vertriebsprojekten von A.T. KEARNEY zeigt sich, dass diese Frage, die ja auch in der Marketing-Strategie beantwortet wird, häufig im Vertrieb nicht definiert ist oder unklar bleibt. In der Regel ist auch ein unzureichender Abgleich mit dem Marketing feststellbar. Ein ebenfalls häufig fehlendes Element, das in der Vertriebsstrategie klar umschrieben werden sollte, ist die Frage der Entwicklung der Fähigkeiten und Fertigkeiten (Skillsets), die der Vertrieb intern wie extern entwickeln sollte. Wird also in der Vertriebsstrategie definiert, dass ein stärkerer Fokus auf Lösungsvertrieb erfolgen soll, so muss mit dem bestehenden Außendienst ein Abgleich erfolgen, welche Mitarbeiter die erforderlichen Fähigkeiten aufweisen. Wird hier eine Kompetenzlücke festgestellt, müssen entsprechende Qualifizierungsoder Verstärkungsmaßnahmen definiert werden.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
61
Exkurs 4: Anpassung des Go-to-Market Modells and das Marktumfeld Wie Analysen von A.T. KEARNEY ergeben haben,18 lassen sich verschiedene Priorisierungen im Marktangang von Unternehmen erkennen (siehe Abbildung 8). Hierbei beeinflussen Marktwachstum und Marktwettbewerb wesentlich den Fokus, den Unternehmen setzen müssen. Während im Markttypus des New Product Launch der Fokus klar auf der Vermarktung des Produkts liegt, muss der Vertrieb dafür Sorge tragen, das Produkt möglichst breit vermarkten zu können. In der Phase der Transition liegt der Schwerpunkt klar auf den Vertriebskanälen, um eine optimale Durchsetzung gegenüber dem Wettbewerb zu erreichen. In der Phase der Maturity also der Marktreife, muss die Potenzialausschöpfung aller Kundensegmente im Vordergrund stehen, die der Vertrieb bedienen muss, während in der Phase des Dead End der Schwerpunkt des Vertriebs auf einer kosteneffizienten Bedienung der Kunden liegen muss. High
New product launch
Transition
Successful new product with lots of growth potential, very little competition and an opportunity to satisfy shareholder needs
Competition moves in and shareholders demand growth and profits
Customer
Customer
Product
Channel
Product
Product focus to improve quality and meet initial growth expectations
Market growth
Channel
Channel focus to improve margins, and increase revenue and market share
Dead end
Mature
Decreased market receptivity reduces growth and shareholder expectations while competition intensifies
Obvious growth opportunities have been exploited and there is a lot of competition, but shareholder expectations remain high
Customer
Customer
Primary focus Product
Channel
Product
Channel
Secondary focus Customer focus to develop new products with better market prospects Low Low
Abbildung 8:
6
Deep customer focus to stimulate innovation and new product or business development
Market challenge
Not a focus
High
Marktangang von Unternehmen
Go-to-Market – Welche Aufstellung ist zur Erreichung meiner strategischen Ziele geeignet?
In direkter Verbindung mit der Vertriebsstrategie steht die Frage des Marktangangs. Im Rahmen der Go-to-Market-Definition steht die Frage der Kanal-Mix-Gestaltung an oberster Stelle. Welche Kanäle eignen sich dazu, die strategischen Ziele zu erreichen? Welche Gewichtung sollten sie dabei einnehmen? Gerade in den letzten Jahren haben sich die verfügbaren 18
Vgl. A.T. KEARNEY (2009a).
62
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Vertriebskanäle deutlich erweitert. Dies ist nicht nur im B2C-Bereich mit dem Wachsen der Online- und Call-Center-Kanäle sowie einer deutlichen Verbreiterung der Handelskanäle der Fall, sondern auch im B2B-Bereich in dem Internet und Call Center für viele Produkte ebenfalls valide Vertriebskanäle darstellen. Wichtig ist in jedem Fall, den Kanalmix auch quantitativ vorzugeben, da sich ansonsten nicht beabsichtigte parallele Investitionen in verschiedenen Kanälen einstellen und unkontrollierte Kanalkonflikte entstehen. Basis der Kanal-Mix-Planung ist natürlich eine Profitabilitätsrechnung der verschiedenen miteinander konkurrierenden Kanäle. Zusätzlich sollten aber auch weitere Elemente wie die Frage der Reichweite, insbesondere günstiger Kanäle wie dem Internet, in den definierten Zielgruppen der Planung zugrunde gelegt werden, ebenso wie die Frage der angestrebten Marken-Positionierung in den gewählten Kanälen. Das Vertriebsmodell ist insbesondere im direkten B2B-Vertrieb relevant: Soll ein Flächenvertrieb, ein Segment-Modell oder ein Account-Vertrieb gewählt werden? Hier muss nach Erfahrung von A.T. KEARNEY insbesondere die Produktstruktur (erklärungsbedürftiges Produkt oder nicht), die Auftragsgröße und die Marktpositionierung zugrunde gelegt werden. Ist ein Hunter-Farmer-Modell hilfreich oder eher ein integrierter Vertrieb? Hier kann die Positionierung des Unternehmens bei der Antwort helfen – Angreifer arbeiten oft im Hunter-Farmer-Modell effizienter. Wie können Vertriebsingenieure oder Produktspezialisten bei einem forcierten Verkauf eines Produktes helfen? Hier kann beispielsweise eine enge Einbindung in die Vertriebsteams mit gemeinsamen Zielen helfen. Diese Fragen gewinnen insbesondere im Vertrieb von Multi-Produkt-Unternehmen im Non-Commodity-B2B-Bereich zunehmend an Bedeutung. Für die Beantwortung der Frage, welches Modell optimal geeignet ist, ist die Vertriebsstrategie wiederum eine wesentliche Einflussgröße. Kritisch ist weiterhin auch die Frage der Intensität mit der die einzelnen Kundensegmente bedient werden wollen. Diese Intensität ergibt sich aus der Produkt-Markt-Fokussierung und hilft dem Vertrieb seine Ressourcen- und Zeitaufteilung optimal zu gestalten. Mit der Ausrichtung nach dem Kundenpotenzial können die Ergebnisse optimiert und die Vertriebskosten gemanagt werden. Exkurs 5: Umstellung auf Potenzial-Segmentierung Bei der Fragestellung, wie die Vertriebskosten ohne signifikante Auswirkung auf die Kundenzufriedenheit und erzielbaren Umsätze gesenkt werden können, stellte ein Klient von A.T. KEARNEY sein im B2B-Vertrieb verwendetes Segmentierungsmodell um. Die vorher verwendete Kombination von Unternehmensgröße und Branche wurde ergänzt um eine Potenzial-Segmentierung. Diese ergänzt verfügbare Daten über die Nutzung von Produkten. So konnten branchen- und größenübergreifend potenzialbasierte Segmente gebildet werden. Auf das Potenzial der einzelnen Segmente wurde die Betreuungsintensität abgestimmt. Potenzialträchtige Unternehmen erhalten fortan eine bessere, weniger potenzialträchtigere eine effizientere Betreuung. Im Ergebnis konnte der Klient mit reduziertem Personalaufwand ein besseres Ergebnis erzielen. Direkt verknüpft mit der Frage nach Kanalmix und Vertriebsmodell ist die Frage der Vertriebsorganisation: Ist eine Aufstellung nach Kanälen, nach Regionen oder besser nach Segmenten zu wählen? Eine allgemein gültige Antwort lässt sich hier nicht finden – die Organisationsvarianten sind aus der gewählten Vertriebsstrategie, dem Marktangangs- und dem Vertriebsmodell und dem vorhandenen Skillset zu validieren und die am besten geeignete Organisationsform auszuwählen. Häufig sind in frühen Marktphasen Regionen-Modelle, bei zunehmender Reife Kanalorganisationen und in der Sättigung ein Segmentmodell die richtige Entscheidung. Die Wahl der passenden Vertriebsorganisation zum gewählten Vertriebsmodell
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
63
kann durchaus entscheidenden Einfluss auf den Vertriebserfolg haben. Nach Erfahrung von A.T. KEARNEY kann beispielsweise eine Segmentorganisation, die in den regionalen Niederlassungen nicht entsprechend aufgegriffen wird, dazu führen, dass der Bereich der KMU19 vernachlässigt wird. Da in den Vertriebsmeetings der Fokus häufig rein auf den großen Projekten liegt, beginnen auch die auf den Mittelstand ausgerichteten Außendienstler im GroßkundenSegment aktiv zu werden. Dies führt nicht nur zu einer Vielzahl von Kanalkonflikten führt, sondern auch zu einem starken Einbrechen der Marktanteile im Segment Mittelstand. Die Ressourcendimensionierung und der Grad der Abdeckung mit eigenen und/oder indirekten Kanälen lassen sich potenzialbasiert und kostenorientiert beantworten. Eine solche Dimensionierung greift jedoch nach Erfahrung von A.T. KEARNEY deutlich zu kurz. Die Dimensionierung und Abdeckung muss stets auch aus der gewählten Vertriebsstrategie heraus beantwortet werden. Eine Potenzialorientierung wie in Exkurs 5 beschrieben, ist ein wesentlicher Stellhebel für eine kosten- und umsatzoptimierte Dimensionierung des Vertriebs. Bei einer nicht-potenzialorientierten Segmentierung wird häufig zu viel Zeit auf Kunden verwendet werden, die nur geringe Auftragswahrscheinlichkeit haben oder kleine Aufträge schreiben. Dies kann mit einer potenzialorientierten Segmentierung vermieden werden.
7
Kommerzielles Modell – Wie und mit welcher Profitabilität können die Ziele erreicht werden?
Wie schon bei der Erläuterung der Erfolgsfaktoren im Vertrieb beschrieben, sind die Übersetzung des Marktangangsmodells in ein Vertriebsbudget und die Transparenz über die Verwendung dieses Budgets mit der objektiven Kontrolle dieser Zielerreichung ein wesentlicher Faktor für erfolgreiche Vertriebsarbeit (siehe Abbildung 9).
19
KMU: Kleine und mittlere Unternehmen.
64
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Kommerzielles Modell
Effektivität
Performance Management Sales Pipeline Management Aftersales Optimierung Backoffice Optimierung
¾ Kommissionen/ Anreizsysteme ¾ Partnermodell
¾ Zielsysteme ¾ Preissetzung/ Rabatte
• Kanal-Mix Gestaltung Go-to-Market • Vertriebsmodell • Vertriebsorganisation
• Abdeckung • Ressourcen Dimensionierung
• Marktpositionierung • Produkt-Markt Fokussierung • Geographischer Fokus
• Marken-Position • Skillset Entwicklung
Personal
Operations
• • • •
• Training • Prozesse • IT Tools
HR-Entwicklung
Enablers
Strategie
Vertriebsstrategie
Abbildung 9:
Transparenz im STEP-Ansatz
Ein wesentliches Element sind hierfür die Kommissions- und Anreizsysteme, die letztlich die Allokation der Vertriebsbudgets auf die einzelnen Kanäle darstellen. Eine ausreichende Variabilisierung der Vertriebskosten mit einer klaren Bindung variabler Komponenten an die Zielerreichung stellt hierbei eine kritische Erfolgskomponente dar. Auch wenn in einer Studie von A.T. KEARNEY und ABSATZWIRTSCHAFT zu Tage trat, dass immerhin noch 36% der Unternehmen den variablen Anteil ihrer Entlohnung weiter steigern wollen, so ist aus Sicht von A.T. KEARNEY hier noch eine Weiterentwicklung von Nöten.20 Diese muss bei der Ausgestaltung der Zielsysteme erfolgen: Die Abkopplung der Zielerreichung im Vertrieb vom Unternehmenserfolg – wie wir sie bei vielen Klienten erleben – muss aufhören. Der Vertrieb ist an den gleichen Zielen zu messen, wie das gesamte Unternehmen. Diese Ziele müssen so herunter gebrochen werden, dass variable Komponenten nur dann in umfangreichem Maße ausgezahlt werden, wenn auch das Gesamtunternehmen seine Ziele erreicht. Die Zielerreichung sollte dabei so ausbalanciert sein, dass zwar die Mitarbeiter im Vertrieb ausreichend entlohnt werden, um nicht zum Wettbewerb zu wechseln, ein Auseinanderfallen der Zielerreichung zwischen Vertrieb und Gesamtunternehmen aber vermieden wird. Dies bedeutet weiterhin, dass der Vertrieb nur Ziele bekommt, die er auch erreichen kann. Diese sollten allerdings so gewählt werden, dass sie mit dem Markterfolg korrespondieren, z. B. also eine Marktanteilsoder Umsatzanteils-Komponente beinhalten. Werden solche Zielparameter eingeführt, so besteht auch Transparenz zwischen der Zielerreichung des Vertriebs und dem Rest des Unternehmens. Auch das Partnermodell sollte direkt in Einklang mit der Vertriebsstrategie und dem gewählten Marktangangsmodell stehen. Auch stellen wir in vielen Fällen fest, dass in einem falschen Glauben an die Vertriebsmacht einzelner indirekter Partner und in Folge einer zu starken Identifizierung der Vertriebsmitarbeiter mit diesen Partnern strategische Konzepte bewusst 20
Vgl. ABSATZWIRTSCHAFT (2009).
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
65
oder unbewusst konterkariert werden. So werden Veränderungen im Kommissionsmodell, die starke Vertriebspartner in ihrer Bedeutung zurückführen sollen, oft durch Nebenabreden der Partnerbetreuer in ihrer Wirkung abgeschwächt. Das Partnermodell sollte unbedingt in Einklang mit der gewählten strategischen Ausrichtung und Markt- und Marken-Positionierung, wie auch dem Kanal-Mix-Modell stehen und unabhängig vom Vertriebscontrolling geprüft werden. Schließlich ist auch die Frage der Preissetzung und Rabattsysteme eine erfolgskritische Frage der Transparenz. Nach Erfahrung von A.T. KEARNEY kommt hierbei der Setzung von Preispunkten häufig eine große Aufmerksamkeit zu.21 Deutlich weniger Aufmerksamkeit erfährt die Rabattgewährung. Mit dem Verweis auf die Notwendigkeit eines Rabatts zur Kundengewinnung, werden häufig alle diesbezüglichen Fragen abgewehrt und neben den offenen Rabatten oft noch zahlreiche verdeckte Rabatte gewährt, die die Profitabilität eines Abschlusses stark gefährden. Genau hier unterscheiden sich jedoch gute Vertriebe von schlechten Vertrieben: Ein guter Vertrieb kann deutlich besser über die Produktargumentation verkaufen als über die Rabattgewährung. Dieses Problem lässt sich jedoch nur dann identifizieren, wenn überhaupt eine Transparenz über die Rabattgewährung besteht. Hier ist das Vertriebscontrolling gefordert Transparenz herzustellen. Transparenz ist also im gesamten kommerziellen Modell des Vertriebs erforderlich: in den Kommissions- und Anreizsystemen, in den Zielsystemen und deren Messung, im Partnering und nicht zuletzt im Pricing und der Rabattgewährung. Berichte zu den einzelnen Elementen finden sich auch in praktisch jedem Vertrieb. Eine Verknüpfung der einzelnen Berichte in einem durchgängigen Gerüst, das sich letztlich bis zur Unternehmensstrategie zurückführen lässt und die Vertriebsleistung in Beziehung zum Wettbewerb setzt, ermöglicht er jedoch erst, die Frage nach dem Wert des Aktivpostens Vertrieb auch wirklich zu beantworten.
8
Operations – Wie kann die Zielerreichung sichergestellt werden?
Performance Management wird oft als die Hauptfähigkeit eines guten Vertriebsleiters angesehen – ohne Frage ist es ein Kernelement eines gut funktionierenden Vertriebs, wenn auch der Erfolg eines Vertriebs noch von weiteren Faktoren abhängig ist. Performance Management ist sowohl im B2C- als auch im B2B-Vertrieb gleichermaßen wichtig. Die KPI-bezogene Führung der Mitarbeiter und Steuerung ihrer Flächenpräsenz, ihrer Besuchshäufigkeit, der Erfolgsquote wie auch die Kontrolle, ob der Vertriebsmitarbeiter in dem ihm zugewiesenen Kunden- oder Kanalsegment aktiv ist, sind Kernelemente eines guten Performance Managements (siehe Abbildung 10).
21
Vgl. A.T. KEARNEY (2009c).
66
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Kommerzielles Modell
¾ Performance Management ¾ Sales Pipeline Management ¾ Aftersales-Optimierung ¾ Backoffice-Optimierung
• Kommissionen/ Anreizsysteme • Partner-Modell
• Zielsysteme
• Preissetzung/ Transparenz Rabatte
• Kanal-Mix Gestaltung Go-to-Market • Vertriebsmodell • Vertriebsorganisation
• Abdeckung • Ressourcen Dimensionierung
• Marktpositionierung • Produkt-Markt Fokussierung • Geographischer Fokus
• Marken-Position • Skillset Entwicklung
Personal
Operations
¾ Training ¾ Prozesse ¾ IT Tools
HR-Entwicklung
Enablers
Strategie
Vertriebsstrategie
Abbildung 10:
Effektivität im STEP-Ansatz
Klassische Vertriebselemente wie die Besuchsplanung und die Kontrolle der Besuchsquote und -berichte sind weiter unverzichtbare Kernelemente eines Performance Managements. Häufig jedoch wird Leistungs-Management mit einem Mehr an Kontrolle und damit einem Mehr an Formularwesen und Berichtsaufwand für den Außendienst und damit einem Weniger an Zeit für den Kunden gleichgesetzt. Ein wegweisendes Performance Management jedoch erzielt diese Kontrolleffekte ohne zusätzlichen Aufwand für den Vertriebsmitarbeiter. So lassen sich mit modernen Vertriebs-Support-Tools aus Routenplanung und Terminplanung Besuchsberichte automatisch generieren und aus den Einträgen im CRM-System und Bestellsystem werden auch die Kontrolle des Besuchsplans und der durchgeführten Erfolge ermöglicht. Ein modernes Leistungs-Management-System bietet dem Vertriebsleiter also die Möglichkeit, alle für ihn wirklich relevanten Kenngrößen mit minimaler Zeitbelastung des Außendienstes zu erhalten.
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
67
Exkurs 5: Der „Friday-Review-Call“ Ein IT-Unternehmen, das seine CRM Software mit B2B-Außendienst vertrieb, hatte nur zwei Berichte für seinen Außendienst eingeführt, die beide im gleichen System verankert waren. Die Wochenplanung musste jeder Außendienstler bis Montag morgens 09.00 Uhr zu seinem jeweiligen Regionalleiter gesendet haben und den darauf basierenden Wochenerfolgsbericht bis zum Freitag Mittag. Jeweils Freitag Nachmittags fanden die so genannten Review-Telefonate für die einzelne Woche statt, die auf den Ergebnis-Reports gegen die Wochenplanung basierten. Da die Review-Telefonate als Telefonkonferenzen organisiert waren und die Ergebnisberichte zentral abgelegt waren, konnten die Vertriebsleitung, die Geschäftsführung und der Eigentümer des Unternehmens jeweils an jedem der regionalen Vertriebs-Telefonkonferenzen teilnehmen. Hierbei wurde stets der Best Performer herausgehoben und denjenigen, die ihre Ziele verfehlt hatten, sehr operative Fragen zur ihrer Wochenperformance gestellt. Mit nur zwei Berichten konnte so der Vertrieb effizient und straff geführt werden. Ein weiteres wesentliches Element des Effektivitäts-Managements im Vertrieb ist das Management der Sales Pipeline. Transparenz über die Anzahl der Aufträge in den verschiedenen Stufen der Sales Pipeline ist hierbei die notwendige Grundvoraussetzung, auf die Gestaltung der Pipeline aktiven Einfluss nehmen zu können. Die Sales Pipeline muss also deutlich mehr Beitrag leisten, als zur reinen Prognose der Umsatz- und Absatzentwicklung – sie muss als aktives Steuerungselement genutzt werden. So sollten Vergleiche zwischen Kundensegmenten, Regionen und einzelnen Mitarbeitern regelmäßig vorgenommen werden, um Problembereiche identifizieren und Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Solche Gegenmaßnahmen können zum Beispiel in gezielten regionalen Push-Maßnahmen aber auch in Fokus-Aktionen oder Trainings für einzelne Mitarbeiter bestehen. Als positiven Nebeneffekt erzielt das Pipeline Management noch eine Stabilisierung der Absatzentwicklung und lässt bessere Zielerreichungsprognosen zu. Aftersales- und Backoffice-Optimierung sind Themen, die üblicherweise erst dann in den Fokus von Vertriebsleitern rücken, wenn die Performance des Vertriebs einbricht. Über Analysen des Zeiteinsatzes des Außendienstes oder aber auch durch die Rückmeldungen der indirekten Kanäle stößt man auf die Probleme der häufig nicht beachteten After-Sales- und Backoffice-Abteilungen. Einsparungen finden oft in genau den Bereichen statt, die kritisch für die Performance des Außendienstes oder der Kanäle sind. Backoffice-Mitarbeiter werden gekürzt – mehr Aufgaben wandern zum Vertrieb; der Kunde wendet sich bei nicht zufriedenstellender Performance jedoch in der Regel direkt an den Außendienst bzw. seinen Betreuer. Dieser beschäftigt sich in der Folge weniger mit neuen Vertriebsaktivitäten als mit dem Fulfillment der getätigten Verkäufe und dem Management von Kundenbeschwerden, teilweise auch mit der Erstellung von Angeboten. Dies führt später häufig zu der Klage, dass der Außendienst nicht vertriebsorientiert sei – auch wenn er eigentlich keine Chance mehr hat, bei gekürztem Backoffice seinen Aufgaben nachzukommen. Bei optimaler Unterstützung des Außendienstes kann dieser seine Angebote einfach aus dem Vertriebssupport-Tool generieren – richtige Dimensionierung, klare Aufgabenzuteilung und effiziente Prozesse, die sich ebenfalls an KPIs messen lassen müssen, sollten daher im Augenmerk eines jeden Vertriebsleiters liegen.
68
9
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Enabler – Wie können die Voraussetzungen zur Zielerreichung geschaffen werden?
Schon in den bisherigen Schilderungen wurde deutlich, dass Prozesse, IT-Unterstützung und das Training der Mitarbeiter ebenfalls wichtig für eine abgerundete Vertriebsleistung sind (siehe Abbildung 10). Gerade in der IT-Unterstützung des Kundendaten-Managements, der Angebotserstellung und -verfolgung liegt ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Bei allem im Vertrieb notwendigen Pragmatismus sind die unterstützenden Faktoren genau die falsche Stelle für Pragmatismus – Professionalisierung ist gefragt. Hierzu gehört das Verwenden professioneller Vertriebs-Software genauso wie die Einhaltung definierter Prozesse und deren Verankerung im Zielsystem. Ebenfalls zur Professionalisierung gehört, sich von dem häufig vorgefundenen Gedanken zu lösen, dass die Anforderungen des Vertriebs nicht in einer notwendigen IT Entwicklung enden, die einen großen Zeitbedarf und noch größeren Entwicklungsbedarf hat, sondern sich gezielt standardisierte Vertriebs-Software anzuschauen, die schnell und ohne großen Kapitalbedarf eingesetzt werden können.
10
HR-Entwicklung – Wie wird das optimale Team zur Zielerreichung entwickelt?
Das Vertriebsteam ist der Schlüssel zur Zielerreichung. Hierzu gehören Starverkäufer genauso wie die Teamplayer im Backoffice. Was macht aber eine Vertriebsmannschaft mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit aus (siehe Abbildung 10)? Aus zahlreichen Projekten und Studien sehen die Autoren von A.T. KEARNEY als wesentlichen Erfolgsfaktor ein wettbewerbsorientiertes Denken und die entsprechende Prägung der Vertriebskultur. Besonders erfolgreiche Vertriebe kennzeichnen sich dadurch, dass sie stets am Wettbewerb orientiert sind. Diese Organisationen versuchen, das entscheidende Quantum besser zu sein, während sich stagnierende Vertriebsorganisationen häufig mehr mit sich selbst beschäftigen. Darüber hinaus stellt die Analyse des benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten ein wichtiges Personal-Element dar. Neben der Frage, wie eine Karriere im Vertrieb verläuft, steht die Frage im Vordergrund, welche Typen von Verkäufern benötigt werden. Der Mix aus verkäuferischer Begabung, Beziehungs-Managern und technisch versierten Beratern sollte identifiziert werden, um die benötigte Mannschaft zielgerichtet entwickeln zu können.
Enablers
• Kommissionen/ Anreizsysteme • Partner-Modell
Effektivität
Performance Management Sales Pipeline Management Aftersales Optimierung Backoffice Optimierung • Zielsysteme
• Preissetzung/ Transparenz Rabatte
• Kanal-Mix Gestaltung Go-to-Market • Vertriebsmodell • Vertriebsorganisation
• Abdeckung • Ressourcen Dimensionierung
• Marktpositionierung • Produkt-Markt Fokussierung • Geographischer Fokus
• Marken-Position • Skillset Entwicklung
Strategie
Vertriebsstrategie
Abbildung 11:
11
HR-Entwicklung
Kommerzielles Modell
• Training • Prozesse • IT Tools
¾ HR- Entwicklung ¾ Kultur
Operations
• • • •
69
¾ Mindset-Entwicklung
STEP – Strategie und Transparenz für mehr Vertriebserfolg
Personal im STEP-Ansatz
Vertrieb als echter Aktivposten – Klaviatur von Strategie bis Performance
Um den Vertrieb in einen Aktivposten zu verwandeln, sollten Vertriebsleiter nicht mehr allein auf Leistungs-Management fokussieren, sondern ein Vertriebskonzept entwickeln. Die folgenden goldenen Regeln sollten Vertriebsleiter beachten, um den Vertrieb als wertvollen Aktivposten zu positionieren: ¾ Definieren Sie eine Vertriebsstrategie und stimmen Sie diese mit Unternehmens- und Marketingstrategie ab ¾ Entwickeln Sie ein Marktangangsmodell, das diese Strategie unterstützt ¾ Schaffen Sie Transparenz über Ihre Budgetverwendung und Zielerreichung und messen diese gegen den Unternehmenserfolg am Markt ¾ Kontrollieren Sie relevante Kenngrößen ohne dem Vertrieb Zeit mit dem Kunden zu nehmen ¾ Professionalisieren Sie Ihre unterstützenden Faktoren wie Software und Prozesse ¾ Identifizieren Sie Stärken und Schwächen in ihrem Team und entwickeln es dementsprechend
70
SONNENSCHEIN/HASTENTEUFEL/DICKGREBER
Quellenverzeichnis (2009): In der Krise ist mehr Mut gefragt, online: http://www.absatz wirtschaft.de/content/_pv/_p/1002910/_t/ft/_b/69283/default.aspx/, Stand: 25.11.2009, Abruf: 19.02.2010.
ABSATZWIRTSCHAFT
A.T. KEARNEY (2008a): Branchenübergreifende Vertriebsstudie mit Teilnehmern aus Energiewirtschaft, Telekommunikation, High Tech und Konsumelektronik, nicht veröffentlicht, 2008. A.T. KEARNEY (2008b): Chasing Channels, Countries, and Customers – Consumer Electronics Manufacturers’ Struggle in Europe, o. O. 2008. A.T. KEARNEY (2009a): Executive Agenda, Vol. XII, Nr. 2, o. O. 2009. A.T. KEARNEY (2009b): Global Cost Benchmarking, o. O. 2009. A.T. KEARNEY (2009c): Umsätze stabilisieren – Wachstum sichern, unveröffentlicht, 2009.
4010 – Ein Point-of-Sales-Konzept für die junge Zielgruppe am Beispiel der Deutschen Telekom AG IRA SCHOMAKER, MICHAEL ERNER und MARCUS BERLIN Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, Deutsche Telekom Laboratories und Technische Universität Berlin
1 2
Einleitung......................................................................................................................... 73 Ausgangssituation............................................................................................................ 73 2.1 Herausforderungen für den Point of Sales ............................................................. 73 2.2 Herausforderungen für die Deutsche Telekom AG................................................ 74 3 Ziele und Aufgaben des Point of Sales ............................................................................ 75 4 4010 – Der Telekom Shop in Mitte: Ein Shopkonzept für die junge Zielgruppe ............ 79 4.1 Umsetzung ............................................................................................................. 80 4.2 Erfolgsmessung und lessons learned...................................................................... 83 4.3 Ausblick ................................................................................................................. 85 5 Zusammenfassung ........................................................................................................... 86 Quellenverzeichnis.................................................................................................................. 86
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG
1
73
Einleitung
Das unternehmerische Handeln ist auf die Bedürfnisse der Märkte und Kunden ausgerichtet. Insbesondere im Marketing und im Vertrieb müssen die individuellen Wünsche der Kunden in den Mittelpunkt aller Aktivitäten gestellt werden. Hierzu ist es erforderlich, dass sich die Unternehmen mit den Besonderheiten der jeweiligen Zielgruppen auseinandersetzen und ihre Unternehmensstrategie fokussiert auf diese ausrichten. Nur so können die unterschiedlichen Kundengruppen gezielt angesprochen und deren Bedürfnisse optimal befriedigt werden. Im Folgenden wird ein Shopkonzept beschrieben, das die gezielte Ansprache und besondere Erlebnisvermittlung der jungen Generation am Point of Sales (PoS) zum Ziel hat und von der Deutschen Telekom AG (DTAG) entwickelt und umgesetzt wurde. Diese Entwicklung ist insbesondere vor dem Hintergrund der durch das Internet ausgelösten technologischen und sozialen Veränderung zu sehen, welche nachhaltigen Einfluss auf die Konzeptgestaltung und -umsetzung hat. Im Rahmen des Beitrages werden zunächst die Herausforderungen aufgezeigt, die sich vor dem Hintergrund der genannten Veränderungen für Marketing und Vertrieb im Allgemeinen sowie für die DTAG im Besonderen ergeben. Dann werden die allgemeinen Aufgaben des PoS dargestellt und die spezifischen Zielstellungen der DTAG in den vorgegebenen Rahmen eingefügt. Anhand dieser Aufgabenstruktur wird ebenfalls die Darstellung der Umsetzung des Konzeptes sowie der erzielten Ergebnisse vorgenommen. Abschließend erfolgt ein kurzer Ausblick auf zukünftig anstehende Aktivitäten sowie eine abschließende Zusammenfassung der Ergebnisse.
2
Ausgangssituation
Im folgenden Abschnitt werden der Einfluss des Internets, die damit einhergehende Vernetzung des Marktes sowie die daraus resultierenden Herausforderungen für Marketing und Vertrieb dargestellt. Vor diesem Hintergrund wird die Situation der DTAG beschrieben und Erfordernisse für ein neues PoS-Konzept aufgezeigt.
2.1
Herausforderungen für den Point of Sales
Die Verbreitung des Internets stellt Herausforderungen für Marketing und Vertrieb dar. Die damit einhergehenden technologischen und sozialen Veränderungen erfordern ein Umdenken bei den Unternehmen selbst und führen darüber hinaus zu veränderten Kundenanforderungen. Im CLUETRAIN-Manifest wurde diese Entwicklung schon vor einigen Jahren beschrieben und analysiert1. Dabei wurde aufzeigt, dass die Kunden nur noch bedingt durch die klassischen Massenkommunikationsmedien Zeitung, Radio und TV angesprochen werden wollen. Vielmehr möchten sie als Individuum kontaktiert werden. Zudem erhalten Konsumenten leichter Zugang zu Informationen über aktuelle technologische Trends und Produkte. In Blogs und 1
Vgl. CLUETRAIN (2001).
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
74
SCHOMAKER/ERNER/BERLIN
Communities wie bspw. Facebook werden Meinungen gebildet und Erfahrungen ausgetauscht. Die Kunden sind zunehmend besser informiert und anspruchsvoller denn je2. Diesem Umstand sollte auch am PoS Rechnung getragen werden. Der Kunde weiß genau, was er will, und erwartet vom Unternehmen, auf diesem hohen Anspruchsniveau abgeholt zu werden. Dieser Fall trifft insbesondere für die junge Zielgruppe zu. Nicht nur die Kunden verändern sich durch diese Entwicklung, sondern die Unternehmen ebenso. So sind elektronische Marktplätze entstanden, die es ermöglichen, eine weltweite Präsenz aufzubauen und damit die Markenbekanntheit zu erhöhen.
2.2
Herausforderungen für die Deutsche Telekom AG
Softwaredownload
Flatrates …
Fax Klassische Telefonie
Gaming Communitiydienste
20
Abbildung 1:
IPTV
35
50
Klassische Telekommunikationsdienste
Webbasierte (innovative) Internetdienste
niedrig Haushaltseinkommen
hoch
Die oben beschriebene Entwicklung hat auch Relevanz für die Deutsche Telekom. Diese fokussiert auf Telekommunikationsprodukte und -dienste in der vernetzten und digitalen Welt wie z. B. IP-TV, Home Media Network und mobiles Internet. Wie Abbildung 1 darstellt, sind an der Nutzung solch innovativer Web-Produkte vor allem die Kundensegmente bis 35 Jahre interessiert, während für ältere Segmente diese Produkte niedrigere Relevanz haben.
65
Alter
Nutzungsinteresse von Telekommunikationsprodukten der verschiedenen Altersgruppen3
Diverse Marktforschungen bescheinigen der DTAG insbesondere in dem jungen Zielsegment eine hohe Markenbekanntheit sowie eine hohe Leistungsakzeptanz, jedoch geringere Markenattraktivität und Empfehlungsverhalten.
2 3
REICHWALD ET AL. (2000), S. 8. Eigene Darstellung, basierend auf der ALLENSBACHER MARKT- UND WERBETRÄGER-ANALYSE (2008).
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG
75
Um ihre Marktposition auszubauen, hat sich die Deutsche Telekom entschlossen, verstärkt diese Kundensegmente für sich zu gewinnen und mit ihren Produkten an sich zu binden. Die Werte und Bedürfnisse der Zielgruppe in Bezug auf den Konsum von Telekommunikationsprodukten sind in Abbildung 2 dargestellt. Hier ist zu erkennen, dass insbesondere im Jugendsegment Faktoren wie Personalisierung, Innovativität, Design und Community von großer Bedeutung sind.
niedrig Haushaltseinkommen
hoch
Andere Segmente: Zielsegment: ¾ Jung und unkonventionell ¾ Am Bildschirm sozialisiert und in der digitalen Welt aufgewachsen ¾ Experimentierfreudig, neugierig, kreativ, ich-bezogen, auf der Suche nach Selbstverwirklichung und Identität/ Heimat ¾ Distanzloses, von Reizhunger geprägtes Verhältnis zu Medien, Verschmelzung unmittelbarer Wirklichkeitserfahrung und medial vermittelter Inhalte ¾ Multimedia-Begeisterung, Networking, ausgeprägte Computer- und InternetExpertise
20
Abbildung 2:
35
¾ Ältere Modernisierungsverlierer aus dem traditionellen Segment der Gesellschaft, die mit dem rasanten soziokulturellen und technologischen Wandel nicht zurecht kommen ¾ Der nach Sicherheit, Harmonie und Komfort strebende Mainstream der Gesellschaft ¾ Konventionell, pragmatisch, vernünftig, sparsam, bescheiden, aber auch verunsichert ¾ Keine profilierten Ansprüche an das Medienangebot ¾ Überforderung durch das moderne ICT- und Medienangebot, Leiden unter Komplexität, Schnelllebigkeit und Info-Overload ¾ Eingeschränktes Interessensspektrum, passive Konsumhaltung gegenüber Medien, geringe Print-, aber weit überdurchschnittliche TVNutzung, Distanz zu Multimedia und Internet
50
65
Alter
Werte und Bedürfnisse der verschiedenen Segmente4
Eine Analyse der aktuellen Kundenstruktur der konzerneigenen Telekom Shops zeigt, dass der Kunde durchschnittlich Anfang 40 und die jüngere Zielgruppe unterrepräsentiert ist. Um diese langfristig an das Unternehmen zu binden, pilotiert die DTAG ein PoS-Konzept, welches insbesondere auf die relevanten Bedürfnisse und Anforderungen der jungen Konsumenten ausgerichtet ist.
3
Ziele und Aufgaben des Point of Sales
Im folgenden Kapitel erfolgt eine Darstellung der allgemeinen Aufgaben und Ziele des PoS, um den Rahmen für die anschließenden Ausführungen festzulegen. In diesen Kontext werden die spezifischen Zielsetzungen der DTAG ergänzend eingefügt.
4
Eigene Darstellung, Einordnung basierend auf GRUNER & JAHR (2008) (Bevölkerung 14–64 Jahre, Fälle: 49,93).
76
SCHOMAKER/ERNER/BERLIN
Absatz und Verkauf Die zentrale Aufgabe des PoS ist der Abverkauf von Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens5. Dies gilt ebenfalls für das Shop-Konzept der DTAG, das im Folgenden im Vordergrund der Darstellung steht. In diesem Sinne werden eine Reihe auf Absatz ausgerichteter bzw. daraus abgeleiteter klassischer, betriebswirtschaftlicher Zielgrößen verfolgt. Hierzu zählen insbesondere monetäre Ziele, anhand derer der Erfolg eines Geschäftes bemessen werden kann, wie Umsatz, Deckungsbeitrag, Gewinn und Rentabilität.6 Kundenfrequenz Verkauf setzt Kontakt mit den Kunden voraus. I. d. S. ist es eine weitere zentrale Aufgabe des PoS, Kundenfrequenz zu generieren, d. h. Kunden zum Besuch des Ladenlokals zu motivieren. Die Kundenfrequenz u. a wird durch die klassische Kommunikation in TV, Print und Internet beeinflusst. Um möglichst viele Personen der gewünschten Zielgruppe in den PoS zu leiten, ist zudem eine optimale Standortauswahl unerlässlich.7 Eine gute Erreichbarkeit und entsprechende Möglichkeiten zur Außendarstellung sind somit weitere Kernanforderungen für die Wahl des Geschäftsumfeldes. Um die avisierte jüngere Zielgruppe (bis 36 Jahre) zu erreichen, erfolgte für die Umsetzung des Shop-Konzeptes die Wahl des Standortes mittels folgender Faktoren: ¾ Junges, urbanes Umfeld ¾ Vorreiter in den Themen: Kultur und Kunst, Mode, Musik ¾ Kreatives Umfeld, in welchem sich „Styleleader“ gerne aufhalten und neue Trends setzten ¾ Abwechslungsreiche Einzelhandelsstruktur mit vielen kleinen individuellen Stores (keine Filialisten) Neben den erwähnten quantitativen und monetären Zielgrößen liegt der Fokus des PoS Management, insbesondere vor dem Hintergrund des verfolgten innovativen Marketingansatzes, auf einer Reihe weiterer qualitativer Zielsetzungen, die im Folgenden näher dargestellt werden.
5 6 7
Vgl. SCHRÖDER (2005), S. 201 f. Vgl. PUFAHL (2006), S. 86 f. Vgl. HEINEMANN (2008), S. 73.
PoS-Konzept für die junge Zielgruppe der Deutschen Telekom AG
77
Markendarstellung und Bekanntheitsgrad Eine weitere Kernaufgabe des PoS ist die positive Darstellung der Marke sowie die damit verbundene Erhöhung des Bekanntheitsgrades in der Öffentlichkeit.8 Diese wird durch Maßnahmen der Kommunikationspolitik9 flankiert. Aufbau und Pflege einer Marke sowie die damit verbundene Auswahl der Maßnahmen sind insbesondere von der Zielgruppe abhängig. Wie bereits erläutert, bestätigen diverse Analysen und Umfragen der DTAG eine hohe Markenbekanntheit und allgemeine Anerkennung als eines der führenden Technologieunternehmen Deutschlands. Vor diesem Hintergrund ist ein Ziel der Markenpolitik die Veränderung der von der Zielgruppe wahrgenommen Technologiemarke hin zur Erlebnismarke und der Transport des Markenleitbildes an den PoS. Dabei soll im jüngeren Segment die Liebe zur Marke geweckt und das Image verbessert werden. Produktpräsentation Neben der Markendarstellung ist die Präsentation der Produkte und das Schaffen eines erkennbareren Grundes, ein Produkt „jetzt und hier“ zu kaufen, eine weitere Aufgabe des PoS. 10 Dazu muss durch das Angebot ein Mehrwert für den Kunden gegenüber der Konkurrenz geschaffen werden.11 Als Ausdruck der gemeinsamen Herkunft und um dem Kunden die Orientierung bei der Vielzahl von Telekommunikationsprodukten zu erleichtern, hat die DTAG bereits vor einigen Jahren begonnen, ihre diversen Angebotsmarken (Produkte der verschiedenen SBU12) unter dem „T“ zusammenzufassen. Zur stärkeren Verankerung der Marke „T“ im „Relevant Set“ der Zielgruppe hat die DTAG sich dazu entschlossen, im Rahmen einer Pilotierung zu untersuchen, inwieweit es sich lohnt, das Produktangebot des Konzerns zielgruppenspezifisch zu vermarkten. Kundenansprache und Erlebnisvermittlung Um den Kunden exzellent zu beraten und für ihn wichtige Informationen zu den Produkten bereitzustellen, ist ein hohes Know-how beim Personal erforderlich.13 Tipps und Ratschläge zur Anwendung des Produktes sind der erste Einstieg in das Gespräch und vermitteln dem Kunden, dass dieser gut aufgehoben ist. Über die Kundenansprache hinaus, ist das Schaffen individueller Erlebniswerte eine weitere Aufgabe des PoS. Dabei werden dem Kunden durch Marketingaktivitäten und Shopgestaltung spezifische Erlebnisse vermittelt, die seine Wahrnehmung positiv beeinflussen. Demzufolge soll dem Angebot ein eigenständiges emotionales Profil vermittelt werden, das es von anderen Anbietern abhebt und eindeutig positioniert. Die erlebnisbetonte Ladengestaltung wird oft vernachlässigt, obwohl der Kunde physisch präsent und somit über alle seine Sinne erreichbar ist. 8 9
10 11 12 13
Vgl. ADJOURI (2002), S. 84 f. Aufgabe der Kommunikationspolitik ist die Übermittlung von Informationen, Bedeutungsinhalten und Bewertungen mit dem Zweck u. a. Einstellungen und Erwartungen zu beeinflussen. Es wird zwischen Massenkommunikation und persönlicher Kommunikation unterschieden; vgl. BALDERJAHN/SCHOLDERER (2000), S. 187. Vgl. FUCHS/UNGER (2007), S. 15. Vgl. HUNSTIGER (2001), S. 39. SBU: Strategic Business Unit (strategische Geschäftseinheit). Vgl. FUCHS/UNGER (2007), S. 218.
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Elementen wie der Gestaltung des Ladenumfeldes, Ladenlayout, Space Utilisation und der atmosphärischen Ladengestaltung muss besondere Beachtung geschenkt werden.14 Neben der Ansprache über das Schaufenster oder die Fassade spielt die Raumaufteilung, bspw. in verschiedene Funktionszonen, eine große Rolle in der Wahrnehmung des Kunden. Soziale Faktoren, wie die Interaktion zwischen Kunde und Personal, Umgebungsreize, die hauptsächlich über das Unterbewusstsein wirken und visuelle Komponenten, ästhetischer und funktioneller Art, sind bei der Gestaltung des Geschäftes zu beachten und sollten auf die ein oder andere Art umgesetzt werden, um dem Besucher einen bleibenden Eindruck zu vermitteln.15 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass Reize von jedem Menschen unterschiedlich wahrgenommen werden und eine übermäßige Verwendung der beschriebenen Elemente zu einer Reizüberflutung führen kann.16 Die DTAG hat sich zum Ziel gesetzt, einen Telekom Shop zu gestalten, der speziell die junge Zielgruppe anspricht. Dem Kunden soll die Möglichkeit gegeben werden, die Produkte in entspannter Atmosphäre auszuprobieren und kennenzulernen. Der Telekom Shop soll dazu so flexibel gestaltet werden, dass für die Kunden unterschiedliche Erlebniswelten geschaffen und vermittelt werden sowie Events unterschiedlicher Art durchgeführt werden können. Ebenso muss das Personal stets über spezielles Know-how zu den aktuellen Telekommunikationslösungen verfügen, um die Kunden bestmöglich zu beraten. Community-bildende Maßnahmen Über die oben dargestellten erlebnisvermittelnden Elemente hinaus sollen spezifische community-orientierte Aspekte berücksichtigt werden. Generell gilt dabei, dass zielgruppengerechte, maßgeschneiderte und trendige Produktlösungen die Einkaufstättentreue des Kunden stärken können. Kundenanforderungen müssen deshalb möglichst früh antizipiert und Produkte an die spezifischen Anforderungen angepasst werden. Dabei bilden Informationen über die Bedürfnisse17 der Zielkundengruppe Grundlage und Ausgangspunkt jeglicher unternehmerischer Tätigkeiten.18 Ein entscheidender Zusatznutzen, der die Bindung an das Unternehmen stärkt, ist hierbei die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wobei insbesondere Faktoren wie Lifestyle und Prestige eine Rolle spielen. Das Ziel der Deutschen Telekom ist die offene Konversation, die Wahrnehmung und Verbesserung der Kundenkritik und der Aufbau einer stetig wachsenden, zufriedenen Kundengemeinschaft. Für die Bildung einer solchen Community ist die Kommunikation der Mitglieder untereinander eine notwendige Bedingung,19 welche Gemeinsamkeiten bestimmter Ausprägungen20 voraussetzt. Dabei lassen sich hier exemplarisch
14 15 16 17
18 19 20
Vgl. GRÖPPEL (1991), S. 59. Vgl. KROEBER-RIEL/WEINBERG (2003), S. 119 f., und BAKER ET AL. (2002), S. 121. Vgl. LIEBMANN/ZENTES (2001), S. 547, und KOTLER (1973), S. 51 f. Ein Bedürfnis ist der Anfang eines Kaufentscheidungsprozesses und stellt ein Mangelgefühl dar. Dieser Zustand sollte bewältigt werden, indem die Person verschiedene Alternativen zur Bedürfnisbefriedigung findet und beurteilt; vgl. BALDERJAHN/SCHOLDERER (2007), S. 52 f. Vgl. PORTER (1999), S. 34. Vgl. POWAZEK (2001), 17 ff. Vgl. KIM (2000), S. 17.
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¾ geografische ¾ demografische ¾ sachgebietsbezogene ¾ aktivitätsgebundene Kriterien anführen. Die DTAG beabsichtigt daher, über eine wachsende Community ihre Markenattraktivität insbesondere im Zielgruppensegment zu steigern, um sich weiterhin als Marktführer für Produkte und Dienste in der vernetzten und digitalen Welt zu positionieren.
4
4010 – Der Telekom Shop in Mitte: Ein Shopkonzept für die junge Zielgruppe
Ende 2007 wurde ein konzernübergreifendes Projektteam mit der Ausarbeitung eines zielgruppenspezifischen Konzeptes und der Umsetzung eines Pilotstandortes beauftragt. Im Juni des darauffolgenden Jahres wurde das Detailkonzept finalisiert. Die Sanierungs- und Herstellungsarbeiten nahmen drei Monate in Anspruch, so dass der „4010 – Der Telekom Shop in Mitte“ Anfang Oktober 2008 eröffnet wurde. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte das Projektteam in enger Zusammenarbeit mit dem Shop-Team und begleitenden Agenturen das ShopKonzept stetig weiter, um die Anforderungen und Bedürfnisse des Zielkundensegments besser kennenzulernen und im Shop umsetzten zu können.
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IMMOBILIE
PHASE 1 CREDIBILITY
Recherche, Entscheidung
YCS
UMSETZUNGSPHASE
Konzeption Entwurf
8 Wochen
Mindestens 3 Monate
Beplanung Beauftragung Bau
ERÖFFNUNG
ab Entscheidung Immobilie
Betrieb Bespielung Updates Evaluation
CONTENT-ORGA 6 Wochen Content Bespielung Inbetriebnahme
PHASE 2 PERFORMANCE Integration Module Mehr Produkte
IMPLEMENTIERUNG
Abbildung 3:
4.1
Phasen und zeitliche Abfolge des „Young-am-PoS“-Konzeptes
Umsetzung
Absatz & Verkauf Die Erreichung von Verkaufszielen und weiteren damit in Bezug stehenden betriebswirtschaftlichen Kennziffern wie Erlöse, Betriebskosten, Deckungsbeitrag und Shop-Rendite, spielen für die Bewertung des Konzeptes eine wichtige Rolle. Im ersten Halbjahr nach Eröffnung stand die Etablierung des PoS über Community-bildende Maßnahmen im Vordergrund der Aktivitäten. Erst nach und nach verlagerte sich der Fokus hin zu einem stärkeren Einsatz vertrieblicher Maßnahmen.
Phase 1: Focus Credibility
Phase 2: Focus Performance Æ Rollout
Performance: Absatz
Credibility: Augenhöhe Abbildung 4:
Glaubwürdigkeit treibt Absatz
Mit Steigerung der Glaubwürdigkeit erfolgt auch Absatzsteigerung
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Dieser Ansatz zahlt sich bisher aus. Die aktuelle Absatzentwicklung lässt darauf schließen, dass die avisierten wirtschaftlichen Ziele für das laufende Jahr erreicht werden. Kundenfrequenz Auf der Suche nach einem geeigneten Ort für den 4010 wurden alle in Frage kommenden Standorte (Köln, Frankfurt und Berlin) sehr genau durch die Konzeptgeber in Zusammenarbeit mit Standortexperten analysiert. Die Wahl fiel schließlich auf Berlin, genauer in das Umfeld der Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte. Dieses Quartier vereint alle Wunschstandortfaktoren und zählt gleichzeitig zu den schwierigsten Einzelhandelsstandorten für erfolgreiche neue Shopkonzepte, da es sich seit den 90er Jahren von einem alternativen Szene-Viertel immer mehr zu einem gefragten Wohn- und Geschäftsviertel sowie kulturellen Anziehungspunkt für junge und urbane Menschen entwickelt hat. In dem Kiez befinden sich neben exquisiten Gastronomiebetrieben hochwertige Modeanbieter, zahlreiche Guerilla- bzw. Pop-upStores und Galerien. Wenn in dieser anspruchsvollen Umgebung ein neues Shopkonzept erfolgreich umgesetzt werden kann, stehen die Chancen gut, dieses bundesweit, unter Berücksichtigung der jeweiligen lokalen Besonderheiten, ebenfalls realisieren zu können. Markendarstellung und Bekanntheitsgrad Mit der Eröffnung des „4010 – Der Telekom Shop in Mitte“ wurde die Veränderung der Marke für den Kunden sichtbar und spürbar umgesetzt: Möbelkonzept, Shopdesign, Kommunikationsmittel, Internetauftritt – alles in einem eigenen Style, aber immer mit einem deutlichen Bezug zur Deutschen Telekom. Hinter dem Namen 4010 verbirgt sich die RAL-Farbe „Telekom Magenta“. Im Möbelbau und Shopdesign finden sich überall Magenta-Spuren – von der Innenfarbe der Produktwand, über einen Magenta-Strich auf dem Boden, der sich quer durch den ganzen Shop zieht bis hin zu einer möglichen magentafarbenen Beleuchtung. Auf der shopeigenen Homepage (www.4010.com) werden parallel zum 4010 alle aktuellen Infos zum Shop und Neuigkeiten für die Community kommuniziert. Produktpräsentation Wie in allen anderen Telekom Shops des Konzerns werden sämtliche Angebotsmarken im Concept-Store in Berlin-Mitte vermarktet. Der Unterschied liegt in der Präsentation, die jugendlicher anmutet und stärker auf Trendelemente setzt. Bei Präsentation und Kommunikation beschränkt man sich im 4010 ausschließlich auf die vielfältig verfügbaren Produkte, die in der Zielgruppe Relevanz besitzen (iPhone, IP-TV, mobiles Internet). Hierbei stehen Produktnutzen, Testing und Service im Fokus. Da das Ziel, der Aufbau einer langfristigen Kundenbindung, nur durch Akzeptanz und Glaubwürdigkeit in der Zielgruppe erreicht werden kann, sucht die DTAG den direkten und offenen Austausch mit seinen Kunden, um direkt auf die Anregungen reagieren zu können. Kundenansprache und Erlebnisvermittlung Neben der reinen Informationsbereitstellung und Schaffung von interaktiven Themenplattformen stehen zur Vermittlung der Erlebniswelten im 4010 weitere zielgruppenrelevante Themen wie Street Art, Music, Gaming, etc. im Vordergrund. Dabei erlaubt sowohl die klare Kennzeichnung in Verkaufs- und Loungebereich als auch das modulare Möbelkonzept eine schnelle und einfache Anpassung an die jeweiligen Themenschwerpunkte im Shop. Der Kunde hat die Möglichkeit, tagsüber in entspannter und gemütlicher Atmosphäre die Produkte auf Herz und Nieren zu testen oder am Multitouch eigene Klingeltöne zu kreieren und auf sein Mobiltelefon zu laden. Nach Geschäftsschluss liegt der
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Schwerpunkt auf der Bildung einer eigenen Community. Daher verwandelt sich der 4010 regelmäßig in eine Eventlocation, in der angesagte Künstler und Nachwuchskünstler die Gelegenheit haben, ihre Werke oder Musik zu präsentieren. Darüber hinaus nutzt der TelekomKonzern seine vielfältigen Sponsoringaktivitäten im Jugendbereich (StreetGigs, Electronic Beats, etc.), um eine direkte Zuführung und Emotionalisierung zu erreichen. Community-bildende Maßnahmen Um den Austausch mit der Zielgruppe aufrecht zu erhalten, verfolgt der 4010 unterschiedliche Themenstellungen. Dazu gehört z. B. die Durchführung von regelmäßigen ProduktWorkshops (z. B. iPhone Sessions, bei denen die neusten Apple-Applikationen vorgestellt werden), exklusiven Produkt-Previews, MySpace Sessions oder Electronic Beats Gigs mit angesagten DJs. Die oft wechselnde Dekoration/Shop-Gestaltung regt Passanten und Kunden an, wiederholt den 4010 zu besuchen und zu schauen, was es Neues gibt. Ein weiterer wichtiger Baustein für den Aufbau der eigenen Community ist die Integration von bereits in der Szene sehr gut vernetzten Kooperationspartnern, wie z. B. Designern, die exklusiv 4010-Motive für T-Shirts kreieren und anschließend im 4010 und über seinen Online-Shop vertreiben.
Abbildung 5:
Gallery Wall 21
Zudem existiert eine Gallery Wall (siehe Abbildung 5) im 4010, die regelmäßig von meist Berliner oder internationalen Künstlern neu gestaltet wird, wobei einzig die Themen Telekommunikation, Magenta und/oder 4010 bei der Gestaltung der 7 x 2,5m großen Wand integriert werden müssen.
21
Foto von ANDREAS MEICHSNER (www.andreasmeichsner.de). Gestaltung durch THOMAS MANIG (www.thomas manig.de).
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In regelmäßigen Abständen werden die Konzeptannahmen und -ziele mittels Markforschung überprüft. Hierbei kommt nicht nur die klassische Befragung zum Einsatz, sondern Kunden können Ihre Meinung z. B. an einer Tag Wall hinterlassen. Dabei schafft insbesondere die Möglichkeit, seine etwaige Kritik an Store, Konzern oder Mitarbeitern direkt mitteilen zu können, Vertrauen in der Zielgruppe.
4.2
Erfolgsmessung und lessons learned
Absatz & Verkauf Die Absätze des 4010 wurden konzeptbedingt auf einem niedrigeren Niveau geplant, doch liegen diese teilweise bereits über dem Planansatz. Insbesondere das Neukundengeschäft entwickelt sich erfreulich: 72% der Abschlüsse im Mobilfunkbereich und 63% im Festnetzbereich entfallen auf Neukunden. Einen Anteil von 60% fällt auf die Kunden unter 36 Jahren, so dass sich die aufgestellten Erwartungen an die Kundenstruktur des 4010 bisher erfüllten. (siehe Abbildung 6). bis 25 15%
> 55
26–35
1% 46–55 44%
9%
In Q1/2009 wird die Zielsetzung im Bereich der Kundenstruktur erreicht: ¾ 15% der Kunden sind jünger als 25 Jahre und ¾ 44% zwischen 26–35 Jahre alt
30% 36–45
Abbildung 6:
Kundenstruktur des 4010
Kundenfrequenz Die mit der Standortauswahl verbundene Zielsetzung, gezielt Meinungsführer im Bezirk Mitte anzusprechen, kann als gelungen betrachtet werden. Wie in Abbildung 6 gezeigt, wird der 4010 hauptsächlich von der angestrebten Zielgruppe, dem Upper-Young-Segment, frequentiert. Die Entwicklung sowohl der Kundenfrequenz als auch der Friends/Followers auf der 4010Homepage bei Facebook22 und Twitter23 belegt, dass das Konzept und die virale Marketingstrategie vom Zielsegment gut angenommen werden. Als Beleg dafür kann weiterhin gesehen werden, dass sich die Anzahl der Nutzer der 4010-Homepage innerhalb der ersten Monate verdoppelt hat und stetig weiter ansteigt. Bei Facebook gehören 60% der „Friends of 4010“ dem avisierten Zielgruppensegment an.
22 23
Vgl. www.facebook.com/4010berlin. Vgl. www.twitter.com/4010_Shop.
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Markendarstellung und Bekanntheitsgrad Die Außenwirkung des 4010 war in den ersten Monaten noch nicht attraktiv genug, wurde dann aber durch eine dem 4010-Style angepasste Außenkennung auffälliger gestaltet, um die Zielgruppe gezielt in den Shop zu leiten. Ob hier weiterhin Verbesserungspotential besteht, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Innengestaltung und Dekoration hingegen finden großen Anklang bei den Kunden und etablieren den Store in Berlin-Mitte als Telekommunikationsshop und gleichzeitig als Eventlocation für die Zielgruppe. Zudem hat sich der 4010 sehr gut in die Community eingefügt und erfreut sich eines hohen Bekanntheitsgrades in der Region. Dazu trägt auch die gute Vernetzung der Mitarbeiter bei. Produktpräsentation Die klare Kennzeichnung des Stores in Verkaufs- und Eventbereich wurde von den Kunden gut angenommen. Die eigentliche Produktpräsentation im Verkaufsbereich und in den Schaufenstern wird stetig angepasst. So sollen künftig weitere „Orientierungshilfen“ in die Produktpräsentation integriert und im Schaufenster vermehrt auf Angebote hingewiesen werden. Als nachteilig erwies sich, dass nicht immer alle Produkte aufgrund baulicher Gegebenheiten, wie Stützen in den Räumen, aus jeder Ecke des Verkaufsraumes sofort gesehen werden können. Zur Belebung dieser Bereiche sollen die Flächen durch eine aufmerksamkeitsstarke Dekoration und die gezielte Nutzung für Kommunikation und Testing aufgewertet werden. Ebenso wie bei der Markendarstellung ist dieses Ergebnis aus Kundenbefragungen abgeleitet worden. Festzuhalten bleibt, dass die Produktauswahl genau den Nerv der Zielgruppe trifft und in diesem Punkt keine Änderungswünsche an das Shopkonzept bestehen. Kundenansprache und Erlebnisvermittlung Durch hervorragende Fachkenntnisse der Angestellten entwickelte sich der Shop zum Kompetenzzentrum für innovative, bei der Zielgruppe wichtige Schlüsselprodukte. Die Möglichkeit, alle Endgeräte bei einer Tasse Tee in den Sitzlounges oder am großen Kommunikationstisch in Ruhe zu testen, wird von den Kunden ebenso geschätzt wie das Angebot private EMails am kostenfreien Hotspot bearbeiten zu können. Auch die Nutzung des Multitouchs mit seinen vielfältigen Funktionen wie z. B. kostenlose Downloads von Spielen, Musik, Videos und selbstgestalteten Klingeltönen oder die Bundesliga-Live-Übertragung jeden Samstagnachmittag sind bei der Zielgruppe ein besonderes Highlight. Durch regelmäßige Veranstaltungen werden zudem gezielt Besucher angelockt und führen zu einem breiten Echo in lokalen TV- und Radio-Sendern, Blogs, Communities und Social Media. Festzuhalten ist, dass die Kommunikation über Tageszeitungen nicht zur Ansprache des gewünschten Publikums führte. Deswegen werden in Zukunft vermehrt Informationen zu bevorstehenden Events über die stetig wachsende Community gestreut. So wurde beispielweise die Neugestaltung der Gallery Wall auf diese Weise sehr erfolgreich über die Community promotet, indem Interessenten sich für die Mitgestaltung der neuen Gallery Wall über Facebook bewerben konnten. Community-bildende Maßnahmen In den ersten Monaten wurde durch diverse Events, wie Ausstellungen, Workshops, etc., der Bekanntheitsgrad des Shops gesteigert.
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Die Kundenloyalität hat zugenommen, die 4010-Community wurde gestärkt und vergrößert. Trotz einiger kritischer Anmerkungen zu Anfang erfolgten nun fast ausschließlich positive Bewertungen über die bekannten Community-Medien und führten somit zu Ausbau und Festigung der Vernetzung im lokalen Umfeld.
Mehr Galerie als Shop, mehr Erlebnis als Verkauf. Page Magazin
„Feine Businessidee! Ein Telekom-Laden wie kein anderer. Ja, auch die Telekom geht manchmal andere Wege - ein Touch Social Media Marketing und ein wenig Nostalgie. Irgendwie Lounge und irgendwie Shop - egal wie… einfach eine geniale Idee. Hat Spaß gemacht einen Vortrag für die Webinale dort zu halten. Und ist inmitten der ganzen schönen Läden, in denen man auch mal ein außergewöhnliches Kleidungsstück findet.“ Meyer-Gossner auf Qype
Super Geschäftsidee, der Laden zeigt, wie cool Telekom sein kann. Man fühlt sich wie in einer Lounge und will gar nicht mehr raus. Hier kann man sehen und probieren, was Apple und Co an neuen Spielzeugen zur Telekommunikation bereit stellen. Macht Spaß!
… in dieser coolen Location finden regelmäßig musikalische Events statt, die ohne Telekommunikation gar nicht möglich wären.
exrexexrex auf Qype
blog.xonio.com
„ich bin begeistert, vom styling des raums und der freundlickeit der jungen frau. sie hat mir unaufdringlich und klar verständlich tarifstruktur und vertragsdetails erklärt, ruhig und sicher, ohne marketing-typisches agentsgelaber - sehr schön, so sollte kommunikation zwischen kunden und anbieter ablaufen …“ Lokalreporter auf Qype
...netter Szenetreff mit toller Gallery Wall im Shop! Und Abends verwandelt sich der Shop in eine Eventlocation. Tolle Sache!! Laetitia auf Berlin-golocal
Abbildung 7:
Stimmen der Kunden
Obwohl die Bekanntheit noch regional begrenzt ist, lässt sich festhalten, dass die Publicity der Marke und des Shop-Konzepts innerhalb der Community die gesetzten Erwartungen voll erfüllt.
4.3
Ausblick
Die DTAG rechnet aufgrund des viralen Marketingansatzes mit einer ca. drei-jährigen „Ramp-up-Phase“ für den Shop. Die Pilotdauer wird in erster Linie für die Überprüfung, Weiterentwicklung und Anpassung des Konzeptes verwendet. Derzeit wird die Optimierung der Kundenzuführung in den Store durch eine konzeptkonforme Außenkennung umgesetzt. Weiterhin werden sowohl die Kundenführung als auch Produktpräsentation und Preisauszeichnung im PoS und den Schaufenstern überarbeitet und angepasst. Darüber hinaus werden künftig vertriebliche und community-bildende Maßnahmen im Fokus stehen. In diesem Zusammenhang spielt die Weiterentwicklung des eingesetzten Personals eine große Rolle. Dieses wird in den nächsten Monaten durch intensives Coaching dabei unterstützt, sowohl die Kundenansprache als auch das Konzept ohne die Unterstützung externer Agenturen mit neuen Impulsen und Trends am Leben zu halten.
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Zusammenfassung
Mit dem „4010 – Der Telekom Shop“ in Mitte hat die DTAG ein PoS-Konzept speziell für die junge Zielgruppe realisiert, welches vom avisierten Kundensegment sehr gut angenommen wird und positiven Einfluss auf das Image des Unternehmens im besagten Segment hat. Sowohl die bisherige Absatzentwicklung als auch Kundenstruktur und Resonanz der Community bescheinigen der DTAG die Richtigkeit der Vorgehensweise. Um das veränderte Markenbild langfristig und glaubwürdig zu etablieren, wird der Konzern diesen Konzeptansatz konsequent weiter entwickeln. In die finale Bewertung des Konzeptes werden neben den originären Zielen eines PoS, Absatz und Verkauf auch der generelle Erfolg des viralen Marketingansatzes, die Adaption von Teilen der 4010-Kommunikationsstrategie in die klassischen Marketingkampagnen und die nationale und/oder internationale Multiplizierbarkeit des Gesamtkonzeptes einfließen.
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Markenprofilierung durch werteorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte am Beispiel der Loewe AG THORSTEN BALD und HENRIK RUTENBECK Loewe AG
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Konsequente Markenorientierung als strategische Erfolgsvoraussetzung – Positionierungsoptionen für Loewe und den Fachhandel ................................................ 91 1.1 Positionierungsoptionen für Industrie und Handel................................................. 93 1.2 Fazit Positionierungsoptionen................................................................................ 98 2 Schärfung des Markenprofils durch wertorientierte Retail-Marketing- und ServiceKonzepte........................................................................................................................ 100 2.1 Premium-Retail-Strategie..................................................................................... 100 2.2 Premium-Service.................................................................................................. 102 2.3 Premium-Kommunikationsmaßnahmen und -schulung ....................................... 103 2.3.1 Premium-Kommunikation ....................................................................... 105 2.3.2 Premium-Schulung .................................................................................. 106 3 Loewe 2015 Premium-Retail- und Premium-Service-Leistung als Werttreiber des Unternehmenserfolgs ..................................................................................................... 107 3.1 Ausweitung der Flagshipstore-Strategie .............................................................. 107 3.2 Exklusive Kooperationen ..................................................................................... 108 3.3 Customized Services ............................................................................................ 109 4 Fazit ............................................................................................................................... 110 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 111
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
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Konsequente Markenorientierung als strategische Erfolgsvoraussetzung – Positionierungsoptionen für Loewe und den Fachhandel
„Am Anfang war das Wort.“1 Dabei müsste es richtiger lauten: „Am Anfang war das Bild.“2 Denn Worte sind Vereinbarungen über Bilder. Damit stellen Bilder die Grundlage der Verständigung und Kommunikation dar. Diese Erkenntnis ist besonders für eine erfolgreiche Führung von Marken wichtig.3 Marken sind beim Konsumenten letztendlich Vorstellungen und Bilder über Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen. Demnach können (Wert-) Vorstellungen innerhalb von Zielgruppen durch eine adäquate Ausgestaltung des Markenbilds4 maßgeblich gesteuert und so für eine zielgerichtete Markenprofilierung genutzt werden. Dies setzt voraus, dass alle Maßnahmen und Kontaktpunkte, die prägenden Einfluss auf das Markenbild haben, zielgerichtet ausgestaltet und implementiert werden. Die Marken-Implementierung wird zum Erfolgsschlüssel für ein profiliertes Markenbild und ist damit ein wesentlicher Faktor, der bei der Erhöhung oder Erhaltung des Markenwerts berücksichtigt werden muss. In diesem praxisinduzierten Beitrag soll am Beispiel der Loewe AG verdeutlicht werden, wie aus einem konsistenten Markenbild wertorientierte Vertriebs- und Service-Konzepte abgeleitet und erfolgreich im Markt implementiert werden können und wie diese im Umkehrschluss das gewünschte Markenbild weiter schärfen. Marken5 sind die zentralen immateriellen Wertschöpfer im Unternehmen.6 Ziel einer Marke ist es, die Leistung eines oder mehrerer Anbieter zu kennzeichnen und von Wettbewerbsangeboten zu unterscheiden. Als Marken können „alle Zeichen, insbesondere Wörter einschliesslich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstiger Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“7 Aber Marke ist nicht gleich Logo. Marken sind weit mehr als die o. a. Definition von § 3 des Markengesetzes erscheinen lässt. Marken sind Bilder in Köpfen.8 Unter der Marke subsumiert der Konsument alle positiven und negativen Erfahrungen, die er mit ihr gemacht hat. Marken sind also Gefäße, die
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JOHANNES EVANGELIUM 1, Kapitel, Vers 1. Vgl. HEINER (2002), S. 266 ff., und ESCH (2007), S. 1, zur Bedeutung von Zeichen und Symboliken als Grundform der Verständigung. Vgl. BLÜMELHUBER (2004), S. 574, zur holistischen Decodierung und valideren Interpretation von Markenbildern. ESCH (2007), S. 17: „Marken sind im Zeitablauf resistent gegen Einflüsse von außen. Vorstellungsbilder zu Marken bauen sich kaum ab.“ Vgl. ESCH (2007), S. 92, zum Transfer der Markenidentität in ein wahrnehmbares Markenbild. Vgl. BURMANN/MEFFERT/KOERS (2005), S. 6, BRUHN (2004), S. 19 ff., ESCH (2007), S. 18 f., und KEUPER/HANS (2003), S. 167, zur Definition einer Marke. Vgl. ESCH/TOMCZAK/KERNSTOCK/LANGNGER (2006), S. 5, WICHERT (2005), S. 17 f., und ESCH (2007) S. 5. § 3 Abs. 1 MarkenG (1998), S. 40. Vgl. hierzu KEUPER (2009).
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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BALD/RUTENBECK
¾ Werthaltungen, ¾ Einstellungen ¾ und Orientierungspunkte vermitteln. Oder anders ausgedrückt: Marken sind kommunikative Erlebniswelten,9 die für Werte stehen, mit denen sich der Konsument identifiziert. Jeder getätigte Kaufakt stellt einen Akt der Identifikation dar,10 wodurch der Konsument selbst zum Botschafter der Marke wird.11 Um das Identifikationspotenzial einer Marke optimal zu nutzen, bedarf es einer Erlebniswelt, die dem Wesen der Marke – ihren Markenwerten12 – entspricht. Bei der Vermittlung dieser Erlebniswelten13 wird das Markenbild als perzeptible Unternehmensidentität zum symbolischen Träger der Marke. Um ein Markenbild dauerhaft zu etablieren bedarf es einer ausreichenden Differenzierung der markenspezifischen Erlebnisdimensionen, die innerhalb einer durchgängig geschlossenen Erlebniskette14 konsistent und nachhaltig vermittelt werden müssen. Auf den dargelegten Grundgedanken basiert das Markenbild von Loewe, das unter einer Dachmarken-Strategie15 subsumiert und geführt wird. Zur strategischen Ausrichtung der Marke Loewe wurde folgende Vorgehensweise gewählt:16 ¾ Die Marke Loewe muss sich auf markenrelevante Kerngeschäftsfelder fokussieren, ¾ das Produkt- und Dienstleistungsangebot sowie markenrelevante Kontaktpunkte homogenisieren ¾ und diese möglichst trennscharf bei den Zielgruppen penetrieren. Diese Vorgehensweise trägt der Forderung nach einer möglichst hohen Eigenständigkeit17 bei größtmöglicher Durchgängigkeit der Marke Rechnung und sorgt weiterhin dafür, dass alle Elemente der Erlebniskette zielkonform ausgerichtet werden können. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die konsequente Positionierung des Loewe-Markenbilds eine der
9 10
11 12 13 14 15 16 17
Vgl. BLÜMELHUBER (2004), S. 576, zum markenprofilierenden Beitrag aller direkt erlebten Äußerungen der Marke. BURMANN/SCHLEUSENER/WEERS (2005), S. 425: „Gemäß der „Image-Kongruenz“-Hypothese ist die Präferenz und Kaufabsicht für eine Marke abhängig von deren Image und dem Bild, das der Nachfrager von sich selbst hat und anderen vermitteln möchte.“ Der Konsument wird durch seine Markenentscheidung somit auch von anderen Konsumenten identifiziert; vgl. LOEWE (2004), o. S. Vgl. BURMANN/MEFFERT (2005b), S. 79, zur Definition des Markenwerts. Vgl. BEKMEIER-FEUERHAHN (2004), S. 883 ff., und ESCH (2007), S. 112, zur zunehmenden Bedeutung erlebniswertorientierter Markenstrategien. Zur Erlebniskette gehören alle markenprägenden Kontaktpunkte und Maßnahmen einer Marke. Vgl. hierzu auch den Gedanken der Dachmarkenstrategie ESCH (2001), S. 484 f. Vgl. LOEWE (2004), o. S.; zur Optionsvielfalt in der markenstrategischen Vorgehensweise vgl. BECKER (2004), S. 645. Vgl. ESCH (2007), S. 150, und S. 467 ff., zur Differenzierung durch Alleinstellung.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
93
wesentlichen strategischen Erfolgsvoraussetzungen darstellt, um Produkte oder Dienstleistungen dauerhaft in einem kompetitiven Umfeld erfolgreich zu positionieren.18
1.1
Positionierungsoptionen für Industrie und Handel
Die Loewe AG ist Anbieter für individuelle Home-Entertainment-Systeme im Bereich Home Consumer Electronics. Damit platziert sich das Unternehmen in der UnterhaltungselektronikBranche, die sich wertmäßig im Wesentlichen aus den Bereichen TV, Video und Audio zusammensetzt. Die Kernmärkte der Loewe AG verteilen sich hauptsächlich paneuropäisch. Der Gesamtmarkt der Consumer Electronics (CE) in Europa offeriert momentan hohe Wachstumspotenziale. So steigerte sich der Umsatz von 2003 bis Ende 2006 um 23 % auf 36,7 Mrd. Euro. Die Wachstumsimpulse im CE-Markt generiert hauptsächlich das CTV-Segment19, das 2007 mit 78 % Wertanteil durch LCD-TV-Technologien getrieben wird.20 Das LCD-Segment lässt sich weiter in groß- und kleinformatige Geräte21 unterteilen, wobei der größte wertmäßige Zuwachs fast ausschließlich durch großformatige LCD-TV-Geräte bestimmt wird. In diesem wesentlichsten Marktsegment hat Loewe nahezu sein gesamtes TV-Produkt-Portfolio positioniert.22 Erweitert wird das Produkt-Portfolio durch ergänzende Audio- und Video-Lösungen, die zu vollintegrierten Home-Cinema-Systemen kombiniert werden können. Das Wettbewerbsumfeld der Loewe AG ist durch eine hochgradig preisaggressive Vermarktung gekennzeichnet. Konkurrenten wie Samsung, Panasonic, LG, Sony oder Sharp erzielen am Markt sehr viel höhere Absatzvolumina und verfügen durch Größen- und Verbundvorteile über, im Vergleich zu Loewe, überlegene Kostenstrukturen. Der bestehende Preisverfall ist auch im großformatigen LCD-TV-Markt als rasant einzustufen. So ging im Zeitraum von einem Jahr der Marktdurchschnittspreis im LCD-TV-Segment 26“ um mehr als 30 % zurück.23 Die Gefahr durch neue Marktteilnehmer oder durch Substitutionsprodukte ist theoretisch gegeben, allerdings scheint der CE-Markt relativ hohe Markteintrittsbarrieren aufzubauen. Dies ist zum einen durch hohe Technologie-Anforderungen und dem damit einhergehenden Produktions-Know-How begründet. Zum anderen besteht für einen neuen Marktteilnehmer die Notwendigkeit, entsprechende Vermarktungskanäle im Zugriff zu haben.24
18
19 20 21 22 23 24
Vgl. TROMMSDORF/ASAN/BECKER (2004), S. 544 ff., zur herausragenden Bedeutung der Marken- und Produktpositionierung; vgl. ESCH (2007), S. 171 f., zur Durchsetzung von Eigenständigkeit auf Basis des Positionierungskonzepts. CTV = Color Television GFK (2007a), o. S. Kleinformatig entspricht einer Einteilung 26 Zoll; großformatig entspricht einer Einteilung von > 26 Zoll. Ein Zoll (in gekürzter Schreibweise 1“) entspricht 2,54 cm. LOEWE (2007a), o. S. GFK (2007a), o. S. In der Vergangenheit sind temporär neue Markteilnehmer mit Abschöpfungsstrategien im CTV-Markt erschienen, die sich nach maximal zwei bis drei Jahren wieder aus dem Markt verabschiedeten.
94
BALD/RUTENBECK
Die Marke Loewe muss sich also in einem preisaggressiven Wettbewerbsumfeld behaupten, mit dem klar definierten Ziel25, möglichst lange eine möglichst hohe Preisprämie26 gegenüber ihren Mitbewerbern im jeweiligen Markt-Segment durchzusetzen. Um dies zu erreichen ist es notwendig, die Attraktivität der Marke Loewe in den definierten Zielgruppen-Segmenten zu forcieren, um eine höhere Preisbereitschaft sicherzustellen. Demnach ist als Ober-Ziel – durch sukzessive Steigerung des Markenwerts27 – die Sicherstellung der langfristigen Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu identifizieren. Aus dieser Zielsetzung lassen sich weitere Unter-Ziele dekomponieren. Loewe verfolgt weiterhin das Ziel, durch Höher-Positionierung der Marke die Marktführerschaft im Premium-Flat-TVSegment kontinuierlich auszubauen, woraus sich folgende, wirtschaftlich sinnvolle Positionierungsoption ergibt: die Premium-Marke28 Loewe muss sich durch eine differenzierende29 Positionierung30 vom Massenmarkt weiter abkoppeln31, um sich vor Imitations- und Preisangriffen von Wettbewerbern besser schützen zu können. Dies bedeutet, sich einerseits eindeutig von starken Volumen-Marken wie Philips, Sony, LG oder Sharp abzuheben, und andererseits, den bestehenden Abstand zur Luxusmarke Bang & Olufsen32 sukzessive zu verkleinern.33 Zur Zielerreichung muss das Markenbild von Loewe eindeutige, für den Konsumenten wertvolle Werte vermitteln, die für Loewe-Zielgruppen Identifikations- und Orientierungspunkte darstellen.34 ¾
Minimalistische Formensprache – die Marke Loewe ist zeitlos zurückhaltend und nicht modisch oder extrovertiert. Dies spiegelt sich besonders im kubistischen, skulpturalen Design der Produkte, aber beispielsweise auch in der Ausgestaltung von Kommunikationsmaßnahmen wider.
¾
Sinnvoller Fortschritt35 – Loewe zeichnet sich durch Innovationen aus, die den Umgang mit dem Produkt einfacher oder komfortabler machen. Das bedeutet, keine Innovationen zum Selbstzweck, sondern erst, wenn für den Anwender eine Technologie nach den o. a.
25 26 27 28
29 30 31 32 33 34 35
Vgl. ESCH (2007), S. 57 ff., BURMANN/MEFFERT (2005a), S. 61, und LINXWEILER (2001), S. 249 f., zur Ausgestaltung von Markenzielen. Vgl. BURMANN/MEFFERT (2005b), S. 91., zur intendierten Preis-Prämie einer Marke. Vgl. LASLOPP (2005), S. 474, zur Wahrnehmung des Preis-Premiums. Vgl. BRANDMAYER (2002), S. 132 ff., und ESCH (2001), S. 1061 ff. Definition „Premium-Marke“ innerhalb dieses Beitrags: Eine Premium-Marke verfügt über immaterielle und substanzielle Werte, die es ermöglichen, ggü. vergleichbaren Produkten am Markt überlegene Preise durchzusetzen. Zur Unterscheidung von Premium- und Luxusmarke vgl. ESCH (2001), S. 347 ff., MEFFERT/LASSLOP (2004) S. 932 f., und HELLMANN (2003), S. 291; zur Definition von Premium-Standards vgl. KEUPER (2004) S. 194. Vgl. LINXWEILER (2001), S. 150, zur Notwendigkeit der Marken-Differenzierung. Vgl. ESCH (2001), S. 245, zur Durchsetzung von Marken-Positionierungsstrategien. Vgl. LASSLOP (2005), S. 47, zur Vorteilsargumentation einer Positionierung durch eine Premium-Marken-Strategie. B&O besetzte nahezu alleine die höchstpreisigen Marktsegmente im CTV-Markt und stellt in der Markenpositionierung für Loewe einen Benchmark dar. Vgl. ESCH (2001), S. 484 f., hierzu auch den Gedanken der Dachmarkenstrategie. Vgl. LINXWEILER (2001), S. 63 und 146 f., zur Bedeutung des Markenkerns und der Markenkernwerte. Vgl. ESCH (2007), S. 190 f.: „(...) Loewe muss die Flachbildschirmtechnologie zweifelsfrei anders interpretieren als LG, (...)“.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
95
Parametern einen substanziellen Anwendungsnutzen bietet, hält diese Technologie Einzug in ein Loewe-Produkt. ¾ Exklusive Individualität – Loewe überzeugt durch Individualisierung, in dem sich die Produkte den Wünschen der Zielgruppen anpassen. Dabei ist die Individualisierungsmöglichkeit multidimensional ausgerichtet. Loewe-Produkte können in Material und Aufstelllösungen der Wohnraumsituation angeglichen werden. Sie können aber auch, je nach technischen Bedürfnissen, konfiguriert oder zu vollintegrierten Systemlösungen kombiniert werden.
Minimalistische Form
Abbildung 1:
Sinnvolle Innovation
Exklusive Individualität
Die Loewe-Markenwerte
Die drei beschriebenen Markenwerte fokussieren augenscheinlich in erster Linie die Produktausgestaltung. Um die oben genannten Ziele und Werte zu vermitteln, sind aber alle Maßnahmen, die mit der Marke Loewe identifiziert werden, an diesen Werten auszurichten.36 Neben inhaltlichen Aspekten spielt dabei das formale Marken-Erscheinungsbild eine zentrale Rolle. Erst wenn an allen Kontaktpunkten, von der Messe, über das Produkt, dem PoS37Auftritt bis hin zum After-Sales-Service, die Loewe-Markenwerte „Beeindruckender Minimalismus“, „Sinnvoller Fortschritt“ und „Exklusive Individualität“ auch wahrgenommen werden, kann eine konsistente und attraktive Loewe-Markenwelt38 entstehen.39
36 37 38 39
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 258 f., zur Wichtigkeit einer Markenstrategie. PoS = Point of Sale In Analogie hierzu vgl. die Ausführungen zu Marken-Erlebniswelten ESCH (2001) S. 21 f. und S. 185 ff. LOEWE (2007d), S. 10.
96
BALD/RUTENBECK
Die Marke Loewe sendet über ihre Kontaktpunkte zum Konsumenten Versprechen aus, die zu Erwartungshaltungen führen. Die abgegebenen Versprechen müssen zur Vermeidung von kognitiven und emotionalen Dissonanzen40 und zur Erreichung einer Markenrendite41 eingelöst werden. Hierzu ist eine konsistente und markenadäquate Ausgestaltung aller Kontaktpunkte zwingend notwendig. Aus dieser Betrachtung heraus bewegt sich die Positionierung der Marke Loewe immer in einem mehrdimensionalen, dynamischen Spannungsfeld teilweise konträr gepolter Interessenlagen.
Kommunikation
Design
Marke
Angebote
Verhalten
Abbildung 2:
Die Loewe-Markenwerte im Spannungsfeld von Design, Verhalten, Angebote und Kommunikation
Für den Handel stellen sich die gleichen strategischen Positionierungsoptionen wie für Loewe, nur aus einer anderen distributiven Perspektive. Die wirtschaftlichen Rahmenparameter im Fachhandel ändern sich aufgrund ständigen Technologie-Wandels und starker PreisAggressivität laufend. Das bedeutet, dass der UE-Fachhändler42 sich permanent neuen Gegebenheiten am Markt anpassen muss, um seine bestehende Position erfolgreich zu verteidigen. Einerseits ist eine immer stärkere Sättigung des Markts erkennbar, andererseits werden die Produkte und Dienstleistungen immer vergleichbarer. Seit Mitte der 90er Jahre polarisiert der Markt zunehmend. Dies hat zur Folge, dass mittlere Preis-Segmente wegbrechen, da der Fokus der Industrie auf der Herstellung preisgünstiger Massenware oder hochpreisiger Premium-Produkte liegt. Damit sind die klassischen Fachhandelsunternehmen mit zwei diametral gelagerten Trends konfrontiert, können aber nicht beiden Richtungen simultan folgen. Die örtlich parallele Vermarktung von teuren Premium- und preisaggressiven Massen-Produkten
40 41 42
Vgl. LACHMANN (2002), S. 240. Vgl. LINXWEILER (2001), S. 179. UE = Unterhaltungselektronik
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
97
würde im Fachhandel unweigerlich zu kundenseitigen Vertrauensverlusten führen.43 Weiterhin ist eine Strategie der Preisführerschaft mit dazu notwendigen Skaleneffekten aufgrund zu geringer Abverkaufspotenziale im Fachhandel gegenüber großen Discountern nicht wirtschaftlich durchsetzbar. Aus diesem Sachverhalt stellt sich für den UE-Fachhandel exakt die gleiche Frage wie für Loewe: Wie kann er sich von preisgetriebenen Wettbewerbern differenzieren? Und die Antwort ist ebenfalls dieselbe. Die erfolgreichste Positionierungschance für diesen Distributionskanal liegt in der wertorientierten Premium-Positionierung. Dabei kann der Fachhandel von zwei sich immer mehr verstärkenden Effekten profitieren: Der Konsument fühlt sich bei einer Kaufentscheidung für UE-Produkte häufig durch die hohe Komplexität neuer Technologien, die rasante Innovationsgeschwindigkeit und die immer kürzeren Produktlebenszyklen in der Kauferwägung und -entscheidung überfordert. Er sieht sich hierbei mit einer Vielzahl von Fragen konfrontiert: Kommt im nächsten halben Jahr ein technisch ausgereifteres Produkt auf den Markt, auf das es sich zu warten lohnt? Ist das Neueste auch wirklich das Beste für seine Bedürfnisse? Welches Produkt erfüllt seine Anforderungen ideal? Welche Produkt- und Leistungsmerkmale benötigt der Konsument wirklich? Dies alles sind hochkomplexe, kaufentscheidungsrelevante Fragen, die nur im Fachhandel adäquat beantwortet werden können. Der Fachhändler schlüpft in die Rolle des „EinkaufVereinfachers“ bzw. Problemlösers und kann so zielgerichtet den jeweiligen Kunden auf ein Premium-Produkt beraten. Der zweite wesentliche Aspekt, der für eine erfolgreiche Premium-Positionierung des Fachhändlers spricht, ist der ungebrochene Trend zur Individualisierung.44 Anspruchsvolle Konsumenten können und wollen sich Differenzierung und damit Premium-Produkte leisten: Wenn der Massenmarkt für Flat-TV gesättigt ist, wächst der Wunsch auf mehr Differenzierung von der Masse – d. h. auf ein Premium-Fernseherlebnis, wie es nur der Fachhandel in allen relevanten Dimensionen bieten kann.45 Denn Kunden, die außergewöhnliche Produkte nachfragen erwarten auch ein entsprechend ausgestaltetes Einkaufsambiente: ¾ Individuelle Beratung statt Schnäppchenjagd, ¾ Edle Raumausstattung statt Wühltisch-Atmosphäre, ¾ und hochklassige Produkt-Kompetenz und Service-Leistung statt langer Kassenschlangen. Die Kombination von perfektem Service und einem hochwertigen Produkt-Angebot sorgen im Fachhandel für eine dauerhafte Premium-Positionierung und ermöglichen damit auch überlegene Margen.46
43 44 45 46
Vgl. hierzu auch die Aspekte der Markenerosion und Markenvertrauen in ESCH (2001), S. 27 ff.; zur Markentreue vgl. HELLMANN (2003), S. 125. Vgl. LOEWE (2007f), S. 3. Vgl. LOEWE (2007e), S. 7. Vgl. LOEWE (2007e), S. 12.
98
BALD/RUTENBECK
1.2
Fazit Positionierungsoptionen
Loewe gelang es in den vergangenen Jahren, sich gegen die Regeln der Geiz-ist-geil-dominierten Branche eine exzellente Premium-Position aufzubauen. Mit individuellen HomeEntertainment-Systemen ist Loewe heute eindeutiger Markenführer in den wichtigsten LCDTV-Marktsegmenten.47 Je ruinöser der Preiswettbewerb der großen Massen-Anbieter wird, desto wichtiger wird der enge Schulterschluss zwischen dem Fachhandel und Loewe. Denn nur wenn Klasse beim Konsumenten auch deutlich sichtbar ankommt, hat sie eine Chance, sich durchzusetzen, d. h. nur dann kann die Erlebniskette lückenlos durchlaufen werden. Marktanteil in Europa LCD-TV ab 2.000 EUR 01-05/2009 (in %)
Samsung 12,2 %
Others 1,5 %
Sony 21,2 %
B&O 2,4 % Metz 7,6 %
Technisat 2,8 %
Sharp 1,9 %
Philips 16,5 %
Abbildung 3:
47 48
Loewe 33,9 %
Marktanteile LCD-TV in 2009 auf Basis Umsatz48
Vgl. GFK (2009), o. S., Loewe ist in Deutschland in LCD-TV-Marksegmenten > 2.000 € mit 33,9 % Marktanteil Marktführer. Vgl. GFK (2009), o. S.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
MassenWerbung
Individuelle Komm.
RumpfService
PreisPromotions
RumpfBeratung
PremiumBeratung
Abbildung 4:
Fachhandel MassenPräsentation
Geringe Angebotstiefe
PremiumService
Premium Events
Discounter VolumenMarken
99
PremiumPräsentation
PremiumMarken
Hohe Angebotstiefe
Grüne Wiese
TopLocation
Erlebnisketten im Handel
Die Faktor-Kombination Loewe und Fachhandel ergänzt sich aus den oben genannten Gründen ideal: Zum einen bedarf es Fachhändler, die Premium-Produkte angemessen präsentieren, beraten und verkaufen und zum anderen bedarf es einer starken Marke wie Loewe, die über ihre Attraktivität und Begehrlichkeit beim Konsument ein entsprechendes Preis-Premium im Markt durchsetzt.
Preis (in Euro) 4.500
Loewe
+
Fachhandel
4.000
3.500 3.000
Volumenmarken Discounter
2.500 2.000 1.500
1.000 Wert
Abbildung 5:
Positionierungsoptionen Loewe und Fachhandel
100
2
BALD/RUTENBECK
Schärfung des Markenprofils durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
Die Schärfung des Loewe-Markenprofils erfolgt über alle relevanten Maßnahmen und Kontaktpunkte der Erlebniskette mit dem Ziel, ein holistisches Markenbild von Loewe sicherzustellen. Aufgrund der engen Verzahnung zwischen Loewe und dem Fachhandel nehmen retailbasierte Vermarktungs- und Service-Konzepte am Point of Sale dabei eine zentrale Rolle ein.49 Die Grundkonzeption und Hauptausprägungen dieser PoS-Konzepte werden im Folgenden weitergehend erläutert.
2.1
Premium-Retail-Strategie
Für potenzielle Loewe-Kunden hat der Point of Sale eine ganz besondere Bedeutung. Denn nur hier können Konsumenten erleben, ob die Marke Loewe einhalten kann, was sie beispielsweise in der Kommunikation verspricht. Dabei ist der Blick von Premium-Kunden besonders kritisch. Sie erwarten vom ersten Eindruck der Schaufenster-Präsentation über das Verkaufsgespräch bis hin zum After Sales Service ein adäquates Marken-Erlebnis, das ihre hohen Erwartungen in die Marke bestätigt.50 Loewe-Produkte und -Dienstleistungen sind durch adäquate Distributionskanäle in europäischen Metropolen sichtbar vertreten. Dabei bekennt sich Loewe über eine selektive Vertriebsstruktur51 grundsätzlich zum qualifizierten Fachhandel. Zur Verbesserung der Distributionsqualität, insbesondere zur Erreichung einer durchgängigen, auf hohem Niveau liegenden PoSQualität, werden gezielt Fachhändler so weiterentwickelt, dass sie die VermarktungsAnforderungen einer Premium-Marke erfüllen. Auch die Distributionsdichte wird kontinuierlich auf die Premium-Strategie von Loewe abgestimmt.52 Die daraus entstehende Distributionsstruktur ist in drei Kategorien unterteilt: ¾
Loewe-Galerien,
¾
Loewe-PartnerPlus und
¾ Loewe-Partner. Jeder Händlerstatus korrespondiert mit klaren, von der Marke definierten Vorgaben zu allen markenrelevanten Themen, von der Außenkennzeichnung über die Angebotsstruktur bis hin zur Marken- und Produktpräsentation am PoS. Damit wird sichergestellt, dass die Marke Loewe strahlkräftige Highlights im Markt setzt, und gleichzeitig auch in der Fläche Mindeststandards einhält. Die Anspruchshaltung der Kunden an eine Premium-Marke muss am Point of Sale vor allem durch erstklassige Produkte und deren hochwertige Präsentation im Shop 49 50 51 52
Vgl. RUDOLPH (2004), S. 977 ff., zur Bedeutung und zu den Herausforderungen des erfolgreichen Markenmanagements im Handel. Vgl. LOEWE (2007b), S. 54. Zu den markenbildenden Eigenschaften selektiver Distributionskonzepte vgl. LASLOPP (2005), S. 486. Vgl. hierzu zusätzlich auch die Ubiquitätsbetrachtung von HELLMANN (2003), S. 22. Vgl. LOEWE (2006a), o. S.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
101
bestätigt werden. Loewe kann daher besonders beim Fachhändler seine Kompetenz im Bereich individueller Premium-Flat-TV und Audiolösungen unterstreichen und die hohe Wertigkeit von Produkt und Marke vermitteln. Dazu sind von jedem Fachhändler folgende Minimal-Anforderungen zu erfüllen:53 ¾
Premium-Präsentation – Loewe-Produkte werden immer sorgfältig und großzügig auf einem eigenen PoS-Präsentationssystem präsentiert;
¾
Systemangebot – Loewe präsentiert Produktlinien, Produkt-Highlights und Audio-Präsentationen, um das systemische Leistungsspektrum darstellen zu können;
¾ Sortimentsvielfalt – Loewe präsentiert am PoS die Varianz und Individualisierungsmöglichkeit des Produkt-Portfolios.
Abbildung 6:
Loewe-Galerie Anzenhofer in Augsburg
Der Anspruch an Substanz und Design wird am PoS ebenso durch ein premiumadäquates Umfeld demonstriert. Aus diesem Grund muss der Kunde Loewe-Produkte in einem typischen Umfeld vorfinden, das die Werte der Marke verkörpert. Der erste Eindruck einer Loewe-Produktpräsentation am PoS soll deshalb der eines hellen, lichten Farbklimas sein, das die Produkte mit ihren Materialien und Farben optimal zur Geltung bringt. Die Einrichtung vermittelt den Anspruch einer technisch funktionalen Marke mit einem zeitlos puristischen Stil.54 Die Einführung des Loewe-Shop-in-Shop-Systems seit Ende 2005 war der Auftakt der LoeweRetail-Offensive. Es schafft zwei wichtige Voraussetzungen für die Marke Loewe im Handel: Erstens kreiert es eine eigene Bühne für die Produkte. Zweitens stellt es eine markenkonforme Produktpräsentation auf kleinstem Raum sicher. Damit ist das Shop-System ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, um sich in allen Umfeldern gegen die Produkte der Massen-Anbieter durchsetzen zu können.
53 54
Vgl. LOEWE (2007b), S. 56 ff.; eine exakte Definition der PoS-Anforderungen je Distributionsstufe ist in der Loewe-PoS-Guideline fixiert; vgl. LOEWE (2006a), o. S. Vgl. LOEWE (2007b), S. 56 ff., besonders die Durchsetzung und Einhaltung der formalen Gestaltungsrichtlinien am PoS hat prägenden Einfluss auf das gewünschte Markenbild.
102
2.2
BALD/RUTENBECK
Premium-Service
Zielgruppen, die bereit sind für ein Premium-Produkt überdurchschnittlich viel auszugeben, sind in der Regel nicht an massentauglichen Angeboten interessiert. Premium-Kunden wollen exklusive, maßgeschneiderte Lösungen, die genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind. Diesen Trend hat Loewe frühzeitig erkannt und verfügt daher über eine Produktpalette, die die Vielfalt individueller Konsumentenwünsche bei Flat-TV-Geräten abdeckt und neue Maßstäbe in der Branche setzt. Natürlich wachsen damit auch die Variations- und Kombinationsmöglichkeiten; die Anforderungen an Vernetzungsleistungen steigen und auch die technische Komplexität wird immer größer, was nur durch eine exzellente Beratungsleistung im Fachhandel kompensiert werden kann. Die Betreuung der Loewe-Kunden muss genauso individuell und hochwertig sein, wie das Loewe-Produkt selbst. Der Loewe-Fachhändler hat es in der Hand, durch Service-Leistung die individuelle Auswahl und alle Komplexität für den Konsumenten nicht zum Kaufhindernis, sondern zum individuellen Erlebnis zu machen. Erstberatung, Auslieferung, Installation und Inbetriebnahme; laufende Betreuung und professionelle Hilfestellung bei Problemen; Installation von Updates, Wartung sowie gegebenenfalls Demontage und Entsorgung von Alt-Geräten: Verantwortung, Profession und Dienstleistungsbereitschaft des Händlers begleiten seinen Kunden über den gesamten Customer-Lifetime-Cycle55 und tragen damit auch mittel- bis langfristig zu einer stabilen Premium-Positionierung bei. Dienstleistungsqualität Qualität und Umfang des Loewe-Dienstleistungsangebots steigen mit dem Händlerstatus
Premium Plus
Premium
Basis
Dienstleistungsumfang
Abbildung 7:
55
Visualisierung der Loewe-Service-Level
Vgl. LOEWE (2007c), S. 4.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
103
Um der außergewöhnlich hohen Erwartungshaltung an Service-Leistungen von PremiumKunden kontinuierlich gerecht werden zu können, verabredet Loewe mit jedem LoeweHändler einen verbindlichen Dienstleistungsstandard. Dabei hängen Umfang und Qualität des Service-Angebots vom jeweiligen Status ab: Die „Basis“-Stufe gilt für alle Händler. LoewePartnerPlus-Händler und Loewe-Galerien garantieren darüber hinausgehende „Premium“Dienstleistungen. Und weil exzellenter Service immer individuell gestaltbar sein muss und immer noch weiter verbessert werden kann, gibt es bei ausgesuchten Fachhändlern das „Premium-Plus-Service-Paket“: Dies ist ein Katalog aus optionalen Dienstleistungsangeboten, aus dem jeder Loewe-Händler frei auswählen kann – um auf diese Weise seine persönlichen Service-Bestmarken aufzustellen und so ein attraktives Zusatzgeschäft bei zahlungsstarken Zielgruppen zu generieren.56 Service-Level Basis
Premium
Premium Plus
Tabelle 1:
2.3
Beschreibung
Die Service-Stufe Basis sorgt dafür, dass ein gewisses Mindestmaß an Dienstleistungen beim Verkauf von Loewe-Produkten immer geboten wird. Daran müssen sich alle Loewe-Händler halten, um Enttäuschung beim Kunden zu vermeiden – und damit auch schlechte Geschäfte. Diese Dienstleistungen sind weitgehend Bestandteil des Listenverkaufspreises und damit kostenlos. Ausnahme bilden besonders aufwändig zu realisierende Dienstleistungen, die kostenpflichtig sind. Zum Basis-Service gehört zum Beispiel die Bedarfsanalyse und Gerätevorführung, eine Loewe-Fachhändlergarantie von 36 Monaten, Liefer-, Aufstell- und Inbetriebnahme-Service sowie die fachgerechte Entsorgung des Verpackungsmaterials.
Die Service-Stufe Premium beinhaltet (im Vergleich zu Basis) ein erweitertes Dienstleistungspaket, das von allen Loewe-PartnerPlus-Händlern und Loewe-Galerien ohne Ausnahme angeboten wird. Diese Service-Dienste können dem Kunden zwar grundsätzlich in Rechnung gestellt werden. Doch der Fachhändler verfügt über die unternehmerische Freiheit, auf eine direkte Berechnung zu verzichten und die Kosten in ein attraktives Pauschal-Angebot einzubinden. Beispiele für Dienstleistungen der PremiumStufe: Garantieverlängerung auf bis zu sechs Jahre, Auslieferung sowie Beratung und Installation in den Räumen des Kunden auch außerhalb der Geschäftszeiten.
Die Service-Stufe Premium Plus: ein Katalog von außergewöhnlichen Dienstleistungsangeboten, aus denen Loewe-Händler je nach Bedarf und Möglichkeiten auswählen können. Die Premium-PlusDienstleistung ist das vom Fachhändler individuell zusammengestellte Hochleistungs-Service-Programm. Premium-Plus-Dienstleistungen können zwar nicht immer direkt abgerechnet werden, zahlen sich aber für den Fachhändler mittel- bis langfristig aus: Dazu gehören zum Beispiel die Probeaufstellung beim Endkunden oder komplette Home-Cinema-Installationen mit individueller Wohnraumgestaltung.
FH-Service-Level der Premium-Marke Loewe
Premium-Kommunikationsmaßnahmen und -schulung
Die Kommunikation und Schulung markenprägender Inhalte bilden eine notwendige Bedingung um das Markenbild am PoS zu visualisieren und durchzusetzen. Der Loewe-Kommunikationsmix muss einerseits die o. a. Forderungen einer konsistenten Markenführung entlang der Erlebniskette erfüllen und so das gewünschte Markenbild inhaltlich aufladen, andererseits jedoch auch absatzfördernde Effekte57 generieren, um besonders die retailbasierte Angebotsleistung von Loewe zu kommunizieren. Diese Aufgaben können durchaus diametral gelagert sein, woraus sich für die Ausgestaltung des Loewe-Kommunikationsmix` ein komplexes Allokationsproblem ergibt.58 56 57 58
Vgl. LOEWE (2007c), S. 6 ff. Vgl. KOTLER/BLIEMEL (1999), S. 924. Vgl. MEFFERT (1991), S. 120 ff.
104
BALD/RUTENBECK
Die Kommunikationsziele59 leiten sich, unter Berücksichtigung der zielgruppenspezifischen Ausprägungen, aus den Markenzielen ab. „Das zentrale Ziel der Kommunikation besteht darin, die Marke Loewe mit eigenständigen emotionalen und rationalen Mehrwerten aufzuladen, um so innerhalb der Loewe-Zielgruppen eine höhere Begehrlichkeit zur Marke aufzubauen und damit eine höhere Preisakzeptanz herzustellen.“ 60 Für Loewe ergeben sich im Kommunikationsbereich dadurch drei wesentliche strategische Stoßrichtungen:61 ¾
Aufwertung der bestehenden Markenposition,
¾
Eroberung von neuen Zielgruppen und
¾ Loyalisierung62 der bestehenden Zielgruppen. Dieses breite Anforderungsprofil erfordert einen entsprechend gestalteten Zielkorridor von Sub-Zielen63, der sich für Loewe wie folgt definiert:64 Kommunikationsziel
Maßnahmen
Etablierung und Penetration der Markenwerte
-Alle markenprägenden Kommunikationsmaßnahmen werden durch Guidelines definiert und somit gleichgeschaltet. -Markenrelevante Kommunikationskanäle werden evaluiert und fokussiert. Alle Kommunikationsbotschaften werden ausschließlich und kontinuierlich über diese Kanäle kommuniziert und penetriert.
Stärkung der Markenbegehrlichkeit
-Das gesamte Erscheinungsbild der Loewe-Kommunikation ist über das Design-Rahmenkonzept definiert und spiegelt den Anspruch an eine Premiummarke in allen Kommunikationsbereichen wider. -Innerhalb des CD-Rahmenskonzepts können die Kommunikationsmaßnahmen frei arrangiert werden und eröffnen so einen notwendigen Kreativitätsspielraum um Durchsetzungsstärke zu zeugen.
Aufmerksamkeitssteigerung und Involvierung
-Die Kommunikationsmaßnahmen sind so ausgestaltet, dass sie in ihrem direkten Umfeld die höchste Alleinstellung entfalten können. -Alle Kommunikationsmaßnahmen vermitteln die Erlebniswelt von Loewe oder laden dazu ein, in einen direkten Dialog mit der Marke einzutreten.
Tabelle 2:
59 60 61 62 63
64
Kommunikationsziele der Marke Loewe
Zur Ableitung von Kommunikationszielen aus Markenzielen vgl. LINXWEILER (2001), S. 174. LOEWE (2006b), o. S. LOEWE (2006b), o. S. Vgl. ESCH (2001), S. 1015 ff., und LINXWEILER (2001), S. 151 ff. Taugliche Kommunikationsziele müssen so konkret formuliert sein, dass der Erfolg der Kommunikation einer einzelnen Maßnahme direkt zugeordnet werden kann; vgl. KROEBER-RIEL/ESCH (2000), S. 32. Weiterhin müssen sie ein hohes Maß an kommunikationsbedingter Reagibilität vorweisen und über eine hohe selektive Steuerungskraft verfügen; vgl. STEFFENHAGEN (1993), S. 288. LOEWE (2006b), o. S.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
2.3.1
105
Premium-Kommunikation
Neben der Evaluation der richtigen Kommunikationskanäle ist es für eine Premium-Marke wie Loewe notwendig, den Einsatz und die Ausgestaltung der Kommunikationsmittel65 festzulegen, um so ein möglichst großes zentrales Steuerungsmomentum zu erreichen. Aus den übergeordneten Zielsetzungen abgeleitet, müssen Kommunikationsmittel von Loewe-Markenbotschaften, je nach Anlass aber auch produktspezifische oder verkaufsfördernde Inhalte vermitteln.66 Weiterhin ergeben sich aus unternehmens- oder umweltbedingten Anlässen zusätzliche Anforderungen, die berücksichtigt werden müssen. So sind beispielsweise Einverkaufs- oder Durchverkaufsmaßnahmen des Vertriebes in Richtung Handel und Endkonsument werblich zu unterstützen. Oder es ist im Retail-Bereich kommunikativ auf Preissenkungen im Markt zu reagieren.67 Aus einer Risikobetrachtung heraus können unkontrolliert gestaltete Kommunikationsmittel besonders am Point of Sale für eine Premium-Marke markenschädigend und daher ineffektiv sein.68 Oder sie entwickeln durch unzureichende Kreation nicht ihre volle Kommunikationsleistung und sind somit ineffizient.69 Massenanbieter haben meist nur ein Argument, das sie bei substanziell vergleichbaren Produkten am PoS kommunizieren können – den Preis. Für Loewe ist es deshalb umso wichtiger, die Substanz transparent zu machen, die den vergleichsweise hohen Preis rechtfertigt. Diese Substanz besteht aus führender Technologie, dem Design-Anspruch und aus dem Status der Marke. Der Einsatz von Loewe-Kennzeichnungsund Kommunikationselementen beim Fachhändler erfolgt daher systematisch. So kann der Kunde die Leistungsbreite und -tiefe des Loewe-Angebots ermessen und er erhält zum Abbau kognitiver Dissonanzen das bestätigende Gefühl, in eine wertvolle Marke mit dem für ihn passenden Produkt zu investieren. Die Retail-Kommunikation von Loewe sorgt am PoS durch aufeinander abgestufte Kommunikationsebenen für eine durchgängige Wertevermittlung:70 ¾
Identifikation – Loewe kennzeichnet den PoS eindeutig und dezent als Loewe-Erlebniswelt;
¾
Inhaltsvermittlung – Loewe schärft das Markenprofil am PoS gezielt durch Marken-, Aktions- und Innovationskommunikation;
¾ Leistungstransparenz – Loewe informiert bei jedem Produkt über Preis und dem gegenübergestellt über die jeweilige Leistungsfähigkeit aus Kundensicht.
65
Kommunikationsmittel sind Medien, die Informationen, mit oder ohne Zuhilfenahme von Kommunikationskanälen, transportieren.
66
Zu Grundüberlegungen zur Markenführung und Werbung vgl. LÖBLER/MARKGRAF (2004) S. 1491 ff., sowie zu Grundgedanken zur Markenführung und Verkaufsförderung vgl. GEDENK (2004), S. 1513 ff.
67
Vgl. KEUPER (2001), S. 14, zum Begriff der Flexibilität.
68 69
70
Hierunter fallen beispielsweise rein preisgetriebene Angebotskommunikation oder auch ausgelobte Preisnachlässe. Vgl. KEUPER/HANS (2003), S. 67, und vertiefend KEUPER (2004), S. 1 ff. und S. 90 ff., zur Bedeutung von Effektivität und Effizienz. Vgl. PICOT/DIETL/FRANCK (2005), S. 36, zur Bedeutung der allokativen und internen Effizienz sowie der produktionswirtschaftlichen Gesamteffizienz. Vgl. LOEWE (2007b), S. 60.
106
BALD/RUTENBECK
Unter risikominimierenden Gesichtspunkten stellt sich für eine effektive und effiziente markenadäquate Kommunikation die Forderung, eine möglichst hohe Kommunikationsleistung unter kontrollierten Bedingungen sicherzustellen. Diese Kontrolle wird bei Loewe durch ein entwickeltes und implementiertes CD-Rahmenkonzept71 gewährleistet. Alle Loewe relevanten Kommunikationsmittel sind innerhalb dieses Rahmenkonzepts in Form von Guidelines72 und Gestaltungsrastern definiert. In diesen Rastersystemen können auch die retailbasierten Kommunikationsmaßnahmen flexibel ausgestaltet werden, um eine höchstmögliche Kommunikationsleistung auch am PoS markenadäquat zu entfalten. Die fachhändlerspezifische Individualisierung der PoS-Kommunikationsmittel erfolgt über eine internetbasierte Transaktionsplattform73, die eine CD-Konformität und kostenoptimierte Produktionsabwicklung sicherstellt. Die so entwickelten Werbemittel werden dann i. S. einer integrierten Kommunikation74 miteinander vernetzt, wodurch sie, durch Nutzung von Synergie-Effekten, zusätzliche Kommunikationsleistung entwickeln.75 2.3.2
Premium-Schulung
Um alle dargestellten Inhalte zur Premium-Positionierung an den Fachhändler mit möglichst wenig Reibungsverlusten zu transferieren setzt Loewe eine eigene Schulungsdivision76 – ProCollege – ein. Alle Seminare im Rahmen des ProCollege-Programms vermitteln zielgruppengerecht, was Fachhändler für eine erfolgreiche Markenpräsentation und Kundenbetreuung am PoS wissen sollten. Damit bildet Loewe-ProCollege eine wichtige Schnittstelle in der Wissensvermittlung zum Fachhändler und ist zugleich auch direkter Rückkanal, um Feedback aus dem Markt zu erhalten. Dadurch entsteht ein selbstlernendes System, das von Loewe zur Justierung und kontinuierlichen Verbesserung von Maßnahmen genutzt wird. Zum Schulungskatalog von ProCollege gehören Seminare zur Vermittlung der Loewe-Grundwerte genauso wie anschauliche Beispiele, wie sich diese Werte auch in der Praxis eines Fachhändlers effektiv umsetzen lassen. Produktmarketing- und Technikseminare vertiefen, welche Innovationen sich in den individualisierbaren Systemangeboten von Loewe verbergen.77 Besonderes Augenmerk richtet sich auf die Premium-Service-Seminare, um den Fachhandel auf die steigenden Erwartungen seiner Kunden angemessen vorzubereiten. Innerhalb der Seminare werden u. a. folgende Inhalte vermittelt:78
71 72 73 74
75 76 77 78
Vgl. LINXWEILER (2001), S. 63, zum Brand Design. Zum Beispiel die PoS-, Literatur-, Online- oder die Loewe-Bildsprache-Guideline. Vgl. www.Loewe-haendler-service.de. Vgl. KROEBER-RIEL/ESCH (2000), S. 101, BRUHN (2004b), S. 1445, und HELLMANN (2003), S. 95. Integrierte Kommunikation zielt in erster Linie auf ein einheitliches Erscheinungsbild der Marke ab. Durch inhaltliche und formale Abstimmung der Maßnahmen soll die Markenwahrnehmung beim Konsumenten vereinheitlicht werden. Vgl. ESCH (2001), S. 611 ff., und BRUHN (1995) S. 97 ff., zur weiteren Bedeutung und Ausgestaltung integrierter Kommunikationsmaßnahmen. Hierzu ist eine systematische Kommunikationsplanung mit adäquaten Aufbau und Ablaufstrukturen zwingend notwendig; vgl. hierzu BRUHN (2004b), S. 1445 ff. Der organisatorische Aufbau von Loewe-ProCollge ergibt sich gem. der Anforderung „structure follows strategy“. SCHULTE-ZURHAUSEN zitiert CHANDLER; vgl. SCHULTE-ZURHAUSEN (2005), S. 324. Vgl. LOEWE (2007c), S. 14. Vgl. LOEWE (2007c), S. 14.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte ¾
Premium-Service-Prozesse,
¾
Dienstleistungsfunktion und Dienstleistungsqualität,
¾
Premium-Service-Organisation im Betrieb und Außendienst,
¾
Qualitätsorientierte Führung und Verhalten der Service-Mitarbeiter und
107
¾ Service Controlling. Die Premium-Service-Seminare von Loewe-ProCollege richten sich speziell an die Multiplikatoren im Fachhandel, d. h. Unternehmer, Geschäftsführer und Führungskräfte sowie deren Service-Mitarbeiter, um auch in diesem kundensensiblen Bereich eine durchgängig geschlossene Erlebniskette sicherzustellen und damit das Markenbild von Loewe nachhaltig zu profilieren.
3
Loewe 2015 Premium-Retail- und Premium-ServiceLeistung als Werttreiber des Unternehmenserfolgs
Der technologische Wandel im UE-Bereich wird auch zukünftig durch immer kürzere Innovationszyklen gekennzeichnet sein. Dies führt dazu, dass technische Innovationen nur kurzfristig Wettbewerbsvorteile generieren und der substanzielle Grundnutzen der Produkte immer vergleichbarer und damit substituierbar wird. Für eine Premium-Marke wie Loewe bedeutet dies, dass durch die generische Produkt-Leistung das Profilierungspotenzial sukzessive abnimmt. Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, wo sich weitere oder neue Profilierungschancen für Loewe ergeben und wie diese für die Marke nutzbar gemacht werden können.
3.1
Ausweitung der Flagshipstore-Strategie
Eine Antwort auf diese Frage ist die konsequente Ausweitung der Loewe-Flagshipstore-Strategie.79 Wenn der substanzielle Produktnutzen austauschbar wird, liegt der größte Positionierungs-Leverage in der Vermittlung immaterieller Mehrwerte. Die Argumente für den Ausbau der Flagshipstore-Strategie sind schnell zu eruieren: Je wertvoller die Marke Loewe im Fachhandel präsentiert wird, desto schneller wächst sie – und desto besser verdient der Fachhändler an ihr. Logische Konsequenz: Kein Geschäftsmodell verspricht größeren Erfolg als die Loewe-Galerien, weil die Marke Loewe ihre MarkenDimensionen nirgendwo sonst so konsequent dem Konsumenten vermitteln kann. Loewe Galerien erwirtschafteten allein in den ersten zwei Jahren seit der Neustrukturierung der Loewe-Distribution Umsatzsteigerungen von über 20 %. Hinzu kommt eine Profitabilität, die weit über dem Durchschnitt liegt. Und noch ein weiterer Vorteil: Eine Profilbildung, die kei-
79
Vgl. LASLOPP (2005), S. 486 f., zu den wesentlichen Leistungsmerkmalen von Flagshipstore-Konzepten.
108
BALD/RUTENBECK
nen Zweifel am Premium-Status lässt – und damit den Unterschied zur Konkurrenz nicht nur sofort sichtbar, sondern auch in jedem Moment erlebbar macht.80 Flagshipstores besitzen Leuchtturm-Charakter: Es gibt von ihnen nur eine begrenzte Anzahl, aber diese sind bereits aus weiter Ferne sichtbar. Daher zielt die Internationalisierungsstrategie von Loewe vor allem auf die Einrichtung solcher „Marken-Leuchttürme“ in internationalen Top-Metropolen ab, die als Marken-Hebel im jeweiligen Ländermarkt fungieren und damit nachhaltiges Wachstum sicherstellen. Die Leuchtkraft der Loewe-Flagshipstores, und die Anziehungskraft, die sie auf Endkunden ausüben, wird dabei gleichzeitig genutzt, um positive Abstrahl-Effekte auf die darunter angegliederten Distributionsebenen zu erreichen. Für den Loewe-Fachhändler muss es ein erstrebenswertes Ziel sein, Loewe-Galerie zu werden bzw. diesen Status dauerhaft zu behalten. Anspruch von Loewe ist es, überall dort in Erscheinung treten und attraktiv wahrnehmbar zu sein, wo sich Zielgruppen-Segmente mit höchster Kaufkraft finden. So ist es nur eine konsequente Fortschreibung des Premium-Ansatzes, das Konzept der Flagshipstores in den unterschiedlich entwickelten Kernmärkten international zu einer Metropolenstrategie auszuweiten. So können Markenanspruch und Markenbild selbst bei einer qualitativ schwach ausgebauten Distributionsstruktur zumindest doch punktuell im Markt platziert werden. Um diesen Effekt zu verstärken, werden die jeweiligen Stores mit lokal ausgerichteten Marketing-Konzepten unterstützt.
3.2
Exklusive Kooperationen
Premium-Zielgruppen haben heute und zukünftig Erwartungshaltungen an Exklusiv-Leistungen, die durch Loewe eigene Kompetenzfelder nicht oder nur unvollständig abgedeckt werden können. Zur Absicherung einer durchgängigen Erlebniskette ist es für Loewe daher sinnvoll, exklusive Kooperationen einzugehen, die dann latente Erwartungshaltungen von Konsumenten an Zusatzleistungen abdecken können. Neben einem absoluten Alleinstellungsanspruch – der Exklusivität – sollten solche Kooperationen durch folgende Struktur gekennzeichnet sein: ¾
gegenseitiger Markenfit,81
¾
Erschließung bzw. Ausweitung auf neue Zielgruppen-Segmente,
¾
Kontinuität,82
¾
Vermittlung von Produktnutzen
¾ und synergetische Vernetzbarkeit83 mit anderen Maßnahmen.
80 81
82 83
Vgl. LOEWE (2007e), S. 13. Grundsätzliche Basis bilden zusätzlich die deterministischen Ansätze zum Verhältnis des Organisations- und Umfeldfits; vgl. hierzu ausführlich SCHREYÖGG (2003), S. 324 ff., und hinsichtlich der Fit-These vgl. SCHREYÖGG (2003), S. 364. HELLMANN (2003), S. 86 ff. Gemeint sind hier besonders crossmediale Einsatzmöglichkeiten, CRM- und Sales-Konzepte.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
109
Um den Bedürfnisstrukturen und dem Verhalten von Premium-Zielgruppen zu folgen, kooperiert Loewe mit Unternehmen verschiedener Bereiche. Beispielsweise sind exklusive Kooperationen mit weltweit führenden Design-Hotels ein erfolgreicher Ansatz, in dem diese mit Loewe-TV-Audio-Video-Produktlösungen bestückt werden. Dies bietet die Möglichkeit, neue Premium-Zielgruppen in einem markenadäquaten Ambiente von der Raumintegration und der Design-Kompetenz der Loewe-Produkte zu überzeugen und ggf. zusätzliche Abverkaufseffekte zu erzielen. Im Sinne eines vernetzen CRM84-Ansatzes könnten Loewe-Käufer an speziellen Hotel-Konditionen partizipieren, das auch als zusätzliches Anreizsystem für den jeweiligen Hotelier nutzbar wäre.85 Innerhalb des Kerngeschäfts wird Loewe im Zuge konvergierender digitaler Medien seine Home-Entertainment-Systeme für neue digitale Inhalte öffnen. Durch die frühzeitig besetzte Position im Bereich „Connectivity“ hat die Marke dafür eine starke Ausgangsposition. Hier kooperiert Loewe bereits mit Unternehmen, die markenadäquaten Content anbieten. Zur Differenzierung gegenüber Volumen-Marken wird mit zunehmenden inhaltlichen Möglichkeiten der TV-Systeme die Benutzerführung an Bedeutung für das Markenprofil gewinnen. Wie das Beispiel Apple iPhone zeigt, kann eine Usability, die einfach und funktional, und zusätzlich auch noch markenadäquat ist und Spaß macht, den entscheidenden Premium-Unterschied im Wettbewerb um die Gunst der Kunden ausmachen.
3.3
Customized Services
Bereits heute ist die wahrgenommene Service-Leistung bei Loewe-Kunden ein wichtiger Hebel, der die Kundenzufriedenheit und damit letztendlich auch das Markenbild von Loewe maßgeblich prägt.86 Dieser Leverage wird sich bis 2015 weiter verstärken. Für Loewe bedeutet dies, dass das Premium-Service-Konzept um weitere Dimensionen ausgebaut werden muss. Dabei ist es wichtig, dass die zukünftigen Service-Konzepte sich noch konsequenter aus der Marke Loewe heraus ableiten. Einen optimalen Positionierungsansatz bietet der LoeweMarkenwert „Exklusive Individualität“, der zugleich höchste Zielgruppen-Akzeptanz herstellt. Damit exklusiv individualisierbare Service-Leistungen wahrgenommen und umgesetzt werden können, müssen strukturelle Voraussetzungen geschaffen sein. Zunächst muss der Konsument identifizieren und verstehen, wenn eine solche Service-Leistung bei ihm durchgeführt wird. Dazu ist das CD-Rahmenkonzept um inhaltliche und visuelle Elemente in Richtung „Customized Services“ zu erweitern.87 Je nach Ausprägung ist die bisher fast ausschließlich über den Fachhandel umgesetzte Service-Kette aufzubrechen. Die neuen Service-Leistungen würden dann über zentralseitig organisierte Stützpunkte von Loewe aus koordiniert, was eine größere Durchsetzungsstärke und ein deutlich höheres Qualitätsniveau sicherstellen würde. Idealer Weise wären solche Stützpunkte direkt mit den Loewe-Flagshipstores verknüpft, was die Erlebniskette zum Konsumenten verlängern und damit aufwerten würde. Ein weiterer 84 85 86 87
CRM = Customer Relationship Management; In 2009 startete Loewe das großangelegte Projekt der Implementierung des Loewe-CRM-Systems. Vgl. BÜRKLE (2006), S. 545 ff., zur steigenden strategischen Bedeutung von Customer Services. Vgl. GFK (2007b), o. S. Der Koeffizient zur Weiterempfehlung der Marke ist in der Dimension der wahrgenommen Service-Leistung bei Loewe-Neukunden im Vergleich zu Loewe-Kennern deutlich am stärksten ausgeprägt. Vgl. STAUSS (2004), S. 107 f., zur Bedeutung und zum Problem der Visualisierung des Markenzeichens und -vorteils bei Dienstleistungen.
110
BALD/RUTENBECK
Anknüpfungspunkt wäre die Einbindung der Service-Leistung in die exklusiven Kooperationsangebote, um so auch die Vernetzung von CRM-Maßnahmen weiter zu stärken. Dazu stellt Loewe dem Fachhändler im Rahmen eines neuen CRM-Systems eine Vielzahl an Kommunikationsmaßnahmen zur Verfügung, die den Dialog zwischen dem Fachhändler und dem Kunden optimieren. Der Loewe-CRM-Cycle zeigt prototypische Dialogmaßnahmen auf, mit denen ein Loewe-Fachhändler zukünftig vor, während und nach dem Kauf jeden Kunden genau im richtigen Moment mit den richtigen Loewe-Angeboten und Services begeistern kann.
Adresse des Interessenten nicht bekannt
Adressbestandteile des Interessenten bekannt
vollständige Adresse des Interessenten bekannt
Testinstallation
Beratungsgespräch bei Kunde vor Ort
Zusendung Unterlagen und Service-Scheckheft Einladung zu Event
Beratungsgespräch im Shop
Kauf
Einladung zum Beratungsgespräch Zusendung Willkommensmailing
Newsletter
allgemeine Kommunikation
personalisierte Kommunikation
Repurchase-Mailing
Sales
Kontaktaufnahme
neuer Katalog Infomailing
Delivery-Call zur Ermittlung Wunschtermin
Auslieferung und Erstinstallation beim Kunden
Bei Reparatur gleichwertiges Ersatzgerät Garantieablauf-Mailing Persönliche Geburtstagskarte
Nachfass-Call, Zufriedenheitsabfrage, ggf. Zusatzeinweisung
Call Software-Update Zusendung Kundenmagazin
Abbildung 8:
4
Prototypischer Loewe-CRM-Cycle
Fazit
Ein konsistentes Markenbild ist über alle Kontaktpunkte und Maßnahmen einer Erlebniskette eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung, um eine Premium-Marke in substitutiven oder preisaggressiven Wettbewerbsumfeldern dauerhaft und erfolgreich zu positionieren. Aus einem konsistenten Markenbild können wertorientierte Sales- und Service-Konzepte abgeleitet und implementiert werden, die dann letztendlich das Markenbild weiter schärfen und so als Werttreiber für den zukünftigen Unternehmenserfolg genutzt werden können. Eine holistisch ausgestaltete Erlebniskette bildet eine selbstverstärkende Erfolgsspirale aus, die bei konsequentem Management zur Höherpositionierung der Marke und des Markenwerts führt.
Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
111
Unternehmen, die sich an kurzfristigen Absatz- und Gewinnzielen orientieren und ihre Marke Rabatt-Schlachten und breiter Verfügbarkeit preisgeben, senken langfristig ihren Wert. Durch selektive Distribution, integrierte Inszenierungen und wertorientierter Profilierung gewinnt eine Marke an Exklusivität. Nur so wird die Begehrlichkeit geschaffen, die für eine PremiumMarke in preisaggressiven Märkten nachhaltigen Erfolg bedeutet.
langfristig erfolgreiches Markenbild überlegene PreisPrämie
wertorientierte Vermarktung
eindeutig, differenzierende Markenwerte durchgängige Erlebniskette
Abbildung 9:
konsequente Marken-Implementierung
Premium-Spirale
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Markenprofilierung durch wertorientierte Retail-Marketing- und Service-Konzepte
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Vertrieb und Marketing von Finanzdienstleistungen aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive MARTIN STROBEL und STEPHAN WEINGARZ Akademie Deutscher Genossenschaften
1 2
Einführung ..................................................................................................................... 117 Verhaltenswissenschaftliche Phänomene ...................................................................... 118 2.1 Heuristisches Entscheidungsverhalten ................................................................. 118 2.1.1 Heuristiken – „Kognitive Daumenregeln“............................................... 118 2.1.2 Repräsentativitätsheuristik....................................................................... 118 2.1.3 Verfügbarkeitsheuristik ........................................................................... 119 2.1.4 Verankerungsheuristik............................................................................. 119 2.2 Kontextabhängigkeit des Entscheidungsverhaltens ............................................. 120 2.2.1 Framing.................................................................................................... 120 2.2.2 Mental Accounting .................................................................................. 123 3 Prospect Theory als Erklärungsansatz ........................................................................... 123 4 Relevanz für den Vertrieb und das Marketing von Finanzdienstleistungen................... 125 5 Konklusion und Ausblick .............................................................................................. 130 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 131
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen
1
117
Einführung
Das alte, von den Gebrüdern GRIMM aufgezeichnete Märchen von Hans im Glück lehrt jedem Wirtschaftswissenschaftler, der sich dem Erklärungsbild des homo oeconimicus verpflichtet fühlt, das Grauen: Der kleine Hans erhält nach siebenjähriger Tätigkeit von seinem Herren als Lohn ein großes Stück Gold, mit dem er sich auf den Heimweg zu seiner Mutter macht. Unterwegs bieten sich verschiedene Tauschmöglichkeiten, die er jeweils freudig wahrnimmt: Das Gold tauscht er gegen ein Pferd, dieses gegen eine Kuh, dieses bereits ältere Tier gegen ein junges Ferkel, das Schwein gegen eine Gans und diese schließlich gegen einen großen Schleifstein, der letztendlich ein normaler Feldstein ist. Als dieser in den Brunnen fällt, setzt Hans bester Laune und völlig unbeschwert seinen Heimweg fort und dankt Gott, dass ihm auf seinem Weg nach Hause so viel Glück beim Tauschen widerfahren ist. In der Annahme, dass er in der jeweils gegebenen Situation durch das angebotene Tauschgeschäft einen höheren Nutzen erzielt, verwandelt die Märchenfigur Hans innerhalb von kurzer Zeit ein großes Stück Gold in einen wertlosen Feldstein und verliert damit das Vermögen, das ihm sein Meister überlassen hat. Was auf den ersten Blick wie die Taten eines homo debiles erscheint, d. h. eines zum wirtschaftlich-rationalen Denken und Handeln unfähigen Menschen, erweist sich auf den zweiten Blick als ein erklärbares Verhaltensmuster, sofern man sich von der Fiktion des rational handelnden Menschen in wirtschaftswissenschaftlichen Entscheidungssituationen löst und real beobachtbares Entscheidungsverhalten in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. In den letzten Jahrzehnten untersuchen Psychologen und Ökonomen im Forschungsbereich der Behavioral Finance1 (oder thematisch weiter gefasst im Rahmen der Behavioral Economics2) die grundlegende Frage, warum Menschen fortwährend Entscheidungen treffen, die weder rational noch konsistent sind und keinem unmittelbaren Eigeninteresse zu folgen scheinen. Einen wesentlichen Erklärungsansatz, der spezifische Verhaltensweisen im wirtschaftlichen Handeln von Individuen beleuchtet, liefert die Prospect Theory, die auf die unterschiedliche individuelle Wahrnehmung bzw. Kodierung eines zu erwartenden Ergebnisses Bezug nimmt. Im vorgestellten Märchen stuft Hans das Ergebnis jedes Tauschs für sich als Gewinn ein und entscheidet sich entsprechend für die angebotene Option trotz des jeweils geringeren materiellen Werts. Es liegt zum einen im Charakter der dargestellten Figur begründet, jeweils nur das Positive in einer Entscheidungssituation wahrzunehmen, zum anderen erhält Hans nach allen Regeln des klassischen Marketings von seinen Tauschpartnern lediglich die Informationen, die für einen Tausch sprechen und welche er wiederum ungefiltert in seine Entscheidung einbezieht. Die gesamte Tauschabfolge folgt damit der Terminologie des Gewinns. Interessanterweise lässt sich das im Märchen beschriebene Verhaltensmuster bei einer positiven Kodierung der erwarteten Ergebnisse ebenso in der realen Gegenwart im Verhalten von Anlegern und Nachfragern von Finanzdienstleistungen beobachten. Werden die verschiedenen Entscheidungssituationen dagegen in der Terminologie des möglichen Verlusts dargestellt, so fallen die Entscheidungen anders aus. In diesem Fall hätten die Gebrüder GRIMM wahrscheinlich die Geschichte des reichen, aber todunglücklichen Hans erzählen müssen.
1
2
Vgl. grundlegend SHEFRIN (2000). Vgl. PELZMANN (2006) sowie in populärwissenschaftlicher Darstellung BELSKY/GILOVICH (2007), S. 11 ff.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
118
STROBEL/WEINGARZ
Um die Auswirkungen verhaltenswissenschaftlicher Aspekte auf den Vertrieb und das Marketing von Finanzdienstleistungen aufzuzeigen, werden im Folgenden einzelne Erklärungsansätze für spezifische Verhaltensmuster näher beleuchtet.
2
Verhaltenswissenschaftliche Phänomene
2.1
Heuristisches Entscheidungsverhalten
2.1.1
Heuristiken – „Kognitive Daumenregeln“
Folgendes Beispiel: Auf dem Universitätsgelände begegnet man einem Studenten mit Anzug und Krawatte, der einen schwarzen Aktenkoffer bei sich trägt. Wie wahrscheinlich ist es, dass es sich um einen Studenten der Betriebswirtschaft oder um einen Studenten der Germanistik handelt? Die Mehrzahl der befragten Personen hält es für wahrscheinlicher, dass der Student BWL studiert, selbst dann, wenn die Zusatzinformation gegeben wird, dass an der Universität die Anzahl der Germanisten höher als die Anzahl der BWLer ist.3 Dieses Urteil widerspricht jedoch den Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie. Woran liegt es, dass man dazu tendiert, in diesem oder ähnlichen Zusammenhängen ein intuitives Wahrscheinlichkeitsurteil zu fällen? KAHNEMAN und TVERSKY vermuten, dass wir neue Informationen mit den in unserem Gedächtnis gespeicherten „typisierten“ Informationen abgleichen und dieser Vergleich unser (Wahrscheinlichkeits-)Urteil beeinflusst.4 In diesem Beispiel entspricht der Student eben eher dem „typischen“ BWL-Studenten als einem „typischen“ Germanisten, die Beschreibung ist repräsentativ für einen BWLer. Die Repräsentativität verleitet dazu, ein Urteil abzugeben, dass intuitiv gefällt wird. Das Urteilsvermögen und Entscheidungsverhalten von Personen ist von einer Vielzahl ähnlicher intuitiver Vorgehensweisen und mentaler Heuristiken geprägt. Heuristiken sind zunächst einmal einfache Regeln, die sich häufig über einen Prozess aus „Trial and Error“ gebildet haben oder gelernt wurden und somit nicht zwangsläufig zu fehlerhaften Einschätzungen führen. Heuristische Urteile können durchaus effizient sein, insbesondere in komplexen Situationen, in denen es an weiteren Informationen mangelt. Sie können aber auch aufgrund ihres Charakters als „Daumenregel“, insbesondere bei Beurteilungen von unsicheren Ereignissen und Situationen, zu systematisch fehlerhaften oder verzerrten Einschätzungen, so genannten „biases“, führen. Einige dieser „kognitiven Daumenregeln“ und die daraus resultierenden „biases“ sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. 2.1.2
Repräsentativitätsheuristik
Die Repräsentativitätsheuristik dient häufig der schnellen Urteilsfindung. Sie wird durch ein Denkmuster geprägt, das ein Ereignis umso wahrscheinlicher erscheinen lässt, je höher die Repräsentativität des Ereignisses für den Zusammenhang ist, in dem das Ereignis beurteilt werden soll. Passt eine Beobachtung gut in ein Schema, so liegt eine hohe Repräsentativität 3 4
Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 166. Vgl. KAHNEMAN/TVERSKY (1972).
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen
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vor, liegt hingegen kein passendes Schema vor, so ist die Repräsentativität des Ereignisses niedrig.5 Die Beurteilung erfolgt dementsprechend anhand von Stereotypen, die Individuen sich im Laufe des Lebens durch Erfahrung oder Lernen angeeignet haben. Die Urteilsverzerrungen aufgrund der Repräsentativitätsheuristik gründen sich zumeist auf Insensitivitäten bzw. falschen Vorstellungen über Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie: In obigem Beispiel des BWL-Studenten wird von den beurteilenden Personen die relative Häufigkeit von BWLStudenten an der Universität in ihrem Urteil völlig vernachlässigt.6 In diesem Kontext ist ebenso die falsche Vorstellung einzuordnen, dass Merkmale eines unendlichen Zufallsprozesses auch in kurzen, endlichen Sequenzen zum Ausdruck kommen. Berühmt ist in diesem Zusammenhang das Beispiel am Roulette-Tisch, die so genannte „gambler’s fallacy“: Nach einer Serie von neunmal roten Zahlen tendiert man dazu, es für wahrscheinlicher zu halten, dass als nächstes eine schwarze Zahl kommt, obwohl jede neue Ausspielung unabhängig von der vorherigen ist und die Ereignisse gleich wahrscheinlich sind.7 Die Repräsentativitätsheuristik führt häufig dazu, dass Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen mit hoher Repräsentativität überschätzt werden sowie kausale Zusammenhänge zwischen Ereignissen gesehen werden, die nicht bestehen. 2.1.3
Verfügbarkeitsheuristik
Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die Tendenz, dass das Entscheidungsverhalten von Menschen durch Informationen beeinflusst wird, die besonders aktuell oder augenfällig sind. Dies führt dazu, dass Wahrscheinlichkeiten bzw. Häufigkeiten von Ereignissen falsch eingeschätzt werden, wenn die Ereignisse oder Beispiele ähnlicher Ereignisse aufgrund von Aktualität, Auffälligkeit, Anschaulichkeit, Lebhaftigkeit oder emotionaler Verbundenheit noch leicht aus dem Gedächtnis abgerufen werden können, mithin verfügbar sind. So überschätzen die meisten Menschen die Wahrscheinlichkeit, einem Gewaltverbrechen zum Opfer zu fallen oder einen Unfall mit dem Auto oder dem Flugzeug zu erleiden, weil genügend Beispiele aus den Medien oder der eigenen Erfahrung aus dem Gedächtnis abrufbar sind.8 Emotionen, die mit bestimmten Ereignissen verknüpft sind, können die Verfügbarkeit zusätzlich verstärken und somit auf zukünftiges Entscheidungsverhalten einwirken. Erfolgsverwöhnte Anleger tendieren demnach eher zu positiven Prognosen des Markts, als Anleger, die eine Reihe von Misserfolgen erlitten haben. Ebenso ist die Stärke der Verfügbarkeit auch situationsbedingt, so dass persönliche Begegnungen mit Menschen, die ihre Meinung äußern, oft einen großen Einfluss auf das eigene Entscheidungsverhalten haben. 2.1.4
Verankerungsheuristik
Die Verankerungsheuristik beschreibt die Neigung von Menschen, bei der Verwertung von Informationen, insbesondere bei Schätzungen und Prognosen, sich zunächst an einem „Anker“, d. h. an einem Richtwert zu orientieren. Dies dient als Hilfsmittel für eine schnelle Urteilsfindung. Häufig wird nachfolgend dieser Ursprungswert durch genauere Informationsverwertung dem „richtigen“ Wert angepasst. Dass die Heuristik der Verankerung zu grundle5 6 7 8
Vgl. GOLDBERG/NITSCH (1999), S. 72. Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 167 ff. Vgl. TVERSKY/KAHNEMAN (1974). Vgl. zur Bestätigung dieses Verhaltens bei Anlegern die Untersuchungen von WEBER/CAMERER (1992). Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 169 ff.
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STROBEL/WEINGARZ
genden Fehleinschätzungen führen kann, zeigt folgendes Experiment deutlich.9 Man bittet Personen, schnell zu beantworten, welchen Wert das folgende Produkt ergibt: 1×2×3×4×5×6×7×8×9×10 = ? Im Durchschnitt wird ein Wert von 150 angegeben. Fragt man umgekehrt, was das Produkt von 10×9×8×7×6×5×4×3×2×1 = ? ergibt, so erhält man einen durchschnittlichen Wert von 900. Die Erklärung für die jeweils heuristische Wertfindung liegt in dem Setzen des „Ankers“. Während im ersten Fall die 1 als „Anker“ dient und nach der Multiplikation der ersten Faktoren nach oben extrapoliert wird, so wird im zweiten Fall die 10 als Ursprungswert benutzt.10 Beide Fragen liefern jedoch auch bei unterschiedlichen Verankerungen einen Wert, der weit entfernt vom „wahren“ Wert 3.628.800 ist. Dies ist auf einen für die Heuristik typischen schwachen Anpassungsprozess zurückzuführen. Der gefundene Wert wird überproportional durch die „Verankerung“ bestimmt und nicht durch den darauf folgenden Anpassungsprozess. Gerade im Finanzmarkt-Kontext findet die Verankerungsheuristik häufig in Markt-Einschätzungen und Prognosen Anwendung.11
2.2
Kontextabhängigkeit des Entscheidungsverhaltens
2.2.1
Framing
Unter Framing wird das Phänomen verstanden, dass sich die Informationsbeurteilung und somit das Entscheidungsverhalten von Menschen durch die Darstellung des Entscheidungsproblems oder der Information beeinflussen lässt. Die unterschiedliche Darstellung einer objektiv unveränderlichen Information bewirkt eine Veränderung der Präferenzen und resultiert somit unter Umständen in der Wahl einer anderen Alternative oder Lösung eines Entscheidungsproblems. Nach LEVIN/SCHNEIDER/GAETH lassen sich drei Arten von Framing unterscheiden:12 ¾ Attribute Framing ¾ Goal Framing ¾ Risky Choice Framing Attribute Framing bezieht sich auf das Phänomen, durch die Darstellung von Eigenschaften die Informationsbeurteilung zu beeinflussen. Diese Tatsache ist für die Kommunikationspolitik von Unternehmen insbesondere im Zusammenhang mit der Präsentation von Produkteigenschaften relevant. So wurde in einer Studie festgestellt, dass die Versuchspersonen „75% 9 10 11 12
Vgl. KAHNEMAN/TYERSKY (1984). Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 171 ff. Vgl. für zahlreiche Beispiele MAAS/WEIBLER (1990). Vgl. LEVIN/SCHNEIDER/GAETH (1998).
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fettfreies Rindfleisch“ besser im Geschmack empfanden als eine gleiche Rindfleischprobe, die mit „25% Fettgehalt“ ausgezeichnet wurde.13 Die Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens über die Art der Präsentation von Konsequenzen eines bestimmten Verhaltens wird Goal Framing genannt. Durch die unterschiedliche Darstellungsform wird die Aufmerksamkeit entweder auf das Erreichen von positiven oder das Abwenden von negativen Konsequenzen gelenkt. In einer Untersuchung zeigten MEYEROWITZ/CHAIKEN, dass Frauen eher dazu tendieren, eine Brust-Selbstuntersuchung zur Früherkennung eines Tumors durchzuführen, wenn sie mit den negativen Folgen einer Unterlassung konfrontiert werden, als wenn die positive Konsequenz der erfolgreichen Früherkennung dargestellt wird.14 Das negative Goal Framing führt tendenziell eher zu einer intensiveren Informationsbewertung als die positive Variante der Darstellung. In weiteren Untersuchungen ist die Erkenntnis dahingehend verfeinert worden, dass insbesondere hoch involvierte Entscheidungsträger wie bspw. Konsumenten von Finanzdienstleistungen oder Gesundheitsprodukten stärker von negativem Goal Framing in ihrer Entscheidung beeinflusst werden.15 Das Risky Choice Framing beschäftigt sich wie das Goal Framing mit der Kodierung von Konsequenzen einer Entscheidung. Diese Art des Framing ruft jedoch unterschiedliches Verhalten dadurch hervor, dass Konsequenzen in risikobehafteten Situationen als Gewinne oder Verluste beschrieben werden. Dadurch können sich die Präferenzen des Entscheidungsträgers für eine Alternative sogar umkehren. Die Form des Risky Choice Framing lässt sich anschaulich an dem bekannten Entscheidungsproblem der „Asiatischen Krankheit“ verdeutlichen.16 In der Untersuchung wurden Versuchspersonen mit der Situation konfrontiert, dass eine asiatische Krankheit ausgebrochen ist, der erwartungsgemäß 600 Menschen zum Opfer fallen werden. Die Probanden sollten nun in der Rolle als Gesundheitsminister sich zunächst für eine aus zwei angebotenen Präventionsmaßnahmen entscheiden. Das erste Programm rettet 200 Menschen mit Sicherheit, das zweite Programm bedeutet mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3, dass alle Menschen gerettet werden, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3, dass niemand gerettet werden kann. Die meisten Versuchspersonen entschieden sich für die sichere Rettung von 200 Personen, also für das erste Programm.
13 14 15 16
Vgl. LEVIN/GAETH (1988). Vgl. MEYEROWITZ/CHAIKEN (1987). Vgl. MAHESWARAN/MEYERS-LEVY (1990). Vgl. TVERSKY/KAHNEMAN (1981). Zur Darstellung vgl. auch JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 227.
122
STROBEL/WEINGARZ
Frame Alternative
sichere Alternativen
risikobehaftete Alternativen
Abbildung 1:
negatives Framing
positives Framing
¾ 200 Menschen werden gerettet
¾ 400 Menschen sterben
¾ Mit p= 1/3 werden 600 Menschen gerettet und ¾ mit p=2/3 wird niemand gerettet
¾ Mit p= 1/3 stirbt niemand und ¾ mit p=2/3 sterben alle 600 Menschen
Entscheidungs-Problem „Asiatische Krankheit“17
Nach der ersten Entscheidung wurden den Probanden zwei neue Optionen zur Entscheidung vorgelegt. Bei Einsatz des dritten Präventionsprogramms sterben 400 Menschen mit Sicherheit, während durch die Wahl des vierten Programms mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 niemand stirbt und mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 alle 600 Menschen sterben. Aus diesen zwei Alternativen wählte die Mehrzahl der Versuchspersonen das vierte Programm. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass aus theoretischer Sicht Indifferenz zwischen den jeweiligen Alternativen vorherrschen müsste. Der Erwartungswert beträgt im ersten AuswahlProblem jeweils 200 Menschen, die gerettet werden können. Trotz gleichem Erwartungswert wird mehrheitlich die sichere Alternative gewählt. Umgekehrt verhält es sich im zweiten Auswahlproblem. In beiden Alternativen werden erwartungsgemäß 400 Menschen sterben. Hier wird von der Mehrheit die riskante Alternative bevorzugt. Je nachdem ob die jeweils eintretenden Konsequenzen als „Gewinn“ (Menschen werden gerettet), oder als „Verlust“ (Menschen sterben) kodiert werden, kommt es zu unterschiedlichen Präferenzen und Entscheidungen. Durch die unterschiedliche Art der Präsentation ein und desselben Sachverhalts entscheidet man sich in „Gewinnsituationen“ eher gegen das Risiko, in „Verlustsituationen“ hingegen wird die risikoreiche Option bevorzugt.18
17 18
HOMBURG/KROHMER 2006, S. 88. Eine plausible Erklärung für dieses – auf den ersten Blick – inkonsistente Verhalten liefert die Prospect Theory, vgl. Kapitel 3.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen
2.2.2
123
Mental Accounting
Eng verknüpft mit der Feststellung, dass die Art der Präsentation das Entscheidungsverhalten beeinflusst, ist die Tendenz von Menschen, mentale Konten zu führen.19 Bei der Beurteilung von Handlungsalternativen greift der Entscheidungsträger auf geistige Konten zurück, die für verschiedene Verwendungen (z. B. Lebensmittel) oder Vermögensbestandteile (z. B. Einkommen) gebildet worden sind. Im Kontext dieser Form einer mentalen Buchhaltung bewertet das Individuum die Handlungsalternativen als Gewinne oder Verluste. Die Fähigkeit, mentale Konten zu bilden, kann als ein kognitives Verfahren bezeichnet werden, das Individuen hilft, Optionen und Ereignisse zu organisieren, zu bewerten und letztlich auch zu kontrollieren. Folgendes Beispiel kann den Sachverhalt verdeutlichen: Zwei Fans planen zu einem Fußballspiel zu gehen. Der erste Fan hat seine Eintrittskarte vorher bei einem Gewinnspiel gewonnen, während der zweite Fan seine Eintrittskarte über das Internet gekauft und bezahlt hat. Am Spieltag sind die Wetterbedingungen derartig schlecht und die Verkehrslage dementsprechend angespannt, dass beide Fans überlegen, das Fußballspiel nicht zu besuchen. Der zweite Fan wird eher dazu tendieren, einen Gegenwert zu seinem schon mental verbuchten „Verlust“ zu bekommen und somit trotz widriger Umstände zum Spiel gehen, während der erste Fan eher auf das Spiel verzichten wird, da er den Verzicht mental nicht als „Verlust“ bucht.20 Die Erkenntnis, dass Menschen dazu neigen, Mental Accounting zu betreiben, ist gerade im finanzwirtschaftlichen Bereich wertvoll. So wurde nicht nur festgestellt, dass mentale Konten für unterschiedliche Anlageprodukte (z. B. Sparbuch, festverzinsliche Anlagen oder Aktien) gebildet werden, sondern diese auch nach zeitlichen Aspekten im Lebenslauf geordnet werden und unter Umständen für einen Zugriff aus Konsumgründen „gesperrt“ sind. Ein Beispiel hierfür ist das mentale Konto für Anlageprodukte zur Altersvorsorge. Mentale Konten funktionieren dementsprechend als eine Art Selbstkontrollmechanismus. Durch die unabhängige Betrachtung der unterschiedlichen mentalen Konten kann es dazu kommen, dass ein Gesamtportfolio eines Anlegers nicht ausreichend diversifiziert ist.21
3
Prospect Theory als Erklärungsansatz
Viele der festgestellten verhaltenswissenschaftlichen Phänomene lassen sich auf Basis der Prospect Theory erklären.22 Grundgedanke der Prospect Theory ist der Ersatz der Nutzenfunktion durch eine Wertfunktion, die die Konsequenzen einer Option in subjektive Werte transformiert. Diese subjektiven Werte werden zusätzlich relativ zu einem Referenzpunkt bewertet. Gleiche Konsequenzen können demnach je nach Wahl des Referenzpunkts einen unterschiedlichen subjektiven Wert erhalten. Negative Abweichungen vom Referenzpunkt werden als Verluste wahrgenommen, positive Abweichungen werden hingegen als Gewinne kodiert. Der Verlauf der Wertfunktion wird durch spezifische Annahmen charakterisiert: Im 19 20 21 22
Vgl. KAHNEMAN/TVERSKY (1984) und THALER (1985). Vgl. für ein ähnliches Beispiel HOMBURG/KROHMER (2006), S. 90 f. Vgl. SHEFRIN/THALER (1992) sowie THALER (1999). Vgl. KAHNEMAN/TVERSKY (1979).
124
STROBEL/WEINGARZ
Bereich der Gewinne verläuft die Wertfunktion konkav, im Bereich der Verluste hingegen konvex.23
Subjektiv wahrgenommener Wert v
v(x) -x
Verlust
x
Gewinn
Referenzpunkt v(-x)
Abbildung 2:
Wertfunktion der Prospect Theory
Dieser spezifische Verlauf der Wertfunktion bedingt, dass bei gleichem Referenzpunkt Verluste höher bewertet werden als gleich hohe Gewinne. Bezeichnet man x bzw. –x als Gewinn bzw. Verlust in Relation zum Referenzpunkt und v als den jeweiligen subjektiven Wert, so lässt sich der Sachverhalt formal darstellen als: v x v x
Der konkave Verlauf der Wertfunktion im Bereich der Gewinne wird durch den Umstand geprägt, dass kleine Differenzen bei niedrigen Gewinnen den subjektiven Wert stark zunehmen lassen, während vergleichbare Unterschiede bei hohen Gewinnen den subjektiven Wert nur unterproportional steigern. So erscheint eben der Unterschied zwischen 10 € und 20 € größer als zwischen 1.210 € und 1.220 €. Umgekehrt verläuft die Wertfunktion im Verlustbereich konvex. Der Verlust von 1.000 € oder 2.000 € wird in der Differenz stärker bewertet als der Verlust von 10.000 € oder 11.000 €.
23
Vgl. JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER (1998), S. 214 ff.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen
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Anhand der Prospect Theory kann nun die Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens durch Framing am Beispiel der „Asiatischen Krankheit“ näher erläutert werden. Die durch den Verlauf der Wertfunktion bedingte Verlust-Aversion von Individuen begünstigt im negativen Framing die Bereitschaft Risiken einzugehen, sofern wie im Beispiel die Chance besteht, Verluste zu verhindern. Dies drückt sich in der Wahl der unsicheren Alternative aus, mit der die Chance gewahrt wird, mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 kein Menschenleben durch die Krankheit zu verlieren. Umgekehrt verhalten sich die Versuchspersonen in einem positiven Frame, hier scheut man die unsichere Gewinnchance. Der subjektive Wert der unsicheren Alternative ist geringer als der subjektive Wert der sicheren Alternative. Dementsprechend entscheiden sich die Meisten für das Programm, mit dem 200 Menschen sicher vor der Krankheit gerettet werden.24 Durch die Prospect Theory wird ein theoretischer Rahmen geschaffen, wie Entscheidungsprobleme mental repräsentiert werden. Damit lassen sich einerseits Erklärungen ableiten, warum Menschen „irrational“ im Sinne der Erwartungsnutzen-Theorie entscheiden. Andererseits liefert die Prospect Theory auch Hinweise dafür, wie Menschen Informationen bewerten, und kann somit als Basis für die Gestaltung von Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Vertriebseigenschaften dienen.
4
Relevanz für den Vertrieb und das Marketing von Finanzdienstleistungen
Institutionen, die Finanzdienstleistungen anbieten, sorgen dafür, den Ausgleich von Anlageund Finanzbedarf effizient zu gestalten, indem Informationsbedarfe, Beträge, Fristen und Risiken von Geldgebern und -nehmern transformiert werden.25 Finanzdienstleistungen unterscheiden sich dabei zunächst nicht grundsätzlich von anderen Dienstleistungen. Sie sind ebenso durch die Abstraktheit der Leistung, Immaterialität, Nicht-Lagerfähigkeit und die Integration von Erstellung und Konsum sowie dem Problem der Qualitätsschwankung gekennzeichnet.26 Idealtypisch lassen sich drei Kategorien von Finanzdienstleistungen unterscheiden: ¾ Vermittlungsleistungen: Abschlussvermittlung von Finanzkontrakten zwischen Geldnehmer und Geldgeber. ¾ Informationsleistung: Beratung und Informationsbereitstellung für Geldgeber über die Existenz, Qualität und Ausgestaltung potenzieller Anlageformen und möglicher Geldnehmer. ¾ Leistungen zur Risikoübernahme: Übernahme vertraglich spezifizierter Risiken, denen die aus der Geldanlage resultierenden Ansprüche unterliegen.27
24 25 26 27
Vgl. HOMBURG/KROHMER (2006), S. 88. Vgl. BITZ (2000), S. 28 ff. Vgl. KÜHLMANN ET AL. (2002), S. 28. Vgl. BITZ (2000), S. 25.
126
STROBEL/WEINGARZ
In diesen drei Kategorien weisen Finanzdienstleistungen im Hinblick auf Vertriebs- und Marketing-Aktivitäten diverse Besonderheiten gegenüber anderen Dienstleistungen oder Konsum- bzw. Gebrauchsgütern auf. Im Nachfrageverhalten ist z. B. häufig keine Eigeninitiative des Kunden vorhanden, das Bedürfnis nach der finanzwirtschaftlichen Leistung muss in der Regel erst geweckt werden. Selbst wenn die Dringlichkeit der Bedarfsdeckung durch den Kunden erkannt und empfunden worden ist, wird die Entscheidung und Handlung oft verdrängt. Ebenso zeigt sich der Nutzen-Charakter von Finanzdienstleistungen nur auf abstrakter Ebene. Finanzdienstleistungen sind unsichtbare und ideelle „Waren“, die häufig durch einen hohen Komplexitätsgrad und einen geringen Prestigewert gekennzeichnet sind. Dies bedingt vertriebspolitisch einen gezielt herausgearbeiteten Produktnutzen, der durch die zwingend erforderliche Mitwirkung des Kunden an der Leistungserstellung auch wenig standardisiert werden kann. Finanzdienstleistungen erfordern im besonderen Maß ein individuelles Eingehen in der Ausgestaltung und dem Vertrieb des Produkts auf unterschiedliche Kundengruppen bis hin zur „Maßanfertigung“ für einen Kunden. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Dienstleistungen besteht zudem in der Länge der Vertragsdauer. Bedeutet üblicherweise der „Verkauf“ das Ende des Wirtschaftsprozesses (evtl. weitergeführt in Form von Kundendienst), so gilt für Finanzdienstleistungen oft, dass der „Verkauf“ lediglich den Vertragsbeginn kennzeichnet und die Leistungserstellung langfristig angelegt ist. Dies bedingt hohe ServiceAnforderungen im Vertrieb vor und im Anschluss an den Vertragsabschluss.28 Die Besonderheiten von Finanzdienstleistungen legen nahe, dass im Marketing und Vertrieb insbesondere auf das kunden- und produktgerechte Framing geachtet werden muss. Hierzu ist es notwendig zu beachten, welches Engagement der Kunde bei der Suche, Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Produktinformation eingeht, oder anders ausgedrückt, welche Art des Involvement der Kunde aktiviert.29 Je nachdem, ob der Kunde langfristig sein Interesse an einem Produkt aufrechterhält oder nur vorübergehendes Interesse zeigt, spricht man von langfristigem oder situativem Involvement. Verbindet der Kunde hingegen besondere Gefühle mit der Kaufentscheidung, so zeigt er ein emotionales Involvement, während ein starkes Interesse an Informationen in Verbindung mit eigenen Zielvorstellungen und Lernprozessen eher auf ein kognitives Involvement hinweist. Die Arten des Involvements lassen sich zudem über den jeweiligen Ausprägungsgrad differenzieren. Investiert der Kunde ein hohes Engagement in die Informationssuche wie z. B. bei der Baufinanzierung oder dem Kauf eines Hauses, so liegen High-Involvement-Situationen vor. Hohes kognitives Involvement ist zumeist bei Kaufentscheidungen zu finden, bei denen die Produkte mit einem hohen Preis versehen sind und eine Entscheidung mit Risiken verbunden ist. Im Gegensatz hierzu liegt ein eher passives Informationsverhalten des Kunden bei Produkten vor, deren Kauf gewohnheitsmäßig abläuft und die ein geringeres Risiko aufweisen. Hier spricht man von LowInvolvement-Produkten. Die Kaufentscheidung wird häufig relativ schnell getroffen, weil dem Produkt eine geringe Relevanz beigemessen wird bzw. der Kunde z. B. aufgrund von Markenloyalität auf habitualisierte Entscheidungsmuster zurückgreift. Die Analyse des Involvement des Kunden kann bei der Wahl des richtigen Vertriebswegs für ein Produkt hilfreich sein. Der Vertriebsweg bestimmt dabei neben der Wahl der Kommunikationsmaßnahmen das Framing für die Kaufentscheidung des Kunden. Als Beispiel soll folgende Situation dienen: Ein finanzwirtschaftlich wenig interessierter Kunde, der gerade eine Lebensversicherung ausbezahlt bekommen hat, wird gegenüber Anlage-Informationen ein hohes Involvement besitzen, das jedoch lediglich situativ ausgeprägt ist. In einer derarti28 29
Vgl. KÜHLMANN ET AL. (2002), S. 26 ff. Zu den unterschiedlichen Arten des Involvements vgl. HOMBURG/KROHMER (2006), S. 38 f.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen
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gen Situation wird die direkte Ansprache und das Angebot eines persönlichen Beratungsgesprächs erfolgreicher sein als die Zusendung von Informationsmaterial oder allgemeine Werbung z. B. in Print- oder Onlinemedien. Zunächst erscheint diese Schlussfolgerung banal und selbstverständlich. Die Herausforderung liegt jedoch in dem gezielten „Filtern“ derartiger Entscheidungssituationen und dem Segmentieren nach verhaltensähnlichen Mustern der Kundengruppen, um ein bestimmtes Framing für den Vertrieb zu nutzen bzw. in gewissen Grenzen zu beeinflussen. Altersvorsorgeprodukte lediglich mit abstrakten Informationen zur Vorsorgelücke und Daten der entsprechenden Sparprodukte zu vertreiben erscheint selbst bei Kunden mit hohem kognitiven Involvement schwierig. Einige Anbieter haben erkannt, dass es zielführender ist, für die Problematik der staatlichen Alterssicherung zu sensibilisieren und gleichzeitig über die Beschreibung der Situation und der wiederholten Darstellung der negativen Konsequenzen (Repräsentativität, Goal Framing) eines mangelhaften Sparprozesses die Verfügbarkeit des Ereignisses beim Kunden zu erhöhen und somit das Involvement für eigene Produktangebote zu steigern.30 Der Verfügbarkeitseffekt kann auch bei der Planung von Beratungsgesprächen und CrossSelling-Maßnahmen herangezogen werden. Ein Kunde, der in der Vergangenheit eine schlechte Produkterfahrung gemacht hat, wird nur schwer von Cross-Selling-Produkten oder vom Wiederholungskauf zu überzeugen sein, selbst wenn das entsprechende Produkt inzwischen verbessert wurde. Dies legt nahe, Produktinnovationen und komplexe Produkte nicht forciert im Neukundengeschäft zu verwenden, sondern vielmehr zu Beginn den Fokus auf renommierte oder einfache Produkte im Vertrieb zu legen, um zunächst eine hohe Kundenzufriedenheit herzustellen. Auch der Beratungsansatz einer ganzheitlichen Finanzplanung ist aus Sicht des Vertriebs unter Berücksichtigung verhaltenswissenschaftlicher Aspekte kritisch zu betrachten. Es ist unstrittig, dass zur theoretischen Optimierung des Gesamtvermögens alle Wirkungen und Wechselwirkungen zugrundliegender Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind, jeweils mit Blick auf sich im Zeitverlauf verändernde individuelle Einkommensströme und unter Einschluss persönlicher, rechtlicher und steuerlicher Faktoren.31 In der Praxis führt dieser hohe Vernetzungsgrad neben der notwendigen Erfassung der Kundendaten jedoch zu einer Komplexität, die nicht nur den Kunden, sondern auch den Berater überfordern und verunsichern kann. Berücksichtigt man hingegen die Feststellung, dass Menschen dazu tendieren, mentale Konten zu führen, so erscheint es sinnvoll, auch den Beratungsansatz für die Finanzplanung des Kunden modular aufzubauen und zunächst einzelne, priorisierte Bedürfnisse des Kunden zu betrachten, wie beispielsweise die Absicherung gegen Berufsunfähigkeit oder die Ausbildungsfinanzierung der Kinder.32 Weitere finanzielle Fragestellungen werden dann in Nachfolgegesprächen thematisiert. Um die Komplexität auf Seite des Beraters zu reduzieren, ist es folgerichtig, auch die beratungsunterstützenden Systeme wie Computerapplikationen modular zu verwenden, um genau die entsprechenden Informationen und Einflussgrößen für das finanzielle Entscheidungsproblem des Kunden bereitzuhalten, die benötigt werden. So kann im Zuge der Beratung auf beiden Seiten ein „information overflow“ vermieden werden.33
30 31 32 33
Vgl. NITSCH (2007a), S. 26. Zur Beschreibung der Grundsätze ordnungsgemäßer Finanzplanung vgl. beispielsweise SPREMANN (1999), S. 295. Vgl. NITSCH (2007a), S. 26, und SPREMANN (1999), S. 298 ff. Vgl. NITSCH (2007b), S. 28.
128
STROBEL/WEINGARZ
Framing-Effekte spielen ebenso wie in Beratungssituationen auch in der Preispolitik eine herausragende Rolle. Folgendes Beispiel verdeutlicht den Zusammenhang: Während eines Urlaubs in Kroatien liegt man am Strand und verspürt Appetit auf einen Longdrink. Ein Freund ist bereit, das Getränk zu besorgen und fragt nach der eigenen Preisbereitschaft für den Drink. Versetzt man sich nun in ein identisches Szenario am Strand von St. Tropez wird die Beantwortung der Preisbereitschaft mit großer Wahrscheinlichkeit höher ausfallen.34 Die Preisbereitschaft wird demnach allein schon von der Preiserwartung verändert, die sich durch die Wahl der Rahmenbedingungen einer Kaufentscheidung erheblich unterscheiden kann. Auf den Kontext der Finanzdienstleistungen übertragen, kann es aus ertragsbezogenen Gesichtspunkten sinnvoll sein, die Preise für das gleiche Produkt im Standard-Kundengeschäft und im Private Banking zu differenzieren, weil die Preiserwartung der Kunden vollkommen unterschiedlich sein wird. Neben der Preiserwartung stellen Preisschwellen ein wichtiges Konzept in der Informationsbeurteilung durch Kunden dar. Preisschwellen lassen sich als Preise definieren, bei denen sich die Preisbeurteilung durch den Kunden sprunghaft verändert.35 Dabei wird angenommen, dass Preise unterhalb eines bestimmten Preises – meist einer runden Zahl wie 1 € oder 100 € – günstiger beurteilt werden als bei Erreichen oder kleinem Überschreiten der Preisschwelle. Aus dem Handel ist die Verwendung von derartigen „gebrochenen“ Preisen, d. h. von Preisen knapp unterhalb einer Preisschwelle durchaus geläufig. Verhaltenswissenschaftlich lässt sich argumentieren, dass bei „gebrochenen“ Preisen die erste Ziffer die Preisbeurteilung zum größten Teil bestimmt, mithin als „Anker“ für die Bewertung gesetzt wird. Der Preis wird von links nach rechts gelesen und unvollständig verarbeitet, so dass ein auf die Ziffer 9 endender Preis systematisch unterschätzt wird. In der Finanzdienstleistungsbranche sind „gebrochene“ Preise nur vereinzelt z. B. in Girokontomodellen vorzufinden.36 Die Herausforderung für das Marketing von Finanzdienstleistungen besteht in diesem Kontext in der Untersuchung und Definition von kundensegment- und produktspezifischen Preisgrenzen, um den Absatz zu stärken bzw. den Einbruch des Absatzes beim Überschreiten von Preisschwellen zu verhindern. Ein typisches Phänomen in der Finanzdienstleistungsbranche, insbesondere im Bankwesen ist die Unübersichtlichkeit und Komplexität der Preis-Leistungs-Verzeichnisse sowie der unzähligen Preiskomponenten, die zum Teil auch von der Nutzungshäufigkeit abhängen.37 Eine Lösungsmöglichkeit für dieses „Dilemma“ wird in der Finanzdienstleistungsbranche in einer Sonderform der Preisdifferenzierung gesehen, der Preisbündelung, auch Bundling genannt. Diese Form der durchdachten Kombination mehrerer Leistungen und Preise zu einem Gesamtpaket ist in anderen Branchen schon lange üblich, z. B. in Form der Pauschalreise oder der Super-Spar-Menüs von Fast-Food-Anbietern. In der Finanzdienstleistungsbranche findet man das Bundling häufig in der Kombination von Girokonto, Kreditkarte und Zahlungsverkehr. Hinter dem preispolitischen Ansatz der Preisbündelung steht zumeist das Anliegen, einerseits Synergie-Effekte zu realisieren, wie z. B. die Reduktion der Produktions-, Transaktions- oder Informationskosten durch die Verknüpfung der verschiedenen Produkte. Andererseits wird gleichzeitig eine Erhöhung von Umsatz und Erlös durch die Steigerung von CrossSelling-Quoten und eine stärkere Kundenbindung erwartet. 34 35 36 37
Vgl. für ähnliche Beispiele THALER (1985) oder HOMBURG/KROHMER (2006), S. 704 f. Vgl. DILLER (2000), S. 168. Vgl. WÜBKER (2006), S. 150, und WÜBKER ET AL. (2007), S. 397 f. Vgl. WÜBKER ET AL. (2007), S. 396.
Verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Marketings von Finanzdienstleistungen
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Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, wie eine Preisbündelung als Veränderung des bisherigen Framings das Kundenverhalten beeinflusst bzw. wann es sinnvoll eingesetzt wird und wie mit „verwandten“ Sachverhalten wie Zusatzleistungen oder Preiszugeständnissen (Sonderpreise, Rabattierungen etc.) umgegangen werden soll. Aus dem Erklärungsansatz der Prospect Theory lassen sich in Bezug auf diese Fragestellungen verschiedene Implikationen für die Preispolitik ableiten.38 Preise von Produkten verkörpern in Analogie zu der voranstehenden Argumentation in Kapitel 3 Verluste gegenüber dem Status quo (Referenzpunkt). Gegeben seien die Preise PA, PB und PC für drei verschiedene Finanzdienstleistungen. Die Werte v repräsentieren die subjektiven Werte, die der Kunde den Preisen zuordnet. In zwei fiktiven Angeboten werden dem Kunden die Finanzdienstleistungen gebündelt angeboten. Angebot 1 weist jedoch die einzelnen Preise der Finanzdienstleistungen aus, Angebot 2 gibt nur einen Bündelpreis an. Obwohl beide Angebote den gleichen Gesamtpreis besitzen, weisen sie bei einem Verhalten nach der Prospect Theory unterschiedliche subjektive Werte auf. Aus Abbildung 3 wird deutlich, dass der negative subjektive Wert des Angebots 1 kleiner ist als der subjektive Wert des Angebots 2.
Subjektiv wahrgenommener Wert v
(PA +PB +PC)
v(GA+GB+GC) v(GC) v(GB) v(GA) PC PB PA
Gewinn
Verlust
GA GB GC
(GA +GB +GC)
v(PA) v(PB) v(PC) v(PA+PB+PC)
Abbildung 3:
38
Bewertung von Bundling im Rahmen der Prospect Theory
Vgl. hierzu und im Folgenden auch HERRMANN/BAUER (1996), NITZSCH (1998) sowie HOMBURG/KROHMER (2006), S. 89 f. und S. 734.
130
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Es erweist sich somit als günstiger, das Produktbündel mit einem Gesamtpreis zu versehen und aggregiert zu kommunizieren. Formal gilt: ª¬ v PA v PB v PC º¼ ª¬ v PA PB PC º¼
Sofern ein Finanzdienstleister dem Kunden hingegen Konditionen anbietet, die als Gewinne kodiert werden – wie z. B. Preiszugeständnisse oder kostenlose Zusatzleistungen – so verhält sich der Sachverhalt umgekehrt. Hier erweist es sich als günstiger, die Zusatzleistungen einzeln auszuweisen bzw. einen Preisnachlass auf ein aus verschiedenen Finanzdienstleistungen bestehendes Produkt zu segregieren. Formal gilt in diesem Fall: ª¬ v G A v GB v GC º¼ ! ª¬ v G A GB GC º¼
Sowohl Preiszugeständnisse als auch kostenlose Zusatzleistungen besitzen bei einem Entscheidungsverhalten gemäß der Prospect Theory, insbesondere im Absatz von Finanzdienstleistungen, noch weitere Implikationen, die bedacht werden müssen. Da Finanzdienstleistungen zumeist im Rahmen einer langfristigen Kundenbeziehung angeboten werden, ist zu bedenken, dass durch Zusatzleistungen auch der Referenzpunkt des Kunden verändert wird. Zukünftige Transaktionen werden im Hinblick auf den neuen Bezugspunkt beurteilt. Eine Abweichung von dem neuen Bezugspunkt durch erneute Bepreisung der zuvor gegebenen Zusatzleistung wird nun als Verlust kodiert und durch den Verlauf der Wertfunktion im Betrag stärker negativ bewertet als die zuvor positive Bewertung der Zusatzleistung. Dies führt zu dem bekannten Umstand, dass einmal gewährte Zugeständnisse wie Rabatte oder Preissenkungen nur schwer wieder rückgängig zu machen sind. Ähnliche Überlegungen treffen auch auf vorübergehende Sonderpreisaktionen zu.39 Die Überlegungen zeigen, dass die Preiswirkung auf den Absatz neben den rationalen Kosten-Nutzen-Erwägungen im Rahmen der Kaufentscheidung des Kunden auch von der individuell ausgeprägten verhaltensabhängigen Wahrnehmung und Beurteilung des Preises abhängt. Dem Umstand, dass Individuen dazu tendieren, von den Erwartungen der klassischen Preistheorie systematisch abzuweichen, muss in der Preispolitik der Finanzdienstleistungsbranche Rechnung getragen werden, um mit intelligenten Maßnahmen auf den wettbewerbsbedingten Preiskampf in innovativer Weise zu reagieren.
5
Konklusion und Ausblick
Kunden bilden in der Realität keine homogene Masse, sondern differenzieren sich hinsichtlich einer Vielzahl unterschiedlicher demographischer, sozioökonomischer und psychologischer Kriterien, die wiederum Rahmenbedingungen hervorrufen, die das Verhalten bei der Wahrnehmung und Beurteilung von Alternativen vollkommen unterschiedlich ausfallen lassen. In der Finanzdienstleistungsbranche wird zumeist bei der Markt- und Kundensegmentierung auf sozioökonomische Kriterien wie Einkommen, Vermögen, Beruf oder Ausbildung zurückgegrif39
Vgl. HOMBURG/KROHMER (2006), S. 89 f.
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131
fen und gegebenenfalls um demographische Kriterien wie Alter oder Stellung im Lebenszyklus ergänzt. Psychologische Kriterien wie Motive, Einstellungen oder Lifestyle-Kriterien erfahren hingegen eine vergleichsweise geringe Berücksichtigung im Marketing von Finanzdienstleistungen. Eine Begründung dafür kann darin gesehen werden, dass Finanzprodukte eher ein geringes emotionales Involvement beim Abnehmer aktivieren und somit die „traditionelle“ Segmentierung gerechtfertigt ist. Betrachtet man jedoch das gesamte Spektrum des absatzpolitischen Instrumentariums, so erscheint die intelligente und systematische Verbindung von psychologischen Kriterien mit sozioökonomischen und demographischen Merkmalen für geeignet, neue und innovative Segmentierungen für Kommunikationsmaßnahmen, Vertriebswege und Preisgestaltung zu finden und zu nutzen, um segmentspezifisch bisher „stille“ Marktpotenziale auszuschöpfen. Durch die Kenntnis und Beachtung verhaltenswissenschaftlicher Phänomene können Finanzdienstleister einerseits dazu beitragen, durch „irrationales“ Handeln verursachte Nachteile auf Seiten der Kunden zu reduzieren bzw. zu vermeiden und gleichzeitig die Erkenntnisse nutzen, um den Absatz über segmentspezifisches Marketing zu forcieren.
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Zweiter Teil Sales Management als Erfolgsfaktor
Vertriebsherausforderungen im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen MARKUS DEUTSCH und RENÉ HANS TellSell Consulting
1 2
Rahmenbedingungen und Veränderungen im deutschen Gesundheitsmarkt ................. 137 Überblick zu strategischen Handlungsoptionen für die Gesetzliche Krankenversicherung ..................................................................................................... 139 2.1 Effizienzsteigerungsstrategien ............................................................................. 139 2.2 Erlössteigerungsstrategien – Aktives Management des Morbi-RSAKundenportfolios ................................................................................................. 140 2.3 Kundenbindungsstrategien................................................................................... 141 2.3.1 Wahltarife ................................................................................................ 141 2.3.2 Zusatzleistungen ...................................................................................... 142 2.3.3 Coaching.................................................................................................. 142 2.3.4 Telemedizinische Leistungen .................................................................. 143 2.3.5 Verblisterung ........................................................................................... 144 3 Vertriebskanalmanagement als zukünftige Kernkompetenz der Gesetzlichen Krankenversicherung ..................................................................................................... 144 3.1 Kundenbedürfnisse und Endkundenorientierung als Grundlage für Vertriebskanalmanagement.................................................................................. 145 3.2 Vertriebskanäle und Multiplikatoren ................................................................... 147 3.2.1 Zugang zu Kunden über Unternehmen .................................................... 147 3.2.2 Online Direktvertrieb............................................................................... 147 3.2.3 Online Communities................................................................................ 147 3.2.4 Regionale Multiplikatoren ....................................................................... 148 4 Zusammenfassung und kritischer Ausblick auf mögliche Veränderungen im Krankenversicherungsmarkt .......................................................................................... 148 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 149
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen
1
137
Rahmenbedingungen und Veränderungen im deutschen Gesundheitsmarkt
Zum 1. Januar 2009 wurde in Deutschland mit dem Gesundheitsfonds die wohl umstrittenste Maßnahme der letzten Jahrzehnte im Gesundheitsmarkt etabliert. Ob hierdurch ein nachhaltiger Durchbruch in der Gesundheitsversorgung, eine politisch getriebene Kompromisslösung der Großen Koalition oder gar „sozialistische Verhältnisse“ geschaffen wurden, soll an dieser Stelle nicht näher beleuchtet werden. Vielmehr ist auf die hinter dem Gesundheitsfonds stehende Faktenlage und daraus resultierender Handlungsoptionen für die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) einzugehen. Diese stehen seit Start des Gesundheitsfonds vor folgenden wesentlichen Veränderungen: 1. Einheitlicher Beitragssatz für alle gesetzlich Krankenversicherten Vor 2009 lag die Spanne der Beitragssätze zwischen 12,0% und 15,5%. Bei einem Einkommen von 4.500 € brutto bedeutete dies – bei Wahl der kostengünstigsten Krankenversicherung – 1.500€ Ersparnis im Jahr. Die 70 Millionen Versicherten konnten die Krankenkasse wechseln, wenn ihnen der Beitragssatz bei ihrer Krankenversicherung zu hoch war. Zwischen den GKV herrschte häufig ein reger Wettbewerb über den Preis, wenngleich viele Krankenversicherungen – z. B. die Techniker Krankenkasse – erfolgreich Differenzierungsstrategien angewendet haben, um der Preisspirale zu entfliehen. Hierzu zählten zum Beispiel Zusatzleistungen wie Bonuszahlungen für regelmäßige Besuche von Rückenschulen, Kundenmagazine oder Verbesserung des Kundenservice (Erreichbarkeit, Schnelligkeit der Bearbeitung) im Allgemeinen. Mit Start des Gesundheitsfonds wurde jeglichem direktem Wettbewerb über den Preis ein jähes Ende gesetzt. Versicherte und Arbeitgeber entrichten bei einem konsolidierten Beitragssatz von 14,9% jeweils anteilig einen Beitrag von 7,45%. Die Beiträge fließen in den neu geschaffenen Gesundheitsfonds, der wiederum die Beiträge in Form eines Sockelbetrags für jeden Versicherten an die Krankenversicherungen weiterleitet. 2. Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich (Morbi RSA) Mit dem Morbi RSA ergibt sich ein weiteres Kernelement der veränderten Regulierung – eng verknüpft mit dem Gesundheitsfonds. In der Vergangenheit haben Krankenkassen auf Basis indirekter Morbiditätsindikatoren (Alter, Geschlecht, Bezug einer Erwerbsminderungsrente) eine Anspruchsgrundlage für zusätzliche Ausgleichszahlungen infolge der höheren erforderlichen Leistungen erworben. Neu ist nun, dass für 80 direkte Indikationen (chronische/ schwerwiegende Erkrankungen) zuzüglich zum Sockelbetrag individuelle, morbiditätsorientierte Risikozuschläge für Versicherte ermittelt werden. Die Eingruppierung der Versicherten in Morbiditätsgruppen wird dabei auf Basis der Daten des jeweiligen Vorjahres für das aktuelle Ausgleichsjahr vorgenommen. In Konsequenz bezieht also eine GKV für Versicherte mit einem oder mehreren der 80 definierten Indikationen neben dem Sockelbetrag einen Zuschlagssatz als Risikoausgleich für die erhöhte Inanspruchnahme von Leistungen. 3. Möglichkeit der Erhebung von Zusatzbeiträgen/Rückerstattung von Beiträgen Ein wesentliches Wettbewerbselement des Gesundheitsfonds zielt auf die angestrebten Effizienzsteigerungen der GKV ab. Zumindest theoretisch soll es durch Effizienz- bzw. Produktivitätssteigerungen in den internen Abläufen durch eine GKV möglich sein, Beiträge an die Versicherten rückzuerstatten. Funktioniert das Modell, kommt es über die Rückerstattungen F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
138
DEUTSCH/HANS
zumindest indirekt zur Möglichkeit des Preiswettbewerbs. Hierdurch wurde ein wesentlicher regulatorischer Impuls zur Konsolidierung der GKV-Landschaft gesetzt. Aufgrund der zunehmenden Größe der Krankenkassen sollen bzw. können Skaleneffekte in der Marktbearbeitung realisiert werden. Marktkonsolidierungstendenzen der GKV sind seit Anfang der neunziger Jahre (über 1.200 GKV) sichtbar und setzen sich auch mit dem Start des Gesundheitsfonds fort. Allein zwischen Januar und Mai 2009 ist die Anzahl der Anbieter von 202 auf 196 gesunken.1 Exemplarisch sei die zum Januar 2009 vollzogene Fusion der Techniker Krankenkasse mit der IKK Direkt erwähnt, die hierdurch zur mitgliederstärksten Krankenkasse mit rund 7,1 Millionen Krankenversicherten geworden ist.2 Auch die Fusion der Taunus BKK mit der BKK Gesundheit zum ersten Oktober 2009 zeigt die Verstärkung der Fusionstendenzen im Krankenkassenumfeld auf.3
Rückerstattung Krankenkassen, die gut wirtschaften, können ihren Mitgliedern Beiträge in Euro zurückerstatten
Versicherte mehr Wahlfreiheit durch Wettbewerb
Gesetzliche Krankenkassen mehr Wettbewerb untereinander Einheitlicher Beitrag für alle Versicherten (inkl. Risikostrukturausgleich)
Gesundheitsfonds Zahlt Bundeszuschuss aus Steuermitteln für gesamtgesellschaftliche Aufgaben der GKV
Bund
Abbildung 1:
1 2 3
Prozentualer Beitrag + ggf. 0,9 % Sonderbeitrag für Kinderlose
Beitragszahler: Arbeitnehmer + Deutsche Rentenversicherung + BA
Systematik des Gesundheitsfonds
Vgl. O. V. (2009a). Vgl. O. V. (2008). Vgl. O. V. (2009d).
Prozentualer einheitlicher Beitrag
Arbeitgeber/-innen
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen
139
Trotz der beschriebenen Marktkonsolidierung und eines Überschusses der GKV von rund 1,2 Mrd. € im ersten Quartal 2009 ist in der Branche vielmehr von Zusatzbeiträgen als von Rückerstattungen die Rede.4 Der Gesetzgeber bietet so Krankenversicherungen, die nicht mit den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds auskommen, die Möglichkeit, einen Zusatzbeitrag an die Versicherten zu erheben. Hierzu bestehen zwei Möglichkeiten: a.
Ein pauschaler Zusatzbeitrag kann unabhängig vom Einkommen festgesetzt und darf maximal 8 Euro pro Monat betragen.
b.
Ein einkommensabhängiger Zusatzbeitrag wird individuell für jeden Versicherten errechnet, darf jedoch nicht 1% des Beitragsaufkommens überschreiten.
Aufgrund der Wirtschaftskrise ist die erwartete Welle der Verkündigung von Zusatzbeiträgen ausgeblieben. Viele Krankenversicherungen haben Investitionen aufgeschoben oder Leistungen weiter eingeschränkt, um nicht zur ersten Generation der Krankenversicherungen zu gehören, die Zusatzbeiträge erheben. Gleichwohl erwarten Experten ab Herbst 2009 sowie im Jahr 2010 eine Welle von Zusatzbeiträgen.5
2
Überblick zu strategischen Handlungsoptionen für die Gesetzliche Krankenversicherung
Zusammenfassend ergibt sich aus den jüngsten Veränderungen eine für GKV prekäre Situation, die neue Handlungsstrategien erfordert. Hierzu stehen nachfolgende Stoßrichtungen zur Verfügung.
2.1
Effizienzsteigerungsstrategien
Natürlich werden viele GKV ihre Bestrebungen der Marktkonsolidierung fortsetzen und infolgedessen versuchen, die verschmolzenen Kostenbasen zu optimieren. Oder aber Krankenkassen verfolgen einen eigenständigen Weg und versuchen hierbei allein, ihre Kostenstruktur zu optimieren. Neben der Senkung von Administrationskosten könnten diesbezüglich in Zukunft – gerade aufgrund der fortschreitenden Marktkonsolidierung – verstärkt Managed-Care-Modelle im Fokus stehen. Charakteristisch dabei ist, dass die Steuerung der Versorgung durch den Kostenträger, d. h. durch die GKV, erfolgt. Managed Care verändert infolgedessen die Arbeitsteilung im Gesundheitswesen, das sich durch eine scharfe Trennung zwischen dem medizinischen Verantwortungsbereich und der Finanzierungs- und Verwaltungsaufgabe, abgebildet derzeit durch die Kassenärztliche Vereinigung, auszeichnet. Dabei bedeutet Managed Care, dass Krankenversicherer selbst mit Leistungserbringern kontrahieren oder zumindest kooperieren und somit gegenüber dem jetzigen Modell Effizienzvorteile realisieren.6 Aus Sicht des 4 5 6
Vgl. KRÜGER (2009), S. 12 f. Vgl. O. V. (2009b). Vgl. SEITZ/FRITZ (2005), S. 48.
140
DEUTSCH/HANS
Versicherten werden derartige Modelle nur dann zum Erfolg führen, wenn durch Managed Care die daraus erzielten Effizienzsteigerungen auch über die Beitragsrückerstattungen nachhaltig spürbar werden. Ansonsten ist davon auszugehen, dass die Resonanz aus Sicht der Versicherten eher gering bis ablehnend sein wird, da Versicherte bei Managed Care dazu angehalten sind, Gesundheitsleistungen von Leistungserbringen zu beziehen, mit denen die zuständige GKV einen Direktvertrag geschlossen hat. Dies schränkt in Konsequenz die Flexibilität des Versicherten ein. Jegliche Effizienzsteigerungsstrategien sind zusammenfassend zwar notwendig für GKV, werden aber allein nicht erfolgversprechend sein, da die Vorteile hieraus eher der GKV intern bzw. der Effizienzsteigerung des gesamten Systems dienen als primär dem Versicherten zugute kommen.
2.2
Erlössteigerungsstrategien – Aktives Management des Morbi-RSA-Kundenportfolios
In der Vergangenheit galt die Zielgruppe der jungen Erwerbstätigen im Alter von 25 bis 40 Jahren für eine GKV als mit Abstand attraktivstes Segment, da einem stabilen Beitragsaufkommen aus dieser Zielgruppe nur ein unterproportionaler Bedarf an Beitragsmitteln gegenüberstand. Mit dem Morbi RSA dreht sich diese Logik, da durchaus auch chronisch Kranke mit entsprechendem Morbi-RSA-Zuschlag für eine GKV attraktiv sein können, sofern die aus dem Gesundheitsfonds bereitgestellten erhöhten Mittel nicht durch die Krankheit aufgezehrt werden. Unabhängig davon bietet der Morbi RSA zunächst für GKV die Möglichkeit der Generierung von Zusatzerlösen. Insofern wird das „Morbi-RSA-orientierte“-Management des Kundenportfolios zur Kernkompetenz einer GKV, in dem folgende exemplarische Leitfragen zu beantworten sind: ¾ Welche Versicherten erhalten derzeit keinen Morbiditätszuschlag, haben jedoch Indikationen bzw. ein krankheitsspezifisches Potenzial für den Morbi RSA? ¾ Welche Versicherten erhalten einen Morbiditätszuschlag, müssten aber höher eingestuft werden? ¾ Welche Versicherten fallen voraussichtlich in naher Zukunft aus den Zuschlagsgruppen des Morbi RSA? ¾ Welche Versicherten werden im Verlauf ihrer Erkrankung hohe Kosten verursachen, haben aber keine krankheitsspezifischen Ausprägungen der Morbi-RSA-Gruppen? ¾ Kann durch Förderung von Präventionsleistungen für den Versicherten und chronisch Kranken die notwendige Leistung nachhaltig gesenkt werden, ohne dass der Morbi RSA für den Kranken gänzlich wegfällt? Das neue Verfahren der Morbi-RSA-Zuteilung verursacht derzeit noch häufig Abgrenzungsprobleme und eröffnet teilweise Spielräume zur Kurzfristoptimierung der Erlössituation der GKV. So war schon kurz nach dem Start des Gesundheitsfonds die Rede von Krankenkassen, die Ärzten einen Bonus von 10€ gewähren, für die Überprüfung der Diagnosen von Patienten und ein „Upcoding“ gemäß der 80 gelisteten, Morbi-RSA-relevanten Krankheiten.7 Derartige 7
Vgl. O. V. (2009c). Zum Thema Anreize und Upcoding vgl. auch BUSSE (2008).
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen
141
Auswüchse lassen sich aufgrund der gesetzten Anreize nicht vollständig vermeiden, schaden jedoch dem Image der praktizierenden GKV und werden nachhaltig keine Kundenbindung versprechen. Damit rücken neben dem Management des Morbi-RSA-Kundenportfolios innovative Aspekte der Kundendifferenzierung in den Vordergrund.
2.3
Kundenbindungsstrategien
Aufgrund des fehlenden direkten Preiswettbewerbs rücken Kundenbindungs- und damit Differenzierungsstrategien immer weiter in den Fokus von GKV. Die Differenzierung soll dabei über zusätzliche Leistungen, innovative Produkte und Kundenbindungsinstrumente erfolgen. Die Zufriedenheit der Kunden und die Darstellung am Markt rücken entsprechend in das Zentrum der Kommunikation der Krankenversicherer. Nachfolgend werden einige dieser Differenzierungsmaßnahmen exemplarisch dargestellt. 2.3.1
Wahltarife
Für die GKV besteht nach Einführung der Wahltarife seit dem 1.4.2007 die Möglichkeit, eine Reihe von Produkten im Markt zu etablieren. Die Produkte binden teilweise die Kunden für einen Zeitraum von drei Jahren an einen Tarif. In der Regel stellen diese Produkte eine „Wette in die Zukunft“ dar. Falls keine Erkrankungen eintreten, profitiert der Versicherte von einem günstigeren Tarif, tritt eine Erkrankung ein, so muss der Versicherte eine gewisse Summe selbst bezahlen. Ärztliche Leistungen präventiver Art sind dabei jedoch in der Regel nicht von den Reduktionen betroffen.
Kann
Muss
Die Versicherten nehmen diese Tarife als nicht besonders attraktiv wahr, was eine geringe Akzeptanz dieser Tarife zur Folge hat. Laut einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, Berlin, sehen nur 41% der Befragten Wahltarife als zentrales Merkmal der Krankenkassen.8 Dieses Merkmal landete weit abgeschlagen auf dem letzten Platz nach Erstattung von Gesundheitskursen, Angebot von eigenen Gesundheitskursen und Bonusprogrammen.
1. 2.
3.
Selbstbehalttarife
4.
Tarife für Nichtinanspruchnahme von Leistungen
5.
Übernahme von der Regelversicherung ausgeschlossener Arzneimittel
6.
Variable Kostenerstattungstarife
Abbildung 2:
8
Tarife für die Teilnahme an besonderen Versorgungsformen (DiseaseManagement-Programme, integrierte Versorgung, Hausarztzentrierte Versorgung) Krankengeldtarife
Übersicht über verpflichtende und freiwillige Wahltarife
Vgl. ZOK (2009), S. 5.
142
DEUTSCH/HANS
Insbesondere auf die Kundenerwartungen zugeschnittene Wahltarife nach § 53 SGB V bilden eine entscheidende Grundlage, um neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden zielgerichtet zu binden. Neben den für jede gesetzliche Krankenkasse verpflichtenden Wahltarifen (Hausarzt- und Krankengeldtarife), bieten insbesondere die freiwilligen Wahltarife die notwendige Flexibilität, um ein innovatives und attraktives Produktangebot aufzubauen. Für die Zukunft kann gar von einer weiteren Liberalisierung des SGB ausgegangen werden. Es sollte auch beachtet werden, dass neben der Möglichkeit Kunden zu gewinnen und zu binden, ein Risiko besteht, durch die falsche Ausgestaltung oder Adressierung der Wahltarife hohe Kosten ohne ausreichende Einnahmen zu verursachen. Zum Beispiel kann es passieren, dass Tarife mit Beitragsrückerstattung insbesondere von den Bestandskunden gewählt werden, die keine Wechselabsichten haben und gleichzeitig keine Leistungen in Anspruch nehmen. 2.3.2
Zusatzleistungen
Eine Reihe von Gesetzlichen Krankenversicherungen haben bereits in den vergangenen Jahren Maßnahmen zur Kundenbindung ergriffen, indem sie ihren Versicherten insbesondere präventive Leistungen kostenfrei oder bezuschusst zur Verfügung gestellt haben. Zudem führten die meisten gesetzlichen Krankenversicherer Bonussysteme ein, die jedoch meistens nicht als Erfolg zu werten sind. Häufig krankten die Systeme daran, dass zu wenig Events mit zu niedrigen Punktezahlen zum Sammeln zur Verfügung standen und somit das Interesse der Versicherten schnell nachließ. 2.3.3
Coaching
Häufig ist die Kommunikation von Seite der Krankenkasse zu den Versicherten negativ geprägt (Tariferhöhungen, Ablehnungen, etc.) In positiven Fällen wie z.B. bei der Übernahme der Gebühren findet in der Regel kein Dialog statt. Daher haben in der Vergangenheit die Krankenversicherer immer wieder versucht, eine positive Kommunikation zu den Versicherten aufzubauen. Dies erfolgte insbesondere zu verschiedenen Events (Einschulung, Geburt, Geburtstage, etc.). Die wenigsten Versicherungen verfolgen dieses System jedoch konsequent. Ein Ansatz aus der Schweiz von der dort ansässigen CSS Versicherung sieht hierzu ein frühzeitiges gesundheitsorientiertes Coaching vor.9 Die Versicherten werden somit sowohl positiv angesprochen als auch aufbauend auf einen freiwilligen Gesundheitscheck kontinuierlich betreut. Die ergriffenen Maßnahmen werden unterstützt, und nach einem festgelegten Zeitraum erfolgt ein weiterer Gesundheitscheck. So wird aktiv eine Kommunikation zum Versicherten aufgebaut. Idealerweise nutzt der Versicherte diesen Kommunikationskanal auch im Schadensfall. Dadurch können die Versicherten verbessert im Sinne der Krankenkasse gesteuert werden, gleichzeitig erfährt der Versicherte einen verbesserten Versorgungsgrad.
9
Vgl. CSS GRUPPE (2009).
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen
2.3.4
143
Telemedizinische Leistungen
In einzelnen Fällen beginnen Krankenversicherungen als Differenzierung gegenüber anderen Versicherern die Kosten für telemedizinische Leistungen10 zu übernehmen. Es handelt sich dabei in der Regel um koronare Erkrankungen, bei denen Mehrkanal-EKGs ausgeführt und aus der Distanz überwacht werden. Die Telemedizin kann in zwei Anwendungsgebiete aufgeteilt werden: zum einen in einen Doc2Doc-Bereich, in dem eine Telekonsultation, eine Teleausbildung oder eine Telechirurgie Bestandteil sind. Zum anderen bezieht sich der Doc2Patient-Bereich auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, wobei Telediagnostik, Teletherapie, Telemonitoring und Telecare Anwendung finden. Die Telemedizin bietet Lösungsansätze für das Spannungsverhältnis von Gesundheit, Lebensqualität und Kosten. In anderen Ländern, beispielsweise Israel oder den skandinavischen Staaten, sind diese Leistungen deutlich weiter entwickelt und stärker ausgeprägt. Sowohl aus Kostensenkungs- als auch aus Differenzierungsgründen werden Kosten für telemedizinische Anwendungen künftig stärker von gesetzlichen Kassen übernommen werden. Aufgrund der steigenden Prävalenz chronischer Volkskrankheiten wie z. B. Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Asthma räumt man dem Telemonitoring ein Marktpotenzial von rund 1,5 Mrd. EUR allein in Deutschland ein.11 Eine Qualitätsverbesserung könnte durch eine Therapieoptimierung dank engmaschiger Überwachung, Risikoprävention und Förderung der Compliance sowie durch eine optimale Vernetzung innerhalb der Gesundheitsstrukturen erreicht werden. Durch vermeidbare Krankenhausaufenthalte, z. B. bei Herzinsuffizienz-Patienten, könnten ernorme Kosten gespart werden. Lückenhaftes Wissen der Patienten, fehlende Compliance, ungenügend medikamentöse Einstellung und unzureichende Erfassung der Vitalparameter führen zu einer erhöhten Rehospitalisierungsrate.12 59,8% der Deutschen über 65 Jahre wollen Telemedizin mit altersgerechten Assistenzsystemen für ein selbständiges Leben im eigenen Zuhause mit Tele-Homecare und Tele-Monitoring nutzen.13 Das Interesse an Alarmsysteme wie Stützsensoren, Herzfrequenz- oder Atemstillstandmesser und Erinnerungsfunktionen an die Medikamenteneinnahme sind in diesem Zusammenhang erstaunlich hoch.
10
11 12 13
Telemedizin ist ein Teilbereich der Telematik im Gesundheitswesen. Unter Telematik versteht man die Verknüpfung der Bereiche Telekommunikation und Informatik. Telemedizin bezeichnet die medizinische Diagnose und Therapie unter Überbrückung einer räumlichen und zeitlichen Distanz, insbesondere zwischen Arzt und Patient, wobei technische Hilfsmittel wie Telefonie, Telefax, Internet bis hin zu modernsten Kommunikations- und Informationstechnologien wie Bildübermittlung eingesetzt werden. Vgl. HÄCKER/REICHWEIN/TURAD (2008), S. 1 ff. Vgl. HÄCKER/REICHWEIN/TURAD (2008), S. 15 f. Vgl. O. V. (2009e).
144
2.3.5
DEUTSCH/HANS
Verblisterung
Seit August 2009 übernehmen die ersten Krankenversicherungen in Deutschland die Kosten der Verblisterung. Bei der Verblisterung handelt es sich um eine patientenindividuelle Konfektionierung und Portionierung von allen verblisterungsfähigen Medikamenten pro Einnahmezeitpunkt in kleinen, luftdicht verschweißten beschrifteten Sachets (Siegelrandbeuteln) oder Durchdruckverpackungen. Insbesondere bei multimorbiden Versicherten oder bei spezifischen Krankheitsbildern wie Parkinson o. ä. profitieren die Versicherten von der einnahmeorientierten Verpackung der Medikamente. Die Krankenkassen unterstützen dabei die Patienten bei ihrer für sie aufwändigen regelmäßigen Aufteilung der Medikamente und erhöhen zudem die Compliance bei der Medikamenteneinnahme. Erste Studien sprechen von Kosteneinsparungen durch die Steigerung der Compliance in Höhe von 32 bis 1.360 € pro Jahr pro Patient.14 Die Entstehung größerer maschineller Verblisterungszentren trägt dieser Entwicklung Rechnung. Als weiteren Vorteil der Verblisterung zählt die Kosteneinsparung durch Absenkung von vermeidbaren Komplikationen und einer damit verbundenen Steigerung der Versorgungsqualität sowie Arzneimittelsicherheit. Zudem ist mit einer Reduktion der aus Medikationsfehlern resultierenden Folgekosten durch eine erneute ärztliche Behandlung und Folgetherapien zu rechnen. Auch der geringere Arzneimittelverwurf, die möglichst 100%ige Umstellung auf Generika und die Einsparung von Klinikkosten sind relevante Argumente für Krankenversicherungen.
3
Vertriebskanalmanagement als zukünftige Kernkompetenz der Gesetzlichen Krankenversicherung
Die Zukunft der GKV wird nach einer Welle der Konsolidierung, bei der in erster Linie das Halten der attraktiven Kundengruppen im Vordergrund steht, in eine neue Welle der Vertriebsaktivitäten bzw. der Kundenbindungsmaßnahmen münden. Bei diesem Konkurrenzkampf zwischen den Versicherern mit quasi regulierten Leistungen wird der Erfolg hauptsächlich von kommunikativen Differenzierungen und dem geschickten Nutzen der rechtlichen Spielräume abhängen. Zum einen wird also die kreative Nutzung der oben genannten Möglichkeiten eine wesentliche Rolle spielen, zum anderen werden aber auch neue Formen vertrieblicher Aktivitäten gefordert sein. Neben den dazu notwendigen oben beschriebenen Kompetenzen wird Vertriebskanalmanagement zu einer der zukünftigen Kernkompetenzen der GKV werden müssen. Dabei verstehen wir unter Vertriebskanalmanagement die proaktive Koordination der Wege, auf denen vertriebliche Kundenkommunikation betrieben wird. Aktuell bauen die meisten GKV auf ihr regionales Filialnetz und die zentralen Servicecenter. Diese sind in den besten Fällen über eine zentrale CRM-Software miteinander verbunden. Auch der Online-Kanal ist bereits in einigen Fällen in die Kundenkommunikationsinfrastruktur integriert.
14
Vgl. LAUERBACH/LÜNGEN/GERBER (2006).
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen
145
Laut der oben bereits erwähnten Untersuchung aus dem aktuellen WIdO-Monitor sehen die Befragten die Bedeutung der Kommunikationskanäle wie folgt. „Eine Krankenkasse sollte… …telefonisch immer gut erreichbar sein. ... einen persönlichen Ansprechpartner haben. ... ein umfassendes Informationsangebot im Internet haben. ... eine Geschäftsstelle/Filiale in der Nähe haben.
90,0% 81,2% 73,8% 51,8%“15
Dies zeigt, dass die verschiedenen Vertriebskanäle existent und gut aufeinander abgestimmt sein müssen.
3.1
Kundenbedürfnisse und Endkundenorientierung als Grundlage für Vertriebskanalmanagement
Der Erfolg des Vertriebs wird, egal über welchen Kanal dieser künftig erfolgt, immer von der geeigneten Wahl der differenzierenden Zusatzleistungen und der zielgruppenorientierten Kommunikation abhängen. Am Anfang einer Neuausrichtung vertrieblicher Aktivitäten steht daher immer eine ausführliche Segmentierung der möglichen Zielkunden bzw. Zielkundensegmente. Die genauen Kenntnisse der Kundenbedürfnisse entscheiden dabei über den Erfolg. In der Vergangenheit konnten die GKVs nur bedingt auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgreifen, da sie über die Verhaltensweisen ihrer Versicherten nur wenig wussten. Dies ändert sich zunehmend mit Lockerungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der zunehmenden Vertriebsorientierung. Aktuelle Kundensegmentierungen bei Gesetzlichen Krankenversicherungen reichen für die Anforderungen der vertrieblichen Aktivitäten in den meisten Fällen nicht aus. Als Entscheidungskriterium der Endkunden für die Wahl der Gesetzlichen Krankenversicherung stand in der Vergangenheit an erster Stelle die Höhe des Tarifs. Dies hat entscheidend zu kurzfristig stark steigenden Versichertenzahlen bei kleinen Versicherungen, zumeist Betriebskrankenkassen, geführt. Geprägt von einer jeher geringen Wechselbereitschaft wird es eine Herausforderung, die richtigen Differenzierungsmerkmale passend einzusetzen.16 Herauszuheben ist dabei die Möglichkeit der Auszahlung von Boni zum einen auf Basis der Kostenstrukturen innerhalb der Kasse, zum anderen auf Basis der präventiven Leistungen durch den jeweiligen Versicherten.
15 16
Vgl. ZOK (2009), S. 5. Vgl. ZOK (2009), S. 4.
146
DEUTSCH/HANS
Risikofaktor Kundenabwanderung ¾ Bereits kleine Zusatzbeiträge erhöhen das Risiko der Kundenabwanderung.
Leicht
Innovationsgrad
Hoch
Innovationsführer
¾ Nur durch eine sehr klare Kundensegmentierung und ansprache möglich.
¾ Primäre Zielgruppe können z. B. Versicherte mit hohem Einkommen oder erhöhtem Gesundheitsbewusstsein sein.
¾ Erfordert gefestigte und prozessual integrierte Kooperationen sowie einen standardisierten Produktentwicklungsprozess.
Indifferenz
¾ Effekt wird verstärkt, wenn Wettbewerber keine Zusatzbeiträge erheben.
¾ Kunden erkennen keine klare Ausrichtung. ¾ Auf lange Sicht muss sich die Ansprache in Form von Produktdifferenzierung oder Kostenführerschaft konkretisieren.
Zusatzbeitrag
0
Zielfoto
¾ Mit innovativen Lösungen lassen sich Kostensenkungen realisieren.
Niedrige Rückzahlung
Kostenführer ¾ Deutliche Differenzierung durch deutlich überdurchschnittliche Beitragsrückzahlungen. ¾ Dauerhafte Kostenführerschaft, ansonsten besteht hohe Abwanderungsgefahr. Signifikante Rückzahlung
Beitragsanpassung je Versicherten
Abbildung 3:
Einordnung Innovationsgrad und Beitragsanpassungen bei Gesetzlichen Krankenversicherungen
Um sich im Gesetzlichen Krankenversicherungsmarkt vom Wettbewerb zu differenzieren, gibt es zwei mögliche Ausrichtungen. Zum einen die Kostenführerschaft, wobei signifikante Beitragsrückerstattungen ausgeschüttet werden müssen, und zum anderen die Innovationsführerschaft mit individuellen Leistungsangeboten. Bereits geringe Zuzahlungen können dazu führen, dass Kunden abwandern, besonders dann, wenn keine Differenzierung über die Produkte vorhanden ist und Wettbewerber keine Zusatzbeiträge erheben. So hat die GBK in Köln, die erste deutsche Krankenkasse, die einen monatlichen Zusatzbeitrag von 8 € erhebt, binnen kürzester Zeit nach Ankündigung der Erhebung fünf Prozent seiner Mitglieder verloren.17 Laut einer Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, Berlin, liegen die Gründe für einen Kassenwechsel mit 21,5% der Befragten am höchsten bei der Leistungsunzufriedenheit.18 Auf Platz zwei folgt mit 19,8% die Kritik am Beitrag und auf Platz drei mit 12,4% die Leistungsablehnung. Fast gleichauf folgen: Interesse an speziellen Versorgungsleistungen, Kritik an Preis-Leistungsverhältnis, Interesse an PKV und kritische Serviceerfahrungen. Differenzierung und damit vertriebliche Ansätze liegen also vor allem in der Schaffung von Leistungszufriedenheit, dem Angebot von Zusatzleistungen und der Optimierung des Kundenservices.
17 18
Vgl. KRÜGER (2009), S. 13. Vgl. ZOK (2009), S. 4.
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen
3.2
147
Vertriebskanäle und Multiplikatoren
Neben den klassisch betriebenen Vertriebskanälen suchen Gesetzliche Krankenversicherungen immer mehr nach neuen Möglichkeiten des Kundenzugangs. Wir betrachten hier eine Auswahl an Möglichkeiten, die neben den klassischen Vertriebswegen künftig eine wachsende Bedeutung haben dürften. 3.2.1
Zugang zu Kunden über Unternehmen
Der Zugang zu betrieblichen Kunden erfolgt in der Regel über Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Da Unternehmen inzwischen erkannt haben, dass das Gesundheitsbewusstsein ihrer Mitarbeiter durch eine Reihe präventiver Maßnahmen gefördert werden kann, suchen immer mehr Verantwortliche aus Unternehmen den Kontakt zu Versicherern. Diese bieten unterschiedliche Leistungen von Einzelmaßnahmen, wie Augenuntersuchungen oder Erstellungen von Blutbildern über komplett ausgestaltete Gesundheitstage bis hin zu mittelfristig geplanten Maßnahmen an. Künftig werden langfristig angelegte Coachingkonzepte die aktuellen Maßnahmen ergänzen. Der Zugang, den Unternehmen dabei den Versicherern bieten, stellt eine wichtige vertriebliche Basis dar.19 3.2.2
Online Direktvertrieb
Im Rahmen einer umfangreichen Untersuchung hat die Taunus BKK ihre Kunden befragt, ob es eine Erleichterung wäre, wenn der gesamte Schriftverkehr mit der Taunus BKK, z. B. Anträge auf Versicherungsleistungen, über das Internet abgewickelt werden könnte. Erstaunlicherweise konnten sich bereits 2005 gut 50% der befragten Kunden vorstellen, den Schriftverkehr mit ihrer Krankenkasse über das Internet abzuwickeln. Inzwischen verfügt die Taunus BKK über eine eigene echte Internet-Geschäftsstelle, bei der eine Vielzahl an Vorgängen online ausgeführt werden können.20 Dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Versicherten das Internet als Informations- aber inzwischen auch als Transaktionsplattform nutzen. Entscheidend für ein erfolgreiches Vertriebskanalportfolio wird daher auch sein, wie gut die Internetplattform ausgebaut und in die gesamte Kommunikationsinfrastruktur eingebunden ist. Neben den Online Marketingaktivitäten stellen Selfservice-Elemente und komfortable, transparente Interaktionen einen Wettbewerbsvorteil dar. 3.2.3
Online Communities
Viele Formen von Online Communities, wie Blogs, Foren, etc. tragen inzwischen zur Meinungsbildung bei. Zum großen Teil ersetzen diese Communities die klassische durch eine elektronische „Mund-zu-Mund“-Propaganda. Gesetzliche Krankenversicherungen können sich dabei als kompetenter Kommunikationspartner darstellen und im Meinungsbild der potenziellen Zielgruppen etablieren. Dabei spielen neben den klassischen wie www.krankenkassenforum.de und themenorientierten Plattformen zunehmend Zielgruppenforen, beispielsweise für Läufer, Studenten, Erziehende, etc. eine Rolle.21 19 20 21
Vgl. KARTTE/NEUMANN (2009), S. 22 ff. Vgl. TAUNUS BKK (2009), S. 9. Siehe auch www.laufen.de, www.studivz.de oder www.eltern.de.
148
3.2.4
DEUTSCH/HANS
Regionale Multiplikatoren
Da Krankenversicherer häufig starke regionale Ausrichtungen einnehmen, spielen regionale Multiplikatoren eine bedeutende Rolle. Dabei kann man kommerzielle Multiplikatoren, wie beispielsweise die Zusammenarbeit mit Sportstudios oder Teilnehmern des zweiten Gesundheitsmarktes und nicht kommerziellen Institutionen unterscheiden. Gerade nicht kommerzielle Institutionen können als Win-Win-Konstellationen in vertriebliche Strategien integriert werden. Dazu eignen sich beispielsweise: ¾ Vereine durch Sponsoring und gemeinsame Durchführung von Veranstaltungen, ¾ Schulen mit spezifischen Sportangeboten für Kinder, ¾ Universitäten über langfristige Partnerschaften. Dabei wandelt sich die Rolle der regional agierenden vertrieblichen Mitarbeiter der Krankenversicherer hin zu „partnering“-orientierten beratenden Mitarbeitern, die mit immer neuen Konzepten regionale Multiplikatoren und ggf. auch Vertriebspartner unterstützen.
4
Zusammenfassung und kritischer Ausblick auf mögliche Veränderungen im Krankenversicherungsmarkt
Die vorangegangenen Ausführungen zeigen pointiert die Notwendigkeit einer Verstärkung der Kundenorientierung und eines aktiven Managements der Vertriebskanäle für eine GKV dar. Warum ist dieser Wandel aber so wichtig? Dies lässt sich anhand der von TellSell Consulting als realistisch erachten Zukunftsvision des deutschen Gesundheitswesens im Jahr 2020 verdeutlichen: ¾ Der Markt der Krankenversicherungen hat sich konsolidiert. Es existieren noch zehn bis zwölf große Gesetzliche Krankenversicherer. ¾ Eine Grundsicherung umfasst Bruchstücke der modernen Behandlungsmöglichkeiten. Gleichwohl gibt es eine Vielzahl von Leistungen und Leistungserbringern – Ärzte, Physiotherapeuten, Kliniken, etc. – die nur noch über Privatrechnung oder mit Abschluss von Zusatzversicherungen in Anspruch genommen werden können. ¾ Die Grundsicherung wird über eine Vielzahl im Kern wenig unterscheidbarer Produkte abgebildet. Die meisten Versicherten verfügen jedoch über eine Zusatzversicherung. Gerade hier findet unter den GKV ein erbitterter Wettbewerb statt, der am Markt zum Angebot einer Vielzahl individueller bzw. kundensegmentspezifischer (modularisierter) Zusatztarife führt. ¾ Aufgrund des aggressiven Vertriebs von Krankenversicherungsprodukten bilden sich Gesundheitsnetzwerke mit der jeweiligen GKV als fokalen Akteur, die dem Gesetzlich
Vertrieb im regulierten Markt der Gesetzlichen Krankenversicherungen
149
Versicherten zusätzliche Vorteile generieren.22 Der Versicherte kann z. B. Gesundheitsleistungen in Gesundheitszentren beziehen, die teilweise Exklusivverträge mit den Krankenkassen geschlossen haben. ¾ Der Versicherte informiert sich nicht nur in der Online Community seines Krankenversicherers über Tarife und Krankheitsbildern, sondern „managed“ auch die individuelle Gesundhistorie über die Online-Plattform. Hier können beispielsweise Patientenakten eingesehen und für Ärzte freigeschaltet werden. Ob sich jede dieser Thesen innerhalb der nächsten Dekade tatsächlich wie dargestellt bewahrheitet, bleibt an dieser Stelle offen. Fakt ist jedoch, dass das deutsche Gesundheitswesen mit deutlichen Tendenzen zum o. g. Zukunftsszenario vor Umbrüchen in allen wesentlichen Dimensionen eines Marktes (regulatorisches Umfeld, Kunden, Produkte, Wettbewerber, Kooperationspartner, Technologien) steht. GKV sollten somit in der aktuellen Transformationsphase die Gunst der Stunde nutzen und innovative Kundenbindungs- und Vertriebskanalkonzepte testen und umsetzen.
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22
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150
DEUTSCH/HANS
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Channel Mix in der Telekommunikation – Renaissance des POS? CHRISTOPH HÜNING und STEPHAN KÖHLER Lischke Consulting
1
Konvergenz der TIME-Märkte ...................................................................................... 153 1.1 Portfolio-Trends klassischer Telekommunikationsanbieter ................................. 154 1.2 Ausblick: Konvergente Organisationsformen ...................................................... 155 2 Channel Management und Konvergenz......................................................................... 156 2.1 Channel Mix im Telekommunikationsmarkt ....................................................... 156 2.2 Marktsättigung als neue Herausforderung in der Marktbearbeitung.................... 158 2.3 Statusbetrachtung Telekommunikations-Shops ................................................... 160 2.4 Shop-/POS-Optimierung als strategische Aufgabe .............................................. 162 2.4.1 Optimierung in Shops.............................................................................. 162 2.4.2 Marketingmaßnahmen ............................................................................. 162 2.4.3 Regionales Potenzial................................................................................ 163 2.4.4 Systeme & Prozesse................................................................................. 164 2.4.5 Strategie................................................................................................... 164 2.4.6 Ressourcen............................................................................................... 164 3 Steuerung des POS – Ein Ausblick................................................................................ 165 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 166
Channel-Mix in der Telekommunikation
1
153
Konvergenz der TIME-Märkte
Die Konvergenz der TIME-Branchen1 ist ein weitreichendes Phänomen. Es wird bereits seit mehreren Jahren in der Wissenschaft behandelt. Auch die involvierten Unternehmen in der Praxis stellt es vor Herausforderungen. Basis dieser Dynamik sind zunächst technologisch induzierte Integrationsmöglichkeiten von Übertragungswegen, Diensten und Devices. Darauf aufbauend entsteht eine Konvergenz im Nutzungsverhalten und schließlich in den Geschäftsmodellen. Die Rückschau auf frühere Definitionen zeigt, dass diese auch heute noch relevant sind: Breitbandige Übertragungstechnologien führen zu neuen Diensten und neuen Preismodellen.
Angebot ¾ Preisgestaltung ¾ Bündelung von Diensten ¾ Aufbau und Erweiterung der Infrastruktur ¾ ...
Medien
TK
Neue Technologien ermöglichen neue Dienste und neue Preismodelle
Nachfrage ¾ Nachfrage nach mobile Solutions ¾ Nachfrage nach einfachen und integrierten Lösungen ¾ ... IT
Technologie ¾ Kompressionsmethoden ¾ IP-Technologie ¾ Breibandübertragungswege ¾ Digitalisierung ¾ ...
Steigende Nachfrage nach technologisch höherwertigen Produkten erzeugen eine Sogwirkung
Abbildung 1: Konvergenzbereiche2 Für die relevanten Player der TIME-Branchen erwachsen hieraus mehrere Herausforderungen gleichzeitig: ¾ Management der technologischen Komplexität ¾ Entwicklung und Vermarktung konvergenter Services ¾ Optimierung der Kundenansprache im Sales und Service Management 1 2
TIME: Telekommunikation, IT, Medien, E-Commerce Vgl. HÜNING/MORATH (2001), S. 196.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
154
HÜNING/KÖHLER
Diese Anforderungen müssen gleichzeitig adressiert, erfüllt und ständig optimiert werden. Warum behalten Basisaussagen zur Konvergenz auch nach mehreren Jahren ihre Gültigkeit? Der sich immer weiter beschleunigende Fortschritt in Kombination mit der verbesserten Innovations- und Reaktionsgeschwindigkeit der Branchenplayer zeigt, dass der Umgang mit Konvergenz als Dauerzustand akzeptiert wird. Das Konvergenzmanagement auf den genannten Ebenen Technik, Produkt und Kunde ist in den Unternehmen idealerweise als kontinuierlicher Regelkreis implementiert.
1.1
Portfolio-Trends klassischer Telekommunikationsanbieter
Im ersten Schritt der Konvergenz haben sich Kunden an die Bündelung von Festnetztelefonie und Internet-Access gewöhnt, während gleichzeitig das Handy bzw. der Mobilfunkvertrag separat gekauft und als eigenständig wahrgenommen wird. Innerhalb dieser beiden Segmente fand eine immer stärkere Angleichung der Angebote statt. Aus Konsumentensicht verschwanden Alleinstellungsmerkmale und der Preis wurde zu einem der wichtigsten Entscheidungs- und damit Differenzierungsmerkmale. Bei der folgenden Konvergenzstufe, die nach langer medialer Diskussion aktuell anhand konkreter Produkte zu beobachten ist, gibt es mehrere parallel zu beobachtende Entwicklungen: „Triple Play“, also Ergänzung von Festnetztelefonie und -internet um TV-Angebote, sowie „Fixed Mobile Convergence“, im Sinne eines konvergenten Angebots von Festnetzund Mobilfunkdiensten.
Funktionserweiterung von Endgeräten und Produkten im Zeitverlauf Fernsehen
Mobilfunk Sprache
Sprache TV
SMS
Organizer
TV
SMS
Videos
Organizer
(I)
Videos (I) (II)
(II)
(III)
(III) Musik/Radio
Internet/ E-mail
Bilder/Fotos/MMS
Bilder/Fotos/MMS
¾(I): schwache Ausprägung/Eignung ¾(III):starke Ausprägung/Eignung
Abbildung 2:
Musik/Radio
Internet/ E-mail
Aktuelle Angebote (z. B. iPhone, IPTV) Originäre Angebote (z. B. klassisches TV, GSM-Telefonie)
Konvergenzprodukte im zeitlichen Vergleich
Channel-Mix in der Telekommunikation
155
Während bis dato noch keinem der entsprechenden Angebote ein durchschlagender Erfolg gelang, zeigen Konvergenzprodukte angrenzender Branchen umso deutlicher auf, was Kunden anspricht, so z. B. das iPhone als multi-konvergentes Produkt. Nicht nur, dass Mobilfunk und mobiles Internet erstmalig signifikant erfolgreich kombiniert werden. Auch die Integration von MP3-Player, Kamera und Software-Services (inkl. eigenem Online-Vertriebsweg, dem App-Store) trifft den Nerv der Kunden. Die zunehmende Akzeptanz des mobilen Internets ist gleichzeitig Basis für die weitere Integration neuer Services. Immer stärker setzen Anbieter auf Produkte, die es den Kunden ermöglichen, ihre Dienste über mehrere Medien und Zugangsformen zu nutzen und adressieren diesen Mehrwert aktiv in ihren Marketingbotschaften. So können Kunden über PC, IPTV und Smartphone auf im Netz gespeicherte Informationen, Adressen oder auch Bilder und Filme zugreifen (Beispiel: „connected life and work“ der Deutschen Telekom) bzw. diese anderen zur Verfügung stellen und in Communities austauschen (Beispiel: „Generation Upload“ von Vodafone). Am Beispiel des iPhones wird deutlich, dass die Innovation konvergenter Produkte das Zusammenführen bereits existierender Nutzenfunktionen ist.3 Der Markterfolg beruht vor allem auf einer explizit enthaltenen Kundenorientierung, sprich einem aus Kundensicht gedachten Design und Usability Ansatz.
1.2
Ausblick: Konvergente Organisationsformen
Während die Entwicklung, Vermarktung und Betreuung konvergenter Produkte noch in der Startphase ist, sind die betroffenen Anbieter relativ weit, was die organisatorische Anpassung an die neuen Geschäftmodelle betrifft. Mit der Bündelung von Festnetz- und Mobilfunkeinheiten greifen die Telekommunikationsanbieter aktuell das Konvergenzkriterium organisatorisch auf und bilden die relevanten Trends am Markt intern ab. Neben den erhofften Kosteneinsparungszielen (z. B. Prozesseffizienz, IT-Systeme, Personalbestand) geht es den Unternehmen dabei insbesondere um die Umsetzung der marktseitig nachgefragten Anforderungen. Somit geht die organisatorische Integration mit der Vereinheitlichung von Marken einher: ¾ Vodafone machte 2008 den Anfang, indem im Rahmen einer Neukonzipierung des Geschäftsmodells die Festnetzmarke Arcor in das Unternehmen eingegliedert und die Marke 2009 schließlich aufgelöst wurde. ¾ Anfang 2009 zog die Deutsche Telekom mit der Verschmelzung der Bereiche Mobilfunk (T-Mobile) und Festnetz (T-Home) zu einem einheitlichen Anbieter nach.4 ¾ Ebenfalls in 2009 wurde die Telefónica Deutschland in die O2 Germany integriert und firmiert seitdem auch gegenüber Kunden unter dem O2-Label.
3 4
Vgl. CHANNELPARTNER (2007). Die Namen der neuen Organisationseinheit sowie der zukünftigen Produktlinien sind zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels noch nicht bekannt.
156
HÜNING/KÖHLER
Dies zeigt, dass die Anbieter Konvergenz ernst nehmen und sich für die bevorstehenden Änderungen wappnen. Im Kern der Konvergenz wachsen benachbarte Branchen immer stärker zusammen. Das hat auch ein Eindringen von neuen Konkurrenten zur Folge, die bisher keine Wettbewerber waren. So hat Apple, wie bereits erwähnt, mit seinen Vermarktungsansätzen ganz nebenbei klassische Mobilfunk-Geschäftsmodelle verändert. Und im Festnetzbereich sind es z. B. die Kabelnetzanbieter, die den Telekommunikationsanbietern Konkurrenz im Bereich Internet Access und Telefonie machen. Dieses Rennen um die Vorherrschaft im Triple Play läuft bereits seit mehreren Jahren und gewinnt aktuell an Tempo – bei weiter offenem Ausgang.5 Die reine Kombination von Telefonie, Internet und TV-Services aus einer Hand alleine ist hier jedoch noch kein USP an sich. Es bleibt noch abzuwarten, ob Kunden stärker auf reine Bandbreiten/Geschwindigkeiten setzen oder sich an Content-basierten Mehrwertdiensten orientieren.
2
Channel Management und Konvergenz
Unter Berücksichtigung der Auswirkungen von Konvergenz auf Produkte und damit die Nachfrage der Kunden wird deutlich, dass die Ansprache und Betreuung von Kunden im jeweiligen Sales Channel differenziert erfolgen muss. Gleichzeitig sorgt die eintretende Marktsättigung im Mobilfunk und – in einem späteren Schritt – auch im Breitbandmarkt für eine Refokussierung der Salesaktivitäten. Standen bisher Gross Adds bzw. Neukundengewinnung im Fokus, besteht die Kunst nun darin, Bestandskunden möglichst lange zu halten und während der Zeit ihrer Kundenbeziehung den Wert bzw. Ertrag zu maximieren (Idee des sog. Customer Lifetime Value).
2.1
Channel Mix im Telekommunikationsmarkt
Telekommunikationsanbieter nutzen mehrere Kanäle für die Ansprache von Neu- und Bestandskunden: ¾
Shops/Point of Sale (POS)
¾
Online/Internet
¾
Call Center
¾ Indirekte Kanäle Jeder einzelne dieser Kanäle verfügt über bestimmte Qualitäten, die im Rahmen des MultiChannel-Managements zusammengeführt werden. Stetig wandelnde Marksituationen und Kundenbedürfnisse führen jedoch dazu, dass sich die Gewichtung der Kanäle untereinander immer wieder neu verschiebt.
5
Zu Details vgl. HÜNING/MORATH (2001), S. 191 ff., und HÜNING/MORATH (2003), S. 169 ff.
Channel-Mix in der Telekommunikation
157
Seit 2009 werden Call Center durch einen stärkeren Kundenschutz im Rahmen des Fernabsatzrechts (Widerrufsrecht), UWG6 (Verbot sog. „cold calls“) und TKG7 (Verbot der Rufnummernunterdrückung) weniger als Outbound- sondern als Inboundinstrument eingesetzt. Die individuelle telefonische Beratung des Kunden gewinnt somit an Bedeutung – sein Einverständnis vorausgesetzt. Somit wird dieser Channel stärker im Management von Bestandskunden und Interessenten als im klassischen Sales an Relevanz gewinnen. Das fehlende Produkterlebnis, das den Call-Center-Kanal darüber hinaus trotz seiner räumlich uneingeschränkten Ansprechbarkeit in seinem Vertriebsnutzen begrenzt, wird über Shops aufgefangen. Neben der Demonstration von Endgeräten und Produkteigenschaften können Telekommunikationsanbieter über diesen Kanal eine größere Unternehmensidentität aufbauen. Ein wesentlicher Hintergrund für das in jüngerer Zeit wieder vermehrte Auftreten von eigenen Shops der Anbieter am Markt ist die zunehmende Komplexität und Erklärungsbedürftigkeit von Diensten und Produkten bei gleichzeitig immer kürzer werdenden Lebenszyklen. Fachhändler und Verkäufer helfen Kunden bei der Lösung von Problemen bzw. dabei, die (subjektiv wahrgenommenen) Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung aufzulösen, wie es auch in angrenzenden Branchen innerhalb des TIME-Segments zu beobachten ist.8 Neben der rein zahlenmäßigen Ausbaustrategie eigener Shops spricht ein weiteres Indiz für die Bewegung in diesem Kanal: Flagshipstores wie z. B. der Shop 4010 der Deutschen Telekom im Bezirk Berlin-Mitte mit bewegten Bildern, Animationen und Touch Screens für ein interaktives Kennenlernen der Produkte9 präsentieren Produkte – und damit das Unternehmen – in einem neuen Kontext und verstärken auf diese Weise ein positives Image innerhalb der eigenen Zielgruppe bzw. erweitern die potenzielle Zielgruppe durch ein bewusstes Brechen traditioneller Regeln. Mit diesen neuartigen Shopkonzepten wird der kundenseitige Trend zur Individualisierung aufgegriffen und ein spezielles Kauferlebnis geschaffen. Um anspruchsvolle Konsumenten und potentielle Käufer von Premiumprodukten zu locken, verfolgen Flagshipstores mehrere Zielsetzungen gleichzeitig: ¾
Individueller und kompetenter Service vor Massenabfertigung
¾
Elegantes und auffälliges Design anstelle von einer 0815-Einrichtung
¾ Hochwertige und aktuelle Produkte sowie Top-Service als Hauptdifferenzierungsmerkmal.10 Lange Zeit galten Reseller und Partnershops im indirekten Vertriebskanal als probates Mittel, um eine größtmögliche Flächenpräsenz am Markt zu erreichen. Hier ist eine Trendumkehr zu beobachten, dahingehend dass die Anbieter wieder verstärkt auf „single brand“ Shops setzen.11
6 7 8 9 10 11
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Telekommunikationsgesetz. Vgl. BALD/RUTENBECK (2008), S. 44. DEUTSCHE TELEKOM (2008). Vgl. BALD/RUTENBECK (2008), S. 44. Exemplarisch ist hier die Übernahme von 80 Freenet Shops durch O2 Anfang 2009 zu sehen.
158
HÜNING/KÖHLER
Der in den letzten Jahren stark im Fokus liegende Online-Kanal stellt eine weitere Möglichkeit der Kundengewinnung und -ansprache dar. Über diesen Vertriebsweg werden z. B. mittlerweile 47% aller Mobilfunkgeräte verkauft.12 Einen entscheidenden Anteil an der wachsenden Nutzung haben eine steigende Zahl von Haushalten mit Breitbandanschlüssen (37%) sowie das größere Vertrauen der Kunden in die Zahlungsmodalitäten via Internet.13 Die entscheidenden Vorteile liegen nicht nur in der durchgängigen Erreichbarkeit sondern auch in der Aktualität abrufbarer Informationen und der Realisierung von Kostenvorteilen durch den Customer Self Service. Aus Anbietersicht ist der Online Channel darüber hinaus auch eine gute Möglichkeit, neue Werbeformen kostengünstig und gezielt zu testen bei schneller Reaktionsmöglichkeit auf die Resonanz am Markt. Die Entwicklungstendenzen der Kanäle sind an den aktuell prognostizierten Kundenbedürfnissen ausgerichtet. Letztlich entscheidet jedoch der Kunde selbst welchen Kanal er wählt, um eine möglichst große Informationsvielfalt, hohe Flexibilität in der Entscheidung und Kaufbequemlichkeit zu erreichen.14
2.2
Marktsättigung als neue Herausforderung in der Marktbearbeitung
Es ist anzunehmen, dass Telekommunikationsanbieter in den kommenden Jahren über ihre Multi-Channel-Strategie verstärkt den Kundenkontakt als wesentliches Potenzial für Verkaufs- und Kundenbindungsmaßnahmen nutzen werden. Im direkten Kundenkontakt sind Differenzierungsmaßnahmen am überzeugendsten zu gestalten. Der richtige Channel Mix gewinnt also vor dem Hintergrund zunehmender Marktsättigung weiter an Bedeutung. Dabei zu beachten sind die unterschiedlichen Eignungen eines Kanals je nach Zielsetzung:
12 13 14
Vgl. CENSIS (2009). Vgl. ECIN (2007). Vgl. BERG (2007), S. 705 ff.
Channel-Mix in der Telekommunikation
159
Anschlüsse (Mio.) und Penetrationsrate in Deutschland
22,6
118%
Breitband
Mobilfunk
19,6 1,1
37%
107,2 105%
58%
50%
130%
96,4
85,7
Kabelmodem, Satellit, Powerline etc.
1,7
15,0 0,6
xDSL
Quelle: Bundesnetzagentur /BITKOM, 04/2009
Shops + Partnershops
Eignung der Kanäle je Zielgröße
Vertriebspartner
Call Center
Online
Markenkommunikation Kundennähe „Churn“-Reduzierung Serviceintensität Kostensenkung hoch
Abbildung 3:
mittel
niedrig
Die Bedeutung des Channel Mix in gesättigten Märkten
Die zunehmende Marktsättigung lässt profitables Wachstum am Telekommunikationsmarkt immer stärker nur noch durch Rückgewinnung von Kunden der Konkurrenzunternehmen zu. Es findet absehbar verstärkt eine Umverteilung von Kundenbeziehungen statt, wodurch der Wirtschaftlichkeitsaspekt an Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig wird es wichtig, den Kunden für neue Services zu begeistern – die reine Umverteilung von Kunden bei sog. Commodity Dienstleistungen ist im Ergebnis nicht sinnvoll oder sogar kontraproduktiv, wenn die Kosten der Kundengewinnung zu hoch sind. Diese Situation stellt die Anbieter im Hinblick auf das Kundenmanagement nicht nur bei der Wahl des richtigen Sales-Channel-Mixes vor neue Herausforderungen. Die immer geringer werdenden Unterschiede zwischen Produkten und Dienstleistungen und eine mögliche Zurückhaltung der Käufer aufgrund geringer Kenntnisse über konvergente Medien haben auch zu einem Umdenken im Bereich des Customer Services geführt. Neben einem produktiven Beschwerdemanagement versucht der Kundenservice eine verbesserte Betreuung durch Differenzierung im Servicelevel herbeizuführen um höhere Preise zu rechtfertigen. In den neuen Flagshipstores der Anbieter sind die Berater vor Ort darauf geschult, dem Kunden ein auf seine individuellen Bedürfnisse angepasstes Paket zu offerieren. Die Vermittlung der Vorteile neuer Dienste und Techniken im Alltag steht dabei an erster Stelle.15
15
Vgl. MARKETING-BOERSE (2009).
160
HÜNING/KÖHLER
Langfristig sind die Anbieter auf eine bessere Kundenbindung fokussiert, da die Kosten der Kundengewinnung ungleich höher liegen. Zum Ausbau dieser Strategie gehört die kontinuierliche Betrachtung einer möglichen ARPU16-Steigerung während der Kundenbeziehung in Verbindung mit konkreten Kundenbindungsmaßnahmen. Hier dominieren aktuell noch Rabattlogiken oder Kooperationen mit etablierten Loyalitätsprogrammen.
2.3
Statusbetrachtung Telekommunikations-Shops
Die aktuellen Shopoffensiven im Telekommunikationsmarkt lassen eine neue Fokussierung der Provider auf das Handling mit Bestandskunden sowie die Gewinnung neuer, attraktiver Kundensegmente erkennen. Dass dem Point of Sale in jüngster Zeit eine so große Bedeutung zukommt, liegt an der Rückbesinnung der Telekommunikationsunternehmen auf die eigene Marke. Der POS liegt am Ende einer umfassenden Werbewirkungskette und entscheidet über Erfolg und Misserfolg der Produkte eines Unternehmens. Vor diesem Hintergrund hat er die Aufgabe, klare Signale über die Marke zu senden und bedient sich dafür zunehmend neuester HighTech Ausstattung (u.a. Multiservice Terminals und Mediapools). Indirekte Gestaltungselemente, die die Innenarchitektur des Shops betreffen, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Mit Farben und stilisierten Markenelementen wird das Ziel verfolgt, die Corporate Identity des jeweiligen Anbieters zu unterstreichen und sich möglichst aufmerksamkeitsstark von der Konkurrenz abzusetzen. Nach wie vor finden sich am Customer Touch Point aber auch traditionelle Werbemittel wie Produktverpackungen mit Markenlogos, Aufsteller und Plakate, die zu einer konsistenten Kommunikation beitragen. Aktuelle Beispiele zur Verdeutlichung der genannten Trends:17 ¾ Die Deutsche Telekom, die sich bis 2010 zum Ziel gesetzt hat, 150 der insgesamt 800 eigenen Shops einem neuen „Look“ zu unterwerfen, setzt bei ihrer POS-Konzeptionierung auf ihr Markenversprechen „Erleben was verbindet“. Durch den Einsatz multifunktionaler Technik, also konvergenter Medien, werden die Produkte und Dienstleistungen für den Kunden vor Ort visuell dargestellt. Mit der Auswertung generierter Kundeninformationen durch Analysetools wird dem Käufer ein individuelles Angebot zusammengestellt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dabei ist das Know How und Engagement des Verkaufsberaters. ¾ Eine Neuausrichtung der anderen Art findet sich bei O2. Das eingesetzte Shopkonzept „Vibrant“ setzt auf Lichtinszenierung statt High-Tech und verfolgt damit das Ziel die Orientierung des Kunden im Shop zu optimieren. Eine flächendeckende Verbreitung des Konzepts plant der Mobilfunkanbieter ab 2010.
16 17
ARPU: Durchschnittlicher Umsatz pro Kunde. Vgl. HORIZONT (2008).
Channel-Mix in der Telekommunikation
161
Die Anbieter versprechen sich von einer Neukonzipierung, mehrere Zielsetzungen gleichzeitig zu adressieren: ¾
Verstärkung des Marken- und Produkterlebnisses
¾
Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb
¾
Cross & Up Selling (z. B. FMC- und ICT-Services)
¾
Senkung der Churnrate durch direkte Ansprache von Bestandskunden
¾ Bindung von Impulskäufern und Bestandskunden über Serviceleistungen (z. B. Reparatur) oder Sonderaktionen (z. B. Test Voucher). Den mit einer solch grundlegenden Strategieänderung verbundenen Aufwänden und Investitionen (z. B. Personalaufwand, Ausstattung der Shops, Marketingmaßnahmen, Steuerungskomplexität) stehen geplante Mehrumsätze gegenüber. Diese müssen zwingend auf neuartigen Services basieren, für die Kunden höhere Preise akzeptieren, um in Summe ein positives Ergebnis zu realisieren. Das Angebot von höherwertigen oder erweiterten Produkten innerhalb des Kundenstamms mit Hilfe von Up-Selling-Strategien setzt voraus, dass sich Unternehmen im Rahmen der Shopexpansion klar von der gegenläufigen Marketingstrategie „No Frills“ distanzieren. Diese gehört(e) zu einem der Schlüsseltrends auf dem Mobilfunkmarkt, bei dem es darum geht, den gesättigten Markt hinsichtlich spezieller Tarife und Vertriebskonzepte in einzelne Zielgruppen zu zerlegen und – in diesem Fall – die preissensitiven Kundenschichten zu adressieren.18 Beispiele hierfür sind u. a. Congstar von T-Mobile oder Simyo von E-Plus. Von No-Frills Anbietern wird das reine Basisprodukt bei minimalem technischem Aufwand vermarktet. Dieses Modell funktioniert allerdings nur mit Kunden, die bereits vor dem Kauf informiert sind, die also keine Beratung wünschen, sondern sich selbst – zumeist online – mit Produkttests und Tarifvergleichen beschäftigen. Selbstverständlich wird diese Zielgruppe mittel- und langfristig weiter bestehen und sie wird mit POS-Strategien nicht adressierbar sein. Da die zugehörigen „No-frills“-Produkte jedoch zumeist auch nicht die margenträchtigen sind, ist es Ziel der Anbieter, den Anteil dieser Kunden an der gesamten Kundenbasis möglichst gering zu halten. Alternativ sollten Vertragskunden mit möglichst hohem ARPU ausgebaut werden. Ähnliches gilt für die Vermarktungsstrategie über Service Provider, die ihre Hochphase in den 90er Jahren hatten, weil sie am wachsenden Markt von den Mobilfunkunternehmen eingesetzt wurden, um Breite und Präsenz zu erreichen.19 Aus diesem Grund können Service Provider, die sich im Vertrieb nicht nur auf ein Unternehmen und seine Produkte festlegen, sogar Schaden bei einem Anbieter hervorrufen, der auf die Rückbesinnung der eigenen Marke ausgerichtet ist.
18 19
Vgl. SOLON (2005). Vgl. TELECOMDE (2009).
162
2.4
HÜNING/KÖHLER
Shop-/POS-Optimierung als strategische Aufgabe
Äußere und sichtbare Gestaltungsmerkmale alleine reichen nicht aus, um den Point of Sale neu zu konzipieren. Eine ganzheitliche Optimierung der Shopgestaltung und –funktionsweise umfasst zahlreiche Komponenten. Dieses bedeutet ein signifikantes Umdenken für die Anbieter und Shopbetreiber.
Optimierung in Shops
Ressourcen ¾Vertriebsmanagementstruktur ¾Headcountverteilung und Personaleinsatz ¾Salespromotoren
Strategie ¾Kanalmanagement & Steuerung ¾Effektivität Channelmarketing ¾Flagship Stores zur Markenbildung
¾Shopausstattung ¾Layout ¾Aftersales-Service ¾Zubehör-/Handsetportfolio
Marketingmaßnahmen ¾Eventmarketing ¾Zielgruppenansprache
Ansatzpunkte zur Shopverbesserung (Beispiele)
Systeme und Prozesse ¾Verkauf / Abwicklung ¾Gewährleistung, Kundenservice ¾Admin-Tätigkeiten
Abbildung 4: 2.4.1
Regionales Potenzial ¾Kategorisierung der Profitabilität (Frequenz, Abschlussrate,…) ¾Performancemessung
Verbesserungshebel am POS (exemplarisch) Optimierung in Shops
Vor Ort ist es für den Kunden entscheidend, wie passend er angesprochen wird und wie gut er sich betreut fühlt. Hierzu zählen die Optik und Ausstattung der Shops sowie das Maß des Servicegrads (Kaufberatung, Kaufabwicklung, Reparaturservice, Beschwerdemanagement, etc.). Nur vom Kunden als positiv bzw. werthaltig wahrgenommene Maßnahmen können auch umsatzwirksam vermarktet werden. Ziel eines jeden Kundenkontakts muss sein, dass der Kunde gerne wiederkommt – also der nächste Kundenkontaktpunkt und langfristig eine echte Kundenbindung. 2.4.2
Marketingmaßnahmen
Im Marketingmix kann an jedem einzelnen POS das direkte Umfeld berücksichtigt werden. So ist die lokale Klientel bzw. das Laufumfeld für die Maßnahmenplanung wichtig, da nur wenige Shops (z. B. Flagship-Stores) aufgrund ihrer individuellen Konzepte und der Seltenheit hinsichtlich ihrer räumlichen Verbreitung Kunden aus größerer Entfernung anziehen.
Channel-Mix in der Telekommunikation
163
Exemplarisch bieten singuläre Events, die auf Klientel und Umgebung abgestimmt sind, eine ideale Möglichkeit, sich marketingtechnisch zu differenzieren. 2.4.3
Regionales Potenzial
Im Steuerungsprozess der Shops aus Anbietersicht ist eine stärkere Differenzierung zu empfehlen. So existieren regionale Unterschiede zwischen den Shops und dem relevanten Publikumsverkehr, die bei der Bewertung des Sales-Erfolgs berücksichtigt werden müssen. Eine echte Vergleichbarkeit der individuellen Shop-Performance ist ohne diese Einbeziehung nicht realistisch darstellbar. Die relative Performance eines Shops ist also abhängig von der absolut maximal möglichen Performance – eine Steuerung über absolute Kennzahlen wie Gross Adds ist hier nicht mehr praktikabel. Bei der Bewertung des Erfolgs je Shop muss unterschieden werden, bis zu welchem Grad er den Erfolg direkt beeinflussen kann und in welchem Maße übergeordnete Faktoren wie Markenimage oder Lage dominieren. Traffic Potenzialausschöpfung 100%
„Traffic HIGH Performer“
2
Nur allgemein durch Anbieter beeinflussbar.
1
Individuell durch Shop beeinflussbar.
„Traffic LOW Performer“
Shopranking Shop 1
Shop n
Traffic Potential- = ausschöpfung
Abbildung 5:
Tatsächlich gemessene Frequenz Theoretisch max. Frequenz am Standort
Relative Potenzialausschöpfung am POS
Auf diese Weise werden Cluster von Shops gebildet, die auf vergleichbaren Voraussetzungen aufsetzen und die somit auch vergleichbar sind. In der Praxis sind dies oftmals gerade nicht nah beieinander liegende Standorte, sondern es empfiehlt sich, diesen Abgleich über die Gesamtzahl der bundesweiten Standorte durchzuführen.
164
HÜNING/KÖHLER
Als Vergleichsgrößen innerhalb dieser homogenen Gruppen bieten sich bspw. Frequenz und Abschlussrate an. Bei (nahezu) gleichen Voraussetzungen hinsichtlich Qualität der Lage, Kaufkraft und Klientel in der Umgebung etc. kommen die individuellen Fähigkeiten oder auch Mängel des jeweiligen POS-Managements zum Tragen. 2.4.4
Systeme & Prozesse
Die Abläufe am POS inkl. der damit verbundenen Abbildung in den IT-Systemen sind ein wichtiger „Hygienefaktor“ für die kundenseitig wahrgenommene Servicequalität. So nützt eine gute Beratung quasi nichts, wenn beim Abschluss eine Bestellung/Bereitstellung nicht möglich ist und der Kaufprozess nicht beendet werden kann. Nicht selten bedeutet dies, dass der gesamte Vorgang gestoppt und damit storniert wird, so dass im Ergebnis alle Aktivitäten bis zu diesem Zeitpunkt vergebens waren. Folge: Der Kunde geht wahrscheinlich beim nächsten Bedarf in einen Shop der Konkurrenz, als dass er zurück kommt um einen gemeinsamen zweiten Versuch zu starten. Eine zukunftssichere IT am POS bietet dagegen die ideale Chance, Prozesse zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen und als Einstieg in ein effektives CRM über den gesamten Zeitraum der Kundenbeziehung zu dienen. 2.4.5
Strategie
Grundlage für sämtliche hier angestellten Betrachtungen ist die Grundsatzentscheidung, den POS als zentrales Instrument der Sales-Strategie anzunehmen und entsprechende Maßnahmen anzustoßen. Die auffälligste strategische Einzelmaßnahme ist die Differenzierung von Flagship-Stores und „normalen“ Shops. Den zunehmenden Ausbau der Flagships wählen aktuell viele Anbieter als Maßnahme, um ihre Markenbildung weiter zu intensivieren. Hier sollen sich Kunden innerhalb einer geschlossenen Markenwelt wohl fühlen, in Verbindung mit dem Gefühl, dass alle Anforderungen an Produkte und Service bedient werden. Die Steuerung des Channel Mix inkl. der zugehörigen Marketingmaßnahmenplanung ist ebenfalls grundlegende Strategiearbeit der Vertriebsorganisationen. 2.4.6
Ressourcen
Die Steuerung der notwendigen Mitarbeiterintensität ist in großem Maße von den zuvor genannten Faktoren wie Regionalisierung und auch strategischer Ausrichtung abhängig. So arbeitet ein Flagship-Store immer mit der höchsten relativen Betreuungsintensität gemessen am möglichen Kundenpotenzial. Daneben ist eine Abwägung notwendig, ob regionale Besonderheiten (z. B. Fußgängerzonen) eine Einbindung personeller Zusatzmaßnahmen sinnvoll erscheinen lassen. Generell kommt dem Ressourcenmanagement eine wichtige Rolle bei der Zielerreichung zu, maximalen Vertriebserfolg zu haben und gleichzeitig die notwendigen Kosten möglichst gering zu halten.
Channel-Mix in der Telekommunikation
3
165
Steuerung des POS – Ein Ausblick
In der POS-Steuerung wird die Betrachtung von Effizienz und Profitabilität an Bedeutung gewinnen. So wie in allen Sales Channels sind Gross Adds als einziges Kriterium für Erfolg nicht mehr relevant. Vielmehr kommt es darauf an, die richtigen Kunden richtig anzusprechen und sie gut zu betreuen. Mit den Stellhebeln Frequenz, Servicegrad und Qualität entsteht eine Orientierung über den klassischen Massenmarktansatz hinaus. ARPU Neukunden
Anzahl Abschlüsse
Wertigkeit Tarife POSProfitabilität
Conversion Rate
Kundenbindung Kunden-Traffic
Sales Performance ¾ ¾ ¾ ¾
Frequenz Markenimage Standort Shopkonzept Lokale Marketingmaßnahmen
¾ ¾ ¾ ¾
Servicegrad Anzahl Personal Betreuungsquote Wartezeit Bearbeitungszeit
¾ ¾ ¾ ¾
Qualität Verkauf/Beratung Verkäufe/Provision Rolle Verkäufer Kontinuität Betreuung
Stellhebel
Abbildung 6:
Profitabilität als zentrale Steuerungsgröße des POS
Die Steuerung von erfolgreichen Shops zeichnet sich durch mehrdimensionale Modelle aus. Weder die reine Zahl von Interessenten noch der ARPU oder eine andere Kennzahl für sich alleine betrachtet reichen aus, um strategische Entscheidungen im Shopbereich zu treffen. Vielmehr gilt es, die Kombination der relevanten Werttreiber zu analysieren und daraus die Stellhebel und Maßnahmen abzuleiten, die individuell den maximalen Effekt haben. Als erfolgreich und zugleich praktikabel hat sich hierbei die Kombination weniger ergebnisorientierter Größen gezeigt. Die Bewertung der Abschlussrate erfolgt z. B. idealerweise unter Berücksichtigung des relativen Potenzials. Auf dieser Basis können dann Steuerungsmechanismen wie FTE-Bemessung (relative Maßeinheit für die Ressourcenkapazität), Marketingplanung u. a. aufgesetzt werden.
166
HÜNING/KÖHLER
Zu betonen bleibt, dass ein großer Teil des Erfolgs im Shop-Geschäft durch gutes Management vor Ort erzielt wird. Anzustreben ist hier die richtige Mischung aus zentraler Steuerung und lokaler Marktkenntnis. Im nächsten Schritt können dann die Einsichten aus den erfolgreichen POS-Standorten genutzt werden, um einen internen Know-How-Transfer zu initialisieren. Eine Prognose über den mittel- und langfristigen Erfolg der heutigen Anstrengungen im POSBereich der Telekommunikationsanbieter ist heute nicht valide machbar. Offensichtlich ist, dass ausgehend von Konvergenz und Marktdynamik der direkte Vertriebsweg wieder an Bedeutung gewinnt, um die Kunden vor Ort überzeugen zu können. Eine Attraktivität der Produkte und Tarife muss hierbei als Grundvoraussetzung angesehen werden. Die Anbieter müssen allerdings auch einplanen, dass weiterhin Interessenten im Anschluss an die Beratung im Shop den eigentlichen Kauf aus Preisgründen online tätigen werden und somit ein Verlustgeschäft darstellen. Hier gilt es, mit Nachhaltigkeit im Kundenmanagement sowie Kompetenz im Beratungsgespräch Mehrwerte aufzuzeigen, die aus Kundensicht werthaltig und in anderen Kanälen nicht darstellbar sind.
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Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden – Status-quo der aktuellen Sales- und ServiceForschung JAN WIESEKE und TILL HAUMANN Ruhr-Universität Bochum
1 2 3
Einleitung....................................................................................................................... 171 Die Bedeutung der Preisbereitschaft im Dienstleistungs- und Vertriebsmanagement... 172 Theoretische Grundlagen der Preisbereitschaft ............................................................. 173 3.1 Begriffsklärung und Abgrenzung von verwandten Konstrukten.......................... 173 3.2 Konzeptualisierung der Preisbereitschaft in der Preisforschung.......................... 174 4 Prädiktoren der Preisbereitschaft ................................................................................... 176 4.1 Konsumentenbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft ................................... 178 4.1.1 Der Einfluss des Einkommens auf die Preisbereitschaft ......................... 178 4.1.2 Der Einfluss des Involvements auf die Preisbereitschaft......................... 178 4.1.3 Der Einfluss der wahrgenommenen Qualität auf die Preisbereitschaft.... 179 4.1.4 Der Einfluss des Produktwissens auf die Preisbereitschaft ..................... 180 4.2 Unternehmensbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft .................................. 185 4.2.1 Beeinflussung der Preisbereitschaft von Konsumenten durch irrelevante externe Referenzpreise ................................................ 185 4.2.2 Einflüsse der Sonderpreispolitik auf die Preisbereitschaft....................... 186 4.2.3 Mass Customization als Treiber der Preisbereitschaft............................. 187 4.3 Beziehungsbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft....................................... 192 4.3.1 Kundenzufriedenheit als Treiber der Preisbereitschaft............................ 192 4.3.2 Kundenloyalität als Treiber der Preisbereitschaft.................................... 194 4.4 Fazit und Ausblick ............................................................................................... 197 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 198
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
1
171
Einleitung
Durch den stetig hohen und weiter steigenden Wettbewerbsdruck sowohl in weiten Teilen der Industrie als auch im Dienstleistungsbereich stand die Realisierung von Ertragspotenzialen durch Effizienzsteigerungen und Kostensenkungsprogramme in den letzten Dekaden häufig im Mittelpunkt der betriebswirtschaftlichen Forschung sowie auch des unternehmerischen Handelns.1 Beispielhaft für diesen Trend ist die Aussage des CEOs von General Electric, JEFFREY IMMELT, der als eines seiner wichtigsten Ziele formuliert: „[We] Lower general and administrative expense as a percentage of sales – I want that to go from 11% to 8% over the next four years. We’ll have fewer rooftops, fewer divisions, more backroom outsourcing, and more common platforms and IT systems. We’ll be cutting nongrowth costs as close to the bone as possible.”2 Allerdings vermehrt sich in letzter Zeit zunehmend die Kritik an der reinen Fokussierung auf Einsparpotentiale, da deren Realisierung häufig mit einem geringeren Serviceniveau, sinkender Kundenzufriedenheit sowie sinkender Kundenloyalität und damit mit einem Absatzrückgang einhergeht.3 Überdies zeigen neuere Studien, dass Erträge, die durch Einsparungen realisiert werden, weniger nachhaltig sind als Erträge, die auf Basis von Umsatzsteigerungen realisiert werden.4 Vor diesem Hintergrund scheint ein Mentalitätswechsel weg von der reinen Fokussierung auf Kostensenkungsprogramme hin zu Maßnahmen zur Umsatzsteigerung dringend geboten. Einer der effektivsten Wege für ein Unternehmen, seine Profitabilität zu verbessern, besteht darin, seine Produkte zu höheren Preisen zu verkaufen.5 Wie anhand der Ergebnisse einer Untersuchung von MARN und Kollegen (2004) deutlich wird (siehe Abbildung 1), stellt der Preis den stärksten Gewinntreiber noch vor, eine Senkung der variablen oder fixen Kosten sowie einer Absatzsteigerung dar. Problematisch an Preiserhöhungen ist jedoch, dass diese in aller Regel negative Reaktionen bei den Kunden hervorrufen, was dann wiederum zu einem Absatzrückgang führt.6 Dies berücksichtigend besteht die einzige Möglichkeit für Unternehmen ihre Produkte bei gleichem Absatz zu höheren Preisen zu verkaufen, darin, die Preisbereitschaft ihrer Kunden zu erhöhen.
1 2 3 4 5 6
Vgl. z. B. ACHROL (1997), GUMMESSON (1998), KAHN (1998), LEWIN (2001), MINTZBERG (2007) und RUST/ ZAHORIK/KEININGHAM (1995). STEWART (2006), S. 62. Vgl. GRÖNROOS/OJASALO (2004), S. 415, und RUST/MOORMAN/DICKSON (2002), S. 11. Vgl. KRASNIKOV/JAYACHANDRAN (2008), S. 8. Vgl. MARN/ROSIELLO (1992), S. 84. Vgl. ANDERSON/SIMESTER (2008), S. 498 f., und SIVAKUMAR/RAJ (1997), S. 76 ff.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_8, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
172
WIESEKE/HAUMANN
Verbesserung um 1%: Æ 11%
Preis Æ 7,3%
Variable Kosten Volumen Fixkosten
Æ 3,7 % Æ 2,7% Profitabilitätssteigerung
Abbildung 1:
Überblick Profitabilitätstreiber in Anlehnung an MARN/ROEGNER/ZAWADA 20047
Vor diesem Hintergrund ist die herausragende Bedeutung, welche die Einflussfaktoren der Preisbereitschaft (PB) für die Unternehmenspraxis haben, evident. Im folgenden Kapitel soll nun speziell auf die Bedeutung der Prädiktoren der Preisbereitschaft im Dienstleistungs- und Vertriebsmanagement eingegangen werden.
2
Die Bedeutung der Preisbereitschaft im Dienstleistungs- und Vertriebsmanagement
Besondere Bedeutung kommt der Preisbereitschaft im Dienstleistungs- und Vertriebsmanagement zu. Die herausgehobene Bedeutung der Preisbereitschaft im Dienstleistungsmanagement ergibt sich dabei u. a. unmittelbar aus denen dem Dienstleistungsbegriff zugrunde liegenden konstituierenden Merkmalen. So führt beispielsweise das Merkmal der Integration des externen Faktors dazu, dass sich für stark individualisierte Dienstleistungen die Festlegung einheitlicher Preise als problematisch darstellt.8 Daraus ergibt sich unmittelbar die Chance im Rahmen einer individualisierten Preispolitik bei Kenntnis der Preisbereitschaft des Kunden, diese komplett abzuschöpfen und somit die Profitabilität des Unternehmens verglichen mit einer undifferenzierten Preispolitik zu erhöhen. Entsprechend stellen RUST und CHUNG (2006, S. 564) hierzu fest: „Different consumers have different reservation prices for different types of services. […]. A firm improves its profitability when it can observe the reservation prices of the different consumers.”
7 8
Datenbasis „Global1200“-Unternehmen. Vgl. MEFFERT/BRUHN (2009), S. 304.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
173
Eine weitere Besonderheit im Dienstleistungsmanagement liegt in dem mit der Integration des externen Faktors und der Immaterialität von Dienstleistungen verbundenen erhöhten Kaufrisiko.9 Ein erhöhtes Kaufrisiko kann sich wiederum auf zwei Arten auf die Preisbereitschaft auswirken. Zum Einen ist es möglich, dass der Konsument aufgrund erhöhter Unsicherheit hinsichtlich der Qualität der Dienstleistung den Preis als Qualitätsindikator heranzieht, welches eine Steigerung der Preisbereitschaft zur Folge haben kann (vgl. hierzu Kapitel 4.1.3). Zum Anderen kann die Erhöhung eines Risikoabschlags auf den Referenzpreis aufgrund gesteigerter Unsicherheit dazu führen, dass die Preisbereitschaft des Kunden sinkt (vgl. hierzu Kapitel 4.1.4). Eine herausragende Bedeutung kommt der Preisbereitschaft auch im Vertriebsmanagement zu. Hier stellt sich auf strategischer Ebene beispielsweise die Frage nach der Ausgestaltung der Rabatt- und Konditionenpolitik im Hinblick auf die Aufrechterhaltung einer hohen Preisbereitschaft beim Kunden (vgl. hierzu Abschnitt 4.2.2). Hinsichtlich der Rolle des KundenKontaktmitarbeiters als Schnittstelle zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden ist von Bedeutung, inwiefern sich die Beziehung des Vertriebsmitarbeiters zu seinen Kunden auf deren Preisbereitschaft auswirkt (vgl. hierzu z. B. Kapitel 4.3.2). Darüber hinaus stellt sich in demselben Kontext die Frage, welche Eigenschaften eines Kundenkontaktmitarbeiters in der Verkaufssituation dazu beitragen, die Preisbereitschaft der Kunden zu steigern (vgl. hierzu bspw. Kapitel 4.4). Vor diesem Hintergrund, soll dem Leser im Folgenden – nach einer kurzen Darstellung der theoretischen Grundlagen der Preisbereitschaft – ein breiter Überblick über den Forschungsstand der Prädiktoren der Preisbereitschaft gegeben werden, welcher viele der aufgeworfenen Fragen beantwortet. Hierauf aufbauend werden am Ende jedes Abschnitts Implikationen für die Unternehmenspraxis abgeleitet. Der Beitrag schließt mit der Diskussion wichtiger Forschungslücken zu für Dienstleistungs- und Vertriebsmanagement gleichermaßen wichtigen Prädiktoren der Preisbereitschaft.
3
Theoretische Grundlagen der Preisbereitschaft
3.1
Begriffsklärung und Abgrenzung von verwandten Konstrukten
Unter der Preisbereitschaft wird im Folgenden der Preis verstanden, den ein Konsument maximal für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu zahlen bereit ist.10 Synonym zu dem Begriff der Preisbereitschaft werden auch Begriffe wie Zahlungsbereitschaft, Willingness to Pay, Reservationspreis, Maximalpreis oder Prohibitivpreis verwendet.11
9 10 11
Vgl. MEFFERT/BRUHN (2009), S. 43, und KUHLMANN (2001), S. 222 ff., für eine Übersicht. Vgl. z. B. KALISH/NELSON (1991), S. 328, WERTENBROCH/SKIERA (2002), S. 228, und HOMBURG/KOSCHATE HOYER (2005), S. 85. Vgl. SKIERA/REVENSTORFF (1999), S. 224.
174
WIESEKE/HAUMANN
Obwohl es sich bei der hier verwendeten Definition der Preisbereitschaft um die am weitesten verbreitete handelt, soll darauf hingewiesen werden, dass es Autoren gibt, welche den Begriff der Preisbereitschaft anders verwenden. So weisen bspw. WANG, VENKATESH und CHATTERJEE (2007, S. 200) auf den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs des Reservationspreises hin. Die Autoren selbst konzeptualisieren die Preisbereitschaft dabei im Gegensatz zu der hier gewählten punktbezogenen Betrachtung, als Preisspanne.12 Da im weiteren Verlauf des Beitrags auf die mit der Preisbereitschaft verwandten Konstrukte der Preissensitivität und der Preisakzeptanz zurückgegriffen wird, sollen auch diese Begriffe kurz erklärt werden. Unter der Preissensitivität kann man den Grad verstehen, zu dem ein Konsument seine Kaufentscheidung von der Höhe des Preises der Leistung abhängig macht.13 Unter der Preisakzeptanz hingegen versteht man den Bereich zwischen der unteren und oberen absoluten Preisschwelle, in dem ein Konsument einen Kauf des Produktes in Erwägung zieht.14
3.2
Konzeptualisierung der Preisbereitschaft in der Preisforschung
Die Preisforschung kann in zwei große Teilbereiche untergliedert werden, die „klassische“ Preisforschung und die verhaltenswissenschaftliche Preisforschung (auch behavioral pricing)15. Entsprechend dieser beiden Säulen der Preisforschung lässt sich auch die Preisbereitschaft auf zwei Wegen konzeptualisieren. Die Preisbereitschaft in der klassischen Preisforschung: Gegenstand der klassischen Preisforschung ist bzw. war die Entwicklung grundlegender an die Mikroökonomie angelehnter Modelle, die den Zusammenhang zwischen der Preishöhe und den relevanten Zielgrößen (Absatz, Umsatz, Gewinn) beschreiben bzw. erklären.16 Ein Schwerpunkt der klassischen Preisforschung, in der die Preisbereitschaft von Bedeutung ist, besteht in dem Herleiten von Preis-Absatz-Funktionen17. Bei der individuellen Preis-AbsatzFunktion entspricht die Preisbereitschaft dem Schnittpunkt der Funktion mit der Abszisse.18 Die aggregierte Preis-Absatz-Funktion erhält man hierauf aufbauend durch die Summation der Mengen bei jedem Preis über alle Konsumenten.19 Sie gibt somit für alle Preise die Anzahl der Konsumenten an, die eine mindestens gleich hohe oder höhere Preisbereitschaft besitzen.
12 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. WANG/VENKATESH/CHATTERJEE (2007), S. 201 ff. Vgl. LICHTENSTEIN/BLOCH/BLACK (1988), S. 245, und STOCK (2003), S. 335. Vgl. SIMON (1992), S. 606. Vgl. MONROE (2003), S. 25 und S. 101. Vgl. DILLER (2008), S. 72. Für eine Übersicht über die verschiedenen Arten und Funktionsverläufe von Preis-Absatz-Funktionen vgl. SIMON (1992), S. 90 ff., sowie DILLER (2008), S. 72 ff. Vgl. SIMON (1992), S. 91. Vgl. SIMON (1992), S. 91.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
175
Entsprechend der mikroökonomischen Orientierung der „klassischen“ Preisforschung lässt sich das Konzept der Preis-Absatz-Funktionen und damit die Konzeptualisierung der Preisbereitschaft auf die neoklassische Preistheorie zurückführen.20 Die neoklassische Preistheorie postuliert, dass Individuen bei gegebenen Preisen sämtlicher Produkte und gegebenen Einkommen ihren Nutzen entsprechend ihrer Präferenzen maximieren.21 Dies führt zu einer individuellen, in aller Regel monoton fallenden22 Nachfragefunktion. Die Preisbereitschaftsfunktion lässt sich nun als Umkehrfunktion dieser Nachfragefunktion darstellen.23 Die Preisbereitschaft in der Verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung: Während es sich bei der klassischen Preistheorie um eine Stimulus-Response-Betrachtung handelt, steht bei der verhaltenswissenschaftlichen Preisforschung insbesondere die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung preisbezogener Informationen im Vordergrund (S-O-RAnsatz).24 Die neuere Forschung auf diesem Gebiet identifiziert dabei den internen Referenzpreis sowie den Preisakzeptanzbereich als die zentralen Einflussgrößen bei der Preisbeurteilung.25 Die obere Grenze des Preisakzeptanzbereichs, die auch als absolute Preisschwelle bezeichnet wird, entspricht dabei der Preisbereitschaft eines Konsumenten.26 Während die theoretische Begründung eines Preisakzeptanzbereichs auf die Assimilations-Kontrast-Theorie zurückgeht27, wird die Existenz einer oberen (und einer unteren) absoluten Preisschwelle aus den Ergebnissen der Psychophysik – genauer aus dem WEBER-FECHNER’schen-Gesetz – abgeleitet.28 Das WEBER-FECHNER’sche-Gesetz unterstellt dabei eine logarithmische Transformation objektiver Reizintensitäten in subjektive Empfindungsstärken mit absoluten Empfindungsunter- und -obergrenzen.29 Übertragen auf den Preis konnte auf der Basis des WEBER-FECHNER’ schen-Gesetzes die Existenz absoluter Preisober- und -untergrenzen mehrfach empirisch nachgewiesen werden.30
20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Vgl. MONROE (2003), S. 25 ff. Vgl. MARSHALL (1890). Für die Annahmen der neoklassischen Preistheorie und deren Gültigkeit vgl. z. B. MONROE/LEE (1999), S. 219 f. Seltene Ausnahmefälle nicht monoton fallender Nachfragefunktionen (z. B. beim Veblen-Effekt) sollen hier nicht weiter diskutiert werden. Vgl. SKIERA (1999), S. 25. Vgl. HOMBURG/KOSCHATE (2005), S. 386. Vgl. KOSCHATE (2002), S. 54. Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 261. Vgl. SHERIF (1963), S. 148 ff., und RAO/SIEBEN (1992), S. 257. Vgl. z. B. MONROE (1973), S. 74. Vgl. DILLER (2008), S. 122. Vgl. z. B. ADAM (1969), S. 82 ff. (erstmals erschienen 1958: Les Réactions du Consomateur devant Le Prix, Sedes, Paris), MONROE/VEKATESAN (1969), S. 349 f., und STOETZEL (1969), S. 72 f. (erstmals erschienen 1954: STOETZEL, J./SAUERWEIN, J./DE VULPIAN, A., Reflection (II): French Research: Consumer Studies, in REYNAULD, P. L. (Hrsg.), La Psychologie Economique, 183–188).
176
4
WIESEKE/HAUMANN
Prädiktoren der Preisbereitschaft
Wie bereits in der Einleitung und Kapitel 2 angedeutet und durch neuere Studien belegt wurde, besteht zwischen der Preisbereitschaft der Kunden und dem Markterfolg eines Unternehmens ein positiver Zusammenhang.31 Unmittelbar hieraus gewinnt die Frage Relevanz, welche Faktoren die Preisbereitschaft beeinflussen. Davon ausgehend, ist es erstaunlich, dass sich die (empirische) Marketingforschung bis zum jetzigen Zeitpunkt nur vereinzelt mit dieser Fragestellung auseinandersetzt hat. Ziel des folgenden Abschnitts ist es daher, die bisherigen Forschungsschwerpunkte systematisch darzustellen und, hierauf aufbauend, Ansatzpunkte für das Vertriebs- und Dienstleistungsmanagement abzuleiten. Hierbei wird im Folgenden zwischen konsumentenbezogenen, unternehmensbezogenen und beziehungsbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft unterschieden (siehe Abbildung 2). Während sich konsumentenbezogene Prädiktoren auf Determinanten der Preisbereitschaft beziehen, die nicht durch einen Anbieter beeinflusst werden können, werden in dem Kapitel über unternehmensbezogene Prädiktoren Instrumente diskutiert, durch deren Anwendung das Unternehmen die Preisbereitschaft der Konsumenten verändert. Unter beziehungsbezogenen Prädiktoren werden schließlich solche Konstrukte verstanden, die sich erst im Verlauf einer längerfristigen Geschäftsbeziehung zwischen Kunden und Anbieter herausbilden.
31
Vgl. HOMBURG/WIESEKE/HOYER (2009), S. 48, und WIESEKE/DICKMANN (2004), S. 511.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
177
Prädiktoren der Preisbereitschaft
Konsumentenbezogen
Unternehmensbezogen
Beziehungsbezogen
Einkommen:
Ankerpreise:
Kundenzufriedenheit:
¾ ¾ ¾ ¾
¾ KRISTENSEN /G ÄRLING (2000) ¾ A RIELY/LOEWENSTEIN /P RELEC (2003) ¾ NUNES /B OATWRIGHT (2004) ¾ S IMONSON /D ROLET (2004) ¾ KRISHNA ET AL. (2006)
¾ A NDERSON (1996) ¾ H UBER/H ERRMANN /WRICKE (2001) ¾ H OMBURG/KOSCHATE/H OYER (2005)
A DAM (1958) F OUILHÉ (1960) G ABOR/G RANGER (1966) H ORSKY (1990)
Involvement: ¾ CUMMINGS /O STROM (1982) ¾ LICHTENSTEIN /B LOCH/B LACK (1988) ¾ D IVINE (1995)
¾ KRISHNA (1991) ¾ KRISHNA/JOHAR (1996)
Konsumentenwissen:
Mass Customization;
¾ R AO/S IEBEN (1992) ¾ CORDELL (1997)
¾ ¾ ¾ ¾
Zahlungsarten: ¾ F EINBERG (1986) ¾ P RELEC /S IMESTER (2001)
Selbstregulation :
Kundenloyalität: ¾ KALYANARAM/LITTLE (1994) ¾ S RINIVASAN /A NDERSON / P ONNAVOL (2002) ¾ P ALMATIER/S CHEER/S TEENKAM P (2007)
Sonderpreisaktionen:
F RANKE/P ILLER (2004) S CHREIER (2006) F RANKE/S CHREIER (2008) F RANKE/KEINZ/S TEGER (2009)
Identifikation des Kunden mit dem Unternehmen: ¾ H OMBURG/WIESEKE/H OYER (2009)
„Tausche-alt-gegen-neuAktionen“: ¾ ZHU/CHEN /D ASGUPTA (2008)
¾ V OHS /F ABER (2007)
Sozialer Einfluss/Macht: ¾ R UCKER/G ALINSKY (2008)
Forschungslücken Marktbezogen
(Vertriebs-) Mitarbeiterbezogen
z. B. Anzahl verfügbarer Alternativen:
z. B. Erkennen von Kundenbedürfnissen:
¾ CHAN /KADIYALI/P ARK (2007)
¾ H OMBURG/WIESEKE/B ORNEM ANN (2009)
z. B. Höhe der Wechselkosten:
z. B. Adaptives Verkaufsverhalten:
¾ -
¾ -
Abbildung 2:
Überblick über empirische Studien und Forschungslücken der Prädiktoren der Preisbereitschaft
178
WIESEKE/HAUMANN
4.1
Konsumentenbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft
4.1.1
Der Einfluss des Einkommens auf die Preisbereitschaft
Während es als allgemein bekannt gilt, dass Konsumenten mit geringem Einkommen eine höhere Preissensitivität aufweisen als Konsumenten mit höherem Einkommen32, wurde ein positiver Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Preisbereitschaft in der Marketingforschung bisher nur wenig untersucht. Erste (und bisher einzige) wissenschaftliche Arbeiten, die direkt den Zusammenhang zwischen Einkommen und Preisbereitschaft untersuchen, stammen von ADAM (1969), FOUILHÉ (196933) sowie von GABOR und GRANGER (1966). ADAM (1969) zeigt, dass die mittlere Preisbereitschaft mit sinkendem Einkommen fällt. Dies führt er darauf zurück, dass Konsumenten mit geringerem Einkommen im Vergleich zu Konsumenten mit höherem Einkommen bereits geringerpreisige Produkte als Luxusgüter ansehen.34 FOUILHÉ (1969), der diesen Effekt in seiner Studie mit Konsumgütern nicht bestätigt findet, bemerkt hierzu entsprechend, dass der Zusammenhang zwischen Einkommen und Preisbereitschaft von der Art des Produktes, dem Preis und der Kauffrequenz abhängt.35 GABOR und GRANGER (1966) stützen wiederum die Ergebnisse von ADAM, stellen sie doch fest, dass sich der Preisakzeptanzbereich bei fallendem Einkommen nach unten verschiebt.36 Neben diesen frühen Arbeiten ist es außerdem die Studie von HORSKY (1990), die den Zusammenhang zwischen Einkommen und Preisbereitschaft betrachtet. HORSKY entwickelt in seiner Arbeit mehrere Diffusionsmodelle für Gebrauchsgüter, in die er über die Preisbereitschaft auch das Einkommen der Konsumenten mit einbezieht. Eine empirische Überprüfung zeigt, dass die Diffusionsmodelle, die den Zusammenhang zwischen Preisbereitschaft und Einkommen berücksichtigen, bessere Prognosen des Diffusionsverlaufs ermöglichen als herkömmliche Diffusionsmodelle (z. B. Bass-Modell)37. Dies stützt die These eines positiven Zusammenhangs zwischen Einkommen und Preisbereitschaft (für Erstkäufe). Schließlich legen auch die Studien, die einen negativen Zusammenhang zwischen Einkommen und der Preissensitivität für Konsumgüter nachweisen38, im Umkehrschluss einen positiven Zusammenhang zwischen Einkommen und Preisbereitschaft nahe. 4.1.2
Der Einfluss des Involvements auf die Preisbereitschaft
Beim Involvement handelt es sich um ein latentes Konstrukt, welches originär aus der Sozialpsychologie stammt und dort seit langem als Erklärungsgröße für die Urteils- und Einstellungsbildung von großer Bedeutung ist.39 In der Wissenschaft wird je nach Forschungsfokus zwischen einer Vielzahl verschiedener Arten von Involvement unterschieden.40 Bei der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Involvement und der Preisbereitschaft wird Involvement zumeist als ein produktbezogenes, zeitlich relativ stabiles Konstrukt verstan32 33 34 35 36 37 38 39 40
Vgl. WAKEFIELD/INMAN (2003), S. 201. Erstmals erschienen 1960: Evaluation Subjective des Prix, Revue Française de Sociologie, 163–172. Vgl. ADAM (1969), S. 81. Vgl. FOUILHÉ (1969), S. 94. Vgl. GABOR/GRANGER (1966), S. 53 f. Vgl. HORSKY (1990), S. 354 ff. Vgl. HOCH ET AL. (1995), S. 27, KALYMAN/PUTLER (1997), S. 174, und WAKEFIELD/INMAN (2003), S. 207. Vgl. SHERIF/CANTRIL (1947), S. 117 ff., SHERIF/SHERIF/NEBERGALL (1965), S. 14 ff., und SHERIF/SHERIF (1967), S. 119 ff. Für einen Überblick vgl. WRICKE (2000), S. 98.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
179
den.41 So definieren CUMMINGS und OSTROM (1982) Produktinvolvement als „the general level of interest in the product or the centrality of the product to the customer’s ego“.42 Konzeptuell wird der Zusammenhang zwischen Involvement und Preisbereitschaft häufig auf die Assimilations-Kontrast-Theorie zurückgeführt.43 Ausgangspunkt hierfür sind die Erkenntnisse von SHERIF, SHERIF und NEBERGALL (1965), die zeigen, dass die Größe des unteren und oberen Kontrastbereichs mit der Höhe des Involvements einer Person variiert.44 Hierauf aufbauend, stellen CUMMINGS und OSTROM (1982, S. 397) die Hypothese auf, dass die Menge akzeptierter Preise mit dem Involvement steigt. Dieser Schluss überrascht jedoch insofern, als SHERIF, SHERIF und NEBERGALL (1965, S. 52) feststellen, dass die Größe des Kontrastbereichs mit dem Involvement steigt und nicht fällt. Insofern ist zu konstatieren, dass sich die Assimilations-Kontrast-Theorie nur bedingt zur Begründung des Zusammenhangs zwischen Involvement und Preisbereitschaft eignet.45 Dennoch gelingt es CUMMINGS und OSTROM (1982, S. 404), einen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen dem (Produkt-) Involvement eines Konsumenten und der Größe des oberen Kontrastbereichs nachzuweisen, sodass sie zu dem Schluss kommen: „consumers who are highly involved with the product are willing to pay a higher price for the product evidenced by the narrower latitude of rejection-high“.46 Dieses Ergebnis wird auch durch die Studie von LICHTENSTEIN, BLOCH und BLACK (1988) sowie durch die Arbeit von DIVINE (1995) bestätigt. Hierbei wird der nachgewiesene Zusammenhang in beiden Studien damit begründet, dass sich hoch involvierte Konsumenten stärker auf das Produkt und weniger auf den Preis konzentrieren und daher weniger preisbewusst sind.47 Schließlich lassen auch die Ergebnisse von HERMANN ET AL. (2004, S. 546), die einen positiven Zusammenhang zwischen Involvement und Preistoleranz nachweisen, auf einen positiven Zusammenhang zwischen Involvement und Preisbereitschaft schließen. Zusammenfassend ist auf Basis der empirischen Ergebnisse zu konstatieren, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem Involvement eines Konsumenten und seiner Preisbereitschaft besteht. Eine belastbare theoretische Begründung dieses Zusammenhangs fehlt jedoch bisher. 4.1.3
Der Einfluss der wahrgenommenen Qualität auf die Preisbereitschaft
Die konzeptuelle Grundlage für den Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Qualität und der Preisbereitschaft liefern die Modelle von DODDS, MONROE und GREWAL (1991) und ZEITHAML (1988), die in der Wissenschaft große Verbreitung gefunden haben. In beiden der genannten Modelle wird ein direkter Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Qualität und dem durch den Konsumenten wahrgenommenen Wert des Produkts postuliert. Ausgehend davon ist zu erwarten, dass ein Konsument eine umso höhere Preisbereitschaft hat, je höher der wahrgenommene Nutzen eines Produkts ist.48
41 42 43 44 45 46 47 48
Vgl. CUMMINGS/OSTROM (1982), S. 396, und LICHTENSTEIN/BLOCH/BLACK (1988), S. 245. CUMMINGS/OSTROM (1982), S. 396. Vgl. SHERIF/HOVLAND (1961) für eine ausführliche Darstellung der Assimilations-Kontrast-Theorie. Vgl. SHERIF/SHERIF/NEBERGALL (1965), S. 52. Vgl. WRICKE (2000), S. 46. Vgl. CUMMINGS/OSTROM (1982), S. 404. Vgl. LICHTENSTEIN/BLOCH/BLACK (1988), S. 249. Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 259.
180
WIESEKE/HAUMANN
Einen ersten Hinweis für die Richtigkeit dieser These liefert die Studie von ZEITHAML, BERRY und PARASURAMAN (1996). Dort wird für Gebrauchsgüter und Dienstleistungen gezeigt, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Qualität und der Bereitschaft, mehr für die Leistung zu zahlen, besteht („Pay More“).49 Eine Bestätigung der These aus dem Konsumgüterbereich liefert die explorative Studie von NOËL und HANNA (1996). Die Ergebnisse zeigen, dass Konsumenten dazu bereit sind, einen höheren Preis für Produkte zu zahlen, die sie als qualitativ höherwertig wahrnehmen.50 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass NOËL/HANNA (1996, S. 597) Preisbereitschaft als den erwarteten Kaufpreis (=Preisakzeptanzniveau) operationalisieren. Die Schlussfolgerung von einer Erhöhung des Preisakzeptanzniveaus auf eine höhere Preisbereitschaft ist jedoch nur dann unproblematisch, wenn sich die Spanne akzeptabler Preise bei der Verschiebung des Niveaus nicht ändert. Dies wird von NOËL and HANNA (1996) jedoch nicht untersucht. Neben diesem direkten Effekt weisen LICHTENSTEIN, BLACK und BLOCH (1988, S. 250) einen positiven Zusammenhang zwischen dem Gebrauch der Preis-Qualitäts-Heuristik51 und dem Niveau der Preisakzeptanz nach. Ein solcher Zusammenhang wird auch durch die Ergebnisse von JOHN, SCOTT und BETTMAN (1986) gestützt. Diese zeigen, dass Konsumenten, die einen Zusammenhang zwischen Preis und Qualität vermuten, sich bei Konsumgütern im Rahmen der Produktsuche auf höherpreisige Produkte fokussieren, verglichen mit Konsumenten, die an einen solchen Zusammenhang nicht glauben.52 Zusammenfassend kann auf Basis der diskutierten Arbeiten festgestellt werden, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Qualität, sei sie nun objektiv gegeben oder nur auf Basis der Preis-Qualitäts-Heuristik vermutet, und der Preisbereitschaft naheliegt. Eine Untersuchung, die sich diesbezüglich explizit auf die hier (und in der Wissenschaft am häufigsten) verwendete Definition der Preisbereitschaft bezieht, liegt jedoch nicht vor. 4.1.4
Der Einfluss des Produktwissens auf die Preisbereitschaft53
Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Produktwissen und der Preisbereitschaft liegen in der Literatur bisher widersprüchliche Ergebnisse vor. So vermuten RAO und SIEBEN (1992), auf Arbeiten zur Produktbewertung von Konsumenten bei fehlender Information54 aufbauend, dass der Abschlag, den ein Konsument aufgrund fehlender Information auf einen gegebenen (externen) Referenzpreis vornimmt, mit zunehmendem Konsumentenwissen kleiner wird.55 Daraus folgt, dass die Preisbereitschaft mit steigendem Konsumentenwissen so-
49 50 51 52 53
54 55
Vgl. ZEITHAML/BERRY/PARASURAMAN (1996), S. 40 f. Vgl. NOËL/HANNA (1996), S. 600. Unter der Preis-Qualitäts-Heuristik versteht man, dass Konsumenten aufgrund von unvollständiger Information den Preis als Indikator für die Qualität eines Produkts heranziehen; vgl. MONROE (2003), S. 159 ff. Vgl. JOHN/SCOTT/BETTMAN (1986), S. 42 und S. 44 f. Auf die Betrachtung eines möglichen indirekten Effekts des Produktwissens auf die Preisbereitschaft soll hier aufgrund mangelnder konketer empirischer Studien verzichtet werden. Detaillierter wird ein solcher Zusammenhang bei RAO und SIEBEN (1992), MONROE und DODDS (1988) und CORDELL (1997) diskutiert. Models of Inferred Information; vgl. für einen Überblick JOHNSON/LEVIN (1985), S. 170 f. Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 259 f.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
181
lange zunehmen sollte, bis der Referenzpreis (in Form des höchsten Preises im Markt) erreicht wird. 56 Die empirische Überprüfung der Autoren bestätigt diese These.57 CORDELL (1997) zeigt hingegen, dass bei einer starken Preis-Qualitäts-Beziehung die Preisbereitschaft mit dem Konsumentenwissen abnimmt.58 CORDELL (1997) begründet diesen Zusammenhang damit, dass das Produktwissen auch die Verteilung der Preise im Markt umfasst, sodass ein Konsument mit hohem Produktwissen bei einer gegebenen Kaufsituation dieses Wissen nutzt, um einen Mehrwert für sich zu generieren.59 Eine mögliche Erklärung für diese widersprüchlichen Ergebnisse liegt gemäß CORDELL (1997) darin, dass er im Gegensatz zu RAO und SIEBEN (1992) eine starke Marke in seinem Experiment verwendet, sodass die Unsicherheit der Konsumenten (die nach RAO/SIEBEN [1992, S. 259] die Ursache für eine geringere Preisbereitschaft ist) gering ist.60 Prädiktor
Einkommen
Implikation für die Unternehmenspraxis ¾ Konsumenten mit höherem Einkommen besitzen i.d.R. eine höhere Preisbereitschaft. Preisdiskriminierung in Abhängigkeit vom Einkommen und Kundensegmentierung anhand des Einkommens bieten die Möglichkeit, die Preisbereitschaft der Konsumenten optimal abzuschöpfen. ¾ Die Stärke des Zusammenhangs zwischen Einkommen und Preisbereitschaft hängt entscheidend von der Art des Produktes ab. Bei schnell drehenden Konsumgütern ist ein Zusammenhang selten gegeben.
Involvement
¾ Hoch involvierte Kunden haben häufig eine höhere Preisbereitschaft. Die Messung des Involvements im Rahmen der Marktforschung sowie Schulung der Vertriebsmitarbeiter im Erkennen hoch involvierter Konsumenten kann zu einer Steigerung des Verkaufserfolgs führen.
Wahrgenommene Qualität
¾ Wenn Konsumenten ein Produkt als qualitativ hochwertig wahrnehmen, sind sie häufig bereit, dafür mehr zu bezahlen. Entscheidend ist hierbei, dass das Produkt nicht zwingend objektiv qualitativ hochwertig sein muss, sondern dass es als solches wahrgenommen wird. Diesbezügliche Anpassungen der Verpackung sowie der Kommunikationsmaßnahmen können zur Akzeptanz höherer Preise auf Kundenseite beitragen.
Kundenwissen
¾ Die empirische Marketingforschung kommt hier zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein entscheidender Faktor, ob Konsumentenwissen die Preisbereitschaft erhöht oder senkt scheint die mit dem Produkt verbundene Unsicherheit zu sein. Gerade bei Dienstleistungen – bei denen die Unsicherheit der Konsumenten tendenziell hoch ist – sollten daher Maßnahmen ergriffen werden, um das Konsumentenwissen zu erhöhen, um hiermit wiederum eine Erhöhung der Preisbereitschaft zu erreichen. Bei physischen Produkten mit hoher Markenstärke – und damit tendenziell niedrigerem wahrgenommenem Risiko – sollten Kommunikationsmaßnahmen anstatt auf Wissensvermittlung stärker auf den Transport positiver Emotionen ausgerichtet sein, um die Preisbereitschaft der Konsumenten nicht zu unterminieren.
Tabelle 1:
56 57 58 59 60
Praxisimplikationen der Forschung zu konsumentenbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft
Unter der Bedingung, dass das Budget des Konsumenten dies zulässt. Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 260 und S. 265. Vgl. CORDELL (1997), S. 252. Vgl. CORDELL (1997), S. 246. Vgl. CORDELL (1997), S. 256.
182
WIESEKE/HAUMANN
Autoren (Jahr)
Charakteristika der empirischen Analyse
Zentrale Ergebnisse
Einkommen Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/Preispremium ADAM 1969 bzw. 1958
¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n = 450 (Hausfrauen) ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: (qualitativ)
¾ Nachweis oberer und unterer absoluter Preisschwellen. ¾ S-förmiger Verlauf der Preisschwellenfunktion. ¾ Mittelwerte der Preisschwellenfunktion sind bei geringerem Einkommen niedriger.
FOUILHÉ 1969 bzw. 1960
¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n = 316 (Hausfrauen) ¾ Produktkategorie: Verbrauchsgüter ¾ Methodik: Korrelationen, t-Test
¾ Korrelationen zwischen oberen bzw. unteren absoluten Preisschwellen bei verschiedenen Produkten (r=.34; r=43). ¾ Signifikanter (signifikant) Effekt des Alters auf absolute Preisschwellen. ¾ Kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der absoluten Preisschwellen zwischen Arbeitern und Angestellten (~Einkommen). ¾ Signifikant positiver Einfluss der Werbung auf absolute Preisschwellen.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
183
GABOR/GRANGER 1966
¾ Direkte Befragung (1) (offen) ¾ Direkte Befragung (2) (geschlossen „mit followup“) ¾ n = 3192 ¾ Produktkategorie: Ge- & Verbrauchsgüter ¾ Methodik: Korrelation, Regressionsanalyse
¾ Nachweis oberer und unterer absoluter Preisschwellen. ¾ Logarithmischer Verlauf der Preisschwellenfunktion. ¾ Akzeptierter Preisbereich wird mit fallendem Einkommen kleiner. ¾ Untere absolute Preisschwelle fällt stärker mit sinkendem Einkommen als obere absolute Preisschwelle. ¾ Rückgang der Nachfrage bei zu geringen Preisen Æ Preis als Qualitätsindikator.
HORSKY 1990
¾ Marktdaten ¾ Haushaltseinkommen (Löhne) in den USA (1946-79) ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: (Nichtlineare) Regression
¾ Diffusionsmodelle, die den Zusammenhang zwischen Einkommen und Preisbereitschaft (PB) berücksichtigen, liefern bessere Ergebnisse hinsichtlich des Diffusionsverlaufs, als Diffusionsmodelle, die dies nicht tun.
Involvement Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/Preispremium CUMMINGS/ OSTROM 1982
¾ Direkte Befragung (geschlossen) ¾ n = 57 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: MAONVA
¾ Bei hohem Involvement werden signifikant weniger Preise als zu hoch abgelehnt als bei niedrigem Involvement. ¾ Bei hohem Involvement werden signifikant mehr Preise als zu niedrig abgelehnt als bei niedrigem Involvement. ¾ Kein signifikanter Unterschied des Akzeptanzbereichs bei hohem vs. niedrigem Involvement.
DEVINE 1995
¾ Befragung (offen) ¾ n = 183 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: Strukturgleichungsmodell
¾ Signifikant positiver Effekt des Involvements auf die PB. ¾ Signifikant negativer Effekt des Involvements auf die Größe des Toleranzbereichs der Attributsausprägungen. ¾ Kein signifikanter Effekt des Involvements auf die Größe des Consideration Set. ¾ Signifikant positiver Effekt der PB auf die Größe des Consideration Sets. ¾ Signifikant positiver Effekt der Größe des Toleranzbereichs der Attributsausprägungen auf die Größe des Consideration Set.
184
WIESEKE/HAUMANN
Autoren (Jahr)
Charakteristika der empirischen Analyse
Zentrale Ergebnisse
Wahrgenommene Qualität Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium LICHTENSTEIN/ BLOCH/BLACK 1988
¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n = 452 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: Strukturgleichungs-modell
¾ Signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem Involvement und der Nutzung der Preis-Qualitäts-Heuristik (P-Q-H). ¾ Signifikant positiver Effekt der Nutzung der P-Q-H auf das Preisakzeptanzniveau. ¾ Signifikant positiver Effekt des Involvements auf das Preisakzeptanzniveau. ¾ Signifikant negativer Effekt des Preisbewusstseins auf das Preisakzeptanzniveau und den Preisakzeptanzbereich.
NOËL/HANNA 1996
¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n = 39 ¾ Produktkategorie: Verbrauchsgüter ¾ Methodik: Regressionsanalyse
¾ Teilnehmer sind bereit, signifikant mehr für ein Produkt zu bezahlen, dessen Qualität als hoch eingestuft wurde (geometrisches Mittel der erwarteten Preise wird hier als Preisbereitschaft interpretiert).
ZEITHAML/ BERRY/ PARASURAMAN 1996
¾ Befragung ¾ n = 3069 (Handelsunternehmen, Versicherungen, Computer-Hersteller)
¾ Nachweis, dass der funktionale Zusammenhang zwischen der Qualität und der Breitschaft mehr zu zahlen unterschiedlich für verschiedene Qualitätsniveaus ist. ¾ Signifikant positiver Effekt der Qualität auf die Bereitschaft mehr zu zahlen, wenn die Qualität innerhalb des Akzeptanzbereichs liegt. ¾ (Signifikant) schwächerer Effekt der Qualität auf die Bereitschaft mehr zu zahlen, wenn das Qualitätsniveau oberhalb des Akzeptanzbereichs liegt.
Konsumentenwissen Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium RAO/SIEBEN 1992
Studie 1 & 2: ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n1 = 84, n2=48 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: Regressionsanalyse ¾ Studie 1 und 2 unterscheiden sich außerdem in der Höhe eines im Probelauf präsentierten externen Referenzpreises
Studie 1: ¾ Obere und untere absolute Preisschwelle steigen mit zunehmendem Produktwissen. ¾ Die auf intrinsische vs. extrinsische Informationen verwendete Zeit nimmt mit steigendem Produktwissen zunächst zu und dann wieder ab (umgekehrt U-förmiger Funktionsverlauf). Studie 2: ¾ Bestätigung der Ergebnisse aus Studie 1 hinsichtlich der mit dem Produktwissen steigenden oberen und unteren Preisschwelle. Vergleich Studie 1/2: ¾ Vergleich zwischen Studie 1 und 2 impliziert, dass ein externer Referenzpreis Einfluss auf die PB der Probanden hat.
CORDELL 1997
¾ Direkte Befragung (offen; mit „follow-up“) ¾ n = 289 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: ANCOVA
¾ Probanden mit höherem (subj. bzw. obj.) Produktwissen haben eine signifikant niedrigere PB als Probanden mit geringem Wissen. ¾ Das Produktwissen moderiert (positiv) den Zusammenhang zwischen Markenbekanntheit und PB. ¾ Probanden mit hohem unterscheiden sich von Probanden mit geringem Produktwissen z. T. hinsichtlich der Einschätzung der Wichtigkeit von Marke, Herkunftsland und Geschäft.
Tabelle 2:
Übersicht ausgewählter Forschungsergebnisse konsumentenbezogener Prädiktoren der Preisbereitschaft
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
185
4.2
Unternehmensbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft
4.2.1
Beeinflussung der Preisbereitschaft von Konsumenten durch irrelevante externe Referenzpreise
Die Kritik von BACKHAUS aufgreifend, soll in dem vorliegenden Beitrag zwischen verschiedenen Arten von externen Referenzpreisen unterschieden werden.61 So wird im Folgenden der Einfluss solcher Referenzpreise auf die Preisbereitschaft untersucht, die zwar weder von den Konsumenten noch von den Produzenten als relevant für das interessierende Produkt erachtet werden,62 von Letzteren allerdings dennoch systematisch dazu eingesetzt werden können, um die Preisbereitschaft der Konsumenten (positiv) zu beeinflussen.63 Abschnitt 4.2.2 beschäftigt sich hingegen mit der Wirkung von externen Referenzpreisen, die vom Hersteller im Rahmen der Sonderpreispolitik gezielt kommuniziert werden, bei denen jedoch keine Änderung der Preisbereitschaft intendiert ist. Die Hypothese, dass irrelevante Preise einen (positiven) Einfluss auf die Preisbereitschaft haben, hat konzeptuell ihren Ursprung in der bedeutenden Arbeit von TVERSKY und KAHNEMAN (1974). Die Autoren zeigen dort, dass ein numerisches Urteil einer Person von einem zuvor dargebotenen irrelevanten Anker beeinflusst wird: „people make estimates by starting from an initial value that is adjusted to yield a final answer [and] […] adjustments are typically insufficient“64. Dieses Phänomen wird als „Anchor and Adjustment“-Heuristik bezeichnet.65 Empirische Evidenz für einen positiven Zusammenhang zwischen irrelevanten Ankern und der Preisbereitschaft liefern die Studien von ARIELY, LOEWENSTEIN und PRELEC (2003), KRISTENSEN und GÄRLING (2000), NUNES und BOATWRIGHT (2004) sowie SIMONSON und DROLET (2004; siehe Tabelle 4). NUNES und BOATWRIGHT (2004) zeigen dabei als einzige, dass auch die (zufällig wahrgenommenen) Preise anderer Produkte als Anker dienen können. Überdies untersuchen sie, unter welchen Umständen es zu einem Effekt irrelevanter externer Referenzpreise auf die Preisbereitschaft kommt bzw. wann dieser verstärkt auftritt. Diesbezüglich kommen sie zu folgenden Ergebnissen: ¾ Es ist weder notwendig, dass der irrelevante Preis im Fokus der Aufmerksamkeit des Konsumenten liegt noch dass dieser einen bewussten Vergleich zwischen dem irrelevanten und dem relevanten Preis vornimmt, damit der irrelevante Preis die Preisbereitschaft beeinflusst.66 ¾ Die Passung/Anwendbarkeit des zufälligen Preises in der Kaufsituation hat einen positiven moderierenden Effekt auf den Zusammenhang zwischen dem zufälligen Preis und der Preisbereitschaft.67
61 62 63 64 65 66 67
Vgl. Vorwort ESCHWEILER (2006), S. V. Vgl. NUNES/BOATWRIGHT (2004), S. 457. Vgl. KRISHNA ET AL. (2006), S. 188 f. TVERSKY/KAHENMAN (1974), S. 1128. Für eine Übersicht der seitdem zahlreich erschienen Arbeiten zur „Anchoring and Adjustment“-Heuristik sei auf den Beitrag von CHAPMAN und JOHNSON (2002) verwiesen. Vgl. NUNES/BOATWRIGHT (2004), S. 460. Vgl. NUNES/BOATWRIGHT (2004), S. 462.
186
WIESEKE/HAUMANN
¾ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein hoher irrelevanter Preis die Preisbereitschaft eines Konsumenten beeinflusst, ist dann am größten, wenn der Konsument unmittelbar vor der Preisbereitschaftsentscheidung mit diesem konfrontiert wird.68 Die theoretische Erklärung für den moderierenden Einfluss der Kontingenz auf den Zusammenhang zwischen Ankerpreis und Preisbereitschaft (Ergebnis 3) liegt nach KRISHNA ET AL. (2006) in der höheren Zugänglichkeit der Information. So zeigen die Autoren in ihrer Studie zum Einfluss sehr hoch bepreister Produkte auf die Preisbereitschaft für ein Zielprodukt, dass der Effekt der zeitlichen und räumlichen Nähe auf den Zusammenhang zwischen Ankerpreis und Preisbereitschaft durch die Zugänglichkeit der Information vollständig mediiert wird.69 SIMONSON und DROLET (2004) leisten neben dem empirischen Nachweis, dass irrelevante Anker einen Einfluss auf die Preisbereitschaft haben können, auch einen Beitrag zur Erklärung, unter welchen Umständen dies der Fall ist. Ursache für den Effekt eines irrelevanten Ankers auf die Preisbereitschaft ist nach Meinung der Autoren dabei die Unsicherheit eines Konsumenten hinsichtlich der Beurteilung des individuellen Werts, den ein Produkt für diesen hat. Diese Argumentation ist auch konsistent mit den Ergebnissen von RAO und SIEBEN (1992), die einen moderierenden Einfluss des Produktwissens auf den Zusammenhang zwischen Referenzpreis und Preisbereitschaft nachweisen.70 4.2.2
Einflüsse der Sonderpreispolitik auf die Preisbereitschaft
Der intensive Einsatz konsumentengerichteter Preis-Promotions71 im Rahmen der Sonderpreispolitik wird in der Marketingforschung zum Teil kritisch beurteilt.72 Ein Grund hierfür ist die Feststellung, dass der vermehrte Einsatz von Preis-Promotions zu einer höheren Preissensitivität der Konsumenten führt,73 welches (insbesondere auf lange Sicht) zu einer negativen Bilanz hinsichtlich der Profitabilität solcher Aktionen führen kann.74 Eine mögliche Ursache für eine aufgrund von Preis-Promotions erhöhte Preissensitivität ist darin zu sehen, dass der (beworbene) Sonderpreis zu einer Absenkung des internen Referenzpreises führen kann.75 Dies ist insofern von Bedeutung für die Preisbereitschaft, als ein abgesenkter Referenzpreis bei Konstanz aller anderen Faktoren auch zu einer Absenkung der Preisbereitschaft führen sollte.76 Dies bedeutet, dass nicht nur die Preissensitivität durch Preis-Promotions erhöht, sondern auch die Preisbereitschaft durch sie gesenkt wird. Empirisch wird dies durch die Arbeiten von KRISHNA (1991) sowie KRISHNA und JOHAR (1996; vgl. Tabelle 4 für Details) belegt. KRISHNA (1991) zeigt diesbezüglich, dass, wenn Konsumenten den Eindruck haben, eine Marke sei selten Gegenstand von Sonderpreisaktionen, diese eine höhere Preisbereit-
68 69 70 71 72 73 74 75 76
Vgl. NUNES/BOATWRIGHT (2004), S. 461 f. Vgl. KRISHNA ET AL. (2006), S. 181 und S. 184. Vgl. RAO/SIEBEN (1992), S. 267. Unter Preis-Promotions werden zeitlich befristete Maßnahmen wie Sonderangebote, Sonderpackungen, Treuerabatte, Coupons sowie Rückerstattungen verstanden; vgl. GEDENK (2002), S. 11 und S. 19. Vgl. GEDENK (2002), S. 290 und S. 293, und DILLER (2008), S. 359. Vgl. KOPALLE/MELA/MARSH (1999), S. 326, JEDIDI/MELA/GUPTA (1999), S. 9 f. und S. 18, und HAN/GUPTA/ LEHMANN (2001), S. 446. Vgl. z. B. ABRAHAM/LODISH (1990), S. 51, und JEDIDI/MELA/ GUPTA (1999), S. 16 f. Vgl. KALYANARAM/WINER (1995), S. 166 f. Vgl. MONROE (1973), S. 75.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
187
schaft aufweisen, als wenn sie der Ansicht sind, die Marke würde häufig zu besonderen Konditionen angeboten.77 4.2.3
Mass Customization als Treiber der Preisbereitschaft
Der Ausdruck „Mass Customization“ verbindet die zunächst gegensätzlich wirkenden Begriffe der „Mass Production“ und der „Customization“.78 Ziel des Konzepts der Mass Customization ist (entsprechend der Synthese aus beiden Begriffen) „the developing, producing, marketing and delivering of affordable goods and services with enough variety and customization that nearly everyone finds exactly what they want“.79 In der Praxis hat das Konzept insbesondere auch aufgrund der technischen Möglichkeiten, die das Internet bietet80, in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und ist überdies Gegenstand zahlreicher aktueller Forschungsarbeiten im Marketing.81 Bereits früh haben Wind und MAHAJAN (1997) die Bedeutung von Mass Customization erkannt und daher festgestellt: „From a marketing research point of view, the focus is no longer on conjoint analysis studies leading to the identification of an optimal product or product line, but rather on the […] premium, if any, customers are willing to pay for a customized design versus an off-the-shelf product“. Die hierin implizierte Frage, ob Konsumenten eine höhere Preisbereitschaft für kundenindividuell gefertigte Produkte als für Standardprodukte aufweisen, versuchen FRANKE und PILLER (2004) zu beantworten. Die Autoren stellen hierzu fest, dass die Preisbereitschaft von Konsumenten für eine von ihnen gestaltete Uhr um im Mittel mehr als doppelt so hoch ist wie für vergleichbare Standard-Uhren (WTP = 109%).82 Dieses Ergebnis wird auch von SCHREIER (2006) anhand von drei weiteren Experimenten bestätigt (vgl. Tabelle 4), welches zur Verallgemeinerungsfähigkeit des Zusammenhangs beiträgt. In einem nächsten Schritt stellt sich nun die Frage, auf welche Ursachen der positive Effekt der Mass Customization auf die Preisbereitschaft zurückzuführen ist. Allgemein werden in der Literatur zur Mass Customization zwei Faktoren diskutiert, die eine Steigerung des Werts eines individuellen Produkts im Vergleich zu einem Standardprodukt für einen Konsumenten liefern. Dies sind: ¾ Die höhere Übereinstimmung der Ästhetik und Funktionalität des Produkts mit den Präferenzen des Konsumenten83 und ¾ Die empfundene Einzigartigkeit bzw. die Möglichkeit der Differenzierung von anderen Konsumenten.84
77 78 79 80 81 82 83 84
Vgl. KRISHNA (1991), S. 449. Vgl. PILLER (2006), S. 154. PINE (1993), S. 44. Vgl. AGARWAL/KUMARESH/MERCER (2001), S. 62. Vgl. z. B. DELLAERT/STREMERSCH (2005), PILLER (2006), RANDALL/TERWIESCH/ULRICH (2007), sowie FRANKE/ SCHREIER (2008) für eine ausführliche Übersicht. Vgl. FRANKE/PILLER (2004), S. 410 f. Vgl. z. B. DELLAERT/STREMERSCH (2005), S. 220 und S. 225, und RANDALL/TERWIESCH/ULRICH (2007), S. 268. Vgl. z. B. LYNN/HARRIS (1997), S. 604 f., und SCHREIER (2006), S. 323 f.
188
WIESEKE/HAUMANN
Diese Argumente aufgreifend, zeigen FRANKE und SCHREIER (2008) in einer aktuellen Studie, dass ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen den beiden Konstrukten „aesthetic and functional fit“ und „perceived uniqueness“ auf der einen Seite und der zusätzlichen Preisbereitschaft für ein individuelles Produkt (PB) auf der anderen Seite besteht.85 Der Zusammenhang zwischen „perceived uniqueness“ und der zusätzlichen Preisbereitschaft wird dabei durch die „need for uniqueness86“ eines Konsumenten (positiv) moderiert. Auf Basis dieser Ergebnisse stellt sich jedoch abschließend die Frage, inwieweit ein positiver Zusammenhang zwischen der kundenindividuellen Fertigung und der Preisbereitschaft auf Produkte beschränkt ist, die zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit dienen und bei denen daher die Einzigartigkeit von großer Bedeutung ist. Prädiktor
Implikation für die Unternehmenspraxis
¾ Der positive Zusammenhang zwischen hohen irrelevanten Referenzpreisen und der Preisbereitschaft der Konsumenten impliziert, dass Unternehmen ihre günstigeren Produkte in einem hochpreisigen Umfeld positionieren sollten. Hierbei wird der Spillover-Effekt durch die Irrelevante exterÄhnlichkeit zwischen Referenzprodukt und Zielprodukt verstärkt. ne Referenzpreise ¾ Ferner besteht die Möglichkeit über eine line extension um ein hochpreisiges „Luxus-“ Produkt, das optimale Referenzprodukt für niedrigpreisigere Produkte zu schaffen. Überdies werten diese Produkte auch das Markenimage insgesamt auf. Sonderpreisaktionen
¾ Wie die empirische Forschung zeigt, wirkt sich sowohl die Häufigkeit von Sonderpreisaktionen wie auch (mittelbar) die Rabatthöhe negativ auf die Preisbereitschaft von Konsumenten aus. Dies aufgreifend, ist die Vorteilhaftigkeit einer „every day low price“-Strategie, wie sie bereits bei Discountern weit verbreitet ist, zu prüfen.
Mass Customization
¾ Die Herstellung kundenindividueller Produkte stellt ein enormes Potenzial zur Steigerung der Preisbereitschaft von Konsumenten dar. Vor dem Hintergrund von Steigerungsraten von bis zu über 100%, sollten Unternehmen prüfen inwiefern sich Produkte oder Produktkomponenten kundenindividuell fertigen lassen.
Tabelle 3:
85 86
Praxisimplikationen der Forschung zu unternehmensbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft
Vgl. FRANKE/SCHREIER (2008), S. 100 und S. 102. „Need for uniqueness“ kann nach TIAN, BEARDEN und HUNTER (2001) verstanden werden als „an individual's pursuit of differentness relative to others that is achieved through the acquisition, utilization, and disposition of consumer goods for the purpose of developing and enhancing one's personal and social identity“; vgl. TIAN/ BEARDEN/HUNTER 2001, S. 50.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
189
Irrelevante Ankerpreise Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/Preispremium KRISTENSEN/ GÄRLING 2000
Studie 1 & 2: ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n1 = 96, n2 = 64 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: ANOVA, ANCOVA
Studie 1: ¾ Teilnehmer in der Bedingung mit dem hohen Anker weisen eine im Mittel wesentlich höhere PB auf als Teilnehmer in der Bedingung mit niedrigem Anker. Studie 2: ¾ Bestätigung des Ergebnisses aus Studie 1. ¾ Teilnehmer in der Bedingung mit einem hohen ersten Angebot weisen eine signifikant höhere PB auf, als Teilnehmer in der Bedingung mit einem niedrigen ersten Angebot. ¾ Sowohl der irrelevante Anker, als auch das erste Angebot haben einen signifikanten Einfluss auf das Verhandlungsergebnis.
ARIELY/ LOEWENSTEIN/ PRELEC87 2003
¾ BDM-Mechanismus ¾ n = 55 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: Korrelation
¾ Signifikante Korrelation zwischen der Höhe der letzten zwei Ziffern der Sozialversicherungsnummer und der angegebenen PB. ¾ Die Probanden des obersten Quintils der Verteilung der letzten zwei Ziffern der Sozialversicherungsnummer. sind im Mittel bereit mehr als dreimal soviel zu bezahlen wie Probanden des untersten Quintils.
NUNES/ BOATWRIGHT 2004
Studie 1, 2 & 3: ¾ BDM-Mechanismus, Vickrey-Auktion & Analyse von Marktdaten ¾ n1 = 60, n2 = 560, n3 = 1477 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter & konsumtive Dienstleistungen ¾ Methodik: t-Test, Regressionsanalyse
Studie 1: ¾ Probanden geben bei hohem Ankerpreis eine signifikant höhere PB an, als bei einem niedrigen Ankerpreis. ¾ Nur 7% der Probanden gaben nach der Untersuchung an, dass der Ankerpreis sie beeinflusst haben könnte. Studie 2: ¾ Probanden die als letztes mit einem hohen Anker konfrontiert wurden, haben eine signifikant höhere PB als Probanden in der Kontrollgruppe. Studie 3: ¾ Ein irrelevanter Anker hat einen signifikanten Effekt auf das gezahlte Preispremium.
SIMONSON/ DROLET88 2004
Studie 1: ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n1 = 468, n2 = 256, n3 =178 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: ANOVA, Regressionsanalyse
Studie 1: ¾ Signifikanter Effekt des irrelevanten Ankers auf die PB. ¾ Geringerer Effekt des irrelevanten Ankers auf die PB, wenn die Probanden ihre PB begründen müssen. Studie 2: ¾ Bestätigung des Effekts des irrelevanten Ankers auf die PB der Probanden. ¾ Kein signifikanter Effekt des irrelevanten Ankers auf die PB, bei Salienz hinsichtlich der Unsicherheit beim Kauf. Studie3: ¾ Information über den geschätzten Marktpreis hat keinen signifikanten Einfluss auf den Zusammenhang zwischen irrelevantem Anker und PB.
87 88
Hierbei soll nur das 1. Experiment dargestellt werden, da es sich als einziges auf die Preisbereitschaft von Konsumenten bezieht. Studie 4 der Autoren wird hier nicht betrachtet, da diese sich lediglich auf die „Willingness to Accept“ bezieht.
190
Autoren
WIESEKE/HAUMANN
Charakteristika der empirischen Analyse
Zentrale Ergebnisse
Irrelevante Ankerpreise Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium KRISHNA ET. AL 2006
Studie 1: ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n1 = 162, n2 = 197, n3 = 72 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: ANOVA, Regressionsanalyse
Studie 1: ¾ Positiver Zusammenhang zwischen der Verwandtschaft des sehr hoch bepreisten Produkts und der PB für die Zielproduktkategorie. ¾ Positiver Zusammenhang zwischen der Kontiguität zwischen dem sehr hoch bepreisten Produkt und der PB für die Zielproduktkategorie. ¾ Der Effekt der Kontiguität auf die PB für die Zielproduktkategorie wird vollständig durch die Zugänglichkeit des sehr hohen Ankerpreises mediiert. Studie 2: ¾ Signifikant positive Dreifachinteraktion zwischen Kontiguität, Verwandtschaft und Ankerpreis impliziert, dass der Einfluss der Verwandtschaft auf den Einfluss des Ankerpreises größer ist bei hoher im Vgl. zu niedriger Kontiguität. ¾ Eine separate Analyse der Daten aus der Bedingung mit sehr hohem Ankerpreis liefert einen Hinweis dafür, dass die Kontiguität einen signifikant positiven moderierenden Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Verwandtschaft und PB hat. Studie 3: ¾ Positiver direkter Effekt des (hohen vgl. mit dem moderaten) Ankerpreises und der Verwandtschaft auf die PB. ¾ Im Gegensatz zu Studie 1 und 2 ist weder der direkte Effekt der Kontiguität noch der Interaktionseffekt zwischen Kontiguität und Ankerpreis signifikant. ¾ Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass der positive Effekt der Kontiguität auf die Bedingungen bei hoher Verwandtschaft beschränkt ist. Dies weist darauf hin, dass die Kontiguität einen positiv moderierenden Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Verwandtschaft und PB haben kann.
Sonderpreise Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium KRISHNA 1991
¾ Signifikant negativer Zusammenhang zwischen der wahrge¾ Direkte Befragung (offen) nommenen Häufigkeit von Sonderpreisaktionen und der PB ¾ n = 159 (r2=-.51). ¾ Produktkategorie: Verbrauchsgüter ¾ Die Anzahl der Teilnehmer, deren PB dem Sonderpreis ent¾ Methodik: t-Test, Korrelatispricht ist, signifikant höher bei häufigen (im Vgl. zu seltenen) on, Regressionsanalyse Sonderpreisaktionen (28% vs. 10%). ¾ Bei regelmäßigen Sonderpreisaktionen wird deren Häufigkeit durch die Teilnehmer exakter erinnert als bei zufälligen Sonderpreisaktionen.
KRISHNA/JOHAR Studie 1, 2, 3 & 4: 1996 ¾ Direkte Befragung (offen) ¾ n1 = 96, n2 = 60, n3 = 60, n4 = 47 ¾ Produktkategorie: Verbrauchsgüter ¾ Methodik: ANOVA, Wilcoxon-VorzeichenRang-Test, 2-Test, Regression
Studie 1, 2 & 3: ¾ Die wahrgenommene Häufigkeit von Sonderpreisaktionen ist signifikant höher für Sonderpreisaktionen mit hohen im Vgl. zu Sonderpreisaktionen mit niedrigeren Rabatten. ¾ Die wahrgenommene Häufigkeit von Sonderpreisaktionen ist signifikant höher beim Einsatz von 2 Sonderpreisen (im Vgl. zur Verwendung von einem Sonderpreis). ¾ Die PB der Probanden ist signifikant, höher wenn 2 Sonderpreise eingesetzt werden (vgl. mit dem Einsatz eines Sonderpreises. Studie 4 (Langzeitstudie: 12 Wochen): ¾ Studie 4 bestätigt die Ergebnisse der Studien 1, 2 und 3.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
Autoren
Charakteristika der empirischen Analyse
191
Zentrale Ergebnisse
Mass Customization Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium FRANKE/ PILLER 2004
Studie1,2, 3 & 4: ¾ Direkte Befragung (offen), Vickrey-Auktion ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ n1 =165, n2 = 248, n3 = 102, n4 = 202 ¾ Methodik: Entropieanalyse, paarweiser t- Test
Studie 1 & 3: ¾ Die PB der Teilnehmer für die selbst gestaltete Uhr ist im Mittel mehr als doppelt so hoch wie die PB für die Standard-Uhren. Studie 2 & 4: ¾ Kein signifikanter Unterschied zwischen der PB für individuell (aber nicht vom Teilnehmer) gestaltete Uhren und der PB für Standard-Uhren.
SCHREIER 2006
¾ Vickrey-Auktion ¾ n = 185 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: ANOVA, Korrelation
¾ PB für die selbst gestalteten Produkte liegt signifikant höher als die PB für das entsprechende Standardprodukt. ¾ PB (Handy Cover) = 207% ¾ PB (T-Shirt) = 113% ¾ PB (Schal) = 106%
FRANKE/ SCHREIER 2008
¾ Vickrey Auktion ¾ n = 127 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: Strukturgleichungsmodell, multiple hierarchische Regression
¾ Schwach signifikant positiver Effekt der ästhetischen und funktionalen Übereinstimmung auf PB. ¾ Schwach signifikant positiver Effekt der wahrgenommenen Einzigartigkeit auf PB. ¾ Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Einzigartigkeit und PB wird durch den Wunsch nach einzigartigen Produkten positiv moderiert.
FRANKE/ KEINZ/ STEGER 2009
Studie 1: ¾ Offene Befragung mit follow up ¾ n = 1589 ¾ Produktkategorie: Gebrauchsgüter ¾ Methodik: t-test, (moderierte) Regressionsanalyse Studie 2: ¾ Offene Befragung ¾ n = 1039 ¾ Produktkategorie: Ge- & Verbrauchsgüter ¾ Methodik: t-test, Strukturgleichungsmodell
Studie 1: 89 ¾ Die PB (EZP, KI ) für kundenindividuell gefertigte Produkte ist höher als für segmentspezifische Produkte und Massenprodukte. ¾ Je höher die Übereinstimmung zwischen geäußerten Präferenzen und Produktmerkmalen, desto höher ist die PB (EZP, KI). ¾ Das Ausmaß der Einsicht in die eigenen Präferenzen sowie die Fähigkeit, seine Präferenzen zu artikulieren, moderieren positiv den Zusammenhang zwischen der Übereinstimmung zwischen geäußerten Präferenzen und Produktmerkmalen und der PB (EZP, KI). ¾ Involvement moderiert den Zusammenhang zwischen der Übereinstimmung zwischen geäußerten Präferenzen und Produktmerkmalen und der PB (EZP, KI) nicht signifikant. Studie 1: ¾ Bestätigung der Ergebnisse aus Studie 1 (exkl. Involvement). ¾ Involvement moderiert positiv den Zusammenhang zwischen der Übereinstimmung zwischen geäußerten Präferenzen und Pro90 duktmerkmalen und der PB (U).
Tabelle 4:
89 90
Übersicht ausgewählter Forschungsergebnisse unternehmensbezogener Prädiktoren der Preisbereitschaft
EZP = Einstellung zum Produkt; KI = Kaufintention PB = Preisbereitschaft kundenindividuelles Produkt - Preisbereitschaft Standardprodukt. U = Nutzen kundenindividuelles Produkt - Nutzen Standardprodukt.
192
WIESEKE/HAUMANN
4.3
Beziehungsbezogene Prädiktoren der Preisbereitschaft
4.3.1
Kundenzufriedenheit als Treiber der Preisbereitschaft
Kundenzufriedenheit, häufig definiert als „a postconsumption evaluation dependent on perceived quality or value, expectations, and confirmation/disconfirmation-degree (if any) of discrepancy between actual and expected quality“91, wird in der Marketingforschung als eine der zentralen Determinanten des Markterfolgs eines Unternehmens angesehen. So stellen HAUSER, SIMESTER und WERNERFELT (1994, S. 330) heraus: „[…] customer satisfaction measures are an indicator of future profit […]“. KEININGHAM, MUNN und EVANS (2003, S. 37) bestätigen diese Sichtweise durch die Feststellung: „[…] both practioners and academics have accepted the premise that customer satisfaction results in customer behavior patterns that positively affect business results“. Die einhellige Meinung der Wichtigkeit der Kundenzufriedenheit ist dabei die Konsequenz aus einer Vielzahl von Forschungsarbeiten, die die Auswirkungen der Kundenzufriedenheit auf andere Konstrukte (hierunter auch die Preisbereitschaft) untersucht haben.92 Eine zentrale Erkenntnis dieses Forschungszweigs ist der positive Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem (Kapital-) Markterfolg eines Unternehmens.93 Eine mögliche Ursache für diesen Zusammenhang könnte darin liegen, dass zufriedenere Kunden eine höhere Preisbereitschaft aufweisen. Theoretisch lässt sich ein solcher Zusammenhang sowohl aus der Mikroökonomie wie auch aus der Equity-Theorie herleiten.94 Auf erstere bezieht sich ANDERSON (1996). Hierbei leitet er aus der Aussage MARSHALLs (1890, S. 124), dass die Differenz zwischen Preisbereitschaft und bezahltem Preis (Konsumentenrente) das ökonomische Maß für Zufriedenheit darstellt, die Hypothese eines positiven Zusammenhangs zwischen der (kumulativen) Zufriedenheit eines Konsumenten und dessen Preisakzeptanz95 ab. HOMBURG, KOSCHATE und HOYER (2005, S. 85) hingegen wählen mit der Bezugnahme auf die Equity-Theorie einen verhaltenswissenschaftlichen Ansatz. Kernaussage der Equity-Theorie ist, dass Konsumenten nach Gerechtigkeit in Austauschbeziehungen im Sinne gleicher InputOutcome-Verhältnisse zwischen den an der Transaktion beteiligten Personen streben.96 Übertragen auf den hier diskutierten Zusammenhang, bedeutet dies, dass ein Konsument für ein hohes Zufriedenheitsniveau auch bereit ist, mehr zu bezahlen, da hierdurch ein „faires“ Austauschverhältnis hergestellt wird.97 Der erste empirische Beleg für einen positiven Zusammenhang stammt, wie erwähnt, von ANDERSON (1996). Dieser kommt bei einer regressionsanalytischen Untersuchung der Daten des „Swedish Customer Satisfaction Barometer“98 zu dem Ergebnis, dass die Preisakzeptanz mit steigender Zufriedenheit zunimmt.99 Dieses Ergebnis wird von WRICKE (2000) bestätigt, 91 92 93 94 95 96 97 98 99
ANDERSON (1994), S. 20. Für eine Übersicht vgl. LUO/HOMBURG (2007), S. 134. Vgl. ANDERSON/FORNELL/RUST (1997), S. 138 f., ANDERSON/FORNELL/MAZVANCHERY (2004), S. 177, und GRUCA/REGO (2005), S. 120 ff. Vgl. ANDERSON (1996), S. 266, und HOMBURG/KOSCHATE/HOYER (2005), S. 85. hier: Der vom Konsumenten höchste akzeptierte Preis bevor dieser den Anbieter wechselt; vgl. ANDERSON (1996), S. 265. Vgl. ADAMS (1965), S. 273, und WALSTER/WALSTER/BERSCHEID (1978), S. 6 ff. Vgl. HOMBURG/KOSCHATE/HOYER (2005), S. 85. Vgl. FORNELL (1992). Vgl. ANDERSON (1996), S. 269 f.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
193
der einen schwach signifikanten Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Preistoleranz nachweist (b=.07, p<0.1).100 Eine erste Arbeit, die den Zusammenhang auf Basis der hier verwendeten Definition der Preisbereitschaft untersucht, stammt von HUBER, HERMANN und WRICKE (2001).101 Den Autoren gelingt es hierbei anhand von Daten aus der Hotelbranche, einen positiven Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Preisbereitschaft nachzuweisen.102 Neben diesem allgemeinen Zusammenhang, analysieren HUBER, HERMANN und WRICKE (2001) auch die funktionale Form dieses Zusammenhangs. Hierbei unterstellen sie aufbauend auf den Ergebnissen der Assimilations-Kontrast-Theorie103 einen umgekehrt S-förmigen Verlauf des Zusammenhangs zwischen der Kundenzufriedenheit (Abszisse) und der Preisbereitschaft (Ordinate) und weisen diesen auch empirisch nach.104 Die Ergebnisse der Studie von HOMBURG, KOSCHATE und HOYER (2005, S. 89/91) bestätigen die Ergebnisse von HUBER, HERMANN und WRICKE (2001) sowohl hinsichtlich des allgemein positiven Zusammenhangs wie auch hinsichtlich des Funktionsverlaufs und tragen damit zur Generalisierbarkeit des Zusammenhangs bei. Im Gegensatz zu der Vorgängerstudie leiten HOMBURG, KOSCHATE, HOYER (2005) den umgekehrt S-förmigen Verlauf der Preisbereitschafts-funktion aus der „disappointment theory“ ab.105 Kernaussage der Theorie ist, dass zusätzlich zu einem Basisnutzen der Konsequenz einer Entscheidung ein von der Differenz zwischen erwarteter und eingetretener Konsequenz abhängender zusätzlicher positiver oder negativer psychologischer Nutzen hinzukommt.106 Ist die Konsequenz besser als erwartet, so ist der Zusatznutzen positiv; ist die Konsequenz hingegen schlechter als erwartet, so ist der Zusatznutzen negativ.107 Hinsichtlich des Ausmaßes des Zusatznutzens postulieren LOOMES und SUDGEN (1986, S. 272), dass die Höhe des (positiven/negativen) Zusatznutzens mit der Diskrepanz zwischen Erwartungen und Konsequenzen zunimmt. Überträgt man die Erkenntnisse der „disappointment theory“ auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Preisbereitschaft, so erhält man den von HOMBURG, KOSCHATE und HOYER (2005, S. 86) vermuteten und empirisch bestätigten umgekehrt S-förmigen Funktionsverlauf. Schließlich zeigen Homburg, KOSCHATE und HOYER (2005) außerdem, dass der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Preisbereitschaft umso stärker ist, je mehr sich das Zufriedenheitsurteil von einem transaktionsbezogenen Urteil hin zu einem auf mehreren Erlebnissen basierenden Urteil entwickelt.108
100 101 102 103 104 105 106 107 108
Vgl. WRICKE (2000), S. 203. Vgl. für eine identische empirische Untersuchung ADAM ET AL. (2002). Vgl. HUBER/HERMANN/WRICKE (2001), S. 164 f. Vgl. SHERIF/HOVLAND (1961). Vgl. HUBER/HERMANN/WRICKE (2001), S. 163. Vgl. BELL (1985), und LOOMES/SUDGEN (1986). Vgl. LOOMES/SUDGEN (1986), 271 f. Vgl. BELL (1985), S. 5. Vgl. HOMBURG/KOSCHATE/HOYER (2005), S. 92.
194
4.3.2
WIESEKE/HAUMANN
Kundenloyalität als Treiber der Preisbereitschaft
Es ist intuitiv einsichtig, dass Kundenzufriedenheit eine notwendige (wenn auch nicht hinreichende) Bedingung für die Loyalität von Kunden ist.109 Die Ergebnisse des vorherigen Abschnitts berücksichtigend, legt dies den Schluss nahe, dass auch zwischen Kundenloyalität und Preisbereitschaft ein positiver Zusammenhang besteht. Eine weitere konzeptuelle Erklärung für einen positiven Zusammenhang zwischen der Loyalität und der Preisbereitschaft von Konsumenten besteht darüber hinaus darin, dass loyale Konsumenten mehr auf die Produkteigenschaften/-vorteile und weniger auf den Preis fokussiert sind.110 Einen ersten empirischen Hinweis für den unterstellten Zusammenhang liefern die Studien, die einen negativen Zusammenhang zwischen der Loyalität von Konsumenten und deren Preissensitivität nachweisen.111 KRISHNAMURTHI und PAPATLA (2003, S. 133) stellen für diesen Forschungszweig zusammenfassend fest: „The results, to date, indicate that loyalty does indeed raise the price that consumers are willing to pay for a brand“. Darüber hinaus weisen SRINIVASAN, ANDERSON und PONNAVOLU (2002, S. 47) sowie PALMATIER, SCHEER und STEENKAMP (2007, S.191) einen positiven Zusammenhang zwischen der Kundenloyalität und der Bereitschaft von Kunden nach, mehr für ein Produkt zu bezahlen. KALYANARAM und LITTLE (1994, S. 415) können überdies einen positiven Effekt zwischen der Kundenloyalität und der Spannweite akzeptabler Preise nachweisen, welches ebenfalls für den hier unterstellten Zusammenhang spricht. REINARTZ und KUMAR (2000) kommen hingegen zu anderen Ergebnissen. So weisen sie in ihrer Studie nach, dass es nicht die langfristig loyalen, sondern die Kunden mit einer kurzen Beziehung zum Anbieterunternehmen sind, die die höheren Preise zahlen.112 Dieses von den restlichen abweichende Ergebnis mag dabei jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass REINARTZ und KUMAR die tatsächlich bezahlten Preise betrachten, die sich nur bedingt für Rückschlüsse auf die Preisbereitschaft eignen.113
109 110 111 112 113
Vgl. HOMBURG/BECKER/HENTSCHEL (2008), S. 103. Vgl. z. B. KALYANARAM/LITTLE (1994), S. 409, und SRINIVASAN/ANDERSON/PONNAVOLU (2002), S. 45. Vgl. z. B. KRISHNAMURTHI/RAJ (1991), S. 178 ff., und WERNERFELT (1991), S. 239. Vgl. REINARTZ/KUMAR (2000), S. 28. Vgl. SKIERA/REVENSTORFF (1999), S. 224.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
195
Prädiktor
Implikation für die Unternehmenspraxis
Kundenzufriedenheit
¾ Die Funktion zwischen Kundenzufriedenheit und der Preisbereitschaft verläuft umgekehrt Sförmig. Dies impliziert, dass Unternehmen die Preisbereitschaft ihrer zufriedenen Kunden durch eine nur geringe Zufriedenheitssteigerung beträchtlich erhöhen können.
Kundenloyalität
¾ Kundenloyalität gegenüber dem Unternehmen als auch gegenüber dem Vertriebsmitarbeiter haben einen positiven Einfluss auf die Bereitschaft von Kunden ein Preispremium zu zahlen. Hierbei impliziert der positive Effekt der Loyalität zum Mitarbeiter, dass Unternehmen der Bindung erfolgreicher Vertriebsmitarbeiter hohes Gewicht beimessen sollten. Da zwischenmenschliche Bindungen häufig stärkere und nachhaltige Effekte erzielen als Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen, sollte (insbesondere im B2B-Kontext) der Kontakt der Vertriebsmitarbeiter mit den Kunden gefördert werden.
Kundenidentifikation (vgl. S. 25)
¾ Kunden, die sich mit dem Unternehmen identifizieren, sind häufig bereit, höhere Preise zu zahlen. Da Kundenidentifikation (anders als Kundenzufriedenheit) darüber hinaus dazu beitragen kann, dass Kunden Mängel und Fehler des Produkts bzw. im Dienstleistungserstellungsprozess eher akzeptieren ohne abzuwandern, sollte dem Aufbau von Kundenidentifikation (z. B. durch Brand-Communities und Events) stärkere Bedeutung in der Unternehmenspraxis zukommen.
Tabelle 5:
Autoren
Praxisimplikationen der Forschung zu beziehungsbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft Charakteristika der empirischen Analyse
Zentrale Ergebnisse
Kundenzufriedenheit Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium ANDERSON 1996
¾ Direkte Befragung/ Daten des schwedischen Kundenzufriedenheitsindex (vgl. Fornell 1992) ¾ n = 475 ¾ Produktkategorie: Ge- & Verbrauchsgüter ¾ Methodik: Regressionsanalyse
¾ Indirekte Befragung/ HUBER/ Conjoint-Analyse HERRMANN/ WRICKE 2001 ¾ n = 378 ¾ Produktkategorie: konsumtive Dienstleistung ¾ Methodik: (Nichtlin.) Regressionsanalyse
¾ Signifikant positiver Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Preistoleranz (PT). ¾ Ein Zufriedenheitsanstieg um 1% impliziert einen Anstieg der PT um 0,6%. ¾ Es besteht ein schwach signifikant positiver Zusammenhang zwischen der Marktkonzentration in einer Branche und der PT der Kunden. ¾ Der Zusammenhang zwischen Marktkonzentration und PT deutet darauf hin, dass ein negativer Zusammenhang zwischen der Wettbewerbsintensität und der PT bestehen kann. ¾ Signifikant positiver Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und PB. ¾ Umgekehrt S-förmiger Funktionsverlauf der PB in Abhängigkeit der Kundenzufriedenheit wird bestätigt.
196
HOMBURG/ KOSCHATE/ HOYER 2005
WIESEKE/HAUMANN
Studie 1: ¾ Experiment/Direkte Befragung (offen), BDMMechanismus ¾ n1 = 80, n1 = 157 ¾ Produktkategorie: konsumtive Dienstleistung & Gebrauchsgüter ¾ Methodik: Regression
Studie 1/2: ¾ Signifikant positiver Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und PB. ¾ Umgekehrt S-förmiger Funktionsverlauf der PB in Abhängigkeit der Kundenzufriedenheit wird in beiden Studien nachgewiesen. Studie 2: Der nichtlineare Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und PB wird mit der Anzahl positiver Erlebnisse stärke.
KundenloyalitätÆ Æ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium ¾ Existenz des Preisakzeptanzbereichs wird bestätigt. ¾ Positiver Zusammenhang zwischen der Markenloyalität und der Größe der Preisakzeptanzspanne. ¾ Positiver Zusammenhang zwischen dem Referenzpreisniveau und der Größe der Preisakzeptanzspanne. ¾ Negativer Effekt der Kauffrequenz auf die Größe der Preisakzeptanzspanne.
KALYNARAM/ LITTLE 1994
¾ Marktdaten ¾ n (Produkt 1) = 3828 (Käufe) ¾ n (Produkt 2) =2562 (Käufe) ¾ Produktkategorie: Verbrauchsgüter ¾ Methodik: Logistische Regression
SRINIVASAN/ ANDERSON/ PONNAVOLU 2002112
¾ Direkte Befragung (ge¾ Signifikant positiver Effekt von E-Loyalty auf die Bereitschaft schlossen) einen höheren Preis zu bezahlen. ¾ n = 1211 ¾ Signifikant positiver Effekt von E-Loyalty auf das Weiteremp¾ Produkte: keine Angaben fehlungsverhalten von Kunden. (Kunden von Onlineanbie¾ Schwach signifikant negativer Effekt von E-Loyalty auf die tern und -shops) Intensität der Suche nach Alternativen. ¾ Methodik: Regressionsanalyse
KundenloyalitätÆ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium PALMATIER/ SCHEER/ STEENKAMP 2007114
¾ ¾ ¾ ¾
Schriftliche Befragung n =362 Produkt: Investitionsgüter Methodik: Strukturgleichungsmodell
¾ Loyalität gegenüber dem Anbieterunternehmen hat einen signifikant positiven Effekt auf die Bereitschaft der Kunden, ein Preispremium im Vergleich zum Wettbewerb zu zahlen. ¾ Loyalität gegenüber dem Vertriebsmitarbeiter hat ebenfalls einen signifikant positiven Effekt auf die Bereitschaft der Kunden, ein Preispremium im Vergleich zum Wettbewerb zu zahlen.
KundenidentifikationÆ Preisbereitschaft/Preisakzeptanz/ Preispremium HOMBURG/ WIESEKE/ HOYER 2009115
Tabelle 6:
114 115
¾ Direkte Befragung (geschlossen) ¾ n (Mitarbeiter) = 258 ¾ n (Kunden) = 597 ¾ Produktkategorie: konsumtive Dienstleistung ¾ Methodik: Mehrebenregression (Analyse 1), OLSRegression (Analyse 2)
Analyse 1: ¾ Signifikant positiver Effekt der Identifikation eines Kunden mit einer Firma und der PB. Analyse 2: ¾ Signifikant positiver Effekt der PB auf den finanziellen Erfolg einer Firma.
Übersicht ausgewählter Forschungsergebnisse beziehungsbezogener Prädiktoren der Preisbereitschaft
Hier wird lediglich der Teil des Modells betrachtet, der sich mit den Konsequenzen der Kundenloyalität befasst. Hier wird lediglich der Teil des Modells betrachtet, der sich auf die Preisbereitschaft bezieht.
Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden
4.4
197
Fazit und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Preisbereitschaft der Kunden eine für den finanziellen Erfolg eines Unternehmens zentrale Variable darstellt.116 Hierbei ist neben der Kenntnis der Höhe der Preisbereitschaft (z. B. im Rahmen der Produktbündelung)117, die Identifikation der Treiber der Preisbereitschaft von herausgehobener Bedeutung für die betriebswirtschaftliche Forschung als auch für die Unternehmenspraxis.118 Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass – obwohl einige Untersuchungen zu konsumentenbezogenen, unternehmensbezogenen und beziehungsbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft von Kunden vorliegen – Studien zu bedeutenden Forschungsfeldern bisher fehlen. Insbesondere sind hier die Identifikation marktbezogener sowie (vertriebs-) mitarbeiterbezogener Prädiktoren der Preisbereitschaft zu nennen (vgl. auch Abbildung 2). Hinsichtlich der markbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft sind als potenziell zu identifizieren Einflussfaktoren bspw. die Höhe der Wechselkosten oder die Anzahl verfügbarer Alternativprodukte zu sehen. So finden CHAN, KADIYALI und PARK (2007, S. 332) im Rahmen einer Untersuchung von Online-Auktionen, einen positiven Zusammenhang zwischen der Anzahl gleicher offerierter Produkte auf der Online Plattform und der Preisbereitschaft. Betrachtet man die Frage, wie Mitarbeiter die Preisbereitschaft von Kunden beeinflussen können, so stellen Verkaufstechniken wie das adaptive Verkaufsverhalten oder aber auch die Fähigkeit, die Bedürfnisse des Kunden im Verkaufsgesprächs zu erkennen, mögliche Prädiktoren dar. So zeigen bspw. HOMBURG, WIESEKE und BORNEMANN (2009, S. 73) in einer aktuellen Studie, dass sich die Fähigkeit eines Vertriebsmitarbeiters, die Bedürfnisse seines Kunden akkurat einzuschätzen, positiv auf dessen Preisbereitschaft für eine Dienstleistung auswirkt. Forschungsbedarf besteht jedoch nicht nur hinsichtlich dieser bisher (bis auf die genannten Ausnahmen) völlig vernachlässigten Forschungsgebiete, sondern auch hinsichtlich der in diesem Beitrag identifizierten Forschungszweige. So bedarf es bspw. hinsichtlich der konsumentenbezogenen Prädiktoren der Klärung der widersprüchlichen Ergebnisse der Untersuchungen zum Einfluss des Involvements auf die Preisbereitschaft der Kunden. Ein gangbarer Weg wäre hier die Aufnahme der Markenstärke oder des wahrgenommenen Kaufrisikos als mögliche Moderatoren in das Modell. Hinsichtlich der unternehmensbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft liefert insbesondere die Mass Customization Ansatzpunkte für weitere Forschungsarbeiten. So wurde in den bisherigen Arbeiten die Kritik hinsichtlich der hohen Komplexität von Mass-CustomizationSystemen außen vor gelassen.119 Hierbei wäre es interessant zu erfahren, ob und inwieweit die wahrgenommene Komplexität eines Mass-Customization-Systems den Zusammenhang zwischen der kundenindividuellen Fertigung und der Preisbereitschaft negativ beeinflusst. Darüber hinaus bietet die Fragestellung nach der Auswirkung der Innovationsintensität eines Unternehmens auf die Preisbereitschaft ein interessantes Feld für zukünftige Forschungsarbeiten. So kommen in einer ersten Studie SANDVIK und SANDVIK (2003, S. 366) zu dem Er-
116 117 118 119
Vgl. HOMBURG/WIESEKE/HOYER (2009), S. 47 f. Vgl. RUST/CHUNG (2006), S. 564. Vgl. HOMBURG/KOSCHATE/HOYER (2005), S. 84. Vgl. HUFFMAN/KAHN (1998), S. 492, und DELLAERT/STREMERESCH (2005), S. 225.
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WIESEKE/HAUMANN
gebnis, dass sich die Einführung neuer Produkte positiv auf ein relatives Preispremium auswirkt. Bezüglich der beziehungsbezogenen Prädiktoren der Preisbereitschaft könnte man zudem, die Bedenken von REINARTZ und KUMAR (2000) aufgreifend, der Frage nachgehen, inwieweit sich der positive Effekt der Kundenzufriedenheit auf die Preisbereitschaft von dem der Kundenloyalität unterscheidet oder ob die Messung des letzteren Effekts lediglich die Konsequenz daraus ist, dass die Kundenzufriedenheit eine notwendige Bedingung für die Loyalität von Kunden darstellt. Überdies ist zu klären, ob und inwieweit sich andere beziehungsbezogene Konstrukte positiv auf die Preisbereitschaft auswirken. So weisen HOMBURG, WIESEKE und HOYER (2009, S. 47) in einer aktuellen Studie einen positiven Zusammenhang zwischen der Identifikation der Kunden mit dem Anbieterunternehmen und deren Preisbereitschaft nach. CHAN, KADIYALI und PARK (2007, S. 330) zeigen in der bereits erwähnten Untersuchung überdies, dass sich eine positive Reputation des Anbieters positiv auf die Preisbereitschaft von Konsumenten bei Online-Auktionen auswirkt.
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ZEITHAML, V. A./BERRY, L. L./PARASURAMAN, A. (1996): The Behavioral Consequences of Service Quality, in: Journal of Marketing, 1996, 60 (2), S. 31–46. ZHU, R. J./CHEN, X. J./DASGUPTA, S. (2008): Can Trade-Ins Hurt You? Exploring the Effect of a Trade-In on Consumers’ Willingness to Pay for a New Product, in: Journal of Marketing Research, 2008, 45 (2), 159–170.
Dritter Teil Service Management als Erfolgsfaktor
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche BERNHARD HOGENSCHURZ, FRANK KEUPER und ARNE KOCH Deutsche Telekom, Steinbeis-Hochschule Berlin und Technische Universität Braunschweig
1 2
Einleitung....................................................................................................................... 211 TIME-Branche............................................................................................................... 212 2.1 Marktseitige Charakteristika und Herausforderungen ......................................... 212 2.2 Produktseitige Charakteristika und Herausforderungen....................................... 214 3 Schlussfolgerungen – Unsicherheit und Variety Seeking .............................................. 216 3.1 Unsicherheit ......................................................................................................... 216 3.2 Variety Seeking.................................................................................................... 217 4 Erfolgsfaktorentheorie ................................................................................................... 217 4.1 Kosten .................................................................................................................. 219 4.2 Zeit ....................................................................................................................... 219 4.3 Qualität................................................................................................................. 220 5 Service in der TIME-Branche........................................................................................ 221 5.1 Service als Schlüssel zum Erfolg ......................................................................... 221 5.1.1 Erlebniswelten ......................................................................................... 222 5.1.2 Digitale Erlebniswelten der TIME-Branche ............................................ 223 5.1.3 Flagshipstores .......................................................................................... 224 5.2 Wandel vom Konsumenten zum Prosumenten .................................................... 226 6 Fazit ............................................................................................................................... 227 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 228
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
1
211
Einleitung
Gegenwärtig ist ein starker Trend zu beobachten, weg von preisaggressiven Werbeslogans, wie z. B. „Geiz ist geil!“1, der häufig bereits zur Beschreibung der in der Gesellschaft vorherrschenden Spar-Mentalität galt. Aktuell wird der Fokus auf den Bereich Service als Zusatzleistung mit höchstmöglicher Qualität gelegt. Slogans wie „Bei uns fühlt sich der Kunde noch wie König“2, oder der Auftritt der Deutschen Telekom als Service-Unternehmen, das sich klar vom aggressiven Preiskampf innerhalb der Telekommunikations-, Informationstechnologie-, Medien- und Entertainment-Branche (TIME-Branche) distanziert. Der wirtschafts- und gesellschaftspolitische Wandel von einer reinen Industrie- zu einer integrierten Informations- und Dienstleistungsgesellschaft führte zu einer Verschmelzung von der „Old Economy“ und der „New Economy“ mit dem Ergebnis einer so genannten „Converged Economy“. Die Hauptantriebskräfte dieser entstandenen integrierten Informations-, Dienstleistungs- und Industriegesellschaft bilden hierbei die digitalen Erlebniswelten E-Business, MBusiness und T-Business. Die Deregulierung und Liberalisierung im Telekommunikationssektor auf der einen und die zunehmende Digitalisierung und Leistungssteigerung in der Entwicklung von Speicher- und Datenübertragungstechnologien auf der anderen Seite führte insbesondere zu einer Konvergenz innerhalb der TIME-Branche, mit dem Ergebnis der Multimedia-Branche. Diese Entwicklung wurde parallel verstärkt durch das Wachsen einer so genannten Multi-Options-Gesellschaft, mit einer heterogen-hybriden Nachfragestruktur.3 In der ökonomischen Realität stehen die Unternehmen vor verschiedenen Herausforderungen insbesondere vor dem Hintergrund nahezu vollständig gesättigter Märkte und einem sich ständig wandelnden Nachfrage-Verhalten. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, zunächst einen kurzen Überblick zur TIME-Branche und der mit ihr eng verknüpften bzw. einhergehenden Konvergenz zu geben. Der Markt auf der einen und das Produkt auf der anderen Seite sind Quellen vielfältiger Herausforderungen für Unternehmen der TIME-Branche. Im Folgenden werden diese gesondert betrachtet und aus der Betrachtung Implikationen und Schlussfolgerungen abgeleitet. Nach einer Einführung in die allgemeine Erfolgsfaktorentheorie anhand des strategischen Erfolgsfaktorendreiecks (Kosten, Qualität und Zeit) erfolgt dann eine Einordnung des Service als zentrale Ausprägung des Erfolgsfaktors Qualität in der TIMEBranche. Hierzu werden des Weiteren Entwicklungen bzw. Tendenzen auf der Anbieterseite in Form der Schaffung von Erlebniswelten oder dem Angebot von Flagshipstores und dem Wandel auf Konsumentenseite hin zum Prosumenten näher beleuchtet.4
1 2 3 4
Durch die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt 2003 geprägter Werbeslogan für die Einzelhandelskette Saturn. Der Slogan ist mittlerweile nicht mehr in Gebrauch. Werbespruch von Euronics. Vgl. KEUPER (2004), S. VII. Vgl. KEUPER ET AL. (2009).
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH
212
2
TIME-Branche
Die Unternehmen der TIME-Branche5 unterliegen bereits seit Anfang der 90er Jahre einem starken Trend der leistungsbezogenen Kooperation über die Unternehmensgrenzen hinaus.6 Die Kooperationen bedingen eine Vielzahl von Verknüpfungen, die bisherige Branchengrenzen verschwimmen und Multimedia-Wertschöpfungs-Netzwerke entstehen lassen.7 Eine Verschmelzung von Märkten bedingt durch das strategische Verhalten von Unternehmen innerhalb der Märkte, wird dabei als Märktekonvergenz bezeichnet.8 Allgemein bezeichnet Konvergenz jedoch die Übereinstimmung von Meinungen und Merkmalen bei genetisch verschiedenen Lebewesen, das „Nach-Innen-Schielen“ der Augen, das rechnerische Annähern an einen Grenzwert oder auch das Sich-Schneiden von Lichtstrahlen.9 Wirtschaftlich betrachtet beschreibt Konvergenz allerdings „die interaktionistische Beziehung zwischen Wettbewerbsstruktur und der Unternehm[en]sgesamt[…]strategie, welche zu einer Verbindung, Verschmelzung bzw. Annäherung bislang getrennter Märkte führt“10. Diese marktseitige Verschmelzung geht dabei automatisch mit einer produktseitigen Verschmelzung des Angebots-Portfolios der Unternehmen einher, das wiederrum eine marktseitige Verschmelzung verlangt. BRÖSEL und KEUPER definieren dies als Konvergenz-Dilemma („zu entwickelnde konvergente Produkte konvergieren Märkte, konvergierende Märkte bedingen konvergente Produkte“11). Dieser Ansicht folgend wird in den folgenden Kapiteln unterstellt, dass die Unternehmen der TIME-Branche sowohl einem marktseitigen als auch einem produktseitigen Konvergenztrend unterliegen, der die TIME-Branche einerseits charakterisiert und andererseits vor neue Herausforderungen stellt.
2.1
Marktseitige Charakteristika und Herausforderungen
Wird ausschließlich die marktseitige Konvergenz der TIME-Branche beleuchtet, so resultiert daraus eine starke Kopplung der verschiedenen Wertschöpfungsketten,12 wie Abbildung 1 am Beispiel der Wertschöpfungsketten eines Medien-Unternehmens und eines Informationstechnologie-Unternehmens deutlich macht.
5 6 7 8 9 10 11 12
Vgl. BRÖSEL/KEUPER (2004), S.VIII. Vgl. HANS (2006), S. 1. Vgl. KEUPER/HANS (2003), S. 56 ff. Vgl. HANS (2006), S. 1. Vgl. DUDEN (2007), S. 998. BRÖSEL/KEUPER (2006), S.VIII. BRÖSEL/KEUPER (2004), S. VIII. Vgl. HANS (2006), S.108.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
213
Konventionelle Kopplung Mögliche, neue Kopplung Wertschöpfungskette des Informationstechnologiesektors
Entwicklung/ Hersterllung Hardware Produkte
Entwicklung/ Hertsellung BetriebssystemSoftware
Entwicklung/ Hertsellung Anwendungssoftware Vertrieb, Beratung, Schulung Entwicklung/ Herstellung Nachrüstkomponenten
Entwicklung/Herstellung Peripherie-Geräte und Software
Informationsbeschaffung
Inhalteerstellung Druckvorbereitung
Anzeigenmarketing
Kundenservice
Vervielfältigung
Inhalteerstellung
Distribution, Vertrieb, Marketing
Kundenservice
Wertschöpfungskette des Mediensektors am Beispiel des Teilsektors Print
Abbildung 1:
Konventionelle und mögliche neue Kopplungen der Wertschöpfungsketten von Unternehmen der TIME-Branche13
Kopplungen von Wertschöpfungsketten erfordern in erster Linie eine Kooperation von Unternehmen über die Branchen-Grenzen hinaus. Diese Kooperation wird realisiert durch einen entsprechenden Kooperationsvertrag, der Informations-Asymmetrien mangels Know-how verursachen kann. Informations-Asymmetrien bilden die Grundlage opportunistischen Handelns für den Fall, dass die Asymmetrien von einem der Vertragspartner erkannt werden.14 Darauf aufbauend lässt sich konstatieren, dass Unternehmen der TIME-Branche zur nachhaltig erfolgreichen Teilnahme an Wertschöpfungs-Netzwerken eine ausreichende Informationsversorgung sicherstellen müssen, die die Basis der Planung, Steuerung und Kontrolle der eigenen Kooperationen und der Beziehungen zwischen zwei externen Kooperationspartnern bildet.15 Ein zweites typisches Charakteristikum der TIME-Branche, das aufgrund der marktseitigen Konvergenz entsteht, ist die Abnahme der Kundenloyalität begründet durch die erleichterte Informationsbeschaffung über Branchengrenzen hinweg und die zunehmende produktseitige Funktionsintegration und -angleichung, die auf eine Zusammenfassung ökonomischer Nachfrage auf bisher separierten Märkten führt.16 Beispielsweise kann ein Konsument, der einen MP3-Player (als Produkt der Medienbranche) kaufen möchte, durch einen „Click“ im Internet (Inhalte ebenfalls als Produkt der Medien-Branche) Informationen über ein Telefon (als Produkt der Telekommunikations-Branche) generieren, dass wiederrum die Funktion eines MP3Players enthält, und somit ein konvergiertes Produkt auf einem konvergierenden Markt dar13 14 15 16
Darstellung der Wertschöpfungsketten in Anlehnung an ZERDICK ET AL. (2001), S. 62., und S. 136. Vgl. BREUER/BREUER (2008), S. 111. Vgl. HANS (2006), S. 2. Vgl. KEUPER (2001b), S. 393.
HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH
214
stellt.17 In letzter Konsequenz folgt aus dieser Betrachtung, dass Unternehmen der TIMEBranche neue Alleinstellungsmerkmale identifizieren müssen, die über die eigentlichen tangiblen und audio-visuellen Eigenschaften des Produkts hinausgehen. Denkbar wären an dieser Stelle eine Verbesserung und Individualisierung der Kundenbetreuung und des After Sales Management sowie eine allgemeine Optimierung des Service Management.
2.2
Produktseitige Charakteristika und Herausforderungen
Wird ausschließlich produktseitige Konvergenz betrachtet, so ist darin die Verschmelzung der Funktionen von Produkten bzw. die oben beschriebene, verstärkte Funktionsintegration und die damit einhergehende Konvergenz des strategischen Produkt-Portfolios der Kooperationspartner subsummiert, die als Ziel die Kombination komplementärer Leistungen zur Erzeugung eines gemeinsamen Systemprodukts verfolgen.18 Dies impliziert auch eine relative Erhöhung der Variantenvielfalt und damit auch eine Erhöhung der varianteninduzierten Komplexität.19 Als eine Herausforderung aus diesen Bedingungen an Unternehmen der TIME-Branche resultiert die ständige strategische Neuauslegung und Optimierung des eigenen Produkt-Portfolios sowie ein zuverlässiges Variantenmanagement. Als eine zweite Konsequenz aus der Erhöhung der Variantenvielfalt folgt außerdem eine Verminderung der Absatzmenge pro Variante.20 Da die durch Rüstzeiten sowie Einzelfertigung beeinflussten Fixkosten ein Minimum nicht unterschreiten können, bedeutet dies auch eine relative Erhöhung der Stückkosten. Dies führt entweder zu steigenden Marktpreisen21, die sich auf einem Markt mit hoher Konkurrenz und geringen Markteintrittsbarrieren besonders negativ auswirken können, oder einer Veränderung respektive Anpassung der Vertriebsbzw. Marketingstrategie. Als Beispiel hierfür sei ein Hersteller von Druckern und Druckzubehör genannt. Durch die zunehmende Vielfalt an Druckern, beispielsweise Laser, Tintenstrahl, mit Cardreader, mit Kopierfunktion, mit integriertem Fax, etc. sinken die Absatzzahlen einzelner Varianten. Dies führt dazu, dass durch die Verkaufspreise die Deckungsbeiträge häufig nicht erreicht werden, um potenzielle Kunden nicht über zu hohe Einstiegpreise abzuschrecken. Der eigentliche Gewinn wird anschließend mit dem Vertrieb des Zubehörs erzielt, zum Beispiel mit dem Verkauf von Druckertinte. Durch die Konvergenz von Produkten auf konvergierenden Märkten erklärt sich auch die verhältnismäßige Verkürzung der Time-to-Market und damit sowohl der technischen Innovationszyklen als auch des Produktlebenszyklus insgesamt. Dies begründet sich in erster Linie durch die konvergierende Nachfrage der Konsumenten,22 durch die innerhalb kürzester Zeit ein neuer Bedarf entsteht,23 der durch eine Funktionsintegration in ein bestehendes Produkt gedeckt werden kann. Dadurch sind Unternehmen gezwungen, sowohl bestehende bzw. bereits angebotene Funktionen und Dienstleistungen zu optimieren als auch neue Funktionen 17 18 19 20 21 22 23
Beispiel des Mobiltelefons mit MP3-Player und Internetfunktion etc. Vgl. BRÖSEL/KEUPER (2006), S. VIII. Vgl. THIELMANN (2000), S. 9, WIRTZ (2000), S. 5, und HANS (2006), S. 110. Vgl. KEUPER (1999), S. 1 f. Vgl. KEUPER (1999), S. 2. Vgl. hierzu die Grundlagen der Deckungsbeitragsrechnung, in GREVE (2001), S. 87 ff., ZIEGENBEIN (2004), S. 461 ff., und HORVATH (2009), S. 417 ff. Vgl. HANS (2006), S. 119 ff. Vgl. KRIEB (2001), S. 62 ff.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
215
und Dienstleistungen permanent hinzuzufügen. Dies erfordert einerseits ein ausgewogenes und zeitoptimales Innovationsmanagement und andererseits ein hinreichendes Qualitätsmanagement.
Steigende Anzahl an Kooperationen
Sinkende Kundenloyalität
Kürzer werdende Produktlebenszyklen
Abbildung 2:
Steigende Variantenanzahl
Sinkende Absatzmengen pro Variante
Herausforderungen an Unternehmen der TIME-Branche
Die bisher genannten Aspekte der Konvergenz und die aus ihnen entstehenden Herausforderungen für Unternehmen sind in Abbildung 2 zusammengefasst dargestellt.
HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH
216
3
Schlussfolgerungen – Unsicherheit und Variety Seeking
Aus den im vorangegangenen Kapitel dargestellten Charakteristika der TIME-Branche entstehen zwei Aspekte, denen die TIME-Branche zusätzlich unterliegt. Diese sind Unsicherheit und Variety Seeking.
3.1
Unsicherheit
Die meisten betriebswirtschaftlichen Entscheidungsmodelle vereinfachen die Realität, indem Sie von geschlossenen Entscheidungsfeldern ausgehen.24 Realiter ist die betriebliche Entscheidungsfindung aber gerade durch Unsicherheit geprägt. Unsicherheit beschreibt das nicht sichere Eintreten eines Ereignisses oder die Veränderung eines Zustands und wird durch Wahrscheinlichkeitsfunktionen visualisiert.25 Sie entsteht immer aufgrund von Informations-Asymmetrien bzw. unvollkommenen Informationen und existiert sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch auf Seiten der Kunden. Seitens des Unternehmens besteht in erster Linie Unsicherheit über die Entwicklung und den Erfolg von Kooperationen jeglicher Art. Dieser Aspekt wird durch die in Kapitel 2.1 beschriebene, steigende Anzahl strategischer Kooperationen verstärkt und beeinflusst maßgeblich die Investitionspolitik des Unternehmens. Zusätzlich wird die Investitionspolitik über Unsicherheiten über die Entwicklung des Marktes beeinflusst. Da die Marktentwicklung vor dem Hintergrund konvergierender Märkte schlecht vorherzusagen ist, ist das Unternehmen gezwungen, kurzfristigen Markttrends nachzugeben und permanente, von spontanen Marktveränderungen nicht betroffene Alleinstellungsmerkmale zu identifizieren. Unsicherheit auf Seiten des Kunden lässt sich in Ereignisunsicherheit und Marktunsicherheit unterscheiden, wobei sich Marktunsicherheit weiter in Verhaltensunsicherheit und Qualitätsunsicherheit unterteilen lässt.26 Ereignisunsicherheit beschreibt die Unsicherheit über die Veränderung von Umweltzuständen im Allgemeinen. Marktunsicherheit beinhaltet dagegen speziell die Unsicherheit über wichtige Produktdaten der Anbieter. Hierbei umfasst die Verhaltensunsicherheit das Antizipieren opportunistischen Verhaltens der Anbieter gegenüber den Nachfragen seitens der Nachfrager.27 Qualitätsunsicherheit bezieht sich darüber hinaus auf die nicht sicher im Voraus zu beurteilende, tatsächliche Qualität der Produkte der verschiedene Anbieter.28 Vor allem auf Märkten mit vielen Anbietern und vielen, sich ähnelnden Produkten wird dieser Effekt durch unklare Abgrenzungen und Anhäufung von Plagiaten verstärkt. Zur Vermeidung dieser Kundenunsicherheit auf Grund von Informationsasymmetrien sind neue Wege der Information des Kunden seitens des Unternehmens notwendig. Diese Mehrinformation ist ein vom Unternehmen zu erbringender Service und kann, falls die Informationsversorgung über die der direkten Konkurrenten hinaus geht, als neues, permanentes Alleinstellungsmerkmal betrachtet werden.
24 25 26 27 28
Vgl. HEUER/LÖHR (2003), S. 47. Vgl. zur stochastischen Unsicherheit KEUPER (2001a), S. 265. Vgl. HOMBURG/KROHMER (2009), S. 58 f. Vgl. zur Verhaltensunsicherheit WEIBER/ADLER (1995). Vgl. HOMBURG/KROHMER (2009), S. 58.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
3.2
217
Variety Seeking
Durch die ständig abnehmende Kundenloyalität auf konvergierenden Märkten und die permanente Funktionsintegration und damit Reizbildung entsteht das Variety Seeking, als eine neue Form des Konsumentenverhaltens.29 Die Suche nach Abwechslung und Einzigartigkeit veranlasst den Konsumenten dabei, vor allem bei Produkt-Wiederkäufen, das Produkt oder die Marke zu wechseln. Dabei hängt die Wahrscheinlichkeit des Produktwechsels nach FOSCHT/ SWOBODA maßgeblich von folgenden Faktoren ab: ¾ Hohe Anzahl der zur Verfügung stehenden Alternativen, ¾ Kurze Wiederkaufszeit, ¾ Geringes Produkt-Involvement und ¾ Geringer wahrgenommener Unterschied zwischen den Produkten. Der Wunsch nach Abwechslung entsteht hier vor allem durch die zu geringe Stimulierung des Konsumenten bezogen auf ein bestimmtes Produkt.30 Daraus folgt, dass die permanente Identifizierung neuer Alleinstellungsmerkmale oder die Identifizierung eines permanenten Alleinstellungsmerkmals dem Trend des Variety Seeking entgegenwirkt, indem es den Konsumenten über einen langen Zeitraum hinweg stimuliert und somit einen echten Wettbewerbsvorteil für Unternehmen der TIME-Branche darstellt.
4
Erfolgsfaktorentheorie
Die generischen marktorientierten strategischen Erfolgsfaktoren sind Kosten, Qualität und Zeit. Hierbei beschreiben die Kosten als Wirtschaftlichkeitskriterium und somit als Effizienzkriterium – den bewerteten Güterverzehr der betrieblichen Leistungserbringung. Der Faktor Qualität – als Effektivitätskriterium – charakterisiert in diesem Kontext die kundenseitig erwünschte Qualität der unternehmensseitigen Leistung. Die Zeit als drittes Element im strategischen Erfolgsfaktorendreieck ist gleichzeitig Effektivitäts- und Effizienzkriterium, indem sie einerseits die Geschwindigkeit des Prozessablaufs, und andererseits die Flexibilität eines Unternehmens beschreibt.31 Die drei strategischen Erfolgsfaktoren werden über die vom Unternehmen verfolgte Wettbewerbsstrategie abgebildet und auf diesem Wege mit den Konstrukten Effektivität und Effizienz, als zwei Seiten des Unternehmenserfolgs, verknüpft (siehe Abbildung 3).32 In diesem Zusammenhang wird ein strategischer Wettbewerbsvorteil allgemeinhin definiert als eine dem Wettbewerb überlegene Leistung, die sich aus Kundensicht auf ein wesentliches bzw. entscheidendes Merkmal der Leistung bezieht, und vom Kunden schließlich als tatsächlich
29 30 31 32
Vgl. KEUPER (2004), S. 44. Vgl. FOSCHT/SWOBODA (2007), S. 58. Vgl. KEUPER (2004) zur näheren Einordnung und Definition der Begriffe Effektivität und Effizienz. Vgl. KEUPER (2004), S. 3.
HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH
218
vorteilhafte Leistung eingestuft wird. Für das Unternehmen ist diese Leistung durch Dauerhaftigkeit gekennzeichnet und somit nicht direkt imitierbar bzw. substituierbar.33
Zeit
Kunde
Kosten
Abbildung 3:
Qualität
Integratives Erfolgsfaktorendreieck34
Aufgrund sowohl gesellschaftlicher, kultureller als auch informations- und kommunikationstechnologischer Entwicklungen kristallisiert sich mehr und mehr eine inter- und intraindividuelle Heterogenität des abnehmerseitigen Verhaltens heraus. Dabei ist zugleich eine hybride Struktur des Kaufverhaltens zu beobachten.35 Die drei strategischen Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit sind in diesem Zusammenhang bei der Führung und Steuerung von Unternehmen gleichzeitig und gleichwertig von Bedeutung. Das Ziel einer strategischen Unternehmensführung und -steuerung sollte demnach eine kontinuierliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen sein, wobei die Wirtschaftlichkeit an der Effizienz sämtlicher Prozesse und die Wettbewerbsfähigkeit an ihrer Effektivität gemessen werden kann.36 Zur Entwicklung der strategischen Erfolgsfaktorenforschung sei bemerkt, dass in den 60er Jahren weithin eine reine voneinander losgelöste Konzentration und Orientierung auf Kosten und Produktivität bestand. In den 70er und 80er Jahren entwickelte sich dann eine parallele Kosten- und Qualitätsorientierung. Es ist zu erkennen, dass in der Vergangenheit die strategischen Ziele eines Unternehmens als miteinander konkurrierende Ziele betrachtet wurden. Aktuell hingegen zeichnet sich eine simultane Kosten-, Qualitäts- und Zeitorientierung ab.37 Insofern sind die strategischen Erfolgsfaktoren in der heutigen Betrachtung zu komplementären, anstatt miteinander konkurrierenden Zielen, avanciert.
33 34 35 36 37
Vgl. SIMON (1987), S. 386. Vgl. KEUPER/HANS (2003), S. 73. Vgl. KEUPER (2004), S. 41 ff. zur näheren Darstellung und Analyse der Nachfragestrukturveränderungen. Vgl. KEUPER (2004), S 45. Vgl. KEUPER (2001a), S. 12.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
4.1
219
Kosten
Mit diesen bereits erläuterten Evolutionsschritten der strategischen Erfolgsfaktoren begann bereits in den 60er Jahren ein Marktwandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt, hervorgerufen durch weithin gesättigte Grundbedürfnisse im Bereich der Sachgüter. Auf ungesättigten Märkten, d. h. auf Verkäufermärkten, herrscht nahezu keine Kundenorientierung und es wird bereits mit einer Mindesteffektivität unternehmerischer Erfolg erzielt. Der Markt wird dann ausschließlich von Seiten der Anbieter beeinflusst. Hingegen werden auf Käufermärkten Produkte und Services durch die Ansprüche der Kunden bestimmt. Es ist klar erkennbar, dass es heutzutage darum geht, auf gesättigten Märkten die richtige Leistungsqualität zum richtigen Zeitpunkt möglichst kostengünstig zur Verfügung zu stellen,38 um langfristig erfolgreich zu sein. Der strategische Erfolgsfaktor Kosten, als klassisches Kriterium der Wirtschaftlichkeit, stellt somit auf Verkäufermärkten den ausschlaggebenden Erfolgsfaktor dar. Allgemein beschreiben Kosten39 den bewerteten Güterverzehr für die betriebliche Leitungserstellung. Auf den heutzutage vorherrschenden gesättigten Märkten haben sich die Herausforderungen für die Unternehmen deutlich gewandelt – sie müssen wie bereits erwähnt ex ante alle drei strategischen Erfolgsfaktoren erfüllen, d. h. höchste Qualität kundenorientiert, kosten- und zeiteffizient anbieten.40
4.2
Zeit
Einhergehend mit der beschriebenen größtenteils vorherrschenden Marktsättigung ist auch die Wettbewerbsintensität gestiegen. Durch diese Dynamisierung des Wettbewerbs und der damit einhergehenden begrenzten Produktlebenszeiten bzw. verkürzten Produktlebenszyklen sowie einer immer stärker ausgeprägten Angleichung der Produkte (siehe Kapitel 2.1), ist eine aktuell verstärkte Konzentration auf den Erfolgsfaktor Zeit zu beobachten. Es entsteht ein regelrechter Zeitwettbewerb41, der durch die Forderung der Konsumenten nach umgehender Erfüllung ihrer Bedürfnisse verschärft wird. Der strategische Erfolgsfaktor Zeit beschreibt einerseits die Schnelligkeit der Befriedigung der konsumentenseitigen Bedürfnisse bzw. Anforderungen und andererseits die Flexibilität der Reaktion auf Veränderungen im unternehmerischen Umfeld.42 Der Erfolgsfaktor Zeit kann wie bereits erwähnt nicht eindeutig als Effizienz- oder Effektivitätskriterium eingestuft werden und weist somit einen hybriden Charakter auf.43 Verkürzte Abwicklungszeiten wirken z. B. positiv auf die Qualität einer Leistung ein und steigern in der Konsequenz die Effektivität eines Systems, gleichzeitig wird aufgrund verkürzter Abwicklungszeiten i. a. der Mitteleinsatz in Systemen reduziert, woraus wiederum eine Kostenreduktion und damit eine gesteigerte Effizienz des Systems, resultiert. An dieser Stelle wird
38 39 40 41 42 43
Vgl. ROLLBERG (1996), S. 10 f. Vgl. LAYER (1967), S. 21 ff. für eine genaue Einordnung und Definition des Kostenbegriffs. Vgl. KEUPER (2001a), S. 13. Vgl. KEUPER (2001a), S. 129 ff. zur näheren Betrachtung des Time-based Management. Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 10, und KEUPER (1999), S. 132. Vgl. BOGASCHEWSKY/ROLLBERG (1998), S. 10, und KEUPER (1999), S. 132.
HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH
220
erkennbar, dass Effektivität auf eine marktorientierte Zweckmäßigkeit und Effizienz auf den Mitteleinsatz abzielt.44
4.3
Qualität
Qualität als bereits eingeordnetes Effektivitätskriterium hat als strategischer Erfolgsfaktor zum Ziel, die richtige vom Kunden gewünschte anstatt einer maximal möglichen Qualität zu bieten, weil lediglich die vom Kunden akzeptierte und schließlich wahrgenommene Qualität ausschlaggebend ist für den Erfolg. Die unternehmerische Strategie einer Qualitätsführerschaft stellt in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit dar, eine positive Abgrenzung vom Wettbewerb zu erzielen und somit eine Abwendung vom Preiskampf zu erreichen. 45 Dementsprechend erfolgt die Abgrenzung zur Konkurrenz auf Qualitäts- anstatt auf Preis-Ebene. Studien (u. a. die Profit-Impact-of-Market-Strategies (PIMS)-Studie vom Strategic Planning Institute) belegen, dass Unternehmen, die sich aufgrund ihrer angebotenen hohen Qualität von der Konkurrenz abheben, sowohl einen höheren Return on Investment (ROI) als auch einen höheren Return on Sales (ROS) erzielen.46 Der Faktor Qualität wird allgemein definiert, als die Fähigkeit eines Unternehmens, seine internen und externen Kunden (kundenorientierte Betrachtung) auf den folgenden Ebenen kontinuierlich, individuell, vollständig und dauerhaft zu befriedigen: ¾ Produkt, ¾ Prozess, ¾ Service, ¾ Kontakt und Kommunikation.47 Qualität ist daher ein multidimensionaler strategischer Erfolgsfaktor,48 und es werden beim ganzheitlichen Qualitätsbegriff technisch-funktionale und zusätzlich subjektiv wahrgenommene, Zusatznutzen stiftende Eigenschaften beachtet.49 Diese kundenorientierte Qualitätsbetrachtung ist eng verknüpft mit der Kundenzufriedenheit, d. h. Qualität ergibt sich aus der Differenz der kundenseitigen Anforderungen und der anbieterseitigen Erfüllung dieser Erwartungen bzw. Anforderungen.50 Kundenzufriedenheit resultiert dann aus einer Erfüllung bzw. dem Übertreffen von Konsumentenerwartungen.51 Hieraus ergibt sich Qualität als das Ergebnis eines Abgleichs von Soll- und Ist-Zustand, wohingegen eine Kundenzufriedenheit oder im negativen Fall die Unzufriedenheit sich aus der Bewertung dieses Abgleichs ergibt.52 44 45 46 47 48 49 50 51 52
Vgl. KEUPER (2001a), S. 14. Vgl. KEUPER (2001a), S. 13. Vgl. BUZZLE/GALE (1989), S. 91. Vgl. KEUPER (2002), S. 134. Vgl. PORTER (1999), S. 41. Die Begriffe Qualität und Differenzierung weisen demnach eine inhaltlich ähnliche Ausgestaltung auf. Vgl. KEUPER (2001a), S 13. Vgl. BRUHN (2008), S. 39 ff. Vgl. BRUHN (2008), S. 8 f. Vgl. REINECKE/TOMCZAK (2006), S. 997 f.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
221
Kundenzufriedenheit spielt eine wichtige Rolle im Rahmen der Kundenbindung, weil zufriedene Kunden eine stärkere Neigung haben, bei dem bereits bekannten und positiv bewerteten Anbieter erneut zu kaufen bzw. einen Service in Anspruch zu nehmen. Des Weiteren können zufriedene Kunden als Multiplikatoren durch Mund-zu-Mund-Werbung den Anbieter weiterempfehlen.53
5
Service in der TIME-Branche
Die marktseitigen und produktseitigen Charakteristika der TIME-Branche (siehe Kapitel 2.1 und 2.2) und die allgemeinen Entwicklungen auf diesen beiden Seiten bedingen, dass Service insbesondere eine Möglichkeit bzw. eine zentrale Ausprägung des Erfolgsfaktors Qualität zur Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb darstellt und zum Alleinstellungsmerkmal werden kann.
5.1
Service als Schlüssel zum Erfolg
Aktuell kann ein Anbieter auf nahezu gesättigten Märkten – ca. 80 % der Märkte sind als gesättigt einzustufen54 mit geringen Preisdifferenzen und sich stetig angleichenden Produkten der einzelnen Anbieter insbesondere in der TIME-Branche Qualitätsunterschiede und somit Wettbewerbsvorteile kaum noch über produktspezifische Qualität erzielen. Den Kunden fällt es schwer die angebotenen Leistungen der verschiedenen Anbieter objektiv zu unterscheiden; dieses Phänomen der Angleichung der Produkte, wird vor allem durch identische Merkmale und Designs standardisierter Massenware deutlich.55 Hier wird evident, dass das entscheidende Kriterium zur Differenzierung in den produktbegleitenden Leistungen – dem Service – steckt, z. B. Finanzierungs- und Versicherungsangebote, Garantieleistungen, Entsorgung usw. Neben einer fachlichen Beratung vor und während des Kaufs fällt insbesondere der intensiven Betreuung nach der Lieferung, z. B. Installation oder Inbetriebnahme, eine wichtige Bedeutung zu.56 In der bestehenden Literatur existieren diverse Versuche den Begriff des Service zu definieren, jedoch hat sich bisher keine einheitliche Betrachtung/Begriffsbestimmung durchgesetzt. Üblicherweise stellen die Intangibilität, Intransparenz, Immaterialität, der prozessuale Charakter der Leistungserstellung, die Individualität, das höhere Risiko bei Inanspruchnahme bzw. Kauf, Nichtlagerfähigkeit, der Absatz vor Leistungserstellung und die problematische Quantifizierung des Werts die konstitutiven Merkmale zur Beschreibung bzw. Einordnung des Begriffs Service dar.57 BRUHN und MEFFERT definieren Dienstleistungen als „selbstständige, marktfähige Leistungen, die mit der Bereitstellung und/oder dem Einsatz von Leistungsfähigkeiten 53 54 55 56 57
Vgl. HOMBURG/GIERING/HENTSCHEL (2008), S. 111. Vgl. STEINBACH (1997), S. 15. Vgl. STEINBACH (1997), S. 18. Vgl. KEUPER (2001a), S. 103. Vgl. KÜHNAPFEL (1995), S. 22 ff.
HOGENSCHURZ/KEUPER/KOCH
222
verbunden sind, interne und externe Faktoren werden im Rahmen der Leistungserstellung kombiniert sowie die Faktorenkombination des Anbieters wird mit dem Ziel eingesetzt, kundennutzenstiftende Wirkung zu erzielen“58. Es ist deutlich zu erkennen, dass dem Service eine wesentliche Rolle zukommt, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen und darüber hinaus eine möglichst hohe Kundenzufriedenheit zu erreichen und schließlich einen Wettbewerbsvorteil59 zu generieren. Den Unternehmen steht hierbei ein breites Spektrum an Instrumenten zur Verfügung, das materielle Produkt mit immateriellen Leistungen – Service zu ergänzen (siehe Abbildung 4). Zeitpunkt der Leistung Service-Art
Pre-Sales-Leistung
While-Sales-Leistung
After-Sales-Leistung
Technisch
technische Beratung Projektausarbeitung Projektierung
Installation Montage Rücknahme von Altgeräten
Wartung Inspektion Reparatur Hotline Schulungen Ersatzteilversorgung
Kaufmännisch
Produktberatung Werbung Marketing Hotline
Verpackung Zahlungsvereinbarungen Telefonberatung
Umtauschrecht Lieferservice Beschwerdetelefon
Abbildung 4: 5.1.1
Service-Instrumente60 Erlebniswelten
Ein stetiger Wertewandel in der Gesellschaft prägt das Konsumverhalten, Wahlverhalten, Freizeitverhalten und die Orientierung im Arbeitsbereich; hieraus resultiert, dass sich die Konsum- und Freizeitwelten der Menschen in den vergangenen Jahren stets verändert haben. Es ist eine verstärkte Freizeit- bzw. Erlebnisorientierung und Designorientierung zu beobachten, die sich insbesondere in den Wertorientierungen des Hedonismus (z. B. Genuss, Abenteuer, Spannung, Abwechslung, Ausleben emotionaler Bedürfnisse) und des Individualismus (z. B. Kreativität, Spontaneität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit, Eigenständigkeit)61 wiederfinden lassen.62 2030 % der Konsumenten weisen ein hedonistisches Kaufverhalten auf. Dies ist auf individueller Ebene durch kurzfristige und spontane Kaufentscheidungen geprägt und führt demnach bei Aggregation zu einer heterogenen Nachfragestruktur.63 Einhergehend mit
58 59 60 61 62 63
BRUHN/MEFFERT (2001), S. 3. Vgl. SIMON (1988), S. 464 f. zur näheren Betrachtung und Einordnung des strategischen Wettbewerbsvorteil. Vgl. BRÖCHER (1997), S. 106. Vgl. hierzu nähere Ausführungen der Sinus-Milieu Studien unter http://www.sinus-sociovision.de. Vgl. HENNINGS (2000), S. 55 f. Vgl. PILLER (2006), S. 45.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
223
einem gesteigerten Freizeitwert nimmt auch der verstärkte Wunsch nach einer so genannten konsumtiven Erlebniswelt zu.64 Die Generierung eines erlebnisorientierten Kaufumfelds bietet für Unternehmen bzw. Händler insbesondere auf gesättigten Märkten eine Möglichkeit zur Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern. Hierbei existiert die Möglichkeit der Entwicklung erlebnisorientierter Einkaufsstätten bzw. einer erlebnisorientierten Gestaltung des Verkaufsraums, d. h. es steht der Einkaufsprozess im Vordergrund der Betrachtung und nicht das eigentliche Produkt.65 Erlebniswelten sollen beim Konsumenten eine positive Stimmung erzeugen, mit dem Ziel einer ebenfalls positiven Rückwirkung auf das Image des Unternehmens bzw. Händlers. Um diese Ziele zu erreichen, ist es notwendig Erlebnisse zu bieten, d. h. es müssen über die Kaufbefriedigung hinaus zusätzliche Motive des Kunden befriedigt werden.66 Das Einkaufsverhalten wird neben ganz rationalen Bedürfnissen zur Befriedigung bzw. Beseitigung eines Mangels gegenwärtig stark von Emotionen und Erlebnissen gesteuert. Mit zunehmendem Wohlstand der Gesellschaft, u. a. repräsentiert durch ein höheres Bildungsniveau, gestiegene Einkommen und mehr Freizeit, steigt das Streben nach individuellen Produkten67 und Kaufmotive wie Lust, Erregung und Neugier gewinnen immer mehr an Bedeutung. Studien belegen, dass insbesondere eine angenehme Atmosphäre als Beurteilungskriterium eines Erlebniswerts herangezogen wird.68 Eine Erlebnisorientierung wird somit durch eine emotionale Gestaltung des Point of Sale (POS) erzielt, z. B. durch besondere Lichteffekte, Musik, Düfte und generell durch das Store-Layout.69 5.1.2
Digitale Erlebniswelten der TIME-Branche
Auf dem Weg hin zu kundenbezogenen Virtualisierungs-Strategien von Unternehmen, sind die digitalen Erlebniswelten E-Business, M-Business und T-Business zu erwähnen. E-Business bzw. E-Commerce beinhaltet alle Formen der elektronischen Geschäftsabwicklung über öffentliche oder private Computer-Netzwerke (z. B. das Internet).70 Somit wird unter EBusiness die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien zur elektronischen Integration und Verzahnung unterschiedlicher Wertschöpfungsketten und unternehmensübergreifender Geschäftsprozesse sowie das digitale Management von Geschäftsbeziehungen, verstanden.71 Der elektronische Handel in Deutschland erfuhr in den letzten Jahren ein stetiges Wachstum. So lag 2006 der Wert der eingekauften Waren im Internet durch private Verbraucher bei 46 Milliarden Euro und überstieg damit das Vorjahresniveau um 44 % bzw. 14 Milliarden Euro. Bis zum Ende des Jahrzehnts wird ein stetiges Wachstum prognostiziert, so dass Privatkunden 145 Milliarden Euro Umsatz über den elektronischen Handel abwickeln werden. Ein starkes Wachstum zeigt sich ebenfalls im Business-to-Business E-Commerce. Hier
64 65 66 67 68 69 70 71
Vgl. KEUPER (2004), S. 44. Vgl. BRUHN/HOMBURG, (2004), S. 232 f. Vgl. GRUBER (2004), S. 37 f. Vgl. PILLER (2006), S. 45. Vgl. TROMMSDORFF (2009), S. 66 ff. Vgl. BRUHN/HOMBURG, (2001), S. 194. Vgl. HERMANN/SAUTER (1999), S. 14. Vgl. KEUPER (2001a), S. 377.
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lag der Umsatz im Jahr 2006 bei 392 Milliarden Euro und steigt bis 2010 auf 636 Milliarden Euro an.72 Ein spezieller Teilbereich des E-Business ist das M-Business, das Transaktionen über mobile Endgeräte wie z. B. Mobiltelefon oder Personal Digital Assistant (PDA) beinhaltet.73 Der Markt für M-Business wird somit dadurch determiniert, inwieweit die Bevölkerung mit mobilen Endgeräten ausgestattet ist und ob sie hierbei Technologien nutzt, die hohe Potenziale für das MBusiness beinhalten. Diese Voraussetzungen sind in Deutschland gegeben: Nach einer Studie der BBDO Consulting werden bis zum Jahr 2010 ca. 90 % der Bevölkerung ein Mobiltelefon nutzen, zudem wird die Anzahl an Personen, welche UMTS nutzen, bis zu diesem Zeitpunkt auf fast 35 Millionen steigen.74 T-Business oder T-Commerce kann als umsatzrelevante Transaktion definiert werden, die über das Medium TV als Distributionskanal abgewickelt werden. T-Business beschreibt damit nicht lediglich den Austausch von PC und TV als Medium im Vergleich zum E-Business. Einerseits subsummiert T-Business klassische Pay-TV-Angebote, On-Demand-Angebote, d. h. den Abruf von Angeboten bzw. Filmen zu individuell bestimmbarer Zeit und andererseits das TV-Gerät als Online-Device (z. B. Streaming, Online-Gaming, Fast Internet, Mail und iTV), d. h. das TV-Gerät entwickelt sich zur regelrechten Kommunikationsinfrastruktur.75 Dieser Trend wird insbesondere durch die Tatsache, dass das TV-Gerät bzw. Fernsehen das am meisten verbreitete Medium in deutschen Haushalten ist, verstärkt. Somit wird T-Commerce zum dritten Baustein einer komplementären Erlebniswelt, welche eine channel-übergreifende (E-/M- und T-Business) Kunden-Fokussierung ermöglicht, und sich aufgrund der herrschenden Konvergenz76 zu einem C-Business (Converged Business) entwickelt. 5.1.3
Flagshipstores
Im Gegensatz zu Erlebniswelten steht bei so genannten Flagshipstores das Markenerlebnis – das Produkt, der Service – im Vordergrund. Flagshipstores beschreiben exklusive Geschäfte, die das gesamte Sortiment einer Marke anbieten. Diese sind meist nur in geringer Anzahl in repräsentativer Lage in internationalen Großstädten verortet. Sie sind geprägt durch eine exklusive Gestaltung, um die Identität und den Lifestyle der (Luxus-)Marke zu vermitteln sowie qualitative Standards zu setzen und somit selbst zum Markenimage und zur Kundenbindung beizutragen. In dieser Art von Geschäften geht es primär um die Atmosphäre; nicht der Verkauf sondern dass Marken-Erlebnis steht im Vordergrund, wodurch eine emotionale Bindung bei den Kunden aufgebaut werden soll. Es wird ein exklusives Kauf-Erlebnis geboten, dies bezieht einerseits das Streben der Kunden nach Erlebnis mit ein und andererseits spricht es das Phänomen „die Marke fühlen“ am POS an.
72 73 74 75 76
Vgl. online BITKOM (2006). Vgl. BUSE (2002), S. 9. Vgl. BBDO (2001), S. 2 Vgl. HÜNING/MORATH (2003), S. 171. Vgl. KEUPER (2004), S. 47 ff. zum Begriff der Konvergenz.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
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Der Marke kommt eine hohe Bedeutung zu, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine ausgeprägte Tendenz, vor allem im Kreis der kaufkräftigen Konsumenten, zu beobachten ist, sich durch eine individuelle Produktwahl zu profilieren. In diesem Zusammenhang ist jedoch ebenfalls ein stärker ausgeprägter Wunsch nach Neuheit und Abwechslung zu beobachten, wodurch tendenziell die Markentreue an Bedeutung verliert (siehe Kapitel 3.2 zu Variety Seeking),77 umso mehr muss auf ein markenkonformes Auftreten auf allen Ebenen im Unternehmen geachtet werden. Eine Marke ist die Summe aller Vorstellungen, die ein Markenname oder ein Markenzeichen bei den Kunden hervorruft bzw. hervorrufen soll, um die Produkte oder Services des Unternehmens von denen der Konkurrenz zu differenzieren.78 Diese Vorstellungen in den Köpfen der Kunden werden durch Namen, Begriffe, Zeichen, Logos, Symbole oder auch durch Kombinationen geprägt und zur Identifikation und als Orientierung bei der Produkt- oder Serviceauswahl genutzt. Ein Produkt bzw. Service kann nur dann erfolgreich sein, wenn es/er die Konsumenten-bezogenen Anforderungen bzw. Funktionen der Marke in hohem Maß erfüllt.79 Eine Marke stellt ein Versprechen an die Kunden dar, gleichbleibende Qualität zu gewährleisten. Wenn eine Marke es erfolgreich geschafft hat, ein positives Bild und Assoziationen bei den Konsumenten zu prägen, muss dies stringent auf allen Ebenen kommuniziert und gelebt werden, so dass die Zielpersonen dieses konforme Bild beibehalten. Am POS stellt sich hierbei die Herausforderung für Unternehmen die Produkte und produktbegleitenden Services markenkonform anzubieten und zu präsentieren. Der Kunde muss in allen Bereichen die Marke erleben bzw. fühlen. Die Schnittstelle zwischen Marke und Kunde liegt somit bei den Mitarbeitern eines Unternehmens. Das Markenversprechen, das durch das Unternehmen aufgebaut wird, darf nicht durch diese Marken-Botschafter getrübt werden. Um ein Markenimage erfolgreich zu vermarkten, ist es zwingend notwendig, dass auch die Mitarbeiter des Unternehmens nach der eigenen Marke handeln. Wenn eine Marke z. B. für Einfachheit steht, dann erfordert die Marken-Konformität, dass sich diese Eigenschaft auch in allen Prozessen mit dem Kunden widerspiegelt z. B. bei der Service-Abwicklung sowie bei der Ansprache der Kunden.80
77 78 79 80
Vgl. KEUPER (2004), S. 44. Vgl. BRUHN/HOMBURG (2004), S. 478 f. Vgl. BRUHN/HOMBURG (2004), S. 478 f.. Vgl. ESCH (2006), S. 20.
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5.2
Wandel vom Konsumenten zum Prosumenten
Ein weiterer Trend beherrscht aktuell insbesondere auch die TIME-Branche – die Verschmelzung des Konsumenten und des Produzenten, d. h. ein so genannter Prosument tritt auf dem Markt auf. An die Stelle standardisierter Produkte steht der Kunde zunehmend individualisierbaren abgestimmte Produkten bzw. Services gegenüber. Dieser Trend kann mithilfe der Bedürfnispyramide von MASLOW81 und durch eine soziologisch begründete Argumentation der Individualisierung argumentativ untermauert werden.82 Entsprechend dieser beiden Sichtweisen werden standardisierte Massenprodukte als Widerspruch zum eigentlichen menschlichen Bedürfnis nach Abwechslung und Neuheit angesehen. Insbesondere im Kreis der kaufkräftigen Konsumenten herrscht ein Streben nach Profilierung durch eine individuelle Produktwahl.83 Der aktuelle Verbraucher ist somit häufig nicht mehr nur Konsument, sondern vor allem Prosument84. Das heißt, dass der Kunde zum Co-Designer der Produkte und Services wird. Er kauft und nutzt die Produkte nicht lediglich, sondern liefert gleichzeitig Informationen für ihre Verbesserung und Konfiguration. Die Marke wird hierbei zur Nebensache, der Kunde wählt individuell und schnell; statt produkt- ist der Kunde nutzenorientiert, aufgeklärt und vom Informationsüberangebot tendenziell abgeschreckt. Unternehmen sind daher gezwungen auf die Wünsche der Verbraucher nach individuellen Produkten und individueller Beratung einzugehen.85 So ist z. B. in der Medien-Branche eine Abkehr vom reinen Konsum der Medieninhalte zu beobachten, d. h der Konsument wird auch hier zum aktiven Mitgestalter. Dementsprechend bieten nutzengenerierte Inhalte in Applikationen (z. B. Wikis, Podcasts und Blogs) die Möglichkeit, das Internet inhaltlich zu bestimmen, d. h. die Nutzer werden befähigt, auf Botschaften der Medienmarken aktiv (z. B. durch Bewertungen) in Form von User Generated Content zu reagieren. Die entstehende Kommunikation zwischen den Unternehmen und ihrer aufgeklärten Kundschaft findet im Medium Internet nahezu auf Augenhöhe statt.86 Es findet eine Art Rollentausch der eigentlichen Produzenten und Konsumenten statt, wodurch die Medienlandschaft aktuell stark geprägt wird.
81 82 83 84 85 86
Vgl. MASLOW (1943). Vgl. SCITOVSKY (1989), S. 210 ff., und BECK (2007), S. 206 f. Vgl. KEUPER (2004), S. 44. Der Begriff des Prosumenten wurde erstmals vom Futurologen ALVIN TOFFLER im Jahr 1970 beschrieben, Vgl. TOFFLER (1970). Vgl. online BDV BUND DER VERBRAUCHER E. V. (2005). Vgl. ECK (2007), S. 21.
Service als Erfolgsfaktor in der TIME-Branche
Klassisch:
Unternehmen
Inhalte erstellen
Aktuell:
Abbildung 4:
6
227
Nutzer
Nutzer
Inhalte bündeln
Inhalte distribuieren
Inhalte konsumieren
Nutzer
Ehemalige und aktuelle Rollenverteilung der Unternehmen und Nutzer87
Fazit
Die dargelegte Betrachtung des Service als Ausprägung des Erfolgsfaktors Qualität in der TIME-Branche macht deutlich, dass vor dem Hintergrund markt- und produktseitiger Herausforderungen einerseits und diverser Veränderungen auf Anbieter- sowie Nachfrager-Seite andererseits, Service als effizientes und effektives Differenzierungskriterium für Unternehmen auf nahezu gesättigten Märkten mit hoher Wettbewerbsintensität eingestuft werden kann. Der Wandel hin zur starken Individualisierung und damit einhergehenden Entwicklung des so genannten Prosumenten sowie Netzwerkeffekte und ein ausgeprägter Coopetition-Wettbewerb ermöglichen es Unternehmen, hybride Positionen einzunehmen. Die wachsende Dynamik insbesondere in der TIME-Branche bedingt demzufolge, dass Unternehmen ein verstärktes Augenmerk auf das Service Management legen müssen. Es wurde gezeigt, dass insbesondere die produktbegleitenden Leistungen der Service – in Medienunternehmen bzw. in der sich ständig entwickelnden und wandelnden TIME-Branche als Erfolgsfaktor gelten, um sich vom preisaggressiven Wettbewerb abzusetzen und den Kunden einen Mehrwert zu bieten. Dabei kann Service in verschiedener Ausgestaltung auftreten z. B. in Form von Finanzierungs- und Versicherungsangeboten, Garantieleistungen, Entsorgung von Altgeräten u. v. m.
87
Vgl. online HESS (2007), S. 9.
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Des Weiteren subsummiert Service eine umfangreiche Beratung durch die Mitarbeiter vor, während und nach dem Kauf. Die so genannten Erlebniswelten auf der einen Seite und Plattformen für ein exklusives Marken-Erlebnis, z. B. Flagshipstores auf der anderen Seite bieten einen zusätzlichen Nutzen für die Kunden. So steht bei den erstgenannten Formen der Prozess des Kaufs im Vordergrund wohingegen in den Exklusivgeschäften des Flagshipstores der Fokus auf dem angebotenen Produkt bzw. dem begleitenden Service liegt. Insbesondere die Mitarbeiter, die als Marken-Botschafter agieren, stellen eine herausragende Rolle im Service Management dar. Sie sind häufig diejenigen, an denen der Service eines Unternehmens durch den Kunden bewertet wird.
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Neue Chancen im Service Management durch Sprachbiometrie FRANK BAUMGÄRTNER TellSell Consulting
1
Ausgangslage: Die Service-Center-Industrie im Spagat zwischen Kostenoptimierung und Serviceverbesserung ............................................................................................... 235 2 Biometrische Anwendungen im Überblick.................................................................... 237 2.1 Biometrische Anwendungsformen....................................................................... 237 2.2 Einsatzgebiete biometrischer Anwendungen ....................................................... 239 2.3 Marktvolumen biometrischer Anwendungen....................................................... 242 3 Sprachbiometrische Anwendungen sind marktfähig für das Service Management ....... 243 3.1 Funktionsweise sprachbiometrischer Anwendungen ........................................... 243 3.2 Rechtliche und gefühlte Sicherheitsaspekte von sprachbiometrischen Anwendungen ...................................................................................................... 245 3.3 Sprachbiometrische Anwendungen im Überblick................................................ 246 3.3.1 Anwendungscluster: Nutzung vertraulicher Daten durch Dritte (Kundenschnittstelle)............................................................................... 247 3.3.2 Anwendungscluster: Bestell-, Leistungs- und/oder Zahlungsvorgänge... 248 3.3.3 Anwendungscluster: Sicherheitsschlüssel für vertrauliche Informationen und Vorgänge (Self-Service-Automation) ....................... 249 3.3.4 Anwendungscluster: Weitere Anwendungsformen der Sprachbiometrie 250 3.4 Vor- und Nachteile sprachbiometrischer Anwendungen aus Sicht der Nutzer und Betreiber........................................................................................................ 250 4 Diffusionsmodell für die Verbreitung der Sprachbiometrie durch ein Trust Center...... 251 5 Blick in die Zukunft: Anwendungen der Sprachbiometrie als Effizienz-, Sicherheitsund Servicetreiber .......................................................................................................... 255 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 257
Service Management durch Sprachbiometrie
1
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Ausgangslage: Die Service-Center-Industrie im Spagat zwischen Kostenoptimierung und Serviceverbesserung
Service Center sind heute nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich relevant. Allein in Deutschland arbeiten hier inzwischen rund 330.000 Mitarbeiter an der Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kunden. 2013 werden es bereits 384.000 sein1. In ganz Europa liegt die Zahl der Service-Center-Mitarbeiter bei 2,29 Mio., bis 2013 wird diese Zahl auf 2,59 Mio. steigen.2 Für die deutsche, heute sehr personalintensive Service-CenterIndustrie ist der Kostendruck hoch – nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Lohnkosten im Call-Center-Segment. So liegt die durchschnittliche Lohnsumme pro Stunde in Europa zwischen 21 und 25 EUR.3 Der direkte Vergleich mit Ländern wie Tschechien (13,50 EUR), Polen (13 EUR), Mexiko (11,50 EUR) oder Russland (7 EUR) macht den eklatanten Lohnunterschied deutlich – und das vor allem, weil überall vergleichbar einfache Routinetätigkeiten mit ähnlichem Qualitätsniveau abgewickelt werden können. Daraus ergeben sich für die Service Operations zwei miteinander verbundene strategische Herausforderungen. Zum einen sind Service-Anwendungen an der Kundenschnittstelle ein wichtiges Differenzierungsmerkmal im Markt: Unternehmen wollen durch immer bessere Erreichbarkeit, immer schnellere Fallbearbeitung und immer besser ausgebildete Mitarbeiter bei ihren Kunden punkten. Gleichzeitig erwarten Kunden immer mehr von ihnen, auch weil Service-Unternehmen durch Testberichte zunehmend vergleichbar werden. Dieser Wettbewerb erzeugt zum anderen auch einen wachsenden Kostendruck. Wer die Nase vorn haben will, muss also nicht nur besser und schneller werden, sondern auch effizienter. Während die Professionalisierung der Service Center Ende der 80er Jahre mit externen Outsourcing-Centern erst begann, waren die 90er Jahre geprägt von technologischen Innovationen: Automatic Call Distribution (ACD), Computer Technologie Integration (CTI), Interactive Voice Response (IVR) und Databasemanagement bzw. Customer Relationship Management (CRM) sind nur einige der Neuerungen, die den Kunden einen immer besseren, vor allem telefonischen Service brachten und Effizienzgewinne generierten. Das AktienInformationsforum, das im Rahmen des Börsengangs der Deutschen Telekom entstand, löste seinerzeit als Benchmark eine Welle der weiteren Virtualisierung und Industrialisierung der Call Center aus: In diesem Forum registrierten sich immerhin vier Mio. Aktieninteressierte, und ca. 12 Mio. Anrufe wurden in vier Monaten in vier internen und acht externen CallCentern abgewickelt. Wachsende Investitionen in Prozessverbesserungen und Technologien zur verteilten (Kunden-)Datenverfügbarkeit ermöglichten den Betrieb von virtuellen ServiceCentern, also von Centern an unterschiedlichsten nationalen und internationalen Standorten. Ab Ende der 90er Jahre begannen Unternehmen damit, viele Pre- und Aftersales-Services komplett über das Internet abzuwickeln. Dies führte zunächst dazu, dass „Internet“ und „Sprache“ oft in unterschiedlichen unternehmerischen Organisationseinheiten angesiedelt waren, deren Re-Integration inzwischen in vollem Gange ist.
1 2 3
Vgl. DATABOOK (2008). Vgl. DATAMONITOR (2008b). Vgl. DATAMONITOR (2008a).
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
236
BAUMGÄRTNER
Steigende Kosten für Personal, die Fraud-Vermeidung und einen wachsenden Schulungsbedarf der Mitarbeiter konnten jedoch nicht durch Kostensenkungen ausgeglichen werden, die mit neuen Technologien, Steuerungstools, Prozessverbesserungen und dem Near- und Offshoring verbunden sind. In diesem Wettrennen siegen die Kostensteigerungen regelmäßig über die Einsparungen durch Prozessverbesserungen. Mittlerweile geht der Trend – auch getrieben durch Veränderungen der mobilen Endgeräte – klar dahin, alle Medien wieder zu integrieren, sodass der Kunde in Zukunft medienunabhängig mit dem Unternehmen kommunizieren kann. Entsprechende Prozess- und Steuerungsmethoden rangieren heute auf der Evolutions- und Business-Development-Agenda für einen besseren und effizienteren Kundenservice weit oben. Evolutionsstufen Sprachbiometrische Anwendungen
Self- und TrustedServicestrategien „Automation“
Virtuelle Workflows
Virtuelle ServiceCenterLandschaften „Virtualisierung“ Technologische und prozessuale „Technologiedominanz“
Outsourcing im Nearund Offshoring Inhouse und Outsourcing als virtuelle Gesamtheit Medienunabhängige Servicestrategien „Konvergenz“; Fallbearbeitung unabhängig von Medien CTI-, IVR-, ACDTechnologien Kundengesamtsicht ermöglicht fallabschließende Bearbeitung am Telefon Aufbau professioneller Call-Center im und außerhalb des Unternehmen(s)
Industrie und Professionalisierung „Marktentstehung“
Zusammenführung von Telefonzentralen
1985
Abbildung 1:
1990
1995
2000
2005
2010
ff
Effizienz- und Kostenoptimierungen im Service Center im Zeitablauf
Ein Thema stand und steht im Service Management aber immer wieder im Fokus: Wie ist der Anrufer zuverlässig und in kürzester Zeit zu identifizieren und wie kann ein Agent dessen Daten und Vorgänge schnell auf den Bildschirm bekommen? Hinzu kommt eine neue Herausforderung: der Schutz persönlicher Daten in der Kundenbetreuung und die Vermeidung von Identitätsdiebstahl. Insgesamt bewegt sich das Service Management also in dem Spannungsfeld, einen exzellenten Service zu bieten, gleichzeitig effizient und kostenoptimiert zu wirtschaften und zudem Daten und Identität der Kunden zu schützen. Im Zuge wachsender Self Automation und der umfassenden Transaktionsabwicklung einschließlich automatisierter Bezahlfunktionen rückt damit die Sprachbiometrie („Voice Biometrics“) in den Fokus. Denn sie adressiert alle drei Dimensionen gleichzeitig: Kostensenkung, Serviceverbesserung und Datensicherheit.
Service Management durch Sprachbiometrie
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Heute werden immer mehr Transaktionen komplett über Telefon oder Internet abgewickelt – etwa Bankgeschäfte, Kontenabfragen, Homeshopping und Bestellungen, um nur ein paar zu nennen. Auch Bürger und Staat kommunizieren zunehmend telefonisch miteinander. Alle Transaktionen, die mit einer Zahlung oder Leistung verbunden sind, erhöhen erheblich die Komplexität der jeweiligen Prozesskette. Authentifizierungen, Bonitätsprüfungen, Scorings, Bezahlabwicklungen und Inkasso sind Prozessschritte, die bewältigt werden müssen – stets verbunden mit einem wirksamen Schutz vor betrügerischer Manipulation.
2
Biometrische Anwendungen im Überblick
Die Kriminalität nimmt zu – die Bundesagentur für Arbeit meldet z. B. den Doppelbezug von Leistungen im großen Stil. Die BILD-Zeitung titelt: „Hunderte Staatsdiener kassieren doppeltes Kindergeld“ – der Schaden betrage 6,5 Mio. EUR. Andere Schlagzeilen aus der BILD lauten: „Telekom: Über 17 Mio. Datensätze geklaut“, „Schäuble verspricht mehr Härte gegen Datenklau – 21 Mio. Kontodaten geklaut“ und „Passwortklau! Wie gefährdet sind die UserSpamer“. In diesen Meldungen sind auch Warnungen enthalten: „Wer sogar für seine OnlineGeldgeschäfte das gleiche Passwort verwendet wie für harmlose Blogs, öffnet Hackern Tür und Tor – und die eigenen Konten!“ Nach Angaben des BKA ist ein massiver Anstieg der Manipulationen an Geldautomaten zu verzeichnen – 2008 um 78% im Vergleich zum Vorjahr. Demnach sind rund 2.400 der insgesamt 50.000 Geldautomaten in Deutschland betroffen. Durch den Missbrauch gefälschter Debitkarten entstand nach Schätzungen des BKA ein Schaden von über 40 Mio. EUR. Verhindert werden könnte dies durch eine Authentifizierung mit Hilfe biometrischer Daten. Eine Authentifizierung ist überall dort erforderlich, wo der Zugang zu bestimmten Daten und Räumlichkeiten nicht der Allgemeinheit gewährt werden soll, sondern nur einem bestimmten Personenkreis. Die Authentifizierung – also die Überprüfung, ob die behauptete Identität mit der tatsächlichen übereinstimmt – ist damit eines der großen Sicherheitsziele im Informationszeitalter.
2.1
Biometrische Anwendungsformen
„Biometrie“ leitet sich aus dem griechischen „bios” (Leben) und „metron” (messen) ab. Mit Hilfe biometrischer Verfahren werden Körper- und Verhaltensmerkmale hard- und softwareunterstützt automatisch analysiert und abgeglichen – etwa Merkmale des Fingerabdrucks, der Iris, der Retina, der Stimme, der Unterschrift, des Gangs, der Gestik oder der Gesichtsmimik. Biometrische Verfahren sind deshalb so vielversprechend, weil jeder Mensch individuelle biometrische Merkmale hat. Sie sind nicht nur mittelbar personenbezogen, sondern auch unmittelbar personengebunden, was sie von Wissens- und Besitzelementen (wie z. B. PIN und Karte) unterscheidet. Zudem können sie im Unterschied zu Passwörtern und EC-Karten nicht verloren gehen oder anderen Personen übertragen bzw. weitergegeben werden und sie können und müssen nicht geheim gehalten werden. Biometrische Daten hat der „Besitzer“ jederzeit und an allen Orten bei sich.
238
Kosten
BAUMGÄRTNER
Stimme
Fingerabdruck
Retinatastung
Gesichtserkennung
Betrieb
Mittel
Hoch
Sehr hoch
Gering
Investition
Gering
Mittel
Mittel
Mittel
Nein
Ja
Ja
Ja
Sehr Hoch
Sehr hoch
Sehr hoch
Hoch
Sehr gut
Mittel
Mäßig
Hoch
Nein
Ja
Ja
Ja
Ausrüstung am Access Point Sicherheit/ Genauigkeit Anwenderfreundlichkeit Anwesenheit des „Trägers“ erforderlich
Abbildung 2:
Gegenüberstellung der unterschiedlichen Biometrieverfahren4
Die verschiedenen biometrischen Verfahren haben nicht alle die gleichen Anwendungs- und Sicherheitsstandards – verglichen mit anderen Identifizierungsverfahren sind sie jedoch stets sicherer. Unterschieden werden biometrische Verfahren und Systeme. Ein biometrisches Verfahren ist ein Mechanismus zur Authentifizierung eines Menschen über seine persönlichen biologischen Eigenschaften mit Hilfe entsprechender Erkennungsgeräte. Ein biometrisches System ist ein kombiniertes Hard- und Software-Gefüge zur biometrischen Identifikation oder biometrischen Verifikation der Identität, das biometrische Verfahren verwendet. Dabei folgt die biometrische Erkennung stets einem einheitlichen Prinzip mit folgenden Komponenten – und zwar unabhängig von ihrem oft sehr individuellen technologischen Aufbau: ¾ Personalisierung oder Registrierung des Nutzers (Enrolment), ¾ Erfassung der biometrisch relevanten Eigenschaften der Person, ¾ Erstellung von Datensätzen (Templates), ¾ Vergleich der aktuell präsentierten mit den zuvor abgespeicherten Daten (Matching). Jede Anwendung ist jedoch nur dann effizient, wenn eine kritische Zahl von Menschen an der erstmaligen Erfassung und Speicherung der biometrischen Merkmale, dem Enrolment, teilnimmt oder – bei kleinen Anwendungen – nur ein ausgewählter Personenkreis daran teilnehmen darf. Die Daten, die das Enrolment liefert, können dann mit den Daten verglichen werden, die im Rahmen der jeweiligen Anwendung aktuell generiert werden. Ein solches Enrolment kann auf gesetzlicher Basis oder im Zuge einer freiwilligen Registrierung erfolgen – je nach Anwendungsgebiet. Vor allem bei einer unfreiwilligen Registrierung sind wir mitten in der öffentlichen Diskussion über Datenschutz und den „gläsernen Bürger“.
4
Vgl. HERDA (2008) und OGDEN (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie
2.2
239
Einsatzgebiete biometrischer Anwendungen
Heute werden biometrische Verfahren in den unterschiedlichsten Konstellationen eingesetzt: im privaten Umfeld, in Unternehmen und Organisationen und – hier wird künftig ein Schwerpunkt liegen – im öffentlichen Umfeld. Alle biometrischen Anwendungen beruhen auf relativ einfachen Techniken. Ihrer Einführung stehen vor allem emotionale Barrieren entgegen. Im privaten Lebensbereich können biometrische Anwendungen die Verfügung über die persönlichen Daten sichern. Damit ist ein Zugewinn an Convenience und Sicherheit verbunden, aber auch ein Paradigmenwechsel: vom Haben und Wissen (Karte und PIN) zum Sein (Biometrie). Zumindest muss dabei dem Bundesdatenschutzgesetz gefolgt werden, weitere Regeln können auf freiwilliger Basis im Rahmen der geschlossenen Nutzergruppen ausgehandelt werden. Eine naheliegende und vielversprechende Lösung ist z. B. die private Zugangskontrolle zum eigenen Heim. Schon bald wird es möglich sein, Häuser nur noch mit dem Fingerabdruck oder der Voice-Identifikation an der Haustür zu öffnen oder zu schließen. Damit lassen sich auch Alarmanlagen ein- und ausschalten oder Swimmingpools „kindersicher“ machen. Verlorene Schlüssel gehören dann der Vergangenheit an – ebenso wie die bisher üblichen Dauerkarten, etwa für den „Erlebnis-Zoo Hannover“: Dort wurden an den Eingängen neben den Kartenlesern digitale Kameras für eine schnelle Gesichtserkennung installiert. Sie erlauben es Dauerkarteninhabern, schnell und einfach den Zoo zu betreten, und verhindern, dass Karten missbräuchlich übertragen werden. Auf die gleiche Weise kann Personen der Zugang zu Einrichtungen oder Gebäuden selektiv gestattet werden: Casinos kommen ihrer gesetzlichen Überwachungspflicht mit einer automatischen Gesichtserkennung nach, wenn sie registrierte Gäste über die Casino-Karten-Nummer und die „Gesichtsverifikation“ eindeutig identifizieren können. Anschließend kann der Zugang entweder erlaubt oder auf Wunsch des Gastes, z. B. wegen eines erhöhten Suchtpotenzials, verweigert werden. Um beispielsweise die Computerarbeitsplätze an einem Hamburger Gymnasium zu schützen, hat die Schulleitung als Zugangskontrolle eine biometrische „Fingerabdruck-Schleuse“ eingeführt. Die Schüler müssen nicht auf eine Aufsichtsperson warten, brauchen weder Schlüssel noch Chipkarte und können jederzeit die Räume betreten. Biometrische Daten können jedoch auch im Rahmen finanzieller Transaktionen eine Rolle spielen. Eine EDEKA-Regionalgemeinschaft will in ihren Märkten innovative Zahlungssysteme einsetzen, die sich die biometrische Einmaligkeit des Fingerabdrucks zunutze machen. Das System befindet sich zurzeit im Flächen-Rollout – im Vorfeld haben sich schriftlich 150.000 Teilnehmer zur Erfassung aller zahlungsrelevanten Daten bereit erklärt. Der Bezahlvorgang „per Fingerabdruck“ ist simpel: An der Kasse wird nicht nur die Ware gescannt, sondern auch der Fingerabdruck, der anschließend mit einem zuvor registrierten Datensatz verglichen wird. Stimmen beide überein, werden die notwendigen Daten zur Zahlungsabwicklung an die Kasse zurückgegeben und der Zahlungsvorgang wird abgeschlossen. Eine Kombination aus Bezahlmöglichkeit und Kundenkarte wäre zusätzlich denkbar. Heute schon können die Kunden des Kundenclubs eines zehn Fachgeschäfte umfassenden Mode- und Sportcenters „per Fingerabdruck“ Bonuspunkte sammeln. So kann die altbewährte Kundenkarte ersetzt werden.
240
BAUMGÄRTNER
Der Einsatz in Unternehmen und Organisationen betrifft vor allem die Zugangssicherung – nur zuvor definierte Personen erhalten nur zu gewissen Zeiten Zugang zu bestimmten Orten. Dazu werden Rollen und Identitäten verwaltet und mit individuellen Kennungen und Berechtigungen verbunden. Den rechtlichen Rahmen setzt das jeweilige Innenverhältnis zwischen Unternehmen und Mitarbeitern. Die Verbindlichkeit gesetzlicher Vorgaben wird durch eine möglicherweise verpflichtende Teilnahme an einer geschlossenen Benutzergruppe nicht tangiert. Per Fingerabdruck wurde während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zunächst die Zugangskontrolle am Mitarbeitereingang der „adidas World of Football“ am Berliner Reichstag abgewickelt. In ausländischen Stadien werden bereits – gekoppelt mit einer Dauerkarte – biometrische Daten bei der Zugangskontrolle im großen Stil eingesetzt. Während der Olympischen Spiele 2006 in Turin konnte das „Deutsche Haus“ – nach einer Akkreditierung – nur mit einem Ausweis betreten werden, der neben einem Foto einen Fingerabdruck enthielt. Auch niederländische Fußballstadien erproben den Zugang mit biometrischen Verfahren. Dazu wird eine Blacklist aller mit Stadionverbot belegten Personen erstellt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis biometrische Daten grundsätzlich den Zugang zu Großveranstaltungen regeln. Der Deutsche Sparkassenverband schützt seine Hochsicherheitsbereiche mittels Zugangskontrolle auf Basis von Fingerabdrücken. Und während bei der „Allianz Spanien“ früher jeder Mitarbeiter durchschnittlich sechs Passwörter brauchte, um sich in den IT-Systemen zu bewegen, sind viele dieser Zugangsberechtigungen heute an den Fingerabdruck des Mitarbeiters gekoppelt – ein klarer Effizienz- und Komfort-Gewinn. Einige Privatbanken bedienen sich biometrischer Zugangs- und Zeiterfassungssysteme. Die schweizerische Privatbank Pictet & Cie. nutzt die Iris- und die 3D-Gesichtserkennung zur Identifikation bei Zugangsberechtigungen. Tests bestätigten nicht nur die nahezu vollständige Fehlerfreiheit dieser Verfahren, sondern auch eine hohe Akzeptanz durch die Beschäftigten. Ähnliche Erfahrungen – verbunden mit erheblichen Kosteneinsparungen – machen auch verschiedene Kliniken und das niedersächsische Justizministerium. Sehr spannend – und politisch – wird die Diskussion über den Einsatz biometrischer Anwendungen im hoheitlichen Bereich. Weitgehend akzeptiert sind sie in der Kriminaltechnik. Im Luftverkehr sowie bei der Sicherung der EU-Außengrenzen werden sie mit der veränderten Sicherheitslage und dem Schutz der Bürger begründet. Auch hier herrscht noch weitgehend Konsens. Ohne manuelle Grenzkontrolle können mit Hilfe automatisierter, biometriegestützter Verfahren am Flughafen Frankfurt/Main im Non-Schengen-Flugverkehr Personen die Grenze passieren, deren Ein- und Ausreise grenzpolizeilich unproblematisch ist. Bislang haben sich mehr als 20.000 Passagiere freiwillig für diese Einreiseform registrieren lassen. Insgesamt passieren nach Angaben der Financial Times Deutschland (FTD) jährlich knapp 800 Mio. Reisende die Kontrollstellen der EU. Jede herkömmliche Ausweiskontrolle kostet durchschnittlich 3,68 Dollar. Mit automatisierten Kontrollen lässt sich viel Geld sparen, denn sie kosten pro Person nur noch 0,16 Dollar. Pakistan nutzt seit 2004 eine der größten Gesichtserkennungsdatenbanken weltweit und hat im Rahmen des nationalen Personal- und Reisepassprogramms eine Bilddatenbank mit derzeit 50 Mio. Einträgen aufgebaut. Bei jedem Antrag für einen neuen Ausweis wird damit die Identität des Antragsstellers überprüft, um zu verhindern, dass Dokumente an falsche Personen bzw. Mehrfachausweise an die gleiche Person ausgestellt werden. Auch deutsche Auslandsvertretungen setzen derartige Verfahren ein.
Service Management durch Sprachbiometrie
241
Biometrische Daten von Fingern, Gesicht und der Unterschrift von 200.000 im Ausland lebenden Deutschen wurden dazu anlässlich von Reisepassanträgen verarbeitet und auf einer einheitlichen Plattform abgelegt. Die Regierung des brasilianischen Bundesstaates Rio de Janeiro überprüft Fingerabdrücke, die bei jedem Personalausweisantrag aufgenommen werden, über ein Automated Fingerprint Identification System (AFIS). Nach neun Jahren sind inzwischen sechs Mio. Personen in dieser Datenbank und täglich kommen 5.000 weitere hinzu. Jedes Jahr werden dadurch 15.000 falsche Identitäten aufgedeckt. Die Polizeibehörde in Pinellas County, Florida, setzt in der Strafverfolgung bereits seit 2000 die Gesichtserkennung zur Identifizierung von Straftätern ein. All diese Anwendungen zeigen, dass biometrische Verfahren mit ihrer geringen Fehlertoleranz schon heute massenmarktfähig sind. Biometrische Anwendungen können auch ein Instrument sein, um Bürger-Behördenkontakte, aber auch Kontakte zwischen Bürgern und Unternehmen zu erleichtern. Hier setzt die sehr emotionale Diskussion um den gläsernen Bürger ein, obwohl eines unstrittig ist: Der Einsatz biometrischer Anwendungen kann helfen, Bürgerdienste unabhängig von Ort und Zeit online und telefonisch anzubieten und rechtssicher auszuführen. Missbräuche würden erheblich reduziert, da jedes biometrische Merkmal nur einmal benutzt werden kann und damit die doppelte Inanspruchnahme von Leistungen ausgeschlossen ist. Allein in Deutschland könnten so Milliardenschäden verhindert werden. Auch bei Wahlen oder zur Besucherkontrolle in Einrichtungen mit hohem Schutzbedarf sind biometrische Verfahren denkbar. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in diesem regulierten Umfeld müssen noch weitgehend definiert und einer politischen Diskussion unterzogen werden. Derartige Bedenken gibt es allerdings in anderen Ländern nur bedingt: Beispielsweise bietet die mexikanische Steuerbehörde Unternehmen die Möglichkeit, Transaktionen elektronisch abzuwickeln. Dazu wird eine elektronische Signatur an eine physische Person vergeben, die für die juristische Person, das Unternehmen, zeichnet. So kann einerseits der Unternehmer bequemer seine Geschäfte mit den Steuerbehörden erledigen. Gleichzeitig aber wird verhindert, dass er sein Unternehmen in den Konkurs führt und unter anderer Firmierung – ohne seine Steuerschulden zu begleichen – wieder eröffnet. Interessant ist auch, dass es in Mexiko landesweit 147 Erfassungsstellen zur Registrierung gibt. Ein erstes Land, das die Biometrie zur flächendeckenden Authentifizierung einführen will? Ein Zwischenfazit ist zu ziehen: Biometrische Anwendungen existieren bereits an vielen Stellen und werden sukzessive Teil unseres Lebens. Die Verfahren sind – auch bei größeren biometrischen Datenbeständen – sicher, komfortabel und bieten für viele Nutzer einen erkennbaren Mehrwert. Bisher gängige Authentifizierungsverfahren (Besitz und Wissen) sind oft nicht mehr zweckmäßig und werden schrittweise durch biometrische Verfahren ersetzt. Für Unternehmen, die im größeren Stil auf diese Anwendungen setzen, stehen Sicherheitsaspekte und Prozessoptimierungen, also Kosteneinsparungen im Vordergrund. Häufig ist damit auch ein reibungsloserer Geschäftsbetrieb verbunden.
242
BAUMGÄRTNER
2.3
Marktvolumen biometrischer Anwendungen
Weltweit wird der Biometrie-Markt bis 2010 auf 4,4 Mrd. EUR wachsen, nicht zuletzt weil biometrische Methoden prozessübergreifend einsetzbar sind. In Deutschland stellen knapp 100 Unternehmen biometrische Produkte her oder integrieren biometrische Systeme. Für ihre Umsätze prognostiziert der ITK-Branchenverband BITKOM in einer aktuellen Studie eine Steigerung von derzeit 120 Mio. auf 300 Mio. EUR im Jahr 2010. Das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 28%. Als größter europäischer Markt für biometrische Verfahren ist Deutschland auf dem Gebiet der Gesichtserkennung weltweit führend.
Umsatzentwicklung biometrische Industrie weltweit 10.000
9.368
9.000
6.581
7.000 6.000
5.423
5.000
7%
Sonstige Handgeometrie
8%
Stimme
10%
Iris/Retina
22%
Gesicht
48%
Fingerabdruck
5%
7.846
8.000
4.356
4.000
3.200
3.422
2.500
3.000 2.000
Technologieanteil am deutschen Biometriemarkt 2006
1.800
1.000 0 2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
Mio. EUR
Abbildung 3:
Wachstumsmarkt Biometrie5
Der Biometrie-Markt ist kein kapitalintensiver Markt, denn die Anwendungen sind im Vergleich zu anderen Technologien relativ preiswert. So können Biometrie-Anwendungen in Unternehmen bereits für wenige Hunderttausend EUR eingesetzt werden. SprachbiometrieAnwendungen sind mit wenigen Zehntausend EUR sogar noch günstiger. Und die Technologien entwickeln sich rasant weiter. So versprechen dreidimensionale Erkennungssysteme erhebliche Leistungssteigerungen vor allem bei Zugangs- und Grenzkontrollen. Laufende 3D-Entwicklungsprojekte werden der Biometrie einen weiteren Schub geben: Indem sie exakte Informationen zum Profil sowie zu Gesichtsfarbe und -struktur kombinieren, können 3D-Erkennungssysteme Positionsänderungen besser verarbeiten. Insgesamt werden diese neuen Systeme die biometrische Erkennung noch sicherer machen und damit ihre Durchsetzung forcieren. Verbesserte Protokolle helfen darüber hinaus, letzte Fehler auszumerzen und die Sicherheit noch weiter zu steigern. Der Markt für biometrische Technolo5
Vgl. INTERNATIONAL BIOMETRIC GROUP (2008) und BITKOM (2009a).
Service Management durch Sprachbiometrie
243
gien ist stark von politischen Entscheidungen betroffen. Deshalb werden staatlich nachgefragte Anwendungen hier auch künftig ein wesentlicher Treiber und ihr Anteil von heute 45% am Biometrie-Markt weitgehend stabil bleiben.6
3
Sprachbiometrische Anwendungen sind marktfähig für das Service Management
Beim Autofahren, bei Gesundheitsdienstleistern oder bei der Polizei werden sprachbiometrische Anwendungen bereits ebenso häufig eingesetzt wie bei PC-Anwendungen und Mobiltelefonen: Beispielsweise werden dabei Texte in Sprache oder Sprache in Texte umgewandelt. Sprachbiometrische Anwendungen sind im Alltag angekommen, zumal sie wichtige Bedürfnisse nach Komfort, Sicherheit und einem guten Kosten-/Nutzenverhältnis erfüllen.
3.1
Funktionsweise sprachbiometrischer Anwendungen
Sprachbiometrische Anwendungen basieren auf dem gleichen Prinzip wie alle anderen biometrischen Anwendungen: Nach der Personalisierung und Registrierung des Nutzers im System und nachdem die entsprechenden Datensätze (Voice Print) erfasst und gespeichert sind, folgt das Matching: Dabei werden zwecks Identifizierung/Authentifizierung die aktuell präsentierten mit den zuvor abgespeicherten Daten verglichen. Diese Methode macht sich die Tatsache zunutze, dass die Stimme eines Menschen ebenso einmalig und unverwechselbar ist wie sein Fingerabdruck. Allgemein unterscheidet man zwischen „Verifikation“ und „Identifikation“. Die Verifikation überprüft durch Abgleich mit einem zuvor registrierten Stimmprofil, ob ein Anrufer derjenige ist, der er zu sein vorgibt. Ein Stimmprofil ist eine verschlüsselte Datenmatrix, in der die stabilen Charakteristika der Stimme eines Sprechers dargestellt werden. Beim Abgleich wird geprüft, ob das Stimmprofil des Anrufers mit der Datenmatrix in der Stimmprofil-Datei übereinstimmt (1:1 Vergleich).7 Ist dies der Fall, wird der Anrufer ins System gelassen, andernfalls wird der Zugang verweigert.8 Dabei erfolgt nicht einfach ein Matching zwischen einem aufgezeichneten und dann „live“ gesprochenen Wort oder Satz, sondern die Stimme selbst wird auf akustische Übereinstimmungen hin analysiert. Die untersuchten Merkmale können nicht nachgeahmt werden und sind ausreichend tolerant, um mit Hilfe einprogrammierter Algorithmen zu erkennen, ob sich die Stimme vorübergehend auf Grund einer Erkältung, der Umgebungsgeräusche oder der aktuellen emotionalen Befindlichkeit verändert hat.9 Denn ein Voice Print enthält mehr Charakteristika und Daten als nur spezifische Merkmale wie Frequenzspektrum, Akzent, Sprechgeschwindigkeit, Satzrhythmus, Aussprache der Wörter und deren Betonung. Vielmehr charakterisiert sich die Stimme jedes Menschen auch aus seiner Physiologie, wozu Größe der 6 7 8 9
Vgl. BITKOM (2009a). Vgl. STEIMEL (2008). Vgl. FRÖHLICH 2008). Vgl. STEIMEL (2008).
244
BAUMGÄRTNER
Nasenhöhle, Länge der Stimmbänder oder Geschlecht gehören. All das zusammengenommen macht sie einzigartig.10 Um zu verhindern, dass das System ausgetrickst wird, indem einfach eine Stimmaufnahme abgespielt wird, ist ein Challenge-Response-Verfahren integriert. Es fordert den Anrufer zur Wiederholung zufällig generierter, also nicht vorhersehbarer Zahlen und Wortkombinationen auf. Anrufer
Service-Center
Schwellenwert ja
Matching?
nein ja
nein
Durchführung der Transaktion < Schwellenwert
Challenge-Response-Verfahren Rückfrage System, z. B.: Wie lautet Name der Mutter?
Ende
1. Durchlauf
Abbildung 4:
2. Durchlauf, wenn Schwellenwert nicht bei Authentifizierung nicht erreicht wurde
Ablauf einer sprachbiometrischen Authentifizierung
Der Hauptvorteil sprachbiometrischer Anwendungen besteht darin, dass sich der Träger des biometrischen Merkmals nicht an dem Ort befinden muss, an dem die Transaktion oder Authentifizierung ausgeführt wird. Deshalb wird Sprachbiometrie vor allem über das Telefon oder zunehmend in Kombination über das Internet eingesetzt. Der Betreiber solcher Systeme kann im Rahmen des Toleranzschwellen-Managements (Threshold-Management) je nach Transaktion den Schwellenwert selbst bestimmen. Abgestufte Toleranzschwellen geben ihm die Möglichkeit, zu Gunsten der höheren Sicherheit häufigere Challenge-Response-Verfahren einzubauen, bei denen neben der Stimmverifikation mehrschichtige inhaltliche Sprachbäume abgefragt werden.
10
Vgl. HERDA (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie
3.2
245
Rechtliche und gefühlte Sicherheitsaspekte von sprachbiometrischen Anwendungen
Wer biometrische Systeme im privaten bzw. im staatlichen, nicht verpflichtenden Bereich einsetzt, muss dabei eine Vielzahl von Vorschriften und Rechtsgrundlagen beachten. Sie reichen vom Datenschutzrecht über spezielle Signaturvorschriften aus dem Signaturgesetz bis zum Strafrecht und zu Fragen der Arbeitnehmermitbestimmung und des Urheberrechts. Während beispielsweise das Signaturgesetz bewusst technikoffen formuliert ist, wird in der Verordnung zum Gesetz (SigV) ausdrücklich der Einsatz biometrischer Verfahren ermöglicht: Um den Signaturschlüssel zu sichern, hat der Signaturschlüssel-Inhaber die Wahl, sich vor dessen Anwendung entweder in herkömmlicher Weise durch „Besitz und Wissen“ (etwa Karte und Geheimzahl) oder aber „durch den Besitz und ein oder mehrere biometrische Merkmale“ zu identifizieren.11 Ergänzend gibt die Verordnung ein bestimmtes Sicherheitsniveau vor: Bei der Anwendung eines biometrischen Verfahrens muss „hinreichend sichergestellt sein, dass eine unbefugte Nutzung des Signaturschlüssels ausgeschlossen ist und eine dem wissensbasierten Verfahren gleichwertige Sicherheit gegeben“ ist.12 Zur Sprachbiometrie existiert im Signaturgesetz keine besondere Rechtsvorschrift. Demnach ist sie gleichberechtigt zu allen anderen biometrischen Anwendungsformen. Während es also keine harten rechtlichen „Stopper“ für den Einsatz (sprach-) biometrischer Anwendungsformen gibt, spielt für die Nutzer die „gefühlte Sicherheit“ eine bedeutende Rolle, denn es halten sich eine Reihe von Vorurteilen. Dazu einige Zitate aus der Tagesschau: „… geringere Genauigkeit, da die Stimme gefälscht werden kann oder von der Stimmung oder einer eventuellen Erkältung des Sprechers abhängig ist…“; „… auch die Qualität der Leitung und Hintergrundgeräusche können das Ergebnis beeinflussen…“13 Wie fast jede neue Technologie wird auch diese erst einmal mit Skepsis betrachtet. Die Folge: Der zukünftige Einsatz ist auch – oder vor allem – eine Marketingaufgabe. Die oben zitierten Aussagen treffen objektiv nicht zu, dennoch muss die „gefühlte Sicherheit“ bei den Nutzern erst erzeugt werden. Das Produkt „Voiceldent“ erhielt 2007 vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) als erstes sprachbiometrisches Verifizierungs-System das Deutsche IT-Sicherheitszertifikat, was die Relevanz zur Aufklärung unterstreicht. Eine Umfrage von Infratest-dimap ergab, dass 72% der Deutschen sich „sehr große“ Sorgen um den Missbrauch von Daten machen.14 Mit jedem weiteren Fall von Datenmissbrauch wächst der Druck auf Unternehmen, verbesserte Verfahren des Datenschutzes und damit der Zugangskontrolle zu Daten anzubieten. Zum Thema „gefühlte Sicherheit“ gehört deshalb auch eine Kommunikationsaufgabe: Das generelle Verständnis des Vorgangs der sprachbiometrischen Authentifizierung ist zu verbessern. Art und Umfang der Datenspeicherung, Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch und vor allem Zugriffsrechte beim Betreiber sind transparent zu machen. Hier ist – um den Anwendungen zum Durchbruch zu verhelfen – in der Tat noch viel Aufklärungsarbeit notwendig.
11 12 13 14
Vgl. § 15 Abs. 1 SigV. Vgl. § 15 Abs. 1 SigV. Vgl. TAGESSCHAU (2008). Vgl. INFRATEST DIMAP (2008).
246
3.3
BAUMGÄRTNER
Sprachbiometrische Anwendungen im Überblick
Zunächst sei auf ein speziell deutsches Marktproblem im Zusammenhang mit sprachtechnologischen Anwendungen hingewiesen. Bereits Mitte der 90er Jahre wurden einige Sprachanwendungen auf dem Markt platziert, die noch nicht wirklich marktfähig und kompliziert zu bedienen waren. Dazu gehörte die Bahnauskunft. Sie war seinerzeit für die Presse ein gefundenes Fressen, um die ungeliebte Technologie der Lächerlichkeit preiszugeben. Auch Sprachanwendungen in Automobilen waren bei ihrer Einführung noch nicht ausgereift. Viele Nutzer haben also bereits schlechte Erfahrungen mit derartigen Anwendungen und werden deshalb negativ reagieren: „Nein, das kenne ich schon, das will ich nicht …“ Diese Hürden müssen im ersten Schritt durch Marketing- und Aufklärungsmaßnahmen überwunden werden. Weltweit haben sich die Einsatzfelder für Sprachbiometrie bisher von unternehmensinternen bis zu Konsumenten-Anwendungen entwickelt. In Deutschland allerdings sind sie im Vergleich zu Nordamerika und Asien/Pazifik besonders auf dem Gebiet der KonsumentenAnwendungen noch recht bescheiden.15
Identifikation im not-face-to-faceService
Distanz
Nutzung vertraulicher Daten durch Agenten oder dritte Personen (Kundenschnittstelle) Auslösen von Bestell-, Leistungs- und/oder Zahlungsvorgängen
Vor Ort
Sicherheitsschlüssel für vertrauliche Informationen und Vorgänge (Self-ServiceAutomation)
Abbildung 5:
Zugangskontrolle
Öffentliche Veranstaltungen Gesonderte Sicherheitsbereiche
Clusterung der Anwendungsfelder für Sprachbiometrie
Soweit heute absehbar, beziehen sich mögliche große Anwendungsbereiche im ServiceBereich auf mehrere Stufen von Transaktions- oder Service-Aspekten. Sprachbiometrische Anwendungen sind überall dort die sicherste Identifikationsmethode, wo sich jemand über ein nicht-persönliches Medium identifizieren muss. Vor allem, wenn es um Bestell- oder Bezahlvorgänge via Telefon oder Internet geht, kann durch Sprachbiometrie Datenmissbrauch verhindert werden. Ein weiterer Einsatzbereich ist der Zugang zu eigenen vertraulichen Daten wie Passwörtern, PINs oder Kontonummern. Bei allgemeinen Zugangskontrollen, wo die 15
Vgl. STEIMEL (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie
247
Authentifizierung nicht zwangsläufig über den Kommunikationskanal Telefon abläuft, konkurrieren sprachbiometrische Anwendungen mit anderen biometrischen Verfahren. In Service-Centern eröffnet die Identifikation mittels Stimme ein enormes Sicherheits-, Effizienzund Service-Potenzial. Um Datendiebstahl effektiv zu bekämpfen und die Benutzerfreundlichkeit zu erhalten sowie für eine erhöhte Convenience des Kunden werden immer mehr Unternehmen auf sprachbiometrische Authentifizierungsmaßnahmen setzen. 3.3.1
Anwendungscluster: Nutzung vertraulicher Daten durch Dritte (Kundenschnittstelle)
Die Übereinstimmung einer behaupteten mit der tatsächlichen Identität gehört heute neben Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit zu den herausragenden Sicherheitszielen in modernen Service-Centern. Dieses Ziel kann mit Hilfe der Sprachbiometrie erreicht werden. Daneben sind vor allem Kosten- und Service-Aspekte die wichtigsten Argumente für ihren Einsatz. Kostensenkungs-Aspekte können bei Service- und Vertriebsprozessen verkürzte Live-Operator-Prozesszeiten sein: Ein Anrufer wird aufgrund seiner Stimme identifiziert und seine Daten erscheinen bei dem Agenten sofort auf dem Bildschirm. TD Waterhouse in Kanada hat mit Sprachbiometrie die Anrufdauer pro Agent im Call Center um mindestens 30 Sekunden reduziert. Das Unternehmen kann schon kurz nach der Implementierung eine immense Kosten-Einsparung nachweisen.16 Ruft mit einer bestimmten Rufnummer nur eine Person an (und ist sichergestellt, dass nicht z. B. andere Familienmitglieder die gleiche Nummer verwenden) und nutzt diese Person immer nur diese eine Rufnummer, funktioniert die Rufnummernerkennung recht gut. Doch die Stimmverifikation ist wesentlich sicherer, und der Prozess ist genauer. Denn damit ist zweifelsfrei klar, wer anruft – egal von welchem Telefon. Service-Prozesse elektronisch, also per Sprachcomputer oder in Verbindung mit dem Internet abzuwickeln, senkt ebenfalls die Kosten. Ein Beispiel dafür wäre der Kunde, der etwas per Internet bestellt und sich dazu über seine Stimme authentifiziert. Ein weiteres wäre der Kunde, der mit dem Sprachcomputer ein Airline-Ticket bucht und dann auch per Stimmauthentifizierung in das Flugzeug einsteigt. Externe Außendienstmitarbeiter können über Sprachapplikation Zugriff auf Kundendatensätze, beispielsweise auf Adressen und Leistungsumfänge der Verträge von Kunden erhalten, wie z. B. die 10.000 Außendienstmitarbeiter der Volksfürsorge-Versicherungsgruppe.17 Die größten Potenziale zur Kostensenkung bieten telefonische und internetbasierte Kundenschnittstellen, über die Transaktionen durchgeführt werden und die der Fraud-Detection unterliegen. Hier wird eine sichere Identifikation der Anrufer den Missbrauch nachhaltig verringern. Den Service-Aspekt verdeutlicht der Blick in andere Länder, wo bereits – im Gegensatz zu Deutschland – große Konsumentenanwendungen auf Sprachbiometrie-Systemen aufgebaut wurden. Ein gutes Beispiel ist Bell Canada. Das Unternehmen bietet bei allen Kundenhotlines für Festnetz-, Mobilfunk-, Internet- und TV-Dienste die schnelle biometrische Authentifizierung über den Satz „At Bell, my voice is my password!“ an. Einen eindrucksvollen Beweis für die steigende Akzeptanz dieses Systems auf Nutzerseite liefern die 16.000 Neuan16 17
Expertengespräch mit Michael-Maria Bommer, General Manager DACH (2009). Vgl. STEIMEL (2008).
248
BAUMGÄRTNER
meldungen pro Woche, die zeigen, dass Sprachbiometrie massenmarkttauglich geworden ist. 18 Auch das Thema der automatisierten Selbstbedienung wird durch die sichere Identifizierung einen neuen Schub erhalten. Ein zentrales Argument für Stimmbiometrie bleiben Sicherheits- und Datenschutzaspekte. Zuverlässigkeit und Sicherheit haben mittlerweile maßgeblichen Einfluss auf Kundenentscheidungen: Ein Serviceunternehmen wird Vertrauen schaffen, wenn seine Call-CenterAgenten zu bestimmten Systemdaten nur dann Zugang erhalten, wenn der Kunde dies mittels Stimmverifizierung erlaubt. Im medizinischen Bereich können stimmbiometrisch identifizierten Anrufern Auskünfte am Telefon gegeben werden, und selbst für Behörden ergeben sich hier Chancen. Ein Mitarbeiter kann durch einen Anruf überprüfen, ob sich ein bestimmter Leistungsempfänger zu Hause aufhält, denn der Angerufene kann sich über seine Stimme identifizieren. Auch die Möglichkeit, den Stand eines Gerichtsverfahrens telefonisch abzufragen oder Zugriff auf automatisierte Behördenleistungen zu erhalten – ohne lästigen und zeitraubenden Schriftverkehr19 – wäre absolut neu und innovativ. 3.3.2
Anwendungscluster: Bestell-, Leistungs- und/oder Zahlungsvorgänge
Mit der Zeit wird die Abwicklung von Bezahlvorgängen durch moderne biometrische Authentifizierungsmaßnahmen sicherer werden. Während im Jahre 1975 noch mit Schecks, ab 1980 mit Kreditkarten in Kombination mit PINs und Passwörtern gezahlt wurde, wird diese Palette künftig um die Möglichkeit der „Zahlung mit der Stimme“ ergänzt.20 Am Point of Sales wird sie wohl noch auf sich warten lassen, aber dort, wo der Zahler nicht vor Ort ist, wird diese sichere Möglichkeit zu zahlen an Bedeutung gewinnen. In den Niederlanden können bereits rund vier Mio. ABN-AMRO-Kunden Kontoabfragen und Überweisungen mittels Sprachidentifizierung tätigen.21 In den Vereinigten Emiraten betreibt eine Bank nur noch Banking über Voice-Applikationen. Künftig wird Bestell-, Zahlungs- oder anderen kritischen Transaktionen immer häufiger eine Stimmverifikation vorgeschaltet sein. Damit übernimmt die biometrische Authentifizierung zunehmend eine „Enabler“-Funktion. Die Freigabe eines Zahlungsvorgangs durch Stimmverifizierung kann langfristig die ortsungebundene Kreditkartenzahlung ersetzen. Viele Transaktionen können künftig medienbruchfrei am Telefon abgewickelt werden. Beim Teleshopping (VoicePay-TV) oder beim Einkauf im Internet kann eine Ware oder ein Service per Anruf mit Voice-Identifikation gekauft, geliefert und bezahlt werden. Der Vorteil der schnelleren Abwicklung im Vergleich zur herkömmlichen Überweisung ist klar.22 Eine Anwendung aus England unterstreicht das: Sieht der Kunde in einem Werbespot im TV oder im Internet ein Produkt, das er kaufen möchte, ruft er unter der kostenfreien Hotline an, nennt den Produkt-Code und „unterschreibt“ den Auftrag mit seiner Stimme.
18 19 20 21 22
Vgl. HERDA (2008) und STEIMEL (2008). Vgl. EGOVERNMENT COMPUTING (2009). Vgl. FRÖHLICH (2008) und OGDEN (2008). Vgl. HERDA (2008). Vgl. FRÖHLICH (2008) und OGDEN (2008).
Service Management durch Sprachbiometrie
249
Auch Überweisungen zwischen Unternehmen oder Privatpersonen werden einfacher: Der erste Teilnehmer identifiziert sich über das Telefon, ruft anschließend den zweiten an, der die Überweisung erhalten soll. Dieser identifiziert sich ebenfalls via Stimmverifikation und bestätigt seine Absicht, das Geld anzunehmen. Dabei können die Angaben von Kontodaten entfallen. Auch Zahlungen ohne EC-Karte werden damit sicherer. Statt die PIN-Nummer der ECKarte einzugeben, tippt man seine Handynummer ein, wird angerufen, identifiziert sich und der Bezahlvorgang wird gestartet. Das Prinzip funktioniert ebenso gut am Geldautomaten wie beim Online- oder Internet-Banking.23 Der Verbreitungsgrad dieser Zahlungsform wird von einer ganzen Reihe externer Rahmenbedingungen abhängen. Das Potenzial, mit biometrischen Verfahren die Plastikkarten abzulösen, ist aber jedenfalls vorhanden. 3.3.3
Anwendungscluster: Sicherheitsschlüssel für vertrauliche Informationen und Vorgänge (Self-Service-Automation)
Vergessen oder verlieren Kunden ihre Passwörter, verursacht dies enorme Kosten. Eine Befragung der Münchener Nuance Communications GmbH ergab, dass mehr als 50% der Befragten schon mal ihre Passwörter vergessen haben.24 Mehrere Konten, die Passwörter erfordern, sind jedoch heute die Regel. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes verfügte 2004 jeder Bundesbürger im Schnitt über sechs Passwörter; heute sind es nach Einschätzung des derzeitigen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, PETER SCHAAR, schon mehr als zwölf – Tendenz steigend! Dabei werden manche Passwörter doppelt verwendet. Das wiederum birgt für die Nutzer ein enormes Sicherheitsrisiko und verursacht beispielsweise durch Scheck- und Kreditkartenbetrug oder Passwort-Klau im Internet enorme volkswirtschaftliche Schäden. Rund 9% der deutschen Bevölkerung (4,9 Mio. Menschen) wurden bereits Opfer betrügerischer Zugriffe auf ihr Konto.25 Die Stimmverifikation wird seit einigen Jahren erfolgreich im IT-Help Desk für den so genannten „Passwort Reset“ im Self Service eingesetzt, zum Beispiel von Firmen wie IBM, Swisscom und der VW-Bank. Die mehr als 4.100 Kunden des Volkswagen Financial Service erhalten seit August 2004 insgesamt monatlich ca. 700 stimmverifizierte Passwort Resets. Das erspart ihnen, sich umständlich und zeitaufwändig via Werks- oder Personalausweis zu authentifizieren. Der Effizienzgewinn lässt sich klar beziffern: Es werden 15 Minuten Bearbeitungszeit und 15 EUR Bearbeitungskosten pro Vorgang eingespart. Auch die Swisscom stellt ihren 18.000 Mitarbeitern mit Hilfe der Stimmverifikation neue Passwörter zur Verfügung, und zwar wahlweise auf Deutsch, Englisch, Italienisch oder Französisch.26 Neben einem Passwort Reset kann der Nutzer über seine Stimme weitere vertrauliche Informationen selbstständig steuern. Er kann seine Kontostände prüfen, Bestellungen und Reservierungen ändern, Dienste stornieren, sich in Computersystemen anmelden, über eine neue Adresse oder den veränderten Familienstand informieren. All dies kann er bereits heute über PINs und Passwörter – allerdings unter einem gewissen und nicht zu vernachlässigenden Sicherheitsrisiko. 23 24 25 26
Vgl. FRÖHLICH (2008). Vgl. FRÖHLICH (2008). Vgl. ESTA. Vgl. HERDA (2008).
250
3.3.4
BAUMGÄRTNER
Anwendungscluster: Weitere Anwendungsformen der Sprachbiometrie
Wie andere biometrische Anwendungsformen lässt sich auch die Sprachbiometrie bei der Zugangsberechtigung zu Firmengebäuden, Spielbanken, Bibliotheken, Privathäusern oder öffentlichen Plätzen einsetzen. Vereinfacht wird dies dadurch, dass heute in 75% aller ausgelieferten Handys, in vier Mio. Autos und auf etwa zehn Mio. PND`s bereits Sprachapplikationen und Sprachsteuerungstools implementiert sind. Es wird nicht lange dauern, bis die bestehenden biometrischen Systeme in der Lage sind, Alter, Geschlecht oder Sprache eines Anrufers zu identifizieren. Dies ermöglicht eine kundenindividuelle Ansprache – auch von anonymen Anrufern – und bietet einen klaren Nutzen für Marketingmaßnahmen wie z. B. spezifische Werbung oder Routing der Anrufer auf Basis einer Kundensegmentierung.27 In der Verbrechensbekämpfung hat die Sprachbiometrie schon jetzt den Vorteil, dass sogar mehrsprachige Stimmbilder identifiziert und zugeordnet werden können. Das ist besonders vor dem Hintergrund des zunehmenden internationalen Terrorismus von Bedeutung. Hier spielt die remote Einsetzbarkeit (ohne physische Präsenz) der Sprache und die hohe Identifikationsgeschwindigkeit gegenüber traditionellen Vorgehensweisen eine besondere Rolle.
3.4
Vor- und Nachteile sprachbiometrischer Anwendungen aus Sicht der Nutzer und Betreiber
Sprachbiometrische Anwendungen liefern überall dort einen Mehrwert, wo sensible Transaktionen durchgeführt oder hohe Sicherheitsstandards gefordert werden, ohne dass dies „faceto-face“ stattfinden kann. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: Das Verfahren ist einfach, sicher, kostengünstig und benutzerfreundlich. Und es entspricht dem Zeitgeist und dem Verlangen der Bürger nach Datensicherheit und Betrugsvermeidung. Hinzu kommt, dass auch Analphabeten und Ausländer, die der Landessprache nicht mächtig sind, damit z. B. Bankingoder Bestellvorgänge abwickeln können. Allerdings sind zunächst emotionale Hürden zu überwinden: Zum einen gibt es in Deutschland eine tief sitzende Abneigung gegen automatisierte Systeme und eine andauernde Diskussion über den „gläsernen Bürger“. Die Menschen tun sich schwer, ihre „Voice Prints“ Unternehmen zu überlassen, solange für sie nicht transparent ist, was damit geschieht. Ein Teufelskreis: Die Angst vor Missbrauch der „Voice Prints“ ermöglicht den Missbrauch anderer Daten. Keine leichte Diskussion. Mit jedem veröffentlichten Fall von Datendiebstahl wird sie intensiver – aber nicht unbedingt einfacher. Eine offensive Positionierung der Sicherheitsund Datenschutzaspekte kann zu ihrer Versachlichung beitragen.
27
Vgl. HERDA (2008).
Abbildung 6:
Qualitätsdruck
¾Neue Produkte/Services anbieten ¾Sichere Vermeidung des Datenmissbrauchs durch Dritte und durch externe Agenten
251
¾Schnellere und zuverlässige Identifikation des Anrufers im nicht persönlichen Kontakt ¾Bezahl- und Bestelltransaktionen schneller und effizienter abwickelbar ¾Vermeiden erheblicher Datenmissbrauchsfälle durch zweifelsfreie Zuordnung ¾Im Vergleich zu anderen biometrischen Verfahren kostengünstiger und einfacher in der Anwendung
Kostendruck
Sprachbiometrische Anwendungen
Service Management durch Sprachbiometrie
Vorteile durch sprachbiometrische Anwendungen im Service Management
Technologisch sind sprachbiometrische Anwendungen zwar anspruchsvoll, aber ihre Integration in eine bereits vorhandene IT-/TK-Umgebung erfordert einen relativ geringen Finanz-, Implementierungs- und Entwicklungsaufwand. Sprachbiometrie ist technisch leichter umsetzbar als andere biometrische Verfahren. Viele Sprachmodule werden als Standardsoftware angeboten und erlauben einen kurzfristig kalkulierbaren Return on Investment. Dabei sind ein skalier- und kalkulierbarer Rollout sowie eine einfache Pilotphase möglich. Zudem ist das System an allen Wochentagen rund um die Uhr verfügbar – eines der Hauptargumente für die Nutzung automatisierter Systeme. Laut einer Studie von Nuance Communications empfinden 91% der Befragten die Hinterlegung des Stimmprofils – sie dauert nur 2–3 Minuten – als sehr einfach.28
4
Diffusionsmodell für die Verbreitung der Sprachbiometrie durch ein Trust Center
In diesem Beitrag wurden bereits einige der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sprachbiometrischer Verfahren genannt. Zwei Kernfragen müssen beantwortet werden, um die potenzielle Diffusionsgeschwindigkeit der Sprachbiometrie einschätzen zu können: Wo werden die Voice Prints gespeichert – an einer zentralen Stelle für viele Anbieter (1:n) oder bei den jeweiligen Unternehmen (1:1)? Und wie wird die (doppelt) kritische Masse an Betreibern und Nutzern am schnellsten generiert?
28
Vgl. FRÖHLICH (2008).
252
BAUMGÄRTNER
Eine Möglichkeit könnte so aussehen: Jedes interessierte Unternehmen baut seine eigene Voice-Print-Datenbank auf, ohne Austausch mit den Datenbanken anderer Unternehmen. Dabei sind die Standardprodukte kein Problem, die gibt es preisgünstig als „white label“ zu kaufen. Aber zum einen müsste jedes Unternehmen relativ hohe Kosten für das Enrolment – insbesondere Marketing, Aufklärung, Erstregistrierung sowie Aufbau und Pflege der Anwendungen – allein tragen. Und andererseits würden sich erfahrungsgemäß zunächst nur vergleichsweise wenige Kunden für einen oder mehrere Services in dieser Authentifizierungsform bei jedem Unternehmen registrieren. Wollen mehrere Unternehmen den gleichen Kunden für die schnelle Authentifizierung per Sprache gewinnen, muss jedes Einzelne diesen Aufwand betreiben und der Kunde seine Stimme jedes Mal neu registrieren lassen. Das Ergebnis wären viele 1:1-Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen, und die sprachbiometrischen Anwendungsformen kämen nur sehr langsam zum Durchbruch. Da ein grundlegender Hinderungsgrund zur Teilnahme an (sprach-)biometrischen Verfahren mangelndes Vertrauen in die Sicherheit der Voice Prints ist, muss an diesem Punkt angesetzt werden. Die Lösung könnte in der Einführung von „Trust-Centern“ oder Zertifizierungsdienstleistern (ZDA) liegen, bei denen Voice Prints grundsätzlich gespeichert werden. Dort wären sie für viele Betreiber und Anwendungen (1:n) nutzbar. Nur dann, so die These des Autors, werden sich sprachbiometrische Anwendungsformen in Deutschland für den Massenmarkt durchsetzen. Dieses Geschäftsmodell entspricht dem von Kreditkarteninstituten, Auskunftsdienstleistern (Schufa, Creditreform) oder von multiplen Kundenloyalitätsprogrammen wie Payback oder HappyDigits. Einer oder wenige neutrale Dienstleister – private Organisationen, halbstaatliche oder staatliche Institutionen oder PPP-Konstrukte – würden nach diesem Modell 1:n-Beziehungen aufbauen. Jeder Kunde würde seinen Voice Print nur einmal zentral ablegen und könnte ihn dann für viele Anwendungen nutzen. Schafft es so ein solches Trust Center beispielsweise, eine Million Nutzer auf einer solchen Datenbank zu registrieren, sollte der Durchbruch geschafft sein. Danach werden immer mehr Akzeptanzstellen die Vorteile der Sprachauthentifizierung anwenden. Unterm Strich führt das – ähnlich der Erfahrung mit Kreditkarten – zu Vorteilen für alle Beteiligten: Weil die Transaktionen eines Nutzers über viele Stationen hinweg verfolgt werden können, kann Missbrauch verhindert oder weitgehend reduziert werden. Bei der Registrierung kann sichergestellt werden, dass der abgelegte Voice Print tatsächlich mit der behaupteten Identität übereinstimmt. Und da im Idealfall nur ein Trust Center existiert, sind Doppelregistrierungen ausgeschlossen. Mit jeder Transaktion wird das System lernen und die Nuancen des Voice Prints immer besser ausschöpfen. Es kann auch nicht vorkommen, dass ein und dieselbe Person zwei Voice Prints mit unterschiedlichen Identitäten koppelt. Dies wäre beispielsweise ein Risiko, wenn es unterschiedliche 1:1-Beziehungen gäbe.
Service Management durch Sprachbiometrie
253
Krankenkassen/ Versicherungen Online-Dienste
Banken ¾ Transaktionsabwicklung bei Bank oder über Zahlungsdienstleister ¾ Statusabfragen ¾ Banking the Non-banked
¾ Krankenakte ¾ Portaldienste ¾ Statusabfrage ¾ FSK 18Prüfung ¾… ¾…
Behörden
Öffentliche Plätze
¾ Finanzämter ¾Flughafen/ Airlines ¾ Bundesagentur für Arbeit ¾Massenveranstaltungen ¾ Self-Automation ¾… ¾…
Schnittstellen POS
WEB
Zentraler Voice-Daten-Pool
Kiosksystem/ Terminals
Geldautomaten
Sprachbiometrie-Anwendung
Callcenter
…
Transaktionsplattform
Endkunden/Nutzer
Abbildung 7:
Beispiele für sprachbiometrische Anwendungen in Trust-Centern
Für Unternehmen ergibt sich aus dem Trust-Center-Modell der zusätzliche Vorteil, dass weitere Daten – Umzüge, Veränderung des Kauf- oder Reiseverhaltens etc. – erkennbar, also marketing- oder vorbeugetechnisch nutzbar werden. Für den Besitzer der „Voice-Print“ ergibt sich neben dem nur einmaligen Registriervorgang vor allem ein großer Vorteil: Er kann mit einer einzigen Transaktion, also sehr schnell, alle Daten wieder löschen, indem er die Registrierung bei dem Trust Center rückgängig macht. Ein Trust Center wäre demnach abhängig davon, dass ihm viele Registrierte vertrauen und über eine lange Zeit hinweg dort ihren Voice Print verwalten lassen. Allein diese Tatsache wird dafür sorgen, dass dieses alle datenschutzrechtlichen und mit dem Inhaber des „Voice Prints“ vereinbarten Nutzungsbedingungen streng befolgt. Dies ist die Sicherheitsgarantie gegenüber dem Nutzer und bedeutet nicht nur Kontrolle über die eigenen biometrischen Daten, sondern auch eine größere Sicherheit, als würde er vielen unterschiedlichen Unternehmen jeweils einen separaten Voice Print überlassen. Die IT-Systeme der Unternehmen wären in diesem Modell direkt mit jenen im Trust Center gekoppelt. Damit wäre ein Nutzer, noch ehe der Agent im Call Center den Hörer abnimmt, bereits identifiziert. In Bankfilialen, Behörden usw. könnte beispielsweise der Kunde über die Sprache identifiziert werden, sobald er den Schalterraum betritt.
254
BAUMGÄRTNER
Je mehr …
Je mehr … desto mehr …
Akzeptanzstellen und Services
Nachfrager desto mehr …
desto mehr …
zunehmende Erträge im Trust Center
desto mehr …
gefühlte Sicherheit
desto mehr …
desto mehr … desto mehr …
Convenience Je mehr …
Abbildung 8:
Schaffung der doppelt-kritischen Masse
Ähnlich wie einst bei der Einführung der Kreditkarten wird es zunächst das Problem geben, gleichzeitig Nachfrage und Angebot zu generieren. Erst ab einer kritischen Masse wird ein solches System zum Selbstläufer. Je prominenter die ersten Akzeptanzstellen, desto schneller wird sich das System etablieren: Kontrolliert beispielsweise eine Institution wie die Bundesagentur für Arbeit oder eine Krankenversicherung den Datenaustausch mit ihren Leistungsbeziehern über Sprachbiometrie, dann wird sehr schnell eine ausreichende Anzahl an Nutzern registriert sein. Allerdings wächst schon jetzt mit jedem Datenmissbrauch und Identitätsdiebstahl die Nachfrage nach sicheren Systemen. Eine breit angelegte Aufklärungskampagne könnte einem Trust Center dabei helfen, weitere Teilnehmer zu gewinnen, sowohl auf Seiten der Anbieter wie der Nutzer. Die Erstregistrierung könnte auch per Telefon stattfinden. Dann lernt das System mit jeder Transaktion und gibt dem Voice Print sukzessive immer mehr Rechte frei. Ein Beispiel: Ein Nutzer sieht ein Plakat zum Kauf von Konzertkarten mit einer Telefonnummer, über die er sich auch für die Authentifizierung per Sprache anmelden kann. In Verbindung mit seiner Kreditkarten-Nummer (Name, Adresse, etc. sind damit bekannt) gibt er seinen Voice Print ab. Diesen kann er dann zunächst für kleinere Transaktionen nutzen, aber mit jeder weiteren Kreditkartenabbuchung und Zahlung steigt die Sicherheit, dass angegebene Person und Stimme identisch sind. Ein Enrolment, ohne dass der Nutzer dafür zu einer öffentlichen Behörde oder in ein Büro gehen muss, um sich langwierig registrieren zu lassen.
Service Management durch Sprachbiometrie
5
255
Blick in die Zukunft: Anwendungen der Sprachbiometrie als Effizienz-, Sicherheits- und Servicetreiber
Klassische Authentifizierungsverfahren haben keineswegs ausgedient. Allerdings werden biometrische Verfahren auf Grund ihrer mannigfaltigen Vorteile in einer digitalisierten Welt einen immer höheren Stellenwert gewinnen, wo es darum geht, Personen zweifelsfrei zu identifizieren. Die technischen Rahmenbedingungen sind vorhanden und der Druck, weitere Sicherheitsverfahren zu entwickeln, wächst in Zeiten von Betrug und Anschlägen. Der Markt für biometrische Anwendungen kann in den nächsten Jahren zweistellige Wachstumsraten erreichen. Sprachbiometrische Verfahren sind immer dort gefragt, wo der Nutzer nicht vor Ort sein kann und die Medien Telefon und Internet genutzt werden, um Transaktionen durchzuführen. Hier bietet Sprachbiometrie bei bestimmten Anwendungen Convenience, Sicherheit und für den Betreiber ein gutes Kosten-/Nutzenverhältnis. Vielversprechende Weiterentwicklungen werden zu weiteren Innovationen führen.29 Eine Nachfrage nach professionellen Zertifizierungsdienstleistungen für sprachbiometrische Anwendungen existiert bereits. Zu einer massenmarktfähigen Anwendung entwickelt sich die Sprachbiometrie aber erst, wenn zum einen ein vertrauenswürdiges Angebot an Akzeptanzstellen und zum anderen eine ausreichend große Nachfrage auf Nutzerseite vorhanden ist, also Menschen, die bereit sind, ihren Voice Print zentral speichern zu lassen. Das Geschäftsmodell Trust Center muss in Deutschland – idealerweise von wenigen Playern – etabliert werden, damit sich die Nutzerzahlen aus dem System heraus selbst generieren, um schnell die doppelt-kritische Masse zu generieren. Die größten Umsetzungschancen für dieses Modell dürften bei einem Big Player (Image-/Kompetenzausweitung) oder in Kombination mit der öffentlichen Hand in Form eines PPP-Konstruktes liegen. Ein weiterer Marktbeschleuniger wird Mobile Commerce bzw. die Weiterentwicklung der Endgeräte sein. Nun stellt sich die Frage, warum es für Sprachbiometrie in Deutschland bislang keinen Massenmarkt gibt. Zum einen liegt dies in dem „First-Mover“-Problem für höhervolumige Konsumentenanwendung begründet. Als noch junges Sicherheitsverfahren, dessen Image bisher durch angloamerikanische Anbieter geprägt wurde und das auf Konsumentenseite einen noch geringen Bekanntheitsgrad hat, wird sie zunächst skeptisch betrachtet. Die bereits skizzierte öffentliche Diskussion trägt ein Übriges bei. Die „gefühlte Sicherheit“ ist heute noch gering. Ein weiterer neuralgischer Punkt ist die „sektorale“ Kenntnis über die Potenziale der Sprachbiometrie in den Technikabteilungen von Großunternehmen. Das Thema wird dort heute noch zu techniklastig diskutiert. Hinzu kommen – auf Grund von generellen Vorurteilen gegen Sprachanwendungen – Bedenken, Kunden mit Sprachautomatisierung zu konfrontieren. Andererseits wollen Kunden Informationen schnell und unkompliziert erhalten. Mit einer bequemen und schnellen Verifizierung durch eine intelligente Spracherkennung am Telefon kann es gelingen, ihre anspruchsvollen Serviceerwartungen zu erfüllen. Zugangskontrolle und individualisierte Services wie Passwort Reset werden dabei einen gewichtigen Raum einnehmen, die Marktdurchdringung aber nicht nachhaltig forcieren, da hier das Marktsegment zu
29
Vgl. HERDA (2008).
256
BAUMGÄRTNER
klein ist. Vielmehr werden die Anwendungen an der Kundenschnittstelle – via Internet oder Telefon – von entscheidender Bedeutung für die Penetration dieses Servicetools sein. Allerdings gibt es heute nur wenige massentaugliche sprachbiometrische Anwendungen. Sie stehen insgesamt noch am Anfang und es wird eine Weile dauern, bis sie einen sicheren Platz in unserem Alltag haben werden. Eine TellSell-Consulting-Studie rechnet damit, dass eines der folgenden drei Entwicklungsszenarien in den nächsten drei Jahren Wirklichkeit wird: Anzahl Betreiber- Unternehmen
Konservativ
Realistisch
Optimistisch
(> 100.000 Nutzer)
(< 10.000 Nutzer)
Anzahl Gesamtnutzer
Anzahl Trust Center
3-5 neu
100
< 500.000
> 30
5-10 neu
200
1-2 Mio.
5-6
10-20 neu
800
> 3 Mio.
1-2
(Mehrfachregistrierungen sind möglich)
Abbildung 9:
Szenarien zur Marktentwicklung in den nächsten drei Jahren30
In der Realität wird die Entwicklung sehr davon abhängen, wie viele Unternehmen an der Kundenschnittstelle eine solche Anwendung im Endkonsumentengeschäft einsetzen. Es ist realistisch, dass etwa fünf bis zehn Unternehmen für großvolumige Prozesse die Authentifizierung per Sprache nutzen werden. Das impliziert Trust Center mit bis zu zwei Millionen registrierter Nutzer. Dies vorausgesetzt, werden sprachbiometrische Anwendungen in den fünf darauf folgenden Jahren zum Teil unserer alltäglichen Service-Kultur geworden sein. Tritt der konservative Fall ein, nämlich dass fast jedes Unternehmen seine eigene VoicePrint-Datenbank etabliert und es keine zentrale Registrierung der Voice Prints gibt, dann werden sprachbiometrische Anwendungen noch lange ein Nischenprodukt bleiben.
30
Markteinschätzung auf Basis von Expertengesprächen und Gesprächen mit interessierten Unternehmen und Organisationen Q 3 und Q4 2008.
Service Management durch Sprachbiometrie
257
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Service Management als Erfolgsfaktor von Offshoring und Internationalisierung der IT CARSTEN VON GLAHN Siemens
1 2
IT-Offshoring im internationalen Kontext..................................................................... 261 IT-Offshoring im gestalterischen Kontext ..................................................................... 262 2.1 Leistungsformen des IT-Offshoring..................................................................... 262 2.2 Erscheinungsformen des IT-Offshoring............................................................... 263 2.3 Aufstellungsformen des IT-Offshoring................................................................ 263 3 Service Management zur Reduzierung von Unsicherheiten beim IT-Offshoring.......... 265 3.1 Unsicherheiten beim IT-Offshoring ..................................................................... 265 3.2 Intermediation durch das Service Management beim IT-Offshoring................... 266 3.2.1 Bedeutungsänderung von Intermediation ................................................ 266 3.2.2 Abgrenzung von Service Management und Intermediation..................... 268 3.2.3 Vertrauenswürdigkeit des Service Managements .................................... 269 3.3 Vergütung des Service Management beim IT-Offshoring ................................... 270 4 Service Management aus Prozess-Sicht beim IT-Offshoring ....................................... 272 4.1 Grundlagen des Service Managements aus Prozess-Sicht ................................... 273 4.2 Intermediation des Service Managements beim IT-Offshoring ........................... 275 4.3 Aktionsspielraum des Service Managements beim IT-Offshoring ...................... 276 5 Schlussbemerkung ......................................................................................................... 278 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 279
Service Management als Erfolgsfaktor
1
261
IT-Offshoring im internationalen Kontext
Der Trend des Offshoring erzeugte in den vergangenen Jahren eine Reihe von kontroversen Debatten, insbesondere im IT-Sektor.1 Populistische Schlagzeilen wie zum Beispiel „If your work can be done at a computer, it probably can be done overseas for less“ tragen zum negativen Image des Offshoring- (oder – synonym – Offshore-) Begriffs erheblich bei.2 Nüchtern betrachtet, handelt es sich beim Offshoring um die Verlagerung von transaktionsintensiven Leistungen an geografisch entfernt gelegene Standorte. Die Beweggründe für die Außenvergabe solcher Leistungen sind sehr vielschichtig und reichen von dem schnellen Zugriff auf externe Kapazitäten und deren flexible Adaption an sich ändernde Umweltzustände über die Suche nach spezifischem Wissen und Erfahrungen bis zur Realisierung von Kostenvorteilen. Die Motivation zum IT-Offshoring, also die Erstellung beispielsweise von Back-Office-, Softwareprogrammierungs- oder Call-Center-Leistungen in so genannten Offshore-Regionen,3 ist nicht zwangsläufig, wie vielfach behauptet,4 ein Resultat von ausschließlichen Bestrebungen zur Reduzierung der Leistungserstellungskosten aufgrund eines generell niedrigeren Gehaltsniveaus im Verhältnis zum Ursprungsland. Der um die Jahrtausendwende in Deutschland herrschende Fachkräftemangel im IT-Sektor war ein maßgeblicher Faktor, der zur Verlagerung von IT-spezifischen Entwicklungsprojekten beispielsweise nach Indien führte.5 Niedrige Personalkosten der Offshore-Standorte entwickelten sich jedoch über die Zeit teilweise zu einem primären Standortvorteil. So sind Länder wie Indien, Indonesien, aber auch osteuropäische Staaten zum Synonym für Offshoring geworden. Das Phänomen Internationalisierung, also die Aufnahme grenzüberschreitender Aktivitäten, betrifft heutzutage nicht nur einzelne Unternehmen, die ihr Aktionsfeld länderübergreifend ausdehnen, sondern eine Vielzahl von Branchen. Der Merkmalskategorie Internationalisierung wird insofern ein besonderes Gewicht bei der Untersuchung von IT-Offshoring eingeräumt, weil die im Rahmen der Internationalisierung durchgeführten grenzüberschreitenden Aktivitäten in doppelter Hinsicht beeinflusst werden. Zum einen spielen vorteilstheoretische Überlegungen eine zu berücksichtigende Rolle, zum anderen sind geografische Rahmenbedingungen wie z. B. die Standortwahl zu bedenken.6 Das für diesen Beitrag relevante Verständnis von Service Management umfasst die Gesamtheit von Maßnahmen und Methoden, die notwendig sind, um eine möglichst effektive und effiziente Bereitstellung von IT-Leistungen durch Unternehmen in Offshore-Regionen und einen ebensolchen Konsum durch abnehmende Unternehmen zu fördern.
1 2 3 4 5 6
Vgl. ALLWEYER/BESTHORN/SCHAAF (2004), S. 6 f. Vgl. BLINDER (2007), S. B1. Vgl. VON GLAHN/KEUPER (2006), S. 23. Vgl. FARRELL (2003), S. 1. Vgl. zu den folgenden Ausführungen BEXTEN ET AL. (2006), S. 8. QUINN/COOKE/KRIS (2000), S. 217.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
262
2
VON GLAHN
IT-Offshoring im gestalterischen Kontext
Zur begrifflichen Einordnung des IT-Offshoring wird einleitend zwischen Leistungs-, Erscheinungs- und Aufstellungsformen unterschieden. Diese Dimensionen sind grundsätzlich unabhängig voneinander interpretierbar und in ihren Ausprägungen beliebig kombinierbar. Während die Leistungsformen auf das Auslagerungsportfolio eingehen, setzen sich die Erscheinungsformen mit dem Leistungsumfang der „offshore“ bereitgestellten Informationstechnologie auseinander. Die Aufstellungsformen zeigen alternative organisatorische Möglichkeiten zur Verwirklichung eines Offshore-Vorhabens.
2.1
Leistungsformen des IT-Offshoring
Was als transnationale Verlagerung einfacher IT-Leistungen, wie zum Beispiel der telefonischen Annahme und Weiterleitung kundenspezifischer Bedienungsprobleme von Applikationen und der Auslagerung von einfachen Programmierprojekten, begann, hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert.7 Mittlerweile reicht das Spektrum der am IT-OffshoreMarkt angeboten Leistungen von der einfachen informationstechnologischen Beratung bis zur Durchführung komplexer Projekte der Applikationsentwicklung und der Übernahme ganzer Geschäftsprozesse.8 Folgerichtig konstatiert DÜCK9 dem IT-Offshoring mittlerweile ein „Spektrum ohne Tabus“. AMBERG schlägt in Bezug auf das IT-Offshoring eine Klassifizierung in die Leistungsbereitstellung von IT-Infrastruktur, die Applikationsentwicklung und den Betrieb von Geschäftsprozessen vor:10 ¾ Leistungsbereitstellung von IT-Infrastruktur: Diese IT-Offshore-Alternative beinhaltet hauptsächlich die Bereitstellung von Hardware- und Applikationskomponenten in den Kategorien Desktop, Rechenzentrum, Netzwerk und Sprachübertragung. ¾ Applikationsentwicklung: Hierbei handelt es sich in erster Linie um die Programmierung von individualisierten Softwarekomponenten zur Erweiterung oder Ergänzung bestehender proprietärer oder standardisierter Applikationen. ¾ Betrieb von Geschäftsprozessen: Der Betrieb von Geschäftsprozessen durch einen Anbieter aus einer Offshore-Region beinhaltet vorzugsweise Sekundäraktivitäten des auslagernden Unternehmens, ist jedoch aufgrund des prozessorientierten Charakters dieser Leistung nicht trennscharf auf die Informationstechnologie beschränkt. Die Reihenfolge der gezeigten Klassifizierung von Leistungsformen des IT-Offshoring repräsentiert zugleich die jeweilige Bindungsintensität von Anbieter und Nachfrager und ist damit ein Indiz für die Langfristigkeit der Geschäftsbeziehung.
7 8 9 10
Vgl. BÖHM (2003), S. 1 ff. Vgl. SPARROW (2003), S. 6. Vgl. DÜCK (2004) o. S. Vgl. AMBERG (2004b), S. 3 ff.
Service Management als Erfolgsfaktor
2.2
263
Erscheinungsformen des IT-Offshoring
Der Umfang als wesentliche Determinante der Erscheinungsformen der an einen IT-OffshoreAnbieter zu übertragenden Aufgaben prägt die Unterscheidung in das totale Offshoring und das partielle Offshoring von Informationstechnologie.11 ¾ Totales IT-Offshoring: Beim totalen IT-Offshoring wird der Tätigkeitskomplex der IT in vollem Umfang, d. h. einschließlich aller untergeordneten Verrichtungen, die eine Einheit zuvor eigenständig erbracht hat, an einen unternehmensexternen Offshore-Anbieter ausgelagert. Diese Form des IT-Offshoring beinhaltet neben der Ressourcen- und IT-Leistungsübernahme ebenfalls die Verantwortung für den Betrieb und die Betreuung der gesamten IT. Der Begriff total darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidungsbefugnis zum Offshoring sowie die Kontrolle des transnationalen IT-Leistungsbezugs bei der Unternehmenseinheit verbleibt, also nicht vergeben wird. ¾ Partielles IT-Offshoring: Hingegen werden beim partiellen IT-Offshoring nur dezidierte informationstechnologische Funktionen externalisiert, wie z. B. die IT-Leistungserbringung der in Unternehmenseinheiten verwendeten Standardapplikationen.12 Die restlichen mit der IT verbundenen Aktivitäten werden weiterhin unternehmensintern ausgeübt.13 Teilweise geht diese auch als selektives IT-Offshoring bezeichnete Erscheinungsform nicht mit der Überführung von Mitarbeitern einher,14 das zu erheblichen Vorteilen aus arbeits- und gesellschaftsrechtlicher Sicht führen kann. Beide Erscheinungsformen sind einzelfallspezifisch hinsichtlich der zu erwartenden Effektivitäts- und Effizienzvorteile zu beurteilen. So bietet das partielle IT-Offshoring Flexibilitätsvorzüge bei Veränderungen der allgemeinen Marktbedingungen, während im Gegensatz zum totalen IT-Offshoring Abstriche bei der Realisierung von Fixkostendegressionseffekten auf Seiten des Nachfragers einzukalkulieren sind.15 Wie der nachfolgende Gliederungspunkt zeigen wird, eignen sich nicht alle organisatorischen Aufstellungsformen für das totale, jedoch für das partielle IT-Offshoring.
2.3
Aufstellungsformen des IT-Offshoring
Die Entscheidung, ob und in welcher Form ein IT-Offshore-Projekt für ein Unternehmen infrage kommt, hängt wiederum von dem angestrebten Integrationsgrad zwischen Nachfrager und IT-Offshore-Anbieter ab. Das Spektrum der Alternativen reicht vom so genannten Greenfield-Ansatz, der einen hierarchieorientierten Realisierungsansatz repräsentiert, bis zum marktorientierten Auslagerungsansatz:16
11
12 13 14 15 16
Wird an dieser Stelle unter IT-Offshoring eine standortspezifische Form der IT-Auslagerung verstanden, kann das Verständnis von ZAHN/BARTH/HERTWECK im Folgenden analog Anwendung finden, vgl. ZAHN/BARTH/HERTWECK (1999), S. 8 f. Vgl. LACITY/HIRSCHHEIM (1995), S. 4. Vgl. DIBBERN/GÜTTLER/HEINZL (2001), S. 676 ff. Vgl. MAYER/SÖBBING (2004), S. 26 f. Vgl. AMBERG (2004b), S. 13. Vgl. VON GLAHN (2007), S. 355 f.
264
VON GLAHN
¾ Greenfield-Ansatz:17 Diese Alternative entspricht dem Aufbau neuer – bisher im Unternehmen nicht vorhandener – Lokationen der Erbringung von IT-Leistungen in OffshoreRegionen. In abgewandelter Form tritt dieser Ansatz in Erscheinung, wenn bestehende Unternehmensstandorte als interne IT-Offshore-Anbieter umgebaut werden. Nach erfolgreicher Errichtung handelt es sich um einen internen Anbieter von IT-Leistungen, der sowohl organisatorisch als auch rechtlich vollständig in das Unternehmen integriert ist. ¾ Akquisitionsansatz:18 Hierbei handelt es sich um den Erwerb (von Teilen), z. B. um die Übernahme von vorhandenen Offshore-Lokationen anderer Unternehmen. Die anschließende Gründung einer Tochtergesellschaft, die i. d. R. eine gewisse wirtschaftliche Selbstständigkeit genießt, bringt dem akquirierenden Unternehmen nach gründlicher Evaluierung ggf. auch steuerliche Vorteile. ¾ Kooperationsansatz:19 Als dritter Weg zur Errichtung von IT-Offshore-spezifischen Strukturen ist zudem die unternehmensübergreifende Kooperation denkbar. Dieser Ansatz ist als strategische Allianz – und v. a. in der Ausprägung als Joint Venture – aus Konzernsicht von Bedeutung.20 Hierbei bringen u. a. sowohl das IT-leistungsnachfragende Unternehmen als auch ein bestehender – entweder aufstrebender oder bereits etablierter – ITOffshore-Anbieter Kapital, Mitarbeiter und sonstige Ressourcen in das gemeinsam gegründete Kooperationsunternehmen ein. ¾ Auslagerungsansatz: Informationstechnologische Auslagerung bezeichnet als Konsequenz der reinen Marktorientierung den Vorgang funktionaler und interorganisationaler Arbeitsteilung durch Übertragung von IT-Aktivitäten an rechtlich selbstständige und vermögensgegenständlich mit dem übertragenden Unternehmen nicht verbundene IT-OffshoreAnbieter. Eine durch IT-Auslagerung verfolgte Reduzierung der IT-Leistungstiefe zur Erzeugung von Wettbewerbsvorteilen durch Ausnutzung zwischenbetrieblicher Spezialisierungseffekte wird zumeist auf Grundlage von rechtsverbindlichen Vertragswerken geregelt. Weiterhin ist von einer längerfristigen oder sogar permanenten Übertragung an einen oder mehrere IT-Offshore-Anbieter auszugehen.21 Unabhängig von der Form der gestalterischen Ausprägung des IT-Offshoring stellt sich aus nachfragender Unternehmenssicht die Frage nach dem bzw. den geeigneten IT-OffshoreAnbietern, der Auswahl möglichst effektiver und effizienter Interaktionsgestaltungen sowie der Einschränkung potentieller Risiken bei gleichzeitiger Beibehaltung notwendiger Flexibilitätsfreiheitsgrade. Hierfür eignet sich der Rückgriff auf bzw. die Etablierung eines IT-Offshore-spezifischen Service Managers (oder – synonym – IT-Offshore-Mittlers), der als Mittelsmann und Vertrauen schaffender Dritter zwischen Nachfrager und IT-Offshore-Anbietern fungiert.
17 18 19 20 21
Vgl. BUCKLEY (1993), S. 20. Vgl. JANSEN (2001), S. 47 ff. Vgl. BANKHOFER (2003), S. 39. Vgl. SÖBBING (2002), S. 28 f. Vgl. BRUCH (1998), S. 17.
Service Management als Erfolgsfaktor
3
265
Service Management zur Reduzierung von Unsicherheiten beim IT-Offshoring
Unzweifelhaft ist die Auslagerung von IT-Leistungen in Offshore-Regionen mit positiven Effekten verbunden, die die unternehmerische Effektivität und Effizienz verbessern können. Zuallererst ist die finanzielle Vorteilserwartung zu nennen, die aus einer potenziellen Reduzierung der IT-Kosten bei der informationstechnologischen Erstellung und Bereitstellung resultiert. Zudem spielen die mögliche Umwandlung von Fix- in variable Kosten, eine verbesserte Kostenkontrolle, -transparenz, -planbarkeit sowie positive Liquiditäts- und Investitionsvermeidungseffekte eine vorrangige Rolle.22 Die typischerweise angeführten strategischen Chancen, die unter dem Begriff IT-Offshoring subsumiert werden, unterscheiden sich zumeist kaum von denen der IT-Auslagerung und reichen von der Flexibilisierung des unternehmerischen Handlungsrahmens bis zur Fokussierung auf wettbewerbsrelevante und absatzspezifische Kernelemente.23 Während der Grad der Vorteilhaftigkeit des IT-Offshoring unermüdlich in der Literatur diskutiert wird,24 sind es vor allem die aus Risiken resultierenden Unsicherheiten der IT-Auslagerung in Offshore-Regionen und die möglichen Mechanismen bzw. Ansätze zur Eindämmung dieser Unwägbarkeiten, die sich noch in den analytischen Anfängen befinden.
3.1
Unsicherheiten beim IT-Offshoring
Die Bindung an einen oder mehrere Anbieter von IT-Offshore-Leistungen und die hiermit verbundenen Unsicherheiten stehen grundsätzlich im engen Zusammenhang mit dem Wandel maßgeblicher Bereiche der globalen Umweltbedingungen und den nur bedingt vorhandenen Einflussmöglichkeiten dieser Teilbereiche. Hierzu zählen insbesondere technologische, makroökonomische, sozio-kulturelle, ökologische und politisch-rechtliche Rahmenbedingungen, die in erster Linie sog. externe Risiken aus Sicht des Abnehmers von IT-Leistungen aus Offshore-Regionen darstellen.25 Es sind folglich nicht nur die nahe liegenden und viel zitierten Risiken wie z. B. Wissensverluste und finanzielle Beständigkeit des Anbieters zu evaluieren, sondern auch Faktoren der politischen Stabilität und der Kommunikationsmöglichkeiten aufgrund von Zeitverschiebungen und kulturellen Unterschieden zu berücksichtigen.26 Ein weiterer maßgeblicher Unsicherheitsfaktor betrifft die wirtschaftliche Interaktionsbeziehung zwischen dem Nachfrager und dem IT-Offshore-Anbieter. Diese auch als Prinzipal und Agent bezeichneten Interaktionspartner stehen in einer besonderen Beziehung zueinander, die nicht nur Chancen bietet. Hierbei führt der Agent (IT-Offshore-Anbieter) Aktionen im Auftrag des Prinzipals (Nachfrager von IT-Leistungen) durch, wobei der Prinzipal die Aktionen des Agenten nicht uneingeschränkt beobachten und kontrollieren kann. So ist z. B. die wahre Leistungsfähigkeit eines IT-Offshore-Anbieters erst nach Abschluss der vertraglichen Abmachung nachvollziehbar. Der Agent kann in diesem Fall seinen Informationsvorsprung für eigene Interessen und suboptimal, d. h. zuungunsten des Prinzipals einsetzen.27 Der Kunde kann ebenso 22 23 24 25 26 27
Vgl. BÖHM (2003), S. 2 ff., und AMBERG (2004a), S. 1 ff. Vgl. u. a. SCHOMANN/BLOECH (2005), S. 232. Vgl. u. a. BLUNDEN (2004), S. 81 ff., und DAVIS (2005), S. 80 ff. Zum Begriff der umweltbedingten Risiken vgl. u. a. STEINMANN/SCHREYÖGG (2000), S. 162 ff. Vgl. u. a. VON GLAHN (2007), S. 343 ff. Vgl. AKERLOF (1970), S. 488 ff.
266
VON GLAHN
durch teilweise irreversible Vorleistungen z. B. in Form von Investitionen zur Etablierung der Transaktionsbeziehung in eine ungünstige Lage gebracht werden. Nach Vertragsabschluss gerät der Nachfrager u. U. in eine Abhängigkeit vom IT-Offshore-Anbieter, weil er nun auf dessen Auftragserfüllung angewiesen ist.28 Neben solchen die geschäftliche Partnerwahl betreffenden Unsicherheiten geht der Nachfrager weitere Risiken bei der Suche und Auswahl der bestmöglichen IT-Leistungen, der Optimierung der Vertragsgestaltung und -abwicklung sowie bei der transnationalen Aufgabenabstimmung ein. Zur Erhöhung der Kalkulierbarkeit der beispielhaft erläuterten Risiken sowie zur Relaxierung der damit verbundenen, vor allem abnehmerspezifischen Unsicherheiten wird nachfolgend die Etablierung eines marktorientierten Service Managers für IT-Offshore-Leistungen vorgestellt.
3.2
Intermediation durch das Service Management beim IT-Offshoring
Mit der Idee des Service Managers wird eine Variante des marktlichen Intermediärs für Informationstechnologie beim IT-Offshoring analysiert. Gerade weil Intermediäre eine marktliche Ordnungsinstanz einnehmen können, spielen ihre Funktionen teilweise auch für die Effektivitäts- und Effizienzerhöhung im IT-Offshore-Umfeld eine gewichtige Rolle.29 3.2.1
Bedeutungsänderung von Intermediation
Bereits im Jahre 1767 wird der Handel mithilfe von Zwischennachfragern und Zwischenanbietern – und damit unter Berücksichtigung von Intermediären30 – in der Kette marktlicher Aktionen erwähnt.31 Hat sich der Fokus des Einsatzes intermediärer Funktionen vom ursprünglichen Gütermarkt auf Finanzmärkte und im letzen Jahrzehnt auf so genannte elektronische Märkte ausgedehnt, so ist auch die wissenschaftliche Diskussion zur Intermediationsthematik wieder intensiviert worden. Überschattet wird die Fundierung dieser Thematik und damit eine Abgrenzung von Service Manager und Intermediär durch die Debatte um den Sinn und die Notwendigkeit des Handels, der als „Produktivitätsstreit“ die handelswirtschaftliche Literatur schon über Jahrzehnte beschäftigt.32 Bedingt durch die zunehmende Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit informations- und kommunikationstechnologischer Infrastrukturen, wie sie z. B. im Rahmen des elektronischen Handels33 aufgebaut werden, sind seit den 90er Jahren deutliche Veränderungen der Organisation und Koordination handelswirtschaftlicher Aktivitäten erkennbar, die der Diskussion um Intermediäre eine neue Facette verleihen. Die Entwicklung dieser bereits sichtbaren Bedeutungsveränderungen von Intermediären wird in Theorie und Praxis teilweise sehr widersprüchlich interpretiert,34 indem einerseits der Disintermediation als Umgehung von Intermediären und andererseits der Funktionsanreicherung von Intermediären ein jeweiliger Bedeutungsgewinn attestiert wird (siehe Abbildung 1).
28 29 30 31 32 33 34
Vgl. FRANKE (1993), S. 39. Vgl. VON GLAHN (2007), S. 272 ff. Zum Begriff des Intermediärs vgl. u. a. BALIGH/RICHARTZ (1967), S. 118 ff. Vgl. STEUART (1767), o. S. Vgl. MATTMÜLLER (1993), S. 78. Zum Begriff des elektronischen Handels vgl. u. a. MALONE/YATES/BENJAMIN (1987), S. 484 ff. Vgl. SCHODER (2000), S. 20 ff.
267
Service Management als Erfolgsfaktor
Intermediär 1
Anbieter
Intermediär 2
Nachfrager
Intermediär 2
Nachfrager
Anbieter
Abbildung 1:
Disintermediation
Intermediation
Anbieter
Nachfrager
Modell der (Dis-)Intermediation35
Disintermediationsthese:36 Aus der Sicht einer Wertschöpfungskette führt eine unmittelbare Koordination zwischen Anbieter und Nachfrager unter Verwendung der Informationstechnologie z. B. bei mehrstufigen Handels- und Vertriebsebenen zu einer Verschlankung bzw. Disintermediation einzelner oder aller Zwischenhandelsstufen und lässt folglich eine Reduzierung aggregierter Kosten erwarten. Funktionen, die Intermediäre ausüben, werden unter veränderten marktlichen Bedingungen teilweise obsolet. Es wird also eine zunehmende Neigung zur Substitution traditioneller Träger intermedialer Aktivitäten durch vollständig informationstechnologisch realisierte und automatisierte Intermediäre erwartet. Infolgedessen sind zwei elementare Ursachen für die Disintermediation verantwortlich: Entweder besteht kein markt-licher Bedarf an den vom Intermediär erbrachten Ergebnissen, oder die Intermediationsaktivitäten werden von anderen Stufen der Wertschöpfungskette wahrgenommen bzw. informationstechnologisch substituiert.37 Intermediationsthese: Analog zur Disintermediationsthese lässt sich die These der Intermediation vertreten. Wo immer die relevante Literatur die Notwendigkeit der Intermediation theoretisch begründet, greift sie auf das Konstrukt bestehender oder zu erwartender Spannungen zurück, die aufgrund unterschiedlicher Ursachen zwischen Anbietern und Nachfragern am Markt entstehen und einer Überbrückung bedürfen, um dem Modell der Arbeitsteiligkeit zwischen Unternehmen beim Erstellungsprozess Rechnung zu tragen.38 SCHÄFER spricht in diesem Zusammenhang von vier grundlegenden Spannungsarten, die mithilfe der Intermediation relaxierbar sind:39 Dies sind räumliche Spannungen, die z. B. durch die lokale Trennung von Herstellung und Verbrauch entstehen, oder zeitliche Spannungen, die z. B. durch Unterschiede zwischen Herstellungszeitpunkt und Konsum z. B. nachgefragter IT-Leistungen entstehen. Ferner zählen hierzu quantitative, d. h. mengenbezogene Spannungen sowie qualitative Abweichungen der Vorstellungen zwischen Anbieter und Nachfrager. Solche Spannungen bilden wiederum die Grundlage zur Definition spezifischer Intermediationsfunktionen, wie z. B. der 35 36 37 38 39
In Anlehnung an WIGAND/BENJAMIN (1995) o. S. Vgl. zu den folgenden Ausführungen SCHODER (2000), S. 10 ff. Vgl. WIGAND (1997), S. 1 ff. Vgl. SEYFFERT (1951), S. 9 ff. Vgl. SCHÄFER (1966), S. 286 f.
268
VON GLAHN
Risikoabschwächungs-40 oder der Kontraktorfunktion41, sowie einer Reihe von näher zu spezifizierenden Aktionsfeldern, in denen ein Intermediär einen Nutzen stiften kann. Dieser Beitrag stützt seine Erkenntnisse hauptsächlich auf die Intermediationsthese, weil diese den Versuch zulässt, einen Service Manager auf dem IT-Offshore-Markt zur effektiven und effizienten Bereitstellung von IT-Leistungen zu institutionalisieren. 3.2.2
Abgrenzung von Service Management und Intermediation
Ein Abbau räumlicher, zeitlicher, qualitativer und quantitativer Divergenzen zwischen Marktakteuren wird aus Effektivitäts- und Effizienzgründen i. d. R. als notwendig erachtet, rechtfertigt jedoch nicht zwangsläufig die Existenz von Intermediären, die als Akteure im marktlichen Geschehen charakterisiert werden können, aufgrund von Informationsunvollkommenheiten zwischen Unternehmen i. w. S. vermitteln, das Funktionieren eines Markts verbessern bzw. erst ermöglichen und somit marktliche Dysfunktionalitäten überwinden helfen.42 Neben den Erstellern und Konsumenten sind durchaus auch weitere Marktbeteiligte in der Lage, die zur Spannungsüberbrückung notwendigen Funktionen zu übernehmen.43 Somit wird deutlich, dass sich Intermediäre als Nutzen stiftende Institutionen in ständiger Konkurrenz mit anderen an der spezifischen Wertschöpfungskette beteiligten Marktakteuren befinden und sich zur langfristigen Überlebensfähigkeit auf ein effektives und effizientes Handeln zu konzentrieren haben. Neben der Positionierung als „neutraler“ Dritter vertreten sie die Ersteller- und die Konsumentenseite z. B. in Form von Finanzmaklern und Auktionshäusern. Das allgemeine Rollenverständnis von informationstechnologischen Intermediären reicht von44 ¾ Distributoren, die marktliche Angebote bzw. Nachfragen bündeln und dabei IT-Komponenten kaufen oder verkaufen, ohne eine unmittelbare besondere Wertschöpfung vorzunehmen,45 über ¾ Koordinatoren, die zwischen gegenüberstehenden Marktseiten Ressourcen suchen und vermitteln,46 über ¾ Moderatoren, die marktliche Transparenz durch Übermittlung von Informationen zwischen Anbietern und Nachfragern erzeugen, divergierende Präferenzen kanalisieren und aufeinander abstimmen und so zur Kontaktreduzierung der beteiligten Transaktionspartner entscheidend beitragen,47 bis zu ¾ Aggregatoren und Transformatoren, die spezifische (IT-)Komponenten auswählen, zusammenführen und in neuartige, d. h. mit erweiterter Funktionalität ausgestattete (informationstechnologische) Leistungen umwandeln, sodass die aggregierten und transformierten
40 41 42 43 44 45 46 47
Vgl. BIGLAISER/FRIEDMANN (1994), S. 509 ff. Vgl. WÄGLI/KNOLMAYER (2003), S. 213 ff. Vgl. SCHODER (2000), S. 14 ff., und KEUPER/VON GLAHN (2005), S. 448. Vgl. HEDDERICH (1986), S. 485. Vgl. VON GLAHN (2007), S. 276 f. Vgl. DEMSETZ (1968), S. 33 ff. Vgl. MALONE/YATES/BENJAMIN (1987), S. 484 ff. Vgl. WIGAND/BENJAMIN (1995), o. S.
Service Management als Erfolgsfaktor
269
Ergebnisse mehr Funktionalitäten aufweisen als die Summe der einzelnen ursprünglichen Bestandteile.48 Zur Präzisierung werden marktliche IT-Offshore-Mittler als Service Manager bezeichnet, die – je nach Geschäftsvorfall – die Rolle eines Distributors, eines Moderators und eines Koordinators einnehmen. Ein Service Manager, der speziell für das IT-Offshoring eingesetzt wird, kann zwar im marktlichen Prozess Aggregatoren bzw. Transformatoren – wie z. B. Systemintegratoren – einbinden, er wird jedoch diese Rollen nicht eigenständig übernehmen. Märkte sind i. d. R. weder vollständig homogen noch uneingeschränkt transparent, sodass eine oder mehrere marktliche Grundvoraussetzungen nicht erfüllt werden, wie etwa freier Marktzugang von Transaktionspartnern, einheitliche Marktpreise von gehandelten IT-Leistungen, vollständige und gleichartige Information über das relevante Marktgeschehen, IT-Leistungsauswahl nach objektiven Aspekten, unbeschränkte marktliche Kapazitäten sowie Transparenz preislicher Verbundvorteile. Vor diesem Hintergrund ist eine wesentliche Legitimation des an dieser Stelle analysierten Service Managers die Existenz von unvollkommenen Märkten. 3.2.3
Vertrauenswürdigkeit des Service Managements
Wie LUHMANN und ZELLNER ausführen, wird Vertrauen bei Interaktionen als die Einstellung gegenüber anderen Individuen wie auch Unternehmen interpretiert, dass bei diesen sowohl die Bereitschaft als auch die Kompetenz vorliegen, die in sie gestellten Erwartungen zu erfüllen.49 Auf diese Weise wird ein Zustand in die Zukunft projiziert, der den Beteiligten als sicher erscheint, sodass Vertrauen zunehmend zum Gegenstand wirtschaftlicher Betrachtungen erwächst. Als vertrauenswürdige Dritte (Trusted Third Parties) kommen prinzipiell alle Institutionen in Betracht, denen für die Abwicklung und Bereitstellung nachfolgend angesprochener Funktionen hinreichend Vertrauen entgegengebracht wird:50 ¾ Gewährleistungsfunktion: Der vertrauenswürdige Dritte kann als Gewährleistungsfaktor bei der Erbringung von IT-Leistungen aus Offshore-Regionen auftreten. Entweder übernimmt er für den eigentlichen Anbieter Garantien einer unbedingten Vertragseinhaltung, oder er tritt bei Ausfall oder Schlechterfüllung für die (wirtschaftlichen) Risiken wie etwa den Ausgleich von Haftungsfolgeschäden ein. In diesem Fall übernimmt der Service Manager eine qualitätsbezogene Versicherungs- oder Bürgenfunktion. ¾ Aktivierungsfunktion: Diese auch unter dem Begriff Enabling bekannte Funktion ermöglicht überhaupt erst ökonomisch relevante Interaktionsbeziehungen zwischen anbietenden und nachfragenden Unternehmen. Eine der essenziellen Ideen dieser Funktion ist es, dass sich die in Interaktionsbeziehung tretenden Parteien gegenseitig nicht zu kennen brauchen, sofern sich beide dem eingeschalteten Dritten anvertrauen, der eine Interaktionsbeziehung damit überhaupt erst aktiviert. ¾ Schutzfunktion: Vertrauenswürdige Dritte verstehen sich als Bereitsteller von Sicherheitsgarantien und als Bewahrer sog. Schutzziele. Intermediäre Sicherheitsgarantien umfassen alle im Rahmen der geschäftlichen Anbahnungs-, Vereinbarungs-, Abwicklungs- und AfterSales-Phase auftretenden sicherheitsrelevanten Anforderungen, die zur Erlangung und Ge48 49 50
Vgl. BAILEY (1998), S. 36 f. Vgl. ZELLNER (2003), S. 175 ff. Vgl. SCHODER (2000), S. 57 f.
270
VON GLAHN
währleistung von Vertrauen i. w. S. führen.51 So gelten die vertraulich ausgetauschten Informationen, die von Transaktionspartnern eingeforderte Anonymität sowie die Übertragungsintegrität in Form unmanipulierter Weiterleitung von Informationen als typische Beispiele in diesem Kontext.52 Auf Grundlage der zuvor beschriebenen Funktionen wird ein Service Manager auf dem ITOffshore-Markt als vertrauenswürdiger Dritter eingesetzt, um die beteiligten Akteure vor dem opportunistischen Verhalten anderer Marktbeteiligter zu schützen53 und gleichzeitig als „Drehscheibe“ des informationstechnologischen Wissens am Markt zu fungieren.
3.3
Vergütung des Service Management beim IT-Offshoring
Bevor auf Basis der Prozess-Sicht beim IT-Offshoring die Legitimation des Service Managements, die z. B. in der Einsparung von Ressourcen aufseiten der Anbieter von IT-Komponenten bzw. aufseiten der Nachfrager von IT-Leistungen und in wertsteigernden, transaktionsbedingten Effizienzvorteilen liegen kann, analysiert wird,54 sind zunächst die Quellen und die Partner einer möglichen Vergütung für ein IT-Offshore-spezifisches Service Management festzulegen (siehe Abbildung 2), um aus erlösorientierter Sichtweise seine Existenzberechtigung zu untermauern.55 Für einen Service Manager kommen grundsätzlich drei Vergütungsquellen infrage, die in direkter Form aus der Vermittlung von IT-Leistungen aus Offshore-Regionen und in indirekter Form aus dem Verkauf von Kontakten bzw. als Informationen resultieren.56 Diese Vergütungskategorien können entweder isoliert oder auch kombiniert vorkommen.
51 52 53 54 55 56
Vgl. WITTENBERG/HESS (2002), S. 113 ff. Vgl. SCHODER/MÜLLER (1999), S. 614 f. Vgl. BAILEY (1998), S. 39. Vgl. GÜMBEL (1985), S. 193. Vgl. SKIERA/LAMBRECHT (2002), S. 860. Vgl. SKIERA/LAMBRECHT (2002), S. 859 ff.
271
Service Management als Erfolgsfaktor
1 Vergütungsquelle (Vergütungsform)
IT-OffshoreLeistung (direkt)
Transaktionsabhängigkeit Transaktionsdauer Transaktionsvolumen ... 2
Transaktionsunabhängigkeit Einmaligkeit Periodizität
Vergütungspartner
Nachfrager Unternehmen ...
Abbildung 2:
Kontakte/ Informationen (indirekt)
Anbieter IT-Offshore-Anbieter IT-Komponentenlieferanten ...
Systematik der Vergütungsformen für das Service Management57
Bei direkten Vergütungsformen stammen die Einnahmen des Service Managers unmittelbar von den Nachfragern der IT-Leistungen oder auch von den Anbietern der IT-Komponenten, zwischen denen ein Service Manager für IT-Offshore-Leistungen positioniert ist. Bei den indirekten Vergütungsformen bietet der Service Manager Informationen und Kontakte für eine (monetäre) Gegenleistung an. Die indirekte Vergütungsquelle Informationen kommt also 57
In Anlehnung an ZERDICK ET AL. (2001), S. 26, und VON GLAHN (2007), S. 281.
272
VON GLAHN
im Rahmen der Bereitstellung von IT-Offshore-Leistungen zum Einsatz, wenn der Service Manager Erlöse aus dem Verkauf von nutzerbasierten IT-leistungs- und/oder IT-Offshorespezifischen Informationen erzielen kann. Hierbei beschränkt sich der angestrebte Handlungsrahmen nicht ausschließlich auf die Informationstechnologie. So kann es z. B. das Interesse der Führung eines nachfragenden Unternehmens sein, Informationen zum Profil bestimmter Einheiten an Benchmarking- oder Marketing-Agenturen weiterzuleiten, um eine positive Marktpositionierung mittelbar zu beeinflussen. Auf die ebenfalls indirekte Vergütungsquelle Kontakt greifen Marktakteure zurück, wenn sie den Kontakt zu Unternehmenseinheiten suchen.58 Diese Vergütungsquelle erfordert jedoch eine enge Abstimmung zwischen Service Management und jeweiliger Unternehmensführung sowie den betroffenen unternehmerischen Einheiten, um eine effektive und effiziente Kommunikationspolitik zu gewährleisten. Während es sich bei den indirekten Vergütungsformen für einen Service Manager um eher sekundäre Erlösquellen handelt, liegt der Handlungsschwerpunkt auf den direkten, d. h. durch die Bereitstellung von ITLeistungen aus Offshore-Regionen erzielten Vergütungen. Diese unterteilen sich in transaktionsabhängige und transaktionsunabhängige Vergütungsvarianten.59 ¾ Die transaktionsabhängige Variante setzt u. a. beim Volumen der von den Unternehmen nachgefragten IT-Offshore-Leistungen an oder bei der Dauer (der jeweiligen Interaktionsvereinbarung), für die ein Zugriff auf die IT-Leistungen eingeräumt wird. ¾ Bei der transaktionsunabhängigen Variante steht die Höhe der zu entrichtenden Vergütung in keinem Zusammenhang zur Dauer oder zum Volumen der Nutzung von IT-OffshoreLeistungen. Vielmehr gibt es einmalige Gebühren, mit denen das Recht zur Bereitstellung von IT-Leistungen erworben wird. Auch besteht die Möglichkeit, periodische Zahlungen wie u. a. Lizenzgebühren von den relevanten Interaktionsparteien einzufordern, die z. B. monatlich anfallen. Sofern die Vergütungsquellen identifiziert sind, ist nachfolgend zu entscheiden, von welchem Interaktionspartner eine Vergütung verlangt wird. Nachfragerseitig sind auf IT-Offshore-Markt insbesondere die Einheiten als Nachfrager von direkten oder indirekten Leistungen des Service Managers zu nennen, während anbieterseitig der IT-Offshore-Anbieter sowie IT-Komponentenlieferanten als Vergütungspartner determiniert werden können.
4
Service Management aus Prozess-Sicht beim IT-Offshoring
Eine prozessuale Fundierung wird an dieser Stelle aus zwei Gründen durchgeführt. Zum einen liegt die organisatorische Gestaltung von Prozessen dem Service-Management-Gedanken zugrunde, sofern eine unabdingbare Voraussetzung erfüllt wird, nämlich die Abgrenzung primärer von sekundären Prozessen. Zum anderen findet vor und während des Erstellungsbzw. Aggregationsprozesses beim Service-Management-Ansatz eine hohe Interaktion zwischen den IT-leistungsnachfragenden Kunden, dem Service Manager und den IT-Offshore-Anbietern, die entweder komplette IT-Leistungen oder nur bestimmte IT-Komponenten zuliefern, statt. 58 59
Vgl. PICOT/REICHWALD/WIGAND (2003), S. 366. Vgl. zu den folgenden Ausführungen u. a. WIRTZ (2001), S. 214 f.
273
Service Management als Erfolgsfaktor
Somit kommt dem Erstellungsprozess neben dem Transaktionsergebnis eine besondere Bedeutung zu.
4.1
Grundlagen des Service Managements aus Prozess-Sicht
Prozesse werden in der betriebswirtschaftlichen Literatur sehr unterschiedlich definiert und aus verschiedenartigen Blickwinkeln betrachtet.60 Es wird an dieser Stelle nicht angestrebt, den zahlreich existierenden Prozessdefinitionen eine weitere hinzuzufügen. Hingegen werden insbesondere die Gemeinsamkeiten verschiedenartiger Begriffsauffassungen zum allgemeinen Service-Management-spezifischen Prozessverständnis für IT-Offshore-Leistungen zusammengefasst (siehe Abbildung 3).61
Input
Output
Distribution Koordination, Moderation Aggrega tion und Transformation
Vor- IT-Komponenten Vorgänger Effektor gänger
F1
F2
IT-Leistung
Fn
Rezeptor
Tätigkeiten Informationen
Informa tionsverarbeitung
(Informationen)
Aktionsträger
Abbildung 3:
Prozess des Service Managements62
Die Abbildung illustriert die prozessualen Charakteristika im Überblick. Grundsätzlich existiert bzw. existieren zu Service-Management-spezifischen Prozessen im Einzelnen:63 ¾ Aktionsträger, die allein oder kombiniert in Aktion treten, um Erstellungs- und Bereitstellungsprozesse von IT-Offshore-Leistungen zu steuern, zu kontrollieren und zu verantworten.64 ¾ Erfolgsfaktoren wie Kosten, Qualität und Zeit, die eine Zielorientiertheit bei der Durchführung von Service-Management-relevanten IT-Offshore-Prozessen repräsentieren. Diese können allen Prozessen zugewiesen werden, die wiederum einen direkten Bezug zu den Erfolgsfaktoren haben und hinsichtlich ihres Zielerreichungsgrades messbar sind.65
60 61 62 63 64 65
Vgl. VAN DE VEN (1992), S. 170 ff. Zum Begriff des Prozesses vgl. u. a. GAITANIDES (1983), S. 74 f. In Anlehnung an ZERDICK ET AL. (2001), S. 26. Vgl. u. a. KEUPER (2001), S. 31. Vgl. BEA/SCHNAITMANN (1995), S. 280. Vgl. u. a. DAVENPORT (1993), S. 6.
274
VON GLAHN
¾ Mindestens ein IT-Offshore-leistungsspezifischer Effektor, von dem der Input bezogen wird, und wenigstens ein Rezeptor, an den das Prozessergebnis in Form von IT-Leistungen weitergeleitet wird. Die Notwendigkeit einer Wertgenerierung durch den Prozessablauf leitet sich aus der Erfüllung der Anforderungen des Nachfolgers ab, für den der Output bedürfnisgerecht und von Wert zu sein hat.66 ¾ Mindestens eine, jedoch i. d. R. mehrere betriebswirtschaftlich relevante IT-Komponenten, die im Verlauf eine Veränderung durch Umformung erfahren und zumindest teilweise aus Offshore-Regionen bereitgestellt werden. Das Ergebnis der Aggregation und Transformation stellt mindestens eine IT-Leistung dar und dient wiederum als Input für den nachfolgenden Prozess.67 ¾ Eine zeitlich logische Abfolge von miteinander verketteten Tätigkeiten einer Umwandlung, die in sich inhaltlich abgeschlossen sind. Der Service-Management-Prozess wird durch das Eintreten eines Ereignisses initialisiert, d. h. er hat einen definierten Beginn. Desgleichen wird er nach Erfüllung der zugrunde liegenden Aufgabe wieder determiniert, sodass er nach Erreichen des Umwandlungsergebnisses beendet wird.68 ¾ Vorgegebene Methoden, die spezifisch stringent determinierbar sind. Diese stellen für die Aktionsträger das Regelwerk zur Durchführung der Service-Management-spezifischen Prozesse für IT-Offshore-Leistungen dar. ¾ Ein Input-Output-Verhältnis, das durch eine Umwandlung von Informationen und/oder IT-Komponenten zustande kommt. Dieses Verhältnis von eindeutig festlegbarem Input und durch Umwandlung, Umformung oder Umgestaltung erzeugtem, spezifischem Output legt die Höhe der erzielten Wertschöpfung fest.69 Mithilfe dieses Prozessverständnisses zur Erzeugung von IT-Offshore-Leistungen wird im Weiteren die prozessuale Einordnung des Service Managements in den relevanten Wertschöpfungsprozess nachvollziehbar. Sobald eine prozessuale Orientierung im Vordergrund der ServiceManagement-spezifischen Betrachtung steht, werden verschiedenartige, inhaltlich aber in Beziehung zueinander stehende Tätigkeiten zu ganzheitlichen Prozessen gebündelt: Service-Management-spezifische Prozesse zur Erstellung und Bereitstellung von IT-OffshoreLeistungen lassen sich als zielorientierte, wiederholbare Tätigkeits-, Aktivitäts-, Handlungsoder Aufgabenfolgen definieren, die objektbezogen in einem zeitlich-logischen Zusammenhang stehen, ein messbares Input-Output-Verhältnis ausweisen, durch Aktionsträger nach spezifischen Methoden vollzogen werden und in Austauschbeziehungen zu Vorgängern und Nachfolgern stehen.70
66 67
68 69 70
Vgl. DAVENPORT/SHORT (1990), S. 11 ff. Vgl. ROSEMANN (1996), S. 9 f. Das Service Management für IT-Offshore-Leistungen erfüllt Koordinations-, Moderations- und Distributionsfunktionen bzw. vermittelt Aggregations- und Transformationsfunktionen mit einem transnationalen Handlungsspielraum. Ein solches Intermediationsverständnis schließt jedoch auf keinen Fall die Integration von lokalen oder sogar unternehmensintern erstellten IT-Komponenten aus. Vgl. u. a. DAVENPORT (1993), S. 5. Vgl. u. a. FROMM (1992), S. 7. Vgl. u. a. DAVENPORT (1993), S. 5.
275
Service Management als Erfolgsfaktor
4.2
Intermediation des Service Managements beim IT-Offshoring
Zur Überbrückung marktlicher Diskrepanzen ist aus Sicht des Service Managements sowohl die Nachfrage- als auch die Lieferantenperspektive zu berücksichtigen. Während Kunden generell zur Befriedigung ihrer informationstechnologischen Bedürfnisse eine Problemlösung erwarten, stehen lokale und transnational agierende IT-Komponentenlieferanten und IT-Offshore-Center, die ganzheitliche IT-infrastrukturelle Leistungspakete wie z. B. Rechenzentrumskapazitäten anbieten, bereit, um diese qualitativen und quantitativen Ansprüche zu befriedigen (siehe Abbildung 4).
Nachfrager mit lokaler Orientierung
IT-OffshoreCenter A IT-OffshoreCenter B IT-Komponentenlieferant X
Nachfrager mit nationaler Orientierung Distri- Mode- Koordibutor rator nator
Service Management
Nachfrager mit kontinentaler Orientierung
IT-Komponentenlieferant Y Aggregation/ Transformation
Abbildung 4:
Nachfrager mit regionaler Orientierung
Nachfrager mit globaler Orientierung
Modell der Service-Management-Intermediation71
Ein speziell für IT-Offshore-Leistungen eingesetzter Mittler regelt das Interaktionsverhältnis zwischen Lieferanten und Nachfragern, deren Aktionsradius von der lokalen bis zur globalen Orientierung reicht. Service Manager in diesem spezifischen Kontext neutralisieren einerseits die auftretenden marktlichen Spannungen und regeln andererseits den Markt für IT-OffshoreLeistungen. Der IT-Offshore-Mittler übernimmt stellvertretend für die Erbringer von IT-Komponenten und IT-Offshore-Centern den Aufbau von direkten Interaktionsbeziehungen i. S. einer Anreicherung kundenindividueller bzw. informationstechnologisch relevanter Erkenntnisse. Weiterhin widmet sich ein Service Manager der Identifikation von marktlichen Nachfragern mit gleichen Bedürfnisstrukturen, um eine Vereinheitlichung von IT-Offshore-Leistungen zu erzeugen. Dies führt zur Erstellung eines uniformierten IT-Offshore-Leistungsportfolios. Auf diese Weise können die durch die Wertschöpfung des Service Managements erzeugten Kosten i. S. der Effizienz des Gesamtsystems – bestehend aus Anbietern, Service Management und Nachfragern – überkompensiert werden.72
71 72
In Anlehnung an ZERDICK ET AL. (2001), S. 26, und KEUPER/VON GLAHN (2005), S. 451. Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen VON GLAHN (2007), S. 316 ff.
276
VON GLAHN
Lieferantenseitig folgt hieraus für das Service Management ein konfigurationsspezifischer Aufwand. Notwendige informationstechnologische Komponenten werden sowohl von ITOffshore-Centern (A, B) als auch von IT-Komponentenlieferanten (X, Y) bereitgestellt. Aus der Sicht eines Kunden entsteht ein Vertrauens- und Qualitätsrisiko, weil dieser vorab zumeist das technologische Zusammenspiel der IT-Komponenten mehrerer Zulieferer nicht oder nur teilweise einschätzen kann. Das Spektrum potenzieller IT-Komponentenlieferanten reicht von Plattform- und Technologieanbietern über Betreiber von Call-Centern bis zu Applikations- und Netzwerkherstellern. Zudem übernehmen sog. Systemintegratoren Beratungsaufgaben für technologische Schnittstellenentwicklungen und das Zusammenführen verschiedenartiger ITKomponenten. Ein Service Manager bedient sich hierfür eines oder mehrerer IT-OffshoreCenter, das bzw. die den operativen Betrieb und die Betreuung der IT-Offshore-Leistungen in den gewünschten geografischen Wirkungskreisen sicherstellen und dabei Aufgaben der technologischen Aggregation und Transformation übernehmen. Abnehmerseitig entsteht der Aufwand implementierungs- und betriebsbedingter Interaktionen mit den einzelnen Unternehmen. Ein Service Manager hat die Komplexität zu beherrschen, die sich aus der Überführung IT-infrastruktureller Gegebenheiten in einen IT-Offshore-basierten Modus ergeben. Der Mittler identifiziert demnach aus bedarfsorientierten Gesichtspunkten ITKomponenten, um diese als bzw. in vereinheitlichte informationstechnologische Bündel zu aggregieren bzw. zu transformieren und über eine hinreichend ausgelegte IT-Infrastruktur standortindividuell den abnehmenden Unternehmen anzubieten. Hinzu kommt auch aus der Sicht eines Abnehmers ein Vertrauens- und Qualitätsrisiko, weil er nicht vollständig das friktionsfreie technologische Zusammenspiel der IT-Komponenten mehrerer informationstechnologischer Lieferanten einschätzen kann. Das Service Management für IT-Offshore-Leistungen übernimmt damit gegenüber Abnehmern und Nachfragern die Aufgabe des Effektivitäts- und Effizienzgaranten, um eine Bereitstellung von IT-Leistungen im lokalen, nationalen, regionalen, kontinentalen oder globalen Kontext zu gewährleisten. Sofern sich der Einsatz eines solchen Mittlers auf dem Markt der IT-Offshore-Leistungen als die Effektivität und Effizienz fördernd erweist, sind bestimmte im Folgenden analysierte Kompetenzen im Aktionsspielraum des Service Managements zu verankern.
4.3
Aktionsspielraum des Service Managements beim IT-Offshoring
Ein Mittler für IT-Offshore-Leistungen ist für Tätigkeiten verantwortlich, die er entweder selbst ausführt oder vergibt. Im Vordergrund der Tätigkeiten des IT-Offshore-spezifischen Service Managements stehen die Bildung von Markttransparenz, die Informationsversorgung beteiligter Transaktionspartner, die Adressierung kundenspezifischer Erwartungen,73 die Entbündelung der Anforderungen der Nachfrager, die Berücksichtigung unterschiedlicher geografischer Wirkungskreise der Abnehmer, die kundenspezifische Anforderungsbewertung sowie die Zuordnung dieser informationstechnologischen Teilaktivitäten bzw. Komponenten auf Spezialisten. Service Manager verhandeln und vereinbaren mit den informationstechnologischen Anbietern die Abnahme erzeugter IT-Komponenten. Neben dem Angebot dieser ITKomponenten liegt ein weiterer Schwerpunkt ihres Handelns in der beratenden Tätigkeit als Experten. Dabei ist von vorrangigem Interesse, welche IT-Leistungen den individuellen Präferenzen der Empfänger bei gleichzeitiger Vorteilsvermittlung der Verwendung bestimmter 73
Vgl. BRUHN (2000), S. 1031 ff.
Service Management als Erfolgsfaktor
277
Standards entsprechen. Folgende Tätigkeiten eines IT-Offshore-Mittlers mit prozessualem Charakter bedürfen besonderer Erwähnung:74 Such- und Bewertungstätigkeit: Ein Service Manager kann die Suche nach und die Evaluation von (potenziellen) IT-Komponenten, die Vereinheitlichung des Aufbaus von IT-Leistungen und die Distribution von Kundeninformationen übernehmen, die Aufschluss über das Spektrum der IT-Offshore-Leistungen sowie die preislich bzw. technologisch vorteilhafte Verwendung geben. Nachfrager nutzen diese Erfahrung und das Wissen, anstatt selbst kostenund zeitintensiv nach geeigneten IT-Leistungen zu suchen.75 Informationstechnologische Komponentenlieferanten erhalten Hinweise über die Bedürfnisstrukturen der potenziellen, teilweise transnational verteilten Konsumenten, um ihr Angebotsprofil im Wettbewerb zu vergleichen und um Rückschlüsse auf die eigene IT-Leistungs- und Preispolitik zu ziehen. Sortimentstätigkeit: Durch die Bildung von Sortimenten offeriert der Service Manager eine Zusammenstellung aus den Angeboten mehrerer IT-Komponentenlieferanten und IT-Offshore-Centern, die wiederum das Offshore-spezifische IT-Leistungsportfolio bilden. Hierbei ist von vorrangigem Interesse, die ausgearbeiteten IT-Leistungsangebote mit den individuellen Präferenzen der IT-Leistungsempfänger in Einklang zu bringen. Eine angemessene Adressierung kundenspezifischer Erwartungen, die Entbündelung der Anforderungen und deren Zuordnung zu (potenziellen) IT-Komponentenanbietern und IT-Offshore-Centern sind hierzu notwendig. Expertentätigkeit: Der Service Manager kann den Kunden überdies Ansätze aufzeigen, seine Bedürfnisse und Anforderungen an die Informationstechnologie zu präzisieren, sofern er seine Präferenzen nicht vollständig definiert hat. Insofern existiert mangels Fachwissen eine Evidenzproblematik, wenn eine Einheit nicht in der Lage ist, Spezifikationen notwendiger ITLeistungen zu formulieren.76 In diesem Fall greift ein IT-Offshore-Mittler direkt und aktiv in die Kaufentscheidung des Abnehmers ein. Kontraktortätigkeit: Die Tätigkeiten des Kontraktors, der mit beiden Marktseiten, d. h. mit Anbietern und Nachfragern, Verträge schließt, umfassen die Abwicklungskonditionen z. B. Zahlungsbedingungen, Garantien, (Verrechnungs-)Preise, Erbringungsumfang und -qualität.77 Zudem werden rechtliche Voraussetzungen für die Transaktion geklärt und damit die Grundlagen für die Transaktionsabwicklung geschaffen. Daneben vereinbart ein IT-Offshore-Mittler mit den Lieferanten die Transformation in IT-Leistungen mithilfe von Kapazitäten oder Verwertungsrechten, z. B. durch Lizenzierung einer Applikationsnutzung. Zeitüberbrückungstätigkeit: Diese Tätigkeit setzt bei der Kontraktorfunktion des Service Managements an. Ein Ausgleich zeitlicher Inkongruenzen zwischen Erstellung und Konsum von ITOffshore-Leistungen wird mit dieser Tätigkeit angestrebt. Im Gegensatz zur produktionssynchronen Beschaffung in der Fertigungsindustrie78 ist die friktionsfreie Verfügbarkeit von ITOffshore-Leistungen vorrangig ein infrastrukturelles und vertragliches Problem. Sofern kundenspezifische Anforderungen existieren, die z. B. über infrastrukturelle Übertragungskapazi74 75 76 77 78
Vgl. u. a. BAILEY (1998), S. 34 ff. Vgl. KOBAYASHI-HILLARY (2005), S. 250 f. Vgl. ENGELHARDT/SCHWAB (1982), S. 510 ff. Vgl. SCHMID (1993), S. 467 f. Vgl. WILDEMANN (1992), S. 392.
278
VON GLAHN
täten hinausgehen, sind ggf. Zusatzleistungen über den Aufbau solcher Strukturen zu vereinbaren. Ansonsten sind die Verfügbarkeitszeiten von IT-Leistungen mit den Bedürfnissen der Nachfrager abzustimmen und in Vertragsvereinbarungen niederzuschreiben. Raumüberbrückungstätigkeit: Eine wesentliche Tätigkeit des Service Managers im Rahmen des IT-Offshoring besteht in der Überbrückung räumlicher Distanzen zwischen Erstellung und Bereitstellung. Diese Funktion des Service Managers ist für Kunden und Zulieferer ein Hilfsmittel, um geografische Distanzen, sprachliche Verständigungsprobleme und unterschiedliche Informationsstände auszugleichen und damit die Kommunikation zwischen den Transaktionspartnern zu vereinfachen. Auch wenn nach CAIRNCROSS79 die Raumüberwindungskosten und damit die Entfernung bei der IT-Leistungsbereitstellung eine immer untergeordnetere Rolle spielen, so ist doch ein Automatismus bezüglich der Generierung von Wettbewerbsvorteilen durch IT-Offshoring nicht gegeben.80 Risikoreduzierungstätigkeit: Wie zuvor erläutert, bestehen spezifische, insbesondere kundenspezifische Risiken, die mithilfe eines Service Managers für IT-Offshore-Leistungen relaxiert werden können. Das vom marktlichen Mittler übernommene Risikomanagement besteht in der rechtzeitigen Identifizierung und Adressierung relevanter IT-Offshore-Risiken, die für die wettbewerbliche Positionierung eines Unternehmens von Bedeutung sein können. Auch wenn unter der Beachtung der Wirtschaftlichkeit nicht alle Unsicherheiten, die aus der Auslagerung von Leistungen an IT-Offshore-Anbieter resultieren, in gleichem Maße Berücksichtigung finden können, so kann der Service Manager doch besonders hohe Risikopotenziale beachten. So können spezielle Rückgabe- und Umtauschrechte oder Garantien für Zusatz- und Anpassungsleistungen eingeräumt werden, die das Abnehmerrisiko reduzieren. Damit stellt der IT-OffshoreMittler ein auf Fremdbedarfsdeckung ausgerichtetes, wirtschaftlich selbstständiges Handlungsgebilde dar und ist folglich Träger eigener ökonomischer Risiken.
5
Schlussbemerkung
Werden die Gestaltungsparameter des IT-Offshoring sowie die prozessualen Charakteristika eines marktorientierten Service Managements i. S. der Intermediation zwischen Nachfragern von IT-Leistungen und IT-Offshore-Anbietern rekapituliert, lässt sich feststellen, dass sich ein vielschichtiger Aktionsspielraum für den IT-Offshore-Mittler abzeichnet, sodass neben marktlichen Unterstützungstätigkeiten eine Vertrauens- und Risikoreduzierungsfunktion wahrgenommen werden kann. Diese Einzeltätigkeiten werden zwar teilweise parallel durchgeführt, bedingen jedoch eine zeitliche Abfolge in sich schlüssiger, logischer und somit prozessorientierter Ereignisse. Der IT-Offshore-orientierte Service Manager wird ständig mit dem Umstand konfrontiert, ausgeschaltet zu werden, sobald er die Erfüllung seiner Tätigkeiten nicht mehr effektiv und effizient i. S. der anderen Marktakteure erbringt. Eine solche Effektivitätsund Effizienzmessung wird anhand berechenbarer Erfolgsparameter erfolgen, die zwischen den Marktteilnehmern zu bewerten sind.
79 80
Vgl. CAIRNCROSS (1997), S. 1 ff. Vgl. BONGARTZ (2003), S. 226 f.
Service Management als Erfolgsfaktor
279
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Service Excellence – Vom Know-how zum Do-how BERNWARD MÖNCH und MARKUS GOLLER TMI Training und Consulting
1 2
Einleitung....................................................................................................................... 285 Services und Servicing Ein verhaltensrelevantes Verständnis von Service Excellence...................................................................................................................... 287 2.1 Services und Servicing......................................................................................... 287 2.2 Service-Geber im Gefühl-mach-Business............................................................ 290 3 Der strategische Rahmen Das Can-Do als Mittler zwischen Know-how und Do-how .......................................................................................................................... 291 3.1 Service Excellence als strategisches Differenzierungspotenzial .......................... 291 3.2 Strategische Eckpunkte einer Service Excellence................................................ 292 3.2.1 Eckpunkt 1: Im Zweifel entscheidet der Mitarbeiter für den Kunden und gegen den Prozess............................................................................. 293 3.2.2 Eckpunkt 2: Service Excellence nach außen bedingt Service Excellence nach innen................................................................................................ 295 3.2.3 Eckpunkt 3: Von Kunden lernen, was exzellenter Service ist ................. 296 3.2.4 Eckpunkt 4: Handlungsfelder für Kundenüberraschungen definieren..... 297 4 Branded Customer Service Der Mitarbeiter als Marke............................................... 298 5 Change zu Service Excellence ....................................................................................... 300 5.1 Ausgangsschwierigkeiten der Veränderung zur Service Excellence ................... 300 5.2 Service Leadership............................................................................................... 301 5.3 Service Feedback ................................................................................................. 303 5.4 Kompetenzbasierte Einstellungsänderung ........................................................... 303 5.5 Private Parallelbeispiele als Methodik schmunzelnder Selbsterkenntnis............. 304 5.6 Service-Erlebnisse kreieren.................................................................................. 305 5.7 Ausgewogenheit von Grundeinstellung und Verhaltensnorm.............................. 305 6 Nachhaltigkeit erzeugen ................................................................................................ 306 7 Fazit ............................................................................................................................... 307 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 308
Service Excellence
1
285
Einleitung
Mit Service ist es wie mit Fußball: Zumeist sind wir Zuschauer, fühlen uns aber doch wie ein Bundestrainer und haben Ratschläge für die Akteure parat. Wir sehen genau, wie man es besser machen könnte und schütteln bisweilen verständnislos den Kopf, warum die Akteure auf dem Feld nicht einfach das machen, was für uns aus einiger Entfernung doch so plausibel und naheliegend erscheint. Warum nur setzen die Aktiven nicht einfach und selbstverständlich das um, was wir mit etwas Abstand alle als so naheliegend und einfach erkennen – im Fußball und im Service? Es war Anfang des Jahres, an einem späten Nachmittag, als ich mich fragte, warum sich die Mitarbeiterin an der Rezeption nicht einfach entschuldigte, nachdem ich mich über mein Hotelzimmer beschwert hatte. Nur eine Viertelstunde vorher hatte ich das Zimmer zum ersten Mal betreten. Handtücher, Bett, Hotelbar – alles noch so, wie es der vorherige Gast verlassen hatte. Offensichtlich hatte der Zimmerservice vergessen, das Zimmer frisch herzurichten. Ein berechtigter Grund für eine Beschwerde und – wie ich fand – ein Grund für das Hotel, sich zu entschuldigen. Die Reaktion der Empfangsdame war dagegen ein zögerliches Wegschauen, rechtfertigende Versuche einer Erklärung, ausweichendes Suchen nach einem neuen Zimmer. Aber kein Wort der Entschuldigung. Hätte man die Rezeptionistin außerhalb dieser Situation (vielleicht in einem Seminar) gefragt „Wie gehen Sie kundenorientiert mit einer solchen Beschwerde um?“, sie hätte mit einer Selbstverständlichkeit, die womöglich einen Unterton der Empörung ob der Frage enthalten hätte, geantwortet „Selbstverständlich entschuldige ich mich zuerst für den Fehler unseres Hauses und sorge dann für eine schnelle Lösung.“ Gewusst hätte sie, was zu tun ist, trotzdem hat sie es in der Situation selbst nicht getan: Nicht eine einzige Variation des Wörtchens „Entschuldigung“ hat Sie über die Lippen gebracht. In dieser Diskrepanz zwischen Wissen und Tun liegt eine grundlegende Herausforderung auf dem Weg zur Service Excellence: Wie kann aus dem bekannten Allgemeinwissen über Service ein konkret und konsequent umgesetztes Service-Verhalten gemacht werden? Oder anders gefragt: Wie können Unternehmen Service Excellence leben und erlebbar machen – verlässlich und durchgängig? Wie also gelingt es, den entscheidenden Schritt vom Know-how zum Dohow zu gehen? Diesem Beitrag liegt die Überzeugung zu Grunde, dass für die Entwicklung eines konsequent exzellenten Serviceverhaltens vom Know-how zum Do-how eine Gesamtperspektive eingenommen werden muss, die weit mehr als ein singuläres Verhaltenstraining umfasst. Wer Service-exzellentes Verhalten etablieren möchte sollte nicht dem Missverständnis erliegen, er müsse sich ausschließlich um ein Serviceseminar kümmern. Alltagspraktische und pfiffige Verhaltenstrainings sind notwendige, nicht aber hinreichende Ansatzpunkte einer Verhaltensänderung im Service. Sie müssen eingebettet sein in eine verhaltensorientierte Gesamtstrategie von Service Excellence.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_12, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
286
MÖNCH/GOLLER
Zu dieser Gesamtstrategie gehören mindestens folgende Ansatzpunkte: ¾ Etablierung eines verhaltensrelevanten Verständnisses von Service, ¾ Entscheidung und Bewusstmachung über die strategische Relevanz von Service Excellence als Differenzierungsmerkmal am Markt, ¾ Wegweisung und Absicherung des Service-Verhaltens für Mitarbeiter durch eine klare Festlegung strategischer Eckpunkte zur Service Excellence, ¾ Vernetzung von Service und Branding durch die Fokussierung auf ein markenkongruentes Verständnis von Serviceverhalten, ¾ Initiierung von Verhaltensänderungen durch unterschiedliche Ansatzpunkte eines Change hin zu Service Excellence ¾ Etablierung einer Service-Leadership-Verantwortung unter den Führungskräften, ¾ dauerhafte Etablierung der Veränderungen durch die Nutzung unterschiedlicher Instrumente zur Sicherung der Nachhaltigkeit.
Methoden zur Nachhaltigkeit
Strategische Bedeutung von Service
Service Excellence
Service Leadership
Ansatzpunkte Change
Abbildung 1:
Verhaltensorientiertes ServiceVerständnis
Strategische Eckpunkte
Branded Customer Service
Gesamtperspektivische Ansatzpunkte für eine verhaltensorientierte Entwicklung von Service Excellence vom Know-how zum Do-how.
Entsprechend wird in Kapitel 2 „Services und Servicing“ darauf eingegangen, in welcher Weise bereits das Grundverständnis von Service entscheidend dafür ist, ob Service-Verhalten im Kundenkontakt tatsächlich gelebt wird. Im Kapitel 3 wird der strategische Rahmen auf dem Weg hin zur Service Excellence in Form von vier verhaltensrelevanten Eckpunkten diskutiert. Im Kapitel 4 „Branded Customer Service“ geht es um eine Schärfung des ServiceVerhaltens im Sinne eines markenkongruenten Service-Verhaltens („Mitarbeiter als Marke“).
Service Excellence
287
Im Kapitel 5 „Change zu Service Excellence“ werden methodische Ansatzpunkte für die Veränderung hin zur Service Excellence beschrieben. Von besonderer Bedeutung ist die Service-Leadership-Verantwortung der Führungskräfte. Abschließend zeigt das Kapitel 6 „Nachhaltigkeit erzeugen“ auf, wie verändertes Service-Verhalten durch begleitende Maßnahmen dauerhaft gesichert werden kann.
2
Services und Servicing Ein verhaltensrelevantes Verständnis von Service Excellence
2.1
Services und Servicing
Die Frage, ob Service Excellence von Mitarbeitern im Alltag gelebt und von Kunden erlebt wird ist wesentlich davon abhängig, wie das im Unternehmen vorherrschende Grundverständnis von Service geprägt ist. Notwendig ist ein verhaltens- und emotionsbasiertes Service-Verständnis. Allzu oft dominiert allerdings einseitig ein prozessbasiertes bzw. technisches Verständnis von Service Excellence. Ohne einen Diskurs in die vielfältige definitorische Begriffsgeschichte des Wortes „Service“ vornehmen zu wollen, sind folgende zwei Aspekte zentral: Service als Dienstleistungsangebot und Service als Verhalten. Den Unterscheid kann man problemlos in einem Alltagsexperiment in einer Fußgängerzone verdeutlichen. Bitten sie beliebige Menschen, ihnen ein Beispiel für guten „Service“ zu nennen. Sie erhalten eine ganze Reihe von Nennungen, die sich auf Lieferservice, Reparaturservice, technischen Service, Service-Hotlines, kostenlose Zusatzangebote wie z. B. Tracking-Systeme im Paketversand beziehen. Gemeinsam ist diesen Nennungen, dass sie als ServiceProdukt unternehmerisch organisierbar, planbar, kalkulierbar, zum Teil automatisierbar und prinzipiell auch verkaufbar sind. Ob die Service-Leistungen dieser Art in Anspruch genommen werden oder nicht, liegt in der Entscheidung des Kunden. Sie erhalten auf das Stichwort „Service“ in der Fußgängerzone aber ebenso eine große Anzahl von Nennungen, die sich auf die Freundlichkeit der Bedienung, auf das Gefühl einer besonders individuellen Betreuung, auf einen Eindruck des Kümmerns, auf den Sympathie-Faktor in der Begegnung, schlicht auf die Art und Weise des Kontakts beziehen. Dieser Aspekt von Service stellt kein Produkt dar, sondern ist das Service-Verhalten des einzelnen Mitarbeiters, die persönliche Begegnung von Kunde und Service-Geber, von Mensch zu Mensch. Zur besseren Unterscheidung dieser beiden Aspekte differenzieren wir zwischen Services als den Dienstleistungen, die ein Kunde in Anspruch nehmen kann und dem Servicing als der Art und Weise, wie Mitarbeiter und Kunden im Verhalten miteinander umgehen. Services sind definierte Dienstleistungsangebote (= Was), Servicing ist das Service-Verhalten (= Wie). Services sind einfach beschreibbar und vergleichbar. Servicing dagegen ist schwerer fassbar.
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MÖNCH/GOLLER
Services = Dienstleistungsangebote
Servicing = Verhalten, Art und Weise des Umgangs
Beispiele: Lieferservice, technischer Service, Service-Hotline
Beispiele: Freundlichkeit, Verständnis, Engagement
Verantwortung: Unternehmen
Verantwortung: Mitarbeiter
Abbildung 2:
Unterscheidung von Services und Servicing
Die Unterscheidung von Services und Servicing ist deshalb zentral und wichtig, weil oftmals ein Ungleichgewicht beider Aspekte zu beobachten ist. Viele Unternehmen investieren zwar sehr viel Energie in die Organisation und Abwicklung der Services, vernachlässigen darüber allzu oft aber eine professionelle Weiterentwicklung des Servicing. Wird beispielsweise die Einführung eines neuen Umtauschservices mit detaillierten Prozessbeschreibungen dokumentiert und organisatorisch perfektioniert, wird im Bezug auf das Servicing oftmals darauf vertraut, dass die Mitarbeiter es schon von alleine hinbekommen. Wenn Service Excellence, also das Erfüllen und Übertreffen von Kundenerwartungen, das Ziel ist, dann müssen nicht nur die Services, sondern ebenso auch das Servicing mit Leidenschaft und Excellence betrieben werden. Diese unausgewogene Betonung der Services auf Kosten des Servicing birgt eine zentrale Gefahr in sich: Die Verantwortungsübernahme des einzelnen Mitarbeiters für Service Excellence geht verloren und wird allzu leicht auf Systeme und Prozesse abgewälzt. Ein Beispiel dafür kann häufig bei der Einführung von Customer-Relationship-Management-(CRM)-Systemen beobachtet werden. Die Prozesse und die Software sind aufs Beste mit viel Aufwand durchdacht – das ist und bleibt auch wichtig. Im direkten Kontakt mit dem Kunden am Point of Sale werden die Informationen aber kaum genutzt, um damit ein passgenaues und individuell herausgehobenes Service-Erlebnis für den Kunden zu gestalten. Nur wer hier in seinem Service-Verständnis nicht nur allgemein von Service spricht, sondern differenziert auch das Servicing im Fokus behält, wird Service Excellence erreichen. Schauen wir uns diesen zentralen Effekt der Verantwortungs-Diffusion für Service Excellence bei der einseitigen Betonung der Services auf Kosten des Servicing etwas detaillierter an.
Service Excellence
289
¾ Gefahr 1: Die Kreativität für die Ausgestaltung von Serviceangeboten wird einseitig auf Unternehmensstrategen abgewälzt. Einzelne Services werden in der Regel vom Unternehmen organisiert, nicht vom einzelnen Mitarbeiter. Lieferservice, Installationsservice, Kulanzregelungen, Umtauschservice, Verpackungsservice u. v. m. – all das stellt das Unternehmen zur Verfügung, nicht der einzelne Mitarbeiter. Wenn Service Excellence vor allem im Sinne der Services verstanden wird, dann klingt der Aufruf nach Service-Verbesserungen in den Ohren der Mitarbeiter vor allem danach, dass irgendwelche UnternehmensStrategen gefordert sind, sich einen neuen Service auszudenken. Eine Initiative für Service Excellence klingt dann schnell nach dem Motto: „Mal abwarten, was sie sich jetzt für einen neuen Service ausdenken.“ Das Problem einer einseitigen Betonung der Services auf Kosten des Servicing liegt also darin, dass Mitarbeiter deutlich zu wenig Primärverantwortung für das Service-Erlebnis des Kunden übernehmen. Die Ausgestaltung der Service Excellence wird vom Mitarbeiter an das Unternehmen „delegiert.“ Service Excellence wird reduziert auf die Entwicklung neuer Service-Angebote durch das Unternehmen. ¾ Gefahr 2: Die Verantwortung für die Kommunikation der Service-Angebote wird auf die Marketingabteilung abgewälzt. Wenn Service Excellence vor allem als das unternehmensseitige Anbieten einzelner Services verstanden wird, dann wird die Kommunikation von Serviceleistungen primär als Aufgabe der Marketingabteilung betrachtet. Das Problem: vorhandene Services werden von den Mitarbeitern am Point of Sale (PoS) im direkten Kundenkontakt nicht aktiv und konsequent genug angeboten. Zu beobachten ist, dass Mitarbeiter zwar auf Nachfrage hin einzelne Services erklären können, die Hauptverantwortung für exzellente Service-Erlebnisse des Kunden aber immer noch zu sehr auf Unternehmens- und zu wenig auf Mitarbeiterseite gesehen wird. ¾ Gefahr 3: Service Excellence wird vor allem als Prozesstreue verstanden. Mitarbeiter verstehen ihre Verantwortung für Service Excellence vor allem in dem Einhalten der StandardService-Prozesse. Die Gefahr besteht darin, dass Kreativität und das individuelle Zufriedenstellen von Kundenwünschen nicht mehr möglich ist. Es ist häufig zu beobachten, dass Mitarbeiter primär von der Sorge getrieben sind, auf keinen Fall gegen einen definierten Prozess zu verstoßen anstatt eine individuelle Problemlösung für den Kunden zu ermöglichen. Eine dominante Sorge vor Prozessfehlern erstickt die Entfaltung von Service Excellence. Die beschriebenen Effekte zeigen deutlich die Gefahren einer einseitigen Überbetonung der Services gegenüber dem Servicing. Wer undifferenziert von Service Excellence spricht läuft Gefahr, die Verantwortung der Mitarbeiter für das Gestalten von Service Excellence im direkten Kundenkontakt nicht ausreichend genug zu thematisieren und auf ein bloßes Anbieten der Services zu reduzieren. Mit dem verhaltensorientierten Begriff des Servicing wird genau dies geleistet: Servicing liegt klar in der Gestaltungsverantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters. Der Begriff erhöht die Fokussierung und Verantwortung der Mitarbeiter auf gelebte Service Excellence. Die Unterscheidung von Services und Servicing legt somit die Basis für ein verhaltensorientiertes Verständnis von Service Excellence.
290
2.2
MÖNCH/GOLLER
Service-Geber im Gefühl-mach-Business
Kunden unterscheiden in der Regel nicht trennschaft und analytisch zwischen Services und Servicing. Für sie ist der Service eines Unternehmens vor allem ein Service-Erlebnis. Die Komplexität dessen, was vom Service des Unternehmens beim Kunden als gefühltes Erlebnis ankommt, lässt sich in der Regel schwer definieren, macht aber gerade darin eines deutlich: Service ist das individuelle Erlebnis oder Gefühl eines Service-Nehmers beim Kontakt mit dem Service-Geber. Service ist ein Gefühl. Man kann Menschen nicht alleine argumentativ davon überzeugen, dass sie einen guten Service erhalten, sie müssen es auch als solchen empfinden. Wenn Service ein Gefühl ist, dann bedeutet das für Service-Geber, dass sie in erster Linie Gefühlsmacher sind. Service-Geber arbeiten im Gefühl-mach-Business. Exzellenten Service geben heißt, positive Emotionen hervor zu rufen. Was sind das für Emotionen? Service Excellence ist das Gefühl, außergewöhnlich gut betreut zu werden. Es ist das Vertrauen des Kunden in die Integrität und Loyalität des ServiceGebers, dass dieser in des Kunden Interesse handelt. Service Excellence ist das Gefühl, als Kunde wertgeschätzt und individuell behandelt zu werden. Service Excellence signalisiert Freude, Dankbarkeit und Lust, mit Kunden zusammen zu sein. Service Excellence übertrifft einfache Zufriedenheit mit einem Aspekt von Überraschung. Das Verständnis von Service als einem Gefühl verdeutlicht zudem ein weiteres Mal die Relevanz der Unterscheidung von Services und Servicing. Das Gefühl von exzellentem Service lässt sich nicht alleine mit einzelnen Service-Angeboten erzeugen. Das Gefühl von Service Excellence bedarf eines professionellen Servicing. Wenn etwa der außergewöhnliche Lieferservice eines Händlers mit den mürrischen Worten „Ja, zur Not liefern wir es auch nach Hause“ angeboten wird, ist das weit entfernt von einer Service Excellence. Ganz anders, wenn der Händler anbietet: „Sehr gerne liefern wir die Ware heute Nachmittag nach Hause. Sollen wir diese schwere Tüte aus Ihrem Samstagseinkauf auch direkt mitschicken lassen?“ Weil Service ein gefühltes Erlebnis ist, können mit einem exzellenten Servicing sogar Mängel in den Services (teil-)kompensiert werden. Seit Jahren etwa geht ein Freund in einen Friseurladen, der zwar weder Kaffee, Zeitungsauswahl, Musik oder besondere Preise anbietet, in dem er sich aber durch die netten Gespräche wie zuhause fühlt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die begriffliche Unterscheidung von Services und Servicing dazu beiträgt, das teils diffuse Verständnis von Service klar in einen Angebotsaspekt und einen verhaltensrelevanten Aspekt zu trennen. Nur wer ein verhaltensrelevantes Verständnis von Service Excellence etabliert, wird den Weg vom Know-how zum Do-how erfolgreich beschreiten. Das verhaltens- und emotionsorientierte Verständnis von Service Excellence verdeutlicht: „Ich bin verantwortlicher Gefühlsmacher“.
Service Excellence
3
291
Der strategische Rahmen Das Can-Do als Mittler zwischen Know-how und Do-how
Die Grundannahme dieses Beitrags liegt darin, dass eine Verhaltensänderung vom Know-how zum Do-how einer Service Excellence nur im Kontext einer Gesamtstrategie mit mehreren Ansatzpunkten gelingt. Nachdem die Bedeutung eines verhaltens- und emotionsbasierten Verständnisses von Service Excellence in der Unterscheidung von Services und Servicing grundgelegt wurde, geht es nun um den strategischen Rahmen, der die Eckpunkte serviceexzellenten Verhaltens beschreibt. Bevor Mitarbeiter Service Excellence umsetzen, muss deutlich werden, welche Eckpunkte den Rahmen abstecken sollen, in dem Service Excellence gestaltet werden soll und kann. Wer sich bewegen soll, braucht anfangs ein Geländer. Ermutigung braucht deshalb auch Sicherheit. Daher ist die Beantwortung der Can-Do-Frage: „Was kann/soll/darf ich machen?“ der Mittler zwischen Know-how und Do-how.
Know-How Ich weiß, was zu tun ist
Abbildung 3:
Can-Do Ich kann/darf/soll tun
Do-How Ich mache es
Can-Do als Mittler zwischen Know-how und Do-how
Wie sieht ein solcher strategischer Rahmen im Hinblick auf Service-Verhalten aus? Er sollte mindestens folgende zwei Punkte verdeutlichen: 1.
das strategische Differenzierungspotenzial von Service Excellence am Markt und
2.
die strategischen Eckpunkte der Service Excellence.
3.1
Service Excellence als strategisches Differenzierungspotenzial
Der strategische Rahmen von Service Excellence dient zuallererst dazu, Klarheit über die Bedeutung von Service im Kontext der Unternehmensstrategie zu schaffen. Service Excellence hat das Potenzial, ein eigenständiges, differenzierendes Merkmal gegenüber Mitbewerbern am Markt zu sein. Dies gilt spätestens dann, wenn der Wettbewerb in der reifen Phase des Produktzyklus` angelangt ist, so dass aufgrund großer Ähnlichkeit durch Produkte kaum mehr ein Vorteil zu erlangen ist.1
1
Vgl. DAVIDOW/UTTAL (1995), S. 50 ff., und online: MERCER MANAGEMENT CONSULTING (2007).
292
MÖNCH/GOLLER
Für den Erfolg einer derartigen Differenzierungsstrategie sind zwei Punkte entscheidend: 1.
Das Management des Unternehmens muss sich mit strategischer Prägnanz und Konsequenz für den Ansatz einer Differenzierung durch Service Excellence entscheiden. Eine solche Entscheidung gibt dem Thema Service eine langfristige Perspektive, einen übergreifenden Einfluss und ein Gewicht in Prioritätenentscheidungen. Service als Strategie hat Einfluss auf die Organisation, die Prozesse, die Preise, etc., auf alle zentralen Bereiche eines Unternehmens. Es geht darum, sich eine „Vision von Perfektion zu schaffen, die sich auf den Kunden konzentriert“2, ohne alles und jedes machen zu wollen. Es ist die Entscheidung, so gut zu sein, dass man sich abhebt.
2.
Den Mitarbeitern muss die strategische Bedeutung der Service Excellence klar und täglich präsent sein. Allzu oft ist Mitarbeitern nicht ausreichend bewusst, wie entscheidend ihr Service-Verhalten ist und wie sehr der Erfolg des Unternehmens davon abhängig ist. Servicing wird oft nur als flüchtiger Augenblick von nachrangiger Bedeutung banalisiert. Im Zweifel werden Produkte und Preise als wichtiger angesehen. Wenn Service aber Strategie ist, ist genau das Gegenteil richtig. Service Excellence als Differenzierungsstrategie ist keine Garnitur, sondern Hauptspeise. Ob Service Excellence durchgängig und mit Begeisterung gelebt wird, ist auf der gleichen Ebene anzusiedeln, ob ein Produkt lieferbar ist oder nicht. Bei den Servicings darf es keine „Lieferschwierigkeiten“ geben.
Ein gutes Beispiel dafür, wie man sich auf Basis eines strategischen Premiumanspruches von Service am Markt selbst durch Servicedetails differenzieren kann, bietet BMW Schweiz: Bei einer Probefahrt reservieren ausgewählte Autohäuser namentlich einen Parkplatz für den Probefahrer. Auf Wunsch erhält der Kunde für die Probefahrt eine Auswahl von CDs mit seiner Lieblingsmusik. Ein ganz besonderer Service besteht darin, dass das Navigationssystem Kunden während ihrer Probefahrt zu einem besonders stilvollen Café leitet, in dem ein frischer Espresso kostenlos genossen werden kann. Hier entstehen kreative Servicedetails auf der Basis einer Service-Strategie. Wenn Service Excellence als Differenzierungsstrategie vom Management konsequent getragen und bei den Mitarbeitern mit nicht zu unterschätzender Bedeutung klar im Bewusstsein präsent ist, ist die Festlegung eines Service-Rahmens notwendig. Er beantwortet die Frage „Was kann/darf/soll ich als Mitarbeiter tun?“ Wie sehen solche strategischen Eckpunkte aus?
3.2
Strategische Eckpunkte einer Service Excellence
Verhaltensänderungen im Service-Bereich werden nur dann zum Erfolg führen, wenn das Verhalten durch strategische Eckpunkte entsprechend abgesteckt, unterstützt und ermöglicht wird. Die Eckpunkte schaffen den Rahmen, innerhalb dessen service-exzellentes Verhalten ermöglicht wird. Sie machen deutlich, wo es hingeht, was gemacht werden kann – Can Do! Folgende strategische Eckpunkte sind für das Beschreiten des Weges vom Know-how zum Do-how zentral:
2
BLANCHARD/BOWLES (2000), S. 42.
Service Excellence
293
¾ Eckpunkt 1: Im Zweifel entscheidet der Mitarbeiter für den Kunden und gegen den Prozess, ¾ Eckpunkt 2: Service Excellence nach außen bedingt Service Excellence nach innen, ¾ Eckpunkt 3: Von Kunden lernen, was exzellenter Service ist und ¾ Eckpunkt 4: Handlungsfelder für Kundenüberraschungen definieren. 3.2.1
Eckpunkt 1: Im Zweifel entscheidet der Mitarbeiter für den Kunden und gegen den Prozess
Kennen sie als Kunde den Satz „Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber ich darf leider nicht.“ Wie oft steht einem guten Kundenservice ein Standard-Prozess im Wege? Zur Verbesserung solcher Situationen sind in der Regel zwei Strategien möglich: (1) Man versucht durch eine Prozess-Modulierung und -Differenzierung die Standard-Prozesse serviceorientierter zu gestalten. Diese Strategie führt in der Regel zu einem Mehr an Prozessen. (2) Man lässt im Zweifel Ausnahmen gegen den Standard-Prozess zu und ermöglicht so ein individuelles Vorgehen für den Kunden. Eine zu hohe Prozesslastigkeit ist hinderlich für eine Service-Orientierung. Service Excellence ist von Natur aus individuell, sie verlangt kreative Problemlösung statt Sorge um ProzessKonformität. Wer Excellence im Sinne überraschender Wow-Effekte erzielen möchte, wird dies nur partiell mit Hilfe von Standard-Prozessen erreichen. Hierzu zwei Beispiele: ¾ Nach dem Online-Abschluss eines neuen DSL-Vertrags bekommt der Kunden den Router per Post zugesandt. Weil der Router nicht funktioniert, geht der Kunde in den entsprechenden Laden des Anbieters und will ihn umtauschen. Obwohl im Shop gleiche Router vorhanden sind, erklärt der Mitarbeiter, dass ein Umtausch im Shop nicht möglich ist. Begründung: Der Prozess sieht vor, dass bei online abgeschlossenen Verträgen defekte Geräte nur per Rückversand reklamiert werden können. ¾ Wer sich aufgrund von Bahnverspätungen eine Entschädigungsgutschrift ausstellen lassen möchte und sich dazu mit Wartezeit an einem normalen Bahnschalter anstellt, wird zuerst wieder zurück zum ServicePoint geschickt. Hier wartet der Kunde in der Regel wieder, nur um sich die Verspätung bescheinigen zu lassen. Daraufhin kann er sich – nach einer weiteren Wartezeit – die Gutschrift am Bahnschalter ausstellen lassen. Beschwert sich der Kunde über diesen komplizierten Prozess, erhält er zu Antwort, dass der Prozess es so vorschreibt. Das Ergebnis: Zugverspätung plus 30 Minuten Wartezeit für den Prozess. Mitarbeiter, die Ihr Verhalten dem Kunden gegenüber primär davon leiten lassen, nur ja nicht gegen einen standardisierten Prozess zu verstoßen, werden in ihrem Verhalten nicht frei sein für ein leidenschaftliches Anbieten von Service Excellence. Nun können Mitarbeiter selbst sich die Freiheit natürlich nicht geben, dazu bedarf es der strategischen Eckpunkte. Welche Auswirkungen hat der strategische Eckpunkt „Im Zweifel für den Kunden und gegen den Prozess“ auf (a) die Prozesse, (b) die Mitarbeiter, (c) die Führungskräfte und (d) die Organisation?
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(a) Was bedeutet der Eckpunkt Nr.1 für die Prozesse im Unternehmen? Mit der Formulierung des Eckpunkts „Im Zweifel für den Kunden und gegen den Prozess“ sollen die Standard-Prozesse keineswegs abgeschafft und das Vorgehen einer Beliebigkeit Preis gegeben werden. Standardprozesse sind notwendig und hilfreich, bilden eine Entlastung für Mitarbeiter und ermöglichen eine effiziente Organisation von Service-Leistungen. Im Zweifel – und der tritt immer dann auf, wenn eine einfache Lösung für den Kunden am Prozess vorbei möglich ist und damit Unzufriedenheit verhindert und Begeisterung hervorgerufen wird – muss der Mitarbeiter in seiner Verantwortung für die Loyalität des Kunden gegen den Prozess entscheiden können. Kundenloyalität erreicht man nicht durch interne Prozesskonformität, sondern durch Kunden, die mit einem Gefühl der Begeisterung den Laden verlassen. (b) Was bedeutet der Eckpunkt Nr.1 für Mitarbeiter? Er bedeutet für den Mitarbeiter mehr Verantwortung und Zutrauen in seine Arbeit. Mit der Formulierung des Eckpunkts traut das Unternehmen seinen Mitarbeitern zu, verantwortungsvolle Entscheidungen für Kunden zu treffen. Er ist das ausgesprochene Vertrauen in die situative Entscheidungskompetenz und in das Urteilsvermögen der Mitarbeiter, immer im Blick auf die Gesamtverantwortung für den Erfolg eines Unternehmens. (c) Was bedeutet der Eckpunkt Nr.1 für Führungskräfte? Aufgabe der Führungskräfte ist es, die Mitarbeiter zur Nutzung ihres Spielraumes für die Kunden zu ermutigen. Der Fokus der Führungskräfte liegt nicht primär darauf, ob Mitarbeiter etwas richtig machen, sondern darauf, ob sie etwas gut machen nämlich Kunden einen exzellenten Service zu bieten. Aufgabe der Führungskraft ist es, Entscheidungen im Sinne des Eckpunkts gemeinsam mit dem Mitarbeiter zu reflektieren. Auch dann, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Mitarbeiter besser anders agiert hätte, sollte die Führungskraft das Bemühen um eine gute Kundenlösung positiv wertschätzen. Beispiel: Nach der berechtigten Beschwerde eines Kunden und einer erkennbaren Kündigungsbereitschaft gewährt der Mitarbeiter dem Kunden eine Kulanzgutschrift, die laut Prozess über seine Verfügungsgewalt hinausgeht und von der Führungskraft hätte genehmigt werden müssen – diese war aber gerade in Mittagspause. Selbst wenn die Führungskraft die Höhe der Kulanz im Nachhinein als zu hoch kritisiert, muss ihre Botschaft an den Mitarbeiter lauten: „Auch wenn ich Sie bitte, in dieser Einzelfrage demnächst anders zu entscheiden, war Ihr Bemühen, den Kunden durch einen schnellen und guten Service zufrieden zu stellen richtig. Trauen Sie sich weiterhin dies zu leben. Einzelfälle werden wir immer gemeinsam klären können.“ (d) Was bedeutet der Eckpunkt Nr.1 für die Organisation? Auch Abteilungen ohne direkten Kundenkontakt wie etwa das Controlling oder die Revision müssen den Eckpunkt „Im Zweifel für den Kunden und gegen den Prozess“ mittragen. Es gilt unbedingt zu verhindern, dass im Nachhinein eine langwierig rechtfertigende Diskussion über die Abweichung vom Standardprozess einsetzt. Deshalb: Controlling und Revision frühzeitig in die Service Excellence einbinden und den strategischen Rahmen des Unternehmens klären.
Service Excellence
3.2.2
295
Eckpunkt 2: Service Excellence nach außen bedingt Service Excellence nach innen
Woraus entsteht die Motivation und Lust eines Mitarbeiters, für Kunden exzellente ServiceErlebnisse zu schaffen? Sie entsteht aus einer grundlegenden Service-Atmosphäre heraus, die dann entsteht, wenn Menschen selber die Erfahrung von Service machen. Und das ist am einfachsten intern möglich. Wer selbst einen exzellenten Service erlebt, verfügt nicht nur über einen breiten Pool von Service-Beispielen, sondern wird sich automatisch an den gesetzten und erlebten Standards orientieren. Insofern hat Service Excellence eine ansteckende Wirkung. Wenn eine Person selbst freundlich behandelt wird, dann wird auch sie im nächsten Kontakt ihr Gegenüber freundlich und zuvorkommend behandeln. Und umgekehrt: Wer selbst soeben als Kunde schlechten Service erlebt hat, der wird auch selbst nicht in der Stimmung sein, einen Top-Service zu geben. Die Erfahrungen, die wir selbst machen, wirken sich auf unser eigenes Verhalten aus. Aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich der zweite Eckpunkt: Service Excellence nach außen bedingt Service Excellence nach innen. Eine Top-Service-Qualität nach außen gegenüber dem Kunden wird dauerhaft niemals besser sein können als der Service, der nach innen gelebt wird. Nur wenn Mitarbeiter und Führungskräfte untereinander Servicing in Form von Leidenschaft, Perspektivenübernahme, Unterstützung, Wertschätzung und Spaß im Miteinander leben, werden sie in der Lage sein, dies auch einem externen Kunden zu vermitteln. Der psychologische Mechanismus, der über die Service-Atmosphäre den internen mit dem externen Service derart eng miteinander verbindet, ist ein doppelter. Zum einen ist es ein Mechanismus der Stimmungsübertragung, in dem sich die durch ein positives Service-Erlebnis induzierte positive Stimmung auf das eigene Verhalten, die Divergenz des Denkens und somit auf die Kreativität auswirkt. Zum anderen ist es ein Mechanismus, der über Beispieleffekte seine Wirkung entfaltet. Je konkreter und zahlreicher unsere Ideen darüber sind, was Service Excellence bedeutet, desto einfacher fällt es uns, in verschiedenen Situationen beispielkonform zu handeln. Im Folgenden sind ein paar Beispiele für internen Service aufgeführt: ¾ Bei der Besprechung des Managers mit seiner Assistentin fragt der Manager, was die Assistentin trinken möchte und geht selbst Glas und Getränk in der Küche besorgen. ¾ Die Führungskraft im Handel zeigt deutliche Präsenz im Ladenlokal und unterstützt die Mitarbeiter durch ein enges Feedback und in der Suche nach alternativen Verhaltensweisen in schwierigen Situationen. Die Führungskraft versteht diese Tätigkeit primär nicht als Kontrolle, sondern als unterstützende Service-Funktion für die Mitarbeiter. Führung ist Service. ¾ Nicht die obersten Manager erhalten zuerst die neuesten Produkte, sondern die Mitarbeiter am Point of Sale. Viel zu oft ist zu beobachten, dass die Führungsetage zwar stolz die neuesten Geräte zeigt, die Mitarbeiter im Shop aber regelmäßig zu spät oder in zu geringer Anzahl an die neuen Geräte kommen. ¾
Ein Kollege möchte sich einen Kaffee holen. In der allgemeinen Kaffeeküche stellt er fest, dass in der Kanne nur noch eine letzte Tasse Kaffee ist. Statt sich mit einem Glückpilzgefühl einfach die letzte Tasse zu nehmen, brüht er neuen Kaffee auf und sagt den Kollegen Bescheid, dass frischer Kaffee fertig ist.
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Wer intern eine hohe Service-Qualität lebt und damit eine Service-Atmosphäre schafft, wird auch extern die Motivation und Lust zu exzellentem Service-Verhalten stärken. Die Motivation, selbst gemachte Erfahrungen mit gleicher Begeisterung weiterzugeben und auszuprobieren, trägt wesentlich dazu bei, ein abstraktes Know-how von Service Excellence in ein begeisterndes Do-how zu übertragen. 3.2.3
Eckpunkt 3: Von Kunden lernen, was exzellenter Service ist
Wer kann besser definieren was Kunden begeistert, als die Kunden selbst? Deshalb ist das Lernen von Kunden die beste und günstigste Beratung auf dem Weg zur Service Excellence. Wenn es um die Entwicklung neuer Produkte geht, sind Unternehmen schon lange mit Hilfe von Marktforschungs-Methoden sehr nah mit ihrem Ohr an den Wünschen des Kunden. Das gleiche sollte auch bei der Weiterentwicklung der Services wie auch der Servicings geschehen. Sowohl im individuellen Bereich (Welchen Service wünscht sich Kunde X?), wie auch im übergreifend-strategischen Bereich (Welchen Service wünschen sich unsere Kunden?) lernen Unternehmen bislang zu wenig von ihren Kunden. Ein ausgesprochen gutes Beispiel für das Lernen von Kunden im Service ist die Hotel- und Gastronomie-Branche. Wer häufig in Hotels übernachtet bemerkt, dass es in immer mehr Hotelzimmern neben überteuerten Minibars auch Wasserkocher für kostenlose Tee- und Kaffeegetränke gibt. Auch die Laptopsteckdose in Hotelsafes ist ein Wunsch von Kunden. Ein ganz besonders hervorragendes Beispiel eines Lernens von Kunden stellt folgende Begebenheit dar: Ein Geschäftsreisender hat sich daran gewöhnt, nach Betreten des Hotelzimmers immer zuerst vom Schreibtisch sämtliche Prospekte, Flyer, Zeitschriften, Schildchen und Infomappen wegzuräumen, damit er dort arbeiten kann. Bei mehrtägigen Aufenthalten ist er es bereits gewohnt, die Prozedur jeden Abend wieder aufs Neue zu wiederholen, weil der Zimmer-Service tagsüber alles wieder ordentlich auf dem Schreibtisch drapiert hat. Umso überraschter war er, als er nach dem Wochenende wieder das Hotelzimmer bezog: Sämtliche Tische waren frei von Prospekten. Nur ein einzelner handgeschriebener Zettel lag auf dem Tisch: „Ich habe bemerkt, dass Sie die Informationsprospekte lieber gebündelt an der Seite liegen haben. Falls Sie Informationen benötigen, finden Sie die Prospekte in der Schublade Ihres Schreibtisches.“ Hier hatte ein ganz besonders aufmerksamer Mensch wahrgenommen, was Service Excellence heißt. Service Excellence durch Lernen vom Kunden. Das Lernen vom Kunden sollte sich unbedingt auch auf das Servicing beziehen, z. B. auf den Umgang mit Warteschlangen. Die meisten Kunden berichten, dass die Aufnahme eines Blickkontaktes entlang der wartenden Schlange keineswegs als weitere Verzögerung angesehen wird (dies ist die Sorge vieler Mitarbeiter am Point of Sale), sondern als eine positive Form der Wertschätzung. Lernen von den Kunden heißt: Lieber konsequent den Blickkontakt zu den Wartenden halten, als aus einer Hektik heraus den Blick nur auf den augenblicklichen Kunden zu fixieren. Ein Lernen von Kunden braucht auf der Prozessseite entsprechende Wege, damit die Ideen und Wünsche der Kunden auch tatsächlich abgeschöpft werden und im Unternehmen ankommen. Kundennachbefragungen oder eine systematische Auswertung von Beschwerdegründen sind hierzu mögliche Ansätze. Ein sicherer Weg ist es auch, bei Mitarbeitern darauf zu hören, über welche angeblich übertriebenen Service-Wünsche von Kunden sie stöhnen. Man erkennt diese Situationen an Mitarbeitersätzen wie „Unverschämt, was die Kunden erwar-
Service Excellence
297
ten!“ oder „Früher waren die Leute noch bescheidener.“ Wer hier genau hinhört statt zu stöhnen, lernt vom Kunden Service Excellence. Der Eckpunkt Nr. 3 „Lernen von Kunden“ macht noch ein weiteres deutlich: Service Excellence ist nicht eine Frage der Quantität von Service-Angeboten, sondern eine Frage der Qualität, Außergewöhnlichkeit und Passgenauigkeit von Service. Excellence entsteht nicht durch möglichst viele Service-Angebote. Nur wer bereit ist, von Kunden individuell zu lernen, wird in der Lage sein, Excellence zu kreieren, nämlich das Gefühl, überraschend individuell, begeisternd passgenau und vorausschauend lösungsorientiert zu agieren. 3.2.4
Eckpunkt 4: Handlungsfelder für Kundenüberraschungen definieren
Ein letzter Punkt fehlt noch im strategischen Rahmen des Can-Do, um das Know-how zum Do-how zu entwickeln, um Service Excellence zu leben. Es ist die Definition vorrangiger Handlungsfelder, in denen ein Unternehmen Service Excellence etablieren möchte. Was sind solche Handlungsfelder? Handlungsfelder der Service Excellence sind abgrenzbare und definierte Schwerpunktsituationen, in denen Mitarbeiter durch ein entsprechend begeisterndes Verhalten außergewöhnliche Service-Erlebnisse kreieren sollen. Handlungsfelder können bestimmte Augenblicke oder Einzelsituationen sein, die sich mit einem Kunden im Verlauf des Kontaktes ergeben. Handlungsfelder können sich auch aus bestimmten Personengruppen ergeben. Beispiele für Handlungsfelder sind: ¾ die Begrüßungssituation im Laden, ¾ die Wartezeit vor einem Schalter, ¾ die Abgabe einer Beschwerde, ¾ die Übergabe eines Produktes an den Kunden, ¾ Eltern mit Kindern etc. Die BMW-Autohäuser in der Schweiz haben sich beispielsweise die Handlungsfelder „Probefahrt“ und „Auslieferung“ als Schwerpunktbereiche aktueller Service-Excellence-Maßnahmen herausgegriffen. Warum ist es notwendig Handlungsfelder zu definieren? Die Handlungsfelder machen Service Excellence konkreter. Sie bewirken Klarheit für Mitarbeiter, in welchen Situationen es auf ein Top-Verhalten ankommt, um Service-Begeisterung zu bewirken. Handlungsfelder umgehen somit ein diffuses „Wir wollen überall und allgemein im Service besser werden.“ Handlungsfelder stellen eine Priorisierung von Situationen dar. Handlungsfelder haben Signalwirkung: „Achtung – jetzt exzellenten Service leisten.“ Wichtig ist eine sorgfältige Auswahl der Handlungsfelder nach folgenden Kriterien: ¾ Relevanz der Situation für die Wahrnehmung der Service-Qualität aus Kundensicht. Wählen sie solche Situationen als Handlungsfelder aus, die den größten Einfluss auf die Service-Begeisterung von Kunden haben. Wenn man in der Versicherungs-Branche weiß, dass die Beratung im Schadensfall einen ganz besonders großen Einfluss auf das ServiceErlebnis hat, dann sollte man genau diese Beratungssituation als Handlungsfeld definieren.
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¾ Häufigkeit, mit der ein Handlungsfeld auftritt. Wählen sie Situationen aus, die standardmäßig auftreten, so dass es eine ausreichend hohe Anzahl von Chancen gibt, das Erlebnis von Service Excellence zu produzieren. Verändertes Verhalten lässt sich aufgrund der begrenzten Ressourcen unserer Aufmerksamkeit nur in wenigen Bereichen zeitgleich mit Erfolg umsetzen. Es sollten deshalb für den ersten Schritt nicht mehr als drei Handlungsfelder ausgewählt werden. Das vorliegende Kapitel sollte deutlich machen, dass eine nachhaltige Verhaltensänderung hin zur Service Excellence einen strategischen Rahmen voraussetzt. Aufgabe dieses Rahmens ist es, die strategische Bedeutung eines service-exzellenten Verhaltens herauszustellen und den Mitarbeitern in Form von Eckpunkten eine Orientierung zu geben, was sie tun können: ¾ Mitarbeiter können sich im Zweifel für den Kunden und gegen den Prozess entscheiden, ¾ Mitarbeiter können dadurch einen besseren Service nach außen geben, indem sie intern Service Excellence leben, ¾ Mitarbeiter können von Kunden lernen und ¾ Mitarbeiter können sich auf die definierten Handlungsfelder konzentrieren. Das strategische Differenzierungspotenzial von Service Excellence und die Eckpunkte sind umso wirkungsvoller, je prägnanter und einzigartiger Service Excellence definiert ist. Um den Unterschied zwischen generischer Service Excellence und einzigartiger Service Excellence zu definieren, hilft eine Verzahnung von Branding und Service Excellence, wie es dem Konzept des Branded Customer Service zugrunde liegt.
4
Branded Customer Service Der Mitarbeiter als Marke
Was haben Markenimage und Service Excellence miteinander zu tun? Die Marke spezifiziert Service Excellence für ein Unternehmen auf einzigartige Weise und definiert die Differenz zur generischen Service Excellence. Service Excellence wiederum macht das Markenimage greifbar und konkret, indem es für eine Übersetzung des Images in ein markenkongruentes Serviceverhalten sorgt. In der Kombination geht es also um (marken-)spezifisches Verhalten. In diesem Sinne kann gesagt werden: Der Mitarbeiter ist mit seinem Serviceverhalten die Marke. Ein einfaches Beispiel demonstriert die spezifizierende Wirkung der Marke auf das Serviceverhalten: Service bei BMW, der Freude verbreiten will, ist anders, als Service in einem RitzCarlton Hotel, der ein Gentleman-Gefühl schaffen möchte; ersterer ist verspielter, letzterer ist exklusiver. Das heißt, Servicegeber müssen sich unterschiedlich verhalten. Es ist ein Missverständnis, wenn das Markenimage von Handelsunternehmen alleine mit einem Logo oder einer Werbung, einem Produkt oder einem Design verbunden wird. Das Image einer Handelsmarke wird wesentlich davon geprägt, welche konkreten Erlebnisse Kunden mit einer Marke haben. Wer kreiert diese Erlebnisse? Es sind vor allem die Mitarbeiter, die durch ihr Verhalten Erlebnisse produzieren, die der Kunde mit der Marke verbindet.
Service Excellence
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„Branded Customer Service“ nennen BARLOW und STEWART diese verhaltensorientierte Verbindung von Marke und Service.3 Widerspricht das Serviceverhalten eines Mitarbeiters dem Markenimage, dann werden womöglich Hunderttausende von Euro in den Sand gesetzt, die dafür ausgegeben wurden, die gewünschte Wahrnehmung und Empfindung der Marke zu etablieren. Betrachten wir das Phänomen anhand eines Negativbeispiels: Auf der Suche nach einer neuen Geldanlage ging die Kundin in eine Bank, die damit wirbt, „Die Beraterbank“ zu sein. Bereits nach zwei Minuten präsentierte der Kundenberater die, wie er sagte ‚optimale Anlage‘. Verwundert darüber, wie der Kundenberater denn eine für sie optimale Anlage finden könnte, ohne dass er grundlegende Fragen über Anlagevolumen, Zeithorizont, etc. gestellt hatte, fragte die Kundin nach Alternativen. Der Berater bestand darauf, dass sein Angebot das Beste für sie sei. Auch bei anderen Banken wäre dies zweifelsohne eine schlechte Beratung gewesen. Angesichts des Markenversprechens „Beraterbank“ wirkt sich das Verhalten des Mitarbeiters allerdings dramatisch auf die Marke aus. Im Zweifel haben das Verhalten eines Mitarbeiters und die konkrete Erfahrung eines Kunden einen weitaus größeren Einfluss auf das Markenimage als jede Broschüre oder Werbung. Dies liegt darin begründet, dass Markenimage und Service-Erlebnis in einem Verhältnis aus Versprechen und Einlösung stehen. Entspricht das Verhalten des Mitarbeiters nicht dem, was die Marke verspricht, sprechen BARLOW und STEWART von einem Off-brand-Verhalten. Egal, ob es ein Unternehmen ist, das laut Werbung ein „Kommunikationsprofi“ ist, dessen Mitarbeiter aber kaum den Mund aufbekommen oder ein Geschäft, das zwar mit einem Poster „Kunden zuerst“ wirbt, an dessen Informationsschalter man aber regelmäßig warten muss, bis die Kollegen erst untereinander ihre Themen geklärt haben, immer führt das Verhalten der Mitarbeiter dazu, dass das Versprechen der Marke unglaubwürdig wird. Schafft es ein Mitarbeiter dagegen in seinem Verhalten beim Kunden ein markenkongruentes Erlebnis zu kreieren, spricht man von einem On-brand-Verhalten. Wenn der Serviceberater in einem BMW-Autohaus Spaß und Freude ausstrahlt, dann macht dieser Mitarbeiter in seinem Verhalten die „Freude am Fahren“ glaubwürdig und überzeugend. Ein Customer-Service, der „gebranded“ ist, macht das Spezifische einer Marke lebendig. Ein Branded Customer Service hilft den Weg vom Know-how zum Do-how zu gehen, weil Service Excellence markenbezogen spezifiziert werden kann und gleichzeitig das Serviceverhalten durch die Markenrelevanz bedeutungsmäßig aufgewertet wird.
3
Vgl. BARLOW/STEWART (2004).
300
5
MÖNCH/GOLLER
Change zu Service Excellence
Auf dem Weg vom Know-how zum Do-how einer Service Excellence wurde gezeigt, dass neben einem verhaltensrelevanten Verständnis in der Unterscheidung von Services und Servicing vor allem ein strategischer Rahmen notwendig ist. Dieser stellt die strategische Bedeutung von Service heraus und definiert Eckpunkte, durch die service-exzellentes Verhalten herausgefordert und ermutigt wird. Eine weitere Schärfung von Service hin zur Excellence wurde durch eine Verknüpfung mit dem Branding-Thema erreicht, so dass Service Excellence nun als markenkongruentes Serviceverhalten spezifiziert wird. Im nun folgenden Kapitel werden aus unserer Sicht zentrale methodische Ansatzpunkte eines Change Managements hin zur Service Excellence vorgestellt.
5.1
Ausgangsschwierigkeiten der Veränderung zur Service Excellence
Voraussetzung für eine Veränderung hin zur Service Excellence auf Ebene der Organisation ist die Veränderung von Menschen hin zur Service Excellence. Ohne persönliche Veränderungen gibt es keine Veränderung der Organisation insgesamt. Eine persönliche Veränderung setzt aber Menschen voraus, die mit Blick auf Ihr Serviceverhalten von sich sagen „Ich muss mich anders verhalten.“ Eine Erkenntnis, die weder banal noch weit verbreitet ist, denn wer Erfahrung mit Trainingsmaßnahmen auf diesem Gebiet hat, wird die Grundschwierigkeit kennen, wenn man das Thema „Service“ anspricht: Die Reaktion der Teilnehmer ist oftmals eine Mischung von selbstverständlich-gelangweilter Zustimmung („Kennen wir schon“), empört-beleidigter Reaktion („Machen wir schon lange“) und einer unterschätzenden Banalisierung der Umsetzungsschwierigkeit („Ja, kein Problem“). Kennen wir – machen wir – ja kein Problem. Weil wir Dinge kennen, glauben wir, dass wir sie auch tun. Ein Fehlschluss: Das Know-how ist keineswegs selbstverständlich ein Do-how. Hinzu kommt, dass sich oftmals jeder Einzelne besser glaubt, als die Organisation insgesamt. Eine solche Gesamteinschätzung hemmt den Impuls „Ich muss mich anders verhalten“ und verweist eher auf eine Veränderungsnotwendigkeit an anderer Stelle, seien es andere Personen oder die Organisation. In Großunternehmen mag zudem das Phänomen eines dependenten Verhaltens in Organisationen hinzukommen. Dependentes Verhalten zeigt sich darin, notwendige Veränderungen nicht anzugehen, weil man das Gefühl einer geringen Selbstwirksamkeit und stattdessen einer großen Fremdbestimmung durch die Organisation hat. Interessanterweise tritt dependentes Verhalten auch in der mittleren und oberen Führungsebene von Großunternehmen auf, wo man eigentlich davon ausgehen könnte, dass hier die Gestalter und Einflussnehmer des Unternehmens sitzen. Die Komplexität einer Großorganisation scheint jedoch ein Gefühl von Abhängigkeit zu erzeugen, das gerade bei bereichsübergreifenden Fragen zu Hilflosigkeit und Tatenlosigkeit führt. Auch hier stehen wir wieder vor dem Problem, Know-how in Do-how zu übersetzen. Die Herausforderungen bei der Veränderung von Service-Verhalten hin zu einer Excellence bestehen also darin:
Service Excellence
301
¾ Eine kritisch-ehrliche Selbstreflexion hinsichtlich eines konsequenten „Doings“ anzuregen und für die Differenz von Know-how und Do-how zu sensibilisieren, so dass die Erkenntnis „Ich muss mich anders verhalten“ wächst. ¾ Die Verhaltensweisen nicht im Detail statisch-gängelnd vorzuschreiben, sondern aus einer Grundeinstellung heraus individuell und passgenau entstehen zu lassen. ¾ Eine Konsequenz und Verlässlichkeit zu erzeugen, so dass das Service-Versprechen dem Kunden gegenüber eingelöst wird. ¾ Die eigene Grundeinstellung mit Lust und Begeisterung am Service zu stärken, so dass Service-Begeisterung für Kunden von innen nach außen entsteht. Welche Ansatzpunkte zur Verhaltensänderung sind angesichts dieser Herausforderungen besonders erfolgsversprechend, um Service-Verhalten nachhaltig zu verändern? Wenn im Folgenden Standardmaßnahmen wie Rollenspiele, Gruppendiskussionen, Fallstudien und ähnliches nicht erwähnt werden, dann vor allem deshalb, weil diese singulären Trainingsmethoden inzwischen weitestgehend bekannt und in kundenindividuell angepassten Settings selbstverständlich genutzt werden. Unser Fokus liegt auf ausgewählten Ansatzpunkten, die nach unserer Erfahrung besonders wichtig sind.
5.2
Service Leadership
Für die Veränderung einer Service-Kultur als Grundlage für eine umfassende Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Service Excellence ist eine Fokussierung auf das Management und die Führungskräfte entscheidend. Der umgekehrte Weg eines Ansatzpunktes bei den Mitarbeitern am Point of Sale und im direkten Kundenkontakt ist sehr viel weniger nachhaltig und wird schnell an organisationale Grenzen stoßen. Entscheidend ist deshalb ein Service Leadership durch die Führungskräfte; sie gestalten das Unternehmen und geben Richtungen vor. Service Excellence zu entwickeln ist Führungsaufgabe. Service Leadership bedeutet: ¾ Vorbild sein im eigenen serviceorientierten Verhalten, ¾ Mitarbeiter zu einem serviceorientierten Verhalten anzuleiten und zu motivieren und ¾ Initiativen zu einer Verbesserung der Servicequalität im Unternehmen – auch bereichsübergreifend – zu ergreifen und zum Erfolg zu bringen. Wie entwickelt man Service Leadership in einer etablierten Führungsmannschaft? Für ein tiefgreifendes und wirkungsvolles Verständnis von Service Leadership ist es notwendig, dass sich die Führungskräfte über einen längeren Zeitraum, beispielsweise in einem campusartigen Format, mit dem Thema auseinandersetzen. In diesem campusartigen Format lassen sich auch über Jahre hinweg verschiedene Veranstaltungen integrieren, die dem Management eine intensive Beschäftigung mit Ihrer Service Leadership ermöglichen. Zentrale Elemente dieses campusartigen Lernformates für Führungskräfte sind aus unserer Sicht:
302
MÖNCH/GOLLER
¾ Eine Auftaktveranstaltung, die das Thema Service Excellence mit einer positiven Aufbruchsstimmung versieht und für den Einzelnen emotionalisiert. Ein solches Involvement in das Thema erreicht man u. a. durch eine aktive und erfahrungsbildende Einbindung der Teilnehmer in die Veranstaltung. Ein Beispiel hierzu wäre, dass die Teilnehmer in Gruppen in einen Service Contest treten, in dem sie selbst in den Pausen den Kollegen Service geben und auch von Kollegen empfangen. Bekommen die Führungskräfte den Cappuccino an den Mann oder das Kanapee an die Bedürfnisse der Kunden angepasst? Die Führungskräfte erfahren in dieser Veranstaltung, dass Service geben Spaß machen kann. Nur wer Service mit Freude erlebt, ist in der Lage Service Excellence zu kreieren. ¾ Eine Praxiserfahrung, in der die Führungskräfte selbst im direkten Kontakt mit den Kunden des Unternehmens Service geben. Diese Praxiserfahrung beispielsweise am Point of Sale oder einem Call Center sollte so angelegt sein, dass die Führungskräfte selber mit dem Kunden ins Gespräch kommen, nicht nur den Mitarbeitern dabei zuschauen. Die Manager lernen hier Service selbst zu geben, die Leistungen der Mitarbeiter vor Ort anzuerkennen und die Auswirkungen Ihrer Management- und Prozessentscheidungen abzuschätzen. Hier wird sichtbar, was wie ankommt oder was nötig wäre. ¾ Ein Workshop, in dem Führungskräfte eigene Initiativen zur Verbesserung des Service in Ihren Verantwortungsbereichen aufsetzen und mit Kollegen diskutieren. Wir haben Controller erlebt, die sich hier erstmals Gedanken darüber gemacht haben, wie Zahlenabfragen so aufbereitet sein sollten, dass Sie vom internen Kunden schnell verstanden und ausgefüllt werden können. Oder Vertriebsabteilungen, die erstmals eine integrierte Produktpräsentation für Kunden angedacht haben. ¾ Eine Simulation einer Unternehmenssituation, in der Führungskräfte servicerelevante Alltagssituationen bewältigen müssen und in deren Ablauf sie mehrmals persönliches Feedback zu allen drei Aspekten Ihres Service-Leadership-Verhaltens bekommen. Durch eine in hohem Grade an die Realität angelehnte Simulation erhält das Feedback eine Qualität und Tiefe, die Führungskräfte auf Ihrer Ebene normalerweise in der Art nicht erhalten. Hier lernen die Führungskräfte wie serviceorientiert sie sich tatsächlich verhalten haben und wie sehr sie es geschafft haben Service Excellence zu führen. ¾ Einen Teamimpuls, durch den die Führungskräfte anfangen, mit ihren Teams systematisch das Thema Service Excellence zu besprechen und umzusetzen. Hier lernen die Führungskräfte, dass Sie die Verantwortung für Service Leadership in ihrem Team wahrnehmen müssen und nicht einfach an ein Service-Seminar der Personalentwicklung delegieren können. Ziel all dieser Lernelemente im campusartigen Setting ist es, das Service-Leadership-Verhalten des Managements und der Führungskräfte nachhaltig zu entwickeln. Entscheidend ist, dass die Elemente allesamt so aufgebaut sind, dass sie die Personen auch mit ihren Emotionen so ansprechen, dass sie Service führen und Führung als Service verstehen. Das campusartige Setting bietet die Möglichkeit, auch für schulungserfahrene Manager innovative Lernformate mit größtmöglicher Intensität und persönlichem Mehrwert zu schaffen.
Service Excellence
5.3
303
Service Feedback
Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt in der Entwicklung von Service Excellence als Do-how ist Feedback zum persönlichen Serviceverhalten. Damit ist nicht primär ein kollektives Feedback über Kennzahlen oder aggregierte Umfragewerte gemeint, sondern vor allem ein individuelles Feedback zum persönlichen Service-(Leadership-)Verhalten. Merken Sie noch, wenn Sie Besprechungsräume stets aus Eile unaufgeräumt verlassen, obwohl die Bitte notiert ist, die Gläser zusammenzustellen? Merken Sie, dass Sie im Kundenkontakt bei Standardproblemen schnell den Eindruck von „Ich weiß schon, was Sie wollen“ vermitteln, ohne dem Kunden die Möglichkeit zu geben, sein individuelles Problem und seinen Frust zu schildern? Merken Sie noch, wenn Sie Kollegen in der Suche nach Lösungen für Kunden ständig ausbremsen, weil Sie immer auf ungeschriebene Regeln hinweisen ohne aus der Perspektive der Kundenorientierung heraus auch nur die Existenz der „Regel“ zu überprüfen? Merken Sie, welchen Eindruck Sie hinterlassen, wenn Sie die Kundenschelte eines Kollegen unkommentiert lassen? Feedback hilft, blinde Flecken zu beleuchten, Verhaltensroutinen zu durchbrechen und Verbesserungspotenzial zu erkennen. Optimal ist eine Kombination aus professionellem Feedback externer Coaches und dem internen Feedback durch Kollegen oder Führungskräfte im Rahmen ihrer Service-Leadership-Verantwortung.
5.4
Kompetenzbasierte Einstellungsänderung
Der Ansatzpunkt einer kompetenzbasierten Einstellungsänderung zielt auf die Situation, dass Mitarbeiter bestimmte Services nicht aktiv genug anbieten, weil sie von der Service-Leistung nicht vollends überzeugt sind. „Weil etwas nicht klappt, weil es Beschwerden gab, weil immer folgende Einwände kommen …“ – so oder ähnlich mögen Mitarbeiter ihre Zurückhaltung gegenüber dem Service begründen. Hinter dieser skeptischen Einstellung liegt jedoch oft eine Unsicherheit im Verhalten: Wie soll ich es machen? In vielen Fällen gründet die Einstellung in einer mangelnden Kompetenz im Verhalten. Ein Praxisbeispiel: Versicherungssachbearbeiter haben zunehmend die Aufgabe, Schäden nicht nur zu regulieren, sondern einen besonderen Schadensservice (Hol- & Bring-Service, Werkstattservice, etc.) anzubieten. Abgesehen davon, dass es für viele Sachbearbeiter eine ungewohnte Aufgabe ist, Dienstleistungen aktiv anzubieten, ist die Grundeinstellung der Mitarbeiter oftmals skeptisch. Es werden eine Reihe von Argumenten angeführt, warum der Schadensservice nicht gut genug sei. Der Schulungsansatz war nichtsdestotrotz weniger an einer argumentativen Arbeit an der Einstellung ausgerichtet, sondern vielmehr an der kommunikativverkäuferischen Kompetenz. Das erstaunliche Ergebnis nach der Schulung: Nicht nur die Kompetenz hatte sich deutlich verbessert, sondern auch die Einstellung der Mitarbeiter zu den Service-Leistungen war positiver. Das hochinteressante Phänomen, das hier sichtbar wird, ist die Beeinflussung von Einstellungen nicht über argumentative Rhetorik und überzeugende Argumente, sondern mittels Verhaltensschulung. Es liegt die Hypothese nahe, dass kritische Einstellungen zu Servicing-Standards oder Service-Angeboten nicht nur aus einer mangelnden argumentativen Überzeugung, sondern ebenso aus einer zu geringen Kompetenz gespeist werden. Die Einstellung ist gefärbt von
304
MÖNCH/GOLLER
dem intuitiven Gefühl, nicht gut genug zu sein, von der Angst sich zu blamieren oder zu versagen. Sozial und emotional gesehen ist es dann einfacher von seiner Einstellung her gegen ein Service-Produkt zu sein, als sich und anderen einzugestehen, dass die praktische Kompetenz für das Anbieten der Services nicht ausreichend ist. Für die Frage eines Ansatzpunktes zur Entwicklung von Service Excellence heißt dies: Auch wenn die Barriere auf dem Weg vom Know-how zum Do-how oberflächlich betrachtet im Bereich der Einstellung zu liegen scheint, sollte man statt einer einseitig argumentativen Herangehensweise ebenso eine praktisch-verhaltensorientierte Vorgehensweise wählen. Frei nach dem Motto: „Lerne wie es geht, dann findest Du es auch besser.“
5.5
Private Parallelbeispiele als Methodik schmunzelnder Selbsterkenntnis
Verhaltensänderung setzt die kritische Selbsterkenntnis voraus, dass das eigene Verhalten nicht dem entspricht, wie es wünschenswert ist. Diese Diskrepanz-Erkenntnis ist vom Grundsatz her aversiv, so dass zuerst einmal die Bereitschaft für eine kritische Auseinandersetzung etabliert werden muss. Dies zu erreichen ist Ziel des Ansatzpunktes der privaten Parallelbeispiele, bei dem den Teilnehmern auf eine sportliche und lustige Art und Weise ein Spiegel vorgehalten wird. Im Folgenden zwei Beispiele für diese Methodik: Wenn Sie über Service Excellence sprechen, erzählen Sie von Ihrer letzten Geburtstagsparty. Sie stellt ein hervorragendes Beispiel für Service Excellence dar, sowohl was die Services, als auch was das Servicing angeht. Alle Services sind top. Wenn Sie wissen, dass ein Freund besonders gerne Malzbier trinkt, besorgen Sie selbstverständlich im Vorfeld Malzbier (Anknüpfungspunkt „Wir lernen von Kunden.“). Wenn das Malzbier um 23 Uhr leer ist, werden sie alles in Bewegung setzen, um auch am späten Samstagabend weitere Flaschen Malzbier zu besorgen. Zur Not engagieren Sie den Nachbarsjungen, um zur entfernt liegenden Tankstelle zu gehen. Sie werden sicherlich nicht sagen „Oh, da hatten wir wohl einen Fehler im Vorbereitungsprozess, der Prozess muss dann mal überarbeitet werden.“ (Anknüpfungspunkt: „Bei Fehlern individuelles Engagement statt Prozessschelte“). Bei der Begrüßung bleiben Sie nicht einfach sitzen, sondern stehen auf, gehen auf den Gast zu und vermitteln ihm die Botschaft: Schön, dass Du da bist. Ich freue mich.“ (Anknüpfungspunkt: „Begrüßungen besonders gestalten“). Selbstverständlich sorgen Sie dafür, dass sich Ihre Gäste wohlfühlen. Sie werden sehr kreativ darin sein, Stimmungen und Atmosphären zu beeinflussen (Anknüpfungspunkt: „Wir sind Gefühlsmacher, Leidenschaft ist unser Business“). Im Vergleich von privater und beruflicher Situation werden die meisten Teilnehmer Ihr Verbesserungspotenzial im beruflichen Kontext spüren. Aus dem Themenbereich „Wertschätzung und Anerkennung“ eine weitere Verdeutlichung der Technik privater Parallelbeispiele. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind sitzt abends vor dem Fernsehen. Sie gehen um 17.45 Uhr ins Wohnzimmer und kündigen an, dass die Familie um 18 Uhr gemeinsam Abend essen möchte. Wird Ihr Kind pünktlich um 18 Uhr in der Küche sein? In den meisten Fällen vermutlich nicht, weshalb Eltern in der Regel nochmal ins Wohnzimmer gehen, den Fernseher ausschalten und das Kind aufgrund der nicht eingehaltenen Absprache tadelnd in die Küche schicken. Was aber würden Sie sagen, wenn Ihr Kind pünktlich um 18 Uhr den Fernseher ausgeschaltet hätte und am Küchentisch säße? Ob es sich auch die Hände gewaschen hat? Oder würden Sie es zuerst dafür loben, dass es ganz von alleine pünktlich in die
Service Excellence
305
Küche gekommen ist? In der Regel merken die Teilnehmer an diesem Bespiel, dass ihnen die Kritik eher auf der Zunge liegt als die Anerkennung. Die methodische Wirkung der privaten Parallelbeispiele basiert darauf, dass Teilnehmer über eine erzählte Figur schmunzeln, in Wirklichkeit aber sich selbst kritisch wieder erkennen. Die Akzeptanz der Erkenntnis „Ich muss mich anders verhalten.“ fällt im privaten Bereich einfacher, als in dem durch Selbstbehauptung bestimmten beruflichen Bereich.
5.6
Service-Erlebnisse kreieren
Service ist ein Gefühl ist ein Erlebnis. Exzellentes Service-Verhalten erwächst aus der selbst erlebten Erfahrung von Service. Um Service tatsächlich vom Know-how zum Do-how zu entwickeln, müssen Menschen konkret und selbst Service Excellence erfahren. Ein weiterer Ansatzpunkt besteht darin, konsequent bei allen Unternehmensveranstaltungen auf einen besonderen Service zu achten. Bei Schulungen könnte man beispielsweise auf folgende Punkte achten: ¾ Jeder Teilnehmer wird bewusst mit einem Lächeln und einem Handschlag begrüßt. Der Trainer kennt vorher die Namen der Teilnehmer, um schnell eine persönliche Ansprache zu gewährleisten. ¾ Den Teilnehmern wird eine Tasse Kaffee eingegossen, anstatt nur auf die Kaffeekannen zu verweisen. ¾ Es können besondere Serviceleistungen für die Teilnehmer organisiert werden, z. B. Hostessen, die mit Eis rumgehen, das die Teilnehmer kostenlos genießen können. ¾ Bei Großgruppenveranstaltungen können ein Schuhputzservice oder Massagesessel organisiert werden. Das Erleben von Service am eigenen Leibe, das Gefühl für einen Moment verwöhnt zu werden, das empfundene Schmeicheln mit außergewöhnlichen Überraschungen, all das trägt dazu bei, die Transferleistung vom Wissen in ein Tun zu erhöhen. Es inspiriert zu eigenem Service-Verhalten.
5.7
Ausgewogenheit von Grundeinstellung und Verhaltensnorm
Wenn Service-Verhalten verändert werden soll, müssen zwei Aspekte angesprochen werden: zum einen konkrete Verhaltensnormen, zum anderen die Grundeinstellung. Beides muss sich methodisch die Waage halten. Konkret beschriebenes Verhalten erleichtert die direkte Umsetzung. Durch ein regelmäßiges Einüben wird das Verhalten zur Routine, zum Do-how. Wenn ein Mitarbeiter gebeten wird, beim Betreten des Büros durch einen Kunden aufzustehen, hinter dem Schreibtisch hervor zu kommen, ihm die Hand zu geben und zu lächeln, dann wird damit ein derart konkretes Verhalten vorgegeben, dass es fast schon schwer ist, es nicht umzusetzen. Detaillierte Verhaltensnormen werden vor allem kurzfristig konsequent und mit Erfolg umgesetzt. Sie alleine reichen allerdings kaum aus, um ein service-exzellentes Verhalten zu etablieren.
306
MÖNCH/GOLLER
Service Excellence erwächst aus einer Grundeinstellung – aus der Lust, Begeisterung und Motivation für Service. Mitarbeiter müssen Service nicht nur machen müssen, sondern in erster Linie machen wollen. Nachhaltig wirksame Verhaltensänderungen müssen daher aus einer veränderten Einstellung erwachsen. Deshalb ist eine Ausgewogenheit zwischen einerseits einem Training konkret vorgegebener Verhaltensweisen und andererseits einer Ansprache einer Grundeinstellung erfolgsentscheidend. Es ist ähnlich wie im privaten Bereich: Wer seinen Kindern Respekt vor älteren Mitbürgern beibringen möchte, wird dies nicht alleine dadurch erreichen, dass die Kinder lernen in einem vollen Bus den Platz frei zu machen. Wer als Eltern von seinen Kindern derart singuläre Verhaltensweisen einfordert, wird damit zwar vielleicht ein konsequentes Aufstehen seiner Kinder im Bus erreichen, nicht aber insgesamt respektvolle Verhaltensweisen auch in anderen Situationen, etwa das Hochtragen schwerer Einkaufstaschen. Werte und Grundeinstellungen werden nicht dadurch verändert, dass einzelne Verhaltensweisen bis ins Detail vorgeschrieben werden, sondern dadurch, dass die grundsätzliche Einstellung und der Wert thematisiert werden, beispielhaft verdeutlicht an Einzelfällen. Wenn Service-Verhalten verändert werden soll, muss eine ausgewogene Balance zwischen der Vorgabe konkreter Verhaltensweisen und der Thematisierung von Service Excellence als Grundeinstellung und Wert sichergestellt werden.
6
Nachhaltigkeit erzeugen
Die Erfahrung bei der Initiierung von Verhaltensänderungen zeigt, dass ein erster Erfolg noch kein Garant für eine nachhaltige und dauerhafte Veränderung des Service-Verhaltens ist. So wichtig und entscheidend die Anfangseuphorie für das Überwinden routinierter Gewohnheiten ist, so notwendig ist es auch, darüber hinaus Maßnahmen für eine langfristige Integration der Service Excellence zu etablieren. Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um das Thema Service Excellence dauerhaft und nachhaltig zum Erfolg zu führen? ¾ Etablierung von Service Excellence als Dauerthema. Service Excellence eignet sich nicht als Projektthema, das nach Beendigung von einem anderen Thema abgelöst wird. Regelmäßige Strategiesitzungen zu dem Thema sind entscheidend. Ebenso die konsequente Integration des Themas in den aktiven Führungsalltag, wie es bereits unter dem Stichwort Service Leadership beschrieben wurde. Regelmäßige Service-Impulse der internen Kommunikation helfen, dass sich Mitarbeiter abwechslungsreich und kreativ, aber doch kontinuierlich mit dem Thema auseinander setzen müssen. Dem Thema Dauerhaftigkeit geben ist ebenso wichtig wie ein regelmäßiges Training im Sport. So wie Sportler auch nach Jahren immer noch das gleiche trainieren, so muss auch ein Unternehmen das Thema zu einem Dauerthema machen um Spitzenleistungen zu halten. ¾ Kontinuierliches Coaching vor Ort. Individuell unterstützende Tätigkeit der Führungskräfte als Wahrnehmung ihrer Service-Leadership-Verantwortung.
Service Excellence
307
¾ Konsequentes Umsetzen der strategischen Eckpunkte und definierten Handlungsfelder. Die strategischen Eckpunkte sollten standardmäßig in alle Management-Analysen und Geschäftsführungsrunden einfließen. Service Excellence muss zum strategischen Alltagsthema der obersten Managementebenen werden. ¾ Evaluation der Praxisumsetzung von Service Excellence. Services und Servicing lassen sich messen und quantifizieren. Hier empfiehlt es sich, klassische Evaluationsmethoden wie etwa Mystery-Shopping, Nachbefragung von Sales- und auch von Service-Kunden mittels der Computer Assisted Interview Technique (CATI) oder mit Hilfe des einfach anzuwendenden Net Promotor Scores (NPS)4 vorzunehmen. ¾ Einsatz von Transfertools. Pfiffige Transfertools können die Nachhaltigkeit an entscheidender Stelle unterstützen. Ein Beispiel dafür ist die „Service-Lupe“, die einzelne Mitarbeiter gemeinsam mit dem Arbeitsauftrag erhalten, das Service-Verhalten heute besonders scharf im Fokus zu halten und den Kollegen dazu abends Rückmeldung zu geben. Die Service-Lupen sind nicht nur thematische Reminder, sondern sorgen auch dafür, dass sich jeder einmal für das Thema besonders verantwortlich fühlt. ¾ Einbeziehung der Service Excellence in das Zielvereinbarungs- und Provisionssystem. Service Excellence sollte unbedingt in das Zielvereinbarungssystem einbezogen werden und damit auch variable Gehaltsanteile an die Erreichung des Zieles gebunden werden. ¾ Incentivierung von Service Excellence. Im Sales-Bereich ist es durchaus üblich, den erfolgreichsten Verkäufern einmal im Jahr ein besonderes Incentive zu geben. Service Excellence und Sales Excellence sollten hier gleichwertig behandelt werden. Warum sollte das Team der besten Verkäufer für eine Woche nach New York fliegen, das beste ServiceTeam sich aber mit einer Flasche Sekt zufrieden geben? Wenn Know-how zum Do-how vorangetrieben werden soll, bedarf es ausreichend Energie, nicht nur für den Anstoß einer initialen Veränderung, sondern auch für langfristige Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Das Management von Veränderungen ist fast wie das Gießen einer Glocke aus alten Werkzeugen. Wer aus Werkzeugen eine Glocke machen möchte, sollte während des ganzen Glockengusses auf keinen Fall die Energiezufuhr unterbrechen – dann hat er weder Werkzeuge, noch eine Glocke, sondern nur einen unförmigen Haufen Metall. Wenn Veränderungen initiiert werden sollen, sollte ganz analog während des kompletten Veränderungszeitraums ausreichend Energie zur Verfügung gestellt werden. Wenn – einmal angefangen – die Energie ausgeht, kann ein Unternehmen nicht einfach zum Ursprungszustand zurückkehren. Es bleibt in einem bizarren Zwischenzustand.
7
Fazit
Vom Know-how zum Do-how – Für die Herausforderung, Service Excellence zu einem begeisternden Erlebnis für den Kunden zu machen, ist ein Gesamtkonzept notwendig, das weit mehr als nur ein einfaches, schnelles Servicetraining umfasst. In diesem Beitrag wurden aus der Perspektive der Praxiserfahrung die vielfältigen Ansatzpunkte eines solchen Gesamtkonzeptes 4
Vgl. REICHHELD (2006).
308
MÖNCH/GOLLER
dargestellt. Service Excellence ist eine Strategie, Service Excellence ist ein Gefühl, Service Excellence ist eine Grundeinstellung. Service Excellence braucht eine klare verhaltensbezogene Nuance, was durch die Unterscheidung von Services und Servicing sicher gestellt ist. Die Verantwortung des Unternehmens ist es, dass Mitarbeiter um die strategische Wichtigkeit ihres Verhaltens in all den kleinen Augenblicken wissen und sich auf die strategischen Eckpunkte verlassen können, die als Rahmen den Spielraum des Excellence-Verhaltens abstecken. Eine einzigartige Note bekommt der Service eines Unternehmens dadurch, dass er gebrandet wird. Voraussetzung für einen Change hin zur Service Excellence im Unternehmen ist die persönliche Selbsterkenntnis „Ich muss mich anders verhalten“. Die Entwicklung von Service Leadership der Führungskräfte ist dabei einer der wichtigsten Ansatzpunkte. Das Unternehmen muss sich mit Penetranz und Freundlichkeit um Nachhaltigkeit kümmern, dann wird sich das Know-how in ein Do-how wandeln. Service Excellence braucht vor allem selbstbewusste, kreative und aufmerksame Mitarbeiter. Wer profitiert letztlich von Service Excellence? Die häufigste Antwort ist: die Kunden. Entscheidend ist jedoch, dass vor allem die Mitarbeiter und Service-Geber selbst profitieren. Sie sind es, die durch Service Excellence ihren eigenen alltäglichen, menschlichen Begegnungen im Service einen Wert und eine außergewöhnliche Qualität geben. Die Mitarbeiter selbst sind es, die mit ihrer Einstellung zu sich, zu ihrer Zeit und zu Menschen den vollen Nutzen von Service Excellence ausschöpfen. Es geht letztlich um persönliche Qualität für einen Selbst.
Quellenverzeichnis BARLOW, J./STEWART, P. (2004): Branded Customer Service – The new competitive edge, San Francisco 2004. BLANCHARD, K./BOWLES, S. (2000): Wie man Kunden begeistert – Der Dienst am Kunden als A und O des Erfolges, Hamburg 2000. DAVIDOW, W./UTTAL, B. (1995): Service Total – Mit perfektem Dienst am Kunden die Konkurrenz schlagen, München 1995. MERCER MANAGEMENT CONSULTING (2007): Studie: Customer Excellence im Festnetz – Analyse der Kundenzufriedenheit mit Festnetzanbietern in Europa, online: http://www.mercermc.de/veroeffentlichungen/alle_veroeffentlichungen/branchenkompetenz/telekommuni kation_medien_it/layout_veroeffentlichungen/article/mercer_studie_customer_excellence _im_festnetz-1.html, Stand: 13.03.2007, Abruf: 25.06.2007. MITTERER, S./BRICE, N. (2007): Brand Alchemy – Developing successful brands from the inside out, Dublin 2007. REICHHELD, F. (2006): Die ultimative Frage. Mit dem Net Promoter Score zu loyalen Kunden und profitablem Wachstum, München 2006. ZANETTI, D. (2005): Kundenverblüffung – Kreative Tipps, wie Sie ihre Kunden nachhaltig an sich binden, Frankfurt 2005.
Vierter Teil Controlling und IT-Management als Erfolgsfaktoren
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb ALEXANDRA ZIGIC und JENS UWE KRÄMER T-Mobile Austria und Deutsche Telekom
1 2 3
Einführung ..................................................................................................................... 313 Anforderungen an eine effektive Modellgestaltung der Vertriebsvergütung................. 316 Gestaltungsformen der Vertriebsvergütung ................................................................... 317 3.1 Sales-Commission-Plan ....................................................................................... 317 3.2 Sales-Provisionsplan ............................................................................................ 318 3.3 Sales-Bonus-Plan ................................................................................................. 318 3.4 Sales-Incentive-Plan............................................................................................. 318 3.5 Prämien ................................................................................................................ 319 3.6 Erfolgsbeteiligung................................................................................................ 319 4 Fallbeispiel „Performance Management“ ...................................................................... 319 4.1 Human Resource als Enabler der Strategie .......................................................... 320 4.2 Analysephase ....................................................................................................... 320 4.2.1 T-Mobile Austria ..................................................................................... 321 4.2.2 Marktumfeld ............................................................................................ 321 4.2.3 Interne Organisation ................................................................................ 323 4.2.4 Ziel- und Vergütungssysteme .................................................................. 323 4.2.5 Ergebnisse der Analysephase .................................................................. 326 4.3 Projektauftrag....................................................................................................... 326 4.4 Konzeptionierung und Detailausarbeitung........................................................... 327 4.4.1 Konzepterstellung.................................................................................... 328 4.4.2 Abstimmung in der Konzeptphase........................................................... 328 4.4.3 Definition der Zielindikatoren ................................................................. 328 4.4.4 Messung der KPI ..................................................................................... 331 4.4.5 Erarbeitung der neuen variablen Gehaltssysteme und Berechnung von Transferszenarios.............................................................................. 332 4.4.6 Unterstützung durch e-HR....................................................................... 334 4.4.7 Lösungen für die identifizierten Problemfelder ....................................... 335 4.4.8 Kommunikation ....................................................................................... 336 4.4.9 Betriebsvereinbarungen und Gesamtpaket .............................................. 337 4.5 Implementierung und Auswirkungen................................................................... 338 4.6 Key Learnings...................................................................................................... 339 5 Schlussbetrachtung ........................................................................................................ 340 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 341
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
1
313
Einführung
In Zeiten hoher wirtschaftlicher Turbulenzen ist die Vertriebsvergütung gerade durch die erfolgsabhängige Bezahlung von Bankern in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Hohe Bonuszahlungen trotz negativer Gesamtunternehmensergebnisse werfen öffentlichkeitswirksam viele Fragen auf und stellen zum Teil die Gesamtheit variabler Vergütungssysteme an den Pranger. Mit gebührender Distanz zu fragwürdigen Bonusmodellen aus der InvestmentBanking-Branche stellt der folgende Beitrag die allgemeinen Grundzüge der Vertriebsvergütung vor. Interessanterweise liegt häufig in großen Konzernumfeldern die Verantwortung für die Vergütung der Sales Force nicht in den Compensation-&-Benefits-Bereichen. Das Zusammenwirken von Compensation-&-Benefits-Managern mit den meist in Sales-&-Customer-Service-Einheiten agierenden Sales-Incentive-Spezialisten ist erfolgskritisch für eine durchgehende gesunde Gesamtvergütungslandschaft. Besondere Bedeutung erfährt dieses bei der Nutzung von Synergien, Wissen und Best Practices in internationalen Umfeldern. Im Deutsche-Telekom-Konzern hat sich dabei die vom Autor etablierte „International Compensation & Benefits Community“ bewährt, die es ermöglicht, länderübergreifend ein gemeinsames Verständnis von Prozessen, Inhalten und Best Practice Sharing nutzbar zu machen. Vorwegnehmend sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Voraussetzung für ein erfolgreiches Vergütungsmanagement die Klarheit über die verwendeten Begrifflichkeiten und deren Inhalte sowie Transparenz über Strukturen und Prozesse ist. Fehlt diese Klarheit, so scheitern Incentivemodelle meist schon an der fehlenden Definition der Begrifflichkeit „On Target Earnings“. Grundlegend steht hinter der Idee der variablen Bezahlung der Ansatz, Leistung dort zu belohnen, wo sie generiert wird und wirkt und Mitarbeiter am Unternehmenserfolg teilhaben zu lassen, also ein sinnvolles Verhältnis zwischen individueller Performance und Company Performance herzustellen und zu vergüten (Performance Management). In der Neuauflage des Sammelbands erweitern wir die allgemeinen Basisinformationen über Vertriebsvergütung um ein reales Fallbeispiel aus Österreich, welches neue Wege des Performance Management aufzeigt und langfristig neben einer, im Sinne des Total-Workforce-Management-Ansatzes, besseren Planbarkeit von Kosten, vor allem eine hohe Motivation bei betroffenen Mitarbeitern und involvierten Sozialpartnern erzeugt. Dabei wird deutlich, dass es zwar im Vertrieb auf Schnelligkeit und Flexibilität in der Ausgestaltung der KPI1 geht, gleichzeitig jedoch eine langfristige Steuerung der Kosten bei gleichzeitiger Motivation der Mitarbeiter unabdingbar ist. In modernen Unternehmen ist unter Ausrichtung der Personalstrategie auf die Unternehmensstrategie die Vergütung so ausgestaltet, dass sowohl die Erreichung individueller Ziele als auch die Erreichung von Unternehmenszielen sinnvoll unterstützt werden. Dies gilt insbesondere für die Vergütung im Vertrieb. Unterschiedliche Faktoren sind bei der Betrachtung von Vergütungssystematiken zu berücksichtigen, damit die Vergütung den von ihr erwarteten Beitrag zum Erfolg eines Unternehmens leistet. Im Vertrieb ist es wichtig, Produkte oder Dienstleistungen wirtschaftlich sinnvoll zu veräußern und Vertriebserfolge mittelbar und unmittelbar zu vergüten. Erfolg und Misserfolg im Vertrieb sind dabei meist schnell sichtbar, sowohl im Absatz als auch im Entgelt der Vertriebsmitarbeiter.
1
KPI: Key Performance Indicators.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_13, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
314
ZIGIC/KRÄMER
Grundlegend stellt Vertriebsvergütung eine spezifische variable Vergütung dar. Variable Vergütung ist durch vier wesentliche Hauptelemente charakterisiert (siehe Abbildung 1). Vergütungselement
Grundbarvergütung
Variable Vergütung
Equity
Benefits
Abbildung 1:
Bestandteile
Purpose
¾ Festes Grundgehalt ¾ Merits ¾ Reguläre Gehaltsanpassungen
Wettbewerbsfähige leistungsbezogene Vergütung
¾ Bonus-Pläne ¾ Sales-Programme
Kurzfristige Motivation (short term)
¾ Prämien ¾ (Total-)Equity-Programme
Motivation zur langfristigen Leistung im Sinne des Unternehmens
¾ Betriebliche Altersversorgung ¾ Lebens-/Unfallversicherung ¾ Sonstige freiwillige Leistungen
Gesundheit, finanzielle Sicherheit
Vier Hauptelemente variabler Vergütung
Im Folgenden wird auf die grundlegenden leistungs- und erfolgsbezogenen Modelle der Vertriebsvergütung eingegangen. Es sei erwähnt, dass auf die Messbarkeit und auf das Controlling von Vertriebserfolgen hier nicht eingegangen wird, diese jedoch ebenfalls in einer umfassenderen Betrachtung dringend berücksichtigt werden müssen. Erwähnt sei, dass neben der Barvergütung auch Nebenleistungen für eine allumfassende Betrachtung von Vergütung, im Sinne eines Total-Compensation-Ansatzes einbezogen werden müssten, worauf hier jedoch verzichtet wird. Gerade für Vertriebler stellt z. B. das Geschäftsfahrzeug (company car) einen wesentlichen Anreiz und Bestandteil des Vergütungspakets dar und die Gewährung eines (funktionsbezogenen) Geschäftsfahrzeugs erfolgt in der Regel schon ab geringeren Hierarchie-Ebenen als bei Nicht-Vertriebsfunktionen. Vergütung wird häufig emotional wahrgenommen und als gerecht oder ungerecht empfunden und kann dabei motivieren oder demotivieren. Die Vertriebsvergütung eröffnet durch ihre Variabilität wertvolle Chancen, um den Vertrieb gezielt zu steuern und die Ergebnisorientierung der Mitarbeiter zu erhöhen. Die positiven Effekte einer schlüssig an der Unternehmensstrategie ausgerichteten Vergütungssystematik sind immens und spiegeln die Leistungsorientierung wider. Dabei sichert die Variabilität eines Teils der Vergütung eine gezielte Personalkostensteuerung (siehe auch Abbildung 2).
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
315
Ertrag ( €)
Personalkosten ( €) Eine variable Vergütung, die Leistung belohnt und Mitarbeiter am Unternehmenserfolg beteiligt. Eine marktkonforme Entgeltstruktur, um Leistungsträger rekrutieren und halten zu können Personalkosten (unbeweglich) Ertrag Personalkosten (flexibel)
Zeitachse
Abbildung 2:
Sinnhaftigkeit und Ziel eines variablen Vergütungssystems
So wird z. B. durch eindeutige Zielvorgaben das Verkaufsverhalten auf die strategischen Marktbearbeitungsziele ausgerichtet. Ein gewollter strategischer Effekt ist durch die Gewährung von überdurchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten bei überdurchschnittlicher Zielerreichung die Gewinnung und das Halten von Leistungsträgern. Zudem führt ein Zielsystem zur Vermeidung von Reibungsverlusten zwischen Vertriebseinheiten, Vertriebswegen und Vertriebsfunktionen; abgestimmte, kooperierende Ressourcen im Vertrieb erhöhen die Marktdurchdringung bei niedrigeren Kosten. Letztlich ermöglicht eine gut aufgesetzte Vertriebsvergütung ein professionelles Kostenmanagement, weil die Vertriebskosten bei Nicht- oder Übererreichung der Vertriebsziele entsprechend sinken oder steigen – „Atmung“ entsprechend der Auftragslage. Ausgangspunkt jeglicher Überlegung zur Einführung einer Vertriebsvergütung muss somit die Frage sein, welche Ziele durch die besondere Incentivierung erreicht werden sollen. Gilt es, die Absatzzahlen bestimmter Produkte zu erhöhen, die Neukundengewinnung besonders zu fördern, den Erhalt von Bestandskunden zu honorieren oder Cross Selling von Produkten/Leistungen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen zu erhöhen? Aus der Beantwortung dieser Fragen ergeben sich die Erfolgsindikatoren, an denen die Zielerreichung gemessen wird.
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ZIGIC/KRÄMER
Verantwortung
Erfolgsindikator
Markterfolg
Umsatz
Profitabilität etablierter/neuer Produkte
Deckungsbeitrag/EBITDA
Profitabilität des Unternehmens
Operating Profit Marge/EBITDA
Kundenzufriedenheit
Ergebnis Kundenbefragung
Produktqualität
Anzahl Fehlerteile
Abbildung 3:
Übersicht über mögliche Erfolgsindikatoren
Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der bei der Gestaltung eines Vertriebsvergütungsmodells beachtet werden muss, ist die Kostenwirksamkeit. Es sollte vor der finalen Ausgestaltung eines Modells immer auch eine Analyse der üblichen Vergütungsmodelle der Mitbewerber am Markt erfolgen. So sollte das Fix- bzw. Basisgehalt zuzüglich der Cash-Incentivierung bei angemessener Leistungserbringung im Bereich des Marktüblichen liegen. Einerseits befindet sich das Unternehmen im Wettbewerb am Markt und muss mit seiner Preisgestaltung und somit seiner Kostenstruktur wettbewerbsfähig sein. Im Vergleich zum Markt führen jedoch hohe/teure Modelle dazu, dass sich die Vertriebskosten erhöhen, was sich ultimativ auf die Preisgestaltung und somit auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Im Vergleich zum Markt können relativ geringe Ausschüttungen wiederum dazu führen, dass das Unternehmen Leistungsträger bzw. Key Player an die Konkurrenten verliert, mit allen damit verbundenen möglichen Folgen (z. B. Kundenverlust, Rekrutierungskosten, usw.). In der Regel ist bei Vertriebsvergütungsmodellen der variable Anteil am Gesamtentgelt höher als bei Nichtvertriebsmodellen.
2
Anforderungen an eine effektive Modellgestaltung der Vertriebsvergütung
Um die Akzeptanz und damit den Erfolg des Modells zu gewährleisten, sind bei den Vorüberlegungen zur Ausgestaltung eines Vertriebsvergütungsmodells einige grundlegende Anforderungen zu berücksichtigen: Einfachheit der Ausgestaltung – „Keep it simple“: Die Plangestaltung muss so einfach wie irgend möglich gehalten werden. Der Inhalt – sowohl die verfolgten Ziele als auch die Systematik der Berechnung der Incentives – muss für alle Mitarbeiter nachvollziehbar sein. Messbarkeit der Ziele – „You cannot reward what you don´t measure“: Der Zielerreichungsgrad muss anhand ausgewählter und im Vorfeld festgelegter Erfolgsindikatoren eindeutig messbar sein (z. B. Stückzahlen, Deckungsbeitrag, EBITDA, Marktanteil, Kundenzufriedenheit als Ergebnis von Kundenumfragen, usw.). Individuelle Zurechenbarkeit: Die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, durch individuelles bzw. teamorientiertes Handeln den Grad der Zielerreichung aktiv zu beeinflussen.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
317
Anspruchsvolle Zielsetzung: Die Ziele des Plans müssen anspruchsvoll definiert werden, d. h. nur Top Performer können (i. d. R. max. 10 % aller Mitarbeiter) eine Maximalzielerreichung erlangen. Transparenz: Die vergütungsrelevanten Ziele müssen dokumentiert, kommuniziert und für alle Teilnehmer zugänglich sein. Kongruenz der Zielsetzungen einzelner Pläne: Sofern unterschiedliche Vertriebs-Incentives zur Anwendung kommen, müssen die Ziele der einzelnen Pläne miteinander kompatibel sein. Sonst besteht die Gefahr, dass im Unternehmen gegenläufige Verhaltensweisen gefördert/ honoriert werden, welche der Gesamtstrategie entgegenlaufen. Aktualität: Es muss darauf geachtet werden, dass die in einem Modell hinterlegten Ziele regelmäßig überprüft und dann auch angepasst werden können. Dabei muss die Laufzeit lang genug sein, so dass der Mitarbeiter mit seinen Aktivitäten zur Zielerreichung beitragen kann und somit für ihn eine gewisse Planbarkeit entsteht, gleichzeitig muss sie kurz genug sein, damit das Unternehmen auf sich ändernde Rahmenbedingungen adäquat reagieren kann. Häufig werden Vertriebsziele quartals- oder gar monatsweise überprüft und ggf. angepasst.
3
Gestaltungsformen der Vertriebsvergütung
Vergütungssysteme können verschiedenartig ausgestaltet werden. Wichtig ist dabei, sich über die Zielsetzungen der zu gestaltenden Vergütungssysteme im Klaren zu sein. Hier hat es sich in der Praxis erwiesen, dass es hauptsächlich um folgendes geht, ¾ Vergütungsgerechtigkeit (Markt und Leistung), Wettbewerbsfähigkeit, ¾ Transparenz, also Einfachheit und Verständlichkeit, ¾ Motivation und Verbindlichkeit, ¾ eine von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens abhängige Flexibilität und ¾ eine im Einklang mit den Unternehmenszielen stehende Kalkulierbarkeit. sicherzustellen bzw. zu unterstützen. Im Folgenden soll auf die wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten von Vertriebsvergütung eingegangen werden.
3.1
Sales-Commission-Plan
Ein Kommissionsplan wird üblicherweise in Bereichen genutzt, in denen ein Standardprodukt in einem wettbewerbsintensiven Markt verkauft wird und der Haupttreiber das Absatzvolumen ist. Wesentliches Merkmal eines Sales-Commission-Plans ist, dass der gewährte Kommissionsprozentsatz für alle Mitarbeiter gleich ist (z. B. ab 1.000 verkaufte Stück => 1% Kommission). Bei diesem Plan ist zu beachten, dass eine Steigerung des Absatzvolumens
318
ZIGIC/KRÄMER
nicht unbedingt auch den Unternehmenserfolg steigert (z. B. Erzielung hoher Absatzzahlen durch Einräumung von Sonderrabatten). Vor diesem Hintergrund sollte ggf. eher der Kostendeckungsbeitrag/EBITDA als Erfolgsindikator genutzt werden. Bei Kommissionsplänen gibt es üblicherweise drei Ausgestaltungen: ¾ Flatrate, d. h. der Kommissions-Prozentsatz ist gleichbleibend, unabhängig von der Höhe des Volumens (z. B. immer 1% unabhängig von dem abgesetzten Volumen), ¾ Ramped, d. h. der Kommissionssatz ändert sich (progressiv oder regressiv), bei Erreichung bestimmter Grenzen (z. B. 1.000 => 1%, ab 5.000 => 2%, ab 10.000 => 1,5%), ¾ Variable, d. h. der Kommissions-Prozentsatz wird gewährt in Abhängigkeit der Gesamtperformance des Mitarbeiters (Gefahr der so genannten Gutsherrenmanier bei Zielerreichung).
3.2
Sales-Provisionsplan
Die Provision ist entstanden aus der Handelsvertretervergütung und ist heute noch im Vertriebsaußendienst zu finden. Es handelt sich hierbei im Kern um eine Erfolgsvergütung, die als Anteil an erzielten quantitativen Erfolgen (z. B. Absatzzahlen) ausgezahlt wird. Der Provisionssatz ist einheitlich für alle Mitarbeiter. Dieses Modell ist sehr einfach in der Gestaltung, jedoch ist in diesem Modell hier das Potenzial des Verantwortungsgebiets ausschlaggebend für die Einkommens-Chancen, nicht unbedingt die individuelle Performance.
3.3
Sales-Bonus-Plan
Im Unterschied zu einem Kommissionsplan ist ein Sales-Bonus-Plan ein vertraglich zugesicherter Bonus, der bei Erreichen der im Vorfeld vereinbarten Ziele gezahlt wird. Hier werden oftmals „harte“ Verkaufsziele (z. B. EBITDA, Auftragseingang) mit „weichen“, eher qualitativ orientierten Zielen (z. B. Kundenzufriedenheit) gekoppelt. Es besteht beim Bonusplan auch die Möglichkeit, Team- oder Unternehmensziele zu integrieren und somit die interne Zusammenarbeit zur Gesamtzielerreichung zu steuern und zu fördern. Die „Spielregeln“ zur Bonus-Ermittlung müssen in jedem Fall offengelegt sein. Im Unterschied zu Kommissionsplänen werden bei Boni-Plänen individuelle bzw. teambezogene Ziele (Quota) definiert, deren Erreichung dann honoriert wird.
3.4
Sales-Incentive-Plan
Bei einem Sales-Incentive-Plan gestaltet sich der Anreiz nicht durch eine monetäre Zahlung an den Mitarbeiter, sondern in Form der Gewährung von besonderen Reisen, Preisen, öffentlichen Auszeichnungen (z. B. Verkäufer des Monats) u. ä. Diese Form wird oft als Ergänzung zu einem monetär gestalteten Plan genutzt.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
3.5
319
Prämien
Prämien sind ein der Art, aber nicht notwendigerweise der Höhe nach zugesagter variabler Einkommensbestandteil. Die Zusage erfolgt häufig auf Basis von Maximalprämien (z. B. Erreichen vordefinierter Absatzzahlen oder Produktionszahlen). Zum Beispiel gibt es bei Überschreiten von 10.000 abgesetzten Stück die Prämie X, bei Überschreiten von 20.000 die Summe Y, usw. Als Steuerungsinstrument sind Prämien kaum geeignet, weil nur die Ziele, nicht aber die Art und Weise vorgegeben wird.
3.6
Erfolgsbeteiligung
Ebenfalls üblich ist eine Beteiligung am Unternehmenserfolg (i. d. R. gemessen an der Ertragsgröße). Dies bedeutet für das Unternehmen eine harte Kosten-Variabilisierung (eine Erfolgsbeteiligung entfällt bei schlechten Ergebnissen), dies ermöglicht keine individuelle Differenzierung nach Leistung oder Ergebnisbeitrag.
4
Fallbeispiel „Performance Management“
Im Folgenden werden die verschiedenen Facetten der Vertriebsvergütung sowie der damit verbundenen leistungsgerechten Bezahlung (Pay for Performance) am Beispiel der Einführung eines neuen Vergütungssystems bei der T-Mobile Austria geschildert. Sehr deutlich wird dabei die Bedeutung, die dem Personalbereich als strategischen Partner des Business zukommt. ULRICH2 meint, dass HR in vier Bereichen herausragende Leistungen erbringen kann: ¾
HR soll ein Partner für die Geschäftsleitung und die Fachbereiche bei der Realisierung der Strategie werden.
¾
HR soll ein Experte in der Arbeitsorganisation und -ausführung werden und administrative Effizienz liefern, um sicherzustellen, dass die Kosten reduziert werden, die Qualität aber beibehalten wird.
¾
HR soll ein Vermittler der Mitarbeitenden sein, ihre Anliegen energisch gegenüber der Geschäftsleitung vertreten und gleichzeitig daran arbeiten, die Leistungen der Mitarbeitenden, deren Commitment und ihre Fähigkeit Ergebnisse zu liefern, zu erhöhen.
¾
HR sollte ein Vertreter für die ständige Veränderung sein, Prozesse gestalten und eine Kultur ermöglichen, die zusammen die Veränderungskompetenz der Organisation verbessert.
2
Zitiert in ARMSTRONG/BARON (2002), S. 125.
320
4.1
ZIGIC/KRÄMER
Human Resource als Enabler der Strategie
Was bedeutet Strategie? In einer einfachen, aber deutlichen Aussage von DRUCKER sind dies „all decisions on business objectives and on the means to reach them“3 und, in erweiterter Form, Maßnahmen, um einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Dies geschieht durch eine Definition von strategischen Absichten und einer Ressourcenzuordnung zu den sich bietenden Möglichkeiten. Wenn diese Zuordnung adäquat getroffen wurde, spricht man vom „strategic fit“. Ein Wettbewerbsvorteil entsteht dann, wenn ein Unternehmen einen (Mehr-)Wert für dessen Kunden erbringt. Langfristige Wettbewerbsvorteile bestehen dann, wenn sich das Unternehmen durch nicht leicht imitierbare Kombinationen an charakteristischen Ressourcen von den Konkurrenten bzw. Mitbewerbern unterscheidet.4 Performance Management wird als strategischer und integrierter Ansatz definiert, um lang anhaltenden Erfolg zu gewährleisten durch die Erhöhung der Leistung und Verbesserung der Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Die strategische Seite des Performance Management zeigt sich darin, dass es sich mit den übergreifenden Aufgabenstellungen der Organisation beschäftigen muss und der allgemeinen Richtung, in welche die Organisation sich bewegen soll, um die langfristigen Ziele zu erreichen. Performance-Management-Strategien sollen durch Verständnis der Organisation jene Mittel und Systeme bereitstellen, die aus geplanten Zielen, Standards und Kompetenzanforderungen bestehen, um von der Organisation, den Teams und Mitarbeitenden bessere Resultate zu erhalten, also kurz, damit die richtigen Dinge erfolgreich getan werden.5 Die Grundaufgabe des Performance Management liegt also in der Ermöglichung der Leistung der Akteure in der Organisation durch Bereitstellung der richtigen Systeme, was ein umfassendes Verständnis sowohl der Organisation selbst, deren Visionen, Strategien und kurzfristigen Zielsetzungen, der internen Strukturen und Mitarbeitenden, Stakeholdern als auch deren Marktumfeld betrifft. Performance Management soll für die vorliegende Fallbeschreibung in die Teilbereiche Zielemanagement, Vergütungsmanagement und Kompetenzmanagement gegliedert werden, wobei das bestehende System für Kompetenzmanagement im Zuge des hier beschriebenen Projekts nicht geändert wurde.
4.2
Analysephase
Die Forderung, das bestehende System der variablen Gehaltsbestandteile zu überarbeiten entstand bei T-Mobile Austria, als im Zuge der Auszahlung des Jahresincentives, d. h. des variablen Gehaltsbestandteiles, 2007 zum wiederholten Mal hauptsächlich Kritik aus den Reihen der Mitarbeitenden rückgemeldet wurde. Trotz einer hohen Auszahlungssumme für variable Gehaltsbestandteile konnten weder Mitarbeitermotivation noch eine durchgängige Steuerung des Unternehmens durch die bestehenden Zielsysteme erreicht werden, im Gegenteil waren diese Systeme sogar der Grund der Unzufriedenheit. Human Resources erhielt 3 4 5
DRUCKER (1954). Vgl. ARMSTRONG/BARON (2002), S. 26 ff. Vgl. ARMSTRONG/BARON (2002), S. 169 f.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
321
daher im Frühjahr 2008 den Auftrag, die bestehenden variablen Gehaltssysteme und das Zielemanagement zu überarbeiten und zu optimieren. Begonnen wurde mit einer Analyse der bestehenden Systeme, Umwelt- und Einflussfaktoren. Unter folgenden Rahmenbedingungen befand bzw. befindet sich T-Mobile Austria als die Neugestaltung des Ziele- und Vergütungsmanagements begonnen bzw. durchgeführt wurde. 4.2.1
T-Mobile Austria
T-Mobile Austria gehört der Gruppe der Deutschen Telekom AG an. Sie besteht in der heutigen Form aus zwei Vorgängerbetrieben: max.mobil, gegründet 1996, sowie tele.ring Telekom Service GmbH, die 1999 die Konzession für Mobilfunk erhalten hatte. Im April 2002 wurde max.mobil zu T-Mobile Austria, tele.ring wurde im April 2006 nach Zugeständnissen an die anderen Mobilfunkanbieter, die in Österreich tätig waren, mit T-Mobile verschmolzen.6 Die Deutsche Telekom AG ist international in Europa und in den USA tätig und ist bezogen auf die Umsätze der viertgrößte Telekommunikationskonzern weltweit.7 Seit dem Merger zwischen T-Mobile und tele.ring besteht eine Zwei-Marken-Strategie unter dem Dach von T-Mobile: T-Mobile für den Qualitätskundenmarkt mit innovativen Produkten und Services, tele.ring für preisbewusste Kunden. T-Mobile hat derzeit ca. 1.500 Mitarbeiter und erzielte 1,08 Mrd. EUR Umsatz im Jahr 2008.8 Bis vor Kurzem war die Altersstruktur jünger als in den anderen Unternehmen der Branche, was gut mit dem Pioniergeist, der zu Beginn der Tätigkeit der jungen Organisationen vorherrschend war, und mit der innovativen, technikintensiven Branche zusammenpasst. Trotz des weiterhin durch Dynamik geprägten Umfeldes kann T-Mobile Austria in den letzten beiden Jahren sowohl in den internen Strukturen, Organisationen und Prozessen als auch in der Marktpositionierung als gefestigt angesehen werden. 4.2.2
Marktumfeld
Für das Verständnis der Wettbewerbssituation und auch für das Projekt als solches ist die Betrachtung des Marktumfeldes notwendig. Denn einerseits stehen die Unternehmen in Konkurrenz zueinander um die Kunden, andererseits sind sie auch in Bezug auf die Mitarbeitenden in einer Konkurrenzsituation, denn in wichtigen Bereichen werden sehr ähnliche Qualifikationen benötigt und der potenzielle Arbeitgeber sollte sich von den Mitbewerbern positiv abheben, damit die Entscheidung der möglichen Kandidaten auf das eigene Unternehmen fällt.
4.2.2.1 Mobilfunkmarkt Der Mobilfunkmarkt in Österreich ist einer der am stärksten umkämpften Mobilfunkmärkte in Europa. Der Markt ist übersättigt, die Mobilfunkpenetration (berechnet aus der Anzahl der aktivierten SIM-Karten dividiert durch die Bevölkerungszahl) in Österreich ist seit Jahren steigend und betrug im 4. Quartal 2008 129%. Der Jahresumsatz 2008 im Bereich Mobilfunk 6 7 8
Vgl. EC EUROPA (2006), RTR (2009a) und T-MOBILE AUSTRIA (2009). Vgl. FORTUNE (2009). Vgl. T-MOBILE AUSTRIA (2009a).
322
ZIGIC/KRÄMER
lag unter jenem von 2007. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Gesprächsminuten, begründet wahrscheinlich in den Angeboten an Freiminuten- oder Pauschaltarifen.9 Seit Jahren herrscht ein aggressiver Preiskampf, bei welchem sowohl die Endgeräte stark gestützt wurden als auch die monatliche Grundgebühr immer wieder als temporärer Anreiz gesenkt oder für eine Anzahl von Monaten komplett auf diese verzichtet wird. Bei den Angeboten wird in der Sprachtelefonie zwischen Vertrags- und Prepaid-Kunden unterschieden, wobei das Verhältnis etwa 2:1 beträgt.10 Der Mobilfunkmarkt in Österreich ist von einem anfänglichen Wachstums- zu einem Verdrängungsmarkt geworden. Auf dem österreichischen Mobilfunkmarkt operieren folgende Anbieter: ¾ Mobilkom Austria: Marktführer in Österreich mit einem Marktanteil von rund 42%.11 100% im Eigentum der Telekom Austria, hat seit 2003 Vodafone als strategischen Partner. 12 Operiert in denselben Segmenten wie T-Mobile Austria. Die Mobilkom Austria ist mit folgenden Marken am österreichischen Markt vertreten: ¾ A1 für Qualitäts-Mobilfunk ¾ BOB als Billigmarke ¾ One/Orange: 2007 wurde One, der drittgrößte Mobilfunkanbieter, von Mid Europa Partners (65%) und Orange (35%) erworben, Ende 2008 erfolgte die medienwirksame Umwandlung von ONE in Orange, deren Eigentümer Mid Europa Partners (65%) und Orange (35%) sind, Mitarbeiteranzahl Ende 2008: ca. 800.13 Orange ist mit folgenden Marken am österreichischen Markt vertreten: ¾ Orange ¾ Yesss! als Billigmarke ¾
H3G Austria: „Drei“ ist der kleinste Anbieter auf dem österreichischen Mobilfunkmarkt und fokussiert sich auf Multimedia und UMTS. Eigentümer ist Hutchinson Wahampoa Limited mit Sitz in Hongkong. H3G hat 460 Mitarbeitende,14 Umsatzzahlen werden nicht bekannt gegeben.
H3G ist mit folgender Marke am österreichischen Markt vertreten: ¾ „3“
9 10 11 12 13 14
Vgl. RTR (2009b), S. 19 ff. Vgl. RTR (2009b), S. 25. Vgl. RTR (2009b), S. 27. Vgl. MOBILKOM (2009). Vgl. ORANGE (2009). Vgl. H3G (2009).
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
323
4.2.2.2 Mitarbeitermarkt Die Analyse des Vergleichsmarktes hat ergeben, dass in T-Mobile Austria die variablen Gehaltsbestandteile im Durchschnitt höher waren als in anderen Unternehmen. Verglichen wurden dabei die Prozentsätze vom Jahresgrundgehalt in den einzelnen Hierarchiestufen, die bei einer Zielerreichung von 100% erzielt werden können. Das bei T-Mobile Austria überwiegend bestehende höhere Verhältnis zwischen variablem und fixem Gehaltsbestandteil wurde nicht als Wettbewerbsvorteil gesehen, weshalb dies Gegenstand der Veränderung werden konnte. 4.2.3
Interne Organisation
T-Mobile Austria ist in sechs Ressorts aufgeteilt: In das Verkaufsressort als Größtes, welches jene Abteilungen beinhaltet, die direkten Kundenkontakt haben wie Customer Care, die ShopOrganisation, den Geschäftskundenbereich und die sonstigen Vertriebskanäle sowie die Vertriebssteuerung. Die weiteren Ressorts sind das dem Geschäftsführer unterstellte Ressort mit z. B. Kommunikations- und Rechtsabteilung, das Finanz-, Technologie-, Marketing- und Human-Resources-Ressort als die Bereiche mit jenen Funktionen, die nicht direkt mit dem Kunden in Kontakt treten. Die Mitarbeitenden sind die wichtigste Ressource im Unternehmen. Der Unternehmenserfolg ist abhängig von der Leistungsbereitschaft und dem Einsatz jedes/jeder Einzelnen, vor allem auch im Kontakt zu den Kunden. Motivierte Mitarbeitende, die wissen, worauf sie ihren Arbeitseinsatz fokussieren sollen und dann auch angemessen für ihre Leistung vergütet werden, ist das Ziel von Performance- und Vergütungsmanagement. 4.2.4
Ziel- und Vergütungssysteme
Die bestehenden Vergütungssysteme wurden evaluiert und als erstes Ergebnis wurde sichtbar, dass 27 verschiedene Ausprägungen von variablen Vergütungssystemen bestanden. Diese wurden von den Mitarbeitenden als intransparent und unfair empfunden. Gleichzeitig gab es vor allem in den Funktionen, die keinen Kundenkontakt hatten, die Erwartungshaltung, dass für gute, solide Arbeit eine Zielerreichung und daher Auszahlung von deutlich über 100% angemessen wäre. Die ursprüngliche Konzeption, dass 100% eine angemessene Auszahlungsgröße für eine vollständige Erfüllung der gesetzten Ziele ist, wurde so nicht mehr in der Organisation gelebt. Dies stand im Kontrast zu den immer schwieriger werdenden Marktgegebenheiten. Oben wurden bereits die unterschiedlichen variablen Systeme erwähnt, die im Folgenden kurz beschrieben werden. 4.2.4.1
Funktionen, die keinen direkten Kontakt zum Kunden haben, sowie Leitungsfunktionen im Customer-Care-Bereich Wie unter 4.2.1. beschrieben, erfolgte die Verschmelzung der beiden unterschiedlichen Unternehmen zur jetzigen T-Mobile Austria im Jahr 2006. In dem einen Unternehmen gab es im Vergleich zum Markt hohe Ziel-Incentives (siehe auch Kapitel 4.2.2.2.), d. h. das Verhältnis zwischen fixen und variablen Gehaltsbestandteilen, die bei 100% Zielerreichung ausgezahlt werden, zeigte höhere variable Anteile als bei den Vergleichsunternehmen. Die maximale Höhe der variablen Anteile war in den Dienstverträgen festgelegt.
324
ZIGIC/KRÄMER
Das andere Vorgängerunternehmen hatte den Mitarbeitenden keine %-Zusage gemacht, sondern unterschiedliche variable Beträge bei entsprechender Zielerreichung ausgezahlt. Im Zuge des Mergers wurde versucht, diese unterschiedlichen Ansätze zu vereinheitlichen, sodass alle Mitarbeitenden, die nicht im direkten Kundenkontakt tätig waren, eine Zusage hatten, dass ein bestimmter Prozentsatz vom Grundgehalt als variablen Gehaltsbestandteil bei maximaler Zielerreichung ausgezahlt werden würde. Allerdings waren die Prozentsätze so unterschiedlich, was bedeutete, dass bspw. Mitarbeitende in derselben Hierarchiestufe und derselben Funktion mit derselben Zielerreichung extreme Unterschiede in der Höhe des variablen Gehaltsbestandteils hatten. Was jedoch nicht fixiert war, war der Auszahlungsprozentsatz für 100% Zielerreichung, was zum Ergebnis hatte, dass dieser jährlich von der Geschäftsleitung angepasst werden konnte und auch wurde. So gab es für jeden dieser Zielprozentsätze und je nach festgelegtem Zielwert bei 100% Zielerreichung eine unter Umständen jährlich andere, hinterlegte Kurve mit Auszahlungsprozentsätzen. Zusätzlich gab es auch Verträge, die ein Zielgehalt mit unterschiedlichen Verhältnissen zwischen fixen und variablen Gehaltsbestandteilen bei 100% Zielerreichung (Jahreszielgehalt – „On Target Earnings“) vorsahen. Die zwischen Vorgesetztem/Vorgesetzter und den Mitarbeitenden vereinbarten Ziele wurden auf einem Formular als Bestandteile eines strukturierten Mitarbeitergesprächs erfasst, das zusätzlich auch die Zielerreichung des vorangegangenen Jahres, eine Kompetenzeinschätzung, Feedback an den Vorgesetzten/die Vorgesetzte und einen Entwicklungsplan enthielt. Die Ziele sollten in den unteren Ebenen jeweils einen Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele leisten, es erfolgte eine Aufteilung in funktionale Ziele und Entwicklungs- bzw. Führungsziele. Zusätzlich floss dann die Unternehmenszielerreichung in die Berechnung der Gesamtzielerreichung ein, allerdings nicht für alle Ausprägungen der Incentive-Systeme. Eine Transparenz außerhalb des unmittelbar eigenen Bereiches war generell nicht gegeben.
4.2.4.2 Shop-Mitarbeitende Für die Shop-Organisation gab es ein eigenes variables Vergütungsmodell, das auf der Messung ausschließlich von Teamzielen, die die Verkaufstätigkeit und den eigenen Shop betrafen, aufbauten. Ein festgesetzter Anteil bestand aus persönlichen Zielen. Shopleiter erhielten im Unterschied zu den Shop-Mitarbeitenden, die einen maximalen variablen Anteil bezogen auf das Grundgehalt ohne Möglichkeit einer Übererreichung von Zielen hatten, ein Sales-Modell mit hinterlegter Auszahlungskurve. Die Auszahlungshäufigkeiten der variablen Gehaltsbestandteile von Shopleitern und Shopmitarbeitenden waren ebenfalls unterschiedlich.
4.2.4.3 Außendienst-Mitarbeitende Im Außendienst gab es für die unterschiedlichen Kanäle bzw. Kundengruppen, die von den Mitarbeitern betreut wurden, als Vergütungsmodell ein Sales-Modell. Zum Großteil gab es Auszahlungsober- und -untergrenzen, wobei bei diesen Modellen die Untergrenzen als fixe Minimalauszahlungen definiert waren.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
325
Ebenfalls je nach Kanal bzw. Kundengruppe waren unterschiedliche Auszahlungskurven und Ziele hinterlegt.
4.2.4.4 Customer-Care-Mitarbeitende Im Customer-Care-Bereich waren – nach einer Einarbeitungsphase – variable Auszahlungen auf Basis von Leistungspunkten vorgesehen. Die mögliche Höhe dieser variablen Ziel- und maximal möglichen Auszahlungen waren mit einem Entwicklungsmodell verknüpft, d. h. je höher die Qualifikation desto höher waren die zugesagten Ziel- und Maximalauszahlungen, wieder abhängig von der Zielerreichung. Gemessen wurden Teamziele, die die Performance im Call Center betrafen. Ab einer bestimmten Höhe des Zielprozentsatzes flossen auch Unternehmensziele in die Bewertung ein.
4.2.4.5 Zielsetzung allgemein Zum Teil wurden Ziele gesetzt, die zu wenig oder nicht relevant für die Unternehmenszielerreichung sind: Vor allem in den Sales-Bereichen wurden Erfolgskriterien verwendet, deren Messung zwar mit den vorhandenen Reporting-Systemen durchgeführt werden konnte und auch der gängigen Marktpraxis entsprachen. Tatsächlich waren diese aber nicht ausreichend aussagekräftig (z. B. eine Anzahl von verkauften SIM-Karten sagt nichts über die Umsatzgenerierung aus, es kann sich auch um eine SIM-Karte für einen Kopierer handeln, welche bloß einmal jährlich einen Zählerstand übermittelt) und eine strategische Steuerung war aufgrund der quantitativen, aber nicht spezifizierten Zielsetzungen nicht möglich. Eine zusätzliche Herausforderung stellt die allgemeine Natur der verkauften Dienstleistung dar, da die Bewertung abgeschlossener Verträge schwierig ist, wenn die Umsätze, die mit diesen Verträgen erzielt werden können, oft aufgrund von Grundgebührbefreiungen in den ersten Monaten, einer hohen Unterstützung für die Geräte oder fixierten Tarifen unabhängig vom telefonierten Volumen erst viel später gemacht werden. Bei der Zielgestaltung im Customer Care und in den Shops war in den Betriebsvereinbarungen festgelegt, dass Ziele ausschließlich auf Teamebene gemessen werden konnten (mit Ausnahme der persönlichen Ziele), daher war keine Differenzierung zwischen den Leistungen der einzelnen Mitarbeitenden möglich. Bei solchen Systemen besteht die Gefahr, dass weniger leistende Mitarbeitende von der Leistung der anderen profitieren und der Anreiz für die Mitarbeitenden, die eine hohe Einsatzbereitschaft haben, dadurch nicht mehr entsprechend gegeben ist.
4.2.4.6 Betriebsrat und rechtliche Voraussetzungen Als sehr wichtiger Stakeholder in diesem Zusammenhang ist der Betriebsrat, der als Vertreter der Arbeitnehmer fungiert, anzusehen. Vergütungsbestandteile, welche den Mitarbeitenden per Dienstvertrag zugesagt waren, können nur mit Zustimmung jedes einzelnen Mitarbeitenden geändert werden. Hinzu kam, dass es sich um variable Vergütungssysteme handelt, die bereits mit Betriebsvereinbarungen eingeführt gewesen sind, sodass für eine Änderung die vorhergehende Zustimmung des Betriebsrates notwendig war.
326
ZIGIC/KRÄMER
4.2.5
Ergebnisse der Analysephase
Die Analyse der internen und externen Ausgangssituation zeigte unterschiedliche Gründe für die Unzufriedenheit bei den Mitarbeitenden und zusätzlich einen Verbesserungsbedarf bei den Erfolgsfaktoren, mit welchen die Zielerreichung gemessen worden ist, um die Ausrichtung auf die Unternehmenszielsetzungen sicherzustellen. Auch die stringente Zielsetzung über die unterschiedlichen Ebenen war verbesserungsbedürftig. Identifiziertes Problem
Grund
Einflussbereich
Zielemanagement in Verbindung mit variablen Vergütungen werden von den Mitarbeitenden als unfair wahrgenommen
Es gibt 27 verschiedene Ausprägungen von variablen Vergütungssystemen, die nicht durch z. B. Hierarchiestufen sondern durch die Historie begründet sind
Geschichte der T-Mobile Austria: Merger/Vergütungsmanagement
Zielemanagement wird von den Mitarbeitenden als intransparent wahrgenommen
Zielelogik ist nicht ausreichend bekannt, Verbindung zu den Unternehmens- oder Organisationszielen wird nicht gesehen
Zielemanagement
Individuelle Zielerreichungen werden als zu gering empfunden, obwohl allgemeine Unternehmenszielerreichung das nicht widerspiegelt
Verbindung zwischen individuellen und Unternehmenszielen ist nicht sichtbar; Unternehmen hat Möglichkeit, den Zielwert zu bestimmen
Zielemanagement und variable Vergütungssysteme
Hohe Emotionalität, wenn über variable Gehaltsbestandteile diskutiert wird
Relativ hoher variabler Betrag im Vergleich zur Grundvergütung, über den diskutiert wird
Mitarbeitermarkt/variable Vergütungssysteme
Messung von Zielen, die zu wenig Relevanz hatten
Zum Teil aufgrund fehlender Reporting-Systeme wurden Erfolgskriterien definiert, die messbar waren
Zielemanagement/Reporting Systems
Abbildung 4:
Analyse der Ist-Situation
Abbildung 4 zeigt eine Übersicht über die identifizierten Probleme, die Gründe dafür sowie aus welchem Einflussbereich das Problem stammt.
4.3
Projektauftrag
Nachdem die Analyse beendet und die Problemfelder identifiziert worden waren, erging folgender Projektauftrag an die HR-Abteilung: ¾
Vereinheitlichung und Adaptierung der bestehenden variablen Entgeltsysteme, mit geringeren variablen Anteilen für die Bereiche, die keine direkten Verkaufsaufgaben haben.
¾
Die gesamte Organisation soll zu einer Hochleistungsorganisation mit tatsächlichem „Pay for Performance“ werden, d. h. jeder/jede soll leistungsgerecht vergütet werden.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
327
¾
Es sollen neue Systeme eingeführt und keine „Reparaturen“ an alten Systemen durchgeführt werden, um auch bei den Mitarbeitenden eine Aufbruchstimmung und das Gefühl, „etwas Neues, Besseres“ zu haben erzeugen, einhergehend mit einer neuen Führungskultur.
¾
Ausarbeitung von Transferszenarien von bestehenden zu den neuen Systemen, Umstellung aller Dienstverträge und Betriebsvereinbarungen.
¾
Einführung eines stringenten Zielemanagements, das die Kaskadierung der Unternehmensziele auf alle Funktionen und in alle Ebenen sicherstellt. Es soll praktikabel, transparent, einfach und effektiv sein und eine gerechte Basis für die Auszahlung der variablen Gehaltsbestandteile bieten.
¾
In den Bereichen, in welchen die Anpassung der Steuerung unterjährig notwendig ist, soll diese Anpassung der Ziele ermöglicht werden.
¾
Die Bereiche, die im direkten Vertrieb tätig sind, sollen stärker durch strategische Zielsetzung gelenkt werden und gleichzeitig für hohe aber auch unterdurchschnittliche Zielerreichungen adäquat vergütet werden.
¾
Kosten der neuen Systeme bei 100% Zielerreichung entspricht den Kosten der alten Systeme bei 100% Zielerreichung.
¾
Einführung per 1.1.2009
4.4
Konzeptionierung und Detailausarbeitung
Performance Management ist die kontinuierliche Aufgabe des Linienmanagements und der Mitarbeitenden, Human Resources agiert als Unterstützer, der das am besten passende Regelwerk vorgibt. Klares Ziel des Projekts ist die Bereitstellung der Ziel- und Vergütungssysteme und Transferszenarien und die technische Unterstützung sowie Einschulung und Betreuung während der Implementierungsphase. Die Zielelogik und Zielesets sollen in enger Zusammenarbeit mit den Fachbereichen erstellt werden. Danach soll der laufende Betrieb vom Linienmanagement verantwortet werden, mit Unterstützung durch die HR-BusinessPartner und das HR Service Delivery Center sowie dem Zielemanager. Das Projektteam wurde daher wie folgt aufgestellt: Der Leiter des Competence Center Human Resources Management hatte die Projektleitung inne, Projektinhaber war der Human Resources Director, Projektsponsor der Geschäftsführer. Im Steering Committee vertreten waren auch der Betriebsrat sowie der Finance Director. Das Kernteam bestand aus Vertretern der Funktionen Compensation & Benefits, HR Controlling, HR Business Partnering, e-HR und HR Development. Zusätzlich waren eine Kommunikationsfunktion, Vertreter aus den Bereichen Sales und Customer Service sowie aus Marketing und Funktionen aus Controlling und Technik involviert.
328
ZIGIC/KRÄMER
4.4.1
Konzepterstellung
Bereits während der Analysephase wurden die ersten Grobkonzepte für die neuen variablen Gehaltssysteme und Zielsysteme erstellt, da sich die einzuschlagende Richtung bereits abzeichnete. Das zentrale Element war die neue Zielsetzungslogik mit einer Kaskadierung auf alle darunterliegenden Ebenen. Die Einteilung der Systeme selbst wurde, anders als davor, nicht mehr nach Abteilungen vorgenommen, sondern nach der Aufgabe der jeweiligen Position. Da ein Ziel war, die Unternehmenszielerreichung durch Fokussierung auf die Verkaufstätigkeiten zu unterstützen, wurde ein Fokus auf die Funktionen, die im Verkauf tätig sind, gelegt und entsprechende Ziel- und Anreizsysteme entwickelt. Für folgende Funktionsgruppen wurde jeweils ein eigenes Performance-System ausgearbeitet: ¾
Im Shopverkauf tätige Mitarbeitende
¾
Im Customer-Care-Bereich beschäftigte Mitarbeitende mit Verkaufstätigkeit
¾
Im Außendienst tätige Mitarbeitende
¾ Mitarbeitende, die keine Verkaufstätigkeit ausführen, wobei bei dieser Gruppe von der Vergütungsseite her eine Unterscheidung in Führungskräfte und Mitarbeitende gemacht wurde, die zugrundeliegende Zielsetzungslogik ist aber für beide gleich. 4.4.2
Abstimmung in der Konzeptphase
Während der gesamten Projektlaufzeit erfolgten regelmäßige Abstimmungen mit der Geschäftsleitung und auf internationaler Ebene mit den Stakeholdern in der Muttergesellschaft. Der Betriebsrat wurde von der Projektleitung schon in einem relativ frühen Stadium eingebunden, was sich als richtige Entscheidung herausstellte. Ziel war auch da die Erarbeitung eines Gesamtpakets, das Vorteile für Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen und das Unternehmen hat. 4.4.3
Definition der Zielindikatoren
Zur Erarbeitung der neuen KPI wurden Workshops mit Delegierten aus den einzelnen Fachbereichen mit Verkaufstätigkeit durchgeführt. Leitfragen bei der Definition der KPI waren: ¾
Welche KPI sind für die Erreichung der Unternehmensziele relevant und wie sollen sie gewichtet werden?
¾
Wie kann die Arbeitskraft der Mitarbeitenden auf die richtigen Tätigkeiten kanalisiert und dadurch die Steuerung des gesamten Unternehmens realisiert werden?
¾
Wie kann man die Ziele so flexibel gestalten, dass man auch kurzfristig notwendigen Anpassungsbedarf abbilden kann?
¾
Wie können die Ziele für alle Mitarbeitenden verständlich gestaltet werden und die so genannte „Line of Sight“, d. h. wie sich der Beitrag jedes/jeder einzelnen auf die Errei-
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
329
chung der Unternehmensziele auswirkt, ein Verständnis des „großen Ganzen“ erhöht werden? 15 ¾
Wie können die Zielerreichungen gemessen werden?
¾
Wie werden Teamziele und Individualziele am besten kombiniert?
4.4.3.1 Ziele im Verkaufsbereich Erstmals wurde bei allen Funktionen, die im Verkauf tätig sind, ein einheitlicher KPI, der direkt die Vision des Unternehmens repräsentiert, eingeführt. Dieser KPI unterstreicht den in der Unternehmensstrategie vorgesehenen Wandel der Positionierung und misst in einer standardisierten, allgemein gültigen Weise die Umsetzung dieser Vision in der täglichen Verkaufsarbeit. In ähnlicher Weise wurde der gesamte Verkaufsbereich auf relevante KPI, die die Verkaufstätigkeit selbst betreffen, umgestellt, welche auch die Spezifika der vertriebenen Produkte, d. h. Einnahmen aus den Gebühren, die in der Zukunft liegen, entsprechend abbilden können. Mit dem Abgehen von der SIM-basierten Steuerung zu KPI, die mehr Aussage und die Möglichkeit zur Steuerung für das Unternehmen bieten, ist T-Mobile Austria ein Vorreiter im Markt. Bei der Zusammenstellung der KPI-Sets wurde ein jeweils angemessenes Verhältnis zwischen quantitativen und qualitativen Zielen erarbeitet. Lange diskutiert wurde die Sinnhaftigkeit bzw. Angemessenheit von Einzelzielen im Vergleich zu den Teamzielen. Die Messung von Einzelzielen war bislang im Shop- und im Customer-Care-Bereich von Seiten des Betriebsrates nicht gestattet. Im Zuge der Verhandlungen teilte der Betriebsrat dann die Meinung des Unternehmens, dass ein Teil der Ziele auf Teamebene, ein Teil aber auch auf Einzelpersonen ausgewertet werden sollte. Durch eine Aufteilung der Ziele in einerseits einen Teil, der Teamziele und persönliche Entwicklungsziele enthält, und einen zweiten, der sich auf die individuelle Leistung von Einzelpersonen bezieht und eine starke strategische Steuerungsfunktion beinhaltet, sowie der Verknüpfung mit den entsprechenden variablen Gehaltsbestandteilen in Verbindung mit der Möglichkeit der unterjährigen Anpassung dieser Ziele wurden Steuerung und Flexibilität optimiert und auch die Transparenz und Verständlichkeit und die „Line of Sight“ sichergestellt. In den Verkaufsbereichen gab es bislang Einschränkungen der maximal möglichen Zielerreichung – zum Teil bei 100% – sowie zum Teil fixierte Untergrenzen der Auszahlung. Um die Leistungsorientierung zu unterstützen, wurden fixierte Untergrenzen abgeschafft und die Obergrenzen bei den Verkaufszielen gestrichen. Mit den neuen Modellen ist daher bei entsprechendem Einsatz und Leistung eine signifikante Erhöhung des persönlichen Einkommens erzielbar.
15
Vgl. AUSTRALIAN INSTITUTE OF COMPANY DIRECTORS (1998).
330
ZIGIC/KRÄMER
4.4.3.2 Ziele für Funktionen, die nicht im Verkaufsbereich liegen Für die Ziele, die nicht im Verkaufsbereich liegen, wurde eine Zielekaskade (siehe Abbildung 5) eingeführt, die als Basis jene Ziele verwendet, die die Geschäftsleitung von der Muttergesellschaft erhält. Diese werden in funktionale und individuelle Ziele aufgeteilt, wobei die individuellen Ziele des Vorgesetzten jeweils die funktionalen Ziele der nächsten Ebene bilden. Dadurch ist einerseits gewährleistet, dass die Ziele der jeweiligen darüber liegenden Ebene bekannt sind und andererseits, dass zur Erreichung dieser funktionalen Ziele angemessene individuelle Ziele vereinbart werden, da ja beide Erreichungen bewertet und unmittelbar in die Auszahlung einberechnet werden. Individuelle Führungs- und Entwicklungsziele werden nicht kaskadiert. Die Kaskadierung zeigt zusätzlich allen Mitarbeitenden die Ziele des/der Vorgesetzten und gibt die Sicherheit, dass diese in direkter Linie von jenen der Geschäftsleitung abgeleitet sind. Das Ergebnis dieser Gestaltung ist eine Transparenz, die dem/der Mitarbeitenden genau zeigt, was die eigenen Aufgaben sind, was die Vorgaben in dem Bereich und für das Unternehmen als Ganzes sind und daher den Beitrag jedes/jeder Einzelnen zum Unternehmenserfolg sichtbar und nachvollziehbar macht. Bei der Messung der Zielerreichung ist die prozessuale Trennung von Zielerreichung und Auszahlung eine maßgebliche Neuerung, die zur Gerechtigkeit des Systems beiträgt: Individuelle und funktionale Zielerreichung werden als für die Mitarbeitenden sichtbarer, direkt beeinflussbarer Bezugspunkt gemessen, daher bezieht sich dieser Wert auf die eigene Leistung und bietet ein valides Feedback für im Unternehmen tätige Personen selbst. Für die Berechnung der Auszahlungshöhe der variablen Gehaltsbestandteile ist zuerst die Unternehmenszielerreichung maßgeblich, die als Faktor die allgemeine Ausschüttungshöhe bestimmt, d. h. wie viel Geld für die Verteilung vorhanden ist (Bonus-Logik). Die individuell/funktionale Zielerreichung wirkt als individuelle Stellgröße für die Auszahlung, die sich direkt auf die erbrachte Leistung bezieht.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
331
FUNKTIONALE ZIELE INDIVIDUELLE ZIELE FÜHRUNGS- UND ENTWICKLUNGSZIELE
I n dividual targets
Geschäftsleitung
Abbildung 5: 4.4.4
1. Berichtsebene
In dividual targets
In dividual targets
2. Berichtsebene
Gruppenleiter
In dividual targets
Mitarbeitende
Zielekaskade Messung der KPI
Resultat der Workshops war eine Definition von KPI und deren Gewichtung im Ziele-Set der einzelnen Verkaufsbereiche. Anhand dieser Messgrößen kann der Fortschritt der Erfüllung der als relevant für die Unternehmenszielerreichung und in weiterer Folge der Erreichung der Unternehmensstrategie und Hinarbeitung zur Vision des Unternehmens erachteten Kriterien gemessen werden. Gleichzeitig bilden sie auch die Basis dafür, dass sie nach der tatsächliche Zielsetzung, d. h. der Hinterlegung mit Zielwerten, die T-Mobile-Austria-„SMART“-Prinzipien erfüllen, d. h.: ¾
Spezifisch: Welche konkreten Resultate erwartet die Führungskraft?
¾
Messbar: Woran ist messbar/erkennbar/beobachtbar, dass das Ziel erreicht ist?
¾
Angemessen: Ist das Ziel einerseits ambitioniert, andererseits aber auch realistisch und erreichbar?
¾
Realistisch/Relevant: Ist für die/den Mitarbeitende/Mitarbeitenden nachvollziehbar, warum das Ziel erreicht werden soll?
¾
Terminiert: Bis wann soll das Ziel erreicht/soll das Ergebnis erzielt werden?16
Für einen Teil dieser KPI gab es bis zu diesem Zeitpunkt keine technischen Möglichkeiten zur Messung. Messung und Reporting der KPI wurde aber explizit als Nicht-Ziel dieses Projekts definiert, daher resultierte aus dem HR-Performance-Management-Projekt ein weiteres Projekt: die Umstellung bzw. Einführung von entsprechenden Mess- und Reportingsystemen, 16
Vgl. T-MOBILE AUSTRIA (2009b).
332
ZIGIC/KRÄMER
die in die bestehende IT-Struktur eingegliedert werden mussten und zum Teil eine Änderung der Geschäftsprozesse zur Folge hatte. 4.4.5
Erarbeitung der neuen variablen Gehaltssysteme und Berechnung von Transferszenarios
Im Folgenden wird die Erarbeitung der neuen variablen Gehaltssysteme beschrieben sowie die Berechnung und Ausgestaltung der Angebote an die Mitarbeitenden zum Wechsel von den bestehenden in die neuen variablen Gehaltssysteme.
4.4.5.1 Funktionen ohne Verkaufstätigkeit Die Neugestaltung der variablen Gehaltssysteme war der eigentliche Ausgangspunkt des Projekts, da sich die Unzufriedenheit der Mitarbeitenden stark darauf bezog und die Mitarbeitenden durch den generell hohen variablen Anteil am Gesamtgehalt entsprechend sensibel und emotional reagierten. Die Kritikpunkte, die die variablen Gehaltsbestandteile betrafen, waren vorrangig in den Bereichen ohne Verkaufsfunktion gegeben, da hier parallel unterschiedliche Aufteilung von variablen zu fixen Gehaltsbestandteilen vorlagen, das Unternehmen jährlich die Möglichkeit hatte, den Zielprozentsatz bei 100% Zielerreichung zu bestimmen und die Kurven, die jedem einzelnen Zielprozentsatz hinterlegt waren und die Auszahlung bestimmten, für die Mitarbeitenden schwer nachvollziehbar waren. Gleichzeitig musste aufgrund der viel zu hohen Zielerreichung, die auch nicht die Unternehmenszielerreichung widerspiegelte, oft nachkorrigiert werden. Es wurde eine Neueinteilung der Zugehörigkeit zu den Vergütungssystemen vorgenommen, da nun auch jene Bereiche des Customer Care, die keine direkte Verkaufstätigkeit hatten, in dieses Modell eingegliedert wurden. Es gab auch einige wenige Mitarbeitende, die gar keinen variablen Gehaltsbestandteil hatten und Vereinbarungen von Jahreszielgehältern mit festgelegten Aufteilungen in fixen und variablen Gehaltsbestandteil. Auf Basis von Marktbenchmarks und internen Angemessenheitsüberlegungen wurde ein Zielprozentsatz für den variablen Gehaltsbestandteil der Mitarbeitenden und ein Jahreszielgehalt mit festgelegtem Verhältnis zwischen fixen und variablen Gehaltsbestandteilen für die Führungskräfte erarbeitet. Dieser Zielprozentsatz für die Mitarbeitenden lag wesentlich niedriger als der bisherige Zielprozentsatz des Großteils der Mitarbeitenden in dieser Gruppe. Bei den Führungskräften wurde der variable Anteil erhöht. Dieser variable Anteil wurde in der Höhe gewählt, dass einerseits aufgrund der geringeren Höhe ein Großteil der Emotionalität aus den Zieldiskussionen genommen werden kann. So soll der Schritt in Richtung eines Leistungsmanagements, dessen Zielerreichung nicht mehr so stark von den finanziellen Auswirkungen bestimmt wird, sondern tatsächlich auf die erbrachte Leistung fokussieren kann, also „Pay for Performance“ ermöglicht werden. Gleichzeitig wurde der variable Gehaltsbestandteil so hoch gewählt, dass ein Leistungsanreiz gegeben ist und eine Übererfüllung der Ziele auch finanziell angemessen anerkannt werden kann.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
333
Die Basis für die Transferangebote zum Übertritt von den bestehenden in die neuen Systeme wurde – nach verschiedenen Ansätzen und Versuchen – durch eine angemessene Festsetzung des Zielprozentsatzes bei 100% Zielerreichung und einer darauffolgenden Berechnung der jeweiligen Jahreszielgehälter ermittelt. Da das gesamte System fair sein sollte, wurde die folgende Regelung angewendet: Das ermittelte Jahreszielgehalt wurde in die neuen fixen und variablen Gehaltsbestandteile umgerechnet. Beim Großteil der Mitarbeitenden war das neu berechnete Bruttomonatsgehalt höher als das bisherige Bruttomonatsgehalt bei gleichem Jahreszielgehalt. Die Mitarbeitenden hatten daher die Vorteile, dass sie vom Jänner 2009 das – noch dazu um den Kollektivvertrag erhöhte – Bruttomonatsgehalt laufend ausbezahlt bekommen konnten. Der variable Anteil war der neue, einheitliche aber geringere Prozentsatz vom Jahresgrundgehalt. Zusätzlich konnte dadurch eine steuerliche Besserstellung erzielt werden, da die maximale Höhe der steuerbegünstigt auszuzahlenden Sonderzahlungen durch die Höhe der laufenden Bezüge bestimmt und daher erhöht wurde. In jenen Fällen, in denen die Neuaufteilung des Jahreszielgehaltes in ein geringeres Bruttomonatsgehalt als bisher resultiert hätte, d. h. jene Mitarbeitende, die bisher einen geringeren oder gar keinen variablen Anteil hatten, wurde das Bruttomonatsgehalt gleich gelassen und der variable Anteil aufgefüllt. Ergebnis davon ist, dass jeder Mitarbeitende, der das Angebot zum Wechsel des Systems annimmt, bezogen auf das individuelle Grundgehalt denselben Anteil an variablem Gehalt hat und daher jeder die selbe Chance hat, durch die Leistung die Höhe der variablen Auszahlung zu beeinflussen. Die Berechnung der Auszahlung nach Beendigung der Beurteilungsperiode wird unter Zugrundelegung der Basis für den variablen Gehaltsbestandteil durch Multiplikation mit der funktional/individuellen Zielerreichung und der Unternehmenszielerreichung ermittelt.
4.4.5.2 Shop und Customer Care mit Verkaufsfunktion Diese beiden Funktionen können gemeinsam betrachtet werden, da hier sehr ähnliche Modelle angewendet werden. Im Sinne der erwünschten Stärkung der Verkaufsbereiche wurden hier zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, bei entsprechender Leistung mehr zu verdienen. Zusätzlich wurden bestehende Zielerreichungsgrenzen entweder erhöht oder ganz gestrichen. In diesen Bereichen wurde eine Kombination aus variablen Gehaltsbestandteilen gewählt, die jeweils den gewünschten Steuerungseffekt bieten und mit den Ziele-Sets optimal abgestimmt sind, aber im Unterschied zu vorher für alle gleich sind. Zusätzliche Transparenz wird dadurch erzielt, dass die Mitarbeitenden genaue Informationen haben und sich den einen Teil der variablen Vergütung tagesgenau selbst ausrechnen können. Die Grundlage für den Transfer in die neuen Systeme war ebenfalls die Grundannahme, dass keine Verringerungen im Bruttomonatsgehalt stattfanden, sehr wohl aber mindestens die variablen Anteile bei 100% Zielerreichung wie in den Vorgängermodellen erzielt werden konnten.
334
ZIGIC/KRÄMER
4.4.5.3 Außendienst-Mitarbeitende In der zugrundeliegenden Art der variablen Vergütung wurde in diesem Bereich generell keine Veränderung vorgenommen. Der große Unterschied zur bisherigen Handhabung ist, dass auch hier die tatsächliche Leistung zur Auszahlung kommt und allfällige Unter- und Obergrenzen abgeschafft wurden. Auch in der Gestaltung der Relation zwischen Zielerreichung und Auszahlung wurde eine signifikante Vereinfachung eingeführt.
4.4.5.4 Transferberechnungen Eine Herausforderung war die Berechnung und nachfolgende Gestaltung der Transfer- und Übertrittsangebote. Die Veränderung betraf die gesamte Organisation und durch eine neue Einteilung der Geltungsbereiche der variablen Vergütungssysteme war auch die Notwendigkeit gegeben, „Quertransferszenarien“ für die 27 bestehenden Systeme in die jeweiligen Zielsysteme zu berechnen, was insgesamt knapp 60 verschiedene Transferformeln ergab. Um jene Mitarbeitenden, die von einem hohen variablen Anteil zu einem höheren Grundgehalt im Austausch zu einem niedrigeren variablen Anteil umsteigen konnten und bisher eine kontinuierlich hohe Leistung gezeigt hatten, durch die geringere Möglichkeit, mit dieser Leistung die Gesamtvergütung zu erhöhen, nicht zu benachteiligen, wurde in den Transferberechnungen auch diese kontinuierlich hohe Leistung eingerechnet und entsprechend berücksichtigt. 4.4.6
Unterstützung durch e-HR
e-HR hatte eine signifikante unterstützende Funktion in der Einführung dieses Projekts, diese Maßnahmen werden nachfolgend beschrieben.
4.4.6.1 Tool im Intranet – Transfer Bereits zu Beginn des Projekts wurde e-HR, d. h. jene HR-Funktion, die sich mit der Planung, Umsetzung und Organisation der Automatisierung und des effizienten Einsatzes von elektronischen Systemen und Tools beschäftigt, in das Projekt involviert. Da die gesamten Mitarbeitenden der T-Mobile Austria durch den Wechsel der Vergütungssysteme betroffen sein würden, stand fest, dass dies nur mittels eines elektronischen Tools zu bewerkstelligen war. Da der Zeitrahmen des Projekts von Beginn an sehr eng gesetzt war, mussten die notwendigen Ausarbeitungen der Anforderungen, Beauftragungen und Vorarbeitungen der Inhaltsgestaltung zum Großteil bereits getätigt werden, noch bevor die Systeme finalisiert waren. Das Übertritts-Tool stand den Mitarbeitenden im internen Mitarbeiterportal ab 1. Dezember, direkt nach den Kommunikationsveranstaltungen, zur Verfügung und enthielt folgende Bestandteile für jedes einzelne Transfermodell: ¾
Information über bisherige Vergütungszusammenstellung und das neue Vergütungsangebot, Informationen über das System selbst
¾
Berechnungsmöglichkeit der individuellen Auszahlungshöhe des variablen Gehaltsbestandteils, wenn unterschiedliche Zielerreichungen eingegeben werden
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
335
¾
Steuerliche Effekte der Umstellung anhand eines Musterbeispiels
¾
Vergleich von Brutto- und Nettogehaltszahlungen in System alt und System neu anhand von drei Beispielrechnungen
¾
Der Sideletter, der im Falle der Entscheidung zum Umstieg unterschrieben werden musste, wurde angezeigt und konnte aus dem Tool ausgedruckt und unterschrieben werden.
Die Berechnungen wurden im Tool auf Basis der SAP-Daten vorgenommen und wurden nach Jahreswechsel mit den aktuellen, durch den Kollektivvertrag erhöhten Gehaltsdaten angepasst. Die Vorgesetzten hatten die Möglichkeit, ihre Mitarbeitenden zu sehen und für Reportingzwecke waren Kontrollkästchen vorgesehen, die angehakt werden konnten, um einen Überblick zu haben, bei wem bereits Informationsgespräche stattgefunden haben, Ablehnung oder Zusage und ob der unterschriebene Sideletter bereits in HR eingetroffen ist. Das Tool wurde von Mitarbeitenden, Führungskräften und auch dem Betriebsrat sehr gut angenommen und war bis zum Ende der Übertrittsperiode online. Ein absoluter Vorteil für die Kommunikation war, dass Businesspartner, HR, Führungskräfte und Mitarbeitende die gleiche Datenbasis verwendeten und daher in der Lage waren, umfassende, einheitliche und nachvollziehbare Informationen für die Mitarbeiterberatungsgespräche zu verwenden und daher professionell und kompetent zu arbeiten. 4.4.6.2 Zielemanagement-Tool Im Zuge des Projekts wurde von e-HR für den Bereich der Mitarbeitenden ohne Verkaufsfunktion, die mittels der neuen Zielkaskade verzielt werden, ein elektronisches Zielemanagement-Tool eingeführt, das für einbezogene Führungskräfte und Mitarbeitende ebenfalls im Mitarbeiterportal zugänglich ist. Das Zielemanagement-Tool erfüllt die wichtige Aufgabe, die neue Kaskadierung erstens administrierbar und zweitens sichtbar zu machen, wodurch die geforderte Transparenz erfüllt wird. Die funktionalen Ziele des jeweiligen Vorgesetzten können in einem Arbeitsschritt an die Mitarbeitenden weitergegeben werden, die vereinbarten Ziele werden von beiden bestätigt. In dem Tool ist die Möglichkeit gegeben, eine Zielebibliothek anzulegen, die im ersten Jahr begonnen wurde und in den folgenden weiterverwendet und ergänzt werden kann. Unterjährige Reviews sowie die Endbewertung können durchgeführt werden. Am Ende des Leistungszeitraums erfolgt eine automatische Auswertung der Zielerreichungen, die die Grundlage für die Auszahlung des variablen Gehaltsbestandteils bildet. 4.4.7
Lösungen für die identifizierten Problemfelder
Durch die Einschränkung auf wenige KPI, einfache Verständlichkeit der Zielgrößen und deren Messung, Nachvollziehbarkeit der Berechnung und hohen Transparenz sowie der zeitnahen Auswertung der KPI für die einzelnen Funktionen ist es gelungen, ein für die Mitarbeitenden faires, verständliches und lebbares, für die Organisation adäquat steuerndes und für die Verwaltung leichter administrierbares Performance Management zu gestalten.
336
ZIGIC/KRÄMER
In Bezug auf die Zielsetzung wird auch im laufenden Betrieb ein spezieller Fokus darauf gelegt, dass die Ziele ambitioniert gesetzt werden, aber erreichbar sind und – was auch in der Mitarbeiterkommunikation immer betont worden ist – eine Normalisierung der Zielerreichung durch eine realistische Bewertung dieser Zielerreichung erreicht werden soll. Eine 100%ige Zielerreichung bedeutet daher die vollständige Erreichung von ambitionierten Zielen in der Beurteilungsperiode. Die folgende Abbildung zeigt, wie die Problemfelder, die in Abbildung 4 identifiziert worden sind, gelöst wurden: Identifiziertes Problem
Einflussbereich
Lösung
Zielemanagement in Verbindung mit variablen Vergütungen werden von den Mitarbeitenden als unfair wahrgenommen
Geschichte der T-Mobile Austria: Merger/Vergütungsmanagement
Vereinheitlichung variable Gehaltsbestandteile für Mitarbeitende bzw. Führungskräfte
Zielemanagement wird von den Mitarbeitenden als intransparent wahrgenommen
Zielemanagement
Zielekaskadierung bzw. Festsetzung von klaren KPI-Sets, klare „Line of Sight“
Individuelle Zielerreichungen Zielemanagement und variable werden als zu gering empfunden, Vergütungssysteme obwohl allgemeine Unternehmenszielerreichung das nicht widerspiegelt
Präzise, einfache Berechnungsformeln, Unternehmenszielerreichung als Berechnungsfaktor, Einzelauswertung im Verkaufsbereich
Hohe Emotionalität, wenn über variable Gehaltsbestandteile diskutiert wird
Mitarbeitermarkt/variable Vergütungssysteme
Im Nicht-Verkaufsbereich: variable Anteile werden gesenkt, dafür die Grundgehälter angehoben, Vereinheitlichung der variablen Bestandteile je Bereich
Messung von Zielen, die zu wenig Relevanz hatten
Zielemanagement/Reporting Systems
Zieleset mit relevanten KPIserarbeitet, definiert und gemessen
Abbildung 6: 4.4.8
Lösungen Kommunikation
„Communication is Key“: wenn Performance Management erfolgreich sein soll, muss ein umfassendes Verständnis aller Mitarbeitenden die neuen Ziel- und variablen Vergütungssysteme betreffend gewährleistet werden, was während der gesamten Projektlaufzeit ein Leitsatz war. Folgende Informationsschritte und Veranstaltungen wurden durchgeführt: ¾
Information und Schulungen innerhalb der Human-Resources-Abteilung, um die Rolle als primäre Auskunftsgeber ausfüllen zu können, laufende Besprechungen, um die Vorgangsweise bei neu aufgetretenen Fragestellungen abzustimmen.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
337
¾
Information und Schulung der Führungskräfte, einerseits in ihrer Rolle als jene, die selbst in ein neues Zielesystem wechselten und ein Übertrittsangebot in das neue variable Vergütungssystem erhielten, andererseits in ihrer Rolle als Ansprechpersonen für die Mitarbeitenden. Der Besuch von zwei Schulungsveranstaltungen pro Führungskraft war verpflichtend – bei dieser Gruppe wurde bewusst auf Redundanz geachtet, da Führungskräfte die Multiplikatoren im Unternehmen sind. Sie sind die ersten Ansprechpartner für die Mitarbeitenden und deren Commitment ein wichtiger Faktor in diesem Change-Projekt.
¾
Informationsveranstaltungen für die Mitarbeitenden, die je nach neuem Zielesystem und Ressort eingeteilt wurden, und in welchen der Director des jeweiligen Ressorts, der Human Resources Director, der Projektleiter sowie der Betriebsrat die Systeme vorstellten. Diese Informationsveranstaltung wurde auch auf dem dezentralen Customer-CareStandort gemacht.
¾
Für die Mitarbeitenden in den Shops und im Customer Care wurde je ein Informationsvideo produziert und im Intranet verfügbar gemacht.
¾
Es wurden Informationsbroschüren gedruckt und aufgelegt bzw. ausgeteilt und verschickt.
¾
Der Betriebsrat stand für Beratungen zur Verfügung.
¾
Im Mitarbeiterportal wurde ein Informations-Tool zur Verfügung gestellt.
¾
Für Zielvereinbarungen in Bereichen ohne Verkaufstätigkeit wurde ein Zielemanagement-Tool online gestellt.
¾
Im Falle von Anfragen, die nicht vom HR Service Delivery Center/Payroll, den Vorgesetzten oder Führungskräften beantwortet werden konnte, stand ein 2nd Level Support zur Verfügung.
4.4.9
Betriebsvereinbarungen und Gesamtpaket
Wie bereits oben beschrieben, ist ohne die Zustimmung der Arbeitnehmervertretung, also des Betriebsrats, keine Änderung der variablen Gehaltssysteme unbedingt notwendig. Um ein offenes und konstruktives Verhandlungsklima zu schaffen und auch die ambitionierten Zeitpläne einhalten zu können, fanden die ersten Gespräche mit dem Betriebsrat bereits frühzeitig zu Beginn des Projekts statt. Während der Detailausarbeitunsphase erfolgten bereits Verhandlungen, deren Ergebnisse in die Konzeption einflossen. Als Resultat ausgedehnter Verhandlungsrunden konnte schlussendlich über die Forderungen des Betriebsrats und die Vorstellungen des Unternehmens mittels eines Pakets an Maßnahmen bzw. Änderungen Einigung erzielt werden: Vorteilhaft für den Verhandlungslauf war, dass ein Modell für die Transferberechnungen für jede/jeden individuellen Mitarbeitende/Mitarbeitenden zur Verfügung stand, die eine Projektion mit unterschiedlich einzustellenden Parametern ermöglichte, um die Auswirkungen für die Einzelnen und das Unternehmen unter verschiedenen Modellannahmen zu zeigen. Die gesamten Systemänderungen wurden als Gesamtpaket gesehen: Es wurden vier Betriebsvereinbarungen zu den fünf verschiedenen variablen Ziel- und Gehaltssystemen vereinbart, von denen eine als Richtlinie auch für die Bereichsleiter gilt. Zusätzlich wurden noch zwei andere Betriebsvereinbarungen adaptiert.
338
ZIGIC/KRÄMER
Im Gegenzug akzeptierte der Betriebsrat die vorgeschlagene neue Berechnungsweise und Zielesystematik, die – da die vorangegangenen Betriebsvereinbarungen keine weitere Gültigkeit mehr haben – auch für jene gelten, die sich nicht zu einer Änderung des variablen Gehaltsbestandteils entschließen. Daher wurde – unabhängig von der Transferquote – eine einheitliche Steuerung des Unternehmens durch die generelle Anwendung der Zielesysteme ermöglicht. Die Berechnungsbasis für den variablen Gehaltsbestandteil bleibt für jene, die im alten System bleiben, laut Dienstvertrag unverändert. Weiters können nun Einzelauswertungen in den Verkaufsorganisationen vorgenommen werden, die vom Unternehmen als wichtiger Schritt zur Steuerung angesehen werden. Betriebsrat und Unternehmen haben faire, transparente und planungssichere neue Ziel- und variable Vergütungssysteme vereinbart. Diese Überzeugung von den Vorteilen der neuen Systeme, nicht zuletzt da für die Mitarbeitenden auch steuerliche Verbesserungen greifen und daher höhere Nettoauszahlungen zu erwarten sind, resultierte in einer eindeutige Empfehlung zum Übertritt von Seiten des Betriebsrates an die Mitarbeitenden. Der Betriebsrat wirkte bei alle Informationsveranstaltungen sehr konstruktiv mit und bot auch Beratungen an. Mit Sicherheit war die positive Haltung und Kommunikation des Betriebsrates eine sehr starke Motivation für die Mitarbeitenden, das Transferangebot anzunehmen.
4.5
Implementierung und Auswirkungen
Die Mitarbeitenden hatten die Möglichkeit, vom 1. Dezember 2008 bis 31. März 2009 einen Sideletter zu unterzeichnen, der den Dienstvertrag im Hinblick auf den entsprechenden variablen Gehaltsbestandteil per 1.1.2009 abänderte. Als großer Erfolg des Change-Projekts, das mit der Änderung aller Ziel- und variabler Vergütungsverträge und daher auch aller Dienstverträge beauftragt war, kann gewertet werden, dass über 96% der Mitarbeitenden das Transferangebot angenommen und in das neue Vergütungssystem gewechselt sind. Die Zielsetzung 2009 erfolgte nach den neuen Systematiken und bis dato sind bereits die ersten Auswirkungen bekannt: ¾ In den Verkaufsbereichen konnte ein seit einiger Zeit versuchtes, aber bislang nicht erreichtes strategisches Fokusziel erreicht werden. ¾
Die Steuerung in Shops und in den verkaufenden Bereichen des Customer Care kann als gelungen bezeichnet werden.
¾
Die bei den Informationsveranstaltungen, den Beratungsgesprächen und schließlich natürlich der Übertrittsquote merkbare positive Stimmung hat sich auch in Mitarbeiterzufriedenheitsumfragen gezeigt: Bei den regelmäßig durchgeführten internen Umfragen stieg die Mitarbeiterzufriedenheit zwischen Oktober 2008 und April 2009 um 16 Prozentpunkte an, für das das Performance-Management-Projekt sicherlich als mitentscheidend angesehen werden kann.17
17
Vgl. SPIRIT@TELEKOM (2009).
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
339
Die Neukonzeptionierung und Implementierung war mit Ende März 2009 abgeschlossen und wurde vom Projektmanagement an die zuständigen Funktionen, die für den laufenden Betrieb verantwortlich sind, übergeben.
4.6
Key Learnings
Bei einem massiven Change-Projekt können aus diesem Projektablauf folgende Key Learnings mitgenommen werden: ¾
Sobald ein Problem sichtbar wird, sollte eine umfassende Lösung in Angriff genommen werden – kleine „Reparaturarbeiten“ helfen wenig.
¾
Wichtig ist, vor der Konzeption die Gründe für das bestehende Problem genau zu analysieren und die Lösung dieser Probleme zu bieten.
¾
Kein Zurückschrecken vor anfänglich scheinbar unmöglichen Lösungen – wenn diese der richtige Weg für das Unternehmen sind, wird sich Unterstützung für die Vorschläge finden.
¾
Kritisches Hinterfragen von Abläufen oder Systemen auch außerhalb der HR-Systeme.
¾
Laufende Abstimmung während der Feinkonzeption mit den relevanten Entscheidungsgremien, damit etwaige Kurskorrekturen sofort vorgenommen werden können (siehe Abbildung 7).
¾
Frühzeitige Einbindung des Betriebsrats. (siehe Abbildung 7).
¾
Umfassende Kommunikation ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Einführung und den langfristigen Erfolg des Performance Management.
¾
Einsatz von den aktuellsten elektronischen Tools bei der Mitarbeiterberatung.
340
ZIGIC/KRÄMER
Standard-Projektzyklus
vs.
Best-Practice-Projektzyklus
Regelbetrieb
Regelbetrieb
Problemerkenntnis
Problemerkenntnis
Analyse
Analyse Machbarkeit
Machbarkeit
Grobkonzept
Betriebsrat Implementierung Kommunikation
Grobkonzept Konzept Implementierung
Betriebsrat
Geschäftsleitung Geschäftsführung
Geschäftsführung
Konzept
Kommunikation Go Live
Go Live
Regelbetrieb
Abbildung 7:
5
Regelbetrieb
Vergleich Standard-Projektzyklus mit jenem des beschriebenen Projekts
Schlussbetrachtung
Das Fallbeispiel aus Österreich verdeutlicht die hohe Komplexität des Zusammenwirkens zwischen der Personalfunktion und dem Umsatz generierenden Business mit dem Ergebnis, dass eindeutig der in der Erstauflage dieses Sammelbands prognostizierte Trend von komplizierten hin zu simplen, verständlichen Vergütungssystemen vollzogen ist.18 Die Verknüpfung individueller und unternehmensrelevanter Ziele führt zu einer stärkeren Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen und fördert die Wirtschaftlichkeit der Vertriebserfolge, d. h. auch, dass „Verkauf um jeden Preis“ endthematisiert ist und Vergütungssysteme ihren variablen Anteil aus den wirtschaftlichen Erfolgen speisen, wobei Unternehmen mit Langzeitorientierung diese Systeme gewissermaßen „vorfinanzieren“. Dennoch gilt: Wo kein Vertriebserfolg, da auch keine variable Zahlung. Vergütungssysteme, die Leistung und Qualität von Arbeit in den Mittelpunkt stellen, sind heute allgemeiner Bestandteil der Personalstrategien von Unternehmen und fast 80% von in einer Gallup-Studie befragten Personal-Entscheider sind davon überzeugt, dass die neben der Grundbarvergütung möglichen Zahlungen dazu beitragen, Mitarbeiter zu mehr Leitung und zu besserer Arbeit zu motivieren. Die Verschiedenartigkeit der 18
Vgl. KRÄMER (2008), S. 287 ff.
Variable Vergütung und Performance Management im Vertrieb
341
Gestaltungsformen von Vertriebsvergütung macht es schwierig, die Vertriebsvergütung eines Unternehmens mit dem Markt (also dem Wettbewerb) zu vergleichen. Solche Marktvergleiche, auch Benchmark-Studien genannt, finden in der Vertriebsbranche meist als geschlossene Studien statt, zu deren Ergebnissen Unternehmen nur Zugang erhalten, wenn sie selbst Daten einspielen, also teilnehmen. Ein wichtiger Aspekt sei abschließend erwähnt: Bei aller Variabilität der Vergütung ist es wichtig, ein gesundes Maß zwischen der, die soziale Sicherung schaffenden, Grundbarvergütung und den, den Erfolg und die Leistungen vergütenden, variablen Verdienstmöglichkeiten zu finden. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass Unternehmen, die ohne Fixgehalt, also 100% variabel vergütet haben, ein „Schattenfesteinkommen“ definiert haben. Dies erfolgte durch Umsatz-Umschreibungen von erfolgreichen auf weniger erfolgreiche Mitarbeiter oder durch unternehmensinterne Verrechnung von Leistungen. Solch eine Konterkarierung von Leistungsmotivation führt in der Regel zu sehr hohem Vertriebsdruck, der nur die Stärksten überleben lässt und Kollateralschäden, wie Abwanderung hoch qualifizierter aber demotivierter Mitarbeiter verursacht. Dass hinter jeder Personalnummer auch ein Mensch steht, darf man also bei aller vergütungstheoretischer Diskussion nicht vergessen. Gerade dies wurde im hier beschriebenen Fallbeispiel vorbildlich berücksichtigt. Das Management der Erwartungshaltungen (managing expectations) und die Steuerung der Widerspiegelung von Vertriebserfolg in der Vergütung der Mitarbeiter ist eine der Hauptaufgaben von Compensation-&-BenefitExperten in (Vertriebs-)Unternehmen. Vertriebsvergütung ist als variables Modell zu einem strategischen Steuerungsinstrument, das Unternehmensstrategien unterstützt, geworden und kann die Personalarbeit und insbesondere die Personalkosten signifikant beeinflussen. Daher gilt an dieser Stelle ein Plädoyer der Erweiterung der Ausbildungsangebote zu qualifizierten Compensation-&-Benefits-Managern in Deutschland. Diese Ausbildung wird zur Zeit nur punktuell als Zusatz-Qualifizierung angeboten, so dass der „klassische“ Weg zum Compensation-&-Benefits-Manager meist noch über die auf Human Resources spezialisierten Unternehmensberatungen wie zum Beispiel Watson Wyatt, Towers Perrin, Hewitt Associates, MercerHR, Hay Group und Kienbaum oder über „Learning by Doing“ führt. Diese Situation macht es Unternehmen schwer, geeignete und erfahrene Kandidaten für die wichtige Rolle der Vergütungsexperten zu finden. Hier sollten Unternehmen jedoch keine Kompromisse eingehen und ein professionelles Vergütungsmanagement sicherstellen. Ein erster Schritt in Richtung Verbesserung dieser Situation ist die in 2008 erfolgte Gründung der beratungsunabhängigen Rewards-Academy (www.rewards-academy.de), die sich sehr intensiv für die Ausund Weiterbildung von Compensation-&-Benefits Managern und die Einführung von Qualitätsstandards bei Vergütungssystemen, -strukturen und -prozessen engagiert.
Quellenverzeichnis AON LTD. (Hrsg.) (2002): Inventing a sales incentive, in: Just Rewards, May 2002. ARMSTRONG, M./BARON, A. (2002): Strategic HRM, London 2002. AUSTRALIAN INSTITUTE OF COMPANY DIRECTORS (1998): Line of Sight and High Performance: online: http://www.companydirectors.com.au/Media/Company+Director/1998/December/ Line+of+sight+and+high+performance.htm, Stand: 2009, Abruf: 27.07.2009.
342
ZIGIC/KRÄMER
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Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz BERND EGGERS und SEBASTIAN HOLLMANN EGGERS & PARTNER Management Consultants
1 2
Nutzen eines wertorientierten Verkaufsansatzes auf Kunden- und Anbieterseite ......... 345 Von STEEP zu SWOT: Gewinnung relevanter Kundeninformationen mit Hilfe der Outside-In-Analyse........................................................................................................ 346 2.1 Instrumente der Umwelt- und Unternehmensanalyse .......................................... 346 2.1.1 STEEP-Analyse zur Betrachtung der globalen Unternehmensumwelt.... 346 2.1.2 Analyse der Branchenstruktur und -dynamik mittels PORTERs „Five Forces“-Modell .............................................................................. 347 2.1.3 Spezifische Marktpositionierung des Unternehmens im Wettbewerbsportfolio ......................................................................... 348 2.1.4 Wertschöpfungskette eines Unternehmens als wertorientierte Betrachtungsweise des Geschäftssystems ............................................... 350 2.2 Identifikation von Chancen und Risiken durch Zusammenführen von Unternehmens- und Marktbetrachtung in der SWOT-Analyse............................ 351 3 Von der Outside-In-Analyse zur kundenspezifischen Value Message im Angebot ...... 352 3.1 Angebotsvorbereitung: Der „Issue Tree“ als Methode zur Ableitung von Verkaufsstory und weitergehendem Analysebedarf............................................. 352 3.2 Nutzenfokussierte Angebotsformulierung unter Berücksichtigung des Buying Center................................................................................................................... 354 3.3 Angebotsnachverfolgung und wertorientierte Verhandlungsführung .................. 355 4 Verdeutlichung der Value-based-Selling-Methodik anhand eines konkreten Fallbeispiels ................................................................................................................... 356 5 Fazit und Ausblick ......................................................................................................... 360 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 361
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz
1
345
Nutzen eines wertorientierten Verkaufsansatzes auf Kunden- und Anbieterseite
Bedingt durch die fortschreitende Angleichung einzelner Produkte oder Dienstleistungen fällt es Unternehmen und Endkunden zunehmend schwerer, eine in ihrer spezifischen Situation optimale Kaufentscheidung zu treffen. Daran ändert auch die durch das Internet verstärkte Transparenz auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten nichts – das Gegenteil ist der Fall: Die zum Teil unüberschaubare Fülle möglicher Anbieter und die auf Grund erhöhter Transparenz zunehmende Angleichung der Preise forcieren diese Entwicklung zusehends. Die Entscheidung zum Kauf beruht demnach immer seltener auf spezifischen Eigenschaften des Produktes bzw. der Dienstleistung oder seinem/ihrem Preis – vielmehr wird von Kundenseite danach gefragt, welche individuellen Vorteile sich aus dem Kauf ergeben.1 Neben dem „Value from the Customer“, der dem Anbieter unter anderem in Form des gezahlten Preises zufließt, geht es daher beim „Value-based-Selling“-Ansatz darum, den konkreten Mehrwert für den Kunden, den „Value to the Customer“ herauszuarbeiten.2 Dieser beruht zum einen auf dem unmittelbar gebotenen Nutzen (z. B. Optimierung von Geschäftsprozessen) sowie dem langfristigen Wertsteigerungspotenzial (z. B. Generierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile).3 Gelingt es dem Anbieter, diesen Kundennutzen hinreichend transparent darzustellen, profitiert jedoch auch er selbst, denn durch einen hohen Nutzen gelingt es ihm viel eher, den geforderten Preis im Verhandlungsprozess aufrechtzuerhalten, da der Kunde auf Grund seines eigenen Vorteils merkt, dass das Produkt diesen „wert ist“. Bevor es jedoch möglich ist, diese Kundenvorteile zu kommunizieren, müssen sie erst einmal durch zielführende Analysen herausgearbeitet werden. Diese Analysen sind für jeden potenziellen Kunden individuell durchzuführen – ein Prozess, der viel Arbeit mit sich bringt, aber mindestens einen ebensogroßen Nutzen verspricht. Als zentrale Analysetools sollen dabei die Instrumente der Outside-In-Analyse vorgestellt werden, die zu einem Großteil auf den Überlegungen von MICHAEL E. PORTER beruhen. Diese Tools sollen in Abschnitt 2 dargestellt werden, bevor sich Abschnitt 3 mit der wertbezogenen Angebotserstellung befasst. Hier werden die durchgeführten Analysen in ein konkretes Angebot überführt und der Interaktionsprozess zwischen Anbieter und Kunde bzw. Buying Center einer genauen Betrachtung unterzogen.
1 2
3
Vgl. SCHMÄH (2008), S. 38. Der Ansatz des Value Based Selling oder auch des Value Based Management als grundlegende Ausrichtung der Unternehmensführung geht somit über den weit verbreiteten Shareholder-Value-Ansatz hinaus, der den Ansprüchen der Anteilseigner eine alleinige Dominanz zuspricht; vgl. EGGERS (2006), S. 114 f. Vgl. SCHMÄH (2006), S. 38 ff., und SCHMÄH (2008), S. 38 f.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_14, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
346
2
EGGERS /HOLLMANN
Von STEEP zu SWOT: Gewinnung relevanter Kundeninformationen mit Hilfe der Outside-In-Analyse
Das Ziel der „Value-based-Selling“-Methodik ist es, den Nutzen der angebotenen Produkte bzw. Dienstleistungen gegenüber dem Angebotsempfänger noch stärker als bisher zu verdeutlichen. Grundlage hierfür ist eine konsequente Ausrichtung auf ein Denken von der Seite des jeweiligen Kunden her. Für einen wertorientierten Verkaufsansatz ist es daher unerlässlich, die spezifische Situation des Kunden genau zu analysieren, um dessen individuellen Bedarf bestimmen zu können. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen können die benötigten Informationen im direkten Gespräch mit dem Kunden gewonnen werden, was in Abschnitt 3 näher behandelt wird. Zum anderen stellt die so genannte Outside-In-Analyse, die im Folgenden dargestellt wird, eine geeignete Methodik zur zielgerichteten Informationsgewinnung dar und dient darüber hinaus auch der Vorbereitung auf das Kundengespräch. Die so gewonnenen Informationen münden in eine ganzheitliche Gegenüberstellung von entsprechenden Stärken und Schwächen des Unternehmens mit den sich im Markt bietenden Gelegenheiten und Gefahren. Auf diese Weise werden Chancen und Risiken identifiziert, die die wesentliche Grundlage einer kundenwertorientierten Angebotserstellung bilden.
2.1
Instrumente der Umwelt- und Unternehmensanalyse
Um die wertschöpfenden Aktivitäten des Unternehmens einordnen und bewerten zu können, findet im Rahmen der „Outside-In-Analyse“ neben einer Untersuchung des Unternehmens selbst zusätzlich eine Betrachtung des relevanten Umfeldes statt. Neben einer Analyse der volkswirtschaftlichen Einflussfaktoren ökonomischer, ökologischer, sozialer, politischer und technologischer Art, stehen insbesondere die Betrachtung der jeweiligen Branche und die spezifische Wettbewerbspositionierung des Unternehmens im Fokus.4 Auf der Grundlage dieser Informationen erfolgt eine Analyse der unternehmerischen Wertschöpfungskette, die eine Betrachtung der Effektivität und Effizienz der Geschäftsprozesse ermöglicht. 2.1.1
STEEP-Analyse zur Betrachtung der globalen Unternehmensumwelt
Die Aufspaltung der globalen Unternehmensumwelt in soziale, technologische, ökonomische, ökologische und politisch-rechtliche Faktoren (STEEP) kann als eine Weiterentwicklung früherer Ansätze wie PEST oder auch SEPT angesehen werden.5 Bedingt durch die zunehmende Sensibilisierung der Bevölkerung für ökologische Themen wird eine Betrachtung dieses Einflussfaktors bei der Entscheidungsfindung auch für Unternehmen immer wichtiger. Alle diese Frameworks basieren auf der Überlegung, dass die Aktivitäten eines Unternehmens immer in Abhängigkeit von den makroökonomischen Rahmenbedingungen betrachtet und bewertet werden müssen und zugleich maßgeblich durch diese beeinflusst werden. In der Tat gab es in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele für politisch-rechtliche Regulierungen, die immense Auswirkungen auf unterschiedliche Branchen hatten wie z. B. die Deregulierung 4 5
Vgl. JUNG/BRUCK/QUARG (2008), S. 294. Zur STEEP-Analyse vgl. VOROS (2001).
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz
347
des Marktes für Sportwetten, die Preisfestsetzungen für Mobilfunkanbieter durch die Europäische Kommission oder auch die Regulierungen für Strom- und Gasanbieter. Dabei kommt ihnen sowohl eine deskriptive als auch eine normative Funktion zu: Neben der Verortung einer Branche oder eines Unternehmens in seiner Umwelt dienen sie ebenso einer Bewertung der Realisierbarkeit unternehmerischer Pläne. Die STEEP-Analyse ist daher sehr gut geeignet, wenn es darum geht, allgemeine Trends oder Entwicklungen auf Märkten zu beobachten und einzuordnen. Mit ihrer Hilfe lassen sich gut verwertbare Aussagen über mögliche Gelegenheiten oder Gefahren für die spätere SWOTAnalyse generieren. Aufgrund dessen, dass sich mittels der STEEP-Analyse jedoch nur sehr globale Einordnungen oder Bewertungen vornehmen lassen, gilt es, Branche, Markt und Unternehmen vor der Angebotserstellung einer weitergehenden Betrachtung zu unterziehen. 2.1.2
Analyse der Branchenstruktur und -dynamik mittels PORTERs „Five Forces“-Modell
Die Profitabilität und damit die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens kann immer nur in Abhängigkeit anderer situativer Faktoren beurteilt werden, denn nur vor dem Hintergrund anderer Branchenaktivitäten kann eine sinnvolle Einordnung und Bewertung der unternehmerischen Aktivitäten erfolgen. Ein mögliches Framework für eine solche Analyse stellt das in der nachfolgenden Abbildung 1 dargestellte „Five-Forces“-Modell von PORTER dar. Das Modell identifiziert neben dem brancheninternen Wettbewerb vor allem die Bedrohung durch neue Wettbewerber oder Ersatzprodukte sowie die Verhandlungsmacht von Lieferanten und Abnehmern als wesentliche Einflussgrößen auf die Profitabilität des Unternehmens.6 Für eine kundenindividuelle Angebotserstellung ist es wichtig, die richtigen „Stellhebel“ zur Maximierung des Kundenwertes zu identifizieren. Der brancheninterne Wettbewerb kann beispielweise durch die Zahl der konkurrierenden Unternehmen, deren Produktportfolio und Produkt- bzw. Marketingstrategien oder auch ihren Kostenstrukturen abhängen. Ansatzpunkte für eine Steigerung des Kundenwertes reichen von einem Target-Costing-Programm bis hin zu einer Änderung der Produktstrategie und sind daher ohne eine Einbeziehung der übrigen Einflussfaktoren nicht eindeutig identifizierbar.
6
Vgl. hierzu und zum Folgenden PORTER (1991), S. 100 ff., und PORTER (1999), S. 33 ff.
348
EGGERS /HOLLMANN
Bedrohung durch potenzielle neue Wettbewerber
Verhandlungsmacht der Lieferanten
Brancheninterner Wettbewerb
Verhandlungsmacht der Abnehmer
Bedrohung durch Ersatzprodukte
Abbildung 1:
PORTERs Modell der fünf Triebkräfte des Branchenwettbewerbs7
Die Verhandlungsmacht der Lieferanten und Abnehmer hängt wiederum von deren Konzentration, Umstellungskosten für den jeweiligen Abnehmer, vertikalen Konzentrationsbestrebungen oder auch möglichen Substitutionsprodukten ab. Diese wiederum werden, ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis vorausgesetzt, wiederum nur für Kunden mit einer bestimmten Substitutionsneigung interessant sein, die auch durch den potenziellen Eintritt neuer Mitbewerber und das damit verbundene Produktangebot beeinflusst wird. Diese stellen, je nach Produktportfolio oder Kostenstruktur ein nicht unerhebliches Risiko dar. Eine günstige Kostenstruktur ermöglicht eine Penetrationsstrategie, während hochwertige Produkte mit einem guten Preis-/Leistungsverhältnis zu einer Abschöpfung möglicher Gewinne führen können. Ob potenzielle Wettbewerber in die Branche können, hängt jedoch nicht zuletzt von den Markteintrittsbarrieren wie z. B. erforderlichen Investitionen oder den Möglichkeiten zum Aufbau eines eigenen Vertriebsnetzes ab. Es wird deutlich, dass eine zielführende Ableitung von Einzelanalysen eine genaue Untersuchung der Positionierung des jeweiligen Unternehmens innerhalb der Branche sowie seiner spezifischen Strukturen voraussetzt, worauf im Folgenden näher eingegangen wird. 2.1.3
Spezifische Marktpositionierung des Unternehmens im Wettbewerbsportfolio
Um in der Auseinandersetzung mit den zuvor beschriebenen fünf Wettbewerbskräften nachhaltige Wettbewerbsvorteile generieren zu können, können sich Unternehmen in verschiedener Hinsicht strategisch positionieren. Vor der Betrachtung des konkreten Unternehmens ist es daher sinnvoll, auf einer mittleren Untersuchungsebene die Einordnung des Unternehmens in die zuvor betrachtete Branche vorzunehmen. Die jeweilige Marktpositionierung kann dabei über die Art des Wettbewerbsvorteils (Kostenführerschaft vs. Differenzierungsstrategie) und die Breite der Wettbewerbsposition (Teilmarkt/Nische vs. Gesamtmarkt) vorgenommen werden, wie Abbildung 2 verdeutlicht. Diese Strategiealternativen zielen darauf ab, durch Konzentration der Aktivitäten auf einen Schwerpunkt, Wettbewerber zu übertreffen und den Markteintritt weiterer Unternehmen zu erschweren.8
7 8
Eigene Darstellung in Anlehnung an PORTER (1991), S. 101. Vgl. zum Folgenden PORTER (1999), S. 70 ff., und EGGERS (2006), S. 92 f.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz
349
¾ Kostenführerschaftsstrategie: Die Voraussetzung dafür, durchgängig niedrigere Preise als die Wettbewerber anbieten zu können, beruht beispielsweise auf einem ausreichend hohen Marktanteil oder guten Einkaufskonditionen sowie effizienten Produktionsprozessen, die auf Lernkurveneffekten basieren. Unternehmen, die diese Strategie verfolgen, zeichnen sich durch ein günstiges und effizientes Vertriebssystem sowie eine strenge Kostenkontrolle, ggf. sogar durch die konsequente Anwendung des Target-CostingPrinzips aus. Auf diese Weise können sie einerseits überdurchschnittliche Erträge erzielen und sich zum anderen gegen potenzielle Wettbewerber schützen. Allerdings ist darauf zu achten, dass Produktqualität und Service nicht unter den niedrigen Kosten leiden. ¾ Differenzierungsstrategie: Die Fähigkeit von Unternehmen, sich durch die Herausstellung eines besonderen Merkmals (z. B. Qualität oder Service) am Markt durchzusetzen, beruht auf der Kompensation beispielsweise der Preissensitivität der Kunden durch eben diese einmaligen Attribute. Häufig zeichnen sich solche Unternehmen durch eine besonders exklusive Qualität der angebotenen Produkte aus, im Bekleidungssegment z. B. HUGO BOSS oder Polo Ralph Lauren. Durch eine Unique Selling Proposition wird eine hohe Kundenbindung und -loyalität erreicht, die das Unternehmen gegen die anderen Wettbewerbskräfte abschirmt. Hierfür sind ein gutes Marketing und qualifiziertes Personal unabdingbar. Entscheidend für die Nachhaltigkeit des Wettbewerbsvorteils ist es jedoch, auch die Kostenseite langfristig nicht aus den Augen zu verlieren.
Breite der
Wettbewerbsposition
Art des Wettbewerbsvorteils
Abbildung 2:
Abhebung durch niedrige Preise
Profilierung durch qualitative
aufgrund reduzierter Kosten
Alleinstellungsmerkmale
Gesamt-
Kostenführerschafts-
Differenzierungs-
markt
strategie
strategie
Spezieller Teilmarkt
Fokus- bzw. Nischenstrategie Nischenorientierte
Nischenorientierte
Preisstrategie
Differenzierungsstrategie
Portfolio möglicher Wettbewerbsstrategien9
¾ Fokus-/Nischenstrategie: Diese Strategiealternative beruht auf der Annahme, dass sich eines der beiden oben genannten Ziele bei der Konzentration auf ein spezielles Marktsegment insb. für Unternehmen, die nicht über einen hinreichenden Größenvorteil verfügen, noch einfacher und schneller erreichen lässt.
9
Eigene Darstellung in Anlehnung an PORTER (1999), S. 75.
350
EGGERS /HOLLMANN
2.1.4
Wertschöpfungskette eines Unternehmens als wertorientierte Betrachtungsweise des Geschäftssystems
Die spezifische Wettbewerbsstrategie ist die Ausgangsposition für die Definition und Abstimmung der individuellen Geschäftsprozesse eines Unternehmens. Je höher die Produktivität dieser Aktivitäten ist (Kostenführerschaft), bzw. je (kunden-)individueller diese ausgerichtet sind (Differenzierung), desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für die Erreichung eines Wettbewerbsvorteils gegenüber der Konkurrenz.10 Das von Porter konzipierte Modell der Wertschöpfungskette, das in Abbildung 3 dargestellt wird, stellt die primären und unterstützenden Aktivitäten des unternehmerischen Geschäftssystems dar.11 Die klassischen Unternehmensaktivitäten Einkauf, Produktion und Absatz werden durch sekundäre Prozesse wie z. B. Personalwirtschaft oder Technologieentwicklung unterstützt und leisten so einen Beitrag zur Profitabilität des Unternehmens. Es existieren somit vielfache Verflechtungen innerhalb der Wertschöpfungskette: Beispielsweise führen eine gute Personalentwicklung sowie der effiziente Einsatz von Technologien zu einer gesteigerten Qualität des Kundendienstes.
Unternehmensinfrastruktur Personalwirtschaft Technologieentwicklung Beschaffung
Eingangs-
Operationen
logistik
Abbildung 3:
Marketing
Ausgangs-
Kunden-
& Vertrieb
logistik
dienst
Wertschöpfungskette nach PORTER12
Je besser diese Prozesse definiert und aufeinander abgestimmt sind, desto höher fällt nicht nur die Gewinnspanne des Unternehmens aus. Auf diese Weise wird auch der Wert für den Kunden unmittelbar gesteigert, da das Unternehmen in der Lage ist, das Produkt zu günstigeren Preisen und/oder mit einer besseren Qualität anzubieten. Mit Hilfe branchenspezifischer Benchmarkings lassen sich bezüglich der Prozessabstimmung oftmals Best Practices identifizieren und ggf. sogar Einsparpotenziale konkret beziffern: „Beispiele von Wettbewerbern zeigen, dass Sie durch die Umstellung Ihrer Lagerverwaltungssoftware eine zusätzliche 10
11 12
PORTER nimmt hiermit implizit eine Verknüpfung von markt- und ressourcenorientiertem Ansatz vor; vgl. EGGERS (2009), S. 93. Durch die Abstimmung von Ressourcen und Prozessen gelingt es Unternehmen zum einen, Barrieren gegenüber Wettbewerbern zu errichten und so Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Zum anderen verschafft ihm diese Abstimmung eine Wahlmöglichkeit der optimalen Wettbewerbsstrategie. Vgl. hierzu und zum Folgenden PORTER (1991), S. 102 f., und JUNG/BRUCK/QUARG (2008), S. 312 ff. Vgl. PORTER (1991), S. 103.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz
351
Kostenersparnis von 5% realisieren können.“ Die Analyse der Wertkettenschöpfungskette liefert insofern konkrete Ansatzpunkte für eine nähere Betrachtung der Stärken und Schwächen des Unternehmens:13 „The systematic examination of individual value activities can lead to a better understanding of a corporation’s strengths and weakness.“14
2.2
Identifikation von Chancen und Risiken durch Zusammenführen von Unternehmens- und Marktbetrachtung in der SWOT-Analyse
Nach der Betrachtung des Unternehmens und seiner Positionierung innerhalb der spezifischen Wettbewerbssituation gilt es, die gewonnenden Informationen sinnvoll zusammenzuführen, um mögliche Chancen und Risiken abzuleiten. Diese bilden die Grundlage für die Formulierung kundenwertbezogener Value Messages, in dem dem potenziellen Kunden der Nutzen des angebotenen Produktes bzw. der Dienstleistung transparent gemacht wird. Hierzu werden, wie in Abbildung 4 dargestellt, die in der Betrachtung des Unternehmens identifizierten Stärken (z. B. hohe Qualität der angebotenen Produkte) und Schwächen (z. B. hohe Kosten durch ineffiziente Abstimmung der primären und unterstützenden Aktivitäten) den sich aus der Marktanalyse ergebenen Gelegenheiten (z. B. niedrige Preissensitivität der Abnehmer bei qualitativ hochwertigen High-Interest-Produkten) und Gefahren (z. B. erhöhter Preisdruck durch Kooperation von Wettbewerbern) gegenübergestellt. Aus der Kombination von Stärken und Gelegenheiten auf der einen, respektive Schwächen und Gefahren auf der anderen Seite lassen sich potenzielle Chancen bzw. Risiken ableiten.
Phänomene
Unternehmungsinterne
Phänomene aus der aufgabenbezogenen und globalen Umwelt
Gelegenheiten (opportunities) Stärken (strengths) Schwächen (weaknesses)
Abbildung 4: ¾
Gefahren (threats)
CHANCEN RISIKEN
SWOT-Analyse zur Identifikation von Chancen und Risiken15
Chance, z. B.: Durch hohe Produktqualität Verbesserung der Wettbewerbssituation aufgrund von niedriger Preissensitivität der Kunden.
¾ Risiko, z. B.: Der hohe Preisdruck der Wettbewerber führt aufgrund schlechter eigener Kostenstrukturen zu einer Verschlechterung der Wettbewerbssituation.
13 14 15
Vgl. EGGERS (2009), S. 93 f. HUNGER/WHEELEN (2000), S. 86. Vgl. EGGERS (1994), S. 50.
352
EGGERS /HOLLMANN
Ein Produkt bzw. eine Dienstleistung weist dann einen hohen Wert für den Kunden auf, wenn sein/ihr Kundennutzen genau an diesen Stellen ansetzt, d. h. wenn der Kunde hierdurch in die Lage versetzt wird, Chancen zu ergreifen oder Risiken rechtzeitig entgegenzuwirken. Die identifizierten Chancen und Risiken stellen somit die Anknüpfungspunkte für konkrete Maßnahmen (z. B. Umsatzsteigerungs- oder Kostensenkungsprogramm) dar. Dabei ist auch zu beachten, dass durch sorgfältiges Abwägen von Chancen und Risiken stets auch die „Chancen infolge von Risiken“ und die „Risiken infolge von Chancen“ zu bedenken sind. Denn Chancen und Risiken sind oft als bipolares Begriffspaar nicht eindeutig zu identifizieren. Das folgende Kapitel dient daher der Identifikation von Anknüpfungspunkten für konkrete Maßnahmen und deren Überführung in das Angebot bis hin zum Interaktionsprozess im Kundengespräch.
3
Von der Outside-In-Analyse zur kundenspezifischen Value Message im Angebot
Grundsätzlich lassen sich – je nachdem, ob im Vorfeld eine gezielte Angebotsplanung erfolgt und ob der Kunde in die Erstellung des Angebotes einbezogen wird – unterschiedliche Angebotsformen unterscheiden. Wird im Vorfeld keine genaue Analyse des Kunden vorgenommen, spricht man von einem Massenangebot (ohne Kontakt zum Kunden) bzw. Ad-hocAngebot. Nach durchgeführtem „Account Planning“ lassen sich Outside-In-Angebote und kooperative Angebote differenzieren. Zur Erstellung eines Outside-In-Angebotes können die im vorherigen Abschnitt vorgestellten Analysetools verwendet werden. Bei der Abgabe eines kooperativen Angebotes hingegen ist aufgrund des individuellen Einbezugs des Kunden die Wahrscheinlichkeit eines Abschlusses höher. Wann immer möglich, sollte man sich daher die Mühe machen, den Kunden in die Erstellung des Angebotes einzubeziehen, beispielweise in Form eines Kurzworkshops.
3.1
Angebotsvorbereitung: Der „Issue Tree“ als Methode zur Ableitung von Verkaufsstory und weitergehendem Analysebedarf
Im Rahmen der Angebotsvorbereitung werden die Ergebnisse der SWOT-Analyse ausgewertet. Vor der konkreten Gestaltung des Angebotes sind dabei folgende Fragen zu beantworten: ¾ Welche Ansatzpunkte für Verbesserungen ergeben sich aus den im Rahmen der SWOTAnalyse identifizierten Chancen und Risiken? ¾ Durch welche unserer Produkte können wir dem Kunden hier einen konkreten Mehrwert bieten? ¾ Lässt sich dieser Mehrwert ggf. sogar quantifizieren, beispielsweise: „Durch die Optimierung Ihrer Prozesse A, B und C können Sie Ihren Gewinn um 8 bis 10% steigern“?
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz
353
¾ Welche Informationsdefizite bestehen ggf. noch? Welche weitergehenden Analysen (z. B. Betrachtung relevanter Finanzkennzahlen wie EBIT, ROI, etc.) sind notwendig, um diese Informationslücken zu schließen? Als Tool zur Beantwortung dieser Fragen dient der so genannte „Issue Tree“, in dem die wesentlichen Herausforderungen des Kunden aufgespalten und analysiert werden. Das Ergebnis einer SWOT-Analyse könnte, wie in Abbildung 5 dargestellt, beispielsweise lauten: „Durch die zunehmende Liberalisierung des Marktes für Sportwetten sieht sich der staatliche Wettanbieter XY einem zunehmenden Druck durch private Anbieter aus dem Ausland ausgesetzt“. Bedingt wird dies durch die Schwäche, dass staatliche Wettanbieter sehr viel geringere Quoten anbieten können als private und marktseitig durch die Gefahr, dass die Zielgruppe nur eine äußerst geringe Loyalität aufweist. Es stellt sich die Frage, wie diese Herausforderung weiter herunter gebrochen werden kann, um konkrete Ansatzpunkte zu identifizieren. Als Kriterium hierfür können in der Regel alle „W-Fragen“ dienen, in diesem Fall die Frage nach dem „Warum?“. Im Beispiel zeigt sich, dass sich der Markt durch den Eintritt neuer Wettbewerber, die zum Teil zu erheblich geringeren Kosten anbieten können, tiefgreifend verändert. Bisherige Produkte und Vertriebskanäle sind nicht länger ausreichend, um den veränderten Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht zu werden. Durch die zunehmende Liberalisierung des Marktes für Sportwetten sieht sich der staatliche Wettanbieter XY einem zunehmenden Druck durch private Anbieter aus dem Ausland ausgesetzt.
Das Verbraucherverhalten
Die angebotenen Produkte
Die bisherigen Vertriebs-
verändert sich zusehends.
sind nicht wettbewerbsfähig.
kanäle reichen nicht aus.
Geringe
Quoten sind
Produkte sind
Konkurrenz
nur sehr
zu wenig
durch Online-
gering
dynamisch
Angebote
Loyalität der Kunden
Abbildung 5:
…
Der Kostendruck steigt.
Umsätze …
sind
…
rückläufig
Issue Tree zur argumentativen Aufspaltung des Kundenproblems
Aus der Struktur des Issue Trees lassen sich anschließend erste Ansatzpunkte für die Formulierung einer konsistenten Verkaufsstory identifizieren. Die Verkaufsstory ist die Argumentationsstruktur mit Hilfe derer der Nutzen des Angebotes für den Kunden transparent gemacht werden soll. Je besser dies gelingt, d. h. je größer der wahrgenommene Nutzen aus Sicht des Kunden ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, den ursprünglich geforderten Preis tatsächlich erzielen zu können. Eine gute Verkaufsstory beginnt mit der kundenspezifischen Value Message und ist daher die essentielle Grundlage eines erfolgreichen Angebots. Wie sie in den Angebotstext überführt wird, wird im folgenden Abschnitt näher erläutert. Sollten sich, wie in der Abbildung angedeutet, auf der untersten Argumentationsebene des Issue Trees mögliche Informationslücken ergeben, so sind weitergehende Analysen zur Schließung dieser notwendig. Um ein zielführendes Kostensenkungsprogramm durchführen zu können, müssen beispielsweise weitergehende Analysen der Kostensituation durchgeführt werden, die Situation der Verbraucher ließe sich anhand von Marktstudien genauer betrachten. Während sich einige dieser Informationen durch Desk Research generieren lassen,
354
EGGERS /HOLLMANN
kommt man bei anderen Informationsdefiziten nicht ohne die Einbindung des betreffenden Kunden („kooperatives Angebot“) aus. Für den Einbezug des Kunden in die Angebotserstellung bieten sich dabei grundsätzlich zwei alternative Vorgehensweisen an: ¾ die Durchführung von Interviews mit den betroffenen Verwendern und Fachkräften auf der einen sowie den finalen Entscheidern und ihren Beratern auf der anderen Seite sowie ¾ die Durchführung eines Vertriebsworkshops mit den relevanten Beteiligten.
3.2
Nutzenfokussierte Angebotsformulierung unter Berücksichtigung des Buying Center
Bevor die Verkaufsstory in den eigentlichen Angebotstext überführt wird, empfiehlt sich eine genauere Betrachtung der am Entscheidungsprozess beteiligten Personen. Durch eine individuelle Ansprache und Einbindung dieser kann die Wahrscheinlichkeit der Kaufentscheidung gesteigert werden. Im so genannten Buying Center lassen sich dabei idealtypisch folgende Rollen unterscheiden:16 ¾ Verwender (User): Benutzer der zu beschaffenden Leistung, ¾ Einkäufer (Buyer): holen Angebote ein und tätigen Kaufabschlüsse, ¾ Beeinflusser (Influencer): geben Ratschläge und Empfehlungen, sind jedoch nicht am Kaufprozess beteiligt, ¾ Entscheider (Decider): bestimmen über die Auftragsvergabe, ¾ Informationsselektierer (Gatekeeper): steuern den Informationsfluss. Für die zielgerichtete Angebotserstellung, ebenso wie für die nachfolgenden Verhandlungsgespräche, sind in einem ersten Schritt die Struktur des jeweiligen Buying Centers sowie die an der Kaufentscheidung beteiligten Personen zu bestimmen. Jede dieser Personen sollte gemäß ihres Informationsbeschaffungsverhaltens angesprochen werden. Während sich beispielsweise die Anwender in der Regel sehr stark für die Details eines Produktes interessieren, ist der Einkäufer eher am Preis und der Entscheider an der Amortisationsdauer des Investments interessiert. Dabei ist zu beachten, dass die Beschaffung in Großunternehmen häufig durch technologische Anforderungen bedingt ist, weshalb die entscheidungsrelevanten Rollen in der Regel durch Fachkräfte bekleidet werden, die sich stärker für technische Belange interessieren. Für die Auswahl der individuellen Ansprachestrategie ist zudem wichtig, dass sich informations- und beratungsintensive Kaufentscheidungen meist über einen längeren Zeitraum erstrecken, was dazu führt, dass die Beteiligten ggf. zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten in den Prozess eingebunden sind.17
16 17
Vgl. hierzu und zum Folgenden VOETH/BRINKMANN (2006), S. 288 ff. Die Anzahl der beteiligten Personen und die Zusammensetzung des Buying Centers kann dabei je nach Art und Umfang der Entscheidung variieren. Vgl. LANGNER (2004), S. 329 f.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz
355
Da die Verkaufsstory die Einleitung und das Gerüst des späteren Angebotes bildet, sollte sie stets in einer empfängerorientierten Sprache formuliert werden. Je nachdem, wer auf Kundenseite in die Kaufentscheidung einbezogen ist, bietet es sich daher an, bezüglich der Kommunikation auf dessen individuelle Bedürfnisse einzugehen. Möchte beispielsweise ein Entscheider schon zu Beginn des Angebotes zügig über die relevanten Vorteile informiert werden, ist ein anderer ggf. dankbar dafür, durch eine ausführliche Einleitung noch einmal auf die bestehenden Herausforderungen hingewiesen zu werden. Dabei ist jedoch immer darauf zu achten, den potenziellen Kunden nicht schon zu Beginn des Angebotes mit Details zu überfordern. Selbstverständlich ist es unmöglich, es allen Beteiligten recht zu machen. Durch eine gute Verkaufsstory und eine konsistente Strukturierung des Angebotes ist es jedoch möglich, eine weitestgehende Befriedigung der unterschiedlichen Informationsbedürfnisse zu erreichen. Dabei nimmt die Value Message, die den Nutzen für den Kunden in einem präzise formulierten Satz auf den Punkt bringt, eine zentrale Rolle ein: Durch sie gelingt es, aus der „Helikopterperspektive“ einen Überblick über die angebotene Leistung und ihren Mehrwert zu erzeugen und dem Kunden so einen Anreiz zum Weiterlesen zu geben. Um den Kunden in seiner individuellen Situation „abzuholen“ ist es jedoch empfehlenswert, das jeweilige Produkt bzw. die Dienstleistung nicht zu schnell als Lösung des Problems zu präsentieren. Vielmehr gilt es, nicht das angebotene Produkt, sondern seinen Nutzen in den Vordergrund der Argumentation zu rücken. Als zielführend hat sich bei der Nutzenargumentation innerhalb des Angebotes folgender Dreischritt erwiesen: 1.
Um den Kunden „dort abzuholen, wo er steht“, ist es ratsam, nach der Value Message in der gebotenen Kürze und Prägnanz die (im Vorfeld analysierte) gegenwärtige Situation darzustellen (ohne dem Kunden dabei sein eigenes Geschäft zu erklären).
2.
Wie gut man seine „Hausaufgaben“ im Account Planning gemacht hat, zeigt sich, wenn es darum geht, die Herausforderungen darzulegen, die sich für den Kunden zukünftig ergeben können. Durch diesen Zwischenschritt, der die Ergebnisse der SWOT-Analyse aufgreift, werden dem Kunden mögliche Chancen und Risiken vor Augen geführt. Zum einen zeugt dies von der Bereitschaft, sich intensiv mit der Situation und den Bedürfnissen des Kunden auseinanderzusetzen. Zum anderen erleichtert es ihm das Verständnis, warum gerade in seiner Situation die angebotene Lösung die richtige ist.
3.
Als letzten Schritt gilt es, die zu Beginn des Angebots präsentierte Value Message noch einmal aufzugreifen und argumentativ zu untermauern. Im Idealfall zeigt man daher genau auf, wie sich die herausgearbeiteten Chancen und Risiken durch das angebotene Produkt ergreifen oder abwehren lassen.18
3.3
Angebotsnachverfolgung und wertorientierte Verhandlungsführung
Wie bereits erwähnt, ist es auch für die Nachverfolgung und Verhandlung des Angebotes unerlässlich, die Strukturen und Beteiligten des jeweiligen Buying Center genau zu betrachten. Ein Angebot mag noch so stringent vorbereitet, durchdacht und präsentiert worden sein – ob es jedoch angenommen wird, hängt an Ende nicht immer nur von der Wahrnehmung des Nutzens ab. Oftmals spielen auch andere Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise politische Interessen oder Budgetrestriktionen. Eine gründliche Buying-Center-Analyse kann in diesem Fall helfen, die Motive der beteiligten Personen, wie beispielsweise die Demonstration der 18
Vgl. Abschnitt 2.2.
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eigenen Macht oder auch Bereichsegoismen, besser einzuschätzen und eventuelle „hidden agendas“ zu erahnen. Im Fall einer Budgetrestriktion stellt sich – getreu dem Leitsatz „Ist der Preis zu schwer, muss mehr Nutzen her“ die Frage, ob sich ggf. der nächsthöhere Entscheider vom Nutzen des Produktes bzw. der Dienstleistung überzeugen lässt. Generell gilt es, mit sachlicher Kritik am eigenen Angebot wertschätzend und chancenorientiert umzugehen. Eine treffende Analyse in der Account-Planning-Phase vorausgesetzt, spiegelt die Kritik des Kunden in aller Regel nicht seine generelle Unzufriedenheit mit dem jeweiligen Produkt wider, sondern ist vielmehr Ausdruck eines partiellen Optimierungsbedarfs. Insofern ist die vorgebrachte Kritik an dieser Stelle als „kostenfreie Beratung“ für die Vertriebsorganisation zu sehen, die diese als Ausgangspunkt verstehen sollte, um ihre Leistungen zu optimieren und die zugehörige Nutzenargumentation gezielt weiter zu schärfen.
4
Verdeutlichung der Value-based-Selling-Methodik anhand eines konkreten Fallbeispiels
Als Fallbeispiel für die Darstellung des Vorgehens mit Hilfe der Value-Based-SellingMethode wurde ein fiktives Unternehmen im Bereich IT-Consulting gewählt. Zielkunde ist ein Hersteller von mobilen Navigationsgeräten, die mobNAV AG. Dieser Markt scheint besonders gut geeignet, da die beteiligten Unternehmen durch die zunehmende Macht der Konsumenten in den letzten Jahren stark auf die kundenindividuelle Anpassung ihrer Endgeräte gesetzt haben. Die mobNAV AG verkauft ihre Endgeräte, die hauptsächlich für den Betrieb in Pkw konzipiert sind, europaweit über Vertriebsgesellschaften in den einzelnen Ländern. Im Folgenden soll mittels eines zielführenden Account Planning festgestellt werden, welchen ITBedarf die mobNAV AG zur Optimierung ihrer Prozesse aufweist. Dieser soll anschließende in eine Verkaufsstory überführt werden. STEEP-Faktoren: Neben den gegenwärtigen Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten, die sich auch auf die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher auswirken, sind wesentliche Einflüsse insbesondere von technischer Seite zu erwarten. Der Markt für mobile Navigationsgeräte ist vor allem durch schnellen technologischen Wandel gekennzeichnet, der die Unternehmen vor die Herausforderung stellt, Trends frühzeitig zu erkennen und voranzutreiben. Das Verpassen von Innovationen könnte zu einem Wettbewerbsnachteil führen, der nur unter erheblichen finanziellen Anstrengungen aufzuholen ist. Branchenstruktur: Es handelt sich um einen sehr dynamischen Markt mit einer hohen Wettbewerbsintensität, der gegenwärtig unter mehreren Anbietern aufgeteilt ist. Dies hat zur Folge, dass die Verhandlungsmacht möglicher Lieferanten (wie beispielsweise Zulieferern von Kartenmaterial oder Speicherkarten) stark ausgeprägt ist. Die wichtigsten Konkurrenten sind Garmin, TomTom, Nokia und Magellan Navigation. Neue Wettbewerber könnten insbesondere dann eine Gefahr darstellen, wenn es ihnen gelingt, technische Innovationen schnell und gezielt voranzutreiben und so aktuelle Produkte aus dem Markt zu drängen. Allerdings stellen die hohen Fixkosten vor allem für Start-ups eine hohe Markteintrittsbarriere dar, sodass die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt neuer Wettbewerber eher als gering einzustufen ist. Bedingt durch die geringe Bedeutung des Markenimages weisen die Endverbraucher eine eher geringe Loyalität auf. Durch die Informationsdichte des Internets können sie einzelne Geräte
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der unterschiedlichen Hersteller mit geringem Aufwand vergleichen und schnell die jeweils günstigsten Preise, die zum Teil unter der Preisempfehlung der Hersteller liegen, finden. Nachdem der Trend bei Pkw-Navigationssystemen aufgrund des immer noch hohen Preises stationärer Systeme in den letzten Jahren stark zugunsten mobiler Endgeräte ging, gehören aufgrund des technischen Fortschritts Navigationssysteme zunehmend zur Basisausstattung vieler Neuwagen im Mittelklassesegment, sodass die Nachfrage nach mobilen Geräten starken Schwankungen ausgesetzt ist. Darüber hinaus kann auch die neueste Generation von Mobiltelefonen bereits als mobiles Navigationsgerät genutzt werden. Wie in allen technologisch geprägten Märkten ist über die nächsten Jahre ein konstanter Preisverfall zu erwarten. Zudem tragen kurze Produktlebenszyklen dazu bei, dass Unternehmen ohne die notwendige Flexibilität und Innovationsfähigkeit einmal erworbene Wettbewerbsvorteile sehr schnell wieder verlieren können. Viele Unternehmen konzentrieren sich daher auf ihre Kernkompetenzen und bemühen sich, die übrigen Prozesse outzusourcen. Es finden zahlreiche M&AAktivitäten in Bezug auf Zulieferer oder kleinere Mitbewerber statt, wie beispielsweise die in 2007 anvisierte Übernahme des Kartenherstellers Tele Atlas zeigt. Dabei richten einige Zulieferer ihre Aktivitäten vermehrt auch auf andere mobile Endgeräte wie beispielsweise PDA oder Smartphones aus. Wettbewerbsstrategie: Nach einem steilen Anstieg der Umsätze in den Jahren 2002 bis 2006 findet gegenwärtig ein Konsolidierungsprozess statt, der sich – bedingt durch die Krise der globalen Finanzmärkte – in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Erwartet wird ein moderates Wachstum des Marktes von jährlich etwa 2,5%. Aufgrund der engen Schnittstellen von Hard-, Software und Services verlangt der Wettbewerb zunehmend nach neuen Geschäftsmodellen, die sich noch stärker als bisher an den Bedürfnissen der Verbraucher orientieren. Wie bereits erwähnt, stellt eine Positionierung über den Endgerätepreis aufgrund des starken Preisverfalls und der schwankenden Nachfrage eine immense Herausforderung dar. Die mobNAV AG strebt daher, wie jedoch auch die Mehrzahl der übrigen Anbieter, eine herausragende Produktqualität als Alleinstellungsmerkmal an. Die Verbraucher sollen über ein einfaches Handling der Geräte und die Qualität des Kartenmaterials von den Produkten überzeugt werden. Daher strebt die mobNAV AG strategische Kooperationen mit unterschiedlichen Zulieferern an. Wertschöpfungskette. Aufgrund der hohen Dynamik und der damit einhergehenden Flexibilität innerhalb des Marktes sind konventionelle Wertschöpfungsketten eher die Ausnahme. Durch die starke Konzentration auf Kernkompetenzen existieren vielmehr zahlreiche Netzwerke von strategisch miteinander verbundenen Partnerunternehmen, die vor- und nachgelagerte horizontale Aktivitäten outsourcen. Für den zukünftigen Erfolg der mobNAV AG, die sich in ihrer Wertschöpfung seit kurzem auf die Prozesse F&E, Vertrieb und Marketing konzentriert und alle weiteren Aktivitäten ausgelagert hat, ist daher insbesondere das effektive und effiziente Management ihres Zulieferer-Netzwerkes entscheidend. SWOT-Analyse: Nachfolgend sollen exemplarisch die wichtigsten Aspekte, die sich aus der Betrachtung des Unternehmens (Stärken und Schwächen) sowie des Marktes (Gelegenheiten und Gefahren) ergeben, dargestellt werden. ¾ Stärken: qualifizierte und motivierte Mitarbeiter im Bereich der Kernaktivitäten; hohes Investitionsvolumen im Bereich F&E sowie Innovationsmanagement; geringe Fixkosten durch Auslagerung der Produktionsaktivitäten; effektives Vertriebsnetz
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¾ Schwächen: bisher noch geringer Marktanteil und Bekanntheitsgrad (fehlende Unique Selling Proposition); fehlende Erfahrung im Bereich strategischer Kooperationen; Prozesse mit den Zulieferern sind noch nicht optimal definiert und abgestimmt ¾ Gelegenheiten: Expansion auf weitere Märkte mit Hilfe strategischer Partner; Akquisition zusätzlicher Kooperationspartner; Nutzung der eigenen F&E-Kenntnisse für Produktinnovationen ¾ Gefahren: veränderte Bedürfnisse der Verbraucher; Verpassen technologischer Innovationen; Substitution durch „stationäre“ Navigationsgeräte im Pkw-Segment; Eintritt neuer Wettbewerber über strategische Kooperationen; zunehmende Verhandlungsmacht von Zulieferern durch Eintritt neuer Wettbewerber; Anhalten der globalen Finanzkrise Aus der Kombination von Stärken und Gelegenheiten auf der einen sowie Schwächen und Gefahren auf der anderen Seite ergeben sich für die mobNAV AG mögliche Chancen und Risiken, von denen die zentralen hier exemplarisch angeführt werden: ¾ Chancen: Erarbeiten von Wettbewerbsvorteilen durch Vorantreiben von innovativen Produktideen; Ausdehnung des Vertriebes auf weitere Märkte unter Nutzung bestehender und potenzieller strategischer Partner ¾ Risiken: Abspringen von Kooperationspartnern aufgrund ineffizienter Netzwerkstrukturen; Umsatzeinbrüche aufgrund fehlender Unique Selling Proposition bei verändertem Verbraucherverhalten Zur Identifikation des IT-Bedarfes der mobNAV AG sollen neben den identifizierten Chancen ebenso die aufgeführten Risiken dienen, die dafür positiv umformuliert als Chance begriffen werden können: 1) Bindung und Akquisition von Kooperationspartnern durch effektive und effizient abgestimmte Netzwerkstrukturen und -prozesse; 2) Herausarbeitung einer konsistenten Unique Selling Proposition auf Basis des geänderten Konsumentenverhaltens zur Sicherung und Steigerung des Umsatzes. Issue Tree: Im nächsten Schritt sind aus den Ergebnissen der SWOT-Analyse Ansatzpunkte für mögliche IT-Optimierungen, die die mobNAV AG bei der Umsetzung der identifizierten Chancen unterstützen können, zu extrahieren. SWOT-Issues mit IT-Bezug sind vor allem: ¾ Effektive und effiziente Abstimmung des Netzwerkmanagements zur konsequenten Ausschöpfung von Synergien und ggf. deren Transfer in neue Märkte ¾ Stärkere Kundenorientierung zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades und zum Aufbau von langfristiger Kundenbindung durch hohe Produkt- und Servicequalität Anschließend werden diese Aspekte im Issue Tree in eine konsistente Struktur überführt, aus der sich anschließend die kundenindividuelle Verkaufsstory ableiten lässt.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz
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Im hoch komplexen und dynamischen Markt für mobile Navigationsgeräte ist es der mobNAV AG bisher nicht gelungen, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren.
Fehlende Alleinstellungsmerkmale bei Produkten
Keine langfristigen Kundenbeziehungen
Wenig Innovative
Geringer Bekannt-
Geringe Kunden-
Produkte
heitsgrad
loyalität
Ansatzpunkte für CRM-Software
Abbildung 6:
Fehlende Prozesseffizienz im strategischen Netzwerk
Starke Nach-
Keine
frageschwan-
abgestimmten
kungen
Systeme
Synergien werden nicht gehoben
Ansatzpunkte für ERP-Software
Issue Tree zur Darstellung der Situation der mobNAV AG
Aus der untersten Ebene des Issue Trees ergibt sich ein weitergehender Analysebedarf bezüglich der Expansionsmöglichkeiten auf neuen Märkten. Ebenso ist das Konsumentenverhalten anhand einer Marktstudie einer weitergehenden Betrachtung zu unterziehen. Aus den relevanten SWOT-Issues lassen sich jedoch zwei konkrete Ansatzpunkte mit IT-Bezug identifizieren: Die effektive und effizientere Abstimmung des Zulieferer-Netzwerkes ließe sich durch die Implementierung eines einheitlichen Enterprise-Resource-Planning-Systems (ERP) bzw. durch die bessere Verzahnung der einzelnen Systeme erreichen. Mit Hilfe einer optimierten Customer-Relationship-Management-Software (CRM) könnten die Kundenbeziehungsprozesse systematischer und verbrauchernäher gestaltet werden. Mit Hilfe entsprechender Kundendatenbanken lassen sich auch Akquisitionsvorhaben gezielter steuern und der Bekanntheitsgrad der Marke mobNAV AG sukzessive steigern. Verkaufsstory: Für beide Maßnahmen ist abschließend eine kundenwertorientierte Verkaufsstory zu entwickeln. Dieses Vorgehen soll am Beispiel der optimierten Prozesse innerhalb des Lieferanten-Netzwerkes dargestellt werden. Als Value Message ließe sich demnach formulieren: „Durch die gezieltere Abstimmung der ERP-Systeme oder die Einführung eines einheitlichen Systems ließen sich die Prozesse innerhalb des Netzwerkes effektiver und effizienter gestalten und so zusätzliche Synergien realisieren.“ Wie in Abschnitt 3.2 dargestellt, sollte zuerst einmal die gegenwärtige Situation in der gebotenen Kürze und Prägnanz skizziert werden: „Bislang verwenden alle Partner innerhalb des strategischen Netzwerkes unterschiedliche Systeme zur Ressourcenplanung.“ In einem zweiten Schritt wird – auf Basis der SWOTErgebnisse – gefolgert, welche Auswirkungen dies zukünftig haben könnte: „Auf einem hochkomplexen und dynamischen Markt ist es ohne effektive und effizient gestalteten Prozesse innerhalb des strategischen Netzwerks nicht möglich, Wettbewerbsvorteile zu generieren oder bestehende langfristig zu erhalten. Dies kann dazu führen, dass Kooperationspartner abwandern und macht eine Expansion auf lukrative Märkte unmöglich.“ Auf diese Weise wird den Entscheidern der mobNAV AG plakativ der Nutzen eines einheitlichen ERP-Systems verdeutlicht. Im letzten Schritt gilt es daher, dieses noch einmal hervorzuheben: „Als langjähriger Anbieter von IT-Systemen können wir die mobNAV AG beim weiteren Ausbau eines optimal konfigurierten strategischen Netzwerkes unterstützen. Durch klar definierte und effizient abgestimmte Prozesse wird die mobNAV AG in die Lage versetzt, gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern langfristige Wettbewerbsvorteile zu sichern und gemeinsam erarbeitetes Know-how in weitere lukrative Märkte zu transferieren. um nachhaltig zu wachsen.“
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Diese Art der Ansprache ist – wie bereits erwähnt – trotz ihres allgemeinen Charakters sehr gut geeignet, auch unterschiedliche Informationsbedürfnisse zu bedienen. Im Verlauf des Angebotes sind diese Aussagen durch weitergehende Informationen zu belegen und zu konkretisieren. Wann immer jedoch genauere Informationen bezüglich der Buying-CenterMitglieder verfügbar sind, lohnt es sich, die Verkaufsstory – insbesondere im persönlichen Verkaufsgespräch – noch stärker auf die Präferenzen der jeweiligen Person abzustimmen. Als hilfreich hat sich hierbei unter anderem die Nutzung unterschiedlicher Persönlichkeitstypologien zur Einordnung des Gesprächspartners erwiesen.
5
Fazit und Ausblick
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den bislang häufig ungenutzten Potenzialen eines kundenwertorientierten Verkaufsansatzes. Ausgehend von einer globalen Betrachtung makroökonomischer Variablen fokussiert die Value-based-Selling-Methodik im Account Planning Branche und Markt des Zielkunden, bevor schließlich das spezifische Geschäftssystem als Abbildung der individuellen Wertschöpfungssystematik analysiert wird. Beide Betrachtungsweisen werden in der SWOT-Analyse zusammengefasst und durch den Issue Tree in eine überzeugende Verkaufsstory überführt. Auf diese Weise lassen sich sowohl für den Anbieter als auch für den Kunden langfristige Vorteile generieren. Um langfristig am Markt bestehen zu können, wird daher zukünftig eine noch stärkere Orientierung an den individuellen Bedürfnissen der Kunden erforderlich sein. Trotzdem gelingt es gegenwärtig nur sehr wenigen Anbietern, den Nutzen ihres Produktes oder ihrer Dienstleistung konsistent und überzeugend herauszustellen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass hierfür oftmals zusätzlicher Aufwand erforderlich ist, den viele Anbieter oder am Ende auch der einzelne Vertriebsmitarbeiter scheuen. Sie konzentrieren sich daher zumeist auf unfokussierte Ad-hoc-Angebote anstatt sich mit der spezifischen Situation möglicher Zielkunden auseinanderzusetzen und so ihre Verkaufschancen um ein Vielfaches zu steigern. Dabei verkennen sie, dass der Value-Based-Selling-Ansatz nicht nur Value to the Customer liefert, sondern auch einen erhöhten Value from the Customer generiert. Langfristige Kundenbindung und ein erhöhtes Vertrauen ermöglichen ein effektives und vor allem effizientes Nachkaufmarketing, da die Kosten für eine erneute Kaufanbahnung reduziert werden.
Value-based Selling als kundenwertorientierter Verkaufsansatz
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Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel zur Optimierung der Wertschöpfungskette – Konzepte, Status-quo und Perspektiven MARTIN GRÜNBLATT Electronic Arts
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Ausgangssituation in der Lebensmitteldistribution........................................................ 365 Voraussetzungen für Kooperationen zwischen Industrie und Handel ........................... 368 Ausprägungen vertikaler Kooperationen in der Lebensmitteldistribution ..................... 369 3.1 Vertikale Kooperationen im Bereich der Distribution und Logistik .................... 369 3.2 Vertikale Kooperationen im Bereich Marketing und Vertrieb............................. 374 3.2.1 Category-Management-Konzept.............................................................. 374 3.2.2 Abgrenzung von Category Management (CM), Efficient Consumer Response (ECR) und Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) ..................................................................... 378 4 Diffusionsgrad vertikaler Kooperationen in der Deutschen Konsumgüter-Wirtschaft – Ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Untersuchung ........................................... 384 4.1 Ziele der Befragung und Charakteristika der befragten Stichprobe ..................... 384 4.2 Einfluss von Unternehmensgröße und Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels .............................................................................. 386 4.3 Ökonomische Interpretation der Ergebnisse ........................................................ 390 4.4 Divergenzen im Kooperations-Verhalten zwischen Industrie und Handel .......... 392 4.5 Technische und methodische Probleme von vertikalen Kooperationen............... 394 4.6 Ansätze zur Lösung der Probleme in Industrie und Handel................................. 397 5 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung.............................. 398 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 399
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
1
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Ausgangssituation in der Lebensmitteldistribution
Die zunehmende Internationalisierung des Lebensmittelhandels hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Unternehmenskonzentration nicht nur im deutschen Lebensmittelhandel, sondern auch auf europäischer Ebene stattfindet.1 Innerhalb der letzten 20 Jahre verdoppelten die „Top 5“Handelsunternehmen im deutschen und im europäischen Lebensmittelhandel ihren Anteil am Gesamtumsatz. Bis zum Jahr 2010 wird prognostiziert, dass die „Top 5“ des deutschen Lebensmittelhandels einen Umsatzanteil von über 80% erreichen werden.2 Auf europäischer Ebene wird hingegen angenommen, dass bis zum Jahr 2010 die „Top 5“ des europäischen Lebensmittelhandels einen Umsatzanteil von ca. 50% erzielen werden. Ein wesentliches Ziel des zunehmenden internen und externen Wachstums aus Sicht des Lebensmittelhandels ist letztlich eine Konzentration der Bezugsmengen, um an günstigere Einkaufskonditionen bei den Lieferanten zu gelangen. Diese Entwicklung wurde insbesondere durch die gesetzliche Aufhebung der Preisbindung der so genannten „zweiten Hand“ im Jahr 1974 begünstigt, bei der die Autonomie der Festlegung der Endabnehmerpreise in die Hände des Lebensmittelhandels überging.3 Neben dem steigenden Kostendruck bei den Lieferanten, der durch hohe Preisnachlässe oder sonstige Zugeständnisse hervorgerufen wird, nimmt deren Abhängigkeit vom Lebensmittelhandel durch die größer werdenden Absatz- bzw. Bezugsanteile einzelner Handelsunternehmen immer mehr zu. So kommt es nicht selten vor, dass die Bezugsanteile der „Top 5“ des Lebensmitteleinzelhandels bei einzelnen Lieferanten zwischen 50% und 80% betragen.4 Die zunehmende Unternehmenskonzentration im deutschen Lebensmittelhandel hat einerseits zu einer höheren „Marktmacht“ des Lebensmittelhandels auf dem Beschaffungsmarkt geführt, andererseits wird seit geraumer Zeit beobachtet, dass der Marktanteil der Handelsmarken in Deutschland kontinuierlich steigt. In den letzten 25 Jahren hat sich der Marktanteil der Handelsmarken in der Bundesrepublik Deutschland von 11,7% auf 36,1% mehr als verdreifacht.5 Dies deutet darauf hin, dass der Lebensmittelhandel auf dem Absatzmarkt seine „Marktmacht“ gegenüber der Industrie kontinuierlich ausgebaut hat. Die deutsche Industrie räumt dem Lebensmittelhandel im europäischen Vergleich die größten Rabatte ein. Trotz dieses Umstands erwirtschaftet der Lebensmittelhandel in der Bundesrepublik Deutschland die niedrigsten Umsatzrenditen. Diese betragen zwischen 1% und 2%.6 Ursächlich für dieses Dilemma ist mitunter die hohe Preissensibilität der Konsumenten. Als Ursache und Folge dieser Haltung seitens der Konsumenten ist der Anstieg des Umsatzanteils der Discount-Unternehmen zu Lasten des traditionellen Lebensmittelhandels zu sehen.7 Diese Tatsache führt dazu, dass aus
1 2 3 4
Vgl. IRI/ROLAND BERGER/GFK (2002), S. 26 f., zur Veranschaulichung der Konzentrationsprozesse im deutschen und im europäischen Lebensmittelhandel. Vgl. M+M EURODATA (2002), S. II, 5, zur Prognose des Umsatzanteils der „Top 5“ des deutschen Lebensmittelhandels. Vgl. OLBRICH (2001), S. 33, zur tiefer gehenden Erläuterung der Konsequenzen der Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand auf die Beziehung zwischen Industrie und Handel. Vgl. OLBRICH (2001), S. 1.
5
Vgl. GFK (2000) und GFK (2006), S. 11, für eine Langzeitstudie über die Entwicklung der Marktanteile von Handels- und Herstellermarken in Deutschland.
6
Vgl. FIGGEN (1999), S. 181.
7
Vgl. OLBRICH (2001), S. 12.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_15, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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GRÜNBLATT
Sicht des traditionellen Lebensmittelhandels der Preis immer mehr in den Mittelpunkt der Marketingstrategien rückt. Das niedrige Preisniveau im deutschen Lebensmittelhandel erhöht den Kostendruck sowohl im Lebensmittelhandel als auch in der Industrie. Der Lebensmittelhandel versucht die Distributionskosten zu Lasten der Herstellergewinne zu senken. Die Industrie hingegen versucht, die Produktions- und Vertriebskosten zu Lasten der Gewinne der Rohstofflieferanten, der Vorlieferanten und des Lebensmittelhandels zu verringern. Diese Vorgehensweise des Lebensmittelhandels und der Industrie hat gewisse Grenzen. Kostensenkungs-Potenziale durch Effektivitäts- und Effizienz-Steigerungen können aus Sicht der Industrie und des Handels mit den traditionellen Distributions-, Absatz- und Marketingstrategien, bei denen jedes Industrieund Handelsunternehmen die eigene Wertschöpfungskette allein optimiert, kaum realisiert werden. Die eigenen Bemühungen von Industrie und Handel, die logistischen („Supply Side“) und die vertrieblichen Prozesse („Demand Side“) entlang der Wertschöpfungskette zu optimieren, führen nicht selten zu erheblichen Konflikt-Potenzialen. Als Konflikt-Potenziale im Bereich der Logistik („Supply Side“) seien folgende genannt: ¾ Die Industrie versucht durch große Produktionsmengen Kostensenkungs-Potenziale zu realisieren. Bei großen Produktionsmengen können die Kosteneinsparungen in der Industrie allerdings nur dann realisiert werden, wenn Lager- und Transportkosten möglichst vermieden werden. Dies setzt also voraus, dass der Handel große Mengen abnimmt. Bleibt die Nachfrage des Handels aus, entstehen aus Sicht der Industrie hohe Lager- und Kapitalbindungskosten. Auf der anderen Seite versucht der Handel durch große Abnahmemengen günstigere Konditionen zu erreichen. ¾ Der Handel ist seinerseits auch bemüht, die Lagerkosten möglichst gering zu halten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass zu viel bestellte Ware Lager- und Kapitalbindungskosten im Handel verursacht. Zu wenig bestellte Ware führt hingegen zu „Outof-Stock“-Situationen und somit auch zu entgangenen Umsätzen in den Verkaufsstellen. Dieses Problem wird z. T. auch dadurch erschwert, dass einige Waren (z. B. in der Frische) eine begrenzte Regal-Lebensdauer besitzen. Hier können häufig „Restposten-Verluste“ auftreten, die auf den Verfall der Ware oder auf zu geringe Rest-Haltbarkeit zurückzuführen sind. Beim Verfall der Ware darf (kann) diese nicht mehr verkauft werden und muss deshalb entsorgt werden. In diesem Fall entstehen aus Sicht des Lebensmittelhandels Entsorgungskosten. Bei einer zu geringen Rest-Haltbarkeit der Ware hingegen werden häufig Preisnachlässe gewährt, damit wenigstens ein Teil der Wareneinstandskosten eingenommen und die Entsorgungskosten der betreffenden Ware vermieden werden können. Als Konflikt-Potenziale im Bereich der Vermarktung („Demand Side“) seien folgende genannt: ¾ Durch die Zusammenstellung unterschiedlicher Warengruppen, die aus den Produkten mehrerer Hersteller bestehen, versucht der Handel den Engpass „Regalplatz“ optimal zu nutzen. Die Industrie hingegen ist an einer adäquaten Präsentation ihrer Produkte und Marken oder an einer vollständigen Platzierung ihres Produktionsprogramms interessiert.8 Der Handel ist allerdings nicht in der Lage, alle von der Industrie angebotenen Produkte und Varianten zu listen. Er ist aufgrund begrenzter Verkaufsflächengröße gezwungen, aus den Angeboten auszuwählen. Der Handel ist bei ähnlichen Produkten und 8
Vgl. FEIGE/TOMCZAK (1995), S. 3.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
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gleichem Wareneinstandspreis indifferent, welche Produkte er listet. Wenn sich die deckungsbeitragsorientierte Verkaufsflächen-Produktivität steigern lässt, ist der Handel zumeist bereit, Produkte unterschiedlicher Hersteller gegeneinander auszutauschen.9 ¾ Der Handel ist nicht nur an einem niedrigen Wareneinstandspreis interessiert, sondern auch an einer hohen Lagerumschlagshäufigkeit. Diese wird nicht selten zu Lasten des Stückdeckungsbeitrags erzielt. Die Möglichkeit der Mischkalkulation im Handel ermöglicht sogar den Verkauf von einzelnen Artikeln unter dem Wareneinstandspreis. Niedrige Verkaufspreise im Handel erhöhen die Kundenfrequenz und somit u. U. auch den Gesamtumsatz. Die Industrie hingegen ist an einem hohen Stückdeckungsbeitrag und somit auch an einem hohen Abgabepreis interessiert. Dieser kann u. U. zu einer relativ geringen Lagerumschlagshäufigkeit im Handel führen. Zudem schützen stabile Verkaufspreise und relativ hohe „Preislagen“ u. U. das Image von Markenprodukten der Industrie. ¾ In anderen Fällen sind die Senkungen von Verkaufspreisen von der Industrie gewollt. In diesem Zusammenhang erhält der Handel nicht selten Rabatte, Werbekosten-Zuschüsse und sonstige Werbematerialien von der Industrie, damit der Handel eigene Verkaufsförderungs-Maßnahmen („Handelspromotions“) durchführen kann. Allerdings bestehen aus Sicht der Industrie Konflikte und Enttäuschungen bei der Aushandlung, Durchsetzung und Kontrolle von Verkaufsförderungs-Maßnahmen. Die von der Industrie eingesetzten Mittel und Gelder werden häufig nur zu Bruchteilen für die Durchführung von Verkaufsförderungs-Maßnahmen eingesetzt.10 ¾ Aus Sicht der Industrie sind nicht nur niedrige Verkaufspreise problematisch, sondern auch zu hohe Verkaufspreise. Da die endgültige Preisfestsetzung in der Hand des Handels liegt, kann der Handel z. B. die Verkaufspreise von Herstellermarken künstlich erhöhen, um bei den Nachfragern die Preisgünstigkeit eigener Handelsmarken deutlicher hervorheben zu können.11 Dieses Preissetzungs-Verhalten des Handels wird als „umbrella pricing“ bezeichnet. Trotz bestehender Konflikt-Potenziale zwischen Industrie und Handel lässt sich in der Unternehmenspraxis eine Bedeutungszunahme von Hersteller-Handelskooperationen, so genannte vertikale Kooperationen oder Wertschöpfungspartnerschaften, beobachten. Ursächlich für diese Entwicklung ist häufig die Erkenntnis, dass Kostensenkungs-Potenziale in den Bereichen Logistik und Vertrieb innerhalb des eigenen Unternehmens nicht mehr oder kaum noch möglich sind. Mit anderen Worten: die individuellen Bemühungen zur Optimierung der eigenen Wertschöpfungskette stoßen an ihre Grenzen.
9 10 11
Vgl. BATTENFELD (2001), S. 91, zur Veranschaulichung der Konfliktpotenziale zwischen Industrie und Handel im Rahmen eines kooperativen Category Management. Vgl. KAAS (1995), S. 84, zu den Konflikten zwischen Industrie und Handel bei der Durchführung von Verkaufsförderungsmaßnahmen. Vgl. OLBRICH (2002), S. 22, zur Diskussion der Nutzung von Markenartikeln als Preisschirm.
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2
GRÜNBLATT
Voraussetzungen für Kooperationen zwischen Industrie und Handel
Ausgangspunkt von Kooperationen zwischen Industrie und Handel, so genannte vertikale Kooperationen, stellen eine Restrukturierung der Wertschöpfungskette dar. Im Rahmen dieser Restrukturierung werden die einzelnen Wertschöpfungsketten des Handels und der Industrie in eine einzige Wertschöpfungskette oder Versorgungskette zusammengefasst. Das gemeinsame Vorgehen der Industrie und des Handels soll insbesondere dazu dienen, höhere Ressourcen und besseres Know-How zu erhalten, als wenn jedes Unternehmen einzeln agieren müsste. Die Kooperationen zwischen Industrie und Handel können sich sowohl auf einzelne Bereiche der Wertschöpfungskette (z. B. Logistik oder Vertrieb) als auch auf die gesamte Wertschöpfungskette beziehen. Die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel soll die „Gewinnsituation“ der kooperierenden Industrie- und Handelsunternehmen verbessern („WinWin“-Situation) und bestehende Konflikt-Potenziale verringern. Neben der Verbesserung der „Gewinnsituation“ und der Verringerung von Konflikt-Potenzialen zwischen den kooperierenden Industrie- und Handelsunternehmen soll der Konsument im Mittelpunkt der Optimierungs-Maßnahmen stehen. Alle Optimierungs-Aktivitäten sollen auf die Befriedigung von Konsumentenbedürfnissen zielen. In diesem Zusammenhang wird auch von „consumer-driven“-Aktivitäten gesprochen. Eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Durchführung derartiger Kooperationen stellt die automatische Erfassung von Abverkaufsdaten des Einzelhandels sowie die Weitergabe der im Einzelhandel erhobenen Abverkaufsdaten an kooperierende Industrieunternehmen dar.12 Diese Maßnahme ist u. a. deshalb wichtig, weil die kooperierenden Hersteller die erhaltenen Daten analysieren sollen, um Konsumentenbedürfnisse zu erkennen (z. B. Trends) und diese bei der Konzeption von Optimierungsansätzen zu berücksichtigen. Die Übermittlung von Informationen an die Industrie setzt den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien wie z. B. „Electronic Data Interchange“ (EDI), „Internet“ und „Extranets“ für den bi- und multilateralen Datenaustausch voraus. Darüber hinaus sollte ein gewisses Maß an „Vertrauen“ zwischen den Kooperationspartnern vorhanden sein, weil z. T. sensible Daten ausgetauscht werden, die den Anreiz zu opportunistischem Verhalten erhöhen können. Mit Blick auf die Übermittlung von Informationen zwischen Industrie und Handel kann auch der Einsatz von Standards für die Nachrichtenübermittlung (z. B. EANCOM) den Datenaustausch zwischen Industrie und Handel deutlich vereinfachen. Seit geraumer Zeit tauschen Unternehmen aus Industrie und Handel Artikel- und Bestelldaten über Extranets aus.13 Mit Blick auf den Austausch von Informationen bietet das Internet im Vergleich zu den EDISystemen den Vorteil, dass Kompatibilitätsprobleme, die häufig durch die Nutzung unterschiedlicher EDI-Systeme auftreten, vermieden werden können. In jüngster Zeit wird allerdings in der Bundesrepublik Deutschland beobachtet, dass Handelsunternehmen ihren Lieferanten zunehmend auch Abverkaufsdaten über das Internet zur Verfügung stellen.14 Im Gegenzug erhalten die Händler von den Herstellern für die Nutzung der Extranets in der Regel eine monetäre Leistung in Form von Gebühren oder anderen finanziellen „Zugeständnissen“. 12 13 14
Vgl. WIEBE (1990), S. 147 ff. Vgl. SPAAN (2000), S. 8 ff., zum Nutzungsgrad von Extranets in der Deutschen Unternehmenspraxis. Vgl. ECR-D-A-CH/PRICEWATERHOUSE CONSULTING (2002), S. 16, zur Nutzung von Extranets für die Bereitstellung von Abverkaufsdaten des Handels.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
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Handelsunternehmen, die über Extranets Abverkaufsdaten an ihre Lieferanten zur Verfügung stellen, sind z. B. Metro, Düsseldorf, REWE, Düsseldorf, dm-drogerie markt GmbH & Co. KG, Karlsruhe und Dirk Rossmann GmbH, Burgwedel. Die Extranets der Händler verfügen in der Regel auch über „Tools“, die es den Herstellern ermöglichen, Abverkaufsdaten einzelner Produkte und Produktgruppen in Form von Standard- und individuellen Berichten (Reports) abzurufen. Unter einem Report wird die Analyse einer Zielgröße (z. B. Absatz, Umsatz oder Distributionsgrad) unter Berücksichtigung eines oder mehrerer zusätzlicher „Kriterien“ verstanden. Zu diesen Kriterien zählen z. B. einzelne Artikel (EAN-Nummer) oder Artikelgruppen sowie Hersteller. Die Anwender können in diesem Zusammenhang z. B. auch die Regionen und Verkaufsstellen sowie den Zeitrahmen und die gewünschten Artikelinformationen bestimmen, die der „Report“ beinhalten soll. Darüber hinaus werden in einigen Extranets Analysetools integriert, so dass Abverkaufsdaten für bestimmte Zwecke ausgewertet werden können. Beispiele für derartige Extranets sind das Extranet der Handelsunternehmen Dirk Rossmann GmbH und dm-drogerie markt GmbH & Co. KG. Rossmann stellt in seinem Extranet das Tool Analyzer für Ad-hoc-Analysen und dm-drogerie markt das Tool Manugistics, das u. a. Verkaufsprognosen erstellen kann, zur Verfügung.15
3
Ausprägungen vertikaler Kooperationen in der Lebensmitteldistribution
3.1
Vertikale Kooperationen im Bereich der Distribution und Logistik
Für vertikale Kooperationen in den Bereichen der Distribution und Logistik stellt die Anpassung des Angebots an die tatsächliche Nachfrage im Einzelhandel ein zentrales Ziel dar. Hierdurch sollen Effizienz-Steigerungen in der Distribution und in der Logistik erzielt werden, die insgesamt zu Kostensenkungen führen können. Um dieses Ziel zu erreichen, werden in der Konsumgüterwirtschaft zunehmend „Just-in-time“-gerichtete Distributions- und Logistikkonzepte genutzt. Die Grundidee des Just-in-Time-Konzepts wurde bereits in den 1950er Jahren von der Automobilindustrie in den USA und Japan genutzt, um die Kosten der Produktion zu senken. In den 1960er und den 1970er Jahren wurden erste EDV-Systeme zur Implementierung des Just-in-Time-Prinzips, so genannte Produktionsplanungs- und Produktionssteuerungs-Systeme (PPS-Systeme), entwickelt.16 Diese EDV-Systeme sollten den mengenmäßigen und zeitlichen Ablauf der Produktion auf der Basis erwarteter und/oder vorliegender Kundenaufträge planen und steuern. Hierbei wurden auch die verfügbaren Produktionskapazitäten berücksichtigt. Das „Just-in-Time“-Konzept wurde allerdings erst in den 1980er Jahren durch das KanbanVerfahren von TAIICHI OHNO bekannt, der dieses Verfahren bei der Toyota Motor Company auch praktisch umgesetzt hat.17 Das Kanban-Verfahren unterscheidet sich von dem traditionellen PPS-Systemen im Wesentlichen dadurch, dass die Werkstücke nicht entsprechend dem Produktionsfluss vor der nächsten Verarbeitungsstufe warten, sondern das Signal zur Weiter15 16 17
Vgl. KRAUSS/NIPPEN (1999), S. 94 f. Vgl. SANIDAS (2002), S. 13 ff., zu dem Einsatz des „Just-in-Time“-Konzepts in der Nachkriegszeit. Vgl. OHNO (1988) zur tiefer gehenden Darstellung des Kanban-Verfahrens.
370
GRÜNBLATT
verarbeitung eines Werkstücks von der nachgelagerten Verarbeitungsstufe ausgelöst wird. Das Kanban-Verfahren ist auch eng mit dem Begriff „Lean Production“ verbunden. Das bedeutet, dass Hersteller für die Produktion mit möglichst geringen Lagerbeständen auskommen sollen. Durch das Kanban-Verfahren sollen nicht nur Lagerbestände reduziert, sondern auch die Durchlaufzeiten in der Produktion verringert werden. Das Just-in-Time-Konzept wurde in der Konsumgüter-Wirtschaft erstmalig Mitte und Ende der 1970er Jahre von der US-amerikanischen Textil- und Bekleidungs-Industrie übernommen.18 In der Textil- und Bekleidungs-Industrie ist die Prognostizierbarkeit der zukünftigen Nachfrage aufgrund verschiedener Faktoren (z. B. Trends, Saisonalität, Individualität der Kundenwünsche und kurze Produktlebenszyklen) besonders schwierig. Auf dieses Phänomen reagieren die einzelnen Wirtschaftsstufen (Rohstofflieferanten, Textilindustrie Vorlieferanten Bekleidungsindustrie und Bekleidungshandel) in der Wertschöpfungskette mit höheren Lagerbeständen, um auf Nachfrageänderungen reagieren zu können.19 Diese Vorgehensweise führt in der Regel zu höheren Lager- und Vorrats-Investitionen in den einzelnen Wirtschaftsstufen. Vor diesem Hintergrund führte der US-amerikanische Bekleidungshersteller DuPont eine Studie zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der US-amerikanischen Textil- und Bekleidungs-Industrie durch. Hierbei wurde festgestellt, dass die Dauer zwischen der Herstellung der Fasern und dem Verkauf der fertigen Textil- und Bekleidungserzeugnisse in einer Verkaufsstelle von 66 auf 21 Kalenderwochen gesenkt werden konnte. Darüber hinaus wurde ermittelt, dass etwa die Hälfte der 25 Mrd. US $ gespart werden konnten, die pro Jahr durch zu hohe Bestände, Preisreduzierungen wegen der Lagerung falscher Produkte sowie durch Absatzeinbußen und „Out-of-Stock“-Situationen auftreten.20 Die Ergebnisse dieser Studie lieferten die Grundlagen für das Konzept Quick Response.21 Das zentrale Merkmal des Quick-Response-Konzepts ist, dass die Impulse für die Produktion und Vermarktung von Produkten nicht mehr von der Industrie ausgehen (so genannte PushStrategie), sondern von den Kaufvorgängen der Konsumenten ausgelöst werden (so genannte Pull-Strategie). Dieser Grundgedanke entspricht dem Prinzip des Kanban-Verfahrens. Durch die Erfassung und Analyse der Abverkaufsdaten des Handels sollen Industrie und Handel in der Lage sein, zu bestimmen, welche Produkte in welchen Mengen produziert und angeboten werden sollen.
18 19 20
21
Vgl. MARTELL (1991), S. 24, und LOWSON/KING/HUNTER (1999), S. 87 ff. Vgl. HUNTER (1990), S. 42 f., und PINNEKAMP (1993), S. 350. Vgl. KURT SALMON ASSOCIATES (1993), S. 19: Die Ergebnisse der Studie von DuPont wurden im Jahr 1985 von der US-amerikanischen Unternehmensberatung Kurt Salomon Associates im Rahmen einer von der US-amerikanischen Textilproduzenten-Gruppe „Crafted with pride in U.S.A.“ (CWPUSA) in Auftrag gegebenen Studie aufgegriffen und beurteilt. Die Ergebnisse der Kurt Salmon Associates Studie übertrafen die Ergebnisse der DuPont-Studie. Bei den drei Pilot-Projekten in dieser Studie wurde ein Mehrabsatz von 2530%, eine Erhöhung der Lagerumschlagshäufigkeit um 30% und eine Verbesserung der Verfügbarkeit der Ware um 2025% erzielt. Vgl. MARTELL (1991), S. 24.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
371
Die wesentlichen Zielsetzungen des Quick-Response-Konzepts sind:22 ¾ Verkürzung der Reaktions-(Liefer-)zeiten der Unternehmen in der Industrie, ¾ Reduktion der Lagerbestände und Vorratsinvestitionen in den einzelnen Wirtschaftsstufen entlang der Wertschöpfungskette, ¾ Erhöhung der Verfügbarkeit von Produkten im Einzelhandel, ¾ Vermeidung von „Out-of-Stock“-Situationen sowie ¾ Erhöhung der Wettbewerbsvorteile einer Branche gegenüber ausländischen Produzenten. Mit der Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in den 1970er und den 1980er Jahren wurden die Voraussetzungen für die Nutzung des Quick-Response-Konzepts deutlich verbessert. In diesem Zusammenhang sind neben der Scanning-Technologie die so genannten „enabling Technologies“, wie Electronic Data Interchange (EDI), Electronic Fund Transfer (EFT) und Internet, zu nennen.23 Die Abbildung 1 zeigt den idealtypischen Prozessablauf des Quick Response. Die artikelgenaue Erfassung der Abverkäufe im Einzelhandel bildet den Ausgangspunkt des QuickResponse-Prozesses. Die erhobenen Daten werden kontinuierlich an die Hersteller mittels enabling Technologies übermittelt. Im Idealfall werden die Abverkaufsdaten auch an die Vorlieferanten und Rohstofflieferanten („Upstream“-Bereich) übertragen. Auf der Grundlage der übermittelten Abverkaufsdaten können Hersteller die Absatzmengen mit ihren Lagerabgangsdaten vergleichen, um so Produktionsmengen und -laufzeiten besser zu planen.24 Ähnliches gilt aus Sicht der Vor- und Rohstofflieferanten mit Blick auf die Produktionsplanung von Vorprodukten und auf die Beschaffung von Rohstoffen. Es ist auch denkbar, dass in ein Quick-Response-System Spediteure und Transportunternehmen integriert werden können. Durch den Erhalt von Abverkaufsdaten können diese die Transportkapazitäten und die Touren rechtzeitig planen, so dass Lieferungsengpässe vermieden werden können.
22
23 24
Zu den Zielen des „Quick Response“-Konzepts vgl. NAGEL (1991), S. 15 ff., KINCADE/CASSILL/WILLIAMSON (1993), S. 147 ff., PIATER (1997), S. 10 f., KOTZAB/SCHNEDLITZ (1998), S. 357, DIEKMANN (2001), S. 54 f., und FISSAHN/AUMANN (2001), S. 61 ff. Vgl. NAGEL (1991), S. 57 ff. Vgl. PINNEKAMP (1993), S. 350 ff., und DEKKER ET AL. (2002), S. 3 ff., zur Darstellung einiger Beispiele von „Quick-Response“-Anwendungen.
372
GRÜNBLATT
Transport-/Tourenplanung Spediteure/ Transportunternehmen
Rohstoffliefera nten Wa renlieferung Vorliefera nten
Einzelhandel
Hersteller
Handelszentrale
Verka uf
Endabnehmer
Gewinnung von Scanningdaten
Übermittlung von Informationen
EDI-Systeme Beschaffungsplanung
Bestell-/Produktionsplanung
Upstream-Bereich
Abbildung 1:
Bestell-/Lieferplanung
Downstream-Bereich
Idealtypischer Prozessablauf des Quick Response25
Die Übertragung von Informationen vom Point of Sale an die übrigen Teilnehmer der Wertschöpfungskette (Hersteller, Vorlieferanten, Rohstofflieferanten und Logistikunternehmen) bietet die Möglichkeit, das Angebot einzelner Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette an die „tatsächliche“ Nachfrage anzupassen. Hierdurch können insbesondere Effizienzvorteile im Rahmen der Distribution und Logistik realisiert werden. Mit Blick auf die Synchronisation der Produktion in der Industrie mit der Nachfrage im Einzelhandel nimmt die Bedeutung der Absatzprognose zu, weil Industrieunternehmen Änderungen der Nachfrage besser antizipieren und somit schneller auf diese reagieren können. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass für eine genaue Planung der zukünftigen Produktions- und Bestellmengen in Industrie und Handel nicht nur Abverkaufsdaten, sondern auch Lagerbestandsdaten und Informationen über geplante Verkaufsförderungs-Maßnahmen im Einzelhandel notwendig sind. Die Umsetzung des Quick Response setzt somit die Übermittlung von zahlreichen Informationen an die Industrie und deren Vor- und Rohstofflieferanten sowie Logistikunternehmen voraus.
25
Vgl. POIRER/REITER (1997), S. 84 ff.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
373
Das Quick Response gilt als Vorläufer des Vendor Managed Inventory (VMI). Das Vendor Managed Inventory ist eines der bekanntesten Konzepte zur unternehmensübergreifenden Koordination der Nachschubversorgung im Handel, bei dem der Hersteller (Lieferant) die Disposition der Lagerbestände des Handels durchführt.26 Das VMI-Konzept wurde bereits Anfang der 1980er Jahre in den USA entwickelt.27 Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem QR-Konzept und dem VMI-Konzept sind, dass beim Quick Response alle an der Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmen mit Informationen versorgt werden sollen. Bei dem VMI hingegen wird lediglich versucht, den Warenfluss zwischen zwei Unternehmen (Händler/Hersteller) zu verbessern.28 Darüber hinaus wird im Rahmen des VMI die Lagerbestandsführung des Handels dem Hersteller überlassen. Das Vendor Managed Inventory zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass ¾ zahlreiche Informationen des Händlers an einen Hersteller übermittelt werden, ¾ die Lagerbestände des Handels in der Zuständigkeit eines Herstellers sind und ¾ die Häufigkeit der Produktanlieferung erhöht wird. Bei dem VMI werden unter Berücksichtigung der getätigten Abverkäufe im Handel, des Warenabflusses im Distributionslager, der Lagerbestände, Bestandsänderungen sowie Informationen über geplante Verkaufsförderungs-Maßnahmen am Point of Sale kontinuierlich Nachbestellungen durch den Hersteller ausgelöst. Die Nachschubversorgung soll somit möglichst auf der Grundlage der „tatsächlichen“ Nachfrage gesteuert werden.29 Der Hersteller ist ebenfalls für die Lieferung der bestellten Produkte an den Handel verantwortlich. Um Probleme, die durch die Übermittlung der notwendigen Bestandsinformationen an den Hersteller auftreten können, zu vermeiden, übernimmt der Hersteller auch die Verwaltung der Bestandsdaten des Handels. Durch die zahlreichen Informationen und durch die Erhöhung der Lieferhäufigkeit soll der Hersteller in der Lage sein, die Sicherheitsbestände des Handels abzubauen und die Verfügbarkeit von Produkten in den Verkaufsstellen zu verbessern. Weitere Varianten des Vendor Managed Inventory stellen das Co-Managed Inventory (CMI) und das Buyer Managed Inventory (BMI) dar. Während beim CMI nur bestimmte Bestellvorgänge an den Hersteller übertragen werden, verbleibt der Bestellvorgang beim BMI in der Zuständigkeit des Handels.30
26 27 28 29 30
Vgl. CHRISTIANSEN (1999), S. 2 ff., und SIMACEK (1999), S. 129 ff., zur Analyse der Nutzenpotenziale von „Vendor Managed Inventory“/„Continuous Replenishment“. Vgl. BRUCE/IRELAND (2002), S. 3. Vgl. KOTZAB (1997), S. 141. Vgl. z. B. VON DER HEYDT (1998), S. 74 ff., und WERNERS/THORN (2002), S. 700 ff., zur tiefer gehenden Illustration des „Vendor Managed Inventory“. Vgl. SIMACEK (1999), S. 133 ff., und BRUCE/IRELAND (2002), S. 3 ff.
374
GRÜNBLATT
3.2
Vertikale Kooperationen im Bereich Marketing und Vertrieb
3.2.1
Category-Management-Konzept
Das Konzept des Category Management (CM) wurde ursprünglich Mitte der 1980er Jahre in der US-amerikanischen Unternehmenspraxis bekannt. Einige Autoren führen das Konzept des Category Management auf das US-amerikanische Unternehmen Procter & Gamble zurück.31 Nach diesem Konzept soll die Führung der Warengruppen nicht von unterschiedlichen Funktionen (z. B. Einkauf, Logistik, Marketing und Finanzen) wahrgenommen werden, sondern jede Warengruppe soll als strategische Geschäftseinheit angesehen werden.32 Ein besonderes Merkmal des Category Management ist die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel zum Zwecke der Optimierung der Categories. Hierbei soll sich insbesondere die Gewinnsituation beider Kooperationspartner verbessern. Da einzelne Handelsunternehmen in der Regel mehrere Tausende von Artikeln führen, kann aus Sicht des Handels die Aufteilung des Sortiments in kleinere Planungseinheiten (z. B. Warengruppen) insgesamt zu einer Effizienz-Erhöhung der Analyse-, Planungs-, Durchführungs- und Kontrollaufgaben im Rahmen der Sortimentspolitik führen. Hierdurch nehmen allerdings die Dezentralisation und somit auch der Aufwand für die Koordination der sortimentspolitischen Aufgaben im Unternehmen zu. Um den höheren Koordinationsaufwand bewältigen zu können, werden von Industrie und Handel so genannte Category Manager eingesetzt. Die Category Manager sind in der Regel u. a. für den Einkauf, die Logistik, die Finanzen und die Vermarktung der Categories zuständig. Nach Auffassung von Global Standard one Germany (GS1, Köln) (ehemals Centrale für Coorganisation) sollen die Category Manager des Handels für die Koordination und Überwachung des Gesamtprozesses des Category Management verantwortlich sein.33 Die Category Manager der Industrie hingegen sollen vielmehr in einzelnen Kooperations-Schritten beratend tätig sein. Industrieunternehmen, die dem Handel Category Manager zur Verfügung stellen, werden auch als „Category Captain“ bezeichnet. Category Captains werden überwiegend jene Industrieunternehmen, die aus Sicht des Handels für eine bestimmte Category eine besondere Rolle spielen. Diese werden von dem Handel nach bestimmten Kriterien ausgewählt. Wesentliche Kriterien für die Auswahl eines Category Captain sind u. a. der Sortiments- und Umsatzanteil der Marken und Produkte, die ein bestimmtes Industrie-Unternehmen innerhalb der entsprechenden Category besitzt oder das Know-How des betreffenden Industrie-Unternehmens zur Durchführung von CM-Projekten.34 Als Category Captain ist das betreffende Industrieunternehmen für alle Artikel einer Category zuständig, hierzu zählen auch Konkurrenzprodukte. Global Standard one Germany definiert das Category Management als „einen gemeinsamen Prozess der Händler und Hersteller, bei dem Produkt- und Service-Kategorien als strategische Geschäftseinheiten geführt werden, um durch die Erhöhung des Kundennutzens Ergebnisverbesserungen zu erzielen.“35 Ein höherer Kundennutzen kann nur erreicht werden, wenn die Bedürfnisse der Nachfrager bekannt sind und diese von Industrie und Handel berücksichtigt 31 32 33 34 35
Vgl. ZENOR (1994), S. 202. Vgl. PRETZEL (1996), S. 23, und KABUTH/BURGER (1998), S. 126. Vgl. WAGENER (2002), S. 39. Vgl. z. B. BEHRENDS (1995), S. 22 ff., LINGENFELDER/MILSTREY/LAUER (1999), S. 103, und GROSSWEISCHEDE (2000), S. 178 ff., für eine Auflistung möglicher Kriterien für die Auswahl von Category Captains. WAGENER (2002), S. 39.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
375
werden.36 Im Mittelpunkt des Category Managemen steht somit die Analyse des NachfrageVerhaltens. Erst durch die Analyse des Nachfrage-Verhaltens kann der Bedarf der Nachfrager ermittelt und die Categories geplant und effizient gesteuert werden. Bei der Durchführung des Category Management können Industrie- und Handelsunternehmen verschiedene Ziele verfolgen. In der Literatur wird eine Vielzahl von potenziellen Zielen diskutiert, die Industrie- und Handelsunternehmen im Rahmen des Category Management verfolgen können.37 Diese Ziele sind in der Regel komplementär. Hierbei lassen sich die formulierten Ziele nach ihrer Bedeutung in Ober- und Unterziele unterscheiden. Zu den häufig diskutierten Oberzielen des Category Management zählen z. B. die Erhöhung des Gewinns, die Sicherung/Erhöhung von Marktanteilen und die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel im Rahmen der Versorgung. Die Unterziele dienen im Wesentlichen der Erreichung der formulierten Oberziele. Unterziele der Industrie können z. B. die Stärkung der Einflussnahme am Point of Sale, die Verbesserung der Nachschubversorgung, die Erhöhung der Effizienz von Verkaufsförderungs-Maßnahmen und die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen durch Informationsvorsprung sein. Aus Sicht der kooperierenden Handelsunternehmen hingegen stellen z. B. die Erhöhung der Verkaufsflächenproduktivität, die Verbesserung der Logistik sowie die Stärkung der Kundenbindung durch zielgruppen-/standortgerechte Sortiments-Strukturen wesentliche Unterziele des Category Management dar. In der Unternehmenspraxis kommt es nicht selten vor, dass einzelne Industrieunternehmen mit mehreren Handelsunternehmen kooperieren, weil ihre Produkte von mehreren Handelsunternehmen gelistet werden. Andererseits listen Handelsunternehmen Produkte verschiedener Industrieunternehmen. Deshalb müssen häufig Handelsunternehmen mit mehreren Category Managern unterschiedlicher Industrieunternehmen kooperieren. Je nach Heterogenität des Leistungsprogramms der Industrieunternehmen kann es auch dazu kommen, dass einzelne Industrieunternehmen Category Captains in verschiedenen Categories eines Handelsunterneh-mens werden können und somit auch mehrere Category Manager zur Verfügung stellen müssen. Damit entsprechende Kooperationen im Rahmen des Category Management effizient durchgeführt werden können, ist es von großer Bedeutung, dass der Prozessablauf und die Inhalte von Category Management präzisiert und im Sinne von Standards formuliert werden. Dies soll dazu führen, dass Konflikte zwischen Industrie und Handel bei der Durchführung von Category Management vermieden werden können. In der Deutschen Konsumgüter-Wirtschaft hat sich das von dem Category-ManagementSubkomitee des „Joint Industry Project on Efficient Consumer Response“ (JIP on ECR) und den US-amerikanischen Unternehmensberatungen The Partnering Group Inc. und Retail Directions Inc. entwickelte Category-Management-Modell (1995) weitgehend etabliert.38 36 37 38
Vgl. kritisch FELLER (2001), S. 205 ff., zur Bedeutung der Analyse des Kaufverhaltens und der Steuerung von Categories. Vgl. z. B. BEHRENDS (1994), S. 111 ff., FELD (1998), S. 43, HAHNE (1998), S. 55 ff., und BATTENFELD (2001), S. 90 ff., zur Illustration der Ziele von „Category Management“ aus Sicht der Industrie und des Handels. Das JIP on ECR, auch ECR USA bezeichnet, wurde im Jahr 1993 gegründet. Diesem Komitee gehören US handels- und industrieseitige Organisationen (z. B. Food Marketing Institute (FMI) und Grocery Manufacturers of America (GMA)) sowie führende Industrie- und Handelsunternehmen der US-amerikanischen Konsumgüterwirtschaft an, die sich mit ECR-relevanten Aspekten und Fragestellungen befassen. Vgl. KIERNAN (1995), S. 131 f., und von der HEYDT (1998), S. 40 und 60. Zu den zentralen Aspekten des ECR-Ansatzes gehört auch das Category Management, das häufig mit den drei marketingorientierten ECR-Basisstrategien (Efficient Assortment
376
GRÜNBLATT
Dieses CM-Modell wird von Global Standard one Germany auch als Kategorie-Geschäftsplanungs-Prozess bezeichnet und wird seit einiger Zeit als Standard angesehen.39 Nach dem CM-Modell von JIP on ECR umfasst der idealtypische CM-Prozess acht Schritte (siehe Abbildung 2).
Category-Definition Category-Rolle
Category-Überprüfung
1
Category-Plan
7
CM-Prozess
Category-Bewertung
Category-Leistungsanalyse
Category-Taktiken Category-Strategie
Abbildung 2:
Idealtypischer Prozessablauf des Category Management40
Der CM-Prozess beginnt mit der Category-Definition. In diesem ersten Schritt soll die Zugehörigkeit einzelner Artikel zu einer Category festgelegt werden. Zu diesem Zweck werden Artikel nach bestimmten Kriterien zu Gruppen zusammengefasst. Da zur Definition einer Category verschiedene Aspekte berücksichtigt werden können, kann die Zusammensetzung der Artikel in einer Category deutlich von der Definition der traditionellen Warengruppen des Handels abweichen.41 Diese Kriterien können z. B. nachfrager- (z. B. Verwendungszweck sowie Verbund- und Substitutions-Beziehungen), hersteller- (z. B. Marken) oder handelsbezogen (SB- und Bedienungs-Sortiment) sein. Wesentlich bei der Definition einer Category ist jedoch, dass die Nachfrager die darin enthaltenen Artikel als zusammengehörend wahrnehmen. (EA), Efficient Promotion (EP) und Efficient Product Introductions (EPI)) zur Optimierung der Versorgungskette im Bereich der Demand-Side gleichgesetzt wird. 39
40
41
Vgl. HAHNE (1998), S. 59 ff., und WAGENER (2002), S. 40, zur Darstellung des CM-Prozessablaufes. Abweichende CM-Prozessabläufe finden sich z. B. bei PRETZEL (1996), S. 23 f., SPEER (1999), S. 226, und STEFANESCU (1999), S. 263. Vgl. ECR EUROPE (1997), S. 21. Vgl. PSCHENNY/SCHMALENSTROER (1999), S. 149, SCHRÖDER/FELLER/GROSSSCHWEIDE (2000), S. 59, und ZIELKE (2001), S. 100 f.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
377
Der zweite Schritt befasst sich mit der Definition der Category-Rolle. In diesem Schritt soll die Bedeutung der Category für das betreffende Handelsunternehmen festgelegt werden. Von dem JIP on ECR werden fünf verschiedene Category-Rollen vorgegeben.42 Diese sind die Profilierung-, die Routine-, die saisonale Profilierung-, die Ergänzung- und die saisonale Ergänzung-Category. Die Festlegung der Category-Rollen ist mit Blick auf die Zuordnung der Ressourcen von großer Bedeutung. Die Category-Bewertung umfasst die Aufbereitung und Analyse von Informationen, die zur Beurteilung der gegenwärtigen Leistung der Category notwendig sind. Hier sollen mögliche Stärken und Schwächen der Category quantifiziert werden. In einem engen Zusammenhang mit der Rolle der Category und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Category-Bewertung erfolgt im Rahmen der Category-Leistungsanalyse die Definition von Category-Zielen. Diese Ziele sollen von Industrie und Handel gemeinsam formuliert werden und den Category Managern als Vorgaben dienen (z. B. Erhöhung der Verkaufsflächen-Produktivität). Die Bestimmung von Category-Strategien resultiert aus der Formulierung der Category-Ziele (z. B. Erhöhung des durchschnittlichen Warenkorbwerts oder Steigerung der Käuferfrequenz in der Category). Bei der Formulierung der Category-Strategien sind allerdings auch die Gesamtstrategien der betreffenden Industrie- und Handelsunternehmen (z. B. Preispositionierung) zu beachten. Hier sollten im Vorfeld ein Nachfrager- und ein category-bezogenes Käuferprofil ermittelt werden, um festzustellen, ob die Käufer in der zu betrachtenden Category sich von den regulären Kunden des betreffenden Handelsunternehmens deutlich unterscheiden. Nach der Formulierung der Category-Strategien werden die einzelnen Handlungen, so genannte Category-Taktiken, festgelegt. Diese können sich aus mehreren zwischen Industrie und Handel vereinbarten Aktionsfeldern des Category Management ergeben. Zu den bekanntesten Aktionsfeldern des Category Management gehören die Sortimentspolitik, die RegalPräsentation, die Preispolitik und die Verkaufsförderung. Die Aktionsfelder des Category Management richten sich im Wesentlichen auf die Steuerung der Prozesse im Zusammenhang mit dem Vertrieb und der Vermarktung von Produkten im Handel. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der Demand-Side der Versorgungskette. Logistische Aufgaben (SupplySide) hingegen werden von dem Category Manager eher selten wahrgenommen (z. B. Analyse der Bevorratung und der Nachschubversorgung der Artikel in der Category). Nachdem die einzelnen Category-Taktiken ausgewählt werden, muss ein Umsetzungsplan erstellt werden. In dem Umsetzungsplan werden Zeiträume und Zuständigkeiten für einzelne Handlungen vereinbart. Die Category-Überprüfung schließt den CM-Prozess ab. In diesem Schritt findet eine kontinuierliche Kontrolle des Umsetzungsplans statt. Soll- und Ist-Vergleiche der erreichten Category-Leistungsziele sollen jährlich durchgeführt werden, um mögliche Anpassungen der Pläne frühzeitig vornehmen zu können. Darüber hinaus sollen wesentliche Kennzahlen der Category vierteljährlich kontrolliert werden.
42
Vgl. ECR EUROPE (1997), S. 21.
378
GRÜNBLATT
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der hier skizzierte idealtypische CategoryManagement-Prozess hauptsächlich der Vereinheitlichung der Prozessabläufe im Rahmen von CM-Kooperationen dienen soll. Die Inhalte einzelner Prozessabläufe des Category Management hingegen werden z. T. nicht näher präzisiert. Zwar existieren bereits von dem JIP on ECR einige Handlungsempfehlungen für die Bestimmung der Category-Rollen und für die Formulierung von Category-Strategien und -Taktiken, jedoch haben die Schritte CategoryBewertung und Category-Leistungsanalyse weniger Beachtung gefunden. Hier ist vor allem eine detaillierte Auflistung von Kriterien notwendig, nach denen die Categories bewertet werden sollen. In diesem Zusammenhang werden häufig Kennzahlen genannt.43 Gerade bei der Nutzung von Kennzahlen zur Bewertung von Artikeln und Sortimentsausschnitten können zahlreiche Normierungsprobleme auftreten, die einen Vergleich der errechneten Kennzahlen erschweren. Neben den Bewertungskriterien fehlt es auch an Vorgaben für Category-Informationen, die der Handel dem Industriepartner zur Verfügung stellen soll. Gerade die Vielfalt und die Agreggation der Daten spielt bei der Gewinnung von Kundeninformationen eine wesentliche Rolle.44 Ähnliche Dokumentationsdefizite treten im Zusammenhang mit den Verfahren, die zur Analyse und Auswertung der Category-Informationen im Rahmen der Category-Leistungsanalyse eingesetzt werden sollen. 3.2.2
Abgrenzung von Category Management (CM), Efficient Consumer Response (ECR) und Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR)
Das Konzept des Efficient Consumer Response hat in den letzten Jahren sowohl in der Wissenschaft als auch in der Unternehmenspraxis große Beachtung gefunden. Das ECR stellt einen Ansatz zur Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette dar, bei dem EffizienzSteigerungen und somit auch Kostensenkungs-Potenziale durch gemeinsame Initiative und enge Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie erzielt werden sollen.45 Auch wenn die Grundgedanken des Quick Response und des Vendor Managed Inventory in das ECR-Konzept einfließen, unterscheiden sich diese Konzepte dadurch, dass im Rahmen des ECR-Konzepts nicht nur die Logistik („Supply-Side“), sondern auch das Marketing („Demand-Side“) berücksichtigt wird. Das ECR-Konzept wurde in den USA Anfang der 1990er Jahre durch die Studie der Unternehmensberatung Kurt Salomon Associates bekannt. Im Rahmen dieser Studie wurden für die USamerikanische Wirtschaft Kostensenkungs-Potenziale durch die Kooperation zwischen Industrie und Handel in Höhe von bis zu 10,8% prognostiziert.46 Dabei setzten sich diese Kostensenkungs-Potenziale aus Einsparungs-Potenzialen im Bereich der Logistik (Supply Side) (4,1%) und im Bereich des Marketing (Demand Side) (6,7%) zusammen. Für die Bundesrepublik Deutschland hingegen wurden im Rahmen weiterer Studien über die Übertragbarkeit des ECRAnsatzes auf die europäischen Märkte Kostensenkungs-Potenziale zwischen 3,4% und 7,3%
43 44 45 46
Vgl. LINGENFELDER/MILSTREY/LAUER (1999), S. 96, und SCHRÖDER/FELLER/GROOSSWEISCHEDE (2000), S. 61. Vgl. OLBRICH/GRÜNBLATT (2006), S. 114 f. Vgl. z. B. TÖPFER (1995), S. 187 f., zur Definition des ECR-Ansatz. Vgl. KURT SALOMON ASSOCIATES (1993), S. 30.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
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prognostiziert.47 Ein wesentlicher Grund für die höheren Einsparungs-Potenziale in den USA ist insbesondere in den größeren Lagerbeständen entlang der Wertschöpfungskette zu sehen.48 Eine exakte Abgrenzung der Inhalte von ECR-Aufgaben in den Bereichen Logistik und Marketing ist aufgrund der unterschiedlichen Kooperationsvarianten und -ziele sehr problematisch. So können sich einige ECR-Kooperationen auf die Bereiche Logistik und Marketing erstrecken, während sich andere ECR-Kooperationen lediglich auf einzelne Aufgaben im Rahmen der Logistik und/oder Marketing beschränken können.49 Im Mittelpunkt der ECR-Aktivitäten der Industrie und des Handels steht der Konsument, dessen Bedürfnisse es in effizienter Form zu befriedigen gilt. Ausgangspunkt für die Entwicklung der unterschiedlichen Maßnahmen zur Optimierung der Wertschöpfungskette ist die Übermittlung von Abverkaufsdaten des Handels an die Industrie und ihre Vorlieferanten.50 Die Ziele des ECR-Konzepts im Bereich der Logistik entsprechen im Wesentlichen den Zielen der Logistik-Konzepte Quick Response und Vendor Managed Inventory.51 Im Bereich des Marketing soll die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel u. a. zu einer Verbesserung der Planung, Gestaltung und Kontrolle von Verkaufsförderungs-Maßnahmen führen. Darüber hinaus sollen durch die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel die Kontrolle des Sortiments und die Neuprodukteinführungen effizienter durchgeführt werden.52 Das ECR-Konzept umfasst insgesamt vier Basisstrategien:53 Efficient Replenishment, Efficient Assortment, Efficient Promotion und Efficient Product Introduction. Diese werden nachfolgend kurz erläutert. In der Literatur wird Efficient Replenishment (ERP) als Sammelbegriff für mehrere Just-inTime-gerichtete Logistik-Konzepte verwendet. Zu diesen Konzepten zählen u. a. ContinuousReplenishment-Programme (CRP), Vendor Managed Inventory (VMI) und Cross-Docking.54 Diese Logistik-Konzepte stehen für den nachfragegesteuerten Waren-Nachschub und sollen ähnlich wie das Quick Response zu Bestandsreduktion, geringerer Kapitalbindung, weniger Handling- und Logistikkosten sowie zur Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen im Handel führen. Während CRP und VMI in der Literatur synonym verwendet werden, geht es beim Cross-Docking darum, dass die vom Hersteller gelieferte Ware nicht in das Lager des Handels eingelagert, sondern direkt nach Empfang und Kommissionierung an die Verkaufs47 48 49
50 51 52 53 54
Vgl. COCA COLA RETAILING RESEARCH GROUP EUROPE (1994) und COOPERS & LYBRAND (1996) zu den Einsparungspotenzialen von ECR in Europa. Vgl. TÖPFER (1995), S. 188, und KATSARAS/SCHAMEL (1999), S. 18 ff. zur Vertiefung der Unterschiede in den Einsparungspotenzialen durch ECR in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland. Vgl. z. B. COCA COLA RETAILING RESEARCH GROUP (1994), S. 91 ff., SCHLÄPFER (1999), S. 44 ff., MEI (1999), S. 141 ff., PSCHENNY/SCHMALENSTROER (1999), S. 148 ff., SPEER (1999), S. 222 ff., und KALMBACH (2000), S. 261 ff., zur Darstellung einiger Beispiele von ECR-Kooperationen. Vgl. KURT SALMON ASSOCIATES (1993), S. 28 f., TÖPFER (1995), S. 189 f., HALLIER (1995), S. 45 f., und KOTZAB (1997), S. 175 f., zur Darstellung des ECR-Prozesses. Vgl. z. B. KOTZAB (1997), S. 176 ff., und TÖPFER (1999), S. 363, zu den Zielen des ECR-Konzepts im Bereich der Logistik. Vgl. z. B. BISHOP (1997), S. 1 ff., MEI (1999), S. 141 ff., PSCHENNY/SCHMALENSTROER (1999), S. 157 f., und SPEER (1999), S. 223 f., zu den Zielen des ECR-Konzepts im Bereich des Marketing. Vgl. KURT SALOMON ASSOCIATES (1993), S. 29 ff. Vgl. z. B. CACHON/FISHER (1997), S. 266 ff., und KRAUS/NIPPEN (1999), S. 92 ff.
380
GRÜNBLATT
stellen ausgeliefert wird. Hierdurch sollen Lagerbestände reduziert und die maximale Lebensdauer der Frischware besser ausgenutzt werden. Im Rahmen des Efficient Assortment richten sich die gemeinsamen Bemühungen des Handels und der Industrie auf die Verbesserung der Sortimentszusammensetzung, Warenpräsentation und -platzierung. Diese Maßnahmen sollen insbesondere zu einer Erhöhung der Verkaufsund Regalflächen-Produktivität des Handels beitragen. Zu diesem Zweck können Abverkaufsdaten des Handels im Rahmen von so genannten Space-Management-Systemen und bei Methoden der Direkten-Produkt-Rentabilität (DPR) eingesetzt werden. Im Prinzip können die Aufgaben des Efficient Assortment der traditionellen SortimentsKontrolle des Handels zugeordnet werden. Der wesentliche Unterschied zwischen der traditionellen Sortiments-Kontrolle und des Efficient Assortment besteht darin, dass der Hersteller bestimmte sortimentsorientierte Kontrollaufgaben übernimmt. Zu diesen Aufgaben gehören z. B. die Umsatz- und Absatzanalyse bestimmter Warengruppen oder die Analyse von Preisen und Platzierungen. Damit die Industrie die Sortimente des Handels analysieren kann, ist es notwendig, dass die Industrie Abverkaufsdaten des Handels erhält. Detaillierte Analysen im Rahmen der Sortiments-Kontrolle können allerdings häufig nur unter Heranziehung von tagesgenauen Abverkaufsdaten und zusätzlichen Informationen über die Verkaufsstellen (z. B. Betriebsform und Verkaufsflächengröße) durchgeführt werden. Im Mittelpunkt des Efficient Promotion steht die Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Handel bei der Entwicklung, Durchführung und Kontrolle von Verkaufsförderungs-Maßnahmen im Handel.55 Die Absprachen zwischen Industrie und Handel sollen zu Effizienz- und somit auch zu Rationalisierungs-Steigerungen führen. So wird z. B. sichergestellt, dass zu Beginn einer Sonderaktion die Aktionsware am Point of Sale verfügbar ist. Weitere Vorteile sollen sich z. B. durch die Vermeidung von Sonderverpackungen für Aktionsware und somit auch von zusätzlichen Handlungskosten ergeben. Im Rahmen des Efficient Product Introduction beziehen sich die gemeinsamen Aktivitäten der Hersteller und des Handels auf die Verbesserung der Produktentwicklung und der -neueinführung.56 Die gemeinsame Analyse von Abverkaufsdaten erfolgreicher Produkte kann Anregungen für sinnvolle Produkt-Modifikationen liefern. Darüber hinaus können mit Hilfe von Trendanalysen Änderungen der Kaufgewohnheiten ermittelt werden, die zur Entwicklung innovativer Produkte und Produktlinien beitragen können. Die kontinuierliche Analyse der Abverkaufsdaten des Handels soll auch dazu dienen, die Einführung von Flops und somit auch die Kapitalbindungskosten zu reduzieren. Das Konzept Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) wurde von der Voluntary Interindustry Commerce Standards (VICS) Association im Jahr 1997 entwickelt. Die non-profit-gerichtete Organisation VICS wurde im Jahr 1986 gegründet und setzt sich zusammen aus führenden US-amerikanischen Industrieunternehmen (z. B. Gillette, Mars und Nestlé), Handelsunternehmen (z. B. Wal*Mart, Kmart und Walgreen) und Unternehmen aus der IT-Branche (z. B. IBM, CPGMarket und Transora). Die zentrale Aufgabe der VICS55 56
Vgl. EUROHANDELSINSTITUT E.V. (1999), S. 3. Vgl. COCA COLA RETAILING SEARCH GROUP (1994), S. 107 ff., VON DER HEYDT (1998), S. 149 ff., und MEI (1999), S. 141 ff., zu den Nutzenpotenzialen des Efficient Product Introduction.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
381
Association ist die Verbesserung der Waren- und Informationsströme entlang der Wertschöpfungskette. Das Konzept Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment wird in der Literatur als eine Weiterentwicklung des Efficient-Consumer-Response-Ansatzes (ECR) gesehen.57 Allerdings wurden bereits in den 1970er Jahren unter dem Begriff Short-Term-Strategy-Planning (STSP) ähnliche Konzepte diskutiert.58 Den Kern des CPFR-Konzeptes stellt das „C“ („Collaboration“) dar. Durch die kooperative Nutzung der notwendigen Informationen (z. B. Produktionspläne, Lagerbestands-Informationen und Abverkaufsdaten) sollen die Zielsetzungen des CPFR-Konzepts erreicht werden. Die zentralen Zielsetzungen des CPFR-Konzepts sind im Wesentlichen die gleichen wie die Zielsetzungen des ECR-Konzepts.59 Unterschiede zwischen dem ECR- und dem CPFR-Ansatz sollen teilweise in der Vorgehensweise und in der Methodik vorliegen. In der Literatur werden einige Unterschiede zwischen dem ECR- und dem CPFR-Ansatz genannt: ¾ „Durch die Verknüpfung der bisher isoliert betrachteten Demand- und der Supply-SideThemen können Synergieeffekte hergestellt werden.“60 ¾ „Der quantitative Aspekt der Planung (Planning) ist jedoch beim CPFR-Modell stärker ausgeprägt, und es kommt das Element der Prognose (Forecasting) neu hinzu. Außerdem bezieht CPFR nicht nur die Händler-Hersteller-Beziehung, sondern auch die Unterlieferanten mit ein. Im Weiteren stützt sich das CPFR-Modell auf Business-to-BusinessPlattformen und angebundene EDV-Systeme im gesamten Produktions- und LogistikKreislauf ab. Herausragende Pfeiler sind der Planungs- und der Prognoseprozess.“61 ¾ „Wie schon die Teilbereiche von ECR sind auch die einzelnen CPFR-Prozess-Schritte nicht wirklich neu. Neu ist lediglich der Gedanke, diese Wirtschaftsstufen übergreifend durchzuführen und so einerseits die isolierten Funktionen Marketing und Logistik zusammenzuführen, andererseits ein größeres Gesamtkonzept von der strategischen Planung bis zur operativen Umsetzung zu erhalten.“62 Das CPFR-Konzept umfasst mehrere Stufen, die in einer systematischen Reihenfolge ablaufen. Jede einzelne Stufe des CPFR-Prozesses umfasst eine unterschiedliche Anzahl an festgelegten und detaillierten Prozessabläufen. Der CPFR-Prozess umfasst insgesamt 57 verschiedene Prozessabläufe.63 In einer grob vereinfachten Darstellung lässt sich das CPFR-Konzept in einem neunstufigen Prozess darstellen (siehe Abbildung 3). 57 58 59
60 61 62 63
Vgl. SEIFERT (2002), S. 15 ff., BAUER/GÖRTZ (2002), S. 17, HAMBUCH (2002), S. 58, STOCKER (2002), S. 847 f., und TREECK (2002), S. 34. Vgl. HANAN/AMSTUTZ (1974), S. 50 f. Vgl. INDUSTRY DIRECTIONS/SYNCRA SYSTEMS (2000), S. 6 f., REDA (2000), S. 22 ff., ECR D-A-CH (2001), S. 3, BRUCE/IRELAND (2002), S. 7, und HAMBUCH (2002), S. 58, zu den Zielen und Nutzenpotenzialen des CPFRKonzepts. TREECK (2002), S. 35. STOCKER (2002), S. 847. BAUER/GÖRTZ (2002), S. 37. Vgl. VICS ASSOCIATION (2002).
382
GRÜNBLATT
Der CPFR-Prozess ist so aufgebaut, dass zwischen den einzelnen Stufen eine Rückkopplung stattfinden muss. Die ersten zwei Stufen bilden die Planung (Collaborative Planning), die darauf folgenden sechs Stufen hingegen umfassen die Prognose (Collaborative Forecasting) und die letzte Stufe stellt die Bestandsführung (Collaborative Replenishment) dar. Mit zunehmendem Voranschreiten des CPFR-Prozesses nimmt die Tragweite der auf den einzelnen Stufen getroffenen Entscheidungen ab (siehe Abbildung 3). Die erste Stufe des CPFR-Prozesses umfasst die Festlegung der Rahmenbedingungen für die Durchführung der Kooperation. In dieser Stufe sollen u. a. strategische Ziele der Kooperation vereinbart und die zur Verfügung stehenden Ressourcen festgelegt werden. Darüber hinaus sollen die Zuständigkeiten der Kooperationspartner geklärt, Kriterien zur Messung der erreichten Kooperations-Ziele bestimmt und Art und Umfang der zu benötigenden Informationen vereinbart werden. Collaborative Planning Übereinkunft zur Kooperation
1
Entwicklung eines gemeinsamen Geschäftsplans
2
Erstellung der Absatzprognose
3
Collaborative Forecasting
4
Identifikation von Ausnahmegrößen
5
Erhebung zusätzlicher Informationen
Erstellung der Auftragsprognose
6
Identifikation von Ausnahmegrößen
7
Erhebung zusätzlicher Informationen
8
Collaborative Replenishment Konsument
Produktionsplanung
Point of Sale
Auftragsgenerierung
Wareneingang
Belieferung
Produktion
9
Aufgabe Händler
Abbildung 3:
64
kooperative Aufgaben
CPFR-Prozess64
Vgl. HELLINGRATH (1999), S. 83.
Aufgabe Hersteller
Auftragsabwicklung
Zeitrahmen nimmt ab
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
383
In der zweiten Phase sollen Hersteller und Händler einen gemeinsamen Geschäftsplan entwickeln. Hier werden insbesondere Informationen über Unternehmensstrategien und Geschäftspläne der Beteiligten ausgetauscht. Der Prozessablauf in dieser Stufe entspricht weitgehend dem Prozessablauf des Category-Management-Modells des JIP on ECR.65 Diese Stufe des CPFR-Prozesses bildet also die Schnittstelle zwischen der Demand- und der Supply-Side. In der dritten Stufe wird eine Absatzprognose erstellt, die auch als Bedarfsprognose des Handels interpretiert werden kann. Zur Erstellung von Absatzprognosen müssen einige wichtige Aspekte beachtet werden. Zunächst ist zu prüfen, welche Daten in welcher Form vorliegen, weil der Typ und das Aggregationsniveau der vorliegenden Daten die Güte der Prognose beeinflussen können. Im Idealfall sollten tagesgenaue Abverkaufsdaten des Einzelhandels verwendet werden. Zu stark aggregierte Daten erschweren einerseits die Ermittlung von Out-of-StockSituationen, andererseits können Reaktionen der Nachfrager auf kurzfristige Verkaufsförderungen kaum noch ermittelt werden.66 Darüber hinaus sollten im Rahmen der Absatzprognose nicht nur die Absatzmengen aus dem Normal-Geschäft, sondern auch die Absatzmengen aus dem Aktionsgeschäft berücksichtigt werden.67 In der vierten Phase sollen Händler und Hersteller jene Ausnahmegrößen (Faktoren) ermitteln, die u. U. kurz- bzw. mittelfristig einen Einfluss auf den Absatz haben können. Zu diesen Ausnahmegrößen gehören z. B. Veränderung des Nachfrage-Verhaltens sowie Schließung/ Neueröffnung von Verkaufsstellen. Diese Ausnahmegrößen sollen in die Absatzprognose integriert werden, um deren Güte zu verbessern. Einige dieser Ausnahmegrößen lassen sich mit Hilfe eigener Informationen häufig nicht oder nur schwer messen (z. B. Trends). Vor diesem Hintergrund sollen Händler und Industrie in der fünften Phase zusätzliche Informationen heranziehen (z. B. Entwicklung demographischer Daten) und/oder selbst erheben (z. B. Befragung der Nachfrager am Point of Sale) und auswerten, um die betreffenden Ausnahmegrößen quantifizieren zu können. Auf der Grundlage der verbesserten Absatzprognose wird in der sechsten Stufe eine Auftragsprognose erstellt. Auf der Grundlage der Auftragsprognose soll der Hersteller in der Lage sein, seine Produktionsplanung und die damit verbundenen Ressourcen zeitig abstimmen zu können. In der siebten Phase sollen Händler und Hersteller prüfen, ob kurz- bzw. mittelfristig Ausnahme-Größen auftreten können, die die Auftragshöhe beeinflussen. Zu diesen AusnahmeGrößen zählen z. B. Veränderungen der Produktions-Kapazitäten, Lieferprobleme bei den Vorlieferanten sowie Schließung/Neueröffnung von Verkaufsstellen. In der anschließenden Phase sollen Informationen über diese Ausnahmen erhoben und berücksichtigt werden, um die Wirkung der Ausnahme-Größen auf die Auftragshöhe quantifizieren zu können. Mit Hilfe der quantifizierten Ausnahme-Größen soll nun die Auftragsprognose verbessert werden. In der letzten Stufe wird auf der Grundlage der verbesserten Auftragsprognose die Bestellung beim Hersteller ausgelöst. Der Hersteller ist für die Auftragsabwicklung zuständig. Nach Fertigstellung der bestellten Ware wird der Händler (i. d. R. die Handelszentrale) beliefert, der dann für die Belieferung seiner eigenen Verkaufsstellen verantwortlich ist.
65 66 67
Vgl. VICS ASSOCIATION (2002), S. 7 f. Vgl. GRÜNBLATT (2004), S. 235 ff. Vgl. KATZ (2000), S. 78 ff., zur Darstellung der Absatzprognose im Rahmen des CPFR.
384
GRÜNBLATT
In den USA wurden bereits die ersten Pilotprojekte Mitte der 1990er Jahre erfolgreich abgeschlossen.68 In der Bundesrepublik Deutschland starteten die ersten Pilotprojekte etwa 5 Jahre später. Auch in Deutchland wurden gute Ergebnisse erreicht.69 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass in der Literatur zu ECR und CPFR die Vor- und Rohstofflieferanten (Upstream-Bereich) sowie Logistikunternehmen zumeist nicht berücksichtigt werden.70 Ein wesentlicher Grund für diesen Umstand ist u. U. auf die bereits genannten Probleme der Vor- und Rohstofflieferanten (z. B. geringe Ressourcen und schwache Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten) zurückzuführen.71
4
Diffusionsgrad vertikaler Kooperationen in der Deutschen Konsumgüter-Wirtschaft – Ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
4.1
Ziele der Befragung und Charakteristika der befragten Stichprobe
Im Jahr 2003 wurde eine Befragung zum Thema „vertikale Kooperationen in der Unternehmenspraxis“ von der FernUniversität Hagen durchgeführt.72 Ein wesentliches Ziel dieser Befragung war der Diffusionsgrad von vertikalen Kooperationen in der Lebensmitteldistribution zu ermitteln. Im Jahr 2005 wurde diese Befragung in Zusammenarbeit mit der Münchner Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg Consult AG wiederholt. Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse dieser Befragungen vorgestellt. An der Befragung im Jahre 2005 (2003) nahmen 29 (23) Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels teil. Von den befragten Industrieunternehmen waren 32 (24) Unternehmen der Lebensmittelindustrie, 24 (22) der Chemie- und Pharmaindustrie und 9 (6) der Textil- und Bekleidungsindustrie zuzuordnen. Die befragten Handelsunternehmen der Stichprobe erzielten 2005 einen Jahresumsatz in Höhe von 110,23 Mrd. €. Dies stellt ein Umsatzanteil von 81,17% des Gesamtumsatzes im Deutschen institutionellen Lebensmittelhandel dar (135,8 Mrd. €).73
68
69
70 71 72 73
Vgl. VICS ASSOCIATION (1999), S. 30 ff. Beispiele für CPFR-Kooperationen in den USA sind z. B. die Kooperation zwischen Nabisco Inc. und Wegmans Food Markets; Kimberly-Clark und Kmart; Wal*Mart und Sara Lee Branded Apparel. Vgl. TREECK (2002), S. 36 f. Beispiele für CPFR-Kooperationen in der Bundesrepublik Deutschland sind z. B. die Kooperationen zwischen Procter & Gamble und Metro AG, Henkel Wasch- und Reinigungsmittel GmbH und dm-drogerie markt GmbH + Co. KG, Johnson & Johnson und Metro AG sowie Rewe Zentral AG und Mann & Schröder GmbH. Vgl. z. B. HENSCHE (1991), S. 290 ff., KOTZAB (1997), S. 132 f., FERNIE (1999), S. 176 und SARX/TREECK (2000), S. 29 f. Vgl. SULLIVAN/KANG (1999), S. 4 ff. zur Analyse der Adaption von „Quick Response“ in der Unternehmenspraxis. Vgl. GRÜNBLATT (2005), S. 27 ff. Vgl. ACNIELSEN (2006), S. 10.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
385
Die befragten Industrieunternehmen der Lebensmittel-Branche erzielten im Jahr 2005 einen Umsatz in Höhe von 63,22 Mrd. €. Dies stellt ein Umsatzanteil von 47,36% des Gesamtumsatzes in der Deutschen Lebensmittelindustrie dar (133,5 Mrd. €).74
LebensmittelIndustrie 34% (32)
Textil- und BekleidungsIndustrie 9,6% (9)
Chemie- und PharmaIndustrie 25,5% (24)
Institutioneller Einzelhandel 30,9% (29)
Abbildung 4:
Stichprobe
Die befragten Chemie- und Pharma-Unternehmen erzielten im Jahr 2005 einen Umsatz in Höhe von 83,13 Mrd. €. Dies entspricht einem Umsatzanteil von 54,40% des Gesamtumsatzes der Deutschen Chemie- und Pharmaindustrie (152,8 Mrd. €).75 Die befragten Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie erzielten einen Jahresumsatz in Höhe von 2,01 Mrd. €. Der Gesamtumsatz der Deutschen Textil- und Bekleidungs-Industrie betrug im Jahr 2005 22,16 Mrd. €. Der Umsatzanteil der befragten Unternehmen beträgt somit 9,07%.76
74 75 76
Vgl. BVE (2006). Vgl. VCI (2006), S. 16. Vgl. GTM (2006).
386
4.2
GRÜNBLATT
Einfluss von Unternehmensgröße und Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels
Eine wesentliche Einflussgröße auf die Anzahl von vertikalen Kooperationen, die ein Unternehmen durchführt, ist die Unternehmensgröße. Großunternehmen nutzen in der Regel Abverkaufsdaten häufiger und intensiver als kleinere Unternehmen und deshalb besitzen sie ein besseres Know-How zur Analyse von Abverkaufsdaten.77 Aus Sicht des Handels stellen Großunternehmen der Industrie häufig geeignete Kooperationspartner dar, weil sie mit Blick auf gelistete Artikel nicht selten zu einem relativ hohen Umsatz im Handel beitragen. Der hohe Marktanteil des betreffenden Industrieunternehmens ist in der Regel auf ein hohes Know-How im Rahmen des Marketing und der Marktforschung zurückzuführen. Es liegt die Vermutung nahe, dass Handelsunternehmen Kooperationen mit Großunternehmen der Industrie bevorzugen, um von diesem Know-How profitieren zu können. Ein ähnliches Verhalten ist aus Sicht von Industrieunternehmen denkbar. Neben dem potenziellen Know-How-Gewinn ist für Industrieunternehmen ebenfalls wichtig, dass große Handelsunternehmen in der Regel eine größere Distributionsquote als kleinere Handelsunternehmen ermöglichen. Kooperationen mit großen Handelsunternehmen können somit zu einer Sicherung der bereits erzielten Distributionsquote oder zu einer Erhöhung der Distributionsquote der eigenen Produkte beitragen. Deshalb ist es auch denkbar, dass Industrieunternehmen Kooperationen mit großen Handelsunternehmen auch dann eingehen, wenn das KnowHow des potenziellen Handelspartners vergleichsweise gering ist. Eine weitere wesentliche Einflussgröße für die Anzahl der vertikalen Kooperationen eines Unternehmens stellt die vorhandene Infrastruktur zur Nutzung und Analyse von Abverkaufsund Kundendaten des Einzelhandels dar. Unternehmen, die keine oder eine schwache Infrastruktur aufweisen, können in der Regel die Nutzen-Potenziale von vertikalen Kooperationen nicht oder nicht in vollem Umfang ausschöpfen, weil u. U. die notwendigen Daten nicht ausgetauscht oder nicht ausgewertet werden können. Wesentliche Instrumente, die die Nutzung von Abverkaufsdaten in einem Unternehmen fördern, stellen insbesondere die Weiterbildung der betreffenden Mitarbeiter, die Installation eines entsprechenden EDV-Systems (z. B. EDI-Systeme und Extranets) und der Einsatz von computergestützten Analyse-Verfahren dar. Unter computergestützte Analyse-Verfahren sind im i. e. S. Softwarepakete (z. B. Oracle, Apollo, CatMan) gemeint, mit deren Hilfe Abverkaufsdaten ausgewertet werden können. Im Folgenden wird der Einfluss der Infrastruktur zur Nutzung und Analyse von Abverkaufsdaten und der Unternehmensgröße auf die Anzahl der Kooperationen eines Unternehmens untersucht. Zu diesem Zweck wird eine Clusterzentrenanalyse durchgeführt. Für die Operationalisierung der Infrastruktur wird die Summe der eingesetzten Instrumente (Weiterbildung, EDV-System, computergestützte Analyse-Verfahren) verwendet, wobei jedes Instrument als gleichwertig angesehen wird. Für die Operationalisierung der Unternehmensgröße hingegen wird der erzielte Jahresumsatz herangezogen.
77
Vgl. GRÜNBLATT (2004), S. 166 ff.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
387
Wenn insgesamt n Cluster gebildet werden sollen, werden die Werte der ersten n Unternehmen als provisorische Clusterzentren angesehen (siehe erste Tabelle in Abbildung 5). Anschließend werden die übrigen Unternehmen daraufhin untersucht, ob sie bessere Clusterzentren als die ersten n Fälle abgeben. Das provisorische Clusterzentrum wird dann ausgetauscht, wenn ein anderer Fall eine höhere Distanz zu dem ihm am nächsten gelegenen Clusterzentrum aufweist. Als Distanzmaß wird die Euklidische Distanz verwendet.
Anfängliche Clusterzentren Cluster 1 ,00
Anzahl der Kooperationen
2 50,00
3 20,00
Infrastruktur
1,00
3,00
3,00
Jahresumsatz in Mrd. €
2,00
10,00
9,00
Iterationsprotokoll a Änderung in Clusterzentren Iteration 1 2 3 4 5 6 7
1
2
3
4,844 ,270 ,374 ,239 ,240 ,128 ,000
5,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000
2,288 ,702 1,217 ,858 1,000 ,597 ,000
a. Erzielte Konvergenz aufgrund keiner oder geringer Distanzänderung. Die maximale Distanz, um die ein Zentrum verändert wurde, ist ,000. Die aktuelle Iteration ist 7. Die minimale Distanz zwischen anfänglichen Zentren ist 21,095.
Clusterzentren der endgültigen Lösung
Anzahl der Kooperationen Infrastruktur Jahresumsatz in Mrd. €
Abbildung 5:
1 4,64 1,45 3,60
Cluster 2
3
45,00 3,00 8,70
22,06 2,68 5,63
Clusterzentrenanalyse
Die Fälle, die die höchste Distanz (Heterogenität) zwischen den Clusterzentren erzeugen, bilden die Ausgangswerte für die Zuordnung der Objekte (Unternehmen) zu den einzelnen Clustern im ersten Iterationsschritt (siehe mittlere Tabelle in Abbildung 5). Die Tabelle mit der Überschrift Iterationsprotokoll zeigt die einzelnen Schritte bei der Zuordnung der Unterneh-
388
GRÜNBLATT
men zu den einzelnen Clustern. Bei jedem Iterationsschritt werden die Unternehmen erneut einem Cluster zugeordnet. Anhand der Zuordnungswerte werden die Clusterzentren erneut berechnet. Die Abweichungen zwischen dem vorherigen und dem neuen Clusterzentrum werden nach jedem Iterationsschritt berechnet (siehe mittlere Tabelle in Abbildung 5). Die Stärke der Veränderungen bei den Clusterzentren nimmt mit jedem Iterationsprozess ab. In dem vorliegenden Fall wurde der Iterationsprozess nach der siebten Iteration beendet, weil die siebte Zuteilung der Unternehmen keine Veränderung der Clusterzentren mehr bewirkt hat (Veränderung: 0,000). Die untere Tabelle in Abbildung 5 zeigt das Endergebnis der Clusteranalyse. Die errechneten Werte für die Anzahl der Kooperationen, den Entwicklungsstand der Infrastruktur und den Jahresumsatz sind in jedem Cluster unterschiedlich.
Distanz zwischen Clusterzentren der endgültigen Lösung Cluster 1 1 6,020 2 2,247 3
2 6,020
3 2,247 8,908
8,908
ANOVA Cluster Mittel der Quadrate df Jahresumsatz in Mrd. € 165,183 2 Anzahl der Kooperationen 3193,695 2 Infrastruktur 8,695 2
Fehler Mittel der Quadrate 7,127 21,746 ,905
df 91 91 72
F 23,176 146,871 9,611
Sig. ,000 ,000 ,000
Anzahl der Fälle in jedem Cluster Cluster 1 2 3 Gültig Fehlend
Abbildung 6:
60,000 7,000 27,000 94,000 ,000
Ausmaß der Heterogenität zwischen den Clustern
Um das Ausmaß der Heterogenität zwischen den gebildeten Clustern zu ermitteln, müssen u. a. die Distanzen zwischen den Clustern herangezogen werden. Die erste Tabelle in Abbildung 6 zeigt die euklidischen Distanzen zwischen den ermittelten Clusterzentren. Es ist offensichtlich, dass sich die Cluster 2 und 3 mit Blick auf die gewählten Variablen am stärksten unterscheiden (größte Distanz). Die Cluster 1 und 3 hingegen liegen vergleichsweise enger beieinander und sind deshalb ähnlicher.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
389
Die Ergebnisse der Varianzanalyse (ANOVA) zeigen, dass sich die Mittelwerte der einzelnen Variablen Anzahl der Kooperationen, Infrastruktur und Jahresumsatz in den drei Clustern signifikant unterscheiden. Dies deutet daraufhin, dass sich die ermittelten Cluster ebenfalls signifikant unterscheiden. Mit Blick auf die Ermittlung der Cluster ist nicht nur die Heterogenität der Cluster von Bedeutung, sondern auch die Größe der einzelnen Cluster. Die untere Tabelle in Abbildung 6 zeigt die Anzahl der Fälle, die jedem Cluster zugeordnet wurden. Das erste Cluster umfasst 60, das zweite Cluster 7 und das dritte Cluster 27 Unternehmen.
50,0
7,5% Leaders
45,0
Anzahl der Kooperationen (2004-2005)
40,0 35,0
Leaders
30,0 25,0
63,8%
20,0 Followers 15,0
28,7%
10,0
Laggards
5,0 9,0
7,5
6,0
4,5
3,0
Followers
3,0 Laggards 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0
1,5
Jahresumsatz in Mrd. Euro *Clusterzentren (2003)
Abbildung 7:
Positionierung und Interpretation der Cluster
Die Abbildung 7 zeigt die Positionierung der drei Cluster in einem mehrdimensionalen Raum. Zur Positionierung der Cluster werden die errechneten Werte der Clusterzentren aus der unteren Tabelle der Abbildung 6 verwendet. Die Größe der einzelnen Cluster wird durch die Anzahl der Fälle bestimmt. Die Pfeile zeigen zeitliche Veränderung der Position der Clusterzentren im Vergleich zu 2003 auf.
390
GRÜNBLATT
Die einzelnen Cluster zeigen Unternehmensgruppen, die sich hinsichtlich der Variablen Infrastruktur, Jahresumsatz und Anzahl der Kooperationen ähneln. Cluster 1 umfasst 63,8% der Unternehmen ein. Die Unternehmen in diesem Cluster gehen vergleichsweise weniger vertikale Kooperationen ein als die Unternehmen aus Cluster 2 (im Durchschnitt 11,0 Kooperationen pro Jahr). Darüber hinaus besitzen sie im Durchschnitt eine schwächere Infrastruktur (zwischen zwei und drei Instrumenten) und erzielen einen geringeren Jahresumsatz (ca. 5,6 Mrd. Euro) als die Unternehmen aus Cluster 2. Cluster 2 umfasst hingegen 7,5% der befragten Unternehmen. Diese führen die höchste Anzahl an vertikalen Kooperationen durch (im Durchschnitt 22,5 Kooperationen pro Jahr), besitzen eine sehr gute Infrastruktur zur Nutzung und Analyse von Abverkaufs- und Kundendaten des Einzelhandels (alle drei Instrumente) und erzielen einen relativ hohen Jahresumsatz (im Durchschnitt ca. 8,7 Mrd. Euro). Cluster 3 setzt sich aus 28,7% der befragten Unternehmen zusammen. Diese Gruppe der Unternehmen geht die wenigsten vertikalen Kooperationen ein (im Durchschnitt 2,3 Kooperationen pro Jahr). Zudem weist sie im Vergleich die schwächste Infrastruktur (im Durchschnitt ein Instrument) auf und erzielt im Durchschnitt den geringsten Jahresumsatz (im Durchschnitt 3,6 Mrd. Euro).
4.3
Ökonomische Interpretation der Ergebnisse
Gemäß der Diffusions- und Adoptions-Theorie kann die aktuelle Situation der Nutzung von vertikalen Kooperationen in der deutschen Konsumgüter-Wirtschaft wie folgt skizziert werden: ¾
Cluster 2: 7,4% der Unternehmen sind so genannte Leaders,
¾
Cluster 1: 63,8% der Unternehmen sind so genannte Verfolger,
¾
Cluster 3: 28,7% der Unternehmen sind so genannte Nachzügler.
Eine relativ kleine Gruppe von Industrie- und Handelsunternehmen (Cluster 2) nimmt die Rolle von so genannten Leaders (Innovatoren) ein. Die Implementierung von vertikalen Kooperationen auf dem Gebiet der Nutzung von Abverkaufsdaten setzt nicht selten einen mittelbis langfristigen Zeitrahmen voraus, weil zuerst ein gewisses Vertrauen zwischen den Kooperationspartnern aufgebaut werden muss. Das Vertrauen stellt vielfach eine wesentliche Voraussetzung dafür dar, dass Informationen (z. B. Abverkaufsdaten) kontinuierlich ausgetauscht werden können. Wird dieser zeitliche Aspekt von vertikalen Kooperationen berücksichtigt, so liegt die Vermutung nahe, dass die Unternehmen aus Cluster 2 durch die frühe Übernahme und die Weiterentwicklung von innovativen Ansätzen zur vertikalen Kooperation (z. B. CM, ECR und CPFR) einen größeren Erfahrungsvorsprung als die übrigen Unternehmen erzielen konnten. Die gewonnene Erfahrung dieser Unternehmen dürfte eine Eintrittsbarriere für die übrigen Unternehmen bilden, da die Erfahrung auf dem Gebiet der kooperativen Nutzung von Abverkaufsdaten in zahlreichen Fällen ein wesentliches Kriterium für die Auswahl von Kooperationspartnern darstellt.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
391
Die breite Masse (Cluster 1) hingegen stellt die Gruppe der Verfolger (Followers) dar. Diese Unternehmen versuchen die Lücke zu den Leaders zu schließen. Sie haben vermutlich später mit der Durchführung von vertikalen Kooperationen als die Leaders begonnen. Demzufolge besitzen sie weniger Erfahrung. Etwa ein Drittel der Unternehmen (Cluster 3) stellt die Gruppe der Nachzügler (Laggards) dar. Diese Unternehmen haben mit der Durchführung von vertikalen Kooperationen noch nicht oder u. U. sehr spät begonnen. Zudem verfügt diese Gruppe von Unternehmen über eine vergleichsweise schwache Infrastruktur zur Nutzung und Analyse von Abverkaufs- und Kundendaten des Einzelhandels. Deshalb ist zu erwarten, dass diese Unternehmen noch nicht viele und nicht umfangreiche Kooperationen (z. B. ECR und CPFR) eingehen können. Betrachtet man die Veränderung der Position der Cluster im Zeitverlauf, so kann man deutlich erkennen, dass umsatzstärkere Unternehmen sich zunehmend mit dem Thema „vertikale Kooperationen“ beschäftigen (siehe horizontale Verschiebung der Clusterzentren). Darüber hinaus zeigt sich, dass die Anzahl der Kooperationen insgesamt deutlich zugenommen hat (höhere Kooperations-Intensität). Dies gilt insbesondere für die Gruppe der Leaders (von 12,5 auf 22,5) und für die Gruppe der Followers (von 5,5 auf 11,0). Zudem lässt sich feststellen, dass die Gruppe der Verfolger ihre Infrastruktur zur Nutzung der Abverkaufsdaten des Handels deutlich verbessert haben (von 1,97 auf 2,68). Die Infrastruktur der Nachzügler zur Nutzung der Abverkaufsdaten des Handels ist mit 1,45 immer noch deutlich schwächer ausgeprägt. Darüber hinaus lassen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung vermuten, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße und dem Entwicklungsstand der Infrastruktur eines Unternehmens gegeben sein muss, da der Einfluss der Unternehmensgröße und der Infrastruktur auf die Anzahl der durchgeführten vertikalen Kooperationen eines Unternehmens offensichtlich am größten ist, wenn die Ausprägungen beider Einflussgrößen auch groß sind. Als Fazit kann festgestellt werden: Derzeit können die Kostensenkungs-Potenziale in der kooperativen Distribution und Logistik sowie die Effizienzvorteile im Rahmen des kooperativen Marketing durch Kooperationen nicht voll ausgeschöpft werden, weil der Diffusionsgrad derartiger Kooperationen in der deutschen Konsumgüterwirtschaft noch zu gering ist. Dies gilt insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Ergebnisse lassen auch erkennen, dass Kooperationen am häufigsten zustande kommen, wenn die Kooperations-Teilnehmer relativ „groß“ sind und über eine vergleichsweise gute Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten verfügen. Diese Konstellation bietet für die Kooperations-Teilnehmer offensichtlich die besten Voraussetzungen für eine so genannte Win-Win-Situation. Gleichzeitig verdeutlicht dieses Szenario, dass Großunternehmen ihre Wettbewerbsposition gegenüber KMUs weiter verbessern können. Dieses KooperationsVerhalten von Industrie und Handel kann somit weitere Konzentrations- und AbschmelzungsProzesse in der deutschen Konsumgüter-Wirtschaft zur Folge haben.
392
GRÜNBLATT
4.4
Divergenzen im Kooperations-Verhalten zwischen Industrie und Handel
Ein wesentlicher Aspekt, der neben der Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels und der Unternehmensgröße die Anzahl der durchgeführten Kooperationen beeinflusst, ist die Kooperations-Bereitschaft und das Kooperations-Verhalten. Auf einer Skala zwischen 1 (sehr hoch) bis 7 (sehr niedrig) bewerteten 43,1% der befragten Industrieunternehmen den Nutzen von Kooperationen mit dem Handel auf dem Gebiet der Nutzung von Abverkaufsdaten als sehr hoch. Bei den befragten Handelsunternehmen waren es nur 31,0%. Besonders auffallend ist die Tatsache, dass die befragten Industrie und Handelsunternehmen den Nutzen von Kooperationen deutlich positiver bewerteten als im Jahr 2003 (siehe Abbildung 8). Insgesamt unterscheiden sich die Bewertungen der Industrie und des Handels hinsichtlich des Nutzens von Kooperationen nur geringfügig. Die Industrie beurteilt den Nutzen von Kooperationen im Durchschnitt mit 1,8 (hoch bis sehr hoch). Handelsunternehmen hingegen schätzen den Nutzen von Kooperationen im Durchschnitt mit 2,1 (hoch) etwas geringer ein.
Wie beurteilen Sie den Nutzen von Kooperationen zwischen Industrie und Handel? 31,0%
41,6% (+6,8%) (+4,7%)
30,8% 31,0%
(+2,5%) (+4,7%)
sehr hoch
hoch
24,6% 24,2%
befriedigend
gerade noch befriedigend
ausreichend
(+0,7%) (-2,1%)
1,5% 6,9% 1,5% 6,9%
(-5,0%) (+1,6%) (-0,7%) (-3,6%)
gerade noch ausreichend
0,0% 0,0%
(-4,3%) (±0,0%)
sehr niedrig
0,0% 0,0%
(±0,0%) (-5,3%)
Werte in Klammern (Veränderung in %-Punkte vs. 2003)
Abbildung 8:
Nutzen von vertikalen Kooperationen
n=94 Industrie Handel
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
393
Sind weitere Kooperationen mit der Industrie/dem Handel geplant?
16,9% (-14,7%) Handel 83,1%
(-9,8%) Industrie 100,0% nein ja 0,0%
20,0%
40,0%
60,0%
80,0%
100,0%
Werte in Klammern (Veränderung in %-Pkte. vs. 2003)
Abbildung 9:
Planung zukünftiger Kooperationen
Unternehmen, die während der letzten zwei Jahre keine Kooperationen mit dem Handel/der Industrie durchführten, bewerteten den Nutzen von Kooperationen deutlich geringer mit (2,51) befriedigend als die übrigen Unternehmen mit (1,94) hoch. Zu den Unternehmen, die keine Kooperationen durchführten, gehören 10,0% (vs. 35% im Jahr 2003) der befragten Handelsunternehmen. Dies lässt u. U. darauf schließen, dass der Unterschied in der Bewertung des Nutzens von Kooperationen auf dem Gebiet der Nutzung von Abverkaufsdaten u. a. auf die geringe Erfahrung des Handels in diesem Bereich zurückzuführen ist. Besonders auffallend in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass der Handel hinsichtlich der Planung zukünftiger Kooperations-Projekte mit der Industrie zurückhaltend ist. 16,9% der befragten Handelsunternehmen planen derzeit keine (weiteren) Kooperationen mit der Industrie. Bei den befragten Industrieunternehmen hingegen planen alle Hersteller zukünftig Kooperationen mit dem Handel einzugehen (siehe Abbildung 9). Die Nutzen-Potenziale von Kooperationen zwischen Industrie und Handel scheinen in der handelsbetrieblichen Praxis, insbesondere bei kleinen und mittelständischen Handelsunternehmen, z. T. nicht ausreichend bekannt zu sein. Hier müssten die betreffenden Handelsunternehmen noch intensiver über die Nutzen-Potenziale derartiger Kooperationen aufgeklärt werden. Als geeignete Institutionen für die Aufhellung des Nutzens von Kooperationen zwischen Industrie und Handel kommen aus Sicht des Handels insbesondere der Verband EuroHandelsinstitut e. V. (EHI, Köln) und Global Standard one Germany (GS1, Köln) in Frage.
394
4.5
GRÜNBLATT
Technische und methodische Probleme von vertikalen Kooperationen
Wesentliche Faktoren, die die Durchführung von vertikalen Kooperationen in der Unternehmenspraxis hemmen, sind im Wesentlichen ungelöste technische und methodische Probleme, die im Zusammenhang mit der Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels für logistische und vertriebliche Aufgaben stehen. Abbildung 10 zeigt aus Sicht der Industrie und des Handels die wesentlichen technischen und methodischen Probleme von Kooperationen zwischen Industrie und Handel. Aus Sicht der Industrie sind die hohen Kosten für die Datenbeschaffung und -analyse sowie der Zugang zu den Daten des Handels die gravierenden Probleme. Weitere Probleme ergeben sich durch die aufwendige Aufbereitung und Auswertung der Daten sowie durch das fehlende Personal für die Auswertung der Daten. Diese letzt genannten Aspekte betreffen allerdings auch den Handel (siehe Abbildung 10). Darüber hinaus nannten jeweils 26,1% und 8,7% der befragten Handelsunternehmen die fehlenden EDI-Standards und die fehlende EAN-Codierung für Frischware als wichtige Probleme des Austauschs und Nutzung von Informationen. Demgegenüber nannten jeweils 9,6% und 15,4% der befragten Industrieunternehmen die geringe Datenqualität und die unterschiedlichen Datenformate als weitere Probleme der kooperativen Nutzung von Abverkaufsdaten. Erhebliche Unterschiede zwischen Industrie und Handel hinsichtlich der Wahrnehmung der Probleme der Nutzung von Abverkaufsdaten treten hauptsächlich im Zusammenhang mit den Kosten und dem Zugang zu den Daten des Handels auf. Die Industrie empfindet im Vergleich zu dem Handel die hohen Kosten für die Beschaffung und Auswertung der Daten sowie den z. T. schweren Zugang zu den Daten als wesentliche Probleme der Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels. Mit Blick auf die Erforschung von Analyseverfahren und die Entwicklung von Software zur Verbesserung der Datenanalyse verspüren sowohl die befragten Industrie- als auch die befragten Handelsunternehmen einen ähnlich hohen Handlungsbedarf (siehe Abbildung 11). Mit Blick auf einen einfachen und kostengünstigen Zugang zu den Daten und auf die Verbesserung der Schulung und Weiterbildung der betreffenden Mitarbeiter hingegen treten deutliche Unterschiede in der Bewertung zwischen den befragten Industrie- und Handelsunternehmen auf.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
395
Worin sehen Sie die wesentlichen Probleme von Kooperationen zwischen Industrie und Handel? trifft voll zu 1
Problemfelder
Zustimmungsgrad 2
3
4
5
trifft gar nicht zu 6 7
Vorgegebene Kategorien Hohe Kosten*** Zugang zu den Daten*** Konfliktpotenzial zw. Industrie und Handel Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Ergebnisse Aufwendige Aufbereitung und Auswertung der Daten Fehlendes Personal für die Auswertung der Daten Geringer Nutzen durch geringe Möglichkeiten der Datenanalyse ManipulationsSpielräume der Daten andere:
andere:
Freiwillige Angaben (Ha ndel)
Freiwillige Angaben (Industrie)
Fehlende EDI-Standards Fehlende EAN-Codierung für Frischware Handel
(26,1%)
(8,7%)
(9,6%) (15,4%)
Geringe Datenqualität Unterschiedliche Datenformate
Industrie
*** Sig. D < 0,01
Abbildung 10:
Technische und methodische Probleme von Kooperationen zwischen Industrie und Handel
9,6% der befragten Industrieunternehmen nannten die Entwicklung von Tools zur Aufbereitung und Verknüpfung unterschiedlicher Datenformate sowie die Vereinheitlichung und Verbesserung der Datenformate und der Datenqualität als wesentliche Maßnahmen zur Verbesserung der Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels. Von den befragten Handelsunternehmen sahen jeweils 26,7% und 21,7% die Standardisierung von EDI-Systemen und die Verbesse-
396
GRÜNBLATT
rung der EAN-Codierung für Frischware als wesentliche Schritte zur Förderung von Kooperationen zwischen Industrie und Handel in der Lebensmitteldistribution (siehe Abbildung 11).
Was müsste sich aus Ihrer Sicht tun, damit die Analyse von Informationen im Rahmen von Kooperationen zwischen Industrie und Handel verbessert wird? Verbesserungsansätze
trifft Zustimmungsgrad voll zu 1 2 3 4 5
trifft gar nicht zu 6 7
Vorgegebene Kategorien Einfacher und Kostengünstiger Zugang zu den Daten*** Intensivierung der ErforSchung neuer Verfahren zur Analyse der Daten Entwicklung von Software zur Auswertung der Daten Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten der betreffenden Mitarbeiter** andere:
andere:
freiwillige Angaben (Handel)
Standardisierung von EDI-Systemen
Handel
freiwillige Angaben (Industrie)
(26,1%)
Verbesserung der EAN-Codierung für Frischware
(9,6%)
(21,7%) (9,6%)
Entwicklung von Tools zur Aufbereitung/Verknüpfung unterschiedlicher Datenformate Vereinheitlichung und Verbesserung der Datenformate und -qualität
Industrie
*** Sig. D < 0,01 ** Sig. D < 0,05
Abbildung 11:
Handlungsbedarf auf dem Gebiet des Informations- und Datenmanagement
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
4.6
397
Ansätze zur Lösung der Probleme in Industrie und Handel
Wesentliche Ansätze zur Lösung der skizzierten Probleme der Industrie und des Handels im Rahmen der kooperativen Nutzung von Abverkaufsdaten sind: ¾ Die Durchsetzung von EDI-Standards im Rahmen des bi- und multilateralen Datenaustauschs zwischen Industrie und Handel sollte weiter intensiviert werden. ¾ Ein zentraler und frei zugänglicher Datenpool (Marktplatz) sollte eingerichtet werden, um damit auch technologische Standards für die Datenformate und -qualität durchzusetzen. Der Austausch von Stamm- und Abverkaufsdaten zwischen Handels- und Industrieunternehmen sollte auf diese Weise erleichtert und die damit verbundenen Kosten der Datenbeschaffung und des Datentransfers gesenkt werden. ¾ Die Erforschung von praxisorientierten Verfahren zur Analyse von Abverkaufsdaten sollte intensiviert werden, um die Nutzen-Potenziale von vertikalen Kooperationen besser ausschöpfen zu können. ¾ Die Ausbildung von Personal für die Analyse und Auswertung der Daten sollte intensiviert werden. ¾ Eine Verbesserung der Qualifikation der betreffenden Mitarbeiter im Bereich der Analyse und Auswertung von Abverkaufsdaten kann u. U. durch die Erarbeitung von Inhalten und Richtlinien zur Schaffung eines neuen Berufsbilds (z. B. Abverkaufsdaten-Analyst, Abverkaufsdaten-Manager) erreicht werden. ¾ Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Qualifikation der betreffenden Mitarbeiter stellen z. B. der multilaterale Transfer von Know-How zwischen Unternehmen und die Intensivierung der Zusammenarbeit von Unternehmenspraxis und Forschungsinstituten dar. In den USA werden derartige Kooperationen zwischen Unternehmenspraxis und Forschungsinstituten seit Jahren mit relativ gutem Erfolg durchgeführt. Neben dem Transfer von Know-How können solche Kooperationen zur Verbesserung der Qualifikation zukünftiger Nachwuchsmanager führen, da die Ausbildung an die Qualifikationsspezifika der Unternehmenspraxis angepasst werden kann. ¾ Die EAN-Codierung für Frischwaren sollte mit Blick auf die automatisierte artikelgenaue Abverkaufsdatenerfassung verbessert werden. Darüber hinaus sollten EAN-Standards für die Codierung von Frischwaren durchgesetzt und verbreitet werden. Dies würde dann u. U. wesentlich dazu beitragen, die kooperative Nutzung von Abverkaufsdaten in diesem Bereich zu verbessern, da entsprechende Warengruppen traditionelle Kundenfrequenzbringer im Lebensmittelhandel darstellen und damit für den Handel, aber auch für die Lieferanten, von existenzieller Bedeutung sind.
398
5
GRÜNBLATT
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung
Kleine und mittelständische Unternehmen haben auf dem Gebiet der Nutzung von Abverkaufsdaten gegenüber Großunternehmen einen vergleichsweise hohen Nachholbedarf. Die Ursachen für die geringe Nutzung von Abverkaufsdaten und somit auch für die geringe Anzahl an bi- und multilateralen Kooperationen von kleinen und mittelständischen Unternehmen liegen hauptsächlich in der vergleichsweise schwachen Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten in diesen Unternehmen. Eine Verbesserung der Nutzung von Abverkaufsdaten in kleinen und mittelständischen Unternehmen kann nur erreicht werden, wenn diese Unternehmen ihre Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten deutlich verbessern. Mit Blick auf die kooperative Nutzung von Abverkaufsdaten lässt sich feststellen, dass die Mehrheit der befragten Industrieunternehmen Abverkaufsdaten des Einzelhandels erhalten und nutzen. Die kooperative Nutzung von Abverkaufsdaten hat noch keine kritische Masse erreicht. Einige Industrie- und Handelsunternehmen haben auf dem Gebiet der kooperativen Nutzung von Abverkaufsdaten immer noch zu wenig Erfahrung. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass einige Handelsunternehmen Abverkaufsdaten nicht an alle gelisteten Hersteller zur Verfügung stellen möchten.78 Auf diese Art und Weise können Industrieunternehmen nur einen Teil ihres Angebots mit der Nachfrage synchronisieren, weil diese nicht von allen belieferten Handelsunternehmen Abverkaufsdaten erhalten können. Zu wenig produzierte Mengen führen zu Problemen in der Warennachschub-Versorgung (z. B. verspätete Warenlieferungen). Der noch geringe Diffusionsgrad von Kooperationen zwischen Industrie und Handel in der deutschen Lebensmittel-Distribution führt dazu, dass mögliche Kostensenkungs-Potenziale in den Bereichen Distribution, Logistik, Marketing und Vertrieb nicht voll ausgeschöpft werden können. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang stellt auch die relativ schwache Einbindung von Vor- und Rohstofflieferanten sowie von Spediteuren und Transportunternehmen in derartige Kooperationen dar. Die Kostensenkungs-Potenziale in diesem Bereich der Wertschöpfungskette können somit nicht ausgenutzt werden. Ein erster Ansatz zur Integration der Vorund Rohstofflieferanten im Rahmen von vertikalen Distributions- und Logistik-Kooperationen stellt die Entwicklung von Extranets für den bi- und multilateralen Datenaustausch zwischen Industrie und Vorlieferanten dar. Allerdings werden diese Extranets in der Bundesrepublik Deutschland kaum genutzt.79 Die Nutzen-Potenziale der Abverkaufsdaten des Handels im Rahmen von vertikalen Distributions- und Logistik-Kooperationen können erst dann besser ausgeschöpft werden, wenn die Infrastruktur zur Nutzung von Abverkaufsdaten des Handels nicht nur im DownstreamBereich (Hersteller und Händler), sondern auch im Upstream-Bereich (Vorlieferanten und
78 79
Vgl. PÖTZL/SCHNECKENBURGER (1999), S. 44 f., zur Analyse der Auswirkungen des Informationsaustausches auf das ,Machtgefüge‘ zwischen Industrie und Handel. Vgl. ECR-D-A-CH/PRICEWATERHOUSE CONSULTING (2002), S. 21.
Kooperationen zwischen Markenartikelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel
399
Rohstofflieferanten) der Wertschöpfungskette und in der Transportlogistik deutlich verbessert wird. Sowohl die Industrie als auch der Handel sehen das größte Nutzen-Potenzial von Kooperationen im Category Management. Ca. 17% der befragten Handelsunternehmen planen zukünftig keine Kooperationen mit der Industrie durchzuführen. Eine Intensivierung von Kooperationen zwischen Industrie und Handel kann erreicht werden, wenn es gelingt, die betreffenden Handelsunternehmen stärker von den entsprechenden Nutzen-Potenzialen zu überzeugen. Die Angaben der befragten Industrie- und Handelsunternehmen zu den methodischen und technischen Problemen bei Kooperationen lassen erkennen, dass Industrie und Handel z. T. unterschiedliche Probleme besitzen und deshalb hinsichtlich der Verbesserung des Informations- und Datenmanagement z. T. unterschiedliche Handlungsbedürfnisse verspüren. Die Industrie sieht den größten Handlungsbedarf im Bereich der Verbesserung des Zugangs zu den Daten des Handels. Hier steht die Senkung der Kosten für die Datenbeschaffung im Vordergrund. Der Handel hingegen empfindet den größten Handlungsbedarf im Bereich der Schulung und Weiterbildung der betreffenden Mitarbeiter.
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Enterprise 2.0 im Management – Frischzellenkur für Sales & Services WILLMS BUHSE doubleYUU
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Warum Enterprise 2.0? .................................................................................................. 407 Die Kunst loszulassen – Der Einfluss auf Leadership und Kommunikation ................. 408 Den Wandel gestalten: Der Weg zum Enterprise 2.0 .................................................... 409 Einführung: Projekt und Prozess ................................................................................... 410 Maßnahmen ................................................................................................................... 411 5.1 Change Agents ..................................................................................................... 411 5.2 Re-Mentoring....................................................................................................... 412 5.3 OpenSpaces.......................................................................................................... 412 5.4 E2.0-JAM Session................................................................................................ 413 6 Das Ziel – Die Einbeziehung des Kunden durch Open Innovation ............................... 414 6.1 1. Ebene: Support................................................................................................. 414 6.2 2. Ebene: Feedback .............................................................................................. 415 6.3 3. Ebene: Voting .................................................................................................. 415 6.4 4. Ebene: Stellungnahme...................................................................................... 415 6.5 crowdSPRING – Globaler Einkauf von Artwork ................................................. 415 7 Open Innovation braucht Enterprise 2.0 ........................................................................ 416 Weiterführende Literatur zum Thema Enterprise 2.0 ........................................................... 417
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Warum Enterprise 2.0?
Gäbe es ein Rezept, einer Sales- und Serviceorganisation den Esprit, den Enthusiasmus, den Erfindungsreichtum, die Leistungsbereitschaft, den Unternehmergeist und die Motivation eines Startups dauerhaft einzuimpfen – was wäre diese Medizin wert? Wo bekommt man eine solche Frischzellenkur für die Unternehmenskultur? Gibt es einen Weg, das intellektuelle Vermögen aller Mitarbeiter, ihre speziellen Kenntnisse und Erfahrungen über Organisations- und Ländergrenzen hinweg anzuzapfen? Kann man dieses Potenzial in einen echten Wettbewerbsvorteil verwandeln? Die Antwort auf diese Fragen heißt Enterprise 2.0. Der Begriff Enterprise 2.0 geht auf einen Aufsatz des Harvard-Professors ANDREW P. MCAFEE aus dem Jahr 2006 zurück. Darin beschreibt er, wie ursprünglich für das Internet entwickelte Social Software im Unternehmenskontext eingesetzt werden kann. Der Schwerpunkt liegt in dem ersten Aufsatz jedoch auf der Technologie – nämlich der Beschreibung von Blog, Wikis, etc. In diesem Beitrag geht es hingegen um die Auswirkungen auf das Management einer Organisation. Dadurch wird der Raum für eine erfolgreiche Selbstorganisation und hierarchiefreie Kommunikation geschaffen. Die daraus entstehende Innovationsdynamik und Kreativität steigert die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Je besser die Vernetzung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für neue Lösungsmuster. Im Enterprise 2.0 bedeutet Wissensmanagement nicht, das ganze Wissen eines Unternehmens in Datenbanken zu dokumentieren, sondern die Wissensträger und -nachfrager situativ zu vernetzen. In dieser enormen Steigerung der kollektiven Intelligenz liegt der eigentliche Produktivitätssprung. Der kann gerade bei international aufgestellten, dezentral organisierten Organisationen gewaltig sein. Was kann das im Unternehmensalltag konkret bedeuten? Das ist die Geschichte von Phil, einem englischen Vertriebler, der für das Hamburger Softwarehaus CoreMedia in Moskau unterwegs war. Es war das Ende einer der schlechteren Tage für Phil und sein Flieger hatte Verspätung. Phil nutzte die Zeit, um in einen internen Blog zu schreiben, dass sein Vertriebsvorhaben nicht so gut angekommen sei. Er fügte dem Text noch seine Präsentation hinzu. Wenige Stunden später reagierte Lydia, eine Entwicklerin aus Hamburg, die Phil nicht kannte, auf seinen Blogeintrag. Sie war als Russin besonders motiviert, ihr Unternehmen in ihrer Heimat doch erfolgreich zu sehen. Nachdem sie sich die Präsentation angesehen hatte, antwortete sie, dass einige Begriffe missverständlich übersetzt worden seien. Phil meldete sich sofort bei Lydia. Beide machten einen weiteren Kundenbesuch und gewannen einen Deal über mehrere Hunderttausend Euro. Ohne den Blogeintrag hätte es diesen Erfolg nicht gegeben.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_16, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Die Kunst loszulassen – Der Einfluss auf Leadership und Kommunikation
Diese Entwicklung konfrontiert allerdings auch die Führungsetagen mit neuen Herausforderungen. Manager müssen anders führen, damit Mitarbeiter selbstorganisierter arbeiten können. Unter den Prinzipien von Enterprise 2.0 ¾ Offenheit, ¾ Transparenz und ¾ Vernetzung funktioniert Führung über Informationsvorsprung und Macht nicht mehr. Manager sind in diesem Umfeld als Impulsgeber und Vorbilder gefordert, die den Rahmen selbstorganisierter Arbeit definieren. Neben die Hierarchie tritt die vernetzte Organisation. Die neue Aufgabe der Führungskräfte heißt, diese beiden Welten parallel zu managen. Unternehmen, die Enterprise-2.0-Technologien einsetzen, erzielen damit einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil. Die technologische Basis dafür ist ausgereift, allgemein verfügbar und vergleichsweise günstig zu haben. Beispiele dafür sind Wikis, Blogs oder soziale Netzwerke. Gleichzeitig erwarten qualifizierte Berufseinsteiger heute die Verfügbarkeit sozialer Software am Arbeitsplatz. Für sie gehört vernetztes Arbeiten und hierarchiefreie Kommunikation zur Sozialisation. Sie verbinden moderne Informationstechnologie mit einem innovativen Unternehmen. Für etwa zwei Drittel ist dies laut einer aktuellen Accenture-Studie ein wesentliches Kriterium bei der Wahl des Arbeitsplatzes. Die Digital Natives, die Internetgeneration die jetzt in die Unternehmen drängt, fordert diese neue Arbeitswelt massiv ein. „Das Auftreten und Selbstbewusstsein der Digital Natives entzaubert die Eliten und alten Hierarchien“ (MEINOLF ELLERS, Geschäftsführer dpa mediatec). Enterprise 2.0 bedeutet eine Frischzellenkur für jedes Traditionsunternehmen. Damit verbunden ist ein Modernisierungsschub in der Unternehmenskultur, im Führungs- und Managementstil. Enterprise 2.0 kann helfen, schneller bessere Antwortstrategien für die Herausforderungen dynamischer und komplexer Märkte zu finden. Enterprise-2.0-Unternehmen verfügen über einen Wettbewerbsvorteil, weil es ihnen besser gelingt, die Potenziale ihrer Mitarbeiter zu erschließen. Dieses Angebot an unternehmerischer Partizipation macht sie als Arbeitgeber attraktiv.
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Den Wandel gestalten: Der Weg zum Enterprise 2.0
Soziale Software im Unternehmenseinsatz ist nur so gut, wie die Mitarbeiter, die sie benutzen. Erst über die erfolgreiche Anwendung entfaltet sie ihr Potenzial für das Unternehmen. Bei der Einführung kommt es darauf an, nicht nur eine kleine Avantgarde für die Plattform fit zu machen. Das Motto muss sein: Mit der Mannschaft ins Ziel. Für eine Enterprise-2.0-Implementierung bedeutet das: Erst der zielgerichtete Einsatz eines maßgeschneiderten Change-Management-Programms parallel zur Einführung der technologischen Plattform stellt den nachhaltigen Erfolg sicher. Die drei Säulen auf denen der Erfolg ruht sind: Qualifikation, Partizipation und Kommunikation. Partizipation: Partizipative Elemente sind unerlässlich für die Identifikation und Motivation. „Nicht gehört“ zu werden nennen Mitarbeiter deutscher Unternehmen als einen der drei wichtigsten Gründe für ihre Unzufriedenheit. Gerade beim Thema Enterprise 2.0 liegt es in der Natur der Sache, Partizipation und Selbstorganisation explizit zum Gegenstand und Thema des Begleitprogramms zu machen. Kommunikation: Aus jedem Projekt, aus jeder zielgerichteten Veränderung resultiert ein zusätzlicher Kommunikationsbedarf bei den Führungskräften und Mitarbeitern. Die Kunst besteht darin, diesen im Vorfeld systematisch zu ermitteln und in einem zweckmäßigen Mix aus Mitteln und Maßnahmen über den gesamten Projektverlauf abzubilden. Qualifikation: Der konkrete Qualifikationsbedarf für die einzelnen Anwendergruppen lässt sich aus der Change-Impact-Analyse ableiten. Ein transparentes und aktiv kommuniziertes Programm qualifizierender Maßnahmen wirkt von Anfang an dem „Gefühl“ von Überforderung entgegen. Gemeint sind hier weniger Technik-Schulungen sondern praxisnahe Personalentwicklung und Vermittlung von Enterprise-2.0-Methodenkompetenz. Eines der zentralen Phänomene, dessen Nichtbeachtung in der unternehmerischen Praxis regelmäßig für Probleme sorgt, ist die Asynchronität des Wandels. Gemeint ist hier die unterschiedliche Veränderungsgeschwindigkeit von IT-Systemen, der Organisation und der Kultur eines Unternehmens. Technologischer Wandel vollzieht sich ungleich schneller als der sozialer Systeme. Lernkurven von Menschen sind so individuell wie die Menschen selbst. Das Beharren auf Althergebrachtem ist an sich ein völlig natürliches Phänomen. Revolutionären technologischen Entwicklungen steht ein evolutionärer Adaptionsprozess gegenüber. Folgende Ziele lassen sich für einen begleitenden Change-Management-Ansatz zur Einführung von Enterprise-2.0-Technologie ableiten: ¾ Erzielen eines kulturellen Wandels im Gleichschritt mit der Einführung der Plattform ¾ Nachhaltige Umsetzung der Prinzipien von Enterprise 2.0 in Führung und Organisation ¾ Verkürzung/Beschleunigung der Umsetzungs- und damit der Projektlaufzeit durch rechtzeitige Einleitung von Change-Maßnahmen. ¾ Frühzeitiges Erkennen und Beseitigen von Hindernissen und Widerständen
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Die Transformation eines „klassisch“ geführten Unternehmens in ein Enterprise 2.0 stellt insbesondere die Führungskräfte aller Ebenen vor eine besondere Herausforderung. Die Prinzipien des Enterprise 2.0 verändern zwangsläufig den Führungsstil. Um diesen Prozess im Sinne von Leadership- und Managemententwicklung adäquat zu begleiten, ist eine präzise Analyse angezeigt. Das geeignete Instrumentarium liefert eine nach Betroffenheit, Bedeutung der Veränderung und Einstellung zur Veränderung differenzierende Stakeholder-Analyse. Wobei als Stakeholder in Anlehnung an die „Machtschule“ von MINTZBERG all die Gruppen und Personen bezeichnet werden können, welche bei Zielkonflikten eine spezifische und konkrete Interessenlage aufweisen. Dieser Schritt liefert eine Analyse der verschiedenen Anspruchsgruppen sowie eine Einschätzung zu deren Befindlichkeiten und Anforderungen. Der oder die mit der Analyse Beauftragte erstellt also eine Liste mit den Anspruchsgruppen, die betroffen sein werden, überlegt, wie deren Einstellung zur Veränderung sein könnte und identifiziert Einzelmaßnahmen für den Umgang mit diesen Akteuren.
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Einführung: Projekt und Prozess
Im Vergleich zu anderen technologiegetriebenen Projekten zielen Enterprise-2.0-Transformationen deutlich stärker auf die Veränderung der Unternehmenskultur. Zugespitzt formuliert geht es viel weniger um die termingerechte Einführung einer revolutionären Technologieplattform per Big bang als vielmehr um die Verankerung eines evolutionären Wandels in der Unternehmenskultur. Nicht die Einführung des technischen Systems, sondern der Wandel des „sozialen Systems“ ist letztlich der Maßstab für den betriebswirtschaftlichen Erfolg. Als Konsequenz für das Projektmanagement folgt daraus ein deutlich adaptiv orientierter, situativ angepasster Ansatz. Streng programmorientierte bis ins letzte Detail durchgeplante Vorgehensweisen erweisen sich, so die Erfahrungswerte in der Praxis, als weniger hilfreich. Enterprise 2.0 bedeutet also nicht nur eine gewisse Offenheit in Bezug auf das Ergebnis, sondern auch in der Organisation und bei der Steuerung des Transformationsprozesses. Die Umsetzung selbst findet in Teilprojekten oder Projektgruppen statt: ¾ Technologie (mit möglichen Unterprojekten zu den einzelnen Komponenten) sorgt für die technische Umsetzung der Anforderungen mit Blick auf Funktionalität und Usability sowie die Integration der Plattformen. ¾ Kommunikation und Community Management sorgt für die interne und externe Begeisterung für das Thema Enterprise 2.0, Berichterstattung, Podcasts, etc. ¾ Qualifikation und Managemententwicklung sorgt dafür, dass die Werte von Enterprise 2.0 von den Führungskräften und Mitarbeitern verstanden, gelebt und wertgeschätzt werden.
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Die Einführung von Enterprise 2.0 ist kein Selbstzweck. Natürlich gibt es bei solchen Vorhaben immer auch Skeptiker und Zweifler. Daher ist konsequente Ausrichtung an der Vision und den Zielen der Organisation so wichtig. Es geht buchstäblich darum, so schnell wie möglich so viel Mitarbeiter und Führungskräfte wie möglich für Enterprise 2.0 zu gewinnen. Der beste Weg dazu ist, die dringlichsten Fragestellungen und Herausforderungen für das Unternehmen aus der Perspektive der Belegschaft in den Fokus zu nehmen und im Zuge des Projektes zu bearbeiten. Das schafft Identifikation und Involvement. Typische Beispiele für solche Piloten sind: ¾ Motivation in unsicheren Zeiten (Standortverlagerung, Umsatzeinbruch) ¾ Neu-Aufstellung von Teams (Ausgründungen, Strategische Ausrichtung) ¾ Steigerung der Marktorientierung (Öffnung zum Kunden, Verbindung von R&D und Vertrieb) ¾ Innovationsoffensive (neue Märkte, Produkteinführungen, Innovationsführerschaft) ¾ Hochdynamische Marktveränderungen (Internet für die Medienindustrie, Absatzkrise, etc.)
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Maßnahmen
Aus einer Vielzahl von möglichen begleitenden Maßnahmen auf dem Weg zum Enterprise 2.0 haben sich in der Vergangenheit einige als besonders wirksam herausgestellt, die nachfolgend beschrieben werden.
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Change Agents
Change Agents haben eine besondere Bedeutung für den Change-Prozess. Besonders geeignet für diese Rolle sind kommunikationsstarke Nachwuchskräfte mit einem guten Gespür für die Ziele des Enterprise 2.0. In der Praxis wird die Wahl vorzugsweise auf „Digital Natives“ fallen, junge Leute, die die Welt ohne Internet nicht mehr kennengelernt haben. Die Change Agents haben monatlich einen kurzen Slot auf Vorstands- oder Lenkungsausschuss-Ebene, um über ein Ampelsystem (strukturiert) zum Fortschritt der unternehmensweiten Umsetzung zu berichten. Sie sind damit sozusagen das „schlechte Gewissen“ in der Umsetzung und sprechen Missstände an. Schon allein die Existenz von Change Agents verhindert in den meisten Fällen eine Bremswirkung im Mittelmanagement, die die Change Agents ja einen direkten Draht zum Vorstand/Lenkungsausschuss haben. „Upps. Jetzt verstehe ich erst die Bedeutung der Change Agents. Wie raffiniert.“ (MARTIN PAKENDORF, CoreMedia).
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5.2
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Re-Mentoring
Re-Mentoring bedeutet, „Digital Natives“ coachen als Protagonisten der Prinzipien von Enterprise 2.0 gestandene Führungskräfte. Sinnbildlich treffen hier Kapuzenpullies auf Anzugträger. Für einen tatsächlich produktiven Austausch ist es wichtig, dass er auf gleicher Augenhöhe stattfindet. Die jungen Menschen, die heute als Digital Natives aufwachsen, verfügen über ein Wissen, das erfolgsrelevant wird und das sich Führungskräfte, die heutige Führungsgeneration, niemals wird aneignen können. Dennoch besetzen die Führungskräfte von heute Schlüsselrollen auf dem Weg zur Enterprise 2.0: Sie müssen die Wege finden, dieses Wissen für ihr Untenehmen zu erschließen und zu nutzen. Deshalb müssen diese erkennen, dass Wege gefunden werden müssen, um dieses Wissen für ihr Unternehmen nutzen zu können (Dr. MICHAEL HEUSER, T-Systems).
5.3
OpenSpaces
Die Open-Space-Methode wurde in USA von HARRISON OWEN um 1985 „entdeckt“ und hat sich als Werkzeug für das Einüben der hierarchiefreie Kommunikation und Selbstorganisation im Enterprise 2.0 bewährt. In diesem Zusammenhang wurde sie erstmals vom Hamburger Softwareunternehmen CoreMedia eingesetzt. OpenSpace ist eine Methode zur (Un-)Strukturierung von Besprechungen und Konferenzen. Sie eignet sich für Gruppen von etwa acht bis 2.000 Teilnehmern. Die Dauer eines OpenSpaces variiert entsprechend von vier Stunden bis hin zu drei Tagen. Charakteristisch ist die inhaltliche und formale Offenheit: Die Teilnehmer geben eigene Themen ins Plenum und gestalten dazu je eine Arbeitsgruppe. In dieser werden mögliche Lösungen erarbeitet. Die Ergebnisse werden am Schluss gesammelt. Wichtig ist ein Steuerkreis, der für die anschließende Umsetzung sorgt. Ziel ist, in kurzer Zeit mit einer großen Zahl von Menschen zu einem umfassenderen Thema eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen, zu nutzen oder zu vertiefen. Wesentliche Teilthemen werden innovativ und lösungsorientiert besprochen. Aus den wichtigsten entstehen konkrete Projekte. Ein OpenSpace kann in kurzer Zeit eine große Vielfalt von konkreten Maßnahmen produzieren. Entscheidend ist die richtige Auswahl der Teilnehmer. Sie müssen direkt betroffen und motiviert sein, etwas zu unternehmen. Es sollen möglichst unterschiedliche Teilnehmer eingeladen werden (Berufsgruppen, Verantwortungsbereiche, Alter, etc.), darunter die wesentlichen Meinungsmacher und Multiplikatoren. Die Teilnahme muss freiwillig sein. Statt eines klassischen Management-Meetings mit Powerpoint-Vorträgen ging Alcatel-Lucent einen anderen Weg. Ein OpenSpace mit den 80 Top-Managern Deutschland sowie 40 interne und externe Digital Natives erarbeiten gemeinsam neue Projektideen, um das Unternehmen in die Zukunft zu führen. Ergebnis: Wenige Tage später wurde vom Vorstand entschieden, 13 von 15 Ideen als Projekte weiterzuführen. Warum? Weil sich auf dem OpenSpace nicht nur die Teams bereits gefunden hatten, sondern auch erste konkrete Lösungsideen vorlagen. Zu
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den Ideen gehörte auch, einen OpenSpace mit den besten Kunden zu veranstalten, um gemeinsam Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Beispielhafter Ablauf eines doubleYUU OpenSpace: 1.
Energie aufnehmen: Jeweils zwei Teilnehmer, die sich möglichst wenig kennen, interviewen sich gegenseitig zu einem Thema und veröffentlichen ihre Erkenntnisse für alle sichtbar an Pinnwänden.
2.
Anschließend bilden alle Teilnehmer einen Kreis. Der Moderator „öffnet den Raum“.
3.
Inhalte und Organisation ergeben sich aus den Anliegen der Teilnehmenden. Jeder kann ein Thema einbringen und die Verantwortung dafür übernehmen.
4.
Die Themen werden an großen Packpapier-Wänden dokumentiert. Alle Teilnehmer können sich nun frei zu Themen zuordnen.
5.
Gruppenarbeitsphase: Die Teilnehmenden arbeiten in dieser Zeit selbstorganisiert, geleitet vom Gesetz der zwei Füße und den Grundsätzen des Verfahrens. Die „Einladenden“ der Arbeitsgruppen werden gebeten, die Ergebnisse der Gruppenarbeit zu dokumentieren, damit sie auch den anderen Teilnehmenden zur Verfügung gestellt werden können.
6.
In einer Auswertungs- und Planungsphase interviewt der Moderator die Gruppen zu ihren Ergebnissen. Alle Teilnehmer können auf Karten Feedback geben sowie sich äußern, ob sie das Projekt unterstützen bzw. sogar mitarbeiten wollen.
7.
Den „Raum schließen“: Abschluss-, Feedback- und Reflektionsrunde.
5.4
E2.0-JAM Session
Unter einer E2.0-JAM Session versteht man eine auf zwei bis drei Tage begrenzte offene, transparente, intensive Online-Diskussion mit aktiver Moderation. Mit beeindruckenden Ergebnissen wurde diese Methode als erstes von IBM angewandt.
The history of Jams: Since 2001, IBM has used jams to involve its more than 300,000 employees around the world in far-reaching exploration and problem-solving. ValuesJam in 2003 gave IBM's workforce the opportunity to redefine the core IBM values for the first time in nearly 100 years. During IBM's 2006 Innovation JamTM – the largest IBM online brainstorming session ever held – IBM brought together more than 150,000 people from 104 countries and 67 companies. As a result, 10 new IBM businesses were launched with seed investment totaling $100 million. (https://www.collaborationjam.com/)
E2.0 JAM Sessions sind besonders geeignet, um unmittelbar nach der Roll-out-Phase die erfolgreiche Anwendung von Enterprise-2.0-Technologie im Unternehmen zu demonstrieren. Hier können die so genannten „quick wins“, die motivierenden (und legitimierenden) Erfolgsgeschichten entstehen.
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Bei NEC wird ein JAM zur Einführung durchgeführt, sprich an zwei Tagen wird statt Schulungsmaßnahmen ein großer Raum mit vielen Rechnern zur Verfügung gestellt, an denen die Mitarbeiter selber bloggen können, Hilfe bekommen und sich zu verschiedenen Inhalten austauschen können. Zu den Inhalten gehört insbesondere das Thema „welche Werte verbinden uns“.
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Das Ziel – Die Einbeziehung des Kunden durch Open Innovation
Die oben beschriebenen Maßnahmen haben eine wichtige Wirkung: Sie erhöhen die Offenheit und Transparenz des Unternehmens. Die wahre Kunst ist es jedoch, sich als Unternehmen ebenso transparent und offen auch nach außen zu zeigen und seine Kunden in das Enterprise 2.0 einzubinden. Diesen Trend nennt man Open Innovation – und meint damit die Einbindung von Kunden in den Produktentwicklungsprozess. Der Begriff Open Innovation geht auf HENRY CHESBROUGH von der Haas School of Business an der University of California in Berkeley zurück. Der Treiber von Open Innovation ist der steigende Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung, der zu kürzeren Produktlebenszyklen und steigendem Innovationsdruck führt. Aber nur wenn eine Organisation die Werte des Enterprise 2.0 verinnerlicht hat – und damit meine ich zu vorderst das Management – kann diese Öffnung zum Kunden auch gewinnbringend gelingen. Andernfalls droht eine Marketing-Plakatur so wie sie Unternehmen wie Vodafone erleben mussten. Die positiven Beispiele sind hingegen Dell Ideastorm oder auch die Entstehung des neuen Fiat 500. Beteiligen Sie Ihre Kunden über das Web an der Entwicklung neuer Produkte, entstehen rasch Unmengen an Daten, Informationen und Ideen, bei denen man schnell den Überblick verliert. Um dieses Problem zu umgehen, sollten Sie den Dialog mit den Kunden über mehrere Ebenen führen.
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1. Ebene: Support
Bevor ein Kunde einen Fehler kritisiert, der vielleicht bei ihm selbst liegt oder aufgrund eines Missgeschicks entstanden ist, sollten Sie Ihrem Kunden beratend zur Seite stehen und ihm zeigen, wie er mit Ihren Produkten am besten umgeht. Sie könnten dies zum Beispiel in Form eines Forums machen, wo auch externe Fachleute Tipps und Tricks zu Ihren Produkten abgeben können. Damit Ihr Forum wirklich zu einem Erfolg wird, sollten Sie den Support kundenfreundlich und leichtverständlich gestalten, das Support-Angebot breit bewerben und objektiv und fair bleiben. Kritische Fragen und Fehler sollten nicht ignoriert oder entfernt werden. Damit ist es möglich, einen großen Teil der Kundenanfragen und Probleme zu lösen. Alle Kunden, die Sie über diese Ebene nicht erreichen, können an die nächste Ebene übergeben werden.
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2. Ebene: Feedback
Eine Feedback-Plattform gibt Ihren Kunden einen öffentlichen Raum, um Ideen, Vorstellungen und Wünsche an das Unternehmen zu äußern. Sie sollten einen Rahmen setzen und Eingaben auf eine bestimmte Zeichenanzahl begrenzen, da weder Sie noch andere Kunden Zeit haben, einen Aufsatz zu einem bestimmten Thema zu lesen, wenn es zunächst nur darum geht, einen ersten Überblick zu gewinnen. Zudem sollten Sie eine Funktion einführen, die anhand der verwendeten Schlagwörter überprüft, ob eine ähnliche Idee bereits bei Ihnen vorliegt, und den Schreiber gegebenenfalls darauf hinweisen. So vermeiden Sie Duplikate. Im Ergebnis entstehen lange Listen mit Ideen und Wünschen Ihrer Kunden, die Sie nach beliebigen Kriterien sortieren können.
6.3
3. Ebene: Voting
Unsortiert bringt Ihnen das Feedback reichlich wenig. Eine manuelle Auswahl häufig genannter Themen wäre sehr zeitintensiv. Daher empfiehlt sich eine weitere Sortierung über Votings. Anstatt einen bestimmten Beitrag erneut in Textform zu dokumentieren, können Kunden Beiträgen, denen sie zustimmen, schnell und effektiv ihre Stimme geben, um diesen damit weiter nach oben in die Liste zu bringen. So werden die relevantesten Punkte, die Ihre Kunden am meisten beschäftigen, nach oben gerückt.
6.4
4. Ebene: Stellungnahme
Jetzt ist es an Ihnen, mit den gefilterten Informationen zu arbeiten und entsprechende Schritte einzuleiten. Wenn Sie eine Verbesserung in einem Bereich erreicht haben, der zuvor kritisiert wurde, können Sie diesen Fortschritt nun dokumentieren und veröffentlichen, so dass alle Kunden sehen, was sich getan hat. Mit Sicherheit wird es auch Themen oder Wünsche geben, die Sie nicht erfüllen können, selbst wenn es noch so schön wäre. Dafür werden Sie mit Sicherheit auch Ihre Gründe haben – wenn dem so ist, dann nennen Sie diese doch einfach. Wenn Sie gut argumentieren, werden Ihnen Ihre Kunden mit Sicherheit nicht böse sein.
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crowdSPRING – Globaler Einkauf von Artwork
Ein großartiges Beispiel für die Kraft von Open Innovation ist crowdSPRING. Das amerikanische Start-Up betreibt einen Online-Marktplatz für Kreativ-Dienstleistungen. Auf der CrowdSPRING-Plattform sind weltweit rund 12.000 Kreative registriert. Einkäufer von Artwork können über CrowdSPRING einen Auftrag ausschreiben, zum Beispiel für ein Logo. Zur Gründung meines Unternehmens doubleYUU habe ich es selber einfach ausprobiert. Es geht ganz einfach: Nachfrager stellen auf www.crowdspring.com ein Briefing ein. Sie müssen dafür fünf einfache Fragen beantworten: ¾ Was Sie über uns wissen sollten ¾ Das ist es, was wir brauchen
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¾ Unsere Zielgruppe sind ¾ Uns gefallen diese Designs ¾ Was wir unbedingt wollen, und was auf keinen Fall Anschließend legt man fest, wie viel Zeit man den Designern geben will (in meinem Testfall waren es acht Tage) und wie hoch das Honorar für die Ausschreibung sein soll (300 Dollar). Kommt es zu einem Auftrag, berechnet der Online-Marktplatz 15% des Kreativhonorars (in unserem Fall 45 Dollar) für die Vernetzung von Kreativen und Käufern. Kaum war eine Stunde vergangen, erschien bereits der erste Entwurf auf der Plattform. Als Nachfrager kann man jeden Entwurf direkt kommentieren. Der Kommentar wird für alle Besucher der Plattform sichtbar. Acht Tage später lag eine Auswahl von 74 Logos vor. Designern aus aller Welt hatten sich an der Ausschreibung beteiligt – einige eher amateurhaft, die meisten sehr professionell. Am Ende fiel die Wahl auf das Logo von Giovanni, einem Grafiker aus der spanischen Stadt Floria. Er lieferte alle Vektordaten des Logos. Für Giovanni ein schöner Nebenverdienst, für uns ein innovatives Logo zum Preis von 345 Dollar. 345 Dollar für ein Logo – ist das nun das Ende der Werbewirtschaft? Wohl nicht, aber Online-Marktplätze wie CrowdSPRING werden die Agenturwelt verändern. Einerseits stehen Agenturen über Plattformen wie CrowdSPRING im globalen Wettbewerb mit professionellen Kreativen, andererseits können sie sich selbst dieses Kreativ-Pools bedienen. Und weil es so einfach geworden ist, werden sich mehr Menschen ihre eigenen Logos entwerfen lassen. Damit wächst auch der Markt für kreative Leistungen. Und das belebt die Wirtschaft.
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Open Innovation braucht Enterprise 2.0
Eigentlich ist Open Innovation ein alter Hut. Begriffe wie „Kaizen“ und „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ stehen dafür, dass Unternehmen bereits seit langer Zeit mit ihren Mitarbeitern und Kunden sprechen, um ihre Produkte kontinuierlich zu verbessern. Doch nicht nur die Fantasie eines Digital Natives, sondern auch die Beispiele aus der Praxis dokumentieren, dass das Web 2.0 eine neue Dimension markiert. Es eröffnet die technische Möglichkeit, eine sehr große Zahl von Kunden gleichzeitig zu befragen und ihr Feedback in außerordentlich kurzer Zeit zu aggregieren. Damit ermöglicht das neue Medium viel kürzere Rückkopplungsschleifen als die bislang üblichen Verfahren. Es beschleunigt Entwicklungszyklen und erlaubt eine Breite der Beteiligung von Kunden am Innovationsprozess, die bisher schlichtweg unmöglich war. Open Innovation und Enteprise 2.0 stehen in unmittelbarer Wechselwirkung: Erst wenn Unternehmenskultur, Organisation und IT-Infrastruktur von Unternehmen zum Enterprise 2.0 herangereift sind, welche das Web 2.0 für den direkten Dialog von Mitarbeitern, Partnern und Kunden nutzt, können sich die Kräfte von Open Innovation voll entfalten und echte Wettbewerbsvorsprünge erzeugen. Ich jedenfalls freue mich schon jetzt über die Aussicht auf diese lebendige Zukunft. Lassen Sie uns doch mit einem OpenSpace starten.
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Weiterführende Literatur zum Thema Enterprise 2.0 BUHSE, W./REINHARD, U. (Hrsg.) (2009): DNAdigital – Wenn Anzugträger auf Kapuzenpullis treffen – Die Kunst aufeinander zuzugehen, Heidelberg 2009; online: www.dnadigital.de. BUHSE, W./STAMER, S. (2008): Enterprise 2.0 – Die Kunst loszulassen, Berlin 2008; online: http://www.diekunstloszulassen.de. MCAFEE, A. (2009): New Collaborative Tools for Your Organization's Toughest Challenges, Boston 2009. WILLIAMS, A. D./TAPSCOTT, D. (2007): Wikinomics – die Revolution im Netz, München 2007. SUROWIECKI, J. (2007): Die Weisheit der Vielen, München 2007.
Fünfter Teil Personalmanagement als Erfolgsfaktor
Bologna@Telekom – Ein Beispiel für die Multioptionalität des Studierens MARKUS LECKE Deutsche Telekom
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Einleitung....................................................................................................................... 423 Ein kurzer Blick in die Bildungspolitik ......................................................................... 423 Bachelor Welcome – Offene Türen in der Wirtschaft ................................................... 424 3.1 Wirklich nur Kinderkrankheiten? Hauptkritikpunkte der Reformer .................... 425 4 Personalstrategie mit Blick auf Bologna........................................................................ 425 5 Bologna@Telekom – Beitrag zum Lebenslangen Lernen ............................................. 428 5.1 Rahmenbedingungen............................................................................................ 429 5.2 Förderung............................................................................................................. 431 5.3 Pilotierung des berufsbegleitenden Studiums bei der Telekom ........................... 431 5.4 Ausbau des Angebots im Jahr 2010 ..................................................................... 432 6 Fazit ............................................................................................................................... 433 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 433
Bologna@Telekom
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Einleitung
Im Jahr 2006 erkannte die Telekom Shop Vertriebsgesellschaft (TSG) der Deutschen Telekom zuerst die Chance, die sich durch die Bologna-Reform für eine gestufte akademische Weiterbildung von Mitarbeitern bietet. Mit einem Studienangebot im Sales-&-Service-Bereich bot die TSG engagierten Mitarbeitern einen berufsbegleitenden Bachelor bzw. Master in Kooperation mit der Steinbeis-Hochschule Berlin an. Damit wurde erstmals das Studieren neben dem Beruf systematisch als Entwicklungsangebot in einem Konzernbereich der Deutschen Telekom aufgebaut. 2009 hat der Konzern aus den Erfahrungen des Vertriebs gelernt und die Vorteile der schon seit Ende der neunziger Jahre im Konzern vorhandenen dualen Studienangebote zu einem neuen Gesamtbildungsangebot zusammengefasst. Auf Grund des Fachkräftemangels aber auch des deutlich steigenden Interesses bei Schülern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an akademischer Bildung wurden duale Studienangebote deutlich erhöht und berufsbegleitende Studienangebote analog zum Sales-&-Service-Beispiel konzernweit ausgebaut. Unter dem Stichwort „Bologna@Telekom“ fördert der Konzern duales und berufsbegleitendes Studieren durch eine Vielzahl von Studienangeboten und stellt dafür konzernweite Regelungen zur Verfügung. Der folgende Beitrag geht schwerpunktmäßig auf die berufsbegleitenden Angebote und deren Rolle in der Konzernpersonalentwicklung ein.
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Ein kurzer Blick in die Bildungspolitik
Die Bildungsminister von 29 europäischen Staaten unterzeichneten am 19. Juni 1999 im italienischen Bologna ein Abkommen zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Dieses sieht eine Umsetzung der Kernziele der dort verabschiedeten BolognaErklärung bis zum Jahr 2010 vor: Hierzu zählen die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse sowie ein effizienteres, praxisorientiertes Studium mit geringen Abbrecherquoten. Im Vordergrund stehen zudem der Erwerb arbeitsmarktrelevanter Qualifikationen und ein vereinfachter Zugang zu Auslandssemestern. Die Mobilität der Studierenden soll gesteigert, ihre Beschäftigungsfähigkeit nach dem Abschluss deutlich erhöht werden. Im Zuge der Umsetzung der Bologna-Erklärung wurden unter anderem ein zweistufiges System der Studienabschlüsse, Bachelor- und Master-Abschlüsse, sowie ein Leistungspunktesystem eingeführt. Integrierte Studien-, Ausbildungs- und Forschungsprogramme sollen ausgebaut, die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen verstärkt gefördert werden. Zehn Jahre nach Unterzeichnung des Abkommens stehen die Bologna-Erklärung und ihre Umsetzung in Deutschland auf dem Prüfstand. Sie werden sehr kontrovers diskutiert und anhaltend kritisiert. Anlass zum Protest bei Studenten geben vor allem die Verdichtung des Lernstoffs auf eine geringe Semesterzahl, wachsender Noten- und Klausurendruck sowie die steigende Lern- und Arbeitsbelastung der Studenten. Die Studiengänge seien verschult, Wissen werde nur kurzzeitig für Prüfungen auswendig gelernt, Zeit und Freiraum zur Entfaltung eigener Interessensschwerpunkte der Studierenden bleibe kaum, so die allgemeine Kritik.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_17, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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LECKE
Als Reaktion auf die jüngsten, anhaltenden Proteste der Studierenden hat die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit der Hochschulministerkonferenz am 10. Dezember 2009 zur Verbesserung der Studierbarkeit deutscher Hochschulstudiengänge beschlossen, ¾ die Prüfungsbelastungen zu reduzieren, indem grundsätzlich nicht mehr als eine Prüfung pro Modul vorgesehen wird, ¾ die Arbeitsbelastung für die Studierenden zu überprüfen und ein realistisches und vertretbares Maß zu gewährleisten, ¾ die Anerkennung der Prüfungsleistungen zwischen den Hochschulen national und international zu vereinfachen, um die Mobilität der Studierenden zu gewährleisten, ¾ die ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Bachelor- und Masterstudiengänge weitgehend zu flexibilisieren und ¾ keine über die ländergemeinsamen Strukturvorgaben hinausgehenden spezifischen Länderregelungen zu treffen, die die Gestaltungsfreiheit der Hochschulen einengen.1 Damit wurden weitere entscheidende Weichen für ein „Bologna 2.0“ gestellt. Wichtig ist, dass Politik, Hochschulen und Wirtschaft weiterhin gemeinsam an der Umsetzung dieser kolossalen Reform arbeiten und die Chancen der neuen gestuften Studienstruktur nutzen.
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Bachelor Welcome – Offene Türen in der Wirtschaft
Wie aber steht die deutsche Wirtschaft neben Studierendenprotesten und Bildungsdebatten den neuen Abschlüssen und den Absolventen gegenüber? Die Unternehmen sollen von der verbesserten Beschäftigungsfähigkeit, von einem kurzen und praxisnahen Studium ebenso profitieren wie die Absolventen selbst. Die deutsche Wirtschaft steht zum Bologna-Prozess und seinen Zielen, bemängelt aber auch offensichtliche Defizite in der Umsetzung dieser grundsätzlich zutiefst sinnvollen Reform. Eine Reform der Reform sei daher zwingend erforderlich, ein „Bologna 2.0“.
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Vgl. KONFERENZ DER REKTOREN UND PRÄSIDENTEN DER HOCHSCHULEN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND (2009).
Bologna@Telekom
3.1
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Wirklich nur Kinderkrankheiten? Hauptkritikpunkte der Reformer
Neben den genannten Argumenten der Studierenden zur Straffung der Studieninhalte, die dazu führe, dass man zum „Jäger und Sammler der Kreditpunkte“ werde, bringen auch die Unternehmen weitere Kritikpunkte an, wie z. B.: ¾ Miserable und lieblose Umsetzung insbesondere in den MINT-Fächern ¾ Mangelnder Employability-Fokus des Bachelor-Studiums ¾ Exzellenz der Lehre vernachlässigt – keine „Bologna-Professuren“ – keine „BolognaDidaktik“ ¾ Totale Vernachlässigung des Weiterbildungsmarktes Um ihre grundsätzliche Zustimmung zu Bologna und den neuen Studienmodellen deutlich zu machen und von Unternehmensseite aus die Bereitschaft zu signalisieren, auch BachelorAbsolventen gute Chancen für den Berufseinstieg und langfristige Beschäftigung zu bieten, unterzeichneten Personalvorstände führender deutscher Wirtschaftsunternehmen im Juni 2008 die Erklärung „Bachelor Welcome – MINT-Nachwuchs sichern!“. Neben dem klaren Bekenntnis zur neuen Studienordnung und ihren Absolventen enthält die Erklärung Forderungen an Hochschulen, Bund und Länder, die eine Verbesserung der bisher im Rahmen der Bologna-Reform vorgenommenen Umstrukturierungen der deutschen Hochschullandschaft herbeiführen sollen. Ziel ist es vor allem, langfristig hochqualifizierten Nachwuchs in den Fächern Mathematik und Informatik, in den Naturwissenschaften und in technischen Fachbereichen (MINT) auszubilden. Besonders in diesen Fachrichtungen bestehe ein erheblicher Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt und demzufolge auch in den Unternehmen. Neben einer Verbesserung der Studienbedingungen und der Gewährleistung ausreichender Studienplätze in diesen Bereichen fordern die Unternehmen eine stärker praxisorientierte Ausrichtung der Studiengänge, die unter anderem durch eine intensive Kooperation zwischen Hochschulen und Wirtschaft zustande kommen soll. Eine Verringerung der Abbrecherquote durch bessere Betreuung während des Studiums gehört ebenso zu den Forderungen wie die stärkere Förderung von Schülern aus bildungsfernen Schichten und Migrantenfamilien. Es zeigt sich also eine klare Erwartungshaltung aber auch eine Zusage von Seiten der Unternehmen, die Bologna-Reform und besonders den Bachelor-Abschluss zu unterstützen. Dies gelingt gut und dauerhaft durch eine feste Verankerung in der Personalstrategie und besonders der Rekrutierungsstrategie. Das folgende Kapitel geht auf diesen Aspekt besonders ein.
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Personalstrategie mit Blick auf Bologna
Mit vier strategischen Handlungsfeldern verfolgt die Deutsche Telekom das Ziel „Konzentrieren und gezielt wachsen“, um damit zu einem internationalen Marktführer für vernetztes Leben und Arbeiten zu werden. Um den Anforderungen in den unterschiedlichen Segmenten des Telekommunikationsmarktes gezielt zu begegnen, konzentriert sich die Konzernstrategie der Deutschen Telekom auf vier zentrale Handlungsfelder:
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LECKE
¾ Verbessern der Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland sowie Mittel- und Osteuropa ¾ Wachstum im Ausland durch Mobilfunk ¾ Mobilisieren des Internets ¾ Aufbau netzzentrierter ICT Daran orientieren sich die vier Stoßrichtungen für die Personalarbeit des Konzerns sowie deren Handlungsschwerpunkte. Über diese sogenannten „HR Big X“ treibt der Konzern den Umbau der eigenen Organisation zum „Partner in Business“ voran und beschleunigt den Transformationsprozess des Unternehmens zum kundenorientierten Servicekonzern. Ausgangspunkt der strategischen Konzeption des Personalbereiches der Deutschen Telekom und seiner Ausrichtung ist die HR-Mission „HR – Your Partner in Business“. Diese definiert vier Eckpfeiler und die dazugehörigen „Big X“, aus denen sich die strategischen Initiativen und Projekte des Konzerns ergeben. ¾ „Add Value“ durch eine wettbewerbsfähige Belegschaft dahinter verbergen sich die Ausformung der Servicegesellschaften des Konzerns, die Neuaufstellung des Geschäftskundenbereiches sowie die bedarfsgerechte Struktur der Berufsausbildung als wichtigste Nachwuchsquelle. ¾ „Enable Transformation“ durch Servicekultur meint den konsequenten Ausbau der Servicekultur der Mitarbeiter, vorgelebt durch die Führungskräfte des Konzerns. ¾ „Best People“ durch die Talent-Agenda definiert die Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität, insbesondere in Deutschland. Besonderer Fokus liegt auf der Befüllung der Talentpipeline durch attraktive Einstiegs- sowie Entwicklungsangebote für Nachwuchs-, Fach- und Führungskräfte. ¾ „HR@Excellence“ durch die Reorganisation des Personalbereiches beinhaltet alle Maßnahmen zum Aufstellen des Personalbereiches als anerkannten Partner für das Business. Mit der Talent Agenda realisiert der HR-Bereich der Deutschen Telekom ein langfristig orientiertes „Best People“-Konzept. Auf dieser Basis rekrutiert der Konzern Talente von außen sowie aus der internen Ausbildung und gewährleistet damit eine konsequente „Talentpipeline“ aus den eigenen Reihen. Konzernweit durchgängige Prozesse der Personalentwicklung fördern qualifiziertes Fach- und Führungspersonal sowie talentierten Nachwuchs für die Zukunftsfähigkeit des Konzerns. Dieses Ziel wird allerdings nur erreicht, wenn eine Voraussetzung erfüllt ist: Ein hervorragendes Arbeitgeberimage. Dies ist zum einen durch attraktive Jobangebote zu erreichen, noch mehr aber durch nach außen sichtbare Entwicklungsangebote für Fach- und Führungskräfte, eingebettet in einen transparenten und schlüssigen Prozess.
Bologna@Telekom
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Die Grundsystematik der Personalentwicklung wird in dem sogenannten Beschäftigungslebenszyklus dargestellt, der alle Elemente systematischer Personalentwicklung enthält. Von der Ansprache bis hin zur Förderung lassen sich Prozesse und Produkte der Personalentwicklung in diesem Kreislauf beschreiben. Die eingefügte Grafik stellt beispielhaft Produkte der Personalentwicklung neben dem berufsbegleitenden Studium dar.
¾ Personal-Marketing ¾ Externe/interne Job-Börsen ¾ Externes/internes Research
¾ Gezielte Be-Förderung Bester ¾ Talent Management ¾ Nachfolge-Management
¾ On the job: z. B. X-Change ¾ Near the job: Coaching & Mentoring ¾ Off the job: Programme für Fach- und Führungskräfte
Abbildung 1:
1. Ansprache
6. Be-Förderung
2. Auswahl
Berufsbegleitendes Studium
5. Entwicklung
3. Integration
4. Bindung
¾ ABC-Analysen ¾ Kandidaten-Interviews ¾ Assessment Center
¾ Ausbildung und duales Studium ¾ Start up! für Trainees ¾ Jump in! für Professionals
¾ Target Management ¾ Performance & Potential Review
Beschäftigungslebenszyklus
Die Entwicklungsangebote für Fach- und Führungskräfte im Konzern lassen sich alle diesem Kreislauf zuordnen. Exemplarisch sind dies z. B. die sogenannten „Leadership Development Programs“ für Führungskräfte, die eine neue Funktion übernommen haben sowie entsprechende Programme für Experten. Zu nennen wären hier beispielsweise die „Professional Programs“. Beide Programme dienen der Förderung von Talenten unter den Fach- und Führungskräften und sind damit im Sinne der Personalentwicklung dem „Spitzensport“ zuzuordnen. Zu den Angeboten des „Breitensports“, also denen, die für alle Mitarbeiter angeboten werden, gehört die klassische Weiterbildung, die z. B. mit über 23.000 Seminaren und mehr als 155.000 Teilnehmern im Inlandskonzern 2008 einen wesentlich größeren Anteil einnahm als der „Spitzensport“. Gerade in diesem Segment, in dem es darum geht, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter systematisch auszubauen, fehlte es bisher besonders an Weiterbildungsangeboten, die auch einen akademischen und damit allgemein anerkannten Abschluss liefern. Hinzu kommt ein besonders in der IT-Branche zu beobachtender Akademisierungstrend und der zunehmende Wunsch von Mitarbeitern, sich eigeninitiativ, auch außerhalb der Arbeitszeit, weiterzubilden. Nach den durchweg positiven Erfahrungen mit dualen Studienangeboten seit Ende der 90er Jahre und den ersten Erfahrungen mit berufsbegleitenden Angeboten im Sales&ServiceBereich entschied sich der Konzern zum Ende des Jahres 2008, ein konzernweites berufsbegleitendes Studienangebot aufzubauen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren vier Hauptgründe:
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LECKE
¾ Zum einen geht es um das Schließen der so genannten Fachkräftelücke, durch die – so prognostiziert eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) – im Jahr 2020 rund 230.000 Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker in Deutschland fehlen werden. Diesen Fachkräftemangel spürt die IT-Branche auch heute schon. ¾ Weiter ist eine starke Zunahme der Nachfragen von Auszubildenden aber auch BachelorStudenten nach weiterführenden Studienmöglichkeiten, die neben dem Job angeboten werden, zu erkennen. Neben der Darstellung von Karrierepfaden sind also auch die akademischen Weiterbildungsangebote ein wichtiges Bindungsinstrument, um Azubis und auch duale Studenten nach deren Ausbildungsabschluss im Unternehmen zu halten. ¾ Berufsbegleitendes Studieren bedeutet immer auch eine hohe Eigeninvestition des Lernenden, z. B. durch das „Opfern“ von viel Freizeit, um das Studienziel zu erreichen. Diese Motivation, einen „Co-Invest“ in die eigene Bildung einzubringen, will der Konzern bewusst fördern, damit eine neue, mehr intrinsische, Lernkultur entsteht. ¾ Bildungspolitisch setzt die Deutsche Telekom damit ein wichtiges Signal zur Umsetzung der gerade 2009 umstrittenen gestuften Studienstruktur, des Bologna-Prozesses. Sie zeigt damit, dass ein Transferieren der neuen Abschlüsse Bachelor und Master auf die Unternehmensstruktur erfolgreich funktioniert und gut in die Personalentwicklung integrierbar ist. Mit „Bologna@Telekom“ wurde somit ein Entwicklungsangebot geschaffen, welches dem Mitarbeiter, dem Konzern, aber in Zeiten der Bildungsreformen in Deutschland auch der politischen Umsetzung dienen soll.
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Bologna@Telekom – Beitrag zum Lebenslangen Lernen
Wie aber lässt sich der Bologna-Prozess nun erfolgreich innerhalb eines Unternehmens etablieren? Nach Beginn der Konzeptionsphase Ende 2008, bietet die Telekom seit dem Wintersemester 2009 sehr guten Mitarbeitern im Inlandskonzern eine Förderung für berufsbegleitendes Studieren. In Kooperation mit verschiedenen Hochschulen erlaubt das Modell Mitarbeitern den Erwerb eines Bachelor- oder Master-Abschlusses neben dem Berufsalltag. Eine Weiterqualifizierung mit hohem Praxisbezug, die im Sinne des Lebenslangen Lernens sowohl der Beschäftigungsfähigkeit des Mitarbeiters als auch seiner persönlichen Weiterentwicklung Rechnung trägt. Damit schafft das Unternehmen eine Perspektive für auslernende Auszubildende und Bachelor-Studenten der dualen Studiengänge, aber auch für Mitarbeiter, die schon länger im Konzern tätig sind und sich akademisch weiterbilden wollen. Der Konzern folgt einem Modell, welches durch seine „Multioptionalität“ auch dem Ansatz des Lebenslangen Lernens gerecht wird, denn Altersbeschränkungen gibt es nicht.
Bologna@Telekom
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...in anderer Disziplin
Management & Experten-karriere mit berufsbegleitender Master& Bachelor-Option
...in anderer Disziplin Zertifizierte
Berufsbegleitender Master (in der gleichen Disziplin)
Berufsbegleitender Master (in der gleichen Disziplin)
Management& Experten-
Go Ahead!
qualifizierung
Praxis
Praxis
Berufsbegleitender Bachelor
Berufsbegleitender Bachelor
Praxis
Praxis
Duale Berufsausbildung
Duale Berufsausbildung
Option 1
Abbildung 2:
5.1
Option 2
Praxis
Praxis
Student Club
(Dualer) Bachelor
Option 3
Die Talent Pipeline füllen
Abschluss
Option 4
Gesamtstruktur Bologna@Telekom
Rahmenbedingungen
Zu den Rahmenbedingungen des Angebotes gehören die zeitliche und auch finanzielle Förderung der Studierenden an ausgewählten Hochschulen in ausgewählten Studiengängen. Diese wurden, wie bei Weiterbildungsregelungen in Großunternehmen üblich, über eine Konzernbetriebsvereinbarung festgelegt, die den Umfang der zeitlichen und finanziellen Förderung sowie die Kriterien der Auswahl von Mitarbeitern aber auch geeigneten Hochschulen regelt. Im Falle der Auswahl von Hochschulen spielten folgende Kriterien eine Rolle, die den Erfordernissen des berufsbegleitenden Studierens Rechnung tragen sollen: ¾ Berufsbegleitendes Angebot vorhanden ¾ Staatliche Anerkennung und Akkreditierung vorhanden ¾ Inhaltliche Ausrichtung entspricht Bedarf ¾ Räumliche Struktur der Hochschule entspricht Nachfrage (Regionalität, Campus, FernUni) ¾ Erfahrungen aus bestehenden Kooperationen ¾ Kundenorientierung und Flexibilität (z. B. inhaltlich, organisatorisch, methodisch) der Hochschule sind ausgeprägt ¾ Kosten- /Nutzen-Verhältnis ist angemessen
430
LECKE
¾ Methodik, Lernform, Studienverlauf (z. B. Präsenzphasen außerhalb der Arbeitszeit) müssen ein berufsbegleitendes Lernen optimal unterstützen ¾ Ggf. gute Position in Hochschulrankings Entsprechend dieser Auswahl wurde eine Recherche durchgeführt, die den Fokus hauptsächlich auf private Hochschulen lenkte, die in Einzelfällen seit vielen Jahren Erfahrungen mit berufsbegleitenden Studiengängen vorweisen konnten. Ausschlaggebend für die Auswahl war auch die Flexibilität des Studienangebotes an verschiedenen Standorten im Bundesgebiet. Ebenfalls von hoher Bedeutung war ein bewusster Mix unterschiedlicher Studienformen, um den verschiedenen Lerntypen unter den Studierenden methodisch und organisatorisch gerecht zu werden. Die Abbildung 4 zeigt verschiedene Studienmodelle und erläutert deren Eigenschaften.
1
Präsenzmodell
¾ Präsenzstudium an der Hochschule oder deren Standorten mit regelmäßigen Präsenzzeiten ¾ Präsenzzeiten abends (ab 18 Uhr) und/oder am Wochenende) ¾ i. d. R. kombiniert mit Unterstützung durch Lernplattform ¾ Setzt Nähe zum Studienort voraus
Abbildung 3:
2
„Blockmodell“
¾ Präsenzstudium an der Hochschule oder deren Standorten, Präsenzzeiten als Blockveranstaltung ¾ Blockveranstaltungen beziehen i. d. R. das Wochenende mit ein (z. B. Do.-So. oder So.-So.) ¾ i. d. R. kombiniert mit Unterstützung durch Lernplattform
3
Fernstudium
¾ Selbststudium auf Basis von Lernmaterialien („Studienbriefe“) ¾ Geringe Präsenzzeiten i. d. R. Sa. ¾ i. d. R. kombiniert mit Unterstützung durch Lernplattform ¾ Großer Gestaltungsspielraum des Studierenden, setzt aber sehr hohe Selbstdisziplin voraus (Eigenständiges Lernen)
Berufsbegleitende Studienformen
Die Auswahl fiel auf Hochschulen, durch deren inhaltliche und organisatorische Ausrichtung alle aufgeführten Modelle angeboten werden können. Dadurch ist eine sehr flexible Gestaltung des Studienangebotes für die Mitarbeiter im Bundesgebiet gegeben, gleichzeitig ist die Abstimmung mit unterschiedlichsten Arbeitszeitmodellen möglich. Alle Studiengänge kombinieren Präsenzphasen an den Hochschulen, die speziell an den Bedürfnissen Berufstätiger ausgerichtet sind, mit virtuellem Lernen auf der Basis neuer Informations- und Kommunikationsmedien.
Bologna@Telekom
5.2
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Förderung
Der Kernbestandteil der Konzernbetriebsvereinbarung regelt die zeitliche und finanzielle Förderung von berufsbegleitend studierenden Mitarbeitern. Dabei war es der Deutschen Telekom besonders wichtig, dass Unternehmen und Mitarbeiter je einen Anteil zu der Weiterentwicklung beitragen, um die Kultur der Eigeninitiative in den Ausbau der eigenen Bildung zu fördern. Konkret wurden eine zeitliche und eine finanzielle Unterstützung definiert sowie Voraussetzungen für eine Förderung verabschiedet. Zur inhaltlichen Ausrichtung der Studiengänge erfolgte eine Ableitung aus der qualitativen Personalplanung, die einen mittel- bis langfristigen Bedarf in den Studienrichtungen Wirtschaftsinformatik, Informations- und Telekommunikationstechnik sowie Betriebswirtschaftslehre mit dem Fokus Vertrieb prognostiziert. Im Falle der Regelung des Telekom-Konzerns gelten folgende Eckpunkte: Berufsbegleitende Bachelor & Master Beschreibung
Ausgewählte Hochschulen mit Kooperationsverträgen
Studiengänge
Informations- und Kommunikationstechnik Wirtschaftsinformatik Betriebswirtschaftslehre (Sales & Service)
Umfang der Förderung über gesamte Studiendauer
50% zentrale Förderung aus „Fördertopf“ (bei definierter Obergrenze) 10 Tage Freistellung für Prüfungstage je Studienjahr
Voraussetzungen
Konzernzugehörigkeit mind. 2 Jahre, Leistungsträger, Erfüllung der Hochschulzugangsvoraussetzungen
Abbildung 4:
5.3
Förderrahmen
Pilotierung des berufsbegleitenden Studiums bei der Telekom
Die Pilotphase des konzernweiten berufsbegleitenden Studiums mit Förderung durch die Telekom ist im Wintersemester 2009 an der konzerneigenen Hochschule für Telekommunikation in Leipzig sowie an der Steinbeis-Hochschule Berlin erfolgreich gestartet. Rund 70 Studenten haben Bachelor- und auch Master-Studiengänge in den Fächern Telekommunikationsinformatik, Wirtschaftsinformatik sowie Sales & Service aufgenommen.
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LECKE
Damit wurde 2009 das Ziel erreicht, ein konzernweites Angebot für das berufsbegleitende Studium sichtbar zu etablieren. Sichtbar vor allem für die auslernenden Nachwuchskräfte der beruflichen Ausbildung sowie der dualen Studiengänge, die dadurch ein Stück mehr Bindung für eine Entwicklung innerhalb des Unternehmens erhalten sollen. Die folgende Darstellung zeigt beispielhaft, wie eine solche „Talentpipeline“ aussehen kann. Hier ist auch das Wechselspiel von akademischen und fachlichen Qualifizierungsschritten aufgeführt.
Fachexperte Level 4–5
ManagementLevel 2–3
Fachexperte Level 2–3
ManagementLevel 1
(Berufsbegleitender) Master
(Duales) Studium
(Berufsbegleitender) Bachelor Fachexperte Level 1
Betriebliche BildungsPipeline
Weiterbildung Fachkraft
Betriebliche TalentPipeline
Duale Ausbildung
Aus-/Weiterbildung
Abbildung 5:
5.4
Fachkarriere
FührungsKarriere
Beispiel Verzahnung Bildungspipeline mit Talentpipeline
Ausbau des Angebots im Jahr 2010
2010 wird das Angebot des Unternehmens für berufsbegleitende Studiengänge deutlich erweitert. Waren es in der Pilotierungsphase zunächst nur zwei Hochschulen mit vier Studiengängen, so werden im Wintersemester 2010/2011 voraussichtlich 18 Bachelor- und MasterStudiengänge an fünf Hochschulen angeboten. Dieses Angebot deckt die Bandbreite der oben genannten Fachgebiete sehr gut ab, vor allem das Angebot an Master-Studiengängen wird erweitert. Hierdurch wird der immer größer werdenden Zahl an Bachelor-Absolventen aus internen Studienangeboten aber auch externen Hochschulabsolventen eine attraktive Perspektive geboten, die z. B. aus dem Berufseinstieg und einem später folgenden, nicht konsekutiven Master besteht. Gleichzeitig wird das Unternehmen den Zusagen der Bachelor-WelcomeErklärungen im besonderen Maße gerecht und zeigt einmal mehr, dass der Bachelor ein berufsbefähigender Abschluss ist.
Bologna@Telekom
433
Die nach heutigem Stand geplante Weiterentwicklung des Angebots in Rahmen von „Bologna@Telekom“ wird zukünftig den Aspekt der Internationalisierung aufgreifen sowie mit einem Promotionsangebot das Bologna-Bild abrunden.
6
Fazit
Eine abschließende Betrachtung der bisherigen Erfahrungen und Ergebnisse lässt die Frage zu, ob sich der Aufwand der Förderung berufsbegleitender Studienangebote für ein Unternehmen lohnt. Da die Initiative „Bologna@Telekom“ durch den Start im Wintersemester 2009 bis heute noch keine Absolventen hervorgebracht hat, kann die Frage bezogen auf das Endergebnis „ausgebildeter Student“ noch nicht beantwortet werden. Bezogen auf das Interesse der Mitarbeiter sowie der Fach- und Führungskräfte aber sehr wohl. Mit zunehmender Kommunikation des neuen, freiwilligen Bildungsangebots nehmen Nachfragen und Äußerungen zu konkreten Studienwünschen deutlich zu. Eine erste Evaluationsrunde mit berufsbegleitend Studierenden im ersten Semester ließ erkennen, dass trotz zeitlich hoher Belastung ein überaus hohes Engagement vorhanden ist. Gleichzeitig haben die Studenten das feste Ziel des Studienabschlusses in der Regelstudienzeit von 6 Semestern beim Bachelor im Blick. Eine Einstellung, die bei Präsenzstudenten nicht immer vorhanden ist. Es zeigt sich also, dass die im Kapitel 4 genannten Hauptgründe zutreffend sind und berufsbegleitende und freiwillige Bildungsangebote mehr und mehr auf fruchtbaren Boden fallen. Auch der Aspekt der zum Teil eigenen Finanzierung wird nicht als unzumutbare Belastung empfunden. Dies lässt den Schluss zu, dass sich die Bildungskultur ändert und auch ändern muss. Ziel muss es sein, sich von einer Konsumentenhaltung und dem Wunsch der „Berieselung“ mit Informationen, hin zu einer „Prosumenten-Haltung“, in der Lernende eine aktive Rolle bei der Gestaltung der eigenen Lernbiografie einnehmen, zu bewegen. Der BolognaProzess und besonders die beschriebene Realisierung in berufsbegleitender Form, eingebettet in die Personalentwicklung eines Unternehmens, bietet hervorragende Chancen dazu. Dies hat sich in der Eingangs beschrieben Umsetzung im Sales&Service-Bereich bereits gezeigt, im Gesamtkonzern steht der Prozess noch vor der Bewährungsprobe. Insofern ist Bologna zum einen eine kolossale Hochschulreform, zum anderen, bei guter Umsetzung, ein Segen für die Personalentwicklung im akademischen Bereich.
Quellenverzeichnis KONFERENZ DER REKTOREN UND PRÄSIDENTEN DER HOCHSCHULEN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND (Hrsg.) (2009): Pressemitteilung „Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz handeln gemeinsam! Anlässlich des gemeinsamen Treffens von Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz“, online: http://www.hrk.de/de/ download/dateien/PM_HRK_KMK.pdf, Stand: 10.12.2009, Abruf: 02.02.2010.
Bologna@Telekom – Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft FRANK KEUPER, GITTA HANNIG und KLAUS RIELÄNDER Steinbeis-Hochschule Berlin und Telekom Shop Vertriebsgesellschaft
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Mangelware Manager .................................................................................................... 437 Systematisches Talent Management .............................................................................. 438 Erfolgsfaktoren der Sales-&-Service-Studiengänge ...................................................... 439 3.1 Erfolgsfaktor Konvergenz von Theorie und Praxis.............................................. 440 3.2 Erfolgsfaktor Neutralität der entwickelten Curricula ........................................... 440 3.3 Erfolgsfaktor Projekt- und Transferstudium ........................................................ 440 3.4 Erfolgsfaktor Studierbarkeit................................................................................. 441 3.5 Erfolgsfaktor Betreuung....................................................................................... 441 3.6 Erfolgsfaktor Flexibilität...................................................................................... 442 4 Rollout und Perspektiven............................................................................................... 442 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 443
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge
1
437
Mangelware Manager
Die Mangelware Manager, besonders im Handel, stellt die Wirtschaft und damit die Unternehmen zunehmend vor strategische und existenzielle Herausforderungen. Der steigenden Komplexität der Produkte und Dienstleistungen, die es zu vermarkten gilt, der zunehmenden Dynamik, Instabilität und Innovationskraft der Märkte sowie der erheblich gestiegenen Wettbewerbsintensität kann nur begegnet werden, wenn qualifizierte Manager in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Vor dem Hintergrund der Angleichung und der Komplexität der Produkte und Dienstleistungen wird das kundenorientierte Sales & Service Management zum strategischen Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Ohne Manager ist jedoch ein solches Sales & Service Management schwer vorstellbar. Demzufolge ist es eine Grundvoraussetzung für den Unternehmenserfolg, hinreichend qualifizierte Sales-&-Service-orientierte Manager zur Verfügung zu haben (B-to-B-to-C-Problematik des Handels). Die Akquisition unternehmensexterner, gut qualifizierter Manager gestaltet sich jedoch für den Handel gerade bei der Besetzung unterer Hierarchie-Positionen schwierig. Eine Ursache hierfür ist das Image- und Branding-Problem des Handels. So genießt der Handel gegenüber anderen Branchen, wie etwa der Versicherungs-, Automobil- oder der Technologiebranche, ein eher negatives Image. Hinzu kommt die dramatische demographische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, die auf der Nachfragerseite zu veränderten Zielgruppenstrukturen (wachsende Bedeutung der konsumtiven älteren Menschen) und auf der Angebotsseite zu einer deutlichen Überalterung der Management-Ebenen führt. Es ist somit zu attestieren, dass die Führungsetagen vieler Handelsunternehmen beängstigend dünn besetzt sind. Trotz weltweiter Finanz- und Wirtschaftskrise und rückläufigen Wachstums steigt somit der Bedarf an qualifizierten Nachwuchstalenten. Die Nachfrage nach High Potentials ist somit ungebrochen hoch. Folglich besteht ein starker Wettbewerb um die Talente (War for Talents). Aus dem skizzierten War for Talents lassen sich für die Telekom Shop Vertriebsgesellschaft (TSG) zwei strategische Personalziele deutlich erkennen. Zum einen gilt es, die Attraktivität der TSG als Arbeitgeber weiter zu steigern, um zukünftig im War for Talents bestehen zu können. Zum anderen gilt es, die eigenen Mitarbeiter zu incentivieren, ihre Loyalität gegenüber der TSG und der Deutschen Telekom weiter zu steigern und insbesondere das bereits vorliegende, hohe praxisnahe Vertriebswissen weiter auszubauen und auf ein stabiles fachliches Fundament zu stellen. Insofern ist es das Ziel der TSG, akademische Studienprogramme anzubieten, die das bereits vorhandene, hohe praxisnahe Vertriebswissen um theoriegeleitetes und praxisorientiertes Methoden-, Sales-&-Service- und Management-Wissen bereichern. So kann das bestehende Vertriebswissen für zukünftige Managementaufgaben nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig können hierdurch sowohl die besten externen Mitarbeiter geworben als auch die besten internen Mitarbeiter an die TSG gebunden werden. Da das praxisnahe Vertriebswissen auf den unteren Hierarchie-Ebenen der TSG insbesondere in den Telekom-Shops verortet ist, liegt es im Rahmen des Talent Management nahe, ein akademisches Weiterbildungsprogramm aufzubauen, das es Einzelhandelskaufleuten und Führungskräften ohne einen akademischen Erstabschluss und sogar ohne Abitur ermöglicht, berufsbegleitend „Sales & Service zu studieren“. Das Talent Management wird somit zu einem zentralen Erfolgsfaktor für den War for Talents und ist gleichzeitig auch Enabler für das Sales & Service Management. Neben den universitären Studiengängen steht innerhalb der TSG und der Deutschen Telekom allgemein ein umfassender Qualifizierungs- und Personalentwicklungskatalog zur Verfügung, um Fachund Führungskarrieren systematisch zu fördern. Das berufsbegleitende Studium ist hier ein integraler Bestandteil.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_18, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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KEUPER/HANNIG/RIELÄNDER
„Die Not des Personalvorstandes hat mich Bologna aber aus drei Gründen schätzen gelehrt: 1. Ein europäischer Arbeitsmarkt braucht zwingend einen europäischen Bildungsmarkt 2. Eine alternde Gesellschaft braucht möglichst viele, qualifizierte Hochschulabsolventen, ja einen Breitensport der Bildung am Anfang des Lebensbogens 3. Eine wissensbasierte Volkswirtschaft braucht funktionsfähige Strukturen wissenschaftlicher Weiterbildung“1
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Systematisches Talent Management
Um dem War for Talents mithilfe eines akademischen Bildungsprogramms Rechnung zu tragen, stellte sich für die TSG zunächst die Frage, ob ggf. bestehende Standard-Programme gängiger Weiterbildungsanbieter zum Einsatz kommen oder ob auf die Erfordernisse der TSG ein kundenindividuell gestaltetes Programm im Rahmen einer Kooperation mit einer Hochschule entwickelt werden sollte. Eine rein kostenorientierte Betrachtung hätte eindeutig für die Nutzung eines Standard-Programms eines Weiterbildungsanbieters gesprochen. Jedoch sprachen zwei Aspekte klar gegen eine solche Nutzung. Zum einen gab und gibt es im Weiterbildungsmarkt kein Studienprogramm mit dem Fokus Sales & Service auf universitärem Niveau, zum anderen erforderte der aus den Markenwerten und der Personalstrategie der TSG abgeleitete Qualifizierungsanspruch ein auf das Unternehmen angepasstes, qualitativ hochwertiges Studienangebot.
„Die Hochschulen müssen dringend die Studierbarkeit aller Bachelor-Studiengänge sicherstellen. […] Die Unternehmen sind gefordert, ihre Anstrengungen zu vervielfachen und ihre Personalkonzepte zügig auf die neuen Absolventen auszurichten.“2
Im Rahmen einer Analyse unterschiedlicher Hochschulen zeigte sich deutlich, dass die TSG und die Steinbeis-Hochschule Berlin (SHB) einen nahezu 100%-igen Marken- und Philosophiefit aufwiesen, sodass eine Kooperation eine echte Win-Win-Situation generieren würde.
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SATTELBERGER (2009a). SATTELBERGER (2009b).
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge
TSG Unternehmenstyp: Privatwirtschaftliches Unternehmen Markencharakter: Premium-Dienstleister und Marktführer Ziel: Berufsbegleitende Studiengänge mit Sales-&-Service-Management-Schwerpunkt
Programmcharakter: Theoriegeleitete und praxisinduzierte Ausbildung auf Top-Niveau mit Fokus auf die Lösung unternehmensinterner Herausforderungen Tabelle 1:
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SHB Unternehmenstyp: Privatwirtschaftliches Unternehmen, eine Hochschule, die geführt wird wie ein Unternehmen Markencharakter: Premium-Dienstleister und größte private Hochschule mit universitärem Charakter Ziel: Ausschließlich berufsbegleitende nichtakademische und akademische Studienangebote gemäß dem dualen Bildungsansatz; Konzeption von Corporate-Programmen Programmcharakter: Theoriegeleitete und praxisinduzierte Ausbildung auf Top-Niveau mit Fokus auf den Theorieund Wissenstransfer in die Praxis
Marken- und Philosphiefit von TSG und SHB
Erfolgsfaktoren der Sales-&-Service-Studiengänge
Der aus dem Selbstverständnis eines Premiumdienstleisters wie der Deutschen Telekom und damit auch der TSG abgeleitete Qualifizierungsanspruch und der aus der konzernweiten Personalstrategie klar skizzierte Weiterbildungsweg führte in Kombination mit den eingangs skizzierten markt- und unternehmensinduzierten Qualifizierungsanforderungen zu einem Set von Erfolgsfaktoren für die Umsetzung, Implementierung und Nachhaltigkeit der zu entwickelnden Studienangebote. Aus Sicht der TSG sind für den Aufbau eines systematischen, berufsbegleitenden, mehrstufigen Qualifizierungssystems daher folgende Erfolgsfaktoren von zentraler Bedeutung: 1.
Theoriegeleitete und praxisinduzierte Wissensvermittlung auf Top-Niveau (Konvergenz von Theorie und Praxis)
2.
Partnerschaftliche Entwicklung neutraler Curricula (Neutralität der entwickelten Curricula)
3.
Enge Verzahnung von Theorie und Praxis durch Transferprojekte in der TSG (Projektund Transferstudium)
4.
Berücksichtigung saisonaler und berufsbedingter Herausforderungen bei der Studienverlaufsplanung (Studierbarkeit)
5.
Intensive, flexible und kontinuierliche Betreuung der Studenten durch fachlich topqualifizierte wissenschaftliche Mitarbeiter mit Berufserfahrung und optimales Betreuungsverhältnis von Studenten zu Dozenten/Betreuern (Betreuung)
6.
Flexible und individuelle Abstimmung zwischen TSG und SHB (Flexibilität)
440
3.1
KEUPER/HANNIG/RIELÄNDER
Erfolgsfaktor Konvergenz von Theorie und Praxis
Im Fokus der Betrachtung liegt bei den berufsbegleitenden Sales-&-Service-Studiengängen die Konvergenz von Theorie und Praxis. Dies spiegelt sich im Studium sowohl inhaltlich als auch bei der Wahl der Dozenten wider. So werden in Fallbeispielen, Cases, Präsentationen und aufeinander aufbauenden Studienarbeiten kontinuierlich Theorie und Praxis miteinander verbunden. Nur hierdurch erleben die Studenten, dass es nichts Praktischeres gibt als eine gute Theorie. Dabei ist das Studium im Bachelor-Programm grob in die beiden Cluster General Management und Service Management aufgeteilt. Während im General Management die klassischen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen wie Kosten-, Finanz-, Organisations-, Personalmanagement usw. vermittelt werden, liegt der Fokus im Sales & Service Management auf TSG-relevanten Themen wie etwa dem Vertriebs-, Kunden-, Konvergenz-, Qualitäts-, POS- und Service-Management sowie Handelsmarketing usw. Eine ähnliche Struktur existiert auch im Master-Programm, hier allerdings auf Executive-Niveau. Bei den wissenschaftlichen Dozenten wird darüber hinaus darauf geachtet, dass diese neben einer TopQualifikation und Reputation auch über eine hinreichende Praxiserfahrung in Führungspositionen verfügen. Ebenso müssen die praxisorientierten Dozenten über einen adäquaten akademischen Hintergrund verfügen. Hinzu kommen eine Vielzahl an Kaminabenden und Gastvorträgen, in denen Praktiker aus unterschiedlichen Branchen, aber auch top Führungskräfte aus der TSG die Studenten über den Tellerrand schauen lassen.
3.2
Erfolgsfaktor Neutralität der entwickelten Curricula
Einen weiteren zentralen Faktor für den Erfolg und die Nachhaltigkeit der Studienprogramme stellen die von der TSG und der SHB gemeinsam entwickelten Curricula dar. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass zwar die Themengebiete und -inhalte gemeinsam entwickelt, aber TSG-neutral ausgestaltet worden sind. Insofern studieren die Studenten nicht allein die „TSG-Welt“. Vielmehr erwerben sie einen akkreditierten, international vergleichbaren Bachelor- oder einen Master-Abschluss mit Fokus auf Sales & Service Management. Diese Neutralität bei den Lehrinhalten ermöglicht es den Studenten, über das eigene Unternehmen hinaus zu blicken, neues Wissen aufzunehmen, Parallelen in anderen Branchen zu erkennen und dadurch Innovationen im Konzern voranzutreiben.
3.3
Erfolgsfaktor Projekt- und Transferstudium
Da die TSG vor vielfältigen Herausforderungen steht, ist es ein Anliegen der Studienprogramme, kontinuierlich Lösungsvorschläge durch das Projekt- und Transferstudium zu generieren. Dadurch, dass bei einem Großteil der Seminare und Vorlesungen der unmittelbare Wissenstransfer in die Praxis und damit in die TSG bereits seitens der SHB gefordert wird und zudem über die Laufzeit des Studiums im Idealfall durchgängig ein Praxisprojekt umgesetzt wird, entstehen vielfältige Lösungsvorschläge, -ansätze und -konzepte sowie quasi unternehmensinterne Beratungsprojekte, die die bestehenden Effektivitäts- und Effizienzpotenziale in der TSG heben können. Die wissenschaftlichen Ausarbeitungen der Studenten haben somit immer einen direkten TSG- bzw. Deutsche-Telekom-Bezug. Angewandte statt ElfenbeinturmForschung heißt hier die oberste Maxime.
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge
3.4
441
Erfolgsfaktor Studierbarkeit
Einen weiteren eher operativen, gleichwohl wichtigen Aspekt stellt die Studierbarkeit der Studiengänge dar. So unterliegt das Tagesgeschäft der TSG saisonalen Schwankungen. Insbesondere die Mitarbeiter in vertriebsnahen Bereichen haben mit unterschiedlichen Belastungszyklen zu planen. Insofern wurde ein Studiengangsverlaufsplan entwickelt, der einerseits den Akkreditierungsvorgaben entspricht, andererseits aber auch saisonbedingten Engpässen bei den Studenten, wie z. B. im Weihnachtsgeschäft, Rechnung trägt. Zudem gilt es die Rüstzeiten und die Logistikkosten für die Studenten möglichst gering zu halten. Insofern entwickelten TSG und SHB gemeinsam Präsenzblöcke in Berlin und in Stuttgart, die diesen Spagat ermöglichen.
3.5
Erfolgsfaktor Betreuung
Von Anfang an war es nicht das Ziel, ein virtuelles Studium oder ein reines Fernstudium zu konzipieren, das zwar wesentlich kostengünstiger gewesen wäre, bei dem die Studenten aber u. U. höchstens mit „Avataren“ in Kontakt gekommen wären. Der persönliche Kontakt mit Persönlichkeiten schafft Persönlichkeiten, und dies macht den Unterschied im Wettbewerb. Dies war und ist die oberste Maxime der Sales-&-Service-Studiengänge der TSG-SHBKooperation.
„Die Einheit von Forschung und Lehre ist in Zeiten der Massenuniversität längst überholt, ja kann bei Betreuungsquoten von 1 zu 100 gar nicht mehr gegeben sein!“3
Dementsprechend wurde seitens der TSG bewusst in Betreuungskapazität investiert, um den Studenten persönliche, top qualifizierte Betreuer zur Seite zu stellen. Diese Aufgabe übernehmen wissenschaftliche Mitarbeiter, die alle über einen universitären betriebswirtschaftlichen Diplom-Abschluss verfügen und an der Steinbeis-Hochschule promovieren. Wichtig dabei ist, dass alle wissenschaftlichen Mitarbeiter, die die Sales-&-Service-Studienprogramme betreuen, auch über eine umfangreiche berufliche Erfahrung verfügen. Nur so ist gewährleistet, dass bei Fragestellungen aus der Praxis im Rahmen des studienbegleitenden Projekts Student und Betreuer sowohl bei praxisorientierten als auch bei theoriegeleiteten Fragestellungen immer auf Augenhöhe diskutieren. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter sind ferner für die Planung, Durchführung und Kontrolle der Studiengänge verantwortlich. Während der Präsenztage im Studium sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter zudem vor Ort, um neben dem Dozenten für Fragen und Hinweise zur Verfügung zu stehen. Sprechstunden gibt es nicht; die Betreuung erfolgt kontinuierlich und flexibel über die gesamte Laufzeit eines Jahres. Dabei wird ein Betreuungsverhältnis aufgebaut, das eine individuelle Betreuung der Studenten jederzeit ermöglicht. Um den Studenten darüber hinaus auch das Gefühl zu vermitteln, dass sie organisatorisch an der Hochschule verortet sind, wurde das Sales & Service Research Center (SSRC) an der School of Management and Innovation (SMI) der SHB gegründet. Hier sind die betreuenden wissenschaftlichen Mitarbeiter organisatorisch aufgehängt. Im Rahmen der dort betreuten Promotionsprojekte können zudem TSG- und Deutsche-Telekom-relevante Fragestellungen analysiert und gelöst werden. 3
SATTELBERGER (2009c).
442
3.6
KEUPER/HANNIG/RIELÄNDER
Erfolgsfaktor Flexibilität
Um die alltäglichen Abstimmungsherausforderungen zwischen der TSG und SHB schnell und unbürokratisch im Rahmen hochschulrahmenrechtlicher und hochschulrechtlicher Vorgaben zu ermöglichen, finden wöchentliche Telefonkonferenzen und Abstimmungstreffen statt. Die Treffen bieten sich nicht nur an, um die Programme im beiderseitigen Interesse zu steuern, sondern auch, um die Programme kontinuierlich zu optimieren und weiterzuentwickeln. Darüber hinaus ergeben sich vielfältige gemeinsame Aktivitäten, auch über das eigentliche Studienprogramm hinaus, wie z. B. gemeinsame Publikationen, Kaminabende usw., die wiederum zu beiderseitigem Nutzen sind.
4
Rollout und Perspektiven
Der Erfolg der Sales-&-Service-Studiengänge zeigt sich in verschiedenen Dimensionen und ist messbar. Erstens lösen die Transferprojekte bestehende Fragestellungen innerhalb der TSG/Deutschen Telekom und verbessern so die Allokation von Ressourcen. Zweitens werden die sehr guten und guten Studenten aus dem Bachelor-Programm, die überwiegend in den Telekom-Shops beschäftigt sind, in der TSG-Zentrale und den Regionalleitungen in Projekten temporär eingesetzt, um es ihnen zu ermöglichen, ihr Wissen auch innerbetrieblich zu erweitern und sich für zukünftige Führungsverantwortung zu wappnen. Gleichzeitig wird hierdurch auch die Zentrale durch marktnahes Vertriebswissen „infiltriert“. Darüber hinaus sprechen die sehr positiven Meinungen der Studenten über die Programme eine eindeutige Sprache und dies, obwohl bei weitem nicht jeder Student das Programm schafft. Die hohe Qualität der von der TSG und der SHB gemeinsam entwickelten Programme führte schon im Jahr 2009 dazu, dass auch Studenten aus dem Geschäftskundenbereich der Deutschen Telekom zu den Studenten der TSG dazugestoßen sind (quasi ein „akademisches One-Company-Projekt“). Auch gründeten im Jahr 2009 die SHB und die T-Mobile Deutschland GmbH die Business School T-Vertrieb, die sich der Qualifizierung externer Deutsche-Telekom-Kooperationspartner widmet und in deren Kern auch die von der SHB und der TSG gemeinsam entwickelten Sales-&Service-Studiengänge angeboten werden sollen. Die Perspektiven der Kooperation sind noch vielfältig. So werden die bestehenden Sales-&Service-BBA- und Sales-&-Service-MBA-Programme durch entsprechende Bachelor-ofArts- und Master-of-Arts-Programme subsitutiert, um den Fokus der Ausbildung weg von der Führungs- hin zu einer Expertenlaufbahn zu verschieben. Die Verknüpfung von Studenten mit der Rekrutierung von Experten und Führungskräften innerhalb der TSG und des Konzerns ist integraler Bestandteil der Personalentwicklungsstrategie der TSG. Für einen Großteil der Studenten des ersten Bachelor-Jahrgangs haben ihre Bemühungen schon zu einem Karriereschritt geführt, der für die meisten ohne ein Studium nicht möglich gewesen wäre. Das berufsbegleitende Studienprogramm der TSG eröffnet somit sowohl hervorragende Perspektiven für die Mitarbeiter als auch für das Unternehmen im War for Talents. Die produktive Kooperation zwischen der TSG und der SHB hat im gesamten Unternehmen nachhaltig Schule gemacht. Mit der Initiative Bologna@Telekom werden berufsbegleitende Studiengänge für Telekom-Mitarbeiter inzwischen konzernweit angeboten. Der Bachelor- und Masterstudiengang Sales & Service an der SHB ist dabei fester Bestandteil des durch das
Berufsbegleitende Sales-&-Service-Studiengänge
443
Unternehmen geförderten Studienangebots. Dieses wurde im Rahmen der Initiative auf weitere Studiengänge der SHB ausgeweitet. Neben berufsbegleitenden Studienmöglichkeiten in den Fachrichtungen Telekommunikations- und Wirtschaftsinformatik an der Telekom-eigenen Hochschule in Leipzig werden zukünftig außerdem berufsbegleitende Bachelor- und MasteStudiengänge an weiteren Kooperationshochschulen angeboten.
Quellenverzeichnis HOGENSCHURZ, B./HANNIG, G. (2009): Die Bedeutung von Change Management bei der Bewältigung von tiefgreifenden Veränderungen in Unternehmen, in: KEUPER, F./PUCHTA, D. (Hrsg.), Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2009, S. 225242. KEUPER, F./HOGENSCHURZ, B. (Hrsg.) (2008): Sales and Service Management, Marketing, Promotion und Performance, Wiesbaden 2008. SAKOWSKI, M. (2010): Business School Telekom Vertrieb Erfolgsfaktor Know-how: Moderne Verkäuferqualifizierung nach akademischen Vorbild – auch ohne Abitur, in: KEUPER, F./HOGENSCHURZ, B. (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management Vorsprung durch konsequente Kundenorientierung, 2. Auflage, Wiesbaden 2010, S. 445466. SATTELBERGER, T. (2009a): http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/res/10_Jahre _Bologna_Sattelberger.pdf/$file/10_Jahre_Bologna_Sattelberger.pdf: Grußwort – 10 Jahre Bologna, Abruf: 26.11.2009. SATTELBERGER, T. (2009b): Tagung "10 Jahre Bologna – Wo stehen wir?" am 8. Juli 2009 in Berlin, online: http://www.stifterverband.org/presse/pressemitteilungen/2009_07_08_bo logna/in dex. html, Stand: 08.07.2009, Abruf: 26.11.2009. SATTELBERGER, T. (2009c): http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/res/10_Jahre_Bo logna_Sattelberger.pdf/$file/10_Jahre_Bologna_Sattelberger.pdf: Grußwort – 10 Jahre Bologna, Abruf: 26.11.2009.
Business School Telekom Vertrieb Erfolgsfaktor Know-how: Moderne Verkäuferqualifizierung nach akademischem Vorbild – auch ohne Abitur MATTHIAS SAKOWSKI Deutsche Telekom
1
Aktuelle Situation der Verkäuferweiterbildung im Telekommunikationsmarkt............ 447 1.1 Verkäufer Anforderungen und Erwartungen .................................................... 447 1.2 Der Qualifizierungsprozess als Regelkreis .......................................................... 450 2 Resultierende Fragestellungen ....................................................................................... 452 3 Resultierender Ansatz: Business School Telekom Vertrieb .......................................... 454 3.1 Prinzip und Aufbau .............................................................................................. 454 3.2 Partner.................................................................................................................. 455 4 Qualifizierung als Wettbewerbsvorteil .......................................................................... 457 5 Die Stufen der Business School Telekom Vertrieb........................................................ 457 5.1 Stufe I: POS-Manager Sales & Service................................................................ 457 5.2 Stufe II: Executive POS-Manager Sales & Service ............................................. 462 5.3 Stufe III: Bachelor bzw. Master in Sales & Service Management....................... 463 6 Ausblick......................................................................................................................... 466 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 466
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
1
447
Aktuelle Situation der Verkäuferweiterbildung im Telekommunikationsmarkt
Der Telekommunikationsmarkt hat sich in den letzten zehn Jahren rasant verändert. Die Anforderungen an die Verkäufer und damit auch an die Weiterbildungsmaßnahmen sind parallel zu dieser Entwicklung gestiegen. Die Halbwertszeit eines Trainingskonzeptes hat sich somit stetig verringert. Heute müssen die Produktkenntnisse aufgrund der kurzen Innovationszyklen ständig erweitert werden. Das Festnetz und das Mobilfunknetz sind mit dem Internet zusammengewachsen, wodurch ein vernetztes Leben und Arbeiten möglich geworden ist. Das hat den Telekommunikationsmarkt und damit das Qualifizierungsgeschäft im Telekommunikationsmarkt verändert. Heute müssen mehr Menschen denn je in einem sehr kurzen Zeitraum qualifiziert werden. Dadurch entsteht eine höhere Anzahl an Ausfalltagen verbunden mit einem Produktionsrückgang. Die Schnelligkeit der Umsetzung hat eine natürliche Grenze: Ressourcen. Ob Manntage intern oder Budget für externe Manntage etc. – aus der Erfahrung heraus entsteht hier ein Engpass. Allerdings sind Fachkompetenz und Produktkenntnis alleine heute kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Gute Verkäufer liefern intuitiv mehr. Sie überzeugen mit Persönlichkeit und ihrem individuellen Verkaufs- und Kommunikationsstil. Mit der Business School Telekom Vertrieb wurde aus den folgenden Betrachtungen ein neuer vielversprechender Ansatz entwickelt.
1.1
Verkäufer Anforderungen und Erwartungen
1.1.1
Erforderliche Kompetenzen
Die wichtigsten Kompetenzen für einen Verkäufer sind: ¾ persönliche Kompetenz (z. B. Selbstreflexion, Wirkung auf andere), ¾ Verkaufskompetenz (z. B. Anwendung der Verkaufstechniken), ¾ Produktkompetenz (z. B. Endgeräte, Dienste, Tarife) und ¾ Selbstlernkompetenz (z. B. wie lerne ich für mich optimal?). Die Selbstlernkompetenz spielte in der Gesamtbetrachtung bisher keine oder nur eine geringe Rolle. Doch vor dem Hintergrund der kurzen Innovationszyklen wird diese Komponente immer wichtiger. In vielen Fällen ist der persönliche Bezug zum Lernen durch unterschiedliche Institutionen neutral bis sehr negativ belegt. Lernen wird oft nicht in Verbindung mit Erfolg, sondern in Verbindung mit Misserfolg gebracht. Kompetenzen sind nicht naturgegeben, sie können erworben werden. Grundlage sind die eigenen Präferenzen und ein mehr oder weniger großer Aufwand, um die gewünschte Kompetenz zu erhalten. Die Präferenzen für die unterschiedlichen Bereiche sind in der Persönlichkeit des Menschen verankert. F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_19, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
448
SAKOWSKI
Durch das eigene Lernen und stetige Üben kann die gewünschte Kompetenz erworben und/ oder erhöht werden. 1.1.2
Gestiegene Anforderungen durch Innovationen und das Zusammenwachsen von Technologien (TIME)
Konvergenz von Festnetz, Mobilfunk und Internet: Zu Beginn der Mobilfunk-Ära gab es eine überschaubare Anzahl an Endgeräten, Funktionen und Softwareapplikationen. Daher waren die Zusammenhänge in der Produkte-/Dienste-Welt überschaubar. Im Bereich der Festnetzprodukte sah das auch vor zehn Jahren nicht anders aus. ISDN, DSL, entsprechende Router, Telekommunikationsanlagen etc., zum Teil mit erklärungsbedürftigen Anwendungen wie CTI (Computer Telephone Integration), waren schon damals Grund vieler Irrungen und Wirrungen. Ausschließlich einige wenige Unternehmen und Technik-Freaks waren schon frühzeitig in der Lage, eine minimale Verknüpfung zwischen Mobilfunk, Festnetz und Internet durchzuführen, wenn auch mit Spezialwissen und teilweise hohem Aufwand. So gab es die ersten Verknüpfungen zwischen Notebook und Mobiltelefon über Infrarot. Es gab den ersten Webspace für Office-Anwendungen im Internet zum Planen von Terminen, Kontakten und Mails. Oder Anwendungen, die über den Desktop downgeloaded und dann nach Desktop-Synchronisation in dem mobilen Endgerät genutzt werden konnten. Im Zeitalter von iPhone, iTunes, Web’n’Walk als mobilem Internet und Entertain ist der Wunsch nach Konvergenz Wirklichkeit geworden. „Immer und überall Zugang zu meiner Welt“1 vernetztes Leben und Arbeiten. Da ist es gleichgültig, wann oder wie ein Foto erstellt worden ist. Es lässt sich überall verwenden, über jedes Device, sei es über das Mobiltelefon oder den PC, und dies zeitunabhängig. Das Gleiche gilt für die Musik. Aber auch im B2B-Bereich ist es keine Frage mehr, ob die Mail „mobil“ oder „fest“ versendet wird. Hier hat die Konvergenz schon Einzug gehalten. Komplexere Zusammenhänge: Die Konvergenz der Produkte führt zwangsläufig zu einer höheren Komplexität, weil verschiedene Standards ineinandergreifen (z.B. HD-Fernsehen, Netzwerkfunktionalität, unterschiedliche Betriebssysteme). Für den Anwender ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, jederzeit und überall auf persönliche Kontakte, Mails, Fotos, Videos und Musik zuzugreifen – gleichgültig ob vom Mobiltelefon oder Fernseher. Jeder findet die für sich richtige Lösung, die optimalen Endgeräte, die geniale Applikation und den optimalen Tarif. Ein Einstieg in diese Welt kann dem Kunden am besten dann gelingen, wenn ihm ein Verkäufer mit Durchblick zur Seite steht, der im persönlichen Gespräch individuelle Bedürfnisse und passende Produktkombinationen herausarbeitet. Problematisch dabei ist, dass sich der Produktlebenszyklus ständig verkürzt, die Anzahl der Applikationen steigt etc.; technische Neuerungen bringen darüber hinaus neue Impulse und neue Themen. Für den Verkäufer kann es schon eine Herausforderung darstellen, hier immer am Ball zu sein.
1
Werbeslogan der Deutschen Telekom.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
449
Die Welt innerhalb des Telekommunikationsmarktes soll jedoch in Zukunft einfacher werden. Für diejenigen, die als Pioniere der Welt von morgen im Point of Sale (POS) die Zukunft und ein „besseres Leben“ verkaufen, bedeutet das aber, mit der Innovationsgeschwindigkeit mitzuhalten, sie von Anfang an zu begleiten. Das ist in dieser Phase durchaus sehr anspruchsvoll. Ein erklärungsbedürftiges Produkt erfordert daher auch eine gute Qualifizierung des Verkäufers. Um für den Kunden ein gutes Angebot mit sofort erkennbarem Nutzen zuschneiden zu können, ist ein fundiertes Wissen im Bereich Mobilfunk und Festnetz erforderlich, zum Teil auch Spezialwissen. Der Qualifizierungsansatz muss verändert werden. 1.1.3
Erwartungen des Verkäufers Feldstudie und Interviews
Mit Handelspartnern der Deutschen Telekom wurde in mehreren Regionen eine Feldstudie durchgeführt. Ein Ergebnis war die Erwartung der Verkäufer an die Inhalte von Qualifizierungsmaßnahmen in den Bereichen: ¾ Produkte/Dienste ¾ Verkauf ¾ Persönlichkeit ¾ (Lernen) Produkte/Dienste: Je nach Einstiegszeitpunkt des Verkäufers werden hier Grundlagen für den Einsteiger, d. h. zum Teil auch Informationen zu technischen Grundlagen aktueller Produkte und Dienste, erwartet, jedoch auch Grundlagen für zukünftige Anwendungen. Zum theoretischen Background kommen die praktischen Übungen, z.B. die Konfiguration von Endgeräten und das Testen von Anwendungen. Verkauf: Hier gilt das Gleiche. Je nach Einstiegszeitpunkt sind Grundlagen des Verkaufens sowie darauf aufbauend besondere Techniken und Ansätze erforderlich. Kenntnisse über die Königsdisziplinen im Verkauf wie „Up-Selling“ und „Cross-Selling“ werden ebenfalls von dem Verkäufer gewünscht. Persönlichkeit: Von allgemeinen Kommunikationsthemen bis zur „persönlichen Wirkung“. Lernen: Zu diesem Thema gab es keinerlei Nennungen. Das ist nicht sehr erstaunlich, weil das Thema Lernen bzw. Steigerung der Lernkompetenz bislang in den wenigsten Schulen gelehrt wurde. Doch Lernen ist überlebenswichtig, in Schule, Beruf und auch in der Freizeit, denn nur wer weiß, wie er effizient und nachhaltig lernen kann, wird im Zeitalter der Informationsflut auch bestehen können.
450
1.2
SAKOWSKI
Der Qualifizierungsprozess als Regelkreis
Ein Qualifizierungsprojekt ist von unterschiedlichen Einflussgrößen abhängig. Um eine gute Systematik, Übersicht und Steuerungsmöglichkeit zu erreichen, wurde im Folgenden das einfache Modell eines Regelkreises inklusive der Aussteuerung von Störgrößen zu einem systematischen Ansatz eines Qualifizierungsprojektes bestimmt. Gerade bei größeren Trainingsreihen und komplexeren Qualifizierungsprojekten ist dieser Ansatz aus der Steuer- und Regelungstechnik ideal zum Aufbau eines in sich geschlossenen Qualifizierungssystems. Das erforderliche Konzept zur Qualifizierung muss dynamisch sein und fortlaufend angepasst werden, weil sich die Rahmenparameter im Laufe des Qualifizierungszyklus ändern können. Bei dieser Betrachtung erfolgt eine Harmonisierung der unterschiedlichen Größen, z.B. der unterschiedlichen Ziele. Obwohl das Thema trivial ist, kommt es in der Praxis immer wieder zu erheblichen Störungen. Eine Steuerung ist daher notwendig. 1.2.1
Input
Als Input werden die folgenden Größen definiert: ¾ Zielgruppe(n) und Ziele ¾ Inhalte (Produkt, Verkauf, Brand, Service, …) ¾ zeitlicher Rahmen ¾ Ressourcen Zielgruppe(n) und Ziele: Hierzu gehören Art und Größe der Zielgruppen in der Planungsphase. In Abhängigkeit von den möglichen unterschiedlichen Zielgruppen müssen die einzelnen Ziele (Abteilungen, Partner, individuelle Ziele) abgeglichen und harmonisiert werden. Inhalte (Produkt, Verkauf, Brand, Service, …): Die aktuellen Inhalte können in ihrer Ausprägung und ihren Schwerpunkten aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der Beteiligten bzw. der Aufgabenstellungen je Zielgruppe voneinander abweichen. Zeitlicher Rahmen: Das Gleiche gilt auch für den zeitlichen Rahmen der spezifischen Qualifizierungsmaßnahmen, der natürlich von den Schwerpunkten der Inhalte abhängig ist. Darüber hinaus haben die unterschiedlichen Zielgruppen z.B. aufgrund von Arbeitszeiten/Dienstplänen, ggf. auch Reisezeiten, unterschiedliche Anforderungen an den zeitlichen Rahmen, wie Beginn, Dauer und Ende der Maßnahme. Ressourcen: Hier wird zwischen Trainertagen bzw. Manntagen in den Bereichen eLearning, Support etc. und Budget unterschieden. Nicht zur Verfügung stehende interne Ressourcen können durch Budget und internes Projektmanagement plus externe Ressourcen aufgefüllt werden, sofern der Markt das zulässt. Endliche Ressourcen beeinflussen den zeitlichen Verlauf, die Dauer und die Intensität der Maßnahmen.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
1.2.2
451
Output-Evaluation
Als Output werden folgende Größen definiert: ¾ Status der Maßnahmen, Zielerreichung ¾ Status der Teilnehmer ¾ Ressourcenoptimierung Status der Maßnahmen: Neben der Anzahl der bereits durchgeführten Maßnahmen und qualifizierten Teilnehmer inklusive der Teilnahmequote als quantitativer Betrachtung werden als qualitative Komponente die Feedbacks der Teilnehmer betrachtet. Die aktuelle Zielerreichung außerhalb der Qualifizierungsmaßnahmen, z.B. die Absatzleistung innerhalb des POS, sollte zwingend ebenfalls Bestandteil der evaluierten Größen sein. Status der Teilnehmer: Dazu zählen die aktuelle Stimmungslage bzw. ein Feedback der Teilnehmer, wie das Konzept bzw. die Umsetzung erlebt wird. Ziel einer Qualifizierung ist u.a. eine Verhaltensänderung. Um das zu gewährleisten, steht die aktuelle Stimmungslage und Motivation der Teilnehmer und damit auch die Identifikation mit dem Unternehmen und seinen Produkten/Diensten an erster Stelle. Hinzu kommt das Know-how bzw. der Knowhow-Zuwachs, der mit Hilfe einer direkten Lernzielkontrolle oder eines nachgelagerten Tests ermittelt werden muss. Um aber den Teilnehmerstatus ganzheitlich ermitteln zu können, sind zwei weitere Informationen wichtig: der Stand des Teilnehmers auf der Timeline der Qualifizierungsmaßnahme sowie der Status der Umsetzung des Gelernten im POS. Ressourcenoptimierung: Neben den oben genannten, sehr teilnehmerzentrierten Themen ist die Evaluierung der eingesetzten Ressourcen erforderlich, d. h. die Feststellung, wie wirkungsvoll z. B. der Einsatz eines programmierten eLearnings oder von Trainern zum Zeitpunkt X ist. 1.2.3
Einflüsse auf den Qualifizierungsprozess
Ist das System wie oben definiert, so lassen sich sämtliche Abweichungen sowie Änderungen der Rahmenparameter als Störgröße definieren. Für diese Störgrößen können in einer Art Gedankenexperiment von vornherein Gegenmaßnahmen definiert werden. Das System muss dazu in der Lage sein, direkt zu reagieren auf: ¾ Änderung der Zielgruppen/der gesamten Teilnehmerzahl ¾ Ausfall von Ressourcen ¾ Änderungen des Marktes/der Portfolios Änderung der Zielgruppen/der gesamten Teilnehmerzahl: Durchaus üblich sind Änderungen innerhalb einer Zielgruppe durch Fluktuation. Darüber hinaus zeigt die Praxis, dass gerade in größeren strategischen und/oder bundesweiten Maßnahmen die Anzahl der Zielgruppen und damit auch die Gesamzahl der Teilnehmer schwanken kann. Hierdurch werden zusätzliche Maßnahmen erforderlich, und es erfolgen Änderungen hinsichtlich der Umsetzung. Damit existiert ein ständiger Planungsprozess.
452
SAKOWSKI
Ausfall von Ressourcen: Neben der Dynamik der Zielgruppen können Ressourcen ungeplant aufgrund von Fluktuation, Krankheit bzw. zusätzlichen Anforderungen aus dem Markt etc. entfallen. Die Planung muss überarbeitet werden. Änderungen des Marktes/der Portfolios: Änderung der Produkte, der Kommunikation, führen zu einer Änderung der Inhalte, Unterlagen und aller anderen Materialien für Teilnehmer und Trainer. Hierbei sind ggf. weitere Maßnahmen erforderlich. Die oben genannten Faktoren führen zu einem Qualifizierungssystem, das nur unter optimalen Bedingungen stabil ist, die real aber selten vorkommen. Ein neuer Ansatz soll diese Stabilität sicherstellen.
2
Resultierende Fragestellungen
Um ein System zu erhalten, das den oben genannten Anforderungen genügt, wurden zu Beginn die folgenden Fragestellungen als Bedingung formuliert. Aus den Antworten ergaben sich die Grundbausteine eines vollkommen neuen und ganzheitlichen Qualifizierungsansatzes. ¾ Wie kann eine Stabilisierung des Systems erreicht werden? Wie kann dabei die Evaluation erfolgen? ¾ Wie kann das System im Hinblick auf Präsenztage optimiert werden? ¾ Wie können weitere Kundenpotenziale erschlossen werden? ¾ Wie kann der Teilnehmer in die Lage versetzt werden, mit der Dynamik des Marktes mitzuhalten? ¾ Durch welche Ansätze kann der Teilnehmer sich selbst und seine Performance optimieren? ¾ Wie kann eine hohe Motivation aufgebaut und aufrechterhalten werden? ¾ Welche Faktoren beeinflussen positiv die Partnerschaft mit dem Handel? Wie kann eine Stabilisierung des Systems erreicht werden? Wie kann dabei die Evaluation erfolgen? Das neue System muss transparent und evaluierbar sein. Es muss außerdem skalierbar sein, d. h. es muss in Grenzen gegenüber einer Zielgruppenerweiterung oder einer Änderung der Inhalte stabil sein. Stabilität wird durch Ausregelung von Störgrößen erreicht. Um das zu ermöglichen, wird ein Evaluationskonzept benötigt, so dass alle Einflussfaktoren jederzeit transparent sind: Stand der Teilnehmer in der Timeline durch ein Punktesystem. Die aktuelle Stimmungslage/Motivation soll durch ein Stimmungsbarometer auf der Grundlage der Feedbackbögen ermittelt werden, das Know-how bzw. der Know-how-Zuwachs durch Online-Tests. Der Status der Umsetzung im POS wird durch eine Umfrage unter den beteiligten Studenten und
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
453
deren Vorgesetzen erhoben. Letzteres erfolgte im Jahr 2009 durch eine Marktforschungsanalyse eines externen Instituts. Darüber hinaus steht den Teilnehmern ein Studienbuch inklusive eines Absatzstatus auf freiwilliger Basis zur Verfügung. Parallel erfolgt die Validierung der Zielerreichung auf der Grundlage einer Absatzmessung. Wie kann das System im Hinblick auf Präsenztage optimiert werden? Präsenzmaßnahmen und damit Aktivitäten von Trainern müssen durch eine Aktivitätsverschiebung zum Teilnehmer hin verlagert werden, d.h. es findet eine Verschiebung von Präsenzmaßnahmen zu anderen Formen der Wissensvermittlung statt. Im Mittelpunkt steht die Aktivierung und Optimierung der Selbstlernkompetenz der Verkäufer. Wie können weitere Kundenpotenziale erschlossen werden? Ein wichtiger Hebel im POS ist das Verkaufsgespräch und damit der Verkäufer mit seiner Persönlichkeit. Unter dem Motto „Sich selbst und andere besser kennenlernen“ soll das Verkaufsgespräch optimiert werden. Hier wird das Persönlichkeitsprofil „Insights Discovery“ eingesetzt, das Verhaltenspräferenzen von Verkäufern im Sales-Prozess einen angemessenen Raum gibt. Wie kann der Teilnehmer in die Lage versetzt werden, mit der Dynamik des Marktes mitzuhalten? Der Verkäufer muss sich mit dem Lernen als neuem Wissensgebiet vertraut machen. Die Erfahrung zeigt, dass dieses so wichtige Thema, das die Grundlage für unser Überleben darstellt, meist an den Erfahrungen in der Schule festgemacht wird. Das Lernen beginnt aber schon vor der Geburt und begleitet den Menschen sein Leben lang. Es wird immer wichtiger zu wissen, wie Lernen funktioniert.2 Der Ansatz für aktivierendes Lernen macht das Lernen zu einem freudigen Erlebnis und ermöglicht es dem Verkäufer auch nach länger vergangener Schulzeit, sich in einer ganz neuen Weise mit dem Aufbau von Wissen zu beschäftigen. „Es geht nicht darum, schneller zu lernen. Es geht darum, den Lernbedarf besser zu definieren, die Lernprozesse besser zu aktivieren und dadurch bessere Ergebnisse zu bewirken.“3 Durch welche Ansätze kann der Teilnehmer sich selbst für seine beruflichen Aufgaben optimieren? Durch die Arbeit an sich selbst. Durch das Persönlichkeitsprofil bekommt er eine solide Ausgangsbasis. Er wird in die Lage versetzt, an seinen eigenen beruflichen Themen zu arbeiten. Dabei lernt er, sich und andere besser zu verstehen. Mit dem oben genannten neuen Lernansatz können die eigenen Ziele dann auch erreicht werden, auch außerhalb der Berufswelt, was für viele Menschen eine zusätzliche Motivation bedeutet. Wie kann eine hohe Motivation aufgebaut und aufrechterhalten werden? Erfolgsfaktor ist die Kombination von eigener Motivation sei sie intrinsisch oder extrinsisch mit einem soliden und seriösen, aber auch verpflichtenden Rahmen. Am Ende steht ein hochwertiger Beleg für das Geleistete, ein hochwertiges Zertifikat einer Hochschule und der Deutschen Telekom, das jeder Teilnehmer bzw. jeder Student erhält wird. Hieraus entstand die Kooperation mit der Steinbeis-Hochschule Berlin.
2 3
Vgl. SPITZER (2007), S. 227 ff. ROSE/GILL/MONNET (1999), S. 8.
454
SAKOWSKI
Welche Faktoren beeinflussen positiv die Partnerschaft zum Handel? Zum einen ist es eine vertrauensvolle und ehrliche Zusammenarbeit, zum anderen das Commitment zu einer langfristig werteorientierten Partnerschaft. Eine spezielle noch nie dagewesene Verkäuferausbildung, ein hochwertiges Zertifikat in zwei Varianten – eine für den Studenten, die andere für den POS und damit für den Vertriebspartner.
3
Resultierender Ansatz: Business School Telekom Vertrieb
Als Resultat aus diesen Antworten ergibt sich der ganzheitliche Ansatz einer modernen sowie effektiven und effizienten Verkäuferqualifizierung: ein hochwertiges Qualifizierungssystem, das einerseits Stabilität verspricht, andererseits aber sehr schnell auf die Dynamik des Marktes reagieren kann. Gut, besser, am besten – die Business School Telekom Vertrieb bietet einzigartige Möglichkeiten, neue Ziele zu erreichen und dabei sogar persönliche Grenzen zu überschreiten.
3.1
Prinzip und Aufbau
Die Business School Telekom Vertrieb ist ein dreistufiges ganzheitliches und in sich geschlossenes Qualifizierungssystem. Wer mit der Business School Telekom Vertrieb startet, hat alle Möglichkeiten auch ohne Abitur. So beginnt die Stufe I mit einer speziellen neuartigen Verkäuferqualifizierung. Die Stufe II wird es in unterschiedlichen Ausprägungen geben: einer kaufmännischen, die wahlweise mehr oder weniger akademisch geprägt ist, und einer technischen. Die akademisch-kaufmännische Ausbildung wird im Weiteren noch erläutert; sie bildet die Vorstufe zu einem später möglichen Bachelor- und ggf. auch Master-Studiengang. Diese beiden Optionen der Stufe III bilden den Abschluss, wobei auch eine Promotion durchaus möglich sein kann. Die Studierenden der Business School Telekom Vertrieb lernen mit innovativen Methoden. Sie können je nach Stufe I bis III gezielt Spitzen-Know-how aufbauen. Der Fokus liegt dabei auf der persönlichen Weiterentwicklung. Neuartig für dieses Telekom-Weiterbildungsprogramm ist außerdem der Abschluss. Jede der drei Stufen der Business School Telekom Vertrieb wird durch das Zertifikat einer anerkannten Hochschule honoriert. Die verschiedenen Bildungsabschlüsse können einem Studenten der Business School Telekom Vertrieb neue Karrierechancen eröffnen.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
455
Gewinnen, Entwickeln und Binden
Qua lität – Brand – Motivation – Performa nce
Dreistufiges Konzept mit den Inhalten:
Verkaufspotenziale ausschöpfen
BSTV/Steinbeis-Zertifika t
Eigene Grenzen überschreiten
Verkauf Persönlichkeit Produkt & Dienste Bra nd, Service, Lernen ,…
best! better
+
Aufeinander aufba uendes Angebot
good
Studieren ohne Abitur Cross-Selling
Launch der Stufe I a m 28.04.09
Abbildung 1:
3.2
Up-Selling
Prinzip der Business School Telekom Vertrieb
Partner
Um den Konzeptansatz möglichst zielsicher zu gestalten, wurden aufgrund der vorhandenen Fragestellungen direkt zu Beginn externe Partner mit unterschiedlichen Schwerpunkten definiert: ¾ Steinbeis-Hochschule Berlin (Stufe I–III) ¾ Insights Group Deutschland GmbH (Stufe I–II) ¾ ALS Aktivierende LernSysteme GmbH (Stufe I–II) ¾ Breuer & Wardin Verlagskontor GmbH (Stufe I–II) Steinbeis-Hochschule Berlin: Ein Partner sollte für eine neue Qualität innerhalb der Qualifizierungsmaßnahmen sorgen und das komplette Programm inhaltlich begleiten und zertifizieren. Nach gründlicher Überlegung sollte es eine universitäre Hochschule sein – einerseits um ein durchgängiges mehrstufiges System zu schaffen, das praktisch von der „Grundschule“ bis zum Doktortitel alles beinhaltet, was Weiterbildung zu bieten hat, zum anderen um einen Garanten für höchste Qualität zu haben. Mit der „School of Management and Innovation (SMI)“ der Steinbeis-Hochschule Berlin (SHB) zertifiziert Deutschlands größte Privatuniversität und eine der bedeutendsten deutschen Hochschulen für postgraduale Master-Studiengänge den Studienabschluss der Business School Telekom Vertrieb. Das Besondere an der School of Management and Innovation ist, dass sie sich konsequent an der innovativen Arbeit von Fach- und Führungskräften ausrichtet.
456
SAKOWSKI
Insights Group Deutschland GmbH: Ebenfalls aus dem oben genannten Fragen- und AntwortKomplex ergab sich die Notwendigkeit, mit einem Persönlichkeitsprofil zu arbeiten. Neben Persönlichkeitsmodellen wie DISG, Bio-Strukturanalyse, H.D.I., LIFO und anderen beinhaltet das Modell Insights Discovery ein Verkäuferprofil. Die Insights Group bietet damit der Persönlichkeitsdisposition des Sales Professional in ihren Sales-Performance-Programmen einen angemessen Raum. Die Grundlage dieses bewährten Modells, das weltweit in über 30 Ländern und 25 Sprachen etabliert ist, stammt von C. G. Jung. Die ALS Aktivierende LernSysteme GmbH (Flensburg) gehört unter der Leitung von Claudia Monnet und Prof. Dr. Wolfgang J. Linker seit Mitte der 90er Jahre zur internationalen Riege der Trainer, Forscher und Entwickler, die an der Frage arbeiten: „Wie übertragen wir all die Erkenntnisse über wirksames Lernen und Lehren in die Praxis?“ Heute ist Accelerated Learning ein Sammelbegriff. Dabei hat die wörtliche Bedeutung „beschleunigtes Lernen“ zu vielen Missverständnissen geführt. Es geht nicht darum, schneller zu lernen, sondern darum, den Lernbedarf besser zu definieren, die Lernprozesse besser zu aktivieren und dadurch bessere Ergebnisse zu bewirken. Das führt in der Tat häufig zu erstaunlichen Beschleunigungen des Lernprozesses; der Schwerpunkt ist aber das Aktivieren. Deshalb haben wir das deutsche Pendant „aktivierendes Lernen“ gewählt. Darunter verstehen wir Folgendes: ¾ Aktivierendes Lernen ist streng auf Nützlichkeit ausgerichtet. Auch ältere Forschungsergebnisse sind deshalb willkommen, sofern sie nachweislich unseren Lern- und Denkfähigkeiten zuträglich sind. ¾ Aktivierendes Lernen ist offen für neue Ergebnisse aus der Gehirnforschung und steht für die permanente Bereitschaft, zu korrigieren und zu ergänzen. ¾ Aktivierendes Lernen entwickelt Methoden für Menschen, um gesicherte Ergebnisse in klassischen Lern- und Entwicklungssituationen zu nutzen. ¾ Aktivierendes Lernen regt an, tatsächlich etwas zu tun. Deutliche Verbesserungen sind wichtiger als Perfektion.4 Die Breuer & Wardin Verlagskontor GmbH ist ein Spezialanbieter im Bereich der Weiterbildung. Der Verlag bietet eine Vielzahl an Medien für Führungskräfte und Mitarbeiter an. Im Consulting berät das Unternehmen Firmen bei der Planung und Umsetzung von Schulungsmaßnahmen. Der Schwerpunkt liegt im Bereich des Blended Learning. Hier können die Experten des Verlagskontors eine 12-jährige Erfahrung vorweisen. Dreh- und Angelpunkt ist bei allen Projekten die gehirngerechte Aufbereitung der Inhalte durch hochqualifizierte Taskforce-Einheiten. Durch die Anwendung spezieller, praxiserprobter Lerntechniken wird dabei der Wissenstransfer sichergestellt und berücksichtigt, dass Lernen am effizientesten geschieht, wenn die Lernenden mit Spaß bei der Sache sind.
4
Vgl. ROSE/GILL/MONNET (1999), S. 8.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
4
457
Qualifizierung als Wettbewerbsvorteil
Werden die Ansätze der Business School und des regulären Trainings miteinander kombiniert, so entsteht ein Qualifizierungsansatz der für Qualität und Quantität steht. Je nach Themengebiet kann Qualifizierung dosiert werden. Dieser variable Ansatz ist im Markt bisher nicht vorhanden. Geschwindigkeit und Stabilität dieses Qualifizierungssystem sind ein klarer Wettbewerbsvorteil. Regelqualifizierung im Handel über Business School Telekom Vertrieb
Produkte & Dienste
Verkäufer/ PoS-Leiter beschäftigen sich in der Freizeit mit unseren Produkten/ Diensten
Training
Produkte/Dienste Verkauf
+
Studienbriefe
Produkte/Dienste Verkauf/ Persönlichkeit/ Lernen Vorlesungen
eLearning eLearning + online Tests
Abbildung 2:
5
Qualifizierungsvertrag mit Vertriebspartner Zertifikat einer Hochschule
Netzwerk • Mentoren • Lerngruppen
¾ akademischer Partner für alle Stufen: School of Management and Innovation (SMI) ¾ Fester Rahmen: ¾ Punktesystem als Voraussetzung für Zertifikat ¾ Selbstverpflichtung der Verkäufer ¾ Aktivierung der Selbstlernkompetenz über Ergebnisse aktueller Gehirnforschung
Qualifizierung zum Wettbewerbsvorteil ausbauen
Die Stufen der Business School Telekom Vertrieb
Die Business School Telekom Vertrieb besteht aus drei Stufen, jede mit eigenen Schwerpunkten und eigenen Zielen sowie einem entsprechenden Zertifikat.
5.1
Stufe I: POS-Manager Sales & Service
Diese Stufe richtet sich im weitesten Sinne an Verkäufer und hat das Ziel, die Studierenden auf künftige Aufgaben vorzubereiten. Bei Fachhandelspartnern, die aufgrund ihrer Größe keine eigene Personalentwicklung besitzen, kann die Business School Telekom Vertrieb mit der Stufe I eine vergleichbare Funktion übernehmen.
458
5.1.1
SAKOWSKI
Ziele und Inhalte
Gut, besser, am besten – die Business School Telekom Vertrieb bietet dem Verkäufer einzigartige Möglichkeiten, neue Ziele zu erreichen und dabei sogar persönliche Grenzen zu überschreiten. Daher sind die Ziele: ¾ Erfolgreicher verkaufen ¾ Erhöhung der Service- und Beratungsqualität ¾ Verbesserung der Kundenzufriedenheit ¾ Persönliche Entwicklung des Verkäufers ¾ Intensive Bindung zum Vertriebspartner ¾ Zertifikat für ausgezeichnete Leistung Mit dem erfolgreichen Abschluss einer Qualifizierungsstufe erhält der Student ein gemeinsames Zertifikat der Deutschen Telekom und der Steinbeis-Hochschule Berlin. Die Inhalte orientieren sich an den Anforderungen aus dem POS. Neben den Inhalten zu Produkten und Diensten stehen folgende Themen mit den jeweiligen Schwerpunkten im Vordergrund: Persönlichkeit: ¾ Das Insights® Discovery Profil ¾ Kunden erkennen ¾ Einstellungen ¾ Grenzen überwinden ¾ Ziele setzen und persönliche Erfolgskontrolle ¾ Gehirngerecht vorgehen, Lernen ist einfach Verkaufen: ¾ Körpersprache und Kundentypen ¾ Kundentypen an der Körpersprache erkennen ¾ Persönlichkeit und Verkauf ¾ Die Phasen des Verkaufsprozesses Unter der Betreuung des persönlichen Mentors beginnt eine aktive Phase des Selbstlernens und des Lernens in Gruppen.
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
5.1.2
459
Methoden
Jeder Mensch lernt anders. Für die vielen unterschiedlichen Lerntypen und Lernziele hält die Business School Telekom Vertrieb viele innovative Maßnahmen bereit. So kommen z. B. neben Vorlesungen in Selbstlernphasen und Lerngruppen auch andere Lernmethoden zum Einsatz. ¾ Vorlesungen und Übungen ¾ Studienbriefe ¾ eLearning ¾ Lerngruppen Das Lernen soll Spaß machen. Ziele sollen dabei erreichbar sein, auch wenn sie hochgesteckt sind. Die Business School Telekom Vertrieb setzt deswegen auf neue Lernmethoden. So können selbst komplexe Inhalte intensiv, aber auf angenehme Weise erarbeitet werden und bleiben auch mühelos haften.5 Jeder kann fast alles erreichen, fast alles lernen. Dafür müssen jedoch verschiedene Voraussetzungen vorhanden sein: Ein stabiler Rahmen, eine entspannte Atmosphäre, in der sich der Lernende gut konzentrieren kann, sind zentrale Voraussetzungen für den Lernerfolg. Je besser der Lernprozess in den Verkaufsalltag eingebunden ist und je öfter das Gelernte direkt angewendet wird, desto nachhaltiger ist der Effekt. Die Business School Telekom Vertrieb arbeitet mit einer Vielzahl von Lernkanälen – passend zum Inhalt, der praxisnah vermittelt werden soll, und passend zum jeweiligen Studenten. Dieser kann das Angebot aktiv und mit größtmöglicher Selbstlernkompetenz in der oben genannten Form nutzen. Die Studenten erhalten dabei eine Rundumbetreuung. Die Studenten der Business School Telekom Vertrieb werden durch ihre Weiterbildung kontinuierlich begleitet. So besteht permanent die Möglichkeit zum Austausch, zur Orientierung und zur Hilfestellung. Jedem Studenten steht ein persönlicher Mentor aus dem Trainingsbereich zur Seite. Außerdem ist er mit Studienbeginn Teil eines aktiven Telekom-Netzwerks, bestehend aus: ¾ anderen Verkäufern ¾ anderen Vertriebspartnern ¾ Vertriebsbeauftragten ¾ Trainern (Stufe I, II, III) ¾ Dozenten der Hochschule (Stufe II, III) ¾ Führungskräften des Telekom Vertriebes
5
Vgl. COYLE (2009), S. 1 ff.
460
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Dieses Netz ist aus Erfahrung, Wissen und dem Willen zum gemeinsamen Erfolg geknüpft und sorgt für Verbindlichkeit und Zusammengehörigkeit unter dem Dach der Deutschen Telekom. 5.1.3
Selbsteinschätzung als Wegweiser
Selbsteinschätzung alleine reicht als stabile Grundlage für einen persönlichen Wegweiser nicht aus. Dabei sind gerade folgende Fragen wichtig: ¾ Wer bin ich? ¾ Wie wirke ich eigentlich auf meine Umwelt und insbesondere auf meine Kunden? ¾ Wie kann ich andere besser verstehen und meine Stärken im Verkauf besser einsetzen? ¾ Was kann ich anders machen, um noch erfolgreicher zu sein? Um eine stabile Basis für die persönliche Entwicklung zu erhalten, wurde eine spezielle Profilanalyse in der Business School Telekom Vertrieb eingesetzt: das Insights-Discovery-Präferenz-Profil. Jeder Studierende erhält ein persönliches und individuelles schriftliches Profil. Dieses Profil macht die Stärken und Schwächen, aber auch das Potenzial eines jeden Studierenden für ihn selbst transparent. Somit hat jeder Studierende eine stabile Ausgangslage, an der er sich orientieren kann. Um eine individuelle, ganzheitliche Standortanalyse als Startpunkt für sich zu erhalten, betrachtet der Studierende neben dem Aspekt Persönlichkeit und persönliche Stärken auch die folgenden Bereiche: ¾ Absatz/Umsatz ¾ Verkauf ¾ Produkte/Dienste Hierbei wird der Studierende von der Business School Telekom Vertrieb unterstützt. 5.1.4
Zieldefinition als Selbstverpflichtung
Alle Studierenden definieren ihre eigenen Ziele, die sie mit der Business School Telekom Vertrieb erreichen wollen. Sie geben sich selbst die Richtung vor. Dazu stellt sich jeder Studierende die folgenden Fragen: ¾ Wie gut bin ich? ¾ Wie viel besser kann ich werden? ¾ Was erreiche ich im besten Fall?
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
461
Ausgehend vom Ist-Zustand bestimmt der Studierende das individuelle Ziel. Darüber hinaus gibt es einen Bereich, der als „Kann“ bezeichnet wird und bei Überschreitung der eigenen Grenzen erreicht wird. Jeder Studierende trägt im Good-Better-Best-Konzept für sich selbst die Verantwortung. 5.1.5
Evaluation und Zertifizierung
Die Studierenden werden bei der Erreichung ihrer Ziele durch einen stabilen Rahmen unterstützt. Grundlage dafür ist ¾ ein Qualifizierungsvertrag mit dem Vertriebspartner sowie ¾ ein Punktesystem. Der Qualifizierungsvertrag beinhaltet die Verpflichtung des Partners bzw. seines Verkäufers, an den Veranstaltungen, Studienbriefen und Tests auch teilzunehmen. Punktesystem: Für jede Leistung, d. h. Teilnahme an einer Vorlesung, Online-Test, Bearbeitung der Studienbriefe, erhält der Studierende eine bestimmte Punktzahl und einen Leistungsnachweis, der von der Deutschen Telekom und der Steinbeis-Hochschule Berlin gezeichnet ist. Für die Teilnahme an einer Vorlesung erhält er bereits für die Beteiligung eine bestimmte Anzahl an Punkten. Die Tests und die bearbeiteten Studienbriefe werden individuell bewertet und bepunktet. Der Student weiß somit jederzeit, wo er leistungsmäßig steht. Auch die Business School Telekom Vertrieb hat einen Überblick über den Status des entsprechenden Jahrgangs. Das Punktesystem ist Bestandteil des Evaluationskonzeptes, das im aktuellen Jahrgang 2009 aus folgenden Positionen besteht: ¾ Punktesystem ¾ Stimmungsbarometer ¾ Know-how-Check ¾ Umsetzung des Gelernten ¾ Absatz/Umsatz Die Zertifizierung erfolgt durch die Deutsche Telekom und die Steinbeis-Hochschule Berlin. Grundlage ist die erreichte Punktzahl. 5.1.6
Dauer und Zugangsvoraussetzungen
Die Stufe I dauert von Februar bis Oktober eines jeden Jahres, d.h. 9 Monate. Die Zulassung erfolgt nach Rücksprache mit den Vertriebsverantwortlichen im Telekom Vertrieb sowie mit dem Fachhandelspartner, einem erfolgreichen Online-Selbsttest sowie einer förmlichen Bewerbung bei der Business School Telekom Vertrieb.
462
5.2
SAKOWSKI
Stufe II: Executive POS-Manager Sales & Service
Die Stufe II hat das Ziel, die Studierenden für künftige Aufgaben vorzubereiten. Bei Fachhandelspartnern, die aufgrund ihrer Größe keine eigene Personalentwicklung besitzen, kann die Business School Telekom Vertrieb mit der Stufe II eine vergleichbare Funktion übernehmen. Für die Stufe II gibt es bisher eine kaufmännische akademische Richtung, die erstmals mit dem Jahrgang 2010 startet. 5.2.1
Ziele und Inhalte
Die Stufe Executive POS-Manager Sales & Service konzentriert sich auf den Aufbau und die Weiterentwicklung von persönlichen und fachlichen Kompetenzen im Hinblick auch auf spätere Führungsaufgaben im Handel. Inhaltliche Bestandteile der Stufe II sind daher: Mitarbeiterführung: ¾ Grundlagen ¾ Konfliktmanagement ¾ Mitarbeitergespräche ¾ Motivation/Demotivation ¾ Coaching der Mitarbeiter Allgemeine Betriebswirtschaftslehre: ¾ Unternehmerische Grundlagen ¾ Unternehmenszwecke und -ziele ¾ Planung und Entscheidung ¾ Betriebliches Rechnungswesen im Unternehmen Unternehmensführung: ¾ Finanzbuchhaltung/Bilanzierung ¾ Kosten- und Leistungsrechnung ¾ Konvergenzmanagement ¾ Marketing ¾ Investition und Finanzierung ¾ Organisations- und Personalmanagement ¾ Trends und Entwicklungen ¾ Projektarbeit
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
5.2.2
463
Methoden
Bei dieser Stufe steht die Funktion als Nachwuchs-Führungspersönlichkeit im Mittelpunkt. Die Schwerpunktvermittlung erfolgt in der Praxis durch: ¾ Seminare ¾ Workshops ¾ Coachings ¾ Abschlussarbeit (betreut durch Dozenten der Steinbeis-Hochschule Berlin)
5.2.3
Zertifizierung
Die Zertifizierung erfolgt durch die Deutsche Telekom und die Steinbeis-Hochschule Berlin. Die Studierenden erhalten zusätzlich ein separates Hochschulzertifikat, anrechenbar auf das Studium Sales & Service Bachelor of Business Administration an der Steinbeis-Hochschule Berlin. 5.2.4
Dauer und Zugangsvoraussetzungen
Zugangsvoraussetzung ist der erfolgreiche Abschluss der Stufe I beziehungsweise ggf. vergleichbare Leistungen. Zusätzlich findet ein Aufnahmegespräch mit Vertretern der Deutschen Telekom sowie der Steinbeis-Hochschule Berlin statt. Die Studiendauer beträgt ca. 9 Monate und endet pünktlich zum Jahresendgeschäft. Die Anzahl der Studierenden pro Jahrgang liegt zwischen 25 und 35.
5.3
Stufe III: Bachelor bzw. Master in Sales & Service Management
Die dritte Stufe der Business School Telekom Vertrieb ebnet der erfahrenen NachwuchsFührungskraft den Weg ins höhere Management. An der Steinbeis-Hochschule Berlin mit dem zentralen Studienort Berlin – beim Master of Business Administration zum Teil auch in Mailand oder New York – erfolgt der Einstieg in ein marketing- und serviceorientiertes Hochschulstudium, das speziell auf die Erfordernisse der Deutschen Telekom ausgerichtet ist. Die BBA- und MBA-Programme sind in enger Zusammenarbeit mit der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft entwickelt und etabliert worden. Dabei handelt es sich um eine akademische und praxisorientierte Ausbildung auf internationalem Niveau. Den Abschluss der Stufe bildet das akkreditierte Zertifikat Sales & Service BBA/MBA: ¾ Bachelor of Business Administration in Sales & Service Management ¾ Master of Business Administration in Sales & Service Management Zudem werden in naher Zukunft gemeinsam mit der Steinbeis-Hochschule Berlin Bachelorund Master-of-Arts-Studienprogramme im Bereich Sales & Service Management entwickelt und umgesetzt.
464
5.3.1
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Bachelor of Business Administration in Sales & Service Management
Betriebswirtschaftliches Grundstudium: ¾ Allgemeine Betriebswirtschaftslehre ¾ Volkswirtschaftslehre ¾ Wirtschaftsmathematik ¾ Finanzbuchhaltung ¾ Bilanzen, Marketing ¾ Unternehmensführung ¾ Organisationsmanagement ¾ Kosten- und Leistungsrechnung ¾ Investition und Finanzierung ¾ Controlling Fachspezifisches Studium: ¾ Modul I: Trends/Entwicklungen TIME- und Konvergenzmanagement Handelsmarketing ¾ Modul II: Servicemanagement Controlling ¾ Modul III: Vertriebsmanagement Kundenmanagement Qualitätsmanagement 5.3.2
Master of Business Administration in Sales & Service Management
General Management: ¾ Economics ¾ Law ¾ Entrepreneurship ¾ Project Management ¾ Marketing ¾ Strategy ¾ Accounting
Business School Telekom Vertrieb – Erfolgsfaktor Know-how
465
¾ Corporate Finance ¾ International Management ¾ Organization ¾ Leadership ¾ Competencies Sales & Service Management: ¾ Modul I: Controlling (advanced stage) ¾ Modul II: Market-oriented Business ¾ Modul III: Customer Satisfaction Management ¾ Modul IV: Organizational Management (advanced stage) ¾ Modul V: Strategic Management (advanced stage) 5.3.3
Dauer und Zugangsvoraussetzungen
Neben den persönlichen Voraussetzungen für den BBA/MBA wie z. B. Neugierde, Begeisterungsfähigkeit, Selbstständigkeit und Kommunikationsfähigkeit ist eine hohe Disziplin, Unterstützung durch das berufliche und familiäre Umfeld sowie eine gesicherte Finanzierung notwendig. Die berufsbegleitende Studiendauer beträgt beim BBA drei Jahre, beim MBA zwei Jahre. Die Teilnehmerzahlen sind in beiden Studienrichtungen begrenzt. Zugangsvoraussetzungen sind der Abschluss der Stufe II und eine erfolgreiche Hochschulbewerbung an der School of Management and Innovation/Steinbeis-Hochschule Berlin sowie BBA: ¾ mittlere Reife mit abgeschlossener Berufsausbildung und 4 Jahre Berufspraxis oder ¾ Abitur oder Fachhochschulreife und 2 Jahre Berufspraxis; MBA: ¾ abgeschlossenes Studium (Hochschule oder nach individueller Prüfung Berufsakademie). Die Zertifizierung innerhalb der Business School Telekom Vertrieb erfolgt durch die Deutsche Telekom und die Steinbeis-Hochschule Berlin. Die Absolventen erhalten darüber hinaus den Hochschulabschluss Sales & Service BBA/MBA.
466
6
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Ausblick
Die Business School Telekom Vertrieb stellt über das Studium hinaus ein breit aufgestelltes Netzwerk zwischen den Studierenden und den Mitarbeitern der Deutschen Telekom dar. Innerhalb dieses Netzwerkes profitieren die Studierenden auch nach ihrem Abschluss von Angeboten des Bildungsnetzes und ihren persönlichen Kontakten zu anderen Studenten, Vertriebspartnern und Mitarbeitern der Deutschen Telekom.
Quellenverzeichnis COYLE, D. (2009): Die Talentlüge – Warum wir (fast) alles erreichen können, Bergisch Gladbach 2009. CREAJOUR (Hrsg.) (2009): Toolbox, online: http://www.creajour.de/toolbox/kreativetypolo gien/kreativepraeferenzen.html, Stand: 28.07.2009, Abruf: 28.07.2009. ROSE, C./GILL, M. J./MONNET, C. (1999): MASTER-haft trainieren – Trainings- & Entwicklungsprogramm, Flensburg 1999. SPITZER, M. (2007): Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Berlin/Heidelberg 2007.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit als Einflussfaktor auf die Kundenzufriedenheit GITTA HANNIG und FRANZ KRUMM Telekom Shop Vertriebsgesellschaft
1 2 3
Einleitung....................................................................................................................... 469 Aktuelle Herausforderungen für den Telekommunikationsfachhandel ......................... 470 Die Bedeutung der Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit als unternehmerische Zielgrößen......................................................................................... 471 4 Systematik und Fachbegriffe in Theorie und Unternehmenspraxis ............................... 473 4.1 Erklärungsmodelle zur Entstehung von Zufriedenheit......................................... 473 4.1.1 Das Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (C/D-Paradigma) .......... 474 4.1.2 Die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG ET AL. .................................. 475 4.1.3 Das Modell von KANO ............................................................................. 476 4.1.4 Die Equity-Theorie nach ADAMS .............................................................. 478 4.2 Mitarbeiterzufriedenheit am Point of Sale ........................................................... 479 4.2.1 Allgemeine Bestimmungsfaktoren der Mitarbeiterzufriedenheit............. 479 4.2.2 Die Mitarbeiterbefragung als Analyseinstrument .................................... 480 4.3 Kundenzufriedenheit am Point of Sale................................................................. 483 4.3.1 Allgemeine Bestimmungsfaktoren der Kundenzufriedenheit.................. 483 4.3.2 Messung der Kundenzufriedenheit durch ACCI...................................... 484 5 Wirkungszusammenhänge zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit................ 486 5.1 Ausgewählte Untersuchungen in der Literatur..................................................... 486 5.2 Das Wirkungsmodell für den Point of Sale.......................................................... 488 6 Entwicklungsfelder zur nachhaltigen Steigerung der Kundenzufriedenheit im Telekommunikationsfachhandel .................................................................................... 490 6.1 Führung................................................................................................................ 490 6.1.1 Die Führungskraft als Erfolgsmanager .................................................... 490 6.1.2 Führung und Coaching von Mitarbeitern................................................. 491 6.2 Tätigkeit und Qualität .......................................................................................... 492 6.3 Unternehmenskultur............................................................................................. 494 6.4 Strategie und Senior-Management ....................................................................... 495 6.5 Prozesse und Strukturen....................................................................................... 495 7 Fazit und Empfehlung.................................................................................................... 496 Quellenverzeichnis................................................................................................................ 498
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
1
469
Einleitung
Wenn man die offiziellen Kundenzahlen der Mobilfunk-Netzbetreiber in Deutschland addiert, kommt man zum Ergebnis, dass der deutsche Mobilfunkmarkt aus mindestens 120 % Marktvolumen besteht (ADAM RIESE würde sich wundern). Diese Tatsache verdeutlicht, dass die Marktdurchdringung mit Mobilfunktelefonen weit fortgeschritten ist und der Markt zunehmend durch einen Verdrängungswettbewerb geprägt wird. Das fordert Unternehmen heraus, neue Differenzierungspotentiale zu erschließen und diese durch – neben den finanzwirtschaftlichen Steuerungsgrößen – qualitative Zielgrößen wie z. B. Kundenzufriedenheit in ihrem Zielsystem zu verankern. Die Bemühungen um Kundenzufriedenheit gewinnen an Bedeutung, wenn man sich vor Augen führt, dass die Vertragsbindung im Mobilfunksektor zwischen dem Provider und Kunden in der Regel nach 2 Jahren auslaufen und diese Kunden mit subventionierten Angeboten oder gar „Wechselprämien“ umworben werden. Zudem gibt es Erfahrungswerte auch aus anderen Branchen, dass es ca. fünfmal teurer ist, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen Bestandskunden zu halten. Ebenso ist es unstrittig, dass in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld, in dem sich Produkte und Dienstleistungen nur schwer differenzieren lassen, der Faktor Mensch als entscheidender Wettbewerbsvorteil angesehen wird. Die durch Marktveränderungen induzierten organisatorischen Veränderungen im Unternehmen lassen sich nur dann effizient umsetzen, wenn die Mitarbeiter aktiv den Wandel vorantreiben. In diesem Zusammenhang stellen Motivation, Flexibilität und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zentrale Erfolgsfaktoren dar. Diese werden durch Mitarbeiterbefragungen im Hinblick auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter analysiert. Die dabei zugrundeliegende Annahme geht davon aus, dass sich Arbeitnehmer, die mit ihrer Arbeit zufrieden sind, engagiert im Arbeitsalltag einbringen und hohe Leistungen erzielen; besonders im Vertrieb als „people business“ wirken sich Verbesserungen in den genannten Erfolgsfaktoren unmittelbar auf den Erfolg aus. In der Praxis großer Konzerne werden die Befragungen/Analysen der Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern durch unterschiedliche Geschäftsführungsbereiche (Markforschung, Personalentwicklung) angestoßen, die jeweils einen anderen Fokus haben. Demzufolge findet häufig keine systematische Zusammenführung der Erkenntnisse sowie der Nutzung von Synergien in der Entwicklung von Maßnahmen statt. Der vorliegende Beitrag verfolgt die Zielsetzung, den Zusammenhang zwischen Mitarbeiterund Kundenzufriedenheit aufzuzeigen und Optimierungsmaßnahmen für den Point of Sale abzuleiten. Dabei orientieren sich die Überlegungen an folgenden drei Fragestellungen: ¾ Welche Faktoren bestimmen die „Mitarbeiterzufriedenheit“ und „Kundenzufriedenheit“ im Handel? ¾ Welche Einflussfaktoren beeinflussen gleichermaßen die Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit und können als Handlungsfelder in der Personalentwicklung/Vertriebsqualifizierung aufgegriffen werden? ¾ Welche Entwicklungs- und Vertriebsqualifizierungen steigern signifikant die Mitarbeiterund Kundenzufriedenheit? F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_20, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
470
HANNIG/KRUMM
Im zweiten Kapitel werden Herausforderungen beschrieben, die für Verkäufer im Shop Rahmenbedingungen darstellen und ständig im Wandel begriffen sind. Anschließend werden die Auswirkungen der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit für die unternehmerische Praxis skizziert. Das folgende Kapitel umfasst die Darstellung der Fachbegriffe und Erklärungsmodelle sowie ein Beispiel zur Messung der Kunden-/Mitarbeiterzufriedenheit. Im fünften Kapitel werden die Zusammenhänge zwischen den Konstrukten auf der Grundlage von Erkenntnissen in der Literatur und aus der Sicht des Praktikers herausgearbeitet. Danach werden Lösungsansätze zur Vertriebsqualifizierung im Handel beschrieben, die in gleicher Weise sowohl die Mitarbeiterzufriedenheit als auch die Kundenzufriedenheit verbessern. Das letzte Kapitel fasst mit dem Fazit die Erkenntnisse zusammen.
2
Aktuelle Herausforderungen für den Telekommunikationsfachhandel
Vergleicht man die heutige Erlebniswelt im Fachhandel mit dem Auftritt vor 10 Jahren, dann lässt sich auf faszinierende Weise nachvollziehen, welche rasante Entwicklung im Telekommunikationsmarkt stattgefunden hat. Die heutigen Key-Angebote wie Fernsehen über das Internet (Entertain) oder MP3 Player mit Videofunktion inklusive Internetzugang und Telefon (iPhone) zeigen eindrucksvoll, dass es die klassische Telekommunikationsbranche im früheren Verständnis der Übertragung von analogen oder digitalen Informationen via Draht oder Funk nicht mehr gibt. In den heutigen Angeboten wachsen die Telekommunikations-, Informationstechnologie, Medien- und Entertainmentbranche (TIME Branche) zusammen (Konvergenz).1 Die Mitarbeiter am Point of Sale sehen sich im Kontext dieser Entwicklungen folgenden Herausforderungen gegenüber: neue Produktwelten entstehen, Kundenbedürfnisse ändern sich sowie die Prozess- und Systemlandschaften im Arbeitsalltag entwickeln sich weiter. Spätestens seit große Lebensmitteldiscounter oder Tageszeitungen eigene Mobilfunkangebote bzw. -tarife anbieten, wurden für den Kunden extrem günstige Preissignale vermittelt und der Wechsel zu einem anderen Anbieter im Sinne des „Impulskaufs“ ermöglicht. Auf der Herstellerseite verstärken Anbieter ihre Vermarktungsbemühungen wie. z. B. lokale Kabelnetzbetreiber oder auch neue Marktteilnehmer wie Google oder Apple, die mit neuen Geschäftsmodellen aufwarten. Auch wenn man in Teilbereichen des klassischen Telekommunikationsmarktes von einer Marktsättigung sprechen kann, eröffnen technologische Innovationen und Konvergenz neue Geschäftsideen und schaffen damit neue Märkte und Wachstum. Kunden profitieren von diesen Entwicklungen, indem sie heute ein Mini-Notebook für einen Euro inklusive USB-Stick erwerben können, um z. B. über Twitter gleich seinen Freunden den günstigen Erwerb mitzuteilen. Diese dynamischen Entwicklungen können jedoch nur von einer kleinen Gruppe von Innovatoren oder „early adaptors“ nachvollzogen werden. Die Marken- und Technikbegeisterten stehen bei der Einführung eines neuen iPhones zwei Stunden vor Shop-Eröffnung an, um eines der begehrten Geräte zu kaufen. Auf der anderen Seite betonen viele Kunden, dass sie „nur telefonieren“ oder ihre E-Mails abfragen möchten. Das 1
Vgl. KEUPER/HANS (2003), S. 36 ff.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
471
Know-how und die Affinität zu den neuen Produktwelten differieren in einzelnen Kundensegmenten sehr stark. Diese für ein erfolgreiches Verkaufsgespräch wichtigen Voraussetzungen zu erkennen und sich zielgerichtet darauf einzustellen, erfordert vom Verkäufer eine schnelle und präzise Einschätzung des Kunden, um gezielt auf seine Wünsche einzugehen (Adaptive Selling).2 Die technischen, organisatorischen und marktseitigen Veränderungen bedingen eine ständige Weiterentwicklung der Systeme zur Auftragsabwicklung. In der Vertriebspraxis hat dies zur Folge, dass der Verkäufer Kundendaten in webbasierten CRM-Systemen erfasst, um eine ganzheitliche Sicht auf den Kunden sicherzustellen. Für einen „Vollblutverkäufer“ sind diese komplexen administrativen Tätigkeiten nicht motivierend. Insbesondere, wenn ein SoftwareRelease vorgenommen wurde und das System nicht stabil und performant läuft. Dabei besteht die Gefahr, dass sich der Verkäufer überwiegend auf die Eingabe der Kundendaten konzentriert und in der Interaktion mit dem Kunden die Chancen für eine tiefgehende Bedarfsanalyse oder auch nur für das Beziehungsmanagement nicht nutzt. Dieses Dilemma zwischen der geforderten Kundenorientierung einerseits und der notwendigen Prozesstreue und der damit verbundenen Konzentration auf Systeme kann negative Auswirkungen auf das gewünschte Ideal des „Erlebniskaufs“ haben. Die sich stärker differenzierenden Kundenerwartungen, dynamische Entwicklungen auf der Technologie-/Anbieterseite und komplexe Prozesslandschaften in der Auftragserfassung dürfen das perfekte Kundenerlebnis am Point of Sale nicht beeinträchtigen. Daher muss sich jedes Verkaufsteam regelmäßig diesen Herausforderungen stellen und sich im übertragenen Sinne neu erfinden. In diesem Prozess geht es darum, das eigene Rollenverständnis zu reflektieren und kritisch zu fragen, ob das Beziehungsmanagement zum Kunden und die Kommunikation als moment of truth tatsächlich genutzt werden, die Kundenerwartungen zu übertreffen und den Kunden zum dauerhaften Fan zu begeistern. Des Weiteren dient das Bewusstmachen der eigenen Angebote und Stärken im Wettbewerbsvergleich dazu, die Beziehungen zwischen der Unternehmensmarke und dem Kunden über das Verkäuferverhalten zu festigen und die Markenwerte erlebbar zu machen (Verkäufer als Markenbotschafter).
3
Die Bedeutung der Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit als unternehmerische Zielgrößen
Vor dem Hintergrund des scharfen Wettbewerbs mit anderen Anbietern und einer Kundschaft, die täglich mit Werbebotschaften3 „beatmet“ wird, ist ein Unternehmen heute geradezu verdammt, eine intensive emotionale Beziehung zum Kunden mit dem Ziel aufzubauen, ihn gegenüber den Attacken der Wettbewerber zu immunisieren und zum Botschafter für die eigene Marke zu machen. „In their quest for sustained success […] more and more companies are attempting to build deep, meaningful, long-term relationships with their customers.“4 2 3 4
Vgl. HOMBURG/SCHÄFER/SCHNEIDER (2003), S. 249 ff. In 2007 über 3,9 Mio TV Spots, über 85.000 beworbene Produkte (Interne Informationen aus der Marktforschung) BHATTACHARYA/SEN (2003), S. 76.
472
HANNIG/KRUMM
Daher ist es strategisch zwingend notwendig, die Kundenzufriedenheit als einen Indikator für das zukünftige (Kauf-)Verhalten der Kunden systematisch und regelmäßig zu untersuchen.5 Kundenzufriedenheit wird dabei als Ergebnis eines Soll-Ist-Vergleichs verstanden; das Soll repräsentiert die Erwartungen des Kunden an die Leistung, das Ist die wahrgenommene Leistung.6 Die Analysen geben wertvolle Rückschlüsse und liefern Ansatzpunkte über die eigenen Stärken und Schwächen aus Kundenperspektive. Ist der Kunde mit den Service- und Produktleistungen zufrieden und fühlt sich dem Unternehmen emotional verbunden, besteht eine hohe Chance, dass er bei neuen Angeboten oder Vertragsverlängerungen dem Anbieter „die Treue hält“ und seinen Vertrag verlängert. Außerdem ist er auch eher bereit, zusätzliche Produkte/Dienste aus dem Portfolio zu kaufen (Cross Buying), mehr zu bezahlen und Produkte zu nutzen, mit denen er bisher keine Erfahrungen gemacht hat.7 So kauft der mobile Geschäftsmann nicht nur ein neues Mobiltelefon, sondern erwirbt und nutzt zusätzlich ein Mini-Notebook mit Internetzugang, um seine Mails komfortabel von unterwegs abzufragen. Die Weiterempfehlung des Unternehmens durch den begeisterten Kunden (Kunde als Fan oder Botschafter) kann als die wirtschaftlichste und glaubwürdigste Form der Werbung angesehen werden.8 Umgekehrt werden negative Erlebnisse mit einem Anbieter mehrfach weitererzählt als positive Erlebnisse. Zu Recht stellt daher der Net Promoter Score (NPS) als Index für die Weiterempfehlungsabsicht eine wichtige Kennzahl für den zukünftigen Erfolg im Markt dar. Die Mitarbeiterzufriedenheit gilt besonders in servicenahen Bereichen als wichtige Einflussgröße auf die Qualität der internen Zusammenarbeit und des kundenorientierten Verhaltens. Untersuchungen belegen den Einfluss der Mitarbeiterzufriedenheit auf das Commitment mit dem Unternehmen und den Beziehungen innerhalb und zwischen den Organisationseinheiten; außerdem können positive Effekte auf die Leistungsbereitschaft und Arbeitsergebnisse nachgewiesen werden.9 Messbar werden die Wirkungen der Mitarbeiterzufriedenheit beispielsweise in der sog. Gesundheitsquote. Je unbefriedigender Mitarbeiter ihre Tätigkeit und Rahmenbedingungen erleben, desto mehr kann davon ausgegangen werden, dass der Krankenstand steigt.10 Das kann in einem Verkaufsteam sowohl zu einem Rückgang der Umsätze als auch zu einer Steigerung der Kosten (z. B. Aushilfskräfte) führen. In Produktkategorien, nach denen von Seiten des Kunden keine oder nur eine geringe Nachfrage besteht, weil der Kunde beispielsweise die Produkte nicht kennt, korrelieren die Absatzleistungen am Point of Sale sehr stark mit der Motivation des Verkaufspersonals. „Es gibt Tage, da bin ich richtig gut drauf und es läuft wie geschmiert“ zeigt, dass die Befindlichkeit und positive Grundstimmung der Verkäufer sehr große Auswirkungen auf die Kaufbereitschaft und Kaufentscheidung des Kunden haben. 5 6 7 8 9 10
Vgl. KAPLAN/ NORTON (1997), S. 68. Vgl. SCHWETJE (1999), S. 13. Vgl. STOCK (2007), S. 1 ff., und HOMBURG/KOSCHATE/WAYNE (2005), S. 84 ff. Vgl. LANGNER (2005), S. 16, und EGGERT/HELM/GARNEFELD (2007), S. 233. Vgl. WOLF (2005), S. 1 ff. Vgl. STOCK (2007), S. 18.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
473
Es lässt sich prägnant der direkte Zusammenhang zwischen der eigenen Zufriedenheit und dem Verhalten im Team feststellen. Das äußert sich z. B. in einem freundlichen und wertschätzenden Verhalten und der aktiven Weitergabe von erfolgsrelevanten Informationen. Als Dauerbrenner unter den Schwachpunkten in Teams und Organisationseinheiten erweist sich immer wieder der unbefriedigende Informationsfluss bzw. das Informationsmanagement. Steigt man in diese Thematik tiefer ein, zeigt sich schnell, dass informelle Informationsbeziehungen, die auf einer persönlichen und positiven Beziehung gründen, sehr effizient funktionieren. Insofern muss in diesem Zusammenhang immer auch die Zufriedenheit im Team und die Einstellung der Teammitglieder zueinander transparent gemacht werden, um die wirklichen Hebel für eine Verbesserung zu erkennen. Je mehr sich Mitarbeiter mit dem Unternehmen und den Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes identifizieren, desto souveräner und flexibler reagieren sie in kritischen Situationen, wenn z. B. ein System ausfällt oder die Lieferfähigkeit von beworbenen Produkten nicht sichergestellt ist. Wenn die Identifikation fehlt, kann schnell eine gereizte Stimmung entstehen, so dass aus „einer Fliege ein Elefant“ gemacht wird, produktive Lösungsansätze nicht in den Sinn kommen und man nicht das Beste aus der Situation macht. Sowohl im Team als auch gegenüber dem Kunden leidet dann die verkaufsfördernde Atmosphäre, die sich schnell in sinkenden Absätzen oder nachlassender Kundenzufriedenheit über längere Zeit niederschlägt.
4
Systematik und Fachbegriffe in Theorie und Unternehmenspraxis
4.1
Erklärungsmodelle zur Entstehung von Zufriedenheit
Es gibt eine unübersehbare Vielzahl von Veröffentlichungen in der Wissenschaft und Unternehmenspraxis sowie unterschiedliche Aussagen und Schlussfolgerungen zur Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeiter. Abhängig von der Wissenschaftsdisziplin und den Untersuchungszielen werden bei der Herleitung des Zufriedenheitskonstruktes unterschiedliche Perspektiven und Ansätze gewählt. In der Literatur werden zur Erklärung der psychischen Vorgänge bei der Entstehung von Zufriedenheit folgende Kategorien von Theorien bzw. Modellen verwendet:11 1. Prozesstheorien erklären die Handlungen bzw. Handlungsabsichten als Folge der Bewertung von Alternativen und Ergebnissen. Dabei werden die kognitiven und affektiven Prozesse eines Menschen beschrieben, die beim Anstreben eines Ziels ablaufen. Als Basismodell wird im Rahmen der Zufriedenheitsforschung und -messung das C/D-Paradigma (ConfirmationDisconfirmation-Paradigma) verwendet.12
11 12
Vgl. WOLF (2005), S. 23 ff. Vgl. WINTER (2005), S. 15 ff.
474
HANNIG/KRUMM
2. Inhaltstheorien erklären Handlungen bzw. Handlungsabsichten auf der Grundlage von Bedürfnissen. Dabei werden unterschiedliche Klassen von Bedürfnissen gebildet. Die prominentesten Modelle stammen von ABRAHAM MASLOW (Bedürfnispyramide) und von FREDERIK HERZBERG (2 Faktoren Theorie).13 Um zu erkennen, was Kunden wirklich begeistert, liefert NORIAKI KANO ein anschauliches Modell. 3. Austauschtheorien/Gerechtigkeitstheorien erklären den Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Verteilung von Belohnung und deren Auswirkungen, was zu einem Gefühl der Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit führt. Damit wird das Prinzip „Wie Du mir, so ich Dir“ erklärt. Sehr bekannt ist die Equity-Theorie nach ADAMS.14 Nachfolgend werden zu den aufgeführten Kategorien vier theoretische Modelle dargestellt, die im weiteren Verlauf als Erklärungsmodelle dienen. 4.1.1
Das Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (C/D-Paradigma)
Den meisten Untersuchungen zur Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern liegt als theoretischer Bezugsrahmen ein Konzept zugrunde, in welchem Zufriedenheit als das Ergebnis eines Vergleichsprozesses zwischen wahrgenommener und erwarteter Leistung verstanden wird. Dieser Prozess der Zufriedenheitsbildung wird im C/D-Paradigma beschrieben. Demnach kann unter Kundenzufriedenheit das Ergebnis eines komplexen psychischen Vergleichsprozesses verstanden werden. Hierbei vergleicht der Kunde seine Erfahrungen beim Gebrauch eines Sachgutes oder einer Dienstleistung (Ist-Leistung) mit einem Vergleichsstandard (Soll-Leistung). Kundenzufriedenheit entsteht, wenn der Vergleichsstandard durch die Erfahrung des Kunden mindestens erreicht oder aber übertroffen wird.15 Die Ausprägung der Mitarbeiterzufriedenheit wird äquivalent definiert als Diskrepanz zwischen erwarteten bzw. erwünschten Bedingungen der Arbeit (Soll) und den wahrgenommenen, realistischen Bedingungen (Ist). IST > SOLL
Wahrgenommene Leistung
Positive Diskonfirmation
(IST-Leistung)
Hohe Zufriedenheit
IST = SOLL Vergleichsprozess Erwartungshaltung
IST < SOLL
(SOLL-Leistung)
Negative Diskonfirmation
Abbildung 1:
13 14 15 16
Zufriedenheit Konfirmation
Unzufriedenheit
Das C/D-Paradigma16
Vgl. WINTER (2005), S. 20 ff. Vgl. KOSCHATE (2002), S. 74. Vgl. HOMBURG/STOCK (2006), S. 20, und SCHWETJE (1999), S. 13. Vgl. HOMBURG/GIERING/HENTSCHEL (1999), S 176.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
475
Verschiedene Einflussfaktoren prägen die Erwartungshaltung des Kunden (Soll-Leistung), wie z. B. seine Bedürfnisse, das Anspruchsniveau, die bisherigen Erfahrungen mit den Produkten, das Wissen über Angebote anderer Anbieter, Empfehlungen durch Bekannte, Werbeaussagen und Versprechen des Unternehmens, Informationen aus den Medien, die persönliche Situation des Kunden etc.. Da sich diese Einflussfaktoren und damit die Erwartungshaltung des Kunden im Zeitablauf ändern, unterliegt damit auch die subjektive Bewertung der – im Zeitablauf gleichen – Leistungen einem Wandel; somit muss die Kundenzufriedenheit als dynamisches Konstrukt betrachtet werden.17 Die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG ET AL.
4.1.2
Die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG, MAUSNER und SNYDERMANN (1959) beschäftigt sich mit den Rahmenbedingungen für die Entstehung von Arbeitszufriedenheit bzw. -unzufriedenheit. Grundlage bildet eine Befragung von Angestellten zu Arbeitserlebnissen, mit denen sie angenehme oder unangenehme Gefühle verbinden. Bei der faktorenanalytischen Auswertung kamen die Forscher zum Ergebnis, dass es zwei Gruppen von Faktoren der Arbeitssituation gibt, die in jeweils eine Richtung wirken: entweder forcieren diese die Arbeitszufriedenheit (Satisfier) oder Arbeitsunzufriedenheit (Dissatisfier). Arbeitszufriedenheit und Arbeitsunzufriedenheit werden daher als zwei unabhängige Dimensionen betrachtet.18
Dissatisfier
Satisfier
Bezahlung Kollegen
Führen zu Zufriedenheit
Vorgesetzter Arbeitsbedingungen
Leistungserfolg
Arbeitsplatzsicherheit
Anerkennung
Unternehmenspolitik
Arbeitsinhalte
etc.
Verantwortung Aufstiegsmöglichkeiten
Führen zu Unzufriedenheit
Faktoren, die starke Unzufriedenheit bewirken (Hygienefaktoren)
Abbildung 2:
17 18 19
Persönliche Weiterentwicklung
Faktoren, die starke Zufriedenheit bewirken (Motivatoren)
Die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG ET AL.19
Vgl. HOMBURG/STOCK (2006), S. 27. Vgl. SCHWETJE (1999), S. 23 ff. Vgl. BAUER/NEUMANN/LANGE (2004), S. 7.
476
HANNIG/KRUMM
Der wichtige Beitrag der Theorie liegt in der Beschreibung und Wirkungsweise der Hygienefaktoren und Motivatoren. Die Hygienefaktoren werden den Dimensionen „unzufrieden“ und „nicht-unzufrieden“ zugeordnet und führen bei optimaler Erfüllung nicht zu Zufriedenheit, sondern zu einem neutralen Zustand, den man als „Nichtunzufriedenheit“ bezeichnet. Mit Hygienefaktoren lässt sich also lediglich Unzufriedenheit vermeiden. Die Motivatoren bewertet man in den Ausprägungen „zufrieden“ und „nicht-zufrieden“ und führen bei optimaler Ausgestaltung in der Praxis zur echten Zufriedenheit von Mitarbeitern. Werden die Erwartungen hinsichtlich der Motivatoren nicht erfüllt, entsteht keine (ausgeprägte) Unzufriedenheit. Kritische Anmerkungen in der Literatur beziehen sich auf die Vereinfachung des Zufriedenheitsbegriffs und strikte Klassifizierung der Faktoren in zwei Kategorien.20 Für die Praxis bietet die Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG ein anschauliches und leicht nachvollziehbares Modell, um die Motivation und Stimmung in Verkaufsteams zu analysieren und blinde Flecken im Führungsverständnis aufzuzeigen. Die Aussage des Chefs „dafür werden Sie doch bezahlt“ führt eben nicht zu einer echten Steigerung des Engagements und der Freundlichkeit. Gerade die Bedeutung von variabler materieller Entlohnung, leistungsabhängigen Provisionen etc. als Bestandteile der Vertriebssteuerung in der heutigen Praxis können vor dem Hintergrund dieses Modells durchaus kritisch hinterfragt werden. 4.1.3
Das Modell von KANO
In der Logik der Zwei-Faktoren-Theorie von HERZBERG (mit Blick auf Mitarbeiter) entwickelte KANO ein Modell, das Hinweise auf die Einflussfaktoren für die Zufriedenheit von Kunden gibt. Die Faktoren werden nach der Stärke ihres Einflusses auf die Kundenzufriedenheit in drei unterschiedliche Arten klassifiziert:21 Basisanforderungen (expected requirements) umfassen die Leistungen, die der Kunde als selbstverständlich voraussetzt und nicht explizit verlangt. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, entsteht Unzufriedenheit. Werden sie erfüllt, werden sie nicht durch besondere Zufriedenheit honoriert, sondern als selbstverständlich wahrgenommen. Ein Beispiel: Möchte ein Kunde DSL oder Mobilfunk nutzen, erwartet er, dass die Technik funktioniert. Ist dieses der Fall, wird der Kunde nicht begeistert von dieser Erfahrung berichten und die Mitarbeiter im Shop beglückwünschen. Leistungsanforderungen (normal requirements) werden vom Kunden ausdrücklich verlangt. Werden diese bewusst formulierten Anforderungen nicht erfüllt, entsteht massive Unzufriedenheit. Bei Erfüllung stellt sich eine moderate Zufriedenheit ein, wobei die Leistung des Unternehmens als austauschbar wahrgenommen wird. Hat also ein Kunde ein konkretes Beratungs- und Serviceanliegen und werden seine Erwartungen erfüllt, führt das zu einer moderaten Zufriedenheit. Begeisterungsfaktoren (delightful requirements) sind Eigenschaften, die der Kunde nicht erwartet, ihn positiv überraschen und den Wert der Leistung in seinen Augen erhöhen. Die Begeisterungsfaktoren sind dazu geeignet, das Produkt oder die Dienstleistung „spürbar“ vom Wettbewerber abzuheben. Finden diese Faktoren im Kundenkontakt nicht statt, wird der Kunde nicht unzufrieden sein. Gelingt es aber, Begeisterungsmomente im Kundenkontakt zu 20 21
Vgl. WINTER (2005), S. 23 ff. Vgl. HALLER (2002), S. 42 ff., und SAUERWEIN (2000), S. 25 ff.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
477
schaffen und die Erwartungen des Kunden weit zu übertreffen, hebt man sich deutlich vom Wettbewerber ab und gewinnt einen Kunden als Fan und Botschafter für das Unternehmen. Im Zeitablauf verändert sich die Klassifizierung der Faktoren: Begeisterungsfaktoren werden möglicherweise vom Mitbewerber kopiert und irgendwann als Basisfaktoren als selbstverständlich vorausgesetzt. So kann man die klassische „Tasse Kaffee“ während einer Beratung heute nicht mehr als innovativ bezeichnen. Das Modell veranschaulicht eindrücklich, dass die Erfüllung von Basisanforderungen keine Kundenbegeisterung schafft. Damit sind die Mitarbeiter am Point of Sale herausgefordert, in jedem Kundenkontakt einzigartige und begeisternde Erlebnisse zu vermitteln, die möglichst nicht kopierbar und finanziell überschaubar sind. Die Begeisterung gelingt umso besser, je präziser der Verkäufer die Kundenbedürfnisse und -motive erfasst und damit Nutzenaspekte von Kommunikationslösungen aufzeigen kann, an die der Kunde noch nicht gedacht hat. Je umfassender die Nutzenerkenntnis und damit die Zufriedenheit, desto höher auch die Bereitschaft, zusätzliche Angebote (Cross Buying) zu kaufen. Wir wissen aus internen Marktforschungsuntersuchungen, dass Kunden mit zusätzlichen Käufen (Cross Buying) tendenziell zufriedener sind als Kunden, die lediglich ihr Anliegen lösen und „zufrieden“ den Shop verlassen. Kunde zufrieden
Leistungsfaktoren
Begeisterungsfaktoren
¾ Spezifiziert ¾ Ausgesprochen ¾ Bewusst
¾ Nicht erwartet ¾ Nicht ausgesprochen ¾ Noch nicht bewusst
Anforderungen nicht erfüllt
Anforderungen erfüllt
Basisfaktoren ¾ Selbstverständlich ¾ Nicht ausgesprochen ¾ (fast) nicht mehr bewusst
Kunde unzufrieden
Abbildung 3:
22
Das KANO-Modell22
Vgl. BEGER/BLAUTH/BOGER/BOLSTER/BURCHILL/DUMOUCHEL/POULIOT/RICHTER/RUBINOFF/SHEN/TIMKO/ WALDEN (1993), S. 26.
478
4.1.4
HANNIG/KRUMM Die Equity-Theorie nach ADAMS
Die Equitity-Theorie von ADAMS (1965), die auch als „Gerechtigkeitstheorie“ bezeichnet wird, geht von dem Ansatz aus, dass Menschen sich ständig in sozialen Austauschsituationen befinden, wobei sie einen Einsatz (Input) leisten und im Gegenzug einen Ertrag (Outcome) erhalten. Dabei wird von den Beteiligten überprüft, ob Aufwand und Ertrag gerecht verteilt sind. Die in diesem Prozess entstehende Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit entspricht der gefühlten Gerechtigkeit hinsichtlich der Verteilung von Aufwand und Ertrag. Der Aufwand umfasst nicht nur materielle Kosten (Geld), sondern auch immaterielle Aufwendungen wie Zeit, Anstrengungen und Verzicht. Der Ertrag umfasst ebenfalls materielle und immaterielle Dimensionen.23 Zwei Beispiele: Besucht ein Kunde den Shop, so investiert er Zeit und Geld für die Anreise zuzüglich möglicher Parkhausgebühren, nimmt mögliche Wartezeiten im Shop in Kauf und investiert die Zeit für den Kontakt mit dem Verkäufer. Zusätzlich wird der Kaufpreis fällig. Auf der Ertragsseite erhält der Kunde wertvolle Erkenntnisse in der Beratung, die ihm Sicherheit über die richtige Entscheidung und „ein gutes Gefühl“ vermitteln; er erhält ein Produkt oder eine Dienstleistung, die er täglich nutzen kann und das Leben erleichtert und weiteren persönlichen Nutzen stiftet. Ein Beschäftigter eines Unternehmens stellt seine (Arbeits-)zeit, Aufmerksamkeit, Energie und seine Kompetenzen zur Verfügung, um im Rahmen seiner Arbeit die erwarteten Ergebnisse zu erzielen. Als Ertrag erhält er seinen Lohn/Gehalt, die Sozialleistungen und – im günstigen Fall – eine hohe Befriedigung durch eine interessante und erfüllende Tätigkeit (siehe auch Motivatoren bei HERZBERG). Die Equity-Theorie bietet ein anerkanntes und flexibles Erklärungsmodell für unterschiedliche Situationen an, in denen Menschen interagieren: sowohl zur Analyse der Mitarbeiterzufriedenheit und Leistungsbereitschaft im Verkauf als auch zur Erklärung der Dynamik im Kontakt zwischen Verkäufer und Kunde. Grundgedanken dabei sind Prinzipien der subjektiven Gerechtigkeit eines Mitarbeiters oder Kunden und das Bestreben, bei einer gefühlten Ungerechtigkeit eine ausgleichende Gerechtigkeit herzustellen. Erfährt beispielsweise ein Verkäufer über eine längere Zeit keine Rückmeldung über sein Verhalten im Kundenkontakt, obwohl er sich anstrengt, erhält er nach dem Verständnis der Theorie also keinen Ertrag (positive Wertschätzung, Lob durch Vorgesetzten). Wahrscheinlich wird er auf Dauer seinen eigenen Einsatz reduzieren, da sein Engagement „keinen interessiert“. Auch wird ein Kunde, der vor der Beratung schon 20 Minuten Wartezeit investiert hat, eine besondere Zuwendung (Entschuldigung für die Wartezeit) erwarten, damit er seine Aufwands-Ertragsrelation als angemessen empfindet. Die dargestellten theoretischen Modelle zur Erklärung der Entstehung von Zufriedenheit werden im sechsten Kapitel aufgegriffen, um die Relevanz und Wirksamkeit von Qualifizierungsmaßnahmen zur Steigerung der Mitarbeiter-/Kundenzufriedenheit aufzuzeigen.
23
Vgl. KOSCHATE (2002), S. 74 ff.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
4.2
Mitarbeiterzufriedenheit am Point of Sale
4.2.1
Allgemeine Bestimmungsfaktoren der Mitarbeiterzufriedenheit
479
Die Messung der Mitarbeiterzufriedenheit bzw. Arbeitszufriedenheit (Mitarbeiterzufriedenheit und Arbeitszufriedenheit werden in der Literatur vielfach synonym verwendet24) im deutschsprachigen Raum wurde grundlegend durch den Arbeitsbeschreibungsbogen (ABB) von NEUBERGER/ALLERBECK geprägt.25 Im ABB werden folgende Zufriedenheitsdimensionen branchenübergreifend aufgeführt: Tätigkeit (Inhalte, Abwechslungsreichtum, Anforderungsgehalt), Arbeitszeit, Entlohnung, Kollegen, Führungskräfte, Organisation, berufliche Entwicklung, Arbeitsplatzsicherheit. Winter führt in ihrer Studie zur Messung der Mitarbeiterzufriedenheit zwei weitere Dimensionen ein, die besonders bei Verkaufs- und Beratungstätigkeiten im Handel eine wichtige Rolle spielen: 26 ¾ Wahrgenommene Kundenzufriedenheit ¾ Unternehmensleitbild In einem Shop mit mehreren hundert Kundenkontakten pro Tag ist es nachvollziehbar, dass die vom Verkäufer wahrgenommene Kundenzufriedenheit sehr stark die eigene Stimmung beeinflusst, sowohl positiv als auch – in Reklamations- und Beschwerdefällen – negativ. SCHWETJE belegt in seiner Untersuchung im Warenhausbereich, dass die Wirkung der wahrgenommenen Kundenzufriedenheit auf die Mitarbeiterzufriedenheit eindeutig nachweisbar ist, während in umgekehrter Richtung kein signifikanter Zusammenhang feststellbar ist.27 Das Unternehmensleitbild beinhaltet die Vorstellungen über die Werte und Verhaltensgrundsätze der Organisation und stellt damit den Identifikationsrahmen für das persönliche Verhalten im Kundenkontakt dar. In empirischen Untersuchungen konnte eine positive Korrelation zwischen der Zufriedenheit von Mitarbeitern und der Identifikation mit dem Leitbild sowie dem damit verbundenen Vertrauen in die Organisation nachgewiesen werden.28 Die Analyse von besonders erfolgreichen Verkaufsteams zeigt, dass sich die Mitarbeiter – zusätzlich zur Identifikation mit dem Gesamtunternehmen – als eine „Marke“ im lokalen Wettbewerbsumfeld verstehen, mit der sie sich identifizieren und eine unverwechselbare Teamkultur kreieren. In Handelsunternehmen sind Top-Verkäufer erst wirklich zufrieden, wenn sie Ziele maximal erreichen und bei Verkaufswettbewerben „absahnen“. Die vorherrschende Einstellung ist der Wille zu gewinnen, woraus bei eintretendem Erfolg die persönliche Zufriedenheit entsteht.
24 25 26 27 28
Vgl. VOM HOLTZ (1998), S. 27. Vgl. SCHWETJ (1999), S. 59, und WINTER (2005), S. 27. Vgl. WINTER (2005), S. 32 f. Vgl. SCHWETJE (1999), S. 215 f. Vgl. WINTER (2005), S. 33, und BAUER/NEUMANN/LANGE (2004), S 26.
480
4.2.2
HANNIG/KRUMM
Die Mitarbeiterbefragung als Analyseinstrument
Aus unternehmerischer Perspektive ist die Beschäftigung mit dem Thema Mitarbeiterzufriedenheit kein Selbstzweck, sondern soll letzten Endes einen positiven Beitrag zu mehr Wirtschaftlichkeit liefern.29 Lag in den 70er Jahren der Fokus von Mitarbeiterbefragungen auf der Analyse des Arbeitsklimas und der Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen, so hat sich seit den 90er Jahren ein anderes Grundverständnis durchgesetzt. Mit Blick auf die Globalisierung und den damit verbunden Veränderungen in Unternehmen erfuhr die Bereitschaft der Mitarbeiter, Change-Prozesse aktiv mit zu gestalten und sich im Sinne des organizational citizenship zu verhalten, eine völlig neue Bedeutung. Deshalb geht es bei Mitarbeiterbefragungen der heutigen Generation weniger um die Zufriedenheit als Einstellung, sondern mehr um verhaltensorientierte Faktoren.30 Die im folgenden beispielhaft dargestellte Mitarbeiterbefragung basiert auf dem Paradigma der „High Performance Organisation“, das davon ausgeht, dass die Leistung des Unternehmens im Wesentlichen durch folgende drei Faktoren bestimmt wird: 31 ¾ Das Engagement der Mitarbeiter ¾ Die organisatorischen Rahmenbedingungen ¾ Die Fokussierung auf Unternehmensziele und -strategie Das Engagement umschreibt die kognitive und emotionale Verbundenheit, die Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit, Organisation, ihren Kollegen und Vorgesetzten fühlen und die sie zu besonderen Anstrengungen motiviert. Als verhaltensrelevante Einstellung steht das Engagement im direkten Verhältnis zur persönlichen Arbeitsleistung. Die organisatorischen Rahmenbedingungen einer „High Performance Organisation“ beziehen sich auf die folgenden Dimensionen: ¾ eine klare, fokussierte, am Kunden orientierte Strategie ¾ flache, flexible, schnelle Organisationsstrukturen ¾ eine ausgeprägte Leistungskultur ¾ ein hohes Qualitätsniveau im täglichen Betrieb Die Fokussierung auf Unternehmensziele und -strategien bedingt, dass die Ziele und die Ausrichtung der Bereiche konsequent abgestimmt und heruntergebrochen werden bis zu jedem Einzelnen, der den eigenen Beitrag für das Gesamtergebnis verinnerlicht. Abgeleitet aus der Unternehmensausrichtung und den strategischen Herausforderungen werden im vorliegenden Beispiel als Zielgrößen der Befragung das Engagement und Serviceverhalten definiert. Aus den Antworten der Belegschaft zu einem differenzierten Fragebogen könne mittels PLS (Partial-Least-Square-Ansatz zur Analyse kausaler Wirkungszusammenhänge) neun Einflussgrößen ermittelt werden, die auf beide Zielgrößen einwirken. 29 30 31
Vgl. BAUER/NEUMANN/LANGE (2004), S. 1 f. Vgl. FREIBURG (2009), S. 56. Vgl. GFK TRUSTMARK.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
481
Zielgrößen der Befragung
Einflussgrößen
¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Führung/ Leadership
Tätigkeit und Qualität Prozesse und Strukturen Unternehmenskultur Strategie Senior Management Empowerment Wissenstransfer und berufliche Entwicklung ¾ Nächst höhere Führungskraft
Abbildung 4:
¾Serviceverhalten ¾Engagement
Einflussgrößen und Zielgrößen der Mitarbeiterbefragung
Die Einflussgrößen lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Zum einen wirkt die Dimension Führung/Leadership als Einflussgröße auf alle acht organisatorischen Rahmenbedingungen im Unternehmen. Gemeint ist hier die direkte Führungskraft. Darüber hinaus werden in der Kategorie „Einflussgrößen“ weitere Führungshierarchien aufgeführt: Das Senior Management bezieht sich auf die oberste Ebene des Managements, also die Ebene der Geschäftsführung. Mit der „nächst höheren Führungskraft“ ist der Vorgesetzte des eigenen Chefs gemeint. Die acht Einflussgrößen definieren die organisatorischen Rahmenbedingungen und bilden für jeden Mitarbeiter den Kontext, innerhalb dessen er sein Serviceverhalten und Engagement entfaltet.
Einflussfaktoren
Gewichteter Einfluss auf Engagement
Serviceverhalten
Strategie Tätigkeit und Qualität Senior Management Unternehmenskultur Wissenstransfer/berufl. Entwicklung Prozesse und Strukturen Empowerment Nächsthöhere Führungskraft
Abbildung 5:
Gewichtung der Einflussfaktoren auf Engagement und Serviceverhalten für eine Organisationseinheit
482
HANNIG/KRUMM
In den weiteren Berechnungen wurde die Stärke einzelner Einflussfaktoren auf die Zielgrößen Engagement und Serviceverhalten innerhalb einer Betrachtungs-/Organisationseinheit ermittelt. Die Ausprägungen umfassten sowohl die persönliche Wichtigkeit des jeweiligen Items als auch deren Erfüllung im Arbeitsalltag. Somit konnten unter Beibehaltung eines bundesweiten Unternehmensstandards die individuellen Besonderheiten unterschiedlicher Unternehmenseinheiten berücksichtig werden. Damit können die tatsächlichen Treiber für Verbesserungsmaßnahmen zum aktuellen Zeitpunkt optimal ermittelt werden. In der Analyse werden Gemeinsamkeiten, aber auch starke Unterschiede in der Gewichtung der Einflussfaktoren deutlich, woraus sich Indikationen für die Entwicklung von Optimierungsmaßnahmen, Führung von Verkaufsteams und Qualifikation der Mitarbeiter ableiten lassen.
1. Priorität: Weiter so!
hoch
1. …
1. …
2. …
2. …
3. …
3. …
Bewertung niedrig
Abbildung 6:
2. Priorität: Stärken ausbauen
3. Priorität: Im Auge behalten
1. Priorität: Handeln!
1. …
1. …
2. …
2. …
3. …
3. …
Einfluss auf das Engagement/Serviceverhalten
hoch
Ableitung von Optimierungsmaßnahmen in Abhängigkeit der Wichtigkeit und Bewertung der Treiber für Engagement und Serviceverhalten
In der Praxis beginnt die eigentliche Arbeit, wenn die Ergebnisse gemeinsam mit Teams und Führungskräften analysiert und ausgewertet werden. In Workshops weicht die anfängliche Skepsis über die Bewertungen einer zunehmenden Neugier auf zusätzliche Erkenntnisse, die man über die (unbewussten) Annahmen und Wirkung der eigenen Führung gewinnt. Beispielsweise wird das Verhalten im Kundenkontakt – neben den Erfordernissen der Tätigkeit – am zweitstärksten durch die Unternehmenskultur bzw. Führungskultur beeinflusst. Verhalten sich Verkäufer nicht in der gewünschten Weise (z. B. in der Phase der Bedarfsanalyse oder Cross Selling), besteht in der Praxis die Tendenz, Schulungen nachzufragen; die
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
483
Ursachen für das Verhalten werden in der mangelnden Handlungskompetenz des Einzelnen gesehen. Auch das Training on the Job bzw. Coaching beruht auf der Annahme, dass der Einzelne sein Verhalten reflektieren und neue Verhaltensweisen einüben kann. Ändert sich jedoch nicht die Teamkultur, profitiert mittelfristig von der Qualifikationsmaßnahme nur der Trainer oder Coach. Die seit vielen Jahren erhobene Forderung nach Nachhaltigkeit ist in diesem Zusammenhang keine Frage ausgefeilter Qualifikations- und Schulungskonzepten, sondern der Kulturentwicklung für Teams und Unternehmen. Eine weitere interessante Einsicht bietet die Gewichtung der „Prozesse und Strukturen“ auf das Engagement. Komplexe Prozesse beeinflussen in hohem Maße das Serviceverhalten, beeinträchtigen aber kaum das Engagement. Der Eindruck in der Praxis lässt vermuten, dass bei idealen Prozessen auch das Engagement viel höher sein müsste und dass mangelhafte Prozesse zur Demotivation führen würden. Beim Vergleich von unterschiedlichen Teams kommt man jedoch zur verblüffenden Erkenntnis, dass die subjektiven Bewertungen von Systemproblemen beträchtlich voneinander abweichen. Die These „gute Prozesse – hohes Engagement“ stimmt also nur bedingt. Andererseits kann man davon ausgehen, dass Prozesshemmnisse während der Kundenberatung die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen, was sich wiederum negativ auf den Verkäufer auswirkt. Ein wesentlicher Treiber für hohes Engagement ist die Kenntnis der Unternehmensstrategie und der Zusammenhang zur eigenen Tätigkeit, d. h. die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit im größeren Kontext wird erkannt. Im Verlauf der weiteren Untersuchung wird der Fokus auf die wichtigsten verhaltensrelevanten Einflussfaktoren gelegt: Führung, Tätigkeit und Qualität, Unternehmenskultur, Prozesse und Strukturen. Als weiterer Faktor, der den höchsten Einfluss auf das Engagement hat und auch für das Verhalten bedeutsam ist, wird die Strategie beleuchtet.
4.3
Kundenzufriedenheit am Point of Sale
4.3.1
Allgemeine Bestimmungsfaktoren der Kundenzufriedenheit
Die Sicherung und Steigerung der Kundenzufriedenheit als unternehmerische Ziel- und Steuerungsgröße ist für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens überlebenswichtig. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, führt eine hohe Kundenzufriedenheit zu positiven Effekten wie Erhöhung der Loyalität und Zahlungsbereitschaft (u. a. Cross Buying) von Kunden, höherer Weiterempfehlungsabsicht, Immunisierung gegenüber dem Wettbewerb und damit letztlich zu einer höheren Unternehmensprofitabilität. Zur Ermittlung der Kundenzufriedenheit haben sich in der Literatur – im Gegensatz zur Mitarbeiterzufriedenheit – keine einheitlichen und branchenübergreifenden Bestimmungsfaktoren herausgebildet.32 Zu unterschiedlich sind die Einflussfaktoren in Abhängigkeit von Produkten und der Kaufprozesse.33 Im Deutschen Kundenbarometer, das die Kundenzufriedenheit im Warenhausbereich untersucht, werden folgenden Zufriedenheitstreiber untersucht: Sortiment, Preise, Beratung und persönliche Interaktion, Standort bzw. Erreichbarkeit, 32 33
Vgl. SCHARNBACHER/KIEFER (1998), S. 5. Vgl. WINTER (2005), S. 33.
484
HANNIG/KRUMM
tangibles Umfeld, Zuverlässigkeit, Zusatzleistungen, Werbung und Kassen.34 Einen wichtigen Einflussfaktor stellt im Telekommunikationsmarkt die Prozessqualität (Freischaltungszeiten von Aufträgen etc.) dar. Für den beratungsintensiven Point of Sale im Telekommunikationsmarkt können die Treiber der Kundenzufriedenheit 4 Kategorien zugeordnet werden:35 ¾ Qualität der Produkte/Dienste (Netzqualität, Produktportfolio etc.) ¾ Qualität des Service (Erreichbarkeit und Qualität der Hotline, Umzugsservice, Garantieleistungen etc.) ¾ Qualität der Prozesse (Rechnungsstellungen, Bereitstellungszeiten etc.) ¾ Qualität der Interaktion (Beratungskompetenz und Freundlichkeit der Mitarbeiter etc.) Bei komplexen Produkt- und Dienstleistungsangeboten kann der Kunde in der Regel die Qualität der einzelnen Bestandteile nur begrenzt beurteilen, weshalb die Interaktion mit dem Mitarbeiter in den Vordergrund tritt. Das kundenorientierte Verhalten des Verkäufers wird damit umso bedeutsamer für die Entwicklung der Kundenzufriedenheit, je weniger der Kunde das Angebot überblicken und die Qualität bewerten kann.36 Je länger die Interaktion zwischen Verkäufer und Kunde dauert, desto mehr steigt bei positivem Gesprächsverlauf die Zufriedenheit des Kunden mit dem Verkäufer und gewinnt im Rahmen der Gesamtzufriedenheit an Bedeutung.37 Umgekehrt steigt bei negativem Gesprächsverlauf die Unzufriedenheit des Kunden. Kundenzufriedenheit im Kontakt mit dem Verkaufspersonal entsteht, wenn die folgenden Anforderungen erfüllt werden: Freundlichkeit, Beratungskompetenz, Erscheinungsbild und Verfügbarkeit des Personals.38 4.3.2
Messung der Kundenzufriedenheit durch ACCI
Um jedem Kunden ein hervorragendes Service- und Verkaufserlebnis zu bieten, sollte die Kundenzufriedenheit systematisch und regelmäßig gemessen werden, beispielsweise durch ACCI (After Contact Customer Interview). Dabei werden zufällig ausgewählte Kunden innerhalb einer Woche nach dem Shopbesuch angerufen und befragt, um Erkenntnisse für die Qualität der Interaktion zwischen Verkäufer und Kunde sowie der Lösungsqualität (Service & Prozesse) im Kundenkontakt zu erhalten. Des Weiteren können bedarfsweise Sonderuntersuchungen zu aktuellen Problemstellungen durchgeführt werden. Die Fragen orientieren sich an Einflussfaktoren bzw. Auswirkungen der Kundenzufriedenheit und können sich auf folgende Dimensionen beziehen:
34 35 36 37 38
Vgl. MEYER/DORNBACH (1996), S. 90 f. Vgl. STOCK (2007), S. 2, und KEUPER (2002), S. 134. Vgl. BRUHN/STAUSS (2000), S. 23. Vgl. PRICE/ARNOULD/DEIBLER (1995), S. 46 f., und SCHWETJE (1999), S. 208. Vgl. SCHWETJE (1999), S. 52.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
485
¾ Gesamtzufriedenheit mit dem Shopbesuch (Gesamteindruck) ¾ Zufriedenheit mit der Beratung ¾ Weiterempfehlungsabsicht – Net Promoter Score (NPS) ¾ Single Contact Resolution Rate (SCRR – sofortige Lösung eines Service-Anliegens) ¾ Zufriedenheit mit der Wartezeit ¾ Cross-Selling-Aktivitäten Die Ergebnisse spiegeln das Feedback der Kunden über ihre Beratungs- und Kauferlebnisse im Shop wider. Durch den Quervergleich mit anderen Shop-Ergebnissen lassen sich Effekte herausfiltern, die nicht durch den einzelnen Shop beeinflussbar sind. Somit hat jede Führungskraft eine Datenbasis, um die Stärken und individuellen Schwachstellen für das perfekte Kundenerlebnis zu erkennen und ggf. zu beheben. Für den einzelnen Shop liefern die Daten im Zeitablauf eine transparente Rückmeldung über die Wirksamkeit von eingeleiteten Maßnahmen, um die Qualitätsparameter zu verbessern. Als wichtige Größe für die Ausprägung der Kundenzufriedenheit hat sich der NPS (Net Promoter Score) als Index für die Weiterempfehlungsabsicht entwickelt. Mit einer einzigen Zahl lassen sich Rückschlüsse auf die Service- und Verkaufsqualität der Verkaufsteams ziehen. In speziellen Auswertungen kann eine positive Korrelation zwischen Cross-Selling-Ansätzen und Kundenzufriedenheit festgestellt werden. Dieser Zusammenhang lässt sich über das Engagement und die Beratungskompetenz des Verkäufers erklären: Der Kunde wird bedarfsgerecht und proaktiv beraten und erkennt im Gespräch neue, persönliche Lösungsmöglichkeiten und Nutzenaspekte im Hinblick auf Kommunikationslösungen. Damit steigt seine Kauf- und Zahlungsbereitschaft und führt zu einer echten Win-Win-Situation, wenn er die Kaufentscheidung trifft. Diese Erkenntnis relativiert die hin und wieder von Verkäufern geäußerten Vorbehalte am „produkt- bzw. absatzorientierten“ Zielsystem im Verkauf, was als Aufforderung wahrgenommen werden kann, dem „Kunden etwas aufschwatzen“ zu müssen. Entscheidend ist, wie flexibel und kundenorientiert der Verkäufer agiert. In Anlehnung an die Systematik von HERZBERG (Hygienefaktoren – Motivatoren) wurden Kunden auf ihre verhaltensrelevante Einstellung nach dem Besuch befragt: welche Erlebnisse sie zum nächsten Kauf im Shop motivieren bzw. welche Erlebnisse sie veranlassen, den Shop nicht mehr zu besuchen. Rund 33% der Kunden, die das nächste Produkt wieder im Shop kaufen, werden durch die kompetente Beratung motiviert. Für rund 37% der Kunden, die keinen Kauf mehr im Shop beabsichtigen, besteht der Grund in der zu langen Wartezeit. Daraus lässt sich ablesen, dass der Wunsch des Kunden „nicht warten müssen“ einen Hygienefaktor darstellt, dessen Nichterfüllung zu extremer Unzufriedenheit führen kann. Ein effizientes und einladendes Kundenmanagement ist somit die Voraussetzung für erfolgreiche Beratungs- und Verkaufserlebnisse. Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.
486
HANNIG/KRUMM
5
Wirkungszusammenhänge zwischen Mitarbeiterund Kundenzufriedenheit
5.1
Ausgewählte Untersuchungen in der Literatur
Auf die Frage, ob es eine positive Korrelation zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit gibt, wird man intuitiv einen Zusammenhang unterstellen. Je zufriedener und motivierter der Mitarbeiter, desto positiver der Einfluss auf die Kundenzufriedenheit. Die wissenschaftlichen Untersuchungen in den letzten 10 Jahren kommen in dieser Frage zu unterschiedlichen Ergebnissen: es gibt sowohl Untersuchungen, in denen ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Gesamtzufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden nachgewiesen wird als auch Schlussfolgerungen, dass kein Zusammenhang existiert. Die Ursache für die unterschiedlichen Befunde liegt in der Komplexität des Konstrukts Mitarbeiterzufriedenheit und in den verschiedenen Ansätzen zur Theorie- und Modellbildung.39 Aus kommunikationspsychologischer Perspektive findet bei der Begegnung von Menschen immer eine gegenseitige Beeinflussung statt, die eine bewusste und/oder unbewusste Auswirkung auf die emotionale Befindlichkeit haben. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, so das Axiom von PAUL WATZLAWICK.40 Selbst das Schweigen zwischen zwei Menschen kann manchmal mehr bewirken als viele Worte. Das persönliche Verhalten bildet also ein wichtiges Wirkungselement zur gegenseitigen Beeinflussung und damit zur Beeinflussung der Zufriedenheitskonstrukte.
Mitarbeiterverhalten
b
Mitarbeiterzufriedenheit
Das Verhalten als „Wirkungselement“ zur Beeinflussung der Zufriedenheit
b
Kundenzufriedenheit
Kundenverhalten
Abbildung 7:
39 40 41
Modell zum verhaltensorientierten Zusammenhang zwischen Mitarbeiterund Kundenzufriedenheit41
Vgl. STOCK (2007), S. 39 ff. Vgl. WATZLAWICK/BEAVIN/JACKSON (1996), S. 53. Vgl. WINTER (2005), S. 84.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
487
WINTER versteht die Zufriedenheiten als „multiattributive Konstrukte“ (Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit setzen sich aus einer Reihe von Dimensionen bzw. Teilzufriedenheiten zusammen) und untersucht die Wechselwirkungen zwischen Teilzufriedenheiten. Sie kommt in ihrer mehrebenenanalytischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass bestimmte Dimensionen der Mitarbeiterzufriedenheit das Mitarbeiterverhalten signifikant beeinflussen, das auf den Kunden wirkt. Dieser wiederum erlebt das Verhalten des Mitarbeiters und verhält sich adäquat (in der Regel nach dem Prinzip der Equity Theorie: wie du mir, so ich dir). Der Mitarbeiter nimmt das Kundenverhalten wahr und schließt daraus auf dessen Zufriedenheit, was sich wiederum auf die eigene Befindlichkeit bzw. Zufriedenheit auswirkt. Im Einzelnen beeinflussen sich folgende personenbezogenen Faktoren gegenseitig: ¾ Mitarbeiterbezogene Dimensionen der Kundenzufriedenheit ¾ Mitarbeiterverhalten (vom Kunden wahrgenommene Servicebereitschaft, Freundlichkeit und Beratungskompetenz) ¾ Mitarbeiterverfügbarkeit (Anzahl der verfügbaren Mitarbeiter, Wartezeit) ¾ Einflussfaktoren auf die Mitarbeiterzufriedenheit, die sich positiv und messbar im kundenorientierten Verhalten manifestieren, sind: ¾ Die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit den Kollegen ¾ Die Identifikation mit dem Unternehmensleitbild ¾ Die Zufriedenheit mit der Kundenorientierung des Unternehmens ¾ Die wahrgenommene Kundenzufriedenheit Aus Gründen der Einfachheit wird in den folgenden Ausführungen der Einfluss von moderierenden Effekten durch Faktoren, die auf den Interaktionsprozess einwirken, vernachlässigt. Diese betreffen Gegebenheiten, auf die der Verkäufer keinen Einfluss hat wie z. B. der Altersunterschied zwischen Verkäufer und Kunde, die Dauer der Beziehung zwischen Verkäufer und Kunde, spezielle Erwartungen und Bedürfnisse des Kunden, aktuelle Pressemeldungen zum Unternehmen etc.42 Das Modell (Abbildung 7) bietet eine ganzheitliche Sicht auf die Interaktion zwischen Verkäufer und Kunde und eröffnet neue Ansätze zur nachhaltigen Qualitätssteigerung im Kundenkontakt. In diesem Grundverständnis können die Erkenntnisse aus der Analyse von Mitarbeiter- und Kundenbefragungen zusammengeführt werden.
42
Vgl. STOCK (2007), S. 92.
488
HANNIG/KRUMM
5.2
Das Wirkungsmodell für den Point of Sale
Aufbauend auf dem Wirkungsmodell von Winter lassen sich Ergebnisse aus Mitarbeiter- und Kundenbefragungen in einem differenzierten Gesamtmodell für den Point of Sale zusammenfassen.
¾ ¾ ¾ ¾
Tätigkeit / Qualität Unternehmenskultur Prozesse / Strukturen …
Verhalten
b
Mitarbeiter
¾ ¾ ¾ ¾
Strategie Tätigkeit / Qualität Senior Management …
Engagement
b
Kunde
Verhalten
¾ ¾ ¾ ¾ ¾
¾ ¾ ¾
Operationalisierte Zielgrößen der Mitarbeiterzufriedenheit
Abbildung 8:
Zufriedenheit
Operationalisierte Zielgrößen der Kundenzufriedenheit
¾ ¾
Beratungsqualität Wartezeit SCRR Cross Selling Aktivitäten …
Weiterempfehlung Willingness to pay Cross Buying Wiederkauf …
Verhaltensorientierter Zusammenhang zwischen den mitarbeiterrelevanten Einflussfaktoren und den kundenbezogenen Ergebnissen
Die Darstellung geht von der Annahme aus, dass ein hohes Engagement des Mitarbeiters (Organizational Commitment) sich in einem ausgeprägten kundenorientierten Verhalten äußert. Im Idealfall resultiert daraus eine hohe Kundenzufriedenheit, die sich im Kaufverhalten und einer hohen Empfehlungsbereitschaft ausdrückt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die jeweils drei wichtigsten Treiber für das Verhalten (Tätigkeit/Qualität, Unternehmenskultur, Prozesse/Strukturen) und Engagement (Strategie, Tätigkeit/Qualität, Senior Management) der Mitarbeiter in abnehmender Stärke aufgeführt. Im Kontakt zwischen Verkäufer und Kunde resultiert die Zufriedenheit des Kunden überwiegend aus dem Verhalten des Verkäufers. In der Kundenbefragung (ACCI) können die folgenden Zufriedenheitsdimensionen abgefragt werden: ¾ Beratungsqualität: Kompetenz und Umgang mit dem Kunden ¾ Wartezeit: Die „gefühlte“ Wartezeit ist geringer, wenn der Kunde direkt beim Betreten des Shops wahrgenommen und begrüßt wird. Allerdings kann eine zu hohe Wartezeit durch Freundlichkeit nicht kompensiert werden ¾ SCRR: Lösung für sein Anliegen im direkten Kontakt mit dem Verkäufer ¾ Cross-Selling-Aktivitäten: Bemühen des Verkäufers, aktiv zusätzliche Lösungen aufzuzeigen
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
489
Die Weiterempfehlungsabsicht dokumentiert die Bereitschaft des Kunden nach dem Shop Besuch, Freunden und Bekannten gegenüber als Multiplikator und Botschafter für die Angebote oder einen Shop Besuch aufzutreten. Die Weiterempfehlungsabsicht ist deshalb so wichtig, weil sie das (beabsichtigte) Verhalten des Kunden beleuchtet und – wie in Kapitel 4.3 erläutert – als wichtige Kenngröße (NPS) der Kundenzufriedenheit verwendet wird. Die Kundenzufriedenheit kann zu einer höheren Kauf- und Zahlungsbereitschaft (Willingness to Pay, Cross Buying, Wiederkauf) führen, die dem Verkäufer wiederum den Erfolg seiner Beratungsqualität bestätigt und eine verstärkende Wirkung auf seine Motivation ausübt. Nichts motiviert eben mehr als Erfolg. Die Wirkung des Kundenverhaltens auf das Engagement und die Zufriedenheit des Verkäufers wird in der Praxis nach den Erfahrungen der Verfasser unterschätzt. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zum Schluss kommen, dass die Wirkung der Kundenzufriedenheit auf die Verkäuferzufriedenheit nachweisbar ist, jedoch kein signifikanter Zusammenhang in der Wirkung der Verkäuferzufriedenheit auf die Kundenzufriedenheit existiert.43 Gerade in schwierigen Situationen ist es nachvollziehbar, dass unfreundliche oder aggressive Kunden zu hohen emotionalen Belastungen des Verkäufers führen und sein Engagement beeinträchtigen können. Schafft es der Verkäufer nicht, die belastenden Situationen zu reflektieren und zu verarbeiten, kann dies zu einer Vermeidungstendenz führen, die sich in einem „Rückzug auf die Sachebene“ im Kundenkontakt manifestiert. Damit sind die Voraussetzungen für Kundenbegeisterung nicht mehr vorhanden. Positive Kundenerlebnisse können also nur dann auf Dauer geschaffen werden, wenn Verkaufsteams auch in der Lage sind, mit den schwierigen Situationen lösungsorientiert umzugehen. Die simultane Analyse der Mitarbeiter- und Kundenbefragung eröffnet neue, integrative Lösungsansätze für die zentrale Frage, die sich Personalentwickler, Vertriebstrainer und Führungskräfte in Retail – Organisationen täglich stellen: Wie kann das Kundenerlebnis und die Kundenzufriedenheit im Kontakt mit dem Verkäufer am Point of Sale nachhaltig gesteigert werden? Wenn man kritisch werbewirksame Schlagworte wie Kundenbegeisterung, Kundenloyalität, Customer Satisfaction, Customer Delight etc. sowie die Lösungsansätze hinterfragt, die durch Beratungs- und Trainingsunternehmen angepriesen werden, wird man schnell ernüchtert; oft werden nur der Kontakt zwischen Verkäufer und Kunde isoliert betrachtet und dem Verkäufer die ultimativen Gesprächstechniken antrainiert, die entweder schnell im Alltag verpuffen oder von vorneherein durch Verkäufer abgelehnt werden („das passt nicht zu mir!“). Im Lichte der oben dargestellten Wirkungszusammenhänge ist eine umfassendere Perspektive erforderlich. Im folgenden werden daher Ansätze aufgezeigt, wie signifikante organisatorische Einflussfaktoren auf das Engagement und Verhalten von Vertriebsmitarbeitern in Konzepten der Personalentwicklung und -qualifizierung integriert werden können mit dem Ziel, nachhaltig „perfekte Kundenerlebnisse“ zu gewährleisten und zu intensivieren.
43
Vgl. SCHWETJE (1999), S. 217.
490
HANNIG/KRUMM
6
Entwicklungsfelder zur nachhaltigen Steigerung der Kundenzufriedenheit im Telekommunikationsfachhandel
6.1
Führung
Man kann heutzutage den Eindruck gewinnen, dass immer mehr Tätigkeiten in Unternehmen als „Führungsaufgabe“ deklariert werden: angefangen von der Steuerung und individuellen Entwicklung der Mitarbeiter, Einhaltung des Code of Conduct und von Prozessen, Entwicklung von Diversity, Prozessbegleiter für Change Management, Sicherstellung der organisatorischen Rahmenbedingungen im Alltag, Unternehmer vor Ort, Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg, Vorbild sein, Coaching und vieles mehr. Die exemplarische Aussage eines Shop Leiters „einen Tod muss ich im Alltag immer sterben“ zeigt, dass die Vielzahl der Ansprüche nicht gleichzeitig erfüllt werden kann. Das gefühlte Dilemma von Führungskräften im operativen Vertriebsalltag besteht darin, dass Zeit und Ressourcen begrenzt sind und gleichzeitig man „für alles“ verantwortlich ist. Überspitzt formuliert, man läuft den Anforderungen hinterher und betätigt sich als Feuerlöscher. Von einem euphorischen Team, das darauf brennt, jeden Kunden zu begeistern, ist man dann weit entfernt. Daher ist es sinnvoll, mit Shop-Managern in Workshops die Herausforderungen zu reflektieren und Lösungsansätze zu erarbeiten. Leitfragen dafür können sein: ¾ Was sind die „Erfolgstreiber“ für den Shop? ¾ Was sind konkret meine (Führungs-) Aufgaben? ¾ Wie organisiere ich den perfekten Tag im Shop? 6.1.1
Die Führungskraft als Erfolgsmanager
Um die eigenen Ressourcen optimal im Interesse des Shop-Erfolgs einzusetzen, bedarf es einer inhaltlichen Klärung, welche Aufgaben täglich anfallen und welchen Beitrag zum Erfolg sie leisten. Dabei lassen sich die Vielzahl an Tätigkeiten in Anlehnung an das Modell von HERZBERG zur Arbeitszufriedenheit (Hygienefaktoren, Motivatoren) zwei Kategorien zuordnen. Die operativen Voraussetzungen umfassen täglich anfallende Aufgaben, die (fehlerfrei) erledigt werden müssen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Diese Aufgaben stellen Erfolgsvoraussetzungen dar, haben jedoch keinen unmittelbaren Einfluss auf den Erfolg. Die Themen Absatz, Wirtschaftlichkeit, Qualität und Performance sind echte „Erfolgsbringer“ und müssen von der Führungskraft täglich analysiert, auf Optimierungspotentiale überprüft und entsprechend umgesetzt werden.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
491
Erfolg Umsatz
Kosten
Qualität
Performance
¾ Lösungsorientierung
¾ Aktionen
¾ ACCI
¾ meine Rolle
¾ Kosten
¾ Mystery-Shopping
¾ Ressourcen
¾ Auftragsqualität
¾ Verkäuferperformance
¾ Stückzahlen ¾ Key-Produkte
¾ Teamperformance
Operative Voraussetzungen ¾ Kasse
¾ Storecheck
¾ Logistik
¾ Personalplanung
Abbildung 9:
¾ IT Systeme ¾etc.
Die Erfolgsrelevanz von Aufgabenfeldern im Shop Management
Die Erfahrung in der Reflexion dieses Modells mit Shop Leitern beweist, dass es immer wieder – auch bei erfahrenen Führungskräften – erforderlich ist, die eigene Rolle und das eigene Zeitmanagement kritisch zu hinterfragen und zu prüfen, ob die Aufgabenerfüllung im Alltag nicht besser bzw. effizienter erfolgen kann. Die ständigen kleinen Veränderungen im organisatorischen Umfeld sind Treiber für die Notwendigkeit, sich aktiv und regelmäßig auf den „Management-Prüfstand“ zu begeben und Optimierungen in Angriff zu nehmen. 6.1.2
Führung und Coaching von Mitarbeitern
Während es sich bei der Rolle des Erfolgsmanagers mehr um die aktive Gestaltung der ablauforganisatorischen Rahmenbedingungen handelt, zielt die Führung und das Coaching der Mitarbeiter – den „Erfolgslieferanten“ für begeisterte Kunden – auf die Steigerung der Kompetenzen (Leistungsfähigkeit) und Motivation des Verkaufsteams ab. Auch bei dieser Kernaufgabe hat es sich bewährt, ein effektives und praxiserprobtes Modell als Standard für die operative Führung im Shop zu implementieren.
492
HANNIG/KRUMM
Auf der Grundlage des Modells von PAUL HERSEY und KENNETH H. BLANCHARD „Situatives Führen“ lassen sich aus den Dimensionen „Kompetenz“ und „Motivation“ vier Typen von Mitarbeitern klassifizieren, auf die jeweils ein optimaler Führungsstil abgeleitet werden kann:44 ¾ Motivation hoch, Kompetenz hoch: Der High Performer im Shop; braucht hohe Selbstständigkeit und Vertrauen des Chefs, der sich eher in der Rolle des Kollegen oder Mentors sehen sollte ¾ Motivation hoch, Kompetenz niedrig: Typisch dafür ist der junge Verkäufer; er benötigt Informationen und Unterstützung darüber, wie gute Arbeit aussieht und wie seine Leistung bewertet wird, Aktionspläne, Training on the job, häufiges Feedback ¾ Motivation niedrig, Kompetenz hoch: Benötigt Anerkennung für seine hohe Kompetenz und die Möglichkeit, über seine Bedenken zu sprechen; Chef als Mentor und Gesprächspartner für die Beseitigung von Hindernissen ¾ Motivation niedrig, Kompetenz niedrig: Benötigt klare Ziele und Perspektiven; häufig Feedback und Ermutigung; Aktionspläne und Training on the job; ggf. grundsätzliche Prüfung, ob sich nicht außerhalb des momentanen Arbeitsumfeldes geeignete Entwicklungsperspektiven eröffnen Das persönliche Coaching und Training on the Job ist die effektivste Methode, individuelle Optimierungspotentiale von Mitarbeitern zu erkennen, Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln und direkt einzuüben. Das tägliche Feedback der Führungskraft zum kundenorientierten Verhalten im Shop ist „Breakfast for Champions“45. Die größte Herausforderung im Arbeitsalltag besteht jedoch darin, Freiräume für das Coaching der Mitarbeiter zu schaffen. Daher bilden ein hoher Grad an Selbstorganisation und -disziplin sowie Klarheit über die erfolgsrelevanten Aufgaben unabdingbare Voraussetzungen dafür, als „Trainer“ die eigene Mannschaft zum Erfolg zu führen.
6.2
Tätigkeit und Qualität
Die Tätigkeit der Mitarbeiter Telekommunikationsfachhandel ist gekennzeichnet durch eine sehr hohe Bandbreite von unterschiedlichen Kundenanliegen, die zu bearbeiten sind. Die Kaufanliegen können sich auf das komplette Telekom Sortiment rund um Mobilfunk und Festnetz mit den dahinterliegenden Tarifkombinationen erstrecken. Weitere Anliegen, die sich nicht primär auf den Kauf beziehen beinhalten administrative Aufgaben (z. B. Bankänderungen etc.), Servicefälle (z. B. Software- oder Hardwareprobleme), Rechnungsklärungen, Beschwerden oder Störungen sowie Beratungen zu Tarifen oder technischen Fragen.
44 45
Vgl. HENTZE/KAMMEL/LINDERT (2005), S. 292 ff. Vgl. SATTELBERGER (2005), S. VI.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
493
Je komplexer die Anliegen, umso herausfordernder ist es für den Verkäufer, dem Kunden eine befriedigende Lösung zu bieten. Die Problemdiagnose beispielsweise bei einem Laptop, mit dem der Kunde nicht mehr mobil seine E-Mails abfragen kann, gestaltet sich möglicherweise sehr zeitaufwändig; Zeit, die ihm ggf. für weitere Kundenberatungen fehlt, um Verkaufsabschlüsse zu erzielen.
Ziele ¾ Absatzziele ¾ Qualitätsziele ¾ Kennzahlen
Produkte/Dienste ¾ Komplettes Sortiment ¾ Tarifwelten ¾ Kombinationsmöglichkeiten ¾ Aktionen
b
Verhalten ¾ Verkaufsprozess auf der Grundlage von definierten Parametern ¾ Freundlichkeit, Geduld, Empathie
Systeme / Prozesse ¾ Systeme zur Auftragserfassung ¾ Schnittstellen zu anderen Unternehmenseinheiten ¾ Serviceprozesse
Abbildung 10:
Der Mitarbeiter am Point of Sale im Spannungsfeld verschiedener Anforderungen
Es gehört zu den täglichen Aufgaben der Führungskraft im Shop, die mitarbeiterbezogenen Erfolgsvoraussetzungen im Hinblick auf Systeme/Prozesse, Produkte und Dienste, Ziele und Verhalten sicherzustellen. Bestehen auch nur in einem dieser vier Felder Defizite hinsichtlich der Kompetenz (beherrscht der Verkäufer die neuen Produkte/Produkte in der Vermarktung) und Motivation (ist der Verkäufer motiviert, bestimmte Fokus-Produkte anzusprechen oder hat er Hemmnisse), kann keine optimale Performance entstehen – sowohl im Kundeninteresse als auch im Unternehmensinteresse. Es ist wichtig, immer wieder das individuelle Können und Wollen zu überprüfen und bei Bedarf zu verbessern. Wer die in der Abbildung 10 dargestellten Anforderungen erfüllt, bietet dem Kunden im Verständnis des KANO-Modells Basis- bzw. Leistungsfaktoren an. Je präziser und systematischer der Shop Manager Tätigkeitsfelder mit seinem Team thematisiert und schwierige Punkte nicht unter den Teppich kehrt, sondern für einen offenen und lösungsorientierten Informationsaustausch sorgt, desto besser entwickelt sich im Team eine „Gewinnerkultur“ – der Nährboden für Kundenbegeisterung. Eine Kultur, die Spontaneität fördert und echte Kunden-
494
HANNIG/KRUMM
begeisterung erzeugt, weil im Verkaufsgespräch überraschende Nutzenaspekte dem Kunden aufgezeigt werden, die er nicht erwartet hat und zu Aha-Erlebnissen führen.
6.3
Unternehmenskultur
Nicht die auf Hochglanzprospekten mit schönen Worten formulierten Grundsätze prägen die Teamkultur im Shop, sondern die tägliche Art und Weise, wie man Leistung anerkennt, offen Feedback gibt, Lernen aus Fehlern ermöglicht, Konflikte klärt oder vermeidet, wem man aus dem Weg geht etc. Die Kultur in einem Unternehmen oder Team äußert sich in den ungeschriebenen Spielregeln, wie man miteinander und mit dem Kunden umgeht. Die Kultur stiftenden Normen und Werte prägen überwiegend unbewusst die Zusammenarbeit im Alltag. Daher erfährt man mehr über die Kultur einer Organisationseinheit, wenn man mehr die nonverbale Kommunikation beachtet als die verbale. Es kann sein, dass auf der Sachebene im Team „alles richtig gemacht“ wird; jedoch beschleicht den Beobachter oder Kunden in manchen Situationen ein merkwürdiges Gefühl über die Stimmung der Verkäufer, das sich im zurückhaltenden Kaufverhalten der Kunden niederschlägt. Nimmt man sich die Zeit für ein Training zur Verbesserung der Zusammenarbeit oder Teamkultur, kommt zum Vorschein, was bisher unter der Oberfläche verborgen war (EisbergPrinzip). Versteckte Konflikte, nicht verarbeitete Vorfälle in der Vergangenheit, unterschiedliche Auffassungen, Wahrnehmungen und dergleichen werden thematisiert und offen diskutiert. Der Prozess ist dabei wichtiger als der Inhalt: für manchen Mitarbeiter ist es eine neue Erfahrung, offen die eigene Meinung wiederzugeben, ohne Nachteile befürchten zu müssen. So wie ein Auto regelmäßig vom TÜV auf Fahrtauglichkeit überprüft wird (auch wenn keine Probleme vorliegen), so sollte sich jedes Team in bestimmten Zeitabständen einem „KulturTÜV“ unterziehen. Die hohe Bedeutung der Kultur im Unternehmen/Team lässt sich sehr anschaulich mit der Equity-Theorie von ADAMS begründen: Wenn der Beschäftigte nur wenig Wertschätzung und Aufmerksamkeit erfährt, wird er das gleiche Verhaltensmuster sowohl im Kontakt mit Kollegen als auch mit Kunden an den Tag legen. Damit wird eine subjektive Gerechtigkeit in den Austauschbeziehungen hergestellt. Eine positive Verhaltensänderung wird demnach nur stattfinden, wenn sich die erlebte Wertschätzung und Kultur verbessert. Daher ist die stetige Pflege und Weiterentwicklung der Kultur eine Daueraufgabe für jede Führungskraft und sollte einer gewissen Systematik folgen. Bezogen auf einen Shop stellen sich folgende Leitfragen, die beispielsweise in einem Workshop aufgegriffen werden können: ¾ Was ist die Vision des Gesamtunternehmens? ¾ Was trägt unser Shop zur Erreichung der Vision bei? ¾ Was zeichnet unseren Shop besonders aus? ¾ Wie beschreiben wir unser ideales „Kundenerlebnis“? ¾ Welche Regeln und Grundsätze prägen unsere Zusammenarbeit? ¾ Welche Kompetenzen und Zuständigkeiten haben wir in unserem Team?
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
495
Bei allen Diskussionen über Kultur kommt man früher oder später auf die Bedeutung der Führungskraft als Vorbild. Nicht was der Chef sagt, ist maßgebend, sondern was er tut. Bezogen auf die Kultur gilt der Grundsatz: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
6.4
Strategie und Senior-Management
In der Praxis wird tendenziell das vorhandene Wissen der Mitarbeiter über die Strategie der obersten Führungsebene (Senior Management) überschätzt. Für Strategen in der Zentrale, die sich mit der zukunftsorientierten Ausrichtung des Unternehmens beschäftigen, ist es häufig ernüchternd, wie wenig davon an der Basis wirklich ankommt. Daher zielt eine Frage in der Mitarbeiterbefragung darauf ab, ob der Mitarbeiter den Zusammenhang zwischen seiner täglichen Arbeit und der Unternehmensstrategie kennt und versteht. Wie wichtig die Kenntnis der Strategie und deren Verbindung zur täglichen Arbeit ist, vermag treffend die Geschichte der drei Bauarbeiter verdeutlichen, die vor vielen hundert Jahren am Bau des Kölner Doms mitgewirkt haben. Die Bauarbeiter wurden gefragt, was sie hier auf der Baustelle machen. Der Erste antwortete unzufrieden: „Ich haue Steine zurecht“; der Zweite erwiderte gleichgültig: „Ich verdiene hier mein Geld“; der Dritte unterbrach sein fröhliches Pfeifen und meinte: „Ich helfe hier mit, dass ein großartiger Dom entsteht“. Es ist intuitiv nachvollziehbar, dass im Falle von auftretenden Schwierigkeiten unser fröhlich pfeifender Bauarbeiter in größeren Zusammenhängen denkend konstruktiv nach neuen Lösungen suchen und erfolgreicher sein wird. Sein Engagement zahlt sich dann besonders aus, wenn unvorhergesehene Dinge passieren. Diese Analogie kann man heute mit wissenschaftlichen Methoden belegen; die Kenntnis der Strategie und des Zusammenhangs zur eigenen Tätigkeit (Identifikation mit der Strategie) ist der stärkste Treiber für das Engagement im Sinne des Organizational Commitment (siehe auch Abbildung 5).46 Die Strategie wird durch das Senior Management verkörpert. Es lohnt sich daher immer, wenn möglichst vielen Mitarbeitern die Strategie direkt durch die Verantwortlichen dargestellt und erläutert wird. „It is personalities, not principles, that move the age“ (Oscar Wilde). Daher sollte jedes Qualifikationsprogramm auch ein Format beinhalten, in dem Mitarbeitern eine umfassende Perspektive über die Strategie, Umsetzungskonzepte und die Verbindung zur eigenen Arbeit vermittelt wird. Wenn dann noch die Veranstaltung mit pfiffigen Methoden zur Aktivierung und eigenen Beteiligung angereichert wird, schafft man eine wirksame Emotionalisierung und Identifikation mit der Strategie und dem Management, die im Führungsalltag als positiver Anker immer wieder angesprochen werden kann.
6.5
Prozesse und Strukturen
Es gehört offensichtlich zu den Mythen unserer Zeit, dass der Fortschritt in der Informationstechnologie das Leben leichter und einfacher macht. Wer am Point of Sale komplexe Systeme und Prozesse zur Auftragserfassung, Warenwirtschaft, Logistik, CRM, Verfügbarkeitsprüfungen etc. souverän beherrscht, hat schon die erste Hürde auf dem Weg zur Kundenbegeisterung überwunden. Hingegen gehört es zu den sportlichen Herausforderungen im Verkäuf46
Vgl. BÖHM (2008), S. 127 f.
496
HANNIG/KRUMM
eralltag, wenn einfache Bedienvorgänge viele Minuten Zeit und volle Konzentration in Anspruch nehmen, was die Interaktion und das Eingehen auf die Kundenwünsche beeinträchtigt und damit Kauflust des Kunden hemmt. Prozesse und Strukturen müssen Verkäufer unterstützen, die Bedürfnisse der Kunden effektiv zu erfüllen und können daher den „Hygienefaktoren“ zugeordnet werden. Funktionieren diese nicht oder nur unbefriedigend, wird der Kunde (extrem) unzufrieden und beeinflusst über seine zunehmend unfreundliche Kommunikation die Zufriedenheit des Verkäufers. Werden diese negativen Kundenerlebnisse im Kontext komplexer Prozesse nicht reflektiert, kann eine gefährliche Vermeidungstendenz entstehen: nach dem Grundsatz „gebranntes Kind scheut das Feuer“ werden „prozesskritische“ Angebote nur noch auf ausdrückliches Nachfragen des Kunden angeboten, unabhängig davon, ob es dafür Provisionen gibt oder nicht. Mit Hinweis auf die schwache Zielerreichung in der betreffenden Produktkategorie appellieren die Führungskräfte an die Leistungsbereitschaft; bietet nun der Verkäufer mit einem mulmigen Bauchgefühl das Produkt aktiv an und es geht wieder schief, ist die „Self Fulfilling Prophecy“ in der subjektiven Wirklichkeit des Verkäufers fest verankert („bei dem Produkt x geht alles schief“) 47. Leider werden mit dieser inneren Einstellung die kleinen Fortschritte in der Verbesserung der Prozesse nicht mehr wahrgenommen. Mit Verblüffung nehmen die „Vermeider“ irgendwann in einem Meeting oder Workshop zur Kenntnis, dass andere Verkäufer sehr erfolgreich sind, weil sie die Optimierungen kennen und nutzen. Nur in der Begegnung mit erfolgreichen Kolleginnen und Kollegen kann die zu einem Glaubenssatz manifestierte Erfahrung („wenn der Prozess funktionieren würde, dann kann ich das Produkt verkaufen“) aufgelöst werden. Prozesse und Strukturen müssen funktionieren und tun es nicht immer; mit dieser Paradoxie müssen Führungskräfte möglichst souverän und gelassen umgehen. Die Erfahrung zeigt, dass bei gleichen Problemen der gefühlte Frust in den Shops sehr unterschiedliche Ausprägungen hat. Diese Situationen sind der Lackmus-Test für Führungskräfte, die dafür sorgen, dass Mitarbeiter die Hintergründe und den größeren Zusammenhang erkennen sowie konstruktiv die Situation nutzen. Daher gilt es, auch schon kleine Verbesserungen und Best Practices regelmäßig auf die Agenda in den Besprechungen zu setzen.
7
Fazit und Empfehlung
Mitarbeiter- und Kundenbefragungen werden in der Unternehmenspraxis meist durch unterschiedliche Organisationseinheiten konzipiert und durchgeführt, was zur Folge hat, dass die jeweiligen Erkenntnisse nicht zusammengeführt werden. Damit vergibt man sich die Chance, Optimierungsmaßnahmen zu bündeln und abzustimmen, die sowohl auf die Mitarbeiter- als auch Kundenzufriedenheit einzahlen.
47
Vgl. WATZLAWICK (1988), S. 57 ff.
Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit
497
In den Ausführungen wurden zur Erklärung der Entstehung von Zufriedenheit das Confirmation-Disconfirmation-Paradigma sowie Modelle von HERZBERG, KANO und ADAMS herangezogen. Es zeigte sich, dass insbesondere die Zufriedenheit der Mitarbeiter ein sehr komplexes Konstrukt darstellt. Daher liefert eine pauschale Betrachtung der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit keine Erkenntnisse für effektive und nachhaltige Optimierungsansätze zur Verbesserung des Kundenerlebnisses. Es ist immer erforderlich, in eine detaillierte Analyse einzelner Zufriedenheitsdimensionen einzusteigen. Das serviceorientierte Verhalten von Mitarbeitern wird wesentlich durch die Tätigkeit und Qualität, Unternehmenskultur sowie der Prozesse und Strukturen beeinflusst. Das Engagement wiederum hängt am stärksten von der Unternehmensstrategie, Tätigkeit und Qualität sowie dem Senior Management ab. Diese Rahmenfaktoren werden durch die direkte Führungskraft beeinflusst, die den höchsten Einfluss auf das Engagement und Serviceverhalten der Mitarbeiter hat. Der Kunde ist äußerst zufrieden und zeigt das auch in einem entsprechenden Kauf- und Empfehlungserhalten, wenn er nicht warten muss, die Mitarbeiter sich kompetent und freundlich verhalten und bemühen, dem Kunden eine optimale Lösung (inkl. Cross Selling) zu bieten. Diese Erkenntnisse aus Mitarbeiter- und Kundenbefragungen wurden in ein Wirkungsmodell für den Point of Sale integriert, das die wechselseitige Beeinflussung der Teil-Zufriedenheitsdimensionen aufzeigt und damit Ansatzpunkte für nachhaltige Optimierungsmaßnahmen liefert. Die Analyse der wechselseitigen Einflussfaktoren auf die Zufriedenheiten führen zu einer neuen Sicht auf den Verkaufsprozess: Der Verkäufer-Kundenkontakt kann als „Erlebnisraum“ betrachtet werden, in dem sich die Akteure wechselseitig beeinflussen. Die Atmosphäre wird durch die Einstellungen (Zufriedenheiten) und daraus resultierenden Verhaltensweisen geprägt, was die Kaufbereitschaft des Kunden – insbesondere im Hinblick auf Cross Buying und innovative Angebote – beeinflusst und steuert. Mit anderen Worten: der abgenutzte Begriff des „Erlebniskaufs“ basiert u. a. auf der positiven Stimmung im Verkaufsteam, die dem Kunden über das exzellente Verkäuferverhalten eine „tolles Gefühl“ vermittelt. Hier liegt also ein wichtiger Schlüssel für die zukünftigen Verkaufserfolge im Handel. Die wichtigsten Hebel zur gleichzeitigen Steigerung der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit beziehen sich auf die Führung im Unternehmen, Einstellung zur Tätigkeit, Kultur im Team bzw. Unternehmen, Kenntnis der Strategie, Wahrnehmung des Senior-Managements und Beherrschung der Prozesse und Strukturen. Für das Management der Mitarbeiterzufriedenheit im Hinblick auf das kundenorientierte Service-Verhalten und Engagement gibt es keine Zauberformel. Es ist jedoch schon viel gewonnen, wenn die Analysen und Erkenntnisse der durch unterschiedliche Organisationseinheiten initiierten Untersuchungen zusammengeführt und effektive Aktivitäten abgeleitet werden, die in ihrer Wirkung sich ergänzen. Die Führungskräfte sind besonders gefordert, neben den „harten“ Themen im Alltag wie z. B. Personaleinsatzplanung, Organisation, Absatzplanung und Monitoring sich intensiv mit der Qualität und Zufriedenheit des Verkaufspersonals auseinanderzusetzen. Dabei sind die HR Bereiche aufgefordert, mit Diagnose- und Entwicklungsinstrumenten, die auf die Anforderungen im Handel ausgerichtet sind, zu unterstützen. Wie so oft im Leben sind das Wissen und die erforderlichen Tools vorhanden, diese jedoch konsequent anzuwenden und umzuset-
498
HANNIG/KRUMM
zen, erfordert höchste Disziplin. Daher ist eine Leistungskultur vonnöten, die – basierend auf einem mit der Unternehmensstrategie verzahnten Gesamtkonzept – systematisch und regelmäßig die Awareness auf die Umsetzung sicherstellt. Die Umsetzung der dargestellten Erkenntnisse und vorgeschlagenen Maßnahmen bilden den Brückenschlag für Vermarktungserfolge: viele Millionen Euro, die in Werbung, Kommunikation, Sponsoring, Events usw. investiert werden, verbrennen innerhalb von Sekunden, wenn am Point of Sale im Augenblick der Wahrheit die Kundenerwartungen nicht erfüllt werden. Dieses letzte Bindeglied zwischen Anbieter und Nachfrager muss von der Vision eines perfekten Einkaufserlebnisses geprägt sein. Daher ist die systematische Analyse der Mitarbeiterund Kundenzufriedenheit keine lästige Pflichtübung, sondern hat höchste Priorität für Gewinner im Telekommunikationsmarkt.
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500
HANNIG/KRUMM
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Reorganisation des Vertriebs – Change-Management-Perspektiven SABINE SCHWARZ BearingPoint. Management & Technology Consultants
1 2 3
Einleitung.................................................................................................................503 Ansätze zur Vertriebs-Reorganisation und zum Change Management....................503 Entwicklung der Vertriebsstrategie unter Change-Management-Begleitung...........506 3.1 Entwicklung der Vertriebsstrategie................................................................506 3.1.1 Kundensegmentierung .......................................................................507 3.1.2 Ziele, Strategie und Wertargumentation ............................................507 3.1.3 Vertriebskanal-Struktur .....................................................................508 3.1.4 Typische Ansatzpunkte für Change Management .............................509 3.2 Change Management......................................................................................509 3.2.1 Organisatorische Risiko-Analyse ......................................................510 3.2.2 Vision ................................................................................................514 3.2.3 Change-Plan ......................................................................................515 3.2.4 Einbindung der Führung ....................................................................517 4 Change Management während der Vertriebstransformation ...................................518 4.1 Entwicklung und Anpassung der Vertriebsorganisation ................................518 4.1.1 Organisationsstruktur.........................................................................518 4.1.2 Prozesse .............................................................................................523 4.1.3 Typische Ansatzpunkte für Change Management .............................524 4.2 Change Management......................................................................................524 4.2.1 Einbindung und Kommunikation ......................................................524 4.2.2 Anpassung der Organisation (1) ........................................................526 5 Change Management im Rahmen eines nachhaltigen Vertriebsmanagements........528 5.1 Zielsystem......................................................................................................528 5.2 Anreiz- und Vergütungssystem......................................................................529 5.2.1 Typische Ansatzpunkte für Change Management .............................530 5.3 Change Management......................................................................................530 5.3.1 Anpassung der Organisation (2) ........................................................530 5.3.2 Mitarbeiterqualifizierung...................................................................532 6 Sales Effectiveness und Change Management – komplementär zum Erfolg...........534 Quellenverzeichnis..........................................................................................................535
Reorganisation des Vertriebs
1
503
Einleitung
Selbst die besten Vertriebsstrategien scheitern, wenn nicht während der Implementierung sorgfältig auf die Belange der Kunden und Vertriebsmitarbeiter geachtet wird: Beide könnten sich in einer als unruhig und ggf. störend empfundenen Übergangsphase anderen Lieferanten und Arbeitgebern zuwenden. Wird jedoch die Einführung der neuen Vertriebsstrategie von einem professionellen Change Management begleitet, kann die neue Vertriebsorganisation zum Erfolg für die Kunden, den Vertrieb und somit das Unternehmen werden. Zunächst werden die beiden Ansätze zur Veränderung einer Vertriebsorganisation und zum Change Management im Überblick dargestellt. Anschließend werden beide Ansätze integriert und die in den jeweiligen Phasen auftretenden fachlichen und überfachlichen, d. h. personenbezogenen, Fragestellungen sowie Maßnahmen erläutert.
2
Ansätze zur Vertriebs-Reorganisation und zum Change Management
Als Basis für die Erläuterung der Funktion des Change Managements im Rahmen von Veränderungsprozessen in der Vertriebsorganisation eines Unternehmens dient die Darstellung des Sales-Effectiveness-Ansatzes. Dieser Ansatz beinhaltet die drei Phasen ¾ Vertriebsstrategie (Fokus), ¾ Vertriebstransformation (Ausrichtung) und ¾ Vertriebs-Management (Nachhaltigkeit). Nach Aufstellen einer Projektorganisation und eines Projektplans werden die drei Phasen Vertriebsstrategie, Vertriebstransformation und Vertriebs-Management zeitlich nacheinander, gleichwohl überlappend, bearbeitet. Ein Sales-Effectiveness-Projekt in dargestelltem, inhaltlichem Umfang zieht Veränderungen in nahezu allen Bereichen einer Vertriebsorganisation nach sich. Aufgabe des Change Managements ist, diese Veränderungen vorzubereiten, proaktiv zu begleiten und so einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung der Projekt-, der Vertriebs- und damit der Unternehmensziele zu leisten.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0_21, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
504
SCHWARZ
Vertriebstransformation
Vertriebsstrategie ¾
Kundensegmente definieren
¾
Strategische Ziele definieren
¾
Vertriebsstrategie ableiten
¾
Positionierung und Wertargumentation spezifizieren
¾
¾
Organisationsstrukturen anpassen
¾
Prozesse anpassen
¾
Außendienst optimieren
¾
Innendienst optimieren
VertriebsManagement ¾
Zielsystem anpassen
¾
Anreiz-/Vergütungssystem anpassen
¾
Vertriebsplanung optimieren
¾
Vertriebs-Controlling optimieren
Vertriebskanal-Struktur entwickeln
Fokus
Abbildung 1:
Ausrichtung
Nachhaltigkeit
Der Sales-Effectiveness-Ansatz vereint strategische Fokussierung mit nachhaltiger Transformation1
Der Beitrag von Change Management in einer Vertriebs-Restrukturierung erstreckt sich intern auf die von der Veränderung betroffenen Mitarbeiter sei es, dass sie an der Definition der Vertriebsstrategie mitwirken, sei es, dass sie sich von der Umsetzung/der Transformation her mit einem veränderten Aufgaben- und Arbeitsumfeld konfrontiert sehen. Extern sind die Kunden betroffen, die eine Änderung im Vertrieb unterschiedlich bewerten und sanktionieren; andere externe Gruppen seien hier nicht weiter angesprochen. Aus diesem Grund gilt es, bereits vor bzw. während der ersten Schritte in der Strategie und entsprechenden konzeptionellen Entwicklung 1.
eine organisatorische Risiko-Analyse (Ermittlung von projektunterstützenden sowie behindernden Faktoren) durchzuführen,
2.
eine Projekt-Vision (Aufzeigen des Projektziels und des zu erwartenden Projektnutzens bzw. der drohenden Nachteile bei Unterlassen des Projekts) zu entwickeln,
3.
die Führung (Eskalationsstufen sowie positive und konstruktive Sanktionen während des Projektverlaufs) einzubinden,
4.
den vorläufigen Change-Plan (Abstimmung der Change-Aktivitäten mit dem fachlichen (Sales-)Projektplan) zu erstellen und
5.
a) auf Basis der Risiko-Analyse, des Projekt-Leitbilds und der Einbindung der Führungsebenen einen Kommunikationsplan zu entwickeln.
1
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs
505
Während des Projektverlaufs sind 5.
b) der Kommunikationsplan ggf. anzupassen und umzusetzen,
6.
in enger Abstimmung mit dem fachlichen Team die organisatorischen Anpassungen (Änderungen in Aufbau-/Ablauforganisation und deren HR2-Implikationen) zu planen und vorzunehmen sowie
7.
die Mitarbeiterqualifikation vorzubereiten und durchzuführen.
Der Ansatz besteht aus diesen sieben Schritten, die auf jedes Projekt individuell zugeschnitten werden, sich zum Teil überlappen und gegenseitig beeinflussen. In der folgenden Abbildung sind sie im kreisförmigen Verlauf dargestellt, da ihre Ergebnisse im Projektverlauf ggf. überprüft und angepasst werden müssen.
c
Identifizierung und Bewertung potenzieller Risiken / Hemmnisse und unterstützender Faktoren Organisatorische Risiken
Wohin gehen wir? Warum müssen wir dorthin gehen? Warum sollte ich mitmachen? Welche messbaren Vorteile Leitbild und werden erwartet? Vorteile
i
Erst- und Folgequalifizierung der Mitarbeiter
MitarbeiterQualifizierung
h
Anpassung der Strukturen und Prozesse inkl. Personalwirtschaft
Organisatorische Ausrichtung
ChangePlan
Einbindung der Führung
Grobplanung des CM-Vorgehens auf Basis von Risiko und Leitbild, Verzahnung mit fachlichem Projektplan
e
f
Entwicklung von Bereitschaft und Verantwortung in der gesamten Organisation
Kommunikation
g Abbildung 2:
Der Ansatz federt Risiken ab und passt die Organisation an, um erfolgreich und nachhaltig zu implementieren sowie messbare Ergebnisse zu erzielen
d
Einbeziehen der Betroffenen
Der Change-Management-Ansatz besteht aus sieben Schritten3
Im Projektverlauf arbeiten das fachliche und das Change-Projekt-Team eng miteinander, um die betroffenen Personen(-gruppen) sowohl hinsichtlich ihrer fachlichen Kenntnisse als auch im Hinblick auf ihre Befindlichkeiten zeitgerecht zu adressieren und einzubinden. In Abbildung 2 sind die drei fachlichen und die sieben Change-Management-Phasen im Überblick dargestellt. Da es sich um eine idealisierte, fachliche Abfolge handelt, wurde auf die Darstellung der Interdependenzen und iterativen Schritte in der Abbildung verzichtet. 2 3
HR: Human Resources. Vgl. BEARINGPOINT (2009).
506
SCHWARZ
Projektverlauf (t) Vertrieb
Vertriebsstrategie Vertriebstransformation Vertriebsmanagement
Change Management
Organisatorische Risiko-Analyse Vision und Leitbild Change-Plan Einbindung der Führung Kommunikation Organisatorische Ausrichtung MitarbeiterQualifizierung
Abbildung 3:
Change Management wird in den einzelnen Phasen der Vertriebs-Optimierung differenziert eingesetzt4
In Abbildung 3 ist dargestellt, wie die Phasen des fachlichen Projekts (Vertrieb) und diejenigen des überfachlichen Projekts (Change Management) zeitlich zueinander liegen.
3
Entwicklung der Vertriebsstrategie unter Change-Management-Begleitung
3.1
Entwicklung der Vertriebsstrategie
Die Notwendigkeit einer umfassenden strategischen Neuausrichtung der Vertriebsorganisation kann in externen und internen Faktoren begründet liegen. Externe Faktoren sind etwa veränderte Rahmenbedingungen bei Kunden oder Wettbewerbern. Interne Faktoren stellen zum Beispiel Gewinn- und Profitabilitätsdefizite dar. In der Regel verursacht ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren die Notwendigkeit einer strategischen Neuausrichtung. Gerade aber die Unterschreitung von Gewinn- und Profitabilitätszielen ist hierfür oftmals die treibende Kraft. In Folge ist die funktionale Vertriebsstrategie auf die veränderten strategischen Rahmenbedingungen und Anforderungen hin zu überprüfen und anzupassen. Häufig sind Vertriebsmannschaften geprägt von mengenorientiertem Verkaufsdenken oder historisch gewachsenen Kundenbetreuungsstrategien, die nun nicht mehr mit den aktuellen internen und externen Anforderungen an den Vertrieb übereinstimmen. Im Folgenden werden die einzel4
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs
507
nen Elemente bei Überprüfung und Anpassung der Vertriebsstrategie kurz skizziert und beispielhaft typische, kritische Veränderungsprozesse aufgezeigt: ¾ Kundensegmentierung, ¾ Ziele, Strategie und Wertargumentation, ¾ Vertriebskanal-Struktur. 3.1.1
Kundensegmentierung
Zentraler Ausgangspunkt ist eine auf die Ziele und Strategie eines Unternehmens ausgerichtete Segmentierung der (aktuellen und potenziellen) Kunden in den relevanten Märkten. Eine aussagekräftige Segmentierung stellt die notwendige Grundlage für die Definition von Zielkunden-Segmenten und die gezielte Ausrichtung der vertrieblichen Aktivitäten auf die einzelnen Segmente dar. Beispielhaft seien die Definition von zielgruppenspezifischen Produkt-/ Service-Angeboten oder die Entwicklung von maßgeschneiderten Kundenbetreuungs-Strategien genannt. Dabei stehen – je nach Ausgangslage und Problemstellung – unterschiedliche Segmentierungs-Methoden zur Verfügung. Nach unseren Erfahrungen liegen Vertriebs-Managern oft nur bedingt aussagekräftige Kunden-Segmentierungen vor. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Eine mangelnde Kenntnis der Endkunden aufgrund eines Informationsverlustes über mehrstufige Vertriebskanäle hinweg ist dabei oft zu beobachten. Veränderungsprozess Bereits in diesem Schritt gilt es, die Implikationen der veränderten strategischen Rahmenbedingungen in dem zu definierenden Segmentierungs-Ansatz zu berücksichtigen. Die Vertriebs-Manager müssen sich von altbekannten Routinen bei Analyse, Bewertung und Segmentierung ihrer Märkte und Kunden lösen und aktiv an der Neugestaltung mitwirken. Gerade bei „altgedienten Vertriebshaudegen“ formiert sich hier häufig Widerstand, der im Rahmen von Change-Management-Maßnahmen gezielt adressiert werden sollte. 3.1.2
Ziele, Strategie und Wertargumentation
Ausgehend von der Kunden-Segmentierung sieht der Sales-Effectiveness-Ansatz vor, Vertriebsziele, Vertriebsstrategie und Wertargumentation zu entwickeln (siehe Abbildung 1). Aus den Unternehmenszielen werden die strategischen Zielsetzungen des Vertriebs über eine systematische Zielkaskadierung abgeleitet. Zahlreiche Vertriebsorganisationen haben dabei in den letzten Jahren die Ablösung von mengenorientierten Zielen hin zu profitabilitätsorientierten Zielen erfahren. Die Vertriebsziele dienen als Orientierungsgrößen für die Überprüfung und Anpassung der funktionalen Vertriebsstrategie. Diese beantwortet die Fragestellung, wie und wann die definierten Vertriebsziele erreicht werden sollen. Gegenstand sind (u. a.) die Definition von strategischen Initiativen (Maßnahmenpaketen), die Zuordnung von finanziellen und personellen Ressourcen sowie die Festlegung eines Zeitplans. In diesem Zusammenhang erfolgt auch die Definition von strategiekonformen und potenzialorientierten Zielkunden-Gruppen auf Basis der erfolgten Segmentierung.
508
SCHWARZ
Für die einzelnen Zielkunden-Segmente ist schließlich die jeweilige Positionierungsstrategie und vertriebliche Wertargumentation anzupassen bzw. zu entwickeln. Folgende Fragen sind (u. a.) zu beantworten: ¾ Wie positionieren sich die Wettbewerber bei den einzelnen Kunden-Gruppen? Mit welchen Wertargumentationen treten sie an die Kunden-Gruppen heran? ¾ Welche Produkte und Services sollen den einzelnen Kunden-Segmenten mit ihren spezifischen Nutzen- und Bedarfsstrukturen angeboten werden? ¾ Mit welchen Nutzen-Versprechen und Botschaften werden die Angebote versehen? ¾ Welche „Unique Selling Proposition“ relativ zum Wettbewerb kann den einzelnen Kunden-Gruppen damit geboten werden? Ergebnis des Prozesses zur Entwicklung der Vertriebsstrategie ist eine aus der Unternehmensstrategie abgeleitete, zielgruppenorientierte funktionale Wettbewerbsstrategie im Vertrieb mit eindeutiger Wertargumentation gegenüber den einzelnen Zielkunden-Gruppen. Veränderungsprozess Gerade im Rahmen der Konzeption und Formulierung der strategischen Ziele und der Vertriebsstrategie ist es erfolgskritisch, die maßgeblichen Entscheidungsträger des oberen und mittleren Managements im Vertrieb, aber auch des oberen Managements benachbarter Funktionsbereiche wie etwa Marketing oder Logistik von den Veränderungen zu überzeugen und zu aktiven Vertretern der Veränderungen innerhalb der Organisation zu machen. Rückendeckung und Promotion durch das Top-Management sind hierfür die Voraussetzung. 3.1.3
Vertriebskanal-Struktur
Die Ausgestaltung der zukünftigen Vertriebskanal-Struktur stellt eine weitere entscheidende strategische Weichenstellung im Vertriebs-Management dar. Die einzelnen Vertriebskanäle – genauer, die darin handelnden Institutionen/Personen sind schließlich dafür verantwortlich, das Nutzen-Angebot eines Unternehmens zum „Point of Consumption“ und damit zum Endkunden zu bringen. Ein Vertriebskanal erbringt dabei Services gegenüber dem Kunden, die maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie ein Nutzen-Angebot verkauft wird. Folgende wesentliche Schritte werden bei Überprüfung bzw. Aufbau von Vertriebskanälen im Rahmen eines Sales-Effectiveness-Projekts typischerweise durchlaufen:5 ¾ Segmentierung: Definition der Service-Anforderungen jedes Kunden-Segments an die Vertriebskanäle, ¾ Konfiguration: Soll-Definition des Nutzen-optimalen Vertriebskanals je KundenSegment sowie Definition von effektiven und effizienten Strukturen innerhalb eines Kanals und der handelnden Partner (z. B. Premium- versus Niedrigpreis-Einzelhandelskette), ¾ GAP-Analyse: Vergleichende Analyse der Soll-Konfiguration mit der bestehenden Konfiguration, Identifikation von Abweichungen von der Soll-Konfiguration und Entwicklung von Maßnahmen, um die Lücke zu schließen, 5
Vgl. COUGHLAN ET AL. (2006), S. 29 ff.
Reorganisation des Vertriebs
509
¾ Umsetzung: Wesentliche Herausforderungen sind ein ausgewogenes Management der verschiedenen Vertriebskanalpartner sowie die weitgehende Vermeidung von Kanalkonflikten (z. B. Zielkonflikt, Verantwortlichkeitskonflikt). Veränderungsprozess Neben dem „Buy In“ des oberen und mittleren Managements ist es in diesem Schritt erforderlich, die strategisch wichtigen Vertriebskanalpartner frühzeitig und aktiv in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Sie können zum Einen wertvolle Beiträge zum Optimierungsprozess leisten und zum Anderen einfacher für die anstehenden Veränderungen gewonnen werden. Im Vorfeld der Umsetzung sind schließlich auch die (End-)Kunden über die Veränderungen in deren Beschaffungswegen zu informieren. Strategisch besonders wichtige (End-) Kunden sollten ebenfalls in die Entwicklung der Soll-Vertriebskanal-Konfiguration einbezogen werden. 3.1.4
Typische Ansatzpunkte für Change Management
Bereits die kurze Skizzierung der inhaltlichen Vorgehensweise zur Optimierung und Anpassung der Vertriebsstrategie zeigt die Notwendigkeit eines systematischen Change Management. Typische Ansatzpunkte sind: ¾
Veränderungsbereitschaft in der oberen und mittleren Führungsebene – inklusive der Bereitschaft zur Wahrnehmung einer Multiplikatoren-Rolle innerhalb der Vertriebsorganisation,
¾
Analyse und Vorbereitung der Mitarbeiter auf die Veränderungsprozesse – bereits vor Eintreten der Veränderungen – und
¾
Veränderungsbereitschaft bei sonstigen wichtigen Stakeholdern wie etwa Vertriebspartnern, Kooperationspartnern oder strategisch wichtigen (End-)Kunden.
3.2
Change Management
Change Management adressiert die überfachlichen, personenbezogenen Themen, um die erfolgreiche Umsetzung der angestrebten Änderungen im Vertrieb in organisatorischem, prozessbezogenem oder technologiegetriebenem Hinblick zu fördern. Change Management unterstützt die betroffenen Mitarbeiter und Kunden darin, den Zweck und die Vorteile der Veränderung zu verstehen, um auf Basis gemeinsamer Absprachen entschlossen das gesetzte Ziel zu verfolgen bzw. aus Kundensicht die Lieferantenbeziehung über die Veränderung hinweg beizubehalten. Change Management kann jedoch keine Garantie dafür bieten, dass alle betroffenen Mitarbeiter bzw. Kunden einig das Unternehmensziel bzw. die neue Vertriebsstrategie verfolgen oder gutheißen; es wird in der Regel Mitarbeiter und Kunden geben, die sich diesem Wandel dennoch verweigern. Auch um die Gefahr durch Abwandern von Vertriebsmitarbeitern und Kunden während des Projektzeitraums bestmöglich zu erkennen und abzufedern, erfolgt schon während der Entwicklung der Vertriebsstrategie die organisatorische Risiko-Analyse.
510
SCHWARZ
3.2.1
Organisatorische Risiko-Analyse
Gegenstand der organisatorischen Risiko-Analyse ist die Identifizierung und Bewertung potenzieller Risiken und Hemmnisse sowie unterstützender Faktoren, aber auch die Erarbeitung eines Plans zum Gegensteuern. Die Analyse ist ausgerichtet auf ¾
Größe/Komplexität des Projektes,
¾
Bereitschaft der Organisation insgesamt, den Wandel zu vollziehen,
¾
Bereitschaft/Akzeptanz seitens der Mitarbeiter und Kunden (Bereiche, Gruppen, Teams) (Stakeholder-Analyse).
Größe und Komplexität In der Analyse der Größe und Komplexität des Vertriebs-Projektes werden zehn RisikoAspekte betrachtet, die sich auf die Organisation insgesamt beziehen, und von Vertretern der Unternehmensführung sowie der Projektleitung in Interviews mit Bewertungen versehen.6
Größe und Komplexität der Veränderung (Werte: niedrig, mittel, hoch) Aspekt
niedriges Risiko
Bewertung
höchstes Risiko
einer
hoch
viele
Einwirkung auf Kernkompetenzen
niedrig
mittel
hoch
c.
Anzahl der vom Projekt betroffenen Personen
wenige
mittel
viele
d.
erforderlicher Wandel in Fähigkeiten/Verhalten
begrenzt
hoch
stark
e.
Parallele Projekte
begrenzt
niedrig
stark
f.
Erforderliche funktionsübergreifende Koordination
begrenzt
mittel
stark
a.
Anzahl involvierter Stakeholder
b.
g.
Zeithorizont
weit
hoch
komprimiert
h.
Verbindung zwischen Performance/Ergebnissen und Veränderung
klar
hoch
unklar
i.
Anzahl involvierter Dritter
j.
Anzahl Lokationen
Abbildung 4:
6 7
Beispiel
0
hoch
viele
eine
mittel
viele
Die Risiken aufgrund der Größe und Komplexität des Vertriebs-Projektes werden systematisch bewertet7
Vgl. SCHWARZ (2009), S. 128 ff. Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs
511
Vertriebs-Reorganisationen müssen in einem engen Zeithorizont durchgeführt werden, Kunden dürfen nicht zum Wettbewerb abwandern: Zwei Beispiele für hohe Risiken (g und i in Abbildung 4). Bereitschaft zum Wandel Anschließend wird über zehn weitere Fragen die Bereitschaft der Organisation, den Wandel konstruktiv mit zu tragen, bewertet.
Bereitschaft zum Wandel (Werte: niedrig, mittel, hoch) Aspekt
Beispiel
niedriges Risiko
Bewertung
höchstes Risiko
a.
Management Konsens Veränderungsbedarf
hoch
hoch
niedrig
b.
Management Konsens - zukünftige Vision
hoch
mittel
niedrig
c.
Stakeholder Commitment
hoch
mittel
niedrig
d.
Verständnis für den Veränderungsbedarf
stark
mittel
begrenzt
e.
erforderliche kulturelle Transformation
niedrig
hoch
stark
f.
parallel laufende Projekte
keine
mittel
viele
g.
Projekt-Historie (Wandel in Vergangenheit) in Organisation
positiv
mittel
negativ
h.
bereitgestellte Ressourcen
viele
hoch
begrenzt
i.
Potenzieller Personalabbau
beschränkt
niedrig
stark
j.
Risiko, dass Mitarbeiter des Unternehmens kündigen
niedrig
hoch
hoch
Abbildung 5:
Die Risiken aufgrund der Bereitschaft der Organisation zum Wandel werden ebenso systematisch bewertet8
Wenn das Management sich über die neue Vertriebsstrategie nicht einig ist, die kulturelle Transformation sowie das Risiko, dass Vertriebler kündigen, unterschätzt werden, ist der Projekterfolg stark gefährdet (Beispiele für drei hohe Risiken). Stakeholder-Analyse In der Stakeholder-Analyse werden die Einflussmöglichkeiten verschiedener Gruppierungen auf das Projekt mit der jeweiligen Akzeptanz- und Unterstützungsbereitschaft kombiniert dargestellt.
8
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
512
SCHWARZ
Stakeholder-Analyse Stakeholder-Analyse 4,00
3,50
3,00
11
engagieren und einbeziehen (Risiko)
6
17
2
21
24
Champions
22
16
1
14
20
10
18
Impact Impact
9
2,50
23 4
8 19
2,00
3
25
7
26
5
1,50
12 27 15 13
1,00
bei Bedarf einbeziehen
Infos (informiert halten)
0,50 0,50
1,00
1,50
2,00
2,50
3,00
3,50
4,00
Commitment Commitment
Abbildung 6:
Die unterschiedlichen Haltungen und Einflüsse werden ersichtlich und müssen adressiert werden9
Als „Champions“ werden diejenigen Personen/Gruppen (in der Abbildung nummeriert) bezeichnet, deren Einfluss groß und deren „Commitment“ hoch sind, sie können das Projekt aus ihrer Position heraus vorantreiben. Diejenigen, deren Einfluss zwar geringer, aber deren Commitment ebenfalls hoch ist, werden informiert gehalten; sie können in ihren Bereichen positiv verstärkend und als Multiplikatoren wirken. Personen/Gruppen mit geringem Einfluss und niedrigem Commitment werden bei Bedarf einbezogen, damit sie dem Projekt nicht bewusst oder unbewusst schaden. Stakeholder mit hohem Einfluss und wenig Commitment stellen je nach Verantwortungs- und Projektbereich Risiken dar; sie müssen „missioniert“, engagiert und einbezogen werden. Häufig fallen gute Vertriebsmitarbeiter und Kunden in das Risikofeld. Kunden, die von organisatorischen Veränderungen im Vertrieb erfahren, könnten sich folgende Fragen stellen:10 ¾ Muss ich dem neuen Betreuer wieder alles erläutern, was der Vorgänger bereits über meine Wünsche und mein Unternehmen weiß? ¾ Werden wir unsere Geschäfte zukünftig anders abschließen müssen? ¾ Wird mir der neue Vertreter zusagen? ¾ Könnten die Änderungen im Vertrieb ein Zeichen dafür sein, dass die Lage im Unternehmen kritisch ist?
9 10
Vgl. BEARINGPOINT (2009). Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 350 und S. 361.
Reorganisation des Vertriebs
513
¾ Sollte ich die organisatorischen Veränderungen zum Anlass nehmen, den Lieferanten zu wechseln? Vertriebsmitarbeiter, die sich mit Änderungen konfrontiert sehen, überlegen etwa:11 ¾ Wie wird die Vertriebsstrategie sich auf meine Arbeit auswirken? ¾ Werde ich mein Einkommen und meine Perspektiven halten können? ¾ Werde ich umziehen müssen? ¾ Wird man mir kündigen? Diese Beispiele verdeutlichen, dass das Unternehmen, wenn es diese beiden StakeholderGruppen vernachlässigt, riskiert, Kunden und Vertriebsmitarbeiter zumindest zu demotivieren, wenn nicht gar zu verlieren. Inhaltlich erstreckt sich die organisatorische Risiko-Analyse auf die sieben Change-Management-Schritte. Eine ausführliche Analyse findet in Form von Interviews, Erhebungen und Workshops statt. Die Ergebnisse werden in Bezug auf die jeweiligen Change-ManagementSchritte aufbereitet und dort genutzt. Die obigen Beispiele müssen in der Kommunikation klar adressiert werden, um Bedenken auszuräumen. Basierend auf den Ergebnissen der Risiko-Analyse wird der Risiko-Management-Plan ein Maßnahmenplan zum Abfedern, „Managen“ der ermittelten Risiken (siehe Stichworte in der Abbildung) sowie ggf. zum Eskalieren von Fragestellungen erstellt und mit der Unternehmensführung abgestimmt. Während der Projektdauer muss die Bewertung der Risiken laufend überprüft und angepasst werden; Ziel ist es, alle Bewertungen nach Durchführung der skizzierten Maßnahmen zumindest auf ein mittleres Risiko anheben zu können (siehe Dreieck in Abbildung 6).
11
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 350.
514
SCHWARZ
Bewertung
Schritt
Change Fokus
Risiken in Stichworten
Beispiel
(Stand: Projektbeginn) Sehr viele verschiedene Stakeholder und Betroffene, die von höchster Bedeutung für die Unternehmensexistenz sind; potenzieller Verlust von
Organisatorische Risiken
hoch
– Kunden (Großkunden, Vertriebs-Partner, Endkunden ...) – Mitarbeitern im Vertrieb (alle Ebenen) Überzeugung von Mitarbeitern in Marketing, Logistik, Betriebsrat
Leitbild und Vorteile
hoch
Erarbeitung eines überzeugenden Leitbilds sowie der Vorteile je Stakeholder-Gruppe und der Nachteile im Falle der NichtDurchführung des Projekts Sorgfältige zeitliche Abstimmung der Change-Maßnahmen, Projektdauer minimieren
Change-Plan
mittel
Verfügbare Ressourcen für das Projekt, auch Vertreter des Vertriebs und Vertriebskanal-Partner sowie bedeutsamer (End-)kunden
hoch
Einbindung der Unternehmensleitung sowie der Führungsebene Vertrieb, Marketing, Logistik zur aktiven „Vermarktung“ des Projekts sowie für Eskalationen
Anzahl der betroffenen Lokationen/Niederlassungen hoch
Einbindung der Führung
Kommunikation
mittel
Sorgfältige Planung der Kernbotschaften je Stakeholder-Gruppe, der Kommunikationskanäle und -instrumente, der zeitlichen Taktung (intern und extern) Aufbau einer Zwei-Wege-Kommunikation für Input an ProjektTeam
Organisatorische Ausrichtung
hoch
MitarbeiterQualifizierung
normal
normales Risiko
Abbildung 7:
3.2.2
mittleres Risiko
Vergütungsmodelle anpassen; bei Produkt- und/oder Gebietswechsel Übergangslösungen implementieren, um Motivation/Einkommenssituation guter Vertriebler zu erhalten Schulungskonzept zeitgerecht entwickeln; als Trainer Vertriebler einbinden hohes Risiko
Die Risiken werden für jeden Change-Schritt identifiziert und im Projektverlauf neu bewertet12 Vision
Das Vertriebsprojekt muss dem von der Unternehmensführung erarbeiteten und kommunizierten übergreifenden Unternehmensziel entsprechen, soll es nicht schon aus Gründen der Inkompatibilität scheitern. Die Projekt-Vision erläutert das Projektziel in allgemeiner Form und bindet das Projekt in das Unternehmensziel widerspruchsfrei ein. Hier werden Elemente und Argumente sowohl aus der Vertriebsstrategie als auch der Wertargumentation genutzt. Da die Projekt-Vision jedermann verständlich sein muss, ist es empfehlenswert, sie in prägnanter Kürze, etwa als „30-Sekunden-Statement“ zu formulieren. Die Vision muss Antworten geben auf die Fragen: ¾ Wohin gehen wir? ¾
12
Warum müssen wir dorthin gehen?
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs
515
Gemäß den betroffenen Stakeholder-Gruppen wird die Vision in einem zweiten Schritt mit messbaren Vorteilen, die über die neue Vertriebsstrategie erzielt werden sollen, auf Unternehmensebene, auf Bereichs- oder Abteilungsebene sowie je Stakeholder-Gruppe versehen; hierdurch entsteht das Projekt-Leitbild. Für einige Gruppierungen können auch klare Nachteile ohne für sie individuell wahrnehmbare, ausgleichende Vorteile enthalten sein, etwa bei Freisetzungen von Personal, geänderten Zuständigkeiten (Kunden, Produkte, Regionen) oder zusätzlichem Dokumentationsaufwand. Gerade altgediente Vertriebler verweigern sich häufig Aufgaben, die sie persönlich als nicht umsatzfördernd oder ohne direkte positive Auswirkungen auf ihre Vergütung ansehen. Kunden könnten die Reorganisation zum Anlass nehmen, den Lieferanten zu wechseln. Im Leitbild muss detailliert mit qualitativen und quantitativen Argumenten geantwortet werden: ¾ Welche messbaren Vorteile für das Unternehmen, den Bereich, den Vertrieb werden erwartet? ¾ Warum sollte ich als Mitarbeiter mitmachen? ¾ Warum sollte ich als Kunde diesen Lieferanten beibehalten? ¾ Welche Vorteile bietet die neue Vertriebsstrategie mir als Kunden? Die Ergebnisse sind ein schlüssiges Statement zum Projekt sowie qualitative und quantitative Begründungen. Sie werden mit der Unternehmensführung abgestimmt, die sich an diese „Sprechweise“ auch selbst hält, und stellen damit die Kernelemente für die Kommunikation dar. 3.2.3
Change-Plan
Auf Basis der organisatorische Risiko-Analyse, der Projekt-Vision und dem Leitbild wird der Grobentwurf für den Change-Plan erstellt. Dieser Entwurf wird mit dem/den fachlichen Teilprojekt/en abgestimmt, damit dessen/deren Meilensteine aufgenommen werden können. Sodann können die einzelnen Change-Management-Maßnahmen eingepflegt werden. Die Schritte der Abbildung 3 werden dann detailliert und auf Aktivitäten herunter gebrochen (siehe Abbildung 7).
516
SCHWARZ
Projektverlauf (t)
Vertrieb
Vertriebsstrategie Vertriebstransformation Vertriebsmanagement
Change Management
Organisatorische Risiko-Analyse Vision und Leitbild Change-Plan Einbindung der Führung Kommunikation Organisatorische Ausrichtung MitarbeiterQualifizierung
Abbildung 8:
Die Schritte 4 bis 7 werden detailliert geplant und laufend angepasst (gestrichelt umrahmter Bereich)13
Der Change-Plan ist eine vorläufige Landkarte, die die Unternehmensführung und Projektleitung über die Change-Management-Aktivitäten im Projekt-Geschehen informiert. Als „lebendes Dokument“ wird der Plan im Projektverlauf den Erfordernissen angepasst (siehe auch Abbildung 8).
13
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
Reorganisation des Vertriebs
Abbildung 9: 3.2.4
517
Ein Beispiel zeigt eine Feinplanung in MS Project14 Einbindung der Führung
Nur wenn die Unternehmensführung aktiv in das Projekt eingebunden ist, kann das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden; ein Aussitzen des Projekts oder Kündigungen seitens nachrangiger Managementebenen und betroffener (Vertriebs-)Mitarbeiter werden verhindert oder zumindest reduziert. Auch in die Kommunikation nach außen, etwa zu bedeutsamen Kunden, ist die Unternehmensführung zu involvieren. Es gilt also in diesem Schritt, Veränderungsbereitschaft, Verantwortung sowie aktives Engagement in der Führungsebene zu generieren und einzufordern: Veränderung lässt sich nicht delegieren, Vorbilder sind gefragt (Stakeholder-Analyse, Gruppe „Champions“). Ebenso werden diejenigen Führungsebenen selektiert, deren kritische Parteien unbedingt umgestimmt und deren positiv-passive Parteien fallweise zur Mitarbeit gewonnen werden müssen (Gruppe „Risiko“). Aufgabe der Champions im Projektverlauf ist es, sich zur Motivation und Anerkennung, aber auch zur Sanktion und bei Eskalationen in einem zeitlich limitierten Rahmen verfügbar zu halten. Sichtbare, engagierte Top-Manager, besonders mit Vertriebs-Zuständigkeit, untermauern die Bedeutung des Projekts für das Unternehmen und wirken auf ein hohes Umsetzungstempo hin.
14
Vgl. BEARINGPOINT (2009).
518
SCHWARZ
Von ihnen wird erwartet: ¾ „Das Projekt wird stattfinden bzw. die Veränderungen werden umgesetzt“. Die Führung muss in ihrer Vorbildfunktion verdeutlichen, dass es keine Alternative, etwa Abwarten oder Aussitzen, gibt; sie zeigt ihr „Commitment to Action“. ¾ Die Unternehmensführung soll die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auf die Lösung des Problems, also Neuausrichtung des Vertriebs, richten, um kontraproduktive Diskussionen und Gerüchte über die Vorteilhaftigkeit des Projekts als solchem zu minimieren: Die Vertriebsstrategie ist definiert und stimmig mit der Unternehmensstrategie. ¾ Die oberste Führungsebene(n) soll(en) in der externen Kommunikation mitwirken, um Hauptvertriebspartner und -kunden einzubinden und über die Projektdauer hinweg zu halten. ¾ Das Top-Management muss über den gesamten Transformationsprozess hinweg engagiert und sichtbar bleiben, also als vorbildliche, engagierte Stakeholder das Einbeziehen der betroffenen Mitarbeiter vorleben. Das Ergebnis ist ein nach innen wie nach außen sichtbares, aktives Top-Management-Team, das Strategie und Umsetzung vertritt und vorantreibt sowie für Eskalationen zur Verfügung steht.
4
Change Management während der Vertriebstransformation
4.1
Entwicklung und Anpassung der Vertriebsorganisation
Die veränderte vertriebs- und vertriebskanalstrategische Ausrichtung machen entsprechende Anpassungen und Optimierungen in der vertrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation erforderlich. Dies bedeutet sowohl für Führungskräfte und Mitarbeiter im Vertrieb (Außendienst, Innendienst, etc.) als auch für Vertriebspartner und nicht zuletzt Kunden weit reichende Veränderungen. Wird dieser Veränderungsprozess in Konzeption und Umsetzung effektiv vollzogen, so können und sollen daraus für die genannten Stakeholder Nutzeneffekte resultieren, die sich letztlich positiv auf das Vertriebs- und Unternehmensergebnis auswirken. Vor dem Hintergrund der großen Reichweite der Veränderungen in der Vertriebsorganisation kommt Change Management in dieser Phase eine besondere Bedeutung zu. 4.1.1
Organisationsstruktur
In der vertrieblichen Organisationsstruktur ist definiert, wie die Vertriebsmannschaft die Vertriebsstrategie umsetzt. In den folgenden Ausführungen sollen die wesentlichen Schritte zu Optimierung und Anpassung einer Außendienst-Organisation skizziert werden. Obwohl die Innendienst-Organisation ebenfalls auf die veränderten Rahmenbedingungen hin zu optimieren und anzupassen ist, soll dies hier nicht näher betrachtet werden. Wesentliche Gestaltungselemente bei Optimierung und Anpassung einer Außendienst-Organisation sind
Reorganisation des Vertriebs
519
¾ Aufbauorganisation, Rollen und Mechanismen sowie ¾ Größe und Gebiete. Aufbauorganisation, Rollen und Mechanismen Im Rahmen der strategiekonformen Optimierung und Anpassung von Aufbauorganisation, Rollen und Mechanismen wird festgelegt, ¾ welche Aufgaben zukünftig wahrgenommen werden, ¾ wie die Aufgaben in Funktionen/Stellen gebündelt werden, ¾ wie die Stellen in Berichtslinien zusammenhängen („Organisations-Charts“), ¾ welche Rollen und Aufgaben die einzelnen Stellen erfüllen sollen und ¾ welche Koordinations- und Kontroll-Mechanismen einzurichten sind. Zur inhaltlichen Ausarbeitung der aufgeführten Gestaltungselemente erfolgt zunächst eine interne Analyse der Ist-Situation in der Vertriebsorganisation. Daneben werden eine externe Analyse des aktuellen Status und der relevanten Trends bezüglich Vertriebsorganisationen bei Wettbewerbern und Kunden durchgeführt sowie ein Benchmarking geeigneter Vertriebsorganisationen zur Identifikation einer „Best-in-Class“-Konfiguration erstellt. Aus diesen Analysen können schließlich die strategischen Anforderungskriterien an die Soll-Vertriebsorganisation definiert werden. Die genannten Analysen bilden auch das Informations-Fundament, um alternative Soll-Organisationsstrukturen zu entwickeln. Die Strukturen werden bezüglich ihrer wesentlichen Charakteristika beschrieben und gegen die strategischen Anforderungskriterien mit Hilfe eines Scoring-Modells bewertet. So kann systematisch und nachvollziehbar die beste Soll-Vertriebsorganisation identifiziert werden, die nach Beschlussfassung durch die zuständigen Gremien im weiteren Projektverlauf zu implementieren ist. Größe und Gebiete Im Rahmen der strategiekonformen Ausrichtung von Größe und Gebieten wird für die SollVertriebsorganisation festgelegt, ¾ wie einzelne Kunden(gruppen) inhaltlich bearbeitet werden, ¾ mit welchem zeitlichen Aufwand die einzelnen Kunden(gruppen) bearbeitet werden, ¾ welche personellen Kapazitäten in welchen Rollen/Funktionen insgesamt benötigt werden, ¾ wie die einzelnen Kunden in Verkaufsgebiete eingeteilt werden und ¾ welcher Vertriebsmitarbeiter welches Gebiet und welche Kunden betreut. Die Vertriebsmannschaft eines Unternehmens sollte dabei als Investition betrachtet werden: Das Unternehmen investiert Kapital in die Vertriebsmannschaft, die ihrerseits dafür verantwortlich ist, Produkte und Kunden effektiv zu managen sowie Umsätze und Gewinne zu erwirtschaften. Die personelle Kapazität (Größe) einer Vertriebsmannschaft stellt dabei einen wesentlichen Einflussfaktor auf Umsatz und Kosten dar. Die „richtige“ personelle Kapazität je Funktion/Rolle zu finden, ist eine komplexe Entscheidung, die von der KundenSegmentierung, der Vertriebsstrategie, der gewählten Struktur sowie der Marktbearbeitungs- und Kundenbetreuungsstrategie abhängt. Eine verstärkte Ausrichtung der Vertriebsmannschaft nach
520
SCHWARZ
Vertriebskanälen kann beispielsweise dazu führen, dass die Außendienst-Mitarbeiter nach Vertriebskanälen und nicht mehr nach Regionen eingesetzt werden. Je nach Anzahl und regionaler Ausdehnung der Vertriebskanäle resultiert daraus eine regionale Mehrfach-Betreuung: Erhöhter personeller Kapazitätsbedarf im Außendienst kann die Folge sein. Ausgangspunkt zur Festlegung von Größe und Gebieten stellen die Kunden dar. Folgende drei Schritte werden typischerweise durchlaufen: ¾
Kundenbetreuungsstrategie,
¾
Kapazitätsmodellierung und -festlegung sowie
¾
Gebietsoptimierung.
Kundenbetreuungsstrategie Ausgehend von der Kunden-Segmentierung erfolgt mit Hilfe von weiterführenden, segmentspezifischen Analysen zu Bedürfnissen, Potenzialen und Kaufverhalten eine Bewertung und Priorisierung der einzelnen Kunden-Segmente bezüglich Art und Intensität der vertrieblichen Bearbeitung. Ergebnis ist eine segmentspezifische Kundenbetreuungsstrategie, die festlegt, welche Kunden-Gruppen mit welchen Mitteln und welchem zeitlichen Aufwand bearbeitet werden (Coverage Plan). Im Detail unterscheidet das Vorgehen zwischen Kunden-Segmenten, deren Verkaufsprozesse (a) häufig in der gleichen Weise ablaufen und eine geringe Komplexität aufweisen sowie deren Verkaufsprozesse (b) nur einmalig ablaufen, lange dauern und eine hohe Komplexität aufweisen. Kapazitätsmodellierung und -festlegung Die tatsächliche kapazitative Größe der Vertriebsmannschaft wird auf Basis der definierten Kundenbetreuungsstrategie (Coverage Plan) und davon abweichender Szenarien festgelegt. Dies erfolgt über eine Kapazitätsmodellierung auf Basis der Kunden-Grundgesamtheit: Jedem Kunden werden über dessen Zugehörigkeit zu einem Segment die jeweiligen Betreuungsparameter zugeordnet (z. B. durchschnittliche Kontaktfrequenz, durchschnittliche Kontaktdauer, durchschnittliche Reisezeit, Kontakt durch bestimmte Funktion etc.). Über eine Bottom-Up-Kalkulation kann schließlich die personelle Kapazität errechnet werden, die zur Verfolgung der Betreuungsstrategie notwendig ist. Sollte sich ein zu hoher kapazitativer Aufwand ergeben was in der Praxis häufig der Fall ist , ist die Betreuungsstrategie für einzelne Segmente zu überprüfen und entsprechend anzupassen. Schließlich rechtfertigen sich zusätzliche Kapazitäten in der Vertriebsmannschaft ökonomisch nur solange, wie der Grenzumsatz der zusätzlichen Kapazität die Grenzkosten deren Einsatzes übersteigt. Die Ergebnisse der Bottom-Up-Kalkulation sollten deshalb immer durch entsprechende TopDown-Kalkulationen (Grenzbetrachtungen) überprüft werden. In dieser Phase wird in der Regel die obere Führungsebene des Vertriebs mit einbezogen, fallweise auch die mittlere Führungsebene.
Reorganisation des Vertriebs
521
Gebietsoptimierung Im Rahmen der Gebietsoptimierung werden Kunden und die mit ihnen verbunden Verkaufsaktivitäten zu Gebieten und damit Vertriebsmitarbeitern zugeordnet. Gerade historisch gewachsene Verkaufsgebiete weisen oft deutliche Schwächen etwa in Ausgewogenheit der Kapazitätsauslastung zwischen den Gebieten oder in der Konformität mit der Kundenbetreuungsstrategie auf. In Folge können Kunden nicht effektiv betreut und Potenziale nicht realisiert werden. Für die Durchführung der Gebietsoptimierung werden zunächst die relevanten Ziele definiert. Mit Hilfe geeigneter Gebietsoptimierungs-Software wird anschließend eine erste SollKonfiguration der Gebiete unter Berücksichtigung der definierten Ziele erstellt. Diese wird von Vertriebs-Managern überprüft und angepasst. Auf dieser Basis wird wiederum eine neue, softwarebasierte Soll-Konfiguration der Gebiete erstellt. Dieser Prozess wird solange durchlaufen, bis eine geeignete Soll-Konfiguration gefunden ist. Die enge Einbindung der Vertriebs-Manager stellt die Akzeptanz der neuen Gebiete und Kundenzuordnungen sicher. Denn: Das höchste Gut der Vertriebsarbeit wird im Rahmen der Gebietsoptimierung zumindest teilweise verändert die Mitarbeiter-Kunden-Beziehung. Kunden können im Zuge von Gebietsänderungen und/oder Gebietsneubildungen anderen Vertriebsmitarbeitern zugeordnet werden. Gerade bei intakten Mitarbeiter-Kunden-Beziehungen sind diese Übergänge proaktiv zu managen, um damit Kunden- und/oder Umsatzverluste zu vermeiden. In dieser Phase werden in der Regel die obere und mittlere Führungsebene des Vertriebs mit einbezogen. Die definierten Soll-Strukturen ziehen im Rahmen ihrer Umsetzung weit reichende Veränderungen nahezu in der gesamten Vertriebsorganisation nach sich, die es durch professionelles Change Management zu begleiten gilt. Veränderungsprozess Die Veränderungen in der Vertriebsorganisation betreffen Mitarbeiter und Führungskräfte im Vertrieb, Mitarbeiter in anderen Unternehmensbereichen, die mit der Vertriebsorganisation zusammen arbeiten sowie Kunden. Es ist offensichtlich, dass ein effektives Management des Übergangs von der bisherigen auf die neue Vertriebsorganisation kritisch für den Erfolg des gesamten Veränderungsprozesses ist. Dabei ist neben der rational-sachlichen Ebene insbesondere auch die emotionale Ebene bei Mitarbeitern und Kunden zu berücksichtigen und mit geeigneten Maßnahmen anzusprechen: ¾
Mitarbeiter im Vertrieb,
¾
Führungskräfte im Vertrieb,
¾
Mitarbeiter anderer Unternehmensbereiche,
¾
Kunden,
¾
sonstige Partner.
522
SCHWARZ
Mitarbeiter im Vertrieb Wesentliche Herausforderungen für die einzelnen Stakeholder-Gruppen im Rahmen des Veränderungsprozesses können sein:15 ¾
Sicherheit des Arbeitsplatzes,
¾
andere Einordnung in der Organisation (Über-/Unterordnung),
¾
andere Funktion und Rolle, anderes Aufgabenspektrum,
¾
anderer regionaler Fokus, ggf. Umzug,
¾
andere Kunden (neue Kundenbeziehungen aufnehmen, alte Kundenbeziehungen aufgeben bzw. übergeben),
¾
neue Entwicklungsperspektiven und -bedarfe (z. B. Schulungs-Maßnahmen) und
¾
Auswirkungen auf die Höhe der Vergütung.
Bei jedem einzelnen Mitarbeiter verursachen die möglichen Veränderungen Unsicherheit über das individuelle Ausmaß und die persönlichen Konsequenzen der Veränderungen. Konsequenzen und Wahrnehmung des Veränderungsprozesses beeinflussen maßgeblich die zukünftige Motivation und Moral in der Vertriebsmannschaft. Durch geeignete Change-Management-Maßnahmen sind positive Auswirkungen effektiv zu kommunizieren und etwaige negative Auswirkungen proaktiv zu adressieren. Mitarbeiter, die den Veränderungen dennoch abwehrend gegenüber stehen, zeigen dabei typischerweise folgende verschiedene Verhaltensmuster: ¾
Sie zeigen und kommunizieren ihre Opposition offen und passen ihr Verhalten entsprechend an (z. B. Reduzierung des Arbeitseinsatzes).
¾
Sie zeigen „stille“ Opposition, indem sie zwar ihre Einstellung nicht offen kommunizieren, aber Motivation, Moral und Loyalität entsprechend reduzieren.
¾
Sie verlassen das Unternehmen und nehmen ggf. Kunden mit.
Vor diesem Hintergrund ist bei einem Veränderungsprozess im Vertrieb besonders auf die Motivation und Loyalität der besten Vertriebsmitarbeiter sowie der wertvollsten Kunden zu achten. Führungskräfte im Vertrieb Für Führungskräfte im Vertrieb gelten prinzipiell dieselben Herausforderungen wie für deren Vertriebsmitarbeiter. Stärker ausgeprägt ist allerdings die Befürchtung vor Verlust von Einfluss und Macht im Zuge der Veränderungen. Darüber hinaus ist die entscheidende Rolle der Führungskräfte zu betonen, die Veränderungen vorzuleben, aktiv an die Vertriebsmannschaft zu kommunizieren und diese bei der Umsetzung zu coachen. Mitarbeiter anderer Unternehmensbereiche Die Veränderungen in der Vertriebsorganisation bedeuten ggf. zusätzlichen Aufwand sowie veränderte Rollen und Aufgabenspektren für Mitarbeiter in anderen Unternehmensbereichen wie etwa im Controlling, im Personalwesen, in der IT-Abteilung oder im Marketing. 15
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 350 ff.
Reorganisation des Vertriebs
523
Kunden Kunden sehen sich folgenden Veränderungen gegenüber: ¾
Neue Kundenbetreuer,
¾
andere Betreuungsintensität und
¾
andere inhaltliche Betreuung (z. B. durch Verlust des Status „Premium-Kunde“).
Jede organisatorische Veränderung in der Vertriebsmannschaft hat Auswirkungen auf die Kunden. Ein professionelles Change Management stellt sicher, dass die Kunden frühzeitig über die für sie relevanten Auswirkungen der Transformation informiert werden. Ziel muss es sein, durch die Transformation gerade die strategisch wichtigen Kundenbeziehungen zu stärken und den Service-Level strategiekonform zu erhöhen. Sonstige Partner Gerade wenn Versetzungen und/oder Freisetzungen die Transformation im Vertrieb begleiten, ist frühzeitig im Projekt Kontakt zu Arbeitnehmervertretern wie Betriebs- oder Personalrat und ggf. Gewerkschaften aufzunehmen. Als Protagonisten im Change-ManagementProzess spielen die Arbeitnehmervertreter eine wesentliche Rolle, um die Mitarbeiter für die Veränderungen zu gewinnen („Buy In“). 4.1.2
Prozesse
Vor dem Hintergrund der veränderten strategischen Ausrichtung im Vertrieb und der damit einhergehenden strukturellen Optimierungen und Anpassungen ist eine weitere zentrale Dimension des Vertriebsmanagements zu berücksichtigen: Die Vertriebsprozesse. Sie sind neben der Organisationsstruktur auf ihre strategische Konformität und etwaige Anpassungs- und Optimierungsbedarfe hin zu überprüfen. Vier wesentliche Phasen werden dabei durchlaufen: ¾
Definition der zu überprüfenden Prozesse: Auf Basis der angestrebten Veränderungen werden die Vertriebsprozesse daraufhin überprüft, ob ¾ sie bezüglich Definition und Erfüllungsgrad ihrer Leistungsindikatoren strategiekonform sind und ¾ weitere Anpassungsbedarfe vor dem Hintergrund der strukturellen Änderungen in der Vertriebsorganisation bestehen. Das Ergebnis ist eine Liste der zu optimierenden Vertriebsprozesse.
¾
Aufnahme der Ist-Prozesse und Identifikation von Optimierungsansätzen: Die selektierten Prozesse werden in ihrer bestehenden Konfiguration dokumentiert. Interfunktional besetzte Teams identifizieren dabei Anpassungs- und Optimierungsbedarf.
¾
Modellierung der Soll-Prozesse: In wiederum interfunktional besetzten Teams werden die Soll-Prozesse modelliert und beschrieben. Dabei sind die im vorherigen Schritt identifizierten Anpassungs- und Optimierungsbedarfe zu berücksichtigen.
¾
Implementierung der Soll-Prozesse: Zentrales Steuerungsinstrument für die Implementierung ist der Umsetzungsplan, in welchem Arbeitspakete und Maßnahmen, Verantwortlichkeiten sowie Anfang- und Ende-Daten definiert sind.
524
SCHWARZ
Bei den zu betrachtenden Prozessen kann es sich sowohl um vertriebliche Kernprozesse wie etwa Neukunden-Akquisition oder Auftragsabwicklung handeln als auch um unterstützende Prozesse wie etwa Spesenabrechnung oder Einstellung neuer Mitarbeiter. Vergleichbar zu den Veränderungen in der Organisationsstruktur hat auch die Veränderung der Vertriebsprozesse starken Einfluss auf die zukünftigen Rollen, Aufgaben und Arbeitsweisen der Vertriebsmannschaft. Veränderungsprozess Durch Prozessoptimierung verursachte Veränderungen und deren Auswirkungen auf die Vertriebsmannschaft sind prinzipiell vergleichbar mit der Optimierung der Organisationsstruktur (siehe Kapitel 4.1.1); an dieser Stelle sei deshalb auf die dortigen Ausführungen verwiesen. 4.1.3
Typische Ansatzpunkte für Change Management
Gerade im Rahmen der Vertriebstransformation spielt das Change Management eine tragende Rolle: Intelligente Soll-Konzepte sind lediglich die notwendige Bedingung, deren effektive Umsetzung jedoch die hinreichende Bedingung für den Erfolg eines Transformationsprojektes. Typische Ansatzpunkte für das Change Management seien im Folgenden skizziert: ¾
Sachliches und emotionales Commitment der Führungskräfte im Vertrieb zu den Veränderungen erreichen; die Führungskräfte spielen als Multiplikatoren und Coaches im Veränderungsprozess eine zentrale Rolle.
¾
Sachliches und emotionales Commitment der Vertriebsmitarbeiter erreichen; Motivation und Moral sollen sich zumindest nicht verschlechtern, idealerweise sich verbessern; Chancen aufzeigen.
¾
Unsicherheiten bei den Führungskräften und Vertriebsmitarbeitern individuell adressieren und idealerweise zerstreuen; Chancen aufzeigen.
¾
Unsicherheiten bei den Kunden individuell adressieren und idealerweise zerstreuen; Chancen aufzeigen.
¾
Arbeitnehmervertreter frühzeitig einbinden und sachliches wie emotionales „Commitment“ erwirken; die Arbeitnehmervertreter spielen als Multiplikatoren im Veränderungsprozess eine wichtige Rolle.
4.2
Change Management
4.2.1
Einbindung und Kommunikation
Ziel der Einbindung und Kommunikation ist, das Verständnis, die Zustimmung und Unterstützung für das Projekt bei Kunden, im Vertrieb sowie bei den weiteren betroffenen Mitarbeitern zu entwickeln und zu erhalten sowie potenzielle Widerstände abzufedern. Ausgehend von der Stakeholder-Analyse wird je Gruppe erarbeitet, in welchem Ausmaß sie ins Projektgeschehen eingebunden werden soll. Das Ausmaß reicht von reiner Information bis hin zur Mitarbeit im Vertriebsprojekt.
Reorganisation des Vertriebs
525
Da während der Veränderung von Vertriebsstrukturen die Kunden und Vertriebsmitarbeiter (inkl. deren Führung) die größten Risikopotenziale darstellen, müssen Vertreter beider Gruppen aktiv im Projekt mitarbeiten idealerweise sowohl in der Phase der Strategiefindung, in der Vertriebstransformation als auch beim Design des Vertriebsmanagements. Durch die Mitarbeit beider Risikogruppen kann erreicht werden, dass ¾
wichtige fachliche Aspekte dieser Gruppen in die Transformation aufgenommen werden,
¾
alle Ansätze von „Praktikern“ gesichtet und somit fast qualitätsgesichert werden,
¾
die Mitarbeit per se die Bindung an das Unternehmen steigert,
¾
die mitgestalteten Ansätze und Ergebnisse mit hoher Akzeptanz einhergehen,
¾
die involvierten Kunden und Mitarbeiter als Multiplikatoren in ihren jeweiligen Gruppen wirken und
¾
in Summe: das Ergebnis fachlich besser und der Verlust an Kunden und Vertriebsmitarbeitern geringer ausfallen.
Für die Mitglieder der beiden Risikogruppen, die nicht an der Projektarbeit teilnehmen (können), müssen im Sinne einer Zwei-Wege-Kommunikation Veranstaltungen und flankierende weitere Kommunikationsinstrumente entwickelt werden. Auch diese Stakeholder müssen ehrliche, relevante, bedeutungsvolle Informationen zeitgerecht erhalten; ihre Fragen sollen adressiert, Unsicherheiten reduziert, ihre Reaktionen aufgenommen und beeinflusst sowie die Erwartungen gesteuert werden. Aufgrund der direkten Gesprächs- und Diskussionsmöglichkeiten haben sich Veranstaltungen („Face to Face“) mit zwischenmenschlichem Kontakt bewährt. Als Beispiele für Veranstaltungen fachlicher und auch informeller Art seien angeführt: ¾
Informations- und Diskussionsveranstaltungen seitens des Top-Managements mit größeren Gruppen, z. B. Vertretern der Kundenseite und des eigenen Vertriebs: ¾ Aufzeigen der Vorteile des eingeschlagenen Wegs, ¾ Wohlwollende Aufnahme von Mitarbeiterproblemen und ¾ Vermittlung von Nähe und gemeinsamem Handeln.
¾
Workshops mit der zweiten Management-Ebene der Kundenseite sowie des eigenen Vertriebs: ¾ Information zum Stand des Transformationsprojekts, ¾ Einholen von konstruktiven Ideen und Zustimmung und ¾ Bitte um Unterrichtung von und Diskussion mit den jeweils unterstellten Bereichen.
¾
Funktionsbezogene Veranstaltungen des Transformations-Teams für den/die Vertriebsbereich(e), soweit die dazugehörigen Mitarbeiter nicht in die Projektarbeit involviert sind: ¾ Förderung von Offenheit und Vertrauen durch fachliche Information, ¾ ggf. Aufnahme von konstruktiven Ideen und ¾ Reduzierung rein politisch oder emotional bedingter Reaktionen.
526 ¾
SCHWARZ
Motivationsveranstaltungen nicht-fachlicher Art, etwa nach Erreichen von Meilensteinen, mit ¾ Kurzinformationen zu den Vorteilen der Strategie und zum Transformationsstand und ¾ sportlichen, kulturellen oder anderen Aktivitäten als Anerkennung der geleisteten Arbeit und Loyalität während der Transformation.
Zwar können Veranstaltungen über den zwischenmenschlichen Kontakt („Face to Face“) meist höhere Akzeptanz der Veränderungen als eine Kommunikation über digitale oder PrintMedien hervorrufen, aber sie sind zeit- und kostenintensiv. Auf begleitende digitale oder Print-Informationen – auch an Kunden – sollte deshalb nicht verzichtet werden.16 Es soll aus Change-Management-Sicht nochmals betont werden, dass in Vertriebsprojekten ¾ die Risiken in den Gruppen der Kunden und der Vertriebsmitarbeiter liegen, ¾ die Einbindung der Führung sich deshalb primär auf Aktivitäten für diese Gruppen erstreckt, ¾ sich die Einbindung in die Transformationsarbeit und die Kommunikation primär an die Gruppen Vertriebsmitarbeiter und Kunden richten und ¾ die Vertriebstransformation so schnell wie möglich durchgeführt werden sollte, um den Risikogruppen bald ein neues, stabiles Umfeld bzw. stabile Beziehungen zu ermöglichen. Für das „Buy In“ der Vertriebsmitarbeiter sind Aufmerksamkeit seitens der Unternehmensführung, Kommunikation und Mitwirkung am Projekt zwar notwendig, hinreichend hingegen sind erst Lösungen im Bereich Vergütung und berufliche Entwicklung, die sich sowohl auf die Dauer des Übergangs von der bisherigen zur neuen Vertriebsstruktur als auch auf die Zukunft in der neuen Struktur erstrecken (siehe Kapitel 5.2.1). Diese Lösungen sollten ebenso gemeinsam erarbeitet bzw. den Vertriebs-Kollegen zeitnah kommuniziert werden, um deren Motivation in der Übergangsphase zu stärken. Für alle weiteren Stakeholder sei auf die Schritte zur Entwicklung des Kommunikationskonzepts und des -plans sowie die allgemein bekannten Kommunikationsinstrumente verwiesen.17 4.2.2
Anpassung der Organisation (1)
Mitarbeit im Projekt18 Um hervorragende Mitarbeiter aus dem Vertrieb dazu zu bewegen, ihre Kenntnisse und Erfahrungen in ein Vertriebsprojekt einzubringen, ist es erforderlich, ihre Mitwirkung im Projekt gemäß den gültigen HR-Prozessen für die Dauer des Projekts sicherzustellen. Nicht nur emotional möchte ein Vertriebler lieber verkaufen, statt Konzepte erstellen, rational gehen ihm erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile verloren. Die Projektarbeit muss sowohl in seiner Zielvereinbarung als auch in seiner Beurteilung verankert werden, zusätzlich sollten ihm Prämien für erfolgreiche Projektarbeit in Aussicht gestellt werden, die zumindest die Höhe seiner erfolgsabhängigen Vergütung in der Vergangenheit erreichen. 16 17 18
Vgl. detailliertere Ausführungen: SCHWARZ (2006), S. 390 ff. Vgl. SCHWARZ (2006), S. 390 ff. Vgl. SCHWARZ./COKBUDAK (2007), S. 48 ff.
Reorganisation des Vertriebs
527
Allokation der Vertriebsmitarbeiter Vertriebsstrategie und -transformation zeigen nicht nur Veränderungen in der abstrakten Aufbau- und Prozessorganisation, neue Zuständigkeiten für Kunden, Regionen, Produkte und Vertriebskanäle können zum Teil erhebliche Einkommenseinbußen bei den stark erfolgsabhängig bezahlten Vertrieblern verursachen, wenngleich auch Chancen eröffnen. Widerstände können entsprechend groß und (innere) Kündigungen die Folge sein. Zielführend ist, ¾
die Mitarbeiter-Allokation transparent nach Prinzipien vorzunehmen, etwa nach Kunden oder Produktexpertise einerseits oder nach „Retention of excellent Sales Force“ andererseits,19
¾
die Zuweisung von Mitarbeitern zu den neu definierten Stellen gedanklich von den Einkommensfragen zu trennen,
¾
das Überleitungsgespräch rein fachlich unter der Prämisse zu führen, dass die Veränderung von einer beidseitig befriedigenden und fairen finanziellen Lösung begleitet werden wird,
¾
die Gespräche unter vier Augen (persönlicher Vorgesetzter und betroffener Vertriebsmitarbeiter) zu führen,
¾
dem Vorgesetzten Argumentationshilfen für fachliche Fragen im Mitarbeitergespräch vom Projektteam zur Verfügung stellen zu lassen, um in einem ersten Schritt die fachliche Zustimmung des Mitarbeiters (dessen „Buy In“) zu erlangen (Vergütungsfragen, die mit der Implementierung des Vertriebskonzepts einhergehen, werden im Kapitel 5.3.1 behandelt).
Nur über das „Commitment“ des Mitarbeiters können auch die Kundenbeziehungen erhalten bleiben. Kunden, die von Vertriebsveränderungen aus dritter Quelle erfahren, könnten beunruhigt oder verärgert sein. Um besonders bei Top-Kunden Friktionen im Übergangsprozess zu vermeiden oder zu minimieren, sollen nach erfolgter Zuteilung der bisherige und der zukünftige Betreuer gemeinsam die Kunden aufsuchen, um ¾
den neuen Betreuer vorzustellen,
¾
dem Kunden eine gemeinsame Betreuung für einen bestimmten Zeitraum zuzusagen,20
¾
die vertrieblichen Änderungen und daraus resultierenden Vorteile für ihn nochmals erläutern und
¾
das „Commitment“ der Lieferfirma zu betonen und zu zeigen.
Nur ein sorgfältiger Übergang der Vertriebsmitarbeiter und damit einhergehend eine ebenso sorgfältige Überleitung der Kunden können die über die Vertriebsstrategie angestrebten Erfolge hervorbringen.
19
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 347.
20
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 351.
528
SCHWARZ
5
Change Management im Rahmen eines nachhaltigen Vertriebsmanagements
5.1
Zielsystem
Neben den in Kapitel 4.1 beschriebenen Herausforderungen im Rahmen der (einmaligen) Vertriebstransformation ist für einen nachhaltigen Erfolg entscheidend, die wesentlichen Elemente und Instrumente eines kontinuierlichen Vertriebsmanagements auf ihre Strategiekonformität hin zu überprüfen und neu auszurichten. Zwei zentrale Elemente der Mitarbeiterführung seien hier beispielhaft genannt und im Folgenden skizziert: ¾
Zielsystem und
¾
Anreiz- und Vergütungssystem.
Auf weitere Elemente eines nachhaltigen Vertriebsmanagements wie Vertriebsplanung und Vertriebs-Controlling soll nicht näher eingegangen werden. Für eine strategische Neuausrichtung der Vertriebsorganisation ist das vertriebliche Zielsystem über alle Bereiche und Funktionen im Vertrieb hinweg strategiekonform zu entwickeln bzw. anzupassen. Nur so können die Führungskräfte und Mitarbeiter konsequent auf die Unternehmens- und Vertriebsziele hin ausgerichtet und geführt werden. Grundlage der „Führung mit Zielen“ ist dabei, dass die Mitarbeiter die Unternehmens-, Vertriebs- sowie ihre individuellen Ziele verstehen und akzeptieren und so eine weitgehende Synchronisierung der vertrieblichen mit den individuellen Zielen und Interessen erreicht wird. Im Rahmen des SalesEffectiveness-Ansatzes wird eine Kaskadierung der Vertriebsziele sowie der Ziele der einzelnen Funktionen von den Unternehmenszielen herab im Sinne des Balanced-Scorecard-Ansatzes empfohlen.21 Es ist darauf zu achten, dass die Zieldefinition nicht ausschließlich Top Down erfolgt, sondern die Mitarbeiter in die Formulierung der Ziele aktiv mit einbezogen werden. Dies gewährleistet ein geeignetes Maß an Akzeptanz der Ziele. Der zielorientierte Führungsprozess umfasst drei Phasen: ¾
21
Zielvereinbarung: Ziele sollen informieren und motivieren. Voraussetzung dafür ist eine eindeutige Zielformulierung für die einzelnen Funktionen im Vertrieb sowie eine realistische Erreichbarkeit und Messbarkeit der Ziele. Die Mitarbeiter müssen die Ziele verstehen und ihren Einfluss auf die Zielerreichung einschätzen können. Nur so ist sichergestellt, dass die Vertriebsmitarbeiter die vertrieblichen Ziele in ihr individuelles Zielsystem übernehmen und diese verfolgen. Im Rahmen von individuellen Mitarbeitergesprächen werden die persönlichen Ziele partizipativ zwischen Führungskraft und Mitarbeiter vereinbart.
Vgl. SCHWARZ (2008), S. 10 f., und übergreifend zum Balanced-Scorecard-Ansatz KAPLAN/NORTON (1997).
Reorganisation des Vertriebs ¾
529
Steuerung der Zielerreichung: Die Führungskraft „coacht“ kontinuierlich „on the Job“ die Vertriebsmitarbeiter bei der Erfüllung deren Arbeitsaufgaben. Hierzu sind geeignete Personalentwicklungsmaßnahmen mit dem Mitarbeiter zu definieren und durchzuführen insbesondere bei veränderten Aufgaben und Anforderungen.
¾ Ergebniskontrolle und Feedback: In Mitarbeitergesprächen erfolgt eine regelmäßige Überprüfung des erreichten Leistungsniveaus des Vertriebsmitarbeiters anhand der vereinbarten Ziele. Neben diesen rein sachlichen Analysen werden auch gegenseitige Erfahrungen und Wünsche offen gelegt, diskutiert und ggf. in die Zielvereinbarung aufgenommen.
5.2
Anreiz- und Vergütungssystem
Gerade in absatznahen Bereichen wie dem Vertrieb stellen erfolgsabhängige Anreiz-/Vergütungssysteme ein geeignetes Instrument dar, um (u. a.) die Synchronisierung der vertrieblichen Ziele des Unternehmens mit den individuellen Zielen der Vertriebsmitarbeiter zu erreichen. Der erwartete Effekt ist dabei umso größer, je höher der variable, erfolgsabhängige Vergütungsbestandteil ist. Im Außendienst sind derartige Anreiz-/Vergütungssysteme bereits weit verbreitet. Jedoch zeigen sich in der operativen Ausgestaltung und Konsequenz der Anwendung oft Schwächen, etwa in einer nicht-stringenten Kaskadierung der Ziele eines Außendienstmitarbeiters aus den Vertriebs- und Unternehmenszielen. Kritisch ist zu überprüfen, inwieweit andere Bereiche der Vertriebsorganisation wie der Innendienst über eindeutige Zielvereinbarungen und darauf aufbauenden Anreiz-/Vergütungssystemen gesteuert werden. Gerade vor dem Hintergrund eines zunehmend verkaufsaktiv tätigen Innendienstes ist eine Steuerung und Anreizgestaltung, die auf das System des Außendienstes abgestimmt ist, zu empfehlen. Im Folgenden seien die drei wesentlichen Schritte zur Anpassung und Entwicklung eines Anreiz- und Vergütungssystems umrissen: ¾
Analyse und Bewertung des bestehenden Anreiz-/Vergütungssystems ¾ inhaltliche Charakteristika der bisher eingesetzten Anreiz-/Vergütungssysteme (Ziele, Vergütungsformen, Vergütungssystematik), ¾ Wahrnehmungen und Erfahrungen der Mitarbeiter sowie ¾ mit den Anreiz-/ Vergütungssystemen verbundene Kosteneffekte.
¾
Entwicklung/Anpassung eines neuen Anreiz-/Vergütungssystems ¾ Zielsetzung des neuen Systems, ¾ variable Vergütungsformen, ¾ Vergütungssystematik sowie ¾ Kosten-Nutzen-Auswirkungen des neuen Systems.
530 ¾
SCHWARZ
Umsetzung des neuen Anreiz-/Vergütungssystems: ¾ Die Umsetzung erfolgt auf Basis eines detaillierten Umsetzungsplans. Wesentlich ist die frühzeitige Einbindung der Arbeitnehmervertreter idealerweise bereits in der Entwicklungsphase sowie die ausführliche Information und Schulung der Mitarbeiter im neuen Anreiz-/Vergütungssystem.
Veränderungsprozesse Mit der Einführung eines neuen Ziel-/Anreiz- und Vergütungssystems soll von den Führungskräften und Mitarbeitern im Vertrieb eine Verhaltensänderung zu Gunsten der nun priorisierten Ziele erreicht werden. Dies kann für die betroffenen Mitarbeiter bedeuten, dass sie von bewährten Gewohnheiten und bekannten Vergütungs-Mechanismen Abschied nehmen müssen mit all ihren Vor- und Nachteilen. Es ist Aufgabe des Change Management, die interne Akzeptanz des neuen Ziel-/Anreiz- und Vergütungssystems durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Wegen der ggf. signifikanten finanziellen Auswirkungen auf den Einzelnen, etwa bei Erhöhung des Anteils der erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteile bei gleichzeitiger Reduzierung des Festgehalts, kann die Opposition mancher Vertriebsmitarbeiter sehr hartnäckig ausfallen. Diese richtet sich oft gegen eine vermeintlich mangelnde Messbarkeit und individuelle Beeinflussbarkeit der Ziele und der Zielerreichung. Mit einer sorgfältigen Konzeption des Ziel-/Anreiz-/Vergütungssystems sowie einer entsprechenden Kommunikation kann diesen Einwänden begegnet werden. 5.2.1
Typische Ansatzpunkte für Change Management
Im Rahmen des nachhaltigen Vertriebsmanagements und der dabei eingesetzten Führungsinstrumente ergibt sich folgender wesentlicher Handlungsbedarf für das Change Management: ¾
„Commitment“ der Führungskräfte zu den Veränderungen im Ziel- sowie Anreiz-/Vergütungssystem; die Führungskräfte spielen als Multiplikatoren in der Mitarbeiterkommunikation eine entscheidende Rolle,
¾
„Commitment“ der Mitarbeiter für einen nachhaltigen Erfolg des Projektes und
¾
frühzeitige Einbindung und „Buy In“ der Arbeitnehmervertreter.
5.3
Change Management
5.3.1
Anpassung der Organisation (2)
Entwicklung und Akzeptanz neuer Vergütungssysteme Ein Ziel-/Anreiz-/Vergütungssystem muss von den Betroffenen akzeptiert und gelebt werden, sollen die Vertriebsmitarbeiter ihre Kunden bestmöglich im Sinne der Vertriebsstrategie betreuen und entsprechende Umsätze erzielen. Zu diesem Zweck müssen aus überfachlichen Gründen
Reorganisation des Vertriebs
531
¾
Vertreter der Vertriebsmitarbeiter, des Management und der Personalvertretung(en) sowie der Personalabteilung in die Entwicklung des Systems einbezogen werden,
¾
die Top-Führungskräfte im Rahmen ihrer Vorbild-Funktion und Führungsverantwortung das System sichtbar und wahrnehmbar kommunizieren und
¾ die jeweiligen Vorgesetzten ihr Versprechen (beidseitig befriedigende und faire finanzielle Lösung), das sie im Gespräch mit ihren Mitarbeitern anlässlich der Zuweisung von Kunden, Regionen und Produkten gegeben haben, einlösen (siehe Kapitel 4.2.2, Absatz: Allokation der Vertriebsmitarbeiter). Vergütung in der Übergangsphase Damit das zukünftige System auf Akzeptanz stößt, müssen zunächst Vergütungsregelungen für den Übergang geschaffen werden. Einige Vertriebler, die sich neuen Kunden, Regionen oder Produkten zuwenden müssen, werden zunächst nicht mehr das (variable) Einkommen erzielen können wie zuvor, als sie ihre Kenntnisse und Erfahrungen in einem erschlossenen Umfeld nutzen konnten. Gleichermaßen eröffnen sich Chancen für andere Vertriebsmitarbeiter. Ein Übergangsmodell könnte vorsehen, dass sowohl der bisherige als auch der zukünftige Betreuer noch für diejenigen Abschlüsse eine Vergütung erhalten, die der bisherige Betreuer vor der Reorganisation initialisiert hat und für die er nach Abschluss der Übergangsphase nicht mehr zuständig ist. Dies dient zugleich der Kundenbindung, da über Teilung der Provision der bisherige und der zukünftige Betreuer ein gemeinsames Ziel – die sorgfältige Kundenüberleitung – verfolgen22. In diesem Modell erhalten Vertriebsmitarbeiter einen Provisions-Mix aus Abschlüssen mit „alten“ und „neuen“ Kunden, der für einen bestimmten Zeitraum ihnen ein gewisses Maß an finanzieller Unterstützung beim Aufbau der neuen Kundenbeziehungen gibt. In einer Variante dieses Modells erhält der ehemaligen Betreuer für eine Übergangszeit einen Anteil an allen Provisionen aus dem überführten Account. Wenn Vertriebsmitarbeiter ihre Kunden überführt haben, um sich neuen Produkten oder neuen Regionen zuzuwenden, sie also für das Unternehmen neue Kundenbeziehungen aufbauen, dürfte es für sie ungleich schwieriger sein, ihr bisheriges Einkommen zu erzielen. In einem Alternativ-Modell erhalten diese Mitarbeiter Ausgleichszahlungen für Perioden bis zu einem Jahr, die die Einkommenslücke schließen23. Für den Change Manager ist die Vergütung der Vertriebsmitarbeiter der kritische Erfolgsfaktor in einem Vertriebs-Redesign, um Mitarbeiter und Kunden zu halten: Der Change Manager muss Vertreter des Vertriebs in die Entwicklung des Vergütungsmodells aktiv einbinden, um eine hohe Akzeptanz des zukünftigen wie auch des Übergangssystems zu erzielen. Eine entsprechende Unterstützung der obersten Führungsebene (Genehmigung des Vergütungsmodells und entsprechender Mittel) ist unerlässlich.
22 23
Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 355. Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 359.
532
SCHWARZ
Weitere Prozessänderungen Mit den Änderungen der Zuständigkeiten im Vertrieb ändert sich nicht nur das Vergütungssystem; es müssen ggf. ebenso angepasst werden:24 ¾
Kennzahlen, die der Vergütung unterliegen,
¾
das Reporting und der Zugriff auf diese Werte,
¾
Informationsflüsse, Genehmigungsverfahren, ggf. unter Einsatz neuer Software,
¾
Vertriebsunterstützung, z. B. Research zu Kunden, Regionen,
¾
Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofile,
¾
Zielvereinbarung und Beurteilung,
¾
Karrierepfade und
¾
Recruitingprofile.
Auch diese Prozesse müssen mit Vertretern des Vertriebs und den entsprechend betroffenen Abteilungen (z. B. Personalwesen, Rechnungswesen/Controlling) entwickelt und abgestimmt werden. Wichtig ist hierbei, dass alle Prozesse auf das Unternehmensziel und das Vertriebsziel hin ausgerichtet sind, damit Zielkonflikte, etwa aufgrund von gegensätzlich formulierten Kennziffern, vermieden werden. 5.3.2
Mitarbeiterqualifizierung
Den Handlungsbedarf in Vergütung und Ausbildung stellt Abbildung 10 dar. Vertriebs-Mitarbeiter, die für die neue Position nicht die geeignete Qualifikation aufweisen und für die die Veränderung keine ausreichenden Chancen bietet, werden als „Verlierer“ das Unternehmen verlassen. Mitarbeiter mit passender, hoher Qualifikation und attraktiven Kunden/Produkten/ Regionen werden die Veränderung als „Gewinner“ mittragen. Für qualifizierte Mitarbeiter, die in Märkten mit niedrigen Chancen arbeiten sollen, müssen die Rollen und/oder die Vergütung angepasst werden: Sie werden nach dem Sinn bzw. nach neuen Definitionen fragen und gemäß den Antworten ihre persönlichen Entscheidungen treffen. Schließlich müssen Mitarbeiter für chancenreiche Accounts ausgebildet werden, sofern sie die erforderlichen Fähigkeiten noch nicht aufweisen. Für beide Gruppen müssen die AnpassungsMaßnahmen schnell und präzise erfolgen, wenn Friktionen vermieden werden sollen.25
24 25
Vgl. SCHWARZ (2008), S. 13 f. und S. 20 f. Vgl. LORIMER/SINHA/ZOLTNERS (2004), S. 353 f.
Fähigkeiten
hoch
Reorganisation des Vertriebs
Aufgabe, Funktion, Vergütung
niedrig
„Verlierer“
niedrig
533
„Gewinner“
Training, Coaching
hoch
Chancen
= Veränderung
Abbildung 10:
Fähigkeiten und Chancen der Mitarbeiter müssen erkannt und gesteuert werden
Für das Training bedeutet dies, dass schon frühzeitig im Projekt ¾
der Trainingsbedarf (als Abweichung von den Ist- zu den Soll-Kenntnissen, fachlich und in Bezug auf die unterstützenden Prozesse),
¾
die Trainingsstrategie (Präsenztraining, e-Learning, Studium nach Unterlagen, Coaching on-the-Job),
¾
die Trainer (intern, extern),
¾
die Materialien (digital, print) und
¾
die virtuellen und/oder physischen Orte (Intranet, Schulungsräume)
entwickelt, bestimmt, rekrutiert bzw. eingerichtet werden müssen. Vertriebler wollen und sollen nur in minimalem Umfang aus dem Geschäft herausgelöst werden, deshalb empfiehlt sich ein so genannter Blended-Learning-Ansatz, der Präsenz-Training, Studium nach Unterlagen, e-Learning sowie Training-on-the-Job in sich vereinigt. Die Schulungsinhalte werden besonders gut vermittelt und aufgenommen, wenn als Trainer diejenigen Vertriebsmitarbeiter auftreten, die an der Entwicklung der Systeme und Prozesse im Projekt mitgearbeitet haben. Wenn dies nicht möglich ist, sollten sie zumindest die Trainer in einem Train-the-Trainer-Ansatz schulen.
534
SCHWARZ
In Verbindung mit einer präzise gesteuerten Kommunikation und einem als fair empfundenen Vergütungssystem kann das Training die erforderliche Nachhaltigkeit im Vertriebs-Redesign und damit das Erreichen des Unternehmensziels gewährleisten.
6
Sales Effectiveness und Change Management – komplementär zum Erfolg
Reorganisation des Vertriebs – Change-Management-Perspektiven26: In der Vertriebsstrategie wurden die Themen „Kunden“ und „Vertriebskanal“ dargestellt sowie über eine Wertargumentation mit dem Unternehmensziel verknüpft. Nach einer Risiko-Analyse und Formulierung der Vertriebs-Vision wurde die Rolle der Unternehmensführung im Projekt erläutert, deren Engagement in einem solchen unternehmenskritischen Vorhaben unerlässlich ist. Wenn die Strategie im Rahmen der Vertriebstransformation implementiert wird, stehen Organisation und Prozesse, meist mit entsprechender Anpassung der Informations-Technologie im Vordergrund. Da die Key-Stakeholder (Vertriebsmitarbeiter und Kunden) von z. T. gravierenden Veränderungen betroffen sind, sind Mitwirkung bzw. zumindest eine Zwei-WegeKommunikation notwendig und erfolgskritisch, um eine höchstmögliche Akzeptanz seitens der Betroffenen zu generieren. Zusätzlich muss sich der Veränderungsprozess in angepassten HR-Prozessen widerspiegeln. Das Vertriebs-Management dient nicht nur der Steuerung des Vertriebs gemäß der neuen Strategie, sondern ist über das Ziel-, Anreiz- und Vergütungssystem dasjenige Element, das die Vertriebsmitarbeiter an ihre Aufgabe und das Unternehmen bindet – somit auch die Kunden. Eine breite Akzeptanz der Performance-Größen und des damit einhergehenden Vergütungs- und Karriere-Modells sowie eine entsprechende Kommunikation und Ausbildung sind die hinreichenden Bedingungen, um die Strategie zu einem nachhaltigen Erfolg für das Unternehmen werden zu lassen. Eine zügige Implementierung unter Einbeziehung der Unternehmensführung und Beteiligung der Vertriebsmitarbeiter und Kunden minimiert Unsicherheiten während der Übergangsphase. Wird die Einführung einer neuen Vertriebsstrategie und eines neuen Vertriebsmanagements von einem auf die Kundensituation zugeschnittenen Change Management begleitet, das die Verhaltensweisen der Betroffenen zielbezogen adressiert, kann die neue Vertriebsstruktur zum Erfolg für die Kunden, den Vertrieb und somit das Unternehmen werden.
26
Am Beitrag in der 1. Auflage hat MATTHIAS AICHELE als Co-Autor mitgewirkt.
Reorganisation des Vertriebs
535
Quellenverzeichnis BEARINGPOINT (2009): Nichtveröffentlichte Unternehmenspräsentationen, Frankfurt 2009. COUGHLAN, A. T./ANDERSON, E./STERN, L. W./EL-ANSARY, A. I. (2006): Marketing Channels, 7. Auflage, New Jersey, 2006. KAPLAN, R., NORTON, D. (1997): Balanced Scorecard – Strategien erfolgreich umsetzen, Stuttgart 1997. LORIMER, S./SINHA, P./ZOLTNERS, A. (2004): Sales Force Design for Strategic Advantage, New York, 2004. SCHWARZ, S. (2006): Change Management oder die Integration von Mitarbeitern in einem fusionierenden Unternehmen, in: KEUPER, F./HÄFNER, M./VON GLAHN, C. (Hrsg.), Der M&A-Prozess – Konzepte, Ansätze, und Strategien für die Pre- und Post-Phase, Wiesbaden 2006, S. 367–411. SCHWARZ, S. (2008): Change Management im Rahmen einer Finance Transformation, in: KEUPER, F./NEUMANN, F. (Hrsg.), Finance Transformation – Strategien, Konzepte und Instrumente, Wiesbaden 2008, S. 3–23. SCHWARZ, S. (2009): Wissens- und Informationsmanagement – Change-ManagementPerspektiven, in: KEUPER, F./NEUMANN, F. (Hrsg.), Wissens- und Informationsmanagement – Strategien, Organisation und Prozesse, Wiesbaden 2009, S. 119–145. SCHWARZ, S./AICHELE, M. (2008): Sales & Service Management – Change Management und verhaltenspsychologische Perspektiven, in: KEUPER, F./HOGENSCHURZ, B. (Hrsg.), Sales & Service – Management, Marketing, Promotion und Performance, Wiesbaden 2007, S. 435–464. SCHWARZ, S./COKBUDAK, E. (2007): Führung als kritischer Erfolgsfaktor im Change Management, in: KEUPER, F./GROTEN, H. (Hrsg.), Nachhaltiges Change Management, Wiesbaden 2007, S. 31–57.
Autorenverzeichnis BALD, THORSTEN: BBA, MBA, geb. 1970, Head of Brand Management & CRM Loewe Opta GmbH, während des Studiums dreijährige Tätigkeit als Key-Account-Manager auf Agenturseite, seit 2000 bei Loewe, zunächst verantwortlich für die Markenkommunikation, seit 2004 gemeinsam mit Henrik Rutenbeck maßgeblich an der Repositionierung der Marke Loewe beteiligt, seit 2006 als Head of Brand Management verantwortlich für die Entwicklung und Implementierung der Marken- und Kreativstrategie sowie für die Steuerung des Agenturnetzwerkes, seit 01.01.2009 zusätzlich Leiter des Aufbaus und der Implementierung des Customer Relationship Managements von Loewe, www. loewe.de. BAUMGÄRTNER, FRANK: Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., geb. 1962, seit 1997 Geschäftsführender Gesellschafter bei der TellSell Consulting GmbH, die führende Unternehmensberatung für Konzeption und Umsetzung von Business-Development- und Wachstumsstrategien mit Büros in Frankfurt (Hauptsitz), Zug, Wien und Peking (TellSell Consulting wurde von CAPITAL und MANAGER MAGAZIN jeweils zum Hidden Champion im Business Development ausgezeichnet), 1984: Abschluss Ausbildung zum Industriekaufmann, 1989: Abschluss zum Diplom-Kaufmann, Studium an der Universität Trier mit Schwerpunkt Marketing, 1994: Promotion an der Universität Kassel, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften (Prof. Dr. A. Töpfer) und Einstieg bei TellSell Consulting, Mitherausgeber des Standardwerks „Public Private Partnerships in Deutschland“ sowie vielfältige Veröffentlichungen zu den Themen Business Development, Service-Center und -strategien, www.tellsell.de. BERLIN, MARCUS: Dipl.-Ing., geb. 1981, Studium des Wirtschaftsingenieurwesens mit dem Schwerpunkt Informations- und Kommunikationssysteme an der Technischen Universität Berlin, zweijährige Mitarbeit bei einer studentischen IT-Beratung, seit 2007: Tätigkeit im Innovation Development bei der Deutschen Telekom Laboratories, Arbeitsschwerpunkt: Integration von Telekommunikationsdiensten ins Fahrzeug, Fokus der Forschungsaktivitäten: Qualitätsmanagement von Innovationsvorhaben – Analyse von Methoden und Werkzeugen hinsichtlich ihrer Eignung und Einsetzbarkeit innerhalb des Innovationsmanagements, www.laboratories.telekom.com. BUHSE, WILLMS: Dr. rer. pol., geb. 1970, Enterprise-2.0-Experte und Gründer von doubleYUU in Hamburg, einem auf Web 2.0 spezialisierten Beratungsunternehmen, zuvor Inhaber von führenden Positionen bei dem Deutsche Telekom Internet-Venture CoreMedia, bei Bertelsmann, Roland Berger und Reemtsma, international gefragter Referent und Mitherausgeber von dem Standardwerk „Enterprise 2.0 – die Kunst loszulassen“, www. doubleyuu.com. DEUTSCH, MARKUS: Dipl.-Math., geb. 1963, Managing Partner der TellSell Consulting GmbH, Frankfurt, Arbeitsgebiete: Business Development, Unternehmensgründung, Marketing und Vertrieb, Schwerpunktbranchen: Gesundheitswesen, Versicherungen und IKT, Veröffentlichte Bücher: IT für Unternehmensgründer, Die ECommerceStudie, Electronic Commerce und Unternehmenserfolg mit EDI (alle Vieweg-Teubner Verlag, Wiesbaden), Dozent an der Steinbeis-Hochschule Berlin, Verwaltungsrat der GoEco AG, Zug, www.tellsell.de. F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Autorenverzeichnis
DICKGREBER, FLORIAN: Dr. rer. pol., Dipl.-Wirtsch.-Ing., geb. 1971, Principal und Mitglied der Communications & High Tech Practice sowie der Marketing & Sales Practice von A.T. Kearney, Schwerpunkte: Beratung von Unternehmen der Telekommunikationsund Hightech-Branche sowie der Konsumgüterelektronik in Fragestellungen der Vertriebsstrategie, der Kanalmixplanung, der Gestaltung neuer Vertriebskanäle sowie der operativen Performance-Steigerung im Vertrieb sowohl im Privat- als auch im Geschäftskundensegment, 1990–1997 Studium des Wirtschaftsingenieurwesens, Fachrichtung Maschinenbau an der Technischen Universität Darmstadt, www.atkearney.de. EGGERS, BERND: Dr. rer. pol. habil., Dipl.-Ök., geb. 1961, Geschäftsführender Partner von EGGERS & PARTNER Management Consultants mit Sitz in Hannover und Berlin, Schwerpunkte: Strategieentwicklung, Vertriebsberatung und -training, Change Management sowie Führung/Leadership, Autor/Herausgeber von neun Büchern sowie zahlreichen Beiträgen in Fachzeitschriften und Sammelbänden zu diversen Managementthemen, Privatdozent an der Leibniz Universität Hannover sowie Visiting Professor an der GISMA Business School, Mitglied im Beirat eines Verlagshauses, Habilitation zum Thema „Integratives Medienmanagement“ (2006) sowie Promotion über „Ganzheitlich-vernetzendes Management“ (1994), 1996–1998: Projektleiter bei McKinsey & Company, Inc. in Frankfurt am Main, 1994–1996: Director Human Resources bei der Bertelsmann AG in Gütersloh, www.eggers-partner.de. ERNER, MICHAEL: Dr. rer. soc. oec., geb. 1963, Studium der Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Bonn, Köln und Paris, Promotion am Lehrstuhl für Strategische Unternehmensführung und Controlling in Klagenfurt, währenddessen Berater für die Kienbaum Management Consulting AG, seit 1994 durchgängig in Seniormanagementfunktionen bei der Deutschen Telekom, darunter als Vertriebscontroller und Key Account Manager, Marketingleiter im International Business Development sowie mehrfach als Leiter Unternehmensstrategie resp. Produktmanagement, währenddessen fünfjährige Tätigkeit in Auslandsgesellschaften, aktuell: Leiter Innovation Development, AutoMobile bei den „Deutsche Telekom Laboratories“ in Berlin mit Forschungsschwerpunkt im Bereich des Innovationsmanagement und -marketing, www.laboratories.telekom.com. VON
GLAHN, CARSTEN: Dr. rer. pol., Dipl.-Ing., Dipl.-Wirtsch.-Ing., geb. 1968, Director of Finance & Controlling für Data Center bei der Siemens AG, IT Solutions and Services in Atlanta, GA, USA, davor Program Director Shared Services für die Siemens AG in Nord Amerika, KPMG Consulting, Beratungsschwerpunkte: Strategische Kooperationsplanung, Organisationstransformationen, Überleitungen von HGB nach US-GAAP, Business Planung und Unternehmensgründung, Forschung und Lehre an der Universität Hamburg, der Technischen Universität München und der Syracuse University, School of Information Studies, Syracuse, New York, Forschungsgebiete und Publikationen zu den Schwerpunkten Luft- und Raumfahrttechnik, eCommerce, Zentralisation, Shared Services, Outsourcing, Offshoring, Leasing, Finance & Con-trolling, konzerninterne Märkte, Service Management, Wissensmanagement, Portale, Brokerkonzeptionen und Führungstheorien.
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GOLLER, MARKUS: Dipl-Psych., Dipl-Theol., geb. 1973, Seniorberater TMI Training und Consulting GmbH, Bonn, Beratungs- und Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung von ServiceExcellence und Service-Leadership, Wertschöpfung von Customer-RelationshipManagement(CRM)-Systemen im Kundenkontakt, Führungskräfte-Coaching, Persönliche Effektivität und Selbstmanagement mit Outlook bzw. Lotus Notes, Aktives Schadenmanagement bei Versicherungen, Innovative Lernkonzepte, www.tmi-germany.de. GRÜNBLATT, MARTIN: Dr. rer. pol., geb. 1972, Leiter Category Management und Trade Marketing Electronic Arts Inc., nach Studium der Betriebswirtschaftslehre Tätigkeit als Junior Sales Manager bei dem Kosmetikhersteller Davis S. A. in Santiago de Chile, danach Promotion zum Dr. rer pol. am Lehrstuhl für Marketing der Fern-Universität Hagen, anschließend Senior Consultant bei der Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg Retail GmbH, verantwortlich für Beratungsprojekte im Bereich Retail und FMCG-Industrie und später Category Manager bei der Schwartauer Werke GmbH & Co.KGaA, verantwortlich für die Bereiche „Frische“ und „Convenience“, seit 01/2009 Leiter Category Management und Trade Marketing bei Electronic Arts Inc. in Madrid, verantwortlich für die Marketingstrategie des Unternehmens im spanischen und portugiesischen Großund Einzelhandel, www.ea.com. HANNIG, GITTA: Rechtsanwältin, geb. 1974, Leiterin des Bereichs „HR Development und Vertriebsqualifizierung“ der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, diverse Funktionen im Konzern Deutsche Telekom in den Bereichen Servicestrategie, Personal- und Kulturentwicklung sowie Compensation & Benefits, Unternehmens- und Managementberatung im Bereich Führungskräftevergütung/-motivation, www.telekom.com. HANS, RENÉ: Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., geb. 1975, Unternehmensberater bei der TellSell Consulting GmbH in Frankfurt, Arbeitsgebiete: Business Development, Reorganisation von Vertriebsorganisationen, Interimsmanagement in Vertriebsorganisationen, Schwerpunktbranchen: Gesundheitswesen, Konsumgüter, Public Private Partnerships, Dozent an der Steinbeis-Hochschule Berlin sowie an der Berufsakademie Hamburg, www.tellsell.de. HASTENTEUFEL, HAGEN GÖTZ: Dr. rer. oec., Dipl.-Ing., geb. 1969, Vice President und Partner von A.T. Kearney, seit 1997 weltweite Beratung von Unternehmen vorwiegend der Telekommunikations- und High-Tech-Industrie in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Kundenservice sowie bei umfassenden unternehmensweiten Transformations- und Restrukturierungsthemen, www.atkearney.de. HAUMANN, TILL: Dipl.-Kfm., geb. 1984, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für angewandte Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, Ruhr-Universität Bochum, 10/2004–12/2008: Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, Arbeits- und Forschungsgebiete: Vertriebsmanagement, Persönlicher Verkauf, Preismanagement, Organisationales Verhalten, www.ruhr-uni-marketing-lehrstuhl.de/.
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HOGENSCHURZ, BERNHARD: Ass. jur., geb. 1960, Geschäftsleiter HR bei der Deutschen Telekom AG, Bereich Geschäftskunden, verantwortlich für die Kernbereiche HR, Organisation und Service. Maßgeblicher Gestalter der Kooperation der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH mit der Steinbeis-Hochschule Berlin zur Schaffung einer Corporate University mit Bachelor und Master-Studiengängen auf dem Gebiet des Sales & Service Management. Vertreter der Interessen der Deutschen Telekom AG, Geschäftskunden, im Rahmen der Kooperation mit der Steinbeis-Hochschule Berlin und zuständig für die strategische Positionierung und Ausgestaltung des Sales & Service Research Center im Advisory Board und Arbeitsausschuss. HOLLMANN, SEBASTIAN: Dipl.-Ök., geb. 1983, Junior Berater bei EGGERS & PARTNER Management Consultants mit Sitz in Hannover und Berlin; Schwerpunkte: Strategieentwicklung, Mehrwertkommunikation im Vertrieb, Führung/Leadership, Change Management, 2003–2008: Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover, seit 2009 Promotion am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Leibniz Universität Hannover zum Thema Nachhaltige Mitarbeiterführung, www. eggers-partner.de. HÜNING, CHRISTOPH: Dipl. Wirtschaftsmathematiker, geb. 1972, Business Development Manager im Bereich TIME von Lischke Consulting, Schwerpunkte: Beratung von Unternehmen der Telekommunikations- und Medienbranche im Rahmen von Organisationsprojekten sowie Strategietransformationen, 1992–1999: Studium der Wirtschaftsmathematik an den Universitäten Bielefeld und Hamburg, 1999–2004: Managing Consultant bei Diebold Consulting und Detecon International im Bereich TIME, 2005– 2006: Key Account Manager für internationale ISPs bei Telefónica Deutschland, www.lischke.com. KEUPER, FRANK: Prof. Dr. rer. pol. habil., Dipl.-Kfm., geb. 1966, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Konvergenz- und Medienmanagement an der School of Management and Innovation der Steinbeis-Hochschule Berlin, Herausgeber und Geschäftsführer der betriebswirtschaftlichen Fachzeitschrift „Business+Innovation Steinbeis Executive Magazin“, Geschäftsführer und Akademischer Leiter des Sales & Service Research Center Hamburg an der Steinbeis-Hochschule Berlin (Förderer: Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH) sowie der T-Mobile Business School T-Vertrieb, Gastprofessor u. a. an der Universität Tai’an (Provinz Shandong/China), diverse Dozenturen an europäischen Hochschulen, Assoziierter Partner bei inRESTRUCT ein Mitglied der iKnowledge Group, 10/200208/2004 Vertretungsprofessur für Betriebswirtschaftslehre, insb. Risikomanagement und Controlling, Fachbereich Rechtsund Wirtschaftswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Promotion und Habilitation an der Universität Hamburg sowie Studium an der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster, Arbeits- und Forschungsgebiete: Investitions- und Finanzierungstheorie, Planungs- und Entscheidungstheorie, Produktion, Medienmanagement, Kostenmanagement, Strategisches Management, Konvergenzmanagement, Kybernetik, Systemtheorie, Unternehmensplanung und -steuerung, Sales & Service Management, IT-Service Management, www.konvergenz-management.com. KOCH, ARNE: Dipl. Wirtsch.-Ing., geb. 1980, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Controlling und Unternehmensrechnung, Technische Universität Braunschweig, www.controlling-tubs.de.
Autorenverzeichnis
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KÖHLER, STEPHAN: Dipl.-Ing. Oec., Magister Wirtschaftswissenschaften, geb. 1967, Geschäftsführer und Partner für den Bereich TIME und die Practice Group Procurement von Lischke Consulting, Schwerpunkte: Beratung von Unternehmen in Fragestellungen der Organisationsentwicklung, Business Excellence und strategischem Sourcing, 1988–1994: Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der TU Hamburg Harburg, 1991–1992: Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Paris XIII Dauphine, seit 1995: unterschiedliche Stationen bei Lischke Consulting, www.lischke.com. KRÄMER, JENS UWE: Dipl. Soz.wiss., Dr. phil., geb. 1966, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten empirische Sozialforschung und später zusätzlich Sozialpsychologie, akademische Stationen u. a. Humboldt-Universität zu Berlin, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Mannheim Business School (ESSEC Paris-Singapore), seit 2005 beschäftigt bei der Deutsche Telekom AG im Bereich Human Resources International/Competence Center Human Resources Management/Leiter Compensation & Benefits International, Lead und Gründer der internationalen Compensation & Benefits Community davor u. a. Unternehmensberater bei Watson Wyatt Worldwide (Head of Central & East Europe Survey Unit, Brussels) und Caliper Europe (Country Manager D-A-CH & CEE), Mitglied des European Council on Compensation & Benefits und Initiator der Rewards-Academy (www.rewards-academy.de), www.telekom.com. KRUMM, FRANZ: Dipl.-Kfm., geb. 1960, Leiter der Abteilung „Coaching und Führungskultur“ der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft, zuvor langjährige Managementfunktionen in der Vertriebsunterstützung und -qualifizierung der T-Mobile, Tätigkeit im Konsumgütervertrieb, aktuelle Schwerpunkte: Service - und Führungskultur im stationären Handel, Emotionales Verkaufen, Behavioral Branding, www.telekom.com. LECKE, MARKUS: Studium der Nachrichtentechnik an der Fachhochschule Lippe, seit 1995 bei der Deutschen Telekom, 1995–1999 Sachbearbeiter für Ausbildungskonzepte, danach Fachverantwortlicher für gewerblich-technische Ausbildung, ab 1999 Leitung für das bezirkliche Management Ausbildung, 2002–2005 als Regionalleiter Ausbildung Region West verantwortlich für die Telekom-Ausbildung in NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, seit Herbst 2005 in der Konzernzentrale der Deutschen Telekom AG in Bonn, zunächst als Senior Experte im Zentralbereich Human Resources Development verantwortlich für die Themen Nachwuchskräftestrategie und Bildungspolitik im Konzern, seit Frühjahr 2009 Leiter eines Teams für Bildungspolitik und verantwortlich für die konzerneigene Fachhochschule sowie das Projekt zur Einführung berufsbegleitender Studienangebote, Mitarbeit in bildungspolitischen Gremien auf nationaler und europäischer Ebene, www.telekom.com/your-chance. MÖNCH, BERNWARD: geb. 1958, Geschäftsführender Gesellschafter TMI Training und Consulting GmbH, Bonn, Top-Management Beratung und Coaching, International KeyNotes-Speaking, Beratungs- und Arbeitsschwerpunkte: Organisationsentwicklung und innovative Lernkonzepte zur Service-Excellence und Veränderung von Service-Kultur, Branded Customer Service, Etablierung von Service-Leadership, Wertschöpfung von Customer-Relationship-Management(CRM)-Systemen im Kundenkontakt, Change Strategien und Veränderungsprozesse, Führungskräfte-Coaching und ManagementEntwicklung, www.tmi-germany.de.
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Autorenverzeichnis
RIELÄNDER, KLAUS: Dr. phil., Magister Artium (M.A.), Sozial- und Kulturwissenschaftler, geb. 1962, verantwortlich im Bereich „HR Development und Vertriebsqualifizierung“ der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH für berufsbegleitende Studiengänge, verschiedene Funktionen im Konzern Deutsche Telekom in den Bereichen Produktmanagement, Geschäftskundenmarketing, Vertriebsqualifizierung, Servicestrategie und Personalentwicklung, www.telekom.com. RUTENBECK, HENRIK: geb. 1959, Leiter Marketing Loewe Opta GmbH, nach Studium und Ausbildung Tätigkeit bei Nokia Bochum in der Abteilung Technische Medien: Organisation von Messen, Unterstützung von Fernsehsendungen und Sport-Großveranstaltungen, seit 1990 zunächst Leiter der Werbe-, später der Marketingabteilung bei Nokia Bochum, letzteres bereits als Mitglied des Führungskreises der Nokia Consumer Electronics, anschließend bei der Deutschen Telekom AG verantwortlich für den Aufbau der Digital-TV-Aktivitäten in der Breitbandkabel-Sparte, seit 1998 Bereichsleiter Multimedia bei Loewe, zwei Jahre später Übernahme des Bereichs Unternehmensstrategie und Marketingkommunikation bei Loewe, seit 2004 verantwortlich für den Gesamtbereich Marketing, maßgebliche Mitwirkung bei der Entwicklung und Umsetzung der Turnaround-Strategie im Unternehmen Loewe, Verantwortungsbereiche: Neuausrichtung von Loewe zur Premium-Marke, Definition der Produkt-Strategie sowie nationale und internationale Kommunikation, www.loewe.de. SAKOWSKI, MATTHIAS: Dipl.-Ing., geb. 1963, Studium der Elektrotechnik mit Schwerpunkt Nachrichtentechnik, Studium der Physik und Pädagogik, Lehramtsstudium Sek. II für Berufsbildende Schulen, Spezialist Strategie Vertriebstraining und Business Development bei der T-Mobile Deutschland GmbH, davor Leiter Vertriebstraining der TMobile Deutschland GmbH, Entwicklungsingenieur bei Vaillant im Remscheid, Arbeitsschwerpunkte: Strategie, Interdisziplinäre Qualifizierungsprojekte, KPIs in der Weiterbildung, Entwicklung neuer Qualifizierungsansätze, Neuste Lehr- und Lernmethoden, www.telekom.com. SCHOMAKER, IRA: geb. 1967, Ausbildung zur Kommunikationswirtin an der Werbefachlichen Akademie in Köln, Studium der Volkswirtschaftslehre in Bonn, anschließend mehrere Jahre Abteilungsleiterin und Einkäuferin im textilen Einzelhandel, u. a. bei der Anson´s Herrenhaus KG, seit 2001: Projektmanagerin bei der Deutschen Telekom AG in verschiedenen Bereichen, aktuell: Spezialistin für neue Vertriebswege in der Telekom Shop Vertriebsgesellschaft mbH, hier u. a. Betreuung des Projekts „4010 – Der Telekom Shop in Mitte“, www.telekom.com. SCHWARZ, SABINE: Dr. rer. pol., Dipl.-Volkswirtin, Bankkauffrau, geb. 1954, Senior Managerin bei der Management- und Technologieberatung BearingPoint GmbH, Frankfurt, in der Business Unit Commercial Services, Bereich Business Strategy & Transformation, Schwerpunkte: Change Management und Transformation, bis 1998 auch Bank-Strategie, -Marketing und -Controlling, 1975–1980 Studium der Volkswirtschaft an der Universität Freiburg, 1980–1985 Promotionsstudium und Assistententätigkeit am Lehrstuhl für Finanzwissenschaften der Universität Freiburg, 1985–1990 Prokuristin der Vereinsund Westbank AG, Hamburg, Tätigkeitsschwerpunkte: Kunden-, Filial- und ProduktControlling, Strategie, 1981–1989: Dozentin an den Berufsakademien in VillingenSchwenningen und Lörrach sowie der Bankakademie in Hamburg, Tätigkeitsschwerpunkt: Volkswirtschaftslehre, www.bearingpoint.de.
Autorenverzeichnis
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SONNENSCHEIN, MARTIN: Dr. rer. oec., Dipl.-Wirtsch.-Ing., geb. 1964, Zentraleuropa-Chef von A.T. Kearney, Branchenschwerpunkte liegen in Telecommunications, Hightech, Consumer Electronics und Electronic Media zu Themen wie Strategie, Wachstum, Vertriebseffektivität und -management, Effizienz, Kostenmanagement und Organisationstransformationen, Co-Autor verschiedener Bücher, u. a. von „Digital Value Network“, „Ne(x)t Economy“, „Innovative Regulierung“, „Fünf Wege zu organischem Wachstum“ und „Customer Energy“, 1990–2000 in verschiedenen Geschäftsführungspositionen führender Telekommunikations- und Dienstleistungsunternehmen tätig, www.atkearney.de. STROBEL, MARTIN: Dipl.-Kfm., geb. 1970, Studium der Europäischen Wirtschaft und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bamberg und an der Universidad Barcelona, 19982003: Mitarbeiter am Lehrstuhl für Finanzwirtschaft an der Universität Bamberg, Freiberuflicher Dozent mit Lehraufträgen an Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen mit den Themenschwerpunkten Investition und Finanzierung, PortfolioManagement, Alterssicherung und finanzwirtschaftliche Entscheidungstheorie, seit 2005: Tätigkeiten an der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) auf Schloss Montabaur mit den Schwerpunkten Vorstandsqualifizierung und Finanzsystementwicklungshilfe, www.adgonline.de. WEINGARZ, STEPHAN: Dr. phil., Dipl.-Volkswirt, geb. 1966, Studium der Volkswirtschaftslehre in Bonn, Toulouse und Regensburg, 19941998: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg, Forschungsschwerpunkt: Transformationstheorien am Beispiel der neuen Bundesländer, 20002003: Referent beim Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken im Bereich Strategie, seit 2004: Tätigkeiten an der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) auf Schloss Montabaur mit dem Schwerpunkt Vorstandsqualifizierung, www.adgonline.de. WIESEKE, JAN: Prof. Dr., Dipl.-Psych., geb. 1974, Inhaber des Lehrstuhls für angewandte Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, Ruhr-Universität Bochum, Herausgeber der betriebswirtschaftlichen Fachzeitschrift „British Journal of Management“, Publikationen in führenden Fachzeitschriften wie dem Journal of Marketing, dem Journal of the Academy of Marketing Science und dem Journal of Management Studies, Arbeitsund Forschungsgebiete: Anwendung psychologischer Theorien im Marketing, Vertriebsmanagement, Dienstleistungsmanagement, Internes Marketing, Organisationales Verhalten, www.ruhr-uni-marketing-lehrstuhl.de/. ZIGIC, ALEXANDRA: Maga., geb. 1974, Abschluss der Wirtschaftsuniversität Wien, Spezialisierungsgebiete Human Resources Management und Klein- und Mittelbetriebe, beschäftigt bei T-Mobile Austria GmbH im Bereich Human Resources/Competence Center Personnel Management/Compensation & Benefits seit April 2008, davor: Novartis Institutes for BioMedical Research GmbH ebenfalls im Bereich Compensation & Benefits, Projekte: Neueinführung/Änderung variabler Vergütungssysteme, Einführung von Pensionskassenlösungen mit Transfer, HR Metrics, Karrieresysteme, Mitglied im Kernteam des im Artikel beschriebenen Performance Management Projekts, Projektleitung: Marcus Schlobach, Abteilungsleiter Competence Center Personnel Management; Gesamtverantwortung: Joachim Burger, Human Resources Director TMA, www.t-mobile.at.
Stichwortverzeichnis A
E
Angebotsformulierung 343 ff. Anreiz 11, 51 ff., 140 ff., 314 ff., 355, 368, 501 ff. Anreizsystem 33, 60 ff., 109, 328 Authentifizierung 237 ff.
ECR Efficient Consumer Response Effektivität 8 ff., 49 ff., 105, 162, 217 ff., 263 ff., 346, 366, 440 Efficient Consumer Response 363 ff. Einkommen 9, 74 ff., 123 ff., 137 ff., 169 ff., 223, 318 ff., 513 ff. eLearning 450 ff. Enterprise 2.0 405 ff. Erfolgsbeteiligung 311 ff. Erfolgsfaktor 1 ff., 7 ff., 47 ff., 86, 133, 207, 209 ff., 258 ff., 309, 326, 404, 419, 435 ff., 445 ff., 469ff., 531 ff. Erlebniskette 92 ff.
B Behavioral Economics 117 ff. Bezahlvorgang 239 ff. Biometrie 233 ff. Bologna-Prozess 424 ff. Branchenstrukturanalyse 20 ff. Branded Customer Service 283 ff. BSTV Business School Telekom Vertrieb Business School Telekom Vertrieb 443, 445 ff.
C Call Center 62, 156 ff., 235 ff., 261 ff., 302 ff. Category Management 93, 363 ff., 505 C/D-Paradigma 467 ff. Change Agents 405 ff. Change Management 300, 409, 443, 490, 501 ff. Channel Management 151 ff. CM Category Management Co-Invest 428 Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment 363 ff. Community 75 ff., 149, 166, 313, 410 CPFR Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment Credibility 363 ff. Customer Relationship Management 109, 235, 288, 359
F Fachkräftelücke 428 Finanzdienstleistung 115 ff. Fixed Mobile Convergence 12, 154, 161 Flagship Store 162 ff. FMC Fixed Mobile Convergence Förderung 105 ff., 140, 200, 367 ff., 421 ff. Framing 115 ff., 361 Frischzellenkur 405 ff. Führung 10 ff., 57 ff., 91 ff., 167, 218, 272, 295, 331, 374, 408, 467, 501 ff.
G Generik 3 ff., 144 Gesundheitsfonds 137 ff. GKV Krankenversicherung, Gesetzliche Go-to-Market 47 ff.
I Internationalisierung 108, 259 ff., 365, 433 Involvement 126 ff., 169 ff., 217, 302, 411
D Deutsche Telekom 71 ff., 155 ff., 209, 311 ff., 421 ff., 440 ff., 445 ff.
J JAM 405 ff.
F. Keuper, B. Hogenschurz (Hrsg.), Professionelles Sales & Service Management, DOI 10.1007/978-3-8349-8799-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Stichwortverzeichnis
546
K Kanalmix 54 ff. Kano-Modell 417 ff. Kommunikation 29 ff., 58, 76 ff., 89 ff., 120 ff., 141 ff., 181, 220 ff., 245 ff., 265 ff., 289 ff., 311 ff., 355, 405 ff., 433, 447 ff., 471 ff., 501 ff. Konsumentenwissen 177 ff. Konsumgüterwirtschaft 369 ff. Kooperationen, vertikale 363 ff. Krankenversicherung, Gesetzliche 135 ff. Kunden 5 ff., 50 ff., 73 ff., 97 ff., 126 ff., 135 ff., 154 ff., 169 ff., 214 ff., 235 ff., 272 ff., 283 ff., 320 ff., 343 ff., 377 ff., 405 ff., 440, 448 ff., 469 ff., 503 ff. Kundenbegeisterung 477 ff. Kundenidentifikation 195 ff. Kundenloyalität 55, 85, 169 ff., 213 ff., 252 ff. 294, 359, 490 Kundennutzen 17, 222, 345 ff., 374 Kundenorientierung 7 ff., 148, 155, 219, 303, 358, 403, 429, 443, 471 ff. Kundenschnittstelle 87, 233 ff. Kundenwert 343 ff. Kundenzufriedenheit 62, 109, 127, 169 ff., 220 ff., 308, 316 ff., 458, 467 ff.
Markenpositionierung 58, 94 Markenprofil 86 ff., 89 ff., 166 Markenstrategie 92 ff. Marktangang 49 ff. Marktkomplexität 3 ff. Mental Accounting 115 ff. Mentor 457 ff., 492 Mitarbeiter 8 ff., 58 ff., 83 ff., 107 147 ff., 164, 173 ff., 225 ff., 235 263 ff., 283 ff., 313 ff., 357 ff., 386 407 ff., 423 ff., 437 ff., 456 ff., 467 501 ff. Mitarbeiterzufriedenheit 339, 467 ff. Morbi RSA 135 ff. Multioptionalität 421 ff.
ff., ff., ff., ff.,
O Offshoring 236 ff., 259 ff. Open Innovation 405 ff. Open Space 412 Organisation 5 ff., 49 ff., 107 ff., 151 ff., 235 ff., 264 ff., 288 ff., 311 ff., 356 ff., 374 ff., 407 ff., 426, 440, 462 ff., 472 ff., 501 ff. Outside-In-Analyse 343 ff.
L
P
Leadership 283 ff., 405 ff., 427, 465, 481 Lebensmitteldistribution 363 ff. Lernen 119, 252, 283 ff., 421 ff., 447 ff., 494 Lernformat 301 ff. Lernphasen 459
Partizipation 40, 408 ff. Performance Management 54 ff., 311 ff. Personalentwicklung 28 ff., 54 ff., 302, 350, 409, 423 ff., 437 ff., 457 ff., 469 ff., 529 Personalstrategie 313 ff., 421 ff., 438 ff. Point of Sale 71 ff., 95 ff., 156 ff., 223, 248 ff., 288 ff., 372 ff., 401 ff., 445 ff, 467 ff. POS Point of Sale POS-Manager 445 ff. POS-Steuerung 165 POS-Strategie 161 Prämie 94 ff., 311 ff., 469, 526 Preisbereitschaft 94, 128, 169 ff. Preispolitik 128 ff., 169 ff., 277, 377 Premium-Dienstleister 439 Prospect Theory 115 ff. Prozess 7 ff., 53 ff., 78, 107, 118 ff., 146, 151 ff., 195, 217 ff., 235 ff., 259 ff.,
M Managed Care 139 ff. Management 1 ff., 17 ff., 50 ff., 76 ff., 100 ff., 133, 135 ff., 151 ff., 169 ff., 207, 214 ff., 233 ff., 259 ff., 288 ff., 309, 311 ff., 343 ff., 363 ff., 405 ff., 419, 427 ff., 435 ff., 445 ff., 467 ff., 501 ff. Mass Customization 44 ff., 169 ff., 230 Marke 1, 9 ff., 55 ff., 74 ff., 89 ff., 126, 155 ff., 181 ff., 224 ff., 283 ff., 321 ff., 356 ff., 365 ff., 438 ff., 470 ff., Marken-Management 1
Stichwortverzeichnis
283 ff., 313 ff., 345 ff., 365 ff., 405 ff., 424 ff., 445 ff., 467 ff., 501 ff.
Q Qualifikation 321 ff., 397, 409 ff., 423, 440, 482 ff., 505 ff.
R Referenzpreis 169 ff. Repräsentativitätsheuristik 115 ff. Resource-based View 17 ff. Retail-Marketing 89 ff., 166
S Sales 60 ff., 71 ff., 108 f., 133, 153 ff., 169 ff., 214 ff., 248, 269, 307, 311 ff., 401, 405 ff., 423 ff., 435 ff., 445 ff., 499 ff., 501 ff. Sales Channel Mix 159 Service 5 ff., 81, 89 ff., 126, 153 ff., 169 ff., 207, 209 ff., 233 ff., 259 ff., 283 ff., 313 ff., 349 ff., 374 ff., 431, 437 ff., 445 ff., 472 ff., 508 ff. Service Center 44, 233 ff. Sales Effectiveness 501 ff. Service Excellence 283 ff. Servicing 283 ff. Servicekultur 426 Service Leadership 283 ff. Servicestrategie 5 ff., 236 Shopkonzept, zielgruppenspezifisches 71 ff., 157 ff. Sonderpreispolitik 169 ff. Sprachbiometrie 233 ff. STEP 47 ff. Studenten 118 ff., 147, 423 ff., 439 ff., 452 ff. Studienbriefe 430, 457 ff. Studium, berufsbegleitendes 279, 400 ff., 421 ff., 435 ff., 463 ff., 533
T Talent Management 427, 435 ff. Talent Pipeline 429
547
Telekommunikation 5 ff., 49 ff., 74 ff., 143, 151 ff., 211 ff., 257, 321, 425 ff., 443, 445 ff., 467 ff. Telekommunikationsfachhandel 467 ff. Telemedizin 135 ff. TIME-Branche 5, 149, 153, 209 ff. Transferstudium 435 ff. Transparenz 47 ff., 265 ff., 313 ff., 345, 408 ff. Triple Play 154 ff. Trust Center 233
U Upcoding 140 ff. Unternehmensführung 10 ff., 53, 218 ff., 272, 345, 399, 462 ff., 510 ff. Unternehmensgesamtstrategie 16 ff. Unternehmenskultur 30 ff., 407 ff., 467 ff.
V Value-based Selling 343 ff. Value Message 343 ff. Veränderung 6 ff., 53 ff., 73 ff., 120 ff., 135 ff., 214 ff., 236 ff., 263 ff., 283 ff., 319 ff., 383 ff., 409 ff., 443, 469 ff., 503 ff. Verankerungsheuristik 115 ff. Verblisterung 135 ff. Verfügbarkeitsheuristik 115 ff. Vergütungssystem 311 ff., 501 ff. Verhalten 19 ff., 96 ff., 117 ff., 211 ff., 285 ff., 363 ff., 473 ff. Verifizierung 245 ff. Verkauf 28, 62 ff., 76 ff., 103, 126, 162 ff., 214 ff., 270 ff., 328 ff., 370 ff., 447 ff. Vertrieb 27 ff., 47 ff., 73 ff., 91 ff., 115 ff., 135 ff., 161 ff., 176 ff., 213 ff., 313 ff., 350 ff., 363 ff., 411, 423 ff., 440 ff., 445 ff., 469 ff., 501 ff. Vertriebsvergütung 311 ff. Vertriebskanalmanagement 135 ff. Vertriebsmitarbeiter 58 ff., 173 ff., 313, 360, 490, 503 ff. Vertriebsstrategie 18, 47 ff., 501 ff. Vertriebstransformation 501 ff. Vision 12, 292, 320 ff.,411, 494 ff., 501 ff.
548
W Wahltarife 135 ff. Wertschöpfungskette 14 ff., 212 ff., 267 ff., 343 ff., 363 ff. Wettbewerbsstrategie 5 ff., 217, 349 ff., 508 Wettbewerbsstrategie, hybride 18 ff.
Y Young Segment 83
Z Zertifikat 453 ff. Zielsystem 59 ff., 315 ff., 469 ff., 501 ff.
Stichwortverzeichnis