JAMES ROBERTSON
Umschlagentwurf-. Oskar Dolbart, Holzminden Copyright 1950 by Volksbücherei-Verlag A. H. Rupp, Goslar...
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JAMES ROBERTSON
Umschlagentwurf-. Oskar Dolbart, Holzminden Copyright 1950 by Volksbücherei-Verlag A. H. Rupp, Goslar Scan by Brrazo 12/2005 Druck des Umschlages: Aug. Wehrt. Kunstdruck, Braunschweig Druck und Herstellung: Albert Limbach, Braunschweig
1. Kapitel
DIE MIT DER GRÜNEN MASKE
Karneval in New Orleans! Das will was heißen! Der Karneval in New Orleans ist berühmt in ganz Nord- und Mittelamerika. Von überallher strömen die Schau- und Sensationslustigen um diese Zeit des Jahres in der großen Stadt am Mississippi zusammen. Denn hier geht es hoch her, hier verstehen es die Leute, Karneval zu feiern! Auch Tom Mix war seit drei Tagen in der Stadt am ,Vater der Gewässer’, wie die Indianer in ihrer bilderreichen Sprache den Mississippi nennen. Er war kein Freund des Großstadtpflasters, fühlte sich nur auf seiner Prärie und in seinen Bergen wirklich wohl. Doch er war jung und lebenshungrig, und hin und wieder sehnte auch er sich danach, einmal für kurze Zeit im schäumenden Trubel einer Stadt unterzutauchen und gewissermaßen vor sich selbst zu beweisen, daß er auch diese Seite des Lebens zu meistern verstand. Lange dauerten diese .Anfälle’ sowieso nicht. Länger als acht, höchstens vierzehn Tage hielt es Tom Mix in den Steinbaukästen nie aus. Tom genoß die Tage in New Orleans auf seine Art. Das heißt nicht etwa, daß er sich betrank und dann, gleich den andern, singend und randalierend durch die Straßen zog. Of course not! Tom blieb auch auf dem Asphalt der Großstadt der Cowboy, der er nun einmal bis in die letzte Faser seines Herzens hinein war: genügsam, beherrscht, ein wenig
verträumt. Es machte ihm Spaß, die ausgelassene Menschheit um sich herum zu beobachten, schlechte und böse, interessante und langweilige Menschen kennenzulernen und dabei neue Erfahrungen zu sammeln. Im Vieux Carré, dem alten französischen Viertel der Stadt, hatte Tom ein kleines Zimmerchen gefunden, für das er allerdings einen horrenden Mietpreis bezahlen mußte. Doch Tom konnte sich das leisten. Das Guthaben auf seinem Bankkonto war immer noch vierstellig. Den größten Teil des Tages trieb sich Tom in der Stadt herum. Er war beim Einzug von Rex, dem König des Karnevals, dabei gewesen, der mit seinem glanzvollen Gefolge per Dampfer in die Stadt kam und vom Kai aus in prunkvoller Parade durch die Stadt zog. Tom hatte sich sogar von seinem Freund Bob Morgan erweichen lassen, einen Fastnachtsball zu besuchen und hatte bis in die vierte Morgenstunde hinein nach den Klängen von zwei abwechselnd spielenden Riesenkapellen getanzt. Die Blicke mancher der dunklen, glutvollen Frauenaugen waren dem jungen, schmucken Cowboy gefolgt. Tom hätte nur zuzugreifen brauchen, dann hätte er sich über Mangel an Liebesabenteuern nicht zu beklagen brauchen. Doch gerade in diesem Punkt war Tom ziemlich zurückhaltend. Er hatte mit der holden Weiblichkeit trotz seiner Jugend schon manche trübe Erfahrung gemacht und war vorsichtig geworden. Und außerdem sagte er sich: „Die Richtige wird eines Tages schon kommen!“ Ob ihm diese ‚Richtige’ allerdings gerade hier in New Orleans über den Weg laufen würde, das bezweifelte Tom stark. Die aufgedonnerten, kessen, mit buntem Tand behangenen, stark geschminkten
Ladys von New Orleans entsprachen nicht Toms weiblichem Ideal. Heute abend saß Tom Mix im großen Ballsaal des PanAmerica-Hotels. Um ihn herum quirlte und strudelte der Festtrubel. Alles war in Maske und Kostüm. Die Frauenwelt verblüffte mit raffinierten Roben. Es blitzte und funkelte der echte und unechte Schmuck an den Hälsen, Armen und Beinen der fastnachtstollen Frauen. Auch Tom Mix hatte sich, um überhaupt eingelassen zu werden, eine kleine Halbmaske vorbinden müssen. Im übrigen wurde seine Cowboytracht als Kostümierung angesehen. Die Fähigkeit, einen echten Cowboy von einem nachgemachten zu unterscheiden, konnte man von den biederen New Orleanser Pflastertretern nicht verlangen. Wie der ‚ruhende Pol in der Erscheinung Flucht’ saß Tom Mix an seinem kleinen Tisch an der Logenbrüstung. Von hier aus konnte er den ganzen Ballsaal übersehen. Tom blickte auf die Uhr. Um elf. Also hatte ihn der gute Bobby wieder mal versetzt. Der baumlange Reporter war in diesen Tagen ein wahrer ,Hans Dampf in allen Gassen’, flog förmlich von einer Sensation zur anderen. Es konnte sehr gut sein, daß er die Verabredung mit Tom im PanAmerican – Hotel überhaupt vergessen hatte. Genau elf Uhr und sieben Minuten war es, als Toms Blick auf die Frau mit der grünen Maske fiel. Sie war eine Schönheit, allerdings keine von der brünetten, dunkeläugigen und -haarigen Sorte, wie sie in New Orleans heimisch waren. Diese Frau war rotblond, jung, schlank, von vollendet schönen Körperformen. Ein langes, erst am
Busen beginnendes Schuppenkleid floß an ihr herab und widerspiegelte mit einer wahren Funkensymphonie das tausendfältige Licht der Kronleuchter. Langsam kam die Frau quer durch den Saal, sah sich suchend nach allen Seiten um. Entweder spähte sie nach einem Bekannten aus oder sie suchte nur einen Sitzplatz. Mit freien Stühlen war es hier im Ballsaal schlecht bestellt. Aus einem plötzlichen, ihm selbst unerklärlichen Impuls heraus neigte sich Tom Mix über die Brüstung und hob einladend die Hand. Denn an seinem Tisch war noch ein Stuhl frei. Und siehe da! Mitten im Maskentrubel des Parketts blieb die blaufunkelnde Schuppennixe stehen und lächelte zu Tom hinauf. Sie strich sich prüfend über ihre grüne Seidenmaske und steuerte dann entschlossen auf die Treppe zu, die zur Brüstung emporführte, und bot ihr galant den Arm. Ein durchdringender Blick hinter der grünen Maske hervor musterte sekundenlang sein tiefbraunes, von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht. Dann erklang eine zarte, melodische Stimme: „Du gefällst mir, boy! Du siehst aus wie ein Mann, dem ein hilfesuchendes Mädchen vertrauen kann.“ Tom Mix lachte hellauf. „Seh ich wirklich so aus? Dank für das Kompliment! Aber es stimmt. Es ist sogar ein wahres Laster, daß ich allen Menschen helfen muß, die mich darum bitten. Kommen Sie, schaumgeborene Funkelnixe, an meinem Tisch ist noch ein Stühlchen frei.“ Sie setzten sich. Das Mädchen griff nach Toms Sektglas und trank den Inhalt mit einem Zug aus. Tom sah, daß ihre
Hände stark zitterten. „Sorgen, Kummer, Angst – kleine Nixe?“ erkundigte sich Tom teilnahmsvoll. Dieses Mädchen reizte ihn. Ein seltsamer, prickelnder Zauber ging von ihr aus. Ein Durchschnittsmensch war dieses Mädchen da nicht, keine ‚Dutzendware’. Ein Hauch von Gefahr, Abenteuer, Tollheit und Fanatismus umwehte sie gleichsam. Tom hatte für so etwas ein feines Empfinden. Das Mädchen starrte in den Saal, und auf einmal – Tom merkte es deutlich – zuckte sie erschrocken zusammen und klammerte sich impulsiv an Toms Ärmel. * «Ich werde verfolgt!“ hauchte sie. „Bitte bring mich so schnell und so unauffällig wie möglich von hier fort! Mit meinem Dank dafür wirst du zufrieden sein.“ Tom strich, die Maskenfreiheit ausnutzend, der zitternden Nixe über das Blondhaar. ,,Keine Angst, Sweetheart! Wenn Tom an deiner Seite ist, geschieht dir nichts! Wer sind deine Verfolger?“ „Böse Menschen!“ lispelte das Mädchen. „Komm! – geh mit mir woanders hin!“ „Well, aber erst trinken wir noch eine Flasche Schampus! Auch auf einem Tänzchen bestehe ich! Zu deiner Beruhigung: Unter meiner Schärpe habe ich einen Colt! Und der ist nicht mit Bonbons geladen. Kellner! – hee! – eine neue Flasche!“ Tom packte das Mädchen am Arm und zog sie aus der Nische. „Nur diesen einen Tango, bitte! – dann geh ich mit dir, und sei es mitten hinein in die Hölle!“ Das Mädchen war eine ausgezeichnete Tänzerin. Wie
eine Feder glitt sie über das Parkett. Tom bemerkte, daß ihre Blicke unablässig umherirrten. Fast glaubte Tom, den angstvollen Schlag ihres Herzens zu spüren. Ein Regen von Papierschlangen und Konfetti prasselte von der Empore auf die Tanzenden herab. Diese selbst vollführten mit Kindertrompeten, Pfeifen und Pritschen einen Höllenspektakel. Es war ein tolles Durcheinander. Tom Mix blickte seiner Tänzerin fest in die grauen Augen. „Du hast recht, Nixlein, dieser Rummel da ist nichts für uns! Man versteht ja kaum sein eigenes Wort.“ In diesem Moment kam eine I.assoschlinge quer über den Saal hinweggeschwirrt und legte sich ausgerechnet Tom Mix um den Hals. Der fluchte, war er doch gezwungen, seine schöne Tänzerin freizugeben. Doch der große, breitschultrige Lassowerfer am Rande des Saales war unerbittlich. Er zog mit aller Gewalt am Seil, so daß Tom nichts anderes übrigblieb, als nachzugeben, wenn er nicht regelrecht erdrosselt werden wollte. Als er vor dem Lassowerfer stand, einem schwarz maskierten Cowboy, verspürte er die größte Lust, dem Kerl als Quittung für seine Frechheit einen zünftigen K. o. zu versetzen. Doch ehe er dazu kam, faßte ihn der Cowboy am Arm und zog ihn hinter eine Säule. „Pst! Unauffällig! Sie sind doch Tom Mix?“ „Und wenn ich’s wäre?“ Der Cowboy lüftete die Maske. „Gucken Sie mich an. Ich bin Captain Crowley von den Texasrangers! Wir kennen uns von Phönix her. Hören Sie gut zu! Die funkelnde Nixe, mit der Sie eben tanzten, ist ein weiblicher
Gangster von Format. Falschmünzer! Versuchen Sie, unter allen Umständen bei ihr zu bleiben. Lassen Sie sie nicht fort, hängen Sie sich wie eine Klette an sie. Mimen Sie den leidenschaftlichen Liebhaber! Versuchen Sie herauszubringen, wo das Weib seinen Unterschlupf hat. Solange wir das nicht wissen, wollen und können wir nicht zupacken. Wir beobachten Sie, solange es möglich ist. Kapiert?“ „Yeah!“ sagte Tom, der im Nu die Zusammenhänge begriffen hatte. Außerdem hatte er den Captain wiedererkannt. „Verlassen Sie sich auf mich!“ „Dann los, Mensch! – sie verschwindet durch die Seitentür dort in der Ecke!“ Tom drängelte sich, seine Ellbogen rigoros gebrauchend, durch die tanzende Menge und erreichte den Seitenausgang gerade in dem Moment, als die rotblonde Nixe die Tür hinter sich zuziehen wollte. „Quo vadis?“ (wohin gehst du?) rief Tom und faßte das Mädchen an beiden Schultern. „Jetzt bin ich deinem Zauber verfallen, jetzt kriegst du mich nicht wieder los! Dem verfluchten Cowboy mit seinem Lasso habe ich eine verwinkt, daß er die nächste Stunde nicht mehr fähig ist, einen jungen Mann aus den Armen seiner Geliebten zu reißen!“ „Wirklich?“ fragte das Mädchen mißtrauisch. „Garantiert! Er liegt unter einem Tisch und streckt alle Viere von sich. Jetzt bin ich erst in richtiger Kampfstimmung! Zeige mir deine Feinde, damit ich sie zu Brei schlage!“ „Immer sachte, sachte, my boy!“ lächelte die Nixe. „Den
Feinden, die hinter mir her sind, kannst du mit deinem Colt und deinen Muskeln nicht imponieren. Komm jetzt! Ich nehm dich doch mit! Weil du mir gefällst!“ Tom legte die Hand aufs Herz. „Königin meines Herzens, verfüge über mich! Dein Wille ist auch der meinige. Was befehlen Euer Majestät?“ „Hol mir meinen Mantel aus der Garderobe. Hier ist die Marke.“ Tom beeilte sich, diesen Wunsch zu erfüllen. Fürsorglich hüllte er die zarte, schlanke Gestalt in den langen, hochgeschlossenen Mantel. Auch jetzt legte das Mädchen ihre grüne Maske nicht ab. Sie faßte Tom an der Hand und zog ihn mit sich. Es ging kreuz und quer durch Gänge und Korridore, treppauf, treppab. Das Pan-America-Hotel war ein riesiger Bau. Das Mädchen schien sich hier gut auszukennen, denn nicht ein einziges Mal stockte ihr Schritt. überall herrschte reges Leben und Treiben. Heute, am Fastnachtsdienstag, stand das ganze riesige Hotel im Zeichen des Karnevalrummels. Auf einmal ging es eine lange, schmale Treppe hinab. Drunten erstreckte sich ein breiter, nur von wenigen Glühbirnen erhellter Gang nach beiden Seiten. Das Mädchen steuerte auf eine schmale Tür zu. Ein kurzer, prüfender Blick nach beiden Seiten. Außer ihnen kein Mensch. Das Mädchen öffnete die Tür und zog Tom in den darunterliegenden stockfinsteren Raum. Tom zögerte einen Moment, doch dann warf er die ihm aufsteigenden Bedenken zur Seite. Er war neugierig auf die weitere
Entwicklung der Dinge. Da er wußte, mit wem et es zu tun hatte, war die Gefahr nicht allzu groß. Weiter ging es, durch das dunkle Zimmer hindurch nach dem Fenster. Lautlos drehte das Mädchen den Wirbel und stieß den Fensterflügel auf. „Hilf mir! Mein langes Kleid ist mir hinderlich!“ Tom nahm kurz entschlossen das Mädchen auf den Arm und stieg mit dieser Last über die niedrige Fensterbrüstung hinweg in den Hof. Er drückte dabei, um die Rolle des wahnsinnig Verliebten möglichst echt zu spielen, einen Kuß auf den Nacken des Mädchens. „Dazu ist später Zeit!“ flüsterte die Unbekannte und nahm Tom wieder an die Hand. Es ging, immer im Schatten von Gebäuden, über ein paar Hinterhöfe und schließlich durch eine schmale Pforte hinaus auf die menschendurchflutete Canal Street, die Hauptverkehrsader von New Orleans. Zielsicher steuerte das Mädchen auf eine große, dunkle, am Straßenrand wartende Limousine zu. Kaum hatten sich die beiden in die schwellenden Polster sinken lassen, als der Fahrer den Motor anließ und der Wagen anzog. Das Mädchen kniete sich auf das Polster und blickte zum Rückfenster hinaus. ,,Damn’d! Sie sind wieder hinter mir her! Sie haben wahrscheinlich meinen Wagen beobachtet!“ „What is to be done, sweet-heart?“ – „Was ist da zu tun?“ „Zieh deinen Colt!“ „Well. Aber eine Schießerei mitten auf der Canal
Street…!“ „Never mind! Schieß dem hellen Sportwagen hinter uns die beiden Vorderreifen entzwei. Der Wagen ist so stark und wendig, daß wir ihm nicht anders entkommen können. Wenn du mich wirklich liebst, dann mußt du es tun! Der Lohn für deine Hilfe wird nicht ausbleiben,“ Tom machte die Sache Spaß. Für ihn war es klar, daß in dem verfolgenden Wagen die Polizei saß. Die im zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts einsetzende Motorisierung des Verkehrs in ganz Amerika hatte auch die Polizei ergriffen. Ein Auto aus dem Jahre 1915 würde uns Heutigen zwar als eine alte, wacklige Kutsche vorkommen, doch Stromlinienform, Vierradbremse und Geschwindigkeiten über hundert Meilen gab es damals noch nicht. Der Fahrer von Toms Wagen bog in eine Seitenstraße, die nur verhältnismäßig schwach belebt war. Und richtig! – der helle Sportwagen folgte ihnen. „All right!“ sagte Tom trocken, „für dich, Geliebte, schieß ich dem Teufel selbst ‘ne Goldplombe aus dem Backzahn.“ Er kurbelte die Fensterscheibe herunter und beugte sich, den Colt in der Faust, aus dem fahrenden Wagen. Zwei Schüsse krachten, deren Echo die platzenden Pneumatiks des verfolgenden Wagens waren. Das Polizeiauto mußte natürlich sofort stoppen. „Wonderful!“ jubelte das Mädchen und drückte Tom einen Kuß auf den Mund. „Eigentlich könnte ich dich zu meinem Gun-man machen. Weißt du, was das ist?“ „Ein Gun-man? Ist das nicht ein Angehöriger der Leib-
wache eines Bandenhäuptlings?“ „Sure. Aber warum sollen sich nicht auch anständige Leute einen Gun-man halten, wenn sie sich bedroht fühlen. Doch darüber reden wir später noch einmal. Küß mich, Tom, du bist ein Mann nach meinem Herzen!“
2. Kapitel
IN DER HÖHLE DER LÖWIN
Der Wagen hielt. Sie stiegen aus. Toms Begleiterin führte ihn in ein villenähnliches, zweistöckiges Landhaus, dessen Fassade völlig dunkel war. „Wohnst du hier?“ „Yeah. Aber nicht mehr lange. Leider!“ „Bist du etwa verheiratet?“ „Applesauce! – Unsinn!“ Das Mädchen öffnete eine Tür. Licht flammte auf. Tom sah ein mit außerordentlicher Eleganz ausgestattetes Wohnzimmer vor sich. In der Mitte ein prächtiger, deutscher Flügel. Nur sehr unordentlich sah es in dem Raum aus. Die Eigenschaften einer sorgsamen und ordentlichen Hausfrau schienen der blonden Nixe abzugehen. überall lagen Kleider, Schuhe, Strümpfe und andere Wäschestücke herum. Gerade wollte die Hausherrin etwas sagen, als ihr das Rasseln des Telefons auf dem Schreibtisch zuvorkam Sie nahm den Hörer ab und lauschte. Tom sah, wie sie die Lippen zusammenkniff und die Stirn runzelte. Das Mädchen hatte im Wagen die Maske abgenommen. Ihr Gesicht hielt voll und ganz das, was die reizenden Körperformen und die anderen äußeren Merkmale versprachen: es war klassisch schön, von einer Regelmäßigkeit und Grazie der Linienführung, daß jeder Maler seine Freude daran haben mußte.
Mit einem kurzen „Thanks!“ legte das Mädchen den Hörer auf die Gabel zurück. Mit langsamen, wiegenden Schritten trat sie vor Tom hin. „So leid es mir tut, mein kleiner Cowboy! – aber – ich muß dich ein Weilchen allein lassen. Dringende Geschäfte! Dort in dem Wandschränkchen findest du Likör aller Sorten und Zigaretten. Zeitungen liegen hier. Dort in der Ecke steht ein Grammophon mit zweihundert Platten. Etwas zu essen laß ich dir bringen. Vertreib dir einstweilen die Zeit. Ich komme so rasch wie möglich wieder.“ Tom bekam noch einen flüchtigen Kuß auf die Wange, dann war das Mädchen zur Tür hinaus. Tom seufzte und legte sich bequem auf den Diwan, nachdem er sich ein Gläschen Kognak eingeschenkt und eine Zigarette angesteckt hatte. In eine tolle Sache war er da wieder mal geraten! Falschmünzerei! Das war eine Art des Verbrechens, mit der Tom bisher noch nicht das geringste zu tun gehabt hatte. Falschmünzer gibt es draußen auf den Prärien und in der Bergwildnis nicht. Falschmünzerei ist ein Großstadtverbrechen. Zounds! Wie konnte so ein bildschönes Mädel zur Verbrecherin werden? War sie nicht viel mehr dazu geschaffen, einen Mann glücklich zu machen? So und ähnlich waren die Gedanken, die Tom durch den Kopf gingen. Als die Standuhr in der Ecke Mitternacht schlug, merkte Tom, daß er bereits über eine halbe Stunde wartete. Im Haus über und unter ihm wurden allerlei Geräusche hörbar. Es scharrte und schleifte, rumpelte und polterte. Es
wurde Tom direkt unheimlich zumute. Endlich, nach einer weiteren halben Stunde, wurde ihm die Sache zu dumm. Er erhob sich und ging zur Tür. Damn’d! Sie war verschlossen! Tom zog eine Grimasse. Was war er doch für ein Idiot gewesen! Er hatte sich wieder einmal von einem schönen Mädchengesicht düpieren lassen, hatte sogar eigenhändig dazu beigetragen, einer Verbrecherin zur Flucht zu verhelfen. Tom blickte um sich und lächelte. Aus diesem eleganten Zimmer hinauszukommen, bot sicher keine Schwierigkeiten. Da hatte er schon andere Probleme gemeistert. Mit dieser einfachen Holztür da …! Was – Holztür? Irrtum! Die Tür einschließlich des Rahmens war mit starkem, mit Holzmaserung gestrichenem Stahlblech beschlagen, von oben bis unten. Mit einem Eindrücken der Füllung war da nichts zu machen. Eine zweite Tür hatte der Raum nicht. Aber dafür zwei Fenster. Und da das Zimmer im Erdgeschoß lag, konnte es nicht schwierig sein … Abermals hatte sich Tom geirrt. Die Fenster hatten, von außen starke, ebenfalls mit Stahlblech verkleidete Läden, die natürlich geschlossen waren. Ergebnis: er war gefangen, saß da wie die sprichwörtliche Maus in der Falle. Eine ohnmächtige Wut auf sich selbst und seine eigene Dummheit erfüllte ihn. Wenn sein Freund Bob von der Sache erfuhr, war er, der Wunderreiter Tom Mix, für alle Zeiten blamiert. Denn Bobs Ironie war nicht von schlechten Eltern.
Tom lauschte. Die Geräusche im Hause waren verstummt. Dafür wurde irgendwo in der Nähe des Hauses ein Automotor angelassen. Vielleicht war es die gleiche Limousine, mit der Tom und das Mädchen gekommen waren. Tom dachte selbstverständlich nicht daran, sich tatenlos mit seiner Gefangenschaft abzufinden und zu warten, bis irgendwann mal jemand kam, der ihm die Tür aufschloß. Sein Blick fiel auf das Telefon. War das die Rettung? No. Die Leitung war tot, kein Knacken, nichts. Der Draht war durchschnitten. Tom untersuchte die Wände. Es waren massive Ziegelwände. Der Fußboden war Parkett. Blieb nur die Decke! Noch eine andere Möglichkeit gab es; den Colt. Er konnte die Innenfenster öffnen und durch die geschlossenen Läden Schüsse jagen. Doch heute am Fastnachtsdienstag krachte und knallte es in der Stadt allerorten. Die Leute draußen würden höchstens denken, daß hier im Haus eine vergnügte Karnevalsgesellschaft beisammen war, die sich damit vergnügte, Kanonenschläge loszulassen. Außerdem war Tom diese Methode überhaupt nicht sympathisch. Er rückte den Schreibtisch in die Mitte des Zimmers und stellte einen Stuhl darauf. Von diesem aus konnte er bequem die Zimmerdecke erreichen. Mit seinem Bowiemesser, das er im Gürtel unter der Seidenschärpe bei sich trug, stieß er mit aller Gewalt in den Putz der Decke, Ein Staub; und Mörtelregen prasselte auf den Boden. Es war eine mühsame Arbeit. Tom mußte ein paarmal
verschnaufen, da ihm mit der Zeit die erhobenen Arme erlahmten. Einmal hätte er beinahe die Balance verloren und wäre um ein Haar vom Stuhl gekippt. Als das Loch in der Decke etwa kopfgroß war, riß Tom eine der metallenen Gardinenstangen von den Fenstern und benutzte Sie als Rammbock, um das Loch noch weiter zu vergrößern und zum Schluß die Dielung des darüberliegenden Zimmers zu durchstoßen. War das Haus wirklich das Hauptquartier einer Falschmünzerbande, so hatten es die bisherigen Bewohner verlassen. Kein Zeichen ließ darauf schließen, daß außer Tom noch jemand im Hause zurückgeblieben war. Endlich, etwa eine Stunde nach Beginn der Arbeit, war der Deckendurchbruch so groß, daß Tom daran denken konnte, durch das Loch hindurchzuklettern. Ein Klimmzug, und er schob sich auf den Boden des darüberliegenden Raumes. Mit einem Blick sah Tom, daß hier im ersten Stock die Fenster keine Läden hatten. Auch die Tür war offen. Tom trat vorsichtig auf den stockdunklen Korridor hinaus. Er mußte sich völlig auf sein Tastgefühl und sein Ahnungsvermögen verlassen. Das Licht wollte er zunächst nicht anknipsen, besonders deshalb nicht, weil in dem Moment, als er auf den Korridor herausgetreten war, aus dem Erdgeschoß ein leises schlürfendes Geräusch zu ihm heraufdrang. Also schien außer ihm doch noch ein lebendes Wesen im Hause zu sein. Tom stand unbeweglich und lauschte angestrengt.
Kein Zweifel: jemand kam leise und vorsichtig die Treppe heraufgeschlichen. Das durch das Leben in der Wildnis geschärfte Gehör Toms täuschte sich nicht. Jetzt hatte der Unbekannte den ersten Stock erreicht, kam geradewegs auf Tom zu. Der spannte die Muskeln. Seine Augen, die sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt hatten, vermochten die undeutlichen Umrisse einer männlichen Gestalt zu unterscheiden. Plötzlich blitzte dicht vor Tom ein grelles Licht auf, eine starkkerzige Taschenlampe, und gleichzeitig stieß eine sonore Stimme die Worte aus: ,,Dear me! – Mister Mix! Welche Überraschung! Wie ist Ihnen das Liebesabenteuer mit der Funkelnixe bekommen?“ Es war Captain Crowley, der Texas-Ranger, der eigentlich an allem schuld war. Er trug noch die gleiche grellfarbige Cowboytracht wie vorhin im Ballsaal. Tom lächelte ein wenig säuerlich. ,,Mit dem Liebesabenteuer war es Essig, verehrter Captain. Die Hexe hat mich hinter Schloß und Riegel gesetzt und ist inzwischen mit ihrer gesamten Firma getürmt. Im Vertrauen gesagt: ich habe mich heute nacht benommen wie ein richtiges Greenhorn. Anscheinend bekommt mir die New Orleanser Luft nicht.“ „Möglich“, versetzte der Captain trocken. „Doch für gegenseitige Anpflaumereien ist jetzt keine Zeit. Es geht um Sekunden!“ Der Captain setzte eine Polizeipfeife an die Lippen. Das durchdringende Gefahrensignal gellte durch das stille Haus. Sofort wurde es unten lebendig. Türen wurden aufge-
rissen, Fensterscheiben klirrten, Möbelstücke polterten. Es mußten mindestens ein Dutzend Polizisten sein, die von allen Seiten in das Haus eindrangen. ,,Schade“, sagte Tom, „neunzig Minuten eher und ihr hättet die ganze Bande einschließlich der blonden Chefin kassieren können. Vor anderthalb Stunden war nämlich noch Betrieb im Hause.“ Das Treppenlicht wurde angeknipst. Drei Polizisten kamen mit langen Sätzen die Treppe heraufgejagt und stutzten, als sie den fremden Cowboy neben dem Captain erblickten. Crowley ließ sämtliche Polizisten zusammenrufen und setzte ihnen die Sachlage auseinander. Auch Tom schilderte kurz seine Erlebnisse im Hause. Viel war es sowieso nicht, was er erzählen konnte. Der Captain fluchte. ,,Die ganze Sache ist nur schief gegangen, weil uns die blonde Canaille aus dem fahrenden Wagen heraus beide Vorderreifen zerschoß. Ich war gezwungen, den Wagen zu wechseln und verlor dadurch kostbare Zeit. Daß es mir überhaupt noch gelang, diese Falschmünzerzentrale ausfindig zu machen, habe ich eigentlich nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Außerdem waren, als ich das Präsidium anrief, gerade sämtliche Überfallkommandos unterwegs. Es dauerte sehr lange, ehe wir zuschlagen konnten. Never mind! – wir müssen zusehen, daß wir die Scharte wieder auswetzen. Einen Schritt weitergekommen sind wir bis jetzt auf alle Fälle. Verteilt euch durch das ganze Haus und untersucht alles gründlich, besonders die Kellerräume. Dort stehen sicher die Druckmaschinen,“
Der Captain hatte recht. Das ganze Kellergeschoß enthielt eine modern eingerichtete Druckerei. Es war deutlich erkennbar, daß der Aufbruch der Falschmünzerbande in aller Eile geschehen sein mußte. Sämtliche Kästen und Schränke waren aufgerissen und ganze Berge von Makulatur und zerfetztem Papier lagen herum. Auch in den oberen Räumen des Hauses sah es wüst aus. Im Schubkasten eines Spiegelschränkchens fand Tom durch Zufall einen Stoß Fünfzigdollarnoten. Sie waren funkelnagelneu. Tom überbrachte seinen Fund dem Captain. Der griff hastig danach. „Exzellent! – ausgezeichnet! Ein Beweis, daß wir nicht an die falsche Adresse geraten sind.“ „Die sind wohl gefälscht?“ fragte Tom ein wenig naiv. „Allerdings“, nickte der Captain, „und zwar so gut, daß sie für die Finanzwirtschaft des Staates eine Gefahr darstellen. Wenn die Bande Gelegenheit findet, diese Blüten (im Verbrecherjargon: falsche Banknoten) in großen Mengen unter die Leute zu bringen, gibt es einen Finanzskandal! Das muß verhindert werden! Das Wie ist mir allerdings noch nicht klar. Wir müssen eben das ganze Haus systematisch von oben bis unten durchsuchen. Es muß möglich sein, irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, der Schlüsse auf Flüchtrichtung und Ziel der Bande zuläßt. Suchen Sie weiter, Mister Mix! Vielleicht sieht das. scharfe Auge eines Westmannes mehr als das eines Großstadtpolizisten.“ Tom Mix wollte etwas erwidern, doch in diesem
Moment gellte ein Ruf durch das Haus: „Alles hierher!“ Im Handumdrehen waren sämtliche Polizisten in dem kleinen Kellergelaß versammelt, aus dem der Alarmruf gedrungen war. Ein Sergeant hatte unter einem Stapel von Kisten, Kartons, Pappen und Brettern die Leiche eines Mannes entdeckt. Es war ein älterer Mann mit schütterem, grauem Haar, der äußerlich keinerlei Verletzungen aufwies. Tom trat vor und beugte sich über die vermeintliche Leiche. „Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß man niemals einen Menschen nur dem Augenschein nach für tot halten soll. Seid mal alle still!“ Tom preßte das Ohr auf die Brust des Mannes. „Seht ihr! – der Mann ist nicht tot! Das Herz schlägt nur noch sehr schwach, aber es schlägt. Sofort einen Arzt her mit Kampferspritzen und so weiter! Ein lebender Falschmünzer ist mehr wert als fünfundzwanzig tote!“ Der Captain gab die nötigen Anweisungen. Zwei Polizisten entfernten sich, um einen Arzt herbeizuholen. Mittlerweile untersuchten der Captain und Tom die Taschen des Halbtoten. Sie waren leer. Der Captain hatte seinerseits die Durchsuchung bereits beendet, als Tom aus einer kleinen Uhrentasche am Hosenbund des Ohnmächtigen einen zusammengeknüllten Zettel zog. Er faltete ihn auseinander und stellte fest, daß der Zettel beschrieben war. Im Schein von Crowleys Taschenlampe entzifferten sie mühsam die flüchtig mit Bleistift hingeworfenen Notizen.
„Tex.-E. 205 5 Pak. Brenham, 5 Colver, 7 Temple, 4 Cleburne, 15 Ft. Worth, Deckadr., 27. 3. Sweet Water, –“
Das übrige, was noch auf dem Zettel stand, war nicht zu entziffern. „Da soll einer draus klug werden!“ knurrte Tom. Der Captain legte den Zeigefinger an die Nase. ,,Tex.-E. 205“ kann nur heißen: „Texas-Expreß, Abfahrt in New Orleans 2 Uhr 05 Minuten.“ Die Zeit stimmt. Ich bin vor drei Wochen mit dem gleichen Zug nach Houston gefahren. Die übrigen Namen sind … ,,… Ortschaften in Texas“, ergänzte Tom. „In Brenham, Temple und Fort Worth bin ich selbst schon gewesen. Sie liegen alle an der Bahnstrecke nach Norden. Die Angabe ,5 Pak.’ läßt vermuten, daß es sich vielleicht um Postpakete handelt, die nach den einzelnen Stationen geschickt werden sollen oder …“ „… geschickt worden sind“, fiel ihm der Captain in die Rede. „Mister Mix! – dieser Zettel ist ein Fund von außerordentlicher Bedeutung! Ich vermute sogar – Moment mal!“ Der Captain zog seine Uhr. „Caramba! Genau zwei Uhr 7 Minuten. Vor zwei Minuten ist der Texas-Expreß abgefahren. Er hält erst morgen früh wieder in Houston! Verdammtes Pech!“ „Sie müßten einer Station unterwegs telegrafieren und veranlassen, daß der Zug polizeilich durchsucht wird, besonders der Postwagen. Vielleicht sind sogar die Banditen im Zug.“
Der Captain schüttelte den Kopf. „Auf den kleinen Stationen bis Houston gibt es keine Polizisten, und außerdem wäre es erforderlich, ein ausführliches Telegramm mit allen Einzelheiten aufzusetzen, damit die Empfänger auch genau wissen, was sie zu unternehmen haben. Es wird nichts anderes übrigbleiben, als die FBIAgentur in Houston zu verständigen. Ich sehe wenigstens keine andere Möglichkeit.“ „Doch“, wandte der Sergeant ein, der den Halbtoten unter dem Kistenstapel gefunden hatte, „es gibt noch eine andere Möglichkeit. Etwa eine Meile von hier führt die Bahnlinie vorüber, die der Texas-Expreß benutzen muß. Die Strecke beschreibt, wie Sie wissen, einen riesigen Bogen um die halbe Stadt. Der Zug braucht mindestens eine halbe Stunde, um die Mississippi-Brücke zu erreichen, zumal er infolge von Bauarbeiten an der Strecke langsamer als sonst fahren muß. Vielleicht gelingt es uns, den Zug zu stoppen und aufzusteigen. Nötig wäre: sofortiger Start per Auto und eine Lampe mit rotem Licht zum Stoppen.“ Captain Crowley und Tom Mix blickten einander an. Sie hatten den gleichen Gedanken: riskieren wir’s! Tom Mix war mit einem Sprung im Druckereisaal und riß von einem Wandbrett eine jener viereckigen, verglasten Sturmlaternen, wie sie zur Markierung von Straßenbaustellen verwendet werden. „Das ist das, was wir brauchen! Los, Captain! – rin ins Automobil und auf die Tube gedrückt. Geht die Sache schief, haben wir wenigstens das Unsrige getan.“ Eine Minute später knatterte das Polizeiauto davon,
ostwärts, auf den Mississippi zu. Die .Falschmünzerburg’ befand sich außerhalb der Stadt, dort, wo die meilenweiten Sumpfniederungen beginnen, die für das ganze Gebiet des Mississippi-Deltas typisch sind und der Umgebung von New Orleans das Gepräge geben. Die Straße war ausgezeichnet. Der Fahrer konnte alles aus der Maschine herausholen. Sie waren noch keine fünf Minuten gefahren, als der mit im Wagen sitzende ortskundige Sergeant sagte: „Der schwarze Strich dort hinten am Horizont ist der Bahnkörper. Dort muß der Texas-Expreß in etwa zehn bis fünfzehn Minuten kommen. Sie müssen eine halbe Meile querfeldein laufen. Viel Glück!“ Der Captain und Tom Mix jagten los. Zuerst ging es über Wiesen und Felder, doch dann wurde das Gelände morastig. Etwa hundert Meter vor dem Bahnkörper versperrte ihnen eine mehrere Meter breite Wasserrinne den Weg. Es handelte sich zweifellos um einen jener zahllosen Seitenarme des Mississippi, die das gesamte Flußdelta kreuz und quer durchziehen und den Verkehr außerordentlich erschweren. Tom Mix stürzte sich kurzentschlossen in das Wasser, das ihm glücklicherweise nur bis zur Hüfte reichte. Die Laterne, die er bereits im Auto angebrannt hatte, hielt er hoch. Der Captain kapitulierte vor dem nassen Element. Er blieb am Rande des Wasserlaufes zurück. Mit lauter Stimme rief ihm Tom zu: „Verständigen Sie meinen Freund Bob Morgan im Dalton-Hotel. Er soll sich um mein Pferd und um den Hund kümmern! Ich tele-
grafiere aus Houston! Bye-bye, Captain!* Mit langen Sprüngen eilte Tom Mix weiter auf den Bahnkörper zu. Die erleuchtete Schlange des Texas-Expreß mit dem glühenden Auge der Lokomotive kam aus der Richtung der Stadt herangebraust. Tom stellte sich neben dem Bahnkörper auf und schwenkte die Laterne in weiten Kreisen. Die Bremsen des Zuges kreischten. Zischend und fauchend hielt die gewaltige Lokomotive dicht vor Tom. Der Lokführer hatte das internationale Stopp- und Gefahrensignal vorschriftsmäßig beachtet. Tom kletterte rasch auf die Maschine. „Polizei! Fahr weiter, guy! Alles andere später!“
3. Kapitel
SIEBEN NIXEN – SIEBEN RÄTSEL
Tom
Mix konnte selbstverständlich keine polizeiliche Vollmacht vorweisen. Zur Ausstellung einer solchen war keine Zeit gewesen. Doch seine gewöhnlichen Personalpapiere genügten, um die beiden im Zuge befindlichen Bahnpolizisten davon zu überzeugen, daß sie den berühmten Wunderreiter Tom Mix vor sich hatten. Tom erklärte den beiden Beamten die Situation, soweit er es für nötig hielt. Sie fanden sich bereit, Tom zu unterstützen. Nur an den Postwagen ließen sie ihn nicht heran. Die unbedingte Wahrung des Postgeheimnisses ist eine Angelegenheit, die für jeden freien Amerikaner eine Selbstverständlichkeit ist. Nur Sondervollmachten hoher Regierungsstellen sind imstande, im Falle von Kapitalverbrechen und staatsgefährlichen Umtrieben das Postgeheimnis in bestimmten Fällen einmal zu durchbrechen. Tom fand sich mit den Tatsachen ab, bat die Bahnpolizisten lediglich, feststellen zu lassen, welcher Art die Postsendungen waren, die für Brenham, Colver, Temple, Clebume und Fort Worth bestimmt waren. Die Beamten versprachen, soweit es ihnen möglich war, das Ihrige zu tun. Tom machte sich daran, den Zug systematisch zu durchsuchen. Jetzt, kaum eine halbe Stunde nach Abfahrt des Zuges, war nicht anzunehmen, daß die Passagiere schon in ihren Schlafkojen lagen.
Eine Zigarette lässig im Mundwinkel schlenderte Tom von Wagen zu Wagen. Als Nachtzug hatte der TexasExpreß mehrere Schlafwagen, zwei Salon- und einen Speisewagen sowie am Schluß des Zuges ein Raucherabteil und den bei allen amerikanischen Überlandzügen üblichen Aussichtswagen mit durchgehend verglasten Seitenwänden. Der Zug war gut besetzt. Im Speisewagen bemerkte Tom sechs junge Damen, die an einem Ecktisch eng zusammensaßen und eifrig miteinander tuschelten. Tom fiel es auf, daß die etwa zwanzigbis fünfundzwanzigjährigen Mädchen sämtlich von ausgesuchter Schönheit waren und hochelegant nach neuester Mode gekleidet waren. Zwei waren von brünettem, dunkelhaarigem Typ, drei waren hellblond und ausgesprochener Sporttyp, während die sechste mit kupferrotem Haar und einem bleichen, feingliedrigen Porzellangesicht aussah, als sei sie soeben aus dem Gemälde eines alten holländischen Meisters herausgestiegen. Tom setzte sich an den Nebentisch und versuchte, von dem Flüstern der Mädchengesellschaft etwas aufzuschnappen. Doch das gelang ihm nicht, da ihn die sechs Schönen sofort mißtrauisch musterten und ihr Gespräch unterbrachen. Wichtig war für Tom die Feststellung, daß die Falschmünzernixe vom Karnevalsball im Pan-America-Hotel nicht dabei war. Er erhob sich deswegen bald wieder und setzte seinen Pirschgang durch den Zug fort. Nirgends ein ihm bekanntes Gesicht, weder unter den Männern, noch unter den Frauen. Im Raucherabteil saß eine Gruppe von älteren Herren und spielte Karten.
Blieb nur noch als letzter der Aussichtswagen, der bei diesem Wetter und um diese späte Nachtstunde bestimmt leer war. Tom war enttäuscht. Im stillen hatte er gehofft, hier im Zug die blonde Nixe zu finden und ihr die Rechnung für die zwei Stunden Gefangenschaft präsentieren zu können. Wie es aussah, war der bei dem Halbtoten gefundene Zettel doch eine falsche Spur. Der Vollständigkeit halber öffnete Tom die Schiebetür zu dem Aussichtswagen und warf einen Blick hinein. In dem ringsherum durchgehend verglasten Wagen herrschte Halbdunkel. Draußen hatte es zu regnen angefangen. An den Scheiben lief das Wasser herab. Die Nacht war so stockdunkel, daß von der Umgebung, durch die der Expreß raste, nur verschwommene Umrisse zu erkennen waren. Lediglich am hinteren Ende des langen Wagens brannte eine schwache Glühbirne, die in dieser düster-melancholischen Umgebung wie verloren wirkte. Alles leer! Hohl und dumpf rauschten die Räder unter Tom, da der Zug in diesem Moment eine Brücke passierte. Schon wollte Tom mit einem enttäuschten ,Schade!’ die Tür wieder schließen, als er bemerkte, daß über die hohe Rückenlehne des hintersten Sitzes ein kleiner, gelber, flatternder Zipfel hervorlugte. Was war das? So geräuschlos wie möglich zog Tom die Schiebetür hinter sich zu und schritt den Mittelgang entlang zur hintersten Plattform des Wagens. Auf der letzten Bank saß, zusammengekauert und in einem Buch schreibend, die Nixe aus dem Pan-America-Hotel!
Sie war in ihre Schreiberei so vertieft, daß sie erst aufblickte, als sich Tom Mix neben sie auf das Polster sinken ließ. „Good morning, heißgeliebte Unbekannte!“ begann Tom mit ironischem Lächeln. „Der Ruf deiner Sehnsucht ist durch Nacht und Nebel zu mir gedrungen und hat mich auf den Schwingen der Leidenschaft zu dir getragen! Jetzt bin ich da, falle dir – bildlich gesprochen – zu Füßen, bereit, für ein huldvolles Lächeln deiner Lippen meine Seele dem Teufel zu verschreiben!“ Mit ihren großen, grauen Augen starrte das Mädchen Tom an, als sehe sie einen Geist. Sie war kalkweiß im Gesicht. Bleistift und Buch fielen ihr aus den Händen. Tom bückte sich, um die Gegenstände aufzuheben. Er sah deshalb nicht, wie es in den Augen des Mädchens unheilverkündend aufglühte und wie sie mit einer blitzschnellen Bewegung in ihre Manteltasche griff. Tom richtete sich wieder auf und fuhr dem Mädchen liebkosend über den blonden Haarschopf. In seiner Miene war beißender Spott zu lesen und der feste Entschluß, sich von der schönen Falschmünzerin nicht ein zweites Mal bluffen zu lassen. „Du bist so still, Sweetheart!“ höhnte er. „Hat sich mein Erscheinen etwa auf deine Stimmbänder gelegt? Sei ruhig, Geliebte, dein kleiner Cowboy wird nicht eher von deiner Seite weichen, als bis du sicher und friedlich im weichen Bettchen einer staatlichen Gefängniszelle schlummerst und dir deine bösen Feinde nichts mehr tun können.“ Das Mädchen lächelte. „Ich habe es geahnt, mein Süßer,
daß du nicht bloß ein harmloser Kuhjunge bist. Unsereiner hat ein Gefühl für so was. Daß du allerdings zaubern, hellsehen und fliegen kannst, das hätte ich dir nicht zugetraut. Du wärst in der Tat der passende Partner für mich. Wir zwei zusammen könnten die Welt auf den Kopf stellen!“ Tom nickte. „Sure – das könnten wir! Leider stehen wir ausgerechnet in verschiedenen Regionen der Welt, die du auf den Kopf zu stellen gedenkst. Ich stehe auf der beleuchteten Seite des Gesetzes und der Ordnung, du aber auf der Nachtseite des Verbrechens. Wie kann ein so schönes, liebes Mädel zur Chefin einer Bande von Banknotenfälschern werden. Das begreif ich nicht!“ „Pst! – nicht so laut!“ flüsterte das Mädchen. Ihre Rechte fuhr langsam aus der Manteltasche und vollführte eine Bewegung, als wolle sie Tom die Wangen streicheln. Als dieser das kleine, blitzende Etwas in ihrer Hand bemerkte und sich blitzschnell zur Seite werfen wollte, war es bereits zu spät. Ein kurzes, scharfes Zischen ertönte ihm dicht vor der Nase und eine Gaswolke schlug ihm ins Gesicht. Tom war noch imstande, sich vom Sessel seitwärts herabgleiten zu lassen und auf allen Vieren ein Stück den Mittelgang entlangzukriechen, doch länger vermochte er der Wirkung des betäubenden Gases nicht zu widerstehen. Eine entsetzliche Übelkeit stieg in ihm auf, es wurde ihm schwarz vor den Augen und mit einem Stöhnen klappte er zusammen. Das Mädchen sprang auf und kurbelte rasch eine der großen Fensterscheiben herunter. Ein naßkalter Windstoß
fauchte durch die Öffnung und trieb die noch in der Luft hängenden Gasschwaden sofort auseinander. Das Mädchen beugte sich nieder, packte den ohnmächtigen Tom unter den Armen und schleifte ihn zu der ebenfalls gläsernen Tür, die von der hinteren Plattform des Wagens aus nach draußen führte. Sie stieß die Tür auf. Der Fahrtwind packte sie und warf sie mit einem Krach bis zum Anschlag herum. Dann schob das Mädchen den Betäubten, seine Beine voran, auf das Trittbrett hinaus und ließ ihn fallen. * Die beiden Bahnpolizisten wunderten sich, daß der Mann, der auf so ungewöhnliche Weise den Zug bestiegen und mit seiner angeblichen Verbrecherjagd so wichtig getan hatte, plötzlich nichts mehr von sich sehen und hören ließ. Sie durchwanderten die Wagen zweimal vom ersten bis zum letzten, fanden jedoch von Tom Mix keine Spur. Es blieb ihnen deshalb nichts anderes übrig, als die Sache zunächst auf sich beruhen zu lassen und im übrigen die Augen und Ohren offen zu halten. In drei Stunden würde der Zug in Houston sein. Dort mußte sich die Bahnhofspolizei der Sache annehmen. Die sieben jungen, auffallend’ schönen Mädchen saßen die ganze Nacht im Speisewagen und aßen und tranken am laufenden Band. Sie waren in ausgelassener Stimmung und scherzten mit den beiden Bahnpolizisten, sobald diese vorüberkamen.
Der eine der beiden entsann sich, daß Tom Mix davon gesprochen hatte, daß der Chef der Fälscherbande ein junges, außergewöhnlich hübsches Mädchen sei. Es lag also nahe, die sieben ausgelassenen Jungfern besonders sorgsam zu beobachten, denn es bestand immerhin die Möglichkeit, daß die betreffende Bandenchefin unter ihnen war. Der vage Verdacht der beiden Bahnpolizisten fand jedoch keinerlei Nahrung. Gegen Morgen, als der Zug in Houston einfuhr, hatten sie sich mit den sieben jungen Dingern sogar ein wenig angefreundet und den Eindruck gewonnen, daß unter ihnen keine Verbrecherin war. In Houston stiegen die Sieben aus und waren im Handumdrehen nach verschiedenen Richtungen auseinandergelaufen. Als der Wachhabende auf der Bahnhofspolizei schließlich begriff, um was es sich handelte und seine Leute entsprechend zu instruieret! vermochte, rollte der Expreß bereits wieder aus der Halle, und von den sieben Mädchen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Daraufhin rief der Wachhabende die FBl-Agentur an (Außenstelle des Federal Bureau of Investigation, der Bundespolizeizentrale in Washington). Was er dort erfuhr, versetzte ihn in höchste Bestürzung. Und als wenig später ein Blitzgespräch aus New Orleans kam, stand auf der Bahnhofspolizei in Houston alles Kopf. Doch das alles änderte nichts mehr an der Tatsache, daß die sieben rätselhaften Schönen verschwunden waren, und daß es einfach nicht mehr möglich war, ihren Aufenthalt in der Stadt festzustellen. Eine polizeiliche Meldepflicht kennt der Amerikaner bekanntlich nicht. Es war genau um sechs Uhr, als sich eine Motordraisine
vom Bahnhof Houston aus in Richtung New Orleans in Fahrt setzte. Zwei der sechs Insassen waren die beiden Bahnpolizisten, die in der vergangenen Nacht im TexasExpreß Dienst getan hatten.
4. Kapitel
DIE RUHE VOR DEM STURM
Sechs Tage dauerte es, ehe Tom Mix wieder imstande war, das Bett zu verlassen, weitere drei Tage, ehe er völlig die Folgen seines Sturzes aus dem fahrenden Zug überwunden hatte. Knochenbrüche hatte er nicht davongetragen, wohl aber Prellungen, Abschürfungen und vor allem eine tüchtige Gehirnerschütterung. Doch Toms eiserne Natur überwand das alles in unverhältnismäßig kurzer Zeit. In ihm kochte eine rasende Wut auf dieses raffinierte, kaltblütige Frauenzimmer, das zum zweiten Male über ihn triumphiert hatte. Tom ließ sich im Krankenhaus genau über den Fortgang der polizeilichen Ermittlungen unterrichten. Bob Morgan war mit dem Pferd und dem Hund nach Houston nachgekommen und besuchte Tom täglich zweimal. Auch Captain Crowley ließ sich hin und wieder bei Tom sehen und unterrichtete ihn über den Fortgang der Ermittlungen. Für Banknotenfälschungen im großen ist die Bundespolizei als ausführendes Organ der Regierung unmittelbar zuständig. Aus diesem Grunde hatte die FBI-Agentur in Houston den Fall übertragen bekommen, und Captain Crowley, der die Bandenchefin persönlich kannte, war der Houstoner Agentur zugeteilt worden. Immer aufs neue mußte Tom erfahren, daß die Ermittlungen über den berüchtigten .toten Punkt’ nicht hinauskamen. Die schönen sieben Jungfrauen waren und
blieben unauffindbar. Ebenso waren bis zur Stunde falsche Fünfzigdollarnoten in größeren Mengen nicht aufgetaucht, auch nicht in anderen Teilen der Union. Es lag auf der Hand, daß die Bande sich zunächst vorsichtig zurückhielt, bis ein wenig Gras über die ganze Sache gewachsen war. Die Ortschaften, die auf dem bewußten Zettel aus der Tasche des halbtoten Banditen gestanden hatten, wurden selbstverständlich besonders scharf überwacht, ohne daß jedoch hier irgendein Umstand eingetreten wäre, der auf eine Aktion der Banknotenfälscher hätte schließen lassen. Der im Kellerraum des New-Orleanser .Hauptquartiers’ aufgefundene Bandit war am nächsten Tag, ohne das volle Bewußtsein wiedererlangt zu haben, gestorben. Er hatte eine Rückgratverletzung gehabt. So tappte auch von dieser Seite aus die Polizei völlig im Dunkeln. Als weitere vierzehn Tage vergingen, ohne daß etwas geschah, verlor Tom die Geduld. Er verabschiedete sich kurzentschlossen von seinem Freund Bob . und den ihm mittlerweile bekanntgewordenen Polizisten, schwang sich auf seine Stute Tony, pfiff seinem Hund Barry und verließ Houston. Tom hatte sich damit abgefunden, daß er in diesem Falle eine Schlappe erlitten hatte. Never mind! Fehler sind dazu da, um aus ihnen zu lernen. Tom war geistig und körperlich wieder ganz der alte, unternehmungslustig, immer guter Laune, bereit, jederzeit mit dem Teufel und seinen Abgesandten die Klinge zu kreuzen. Es zog ihn mit Macht wieder hinaus in die Prärie. Dort gehörte er hin, nicht in die Steinmauern einer Stadt. Das freie, gefahrvolle, ungebundene Leben des Cowboys war
ihm Bedürfnis. In einer Stadt wäre er mit der Zeit seelisch zugrunde gegangen. Tom hatte vor, quer durch ganz Texas nach New Mexico hineinzureiten und sich dort auf einer der riesigen Ranchs eine Stellung als Cowboyboss zu suchen. Die Ballnixe aus New Orleans und die mit ihr zusammenhängende Banknotengeschichte hatte er innerlich völlig ad acta gelegt. Wenn er allerdings hin und wieder doch einmal daran dachte, stieg es bitter in ihm auf. Doch sein Humor gewann rasch wieder die Oberhand. Er trug in sich die Gewißheit: eines Tages wird sich Gelegenheit finden, die Scharte auszuwetzen. Dann gnade dir, du blondes Gift aus New Orleans! * Tom ritt gemächlich nach Nordwesten. Er hatte keine Eile. Das Wetter war für die frühe Jahreszeit mild. Überall merkte man bereits, daß der Frühling nicht mehr weit war und daß die Natur zu neuem Sprießen und Blühen ansetzte. Tom führte das Leben eines völlig freien, auf sich selbst gestellten Westmannes, der mit sich und dem lieben Gott einig ist und die Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen versteht, sobald sie seinen Weg kreuzen. In dem kleinen Städtchen Chico, unweit der Grenze zum Staate Oklahoma, entschloß sich Tom, ein Weilchen Station zu machen. Das Wetter hatte sich verschlechtert, war kühl und regnerisch geworden. Tom wollte im Ort ein wenig herumhorchen, ob sich nicht in der Nähe eine
passende Stelle für ihn als Cowboyboss bot. Der Ritt nach New Mexico hatte auch im Sommer noch Zeit. Tom hatte sich im Generalstore des Städtchens einquartiert und ein wirklich nettes Zimmerchen bekommen, in dem er sich wohl fühlen konnte. Sein Pferd und sein Hund waren ebenso zufriedenstellend untergebracht. Finanzielle Sorgen hatte Tom auch nicht, da sein Bankkonto immer noch einen ansehnlichen Betrag aufwies. Tom hielt sich häufig in der Gaststube auf, die für westliche Verhältnisse sehr ansprechend ausgestattet war und die sorgende Hand einer liebevollen Hausfrau erkennen ließ. In der Tat war die Wirtin eine Frau, die nicht nur ausgezeichnet zu kochen verstand, sondern außerdem noch die Gabe besaß, die rauhbeinigen Cowboys aus der Umgebung der Stadt mit mütterlichem Geschick zu betreuen und zu besänftigen. Die berüchtigten ,Kneipen-Schlachten’, die in den Wild-West-Bars sonst zur Tagesordnung gehören, gab es bei Mutter Anne nicht. Keiner der Cowboys hätte es fertiggebracht, ihr vorsätzlich Kummer zu bereiten. Am Abend des 20. März 1915 herrschte wieder mal ausgesprochenes Sauwetter. Der kalte, peitschende Regen war mit Schnee vermischt und ließ den Gästen der ,RedRiver-Bar’ den Aufenthalt in der gemütlich warmen Stube bei Mutter Anne besonders angenehm erscheinen. Tom Mix saß inmitten einer Gruppe von Cowboys, die vor einigen Tagen aus Utah gekommen waren und allerlei spannende Jagdgeschichten zum besten gaben. Auch über die Liebe und die holde Weiblichkeit wurde ausführlich philosophiert und viel gelacht. Daß dabei ausgiebig getrunken wurde, versteht sich von selbst.
Um die zehnte Stunde wurde plötzlich die Tür aufgerissen und ein großer, stämmiger Mensch torkelte zur Tür herein. Er lehnte sich an den Schanktisch und starrte mit einem seltsamen, geistesabwesenden Ausdruck auf die im Raum anwesenden Cowboys. Der Mann mußte so um die Dreißig herum sein, trug einen grauen, gepflegten Stadtanzug und machte seinem ganzen Äußeren nach den Eindruck, als gehöre er den sogenannten besseren Kreisen an. Außerdem war er ein sehr hübscher Mensch mit schwarzem, lockigem Haar und einer kräftigen, wohlgeformten Statur. Tom sah auf den ersten Blick, daß der Mann keineswegs betrunken war, daß er sich jedoch in .seelischer Katastrophenstimmung’ befand. In den dunklen Augen des Mannes waren Herzeleid, Verzweiflung und Enttäuschung zu lesen. Mit einer ausholenden Geste bestellte er bei Mutter Anne, deren zwei Zentner hinter dem Schanktisch auftauchten, eine Lokalrunde. Er selbst schüttete sich drei große Genever kurz nacheinander hinter die Binde. Tom hörte, wie Mutter Anne in ihrer forschen, geraden Art zu dem großzügigen Spender sagte: „Ich laß mich fressen, Mister Blesson, wenn Sie nicht Liebeskummer im Herzen tragen. Trinken Sie nicht zuviel! Der Alkohol macht das Elend nur noch größer. Ich habe noch eine halbe gebratene Gans im Ofen stehen. Essen Sie die. Ein angenehm ausgefüllter Magen stellt das seelische Gleichgewicht am ehesten wieder her.“ Doch Mister Blesson wollte nicht essen, nur trinken. Er goß innerhalb einer Stunde fast eine ganze Flasche Genever in sich hinein und traktierte unentwegt das ganze
Lokal. Die Cowboys ließen sich das natürlich gern gefallen. Sie fragten nicht nach der seelischen Ursache, die den Spender dazu brachte, eine Zeche von weit über hundert Dollar zu machen. Der Cowboy ist gewöhnt, die Feste zu feiern, wie sie gerade fallen. Tom erfuhr auf seine Fragen so nach und nach, daß Mister Blesson der Hauptkassierer der Chicoer Filiale der Financial Investing Co. of New York war, ein Mann also, der den obersten Kreisen von Chico angehörte und sonst sicherlich sein Geld nicht in der Red-River-Bar versoff. Von der Wirtin selbst erfuhr Tom unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß Mister Blesson sich vor kurzem verlobt habe mit dem schönsten Mädchen von Chico und Umgebung. Anscheinend habe es Krach gegeben und – na ja, da müsse eben wieder mal der verdammte Alkohol herhalten! Es war erstaunlich, welche Mengen Alkohol der Herr Hauptkassierer Blesson vertrug. Anstatt betrunken schien er immer nüchterner zu werden. Tom erkannte aus diesem Umstand, daß sich der Mann in der Tat in einem Zustand hochgradiger Verzweiflung befinden mußte. Nur eine derartige geistige und seelische Verfassung ist imstande, die Wirkung des Alkohols für eine Weile gleichsam zu neutralisieren. Als die Uhr über der Theke Mitternacht schlug, bestellte Mister Blesson mit schallender Stimme eine Lokalrunde Sekt. Die Wirtin machte zu dieser Bestellung ein eigenartiges Gesicht. Es blieb ihr aber schließlich nichts anderes übrig, als auch diese Bestellung auszuführen. Mister Blesson war ein Mann, der selbst für eine Tausenddollar-
zeche gut war. Mister Blesson wartete, bis jeder der etwa dreißig Cowboys seine Flasche Sekt vor sich stehen hatte und bis knallend ein Pfropfen nach dem andern an die Decke flog. Erst dann goß er sich selbst ein, hob sein Glas und begann mit stockender Stimme eine Ansprache: „Gents! Hört den Ratschlag eines Mannes-, der klug geworden ist! Meidet die Weiber wie die Pest, besonders dann, wenn sie jung, hübsch und rothaarig sind! Der alte Kaiser Napoleon hat einmal gesagt: .über die Frauen gibt es nur einen Sieg, nämlich die Flucht!’ Er hat recht. Das bezeuge ich, der Hauptkassierer der Investing Co., angesichts dieses – dieses Glases Sekt. Aber es nützt ja doch nichts! Wenn euch ein Weiberrock in die Quere läuft, dann ist euer bißchen Verstand restlos zum Teufel. Das ist ja das Elend! Ihr könnt mir sowieso alle gestohlen bleiben, ihr und sämtliche Weiber dieses verfluchten Erdballs. Harald Blesson macht einen dicken Strich unter alles! Die Liebe, die Weiber und der Suff – sie seien verdammt in alle Ewigkeit! Prost!“ Die Cowboys grölten vor Vergnügen und gössen den prickelnden Sekt in ihre ausgepichten Kehlen. Auch Mister Blesson trank sein Glas auf einen Zug leer und warf es dann an die Wand. Er taumelte und brach plötzlich zusammen. Tom Mix war mit einem Sprung neben ihm. „Sofort einen Arzt, Leute! Das sieht mir verdammt nach Selbstmord aus!“
5. Kapitel
SCHLAG AUF SCHLAG
Toms
Vermutung erwies sich als richtig. Der Hauptkassierer Harald Blesson hatte Selbstmord begangen. Zyankali! Für das kleine Chico war der Selbstmord des Hauptkassierers selbstverständlich die Sensation! Das allgemeine Interesse an dem Fall steigerte sich nachträglich noch dadurch, als sich am nächsten Tag herausstellte, daß die eigentliche Ursache der Liebestragödie, die ,Copper-Jenny’ (Kupfer-Jenny), aus Chico verschwunden war. Die CopperJenny war eine ziemlich rätselhafte Persönlichkeit, die durch ihr kupferrotes Haar und ihren bleichen, zarten Teint aufgefallen war. Sie war erst vor etwa drei Wochen nach Chico gekommen und hatte es in dieser kurzen Zeit verstanden, sich mit der Raffinesse einer erfahrenen Herzensbrecherin den Hauptkassierer Blesson hörig zu machen. Vor drei Tagen hatten sich die beiden verlobt. Blesson war in Seligkeit förmlich geschwommen und hatte durchblicken lassen, daß er vor Ablauf des nächsten Monats Jenny zu ehelichen gedenke. Da Blesson reich und unabhängig war und seine Braut überall nur den besten Eindruck hinterließ, wurde er allgemein für einen Glückspilz gehalten, der die Liebe eine der schönsten Frauen errungen habe. Und jetzt auf einmal diese Katastrophe! Zwei Tage nach dem rätselhaften Selbstmord kam eine
Kommission von Bankleuten aus Oklahoma City, um die Kasse der Chicoer Filiale der Financial Investing Co. zu kontrollieren. Wenn Bankkassierer Selbstmord begehen, liegt es immer nahe anzunehmen, daß Veruntreuungen oder andere geschäftliche Unregelmäßigkeiten eine Rolle spielen. Tom Mix hatte sich mit dem Sergeanten der Ortspolizeistation ein wenig angefreundet und erfuhr von ihm, daß die Nachprüfung der Kasse nicht die geringste Verfehlung ergeben hatte. Es war bis auf den letzten Cent alles in bester Ordnung. Das Rätsel wurde immer undurchdringlicher. Die öffentliche Meinung neigte dazu, den Fall als eine jener Liebestragödien anzugehen, wie sie sich fast täglich auf dieser liebestollen Welt zutragen. Schließlich war Harald Blesson nicht der erste und sicher auch nicht der letzte, der sich aus enttäuschter Liebe selbst entleibte. Keine Macht der Welt hat seit Bestehen der Menschheit so viele Opfer gefordert wie die Liebe. Für Tom Mix war der Fall insofern von besonderer Bedeutung, als die Schilderung der Persönlichkeit der verschwundenen Copper-Jenny ihn auf den Gedanken gebracht hatte, daß er ja seinerzeit im Speisewagen des Texas-Expreß unter den sechs jungen Damen eine gesehen hatte, die mit ihrem kupfernen Haar und ihrem Alabasterteint eventuell die Braut Harald Blessons hätte sein können. Ebenso lag die Gedankenverbindung zwischen den Banknotenfälschern von New Orleans und dem Hauptkassierer einer Bank sehr nahe. Doch da die Kontrollkommission festgestellt hatte, daß auf der Bank alles in bester Ordnung war, kam Tom zu der Erkenntnis, daß sein
aufkeimender Verdacht gegenstandslos war. Harald Blesson wurde beerdigt. Tom Mix und alle die Cowboys, die an jenem bewußten Abend auf Kosten Blessons getrunken hatten; erwiesen dem Toten die letzte Ehre. Als die Trauergäste vor der Leichenhalle standen und auf die Ankunft des Pfarrers warteten, wurde Tom ungewollt Zeuge einer Unterhältung zwischen zwei Männern, die dicht neben ihm standen. „Komisch!“ sagte der eine, „in letzter Zeit scheinen die Bankkassierer und Bankdirektoren hier in der Gegend besonders stark unter Liebeskummer zu leiden. Habe gestern durch Zufall erfahren, daß sich drüben in Denton ein Bankkassierer aufgehängt hat, angeblich auch aus Liebeskummer. Und in Paradise soll sich sogar ein Bankdirektor vor den Zug geworfen haben. Mir scheint, daß es mit der Duplizität der Ereignisse doch etwas auf sich hat.“ Der andere lachte. „Bankkassierer ist nun mal ein besonders gefährdeter Posten. In den Zeitungen stehen täglich Dutzende von Selbstmorden. Ich glaube kaum, daß es Sinn hat, die Anfälligkeit für Selbstmord nach Berufsgruppen zu ordnen. Das wäre höchstens eine Sache für die Statistiker einer Lebensversicherungsgesellschaft.“ Die beiden Sprecher entfernten sich. Tom dachte unwillkürlich über das Gehörte nach. Nach Rückkehr von dem Begräbnis beglich er im Generalstore seine Rechnung, sattelte seine Stute und pfiff seinem Hund. Er ritt in südlicher Richtung aus Chico hinaus. Wenn er sich beeilte, konnte er bis zum Abend in
Fort Worth sein, der Hauptstadt des Bezirkes, zu dem Chico gehörte. Auf der Polizeistation von Fort Worth hatte Tom von früher her einen ihm gut bekannten Captain, den er sofort aufsuchte. Tom brachte seinen Wunsch vor, und der Captain versprach Tom, ihm die gewünschte Übersicht zu beschaffen. Das, was Tom haben wollte, war eine Zusammenstellung aller Selbstmordfälle, die in der letzten Zeit im Bezirk vorgekommen waren. Tom bekam die gewünschte Übersicht noch am gleichen Abend. Er studierte sie eingehend und murmelte, als er sie schließlich beiseite legte, ingrimmig vor sich hin: „Hier hat der Teufel seine Finger dazwischen! Und wenn ich mich nicht irre, hat der Teufel diesmal Röcke an und lange Haare!“ * Die nächsten Tage war Tom Mix von früh bis abends im Sattel. Er ritt von Fort Worth aus zunächst nach Denton, dann nach Paradise, nach Jacksboro und Belkean. Alle diese Orte hatten keine Bahnverbindung. Alle vier waren es kleine, abgelegene Prärienester, die jedoch für ihre Umgebung, nämlich die Rancher und ihre Familien sowie die Cowboys, Handels- und Vergnügungszentralen darstellten. Aus diesem Grund war in jedem Ort die Filiale irgendeiner Großbank vorhanden. Diese Bankfilialen interessierten Tom in erster Linie. Der Bankkassierer von Denton hatte sich tatsächlich aus
Liebeskummer aufgehängt. Das Mädchen, um dessentwillen er aus dem Leben geschieden war, war genau wie im Falle Blesson erst seit einigen Wochen im Ort gewesen und hatte in dieser kurzen Zeit das Herz des Kassierers zu brechen gewußt. Seit dem Tage des Selbstmordes war sie aus Denton verschwunden. Fast genau so lag der Fall in Paradise, ein Ort, der seinem paradiesischen Namen allerdings herzlich wenig Ehre machte. Hier war das Opfer der Liebe der Herr Bankdirektor selbst. Er hatte sich vom Zuge überfahren lassen. Der Fall lag besonders tragisch, da der Filialdirektor eine Frau und drei Kinder zurückließ. Auch hier war die geheimnisvolle Sirene, die mit ihrer Schönheit den guten Mann um den Verstand gebracht hatte, lange vor Toms Ankunft aus dem Ort verschwunden. Der dritte, ebenfalls ziemlich gleichartige Fall hatte sich in Jacksboro zugetragen. Hier gab es jedoch keine Leiche, sondern der Bankkassierer war bei Nacht und Nebel getürmt. Wie es hieß, sei er mit einer blonden Schönen, die vor kurzem im Ort aufgetaucht war, durchgebrannt. Diese drei Fälle, mit Chico waren es sogar vier, genügten Tom. Er meldete ein Blitzgespräch nach Houston an und informierte Captain Crowley eingehend über seine Beobachtungen und Feststellungen. Der Captain geriet ganz aus dem Häuschen und versicherte Tom, daß er- mit dem nächsten Zug nach Fort Worth kommen werde. Tom solle zunächst nichts auf eigene Kappe unternehmen. Tom hatte das Ferngespräch von Belkean aus geführt, einem der üblichen, staubigen und trostlosen Präriestädtchen. Auch hier bot der Generalstore die einzige Möglich-
keit, für die Nacht unterzukommen. Tom mietete sich ein Zimmer und brachte seine Stute Tony im Stall unter. Dann begab er sich stehenden Fußes in die Gaststube, um seine Ermittlungen fortzusetzen. Er hatte sich darüber informiert, daß auch Belkean eine Bankfiliale besaß und demzufolge auch einen Filialdirektor und einen Kassierer. Tom gab in der Gaststube, die nur schwach besetzt war, eine Lage aus und spielte den Biedermann, der sich aus reiner Neugierde für alles interessiert, was im Ort vor sich geht. Ein paar Whiskys lösten die Zungen der anwesenden Cowboys und brachten auch den Wirt dazu, aus sich herauszugehen. So dauerte es nicht lange, hatte Tom erfahren, daß der Kassierer der Oklahoma-Bank ‘ in Belkean Watkins hieß und ein etwa vierzigjähriger, hartgesottener Hagestolz war; der einer fanatischen Sekte angehörte, die von ihren Mitgliedern den Verzicht auf alle irdischen Freuden und Genüsse verlangte. In letzter Zeit sei jedoch der Mister Watkins in seinen Grundsätzen etwas wankend geworden, denn eine junge, bildschöne Glaubensschwester habe es ihm angetan und ihn zu der Überzeugung bekehrt, daß eine Ehe unter Umständen ein durchaus gottgefälliges Werk sein könne. Tom erfuhr weiter, daß die junge, bildhübsche Dame, die die Grundsätze eines verbissenen Junggesellen zu brechen imstande gewesen war, Miß Evelyn Blake hieß und im Hause von Watkins ein Zimmer gemietet habe. Das genügte Tom. Er erhob sich befriedigt, holte seine Tony aus dem Stall und machte sich auf den Weg zu der Holzvilla des Mister Watkins. Das Haus stand am Ausgang des Ortes und sollte, wie man Tom beschrieben hatte, das
schönste Haus von ganz Belkean sein. Tom ritt nicht bis ganz an das Haus heran, sondern sprang ein Stück vorher aus dem Sattel und führte seine Stute ein wenig abseits auf eine Wiese. „Halt die Ohren steif, altes Mädel!“ sagte er und tätschelte liebevoll den Hals seines Pferdes. „In Kürze wird es sich herausstellen, ob wir dem geheimnisvollen Jungfernklub hinter die Schliche gekommen sind, oder ob sich dein Herr abermals mächtig blamiert hat.“ Seinem Hunde befahl Tom, bei dem Pferde zu bleiben und scharf aufzupassen. Der Hund gehorchte schwanzwedelnd, ohne auch nur den Versuch zu machen, seinem sich entfernenden Herrn zu folgen. Watkins Villa war von einem ziemlich großen Garten umgeben, der stellenweise mit dichtem Buschwerk bestanden war. Das war genau das, was Tom für sein Vorhaben brauchte. Er stieg über den niedrigen Zaun, verkroch sich in einem Gestrüpp in der Nähe des Hauseingangs und war entschlossen, hier solange auf der Lauer zu liegen, bis er das Fräulein Evelyn Blake zu Gesicht bekam. Von dieser .Besichtigung’ hing alles weitere ab. Voraussetzung war natürlich, daß die Beobachtete von Toms Anwesenheit nichts merkte. Toms Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Als er sich in das Gestrüpp verkrochen hatte, war es zwei Uhr mittags gewesen. Erst drei Stunden später bekam er wieder ein menschliches Wesen zu Gesicht, einen glatzköpfigen Herrn mit einer Hornbrille und einer gewichtigen Aktentasche unter dem Arm, der mit langen Schritten
herangestelzt kam und im Hause verschwand. Tom vermutete, daß es sich um den Herrn Bankkassierer Watkins handelte, der nach Geschäftsschluß nach Hause kam. Zehn Minuten später öffnete sich die Haustür abermals. Es war die Gesuchte: ein junges, blondes, sehr hübsches Mädchen mit züchtig gescheiteltem Haar und einem eng anliegenden langen Kleid. Sie verkörperte, wie man auf den ersten Blick sah, den Madonnentyp „Rühr-mich-nichtan“. Kein Wunder, daß diese sittsame junge Dame das Herz des strenggläubigen Mister Watkins im Sturm gewonnen hatte. Tom Mix in seinem Versteck verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Diese junge Heilige war nämlich keine andere als seine B a 1 1 n i x e aus dem Pan-AmericaHotel in New Orleans! – dieselbe, die ihn im Hauptquartier der Banknotenfälscher eingesperrt hatte, später im TexasExpreß betäubt und aus dem fahrenden Zug geworfen hatte. Tom mußte an sich halten, um nicht aufzuspringen und dem ausgekochten Frauenzimmer in handgreiflicher Wild-West-Manier die Rechnung zu präsentieren, das heißt ihr regelrecht den Balg zu verhauen. Doch er riß sich zusammen. Es ging hier nicht um die Befriedigung seiner persönlichen Rachegelüste, sondern um die Aufklärung eines Kapitalverbrechens. Tom hatte genug gesehen und machte Anstalten, sich behutsam zurückzuziehen, doch die berüchtigte Tücke des Objektes spielte ihm einen Streich. Das tückische Objekt war im vorliegenden Falle das kleine Schoßhündchen, das das Fräulein Bandenchefin an der Leine führte. Das Hünd-
chen, die Miniaturausgabe eines Dackels, riß sich samt der Leine plötzlich aus der Hand seiner Herrin los und kam wütend kläffend in das Gestrüpp geschossen, aus dem sich Tom geradevorsichtig zurückziehen wollte. Tom fluchte, packte mit einem blitzschnellen Griff das Hündchen und drückte ihm kurzerhand die Kehle zu. Es zappelte noch ein paarmal und gab dann seinen Geist auf. Tom schob die Hundeleiche kurzentschlossen in die Tasche und machte sich schleunigst davon, denn schon kam die Herrin angelaufen: „Bissie! – Bissielein! – wo bist du? Bissie! – Bissielein!“ Tom war mit einem Satz über den Zaun und eilte mit langen Sätzen auf sein Pferd zu. Er sprang gleich mit Anlauf in den Sattel und sprengte in voller Karriere davon. Als er das nächste Haus erreicht hatte, wandte er sich um und blickte zu Watkins Holzvilla zurück. Am Gartenzaun, an der gleichen Stelle, die er soeben übersprungen hatte, stand die sittsame Miß Blake und blickte ihm nach. „Death and devil!“ fluchte Tom. Das war eine unvorhergesehene, böse Wendung! Hoffentlich hatte ihn das Mädchen nicht erkannt. Wenn ja, würde sie sich denken können, daß ihr Spiel durchschaut war. Und wie Tom das Mädchen kannte, würde sie keinen Augenblick zögern, die Folgerungen daraus zu ziehen. Tom ritt geradewegs zur Ortspolizeistation und klärte den diensthabenden Sergeanten auf, soweit es Tom für nötig erachtete. Der Sergeant erklärte sich bereit, einen Beamten zur dauernden Beobachtung der Watkinsschen Villa abzustellen und dafür zu sorgen, daß Tom über jeden Schritt der Bewohner unterrichtet wurde. Das war zunächst
für Tom das wichtigste. Anschließend ritt er nach der etwa zehn Meilen entfernten Bahnstation, um Captain Crowley abzuholen, der mit dem nächsten Zug kommen mußte. Er kam auch tatsächlich, brachte sogar noch drei Herren mit, die er Tom als hohe Beamte der Washingtoner FBI-Zentrale vorstellte. Captain Crowley und seine Begleiter staunten nicht schlecht, als ihnen Tom seine detektivische Tätigkeit der letzten Tage ausführlich schilderte und seinen Bericht durch die Mitteilung krönte, daß die tugendsame Betschwester Evelyn Blake keine andere war als die Chefin der Fälscherbande. Doch auch die Herren hatten für Tom eine überraschende Mitteilung, nämlich die, daß seit etwa zwei Tagen schlagartig große Mengen der falschen Fünfzigdollarnoten im Umlauf erschienen waren. Die Ermittlungen hatten bis jetzt ergeben, daß die Falschgeldquelle im Bezirk von Fort Worth liegen müsse und daß die hier ansässigen Banken eine zur Zeit noch ungeklärte Rolle dabei spielen mußten. „Die ganze Geschichte wird in Kürze geklärt sein“, sagte Tom zuversichtlich. „Erst müssen wir die Chefin kassieren. Alles andere ergibt sich dann von selbst. Wenn der blonde Engel etwa nicht reden will, dann überlassen Sie ihn mir für ein halbes Stündchen unter vier Augen. Ich garantiere Ihnen dafür, daß sie dann weich ist und aus der Hand frißt. Los, meine Herren, auf die Pferde! Der Store-Wirt borgt uns bis morgen ein paar tüchtige Gäule. Ich habe ihn bereits gefragt.“
* Als die fünf Reiter in Belkean anlangten, war es bereits zehn Uhr und stockdunkel. Der Sergeant, mit dem Tom am Nachmittag gesprochen hatte, war mittlerweile abgelöst worden, doch sein Nachfolger wußte Bescheid darüber, daß die Watkinssche Villa unter polizeilicher Beobachtung stand. Der Sergeant schwang sich ebenfalls auf sein Pferd und ritt den fünf Herren voran hinaus zu der Villa, wo sich aller Voraussicht nach das große Schlußdrama abspielen würde. Die Villa lag im Finstern. Der Polizist, der gegenüber dem Hauseingang im Straßengraben hockte, sagte aus, daß weder Mister Watkins noch Miß Blake das Haus verlassen hätten. Mister Watkins sei übrigens dafür bekannt, daß er mit den Hühnern schlafen gehe. „All right“, sagte Tom. „Leider müssen wir Herrn Watkins gesegneten Schlummer für ein Weilchen unterbrechen.“ Man sprang von den Pferden und ging zu Fuß durch den Garten auf das Haus zu. Die Tür war abgeschlossen. Tom trommelte mit dem Stiefelabsatz gegen die Türfüllung, daß es laut durch das ganze Haus schallte. Es verging auch keine Minute, wurde es im Hause hell und Herr Watkins persönlich öffnete seinen späten Besuchern. „Polizei! Wir möchten sofort Miß Blake sprechen!“ „Bitte!“ stammelte der Kassierer erschrocken, „treten Sie ein.“
Miss Blakes Zimmer war l e e r! Der Vogel war ausgeflogen. Der Polizeioberst aus Washington überlegte kurz und sagte dann zu dem Kassierer: „Ziehen Sie sich bitte rasch an, Mister Watkins, und gehen Sie mit zur Bank. Nehmen Sie die Tresorschlüssel mit. Wir möchten Sie bitten festzustellen, ob auf der Bank alles in Ordnung ist.“ Wie ein Hypnotisierter gehorchte Mister Watkins. Plötzlich erklang aus seinem Zimmer ein gellender Aufschrei. Als die Polizisten zu ihm stürzten, sahen sie den Kassierer mit verstörtem Gesicht vor einem kleinen, in die Wand eingelassenen Safe stehen und stammeln: „Die Schlüssel sind weg!“ „Damn’d!“ knurrte Tom, „also doch zu spät. Ich hätte doch gleich heute nachmittag zupacken sollen. Das Weibsbild hat mich anscheinend doch erkannt und ist sofort zur Tat geschritten. Mister Watkins! – es existiert doch sicher eine zweite Garnitur Schlüssel.“ „Die hat Direktor Morris. Der Sergeant weiß, wo er wohnt.“ „Dann los!“ knirschte Tom, „weit fort kann das Frauenzimmer noch nicht sein! Ich werde meinen Barry holen und ihn auf die Fährte ansetzen,“ * Tom ritt, begleitet von Captain Crowley, durch die Nacht. Der Wolfshund Barry lief, an einer langen Leine festge-
bunden, mit der Nase dicht auf dem Boden vor der Stute her. Die Flüchtende hatte, wie aus der Fluchtrichtung deutlich erkennbar war, die Absicht, die etwa zwanzig Meilen entfernte Bahnstation Highland zu erreichen. sie musste eine ausgezeichnete Reiterin sein, denn nach zweistündigem scharfen Ritt war weit und breit immer noch nichts von ihr zu sehen. Fest stand, daß die Flucht von langer Hand vorbereitet war, daß ein gutes Pferd bereitgestanden hatte und daß die Ballnixe aus New Orleans ein Mensch war, der über äußergewöhnliche Energie und Entschlußkraft in Verbindung mit hervorragendem Organisationstalent verfügte. Nach einer Weile, der Mond lugte gerade durch eine Wolkenlücke, erblickten die beiden Männer in der Ferne die Gesuchte. Sie mußte ebenfalls die Verfolger bemerkt haben, denn sie hieb wie toll auf ihr Pferd ein. „Nehmen Sie mir’s nicht übel, Captain“, sagte Tom, „aber mir jucken die Finger. Ihr Gaul ist mir zu langsam! Ich reite voraus und werde mit meiner schönen Tänzerin aus New Orleans erst einmal ein Wörtchen unter vier Augen reden!“ Ohne des Captains Antwort abzuwarten, gab Tom seiner Wunderstute einen Schlag auf die Hinterhand. Das Tier streckte sich und flog förmlich über die Prärie. Tom ließ ihm freien Lauf, beugte sich nur, wie ein Jockei im Endspurt, weit vor über den Hals des Pferdes. Captain Crowley staunte. Er hätte es nie für möglich gehalten, daß ein Pferd nach dem anstrengenden stundenlangen Galopp noch imstande war, eine derartige Geschwindigkeit zu entwickeln. Es dauerte keine zehn Minuten, dann hatte Tom die
Flüchtende eingeholt. „Stop, Geliebte meiner schlaflosen Nächte!“ rief ihr Tom schon von weitem zu. ,,Runter vom Pferd und die süßen Pfötchen himmelwärts gestreckt! Das Spiel ist aus!“ Das Mädchen hielt an und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Mit erhobenen Armen erwartete sie Tom. Der trat, die Linke am Colt, dicht vor das Mädchen und blickte ihr in das bleiche Gesicht. ,,Ich will keine lange Rede halten, Miß Blake oder wie Sie sonst heißen mögen. Ich bedaure nur unendlich, daß Sie kein Mann sind und ich Ihnen nicht nach echter Cowboymanier das Fell gerben kann! Nehmen Sie die Arme herunter!“ Das Mädchen gehorchte wie eine Marionette. Tom holte kurz aus und verabreichte ihr eine saftige Backpfeife. ,,So – das ist die Quittung für den Mordversuch im TexasExpreß! Da sind Sie verdammt billig weggekommen! Alles übrige wird Sache der Justiz sein! Machen Sie sich auf fünf bis zehn Jährchen gefaßt! Wenn Sie eines Tages wieder rauskommen an die frische Luft, werden Sie nicht mehr so jung und so hübsch sein wie jetzt. Sie dummes Ding Sie! Das haben Sie nun davon!“ Das Mädchen atmete tief und stieß flüsternd hervor: „Du wirst vielleicht lachen, Tom, aber du bist wirklich der einzige Mann, den ich je in meinem Leben wirklich gern gehabt habe. Wenn ich im Zuchthaus sitze, werde ich immer an dich denken!“ Tom verschlug es die Sprache. Regungslos standen sich die beiden gegenüber, bis Captain Crowley herankam und offiziell im Namen des Gesetzes die Verhaftung vornahm.
6. Kapitel
DAS VERFLUCHTE GELD!
Im Tresorraum der Oklahoma-Bankfiliale. Mit zitternden Händen und kalkweißem Gesicht war der Kassierer Watkins dabei, die im Hauptsafe liegenden Geldsummen zu überschlagen und auf diese Weise festzustellen, ob Geld fehlte. Die FBI-Leute standen ein wenig abseits und unterhielten sich flüsternd. Der Filialleiter Morris war seinem Kassierer beim Geldzählen behilflich. Nach einer geraumen Weile sagte endlich der Kassierer mit erhobener Stimme: „Meine Herren! – soweit wir feststellen können, fehlt nichts!“ Der Polizeioberst lächelte und trat an den mit Banknotenbündeln bedeckten Tisch. „Okay! Ganz wie wir es erwartet haben. Zeigen Sie mir bitte mal die Fünfzigdollarnoten!“ Watkins wies auf drei Zahlbretter, auf denen sich die Bündel mit den Fünfzigdollarnoten türmten. „Da! – es sind zusammen rund neunzigtausend Dollar!“ Der Oberst nickte. „Ich möchte nicht selbst hingreifen. Bitte ziehen Sie aus einem x-beliebigen Bündel eine Note heraus und geben Sie sie mir! – Danke!“ Der Oberst untersuchte die Note kurz und sagte dann: „Diese Note ist gefälscht! Und wenn ich mich nicht sehr irre, bestehen Ihre gesamten neunzigtausend Dollar aus Falschgeld. Miß Blake, Ihre fromme Glaubensschwester, hat Ihnen nämlich keineswegs etwas gestohlen. Sie hat es
viel schlauer angefangen, sie hat Ihre gesamten echten Fünfzigdollarnoten gegen falsche umgetauscht. Zu Ihrer Ehrenrettung muß man sagen, daß die Fälschungen so ausgezeichnet sind, daß selbst ein erfahrener Bankkassierer sie nicht auf den ersten Blick erkennen kann. Deshalb ist ja die ganze Sache auch so gefährlich für den Staatshaushalt. Packen Sie Ihr Geld wieder weg! Die Sache ist restlos klar. Fehlt nur noch die Hauptperson. Ich hoffe jedoch, daß Mister Mix als berühmter Wunderreiter die Madam schnappt. – Und jetzt, Mister Morris, muß ich dringend telefonieren. Kann ich das gleich von hier aus erledigen? Thanks! Ich will versuchen, zwei Ihrer Kollegen vom Fach in anderen Orten des Bezirkes den Seelenfrieden und eventuell sogar das Leben zu erhalten.“ * Drei Uhr morgens. In der Wachtstube der Polizeistation Belkean. Das Verhör der von Tom Mix und Captain Crowley eingelieferten Bandenchefin war beendet. Das Mädchen hatte ein offenes Geständnis abgelegt. Leugnen hätte ihr auch wenig geholfen. Der Fall lag sonnenklar. Der Oberst, die Protokollblätter in der Hand, räusperte sich und sagte: „Lassen Sie mich das Ergebnis des Verhöres kurz zusammenfassen. Auf diese Weise merken wir am besten, ob irgendwo noch eine Lücke zu füllen ist. Dieses Mädchen hier ist Mrs. Jane Randolph, die Ehefrau des wegen Falschmünzerei im Zuchthaus sitzenden MacRandolph aus Philadelphia. Sie ist außerdem die
uneheliche Tochter des seinerzeit berüchtigten Bandenführers Clive, dessen Taten oder vielmehr Untaten in Chikago heute noch in bester Erinnerung sind. Nehmen wir an, daß die Angeklagte einen unwiderstehlichen Hang zum Verbrechen als Erbmasse mitbekommen hat. Ihre Mutter ist nämlich gleichfalls eine Diebin und Halbweltdame von Format gewesen. Das Nähere wird sich aus den Polizeiakten ergeben. Mrs. Randolph hat die Mitglieder der Bande ihres Mannes in New Orleans neu organisiert und in der uns bekannten Druckerei im Keller ihres Hauses für etwa eine Million falsche Fünfzigdollarnoten herstellen lassen. Sie wollte nicht den gleichen Fehler machen, dem bisher alle Banknotenfälscher zum Schluß ihre Entdeckung verdankten, nämlich das Falschgeld auf die übliche Weise in Warenhäusern und Geschäften unter die Leute zu bringen. Sie entschloß sich vielmehr dazu, aus den Kreisen der ihr gut bekannten Haibund Unterwelt der großen Städte eine Reihe von jungen, ausnehmend schönen Mädchen um sich zu scharen und sie in äußerst raffinierter Weise für den ‚Vertrieb’ des Falschgeldes einzusetzen. Dieser Jungfernklub bestand aus sieben Mitgliedern, deren jedes die Bezeichnung Schönheit verdient. Das war ja auch die Hauptsache bei dem ganzen Plan. Jedes der Mädchen bekam hundertfünfzigtausend Dollar Falschgeld ausgehändigt mit der Anweisung, das Geld in New Orleans zu deponieren und es sich nach Bedarf an den Bestimmungsort per Post nachschicken zu lassen. Die Mädchen verteilten sich nun auf verschiedene Orte im Bezirk von Fort Worth und machten sich entweder an den Bank-
kassierer oder den betreffenden Filialdirektor heran. Schöne, reizende und vor allem entgegenkommende Mädchen sind in unserem wilden Texas Mangelware. Darauf war der ganze Plan abgestellt. Es war in der Tat für die Mädchen leicht, ihre ausersehenen Opfer einzuwickeln und liebestoll zu machen. Nachdem das nötige intime Verhältnis hergestellt war, war es kein Problem mehr, sich bei passender Gelegenheit der Tresorschlüssel des ‚Geliebten’ zu bemächtigen, die gewünschte Summe Geldes an sich zu nehmen und dafür Falschgeld zurückzulassen. Zweifellos haben die betroffenen Kassierer und Filialleiter fahrlässig gehandelt, indem sie ihren .Geliebten’ unbeschränktes Vertrauen entgegenbrachten und dadurch dem Verbrechen Vorschub leisteten. Nachdem der Austausch des Geldes vorgenommen war, inszenierten unsere Schönen einen kleinen Krach mit dem Geliebten und suchten das Weite. Daß die Vertauschung des Geldes sofort herauskam, war in jedem Fall unwahrscheinlich, denn die Fälschungen waren ausgezeichnet. Die verschiedenen Selbstmorde der Bankleute sind meines Erachtens darauf zurückzuführen, daß die Betreffenden über kurz oder lang das Vorhandensein großer Mengen Falschgeldes in ihren Tresors feststellten und den Zusammenhang mit der flüchtigen „Geliebten“ zum mindesten ahnten. Da nun, wie gesagt, in fast allen Fällen durch unverantwortliche Vertrauensseligkeit und Fahrlässigkeit die Bankleute sich ihrer Schuld bewußt waren, wählten sie, um nicht ins Zuchthaus zu kommen, den Weg des Freitodes. In vier Fällen ist das Unternehmen, wie Sie wissen, programmgemäß geglückt. Den Fall Watkins hatte
sich nun Mrs. Randolph, da er der schwierigste war, für sich persönlich reserviert. Ich bin davon überzeugt, daß auch hier ihre Rechnung aufgegangen wäre, wenn ihr nicht Mister Mix einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Die beiden restlichen Falschmünzerdamen in Highland und Pinto sind wahrscheinlich zur Stunde bereits verhaftet. Auch die vier geflüchteten Sweethearts und die Druckfachleute in New Orleans sitzen spätestens morgen hinter Schloß und Riegel. Das Auftauchen des Falschgeldes in der Öffentlichkeit ist darauf zurückzuführen, daß die Nachfolger bzw. Vertreter der toten Kassierer das Falschgeld nicht als solches erkannten und bedenkenlos ausgaben. Die ganze Sache war so raffiniert eingefädelt und durchgeführt, daß die Damen genügend Zeit hatten, sich mit ihrer leichten Beute in Sicherheit zu bringen und alle Spuren hinter sich zu verwischen. Noch eine Frage, meine Herren?“ An Stelle der anwesenden Herren sprach Mrs. Randolph: „Ihr hättet uns nicht geschnappt, wenn mein Plan genau durchgeführt worden wäre. Es war ausgemacht, daß der Austausch des Geldes in allen sieben Fällen gleichzeitig in einer Nacht erfolgen sollte. Wäre das geschehen, wären ich und die beiden andern längst über alle Berge. Leider habe ich nicht damit gerechnet, daß der Mister Watkins so ein verknöcherter, sturer und mißtrauischer Holzkopf ist, der in Ohnmacht fällt, wenn er eine Dame, im Unterrock sieht. Ich war gezwungen, die züchtige Betschwester zu markieren und brauchte deshalb länger als die andern.“ Mister Watkins machte ein saudummes Gesicht und
putzte seine Brille. Die andern Herren lächelten zweideutig. Mrs. Randolph fuhr fort: „Auf alle Fälle ist es für mich keine Schande, von einem Tom Mix besiegt worden zu sein. Schon damals im Ballsaal ahnte ich, daß hinter diesem Manne etwas ganz Besonderes steckt. Bringen Sie mich jetzt bitte in meine Zelle! Ich bin müde!“ Tom blickte der Frau nach, bis sich die Tür hinter ihr schloß. Er seufzte und strich sich gedankenverloren über die Stirn. ____________ Lesen Sie auch die weiteren Fortsetzungen der TOM-MIXWild-West-Romane, die voller Abenteuer und Spannung sind und den harten Kampf zeigen, der in den Westgebieten der Vereinigten Staaten um das Recht, um die Freiheit der Persönlichkeit und … um die Liebe geführt wird.
Bisher sind erschienen: Band 1: Das Erbe des „Colorado-Tiger“ Band 2: Frauen, Öl und Liebe Band 3: Der Sheriff von El Paso Band 4: Der Geisterzug Band 5: Alles für Virginia Band 6: Flucht nach Kanada Band 7: Goldfieber Band 8: Die Brücke über den Green River Band 9: Sprengstoff „X 94“ Band 10: Die Vergeltung Band 11: Der Rote Ryan Band 12: Der Dämon von Arizond Band 13: Sein bester Freund Band 14: Post nach Texas Weitere Bände in Vorbereitung Band 15: Der rote Prärieteufel Band 16: Verräter Band 17: Der Tod im Circus Barney Band 18: Der stumme Gast Verkaufspreis pro Band 0,40 D-Mark Erscheinungsweise 14 täglich
Erhältlich bei jedem Zeitschriftenhändler