Kampftag der „Kraftmänner" jn Lissabon überlege ich mir, ob ich noch einen Tag am Strand von Caparica verbringen soll o...
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Kampftag der „Kraftmänner" jn Lissabon überlege ich mir, ob ich noch einen Tag am Strand von Caparica verbringen soll oder ob ich lieber die moderne Lisdikonservenfabrik in Setübal besichtige oder aber einen Abstecher nach Alcochete mache .. • Ich entschließe mich tür Alcochete, ein Dorf an der Ostseite der Tejo-Budit, nicht weit von der Hauptstadt. Ein völlig unscheinbares Dorf. Aber es hat eine Stierkampfarena, und hier wird morgen um 17 Uhr eine „Corrida de Toiros" stattfinden! Der berühmte Diamantino Vizeu ist angekündigt und vor allem Portugals bedeutendster Stierkampfer, Manuel dos Santos. Dazu zwei der bekanntesten Kampfer zu Pferde sowie eine Gruppe von Forcados am.ulores do barrete verde. Wörtlich übersetzt heilst das „AmateurKraftmänner mit der grünen Mütze". Sie sind es, die dem Stierkampf in Portugal seine besondere Note geben — sie und auch die anderen Teilnehmer zu I;ulJ und zu Pferde. Denn der portugiesisdie Stierkampf verläuft im Gegensatz zum spanischen und mexikanischen unblutig: Das Tier verläßt die Arena nach dem Schauspiel zwar müde und abgekämpft, aber quicklebendig und so gut wie unverletzt. In dieser Art des sportlichen Kampfes zeigen sich geradezu symbolhaft die beiden hervorstechendsten Wesenszüge des Portugiesen: die ritterlichen und die bäuerlichen. Trotz der stürmischen Nachfrage gelingt es mir, am Kartenhäuschen an der Avenida i\.\ Liberdade in Lissabon noch eine „Sombra"Eintrittskarte zu bekommen, einen Platz also im Schattenbereich des Zusdiauerrunds. „Sombra" ist natürlich teurer als „Sol", als ein Sonnenplatz. Wer nicht recht weiß, was er nehmen soll, wählt ,,Sombra-Sol". Dann hat er die erste Stunde Sonne, und in der zweiten genießt tr den Schatten. Früh am anderen Tag breche ich auf. Der Weg von Lissabon nach Alcochete ist umständlich, wenn man nidit die Fähre benutzen will. 2
Aus 15 Kilometer Luftlinie werden 80 Kilometer Straßenfahrt. Denn dazwischen liegt das Mar do Palha, das „Strohmeer", wie Midie Mündungsbucht des Flusses Tejo nennen. Erst weiter stromauf, bei Vila Franca de Xira, hat der mächtige Fluß einen Brückensdilag erlaubt. Es ist ein kühnes Brückenwerk, das hier den breiten Strom bezwingt: die Ponte Marcchal Carmona, fast anderthalb Kilometer lang und erst vor wenigen Jahren dem Verkehr übergeben. Man ist iehr stolz auf diesen Bau. Jenseits det Flusses verwandelt sich die Landschaft: Es sind nicht mehr die hügelig-bewegten Formen d.-r Provinzen Estreroadura und Ribatejo, sondern das weite E'lachland des Alemtejo*). Der Unterlauf des Tejo ist, wie selten sonst ein Strom, eine deutliche, ogische Scheidelinie. Kilometer um Kilometer führt die Straße jetzt sehnurgeradeaus. Links und rechts Felder, einmal auch ein sdiöner Eukalyptushain, kaum Dörfer. Kurz vor Alcochetc geht es ganz dicht an die seenartige Mündungsbucht des Stromes heran. Hier gewinnen sie, wie an verschiedenen anderen Küstenpunkten des Landes, in Verdunstungsbecken Meersalz. Weithin leuchten die hohen weißen Kegel der Salzpyramidcn über das sumpfig-brackige Elachland. Und dann bin ich in Alcochete. Die Dorfstralk' ist wie zu einem Volksfest mit grellbunten Girlanden geschmückt. Die Autonummern zeigen an, daß die Leute von weither gekommen sind, um „ihren" Manuel dos Santos, um die Reitermatadore Teiles und Batista, um die I orcados der Rinderzuchtstätten des Alemtejo zu sehen. In den Straßen herrsdu fröhlicher Trubel. Alles quirlt durcheinander. Noch immer kommen neue Besucher. Händler drängen sich durch die Missen. „Uma bonc do sol? — Eine Sonnenmütze?" schreit einer herüber, „Limonada?" ein anderer. Der Mützenliändler hat si< selber zurechtgebastelt, diese papierenen Sonnenschilde. Ein Escudo kostet das Stück, 15 Pfennig. Und dann die fliegenden K irtenhändler, die kleinen Spekulanten, die sidb rechtzeitig ein paar Dutzend Eintrittskarten zu verschaffen gewulk haben und sie nun ums Doppelte an den Mann zu bringen suchen: „Sombra, faz favor? Sol-sombra? Die letzte Gelegenheit!" Langsam wird es Zeit. Ich begebe mich in die Arena. Da die •) alc-m-Tejo = da drüben Jenseits des Tejo 3
Plätze aufs genaueste eingeteilt und numeriert find, fügt sich alles glatt ineinander. Die Arena ist kreisrund, die Range iteigen ringsum in Stufen bis zur Umfassungsmauer an. Von oben bietet sich ein überaus buntes Bild: die Zuschauer als farbige Tupfen in einer unbestimmten Masse, in der Mitte der gelbe Sand der leeren Kampfstätte, gleißend im Lieht der glühenden Nachmittagssonne. Welch ein Kontrast: hier diesseits der hölzernen Schutzbarriere die Versammlung der Menschenmassen außerhalb jeder Gefahrenzone, dort jenseits der Sperrwände die Einsamkeit des Kampfplatzes ohne Hufs- und Rettungsanker. Dieser Kontrast zwischen Geborgenheit und Gefahr erklärt vielleicht die Erregung, die jeden Anwesenden befällt, noch ehe das Kampfspiel beginnt. Ein Fanfarenstoß! Der Präsident hat das Zeichen zur „Ouvertüre" gegeben. Irgendwo im Barrierengrund öffnet sich ein Doppeltor, die Teilnehmer marschieren ein. Voran die Matadore zu Pferde, beide in der höfischen Tracht des Mittelalters, der eine in Rot, der andere in Blau. Ihnen folgt die Gruppe der acht Forcados in knappsitzenden knallroten Jacken, mit roten Schlipsen, grauen Kniehosen, weißen Strümpfen, braunen Halbschuhen und als besonderem Kennzeichen einer grünen wollenen Zipfelmütze. Ihnen schließen sich zwölf Toreros zu Fuß an. Ihre Kleidung ist ganz die des spanischen Stierkämpfers, und wie die Spanier tragen sie beim Einmarsch den linken Arm in einer Bandschlinge. Den Schluß bilden zwei hemdsärmelige, zipfelbemützte Viehhirten mit einer merkwürdigen langen Stange. (Wir werden bald sehen, wozu sie gebraucht wird.) Die Kämpfer verteilen sich in Gruppen über die Arena. Und dann zeigen die beiden Matadore zu Pferd zunächst ihre Reitkunst: Pia frieren — Traben auf der Stelle, Traversieren — quergehend die Bahn durchreiten, dann eine Levade — Aufrichten des Pferdes auf der Hinterhand . . . Bewundernd verfolgen die Zuschauer die edlen Gangarten der Hohen Schule. Und dann formiert man sich zum Ausmarsch, während die Kapelle eine flotte Weise intoniert. Wieder ein Trompetenstoß! Der eigentliche Kampf, der erste von acht, beginnt. Aus dem Barrierentor gegenüber der Präsidenten4
löge stürzt ein Koloß; stutzt, geblendet von der Sonne, denn er kommt aus dem dunklen Stall. Man hat den Stier vorher auf die Waage gebracht: 462 Kilo! Aber — und das ist das Besondere am portugiesischen Stierkampf — die Hörner sind mit einem Ledcrichutz überzogen. Dem Kampf Mensch gegen Tier soll die Schärfe genommen werden. Der Portugiese will mutigen „Sport" sehen, zwar mit einem gewissen Risiko, doch ohne tödliche Gelährdung. Der Hülle scharrt im Sand — ein gutes Zeichen, daß er in Kampfstimmung ist. Ribeiro Teiles, der soeben in die Arena einreitet, merkt es sofort. Schon die erste Lockung bringt den Stier in Bewegung: L r rast auf den Reiter zu, der sich dem Ansturm mit einer eleganten Wendung entzieht. Und nun beginnt jenes Schauspiel, das -einen Urgrund in den natürlidien Lebensverhältnissen auf einer Rinderfarm hat; denn wo immer Rinder freilebend gezüchtet werden, müssen die Reiter mit dem Stier fertigwerden, müssen sie ihn abdrängen und absondern können, müssen auf unerwartetes Verhalten gefaßt sein; und dazu dienen die Reitkünste, die Ribeiro Teiles uns sortührt. Er ruft, lockt, reizt das Tier, bis es erneut auf ihn ansetzt. Auf Meterentfernung läßt er es herankommen, dann schnellt sein Pferd aus dem Stand nach vorn und dreht in vollem Galopp zur Seite ab, der Stier rast an ihm vorbei. Heim nädistenmal nähern sie sich beide in vollem Schwung und im spitzen Winkel. Der Reiter reißt sein Pterd in letzter Zehntelsekunde nach der entgegengesetzten Richtung herum, und wieder hat der Kampfgegner das Nachsehen. Zentimeterarbeit! Ebenso erstaunlich wie die Wendigkeit des Matadors i^t die Ruhe und Sicherheit des Pferdes angesichts seines wutschnaubenden Feindes. Unbeirrt überläßt es sich der Zügel- und Sdienkelführung des Reiters. Keinerlei Zeichen von Angst, keine Bewegung, die nicht der Reiter veranlaßt hätte. Damit diese Kontrolle und das zentimetergenaue Arbeiten allen deutlich sichtbar wird, setzt der Matador vom galoppierenden Pferde aus in schnellem Vorbeiritt eine und noch eine und dann noch dreimal eine „Banderilla" in den Nacken des Tieres, den buntgebänderten Hol/stock mit der.Eisenspitze. Wohl werden dabei ein paar Tropfen Blut auf dem Rücken des Stieres sichtbar, doch ist das Ganze nicht mehr als bei uns der Stich mit der (mpfspritze. 5
Der Neun-Zentner-Bulle schüttelt sich, um das lästige Zeug loszuwerden, und will sich erneut seinem Gegner zuwenden. Aber der Reiter hat die Arena bereits verlassen, und die Forcados betreten den Kampfplatz. Die Männer sind waffenlos, nicht einmal ein Lasso schwingt in ihren Händen. Sie verlassen sich auf die krättigen Arme mit Fäusten wie Schraubstöcke, und sie haben eine gehörige Portion Mut. Der Stier hat sich an die gegenüberliegende Seite zurückgezogen und schaut ein wenig verwundert dem Aufzug der Forcados z.u, die in roter Jacke und grüner Zipfelmütze im Gänsemarsch, einer hinter dem anderen, mitten durch die Kampfbahn langsam auf ihn zukommen, der vorderste, zweifellos mutigste mit herausfordernd hochgerecktem Oberkörper und die Hände selbstsicher in die Hüften gestützt, die anderen rechts und links an ihm vorbeilugend und die Arme schon in Bereitschaft des Zupackens. Der Stier hat die Lage jetzt erfaßt. Er geht ein paar Schritte vor, trabt an und rast schließlich mit der Wucht einer Lokomotive auf die Menschenschlange zu. Noch fünf Meter, noch drei, zwei . .. Da setzt der vorderste Forcado zum Sprung an, wirft sich dem Gegner zwischen die Hörner, umgreift den dicken Hals und klammert sich fest. Im gleichen Augenblick umstellen die übrigen Kraftmänncr das Tier, packen es in Leib, Beinen und Schwanz, um es wehrlos zu machen. Der Stier bäumt sich auf, und der Mann zwischen den Hörnern fliegt in hohem Bogen in den Sand, zwei andere werden beiseite geschleudert, die letzten müssen schleunigst das Weite suchen. Schon sind bereitstehende Toreros heran, wedeln mit ihren lilaroten ( und locken den Gegner aus dem Bereich der Forcados. Schließlichbleibt das Tier ärgerlich stehen. Angriff 1 ist erfolgreich abgeschlagen. Angriff 2: dieselbe Aktion. Diesmal trifft es den vordersten der Kraftmänner (es ist der gleiche wie vorhin), so daß man ihn hinter die Sperrwand schaffen muß, wo ein Arzt dem völlig Benommenen etwas Blut von der Stirne tupft. Von einem Stierschädel hin und her gebeutelt und dann noch von einem Huf getroffen zu werden, ist keine Kleinigkeit! 6
Doch schon i->t der I lörnermann wieder zur Stelle, wagt den dritten Angriff, und diesmal gelingt es. Von allen Seiten eingekeilt und von starken Fäusten gehalten, ergibt sich der Stier seinen Gegnern. Zorn und Kampfesmut sind verraucht. Die Tausende auf den Rängen klatschen Beifall. Was "-ind das für Männer, diese Forcados? Es sind Viehhirten von den großen Rittergütern, den Rinderzuchtstätten, den weitläufigen Landsitzen im Süden Portugals, die man dort „Quintas" nennt. Der Umgang mit Stieren ist diesen Männern tägliches Brot. Sie kennen die Tiere, ihre Kräfte, ihre Reaktionen, aber auch ihre Schwächen und Ungeschicklichkeiten. Nur deshalb sind sie in der das zu zeigen, was man nur hier in Portugal sehen kann: den Faustkampf mit wilden Zuchtstieren. Ein bäuerlich-urwüdi und sportliches Schauspiel! Ihr Lohn: 100 Escudos (sprich: ischkudos) für einen Kampfnachmittag, etwa 15 Mark. Sie tun's aus Ehrgeiz und für die Ehre . . . Das Kampfspiel hat noch einen dritten Akt. Wieder öffnet lieh eines der Tore, und herein kommen sieben Kühe mit umgehängten Glocken. Sie sollen den Stier endgültig besänftigen und aus der Arena hinausgeleiten. Jetzt greifen auch die beiden Viehhirten mit ihren langen Stangen ein: Die Stangen quer vor sich hertragend, dirigieren sie die Kühe so, daß der Stier in ihre Mitte kommt und weder rechts noch links entweichen kann. Wieder jubelt die Menge. Im Geleit der Kühe verläßt der besiegte Stier das Arenarund und wird in seinen Stall zurückgebracht. Acht Stiere sind für diesen Nachmittag in Alcochete angekündigt. In vier der folgenden Kämpfe stehen den Stieren nur Toreros und Matadore zu Fuß gegenüber. Im äußeren Bild verlaufen diese Kämpfe wie in Spanien — mit zwei Ausnahmen: Es gibt auch bei diesen Auftritten keine blutige Lanzenarbeit, und es gibt keinen Todesstoß. Über Sieg oder Niederlage entscheidet die geschickte Handhabung des sdiarlachroten Tuches, das nicht durch seine Farbe, sondern allein durch seine Bewegung auf den Stier wirkt, entscheiden mutige Stellungen und Schritte, blitzschnelle Ausweichbewegungen, Körperwendungen und als Hödistes die gespannte Abwehrbereitschaft beim Hinknien vor dem allmählich ermüdenden, aber nodt immer unberechenbaren Kampftier. Wohl führt auch der portu7
che Matador einen Degen unter der „muleta", dem Scharlachtuch, aber er trägt ihn nur als Ehrenzeichen — und im übrigen ist dir Degen ein praktischer Halter iür die „muleta". Ein einziges Mal in den letzten Jahren ist in Portugal einem Kämpfer das Temperament durchgegangen: Er zog den Degen und tötete den Stier. Er hat sein unritterliches Virhalten mit einer Gefängnisstrafe büßt . . .
Portugal zwischen gestern und morgen Schon das Erlebnis des portugiesischen Stierkampfes läßt erkennen, dal} Portugal, der südwestlichste Staat Europas, kein alltägliches Land i^t. Es kann, im Gegenteil, mit vielerlei Besonderheiten aufwarten. Gewiß, Portugal erscheint dem Besucher in seinem I.andschaftscharakter und seiner Lebenswelt nicht so fremdartig wie Jugoslawien und nicht so urtümlich wie Norwegen. Aber es ist doch ein Land von merkwürdiger Eigenart. Vieles ist dort noch wie vor Jahrhunderten, anderes wieder hochmodern. Gerade diese Mischung aus Altem und Neuem ist ein Kennzeichen des heutigen Portugal. Uralt sind die verwitterten Segelwindmühlen mit ihren tönernen Pfeifin am Radkran/, die beim Umlauf einen seltsam auf- und abschwellenden Klageton von sich geben, um die bösen Geister /u vertreiben; oder der klobige einachsige Bauernkarren mit zwei übermannshohen Vollscheiben rädern und einem Ochsen davor, der mit seinem nieterweit klafternden Gehörn an Nordafrika erinnert; oder die hochschnäbeligen Ruderboote der Fischer an der Atlantikküste, Riesenboote oft, ebenfalls mit einem Zauberzeichen gegen die Geisterwelt, nämlich einem großen, bunten Auge vorn am Bug. In frühe Zeiten gehen auch die vielen religiösen, halbreligiösen und weltlichen Feste und Festwochen zurück, von denen jede Stadt und jedes Dorf mit mehr oder weniger großem Aufwand ihre eigenen feiert. Das alles ist in Portugal geblieben, wie es eh und je gewesen ist. Aber das Moderne beginnt vorzudringen und das Überkommene hier und da beiseite zu schieben. Als ich zum erstenmal im Lande war, im Jahre 1952, zogen die Fischer in Ericeira und Nazare die schweren Boote vor der andrängenden Flut noch mit Ochsengespannen das Ufer hinauf; jetzt haben viele schon Traktoren vor 8
die B pannt. Sah ich damals in Lissabon noch eine V. Fischweiber barfuß durdi die Straßen lauten, so sind es jetzt nur noch wenige, die ohne Schuhe gehen. Die Polizeiverordnung, der lieh das barfüßige Volk lange erfolgreich widersetzt hat, hat also doch ihre Wirkung getan. Allenthalben sieht man die Zeichen der Modernisierung. Gute und saubere Straßen durchqueren das Land, und die Zahl der Autos nimmt ständig zu. Überall findet der Reisende gepflegte Gasthäuser, Hotels und Geschäfte, in denen er kaufen kann, was er braucht. Selbst Industriebauten sind keine Seltenheit mehr in diesem vorwiegend von der Agrarwirtschaft lebenden Land. Dennoch, alle-, in allem hat sieh Portugal, von den wenigen großen Städten abgesehen, noch nicht die Unilorm der mitteleuropäischen Lebensweise übergezogen. Darin gleicht es den anderen Eckund Endzipfeln der europäischen Welt: Nordnorwegen, Irland, Süd Jugoslawien und Griechenland. Auch dort hält man stärker am Überkommenen fest als in den übrigen Ländern Europas, wenn auch mehr unter dem Zwang der Verhältnisse als aus eigenem Antrieb. Trotz seiner lockenden Fremdartigkeit haben die Touristen Portugal noch kaum entdeckt. Die Entfernungen sind zu groß. Zwischen Frankfurt und Lissabon liegen 2600 Kilometer, und von Lissabon ist es noch ein gutes Stück bis in den portugiesischen Süden. Keine Hauptstadt Europas, Athen und Istanbul nicht ausgenommen, i weit von uns entfernt « ton. Am ehesten finden noch Franzosen nach Portugal, und außerdem Engländer, die eine jahrhundertealte politische und menschliche Freundschaft mit den Portugiesen verbindet.
Die Geschic+itc gibt Antwort Portugal hat die Form eines schmalen Handtuchs. Bei einei ten Länge von 5SC Kilometern ist es im Durchschnitt nur 150 Kilometer breit. Es ist also geographisch ein sehr kleines Handtuch; die Bundesrepublik Deutschland nimmt fast die dreifaehe Fläche ein: 245 000 gegen 89 000 Quadratkilometer. Der Westen und Süden Portugals werden vom Atlantik umbrandet; im Norden grenzt PorH
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tugal an die «.panische Landschaft Galizien, und auch im Osten isc Spanien sein einziger Nachbar. So stellt sidi die Frage, warum Portugal nicht überhaupt spanisch ist und warum die Pyrenäenhalbinsel, die auf der Landkarte ein ebenso geschlossenes Bild bietet wie die italienische Halbinsel, nicht gleich Italien zu einem einzigen Staats« immengeschlosscn ist. Die Antwort gibt uns die Geschichte. In vorgeschichtlicher Zeit — vor etwa drei Jahrtausenden — siedelten Ligurer und Iberer auf der Halbinsel jenseits der Pyrenäen, die deshalb auch lberisdie Halbinsel genannt wird. Im letzten Jahrtausend v. Chr. wanderten von Frankreich her die Kelten ein und mischten sich mit den Vorbewohnern zu den „Kelt-Ib.Tern", die mit den Gold- und Silberfunden ihres I indes einen weitreichenden Handel (rieben. Als zu Beginn des 1. Jahrtausends das Seefahrervolk der Phönikcr Handelsplätze M\ den Küsten des westlichen Mitteln: suchte, entdeckten ihre Kauffahrer auch die geschützten Buchten rings um Spanien und legten Faktoreien an, die später in den Besitz der phönikischen Karthager übergingen. Auch die Griechen überzogen die reichgesegneten Gestade mit Kolonien, die um das Jahr 200 v. Chr. von den Römern besetzt und um viele Stützpunkte, auch im I.andesinnern, vermehrt wurden. In der Völkerwanderu zeit bemächtigten sich die Westgoten der Halbinsel und gründeten ein machtvolles Reich, das bis zu Beginn des 8. Jahrhunderts n. Chr. .nd hatte. Damals überquerten die mohammedanischen Araber und Berber — von den Christen „Mauren" genannt — die Straße \un Gibraltar, schlugen den letzten Westgotenkönig, brachten die Halbinsel bis in den Nordteil unter ihre Herrschatt und bestimmten jahrhundertelang ihre Geschichte, Lebenswelt und Kultur. Viele der Unterworfenen wandten sich dem Islam zu, aber es hielten sich doch zahlreiche christliche Gemeinden, die in der Folgezeit immer wieder gegen die Fremdherrschaft aufbegehrten. Von all diesen wechselnden Schicksalen wurden auch die Menschen im Gebiet des späteren Portugal betroffen, das vielen kleinen maurischen lürsten unterstellt war. Sie genossen im 10. Jahrhundert die Früchte der blühenden Kultur, die von der Kalifenresidenz, in Cordoba ausstrahlte, durchlitten aber auch die schweren Zeiten gegen Ende des 11
11. Jahrhunderts, als die ganze Iberische Halbinsel eine Beute arabisch-berberischcr Kleinfürsten wurde. In dieser Zeit hatte von Norden her bereits die „Reconqui die .Zurückeroberung' der Halbinsel, begonnen. Im befreiten Nordportugal entstand im Jahre 10C>4 die erste christliche Grafschaft unter spanischem Schutz. Ein Menschenalter später war Portugal ein selbständiges Königreich. Das Jahr 1139, in dem Graf Alfonso diese Trennung von den spanischen Schutzherren vollzog, gilt als die Geburtsstunde Portugals. Seinen Namen verdankt das Land der ehemals römischen Hafenstadt Portus cale (portus, lat. Malen), dem heutigen Porto. Der Gründer Portugals, der sich als König „Alfonso I." nannte, ging mit 1 iter daran, die Araber weiter abzudrängen und sein neues Königreich nach Süden auszuweiten. Englische Kreuzfahrer eilten ihm zu Hilfe, als er 1H7 bis Lissabon vorstieß und die Stadt für immer den Mauren entreißen konnte. Diese Waffenbrüderschaft ist der Beginn der Freundschaft der Portugiesen mit den Engländern. Sie halfen auch dem Enkel des ersten Königs, Alfonso III.. das Gebiet jenseits des Tejo-Flusses zurückzugewinnen und schließlich die Araber völlig von portugiesischem Boden zu vertreiben. Um das Jahr 1250 war auch der Süden dem K' reich einverleibt und die südliche Atlantikküste erreidit. Portugal hatte seine heutige Gestalt gewonnen. Da es hier auf der Pyrenäenhalbinsel nichts mehr zu gewinnen gab, konnte sich Alfonsos Sohn Diniz (Dionysius) ganz dem wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau widmen. Er gründete die tbon und förderte Kunst und Wissenschaft. Im folgenden Jahrhundert mußte sich Portugal gegen die noch nicht autgegebenen spanischen Ansprüche zur Wehr setzen. Im Jahre 1385 kam es zwischen Spaniern und Portugiesen zur entscheidenden Sdilacht. König Johann von Portugal behauptete sich und sein Land gegen eine fünffache Übermacht. Zum Dank für den baute König Jobann auf dem Schlachtfeld nahe dem heutigen Batalba d.u „Mosteiro de Santa Vit6ria"*), eines der großarti Bauwerke, die Portugal besitzt. •) batalha = Schlacht, mosten
ler. vltöria - Sieg. 12
dl der Sicherung der Unabhängigkeit konnte Johanns jii MIT Sohn, Prinz „Heinrich der Seefahrer", den Traum seiner Jugend verwirklichen und Portugal zur Seemacht erheben. Der Prinz ließ Werften bauen, rüstete Hochseesegler aus und richtete auf seinern Schloß Sagres eine Schule für Seefahrer ein. Von überall her sammelte er Seefahrtskarten, Reiseberichte und Küstenbeschreibungen, verpflichtete bewährte Kapitäne in die Dienste der k" liehen Marine und gab ihnen den Auftrag, die Länder und Meer jenseits der Straße von Gibraltar zu erforschen und den weg nach dem sagenumwobenen Indien zu suchen. Die Kundfahrten zum Ruhme und Nutzen der portugiesischen Krone begannen 141S entlang der afrikanischen Westküste bis hinunter nach Guinea, wo keine Mauren mehr wohnten, sondern r. Schon im folgenden Jahr wurde Madeira besetzt. Auch die Azoren und die Kapverdischen Inseln wurden entdeckt. Nach Heinrichs Tode umrundete Bartolomcu Diaz 1488 als erster das Kap der Guten Hoffnung, Vasco da Gama gelangte zehn Jahre später unter dem großen König Manuel I. in den Indischen Ozean und nach Vorderindien; Petro Alvarez Cabral landete 1500 in Brasilien, n Küstengebiete er für die Krone übernahm. Schließlich gelang 1521 Fernäö*) Magalhäes die erste Weltumseglung. An den indin Küsten errichteten portugiesische Seefahrer die äußerst wichtigen Handelsplätze Goa, Malakka, Hormus und Diu, sie segelten • >n und die Molukken, die vielbegehrtcn Gewürzinseln, an und innen sie für Portugal. In Westafrika wurde Angola, in Ostafrika Mozambique, an der südchinesischen Küste Maeäo in Besitz, genommen. Portugiesische Kapitäne landeten audi in Grönland, Kalifornien, in Alaska und Japan. Es war das „Heldenzeitalter" Portugals, das zur ersten See- und Kolonialmacht der Erde aufsti
Gegenüber den mächtig aufstrebenden neuen Seemächten, den Niederlanden und England, hat Portugal auf die Dauer sein locker gefügtes Kolonialreich nidit behaupten können. Aber wenn auch •) Das Zeichen ~ bedeutet, daß der betreffende Laut nasal, als Nasenlaut gesprochen wird, auch am Ende eines Wortes. 13
die überseeischen Besitzungen zum grüßten Teil wieder ben werden mußten oder sich, wie Brasilien, die Unabhängigkeit erkämpften, so blieb Portugal doch bis heute dem Meer zugewandt. Wir können es verstehen, daß es den Portugiesen geradezu in\ Herz trifft, wenn er nun erleben muß, wie ihm das Verbliebene weiterhin Stück um Stück verlorengeht oder zunehmend gefährdet ist. Die Wegnahme des winzigen Goa zum Beispiel empfanden die Portugiesen als größtes nationales Unglück und als Schicksalsschlag ohnegleichen. Der Glaube an die alten Besitzrechte ist ihnen immer noch so tief eingeprägt, daß sie erbittert um jede Handbreit Boden ringen, der ihnen entwunden zu werden droht. ••:•
Der Verlust der Weltmachtstellung im 17. und 18. Jahrhundert konnte auch im Innern Portugals nicht ohne Folgen bleiben. 1640 bemächtigte sich der Herzog von Braganfa des portugiesischen Königsthrones. 270 Jahre lang bestimmte seitdem das Herrscherhaus itiy'a in kraftvollen oder schwachen Vertretern die Geschicke des Lande thrend der napoleonischen Kriege von Spaniern und Franzosen und nach deren Vertreibung von den Engländern begehalten wurde. Mißwirtschaft und Verelendung der Volksmassen führten gegen Ende des Jahrhunderts zum Staatsbankrott, dem im Jahre 1910 der Sturz des Königshauses folgte. Portugal ist seitdem Republik. Aber es gelang ihm nicht so schnell, die innere Ordnung wiederzugewinnen; in den fünfzehn Jahren nach der Ausrufung der Republik folgten sich rund vierzig Regierungen unter acht Präsidenten! Den Wiederaufbau und die Festigung der Verhältnisse erzielte erst der ehemalige Universitätsprofessor Antonio Oliveira Salazar, der als Finanzminister und seit 1932 als Ministerpräsident die Finanzen neu ordnete und die Besitzungen in Überdie Kapverdischen Inseln, Portugiesisch-Guinea, Angola, tugiesisch-Ostafrika (Mozambique), Timor, Macäo und den Inselbesitz im Guinea-Golf, als „Provinzen" mit Selbstverwaltung fester an das Mutterland band, so daß alle Bewohner dieser Gebiete, unbeschadet ihrer Hautfarbe, als portugiesische Bürger gelten. Freilich ist und bleibt das Regierungssystem eine — wenn auch 14
gemäßigte — Diktatur, in der, eschenen hat, von oben verfügt wird, ohne das Recht einer Opposition. Zwar verteidigen die Anhänger des Systems ihre Regicrungsform mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche "Zerrüttung unter den früheren Regiert! Verhältnissen und mit der Notwendigkeit, „dem Kommunismus keine Ansatzpunkte zu geben", aber die portugiesisdie Bevölkerung wünscht endlich die Freiheitsrechte, die ihr so oft in ihrer Geschichte vorenthalten worden sind.
Begegnung mit dem Portugiesen „Bitte, wo rinde ich hier einen hübschen Standplatz für meinen Wohnwagen, möglichst am Wasser?" frage ich radebrechend einen Bewohner des Dörfchens Boliqueime in Südponugal. Der Mann überlegt und ruft dann seinen Bruder. Der Bruder kommt. Noch mehr Leute kommen. Man beratschlagt, beginnt zu erklären. Aber ich verstehe kaum etwas, und auch mein Spanisch hilft mir nicht weiter. Die portugiesische Sprache, die von sechzig Millionen Menschen im Mutterland, in den AulSenbesitzungen und in Brasilien, der ehemaligen Kolonie, gesprochen wird, hat zwar Ähnlichkeit mit dem Spanischen, aber in ihrer Alliagsform wirkt sie auf mich durch die vielen nasalen Doppelvokal'.- und die Zischlaute und vor allem durch das Verschlucken der Wortendungi.. fremd wie Türkisch oder Kisuaheli. Kurzum, wie wir da miteinander gestikulieren, entfernt sich plötzlich ein junger Mann, schließt seine kleine Kolonialwarenbude ab, holt aus dem Hinterschuppen ein Moped und bedeutet mir, ihm zu folgen. Wir fahren und fahren: fünf, acht, zehn Kilometer. Zwölf Kilometer. Da endlich ist der Platz! Der Mopedfahrer nickt mir freundlich zu, dreht sein Rad um, ruft „Ate ä vista!" und fährt allein wieder zurück. Nur ein „Muito obrigado!", ein Dankeschön, nimmt er von mir mit. Selbst die Zigarette sdilägt er mit einer Grandezza-Bewegung aus. Das ist der Portugiese! Zeigt man sidi freundlich, so verströmt er sich sogleich in Liebenswürdigkeit; bittet man um Rat oder Auskunft, so überbietet er sich geradezu in Hilfsbereitschaft. Selbst der Bettler, der den Vorübergehenden auch heute nodi gern mit 15
celencia", .Euer Exzellenz', anredet — und er mein' ernst und keineswegs liebedienerisch —, gibt einem auch dann einen Segcnssprudi mit auf den Weg, wenn man ihm nicht schenkt hat. nchma! aber überkommt den Portugiesen eine ganz seltsame, tietgreilende Melancholie: die „Saudade". Kr fühlt sich dann unfähig, in sonst gewohnter Weise einer Arbeit nachzugehen; er ist in solchen Stunden die personifizierte Traurigkeit. Einmal sali ich einen Fischer an seinem Melancholie-Tag am Strand sitzen, abseits des Alltagsgetriebes. Er »aß da stundenlang und starrte Meer. last unbeweglich. Seine Umwelt hatte er vergessen. Und es sah so aus, als schaute er über den Horizont hinweg und dachte an Vasco da Gama und all die andern Helden der Hntdeckungszeit, und daß das nun alles vorüber sei. — In Porto erzählte mir die Hausfrau einer deutschen Familie, sie habe eine Hausgehilfin, die ZU den bravsten und tüchtigsten unter ihresgleichen zähle. Wenn das Mulchen aber seinen melancholischen Tag habe, sei es . unansprechbar; man müsM- es dann einfach allein und in Frieden lassen. Und noch eine Eigenart fällt dem Besucher auf: die Anhänglichkeit des Portugiesen .\n das Gewohnte und seine Abneigung gegen alles Neue. Jene Hausfrau berichtete, sie habe kürzlich ein sdüines elektrische Bügeleisen gekauft und ihrem Mädchen zur Verwendung Mädchen habe es ein, zwei Tage lang benutzt, dann aber beiseite gestellt und wieder zu ihrem gewohnten Kohlebügeleisen gegriffen. Genauso sdiwierig ist es, einem Straßenarbeiter ein neues Arbeitsgerät schmackhaft zu machen oder einen Bauern für ein besseres System /um Hodipumpcn des Grund i gewinnen. Da> Gewohnte ist eben „tradicäo", Überlieferung. Tradition ist es auch, daß die Portugiesin wie seit Jahrhunderten heute nodi alles, wirklich alles, was sie zu transportieren hat, auf dem Kopfe trägt. Ich sah sie Kisten, Körbe, Waschzuber tragen — voll oder leer; ich sah sie mit einem schweren Balken und dann wieder mit einer einzigen Semmel auf dem Kopf; idi sah eine Frau mit drei ineinandergeschachtelten Barhockern, eine andere mit einem Iarbkübel, darauf einen zweiten Kübel und darin ein paar Malerpinsel; wieder eine andere mit einer kompletten Nähmaschine 16
Die Portugiesin trägt ihre Last gern auf dem Kopf
auf dem K o p f , eine dritte mit einem lachenden Kindchen im K o r b und eine mit einem Sarg — alles ohne Handstütz.ung getragen und nur mit einem kleinen Ringpolster als Unterlage. (Da* Polsterchen heißt „sogra", Schwiegermutter — kein Mensch weil.' warum.) Diese ohnheit ist nicht nur praktisch — man hat die Hände / u m ihlen Irei —, sondern auch gesundheitlich von N u t z e n : Es hält den Körper aufrecht, wenn man „die ganze Welt auf den K o p f stellt", und es zwingt zu einem weichen, eleganten Gang. Bilder dieser A r t sieht man keineswegs nur auf dem Lande. Selbst in der Hauptstadt Lissabon jonglieren die einfachen Frauen ihre auf dem K o p i e durch die Menschenmenge und über die von Autokolonnen vollgestopften Avenidas. Das Moderne verträgt sich 1-
hier durchaus mit dem Alten, Fortschritt und Tradition gehen einträchtig nebeneinander her. Sonst aber sind in diesem Lande die Städte und Großstadt, städtisch und großstädtisch wie überall in Europa. Doch nur zwei wirkliche Großstädte hat Portugal: Lissabon mit knapp 1000 000 und Porto mit 300 000 Menschen. Auf über 10 000 Einwohner kommen dann noch fünfundzwanzig Ortschaften. Selbst die drittgrößte Stadt dei 1 indes, die Universitätsstadt Coimbra, bleibt noch unter dem halben Hunderttausend. Nur ein Viertel der Gesamtbevölkerung wohnt und lebt in den Städten, die kleinsten Städtchen schon mitgerechnet. Portugal ist eine im Grunde bäuerliche Nation, wenn man den Fischer mit zu den Bauern rechnet. Jeder zweite berufstätige Portugiese ist Bauer oder Fischer!
Alemtejo und Algarve — Portugals Süden Das Gesicht der Landwirtschaft ist grundversdiieden im Norden und im Süden des Landes: im Norden ein dichtes Nebeneinander von Klein- und Kleinstbetrieben, die von selbständigen Bauern bewirtschaftet werden, im Süden noch immer das Großgrundbesitzertum vergangener Jahrhunderte mit Rittergütern — „Quintas" — von hundert und mehr Quadratkilometern Umfang, mit dem Herrn, den Verwaltern und Aufsehern und den vielen Landarbeitern, die gegen Lohn, Kost und Wohnung das Land bebauen. Dieses Südportugal der großen Güter umfaßt die Provinzen Alemtejo und Algarve (von arabisch ,,al gharb", der Westen). Nicht nur in seiner Agrarwirtsdiaft, sondern auch als Landsdiaftsbild > grundverschieden von den übrigen Gebieten Portugals. In Alemtejo, t man blickt, nur Hochflächen mit ausgedehnten Feldern, keine Wälder, hier und da steppenartige Zonen mit Ölbäumen, die wie Schirmakazien geformt sind, oder riesige Heideflächen mit Rosmarin, Erika und Ginster, die im Frühling das Land mit einem bunten, duftenden Kleid überziehen. Wenige Straßen, selten ein Dorf, wi Menschen. Die Bevölkerungsdichte beträgt hier kaum ein Zehntel son der des Nordens. In weiten Abständen liegen in der Einsamkeit verstreut die Quintas mit Herrenhaus, Viehställen und haushohen Strohmieten. Wenn man endlich in ein Dorf kommt, könnte man meinen, in Nordafrika zu sein, nicht nur weil alle Gebäude schnee18
weiß gekalkt sind — das ist fast in ganz Portugal der Fall, da ein / alle drei Jahre einen frischen Anstrich verlangt —, sondern auch «regen der baulichen Anordnung. Die Häuser/eilen Mini zusammengerückt, mit Schwibbogen von Front zu Front. Di'.' Kirchen sehen manchmal aus wie Moscheen, Anklänge an die Bauweise der islamischen Zeit! Selbst die Gesichter der Bewohner zeigen noch deutlich den Einschlag der ehemaligen maurischen Besatzungsmacht. I ist überall fehlt es an Wasser in Alemtejo, und manche machen ein einträgliches Geschäft daraus. Im Dorf Cuba begegnete mir ein Mann mit einem Dutzend Tonkrügen auf seinem Eselskarren. In die Krüge hatte er aus einem der seltenen Brunnen Trinkwasser gefüllt, da> er verkaufte. Ein Krug voll kostete anderthalb — 20 Pfennig. Das ist nicht so wenig hierzulande. Dann aber, im Weiterfahren südwärts und nach Überwindung der Serra de Monchique, einem kahlen, verkarsteten Randgebirge, breitet sich plötzlich wie ein Paradies die zweite Charakterlandschaft •>üdens aus: die Küstenprovinz Algarve, ein Paradies nach der Einförmigkeit und Farbenarmut des hochsommerlichen Alemtejo, mit Palmen, Reisfeldern, Olivenhainen, Feigenbäumen, Zitronen- und Apfelsinenplantagen, Granatapfel- und Weingärten, an den Straßen Johannisbrotbäume mit ihren länglichen blausdiwarzen Früchten. In einem lockeren Baumbestand schlagen Männer mit langen Stangen gegen das spröde Geäst: Es ist die Zeit der Mandelernte. Zu Dutzenden fallen die I-rüchte bei jedem Schlag herunter, Frauen und Kinder sammeln sie auf. Schon im Februar ist Mandelblüte hier. Idi fahre zum Strand hinunter und finde beglückende Sandflächen und angenehmes Badewasser — Tage der Labsal für den weither gereisten Gast. Am östlichen Ende dieses fruchtbaren Streitens liegt die Stadt Vila Real de Santo Antonio an der Mündung des Rio Guadiana. Jenseits des Flusses ist schon Spanien. Es ist aufregend zu beobachten, wie auch hier die Grenze nicht nur zwei Länder, sondern auch zwei Witterungszonen scheidet; der Grenzfluß trennt nicht nur Portugal von Spanien, sondern zugleich auch ein Paradies an Fruchtbarkeit vom Bereich einer alles austrocknenden, auszehrenden Sonnenglut. Die Westecke, also das andere Ende der Algarve, wird vom Cabo 19
nte eingenommen, einem gewaltigen Klippenmassiv, rauh und furchterregend dem, der nicht schwindelfrei ist. Hier oder vielmehr im nahen Sagres errichtete Heinrich der Seefahrer •eine Seefahrtsschule, die erste der Welt; von hier sind seine Kapitäne ausgezogen und nach Marokko, zum Kap Verde und schließlich /.um Senegal und Gambia vorgedrungen. In Sagres, an seiner Wirkungsstätte, ist Prinz Heinrich auch gestorben.
Wovon die Portugiesen leben Ja, das erinnert uns wieder an die Meereszugewandtheit der Portugiesen. Wie sie am Meere, am Wasser hängen und wie sie is als
Cabo de Säo Vincente, die 20
„ihr" Element empfinden, das verspüren wir überall an den Küsten Portugals. Und Portugal Int siel Küste: 850 Kilometer mißt sie von inha im Norden bis Sflo Vincente im Süden und um das Kap herum bis Vila Real de Santo Antonio im Osten. Das IM ein • Menge Kilometer für ein verhältnismäßig kleines l and. Und überall an dieser Kusu- sind die I ischer anzutreffen, in jeder hall». schützt liegenden Bucht haben sie sidi eingerichtet und ihre Boote gebaut. Man baut sie auch heute noch rein handwerklidi! Sie können bis /u vierzig Ruderer tragen, und meist sind es Schnabelboote, mit spitzig-hochgezogenem Bug und hochragendem Heck. Fischerarbeit hier an der Atlantikküste ist freilich nicht leicht. Oft genug sitzen die Frauen bei plötzlich aufgekommenem Sturm banden Herzens am Strand und schauen stumm oder auch laut klagend hinaus, während weit draußen die Männer an den Rudern mit den Wogen kämpfen. rdinen und Thunfisch bilden die Haupternte, die zum größten Teil an Orc und Stelle für die Konservenfabriken vorbereitet •wird. Aber audi anderes kann man sehen, wenn die Boote an Land »en sind und der I ang sortiert wird, /um Beispiel r:. Krebse, Hummern und Langusten. Diese Sonderware wird mei gleidi am Strand in kleinen Portionen versteigert. Kunden sind '.irte, Inhaber von Lebensmittelgeschäften, Hausfrauen und auch der Fremde, wenn er sich einmal einen vorzüglichen Leckerbissen genehmigen möchte. Die Versteigerung ist ein dramatisches Schauspiel: Der Ausrufer, deize unter Autsidu eines Polizisten abwickelt, setzt, wenn die betreffende Lischsorte im Sande breitet ist, hohe Antangssummen fest; dann zählt er in rasender Gesdiwindigkeit ohne Atempause rückwärts, so lange, bis ein Interessent „tschipp!" ruft. „Tschipp" heilst: „Zu dem Preis nehme ich's!" Wer zuerst tschipp sagt, bekommt die angebotene Ware; aber jeder will natürlich möglidist billig kaufen und wartet deshalb lim möglich erscheint. Und dann sdinappt ihm vielleicht ein anderer doch das Begehrte weg! Pa dl, ist die eine Grundlage der portugiesischen Wirtschaft. Die zweite ist Vinho**), Wein. Wer kennt ihn nicht, den Port•) sprich peische. das e wie e, nicht wli ••) sprich vinju. 21
wein! Viele glauben, es sei ein künstlich gesüßtes Mischgetränk, weil er so dick, fast likör.mig ist. Doch nichts dergleichen. P wein ist reiner, unverletzter Traubensaft, allerdings aus einer ganz bestimmten Erde unter ganz bestimmter Sonne und nach ganz bestimmten, sehr langwierigen Gärungsmethoden aufbereitet. „Portwein" darf sieh nur nennen, was östlich von Porto in einem genau festgelegten Revier des Duorotais gewachsen ist. Von dort bringen die Männer nach der Ernte die Kisscr mit dem triseh gepreßten Satt in waghalsiger Fahrt auf dem hindernisreichen Duoro hinunter nach Porto, wo große Kellereien die Ernte übernehmen und zu Wein vergären. Das meiste geht nach England. Guter Portwein muß mindestens dreißig Jahre alt sein, sonst gilt er dem Kenner nichts. Doch habe ich auch hundertjährigen getrunken, und er schmeckte hervorragend. Das war in der Vinicola Real, einer der grüßten Kellereien der Stadt. Zu ihr gehört ein 600 Meter langer ehemaliger Eiscnbahntunnel, in dem zwei Millionen Flaschen lagern. Doch gibt es in Portugal auch andere Sorten als Portwein. Guten Landwein findet man in vielen, ja in den meisten Landstrichen. Und weil es sich so günstig ergibt, machen sich die Portugiesen zum Wein auch gleich selber den Kork. Cortica ist die dritte Wirtichaftsgrundlage! Kork ist die Rinde der Korkeiche, eines sehr knorrigen, dickastig wachsenden Baumes. Die Rinde wird alle neun bis elf Jahre mit einem Spezialraesser abgeschält und nach ihrer Güte sortiert. Die guten Stücke, die noch die Stammrundung haben, werden in der Fabrik unter Dampf zu (lachen Platten gepreßt und dann in die gewünschte Form geschnitten; das Zweit- und Drfttklassige wird vermählen und .\n die Linoleumfabriken verkauft. In allen Häfen kann man sehen, wie die mächtigen Korkballen mit Kränen in die Frachtschiffe eingeladen werden. Kork ist Porti ertragreichster Ausfuhrartikel, Portugal ist der größte Korklieferant der Welt. Und weil sich auch das so günstig ergibt, lassen die portugiesischen Bauern unter ihren Korkeichen noch Schweineherden weiden, eine ungewöhnlich dunkle, fast schwarze Rasse. So gewinnen sie als vierte Wirtsehattsgrundlage Porco, Schweinefleisch. Fisch — Kork — Wein — Schwein . . . ein schönes Beispiel für „Verbundwirtschaft"!
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Dazu kommen dann noch öl aus den Olivenhainen, Salz aus den vielen riesigen Salinen in Meeresnähe, Getreide aus dem Süden, vornehmlich Weizen und Mais, sowie die Produkte aus der Schafund Ziegenzucht. Mit Bodenschätzen dagegen Steht es nidit so gut: etwa-. Titanerz, ein bißchen Zinn, Pyrit für die Schwefelsäuregewinnung, ein Quantum Stein- und Braunkohle — • ziemlich alles. Dementsprechend findet .man so wenig Industrie in Portugal, wenngleich die Regierung große Anstrengungen macht, das zu ändern. Vor allem schafft man Elektrizitätswerke. Ferner wird die Zement- und die Holzindustrie stark gefördert. Ein Industriezweig allerdings, und zwar einer mit handwerklichem tark im Schwünge: die Keramikindustrie. Die Portugiesen sind Meister in Kachelarbeiten, deren Ursprünge wohl noch in die Zeit der Mauren zurückreichen. Vom kleinen Schälchen bis EU umfangreichen topfartigen Blumenbehältern werden täglich Zehntausende und Aberzehntausen.de von bemalten und dann gebrannten Tonwaren hergestellt. Besonders eindrucksvoll sind die Kachelgemälde an Kirchenwänden, Bahnhofsfassaden, Wohnhausmauern, Markthallenwänden, ja sogar an kleinen Omnibuswartehäuschen. Aus vielen hundert Einzelkacheln setzt sich so ein Bild zusammen. Es erfordert viel Erfahrung, um das Schrumpfen der stückweise bemalten Kacheln beim Brennen so einzukalkulieren, daß nach dem Zusammensetzen alles aufs beste zueinander paßt, immer zeigen diese Bilder Szenen aus der großen Seefahrer- und Entdeckerzeit oder von landesüblichen Arbeitsbeschäftigungen: vom Korkschälen, vom Schweinehüten, vom Anlandziehen der Fischerboote, vom Weinbau und der Weinverarbeitung. Gelegentlich sieht man aber auch bedeutende Bauwerke abgebildet, etwa die zweistöckige Stahlbrücke des Franzosen EifFel über den Duoro in Porto oder die Klosterkirche von Batalha oder eine Szene vom Wallfahrtsort Fätima. Die Kachelgemälde sind fast immer ganz in Blau gehalten, in einem Azurblau. Und deshalb nennt der Portugiese sie „azulejos", die Azurfarbenen. Solch blühende Volkskunst könnte als ein Zeichen allgemeiner Wohlhabenheil betrachtet werden. Aber der Schein trügt. Zwar sind die Finanzen des Landes in Ordnung, der Fscudo hat einen soliden Wert. Aber der kleine Mann hat nicht viele solche 23
Zur Verschiffung bereitliegende Korkplattenballen 24
Im Durchschnitt ist die Bevölkerung nicht auf Rosen gebettet gibt noch viel Armut im lande. Die Löhne sind niedrig. Ein einfacher Fabrikarbeiter, zum Beispiel, in einer der vielen Keramikfabriken, verdient sechs bis Nieben Escudos in der Stunde, da rund eine Mark; ein Straflenarbeitcr bekommt etwa acht Mark je ! Preise für das I ebensnotwendige sind /war etwas niedriger als bei uns in Deutschland, doch längst nicht um so viel, dal die geringen löhne ausgleichen könnte. Nach und nach bessern sich aber die Lebensverhältnisse, wie man deutlich feststellen kann.
Portugal — Grüner Garten Europas Erscheint der Süden — mit Ausnahme des Küstenstreifens Algarve und mit Ausnahme der Blütezeit im F:rühling — eintönig, ohne rechte Abwechslung, trocken, ja vertrocknet, so erfreut das übrige Portugal mit einer Fülle angenehmer I am gibt üppige Wälder und Waldgebirge, wie die Serra da Estrela, die bis zu fast 2000 Meter ansteigt und die im Winter sogar Skimöglichkeiten bietet und im Sommer angenehmes Heilklima. Sehenswerte Naturschutzgebiete, in denen tropisch-fremdländische Pflanzen gedeihen, sind der Wald \on Uucaco hart nördlich von Coimbr.i und der Park von Stntra bei 1 issabon. Bezaubernd breiten sich vielerorts üppige Gartenlandschaften mit Blumen- und Gemüsefeldern aus. Durch ihre Schönheit zeichnen sich auch die HulStälcr von Minho und Duoro, von Mondego, '/ezere und Tejo aus, die in der nördlichen Hallte des Landes liegen. Über allem liegt ein Klima, dem dank der Nähe des Atlantiks das Schroffe fehlt und das weder die Kälte des spanischen Winters noch die Hitze des spanischen Sommers kennt. Portugal ist auch in dieser 1 linsicht ganz anders als Spanien. Seinem atlantischen Klima verdanken Nord- und Mittelportugal die schmückenden Beinamen „Grüner Garten Europas", „Europas bunter Balkon".
Klöster, Ritterburgen und ein Römertempel t
In diesem Garten liegen, locker verstreut, viele kulturelle Glanz.punkte, finden wir in prächtigen Bauwerken Erinnerungen vor allem an die stolze Zeit der Seefahrer. 25
Laßt uns nach Lissabon zurückkehren, der „weißen Stadt auf den lieben Hügeln". Manche tagen, keine Stadt der Welt sei schöner gelegen. Das ist /war freundlich übertrieben, aber es gibt eine Blickrichtung, die dieses schmückende Beiwort rechtfertigen könnte: der Anblick der die Hügelkette hinaufziehenden Stadt vom Tejo au-., von einem der zahlreichen Boote, Dampferchen und Fähren, die hier ständig die viele Kilometer breite Mündungsbucht befahren. (Das eigentliche Meer ist noch zwölf Kilometer einlernt.) Geradezu unvergeßlich ist dieser Anblick des Abends, wenn die untergehende Sonne das Wasser glühen läßt und das Weiß der Stadt in rosabraunes Licht taucht. Die Portugiesen nennen ihre Stadt „Lisboa" (sprich „Lischboa" mit klanghaftem sdi). Es ist das arabische ,,Alosehbuna". Was wir aber heute vor uns haben, das ist nicht einmal im Grundriß mehr das Stadtbild jener alten Zeit. Am 1. November 1755 wurde Kon durch ein Erdbeben zu mehr als zwei Drittel zer I die Erdgewalten nicht vernichtet hatten, das verheerten die Flammen des Großbrandes, der dem Erdbeben folgte. Das neue im Laufe der Jahrzehnte entstand, erinnert kaum noch an die alte, verwinkelte und beengte Stadt. Alles, wurde breiter, luftiger, großzügiger angelegt. Für das heutige betriebsame Wirtschaft (leben und den weltstädtischen Autoverkehr, der von Jahr zu Jahr zunimmt, ist die Stadt freilich schon wieder zu eng geworden. Mit Straßendurchbrüchen, Platzausweitungen, durch das Niederlegen alter und wenig ansehnlidier Wohnviertel und durdi den Bau einer Untergrundbahn versucht man mühsam, Raum zu schaffen. Die größte Sehenswürdigkeit, die der Fremde in Lissabon sucht, liegt nicht in der Stadt selbst, sondern im Vorort Belem, einige Kilometer tejoabwärts, noch jenseits der großen Kaianlagen: das Kloster „Convento dos Jerönimos de Belem". Den Klosterbau stiftete König Manuel I. im Jahre 1499 als Dank für die erfolgreiche Reise seines großen Kapitäns Vasco da Gama nach Vorderindien, die den Reichtum und die weltgeschiduliche Machtstellung Port* begründet hat. Die Fassaden und die Kreuzganggewölbe quellen über von barocker Schönheit. Kennzeichnend sind die überall eingearbeiteten seemännischen Symbole: Anker, Segel- und Tauwerk, irräder, aber auch Ziermuscheln und Korallenformen und tro26
pisches Blatt- und Rankenwerk. Es sind die Merkmale de* sogenannten EmanueJstils, der nur in Portugal vertreten ist. In 1 )m Jeronimos sind König Manuel I. und Vasco da (i.im.i, der spätere Vizekönig von Indien, zur letzten Ruhe gebettet, ebenso Portugals größter Lyriker und großer Heldendichter Camöes, der in seinem Epos „Os Lusiades" (Die I usiaden) das Hohelied der Seefahrerzeit besungen hat. Ganz nahe beim Kloster Dos Jeronimos, dicht am Tejo-Ufer, steht der Torre de Belcm: ein wuchtiges Turmgebilde von quadratischem Grundriß mit einem niedrigeren rechteckigen Anbau an der Flußseite, zinnenbewehrt und mit Türmdien an allen Ecken. Erbaut wurde dieser mächtige Klotz in den Jahren nach 1515 zum Schutze der Tejo-Einfahrt und der im Hafen liegenden Schiffe. Gelegentlich diente er als Empfangsstätte für heimkehrende Seefahrer, eine Zeitlang auch -et ingnis. Heute ist er eines der eindrucksvollsten Monumente der großen portugiesischen Vergangenheit. Auch Batalha gehört zu diesen Monumenten, das schon genannte Kloster Santa Maria de Vitöria, die Stätte der Erinnerung an die siegreiche Schlacht gegen die Spanier, ein Bauwerk in reinster Gotik. Das Hauptportal an der Westfassade mit seinen zahllosen, in Spitzbogen übereinander angeordneten Figuren in einem leicht rötlichbraunen Stein, der bei tiefstehender Westsonnc geradezu ins Glühen kommt, gehört zu den Meisterwerken des Abendlandes. Auch hier besuchen wir den zauberhaften Klosterhof, den „Königlichen Binnenhof", dessen steinerne Bildwerke und Ornamente von der schöpferischen Kulturkraft Alt-Portugals zeugen. Nahe dem Zezere-PIuß, in der Landschaft Ribatejo, liegt hoch über der Stadt Tomar die Christusritterburg mit der Christusritterkirche, der Templerkirche und den Klosterbauten der Templer. Hier war einst das geistige und kämpferische Zentrum Porti: Der Ritterorden der Templer verband mit dem Kampf für das Christentum auch den Kampf um die Ausbreitung der portugiesischen Macht in Übersee. Heinrich der Seefahrer war einer der Großmeister der Templer, deren Reichtum erst manche Entdeckungsund Eroberungsfahrten möglich gemacht hat. Die von Manuel I. iftete Templerkirche ist ein Beweis seiner Dankbarkeit für ihren Dienst an der Krone. 27
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Ich darf Sintra mit dem Castelo da Pena nicht vergessen, die königliche Sommerresidenz unweit der Hauptstadt. Sie liegt inmitten einer subtropischen Parklandschaft .in den Hüngen der Sintraberge. Und tropisch wuchernd ist auch die Vielfalt der Baustile, die an diesem Palast ihren Niederschlag gefunden haben. Ich bin auch zur Wallfahrtskirche Born Jesus do Monte hinausgefahren, nahe der Stadt Braga auf einem Hügel errichtet, um die seltsame Fächertreppe zu bewundern, die zu ihr hinaufführt. Und natürlich nach Filima, dem portugiesischen Lourdes, genau halbwegs zwischen B.ualhi und Tomar. Hierhin kommen am Dreizehnten eines jeden Sommermonats die Pilger aus allen Teilen des Landes und des Auslandes, oft zu Fuß und barfuß, um in einer abendlichen Lichterprozession und in vielsprachigen Gesängen und Gebeten der Erscheinung Marias vom 13. Mai 1917 zu gedenken... Eine der letzten Ausfahrten führt mich am weitesten zurück in die Vergangenheit, zum Dianatempel von ßvora. Es ist wohl das einzige erhaltengebliebene Bauwerk aus der Römerzeit Portugals. I-'vor.i liegt schon ziemlich südlich, in der Landschaft Alto Alemtejo, deren Hauptstadt es ist. Hier erhebt sich auf einem freigehaltenen Platz inmitten der Stadt ein Tempel aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, dessen Gebälk von vierzehn korinthischen Säulen getragen wird. Es ist ein reizvolles Erlebnis, nach all der barocken und gotischen Pracht des Landes diesem klassischen Bauwerk der Antike zu begegnen.
Ausklang Ich stehe auf dem Cabo da Roct. Vorgestern noch bin ich bei den lischern von Ericeira gewesen, gestern noch im mondänen Ca der Zufluchtsstätte der abgedankten Könige, Prinzen und Präsidenten. Und jetzt hier auf dem Westkap unseres Erdteils, denn kein Punkt des festländischen Europas liegt westlicher als diese Stelle. Vor mir das Meer, und jenseits des Meeres Amerika. Es ist, fast auf den Breitengrad genau, die Höhe von Washington — dem Sammelpunkt aller Kräfte der westlichen Welt. irmt. Über den Himmel jagen dunkle Wolkenfetz.cn. Der Atlantik gischtet und wuchtet seine Wellen meterhoch die Klippen empor. Es ist ein Tag, an dem die Eisdier ihre Boote höher hinauf29
ziehen auf den Strand und die Segelwindmühlen, die M> heiterspielerischen Windfänger, ihr Tuch ängstlich eingerollt halten und stillstehend Stunden abwarten. An einem soldien Tag und an einem solchen Punkt — ganz Europa hinter dir, die ganze weite Welt vor dir, nicht nur Amerika, sondern im Geiste alles, was zum Erdenrund gehört — begreift man am ehesten die I:ernsehnsucht der Portugiesen, die Stürmen und Meeren trotzten, um zu schauen, was hinter den verhangenen Horizonten
Portugal in Kürze Boden fläche: Festland 88 600 qkm, dazu Azoren und Madeira 3111 qkm (an Flächengröße steht Portugal unter den europäischen Staaten an 17. Stelle); größte Länge (Nord-Süd) 580 km, größte Breite (Ost-West) 220 km, Küstenlänge 850 km. — Größte Flaue (alle auf spanischem Boden entspringend): Tejo (sprich teschu, Tajo) 825 km, Duoro (span. Duero) 790 km, Guadiana 725 km, Minho (sprich minju) 340 km. — Hödiste Erhebung: Malhio in der in Mittelportugal gelegenen Serra (= Gebirge mit vielen Erhebungen) da Estrela, 1991 m. — Sprache: Portugiesisch, das auch von etwa 52 Millionen Nicht-Portugiesen, vor allem in Brasilien, gcprochen wird. — Einwohnerzahl: Festland 8,9 Mill. — Glaubenszugehörigkeit: mit Ausnahme von 10 000 Protestanten (im Norden) rein katholisch. — National färben: grün-rot. — Währung: 1 Escudo I X) Centavos (z. Zt. 15 Pfennig). — Verkehrswesen: Eisenbahnnetz etwa 4400 km; Straßennetz 17 000 km Staatsstraßen und 12 000 km Gemeindestraßen; Flugwesen: 3 Gesellschaften, 3 ! lughäfen. Provinzen im Mutterland: Nördliche Hälfte (in Klammern Fläche und Hauptstadt): Minho (4840 qkm, Braga); Tras-os-Montes e Alto Douro (11 840 qkm, Vila Real); Douro Litoral (3280 qkm, Porto); Beira Alta (9540 qkm, Viseu); Beira Litorial (7350 qkm, Coimbra); Beira Baixa (7500 qkm, lo Branco). — Südliche Hälfte: Estremadura (5340 qkm, 1 bon); Ribatejo (7240 qkm, Santärem); Alto Alemtejo (12 660 qkm, Evora); Baixa Atemjo (13 760 qkm, Beja); Algarve (5070 qkm, 1 30
Städte im Mutterland (über 10000 Einw., Zahlen abgerundet): Lissabon (1000 000, Universität), Porto (300000, Universität), Serebal (52 000), Coimbra (45 000, Universität), Braga (35 000), Evora (31000), Matozinhos (30 000), Guimaräes (20 000), Covilhu (20 000), Paro (18 000), Santarem (18 000), Aveiro (17 000), Beja (16 000), Viana do Castelo (15 000), Castelo Branco (14 000), \ (13 000), Chaves (12 000), Tomar (12 000), Torres Novas (12 000), Abrantes (II 000); Estremoz, Figueira da I'oz, Guarda, Pombal, P.>rtalegre, Vila Real, Vila Real de Santo Antonio (alle etwa 10 000). Ukerseegebiete {
Provinzen)
Azoren (Atlantik): 2314 qkm, 330 000 Einw., Hauptstadt Ponta Delgada 30 000. — Madeira mit Nebeninseln (Atlantik): 797 qkm, 280 000 Einw., Hauptst. Fundial 50 000. — Angola (Westafrika): 1 246 700 qkm, 4 833 000 Einw., Hauptn. Säo Paulo de Luanda 19 000. — Kapverdische Inseln (Atlantik): 4 033 qkm, 195 000 Einw., Hauptst. Praira 33 000.— Mayao (südehines. Küste vor Kanton): 16 qkm, 210 000 Einw., Hauptst. Macao. — Portugiesisch-Guinea (Westafrika): 36 125 qkm, 544 000 Einw., Hauptst. le Bissao 19 000. — Portugiesiseh-Ostafrika (Mozambique) 783 030 qkm, 6 593 000 Einw., Hauptst. Laurenco Marques 100 000. — Säo Tome e Principe (Golf von Guinea): 965 qkm, 65 000 Einw., Hauptst. Tome 9000. — Portugicsiseh-Timor (nördl. v. Australien): 14 925 qkm, 560 000 I Die
Landwirtschaft
beschäftigt etwa die Hälfte der Bevölkerung des festländischen Portugal. Etwa 4,9 Millionen Hektar ( — 5 3 Prozent der Bodenfläche) sind für den Ackerbau, für Obst- und Gemüsekulturen, als Wii und Weiden genutzt. Jahresertrag der Landwirtschaft jährlich etwa 1 000 000 t Kartoffeln, 537 000 t Mais, 504 000 t Weizen, 174 000 t Reis, 117 000 t Roggen, 62 000 t Hafer, 53 000 t Gerste. Die Traubenernte erbringt 9 bis 12 Millionen hl Wein im Jahr. — Der WM nimmt 26 Prozent der Bodenflädie ein (2,4 Millionen ha). Er besteht zur Hälfte aus Kiefernwald (Harzgewinnung), zu 25 Prozent Korkeichenhainen und zu 25 Prozent aus Mischwäldern, Eukalyptus31
hainen u. a. — Viehbestand: 3,9 Millionen Schafe (11000 t Wolle jährlich); 1,2 Millionen Ziegen. 1,2 Millionen Schweine, 900 000 Rinder (Fleischertrag 87 000 t); 400 000 Pferde, Mauletel, Esel. — In der Fischerei sind 50 000 Menschen beschäftigt; Jahresfang 475 COO t, jährlicher Fischverbrauch je Kopf 45 kg (hinter Norwegen und Irland ings sind Sardinen, an 3. Stelle in Europa); ein Drittel .; d.v/u vor allem Kabeljau, Thunfisch, Dorsch, Hering, Schalenticre. Bergbau: Jährliche Erzeugung: Steinkohle 454 COO t, Braunkohle 158 000 t, . 121000 t, Manganerz 31C0 t, Zinn 690 t, Gold 6S2 kg, Schwefelkies 653 000 t, Superphosphat 44(>000 r, außerdem 1 245 000 t Zement. Einfuhrgüter (in der Reihenfolge der Werte): • Eisen und Stahl, Motorfahrzeuge, Rohbaumwolle, Zucker, Kaffee, Kohle — Einfuhr aus der Bundesrepublik Deutschland, aus (. britannien, Frankreich, Portugiesisch-Ostafrika, USA, Belgien und I uxemburg, Angola u. a. Auffuhrgüter (in der Reihenfolge der Werte): Kork, Sardinen, Wein, Harz, Schwefelkies, Wolfram, Olivenöl — Ausfuhr nach Großbritannien, Angola, USA, in die Bundesrepublik Deutschland, nach Portugiesisdi-Ostafrika, Frankreich, Belgien, Luxemburg u. a.
Umschlaggestaltung und Kartenzeichnung: Karlheinz Dobsky Bilder vom Verfasser (2. Umschlagseite: Die alte Tejo-Befest! Torre de Belem bei Lissabon) L u x - L e s e b o g e n 4 0 4 (Erdkunde) H e f t p r e i s 3 0 1 Natur- und kulturkundliche Hefte —Bestellungen (vierteljahrl. 6 H DM 1.80) durch Jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle froher nen Lux-Leseb«> guten Buchhandlung rütt« — Druck: Hieronymus Mühiberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.
IM FALLE EINES FALLES...