FREDER VAN
HOLK
Eine Spritze Tollwut 1. Sun Koh schlug die Augen auf. Er lag lang ausgestreckt auf einem niedrigen Di...
135 downloads
277 Views
6MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
FREDER VAN
HOLK
Eine Spritze Tollwut 1. Sun Koh schlug die Augen auf. Er lag lang ausgestreckt auf einem niedrigen Diwan, der an der "Wand eines ebenfalls sehr niedrigen Raumes stand. Die Decke über ihm schien aus Stahl zu bestehen, aber auch, die Wände waren anscheinend aus dem gleichen Material gefertigt. Fenster gab es nicht, wohl aber befand sich dort eine glatte, kaum sichtbare Tür. Im übrigen war das Zimmer sehr wohnlich und behaglich eingerichtet. Nur merkwürdig, schwankte es denn nicht? Tatsächlich, es schien sich ganz sanft hin und her zu wiegen und von Zeit zu Zeit lief ein feines Zittern durch seine Wände. Wie war er denn nur hierhergekommen? Ah — er war in den tiefen Brunnen von Mabam, der Wolkenkratzerstadt in der Wüste, hinabgestiegen. Das hatte dem „Lachenden Teufel des Wassers" gegolten*). Unten hatte er strömendes Wasser entdeckt, und dann war eine Stimme aus der Tiefe heraufgekommen. Gesehen hatte er nichts, aber als er hinuntergeschossen hatte, war es wie ein Schlag — wahrscheinlich wieder Elektrizität — durch seinen Körper gegangen, und er war betäubt gefallen. Damit brach seine Erinnerung ab, die weiteren Zwischenglieder fehlten. Allem Anschein nach hatte man ihn auf ein Schiff gebracht. Er wollte sich gerade aufrichten, als er Menschen an der Tür hörte. Das veranlaßte ihn, reglos liegen zu bleiben und die Augen zu schließen. Mochte man ihn vorläufig noch für betäubt halten. Die Tür ging, zwei Männerstimmen wurden im Raum hörbar. „. . . und anstatt daß der Kerl vor Angst klein beigibt, wie ich ihn da als unsichtbaren Geist anbrüllte, reißt er seine Knallkorks*) Sun Koh Bd. 31: Der lachende Teufel des Wassers.
pistole raus und pfeffert los. Na, das war mir denn doch ein bißchen zu bunt, und so habe ich mir das Bürschchen heruntergeholt. Da liegt er. Was sagen Sie zu meiner Jagdbeute?" Sun Koh hörte, wie jemand mit schnellen Schritten an sein Lager herantrat und plötzlich abstoppte. Dann kam völlig entgeistert die andere Stimme im Flüsterton: „Mensch!" „Na, was gibt's denn da zu menschen? Sie machen doch ein Gesicht wie acht Tage Regenwetter? Fein umgelegt habe ich den Musjöh, nicht?" Da brach der andere los, daß sich seine Stimme bald überschlug. „Mensch, sind Sie denn verrückt? Umgelegt, haha. Und da freut sich der Kerl noch? Sie Idiot, Sie bejammernswertes . . . " Die Schimpfworte schienen den andern nicht sonderlich zu stören. Er warf höchst gemütlich und gelassen ein: „Unterzeichneter macht Sie höflichst darauf aufmerksam, daß jede Injurie eine Flasche vom Alten kostet." Der andere setzte einen Moment aus, dann tobte er mit verdoppelter Stärke weiter. „Kosten, ja kosten! Das Leben wird Ihnen der Spaß kosten! Haben Sie eine Ahnung, was Ihnen passiert, wenn der Mann nicht wieder völlig auf die Beine kommt? Ich habe heute schon die Dummheit gemacht und habe ihn umgepfeffert, und nun müssen Sie das gleiche tun? Es ist zum Verrücktwerden. Was stehen Sie denn da herum? Los doch, schnell ran und sehen Sie zu, daß Sie ihn wieder lebendig machen!" „Nur nicht so hastig", wehrte der erste mit sanftem Vorwurf ab. „Ich verstehe Sie überhaupt nicht, weiß gar nicht, was hier los ist. Sie tun ja gerade, als ob das der König von Frankreich wäre." Der zweite lachte kurz auf. „Der König von Frankreich? Ha, daß ich nicht lache. Wissen Sie, wer das ist?" „Nee, eben nicht." Die Antwort kam flüsternd: „Das ist doch . . . " Das letzte Wort war so leise gesprochen, daß Sun es nicht verstand. Er wußte nur, daß es nicht sein Name gewesen war, und 8
nahm sich vor, später noch einmal die gleiche Frage zu stellen. Jedenfalls hatte aber der andere verstanden, denn er stieß heraus: „Au verflucht, das hat gerade noch gefehlt. Konnte er denn das nicht vorher sagen? Ich bin doch schließlich kein Hellseher." Sun Koh spürte, wie einer der Männer dicht an das Lager herantrat und sich über ihn beugte. Da schlug er die Augen auf und richtete sich mit einem Ruck hoch. Er sah zwei Männer dicht vor sich, die einander ziemlich unähnlich waren. Der, der eben erschrocken zurückfuhr, besaß eine große, massige Gestalt und einen beträchtlichen Leibesumfang, der aber dank seiner Größe nicht unangenehm in Erscheinung trat. Sein Gesicht war derb und grob geschnitten, die Haut war großporig, stark gerötet und von deutlich sichtbaren, blauroten Äderchen durchzogen. Auf seiner Oberlippe hing ein beachtlicher Schnauzbart, der ehemals blond gewesen war, aber stark ins Graue hinüberschielte. Das Kinn war glatt, oder sollte es wenigstens sein, denn es standen mindestens vierundzwanzigstündige Stoppeln darauf. Die Stirn des Mannes war hoch und gut geformt, das Haar stand bürstenähnlich voll, die Augen waren nicht besonders groß, aber sie blickten klug und zugleich gutmütig. Die starke, etwas knotige Nase war ein Gedicht für sich. Alles in allem ein Mann, der gern aß, noch lieber trank und darüber hinaus noch eine ganze Reihe von Eigenschaften besitzen mußte, die man von einem guten Kumpan verlangt. Der andere war in vielen Dingen sein Gegenteil. Sun Koh sah diesen Mann nicht zum erstenmal. Es war der gleiche, der in der Nacht in ihr Zimmer eingedrungen war und ihn und Hal betäubt hatte. Er war von kleiner, zierlicher Statur, dabei aber nicht etwa schmächtig, sondern eher untersetzt und muskulös. Das Gesicht zeigte eigentlich keine besonderen Merkmale und doch wirkte es auffallend konzentriert und energisch. Vielleicht lag das an dem etwas vorgeschobenen Kinn, vielleicht an den starken, weißen Zähnen, bestimmt aber mit an den hellen, lichtblauen Augen. Der Mann mußte allerhand Humor im Leibe haben, darauf deuteten die winzigen Falten in den Augenwinkeln und gewisse Züge um den Mund. Die Stirn war geradezu hervorragend modelliert. 9
Diese Einzelheiten konnte Sun Koh mit wenigen Blicken erfassen, dann wurden die Männer von ihrer kurzen Erstarrung frei. „Er lebt!" riefen sie beide wie aus einem Munde aus. „Nicht Ihre Schuld, meine Herren", stellte Sun mit einem kleinen Lächeln fest. „Sie haben zweimal Ihr Bestes getan, aber anscheinend ist Ihre Dosierung für meinen Körper zu schwach gewesen." „Gott sei Dank", murmelte der Kleinere mit Inbrunst und machte dann eine Verbeugung. „Gestatten Sie zunächst, daß wir uns vorstellen. Ryken ist mein Name, Mynheer van R y k e n . . . " „Der .Lachende Teufel des Wassers' klingt aber auch ganz nett?" warf Sun fragend hin. Der Holländer zog eine komische Miene. „Sie wissen Bescheid? Konnte ich mir denken. Das hier ist mein Freund und Begleiter Jan Hout, Doktor der Medizin. Er weiß allerdings nicht, wie er dazu gekommen ist." „Frecher Lümmel", murmelte der Große halblaut und führte dann einen so ausgesprochen altväterlichen Kratzfuß vor, daß Sun sich mit Mühe ein Lächeln verbiß. „Sun Koh", stellte er sich kurz selbst vor. Ryken stutzte einen Moment, sagte dann aber: „Wie es Ihnen beliebt. Ich bitte Sie nochmal in aller Form um Entschuldigung, daß wir Sie irrtümlicherweise angegriffen haben. Fühlen Sie sich wieder in Ordnung?" „Durchaus. Aber inwiefern irrtümlicherweise? Kennen Sie mich bereits?" kam schnell die Gegenfrage. „Ja." Sun Koh senkte seine bannenden Augen in die blauen des andern. „Wollen Sie mir nicht darüber eine nähere Erklärung geben?" Ryken hielt dem Blick eine Weile stand, dann schlug er die Lider nieder. Seine Stimme flatterte, als er antwortete: „Erklärung? Hm, das heißt ich kannte Sie natürlich nicht, erst als ich Sie gesehen hatte, wußte ich Bescheid, wer Sie sind." „Und wer bin ich?" .,Äh — hm — hm, Sie sind doch der letzte Nachkomme dieser atlantischen Könige?" „Allerdings. Aber wie kommen Sie zu diesem Wissen?" 10
Ryken straffte sich. „Das zu sagen, bin ich nicht berechtigt. Ich bitte Sie, nicht in mich zu dringen." „Na schön", gab sich Sun vorläufig zufrieden. „Wo befinde ich mich augenblicklich?" „In einem Unterseeboot." „Standort?" „Unterhalb der Stadt Mabam." Das entsprach so ungefähr Suns Vermutungen. Er stellte die Fragen, die sich ihm in diesem Zusammenhange aufdrängten, zurück und erkundigte sich zunächst: „Wo ist mein Begleiter?' „Ihr Begleiter?" Ryken sah fragend den Doktor an, bis dieser schnauzte: „Was starren Sie denn da mich an? Ich habe ihn nicht gesehen! Im Brunnen war er nicht mit. Sie müssen ihn doch noch eher bemerkt haben, Sie waren doch in der Zeit oben?" Ryken stand eine Weile überlegend, dann klatschte er sich gegen die Stirn und wandte sich mit hastiger Frage an Sun Koh. „Sagen Sie, haben Sie etwa ein Flugzeug in der Nähe?" Sun Koh nickte. „Allerdings, wenn auch nicht unmittelbar bei der Stadt. Es soll in den Bergen auf unsere Rückkehr warten." „Dann seien Sie überzeugt, daß es jetzt nicht mehr wartet. Das Flugzeug befindet sich über der Stadt und der Junge, nach dem Sie fragen, sitzt mit drin." „Wieso?" „Ich konnte mir gleich denken, daß die Geschichte mit Ihnen zusammenhängt, aber manchmal kommt man nicht auf das Selbstverständlichste. Die Stadt oben ist in hellem Aufruhr. Man hat einen Ungläubigen erwischt, das heißt man wollte ihn gern erwischen, aber es ist nicht gelungen. Der Betreffende, der also vermutlich Ihr Begleiter sein dürfte, konnte nämlich die Stadt verlassen und wurde von einem Flugzeug aufgenommen. Das erfuhr ich gerade noch, bevor ich hier herunterstieg. Ich sah auch die Maschine, sie ist ein merkwürdiger, unbekannter Typ mit stumpfartigen Tragflächen." 11
„Das ist meine Maschine." „Na also, dann ist ja Ihr Begleiter in Sicherheit. Die Maschine wird ihn mit Leichtigkeit in bewohnte Gegenden tragen." Sun Koh schüttelte den Kopf. „Das wird ein Irrtum sein. Meine Leute haben den Auftrag, auf mich zu warten. Sie werden sich kaum von hier entfernen. Ich muß schleunigst zu ihnen." Ryken zog ein betroffenes Gesicht. „Das wird nicht so leicht möglich sein." „Warum nicht?" erkundigte sich Sun scharf. „Hm, erstens befinden wir uns bereits in voller Fahrt und zweitens wäre das Wagnis zu groß, jetzt durch die aufgeregte Stadt zu gehen. Selbst die Furcht vor dem .Lachenden Teufel' könnte nicht stark genug sein, um diese fanatisierten Mohammedaner von einem Angriff zurückzuhalten. Es würde wieder eine ganze Reihe Menschenleben kosten. Ist es denn unbedingt erforderlich, daß Sie Ihre Leute unmittelbar bei Mabam treffen?" „Nein, ich könnte sie auch woanders hinbestellen, wenn die Möglichkeit einer Verständigung bestände." „Haben Sie eine Empfangseinrichtung an Bord?" „Ja." „Dann wird es eine Leichtigkeit sein, Ihren Leuten eine entsprechende Mitteilung zu machen. Ich werde ihnen sagen, daß Sie für eine Weile unser Gast bleiben, und daß sie mit dem Flugzeug — ja, wo wollen Sie denn Ihre Leute treffen?" Sun Koh sah den kleinen Holländer nachdenklich an und sagte langsam: „Es soll im Innnern der Halbinsel eine unbekannte Stadt existieren. Wissen Sie davon?" Das Gesicht Rykens zog sich in die Länge. .,Da hört doch allerhand auf. Selbstverständlich weiß ich davon, aber, daß auch Sie davon gehört haben, macht mich einigermaßen sprachlos. Ich habe mir immer eingebildet, daß es mir gelungen sei, die Geschichte völlig geheim zu halten." „Ausgezeichnet", sagte Sun Koh nicht ohne Spott, „und dabei steht es groß und deutlich in den Tageszeitungen." 12
Ryken machte förmlich einen Luftsprung. „Was? Das ist doch nicht möglich?" „Es ist Tatsache", bestätigte Sun Koh ruhig. „Aber wir wollen uns später darüber unterhalten, jetzt müssen vor allen Dingen meine Leute Bescheid bekommen. Können Sie jene unbekannte Stadt auf dem Wasserwege erreichen?" „Natürlich, wir fahren ja sowieso zu ihr hin." „Schön, dann zeigen Sie mir bitte Ihren Apparat, damit ich meine Leute anrufen kann." Der Holländer zog die Schultern etwas ein. „Es wäre mir aus bestimmten Gründen lieber, wenn ich das selbst tun dürfte." Sun Koh sah den andern durchdringend an. Schließlich sagte er kurz: „Schön, rufen Sie auf Welle 37,4." Ryken atmete sichtlich auf und eilte sofort hinaus. Jan Hout hatte anscheinend große Lust, den Raum ebenfalls zu verlassen, aber da er den richtigen Moment verpaßte, blieb er schließlich doch. Es war ihm offenbar nicht übermäßig wohl unter den ernsten Augen des jungen Mannes mit dem königlich edlen Gesicht. Das eintretende Schweigen schien auf ihm zu lasten. Er räusperte sich wiederholt verlegen und knurrte schließlich: „Schönes Wetter, nicht wahr?" Sun Koh lachte hell auf. „Unterhalten wir uns von etwas Näher liegendem, Herr Doktor", schlug er vor. „Sie waren es, der mich dort unten im Brunnen anrief." Hout räusperte sich erst noch ein paarmal, bevor er antwortete: „Hm, ja, das war ich allerdings. Ich hielt Sie für einen der dreisten Araberburschen, die ihre Nase in jeden Dreck hineinstecken." „Nun, das habe ich ja schließlich auch getan", erwiderte Sun lächelnd. „Aber erklären Sie mir, wie es kam, daß ich Sie wohl hören, aber nicht sehen konnte." „Hm, das war ganz einfach", brummte der Doktor. „Ich befand mich in unserem Begleitboot. Sie müssen wissen, daß der Brunnen nur über einem schmalen Nebenarm des Hauptflusses steht und nur 13
wenige Meter breit ist, während der Hauptstrom eine Breite von hundert Metern besitzt. Man kann in den Nebenarm nicht mit u n serem großen Schiff hinein, nur mit dem kleinen Beiboot." „Sie sprechen hier wohl immer von Unterseebooten?" „Ja, natürlich, was anderes ist ja gar nicht zu gebrauchen. Aber da müssen Sie, wenn Sie Näheres wissen wollen, schon Ryken fragen. Ich verstehe von dem technischen Kram nichts. Also jedenfalls war ich mit dem kleinen Boot direkt unter der Brunnenmündung. So konnte ich Sie bequem sehen." „Ja, wieso?" Der Doktor schien nicht zu begreifen. „Wieso? Ach so, naja, ich verstehe. Ich sah Sie auf der Leinwand, so wie ich Sie jetzt vor mir sehe." „Auf der Leinwand?" erkundigte sich Sun Koh immer erstaunter. Jan Hout schlenkerte mit der Hand durch die Luft. „Ja, Erklärungen dürfen Sie von mir nicht verlangen. Das ist so eine Erfindung von Ryken, und den müssen Sie danach fragen. Jedenfalls sah ich Sie, und als Sie fielen, ließ ich das Boot ein Stückchen höher gehen und nahm Sie auf. Dann schaffte ich Sie hierher." „Sie betäubten mich mit Elektrizität?" Der Holländer wischte sich die dicken Schweißperlen von der Stirn. „Jaja, mit Elektrizität. Ist auch eine Erfindung von Ryken. Ah, dort kommt er ja." Ryken trat ein und wandte sich sofort an Sun Koh. „Ich habe Ihre Leute benachrichtigt und ihnen die Stelle angegeben, an der sie uns erwarten sollen." „Ich danke Ihnen. Wie geht es den beiden?" „Gut, gut", versicherte der andere hastig. Er verschwieg wohlweislich, daß er den Insassen des Flugzeuges nur einen Bruchteil von dem gesagt hatte, was Sun Koh als selbstverständlich erwarteteUnmittelbar nach Ryken trat ein Mann in schlichter blauer Monteurkleidung mit ausdruckslosem Gesicht ein und brachte auf einem Tablett Erfrischungen, die zum nicht geringen Teil aus hochprozentigen Flüssigkeiten bestanden. Von diesen machte vor allem 14
der Doktor ziemlich umfangreichen Gebrauch, ohne daß es seine Sinne zu trüben schien. Nach einer Reihe von unvermeidbaren, leeren Redensarten nahm Sun Koh den Faden des Gesprächs wieder auf. „Ich habe meinen ursprünglich ja unfreiwilligen Aufenthalt hier bei Ihnen verlängert, Mynheer van Ryken, weil es mir der kürzeste Weg schien, um Klarheit über gewisse Dinge zu erhalten, die mir vorläufig noch rätselhaft sind. Ich möchte Sie jedoch bitten, mir nun auf eine Reihe von Fragen Antwort zu geben." „Mit dem größten Vergnügen", versicherte der Holländer mit einem kleinen Schmunzeln. „Sie werden von mir alles erfahren, soweit es nicht gewisse persönliche Dinge betrifft." Sun Koh hielt sich nicht lange auf. „Schön", sagte er, „dann beantworten Sie mir zunächst die Frage, wieso mich Ihr Begleiter aus dem Unterseeboot heraus sehen konnte, ohne daß ich ihn selbst bemerkte. Der Herr Doktor wollte mir darüber keine Auskunft geben." Ryken grinste. „Kein Wunder. Von der Medizin versteht er allerhand, aber was darüber hinausgeht, faßt sein Köpfchen nicht mehr. Das kommt vom Alkohol." „Keine Beleidigungen", knurrte der Große. „Also was diese kleine Erfindung anbetrifft", fuhr Ryken fort, „so handelt es sich wirklich um nichts Besonderes. Ich arbeite mit einer Strahlengruppe jenseits der infraroten Strahlen, die den Stahl glatt passieren. Mit Hilfe dieser Strahlen werden Aufnahmen gemacht, innerhalb von Sekunden entwickelt, fixiert und sofort wieder auf die Leinwand projeziert. Die Einzelheiten zeige ich Ihnen dann gern an der Apparatur selbst. Wie gesagt, es ist nichts Besonderes an dieser Erfindung." „Dann bin ich gespannt, eine Erfindung kennenzulernen, die Sie nicht als Besonderheit empfinden", bemerkte Sun lächelnd und fragte weiter: „Wir befinden uns augenblicklich auf einem unterirdischen Strom?" Ryken nickte: „Ja. Genauer genommen aber nicht auf, sondern in einem unterirdischen Strom. Er hat eine durchschnittliche Breite von hundert 15
Metern und eine durchschnittliche Tiefe von fünfunddreißig Metern. In der Hauptrichtung zieht er sich von Norden nach Süden quer unter der arabischen Platte entlang, ungefähr von El-Kuweit nach Schugra." „Erstaunlich." „Wieso?" „Sie sprechen mit einer Selbstverständlichkeit von mächtigen unterirdischen Strömungen, von deren Vorhandensein die übrige Menschheit keine Ahnung hat." Das Erstaunen Suns schien Ryken zu belustigen. Seine hellen Augen funkelten vor Vergnügen. „Ach so? Will nichts besagen, Ma — äh, wollte sagen Mr. Sun. Die übrige Menschheit kennt noch ganz andere Dinge nicht. Ich kann Ihnen unterirdische Ströme vorführen, gegen die dieser hier ein Waisenknabe ist — Ströme von vielen Kilometern Breite. Ist ja schließlich auch kein Wunder. Wasser ist überall, und mehr unter als über der Erde. Ein gut Teil unserer Kontinente sind ja weiter nichts als schwimmende Schollen. Wenn es Ihnen Spaß macht, fahre ich Sie einmal unterirdisch um den Erdball herum spazieren." „Danke", wehrte Sun ab. „Augenblicklich habe ich keine Zeit. Aber es muß ein eigenes Vergnügen sein, in solch einem kleinen Boot unter den Erdteilen entlang zu fahren." Ryken nickte kräftig. „Ist es auch, ist es auch. Früher hatte man die Luft, wenn man allein sein wollte, aber jetzt wimmelt ja dort oben Krethi und Plethi herum. Nur von wegen des kleinen Bootes scheinen Sie sich doch eine falsche Vorstellung zu machen. Dieses Boot verdrängt 2000 Tonnen und ist außerordentlich leistungsfähig." „Nicht möglich", war Sun ehrlich erstaunt. „Hähä", grinste der Holländer, „Sie werden sich wundern, wenn ich Sie herumführe. Hat auch allerhand zu schleppen, mein Lastkähnchen. Kommen Sie, machen wir einen Rundgang!" „Noch nicht", bat Sun, „erst geben Sie mir noch einige Auskünfte. Warum spielten Sie in Mabam die Rolle des .Lachenden Teufels'?" Ryken wurde wieder ruhig und sachlich. 16
„Das war notwendig. Ich brauchte die Stadt als Zwischenstation zu meiner Wüstenstadt. Sie werden das verstehen, wenn ich Ihnen über sie Näheres sage. In Mabam sitzen noch jetzt ständig einige Leute von mir. Um sie und mich und überhaupt unsere freie Bewegung zu sichern, habe ich den Moslems ein bißchen Hokuspokus vormachen müssen, bis sie begriffen hatten, daß sie von uns die Finger lassen mußten." Sun verzichtete auf nähere Erklärungen. Der Ton, in dem der Mann sprach, verriet ihm genugsam, warum ihn die Bevölkerung von Mabam wie den Teufel fürchtete. Nach einer kleinen Pause sagte er: „Nun berichten Sie mir bitte über die geheimnisvolle Stadt in der Wüste, zu der wir jetzt fahren." Ryken zögerte und erwiderte dann langsam: „Von einer Stadt kann gar keine Rede sein. Aber darf ich zunächst wissen, wie Sie von jenem Fleck erfuhren? Das ist mir nämlich das Geheimnisvollste dabei." Sun lächelte. „Ich erwähnte schon einmal, daß ich in der Zeitung darüber gelesen habe, noch dazu in einer Zeitung, die ich unweit von Mabam fand." Auf dem Gesicht des andern lagen Zweifel und Unglauben. „Ich hielt das vorhin für einen Scherz", stotterte er. „Bitte, hier haben Sie die Zeitung." Sun zog das Blatt aus der Tasche, das Hal Mervin im Wüstensande entdeckt hatte, und reichte es hinüber. Ryken überflog es, schüttelte lebhaft den Kopf und gab es dann an Hout weiter. „Unglaublich. Was meinen Sie dazu, Doktor?" Der hob die Schultern. „Steckt doch höchstens Lingwell dahinter." „Richtig", schrie Ryken förmlich entzückt auf, „dieser Lausekerl hat nicht dicht gehalten. Sie müssen nämlich wissen, Mr. Sun, daß ich diesen Lingwell, einen Ingenieur, zum Teil in meine Karten gucken ließ. Vor einiger Zeit ist er mir nun durchgebrannt, wahrscheinlich weil ihm die Arbeit nicht mehr behagt hat. Er war der einzige, der Gelegenheit dazu hatte, da ich ihn dummerweise mit nach Europa nahm. Ich konnte ihn nicht wieder fangen, und 17
nun hat er schon allerhand Dummheiten angerichtet. Bringt der Kerl seinen Kohl bei der Zeitung unter. Haste Töne! Hoffentlich ist kein Mensch so unvernünftig, darauf hereinzufallen." „Hm, so ganz unwahr sind ja die Angaben nicht. Übrigens stammt mein Wissen auch noch aus einer andern Quelle. Was meinen Sie hierzu?" Er reichte dem Holländer das Pergament, das er im El-KhisnehTempel der roten Stadt gefunden hatte. Ryken nahm es in die Hand, stutzte und schlug dann plötzlich eine laute Lache an. „Himmeldonnerwetter, das ist doch . . .? Mensch, oller Zuckerhut, kennst du den Wisch? Das soll man doch nicht für möglich halten. Na sowas, bringen ausgerechnet Sie mir das Ding da." „Sie kennen es?" fragte Sun verwundert, da ihm das Verständnis für die Heiterkeit des andern fehlte. „Und ob? Selbstmurmelnd kenne ich es. Ich habe es nämlich selbst geschrieben, und eben jener vermaledeite Lingwell hatte den Auftrag, es in der Urne von Chasnet Firaun in den rosaroten Schluchten von Petra zu verstecken." „Da ist es auch gefunden worden", sagte Sun trocken, „außerdem auch ein rundes Platinblättchen, das merkwürdigerweise den Einwohnern von Mabam recht imponierte." „Ah", meinte der andere überrascht, „da hat der Kerl wohl seine Schutzmarke verloren? Ist ihm ganz recht geschehen. Hat mir den ganzen Spaß verdorben, dieser Halunke." „Wollen Sie mir nicht die Zusammenhänge näher erklären?" Ryken zog eine merkwürdige Miene. „Hm, hm, erklären? Nun schön, es war im Grunde genommen weiter nichts als ein Witz, ja ja, ein Witz." „Die Erklärung ist nicht übermäßig eingehend", stellte Sun gelassen fest, da der Holländer schwieg. Der kratzte sich am Kopf. „Na ja, aber Sie werden es doch nicht verstehen, weil Sie mich und meine Freunde nicht kennen." „Wer sind Ihre Freunde?" warf Sun schnell hin. Um Rykens Lippen glitt ein listiges Lächeln. 18
„Tut mir leid, aber das ist Amtsgeheimnis." „Wie Sie wollen", meinte Sun kühl. Ryken war betroffen. „Ich bitte um Entschuldigung, aber ich darf es Ihnen tatsächlich nicht sagen. Aber was dieses Pergament anbetrifft, so handelt es sich um Folgendes: Ich habe mitten in der Wüste eine kleine Sache ausprobiert, die mir übergeben wurde, eine Erfindung, die die Kraftversorgung der Menschheit auf ganz neue Grundlagen stellen wird. Sobald ich sie nach allen Richtungen durchprobiert habe, gebe ich sie für die Menschen frei. Hm, nun, und da hatte ich mir eben eine effektvolle Reklame gedacht, so ungefähr Run aller Abenteuer in die Wüste, Sturm auf den Schatz des Pharao. Hähä, stellen Sie sich die Gesichter vor, wenn die Leutchen statt der Schätze auf einmal meinen Turm mitten in der Wüste stehen sehen. Tja, und das Pergament war eben ein Stück von meinem Plan. Ich hätte es zur gegebenen Zeit schon finden lassen." „Ihre Belustigungen haben einen Maßstab"..." „Sehen Sie", fiel Ryken seufzend ein, „ich wußte es doch, daß Sie mich nicht verstehen. Sie kennen eben unsre Kolonne nicht. Man will doch schließlich seinen Spaß haben. Der große Turm hat genug Arbeit gekostet." Sun sah den andern aufmerksam an. „Sie sprechen von einem Turm, der sich in jener unbekannten Stadt befinden soll?" Ryken schlenkerte den Arm durch die Luft und rief in komischer Verzweiflung: „Stadt! Stadt! Es ist doch gar keine, das war doch alles meine Erfindung. In Wirklichkeit stehen nur ein paar Häuschen dort, mehr nicht. Die Hauptsache ist doch die Kraftanlage mit den Pumpstationen." Sun Koh lehnte sich zurück. „Sie werden immer rätselhafter, Mynher van Ryken. Ich sprach von der Stadt inmitten der Wüste." „Natürlich, natürlich", versicherte Ryken, „ich doch auch, bloß daß es eben keine Stadt ist. Weiter nichts als eine natürliche, tiefe Senke zwischen zwei Höhenzügen, in der stellenweise ein Nebenast 19
dieses unterirdischen Stromes heraustritt. Dort habe ich die ganze Anlage eingebaut." „Welche Anlage?" „Ach so", sagte Ryken, als begriffe er jetzt, was Sun unklar geblieben war. „Es handelt sich um weiter nichts als um eine Reihe elektrisch betriebener Wasserpumpen, die das Wasser aus dem unterirdischen Strom heraufholen und durch ein Kanalsystem auf das Land verteilen. Es ist eine praktische Lösung der alten Aufgabe, die Wüste durch künstliche Bewässerung wieder zum Leben zu erwecken." Suns Gesicht war gleichgültig verschlossen. Der Mann sprach mit einer Gelassenheit von ungeheuerlichen Dingen, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Worte aufkommen ließen. Voller Zurückhaltung fragte er weiter: „Schön, und wie gewinnen Sie den elektrischen Strom, der die Pumpen betreiben soll?" Ryken lehnte sich vor und erklärte lebhaft: „Das ist eben der Witz dabei. Den Strom gewinnen wir nämlich aus dem Wind, natürlich auf dem üblichen Umweg über Dynamos usw. Stellen Sie sich einen Stahlskelett-Turm von rund vierhundert Metern Höhe vor. Auf diesem dreht sich je nach der Windrichtung ein horizontales Fünfeck aus Stahlrippen, in dessen Ecken gleichfalls horizontale Turbinenräder von zwanzig Meter Durchmesser liegen. Diese Turbinenräder drehen sich fortwährend unter dem Druck des Windes, der in solcher Höhe zu jeder Tages- und Nachtzeit vorhanden ist, und nicht zu knapp. Die Bewegung der Räder wird auf dem üblichen Wege auf Dynamos übertragen und schon ist die Elektrizität fertig. Lächerlich einfach, nicht?" Sun Koh zog es vor, sachlich zu bleiben und fragte kühl: „Sollte Ihnen die Energie des Windes tatsächlich genügend Elektrizität liefern?" Ryken zeigte lächelnd seine weißen Zähne. „Genügend? Viel mehr, als ich je gebrauchen kann. Unser sanftes Windchen dort oben in vierhundert Metern Höhe leistet ohne besondere Anstrengung einige Millionen Pferdestärken. Ich habe mir den Spaß gemacht und mal einen Orkan vermessen. Wissen Sie, was der für Kräfte in sich hatte? Bitte, halten Sie sich fest: In 20
72 Stunden — das war meine Meßzeit — 34,2 Milliarden PS-Stunden, das wären also 25,2 Milliarden Kilowattstunden. Mehr als der Mensch braucht. Mit einer einzigen Milliarde Kilowattstunden ist eine ganze moderne Großstadt mit drei Millionen Einwohnern für ein ganzes Jahr versorgt." „Die Zahlen sind in der Tat erstaunlich", räumte Sun Koh ein. „Wenn es gelingt, aus dem Wind derartige Energien zu gewinnen, so ist die Bedeutung für die Kraftwirtschaft der Erde gar nicht abzusehen." „Nicht wahr", triumphierte Ryken. „Ganz meine Meinung. Um das zu schaffen, was so ein mittlerer Orkan innerhalb von 72 Stunden zustande bringt, müßte man allein 17 Millionen Tonnen Steinkohle verbrennen. Glauben Sie mir, dieses Windkraftwerk ist das Kraftwerk der Zukunft." „Und Ihre Anlage funktioniert?" „Glänzend, hervorragend geradezu. Die Karre läuft, das Wasser strömt und aus dem ausgetrockneten Talkessel mitten in der Wüste wird so Schritt für Schritt ein Paradies." „Ich bin begierig, es kennenzulernen." „Sie werden entzückt sein", schrie Ryken vergnügt. „Aber nun kommen Sie, ich will Ihnen nun endlich Ihre nähere Umgebung zeigen." Sun Koh hatte nichts mehr dagegen einzuwenden. 2. Zwei Tage waren vergangen. Sun Koh hatte innerhalb des mächtigen Unterseebootes, das fast ohne Mannschaft wie ein geschmeidiger Fisch durch den unterirdischen Strom glitt, geradezu unerhörte technische Wunder kennengelernt. Dieser Ryken war ein hervorragendes Genie und war seiner Zeit mindestens ebensoweit voraus wie — ja, allenfalls wie Manuel Garcia, jener seltsame Mexikaner. An ihn wurde Sun stets lebhaft erinnert, wenn er mit Ryken zusammen war, obgleich die beiden Männer nicht die geringste Ähnlichkeit miteinander hatten. Aber auch bei Ryken gesellte sich zu einem überragenden technischen Wissen eine burschikose Ursprünglichkeit und Lockerheit des ganzen Wesens und des Aus21
drucks, die zeitweise geradezu verblüffend wirkten. Der Uneingeweihte hätte diesen Mann für einen geistig nicht übermäßig begüterten, sarkastischen Spaßvogel gehalten und für mehr nicht, zumal wenn er mit seinem Busenfreund Jan Hout im rechten Fahrwasser war. Auch dieser täuschte übrigens gewaltig. Es stimmte, Essen und Trinken waren dessen Lieblingsbeschäftigungen, aber Sun hätte fast darauf schwören mögen, daß der ungeschlachte Mann sämtliche Mediziner der Welt in die Tasche steckte. Seit 24 Stunden hatte Sun Koh keine rechte Ruhe mehr. Er mußte fast ununterbrochen an Nimba und Hal denken, an die beiden, die nun schon seit zwei Tagen auf ihn warten mußten. Sein Gefühl sagte ihm, daß irgend etwas nicht in Ordnung sei. Er war in Sorge. Aus dieser Sorge heraus hatte er Ryken gebeten, sich mit seinen Leuten vom Windkraftwerk zu verständigen. Aber Ryken hatte den Kopf geschüttelt. „Das ist leider nicht möglich", hatte er gesagt, „meine Leute besitzen nämlich keine Apparate. Ich habe ihnen jede Möglichkeit genommen, sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen, solange die Erfindung nicht übergabereif ist. Sie wissen nicht, in v/elcher Weltgegend sie sich befinden." „Ist das nicht ein wenig hart?" hatte Sun gefragt. Ryken hatte die Achseln gezuckt. „Kann ich nicht finden, außerdem war es notwendig und schließlich werden sie ja entsprechend bezahlt. Die Leute, die bei mir ein Jahr ausgehalten haben, brauchen ihr Lebtag lang keinen Finger mehr zu rühren." „Und wenn nun etwas in jener Einsamkeit passiert?" „Was soll schon passieren", hatte der andere beruhigt. In Sun Koh brannte die Sorge trotzdem weiter. Er glaubte immer die fernen Rufe seiner beiden Leute heranschwingen zu spüren. Endlich. „Wir sind soweit", meldete Ryken. „Darf ich Sie bitten, in das kleine Boot umzusteigen, das uns in den Nebenarm und an die Oberfläche bringt?" 22
Sun Koh folgte ihm gern durch die Zwischenkammern in die engen Räume des stählernen Beibootes. Unmerklich sanft löste es sich aus dem großen Rumpf heraus und nahm Fahrt auf. Die viereckige, weiße Fläche zeigte glattgeschliffene, wasserumspülte Felswände, die sich drohend verengten, dann zurückwichen und schließlich ganz verschwanden. Das Boot tauchte auf. Der glatte Leib öffnete sich auf der Oberseite. Ryken, dicht hinter ihm Sun Koh und Hout, stiegen empor. Das Boot schaukelte auf einer breiten Wasserfläche, die einem langgezogenen See glich. Eigentliche Ufer waren nicht zu sehen, denn das Wasser setzte sich in Lachen, Teichen und offensichtlich sumpfigen Stellen in das Land hinaus fort, das mit wildem Buschwerk und Gras überwuchert war. In geringer Entfernung standen einige Häuser halb im Wasser. Im Hintergrund stieg das Gelände zu einem Bergrücken an. Die Luft lastete dumpf, heiß und feucht. Sun Koh merkte, wie Ryken beim ersten Blick zusammenzuckte. „Nanu, was ist denn hier los?" hörte er ihn murmeln. Unheilvoll sprang die Ahnung in Sun hoch. „Ist etwas nicht in Ordnung?" Ryken wischte sich über die Augen. Seine Stimme klang tonlos. „Das ist doch nicht möglich?" „Was ist denn?" drängte Sun. „Sprechen Sie doch, Mann!" Der Holländer streckte mit einer fahrigen Bewegung den Arm aus. „Sehen Sie — der See. Er ist in Wirklichkeit nur ein schmaler Flußlauf. Hier ist ja alles überschwemmt? Die Häuser?? Wo sind meine Leute? Ist der Turm nicht mehr in Ordnung?" Suns Blick folgte dem des andern. Auf der Berghöhe erhob sich ein riesiger runder Turm aus Stahlgitterwerk, auf dem ein austragender, phantastischer Aufbau saß. Das Windkaftwerk. Aber was hing dort oben, vom Wind hin und her getrieben? Suns scharfe Augen faßten es. Wie ein Schlag ging es durch seinen Körper. War das nicht eine Fliegerhülle, wie er und seine Leute sie trugen? 23
Mit einem harten Griff packte er Ryken beim Arm. „Sehen Sie, dort oben! Was soll das bedeuten? Gehört das auch zu Ihrem Kraftwerk?" Der andere starrte und erwiderte dann fast kläglich: „Meinen Sie den dunklen Punkt dort oben?" „Das ist ein Schutzanzug für Flieger, wenn ich nicht irre, sogar mein eigener", schrie Sun ihn förmlich an. „Wissen Sie, was das bedeutet?" „Woher soll ich denn das wissen", murmelte Ryken unsicher. „Ich habe ihn jedenfalls nicht hinaufgehängt." Sun riß den Mann brutal herum und sagte mit leiser, aber furchtbarer Drohung: „Das ist ein Notsignal, Mynher van Ryken. Gnade Ihnen Gott, wenn durch Ihre Schuld meinen Leuten etwas passiert ist. Und nun schnell zum Ufer." Ryken duckte sich förmlich unter den flammenden Augen, aber gleich darauf straffte er sich, schrie einen kurzen Befehl hinunter und sagte dann fest: „Wenn sich hier ein Unglück ereignet hat, so lag die Schuld nicht bei Menschen. Aber Sie können später darüber richten, jetzt müssen wir handeln." „Kommen Sie nach", befahl Sun kurz und sprang ins Wasser. Das Boot schob sich allzu vorsichtig vorwärts. Ein paar schnelle Schwimmstöße, dann fühlte Sun Grund unter seinen Füßen und begann zu laufen. Er legte trotz des schlechten Bodens ein fabelhaftes Tempo vor und hatte die Höhe bereits erreicht, als die beiden andern noch unten im Sumpf herumwateten. Da stand das Flugzeug — still und verlassen. „Hal! Nimba!" gellte Sun seinen Ruf hinaus. Keine Antwort. Ein Sprung und er stand auf der Tragfläche. Die Kabinentür rollte auf. Was war das? Unübersehbar lag dort am Boden ein Buch und darunter ein Zettel. Die Absicht war unverkennbar, ihn darauf aufmerksam zu machen. Sun riß es hoch, überflog die einzelne Seite. Sein Herz krampfte sich jäh zusammen. 24
Der lächelnde Tod? Eine Seuche, eine mörderische, unheilvolle Pest über diesem Tal? Und wo waren Hal und Nimba? Waren sie geflohen und hatten Flugzeug und Warnung hier gelassen, damit er sich sofort in Sicherheit bringe? Oder hatten sie die Seuche bereits in sich gespürt und hatten sich irgendwo verkrochen? Die Baracke. Mit wenigen Sätzen hatte Sun sie erreicht, war hineingestürmt. Gleich im ersten Zimmer fand er die beiden. Da lagen sie — auf Lederpritschen der riesige, treue Jorube und der kleine Hal. Sie lebten noch. Aber ihre Körper waren merkwürdig verkrampft, ihre Gesichter glühten, und um ihre Lippen lag ein irres, glückliches Lächeln wie bei Menschen, die schon das selige Jenseits spüren. Der Atem ging stöhnend und doch ganz schwach, das Herz schlug matt wie aus weiter Ferne. Sie spürten nicht, daß Sun bei ihnen war. „Nimba! Hal!" Ihre Ohren fingen seine Stimme nicht mehr. Suns Gesicht war eine schmerzhafte starre Maske. Sekundenlang schien sein Körper alles Leben verloren zu haben. Doch dann federte er auf, stürzte hinaus, raste davon. Er traf Ryken und Hout weit unten. Sie stapften mühsam vorwärts. Beide waren alles andere als Schnelläufer. Mit einem Ruck hatte Sun den zwei Zentner schweren, massigen Hout auf seinen Armen. „Hö . . .!" schrie dieser auf und wollte sich wehren. „Halten Sie still!" fuhr Sun ihn an, während er bereits mit seiner Last zurückeilte. „Jetzt zeigen Sie, Doktor, was Sie können! Oben liegen meine zwei Leute auf den Tod an einer Seuche, die in einem vorgefundenen Papier als lächelnder Tod bezeichnet wird. Rykens Leute sind alle daran gestorben." „Symptome?" fragte der Doktor in völlig anderm Tone kurz. Zu Beginn hohes Fieber, später Krampf- und Lähmungserscheinungen nach der vorgefundenen Beschreibung. Frühe Zersetzung 25
des Bewußtseins, die Sterbenden fühlen sich glücklich. Eintritt des Todes nach vierundzwanzig Stunden und später." „Kehren Sie um, schnell!" brüllte Hout aus seiner luftigen Lage. „Fällt mir nicht ein, ich brauche Ihre Diagnose." „Ist fertig, kann mir denken, was los ist. Kommt nur ein Mittel in Frage, das liegt im Boot." Sun rannte schon den Berg hinunter. „Kann ich es nicht selbst holen, es geht schneller." „Schrank zwei in meinem Zimmer, die einzelne Flasche oben links. Bringen Sie die Spritzen mit." „Gehen Sie mittlerweile hinauf! In die Baracke." Während sich der Doktor noch aus dem Schlamm hochrappelte, zog sich Sun bereits in das kleine Unterseeboot hinein. „Zum Hauptboot zurück, schnell, schnell", herrschte er den Mann in der blauen Monteurkleidung an. „Jawohl, Herr." Die Minuten vergingen unendlich qualvoll, weil der Tod hinter ihnen stand. Das Einschleusen in das Hauptboot schien Stunden zu dauern. Endlich war es geschafft, endlich hielt Sun die Flasche und die Spritzen in der Hand. Und nun zurück. Jan Hout hatte sich bereits über Nimba gebeugt, als Sun wie ein entfesseltes Element hereinstürzte. „Höchste Zeit", murmelte er, „höchste Zeit, vor allem bei dem Jungen. Flasche auf." Die Griffe folgten sich blitzschnell und mit absoluter Sicherheit. Im Nu waren die Spritzen gefüllt, im Nu hatte Sun auf ein kurzes Wort mit einem Schnitt Hals und Rücken bloßgelegt, schon fuhr die feine Nadel tief am Rückenmark ein. Sekunden später war die gleiche Prozedur bei Nimba beendet. Der Doktor atmete tief auf. „So, alles andere müssen wir abwarten. In einer Viertelstunde wird sich zeigen, ob die Kur überhaupt noch anschlägt. Das Stadium war bereits so weit vorgeschritten, daß ich selbst für dieses verzweifelte Mittel nicht mehr garantieren kann." „Was ist es, was Sie eingespritzt haben?" „Tollwut", erwiderte Hout kurz. Suns Hände ballten sich. 28
„Sind Sie verrückt?" Der Doktor blieb ruhig und ernst. „Durchaus nicht. Man muß den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Es bleibt immer ein gewagtes Experiment, aber es gelang schon in manchen andern Fällen. Und es bot hier die letzte Chance." Suns Stimme wurde weich. „Herr Doktor, wenn Sie mir diese Leute retten . . ." „Unsinn", wehrte dieser ab, „lassen wir jetzt das Reden. Wir haben wenig Zeit. Können Sie den Neger festhalten, wenn er zu rasen beginnt?" „Ja." „Hoffen wir das Beste", nickte Hout nicht ohne Mißtrauen. „Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es eine unerhörte Strapaze werden wird, trotzdem Sie über allerhand Kräfte zu verfügen scheinen. Wir können ihn natürlich auch binden, aber er könnte sich Schaden dabei nehmen." „Ich werde ihn halten." „Gut. Für den Jungen werden wir beide, Ryken und ich, gerade ausreichen. Hände und Gesicht schützen, damit Sie nicht gekratzt werden." „Einen Augenblick." Sun eilte hinaus und kehrte mit dem Schutzanzug, der vor dem Flugzeug gelegen hatte, außerdem mit Hals Schutzanzug zurück. In letzteren hüllten sie den Jungen ein, so daß ihm nur das Gesicht frei blieb. Den andern streifte Sun selbst über. Eine Viertelstunde verging. Die beiden lagen reglos. Zwanzig Minuten. War die Hoffnung vergebens gewesen? Fünfundzwanzig Minuten. Endlich hieb die erste Bewegung durch die stillen Körper. „Achtung, es geht gleich los", flüsterte der Doktor. Und schon brach die Hölle in den beiden Körpern auf. Sie begannen zu zucken, um sich zu werfen, zu schlagen und zu toben, immer schneller, immer wilder, immer unbändiger. Ryken und der Doktor warfen sich auf den Jungen, Sun Koh auf den Neger. Es wurde ein furchtbarer Kampf. 27
Nimba war ein Riese von annähernd zwei Metern, von oben bis unten mit durchtrainierten Muskeln bepackt. Nicht für umsonst hatte er als unüberwindbarer Überboxer in der ganzen Welt einen Namen gehabt. Und jetzt schien das Gift in seinen Adern seine Kräfte zu verzehnfachen. Sun Koh, der neben dem Neger fast zierlich wirkte, hatte zeitweise das Gefühl, einen ausbrechenden Vulkan durch die Klammer seiner Arme zusammenhalten zu müssen. Zum ersten Male in seinem Leben mußte er seine Kräfte restlos einsetzen. Seine Muskeln, die in einer geheimnisvollen Vergangenheit zu geschmeidigem' zähestem Stahl durchgebildet worden waren, gaben ihr Äußerstes her. Und auch das wollte fast nicht ausreichen, um den herkulischen Neger zu halten. Es war ein entsetzlicher Kampf. Nimbas blutunterlaufene Augen wollten die Höhlungen sprengen, seine Zähne bleckten, aus seinem Munde spritzte weißer Geifer. Er brüllte, schrie und heulte fast ununterbrochen wie ein wildes Tier in unverständlichen Lauten. Sein Körper bäumte sich auf, schnellte sich mit Urgewalt vom Boden weg, wälzte sich bald nach rechts, bald nach links durch das Zimmer. Er wehrte sich gegen die Arme, die ihn festhielten, seine Hände griffen und zerrten, seine Zähne wollten sich in den Gegner hineinschlagen. Sun Koh lag bald oben, bald unten, wurde mit hochgerissen und dann wieder mit dem umklammerten Leib in eine Ecke geschleudert. Aber er ließ nicht los, er hielt den Vulkan, fing die furchtbare Gewalt der Tollwut und milderte alle Stöße des Rasenden durch seinen eignen Körper so weit, daß Nimba sich nicht verletzte. Aber es war eine furchtbare Anstrengung. In den Ohren brauste und rauschte es wie barbarischer Singsang, rote Nebel verschleierten die Augen, die Pulse hämmerten wie auf hartes Gestein, die Muskeln wurden unsäglich schwer und bleiern. Mehr und mehr mußte der Wille einspringen, weil der Körper zu versagen drohte. Und noch immer tobte der Neger. „Wie lange noch?" keuchte Sun Koh während einer kurzen Pause zu den beiden Männern hinüber. 28
„Muß bald vorüber sein", stöhnte Jan Hout zurück und warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht von neuem auf Hal Mervin. Die beiden Männer sahen aus, als seien sie stundenlang durch einen zerfetzenden Wirbelwind ausgebeutelt worden. Der kleine Obgleich sie ihn zu zweit hielten, waren sie mindestens ebenso erschöpft wie Sun Koh. Und weiter rasten die Körper. Zwei unvereinbare, erbitterte Feinde, zwei entgegengesetzte Naturelemente prallten in unerhörten Stößen aufeinander. Hier der krampfende, lähmende Tod, dessen Gift mit beruhigendem Lächeln in jede Fiber hineinschlich — dort der brandige, wütige Gegner, der mit tollen Fäusten die Brandfackel des Aufruhrs durch die Zellen schleuderte. Würden sie sich gegenseitig töten? „Wie lange noch?" schrie Ryken schwer auf. „Bald — bald", preßte der Doktor zwischen blutenden Lippen hervor. Ungezählte Sekunden wurden zu ungezählten Ewigkeiten. Das Innere des Raumes war ein Trümmerhaufen. Ryken und Hout begannen sinnlos mitzubrüllen und zu stöhnen. Fast hätte es Sun Koh auch getan, denn die Schmerzen in den überanstrengten Muskeln waren unerträglich geworden. „Ich kann nicht mehr!" heulte Ryken plötzlich auf. „Durchhalten", wütete Sun zornig auf. „Sie müssen durchhalten, verstehen Sie, es . . ." Nimbas Körper schnellte wieder hoch, warf sich dröhnend gegen die Wand, hieb Sun wie mit einem Dampfhammer die Luft aus der Brust. Endlich. Die Ausbrüche wurden matter, die ersten Pausen stellten sich ein, die Körper zuckten nur mehr und nun streckten sie sich, lösten sich, über die verzerrten, schaumbespritzten Gesichter breitete sich Frieden. „Vorbei", murmelte der Doktor nach prüfenden Blicken. „Und?" „Und gerettet." In Sun Kohs Augen leuchtete es auf. 29
„Ich danke Ihnen, Doktor." Jan Hout hob mühsam die Lider. „Nichts — zu danken. Ich bin fertig — Ryken schläft schon." Damit fiel er zurück, dicht neben Hal, quer über Ryken, der unmittelbar nach dem Kampf zusammengebrochen war. Sun Koh kniete noch einen Augenblick an der Erde neben dem langgestreckten Neger und starrte trüb auf die beiden Männer, die der bleierne Schlaf tiefster Erschöpfung zugedeckt hatte. Schlafen? Ja, jetzt konnte man ruhen. Es mußte herrlich sein, die zerquälten Muskeln zu lösen. Dumpf und weich sackte sein Körper zurück. 3. Zwei Stunden vergingen. Dann wurde die Tür des Raumes aufgerissen. Ein Mann steckte seinen Kopf hinein. Sekundenlang starrte er sprachlos auf das seltsame Bild, dann wandte er sich zurück und schrie hinaus: „Hallo! Hier sind sie!" Vier Männer stürzten durch die Haustür herein und drängten in das Zimmer, das durch den ersten offengehalten wurde. Sie erstarrten wie jener und blickten sich fragend an. „Hm", murmelte schließlich Red Barrow, der Anführer der fünf, „was in Dreiteufelsnamen soll denn das bedeuten?" Judd Ferkins wies auf den Neger. „Jack Holligan. Er ist es wirklich. Ich sah ihn boxen. Der Junge hatte also doch die Wahrheit gesprochen. Wo ist er denn?" „Dort hinten liegt er, unter den beiden", zeigte Ben Small. „Wer sind denn die andern?" „Kannst sie ja mal fragen", stichelte sein Nachbar. „Schätze, das werden wir auch tun", nahm Barrow die Anregung auf. „Ewig können sie ja nicht schlafen." Ferkins zog die Augenbrauen hoch. „Jack Holligan wird uns ein schönes Tänzchen beibringen, wenn wir ihm verquer kommen. Ich habe keine Lust, seine Fäuste kennenzulernen." Barrow machte eine verächtliche Geste. 30
„Die größte Pfote nützt nichts gegen eine kleine Kugel. Und denkst du etwa, ich werde ihm Gelegenheit geben, sich mausig zu machen? Los, durchsucht sie nach Waffen und bindet sie." Die Männer ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie begnügten sich jedoch nicht damit, die im bleiernen Erschöpfungsschlaf Liegenden nach Waffen abzutasten, sondern sie räumten ihnen kurzerhand alles aus, was sie in den Taschen hatten. Es befand sich allerhand dabei, was sich nach ihrer Meinung lohnte, aber auch allerhand, dessen Bedeutung sie nicht begriffen. Sun Koh zuckte zusammen, als ihn zum ersten Mal eine fremde Hand berührte. Seine Sinne klingelten Alarm und Gefahr, aber die weiche, schwere Decke der Erschöpfung erstickte alles. Die Männer konnten ihn wie die andern ungestört durchsuchen und binden, ohne daß er erwachte. „So", stellte Barrow schließlich fest, indem er die Gruppe überschaute, „jetzt ist wohl alles in Ordnung. Ich denke, wir können sie nun aufwecken. Wir wollen erst mal sehen, was hier eigentlich los ist, dann kriegen wir das beste Bild, wie sich das Geschäft drehen läßt." „Nicht schlecht", nickte Small. „Schätze, sie werden uns allerhand zu erzählen haben. Möchte nur wissen, wie die alle in den Zustand gekommen sind, ausgepumpt bis dahinaus." „Wird nicht das einzige sein, was wir wissen wollen", grinste Ferkins. „Kommt, macht euch bemerkbar." Jeder der fünf Männer übernahm einen der Schlafenden und gab ihm einen freundschaftlichen Rippenstoß. „He, aufwachen!" Das nützte jedoch so gut wie gar nichts. Sie rüttelten und schrien bald mit vollen Kräften, um das Bewußtsein zurückzurufen. Bei Nimba und Hal nützte auch das nichts. Sie blieben betäubt, erwachten trotz aller Anstrengungen nicht. Bei den anderen drei schlugen jedoch die Bemühungen allmählich an. Sun Koh wurde wach, kurz nach ihm Ryken und Hout, die sich im Verhältnis zu Sun naturgemäß erheblich weniger verausgabt hatten. Sun Koh hob mühsam die Lider, die wie eingeklemmte Bleideckel über den Augen lagen. Endlich starrten seine Augen auf die Fremden, aber trotzdem dauerte es noch Minuten, bevor sein Be31
wußtsein aus der Tiefe heraufstieg, bevor die lastende Hülle wich. Red Barrow und seine Freunde traten in einer Gruppe zurück, als sie sahen, daß die drei Männer munter wurden und sich in die Gegenwart zurückfanden. Sie waren vorsichtig, weil sie ihr Handwerk auf dem ff kannten. Sie waren sogar vorsichtig genug, nach der schußfertigen Pistole am Halfter zu fühlen. Diese Männer waren zwar waffenlos und gebunden, aber die ganze Gegend hier war so fremdartig unheimlich und seltsam, daß man sich vor dem Unwahrscheinlichsten sichern mußte. Gespannt beobachteten sie. Jetzt richtete der junge Fremde mit dem eigenartig braunen, regelmäßig geschnittenen Gesicht den Kopf hoch. Ah, jetzt merkte er, daß er gefesselt war. Und jetzt öffneten sich die Augen wieder, diesmal zum ersten, bewußten Blick. Die fünf Männer zuckten zusammen. Teufel, dieser Blick hatte es in sich. Es war geradezu ungemütlich, so ruhig unter dem Blick zu stehen. Man mußte die Beine etwas bewegen und einen Ton reden, damit man wußte, daß man noch da war. „Scheinen einen gesunden Schlaf zu haben", stieß Barrow heraus, nur um etwas zu sagen. Sun Koh musterte noch eine Weile die Gruppe. Das waren Abenteurer, nicht gerade schlecht, aber wild, verwegen und zu allem bereit, was ihnen einigermaßen erfolgreich schien. Er richtete sich mit einem Ruck zur Sitzstellung auf, obgleich das durch die Fesseln nicht gerade erleichtert wurde, und erkundigte sich mit noch schwerer, leiser Stimme: „Wer sind Sie?" Der Anführer der fünf machte einen Kratzfuß, der spöttisch wirken sollte, tatsächlich aber nur dazu diente, um die Befangenheit und Unsicherheit zu verdecken. „Red Barrow. Und das sind meine Freunde." „Amerikaner?" „Selbstverständlich." Es war zwar nicht im geringsten klar, warum das selbstverständlich sein sollte, aber Sun fragte nicht weiter danach. Er mußte noch immer gegen die bleierne Decke kämpfen. „Wie kommen Sie hierher?" fragte er nach einer kleinen Pause weiter. 32
Barrow machte eine Geste, als rede er von einem nebensächlichen Spaziergang. „Durch die Wüste, wenn es Sie interessiert. Hat uns viel Zeit gekostet, ein Flugzeug besitzt nicht jeder." In diesem Augenblick lichteten sich bei Hout und Ryken die Köpfe. „Verdammt", murmelte Hout, „ich bin doch gefesselt? Was soll der Unfug?" „Geht mir auch so", entdeckte Ryken. „Was ist denn das für eine Kolonne? He, wer seid ihr?" „Habe ich eben gesagt", knurrte Barrow. „Denkt ihr, ich stelle mich jedem einzeln vor?" Sun Koh wandte den Kopf den beiden Holländern zu und warf gelassen hin: „Es sind Amerikaner, Mynher van Ryken, die durch die Wüste hierhergekommen sind. Der Vordermann heißt Barrow." „Scheint mir rechtes Gelichter zu sein", brummte Ryken, um dann lauter fortzufahren: „So? Und was soll dieses Strickzeug um unsre Gelenke?" Barrow grinste selbstsicher. „Eine kleine Vorsichtsmaßregel, verehrter Herr. Man weiß nie, wie man aufgenommen wird. Die Sitten der Völker sind verschieden." „Diese Sitten scheinen Sie in der Nähe von Singsing gelernt zu haben", bemerkte Hout anzüglich. „Nehmen Sie uns das Zeug ab, es wäre schade um den schönen Strick, wenn er zerrissen wird." „Reißen Sie doch", hetzte der Amerikaner überheblich. Der Doktor probierte mit einem wütenden Ruck, aber da es mißlang, verzichtete er schließlich achselzuckend. Die Bande lachte auf, wurde dann aber schleunigst in jähem Schreck stumm und riß die Waffen heraus. Sun Koh sagte nämlich gelassen: „Der Doktor hat recht, aber ganz wie Sie wollen." Damit riß er die immerhin beachtlichen Stricke mit einer kurzen Bewegung einfach auseinander. Sein Körper hatte innerhalb von Minuten einen Teil seiner Kräfte wieder zurückgewonnen. 33
Die Stricke fielen von den Händen, gleich darauf auch von den Füßen. „Rühren Sie sich nicht", brüllte Barrow auf und riß die Pistole heraus. „Hände hoch!" Sun Koh stand etwas schwankend auf, aber seine Augen lagen fest auf dem Gesicht des Amerikaner, und seine Stimme klang kühl und ruhig. „Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie wissen genau so gut wie ich, daß Sie Selbstmord begehen, wenn Sie den Finger allzunahe an den Abzug bringen." Unwillkürlich streckten sich die Zeigefinger der Amerikaner. Sun Koh wandte sich Ryken und Hout zu und begann deren Fesseln zu zerreißen. Barrow schoß nicht, aber er fragte nach einer Pause scharf: „Wieso? Was meinen Sie damit?" Sun wandte ihnen den Rücken zu und erwiderte mit abgewendetem Gesicht: „Das herauszufinden überlasse ich Ihnen selbst. Sie werden es im gleichen Moment wissen, in dem Sie auf einen von uns zu schießen wagen." Es war ein Bluff, sogar ein ziemlich grober, aber er schlug völlig ein. Die Erscheinung Sun Kons, das königliche, leuchtende Antlitz, die bannenden Augen und seine Stimme hielten die Leute in Schach. Dazu kam, daß sie durch das Rätselhafte und Unbekannte ihrer Umgebung ziemlich verwirrt waren. Sie wagten nicht zu handeln, weil sie sich auf ungewissem Boden fühlten. So ließen sie es denn ruhig geschehen, daß Sun Koh die Fesseln der beiden andern Männer löste. „Hm", zog sich Barrow zurück, „schön, machen Sie meinetwegen die Bindfäden ab. Aber das sage ich Ihnen gleich: Dumm machen lasse ich mich nicht. Bei der geringsten Bewegung, die mir nicht paßt, schieße ich." „Großmaul!" knurrte Ryken laut und deutlich. Der Amerikaner zog ein wütendes Gesicht. „Was?" „Großmaul, sagte ich, falls Sie es nicht genau verstanden haben", wiederholte Ryken schroff und musterte die Leute mit seinen eiskalten, hellblauen Augen. Es lag in ihnen etwas derartig Erbar34
mungsloses, daß die Amerikaner unwillkürlich die Köpfe etwas einzogen, und es war nur eine andere Form der allgemeinen Feststellung, wenn jetzt Judd Ferkins mit einem unechten Auflachen herausstieß : „Hoho, scheint ja eine ganz gefährliche Gesellschaft zu sein. Junge, Junge, hier pfeift ein kühles Lüftchen." „Kommt ganz auf euch an", erwiderte Ryken überraschend gemütlich. „Wenn ihr euch anständig benehmt, werdet ihr anständig behandelt, wenn nicht, so soll euch der Teufel frikassieren." „Das wird ja immer schöner", polterte Barrow. „Schließlich sind wir noch die Gefangenen." „Seid ihr auch", grinste der Holländer. „Oder bildet ihr euch ein, daß ihr ohne uns wieder hier fort kommt?" „Pah", schnaubte der andere, „könnt euch den Bluff sparen. Sind wir hergekommen, kommen wir auch wieder fort." „Wird wohl ein kleiner Irrtum sein. Ich fürchte, daß ihr ohne unsere gütige Mitwirkung innerhalb von zwei Tagen tote Leute seid. Es steckt hier eine mörderische Seuche in der Luft. Diese zwei dort haben wir gerade mit Mühe und Not gerettet. Seid hübsch artig . . ." „Quatsch!" Sun Koh, der eben mit Hout zusammen unbesorgt Hal Mervin untersucht hatte, richtete sich auf und sagte ernst: „Mynher van Ryken spricht die Wahrheit. Ich empfehle Ihnen, das Papier zu lesen, das dort auf dem Tisch vor Ihnen liegt." Barrow zog eine verächtliche Miene, aber er nahm den Zettel doch auf und las. Nachdem er eine Weile studiert und wiederholt den Kopf geschüttelt hatte, murmelte er mit finsterer Miene: „Verdammt, das klingt scheußlich genug." Der Holländer nickte kräftig. „Sehen Sie, allmählich dämmert's schon. Und nun steckt eure Schießeisen weg, damit die Szene friedlicher wird." Barrow starrte ihn eine Weile mißtrauisch an, dann knurrte er ingrimmig: „Das können Sie denken. Am liebsten noch Ihnen in die Hand drücken, he? Haltet euch nur immer bereit, Jungens, und paßt hübsch auf!" 35
„Wie ihr wollt", sagte Ryken gelassen. „Aber einige Auskünfte werdet ihr schon geben müssen." „Umgekehrt wird ein Stiefel draus", wehrte sich der andere. „Die Reihe, zu fragen, ist an uns." Ryken lachte spöttisch. „Fragt euch den Mund fußlig! Doktor, wie geht es den beiden?" Jan Hout fischte sich kurzerhand, bevor man ihn noch daran hindern konnte, eine Büchse aus dem Haufen, der auf dem Tische lag. „Gut, die Krise ist überwunden. Sie werden aber mindestens noch vierundzwanzig Stunden schlafen, dann können wir weiter sehen. Wie steht es mit einer Belebungspille? Bin noch ganz alle." Er steckte sich eine Pille in den Mund. Ryken sah mit komischem Mißtrauen in die Schachtel hinein. „Euer eignes Präparat, Doktor?" „Selbstverständlich", schmunzelte dieser vergnügt. „Nur zugegriffen, das macht wieder frisch und munter." „Na, na", erwiderte Ryken und langte zögernd hinein, „das haben Sie schon einmal gesagt und mich gründlich dabei hineingelegt. Denken Sie sich, Mr. Sun, hängt mir der Kerl eines Tages eine Pille auf. Hatte gerade einen mordsmäßigen Kater und mochte mich am liebsten nicht rühren. Er versprach mir das Blaue vom Himmel und brachte mich schließlich auch dazu, sein Zeug zu fressen. Hm, munter wurde ich freilich und ganz hübsch beweglich, aber nur, weil dieser erbärmliche Hundsfott mir ein starkes Abführmittel mit der Pille verabreicht hatte." Sun lächelte, Hout schmunzelte, und selbst die fünf Amerikaner deuteten ein Grinsen an. Sie fühlten sich, insbesondere Barrow, recht zurückgesetzt und beiseite geschoben. Man schien sie vergessen zu haben. Um so stärker war die Überraschung, als Ryken plötzlich wieder Barrow anblickte und scharf fragte: „Wo kommt ihr her?" Der Amerikaner zuckte erschrocken zusammen, aber er antwortete fast unverzüglich: „Von Aden — über Es-Selail." „Mit einer Karawane zu Fuß?" „Ja." 36
„Ihr habt allerhand Mut", anerkannte Ryken, „Mut und noch mehr Glück. Das Stückchen gelingt euch vermutlich in den nächsten hundert Jahren nicht wieder. Was wolltet ihr hier?" Barrow zögerte, aber schließlich erwiderte er mürrisch: „Wir hofften, hier ein kleines Geschäft erledigen zu können. War da von allerhand Schätzen die Rede." Der Holländer zwinkerte. „Ah, ihr seid Lingwell auf den Leim gegangen?" „So hieß der Mann allerdings", gab der andere unwillig zu. „Ihr scheint ja im Bilde zu sein.'' „Sehr sogar, er ist nämlich einer von meinen Leuten. Der Rappel hat ihn gefaßt. Möchte wissen, was er noch alles für Unheil anrichtet. Wo steckt er denn?" Barrow hob die Schultern. „Möchte ich selber gern wissen. Er traf uns per Zufall in Aden und schwatzte uns die Ohren voll, daß hier für eine Schar entschlossener Leute allerhand zu holen wäre. Wir wurden einig. Er flog uns in einer kleinen Maschine voraus, scheint aber nicht hergekommen zu sein." „Vielleicht hat ihn ein Sturm erwischt", vermutete nachdenklich Ryken und ahnte nicht, wie nahe er damit der Wahrheit kam. Erst später erfuhr er von Hal und Nimba, daß diese in der Wüste das zertrümmerte Flugzeug des Mannes gefunden hatten. „Möglich", knurrte Barrow. „Jedenfalls haben wir auch ohne ihn unsern Weg hergefunden." „Ihr hättet ihn euch sparen sollen", erwiderte Ryken. „Es gibt eine Million gemütlichere Flecke als gerade diesen. Außerdem seid ihr umsonst gekommen." In den Augen des Amerikaners blinkte ein tückisches Licht auf. „Das ist noch lange nicht gesagt." „So?" ermunterte Ryken kalt. „Scheint mir hier allerhand los zu sein", fuhr Barrow denn auch fort. „Hier liegen fünf Scheckhefte. Nehmen wir an, daß auf einige der Blätter eine runde Summe ausgefüllt wird, dann hat sich's schon gelohnt." „Hoffnungsvoller Jüngling", warf Hout hin, der nun mit seinen ärztlichen Obliegenheiten fertig war. 37
Barrow warf ihm einen wütenden Blick zu, doch war seine Stimme ruhiger, als er weiter sprach: „Ich denke, daß ihr noch recht gut dabei wegkommt. Ihr seid bestimmt ein paar reiche Vögel und habt hier allerhand Sachen, die mehr wert sind als eine lumpige Million. Wenn j e d e r . . . " „Laßt die Finger davon!" fuhr Ryken scharf den einen Amerikaner an, der eine spindelförmige Kapsel aus den auf dem Tisch liegenden Utensilien aufgenommen hatte und sie untersuchte. Der Mann zuckte für einen Augenblick zusammen, aber dann entgegnete er trotzig: „Möchte wissen, was ihr mir zu befehlen habt. Ist wohl eure Sparbüchse, he?" „Drückt nicht auf die Knöpfe", warnte der Holländer dringlich ernsthaft. „Es ist euer sicherer Tod, Mann, seid vernünftig." „Bluff", grinste jener verächtlich, „sucht euch andere . . . " Er brach mit einem gellenden Aufschrei ab. Aus der Spitze der Spindel war kaum sichtbar ein feines, blaues Lichtband herausgeschossen, direkt auf das Gesicht des Mannes zu. Sein Körper wurde schlagartig steif, verkrampfte sich langsam und fiel seitlich um. Die anderen vier sprangen entsetzt beiseite und starrten dann mit leichenblassen Gesichtern auf ihren gestürzten Kameraden. „Er ist tot", konstatierte Ryken kalt. „Ich habe ihn gewarnt. Faßt ihn nicht an, es könnte euch übel bekommen." „Was — war das?" stöhnte Barrow heraus. Ryken erhob sich und schritt auf den Toten zu. Ohne zu zögern, wand er ihm die dunkle Spindel aus den Händen. „Das war", beantwortete er die Frage mittlerweile, „eine elektrische Kugel. Dagegen gibt es kein Heilmittel. Ihr Mann hätte vorsichtiger sein sollen." Barrow knirschte mit den Zähnen und hob seine Pistole. „Das werdet ihr mir büßen." Ryken erhob sich von dem Toten, wandte sich zu dem Erregten um und fixierte ihn mit kalten Augen. „Wieso? Habe ich den Mann gewarnt oder nicht." 38
„Verfluchtes Teufelszeug", ging der Amerikaner darüber hinweg. „Am besten, wir erledigen euch, dann haben wir keine Überraschungen zu befürchten." Der Holländer zog die Lippen auseinander, so daß seine weißen, starken Zähne sichtbar wurden. Er lachte, lachte lautlos, aber geradezu schrecklich. Seine hellen Augen flimmerten dabei wie Eis. „Ihr seid ein Spaßvogel", sagte er leise und drohend, „ein Spaßvogel und ein dummer Kerl. Habt ihr eine Ahnung, wie schnell eure Kugel von euch zu mir kommt, wie schnell sie sich bewegt? Einige Kilometer in der Sekunde, nicht mehr. Aber ich will nicht geizig sein, geben wir ihr ruhig hundert Kilometer in der Sekunde, das ist ein ganz nettes Stundentempo von dreihundertsechzigtausend Kilometern. Und wißt ihr, wie schnell meine elektrischen Kugeln in eurem liebevollen Herzen sitzen? Ich will's euch verraten, in der Schule habt ihr's ja doch nicht gelernt. Hier drin steckt eine nette, kleine Geschwindigkeit von dreihunderttausend Kilometern in der Sekunde. Das bedeutet, daß ihr bereits tote Leute seid, bevor ihr überhaupt noch mit dem Finger gewackelt habt. Könnt ihr das begreifen, ihr Schafsköpfe? Oder soll ich euch auch das erst praktisch vorführen?" Die Amerikaner waren nicht von schlechten Eltern. Sie wußten ziemlich genau, wann sie ausgespielt hatten, und wußten auch aus vielfältiger Erfahrung, daß der beste Mann zuzeiten gut tut, die Arme in die Luft zu recken. Barrow ließ daher fast unverzüglich seinen Arm sinken und steckte seine Waffe ein, ein Beispiel, dem seine Kameraden Folge leisteten. „Nicht nötig", murmelte er, „ihr seid uns über." „Ausgezeichnete Einsichten", grinste Ryken. „Aber tut mir den persönlichen Gefallen und legt eure Schießeisen dort auf den Tisch! Der Gedanke, sie könnten in einem günstigen Augenblick in euren Taschen losgehen, ist mir unangenehm." Stumm legten die Männer ihre Pistolen ab. „Seht ihr, das ist vernünftig", lobte der Holländer. „Und nun sollt ihr auch sehen, wie vernünftig das ist. Wenn ich nicht irre, steht nämlich draußen schon meine ganze Meute, die euch ganz 39
hübsch frikassiert hätte, wenn ihr euch nicht anständig betragen hättet. Jockei!" Er hatte den Namen gar nicht laut gerufen, doch trotzdem öffnete sich unverzüglich die Tür im Rücken der Amerikaner und ein halbes Dutzend Männer in blauen Monteuranzügen traten ein. Sun Koh kannte sie bereits, sie gehörten zur Mannschaft des Unterseeboots, zu jener schweigenden, zuverlässigen Garde, die aus Intelligenz und Treue gebaut zu sein schien. Der vorderste der Männer sagte: „Zur Stelle, Mynher." „Nett von euch", lächelte jener. „Seit wann lungert ihr schon draußen herum?" „Bereits länger als eine Stunde. Wir sahen die Fremden kommen, aber wir warteten ab, da wir nicht w u ß t e n . . . " „Es ist gut", unterbrach Ryken. Er hatte seine Leute darauf dressiert, daß sie sich unsichtbar hielten und ihn nie belästigten, wenn er unterwegs war, aber zur Stelle waren, wenn er sie unbedingt benötigte. Vermutlich waren sie unruhig geworden, als weder er noch seine Begleiter wieder sichtbar wurden und waren ihm dann gefolgt. „Es ist gut", wiederholte Ryken. „Nehmt diese Leute in eure Mitte und schafft sie ins Hauptboot. Sie sind Gefangene. Verbindet ihnen die Augen." „Aber...", protestierte Barrow. „Es ist zu euerm eignen Besten", sagte der Holländer sofort mit Nachdruck. „Je schneller ihr hier fort kommt, um so besser ist es für euch. Könnt euch jeden Augenblick den Tod holen. Seid froh, daß ich mich entschlossen habe, euch hier herauszubringen. Übrigens, seid ihr denn allein gekommen?" „Draußen liegen zehn Treiber mit den Tieren. Araber." „Führt sie dann ebenfalls hinunter. Wir müssen wohl oder übel hier reinen Tisch machen. Ab mit euch." Die Amerikaner schritten ohne weiteren Widerstand mit den Blaugekittelten hinaus. 40
4. Einige Tage später. Sun Koh, Ryken und einige seiner Leute starrten gespannt zu dem ungeheuren Turm aus Stahlrippen, der einsam oben auf der Höhe ragte. Eben hatte der Holländer den Strom geschlossen, der den zündenden Funken in sich trug. „Sehen Sie!" Der Turm kam plötzlich ins Schwanken. Erst sah es aus, als wolle er nach links kippen, dann, als mache er mit seiner ungeheuren Last einen Satz in die Luft, und schließlich legte er sich mit wunderbarer Langsamkeit und Feierlichkeit auf die rechte Seite. Erst als er schon mehr als die Hälfte seines Weges zurückgelegt hatte, knickte er an verschiedenen Stellen ein und stürzte dann mit zunehmender Beschleunigung, bis er mit einem unheimlich reißenden Donnern und Brechen auf den Felsen aufschmetterte. Eine mächtige Staubwolke quoll auf. „Erledigt", sagte Ryken kurz und wandte sich zum Gehen. Sun Koh blieb an seiner Seite, während die Leute der Besatzung vorauseilten. „Und was wird nun mit Ihrer Erfindung?" erkundigte sich Sun Koh. Ryken hob die Schultern. „Ich werde sie auf jeden Fall der gesamten Welt zur Verfügung stellen und es dem einzelnen überlassen, davon Gebrauch zu machen. Die meisten werden mich für einen verrückten Phantasten halten und nicht im Traum daran denken, sie auszuprobieren. Aber dieser oder jener hat schließlich doch Mut und Energie genug dazu, der mag denn auch den Nutzen davon haben. Mit meiner beabsichtigten großen Demonstration hier in der Wüste ist es eben nichts geworden." „Freilich nicht, die Riesenarbeit, die Sie sich hier gemacht haben, war eben umsonst." „Schon, schon, aber es ging doch nicht anders", entgegnete Ryken, als müßte er sich gegen einen Vorwurf verteidigen. „Sehen Sie, Mr. Sun, ich kann doch nicht eine Seuche von hier über die ganze Welt verschleppen lassen. Und das würde geschehen, wenn 41
die Neugierigen und die Kommissionen per Flugzeug hierherströmen würden. Ausgeschlossen. Tja, hätte ich geahnt, daß diese Pest hier im Boden steckt!" „Es kann Ihnen niemand einen Vorwurf machen", beruhigte Sun. Sie betraten das Beiboot, das kurz darauf in die Tiefe sank und sie in das Hauptboot hinüberbrachte. Damit hatten sie das Tal des lächelnden Todes für immer verlassen. Die letzten Tage waren alles andere als angenehm gewesen. Ryken hatte vor allem das Elektrizitätswerk und damit die Pumpen stillgelegt, so daß nicht immer neues Wasser heraufgeschafft wurde. Damit begann der Wasserspiegel langsam, aber sicher zu sinken, die Lachen verschwanden, der Boden wurde trocken. Die Spannung der Tage kam aber vor allem von der stillen Erwartung eines neuen Krankheitsausbruchs. Rund zwei Dutzend Menschen, die sich jetzt im Unterseeboot befanden, waren durch das Tal hindurchgegangen und konnten die Keime der Krankheit in sich tragen. Es bestand höchste Wahrscheinlichkeit, daß sie mindestens bei einem von ihnen zum Ausbruch kommen würde. Dann war die Gefahr riesengroß. Jan Hout ließ keinen der Leute aus den Augen. Er arbeitete in diesen Tagen wie ein Pferd. Sogar für den geliebten Rotspon fand er keine Zeit. Vorsorglicherweise hatte er eine Schutzimpfung vorgenommen, aber so besonders traute er ihr selbst nicht. Er kontrollierte Tag und Nacht ununterbochen sämtliche Lebewesen, die sich im Boot befanden, stellte umfangreiche Fragen nach dem Befinden, ließ die Gelenke schütteln und maß Körpertemperaturen. Die Amerikaner fluchten schon, wenn sie ihn von weitem sahen. Man schien Glück zu haben. Bei keinem zeigten sich Spuren von Fieber, der lächelnde Tod schien nach keinem die Hand auszustrecken. Natürlich durfte in der nächsten Zeit die Wachsamkeit noch nicht nachlassen, zumal ein Teil der Leute noch ständig im Tal ein und aus ging. Nun endlich war heute der große Turm umgelegt worden, um jeden Anlaß zur Rückkehr zu vermeiden — jetzt würde man nach einigen Tagen Bestimmtes sagen können. 42
Nimba und Hal Mervin waren über den Berg und mehr als das. Nach einem achtundvierzigstündigen Schlaf hatten sie gegessen wie die Scheunendrescher, waren wieder eingeschlafen und dann wieder ins Leben zurückgekehrt. Sie schlichen noch etwas schwach auf den Beinen herum, aber sie fühlten sich bereits wieder wohl und quietschvergnügt, zumal sie ihren geliebten Herrn bei sich hatten. Sun Koh beabsichtigte ursprünglich, die beiden allein mit Ryken stromaufwärts fahren zu lassen und das Tal mit dem Flugzeug zu verlassen. Auf Ryken und Houts dringendes Anraten hatte er sich dann jedoch entschlossen, die Maschine aufzugeben. Es war immerhin möglich, daß er mit ihr die furchtbare Krankheit in die zivilisierte Welt schleppte — und diese Möglichkeit entschied. Ein neues Flugzeug würde er sich leicht wieder verschaffen können. Von Aden aus konnte er Verbindung mit London erhalten. Eine Stunde nach dem Verlassen des Tales saßen sich Sun Koh und Ryken in des letzteren Wohnraum gegenüber. Man hörte hier drin weder das Summen der Maschinen noch das tiefe Gurgeln und Strömen des Wassers, durch das das Boot glitt. Etwas seitlich stand Jan Hout und füllte sich zum erstenmal seit Tagen wieder sein Glas. „Ich denke, wir haben es geschafft", bemerkte er nach einem genießerischen Schluck. „An Bord ist alles gesund. Die Krankheit wird wohl im Tale mangels Material aussterben." Ryken nickte bedächtig. „Bis wieder einmal irgendein Unglückshuhn auf den Gedanken kommt, dort Ackerbau und Viehzucht treiben zu wollen." „Auf die Kateridee werden Sie wohl als einziger gekommen sein", warf der Doktor anzüglich hin. „Ausgerechnet dieses gottverlassene Fleckchen." „Eben deshalb", verteidigte sich Ryken. „Außerdem ist dort der Wind von großer Stetigkeit. Ich hatte schon meine Weisungen." „Seid alle verrückte Hühner", murmelte der andere. Ryken grinste. „Sage mir, mit wem du umgehst..." „Quatsch." 43
„Prost. Übrigens war ich nicht der erste, der dort sein Heil versucht hat. Es waren schon vor uns Leute dort, scheint allerdings sehr lange her zu sein, mindestens zehntausend Jahre." „Faule Witze", knurrte Hout. Auch Sun Koh sah Ryken erstaunt an. Dieser trat an ein Wandschränkchen und holte zwei Gegenstände heraus, die er vor Sun Koh auf den Tisch legte. „Was sagen Sie dazu? Ich wollte es Ihnen schon lange einmal zeigen, habe es aber wieder vergessen." Sun Koh betrachtete aufmerksam die beiden Gegenstände. Das eine war eine flache, graue Platte, anscheinend Platin, mit Schriftzeichen bedeckt. Das andere war ein offenes Kästchen aus Goldplatten, die durch vier Ecksäulen zusammengehalten wurden. Beide Dinge hatten nicht mehr als Handgröße. „Wo haben Sie das gefunden?" „In dem gleichen Tal, das wir eben verlassen haben", gab Ryken Auskunft. „Ich entdeckte gleich zu Anfang in der halben Höhe des östlichen Bergzuges eine verwitterte Höhle. In ihr fand ich Reste uralter Knochenhaufen, die wie Zunder zerfielen, und dazwischen metallne Gegenstände aller Art. Diese zwei gehören zu ihnen. Die andern habe ich in eine Kiste gepackt und im Laderaum verstaut. Ich wollte sie einem Freund mitnehmen, der sich für solches Zeug interessiert, bin aber noch nicht dazu gekommen, sie bei ihm abzuliefern." „Hm, diese Funde wären freilich ein Beweis für Ihre Behauptung. Es müssen schon Menschen in jenem Tal gewohnt haben. Aber wie kommen Sie auf die gewaltige Spanne von über zehntausend Jahren?" Ryken schlug die Hände zusammen. „Das fragen Sie? Ich wollte doch gerade von Ihnen die Bestätigung hören? Sehen Sie sich doch die Schriftzeichen mal an." Sun betrachtete sorgfältig die Platte mit den eingeritzten Bildern und Keilen. Nach einer Weile stellte er fest: „Ein großer Teil ist verwischt. Diese Zeichen hier haben eine starke Ähnlichkeit mit Symbolen, die ich aus der Mayasprache kenne. Dieses Zeichen hier bedeutet das Kreuz, dieses das Wasser, 44
hier ist das Zeichen der untergehenden Sonne, und hier eines, das eine heilige Truhe erwähnt. Ich möchte annehmen, daß ein Bruchstück religiöser Riten hier aufgezeichnet ist. Im Zusammenhang lesen kann ich diese Zeichen leider nicht." „Schade", murmelte Ryken nicht ohne Enttäuschung. „Ich hatte gehofft, Sie könnten mir sagen, was für Menschen diese Stücke hinterlassen 'haben." Sun sah ihn lächelnd an. „Sie verlangen reichlich viel von mir. Ich könnte es Ihnen auch nicht sagen, wenn ich imstande wäre, diese Tafel abzulesen. Man kann eine Sprache verstehen, ohne zu wissen, von welchem Volk sie gesprochen wird." „Könnte mir nicht passieren", warf Hout ein. „Kunststück", grinste Ryken, „wenn man keine Ahnung von Sprachen hat. Aber was ich sagen wollte: Es genügt mir schon, daß Sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den Mayazeichen finden. Donnel wird in die Luft springen, wenn ich ihm das Zeug bringe. Dieser Fund paßt nämlich in seine eigenen Theorien so richtig hinein." „Donnel ist jener Herr, von dem Sie vorhin schon sprachen?" „Ganz recht. Ein verrücktes Huhn. Er beschäftigt sich mit allen möglichen uralten Kamellen, aber wenn ihn einer Altertumsforscher nennt, fährt er aus der Haut. Ich denke, er wird uns haarklein auseinandersetzen, wie diese Dinger in die Wüste gekommen sind. Wenn ich nicht irre, wird seine Diagnose dahingehend lauten, daß atlantische Auswanderer an jenen Fleck verschlagen wurden und dort ausstarben, vielleicht an der gleichen Seuche wie meine Leute." Sun sah den Holländer forschend an. „Wie kommen Sie gerade auf atlantische Auswanderer?" Jener wiegte den Kopf. „Das haben Sie doch selbst gesagt." „Ist mir nicht eingefallen." „Nanu, Sie sprachen doch von der Ähnlichkeit mit den Mayazeichen?" 45
* „Das hat gar nichts zu bedeuten. Die griechische Sprache zum Beispiel hat auch manche Ähnlichkeit mit dem Maya, und trotzdem ..." Ryken unterbrach mit einer energischen Handbewegung. „Stop, verehrter Mr. Sun, jetzt wollen Sie wahrscheinlich einen Trugschluß begehen. Diese letzte von Ihnen genannte Tatsache ist nicht ein Beweis für Ihre Zweifel, sondern gegen sie. Davon können Sie überzeugt sein. Ich verstehe leider zu wenig davon, als daß ich mit Ihnen darüber disputieren könnte; aber Sie müßten mal Donnel hören, der würde Ihnen etwas aufblättern. Es ist nämlich sein Steckenpferd, daß alle abendländische Kultur von Atlantis herkommt, und er hat sein Lebtag lang weiter nichts getan, als Beweise dafür zu sammeln. Was der Mann alles weiß, ist geradezu erstaunlich. Ich bin allemal ganz meschugge, wenn ich mich fünf Minuten lang mit ihm über das Thema unterhalten habe." „Man merkt es. Scheinen sich nie davon zu erholen", knurrte der Doktor lebhaft. Ryken lachte gutmütig, „Ihr Gehirn hat natürlich mangels Masse noch nie unter Gedankenarbeit zu leiden gehabt. Aber im Ernst, es ist fabelhaft, wie der Mann seine Ansichten zu belegen weiß, die so ziemlich alles auf den Kopf stellen, was die Geschichte und Wissenschaft im allgemeinen für wahr hält." „Es würde mich interessieren, ihn zu hören", sagte Sun Koh nachdenklich. „Die Geschichte der Atlanten ist meine eigene Geschichte." „Machen wir ihm einen kleinen Besuch", schlug Ryken vor. „Wenn ich nicht irre, sitzt er jetzt in der Gegend von Assuan. Sie müssen doch ohnehin einige Tage warten, bis Ihre Maschine eintrifft. Na schön, bestellen Sie sich diese nach Assuan oder nach Kairo anstatt nach Aden und schon ist der Fall erledigt." „Und Sie wollen im Unterseeboot nach Assuan fahren?" „Selbstverständlich. Vom Roten Meer geht es an drei Stellen nach Westen, wir können aber auch den Nil benutzen oder als harmlose Reisebummler in Assuan auftauchen, ganz wie Sie wollen. Kommen Sie nur mit, es wird Ihnen sicher Spaß machen." „Einverstanden", nickte Sun Koh.
5. Aden. „Kleine Hölle", so nennt man gelegentlich diese englische Festung an der Südspitze Arabiens, der den äußerst wichtigen Zugang zum Roten Meer beherrscht. Arabien ist unwichtig, Aden ist alles, ebenso wie zum Beispiel Spanien bedeutungslos ist gegenüber dem winzigen Platz Gibraltar, der den Zugang zum Mittelmeer sperrt. Der Kommandant, ein ausgepichter, hagerer Tropensoldat, war bei aller Verbindlichkeit äußerst zurückhaltend gegenüber seinem Besucher. „Was wünschen Sie?" fragte er erstaunt, nachdem ihm dieser sein Anliegen vorgebracht hatte. Sun Kohs Gesicht blieb unentwegt. Er wiederholte gelassen: „Mein Flugzeug ist vernichtet worden. Ich möchte mir aus London Ersatz schicken lassen und zu diesem Zweck ein Radiogespräch mit dem Direktor der Aero-Werke führen. Ich bitte Sie, mir die Verbindung zu genehmigen und herstellen zu lassen." Der Major zog die Brauen zusammen. „Das muß ich Ihnen leider abschlagen. Unser Nachrichtendienst ist ausschließlich für militärische Zwecke bestimmt. Wir sind keine — öffentliche Telephonzelle." Ein kleines Lächeln zuckte um Suns Lippen. „Ich weiß das, Herr Kommandant. Es gibt aber keine andere Möglichkeit, um von hier aus Verbindung mit London zu erhalten. Sie wollen daher Ihre Bedenken zurückstellen. Man würde es in London sicherlich kaum verstehen, wenn ein amtlicher Vertreter Englands dazu beitragen würde, der englischen Industrie einen immerhin beachtlichen Auftrag vorzuenthalten." Dem Gewicht dieses Arguments konnte sich der Offizier nicht ganz verschließen. Man lebte nun einmal in einer Zeit, in der jede Nation eifersüchtig über derartige Dinge wachte, in einer Zeit, wo einem altgedienten Soldaten tatsächlich aus solchen Dingen ein Strick gedreht werden konnte. 47
„Hm", brummte er, um Zeit zur Überlegung zu gewinnen, „hm, Sie sind sich doch im Bilde, daß Ihnen dieses Gespräch allerhand Kosten verursachen wird." „Ich bin im Bilde", erwiderte Sun kühl. Der andere trommelte mit den Fingerspitzen. „Hm, na schön, ich will den Radio-Offizier beauftragen. Selbstverständlich wird er zugegen sein und Ihr Gespräch aufnehmen." „Ich habe nichts dagegen einzuwenden." „Dann folgen Sie mir bitte." Die Verbindung mit London kam verhältnismäßig sehr schnell. Etwas lange dauerte es freilich, bevor sich dann Belmore, der Generaldirektor der Aero-Werke, meldete. Am längsten jedoch währte es, bis er sich von seiner Überraschung erholt hatte und nach Dutzenden von völlig überflüssigen Fragen imstande war, sich sachlich und vernünftig zu unterhalten. „Also Sie wollen eine neue Maschine", stellte er endlich fest. „Das klappt großartig, wunderbar. Es hat doch hoffentlich noch einige Tage Zeit?" „Ich erwarte die Maschine in Assuan am Nil. Auf zwei, drei Tage kommt es schließlich nicht an, doch gar zu lange möchte ich nicht dort liegen." „Ist gemacht, ist gemacht. Innerhalb einer Woche haben Sie Ihre Maschine an Ort und Stelle. Sie werden die Augen aufreißen." „Wieso?" fragte Sun erstaunt. „Wollen Sie mir nicht den gleichen Typ schicken?" „Kein Gedanke daran. Etwas gänzlich Neues schicke ich Ihnen, das Wunder der Luft, das gezähmte Flugzeug. Sie können damit stillstehen, auf der Stelle wenden, senkrecht steigen und was noch alles — schlechthin vollkommen." „Na, na", meinte Sun bedenklich. „Wenn nun dieses anscheinend zum erstenmal konstruierte Patent versagt, dann sitze ich wieder ohne Maschine hier." „Ausgeschlossen, ausgeschlossen. Ich brauche Ihnen nur zu sagen, von wem die Erfindung stammt." 48
„Nun?" „Von Dr. Peters." „Meinem Freund?" „Jawohl, von Ihrem Dr. Peters. Der Teufelskerl schickte mir vor einiger Zeit sämtliche Pläne, Berechnungen und alles, was dazu gehört, aus Yukatan zu. Im Begleitbrief meinte er, mangels einer Luftwerft möchte ich die Sache mal ausprobieren, Patente anmelden usw. Es ist übrigens alles auf Ihren Namen eingetragen, Dr. Peters zeichnete gewissermaßen als Ihr Angestellter. Beseitigt das Ihr Mißtrauen?" „Selbstverständlich. Schicken Sie mir die Maschine nur zu." „Sobald sie fertig ist. Wir arbeiten seit einer Woche Tag und Nacht mit Hochdruck an ihr." Während dieser radiotelephonischen Unterredung fand im Zimmer des Kommandanten ein höchst merkwürdiges Gespräch von Angesicht zu Angesicht statt. Dem Kommandanten gegenüber saßen Red Barrow und seine drei Kameraden. Barrow berichtete, die andern nickten eifrig und bestätigten damit ununterbrochen seine Darstellungen. Der Kommandant prüfte mit zusammengekniffenen Augen die Gesichter der Leute. Er war Menschenkenner genug, um ungefähr zu wissen, wen er vor sich hatte. Diese Sorte traf man überall, wo es einen Streich zu spielen galt. Sie waren gefährlich und in manchem Sinne doch auch wieder brauchbar. Es war phantastisch, was dieser Mann da erzählte, zu phantastisch, um wahr zu sein und doch auch wieder in einem Ton vorgetragen, der die Vermutung des Irrsinns ausschloß. Irgend etwas anderes mußte dahinterstecken, und der Major bemühte sich krampfhaft, eben das herauszukriegen. „Warum erzählen Sie mir das?" erkundigte er sich in gleichgültigem Ton, nachdem Barrow sein Garn abgehaspelt hatte. Der Amerikaner blickte betreten auf. „Warum? Hm, ich habe geglaubt, das könnte Sie interessieren. Außerdem möchten wir unter Umständen Anzeige wegen Freiheitsberaubung erstatten. Man hat uns widerrechtlich gefangen ge49
halten und bedroht. Wir kommen zu Ihnen als berufenen Vertreter von Recht und Ordnung." „Ausgerechnet", konnte der Kommandant sich nicht verkneifen, zu murmeln. Dann fügte er hinzu: „Welche Beweismittel können Sie für Ihre Geschichte vorbringen?" Barrow wies theatralisch auf seine Kameraden. „Hier stehen außer mir drei Zeugen." Der Major winkte ab. „Ich sprach von Beweisen. Sie wollen doch nicht etwa von mir verlangen, daß ich Ihnen auf Ihre schönen Augen hin dieses wüste Märchen glaube. Ein grünes Tal inmitten der Wüste, ein Riesenturm von vierhundert Metern Höhe, Elektrizitätswerke, Unterseeboote, unterirdische Ströme und was noch alles? Nee, mein Lieber, da müssen Sie sich schon ein harmloseres Gemüt aussuchen." „Sie schenken meinen Worten keinen Glauben?" fragte Barrow finster. „Nein", erwiderte der andere scharf. „Binden Sie Ihre Geschichte einem andern auf. Und selbst wenn sie wahr wäre, würde sie mich verflucht wenig angehen, verstanden?" Der Amerikaner hob die Schultern. „Wie Sie wollen. Ich habe es jedenfalls im Interesse der zivilisierten Welt für meine Pflicht gehalten, sie aufmerksam zu machen. Großbritannien scheint in den letzten Wochen seine Einstellung zu gewissen Dingen merkwürdig geändert zu haben. Früher hätte das nicht passieren können, daß ein Unterseeboot in Privatbesitz so mir und dir nichts in englischen Gewässern herumgondelt, ohne daß England etwas davon weiß." „Das kann auch jetzt noch nicht passieren", betonte der Offizier ziemlich verletzt. Barrow steckte die Hände in die Hosentaschen und warf kalt über die Schulter hin: „Erhalten Sie sich Ihre Illusionen. Wir vier sind jedenfalls direkt aus einem U-Boot gekommen, das vermutlich noch jetzt dort unten liegt. Und ich sage Ihnen, der Kasten demoliert Ihnen im 50
Handumdrehen Ihren ganzen Hafen, sobald es ihm beliebt. Die Leute haben Machtmittel in der Hand, von denen weder Sie noch Großbritannien eine Ahnung hat. Kommt, Kameraden." „Stop", befahl der Major, „nicht so eilig. Mir scheint, es ist doch etwas dran an dem, was Ihr erzählt. Unterhalten wir uns noch ein wenig." „Höchst überflüssig", knurrte Barrow, „wir haben Ihnen alles gesagt, was zu sagen war. Aber h a l t . . . " Er starrte angestrengt zum Fenster auf den Hof der Festung hinaus, den soeben eine schlanke, hohe Gestalt überquerte. „Fragen Sie doch den da", rief er und wies mit der Hand hinunter. „Das ist der Kerl, der seine Fesseln zerriß wie Bindfäden, eben geht er über den Hof. Ah, er gehört wohl gar hierher?" Die Frage war voller Mißtrauen. Der Major stürzte ans Fenster. „Das? Das ist ein gewisser Mr. Koh, der wegen eines Flugzeugs nach London telephonierte." „Da haben Sie's ja", triumphierte der Amerikaner. „Er mußte es ja in jenem Tal zurücklassen, wegen der Seuche. 'Fragen Sie ihn nur." Der Kommandant handelte blitzschnell. Er drückte einige Knöpfe, die die Torwachen alarmierten und sprach dann kurze Befehle in den Apparat. Wenige Minuten später trat Sun Koh in den Raum. Sein Gesicht blieb unbewegt, als er die Amerikaner sah, aber er konnte sich nun ungefähr denken, warum man ihn noch einmal heraufgebeten hatte. Der begleitende Offizier legte einen langen Bogen mit stenographischen Aufzeichnungen vor dem Kommandanten nieder. „Alles in Ordnung", meldete er kurz. Der Major unterband weitere Mitteilungen durch eine Kopfbewegung und wandte sich an Sun. „Kennen Sie diese Leute?" „Ja", erwiderte jener fest. Der Major machte eine Pause, vielleicht, weil er diese Antwort nicht erwartet hatte. Aber dann sagte er um so nachdrücklicher: 51
„Sie erheben Klage wegen Freiheitsberaubung und Nötigung und behaupten, sich in den letzten Tagen in einem privaten Unterseeboot aufgehalten zu haben?" „Die Leute leiden an Hirngespinsten", erwiderte Sun kühl. „Unsere Angaben entsprechen der Wahrheit", bellte Barrow auf. „Wie sind Sie mit ihnen bekannt geworden?" wollte der Major wissen. „Ich traf sie in der Wüste, beziehungsweise trafen sie mich, denn sie überfielen mich im Schlaf und fesselten mich. Vermutlich können Sie es nicht überwinden, daß ich den Spieß umdrehte." Der Engländer faltete die Stirn. „Ich bitte Sie um nähere Angaben." Sun hob die Schultern. „Ein andermal, Herr Kommandant, für heute ist meine Zeit bemessen." Dem Major nahm es die Sprache. Er war diesen herrischen Ton nicht gewohnt. Solange er in Aden saß, war er der Herr. „Ihre Zeit bemesse ich", erwiderte er schließlich scharf. „Ich verlange von Ihnen Auskunft, vor allem über das Tauchboot, von dem hier die Rede ist." „Ich muß sie Ihnen leider verweigern. Aber wenn Sie Wert darauf legen, sich von der Sinnlosigkeit dieses Geschwätzes zu überzeugen, so steht es Ihnen frei, mir zum Hafen zu folgen. Ich werde Ihnen dort etwas zeigen, was jede weitere Unterhaltung über diesen Punkt erledigt." „Bluff", höhnte Barrow. Der Kommandant war anfangs wenig geneigt, auf den Vorschlag Suns einzugehen. Da dieser aber auf alle weiteren Fragen hartnäckig schwieg und nur die eine Chance bot, um etwas zu erfahren, bequemte er sich schließlich. Sun Koh ließ gleichgültig alles geschehen, was der vorsichtige Kommandant für gut hielt. Es hatte keinen Zweck, hier erst ein sensationelles Ereignis aufzubauschen. Das Unterseeboot lag zur Abfahrt bereit und wartete nur noch auf seine Rückkehr. 52
Man hielt gewisse Grenzen des Taktes ein, aber es entging Sun nicht, daß man ihn so ziemlich wie einen Gefangenen behandelte, der unter Fluchtverdacht steht. Er nahm willig zwischen den beiden Offizieren im Kraftwagen Platz. Die schwerbewaffnete Eskorte schien er überhaupt nicht zu sehen. Im Hafen herrschte das übliche bewegte Leben und Treiben. Langsam bahnten sich die Wagen einen Weg bis dicht an den Kai heran. Hier stieg Sun unter den mißtrauischen Augen seiner Begleitung aus und wies auf die Wasserfläche. „Sehen Sie etwas von einem Unterseeboot?" fragte er nicht ohne Spott. „Natürlich nicht", knurrte der Major, „dafür ist es ja ein Tauchboot. Aber Sie wollten uns doch . . . " „Geben Sie acht", bat Sun unbefangen, „Sie werden gleich Bescheid wissen." Er trat dicht an das Ufer heran und wies ein Stück hinaus. „Ist das dort eines Ihrer Kanonenboote?" Die Offiziere spähten nach vorn. „Allerdings", meinte der Kommandant hallo...?"
erstaunt,
„aber...
Sie sahen gerade noch den letzten Rest von Sun unter der Oberfläche des Wassers verschwinden. Sekundenlang waren sie starr vor Überraschung, dann rissen sie impulsiv ihre Pistolen heraus und feuerten hinterher. Die Kugeln schadeten dem Wasser nichts. Und dann begann die wilde Hetze. Man war der festen Überzeugung, daß der dreiste Schwimmer irgendwo wieder auftauchen müsse und alarmierte alles, was nur einigermaßen verfügbar war. Erst reichlich spät sah man ein, daß Sun Koh auf diese Weise nicht zu fangen war. Nun ließ der Kommandant den Hafen sperren, um das Unterseeboot, dessen Existenz nun wahrscheinlich geworden war, nicht entrinnen zu lassen. Drei Tage lang suchte man fieberhaft, drei Tage lang stand Aden Kopf, dann hatte sich der Major daran gewöhnt, das Opfer eines Gauners geworden zu sein. Er faßte einen säuberlich geschriebenen 53
Bericht ab und sandte ihn nach London. Dort las ihn der zuständige Herr und gab ihn mit einem mitleidigen Lächeln an das Archiv weiter. „Legen Sie das ab! Ja, ja, Aden. Jetzt fährt es sogar diesem ausgepichten Tropenfuchs in die Knochen. Er wird wohl gelegentlich abgelöst werden müssen." Der Kommandant von Aden blieb auf seinem Posten, aber von Sun Koh und dem sagenhaften Unterseeboot durfte in seiner Gegenwart vorteilhafterweise nicht geredet werden.
* Die Titel der folgenden Erzählungen lauten: 34. Die Schlangenfalle 35. Die Gefangenen des Pharaonen 36. Die künstliche Seele 37. Der mordende Schall In 14 Tagen ist das nächste Heft bei Ihrem Buch- oder Zeitschriftenhändler erhältlich
54