Norbert Wagner Günther Dannecker (Hrsg.) Pädiatrische Rheumatologie
Norbert Wagner Günther Dannecker (Hrsg.)
Pädiatrische Rheumatologie Mit 335 Abbildungen, davon 201 in Farbe und 131 Tabellen
13
Professor Dr. med. Norbert Wagner Klinik für Kinder- und Jugendmedizin RWTH Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen
Professsor Dr. med. Günther Dannecker Olgahospital, Klinikum Stuttgart Pädiatrisches Zentrum der Landeshauptstadt Stuttgart Bismarckstr. 8 70176 Stuttgart
ISBN-13
978-3-540-32814-8 Springer Medizin Verlag Heidelberg
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V
Vorwort Die Rheumatologie und damit auch die pädiatrische Rheumatologie hat in den letzten Jahrzehnten eine dramatische, positive Entwicklung genommen. Von einem Stiefkind der Medizin, nicht selten als Bädermedizin belächelt, erfolgte die Entwicklung hin zu einem wissenschaftlich fundierten und klinisch sehr erfolgreich arbeitenden Spezialgebiet. Unser besseres Verständnis der pathogenetischen Mechanismen ergab zusammen mit den immens verbesserten Möglichkeiten der Bildgebung aber nicht nur eine genauere Diagnostik. Noch viel wichtiger und erfreulicher ist es, dass sich dadurch in den letzten Jahren auch eine wesentliche Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen ergab, und das Ende dieser Entwicklung ist noch nicht abzusehen. Dieses komplexe Spezialgebiet in einem deutschsprachigen Lehrbuch abzubilden war ein schon lange gehegter Traum der Herausgeber. Die Umsetzung von der Idee über den konkreten Plan bis zu dem nun vorliegenden Buch war nur durch das Zusammentreffen verschiedener begünstigender Faktoren möglich: 5 Der oben genannten Entwicklung der pädiatrischen Rheumatologie läuft die Entwicklung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie parallel. Auch hier vollzog sich durch das Engagement aller Mitglieder der Wandel von der anfänglich nicht ohne Skepsis gesehenen Arbeitsgemeinschaft, wie der Name ja bis 2005 noch lautete, hin zur anerkannten und wahrgenommenen Gesellschaft. Die wissenschaftlichen Aktivitäten sind vielfältig und die erfolgreiche Arbeit spiegelt sich unter anderem in der Tatsache wider, dass die pädiatrische Rheumatologie in Deutschland als Zusatzbezeichnung im Bereich der Kinderund Jugendheilkunde anerkannt wurde. Dieses Buch mit seinem vielfältigen Spezialwissen ist auch ein Zeugnis der Aktivität und Produktivität dieser Gesellschaft, aus deren Reihe mit wenigen Ausnahmen alle Autorinnen und Autoren kommen. Allen sei an dieser Stelle für Ihre engagierte Mitarbeit herzlich gedankt; und wenn wir manchen von Ihnen bei der Fertigstellung etwas auf die Füße treten mussten, hoffen wir, dass dies nicht allzu schmerzhaft war. 5 Natürlich wäre das Projekt ohne einen mutigen und unterstützenden Verlag nicht realisierbar. Unser besonderer Dank gilt deswegen dem Springer-Verlag und seinen MitarbeiterInnen für das Wagnis und die geduldige Unterstützung bei der Idee, ein Standardlehrbuch der pädiatrischen Rheumatologie zu realisieren. 5 Wir bedanken uns sehr bei den uns nahe stehenden Menschen, da dieses Buch nicht möglich gewesen wäre ohne ihre geduldige Unterstützung und Inspiration und ohne das Verständnis für manchen bei bestem Urlaubswetter am Schreibtisch verbrachten Tag. Es ist unser Ziel und unsere Hoffnung, dass dieses Lehrbuch allen Kinderärzten, die sich um Kinder und Jugendliche mit rheumatischen Erkrankungen kümmern, eine Hilfe sei bei der komplexen Abklärung, Differenzialdiagnostik und Therapie einer Vielzahl von sehr unterschiedlichen Erkrankungen. Es soll aber auch dem Nicht-Spezialisten helfen, eine erste Einordnung der vielfältigen Zeichen und Symptome von rheumatischen Erkrankungen zu ermöglichen. Besonders schön wäre es, wenn sich auch werdende Pädiater oder sogar Studenten der Medizin ab und zu in dieses Buch einlesen und erkennen, dass die pädiatrische Rheumatologie ein hoch spannendes und dynamisches Feld ist. Die Etablierung der pädiatrischen Rheumatologie in der medizinischen Lehre an Universitätskliniken und ihren Lehrkrankenhäusern kann kein Ziel dieses Buches sein, aber es würde uns freuen, wenn es dazu beitragen würde, diesen Denkprozess anzustoßen. Vor allen Dingen soll dieses Buch aber den betroffenen Kindern und Jugendlichen helfen, eine möglichst optimale Therapie für ihre oft durch Schmerzen und Einschränkungen geprägten rheumatischen Erkrankungen zu erhalten. Norbert Wagner Günther E. Dannecker
Aachen, Stuttgart im Sommer 2007
VII
Autorenverzeichnis Banholzer, Daniela, Physiotherapeutin Olgahospital Stuttgart Bismarckstr. 8, 70176 Stuttgart
Gahr, Manfred, Prof. Dr. med. Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Benseler, Susanne, Dr. med. Division of Rheumatology, Hospital of Sick Children 555 University Avenue, CDN-Toronto, Ontario M5G 1X8 Canada
Ganser, Gerd, Dr. med. St.-Josef-Stift Westtor 7, 48324 Sendenhorst
Bielack, Stefan, Prof. Dr. med Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Olgahospital Stuttgart Bismarckstr. 8, 70176 Stuttgart Brunner, Jürgen, Dr. med. Dipl. oec. med. Pädiatrische Rheumatologie und Immunologie Kinderklinik, Medizinische Universität Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck Österreich Buckup, Klaus, Dr. med. Orthopädische Klinik, Klinikum Dortmund Beurhausstr. 40, 44137 Dortmund Bureck, Walter, Ergotherapeut St.-Josef-Stift Westtor 7, 48324 Sendenhorst Dannecker, Günther, Prof. Dr. med. Olgahospital, Klinikum Stuttgart Pädiatrisches Zentrum der Landeshauptstadt Stuttgart Bismarckstr. 8, 70176 Stuttgart De Kleer, Isme M. Wilhelmina Children’s Hospital, University Medical Center Utrecht P.O. Box 85090, NL-3508 Utrecht Niederlande Foeldvari, Ivan, Dr. med. Kinder- und Jugendrheumatische Praxis am Allgemeinen Krankenhaus Eilbeck Friedrichsberger Str. 60, 22081 Hamburg Frosch, Michael, Priv.-Doz. Dr. med. Sozialpädiatrisches Zentrum und Pädiatrische Rheumatologie und Immunologie Universitäts-Kinderklinik Albert-Schweitzer-Str. 33, 48149 Münster
Girschick, Hermann, Priv.-Doz. Dr. med. Universitäts-Kinderklinik Josef-Schneider-Str. 2, 97080 Würzburg Haas, Johannes-Peter, Priv.-Doz. Dr. med. Abt. Neonatologie und Intensivmedizin, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Ernst-Moritz-Arndt-Universität Soldmannstr. 15, 17487 Greifswald Haefner, Renate, Dr. med. Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie Gehfeldstr. 24, 82467 Garmisch-Partenkirchen Haffner, Dieter, Prof. Dr. med. Pädiatrische Nephrologie, Otto-Heubner-Centrum für Kinder- und Jugendmedizin Campus Virchow-Klinikum, Charité, Humboldt-Universität Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin Heiligenhaus, Arnd, Prof. Dr. med. Augenabteilung, St. Franziskus-Hospital Hohenzollernring 74, 48145 Münster Horneff, Gerd, Prof. Dr. med. Asklepios Klinik St. Augustin GmbH Arnold-Janssen-Str. 29, 53757 Sankt Augustin Hospach, Toni, Dr. med. Kinderklinik, Olgahospital Stuttgart Bismarckstr. 8, 70176 Stuttgart Huemer, Christian, Univ.-Doz. Dr. med. Ostschweizer Kinderspital St. Gallen Claudiusstr. 6, CH-9006 St. Gallen Schweiz Huppertz, Hans-Iko, Prof. Dr. med. Professor-Hess-Kinderklinik, Klinikum Bremen-Mitte Friedrich-Karl-Str. 55, 28205 Bremen
VIII
Autorenverzeichnis
Illhardt, Arnold, Dipl.-Psych. St.-Josef-Stift Westtor 7, 48324 Sendenhorst Kallinich, Tilmann, Dr. med. Abt. Pädiatrie m.S. Pneumonologie/Immunologie, Campus Wedding Charité, Humboldt-Universität Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin Kamradt, Thomas, Prof. Dr. med. Institut für Immunologie, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Leutragraben 3, 07743 Jena Keitzer, Rolf, Dr. med. Kinderklinik, Virchow-Klinikum, Charité, Humboldt-Universität Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin Kümmerle-Deschner, Jasmin, Dr. med. Universitätskinderklinik Hoppe-Seyler-Str. 1, 72076 Tübingen Mannhardt-Laakmann, Wilma, Priv.-Doz. Dr. med. Universitäts-Kinderklinik Langenbeckstr. 1, 55131 Mainz Michels, Hartmut, Dr. med. Kinderklinik Gehfeldstr. 24, 82467 Garmisch-Partenkirchen Minden, Kirsten, Dr. med. Kinderklinik, Helios-Klinikum Wiltbergstr. 50, 13122 Berlin Neudorf, Ulrich, Dr. med. Klinik für Kinder- und Jugenmedizin Hufelandstr. 55, 45122 Essen
Roth, Johannes, Dr. med. SPZ Rheumatologie, Virchow-Klinikum Charité, Humboldt-Universität Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin Roth, Johannes, Prof. Dr. med. Universitäts-Kinderklinik Albert-Schweitzer-Str. 33, 48149 Münster Tarakhovsky, Alexander, M.D., Ph.D. Rockefeller University 1230 York Avenue, 10021 New York USA Thon, Angelika, Dr. med. Kinderheilkunde I, Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str.1, 30625 Hannover Truckenbrodt, Hans, Prof. Dr. med. Husarenweg 30, 82467 Garmisch-Partenkirchen Wagner, Norbert, Prof. Dr. med. Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, RWTH Aachen Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen Weiß, Michael, Prof. Dr. med. Pädiatrische Klinik Amsterdamer Str. 59, 50735 Köln Wersing, Kathrin, Dipl-Sozialpädagogin St.-Josef-Stift Westtor 7, 48324 Sendenhorst Winkler, Peter, Prof. Dr. med. Radiologie, Olgahospital Stuttgart Bismarckstr. 8, 70176 Stuttgart
Niehues, Tim, Priv.-Doz. Dr. med. Universitäts-Kinderklinik Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf
Wulffraat, Nico, Prof. Dr. Wilhelmina Children’s Hospital, University Medical Center Utrecht P.O. Box 85090, NL-3508 Utrecht Niederlande
Nirmaier, Katharina, Physiotherapeutin Olgahospital Stuttgart Bismarckstr. 8, 70716 Stuttgart
Zepp, Fred, Prof. Dr. med. Universitäts-Kinderklinik Langenbeckstr. 1, 55131 Mainz
Olschewski, Heidi, Dr. med. Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Beurhausstr. 40, 44137 Dortmund
Zieger, Michael, Dr. med. Radiologie, Olgahospital Stuttgart
Bismarckstr. 8, 70176 Stuttgart
Autorenverzeichnis
Grafiker Annette Gack Neuwiesenstr. 3 91564 Neuendettelsau
[email protected] (Abb. 2.3, 2.4) Peter Lübke Waldstr. 104 67157 Wachenheim (Abb. 2.19)
IX
XI
Inhaltsverzeichnis 1
Geschichte der pädiatrischen Rheumatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
H. Truckenbrodt, R. Häfner
2
Grundlagen der Autoimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
2.1
T-Lymphozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . O. Frey, T. Kamradt
11
2.2
B-Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . N. Wagner, A. Tarakhovsky
23
2.3
Monozyten und Makrophagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Roth
31
2.4
Genetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J.-P. Haas
36
2.5
Zytokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Horneff
42
2.6
Autoimmunität und Infektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T. Kamradt, F. Zepp
60
2.7
Zusammenfassung: Pathogenese der Autoimmunkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Dannecker, N. Wagner
64
3
Untersuchungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
3.1
Körperliche Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Benseler
70
3.2
Labor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Brunner, T. Hospach, J. Kümmerle-Deschner
87
3.3
Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Winkler, M. Zieger
95
4
Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
N. Wagner, T. Niehues, H. Michels, J. M. de Kleer, N. M. Wulffraat
5
Juvenile idiopathische Arthritis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175
5.1
Nomenklatur und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Minden
177
5.2
Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Minden
179
5.3
Systemische Verlaufsform (Morbus Still) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Frosch, J. Roth
181
5.4
Oligoartikuläre Verlaufsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Ganser, K. Minden
194
5.5
Polyartikuläre Verlaufsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Dannecker
211
5.6
Enthesitisassoziierte Arthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H.J. Girschick
230
5.7
Psoriasisarthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Huemer
236
5.8
Uveitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Heiligenhaus, U. Neudorf
243
5.9
Knochenstoffwechsel und Osteoporose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Roth
253
XII
Inhaltsverzeichnis
6
Reaktive und parainfektiöse Arthritiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263
6.1
Reaktive Arthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H.J. Girschick, H.I. Huppertz
264
6.2
Lyme-Arthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H.J. Girschick, H.I. Huppertz, K. Latsch
277
6.3
Rheumatisches Fieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U. Neudorf
287
Systemischer Lupus erythematodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293
7
N. Wagner, D. Haffner, G. Dannecker
8
Dermatomyositis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331
A. Thon, M. Gahr
9
Sklerodermie und Sharp-Syndrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347
I. Foeldvari
10
Vaskulitiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
363
10.1
Kawasaki-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Dannecker
365
10.2
Purpura Schönlein-Henoch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T. Hospach
375
10.3
Takayasu-Arteriitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Kümmerle-Deschner, S. Benseler
378
10.4
Morbus Behçet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Keitzer, T. Kallinich
386
10.5
Wegener-Granulomatose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Frosch, J. Roth
393
10.6
Panarteriitis nodosa, Churg-Strauss-Syndrom und andere seltene Vaskulitiden bei Kindern . . . . S. Benseler
398
Periodische Fiebersyndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
407
11
T. Kallinich, R. Keitzer
12
Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
435
12.1
Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Buckup 437
437
12.2
Akute transiente Arthritis des Hüftgelenks (Coxitis fugax) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Horneff 459
459
12.3
Immundefekterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Mannhardt-Laakmann, F. Zepp 461
461
12.4
Stoffwechselerkrankungen, Skelettdysplasien und Bindegewebserkrankungen . . . . . . . . . . . F. Zepp 476
476
12.5
Pseudorheumaknoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zepp 484
484
12.6
Wachstumsschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zepp 485
485
12.7
Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Weiß 487
487
12.8
Nichtbakterielle Osteomyelitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H.J. Girschick 494
494
12.9
Leukämien und maligne Knochentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Bielack 497
497
12.10 Hämophilie und Sichelzellkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Olschewski 505
505
XIII
Inhaltsverzeichnis
13
Idiopathische muskuloskelettale Schmerzverstärkungssyndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
509
T. Hospach
14
Physiotherapie, Physikalische Therapie, Ergotherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
521
14.1
Physiotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Banholzer, K. Nirmaier 522
522
14.2
Physikalische Therapie bei juveniler idiopathischer Arthritis und Kollagenosen . . . . . . . . . . . G. Ganser 549
549
14.3
Ergotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Bureck 554
554
15
Krankheitsbewältigung im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
565
A. Illhardt, K. Wersing, G. Ganser
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
587
1
Evidenz-basierte Medizin (EBM) „Die Praxis der EBM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung“ (David L. Sackett, 1996)
Die Autoren haben sich bemüht, soweit verfügbar, das Evidenzniveau für die Therapieempfehlungen bei den im Buch behandelten Erkrankungen anzugeben. Auffallend ist das häufige Fehlen kontrollierter Studien für viele Erkrankungen bzw. Medikamente im Kindesalter. Dies sollte zugleich Motivation sein, sich an entsprechenden Studien zu beteiligen, um die wissenschaftliche Grundlage der Therapie zu verbreitern. Die Graduierung des Evidenzniveaus ist im Buch einheitlich angegeben, die Wiedergabe an dieser Stelle soll das Lesen erleichtern: Ia Ib IIa IIb III IV
Evidenz aufgrund von Meta-Analysen randomisierter, kontrollierter Studien Evidenz aufgrund von mindestens einer randomisierten, kontrollierten Studie Evidenz aufgrund von mindestens einer gut angelegten, kontrollierten Studie Evidenz aufgrund von mindestens einer gut angelegten, quasi experimentellen Studie Evidenz aufgrund gut angelegter, nicht experimenteller deskriptiver Studie (z. B. FallKontroll-Studie) Evidenz aufgrund von Expertenmeinung
1
1.2 · Pionierzeit der deutschen Kinderrheumatologie: 1950–1975
Geschichte der pädiatrischen Rheumatologie H. Truckenbrodt, R. Häfner 1.1
Erste Literaturberichte: 1848–1950
–2
1.2
Pionierzeit der deutschen Kinderrheumatologie: 1950–1975
1.3
Aufbruch der Kinderrheumatologie: 1975–2000
1.4
In Zukunft: Zusammenarbeit auf internationaler Ebene
–4 – 7
–3
1
2
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Kapitel 1 · Geschichte der pädiatrischen Rheumatologie
Unter dem Begriff Rheuma werden schmerzhafte, nichttraumatische Erkrankungen des Bewegungsapparates
zusammengefasst. Sie sind beim Kind und Jugendlichen überwiegend entzündlicher Natur. Das klinische Bild wird meist von der Arthritis bestimmt. Der Entzündungsprozess kann jedoch alle Organsysteme, vor allem die Muskulatur und Blutgefäße sowie die Haut einbeziehen. Bei einigen Erkrankungen steht die Entzündung des Bindegewebes, der inneren Organe oder der Gefäße sogar im Vordergrund. Dazu kommen die schmerzverstärkenden Syndrome und periodische Fiebersyndrome. Immer ist das gesamte Kind in seiner Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt und in seiner Entwicklung bedroht. Die relativ unscharfe Definition rheumatischer Erkrankungen beinhaltet eine breite differenzialdiagnostische Überlappung mit kinderorthopädischen, onkologischen und anderen pädiatrischen Erkrankungen, die sich mit ähnlicher Symptomatik manifestieren. Die Kinderrheumatologie steht historisch und inhaltlich auf zwei Fundamenten, der Kinderheilkunde und der Erwachsenenrheumatologie. Sie erfordert umfangreiche pädiatrische und spezielle kinderrheumatologische Kenntnisse. In den einzelnen europäischen Ländern entwickelte sie sich unterschiedlich aus beiden Fachbereichen heraus. In Deutschland ging die Kinderrheumatologie aus der Kinderheilkunde hervor, immer im Zwiegespräch mit der Erwachsenenrheumatologie. Inzwischen stellt die Kinderrheumatologie entsprechend ihrem Aufgabengebiet weltweit eine Subspezialität der Kinder- und Jugendmedizin dar. Sie erhält jedoch maßgebende Impulse von der Erwachsenenrheumatologie einschließlich Rheumaorthopädie sowie der Immunologie. Es sind weit mehr Veröffentlichungen zu kinderrheumatologischen Themen in den rheumatologischen als in den pädiatrischen Fachzeitschriften zu finden. Geht man von der Namensgebung aus, so ist Rheuma mit Fluss zu übersetzen. Rheo bedeutet im Griechischen »ich fließe«, katarrheo »ich fließe herab«. In der Zeit von Hippokrates um 400 v. Chr. wurde postuliert, dass eine träge, schleimige Flüssigkeit vom Gehirn bald gegen die Schleimhäute der Atemwege, bald gegen die Gelenke und Muskulatur herabfließt. In späteren Betrachtungen der Terminologie steht der fließende, ziehende Schmerz als gemeinsamer Nenner rheumatischer Erkrankungen im Vordergrund.
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1.1
Erste Literaturberichte: 1848–1950
Klinisch ist die Kinderrheumatologie ein noch relativ junges Spezialgebiet, obwohl die ersten Mitteilungen über 150 Jahre zurückreichen. Zunächst war die Aufmerksamkeit vor allem auf das rheumatische Fieber gerichtet, das bei allen Rassen und in allen Kontinenten weit häufiger
auftrat, als alle übrigen rheumatischen Erkrankungen zusammengenommen. Die erste ausführliche Beschreibung erfolgte durch Thomas Sydenham im Jahr 1848. Etwa 100 Jahre später, ab den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, änderte sich die epidemiologische Situation. Das rheumatische Fieber wurde seltener. Dadurch traten andere rheumatische Erkrankungen mehr in den Blickpunkt. Die ersten Publikationen zur chronischen Arthritis kamen aus Frankreich und England. A. V. Cornil aus Paris berichtete bereits 1864 über eine Frau mit chronischer Polyarthritis, die im Alter von 12 Jahren erkrankte. Ähnliche Beobachtungen veröffentlichten Bouchet 1875 und Moncorvo 1880. Die erste umfangreiche Darstellung kam von M. S. Diamant-Berger im Jahr 1891. Er beschrieb in seiner Dissertation 38 Kinder mit noch heute gültigen Details. Bereits vor über 100 Jahren erkannte er unterschiedliche klinische Manifestationen, das Überwiegen von Mädchen, den Mitbefall der Halswirbelsäule und Kiefergelenke sowie der Augen. Weit mehr Beachtung fand die Publikation von George Frederic Still aus der Great Ormond Street in London von 1896, in der er über 22 Kinder mit akuter und chronischer Arthritis berichtete. In Anerkennung seiner Verdienste wurden anschließend die verschiedenen Erscheinungsformen der chronischen Arthritis im angloamerikanischen Raum als »Still’s disease« zusammengefasst. In Deutschland beschränkte sich die Bezeichnung Morbus Still auf die systemische Form mit hohem Fieber, Exanthem und Mitbeteiligung der inneren Organe. Diese nomenklatorischen Unterschiede führten zwangsläufig bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu Missverständnissen. In den USA erwähnte als Erster Lewis-Smith aus New York 1871 einen 3½-jährigen Jungen mit Arthritis, der bereits mit 9 Monaten erkrankte. Von H. Koplick ist die Kasuistik eines 7-jährigen Mädchens aus dem 19. Jahrhundert bekannt. Es dauerte dann bis nach dem Zweiten Weltkrieg, bis sich 1948 in Taplow bei London eine erste Forschergruppe um E.G.L. Bywaters kinderrheumatologischer Fragen annahm. 1952 stieß Barbara M. Ansell hinzu, die weltweit berühmteste Kinderrheumatologin ihrer Zeit. Von ihr gingen zahlreiche Impulse aus. Das Hauptaugenmerk war auch in Taplow zunächst auf das rheumatische Fieber gerichtet. Von den 100 zur Verfügung stehenden Behandlungsplätzen waren 1948 nur vier durch Kinder mit chronischer Arthritis, die Übrigen mit rheumatischem Fieber belegt. Erst mit dem Rückgang des rheumatischen Fiebers trat die chronische Arthritis in den Mittelpunkt des Interesses. In Deutschland stammt die erste Darstellung der chronischen Arthritis beim Kind von B. Leichtentritt. Er veröffentlichte seine Beobachtungen im Rheumajahrbuch 1930/31 unter der Bezeichnung juvenile rheumatoide Arthritis bzw. Morbus Still. Der Begriff der Subsepsis all-
1.2 · Pionierzeit der deutschen Kinderrheumatologie: 1950–1975
ergica von Wissler aus dem Jahr 1944, der eine systemische Verlaufsform mit (noch) fehlender Gelenkentzündung beschrieb, fand nur im deutschsprachigen Raum Eingang in die Nomenklatur. Auch für die kindlichen Kollagenosen liegen die Erstbeschreibungen über 100 Jahre zurück. Für den systemischen Lupus erfolgte sie beispielsweise durch W. Osler im Jahr 1904. Ähnlich wie bei der chronischen Arthritis vergingen dann über 50 Jahre, bevor das Interesse neu erwachte und weitere Details erforscht wurden.
1.2
Pionierzeit der deutschen Kinderrheumatologie: 1950–1975
Die Geschichte der deutschsprachigen Kinderrheumatologie ist untrennbar mit Elisabeth Stoeber verbunden (. Abb. 1.1). Von ihr ging der zündende Funke aus, nachdem ihr Interesse am rheumatischen Fieber durch die Tätigkeit am Pathologischen Institut in Freiburg/Breisgau unter Ludwig Aschoff geweckt worden war. Unter der Trägerschaft der Rummelsberger Anstalten der Inneren Mission e.V. gelang es E. Stoeber bereits 1952, nur zwei Jahre nach Übernahme der ärztlichen Leitung, die erste kontinentaleuropäische Rheumakinderklinik in GarmischPartenkirchen einzuweihen. Glückliche äußere Umstän-
de kamen zu Hilfe. Die Frau des ersten amerikanischen Hochkommissars McCloy vertraute sich dem gleichen Skilehrer an wie E. Stoeber, ein Zufall, der mehr nach einer Fügung aussieht. Der Aufbau der Rheumakinderklinik wurde daraufhin seiner Bedeutung entsprechend als Projekt mit Modellcharakter in den sog. Marshall-Plan aufgenommen und in die Tat umgesetzt. Ähnlich wie in Taplow war die neue Klinik eigentlich für Kinder und Jugendliche mit rheumatischem Fieber gedacht. Bald jedoch gehörten die meisten Patienten zu
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einer ganz anderen Gruppe, nämlich den chronisch rheumakranken Kindern. Bereits Mitte der 50er Jahre wurden immer mehr Kinder mit »primär chronischer Polyarthritis und Morbus Still« nach Garmisch-Partenkirchen überwiesen. Das »Herzrheuma« wandelte sich zum »Gelenkrheuma«. Die Klinik wurde vor völlig neue Aufgaben gestellt, zumal die Kinder meist erst spät mit schweren Kontrakturen, Fehlstellungen und Behinderungen bis zur Verkrüppelung überwiesen wurden. Neue Ideen und Strategien wurden notwendig. So wurde Elisabeth Stoeber nicht nur zur Initiatorin, sondern auch zum Motor der deutschen Kinderrheumatologie. Zwei Mitstreiter bereiteten mit ihr den Weg. Gert Kölle war von Anfang an dabei; Lore Sänger stieß 1955 dazu. Auf sie geht die psychosoziale Betreuung rheumakranker Kinder und ihrer Familien zurück. Später erweiterte Wilhelm Beyer durch die Synovektomie das therapeutische Spektrum. Aus bescheidenen Anfängen wurde eine 130-Betten-Klinik aufgebaut, die auch heute noch größte Rheumakinderklinik Europas. Die wissenschaftliche Aktivität dieser Zeit spiegelt sich in über 100 Publikationen wieder. Wichtige Impulse und Erkenntnisse kamen auch damals aus der Erwachsenenrheumatologie. Vor allem zwei Persönlichkeiten bereicherten die Kinderrheumatologie. Fritz Schilling, der Erstbeschreiber zahlreicher rheumatischer Erkrankungen in Deutschland, erkannte bei seiner Liebe zur Nosomorphose bereits 1969 während seiner Visiten in Garmisch-Partenkirchen die juvenile Form der Spondarthritis, heute meist als Spondylarthritis bezeichnet. H. G. Fassbender ermöglichte als Rheumapathologe detaillierte Einblicke in die morphologischen Besonderheiten der chronischen Synovialitis beim Kind. Der Nestor der ostdeutschen Kinderrheumatologie ist Kurt Lorenz. Zusammen mit Joachim Oppermann aus Halle baute er bereits 1969 eine Interessensvertretung der pädiatrischen Rheumatologie auf. Von Dresden und . Abb. 1.1. Elisabeth Stoeber, die Begründerin der Kinderrheumatologie in Deutschland, mit ihrem Schüler Gert Kölle und Gast Eric Bywaters aus Taplow 1968
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Kapitel 1 · Geschichte der pädiatrischen Rheumatologie
. Abb. 1.2. Kurt Lorenz (Mitte) und Joachim Oppermann (links), die Pioniere der Kinderrheumatologie in Ostdeutschland, und Frau Dolgopolova (rechts) aus Moskau während einer Rheumatagung 1974
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Halle aus entwickelten sie enge Kontakte zu den osteuropäischen Zentren in Moskau, Warschau, Prag und Sofia (. Abb. 1.2). Medikamentös standen weltweit zunächst nur Aspirin und Pyramidon zur Verfügung. Mit dem ersten Einsatz des Cortisons durch Philipp Hench 1949, der dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, schien die chronische Arthritis besiegt. Schon bald zeigten sich jedoch die Schattenseiten des Wundermittels. Es befreite zwar die Kinder von der schmerzhaften Gelenkentzündung, richtete jedoch viel Unheil an. Mitte der 60er Jahre wurden dann die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) entdeckt, zunächst das Indometacin, kurz darauf das Diclofenac. Auch Tolmetin, Ibuprofen und Naproxen standen bald zur Verfügung. Sie lösten das 1897 synthetisierte Aspirin zunehmend ab. Durch ihre schmerz- und entzündungshemmende Wirkung konnten die Corticoide reduziert und teilweise ersetzt werden. Auch die sog. Basismedikamente wurden von der Erwachsenenrheumatologie übernommen und fanden ab Ende der 60er Jahre Eingang in die Behandlung rheumakranker Kinder. Es begann mit dem Hydroxychloroquin und dem parenteralen Gold. Später kam als erstes Immunsuppressivum das Azathioprin hinzu, um den Entzündungsprozess zur Ruhe zu bringen. Diese Gruppe der langsam wirkenden, die chronische Arthritis modifizierenden Medikamente hielten z. T. auf Um- und auch Irrwegen Einzug in die Therapie. Ein Beispiel dafür bilden die parenteral verabfolgten Goldsalze. Ihr Einsatz in der Medizin geht letztlich auf Robert Koch Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Nach der Entdeckung der Tuberkelbakterien lag es nahe, auch die chronische Arthritis als bakterielle Erkrankung anzusehen. Goldsalze hemmen in vitro das Wachstum von Tuberkelbakterien. Deshalb wurden sie auch in der Behandlung der chronischen Arthritis eingesetzt, zunächst beim Erwachsenen, später auch im Kindesalter.
1.3
Aufbruch der Kinderrheumatologie: 1975–2000
Entwicklung auf internationaler Ebene Im letzten Quartal des vergangenen Jahrhunderts ging es mit der Kinderrheumatologie steil bergauf. Die Entwicklung in Deutschland wird mehr und mehr eingebunden in die Fortschritte auf internationaler Ebene. Auf namentliche Hervorhebungen einzelner Leistungen muss im Folgenden leider verzichtet werden, da dies den Rahmen dieser Übersicht sprengen würde. Wichtige Ereignisse der Kinderrheumatologie in Deutschland, eingebunden in die europäische Entwicklung 1952 Erste Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen (Elisabeth Stoeber) 1976 First European Workshop on Care in Rheumatic Children, anlässlich EULAR-Tagung Oslo (Barbara Ansell, Philip Wood) 1979 EULAR Standing Committee of Pediatric Rheumatology, Wiesbaden (Barbara Ansell, AnneMarie Prieur) 1980 Selbsthilfegruppe Elternkreise rheumakranker Kinder unter dem Dach der Deutschen Rheuma-Liga, Garmisch-Partenkirchen (Christel Becker, Claudia Grave) 1986 Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Rheumatologie in Ostdeutschland, Dresden (Kurt Lorenz, Joachim Oppermann, Eva Döring) 1990 Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendrheumatologie, Hannover (bisherige Vorsitzende Manfred Gahr, Günther Dannecker, Gerd Ganser) 1993 First European Conference on Pediatric Rheumatology, Paris (Anne-Marie Prieur) 1996 Pediatric Rheumatology International Trials Organization (PRINTO), Pavia (Alberto Martini) 6
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1.3 · Pionierzeit der deutschen Kinderrheumatologie: 1950–1975
1997 Fifth European Conference on Pediatric Rheumatology, Garmisch-Partenkirchen (Hans Truckenbrodt, Ekkehard Albert) 1999 Pediatric Rheumatology European Society (PRES), Glasgow (Patricia Woo) 2004 Anerkennung der Kinder- und Jugendrheumatologie als Subspezialität des Fachbereichs Kinder- und Jugendmedizin durch die Bundesärztekammer
Nachdem in den USA 1972 Klassifikationskriterien unter der Bezeichnung juvenile rheumatische Arthritis (JRA) veröffentlicht wurden, folgte 1976 unter dem Dach der Amerikanischen Gesellschaft für Rheumatologie (ARA; später American College of Rheumatology, ACR) das berühmt gewordene erste Park-City-Meeting. 1977, nahezu gleichzeitig, trafen sich in Europa kinderrheumatologisch tätige Ärzte anlässlich der EULAR-Tagung in Oslo zum ersten europäischen Workshop Care in Rheumatic Children. Auf europäischer Ebene wurde erstmals eine gemeinsame Nomenklatur erarbeitet. Dem in den USA verwendeten Begriff der juvenilen rheumatoiden Arthritis bzw. des Morbus Still wurde die juvenile chronische Arthritis (JCA) entgegengesetzt. Damit wurde der prozesshaft fortschreitende Charakter der Gelenkentzündung zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig wurden Subgruppen definiert, eine pauciartikuläre, polyartikuläre und systemische Beginnform unterschieden. Die gemeinsame Nomenklatur ermöglichte Vergleiche und Austausch über die Grenzen hinweg. Schon 3 Jahre nach Oslo wurde in Wiesbaden das EULAR Standing Committee of Pediatric Rheumatology gegründet. Die kinderrheumatologisch tätigen Ärzte
fühlten sich jedoch von EULAR unzureichend vertreten. Man strebte nach Eigenständigkeit und rief 1993 in Paris die European Conference on Pediatric Rheumatology als unabhängige Jahrestagung ins Leben. Zu dieser Zeit war das Interesse an der Kinderrheumatologie bereits erheblich gestiegen. Anläßlich der Jahrestagung des EULAR Standing Committee of Pediatric Rheumatology kamen 1982 nur 30 Ärzte, 1997 bei der 5th European Conference on Pediatric Rheumatology bereits über 350 Teilnehmer nach Garmisch-Partenkirchen. Als nächste Stufe auf der Leiter nach oben entstand die Pediatric Rheumatology European Society (PRES) mit ihrer ersten Tagung in Glasgow 1999. Auch gemeinsame wissenschaftliche Untersuchungen und Studien wurden intensiviert. Unter dem Dach der Pediatric Rheumatology International Trials Organization (PRINTO) werden seit 1996 länderübergreifende Stu-
dien organisiert. Das Ziel liegt vor allem in einer Verbesserung und Standardisierung der diagnostischen Zuordnung und medikamentösen Therapie. Als Beispiel sei die Methotrexat-Studie angeführt: Es wurde nachgewiesen,
dass hohe Dosen (>20 mg/m2/Woche) zu keiner besseren Effektivität, aber zu mehr unerwünschten Wirkungen führen.
Entwicklung in Deutschland Auch in einem gemeinsamen europäischen Haus interessieren besonders die Ereignisse im eigenen Land. In der ehemaligen Bundesrepublik hat sich die klinische Kinderrheumatologie in den 70er und 80er Jahren vor allem durch neue Wege in der Physiotherapie, Einführen der Ergotherapie und der Miteinbeziehung der psychosozialen Betreuung im Sinne einer umfassenden multidisziplinären Behandlung des rheumakranken Kindes und seiner Familie weiterentwickelt. Hier war erneut GarmischPartenkirchen federführend. Dort trafen sich mehrfach Experten aus aller Welt, um Richtlinien für die Krankengymnastik und Ergotherapie zu erarbeiten. Neue klinische Einrichtungen zunächst in Bad Bramstedt (1977), dann in Sendenhorst (1989) und später in Neckargemünd (1998) kamen hinzu. Zusätzlich etablierten sich in der zweiten Hälfte der 80er und 90er Jahre an Universitätskinderkliniken und an größeren städtischen Kinderkliniken Abteilungen und Zentren für die Betreuung rheumakranker Kinder und Jugendlicher. In Ostdeutschland war man zu dieser Zeit dem Westen voraus. Bereits 1969 wurde eine Arbeitsgemeinschaft für Kinderrheumatologie gegründet, die ab 1986 bemerkenswerterweise sowohl ein Teilgebiet der Gesellschaft für Pädiatrie wie der Gesellschaft für Rheumatologie bildete, eine weltweit einmalige Konstruktion. Auch war die Kinderrheumatologie bereits als Spezialgebiet mit Zusatzbezeichnung anerkannt. Die Impulse gingen von Dresden und Halle aus. Es folgten Berlin-Buch und Cottbus. Nach der Wiedervereinigung 1989 fanden sich die Kinderrheumatologen aus den alten und neuen Bundesländern rasch zusammen. 1990 wurde in Hannover die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (AgKJR) gegründet. Die erste Tagung der AgKJR fand
1991 in Göttingen statt (. Abb. 1.3). Inzwischen treffen sich über 250 Mitglieder jährlich zum Erfahrungsaustausch, erarbeiten in Kommissionen Richtlinien für die medikamentöse Therapie, entwickeln detaillierte Schulungsprogramme und verfolgen gemeinsame wissenschaftliche Projekte. Dem Einsatz der Arbeitsgemeinschaft ist es in erster Linie zu verdanken, dass die Bundesärztekammer 2004 die Kinderrheumatologie als Subspezialität der Kinder- und Jugendmedizin anerkannt hat. Bereits 1980 wurde ein Arbeitskreis Eltern rheumakranker Kinder unter dem Dach der Deutschen RheumaLiga als Selbsthilfegruppe und Interessensvertretung ins Leben gerufen. Ihre Öffentlichkeitsarbeit, die unmittelbare Hilfe für betroffene Familien in enger Kooperation mit den kinderrheumatologisch tätigen Ärzten, bedeutete einen wichtigen Schritt nach vorne. Eltern erhalten vielfältigen und kompetenten Rat. Fünf Jahre spä-
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Kapitel 1 · Geschichte der pädiatrischen Rheumatologie
. Abb. 1.3. Teilnehmer der ersten Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie unter Leitung von Manfred Gahr, Göttingen 1991
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ter kamen die Young-Rheumis, (heute Junge Rheumatiker), als Zusammenschluss von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hinzu, um den besonderen Belastungen dieser Altersgruppe das notwendige Gewicht zu verschaffen. Die Gemeinschaft der Betroffenen vermittelt Vertrauen und Geborgenheit, erleichtert die Krankheitsbewältigung und fördert vor allem die Akzeptanz in der Gesellschaft. Insgesamt ist in den letzten 20–30 Jahren ein Netzwerk von Versorgungsstrukturen für rheumakranke Kinder und Jugendliche entstanden. In der ersten Reihe steht der in der Praxis tätige Arzt, meist der Kinderarzt. Er arbeitet eng mit einer Kinderrheumaambulanz zusammen, die meist an einer Universitäts- oder anderen großen Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde angesiedelt ist. Schwerer betroffene Kinder bedürfen einer stationären Behandlung in einem Zentrum mit umfassender multidisziplinärer Kompetenz und entsprechenden Klinikstrukturen, einschließlich der Möglichkeit einer operativen rheumaorthopädischen Versorgung. Die weitaus besten Ergebnisse werden durch die Verbindung der ambulanten und stationären Behandlung erreicht. Dieses duale System gilt es auch für die Zukunft zu erhalten. Gleichzeitig erscheint es dringend wünschenswert, dass die Meinung und Erfahrung der Patienten mehr als bisher in die Qualitätssicherung einbezogen wird.
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Therapeutische Fortschritte
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Medikamentös wurde die Behandlung in den letzten Jahren vor allem durch das Methotrexat bereichert. Die ers-
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ten Ergebnisse in der Therapie der JCA wurden 1986 aus Garmisch-Partenkirchen veröffentlicht. Aufgrund einer großen kontrollierten Studie, die zu Beginn der 90er Jahre gemeinsam von Kinderrheumatologen der USA und der UdSSR abgeschlossen wurde, konnte die Wirksamkeit von Methotrexat bei der chronischen Arthritis im Kindesalter nachgewiesen werden. Diese Studie ist ein hervorragendes frühes Beispiel für die Bedeutung evidenzbasierter Medizin. Im Anschluss daran hat sich Methotrexat als Goldstandard durchgesetzt. Später kamen als Immunsuppressiva Ciclosporin A und Leflunomid hinzu. Auch die Kombination von Langzeitmedikamenten gewann erheblich an Bedeutung. Eine neue therapeutische Dimension
wurde durch die Biologika eröffnet, die die gezielte Hemmung definierter proinflammatorischer Zytokine ermöglichen. Die ersten positiven Ergebnisse für das Kindesalter wurden im Jahr 2000 aus USA veröffentlicht. Inzwischen sind diese Substanzen für die Behandlung schwerer Verlaufsformen von größter Bedeutung, weitere Fortschritte sind zu erwarten. Auch wissenschaftlich ging es in den letzten Jahrzehnten stetig voran. Neue immunologische Erkenntnisse fördern das Krankheitsverständnis und ermöglichen neue therapeutische Strategien. Durch die enormen Fortschritte der Molekulargenetik wurde die Gruppe der periodischen Fiebersyndrome als »inborn errors of inflammation« mit unterschiedlichen genetischen Ursachen entlarvt. Ein Teil dieser Erkrankungen wurde dadurch einer gezielten, der Pathogenese entsprechenden Behandlung zugänglich. Auch auf dem Gebiet der Schmerzforschung kam man ein großes Stück voran. Erst durch die Erkennung des komplexen Netzwerks der Schmerzverarbeitung und Schmerzbewertung wurden die verschiedenen Schmerzzustände verständlich. Durch diese Fortschritte und eine intensivierte und multidisziplinär ausgerichtete Behandlung einschließlich Schulung und Einbeziehen der Eltern wurde in den letzten Jahrzehnten die Prognose der meisten rheumatischen Erkrankungen beim Kind und Jugendlichen deutlich verbessert. Dies gilt vor allem für die verschiedenen Formen der chronischen Arthritis. Durch eine frühzeitige und konsequente Therapie gelingt es häufig, den langwierigen Entzündungsprozess zur Ruhe zu bringen und auch zu überwinden. Die Gefahr bleibender funktioneller und morphologischer Gelenkschäden sowie Defekte an den Augen wurde erheblich reduziert, den Kindern überwiegend ein normales körperliches Wachstum und eine altersgemäße psychosoziale Entwicklung ermöglicht. Für den Übergang von rheumakranken Jugendlichen in das Erwachsenenalter, die sog. Transition mit ihren vielen Problemen, wurden neue Strategien und Konzepte erarbeitet. Sie erfordern eine enge Kooperation von Kinder- und Erwachsenenrheumatologen. Die entscheidenden Impulse gehen von Sendenhorst und Berlin aus.
1.4 · Pionierzeit der deutschen Kinderrheumatologie: 1950–1975
Ein neues Aufgabengebiet stellen die Schmerz- bzw. schmerzverstärkenden Syndrome dar. Sie treten zunehmend häufig auch bei Kindern und Jugendlichen mit oder ohne vorausgegangene Schmerzerfahrung einer akuten oder chronischen Arthritis auf. Die fibromyalgie-ähnlichen generalisierten Formen dieser weichteilrheumatischen Krankheitsbilder manifestieren sich beim Kind und Jugendlichen mit weitaus größerer Vielfalt als im Erwachsenenalter. Auch die lokalisierten Formen wie das CRPS (Complex Regional Pain Syndrome), die frühere Reflexdystrophie, haben zugenommen. Komplexe psychosoziale Zusammenhänge und Überforderungen bei gleichzeitigem Bewegungsmangel werden ursächlich für die tiefgreifende Störung des nozizeptiven und antinozizeptiven Systems diskutiert. Die aufwändige Behandlung erfordert ein multimodales Konzept mit den Schwerpunkten einer psychologisch ausgerichteten Bewegungsund Erlebnistherapie.
1.4
In Zukunft: Zusammenarbeit auf internationaler Ebene
Die Kinderrheumatologie hat sich von 1950 bis 1975 zunächst in den einzelnen Ländern der alten Welt weitgehend selbständig entwickelt. In den folgenden 25 Jahren überwog das Zusammenfinden auf europäischer Ebene. Die Zukunft wird vom Miteinander auf internationaler Ebene geprägt werden. Dies zeichnet sich beispielsweise bei der Nomenklatur ab. Etwa 20 Jahre nach der wichtigen Tagung der europäischen Kinderrheumatologen in Oslo wurde unter der Schirmherrschaft der International League of Associations for Rheumatology (ILAR) und der World Health Organisation (WHO) ein Expertengremium aus der alten und neuen Welt beauftragt, eine weltweit gültige Nomenklatur und Klassifikation der verschiedenen Verlaufsformen der chronischen Arthritis beim Kind und Jugendlichen zu erarbeiten. Auf der ersten Sitzung in Santiago kam 1995 der Vorschlag, den Begriff der juvenilen chronischen Arthritis (JCA) in Europa und der juvenilen rheumatoiden Arthritis (JRA) in USA durch die Bezeichnung juvenile idiopathische Arthritis (JIA) zu ersetzen. Die früheren 5 Subgruppen der JCA wurden in 7 Kategorien der JIA umgestaltet, für deren Zuordnung Ein- und Ausschlusskriterien erarbeitet wurden. 1997 in Durban und 2001 in Edmonton wurden Korrekturvorschläge in die Klassifikation aufgenommen. Der Begriff der JIA ist inzwischen bei allen europäischen Studien eingeführt. Auch in der klinischen Tätigkeit wird er in Europa immer häufiger verwendet. In den USA hält man bislang überwiegend an der Bezeichnung juvenile rheumatoide Arthritis fest. Es sollte möglichst bald ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Die Gründung einer internationalen Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie würde dazu beitragen,
7
den Austausch von Informationen zu beschleunigen und die Durchführung von weltweiten Studien zu fördern.
1
9
2.1 ·
Grundlagen der Autoimmunität G. Dannecker, O. Frey, J.-P. Haas, G. Horneff, T. Kamradt, J. Roth, A. Tarakhovsky, N. Wagner, F. Zepp
2.1
T-Lymphozyten
– 11
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5
Entwicklung von T-Zellen – 11 Antigenpräsentation und Aktivierung von T-Zellen – 14 Effektormechanismen von T-Zellen – 17 T-Zell-Toleranz – 20 T-Zellen und Autoimmunität – 22
Weiterführende Literatur
– 23
2.2
B-Zellen
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Entwicklung von B-Zellen – 23 Struktur und Funktion von Immunglobulinen Funktion von B-Zellen – 27 Toleranz und Autoimmunität – 29
Literatur
– 23 – 25
– 31
2.3
Monozyten und Makrophagen
2.3.1 2.3.2 2.3.3
Differenzierungswege und Aktivierungsmechanismen von Makrophagen – 31 Effektorfunktionen von Makrophagen – 32 Die Rolle von Makrophagen in entzündlichen Arthritiden und Autoimmunerkrankungen – 33
Literatur
– 31
– 36
2.4
Genetik
– 36
2.4.1 2.4.2 2.4.3
Juvenile idiopathische Arthritis – 36 Andere Autoimmunerkrankungen des Kindes- und Jugendalters – 40 Erberkrankungen mit Autoimmunphänomenen – 40
Literatur
– 42
2.5
Zytokine
– 42
2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.5.6 2.5.7 2.5.8
Grundlagen – 42 Zytokine und die natürliche, unspezifische Immunität – 44 Zytokine und die erworbene, spezifische Immunität – 45 Interleukine – 46 Die Tumor-Nekrose-Faktor-Familie und ihre Rezeptoren – 52 Interferone – 54 Chemokine – 54 Zytokine in der Immunpathogenese der rheumatoiden Arthritis
Literatur
– 59
– 55
2
10
1 2
Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
2.6
Autoimmunität und Infektion
2.6.1 2.6.2 2.6.3
Pathogenese von Autoimmunkrankheiten – 60 Von der Infektion zur Autoimmunität? – 61 Können Infektionen vor Autoimmunkrankheiten schützen?
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Weiterführende Literatur
– 60
– 62
– 64
2.7
Zusammenfassung: Pathogenese der Autoimmunkrankheiten
2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.7.4 2.7.5 2.7.6
Genetische Grundlagen (7 Kap. 2.4) – 64 T-Zellen und B-Zellen (7 Kap. 2.1; 7 Kap. 2.2) – 64 Infektionen und Autoimmunerkrankungen (7 Kap. 2.6) Zytokine (7 Kap. 2.5) – 66 Monozyten und Makrophagen (7 Kap. 2.3) – 66 (Spekulatives) Fazit – 66
Literatur
– 67
– 66
– 64
11
2.1 · T-Lymphozyten
2.1
T-Lymphozyten
O. Frey, T. Kamradt T-Lymphozyten (T-Zellen) nehmen bei der Bildung von Immunantworten eine wesentliche Rolle ein, da sie einerseits wichtige Effektorzellen des Immunsystems sind und andererseits bedeutende Aufgaben bei der Initiation, der Aufrechterhaltung und der Regulation von Immunantworten erfüllen. Wohl am deutlichsten wird die zentrale Rolle dieser Zellpopulation am Beispiel der HIV-Infektion illustriert, in deren Folge es aufgrund eines zunehmenden Mangels an T-Helferzellen zu opportunistischen Infektionen kommt, die letztendlich tödlich verlaufen. Alle T-Zellen besitzen einen Antigenrezeptor, den TZell-Rezeptor (TZR), und exprimieren zusätzlich Korezeptoren, anhand derer sich eine erste funktionelle Unterteilung vornehmen lässt. Es gibt T-Zellen, die den Korezeptor CD8 exprimieren. Diese werden auch als zytotoxische T-Zellen bezeichnet. Diese CD8-positiven (CD8+) zytotoxischen T-Zellen sind darauf spezialisiert, infizierte Körperzellen zu erkennen und zu töten. Ihr T-Zell-Rezeptor erkennt Antigene im Kontext mit MHC-Klasse-I-Molekülen. MHC-Klasse-I-Moleküle werden auf der Membran aller kernhaltigen Zellen exprimiert. Sie präsentieren Antigene, die aus dem Zytosol stammen, also von der Zelle selbst produziert wurden. Dabei handelt es sich normalerweise um zelleigene Proteine, bei Infektionen mit Viren oder anderen intrazellulären Erregern werden jedoch auch virale bzw. mikrobielle Proteine von der infizierten Zelle produziert und gelangen mit den MHC-Klasse-IMolekülen auf die Zellmembran, wo sie von CD8+-T-Zellen erkannt werden können. Durch die Zerstörung der infizierten Zellen verhindern zytotoxische T-Zellen die Bildung neuer viraler Partikel. CD4-positive T-Zellen werden als T-Helferzellen (TH) bezeichnet. Sie erkennen Antigene, die von MHC-KlasseII-Molekülen präsentiert werden. MHC-Klasse-II-Moleküle werden ausschließlich von professionellen antigenpräsentierenden Zellen, dazu zählen dendritische Zellen, Makrophagen und B-Zellen, exprimiert. Bezüglich ihrer Effektorfunktion stellen CD4+-T-Zellen eine heterogene Zellpopulation dar. So können sie u. a. Makrophagen und andere Effektorzellen des angeborenen Immunsystems aktivieren und die Bildung von Immunglobulinen durch B-Zellen steuern. Diese vielfältigen und hocheffektiven Funktionen ermöglichen die erfolgreiche Abwehr fast aller Pathogene durch das Immunsystem. Eine inadäquate oder fehlregulierte T-Zell-Antwort ist an der Entstehung von Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes, multipler Sklerose oder rheumatoider Arthritis, aber auch von allergischen Erkrankungen beteiligt.
2.1.1
Entwicklung von T-Zellen
T-Zellen entwickeln sich wie alle Zellen des Immunsystems aus undifferenzierten Vorläufern, den hämatopoetischen Stammzellen. Die lymphoiden Vorläuferzellen entstehen im Knochenmark aus pluripotenten Stammzellen. Während die B-Lymphozyten im Knochenmark ausreifen und als funktionsfähige Zellen ins Blut gelangen, wandern unreife T-Zell-Vorläufer aus dem Knochenmark über das Blut in den Thymus ein. Dort finden alle wesentlichen Entwicklungsschritte vom T-Zell-Vorläufer bis hin zur reifen T-Zelle statt. Eine Aplasie des Thymus, beispielsweise beim DiGeorge-Syndrom führt zu einer drastisch verringerten Anzahl der peripheren T-Zellen und damit der zellulären Immunantwort und der TZell-abhängigen Antikörperproduktion. Ein wesentlicher Teil der intrathymischen Entwicklung und Reifung von TZellen ist die Generierung der T-Zell-Rezeptoren sowie die positive und negative Selektion der T-Zell-Vorläufer.
Entstehung der Diversität der T-Zell-Rezeptoren Die Antigenrezeptoren der T-Zellen (oder T-Zell-Rezeptoren, TZR) bestehen aus zwei Ketten, entweder einer αund einer β-Kette oder einer γ- und einer δ-Kette. T-Zellen mit einem αβ-TZR stellen mit über 90% den Hauptanteil der T-Zellen im Organismus. T-Zellen mit einem γδ-TZR kommen vorwiegend als intraepitheliale T-Zellen vor und unterscheiden sich in Antigenspezifität und Funktion deutlich von αβ-T-Zellen. Die physiologische Funktion der γδ-T-Zellen ist immer noch nicht sicher bekannt. Deshalb werden im Folgenden nur die αβ-T-Zellen besprochen. Eine weitere Zellpopulation, die einen T-Zell-Rezeptor exprimiert, sind natürliche Killer-T- (NKT-)Zellen. Diese Zellen exprimieren sowohl T-Zell- als auch NK-Zell-Marker. Auch ihre Rolle in der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen ist noch so unklar, dass auf ihre nähere Beschreibung hier verzichtet wird. Wie Immunglobuline sind auch T-Zell-Rezeptoren nicht durch ein einzelnes Gen im Erbgut kodiert, sondern entstehen durch Rekombination (auch als Rearrangement bezeichnet) einzelner Gensegmente während der Entwicklung jeder T-Zelle. Diese Gensegmente werden als V- (»variable«), D- (»diversity«), J- (»joining«) und C(»constant«) Gene bezeichnet. Jede TZR-β-Kette besteht also aus jeweils einem V-, D-, J- und C-Element; die TZRα-Ketten weisen keine D-Elemente auf, bestehen also aus jeweils einem V-, J- und C- Element. Die Segmente, aus denen die α-Kette entsteht, liegen auf Chromosom 14 und bestehen aus 70–80 Vα, 61 Jα und einem C-Gen, während die für die β-Kette kodierenden Gensegmente (52 Vβ, 13 Jβ, 2 Dβ und 2 Cβ) auf Chromosom 7 liegen (. Abb. 2.1). Der erste Schritt in der Generierung eines TZR besteht in der erfolgreichen Rekombination der Gene für die βKette. Diese erfolgt zunächst durch die Zusammenlage-
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Vα1-80
Jα1-61
Cα α-Ketten-Gene der Keimbahn-DNA
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rearrangierte DNA für α-Kette
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variable konstant
T-Zell-Rezeptor (Protein)
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. Abb. 2.1. Schematische Darstellung der Rekombination der T-Zell-Rezeptor- (TZR-) Ketten. Während der Entwicklung jeder TZelle kommt es zur Rekombination der Keimbahn-DNA der einzelnen Gensegmente für die α- und die β-Kette des TZR. An den Verbindungsstellen der einzelnen Gensegmente werden noch Nukleotide eingefügt. Nach der Transkription und Translation der einzelnen Ketten wird der komplette TZR aus beiden Ketten gebildet
5 rearrangierte DNA für β-Kette
6 β-Ketten-Gene der Keimbahn-DNA
7 Vβ1-52 Dβ1 und 2 Jβ1-13
Cβ1 und 2
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rung eines Vβ- mit einem Jβ-Segment zu einem VJβ-Segment. Im zweiten Schritt lagert sich dieses VJβ-Segment mit einem D-Segment zu einem VDJβ-Gen zusammen. Dieses rearrangierte VDJβergibt zusammen mit einem Cβ-Segment die komplette TZR-β-Kette. Durch die hohe Anzahl verschiedener V-, D- und J-Gene können allein durch die Rekombination dieser Gene mehr als 2000 verschiedene β-Ketten generiert werden. Diese Diversität durch Rekombination wird noch dadurch erhöht, dass an den Verbindungsstellen der einzelnen Gensegmente zufällig Nukleotide eingefügt werden können. Die rearrangierte TZR-β-Kette wird zunächst zusammen mit einer invarianten Surrogat-α-Kette (und dem CD3-Komplex, s. unten) auf der Zelloberfläche exprimiert. Die Expression dieses Prä-T-Zell-Rezeptors hat mehrere Konsequenzen: Erstens wird eine weitere Rekombination der für die β-Kette kodierenden Gene unterdrückt, so dass jede T-Zelle nur eine β-Kette exprimieren kann. Dies bezeichnet man als »allelische Exklusion«. Zweitens führt die Aktivierung des Prä-TZR zu einer Proliferation der TZell-Vorläufer. Dadurch kommt es zu einer Expansion der T-Zell-Vorläufer mit diesem erfolgreich rekombinierten TZR-β-Ketten-Lokus. Nach dem Ende der proliferativen Phase ist jede dieser T-Zellen mit gleichartig rearrangierter β-Kette in der Lage, individuell die Gene für die α-Kette zu rearrangieren. Das bedeutet, dass beliebige Kombinationen aus der rearrangierten β-Kette mit einer rearrangierten α-Kette gebildet werden können. Dies bezeichnet man als kombinatorische Diversität. Die Rekombination der TZR-α-Kette erfolgt genauso wie die Rekombination der β-Ketten-Gene, mit der Ausnahme, dass für die α-Kette keine D-Gensegmente existieren. Bemerkenswert an der Rekombination der TZR-Gene ist die enorme Anzahl der möglichen T-Zell-Rezeptoren, die hierdurch entstehen können. Allein die Kombination der verschiedenen Gensegmente erlaubt knapp 6 Millio-
nen verschiedene TZR. Durch das zufällige Einfügen von Nukleotiden an den Verbindungsstellen der einzelnen Gensegmente wird die Anzahl der theoretisch denkbaren T-Zell-Rezeptoren auf über 1x1014 erhöht. Der extrazelluläre Teil der α- und der β-Kette besitzt eine konstante und eine variable Region. Für die variablen Regionen kodieren die V- und J-Segmente (und D-Segmente bei der β-Kette) der rearrangierten Keimbahn-DNA, während die C-Gene für den konstanten Anteil der Ketten kodieren. Die variable Region beider Ketten zusammen bildet den antigenbindenden Teil des TZR. Beide Ketten sind kovalent miteinander verbunden. Sie besitzen beide eine Transmembranregion und einen kurzen zytoplamatischen Teil. Der zytoplasmatische Teil der TZR-Ketten selbst besitzt keine Bindungsstellen für Signaltransduktionsmoleküle. Die αβ-Kette ist daher immer gemeinsam mit einem Komplex verschiedener invarianter Moleküle exprimiert, die die Signaltransduktion in die Zelle vermitteln. Dieser Komplex wird als CD3Komplex bezeichnet und besteht aus zwei ε-, einer γ- und einer δ-Kette, die auf der Zelloberfläche exprimiert werden, sowie zwei intrazellulären ζ-Ketten. Alle diese Ketten besitzen sog. ITAM (»immunoreceptor tyrosine-based activation motif«), an denen durch Phosphorylierung von Tyrosinresten die Signaltransduktionskaskade in Gang gesetzt wird. ! Die Diversität der T-Zell-Rezeptoren entsteht durch drei Mechanismen: 5 In jeder T-Zelle werden die Gene für die α- und β-Untereinheiten rearrangiert (Diversität durch Rekombination). 5 Dabei können an den Verbindungsstellen der einzelnen Gensegmente noch zufällig Nukleotide eingefügt werden (junktionale Diversität).
2.1 · T-Lymphozyten
5 Die zufällige Kombination der rearrangierten α- und β-TZR-Ketten wird als kombinatorische Diversität bezeichnet.
MHC-Restriktion von T-Zellen Im Gegensatz zu B-Zellen können T-Zellen keine löslichen Antigene erkennen. Prinzipiell können T-Zellen durch Pathogene oder deren Bestandteile nicht direkt aktiviert werden. Außerdem erkennen T-Zellen ausschließlich Peptide, sind also »blind« für alle anderen chemischen Substanzklassen. Jedes Antigen muss also zunächst in der Zelle in Peptide zerlegt werden und wird dann von bestimmten Molekülen gebunden, die sie schließlich den TZellen präsentieren. Diese für die Antigenpräsentation spezialisierten Moleküle werden als MHC- (»major histocompatibility complex-«)Moleküle bezeichnet. Die Gene, die für die MHC-Moleküle kodieren, sind beim Menschen auf dem Chromosom 6 lokalisiert. Man unterscheidet drei Klassen von MHC-Genen: Klasse-Iund Klasse-II-Gene kodieren u. a. für die Moleküle, mit denen Antigene präsentiert werden, während KlasseIII-Gene für verschiedene andere Moleküle, die für die Immunabwehr wichtig sind, kodieren (z. B. Komplementfaktoren, Tumor-Nekrose-Faktor). Beim Menschen werden diese Gene als HLA (»human leukocyte antigen«) bezeichnet. Klasse-I-Moleküle sind Heterodimere, die aus einer α-Kette und einer konstanten β-Kette, dem β2Mikroglobulin, bestehen. Sie werden auf der Oberfläche aller kernhaltigen Zellen exprimiert. Beim Menschen existieren drei unterschiedliche Genorte für MHC-I-α-Ketten, die zusammen mit der β2-Mikroglobulin HLA-A-, -Boder -C-Moleküle formen. Die Klasse-II-Moleküle werden normalerweise nur auf Zellen exprimiert, die auf die Präsentation von Antigenen spezialisiert sind. Solche professionellen antigenpräsentierenden Zellen (APZ) sind beispielsweise B-Zellen, Makrophagen und dendritische Zellen. HLA-Klasse-II-Moleküle bestehen aus einer α- und einer β-Kette. Diese Ketten werden kodominant exprimiert. Jeder Mensch exprimiert deshalb für jeden Genort der MHC-Klasse-II-Moleküle (DR, DP, DQ) zwei α- und zwei β-Ketten (je eine von Vater und Mutter). Diese bilden dann die αβ-Heterodimere der MHC-Klasse-II-Moleküle. Die Tatsache, dass in jedem Menschen verschiedene Genorte existieren, die für unterschiedliche Proteine mit gleicher Funktion kodieren, wird als Polygenie bezeichnet. HLA-Moleküle sind hochpolymorph. So existieren beispielsweise in der menschlichen Population mehr als 500 verschiedene Allele, die für die α-Kette von HLA-B kodieren. Die HLA-Moleküle werden kodominant exprimiert. Ungeachtet der verschiedenen allelen Varianten der HLA-Moleküle in der Gesamtpopulation exprimiert jeder einzelne Mensch also je zwei HLA-A, -B oder -C und zwei HLA-DR, -DP und -DQ. Durch den enormen Polymorphismus der HLA-Gene in der Population sind die meisten Menschen heterozygot an jedem dieser Genorte. Deswe-
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gen exprimiert jeder Mensch 6 verschiedene HLA-KlasseI-Moleküle (je ein HLA-A, -B oder -C von Vater und von Mutter). Da die HLA-Klasse-II-Moleküle aus einer α- und einer β-Kette bestehen, für die jeweils allele Formen existieren, wird die Diversität dieser Moleküle noch gesteigert, indem Kombinationen aus α- und β-Ketten mütterlicher und väterlicher Herkunft gebildet werden. Trotz ihrer unterschiedlichen Zusammensetzung aus entweder einer polymorphen α- und einer konstanten β-Kette (HLA-Klasse I) oder zwei polymorphen Ketten (HLA-Klasse II) sind sich beide Moleküle äußerlich sehr ähnlich. Beide Klassen von HLA-Molekülen besitzen an ihrer Oberfläche eine Grube, in die das antigene Peptid gebunden wird. Diese Bindungstasche wird bei den Klasse-I-Molekülen von der α-Kette allein und bei den Klasse-II-Molekülen gemeinsam von der α- und der β-Kette gebildet. Diese Struktur aus Antigenbindungsgrube und dem daran gebundenen Antigenpeptid ist die eigentliche Struktur, die Kontakt mit dem T-Zell-Rezeptor hat und von diesem erkannt wird. Die allelen Formen der HLA-Moleküle unterscheiden sich hauptsächlich in dem Bereich der einzelnen Ketten, die diese Bindungstasche für das Antigen bilden. Das bedeutet, dass die allelen Formen der Moleküle unterschiedliche Spezifitäten für die Bindung von Peptiden besitzen. Jeder Mensch verfügt also über ein individuelles Repertoire an antigenbindenden Molekülen, die unterschiedliche Peptide binden können. Der Polymorphismus der HLA-Moleküle in der Population und die Polygenie im Individuum vergrößern also das Repertoire von Peptiden, die gebunden und den T-Zellen präsentiert werden können. So wird verhindert, dass sich Pathogene durch Mutation der Bindung ihrer Peptide an die HLA-Moleküle der Immunantwort entziehen können. Andererseits macht dies ein genau auf die exprimierten HLA-Moleküle abgestimmtes TZR-Repertoire notwendig. Diese Abstimmung findet durch Selektionsprozesse im Thymus statt. Diese Selektionsprozesse sorgen dafür, dass eine T-Zelle ein Peptid nur im Kontext mit einem bestimmten HLA-Molekül erkennen kann. Wenn das gleiche Peptid von einem anderen HLA-Molekül präsentiert wird, kann die gleiche T-Zelle dadurch nicht aktiviert werden. Dieses Phänomen wird als MHC-Restriktion von T-Zellen bezeichnet. Antigenpräsentation ist die einzig bekannte Aufgabe von HLA-Molekülen. Die Häufung bestimmter HLAAllele bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen und deren Assoziation mit schweren Verläufen ist also ein gewichtiger Hinweis auf eine Beteiligung von T-Zellen in der Pathogenese von Autoimmunität (7 2.1.5). T-Zellen können nur durch an HLA-Moleküle gebundene Peptide aktiviert werden. Diese HLA-Moleküle sind: 5 polygen, d. h. es existieren mehrere unterschiedliche Moleküle mit gleichartiger Funktion, und
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
5 polymorph, d. h. von jedem Gen existieren in der Population allele Varianten. Die T-Zellen eines Individuums erkennen nur Antigene, die von MHC-Molekülen des Individuums präsentiert werden. Dies wird als MHC-Restriktion von T-Zellen bezeichnet.
Positive und negative Selektion Die mehr oder weniger zufällig verlaufende Rekombination der TZR-Gene und die Diversität der HLA-Moleküle, die durch deren Polygenie und Polymorphismus verursacht wird, garantiert, dass ein möglichst breites Spektrum an Antigenen durch die T-Zellen erkannt werden kann. Andererseits ist es dadurch auch möglich, dass TZR entstehen, die keine Peptid/HLA-Moleküle erkennen können, also für die Immunantwort nutzlos sind. Die andere mögliche Konsequenz aus der zufälligen Zusammensetzung der TZR ist, dass solche TZR entstehen, die körpereigene Antigene erkennen und so Autoimmunität verursachen können. Durch die Selektion der T-Zellen im Thymus soll verhindert werden, dass solche nutzlosen oder potenziell gefährlichen T-Zellen in das periphere Immunsystem entlassen werden. Diese Prozesse sind sehr effizient: Nur ca. 5% der T-Zell-Vorläufer verlassen jemals als reife T-Zelle den Thymus. Die Selektionsprozesse verlaufen in zwei Stufen, die als positive oder negative Selektion bezeichnet werden. Während der positiven Selektion interagieren die TZell-Vorläufer mit kortikalen Epithelzellen des Thymus, auf denen sowohl MHC-Klasse-I- und -Klasse-II-Moleküle exprimiert werden. In diesem Stadium werden von den T-Zellen beide Korezeptoren (sowohl CD4 als auch CD8) exprimiert. Falls der TZR also entweder ein KlasseI- oder ein Klasse-II-Molekül erkennt, erhält die T-Zelle ein Aktivierungssignal und differenziert sich weiter. T-Zellen, die MHC-Klasse-I-Moleküle erkennen, exprimieren dann nur noch CD8 und entwickeln sich zu zytotoxischen T-Zellen. Diejenigen T-Zellen, die Klasse-II-Moleküle erkennen, exprimieren später nur noch CD4 und differenzieren sich zu T-Helferzellen. T-Zellen, deren TZR überhaupt nicht sinnvoll mit den MHC-Molekülen des Individuums interagieren kann, werden durch Apoptose eliminiert. Bei der positiven Selektion werden also die T-Zellen ausgewählt, die überhaupt in der Lage sind, selbst MHCMoleküle zu erkennen und gleichzeitig ihre Zugehörigkeit zu den funktionell unterschiedlichen T-Zell-Subpopulationen festgelegt. Insgesamt sind nur jeweils ca. 2% aller T-Zell-Vorläufer in der Lage, MHC-I- oder -II-Moleküle zu erkennen, so dass über 95% aller Zellen eliminiert werden. Die überlebenden T-Zellen wandern tiefer in das Mark des Thymus ein und »scannen« dort professionelle antigenpräsentierende Zellen, die über das Blut einwandern, und Stromazellen des Thymus. Diese Zellen expri-
mieren Selbstpeptid/MHC-Moleküle. Die T-Zellen, deren TZR mit hoher Avidität diese Selbstantigen/MHC-Komplexe erkennt, sterben durch Apoptose. Somit werden TZellen eliminiert, die körpereigene Antigene erkennen und damit potenziell gefährlich sind. Im Thymus werden dazu eine Reihe von Autoantigenen exprimiert, die normalerweise nur in bestimmten Organen oder Geweben exprimiert werden. Diese promiskuitive Genexpression in den Stromazellen des Thymus wird u. a. durch das Molekül AIRE (»autoimmune regulator«) gesteuert. Ein durch Mutationen verursachter Funktionsverlust des AIRE-Proteins ist die Ursache des APS-1 (»autoimmune polyglandular syndrome 1«), auch als APECED (»autoimmune polyendocrinopathy, candidiasis, ectodermal dystrophy«) bekannt. Diese monogene Autoimmunerkrankung ist gekennzeichnet durch Autoimmunattacken besonders der endokrinen Organe und erhöhte Titer organspezifischer Autoantikörper. Die Elimination von T-Zellen, die körpereigene Strukturen sehr gut erkennen können, ist ein wesentlicher Mechanismus, mit dem Autoimmunität verhindert wird. Das Nichterkennen körpereigener Strukturen wird als immunologische Toleranz bezeichnet. Da der Thymus ein primäres oder zentrales lymphatisches Organ ist, wird die Elimination autoreaktiver T-Zellen als zentrale Toleranz bezeichnet. Wichtig Start ! Durch Selektionsprozesse im Thymus wird das durch Rekombination zufällig generierte T-Zell-Rezeptor-Repertoire an das individuelle Muster von HLA-Molekülen des Organismus angepasst: 5 Durch positive Selektion werden T-Zell-Vorläufer eliminiert, die nicht mit den HLA-Molekülen des Körpers interagieren können. 5 Durch negative Selektion werden T-Zellen eliminiert, die eine zu hohe Affinität zu Selbstpeptid/MHC-Molekülen aufweisen. Die negative Selektion ist ein wichtiger Mechanismus der Verhinderung von Autoimmunität. Sie wird auch als zentrale Toleranz bezeichnet.
2.1.2
Antigenpräsentation und Aktivierung von T-Zellen
Generierung von MHC/Peptid-Komplexen HLA-Klasse-I- und -Klasse-II-Moleküle unterscheiden sich durch die Herkunft der Antigene, die sie T-Zellen präsentieren. HLA-Klasse-I-Moleküle, die auf allen kernhaltigen Zellen exprimiert werden, präsentieren normalerweise Antigene, die von der Zelle selbst synthetisiert werden. Dies können beispielsweise virale Proteine sein, die im Zytoplasma synthetisiert werden. Diese Proteine werden von einem Proteinkomplex, dem Proteasom,
2.1 · T-Lymphozyten
in Peptidfragmente degradiert. Die Antigenpeptide werden vom Transportprotein TAP (»transporter associated with antigen processing«) in das Lumen des endoplasmatischen Retikulums transportiert und dort mit der α-Kette des HLA-Klasse-I-Moleküls und β2-Mikroglobulin zum kompletten Klasse-I-Molekül komplexiert. Der komplette Komplex aus HLA-Klasse-I-Molekül und Peptid wird dann auf der Oberfläche der Zelle exprimiert. HLA-Klasse-II-Moleküle werden normalerweise nur von professionellen antigenpräsentierenden Zellen, also Makrophagen, dendritischen Zellen und B-Lymphozyten, exprimiert. Diese Zellen nehmen exogene Antigene durch Phagozytose auf. Die dadurch entstandenen Vesikel, sog. Phagosomen, fusionieren dann mit Lysosomen. Dadurch sinkt der pH-Wert in den Vesikeln ab, was zur Aktivierung verschiedener Proteasen führt. Durch diese Proteasen werden dann die aufgenommenen Antigene degradiert. Die MHC-Klasse-II-Moleküle werden wie die Klasse-I-Moleküle im endoplasmatischen Retikulum (ER) generiert. Im Gegensatz zum Klasse-I-Präsentationsweg werden die Antigenpeptide jedoch nicht dorthin transportiert, sondern die MHC-Klasse-II-Moleküle werden in speziellen Vesikeln (»MHC class II compartment«, MIIC) mit den antigenen Peptiden beladen. Dabei ist es essenziell, dass die MHC-Klasse-II-Moleküle nicht bereits bei ihrer Bildung im ER mit Peptiden binden, die dorthin transportiert oder von der Zelle selbst gebildet werden. Dies wird durch eine invariante Kette verhindert, die die antigenbindende Grube des MHC-Klasse-II-Moleküls blockiert. Auf ihrem Weg zur Zelloberfläche fusionieren die Phagosomen, die das prozessierte Antigen enthalten, mit den MIIC-Vesikeln. Durch die aktivierten Proteasen wird dann die invariante Kette vom MCH-II-Molekül entfernt und dieses mit dem Antigenpeptid beladen. Der Komplex aus Peptid und MHC-II wird dann auf der Zelloberfläche exprimiert. ! Die Antigene, die von HLA-Klasse I oder -Klasse II präsentiert werden, unterscheiden sich in ihrer Herkunft: 5 HLA-Klasse I präsentiert Peptide, die von der Zelle selbst synthetisiert werden. 5 HLA-Klasse II präsentiert Peptide, die von APZ aufgenommen werden. In beiden Fällen kann es sich um körpereigene oder von Pathogenen stammende Peptide handeln.
T-Zell-Aktivierung Nachdem sie den Thymus über den Blutstrom verlassen haben, erreichen naive T-Zellen sekundäre lymphatische Organe wie Lymphknoten und Milz. Dort verlassen sie die Blutbahn, wandern durch das lymphatische Gewebe und erreichen dann wieder den Blutstrom. Naive T-Zellen rezirkulieren also ständig durch die sekundär-lymphatischen Organe. Nur in den sekundären lymphatischen Organen sind die Bedingungen gegeben, die zur Aktivie-
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rung naiver T-Lymphozyten notwendig sind. Demzufolge müssen die Antigene auch in diese Organe transportiert werden. Dies geschieht im Wesentlichen durch antigenpräsentierende Zellen (APZ). Besonders effiziente APZ sind dendritische Zellen (DZ). Diese sind strategisch an allen Eintrittspforten des Körpers für Mikroorganismen lokalisiert, also in der Haut und in den oberen Schichten von der Schleimhaut von Atmungs-, Verdauungs- und Urogenitaltrakt. Die DZ patroullieren durch diese Gewebe und phagozytieren ständig Antigene. Dies können einerseits körpereigene Antigene aus abgestorbenen Zellen oder aber Antigene von Pathogenen sein. Seit einiger Zeit weiß man, dass die lebenswichtige Unterscheidung zwischen harmlosen Selbstantigenen und Fremdantigenen, die eine adaptive Immunantwort notwendig machen, nicht von den Lymphozyten mit ihren klonalen Antigenrezeptoren getroffen wird. Die sog. Fremd/Selbst- Unterscheidung wird von den Zellen des angeborenen Immunsystems, z. B. den phagozytierenden DZ getroffen. DZ und andere Zellen des angeborenen Immunsystems besitzen sog. Toll-like-Rezeptoren (TLR). Diese TLR entstehen nicht, wie T-Zell-Rezeptoren, durch die Rekombination bestimmter Gensegmente im Individuum. Sie sind demnach keine klonalen Rezeptoren, sondern sind evolutionär hochkonserviert. Sie sind deswegen auch nicht in der Lage, ein breites Spektrum von Antigenen zu erkennen, sondern nur bestimmte molekulare Muster, die bei Mikroorganismen, aber nicht beim Menschen vorkommen. Diese molekularen Muster werden auch als »pathogen-associated molecular pattern« (PAMP) bezeichnet. Ein Beispiel dafür ist Lipopolysaccharid (LPS, Endotoxin), ein Bestandteil gramnegativer Bakterien. LPS bindet an den TLR4 und induziert eine massive Aktivierung der Zelle. Andere Beispiele für PAMP, die von spezifischen TLR erkannt werden, sind doppelsträngige RNA (spezifisch für Viren, bindet an TLR3), bestimmte Lipoproteine (spezifisch für grampositive Bakterien) und Zymosan (spezifisch für Hefen, binden TLR2) und CpG-Motive in der DNA (spezifisch für Bakterien, binden TLR9). Insgesamt sind 11 unterschiedliche TLR mit Spezifität für unterschiedliche PAMP bekannt. Hier – und nicht bei den Lymphozyten – findet die immunologische Selbst/Fremd-Unterscheidung statt! Die Aktivierung von Toll-like-Rezeptoren auf DZ führt zu einer Reihe von Veränderungen, die für die Induktion einer T-Zell-Antwort notwendig sind. Dies wird als Ausreifung der DZ bezeichnet. 5 Es kommt zu einer vermehrten Präsentation von Peptid/MHC-Komplexen und von Molekülen, die für eine T-Zell-Aktivierung notwendig sind. 5 Reife DZ sind nicht mehr in der Lage, weiter Antigene zu phagozytieren. Dies soll verhindern, dass Autoantigene von bereits durch TLR-Signale aktivierten DZ aufgenommen und präsentiert werden können.
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
5 Aktivierte DZ migrieren in die jeweiligen drainierenden Lymphknoten, den Ort der T-Zell-Aktivierung. Rezirkulierende naive T-Zellen wandern über »high endothelial venules« aus dem Blutstrom in die Lymphknoten ein. Dort haben sie viele transiente Kontakte mit DZ. Man geht davon aus, dass eine DZ pro Stunde mit ca. 500– 5000 verschiedenen T-Zellen interagieren kann. T-Zellen, die auf ihrem Weg durch den Lymphknoten nicht auf eine APZ treffen, deren Peptid/MHC-Komplexe sie erkennen können, verlassen den Lymphknoten wieder und zirkulieren durch andere sekundär-lymphatische Organe. Diese ständige Rezirkulation der Lymphozyten durch den Körper erhöht die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens einer T-Zelle mit einer bestimmten TZR-Spezifität mit einer DZ mit dem entsprechenden Peptid/MHCKomplex. Es wird angenommen, dass die Frequenz von naiven T-Zellen, die spezifisch für ein bestimmtes Antigen sind, nur zwischen 0,0001 und 0,000001% aller T-Zellen beträgt. Deswegen sind die DZ, die Antigene aus peripheren Geweben in die Lymphknoten transportieren, in den Bereichen der Lymphknoten lokalisiert, in denen die rezirkulierenden T-Zellen aus dem Blut in diese Organe eintreten. Erkennt eine T-Zelle mit ihrem TZR den entsprechenden Peptid/MHC-Komplex, kommt es zur Ausbildung einer komplexen Struktur, die aus Peptid/MHC/ TCR-Komplexen sowie Adhäsionsmolekülen besteht, dem sog. »supramolecular activation cluster« (SMAC). Dieser SMAC stabilisiert die Interaktion mit der APZ und sorgt gleichzeitig für eine Konzentration der für die Signalübermittlung ins Zellinnere notwendigen Moleküle. Die Bindung des TZR und der entsprechenden Korezeptoren (CD4 oder CD8) am Peptid/MHC-Komplex setzt eine komplizierte Signaltransduktionskaskade in Gang, die hier nur in den Grundzügen dargestellt werden kann. Diese Kaskade beginnt mit der Aktivierung der Tyrosinkinasen Lck und Fyn. Lck ist mit dem zytoplasmatischen Teil der CD4- oder CD8-Korezeptoren assoziiert. Die Bindung dieser Korezeptoren zusammen mit dem TZR am Peptid/MHC-Molekül bringt Lck in die Nähe bestimmter Regionen in den invarianten Ketten des TZR/CD3-Komplexes. Solche Regionen findet man an einer ganzen Reihe von aktivierenden Rezeptoren im Immunsystem, sie werden daher als »immunreceptor tyrosine-based activation motif« (ITAM) bezeichnet. Lck (und Fyn, das durch die TZR-Aktivierung mit der ε- und ζ-Kette des TZR/CD3Komplexes assoziiert) beginnen nun, die Tyrosinreste der ITAM zu phosphorylieren. Diese Phosphorylierung erlaubt die Bindung des Moleküles ZAP-70 (»zeta-associated protein«) an der ζ-Kette des TZR/CD3-Komplexes. ZAP-70 aktiviert dann weiter Adaptermoleküle, die im Wesentlichen drei Signaltransduktionskaskaden in Gang setzen.
5 Zunächst kommt es zur Aktivierung von Phospholipase C-γ. Dieses Enzym spaltet Phosphatidylinositolbisphosphat (PIP2) in Diacylglycerol (DAG) und Inositoltrisphosphat (IP3). 5 DAG führt dann zur Aktivierung der Proteinkinase C, die daraufhin den Transkriptionsfaktor NF-κB aktiviert. 5 IP3 erhöht die intrazelluläre Kalziumkonzentration, was zur Aktivierung der Phosphatase Calcineurin führt, die wiederum den Transkriptionsfaktors NFAT (»nuclear factor of activated T cells«) aktiviert. 5 Weiterhin kommt es zur Aktivierung einer Kaskade von MAP-Kinasen, die AP-1, einen weiteren Transkriptionsfaktor, aktivieren. Diese aktivierten Transkriptionsfaktoren setzen schließlich die Genexpression in Gang. Verschiedene Immunsuppressiva blockieren die Signaltransduktion des T-Zell-Rezeptors: Ciclosporin A und Tacrolimus binden an die intrazellulären Proteine Cyclophilin beziehungsweise FK-bindendes Protein. Beide Komplexe binden an Calcineurin und verhindern dessen Aktivierung durch die gestiegene intrazelluläre Kalziumkonzentration, was dann die Aktivierung von NFAT verhindert. Möglicherweise sind Mutationen von Molekülen, die an der Signaltransduktion von T-Zellen beteiligt sind, genetische Faktoren, die die Suszeptibilität für Autoimmunerkrankungen erhöhen. Zumindest in Tiermodellen ist gezeigt worden, dass das Fehlen bestimmter Moleküle, die die Signaltransduktion regulieren, zu einem Lupusähnlichen Krankheitsbild führt. Eine veränderte Signaltransduktion kann nicht nur zu einer verminderten oder verstärkten T-Zell-Aktivierung führen, sondern auch die Selektion der T-Zell-Vorläufer im Thymus beeinflussen, weil in diesen Selektionsprozessen auch TZR-Signale beteiligt sind. So kommt es in Mäusen mit einer ZAP-70Mutation zum Auftreten einer spontanen Arthritis, die der Rheumatoiden Arthritis in vielen Aspekten ähnlich ist. ! Die Aktivierung naiver T-Zellen erfolgt in den sekundären lymphoiden Organen durch professionelle antigenpräsentierende Zellen. Diese besitzen Rezeptoren, mit denen sie molekulare Muster von Pathogenen erkennen können. Nur wenn sie über diese Rezeptoren aktiviert wurden, können antigenpräsentierende Zellen zur T-Zell-Aktivierung und damit zur Initiation einer adaptiven Immunantwort führen.
Kostimulation Ein Signal über den T-Zell-Rezeptor allein ist nicht ausreichend für die Aktivierung von T-Zellen. Für eine vollständige Aktivierung brauchen T-Zellen ein zweites, sog. kostimulatorisches Signal. Die am besten charakterisierten kostimulatorischen Moleküle sind CD80 und CD86,
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2.1 · T-Lymphozyten
die auch als B7.1 oder B7.2 bezeichnet werden und auf antigenpräsentierenden Zellen exprimiert werden. Beide Moleküle interagieren mit CD28 auf den T-Zellen, das ein aktivierendes Signal in die T-Zelle vermittelt. CD28 ist auf naiven T-Zellen konstitutiv exprimiert und essenziell für deren Aktivierung. Die Aktivierung von T-Zellen über ihren TZR ohne Kostimulation über CD28 führt zur funktionellen Inaktivierung der T-Zellen. Diese funktionelle Inaktivierung wird als Anergie bezeichnet und ist einer der Mechanismen, mit denen Toleranz im Immunsystem aufrechterhalten wird. Nach ihrer Aktivierung können T-Zellen noch eine Reihe andererer kostimulatorischer Moleküle exprimieren, die die Aktivierung und Effektorfunktionen von TZellen modulieren. Eines dieser Moleküle ist »cytotoxic t lymphocyte antigen 4« (CTLA-4) oder CD152. CD152 vermittelt im Gegensatz zu CD28 inhibitorische Signale in die Zelle. Durch seine im Vergleich zu CD28 1000fach höhere Affinität zu CD80/CD86 kann CD152 das CD28Molekül von seinen Interaktionspartnern verdrängen und so inhibierend auf die T-Zellen wirken. Die kompetitive Inhibition der CD28/B7-Interaktionen wird therapeutisch für die Therapie von Autoimmunerkrankungen ausgenutzt. Durch die Injektion eines Fusionproteins aus dem extrazellulären Teil des CTLA-4-Moleküles und dem FcTeil von humanen Immunglobulinen (CTLA-4Ig) wird die Bindung von CD28 an B7-Molekülen und damit die Kostimulation verhindert. Erste klinische Studien haben gezeigt, dass dieses immunmodulatorische Therapieprinzip bei der rheumatoiden Arthritis hochwirksam ist. Ebenfalls nach ihrer Aktivierung wird von T-Zellen das Molekül »inducible costimulator« (ICOS) exprimiert. ICOS gehört wie CTLA-4 zur CD28-Familie. Der Ligand für ICOS (wird als ICOS-Ligand, LICOS, B7h oder B7RP1 bezeichnet) wird auf antigenpräsentierenden Zellen, aber auch in nichtlymphoiden Geweben (wie beispielsweise Fibroblasten) exprimiert. Kostimulatorische Signale über ICOS können T-Zell-Effektorfunktionen somit nicht nur in Lymphknoten, sondern auch in peripheren Geweben regulieren. Alle Funktionen der ICOS/ICOS-LigandInteraktionen sind noch nicht bekannt. Sie scheinen insbesondere entscheidend für T-Zell-vermittelte B-ZellAntworten und für die Aufrechterhaltung immunologischer Toleranz zu sein. Zwei weitere Mitglieder der CD28-Familie sind PD1 (»programmed cell death-1«) und BTLA (»B and T lymphocyte attenuator«), die wie CTLA-4 inhibitorische Signale in die T-Zellen vermitteln. Die Liganden für diese Moleküle gehören zur B7-Familie und werden als PD-L1 (B7-H1), PD-L2 (B7-DC), B7-H3 oder B7-H4 (B7x/B7-S1) bezeichnet. Es wird angenommen, das PD-1 mit PD-L1 und PD-L2 interagieren kann. Der Ligand für BTLA ist noch nicht näher charakterisiert. Sowohl PD-1 als auch BTLA werden von B-Zellen exprimiert und scheinen somit eine breite immunregulatorische Funktion zu haben.
Weitere kostimulatorischer Signale werden über Rezeptor/Liganden-Paare vermittelt, die zur TumorNekrose-Faktor- (TNF-)Familie gehören. Eines dieser Moleküle ist CD40-Ligand, das mit CD40 auf APZ interagiert. CD40-CD40-Ligand-Interaktionen sind bidirektional, das bedeutet, dass Signale über diese Moleküle nicht nur die T-Zellen, sondern auch die APZ aktivieren können. Weitere wichtige Mitglieder der TNF-Familie sind OX40 (CD134), 4-1BB (CD137) und GITR (»glucocorticoid-induced TNF-receptor«). Interessanterweise vermitteln die konstitutiv exprimierten kostimulatorischen Moleküle (CD28 und andere, hier nicht erwähnte) ausnahmslos aktivierende Signale in die T-Zelle, während die durch T-Zell-Aktivierung exprimierten Moleküle sowohl aktivierende (ICOS, OX40, 41BB) als auch hemmende (CTLA-4, PD-1) Signale vermitteln können. Von allen bekannten kostimulatorischen Liganden sind nur B7.1 und B7.1 ausschließlich auf APZ exprimiert. Alle anderen können auch von anderen Zellen wie Endothel- oder Epithelzellen und Fibroblasten exprimiert werden. Die koordinierte Expression der aktivierenden oder inhibierenden kostimulatorischen Moleküle und ihrer jeweiligen Liganden zu bestimmten Zeitpunkten und in bestimmten Geweben erlaubt eine exakte zeitliche und räumliche Modulation der Immunantwort. Es ist daher zu erwarten, dass eine Blockade solcher kostimulatorischer Signale neue therapeutische Optionen für die Therapie von Autoimmunerkrankungen bietet. ! Ein Signal über den Antigenrezeptor allein ist nicht ausreichend zur Aktivierung von T-Zellen, sondern führt zu deren funktioneller Inaktivierung, der Anergie. Daher werden zur T-Zell-Aktivierung immer kostimulatorische Signale benötigt. Die Moleküle, über die diese Signale vermittelt werden, werden entweder konstitutiv oder aktivierungsabhängig exprimiert. Die koordinierte Expression der Liganden zu bestimmten Zeitpunkten und an bestimmten Orten kann regulierend auf die Immunantwort einwirken.
2.1.3
Effektormechanismen von T-Zellen
Nach ihrer Aktivierung über den TZR und kostimulatorische Moleküle beginnen T-Zellen das Zytokin Interleukin-2 (IL-2) zu sezernieren. Gleichzeitig beginnen sie, den IL-2-Rezeptor zu exprimieren. Dieser Rezeptor besteht aus der α-Kette (CD25) und zwei weiteren Ketten. Die Aktivierung dieses Rezeptors durch die autokrine oder parakrine IL-2-Sekretion führt zur Proliferation dieser T-Zellen. Diese Proliferation, die über mehrere Tage andauern kann, führt zu einer massiven Expansion der T-Zellen mit der gleichen Antigenspezifität, die pathogene Mikroorganismen effizient bekämpfen können. Während dieser Proliferation beginnen die T-Zellen Rezeptoren für Chemoki-
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
ne und Adhäsionsmoleküle zu exprimieren, die sie für den Eintritt in periphere Gewebe, den Ort der Effektor-T-ZellAntwort, benötigen.
Effektorfunktionen von CD8+-T-Zellen Obligat intrazellulär lebende Mikroorganismen oder Viren sind für Antikörper und andere Moleküle des Immunsystems nur schwer zu erreichen. Um solche Pathogene zu eliminieren, muss die Wirtszelle mit beseitigt werden. Auf diese Aufgabe sind CD8-positive, sog. zytotoxische T-Zellen spezialisiert. Sie erkennen körperfremde Antigene, die aus dem Zytoplasma stammen und die im Kontext mit MHC-Klasse-I-Molekülen präsentiert werden. Zu einer solchen Antigenpräsentation sind im Prinzip alle kernhaltigen Zellen des Körpers befähigt, da sie alle MHC-I exprimieren. Die Aktivierung von CD8+-T-Zellen erfolgt jedoch ausschließlich durch antigenpräsentierende Zellen im Lymphknoten. Dafür gibt es verschiedene Gründe: 5 Den MHC-I-exprimierenden Zellen fehlen kostimulatorische Moleküle, die für die T-Zell-Aktivierung essenziell sind. 5 Naive T-Zellen sind aufgrund ihres Expressionsmusters von Chemokinrezeptoren und Adhäsionsmolekülen gar nicht in der Lage, in andere Gewebe als die sekundär lymphatischen Organe einzuwandern. 5 Die Effektorfunktion von zytotoxischen T-Zellen, nämlich die Zerstörung von Zielzellen, ist für den Körper potenziell gefährlich. Deswegen sind CD8+Zellen für ihre Aktivierung auf die Hilfe von CD4+T-Zellen angewiesen. CD4+-T-Zellen, die Antigen/ MHC-Komplexe auf der gleichen APZ wie die CD8+Zelle erkennen, stimulieren die Expression von kostimulatorischen Molekülen durch CD40-Ligand/ CD40-Interaktionen auf dieser Zelle. Erst diese vermehrte Kostimulation ist dann ausreichend für eine vollständige Aktivierung von CD8+-T-Zellen. Wenn die zytotoxische T-Zelle vollständig aktiviert wurde, ist sie in der Lage, in die infizierten Organe einzuwandern. Dort tötet sie nach erneuter Erkennung des Peptid/MHCKomplexes die jeweilige Zielzelle ab. Die erneute Erkennung stellt sicher, dass nur infizierte, nicht aber nichtinfizierte Zellen in der Nachbarschaft abgetötet werden. Zytotoxische T-Zellen können Zielzellen über verschiedene Mechanismen abtöten. Durch die Freisetzung von Perforin können sie Poren in der Membran der Wirtszelle verursachen. Durch diese Poren gelangt dann eine Reihe von Proteasen in das Zytoplasma der Zielzelle und setzt dort die Apoptose in Gang. Außerdem können zytotoxische T-Zellen auch Fas-Ligand exprimieren. Fas-Ligand (CD178) ist ein Mitglied der Tumor-NekroseFaktor-Familie. Die Ligation von Fas (CD95) auf Zielzellen durch Fas-Ligand induziert in der Zielzelle Apoptose. Eine weitere Effektorfunktion von CD8-positiven T-Zellen ist die Sekretion von Zytokinen, wie beispielsweise
Interferon-γ und TNF-α, die die Expression von MHCKlasse-I-Molekülen erhöhen und Makrophagen aktivieren können. Die Rolle von CD8+-T-Zellen für Autoimmunerkrankungen ist lange unterschätzt worden. Fast alle Körperzellen exprimieren MHC-Klasse-I-Moleküle und können daher von zytotoxischen T-Zellen zerstört werden. In der Tat sind beim Typ-1-Diabetes CD8+-Zellen wichtige Effektorzellen bei der Zerstörung der insulinproduzierenden β-Zellen des Pankreas. Bei multipler Sklerose sind CD8+-T-Zellen, möglicherweise durch ihre Fähigkeit Neurone zu zerstören, wichtige Effektorzellen. Auch die Assoziation der ankylosierenden Spondylitis mit HLAB27, einem Klasse-I-HLA-Molekül, ist ein Hinweis auf eine Beteiligung dieser Zellen an der Pathogenese dieser Autoimmunerkrankung. ! Die Aufgabe von zytotoxischen Effektor-T-Zellen besteht vor allem darin, infizierte Zielzellen abzutöten. Dies erfolgt durch die Freisetzung von Perforin oder durch eine Apoptoseinduktion über Fas-Ligand/Fas-Interaktionen. Die Aktivierung von CD8+-T-Zellen wird von CD4+-T-Zellen kontrolliert.
Effektorfunktionen von CD4+-T-Zellen CD4+-T-Helfer- (TH-)Zellen aktivieren und steuern verschiedene Arme der Immunantwort und können auch selbst Effektorfunktionen besitzen. Die Aktivierung und Steuerung der Immunantwort erfolgt hauptsächlich über die Wirkung von Zytokinen. CD4+-T-Zellen können eine Vielzahl unterschiedlicher Zytokine produzieren. Dazu gehören u. a. die Interleukine (derzeit sind mehr als 30 bekannt), Interferon, Tumor-Nekrose-Faktor (2 bekannt) und Transforming growth factor (TGF). Dazu kommen noch Chemokine und Chemokinrezeptoren, mit denen das Migrationsverhalten von Zellen gesteuert wird. Naive TH-Zellen können vor allem IL-2 und TNF-α produzieren. Effektor/Gedächtnis-TH-Zellen sind bezüglich ihrer Zytokinproduktion eine heterogene Zellpopulation. Keine ausdifferenzierte TH-Zelle exprimiert alle Zytokine und Chemokine, die von TH-Zellen prinzipiell produziert werden könnten. Stattdessen exprimieren unterschiedliche TH-Zellen unterschiedliche Sets von Zytokinen, von denen manche auffallend häufig koexprimiert werden. Anhand der Zytokinproduktion unterscheidet man auch heute noch gelegentlich nach einem sehr vereinfachten Schema T-Helfer-1-Zellen, die hauptsächlich Interferon- (IFN-)γ und TNF-β sezernieren, von T-Helfer-2-Zellen, die hauptsächlich IL-4, IL-5 und IL13 sezernieren. Die Entscheidung, ob sich eine proliferierende T-Zelle in eine TH1- oder eine TH2-Zelle differenziert, wird ihr hauptsächlich vom Zytokinmilieu während der Differenzierung diktiert. Die Entwicklung von TH1Zellen wird von IL-12 gefördert und von IL-4 gehemmt, während die Entwicklung von TH2-Zellen von IL-4 geför-
2.1 · T-Lymphozyten
dert und von IFN-γ gehemmt wird. Die beiden Subpopulationen können sich also gegenseitig hemmen. Nach erfolgter Differenzierung von TH1- oder TH2-Zellen ist es ab einem bestimmten Punkt nicht mehr möglich, das Muster ihrer Zytokinproduktion zu beeinflussen. Das bedeutet, dass sich eine ausdifferenzierte TH1-Zelle nicht mehr in eine TH2-Zelle umpolarisieren lässt. Dies wird durch epigenetische Modifikationen der entsprechenden Zytokingene und die Überexpression bestimmter Transkriptionsfaktoren in den Zellen der jeweiligen Subpopulationen verursacht. Dieses »Einrasten« der Zellen in ein stabiles Zytokinproduktionsmuster macht therapeutische Ansätze, die eine Veränderung der Polarisation der T-Zellen zum Ziel haben, sehr schwierig. Die wichtigste Funktion von TH1-Zellen ist die Aktivierung von Makrophagen. Dies erfolgt durch die IFN-γSekretion und Signale über CD40-Ligand/CD40-Interaktionen. Aktivierte Makrophagen sind essenziell für die zellvermittelte Immunität und damit für die Abwehr intrazellulär lebender Mikroorganismen, wie Mykobakterien. TH2-Zellen sind dagegen essenziell für die Aktivierung der humoralen Immunantwort. Sie können über CD40Ligand/CD40-Interaktionen B-Zellen die Produktion von Immunglobulinen aktivieren und gleichzeig durch ihre Zytokinproduktion den Isotypenswitch induzieren. Die humorale Immunantwort und damit die TH2-Zellen sind von entscheidender Bedeutung für die Abwehr extrazellulärer Erreger. Lange Zeit wurde vermutet, dass sich die Pathogenese verschiedener entzündlicher Erkrankungen wie beispielsweise chronischer Arthritiden, multipler Sklerose oder Allergien mit einem Ungleichgewicht zwischen TH1- und TH2-Zellen erklären lässt. In der Tat scheinen bei Autoimmunerkrankungen TH1-vermittelte Effektorfunktionen wie z. B. die Makrophagenaktivierung eine große Bedeutung zu besitzen. Ebenso sind TH2-Zellen für die Pathogenese allergischer Entzündungen essenziell. Überraschenderweise sind aber Mäuse, die genetisch defizient für IFN-γ sind, sehr viel suszeptibler für die Induktion von Autoimmunität im Tiermodell. Das Fehlen von IL-4 hingegen kann den Verlauf experimenteller Arthritiden entweder hemmen oder lässt ihn unbeeinflusst, was gegen
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eine protektive Rolle von TH2-Zellen spricht. Im Modell der experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis, einem Tiermodell für die multiple Sklerose, lässt sich allein mit TH2-Zellen auch die Krankheit induzieren. Mit einem einfachen Ungleichgewicht zwischen den einzelnen T-Zell-Subsets lässt sich die Pathogenese chronischentzündlicher Erkrankungen also nicht erklären. Erst in jüngerer Zeit ist gezeigt worden, dass T-Helferzellen existieren, die sich nicht als TH1- oder TH2-Zellen klassifizieren lassen. Diese Zellen produzieren die proinflammatorischen Zytokine TNF-α, IL-6 und IL-17. Diese Zytokine, insbesondere IL-17, haben entzündungsfördernde Wirkungen nicht nur auf hämatopoetische Zellen, sondern auch auf Stromazellen wie Fibroblasten. Im adoptiven Transfer sind diese Zellen extrem gut in der Lage, Autoimmunerkrankungen zu induzieren. Es scheint sich also hierbei um ein T-Zell-Subset zu handeln, das besonders wichtig für die Entstehung von Gewebsentzündungen und damit in der Pathogenese von gewebsdestruktiven Autoimmunerkrankungen ist (. Abb. 2.2). T-Zellen können nicht nur Immunantworten initiieren und aufrechterhalten, sondern auch herunterregulieren. Seit wenigen Jahren erst weiß man, das T-Zellen existieren, die funktionell auf die Suppression von Immunantworten spezialisiert sind (7 2.1.4., Abschn. »Regulatorische T-Zellen«). T-Zellen können also in Abhängigkeit vom Aktivierungszustand, der von kostimulatorischen Molekülen, Zytokinen etc. bestimmt wird, unterschiedliche transkriptionelle Programme aktivieren, die zu unterschiedlichen Effektorfunktionen führen. Die einfache Einteilung in TH1- und TH2-Zellen hat sich lange bewährt, heute muss aber davon ausgegangen werden, dass es sich um eine zu starke Vereinfachung der komplexen Abläufe während einer Immunantwort handelt. Eine bemerkenswerte Eigenschaft von T-Zell-Antworten ist, dass sich ein immunologisches Gedächtnis ausbilden kann. Durch dieses immunologische Gedächtnis wird gewährleistet, dass bei einem erneuten Kontakt mit dem gleichen Antigen eine schnellere und effektivere Immunantwort ausgeprägt wird. Diese sog. sekundäre Immunantwort basiert darauf, dass es im Verlauf jeder T-Zell. Abb. 2.2. Funktionelle Subpopulationen von T-Helfer-Zellen. Die Differenzierung der verschiedenen Subsets erfolgt nach der Aktivierung der naiven T-Zellen unter der Mitwirkung typischer Zytokine. Die von den einzelnen Subpopulationen produzierten Zytokine können jeweils die Differenzierung der anderen Subsets hemmen. DZ dendritische Zelle, IL Interleukin, TH T-Helferzelle, IFN Interferon
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Antwort zur Bildung von Gedächtnis-T-Zellen kommt. Man kann zwei unterschiedliche Arten von GedächtnisT-Zellen unterscheiden: 5 So genannte Effektor-Memory-T-Zellen sind nach ihrer Aktivierung sehr schnell in der Lage, große Mengen von Zytokinen zu produzieren und in entzündete Gewebe einzuwandern. 5 Zentrale Memory-Zellen rezirkulieren durch sekundär-lymphatische Organe. Beide Typen von Gedächtniszellen reagieren empfindlicher auf TZR-Stimulation und sind weniger auf Kostimulation angewiesen. Durch die Bildung von GedächtnisT-Zellen ist die Frequenz von antigenspezifischen T-Zellen ca. 100- bis 1000fach höher als vor einer Immunantwort. Demzufolge sind sowohl quantitative als auch qualitative Veränderungen der T-Zell-Population verantwortlich für das immunologische Gedächtnis. ! Die Effektorfunktionen von TH-Zellen werden hauptsächlich über Zytokine vermittelt. Anhand der Zytokinproduktion lassen sich die TH-Zellen in verschiedene Subpopulationen einteilen, die verschiedene Arme der Immunantwort aktivieren können. Die Bildung von Gedächtnis-TZellen erlaubt bei erneutem Kontakt mit dem Antigen eine schnellere und effizientere Immunantwort.
Periphere Toleranz
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2.1.4
T-Zell-Toleranz
Zentrale Toleranz
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von T-Zellen, die körpereigene Antigene erkennen können. Diese autoreaktiven T-Zellen können dann wiederum die Grundlage für Autoimmunerkrankungen sein. Diese Zellen zu eliminieren ist somit für den Körper essenziell und erfolgt durch die negative Selektion. Dabei werden den sich entwickelnden T-Zell-Vorläufern von Stromazellen und APZ Selbstantigen/MHC-Komplexe präsentiert. Die T-Zellen, die diese Autoantigene sehr gut erkennen, sterben durch Apoptose ab und werden so eliminiert (. Abb. 2.3). Dieser Prozess ist eine Erklärung für die Assoziation bestimmter HLA-Moleküle mit Autoimmunerkrankungen: Möglicherweise sind bestimmte HLA-Moleküle schlechter als andere in der Lage, bestimmte Autoantigene zu präsentieren, was zu einer mangelhaften Elimination bestimmter autoreaktiver T-Zellen führen kann. Die Präsentation der Autoantigene wird durch den Transkriptionsfaktor AIRE reguliert. AIRE sorgt dafür, dass normalerweise organ- oder gewebsspezifisch exprimierte Antigene auch in den Stromazellen des Thymus exprimiert werden. Ein Funktionsverlust des AIRE-Genes hat beim Menschen ein katastrophales Autoimmunsyndrom (APS1 oder APECED), das verschiedene Organe befällt, zur Folge. Dieses schwere Krankheitsbild, das durch eine beeinträchtigte negative Selektion verursacht wird, unterstreicht die Bedeutung der zentralen Toleranz.
Der Antigenrezeptor der T-Zellen wird zufällig durch die Rekombination bestimmter Gensegmente generiert. Dies stellt einerseits sicher, dass das Repertoire der T-Zell-Rezeptoren ausreicht, um alle Erreger effektiv erkennen und bekämpfen zu können, und verhindert, dass sich Erreger durch Anpassung an ein bestimmtes TZR-Repertoire der Immunantwort entziehen können. Andererseits bietet dieser Mechanismus die Möglichkeit zur Entstehung
Die Elimination der autoreaktiven Zellen im Thymus ist unvollständig. Deswegen muss man davon ausgehen, dass in den meisten Individuen autoantigenspezifische T-Zellen existieren. In der Tat kann man bei gesunden Menschen T-Zellen nachweisen, die klinisch relevante Autoantigene erkennen. Eine Aktivierung dieser Zellen kann zu Autoimmunerkrankungen führen. Dies wird am besten durch die gebräuchlichen Tiermodelle demonstriert, bei denen eine Immunisierung von Mäusen bestimmter Stämme mit Kollagen Typ II oder Myelinantigenen zu einer chronischen Arthritis oder einem der multiplen Sklerose ähnlichen Krankheitsbild führt. Da klinisch evidente . Abb. 2.3. Positive und negative Selektion im Thymus. Unreife T-Zellen wandern in den Thymus ein, wo ihnen Antigen präsentiert wird. T-Zellen, deren TZR eine sehr niedrige Affinität zu den MHC-Selbstpeptid-Komplexen haben, erhalten kein Überlebenssignal und sterben durch Apoptose ab. Zellen mit einer sehr starken Affinität werden ebenfalls durch Apoptose eliminiert. Nur T-Zell-Vorläufer mit einer mittleren Affinität für diese Komplexe reifen im Thymus aus und wandern in die Peripherie, wo sie aktiviert werden können
2.1 · T-Lymphozyten
Autoimmunität beim Menschen relativ selten ist, müssen also noch weitere Mechanismen im peripheren Immunsystem existieren, mit denen diese autoreaktiven T-Zellen unter Kontrolle halten werden. Einer dieser Mechanismen ist T-Zell-Anergie, das heißt die funktionelle Inaktivierung von T-Zellen. Zur Induktion von Anergie kommt es, wenn eine T-Zelle über ihren TZR in Abwesenheit von kostimulatorischen Signalen aktiviert wird. In diesen TZellen werden wichtige Signaltransduktionsmoleküle verstärkt abgebaut. Anerge T-Zellen können dann nicht mehr aktiviert werden und stellen somit keine Gefahr für den Organismus mehr dar. Mäuse, die genetisch defizient für diesen verstärkten Abbau von Signaltransduktionsmolekülen sind, besitzen viele aktivierte T-Zellen und bilden erhöhte Level an Autoantikörpern. Darüber hinaus können anerge autoreaktive T-Zellen, die im Organismus verbleiben, die Aktivierung anderer autoreaktiver Zellen dadurch verhindern, dass sie mit ihnen um die Bindung an Selbstpeptid/MHC-Moleküle konkurrieren. Eine andere mögliche Konsequenz der TZR-Aktivierung ohne gleichzeitige Kostimulation ist der aktivierungsinduzierte Zelltod. Dadurch kommt es zur Deletion autoreaktiver T-Zellen im peripheren Immunsystem. Die besondere Bedeutung dieser Mechanismen der peripheren Toleranz liegt darin, dass die APZ ständig Autoantigen aufnehmen und präsentieren, dies aber in Abwesenheit inflammatorischer Stimuli durch mikrobielle Gefahrensignale zur Induktion von Toleranz führt (. Abb. 2.4). Somit sind diese Prozesse wesentlich für die Verhinderung von Autoimmunität.
Regulatorische T-Zellen Seit mehr als 30 Jahren vermutet man, dass Lymphozyten existieren, die auf die Suppression anderer Lymphozyten spezialisiert sind. Allerdings gelang es lange Zeit nicht, diese Zellen näher zu beschreiben oder zu isolieren, was dann zur Ablehnung dieses Konzeptes führte. Erst in jüngerer Zeit konnte man T-Zellen identifizieren, die in der Lage sind, Immunreaktionen zu unterdrücken. Diese sog.
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regulatorischen T-Zellen (Treg) exprimieren den Transkriptionsfaktor FoxP3. Treg-Zellen scheinen bereits im Thymus zu entstehen und verlassen diesen als bereits funktionelle Zellen. Derzeitige Vorstellungen gehen davon aus, dass während der negativen Selektion die T-Zellen, deren TZR Autoantigene mit einer relativ hohen Affinität erkennen, sich zu Treg-Zellen differenzieren. Dies würde bedeuten, dass diese Zellpopulation vorwiegend Autoantigene erkennt. Allerdings können Treg-Zellen nicht nur den Verlauf von Autoimmunerkrankungen, sondern auch den von Infektionen im Tiermodell beeinflussen. Das bedeutet, dass regulatorische T-Zellen nicht nur T-Zell-Antworten gegen Autoantigene, sondern auch gegen exogene Antigene regulieren können. Wie die Suppression von T-Zellen durch Treg-Zellen genau funktioniert, ist noch unbekannt. In einigen Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass der suppressive Effekt der Treg-Zellen auf der Sekretion der immunsuppressiven Zytokine IL-10 und TGF-β beruht. Wenn TregZellen isoliert und in vitro aktiviert werden, verhalten sie sich wie anerge T-Zellen. Darüber hinaus sind sie in der Lage, die Proliferation anderer T-Zellen zu hemmen. Möglicherweise ist dieses Verhalten aber ein In-vitro-Artefakt, da In-vivo-Analysen gezeigt haben, dass Treg-Zellen eine hohe Teilungsrate sogar unter Ruhebedingungen haben. Da man also die Treg-Funktion derzeit noch nicht direkt messen kann, lassen sich noch keine Aussagen darüber treffen, ob eine Dysfunktion dieser Zellpopulation an der Pathogenese von Autoimmerkrankungen des Menschens beteiligt ist. Man weiß, dass das IPEX-Syndrom (»immune dysregulation, polyendocrinopathy, enteropathy, x-linked syndrome«) auf einer Mutation des FoxP3-Genes beruht. Das IPEX-Syndrom ist ein seltenes, früh einsetzendes und tödlich verlaufendes Polyautoimmunsyndrom. Dies unterstreicht die wichtige Rolle der regulatorischen T-Zellen für die Verhinderung von Autoimmunität. Aktuelle Arbeiten haben gezeigt, dass sich durch chronische Antigenstimulation aus naiven T-Zellen regulato-
. Abb. 2.4. Periphere Toleranz. T-Zellen, die von ihrem Antigen räumlich getrennt sind, z. B. durch die Blut-Hirn-Schranke, können nicht aktiviert werden. Dies wird auch als immunologische Ignoranz bezeichnet. T-Zellen, die Fas (CD95) auf ihrer Oberfläche exprimieren, können über dieses Molekül ein Apoptosesignal von Fas-Ligand-exprimierenden Zellen erhalten. Dies wird als Deletion bezeichnet. Ein Beispiel für Inhibition ist die Übermittlung inhibitorischer Signale über CD80/CD152- (CTLA-4-) Interaktionen (7 Text). Regulatorische T-Zellen können, beispielsweise über inhibierende Zytokine wie IL-10 oder TGF-β, andere T-Zellen hemmen
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
rische FoxP3-positive T-Zellen induzieren lassen. Möglicherweise ist eine solche Induktion von Treg-Zellen ein neuer therapeutischer Ansatz für die Therapie von Autoimmunerkrankungen. Andere T-Zellen mit immunregulatorischen Eigenschaften sind als T-Helfer-3-(TH3-) oder T-regulatorische1-(TR1-) Zellen bekannt. TH3-Zellen werden durch die Aufnahme von Antigenen über mukosale Oberflächen induziert (orale Toleranz) und hemmen Immunantworten über ihre Sekretion von TGF-β. TR1-Zellen entstehen durch die chronische Antigenstimulation naiver T-Zellen in der Gegenwart von IL-10. Diese Zellen sezernieren dann selbst IL-10 und unterdrücken so Immunantworten. Derzeit werden große Anstrengungen unternommen, spezifische Toleranz gegen Autoantigene durch die Induktion von regulatorischer T-Zellen zu induzieren und so die pathogenen T-Zellen zu supprimieren. Es bleibt abzuwarten, ob solche Therapieoptionen erfolgreich sind und in die Therapie von Autoimmunerkrankungen eingeführt werden. ! Die immunologische Toleranz wird durch mehrere redundante Mechanismen aufrechterhalten. Die Elimination autoreaktiver T-Zellen im Thymus wird als zentrale Toleranz bezeichnet. Im peripheren Immunsystem werden autoreaktive T-Zellen funktionell inaktiviert oder durch regulatorische T-Zellen unterdrückt.
13 2.1.5
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T-Zellen und Autoimmunität
Das Auftreten von Autoimmunität wird auf mehreren Ebenen kontrolliert. Die zentrale Toleranz sorgt dafür, dass autoreaktive T-Zellen größtenteils eliminiert werden. Im peripheren Immunsystem sind eine ganze Reihe von Mechanismen an der Aufrechterhaltung von Toleranz beteiligt. Dazu zählen verschiedene inhibitorische Zytokine oder Rezeptoren, deren Aktivität von genetischen und Umweltfaktoren beeinflusst werden. Eine ganze Reihe genetischer Einflussfaktoren, die die Suszeptibilität für oder den Schweregrad von Autoimmunerkrankungen beeinflussen können, sind bereits bekannt. Neben genetischen
Risikofaktoren haben auch Umweltfaktoren Einfluss auf Autoimmunität. So können beispielsweise Infektionen akute Schübe von Autoimmunerkrankungen auslösen. Auch Rauchen oder bestimmte Veränderungen im Hormonhaushalt zum Beispiel durch Schwangerschaft modulieren den Verlauf von und die Suszeptibilät für Autoimmunerkrankungen. Die Summe der individuellen Risikofaktoren prädisponiert also für die meisten Autoimmunerkrankungen. Nur in seltenen Fällen führt ein einzelner Gendefekt zur Entstehung von Autoimmunität. Beispiele hierfür sind APECED und IPEX, denen eine Mutation von AIRE oder FOXP3 zu Grunde liegt. Ein weiteres Beispiel ist ALPS (»autoimmune lymphoproliferative syndrome«), bei dem es durch eine Mutation des Moleküls Fas zu einer Störung des aktivierungsinduzierten Zelltodes von T-Zellen kommt. Ein großer Teil der aktivierten T-Zellen persistiert in sekundären lymphatischen Organen und peripheren Geweben und führen dort zu Autoimmunattacken. Auch Mutationen des inhibitorischen Moleküls CTLA-4 prädisponieren für Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes oder Morbus Basedow (. Tab. 2.1). Bei den meisten »klassischen« Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, multipler Sklerose und Typ-1-Diabetes findet sich eine Assoziation mit verschiedenen HLA-Molekülen. Am stärksten ist die Assoziation der ankylosierenden Spondylitis mit HLA-B27: Über 98% der Patienten besitzen dieses HLA-Allel. Auch die rheumatoide Arthritis ist mit bestimmten HLA-DRAllelen (DRB1, . Tab. 2.2) assoziiert. Interessanterweise besitzen diese HLA-DR-Allele ein gemeinsames Epitop (»shared epitope«). Dieses Epitop liegt in der antigenbindenden Grube des HLA-Moleküls. Die einzige bekannte Aufgabe von HLA-Molekülen ist die Präsentation von Antigenen für T-Zellen. Es lässt sich also vermuten, dass bestimmte HLA-Moleküle besonders gut geeignet sind, bestimmte krankheitsauslösende Selbstpeptide zu präsentieren und damit autoreaktive T-Zellen zu aktivieren. Eine alternative Erklärung wäre, dass es durch die Expression bestimmter HLA-Allele zu einer Veränderung der Selektion im Thymus und somit zum verstärkten Auftreten autoreaktiver T-Zellen kommt. Der Einfluss genetischer Faktoren auf die Suszeptibilität für Autoimmunerkrankungen darf jedoch nicht
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. Tab. 2.1. Seltene Autoimmunerkrankungen, die durch einen einzelnen Gendefekt verursacht werden Gen
Erkrankung
Mechanismus
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AIRE
APS-1 (APECED)
Gestörte Expression von Autoantigenen im Thymus, die zu einer Störung der negativen Selektion autoreaktiver T-Zellen führt
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FOXP3
IPEX
Verringerte Anzahl CD4+CD25+-regulatorischer Zellen
CTLA4
Assoziiert mit Typ-1-Diabetes und Morbus Basedow
Gestörte T-Zell-Anergie; niedrige Aktivierungswerte von T-Zellen
FAS/FASL
ALPS
Gestörte Apoptose von autoreaktiven T- und B-Zellen
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23
2.2 · B-Zellen
. Tab. 2.2. Assoziation von HLA-Allelen mit Autoimmunerkrankungen
Starr TK, Jameson SC, Hogquist KA (2003) Positive and negative selection of T cells. Annu Rev Immunol 21: 139–176 Wong P, Pamer EG (2003) CD8 T cell responses to infectious pathogens. Annu Rev Immunol 21: 29–70
Erkrankung
HLA
Patienten [%]
Kontrollen [%]
Rheumatoide Arthritis
DR4
68
25
2.2
Typ-1Diabetes
DR4
74
24
N. Wagner, A. Tarakhovsky
DR3
52
22
DR2a
4
26
Multiple Sklerose
DR2
59
26
Morbus Bechterew
B27
98
9
a
HLA-DR2 kommt bei Patienten mit Typ-1-Diabetes seltener vor als bei gesunden Kontrollen. Das Vorliegen von HLA-DR2 schützt somit vor Erkrankung.
überschätzt werden. Studien haben gezeigt, dass nur eine geringe Konkordanz von Autoimmunität bei Zwillingen besteht. Es wird angenommen, dass genetische Faktoren nur zu 30%, Umweltfaktoren aber zu 70% für die Ausprägung von Autoimmunität verantwortlich sind. Der wichtigste Umweltfaktor sind Infektionen. Dieser Zusammenhang zwischen Autoimmunität und Infektionen wird ausführlich in 7 2.6 diskutiert.. ! Die Assoziation bestimmter HLA-Allele mit Autoimmunerkrankungen ist ein wichtiger Hinweis auf eine Beteiligung von T-Zellen an Autoimmunität. In seltenen Fällen lassen sich Autoimmunsyndrome auf Mutationen einzelner Gene zurückführen, die an Toleranzmechanismen von T-Zellen beteiligt sind.
Weiterführende Literatur Jenkins MK, Khoruts A, Ingulli E et al. (2001) In vivo activation of antigen-specific CD4 T cells. Annu Rev Immunol 19: 23–45 Kamradt T, Goggel R, Erb KJ (2005) Induction, exacerbation and inhibition of allergic and autoimmune diseases by infection. Trends Immunol 26: 260–267 Kamradt T, Mitchison NA (2001) Tolerance and autoimmunity. N Engl J Med 344: 655–664 Kroczek RA, Mages HW, Hutloff A (2004) Emerging paradigms of T-cell co-stimulation. Curr Opin Immunol 16: 321–327 Nikolich-Zugich J, Slifka MK, Messaoudi I (2004) The many important facets of T-cell repertoire diversity. Nat Rev Immunol 4: 123–132 Sakaguchi S (2004) Naturally arising CD4+ regulatory t cells for immunologic self-tolerance and negative control of immune responses. Annu Rev Immunol 22: 531–562 Sallusto F, Geginat J, Lanzavecchia A (2004) Central memory and effector memory T cell subsets: Function, generation, and maintenance. Annu Rev Immunol 22: 745–763 Schwartz RH (2003) T cell anergy. Annu Rev Immunol 21: 305–334
B-Zellen
B-Zellen tragen ihren Namen nach der Bursa Fabricii, dem Organ, in dem sie sich in Vögeln entwickeln. In Säugern entwickeln sich B-Zellen fetal in der Leber und postnatal im Knochenmark. Die humorale Immunantwort ist die wesentliche Funktion von B-Zellen bei der Bekämpfung pathogener Keime, sie erfolgt durch die Produktion und Sezernierung von Antikörpern, die spezifisch ein Antigen binden. Mittels Komplementaktivierung, Phagozytose oder Zytotoxozität wird das mit Antikörpern beladene Antigen dann inaktiviert. Die humorale Immunantwort war lange vor der T-Zell-vermittelten Immunantwort bekannt und wurde erstmals von Behring und Kitasato zur Gewinnung von Antitoxinen verwandt. Weitere wichtige Funktionen von B-Zellen sind die Präsentation von Antigen für T-Zellen sowie die Sekretion von Zytokinen, die zur Proliferation und Differenzierung immunkompetenter Zellen beitragen.
2.2.1
Entwicklung von B-Zellen
B-Zellen entwickeln sich postpartal im Knochenmark aus pluripotenten hämatopoetischen Stammzellen. Sich entwickelnde B-Zellen durchlaufen hierbei ein kontrolliertes, zeitlich aufeinanderfolgendes Programm der Genexpression und Rearrangierung der Immunglobulingene, so dass am Ende die reife B-Zelle IgD- (Immunglobulin-D-) und IgM-Moleküle der gleichen Antigenspezifität exprimiert (. Abb. 2.5). Das Stroma des Knochenmarks ist an der Entwicklung wesentlich beteiligt. Zwischen B-Vorläuferzellen und Stromazellen des Knochenmarks bilden sich adhäsive Kontakte aus, die durch zellmembranständige Adhäsionsmoleküle wie z. B. VCAM-1 (»vascular cell adhesion molecule 1«) vermittelt werden. Verschiedene Zytokine und Chemokine wie SCF (»stem cell factor«), SDF1 (»stromal cell-derived factor 1«) sowie IL-7 (Interleukin-7) in der Maus sind wesentlich in diesen frühen Stadien der B-Zell-Entwicklung im Knochenmark. Anhand der Expression von Oberflächenmolekülen und insbesondere der Rearrangierung der Immunglobulinketten sowie des Beginns der Expression von Antikörpermolekülen im Zytoplasma und in der Zellmembran lassen sich die verschiedenen Entwicklungsstufen der B-Zellen erkennen. Die Entwicklungsstadien laufen über die Pro-B-Zell-Stadien zu den Prä-B-Zell-Stadien zur unreifen und dann zur reifen B-Zelle. Die frühesten Oberflächenmarker von B-
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
. Abb. 2.5. Schema der B-Zell-Differenzierung. Entwicklungsstadien der B-Zelle, Expression von »recombination activating genes« (RAG) und Rearrangements der Genorte für die schwere (IgH) und die leichte (IgL) Kette des Immunglobulinmoleküls. GL Genort in Keimbahnkonfiguration. Die Expression in der Zellmembran von Pro-B- (Calnexin und Igα-Igβ), Prä-B- (Igµ, ψL und IgαIgβ) oder B- (Igµ, Igκ oder Igλ und Igα-Igβ) Zell-Rezeptoren während der Entwicklung ist dargestellt
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Zellen sind CD19 und CD45R, wobei CD19 B-Zell-spezifisch ist. Der bedeutendste Schritt der B-Zell-Entwicklung ist die Expression des B-Zell-Rezeptors, welcher das membranständige Antikörpermolekül ist und ein Antigen erkennen und binden kann. Die Antigenerkennung ist die Voraussetzung für die Proliferation der B-Zelle zur Effektorzelle, der Plasmazelle, die Antikörper in großen Mengen produziert und sezerniert. Um während der B-Zell-Entwicklung den B-Zell-Rezeptor zu produzieren, ist die Rekombination von verschiedenen Genelementen der Immunglobuline erforderlich. Antikörper bestehen aus zwei Ketten, einer schweren und einer leichten Kette, deren Struktur weiter unten (7 2.2.2) näher beschrieben ist. Die Genelemente der Immunglobulingene liegen auf den Chromosomen 14 (schwere Kette), Chromosom 2 (κ leichte Kette) und Chromosom 22 (λ leichte Kette). Die Genelemente werden V (»variable«), D (»diversity«) und J (»joining«) genannt, wobei die schwere Kette alle drei Genelemente rekombinieren kann, während die leichten Ketten nur Vund J-Segmente rekombinieren können. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden verschiedenen Segmente variiert von 4 (J-Gensegmente, λ leichte Kette) bis 40 (V-Gensegmente schwere Kette). In der B-Zell-Entwicklung findet zunächst die Rekombination der schweren Kette des Immunglobulinmoleküls statt, die frühe Pro-B-Zelle im Knochenmark kombiniert ein D- und ein J-Element. Die späte Pro-B-Zelle kombiniert zum rearrangierten DJ-Element ein V-Gensegment hinzu. Da die Rekombination von VDJ-Gensegmenten unpräzise und unter Hinzufügung von Nukleinsäuren erfolgt, ist statistisch etwa nur jede dritte Rekombination produktiv; die anderen Rekombinationen befinden sich nicht im Leserahmen. Im Falle eines unproduktiven Rekombinationsereignisses wird die Entwicklung der B-Zelle unterbrochen, die Zelle wird apoptotisch. Da jeweils zwei Allele eines Chromosoms vorhanden sind, ist die Chance für ein erfolgreiches Rekombinationsereignis erhöht, für die leichten Ketten existieren wie oben erwähnt zwei verschiedene Ketten, die von verschiedenen Chromosomen kodiert werden, so dass dadurch die Erfolgsrate
einer erfolgreichen Rekombination weiter gesteigert wird. Dennoch sterben zahlreiche Vorläuferzellen von B-Zellen während der Entwicklung ab. Wenn eine schwere oder leichte Kette erfolgreich rekombiniert ist, wird das andere Allel mittels eines Vorgangs, der als allelische Exklusion bezeichnet wird, an der Rekombination gehindert. Jede BZelle exprimiert nur eine schwere und eine leichte Kette. Die Gensegmente V und J der leichten Kette rearrangieren sich in der Prä-B-Zelle, in der die schwere Kette bereits im Leserahmen rekombiniert ist. Im frühen Stadium der PräB-Zelle, der sog. großen Prä-B-Zelle, wird vor Rekombination der leichten Kette der Prä-B-Zell-Rezeptor auf der Zelloberfläche exprimiert. Dies ist das erste Mal im Entwicklungsprozess der B-Zelle, dass Teile ihres Rezeptors exprimiert werden. Der Prä-B-Zell-Rezeptor besteht aus der erfolgreich rekombinierten schweren Kette und einem Ersatz der leichten Kette (»surrogate light chain«), die aus den zwei Proteinen λ5 und VpreB besteht. Zwei weitere Proteine, Igα unnd Igβ, assoziieren mit dem Prä-B-ZellRezeptor wie auch später mit dem B-Zell-Rezeptor der reifen B-Zelle. Diese Proteine vervollständigen den PräB-Zell-Rezeptor so, dass Signale in die Zelle transduziert werden können. Exkurs Patienten mit der Erkrankung XLA, der Agammaglobulinämie Typ Bruton, die eine Mutation einer Tyrosinkinase (Btk) aufweisen, zeigen eine Unterbrechung ihrer BZell-Entwicklung im Stadium der Prä-B-Zelle. Diese Patienten haben keine reifen B-Zellen und produzieren keine Immunglobuline, womit sie an einer ausgeprägten humoralen Immundefizienz leiden und auf die exogene Zufuhr von Immunglobulinen angewiesen sind. Schwere bakterielle Infektionen sind die Folge der unbehandelten Immundefizienz. Die Tyrosinkinase Btk vermittelt wahrscheinlich ein Signal in die Zelle, welches dazu dient, nach erfolgreicher Rekombination der schweren Kette in der späten Pro-B-Zelle weitere VDJ-Rekombinationen zu verhindern.
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2.2 · B-Zellen
Die leichte Kette wird nach der schweren Kette in der Prä-B-Zelle aus den Gensegmenten V und J des κ- und λ-Genlokus rekombiniert. Zumeist wird erst das κ-Gensegment rearrangiert. In diesem Lokus können anders als bei der schweren Kette mehrere Rearrangements hintereinander auf einem Allel erfolgen, so dass die Rate erfolgreicher Rearrangements im Leserahmen bei den leichten Ketten höher ausfällt. Die leichte Kette wird jetzt synthetisiert und assoziiert mit der schweren Kette, so dass in der unreifen B-Zelle erstmalig der B-Zell-Rezeptor exprimiert wird. Zeitgleich ist der Prä-B-Zell-Rezeptor wieder von der Zellmembran verschwunden. Der B-Zell-Rezeptor ist ein membranständiges IgM-Molekül und weist eine Antigenspezifität auf. Jede B-Zelle hat nur eine Antigenspezifität, die während einer Immunreaktion noch reifen kann, d. h. die Affinität zum Antigen nimmt durch Prozesse in sekundären lymphatischen Organen noch weiter zu. Die Entwicklung von B-Zellen wird, wie beschrieben, wesentlich durch die Formierung des B-Zell-Rezeptors bestimmt. Nur wenn die Vorläuferzelle bestimmte Punkte in der Entwicklung erreicht, wird ihre weitere Entwicklung zugelassen. Verschiedene Proteine und Enzyme sind bisher identifiziert worden, die für diese Entwicklung bedeutsam sind. Zunächst sind die »recombination activating genes« RAG-1 und RAG-2 zu nennen, die sowohl bei B- als auch bei T-Zellen als Teil des Enzymkomplexes für die Rekombination schwerer und leichter Ketten der jeweiligen B- oder T-Zell-Rezeptoren unerlässlich sind. RAG-1 und RAG-2 werden nur in den Phasen der B-Zell-Entwicklung exprimiert, in denen Rekombination von schweren oder leichten Ketten stattfindet. Ein weiteres wichtiges Enzym ist die terminale Deoxynukleotidyltransferase (TdT). Diese führt zu einem Anhängen von Nukleotiden während des Prozesses der Rekombination von VDJ-Gensegmenten. Dadurch wird die mögliche Diversität der Immunglobulinketten und damit des Antigen erkennenden Anteils des B-Zell-Rezeptors deutlich erhöht. Verschiedene B-Zell-spezifische Faktoren erlauben das Rearrangement der Immunglobulinloci, T-Zellspezifische Faktoren gestatten das Rearrangement der TZell-Rezeptor-Gene. Zu den B-Zell-spezifischen Faktoren zählen unter anderem BSAP, welches den Zugang der Rekombinase zu den Immunglobulingenen ermöglicht, und die bereits oben beschriebene Tyrosinkinase Btk. Der hier beschriebene Mechanismus der Genrearrangierung findet sich beim Menschen nur bei Immunglobulin- und T-Zell-Rezeptor-Genen. Mit Hilfe dieses Mechanismus kann eine Diversität der Genprodukte erreicht werden, die einzigartig ist und die Grundlage für die Entwicklung des spezifischen Immunsystems darstellt. Nach Entwicklung zur reifen B-Zelle exprimiert diese IgM und IgD, wobei beide Ig-Klassen denselben antigenbindenden variablen Anteil exprimieren, und wandert aus dem Knochenmark aus. Über den Blutstrom erreichen BZellen lymphatische Organe, wo sie wesentliche Überle-
benssignale erhalten und nach Antigenkontakt weiter reifen. Ein Teil dieser Zellen mündet dann in den Pool der langlebigen Gedächtnis-B-Zellen und der Plasmazellen. ! Durch Rearrangierung von Gensegmenten der Immunglobulingene sowie durch terminale Hinzufügung von Nukleinsäuren bei der Rekombination entsteht die extrem hohe Diversität in der Spezifität der Antikörper.
Exkurs Der schwere kombinierte Immundefekt (SCID) ist gekennzeichnet durch schwerste Infektionen und eine Gedeihstörung mit chronischer Diarrhö im ersten Lebensjahr. Diesem Immundefekt liegen mehrere bisher bekannte Mutationen zugrunde, die zu einem völligen Fehlen von T-Zellen oder von T- und B- und z. T. auch NK-Zellen führen. Ein Teil der Patienten mit einem SCID weist Mutationen in den RAG-Genen auf. Dadurch kann die Rekombination von Immmunglobulin- und T-Zell-Rezeptor-Genen als integraler Bestandteil der B- und T-ZellEntwicklung nicht stattfinden, bereits die frühen Vorläuferstufen der B- und T-Zellen sterben ab. Das spezifische Immunsystem wird folglich nicht im Ansatz ausgebildet. Damit können pathogene Keime über die Mechanismen der Neutralisierung mittels Antikörpern oder der Zytotoxizität von T-Zellen nicht eliminiert werden. Patienten mit einem SCID versterben im ersten Lebensjahr, sofern sie keine Knochenmarktransplantation oder Gentherapie erhalten.
2.2.2
Struktur und Funktion von Immunglobulinen
B-Zellen produzieren Immunglobuline, sie exprimieren Immunglobuline assoziiert mit weiteren Molekülen (Igα, Igβ) auf ihrer Oberfläche als B-Zell-Rezeptor und sezernieren Immunglobuline als lösliche Antikörper. Der Antikörper bindet spezifisch eine Antigendeterminante (z. B. Zellwandbestandteil eines Bakteriums, Hüllprotein eines Virus). Es gibt fünf Klassen von Immunglobulinen (Ig), die sich noch in weitere Subklassen aufteilen: IgM, IgD, IgG, IgA und IgE. IgG bildet mengenmäßig den größten Anteil, gefolgt von IgA, welches Schleimhäute schützt. Ein IgG-Molekül hat vier Ketten, zwei schwere und zwei leichte Ketten, die über Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Die Form eines IgG-Antikörpers erinnert an ein Y (. Abb. 2.6). Jeder Antikörper hat zwei Bindungsstellen für Antigen, die von schweren und leichten Ketten gemeinsam gebildet werden. Schwere Ketten haben vier Immunglobulindomänen, leichte Ketten zwei. Der Antikörper weist variable und konstante Anteile auf. Die variablen dienen der Bindung an das Antigen und sind am Nterminalen Ende des Antikörpermoleküls zu finden. Die
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Antigenbindung
1 2
Variable Region
3
Fab
4 5 Leichte Kette
6 7
Konstante Region Fc
8 9 10 11 12 13 14 15 16
Schwere Kette . Abb. 2.6. Aufbau eines Antikörpermoleküls
konstanten Anteile des Antikörpers machen den Großteil des Moleküls aus, sie beherbergen den Fc-Anteil, der an Fc-Rezeptoren und -Komplement bindet. Dies ist für die Neutralisation antikörpergebundener pathogener Keime wichtig. Innerhalb der variablen Anteile eines Antikörpermoleküls, welches in jeder Kette etwa 110 Aminosäuren umfasst, befinden sich Regionen, die sich durch eine Hypervariabilität auszeichnen. Diese Abschnitte sind für die Antigenbindung besonders wichtig. Antigen bindet an den Antikörper über die dreidimensionale Konformation der Oberfläche, die sich in Form eines Loches, einer länglichen Grube oder durch komplexere Strukturen aus-
zeichnen kann. Die dabei beteiligten nichtkovalenten Bindungskräfte sind: elektrostatische Bindung, Van-derWaals-Kräfte, Wasserstoffbindungen und hydrophobische Bindungskäfte. B-Zellen können Immunglobuline auf ihrer Oberfläche exprimieren und als Antikörper sezernieren. Hierzu existieren im konstanten Teil der Immunglobulingene für die Schwerketten Exone, die für eine transmembranöse Form des Ig-Moleküls und für eine sezernierte Form kodieren. Alternatives Splicing führt dann entweder zur Expression in der Zellmembran oder zur Sezernierung von Ig-Molekülen. Nach Antigenkontakt entwickeln sich die B-Zellen entweder zu IgM-sezernierenden Plasmazellen oder durchlaufen einen Immunglobulinklassenwechsel zu IgG, IgA oder IgE. Die neue Ig-Klasse wird zunächst in der Zellmembran exprimiert, ein Teil dieser B-Zellen wird zu Gedächtnis-B-Zellen, ein anderer Teil wird zu Plasmazellen, die dann die neue Ig-Klasse (IgG, IgA oder IgE) sezernieren. Die Immunglobulinklassen unterscheiden sich in ihren konstanten Regionen der schweren Ketten, deren Gensegmente mit Cμ, Cδ, Cγ, Cε oder Cα bezeichnet werden (. Abb. 2.7b). Während IgG, IgE und IgD als Monomere vorkommen und ihr Molekulargewicht zwischen 140 und 190 kDa beträgt, bildet IgA Dimere mit einem Molekulargewicht von 390 kDa, und IgM bildet Pentamere mit einem Molekulargewicht von 970 kDa. Die Halbwertszeit im Serum für nicht zellgebundene Ig-Moleküle variiert ebenfalls stark, von 2 Tagen für IgE bis zu 21 Tagen für IgG1. Wie erfolgt der Wechsel der Ig-Isotypen? Die Cμ- und Cδ-Gensegmente der schweren Kette sind direkt neben (3’) den variablen Segmenten VDJ angeordnet. Durch unterschiedliches Splicing des primären RNA-Transkriptes werden in der reifen B-Zelle immer zunächst IgM und IgD exprimiert und sezerniert (IgD, dessen Funktion unklar ist, allerdings nur in geringer Menge). Beim Ig-Klassenwechsel zu IgG, IgE oder IgA erfolgt nach Antigenkontakt in der reifen B-Zelle ein irreversibles Ereignis,
17 18 VH1 VH2 VH3
VH4-40
DH1 DH2 DH3-25
Cα2
Cµ
JH1 JH2 JH3 JH4 JH5 JH6 2 Mb
19
Chromosom 14
20 21 22
Vκ1 Vκ2 Vκ3
a
23
cµ b
Vκ4-40
Cκ
Jκ1 Jκ2 Jκ3 Jκ4 Jκ5
Chromosom 2
cδ
Chromosom 14
cγ3
cγ1
cα1
cγ2
cγ4
cε
cα2
. Abb. 2.7. a Genort und Struktur der variablen Anteile von schwerer und leichter κ-Kette der Immunglobuline. b Genort und Struktur des konstanten Teils der schweren Kette
2.2 · B-Zellen
wobei die DNA rekombiniert wird. Dieses Rekombinationsereignis erfolgt in sog. Switch-Regionen, wodurch der DNA-Strang die Gensegmente verliert, die zwischen den variablen Gensegmenten und dem benötigten C-Gensegment (Cγ, Cε oder Cα) liegen. Nach dieser DNA-Rekombination kann die B-Zelle nur noch die neue Ig-Klasse produzieren. Im Verlauf sind weitere Ig-Klassenwechsel der B-Zelle zu Isotypen, deren C-Gensegmente weiter 3’ liegen, möglich. So kann eine B-Zelle z. B. zunächst IgM, dann IgG2a und dann IgE produzieren. Exkurs Ein Enzym, welches beim Ig-Klassenwechsel eine bedeutsame Rolle spielt, wurde kürzlich beschrieben. Hierbei handelt es sich um die »activation-induced cytidine deaminase« (AID), die vermutlich an der Öffnung des DNAStranges in der Switch-Region der Schwerketten-IgGene beteiligt ist. Bei angeborenem Fehlen dieses Enzyms tritt ein Immundefekt auf, der als Hyper-IgM-Syndrom Typ 2 bezeichnet wird. Bei diesem Immundefekt fehlen außer IgM alle anderen Ig-Klassen, da der Klassenwechsel nicht möglich ist. Daher treten bakterielle Infektionen entsprechend häufig auf.
IgM wird während einer Immunantwort zuerst gebildet, diese Antikörper haben eine relativ geringe Affinität. Da IgM jedoch als einzige Antikörper Pentamere bilden, können sie bis zu 10 Antigene, die z. B. auf einem Bakterium exprimiert sind, gleichzeitig binden. IgG-Antikörper entwickeln im Verlauf einer Immunantwort eine deutlich höhere Affinität als IgM und stellen die größte Menge neutralisierender Antikörper. IgA ist in der sekretorischen Form eine »first line of defense« der Schleimhäute, aktiviert allerdings Komplement schlechter. IgE ist für die Immunantwort gegenüber Parasiten verantwortlich und spielt eine herausragende Rolle bei der Vermittlung allergischer Reaktionen aufgrund seiner Bindungseigenschaften an Mastzellen, die nach Triggerung durch Bindung von Antigen an IgE-Mediatoren freisetzen. ! Die B-Zelle produziert Ig-Moleküle mit der Spezifität für ein Antigen, diese sind auf der Zellmembran exprimiert und werden dann als Antikörper sezerniert. Die B-Zelle kann die Ig-Klasse ihrer Antikörper wechseln (IgM, IgG, IgE, IgA), die unterschiedlichen Ig-Klassen nehmen in Abhängigkeit ihrer Struktur und dem Ort ihres Vorkommens verschiedene Aufgaben der humoralen Immunabwehr wahr.
2.2.3
Funktion von B-Zellen
Um möglichst alle vorkommenden Antigene erkennen zu können, müssen verschiedene B-Zellen eine möglichst hohe Anzahl unterschiedlicher B-Zell-Rezeptoren tragen.
27
Nur durch die Diversität der B-Zell-Rezeptoren können alle pathogenen Organismen von B-Zellen spezifisch erkannt werden. Diese Diversität der Antikörpermoleküle (membrangebunden oder löslich) wird, wie oben ausgeführt, durch die Rekombination von Immunglobulingenen während der B-Zell-Entwicklung erzielt. Die genannten Rekombinationsvorgänge der Ig-Gene finden während der B-Zell-Entwicklung sämtlich im Knochenmark statt; die hierdurch erreichte Anzahl verschiedener B-Zell-Rezeptoren liegt wahrscheinlich bei mehr als 1010. Reife B-Zellen verlassen mit ihrem B-Zell-Rezeptor auf der Oberfläche das Knochenmark und zirkulieren über den Blut- und den Lymphstrom durch den Körper. Sie können auf zwei verschiedene Arten aktiviert werden, um zu Effektorzellen zu werden: 5 durch T-Zell-abhängige und 5 durch T-Zell-unabhängige Antigene. Bei der T-Zell-abhängigen Immunantwort muss ein Kontakt zwischen der B-Zelle, die ihr Antigen gebunden hat, und einer T-Helferzelle zustande kommen, die dieselbe Antigenspezifität besitzt. Aufgrund der extrem hohen Zahl unterschiedlichher Antigenzifitäten (s. oben) wäre das zufällige Aufeinandertreffen einer B-und einer TZelle mit derselben Antigenspezifität eher unwahrscheinlich. Daher wird das Aufeinandertreffen durch die lymphatischen Organe Milz und Lymphknoten unterstützt, indem mit Antigen beladene B-Zellen in Richtung der TZell-Zone wandern und dort leichter auf eine T-Helferzelle derselben Spezifität treffen. Dieser Kontakt zwischen Bund T-Zelle ist notwendig, damit die B-Zelle zwei Signale erhält, die zur Aktivierung führen. Das erste Signal besteht im Antigenkontakt, das zweite Signal wird durch kostimulatorische Rezeptor/Liganden-Paare wie z. B. CD40/ CD40L vermittelt. Ohne das zweite Signal verharrt die BZelle im Ruhezustand bzw. entwickelt Toleranz gegenüber dem Antigen. Die mit Antigen beladene B-Zelle wiederum präsentiert auf ihren MHC-Klasse-II-Molekülen Peptide, die von der T-Zelle erkannt werden und zu deren Aktivierung führen. Die T-Helferzelle produziert verschiedene Zytokine wie z. B. IL-4 und IL-6, die zur Proliferation und Differenzierung sowie Antikörperproduktion und Ig-Klassenwechsel beitragen. Das B- und T-Zell-Paar bildet, durch den Antigenkontakt aktiviert, den primären Lymphfollikel, aus dem sich das Keimzentrum entwickelt. In diesem Keimzentrum des sekundären lymphatischen Organs findet eine weitere Entwicklung der B-Zelle statt, die wesentlich die Immunantwort verstärkt. Diese Entwicklung ist durch eine Affinitätsreifung des B-Zell-Rezeptors für das erkannte Antigen gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass die Affinität der B-Zelle zu ihrem Antigen während der Immunantwort verstärkt wird, um deren Effizienz zu steigern. Diese Affinitätsreifung erfolgt während der Wanderung der B-Zellen durch das Keimzentrum, indem die variab-
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
len Segmente der Immunglobulingene weiter verändert werden als bereits im Knochenmark durch Rekombination geschehen. Jetzt erfolgt im lymphatischen Organ die Modifikation der Immunglobulingene in ihren variablen Segmenten durch somatische Hypermutation, wobei die dabei entstehenden B-Zellen mit der höchsten Affinität zum Antigen positiv selektioniert werden. B-Zellen zeigen eine hohe Teilungsrate in den Keimzentren. Bei jeder Teilung treten somatische Mutationen auf, die die Affinität zum Antigen verändern. In den meisten Fällen wird bei den zufällig stattfindenden Mutationen die Affinität herabgesetzt. Eine B-Zelle mit geringerer Affinität erhält ein Apoptosesignal, da sie weder über den B-Zell-Rezeptor das Antigen effizient bindet noch T-Zell-Hilfe z. B. in Form von CD40-Bindung an CD40L erhält. Demgegenüber wird eine B-Zelle, die nach somatischer Mutation einen hochaffinen B-Zell-Rezeptor exprimiert, durch Antigenbindung und zweites Signal durch die T-Zelle weiter proliferieren. In diesem Prozess der Affinitätsreifung durch somatische Hypermutation wird eine sehr große Zahl von B-Zellen apoptotisch, nur wenige Klone überleben und sind für eine humorale Immunantwort hoher Affinität verantwortlich. Nach der Affinitätsreifung differenzieren die B-Zellen zu Plasmazellen, die hochaffine Antikörper sezernieren, oder in langlebige Gedächtnis-BZellen, die zu einem späteren Zeitpunkt reaktiviert werden können. Plasmazellen und Gedächtnis-B-Zellen wandern aus dem Keimzentrum heraus, und ein Teil dieser Zellen rezirkuliert in das Knochenmark. ! Nach Antigenkontakt findet eine Affinitätsreifung der BZellen im Lymphfollikel statt. Nach somatischer Hypermutation der Immunglobulingene werden die B-Zellen mit der höchsten Affinität für das Antigen positiv selektioniert.
Proteine lösen als Antigene zumeist eine T-Zell-abhängige Immunantwort aus. Demgegenüber ist für die B-Zell-Antwort auf Polysaccharide und Lipopolysaccharide, die häufig Zellwandbestandteile von Bakterien sind, oder große vernetzte Proteine eine T-Zell-Hilfe nicht erforderlich. Man unterscheidet TI-1- (T-Zell-unabhängig-1-) und TI2-Antigene. TI-1-Antigene sind z. B. sog. Mitogene, die in hoher Konzentration B-Zellen polyklonal aktivieren können und in geringer Konzentration B-Zellen in Anwesenheit ihres spezifischen Antigens aktivieren können. TI-2Antigene sind große Moleküle, die B-Zellen aktivieren, indem sie mehrere B-Zell-Rezeptoren auf einer Zelle binden und vernetzen oder weitere kostimulatorische Rezeptoren auf der B-Zell-Oberfläche binden. Damit erhält die B-Zelle die notwendigen zwei Signale zur Proliferation. Die Immunantwort, die auf TI-2-Antigene entsteht, hat den wichtigen Vorteil, sehr rasch zu erfolgen, da T-ZellHilfe und Affinitätsreifung, die Tage dauert, nicht erforderlich ist. Nachteilig ist die eher geringe Intensität und
der rasche Abfall der Immunantwort, bei der IgM sezerniert wird. Bei Kindern ist in den ersten Lebensjahren die Immunantwort gegenüber TI-2-Antigenen nur schwach ausgebildet. Wie wirken Antikörper auf pathogene Keime? Sowohl Viren als auch viele Bakterien sind zur Infektion auf die Bindung an zelluläre Rezeptoren angewiesen. Antikörper können diese Bindung effektiv behindern, indem sie mit den Bindungsstellen der Keime interferieren. Dadurch kann das Virus nicht in die Zelle eindringen, die Pathogenese der Infektion wird unterbrochen. Bei Bakterien ist die Anheftung an eine Zielzelle sowohl für intrazelluläre Keime wie z. B. Shigellen oder extrazelluläre Keime wie z. B. Vibrio cholerae pathogenetisch bedeutsam, die Verhinderung der Anheftung durch Antikörper kann daher für die Unterbindung des Infektionsweges wichtig sein. Sowohl Antikörper der Klasse IgG wie IgA sind an diesem Effektormechanismus beteiligt. Zahlreiche Bakterien wirken pathogen aufgrund eines von ihnen gebildeten Toxins. Toxine werden z. B. von Staphylokokken, Vibrio cholerae oder Clostridium tetani sezerniert, sie wirken häufig bereits in geringen Mengen. Antikörper können direkt Toxine durch AntikörperToxin-Bindung neutralisieren. Diesen Effekt nutzt man bei der Tetanusimpfung aus, indem durch Verabreichung des nicht toxisch wirkenden Toxoids hochaffine Antikörper gegen den rezeptorbindenden Teil des Tetanustoxins generiert werden. Ein weiterer Effektormechanismus weist auf eine Verbindung des spezifischen mit dem angeborenen Immunsystem hin. Nach Bindung von Antikörpern an Antigene auf der Oberfläche von Bakterien wird die klassische Komplementkaskade durch Bindung des Komplementfaktors C1q ausgelöst. Die Komplementkaskade führt dann zur Lyse des pathogenen Keims. IgM ist aufgrund seiner Tertiärstruktur besonders effektiv in der Bindung von C1q. Antikörper und lösliche Antigene können Immunkomplexe bilden, die ebenfalls C1q binden. Diese Komplementbindung führt zur Klärung der Immunkomplexe durch Makrophagen im retikuloendothelialen System von Leber und Milz. Die Bindung von Antikörpern, die ein lösliches Antigen erkannt haben oder an einer bakteriellen Oberfläche anheften, an die Fc-Rezeptoren leitet die Phagozytose von pathogenen Keimen ein. Fc-Rezeptoren sind auf zahlreichen Immunzellen wie z. B. Makrophagen, Neutrophilen, Eosinophilen und Natural-Killer-Zellen exprimiert, diese Rezeptoren binden an den konstanten Teil des Antikörpers. Ein einzelner Antikörper bindet an FcRezeptoren; eine Aktivierung phagozytierender Zellen kommt jedoch erst durch Vernetzung von mehreren FcRezeptoren zustande, indem sich zahlreiche multimere Verbindungen zwischen Fc-Rezeptoren und Antikörpern bilden. Dies entsteht beispielsweise bei der Bindung von Fc-Rezeptoren an Antikörper, welche auf der Oberfläche
2.2 · B-Zellen
eines Bakteriums zahlreiche Bindungsstellen besetzen. Nach Aktivierung des Makrophagen wird das antikörperbeladene Bakterium im Phagolysosom des Makrophagen lysiert. Die Bindung und Lyse von Antikörper beladenen, pathogenen Keimen findet auch durch Natural-KillerZellen statt, dieser Vorgang wird als antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität bezeichnet. Mastzellen binden über ihre Fc-Rezeptoren IgE, welches insbesonders bei der Abwehr von Parasiten bedeutsam ist. Die Aktivierung von Mastzellen über AntigenIgE-Komplexe führt zur Rekrutierung von Eosinophilen durch Zytokinsekretion. Eosinophile attackieren dann die Parasiten. ! Antikörper sind die Effektormoleküle der humoralen Immunantwort. Sie binden an Rezeptoren und Toxine und neutralisieren deren Funktion. Die Komplementkaskade wird durch Antikörper, die an die Oberfläche pathogener Keime gebunden sind, aktiviert. Makrophagen binden mit ihren Fc-Rezeptoren an Antikörper und leiten so die Phagozytose ein. Der pathogene Keim oder die virusinfizierte Zelle werden zerstört.
B-Zellen haben jenseits der oben aufgeführten Effektorfunktionen, die Infektionen eindämmen sollen und pathogene Keime neutralisieren, auch eine antigenpräsentierende Funktion für T-Zellen. Mittels ihrer Antikörper binden B-Zellen lösliche Antigene wie Viren, aber auch bakterielle Toxine. Der Komplex aus Antikörper und Antigen kann in die B-Zelle internalisiert werden; danach findet eine Prozessierung des Antigens statt, so dass Peptide als Bruchstücke der Antigenstruktur des pathogenen Keims auf MHC-Klasse-II-Molekülen der B-Zelle exprimiert werden. Die an MHC-Klasse II gebundenen Peptide wirken effektiv als Antigen auf T-Helferzellen, da die B-Zelle aufgrund der Antigenbindung selbst bereits aktiviert ist und kostimulatorische Rezeptoren exprimiert. Hiermit kann beispielhaft aufgezeigt werden, wie sich die spezifische Immunabwehr von B- und T-Zellen gegenseitig unterstützt.
2.2.4
Toleranz und Autoimmunität
Bei der Reifung von B-Zellen im Knochenmark entstehen aufgrund zufälliger Rekombinationsvorgänge der Immunglobulingene verschiedene B-Zell-Rezeptoren, von denen ein Teil gegen Selbstantigene gerichtet ist. Sollten diese B-Zellen weiter ausreifen und aktiviert werden, würden sie eine Autoimmunkrankheit auslösen. Bei der Menge möglicher Autoantigene wäre dies mit dem Leben nicht vereinbar. Daher wird durch verschiedene Mechanismen während der B-Zell-Entwicklung im Knochenmark, aber auch in der Peripherie sehr effektiv verhindert, dass auto-
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reaktive B-Zellen entstehen. Wir werden sehen, dass diese Mechanismen jedoch nicht absolut sicher sind. Wenn eine B-Zelle einen B-Zell-Rezeptor trägt, der mit hoher Avidität an ein Autoantigen bindet, welches auf den Stromazellen des Knochenmarks exprimiert ist, wird die Zelle apoptotisch. Dieser Vorgang wird als klonale Deletion bezeichnet, da diese Spezifität des B-Zell-Rezeptors verloren geht. Die B-Zelle hat jedoch die Möglichkeit, dem Schicksal des Zelltodes zu entkommen, indem nach Erkennung, dass der B-Zell-Rezeptor autoreaktiv ist, die Spezifität durch »receptor editing« noch nachträglich verändert wird. »Receptor editing« wird durch anhaltende Rekombination der Leichtkettengene in Anwesenheit von RAG-Proteinen erreicht. Verändert dabei die Zelle wirkungsvoll ihren B-Zell-Rezeptor, so dass die Autoreaktivität verloren geht, kann sich die B-Zelle weiter entwickeln und stirbt nicht. Ist die Bindung des Autoantigens an den B-Zell-Rezeptor schwächer, wird die Zelle nicht apoptotisch sondern anerg. In diesem Zustand, der eventuell durch veränderte intrazelluläre Signaltransduktion erreicht wird, kann die B-Zelle nicht mehr durch Antigen und T-Zell-Hilfe aktiviert werden. Daher ist ihre Überlebenszeit in der Regel begrenzt, da die B-Zelle keine ausreichenden Überlebenssignale erhält. Offensichtlich werden anerge B-Zellen auch von der Wanderung in Lymphfollikel, dem Ort der Affinitätsreifung einer Immunantwort, ausgeschlossen. Als weitere Möglichkeit der Reaktion auf ein Autoantigen seitens der reifenden B-Zelle stellt sich die Ignoranz dar. Hierbei ist die Bindung zwischen Autoantigen und B-Zell-Rezeptor so schwach, dass Signaltransduktion, die z. B. zu klonaler Deletion oder »receptor editing« führen könnte, ausbleibt. Diese B-Zellen bilden eventuell den Grundstock für die Entwicklung von B-Zellen, die aufgrund verschiedener Umstände später autoreaktiv und krankheitsauslösend werden, da ignorante B-Zellen ausreifen und aus dem Knochenmark in die Peripherie wandern. Inzwischen ist bekannt, dass Autoreaktivität von BZellen nicht nur wie oben ausgeführt im Knochenmark behindert wird, sondern dass auch reife B-Zellen in der Peripherie einer entsprechenden Kontrolle unterliegen, die durch ähnliche Mechanismen wie im Knochenmark gekennzeichnet ist. Dies bedeutet, dass auch in der Peripherie klonale Deletion, Anergie und Ignoranz von B-Zellen möglich ist. ! Autoreaktive B-Zellen werden ständig generiert und durch Toleranzmechanismen an der Auslösung einer Autoimmunreaktion gehindert. Klonale Deletion, Anergie und Ignoranz sind Mechanismen der zentralen und der peripheren B-Zell-Toleranz.
Wie schädigen autoreaktive B-Zellen den Organismus? Grundsätzlich werden autoreaktive B-Zellen durch die
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
oben aufgeführten Mechanismen daran gehindert, dem Menschen zu schaden. Es ist jedoch eindeutig, dass autoreaktive B-Zellen andauernd entstehen. Man stellt sich heute vor, dass durch Fehlregulationen, deren molekularer Ablauf bisher nicht geklärt ist, ein Autoantigen so präsentiert wird, dass eine aktive Immunantwort ausgelöst wird, die dann jedoch autoreaktiv ist und sich gegen körpereigene Strukturen richtet. 5 Die professionelle Präsentation eines Autoantigens mit effektiver Kostimulation kann z. B. dadurch ausgelöst werden, dass dieses Autoantigen üblicherweise in einem privilegierten Ort, der im Kontakt mit dem Immunsystem tolerogen wirkt, lokalisiert ist. Wenn es durch äußere Einflüsse zur Freisetzung des Autoantigens kommt, kann eine Immunreaktion ausgelöst werden. Dies wird beispielsweise bei der Pathogenese der Autoimmunuveitis vermutet. 5 Andererseits kann die Zerstörung von Zellen intrazelluläre Proteine freisetzen, die dann als Autoantigen funktionieren. Dieses Beispiel trifft auf die nukleären Autoantigene zu, die beim systemischen Lupus erythematodes (SLE) eine Rolle spielen. 5 Infektionen können ebenfalls an der Auslösung von Autoimmunreaktionen beteiligt sein, eine Kreuzreaktivität zwischen Antigenen des pathogenen Keimes und Autoantigenen löst dabei die Aktivierung autoantigener B-Zellen aus. Ein Beispiel für diese Form der Pathogenese von Autoimmunität ist das rheumatische Fieber. Dass humorale Autoimmunität übertragbar ist, zeigt der Transfer von Autoantikörpern der an einer Autoimmunerkrankung leidenden erkrankten Mutter auf den Fetus mit konsekutiver Erkrankung des Neugeborenen. Beispiele hierfür sind die immunthrombozytopenische Purpura, die zu einer Thrombopenie des Neugeborenen führt, die Myasthenia gravis, die mit einer ausgeprägten muskulären Hypotonie des Neugeborenen einhergeht, oder der SLE, der beim Neugeborenen einen kongenitalen Herzblock auslösen kann. Mit dem natürlichen Abbau der mütterlichen Antikörper im Kind ist zumeist auch die Klinik der Neugeborenen rückläufig, wenn nicht wie beim neonatalen SLE mit kongenitalem Herzblock ein irreversibler Schaden eingetreten ist. Demgegenüber neigen viele Autoimmunkrankheiten beim Patienten, bei dem sie originär entstehen und nicht passiv übertragen werden, zur Chronizität, da das Autoantigen zumeist andauernd vorhanden ist, während bei vielen Infektionen der Erreger entweder eliminiert oder in eine latente Form überführt wird, in der er keine Immunreaktion mehr auslöst (z. B. Herpesviren, Hepatitis-B-Virus). Mit einer chronischen Persistenz des Autoantigens ist dann eine chronische Entzündung verbunden, bei der auch nichtspezifische Immunzellen wie z. B. Makrophagen rekrutiert werden und die Entzündungsre-
aktion weiter unterhalten. Zunehmende Zerstörung von Gewebe durch Entzündung kann weitere Autoantigene freilegen und dadurch weitere Autoimmunität begünstigen. 5 Die Bindung von Autoantikörpern an Autoantigene der Zelloberfläche führt durch Komplementaktivierung und durch Bindung an Fc-Rezeptoren zur Lyse der Zelle, die die Autoantigene in ihrer Zellmembran exprimiert. Diese Mechanismen erfolgen analog der humoralen Immmunantwort auf pathogene Keime. Zellen wie Makrophagen, die Fc-Rezeptoren tragen, erkennen den Fc-Anteil der Autoantikörper und binden an diese. Dadurch wird die Phagozytose der autoantikörperbeladenen Zellen eingeleitet. Dieser Mechanismus ist z. B. bei der immunthrombopenischen Purpura oder bei autoimmunhämolytischen Anämien wirksam. Ebenfalls bei diesen Erkrankungen tritt eine Komplementaktivierung durch die mit Autoantikörpern beladenenen Zellen auf, indem C3 an die Autoantikörper bindet und Komplementrezeptoren auf Makrophagen wiederum an C3 binden, was zur Zerstörung der Zelle führt. Wenn der Membranangriffskomplex des Komplementsystems durch die Autoantikörper aktiviert wird, entsteht ein starker entzündlicher Stimulus, der mittels der Sezernierung von Zytokinen und Chemokinen andere immunkompetente Zellen anzieht und aktiviert. Der entzündliche Prozess wird dadurch verstärkt, und Schäden am Organ, in dem die Autoimmunreaktion stattfindet, treten ein. 5 Ein weiterer pathogener Mechanismus von Autoantikörpern ist die direkte Bindung an Rezeptoren, die für die Signalvermittlung bedeutsam sind. Aktivierung wie auch Inhibierung dieser Rezeptoren kann die Folge sein. Die Myasthenia gravis, bei der Autoantikörper an Acetylcholinrezeptoren binden und diese inhibieren, ist hierfür ein Beispiel. 5 Die Bildung von Immunkomplexen, die aus Autoantikörpern und Autoantigen bestehen und zirkulieren, kann ebenfalls krankheitsauslösend wirken, wenn die Klärungsmechanismen der Immunkomplexe überfordert sind. Beispielhaft hierfür sei der systemische Lupus erythematodes (SLE) angeführt. Beim SLE treten Immunkomplexe auf, bei denen Autoantikörper an nukleäre Autoantigene binden. Durch verschiedene Vorgänge, die bisher nur zum Teil verstanden werden, werden durch Zellzerstörung diese nukleären Antigene freigesetzt, Immunkomplexe bilden sich in großer Zahl und verursachen eine Immunkomplexvaskulitis, u. a. in der Niere. Hierdurch werden weitere Zellen geschädigt, und erneut werden nukleäre Antigene freigesetzt und von autoreaktiven Zellen erkannt, wodurch ein Circulus vitiosus entsteht. Welche Bedeutung Immunkomplexe für Autoimmunkrankheiten und insbesonders für den SLE aufweisen,
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2.3 · Monozyten und Makrophagen
zeigt die Beobachtung der sehr seltenen Defizienz des Komplementfaktors C1q. C1q ist bei der Klärung von Immunkomplexen zentral beteiligt. Die Defizienz von C1q ist sehr häufig mit dem Auftreten eines schwer verlaufenden SLE vergesellschaftet, wobei die mangelnde Klärung von Immunkomplexen pathogenetisch entscheidend sein dürfte. ! Autoreaktive B-Zellen werden aktiviert, wenn Autoantigene effektiv mit kostimulatorischem Signal erkannt werden. Dies erfolgt z. B. durch Freisetzung eines Autoantigens aus immunologisch privilegierten Orten oder nach Zellzerstörung. Die eigentliche Pathogenese der Effektorfunktion verläuft bei der Autoimmunreaktion von B-Zellen sehr ähnlich der Immunreaktion von B-Zellen zur Abwehr pathogener Keime.
Literatur Chan OTM, Madaio MP, Shlomchik MJ (1999) The central and multiple roles of B Cells in lupus pathogenesis. Immunol Rev 169: 107–121 Janeway CA, Travers P, Walport M et al. (2005) Immunobiology. The immune system in health and disease. Garland Science, New York Melchers F, ten Boekel E, Seidl T et al. (2000) Repertoire selection by pre-B-cell receptors and B-cell receptors, and genetic control of Bcell development from immature to mature B cells. Immunol Rev 175: 33–46. Paul WE (Hrsg.) (1998) Fundamental Immunology. Raven Press, New York Rajewsky K (1996) Clonal selection and learning in the antibody system. Nature 381: 751–758
2.3
Monozyten und Makrophagen
J. Roth Der Makrophage ist eine Hauptkomponente des angeborenen Immunsystems und ist an verschiedenen Entzündungen, der Abwehr von Infekten, dem Knochenmetabolismus und der Angiogenese beteiligt. Makrophagen erkennen, phagozytieren und töten pathogene Erreger, sie initiieren spezifische Immunreaktionen und stellen wichtige Effektorzellen in verschiedenen Entzündungsreaktionen dar. Makrophagen bilden keinen einheitlichen Phänotyp, sondern können in Abhängigkeit von ihrem Differenzierungs- und Aktivierungszustand sowohl pro- wie auch antientzündliche Funktionen ausüben. Makrophagen spielen eine wichtige Rolle im Rahmen entzündlicher Arthritiden, da sie in großer Menge in der entzündeten Synovia zu finden sind. Sie weisen hier einen aktivierten Phänotyp auf und sind über die Expression verschiedener proinflammatorischer Moleküle für viele Entzündungsphänomene wie auch für destruktive Prozesse im Rahmen chronischer Arthritiden verantwortlich. Die meisten
in der Behandlung von Arthritiden erfolgreich eingesetzten Therapeutika zielen u. a. auf proinflammatorische Mechanismen von Makrophagen.
2.3.1
Differenzierungswege und Aktivierungsmechanismen von Makrophagen
Unter dem Begriff mononukleäre Phagozyten wird eine Zellpopulation zusammengefasst, die wegen ihrer Abstammung aus dem Knochenmark und aufgrund morphologischer Kriterien ein gemeinsames funktionelles System bildet. Neben den typischen Gewebemakrophagen gehören auch Kupfer-Zellen, Mikroglia, dendritische Zellen, Peritoneal- und Alveolarmakrophagen sowie auch Osteoklasten und Makrophagen der Synovia zu diesem System. Die Mechanismen, die zu dieser Diversität führen, sind weitgehend unbekannt. Für die Entwicklung von Monozyten aus Stammzellen des Knochenmarks ist die Expression verschiedener Transkriptionsfaktoren und Zytokine erforderlich (Valledor et al. 1998). Schon im peripheren Blut lassen sich anhand von funktionellen Eigenschaften verschiedene Subpopulationen differenzieren (Grage-Griebenow, et al. 2001). Nach der Transmigration differenzieren die Zellen in Abhängigkeit von gewebespezifischen Stimuli zu reifen Makrophagen aus. Die Bedeutung der Makrophagenheterogenität liegt in den vielfältigen Aufgaben dieser Zellen und in unterschiedlichen Funktionen in verschiedenen Phasen von Entzündungsreaktionen (Gordon 2003; Hume et al. 2002; Mosser 2003). ! Makrophagen stellen keine einheitliche Zellpopulation dar, sondern können in Abhängigkeit von ihrem Differenzierungs- und Aktivierungsgrad pro- aber auch antiinflammatorische Eigenschaften aufweisen.
Residente Gewebemakrophagen sind immunologisch relativ inert. Bei der Aktivierung von Makrophagen können zwei Phasen unterschieden werden: 5 das »Priming« (z. B. durch Interferon-γ, IFN-γ) und 5 die endgültige Aktivierung z. B. durch Infektionen, Immunkomplexe oder verschiedene Zytokine. Verschiedene intrazelluläre Signalwege sind in den Prozess der Makrophagenaktivierung involviert. Einen wichtigen Signalweg stellen die sog. MAP-Kinasen (»mitogen acitvated protein kinases«) dar, die z. B. die Expression von Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) und verschiedenen Interleukinen kontrollieren. Verschiedene Stimuli aktivieren den Transskriptionsfaktor NF-κB, der für die Induktion zahlreicher proinflammatorischer Gene verantwortlich ist (Dong et al. 2002; Janeway u. Medzhitov 2002). Darüber hinaus kommt der Erhöhung des intrazellulären Kalziums
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
mit Aktivierung der Proteinkinase C eine entscheidende Funktion im Rahmen der Aktivierung von Makrophagen zu. In Abhängigkeit von ihrem Aktivierungsgrad können Makrophagen ganz unterschiedliche Eigenschaften aufweisen und können somit zu einer Chronifizierung oder auch Herunterregulation einer Entzündungsreaktion beitragen (Gordon 2003; Hume et al. 2002; Mosser 2003).
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Effektorfunktionen von Makrophagen
Rekrutierung von Makrophagen in Entzündungsreaktionen Der erste Schritt der Adhärenz von Blutmonozyten an Endothelzellen besteht in dem sog. Rollen der Leukozyten auf der Endothelzelloberfläche, welches durch die spezifische Bindung von Selektinen an Kohlenhydratstrukturen bedingt ist. Dieser erste noch reversible Kontakt ermöglicht die Bindung von chemotaktischen Molekülen an spezifische Rezeptoren auf den Blutmonozyten. Hierdurch wird ein fester Kontakt durch die Bindung von Integrinrezeptoren auf Monozyten an ihre spezifischen Liganden der Immunglobulinfamilie auf Endothelzellen induziert, an den sich die transendotheliale Diapedese anschließt. Allerdings sind die genauen Mechanismen, über die inflammatorische Stimuli und Monozyten Endothelzellkontakte modulieren, noch weitgehend unbekannt (Dejana 2004). Neben mikrobiellen Produkten reagieren Makrophagen auch auf viele endogene Moleküle, die von anderen Leukozyten oder Endothelzellen sezerniert werden, mit einer gezielten Migration (Chemotaxe).
Pathogenerkennung und Phagozytose Obwohl das adaptive Immunsystem in der Lage ist, antigenspezifische Immunantworten zu entwickeln, entscheiden letztendlich Komponenten des angeborenen Abwehrsystems, und hier vor allem Makrophagen, über kostimulatorische Signale, ob auf einen externen Stimulus eine Entzündungsreaktion ausgelöst wird. Makrophagen verfügen über ein Repertoire von Rezeptoren (»pattern recognition receptors«, PRR), die streng konservierte Motive auf pathogenen Erregern (»pathogen-associated molecular patterns«, PAMP) erkennen. Dieser Mechanismus dient auch zur Identifizierung von durch Gewebeschädigung modifizierten Körperzellen. Es gibt lösliche PRR, z. B. Komplementfaktoren, die über die Opsonisierung von Partikeln Phagozytose vermitteln (s. unten). Daneben finden sich auch membranständige Rezeptoren wie Tolllike-rezeptoren und CD14. Toll-like-Rezeptoren erkennen so unterschiedliche Liganden wie Peptidoglykane, bakterielle Lipoproteine, Lipoppolysaccharide (LPS) oder unmethylierte CpG-DNA, wie sie in Bakterien vorkommt (Janeway u. Medzhitov 2002).
Makrophagen verfügen darüber hinaus über verschiedene Rezeptoren für die konservierte Fc-Region des Immunglobulin G (IgG)(Fcγ-Rezeptoren), die meist aktivierende, aber auch regulierende Effekte auf Makrophagen ausüben können. Makrophagen exprimieren auch verschiedene Komplementrezeptoren, über die opsonisierte Bakterien erkannt werden. Für eine effektive Phagozytose durch Makrophagen ist eine koordinierte Funktion von Fcγ-Rezeptoren und Komplementrezeptoren von besonderer Bedeutung (Underhill u.Ozinsky 2002). ! Die molekularen Mechanismen, über die die Phagozytose verschiedener Partikel induziert wird, sind entscheidend für die Aktivierung von Makrophagen.
Über den molekularen Mechanismus der Phagozytose wird auch die Aktivierung von Makrophagen gesteuert. Die Bindung von opsonisierten Bakterien an einen aktivierenden Fcγ-Rezeptor induziert einen proinflammatorischen Makrophagenphänotyp, während die isolierte Stimulierung von Komplementrezeptoren inhibierend wirkt. Durch die gleichzeitige Bindung anderer PRR, wie z. B. Toll-like-Rezeptoren, werden Effektorfunktionen von Makrophagen noch weitergehend moduliert (Gordon 2003; Mosser 2003; Underhill u.Ozinsky 2002).
Interaktion von Makrophagen mit dem spezifischen Immunsystem Induktion einer spezifischen Immunantwort Über den Mechanismus der Präsentation von Peptiden an Zellen des spezifischen Immunsystems haben Makrophagen einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung einer antigenspezifischen Immunantwort. Diese Funktion wird sowohl von Gewebemakrophagen, aber auch von dendritischen Zellen nach Differenzierung aus monozytären Vorläufern ausgeübt. Defekte, verbrauchte oder fremde intrazelluläre Proteine (z. B. Viren) werden im Zytosol zu Peptiden abgebaut und über HLA-Klasse-I-Moleküle auf der Zelloberfläche präsentiert. Nach der Phagozytose werden extrazelluläre Proteine nach enzymatischer Degradation über HLA-Klasse-II-Moleküle an die Zelloberfläche transportiert. ! Makrophagen stellen ein wichtiges Bindeglied zwischen dem angeborenen und erworbenen Immunsystem dar.
Die Lymphozyten des erworbenen Immunsystems interagieren zwar über ihre spezifischen T-Zell-Rezeptoren mit vielfältigen, unterschiedlichen Antigenen (Signal 1), letztendlich entscheidet aber der antigenpräsentierende Makrophage über kostimulatorische Stimuli (Signal 2), ob eine spezifische Immunantwort überhaupt initiiert wird. Im anderen Fall kommt es zur Toleranz bzw. Anergie des jeweiligen T-Zell-Klons (isoliertes Signal 1). Zu diesen kostimulatorischen Molekülen gehören membranständige Re-
2.3 · Monozyten und Makrophagen
zeptoren auf der Oberfläche von Makrophagen, aber auch lösliche Moleküle wie Interleukin- (IL-)1, IL-6, IL-10 oder IL-12 (Medzhitov u. Janeway 2002).
Regulatorische Funktionen von Makrophagen Neben ihren Aufgaben in Entzündungsreaktionen sind Makrophagen wichtig für die Gewebehomöostase wie auch für die Regeneration nach gewebeschädigenden Prozessen. Die vielfältigen Funktionen von Makrophagen spiegeln sich in der großen Zahl sezernierter Moleküle und Oberflächenrezeptoren wider. Zu diesem Repertoire gehören verschiedene Zytokine und Chemokine, Stickoxid (NO), Sauerstoffradikale und eine Vielzahl an Prostaglandinen. Daneben werden Gerinnungs- und Komplementfaktoren sowie verschiedene Enzyme wie Lysozym oder Kollagenasen sezerniert. (Johnston 1988). Über die Produktion von Molekülen der extrazellulären Matrix und Metalloproteinasen nehmen sie aktiv am Metabolismus des Bindegewebes teil.
2.3.3
Die Rolle von Makrophagen in entzündlichen Arthritiden und Autoimmunerkrankungen
Makrophagenphänotypen in entzündlichen Arthritiden Neben typischen Makrophagen kommen auch dendritischen Zellen im Rahmen der Induktion von spezifischen Immunreaktionen und Osteoklasten beim Knochenmetabolismus wichtige Funktionen im Ablauf von entzündlichen Arthritiden zu. Quantitativ stellen Makrophagen den größten Anteil des zellulären Infiltrats in der Synovia dar (. Abb. 2.8), und ihr Anteil korreliert mit dem Grad der Entzündung, den Gelenkschmerzen und der radiologisch nachweisbaren Knochendestruktion (Bresnihan 1999; Burmester et al. 1997; Kinne et al. 2000). Be-
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züglich der Makrophagenpopulation muss vor allen Dingen zwischen neu rekrutierten Makrophagen im Interstitium des Synoviagewebes, die für einen großen Teil der entzündlichen Symptomatik verantwortlich sind, und den Makrophagen der äußeren Synoviamembran, die am destruktiven Knorpel- und Knochenabbau beteiligt sind, unterschieden werden. Sowohl in der äußeren Membran wie auch in dem darunter liegenden Gewebe zeigen Makrophagen einen inflammatorisch aktivierten Phänotyp (Frosch et al. 2000).
Aktivierungsmechanismen von Makrophagen in entzündlichen Arthritiden Makrophagen können über verschiedene Rezeptoren durch zelluläre Kontakte oder lösliche Faktoren aktiviert werden. Die gezielte Zerstörung von Fc-Rezeptoren im Maussystem hat die Bedeutung der Aktivierung von Makrophagen über Immunkomplexe eindrücklich unterstrichen. Unter den zellulären Mechanismen sind zunächst Kontakte mit voraktivierten T-Lymphozyten zu nennen. Unter den löslichen Zytokinen sezernieren aktivierte TZellen der Synovia u. a. IL-15 und IL-17, die beide eine proinflammatorische Antwort in Makrophagen induzieren. Darüber hinaus verfügen Makrophagen in der Synovia über sehr potente autostimulatorische Mechanismen [z. B. IL-1, IL-18, »monocyte chemoattractant protein-1« (MCP-1), TNF]. Auf Grund der gesteigerten Expression von Toll-like-Rezeptoren in synovialen Makrophagen und der hohen Aktivierungspotenz verschiedener bakterieller Komponenten wird auch mikrobiellen Erregern immer wieder eine pathogenetische Rolle in der Genese von Arthritiden zugeschrieben. Belege hierfür liegen zur Zeit allerdings nicht vor (Burmester et al. 1997; Kinne et al. 2000). Neben den verstärkten Aktivierungsmechanismen ist auffällig, dass verschiedene antiinflammatorische Mechanismen, z. B. Il-1-Rezeptor-Antagonist (IL-1ra), Il-4 und . Abb. 2.8. Makrophageninfiltrat in entzündeter Synovia. Die Abbildung zeigt eine immunhistologische Anfärbung (Peroxidase, rot) mit einem makrophagenspezifischen Antikörper (CD163)
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
1
Il-10, in chronischen Arthritiden inadäquat erniedrigt erscheinen.
. Tab. 2.3. Proinflammatorische Produkte von Makrophagen in Autoimmunerkrankungen (Auswahl)
2
Effektormechanismen von Makrophagen in entzündlichen Arthritiden
Substanz
3
Makrophagen der Synovialmembran und an der PannusKnorpelgrenze sind die Hauptsynthesequelle für TNF und IL-1. TNF und IL-1 sind pleiotrope Zytokine, die die Expression verschiedener anderer Zytokine, Adhäsionsmoleküle, diverser proinflammatorischer Prostaglandine und verschiedener Proteasen induzieren. Über die Induktion chemotaktischer Substanzen wie IL-8 oder MCP-1 verstärken Makrophagen weiterhin den Influx von Leukozyten in die Synovia. Weitere proinflammatorische Zytokine, die von Makrophagen in Arthritiden freigesetzt werden, sind IL-6, IL-13, IL-15, IL-18 und GM-CSF (Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor).
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! Makrophagen sind für große Teile des Entzündungsprozesses und der Gewebedestruktion im Rahmen von Arthritiden verantwortlich.
Darüber hinaus produzieren Makrophagen der Synovia Sauerstoffradikale und NO, zwei Substanzklassen mit potenziell zytotoxischen Wirkmechanismen. Des Weiteren exprimieren Makrophagen Metalloproteasen, die für die Gewebedestruktion der rheumatoiden Arthritis verantwortlich gemacht werden, und induzieren in Synovialfibroblasten einen aggressiven Phänotyp, der diese Zellen zu einem invasiven Wachstum in Knorpel- und Knochengewebe befähigt (Burmester et al. 1997; Kinne et al. 2000) (. Tab. 2.3).
Makrophagen in anderen Autoimmunerkrankungen Neben ihrer exponierten Rolle in entzündlichen Gelenkerkrankungen sind Makrophagen auch an den pathologischen Prozessen anderer Autoimmunerkrankungen beteiligt (. Tab. 2.4). Der gestörten Phagozytose von apoptotischem Zellmaterial durch Makrophagen kommt eine wichtige Bedeutung in der Pathogenese des systemischen Lupus erythematodes (SLE) zu. Darüber hinaus sind proinflammatorische Makrophagen wesentlich an den Entzündungsprozessen im Rahmen der SLE-assoziierten Glomerulonephritis beteiligt (Frosch et al. 2004; Kaplan 2004; Sheriff et al. 2004). Fast alle Formen von Vaskulitiden werden durch eine pathologische Aktivierung von Phagozyten bereits in der Gefäßwand verursacht. Häufig sind fixierte Immunkomplexe in der Gefäßwand verantwortlich, die über den Prozess einer frustranen Phagozytose die inadäquate Aktivierung von Phagozyten induzieren. Die Dermatomyositis ist ebenfalls durch eine massive Infiltration des Muskelgewebes durch Makrophagen charakterisiert. Einer speziellen Subpopulation von
Effekt
Zytokine IL-1β
Proinflammatorisch, Gewebedestruktion, Endothelund Leukozytenaktivierung
TNF
Proinflammatorisch, Gewebedestruktion, Endothelund Leukozytenaktivierung
IL-8, MCP-1
Leukozytenrekrutierung
IL-10, TGF-β
Antiinflammatorisch
Sauerstoffmetabolite O2-, H2O2
Gewebedestruktion
Bioaktive Lipide Prostaglandine, Prostazyklin, Thromboxan, Leukotriene
Proinflammatorisch, Chemotaxe, Endothel- und Leukozytenaktivierung
Komplementfaktoren Klassischer (Faktoren C1– 5) und alternativer Aktivierungsweg (Faktoren B, D, P, I, H)
Immunkomplexablagerungen, Aktivierung von Phagozyten
Proteinasen und Inhibitoren Elastase, Kollagenase, Cathepsin D und L, Lysozyme, Angiotensin-Konvertase, α2Makroglobulin, α1-Proteinaseinhibitor, Plasmin- und Kollagenaseinhibitor
Gewebedestruktion und Regeneration
IL Interleukin; TNF Tumor-Nekrose-Faktor; MCP »monocyte chemoattractant protein«; TGF »transforming growth factor«.
Infiltratmakrophagen scheint eine direkte Beteiligung bei der Destruktion von Muskelfibrillen zuzukommen (Figarella-Branger et al. 2003; Hohlfeld et al. 1997; Seeliger et al. 2003). Auch bei den fibrotischen Umbauvorgängen im Verlauf der Sklerodermie haben zahlreiche von Makrophagen sezernierte Moleküle einen großen Anteil an der chronischen Entzündung und dem in dieser Erkrankung gestörten Bindegewebsmetabolismus (Atamas u. White 2003).
Makrophagen als Ziel antientzündlicher Therapien Makrophagen stellen eine der Haupteffektorzellen in verschiedenen Autoimmunerkrankungen und in entzündlichen Prozessen der Synovia dar. Sie sind die Hauptquelle zahlloser proinflammatorischer Moleküle und sind wesentlich an den destruktiven Mechanismen dieser Erkran-
35
2.3 · Monozyten und Makrophagen
. Tab. 2.4. Pathogenetische Funktionen von Makrophagen in Autoimmunerkrankungen Erkrankung
Effektorfunktionen von Makrophagen
Juvenile idiopathische Arthritis
Makrophagen sind die Hauptproduzenten der proinflammatorischen Zytokine TNF und IL-1 und sezernieren Chemokine wie IL-8 oder MCP-1. Über die Freisetzung von Sauerstoffradikalen, NO und Metalloproteasen sind Makrophagen für die Gewebedestruktion der rheumatoiden Arthritis verantwortlich
Systemischer Lupus erythematodes
Eine gestörte Phagozytose apoptotischer Zellen durch Makrophagen führt zur Präsentation von nukleären Antigenen durch dendritische Zellen an T-Lymphozyten und zur Produktion von Autoantikörpern
Dermatomyositis
Abgelagerte Immunkomplexe induzieren eine pathologische Aktivierung von Makrophagen, die über die Produktion von Zytokinen Entzündungsprozesse induzieren und möglicherweise auch direkt an der Destruktion von Muskelfasern teilnehmen
Vaskulitiden
Sklerodermie
Die pathologische Aktivierung von Phagozyten durch Immunkomplexe während der Transmigration durch die Gefäßwand stellt den führenden Pathomechanismus bei fast allen Formen der Vaskulitis dar Makrophagen nehmen über Synthese und Abbau verschiedenster Komponenten der extrazellulären Matrix aktiv an den fibrotischen Umbauvorgängen teil
kungen beteiligt. Neben diesen Effektorfunktionen ist es sehr wahrscheinlich, dass Makrophagen auch in der initialen Pathogenese rheumatischer Erkrankungen eine bedeutende Rolle spielen. Die prominente Stellung dieser Zellgruppe wird durch zahlreiche tierexperimentelle Daten belegt, in denen durch die Inhibition von Makrophagenfunktionen Entzündungsprozesse in der Synovia effektiv blockiert werden können. ! Die meisten erfolgreich eingesetzten Therapiestrategien bei entzündlichen Arthritiden zielen direkt auf Effektorfunktionen von Makrophagen.
Fast alle heutzutage erfolgreich verwendeten Medikamente zur Behandlung von Arthritiden zeigen direkte Wirkungen auf Makrophagen (. Tab. 2.5). Unter den zahlreichen Effekten von Glucocorticoiden ist die Inhibition verschiedener proentzündlicher Zytokine hervorzuheben. Methotrexat hemmt die Chemotaxe und Zytokinproduktion von Makrophagen. Auf der anderen Seite wird die Synthese von antientzündlichen Molekülen, wie dem löslichen TNF-Rezeptor oder dem IL-1-Rezeptor-Antagonist, induziert. Des Weiteren erhöht Methotrexat die Frei-
. Tab. 2.5. Makrophagen als Ziel antientzündlicher Therapien Substanz
Wirkmechanismus auf Makrophagen
Glucocorticoide
Blockierung der Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-κB, Inhibition der Sekretion von IL-1β, IL-6, IL-8, TNF und MCP-1, Hemmung der Adhäsion an Endothelzellen und Produktion von Sauerstoffradikalen, Induktion antientzündlicher Moleküle
Methotrexat
Hemmung von Chemotaxe und Zytokinproduktion, Expression von löslichem TNF-Rezeptor oder dem IL-1-Rezeptor-Antagonist, Freisetzung von Adenosin
NSAID
Hemmung der Cyclooxigenasen 1 und 2 und der Produktion von Prostaglandinen
Acetylsalicylsäure
Hemmung der Cyclooxigenasen 1 und 2 und der Produktion von Prostaglandinen, Blockierung der Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-κB
Goldpräparate
Hemmung der Expression von Fc- und Komplementrezeptoren, IL-1β, IL-6, IL-8, MCP-1 und der Monozytenchemotaxe
Antimalariamittel
Hemmung der Synthese von Prostaglandin E2, TNF und IL-1β
Etanercept, Infliximab, Adaluminab
Spezifische Hemmung von TNF-Effekten
Kineret
Spezifische Hemmung von IL-1-Effekten
NSAID nichtsteroidale Antiphlogistika; IL Interleukin; TNF Tumor-NekroseFaktor; MCP »monocyte chemoattractant protein«.
setzung von Adenosin, welches wiederum einen inhibitorischen Einfluss auf Makrophagen ausübt. Da Makrophagen eine Hauptquelle für inflammatorische Prostaglandine darstellen, zielen nichtsteroidale, antientzündliche Medikamente über eine Hemmung der Cyclooxygenasen 1 und 2 ebenfalls in erster Linie auf diese Zellgruppe. Über eine Hemmung des Transkriptionsfaktors NF-κB interferiert Acetylsalicylsäure darüber hinaus auch mit der Synthese von TNF. Selbst die früher häufig verwendeten Goldpräparate und Antimalariamedikamente hemmen die Produktion verschiedener Zytokine und Prostaglandine in Makrophagen (Bondeson 1997; Buttgereit et al. 2004; Kinne et al. 2000; Kremer 2004; Yanni et al. 1994). Der eindrucksvollste Hinweis auf die Bedeutung von Makrophagen für den Prozess von Arthritiden liegt jedoch in der Wirksamkeit der neuerdings verwendeten spezifischen Antizytokintherapien. Gegen TNF werden spezifische Antikörper und lösliche Rezeptoren erfolgreich eingesetzt. Ebenfalls hat eine Therapie mit dem IL1-Rezeptor-Antagonist einen deutlichen Effekt auf den Entzündungsprozess der Synovia und zeigt erste eindrucksvolle Effekte bei Patienten mit therapierefraktärer systemischer juveniler idiopathischer Arthritis. Sowohl
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
TNF als auch IL-1 werden hauptsächlich von Makrophagen produziert, was die zentrale Bedeutung dieser Zellgruppe für den Verlauf von Arthritiden unterstreicht. Interessanterweise zeigen dagegen alle bisherigen Therapiestrategien, die gegen Lymphozyten gerichtet sind, nur mäßige Erfolge (Cohen 2004; Feldmann 2002). Neben den hier beschriebenen etablierten Medikamenten gibt es auch eine Anzahl neuer Therapiestrategien, um über die gezielte Manipulation von Makrophagen Entzündungsprozesse zu inhibieren. Verschiedene pharmakologische Inhibitoren für spezifische intrazelluläre Signalwege, die bei der Aktivierung von Makrophagen eine wichtige Rolle spielen (z. B. die Aktivierung von MAP-Kinasen oder dem Transkriptionsfaktor NF-κB, s. oben), sind in Tierexperimenten und z. T. auch schon in ersten klinischen Studien erfolgreich eingesetzt worden. Daneben werden zurzeit eine Reihe von weiteren blockierenden Substanzen gegen Zytokine entwickelt, die in erster Linie von Makrophagen synthetisiert und freigesetzt werden. Die Blockierung von Oberflächenrezeptoren, wie Adhärenzmolekülen oder Fc-Rezeptoren, und sezernierten Proteinen, wie Matrixmetalloproteinasen, wird ebenfalls tierexperimentell und klinisch erprobt. Eine attraktive Strategie besteht darin, über eine Induktion von antientzündlichen Eigenschaften in Makrophagen Entzündungsprozesse quasi physiologisch herunterzuregulieren, auch wenn diese Ansätze zurzeit noch in den Kinderschuhen stecken.
13 Literatur
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
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2.4
Genetik
J.-P. Haas
2.4.1
Juvenile idiopathische Arthritis
Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) ist keine Erkrankung mit klassischem Vererbungsmuster. Genetisch determinierte Faktoren haben jedoch entscheidenden Einfluss auf Krankheitsempfänglichkeit und Verlauf. Folgende genetische Befunde bei der JIA sind wichtig: 5 Die Konkordanz bei Geschwistern ist bezüglich der Inzidenz relativ niedrig, jedoch bezüglich Subtyp und Verlauf hoch.
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2.4 · Genetik
5 Die Subtypen der JIA haben unterschiedliche genetische Hintergründe. 5 Es gibt JIA-Patienten, die keines der bislang definierten Risikogene tragen. 5 Einige Formen der JIA haben eindeutig von der rheumatoiden Arthritis des Erwachsenen abgrenzbare genetische Hintergründe. 5 Es bestehen Assoziationen mit dem Manifestationsalter. 5 Auf die Pathogenese haben genetische und umweltbedingte Faktoren einen Einfluss. 5 Der Verlauf der Erkrankung, z. B. das Auftreten bestimmter Komplikationen, ist ebenfalls genetisch beeinflusst. 5 Genetische Faktoren können bei bestimmten Therapien das Risiko von unerwünschten Nebenwirkungen erhöhen bzw. die Therapieeffizienz verringern.
Unterformen der JIA Systemische JIA Die systemische Beginnform der JIA (S-JIA) ist bezüglich Manifestation und Verlauf sehr variabel. Mehrere Studien zur Immungenetik fanden keine spezifische Assoziation mit Human-leukocyte-antigen- (HLA-)Allelen. Das mit der rheumatoiden Arthritis (RA) des Erwachsenen assoziierte »shared epitope« (»RA associated shared epitope«, RASE), enthalten in HLA-DRB1, -DR4 und -DR10 scheint mit einem insgesamt milderen Verlauf der Erkrankung assoziiert zu sein. Interessante Assoziationen fanden sich bei Analysen polymorpher Gene, die regulative Zytokine kodieren. In der Promotorregion des Genes für den »migration inhibiting factor« (MIF), einem Protein, das die Aktivierung und die Migration von T-Zellen reguliert, fand sich ein Polymorphismus (G-173C), der mit erhöhten Konzentrationen von MIF in Plasma und Synovialflüssigkeit, einem höheren Steroidbedarf und einer schlechteren Prognose assoziiert ist. In der Promotorregion für das Gen des proinflammatorisch wirksamen Interleukins IL-6 findet sich ein Polymorphismus (G-174C), der mit einem Auftreten der Erkrankung nach dem 5. Lebensjahr assoziiert ist (. Tab. 2.6). Bislang wurden keine genetischen Faktoren detektiert, die prädiktiv eine Risikoabschätzung potenziell lebensbedrohlicher Komplikationen, wie dem Makrophagenaktivierungssyndrom oder der AA-Amyloidose, ermöglichen.
Polyartikuläre JIA Von allen Subtypen der JIA ist die polyartikuläre JIA (PJIA) der RA des Erwachsenen am ähnlichsten (. Tab. 2.7). Die meisten kindlichen und jugendlichen Patienten sind jedoch bezüglich des Rheumafaktors negativ und werden als »seronegative« polyartikuläre JIA (SNP-JIA) klassifiziert. Eine sich initial als seropositiv polyartikulär manifestierende JIA (SPP-JIA) wird im Kindesalter (<10 Jahre) selten beobachtet. Interessanterweise wechseln HLA-As-
. Tab. 2.6. Systemische JIA Gen
Befund
HLA
Keine Assoziation RASE pos. assoziiert mit milderem Verlauf
Andere MIF (G-173C)
Erhöhte MIF-Konzentrationen Höherer Steroidbedarf Schlechtere Prognose
IL-6 (G-174C)
Erstmanifestation über 5 Jahre
HLA »human leukocyte antigen«; RASE «RA-associated shared epitope”; MIF»migration inhibiting factor«; IL Interleukin.
. Tab. 2.7. Polyartikuläre JIA Gen
Befund
Geschlecht Weiblich
Höhere Inzidenz, schlechtere Prognose
HLA DRB1*04
Manifestation nach dem 4. Lebensjahr, Progression zur RA bzw. SPP-JIA
DRB1*08
Manifestation vor dem 4. Lebensjahr, SNP-JIA
Andere D6S2447 Mikrosatellit
SNP-JIA
HLA-DRB1*08 + pos. RF
Längere Dauer der aktiven Erkrankung
RF neg. + männlich
CHAQ-Score n, Dauer länger
RA rheumatoide Arthritis; SPP-JIA seropositive polyartikuläre JIA; SNP-JIA seronegative polyartikuläre JIA; RF Rheumafaktor; CHAQ »childhood health assessment questionnaire«.
soziation und Gesamtprognose bei der SNP-JIA mit zunehmendem Lebensalter. Während nach dem 4. Lebensjahr die gleichen HLA-Assoziationen wie bei der RA des Adulten gefunden werden, weist die Erkrankung völlig differente HLA-Assoziationen bei Manifestation innerhalb der ersten 4 Lebensjahre auf. Ein zwischen den Genorten HLA-DRB1 und HLADQB1 lokalisierter Mikrosatellitenpolymorphismus (6S2447) ist hochsignifikant mit der SNP-JIA assoziiert. Das Geschlecht ist für Inzidenz, Prognose (weiblich) und die Dauer (männlich) der Erkrankung prädisponierend.
Oligoartikuläre JIA Die höchste Inzidenz aller Subtypen (ca. 50% der Patienten mit JIA) liegt bei der oligoartikulären JIA (OA-JIA), deren genetischer Hintergrund in einer Vielzahl von Studien
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
untersucht wurde (. Tab. 2.8). Etwa 70% der Patienten zeigen ein anhaltend oligoartikuläres Befallsmuster (»persistent oligoarticular JIA«, POA-JIA), während bei den Übrigen innerhalb der ersten 6 Monate eine Beteiligung von 5 und mehr Gelenken auftritt (»extended oligoarticular JIA, EOA-JIA). Die OA-JIA wird häufig (bis zu 65%) von einer Uveitis kompliziert. OA-JIA, die Uveitis und die Entwicklung antinukleärer Antikörper (ANA) zeigen eine signifikante Häufung beim weiblichen Geschlecht. Innerhalb der MHC-Klasse-I-Gene wurde das Allel HLA-A2 in Assoziation mit der frühkindlichen Ausprägung einer OA-JIA gefunden. Bei den MHC-Klasse-IIGenen zeigte sich eine Reihe von Allelen mit der Suszeptibilität für eine OA-JIA assoziiert: HLA-DRB1*11 (vor allem die Allele *1101 und *1104), DRB1*08, DRB1*1301, DQA1*0401, DQA1*0501 und DPB1*0201. Aufgrund des genetischen Koppelungsungleichgewichtes zwischen den Genloci für HLA-DR and -DQ lassen sich einige dieser Assoziationen in die Haplotypen HLA-DRB1*11DQA1*0501 und HLA-DRB1*08-DQA1*0401 zusammenfassen. Die Frage des primär assoziierten Genortes innerhalb der HLA-DR-DQ-Region ist bislang nicht abschließend geklärt. Die in den assoziierten Haplotypen enthaltene HLA-DQ-α-Kette enthält in ihren für die Peptidpräsentation relevanten Anteilen ein aus 6 Aminosäuren bestehendes Sequenzmotiv. Funktionelle In-vitroUntersuchungen mit synthetischen Peptiden zeigten spezifische Unterschiede im Vergleich assoziierter und nichtassoziierter HLA-DQ-Moleküle, was die Hypothese einer funktionellen Bedeutung dieser Allele bei der Pathogenese der OA-JIA bekräftigt. Darüber hinaus werden die assoziierten DQ-α-Ketten aufgrund einer Mutation in ihrer Promotorregion, die ebenfalls mit der OAJIA assoziiert ist, in größeren Mengen exprimiert. HLAA2 und HLA-DPB1*0201 zeigen sich unabhängig von den in der HLA-DR-DQ-Region kombiniert vererbten Allelen mit der OA-JIA assoziiert. HLA-A2-positive Patienten mit einer OA-JIA, bei denen ein anti-45kD-DEK-Antikörper nachweisbar ist, haben ein erhöhtes Risiko bezüglich einer Uveitis. Das Allel HLA-DPB1*0201 ist neben der Suszeptibilität mit der Entwicklung von knöchernen Erosionen assoziiert. Ein signifikant höheres Risiko für die Uveitis wurde bei Patienten mit dem Allel HLA-DRB1*1104 und dem Nachweis von ANA gefunden. In einer Langzeitstudie (14,9 Jahre Durchschnittsbeobachtung) zeigte sich die Entwicklung zur EOA-JIA assoziiert mit dem Allel HLADRB1*01. Eine Assoziation zur Protektion vor einer OAJIA zeigen die Allele HLA-DRB1*04 und HLA-DRB1*07. Sie unterscheidet sich damit eindeutig von der RA bei Erwachsenen. Studien zu polymorphen Genen regulatorischer Zytokine zeigten bislang einzig beim für Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF-α) kodierenden Gen eine signifikante Assoziation des A+851G-Polymorphismus mit der POA-JIA.
. Tab. 2.8. Oligoartikuläre JIA Gen
Befund
Geschlecht Weiblich
Erhöhtes Risiko: Uveitis, ANA+
HLA A2
OA-JIA, Beginn <2. Lebensjahr
DRB1*01
EOA-JIA
DRB1*04, *07
Protektiver Effekt
DRB1*08
OA-JIA
DRB1*11 (1101, 1104)
OA-JIA
DRB11*1301
OA-JIA
DQA1-Motiv (*0401, *0501)
OA-JIA
DQA1-PromotorY-Box-Mutation
OA-JIA
DPB1*0201
OA-JIA, Knochenerosionen
Andere HLA-A2 + anti45DEK-AK
Erhöhtes Risiko: Uveitis
HLA-DRB1*1104 + ANA
Erhöhtes Risiko: Uveitis
TNF-α + 851G (Intron)
POA-JIA
Besondere Beobachtungen
HLA-A2-unabhängig HLA-DR HLA-DR-unabhängig HLA-DP
ANA antinukleärer Antikörper; EOA-JIA »extended oligoarticular JIA«; OA-JIA oligoartikuläre JIA; POA-JIA »persistent oligoarticular JIA«; TNF-α Tumor-Nekrose-Faktor α.
Enthesitis-assoziierte JIA Die enthesitis-assoziierte (EA-JIA) umfasst die Formen einer Oligoarthritis mit Erstmanifestation im späteren Kindesalter und bei Jugendlichen (. Tab. 2.9). Ebenfalls enthalten sind die juvenilen Formen der Spondylarthropathie. Dieser Subtyp weist eine deutliche Prädisposition des männlichen Geschlechtes auf. Länger bekannt ist auch die Assoziation des HLA-B27-Allels mit der Erkrankungssuszeptibilität. Das gleiche Allel prädisponiert für die Uveitis anterior sowie den Achsenskelettbefall, d. h. letztlich einen Übergang zum Morbus Bechterew im Erwachsenenalter. Homozygotie für das Allel LMP2B, das eine Untereinheit des an der Peptidbeladung von HLA-Molekülen verantwortlichen Proteasoms kodiert, prädisponiert für einen schwereren Verlauf der Erkrankung mit polyartikulärem Befallsmuster. Der Verlauf der Erkrankung ist durch weitere Faktoren beeinflusst, wie Untersuchungen zum TNF-Promotorpolymorphismus und zur Koexpression weiterer HLA-Allele (z. B. HLA-DRB1*08) zeigen.
39
2.4 · Genetik
Psoriasis-JIA
. Tab. 2.9. Enthesitis-assoziierte JIA Gen
Befund
Geschlecht Männlich
>75% der Fälle
HLA HLA-B27
Erhöhte Suszeptibilität Lumbosakraler Befall Erhöhtes Uveitisrisiko
Andere LMP2BB
Erhöhtes Erkrankungsrisiko, schwerer Verlauf
TNF G-308A
Erhöhtes Erkrankungsrisiko
HLA-B27+ und HLA-DRB1*08+
Erosionen
. Tab. 2.10. Psoriasis-JIA Gen
Befund
Geschlecht
Keine Präferenz
Intrafamiliäre Transmission
HLA HLA-B27
Arthritis
HLA-Cw*0602
Psoriasis und Arthritis
Haplotyp: Cw6B57-DRB10701DQA1*0201DQB1*0303
Positive Familienanamnese, frühe Manifestation
Andere TNF-α G-308A, TNF-β +252
Schnelle Progression, frühe Manifestation
MICA-A9
Arthritis
Besondere Beobachtungen Positive Familienanamnese
Die Psoriasis-JIA (PSA-JIA) wird in der Klassifikation der ILAR (International League of Associations for Rheumatology) erstmalig als eigener Subtyp juveniler Arthritiden eingeführt. Die Klassifikationskriterien sind noch immer Gegenstand von Diskussionen. Dennoch gibt es interessante Beobachtungen zum genetischen Hintergrund dieses Subtyps (. Tab. 2.10). Die PSA-JIA zeigt als einziger Subtyp keine Geschlechtspräferenz. Eines der Hauptkriterien der PSA-JIA in der ILAR-Klassifikation – die positive Familienanamnese – konnte bei der Analyse von über 1200 Krankengeschichten bei 74% der Fälle nachgewiesen werden. Während die Arthritis mit dem Allel HLAB27 assoziiert ist, findet sich beim gemeinsamen Auftreten von Arthritis und Psoriasis HLA-Cw*0602 statistisch gehäuft. Interessante Befunde ergaben sich auch bei der Untersuchung der Polymorphismen im Bereich der TNFGene sowie für das Allel A9 des Genes MICA, welches ein mit den HLA-Klasse-I-Molekülen interagierendes Protein kodiert.
Klassifikationskriterium positiv bei 74% (1262 analysierte Fälle)
Kenntnisse über die genetischen Hintergründe der JIA sind wichtig für die Beratung betroffener Familien. Die bislang einzige populationsbasierte epidemiologische Studie zur JIA im deutschen Sprachraum zeigte eine Prävalenz von 0,15‰ (von Koskull 2001). Hierbei wurden jedoch keine Analysen zur intrafamiliären Transmission durchgeführt. In amerikanischen und finnischen Familienstudien wurde eine signifikant erhöhte Prävalenz bei Geschwistern (30fach) und Eltern (20fach) von Indexpatienten beobachtet. Die Analysen bei betroffenen Geschwisterpaaren (»affected sib pairs«, ASP) ergaben eine signifikante Konkordanz bezüglich der Beginnform, des Verlaufes sowie der Vererbung mit der Suszeptibilität assoziierter HLA-Merkmale (. Tab. 2.11).
. Tab. 2.11. Epidemiologie und intrafamiliäres Risiko der JIA Kriterium
Beobachtung
Prävalenz JIA Inzidenz JIA
15/100.000 (0,15‰) 4,6/100.000/Jahr
Prävalenz bei Geschwistern Prävalenz bei Eltern
≈0,5% ≈4%
Konkordanz betroffener Geschwisterpaare (ASP) bezüglich: 5 Beginnform 5 Verlauf HLA-DR bei ASP mit OA-JIA: Krankheitskonkordanz gleicher Haplotypen: 0 Allele 1 Allele 2 Allele
Interpretation
30fach erhöht 20fach erhöht Signifikant bei
80/67% OA-/SNP-JIA 65/61% OA-/SNP-JIA beobachtet/ (erwartet) 100%/25% 8 (20) 40 (40) 32 (20)
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Das familiäre Risiko sollte abgewogen dargestellt werden. Das Risiko von Geschwistern und Kindern von Betroffenen liegt sicherlich deutlich unter 25%, d. h. dem Transmissionsrisiko bei autosomal-rezessiven Erberkrankungen, selbst wenn diese HLA-identisch sind. Von prophylaktischen Gentests bei nichtbetroffenen Verwandten sollte dringend abgeraten werden. Auch ist zu berücksichtigen, dass sich die Therapierbarkeit der meisten Subtypen der JIA in der vergangenen Dekade deutlich verbessert hat. ! Die Ergebnisse zur Genetik der JIA haben Bedeutung für Diagnostik, genetische Beratung, Prognoseabschätzung und Therapieplanung. Sie ermöglichen uns außerdem ein verbessertes pathophysiologisches Verständnis der Erkrankung. In Zukunft werden Familienstudien, die multizentrische Kooperation in Genbanken und funktionelle Genstudien helfen, dieses Wissen zu erweitern, um die Betreuung der Patienten kontinuierlich zu verbessern. Bei allem Fortschritt um die Kenntnis der genetischen Prädisposition eines Menschen sollten wir jedoch seine Einzigartigkeit nicht aus den Augen verlieren.
2.4.2
Andere Autoimmunerkrankungen des Kindes- und Jugendalters
Auch bei anderen Autoimmunerkrankungen des Kindesund Jugendalters wurden Assoziationen mit genetischen Merkmalen gefunden (. Tab. 2.12). In den meisten Fällen handelt es sich auch hier um Assoziationen von HLA mit einer Erkrankungssuszeptibilität. Unzureichend charakterisiert ist noch immer der Einfluss von Allelen des MHC mit den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Hier spielen möglicherweise Interaktionen mit lokal residenten Keimen eine entscheidende Rolle.
2.4.3
Erberkrankungen mit Autoimmunphänomenen
Im Gegensatz zur JIA und anderen Autoimmunerkrankungen des Kindes- und Jugendalters, bei denen kein klassischer genetischer Vererbungsmodus bekannt ist und sich lediglich Assoziationen polymorpher Gene des Immmunsystems finden, wurden in den letzten Jahren einige Erkrankungen aufgeklärt, die auf »klassisch« vererbten Gendefekten beruhen und die in Ihrem Verlauf Autoimmunphänomene aufweisen können (. Tab. 2.13). Ein schon länger bekannter Vertreter dieser Gruppe ist das Lupus-like-Syndrom bei Patienten mit einem Defekt bezüglich der Komplementfaktoren C2 und C4. Auch heterozygote Merkmalsträger können klinische Symptome, jedoch zumeist ohne schwere Organbeteiligung, entwickeln. Durch die internationale Zusammenarbeit mehrerer Forschungsgruppen gelang in den letzten Jahren die Aufklärung des genetischen Hintergrundes einer ganzen Gruppe periodischer Fiebersyndrome. Dabei sind das familiäre Mittelmeerfieber (FMF) und das HyperIgD-Syndrom (HIDS) autosomal-rezessive Erberkrankungen, während die Chronic infantile neurologic cutaneous arthropathy (CINCA), das Muckle-Wells-Syndrom (MWS), das Familial cold autoinflammatory syndrome (FCAS) und das TNF-receptor-associated periodic syndrome (TRAPS) autosomal-dominant vererbt werden. All diesen Erkrankungen gemeinsam ist das Auftreten autoimmunologischer Symptome auf Basis von Gendefekten, die entweder wichtige Proteine des Zellstoffwechsels (FMF, HIDS, CINCA, FCAS, MWS) oder der interzellulären Übertragung von Signalen (TRAPS) kodieren. Auch wenn bei den meisten dieser Krankheiten die molekulare Pathogenese noch nicht bis ins Detail verstanden ist, so war die Erkenntnis, dass auch monogene Erberkrankungen Autoimmunphänomene erzeugen können, essenziell.
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. Tab. 2.12. Andere Autoimmunerkrankungen des Kindes- und Jugendalters Erkrankung
Genetische Assoziation
Referenzen
Systemischer Lupus erythematosus
HLA-DRB1*03 TNF-R2
Gladman et al. 1999 Komata et al. 1999
Lupus like Syndrome
C2, C4-Defizienz
Meyer et al. 1985
Dermatomyositis/Polymyositis
DQA1*0501
Reed et al. 1998
Systemische Sklerodermie
Keine
Mc Curdy 1999
Sjögren-Syndrom
HLA-B*8 HLA-DRB1*03
Foster et al. 1993
Kawasaki-Syndrom
Keine
Barron et al. 1992
Morbus Behçet
HLA-B*5101
Koumantaki et al. 1998
Morbus Crohn
MHC
Yang et al. 1999
Colitis ulcerosa
DRB1*0103, *15
Bouma et al. 1999
41
2.4 · Genetik
. Tab. 2.13. Erberkrankungen mit monogenem Erbgang und Autoimmunphänomenen Erkrankung
Gendefekt
Referenz
C2-, C4-Defizienz
Meyer et al. 1985
Komplementdefekte 5 Lupus-like-Syndrom Periodische Fieber
Frenkel 2002
5 Familiäres Mittelmeerfieber (FMF) 5 Hyper-IgD-Syndrom (HIDS) 5 Chronic infantile neurologic cutaneous arthropathy (CINCA) 5 Muckle-Wells-Syndrom (MWS) 5 Familial cold autoinflammatory syndrome (FCAS) 5 TNF-receptor-associated periodic syndrome (TRAPS) Autoimmun-lymphoproliferatives Syndrom (ALPS)
Rieux-Laucat et al. 2003
5 Typ 0 5 Typ Ia
10q24.1, Fas/Apo I homozygot
5 Typ Ib
10q24.1, Fas/Apo I heterozygot
5 Typ IIa
1q23, Fas-ligand heterozygot
5 Typ IIb
2q33-q34, Caspase 10 2q33-q34, Caspase 8
X-chromosomale Immundysfunktion, Polyendokrinopathie, Enteropathie (IPEX)
X-p11.23, FOXP3
Wildin et al. 2001
Autoimmune Polyendokrinopathie mit Candidiasis und ektodermaler Dystrophie (APECED)
21q22.3, AIRE
Chen et al. 2005
Drei Autoimmunerkrankungen, das autoimmun-lymphoproliferative Syndrom Typ I und II (ALPS), die Xchromosomale Immundysfunktion, Polyendokrinopathie, Enteropathie (IPEX) und die autoimmune Polyendokrinopathie mit ektodermaler Dystrophie (APECED) konnten eindeutigen Gendefekten zugeordnet werden. Alle drei Syndrome basieren auf Regulationsstörungen der adaptiven Immunantwort. Beim ALPS führen Defekte in unterschiedlichen Elementen der CD95- (Fas/Apo1-) Signalkaskade zu einer defizienten Apoptose. Beim IPEX (FOXP3, »forkhead transcription protein 3«) und beim APECED (AIRE, »autoimmune regulator«) sind durch Gendefekte bei intrazellulären Transkriptionsfaktoren wichtige Funktionen der Herabregulation des aktivierten Immunsystems gestört. Die Folgen sind überschießende Autoimmunprozesse mit Enteropathie, Dermatitis und Endokrinopathie (IPEX) bzw. chronisch mukokutaner Candidiasis, Nebenschilddrüsenunterfunktion und Nebennierenrindeninsuffizienz (APECED).
2.4.4
Therapierelevante Polymorphismen
In den vergangenen Jahren wurden zunehmend Polymorphismen beschrieben, die für das Auftreten und den Schweregrad unerwünschter Nebenwirkungen medika-
. Tab. 2.14. Therapierelevante Polymorphismen Medikament
Genetischer Polymorphismus
NSAID COX-2 Hemmer
COX-2 V511A: keine Effektivität
Immunsuppressiva MTX
MTHFR: 677T, 1298 C: erhöhte Toxizität, mehr unerwünschte Nebenwirkungen
AZA
TPMT-Polymorphismus: erhöhte Toxizität oder reduzierte Effektivität
CSA
TGF-β (+869, +915): verstärkte Gingivahyperplasie
NSAID nichsteroidale Antiphlogistika; MTX Methotrexat; AZA Azathioprin; CSA Ciclosporin A.
mentöser Therapien verantwortlich sind (. Tab. 2.14). Vor allem Enzyme, die am Abbau von Medikamenten oder deren Stoffwechselprodukten beteiligt sind, sind hier bedeutungsvoll. Für die Therapie der JIA relevante Beispiele sind das Methyltetrahydrofolatreduktase-Gen (MTHFR) und die Thiopurinmethyltransferase (TPMT). Aber auch die mangelnde Effiktivität eines Medikamentes kann durch
2
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Genpolymorphismen der katabolisierenden Enzyme vermittelt sein. Aufgrund der möglichen schweren Nebenwirkungen (Knochenmarktoxizität) sollte vor Einsatz von Azathioprin eine Bestimmung das TPMT-Polymorphismus erfolgen. Die übrigen Polymorphismen haben nach derzeitigem Wissensstand keine derart relevanten Folgen.
4 Literatur
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2.5
Zytokine
G. Horneff
2.5.1
Grundlagen
Nomenklatur Zytokine, »Zellbeweger« sind eine zahlenmäßig anwachsende Gruppe von löslichen Proteinen oder Glykoproteinen, die als chemische Botenstoffe Signale zwischen Zellen vermitteln. Einige Zytokine sind Monomere (z. B. Interleukin-1, IL-1), andere Homodimere (z. B. IL-8), Homotrimere (z. B. Tumor-Nekrose-Faktor-α, TNF-α), andere Heteromere (IL-12 oder Lymphotoxin-α). Ihre Größe liegt zwischen 5 und 50 kDa. Sie haben eine Bedeutung für 5 das Überleben der Zellen, 5 das Zellwachstum (z. B. IL-2, IL-3), 5 die Zelldifferenzierung (z. B. Granulozytenkoloniestimulierender Faktor, G-CSF), 5 die Zellaktivierung (Interferon-γ, IFN-γ), 5 die Zellanlockung, 5 die Chemotaxis (z. B. IL-8) und 5 funktionelle Einflüsse auf Gewebezellen. Daneben sind Zytokine auch an der Regulation der Immunantwort beteiligt. Als Beispiele seien der Transforming growth factor β (TGF-β) genannt und die z. T. antagoniserende Wirkung von IL-4 und IFN-γ auf z. B. die Regulation der IgE-Synthese. Meist überlappen sich Funktionen einzelner Zytokine. Diese Redundanz erklärt sich wahrscheinlich phylogenetisch und verhindert einen Ausfall wichtiger immunologischer Funktionen bei Defizienz für ein Zytokin. Zahlreiche Zytokine sind pleotroph und vermitteln mehrere Funktionen. Die Verschachtelung von Zytokinen, wobei ein Zytokin die Produktion weiterer Zytokine stimuliert – eine Zytokinkaskade – ist in der Lage, eine Potenzierung der gestarteten Reaktion zu bewirken. Zytokine werden z. T. aus funktionellen, z. T. aus historischen Gründen eingeteilt in: 5 Interleukine (IL-1 bis IL-18),
43
2.5 · Zytokine
5 5 5 5
Interferone (α, β und γ), kolonie-stimulierende Faktoren, Chemokine und Tumor-Nekrose-Faktoren.
Eine Gemeinsamkeit ist, dass sie nach dem SchlüsselSchloss-Prinzip ihre Wirkung spezifisch durch Bindung und Interaktion mit einem zellständigen Rezeptor vermitteln. Die Zytokinrezeptoren sind in ihrer Funktion signaltransduzierende multimolekulare Komplexe. Diese Rezeptoren sind ebenfalls Glykoproteine, die meist genau ein Zytokin und nur in besonderen Fällen mehrere Zytokine binden. Als Beispiel seien hier die TNF-Rezeptoren 1 und 2 angeführt, die TNF-α und Lymphotoxin-α (deshalb auch TNF-β genannt) binden und die deshalb ähnliche Wirkungen vermitteln. Ein anderes Beispiel ist der Interleukin-1-Rezeptor, der durch Bindung von IL-1α und IL1β aktiviert wird. Durch den Interleukin-1-Rezeptor-Antagonisten (IL-1RA) wird er zwar gebunden, eine aktivierende Wirkung bleibt aber aus. Der IL-1RA besitzt somit alle Eigenschaften eines Zytokins, wobei seine blockierende Wirkung zur Immunregulation beiträgt. Die Einteilung der Zytokine nach der sie produzierenden Zellline in Lymphokine und Monokine hat sich nicht durchgesetzt.
Zytokine als Signalproteine in der Immunantwort und der Entzündung Im Unterschied zu Hormonen entfalten nicht alle Zytokine ihre Wirkung durch eine Sezernierung in den Blutstrom. IL-6 wäre aber ein Beispiel hierfür. Dieses Zytokin kann bei einer Vielzahl von entzündlichen Erkrankungen in hoher Menge in Plasma oder Serum nachgewiesen werden und entfaltet neben der Wirkung auf Zellen des Immunsystems (als B-Zell-stimulierender Faktor steigert es die Immunglobulinsekretion) auch eine Wirkung auf Zellen anderer Organe. So wirkt IL-6 auf Hepatozyten, die vermehrt Akute-Phase-Proteine wie C-reaktives Protein oder Fibrinogen sezernieren. Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse wird durch IL-6 supprimiert. Dies ist ein Grund dafür, dass Kinder und Jugendliche mit chronisch entzündlichen Erkrankungen beispielsweise häufig auch einen Wachstumsarrest zeigen. Die Regulation der Zytokinproduktion und der Zytokinwirkung, vermittelt über Rezeptoren, kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen: 5 genomisch, 5 über die transkriptionsfaktorvermittelte Genexpression, die zur mRNA-Produktion führt, 5 durch die mehr oder weniger ausgeprägte Stabilität der mRNA bzw. deren Degradierung, 5 über die Produktion von noch inaktiven Vorstufen der Zytokine, sog. Precursoren, 5 über die Regulation von Enzymen, die diese Precursoren in aktive Enzyme umwandeln, und 5 über die Freisetzung der Zytokine.
5 Eine weitere Regulation erfolgt auf der Ebene der Zytokinrezeptoren. Lösliche Rezeptoren, durch Shedding von der Membran gelöst, können Zytokine binden, Zytokinantagonisten binden kompetitiv an Rezeptoren. ! Zahlreiche Zytokine setzen ihre Wirkung unmittelbar im Umfeld der Zellen, die sie produzieren, frei (Mikroenvironment). Beispiele hierfür sind die proinflammatorischen Zytokine IL-1 und TNF-α, aber auch chemotaktische Faktoren, wie z. B. das IL-8. Dieser Einfluss auf die unmittelbar benachbarten Zellen wird parakrin genannt, eine Autostimulation der Zelle wird autokrin genannt. Ein Beispiel hier ist IL-2, ein Wachstumsfaktor für Lymphozyten, der auch die Expression von IL-2-Rezeptoren steigert und hierüber eine Stimulation und Proliferation der IL-2-sezernierenden Zelle selbst anregt. Die Stimulation von benachbarten Zellen über membranständige Zytokine, quasi via Zell-zu-Zell-Kontakt, wird juxtakrine Signalübertragung genannt. Beispiele hierfür sind ebenfalls IL-1 und TNF-α.
Zytokinrezeptoren Zytokinrezeptoren sind membrangebundene Glykoproteine, die in der Regel hochspezifisch ihre Zytokinliganden binden und direkt oder mittels signalübertragender Proteine ihre Aktivität entfalten. Die Rezeptordichte ist variabel, die Bindungsaffinität meist sehr hoch und liegt mit einer Dissoziationskonstanten von 10-9 bis 10-12 im Bereich der Bindung von Antikörpern. In der Regel bestehen Zytokinrezeptoren aus extrazellulären Domänen, transmembranösen Domänen und intrazellulären, signalübertragenden Domänen. Einige Rezeptoren, z. B. der IL-6-Rezeptor (IL6R) selbst hat keine signalübertragende intrazytoplasmatische Dömäne. Die Bindung von IL-6 an den IL-6R führt zur Assoziation mit gp130, einem membranständigen Glykoprotein, das die Signalübertragung durchführt. Einige Rezeptoren sind monomere, andere homodimere oder heterodimere Komplexe. Einige Rezeptoren, so die Chemokinrezeptoren, binden mehrere Zytokine und gelten als promiskuitive Rezeptoren. Manche Zytokinrezeptoren mit einer heterodimeren Struktur tragen gemeinsame Ketten, so z. B. die gemeinsame γ-Kette der Rezeptoren für IL-2, IL-7, IL-9 und IL-15. Einige Rezeptoren, z. B. der p55-TNF-R, werden bei Aktivierung der Zelle von der Membran gelöst und können so als lösliche Rezeptoren das Zytokin binden und neutralisieren bzw. regulieren dadurch die Intensität der Aktivierung.
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Zytokinrezeptoren und Beispiele 5 Immunglobulinsuperfamilie IL-1 (Interleukin-1), M-CSF (Makrophagenkoloniestimulierender Faktor), IL-18 5 IFN- (Interferon-)Rezeptorfamilie IFN-α, IFN-ß, IFN-γ, IL-10 5 Rezeptoren für Wachstumsfaktoren IL-2, IL-3, IL-4, IL-5, IL-6, IL-7, IL-9, GM-CSF (Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor), G-CSF (Granulozytenkolonie-stimulierender Faktor), EPO (Erythropoietin) 5 TNF- (Tumor-Nekrose-Faktor-)Rezeptoren TNF-α, Lymphotoxin-α, FAS 5 Chemokinrezeptoren IL-8, RANTES (»regulated on activation, normal T-cell expressed and secreted«), MCP-1 (»monocyte chemoattractant protein-1«), MIP-1 und -2 (»macrophage inflammatory protein-1, -2«)
9 10 11 12 13 14 15
2.5.2
Zytokine und die natürliche, unspezifische Immunität
Im Gegensatz zur erworbenen Immunität ist die unspezifische Immunität angeboren. Sie dient der ersten Abwehr von eindringenden Krankheitserregern. Die Art der gebildeten Zytokine aber reguliert auch Eigenschaften der spezifischen Immunantwort (7 2.5.3). Zahlreiche lösliche Mediatoren vermitteln die angeborene unspezifische Immunität. Zu ihnen zählt z. B. auch das C-reaktive Protein, das von Hepatozyten unter Stimulation von IL-6 sezerniert wird und bakterielle Polysaccharide bindet. Es führt zudem zur Komplementaktivierung und zur Stimulation der Phagozytose. Weitere durch Zytokine induzierte Aku-
te-Phase-Reaktanten sind die Komplementfaktoren C3, C4, C9, Faktor B, C1-Esterase-Inhibitoren und Mannosebinding-Protein, dem durch Bindung von bakteriellen Polysacchariden eine direkte Bedeutung in der Abwehr zukommt, die Protease-Inhibitoren α1-Antitrypsin, α1-Chymotrypsin und »tissue inhibitors of metalloproteinasen« (TIMP) sowie die Antioxidanzien Haptoglobin und Hämopexin. Das lipopolysaccharid- (LPS-)bindende Protein (LBP) bindet bakterielles LPS an CD14 und andere Serumproteine und führt auch zur Aktivierung von Makrophagen, die CD14 auf ihrer Membran exprimieren. Auch Interferon-γ stimuliert Makrophagen und erhöht somit die Phagozytose und intrazelluläre Abtötung von Bakterien. Insbesondere die Zytokine IL-1, IL-6 und TNF-α haben eine besondere Bedeutung für die Aktivierung des natürlichen Immunsystems. Sie bilden gleichzeitig die Brücke zur spezifischen Immunität (. Abb. 2.9). Das unspezifische Immunsystem, welches nicht in der Lage ist, zwischen »Selbst« und »Nichtselbst« zu unterscheiden, ist bei zahlreichen chronisch entzündlichen Erkrankungen aktiviert, so auch bei der rheumatoiden Arthritis. Die prolongierte Aktivierung ist wahrscheinlich verantwortlich für die Mehrzahl der Beschwerden und Zerstörungen der Gewebe. Die akute Aktivierung des unspezifischen Immunsystems, so z. B. durch bakterielle Endotoxine mit der konsekutiven massiven Ausschüttung von TNF, IL-1 und anderen proinflammatorischen Zytokinen führt zu Gefäßkollaps, Blutdruckabfall, Schock und verläuft nicht selten letal. Auswirkungen der prolongierten Einwirkung der proinflammatorischen Zytokine IL-1, IL-6 und TNF-α auf verschiedene Organe sind bekannt. Fieber, Bewusstseinsstörungen, Anstieg von Kathecholaminen, Corticosteroidausschüttung, Verminderung der Sekretion von Insulin-like growth factor 1 (IGF-1), erhöhte Vasopress-
16 17
Unspezifische Immunität
Akute-Phase-Reaktion in der Leber Albuminsynthese CRP , Fibrinogen Glokoneogenese
Zentrale Reaktionen
18
Somatische Reaktionen Lipolyse (Fettgewebe) Proteolyse (Muskulatur)
Immunologische Reaktionen Makrophagenaktivierung Neutrophilenaktivierung
Fieber Myalgie Anorexie
IGF-1
19 20
IL-1, IL-6, TNF-α Spezifische Immunität
21
IL-1 IL-12 IL-18 TNF-α T-Lymphozyt
22
Makrophage T-Lymphozyt
23 Entzündung
IL-2 IL12 Il18 IFN-γ
TH1-Response IFN-γ
TH2-Response IL-4 IL-10
. Abb. 2.9. Die Zytokine IL-1, IL-6 und TNF-α haben eine besondere Bedeutung für die Aktivierung des natürlichen Immunsystems und bilden gleichzeitig eine Verbindung zur spezifischen Immunität. CRP C-reaktives Protein; IGF-1 Insulinlike growth factor 1; IL Interleukin; TNF Tumor-Nekrose-Faktor; IFN Interferon; TH THelferzelle
45
2.5 · Zytokine
insekretion, erhöhte Glukagonsekretion und Insulinresistenz sowie Drosselung des Appetits sind Beispiele für neuroendokrine Störungen, Aktivierung und Freisetzung von neutrophilen Granulozyten, Verlängerung der Lebenszeit durch Hemmung der Apoptose von Granulozyten, Induktion von Apoptose in Lymphozyten, Thrombozytose und Entzündungsanämie zeigen die Beeinflussung des hämatopoetischen Systems. Metabolische Auswirkungen sind die Induktion einer Katabolie mit Proteolyse und Abbau von Muskelgewebe sowie Hypoalbuminämie, vermehrter Aminosäureanfall und Glukoneogenese, Lipolyse im Fettgewebe und schließlich die Entwicklung einer Kachexie, der TNF-α initial auch den Namen »Kachektin« verdankt hatte. Für IL-1 sind zudem aktivierende Wirkungen auf Osteoklasten und supprimierende Einflüsse auf Osteoblasten bekannt, wodurch in Summe ein Knochenabbau bis hin zur Entwicklung einer Osteoporose resultiert.
2.5.3
Zytokine und die erworbene, spezifische Immunität
Während die natürliche unspezifische Immunität ein starres System darstellt, ist die erworbene spezifische Immunität fein gesteuert und in der Lage, sehr flexibel auf eine Aktivierung zu reagieren. Zahlreiche Zytokine sind an der Aktivierung der spezifischen Immunität und an der Feinregulierung beteiligt. Das spezifische Immunsystem reagiert sehr differenziert auf unterschiedliche Pathogene. Die Immunantwort gegen eindringende Bakterien wie z. B. Pneumokokken unterscheidet sich von der Abwehr gegen Mykobakterien, virale Infektionen, Pilze oder Parasiten. Das spezifische Immunsystem wird getragen von der zellulären spezifischen Immunität, repräsentiert durch CD4-positive T-Helferzellen und CD8-positive zy-
totoxische T-Zellen, die spezifische T-Zell-Rezeptoren exprimieren, sowie von der spezifischen humoralen Immunität, repräsentiert durch B-Zellen mit den Immunglobulinen analogen B-Zell-Rezeptoren sowie den Immunglobulin sezernierenden Plasmazellen. Naive T-Zellen, geprägt während ihrer Reifung im Thymus, sind langlebige, in einem Arreststadium befindliche Zellen, die nach spezifischer Stimulation aktiviert werden und zu Effektorzellen ausdifferenzieren. Für Aktivierung und Proliferation von T-Zellen ist vorwiegend das Zytokin IL-2 von Bedeutung. Die Differenzierung von THelferzellen in zwei hauptsächliche Effektorzellgruppen, den T-Helfer-1- (TH1-) und T-Helfer-2- (TH2-)Zellen wird dabei beeinflusst vom Profil der bei der Aktivierung der naiven T-Zelle vorhandenen Zytokine (. Abb. 2.10). Dies ist entscheidend dafür, ob eine Immunantwort von einer Makrophagenaktivierung und einer zellulär vermittelten Immunantwort (TH1) oder von einer humoralen Immunantwort (TH2) dominiert wird. TH1-Effektorzellen haben ihre Bedeutung in der akuten Abwehr, in der Induktion einer zellulären Immunantwort gegen Viren und Pilze sowie in der Verstärkung der intrazellulären Abtötung von Bakterien. TH2-Effektorzellen haben ihre Bedeutung in der Induktion einer humoralen Immunität, also in der TZell-Hilfe für die Aktivierung und Differenzierung von BZellen. Werden T-Zellen in Gegenwart von IFN-γ und IL12 stimuliert, so differenzieren sie zu TH1-Effektorzellen. Die Generierung von TH2-Effektorzellen wird dagegen durch IFN-γ inhibiert. Die Produktion von IFN-γ wird vor allem durch die strukturell verwandten Zytokine IL-1 und IL-18 und durch TNF-α stimuliert, sämtlich auch von durch Monozyten/Makrophagen und dendritische Zellen produzierte Zytokine, wodurch sich die notwendige Verbindung zwischen unspezifischer angeborener und spezifischer erworbener Immunität schließt. TH1-Zelle
Dendritische Zelle
IFN- γ IL-12 IL-18
Th1
IFN- γ
Hemmung – IL-4
Th1 Naive T-Zelle
T R -Zelle
– IFN-γ TH0-Zelle
Hemmung IL-4 IL-4 IL-5 IL-13
TH2-Zelle
. Abb. 2.10. Die Differenzierung von T-Helferzellen in zwei hauptsächliche Effektorzellgruppen, die T-Helfer-1- (TH1-) und T-Helfer2- (TH2-)Zellen, wird vom Profil der bei der Aktivierung der naiven T-Zelle vorhandenen Zytokine beeinflusst. Viel IFN-γ und wenig IL-4 führt zu TH1-Effektorzellen, wenig IFN-γ und viel IL-4 zu TH2-Effektorzellen. Regulatorische T-Zellen, Produzenten von TGF-β, sind möglicherweise modulierend aktiv. IFN Interferon; IL Interleukin; TH-Zelle T-Helferzelle; TRZelle regulatorische T-Zelle
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Werden naive T-Zellen dagegen in Abwesenheit von IFN-γ, aber unter Einfluss der Zytokine IL-4, IL-6 und IL10 stimuliert, so entwickeln sich TH2-Effektorzellen. Die Entwicklung von TH1-Effektorzellen dagegen wird durch IL-4 und IL-10 gehemmt. Das Zytokin IL-6 (früher »B-cell stimulatory factor« genannt) nimmt auch eine Rolle bei der Induktion der humoralen Immunantwort ein. Das Zytokinnetzwerk mit den in Opposition stehenden Zytokingruppen IFN-γ, IL-1, IL-12, IL18 und auf der anderen Seite IL-4, IL6 und IL-10 mit gegenseitiger Inhibierung ermöglicht somit eine Balance mit Ausschlag mal in die eine, mal in die andere Richtung, je nach Erfordernis. Eine Steuerung erfolgt möglicherweise durch sog. regulatorische T-Zellen (Treg), die durch die Sekretion von TGF-β, aber auch von IL-10 gekennzeichnet sind. Die gestörte Balance wird bei zahlreichen Autoimmunerkrankungen (TH1-Prädominanz bei der rheumatoiden Arthri-
tis, TH2-Prädominanz beim systemischen Lupus erythematosus, SLE) sowie bei den Allergien und den atopischen Erkrankungen, Asthma, atopischer Dermatitis oder Rhinokonjunktivitis als pathogenetisch relevant betrachtet.
2.5.4
Interleukine
Die Bezeichnung »Interleukin« suggeriert eine Bedeutung der so benannten Moleküle für die Kommunikation zwischen Leukozyten, doch darf dies nicht so eng interpretiert werden. Zahlreiche Zytokine haben pleiotrope Wirkungen auch auf andere Zellen oder Organsysteme. Dies ist für IL-1 und IL-6 bereits beispielhaft dargestellt worden. Der B-cell stimulatory factor erhielt deshalb zu Recht den Namen Interleukin-6, da seine Funktion weit über die der B-Zell-Stimulation hinausgeht. In
. Tab. 2.15. Zytokine (Auswahl) Zytokin
Produzent
Haputfunktion
IFN-α, -β
Monozyten, Makrophagen
11
Virustatisch Immunmodulatorisch
Interferon-γ
T-Helfer-1-Zellen
Monozyten, Makrophagen: Aktivierung, Klasse-II-Expression n B-Zellen: Ig-Isotypenswitch (IgG, weniger IgE)
12
TNF-α
Vor allem Monozyten, Makrophagen, T-Zellen
Proinflammatorisches Zytokin Aktivierung von zahlreichen Zellen Induktion weiterer proinflammatorischer Zytokine (IL-1β und IL-6) Fieber
TGF-β
Monozyten, Makrophagen, T-Zellen
Hemmung von Zellaktivierung, Regulation Ig-Isotypenswitchfaktor für IgA
G-CSF
Viele Zellen
Wachstums- und Differenzierungsfaktor für neutrophile Granulozyten
GM-CSF
T-Zellen
Hämatopoetischer Wachstums- und Differenzierungsfaktor
IL-1
Monozyten, Makrophagen, Fibroblasten
Proinflammatorisches Zytokin Aktivierung von T- und B-Zellen Induktion weiterer proinflammatorischer Zytokine (IL-6) Fieber
IL-2
T-Zellen
Wachstum und Aktivierung für Lymphozyten
IL-3
T-Zellen
Hämatopoetischer Wachstums- und Differenzierungsfaktor
18
IL-4
T-Helfer-2-Zellen
B-Zellen: Ig-Isotypenswitch zu IgE Makrophagen: Inhibition
19
IL-5
T-Helfer-2-Zellen
Eosinophile: Wachstums- und Differenzierungsfaktor
IL-6
Monozyten, Makrophagen T-Zellen
B-Zellen: Differenzierungsfaktor Leber: Produktion von Akute-Phase-Proteinen (CRP)
IL-8
Viele Zellen
Chemotaktischer Faktor für neutrophile Granulozyten
IL-10
T-Helfer-2-Zellen
Makrophagen: Inhibition T-Helfer-1-Zellen: Inhibition B-Zellen: fördert Ig-Produktion
22
IL-12
Monozyten, Makrophagen
T-Zellen: induziert IFN-γ (Differenzierung zu TH1)
IL-16
CD8-Zellen
Chemotaktischer Faktor für CD4-Zellen
23
IL-18
Viele Zellen
T-Zellen: induziert IFN-γ (Differenzierung zu TH1)
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20 21
IFN Interferon; TNF Tumor-Nekrose-Faktor; TGF Transforming growth factor; G-CSF Granulozytenkolonie-stimulierender Faktor; GM-CSF Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor; IL Interleukin; Ig Immunglobulin; CRP C-reaktives Protein; TH1 T-Helfer-1-Zelle.
gleicher Weise wurde der IFN-γ induzierende Faktor zuletzt IL-18 genannt. Daneben wurden zahlreiche weitere Zytokine nicht als Interleukin bezeichnet, sondern behielten ihre deskriptiven Namen. Chemokine, die auch für die Chemotaxis von Bedeutung sind, stellen eine Gruppe von Zytokinen dar, wobei ein Chemokin, IL-8, mit Bedeutung als chemotaktischer Faktor für Granulozyten und wichtiges proinflammatorisches Zytokin in die Gruppe der Interleukine eingereiht wurde. Nachfolgend sollen nun einige Interleukine beschreiben werden. Auf IL-3, einen wesentlichen hämatopoetischen Wachstumsfaktor, auf IL-5, ein TH2-Zytokin mit Bedeutung für die Stimulation von eosinophilen Granulozyten, sowie auf IL-11, IL-13 und IL14 wird dabei nicht weiter eingegangen.
Aktivierter Makrophage
IL-1
IL-1RI
IL-1RA
IL-1RacP
Signal Kein Signal Nukleus
Nukleus
Interleukin-1 und sein Rezeptor Interleukin-1β (IL-1β) ist ein proinflammatorisches Zytokin, das von Monozyten/Makrophagen und dendritischen Zellen gebildet wird. Seine stimulatorischen Eigenschaften auf T-Zellen wurden früh erkannt. IL-1 induziert die Expression zahlreicher proinflammatorischer Gene, so auch der Cyclooxygenase Typ 2 (COX-2), die für die rheumatische Entzündung von wesentlicher Bedeutung ist. Es steigert die Expression von »intercellular adhesion molecule 1« (ICAM-1) und anderen Adhäsionsproteinen und verstärkt so die interzelluläre Adhäsion und Aktivierung. Die Injektion von rekombinantem IL-1 führt zu Fieber, arterieller Hypotension und schweren grippeähnlichen Symptomen mit Myalgie, Kopf- und Gliederschmerzen und Appetitverlust (Smith et al. 1993). IL-1 kann demnach für zahlreiche Symptome der Inflammation verantwortlich gemacht werden, zu denen sogar Osteoporose durch Beeinflussung der Aktivität von Osteoklasten und Osteoblasten zu zählen ist. Aufgrund struktureller Gemeinsamkeiten und der Bindung an den IL-1-Rezeptor werden IL-1α, IL-1β und der IL-1-Rezeptor-Antagonist zur IL-1-Genfamilie zusammen gefasst. Weitere strukturell ähnliche Moleküle werden ebenso zur IL-1-Genfamilie gezählt und haben teils agonistische, teils antagonistische Effekt auf den IL-1/IL-1Rezeptor-Aktivierungsweg. Der natürliche IL-1-RezeptorAntagonist stellt eine bislang einmalige Regulationsweise der Modulation der Zellaktivierung dar (. Abb. 2.11). IL1β, nicht aber IL-1α lässt sich bei zahlreichen Erkrankungen im peripheren Blut nachweisen und korreliert zur Krankheitsaktivität. Nahezu alle mikrobiellen Erreger, bakterielle Exo- und Endotoxine, virale Hämagglutinine, Lektine und auch endogene Faktoren, Leukotriene, Komplementspaltprodukte, Immunkomplexe, Faktoren der Gerinnungskaskade und die Zytokine TNF-α, IFN-γ und GM-CSF induzieren die Produktion von IL-1. Nach Translation der IL-1β-RNA wird das 31 kDa große proIL-1β durch das Interleukin-1-converting enzyme (ICE oder Caspase-1 genannt) in 17 kDa große aktive Zytokine gespalten und von der Zelle freigesetzt (Black et al. 1988). Die Aktivierung von
2
47
2.5 · Zytokine
. Abb. 2.11. Interaktion von Interleukin-1 und von Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist mit den IL1-Rezeptormolekülen Die Bindung von Interleukin-1 an den IL-1-Rezeptor führt zur sterischen Annäherung der beiden Ketten (IL-1R und IL-1RacP) und löst eine Aktivierung der T-Zelle aus. Der natürlich Interleukin-1-RezeptorAntagonist (IL-1Ra) bindet zwar an den IL-1-Rezeptor Typ I (IL-1RI), eine Assoziation mit dem IL-1-Rezeptor-akzessorischen Protein (IL-1RacP) bleibt dagegen aus. Der natürliche IL1-Rezeptor-Antagonist stellt eine bislang einmalige Regulationsweise der Modulation der Zellaktivierung dar. IL-1β hat zwei Bindungsstellen für IL-1RacP, IL-1RA verfügt ebenso über diese Bindungsstellen, darüber hinaus besteht aber eine weitere Bindungsstelle mit einer festeren Bindung zum Rezeptor. Das Fehlen einer zweiten Bindungsstelle auf dieser Seite wird für die mangelhafte Involvierung des IL1RAcP verantwortlich gemacht. Die Dimerisierung von IL-1RI und IL1RAcP ist notwendig, um ein aktivierendes Signal zu erstellen.
IL-1
ICE
pro-ICE
pro-IL-1
mRNS
ER mRNS
Zellkern
. Abb. 2.12. Regulation der Synthese von IL-1β: Nach Translation der IL-1β-RNA wird pro-IL-1β durch das Interleukin-1-converting enzyme (ICE/Caspase-1) zu aktivem IL-1β gespalten und von der Zelle freigesetzt. Die Aktivierung von pro-ICE zu ICE stellt eine weitere Möglichkeit zur Regulation dar. ER endoplasmatisches Retikulum
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
ICE stellt eine weitere Möglichkeit zur Regulation der Produktion dieses proinflammatorischen Zytokins dar (.Abb. 2.12). Doch auch pro-IL-1β, freigesetzt bei Zellschädigung oder Zelltod kann nach Spaltung durch andere extrazelluläre Proteasen seine Wirkung entfalten. Dies könnte im entzündlichen Gelenk von Bedeutung sein, wo sich zahlreiche Proteinasen finden, so Matrixmetalloproteinase-2, -3 und -9, die IL-1β aus pro-IL-1β spalten können. Der Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist (IL-1RA) wurde im Urin fiebernder Patienten entdeckt und konnte aus stimulierten Monozyten in vitro gewonnen und analysiert, sequenziert und kloniert werden. IL1-RA wird daneben von neutrophilen Granulozyten und anderen Zellen gebildet. Der rekombinante IL1-RA ist ein 17kD großes nichtglykosyliertes Protein und heute das erste körpereigene Biopharmakon, das als Anakinra zur Behandlung am Menschen zur Verfügung steht. Aminosäuresequenz und Struktur ähneln sehr dem IL-1β. IL-1RA bindet kompetitiv am IL-1-Rezeptor, ohne eine Aktivierung auszulösen. IL-1β hat zwei Bindungsstellen, IL-1RA verfügt ebenso über diese Bindungsstellen, darüber hinaus besteht aber eine weitere Bindungsstelle mit einer festeren Bindung zum Rezeptor. Das Fehlen einer zweiten Bindungsstelle auf dieser Seite wird für die mangelhafte Involvierung des IL-1-Rezeptor-akzessorischen Proteins (IL1RAcP) verantwortlich gemacht (Evans et al. 1995; Vigers et al. 1994). Die Dimerisierung von IL-1Rezeptor I (IL-1RI) und IL1RAcP ist notwendig, um ein aktivierendes Signal zu erstellen (. Abb. 2.11). Neben dem IL-1RI und dem IL-1RAcP wurde eine weitere Kette, der IL-1-Rezeptor II (IL-1RII) beschrieben, dem eine signalübertragende intrazelluläre Domäne fehlt. Der Typ-I-Rezeptor findet sich auf zahlreichen Zellen und dient der Signalübertragung. Nach Bindung von IL-1β erfolgt die Signalübertragung über eine Aktivierung der Proteinkinase C, zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP) und durch andere Second messenger und führt schließlich zur Translokation von genregulatorischen Faktoren, NF-κB und AP-1 in den Zellkern, wo sie die Transkription von weiteren Genen regulieren. Der bezüglich einer Signalübertragung stumme Typ-II-Rezeptor kann auf myeloischen Zellen und B-Zellen nachgewiesen werden, wo er IL-1β bindet, ohne dass dies zu einer biologischen Aktivierung führt (Colotta et al. 1994). Die extrazellulären Domänen von IL-1RI und IL-1RII können abgespalten werden und als lösliche Rezeptoren in die Zirkulation gelangen. Dort wirken sie durch Bindung von IL1α und IL-1β antagonisierend. Die oben erwähnte Induktion von Fieber, Somnolenz, Gliederschmerzen und weiteren grippeähnlichen Symptomen durch Exposition mit IL-1β weisen auf dessen zentrale Bedeutung für die Entzündung hin. Auch für die rheumatoide Arthritis konnte dies gezeigt werden. Dies wird durch den Nachweis von IL-1β in der synovialen Entzündung und durch proinflammatorische Potenz z. B. durch die Induktion von Prostaglandin E (PGE2),
Metalloproteinasen, Kollagenasen, Chemokinen und weiteren Zytokinen und nicht zuletzt durch die antiinflammatorischen Effekte der Blockade der IL-1-Wirkung durch IL-1RA verdeutlicht (Arend et al. 1990). Serumspiegel für IL-1β korrelieren mit der Krankheitsaktivtät der rheumatoiden Arthritis. Darüber hinaus reguliert IL-1β auch den Knochenstoffwechsel. Es supprimiert die Osteoblastenund stimuliert die Osteoklastenaktiviät und die Sekretion von Metalloproteinase durch Chondrozyten und führt so zu einem Überwiegen der Knochenresorption mit der Folge einer Osteoporose. Makrophagen im Synovium von Patienten mit rheumatoider Arthritis exprimieren konstitutiv IL-1β, welches in der synovialen Flüssigkeit in hoher Menge gefunden wird. Die intraartikuläre Infusion von IL-1β führt im Tiermodell zu einer Arthritis, die der rheumatoiden Arthritis ähnelt, mit leukozytärer Infiltration, synovialer Hyperplasie, Pannusbildung und kartilaginären Erosionen (Feige et al. 1989). Die Antagonisierung der Wirkung von IL-1β durch den IL-1RA (Anakinra) konnte sowohl im Tiermodell als auch in klinischen Studien gezeigt werden und führte zur Zulassung von Anakinra zur Behandlung der schweren therapierefraktären rheumatoiden Arthritis. Die Bedeutung von IL-1β und ICE für die Induktion der Entzündung hat auch für vorwiegend pädiatrische Erkrankungsbilder eine wichtige Bedeutung. Beim StillSyndrom (systemische juvenile idiopathische Arthritis) und bei den hereditären periodischen Fiebersyndromen, insbesondere bei den durch CIAS-1-Mutation verursachten Erkrankungen Muckle-Wells-Syndrom, familiärer Kälteurtikaria und dem NOMID (»neonatal onset multisystemic inflammatory disease«) erwies sich die Antagonisierung von IL-1β mit Anakinra klinisch als erfolgreich.
Interleukin-2 Wie IL-1β ist auch Interleukin-2 (IL-2) ein 17 kDa großes Zytokin, das T-Zellen aktiviert und stimuliert. Im Gegensatz zu IL-1 wird IL-2 von T-Zellen selbst produziert und wirkt autokrin und parakrin. IL-2, hauptsächlich produziert von aktivierten CD4-positiven T-Helferzellen ist ein Wachstums- und Aktivierungsfaktor für alle Lymphozyten, T-Zellen, B-Zellen und NK-Zellen (. Abb. 2.13). Darüber hinaus aktiviert es auch Monozyten zur Produktion von proinflammatorischen Zytokinen wie z. B. TNFα. Der IL-2-Rezeptor (IL-2R) besteht aus 3 Ketten, einer αKette (CD25), einer β-Kette, die für die Signaltransduktion von Bedeutung ist, und der Common-γ-Kette, die der IL2R mit weiteren Rezeptoren für wesentliche Wachstumsfaktoren – IL-7, IL-9 und IL-15 – teilt. Die α-Kette besitzt nur einen kurzen intrazytoplasmatischen Anteil und ist nicht an der Signaltransduktion beteiligt, die über JanusKinasen (JAK-1 und JAK-3) sowie STAT (Signal transducer and activator of transcription) abläuft (. Abb. 2.14). Sie kann von der Membran abgetrennt werden und findet sich dann im Plasma zirkulierend als sehr unspezi-
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2.5 · Zytokine
Antigen
TNF-α
APZ
MHC II
CD4+
IL-1 CD4 TCR/CD3
CD8+ CD4+
IFN-γ
IL-2R
B
IL-2
. Abb. 2.13. An der antigenpeptid-abhängigen T-Zell-Aktivierung durch antigenpräsentierende Zellen sind neben dem ZellZell-Kontakt auch Zytokine beteiligt. IL-2, hauptsächlich produziert von aktivierten CD4-positiven T-Helferzellen ist ein Wachstums- und Aktivierungsfaktor für alle Lymphozyten, T-Zellen, B-Zellen und NK-Zellen. Im Gegensatz zu IL-1 wird IL-2 von T-Zellen selbst produziert und wirkt autokrin und parakrin. IFN-γ produziert von T-Zellen stimuliert wiederum Makrophagen und andere antigenpräsentierende Zellen. Diese produzieren IL-1β und TNF-α. APZ antigenpräsentierende Zellen; TNF-α Tumor-NekroseFaktor α; IFN-γ Interferon-γ; IL-1 Interleukin1; IL-2R Interleukin-2-Rezeptor
NK
IL-2
STAT-5 Zellkern
Fehlen der Common-γ-Kette der Zytokinrezeptoren für IL2, IL4, IL7, IL9, IL15
. Abb. 2.14. Signalübertragung über den IL-2-Rezeptor (IL-2R). Der IL-2R besteht aus 3 Ketten, einer α-Kette (CD25), einer β-Kette, die für die Signaltransduktion von Bedeutung ist, und der Common-γ-Kette, die der IL-2R mit weiteren Rezeptoren für wesentliche Wachstumsfaktoren (IL-7, IL-9 und IL-15) teilt. Die α-Kette besitzt nur einen kurzen intrazytoplasmatischen Anteil und ist nicht an der Signaltransduktion beteiligt, die über Janus-Kinasen (JAK-1 und JAK-3) sowie STAT (Signal transducer and activator of transcription) abläuft
fischer Marker einer Aktivierung des Immunsystems. Sie wird aber in Abhängigkeit des Aktivierungsstatus der Zelle exprimiert, während β- und γ-Kette konstitutionell exprimiert werden. Erst die de novo synthetisierte α-Kette bildet mit den beiden anderen Ketten einen hochaffinen Rezeptor für IL-2. Der IL-2R wird auf verschiedenen Zellen exprimiert, die somit alle Effektorzellen der IL-2-Aktivierung sind: T-, B-, NK-Zellen, Monozyten und neutrophile Granulozyten. Die Produktion von IL-2 durch T-Zellen wird sowohl nach Stimulation mit ihrem Antigenpeptid über den spezifischen T-Zell-Rezeptor initiiert als auch nach mitogener Stimulation (z. B. mit Phytohämagglutinin) oder
bei Kalziuminflux [z. B. mit PMA (4-Phorbol-12-myristate-13-acetate)] ausgelöst. Die Expression von IL-2 wird auf genomischer Ebene von verschiedenen Faktoren reguliert, zu denen Nuclear factor of activated T-cells 1 (NFAT-1) zählt, dessen Translokation in den Nukleus durch Medikamente wie Ciclosporin A, Tacrolimus und Pimecrolimus gehemmt werden kann. Bei Stimulation der TZellen wird auch die Dichte der IL-2R auf der Zellmembran heraufreguliert. IL-2 bindet an den IL-2R und führt so zum autokrinen Enhancement der Stimulation der TZellen, die zur Proliferation der entsprechend stimulierten T-Zellen zu T-Zellklonen führt. Auch die Produktion weiterer Zytokine durch T-Zellen wird erhöht (IL-3, IL-4, IL-5, IL-6, GM-CSF, IFN-γ). So werden die Hämatopoese und die Immunantwort rasch gesteigert. Die Induktion der INF-γ-Produktion führt dabei zur Stimulation von Makrophagen und dendritischen Zellen und hier zu einer Verstärkung der Expression von HLA-Molekulen und vermehrter Sekretion von IL-1 und TNF-α. Die Rekrutierung von NK-Zellen und die Aktivierung zu Lympokineactivated killer cells (LAK-cells) durch IL-2 führten zu vielfachem Einsatz von IL-2 in der Tumortherapie. B-Zellen werden von IL-2 zu Wachstum angeregt. Die Synthese von Immunglobulinen wird zudem stimuliert. Die Bedeutung von IL-2 bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen ist an der zentralen Rolle von T-Zellen für das spezifische Immunsystem erkennbar. TZellen finden sich auch im Synovialgewebe und in der synovialen Flüssigkeit, und IL-2 ließ sich dort ebenfalls nachweisen. Hierdurch wurden Ansätze zur Behandlung in klinischen Studien stimuliert, die eine IL-2-Blockade als Prinzip verwenden. Die Antagonisierung der IL-2Wirkung mit einem Fusionsprotein aus IL-2 und Diphterietoxin (DAB486-IL-2) oder auch die Blockade des IL2R mit monoklonalen Antikörpern gegen CD25 (chimärer Antikörper Basiliximab und humaner Antikörper Dac-
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
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lizumab) erwies sich in einigen Autoimmunerkrankungen (Psoriasis, Arthritis) als effektiv.
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Interleukin-4
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Interleukin-4 (IL-4) ist ein 18–20 kDa großes, vor allem von T-Helferzellen produziertes Zytokin, das hauptsächlich für die Induktion der humoralen Immunantwort als »B cell growth factor« (ursprüngliche Bezeichnung) von Bedeutung ist. Der Immunglobulinklassenwechsel zu IgG1 und IgE wird durch IL-4 induziert. IL-4 spielt eine zentrale Rolle für das TH1/TH2-Paradigma. Vereinfacht werden in Gegenwart von IL-4 naive T-Zellen zu TH2-Effektorzellen reifen, die wiederum vor allem IL-4 sezernieren. Die IFNγ-Produktion wird supprimiert. In Gegenwart von IFNγ werden vor allem TH1-Effektorzellen gebildet, und die Produktion von IL-4 wird supprimiert. IL-4 wirkt somit als ein antiinflammatorisches Zytokin, das die Produktion der proinflammatorischen Zytokine IL-1β, TNF-α und IFN-γ auf der Transkriptionsebene unterdrückt. Dagegen induziert IL-4 die Produktion des antiinflammatorischen IL-1RA und vervielfältigt so seine antiinflammatorischen Eigenschaften. Der IL-4-Rezeptor besteht aus zwei Ketten, einer für den IL-4R spezifischen α-Kette und der Common-γ-Kette. Die Signalübertragung erfolgt wie beim IL2R über Janus-Kinasen (JAK-1, JAK-3 und STAT). IL-4R finden sich auf B-Zellen, T-Zellen, Mastzellen, reifen und unreifen Granulozyten sowie Endothelzellen. T-Zellen im Synovialgewebe zeigen meist einen TH1Phänotyp. Während T-Zellen von Gesunden sich in vitro mit IL-4 zu einem TH2-Phänotyp stimulieren lassen, scheint dies bei T-Zellen von Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis gestört zu sein. Im Tiermodell lässt sich die Entwicklung einer Arthritis durch Injektionen von IL4 verhindern. Klinische Studien am Menschen existieren bislang nicht.
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Interleukin-6
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Interleukin-6 (IL-6) ist ein pleiotrophes Zytokin, das von zahlreichen Zellen, Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen und dendritischen Zellen produziert wird und Effektorzellen in ebenso zahlreichen Zellen findet (ZNS, Le-
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ber, Osteoklasten, Fibroblasten). Dies wird durch die verschiedenen ursprünglichen Bezeichnungen, »B-cell stimulatory factor«, »hepatocyte stimulatory factor« und Interferon-β2 verdeutlicht (Kishimoto et al. 1995). Stimuliert wird die IL-6-Synthese durch bakterielle Endotoxine und proinflammatorische Zytokine. Das IL-6-Gen befindet sich auf Chromosom 7, das Genprodukt wird posttranslationell modifiziert und hat ein Molekulargewicht zwischen 21 und 28 kDa. Es gehört zu einer Familie von Zytokinen, zu denen auch Interleukin-11 (IL-11), Leukemia inhibitory factor, Oncostation MN, Ciliary neurotrophic factor und Cardiotrophin-1 zählen, die das gleiche Signaltransduktionssystem benutzen. Die vielfältigen Effekte von IL-6 sind in . Tab. 2.16 dargestellt. Zusammenfassend lassen sich diese in Funktionen innerhalb des angeborenen unspezifischen Immunsystems und solche im erworbenen spezifischen Immunsystem einteilen. Die direkten inflammatorischen Wirkungen sind gering. So stimuliert IL-6 im Gegensatz zu TNF-α und IL-1β die Cyclooxygenase 2, die NO-Produktion und die Freisetzung von Metalloproteinasen nur geringfügig. Durch die Suppression der proinflammatorischen Zytokine TNF-α und IL-1β sowie von Chemokinen erhält IL-6 sogar antiinflammatorische Eigenschaften. Dieser Effekt ist wohl eher regulativ, da sowohl IL-1β als auch TNF-α die IL-6-Synthese stark initiieren. Ein weiterer Unterschied zwischen IL-6 und TNF besteht in der Tatsache, dass IL-6 im Plasma in hohen Konzentrationen nachgewiesen werden kann, also eher ein endokrines denn ein parakrines Zytokin darstellt. Die Präsenz von hohen IL-6-Konzentrationen scheint vom Organismus tolerabel, so ist die Applikation von IL-6 nicht von den toxischen Effekten begleitet, die bei Exposition mit IL-1β oder TNF-α entstehen. Fieber, Nausea, grippeähnliche Symptome und Malaise sind dennoch zu beobachten. Die Produktion von Akute-Phase-Reaktanten in der Leber, Thrombozytose, Leukozytose und Anämie, eine transiente Hyperglykämie, eine Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse mit erhöhten Cortisol- und Growth-hormone- (GH-)Spiegeln und Suppression der Testosteron und Thyreoidastimu-
. Tab. 2.16. Effekte von IL-6 Spezifische, erworbene Immunität
Angeborene Immunität
Neuroendokrine Wirkungen
Immunglobulinproduktion
Induktion von akute-PhaseReaktanten (z. B. CRP)
Stimulation der Hyothalamus-HypophysenNebennieren-Achse
Proliferation von B-Zellen, Plasmozytomzellen
Suppression der GH-Ausschüttung (Hypothalamus/Hypophyse)
Proliferation von hämatopoietischen Progenitorzellen
Suppression der Produktion von Insulin-likeGrowth-Faktoren (z. B. IGF-1 = Somatomedin C)
Proliferation und Differenzierung von zytotoxischen T-Zellen
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2.5 · Zytokine
lierendes-Hormon- (TSH-)Sekretion wurden beobachtet (Spath-Schwalbe et al. 1994). Il-6 verbreitet seine Wirkung durch Bindung an den IL-6-Rezeptor (IL-6R), der selbst keine signaltransduzierenden intrazellulären Domänen aufweist und auch als α-Kette bezeichnet wird. Durch Bindung von IL-6 entsteht ein IL-6/IL-6R-Komplex. Dieser tritt in Kontakt zu gp130 (auch als β-Kette bezeichnet), wodurch ein Heterotrimer entsteht, das die Signaltransduktion über Janus-Kinasen durchführt. Auch löslicher IL-6R kann IL-6 binden und mit membranständigen gp130 interagieren. In gleicher Weise agieren die anderen Mitglieder der IL-6-Familie, so z. B. IL-11. Die proinflammatorischen und antiinflammatorischen Effekte sind Folge der Aktivierung von Signal transducers and activators of transcription (STAT), insbesondere STAT-1 und STAT-3, sowie von Janus-Kinasen in Lymphozyten. Bei der rheumatoiden Arthritis wird IL-6 nicht nur für systemische Symptome verantwortlich gemacht, für Hypergammaglobulinämie, Thrombozytose, Autoantikörperproduktion und für die Produktion von Akute-PhaseReaktanten wie z. B. das CRP, sondern es wird auch eine direkte Beteiligung an der Destruktion durch Aktivierung von Osteoklasten vermutet. Die Korrelation des Serumspiegels für das CRP über die Zeit mit der Krankheitsaktivität der rheumatoiden Arthritis und der Schwere der Gelenkdestruktion verdeutlicht die Beteiligung von IL-6. Auch zeigen IL-6-knock-out-Mäuse im Arthritismodell ein abgeschwächtes Krankheitsbild. Antikörper gegen IL-6 sind lediglich in offenen klinischen Studien eingesetzt worden, die klinische Effektivität von Antikörpern gegen den IL-6R (MRA, Atlizumab) konnte dagegen in kontrollierten Doppelstudien bei der rheumatoiden Arthritis nachgewiesen werden. Von besonderem Interesse in der Kinderrheumatologie ist ihr erfolgreicher Einsatz bei therapierefraktärem Still-Syndrom (systemische Form der juvenilen idiopathischen Arthritis), wobei dies bislang nur in offenen Studien untersucht wurde.
Interleukin-7 Interleukin-7 (IL-7) ist ein 25 kDa großes, nahezu ubiquitär in Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen, Keratinozyten, Endothelzellen, Epithelzellen, im Hirngewebe, Fibroblasten und Hepatozyten vorkommendes Zytokin. Es wird auch von Stromazellen des Knochenmarks, der Lymphknoten und der Milz gebildet. Während die Wirkung zahlreicher Zytokine von anderen übernommen werden kann, wodurch eine Redundanz im Immunsystem gegen Versagen absichert, ist die Defizienz von IL-7 fatal und führt zu einem schweren kombinierten Immundefekt (SCID) mit schwerer Lymphozytopenie, sowohl beim Menschen als auch bei der Maus. IL-7 wird deshalb auch als ein Wachstumsfaktor für Lymphozyten angesehen. Es entfaltet seine Wirkung durch Bindung an den IL-7-Re-
zeptor, der mit den Rezeptoren für IL-2, IL-9 und IL-15 eine gemeinsame γ-Kette aufweist. Die IL-7R-α-Kette bindet IL-7 spezifisch. Sowohl bei der B-Zell- als auch bei der T-Zell-Genese hat IL-7 eine Bedeutung. Die Sekretion von IL-7 im synovialen Gewebe von Patienten mit rheumatoider Arthritis scheint gesteigert. IL-7 hemmt die Apoptose von immunglobulinsezernierenden B-Zellen und steigert die Immunglobulinsekretion.
Interleukin-10 Interleukin-10 (IL-10), ein Homodimer aus zwei 18– 20 kDa großen Ketten, ist ein antiinflammatorisches Zytokin, dass in T-Zellen und Makrophagen die Produktion von proinflammatorischen Zytokinen hemmt. So wird die IL-1β-Sekretion, nicht aber die Produktion von IL-1RA gehemmt. Die Produktion von TNF-α wird ebenso vermindert, während die Freisetzung von löslichen TNF-Rezeptoren steigt und über diese Effekte die antiinflammatorische Potenz vervielfältigt wird. IL-10 wird von TH2-Effektorzellen sezerniert und hemmt die Produktion zahlreicher TH1-Zytokine auf Genexpressionsebene, zu denen IFN-γ, IL-1, IL-2, IL-6, IL-8, GM-CSF und TNF-α zu zählen sind, möglicherweise über eine Hemmung der Translokation von zytoplasmatischem NFκB in den Zellkern. In Makrophagen vermindert IL10 die Produktion von IL-1, TNF-α, IL-6, IL-8 und IL12, GM-CSF, G-CSF und M-CSF, von Chemokinen, NO sowie von Proteasen, Gelatinase und Kollagenase (Moore et al. 1993). Der IL-10-Rezeptor findet sich auf T-, B-, NKZellen, Makrophagen, Mastzellen und hämatopoetischen Zellen. IL-10-defiziente Knock-out-Mäuse entwickeln spontan eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Eine Behandlung mit Antikörpern gegen die proinflammatorischen Zytokine IFN-γ und TNF-α verhindert das Auftreten der Erkrankung (Moore et al. 1993) Dieser Ansatz zeigt, wie entscheidend das Gleichgewicht zwischen pround antiinflammatorischen Zytokinen ist. In Tiermodellen der Arthritis mitigiert die Applikation von IL-10 die Ausprägung der Entzündung, während die Neutralisierung von IL-10 durch monoklonale Antikörper die zelluläre Infiltration steigert. IL-10 ist somit ein interessanter Kandidat für den Einsatz als antiinflammatorisches Zytokin am Menschen. Es hat bei der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen bereits klinisch Bedeutung erlangt.
Interleukin-12 Interleukin-12 (IL-12) ist ein Heterodimer aus je einer 40 und 35 kDa großen Kette, wird von Makrophagen aufgrund einer Exposition mit Bakterien, Viren oder Parasiten produziert und sezerniert und stimuliert wie IL-1 TZellen zur Sekretion weiterer Zytokine vom TH1-Typ, insbesondere IFN-γ. Dieses erfordert jedoch die Anwesenheit von IL-18, so dass die Heraufregulierung des IL-18-
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Rezeptors und die Aktivierung von ICE aus proICE wahrscheinlich den Wirkmechanismus darstellt. In T-Zellen und NK-Zellen führt IL-12 zur Ausreifung zu zytotoxischen Effektorzellen. Die 40-kDa-Kette kann isoliert in großen Mengen sezerniert werden und inhibiert dann die Bindung des kompletten Zytokins an seinen Rezeptor. Der IL-12-Rezeptor zählt zu den Hämotopoetinrezeptoren und wird auf T- und NK-Zellen, nicht aber auf Makrophagen exprimiert. In Tiermodellen für Arthritiden wird die Gelenkentzündung durch Applikation von IL-12 verstärkt bzw. beschleunigt, durch Neutralisierung von IL-12 dagegen mitigiert (Joosten et al. 1997). Eine bereits bestehende Arthritis wird durch Antikörper gegen IL-12 nicht verstärkt. IL-12-defiziente Mäuse entwickeln auch keine Autoimmunopathie, obwohl ihnen TH1-Effektorzellen nahezu fehlen. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis fanden sich häufiger erhöhte IL-12-Serumspiegel als bei Kontrollen. Patienten mit hohen IL-12-Spiegeln zeigten zudem eine erhöhte klinische Krankheitsaktivität und erhöhte CRPSpiegel. Die Applikation von IL-12 führte bei einem Patienten zur Exazerbation einer rheumatoiden Arthritis (Peeva et al. 2000).
Interleukin-16 Ein Rezeptor für Interleukin-16 (IL-16) ist das CD4-Antigen. Es findet sich in hoher Dichte auf T-Helferzellen, aber auch auf Monozyten/Makrophagen und Eosinophilen. IL16 wirkt als ein Chemokin für diese Zellen. Seine Freisetzung aus Fibroblasten wird durch Histamin aus Mastzellen, Serotonin aus Blutplättchen und auch durch IL-1β stimuliert. IL-16 wird als pro-IL-16 von CD8+-T-Zellen gebildet und anschließend gespalten. Monomeres IL-16 hat ein Molekulargewichtgewicht von 14 kDa und bildet biologisch aktive Homotetramere. IL-16 bindet an CD4 und löst eine Aktivierung der T-Zelle durch die CD4-assoziierte Tyrosinkinase p56lck aus, wodurch ein Kalziuminflux und eine Translokation der Proteinkinase C mit anschließender Proliferation der T-Helferzelle ausgelöst wird. Bei der rheumatoiden Arthritis ist die Expression von IL-16 im synovialen Gewebe und in der synovialen Flüssigkeit deutlich gesteigert und erklärt möglicherweise die Ansammlung von CD4-positiven T-Zellen mit erhöhter CD4/CD8Ratio (Mathy et al. 2000). Es wird dort vor allem von synovialen Fibroblasten, aber auch von Mastzellen produziert. Die direkte Wirkung von IL-16 ist aber eher eine antiinflammatorische Wirkung auf CD4+-T-Helferzellen. Auf Makrophagen wirkt es dagegen proinflammatorisch und stimuliert die Produktion von IL-1 und IL-15.
Interleukin-18 Interleukin-18 (IL-18) ist ein dem IL-1 verwandtes Zytokin. Wie pro-IL-1 wird pro-IL-18 von ICE gespalten und so aktiviert. In Gegenwart von IL-2 und IL-12 steigert es die Produktion von IFN-γ in T-Zellen nach Bindung an
den IL-18-Rezeptor. Somit ist es ein in Richtung TH1-Zytokinprofil wirkendes proinflammatorisches Zytokin. Viele der Eigenschaften von IL-18 ähneln denen von IL-1. Die direkte Induktion von PGE2 oder der COX-2-Genexpression kann mit IL-18 im Gegensatz zu IL-1 nicht herbeigeführt werden, wohl aber eine gesteigerte NO-Produktion und TNF-α-Sekretion. Wie auch beim IL-1-Rezeptor ist die Interaktion des IL-18-Rezeptors mit IL-1RcP zur Induktion des Signals wichtig. IL-18 induziert TNF-α und Fas-Ligand (FasL) und erhöht die Zytotoxizität von NKZellen. In IL-18-defizienten Mäusen ist die IFN-γ-Sekretion gestört. Beim Menschen führt eine Störung im IL-18/ IL-18-Rezeptor ebenfalls zu verminderter IFN-Produktion mit einem Immundefekt, der durch eine Empfänglichkeit gegenüber intrazellulären Pathogenen wie z. B. atypischen Mykobakterien charakterisiert ist. Im synovialen Gewebe von Patienten mit rheumatoider Arthritis wurde eine Steigerung der Expression von IL-18-mRNA, des Proteins IL-18 sowie der Genexpression des IL-18-Rezeptors beobachtet. Auch bei der Enzephalomyelitis disseminata wurde eine gesteigerte IL-18- und IFN-γ-Expression in Demyelinisierungsherden nachgewiesen. In Mausmodellen der Arthritis steigert die Gabe von IL-18 die Bildung von Erosionen, die Neutralisierung von IL-18 mit Antikörpern vermindert die Aktivität der Arthritis. All diese Beobachtungen weisen auf die Bedeutung von IL-18 für die Entzündung bei der rheumatoiden Arthritis hin. Der natürliche Antagonist für IL-18, das IL-18-binding Protein (IL-18BP) weist keine Homologie zum IL-18Rezeptor auf, bindet IL-18 und antagonisiert in vitro die Induktion von IFN-γ durch IL-18.
2.5.5
Die Tumor-Nekrose-Faktor-Familie und ihre Rezeptoren
Tumor-Nekrose-Faktor α (TNF-α) wird von zahlreichen Zellen wie B-Zellen, T-Zellen, NK-Zellen, Monozyten, Makrophagen, dendritischen Zellen, Eosinophilen, Mastzellen, Neutrophilen, Fibroblasten, Astrozyten, Gliazellen, Keratinozyten, Osteoblasten und glatten Muskelzellen produziert und gehört zu einer großen Familie von membranständigen und löslichen Proteinen. Weitere Mitglieder sind beispielsweise Lymphotoxin-α (TNF-β), CD40-Ligand, Fas-Ligand, Nerve growth factor, RANKLigand («receptor activator of NF-κB ligand”), TRAIL («TNF-related apoptosis inducing ligand”), BAFF («B-cell activating factor belonging to the TNF family”). Sie sind funktionell an der Proliferation und der Apoptose von Zellen beteiligt. TNF-α, ein Homotrimer, ist ein proinflammatorisches Zytokin, das im Unterschied zu anderen Mitgliedern der Familie hauptsächlich sezerniert wird, aber durch die Fähigkeit zur juxtrakrinen Stimulation (membranständiges TNF-α stimuliert Nachbarzelle) die Gemeinsamkeit bewahrt.
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2.5 · Zytokine
Den Namen erhielt TNF-α früh aufgrund der Beobachtung, dass Tumoren von Patienten, denen bakterielle Präparationen appliziert wurden, nekrotische Areale aufwiesen. Weitere klinische Effekte sind aus der Applikation von LPS bekannt: Fieber, Malaise, Blutdruckabfall bis hin zum Schock. Eine sich klinisch entwickelnde Kachexie führte historisch zur Benennung dieses Proteins als Kachektin. TNF-α wird als pro-TNF-α (26kDa Protein) synthetisiert und vom TNF-α-converting enzyme (TACE) zu einem 17k Da großen 157 Aminosäuren enthaltenden Protein gespalten, das sezerniert wird und zu einem Trimer mit drei Rezeptorbindungsstellen polymerisiert. Auch membranständiges einkettiges TNF ist biologisch aktiv (juxtrakrine Aktivität). TNF-α ist sowohl bei der Aktivierung der angeborenen unspezifischen Immunität als auch der erworbenen spezifischen Immunität von Bedeutung. Makrophagen produzieren TNF-α bei Exposition mit Bakterien, Viren, Parasiten, Tumorzellen, Komplement, zahlreichen Zytokinen (vor allem IFN-γ, M-CSF und auch TNF-α selbst), Ischämie, Trauma oder Bestrahlung. Werden T-Zellen antigenabhängig über ihren T-Zell-Rezeptor stimuliert oder BZellen über membranständige Immunglobuline, so sezernieren diese TNF-α. Die TNF-α-Genexpression zählt zu den frühen Reaktionen. Innerhalb von 15–30 min kommt es zur mRNA-Synthese und zur Proteinsynthese, gefolgt von einer raschen Degradierung der mRNA (Caput et al. 1986). Eine solch schnelle Kinetik ist aufgrund der z. T. deletären Wirkungen des Zytokins notwendig. An dieser schnellen Herunterregulation beteiligt ist auch die durch TNF-α induzierte gesteigerte Cortisolsekretion, die die TNF-α-Genexpression im Sinne eines negativen Feedbacks vermindert. Die zahlreichen biologischen Effekte von TNF-α sind in der Übersicht aufgeführt. Neben der namensgebenden Induktion des Zelltodes (richtiger als Nekrose wäre Apoptose!) sind immunologische und nichtimmunologische Funktionen zu unterscheiden. Immunologisch ist TNFα ein ausgesprochen proinflammatorisches Zytokin. Es induziert wiederum die Produktion weiterer proinflammatorischer, aber auch antiinflammatorischer Zytokine [IL-1, IL-2, IL-4, IL-6, IL-10, IL-12, IL-18, IL-1RA, IFN-γ, TGF-β, »leukocytosis inducing factor« (LIF), »migration inhibiting factor« (MIF)]. Es steigert die Sekretion von Hormonen (Cortisol, Adrenalin, Noradrenalin, Glukagon, Insulin) sowie von Akute-Phase-Proteinen, Leukotrienen und freien Sauerstoffradikalen. Die gesteigerte Produktion von IL-12 und IL-18 und die hierdurch induziert IFNγ-Produktion macht TNF-α zu einem Induktor der TH1Immunreaktion. Über eine gesteigerte Proliferation und Aktivierung von T-Zellen und eine gesteigerte IFN-γ-Produktion folgt eine weitere Aktivierung von Makrophagen mit konsekutiver TNF-α-Sekretion. Dieser Kreis verdeutlicht die über TNF-α gesteuerte Entzündungsreaktion.
Einflüsse von TNF-α Monozyten/ Makrophagen
Aktivierung Induktion der Zytokinproduktion (IL-1β etc.) Chemotaxis und Transmigration Lymphozyten Aktivierung zytotoxischer T-Zellen Induktion von Apoptose in reifen T-Zellen Neutrophile Anstieg der Phagozytoseleistung Granulozyten Anstieg der Superoxydproduktion Anstieg der Adhärenz zu Matrixproteinen Endothelzellen Angiogenese Erhöhte Permeabilität Induktion von Adhäsionsmolekülen [Selektine, »intercellular adhesion molecule« (ICAM), »vascular cell adhesion molecule« (VCAM)], Antifibrinolytisch, prokoagulant Induktion der NO-Synthese Induktion von Zytokinen (IL-1, IL-3, G-CSF, GM-CSF) Produktion von Prostacyclinen Fibroblasten Proliferation Zytokinproduktion (IL-1, IL-6, LIF) Produktion von Metalloproteinasen Hemmung der Kollagensynthese Fettzellen Freisetzung freier Fettsäuren Hemmung der Lipoproteinlipase Neuroendokrines Fieber, Anorexie, System Hemmung der Hypophysenfunktion (TSH, FSH, GH) Gesteigerte Hypophysenfunktion (ACTH, Prolaktin) Herz-Kreislauf Schock, Capillary-leak-Syndrom Metabolismus Gesteigerter Fettkatabolismus Gesteigerter Proteinkatabolismus Insulinresistenz
Die biologischen Effekte von TNF-α werden über die Bindung an zwei verschiedene Rezeptoren, TNF-Rezeptor I (p55-TNF-RI) und TNF-Rezeptor II (p75-TNF-RII) vermittelt. Beide sind transmembranöse Glykoproteine, die auf nahezu allen Zellen vorkommen. TNF-RI wird dabei konstitutionell exprimiert, TNF-RII ist induzierbar. Beide Rezeptoren können von Metalloproteinasen proteolytisch abgespalten werden und sind dann als lösliche Rezeptoren durch Neutralisierung von TNF-α an der Regulation beteiligt. Bei chronisch entzündlichen Erkrankungen lassen sich erhöhte Serumspiegel löslicher TNFRezeptoren nachweisen, was die Hypothese des Versuches
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
einer autologen Gegenregulation unterstützt (TNF-α induziert Metalloproteinasen, diese spalten membranständige TNF-Rezeptoren und vermindern so die Stimulierbarkeit der Targetzellen. Lösliche Rezeptoren neutralisieren zudem überschüssiges TNF-α). In der Pathogenese der rheumatoiden Arthritis kommt TNF-α eine zentrale Bedeutung zu. Im synovialen Gewebe und in der synovialen Flüssigkeit wurde es schon frühzeitig beschrieben und wird dort vor allem von Makrophagen produziert. Gemeinsam mit IL-1β ist es für zahlreiche Entzündungsreaktionen verantwortlich. Es stimuliert die Proliferation von Synoviozyten, die aus einer einschichtigen eine vielschichtige synoviale Deckzellschicht bilden, es stimuliert die Produktion von Metalloproteinasen und Kollagenasen. Auch die Expression von TNF-Rezeptoren ist im Synovium heraufreguliert. In Arthritismodellen wird die Aktivität der Arthritis durch exogenes TNFα gesteigert, während eine Neutralisierung von TNF die Arthritis mindert. Transgene Mäuse mit konstitutiver Überexpression von TNF-α entwickeln spontan Arthritiden, während Mäuse, denen der p55-TNF-RI fehlt, eine nur mitigierte kollageninduzierte Arthritis entwickeln. Diese Beobachtungen werden durch den Erfolg der Therapie mit TNF-Antagonisten (TNF-RII-Fc-IgG-Fusionsprotein = Etanercept, monoklonale anti-TNF-Antikörper Infliximab und Adalimumab) bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis, der Psoriasis und der Psoriasisarthritis, der juvenilen idiopathischen Arthritis, der ankylosierenden Spondylitis und von zahlreichen anderen entzündlichen Erkrankungen unterstrichen.
2.5.6
Interferone
Interferon-α (IFN-α) und Interferon-β (IFN-β) zählen zu den Typ-I-Interferonen und haben ihre Bedeutung bei viralen Infektionen. Sie werden von Leukozyten und Fibroblasten gebildet und haben z. T. auch immunsupprimierende Eigenschaften. Interferon-γ, ein Typ-II-Interferon, wird durch immunologische Stimuli von TH1-Effektorzellen gebildet und hat wesentliche immunregulatorische Eigenschaften. Seine Produktion wird durch IL-1, IL-12 und IL-18 reguliert. IFN-γ ist ein 20–25 kDa großes Glykoprotein, das als Homodimer vorliegt und Zielzellen durch gleichzeitige Bindung an zwei IFN-γ-Rezeptoren stimuliert. Der IFN-Rezeptor besteht aus zwei Ketten, einer konstitutionell vorhandenen IFN-γ bindenden α-Kette und einer β-Kette, die für die Signaltransduktion von Bedeutung ist. Die Signaltransduktion wird über JAK-1 und 2 vermittelt. In Monozyten und Makrophagen wird durch IFN-γ die Expression von HLA-Antigenen, aber auch von Fc-Rezeptoren, der NO-Synthetase, die Produktion von Zytokinen und Chemokinen hochreguliert. Im TH1/TH2Paradigma wirkt es antagonistisch zu IL-4 und IL-10, indem es die Produktion dieser Zytokine hemmt und in
Makrophagen die Produktion von IL-1 stimuliert. In seiner Gegenwart reifen naive T-Zellen vor allem zu proinflammatorischen TH1-Effektorzellen, währen die Reifung zu TH2-Effektorzellen inhibiert wird.
2.5.7
Chemokine
Chemokine sind eine große Gruppe von bislang 40 verschiedenen »chemoattractant proteins« mit einem relativ niedrigen Molekulargewicht von 6–14 kDa (Ward u. Westwick 1998). Ihre hauptsächliche Bedeutung liegt wahrscheinlich in der Chemotaxis (Baggiolini 1998). Bei der HIV-Infektion haben Chemokine und ihre Rezeptoren eine wichtige Rolle. In der Nosologie ist die Präsenz von zwei nebeneinander gelegenen Cysteinen (CC-Familie) bzw. zwei getrennten Cysteine (CXC-Familie) bedeutsam. Chemokine wirken über spezifische Rezeptoren. Die Signalübertragung erfolgt über sog. G-Proteine. IL-8 ist das am besten untersuchte Chemokin. Es wirkt stark chemotaktisch auf neutrophile Granulozyten und führt gleichzeitig zu deren Aktivierung mit vermehrter Degranulation und Freisetzung von Myeloperoxidase, Elastase, Glukuronidase, zu gesteigerter Adhärenz an Endothelzellen und Matrixproteinen. Auf Lymphozyten und Basophile wirkt IL-8 nur schwach chemotaktisch. In der Pathogenese der rheumatoiden Arthritis scheinen aus der CC-Familie vor allem MCP-1 (CCL2), MIP-1α (CCL3), MIP-1β (CCL4) und RANTES (CCL5) von Bedeutung zu sein und aus der CXC-Familie IL-8 (CXCL8), das Epithelien-Neutrophilen-aktivierende Protein (ENA-78, CXCL5), das »growth-related gene product α« (GRO-α, CXCL1) und das »connective tissue activating peptid III« (CTAP-III, CXCL7) (Szekanecz et al. 1998). Diese Proteine konnten in synovialen Geweben mit erhöhter Expression nachgewiesen werden. RANTES und MIP-1α sind wahrscheinlich verantwortlich für die Akkumulierung von TH1-Zellen im entzündlichen Gewebe. IL-8, produziert von aktivierten Makrophagen und Fibroblasten, ist chemotaktisch für neutrophile Granulozyten, führt aber auch selbst zur Proliferation von synovialen Deckzellen. Die Applikation von anti-TNF-Antikörpern (Infliximab) bei Patienten mit rheumatoider Arthritis vermindert die IL8 und MIP-1α-Konzentration im Synovium und die Plasmaspiegel verschiedener Chemokine (Taylor et al. 2000). Chemokine sind über ihre chemotaktischen Eigenschaften hinaus auch als Angiogenesefaktoren beschrieben, ein Effekt, der bei der Entzündung ebenfalls von Bedeutung zu sein scheint. Die Expression von Chemokinen kann durch Glukocorticoide gehemmt werden, nicht jedoch durch nichtsteroidale Antirheumatika. Im Tiermodell kann die Blockade einzelner Chemokine oder ihrer Rezeptoren die Entzündung zwar mildern, aber nicht verhindern.
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2.5 · Zytokine
2.5.8
Zytokine in der Immunpathogenese der rheumatoiden Arthritis
Für die Erkennung von Autoantigenen und für die Induktion von Autoimmunerkrankungen sind T-Zellen und BZellen von großer Bedeutung. Dies trifft in weiten Teilen auch für die rheumatoide Arthritis zu. Nach Erkennung des Antigenpeptids, präsentiert von HLA-Klasse-II-exprimierenden antigenpräsentierenden Zellen, werden CD4positive T-Helferzellen aktiviert und zeigen einen steilen Anstieg in der Produktion von Zytokinen, insbesondere von IL-2, das Wachstum und Aktivierung der T-Zelle induziert, und Zytokinrezeptoren (. Abb. 2.15). Die produzierten proinflammatorischen Zytokine sind dann aber bereits nichtspezifisch wirksam. Die Proliferation autoreaktiver T-Zellen in der ständigen Gegenwart von Autoantigenen scheint die fortlaufende, nichtremittierende Entzündungsreaktion zu erklären. Auf welchem Wege CD4+-T-Zellen ihre Toleranz gegenüber Autoantigenen
bei der rheumatoiden Arthritis verlieren, ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Als Hypothesen seien hier das molekulare Mimikri, peripherer Toleranzverlust und die aberrante Expression von HLA-Klasse-II-Antigenen genannt. Die Bedeutung verschiedener Proteine als Autoantigene wurde bereits beschrieben, dies gilt für Kollagene, Hitzeschockproteine, und auch citrullinierte Proteine. Die Eliminierung von CD4+-T-Zellen hat dabei im Tiermodell eine profunde Auswirkung auf die induzierte Autoimmunreaktion. Bei der rheumatoiden Arthritis hat die alleinige Eliminierung von CD4+-T-Zellen (z. B. durch Therapie mit anti-CD4-Antikörpern) keine konsistente Wirkung. Die Produktion von Zytokinen durch Zellen der unspezifischen Immunität (Monozyten/Makrophagen, Fibroblasten) wäre hierfür eine Erklärung. Im Synovium werden vor allem TH1-Effektorzellen, weniger TH2Effektorzellen gefunden (Kotake et al. 1997). Diese produzieren nach Aktivierung der T-Zellen z. B. IFN-γ, das Monozyten und Makrophagen wiederum zur gesteigerten Se-
Infektion1
Molekulares Mimikri
Erkennung von Autoantigenen Aktivierung von synovialen Makrophagen Überwindung der T-Zell-Toleranz Produktion von T-Helfer-1-Zytokinen
Synthese von proinflammatorischen Zytokinen
Proliferation der synovialen Fibroblasten
Aktivierung von T-Helferzellen
Aktivierung von B-Zellen
Immunglobulinsynthese Autoantikörper, Immunkomplexe
1 vor
Synthese von sekundären Zytokinen, Chemokinen, Adhäsionsmoleküle COX-2
Komplementaktivierung Aktivierung und Migration von Neutrophilen
Pannusbikldung, Knorpel- und Knochendestruktion
Kollagenase, RANKL
Migration von Zellen aus dem Blut, PGE2 , LTB4 , NO
Gelenkschwellung. Exsudat, Gelenkschmerz
genetisch empfänglichem Hintergrund.
. Abb. 2.15. Ein mögliches infektiöses Agens ist vor dem Hintergrund einer genetischen Empfänglichkeit z. B. durch molekulares Mimikri zur T-Zell-Stimulation in der Lage. Nach Erkennung des Antigenpeptids, präsentiert von HLA-Klasse-II-exprimierenden antigenpräsentierenden Zellen, werden CD4+-T-Helferzellen aktiviert und produzieren Zytokine, insbesondere IL-2, das Wachstum und Aktivierung der T-Zelle induziert und Zytokinrezeptoren heraufreguliert. Unter Beteiligung von Zytokinen werden weitere Zelllinien rekrutiert. B-Zellen produzieren (Auto-)Antikörper, sich bildende Immunkomplexe bin-
den Komplement. Dessen Spaltprodukte sind chemotaktisch für Neutrophile. Makrophagen werden aktiviert und produzieren weitere proinflammatorische Zytokine und Mediatoren wie z. B. Prostaglandine. Es resultieren Exsudation, Gelenkschmerz und -schwellung. Die Verdickung der synovialen Membran, charakterisiert auch durch die Proliferation von synovialen Deckzellen und die Pannusbildung mit proliferierenden Fibroblasten, führen zur Gelenkdestruktion. COX-2 Cyclooxygenase Typ 2; RANKL «receptor activator of nuclear factor κB ligand”; PGE2 Prostaglandin E2; LTB4 Leukotrin B4; NO Stickoxid
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
kretion von IL-1, IL-12 und IL-18, aber auch TNF-α stimuliert. IL-1 und TNF-α sind schließlich Induktoren von zahlreichen Entzündungsreaktionen (. Abb. 2.16). Bei Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis konnte gezeigt werden, dass T-Zellen aus dem Synovium häufiger einen TH1-Effektortyp zeigen als T-Zellen aus dem peripheren Blut des gleichen Patienten (Morita et al. 1998). Dagegen finden sich TH2-Zytokine, IL-4 und IL-10 im Synovium in verminderter Menge, so dass wichtige antiinflammatorische Mediatoren fehlen, die eine einmal angelaufene Entzündungsreaktion terminieren könnten. T-Zellen aus der synovialen Flüssigkeit von Patienten mit rheumatoider Arthritis zeigen etwa 4-mal häufiger einen TH1- als einen TH2-Effektortyp (Yin et al. 1999). Das TH1/TH2-Verhältnis ist dagegen bei Kontrollpatienten mit reaktiver Arthritis mit 1,6:11 nahezu ausgeglichen, als Hinweis darauf, dass hier ausreichend antiinflammatorische Zytokine vorliegen, um die Entzündungsreaktion zu kontrollieren. Die Verdickung der synovialen Membran, charakterisiert auch durch die Proliferation von synovialen Deckzellen und die Pannusbildung mit proliferierenden Fibroblasten sind wichtige Merkmale der rheumatoiden Arthritis, führen sie doch zur Gelenkdestruktion und tragen somit zur dauerhaften Krankheitslast bei (. Abb. 2.15 und 2.16)
2.5.9
Antizytokintherapie
Eine Therapie, die sich gegen die Produktion und Aktivierung von einzelnen Zytokinen richtet, ist stets unspezifisch und nicht kausal, sondern symptomatisch ausgerichtet. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass sich die Entzündungsreaktionen bei Unterbrechung einer zuvor erfolgreichen Antizytokintherapie in der Regel wieder einstellen. In der synovialen Flüssigkeit von Patienten mit rheumatoider Arthritis finden sich sowohl proinflammatoorische als auch antiinflammatorische Mediatoren. Zu
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Makrophage
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GM-CSF M-CSF TNF-α
den Erstgenannten gehören IL-1, TNF, IL-6, IL-8, IL-15, IL-16, IL-17, IL-18, IFN-γ, zu den antiinflammatorischen Mediatoren gehören IL-4, IL-10, IL-11, IL-13 und IL-1RA (7 Übersicht). Lösliche Rezeptoren, TNF-RI, TNF-RII, IL1R und das IL-18BP, binden und neutralisieren ihr Zytokin und wirken so antiinflammatorisch. In der Inflammation findet sich eine Störung dieses Gleichgewichts mit Überwiegen der proinflammatorischen Mediatoren (. Abb. 2.17). In verschiedenen Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass die Höhe der Konzentration der antiinflammatorischen Mediatoren zur Ausprägung der Schwere der Destruktionen negativ korreliert. In der Regel führt die Applikation antiinflammatorischer Mediatoren oder die Neutralisierung proinflammatorischer Mediatoren zur Minderung der Entzündung. Auch Kombinationen verschiedener Mediatoren wurden angewandt, wie z. B. IL4 und IL-10. Effekte von Zytokinen Proinflammatorische Zytokine 5 TNF-α IL-1 n, IL-6 n, COX-2 n, PGE2 n, NO n, Apoptose n, Proteinasen n 5 IL-1 TNF-α n, IL-6 n, Chemokine, COX-2 n, PGE2 n, NO n, Adhäsion n, Apoptose n, Proteinasen n, Osteoklastenaktivität n, Osteoblastenaktivität p, Angiogenese n 5 IL-2 T-Zell-Proliferation n, TNF-α n, IFN-γ n 5 IL-8 Chemokin für Neutrophile, Angiogenese n 5 IL-12 IL-1 n, IL-18 n, TNF-α n, IFN-γ n, NK-Aktivität n 5 IL-15 TNF-α n, Chemokine n, T-Zell-Proliferation 6
Fibroblast IL-10 IL-1RA
IL-1 TNF-α
IL-1 TNF-α FGF
IL-8 IL-6 GM-CSF
HLA-DR Metalloproteinasen Expression von Adhäsionsmolekülen . Abb. 2.16. Zytokinnetzwerk der Synovitis: Aktivierte Makrophagen zeigen eine gesteigerte Sekretion von IL-1, TNF-α, IL-12 und IL-18, aber auch GM-CSF und M-CSF. IL-1 und TNF-α sind schließlich Induktoren von zahlreichen Entzündungsreaktionen und wirken auf Fibroblasten stimulierend, während IL-10 und IL-1RA antagonistisch wirken. Die Expression von Adhäsionsproteinen wird gesteigert und vermehrt den Influx von Blutzellen. Auch Fibroblasten sind sekretorisch
Metalloproteinasen Prostaglandine
aktiv. Die Produktion von Metalloproteasen und Prostaglandinen sind für Schmerz und Entzündung verantwortlich, die Proliferation der Fibroklasten trägt zur Pannusbildung bei. Proteasen wie Kollagenase tragen zur Invasivität und zur Knorpel- und Gelenkdestruktion bei. IL Interleukin; TNF-α Tumor-Nekrose-Faktor α; GM-CSF Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor; M-CSF Makrophagenkolonie-stimulierender Faktor; FGF Fibroblast growth factor
5 IL-17 5 IL-18
Chemokine n, Osteoklastenaktivität n, PGE2 n, NO n IFN-γ n, IL-1 n, TNF-α n, Adhäsionsmoleküle n
Antiinflammatorische Zytokine 5 IL-4 IL-1 p, IL-1RA n, TNF-α p, Ig-Produktion n 5 IL-10 IL-1 p, TNF-α p, Chemokine p, HLA-Klasse-II-Expression p, Adhäsionsmoleküle p, PGE2 p, NO p, Proteasen p, IgProduktion n 5 IL-11 IL-1 p, IL-12 p, TNF-α p, IFN-γ p 5 IL-13 IL-1 p, IL-1RA n, TNF-α p, PGE2 p, NO p Sowohl pro- als auch antiinflammatorische Mediatoren 5 IL-6 IL-1 p, IL-1RA n, TNF-α p, löslicher TNFRI n, Akute-Phase-Reaktion n, Ig-Produktion n, Fibroblastenproliferation n 5 IFN-γ HLA-Klasse-II-Expression n, Adhäsion n, TNF-α n, IL-1 p, IL-1-Rezeptor-Expression n, PGE2 p, Proteasen p 5 TGF-β Kollagensynthese n, IL-1 p, IL-2 p, TNFαp
Die Neutralisierung von TNF-α vermindert ebenso die Produktion weiterer proinflammatorischer Zytokine wie z. B. IL-1β, IL-6 und IL-8. Aufgrund dieser zentralen Rolle ist der profunde Effekt einer TNF-α-Antagonisierung gut erklärt (. Abb. 2.18). Derzeit sind bereits drei TNF-α-Antagonisten zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen, nachdem ihre Effektivität in kontrollierten Studien nachgewiesen wurde: 5 der murin-human chimäre monoklonale Antikörper Infliximab (Remicade), 5 der humane monoklonale Antikörper Adalimumab (Humira) und
TNF-α IL-1
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2.5 · Zytokine
IFN-γ IL-8 GM-CSF
IL-15 IL-16 IL-17 IL-18
sIL-1R sTNF-R
IL-4 IL10 IL-11 IL-13 IL-1RA
IL-6 TGF-β
antiinflammatorisch
proinflammatorisch
. Abb. 2.17. In der Inflammation findet sich eine Störung dieses Gleichgewichts mit Überwiegen der proinflammatorischen Mediatoren. TNF Tumor-Nekrose-Faktor; IL Interleukin; IFN Interferon; GMCSF Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor; TGF Transforming growth factor; sIL-1R soluble IL-1-Rezeptor; sTNF-R soluble TNF-Rezeptor; IL-1RA Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist
Aktivierung des Immunsystems
Antiinflammatorische Zytokine (IL-10, IL-1-Rezeptor- Antagonist, sTNF-R)
-
+
TNF-α
+
IL-1
+
Proinflammatorische Zytokine (IL-6, IL-8, GM-CSF etc.) . Abb. 2.18. Die Neutralisierung von TNF-α vermindert ebenso die Produktion weiterer proinflammatorischer Zytokine wie z. B. IL-1β, IL-6 und IL-8. Aufgrund dieser zentralen Rolle ist der profunde Effekt einer TNF-α-Antagonisierung gut erklärt. TNF Tumor-Nekrose-Faktor; IL Interleukin; sTNF-R soluble TNF-Rezeptor; GM-CSF Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor
5 das TNF-Rezeptor-p75-Immunglobulin-Fc-Fusionsprotein Etanercept (Enbrel). Einzelne Substanzen sind zudem zur Behandlung der juvenilen Polyarthritis, der ankylosierenden Spondylitis, der Psoriasis und der Psoriasisarthritis sowie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zugelassen und haben eine Wirksamkeit auch bei anderen chronisch entzündlichen Erkrankungen wie z. B. den Vaskulitiden gezeigt (Lovell et al. 2000). Während Etanercept nur lösliches TNF-α neutralisieren kann, binden die monoklonalen Antikörper auch membranständiges TNF-α und können auf diesem Weg auch die juxtrakrine Entzündungsinduktion vermindern bzw. zytopathische Effekte auf solche Zellen ausüben, die TNF-α exprimieren. Ob dies zur erhöhten Effektivität beiträgt, ist zu diskutieren. In gleicher Weise könnte es aber die erhöhte Rate von Infektionen mit intrazellulären Erregern, zu denen Mykobakterien zählen, erklären. Weitere TNF-Antagonisten, z. B. Lenercept – ein Fusionsprotein aus dem p55-TNF-Rezeptor I – und auch an Polyethylenglykol gebundene TNFRezeptoren wurden bereits entwickelt. IL-1RA antagonisiert durch Bindung an den IL-1Rezeptor die Wirkung von IL-1β. Anakinra ist mit Ausnahme der fehlenden Glykosylierung und eines zusätzlichen Methioninrestes mit dem physiologischen IL-1RA identisch. Der IL-1RA bindet kompetitiv an den IL-1Rezeptor, ohne ein stimulierendes Signal zu induzieren. Auf diesem Wege behindert er die Wirkung von IL-1. In randomisierten klinischen Studien wurde die Wirksamkeit von Anakinra zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis belegt (Bresnihan et al. 1998; Jiang et al. 2000). Die klinischen antiinflammatorischen Effekte sind weniger dramatisch als bei der TNF-Blockade, doch konnte eine Beeinflussung der radiologischen Progression eindrucksvoll demonstriert werden. Auch lösliche IL-1-Rezeptoren wurden bereits klinisch eingesetzt, zeigten in kontrollierten Studien aber keine konsistente Wirkung. Die Antagonisierung der Effekte von IL-1β, z. B. klinisch das Fieber,
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
ist offensichtlich auch von Wert bei der Behandlung des Still-Syndroms, der systemischen Verlaufsform der juvenilen Arthritis. Antikörper gegen IL-6 haben sich bei der antiinflammatorischen Therapie nicht durchsetzen können, weil sie möglicherweise die Verweildauer von IL-6 im Plasma verlängern, ohne das Zytokin zu eliminieren (Wendling et al. 1993). Die Bioaktivität von IL-6 kann jedoch durch den Antikörper Atlizumab gegen den IL-6-Rezeptor (MRA) gehemmt werden. Atlizumab ist ein durch rekombinante DNA-Technologie hergestellter humanisierter monoklonaler Antikörper gegen die membrangebundene und lösliche Form des IL-6-Rezeptors. Bei intravenöser Applikation erwies er sich in placebokontrollierten Studien in einer Dosis von 5 und 10 mg/kg Körpergewicht bei erwachsenen Patienten mit rheumatoider Arthritis als effektiv in der Verbesserung der Symptomatik und insbesondere bei den labormedizinischen Entzündungsparametern wie BSG und CRP-Spiegel (Choy et al. 2002). Fallserien schreiben zudem den Einsatz beim therapierefraktären Still-Syndrom seinem Einfluss auf die systemische Entzündungsaktivität zu. Die Applikation von IL-10, einem antiinflammatorischen Zytokin, führte bei Versuchspersonen zu einem Anstieg weiterer antiinflammatorischer Mediatoren, TNF-RI und IL-1RA. Die Behandlung mit IL-10 wurde bei Patienten mit Morbus Crohn, Psoriasis, Enzephalomyelitis disseminata und rheumatoider Arthritis durchgeführt. Hier zeigte sich moderates klinisches Ansprechen im Vergleich zu Placebo. Auch IL-11 als antiinflammatoriches Zytokin und Antikörper gegen IL-12 sind Kandidaten für die Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen, anti-IL-12 wurde zudem bei Vaskulitiden eingesetzt (Reznikov et al. 1998). IFN-γ, eigentlich ein proinflammatorisches Zytokin, wurde aufgrund der Eigenschaft, die IL-1β-Sekretion zu hemmen, zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis eingesetzt. Entgegen den initialen Studienergebnissen, die sogar zur Zulassung von IFN-γ geführt hatten, zeigte sich in größeren Therapiestudien, vor allem über einen längeren Zeitraum, keine zufriedenstellende Wirkung. Monoklonale Antikörper gegen die IL-2-Rezeptor-αKette (anti-CD25-Antikörper) wie die chimären human/ murinen Antikörper Basiliximab (Simulect) und Daclizumab (Zenapax) werden in der Transplantionsmedizin verwandt und sind bereits zugelassen zur Prophylaxe und Therapie der Transplantatabstoßung. Therapieversuche mit anti-CD25-Antikörpern bei Autoimmunerkrankungen sind aber rar und wurden vor allem bei der Psoriasis durchgeführt. Zwei von drei Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis zeigten in einer Untersuchung über 3 Monate ein exzellentes Ansprechen mit Verminderung des Schmerzscores, der Morgensteifigkeit und des Gelenkentzündungsindex. Die Therapie mit DiphtheriaToxin-konjugiertem IL-2 führt nicht nur zur Blockade des
IL-2-Rezeptors, sondern nach Internalisierung des Rezeptor-IL-2-Diphtherietoxin-Komplexes zur Zerstörung der IL-2-Rezeptor-exprimierenden aktivierten T-Zellen. Dieser Therapie folgte bei 9 von 19 Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis eine klinische Besserung, begleitet aber von einer hohen Nebenwirkungsrate. Auch die Wirkung zahlreicher konventioneller Medikamente kann zumindest zum Teil durch eine Verminderung von proinflammatorischen Zytokinen oder durch eine Inhibierung einer ihrer Effekte erklärt werden. So interferieren Corticosteroide auf mehreren Ebenen mit Zytokinen. Zunächst reduzieren sie die Transkription von Zytokingenen. Darüber hinaus vermindern sie die Stabilität der Zytokin-mRNA und beschleunigen so die Degradierung der mRNA. Schließlich vermindern sie die Proteinbiosynthese am Ribosomen. Auch die Sekretion von Zytokinen wird durch Corticosteroide vermindert. Durch Hemmung der Translokation von NF-κB in den Nukleus wird die Signalübertragung der Zytokinrezeptoren gestört (Knudsen et al. 1987; Auphan et al. 1995). Diese negative Beeinflussung betrifft vor allem proinflammatorische Zytokine, IFN-γ, TNF-α und IL-1β. IL-10 dagegen kann bei Therapie mit Corticosteroiden sogar induziert werden (Verhoef et al. 1999), wodurch sich eine Verschiebung des TH1/TH2-Verhältnisses in Richtung TH2 ergibt. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wirken vor allem durch Inhibition der Prostaglandinsynthese, insbesondere durch Hemmung der Cyclooxygenase-2 (COX2). TNF-αund IL-1β sind starke Induktoren der COX-2. PGE2 supprimiert die Produktion von IL-2, IL-12, IFN-γ und anderen Zytokinen. Die Gabe von COX-1- oder COX2-Hemmern führt zu einem Anstieg der zirkulierenden Zytokine (Spinas et al. 1991). Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass NSAR zwar eine symptomatische Therapie darstellen, den Krankheitsverlauf aber nicht wesentlich beeinflussen. Negative Effekte konnten aber bislang in keinen Studien nachgewiesen werden. Auch für Sulfasalazin wurde eine Beeinflussung von Zytokinen nachgewiesen. Sulfasalazin hemmt die TNF-αinduzierte NF-κB-Aktivierung (Wahl et al. 1998). Methotrexat (MTX) ist aktuell das Basistherapeutikum der ersten Wahl bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis bzw. der polyartikulären Verlaufsform der juvenilen idiopathischen Arthritis. Es erwies sich in zahlreichen Studien bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis und auch in kontrollierten Studien bei der juvenilen Polyarthritis als effektiv (Giannini et al. 1992). MTX zählt als Folsäureantagonist zu den Antimetaboliten. Es hat eine 100fach größere Affinität zur Dihydrofolsäurereduktase als das natürliche Substrat. Es blockiert die Reduktion von Dihydrofolat zu Tetrahydrofolat in menschlichen Zellen. Hierdurch wird die Bildung der Aminosäure Methionin aus Homocystein behindert, das zur Synthese von SAdenosylmethionin verwendet wird, einem Methylgruppendonator für Phospholipide, Proteine, RNA und DNA.
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2.5 · Zytokine
Beim folatunabhängigen Wirkmechanismus kommt es über eine Störung des Aminoimidazol-CarboxamidRibonukleotid-Enzym-Systems zu einer vermehrten Freisetzung von Adenosin aus Monozyten. Adenosin induziert über Adenosin-A2-Rezeptoren antiinflammatorische Effekte. Adenosin hemmt die Adhärenz von neutrophilen Granulozyten auf das Endothel und somit die Chemotaxis in das entzündliche Gewebe. Ferner konnte in Zellkulturen gezeigt werden, dass Adenosin die Expression von TNF-α in Monozyten hemmt. Weiterhin konnte in In-vitro-Versuchen gezeigt werden, dass es unter MTX zu einer Verringerung von IL-1β und zu einer erhöhten Expression/ Sekretion von antientzündlichen Zytokinen kommt. Auch eine Verminderung der IL-1β-induzierten IL-6-Produktion durch Synovialzellen ist beschrieben. Zellen von Patienten, die mit MTX behandelt werden, produzieren weniger IL-1β, IL-8 und mehr IL-1RA als Zellen von unbehandelten Patienten (Seitz et al. 1996). Die immunsuppressive Wirkung von Leflunomid beruht auf der Beeinflussung des Nukleinsäurestoffwechsels (Pyrimidinsynthese) über eine Hemmung der Dihydro-Orotat-Dehydrogenase, wichtig für die Uridinmonophosphatproduktion und eine Hemmung von Tyrosinkinasen mit einem resultierenden antiproliferativen Effekt auf B- und T-Zellen. Somit wird indirekt die zytokininduzierte Zellproliferation beeinflusst. Leflunomid hemmt aber direkt die TNF-α-mediierte NF-κB-Translokation. Ciclosporin A hemmt die Sekretion von IL-2 und anderen Zytokinen (IL-3, IFN-γ, TNF-α und -β) und die Expression des IL-2-Rezeptors (Bunjes et al. 1981). Es bindet intrazytoplasmatisch Cyclophilin, das für die Aktivierung der kalziumabhängigen Phosphatase Calcineurin wichtig ist. Diese Inhibition verhindert die endonukleäre Translokation des T-Zell-aktivierenden Faktors (NF-ATc) mit der resultierenden verminderten Expression des IL2-Gens. Die klinische Effektivität bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis wurde in kontrollierten Studien nachgewiesen, für die juvenile Arthritis stehen nur offene Untersuchungen zur Verfügung (Dougados et al 1988). ! Zytokine und Zytokinrezeptoren sind somit von maßgeblicher Bedeutung in der Pathogenese autoimmuner Entzündung, so auch der rheumatoiden Arthritis. Analogieschlüsse zur juvenilen idiopathischen Arthritis sind vermutlich erlaubt, wenngleich hierzu deutlich weniger Daten vorliegen. In der »modernen« Rheumatherapie wird die Rolle der Zytokine deutlich, lassen sich doch durch Blockade der Zytokin/Rezeptor-Interaktion mit Zytokinantagonisten aus der Gruppe der Biologika beeindruckende klinische Verbesserungen zum Wohl der Patienten erzielen, auch dann wenn diese zuvor nicht mit konventionellen Therapieverfahren zu behandeln waren. Doch auch die Effekte »konventioneller« lang etablierter Pharmaka sind vielfach durch eine Beeinflussung des Zytokinnetzwerks erklärbar.
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
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2.6
Autoimmunität und Infektion
T. Kamradt, F. Zepp Das Immunsystem schützt normalerweise den Organismus vor Infektionskrankheiten. Pathologische Immunantworten hingegen können den Organismus schädigen und Autoimmunkrankheiten wie Typ-1-Diabetes (T1D), multiple Sklerose (MS) oder rheumatoide Arthritis (RA) verursachen. Die Inzidenz solcher Autoimmunkrankheiten ist in den letzten 50 Jahren in den westlichen Industrienationen dramatisch angestiegen. Einerseits werden Autoimmunkrankheiten häufig als Folge fehlgeleiteter Immunantworten auf Pathogene angesehen, andererseits gibt es epidemiologische Hinweise darauf, dass Infektionen auch vor Autoimmunkrankheiten schützen können.
2.6.1
Pathogenese von Autoimmunkrankheiten
Autoimmunkrankheiten entstehen, wenn T- oder B-Lymphozyten durch die Erkennung von Selbstantigenen aktiviert werden. Autoreaktive T-Lymphozyten induzieren Gewebezerstörung durch die Produktion proinflammatorischer Zytokine und die Aktivierung von Effektorzellen (z. B. Makrophagen, Glia). Autoreaktive B-Lymphozyten produzieren Autoantikörper, die z. B. zur komplementinduzierten Gewebszerstörung führen können. Man weiß heute, dass autoreaktive T- und B-Lymphozyten zum normalen immunologischen Repertoire gesunder Menschen gehören. Diese autoreaktiven Zellen unterliegen jedoch verschiedensten immunologischen Kontrollmechanismen, so dass sie üblicherweise keinen Schaden anrichten. Um die Pathogenese von Autoimmunkrankheiten zu verstehen, ist es deshalb erforderlich, die Mechanismen zu erkennen, durch die autoreaktive Lymphozyten aktiviert werden. Für die Ätiologie von Autoimmunkrankheiten sind sowohl genetische Faktoren als auch Umweltfaktoren von Bedeutung. Studien an monozygoten Zwillingen ergeben übereinstimmend eine Konkordanz von ca. 20–40% für das Auftreten unterschiedlicher Autoimmunkrankheiten, so dass Umweltfaktoren zu ca. 60–80% zur Pathogenese beitragen. Die Inzidenz einiger Autoimmunkrankheiten variiert zwischen unterschiedlichen geographischen Regionen erheblich. Sowohl für multiple Sklerose als auch für den Typ-1-Diabetes konnte gezeigt werden, dass Migranten, die aus Regionen mit hoher Inzidenz in Regionen mit niedriger Inzidenz ziehen (oder umgekehrt) dasselbe Erkrankungsrisiko haben wie die Bewohner ihres Herkunftslandes, sofern der Umzug im Alter von >15 Jahren erfolgt. Jüngere Migranten hingegen haben dasselbe Erkrankungsrisiko wie die Bewohner des Aufnahmelandes.
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2.6 · Zytokine
! Diese Befunde lassen vermuten, dass Umwelteinflüsse, die im frühen Lebensalter wirksam werden, entscheidenden Einfluss auf die spätere Entwicklung einer Autoimmunkrankheit haben können.
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Autoimmunkrankheit führt. Erst wenn die autoreaktiven Lymphozyten aktiviert werden, hier wohl durch Infektionserreger, beginnen sie den Organismus zu schädigen.
Mechanismen 2.6.2
Von der Infektion zur Autoimmunität?
Die ersten Symptome von Autoimmunkrankheiten treten manchmal unmittelbar nach Infektionskrankheiten auf. Klassische Beispiele hierfür sind die postinfektiöse Enzephalitis disseminata und das rheumatische Fieber. Kongenitale Rubella-Infektionen sind mit dem Typ-1-Diabetes assoziiert. Die chronische, antibiotikaresistente Form der Lyme-Arthritis und die reaktiven Arthritiden entwickeln sich nach bakteriellen Infektionen. Neben den Erstmanifestationen sind vor allem Schübe von Autoimmunkrankheiten mit Infektionen assoziiert. So ist das Risiko für einen Krankheitsschub bei Patienten mit multipler Sklerose während und unmittelbar nach verschiedenen Infektionskrankheiten zwei- bis dreifach höher als normalerweise. Auch in Tiermodellen lässt sich ein Zusammenhang zwischen Infektion und Autoimmunität nachweisen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel liefern Mäuse, die transgen einen myelinspezifischen T-Zell-Rezeptor exprimieren und gleichzeitig genetisch so verändert sind (rag -/-), dass sie außer dem autoantigenspezifischen Rezeptor keine anderen T-Zell-Rezeptoren exprimieren. Sämtliche T-Lymphozyten dieser Mäuse sind also spezifisch für das ZNS-Autoantigen Myelin. Dennoch bleiben diese Mäuse gesund, wenn sie in keimfreier Umgebung gehalten werden. Werden sie allerdings in eine konventionelle nicht keimfreie Umgebung transferiert, so erkranken sie an experimentell autoimmuner Enzephalitis (EAE), dem Tiermodell der multiplen Sklerose. Das Beispiel zeigt, dass selbst ein komplett autoreaktives T-Zell-Repertoire nicht automatisch zu einer
Welche immunologischen Prozesse vermitteln den epidemiologisch, klinisch und experimentell gut gesicherten Zusammenhang zwischen Infektion und Autoimmunität? Antigenspezifische und antigenunspezifische immunologische Prozesse werden diskutiert.
Molekulare Mimikry Die Hypothese der molekularen Mimikry schlägt vor, dass kreuzreaktive Lymphozyten, die in der Lage sind, sowohl mikrobielle Antigene als auch Selbstantigen zu erkennen, Autoimmunkrankheiten auslösen können. Dieser Vorstellung zufolge werden solche kreuzreaktiven Lymphozyten durch die Erkennung mikrobieller Antigene aktiviert und können in der Folge auch durch die Erkennung von Selbstantigenen, deren Aminosäuresequenz dem ursprünglich erkannten mikrobiellen Antigen ähnelt, aktiviert werden und so Gewebeschädigungen auslösen (. Abb. 2.19). Tatsächlich kann man im Serum von Patienten mit Autoimmunkrankheiten Antikörper nachweisen, die sowohl Autoantigene als auch mikrobielle Antigene erkennen können. Auch kreuzreaktive T-Lymphozyten sind häufig beschrieben worden. Aufgrund solcher Befunde sind immer wieder ursächliche Zusammenhänge zwischen bestimmten Infektionen und bestimmten Autoimmunkrankheiten postuliert worden. Es gibt buchstäblich keine Autoimmunkrankheit, für die nicht kreuzreaktive Lymphozyten als Ursache vorgeschlagen worden wären, und viele unterschiedliche Viren oder Bakterien sind als Auslöser pathogener Immunantworten, die zur Autoimmunität führen, angeschuldigt worden. Allerdings ist, abgesehen vom rheumatischen Fieber, trotz jahrzehntelanger Bemühungen noch in keinem einzigen Fall ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestimmten . Abb. 2.19 Hypothese der molekularen Mimikry. Bei der Immunantwort gegen Infektionen werden mikrobielle oder virale Peptide an MHC-Moleküle antigenpräsentierender Zellen gebunden. Dargestellt ist die Präsentation eines bakteriellen Peptides (rot) auf MHC-Klasse-II-Molekülen einer antigenpräsentierenden Zelle. T-Lymphozyten, deren T-Zell-Rezeptor einen solchen Peptid/MHC-Komplex erkennt, werden durch die Bindung ihres TZR (grün) an den Peptid/MHC-Komplex und die zusätzlich von der antigenpräsentierenden Zelle empfangenen kostimulatorischen Signale (orange/rosa) aktiviert. Sie proliferieren und produzieren Zytokine. Die Hypothese der molekularen Mimikry macht nun folgende Vorhersage: Eine T-Zelle, die einmal durch Peptid + Kostimulation im Rahmen einer Infektion aktiviert wurde (hier: rote Umrandung der Zelle), ist dann in der Lage, auch durch die Erkennung ähnlicher körpereigener Peptide abermals aktiviert zu werden und dadurch Schaden zu verursachen (hier: arthritische Hände)
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Infektion und einer bestimmten Autoimmunkrankheit gesichert worden. Experimentelle Untersuchungen aus den letzten Jahren haben zudem gezeigt, dass sowohl T- als auch B-Lymphozyten physiologischerweise eine sehr hohes Maß an Flexibilität bei der Antigenerkennung aufweisen. Man spricht in diesem Zusammenhang von »degenerierter« oder »promisker« Antigenerkennung. Es ist klar geworden, dass einzelne T-Zell-Rezeptoren einige hundert und vermutlich noch erheblich mehr unterschiedliche Peptide erkennen können. Noch erstaunlicher als die Tatsache, dass ein einzelner T-Zell-Rezeptor viele unterschiedliche Peptide erkennen kann, war dabei, dass Ähnlichkeiten in der Aminosäuresequenz der verschiedenen Peptide weder notwendig noch hinreichend für Kreuzreaktivität sind. TZell-Rezeptoren sind in der Lage, unterschiedliche Peptide zu erkennen, deren Sequenzen keine einzige Aminosäure gemeinsam haben. Andererseits kann schon ein einzelner konservativer Aminosäurenaustausch in einem Peptidantigen zum kompletten Verlust der T-Zell-Erkennung führen. ! Für die Beurteilung der Hypothese der molekularen Mimikry lässt sich aus diesen Befunden schließen, dass die kreuzreaktive Erkennung von mikrobiellen Antigenen und Selbstantigenen per se nicht ausreicht, um Autoimmunität zu induzieren.
Infektionsinduzierte Freisetzung von Selbstantigenen Ein tierexperimentell gesicherter antigenspezifischer Mechanismus, der von der Infektion zur Autoimmunität führen kann, ist die infektionsbedingte Freisetzung von Selbstantigenen. So entwickeln Mäuse, die transgen einen T-Zell-Rezeptor exprimieren, der für ein pankreatisches Selbstantigen spezifisch ist, nach Infektion mit dem pankreatropen Coxsackie-Virus B4 einen autoimmunen Diabetes mellitus. Die transgenen T-Lymphozyten erkennen dabei kein Coxsackie-Virus-Antigen. Die pathogenetische Bedeutung des Virus besteht darin, dass durch infektionsbedingte Entzündung und Gewebszerstörung pankreatische Autoantigene freigesetzt und dem Immunsystem sichtbar gemacht werden, die normalerweise vor einer immunologischen Attacke geschützt sind. Ein ähnliches Beispiel liefern normale genetisch unmanipulierte Mäuse, die nach einer Infektion mit dem enzephalitogenen Theiler-Virus eine autoimmune Enzephalitis entwickeln. Auch hier kann klar gezeigt werden, dass die enzephalitogenen autoreaktiven T-Zellen nicht kreuzreaktiv Virusantigene erkennen. Entscheidend für die Pathogenese der autoimmunen Enzephalitis ist die infektionsbedingte Freisetzung von Selbstantigenen. Allerdings kann die Freisetzung sequestrierter Selbstantigene nur den Zusammenhang zwischen Infektionen und Autoimmunkrankheiten, die beide das gleiche Organ betreffen, erklären.
Bystander-Aktivierung Mikrobielle Stimuli, wie z. B. Endotoxin (Lipopolysaccharid, Membranbestandteil gramnegativer Bakterien) oder doppelsträngige RNA (Viren), binden spezifisch an nichtklonale Rezeptoren, sog. »toll-like receptors« (TLR), die von Zellen des angeborenen Immunsystems exprimiert werden, und induzieren so eine verstärkte Expression von Zytokinen und kostimulatorischen Molekülen. In vitro kann gezeigt werden, dass humane T-Lymphozyten durch bestimmte Zytokincocktails aktiviert werden können. Diese Aktivierung benötigt keine Signale, die über den TZell-Rezeptor vermittelt werden, sie ist also antigenunabhängig und wird als Bystander-Aktivierung bezeichnet. Im Tiermodell der multiplen Sklerose, der experimentell autoimmunen Enzephalitis, konnte gezeigt werden, dass eine antigenunabhängige Bystander-Aktivierung Enzephalitis-Schübe auslösen kann. Klinisch-experimentelle Daten lassen vermuten, dass auch bei der rheumatoiden Arthritis eine zytokinduzierte antigenunabhängige Aktivierung von T-Lymphozyten zur Pathogenese beiträgt. Die antigenunspezifischen Mechanismen lassen sich leichter mit den klinischen und epidemiologischen Daten zu Infektion und Autoimmunität in Übereinstimmung bringen als die antigenspezifischen Mechanismen. Dennoch können auch die antigenspezifischen Mechanismen für die Pathogenese von Autoimmunkrankheiten von Bedeutung sein. Das Überleben und die Expansion autoreaktiver T-Lymphozyten kann z. B. durch die Erkennung mikrobieller Antigene bei – möglicherweise klinisch inapparenten – Infektionen gefördert werden. Erst wenn eine kritische Zahl autoreaktiver T-Lymphozyten erreicht ist, können antigenunspezifische Mechanismen, wie z. B. die Bystander-Aktivierung, wirksam werden, d. h. Schübe von Autoimmunkrankheiten auslösen.
2.6.3
Können Infektionen vor Autoimmunkrankheiten schützen?
Zwischen 1989 und 1994 stieg in Europa die Inzidenz von Typ-1-Diabetes bei Kindern im Zeitraum von weniger als 5 Jahren jährlich um ca. 6%. Ähnlich dramatische Zunahmen in der Inzidenz und Prävalenz wurden für andere chronisch entzündliche Erkrankungen berichtet. So verdreifachte sich in Nordeuropa innerhalb von 50 Jahren die Inzidenz chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt hier die rheumatoide Arthritis dar: Weltweit beträgt die Prävalenz ca. 1%, und dieser Wert ist seit Jahrzehnten stabil. Interessanterweise hat die Prävalenz einer Reihe von Infektionskrankheiten, insbesondere von mykobakteriellen Infektionen, Helminthen-Infektionen und Hepatitis A, spiegelbildlich zur dramatischen Zunahme von Autoimmunkrankheiten und Atopien im gleichen Zeitraum massiv abgenommen. Schon vor 40 Jahren wurde die erste
2.6 · Zytokine
Studie veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen verbesserten hygienischen Bedingungen und einer erhöhten Inzidenz der multiplen Sklerose herstellte. Später wurden ähnliche Daten für eine Reihe anderer Autoimmunkrankheiten publiziert. So scheinen Infektionen im frühen Kindesalter das Risiko einer späteren Erkrankung an Typ-1-Diabetes zu vermindern. Auch experimentelle Daten stützen die Vermutung, dass Infektionen vor Autoimmunkrankheiten schützen können. Eine Vielzahl unterschiedlicher Infektionen schützt diabetes-suszeptible Mäuse vor der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes. In diesem Fall verhält es sich also genau entgegengesetzt zu den oben geschilderten Befunden im Tiermodell der multiplen Sklerose, in dem selbst Mäuse, die nach genetischer Manipulation ausschließlich autoreaktive T-Lymphozyten aufwiesen, nicht erkrankten, solange sie keine Infektion hatten. Ob eine Infektion protektive, pathogene oder gar keine Einflüsse auf die spätere Entwicklung von Autoimmunkrankheiten hat, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Manche Mikroorganismen, insbesondere Mykobakterien und Helminthen, sind besonders häufig als protektive Faktoren gefunden worden. Die Dosis der eingedrungenen Mikroorganismen scheint eine entscheidende Rolle zu spielen: Bei Helmintheninfektionen kann ein kleines Inokulum allergische Erkrankungen exazerbieren, während hohe Infektionsdosen protektiv sind. In manchen Tiermodellen sind Infektionen protektiv, wenn sie vor der Induktion einer Autoimmunkrankheit erfolgen, exazerbieren aber die Erkrankung, wenn Tiere erst nach der Induktion der Autoimmunkrankheit infiziert werden.
Mechanismen Die Frage, wie Infektionen vor Allergie und Autoimmunität schützen können, ist heute noch nicht genau zu beantworten. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass manche mikrobiellen Pathogene in der Lage sind, das Immunsystem des Wirtes so zu modulieren, dass nicht nur die Immunantwort gegen den modulierenden Mikroorganismus, sondern auch andere Immunantworten abgeschwächt werden. Insbesondere Helminthen und andere Erreger, die typischerweise chronische, teilweise jahrzehntelange Infektionen verursachen können, haben im Verlaufe der Koevolution mit ihren Wirten offensichtlich ausgeklügelte Mechanismen zur Immunsuppression entwickelt. Helminthen, wie z. B. das besonders gut untersuchte Schistosoma mansonii, exprimieren Proteine, die u. a. zu einer vermehrten Interleukin-(IL-)10-Produktion des Wirtsorganismus führen. IL-10 ist ein stark immunmodulierendes Zytokin, das sowohl auf die antigenpräsentierenden Zellen als auch auf die T-Lymphozyten wirkt. Klar ist allerdings heute schon, dass IL-10 sicher nicht der alleinige wesentliche Faktor ist, mit dem Infektionserreger das Immunsystem modulieren.
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Andere Mechanismen, die in experimentellen Modellen belegt sind und deren klinische Relevanz derzeit untersucht wird, sind die Induktion regulatorischer T-Zellen (Treg, 7 2.1) sowie die Manipulation wichtiger antigenpräsentierender Zellen, der dendritischen Zellen, durch bestimmte Mikroorganismen und von ihnen sezernierte Proteine. Eine weitere, ebenso simple wie experimentell verifizierbare Hypothese nimmt an, dass eine Unterbeschäftigung des Immunsystems bei fehlenden Infektionen Autoimmunität und andere immunpathologische Erkrankungen begünstigt. Die Homöostase im Immunsystem ist sehr exakt reguliert, die Anzahl unterschiedlicher Zellpopulationen, auch die der Effektor- und Gedächtnislymphozyten wird in engen Grenzen konstant gehalten. Die Lebensdauer dieser Zellen ist begrenzt. Normalerweise ersetzen Effektor- und Gedächtniszellen, die im Laufe der Immunantwort gegen Infektionserreger entstehen, die Verluste durch Zelltod in diesem Kompartment. Bei fehlenden Infektionen findet diese Erneuerung nicht statt. Dies führt zu einer sog. homöostatischen Proliferation, d. h. die schon vorhandenen Effektor- und Gedächtniszellen proliferieren. Dabei können einzelne pathogene Klone, z. B. autoreaktive Lymphozyten, sich so stark vermehren, dass sie klinisch relevant werden.
Klinische Anwendungen und offene Fragen Die Immunmodulation durch Mikroorganismen hat schon Eingang in die klinische Praxis gefunden. Die intradermale oder subkutane Gabe von apathogenen Mykobakterien wird bei Patienten mit atopischen Krankheiten erprobt. Bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten haben erste klinische Studien, bei denen Wurmeier oral verabreicht wurden, sehr vielversprechende Ergebnisse gebracht. Allerdings ist die Zahl und Qualität der bislang veröffentlichten Studien noch zu gering, um abschließend über die Effektivität und klinische Praktikabilität von Immunmodulation durch Mikroorganismen oder einzelne mikrobielle Moleküle urteilen zu können. Unter anderem sollte nicht vergessen werden, dass eine solche Immunsuppression durch Mikroorganismen zwar natürlich, deswegen aber noch lange nicht harmlos ist. Parasitäre Infektionen sind bei HIV-infizierten Patienten mit erhöhter Viruslast im Plasma und rascherer Progredienz der Erkrankung assoziiert. Es ist gut bekannt, dass BCG und andere Impfstoffe in Afrika weniger immunogen und protektiv sind als in Europa oder Nordamerika. Werden die Patienten vor der Impfung erfolgreich mit Antihelminthika behandelt, so ist der Impferfolg deutlich besser. Angesichts der erheblichen Morbidität und Mortalität, die bis vor wenigen Jahrzehnten auch in Europa noch durch Infektionskrankheiten verursacht wurde, ist es also ratsam, nicht allzu rasch auf Mikroorganismen als therapeutische Instrumente gegen Allergie und Autoimmunität zurückzugreifen.
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
! Hinsichtlich der Funktion des Immunsystems lässt sich aus den geschilderten Zusammenhängen zwischen Infektion, Autoimmunität und Allergie aber sicherlich lernen, dass eine völlige Beseitigung von Mikroorganismen aus dem Wirtsorganismus nicht das Ziel eines gut funktionierenden Immunsystems ist, sondern sogar zu Schäden führen kann. Eine gelungene Immunantwort ist nicht auf völlige Ausrottung des Eindringlings, sondern auf Kontrolle und eine Koexistenz zum gegenseitigen Nutzen ausgerichtet.
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2.7
Zusammenfassung: Pathogenese der Autoimmunkrankheiten
G. Dannecker, N. Wagner Der Schutz seinen jeweiligen Wirtsorganismus vor Infektionen ist die Aufgabe des Immunsystems. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss das Immunsystem eine fast unbegrenzte Zahl von fremden Antigenen erkennen und gegen sie reagieren können. Um Schäden am eigenen Organismus zu vermeiden, sollte dieses Erkennen und Reagieren nicht gegen körpereigene Antigene gerichtet sein. Die notwendige Unterscheidung zwischen Selbst- und NichtSelbst-Antigenen ist eine grundlegende Eigenschaft des Immunsystems. Die fehlende Reaktion des Immunsystems auf SelbstAntigene ist als Selbst-Toleranz definiert, der Verlust dieser Toleranz führt zur Autoimmunität, die dadurch verursachten Erkrankungen werden Autoimmunkrankheiten genannt. Es gibt systemische (z. B. Lupus erythematodes) oder organspezifische Autoimmunkrankheiten (z. B. juvenile idiopathische Arthritis, Diabetes mellitus, multiple Sklerose). Die Schädigung der jeweiligen Gewebe wird durch von B-Zellen sezernierte Antikörper (Typ-II-Reaktion, z. B. autoimmune hämolytische Anämie, Myasthenia gravis), durch Immunkomplexe (Typ-III-Reaktion, z. B. Lupus erythematodes) vermittelt oder durch T-Zellen induziert (Typ-IV-Reaktion, z. B. Diabetes mellitus, juvenile idiopathische Arthritis).
2.7.1
Genetische Grundlagen (7 Kap. 2.4)
Autoimmunerkrankungen entstehen wahrscheinlich durch das Einwirken von Umweltfaktoren (z. B. Infektionen, Toxine, Ernährung) auf der Basis von genetischen Grundlagen. In Bezug auf die Genetik spielt der »major histocompatibility complex« (MHC) eine dominante Rolle, dieser Locus wird beim Menschen »human leukocyte antigen« (HLA) genannt. Die Assoziation von der Expression bestimmter HLA-Moleküle mit dem Risiko, an bestimmten Autoimmunerkrankungen zu leiden wie z. B. HLA-B27 und Spondylarthritiden, ist lange bekannt. MHC-Moleküle binden Peptide in einer vom MHCMolekül gebildeten Spalte. Genetisch unterschiedliche MHC-Moleküle binden unterschiedliche Peptide (MHCRestriktion), und der Komplex aus MHC-Molekül und Peptid bestimmt die Fähigkeit von T-Zellen, ein vorgegebenes Peptid zu erkennen und darauf zu reagieren. Bestimmte Peptide werden von einem mit der Erkrankung assoziierten MHC-Molekül präsentiert und führen zu einer T-Zell-Aktivierung und (Auto-)Immunantwort, während ein nicht mit der Erkrankung assoziiertes MHCMolekül das gleiche Peptid nicht präsentieren kann und eine T-Zell-Antwort ausbleibt. Andere genetische Faktoren wie Polymorphismen in Zytokin- oder Zytokinrezeptorgenen sind wesentlich weniger streng mit der Empfänglichkeit oder Resistenz gegenüber Autoimmunkrankheiten verbunden. Andererseits sind z. B. genetische Defekte des Komplementsystems mit einem deutlich erhöhten Risiko von Autoimmunerkrankungen verbunden und eine Punktmutation in dem sog. AIRE-Transkriptionsfaktor führt zu dem autoimmunen Syndrom Polyendokrinopathie, Kandidiasis, ektodermale Dystrophie (APECED).
2.7.2
T-Zellen und B-Zellen (7 Kap. 2.1; 7 Kap. 2.2)
T- und B-Zellen können gegen eine praktisch unendliche Anzahl von Antigenen spezifisch reagieren, wobei ihre Immunantwort durch eine riesige Anzahl von antigenspezifischen Rezeptoren vermittelt wird. Jedes Individuum erbt ungefähr das gleiche Repertoire an Antigenrezeptor-Genen, die rekombiniert und als Eiweißmoleküle in zunächst unreifen Lymphozyten exprimiert werden. Für die T-Lymphozyten sind dies die auf der Zelloberfläche exprimierten T-Zell-Rezeptoren (TZR), für die B-Lymphozyten die ebenfalls auf der Oberfläche exprimierten B-Zell-Rezeptoren oder sezernierten Immunglobuline (Ig). Durch randomisiertes Rearrangieren verschiedener Gensegmente (V, D, J) und durch zufälliges Paaren verschiedener Proteinketten (α, β) entsteht eine Vielzahl von verschiedenen T- und B-Rezeptoren mit Spezifität für Selbst ebenso wie mit Spezifität für Nicht-
2.7 · Zusammenfassung: Pathogenese der Autoimmunkrankheiten
Selbst. Daraus folgt, daß die Diskriminierung des Immunsystems zwischen Selbst und Nicht-Selbst nicht genetisch angeboren ist, sondern somatisch »gelernt« werden muß (7 Kap. 2.1; 7 Kap. 2.2). Während ihrer Ausreifung durchlaufen T-Lymphozyten im Thymus und B-Lymphozyten im Knochenmark ein Stadium, in dem der Kontakt mit Antigen zur Toleranz führt. Unreife Lymphozytenklone, die gegen diese Selbst-Antigene reagieren, werden durch drei verschiedene Mechanismen beeinflußt: klonale Deletion (Elimination von autoreaktiven Zellklonen), klonale Anergie (Nichtansprechen von autoreaktiven Zellklonen) und klonale Ignoranz oder Suppression (funktionelle Hemmung zum Beispiel durch regulatorische Zellen). Im Thymus werden in medullären Epithelialzellen unter der Kontrolle von Transkriptionsfaktoren (z. B. »autoimmune regulator«, AIRE) Selbst-Antigene präsentiert, die sonst nur streng organspezifisch exprimiert werden (»immunological self shadow«). Diese ektope Expression von gewebespezifischen Proteinen spielt eine wichtige Rolle in der Prävention von Autoimmunität. Klone, die diesen Prozeß der zentralen Toleranz durchlaufen haben, sollten gegen Selbst-Antigene tolerant sein. Da aber nicht alle Selbst-Antigene in diesen zentralen Organen exprimiert werden und der Auswahlprozeß Lücken aufweist, gibt es die gleichen Toleranzmechanismen auch für reife Lymphozyten in peripheren Organen (periphere Toleranz, 7 Kap. 2.1.5; 7 Kap. 2.2) Es liegt auf der Hand, dass Störungen in diesen komplexen Prozessen auftreten, mit der Konsequenz, dass autoreaktive T- und B-Zellen bei jedem Menschen vorkommen. Die zentrale Rolle der T-Zellen in der Steuerung der Immunantwort legt auch eine zentrale Rolle bei Autoimmerkrankungen nahe und die Assoziation bestimmter HLA-Allele mit Autoimmunerkrankungen ist ein wichtiger Hinweis auf eine Beteiligung von T-Zellen an Autoimmunität. CD4+-T-Zellen sind eine der Hauptzellpopulationen in der entzündeten Synovialmembran bei Arthritiden, sie weisen zahlreiche Aktivierungsmarker auf und verwenden ein auffälliges T-Zell-Rezeptor-Repertoire. Auch die Tatsache, dass sich manche seltene Autoimmunsyndrome auf Mutationen einzelner Gene zurückführen lassen, die an Toleranzmechanismen von T-Zellen mitwirken, spricht für eine wesentliche Rolle der T-Zellen in der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen. Eine präzise Steuerung der T-Zell-Antwort ist notwendig, um zu verhindern, daß eine anfänglich physiologische Reaktion zu einer pathologischen Autoimmunantwort führt. Ein wichtiger Mechanismus ist dabei der programmierte Zelltod (Apoptose) antigenaktivierter Lymphozyten. Aktivierte T-Zellen exprimieren auf der Zelloberfläche einen Rezeptor (fas, CD95), über den durch einen Liganden (CD95L, fasL) Apoptose ausgelöst werden kann. Defekte in dieser Signaltransduktion führen zu einer ver-
65
minderten Elimination von potentiell selbstreaktiven TZellen und im Tiermodell zur Autoimmunkrankheit. Die optimale Aktivierung von T-Zellen erfordert neben der antigenspezifischen Interaktion des TZR mit dem Peptid-MHC-Komplex weitere antigenunspezifische kostimulatorische Signale. Diese werden durch molekulare Interaktionen zwischen Rezeptoren auf T-Zellen (besonders CD28 und CD152) und ihren Liganden auf antigenpräsentierenden Zellen (CD80 und CD86) ausgelöst. Antigene, die ohne ausreichende CD80/CD86-Kostimulation präsentiert werden, induzieren keine produktive Immunantwort, sondern Toleranz. Über diese kostimulatorischen Moleküle können experimentelle Autoimmunerkrankungen induziert und verstärkt werden, andererseits verhindert die Blockade der Kostimulation das Entstehen von Autoimmunität, ein Ansatz der auch schon Eingang in klinische Studien gefunden hat. Neben den oben angeführten Mechanismen der Toleranz sind auch regulatorische T-Zellen (Treg) für die Verhinderung von Autoimmunerkrankungen von Bedeutung. Treg –Zellen sind meist CD4+CD25+-T-Zellen, für ihre Entstehung ist der Transkriptionsfaktor Foxp3 von größter Bedeutung. Dementsprechend entwickeln Foxp3negative Mäuse eine tödliche autoimmune lymphoproliferative Erkrankung, und die Abwesenheit von Treg– Zellen verstärkt verschiedene experimentelle Autoimmunerkrankungen, während ihre Gabe die Entstehung verhindern kann. Auch B-Lymphozyten sind bei einem Teil der Autoimmunerkrankungen entscheidend an der Pathogenese beteiligt. Beispiele für Erkrankungen, bei denen von BZellen produzierte Autoantikörper den Organismus schädigen, sind systemischer Lupus erythematodes (SLE), immunhämolytische Anämien, idiopathische thrombozytopenische Purpura und Vaskulitiden. Beim SLE ist die Immunkomplexbildung aus Antikörpern und Antigen für die Glomerulonephritis verantwortlich, bei immunhämolytischen Anämien bewirkt die Beladung von Erythrozyten mit Autoantikörpern Phagozytyose und Lyse dieser Zellen mittels Komplementaktivierung. B-Zellen müssen ähnlich wie T-Zellen tolerant sein gegenüber Autoantigen. B-Zell-Toleranz für Autoantigen entsteht im Knochenmark, wo B-Zellen ausreifen, und in peripheren lymphatischen Organen durch die gleichen Mechanismen wie für T-Zellen (klonale Deletion und klonale Anergie). Unklar ist, welche Vorgänge die Toleranz von B-Zellen durchbrechen können und die Produktion von Autoantikörpern initiieren. Möglicherweise führen infektiöse Agenzien zu einer polyklonalen B-Zell-Aktivierung. Auch Störungen im Apoptosemechanismus und im Zytokinnetzwerk können von Bedeutung sein. Der Initialschritt in der Pathogenese von Autoimmunität könnte der direkte B- und T-Zell-Kontakt in der Peripherie sein. Hierbei präsentiert die B-Zelle ein Autoantigen und aktiviert damit erfolgreich eine naive, autoreaktive T-Zelle.
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Kapitel 2 · Grundlagen der Autoimmunität
Diese hilft dann naiven, autoreaktiven B-Zellen in lymphatischen Organen bei der Affinitätsreifung von Autoantikörpern und Umwandlung in Plasmazellen, die als Effektorzellen hochaffine Autoantikörper sezernieren. Alternativ werden die B-Zellen zu Gedächtniszellen, die langfristig die Autoreaktivität sichern können. Schließlich werden die B-Zellen weiter Autoantigen für T-Zellen präsentieren. Die hier geschilderten Mechanismen haben ein hohes Risiko der anhaltenden Amplifikation, solange Autoantigen zur Verfügung steht.
2.7.3
Infektionen und Autoimmunerkrankungen (7 Kap. 2.6)
In der Pathogenese von einigen Autoimmunerkrankungen spielen CD4+-T-Helfer-Zellen eine wesentliche Rolle. Diese T-Zellen erkennen mit ihrem variablen T-Zell-Rezeptor Peptide, die von antigenpräsentierenden Zellen in der Spalte von MHC-Molekülen präsentiert werden. Dadurch werden die T-Zellen bei ausreichender Kostimulation aktiviert und in die Lage versetzt, eine Immunantwort gegen das erkannte Peptid auszulösen. Ein bevorzugtes Modell, wie Autoimmunität ausgelöst werden kann, ist das der sogenannten molekularen Mimikrie: Infektiöse Pathogene aus unserer Umwelt aktivieren antigenspezifische Lymphozyten, die zufällig auch gegen ein körpereigenes Antigen kreuzreagieren. Neben T-Zellen mit sehr hoher Spezifität, die nur ein Peptid erkennen und entsprechend selten aktiviert werden, gibt es solche mit niedriger Spezifität, die durch unterschiedliche Peptide und damit häufig aktiviert werden. Diese T-Zellen sind potenziell kreuzreaktiv und könnten an der Auslösung von Autoimmunerkrankungen beteiligt sein. Auch sog. Superantigene könnten Autoimmunerkrankungen auslösen. Superantigene werden von Bakterien oder Viren produziert und aktivieren nach Präsentation durch ein MHC-Molekül T-Zellen, die verschiedene Antigenspezifitäten haben, aber ein gemeinsames Muster der Expression der Vß-Kette ihres TZR. Die breitgestreute Aktivierung kann damit auch T-Zellen einschließen, die gegen Selbstantigene reagieren. Die erhöhte Expression des humanen endogenen retroviralen HERV-K18-Superantigens in Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis weist auf diesen möglichen Zusammenhang hin. Infektionen können aber nicht nur Autoimmunerkrankungen auslösen, sondern eventuell auch vor ihnen schützen. Die in einigen Regionen bemerkenswerte Zunahme von ausgewählten Autoimmunerkrankungen bei paralleler Abnahme von Infektionskrankheiten und bekannte Migrationsdaten legen die Möglichkeit nahe, dass vor allem in der frühen Kindheit durchgemachte Infektionen einen präventiven Effekt haben. Andererseits wird aber immer wieder spekuliert, dass manche Autoimmunerkrankungen nichts anderes sind als prolongierte Infekti-
onen, bei denen das Immunsystem nicht in der Lage ist, die Erreger vollständig zu eliminieren.
2.7.4
Zytokine (7 Kap. 2.5)
Die von aktivierten Lymphozyten sezernierten Zytokine sind für die anhaltende Aktivierung verschiedenster immunkompetenter Zellen notwendig. Dabei werden von CD4+-T-Helfer-Zellen im wesentlichen zwei unterschiedliche Muster von Zytokinen sezerniert: TH1-Zellen produzieren proinflammatorische Zytokine wie Interferon-γ, Lymphotoxin-α und Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF-α), während TH2-Zellen für die Sekretion von antiinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-4 und Interleukin-10 verantwortlich sind. Da Entzündung ein Schlüsselaspekt von autoimmunen Erkrankungen ist, kann aus diesem Muster abgeleitet werden, daß TH1-Zellen vermehrt eine Rolle bei Auslösung und Progression von Autoimmunität spielen, während TH2-Zellen protektiv sind. Diese Hypothese läßt sich nur teilweise experimentell bestätigen, aber die überzeugenden klinischen Erfolge der TNF-Blockade bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen unterstreichen die Bedeutung dieses Konzepts. Auch die klinisch wirksame Blockade anderer proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin-1 und -6 bestätigt die Bedeutung der Zytokine in der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen.
2.7.5
Monozyten und Makrophagen (7 Kap. 2.3)
Bei der Entzündungsreaktion im Rahmen einer autoimmunen Reaktion spielen in der Endstrecke vor allem Makrophagen eine Rolle. Makrophagen produzieren pround antiinflammatorische Zytokine sowie Metalloproteasen, sie sind antigenpräsentierende Zellen und vermitteln antikörperabhängige Zytotoxizität. Zusätzlich können sie die Aktivierung von T-Zellen positiv oder negativ beeinflussen und stellen ein wesentliches Bindeglied zwischen dem angeborenen und erworbenen Immunsystem dar. Sie sind neben den Granulozyten die wesentlichen Mediatoren in der Endstrecke der Entzündung und damit auch für die Gewebedestruktion verantwortlich, viele klinisch erfolgreich eingesetzte Therapien vor allem bei entzündlichen Arthritiden zielen direkt auf die Effektorfunktionen von Makrophagen.
2.7.6
(Spekulatives) Fazit
Auch wenn unser Verständnis der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen in den letzten Jahren dramatische Fortschritte gemacht hat, so ist letztlich die Ursache prak-
2.7 · Zusammenfassung: Pathogenese der Autoimmunkrankheiten
tisch aller Autoimmunerkrankungen immer noch unklar. Nach dem derzeitigen Stand des Wissens ist davon auszugehen, dass unterschiedliche Autoimmunerkrankungen unterschiedliche Auslöser haben, und es ist sogar sehr gut denkbar, dass selbst eine klar definierte Erkrankung durch verschiedene Ursachen ausgelöst werden kann. Angesichts der vielfältigen Interaktionen und Regulationen, die an einer Immunantwort und damit auch einer möglichen Autoimmunreaktion beteiligt sind, kann man sich gut vorstellen, dass der »Einstieg« in pathogenetische Mechanismen an verschiedenen Stellen des Regelwerks erfolgen kann, dass aber die Endstrecke und damit die Manifestation der Erkrankung die gleiche ist. Vielleicht kann ein Agens auch in verschiedenen Autoimmunerkrankungen münden. Sicher aber reicht ein auslösendes Moment alleine nicht aus, vermutlich müssen mehrere Bedingungen zeitgleich oder konsekutiv zur Auslösung und Unterhaltung einer Autoimmunerkrankung erfüllt sein. Herausragend beteiligt sind dabei hereditäre Fehlregulationen auf unterschiedlichen Ebenen der Immunantwort, der Apoptose und der Abräumung apoptotischem Materials sowie Infektionen und hormonelle Faktoren. Wenn diese Überlegungen zutreffen, wird die Suche nach dem einen auslösenden Agens einer Autoimmunerkrankung in absehbarer Zukunft nicht von Erfolg gekrönt sein. Vor dem Hintergrund des gestiegenen pathogenetischen Verständnisses und der Verflechtung mit immunologischer Grundlagenforschung aber hat sich die Rheumatologie zu einem klinischen Fachgebiet mit hochaktuellen wissenschaftlichen Aspekten gewandelt. Darüber hinaus, und dies ist für den Patienten besonders wichtig, haben die dramatischen Fortschritte in der Grundlagenarbeit auch herausragende Verbesserungen in der Therapie nach sich gezogen.
Literatur Anderson MS, Venanzi ES, Chen Z, Berzins SP, Benoist C, Mathis D (2005) The cellular mechanism of Aire control of T cell tolerance. Immunity 23: 227–239 Feldman M, Steinman L (2005) Design of effective immunotherapy for human autoimmunity. Nature 435: 612–619 Sarvetnick, N, Ohashi PS (2003) Autoimmunity. Curr Opin Immunol 15: 647–650 Sicat J, Sutkowski N, Huber BT (2005) Expression of human endogenous retrovirus HERV-K18 superantigen is elevated in juvenile rheumatoid arthritis. J Rheumatol 32: 1821–1831
67
2
69
3.1 ·
Untersuchungstechniken S. Benseler, J. Brunner, T. Hospach, J. Kümmerle-Deschner, P. Winkler, M. Zieger
3.1
Körperliche Untersuchung
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6
Internistischer Befund – 70 Aktiver Funktionsstatus – 77 Passiver Funktionsstatus – 83 Gelenkschäden, Wachstums- und Gedeihstörungen Gesamtbeurteilung – 86 Lebensqualität – 86
Literatur
– 70
– 86
– 87
3.2
Labor
– 87
3.2.1 3.2.2
Laborparameter bei rheumatischen Erkrankungen – 88 Rationale Labordiagnostik bei einzelnen Krankheitsbildern:
Literatur
– 93
– 94
3.3
Bildgebende Verfahren
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5
Welche Untersuchungstechnik für welches Problem? – 95 Sonografie – 97 Röntgen – 107 Magnetresonanztomografie – 110 Integration der bildgebenden Diagnostik in ein diagnostisch-therapeutisches Gesamtkonzept – 126
Literatur
– 127
– 95
3
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
3.1
Körperliche Untersuchung
S. Benseler Die körperliche Untersuchung von Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen ist ein essenzieller Bestandteil der Diagnosestellung, des Aktivitätsmonitorings und der Beurteilung von Behandlungsergebnissen wie dem Erreichen einer Remission oder dem Auftreten eines Rezidivs. Die Standardisierung der Untersuchungstechniken in den kinderrheumatologischen Zentren macht die Vergleichbarkeit von spezifischen Erkrankungen zwischen einzelnen Patienten, zwischen Zentren und zwischen Ländern und Bevölkerungsgruppen möglich. In den letzten 10 Jahren wurden international große Anstrengungen unternommen, die Gesamtbeurteilung von Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen mit Hilfe einfacher Messinstrumente wie beispielsweise dem »American College of Rheumatology Pediatric Core Set« der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) durchzuführen (Giannini et al. 1997). Befunde der körperlichen Untersuchung gehen maßgeblich in diese Messinstrumente ein. Die Entwicklung dieser Instrumente ermöglichte erstmals die Durchführung der dringend benötigten Behandlungsstudien in der Kinderrhreumatologie. Dank der wohldurchdachten Konzepte vieler dieser Instrumente ist die Erfassung von komplexen Funktionseinheiten möglich. Die Childhood Myositis Assessment Scale (CMAS) beispielsweise ist eine einfache Testserie körperlicher Funktionen, die die Aktivitätsbeurteilung von kindlichen Myositiden standardisiert und die Beurteilung der körperlichen Funktionen der Kinder und Jugendlichen mit juveniler Dermatomyositis (JDM) und anderen Myositiden vereinfacht (Lovell et al. 1999). Die körperliche Untersuchung gleicht oft einem Detektivspiel, verborgene Befunde erweisen sich oftmals als außerordentlich wichtig. Das Erfassen dieser Befunde und die Deutung vor dem Hintergrund kinderrheumatologischer Erfahrung ermöglicht oftmals erst die korrekte Diagnosestellung. Die Komplexität der körperlichen Untersuchung ist maßgeblicher Teil der spannenden Herausforderungen der Kinderrheumatologie. Individuell hat jeder Kinderrheumatologe ein Schema, wie Kinder und Jugendliche mit rheumatischen Erkrankungen zu untersuchen und zu beurteilen sind. Das Alter der Patienten, die Schwere der Erkrankung und der zur Verfügung stehende Zeitrahmen für die körperliche Untersuchung beeinflussen unseren Ansatz. In diesem Kapitel soll die ganze Bandbreite der Untersuchungstechniken und deren Interpretation besprochen werden, wohl wissend, dass nicht alle Techniken bei allen Patienten im Alltag Anwendung finden können und müssen. ! Die Erfassung von »Kerndaten« bei der körperlichen Untersuchung wie beispielsweise die Anzahl der aktiven
Gelenke von JIA-Patienten ist jedoch ein Muss. Diese Kerndaten können in relativ kurzen Zeit gesammelt werden. Dieses Kapitel wirbt für die Verwendung von standardisierten Messinstrumenten, die diese Kerndaten interpretieren helfen und die Vergleichbarkeit von Patienten zwischen verschiedenen Behandlern ermöglichen.
Die Beurteilung des körperlichen Untersuchungsstatus beginnt während der Anamnese. Neben der Verhaltensbeobachtung kann im Gespräch mit der Familie ein grober Eindruck der kurrikulären und extrakurrikulären Aktivitäten des Patienten und des allgemeinen körperlichen Funktionsstatus gewonnen werden. Viele Behandler objektivieren diese Information, indem sie beispielsweise den Familien von JIA-Patienten oder den Patienten selbst den in deutscher Übersetzung verfügbaren Child Health Assessment Questionnaire (CHAQ) und/ oder den Child Health Questionnaire (CHQ) aushändigen (Foeldvari et al. 2001). Diese Lebensqualitätsfragebögen (7 Abschn. 3.1.6) erfassen unter anderem die Beeinträchtigungen bei der Teilnahme an Aktivitäten des täglichen Lebens. Die Beurteilung der körperlichen Funktion im Alltag der Patienten kann so in die Gesamtbeurteilung einbezogen werden. Dieses Wissen ist für die ganzheitliche Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen essenziell. Ein Schema für die körperliche Untersuchung, das vielfach Anwendung findet, unterscheidet die folgenden Bereiche: 5 internistischer Befund, 5 aktiver Funktionsstatus, 5 passiver Funktionsstatus, 5 Gesamtbeurteilung. Dieses Schema soll im Folgenden für die Diagnose der verschiedenen kinderrheumatologischen Erkrankungen angewandt werden. Viele Zentren verfügen bereits über spezifische, standardisierte Untersuchungsbögen oder nutzen die eigens für diese Zwecke entwickelte kinderrheumatologische Online-Datenbank des Arthritis und Rheumatologie Dokumentation- und Informationssystems (ARDIS) (www.medizin.uni-tuebingen.de/kinder/Abteilung_ I/Rheuma).
3.1.1
Internistischer Befund
Rheumatische Erkrankungen können eine Vielzahl von Organsystemen beeinträchtigen. Diskrete Befunde sind oftmals nicht vordergründig wichtig, doch ermöglichen sie nicht selten die Diagnosestellung. Es empfiehlt sich, einen Ansatz von »Kopf-bis-Fuß« (oder umgekehrt) zu wählen und so routiniert nach verborgenen Befunden zu forschen. Untersuchungen, die invasiver sind, wie beispielsweise die Ohrenspiegelung oder die Inspektion des
71
3.1 · Körperliche Untersuchung
Mund-Rachen-Raums sind bei kleinen, weniger kooperativen Patienten oftmals problematisch und müssen daher an das Ende der Untersuchung gestellt werden.
Allgemeinsymptome Allgemeinsymptome oder konstitutionelle Symptome sind bei der Diagnose rheumatischer Erkrankungen sehr häufig zu finden. Oftmals berichten die Familien von Abgeschlagenheit, erhöhtem Schlafbedarf, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Fieber oder subfebrile Temperaturen werden ebenfalls häufig genannt. Insbesondere neu aufgetretene Verhaltensauffälligkeiten, Schulprobleme und Veränderungen des Sozialverhaltens sind besorgniserregende Befunde. Nur selten können diese Allgemeinsymptome spezifischen Erkrankungen zugeordnet werden. Es empfiehlt sich jedoch, diese Befunde so gut wie nur möglich zu objektivieren und zu quantifizieren. Viele Kinderrheumatologen bitten die Familien, Fieberkalender zu führen sowie Hautausschläge oder Bauchschmerzen, die intermittierend auftreten können und deren Muster Hinweise auf die Grunderkrankung geben kann, zu dokumentieren. Gewichtsmessungen beim Kinderarzt, Einträge in das sog. Gelbe Heft und andere objektivierbare Befunde sind sehr hilfreich. Die Erfassung der Vitalparameter Größe, Gewicht, Temperatur, Atemfrequenz, Puls und Blutdruck ist unbedingt erforderlich. Fieber ist ein Begleitsymptom vieler rheumatischer Erkrankungen und deren Komplikationen wie beispielsweise Infektionen. Periodisches Fieber, das in regelmäßigen Abständen auftritt und eine fixe Dauer hat, findet sich in der Gruppe der periodischen Fiebersyndrome, die in 7 Kap. 11 eingehend besprochen werden. Intermittierend im Tagesverlauf auftretendes Fieber, das sich häufig mit hypothermen Episoden abwechselt, ist ein Charakteristikum der systemischen Verlaufsform der juvenilen idiopathischen Arthritis (SJIA). Häufig haben die Patienten zeitgleich einen lachsfarbenen Hautausschlag, der mit Abklingen des Fiebers verschwindet. Abgeschlagenheit und Schlafstörungen bedingen bei vielen Kindern und Jugendlichen häufiges Fehlen in der Schule. Manchmal erscheint den behandelnden Ärzten der körperliche Befund sehr diskrepant von der Häufigkeit des Fehlens in der Schule. Diese Diskrepanz findet sich nicht selten bei Kindern und Jugendlichen mit Schmerzverstärkungssyndromen. Es empfiehlt sich, bei diesen Patienten gezielt nach Befunden zu fahnden, die die Verdachtsdiagnose bestätigen helfen wie beispielsweise die typischen Schmerzpunkte an den Muskelansätzen. Schmerzverstärkungssyndrome treten gehäuft nach banalen Traumen oder viralen Infekten auf und führen neben langanhaltenden, starken Schmerzen oftmals zu charakteristischen Hautveränderungen, welche die begleitende Dysautonomie widerspiegeln.
Organmanifestionen rheumatischer Erkrankungen Systemische rheumatische Erkrankungen haben typische Organmanifestationen, die oftmals Bestandteil der Klassifikationskriterien für die einzelne Erkrankung sind. Die einzelnen Klassifikationskriterien werden in den spezifischen Buchkapitels besprochen. Neben den in den Klassifikationskriterien berücksichtigten häufigen klinischen Befunden sind andere weniger häufig, jedoch oftmals sehr spezifisch für eine bestimmte Erkrankung.
Untersuchung des Kopfes Zahlreiche Merkmale rheumatischer Erkrankungen finden sich am Kopf (. Tab. 3.1). Es empfiehlt sich, mit der Inspektion des Kopfes zu beginnen. Typische Fragen sind beispielsweise: 5 Gibt es Hautveränderungen wie eine livide Verfärbung um die Augen herum (JDM)? 5 Findet sich eine Schwellung der Lider (JDM)? 5 Ist das Auge selbst verändert (Uveitis, Synechien)? Konjunktivitis und konjunktivale Injektionen finden sich beidseitig bei der Kawasaki-Erkrankung oder dem SiccaSyndrom, bei letzterem bedingt durch die reduzierte Tränenproduktion, einseitig bei Uveitis oder Episkleritis. Anteroire Uveitiden, wie sie bei ANA-positiven Patienten beispielsweise mit oligoartikulärer JIA auftreten können, verursachen oftmals eine eher milde Konjunktivitis, verglichen mit der ausgeprägten Augenrötung bei HLA-B27positiven Patienten. Spaltlampenuntersuchungen können den Tyndall-Effekt der entzündlich veränderten Vorderkammer demonstrieren. Diese Untersuchung wird oftmals primär von den behandelnden Augenärzten durchgeführt. Das Testen der Pupillenreaktionen am Auge gibt Informationen über vorbestehende Uveitiden. Komplikationen am Auge nach Uveitiden sind Synechien, Entrundungen der Pupille, die durch Adhäsionen der Linse entstehen und die bei allen Entzündungen unter Mitbeteiligung der Vorderkammer auftreten können. Die Funduskopie ermöglicht die Beurteilung der intrakraniellen Druckverhältnisse, die beispielsweise bei SLE-Patienten mit Kopfschmerzen oder Patienten mit ZNS Vaskulitis pathologisch verändert sein können. Der Augenhintergrund kann außerdem hinsichtlich vaskulitischer Veränderungen der Retina untersucht werden, die detaillierte Beurteilung bleibt den Augenärzten überlassen. Die Gesichtshaut kann Hinweise auf das Vorliegen eines systemischen Lupus geben. Das Schmetterlingserythem ist eine rosa bis rötliche Verfärbung der Wangen, die typischerweise die Nase kreuzt und die Nasolabialfalten ausspart (. Abb. 3.1). Manchmal kann die Beurteilung schwierig sein: Kinder mit stärker pingmentierter Haut haben eher eine Blässe oder Hypopigmentierung im Bereich des Schmetterlingserythems als eine Rötung. Einige Patienten haben
3
72
1
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Tab. 3.1. Symptome im Bereich des Kopfes bei rheumatischen Erkrankungen Organsystem
Befund
Assoziierte Erkrankungen
ZNS
Schwere Kopfschmerzen
Vaskulitiden (cPACNS, sekundäre Vaskulitis, SLE) Gefäßthrombosen (z. B. Sinusvenenthrombose bei SLE, Antiphospholipid-Syndrome)
Diffuse neurokognitive Defizite (Psychose), fokale neurologische Defizite (Krampfanfälle, zentrale Lähmungen)
Vaskulitiden (cPACNS, PAN, SLE) Gefäßverschlüsse mit Parenchymischämie (AntiphospholipidSyndrome, SLE) Parenchymentzuendung (SLE, andere)
Uveitis
6
ANA-positive JIA und andere ANA-positive Erkrankungen, HBLB27-positive Erkrankungen
Episkleritis (schmerzhaft)
7
SLE, JIA, Spondyloarthropathie, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, rheumatisches Fieber, SPAN (Read et al. 1999)
Synechien (Pupille ist entrundet)
ANA-positive JIA und andere ANA-positive Erkrankungen, HLAB27-positive Erkrankungen
8
Lilac-Zeichen, periorbitale Schwellung
JDM
Trockene Augen (Schirmer-Test)
Sicca- bei Sjögren-Syndrom, SLE und anderen Erkrankungen
Ulzera/Hyperämie
SLE, M. Behçet
Deformität (Sattelnase)
Wegener-Granulomatose, Polychondritis
Chronische Sinusitis
Wegener-Granulomatose, Churg-Strauss-Syndrom
Ulzera/Hyperämie
SLE, M. Behçet
12
Fehlende Tonsillen
Immundefekt
Pominente Papillen/Himbeerzunge
Kawasaki Erkrankung, SJIA
13
Karies
Sicca-/Sjögren-Syndrom
Reduzierte Mundöffnung
JIA: Polyarthritis
Schmetterlingserythem
SLE, medikamenteninduzierter SLE, MCTD
Amimie
Systemische Sklerodermie
»en coup de sabre«
Morphea
Papulöser Ausschlag
SLE
Chronische Otitis
WG, Churg-Strauss-Syndrom
Lymphadenopathie
SLE, SJIA, TRAPS, andere
Submandibuläre Schwellung, Parotisschwellung
Sicca-Syndrom
Strömungsgeräusche
Takayasu-Arteriitis, SPAN, andere Vaskulitiden
Schluckstörungen
JDM, Sicca-Syndrom
2 3 4 5
9
Augen
Nase
10 11
14
Mund
Gesichtshaut
15 16 17 18 19
Ohren
Hals
20 21 22 23
nur eine sehr milde Rötung, allerdings eine deutlich veränderte Hauttextur im Bereich des Schmetterlingserythems. Bei Jugendlichen findet sich oftmals eine ausgeprägte Akne in der Lokalisation. Bei vielen Kindern ist das Schmetterlingserythem photosensitiv, d. h., es wird bei Sonnenbestrahlung schlechter. Hautulzerationen können auftreten (Benseler u. Silverman 2005).
Neben der Haut ist die Beurteilung des Beweglichkeit der mimischen Muskulatur von großer Bedeutung. Hinweise für kraniale Nervenlähmungen bei zentralen Vaskulitiden und Hautfibrose bei systemischer Sklerodermie sind auf diese Weise zu gewinnen. Eine besondere Form der Hautveränderung ist die Coup-de-sabre-Läsion der Morphea (. Abb. 3.2). Es handelt sich um eine fibrosierende, lineare Hautläsion, die oftmals zu ausgeprägten
3.1 · Körperliche Untersuchung
73
. Abb. 3.1. Schmetterlingserythem eines 14-jährigen Jungen mit SLE
. Abb. 3.3. Wegener-Granulomatose. Sattelnasendeformität bei einem 15-jährigen Patienten
. Abb. 3.2. Coup-de-sabre-Läsion bei Morphea
kosmetischen Problemen führt. Die Tiefe der Läsion sollte weiter untersucht werden. Gesichtschirurgische Interventionen sind im Verlauf oftmals notwendig. Die Nase ist das Fenster zur Lunge, was insbesondere für pulmonale Vaskulitiden sehr hilfreich ist. Patienten mit Wegener-Granulomatose (WG) haben oftmals chronische Sinusitiden, die Nase selbst ist entzündlich verändert. Nasenbluten und eitriger Schnupfen bedingt durch Superinfektionen treten häufig auf. Nasenscheidewanddefekte können bei allen rheumatischen Erkrankungen vorkommen (Avcin et al. 2005). Die für die WG typische Sattelnase (. Abb. 3.3) ist Zeichen der fortschreitenden chronischen Entzündung und Destruktion. Patienten mit SLE haben sehr häufig Ulzerationen im Bereich der Nasenschleimhäute. Sie sind Teil der SLE-ACR-Klassifikationskriterien. Der Mund ist ebenfalls Spiegel vieler rheumatischer Erkrankungen. Hochrote, oftmals trockene Lippen sind ein Diagnosekriterium der Kawasaki-Erkrankung. Orale
. Abb. 3.4. Orale Ulzerationen am harten Gaumen bei einer SLE-Patientin . Diese weisslichen Schleinhautulzerationen sind in der Regel schmerzlos und werden erst bei der Inspektion des Mundes entdeckt.
Ulzerationen treten bei einer Vielzahl von Erkrankungen auf: Bei Patienten mit M. Behçet sind diese Ulzera sehr tief, stark schmerzhaft und wirken wie ausgestanzt. Sie verheilen narbig. Patienten mit SLE haben typischerweise schmerzlose Ulzera am harten Gaumen, die ohne Narbenbildung verheilen (. Abb. 3.4). Ulzera können natürlich einfach Zeichen einer viralen Infektion eines immunsuppremierten Patienten sein. Eine nichtinfektiöse, inflammatorische Pharyngitis findet sich gehäuft bei Patienten mit SJIA.
3
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
Patienten mit Anti-Ro-/Anti-La-Antikörpern, die bei vielen Kollagenosen auftreten können, haben oftmals einen reduzierten Speichelfluss, was zum verstärkten Auftreten von Karies führt. Drüsenschwellungen sind ebenfalls bei diesen Patienten häufig zu finden. Zervikale Lymphadenopathie findet sich bei vielen rheumatischen Erkrankungen. Sie kann Teil der Diagnosekriterien sein (Kawasaki, SLE). Deutlich vergrößerte, schmerzhafte Lymphknoten bei Patienten mit SLE eröffnen die Differenzialdiagnose: Infektion versus Inflammation (SLE, Kikuchi-Erkrankung). Eine Reihe von periodischen Fiebersyndromen ist durch eine ausgeprägte Lymphadenopathie gekennzeichnet. Malignome sind selbstverständlich ebenfalls immer ein Teil der Differenzialdiagnose. Strömungsgeräusche sind am Hals und an den Schläfen am einfachsten nachweisbar. Sie sollten Teil der körperlichen Untersuchung bei Verdacht auf Vaskulitis und insbesondere Takayasu-Arteriitis sein.
. Tab. 3.2. Symptome im Bereich des Thorax und Abdomens bei rheumatischen Erkrankungen Organsystem
Befund
Assoziierte Erkrankungen
Lungen
Chronischer Husten, Pneumonie
Vaskulitiden: WG, CSS, SLE, andere Sklerodermie
Lungen
Hämoptysis
Vaskulitiden: WG, CSS, mPA, SLE, andere
Pleuritischer Schmerz
SLE, andere
Abgeschlagenheit, Myokarditis, Koronararteriitis
Vaskulitiden: Kawasaki, andere Sklerodermie, andere
Perikarditis
SLE, SJIA, andere
Hepatomegalie, Splenomegalie
SJIA, SLE, andere
Bauchschmerzen
FMF Vaskulitis (SchönleinHenoch-Purpura, andere)
Tenesmen, Blut im Stuhl
Vaskulitis (SchönleinHenoch-Purpura, andere), entzündliche Darmerkrankungen
Strömungsgeräusche
Vaskulitis
Herz
Abdomen
Untersuchung des Rumpfes Die Serositis der Thoraxorgane Herz und Lungen ist deutlich schmerzhaft und findet sich bei rund 20% der pädiatrischen SLE-Patienten (Benseler u. Silverman 2005), aber auch bei anderen Kollagenosen. Typische Symptome sind ein oftmals beidseits basal abgeschwächtes Atemgeräusch, der atemabhänginge Schmerz bei Pleuritis sowie Zeichen der Einflussstauung und retrosternaler Schmerz bei Perikarditis. Der Nachweis eines perikardialen Reibens beim sitzenden Patienten ist vom Ausmaß des Perikardergusses abhängig. Je geringer die Ergussmenge, umso wahrscheinlicher das Reiben. Ausgedehnte Ergüsse haben einen paradoxen Halsvenenpuls und eine geringe Blutdruckamplituden, allerdings kein Perikardreiben. Eine Myokarditis und/oder Kardiomyopathie kann bei langandauernden Kollagenosen auftreten und ist oftmals mit einer schlechten Prognose der Patienten verbunden. Die klinische Untersuchung ist nicht sehr sensitiv für diese Diagnose. Die Patienten fühlen sich insgesamt unwohl und abgeschlagen, die Blutdruckamplitude ist niedrig, oftmals besteht eine Tachykardie und Hepatomegalie. Patienten mit lang bestehenden rheumatischen Erkrankungen sollten jährliche Echokardiografien zum Ausschluss einer Kardiomyopathie haben. Akute Myokarditiden können ebenfalls bei einer Vielzahl von Kollagenosen und Vaskulitiden wie beispielsweise der KawasakiErkrankung auftreten. Die Lungen sind regelhafter Manifestationsort der Vaskulitiden (. Tab. 3.2). Die Entzündung der Lungengefäße kann klinisch unterschiedliche Symptome hervorrufen. Die meisten Patienten haben Husten. Bei Kapillaritis oder erosiven Granulomen der Lungen präsentieren sich die Patienten mit Hämoptyse, die bei Progredienz oft lebensbedrohlich ist. Die klinische Untersuchung sollte die Schwere der Lungenerkrankung abschätzen. Hat der Pati-
ent eine Tachypnoe? Ist die periphere Sauerstoffsättigung normal? Benutzt er die Atemhilfsmuskulatur? Bei Patienten mit schwerer Diffusionsstörung und basaler Fibrose (MCTD, Sklerodermie) können diese Veränderungen oftmals über lange Zeit aufgrund des minimalen Hustens verborgen bleiben. Die körperliche Untersuchung muss diese diskreten Veränderungen aufdecken. Bauchschmerzen finden sich bei vielen Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen. Die Lokalisation des Bauchschmerz kann bei der differenzialdiagnostischen Abklärung hilfreich sein: Hepatomegalie und Splenomegalie führen zu einem Spannungsschmerz der Organkapsel und zum Bauchschmerz in den oberen Quadranten. Der Gallenblasenhydrops bei der KawasakiErkrankung führt ebenfalls zu rechtsseitigen Oberbauchschmerzen. Periumbilikale Schmerzen sind Symptome, die durch Prozesse des Darmes oder der darmassoziierten Lymphknoten bedingt sind. Diese treten typischerweise bei gastrointestinalen Vaskulitiden (Henoch-Schönlein-Purpura, SPAN) oder durch Transportstörungen infolge intestinaler Wandverdickungen (JDM, Sklerodermie) auf. Tenesmen
75
3.1 · Körperliche Untersuchung
und blutige Stühle sollten erfragt werden. Entzündungen der Nieren wie beispielsweise Glomerulonephritiden oder andere renale Vaskulitiden haben oftmals keinerlei abdominelle Symptome zur Folge. Sie sind einzig durch den Urinbefund und die Blutdruckmessung nachweisbar. Der Aszites bei SLE-Patienten mit Serositis ist ebenfalls oftmals klinisch asymptomatisch.
Untersuchung der Haut Hautveränderungen liefern wichtige Hinweise im Prozess der klinischen Untersuchung. Sie ermöglichen oftmals bereits die Diagnosestellung (. Tab. 3.3). Kinder mit Schönlein-Henoch-Pupura haben ein palpables Exanthem an den Beinen, Füßen und oftmals am Gesäß. Histologisch findet sich eine kutane Vaskulitis mit Extravasat von Erythrozyten. Die Haut ist stark geschwol-
. Tab. 3.3. Symptome im Bereich der Haut, Nägel und peripheren Nerven bei rheumatischen Erkrankungen Organsystem
Befund
Assoziierte Erkrankungen
Haut
Polymorphes Exanthem
Kawasaki, andere
transiente lachsfarbende Exantheme
SJIA (oftmals im Fieberschub)
Noduläre Exantheme
SPAN, andere Vaskulitis (schmerzhaft) Rheumaknoten bei RF und JIA (schmerzlos)
Plaques
Psoriasis (Kopfhaut, Ellenbogen, Knie, Bauchnabel)
Photosensitives Exanthem
SLE (Arme, Gesicht)
Gottron-Papeln
JDM (Fingergelenke, Knie, Ellenbogen)
Ödem/Fibrose
Morphea, wenn ödematös/fibrotisch Linear (Dermatome) oder Plaques Sklerodermie (systemisch)
Palpable Purpura
Schönlein-Henoch-Purpura
Petechien
SLE, andere
Vaskulitisches Exanthem
SLE, andere
Livedo
Vaskulitis
Trombophlebitis
M. Behçet (oftmals Wadenschmerz), andere
Hand-/Fußschwellung, Schuppung
Kawasaki
Kalzinose
JDM
Dysautonomiemerkmale (livide Hautfärbung, Schweiß)
Schmerzverstärkungssyndrome Fibromyalgie
Pathergie
M. Behçet
Nägel
Dystrophische Störungen
Sklerodermie, JDM, viele andere
Nagelbett
Hyperämie, Rarefizierung
JDM, SLE, andere
Haare
Haarausfall
Systemische Erkrankungen, SLE
Nerven
Neuritis multiplex
Vaskulitis: SPAN, kutane PAN, CSS SLE, JDM, MCTD, Sklerodermie
3
76
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Abb. 3.5. Hautvaskulitis bei einer 16jährigen Patientin mit SLE
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len, nicht selten findet sich ein begleitender Sprunggelenkerguss. Viele Kinder und Jugendliche mit rheumatischen Erkrankungen haben einen vaskulitischen Hautausschlag. Bei Patienten mit SLE ist er typischerweise an den Fingen und Zehen lokalisisert (. Abb. 3.5). Die Vaskulitis der Hautgefäße ist typischerweise eine leukozytoklastische Vaskulitis mit Nachweis von Leukozyten in der Gefäßwand und perivaskulär. Oberflächliche Hautbiopsien sind oftmals nutzlos, da spezifische Befunde nicht nachweisbar sind. Tiefe Hautbiopsien schließen mittelgroße Gefäße ein. Hier sind typische Veränderungen wie beispielsweise fokale/segmentale Nekrosen der PAN nachweisbar. Subkutane Hautknoten, die geschwollen, gerötet und oftmals stark schmerzhaft sind, finden sich bei kutaner und sytemischer PAN und anderen Vaskulitiden der mittleren Gefäße sowie bei einer Vielzahl nicht rheumatischer Entzündungskrankheiten (Erythema nodosum). Neben einer kutanen oder subkutanen Vaskulitis kann auch die Pannikulitis, die fokale Entzündung des subkutanen Fettgewebes, eine noduläre Entzündungsreaktion der Haut zur Folge haben. Treten diese Knoten an den Streckseiten der Arme und Beine auf und sind schmerzlos, so handelt es sich typischerweise um Rheumaknoten oder Granulomata anularia. Typische plaqueförmige Hautläsionen finden sich bei Morphea bzw. zirkumskripter Sklerodermie (. Abb. 3.6) und Psoriasis. Die Morphealäsionen können in ihrer Verteilung einem Hautdermatom folgen. Dann bezeichnet man die Erkrankung als lineare Morphea. Läsionen bei zirkumskripter Sklerodermie können alle Schichten der Haut, der Subkutis, der Muskeln und Gelenke sowie Knochen betreffen. Nach einer ödematös entzündlichen Phase entwickelt sich im Verlauf eine Fibrose mit oftmals signifikanter kosmetischer Beeinträchtigung.
. Abb. 3.6. Plaqueförmige Hautläsionen bei Morphea
Die Schuppenflechte (Psoriasis) hat typische Hautläsionen und kann mit einer spezifischen Form des kindlichen Rheumas, der Psoriasisarthritis, assoziiert sein. Die Psoriasisläsionen sind typischerweise über den Ellenbogen, Knien und um den Bauchnabel herum lokalisiert. Gottron-Papeln sind Hautläsionen über den Fingergelenken, Knien und Ellenbogen. Sie sind ein Charakteristikum der Dermatomyositis (. Abb. 3.7). Neben Gottron-Papeln findet sich bei einigen JDM-Patienten mit über Jahre persistierender Entzündungsaktivität eine ausgeprägte Kalzinose und begleitende Entzündungsreaktion der Haut. Livedo reticularis bezeichnet die netzartige Prominenz der Venen der unteren Extremität, die sich bei einer Vielzahl von rheumatischen Erkrankungen nachweisen lässt. Typischerweise findet man die Livedo bei Vaskulitispatienten mit SPAN oder hypokomplementämischer urtikarieller Vaskulitis. Sie ist Teil der SPAN-Klassifika-
3.1 · Körperliche Untersuchung
77
. Abb. 3.7. Hautläsionen bei Dermatomyositis: Gottron-Papeln
tionskriterien (Dillon u. Ozen 2006). Patienten mit SLE und Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern haben ebenfalls oftmals eine Livedo reticularis. Eine Entzündung der Venen (Thrombophlebitis) mit begleitendem Wadenschmerz kann ein Hinweis auf das Vorliegen eines Morbus Behçet sein. Ein besonderes Augenmerk gilt den Nägeln und dem Nagelbett. Für die Dermatomyositis konnte gezeigt werden, dass Nagelbettveränderungen wie die Rarifizierung und die vermehrte Schlängelung der Gefäße sowie der Nachweis von Punktblutungen (Drop-outs) mit der Erkrankungsaktivität eng korreliert sind. Die Inspektion des Nagelbetts mit Hilfe des Otoskops ist ein einfacher nichtinvasiver Test (. Abb. 3.8), der regelhaft durchgeführt werden sollte.
3.1.2
. Abb. 3.8. Nagelbettveränderungen bei juveniler Dermatomyositis. Gefäßrarifizierung, vermehrte Gefäßschlängelung und Nachweis von Punktblutungen (Drop-outs)
Aktiver Funktionsstatus
Die Haltung des Patienten, die spontanen Bewegungsmuster und die Ausführung einfacher Übungen geben weitreichende Hinweise über die Lokalisation, das Ausmaß und die Schwere der individuellen körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen. Im Folgenden sollen Funktionseinschränkungen bei Arthritis und Myositis separat betrachtet werden, wohl wissend, dass sie im Alltag häufig gemeinsam auftreten können.
Patienten mit Arthritis Die Entzündung der Gelenkinnenhäute (Synovitis) und die damit verbundene erhöhte Produktion von Gelenkflüssigkeit führt zur Reduktion des Bewegungsspielraums eines Gelenks. Die betroffenen Gelenke sind oftmals sichtbar geschwollen. Ein Gelenkerguss ist nachweisbar. Die Gelenkkonturen sind verstrichen. Gelenkschmerzen hin-
gegen sind ein sehr uneinheitlicher Befund bei Kindern mit Arthritis (Malleson et al. 2004). Kinder wollen spielen. In der Regel versuchen die Patienten, die beinträchtigte Gelenkfunktion zu umgehen und haben bereits rasch neue Bewegungsabläufe gelernt, die das betroffene Gelenk schonen. Manchmal vermeiden sie schlicht die Nutzung der betroffenen Extremität. Der aktive Funktionsstatus erfasst die Bewegungsabläufe des Kindes. Es ist oft hilfreich, ein Schema für die aktive Beweglichkeit der Gelenke anzuwenden. Im Prinzip ist es wichtig, alle Gelenke in ihrer aktiven Beweglichkeit zu erfassen. Das in . Abb. 3.9 und . Abb. 3.10 dargestellte Kopf-bis-Fuß-Schema kann dabei nützlich sein. Oftmals ist das »Vorturnen« durch den behandelnden Arzt hilfreich. Der aktive Funktionsstatus gibt sehr gute Hinweise auf die Lokalisation und das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung. Es ist jedoch festzustellen, dass
3
78
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
1 2 3 4
c a
5 6 7 8
b
9
. Abb. 3.9a–d. Beurteilung der aktiven Beweglichkeit der oberen Extremität. a Flexion/Extension der Handgelenke, b kleine Faust, große Faust und Spreitzen der Finger, c Beugen/Strecken der Ellenbogen; außerdem Pronation/Supination der Hände bei gebeugten Ellenbogen (nicht abgebildet); d Extension und Abduktion der Schultergelenke bei gestreckten Ellenbogen, Rotation bei gebeugten Ellenbogen
10
. Abb. 3.10a–c. Beurteilung der aktiven Beweglichkeit der unteren Extremität. a Sprungelenke: Flexion, Extension, Pronation und Supination der Spruggelenke im Liegen und Sprunggelenksbeweglichkeit beim stehenden Patienten. b Knie: Extension in Rückenlage bei angewinkeltem kontralateralen Kniegelenk, Knieflexion in Bauchlage. c Hüften: Rotation, Abduktion, Extension und Flexion (im Uhrzeigersinn)
11 12 13 14 15
a
16 17 18
b
19 20 21 22 23
d
c
79
3.1 · Körperliche Untersuchung
nicht nur Synovitiden zur Funktionsbeeinträchtigung von Gelenkgruppen führen. Manchmal sind die Gelenke nicht primär entzündet. Die Funktionsminderung kann andere Ursachen haben: 5 die Entzündung und Schwäche der gelenkumspannenden Muskeln (Myositis); 5 die entzündliche Veränderung der Sehnen (Tendinitis), Bursen (Bursitis), des Gelenkknorpels (Enchondritis), des Knochens oder der Sehenansatzpunkte (Enthesitis); 5 die schmerzbedingte Beeinträchtigung der Muskeln und Sehnen (»tender points«) aufgrund eines alterierten Schmerzkreislaufes bei Fibromyalgie. Die Differenzierung der Ursachen für die eingeschränkte Gelenkfunktion sowie die Erfassung des Ausmaßes der Beeinträchtigung und der Schwere des jeweiligen zugrunde liegenden Prozesses ist Ziel und Aufgabe der Erhebung des aktiven Funktionsstatus.
»Kopf-bis-Fuß-Schema« der aktiven Funktionstestung Kopf und Hals Bei der aktiven Untersuchung der Gelenkfunktion von Kopf und Hals stehen das Kiefergelenk und Gelenke der Halswirbelsäule im Mittelpunkt: Akute Entzündungen des Kiefergelenks führen zur schmerzhaft reduzierten Mundöffnung. Oftmals wird im 3-Finger-Versuch getestet, ob der Patient den Mund 3 Finger breit öffnen kann und eben diese 3 Finger vertikal in den Mund stecken kann. Chronische Kiefergelenkentzündungen führen neben der geminderten Mundöffnung zur Asymmetrie des Unterkiefers. Beim Öffnen des Mundes macht der Unterkiefer eine Kurvenbewegung zur betroffenen Seite. Die Öffnung ist nicht mehr symmetrisch (. Abb. 3.11). Lässt man den Patienten den Kopf nach hinten neigen, so ist oftmals eine Verkürzung oder Verschmächtigung der betroffenen Unterkieferseite erkennbar. Die chronische Kiefergelenkentzündung beeinträchtigt das Wachtum des Unterkiefers. Bei beidseitger Kiefergelenkarthritis entwickeln die Patienten eine Retro- oder Mikrognathie. Die kosmetischen Folgen der Kiefergelenkentzündung sind weitreichend. Die frühzeitige Erkennung einer Kiefergelenkbeteiligung ist daher sehr wichtig (Twilt et al. 2004). Die Gelenke der Halswirbelsäule können insbesondere bei rheumafaktorpositiver juveniler idiopathischer Arthritis und bei Spondylarthropathie betroffen sein. Diese Patienten tragen das Risiko einer möglichen atlantoaxialen Subluxation (Laiho et al. 2002). Die Einschränkung der Halswirbelsäulenbeweglichkeit ist zum Glück nur selten durch zervikale Gelenkveränderungen bedingt. Muskuläre Irritationen sind deutlich häufiger der Grund für die eingeschränkte Halsbeweglichkeit. Nichtsdestotrotz erfordert der Befund der eingeschränkten Beweg-
. Abb. 3.11. Kiefergelenkarthritis bei polyartikulärer JIA. Der Unterkiefer weicht zur betroffenen Seite hin aus
lichkeit des Halses bei einem Kind oder Jugendlichen mit Rheuma eine weitere Abklärung.
Obere Extremität Das Schultergelenk ist im Rahmen der polyartikulären JIA häufig betroffen. Bei der aktiven Funktionstestung sollte man die Patienten bitten, sich mit beiden Händen zuerst an den Nacken und dann an den Rücken zu fassen. Nun bittet man die Patienten, mit den Händen den Rücken heraufzuklettern, so weit es nur geht. Schultergelenkbeteiligungen sind insbesondere bei asymmetrischer Schwere des Befalls anhand der finalen Höhe der Hände auf dem Rücken abschätzbar. Kinder mit schwerer Schultergelenkarthritis können den Nacken nicht oder nur einseitig berühren. Die Abduktion der Schulter wird durch das Anheben und Hochstrecken der Arme »so weit es nur geht« getestet. Die Schultergelenkrotation kann bei an den Körper gepressten Oberarmen abgeschätzt werden. Wir bitten die Patienten, zu klatschen und dann an beiden Seiten für das nächste Klatschen so weit wie nur möglich auszuholen. Der Radius des Ausholens ist ein gutes Maß für die Rotationsfunktion des Schultergelenks, die bei Schultergelenkarthritis oftmals initial gemindert ist. Das Ellenbogengelenk kann bei Kindern mit polyoder oligoartikulärer JIA oft unerkannt betroffen sein. Kinder sind in der Lage, die fehlende Beweglichkeit des
3
80
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
Ellenbogens mit der Schulter zu kompensieren. Zur aktiven Funktionsbeurteilung des Ellenbogens bittet man die Patienten, aus der gestreckten Position der Arme kommend die Schultern mit den Handflächen zu berühren. Defizite der Ellenbogenfunktion bei Arthritis führen oftmals zu hartnäckigen Beugekontrakturen, die nur schwer physiotherapeutisch kontrollierbar sind. Die frühzeitige Erkennung einer Ellenbogenarthritis ist daher sehr wichtig. Die Rotation des Unterarmes durch eine Schraubbewegung der Hand testet die Funktion des Radioulnargelenkes und sollte Teil der Untersuchung sein. Der Verlust dieser Funktion ist im Alltag schwerwiegend. Das Handgelenk kann bei am Körper fixiertem Oberarm und gebeugtem Ellenbogen einfach untersucht werden. Die dorsale und palmare Flexion sollte ebenso wie die Ab- und Adduktion überprüft werden. Die Handgelenkarthritis ist ein außerordentlich häufiger Befund mit weitreichenden Folgen wie beispielsweise Problemen beim Schreiben in der Schule (. Abb. 3.12). Die Fingergelenke werden in ihrer Funktion durch das Bilden einer Faust – im Kinderrheumajargon auch »große Faust« genannt – und dem isolierten Beugen der proximalen und distalen Fingergelenke unter Streckung der Metacarpalgelenke (»kleine Faust«) getestet. So kann ein erster Eindruck von der Schwere und Lokalisation der beeinträchtigten Fingergelenkfunktion gewonnen werden. Häufig bitten wir die Patienten zudem, die Hand mit ausgestreckten Fingen auf eine glatte Oberfläche zu legen, um einen Eindruck von fixierten Beugekontraktionen zu bekommen
Untere Extremität Bei der aktiven Untersuchung der Gelenkfunktion der unteren Extremität stehen die folgenden Gelenke im Mittelpunkt: Das Hüftgelenk ist insbesondere bei systemischer JIA, aber auch im Rahmen der polyartikulären JIA häufig betroffen. Die Funktionstestung des Hüftgelenks umfasst das Beugen von Knie und Hüfte beim auf dem Rücken liegenden Patienten sowie die Drehung und die Abduktion des gestreckten Beines. Bittet man den Patienten, sich auf den Bauch zu drehen, so kann auch die Hüftgelenkextension durch Anheben des gestreckten Beines getestet werden. Diese Funktionsprüfungen sind oftmals nicht exakt, da alle Tests durch die Funktion der angrenzenden Strukturen (Knie, Becken) beeinflusst werden können. Insbesondere die aktive Funktionstestung der Hüfte hat klare Limitationen. Die aktive Funktionstestung des Kniegelenks bei auf dem Bauch liegendem Patienten umfasst die maximale Beugung des Knies und Berührung des Gesäßes bei guter Funktion. Die Kniegelenkstreckung ist oftmals schwer objektivierbar, man bittet den Patienten um maximale Kniestreckung und beobachtet das Anheben der Ferse von der Oberfläche. Zur aktiven Funktionstestung der Sprunggelenke bittet man den Patienten, die Füße weitmöglichst im Sprunggelenk auszustrecken, zu beugen und zu pronieren und supinieren. Jedes Kind hat eine individuelle Fähigkeit, diese Übungen zu absolvieren. Zusätzliche Informationen über die Fußgelenke erhalten wir vom Zehenspitzengang und Hackengang. Schwere Funktionseinschränkungen, die diese Übungen unmöglich machen, sowie deutliche Seitenunterschiede sind von großer Bedeutung für die Beurteilung des Patienten.
. Abb. 3.12. Handgelenkarthritis bei polyartikulärer JIA. Handgelenkerguss links
81
3.1 · Körperliche Untersuchung
Die aktive Funktionsanalyse der Fußgelenke ist oftmals auf das Einrollen der Zehen und das Strecken der Zehen beschränkt. Vergleichbar der Faustbildung können so Zehenfunktionseinschränkungen einfach entdeckt werden. Hacken- und Zehenspitzengang testen ebenfalls die Zehengelenke.
Patienten mit Myositis Kinder mit entzündlichen Muskelerkrankungen haben typischerweise eine lokale oder generalisierte Muskelschwäche. Die aktive Funktionstestung der Muskelgruppen ist sehr hilfreich im Prozess der Diagnosestellung. Die klinische Untersuchung kann beispielsweise den Ort für eine erfolgreiche Muskelbiopsie festlegen. Im Erkrankungsverlauf ist die wiederholte Funktionstestung oftmals der beste Parameter der Beurteilung von Therapieerfolg versus Wiederaufflammen der Myositis. Die europäischen und nordamerikanischen Myositisarbeitsgruppen haben in den vergangenen Jahre eine standardisierte Testbatterie für Kinder und Jugendliche mit entzündlichen Myositiden entwickelt und validiert (Pilkington et al. 2005). Nicht alle liegen in deutscher Übersetzung vor.
! Für die Dermatomyositis wird international die Childhood Myositis Assessment Scale (CMAS) verwandt (Huber et al. 2004, Lovell et al. 1999). Die CMAS ist eine detaillierte Funktionsprüfung aller Muskelgruppen mittels komplexer Übungen (. Tab. 3.4). Diese untersucherunterstützte aktive Funktionsprüfung erlaubt die Quantifizierung der muskulären Beeinträchtigung und die Verlaufsbeobachtung. Detaillierte Anweisungen, wie die verschiedenen Manöver durchgeführt und beurteilt werden sollten, finden sich auf der Webseite des American College of Rheumatology (www.rheumatology.org/publications/ar/1999).
Die europäische PRINTO-Arbeitsgruppe hat eine Myositisinstrument entwickelt, das die Erkrankungsaktiviät und das Ausmaß des permanentem Funktionsverlust bei Kindern und Jugendlichen mit JDM quantifiziert (Ruperto et al. 2003). Dieses »JDM core set« beinhaltet neben der Messung der Muskelenzyme den körperlichen Untersuchungsbefund der Muskelschwäche.
. Tab. 3.4. Childhood Myositis Assessment Scale (CMAS). Ermittelt werden Zeit in Sekunden und/oder Score Anheben des Kopfes im Liegen und Halten des gehobenen Kopfes
1. 0
Nicht möglich
1
1–9 Sekunden
2
10–29 Sekunden
3
30–59 Sekunden
4
60–119 Sekunden
5
≥120 Sekunden
0
Anheben des Beines auf der Liege liegend nicht möglich
1
Anheben des Beines möglich, aber Objekt kann nicht berührt werden
2
Anheben des Beines möglich; Objekt kann berührt werden
0
Nicht möglich
1
1–9 Sekunden
2
10–29 Sekunden
3
30–59 Sekunden
2.
Anheben des Beines im Liegen und Berühren einen Objektes in 50 cm Höhe
3.
Anheben und Halten des gestreckten Beines/Zeitdauer
4
60–119 Sekunden
5
≥120 Sekunden
4.
Drehen von der Rücken- in die Bauchlage mit vor dem Brustkorb gebeugten Armen, dann Befreien der unter dem Körper gefangen Arme und volle Bauchlage
0
Insgesamt nicht möglich, Drehen nur mit großen Schwierigkeiten möglich, kein Befreien der Armen in Bauchlage möglich
1
Drehung in die Bauchlage möglich; Befreien der Armen nicht vollständig möglich, keine vollständinge Bauchlage
2
Drehung in die Bauchlage möglich, Befreien der Arme mit leichten Schwierigkeiten möglich, vollständinge Bauchlage möglich
5.
Sit-ups: Aufsitzen aus der Rückenlage (für jede Übung gilt: möglich = 1, nicht möglich = 0 (Maximalscore = 6) 1/0
Hände auf die Oberschenkel, Füße sind fixiert (durch Untersucher)
1/0
Hände und Arme über der Brust gekreuzt, Füße sind fixiert
1/0
Hände in den Nacken, Füße sind fixiert
1/0
Hände auf die Oberschenkel, Füße sind nicht fixiert
3
82
1
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Tab. 3.4. Fortsetzung
2
1/0
Hände und Arme über der Brust gekreuzt, Füße sind nicht fixiert
1/0
Hände in den Nacken, Füße sind nicht fixiert
6.
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Aufsitzen aus der Rückenlage
0
Nicht selbständig möglich
1
Deutliche Schwierigkeiten, sehr langsame Bewegungen, fast nicht selbstständig möglich
2
Geringe Schwierigkeiten, etwas verlangsamte Bewegungen, mit Anstrengung ist Aufsitzen selbstständig möglich
3
Keine Schwierigkeiten
7.
Anheben der Arme und Ausstrecken über dem Kopf 0
Kein Anheben der Handgelenke möglich
1
Anheben der Handgelenke möglich, Handgelenke können auf die Höhe der Schultern gehoben werden, jedoch nicht über den Kopf
2
Handgelenke können über den Kopf gehoben werden, jedoch keine volle Streckung der Ellenbogen möglich
3
Volle Streckung der über den Kopf gehobenen Arme möglich
8.
Anheben und Halten der über dem Kopf ausgestreckten Arme
0
Nicht möglich
1
1–9 Sekunden
2
10–29 Sekunden
3
30–59 Sekunden
4
60–119 Sekunden
5
≥120 Sekunden
9.
Aufstehen aus am Boden sitzender Position
0
Nicht möglich; Kind zu ängstlich, um es zu versuchen, selbst wenn ein Stuhl als Hilfsmittel erlaubt ist; Kind fürchtet oftmals, dass es sich beim Versuch aufzustehen verletzen wird
1
Deutliche Schwierigkeiten; Aufstehen möglich, wenn ein Stuhl als Hilfsmittel benutzt wird. Kein Aufstehen ohne die Hilfe des Stuhles möglich
2
Geringe Schwierigkeiten, Aufstehen ohne Zuhilfenahme des Stuhls möglich, jedoch einige Probleme während des Aufstehens, verlangsamt und sehr vorsichtig
3
Keine Schwierigkeiten, keine Ausgleichsbewegungen notwendig
10.
Vierfüßerstand
14
0
Kein Aufrichten in den Vierfüßerstand aus der Bauchlage möglich
1
15
Mit großen Schwierigkeiten beim Aufrichten in den Vierfüßerstand aus der Bauchlage möglich, Position kann kaum gehalten werden
2
Kann Vierfüßerstand halten, Rücken ist gestreckt und Kopf kann angehoben werden, jedoch keine Vorwärtsbewegung möglich
3
Kann Vierfüßerstand halten, Kopf ist angehoben, Vorwärtsbewegung möglich
4
Bei ausgestrecktem Bein im Vierfüßerstand kann die Balance gehalten werden
16 17 18 19 20 21 22 23
11.
Aufstehen aus der knieenden Position
0
Nicht möglich, selbst wenn ein Stuhl als Hilfsmittel erlaubt ist
1
Deutliche Schwierigkeiten; Aufstehen möglich, wenn ein Stuhl als Hilfsmittel benutzt wird. Kein Aufstehen ohne die Hilfe des Stuhles möglich
2
Mäßige Schwierigkeiten, Aufstehen möglich, ohne Zuhilfenahme des Stuhls, richtet sich mit Hilfe der auf dem Boden oder den Oberschenkeln abgestützten Hände auf; Aufrichten nicht ohne Abstützen der Hände möglich
3
Geringe Schwierigkeiten. Kein Abstützen notwendig, jedoch leichte Probleme beim Aufrichten
4
Keine Schwierigkeiten
12.
Vom Stuhl aufstehen
0
Kein Aufstehen vom Stuhl möglich, selbst wenn das Abstützen auf den Lehnen erlaubt ist
1
Deutliche Schwierigkeiten; Aufstehen möglich, wenn das Abstützen auf den Lehnen/Seiten erlaubt ist. Kein Aufstehen ohne Abstützen auf den Oberschenkeln möglich
2
Mäßige Schwierigkeiten. Aufstehen möglich, wenn das Abstützen auf den Oberschenkeln erlaubt ist. Lehnen/Seiten des Stuhles werden zum Aufstehen nicht benötigt
3
Geringe Schwierigkeiten. Aufstehen möglich, kein Abstützen nötig, leichte Probleme
83
3.1 · Körperliche Untersuchung
. Tab. 3.4. Fortsetzung 13.
Auf Stufen/Fußhocker steigen
0
Nicht möglich
1
Deutliche Schwierigkeiten, Stufensteigen möglich, jedoch Abstützen mit einer Hand auf der Liege oder der Hand des Untersuchers nötig
2
Mäßige Schwierigkeiten. Stufensteigen möglich, kein Abstützen mit einer Hand auf der Liege oder der Hand des Untersuchers nötig, jedoch Abstützen auf Oberschenkeln
3
Stufensteigen möglich, kein Abstützen notwendig
14.
Aufheben von Gegenständen vom Fußboden
0
Nicht in der Lage, sich vorzubeugen und einen Stift vom Fußboden aufzuheben
1
Deutliche Schwierigkeiten. Aufheben des Stifts möglich, jedoch deutliches Abstützen auf Oberschenkeln notwendig
2
Mäßige Schwierigkeiten. Aufheben des Stifts möglich, jedoch kurzes Abstützen auf Oberschenkeln notwendig; verlangsamt
3
Keine Schwierigkeiten, keine Ausgleichsbewegungen notwendig
3.1.3
Passiver Funktionsstatus
Patienten mit Arthritis Der passive Funktionsstatus der Gelenke von Kindern und Jugendlichen mit Arthritis wird auf der Basis der Neutralnullmethode ermittelt. Die Gelenke werden hierbei einzeln in ihren Bewegungsdimensionen bewegt, der maximale Bewegungsradius wird gemessen und das Funktionsdefizit dokumentiert. Dieser Ansatz ist notwendig, wenn Patienten erstmals in der Sprechstunde vorgestellt werden. Neben der Messung der Gelenkbeweglichkeit müssen zwei weitere Kriterien eines arthritischen Gelenks untersucht und dokumentiert werden: Gelenkerguss und Gelenkschmerz.
Aktive und schmerzhafte Gelenke, »Joint-Count« Gemäß den international gültigen Aktivitätsbeurteilungskriterien ist ein Gelenk dann ein aktiv entzündetes Gelenk (»active joint«), wenn die folgenden Merkmale nachweisbar sind: Nachweis von Gelenkschwellung und/oder Gelenkerguss oder der Nachweis von 2 der 3 folgenden Merkmale: 5 Überwärmung des Gelenkes 5 eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit 5 Gelenkschmerz oder schmerzhafte Gelenkbeweglichkeit (»tender joints«) Die passiven Bewegungsumfangsmessung nach der Neutralnullmethode ist sehr zeitaufwendig. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Reproduzierbarkeit der Messungen limitiert ist (Guzman et al. 1995). Die Konstanz der Befunde zwischen zwei Untersuchern ist ebenfalls gering. Aus diesen Gründen gehen viele Ambulanzen dazu über, die exakte Gelenkfunktionsausmessung ausschließlich bei Erstvorstellung des Patienten durchzuführen, um so die Zahl und Verteilung der betroffenen Gelenke und damit die Diagnose des Patienten festlegen zu können. Die exakte Messung wird in den meisten Zentren nach 6 Mona-
ten wiederholt, denn zu diesem Zeitpunkt sollte die Diagnose des Patienten gemäß den Kriterien der International League of Rheumatology (ILAR) endgültig bestätigt sein. Zur Verlaufbeobachtung ist es notwendig, die Anzahl der aktiven Gelenke (»active joint count«) und die Anzahl der schmerzhaften Gelenke (»tender joint count«) zu ermitteln und zu dokumentieren. Diese Zahlen erlauben einen Rückschluss auf den Erkrankungsverlauf und auf das jeweilige Therapieansprechen. Sie erlauben zudem den Vergleich des individuellen Patienten mit den in der Literatur berichteten klinischen Verläufen vergleichbarer Patienten in Therapiestudien.
Gelenkergüsse Die Festlegung, ob ein Gelenkerguss vorhanden ist oder nicht, kann im Einzelfall schwierig und für manche Gelenke schlicht unmöglich sein. Die Untersuchung der Kiefergelenke beispielsweise liefert oftmals nur indirekte Hinweise auf das Vorliegen eines Gelenkergusses (Deviation des Unterkiefers bei Mundöffnung). Die Gelenke der Extremitäten sind der Untersuchung gut zugänglich. Eine Ausnahme bildet das Hüftgelenk. Hier tritt die Ultraschalluntersuchung an die Stelle der klinischen Untersuchung zur Beurteilung von Gelenkergüssen. Das Kniegelenk ist das am häufigsten von entzündete Gelenk bei JIA. Das kranialwärts Streichen und Poolen des Gelenkergusses und die anschließende kaudale Bewegung nennt man das »Ballzeichen«. Ein Flüssigkeitsball erscheint am seitlichen Unterrand der Kniescheibe. Diese Technik ist sensitiver als die »tanzende Patella« und ermöglicht die Bestätigung kleinerer Kniegelenkergüsse (. Abb. 3.13).
Patienten mit Myositis Die Messung der Muskelkraft ist ein essenzieller Bestandteil der Untersuchung und Beurteilung von Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen. Üblicherweise werden mindestens 5 Muskelgruppen untersucht: Die Halsmuskeln, die Schultergürtelmuskulatur,
3
84
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
Patienten mit eingeschränkter Gelenkfunktion ohne Nachweis von Arthritis
1
Wenn bei der aktiven Funktionsprüfung eine eingeschränkte Funktion eines Gelenks festgestellt wird, ist dies nicht zwangsläufig mit der Diagnose »Arthritis« gleichzusetzen. Wie weiter oben dargestellt, gilt die Diagnose »aktive Arthritis« nur dann als bestätigt, wenn wir am betroffenen Gelenk eine Schwellung und/oder einen Erguss nachweisen oder 2 von 3 Merkmalen präsent sind: die Überwärmung des Gelenkes, die eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit, der Gelenkschmerz oder die schmerzhafte Gelenkbeweglichkeit. Dieser Nachweis gelingt nicht immer. Wir wissen, das die Entzündung anderer gelenknaher Strukturen zu arthritisähnlichen Symptomen führen kann. Diese Erkrankungen sollen im Folgenden besprochen werden.
2 3 4 5 6 7 8
Enthesitis
9 10 11
. Abb. 3.13. Kniegelenkarthritis bei oligoartikulärer JIA
12 13 14 15 16
die Griffstärke der Hand, die Beckengürtelmuskulatur, die Fußheber/-senker. Diese orientierenden Untersuchungen sollten bei Myositis- und Dermatomyositispatienten auf alle Muskelgruppen ausgedehnt werden. Die Beurteilung der jeweiligen Muskelkraft erfolgt unter Zuhilfenahme der Oxford-Muskelkraft-Messungsskala (. Tab. 3.5). Neben der Skelettmuskulatur der Extremitäten sollten bei diesen Patienten die mimische Muskulatur und die Schlundmuskel untersucht werden.
Die Enthesitis ist die Entzündung des Sehnenansatzes am Knochen. Diese Entzündung ist oftmals stark schmerzhaft und führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betroffenen Patienten. Typische Lokalisationen für die Enthesitis bei Kindern und Jugendlichen mit enthesitisassozierter Arthritis (ERA) sind der Achillessehnenansatz (. Abb. 3.14), die Ansätze der plantaren Faszie der Füße und die Muskelsehnenansätze am Knie (bei 2, 6 und 10 Uhr plus Tuberositas tibiae). Enthesitis ist ein typischer Befund bei einer Reihe anderer Erkrankungen wie der ankylosierenden Spondylitis, den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, der Psoriasisarthritis und der Gruppe der reaktiven Arthritiden. Die Diagnose »Enthesitis« muss demnach die Suche nach Symptomen der genannten Erkrankungen zur Folge haben.
Tendinitis Die Entzündung der Sehnen ist ein häufiges Merkmal bei Kindern mit Finger- und Handgelenks betonter polyar-
17 18
. Tab. 3.5. Oxford-Muskelkraftmessung
19
Maximale Fähigkeit der Muskelgruppe
Score
Keine Kontraktionen der Muskulatur sichtbar
0
Einzelne Kontraktionen, jedoch keine koordinierte Bewegung
1
Aktive Bewegung (nicht gegen Schwerkraft)
2
Aktive Bewegung gegen Schwerkraft
3
Volle Muskelkraft bei aktiver Bewegung gegen geringen Widerstand
4
Volle Muskelkraft bei aktiver Bewegung gegen starken Widerstand
5
20 21 22 23
. Abb. 3.14. Enthesitis der Achillessehne bei einem 12-jährigen Jungen mit Spondylarthropathie
85
3.1 · Körperliche Untersuchung
tikulärer JIA. Merkmal der Tendinitis sind die geschwollenen Handinnenflächen der Patienten. Bei Fixierung der Handfläche mit einem Finger spürt der Untersucher die Bewegung der Flüssigkeit in den Sehnenscheiden, wenn der Patient die Finger beugt und streckt. Die Unterscheidung der Tendinitis von der Arthritis ist bei Kenntniss der Anatomie der Hand nicht schwierig. Tendinitiden treten ebenfalls gehäuft im Bereich des Sprunggelenks auf. Die körperliche Untersuchung muss die Beurteilung der Sehnen einschließen.
Schmerzpunkte (»Tender-Points«) bei Schmerzverstärkungssyndromen Kinder und Jugendliche mit lokalen, regionalen oder systemischen Schmerzverstärkungssyndromen haben oft eine deutliche eingeschränkte Beweglichkeit der untersuchten Gelenke. Die Bewegung der Gelenke ist schmerzhaft, eine Arthritis findet sich jedoch nicht. Schmerzpunkte definieren klare umgrenzte Gebiete erhöhter Schmerzwahrnehmung (. Abb. 3.15) (Okifuji et al. 1997). Die Diagnose Fibromyalgie beim Erwachsenen ist dann gegeben, wenn die Patienten mehr als 3 Monate bestehende generalisierte Schmerzen haben und sich bei der Untersuchung mindestens 11 von 18 Schmerzpunkte nachweisen lassen. Es ist . Abb. 3.15. Schmerzpunkte beim Schmerzverstärkungssyndrom. Für jeden positiven Schmerzpunkt wird ein Punkt vergeben, die kursiv beschriebenen Bereiche dienen als Kontrollpunkte. Die Diagnose Schmerzverstärkungssyndrom gilt als bestätigt bei 11 von 18 Punkten
Stirnmitte
1_______
Suboccipitale Muskelansätze Trapezius: Mitte des Muskeloberrandes Supraspinatus: Medialer Rand Scapula Glutealmuskeln: lat., oberer Quadrant Untere HWS: C5-C7 anteriorer Aspekt 2. Rippe: Kostochondraler Uebergang Lateraler Epicondilus Rechter Unterarm: 1. → 2. Drittel Linker Daumennagel Trochanter major Anteromediales Kniegelenks
Schmerzpunktscore
_____/18
rechts 2______ 4______ 6______ 8______ 10_____ 12_____ 14_____ 16_____ 18______ 20______
links 3_____ 5_____ 7_____ 9_____ 11____ 13____ 15____ 17____ 19_____ 21_____
Kontrollpunktscore
_____/3
3
86
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
sehr wichtig, die definierten Kontrollpunkte ebenfalls zu untersuchen, die schmerzlos sein müssen. Die Diagnose Schmerzverstärkungssyndrom ist bei Kindern und Jugendlichen oftmals schwierig zu stellen. Eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit findet sich bei vielen rheumatischen Erkrankungen. Patienten mit SLE haben z. B. nahezu regelhaft eine erhöhte Schmerzempfinding und positive Tender-Points, wenn sie über mehrere Wochen mit hochdosierten Steroiden behandelt worden sind.
5 die Kontrakturen, Gelenkfehlstellungen und der permanente Funktonsverlust von Gelenken; 5 kosmetische Probleme wie beispielsweise die Mikrognathie bei Kiefergelenkarthritis; 5 Synechien bei persistierender Uveitis (. Abb. 3.16). Darüber hinaus können Kinder und Jugendliche zahlreiche therapiebedingte Langzeitschäden entwickeln, die in den einzelnen Buchkapitel diskutiert werden.
3.1.5 3.1.4
Gelenkschäden, Wachstums- und Gedeihstörungen
Neben den akuten Gelenkveränderungen sollte die körperliche Untersuchung die chronische Gelenkveränderungen und Wachstumstörungen sowie Deformitäten erfassen. Das Ausmaß dieser Veränderungen hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab: das Alter des Patienten bei Erkrankungsbeginn, die Dauer der Erkrankung, die Kontrolle der Entzündungsaktivität im Erkrankungsverlauf und der Erkrankungstyp. Rheumafaktorpositive JIA-Patienten haben beispielsweise oftmals eine rasch destruierende Arthritis, wohingegen bei vielen Patienten mit oligoartikulärer JIA im gleichen Zeitraum geringe oder keine Zeichen der Gelenkdestruktion nachweisbar sind. Typische erkrankungsbedingte Langzeitschäden von JIA-Patienten sind 5 die Beinlängendifferenz bei Kniegelenkarthritis, die diagnostiziert, exakt quantifiziert und ausgeglichen werden muss, um Langzeitprobleme der angrenzenden Gelenke zu vermeiden; 5 der Kleinwuchs bei systemischen rheumatischen Erkrankungen; 5 die Gedeihstörung, die vor allem durch eine Proteinenergiemalnutrition bei hoher entzündlicher Aktivität entstehen kann;
17 18
Gesamtbeurteilung
Der Umfang dieses Kapitels beweist, dass die körperliche Untersuchung von Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen komplex ist. Nichtsdestotrotz ist es notwendig, für den einzelnen Patienten und den spezifischen Untersuchungszeitpunkt anhand der dargestellten Techniken eine Gesamtbeurteilung zu erarbeiten. Die verschiedenen Messinstrumente versuchen, diese Aufgabe für die behandelnden Ärzte zu vereinfachen. Allerdings steht kein optimales, globales Messinstrument zur Verfügung. Jedes einzelne Instrument wurde mit einer spezifischen Zielsetzung/Fragestellung entwickelt. In Therapiesstudien wird oftmals von einer globalen Einschätzung der Erkrankungsaktivität berichtet. Diese Einschätzung kann sowohl vom behandelnden Arzt als auch von der Familie oder dem Patienten selbst stammen. Typischerweise wird hierbei eine visuelle Analogskala (VAS) verwandt. Diese Skala bildet das gesamte Spektrum der möglichen Erkrankungsaktivität eines Patienten ab – von sehr gering bis maximal erhöht. Die horizontale Markierung auf der Skala reflektiert die Einschätzung der Erkrankungsaktivität zum Zeitpunkt der Untersuchung. Diese Skalen existieren ebenfalls für die Einschätzung anderer krankheitsassoziierter Konstrukte wie beispielsweise das Ausmaß irreparabler Schäden durch die Erkrankung. Die VAS haben viele Schwächen. Die Autoren großer Studien messen ihnen aber eine gleichwertige Bedeutung wie Laborwerten oder den »active joint counts« zu. Es empfiehlt sich daher, sich mit der VAS als Mittel der Gesamtbewertung von Patienten vertraut zu machen.
19 3.1.6
20 21 22 23 . Abb. 3.16. Synechien bei chronischer Uveitis und JIA
Lebensqualität
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist ein theoretisches Konstrukt, welches versucht, den Einfluss von Krankheiten auf den Lebensalltag und die resultierenden Veränderungen der Qualität des Lebensalltags zu messen. Die Weltgesundheitsorganisation definiert gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen als das Ergebnis der Interaktion vieler Faktoren, wie der Körperfunktion und Struktur, der Aktivität, der Teilnah-
87
3.2 · Labor
me und der sozialen Integration des Patienen, sowie verschiedener Umweltfaktoren und Persönlichkeitsmerkmale (Lollar u. Simeonsson 2005). In vielen aktuellen kinderrheumatologischen Studien wird die Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität als wichtigstes Ergebnis nach Interventionen jeglicher Art analysiert. Zwei Messinstrumente haben sich international in der Kinderrheumatologie zur Beurteilung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durchgesetzt: Der Child Health Assessment Questionnaire (CHAQ) und der Child Health Questionnaire (CHQ) (Foeldvari et al. 2001). Darüber hinaus findet der PedsQL in kinderrheumatologischen Zentren zunehmend Anwendung (Varni et al. 2002). Im Praxisalltag können diese Messinstrumente außerordentlich hilfreich sein, denn sie erlauben uns die individuelle gesundheitsbezogene Lebensqualität in die Gesamtbeurteilung des Patienten zu integrieren.
Pilkington CA, Wedderburn LR (2005) Pädiatric idiopathic inflammatory muscle disease: recognition and management. Drugs 65: 1355– 1365 Read RW, Weiss AH, Sherry DD (1999) Episcleritis in childhood. Ophthalmology 106: 2377–2379 Ruperto N, Ravelli A, Murray KJ et al. (2003) Preliminary core sets of measures for disease activity and damage assessment in juvenile systemic lupus erythematosus and juvenile dermatomyositis. Rheumatology (Oxford) 42: 1452–1459 Twilt M, Mobers SM, Arends LR, ten Cate R, van Suijlekom-Smit L (2004) Temporomandibular involvement in juvenile idiopathic arthritis. J Rheumatol 31: 1418–1422 Varni JW, Seid M, Smith Knight T, Burwinkle T, Brown J, Szer IS (2002) The PedsQL in pediatric rheumatology: reliability, validity, and responsiveness of the Pediatric Quality of Life Inventory Generic Core Scales and Rheumatology Module. Arthritis Rheum 46: 714– 725
3.2
Labor
J. Brunner, T. Hospach, J. Kümmerle-Deschner
Literatur Avcin T, Silverman ED, Forte V, Schneider R (2005) Nasal septal perforation: a novel clinical manifestation of systemic juvenile idiopathic arthritis/adult onset still’s disease. J Rheumatol 32: 2429–2431 Benseler SM, Silverman ED (2005) Systemic lupus erythematosus. Pediatr Clin North Am 52: 443–467 Foeldvari I, Ruperto N, Dressler F et al. (2001) The German version of the Childhood Health Assessment Questionnaire (CHAQ) and the Child Health Questionnaire (CHQ). Clin Exp Rheumatol 19 (Suppl 23): S71–75 Dillon MJ, Ozen S (2006) A new international classification of childhood vasculitis. Pediatr Nephrol 21: 1219–1222 Giannini EH, Ruperto N, Ravelli A, Lovell DJ, Felson DT, Martini A (1997) Preliminary definition of improvement in juvenile arthritis. Arthritis Rheum 40: 1202–1209 Guzman J, Burgos-Vargas R, Duarte-Salazar C, Gomez-Mora P (1995) Reliability of the articular examination in children with juvenile rheumatoid arthritis: interobserver agreement and sources of disagreement. J Rheumatol 22: 2331–2336 Huber AM, Feldman BM, Rennebohm RM et al. (2004) Validation and clinical significance of the Childhood Myositis Assessment Scale for assessment of muscle function in the juvenile idiopathic inflammatory myopathies. Arthritis Rheum 50: 1595–1603 Laiho K, Savolainen A, Kautiainen H, Kekki P, Kauppi M (2002) The cervical spine in juvenile chronic arthritis. Spine J 2: 89–94 Lollar DJ, Simeonsson RJ (2005) Diagnosis to function: classification for children and youths. J Dev Behav Pediatr 26 (4): 323–330 Lovell DJ, Lindsley CB, Rennebohm RM (1999) Development of validated disease activity and damage indices for the juvenile idiopathic inflammatory myopathies. II. The Childhood Myositis Assessment Scale (CMAS): a quantitative tool for the evaluation of muscle function. The Juvenile Dermatomyositis Disease Activity Collaborative Study Group. Arthritis Rheum 42: 2213–2219 Malleson PN, Oen K, Cabral DA, Petty RE, Rosenberg AM, Cheang M (2004) Predictors of pain in children with established juvenile rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 51: 222–227 Okifuji A, Turk DC, Sinclair JD, Starz TW, Marcus DA (1997) A standardized manual tender point survey. I. Development and determination of a threshold point for the identification of positive tender points in fibromyalgia syndrome. J Rheumatol 24: 377–383
Bei den meisten rheumatischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter handelt es sich um Autoimmunopathien, also um chronisch-inflammatorische Prozesse auf der Basis einer Reaktion des Immunsystems gegen den eigenen Organismus. Dabei kommt es häufig zur Bildung diagnostisch relevanter Autoantikörper und zur Aktivierung von antigenspezifischen T-Zellen. Die Autoantikörper sind das augenscheinlichste Merkmal des Autoimmunprozesses; sie korrelieren bei einigen Autoimmunopathien mit der Krankheitsaktivität und können als Verlaufsparameter für den intraindividuellen Vergleich herangezogen werden. Ein positiver Antikörperbefund ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Vorliegen einer Autoimmunopathie. Für die Interpretation und Therapieentscheidung ist die klinische Ausgangslage entscheidend. Dabei kann die hohe Spezifität einiger Autoantikörper die Zuordnung zu einem Krankheitsbild erleichtern. Die Autoantikörper sind polyklonalen Ursprungs und überwiegend der IgGKlasse zuzuordnen. Labortechnisch sind die wichtigsten Methoden zum Nachweis von Autoantikörpern der indirekte Immunfluoreszenztest (IIF, z. B. an Hep2-Zellen), die radiale Immundiffusion, die Komplementbindungsreaktion, der ELISA (enzyme-linked immuno-sorbent assay) und Western-Blot-Untersuchungen. Die Diagnose von rheumatischen Erkrankungen ist immer eine Ausschlussdiagnose. Da potenziell sämtliche Organe betroffen sein können, ist eine umfassende Labordiagnostik erforderlich, basierend auf Anamnese inklusive Familienanamnese und klinischem Status. Die Labordiagnostik umfasst neben Untersuchungen zur ätiopathogenetischen Zuordnung die Bestimmung der Krankheitsaktivität und die Verlaufsbeurteilung unter der Therapie.
3
88
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
Laborparameter bei rheumatischen Erkrankungen
1
3.2.1
2
Basislabor
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Das Blutbild erlaubt das Erkennen einer durch die Entzündungsreaktion ausgelösten Anämie. Das Differenzialblutbild erkennt die durch Bildung von Zytokinen (Interleukin 3, G-CSF, GM-CSF) verursachte Leukozytose. Eine Vermehrung der Thrombozyten ist Ausdruck der chronischen Entzündung. Eine fehlende Thrombozytose (pseudonormale Werte) nach längerer Krankheitsdauer kann auf eine maligne Erkrankung oder ein Makrophagenaktivierungssyndrom hinweisen. Zum Nachweis einer Dysproteinämie stellt die Eiweißelektrophorese eine Ergänzung dar. Dabei kommt es bei entzündlichen Prozessen zu einer Vermehrung der α1und α2-Fraktion und zur Vermehrung der Gammaglobuline. Leber-/Nierenwerte, die alkalische Phosphatase (AP) sowie die Kreatinkinase (CK) können Hinweis auf eine muskuläre und/oder systemische Erkrankung sein. Insbesondere ist hier auch eine Nierenbeteiligung (Hämaturie/ Proteinurie) abzuklären. Im Rahmen der Ausschlussdiagnostik muss an primäre Knochen- und Knorpelerkrankungen, aber auch an infektiöse und infektassoziierte Erkrankungen gedacht werden (. Tab. 3.6). Bestehen geringste Zweifel am Vorliegen einer chronisch-entzündlichen Erkrankung, sollte insbesondere vor einer Kortisontherapie großzügig eine Knochenmarkpunktion durchgeführt werden. Harnsäure und LDH können auf eine maligne Erkrankung hinweisen, Normalwerte schließen diese selbstverständlich nicht aus.
15
Entzündungsparameter Akute-Phase-Proteine sind Plasmaproteine, die bei Inflammation ansteigen und deshalb hilfreiche Parameter zur Beurteilung der Entzündungsaktivität darstellen. Darunter werden das α1-Antitrypsin und α2-Makroglobulin sowie das C-reaktive Protein (CRP) und ggf. das Serumamyloid A (SAA) subsumiert. 5 Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit: Die Messung der BSG ist ein unspezfischer Parameter zur Evaluierung der Entzündungsaktivität und deren Verlauf. Eine Anämie, eine Hypalbuminämie sowie seltener auch Kontrazeptiva können zu einer Beschleunigung führen. 5 C-reaktives Protein: Die Synthese des CRP wird durch Zytokine, insbesondere durch IL-6 reguliert. Erhöhungen findet man bei bakteriellen und viralen Infektionen, immunologisch bedingten Entzündungen, aber auch bei Malignomen oder Verletzungen bzw. postoperativ. Bei sämtlichen rheumatischen Erkrankungen kann dieser Wert erhöht sein. 5 Serumimmunglobuline: Die quantitative Immunglobulinbestimmung (IgM, IgG und IgA) ermöglicht die Beurteilung von Immunglobulinmangelzuständen. Diese sind mit einigen Autoimmunerkrankungen (z. B. Kollagenosen) assoziiert. Ebenso sind medikamentös induzierte IgA-Mangelzustände beschrieben (z. B. durch NSAR). Eine Erhöhung des IgD und oft IgA findet sich beim Hyper-IgD-Syndrom; IgA ist bei den IgA-mediierten Erkrankungen wie der Purpura Schönlein-Henoch erhöht (50%) (Yalcindag et al. 2001). 5 Serumamyloid A: Die SAA-Proteine sind eine polymorphe Familie, die vom Chromosom 11 kodiert und von Hepatozyten unter Kontrolle von IL-1, IL6 und TNF-α produziert werden. SAA ist ein Vor-
16 . Tab. 3.6. Infektassoziierte Erkrankungen
17
Klinischer Verdacht
Erreger
Kultur
Reaktive Arthritis, Reiter-Syndrom
Shigellen
+
18 19 20
Yersinien
+
Salmonellen
+
Campylobacter jejuni
+
Chlamydia trachomatis
21
Serologischer Ak-Nachweis
+
Mykoplasmen
+ +
22
Rheumatisches Fieber, Poststreptokokkenarthritis
β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A
+
+
23
Lyme-Arthritis
Borrelia burgdorferi
(+)
+
Brucellose
Brucella melitensis
+
+
89
3.2 · Labor
läufer des Amyloid-A-Proteins, das die Fibrillen bei der reaktiven systemischen Amyloidose bildet. Der bei 0,3 mg/dl liegende Normalwert kann über das 1000fache ansteigen. Es gibt Hinweise, dass eine SAA-Erhöhung auf eine latente Entzündung hinweist. Damit ist das SAA ein interessanter Parameter zu interepisodischen Evaluation des Entzündungsgeschehens bei den periodischen Fiebersyndromen. Darüber hinaus wird auf eine Assoziation zur Amyloidose hingewiesen.
Histone SM-Antigen DNS (doppelstrangig)
nRNP
Nucleolus La (SS-B) Ro (SS-A)
DNS (einzelstrangig)
. Abb. 3.17. Antigene des Zellkerns
Komplementanalysen Die Bestimmung von Komplementfaktoren erfolgt insbesondere über die Einzelfaktoren C3 und C4 oder über die Bestimmung der summarischen Komplementaktivtät mittels CH50. Bei Kollagenosen, Vaskulitiden und der Kryoglobulinämie kommt es über eine Immunkomplexbildung zum Verbrauch dieser Faktoren (. Tab. 3.7).
Kryoglobuline Kryoglobuline sind Immunglobuline, die bei niedrigen Temperaturen präzipitieren, dieser Vorgang ist durch Aufwärmen aber reversibel. Die Kryoglobulinämie Typ 1 ist mit Malignomen assoziiert, Typ 2 mit Lymphomen, Kollagenosen und Hepatitis C und Typ 3 mit Kollagenosen und Hepatitis C. Bei Patienten mit einer Kollagenose, einem Raynaud-Syndrom, einer Glomerulonephritis oder einer kutanen Vaskulitis sollten die Kryoglobuline zum Ausschluss einer Kryoglobulinämie bestimmt werden.
Antikörperdiagnostik Antinukleäre Antikörper (ANA)
. Abb. 3.18. Homogenes Muster in der Immunfluoreszenz
Unter antinukleären Antikörpern (nucleus = Kern) versteht man Eiweißstoffe, die gegen die Zellkerne der eigenen Zellen produziert werden (. Abb. 3.17). Niedrige ANA-Titer finden sich manchmal auch im Blut von Gesunden. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten mit nichtinflammatorischen Erkrankungen Werte von bis zu 1:1260 aufwiesen, dabei ist ein altersabhängiger Anstieg bekannt. Im Zusammenhang mit einem klinischem Befund sollten aber schon niedrigere ANA-Titer mit homogenem Muster Anlass für eine weitere Abklä-
. Tab. 3.7. Erkrankungen bei Hypokomplementämie C3 und C4 erniedrigt
C4 erniedrigt, C3 normal
C4 normal, C3 erniedrigt
SLE RA Sepsis Nephrotisches Syndrom Kryoglobulinämie Lebererkrankung
C4-Mangel Kryoglobulinämie SLE Lymphom
Membranöse GN Sepsis SLE
rung sein (. Abb. 3.18). Hierbei ist vor allem an Kollagenosen wie SLE und MCTD (mixed connective tissue disease, Mischkollagenose, Sharp-Syndrom) zu denken (Aziz u. Faizal 2004; McGhee et al. 2004; Perilloux et al. 2000). Auch die Sklerodermie und das CREST-Syndrom gehen mit einem – überwiegend gesprenkelten – ANANachweis einher (Bernstein et al. 1985; Blaszczyk et al. 1996) (. Tab. 3.8), und auch Vaskulitiden und nichtrheumatische Autoimmunerkrankungen (Autoimmunhepatitis und -thyreoiditis, M. Crohn) sowie Infektionen mit lymphotropen Erregern (EBV, HHV-6, CMV) und chronische Hepatitis B und C können »ANA-positiv« sein. ANA werden durch IIF detektiert. Da sie an verschiedene Bestandteile des Zellkerns binden, ergibt sich ein sehr heterogenes Immunfluoreszenzmuster der verschiedenen ANA (. Tab. 3.3). Sind ANA nachzuweisen, so sollten Untersuchungen auf extrahierbare antinukleäre Antikörper durchgeführt werden.
3
90
1 2 3 4
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Tab. 3.8. Spezifität von Autoantikörpern. Antikörpernachweis in Prozent Antikörper
Fluoreszenzmuster
JIA RF+
JIA RF–
SS
JDM
CREST
Skl
MCTD
SLE
ANA
Homogen oder ringförmig
60
40– 80
85
40–80
50–90
95– 100
99
95– 100
Anti-dsDNS
Homogen, peripher oder ringförmig
–
–
<10
–
–
–
–
60– 80
Antihiston
Homogen oder ringförmig
–
–
–
–
–
–
–
20– 50
Antizentromer
Diskret gesprenkelt
–
–
–
–
70
40
–
–
Anti-U1R NP
Gesprenkelt/ fleckförmig
–
–
<10
15
10
>90
>90
30– 40
Anti-Sm
Gesprenkelt/ fleckförmig
–
–
–
–
–
<10
<10
30– 40
Anti-Ro/ SS-A
Gesprenkelt/ fleckförmig
–
–
60
10
10
20
20
35
Anti-La/ SS-B
Gesprenkelt/ fleckförmig
–
–
60
–
10
<10
<10
15
Anti-Scl70
Gesprenkelt/fleckförmig, nukleolär
–
–
–
–
–
40
–
–
Anti-Jo1
Gesprenkelt/ fleckförmig
–
–
–
20–40
–
–
–
–
5 6 7 8 9 10 11 12 13
Extrahierbare nukleäre Antikörper (ENA)
18
Die ENA-Antikörper (extractable nuclear antigen) finden sich insbesondere bei Kollagenosen. Einige der Ak beinhalten die Initialen von Patienten (Ross Lane, Smith) oder Krankheitsnamen (Scl-70 für Sklerodermie und SS-A und SS-B für Sjögren-Syndrom A und B). Jo-1, eine HistidyltRNA-Transferase, wird unter die ENA subsumiert, aber am Zellkern und im Zentromer gefunden. Die Detektion der ENA kann durch Gelpräzipitation, ELISA, Radioimmunoassay (RIA) oder Western Blotting erfolgen. Letzteres ist die sensitivste und spezifischste, aber auch teuerste Methode. Am praktikabelsten sind ELISA-Untersuchungen.
19
Anti-Histon-Ak. Anti-Histon-Ak gegen H1, H3, H4, H2A,
14 15 16 17
20 21 22 23
H2B kommen beim SLE mit anderen ENA vergesellschaftet, beim medikamenteninduzierten Lupus alleine vor. Sie zeigen in der IF ein homogenes Muster auf HEp-2-Zellen. Antikörper gegen Histon sind auch bei JIA und Sklerodermie nachweisbar. Anti-Sm, Anti-RNP und Anti-U1–RNP. Die Sm-Proteine (B,
B’, D und E) sowie Ribonukleoproteine (RNP: A, C und das 68-kDa-Antigen) sind komplexiert mit den uridinreichen sn-RNP (small nuclear RNP). Jedes sn-RNP-Partikel besteht aus einer U-RNS, gebunden an Sm-Prote-
in. Anti-Sm-Ak finden sich bei 10-30% der Patienten mit SLE und sind hochspezifisch für SLE. Ihre klinische Relevanz ist allerdings fraglich. Es werden Assoziationen mit Nieren- und ZNS-Beteiligung angenommen. Patienten mit hohen Titern gegen U1-RNP können ein OverlapSyndrom (MCTD, Sharp-Syndrom) präsentieren. In der IIF findet sich ein gesprenkeltes Muster. Antikörper gegen U1-RNP können bei 25% der Kinder und Erwachsenen mit SLE, aber auch bei der RA gefunden werden. Diese sind assoziiert mit Raynaud-Symptomatik, sklerodermieartigen Veränderungen und einer entzündlichen Muskelbeteiligung. Anti-Ro/SS-A und Anti-La/SS-B. Anti-Ro/SS-A- und Anti-La/SS-B-Ak wurden erstmalig beim Sjögren-Syndrom (SS-A und SS-B) nachgewiesen. La/SS-B ist ein Kernphosphoprotein, das an das RNS-Polymerase-3-Transkript bindet. Das Ro-Antigen umfasst Proteine verschiedener Molekulargewichte (60 und 52 Kilodalton). In der IIF zeigen Anti-Ro- und Anti-La-Ak ein gesprenkeltes Muster. AntiRo/SS-A- und Anti-La/SS-B-Ak finden sich beim SLE zu 60–70%. Eine Korrelation mit den klinischen Symptomen findet sich nicht. Beim Sjögren-Syndrom besteht eine Spezifität für das Ro-52-Antigen. Meist kommen Ak gegen beide Antigene vor. Anti-Ro/SS-A und Anti-La/SS-B sind zu 70% assoziiert mit subakutem kutanem Lupus ery-
91
3.2 · Labor
thematodes. Letztere sind spezifisch für das mit Leukopenie einhergehende Sjögren-Syndrom. Kinder von Müttern mit Anti-Ro/SS-A zeigen im Rahmen des Neugeborenen-LE ein vorübergehendes Hautexanthem. Mehr als 80% der Mütter von Kindern mit kongenitalem kardialem Leitungsblock besitzen Antikörper gegen Ro, die diaplazentar auf die Kinder übertragen werden Anti-Scl70-Ak. Das Scl-70-Antigen ist identisch mit der Topoisomerase 1. Anti-Scl70-Ak treten bei 20% der erwachsenen Patienten und bei 50% der Kinder und Jugendlichen mit systemischer Verlaufsform der Sklerodermie auf. Dieser Antikörper ist ein Risikofaktor für eine schlechte Prognose. Seltene ENA. Antiribosomale Ak sind gegen drei zyto-
plasmatische Phosphoproteine (P-0, P-1, P-2) gerichtet. Sie kommen bei 10–40% der Patienten mit SLE vor. Antizentromer-Ak finden sich bei der systemischen Sklerose und 30% der Patienten mit CREST-Syndrom und gehen mit Raynaud-Symptomatik, Teleangiektasien und einer Polyarthritis einher. Der PmScl-Ak ist ein antinukleolärer Ak, der bei Myositis, bei Sklerodermie und beim Overlap-Syndrom auftritt. Ku ist ein nukleäres und nukleoläres Heterodimer, das sich an die Enden von ds-DNS bindet. Ak finden sich bei Sklerodermie, beim Overlap-Syndrom, bei Kollagenosen, Myositiden und Vaskulitiden. Einige Ak gegen Aminoacyl-t-RNA-Synthetasen werden bei Dermatomyositiden gefunden, so die Jo-1-Ak gegen die HistidyltRNA-Synthetase bei 15–30% der Patienten mit autoimmuner Myositis.
DNS-Antikörper: Einzelstrang-(ss-DNS-) und Doppelstrang-(ds-DNS-)Ak Der Nachweis von ds-DNS-Ak erfolgt mittels ELISA, RIA oder IIF mit Crithidia lucillae. Beim SLE finden sich Ak gegen ss-DNS und gegen ds-DNS. In der IF zeigen Ak gegen ds-DNS ein homogenes Muster. Während Ak gegen ss-DNS bei Infektionen und vielen Autoimmunerkrankungen vorkommen, zeigen die Ak gegen ds-DNS eine hohe Spezifität für SLE. Sie finden sich bei ca. 60–90% der Patienten. Meist sind die Konzentrationen der DNSAk mit der Krankheitsaktivität korreliert, es gibt jedoch oft Ausnahmen. Die höchste klinische Assoziation findet sich bei der Lupusnephritis. Andererseits finden sich auch Patienten mit hohen Antikörpertitern gegen ds-DNS ohne Nierenerkrankung. Niedrigtitrige ds-DNS-Ak treten selten auch bei nichtrheumatischen Erkrankungen auf (chronisch-aktive Hepatitis, Autoimmunhepatitis, Glomerulonephritis, Pneumonitis, Kolitis, Myasthenia gravis, Morbus Hodgkin) (Aziz u. Faizal 2004).
Antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANCA) Die ANCA sind Antikörper gegen neutrophile Komponenten des Zytoplasmas. Der Nachweis erfolgt mit IIFTechnik unter Verwendung von humanen Neutrophilen bzw. Monozyten und charakterisiert ein perinukleäres (pANCA) und ein zytoplasmatischer (c-ANCA) Muster. p-ANCA binden an Proteine, die perinukleär lokalisiert sind: Myeloperoxidase (MPO), Lysozym und Lactoferrin, während c-ANCA an das Enzym Proteinase 3 (PR3) binden. Es werden 3 Fluoreszenzmuster unterschieden. Während c-ANCA hochspezifisch für die Wegener-Granulomatose sind, finden sich p-ANCA bei verschiedenen Vaskulitiden, vor allem bei der klassischen Polyarteritis nodosa, der mikroskopischen Polyangiitis und beim ChurgStrauß-Syndrom (Bakkaloglu et al. 2001; Belostotsky et al. 2002; Chanseaud et al. 2005; Feldman et al. 1996; Frosch u. Foell 2004; Jennette 2002; Niles et al. 1989), aber auch bei Kollagenosen und entzündlichen Darmerkrankungen (. Tab. 3.9). Der »atypische ANCA« (sog. Schneegestöbermuster) ist bei einem Teil von Colitis-ulcerosa- und M.Crohn-Patienten und seltener bei Kollagenosen nachweisbar. Zur weiteren Differenzierung eines positiven ANCA steht ein ELISA zur Verfügung, mit dem Ak gegen gereinigte Enzyme aus neutrophilen Granulozyten nachgewiesen werden. Relevant, weil spezifisch, sind PR3-Ak bei Wegener-Granulomatose und Churg-Strauß-Syndrom sowie MPO bei mikroskopischer Polyangiitis. ANCA können bei etwa der Hälfte der Kinder mit SLE gefunden werden und gehen mit einer höheren Komplikationsrate einher. Die Bedeutung der ANCA in der Pathogenese der Vaskulitiden ist noch nicht geklärt (Aziz u. Faizal 2004; Chanseaud et al. 2005)
Rheumafaktoren Rheumafaktoren (RF) sind Immunglobuline die gegen die Fc-Region des IgG gerichtet sind, sie gehören den IgM, IgA und IgG-Immunglobulin-Klassen an. Stimuli für die RF-Produktion durch B-Lymphozyten sind einerseits Immunkomplexe, andererseits polyklonale B-Zell-Aktivatoren. Das Auftreten der RF bei Patienten mit RA ist asso. Tab. 3.9. ANCA-assoziierte Erkrankungen Wegener-Granulomatose
cANCA, kaum pANCA
Churg-Strauß-Syndrom
pANCA
Polyarteriitis nodosa
pANCA
Mikroskopische Polyangiitis
pANCA
SLE
pANCA
Colitis ulcerosa, M. Crohn
Atypische ANCA, pANCA
Chronische Hepatitiden
Atypische ANCA, pANCA
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
ziiert mit den MHC-Antigenen HLA-DR1. Der Nachweis kann durch den Latexfixationstest oder durch den WaalerRose-Test erfolgen. Der diagnostische Wert ist eher als gering einzustufen (Houssien et al. 1998; Steiner u. Smolen 2002a,b). Insbesondere soll darauf hingewiesen werden, dass – ohne klinischen Befund – eine Positivität für den Rheumafaktor keinesfalls mit einer rheumatischen Erkrankung gleichzusetzen ist.
Anticitrullinantikörper
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Die diagnostische Wertigkeit der Anticitrullin-Ak erscheint auf Grund ihrer hohen Spezifität für die RA vielversprechend. Im Kindes- und Jugendalter scheinen sie nur bei RF plus JIA eine Bedeutung zu haben (Aziz u. Faizal 2004; Hromadnikova et al. 2002; Kasapcopur et al. 2004; Lee u. Schur 2003; Low et al. 2004; Van Rossum et al. 2003; Brunner u. Sitzmann 2006).
. Tab. 3.10. HLA Disposition entzündlich-rheumatischer Erkrankungen HLA-Assoziationen
Erkrankungen
HLA-B27
Sakroiliitis, EAA, Reiter-Syndrom, reaktive Arthritis, Psoriasisarthritis, Spondarthritis bei Colitis ulcerosa und M. Crohn, Spondylitis ankylosans, Uveitis
HLA-B51
M. Behçet
HLA-CW6, HCA-B13, HCA-B17
Psoriasisarthritis
HLA-DR1, HLA-DR4 und HLA-DW14
RA
HLA-DR2, HLA-DR3
SLE, Sjögren-Syndrom
HLA-DQA1, HLA-DQB1
SLE
Anticardiolipinantikörper Phospholipidantikörper sind gegen Komplexe aus Phospholipiden und β-2-Glykoprotein-1 gerichtet; unter anderem gegen Cardiolipin. Der Nachweis gelingt mit hämostasiologischen Untersuchungen (Lupusantikoagulans) oder per ELISA-Methoden. Sie sind assoziiert mit dem Antiphospholipidsyndrom (APS) und verursachen arterielle und venöse Thrombosen. Das APS kann primär oder sekundär im Rahmen einer Kollagenose auftreten. Die Antikörper sind bei 40% der SLE-Patienten nachweisbar, korrelieren aber nicht mit den Symptomen des APS (Aziz u. Faizal 2004; Gedalia et al. 1998). Die künftige Entwicklung könnte in Richtung eines Streifchentests oder sogar eines Autoantigen-Microarrays (»Kinderrheumachip«) gehen, in dem mehrere Antikörper gleichzeitig gemessen werden können. Das Ziel wäre, bestimmte Kombinationen von Autoantikörpern zu definieren, die dann eine deutlich höhere Spezifität hätten als die Einzelbestimmungen.
HLA-Bestimmungen (7 Kap. 2.4) Immungenetische Merkmale weisen auf eine Disposition bei bestimmten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen hin (. Tab. 3.10). Der Nachweis der MHC-Antigene wurde in der klinischen rheumatologischen Routine eingeführt, da eine Reihe von Erkrankungen eine hohe Assoziation mit bestimmten HLA-Antigenen zeigen.
Genanalysen Genanalysen sind insbesondere bei den periodischen Fiebersyndromen (»chronic autoinflammatory disorders«) in Betracht zu ziehen.
Analyse der Synovialflüssigkeit Die Punktion eines Gelenks kann auf diagnostischen und/ oder therapeutischen Überlegungen basieren. Die Analyse der Synovialflüssigkeit dient zur Unterscheidung zwi-
schen septischer und rheumatischer Entzündung. Normale Gelenkflüssigkeit stellt ein Transsudat des Plasmas dar, das mit Hyaluron, das von Synoviozyten produziert wird, angereichert ist. Zellzahl und Differenzierung korrelieren nicht mit Krankheitsaktivität oder Prognose einer JIA. Gelenkpunktat wird unter sterilen Bedingungen gewonnen und nach Zufügen von gelöstem EDTA bzw. Heparin ungerinnbar gemacht. Zunächst erfolgt die Bestimmung der Menge, der Farbe und der Transparenz des Punktats. Im Einzelnen können folgende Aspekte untersucht werden (. Tab. 3.11): 5 Volumen. 5 Farbe und Transparenz: Normale Synovialflüssigkeit ist gelb und klar. Bei hämorrhagischem Erguss können die Blutbeimengungen technisch durch die Punktion bedingt sein. Ein Hämarthros ist typisch für Erguss bei Hämophilie, bei villonodulärer Synovialitis, nach Trauma oder bei einem Gelenkfremdkörper. 5 Leukozytenzahl und Differenzialzählung: Die Zellverteilung korreliert nicht immer mit der Aktivität der Erkrankung (Cassidy u. Petty 2001). 5 Nachweis von Infektionserregern durch Anlegen einer Kultur. 5 Untersuchungen im polarisierten Licht: Kristalle, insbesondere Uratkristalle, sind bereits unter normalem Mikroskop nachweisbar. Diese Untersuchung ist im Kindesalter selten notwendig und wird von den Autoren nicht durchgeführt. 5 Viskosität: Mit steigendem Entzündlichkeitsgrad vermindern sich Viskosität und Glukosegehalt und erhöht sich das Laktat (Oppermann u. Huppertz 2001). 5 Gesamtproteingehalt: Nicht entzündliche Synovialergüsse haben einen niedrigen Proteingehalt. Je aus-
93
3.2 · Labor
. Tab. 3.11. Untersuchungen der Synovialflüssigkeit Diagnose
Farbe
Trübung
Zellzahl/μl
Neutrophilenanteil
JIA
Gelb
Klar/trüb
<5–20.000
50–75%
Reaktive Arthritis
Gelb
Klar/leicht trüb
2–10.000
50%
Tuberkulose
Graugelb
Trüb
20–50.000
50%
Eitrige Arthritis
Purulent
Rahmig
>50.000
95%
Normalbefund
Gelb
Klar
Wenige
Sonstige Normalwerte: Gesamteiweiß 25 g/l, IgG 2,62 g/l, IgM 0,14 g/l, IgA 0,85 g/l, IL-2 15,1 IE/ml, TNF-α 1,3 ng/ml.
geprägter die Entzündung, umso mehr nähern sich die Protein- Immunglobulin- und Komplementwerte denen des peripheren Blutes (Oppermann u. Huppertz 2001). 5 Sonstiges: Der Rheumafaktor kann im Gelenk infolge lokaler Produktion höher als im Blut sein und wird oft in Synovialflüssigkeit früher als im Blut nachgewiesen. Matrixmetalloproteinasen sind in der Synovialflüssigkeit deutlich stärker nachzuweisen als im Serum (Gattorno et al. 2002).
3.2.2
Rationale Labordiagnostik bei einzelnen Krankheitsbildern:
Die nachfolgend angeführte Basis- und Ausschlussdiagnostik sollte bei allen Autoimmunerkrankungen durchgeführt werden. Ebenso müssen die jeweiligen organspezifischen Befunde erhoben werden (. Tab. 3.12). Hilfreiche Parameter zur Beurteilung des Ausmaßes der Entzündung sind Blutbild, BSG, CRP und Serumimmunglobuline (Evidenz IIa)
Juvenile idiopathische Arthritis Bei der JIA wurde eine schwache Korrelation zwischen der BSG und der Krankheitsaktivität nachgewiesen (Evidenz Ib) (Giannini u. Brewer 1987; McGhee et al. 2004). Es finden sich ANA nur bei 50–80% der frühkindlich-oligoartikulären und der RF bei der seropositiven polyartikulären Verlaufsform. Bei Vorliegen von hohen ANA-Titern sollte im Rahmen differenzialdiagnostischer Überlegungen eine Subtypisierung erfolgen (Evidenz IIa) (Perilloux et al. 2000). Eine Bestimmung bei klinisch unauffälligen Patienten bezüglich einer Autoimmunopathie ist nicht sinnvoll. Eine Empfehlung für die routinemäßige Bestimmung der ANA kann aufgrund der Datenlage nicht gegeben werden (Evidenz Ia) (Solomon et al. 2002). In der Praxis werden die ANA jedoch häufig bei Verdacht auf das Vorliegen einer JIA bestimmt. Bei der Frage des Risikos der Entwicklung einer Uveitis kommt den ANA Bedeutung zu (Evidenz Ia) (Solomon et al. 2002). Komplementfaktoren
können erhöht sein. Bei der Enthesitis assoziierten Arthritis und den Spondylarthritiden ist HLA-B27 bei 90% der Patienten nachweisbar (Cassidy u. Petty 2001).
Kollagenosen Beim SLE sind die ANA zu bestimmen (Evidenz Ia) (Solomon et al. 2002). Antikörper gegen ds-DNS kommen in einem hohen Prozentsatz vor, sind hochspezifisch und mit der Krankheitsaktivität assoziiert, während Ak gegen ss-DNS unspezifisch sind. Anti-Ro/SS-A- und AntiLa/SS-B- , U1-RNP- und Sm-Ak kommen in einem hohen Prozentsatz beim SLE vor (Gause u. Diehl 1991; Genth u. Mierau 1997). Anti-Ro/SS-A- und Anti-La/SS-B-Ak korrelieren mit der kardialen Beteiligung (Evidenz IIb) (Oshiro et al. 1997). Die mit den Kollagenosen assoziierten Antikörper reagieren mit Nukleosomen, Ribonukleoproteinen, Ribosomen oder Phospholipoidproteinkomplexen. Anti-ds-DNS-, Anti-Sm-, Cardiolipin-Ak und ANA sind Bestandteil der ARA-Kriterien zur SLE-Diagnostik. Erniedrigtes CH50 und/oder C3 und/oder C4 kann für Komplementverbrauch, angeborenen Komplementmangel oder die Aktivierung eines SLE sprechen (Van Paassen et al. 2003). Bei Verdacht auf das Vorliegen einer MCTD müssen zur Diagnosesicherung die ANA und das U1-nRNP bestimmt werden (Evidenz Ia) (Solomon et al. 2002). Die Bestimmung der Histon- und Cardiolipin-Ak sollte erfolgen (Cassidy u. Petty 2001). Bei Verdacht auf JDM sollte auf die Bestimmung der Kreatinkinase, der Aldolase, der Laktatdehydrogenase und der Transaminasen geachtet werden (Cassidy u. Petty 2001). Anti-Jo-1-Ak ist der häufigste Ak bei Polymyositis, der bei ca. 20% aller Myositispatienten auftritt. AntiJo-1 ist ein Ak gegen die zytoplasmatische Histidyl-tRNSSynthetase. Wegen der zytoplasmatischen Lokalisierung des Antigens zeigen Patienten mit diesen Auto-Ak meist negative ANA (Van Paassen et al. 2003). Selten finden sich Ak gegen Anti-Pl-7 (Theonyl-tRNSSynthetase), gegen Pl-12 (Alanyl-tRNS-Synthetase), gegen UJ (Isoleucyl-tRNS-Synthetase) und gegen EJ (GlycyltRNS-Synthetase). (Cassidy u. Petty 2001). Anti-Mi-2-Ak (~10% der Myositispatienten) weisen eine hohe Assozia-
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
tion mit Dermatitis auf (Genth u. Mierau 1997). Eine Evidenz für ein Antikörperpanel bei JDM kann nicht gefunden werden (Evidenz Ia) (Feldman et al. 1996; Solomon et al. 2002). Wegen der genetischen Prädisposition kann die Bestimmung des HLA-DRB1*0301 und DQA1*0501 erfolgen (Cassidy u. Petty 2001). Bei der Diagnostik zur Sklerdodermie sollten ANA bestimmt werden (Evidenz Ia) (Bernstein et al. 1985; Solomon et al. 2002; Van Paassen et al. 2003). Der ANA Titer kann mit der Krankheitsaktivität korrelieren (Blaszczyk et al. 1996). Anti-Zentromer-Ak und Antikörper gegen Kollagene spielen bei der Sklerodermie im Kindesalter keine Rolle (Evidenz IIb) (Bernstein et al. 1985). Vereinzelt können bei Morphea Antikörper gegen Fibronektin (Evidenz IV) und gegen Histone (Evidenz IIb) gefunden werden (Blaszczyk et al. 1996; Sato et al. 1993; Sato et al. 1994). Scl70 (schlechte Prognose), Anti-Ro/SS-A- und Anti-La/SSB- und U1-n-RNP-Ak treten bei systemischer Erkrankung vermehrt auf (Evidenz IIb) (Genth u. Mierau 1997). SIL2R und sTNF-αR können beim Krankheitsverlauf hilfreich sein (Blaszczyk et al. 1996; Gause u. Diehl 1991; Uziel et al. 1994).
Vaskulitiden
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Da die bei Patienten in Japan gefundene Assoziation der Takayasu-Arteritis mit HLA-Bw52 und HLA-DR12 nicht verallgemeinert werden kann, ist eine HLA-Bestimmung nicht grundsätzlich indiziert. ANCA kommen selten vor, Antikörper gegen Endothelzellen lassen sich manchmal finden (Cassidy u. Petty 2001). Das Kawasaki-Syndrom könnte mit dem Nachweis von IgM-Antimyosin-Ak, die gegen Bestandteile des kardialen Myosinmoleküls gerichtet sind und mit Antiendothel-Ak assoziiert sein (Cunningham et al. 1999; Giannini u. Brewer 1987). ANA- und ANCA-Titer haben keinen diagnostischen Wert bezüglich einer kardialen Beteiligung (Evidenz IIa) (Rider et al. 1993). Bei der Wegener-Granulomatose sind ANCA-Bestimmungen indiziert (Evidenz IIb) (Belostotsky et al. 2002; De Groot et al. 1995; Feldman et al. 1996; Frosch u. Foell 2004; Genth u. Mierau 1997; Gross u. Reinhold-Keller 1995; Yalcindag u. Sundel 2001), es sind ANCA gegen Proteinase 3 (PR3) nachzuweisen. Während c-ANCA hochspezifisch für die Wegener-Granulomatose sind, finden sich p-ANCA beim Churg-Strauss-Syndrom (De Groot et al. 1995; Feldman et al. 1996; Gross u. Reinhold-Keller 1995; Yalcindag u. Sundel 2001) und p-ANCA mit MPOSpezifität bei der mikroskopischen Polyangitis (Evidenz IIb) (Bakkaloglu et al. 2001; De Groot et al. 1995; Feldman et al. 1996; Gross u. Reinhold-Keller 1995; Yalcindag u. Sundel 2001). ANCA eignen sich zur Verlaufskontrolle der Krankheitsaktivität (Van Paassen et al. 2003). Bei der Purpura Schoenlein-Hennoch (PSH) können ANCA vom IgA-Subtyp vermehrt gefunden werden (Evidenz IIa). Der von Willebrandt-Faktor und Neopterin sind weitere
. Tab. 3.12. Praktisches labordiagnostisches Prozedere. Minimale Basisdiagnostik bei Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung: Blutbild, Differenzialblutbild, Eiweißelektrophorese, GOT, GPT, γGT, Kreatinin, Harnsäure, Harnstoff, LDH, AP, CK, CRP, BSG, Serumimmunglobuline, Infektionsserologie. Minimale Labordiagnostik bei einzelnen Krankheitsbildern JIA – oligoarthritische Verlaufsform
ANA, HLA-B27
JIA – polyartikuläre Verlaufsformen
ANA, RF
SLE
ANA, ds-DNS Ak, Anti-Ro/SS-A und Anti-La/SS-B, U1-RNP, SmAk, Cardiolipin-Ak, CH50, C3, C4
JDM
Aldolase, Jo-1-Ak
Sklerodermie
ANA, Scl-70, Anti-Ro/SS-A und Anti-La/SS-B
Vaskulitis
ANA, p-ANCA, c-ANCA
unspezifische Verlaufsparameter bei Vaskulitiden. Ein sich aus den Darstellungen ergebendes praktisches Vorgehen ist in . Tab. 3.12 dargestellt.
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95
3.3 · Bildgebende Verfahren
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3.3
Bildgebende Verfahren
P. Winkler, M. Zieger Bei vermuteter oder gesicherter Arthritis im Kindesalter kann die bildgebende Diagnostik in den Bereichen Diagnosesicherung und Differenzierung einer Arthritis, der Diagnose und Differenzialdiagnose nichtrheumatologischer Erkrankungen, zur Verlaufsbeurteilung und Therapie wesentliche Informationen liefern und spezielle Erkrankungsmanifestationen und Komplikationen erfassen. Für den Einsatz der Bildgebung bei Kindern ist ein der Fragestellung angepasstes Optimum an diagnostischer Qualität bei möglichst geringer Belastung notwendig. Das verlangt Überlegungen über den gezielten Einsatz bildgebender Verfahren, notwendige technisch-apparative, interaktive und auf Kompetenz basierende Voraussetzungen sowie Kenntnisse und Erfahrungen in der Diagnose und Differenzialdiagnose von Erkrankungen des Bewegungsapparates.
3.3.1
Welche Untersuchungstechnik für welches Problem?
Für das Ausmaß einer Arthritis – insbesondere die Relation von Erguss und Synovialitis – sind die Sonografie und Dopplersonografie häufig ausreichend. In einigen Fällen, vor allem bei Widersprüchen von klinischem Eindruck und Sonografie (sonografischer Normalbefund bei Symptomen einer Arthritis), sonografisch schwer oder nicht einsehbaren Gelenken oder Gelenkanteilen (Kreuzbänder, Wirbelgelenke), nicht zweifelsfreier Unterscheidbarkeit zwischen Erguss und Synovialisproliferation oder aty-
3
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1 2 3
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Tab. 3.13. Problem- und fragestellungsgesteuerte Untersuchungsart Röntgennativaufnahme
Ultraschall inkl. (Farb-)Doppler
Skelettszintigrafie
MR-Tomografie
Diagnose einer neu aufgetretenen JIA aufgrund von Anamnese, Untersuchung und Labor Sicherung der Diagnose aufgrund von klinisch nicht eindeutiger Synovialisverdickung, gering vermehrter Gelenkflüssigkeit/geringem Erguss, Sehnenscheidenbeteiligung
Für die Diagnosestellung nicht sinnvoll
Nur indiziert, wenn Klinik und Sonografie noch Fragen offenlassen (Synovialitis?)
5
Für die Diagnosestellung nur begrenzt sinnvoll, da bei kurzzeitigem Verlauf keine relevanten Befunde zu erwarten sind. Für Differenzialdiagnose und zumindest bei Monarthritis meist indiziert
6
JIA-typisch, aber ausgeprägter und chronischer Verlauf: Skelettentwicklung? Erkrankungs- oder Therapie bedingte Komplikationen? (Osteoporose?)
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Skelettentwicklung (linke Hand a.-p.) Betroffene Gelenke: Ausgeprägt usurierende Arthritis? Primäre oder sekundäre Nekrose? Arthrose? Gelenkspaltreduzierende Knorpelschädigung? Osteoporose? Osteoporotische Kompressionsfraktur?
Synovialisverdickung bei unklaren neu aufgetretenen Schwellungen Zystische Läsionen: Ganglion, Baker-Zyste Usuren?
Nur ausnahmsweise indiziert
Akute »JIA-ähnliche« Erkrankung oder atypische JIA. Differenzialdiagnose: akute gelenkbezogene Bewegungseinschränkung oder Schmerzhaftigkeit Hinweis auf andere Ursachen: Fraktur, Osteomyelitis, Tumor, maligne Systemerkrankung, M. Perthes, Epiphysiolyse
Synovialitis, Tendovaginitis? Hinweis auf andere Ursachen: Osteomyelitis, Weichteiltumor, Myositis
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Nur indiziert, falls MRT nicht durchführbar ist (Herzschrittmacher) oder bei möglicher multifokaler Erkrankung (GanzkörperMRT nicht möglich)
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Nur indiziert, wenn Klinik, Röntgendiagnostik und Sonografie noch Fragen offenlassen (Beteiligung von Wirbelgelenken, insbesondere Atlantoaxialgelenk; Kiefergelenkbeteiligung, Usuren, Ausmaß der Gelenkschädigung bzw. Synovialitis)
Initial indiziert, falls JIA wenig wahrscheinlich oder sich bei Klinik, Röntgendiagnostik oder Sonografie Hinweise auf eine nichtrheumatologische Erkrankung ergeben Ganzkörper-MRT bei möglicher Langerhans-Zellhistiozytose oder CRMO
Persistierende »JIA-ähnliche« Erkrankung oder atypische JIA. Differenzialdiagnose: chronische/rezidivierende gelenkbezogene Bewegungseinschränkung oder Schmerzhaftigkeit Wiederholung der regionalen Röntgendiagnostik nur, falls aufgrund der Voruntersuchung oder des MRT indiziert (evtl. zusätzliches Röntgenbild des Thorax: LangerhansZellhistiozytose, maligne Systemerkrankung)
Synovialitis, Tendovaginitis? Hinweis auf andere Ursachen: CRMO, Langerhans-Zellhistiozytose, maligne Systemerkrankung
Nur ausnahmsweise indiziert
Wichtigste bildgebende Untersuchung bei dieser Konstellation. Bei Knie-, Hüft- oder Rückenschmerzen sollte ein erweiterter Bereich (Hüftuntersuchung bei Knieschmerzen, Becken bei Rückenschmerzen) untersucht werden Initial indiziert, falls JIA wenig wahrscheinlich oder sich bei Klinik, Röntgendiagnostik oder Sonografie Hinweise auf eine nichtrheumatologische Erkrankung ergeben. Evtl. Sicherung der Arbeitsdiagnose einer JIA Ganzkörper-MRT bei möglicher Langerhanszellhistiozytose oder CRMO
3.3 · Bildgebende Verfahren
pischer Arthritis kann eine MRT wesentliche weiterführende Aufschlüsse geben (. Tab. 3.13). Eine Röntgenaufnahme ist bei den Differenzialdiagnosen Trauma einschließlich Stressfraktur, Kopfnekrosen (neben M. Perthes auch chemotherapieassoziierte Nekrosen an Knie, Schulter, Sprunggelenk und selten an anderen Lokalisationen wie Metatarsaleköpfchen), Osteomyelitis und Systemerkrankung indiziert; falls der Verdacht auf eine nichttraumatische Ursache einer Arthritissymptomatik gut begründet ist, kann auch eine MRT ohne vorherige Röntgenaufnahme sinnvoll sein. Röntgenaufnahmen können auch wichtige Informationen über bereits eingetretene arthritisch bedingte Gelenkschäden oder Osteopenie geben. Die Durchführung einer Skelettszintigrafie ist nur noch selten notwendig, da multifokale Veränderungen bei Kindern nicht selten auf eine Langerhans-Zellhistiozytose oder CRMO (»chronic recurrent multifocal osteomyelitis«) zurückzuführen sind. Die Szintigrafie ist für die Langerhans-Zellhistiozytose aufgrund der hohen Zahl falsch-negativer Befunde ungeeignet; bei der CRMO ist die im Thorax atemgetriggerte Ganzkörper-MRT vorzuziehen, falls diese Technik verfügbar ist.
3.3.2
97
. Abb. 3.19. Sagittalschnitt durch das Hüftgelenk (2 Jahre und 5 Monate alter Patient). Knorplige Epiphyse mit Ossifikationszentrum (gefüllter Pfeil), metaphysennah Knorpel im Farbdoppler darstellbar (3 kleine Pfeile). Farbskalierung bei 0,037 m/s Flussgeschwindigkeit. Normalbefund an anteriorem Rezessus, Gelenkkapsel und Knochenkontur
5 im Nachweis von Veränderungen in den angrenzenden Weichteilen, insbesondere den Sehnen und Sehnenscheiden und dem Kapsel-Band-Apparat, 5 im Nachweis, jedoch nicht im Ausschluss von Usuren.
Sonografie
Notwendige und empfohlene Voraussetzungen Für die Abbildung gelenknaher Strukturen ist die Verwendung eines linearen Schallkopfes unerlässlich. Lediglich in Ausnahmefällen, z. B. bei Adipösen, kann am Hüftgelenk ein »Curved« oder Sektorschallkopf hilfreich sein. Mit Ausnahme des Hüftgelenkes sind Frequenzen von 7–15 MHz anzuwenden. Sofern keine hochfrequenten Schallköpfe zur Verfügung stehen, ist die Hinzunahme eines Wasservorlaufs zur Optimierung der dreidimensionalen Fokusqualität des Schallkopfes nützlich. Sehr oberflächliche Gelenke und Weichteile sowie die detaillierte Beurteilung der Synovialis und Vaskularisation/Perfusion erfordern die Nutzung eines Gerätes der Spitzenklasse. Die Geräteeinstellung zum Doppler muss mit minimalem Filter und maximaler Sensitivität erfolgen, um auch einen langsamen Fluss von wenigen Zentimetern pro Sekunde detektieren zu können (. Abb. 3.19).
Bildgebende Diagnose und Differenzialdiagnose Der diagnostische Beitrag der Sonografie liegt 5 im Nachweis oder Ausschluss von Gelenkergüssen, 5 in der Beurteilung der Ergussmenge, 5 in der Beurteilung der Binnenstruktur/Echogenität des Ergusses, der Ergussqualität, 5 in der Beurteilung der Synovialis, 5 in der Darstellung der Hyperämie bzw. der vermehrten Perfusion,
Ergussnachweis. Je nach Anatomie des zu untersuchenden Gelenkes gelingt der Ergussnachweis mehr oder weniger leicht und sensitiv (. Tab. 3.14). Voraussetzung zum Nachweis von Gelenkergüssen ist, dass diese oberflächennah frei von knöchernen Überlagerungen lokalisiert sind und somit für den Schall überhaupt erreichbar werden. In aus mehreren Ossikeln aufgebauten Gelenken, wie dem Handgelenk, dem oberen und unteren Sprunggelenk ist dies nicht der Fall, sodass sich Ergüsse im Gelenkinneren zwischen den einzelnen Knochenelementen verbergen können. Bei abgeschlossenem Skelettwachstum kann man sich mit Messungen des Knochen-Gelenkkapsel-Abstands behelfen, der bestimmte Normwerte nicht überschreiten darf (Backhaus 2002). Bei Kindern wird dieses Vorgehen durch die ausgeprägt altersabhängige Ossifikation – zentral in den knorplig präformierten Epiphysen und Hand/Fußwurzelknochen beginnend und sich nach peripher ausbreitend – dadurch erschwert, dass Knorpel sehr echoarm bis echofrei erscheint. Ergüsse dürfen also nicht mit sonografisch ähnlich aussehenden Strukturen wie Knorpel, Gefäßen oder Muskulatur verwechselt werden; hierzu ist es hilfreich, neben detaillierten Kenntnissen der Anatomie die Möglichkeiten der Sonografie zu dynamischen Untersuchungstechniken auszunutzen: 5 Verformung des Gewebes unter gezielter Kompression (Flüssigkeit innerhalb der Gelenkkapsel weicht aus, solide Strukturen bleiben stationär).
3
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1 2
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Tab. 3.14. Erkennbarkeit von Gelenkergüssen Gelenk
Sensitivität
Untersuchungstechnik
Apparativ
Schulter
++ +++ (Bizepssehne u. Infraspinatusregion)
Schwierig
Normal
Ellenbogen
+++
Einfach
Normal
Handgelenk
++
Schwierig
Hochauflösend
Finger
++
Einfach
Hochauflösend
Hüfte
++++
Einfach
Normal
Knie
++++
Schwierig
Normal
OSG
+
Schwierig
Normal
USG
+
Schwierig
Normal
Zehen
++
Einfach
Hochauflösend
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»Einfach« bedeutet, dass bereits nach kurzer Anleitung durch einen erfahrenen Untersucher Ergüsse sicher erkannt werden können.
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5 Durch gezielte Palpation unter Sicht lassen sich Binnenechos innerhalb eines Ergusses zum Schwimmen bringen. Ergussmenge. Die tatsächliche Menge eines Gelenkergus-
ses in Millilitern ist sonografisch nicht bestimmbar. Lediglich in einfach aufgebauten Gelenken mit straffer Gelenkkapsel, z. B. Hüftgelenk, korreliert die Dicke des sonografisch nachweisbaren Ergusses direkt mit der Gesamtmenge. In allen anderen Gelenken ist der Zusammenhang komplexer; für klinische Belange besteht jedoch eine gute Beziehung zwischen sonografischer Zu- oder Abnahme des Ergusses im Verlauf zur tatsächlichen quantitativen Veränderung des Ergusses. Ergussqualität. Um eine Aussage über die Binnenstruktur eines Ergusses machen zu können (. Tab. 3.15), muss genügend Erguss vorhanden und die Bildqualität ausreichend hoch sein. In oberflächennah positionierten Ergüssen haben technische Faktoren wie Nahbereichsartefakte, unzureichende dreidimensionale Qualität der Fokussierung und insbesondere die Schallfrequenz limitierenden Einfluss auf Aussagen zur Ergussbinnenstruktur. So stellen sich mit 7-MHz Ergüsse oft diffus, unscharf, verrauscht, grau dar, während mit 14 MHz eine klare Definition zur Synovialis/Kapsel und die Analyse von Binnenstrukturen möglich wird. Ergüsse bei der juvenilen idiopathischen Arthritis können unter jeder der aufgeführten Ergussformen gefunden werden, gern bei Mehrgelenkbefall auch in unterschiedlicher Echogenität beim selben Patienten je nach Gelenk (. Tab. 3.16). Erheblichen Einfluss auf die Ergussqualität haben technische Faktoren wie Teilvolumenartefakte und Rauschen
. Tab. 3.15. Echostruktur in Gelenkergüssen (vorausgesetzt ist eine ausreichende Ergussmenge zur Beurteilung der Qualität) Binnenstruktur (Qualität des Ergusses)
Vorkommen
Echofrei
5 Coxitis fugax, frisch (»Hüftschnupfen«) 5 Parainfektiöser Erguss 5 Borreliose 5 Ganz frische Einblutung
Homogen echoarm
5 Ältere Coxitis fugax (Einblutung gering, septisch beginnend bei prall vollem Gelenk)
Homogen mäßig echogen
5 Coxitis fugax, älter (selten) 5 Einblutung (mäßige Menge) 5 Septischer Erguss
Homogen echoreich
5 Einblutung posttraumatisch, Hämophilie (. Abb. 3.31) 5 Ausgeprägt septischer Erguss
Homogen sehr echogen
5 Einblutung
Mit Sediment
5 Alte Blutung posttraumatisch 5 Residual nach Ergüssen aller Art
Mit Spiegel
5 Posttraumatisch 5 Einblutung traumatisch 5 Hämophilie
Mit Koageln
5 Epiphyseolyse 5 Sonstige Formen der Einblutung
Mit Fibrinfäden
5 Postoperativ
Mit bizarren Auflagerungen abhängig
5 Pannusformation
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3.3 · Bildgebende Verfahren
. Tab. 3.16. Typische Echomuster bei juveniler idiopathischer Arthritis (schematisch, üblicherweise zu erwartende Darstellung von Ergüssen) Gelenk
Ergussqualität
Schulter
Echoarm — echogen
Ellenbogen
Echoarm — echogen
Handgelenk
Echogen
Finger
Echoarm — echogen
Hüfte
Echoarm — echogen
Knie
Echofrei — echogen
OSG
Echogen
USG
Echogen
Zehen
Echoarm — echogen
(. Abb. 3.34) und das Volumen der auffüllbaren Gelenkkapsel infolge eines möglichen Verdünnungseffekts. Die Echogenität und die Binnenstruktur des Ergusses stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang zur Art oder Aktivität der Erkrankung. Beim M. Still können gehäuft sehr echogene Ergüsse, evtl. auch nur in besonders ausgeprägt gefüllten Gelenken, angetroffen werden (. Abb. 3.21). Zur Differenzialdiagnose klinisch wichtig ist auch die Abgrenzung zu septischen Gelenkaffektionen, welche nicht nur in der primären Differenzialdiagnostik eines schmerzhaften Gelenkes eine Rolle spielen, sondern im Verlauf bei Kindern mit gesicherter juveniler idiopathischer Arthritis vorkommen können (Zacher 2001).
tion in Bewegung gesetzt werden können, also in der Flüssigkeit »umherschwimmen« und auf diese Weise die Synovialis abgrenzen. Entsprechend hohe Sensitivität vorausgesetzt ist die Verwendung des Farb- oder Powerdopplers bei dieser Frage hilfreich, zumal wenn eine entzündliche Vaskularisation in der hypertrophierten Synovialis vorliegt (s. unten). Mit aufwendigen technischen invasiven Verfahren (Injektion von Sonokontrastmitteln und speziellen Schallverfahren (Kleffel et al. 2005) scheint gleichfalls eine gute Differenzierung zwischen Erguss und Synovialishypertrophie zu gelingen. Eingeschränkt wird der Aussagewert einer nachweisbar verdickten Synovialis dadurch, dass eine Hypertrophie nicht nur wie bei juveniler idiopathischer Arthritis oder septischem Gelenkbefall unmittelbarer Ausdruck der Erkrankung sein kann, sondern auch als Residualzustand nach Erkrankungen anderer Art beobachtet wird. So weist ein durch massiven Gelenkerguss überdehntes Gelenk noch Wochen und Monate später einen »ausgeleierten«, leichter darstellbaren Gelenkrezessus sowie eine verdickt erkennbare Synovialis auf. Bereits bei einem länger bestehenden harmlosen »Hüftschnupfen« wird die Synovialis ödematös aufgetrieben sichtbar. Bei fokaler Synovialisverdickung ist zur Abgrenzung zum Pannusgewebe daran zu denken, dass echogenes Material des Ergusses, z. B. Fibrinbestandteile oder Sediment, sich klumpenförmig der Synovialis auflagern können. Hier bedarf es zur Diagnosesicherung des Farbdopplers, da fokale Verdickungen nicht nur perfundiert sein müssen, sondern Pannusgewebe eine vermehrte Vaskularisation/Perfusion aufzuweisen pflegt. Vermehrte Vaskularisation. Vermehrter Nachweis von
Synovialis. Die Synovialis ist normalerweise eine nicht di-
rekt sichtbare Struktur für die Sonografie. Bei einer Verdickung bzw. Hypertrophie kann diese jedoch abgrenzbar werden. Gelegentlich kann die Hypertrophie so ausgeprägt sein, dass die Differenzierung zu einem echogenem Erguss Schwierigkeiten bereitet (. Abb. 3.32). Eine Einteilung der Synovialisveränderung kann erfolgen in »bandförmig« bei gleichmäßiger Verbreiterung und »fokal« bei proliferativer Ausbildung von Pannusgewebe (Krolak et al. 2003). Zur Differenzierung zwischen verdickter Synovialis und Erguss mit Binnenreflexen gibt es verschiedene Ansätze, wobei sonografisch diese Differenzierung nicht in allen Fällen sicher gelingt. Voraussetzung ist hier eine genügend hohe Orts- und Kontrastauflösung, sodass einfache Schallgeräte wenig geeignet sind. In erster Linie hilft die gezielte Kompression unter Sicht weiter, bei der die Synovialis stationär in der Schnittebene sichtbar bleibt, während die Ergussflüssigkeit aus der Schnittebene ausweichen kann (. Abb. 3.27). Besonders einfach wird dies, wenn Binnenechos vorhanden sind, die durch Manipula-
Gefäßsignalen im Doppler ist in erster Linie abhängig von der Abbildungsqualität des verwendeten Geräts und der optimalen technischen Einstellung. Idealerweise sind kleine Gefäße im normalen benachbarten Weichteilgewebe gerade noch nicht zu erkennen, während in Gelenkkapsel, Synovialis und Sehnenscheiden Dopplersignale aufleuchten (. Abb. 3.27). Ob es sich tatsächlich um vermehrte Gefäßeinsprossung oder um vermehrte Durchblutung zahlenmäßig normaler Gefäße handelt, hängt vom zugrundeliegenden pathologischen Mechanismus ab, ist aber bildgebend nicht zu unterscheiden. Hierin liegt auch die Schwierigkeit einer eventuellen Kontrolle auf Ansprechen der Therapie (Giovagnorio et al. 2001; Kasukawa et al. 2004; Salaffi et al. 2004; Strube et al. 2004; Hierholzer et al. 2002). Im akuten Stadium und im akuten Schub sind vermehrt Gefäße dopplersonografisch abgrenzbar, während sowohl unter erfolgreicher Therapie als auch infolge narbig-bindegewebiger Umwandlung im weiteren Krankheitsverlauf diese Hyperperfusion nachlassen kann, um im Spätstadium mit Gefäßeinsprossungen wieder zuzunehmen.
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
Angrenzende Weichteile. Ausgestülpte Gelenkrezessus, insbesondere Baker-Zysten oder Ganglien, sind bei ausgeprägten Ergüssen mit prall gefüllten Gelenken nicht selten, allerdings treten sie auch häufig ohne Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen isoliert auf. In unserem Patientenkollektiv sind etwa 90% der Baker-Zysten und Ganglien nichtrheumatischer Genese. Die meisten Bursen sind im Normalfall sonografisch nicht darstellbar, da nicht nennenswert mit Flüssigkeit gefüllt. Eine Erkennbarkeit dieser Schleimbeutel ist daher als pathologisch anzusehen, wobei die Ursache höchst unterschiedlich sein kann. Am häufigsten sind Veränderungen der Sehnenscheiden (Tendovaginitis und Tendosynovitis) sowie des fibroossären Überganges anzutreffen, seltener der Sehnen selbst (Tendinose oder Tendinitis) oder deren Begleitgewebes (Paratendinitis). Sehnenbeteiligungen reichen von leicht vermehrter lamellenartig abgrenzbarer Flüssigkeit entlang der Sehne über pseudozystische Einschlüsse (. Abb. 3.22) zu massiv irregulär verbreiterten, verklebten Sehnenscheiden (. Abb. 3.38), gelegentlich Veränderungen der Sehne selbst oder des Paratendinealraums (. Tab. 3.17). Im Doppler erscheint die Sehne selbst in der Regel unauffällig, während die hypertrophierte Synovialis häufig vermehrte Signale aufweist. Hier ist meistens eine Differenzierung zwischen echogener Flüssigkeit in der Sehnenscheide und hypertrophierter Synovialis nicht mehr möglich, allenfalls auf Basis des Dopplersignales. Usuren. Früher erfolgte der Nachweis auch kleiner Kon-
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turauflösungen und Arrosionen der Kompakta mittels hochauflösender Röntgenaufnahme, ggf. in Mammografietechnik und im Wasserbad. Trotz der hohen Qualität der Aufnahmen und großen Sensitivität wird diese Methode aufgrund der Strahlenexposition weniger häufig eingesetzt.
Die Sonografie kann grundsätzlich Usuren erkennen (Kainberger et al. 2002); dies setzt aber voraus, dass genau die »richtige« Stelle anschallbar ist und untersucht wird. Mit Kenntnis des Röntgenbildes lässt sich einiges mehr
. Tab. 3.17. Sonografische Muster der Sehnenbeteiligung Art der Auffälligkeit
Vorkommen
Bogige Aufweitung der Sehnenscheide, echofrei, einzeln
Physiologisch über Beugezonen, z. B. Handwurzel
Bogige Aufweitung der Sehnenscheide, echofrei, mehrfach
JIA, akute Entzündung
Bogige Aufweitung der Sehnenscheide, echogen
JIA, chronische Entzündung (. Abb. 3.26)
Bogige Aufweitung der Sehnenscheide dorsal und ventral
JIA, chronische Entzündung
Flüssigkeitslamelle der Sehnenscheide
Akute Entzündung
Septen und Pseudozysten der Sehnenscheide
Verklebungen, längerer Verlauf
Ganglien (Ausstülpungen)
Posttraumatisch, idiopathisch
Verbreiterung der Sehnenscheide selbst
Paratendinitis, akute Entzündung
Verbreiterung der Sehne – echoarm
Degenerativ, traumatisch frischere Blutung
Verbreiterung der Sehne – echogen
Degenerativ, traumatisch ältere Blutung
Verkalkung der Sehne
Degenerativ, chronisch rezidivierende Traumata
Verschmälerung der Sehne
Degenerativ alt, chronisch
. Abb. 3.20. Schematische Darstellung der Gelenkrezessus der Schulter. (Mod. n. Henry Gray, Anatomy of the Human Body)
3.3 · Bildgebende Verfahren
. Abb. 3.21. Ausgeprägter, homogen sehr echogener Erguss im medialen Rezessus der rechten Schulter im Transversalschnitt bei M. Still (s. Referenzebene 1 in Abb. 3.20)
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5 Epiphyseolyse: Sagittal plus koronar über Humeruskopf und Metaphyse (Abrutsch nach lateral und ventral). 5 Orthopädisch: Bizepssehne ventral quer im Sulkus plus sagittal-ventral. 5 Rotatorenmanschette koronar plus sagittal von Akromion aus. 5 Infra- und Supraspinatussehnen von dorsal-transversal. 5 Jeweils dynamische Untersuchung, d. h. unter Bewegung der fraglichen Strukturen! 5 Bursitis/Septisch: transversal von ventral plus koronar von Akromion aus Bursa subacromialis-subdeltoidea. 5 Erguss/Arthritis: zusätzlich transversal von ventral zwischen Humerus und Thoraxwand in Höhe Humerusmetaphyse/-diaphyse nach Erguss im Recessus axillaris suchen, Arm leicht abduziert. Cave: echoreiche, d. h. muskelähnliche Ergussbinnenstruktur!
Erguss im Ellenbogen (. Abb. 3.23, 3.24) darstellen. Beim Kind kommt erschwerend die große Variabilität der Knochenoberfläche während der Knorpelumwandlung hinzu, sodass in der Praxis eine Differenzierung zwischen physiologischer Konturunruhe und Usuren bei gleichzeitig fehlenden Weichteilalterationen derzeit schwierig ist (Schmidt et al. 2003).
Untersuchungstechnik und Standardschnitte für Gelenke bei Kindern mit Verdacht auf juvenile idiopathische Arthritis (JIA) Schultergelenkerguss (. Abb. 3.20–3.22)
Linearer Schallkopf, mindestens 7 MHz; in Supination (soweit möglich) seitengleich beide Seiten untersuchen und dokumentieren. Abbildung 90° gebeugt von dorsal längs und quer, Abbildung maximal gestreckt, seitengleich, längs über Radius und Ulna, quer. Erguss? Synovia? Gelenkkapsel? Binnenstruktur des Ergusses?
Erguss im Handgelenk (. Abb. 3.25, 3.26) Linearer Schallkopf, mindestens 7 MHz, besser 10 oder 14 MHz. Ein Wasservorlauf kann die Darstellung der un-
Voraussetzung ist ein linearer Schallkopf von mindestens 7 MHz. Dualbild rechts/links im Seitenvergleich, Abbildung je nach Fragestellung.
. Abb. 3.22. Sagittalschnitt über der Bizepssehne (s. Referenzebene 2 in Abb. 3.20). Beidseits ausgeprägte Tendinitis bei juveniler idiopathischer Arthritis mit echogenem Material, links mit Ausbildung kleiner zystischer echofreier Areale, Hyperämie der Sehnenscheide als Ausdruck aktiver Entzündung (gelbe Pfeile: Sehne, graue Pfeile: Sehnenscheide, weiße gestrichelte Pfeile: echogenes Material)
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
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. Abb. 3.23. Kind mit Gelenkerguss rechts, Gegenseite normal. Linke Bildseite: Transversalschnitte von dorsal; rechte Bildseite: Sagittalschnitt auf Fossa olecranii . Abb. 3.24. Patient von Abb. 3.23, Sagittalschnitte von ventral. Linke Bildhälfte ulnar (oben) und radial (unten), Gelenkkapsel (gelbe Pfeile) ausgespannt, Erguss nahezu echofrei, Synovialis (roter Pfeil) akzentuiert; Gegenseite regelrecht . Abb. 3.25. »Ausmelken« am Handgelenk: von radial und ulnar dosierte Kompression der Weichteile mit Ausstreichen nach dorsal unter Beobachtung der Veränderungen in den gelenknahen Gewebeabschnitten . Abb. 3.26. Ausgedehnte Beteiligung der Sehnenscheide mit reichlich Binnenechos. Gelenkerguss (weißer Pfeil) praktisch echofrei, Synovialisproliferation (rote Pfeile). Nativ (oben), mit Ausmelken (unten)
3.3 · Bildgebende Verfahren
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. Abb. 3.27. Erguss im Daumengrundgelenk mit Kompression (oben) und ohne Kompression (unten). Die Synovialisverdickung bleibt konstant, der Erguss lässt sich wegdrücken. Im Farbdoppler ausgeprägt vermehrte Vaskularisation/ Perfusion der verdickten Synovialis; der Erguss selbst ist echofrei
mittelbar schallkopfanliegenden Strukturen wesentlich verbessern. Im Bereich der maximalen Schwellung nach Sehnen und den Handwurzelknochen aufliegenden Gelenkergüssen suchen (cave: Knorpelanteile; Differenzialdiagnose: Erguss). 5 Beide Seiten untersuchen und dokumentieren! 5 Abbildung längs und quer. 5 Sagittalschnitt hauptsächlich über Sehnen und über gesamtes Handgelenk. 5 Dorsal: Sagittalschnitt ulnar und radial, Transversalschnitt. 5 Palmar: Sagittal- und Transversalschnitt. 5 Gelenk »ausmelken«: von medial und lateral nach innen vorschieben. Knorpelige Anteile bleiben stationär, Gelenkkapsel plus Ergüsse schieben sich in Richtung Sehnenscheide.
Fingergelenkerguss (. Abb. 3.27) Linearer Schallkopf, mindestens 7 MHz, besser 10 MHz oder 14 MHz, hochauflösendes Programm; gerne mit Wasservorlauf. Immer von dorsal und von volar, ggf. auch von medial oder lateral im Bereich der maximalen Schwellung. Ergüsse sind meist dorsal leichter zu erkennen (cave: Knorpelanteile; Differenzialdiagnose: Erguss, volar Abgrenzung zu Muskulatur). Abbildung bevorzugt sagittal (längs und quer weniger nützlich). Im Bereich der Metakarpalia sind Transversalschnitte hilfreicher, da paraossäre Weichteilveränderungen und Usuren besser und im Vergleich mit benachbarten Knochen leichter erkannt werden können.
5 Abbildung pro Seite: Rezessus, Hüftkopf, wenn möglich Dualbild über gesamtes Gelenk. Erguss? Echogenität? Gelenkkapsel? Synovia? Kopfkontur (M. Perthes)? Abrutsch?
Kniegelenkerguss (. Abb. 3.30–3.32) Linearer Schallkopf, mindestens 5 MHz, im Regelfall 7 MHz, in möglichst neutraler Stellung, seitengleich. Abbildung suprapatellarer Rezessus sagittal und transversal mit und ohne »Ausmelken«. Der Erguss wird häufig durch Schallkopfdruck komprimiert und ist dann lateral/medial »hantelförmig« zu finden. 5 Transversalschnitt medial/lateral in Patellahöhe für den Retropatellarraum; Ausläufer der Gelenkkapsel abbilden: Suprapatellaren Rezessus kräftig ausstreichen und Patella kräftig in Richtung Schallkopf zur untersuchten Seite hindrücken. Schallkopf ganz sanft aufsetzen, sonst drückt man sich evtl. vorhandenen Erguss weg! 5 Abbildung pro Seite: Suprapatellar längs, quer, medial/lateral retropatellar.
Hüftgelenkerguss (. Abb. 3.28, 3.29) Linearer Schallkopf, 5 MHz, im Regelfall 7 MHz. Bei Verdacht auf Epiphyseolysis capitis femoris ggf. mit 3- oder 4MHz-Sektor, wenn sehr adipös (Bildorientierung kranial → rechts) in möglichst vollständiger Beinstreckung, leicht außenrotiert und seitengleich! 5 Abbildung vorderer Pfannenerker → Umschlagbereich der Gelenkkapsel des anterioren Rezessus am Femur.
. Abb. 3.28. Arthrografie des rechten Hüftgelenks bei Hüftluxation, Schnittführung zum Koxitisnachweis eingestrichelt. Tiefster Punkt des Gelenkbinnenraums = anteriorer Rezessus
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Abb. 3.29. Traumatisch bedingter Hüftgelenkerguss (blaue Pfeile) mit mäßiggradiger Einblutung. Der Erguss reicht bis zum ventralen Limbus acetabulare (echogenes Dreieck, kein Koagel!). Synovialisverdickung (rote Pfeile) als Reaktion auf Blutanteile, Kapsel (schwarze Striche) scharf begrenzt
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. Abb. 3.30. Technik der Kniegelenkuntersuchung. Durch laterales und mediales Ausdrücken Auffüllen des suprapatellaren Rezessus . Abb. 3.31. Frische massive Einblutung im suprapatellaren Rezessus (bei knöchernem Ausriss) . Abb. 3.32. Lateraler Rezessus zwischen Patella und Femur im Transversalschnitt von lateral. Untersuchungstechnik mit manueller Kompression suprapatellär und Translation der Patella in Richtung darzustellendem Rezessus. Massiv verdickte Synovialis bei länger bestehender juveniler idiopathischer Arthritis; der Erguss selbst ist nahezu echofrei
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3.3 · Bildgebende Verfahren
5 Kniekehle von dorsal längs und quer mit der Frage nach Baker-Zysten (beidseits untersuchen!). Baker-Zysten können sowohl im Rahmen eines ausgeprägteren Ergusses druckbedingt auftreten, dann auch gern als »Schlammfänger« dienen und sich mit Sediment füllen, oder auch idiopathisch isoliert ohne Bezug zu rheumatischen Erkrankungen.
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Sprunggelenkerguss (OSG und USG, . Abb. 3.33– 3.38) Linearer Schallkopf, im Regelfall 7 MHz oder 14 MHz, gerne mit Wasservorlauf, Fuß flektiert, seitengleich. 5 Beide Seiten untersuchen und dokumentieren! 5 Abbildung ventral des Fußrücken längs, entlang Innenknöchel ventrosagittal und entlang Außenknöchel ventrosagittal (cave: Knorpelanteile, Differenzialdiagnose Erguss) und zusätzlich über Peronäussehne laterokaudal des Außenknöchels.
. Abb. 3.33. Sehnenbeteiligung, Erguss mit Binnenechos ventral. Minimaler Erguss im OSG ventral, Synovialis (rote Pfeile) verdickt, echofrei
. Abb. 3.34. Massiver Erguss im OSG ventral, wenig Binnenechos, artefaktüberlagert, Synovialis normal. Beachte das ähnliches Echobild der knorpeligen Tibiaepiphyse!
. Abb. 3.35. Erguss im OSG rechts bei juveniler idiopathischer Arthritis (obere Reihe). Gegenseite OSG bis USG (unten). Knorpelige Anteile, kein Erguss
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Abb. 3.36. Erguss im USG. Oben: Übersicht (OSG bis USG sagittal). Beachte die knorpeligen Anteile von Tibiaepiphyse und Talus mit Oberflächenreflex, minimaler Erguss im USG. Unten: ausgemolken, Erguss praller, Synovialis sichtbar, keine Binnenechos
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. Abb. 3.37. Massiver Erguss im USG mit reichlich Binnenechos, Synovialisverdickung (rote Pfeile) und begleitender Sehnenbeteiligung (Winkelpfeil)
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. Abb. 3.38. Ausgedehnte Beteiligung der Peronäussehne bei juveniler idiopathischer Arthritis. Infolge von Verklebungen Fibrinfäden, Auflagerungen an den unauffälligen Sehnen, ganglionartige Aufweitung der Sehnenscheide mit Hypervaskularisation
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3.3 · Bildgebende Verfahren
5 Zusätzlich ggf. Achillessehne und Bursa subachillea in Bauchlage mit Kissen unterlegt, damit der Fuß locker abhängen kann. Sagittal- und Transversalschnitt.
3.3.3
Röntgen
Notwendige und empfohlene Voraussetzungen Standardprojektionen in 2 Ebenen (seitliche Projektion
exakt einstellen!) sind bei Hinweisen auf Trauma unerlässlich; bei differenzialdiagnostischen Erwägungen sind sie zu empfehlen. Bei ausschließlich rheumatologischen Fragestellungen (gelenknahe Osteoporose, Usuren, Gelenkspaltverschmälerung) sollte – insbesondere bei Verlaufsuntersuchungen – überlegt werden, ob eine Ebene (a.-p.-Projektion) ausreichend ist. Ein wesentlicher Teil des Strahlenschutzes ist eine gute Einblendung, sodass der notwendige Bereich gerade ausreichend dargestellt ist. Die Mitabbildung der »Umgebung« bedeutet unnötige Strahlenexposition. Die Planung des Gonadenschutzes ist vor allem bei Aufnahmen des Beckens wichtig: der beste Gonadenschutz ist die Einzeldarstellung der Hüftgelenke, wenn es nur ums Gelenk geht und nicht zusätzlich eine Erkrankung des knöchernen Beckens gesucht wird. Eine Röntgendarstellung bei Verdacht auf Sakroiliitis ist nur noch selten indiziert. Reduktion der Strahlenexposition. Für eine möglichst ge-
ringe Strahlenexposition ist Folgendes zu beachten: Einblendung, inbesondere bei Aufnahmen der Hüftgelenke, bei letzteren in Verbindung mit Gonadenschutz. Verwendung eines 400er Empfindlichkeitsäquivalents auch
und insbesondere bei Aufnahmen mit Speicherfolien. Die durchgehende Verwendung eines 800er Empfindlichkeitssystems ist aufgrund unserer Erfahrung derzeit nur mit einem 800er Foliensystem und einem speziellen Film mit Trennschicht (Kodak »Insight«) mit akzeptabler Qualität möglich. Bei digitaler Technik (Speicherfolien, Festkörperdetektor) sollte eine dem 400er System äquivalente Strahlendosis erreicht werden. Eine dem oben beschriebenen 800er Film-Folien-System (Halbierung der Strahlendosis) äquivalente oder bessere Qualität ist beim praktischen Einsatz digitaler Systeme derzeit schwer oder nicht zu erreichen, obwohl Festkörperdetektoren das Potenzial einer solchen Dosisreduktion bei Erhalt der Bildqualität haben.
Bildgebende Diagnose und Differenzialdiagnose Usuren und Gelenkspaltverschmälerung Usuren und Gelenkspaltverschmälerung sind Zeichen einer Knorpelschädigung und kommen vor allem bei der polyartikulären Form der juvenilen idiopathischen Arthritis vor (. Tab. 3.18).
Synostose Knöcherne Überbrückungen anatomisch normalerweise getrennter Strukturen (. Abb. 3.39) – in diesem Fall Gelenke – kommen bei juvenilen langdauernden Arthritiden vor allem an den Gelenken der Halswirbelsäule vor. Auch an den Iliosakralgelenken kann die Darstellung auch kleinster knöcherner Überbrückungen von Bedeutung sein, da das Nebeneinander von Synovialitis und Usuren, Gelenkspalterweiterung und Synostose ein »buntes Bild« ergeben – ein spezifisches Kriterium für eine rheumatische Iliosakralgelenkbeteiligung, die jedoch nicht rönt. Abb. 3.39a,b. Knöcherne Überbrückung von Wirbelgelenken. Röntgenaufnahmen der seitlichen HWS mit jeweils reduzierter Dosis (800er Empfindlichkeitssystem). Patient mit Morbus Still und rezidivierendem »fixiertem« Schiefhals. a Die seitliche Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule des zehneinhalbjährigen Jungen zeigt einen Normalbefund. b Drei Jahre später sind zahlreiche knöcherne Überbrückungen der Wirbelgelenke offensichtlich (im Gegensatz zu a sind die Wirbelgelenke in der mittleren und unteren HWS nicht mehr abgrenzbar). Zusätzlich zeigt sich eine relativ ausgeprägte Osteopenie, am ehesten aufgrund der Therapie mit Kortikoiden
a
b
3
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1
Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Tab. 3.18. Elemente der Röntgendiagnostik bei Verdacht auf juvenile Arthritis Element
Wahrscheinlichste Ursachen/Diagnosen
Differenzialdiagnose/weniger häufige Ursachen
Usur
Tiefe Erosion des Knorpels/juvenile Arthritis
Seropositive Arthritis vom Erwachsenentyp PVNS
Gelenkspaltverschmälerung
Knorpelschädigung/juvenile Arthritis (häufig polyartikuläre Form) Sekundär nach Trauma oder Kopfnekrose
Schmerzinsensitivität (Charcot-Gelenk) Chondrolyse (Hüftgelenk)
5
Demineralisation, generalisiert
Inaktivitätsosteopenie Steroidtherapie
Primäre Osteoporose (Maligne) Systemerkrankung
6
Demineralisation, gelenknah
JIA (langdauernd oder aktiv) Inaktivität (schmerzbedingt)
Reflexdystrophie
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Demineralisation, metaphysär, bandförmig
Leukämie
Knochenstoffwechselerkrankungen
8
Ossäre Destruktionsmuster ohne Sklerosesaum
Osteomyelitis Langerhans-Zellhistiozytose Maligne primäre Knochentumoren (Ewing-Sarkom, Osteosarkom)
Knochenmetastasen (Neuroblastom) Malignes Lymphom Aneurysmatische Knochenzyste Osteoblastom
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Glatt begrenzte Knochenläsion mit Sklerosesaum
Fibröser Kortikalisdefekt, nicht ossifizierendes Fibrom (vorwiegend metaphysär, kniegelenknah) Juvenile Knochenzyste
Fibröse Dysplasie (milchglasartige zentrale Strahlentransparenzminderung, Knochendeformierung, z. B. Antekurvatur von Oberoder Unterschenkel)
11
Frakturen
Trauma
Kindesmisshandlung Pathologische Fraktur bei Störungen des Knochenaufbaus (Osteogenesis imperfecta) Pathologische Fraktur bei benignen oder malignen Prozessen
Verkalkungen/Verknöcherungen an Sehnenansatzstellen, Synchondrosis ischiopubica oder im Muskel
Trauma (Sehnenanrissläsion: »avulsion injury« oder Myositis ossificans) Überlastungsreaktion/Stressläsion der Synchondrosis ischiopubica (häufig bei einseitig früherer oder verzögerter Verknöcherung als Normvariante und ausgeprägter körperlicher/sportlicher Aktivität)
Maligner Knochentumor (cave: Histologie kann falsch-positiv sein!)
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genologisch, sondern MR-tomografisch dargestellt werden sollte.
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Demineralisation
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Die Demineralisation einer schmerzhaften, vermindert funktionsfähigen Extremität ist in der Regel auf eine Inaktivitätsosteopenie oder arthritisbedingte Knochenstoffwechselveränderung zurückzuführen, da bei Kindern eine generalisierte Osteoporose oder osteopene Knochenstoffwechselstörungen relativ selten sind. In solchen Fällen ist auch an eine Knochenstoffwechselstörung, eine maligne Erkrankung (Goldbloom et al. 2005) und – in Einzelfällen – eine primäre juvenile Osteoporose zu denken, falls eine Steroidtherapie als Ursache nicht in Frage kommt. Eine gelenknahe oder gelenkbezogene Demineralisation (. Abb. 3.40) ist eine häufige radiologische Begleiterscheinung einer ausgeprägten und über längere Zeit
aktiven juvenilen idiopathischen Arthritis. Klinisch sind bei der diagnostischen Einordnung der gelenknahen Osteoporose vor allem eine Reflexdystrophie (Jugendliche) und ein arthritisartiges Bild bei Osteomyelitis sowie eine maligne Systemerkrankung auszuschließen. Die bandförmige metaphysäre Demineralisation kann ein Zeichen einer malignen Erkrankung (Leukämie) oder einer Knochenstoffwechselstörung (Rachitisabheilphase, Vitamin-D-Intoxikation) sein.
Destruktionsmuster Destruktionsmuster (kein Sklerosesaum!) können folgende Erscheinungsbilder annehmen: 5 Geografisch: eine oder mehrere große, irregulär begrenzte Osteolysen
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3.3 · Bildgebende Verfahren
. Abb. 3.40a,b. Gelenknahe Demineralisation an Hand- und Fingergelenken eines 15-jährigen Mädchens mit juveniler idiopathischer Arthritis. a Die Nativröntgenaufnahme (800er Empfindlichkeitsklasse) der linken Hand zeigt Gelenkspaltverschmälerungen und Randsklerosierungen im Handgelenk. Eine erhöhte Strahlentransparenz kommt an allen Finger- und Mittelhandgelenken und an den distalen Radius- und Ulnametaphysen zur Darstellung. Eine Usur ist am Daumensattelgelenk (Pfeil) nachweisbar. b Die vorwiegende Manifestation der Erkrankung am Handgelenk kommt durch die abnormen Signalanhebungen in den Handgelenkknochen und karpometakarpal zum Ausdruck (STIR-Sequenz mit handflächenparalleler Schichtführung)
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a
5 Mottenfraßartig: typisch im Bereich von wenigen Millimetern bis etwa 1 cm liegende, gegen die Umgebung schwer abgrenzbare konfluierende Osteolysen 5 Permeativ: Bälkchen sind trotz Tumor oder Entzündung im Markraum weitgehend erhalten. Diskrete Unschärfe der Feinstruktur. Röntgenologisch am schwersten zu erkennen, insbesondere bei nicht optimierter Aufnahmequalität. Bei Verdacht auf die oben genannten Destruktionsmuster oder ihrem Nachweis müssen bei Kindern und Jugendlichen eine Osteomyelitis, ein eosinophiles Granulom oder Tumoren einschließlich Metastasen nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. Eine MRT ist deshalb – unter Berücksichtigung von Befundsicherheit, Röntgenbild und Klinik – bei Verdacht auf eine entzündliche oder maligne Erkrankung indiziert. Folgende Fragen müssen in einer solchen Untersuchung beantwortet werden: 5 Liegt eine Knochen-/Knochenmarkpathologie vor? 5 Periostale Reaktion? 5 Weichteiltumor im Knochen/außerhalb des Knochens? 5 Abszess oder Nekrosen? 5 Diagnose? 5 Offene röntgenologisch kontrollierte oder MRT-/CTgesteuerte minimal invasive Biopsie? Biopsieort?
Glatt begrenzte Knochenläsionen mit sklerotischem Randsaum Die meisten dieser Veränderungen stellen Zufallsbefunde dar, durch die sich die Symptome nicht erklären lassen.
Am häufigsten kommen fibröse Kortikalisdefekte bzw. das nicht ossifizierende Fibrom vor. Deren Hauptlokalisation ist im Bereich der Kniegelenke.
Frakturen Von besonderer Bedeutung für die Differenzialdiagnose von gelenknahen Erkrankungen sind die Toddler-Fraktur und Stressfrakturen. Die Toddler-Fraktur ist eine nichtdislozierte Spiralfraktur der Tibia, die im frühen Laufalter (zwischen 1. und 2. Lebensjahr) auftritt und bei vermuteter Diagnosestellung nicht selten ein normales Röntgenbild aufweist (Halsey et al. 2001). Stressfrakturen kommen bei Kindern vor, die besonderen Belastungen ausgesetzt sind (Leistungssport, Ballett), vor allem an der proximalen Tibiametaphyse (dorsale Kompakta), und werden aufgrund des Knochenmark- und Weichteilödems bildgebend nicht selten als maligne Tumoren interpretiert. Hier können Röntgenaufnahmen (diskrete bandförmige Sklerosierung) und ein kontrastreiches hochauflösendes MRT mit Fettunterdrückung und Kontrastmitteldynamik sowie die Konsultation der Kinderorthopädie weiterhelfen. Eine Biopsie ist nicht immer hilfreich, da histologische Verwechslungen von traumatisch bedingter Knochenneubildung und höherdifferenzierten Osteosarkomen vorkommen (De Silva u. Reid 2003). Frakturen bei inadäquatem Trauma sollten bei Säuglingen an Kindesmisshandlung, bei Kindern und Jugendlichen an eine pathologische Fraktur denken lassen.
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
Traumatische Sehnenansatzläsionen und Myositis ossificans Bei kindlichen Sehnenansatzreaktionen auf vermehrte Zugbelastung können durch Beachtung einiger Besonderheiten Fehldiagnosen mit z. T. erheblichen Folgen vermieden werden: Die reaktive Knochenneubildung bei Sehnenanrissläsionen oder traumatischer Myositis ossificans kann histologisch ähnlich wie eine Stressfraktur ein Osteosarkom vortäuschen (De Silva u. Reid 2003). Bei Beschwerden im Hüft- und Kniebereich ist an Anrissläsionen der Sehnenplatten zu denken, falls die bildgebende Pathologie sich an den Sehnenansatzstellen und deren Umgebung orientiert. Eine hochauflösende kontrastreiche Bildgebung mit Fettsuppression ist auch hier erforderlich, um eine klare Diagnose stellen zu können.
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3.3.4
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Notwendige und empfohlene Voraussetzungen
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wendigen Anschlüsse, Überwachungs- und Reanimationsmöglichkeiten für Untersuchungen in Sedierung und Narkose (. Tab. 3.19). Spulen und Volume of Interest (VOI). Ein optimiertes Signal-Rausch-Verhältnis kann bei gegebenem Gerät auch durch Anwendung geeigneter Spulen erreicht werden: die Verfügbarkeit geeigneter z. B. flexibler Spulen und deren bestmögliche Handhabung ist von großer Bedeutung und kann gegebenenfalls wichtiger sein als beispielweise der Unterschied zwischen einer Feldstärke von 1 und 1,5 Tesla. Die Anordnung der Empfangsspule direkt am Zielvolumen erlaubt eine selektive Untersuchung eines kleinen Zielvolumens (z. B. das linke oder das rechte Kniegelenk) und hinsichtlich Auflösung und Kontrast eine wesentlich bessere Bildgebung pro Zeiteinheit als die Erfassung eines relativ großen Zielvolumens (z. B. beide Kniegelenke).
Magnetresonanztomografie
Gerätetechnik, Medien, Lagerung, Sedierung. Einige
gerätetechnische, räumliche und personelle Voraussetzungen sind für die Untersuchung des Muskel-SkelettSystems und der Gelenke bei Kindern entscheidend für die Qualität und Aussagekraft. Wesentliche Voraussetzungen sind ein möglichst hohes Signal-Rausch-Verhältnis, die Möglichkeit von dünnen 2D-Schichten (2 mm) und 3D-Schichten (1 mm) bei kleiner Pixelgröße (maximale Pixelkantenlänge deutlich weniger als 1 mm), keine Untersuchung ohne Medien (Musik, Radio, Kindergeschichten), technisch optimierte (Spulenposition!) und gleichzeitig für Kinder bequeme Lagerung, sämtliche not-
! Wenn Detailinformationen und eine spezifische und zuverlässige Diagnose erwartet werden, muss deshalb auch die Indikation zur Untersuchung möglichst selektiv sein. Eine Ausnahme von diesem Prinzip stellt die Ganzkörperuntersuchung dar, bei der das Verteilungsmuster und die (asymptomatische) Ausbreitung von Erkrankungen im Vordergrund des Interesses stehen.
Spulenganzkörperuntersuchung. Hierbei handelt es sich
um eine Suchmethode für asymptomatische Gelenkbeteiligungen und für die Differenzialdiagnose einer nicht primär gelenkbezogenen Erkrankung wie CRMO, Leukämie oder malignes Lymphom (. Abb. 3.41). Voraussetzung ist bei Kindern eine Spulen-»Abdeckung« des gesamten Kör-
. Tab. 3.19. Wesentliche Voraussetzungen für die MRT bei kindlicher Arthritis
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Lagerung
5 Kindgerechte sehr bequeme Lagerung, vorher auf Toilette schicken 5 Medien (Kindergeschichten, Radio) während der Untersuchung zur Ablenkung
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Sedierung
5 Anschlüsse für Narkose, optimale und kontinuierliche Überwachung 5 Beste Ergebnisse und kurze Wechselzeiten mit Larynxmaske und Propofol (eigene Erfahrung)
Feldstärke und Gradientenleistung
5 ≥1 T wegen der großen Bedeutung der frequenzselektiven Fettunterdrückung 5 Hohe Gradientenfeldstärke (z. B. ≥25 mT/m) und -performance (hohe Gradientenanstiegsleistung bzw. »slew rate«) wegen hoher Qualität (dünne Schichten und hochauflösende 3D-Sequenzen) in möglichst kurzer Zeit
Spulentechnik
5 Spulen so nahe wie möglich an den Patienten (besseres Signal-Rausch-Verhältnis!) 5 Große Zahl von Spulenelementen und Kanälen 5 Bei Kindern ideal: von Kopf bis Fuß koppelbare Spulen (Ganzkörpertechnik)
Sequenzen
5 Fettunterdrückung oder selektive Wasseranregung nativ (STIR und während/nach Kontrastmittelapplikation 5 Hohe Schichtauflösung und adäquate Schichtdicke (dünne Schichten bei komplexen Strukturen und erforderlicher Detaildarstellung von Pathologie und erhaltenen, verdrängten oder involvierten Anteilen (ursprünglich) normaler Gewebsanteile 5 Dynamische Kontrastmitteluntersuchung (3D-FLASH, VIBE, 3D-FFE, SPGR oder Äquivalent möglichst mit Fettsuppression) 5 3D-Sequenzen insbesondere zur detaillierten Knorpeldarstellung (DESS oder Äquivalent, fettsupprimiert)
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3.3 · Bildgebende Verfahren
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pers und eine Atemtriggerung bei der Untersuchung des Thorax und Abdomens. Forderungen an die Ganzkörperuntersuchung bei Kindern 5 Ausreichende Auflösungs- und Kontrastqualität (Schichtdicke 3–4 mm, Pixelfläche deutlich unter 3 mm2, kein nennenswertes Bildrauschen) 5 Fettsuppression (möglichst Feldinhomogenitätsunabhängig, z. B. STIR-Sequenz) 5 Akzeptable Scanzeit (15–30 min nativ und 10– 25 min nach Kontrastmittelapplikation) 5 Detailuntersuchung einer auffälligen Region ohne Unterbrechung unter Verwendung der bereits angelegten gekoppelten Regionalspulen
Die Verwendung der in der Röhre integrierten Empfangsspule (»Bodyspule«) erfüllt wegen zu geringem Signal-Rausch-Verhältnis die obengenannten Bedingungen nicht. Sequenzen. Eine zuverlässige Fettunterdrückung ist der
. Abb. 3.41. Multifokale nichtbakterielle Osteomyelitis bei einem 12jährigen Mädchen. Anhaltendes Schonhinken, Schmerzen in den Füßen. Im Gegensatz zum normalen (grauen) Signal des Knochenmarks (linker Schenkelhals) sind an beiden distalen Femurmetaphysen und beiden proximalen Humerus- und Tibiametaphysen, im Markraum des rechten Schenkelhalses, in den pfannendachnahen Anteilen des linken Darm- und Sitzbeines, in der linken distalen Femurepiphyse multiple zum Teil beidseitige am Knie nahezu symmetrische abnorme Signalanhebungen nachweisbar. Klein- bis kleinstfleckige Signale im Mittelfuß- und Sprunggelenkbereich sind häufig als unspezifischer Nebenbefund zu beobachten. (Ganzkörpertechnik, fettsupprimierte STIR-Sequenzen. 5 Abschnitte mit Nahspulenerfassung des gesamten Körpers. Abschnitte: FOV 50 cm, Schichtdicke 4 mm, Matrix 269×384. Untersuchungszeit pro Abschnitt maximal 4 min ohne und 10 min mit Atemtriggerung)
Schlüssel für eine erfolgreiche und aussagekräftige MRtomografische Diagnostik von Gelenken und dem Muskel-Skelett-System. Extrem zuverlässig ist die weitgehend von der Feldinhomogenität unabhängige Inversion-Recovery-Sequenz mit T1-assoziierter Fettsuppression (Inversionszeit etwa 2 Drittel der T1-Relaxationszeit von Fett bei gegebener Feldstärke). Mit dieser Sequenz sind sämtliche pathologischen Signalanhebungen im Gelenk (Gelenkerguss und/oder Synovialisproliferation), der Gelenkumgebung, den Sehnen und im Knochen bzw. Knochenmark – bei adäquater Bildqualität und im Kontext mit der dynamischen Kontrastmitteluntersuchung – anatomisch zuzuordnen. Die dynamische Kontrastmitteluntersuchung kann ähnlich wie bei der MR-tomografischen Mammadiagnostik als 3D-Gradientenechosequenz mit 1-mm- oder 1,5-mm-Partitionen gefahren werden. Wir lassen diese Sequenz im 30-s-Takt 13-mal meist mit Fettunterdrückung laufen – Kontrastmittelbolus zwischen dem 1. und 2. Sequenzblock. Danach kommt eine hochauflösende T1-gewichtete Sequenz mit frequenzselektiver Fettsättigung oder selektiver Wasseranregung zur Anwendung. Diese Sequenz kann aufgrund ihrer exzellenten Auflösungskapazität bei gutem Kontrast weitere strukturelle Details liefern. Eine zusätzliche, insbesondere bei Knorpelläsionen (Usuren) und Meniskusveränderungen (Scheibenmeniskus) wichtige Nativsequenz ist eine hochauflösende 3DGradientenechosequenz (0,7–1,5 mm Partitionsdicke) mit Fettunterdrückung (bzw. wasserselektiv) und signalintensiver Darstellung von Knorpel oder knorpeligen Strukturen (alternativ hochauflösende 2-mm-Protonensequenz mit Fettunterdrückung in 2 Ebenen).
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
Bildgebende Diagnose und Differenzialdiagnose ! Für die Diagnose und Differenzialdiagnose in der MRT spielen Signalanhebungen in der STIR-Sequenz eine dominierende Rolle (. Tab. 3.20).
Sie dient als Suchsequenz. Allerdings zeigen Ödem, Entzündung, Tumor, Flüssigkeit, verdickte Synovialmembran und in geringerem Maß auch aktives, stark blutbildendes Mark alle eine angehobene Signalintensität. Dieser unspezifische Befund ist bei einigen Patienten ausreichend. Häufig ist jedoch eine Differenzierung erforderlich. Dabei kommen die folgenden diagnostischen Prinzipien zur Anwendung: 5 Lokalisation (Markraum, endostal, subperiostal, Muskulatur, Gelenkraum, Sehnenscheiden, subkutanes Fettgewebe) und Feinstruktur innerhalb und außerhalb der Signalanhebung mittels hochauflösender und Signal-Rausch-effizienter 2D- und 3DSequenzen;
5 gewebsoptimierte Sequenzwahl; 5 Kontrastmitteleigenschaften einschließlich Kontrastmitteldynamik mit Seriensubtraktion und Kurvenanalyse. Signalanhebung im Gelenk. Signalanhebungen im Gelenk (. Abb. 3.42) können in großen Teilen des Gelenkraumes vorhanden sein oder eine fokale abnorme Veränderung anzeigen. Über wesentliche Teile des Gelenkraumes verteilt sind in der Regel Flüssigkeit (Gelenkerguss, Blut) oder/und eine verdickte Synovialmembran. ! Eine sichere Unterscheidung zwischen Flüssigkeit und synovialer Proliferation oder Reaktion ist nur mittels des Einsatzes von Kontrastmittel möglich.
Die dynamische Kontrastmitteluntersuchung ermöglicht eine serielle Analyse mit Seriensubtraktion und Kontrastmittel-Zeit-Intensitätskurven und gibt so nicht nur Auf-
. Tab. 3.20. Elemente der MRT bei Verdacht auf juvenile Arthritis
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Element
Wahrscheinlichste Ursachen/Diagnosen
Differenzialdiagnose/weniger häufige Ursachen
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T2-assoziierte Signalanhebung im Gelenk
Gelenkerguss und/oder Synovialisverdickung
Gelenktumor oder tumorartige Synovialisproliferation
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T2-assoziierte Signalanhebung im Verlauf von Sehnenscheiden
Synovialisproliferation bei juveniler Arthritis
Infektiöse Synovialitis (selten!)
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T2-assoziierte Signalanhebung an Sehnenansatzstellen
Enthesiopathie/unspezifischer Befund, Trauma, Spondylarthritis Enthesitis/Spondylarthritis
Infektion (selten)
T2-assoziierte Signalanhebung im Markraum, gelenknah, beidseitig des Gelenkes
Juvenile Arthritis (häufig beidseitig)
Reflexdystrophie, ausgeprägte Inaktivität
T2-assoziierte Signalanhebung im Markraum, einseitig
Juvenile Arthritis (Sakroiliakalgelenk) Osteomyelitis mit sekundärer Arthritis
Nichtbakterielle Osteomyelitis/CRMO Trauma (Knochenmarkkontusion, bei Stressfraktur sehr ausgeprägt!) Maligner Tumor (evtl. mit Gelenkbeteiligung)
T2-assoziierte Signalanhebung im Markraum, multifokal
Nichtbakterielle Osteomyelitis/CRMO Langerhans-Zellhistiozytose
Malignes Lymphom Knochenmetastasen (Neuroblastom, Ewing-Sarkom) Bakterielle multifokale Osteomyelitis Multiple Knocheninfarkte bei Sichelzellanämie- oder therapiebedingt (Chemotherapie)
Periostale Reaktion
Osteomyelitis Langerhans-Zellhistiozytose
Juvenile Arthritis Tumor, subperiostale Blutung
T2-assoziierte Signalanhebung vom Ödemtyp (erhaltene anatomische Strukturen) in den Weichteilen
Ödem (Entzündung, Trauma insbesondere Stressfraktur, peritumorales Ödem z. B. beim Osteosarkom)
Tumorinfiltration im Randbereich (Sarkome, M. Hodgkin) Lymphangiosis carcinomatosa (im Kindesalter bei neu entdeckten Tumoren äußerst selten)
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3.3 · Bildgebende Verfahren
. Tab. 3.20. Fortsetzung Element
Wahrscheinlichste Ursachen/Diagnosen
Differenzialdiagnose/weniger häufige Ursachen
T2-assoziierte Signalanhebung vom Weichteiltumortyp, nicht zystisch
Maligner Tumor (Sarkom) Benigner Tumor oder Tumorartige Läsion (Hämangiom, Hämatom)
Eosinophiles Granulom Fibromatose/Desmoid
T2-assoziierte Signalanhebung vom Weichteiltumortyp, zystisch
Benigne Raumforderung wie Lymphangiom (Flüssigkeits-Flüssigkeitsspiegel häufig), Baker-Zyste (Knie) sind dünnwandig, gering bis mäßig KM-aufnehmend
Maligne Raumforderung, etwas dickwandiger als das typische Lymphangiom (Synovialsarkom, Rhabdomyosarkom Flüssigkeits-Flüssigkeitsspiegel selten)
Synoviale Verdickung/Proliferation im Gelenk (KM-Dynamik)
Juvenile Arthritis, vor allem bei relativ geringem oder fehlendem Erguss Arthritis bei Osteomyelitis mit Gelenkbeteiligung
Infektiöse/eitrige Arthritis Mit Borreliose assoziierte Arthritis (Synovialitis und Erguss ausgeprägt) PVNS, synoviale Chondromatose
Fokale synoviale Verdickung/Proliferation im Gelenk (KM-Dynamik)
Juvenile Arthritis
PVNS
Usur
Juvenile Arthritis
PVNS
Synoviale Verdickung der Sehnenscheide
Juvenile Arthritis
Infektiöse Tendosynovitis (selten, insbesondere wenn mehrere Sehnenscheiden betroffen sind)
Kontrastmittelaussparung im Gelenk
Gelenkerguss
Eiter, Gelenkeinblutung, freier Gelenkkörper
Kontrastmittelaussparung im Knochenmark
Eitrige Osteomyelitis/Brodie-Abszess
Langerhans-Zellhistiozytose, Ewing-Sarkom
Subperiostale Kontrastmittelaussparung
Subperiostale Eiteransammlung (bei Osteomyelitis) Subperiostale Blutung bei Trauma
Subperiostale Blutung bei angeborener oder erworbener Schmerzinsensitivität
a . Abb. 3.42a,b. Intraartikuläre Signalanhebung, Differenzierung mit Kontrastmittel. Transversalschnitte durch das rechte Kniegelenk eines 11-jährigen Mädchens. Klinisch und sonografisch Schwellung und Erguss im rechten Kniegelenk. Positiver Borrelientiter. a Die native fettsupprimierte STIR-Sequenz (transversal 3 mm, FOV 20 cm) zeigt eine ausgeprägte Signalanhebung im Kniegelenk. b Die Differenzierung
b zwischen Erguss und Synovialisverdickung bzw. -proliferation gelingt mit Kontrastmittel. Hier zeigt sich, dass der Erguss (zentrale Kontrastmittelaussparungen, Pfeile) deutlich geringer ist als aufgrund des Nativbildes anzunehmen (T1-Wichtung, FOV 20 cm, 512er Matrix in Frequenzselektionsrichtung, fettsupprimiert)
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3.3 · Bildgebende Verfahren
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schluss über die Frage von relativem Anteil von Flüssigkeit und Synovialmembran, sondern auch über die Vaskularisation, beispielsweise im Fall eines synovialen Hämangioms. Signalanhebung im Verlauf von Sehnenscheiden. Eine Signalanhebung entlang von Sehnenscheiden (. Abb. 3.43) ist in aller Regel vorwiegend oder ausschließlich durch Synovialisproliferation bedingt. Eine Kontrastmittelapplikation zur Sicherung einer Tendosynovitis ist hier nur in besonderen Fällen notwendig (eitrige Tendovaginitis), beispielsweise wenn eine rheumatische Erkrankung sehr unwahrscheinlich ist. Angehobene Signalintensität an Sehnenansatzstellen. Eine fokal erhöhte Signalintensität (und eine ver-
mehrte Kontrastmittelaufnahme) an Sehneninsertionen (. Abb. 3.44) kann bei entsprechender Ausprägung eine Enthesitis von einer Enthesiopathie unterscheiden helfen, die auch bei gesunden Kindern im Wachstumsalter relativ häufig vorkommt (Sherry u. Sap 2003). Signalanhebung im Markraum. Multiple Skelettveränderungen können Ursache von Symptomen an einem oder mehreren Gelenken sein. Multiple Signalanhebungen im Markraum bei der Ganzkörper-MRT (evtl. auch multifokale erhöhte Aktivität in der Skelettszintigrafie) sind Anlass für Überlegungen und Abklärung des rheumatologisch-onkologisch-orthopädischen pädiatrischen Bereichs. In Frage kommen vor allem nichtbakterielle multifokale Osteomyelitis (CRMO bzw. NBO), LangerhansZellhistiozytose und maligne Erkrankungen (Leukämie, malignes Lymphom, Neuroblastommetastasen). Bei Signalanhebungen und morphologischen Veränderungen in den gelenknahen Metaphysen und Epiphysen sollte immer geprüft werden, ob es sich um gelenknahe reaktive Veränderungen (Inaktivität, juvenile idiopathische Arthritis) (. Abb. 3.45f) handelt oder ob eine gelenknahe Osteomyelitis (. Abb. 3.45a–e) vorliegt
9 . Abb. 3.43a–e. Signalanhebung und verstärkte Kontrastmittelaufnahme im Bereich der Sehnenscheiden. Bildgebung der Tendovaginitis. a Elfeinhalb Jahre alter Junge mit schmerzhafter Schwellung am Innenknöchel. Die Untersuchung zeigt eine Signalanhebung und Verdickung der Weichteile, insbesondere auch des subkutanen Fettgewebes oberhalb des medialen Sprunggelenks, jedoch auch eine Signalanhebung der Sehnenscheiden, vor allem um die Sehne des M. tibialis posterior (Pfeil) und in den dorsalen Weichteilen, sowie geringgradig in den Ausläufern des Sprunggelenks (transversale 4-mm-STIRSequenz). b–e Neuneinhalb Jahre altes, HLA-B27-positives Mädchen mit Schmerzen und Schwellung am rechten Fuß. b,c Nach Kontrastmittelapplikation T1-gewichtete Schichten mit frequenzselektiver Fettsättigung (3 mm koronar und transversal). b Die Untersuchung zeigt eine kontrastmittelanreichernde ausgeprägte Verdickung der Sehnenscheiden mit Ausdehnung in die proximalen Anteile der Seh-
. Abb. 3.44. Enthesitis bei einem 11-jährigen, HLA-B27-positiven Jungen mit unklarer Schwellung der linken Achillessehne bzw. der Ferse seit 2,5 Jahren, leichtes Hinken. Schmerzfreiheit unter nicht steroidaler antiinflammatorischer Therapie. Die Untersuchung zeigt eine pathologische Kontrastmittelanreicherung und Erosion am Ansatz der Plantaraponeurose (Pfeilspitze) und am Achillessehnenansatz. Zusätzlich Erosion bzw. Usur mit kontrastmittelaufnehmendem Substrat im Os cuboideum (Pfeil). Rekonstruierte sagittale Schicht aus transversalen 1-mm-Schichtpartitionen einer VIBE-Sequenz
(fast immer nur auf einer Seite des Gelenks). Schwierigkeiten kann diese Differenzierung vor allem bei einseitiger Sakroiliitis machen, da zum einen eine dysproportional starke periartikuläre Signalanhebung (im Verhältnis zum Ausmaß der Gelenkbeteiligung) auch einseitig bestehen kann und zum anderen eine sakrale oder iliale gelenknahe Osteomyelitis eine sekundäre Sakroiliitis verursachen kann. Wesentliche Unterscheidungsmerkmale geben Anamnese, Verlauf und Laborparameter. Bildgebend ist das Vorliegen von Synovialitis, Usuren und knöchernen Überbrückungen charakteristisch und in Zusammenhang mit beidseitigem Befall praktisch pathognomonisch für
ne des M. tibialis posterior. c Verdickung der Sehnenscheiden und Übergreifen der Kontrastmittelanreicherung wenige Millimeter in die umliegenden Weichteile, auch an der Sehne des M. flexor digitorum longus. Die Kontrastmitteluntersuchungen werden in der Rheumatologie grundsätzlich mit Kontrastmitteldynamik und Seriensubtraktion durchgeführt, da diese Technik wesentliche zusätzliche Informationen liefert. d,e Die Kontrastmittel-Zeit-Intensitätskurve zeigt, dass die Synovialmembranen der Sehnenscheiden noch deutlich kräftiger kontrastmittelaufnehmend sind (gelbe und grüne Kurven) als die Synovialmembran des oberen Sprunggelenk (rote Kurve). Der Vergleich zu einem venösen Gefäß (türkisfarbene Kurve) zeigt, dass die entzündete Synovialmembran stark und anhaltend Kontrastmittel aufnimmt (Kontrastmitteldynamik mit 2-mm-VIBE-Sequenzen, fettsupprimiert, 30 Schichtpartitionen, 30-s-Takt für 6,5 min, Bolusinjektion 30 s nach Start der Serie)
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. Abb. 3.46a,b. Periostale Reaktion bei CRMO, 10 Jahre altes Mädchen mit persistierenden Schmerzen und schmerzbedingter Gehbehinderung in beiden Füßen. a Röntgennativaufnahme; ausgeprägte periostale Reaktion an den Metakarpalia IV. b Zusätzlich pathologische Signalanhebung im Knochenmark und den Weichteilen, Metatarsalia III, IV und V betroffen. Fußsohlenparalleler 3-mm-MRT-Schnitt, fettsupprimiert, nativ (STIR-Sequenz)
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eine rheumatische (zu 95% HLA-B27-assoziierte) Sakroiliitis bzw. Spondylathritis. Periostale Reaktion. Eine Periostabhebung und -verdi-
ckung kommt bei Patienten mit juveniler Arthritis vor – auch in Assoziation mit diffuser ödemartiger Weichteilreaktion (Finger ähnlich wie bei »charakteristischer« Psoriasisarthritis). Diese Periostreaktionen sind jedoch von entzündlichen und tumorösen Periostabhebungen durch ihre geringe Ausprägung und den Bezug zu arthritischen Gelenkveränderungen zu differenzieren (. Abb. 3.46). Angehobene Signalintensität in den Weichteilen vom Ödemtyp. Nichttumoröse signalgebende und/oder ver-
mehrt kontrastmittelaufnehmende Weichteilstrukturen (. Abb. 3.47) , deren strukturelle Zugehörigkeit in hochauflösenden Schichten fast immer identifiziert werden kann (Auswertung am Monitor mit normaler und dunk-
9 . Abb. 3.45a–f. Erhöhtes Markraumsignal. a–e Sekundäre Arthritis bei gelenknaher Osteomyelitis; Junge mit Schmerzen seit 10 tagen in der linken Hüfte nach einem Sturz beim Skifahren. Seit 8 Tagen Fieber, unter Antibiotikatherapie Fieberfreiheit, jedoch nach wie vor Schmerzen und deutlich erhöhte Entzündungszeichen (BSG 55/100). a,b Die Untersuchung zeigt eine pathologische flüssigkeitsäquivalente Signalanhebung im Hüftgelenk, jedoch gleichzeitig ein abnormes Signal am medialen unteren Pfannendachanteil unterhalb der Y-Fuge mit Weichteilveränderung (Pfeil), wobei in b eine streifenförmige kortikale Begleitreaktion in Richtung Gelenk sichtbar wird (koronare und transversale 3-mm-STIR-Sequenzen). c Pathologische Kontrastmittelaufnahme, Darstellung mit synovialer Reaktion im Bereich des Pfannendachs, gering auch im übrigen Gelenk (T1-Wichtung, transversal, 3 mm, mit frequenzselektiver Fettsättigung, hochauflösend). d,e Im
ler sowie »breiter« Fensterung!). Bei dieser Veränderung handelt es sich fast ausschließlich um eine diffus entzündliche oder ödematöse unspezifische Reaktion, da die Lymphangiomatosis carcinomatosa bei Kindern bei neu entdeckten Tumoren außerordentlich selten ist. ! Weichteil-»Tumor«: Vor der Annahme von Weichteiltumoren muss zunächst festgestellt werden, ob es sich wirklich um einen Weichteiltumor oder um eine tumorartige Darstellung eines perifokalen Ödems handelt.
Dies gelingt mittels hoher Auflösung und ausreichendem Weichteilkontrast bei Fettunterdrückung und 3D-Kontrastmitteldynamik ebenfalls fettsupprimiert oder/und mit Auswertung der Seriensubtraktion. Ein tumorartiges perifokales Ödem (. Abb. 3.48) führt bei benignen Veränderungen (Stressfrakturen, Muskelhämatom) nicht sel-
Gegensatz zu der kontinuierlich und mäßiggradig ansteigenden Kontrastmittelaufnahme der reaktiv verdickten Synovialmembran (gelbe »Region of Interest« bzw. Kurve) zeigt das pathologisch veränderte Knochenmark im Pfannendach eine nahezu vaskuläre Reaktion (rote »Region of Interest« bzw. Kurve) mit ähnlichem Verlauf wie eine Vene (nahezu parallele türkisfarbene Kurve). Die Kontrastmitteldynamik (3DFlash, 1,5-mm-Schichtpartitionen) spiegelt hier die ausgeprägte Vaskularisation im Rahmen der entzündlichen Aktivität einer Pfannendachosteomyelitis mit reaktiver Arthritis wider. f Erhöhtes gelenknahes Markraumsignal bei einem 4 Jahre alten Mädchen mit juveniler idiopathischer Arthrits. Abnorme Signalanhebung im rechten Kniegelenk (fast ausschließlich Synovialitis auf Grundlage der Kontrastmitteluntersuchung). Abnorme metaphysäre Signalanhebung (koronare 4-mm-STIR-Sequenz, geringe bewegungsbedingte Unschärfe)
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. Abb. 3.47a,b. Weichteilreaktion vom Ödemtyp bei juveniler idiopathischer Arthritis und bei subperiostalem Abszess. a 16 Monate alter Junge mit Schwellung des distalen linken Oberschenkels und Problemen mit dem Laufen. Druckschmerz beim Anziehen. Ödematöse Reaktion entlang der Außenseite des distalen rechten Oberschenkels (Pfeile). Vor allem rechts vermehrtes Weichteilsignal um das Kniegelenk herum, in der transversalen Kontrastmitteluntersuchung Nachweis einer Synovialitis (koronare 3-mm-STIR-Sequenz, Ganzkörpertechnik). b 16 Jahre alter Junge. Schmerzen und Schwellung der rechten Unterschenkelaußenseite im Knöchelbereich. Ausgeprägtes Weichteilödem (Pfeilspitzen) bei subperiostalem Abszess (Pfeil) der linken distalen Fibula (transversale 5-mm-STIRSequenz; die effiziente Fettunterdrückung ist am dunklen Signal des Knochenmarks zu erkennen)
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ten zur Verdachtsdiagnose einer malignen Knochen- oder Weichteiltumors. Zystische gelenknahe oder intraartikuläre Raumforderung. Einige dünnwandige Zysten wie Baker-Zysten, ge-
lenk- oder sehnenscheidenassoziierte Ganglien oder ein gelenknahes Lymphangiom sind meist aufgrund ihres Erscheinungsbildes (charakteristische Anordnung, geringe
Wanddicke, geringe oder fehlende Kontrastmittelaufnahme) als solche zu erkennen (. Abb. 3.49). Hinter etwas oder deutlich dickwandigeren »Zysten« mit kräftiger Vaskularisation bzw. Kontrastmittelaufnahme ihrer Wand können sich zystische Sarkome (Synovialsarkom, Rhabdomyosarkom) verbergen. Die Fehlannahme von benignen »Zysten« führt bei entsprechender operativer nichtonkologischer Technik häufig zu einer erheblich eingrei-
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. Abb. 3.48. Tumorartige Weichteilreaktion bei einem 9 Monate alten Jungen. Schmerzen im rechten Kniegelenk vor allem beim Gehen (ein Jahr nach erfolgreich behandeltem Neuroblastom). Die Röntgenaufnahme des rechten Kniegelenks und der rechten proximalen Tibia zeigt eine diskrete Sklerosierung am metadiaphysären Übergang der rechten proximalen Tibia. In der MRT massive Signalanhebung im Knochenmark und den umgebenden Weichteilen vom Ödemtyp (Strukturen/Muskelbündel noch erkennbar). Diagnose: Stressfraktur. Bestätigung durch den Verlauf (in den folgenden Jahren gesund ohne Hinweis auf ein Neuroblastomrezidiv). Im linken Bild medial metadiaphysäre periostale Reaktion. (Röntgenaufnahme des rechten Kniegelenks und des rechten proximalen Unterschenkels mit einem 800er Empfindlichkeitsäquivalent sowie koronare 3-mm-STIR-Sequenzen)
. Abb. 3.49. Fokale Raumforderung im rechten medialen Kniegelenk. 6 Jahre altes Mädchen mit einer Schwellung im distalen medialen Oberschenkel. Eine gut 3 cm durchmessende Raumforderung ist im und am rechten medialen Kniegelenk zu sehen. Ausgeprägtes vaskuläres Kontrastmittelenhancement mit vaskulärer Charakteristik und nur einzelnen Kontrastmittelaussparungen. Intraartikuläres Hämangiom, histologisch mit kleinen lymphangiomatösen Anteilen (STIR-Sequenz in mehreren Schichtebenen)
3.3 · Bildgebende Verfahren
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auch bei JIA vor. Differenzialdiagnostisch ist hierbei an eine pigmentierte villonoduläre Synovialitis (PVNS) und an ein intraartikuläres Osteoidosteom zu denken (Abb. 3.51). Eine synoviale Chondromatose ist im Kindesalter sehr selten und aufgrund der signalarmen nodulären intraartikulären (im Röntgenbild meist kalkdichten) Strukturen zu erkennen. Usuren. Usuren sind auf dem Röntgenbild erst zu erkennen, wenn sie den subchondralen Knochen erreicht haben, während mit der MRT bereits kleine, durch die Synovialitis bedingte Knorpeldefekte dargestellt werden können (. Abb. 3.52).
. Abb. 3.50. Synovialisverdickung bzw. -proliferation bei einem 3 Jahre alten Jungen. Seit einigen Wochen schmerzhafte suprapatelläre Schwellung links und intermittierendes Humpeln. Im 3-mm-Sagittalschnitt durch das linke Kniegelenk (T1-gewichtet mit frequenzselektiver Fettsuppression nach Kontrastmittelapplikation) ist die vermehrt kontrastmittelaufnehmende verdickte Synovialmembran im gesamten Kniegelenk nachzuweisen. Es besteht ein ausgeprägter Erguss im suprapatellären Rezessus
fenderen Behandlung oder deutlich reduzierten Heilungschancen. Synoviale Verdickung/Proliferation im Gelenk. Vorhandensein und Ausmaß der synovialen Verdickung in Relation zur Flüssigkeit bzw. zum Erguss sind klinisch nur sehr schwer und sonografisch häufig nicht mit ausreichender Sicherheit zu erfassen. Dieses Verhältnis kann aber zusätzliche diagnostisch und therapeutisch nutzbare Informationen ergeben. So schließt beispielsweise eine deutliche synoviale nichttumoröse Verdickung ohne (nennenswerten) Erguss nichtrheumatologische Differenzialdiagnosen (traumatisch bedingte Gelenkschwellung, infektionsassoziierte Arthritis) weitgehend aus und kann so auch bei atypischem Krankheitsbild einen wichtigen Baustein eines schlüssigen diagnostischen und therapeutischen Gesamtkonzeptes bilden. Untersuchungstechnisch ist eine dynamische Kontrastmitteluntersuchung notwendig, die über die definitive Zuordnung der Komponenten Flüssigkeit und Synovialisverdickung oder -proliferation (. Abb. 3.50) hinaus viele zusätzliche diagnostische Informationen liefert (s. oben). Fokale synoviale Verdickung/Proliferation im Gelenk.
Ausgeprägte fokale Synovialisproliferationen kommen
Synoviale Verdickung der Sehnenscheiden. Von großer differenzialdiagnostischer Bedeutung ist die Darstellung einer Synovialitis der Sehnenscheiden. Diese ist vor allem in der Umgebung des Sprunggelenks und des Handgelenks zu beobachten und imponiert klinisch als diffuse Schwellung. Bei Vorliegen einer mehrere Sehnenscheiden betreffenden Synovialitis bei gleichzeitiger Sprung- oder Handgelenkbeteiligung ist – auch bei atypischer Präsentation – von einer meist polyartikulären juvenilen idiopathischen Arthritis auszugehen, da eine infektiöse Tendosynovitis eine Rarität darstellt. Eine intraartikuläre Sehnenscheidenbeteiligung ist – bei ausgeprägter Arthritis – am Kniegelenk zu beobachten, da die Kreuzbänder von Synovialmembran umgeben sind und deshalb mit involviert sein können (. Abb. 3.53). Die Mitbeteiligung der Sehnenscheiden am Sprung- und Handgelenk kann mit der Sonografie in den meisten Fällen ausreichend dargestellt werden, erfordert aber zusätzlichen Zeitaufwand und ausreichende Erfahrung des Untersuchers. Kontrastmittelaussparung im Gelenk. Kontrastmittelaussparungen im Gelenk sind durch Flüssigkeit bedingt. Dabei kann bildgebend nicht zwischen Erguss, Eiter und frischer Blutung (Hämoglobin noch nicht desoxygeniert) unterschieden werden. Eine relative Aussparung bzw. eine sehr geringe Kontrastmittelaufnahme findet sich im Hoffa-Fettkörper, falls dieser nicht in die Entzündungsreaktion eingebunden oder bindegewebig transformiert ist. Kontrastmittelaussparung im Knochenmark. Kontrast-
mittelaussparungen im Knochenmark in einer in der T2assoziierten fettsupprimierten Sequenz abnorm signalgebenden Veränderung sind in erster Linie durch einen Abszess (rund mit verstärkt Kontrastmittel aufnehmendem Rand) oder durch Eiterstraßen (fuchsbauartig) bedingt (. Abb. 3.54). Bei Fehlen entsprechend eindeutiger klinischer und laborbezogener Entzündungsparameter ist differenzialdiagnostisch an eine Langerhans-Zellhistiozytose und ein Ewing-Sarkom zu denken.
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d . Abb. 3.51a–e. Fokale bzw. regionale Synovialisproliferation. a 7 Jahre alter Junge mit rezidivierenden Schmerzen im linken Bein zunächst im Bereich der Hüfte, dann im Kniegelenk ohne Nachweis eines Ergusses. Die transversale T1-gewichtete 3-mm-Schicht durch das linke Kniegelenk nach Kontrastmittelapplikation zeigt eine gering vermehrte synoviale Kontrastmittelaufnahme im vorderen Anteil des linken Kniegelenks, die hinteren Kniegelenkanteile sind unauffällig. b–e Fokale Synovialitis bei Osteoidosteom. 7 Jahre alter Junge, seit mehr als einem Jahr Beschwerden in der rechten Hüfte zu unterschiedlichen Tageszeiten, z. T. auch nachts, seit 2 Wochen zunehmend. b Die koronare 3-mm-STIR-Sequenz zeigt ein fokales Ödem im rechten Schenkelhals und Zeichen eines Gelenkergusses und/oder einer Synovialitis in der Nativsequenz. c Die transversale 2-mm-Untersuchung nach Kontrastmittelapplikation zeigt eine praktisch ausschließliche, um einen 4 mm durchmessenden kortikalen Defekt herumliegende raumfordernde Kontrastmittelaufnahme im Sinne einer Synovialisverdickung bzw. -proliferation. d,e Die dynamische Kontrastmitteluntersuchung ergibt für den fokalen Befund (Lokalisation aus der Subtraktionsanalyse) eine rein vaskuläre Kurve (rot – vergleichende venöse Kurve grün), die im Gegensatz zu den in diesen Abbildungen vorhandenen gelben Kurven der Synovialisreaktion steht (kontinuierlicher Anstieg initial deutlich weniger steil als die Gefäßkurve)
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3.3 · Bildgebende Verfahren
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. Abb. 3.52a,b. MR-tomografisch nachweisbare Usuren als Manifestation einer juvenilen idiopathischen Arthritis vom oligoartikulären Typ. Beide Bilder zeigen Usuren (Pfeile) mit angrenzender bzw. in die Usur hineinragender kontrastmittelaufnehmender Synovialisproliferation. Grundlage für den Nachweis kleinerer Defekte auch im Knorpel allein sind hochauflösende 3D-Sequenzen mit 1-mm-Schichtpartitionen. a 10-jähriger Junge (DESS-Sequenz, 1 mm, Primärorientierung sagittal); b 11-jähriger Junge (VIBE-Sequenz, wasserselektiv, 1 mm transversal)
Subperiostale Kontrastmittelaussparung. Eine subperi-
ostale Kontrastmittelaussparung (in der T2-assoziierten fettsupprimierten Sequenz in der Regel abnorm signalgebend) entspricht einer subperiostalen Blutung (Trauma, Kindesmisshandlung) oder Eiter (. Abb. 3.55) , wobei bei letzterem fast immer zusätzliche bildgebende Zeichen einer Osteomyelitis vorhanden sind.
Darstellung einzelner Gelenke, Gelenkbereiche, Sehnen und Sehneninsertionen Kiefergelenke Im Verlauf einer JIA ist die meist asymptomatische Beteiligung der Kiefergelenke sehr häufig. Küseler et al. (2005) sahen im Verlauf von 2 Jahren bei 93% der 115 MR-tomografisch untersuchten Kiefergelenke von 15 Kindern eine pathologische Kontrastmittelaufnahme. Nur bei einem Kind war das Kontrastmittelverhalten der Gelenke normal. Da die Sonografie der Kiefergelenke eine deutlich geringere Sensitivität und Spezifität als die MRT aufweist (Manfredini et al. 2005) und die Röntgendiagnostik im Vergleich zur MRT erst relativ spät Veränderungen zeigt (Küseler et al. 2005), kann die kontrastmittelunterstützte MRT (. Abb. 3.56) als das derzeitige Verfahren der Wahl angesehen werden. Erguss, Synovialitis, Pannus, Erosionen (letztere auch im Knorpel) und Knochenmarkveränderungen sind in der MRT unterscheidbar und darstellbar. Voraussetzung für die Erfassung von pathologischen Veränderungen der knöchernen Strukturen sind MRT-
. Abb. 3.53. Ausgeprägte Synovialitis unter Einbeziehung der synovialen Membran der Kreuzbänder und des interkondylären Bereiches bei juveniler Monarthritis. Viereinhalb Jahre altes Mädchen. Seit 2 Jahren Funktionseinschränkung im rechten Kniegelenk mit Streckdefizit und Hinken. Keine entscheidende Besserung nach intraartikulärer Injektion von Kortison. Die rekonstruierte 1-mm-Schicht ist auf das vordere Kreuzband ausgerichtet. In diesem Bereich besteht ein nahezu raumforderndes Konglomerat kontrastmittelaufnehmender Strukturen, das auch begleitend zu dem noch mit angeschnittenen hinteren Kreuzband nachweisbar ist. Im Bereich dieser Verdickung besteht interkondylär ein großflächiger Knorpeldefekt und eine in den Knochen hineinreichende, 2,5 mm durchmessende Usur (1-mm-DESS-Sequenz nach Kontrastmittelapplikation, wasserselektive Fettunterdrückung)
Kenntnisse und -erfahrung hinsichtlich entwicklungsbedingter Variationen von Knorpel, Knochen und Knochenmark des kindlichen Unterkiefers (Morimoto et al. 2004). Probleme der Sonografie sind die inkomplette »Einsehbarkeit« des Kiefergelenks und die Tatsache, dass der Gelenkerguss, der sonografisch am ehesten erfassbar ist, bei nur 23% von 115 mit der MRT untersuchten (93% abnormes Enhancement) Gelenken vorhanden war (Küseler et al. 2005).
Atlantoaxialgelenk und Intervertebralgelenke Im Verlauf einer langdauernden bzw. »chronischen« juvenilen Arthritis ist die Beteiligung der Halswirbelsäule häufig. Im Nativröntgenbild sind an den Wirbelgelenken Ankylosen und verminderte Größenentwicklung nachweisbar (Laiho et al. 2002). Eine anteriore atlantoaxiale Subluxation ist anzunehmen, wenn der Abstand zwischen vorderem Atlasbogen und Dens 4 mm oder mehr beträgt. Von einer verminderten Stabilität ist auszugehen, wenn der Unterschied zwischen seitlicher Flexionsund Extensionsröntgenaufnahmen über 2 mm liegt. Die
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
. Abb. 3.54. Kontrastmittelaussparung im Knochenmark bei eitriger Osteomyelitis (Darstellung der Eiterkanäle). 13 Jahre alter Junger mit Schmerzen im rechten Unterschenkel. Die Bilder aus der Kontrastmitteldynamik zeigen eine ausgeprägte pathologische Kontrastmittelaufnahme in großen Teilen des Knochenmarks und der um den Knochen herumliegenden Weichteile sowie eine periostale Abhebung und subperiostale pathologische Kontrastmittelanreicherung. Im Knochenmark kommen ausgeprägte kanalförmige Kontrastmittelaussparungen zur Darstellung: eitrige Osteomyelitis, operative Bestätigung. In seltenen Fällen kann ein Ewing-Sarkom durch Nekrosestraßen eine eitrige Osteomyelitis nachahmen. Kontrastmitteldynamik 3D-Flash, Primärorientierung transversal mit 1,5-mm-Schichtpartitionen, Abbildungen in Subtraktionstechnik mit sequenzieller Subtraktion (zunehmende Zeit von oben nach unten) und koronarer Rekonstruktion (rechte Bilder der oberen beiden Reihen)
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. Abb. 3.55. Subperiostaler Abszess bei einem 16 Jahre alten Jungen. Schmerzen und Schwellung am rechten Außenknöchel, Entzündungszeichen. Sonografisch Verdacht auf subperiostalen Abszess. Fragestellung: Osteomyelitis? Die Koronarschicht durch die rechte Fibula zeigt eine Weichteilverdickung, pathologische Kontrastmittelaufnahme bei Erhalt der Weichteilstrukturen (mäßige Struktur des Unterhautfettgewebes). An der Außenseite kommt eine kontrastmittelaussparende subperiostale Raumforderung über der distalen Fibulametaphyse zur Darstellung, die an der Epiphysenfuge endet. Innenseitig zeigt sich eine periostale Abhebung mit subperiostaler Kontrastmittelaufnahme. (T1-gewichtete fettsupprimierte Untersuchung nach Kontrastmittelapplikation, 3 mm koronar, hochauflösend)
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3.3 · Bildgebende Verfahren
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c . Abb. 3.56a–c. Kiefergelenkarthritis rechts bei einem 13 Jahre alten Jungen mit juveniler idiopathischer Arthritis. Schmerzen bei Kieferöffnung. Maximale Öffnungsweite des Mundes 3 cm. a,b Die Untersuchung nach Kontrastmittel zeigt eine ausgeprägte pathologisch kontrastmittelaufnehmende Synovialitis im rechten Kiefergelenk im Vergleich zur fast normalen linken Seite, wobei die vermehrte Kontrastmittelaufnahme auch im Markraum des Kieferköpfchens vorhanden ist. c Die Kontrastmittel-Zeit-Intensitätskurve zeigt eine deutlich pathologisch vermehrte Kontrastmittelaufnahme im gesamten rechten Kiefergelenk (rote Kurve) mit besonders starker Vaskularisation der synovialen Membran des rechten Kiefergelenk (grüne Kurve). Zum Ver-
gleich die wesentlich niedrigere und flacher ansteigende Kontrastmittelaufnahme der linken Seite, die als grenzwertiger Befund anzusehen ist. Entscheidend für die Darstellung der Kiefergelenke bei juveniler idiopathischer Arthritis einschließlich Darstellung von Usuren ist eine hochauflösende 3D-Sequenz, im Fall der Kiefergelenke haben wir die besten Erfahrungen mit wasserselektiven 3D-Gradientenechosequenz (MP-Rage) gemacht, die in 1-mm-Schichtpartitionen und guter Auflösung 6–7 min dauert und Rekonstruktionen und Detailanalysen in allen Ebenen zulässt (z. B. a, rekonstruierte und exakt ausgerichtete koronare Schicht, bei primärer sagittaler Ausrichtung)
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
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. Abb. 3.57a–c. Atlantoaxiale Arthritis bei einem 3 Jahre und 5 Monate alten Mädchen mit oligoartikulärer Form der juvenilen idiopathischen Arthritis (koronare fettsupprimierte dynamische VIBE-Sequenzen mit 1,5-mm-Schichtpartitionen) a Pathologische kontrastmittelaufnehmende Weichteilverdickung um den gesamten Dens axis herum in der koronaren Schichtführung nach Kontrastmittelapplikation. b,c Die dynamische Untersuchung zeigt, dass es sich hier um eine typische Kurve der Kontrastmittelaufnahme von sehr aktiver Synovialmembran handelt (rote Kurve), während die V. jugularis interna ein vaskuläres Muster aufweist (gelbe Kurve). Die paravertebrale Kontrastmittelanreicherung ist durch paravertebrale venöse Gefäße bedingt und zeigt ebenfalls eine vaskuläre Charakteristik (grüne Kurve)
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MRT ist für das Ausmaß der Beteiligung des Atlantoaxialgelenkes (. Abb. 3.57) und der umgebenden Weichteile, der Differenzierung von anderen Ursachen atlantoaxialer Probleme und der Frage einer Rückenmarkmarkkompression geeignet, wobei auch bei der Anwendung einer funktionellen MRT in Neutralstellung und Flexion eine röntgenologisch zweifelsfreie Instabilität bei etwa einem von 6 Patienten nicht nachweisbar ist und röntgenologisch im Vergleich zum MRT praktisch immer ein größeres Ausmaß hat (Laiho et al. 2003). Wenn es daher nicht um die Beantwortung akuter Fragen oder einer potenziell kompressionsbedingten neurologischen Symptomatik geht, sollte bei der Frage nach einer atlantoaxialen Instabilität die seitliche Röntgendiagnostik in Flexion und Extension durchgeführt werden.
tis und ihre Differenzialdiagnose (Osteomyelitis mit Iliosakralgelenkbeteiligung) dargestellt werden. Dabei müssen jedoch Oberflächenspulen, hochauflösende fettsupprimierte Sequenzen und 3D-Kontrastmitteldynamik in Dünnschichttechnik (1–1,5 mm Partitionsdicke) zum Einsatz kommen. Röntgenaufnahmen sind insensitiv und wegen der kritischen Strahlenexposition (Gonaden) bei Kindern nur noch zu erwägen, wenn im Rahmen einer Computertomografie eine Sedierung vermieden werden kann. Die Schichtführung sollte dann möglichst weit in Richtung einer von vorne oben nach hinten unten verlaufende, sakrumparalle Richtung gebracht werden, um die direkte und indirekte Strahlenexposition der Gonaden zu reduzieren.
Sehnenscheiden und Sehneninsertionen Iliosakralgelenke
Die Methode der Wahl der Darstellung der Iliosakralgelenke bei Kindern ist die MRT (. Abb. 3.58). Mit dieser Methode können alle Manifestationen der Sakroilii-
Schmerzen an Sehneninsertionen sind unspezifisch und auch bei Kindern ohne enthesiopathische Arthropathie zu beobachten. So waren Sehnenansatzschmerzen bei 29% von 234 Schulkindern zwischen 8 und 16 Jahren
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3.3 · Bildgebende Verfahren
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. Abb. 3.58a–c. Sakroileitis bei HLA-B27-positiver Arthritis, 17 Jahre alter Jugendlicher. a Transversale 2-mm-STIR-Sequenz, b,c ; koronare 1-mm-DESS-Sequenz. Sklerosierung (linkes Iliosakralgelenk: signalarme Knochenmark-»Aussparungen«; rechtes Iliosakralgelenk: signalintensive Veränderungen), Usuren, kleine knöcherne Überbrückungen (Pfeile). Solch ein von Dihlmann als »buntes Bild« bezeichnetes Nebeneinander von Sklerosierung, knöcherner Überbrückung und akuter entzündlicher Aktivität im Sinne von Usuren, vermehrter Kontrastmittelaufnahme und Signalanhebungen ist bei Kindern eher ungewöhnlich und, wie im vorliegenden Fall, eher im jugendlichen oder jungen Erwachsenenalter zu sehen. Dieses Bild ist sehr spezifisch für das Vorliegen einer Spondylarthritis
ohne (rheumatische) Erkrankungen festzustellen (Sherry u. Sapp 2003). Bei der enthesiopathischen Arthropathie sind die Insertion der Plantarfaszie, der Achillessehnenansatz, das Iliosakralgelenk und der untere Patellapol am häufigsten vermehrt druckschmerzhaft. In Zweifelsfällen kann mit der MRT eine Enthesitis nachgewiesen (. Abb. 3.44) oder eine Osteomyelitis ausgeschlossen werden. Von besonderer Bedeutung ist der bildgebende Nachweis einer Verdickung und verstärkten Kontrastmittelaufnahme der Sehnenscheiden in der Umgebung einer Arthritis vor allem an den peripheren Gelenken der unteren und oberen Extremitäten, da die Tendosynovitis ohne bildgebend und klinisch ersichtlichen Grund fast immer auf eine juvenile idiopathische Arthritis zurückzuführen ist (. Abb. 3.43). Der Vorteil der MRT gegenüber der Sonografie liegt in der präzisen Erfassung auch geringgradiger und sonografisch schwer zu erfassender Manifestationen einer Tendosynovitis, wobei sowohl Sonografie als auch MRT eine hohe technische und untersucherassoziierte Qualität erfordern. Die Sonografie sollte als erste Methode durchgeführt werden und die MRT nur bei offenen Fragen zusätzlich zum Einsatz kommen.
Hand- und Fingergelenke, Fußgelenke Bei juveniler idiopathischer Arthritis war die Röntgenaufnahme von Händen und Füßen hinsichtlich Gelenkspaltverschmälerung und Usuren ergiebiger als die Aufnahmen von anderen Gelenken (Van Rossum et al. 2003). Bei polyartikulärer juveniler Arthritis konnten Mason et al. (2002) bereits bei Diagnosestellung in über der Hälfte der Patienten, bei denen Röntgenaufnahmen des Handgelenk
und der Finger verfügbar waren, pathologische Veränderungen in Form von Gelenkspaltverschmälerungen, Erosionen und Osteopenie feststellen. Bei Gelenkbeschwerden an Händen und Füßen haben Röntgenaufnahmen deshalb nicht nur diagnostische Relevanz, sondern auch potenzielle therapeutische Konsequenzen. Eine Kombination von Röntgenaufnahmen und Sonografie ist sinnvoll, da sich dann ein integriertes Bild von »aktuellen« Weichteilveränderungen (Synovialitis an Sehnen und Gelenken) und »chronischen« Knochenläsionen ergibt.
Kniegelenke Schmerzen im und am Kniegelenk sind im Kindesalter sehr häufig und werden durch ein breites Spektrum von Erkrankungen verursacht. Wenn durch Anamnese, Untersuchung und Röntgenbild (bzw. Sonografie) keine ausreichende Erklärung der Schmerzen gefunden wird und diese persistieren oder eine Bewegungseinschränkung besteht, ist eine MRT des Kniegelenks indiziert. Häufige pathologische Befunde sind eine synoviale Verdickung oder vermehrte synoviale Kontrastmittelaufnahme, eine gelenknahe Osteomyelitis und traumatische Veränderungen (. Abb. 3.59) einschließlich der Osteochondrosis dissecans. Seltenere, aber wichtige Befunde sind maligne Tumoren (Osteosarkom, Ewing-Sarkom, Leukämie) und benigne Tumoren (Osteoidosteom, Langerhanszell-Histiozytose, CRMO) oder Erkrankungen sowie erworbene oder angeborene Meniskusveränderungen (. Abb. 3.60). Ungewöhnliche intraartikuläre Befunde sind eine PVNS, ein intraartikulärer oder synovialer Tumor oder eine synoviale Chondromatose.
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
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. Abb. 3.59. Sehnenanrissläsion des medialen Gastrocnemiuskopfes bei rezidivierenden Kniegelenkbeschwerden. Achteinhalb Jahre alter Junge mit rezidivierenden Knieschmerzen links, jeweils für einige Wochen anhaltend, dann wieder verschwindend. Die transversalen 3-mm-STIR-Sequenzen (FOV 14 cm, 384er Matrix) zeigen etwas vermehrt Flüssigkeit im Kniegelenk (keine nennenswerte Synovialisverdickung nach Kontrastmittelgabe), jedoch gleichzeitig eine Läsion am
medialen Gastroknemiuskopf mit endostaler Reaktion und leichter signalgebender Lücke zwischen Kompakta und Gastroknemiusansatz. Eine Sehnenanrissläsion in diesem Bereich stellt immer wieder eine Differenzialdiagnose von Kniegelenkbeschwerden dar – auch ohne spezielle sportliche Aktivität. In der älteren Literatur taucht diese Veränderung unter dem Begriff eines sog. Desmoids auf. Dieser Begriff sollte für diese Anrissläsion nicht länger verwendet werden
11 . Abb. 3.60. Scheibenmeniskus im Vergleich zum normalen Meniskus bei Streckhemmung bzw. Kniegelenkbeschwerden rechts. Die kurvenförmige Rekonstruktion aus einer 0,9-mm-3DDESS-Sequenz zeigt eine Aufsicht auf den normalen signalarmen Meniskus (obere Reihe) und einen signalintensiven scheibenförmigen stark verdickten Außenmeniskus im Gegensatz zum normalen Innenmeniskus bei einem 4-jährigen Jungen (untere Reihe)
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Sprunggelenke Am Sprunggelenk ist aufgrund der – ähnlich wie am Kniegelenk – breiten Differenzialdiagnose eine weitgehend sichere Einordnung einer monartikulären Symptomatik als juvenile idiopathische Arthritis von Bedeutung, da Anamnese und Untersuchungsbefund nicht immer die nötige Eindeutigkeit ergeben. Eine solche Einordnung gelingt aufgrund des Nachweises einer Verdickung und vermehrten Kontrastmittelaufnahme der Synovialmemb-
ran in verschiedenen Anteilen insbesondere des unteren Sprunggelenks (. Abb. 3.61) oder einer kombinierten Arthritis des oberen und unteren Sprunggelenks und durch den bildgebenden Nachweis einer deutlich über den unmittelbaren Gelenkbereich hinausreichenden Tendovaginitis.
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3.3 · Bildgebende Verfahren
. Abb. 3.61. Sprunggelenkarthritis bei JIA, 3 Jahre altes Mädchen mit anhaltenden Fußschmerzen. Die sagittale fettsupprimierte Schichtführung zeigt eine Verdickung und abnorme Kontrastmittelaufnahme der Synovialmembran am oberen Sprunggelenk (Pfeile OSG), am unteren Sprunggelenk im talokalkanealen Gelenkanteil (Pfeil USG) und im Gelenk zwischen Os naviculare und Os cuneiforme (Pfeil NC). (3-mm-T1-Spinecho, FOV 18 cm, 307×384 Matrix nach Applikation von 2,8 ml Magnevist)
3.3.5
Integration der bildgebenden Diagnostik in ein diagnostischtherapeutisches Gesamtkonzept
Trotz der Fortschritte der Bildgebung der Gelenke und der Gelenkumgebung im Einzelnen hat die Integration der Bildgebung in ein Gesamtbild (Integration und Interpretation der bildgebenden Einzelelemente) größte Bedeutung. Ist mit diesem Schritt keine Eindeutigkeit zu erlangen, dann ist eine interdisziplinäre Diskussion erforderlich und häufig wegweisend.
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3
128
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Kapitel 3 · Untersuchungstechniken
Mason T et al. (2002) Frequency of abnormal hand and wrist radiographs at time of diagnosis ofpolyarticular juvenile rheumatoid arthritis. J Rheumatol 29: 2214–2218 Morimoto Y, Tominaga K, Konoo T, Tanaka T, Ohba T (2004) Detection and significance of the characteristic magnetic resonance signals of mandibular condyles in children. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 97: 269–275 Sherry DD, Sapp LR (2003) Enthesalgia in childhood: site-specific tenderness in healthy subjects and inpatients with seronegative enthesopathic arthropathy. J Rheumatol 30: 1335–1340 Van Rossum M et al. (2003) Radiologic features in juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 48: 507–515
129
4.1 ·
Pharmakotherapie H. Michels, T. Niehues, N. Wagner
4.1
Nichtsteroidale Antirheumatika – 132
4.1.1 4.1.2 4.1.3
Wirkmechanismus – 133 Pharmakokinetik – 133 Unerwünschte Wirkungen – 134
4.2
Glucocorticoide
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Wirkmechanismus – 136 Pharmakokinetik – 137 Wirksamkeitsstudien – 138 Unerwünschte Wirkungen – 138
4.3
Sulfasalazin
4.3.1 4.3.2 4.3.3
Wirkmechanismus – 140 Pharmakokinetik – 140 Unerwünschte Wirkungen – 140
4.4
Antimalariamittel – 141
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4
Wirkmechanismus – 141 Pharmakokinetik – 141 Wirksamkeitsstudien – 142 Unerwünschte Wirkungen – 142
4.5
Methotrexat
4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4
Wirkmechanismus – 144 Pharmakokinetik – 145 Wirksamkeitsstudien – 145 Unerwünschte Wirkungen – 146
4.6
Leflunomid – 147
4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.6.4
Wirkmechanismus – 147 Pharmakokinetik – 147 Wirksamkeitsstudien – 147 Unerwünschte Wirkungen – 148
4.7
Azathioprin
4.7.1 4.7.2 4.7.3 4.7.4
Wirkmechanismus – 148 Pharmakokinetik – 150 Wirksamkeitsstudien – 150 Unerwünschte Wirkungen – 150
4.8
Cyclophosphamid
4.8.1 4.8.2 4.8.3
Wirkmechanismus – 153 Pharmakokinetik – 153 Unerwünschte Wirkungen – 153
– 136
– 140
– 142
– 148
– 153
4
4.9
Penicillamin
4.9.1 4.9.2 4.9.3 4.9.4
Wirkmechanismus – 154 Pharmakokinetik – 154 Wirksamkeitsstudien – 154 Unerwünschte Wirkungen – 155
4.10
Ciclosporin
4.10.1
Wirkmechanismus
4.10.2
Pharmakokinetik
– 154
– 155 – 155
– 155
4.10.3
Unerwünschte Wirkungen
– 156
4.11
Mycophenolatmofetil
4.11.1 4.11.2 4.11.3
Wirkmechanismus – 156 Pharmakokinetik – 157 Unerwünschte Wirkungen – 157
4.12
Gold
4.12.1 4.12.2 4.12.3 4.12.4
Wirkmechanismus – 157 Pharmakokinetik – 158 Wirksamkeitsstudien – 158 Unerwünschte Wirkungen – 158
4.13
TNF-Antagonisten – 158
4.13.1 4.13.2 4.13.3 4.13.4
Wirkmechanismus – 159 Pharmakokinetik – 159 Wirksamkeitsstudien – 159 Unerwünschte Wirkungen – 160
4.14
Interleukin-1-Inhibitoren
4.14.1 4.14.2 4.14.3
Interleukin-1-Blockade – 161 Wirksamkeitsstudien – 161 Unerwünschte Wirkungen – 162
4.15
Interleukin-6-Antagonist – 162
4.15.1 4.15.2 4.15.3 4.15.4
Wirkmechanismus – 162 Pharmakokinetik – 162 Wirksamkeitsstudien – 162 Unerwünschte Wirkungen – 163
4.16
Verschiedene Substanzen – 163
4.16.1 4.16.2 4.16.3 4.16.4
Thalidomid – 163 Intravenös applizierte Immunglobuline – 164 Weitere zytokinbasierte Therapien – 165 Weitere immunologische Therapieansätze – 165
4.17
Kombinationstherapien
– 156
– 157
– 161
– 166
4.18
Autologe Stammzelltherapie
4.18.1
Grundprinzipien der autologen Stammzelltransplantation bei Autoimmunkrankheiten – 167 Autologe Stammzelltransplantation bei juveniler idiopathischer Arthritis – 168 Klinische Ergebnisse – 169 Mechanismen der Toleranzinduktion durch ASZT – 170 Schlussfolgerung – 171
4.18.2 4.18.3 4.18.4 4.18.5
Literatur – 171
– 167
132
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
4.1
Nichtsteroidale Antirheumatika
N. Wagner, T. Niehues, H. Michels Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind die am häufigsten eingesetzte Medikamentengruppe. Sie hemmen die Cyclooxygenase (COX-1 und COX-2) und greifen damit in die Prostaglandinsynthese ein. Vor allem die analgetischen und antiphlogistischen Eigenschaften begründen die häufige Verwendung. Neben den rheumatischen Erkrankungen, für die im Wesentlichen NSAR rezeptiert werden, zählen Schmerzzustände, insbesondere Spannungskopfschmerzen, Fieber, Dysmenorrhoe, Sportverletzungen, aber auch der prophylaktische Einsatz für thromboembolische Ereignisse und intestinale Polyposis gehört zu den Indikationsgebieten. In vielen Ländern, so auch in Deutschland, sind NSAR z. T. rezeptfrei erhältlich, so dass die Selbstmedikation ohne direkte ärztliche Supervision eine wesentliche Rolle bei der Vermarktung spielt. In den USA werden gezielt verbraucherbezogene Werbekampagnen für NSAR durchgeführt. Mehr als 20% der Menschen über 65 Jahren nehmen häufig NSAR ein. Die bekannteste und älteste Substanz der Stoffgruppe ist Acetysalicylsäure (ASS, . Abb. 4.1), welches heute bei den rheumatischen Erkrankungen ausschließlich noch beim Kawasaki-Syndrom einen festen Platz in der Therapie einnimmt. Wegen der Assoziation von ASS mit dem Reye-Syndrom, einer hepatischen Enzephalopathie, und der kurzen Halbwertszeit, wird ASS in der Dauerbehandlung der JIA kaum mehr eingesetzt. Demgegenüber sind Naproxen (. Abb. 4.2), Ibuprofen (. Abb. 4.3), Diclofenac (. Abb. 4.4) und Indomethacin (. Abb. 4.5) die am häufigsten eingesetzten NSAR bei rheumatischen Erkrankungen des Kindesalters (. Tab. 4.1). Hierbei werden sowohl die analgetischen wie auch die antientzündlichen und weniger die antipyretischen Eigenschaften der NSAR ausgenutzt. NSAR nehmen in der Stufentherapie rheumatischer Erkrankungen den ersten Platz ein, andere Substanzgruppen wie Corticosteroide, krankheitsverändernde antirheumatische Substanzen (DMARD, »disease modifying anti rheumatic drugs«) oder Antizytokintherapeutika werden mit den NSAR kombiniert. Die in den letzten Jahren entwickelten selektiven COX-2-Antagonisten, die eine verringerte Rate an gastrointestinalen unerwünschten Wirkungen bei Erwachsenen aufweisen, sind bisher im Kindesalter nicht ausreichend getestet. Ihr Einsatz ist aus diesem Grund und wegen der Seltenheit gastrointestinaler Probleme bei Einsatz von COX-1-Antagonisten im Kindesalter auf wenige Patienten beschränkt. Darüberhinaus hat sich in einigen Studien bei Erwachsenen kürzlich ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bei Einsatz von COX-2-Antagonisten gezeigt.
. Abb. 4.1. Strukturformel Acetylsalicylsäure
. Abb. 4.2. Strukturformel Naproxen
. Abb. 4.3. Strukturformel Ibuprofen
. Abb. 4.4. Strukturformel Diclofenac
23 . Abb. 4.5. Strukturformel Indomethacin
133
4.1 · Nichtsteroidale Antirheumatika
. Tab. 4.1. Bei Kindern eingesetzte NSAR Substanz
Halbwertszeit
Dosierung
Besonderheit
Acetylsalicysäure
15 min
80–100 mg/kgKG in mind. 4 Dosen/Tag
Wegen der Halbwertszeit und dem Risiko eines Reye-Syndroms nur noch Mittel der ferneren Wahl
Diclofenac
1h
2–3 mg/kgKG in mind. 4 Dosen/Tag
Höheres Risiko der Hepatotoxizität
Ibuprofen
2h
30–50 mg/kgKG in mind. 4 Dosen/Tag
Rezeptfrei
Indomethacin
4,5 h
1–3 mg/kgKG in 3-4 Dosen/Tag
Cephalgie
Naproxen
14 h
10–20 mg/kgKG in 2 Dosen/Tag
Als Saft nur über Österreich oder die Schweiz erhältlich Pseudoporphyrie
4.1.1
Wirkmechanismus
NSAR hemmen die Cyclooxygenase und z. T. die Lipooxygenase. Beide Enzymsysteme haben einen zentralen Platz in der Umwandlung von Arachidonsäure zu Prostaglandinen, Prostacyclinen, Thromboxanen und Leukotrienen. Die Abkömmlinge des Arachidonsäurezyklus haben zahlreiche pleiotrope Wirkungen auf Entzündungskaskaden. Die Cyclooxygenase hat zwei Isoenzyme: COX1 und COX-2. Viele NSAR wie ASS, Naproxen, Ibuprofen u. a. hemmen nichtselektiv beide Isoenzyme, in den letzten Jahren sind selektive COX-2-Antagonisten wie z. B. Celecoxib oder Rofecoxib entwickelt worden. COX-1 ist in zahlreichen Zellen konstitutiv exprimiert, während COX2 durch Zytokine wie IL-1 (Interleukin-1) oder TNF (Tumor-Nekrose-Faktor) vor allem am Ort einer Entzündung induziert wird. Da inzwischen COX-2-Expression auch konstitutiv in der Niere gefunden wurde, ist die früher angenommene Trennung zwischen COX-1 als »housekeeping gene« und COX-2 als proinflammatorisches Enzym wahrscheinlich streng genommen nicht richtig. COX-1 hat eine Bedeutung für die mukosale Integrität des Magens, reguliert die thrombozytäre Aggregation und nimmt Einfluss auf Vasokonstriktion, renalen Blutfluss und Elektrolythaushalt. Demgegenüber verursachen die proinflammatorischen Effekte von induzierter COX-2 Vasodilatation, Ödem und Schmerz in entzündlichen Läsionen. NSAR haben zahlreiche Effekte, die z. T. auf die Inhibition von COX-1 und COX-2 zurückzuführen sind. Die COX-1-Inhibition vermindert die renale Perfusion und beeinträchtigt die mukosale Integrität des Magens. Letzteres führt im Kindesalter jedoch selten zu klinisch relevanten Problemen. Die Hemmung von COX-2 setzt die proinflammatorischen Wirkungen der Prostaglandine herab und beeinflusst die Schmerzwahrnehmung. NSAR, die die Lipooxygenase inhibieren, vermindern die Aggregation von Entzündungszellen, vor allem von neutrophilen Granulozyten, im entzündlichen Infiltrat.
Darüberhinaus funktionieren NSAR als Sauerstoffradikalfänger, beeinflussen den Knorpelstoffwechsel und Zell-Zell-Interaktionen von Lymphozyten. Somit wird den NSAR heute eine immunmodulierende Wirkung zugeschrieben, weshalb die strikte Unterscheidung von NSAR und DMARD nur bedingt tauglich ist. Die Wirksamkeit der NSAR ist dosisabhängig, insbesonders die antiinflammatorische Wirkung wird nur bei höheren Dosen erreicht.
4.1.2
Pharmakokinetik
NSAR werden nach oraler Verabreichung im Gastrointestinaltrakt rasch und vollständig aufgenommen. Die gleichzeitige Zufuhr von Nahrung verzögert die Aufnahme ebenso wie die Verabreichung der Tabletten in magensaftresistenter Galenik. Es besteht eine hohe Bindung der NSAR an Plasmaproteine, die Konzentration der aktiven, nicht gebundenen Substanzen ist demgegenüber deutlich geringer. Bei Dosissteigerung von Naproxen steigt relativ der an Plasmaproteine ungebundene Anteil stärker als der gebundene Anteil, so dass bei hoher Dosis von Naproxen rascher unerwünschte Wirkungen auftreten können als bei anderen NSAR, da diese bei Dosissteigerung keine Änderung des Verhältnisses zwischen an Plasmaproteine ungebundenem und gebundenem Medikament zeigen. Bei Hypalbuminämie kann die Plasmaproteinbindung von NSAR reduziert sein, in diesem Fall können auch bei geringeren Dosierungen unerwünschte Wirkungen auftreten. Die Konzentrationen der aktiven Substanzen in der Synovialflüssigkeit steigen später an als im Plasma und fallen mit einer verzögerten Kinetik wieder ab. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass trotz der zum Teil sehr kurzen Halbwertszeiten der NSAR (etwa 1 h z.B. für Diclofenac) größere Verabreichungsintervalle im Vergleich zur Halbwertszeit toleriert werden. Die NSAR werden in der Leber zu inaktiven Metaboliten abgebaut, die dann über die Niere ausgeschie-
4
134
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
8
den werden. Leber- und Niereninsuffizienz können demzufolge die Eliminationsgeschwindigkeit der NSAR verlängern. Andererseits werden NSAR im Kindesalter zum Teil rascher eliminiert als im Erwachsenenalter. Dies kann eine Bedeutung für die Dosierungsintervalle der verwendeten Substanzen haben. Grundsätzlich sollte die Bedeutung von Dosierungsintervallen nicht unterschätzt werden. Es ist wiederholt gezeigt worden, dass Substanzen umso weniger korrekt verwendet werden, je häufiger diese verabreicht werden müssen. Damit besteht ein umgekehrter Zusammenhang zwischen der Compliance bezüglich der Medikation und der Frequenz ihrer Einnahmenotwendigkeit pro Tag. Die maximal erreichbare Wirkung von NSAR ist häufig erst nach mehreren Wochen abzuschätzen. Die meisten Patienten sprechen innerhalb der ersten zwei Monate auf die Therapie an, danach ist eine Steigerung der Wirkung eher unwahrscheinlich.
9
4.1.3
1 2 3 4 5 6 7
10
12 13
Gastrointestinaltrakt
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Organsystem
Wirkung (häufigste zuerst)
Gastrointestinaltrakt
5 Epigastrische Beschwerden 5 Erosion, Ulkus 5 Schleichender Blutverlust durch Erosionen 5 Obere oder untere Blutung
Leber
5 5 5 5
Blut
5 Thrombozytenfunktionsstörung (immer bei allen nichtselektiven COX-1/ COX-2-Inhibitoren) 5 Thrombopenie 5 Anämie 5 Leukopenie 5 Aplastische Anämie
Niere
5 Transienter Anstieg des Kreatinin im Serum 5 Reduktion des renalen Blutstroms 5 Elektrolytstörung 5 Ödem 5 Papillennekrose 5 Akutes Nierenversagen
Haut
5 Pseudoporphyrie (bei Naproxen) 5 Urtikaria 5 Erythema multiforme
Lunge
5 Auslösung eines Asthmaanfalls 5 Alveolitis
ZNS
5 Kopfschmerzen (insbesonders bei Indomethazin) 5 Müdigkeit, Übelkeit, Gemütsschwankung 5 Tinnitus 5 Aseptische Meningitis 5 Psychose (bei Erwachsenen)
Unerwünschte Wirkungen
Unerwünschte Wirkungen von NSAR sind relativ häufig und zumeist mild. Die Häufigkeit und der Schweregrad unerwünschter Wirkungen steigen mit dem Alter. Unerwünschte Wirkungen sind am häufigsten im Gastrointestinaltrakt, gefolgt von Leber, Blutgerinnung, Nieren, ZNS und Haut (. Tab. 4.2).
11
. Tab. 4.2. Unerwünschte Wirkungen von NSAR
Die häufigste unerwünschte Wirkung am Gastrointestinaltrakt sind epigastrische Beschwerden und Übelkeit. Ernsthafte Probleme können durch die COX-1-Hemmung im Magen entstehen, da der Schutz der Mukosa beeinträchtigt ist. Gastrische Erosionen und Ulzerationen können auftreten und obere gastrointestinale Blutungen auslösen. Auch untere gastrointestinale Blutungen treten auf und können den Patienten gefährden. Das Risiko eines Ulkus und einer schweren gastrointestinalen Blutung steigt deutlich mit zunehmendem Alter und betrifft insbesondere Patienten >65 Jahre. Zur Verdeutlichung des Risikos kann angeführt werden, dass in Deutschland vermutlich mehrere Tausend erwachsene Patienten pro Jahr an schweren gastrointestinalen Ereignissen bei Gebrauch von NSAR versterben. Im Kindesalter stellen diese schweren Ereignisse eine echte Rarität dar. Der gastrointestinale Blutverlust kann auch aus Mikroblutungen erfolgen und ist dann nur mittels Testung auf okkultes Blut im Stuhl nachweisbar. Das Risiko für eine gastrointestinale Blutung wird durch eine Begleitmedikation von Corticosteroiden erhöht. Während aufgrund des Risikoprofils im Erwachsenenalter bei Gebrauch von NSAR regelhaft die Einnahme von Misoprostol oder Protonenpumpeninhibitoren zum prophylaktischen Schutz der Mukosa empfohlen wird, wird dies im Kindesalter wegen des deutlich
Transaminasenerhöhung Hepatitis Cholestase Reye-Syndrom (seltenst bei anderen NSAR als ASS)
schwächeren Risikos nicht generell durchgeführt, ist aber bei einer Komedikation mit Corticosteroiden zu empfehlen. Ibuprofen scheint im Vergleich zu anderen NSAR ein relativ geringeres Risiko zur Auslösung gastrointestinaler Komplikationen aufzuweisen, während Piroxicam, ein selten eingesetztes NSAR im Kindesalter, diesbezüglich ein erhöhtes Risiko zeigt. Sofern ein Ulkus auftritt, kann dies wie bei Ulkusleiden ohne NSAR-Gebrauch mit einem Protonenpumpeninhibitor (Omeprazol) behandelt werden. Wenn möglich, sollte das NSAR abgesetzt werden, gegebenenfalls kann die Gabe von NSAR und Omeprazol auch kombiniert werden. Entsprechende endoskopische Kontrolluntersuchungen sollten durchgeführt werden.
135
4.1 · Nichtsteroidale Antirheumatika
Leber
Niere
Beim Einsatz von ASS treten relativ häufig Transaminasenerhöhungen auf, die meist moderat ausfallen, in einem Teil der Fälle jedoch bei anhaltender Erhöhung über dem Zweifachen der Norm zum Absetzen des Medikamentes führen. Bei den anderen NSAR kann ebenfalls eine Transaminasenerhöhung auftreten, dies ist jedoch seltener der Fall als bei Einnahme von ASS. Das Reye-Syndrom, welches nach Einnahme von ASS in seltenen Fällen auftritt, ist eine Hepatoenzephalopathie, der vermutlich verschiedene pathogenetische Mechanismen zugrunde liegen. Die Assoziation von ASS und dem Reye-Syndrom insbesonders bei Varizellen hat zu einer weitgehenden Verdrängung von ASS bei der Dauertherapie der JIA zugunsten anderer NSAR geführt. Zudem ist nachteilig, dass ASS wegen seiner kurzen Halbwertszeit mindestens viermal pro Tag verabreicht werden muss. Selten treten bei NSAR-Gebrauch ernste Hepatitiden oder eine Cholestase auf. Vor Beginn einer Therapie mit NSAR sollten die Leberfunktionswerte überprüft werden, um auszuschließen, dass vorbestehende Erkrankungen und insbesonders auch die rheumatische Erkrankung selbst bereits mit einer Leberfunktionsstörung einhergeht.
Nach Beginn einer Therapie mit NSAR kann ein vorübergehender geringer Anstieg des Serumkreatinins beobachtet werden, der bei Fortsetzen der Medikation wieder abfällt. Damit einher geht eine vorübergehende Abnahme der glomerulären Filtration. Ernsthafte unerwünschte renale Wirkungen sind Ödeme, Elektrolytstörungen, Papillennekrose und akutes Nierenversagen. Selten wird eine Proteinurie oder das Auftreten eines nephrotischen Syndroms beobachtet. Ein akutes Nierenversagen tritt bei renaler Vorerkrankung oder Volumenmangel eher auf. Bei Abfall des Blutdrucks z. B. durch Volumenmangel werden Katecholamine und Renin/Angiotensin ausgeschüttet. Die konsekutive Gefäßkonstriktion könnte den renalen Blutfluss reduzieren; Prostaglandine führen in der Niere zu einer Aufrechterhaltung des Blutstroms, indem die Gefäßkonstriktion antagonisiert wird. Bei Einsatz von NSAR geht dieser Schutzmechanismus der Prostaglandine verloren. Der renale Blutfluss, die glomeruläre Filtrationsrate und der Elektrolyttransport werden durch Prostaglandine reguliert. NSAR können aufgrund ihres hemmenden Einflusses auf die Prostaglandine mittels Wasser- und Salzretention die Entwicklung eines arteriellen Hypertonus unterstützen. Daher sind regelmäßige RR-Kontrollen unter der Therapie mit NSAR sinnvoll.
Blut Die Funktion der Thrombozyten wird durch alle NSAR gestört, die unspezifisch COX-1/COX-2 inhibieren. Die durch ASS erfolgte Blockierung der Thrombozytenfunktion ist jedoch irreversibel, so dass vor elektiven operativen Eingriffen ASS abgesetzt und die Neubildung von Thrombozyten (etwa 4 Tage) abgewartet werden muss. Bei den anderen NSAR sollte die Substanz weitgehend eliminiert sein, damit die Thrombozytenfunktion wiederhergestellt ist. Dies ist mit Sicherheit innerhalb von 4 Halbwertszeiten nach Beendigung der Therapie der Fall. Alle drei Zellreihen des Blutes, Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten, können einzeln oder gemeinsam (bei der aplastischen Anämie) vermindert sein. Zum Teil ist diese unerwünschte Wirkung dosisabhängig, wie z. B. bei der Thrombozytopenie, in seltenen Fällen erfolgt jedoch eine dauerhafte Knochenmarkschädigung, die mit einer hohen Mortalität vergesellschaftet ist. Eine Anämie wird häufiger durch gastrointestinale Blutverluste bei NSAR-Gebrauch oder durch die rheumatische Erkrankung selbst aufgrund der hohen Entzündungsaktivität im Sinne einer chronischen Infektanämie verursacht. Nicht zuletzt kann die Wasserretention aufgrund von NSARGebrauch eine milde Form der Blutdilution und den konsekutiven Abfall des Hb verursachen. Die differenzialdiagnostischen Abwägungen bei einer Anämie können schwierig sein, da selbstverständlich auch eine Kombination der genannten Effekte ursächlich sein kann.
Haut Bedeutsam ist die Pseudoporphyrie, die insbesonders bei Naproxen nicht selten auftritt. Hierbei entstehen Läsionen vor allem in sonnenexponierten Arealen wie dem Gesicht, die gerötet und z. T. vesikulär sind. Nach minimalen Verletzungen entstehen Narben, die tendenziell schlecht abheilen und auch nach Absetzen von Naproxen verbleiben können. Die Haut sollte daher regelmäßig auf das Auftreten solcher unerwünschter Effekte unter Naproxen untersucht werden, um es ggf. rechtzeitig absetzen zu können. Weiterhin können andere Hautreaktionen wie Urtikaria und Erythema multiforme bei NSAR-Einsatz auftreten.
Lunge Akute Asthma-bronchiale-Anfälle können durch NSAR ausgelöst werden, die bis hin zu schwerster Beeinträchtigung durch bronchiale Obstruktion führen können. In seltenen Fällen kann eine Alveolitis durch NSAR ausgelöst werden.
ZNS Kopfschmerzen treten als häufigste unerwünschte Wirkung am ZNS im Zusammenhang mit dem Gebrauch von NSAR auf. Dabei löst Indomethacin häufiger als andere NSAR heftige Cephalgien aus, die kurz nach Einnahme beginnen. Die Therapie sollte dann auf ein anderes NSAR umgestellt werden, meistens sind damit die Beschwerden beeinflussbar.
4
136
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Kapitel 4 · Pharmakotherapie
Subjektive Beschwerden wie Übelkeit, Müdigkeit, Tinnitus oder Gemütsschwankungen werden bei NSAR-Einnahme berichtet und können für den Patienten unangenehm sein. Aufgrund zahlreicher Einflüsse, die an diesen Symptomen beteiligt sein können, sind derartige Beschwerden hinsichtlich ihrer Verursachung schwer einzuschätzen. Gegebenenfalls sollte ein Auslassversuch erwogen werden. Aseptische Meningitiden sind bei Ibuprofen berichtet worden, beim systemischen Lupus erythematodes (SLE) scheint das Risiko für diese unerwünschte Wirkung der NSAR erhöht zu sein. Bei Erwachsenen liegen auch Berichte über Psychosen unter NSAR-Therapie vor.
gelegentlich von einer Renaissance der antirheumatischen Therapie mit GC gesprochen. Zunehmende Kenntnisse über den Wirkungsmechanismus und die erwünschten und unerwünschten Wirkungen sowie die Verfügbarkeit unterschiedlicher Applikationsformen haben zu einem gezielteren Einsatz geführt (Buttgereit et al. 2004). Einer niedrig dosierten GC-Therapie werden mittlerweile »basistherapeutische«, destruktionsverzögernde Wirkungen zugesprochen (Kirwan 1995).
> Kontrolluntersuchungen unter NSAR-Therapie: 5 Initial alle 6 Wochen (für 18 Wochen), dann alle 3 Monate 5 Regelmäßige Anamnese hinsichtlich gastrointestinaler Symptome und Kopfschmerzen 5 Körperliche Untersuchung: Haut (Pseudoporphyrie), RR-Messung 5 Labor: Blutbild, Elektrolyte, Leberfunktionsproben, Kreatinin im Serum, Urinstatus, Test auf okkultes Blut im Stuhl 5 Selten: Ösophagogastroduodenoskopie
Für die antientzündlich wirksamen und in der Rheumatologie eingesetzte Gruppe der Nebennierenrindenhormone mit glucocorticoider Wirkung wurde international der Name »Glucocorticoide« (GC) vorgeschlagen (Buttgereit et al. 2002). Biochemisch sind sie durch das Steroidgerüst gekennzeichnet, das sie mit anderen Steroidhormonen wie den Sexualhormonen gemein haben. Ausgangssubstanz bei der Synthese der natürlichen GC (Cortison, Cortisol) in der Nebennierenrinde ist das Cholesterin, das entweder aus der Nahrung stammt oder aus Acetylkoenzym A in der Leber synthetisiert wird. In der antirheumatischen Pharmakotherapie werden fast ausschließlich synthetische GC, vor allem Prednison/-olon (. Abb. 4.6) verwendet. Einige wichtige Besonderheiten der Molekülstruktur, die für die antientzündliche und glucocorticoide Wirkung verantwortlich sind, sind in . Abb. 4.6 dargestellt. Als lipophile Substanzen passieren die GC leicht die Zellmembran und verbinden sich im Zytoplasma mit den ubiquitär in praktisch allen Zellen exprimierten zytosolischen, auf dem Chromosom 5 kodierten Glucocorticoidrezeptoren (Rhen u. Cidlowski 2005), phophorylierten 95kDa-Proteinen mit einer GC- und einer DNS-Bindungsregion sowie einer antigenen Region. Die GC-Wirkung kommt bei üblichen GC-Konzentrationen »genomisch« zustande, indem der Glucocorticoid-GC-Rezeptor-Komplex in den Zellkern transloziert wird und dort die Genexpression entweder fördert oder hemmt, wobei die entsprechenden Effekte nicht früher als 30 Minuten nach der Rezeptorbindung erkennbar werden. Dabei kommt es zur mRNS-Synthese und dadurch nachfolgend zur Produktion von Enzymen oder anderen Proteinen, die für die hormonalen Effekte der GC verantwortlich sind. Für die antirheumatische Wirkung ist die Entstehung von Lipocortin wichtig. Lipocortin hemmt die Phospholipase A2, die ihrerseits die Entstehung von Arachidonsäure, der Vorstufe der Prostaglandine und Leukotriene, aus membranständigen Phospholipiden katalysiert. Lipocortin hemmt darüber hinaus die Produktion von IL-1, IL-2, IL-2-Rezeptor, Interferon- (IFN-)α und TNF-α. Bei sehr hohen GC-Konzentrationen (z. B. bei GC-Pulstherapie), wenn alle zytoplasmatischen GC-Rezeptoren besetzt sind, kommen zusätzliche nichtgenomische Effekte zum Tragen, die durch
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
4.2
Glucocorticoide
H. Michels, T. Niehues, N. Wagner Glucocorticoide (GC) sind lebensnotwendige Hormone, die stärksten uns zur Verfügung stehenden Entzündungshemmer und effektive Immunsuppressiva. Es gibt kaum eine zweite Medikamentengruppe in der Kinder- und Jugendrheumatologie, die so bekannt, hilfreich, unentbehrlich, aber auch so umstritten und von Eltern und Patienten gefürchtet ist wie die GC. Mitte der 1930er Jahre wurden sie im Nebennierenrindengewebe vermutet. Zur vermeintlichen Leistungsverbesserung setzte man sie bei deutschen und amerikanischen Kampffliegern als Gewebsextrakt ein, die Forschung wurde deshalb im Zweiten Weltkrieg vorangetrieben. Doch dauerte es noch bis Ende der 1940er Jahre, ehe das Cortison auch der Medizin zur Verfügung stand. In der Rheumatologie wurde Cortison erstmals 1948 von Philip Hench, Rochester, eingesetzt, der dafür 1950 den Nobelpreis erhielt. Die Begeisterung wich sehr schnell einer Ernüchterung, als zahlreiche unerwünschte Wirkungen einer zu hoch dosierten GC-Langzeittherapie im Sinne eines iatrogenen Cushing-Syndroms erkennbar wurden. Bei rheumakranken Kindern führten zu hoch dosierte GC zusätzlich noch zu einer ausgeprägten Hemmung des Längenwachstums, so dass gerade von kinderrheumatologischer Seite vor einem unkritischen Gebrauch der GC gewarnt wurde (Stoeber 1976). Inzwischen wird
4.2.1
Wirkmechanismus
137
4.2 · Glucocorticoide
membrangebundene GC-Rezeptoren vermittelt werden oder unspezifisch durch physikochemische Interaktion der GC mit der Zellmembran in Sekunden bis Minuten zustande kommen (Buttgereit et al. 2004).
4.2.2
Pharmakokinetik
Nach rascher oraler Resorption, die für Prednison/-olon bei 80% liegt, werden Cortisol und Prednisolon zu 75–95%
20
an Plasmaproteine gebunden, und zwar bevorzugt an Globuline (»Transcortin«, hohe Affinität), bei steigender Konzentration zunehmend an Albumine (geringere Affinität). Die anderen synthetischen GC wie Methylprednisolon oder Dexamethason werden hauptsächlich an Albumin gebunden. Nur der ungebundene Anteil kann die Zellmembranen passieren und die typischen Wirkungen auslösen. Alle GC binden an denselben Rezeptor, ihre Wirkungsunterschiede (. Tab. 4.3) hängen von ihrer Pharmakokinetik bzw. Struktur ab (. Abb. 4.6). Maximale Plas. Abb. 4.6. Cortisol und die relevanten chemischen Gruppen für die glucocorticoide Wirkung
CO-CH2 OH 21
OH
18
HO
12 13
11
C
19
14
10
2 3
O
D
16 15
9
1
A
17
5
4
8
B 7 6
Ring A
Doppelbindung 4-5 Essentiell für gluco- und mineralocorticoide Wirkung und Ketogruppe 3
Ring A
Doppelbindung 1-2 Vervierfacht die glucocorticoide Wirkung gegenüber Cortisol, gleichzeitig langsamere Metabolisierung (→ Prednison/-olon)
Ring B
9α-Fluoridierung
Verstärkung der mineralo- (→ Fludrocortison 125x gegenüber Cortisol) und der glucocorticoiden (→ Triamcinolon, Dexamethason 5-25x gegenüber Cortisol) Wirkung
Ring B
6α-Methylierung
Verstärkt glucocorticoide Wirkung (→ Methylprednisolon)
Ring C
11β-OH-Gruppe
Für Glucocorticoidwirkung erforderlich
Ring C
Ketogruppe 11
Biologische Unwirksamkeit (Cortison, Prednison), Umwandlung in OHGruppe für biologische Wirksamkeit erforderlich (→ Cortisol, Prednisolon)
C21-OH-Gruppe
Findet sich bei allen natürlichen Corticosteroiden, erforderlich für die mineralo-, aber nicht für die glucocorticoide Wirkung
. Tab. 4.3. Charakterisierung einiger in der Kinder- und Jugendrheumatologie häufig verwendeter Glucocorticoide im Vergleich zu Cortisol. (Mod. nach Schimmer u. Parker 2001) Glucocorticoid
Relative Wirkung
HWZ [h]
Biologische HWZ
Äquivalenzdosis [mg]
Antientzündlich
Mineralocorticoid
Cortisol
1
1
1,5
K
20
Prednison
4
0,8
3–4
M
5
Prednisolon
4
0,8
2–3
M
5
Methylprednisolon
5
0,5
2–3
M
4
Triamcinolon
5
0
2–3
M
4
Dexamethason
25
0
2–5
L
0,75
HWZ Halbwertszeit; K kurz = 8–12 h; M mittel = 12–36 h; L lang = 36–72 h
4
138
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
makonzentrationen werden für Prednisolon nach 1,5 h erreicht. Die GC werden in der Leber metabolisiert, indem die OH-Gruppen glukuronidiert oder sulfatiert werden mit nachfolgender renaler oder biliärer Elimination.
4.2.3
Wirksamkeitsstudien
Systemische Therapie Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) ist die orale systemische GC-Therapie im Wesentlichen auf die extraartikulären Manifestationen der systemischen JIA zu begrenzen; jedenfalls erscheint es nicht gerechtfertigt, eine Verringerung der Wachstumsgeschwindigkeit oder andere gravierende unerwünschte Wirkungen (UEW) im Rahmen einer antiarthritischen Therapie (für die es heute andere, bessere Möglichkeiten gibt) in Kauf zu nehmen (Laxer 2005). Weitere Indikationen stellen bestimmte klinische Situationen bei Kollagenosen (Unger 2005), bei systemischen Vaskulitiden (Michels u. Reinhold-Keller 2005; Aries et al. 2005), bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sowie bei anderen selteneren Erkrankungen wie der Sarkoidose dar. Bei der Frage nach der Wahl des Präparates bleibt festzuhalten, dass es bislang keine Daten gibt, die die Überlegenheit einer Substanz gegenüber anderen nach Evidence-based-medicine- (EBM-)Kriterien belegen. Insofern wird man ohne Nachteil auf die preiswerten Prednison/-olonpräparate zurückgreifen können. Bei der i.v.-Pulstherapie scheint Methylprednisolon aus pharmakokinetischen Gründen zu bevorzugen zu sein. Die GC-Dosis ist so hoch wie nötig, aber auch so niedrig wie möglich zu wählen. Einer »Low-dose-GC-Therapie« wird für die rheumatoide Arthritis eine röntgenprogressionsverzögernde Wirkung zugeschrieben (Kirwan et al. 1995). In der Kinder- und Jugendrheumatologie bestehen bislang keine einheitlichen Vorstellungen über die Definition einer Low-dose-GC-Therapie. Eine diesbzüg-
17 . Tab. 4.4. Definition der Dosishöhe von Glucocorticoiden in der antirheumatischen Therapie bei Erwachsenen (nach Buttgereit et al. 2002) und bei Kindern. Vorschlag nach Extrapolation entsprechend Buttgereit et al. 2002 sowie nach Michels 2000
18 19
Terminologie
20
Erwachsene
Kinder
Dosis [mg Prednisolon/Tag]
Dosis [mg Prednisolon/kgKG/Tag]
21
Niedrig
≤7,5
≤0,15a
Mittel
>7,5≤30
0,15≤0,5
22
Hoch
>30≤100
>0,5≤1,5
Sehr hoch
>100
>1,5
i.v.-Pulstherapie
≥250
10–30
23 a
Nicht höher als 5 mg/Tag.
liche weltweite Umfrage ergab Differenzen um den Faktor 10 (Michels 2000). Ein an die Erwachsenenrheumatologie angelehnter Vorschlag für die Definition der Dosishöhe ist in . Tab. 4.4 dargestellt. Unter einer i.v.-Pulstherapie versteht man die intravenöse Verabreichung hoher GC-Dosen, meist von Methylprednisolon, bis 30 mg Prednison-Äquivalent/kgKG/Tag (maximal 1 g/Tag) (Buttgereit et al. 2004). In Notsituationen wie beim makrophagenaktivierenden Syndrom, schwerem Krankheitsschub oder schwerem Uveitisschub oder aber auch bei monatlicher Verabreichung anstelle einer oralen Dauertherapie hat sich diese Therapieform bewährt (Laxer 2005). Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von GC in der Kinder- und Jugendrheumatologie wurden nicht durchgeführt, als die Wirksamkeit der Substanzen in den 50er und 60er Jahren vermutet wurde. Heute sind Untersuchungen, in denen GC gegen Placebo etwa bei schweren Kollagenosen eingesetzt werden, ethisch nicht vertretbar. Demgegenüber sind Vergleiche von GC mit Substanzen, die eine ähnliche Wirksamkeit versprechen, im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien denkbar.
Lokaltherapie Die lokale Verabreichung von GC am Auge stellt bei Uveitis ein »sine qua non« dar (Zierhut et al. 2005), während es nur wenige Situationen in der Uveitisbehandlung gibt, die eine systemische GC-Therapie erforderlich machen. Die intraartikuläre GC-Applikation hat sich auch in der Kinder- und Jugendrheumatologie vielfach bewährt und führt bei vertretbaren Risiken oft zu lang anhaltender Entzündungsfreiheit des betreffenden Gelenkes (Breit et al. 2000; Huppertz et al. 1995; Neidel et al. 2002).
4.2.4
Unerwünschte Wirkungen
Die GC sind katabol wirkende Hormone, die bei Stresssituationen wie Entzündung die Körperreserven mobilisieren, was bei höher dosierter Langzeittherapie zu den in . Tab. 4.5 aufgeführten UEW führt. Die sog. CushingSchwelle wird oft mit 0,2 mg/kgKG Prednisolon-Äquivalent/Tag angegeben. Diese Grenze scheint aber eher im Sinne einer Gauß’schen Normalverteilung individuell unterschiedlich zu sein. Es handelt sich im Übrigen um eine Grenze, unterhalb der die unerwünschten Wirkungen akzeptabel sein können, was aber durch entsprechende Einbußen hinsichtlich der erwünschten Wirkungen erkauft wird. > Praktisches Vorgehen, Dosierung von GC: 5 Wo immer möglich: Lokalbehandlung an Stelle einer systemischen Therapie. 5 Dosis so hoch wie unbedingt nötig, so niedrig wie möglich.
139
4.2 · Glucocorticoide
5 Kurzfristige Therapie bevorzugen, bei längerer Therapiedauer sind z. T. irreversible unerwünschte Wirkungen vorhersehbar. 5 Nach Möglichkeit Verabreichung der Tagesdosis als eine Morgendosis. 5 Alternierende Gabe, d. h. ein GC-Tag wechselt mit einem GC-freien Tag ab, vermindert die unerwünschten Wirkungen. 5 Ein besonderes Problem stellt oft die Dosisreduktion bei noch hoher Dosierung mit signifikanten unerwünschten Wirkungen (. Tab. 4.5) dar. Bei zu raschem Dosisabbau entwickelt sich dann nicht selten eine erneute Verschlechterung der Grundkrankheit. Deshalb ggf. milligrammweiser Dosisabbau (im Extremfall z. B. 1 mg/Woche). Jede Dosisreduktion setzt klinische Stabilität sowie stabile humorale Entzündungsparameter voraus. Aufgrund der Suppression der Nebennierenrinde besteht bei bei raschem Dosisabbau und Auftreten von Stresssituatiuonen (z. B. schwere Infektion) die Gefahr lebensbedrohlicher Komplikationen. 5 Klinische und Laborkontrollen je nach GC-Dosis 3- bis 6-wöchentlich. Kontrollen in Anlehnung an . Tab. 4.5: u. a. Körperlängenmessung, RR-Kontrollen, auch Blutzuckerbestimmung, viertel- bis halbjährlich augen-
ärztliche Kontrolle auch ohne vorliegende Uveitis (GCinduzierte Katarakt, Glaukom). 5 Eine angemessene Beschreibung einer durchgeführten GC-Therapie sollte Angaben über die Substanz, die Dosis, die Tageszeit, die Therapiedauer sowie über die kumulative Dosis (wichtiger Parameter für zahlreiche UEW einschließlich Osteoporose) enthalten und wäre entsprechend einem Vorschlag einer EULAR(European League Against Rheumatism)-Arbeitsgruppe etwa folgendermaßen zu gestalten: – Anfangs x mg Prednison oral einmal täglich um 8.00 Uhr morgens für 2 Wochen, – dann Reduktion von y mg Prednison pro Tag, gefolgt von ... (Beschreibung jedes Reduktionsschrittes nach mg und Zeit) und – Beendigung der Therapie nach z. B. 1 Jahr (Gesamttherapiedauer). – Die kumulative Dosis war z mg Prednison (Buttgereit et al. 2002).
. Tab. 4.5. Unerwünschte Wirkungen bei der antirheumatischen Therapie mit Glucocorticoiden Unerwünschte Wirkung
Kommentar
Infektion
Durch Achtsamkeit rechtzeitig erkennen und behandeln; ggf Impfungen vor Therapiebeginn
Wachstum p
5 Kann auch unterhalb der sog. Cushing-Schwelle auftreten 5 GC-Therapie so kurz und so niedrig dosiert wie möglich 5 Es ist i. Allg. nicht gerechtfertigt, im Rahmen einer antiarthritischen Therapie eine Verringerung der Wachstumsgeschwindigkeit in Kauf zu nehmen (s. Text) 5 ggf. Wachstumshormonbehandlung erwägen
Osteoporose
5 5 5 5 5
Knochennekrose
Femurkopfnekrosen, Wirbelkörpereinbrüche (»Patient ist plötzlich kleiner«)
Myopathie
DD zur Myositis bei der Behandlung der juvenilen Dermatomyositis
Katarakt
5 Sowohl bei Lokal- als auch bei systemischer GC-Behandlung möglich 5 DD: Cataracta complicata bei Uveitis
Glaukom
Sowohl bei Lokal- als auch bei systemischer GC-Behandlung möglich
Psychose
Bei SLE DD zur ZNS-Beteiligung
Hypertonie
Risikofaktor für spätere Arteriosklerose
Hyperlipoproteinämie
Risikofaktor für spätere Arteriosklerose
Steroiddiabetes
5 Kann insulinpflichtig werden 5 Nach Möglichkeit Dosisreduktion
Hautatrophie, Striae, Akne etc.
5 Vom Patienten oft als sehr gravierend empfunden 5 Nach Möglichkeit Dosisreduktion
GC-Therapie so kurz und so niedrig dosiert wie möglich Bewegung, Muskeltraining als Prophylaxe Kalzium und Vitamin D erwägen Knochendichtemessungen erwägen Bisphosphonate bei schweren Fällen erwägen
4
140
1 2 3 4 5 6 7
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
4.3
Sulfasalazin
N. Wagner, H. Michels, T. Niehues Nach der Erstbeschreibung von Sulfasalazin durch Svartz 1942, damals als Salazopyrin, wurden wenige Jahre später positive Effekte bei Patienten mit rheumatoider Arthritis beschrieben. Hintergrund der Synthese war die Überlegung, ein Antibiotikum mit einem Analgetikum zusammenzufügen, um sich deren kombinierte Wirkung bei rheumatischen Erkrankungen zu sichern, da man eine Infektion als Ursache vermutete. Daher wurde ein Sulfonamid, Sulfapyridin, und die 5-Aminosalizylsäure aneinander gebunden (. Abb. 4.7). Die Wirksamkeit von Sulfasalazin ist bei Erwachsenen mit rheumatoider Arthritis besser als die von Hydroxychloroquin und der von Gold, Penicillamin und sogar MTX gleich oder ähnlich.
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
4.3.1
Wirkmechanismus
Der präzise Wirkmechanismus von Sulfasalazin ist unklar, verschiedene Effektormechanismen sind jedoch beschrieben worden. Der Sulfonamidanteil von Sulfasalazin, das Sulfapyridin, scheint hierbei den wesentlichen Beitrag zur Therapie zu leisten. Für die Wirksamkeit bei rheumatischen Erkrankungen ist die Absorption durch die Darmwand erforderlich, die alleinige lokale Wirkung im Darm, die bei der Verabreichung von 5-Aminosalicylsäure bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten ausgenutzt wird, ist nicht ausreichend. Sulfasalazin hat zahlreiche Effekte auf verschiedene immunkompetente Zellen. Die TZell-Proliferation wird inhibiert, inflammatorische Zytokine werden herabgeregelt, und die Immunglobulinsynthese wird ebenfalls herabgesetzt. NF-κB, dessen nukleäre Translokation durch Sulfasalazin in vitro beeinflusst wird, ist möglicherweise zentral an diesen immunologischen Wirkungen beteiligt. Zellen des Immunsystems ohne spezifischen Antigenrezeptor, wie Neutrophile oder NK-Zellen, werden in ihren Funktionen der Einwanderung in eine entzündliche Läsion oder der Zytotoxizität durch Sulfasalazin beeinträchtigt. Aber auch andere Zellen wie Endothelzellen und Fibroblasten, die in unterschiedlicher Weise an der Pathogenese rheumatischer Erkrankungen beteiligt sind, werden in ihrer Proliferation durch Sulfasalazin gehemmt. Sulfasalazin hat seine Wirksamkeit bei Erwachsenen mit rheumatoider Arthritis in mehreren kontrollierten Studien und Metaanalysen als Einzelsubstanz im Vergleich zu Placebo, Gold, Penicillamin, MTX und Leflunomid gezeigt und gilt wegen seiner mäßigenToxizität als gut einsetzbar. Sulfasalazin ist effektiver als Placebo und Hydroxychloroquin, während die Wirksamkeit von Gold, MTX und Leflunomid der von Sulfasalazin ähnlich ist. Sulfasalazin ist bei Erwachsenen mit MTX erfolgreich
. Abb. 4.7. Strukturformel Sulfasalazin
kombinierbar. Die Frage der Kombinierbarkeit von Antirheumatika ist auch bei Kindern besonders bedeutsam, da ein DMARD zur Behandlung der JIA in vielen Fällen nicht ausreicht. Daher stellt sich dann die Frage, welche Medikamente miteinander kombinierbar sind und additiv wirken, ohne dass sich unerwünschte Wirkungen potenzieren. Studien zu diesen Fragen sind im Kindesalter dringlich durchzuführen. Für Sulfasalazin bei der JIA liegt nur eine randomisierte Doppelblindstudie aus den Niederlanden vor, in der Sulfasalazin mit Placebo bei 69 Patienten über 24 Wochen verglichen wurde. Sulfasalazin war dem Placebo in der Wirksamkeit bei der JIA überlegen (Van Rossum et al. 1998). Etwa ein Drittel der Patienten klagt über reversible unerwünschte Wirkungen der Substanz. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich in einer nichtkontrollierten Studie bei Anwendung von Sulfasalazin bei der JIA über 12 Monate (Imundo u. Jacobs 1996).
4.3.2
Pharmakokinetik
Sulfasalazin wird nur zu einem geringen Teil im Dünndarm resorbiert, im Kolon erfolgt die Spaltung durch kommensale Darmbakterien in Sulfapyridin und 5-Aminosalicylsäure. Etwa ein Drittel des Sulfasalazins wird im Kolon intakt resorbiert, der Rest als Sulfapyridin, während 5Aminosalicylsäure kaum aufgenommen, sondern im Wesentlichen mit dem Stuhl ausgeschieden wird. Sulfapyridin wird in der Leber metabolisiert und im Urin ausgeschieden. In der Synovialflüssigkeit lässt sich Sulfapyridin in ähnlich hohen Konzentrationen wie im Serum nachweisen.
4.3.3
Unerwünschte Wirkungen
Bis zu einem Drittel der Patienten, die mit Sulfasalazin behandelt werden, zeigen mäßig ausgeprägte, gastrointestinale unerwünschte Wirkungen. Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Diarrhoe sind entsprechende Symptome, wobei sich innerhalb von Wochen häufig eine Toleranz gegenüber der Substanz ausbildet. Nur ein geringer Teil der Patienten muss Sulfasalazin daher aufgrund dieser gastrointestinalen unerwünschten Wirkungen absetzen.
141
4.4 · Antimalariamittel
An der Haut können sich Exantheme, Urtikaria und in sehr seltenen Fällen schwere Hautreaktionen wie ein Erythema exsudativum multiforme entwickeln. Häufiger finden sich in der Mundschleimhaut Ulzera. Hämatologische Auffälligkeiten sind Leukopenie, wobei sowohl eine eher harmlose dosisabhängige Lymphhopenie als auch eine bedrohliche Neutropenie entstehen kann, Thrombozytopenie, megaloblastäre Anämie und seltenst eine aplastische Anämie. Immunglobulinspiegel können abfallen, da die B-Lymphozyten in ihrer Funktion durch Sulfasalazin inhibiert werden, was möglicherweise auch therapeutisch bedeutsam ist. Die Spermatogenese kann unter Sulfasalazintherapie reversibel beeinträchtigt sein. Die Auslösung eines Makrophagenaktivierungssyndroms unter Sulfasalazintherapie wurde beobachtet. > Dosierung von Sulfasalazin, Kontrolluntersuchungen: 5 Initial sollte die Dosis von Sulfasalazin langsam gesteigert werden, um die vorübergehenden unerwünschten Wirkungen zu überwinden. Start mit 20 mg/kgKG/Tag. 5 Bei Auftreten von gastrointestinalen unerwünschten Wirkungen Patient und Eltern versichern, dass diese in den meisten Fällen unter Fortsetzung der Therapie rückläufig sind. 5 Kontrolluntersuchungen: – Blutbild alle 2 Wochen in den ersten 3 Monaten der Behandlung, danach alle 6 Wochen – Leberfunktionsproben alle 6 Wochen – Nach einem Jahr Laborkontrollen nur noch alle 3 Monate erforderlich
4.4
und weisen zahlreiche, das Immunsystem beeinflussende Wirkungen auf (s. folgende Übersicht). Jedoch ist bislang nicht geklärt, welche dieser Wirkungen hauptsächlich für die antirheumatischen Effekte verantwortlich sind. Ein wesentlicher Wirkmechanismus besteht in der durch das Medikament gestörten Präsentation von Autoantigenen. Wirkungen von Chloroquin und HydroxyChloroquin (CQ und CQ-OH). (Rynes 2001) 5 Als schwache Basen interferieren CQ und CQOH mit Kompartimenten, in denen saures Milieu herrscht (Lysosomen, Endosomen, Golgi-Apparat) o u. a. Verminderung von Enzymaktivitäten, Modifizierung von Immunkaskaden 5 Stabilisierung der lysosomalen Membran 5 Intrazelluläres Proteinprocessing modifiziert 5 Interferenz mit »Rezeptor-Recycling« 5 Zelluläre Proteinsekretion p 5 Autoantikörperproduktion p 5 Antigen-Antikörper-Reaktion p 5 Via verminderter mRNS-Produktion verminderte Produktion von IL-1, IL-6, TNF-α, IFN-γ (in vitro) 5 Lymphozytenapoptose n (in vitro) 5 Bindung des Chinolinringes an die Phosphatgruppen von Nukleotiden o dadurch Beeinflussung der nukleären Abläufe, z. B. der Synthese von DNS, RNS und Proteinen oder der Interaktion zwischen DNS und Anti-DNS (o Wirkung bei SLE?) 5 Antihyperlipidämie-Effekt 5 Antioxidanzien-Effekt 5 Neutrophilenchemotaxis und -phagozytose p
Antimalariamittel 4.4.2
Pharmakokinetik
H. Michels, T. Niehues, N. Wagner Die Vorläufer der Antimalariamittel wurden im 17. Jahrhundert aus der Baumrinde des peruanischen Cinchona-Baumes gewonnen und über die Jesuiten nach Spanien eingeführt. J. P. Paine, London, berichtete 1894 erstmals über die erfolgreiche Anwendung der bereits 1820 isolierten wirksamen Substanzen, vor allem Chinin, bei systemischem Lupus erythematodes (SLE). Das in Deutschland erstmals Mitte der 1930er Jahre synthetisierte Chloroquin und dann auch Hydroxychloroquin wurden seit Mitte der 1950er Jahre zunehmend bei SLE und rheumatoider Arthritis (RA) eingesetzt.
4.4.1
Wirkmechanismus
Chloroquin (CQ) und Hydroxychloroquin (CQ-OH) gehören zu den 4-Aminochinolin-Derivaten (. Abb. 4.8)
Nach oraler Aufnahme werden CQ und CQ-OH rasch zu etwa 70–80% resorbiert. Maximale Plasmakonzentrationen werden nach 3,5±2 h erreicht. Die Proteinbindung liegt bei 66%. Bei einer Halbwertszeit von 14–24 Tagen stellen sich bei täglicher Gabe nach 2–6 Monaten Gleichgewichtskonzentrationen ein. Dabei liegt die Gewebskonzentration deutlich über der des Plasmas. CQ und CQOH weisen eine erhöhte Affinität zu bestimmten Geweben bzw. Organen auf, zu denen die Leber, die Milz, die Nieren, die Nebennieren, die Lunge und die Hypophyse gehören. In melaninhaltigen Zellen/Geweben (Retina, Haut) werden 1000-fach höhere Konzentrationen erreicht. Etwa 45–55% des CQ und CQ-OH werden unverändert über die Nieren eliminiert, 30–50% in der Leber metabolisiert, knapp 10% mit dem Stuhl ausgeschieden.
4
142
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
JRA zusammen untersucht, so dass aufgrund der inhomogenen Gruppenzusammensetzung mittlere oder kleinere Effekte möglicherweise übersehen wurden.
1 2
Unerwünschte Wirkungen
3
4.4.4
4
Von den unerwünschten Wirkungen, zusammenfassend in . Tab. 4.7 dargestellt, sind die irreversible Schädigung der Retina, die häufigen gastrointestinalen Beschwerden, die Auslösung von zerebralen Anfällen und die unerwünschten Wirkungen an der Haut (Photosensibilität, Pruritus, Ausbleichen der Haare, Exazerbation einer Psoriasis u. a. . Tab. 4.7) hervorzuheben. Bei kumulativen Dosen von über 250–400 mg ist das Risiko retinaler Schäden als erhöht anzusehen. Bei Hydroxychloroquin scheint das Risiko retinaler Schädigung geringer zu sein als bei Chloroquin. Akzidentelle Intoxikation kann zu Herzstillstand führen; ein Antidot steht nicht zur Verfügung, vielmehr ist sofortige, intensivmedizinische Behandlung erforderlich.
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
. Abb. 4.8. Strukturformeln von 4-Aminochinolin-Derivaten, Chloroquin und Hydroxychloroquin
16 4.4.3
17 18 19 20 21 22 23
Wirksamkeitsstudien
CQ und CQ-OH werden bei RA, JIA, SLE, juveniler Dermatomyositis, beim Sjögren-Syndrom und bei der zirkumskripten Sklerodermie eingesetzt (. Tab. 4.6). Zugelassen sind sie für die RA, die JIA und für den SLE. Kontrollierte Studien bei RA haben mittelgradige, aber klinisch signifikante Effekte nachweisen können (. Tab. 4.6). Darüber hinaus hat sich CQ-OH als wertvolles Kombinationspräparat bei der Behandlung der RA erwiesen (O’Dell et al. 1996). Bei juveniler rheumatoider Arthritis (JRA) konnten nur geringe, klinisch nicht bedeutsame Verbesserungen in kontrollierten Untersuchungen gefunden werden. Aus klinischer Erfahrung wissen wir, dass ANA-positive Oligoarthritiden am ehesten auf CQ/CQ-OH ansprechen. In der Studie von Brewer et al. (1986), die keine statistisch signifikante Wirksamkeit für CQ-OH bei der JRA zeigen konnte, wurden jedoch alle Beginnformen der
> Praktisches Vorgehen, Kontrolluntersuchungen: 5 Vor Therapiebeginn augenärztliche Untersuchung, die normale Ausgangsbefunde einschließlich des Rotsehens sicherstellen soll, Wiederholung unter Therapie alle 3 Monate. Bei ersten Anzeichen einer Retinopathie (Ausfall des Rotsehens) sofortiger Therapieabbruch. Bei Vorliegen einer Rot-Grün-Blindheit kritische Abwägung der Indikation. 5 Bei Vorliegen eines Anfallsleidens CQ- und CQ-OHTherapieindikation überdenken, ansonsten engmaschige neuropädiatrische Kontrollen. Ableitung eines EEG vor Therapiebeginn erwägen. 5 Unter CQ- und CQ-OH-Therapie direkte Sonnenbestrahlung meiden, ggf. Sonnenschutzcreme mit hohem Lichtschutzfaktor. 5 Kontrollen von Blutbild und Transaminasen vor Therapiebeginn und dann 8-wöchentlich. 5 Bei Langzeittherapie kumulative Dosis berechnen.
4.5
Methotrexat
T. Niehues, H. Michels, N. Wagner Methotrexat (MTX) ist die N-{4-[(2,4-Diamino-6-pterid inylmethyl)methylamino]benzoyl}-L-glutaminsäure und ein Folsäureanalogon. Die Geschichte des Methotrexats begann mit Aminopterin, das 1948 erstmalig erfolgreich bei Leukämien im Kindesalter angewandt wurde. Aminopterin wurde durch Methotrexat ersetzt, welches das 4Amino-10-Methylanalogon von Aminopterin ist. Ist anstatt der Methylgruppe an Position 10 ein Wasserstoffatom, so handelt es sich um Aminopterin. Besteht an der
4
143
4.5 · Methotrexat
. Tab. 4.6. Antirheumatische Therapie mit Chloroquin/Hydroxychloroquin: Datenlage für verschiedene Indikationen Indikation
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IV
Peterson et al. 1995
P
IV
JRA
SLE
Zirk. Skl.
RA rheumatoide Arthritis; JRA juvenile rheumatoide Arthritis; SLE systemischer Lupus erythematodes; JDM juvenile Dermatomyositis; SjSy Sjögren-Syndrom; Zirk. Skl. zirkumskripte Sklerodermie; P positiv; N negativ; CQ-OH Hydroxychloroquin.
. Tab. 4.7. Unerwünschte Wirkungen (UEW) von Chloroquin/Hydroxychloroquin. Darstellung auf der Grundlage der Fachinformation der Firma Bayer (Stand September 2004) Unerwünschte Wirkungen
Häufigkeit
Kommentar
Einlagerung von CQ und HO-CQ in die Cornea
G
Reversibel, Ø Visuseinschränkung
Einlagerung in die Retina (Melaningranula)
S
Gefahr irreversibler Retina-Schädigung. Abhängig von TD: bei TD ≤4mg CQ-Phosphat 3-monatliche ophthalmologische Kontrollen
Passagere Akkomodationsstörungen
G
Ophthalmologisch
Gastrointestinal Magenschmerzen, Appetitlosigkeit, Diarrhoe etc.
H
Bei Kindern seltener
ZNS Schlafstörungen, Unruhe, Benommenheit, Verwirrtheitszustände, Kopfweh
G
Auslösung von zerebralen Anfällen
SS
Psychose
SS
Bei Anfallsanamnese nach Möglichkeit auf CQ/HO-CQ verzichten. Vor Therapiebeginn EEG
144
1
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
. Tab. 4.7. Fortsetzung Unerwünschte Wirkungen
2
Häufigkeit
Kommentar
Herz-Kreislauf
3
Blutdruckabfall
G
EKG: T-Wellen-Abflachung
G
4
Kardiomyopathie
SS
Haut
5
Photosensibilisierung
S
6
Pruritus
S
Dunkelverfärbung lichtexponierter Haut
S
7
Verfärbung der Mundschleimhaut
S
Ausbleichen der Haare, Haarausfall
S
Exazerbation einer Psoriasis
S
Exazerbation einer Porphyria cutanea tarda
S
8 9 10
Direkte Sonnenbestrahlung meiden; Sonnenschutz
Leber Transaminasen n
S
Muskulatur
11 12 13 14 15 16 17 18
Myopathie, Neuromyopathie, myasthenisches Syndrom
S
Hämatologisch Agranulozytose, Panzytopenie, Thrombopenie, Eosinophilie
SS
Ohr Hörschaden Hypersensitivitätssyndrom
SS SS
CQ/HO-CQ Chloroquin/Hydroxychloroquin; TD Tagesdosis; H häufig (>1/100, <1/10); G gelegentlich (>1/1000, <1/100); S selten (>1/10000, <1:1000); SS sehr selten (<1/10000).
Position 4 statt der Aminogruppe eine Hydroxylgruppe, handelt es sich um Folsäure (. Abb. 4.9).
19
4.5.1
20
Es ist zwischen dem Einsatz als Chemotherapeutikum und der antiinflammatorischen Therapie in ca. 100- bis 1000-fach niedrigerer Dosierung zu unterscheiden. Bei der folatabhängigen Wirkung wird die Bildung der Aminosäure Methionin aus Homozystein behindert, das zur Synthese von S-Adenosyl-Methionin führt. S-AdenosylMethionin fungiert als Methylgruppendonator für RNA und DNA (Cutolo et al. 2001). Fehlen Methionin und SAdenosyl-Methionin, so entsteht ein antiproliferativer Effekt, der zur Behandlung von Tumoren ausgenutzt wird.
21 22 23
Fieber, bullöses Exanthem, Bauchschmerzen, Diarrhoe, Husten, Eosinophilie
Wirkmechanismus
Beim folatunabhängigen Mechanismus der antiinflammatorischen Therapie kommt es über eine Störung des Purinmetabolismus zu einer vermehrten Freisetzung von Adenosin aus Monozyten. Adenosin hemmt die Adhärenz von neutrophilen Granulozyten auf das Endothel und somit die Chemotaxis in das entzündliche Gewebe. Darüber hinaus inhibiert es die Expression von TNF-α, IL-1β und anderen proinflammatorischen Zytokinen. Schließlich führt Adenosin zu einer reduzierten T-Zell-Aktivierung und Expression von Adhäsionsmolekülen auf T-Zellen (interzelluläres Adhäsionsmolekül ICAM-1). Der Effekt des Adenosins scheint vorwiegend lokal im entzündeten Gewebe stattzufinden, da trotz lang andauernder Methotrexat-Therapie von Kindern mit einer juvenilen Arthritis keine Korrelation zwischen Blutadenosinspiegeln und Wirkung gezeigt werden konnte.
145
4.5 · Methotrexat
Pharmakokinetik
4.5.2
Methotrexat kann oral, intramuskulär, subkutan oder auch i.v. verabreicht werden. Wesentliche Unterschiede in der Bioverfügbarkeit bestehen nicht. Durch Mahlzeiten wird die Bioverfügbarkeit bei der oralen Applikation nicht wesentlich beeinflusst. Die Bioverfügbarkeit ist bei höheren Dosierungen (≥15 mg/m2/Woche) besser. Medikamente wie Phenytoin, Barbiturate, Tranquilizer, orale Kontrazeptiva und Tetracycline erhöhen die Bioverfügbarkeit von Methotrexat. Bei Kombinationen mit den Folsäureantagonisten Trimethoprim und Sulfamethoxazol kann es zu Hautveränderungen und schwerer Knochenmarksuppression kommen. Methotrexat wird über verschiedene Mechanismen in die Zelle aufgenommen, zum einen durch ein aktives Transportprotein (»reduced folate carrier«), zum anderen durch den Folatrezeptor sowie durch passive Diffusion (. Abb. 4.10). Innerhalb der Zelle wird es zu Polyglutamaten verstoffwechselt, die eine Woche lang in konstanter Konzentration intrazellulär nachgewiesen werden können. Die MTX-Konzentrationen in der Synovia entsprechen denen im Plasma. Die Elimination von Methotre-
OH
CH2
N
N
O
N
C
4.5.3
Methotrexat ist das in der Kinderrheumatologie am häufigsten eingesetzte Basistherapeutikum/«disease modifying antirheumatic drug« (DMARD). Es ist in subkutaner Verabreichungsform zugelassen für Kinder mit polyartikulärer Verlaufsform der JIA. Methotrexat kommt dann zum Einsatz, wenn die Therapie mit nichtsteroidalen An-
COOH NH
Wirksamkeitsstudien
. Abb. 4.9. Strukturformel Folsäure und Methotrexat
C H (CH2)2 COOH
H2N
N
N
NH2
CH2
N
N H2N
H
xat erfolgt vorwiegend (50–80%) unverändert durch glomeruläre Filtrationen. Etwa 20% des Methotrexats werden über die Galle ausgeschieden. Im Gegensatz zur Praxis der Therapie von Patienten mit onkologischen Erkrankungen werden bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen keine Serumspiegelbestimmungen durchgeführt, da die verwendeten Dosen deutlich geringer sind und in der Rheumatologie insbesondere die intrazellulären Spiegel von MTX-Polyglutamat von Bedeutung sind. Hieraus erklärt sich, dass meist 4–6 Wochen vergehen, bis Methotrexat wirksam ist, außerdem wird auch die lang anhaltende Hemmung der Dihydrofolatreduktase verständlich.
CH3
O
N
C
COOH NH
C H (CH2)2 COOH
N
N
TNF-α ⇓ IL-1 ⇓ IL-10 ⇑ Prostaglandine IL-1 Ra ⇑ Leukotriene
MTX Reduzierter Folsäure rezeptor (FR-α, -β) Folsäuretransporter
II
MTX-Polyglutamat Folsäure
dUMP
Thymidilatsynthetase Tetrahydrofolat Thymidin
Adenosin ⇑
DHFR
I Proliferation ⇓ Apoptose ⇑
Pyrimidin-/Purinsynthese, DNA-Synthese
AdenosinA2-Rezeptor
. Abb. 4.10. MTX-Wirkmechanismus. DHFR Dihydrofolatreduktase; dUMP Desoxyuridylat
4
146
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
tirheumatika (NSAR) und Krankengymnastik nicht zum ausreichenden Therapieerfolg führt. Über die juvenile idiopathische Arthritis hinaus wird Methotrexat noch bei Kollagenosen und Vaskulitiden zur immunsuppressiven Therapie eingesetzt. Daten aus kleineren Fallserien kommen zu dem Schluss, dass der frühe Einsatz von Methotrexat bei der juvenilen Dermatomyositis möglicherweise einen positiven Effekt auf Outcome und die Entwicklung von Kalzinosen haben könnte. Schließlich kann Methotrexat erfolgreich bei der Behandlung der Uveitis eingesetzt werden. Die Effektivität von Methotrexat in der Behandlung der juvenilen idiopathischen Arthritis konnte in placebokontrollierten Doppelblindstudien bei Kindern mit juveniler idiopathischer Arthritis belegt werden (Giannini et al. 1992; Woo et al. 2000). Allerdings sind die Beobachtungszeiträume dieser Studien (≤1 Jahr) kurzfristig ausgelegt, und langfristige Daten zur Wirksamkeit von Methotrexat bei der JIA fehlen. Die Wirksamkeit von Methotrexat bei der JIA wird von einigen Autoren sogar kritisch beurteilt, insbesondere was den Effekt auf »patient centered disability measures«, wie z. B. Gelenkfunktion und Bewegungsumfang, Lebensqualität und Schmerzen, angeht. In der multizentrischen, europäischen PRINTO-Studie zeigten 455 von 633 (72%) der Patienten mit JIA und polyartikulärer Verlaufsform innerhalb von 9 Monaten ein Ansprechen auf eine Methotrexat-Therapie in einer Standarddosierung von 8–12,5 mg/m2 KOF. In einer anschließenden, randomisierten Untersuchung wurde die MethotrexatDosierung bei den 80 Kindern, bei denen die Standarddosierung keine ausreichende Effektivität aufwies, auf entweder parenteral 15 oder maximal 20 mg/m2 oder 30 mg/ m2 KOF über 6 Monate erhöht (Ruperto et al. 2004). Bei Erhöhung der Dosis auf 15–20 mg/m2 zeigten immerhin 62% der Kinder ein Ansprechen auf die Methotrexat-Therapie, eine Dosis von 30 mg/m2 brachte dagegen keine weitere Steigerung der Effektivität. Im Vergleich zu anderen Basistherapeutika hat Methotrexat eine nachgewiesen gute Wirkung. In einer international randomisierten und kontrollierten Studie wurde Methotrexat bei Kindern mit polyartikulärer JIA mit Leflunomid verglichen. Das Ansprechen in der Methotrexat-Gruppe war signifikant besser als in der Leflunomid-Gruppe (89% vs. 68%) (Silverman et al. 2005a). Die Datenlage aus kontrollierten Studien zeigt, dass Methotrexat eine gute Wirksamkeit bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen aufweist.
22
4.5.4
23
Am häufigsten sind leichte gastrointestinale unerwünschte Wirkungen wie Aversion und Übelkeit. Nicht selten tritt die ausgeprägte Abneigung gegen MTX bei Patienten auf,
Unerwünschte Wirkungen
die die Substanz bereits über einen längeren Zeitraum ohne wesentliche Probleme erhielten. Die Gabe von Folat kann bei Erhaltung der antiinflammatorischen Wirkung des Methotrexat einen positiven Effekt auf diese unerwünschten Wirkungen haben. Das Folat wird in einem Abstand von 48 h nach Methotrexat-Gabe verabreicht. Aufgrund der schweren Toxizität, die bei der hoch dosierten Chemotherapie mit Methotrexat auftreten kann, besteht häufig die Besorgnis, dass die Gabe von Methotrexat in der bei rheumatischen Erkrankungen drastisch niedrigeren Dosis auch schwere unerwünschte Wirkungen auslösen kann. Insbesondere werden unerwünschte Wirkungen an der Leber befürchtet. Bei der Auswertung von Leberbiopsien Methotrexat-behandelter Kinder werden allerdings nur selten leichte Leberfibrosen beobachtet. In zwei Studien sind Leberbiopsien retrospektiv ausgewertet geworden, hierbei haben sich keine schwerwiegenden histologischen Veränderungen an der Leber unter MTX nachweisen lassen. Unter einer regelmäßigen Kontrolle der Leberwerte ist also mit einer signifikanten Hepatotoxizität nicht zu rechnen. Am hämatopoetischen System kann Methotrexat zu Makrozytose, Leuko- und Thrombozytopenie führen. An der Lunge ist lediglich ein Fall eines Kindes mit dem Verdacht auf Methotrexat-Pneumonitis beschrieben worden, die Diagnose ist aber in diesem Fall aufgrund des untypischen Verlaufes und fehlender Biopsie fraglich. Bei Erwachsenen werden pulmonale Nebenwirkungen häufiger beschrieben. Der Zusammenhang zwischen Malignomentstehung und niedrig dosierter Methotrexat-Therapie wird sehr kontrovers diskutiert. Bei Kindern mit JIA wurden vier Hodgkin-Lymphome und ein Non-Hodgkin-Lymphom nachgewiesen, in einem Fall erfolgte zusätzlich eine Ciclosporin-A-Therapie. Methotrexat ist potenziell teratogen, und bei Mädchen im gebärfähigen Alter sind sichere Maßnahmen zur Kontrazeption dringend zu empfehlen. Zusammenfassend ist zu sagen, dass Methotrexat in der niedrigen Dosierung, die bei der antiinflammatorischen Therapie eingesetzt wird, relativ selten zu unerwünschten Wirkungen führt, die eine Therapieunterbrechung notwendig machen. Dies unterscheidet Methotrexat wesentlich von anderen Medikamenten (wie z. B. Penicillaminen und Gold), die in der Basistherapie der juvenilen idiopathischen Arthritis in der Vergangenheit eingesetzt worden sind und die eine wesentlich höhere Nebenwirkungsrate mit sich bringen. Ein Teil der Kinder entwickelt unter Methotrexat allerdings ein Ekelgefühl, so dass die Therapie nach ein oder zwei Jahren nicht mehr weitergeführt werden kann. > Praktisches Vorgehen, Kontrolluntersuchungen: 5 Aufklärung der Eltern über Unterschiede zwischen Dosierungsbereichen in der Rheumatologie und Onkolo-
147
4.6 · Leflunomid
5
5 5
5
5 5
4.6
gie und das Spektrum an zu erwartenden Nebenwirkungen In kontrollierten Studien gesichert ist der Einsatz von Methotrexat bei Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen nur bei der JIA Dosierung: 10–15 mg/m2 KOF/Woche Vor Therapie Blutbild, Leber- und Nierenfunktion überprüfen, bei Nierenfunktionsstörung Dosisreduktion oder alternatives Medikament Serumspiegelbestimmungen wie bei der Therapie von Patienten mit onkologischen Erkrankungen nicht sinnvoll Bei unkomplizierten Fällen und Nachweis der Verträglichkeit reicht ein 3-monatliches Monitoring Dosisanpassung nach Wirkung, ggf. Umstellung auf parenterale Gaben
Leflunomid
H. Michels, T. Niehues, N. Wagner Leflunomid, ein Pyrimidin-Antagonist und Basistherapeutikum zur Behandlung chronischer Arthritiden, wurde 1998 in den USA und 1999 in Deutschland zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen, bislang jedoch noch nicht für die Therapie der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) (Stand: Januar 2006).
4.6.1
Wirkmechanismus
Leflunomid, ein Isoxazol-Derivat (. Abb. 4.11), stellt ein »Prodrug« dar, das durch Aufspaltung des Isoxazolringes in den aktiven Metaboliten A771726 umgewandelt wird (Prakash u. Jarvis 1999). Das A771726 vermindert die De-Novo-Pyrimidin-Synthese, indem es durch Hemmung des Enzyms DHODH (Dihydroorotat-Dehydrogenase) die Oxidation von Dihydroorotat und damit die Biosynthese der Pyrimidinbasen Cytosin, Uracil und Thymin hemmt (. Abb. 4.12). Aktivierte T-Lymphozyten benötigen zur Herstellung von Nukleotiden für die DNS- und RNS-Synthese in verstärktem Maße Pyrimidinbasen, so dass Leflunomid bzw. A771726 durch die eingeschränkte Pyrimidinbasensynthese zu einer Verminderung der T-Lymphozyten-Proliferation führt und damit immunsuppressiv wirkt. Somit besteht ein ähnlicher Wirkmechanismus wie bei Medikamenten, die mit der Purinbiosynthese interferieren (Azathioprin und 6-Mercaptopurin).
4.6.2
Pharmakokinetik
Nach Resorption aus dem Magen-Darm-Trakt wird Leflunomid rasch und vollständig in der Darmwand, in der Leber und im Blut in die eigentliche Wirksubstanz, den Metaboliten A771726 (. Abb. 4.11) umgewandelt. Maximale Konzentrationen von A771726 werden 6–12 h nach der oralen Aufnahme von Leflunomid erreicht. Die Plasmaproteinbindung beträgt >99%. A771726 hat eine Halbwertszeit (HWZ) von 1–4 Wochen, im Mittel 14 Tagen. Wegen der dadurch gegebenen langen Nachwirkzeit muss bei Umstellung auf ein anderes Medikament mit Wechselwirkungen von A771726 mit dem neuen Medikament auch nach Wochen bis Monaten nach Beendigung der Leflunomid-Therapie gerechnet werden. A771726 unterliegt dem enterohepatischen Kreislauf. Bei Bedarf, z. B. bei unakzeptablen unerwünschten Wirkungen oder bei Kinderwunsch, kann es mittels oral verabreichten Cholestyramins oder Aktivkohle über 10–14 Tage trotz der langen HWZ drastisch reduziert werden. Die Elimination erfolgt ansonsten je zur Hälfte biliär und renal.
4.6.3
Wirksamkeitsstudien
Die antirheumatische Wirkung von Leflunomid ist in mehreren kontrollierten Studien für die rheumatoide Arthritis (Li et al. 2004; Osiri et al. 2003), in einer Studie auch für die polyartikuläre juvenile rheumatoide Arthritis (JRA) (Silverman et al. 2005a) bestätigt worden (EBM Ib). Bei der JRA-Studie handelte es sich um eine multizentrische, multinationale, randomisierte und kontrollierte Untersuchung, in der Leflunomid und Methotrexat (MTX) ver-
. Abb. 4.11. Leflunomid (Prodrug) und sein wirksamer Metabolit A771726, der durch Aufspaltung des Isoxazolringes entsteht
4
148
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
1 2 3
. Abb. 4.12. Pyrimidin-Biosynthese und Wirkungsmechanismus von A771726, des aktiven Metaboliten von Leflunomid, der das Enzym DHODH (Dihydroorotat-Dehydrogenase) hemmt. Eine »Restbiosynthese« wird durch Wiederverwertung von DNS-/RNS-Abbauprodukten aufrechterhalten (»Salvage Pathway«). LEF Leflunomid. (Mod. nach Prakash u. Jarvis 1999)
Glutamin, Bicarbonat, Aspartat
A771726 (akt. Metabolit von LEF)
Dihydroorotat DHODH Orotat
4
Uridin-Monophosphat »Salvage Pathway«: Extrazell. Pyrimidine
5
Pyrimidin-Nukleotide
6 DNS-/RNS-Synthese
7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
glichen wurden. Die Studie wurde zunächst über 16 Wochen geführt und dann auf insgesamt 48 Wochen erweitert. Von 94 Kindern zwischen 3 und 17 Jahren komplettierten 86 die 16 Wochen. Darüber hinaus komplettierten 31 von 47 MTX-Patienten (66%), jedoch nur 24 von 47 Leflunomid-Patienten (57%) die 48 Wochen. Leflunomid und MTX erwiesen sich wirksamer als Placebo, wobei die Wirkung jeweils über die 48 Wochen aufrechterhalten wurde. Im Vergleich beider Substanzen erwies sich MTX als effektiver als Leflunomid (p<0,02). In einer unkontrollierten 26-Wochen-Beobachtungsstudie zu Wirksamkeit und Risiko von Leflunomid beendeten 17 von 27 JRA-Patienten mit Polyarthritis die 26 Wochen unter Leflunomid mit 52% Besserung nach den »ACR-Pedi 30-Kriterien«, 9 der 27 Patienten komplettierten eine Extensionsphase von maximal 107 Wochen (Silverman et al. 2005b).
4.6.4
Unerwünschte Wirkungen
In der multizentrischen, multinationalen Vergleichstudie Leflunomid-MTX bei JRA (Silverman et al. 2005a) waren gastrointestinale Symptome, Kopfschmerzen und obere Luftwegsinfekte die häufigsten unerwünschten Wirkungen (UEW) von Leflunomid. Transaminsasenerhöhungen wurden häufiger unter MTX als unter Leflunomid gesehen. In der Beobachtungsstudie von Silverman et al. (2005b) gehörten wiederum Kopfschmerzen, leichtere Infektionen und gastrointestinale Symptome zu den häufigsten UEW. Bei 22 der 27 Patienten fand sich mindestens einmal ein erhöhter Blutdruckwert; in einem Fall handelte es sich dabei um sehr hohe Werte, die zum Therapieabbruch führten. Bei 8 der 27 Patienten entwickelte sich Haarausfall, und bei einem davon wurde die Leflunomid-Therapie deshalb beendet. Bei 3 Patienten wurden 7 schwere UEW (»severe adverse event«, SAE) beobachtet, zu denen je einmal Infektion (mit der Folge einer i.v.-Antibiotika-Gabe), schwere Gastroenteritis, Stressfraktur, Exanthem, petechiales Exanthem, Hypertension (die zu Therapieabbruch führte) und
Anämie gehörten. Weitere UEW, die ganz überwiegend aus der Beobachtung erwachsener Patienten stammen, sind in . Tab. 4.8 dargestellt. > Praktisches Vorgehen: 5 Loading-dose (z. B. 100 mg Leflunomid), um wegen der langen HWZ einen rascheren Wirkungseintritt zu erreichen 5 Wegen der langen HWZ ist es wichtig, bei gravierenden UEW die wirksamen Leflunomid-Metaboliten mittels Cholestyramin oder Aktivkohle »auszuwaschen« 5 Patienten mit beendeter Leflunomid-Therapie müssen wegen der langen HWZ monatelang nachbeobachtet werden, auch hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen mit nachfolgend eingesetzten Arzneimitteln.
4.7
Azathioprin
H. Michels, T. Niehues, N. Wagner Nachdem in den frühen 1960er Jahren 6-Mercaptopurin (6-MP) in die Behandlung von Autoimmunerkrankungen eingeführt worden war, führte die Suche nach einer weniger schnell metabolisierten Substanz zur Entwicklung von Azathioprin, das ab Mitte der 1960er Jahre zur Verfügung stand.
4.7.1
Wirkmechanismus
Azathioprin (AZA), ein Imidazol-Derivat von 6-MP, stellt ein »Prodrug« dar und gehört wie auch 6-MP zu den Purinanaloga (. Abb. 4.13 und 4.14). Die Purinbasen Adenin und Guanin und die Pyrimidinbasen Thymidin und Cytosin (Inhibitor: Leflunomid) sind essenzielle Bestandteile der DNS und RNS. Für die antirheumatischen Wirkungen von Azathioprin sind die Thiopurin-Nukleotide verantwortlich
149
4.7 · Azathioprin
. Tab. 4.8. Unerwünschte Wirkungen (UEW) von Leflunomid. Darstellung auf der Grundlage der Fachinformation der Firma SanofiAventis (Stand Dezember 2004). Wegen der langen Halbwertszeit ist bei allen signifikanten UEW Absetzen und Auswaschen mittels Cholestyramin bzw. Aktivkohle zu erwägen (hier nur bei einigen UEW aufgeführt) Unerwünschte Wirkungen
Häufigkeit
Kommentar
Infektionen Banale Infekte, obere Luftwegsinfekte
Gehörte in den JRA-Studien 2005 zu den häufigsten UEW (Silverman 2005a,b)
Schwere Infektionen einschl. Sepsis
SS
Bei schweren Infektionen nicht nur Absetzen von LEF, sondern auch Auswaschmaßnahmen erforderlich (s.Text)
Eosinophilie
S
Leukopenie >2000/µl
H
Kontrollen von Blutbild, Differenzialblutbild und Thrombozyten vor Therapiebeginn, danach 2-wöchentlich während der ersten 6 Monate, dann 8-wöchentlich
Leukopenie <2000/µl
S
Agranulozytose
SS
Anämie, Thrombopenie
G
Panzytopenie
S
Hämolytisch
Absetzen von LEF und Auswaschmaßnahmen (s.Text)
Immunsystem Leichte Allergien
H
Anaphylaktische Reaktionen
SS
Vaskulitis
SS
Absetzen von LEF und Auswaschmaßnahmen (s.Text)
Psychiatrisch Angstgefühl
G
Neurologisch Kopfschmerzen, Schwindel, Parästhesien
H
Periphere Neuropathie
SS
Herz-Kreislauf Blutdruck n (leicht)
H
Blutdruck n (schwer)
S
RR-Kontrolle vor Therapiebeginn, regelmäßige Kontrollen im Verlauf
Lunge Interstitielle Lungenerkrankung
S
Absetzen von LEF und Auswaschmaßnahmen (s.Text)
Magen-Darm-Trakt Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen, Stomatitis aphthosa
H
Geschmacksveränderungen
G
Pankreatitis
SS
Leber, Gallenblase Transaminasenerhöhung
H
Ikterus, Cholostase
S
Kontrollen der Transaminasen vor Therapiebeginn, danach 2-wöchentlich während der ersten 6 Monate, dann 8-wöchentlich
Haut Haarausfall, Exantheme, Pruritus
H
Stevens-Johnson-Syndrom
SS
Skelettmuskulatur, Bindegewebe Sehnenscheidenentzündung
H
LEF Leflunomid; H häufig (>1/100, <1/10); G gelegentlich (>1/1000, <1/100); S selten (>1/10000, <1:1000); SS sehr selten (<1/10000).
4
150
1 2 3 4 5
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
(. Abb. 4.14). Der Einbau von Thioguanin-Nukleotiden in die Nukleinsäuren verhindert die Reduplikation der RNS bzw. DNS und führt dadurch zu Zytotoxizität. Darüber hinaus wird eine Hemmung der De-Novo-Purinbasen-Synthese beobachtet, die infolge Hemmung von Amidotransferasen und der Purinribonukleotid-Interkonversion zustande kommt und die Lymphozytenproliferation und weitere immunologische Funktionen wie die natürliche Killerzellaktivität, die Antikörperproduktion und Monozytenfunktionen vermindert. Insgesamt kommt es zu einer immunsuppressiven Wirkung durch Hemmung der zellulären und humoralen Immunantwort.
6 7 8 9 10 11 12 13
4.7.2
Pharmakokinetik
Nach oraler Aufnahme wird AZA zu 25–85%, im Mittel 45%, resorbiert und in der Leber und in Erythrozyten so rasch in 6-MP metabolisiert (. Abb. 4.13 und 4.14), dass es im Blut nicht nachweisbar ist. Maximale 6-MP-Plasmakonzentrationen werden 1–2 h nach der Einnahme von AZA erreicht. Die Proteinbindung beträgt 30%, die Plasmahalbwertszeit (HWZ) 3–5 h. Nach schneller Penetration in die Zellen wird es in verschiedene Thiopurin-Analoga umgewandelt, von denen die Thioinosinsäure das für die Wirksamkeit von AZA wichtigste Nukleotid darstellt. Bei täglicher Verabreichung von AZA ist die HWZ der intrazellulären, aktiven 6-Thioguanin-Nukleotide über eine 24-h-Periode konstant und beträgt 1–2 Wochen. Mit Hilfe
14 15 16
19
. Abb. 4.13. Chemische Struktur von Azathioprin und 6-Mercaptopurin, das aus Azathioprin nach Abspaltung des Imidazolringes entsteht
Wirksamkeitsstudien
Der Wirkungseintritt der immunsuppressiven Effekte von AZA wird erst nach Wochen beobachtet, vermutlich weil die intrazellulär aktiven Thioguanin-Derivate nur langsam akkumulieren. Entsprechend entwickeln sich die klinischen Effekte über Monate. In der Kinder- und Jugendrheumatologie kann AZA bei der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA), dem juvenilen systemischen Lupus erythematodes, der juvenilen Dermatomyositis, bei rheumatischer Uveitis, beim Morbus Behçet sowie bei idiopathischen Vaskulitiden eingesetzt werden. Die . Tab. 4.9 beschreibt die zugehörige Datenlage bzw. den Evidenzgrad der Literatur zu den verschiedenen Indikationen. Für Kinder ist es zur Behandlung des SLE, der Dermatomyositis, der Polyarteriitis nodosa und des Morbus Behçet, nicht jedoch der JIA zugelassen.
Unerwünschte Wirkungen
Zu den häufigsten UEW von AZA gehören Affektionen des Magen-Darm-Traktes und Zytopenien (. Tab. 4.10). Am schwerwiegendsten ist die Begünstigung von Malignomen, die vor allem bei Transplantatempfängern gese-
6-Methylmercaptopurin
20 TPMT
21 Gluthation-S-Transferase
22
4.7.3
4.7.4
17 18
der Thiopurinmethyltransferase (TPMT) wird 6-MP in 6Methylmercaptopurin und mittels der Xanthinoxidase in Thioharnsäure metabolisiert (. Abb. 4.14). Die Gabe von AZA oder von 6-MP kann bei angeborenem TPMT-Mangel (90% haben eine hohe, 10% eine mittlere und 0,3% eine sehr niedrige TPMT-Aktivität) 4–10 Wochen nach Therapiebeginn zu einer schweren Knochenmarkstoxizität führen (Leipold et al. 1997). Bis zu 50% einer AZA-Dosis werden innerhalb von 24 h mit dem Urin ausgeschieden, 10% davon in unveränderter Form. Weitere 10–12,5% werden innerhalb von 48 h mit dem Stuhl eliminiert. Da 6-MP in Konzentrationen von 3–18 ng/ml in der Muttermilch erscheint, verbietet sich das Stillen unter einer AZA-Therapie. AZA, das die Plazentarschranke passiert, kann von der fetalen Leber nicht in die aktiven Metaboliten verstoffwechselt werden, so dass UEW beim Feten kaum gesehen werden, in Einzelfällen aber beschrieben sind.
AZA
HGPRT 6-MP
Thiopurin-Nukleotide
Xanthinoxidase
23 Thioharnsäure
. Abb. 4.14. Azathioprin (AZA) wird mit Hilfe der Gluthation-S-Transferase zu 6-Mercaptopurin (6-MP) abgebaut, aus dem mit Hilfe der Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT) schließlich die Thiopurin-Nukleotide entstehen. 6-Mercaptopurin wird mit Hilfe der Thiopurinmethyltransferase (TPMT) zu 6-Methylmercaptopurin und mit Hilfe der Xanthinoxidase in Thioharnsäure metabolisiert
151
4.7 · Azathioprin
. Tab. 4.9. Indikationen für eine Therapie mit Azathioprin, zugehörige Studien und der sich daraus ergebende Evidenzgrad Indikation
Literatur
Resultat
Evidenzgrad
RA
Berry et al. 1976
DPA=AZA
Ib
De Silva u. Hazleman 1981
P
Ib
Paulus et al. 1984
P
Ib
Hamdy et al. 1987
MTX=AZA
Ib
Ahern et al. 1991
AZA=CSA
Ib
Jeurissen et al. 1991
MTX>AZA
Ib
Keysser 1993
P
IV
Krüger u. Schattenkirchner 1994
AZA=CSA
Ib
Jeurissen et al. 1991
MTX>AZA
Ib
Reiter-Syndrom
Calin 1986
P
Ib
JRA/JCA
Stoeber et al. 1967
P
IV
Kvien et al. 1986
P
Ib
Savolainen et al. 1997
P
IV
Lin et al. 2000
P
IV
JSLE
Hagelberg et al. 2002
P
IV
CED
Candy et al. 1995
P
Ib
Ramakrishna et al. 1996
P
IV
Mantzaris et al. 2004
P
Ib
Uveitis
Flores et al. 2001
P
IV
MB
Yazici et al. 1990
P
Ib
Hamuryudan et al. 1997
P
Ib
Saenz et al. 2000
P (Uveitis) N (Arthritis)
Ib Ib
Hamuryudan et al. 2002
P
IV
Jacobs 1977
P
IV
Miller et al. 1987
P
IV
Ng et al. 1998
P
IV
Jayne et al. 2003
P
Ib
Benenson et al. 2005
P
IV
JDM
Vaskulitis
RA rheumatoide Arthritis; JRA/JCA juvenile rheumatoide/chronische Arthritis; JSLE juveniler systemischer Lupus erythematodes; CED chronisch entzündliche Darmerkrankungen; MB Morbus Behçet; JDM juvenile Dermatomyositis; DPA D-Penicillamin; AZA Azathioprin; MTX Methotrexat; CSA Ciclosporin A; P: positiv; N negativ).
hen wird (insbesondere Non-Hodgkin-Lymphome), während das Malignomrisiko bei antirheumatischer Therapie deutlich geringer zu sein scheint (Urowitz et al. 1982, Silman et al. 1988, Connell et al. 1994, Fraser et al. 2002). In einer Studie an 393 mit AZA behandelten Patienten mit rheumatoider Arthritis in den USA fand sich ein »überraschend benignes« Nebenwirkungsprofil (Singh et al. 1989). Entsprechende Daten über mit Azathioprin behan-
delte rheumakranke Kinder und Jugendliche liegen nicht vor. > Praktisches Vorgehen, Kontrolluntersuchungen: 5 TPMT-Bestimmung vor Therapiebeginn erwägen. Einschleichende Dosierung in der ersten Woche zur Überprüfung der akuten Sensitivität gegenüber Azathioprin
4
152
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
1
. Tab. 4.10. Unerwünschte Wirkungen (UEW) von Azathioprin. Darstellung auf der Grundlage der Fachinformation der Firma SanofiAventis (Stand September 2004).
2
Unerwünschte Wirkungen
Häufigkeit
Kommentar
Infektionen
3 4 5 6 7 8
Viral, bakteriell, mykotisch
G
Hämatologisch Leukopenie
SH
Thrombopenie
H
Anämie
G
Agranulozytose, Panzytopenie
S
Aplastische Anämie
S
Hämolytische Anämie
SS
Immunsystem Idiosynkrasie
G
Manifestation während der ersten 14 Tage nach Therapiebeginn: Fieber, Exantheme, Schock, Pankreatitis, Nierenversagen, Hepatopathie
Idiosynkrasie mit letalem Ausgang
SS
(≠ Myelosuppression bei schwerem TPMT-Mangel: 4–10 Wochen nach Therapiebeginn)
9 10 11 12 13 14
Lunge Reversible Pneumonitis
SS
Magen-Darm-Trakt Übelkeit, Erbrechen
H
Pankreatitis
G
(Bei Patienten mit CED:) schwere Diarrhoe
SS
Leber, Gallenblase/-wege
15
Transaminasen n, Cholestase
G
Lebensbedrohliche Hepatopathie
S
16
Haut Haarausfall
17
Malignome
18
Non-Hodgkin-Lymphome, Melanome, Sarkome, Zervixkarzinom in situ, myeloische Leukämie, Myelosuppression
21 22 23
Nach Absetzen von AZA in aller Regel reversibel
S
S
19 20
Reversibel, dosisabhängig
Betrifft vor allem Transplantatempfänger Kinder- und Jugendrheumatologie: nur Einzelfälle beobachtet Erwachsenenrheumatologie: keine erhöhte Malignomfrequenz
AZA Azathioprin; CED chronisch entzündliche Darmerkrankungen; TPMT Thiopurinmethyltransferase; H häufig (>1/100, <1/10); G gelegentlich (>1/1000, <1/100); S selten (>1/10000, <1:1000); SS sehr selten (<1/10000).
5 Vorsicht bei gleichzeitiger Verabreichung von Xathinoxidasehemmern (Allopurinol) o toxische Konzentrationen von 6-MP (. Abb. 4.13) 5 Kontrollen: – während der ersten 8 Wochen der Therapie Blutbild einschließlich Thrombozyten mindestens wöchentlich, nach 8 Wochen 4- bis 6-wöchentlich
– während der ersten 8 Wochen Leberfunktionsproben, Lipase und Kreatinin im Serum 14-täglich, danach 4- bis 6-wöchentlich – jeweils auch Kontrolle des klinischen Befundes 5 Eltern und Patienten darüber aufklären, dass bei Anzeichen auf eine Infektion, ungeklärten blauen Flecken oder Blutungen oder anderen Manifestationen,
153
4.8 · Cyclophosphamid
die auf eine Knochenmarksuppression deuten, der behandelnde Arzt umgehend informiert werden muss
4.8
Cyclophosphamid
N. Wagner, T. Niehues, H. Michels Cyclophosphamid gehört zu den zytotoxischen Substanzen, die traditionell eine herausragende Rolle in der Therapie maligner Erkrankungen spielen. Zahlreiche immunologische Funktionen werden durch Cyclophosphamid beeinträchtigt, so dass der Einsatz bei schweren Autoimmunerkrankungen gerechtfertigt ist. Bedeutsam ist der Einsatz von Cyclophosphamid bei schweren Verläufen des systemischen Lupus erythematodes. Aufgrund schwerwiegender unerwünschter Wirkungen wie hämorrhagischer Zystitis, Infertilität und dem Auftreten von Malignomen ist die Indikation streng zu stellen. Patient und Eltern sind ausführlich über die Risiken aufzuklären.
4.8.1
Wirkmechanismus
Cyclophosphamid (. Abb. 4.15) bzw. seine Metabolite verhindern die Replikation von DNA, indem diese an DNA binden. Die Hemmung der DNA-Replikation wirkt zytotoxisch und proliferationshemmend insbesondere auf schnell wachsende Zellen wie die des hämatopoetischen Systems. Dadurch werden zahlreiche immunologische Effektormechanismen beeinträchtigt. Sowohl die Anzahl der B- wie auch der T-Zellen wird durch Verabreichung von Cyclophosphamid gemindert. Die T-Zell-Hilfe für die spezifische Immunantwort wird unterdrückt. Zytotoxizität von T-Zellen, kutane Hypersensitivität vom Spättyp und Graft-versus-Host-Disease werden ebenfalls durch Cyclophosphamid gemindert. Bei Erwachsenen mit rheumatoider Arthritis sind verschiedene kontrollierte Studien zu dem Schluss gekommen, dass Cyclophosphamid effektiv ist, da sich sowohl die klinischen Symptome, die radiologische Progression als auch die Entzündungszeichen signifikant bessern. Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis haben andere DMARD Vorrang vor Cyclophosphamid aufgrund der Toxizität der Substanz.
Einen besonderen Stellenwert hat Cyclophosphamid bei der Therapie des SLE. Bei Erwachsenen wurde im Rahmen einer kontrollierten Studie gezeigt, dass Cyclophosphamid in der Kombination mit Corticosteroiden bei der Behandlung der schweren Lupusnephritis effektiv war (Austin et al 1986). Neuere Daten zeigen, dass Mycophenolatmofetil und Azathioprin zumindest teilweise Cyclophosphamid in der Therapie des SLE ersetzen können und geringere Toxizität aufweisen (Contreras et al. 2004). Hierbei wurde die Therapiephase nach 6-monatiger Remissionsinduktion, die bei allen Studienpatienten mit Cyclophosphamid erreicht wurde, untersucht. Entweder wurde die Therapie mit Cyclophosphamid in dreimonatigen Intervallen fortgesetzt oder alternativ Azathioprin oder Mycophenolatmofetil eingesetzt. Azathioprin und Mycophenolatmofetil waren Cyclophosphamid in der Erhaltung der Remission bei schwerem SLE gleichwertig oder sogar überlegen. Beim SLE im Kindesalter liegen keine kontrollierten Studienergebnisse vor, unkontrollierte Studien weisen auf eine Effektivität von Cyclophosphamid insbesondere bei den schweren Formen der Lupusnephritis hin (Lehman et al. 2004). Systemische Sklerodermie und schwere Vaskulitiden wie die Polyarteriits nodosa oder die Wegener’sche Granulomatose sind ebenfalls eine Indikation für Cyclophosphamid, obwohl auch hier keine kontrollierten Studien, selbst nicht bei Erwachsenen, durchgeführt wurden.
4.8.2
Cyclophosphamid wird in der Leber in seine aktiven Metabolite umgebaut. Die Ausscheidung erfolgt über die Niere, die Halbwertszeit beträgt 2–8 h. Einer der Metabolite von Cyclophosphamid, Acrolein, ist verantwortlich für die Toxizität an der Blase. Diese kann durch Verabreichung von 2-Mercaptoethansulfonat (MESNA) antagonisiert werden. Bei oraler Verabreichung von Cyclophosphamid ist die urologische Toxizität ausgeprägter als bei der intravenösen Pulstherapie. Bei dieser werden in monatlichen Abständen 500–1000 mg/m2 KOF Cyclophosphamid intravenös über mehrere Stunden infundiert und die urologische Toxizität durch gleichzeitige Gabe von MESNA und hohe Flüssigkeitsgabe mit konsekutiv verstärkter Durchspülung der Blase gemindert (genaues Procedere 7 Abschn. 7.9.5). Bei gleichzeitiger Gabe von MTX kann der Cyclophosphamid-Spiegel im Serum erhöht sein.
4.8.3
. Abb. 4.15. Strukturformel Cyclophosphamid
Pharmakokinetik
Unerwünschte Wirkungen
Cyclophosphamid hat bedeutsame unerwünschte Wirkungen, die die Anwendung auf Fälle beschränken, die nicht mit anderen DMARD therapierbar sind.
4
154
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
Ein Metabolit von Cyclophosphamid, Acrolein, verursacht eine hämorrhagische Zystitis und kann langfristig ein Blasenkarzinom auslösen. Diese unerwünschten Wirkungen sind bei oraler Verabreichung von Cyclophosphamid deutlich stärker ausgeprägt. Demgegenüber ist die intravenöse, hoch dosierte Pulstherapie mit Cyclophosphamid, die von intensiver Hydrierung und Verabreichung von MESNA begleitet wird, mit einer geringeren Kontaktzeit des Metaboliten mit der Blasenschleimhaut vergesellschaftet. Damit sind die oben beschriebenen unerwünschten Wirkungen an der Blase selten. Dementsprechend sollte im Kindesalter die Indikation zur oralen Therapie mit Cyclophosphamid sehr zurückhaltend gestellt werden. Andere Tumore wie Leukämie, NonHodgkin-Lymphom und weitere sind ebenfalls nach Cyclophosphamid-Therapie häufiger. Insofern besteht kein Zweifel an dem grundsätzlich erhöhten Risiko der Kanzerogenität der Substanz bzw. seiner Metabolite. Gastrointestinale Wirkungen wie Übelkeit sind häufig und können mit Antiemetika bei der Pulstherapie erfolgreich behandelt werden. Eine andere wesentliche unerwünschte Wirkung betrifft die Fertilität. Abhängig von der kumulativen Dosis können eine Amenorrhoe sowie eine Azospermie auftreten, die z. T. irreversibel ist. Das Risiko für diese unerwünschte Wirkung steigt deutlich mit dem Alter an und ist bei Adoleszenten vergleichsweise gering. Nichtsdestotrotz ist die mögliche Infertilität ein ernst zu nehmendes Risiko, da die Gesamtdauer der Therapie und damit die kumulative Dosis bei Beginn der Therapie im Kindesoder Adoleszentenalter häufig schwer abschätzbar ist. Insofern ergibt sich in der Konsequenz, dass der Einsatz von Cyclophosphamid auf anderweitig therapieresistente Patienten beschränkt bleiben sollte. Gegebenenfalls sollte Sperma asserviert werden, die Gewinnung und Konservierung von Eizellen ist noch keine Routinemethode.
xisch, während der D-Typ therapeutisch eingesetzt werden kann.
> 5 Das Protokoll für die intravenöse Pulstherapie mit Cyclophosphamid ist in 7 Abschn. 7.9.5 wiedergegeben. 5 Regelmäßige Kontrollen des Blutbilds zwecks Überprüfung der Knochenmmarktoxizität sowie des Urinstatus zum Ausschluss der hämorrhagischen Zystitis sind unter Therapie mit Cyclophosphamid erforderlich.
Zugelassen ist das Medikament für die chronische Polyarthritis, für die Vergiftung mit Schwermetallen (Kupfer, Blei, Quecksilber, Zink), für die Zystinurie und Zystinsteine, für die Sklerodermie und den Morbus Wilson. In einer Metaanalyse wurden drei randomisierte placebokontrollierte Studien analysiert (Giannini et al. 1993). Dabei wur-
4.9.1
Wirkmechanismus
Es werden verschiedene Wirkmechanismen diskutiert. Ein wesentlicher Effekt beruht auf der Inhibition der Quervernetzung des Kollagens und damit Verminderung der Kollagensynthese. Dieser Effekt spielt möglicherweise bei der Behandlung der systemischen Sklerodermie eine Rolle. Penicillamin hat darüber hinaus immunmodulatorische Eigenschaften. Hierzu gehören eine signifikante Reduktion der Antigenpräsentation über verminderte Expression verschiedener HLA-Klasse-II-Antigene und ein inhibitorischer Effekt auf T-Helferzellen. Darüber hinaus beeinflusst D-Penicillamin die Entzündung auf Leukozytenebene, indem es die Aktivierung von Neutrophilen unterdrückt und die Freisetzung des Enzyms Myeloperoxidase aus den Leukozytengranula inhibiert.
4.9.2
Pharmakokinetik
Die Bioverfügbarkeit beträgt zwischen 40 und 70%. D-Penicillamin reichert sich hauptsächlich in Haut und subkutanem Bindegewebe an. Die Serumhalbwertszeit einer einzelnen Dosis beträgt 2–4 h. Eine Korrelation zwischen Serumwerten und Wirksamkeit oder Nebenwirkungen konnte nicht hergestellt werden (Mujsers et al. 1984). Die Elimination erfolgt über die Niere. Der Metabolismus ist schnell. D-Penicillamin wird zu verschiedenen Disulfiden oxidiert, die ebenfalls im Urin ausgeschieden werden.
4.9.3
Wirksamkeitsstudien
OH
O
20
4.9
21
T. Niehues, H. Michels, N. Wagner
22
Penicillamin ist ein Abkömmling des Penicillins. Es handelt sich um eine natürlich nicht vorkommende Aminosäure, die in Form zweier Enantiomere als L- oder D-Penicillamin (. Abb. 4.16) vorliegen kann. Der L-Typ ist to-
23
Penicillamin H
*
NH2 SH
H3C CH3
. Abb. 4.16. Strukturformel D-Penicillamin
155
4.10 · Ciclosporin
de die juvenile rheumatoide Arthritis mit D-Penicillamin (10 mg/kgKG/Tag), Hydroxychloroquin (6 mg/kgKG/ Tag), Auranofin (0,15–0,2 mg/kgKG/Tag) und Methotrexat behandelt. Hier zeigte sich, dass einzig Methotrexat einen signifikanten Effekt auf die rheumatische Erkrankung und die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) hatte. Dagegen ist bei Erwachsenen eindeutig eine Wirksamkeit des Penicillamins auf die rheumatoide Arthritis gezeigt worden (Suarez Alamor et al. 2000). Dennoch ist Penicillamin bei Erwachsenen nicht mehr die erste Wahl bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis, dies liegt hauptsächlich an den unerwünschten Wirkungen (s. unten).
4.9.4
Unerwünschte Wirkungen
Eine Kontraindikation besteht bei schweren Störungen des hämatopoetischen Systems, bei systemischem Lupus erythematodes oder Nachweis von hochtitrigen, antinukleären Antikörpern, bei gleichzeitiger Gold- oder Chloroquintherapie, bei Penicillinallergie oder bei Leberparenchymschäden. An der Haut können verschiedene Reaktionen auftreten, selten ist ein Haarausfall oder eine Gelbverfärbung der Nägel. Am Nervensystem können Neuropathien und Geschmacksstörungen (Metallgeschmack, Geschmacksverlust) auftreten. Bemerkenswert sind auch Myasthenia-gravis-ähnliche Krankheitsbilder. Im Gastrointestinaltrakt kommt es zu Inappetenz, Übelkeit, Erbrechen und selten Durchfällen sowie Schleimhautschäden (bukkale, linguale Inzerationen) und vereinzelt Cholestase. Störungen der Hämatopoese und Nierenschäden (membranöse Glomerulonephritis, häufig HLA-DR3- und wohl auch HLA-B8-assoziiert) sind beschrieben. Schließlich kann Penicillamin selbst Autoimmunreaktionen (Lupus-erythematodes-like, ds-DNS-AK nachweisbar) auslösen. Eine seltene unerwünschte Wirkung ist die Mammahyperplasie. > 5 In der derzeitigen klinischen Praxis wird Penicillamin bei juveniler Arthritis nicht mehr bei Kindern eingesetzt. 5 Seltene Indikationen sind die Sklerodermie, Vergiftungen mit Schwermetallen, die Zystinurie und der Morbus Wilson.
4.10
Ciclosporin
N. Wagner, T. Niehues, H. Michels Ciclosporin ist ein zyklisches Peptid, welches ursprünglich aus dem Pilz Tolyplocadium inflatum isoliert wurde. Cyclosporin blockiert die intrazelluläre Phosphatase Calcineurin, die für die Genregulation von verschiedenen Zy-
tokinen wichtig ist. Die Substanz wird vielfach in der Prophylaxe und Therapie der Organabstoßung nach Transplantation solider Organe eingesetzt.
4.10.1 Wirkmechanismus Ciclosporin bildet einen Komplex mit zytoplasmatischem Cyclophilin; dieser Komplex bindet dann an Calcineurin, wodurch die Transkription von IL-2, IL-1-Rezeptor, IL-3 und IL-4 eingeschränkt wird. Insbesondere von IL-2 abhängige Funktionen wie die T-Zell-Proliferation und die Entwicklung von Effektorzellen werden durch die Verabreichung von Ciclosporin gestört. Die T-Zell-abhängige humorale Immunantwort wird durch Ciclosporin beeinträchtigt, während die T-Zell-unabhängige B-Zell-Antwort unverändert bestehen bleibt. Darüber hinaus hat Ciclosporin einen blockierenden Einfluss auf die γ-Interferon-Synthese sowie die NK-Zell-Aktivität. Für das Erwachsenenalter haben kontrollierte Studien eine Wirksamkeit von Ciclosporin bei der rheumatoiden Arthritis belegt. Bei Verabreichung von 3–4 mg Ciclosporin/kgKG/Tag verbessern sich die klinischen Symptome innerhalb von einigen Monaten signifikant, während sich die Laborwerte tendenziell weniger verbessern. Die Kombination von Ciclosporin mit Methotrexat zeigte bei Erwachsenen mit rheumatoider Arthritis eine additive Wirksamkeit. Ebenso liegen Daten aus einer kontrollierten Studie vor, die die günstige Wirkung von Ciclosporin beim Morbus Behçet belegen. Unkontrollierte Studien berichten über den Einsatz von Ciclosporin beim SLE, Dermatomyositis und Wegener’scher Granulomatose. Für das Kindesalter liegt eine kontrollierte Studie zum Einsatz von Ciclosporin im Vergleich zu Cyclophosphamid beim SLE vor. Hierbei wurde ein positiver Effekt auf die Proteinurie sowie auf verschiedene Laborparameter beobachtet (Fu et al. 1998). Unkontrollierte Studien beschreiben eine günstige Wirkung von Ciclosporin bei der juvenilen idiopathischen Arthritis, Uveitis und Dermatomyositis.
4.10.2 Pharmakokinetik Die Aufnahme von Ciclosporin über den Gastrointestinaltrakt ist interindividuell und intraindividuell verschieden, so dass Wirkspiegel entsprechend differieren können. Die Herstellung einer Mikroemulsion von Ciclosporin hat hier deutlich Abhilfe geschaffen, die Absorption hat sich um bis zu 30% verbessert. Ciclosporin ist lipophil und hat eine hohe Plasmaeiweißbindung. Es verteilt sich in zahlreichen Organen, in denen es wie z. B. im Kolon deutlich höhere Spiegel als im Serum erreicht, und dem Körperfett. Die Halbwertszeit im Serum beträgt etwa 20 h, und die Ausscheidung erfolgt vor allem über die Galle.
4
156
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
4.10.3 Unerwünschte Wirkungen Die schwerwiegendste unerwünschte Wirkung erfolgt an der Niere. Das Serumkreatinin steigt unter Ciclosporin-Therapie an, die glomeruläre Filtrationsrate nimmt ab. Wenn das Serumkreatinin um mehr als die Hälfte ansteigt, lassen sich histologisch häufig fibrotische Veränderungen der Niere mit tubulären Atrophien nachweisen. Diese unerwünschten Wirkungen sind im Wesentlichen bei einer Dosierung von >5 mg Ciclosporin/kgKG/Tag zu befürchten, bei den meisten Indikationen aufgrund einer rheumatischen Erkrankung liegt die Dosis darunter. Häufig treten milde gastrointestinale Symptome unter Gebrauch von Ciclosporin auf, diese zwingen im Kindesalter seltenst zur Beendigung der Therapie. Weitere unerwünschte Wirkungen sind die häufige Hypertrichose, die kosmetisch bedeutsam sein kann, und die selteneren Leberfunktionsstörungen, Hyperplasie der Zahnschleimhaut sowie Parästhesien. Der Blutdruck ist regelmäßig zu kontrollieren, da eine Hypertonie auftreten kann. Erythromycin sollte möglichst nicht zeitgleich mit Ciclosporin verwendet werden, da Erythromycin den Serumspiegel von Ciclosporin erhöhen kann. > Praktisches Vorgehen, Kontrolluntersuchungen: 5 Ciclosporin gilt eher als Reservemedikament bei rheumatischen Erkrankungen. 5 Die Dosis sollte zwischen 3–4 mg/kgKG/Tag liegen. Talspiegel sollten bei etwa 100 ng/ml liegen, wobei der antirheumatische Effekt nicht sehr gut mit dem Talspiegel korreliert. Dennoch sind Serumspiegelbestimmungen sinnvoll, um Unterdosierungen z. B. aufgrund mangelnder Compliance zu erkennen oder um die Gefahr unerwünschter Wirkungen durch zu hohe Serumspiegel abschätzen zu können. 5 Klinische Kontrollen: – RR, – auf das Auftreten einer Hypertrichose und einer Gingivahyperplasie sollte geachtet werden. 5 Regelmäßige Laborkontrollen: – Blutbild, – Kreatinin im Serum, – Urinstatus,
– Leberfunktionsproben, – Ciclosporin-Talspiegel (12–14 h nach Einnahme). Aufgrund der Adsorption von Ciclosporin an Plastikmaterialien können falsch hohe Spiegel aus intravenösen Kathetern gemessen werden.
4.11
Mycophenolatmofetil
N. Wagner, H. Michels, T. Niehues Mycophenolatmofetil (. Abb. 4.17), ein Produkt von Penicillium-Pilzen, hemmt die Inosinmonophosphatdehydrogenase, wodurch die Purinsynthese blockiert wird. Die Entwicklung dieser seit Ende der 90er Jahre eingesetzten Substanz geht auf die Beobachtung zurück, dass angeborene Defekte dieses Purinsynthesewegs eine Immundefizienz bewirken, ohne sonstige Organe direkt zu schädigen.
4.11.1 Wirkmechanismus Neben dem Effekt auf die Purinsynthese hemmt Mycophenolatmofetil die cyclinabhängige Kinase in T-Zellen, wodurch die Proliferation und zelluläre Migration von immunkompetenten Zellen herabgesetzt wird. Letztere ist für die gerichtete Wanderung von Effektorzellen an den Ort einer immunologischen Auseinandersetzung bedeutsam. Die Expression verschiedener Adhäsionsmoleküle wie ICAM-1, E- und P-Selektin wird herabgesetzt, die Rezeptoren dieser Adhäsionsmoleküle auf den Lymphozyten, wie z. B. LFA-1, werden funktionell beeinträchtigt. Die humorale Immunantwort wird durch Mycophenolatmofetil herabgesetzt, vermutlich spielt eine supprimierte T-Zell-Hilfe hierbei eine Rolle. Für Erwachsene mit systemischem Lupus erythematodes liegen Ergebnisse aus kontrollierten Studien vor, die eine Wirksamkeit von Mycophenolatmofetil insbesondere bei den schweren Verlaufsformen der Lupusnephritis, der diffus proliferativen sowie der membranösen, nachweisen. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass nach Remissionsinduktion durch Cyclophosphamid beim schweren systemischen Lupus erythematodes die Remissionserhaltung mit Mycophenolatmofetil der mit Cyclophophamid . Abb. 4.17. Strukturformel Mycophenolatmofetil
157
4.12 · Gold
überlegen ist. Für Kinder liegen bisher lediglich Daten einer unkontrollierten Studie vor, die bei 11 Kindern mit therapierefraktärer Lupusnephritis durchgeführt wurde. Hierbei zeigte sich ein relativ günstiger Effekt auf Patienten mit membranöser Lupusnephritis, während die Patienten mit diffus proliferierender Glomerulonephritis weniger profitierten. Für Erwachsene wurde in Fallstudien über die Effektivität des Einsatzes von Mycophenolatmofetil bei Wegener’scher Granulomatose und bei mikroskopischer Polyangiits berichtet.
4.11.2 Pharmakokinetik Mycophenolatmofetil wird nach oraler Aufnahme rasch zu Mycophenolatazid umgebaut. Dies ist der aktive, nicht an Serumprotein gebundene Metabolit, die Bioverfügbarkeit liegt bei >90%. Die Halbwertszeit von Mycophenolatmofetil beträgt etwa 12 h. Die Substanz wird vornehmlich über die Nieren ausgeschieden. Der enterohepatische Kreislauf trägt zur Bioverfügbarkeit von Mycophenolatmofetil bei. Ciclosporin kann die Konzentration von Mycophenolatmofetil deutlich erhöhen, daher sollten Spiegelkontrollen bei einer Kombinationstherapie, die grundsätzlich möglich ist, erfolgen. Demgegenüber reduziert die Verabreichung von Eisenpräparaten die Konzentration von Mycophenolatmofetil im Serum drastisch. Aufgrund der häufigen chronischen Infektanämie bei rheumatischen Erkrankungen ist dieser Effekt von Eisen auf Mycophenolatmofetil beim therapeutischen Vorgehen zu berücksichtigen.
4.11.3 Unerwünschte Wirkungen Gastrointestinale unerwünschte Wirkungen treten bei Mycophenolatmofetil-Therapie vergleichsweise häufig auf. Diarrhoe, Übelkeit und Erbrechen sind entsprechende Symptome. Weiter sind hämatopoetische Effekte zu beobachten. Sowohl Anämie, Thrombopenie als auch Leukopenie gehören zu den häufigeren unerwünschten Wirkungen. Seltener treten Leberfunktionsstörungen auf. > 5 Mycophenolatmofetil wird vermutlich beim systemischen Lupus erythematodes zunehmend eingesetzt werden. Die Substanz sollte nur von Ärzten verordnet werden, die über Erfahrungen mit Mycophenolatmofetil verfügen. 5 Die Dosis liegt bei etwa 2 g Mycophenolatmofetil/ Tag für den Erwachsenen und etwa 40 mg Mycophenolatmofetil/kgKG/Tag für das Kind. 5 Regelmäßige Kontrollen von Blutbild und Leberfunktionsproben sollten durchgeführt werden.
Gold
4.12
T. Niehues, H. Michels, N. Wagner Gold wird parenteral innerhalb einer wasserlöslichen Verbindung verabreicht, die einwertiges Gold enthält, das entweder an ein organisches oder anorganisches Trägermolekül gebunden ist. Derzeit gängige Verbindungen sind entweder das Natriumaurothiomalat, das 46% Gold enthält oder die Aurothioglukose, die 50% Gold enthält. Das oral verabreichbare, lipophile Auranofin enthält 29% einwertiges Gold und ist über ein S-Atom an Tetraacetylthioglukopyranose gebunden (. Abb. 4.18).
4.12.1 Wirkmechanismus Aus historischer Sicht ist interessant, dass die Beobachtung der in vitro wachstumshemmenden Wirkung von Gold auf säurefeste Stäbchenbakterien Grundlage für den Einsatz bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen war. Man nahm in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts an, dass rheumatische Erkrankungen infektiöser Natur seien und daher möglicherweise Gold effektiv sei. Der immunmodulatorische Effekt von Gold beruht hauptsächlich auf der Interaktion mit antigenpräsentierenden Zellen (Monozyten und Makrophagen). In den Lysosomen reichert sich Gold stark an, so dass die Präsentationen von Peptiden auf der Oberfläche von antigenpräsentierenden Zellen (im HLA-Molekül) wesentlich gehemmt wird. Als Folge der Hemmung von antigenpräsentierenden Zellen wird die Autoimmunreaktion und damit die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine wie IL-1, TNF-α und IL-6 durch Goldapplikationen gehemmt. Darüber hinaus sind Effekte auf Matrixme-
2O O
C
C
O
+
O
S
Au
ROH2C O
2 Na
S
AuP(C2H5)3
R=COCH3
OR OR
. Abb. 4.18. Strukturformeln von Auranofin und Aurothioglikose
4
158
1
Kapitel 4 · Pharmakotherapie
talloproteinasen und auf die Prostaglandin-E2-Synthese beschrieben.
2 4.12.2 Pharmakokinetik
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Das parenterale Gold wird nach Aufnahme in den Körper an schwefelhaltige Aminosäuren der Serumproteine gebunden. Es reichert sich im Gewebe an, und die höchsten Konzentrationen werden in den Nieren, Nebennieren und in den Organen des retikuloendothelialen Systems gemessen. Es reichert sich darüber hinaus in der Synovialflüssigkeit und in den Synovialzellen an; in der Synovialflüssigkeit werden ca. 50% der Serumkonzentrationen gemessen. 2–6 h nach intramuskulärer Injektion wird die maximale Plasmakonzentration erreicht. Die Halbwertszeit (HWZ) beträgt ca. 1 Woche. Sie verlängert sich auf Wochen bis Monate unter Fortsetzung der Therapie. Inwieweit Serumspiegel mit der Wirksamkeit korrelieren, ist unklar, da die für die Wirkung entscheidende Konzentration im Gewebe bzw. innerhalb der Zellen nicht gut gemessen werden kann. Das orale Gold (Auranofin) wird zu 30% im oberen Dünndarm resorbiert, der Rest über den Darm wieder ausgeschieden. Die Plasmahalbwertszeit für Auranofin beträgt 17–25 Tage. Auranofin wird weniger im Körper retiniert als das parenteral zu verabreichende Aurotiomalat (wegen der langen HWZ ist es noch 2 Jahre nach Absetzen nachweisbar). Während Aurothiomalat vorwiegend renal eliminiert wird, wird Auranofin hauptsächlich fäkal eliminiert.
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
4.12.3 Wirksamkeitsstudien Evidenz für die Wirksamkeit von Gold in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen stammt fast ausschließlich aus retrospektiven Studien. Goldpräparate sind zur Behandlung von Kindern nicht zugelassen. In der randomisierten und placebokontrollierten Studie oraler Goldpräparate von Giannini et al. (1990) wurden 231 Kinder mit einer juvenilen rheumatoiden Arthritis in den USA und in der damaligen UDSSR eingeschlossen. In dieser Studie zeigte sich eine klinische Besserung bei 69% der auranofin-behandelten Patienten gegenüber 61% der Placebogruppe (Giannini et al. 1990). Patienten mit einer polyartikulären Krankheitsform zeigten ein besseres Ansprechen als Kinder mit einer oligoartikulären Verlaufsform. In der Nachfolgestudie, bei der Auranofin offen über weitere 5 Jahre verabreicht wurde, beendeten nur 12 von 88 Patienten die Auranofin-Therapie. Gründe für den häufigen Abbruch waren die elterliche Entscheidung, die Therapie nicht fortzuführen, ein unzureichendes Behandlungsansprechen und Nebenwirkungen. Bei den parenteral verabreichten Präparaten ist
die Rate unerwünschter Wirkungen hoch, bei Auranofin ist die Wirkungsrate niedrig. Bei Erwachsenen ist zur Wirksamkeit von Gold bei der rheumatoiden Arthritis eine evidenzbasierte Analyse der Literatur durchgeführt worden (Suarez-Almacor et al. 2000). Die Anzahl der geschwollenen und schmerzhaften Gelenke sowie die Abnahme der BSG waren unter der Behandlung mit oralem Gold rückläufig. Orales Gold scheint einen geringen, aber doch statistisch signifikanten Effekt auf die Krankheitsaktivität bei erwachsenen Patienten mit rheumatoider Arthritis zu haben. Im Vergleich zu Methotrexat oder parenteralem Gold ist der Effekt jedoch weniger stark ausgeprägt. Interessanterweise ist in einer placebokontrollierten Studie bei Erwachsenen mit steroidabhängigem Asthma bronchiale für Auranofin ein steroidsparender Effekt beschrieben worden.
4.12.4 Unerwünschte Wirkungen Die unerwünschten Wirkungen der intramuskulären Goldverabreichung reichen von einer charakteristischen Pigmentierung der Haut (Chrysiasis, erst nach langen Therapiejahren) bis zu Exanthemen, Ulzerationen der Mundschleimhaut, Metallgeschmack und Kontaktallergien. Die Goldnephropathie (HLA-DR3-assoziiert) führt zu einer Proteinurie und ist eine gefürchtete Komplikation. Man vermutet einen immunkomplexvermittelten Mechanismus, der zu einer Glomerulonephritis führt. Bei Auftreten einer signifikanten Proteinurie ist das Medikament dauerhaft abzusetzen. Seltener treten Schäden an intrahepatischen Gallengängen und an der Leber auf. Relativ häufig sind hämatologische unerwünschte Wirkungen (Panzytopenie), die bei 1–2% der mit Gold behandelten Patienten auftreten. > In der derzeitigen klinischen Praxis werden Goldpräparate nicht mehr bei Kindern eingesetzt.
4.13
TNF-Antagonisten
T. Niehues, H. Michels, N. Wagner Tumor-Nekrose-Faktor- (TNF-)Antagonisten gehören zu der Gruppe der sog. Biologicals und Zytokinantagonisten (Horneff 2005). TNF-Antagonisten werden zurzeit in drei verschiedenen Formen eingesetzt: 5 als TNF-Rezeptor-Fusionsprotein (Etanercept), 5 als humanisierter monoklonaler Antikörper (AK) gegen TNF-α (Adalimumab) sowie 5 als chimärer Maus-Anti-Mensch-TNF-α-AK (Infliximab).
159
4.13 · TNF-Antagonisten
Bei Etanercept wurden zwei rekombinante Fusionsproteine humaner TNF-Rezeptoren an ein humanes Fc-Fragment des Immunglobulin G1 (IgG1) gebunden. Etanercept enthält den löslichen TNF-Rezeptor 2 (p75-Kette, CD120B). Etanercept wird gentechnologisch in der Eierstockzelllinie des chinesischen Hamsters (CHO) hergestellt. Infliximab ist eine Chimäre aus einem humanen IgG1 und den variablen Regionen eines Maus-Anti-Mensch-TNF-α-AK. Adalimumab ist ein humaner rekombinanter IgG1-AK, der komplett gentechnologisch aus geklonten Hamsterovarialzellen hergestellt wird.
4.13.1 Wirkmechanismus TNF-α ist eines der wesentlichen proinflammatorischen Zytokine, das von aktivierten Monozyten, Makrophagen und T-Lymphozyten sezerniert wird. In der Synovialflüssigkeit von Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis und erwachsenen Patienten mit rheumatoider Arthritis finden sich hohe Konzentrationen von TNF-α. Hohe TNFα-Konzentrationen sind mit knöchernen Erosionen assoziiert. Transgene Mäuse, die humanes TNF-α überexprimieren, entwickeln eine Arthritis. Tierversuche haben gezeigt, dass die Antagonisierung von TNF-α in diesen Mäusen eine erfolgreiche therapeutische Strategie darstellt. Die TNF-Rezeptor-IgG-Fusionsproteine binden sowohl lösliches TNF-α als auch TNF-β, das Sequenzhomologien zum TNF-α aufweist. Es ist nicht bekannt, ob die Blockade von TNF-β ggf. nachteilig ist. Als Folge der TNF-Blockade werden auch andere proinflammatorische Zytokine wie z. B. IL-1β und IL-6 herabreguliert. Dies korreliert mit einem deutlichen Abfall der Akut-Phase-Proteine, der Adhäsionsmoleküle ICAM-1, VCAM-1 und ESelektin sowie der Matrix-Metalloproteinasen (MMP1, MMP3). Im Unterschied zu Etanercept binden sowohl Infliximab als auch Adalimumab nicht nur an lösliches TNF-α, sondern auch an den membrangebundenen TNFα-Rezeptor. Somit werden durch Infliximab und Adalimumab auch Zellen abgetötet, die den TNF-α-Rezeptor auf ihrer Oberfläche tragen, z. B. Makrophagen. Eine Blockade des löslichen TNF-α (durch Etanercept) scheint bereits für eine effektive Behandlung auszureichen. Der Beitrag der Depletion TNF-α-Rezeptor-tragender Zellen zu Wirksamkeit oder Nebenwirkungen durch die AntiTNF-Antikörper ist nicht geklärt.
4.13.2 Pharmakokinetik Etanercept wurde zunächst sowohl i.v. als monatlicher Bolus oder subkutan als Gabe 2-mal pro Woche verabreicht. Die subkutane Gabe hat sich durchgesetzt, da bei i.v.-Gabe AK induziert wurden, die die Halbwertszeit wesentlich verkürzt haben. Nach subkutaner Gabe wird Etaner-
cept langsam absorbiert, und die Serumkonzentration erreicht einen Gipfel nach 50 h. Die Halbwertszeit liegt bei ca. 4 Tagen. Für Infliximab gibt es erhebliche individuelle Unterschiede in Bezug auf die Pharmakokinetik, die sich um den Faktor 100 zwischen einzelnen Individuen unterscheiden kann. Die Halbwertszeit beträgt ca. 10–30 Tage und kann durch humane antichimäre AK (HACAs) deutlich verkürzt werden, womit die Wirkung entsprechend nachlässt. Der Einfluss der Glykosylierung auf die Pharmakokinetik ist bisher unzureichend untersucht, möglicherweise trägt die Glykolisierung wesentlich zu einer verkürzten Halbwertzeit bei. Adalimumab wird nach subkutaner Gabe langsam absorbiert mit einem Spitzenspiegel nach ca. 130 h. Auch hier besteht eine erhebliche individuelle Variabilität.
4.13.3 Wirksamkeitsstudien Etanercept Etanercept zeigte sich bei Erwachsenen mit rheumatoider Arthritis in drei randomisierten kontrollierten Studien als wirksames Medikament (Blumenauer et al. 2003). In einer placebokontrollierten Studie über 3 Monate an 69 Kindern im Alter von 4–17 Jahren mit einer zuvor therapierefraktären polyartikulären Verlaufsform der juvenilen idiopathischen Arthritis ist Etanercept effektiv (74% der Kinder zeigen eine Verbesserung von >30% in Bezug auf die Krankheitsaktivität). In einer französischen, multizentrischen Open-label-Studie bei 61 Kindern mit JIA zeigt sich nach 3 Monaten eine ähnliche Ansprechrate, nicht mehr jedoch nach 12 Monaten (39% Ansprechen). Retrospektive Analysen, bei denen Patienten mit schwerer, bislang therapierefraktärer juveniler idiopathischer Arthritis mit Etanercept behandelt wurden, zeigen eine gute Effektivität in Bezug auf die Reduktion anderer DMARD und Einsparung von Steroiden. Welche Untergruppe am besten am Etanercept bei der Behandlung der JIA anspricht, ist unklar. Eine hohe Rate an Therapieversagern wird insbesondere in der Gruppe der systemischen Form der JIA beobachtet. Bei der Psoriasisarthritis und den Spondylarthropathien zeigen sich unter Behandlung mit Etanercept bei Erwachsenen gute Erfolge. Die Rolle des Etanercept in der Behandlung von Kindern mit Uveitis ist unklar. Bei einigen Kindern wurde eine Verschlechterung der Uveitis beobachtet. Bei Kindern mit Uveitis und juveniler idiopathischer Arthritis wurde Etanercept in einer placebokontrollierten, doppelblinden Studie bei 12 Patienten eingesetzt. In dieser sehr kleinen Studie zeigte sich kein Unterschied zwischen Etanercept und Placebo in Bezug auf die Reduktion der Zellen in der vorderen Augenkammer oder Reduktion der topischen oder systemischen antiinflammatorischen Medikamente (Smith et al. 2005). Bei
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Kapitel 4 · Pharmakotherapie
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Vaskulitiden sind Etanercept und Infliximab mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt worden.
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Infliximab
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Die erste Evidenz für die Effektivität von Infliximab bei der Behandlung von Erwachsenen mit rheumatoider Arthritis stammt aus einer doppelblind randomisierten kontrollierten Studie im Jahr 1994 (Elliott et al. 1994), weitere Studien haben die Effektivität von Infliximab bei der rheumatoiden Arthritis bestätigt. In einer offenen Studie von Lahdenne et al. wurden 14 Patienten mit einer JIA behandelt, von denen 5 Patienten die Studie abbrachen, u. a. wegen fehlender Effektivität (Lahdenne et al. 2003). Bei 3 Patienten wurden unerwünschte Wirkungen beobachtet, die zu einem Wechsel auf Etanercept führten. Umgekehrt gibt es Beschreibungen von Patienten, die auf Etanercept nicht ansprechen, aber dann auf die Behandlung mit Infliximab. Eine Vielzahl an Studien hat den Effekt von Infliximab bei Morbus Crohn untersucht, in einer kontrollierten randomisierten Studie ist die Wirksamkeit zur Remissionsinduktion gezeigt worden. Bei Kindern liegen allerdings kontrollierte Studien weder zur Indikation Morbus Crohn noch für die Behandlung der juvenilen idiopathischen Arthritis vor. Eine mögliche Wirkungsabschwächung kann dadurch entstehen, dass humane Anti-MausAK während der Behandlung entstehen.
Adalimumab Es gibt zurzeit keine veröffentlichten systematisch erhobenen Daten bei Kindern und Jugendlichen zu der Behandlung mit Adalimumab. Bei Erwachsenen wurde in einer randomisierten, doppelblind kontrollierten Studie ein Ansprechen auf die Behandlung mit Adalimumab in Bezug auf subjektive Symptome und Gelenkdestruktionen dokumentiert (Weinblatt et al. 2006).
4.13.4 Unerwünschte Wirkungen Fallberichte und kleinere Fallserien deuten auf ein breites Spektrum an Nebenwirkungen der TNF-Antagonisten hin. Für Etanercept wurden in der französischen Multicenterstudie bei Kindern und Jugendlichen folgende Nebenwirkungen aufgeführt (Quartier et al. 2003): Infektionen, Panzytopenie, psychiatrische und neurologische Veränderungen, Uveitis-Schub, retrobulbäre Optikusneuropathie, Kopfschmerzen und Dysästhesie, kutane Vaskulitis und starke Gewichtszunahme. Allgemein häufen sich unter Therapie mit TNF-Antagonisten Infektionen wie Tuberkulose, atypische Mykobakteriosen, Aspergillose, Histoplasmose, Kokzidiomykose, Listeriose, Pneumocystis-jirovecii- und Cryptokokkeninfektionen. Da bei rheumatischen Erkrankungen ohnehin eine erhöhte Infektionsanfälligkeit besteht, ist es oft schwierig, zu klären, ob diese Infektionen direkt
im Zusammenhang mit dem Medikament stehen. Eine besondere Assoziation besteht mit der Reaktivierung von Tuberkulose. Dieses betrifft mehr den chimären und den humanisierten AK als den löslichen TNF-Rezeptor-Antagonisten. Die Tuberkulosereaktivierung tritt meist innerhalb der ersten 2–5 Monate nach Behandlungsbeginn mit TNF-Antagonisten auf. Dabei sind dann extrapulmonale und disseminierte Verläufe häufig. Eine typische und häufige Nebenwirkung von Etanercept ist eine leichte Rötung und Reizung an der Injektionsstelle, die einige Tage andauern kann. Anaphylaktische Reaktionen sind selten, sind aber bei Patienten, die mit Infliximab wegen eines Morbus Crohn behandelt wurden, beschrieben. Bei allen drei TNF-Antagonisten ist das Auftreten von Lymphomen beschrieben (Wolfe u. Michaud 2004). Der kausale Zusammenhang zwischen diesen Medikamenten und Lymphomen wird allerdings sehr kontrovers diskutiert. Es ist zu bedenken, dass bei Patienten mit schwerer Autoimmunerkrankung auch ohne TNF-Antagonisten ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Lymphomen besteht. Die Behandlung mit TNF-Antagonisten ist mit dem Auftreten von antinukleären AK assoziiert. Bei Behandlung mit Infliximab und Methotrexat traten bei ca. 60% der Patienten, die sowohl Infliximab als auch Methotrexat bekamen, antinukleäre AK auf, während bei MethotrexatBehandlung allein nur bei 26% der Patienten antinukleäre AK auftraten. Infliximab ist bei der rheumatoiden Arthritits im Erwachsenenalter nur zusammen mit MTX zur Therapie zugelassen. Bei Behandlung mit Etanercept traten bei 4% der Patienten AK gegen doppelsträngige DNA auf. Während Anti-DNA-AK relativ häufig sind, tritt ein medikamenteninduzierter systemischer Lupus erythematodes sehr selten auf. Unter der Behandlung mit TNF-Antagonisten sind Exazerbationen einer multiplen Sklerose beschrieben. Die Hauptsymptome sind Parästhesie, Opticusneuritis und Verwirrung. Kontraindikationen für die Behandlung mit TNF-Antagonisten sind Schwangerschaft oder Stillperiode sowie das Vorliegen oder Auftreten ernster Infektionen oder bösartiger Erkrankungen. Als weitere unerwünschte Wirkungen sind bei Etanercept und Infliximab einige Fälle von aplastischer Anämie aufgetreten, z. T. mit tödlichem Ausgang. > Praktisches Vorgehen, Kontrolluntersuchungen: 5 Eltern ausführlich über die Erfahrungen mit dem Medikament im Kindes- und Jugendalter aufklären. Rasches Aufsuchen eines Kinderarztes bei Verdacht auf Infektion. In den Gebrauch subkutaner Injektionen einführen. 5 Vor Einsatz der TNF-Antagonisten Indikation (seronegative Polyarthritis etc.) überprüfen, d. h. sind Medikamente mit nachgewiesener Wirkung bei der Erkran-
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4.14 · Interleukin-1-Inhibitoren
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kung im Kindesalter bereits ausreichend dosiert und genügend lange eingesetzt worden? Vor Einsatz Augenkonsil, latente Infektionen insbesondere Tuberkulose ausschließen und auf neurologische und Blutbildveränderungen achten. Unter Therapie auf die Einhaltung der augenärztlichen Termine achten, regelmäßige Kontrolle (ca. alle 4 Wochen) des Blutbildes, der Leber- und Nierenwerte sowie der antinukleären Antikörper. Meldung im Therapieregister der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie. Bei fehlendem Ansprechen ggf. Dosiserhöhung erwägen.
Interleukin-1-Inhibitoren
N. Wagner, H. Michels, T. Niehues Interleukin-1 (IL-1) ist ein monomeres Zytokin, bestehend aus 153–159 Aminosäuren, und wirkt proinflammatorisch. Bei verschiedensten entzündlichen Prozessen, so der Sepsis, aber auch bei autoimmun vermittelten Entzündungen, wird IL-1 von vielen Zellen produziert. IL-1 besitzt pleiotrope Eigenschaften (s. folgende Übersicht). Wirkungsspektrum von IL-1 5 Aktivierung von vaskulären Endothelzellen 5 Vermehrte Expression von Adhäsionsmolekülen 5 Gesteigerte Migration immunkompetenter Zellen in die entzündliche Läsion 5 Aktivierung von B- und T-Zellen 5 Induktion weiterer Zytokine wie IL-6 und TNF 5 Lokale Gewebszerstörung durch Freisetzung degradierender Enzyme 5 Vermehrte Synthese von Akut-Phase-Proteinen in der Leber 5 Fieber (Effekt auf den Hypothalamus) 5 Gesteigerter Protein- und Energiemetabolismus 5 Myalgie, Cephalgie 5 In hohen Dosen Schock
Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis besteht eine Korrelation zwischen der Menge von IL-1 in der Synovialflüssigkeit und der Aktivität der Erkrankung. IL-1, IL-6 und TNF zeigen synergistische Wirkungsprofile. IL-1 bindet an die Rezeptoren IL-1RI und IL-1RII (CD121a, CD121b), die Rezeptorbindung ist Voraussetzung für die pleiotropen Effekte. Nach Rezeptorbindung formt IL-1 ein Heterodimer mit IL-1-accessory-protein und induziert transmembranös eine Signalkaskade, die intrazelluläre Effekte auslöst. Um bei einer Entzündung vor überschießenden IL-1-Effekten geschützt zu sein, induziert die IL-1-Synthese selbst die Bildung von IL-1-
Rezeptor-Antagonist (IL-1RA), welches mit IL-1β um die Bindung an IL-1RI konkurriert. Die Bindung von IL-1RA an IL-1RI löst keine proinflammatorischen Wirkungen aus, da die Rekrutierung des akzessorischen Proteins von IL-1 unterbleibt. Die Antagonisierung von IL-1 wird therapeutisch ausgenutzt, um entzündliche Reaktionen, die für den Körper schädlich sind, zu inhibieren.
4.14.1 Interleukin-1-Blockade Die bisher im klinischen Alltag eingesetzte Blockade von Interleukin-1 (IL-1) erfolgt über die Verabreichung des rekombinanten humanen IL-1RA (Anakinra). Anakinra ist nicht glykolisiert wie der natürliche IL-1RA, es besteht aus 154 Aminosäuren und bindet mit der gleichen Avidität an IL-1R wie der natürliche IL-1RA und wie IL-1β. Die Serumhalbwertszeit wird mit 4–6 h angegeben. Verschiedene Studien im Erwachsenenalter haben die Wirksamkeit von Anakinra bei der rheumatoiden Arthritis gezeigt (s. unten). Der Einsatz des löslichen IL-1RI ist ebenfalls eine Möglichkeit der IL-1-Blockade, die bereits untersucht wurde und bei Erwachsenen einen mäßigen Erfolg bei der rheumatoiden Arthritis erzielte. Der lösliche IL-1RII ist möglicherweise in der Zukunft bedeutsam, da dieser nicht an IL-1RA bindet und daher eventuell besser IL-1 blockiert. Indem die Fc-Region von IgG1 mit zwei signaltransduzierenden, extrazellulären Domänen des IL-1-Rezeptor-Komplexes verbunden werden, entsteht ein Fusionsprotein mit starker Avidität zu IL-1 und einer Halbwertszeit von deutlich über 100 h. Dadurch ergibt sich der Vorteil der deutlich verlängerten Injektionsintervalle (etwa einmal/Woche) und insbesondere in der pädiatrischen Anwendung eine verbesserte Akzeptanz. Dieses Fusionsprotein ist bisher nur in Phase-I- und -II-Studien bei Erwachsenen untersucht worden. Eine weitere Möglichkeit IL-1 zu blockieren, ist der Einsatz von Prainacasan, einem Inhibitor des IL-1-converting enzyme. Dieses Enzym setzt IL-1 und IL-18 von der Zelloberfläche frei. Prainacasan kann oral verabreicht werden und hat bei Erwachsenen bisher mäßige Effekte bei der rheumatoiden Arthritis gezeigt.
4.14.2 Wirksamkeitsstudien IL-1RA (Anakinra) ist der bisher einzige im Erwachsenenalter zugelassene IL-1-Antagonist, nachdem mehrere kontrollierte Studien die Wirksamkeit bei der rheumatoiden Arthritis nachgewiesen haben. Interessanterweise haben sich die ursprünglichen Hoffnungen, mittels IL-1Blockade den Verlauf einer Sepsis, in deren Pathogenese
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Kapitel 4 · Pharmakotherapie
Interleukin-6-Antagonist
IL-1 einen zentralen Anteil nimmt, zu beeinflussen, nicht erfüllt. In die fünf zur Zulassung von Anakinra führenden kontrollierten Studien waren fast 3000 Erwachsene mit rheumatoider Arthritis eingeschlossen. Anakinra wurde sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit anderen DMARD eingesetzt. Etwa 40% der Patienten sprachen auf Anakinra mit einer klinisch signifikanten Verbesserung an, darüberhinaus konnte in einer weiteren Studie nach 24 und 48 Wochen Therapie eine radiologische Verbesserung nachgewiesen werden. Derzeit ist die empfohlene Dosierung für Erwachsene 100 mg/Tag subkutan. Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis liegen bisher Studien aus unkontrollierten Studien oder Fallberichten vor. Bei der polyartikulären Verlaufsform der JIA sprechen mehr als die Hälfte der Patienten mit einer klinischen Verbesserung an. Es liegen Einzelberichte über die erfolgreiche Behandlung der systemischen Verlaufsform der JIA mit Anakinra vor, gerade diese Verlaufsform erweist sich ansonsten häufig als therapieresistent (Verbsky u. White 2004). Darüber hinaus ist NOMID, eine schwere entzündliche Multisystemerkrankung mit sehr frühem Beginn, erfolgreich mit Anakinra behandelt worden (Hawkins et al. 2004).
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4.14.3 Unerwünschte Wirkungen
4.15.2 Pharmakokinetik
Vergleichsweise häufig treten nach Injektion von Anakinra lokale Reaktionen an der Injektionsstelle auf, zumeist handelt es sich um ein Erythem ohne nennenswerte Beschwerden. Es ist nicht erforderlich, das Medikament wegen dieser meist moderaten unerwünschten Wirkung abzusetzen. Im weiteren Verlauf gehen diese lokalen Reaktionen eher zurück. Cephalgien können nach Anakinra bei ca. 10% erwachsener Patienten auftreten. Seitens der Hämatopoese ist die Neutropenie herauszustellen, sie ist meist mild. Bei ausgeprägter Neutropenie, die sehr selten auftritt, ist das Infektionsrisiko erhöht. Infektionen sind ähnlich wie bei der Therapie mit TNF-Antagonisten gefürchtet, ernste Infektionen wie Sepsis, Pneumonie, Osteomyelitis und septische Arthritis traten bei 1,8% der mit Anakinra wegen einer rheumatoiden Arthritis behandelten erwachsenen Patienten gegenüber 0,7% der Placebobehandelten auf.
MRA wird einmal pro Monat als Infusion verabreicht. Systematische pharmakokinetische Daten sind nicht veröffentlicht. Infusionsabstände betragen 3–4 Wochen. Die Plasmahalbwertszeit von MRA beträgt zwischen 136– 158 h.
> 5 Der Wert einer Therapie mit IL-1 Antagonisten im Kindesalter muss noch weiter untersucht werden, bevor generelle Therapieempfehlungen gegeben werden können. 5 Möglicherweise ist Anakinra bei der systemischen Verlaufsform der JIA wirksam.
T. Niehues, H. Michels, N. Wagner Der Anti-IL-6-Rezeptor-Antikörper MRA oder Atlizumab ist ein gentechnologisch hergestellter, monoklonaler Antikörper (AK) der IgG1-Subklasse und ist komplett humanisiert. Er bindet sowohl an den membrangebundenen als auch an den löslichen IL-6-Rezeptor. Er gehört damit zu der Gruppe der sog. Biologicals und Zytokinantagonisten.
4.15.1 Wirkmechanismus IL-6 ist ein wichtiges proinflammatorisches Zytokin, das bei Kindern und Jugendlichen mit JIA und systemischem Beginn mit Erkrankungsaktivität und Ausmaß der Gelenkbeteiligung korreliert (De Benedetti et al. 1994). Transgene Mäuse, die humanes IL-6 überexprimieren, zeigen ein vermindertes Wachstum ähnlich Kindern und Jugendlichen mit JIA und systemischem Beginn. Die Expression verschiedener Akute-Phase-Proteine sowie insbesondere des C-reaktiven Proteins (CRP), Serumamyloid A und Fibrinogen sind eindeutig abhängig von IL-6.
4.15.3 Wirksamkeitsstudien Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis wurde 2002 eine randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studie durchgeführt, die einen dosisabhängigen Effekt auf die Symptome und die akuten Entzündungsparameter bei rheumatoider Arthritis zeigte. Bei 11 Kindern und Jugendlichen mit einer steroidresistenten systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis wurde in einer nichtkontrollierten Studie die Sicherheit und Effektivität von MRA geprüft. Bei 10 von 11 Kindern und Jugendlichen führte die Gabe von MRA abrupt zu einer Reduktion der Krankheitsaktivität in Bezug auf das Auftreten von Fieberepisoden, aktiver Arthritis und Childhood-Health-Assessment-Questionnaire(CHAQ)-Aktivitätsscores sowie auf die Akute-Phase-Proteine (Yokota et al. 2005). Schließlich sind 36 Erwachsene mit aktivem Morbus Crohn randomisiert und kontrolliert über einen Zeitraum von 12 Wochen mit MRA behandelt worden. Acht von 10 Patienten, die
4.16 · Verschiedene Substanzen
alle 2 Wochen MRA erhielten, zeigten ein klinisches Ansprechen im Vergleich zu 4 von 13 Patienten bei der Placebogruppe. Möglicherweise ist damit MRA zur Behandlung des Morbus Crohn einsetzbar (Ito et al. 2004).
4.15.4 Unerwünschte Wirkungen Die Erfahrung mit MRA ist noch sehr limitiert. Häufig ist das Auftreten von Blutfetterhöhung [Gesamtcholesterin, Triglyceride und HDL (»high densitiy lipoproteins«)]. Bei einigen Patienten wird darüber hinaus eine Erhöhung der Transaminasen und eine Leukopenie beobachtet, die beide transient sind. Bei einzelnen Patienten werden auch Anti-MRA-AK gefunden. In der Anwendung bei rheumatoider Arthritis wurde ein Fall berichtet, bei dem ein Patient unter Behandlung mit MRA eine Reaktivierung einer chronischen Epstein-Barr-Virus-Infektion zeigte und anschließend an einem Hämophagozytosesyndrom verstarb. > 5 Im Kindes- und Jugendalter bestehen noch sehr wenige Erfahrungen mit dem Medikament. Bei Einsatz empfiehlt sich die Rücksprache mit erfahrenen Behandlern und ein engmaschiges stationäres Monitoring. 5 Trotz der geringen Erfahrungen kann das Medikament in die Überlegungen zum Therapiekonzept für die systemische Form der JIA und autoinflammatorische Syndrome einbezogen werden, da hier in einigen Fällen ein schlechtes Therapieansprechen und schwere Komplikationen zu erwarten sind.
4.16
Verschiedene Substanzen
N. Wagner, H. Michels, T. Niehues
4.16.1 Thalidomid Von Thalidomid wurde zu Beginn der 50er Jahre eine antikonvulsive Wirkung erwartet, die sich jedoch nicht erfüllte. Die Substanz zeigte sedative Effekte und kaum toxische Wirkung bei Überdosierung im Tierversuch. Daher wurde Thalidomid mit Betonung der vermeintlichen Sicherheit in Europa bei Schwangeren als Sedativum eingesetzt, bis 1961 die schwerwiegende Teratogenität der Substanz erkannt wurde. Zahlreiche Neugeborene von Müttern, die Thalidomid eingenommen hatten, wiesen Amelien oder Phokomelien auf. Danach wurde Thalidomid vom Markt genommen und ist heute nur im individuellen Heilversuch einsetzbar. In den 60er Jahren wurde ein immunmodulierender Effekt bei Patienten mit einer Vaskulitis bei Lepra beobachtet, deren kutane Läsionen (Erythema nodosum leprosum) und systemische Symp-
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tome (Fieber, Arthritis, Lymphadenopathie) sprachen prompt auf die Verabreichung von Thalidomid an. Thalidomid hat keine antimykobakterielle Wirkung, die Wirksamkeit beim vaskulitischen Verlauf der Lepra geht auf die Inhibition von TNF-α zurück. Die Produktion von TNF-α in Monozyten und Makrophagen wird nach Verabreichung von Thalidomid durch Degradation der mRNA beeinträchtigt. Neben dieser zentralen Wirkung auf die Entzündungskaskade hemmt Thalidomid die Migration von immunkompetenten Zellen an den Ort einer Entzündung. Die Phagozytose wird eingeschränkt und die Produktion von IL-4 und IL-5 unterstützt, während die Produktion von IFN-γ gehemmt wird. Damit kontrastierend wurde in vitro eine kostimulatorische Wirkung von Thalidomid auf T-Zellen beobachtet, die zelluläre Proliferation und IFN-γ-Produktion begünstigt. Neuerdings werden Thalidomid auch antiangiogenetische Effekte zugeschrieben, die den Einsatz der Substanz in der Onkologie attraktiv erscheinen lassen. Die eindrucksvolle Wirksamkeit von Thalidomid auf die Ulzerationen beim Behçet-Syndrom ist durch kontrollierte und unkontrollierte Studien bei Erwachsenen belegt. In der Regel heilen die Ulzerationen rasch und dauerhaft unter Thalidomid ab. Inzwischen liegen auch bei Kindern mit Behçet-Syndrom Berichte über einen günstigen Effekt auf die Ulzerationen vor (Kari et al. 2001). Erwachsene mit diskoiden Läsionen des Lupus erythematodes oder subakuten kutanen Verläufen des systemischen Lupus erythematodes profitieren ebenfalls von Thalidomid. Die Wirksamkeit ist hierbei auf die kutanen Veränderungen beschränkt, systemische Symptome sprechen nur wenig an. Die herausragende unerwünschte Wirkung von Thalidomid ist der teratogene Effekt. Dieser wird möglicherweise durch die Wirkung freier Radikaler auf die DNA vermittelt. Alternativ kann die Antiangiogenese ebenfalls an der Teratogenität beteiligt sein. Bei der Verabreichung von Thalidomid muss strengstens auf eine Antikonzeption geachtet werden. Eine weitere wichtige unerwünschte Wirkung ist das häufige Auftreten einer peripheren Neuropathie, die mit Schmerzen und Sensibilitätsstörungen in den betroffenen Extremitäten einhergeht. Die Neuropathie beruht auf einer axonalen Schädigung, sie tritt meist symmetrisch auf. Diese unerwünschte Wirkung tritt bei über 20 % der Patienten auf und ist daher ein häufiger Grund, das Medikament abzusetzen. Nicht bei allen Patienten ist die Neuropathie nach Beendigung der Therapie reversibel. Umso mehr muss bei Kindern eine strenge Indikationsstellung für den Einsatz von Thalidomid erfolgen. Weitere unerwünschte Wirkunngen beruhen auf dem sedativen Effekt der Substanz, der bei Erwachsenen bei einer Dosis von über 200 mg/Tag einsetzt; zudem kann eine Obstipation auftreten.
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Kapitel 4 · Pharmakotherapie
> 5 Thalidomid sollte ausschließlich eingesetzt werden, wenn andere Therapiemaßnahmen sich als nicht erfolgreich herausgestellt haben und die zu behandelnden Symptome schwerwiegend sind. Dies wird in der pädiatrischen Rheumatologie am ehesten beim Behçet-Syndrom eintreten. 5 Patient und Eltern sollten über das Medikament umfassend aufgeklärt werden und ihre schriftliche Einwilligung geben. 5 Bei Jugendlichen ist deutlichst auf die strikte Notwendigkeit einer Antikonzeption hinzuweisen und die praktische Umsetzung zu erörtern. 5 Vor Beginn der Therapie mit Thalidomid sollten periphere elektrophysiologische Untersuchungen durchgeführt werden. 5 Bei Auftreten von Schmerzen oder Parästhesien ist die Substanz abzusetzen. 5 Der Einsatz von Thalidomid im individuellen Heilversuch ist den zuständigen Behörden (in Deutschland z. B. dem Regierungspräsidenten der Bezirksregierung) anzuzeigen.
10 4.16.2 Intravenös applizierte
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Immunglobuline Intravenös applizierte Immunglobuline (IVIG) werden aus gepoolten Serumspenden gewonnen und mittels verschiedener Virusinaktivierungsverfahren behandelt, so dass das Risiko einer Infektionsübertragung minimiert ist. Neben der Anwendung bei primären und sekundären Immundefekten zum Ersatz fehlender Antikörper bei eingeschränkter B-Zell-Funktion sind IVIG in den letzten Jahrzehnten zunehmend bei autoimmun vermittelten Erkrankungen erfolgreich eingesetzt worden. Auslösend hierfür waren die ersten Berichte über den günstigen Einfluss der IVIG auf die Immunthrombopenie. Verschiedene Mechanismen werden für die therapeutischen Effekte der IVIG verantwortlich gemacht. So binden IVIG an Fcγ-Rezeptoren und an Komplementrezeptoren. Durch Besetzung dieser Rezeptoren mit IVIG werden möglicherweise Autoantikörper des Patienten kompetitiv an der Bindung an oben genannte Rezeptoren gehemmt. Damit wären die Autoantikörper in ihrer Funktion, körpereigene Strukturen zu schädigen, beeinträchtigt. Darüber hinaus sind in den IVIG-Präparationen Antikörper enthalten, die entsprechend der Idiotyp-Antiidiotyp-Theorie von Jerne Autoantikörper direkt binden und neutralisieren können. Weiter binden IVIG an Superantigene oder Toxine, die für die Auslösung bzw. Unterhaltung von Autoimmunreaktionen verantwortlich gemacht werden, und neutralisieren diese. Als letzter möglicher Mechanismus der Effektivität von IVIG bei Autoimmunerkrankungen sei die Assoziation von IVIG mit Zytokinen, insbesondere TGF-β, genannt. Dadurch
könnte ein Teil der Wirkungen TGF-β-vermittelt sein. Bei all diesen postulierten Mechanismen steht der Nachweis ihrer Bedeutung in vivo aus. IVIG haben ihre Effektivität eindrucksvoll in kontrollierten Studien beim Kawasaki-Syndrom unter Beweis gestellt (Newburger et al. 1991). Das Auftreten von Koronaraneurysmen ist deutlich seltener unter der Therapie mit IVIG als unter Placebo. Sonstige systemische Symptome wie Fieber und Exanthem sprechen zumeist auf die einmalige hoch dosierte Gabe von IVIG (2 g/kgKG) rasch an. Damit ist die Verabreichung von IVIG beim KawasakiSyndrom heute die Standardtherapie. Bei anderen rheumatischen Erkrankungen des Kindesalters sind IVIG mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt worden: Die systemische Verlaufsform der JIA scheint zum Teil auf IVIG anzusprechen. Während eine kontrollierte Studie bei relativ kleiner Anzahl eingeschlossener Patienten keinen signifikanten Effekt für IVIG nachweisen konnte, zeigte die unkontrollierte Nachverfolgung dieser und weiterer Patienten einen deutlichen Trend zur Wirksamkeit insbesondere in Bezug auf Fieber, Anzahl entzündeter Gelenke sowie Steroiddosis. Bei der polyartikulären Verlaufsform der JIA konnte eine kontrollierte Studie einen signifikanten Effekt auf verschiedene Verlaufsparameter dokumentieren. Nach Absetzen der IVIG-Therapie kam es jedoch zu einem raschen Rezidiv der Erkrankung. Bei der Dermatomyositis liegen für das Erwachsenenalter kontrollierte Daten für die Wirksamkeit von IVIG vor, hier konnte auch der Wirkmechanismus aufgeklärt werden: IVIG bindet an Komponenten des Komplementsystems und verhindert so die Ausbildung des Membranangriffkomplexes, der für die Schädigung im Endomysium bei der Dermatomyositis notwendig ist. Unkontrollierte Studien nehmen für IVIG eine Wirkung auch beim SLE an. Unerwünschte Wirkungen der IVIG bestehen in Unverträglichkeitsreaktionen, die sich in Fieber, Kopfund Rückenschmerzen sowie Schüttelfrost während der Infusion des Präparates äußern können. Diese lassen sich durch Verlangsamung der Infusionsgeschwindigkeit meist verhindern. Sehr selten treten echte anaphylaktische Reaktionen auf. Die Gefahr der Übertragung von pathogenen Keimen ist sicher durch entsprechende Inaktivierungsverfahren gemindert worden, aufgrund der Herkunft der Präparate von gepoolten Plasmaspenden ist diese jedoch nie völlig auszuschließen. Bei regelmäßiger Verabreichung von IVIG sind die Notwendigkeit wiederholter Krankenhausaufenthalte, die den Alltag des Patienten mehr beeinträchtigen als sonstige Applikationsformen antirheumatischer Medikamente, sowie die hohen Kosten der Therapie zu berücksichtigen. Ob die Immunglobulinpräparationen, die subkutan und damit zu Hause verabreicht werden können, bei Autoimmunerkrankungen ähnlich effektiv sind wie IVIG, ist derzeit unklar.
4.16 · Verschiedene Substanzen
4.16.3 Weitere zytokinbasierte Therapien Neben den bereits beschriebenen Therapien mit TNF, IL-1 und IL-6-Antagonisten sind weitere zytokinbasierte Therapiekonzepte in Entwicklung. IL-2 ist der wesentliche Wachstumsfaktor für T-Zellen, die eine zentrale Rolle bei zahlreichen Autoimmunkrankheiten spielen. Daher ist IL-2 ein naheliegendes Ziel einer immunsuppressiven Therapie, bei der allerdings auch Immunkompetenz für Infektionen kompromittiert wird. Verschiedene Pharmaka wie Ciclosporin und Sirolimus inhibieren die Produktion von IL-2. Sowohl Fusionskonstrukte von IL-2 mit einem Toxin wie auch Antikörper gegen IL-2 sind in Tierversuchen und in Phase-I-bis-IIStudien getestet worden. Bisher haben sich hier bei vergleichsweise erheblicher Toxizität nur unzureichende klinische Erfolge gezeigt. IL-4 und IL-10 sind Zytokine, die von sog. TH2-Zellen gebildet werden und z. T. überlappende antiinflammatorische Wirkungen besitzen. So hemmen IL-4 und IL10 die Produktion von IL-1, IL-6, IL-8, TNF-α und IFN-γ. Andererseits stimulieren beide Zytokine B-Zellen zur Differenzierung und Ig-Synthese. Die antiinflammatorische Wirkung von IL-10 hat sich u. a. in der IL-10-Gen-inaktivierten Maus gezeigt, die eine ausgeprägte chronisch entzündliche Darmkrankheit entwickelt. Der Einsatz von IL4 und IL-10 bei Tiermodellen der rheumatoiden Arthritis war mäßig erfolgreich, bei Erwachsenen mit rheumatoider Arthritis hat sich keine eindeutige Besserung gezeigt. IL-18 ist ein proinflammatorisches Zytokin, welches in der Synovia bei rheumatoider Arthritis Makrophagen zur Bildung von Metalloproteinasen stimuliert. Damit könnte IL-18 ein möglicherweise interessantes Ziel einer zytokinbasierten Therapie werden.
4.16.4 Weitere immunologische
Therapieansätze Zusätzlich zu den oben geschilderten z. T. sehr erfolgreichen zytokinbasierten Therapieansätzen für Autoimmunkrankheiten sind weitere Therapieansätze, die in die Immunantwort eingreifen, versucht worden bzw. in Entwicklung. Hierbei handelt es sich zum einen um die Depletion von T- oder B-Zellen sowie um die Beeinträchtigung der Migration immunkompetenter Zellen und um die Nutzung von oraler Toleranz. Da T-Zellen eine zentrale Rolle in der Pathogenese von Autoimmunkrankheiten einnehmen, war es naheliegend, die Depletion von T-Zellen zu therapeutischen Zwecken einzusetzen. Die Erfolge bei klinischer Anwendung waren jedoch nur mäßig. Zum einen stellte sich ein lang dauernde T-Zell-Depletion ein, die jedoch nicht mit der klinischen Erholung bei Patienten mit rheumatoider Arthritis korrelierte. Zum anderen traten unerwünschte
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Wirkungen auf, z. B. entwickelte sich bei einem Teil der Patienten vermutlich aufgrund der lytischen Wirkung der depletierenden Antikörper mit Freisetzung von Zytokinen ein schwerer Krankhheitszustand mit hohem Fieber und ernster arterieller Hypotension. Daher ist die Therapie mit T-Zell-depletierenden Antikörpern, zumal die Entwicklung einer Immundefizienz befürchtet werden muss, verlassen worden. Demgegenüber sind nicht depletierende Antikörper, die an T-Zellen binden, ein derzeit untersuchtes Konzept. Diese Antikörper richten sich z. B. gegen CD4 oder gegen den IL-2-Rezeptor und wirken vermutlich über eine Tolerisierung von T-Zellen. Erste Ergebnisse der klinischen Erprobung sind ermutigend. Für eine depletierende Therapie sind B-Zellen eventuell geeignetere Ziele als T-Zellen. Ein depletierender Antikörper gegen CD20, einen Marker von B- und Plasmazellen, wird bereits erfolgreich in der Therapie von Lymphomen eingesetzt. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis waren B-Zellen durch die Behandlung mit dem AntiCD20-Antikörper Rituximab in einer unkontrollierten Pilotstudie für Monate depletiert, während dieser Zeit war die Klinik der Patienten gebessert. Der durch Rituximab induzierte Antikörpermangel kann durch Gabe von IVIG aufgefangen werden. Weitere Funktionen von B-Zellen wie z. B. Antigenpräsentation oder Zytokinfreisetzung, die nach Depletion von B-Zellen ebenfalls beeinträchtigt sind, können bisher nicht ersetzt werden. Möglicherweise sind gerade diese Mechanismen für den klinischen Erfolg der B-Zell-Depletion bedeutsam. Ein weiterer interessanter Therapieansatz ist die Hemmung zellulärer Migration. Lymphozyten wandern gerichtet an den Ort einer Entzündung und rezirkulieren nach Antigenkontakt zu lymphatischen Organen, um zu proliferieren und sich weiter zu differenzieren. Als Effektorzellen gelangen sie dann wieder an den ursprünglichen Ort des Antigenkontaktes und attrahieren dort weitere immunkompetente Zellen wie Neutrophile und Makrophagen. Verschiedene Adhäsionsmoleküle und Chemokine sowie deren Rezeptoren sind an der Vermittlung gerichteter Migration beteiligt. Insbesondere Adhäsionsmoleküle aus der Familie der Integrine und der Superfamilie der Immunglobuline, wie VLA-4, VCAM-1 und ICAM-1 sind hierbei als Zielstrukturen definiert worden, um mittels Hemmung zellulärer Migration die entzündliche Kaskade zu unterbrechen. Dieses Therapieprinzip hat inzwischen in der klinischen Prüfung bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten mit der Anwendung eines anti-α4-Integrin-monoklonalen Antikörpers (Natalizumab) Erfolge gezeigt, bei rheumatischen Erkrankungen steht der Nachweis aus. Als letztes mögliches Therapieprinzip zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten sei die Auslösung von Toleranz genannt. Grundsätzlich sind Autoimmunkrankheiten definiert durch die Autoreaktivität des Immunsystems, auch wenn in den meisten Fällen das die Erkran-
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kung auslösende Autoantigen nicht bekannt ist. Dennoch wäre die Entstehung von Toleranz gegenüber Autoantigenen sinnvoll. Zum einen trifft dies zu bei den Autoantigenen, bei denen eine eindeutige Beziehung zwischen der Organschädigung und der Autoreaktivität gegenüber den Autoantigenen besteht, so z. B bei der Myasthenia gravis oder der Immunthrombopenie. Zum anderen kann die Entstehung eines tolerogenen Milieus in einem Organ, in dem Autoreaktivität Schäden verursacht, nützlich sein, so z. B im rheumatisch entzündeten Gelenk. Dieses tolerogene Milieu wird insbesonders durch TGF-β unterhalten. Ein in seiner Applikationsform einfaches Prinzip der Toleranzauslösung ist die orale Toleranz. Nach oraler Zufuhr eines Antigens entsteht Toleranz gegenüber diesem Antigen, sofern nicht wesentliche kostimulatorische Reize wie Adjuvanzien oder bakterielle Lipopolysaccharide eine aktive Immunantwort auslösen. Diese orale Toleranz ist allein schon zur Verhinderung deletärer Immunreaktionen gegen Nahrungsbestandteile von herausgehobener Bedeutung. Tierversuche haben sowohl bei Modellen für rheumatoide Arthritis wie auch für die multiple Sklerose Erfolge mit der Auslösung oraler Toleranz gezeigt. Proteine wie Typ-II-Kollagen oder myelin-basisches Protein wurden oral verabreicht. Abhängig von der oral verabreichten Dosis des verwendeten Antigens entsteht Toleranz mittels klonaler T-Zell-Deletion, klonaler Anergie (Hochdosistoleranz) oder Suppression durch TGF-β (Niedrigdosistoleranz). Bei unbekanntem Autoantigen ist nur die letzte Form der oralen Toleranz nutzbar, indem im Zielorgan ein geeignetes Antigen ausgesucht wird, wogegen die aktive Suppression gerichtet ist, die dann im »Nebeneffekt« auch andere Immunreaktionen im Zielorgan unterdrückt. Dieses Konzept ist nach erfolgreichem Einsatz im Tierversuch auch bei bereits etablierter Autoimmunkrankheit in klinische Studien beim Menschen überführt worden. Bisher ist bei diesen Studien an Patienten mit rheumatoider Arthritis ein positiver Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei eher niedrigen Dosen des oral verabreichten Antigens (KollagenTyp II) beobachtet worden, die Effekte waren jedoch eher gering ausgeprägt (Barnett et al. 1998). Da das Konzept der oralen Toleranz jedoch weitgehend sicher und einfach erscheint, sind weitere Studien zu Fragen der Dosis, der Antigenwahl sowie der Adjuvanzien sinnvoll.
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N. Wagner, T. Niehues, H. Michels
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Bei der Behandlung von rheumatischen Erkrankungen ist häufig aufgrund der Schwere der Erkrankung z. B. bei den polyartikulären und systemischen Verlaufsformen der JIA oder beim systemischen Lupus erythematodes der Einsatz mehrerer Medikamente erforderlich. Trotz der Tat-
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Kombinationstherapien
sache, dass die meisten Behandler Kombinationen verschiedener Medikamente einsetzen, bleibt festzuhalten, dass die hierfür erforderlichen Studien im Kindesalter, die die Sicherheit und Effektivität solcher Maßnahmen nachweisen, völlig fehlen. Wegen fehlender Studien sind zahlreiche Substanzen im Kindesalter nicht zur Therapie von Autoimmunkrankheiten zugelassen, Zulassungen und präzise Anleitungen zur Kombinationstherapie verschiedener antirheumatisch wirksamer Substanzen seitens der Zulassungsbehörden und der Hersteller liegen nicht vor. Dieser Zustand ist aus Sicht der Patienten und der Ärzte sehr unbefriedigend. Um die Sicherheit und die Effektivität von therapeutischen Maßnahmen bei Kindern mit chronischen Autoimmunkrankheiten zu gewährleisten, ist eine gemeinsame Anstrengung des Gesetzgebers, der Hersteller von Pharmaka und der Kinderärzte erforderlich. Die Durchführung von kontrollierten Studien für Kinder sollte verbindlich geregelt sein, wenn eine neu zuzulassende Substanz einen therapeutischen Nutzen für Kinder haben könnte. Darüber hinaus müssen die finanziellen und personellen Mittel für die Durchführung von kontrollierten Studien zur Kombinationstherapie zur Verfügung gestellt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn Erwachsene eine höhere Sicherheit bei der Arzneimitteltherapie genießen als Kinder. Bis zur Erreichung dieser Ziele werden Kombinationstherapien auch bei Kindern durchgeführt werden müssen, Ergebnisse von Studien bei Erwachsenen, die im Folgenden dargestellt werden, dienen hierbei als Hilfestellung. Insbesondere bei sog. Additionsstudien, bei denen eine Kombination nach nur mäßigem Ansprechen auf die erste eingesetzte Substanz gestartet wurde, zeigten sich deutlich positive Effekte von Kombinationen aus zwei oder drei DMARD, die eine günstige Wirkung auf die radiologische Progression der rheumatoiden Arthritis mit einschloss. Zu den nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) kann angemerkt werden, dass die Kombination von zwei oder mehr NSAR nicht sinnvoll ist. In den 70er Jahren ist dies erfolglos versucht worden. Sinnvoll ist, bei Unverträglichkeit eines NSAR auf ein anderes auszuweichen. Als langwirksame Antirheumatika (DMARD) werden initial am häufigsten Methotrexat (MTX) oder Sulfasalazin eingesetzt. Bei nicht ausreichender Wirksamkeit wird eine weitere Substanz hinzugenommen. Kontrollierte Studien bei Erwachsenen haben dabei gezeigt, dass MTX erfolgreich mit Ciclosporin, Hydroxychloroquin, Hydroxychloroquin plus Sufasalazin, Leflunomid oder Etanercept kombiniert werden kann. Die Resultate waren jeweils der Monotherapie mit MTX überlegen, wenn die Add-on-Therapie bei nicht ausreichendem Ansprechen auf MTX allein begonnen wurde. Die Kombination von MTX und Leflunomid ist aus Überlegungen hinsichtlich ihres Wirkmechanismus sinnvoll, da MTX in den Purinmetabolismus und Leflunomid in den Pyrimi-
4.18 · Autologe Stammzelltherapie
dinstoffwechsel eingreift, damit könnte ein synergistischer Effekt bei Kombination beider Substanzen entstehen. Während die verbesserte Effektivität hierbei auch gezeigt werden konnte, weisen mit der Kombination behandelte Erwachsene eine höhere Rate an unerwünschten Wirkungen an der Leber auf. Diese können den Einsatz der Kombination von MTX und Leflunomid begrenzen. Azathioprin sollte wegen möglicher schädlicher Wechselwirkung nicht gemeinsam mit MTX eingesetzt werden, zudem ist die Kombination nicht effektiver als die Monotherapie mit MTX. Die Kombination von MTX mit Sulfasalazin bewirkt als unerwünschte Wirkung häufiger als bei der Monotherapie Übelkeit und gastrointestinale Symptome. Die Kombination von MTX mit Ciclosporin resultiert häufiger in einem Kreatininanstieg im Serum, so dass die Nierenfunktion bei dieser Kombinationstherapie engmaschig überwacht werden sollte. Während Etanercept gut mit MTX kombiniert werden kann, sollte die Kombination von Etanercept mit Anakinra unterbleiben. Die Monotherapie mit TNF-Antagonisten bewirkt bereits ein erhöhtes Infektionsrisiko, welches durch die Kombination mit Anakinra bei Erwachsenen noch einmal deutlich gesteigert wird. Die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten, die derzeit bereits bestehen und in Zukunft bei der raschen Entwicklung insbesondere der immunbasierten Therapien möglich sein werden, zeigt die Chancen für Patienten mit Autoimmunkrankhheiten, die verantwortungsvoll und unter optimaler Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Wissens über unerwünschte Effekte genutzt werden sollten.
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Autologe Stammzelltherapie
I. M. de Kleer, N. M. Wulffraat Die Schätzungen für die Prävalenz von Autoimmunkrankheiten in westlichen Ländern reichen von 3% bis 7% der Bevölkerung. Die meisten Autoimmunkrankheiten können mit Hilfe einer konventionellen Unterdrückung des Immunsystems auf eine mehr oder weniger zufriedenstellende Weise beherrscht werden. Es gibt jedoch eine Minderheit von Patienten mit refraktären/rezidivierenden, behandlungsresistenten Autoimmunkrankheiten, für die zutreffenderweise der Begriff der malignen Autoimmunität vorgeschlagen wurde. In diesen Fällen leiden die Patienten nicht nur unter der erheblichen Morbidität der Krankheit selbst, sondern auch unter schweren unerwünschten Effekten, die durch die Langzeitbehandlung mit Immunsuppressiva verursacht werden. Für diese Patientengruppe hat sich die intensive Immunsuppression (Immunablation), an die sich die allogene oder autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation (SZT) anschließt, als eine alternative Behandlungsmöglichkeit herausgestellt.
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4.18.1 Grundprinzipien der autologen
Stammzelltransplantation bei Autoimmunkrankheiten Die Anwendung der intensiven immunsuppressiven Therapie in Verbindung mit einer SZT zur Behandlung von humanen Autoimmunkrankheiten erfolgte, nachdem zufällig Remissionen bei Patienten mit Autoimmunkrankheiten beobachtet worden waren, bei denen zuvor eine allogene Knochenmarktransplantation aufgrund von gleichzeitig bestehenden hämatologischen Malignomen durchgeführt worden war (Snowden et al. 1998; Nelson et al. 1997; McAllister et al. 1997). Außerdem hatten sich bereits bei zahlreichen früheren Forschungsarbeiten, bei denen transplantationsgestützte Verfahren in experimentellen Tiermodellen angewendet wurden, beeindruckende Ergebnisse ergeben (Knaan-Shanzer et al. 1991; Karussis et al. 1992; van Gelder et al. 1993). Diese Studien zeigten, dass eine Transplantation mit normalem allogenem Knochenmark sowohl spontane als auch induzierte Autoimmunkrankheiten verhinderte und verbesserte oder heilte (van Gelder u. van Bekkum 1995; Levite et al. 1995; Adachi et al. 1995; Ikehara et al. 1989). Des Weiteren wurde außerdem eine hohe Inzidenz für – oftmals dauerhafte – Remissionen im Anschluss an eine autologe Knochenmarktransplantation bei induzierter adjuvanter Arthritis und Myasthenia gravis pseudoparalytica beobachtet (Knaan-Shanzer et al. 1991; van Gelder u. van Bekkum 1996). Der Wirkungsmechanismus beim allogenen Setting lässt sich vermutlich zurückführen auf eine Verringerung der Belastung mit autoreaktiven Lymphozyten durch das Konditionierungsregime, wobei die restlichen Immunzellen gemäß einem postulierten Graft-versus-Host-Autoimmuneffekt vernichtet werden (Marmont 2001). Die überraschende Wirksamkeit der autologen SZT ist mutmaßlich das Ergebnis einer ähnlichen Ablation der autoreaktiven Lymphozyten während der Konditionierung, gefolgt von der Induktion der Autoimmuntoleranz durch eine »Umerziehung« der aus der SZT stammenden Lymphozyten. Stammzelltransplantationen werden bei Patienten mit Autoimmunkrankheiten seit 1995 angewendet. Bis zum Jahr 2004 sind bei nahezu 800 Patienten Transplantationen vorgenommen worden (entsprechend den in europäischen und nordamerikanischen Datenbanken registrierten Zahlen) (Hough et al. 2005). Die meisten Patienten haben eher autologe als allogene Stammzellen erhalten, da autologe Transplantationen mit einer geringeren Mortalität verbunden sind und dabei das Problem des Transplantat-Matchings und die Graft-versus-Host-Reaktion vermieden werden.
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4.18.2 Autologe Stammzelltransplantation
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Bei Kindern sind autologe Stammzelltransplantationen bei einer großen Reihe von Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis und in vereinzelten Fällen bei anderen rheumatischen Krankheiten wie Systemischem Lupus Erythematodes (SLE) und multipler Sklerose angewendet worden. Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) ist in der Kindheit die häufigste rheumatische Krankheit und stellt eine der Hauptursachen für Behinderungen dar. Obgleich die Gesamtprognose bei den meisten Kindern mit chronischer Arthritis gut ausfällt, erweist sich die Krankheit bei 5–10% der Kinder mit systemischer oder polyartikulärer Manifestationsform als refraktär gegenüber den konventionellen Therapien, bei denen es sich um Kombinationen von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID) und immunsuppressiven Medikamenten wie beispielsweise Methotrexat (MTX), Corticoide und einer AntiTNF-α-Therapie handelt (Woo u. Wedderburn 1998; Cassidy u. Petty 2002; Wallace u. Levinson 1991; Gare u. Fasth 1995a,b). Die ersten Ergebnisse aus einer in den Jahren 1997 und 1998 durchgeführten Pilotstudie zur klinischen Wirksamkeit von autologen SZT (ASZT) bei JIA waren vielversprechend (Wulfraat et al. 1999b), und seitdem sind mehr als 52 Fälle berichtet und in der Datenbank der European Group for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) registriert worden.
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Ein- und Ausschlusskriterien
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bei juveniler idiopathischer Arthritis
Da Stammzelltransplantationen mit einer potenziell hohen Morbidität und Mortalität verbunden sind, ist es unbedingt erforderlich, dass Kinder, bei denen eine ASZT vorgenommen werden soll, sorgfältig ausgewählt werden. Die Pediatric Rheumatology European Society (PRES), die European League Against Rheumatism (EULAR) und die EBMT haben aus diesem Grund Richtlinien für Einschlusskriterien sowie für das Konditionierungsregime und den Umgang mit dem Transplantat veröffentlicht (Wulfraat et al. 1999a; Tyndall u. Gratwohl 1997). Die empfohlenen Einschlusskriterien sind: 5 fehlendes Ansprechen auf hoch dosiertes MTX (1 mg/ kg KG/Woche i.m. oder s.c.), eine Anti-TNF-α-Therapie und mindestens ein anderes antirheumatisch wirkendes Basistherapeutikum (DMARD), 5 eine Corticoidabhängigkeit und/oder 5 inakzeptable Toxizität gegenüber DMARD oder Corticoiden. Die empfohlenen Ausschlusskriterien sind: 5 kardiorespiratorische Insuffizienz, 5 chronisch aktive Infektion, 5 anhaltendes Fieber und
5 andere Anzeichen für eine systemische Krankheitsaktivität trotz Corticoidbehandlung zum Zeitpunkt der Transplantation, 5 Endstadium der Krankheit (Steinbrocker IV) oder 5 schlechte Compliance.
Mobilisierung und Stammzellvorbereitung Blutstammzellen, die bei der ASZT verwendet werden, können entweder aus dem Knochenmark stammen oder durch Induktion einer Mobilisierung in das periphere Blut mit Hilfe einer einzigen Infusion mit Cyclophosphamid und Granulozytenkolonie-stimulierendem Faktor (GCSF) gewonnen werden. Anschließend kann das Transplantat entweder durch eine T-Zell-Depletion mit AntiCD2- und Anti-CD3-Antikörpern gereinigt werden oder durch eine positive Stammzellselektion unter Verwendung von CD34-Selektionsgeräten. Wenn Stammzellen geerntet wurden, werden sie aufbereitet, um reife Lymphozyten zu entfernen. Eine vollständige Depletion der autoreaktiven T-Zellen kann zwar wünschenswert sein, doch ist eine umfangreiche Depletion auch mit einem höheren Risiko für posttransplantär auftretende opportunistische Infektionen, einschließlich einer Reaktivierung von EBV (Epstein-Barr-Virus) und CMV (Zytomegalievirus), verbunden (Holmberg et al. 1999). Außerdem wird angenommen, dass das Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) – eine der Hauptkomplikationen der ASZT bei JIA (7 4.18.3, Abschn. »Komplikationen und Mortalität■«) – z. T. durch eine unkontrollierte Aktivierung von Makrophagen bei fehlender T-Zell-Regulierung verursacht wird. Aus diesem Grund wird eine T-Zell-Zahl von 1–5×105 TZellen pro kg KG empfohlen (Barron et al. 2001).
Transplantationsprotokoll Die Konditionierung wird unmittelbar vor der Stammzellreinfusion (Rescue) durchgeführt und ist so konzipiert, dass die Zellen, die vermutlich die Krankheit vermitteln, entfernt werden: Viele der verwendeten Behandlungsregime sind hochgradig immunsuppressiv, aber nicht vollständig immunoablativ oder myeloablativ. Die häufigste Kombination, die zur Konditionierung bei JIAPatienten angewendet wurde, bestand aus Cyclophosphamid mit Antithymozytenglobulin (ATG) und einer Ganzkörperbestrahlung (TBI; 2 oder 4 Gy). Die Anwendung einer Ganzkörperbestrahlung bei Kindern wird weiterhin kontrovers diskutiert, da Bedenken bezüglich der langfristigen Sicherheit bestehen. Jüngst veröffentlichte Daten zur Nachuntersuchung von 34 JIA-Patienten, die sich einer Transplantation unterzogen hatten, deuten darauf hin, dass Kinder, die keine Ganzkörperbestrahlung erhalten haben, ebenso gute Ergebnisse aufweisen wie diejenigen, die mit einer Bestrahlung behandelt wurden (de Kleer et al. 2004). Dieses Ergebnis führte zu der Empfehlung, Ganzkörperbestrahlungen aus künftigen Konditionierungsregimen zu streichen.
4.18 · Autologe Stammzelltherapie
4.18.3 Klinische Ergebnisse Seitdem sich im Jahr 1997 erstmalig ein Patient mit JIA einer Transplantation unterzogen hat, sind mehr als 52 Fälle berichtet und in der EBMT-Datenbank registriert worden. Es liegen verschiedene Fallberichte vor, in denen der klinische Therapieerfolg bei kleinen Gruppen von JIA-Patienten, die mit einer ASZT behandelt wurden, beschrieben wird (Wulfraat 1999b; van Laar u. Tyndall 2003; Kishimoto et al. 2003; Nakagawa et al. 2001). Die umfangreichste Studie umfasst 34 Fälle, wobei die Transplantationen in neun verschiedenen pädiatrischen Abteilungen für Knochenmarktransplantationen vorgenommen wurden (de Kleer et al. 2004). Sämtliche 34 Kinder, die in dieser Studie beschrieben sind, wiesen vor Durchführung der ASZT einen polyartikulären Krankheitsverlauf auf, der durch Erosionen, Osteoporose und beeinträchtigtes Körperwachstum kompliziert wurde. Alle Kinder mit systemischer JIA
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litten außerdem unter Phasen mit hohem Fieber, Hautausschlägen und schweren steroidassoziierten Nebenwirkungen. Sie waren alle corticoidabhängig und sprachen auf hoch dosiert parenteral verabreichtes Methotrexat nicht an. Bei 10 der 34 Kinder war die Behandlung mit der Anti-TNF-Therapie fehlgeschlagen. Die Ergebnisse der ASZT waren beeindruckend und ergaben einen lang anhaltenden medikamentenfreien Nachuntersuchungszeitraum von 6 bis 60 Monaten (. Abb. 4.19). ASZT führte bei 18 schwer kranken JIA-Patienten (53%) zu einer medikamentenfreien vollständigen Remission, sogar nach einem längeren Absetzen der antirheumatischen Medikamente. Sechs Patienten (18%) erzielten eine partielle Response (30–70% Verbesserung) und zeigten eine bemerkenswerte Verbesserung bei den meisten Core-Set-Kriterien, was auf eine deutliche Zunahme des allgemeinen Wohlbefindens schließen lässt. Bei 7 Patienten (21%) konnte keine Response . Abb. 4.19 Rheumatologische Nachuntersuchung. VAS ■; CHAQ Children Health Assessment Questionnaire; EPM-ROM ■; BSG ■
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festgestellt werden, und 4 Patienten (12%) verstarben aufgrund einer transplantationsbezogenen Ursache. Unter Anwendung der zuvor festgelegten Definition für eine Zustandsverbesserung der juvenilen Arthritis, die von Giannini et al. (1997) entwickelt worden war (Giannini et al. 1997), zeigten 50% der Patienten eine medikamentenfreie Verbesserung von mehr als 50% nach einem Nachuntersuchungszeitraum von 4 bis 60 Monaten, wobei es zu einer deutlichen Abnahme der Werte des Children Health Assessment Questionnaire (CHAQ), der Werte der allgemeinen ärztlichen Einschätzung und der Anzahl der geschwollenen Gelenke kam. Die Messwerte für die Bewegungseinschränkung, gemessen mittels EPM-ROM, veränderten sich nicht, was deutlich macht, dass die erosive Gelenkzerstörung, die bereits vor der ASZT bestand, mit dieser Behandlung nicht rückgängig gemacht werden kann (innerhalb des 5-jährigen Nachuntersuchungszeitraumes). Insbesondere jüngere Kinder zeigten ein beachtliches Aufholwachstum, während dies bei älteren Kindern weniger ausgeprägt war.
Verlust der T-Zell-Kontrolle widerzuspiegeln, und möglicherweise liegt außerdem noch eine Anomalie der Makrophagenfunktion vor (Wulfraat et al. 2003). Es ist offensichtlich, dass weitere Forschungsarbeit in diesem Bereich gerechtfertigt ist.
Komplikationen und Mortalität
4.18.4 Mechanismen der Toleranzinduktion
In allen Studien wurde berichtet, dass es während der Infusion mit ATG zur Entwicklung von Schüttelfrost, Fieber und Unwohlsein kam. Infektiöse Komplikationen traten häufig auf. In der zuvor beschriebenen Studie hatten 24 von den 34 Kindern (71%) mindestens eine Infektion. Insbesondere Reaktivierungen des Varicella-Zoster-Virus, Epstein-Barr-Virus und Zytomegalievirus wurden häufig beobachtet und zwar hauptsächlich während der aplastischen Phase. Ferner starben 4 der 34 Kinder (12%) in einem Zeitraum von 10 Tagen bis 16 Monaten nach der ASZT, was einer unerwartet hohen Mortalitätsrate entspricht. Der Tod war in allen Fällen in erster Linie die Folge einer Infektion, die aus der Knochenmarksuppression resultierte. Bei 3 der 4 tödlich verlaufenden Fälle lag eine Hämophagozytose vor, die auch als Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) bezeichnet wird. Dieser Komplikation gingen Infektionen mit Epstein-Barr-Virus, Adenovirus und disseminierter Toxoplasmose voraus. MAS ist eine allgemein bekannte und häufig tödlich verlaufende Komplikation der systemischen JIA, die in verschiedenen Fallberichten über die letzten 30 Jahre hinweg beschrieben wurde (Sawhney et al. 2001; Stephan et al. 1993). Interessanterweise wird eine derartige Episode oftmals von Medikamenten wie Salazopyrin, Methotrexat oder intramuskulär verabreichtem Gold ausgelöst. Eine wichtige Beobachtung, die wir vor kurzem machten, war das Auftreten einer Episode mit Hämophagozytose bei 3 Patienten mit systemischer JIA, die Fludarabin als Bestandteil des Konditionierungsprotokolls erhalten hatten (Vastert et al., Manuskript in Vorbereitung). Warum gerade bei Patienten mit systemischer JIA ein Risiko für Episoden mit reaktiver Hämophagozytose besteht, ist nicht bekannt. Die ausgeprägte Makrophagenaktivierung scheint einen
! Da MAS in einem derartig großen Umfang für die Mortalität bei Patienten mit systemischer JIA verantwortlich ist und die mit Abstand gefährlichste Komplikation nach einer ASZT darstellt, sind die gegenwärtigen Protokolle zur Vermeidung von MAS um die folgenden Maßnahmen ergänzt worden: 5 sorgfältige Kontrolle auf frühe Anzeichen für ein MAS (Fieber, Hepatomegalie, Zytopenien, Gerinnungsstörungen, hohe Ferritinwerte), 5 frühzeitige Behandlung mit Steroiden und Ciclosporin sowie 5 Ausschluss von Patienten, bei denen die Grunderkrankung kurz vor der Transplantation aktiv ist.
durch ASZT Zwar nimmt die klinische Erfahrung bezüglich der Behandlung von Autoimmunerkrankungen mit ASZT schnell zu, doch ist noch immer sehr wenig darüber bekannt, welche der von ASZT ausgelösten Veränderungen im Immunsystem für den positiven Effekt verantwortlich sind. Der anfängliche vorübergehende Effekt lässt sich wahrscheinlich auf die Vernichtung der autoreaktiven Lymphozyten und Gedächtniszellen zurückführen, verursacht durch das hoch dosierte lymphoablative Konditionierungsregime. Obwohl die autologe SZT eine intensive Immunsuppression des Empfängers gestattet, ist die Beseitigung jedes verbleibenden Lymphozyten mittels hoch dosierter Chemotherapie und/oder Bestrahlung wahrscheinlich nicht durchführbar. Außerdem muss die veränderte Immunrekonstitution, die nach der autologen Transplantation einsetzt, einen bedeutenden Anteil haben (Sykes u. Nikolic 2005). Zu den vereinzelten Beobachtungen, die im Anschluss an eine autologe Transplantation gemacht wurden, gehören Änderungen des Verhältnisses CD4:CD8, eine verminderte mitogene Reaktionsfähigkeit, die Wiederherstellung der reduzierten Perforinexpression und Änderungen des T-Zell-Repertoires (Wulfraat et al. 2003; Talmadge et al. 1997; Roberts et al. 1993). Ferner unterstützen Arbeiten mit Tierfeten die Hypothese, dass eine Exposition des sich entwickelnden Immunsystems gegenüber Neoantigenen in einer Phase, in der das Immunsystem sein Repertoire entwickelt, eine Toleranz zur Folge hat (Anderson u. Matzinger 2001; Touraine et al. 2005; Chen et al. 2004). Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass der Erfolg der ASZT nicht nur auf dem Verlust der autoreaktiven T-Zell-Klone beruht, sondern auch auf der vollstän-
4.18 · Autologe Stammzelltherapie
digen Neuverteilung der unausgewogenen zellulären und löslichen Netzwerke, einschließlich jener, die die autoreaktiven T-Zellen regeln. Tatsächlich zeigte eine Analyse des T-Zell-Repertoires bei Patienten mit multipler Sklerose, die mit ASZT behandelt worden waren, die Wiederherstellung einer insgesamt breiteren klonalen Vielfalt und eine umfangreiche Erneuerung der Klonspezifitäten im Vergleich zum Zustand vor der Behandlung (Muraro et al. 2005). Außerdem hat es sich bei Patienten mit JIA gezeigt, dass die ASZT eine Autoimmuntoleranz bewirkt, indem autoreaktive T-Zellen toleriert werden und das CD4+-CD25+-Regulationsnetzwerk wiederhergestellt wird (de Kleer et al., Manuskript eingereicht). Weitere Studien zu den Mechanismen, die der Toleranzinduktion von ASZT zugrunde liegen, sind erforderlich, da grundlegende Kenntnisse über den Mechanismus dieser therapeutischen Strategie bei Autoimmunkrankheiten für laufende und zukünftige klinische Studien von Nutzen sind.
4.18.5 Schlussfolgerung Die ASZT ist zu einer allgemein anerkannten Behandlungsmöglichkeit bei schwer kranken Patienten mit systemischer und polyartikulärer JIA geworden, für die es keine anderen Behandlungsoptionen mehr gibt. ASZT bewirkt bei einem erheblichen Prozentteil der Patienten eine medikamentenfreie Remission der Krankheit und eine weitreichende Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens. Das Verfahren beinhaltet jedoch ein erhebliches Mortalitätsrisiko, weshalb es unumgänglich ist, die Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken der langwierigen Immunsuppression bei einer »konventionellen« Behandlung gegenüber den Risiken der kurzen, aber intensiven Immunsuppression einer ASZT abzuwägen. Vor kurzem haben die in der EBMT arbeitenden Gruppen, die sich mit Autoimmunkrankheiten und angeborenen (Stoffwechsel-) Erkrankungen beschäftigen, offiziell entschieden, die Anwendung der ASZT bei diesen Kindern weiter zu erforschen. Um einen gemeinsamen Ansatz zu ermöglichen, wird gegenwärtig ein neues Protokoll entwickelt, das Antithymozytenglobulin und Cyclophosphamid mit anschließender Gabe von Fludarabin enthält. Zur Vermeidung einer Hämophagozytose wird diese Behandlung bei gleichzeitiger hoch dosierter Gabe von Corticoiden und Ciclosporin durchgeführt.
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Kapitel 4 · Pharmakotherapie
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175
5.1 ·
Juvenile idiopathische Arthritis K. Minden, M. Frosch, J. Roth, G. Ganser, G. Dannecker, H.J. Girschick, C. Huemer, A. Heiligenhaus, U. Neudorf, J. Roth
5.1
Nomenklatur und Klassifikation – 177
5.1.1 5.1.2
Definition – 178 Klassifikation – 178
Literatur
179
5.2
Epidemiologie
5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4
Häufigkeit der chronischen Arthritis im Kindes- und Jugendalter Häufigkeit der Subgruppen – 180 Zeittrends – 181 Risikofaktoren für eine JIA – 181
Literatur
– 179
181
5.3
Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7 5.3.8 5.3.9
Definition – 182 Häufigkeit – 182 Klassifikation – 182 Ätiologie – 182 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 183 Diagnose – 189 Therapie – 190 Prognose – 193
Literatur
– 182
193
5.4
Oligoartikuläre Verlaufsform
5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5 5.4.6 5.4.7 5.4.8 5.4.9
Definition – 194 Häufigkeit – 195 Klassifikation – 195 Ätiologie – 195 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 197 Diagnose – 202 Therapie – 205 Prognose – 209
Literatur
– 194
– 196
210
5.5
Polyartikuläre Verlaufsformen
5.5.1 5.5.2
Rheumafaktornegative Polyarthritis – 211 Rheumafaktorpositive Polyarthritis – 217
– 211
– 181
– 179
5
5.5.3 5.5.4
Therapie – 221 Prognose – 227
Literatur
228
5.6
Enthesitisassoziierte Arthritis – 230
5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4 5.6.5 5.6.6 5.6.7 5.6.8 5.6.9
Definition – 230 Häufigkeit – 230 Klassifikation – 230 Ätiologie – 231 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 232 Diagnose – 233 Therapie – 234 Prognose – 235
Literatur
– 231
235
5.7
Psoriasisarthritis
5.7.1 5.7.2 5.7.3 5.7.4 5.7.5 5.7.6 5.7.7 5.7.8
Definition und Klassifikation – 236 Häufigkeit – 237 Ätiologie – 237 Pathogenese und Pathologie – 238 Klinische Symptome – 238 Diagnose – 240 Therapie – 241 Prognose – 242
Literatur
– 236
242
5.8
Uveitis – 243
5.8.1 5.8.2 5.8.3 5.8.4 5.8.5 5.8.6 5.8.7 5.8.8 5.8.9
Definitionen – 243 Häufigkeit – 244 Klassifikation – 245 Ätiologie – 245 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 246 Diagnostik – 247 Therapie – 249 Prognose – 251
Literatur
– 246
253
5.9
Knochenstoffwechsel und Osteoporose
5.9.1 5.9.2 5.9.3 5.9.4 5.9.5
Skelettwachstum und Knochenstoffwechsel – 253 Osteoporose – 256 Skelettale Veränderungen bei JIA – 258 Therapeutische Optionen – 259 Fazit – 261
Literatur
261
– 253
177
5.1 · Nomenklatur und Klassifikation
5.1
Nomenklatur und Klassifikation
K. Minden Das Gelenkrheuma im Kindesalter umfasst eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, deren gemeinsames Merkmal die chronische Gelenkentzündung unbekannter Ursache ist. Die Identifizierung dieser Erkrankung erfolgt, bei weitgehend unbekannter Ätiopathogenese und fehlenden pathognomonischen Krankheitsmerkmalen, anhand einer Kombination von klinischen, labormedizinischen und anderen Merkmalen. Zur eindeutigen Begriffsdefinition wurden für das Gelenkrheuma im Kindesalter Klassifikationskriterien entwickelt. Sie dienen der Definition der Erkrankung und der Abgrenzung klinisch relevanter Subgruppen, sie sind jedoch keine Diagnosekriterien. Über die Jahre wurden verschiedene Klassifikationen entwickelt (. Tab. 5.1). Allen gemeinsam ist, dass sie die verschiedenen Formen der chronischen Gelenkentzündung im Kindesalter unter bestimmten Oberbegriffen (juvenile rheumatoide Arthritis, juvenile chronische Arthritis, juvenile idiopathische Arthritis) subsumieren und basierend auf klinischen
Merkmalen definierten Subgruppen zuordnen. In Europa wurde die Gruppe der kindlichen Arthritiden ab Ende der 70er Jahre überwiegend nach den Kriterien der European League Against Rheumatism (EULAR) klassifiziert und als juvenile chronische Arthritis (JCA) bezeichnet. In Nordamerika hingegen wurden bevorzugt die Kriterien des American College of Rheumatology (ACR, früher American Rheumatism Association, ARA) und der Terminus juvenile rheumatoide Arthritis (JRA) angewendet. Obwohl sich beide Klassifikationen auf die gleiche Gruppe von Erkrankungen beziehen und ähnliche Beginnformen der juvenilen Arthritis (systemische Arthritis, Oligoarthritis, Polyarthritis) unterscheiden, dürfen sie
aufgrund verschiedener integrierter Krankheitsformen (. Tab. 5.1: Ausschluss) jedoch nicht synonym verwendet werden. Das brachte Probleme im klinischen und wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch mit sich. Um diese zu lösen und die internationale Verständigung zu erleichtern, wurde 1993 ein kinderrheumatologisches Komitee der International League of Associations for Rheumatology (ILAR) zur Ausarbeitung gemeinsamer Richtlinien gegründet. Die auf der Basis eines Expertenkonsensus entwickelte und bereits wiederholt überarbeitete Klassifikation der juvenilen idiopathischen Arthritis stellt den Versuch dar, Kinder und Jugendliche mit Gelenkrheuma international einheitlich zu klassifizieren und möglichst homogenen, sich gegenseitig ausschließenden Krankheitsgruppen zuzuordnen (Petty et al. 1998, 2004). Diesem Anspruch wird sie zumindest partiell gerecht, denn sie trennt, obgleich lediglich auf einer klinischen Zuordnung basierend, immungenetisch und prognostisch voneinander differierende Subgruppen der juvenilen Arthritis ab (Thomas et al. 2000). Diese neue, in ständiger Weiterentwicklung befindliche Klassifikation setzt sich international zunehmend durch und hat in Europa die EULAR-Klassifikation inzwischen weitgehend ersetzt. Ihr größter Vorteil besteht in der Vereinheitlichung der Terminologie, die eine notwendige Voraussetzung für den globalen Vergleich von Studien zur Epidemiologie, Pathogenese und Therapie der juvenilen Arthritis darstellt. ! Das Gelenkrheuma im Kindesalter wird heute vorzugsweise nach den ILAR-Kriterien definiert und klassifiziert.
. Tab. 5.1. Klassifikationen der chronischen Gelenkentzündung im Kindesalter Klassifikation nach
ACR
EULAR
ILAR
Terminus
Juvenile rheumatoide Arthritis (JRA)
Juvenile chronische Arthritis (JCA)
Juvenile idiopathische Arthritis (JIA)
Erkrankungsbeginn
<16 Jahre
<16 Jahre
<16 Jahre
Mindestdauer der Gelenkentzündung
6 Wochen
3 Monate
6 Wochen
Zahl definierter Subgruppen zu Erkrankungsbeginn
3
3
7
Ausschluss
Juvenile ankylosierende Spondylitis, juvenile Psoriasisarthritis, Arthritis bei entzündlicher Darmerkrankung
Seropositive Polyarthritis
–
Quelle
Brewer et al. 1977
Wood 1978
Fink et al. 1995
ACR American College of Rheumatology (früher: ARA = American Rheumatism Association); EULAR European League Against Rheumatism; ILAR International League of Associations for Rheumatology.
5
178
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
5.1.1
Definition
Die juvenile idiopathische Arthritis wird definiert als Arthritis eines oder mehrerer Gelenke mit 5 Beginn vor dem 16. Geburtstag, 5 einer Mindestdauer von 6 Wochen, 5 unklarer Ätiologie, 5 Ausschluss anderer, mit ähnlicher Symptomatik einhergehender Erkrankungen. Die Festlegung auf das Beginnalter (vor dem 16. Lebensjahr) ist eine willkürliche. ! Arthritis ist definiert als Schwellung oder Bewegungseinschränkung mit Schmerzen oder Überwärmung mindestens eines Gelenkes.
5.1.2
Die Klassifikation und primäre Subgruppenzuordnung der JIA erfolgt anhand von klinischen und labormedizinischen Befunden während der ersten 6 Erkrankungsmonate. ! Die Diagnose JIA wird frühestens nach 6 Wochen gestellt, die Subgruppenzuordnung erfolgt in der Regel 6 Monate nach Beginn der Arthritis.
Nach der aktuellen ILAR-Klassifikation (vereinbart in Edmonton 2001) werden sieben verschiedene Subgruppen der JIA abgegrenzt (vgl. folgende Übersicht). Für jede der definierten ILAR-Kategorien der JIA müssen folgende Ausschlusskriterien berücksichtigt werden: a Psoriasis beim Patienten oder einem Verwandten ersten Grades; b Arthritis bei einem HLA-B27-positiven Jungen nach dem 6. Geburtstag; c ankylosierende Spondylitis, enthesitisassoziierte Arthritis, Sakroiliitis bei entzündlicher Darmerkrankung, Reiter-Syndrom oder akute anteriore Uveitis bei einem Verwandten ersten Grades; d IgM-Rheumafaktor-(RF-)Nachweis bei zwei Untersuchungen im Abstand von mindestens 3 Monaten; e Zeichen der systemischen Arthritis. Kategorien der juvenilen idiopathischen Arthritis
21
1. Systemische Arthritis (ICD-10: M08.2-) – Definition: Arthritis und Fieber (intermittierend, Dauer mindestens 2 Wochen) und mindestens ein weiteres Kriterium: flüchtiger erythematöser Hautausschlag, generalisierte
23
3.
4.
Klassifikation
20
22
2.
5.
6.
7.
6
Lymphknotenvergrößerung, Hepato- und/ oder Splenomegalie, Serositis – Ausschluss: a, b, c, d Oligoarthritis (ICD-10: M08.4-) – Definition: Arthritis von 1–4 Gelenken innerhalb der ersten 6 Erkrankungsmonate – Subkategorien: – persistierende Oligoarthritis: 1–4 Gelenke im Krankheitsverlauf – erweiterte (extended) Oligoarthritis: >4 Gelenke nach den ersten 6 Erkrankungsmonaten – Ausschluss: a, b, c, d, e RF-negative Polyarthritis (ICD-10: M08.3-) – Definition: Arthritis in >4 Gelenken während der ersten 6 Erkrankungsmonate und negativer Test auf RF – Ausschluss: a, b, c, d, e RF-positive Polyarthritis (ICD-10: M08.0-) – Definition: Arthritis in >4 Gelenken während der ersten 6 Erkrankungsmonate und positiver Test auf RF (mindestens 2-mal im Abstand von 3 Monaten) – Ausschluss: a, b, c, e Psoriasisarthritis (ICD-10: L40.5/M09.0-) – Definition: Arthritis und Psoriasis oder Arthritis und mindestens zwei der folgenden Kriterien: Daktylitis; Nagelveränderungen (Tüpfelung oder Onycholyse); Psoriasis bei einem Verwandten ersten Grades – Auschluss: b, c, d, e Enthesitis-assoziierte Arthritis (ICD-10: M08.1-) – Definition: Arthritis und Enthesitis (d. h. Entzündung am Knochenansatz von Sehnen, Bändern, Gelenkkapseln oder Faszien) oder Arthritis und mindestens zwei der folgenden Kriterien: Druckschmerz über den Iliosakralgelenken und/oder entzündlicher Rückenschmerz lumbosakral; HLA-B27-Nachweis; Junge mit Erkrankungsbeginn >6 Jahre; akute (sympto matische) anteriore Uveitis; ankylosierende Spondylitis, enthesitis-assoziierte Arthritis, Sakroiliits bei entzündlicher Darmerkrankung, Reiter-Syndrom oder akute anteriore Uveitis bei einem Angehörigen ersten Grades – Ausschluss: a, d, e Undifferenzierte Arthritis (ICD-10:M08.8-) – Definition: Arthritis, die keiner oder mehr als einer Kategorie zugeordnet werden kann
179
5.2 · Epidemiologie
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Epidemiologie
5.2
zündliche rheumatische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. Angaben zu deren Inzidenz und Prävalenz weisen eine erhebliche Variation auf. Die publizierten Neuerkrankungsraten liegen zwischen 0,8 und 22,6 pro 100.000, Erkrankungshäufigkeiten zwischen 7 und 401 pro 100.000 Kinder unter 16 Jahren (Manners u. Bower 2002). Eine Metaanalyse epidemiologischer Studien (Oen u. Chang 1996) zeigte, dass diese Variation weniger auf die Anwendung unterschiedlicher Klassifikationskriterien als vielmehr auf die Art der Fallermittlung (Bevölkerungsbezug = Fallerfassung durch Bevölkerungsumfrage bzw. -untersuchung, Praktikerbezug = Fallerfassung durch Befragung aller niedergelassenen Ärzte einer bestimmten Region, Klinikbezug = Erfassung der an einer Schwerpunkteinrichtung gesehenen Fälle in Relation zur Bevölkerung des Einzugsgebietes) und die untersuchte Population (Land, ethnische Zugehörigkeit) zurückzuführen ist. Die chronische Arthritis im Kindesalter tritt weltweit auf, allerdings unterschiedlich häufig. In Europa oder Nordamerika scheint sie häufiger als in Asien (Inzidenz in Japan 0,83/100.000), in Europa häufiger im Norden (Skandinavien) als im Süden vorzukommen (. Tab. 5.2).
K. Minden
5.2.1
Häufigkeit der chronischen Arthritis im Kindes- und Jugendalter
Das Gelenkrheuma im Kindesalter, die chronische Arthritis unbekannter Ursache, ist die häufigste chronisch-ent-
! Für europäische Bevölkerungen kann eine Neuerkrankungsrate der juvenilen idiopathischen Arthritis von etwa 10 pro 100.000 und Jahr sowie eine Erkrankungshäufigkeit von 100 pro 100.000 angenommen werden. Demnach ist in Deutschland mit etwa 1.400 JIA-Neuerkran-
. Tab. 5.2. Untersuchungen zur Häufigkeit chronischer Arthritiden im Kindes- und Jugendalter Studie
Land
Angewandte Klassifikation
Inzidenz pro 100.000 und Jahr
Prävalenz pro 100.000
Mielants et al. 1993
Belgien
EULAR
Keine Angabe
167
Manners u. Diepeveen 1996
Australien
EULAR
Keine Angabe
401
Peterson et al. 1996
USA
ACR
11,7
86,1–94,3
Prieur et al. 1987
Frankreich
EULAR
1,3–1,9
7,7–10
Andersson Gäre u. Fasth 1992
Schweden
EULAR
10,9
86,3
Von Koskull et al. 2001
BRD
EULAR
6,6
14,8
Berntson et al. 2003
Norwegen
ILAR
19–23
Keine Angabe
Gruppe 1: Bevölkerungsbezug
Gruppe 2: Praktikerbezug
Finnland
21
Schweden
15
Dänemark
9–16
Island
7
5
180
1
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
. Tab. 5.2. Fortsetzung Studie
Land
Angewandte Klassifikation
Inzidenz pro 100.000 und Jahr
Prävalenz pro 100.000
Symmons et al. 1996
Großbritannien
EULAR
10
Keine Angabe
Malleson et al. 1996
Kanada
ACR
4,1
Keine Angabe
Kiessling et al. 1998
BRD
EULAR
3,5
20
2 Gruppe 3 : Klinikbezug
3 4 5 6 7
EULAR European League Against Rheumatism; ACR American College of Rheumatology (früher: ARA = American Rheumatism Association); ILA: International League of Associations for Rheumatology.
8
5.2.2
9
Nicht nur die Häufigkeit des Gelenkrheumas im Kindesalter generell, sondern auch die der einzelnen Subgruppen der chronischen Arthritis variiert in den verschiedenen Populationen. So weisen in europäischen Bevölkerungen mehr als die Hälfte der neu diagnostizierten Kinder mit chronischer Arthritis eine Oligoarthritis auf, 20–25% eine Polyarthritis und 5–10% eine systemische Form. Im Unterschied hierzu dominieren in afrikanischen und asiatischen Populationen sowie bei nordamerikanischen Indianern Patienten mit Polyarthritis das Bild der juvenilen Arthritis. Insbesondere die im Kleinkindalter beginnende Oligoarthritis, die mit einer Uveitis und dem Nachweis antinukleärer Antikörper assoziiert ist, findet man selten in nichtkau-
10 11 12 13 14
kasischen Populationen. Ethnische und geografische Einflüsse scheinen hier von Relevanz zu sein. Global erkranken Mädchen häufiger als Jungen (2–3:1) an einer JIA. Mädchen dominieren bei der Oligoarthritis, Polyarthritis und Psoriasisarthritis, während die systemische Form bei beiden Geschlechtern etwa gleich häufig und die enthesitis-assoziierte Arthritis bei Jungen 2- bis 3mal häufiger auftritt. Auch das Manifestationsalter ist bei den einzelnen JIAGruppen sehr verschieden. Die Erkrankungsgipfel liegen bei der Oligoarthritis und seronegativen Polyarthritis im Kleinkind- und Vorschulalter, bei der enthesitis-assoziierten Arthritis und seropositiven Polyarthritis hingegen erst im späten Kindesalter. Wie sich das Subgruppenspektrum der chronischen Arthritis bei deutschen Kindern und Jugendlichen darstellt und welche Besonderheiten die einzelnen JIA-Subgruppen kennzeichnen, ist . Tab. 5.3 zu entnehmen.
kungen pro Jahr und 14.000 insgesamt betroffenen Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren zu rechnen.
Häufigkeit der Subgruppen
15 . Tab. 5.3. Relative Häufigkeit und Charakteristika der JIA-Subgruppen
16
Relativer Anteil
Mädchen
Erkrankungsalter
Antinukleäre Antikörper
HLA-B27Positivität
Uveitis
[%]
[%]
[Jahre]
[%]
[%]
[%]
Systemische Arthritis
6
50
5
14
5
1
Oligoarthritis
52
69
4
60
12
17
Seronegative Polyarthritis
13
76
7
35
12
5
Seropositive Polyarthritis
2
83
12
35
9
3
Psoriasisarthritis
8
64
7
41
20
10
Arthritis mit Enthesitisneigung
12
30
10
19
66
7
Andere Arthritis
8
64
9
31
35
11
JIA gesamt
100
64
6
46
22
12
JIA-Subgruppe
17 18 19 20 21 22 23
Aktuelle Daten der bundesdeutschen Kerndokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher, n=3.510.
181
5.3 · Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
5.2.3
Zeittrends
Ob sich Häufigkeit oder Schwere der JIA in den letzten Jahrzehnten verändert haben, ist unklar. Immerhin wurde in einer US-amerikanischen Untersuchung (Peterson et al. 1996) ein Rückgang der Inzidenz der juvenilen rheumatoiden Arthritis über die Jahre von 1960 bis 1993 festgestellt, der aber durchaus auch mit den inzwischen besseren diagnostischen Möglichkeiten, die den Ausschluss rheumatischer Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik (z. B. Lyme-Arthritis, periodische Fiebersyndrome) zulassen, zusammenhängen kann. Zudem wurden in bestimmten Jahren Erkrankungshäufungen und vor allem bei der systemischen Form der juvenilen Arthritis saisonale Schwankungen beobachtet, was die Diskussion über die Rolle von Umgebungsfaktoren (z. B. triggernde Infektionen) bei der Ätiopathogenese der Erkrankung belebt hat.
5.2.4
Risikofaktoren für eine JIA
Epidemiologische Untersuchungen haben bestimmte Risikofaktoren für das Auftreten einer JIA ermittelt. Zu diesen gehören genetische und Umweltfaktoren. Verschiedene Gene (HLA und Non-HLA) wurden bisher als prädisponierend für eine JIA erkannt. Am besten untersucht sind die HLA-Gene, die geschlechtsspezifisch in bestimmten Altersperioden die Empfänglichkeit für eine bestimmte Form der JIA beeinflussen (Murray et al. 1999). So prädisponieren beispielsweise die HLAAllele A2, DPB1*0201 und DR8 oder DR5 (7 Kap. 2.4) im Kleinkindalter zum Auftreten einer Oligoarthritis, während DR4 in den ersten Lebensjahren protektiv und erst im späten Kindesalter prädisponierend für die seropositve Polyarthritis wirkt. Dem HLA-DR z. B. wird jedoch nur 17% des genetischen Risikos für eine JIA zugeschrieben, d. h. eine Interaktion multipler (z. T. noch unbekannter) Gene ist zur Auslösung einer JIA erforderlich.
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5.3
Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
! Die JIA ist eine polygene Erkrankung.
M. Frosch, J. Roth Neben der genetischen Disposition tragen auch unspezifische Umweltfaktoren wie Zigarettenrauch (Jaakola u. Gissler 2005), virale Infekte, der sozioökonomische Status und Anzahl der Geschwisterkinder (Nielsen et al. 1999) sowie weitere Faktoren zur Krankheitsentstehung bei.
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Im Jahre 1897 fasste George Frederic Still seine Beobachtungen an 12 Kindern mit systemischer juveniler idiopathischer Arthritis (SJIA), die er an der Great Ormond Street in London behandelt hatte, zusammen (Still 1897). Es handelt sich um die erste umfassende Darstellung der systemischen und artikulären Krankheitszeichen dieser rheumatischen Systemerkrankung. Bis heute wird deshalb trotz zahlreicher Klassifikationsänderungen der vergangenen Jahre im klinischen Alltag häufig von der Still’schen Erkrankung gesprochen. Während der typische systemische Erkrankungsbeginn mit Fieber, Lymphadenopathie und Splenomegalie in dieser Publikation ausführlich
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
beschrieben wird, findet die charakteristische Hautmanifestation durch Still keine Erwähnung. Es gelingt ihm jedoch, die Unterschiede dieser Erkrankung von isolierten rheumatischen Gelenkerkrankungen, die denen der rheumatoiden Arthritis des Erwachsenen ähnlich sind, darzustellen.
5.3.1
Definition
Die SJIA ist eine rheumatische Systemerkrankung, die als Verlaufsform der juvenilen idiopathischen Arthritis durch die klinische und diagnostische Trias von remittierendem Fieber, typischem Exanthem der Haut (sog. Rash) und Arthritis gekennzeichnet ist.
8
5.3.2
9
Der Erkrankungsbeginn der SJIA zeigt im Gegensatz zu den übrigen Verlaufsformen der JIA keine eindeutige Alterspräferenz im Kindes- und Jugendalter, wobei jedoch eine Erstmanifestation der Erkrankung jenseits der Adoleszenz im Erwachsenenalter eine Rarität darstellt. Jungen und Mädchen sind gleich häufig betroffen. In der Literatur wird die Frequenz der systemischen Verlaufsform zwischen 11% und 20% der Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis angegeben (Petty 1979; Woo u. Wedderburn 1998), europäische Studien belegen eine Rate für die SJIA von 11–14% bei einer Inzidenz der JIA von durchschnittlich 10:100.000/Jahr (Woo u. Wedderburn 1998).
10 11 12 13
Häufigkeit
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
5.3.3
Klassifikation
Nach den aktuellen Klassifikationskriterien der SJIA (Durban 1997 und Edmonton 2001) gilt die Diagnose der SJIA als gesichert, wenn neben der Arthritis und dem remittierenden Fieber mindestens eines der vier folgenden systemischen Zeichen vorliegt: 5 das flüchtige, erythematöse Exanthem, 5 eine generalisierte Lymphadenopathie, 5 eine Hepato- oder Splenomegalie oder 5 eine Serositis (Petty et al. 1998, 2004). Die Häufigkeiten dieser klinischen Kriterien im Krankheitsverlauf der SJIA sind in . Tab. 5.4 dargestellt. Solche Klassifikationskriterien dienen allerdings in erster Linie einer einheitlichen Kommunikation für wissenschaftliche Zwecke, wie immunologischer oder genetischer Grundlagenforschung, epidemiologischen oder therapeutischen Studien oder zur Dokumentation von Langzeitverläufen der Erkrankung.
5.3.4
Ätiologie
Trotz zunehmender Kenntnisse in der Pathogenese rheumatischer Erkrankungen im Kindesalter bleibt die Ätiologie auch der SJIA letztlich zurzeit unklar. Die Differenzierung verschiedener Verlaufsformen der JIA in Klassifikation, Klinik und Therapie lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass der Pathogenese jeder Verlaufsform eigene genetische Grundlagen und Umgebungsfaktoren zugrunde liegen (Woo u. Wedderburn 1998).
5.3.5
Pathogenese und Pathologie
Die klinischen Charakteristika der Entzündung bei SJIA mit intermittierendem Fieber und anderen systemischen Allgemeinzeichen, Leukozytose und Aktivierung von Granulo- und Thrombopoese sprechen für eine unkontrollierte Aktivierung des angeborenen Abwehrsystems. Diese ist repräsentiert durch die proinflammatorische Aktivität der Granulo- und Monozyten bzw. Makrophagen. Demgegenüber finden wir bei Patienten mit SJIA keine Merkmale einer typischen lymphozytär vermittelten antigenspezifischen Immunantwort des erworbenen Abwehrsystems. Wesentliche proinflammatorische Zytokine des angeborenen Abwehrsystems sind u. a. Tumor-Nekrose-Faktor- (TNF-)α und Interleukin- (IL-)1, die überwiegend von neutrophilen Granulozyten und Monozyten sezerniert werden. Aktuelle Untersuchungen stützen vor allem die pathogenetische Bedeutung von IL-1 bei der SJIA. So induziert Serum von SJIA-Patienten die Transkription von Genen des angeborenen Abwehrsystems, einschließlich IL-1 in mononukleären Zellen des peripheren Blutes. Ebenso sezerniert dieses Zellsystem von Patienten mit SJIA nach Aktivierung hohe Konzentrationen von IL-1β (Pascual et al. 2005). Die therapeutische Gabe des IL-1Rezeptor-Antagonisten (Anakinra) wiederum führt in ersten vorläufigen Berichten bei Patienten mit SJIA, die therapieresistent waren auf herkömmliche immunsuppressive Behandlungen, innerhalb weniger Tage zur Rückbildung aller klinischen Aktivitätszeichen der Erkrankung (Pascual et al. 2005). Auch für IL-6, ein weiteres proinflammatorisches Zytokin der angeborenen Abwehrzellen, korreliert die Konzentration dieses Zytokins im Serum mit der klinischen Aktivität der SJIA (De Benedetti et al. 1991). In der Synovialflüssigkeit von Patienten mit SJIA werden für IL-6 ebenfalls höhere Konzentrationen als bei anderen Verlaufsformen der JIA gefunden (De Benedetti et al. 1997). Erste klinische Erfahrungen im Einsatz eines IL-6-RezeptorAntikörpers zeigen eine Wirksamkeit auf die klinischen Aktivitätsparameter der SJIA (Yokota et al. 2005). Sowohl während der Frühphase der Erkrankung als auch im Rezidiv mit hoher systemischer Aktivität findet sich eine generelle Aktivierung des vaskulären Endo-
183
5.3 · Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
thels, begleitet von einem Infiltrat aus neutrophilen Granulozyten und proinflammatorisch aktiven Monozyten. Gleichzeitig kommt es zu einer Aktivierung des Hautepithels mit Expression von S100-Proteinen (. Abb. 5.1) (Frosch et al. 2003, 2005). Die Aktivierung des phagozytären Systens bei SJIA spiegelt sich in einer ungewöhnlich hohen Serumkonzentration der kalziumbindenden Proteine S100A8, S100A9 und S100A12 wider, die in Phagozyten exprimiert und nach Aktivierung sezerniert werden. Dies geschieht in enger Korrelation zur klinischen Krankheitsaktivität der SJIA in einem Ausmaß, das bei keiner anderen rheumatischen Gelenk- oder Systemerkrankung zu finden ist (Frosch et al. 2003). Zur biologischen Funktion dieser S100-Proteine ist bekannt, dass sie selbst direkt proinflammatorische Effekte ausüben im Sinne einer Endothelaktivierung und einer verstärkten Leukozytenadhärenz (Roth et al. 2003).
Die beschriebenen immunologischen Charakteristika der Endothel- und Epithelaktivierung sowie Leukozyteninfiltration bilden sich im Stadium der klinischen Remission vollständig zurück (Frosch et al. 2005). ! Die Pathogenese der SJIA ist bestimmt durch eine Aktivierung des angeborenen Abwehrsystems mit proinflammatorisch aktiven neutrophilen Granulozyten und Monozyten, die sich in einer überschießenden Freisetzung von Interleukin-1 und kalziumbindenden S100-Proteinen widerspiegelt.
Zusammenfassend bestätigen diese genannten Untersuchungen zur SJIA die pathogenetische Bedeutung des angeborenen Abwehrsystems, gestützt durch aktuelle Therapieerfahrungen bei therapieresistenten Verläufen der SJIA.
5.3.6
Klinische Symptome
Die SJIA ist durch die klinische und diagnostische Trias von remittierendem Fieber, typischem Exanthem der Haut (sog. Rash) und Arthritis gekennzeichnet (. Tab. 5.4). Die systemischen Zeichen Fieber und Rash können der Arthritis über Wochen und Monate vorausgehen. Die Erkrankung beginnt in der Regel unter dem Bild des Fiebers unklarer Ursache. Der Nachweis der Arthritis wird allerdings nach den aktuellen Klassifikationskriterien der JIA für eine sichere Diagnosestellung zumindest im Rahmen von Studien gefordert (Petty et al. 1998, 2004).
. Abb. 5.1. Immunhistologie der Haut in akuter systemischer Krankheitsaktivität mit Fieber bei Patienten mit SJIA. Peroxidasefärbung nach Markierung gegen S100A9 (rot): deutliche Expression in Keratinozyten des Epithels und infiltrierenden Leukozyten (Monozyten und neutrophile Granulozyten) der Subkutis
Die Trias: Fieber, Exanthem und Arthritis Fieber Das herausragende klinische Zeichen, das die SJIA von allen anderen Verläufen der JIA unterscheidet, ist das rezidivierende Fieber. Mit Temperaturen bis über 40°C, werden die Fieberschübe typischerweise ein- bis zweimal am
. Tab. 5.4. Klinische Zeichen und aktuelle Krankheitskriterien der SJIA sowie ihre Häufigkeiten im Krankheitsverlauf. (Mod. nach Cassidy u. Petty 1995) Klinische Zeichen / Klassifikationskriterien
Häufigkeiten im Krankheitsverlauf [%]
Arthritis, oligo- oder polyartikulär
100a
Fieber, täglich, (mindestens 2 Wochen Dauerb)
100
und mindestens eines der folgenden extraartikulären, systemischen Allgemeinzeichen:
a b
Flüchtiges Exanthem der Haut
95
Generalisierte Lymphknotenschwellungen
70
Hepato- oder Splenomeglie
85
Serositis (Pleuritis, Perikarditis, abdominal)
10–35
Die Arthritis wird oft erst Wochen bis Monate nach Krankheitsbeginn objetivierbar. Als Klassifikationskriterium zu Krankheitsbeginn geforderte Dauer des Fiebers.
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
. Abb. 5.2. Fieberverlauf bei Patienten mit SJIA bei Erstmanifestation vor Therapiebeginn
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Tag beobachtet, meist am frühen Morgen oder späten Nachmittag bis Abend. Die Dauer beträgt etwa 1–3 Stunden, danach fällt das Fieber rasch spontan ab, imitiert also einen septischen Krankheitsverlauf (. Abb. 5.2). Während des Fiebers zeigen die Kinder deutliche Allgemeinzeichen mit Müdigkeit und Schmerzen, die sich mit dem Abfall des Fiebers häufig erstaunlich schnell zurückbilden, und die Patienten erscheinen zumindest in der Frühphase der Erkrankung zwischen den Fieberschüben relativ unbeeinträchtigt. Das Fieber wird durch nichtsteroidale Antirheumatika kaum im Spontanverlauf beeinflusst, deutlich jedoch durch die systemische Gabe von Steroiden.
13
Exanthem
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Arthritis Die Arthritis ist die dritte klinische und diagnostische Hauptmanifestation der SJIA (diagnostische Trias). Sie ist allerdings häufig in der Frühphase dieser Systemerkrankung nicht nachweisbar. Heute gilt nach internationalen Kriterien, dass die Diagnose der SJIA ohne Nachweis einer objektiven Arthritis, also ohne Nachweis einer syn-
Das zweite klinische Hauptcharakteristikum der SJIA ist ein Exanthem der Haut, das bei systemischer Aktivität, sowohl in der Frühphase vor Auftreten der Arthritiden als auch im akuten Rezidiv der Erkrankung mit dem Fieber assoziiert in Erscheinung tritt und mit der Fieberrückbildung abblasst oder sich vollständig zurückbildet. Das Exanthem besteht in zart-roten, 2–5 mm großen, unscharf begrenzten und teilweise konfluierenden Makulae und tritt am häufigsten am Stamm und den proximalen Extremitäten in Erscheinung (. Abb. 5.3). Die klinisch scheinbar nicht betroffene benachbarte Haut lässt sich innerhalb kurzer Zeit auf physikalische Reize (Reiben oder Kratzen) provozieren und zeigt dann ein ebensolches Exanthem (Köbner-Phänomen). Mitunter kann das Exanthem der SJIA an eine fieber-, oder medikamentenassoziierte schwache Urtikaria erinnern. Auch bei langjährigem Krankheitsverlauf der SJIA mit häufigen systemischen Rezidiven bildet sich die Hautmanifestation stets ohne chronisch-strukturelle Hautveränderungen zurück, im Gegensatz zur Hautbeteiligung bei anderen rheumatischen Systemerkrankungen wie der juvenilen Dermatomyositis oder dem systemischen Lupus erythematodes (SLE). . Abb. 5.3. Hautexanthem bei Erstmanifestation der SJIA vor Therapiebeginn
5.3 · Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
185
ovialen Entzündung, nicht abschließend gestellt werden kann (Petty et al. 2004). Die Arthritis kann insbesondere im Initialstadium oligoartikulär und asymmetrisch verlaufen, mündet jedoch bei chronisch-rezidivierender oder persistierender Entzündung in vielen Fällen in eine polyartikuläre Erkrankung. Typische Lokalisationen zu Beginn der SJIA sind die zervikale Wirbelsäule, die Handgelenke oder die Fußwurzel- und Sprunggelenke. Die Halswirbelsäulen- (HWS-)Beteiligung zeigt sich in Steifheit und Nackenschmerz, oft gefolgt von Extensions- und Rotationseinschränkung. Bei persistierender HWS-Manifestation droht die Entwicklung einer Ankylose der Dornfortsätze (. Abb. 5.4), die beispielsweise bei anästhesiologischen Eingriffen ein hohes Risiko darstellen, da sie eine Intubation auf üblichem Wege unmöglich machen kann. Bei langjährigem chronisch-therapieresistentem Verlauf der SJIA drohen schwere Komplikationen des Bewegungsapparates durch Gelenkdestruktionen überwiegend großer Gelenke wie Schulter, Hüfte und Kniegelenke, begleitet von Kontrakturen und Muskelatrophien, die bis zur Immobilisation führen können (. Abb. 5.5). ! Die klinische Trias aus remittierendem Fieber, Rash und Arthritis ist charakteristisch für die SJIA.
Extraartikuläre Organmanifestationen In Assoziation zum systemischen Entzündungsverlauf der SJIA kommt es gerade in der Frühphase der Erkrankung, in der intermittierende Fieberschübe über viele Wochen keine Seltenheit sind, zu zahlreichen anderen Organmanifestationen. Dazu zählen in erster Linie multilokuläre Lymphknotenschwellungen, Hepato- und Splenomegalie (. Tab. 5.4) sowie eine Anämie, oft mit Hämoglobinwerten um 6–10 g/dl (Cassidy u. Petty 1995). Im späteren Krankheitsverlauf der SJIA sind selbst bei chronisch-persistierender oder rezidivierender Entzündungsaktivität der Erkrankung Lymphadenopathie und Hepatosplenomegalie wesentlich seltener oder schwächer ausgeprägt. Histologisch zeigen diese Organe ausschließlich ein unspezifisches Entzündungsinfiltrat, so dass derartige Untersuchungen ausschließlich im Rahmen der Differenzialdiagnostik zum Ausschluss maligner Erkrankungen sinnvoll sind. Weniger häufig klinisch objektivierbar sind Serositiden, die sich als Pleuritis, Perikarditis oder abakterielle peritoneale Reizung mit Abdominalschmerzen äußern können (. Tab. 5.4). Diese genannten Organbeteiligungen können zu jedem Zeitpunkt des Erkrankungsverlaufs bei akuter oder chronischer Entzündung der SJIA in Erscheinung treten und zeigen in der Regel ein gutes Ansprechen auf eine systemische Steroidtherapie. Die rheumatische Myokarditis bei SJIA ist sehr viel seltener und nur in Einzelfällen beschrieben worden. Ihr Auftreten ist ebenfalls verbunden mit hoher Entzündungsaktivität der Erkrankung und verläuft als dilatative Kardi-
. Abb. 5.4. Ankylose der Dornfortsätze im Bereich der Halswirbelsäule bei SJIA
. Abb. 5.5. Hüftdestruktion bei SJIA, 5 Jahre nach Erkrankungsbeginn: Verschmälerung des Gelenkspaltes und Sklerosierung sowie Abflachung des Hüftkopfes links
omyopathie mit entsprechendem klinischem und echokardiografischem Erscheinungsbild. Bei Früherkennung dieser Organkomplikation kann man durch eine Hochdosis-Steroidtherapie (z. B. 2 mg/kg Körpergewicht pro Tag Prednisolon oder Methylprednisolon-Bolustherapie mit 25 mg/kg KG an drei aufeinander folgenden Tagen) eine Rückbildung erreichen. Deshalb ist bei jedem klinischen
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Verdacht wie präkordialem Schmerz, Tachydyspnoe oder unklarer Tachykardie bei aktiver SJIA eine kardiologische Diagnostik indiziert. Im Gegensatz zu anderen rheumatischen Systemerkrankungen des Kindes- und Jugendalters sind erkrankungsbedingte Manifestationen der SJIA an anderen Organen wie Lunge, Darm, zentralem Nervensystem, Auge oder Niere eine Rarität. Über eine passagere Pneumonitis bei SJIA wurde in Einzelfällen berichtet (Athreya et al. 1980), hepatische, gastrointestinale oder zentrale Manifestationen sind üblicherweise auf therapieassoziierte Komplikationen zurückzuführen. Eine Störung der glomerulären Nierenfunktion ist als kardinale Organkomplikation einer sekundären Amyloidose bei SJIA bekannt (7 Abschn. »Amyloidose«). Glomerulo- und Tubulopathien wiederum sind als Therapiekomplikationen unter der Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika und Immunsuppressiva bedeutsam, weshalb im Rahmen der Therapieüberwachung stets auf asymptomatische Proteinurie oder Erythrozyturie geachtet werden sollte. Im Gegensatz zu den übrigen Verlaufsformen der JIA ist eine Uveitis bei SJIA so selten (unter 1%), dass in diesen Fällen viel eher differenzialdiagnostisch eine juvenile Sarkoidose oder eine andere rheumatische System- oder Gelenkerkrankung in Betracht gezogen werden muss.
Sekundärkomplikationen Sekundärkomplikationen am Bewegungsapparat Sekundärkomplikationen des Bewegungsapparates bei chronisch aktivem Erkrankungsverlauf der SJIA über viele Jahre sind die Entwicklung von Ankylosen und Gelenkdestruktionen, die sich klinisch in meist schmerzhaften Bewegungseinschränkungen, Kontrakturen und Muskelatrophie äußern können. Typische Lokalisationen der SJIA am Bewegungsapparat betreffen die HWS, Schulter und Hüften. Bei langfristiger HWS-Manifestation kommt es zur Ankylose der Dornfortsätze mit permanenter Extensions- und Rotationseinschränkung (. Abb. 5.4). Eine mögliche zusätzliche Gefahr besteht in der Subluxation des Atlantoaxialgelenks. Beides bedeutet ein erhöhtes anästhesiologisches Risiko im Rahmen von Intubationsnarkosen. Die Schulterbeteiligung beginnt meist mit einer deutlichen Rotationsminderung sowie Atrophie der Rotatorenmanschette. Erosionen und Destruktionen des Humeruskopfes können eine erheblich schmerzhafte Einschränkung aller Bewegungsgrade und Subluxationsneigung der Schulter zur Folge haben. Die chronisch-persistierende Coxitis der SJIA äußert sich neben der sonografisch objektivierbaren Synovialhypertrophie und Ergussbildung langfristig in einer Verschmälerung des Gelenkspaltes durch Knorpeldestruktion. Die schmerzhaften Bewegungseinschränkungen sind in der Folge begleitet von einer radiologisch manifesten Sklerosierung und Abflachung des Femurkopfes, möglichen Protusio des Acetabulums oder Subluxation
der Hüfte (. Abb. 5.5). Die übrigen chronischen Gelenkmanifestationen der SJIA entsprechen denen der chronisch persistierenden polyartikulären JIA (7 Kap. 5.5). ! Destruktive Gelenkveränderungen bestimmen den Langzeitverlauf der SJIA bei chronisch-persistierender oder remittierender Erkrankungsaktivität.
Kleinwuchs Die verminderte Wachstumsgeschwindigkeit mit sekundärem Kleinwuchs ist eine häufig zu beobachtende Komplikation der SJIA. Ähnlich den Beeinträchtigungen am Bewegungsapparat mit eingeschränkter Mobilität bestimmt der Kleinwuchs in erheblichem Maße das Krankheitserleben und belastet die psychische und soziale Entwicklung der Kinder im Schul- und Jugendalter bei SJIA. Die Verminderung der Wachstumsgeschwindigkeit ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurück zu führen: 5 die hohe systemische Krankheitsaktvität, also häufig rezidivierender Verlauf mit Fieber oder persistierende Entzündung, sichtbar an kontinuierlich erhöhten laborchemischen Entzündungszeichen, und 5 die Steroidlangzeitbehandlung oberhalb einer Dosis von 0,2 mg/kg KG pro Tag bzw. 4 mg/m2 Körperoberfläche (Bechtold et al. 2003; Simon et al. 2002). . Abb. 5.6 verdeutlicht den unterschiedlichen Wachstumsverlauf bei SJIA in Abhängigkeit von Entzündungsaktivität und Therapie. Die chronische Entzündung verursacht je nach Ausmaß eine Protein-Energie-Malnutrition, die mit einer Reduktion der Muskelmasse (Sarkopenie) bei Umstellung des Proteinmetabolismus auf Produktion von Akut-Phase-Proteinen einhergeht. Dabei wird ein vermindertes Ansprechen auf IGF-1 (»insulin-like growth factor 1«) als wesentlichen Wachstumshormonmetaboliten beobachtet. Inwieweit die chronische Anämie zusätzliche ursächliche Bedeutung für die Kleinwuchsentwicklung hat oder diese ebenfalls nur eine Sekundärkomplikation der systemischen Erkrankungsaktivität darstellt, ist derzeit noch unklar. Behandlungsversuche mit Wachstumshormon können vorübergehend die Wachstumsgeschwindigkeit bei SJIA steigern (Bechtold et al. 2003; Simon et al. 2002), inwieweit jedoch langfristig die prospektive Endgröße signifikant gesteigert werden kann, ist bisher nicht belegt. Auch stellt das Wachstumshormon kein immunologisch inertes Molekül dar, weshalb die Kontrolle der Entzündungsaktivität im Vordergrund steht und die Behandlung mit Wachstumshormon aktuell nur Einzelfällen vorbehalten bleibt. Zu fordern ist hier eine prospektive Studie. ! Der sekundäre Kleinwuchs bei SJIA steht in erster Linie im Zusammenhang mit der systemischen Krankheitsaktivität und der Dosis der Steroidlangzeitbehandlung.
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5.3 · Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
Infektionen
. Abb. 5.6. Wachstumshemmung bei SJIA durch Krankheitsaktivität und Glucocorticoide. E Erkrankungsbeginn; P persistierende Entzündungsaktivität; A autologe Knochenmarktransplantation; R Rezidiv nach Transplantation
Anämie Die Anämie wird bei der SJIA – wie bei anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen – beobachtet, wenn über mehrere Wochen eine systemische Entzündungsaktivität des angeborenen Abwehrsystems fortbesteht. In gleichem Maße wie dabei eine Steigerung von Granulopoese und Thrombopoese besteht, kommt es zu einer Störung der Erythropoese. Die Anämie kann somit als Begleitphänomen der systemischen Erkrankungsaktivität aufgefasst werden. Im Gegensatz zur Anämie bei anderen rheumatischen Systemerkrankungen wie SLE handelt es sich nicht um eine antikörperassoziierte hämolytische, sondern hyporegeneratorische Anämie. Die Hämglobinwerte liegen bei aktiver SJIA durchschnittlich zwischen 6 und 10 mg/ dl. Die Anämie ist wesentliche Ursache zahlreicher allgemeiner Krankheitszeichen der SJIA wie Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Anorexie und gesteigerter Irritabilität. Die effektivste Behandlung der Anämie bei SJIA ist eine entzündungshemmende Behandlung, die langfristig erfolgreich die systemische Entzündung unterdrückt. Solange dies nicht gelingt, ist eine begleitende Eisensubstitution nicht sinnvoll, da primär der Einbau des Eisens gestört ist.
Infektionen besitzen im Erkrankungsverlauf der SJIA eine besondere Bedeutung, sowohl für die Differenzialdiagnose bei Erkrankungsbeginn, im Erkrankungsverlauf in der Abgrenzung zu akuten Rezidiven der SJIA, als Sekundärkomplikationen unter immunsuppressiver Therapie und als mögliche Ursache anderer Sekundärkomplikationen wie beispielsweise dem Makrophagenaktivierungssyndrom. Bei Erkrankungsbeginn in Unkenntnis der SJIA wird in der Regel unter dem klinischen Bild des Fiebers unklarer Genese eine umfangreiche Diagnostik bakterieller, viraler, mykotischer oder parasitärer Erkrankungen erfolgen. Nahezu alle Patienten erhalten vor Diagnosestellung aufgrund des septischen Fieberverlaufs und der laborchemischen Charakteristika des angeborenen Abwehrsystems mit Stimulation der Granulopoese unter der Vorstellung einer bakteriellen Infektionserkrankung eine antibiotische Therapie, die letztlich aber ineffektiv bleibt. Da jedes akute Rezidiv der rheumatischen Systemerkrankung ebenfalls von hohem Fieber begleitet ist und andere klinische Zeichen der Arthritis oder der Rash fehlen können, bleibt die wichtige Differenzialdiagnose, Infektionskomplikationen unter Immunsuppression oder Krankheitsaktivität der Grunderkrankung, ein fortwährendes klinisches Problem auch im Verlauf der SJIA. Gerade bei hoher systemischer Krankheitsaktivität sind langfristige immunsuppressive Kombinationsbehandlungen erforderlich, die wiederum das Risiko sowohl bakterieller, viraler sowie mykotischer Infektionen erhöhen. ! Infektionen sind eine wichtige Differenzialdiagnose, sowohl in der Frühphase als auch im Rezidiv der SJIA.
Trotzdem beobachten wir im Gegensatz zu anderen rheumatischen Systemerkrankungen unter immunsuppressiver Therapie, wie beispielsweise beim SLE, ein deutlich geringeres Auftreten vital bedrohlicher Infektionen, wie einer Aspergillose oder internen Manifestationen durch Viren der Herpesgruppe. Die Aktivität des angeborenen Abwehrsystems scheint bei SJIA nicht mit einer verminderten, sondern sogar mit einer gesteigerten Infektionsabwehr verbunden zu sein. Das gehäufte Auftreten von Infektionen bei SJIA ist nach unserer Beobachtung besonders in Form von Haut- und Schleimhautinfektionen, bakteriell und mykotisch, bei hoher Steroiddosis in der Langzeittherapie zu beobachten. Gerade unter dieser Therapie ist hier eine gezielte Aufklärung und Überwachung der Patienten erforderlich, und deshalb ist diese Behandlung zeitlich streng zu begrenzen. Prophylaktische antimikrobielle Therapien sind in der Regel auch unter kombinierter immunsuppressiver Therapie der SJIA nicht indiziert. Wichtiger bei unklaren Entzündungssymptomen ist eine gezielte mikrobiologische
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Diagnostik und ggf. Therapie einer nachgewiesenen Infektionserkrankung. In der Differenzialdiagnostik von Infektionserkrankung und Aktivität der SJIA könnten Entzündungsmarker hilfreich sein, die die Entzündungsaktivität der SJIA stärker repräsentieren als diejenigen einer akuten Infektion. Erste Beobachtungen zur Expression der kalziumbindenden S100-Proteine S100A8, S100A9 und S100A12 scheinen dies zu bestätigen (Frosch et al. 2003). Genauso wie Infektionskomplikationen als Auslöser akuter Reaktivierungen der SJIA betrachtet werden, wurde in Einzelfällen eine Remission der Erkrankung nach Infektionen beobachtet (Simpanen et al. 1977; Saulsbury 1999). Infektionen werden darüber hinaus auch als mögliche Auslöser weiterer Sekundärkomplikationen bei SJIA, wie beispielsweise dem Makrophagenaktivierungssyndrom, angesehen.
Makrophagenaktivierungssyndrom Beim Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) kommt es zu einer unkontrollierten Phagozytenaktivierung, die zu einer akuten Hämophagozytose führt. Diese Phagozytose kann innerhalb des Blutes oder des Knochenmarks stattfinden. Die Folge ist eine isolierte oder kombinierte Zytopenie, vor allem der Granulozyten und Thrombozyten. Klinisch ist dabei ein akut fieberhafter Krankheitsverlauf zu beobachten. Eine mögliche Beteiligung der Leber ist begleitet von einem Transaminasenanstieg, die des Nervensystems von Beeinträchtigungen der Vigilanz (Grom 2004). Neben der Zytopenie, im Gegensatz zur Leukound Thrombozytose des akuten Schubes der SJIA, ist eine signifikante Erhöhung des Serumferritins auf Werte über 10.000 mg/ml laborchemisch verdächtig für ein MAS. Beweisend, allerdings im Frühstadium des MAS nicht obligat nachweisbar, ist der mikroskopische Befund der Phagozytose eigener Zellreihen in Blut, Knochenmark oder Biopsiematerial. Bekannte Auslöser bei SJIA sind verschiedene Virusinfektionen bei gleichzeitiger Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika, die Frühphase nach autologer Knochenmarktransplantation, möglicherweise auch medikamentöse Therapien der SJIA (Grom 2004; Stephan et al. 2001). Das MAS ist eine vital bedrohliche Komplikation, therapeutisch werden hoch dosierte Steroide als Methylprednisolon-Pulstherapie und die Behandlung mit Ciclosporin A empfohlen (Mouy et al. 1996).
Amyloidose
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Die Amyloidose ist eine Proteinspeicherkrankheit, hervorgerufen durch die Ablagerung von polymeren Amyloidfibrillen in der extrazellulären Matrix parenchymatöser Organe oder der Gefäßwände. Prädisponierend für eine sekundäre Amyloidose sind Grunderkrankungen mit
chronisch-persistierender Entzündungsaktivität des angeborenen Abwehrsystems, wie chronisch-persistierende Infektionen (in früheren Jahrzehnten am häufigsten bei aktiver Tuberkulose), Neoplasien, periodische Fiebersyndrome oder beispielsweise die SJIA. Serumamyloid ist das Vorläuferprotein und wird auch bei Gesunden wie andere sog. Akut-Phase-Proteine auf Zytokinstimulation, vor allem durch IL-6, in Hepatozyten gebildet. Neben chronischer Entzündungsaktivität könnten als Risikofaktoren für die Ausbildung der Amyloidose auch bestimmte medikamentöse Behandlungen oder genetische Faktoren mitbestimmend sein. So wird die sekundäre Amyloidose bei SJIA in den USA deutlich seltener beobachtet als in Mitteleuropa und hier wiederum seltener als in Osteuropa (Woo 1994). Die pathologische Amyloidablagerung bedingt in den Glomerula der Niere eine Störung der Filterfunktion mit Entwicklung einer pathologischen Proteinurie, nephrotischem Syndrom und schließlich Niereninsuffizienz. Die Darmbeteiligung ist Ursache für Malassimilation bis zur Kachexie und chronische, häufig blutige Diarrhoe. Die Manifestation am kardiovaskulären System kann zu akuten Gefäßrupturen oder Kardiomyopathie führen. Die Amyloidose als sekundäre Komplikation der SJIA ist somit auch heutzutage eine vital bedrohliche Erkrankung (Woo 1994). In Einzelfällen gelingt es allerdings unter konsequenter und effektiver Immunsuppression, ggf. auch mittels Einsatz alkylierender Substanzen, eine Rückbildung der Glomerulopathie mit Erhalt einer normalen Nierenfunktion zu erreichen (Woo 1994). Bei fehlenden kardiovaskulären und gastrointestinalen Komplikationen der Amyloidose stellt diese im Stadium der terminalen Niereninsuffizienz keine grundsätzliche Kontraindikation zur Nierentransplantation dar. Bei Rezidiven der SJIA nach Transplantation besteht jedoch die Gefahr des Amyloidrezidivs im Transplantat.
Therapieassoziierte Sekundärkomplikationen Sekundärkomplikationen durch die antientzündliche Behandlung sind so vielfältig wie der Einsatz der verschiedensten Medikamente und nichtmedikamentösen Behandlungsverfahren (beispielsweise autologe Knochenmarktransplantation), die in den vergangen Jahren einem immer stärker werdenden Wandel unterliegen. Deshalb kann in diesem Kapitel nur grundsätzlich und ausschnittsweise auf wesentliche Aspekte dieser Problematik aufmerksam gemacht werden. In der medikamentösen Behandlung sind an Sekundärkomplikationen je nach Behandlungsform unterschiedliche Risiken bekannt. Dabei sind grundsätzliche Unterschiede in der Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika, Steroiden und sog. Immunsuppressiva oder langwirksamen Antirheumatika zu beachten. Neben den Risiken der Medikamente durch ihren Wirkmechanismus, beispielsweise die Infektionsgefährdung durch Ent-
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5.3 · Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
zündungshemmung, sind Nebenwirkungen durch den Metabolismus, etwa hepato-, nephro- oder hämatotoxische Wirkungen zu erwähnen. Auch Wirkungen an anderen Organsystemen oder z. T. unbekannte Risiken in der Langzeitbehandlung wie ein mögliches kanzerogenes Risiko, Infertilität oder Wachstumshemmung sind zu differenzieren. In der Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika sind in erster Linie Sekundärkomplikationen zu beachten, die mit ihrem Wirkmechanismus als Prostaglandinsynthesehemmer erklärbar sind. Dazu zählen sowohl die Störungen der Verträglichkeit mit Kopfschmerzen und gastrointestinalen Symptomen, aber auch mögliche hepatische oder renale Nebenwirkungen an Glomerula oder Tubuli. Die Probleme der Steroidtherapie, insbesondere in der Hochdosisbehandlung, vor allem mit Cushing-Syndrom, und in der Langzeittherapie mit Infektionsgefahr und Wachstumshemmung, sind hinreichend bekannt und werden in 7 Kap. 4.2 ausführlich dargestellt. Die Hochdosisbehandlung mit Steroiden sollte deshalb akuten Rezidiven vorbehalten bleiben. In der Langzeittherapie muss deshalb eine sog. Low-dose-Therapie angestrebt werden. Die Behandlung mit langwirksamen Antirheumatika und Immunsuppressiva ist neben medikamententypischen metabolischen Risiken grundsätzlich mit einer erhöhten Neigung zu Infektionskomplikationen verbunden. Inwieweit Langzeitrisiken wie Wachstumshemmung oder Kanzerogenität auch bei bestimmungsgemäßen Gebrauch für diese Medikamentengruppe bestehen, ist bislang nicht abschließend geklärt, das Risiko dürfte aber eher gering sein. Demgegenüber ist für den Einsatz mit Alkylanzien eine kumulative Dosisabhängigkeit für eine mögliche Infertilität und die Entwicklung maligner Erkrankungen bekannt. Langfristige Erfahrungen mit zahlreichen Zytokinantagonisten wie TNF- oder IL-1-Blockade in der Behandlung der SJIA bestehen bisher nicht. Deshalb ist hier neben einer generellen Zurückhaltung in der Anwendung die Etablierung von Therapieregistern zur Beurteilung der Effektivität sowie Sekundärkomplikationen sehr zu begrüßen (Horneff et al. 2004). Die hohen Krankheitskomplikationen der SJIA bei langjährigem therapieresistentem Verlauf haben zur Entwicklung neuer Behandlungskonzepte für ausgewählte Patienten, wie der autologen Knochenmarktransplantation (ABMT) geführt, die allerdings mit relevanten Risiken für Morbidität und Mortalität verknüpft sind (Wulffraat et al. 2003). Konditionierung und mehrmonatige Lymphozytopenie bedingen zumindest vorübergehend ein erhebliches Infektionsrisiko entsprechend den anderen Formen der Knochenmarktransplantation. Auch die Entwicklung eines Makrophagenaktivierungssyndroms wurde in der Posttransplantationsphase beobachtet.
5.3.7
Diagnose
Bis heute ist die SJIA eine klinische Diagnose, bestimmt durch die gezielte Suche und den Nachweis der Trias: intermittierendes Fieber, das charakteristische Exanthem der Haut und die Oligo- oder Polyarthritis. Eine gute Diagnosesicherung ist zum einen Voraussetzung für die Vermeidung unkritischer antientzündlicher Therapien mit Steroiden und Immunsuppressiva. Zum anderen erfordert der individuelle klinische Verlauf mit bedrohlichen Allgemeinzeichen oder Organmanifestationen eine gezielte frühzeitige antientzündliche Therapie. Die Vermeidung von Sekundär- und Langzeitkomplikationen macht deshalb auch bei der SJIA eine Therapieentscheidung vielfach schon dann erforderlich, wenn systemische Manifestationen die Erkrankung bestimmen und die Arthritis noch nicht nachweisbar ist. In diesem diagnostischen Dilemma der Frühphase kommt der Suche nach krankheitstypischen Entzündungsmarkern oder Organmanifestationen, wie in 7 5.3.5 beschrieben, zunehmende Bedeutung zu. Hier könnten sich zukünftig durch die Bestimmung der phagozytenspezifischen S100-Proteine im Serum Perspektiven für eine objektive Frühdiagnose ergeben (Frosch et al. 2003, 2005). Die vorliegenden Daten sind allerdings noch nicht an größeren Patientengruppen geprüft und gelten deshalb bisher nicht als gesicherte Diagnosekriterien. Die Diagnose der SJIA bereitet insbesondere deshalb große Probleme, weil diese Systemerkrankung ausschließlich durch eine unkontrollierte Aktivierung des angeborenen Abwehrsystems gekennzeichnet ist. Differenzialdiagnostisch relevante Autoimmunphänomene der erworbenen Abwehr wie krankheitstypische Autoantikörper werden bei der SJIA gänzlich vermisst. Auch krankheitstypische extraartikuläre Organmanifestationen außer der Haut und der unspezifischen Lymphadenopathie werden nicht beobachtet. Die laborchemischen Veränderungen beschränken sich auf eine deutliche Leuko- und Granulozytose sowie Thrombozytose, sekundär sind Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und C-reaktives Protein (CRP) im Serum erhöht, es entwickelt sich eine hyporegeneratorische Anämie. Die Zytokinprofile des Serums zeigen keine krankheitsspezifischen Veränderungen (Yilmaz et al. 2001). Das Serumferritin ist zwar erhöht, aber im Kindesalter nur beim MAS so weit, dass es in dieser Situation differenzialdiagnostisch genutzt werden kann (Stephan et al. 2001; Ravelli 2002). Bildgebende Untersuchungen können die Arthritis oder Lymphadenopathie objektivieren. Bei Krankheitsbeginn besteht in der Regel die Situation des Fiebers unklarer Ursache. Hier sind in der Differenzialdiagnostik insbesondere der Ausschluss zahlreicher Infektionserkrankungen und maligner Erkrankungen von Bedeutung. Vor allem vor Beginn einer Steroidtherapie ist bei fehlendem Nachweis einer Arthritis der Ausschluss
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
einer Leukämie, ggf. auch eines Lymphoms oder Neuroblastoms durch entsprechende Untersuchungen zu fordern. Neben anderen rheumatischen oder autoimmunen Organ- bzw. Systemerkrankungen umfasst die Differenzialdiagnose auch periodische Fiebersyndrome, für die bei entsprechender Klinik heute molekulargenetische Untersuchungsmethoden zur Verfügung stehen. ! Die Diagnose der SJIA wird klinisch gestellt, der Kranheitsbeginn ist gekennzeichnet durch die Differenzialdiagnose Fieber unklarer Ursache.
Bereits die hier geschilderten Besonderheiten der Diagnose und Differenzialdiagnose der SJIA belegen, dass zur Diagnose vor Entscheidung einer antientzündlichen Therapie, insbesondere bei Verläufen ohne frühen Nachweis einer Arthritis, kinder- und jugendrheumatologische Zentren hinzugezogen werden sollten.
Exkurs Patienten, die nach sorgfältiger Differenzialdiagnostik in der Frühphase der SJIA ausschließlich das typische Fieber und Hautexanthem, jedoch keine Arthritis zeigten, wurden in Deutschland früher unter dem Begriff »Subsepsis allergica« zusammengefasst. Ein Teil dieser Patienten zeigt unter antientzündlicher Therapie einen monophasischen Krankheitsverlauf mit guter Prognose, andere münden in eine typische SJIA. Inwieweit diese Patienten mit »Verdacht auf SJIA«, die keine objektive Arthritis entwickeln, eine besondere Verlaufsform darstellen, bleibt unklar. Immer wieder werden in Einzelfällen Patienten mit Fieber unklarer Genese beobachtet, bei denen keine diagnostische Zuordnung gelingt und es zur spontanen Rückbildung der Symptomatik kommt.
5.3.8 > 5 Bei Erkrankungsbeginn ist in der Regel eine umfangreiche Differenzialdiagnostik beim klinischen Bild: »Fieber unklarer Genese« erforderlich. 5 Bei der SJIA werden typische Fieberschübe, ein- bis zweimal am Tag, für die Dauer von etwa 1–3 h beobachtet. 5 Insbesondere im Fieberschub ist eine gezielte klinische Untersuchung der Kinder hilfreich: Suche nach dem charakteristischen Exanthem der Haut (ggf. mit Köbner-Phänomen), gezielte klinische Gelenkdiagnostik zur Objektivierung einer Synovialitis (ggf. mit Einsatz bildgebender Verfahren). 5 Die häufigste Differenzialdiagnose stellen Infektionen dar. Diese erfordern eine umfangreiche Lokalisationsund Erregerdiagnostik auf Bakterien, Viren, Pilze und Protozoen. 5 Bei fehlendem Infektionsnachweis muss die Diagnostik andere Autoimmunerkrankungen abgrenzen, z. B. systemischer Lupus erythemathodes, Vaskulitiden, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Sarkoidose, chronisch rekurrierende mulifokale Osteomyelitis (CRMO). 5 Die Diagnostik muss vor dem Einsatz einer antientzündlichen Therapie Neoplasien in Betracht ziehen bzw. ausschließen, insbesondere Leukämien, Lymphome und das Neuroblastom. 5 Die Differenzialdiagnostik des Fiebers unklarer Genese umfasst daneben auch andere seltene Erkrankungen, z. B. periodische Fiebersyndrome.
Therapie
Medikamentöse Therapie Grundsätze der medikamentösen Therapie der SJIA Die medikamentöse Behandlung der SJIA hat das Ziel, die unkontrollierte systemische und lokale Entzündungsaktivität der Erkrankung zu unterdrücken, um möglichst eine Remission der Erkrankung zu erzielen und so Langzeitkomplikationen zu vermeiden (7 5.3.6, Abschn. »Sekundärkomplikationen«). Darüber hinaus kann diese Behandlung dazu dienen, die Krankheitssymptome wie intermittierendes Fieber, andere Allgemeinzeichen der Entzündung und Schmerzen sowie Bewegungseinschränkungen am Bewegungsapparat zu minimieren. Da eine eindeutige Ätiologie der SJIA nicht bekannt ist, bleibt die Therapie letztlich symptomatisch. Intensität und Dauer der Behandlung werden somit von der Krankheitsaktivität und dem Entzündungsverlauf bestimmt. Da die Behandlung der SJIA oft über viele Jahre bis Jahrzehnte erforderlich ist, wird der Einsatz der Medikamente auch von ihrer Verträglichkeit beeinflusst. Insbesondere bei chronischpersistierender Krankheitsaktivität oder häufig rezidivierendem Erkrankungsverlauf wird zur Vermeidung von Steroidlangzeitnebenwirkungen ein kombinierter Einsatz von Langzeitantirheumatika oder Immunsuppressiva oder bei deren Therapieversagen von sog. Zytokinantagonisten notwendig sein. Andererseits liegen nur für wenige Kombinationstherapien evidenzbasierte Daten vor. Therapieresistente Verläufe der SJIA unter Steroid-, Methotrexat- und Etanercept-Therapie werden je nach Zentrum bei bis zu 50% der Patienten beobachtet. In diesen Fällen erfordert der klinische Verlauf nicht selten den Einsatz bislang nicht für diese Indikation zugelassener Medikamente oder Kombinationen, was mit allen rechtlichen Konsequenzen des »off-label use« in der Behandlung der SJIA verbunden ist.
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5.3 · Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
Die große Zahl neu entwickelter Immunsuppressiva, Antirheumatika und sog. Biologika hat dazu geführt, dass diese auch bei therapieresistenter SJIA zum Einsatz kommen. Inwieweit erste Therapieerfolge bei wenigen Patienten grundsätzlich den Langzeitverlauf der SJIA bei einer großen Gruppe von Patienten sinnvoll beeinflussen können, Langzeitremissionen zu erzielen sind, Sekundärkomplikationen signifikant gemindert werden können oder therapie-assoziierte Risiken damit verbunden sind, ist deshalb vielfach noch nicht bekannt. Therapieempfehlungen der SJIA sind somit kontinuierlichen Veränderungen unterworfen. Deshalb kann dieser Beitrag nur den aktuellen Kenntnisstand zusammenfassen. Standardisierte Behandlungsprotokolle für die SJIA existieren bisher nicht, deshalb muss eine Festlegung über Auswahl, Dosis und Dauer einer antientzündlichen Therapie individuell erfolgen. Basierend auf den bislang veröffentlichen Therapiestudien zur JIA und SJIA fasst . Tab. 5.5 für die verschiedenen Medikamente das aktuelle Evidenzniveau zusammen. Die meisten Patienten erhalten Kombinationsbehandlungen verschiedener antientzündlicher Substanzen, diesbezüglich existieren keine kontrollierten Daten in der Literatur.
Nichtsteroidale Antirheumatika Nichtsteroidale Antirheumatika werden zur symptomatischen Behandlung der aktiven Arthritis auch bei SJIA
eingesetzt und können hier in Kombination zur übrigen systemischen antientzündlichen Behandlung Anwendung finden. Isoliert haben sie jedoch wenig Bedeutung in der Therapie der SJIA.
Glucocorticoidtherapie Akute Erkrankungsphasen der SJIA mit hoher systemischer Aktivität, sichtbar an Fieberschüben und hohen laborchemischen Entzündungsparametern (BSG, CRP, Leukozytose) sind die Domäne der Steroidtherapie. In diesen Fällen, also in der Frühphase der Erkrankung und bei akuten Rezidiven, sind in der Regel Hochdosistherapien als Methylprednisolon-Pulse (10–20 mg/kg KG und Tag, maximal 1 g über jeweils 3 Tage) oder eine orale Therapie mit 2 mg/kg KG und Tag in 3 Einzeldosen erforderlich, um die Entzündung erfolgreich zu behandeln. Sind systemische, klinische und laborchemische Entzündungszeichen normalisiert, kann eine sukzessive Reduktion der Steroidbehandlung erfolgen. Ziel ist eine Dauertherapie unterhalb der sog. Cushing-Schwelle. Bei akuter Arthritis einzelner Gelenke kann in Einzelfällen bei SJIA, ähnlich den Erfahrungen bei den übrigen Verläufen der JIA, eine intraartikuläre Behandlung mit Steroiden, am ehesten Triamcinolonhexacetonid, erfolgen (Cleary et al. 2003). Eine Lokaltherapie ersetzt jedoch insbesondere bei SJIA keine systemische antientzündliche Behandlung bei hoher systemischer Erkrankungsaktivität, da sonst mit einer großen Zahl von ineffektiven Lokalbe-
. Tab. 5.5. Die Therapie der SJIA – derzeitiger Stand nach EBM-Kriterien Mediaktion/Therapieform
Höchstes Evidenzniveau nach EBM
EBM-Klassifikation
Literatur
Steroide systemisch
Deskriptive Studien, Expertenmeinung
III
Woo et al. 1998
Steroide lokal
Fall-Kontroll- Studien
III
Cleary et al. 2003 Breit et al. 2000
Methotrexat
Randomisiert, placebokontrolliert
Ib
Woo et al. 2000 Ruperto et al. 2004
Azathioprin
Randomisiert, placebokontrolliert
Ib
Savolainen et al. 1997 Kvien et al. 1986
Ciclosporin A
Deskriptive, nichtkontrollierte Studie
III
Ravelli et al. 2002
TNF-Blockade
Nichtkontrollierte, experimentelle Studie
IIb
Quartier et al. 2003
IL-1-Blockade
Falldarstellungen
III
Pascual et al. 2005 Verbsky et al. 2004
IL-6-Rezeptor-Antikörper
Falldarstellungen
III
Yakota et al. 2005
Cyclophosphamid
Falldarstellungen
III
Wallace u. Sherry 1997
ABMT
Nichtkontrollierte, experimentelle Studie
IIb
Wulffraat et al. 2003 de Kleer et al. 2004
TNF Tumor-Nekrose-Faktor; IL-1 Interleukin-1; ABMT autologe Knochenmarktransplantation.
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
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handlungen oder frühen Rezidiven der Arthritis gerechnet werden muss (Breit et al. 2000).
2
Langwirksame Antirheumatika
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Bei ineffektiver Entzündungsunterdrückung bereits in der Reduktion der systemischen Glucocorticoidbehandlung wird die Steroidmonotherapie durch eine Kombination mit einem langwirksamen Antirheumatikum ergänzt. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich hier die Behandlung mit Methotrexat durchgesetzt (Woo et al. 2000; Ruperto et al. 2004; Speckmaier et al. 1989, . Tab. 5.5). Methotrexat gilt im klinischen Alltag, bestätigt durch Therapiestudien der vergangenen Jahre, als das langwirksame Antirheumatikum der ersten Wahl in der Behandlung der SJIA (Woo et al. 2000; Ruperto et al. 2004). Bei oraler Therapie wird eine Dosis von 10–15 mg/m2 KOF pro Woche empfohlen. Bei unzureichendem Effekt sollte auf eine parenterale Behandlung, üblicherweise subkutan, in einer Dosis von 15–20 mg/m2 KOF pro Woche umgestellt werden (Ruperto et al. 2004). In den früheren Jahrzehnten wurden in dieser Situation Medikamente wie Goldsalze oder D-Penicillamin benutzt. Ihr hohes Nebenwirkungsrisiko hat dazu geführt, dass diese Substanzen nicht mehr in der Standardbehandlung der SJIA Anwendung finden. Gerade für die am stärksten therapieresistente Gruppe der SJIA existieren kaum mehr gesicherte Daten über weitere effektive Behandlungsformen. In diesen Fällen werden Kombinationstherapien mit Azathioprin, Ciclosporin A und anderen Immunsuppressiva durchgeführt (Salvolainen et al. 1997; Kvien et al. 1986; Ravelli et al. 2002). Zumindest für Azathioprin existiert eine kontrollierte Studie, die insbesondere den steroidsparenden Effekt als wesentlichen Vorteil dieser Therapie belegt (Kvien et al. 1986, . Tab. 5.5).
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Andere Kombinationstherapien, Biologika
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Kommt es unter einer Kombinationstherapie von Steroiden und Methotrexat (bei parenteraler Behandlung in Dosierungen bis zu 15–20 mg/m2 KOF und Woche) oder der Kombination mit anderen Langzeitantirheumatika zu einer Reaktivierung oder persistierenden Entzündung der SJIA, wird bislang die zusätzliche Kombination mit einem Tumor-Nekrose-Faktor-α- (TNF-α)-Blocker empfohlen. In Deutschland zugelassen ist aktuell die Behandlung der SJIA mit Etanercept, die Zulassung für Infliximab wird erwartet. In etwa der Hälfte der Fälle der SJIA kann mit diesen etablierten Behandlungsverfahren eine Remission erzielt werden. Leider zeigen die Patienten mit SJIA, die unter der Behandlung mit Steroiden und Methotrexat eine persistierende Krankheitsaktivität bieten und zusätzlich den TNF-α-Blocker Etanercept erhalten, gegenüber anderen Verläufen der JIA das geringste Therapieansprechen mit unverändert persistierender Erkrankungsaktivität mit
cirka 70% der so behandelten Patienten (Quartier et al. 2003). Erste Behandlungsversuche der vergangenen Jahre mit dem Interleukin-1-Antagonisten scheinen bei bislang therapieresistenten Verläufen der SJIA, auch nach Rezidiven im Anschluss an eine autologe Knochenmarktransplantation (ABMT), erfolgversprechend und sind Anlass für künftige Therapiestudien (Pascual et al. 2005; Verbsky u. White 2004). Die wenigen publizierten Daten lassen jedoch einen Behandlungsversuch sinnvoll erscheinen, bevor man eine ABMT in Betracht zieht. Die Erfahrungen zur pathophysiologischen Bedeutung von IL-6 bei SJIA führten zum bisher experimentellen, unkontrollierten Einsatz eines IL-6-Rezeptor-Antikörpers mit erfolgreicher Rückbildung von systemischen Krankheitszeichen (Yokota et al. 2005). Auch hier stehen derzeit kontrollierte Therapiestudien zur Klärung des Stellenwertes der Antizytokintherapie noch aus.
Alkylanzien Der Einsatz von Alkylanzien, z. B. Cyclophosphamid, wird bisher bei SJIA erst beim Nachweis einer Amyloidose empfohlen, da mit ernsthaften Langzeitnebenwirkungen beim Überschreiten einer kumulativen Grenzdosis gerechnet werden muss. Ob ihr systematischer Einsatz bereits in früheren Phasen der Erkrankung sinnvoll sein kann und mit dem Vorteil einer größeren Remissionswahrscheinlichkeit oder minimierten Langzeitrisiken der Erkrankung verbunden wäre, ist bislang unklar (Wallace u. Sherry 1997).
Nichtmedikamentöse Behandlungsverfahren Autologe Knochenmarktransplantation Die regelmäßige Entwicklung erheblicher Erkrankungskomplikationen bei therapieresistenten Verläufen der SJIA hat dazu geführt, dass vor wenigen Jahren für die SJIA als erster Autoimmunerkrankung im Kindesalter ein internationales Behandlungsprotokoll zur autologen Knochenmarktransplantation (ABMT) entwickelt wurde (Wulffraat et al. 2003). Diese Behandlung kann für bestimmte Patienten eine deutliche Verbesserung oder Remission bedeuten, Rezidive werden bislang bei 28% beobachtet (Wulffraat et al. 2003). Außerdem hat diese Behandlung ein relevantes Risiko für Morbidität und Mortalität und bleibt daher zurzeit ausgewählten Einzelfällen mit sehr schlechter Prognose unter konventioneller Therapie vorbehalten (de Kleer et al. 2004).
Funktionelle Gelenktherapie Die funktionelle Gelenktherapie durch Physiotherapie und Ergotherapie sowie der Einsatz sinnvoller Hilfsmittel besitzt in der Behandlung der Arthritis bei SJIA ebensolche Bedeutung wie bei den übrigen Verlaufsformen der JIA (s. dort).
193
5.3 · Systemische Verlaufsform (Morbus Still)
Multidisziplinäres Team der Behandlung Der chronische Krankheitsverlauf der SJIA ist bei vielen Patienten mit erheblichen Einschränkungen in sozialem Umfeld, Schule und Freizeit verbunden. Deshalb ist hier eine multidisziplinäre Begleitung unter Einbeziehung von Physiotherapeuten, psychosozialen Fachleuten, Pädagogen und Ärzten in Zusammenarbeit mit Patient und Familie gefordert, um ein individuell optimiertes Behandlungskonzept zu entwickeln und dieses stets an die Krankheitsentwicklung anzupassen (Woo u. Wedderburn 1998). Die Behandlung des therapieresistenten Verlaufs der SJIA zählt zu den größten Herausforderungen der Kinderund Jugendrheumatologie und muss das Ziel zukünftig verbesserter Therapieentwicklungen zur Optimierung in Effektivität und Therapiesicherheit verfolgen. > Praktisches Vorgehen: 5 Start der antientzündlichen Therapie in der Frühphase und bei systemischen Rezidiven mit Glucocorticoiden: – In der Regel beginnend als sog. Hochdosistherapie mit 2 mg/kg KG Prednisolon-Äquivalent in 3 Einzeldosen pro Tag oder MethylprednisolonPulse mit 10–20 mg/kg KG und Tag, maximal 1 g pro Gabe, über jeweils 3 Tage. – Nach klinischem Ansprechen Reduktion der Dosis in etwa wöchentlichen Abständen um 10–20% bis zur sog. Cushing-Schwelle. 5 Bei Reaktivierung der SJIA in der Reduktionsphase der Glucocorticoidtherapie oder bei systemischen Rezidiven unter Steroidmonotherapie ist eine Kombination mit einem langwirksamen Antirheumatikum indiziert, z. B. Methotrexat, 10–15 mg/m2 KOF oral oder 10–20 mg/m2 KOF parenteral. 5 Bei therapieresistenten Verläufen der SJIA unter Steroid- und MTX-Kombination muss die Therapieerweiterung mit einem anderen Langzeitantirheumatikum oder einem TNF-α-Blocker erwogen werden. 5 Therapien mit anderen Zytokinantagonisten oder die autologe Knochenmarktransplantation bleiben derzeit ausgewählten Einzelfällen vorbehalten. Hier existieren keine allgemeingültigen Empfehlungen oder Behandlungszulassungen. 5 Die Behandlung mit Alkylanzien wird derzeit erst beim Nachweis einer Amyloidose empfohlen. 5 Die medikamentöse Therapie sollte durch eine funktionelle Gelenktherapie und individuell angepasste multidisziplinäre Begleitung ergänzt werden.
5.3.9
Prognose
Etwa die Hälfte der Patienten mit SJIA erreicht durch die Behandlung mit Steroiden, Methotrexat und anderen langwirksamen Antirheumatika eine stabile Remission, so dass Langzeitkomplikationen vermieden werden kön-
nen. Bei diesen Patienten ist eine Beendigung der medikamentösen Behandlung nach sukzessiver Reduktion der antientzündlichen Therapie möglich und die langfristige Prognose gut. Eine große Gruppe der SJIA-Patienten zeigt unter den bisher bekannten Behandlungsregimen leider einen therapieresistenten Verlauf der Erkrankung. In diesen Fällen drohen nach mehreren Jahren einer chronisch aktiven oder remitterenden Erkrankung die erheblichen Sekundärkomplikationen, die unter 7 5.3.6, Abschn. »Sekundärkomplikationen« ausführlich dargestellt werden. Auch wenn im Krankheitsverlauf der SJIA in der Adoleszenz oder im Erwachsenenalter die systemischen Krankheitszeichen gegenüber der Polyarthritis an Intensität zurücktreten, wird der Langzeitverlauf dieser Patienten bestimmt durch Gelenkdestruktionen mit allen Folgen für Schmerzen, Mobilitätsstörungen und funktionellen Einschränkungen in Alltag, Schule und Beruf. Der sekundäre Kleinwuchs bedeutet für viele Patienten eine erhebliche psychische Belastung. Die Gefahr der sekundären Amyloidose stellt einen zusätzlichen Risikofaktor für den Langzeitverlauf der SJIA dar. Ziel zukünftiger Bemühungen ist deshalb die frühe Erfassung von Risikofaktoren für einen therapieresistenten Erkrankungsverlauf und die frühe Induktion einer stabilen Remission unter Einbeziehung gezielter antientzündlicher Therapien (Woo u. Wedderburn 1998).
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
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5.4
Oligoartikuläre Verlaufsform
G. Ganser, K. Minden
5.4.1
Definition
Die Oligoarthritis (OA) ist eine Form der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA), d. h. der chronischen Gelenkentzündung im Kindesalter. Entsprechend der Klassifikation der International League of Associations for Rheumatology (ILAR) wird sie als Arthritis unklarer Ursache an einem bis maximal 4 Gelenken von mindestens 6 Wochen Dauer bei einem Kind <16 Jahre definiert (Petty et al. 2004). Bleibt im Krankheitsverlauf, d. h. nach den ersten 6 Erkrankungsmonaten, die Zahl der kumulativ betroffenen Gelenke auf maximal 4 beschränkt, bezeichnet man die OA als persistierend. Sind jedoch nach mehr als 6 Monaten 5 und mehr Gelenke in den rheumatischen Entzündungsprozess einbezogen, bezeichnet man sie als erweiterte oder extended OA. ! 5 Oligoarthrits: maximal 4 Gelenke innerhalb der ersten 6 Erkrankungsmonate betroffen 5 Subkategorien: – Persistierende Oligoarthritis: im Krankheitsverlauf (>6 Monate) kumulativ maximal 4 Gelenke betroffen – Erweiterte Form der Oligoarthritis: im Krankheitsverlauf (>6 Monate) kumulativ 5 und mehr Gelenke betroffen
195
5.4 · Oligoartikuläre Verlaufsform
5.4.2
Häufigkeit
Die Oligoarthritis ist in Europa und Nordamerika die häufigste Form des Gelenkrheumas im Kindesalter. In europäischen Bevölkerungen weisen über 50% aller neu an einer JIA erkrankten Kinder eine Oligoarthritis auf. Eine Inzidenz von etwa 5/100.000 Kinder unter 16 Jahren kann angenommen werden. Selten tritt sie hingegen in nichteuropäischen Populationen, z. B. in afrikanischen oder asiatischen Regionen bzw. bei Afroamerikanern oder kanadischen Ureinwohnern, auf. Die OA tritt am häufigsten im Kleinkindalter auf, der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr. Mädchen erkranken etwa 4- bis 5-mal häufiger als Jungen. ! Die Oligoarthritis ist in unseren Breiten die häufigste Form der juvenilen idiopathischen Arthritis. Sie tritt bevorzugt bei Mädchen auf.
5.4.3
Klassifikation
Die Klassifikation der OA erfolgt heute weitgehend nach den ILAR-Kriterien (7 Kap. 5.1). Diese neue Klassifikation birgt gerade im Hinblick auf die Gruppe der Patienten mit oligoartikulärem Gelenkbefall Vorteile. Mit ihr wird nicht nur die Beginnform der Arthritis, sondern auch deren Verlauf berücksichtigt, was in früheren Klassifikationen des American College for Rheumatology (ACR) (Brewer et al. 1977) bzw. der European League against Rheumatism (EULAR) (Wood 1978) nicht der Fall war. So wird die Oligoarthritis entsprechend ihres Verlaufes in zwei Subkategorien eingeteilt: die persistierende und die erweiterte Form der OA. Das ist vernünftig, weil sich beide Subkategorien immungenetisch und prognostisch voneinander unterscheiden. Damit wird auch dem Primärbestreben der ILAR-Klassifikation Rechnung getragen, Patienten in möglichst homogene Krankheitsgruppen einzuordnen und dabei gleichzeitig der Heterogenität der Erkrankung gerecht zu werden. Die Klassifikation der OA erfolgt auch anhand der ILAR-Kriterien entsprechend des Gelenkbefalls innerhalb der ersten 6 Erkrankungsmonate. Die Festlegung auf maximal 4 betroffene Gelenke ist eine willkürliche und entspricht OA-Definitionen bisheriger Klassifikationen. In den früheren Klassifikationen des ACR bzw. der EULAR wurde die OA weniger gut durch Ausschlusskriterien von anderen Formen der juvenilen Arthritis abgegrenzt. Das führte dazu, dass die OA-Gruppe sehr heterogen war und u. a. Patienten mit Psoriasisarthritis und enthesitis-assoziierter Arthritis bzw. anderen Spondyloarthritiden einschloss.
Um dies weitgehend zu vermeiden, wurden in der neuen ILAR-Klassifikation folgende Ausschlusskriterien für die OA festgelegt: a) Psoriasis (anamnestisch oder aktuell) beim Patienten oder einem Verwandten ersten Grades b) Arthritis bei einem HLA-B27-positiven Jungen nach dem 6. Geburtstag c) Ankylosierende Spondylitis, enthesitis-assoziierte Arthritis, Sakroiliitis bei entzündlicher Darmerkrankung, Reiter-Syndrom, akute anteriore Uveitis (anamnestisch oder aktuell) bei einem Verwandten ersten Grades d) Nachweis von IgM-Rheumafaktoren, mindestens 2mal im Abstand von mindestens 3 Monaten e) Zeichen der systemischen Arthritis Trotz dieser Ausschlusskriterien kann dennoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Gruppe der OA, definiert nach den ILAR-Kriterien, homogen ist. Sie umfasst ANA(antinukleäre Antikörper)-positive und -negative Patienten, die sich im Hinblick auf Augenbeteiligung, Beginn der OA sowie Gelenkbefall klinisch different präsentieren (Ravelli et al. 2005). Sie kann nach wie vor Patienten einschließen, die im Verlauf eine Enthesitis-assoziierte Arthritis bzw. Spondyloarthritis entwickeln (die Arthritis bei einem HLA-B27-positiven Mädchen nach dem 6. Geburtstag gehört z. B. nicht zu den Ausschlusskriterien einer OA). Andererseits werden nach den ILAR-Kriterien nicht alle Oligoarthritis-Patienten in die Kategorie OA eingeordnet. Etwa 10% werden der Subgruppe »andere Arthritis« zugeordnet, weil Ausschlusskriterien (am häufigsten eine positive Familienanamnese für Psoriasis) vorliegen (Merino et al. 2005). Exkurs Der Ausschluss von Patienten aus der OA-Gruppe allein aufgrund einer Psoriasis bei Familienangehörigen wird nicht unkritisch gesehen, zumal gezeigt werden konnte, dass sich Klinik und Verlauf der OA bei Patienten mit negativer bzw. positiver Familienanamnese für Psoriasis nicht unterscheiden (Tsitsami et al. 2003).
5.4.4
Ätiologie
Die Ätiologie der oligoartikulären Form der JIA ist, wie die der anderen JIA-Subgruppen, weitgehend unbekannt. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass genetische und Umweltfaktoren für die Realisation und Expression der OA von Bedeutung sind. Beim genetisch für eine JIA suszeptiblen Patienten führen exogene Auslöser (z. B. Infektionen) über eine Störung der Toleranz gegenüber Selbstantigen zur Manifestation der Erkrankung. Ob die OA je-
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
doch prinzipiell eine immungenetisch determinierte Erkrankung oder eine antigenangetriebene Immunantwort darstellt, ist nach wie vor unklar. Die Bedeutung genetischer Einflüsse hinsichtlich der Entwicklung einer JIA wird durch das gehäufte Auftreten der Erkrankung unter Geschwistern, insbesondere bei Zwillingen belegt. Es handelt sich um ein polygenes Krankheitsbild. Neben MHC-Molekülen (HLA-Allele), die für die Antigenpräsentation verantwortlich sind, spielen eine Vielzahl weiterer Gene, z. B. von T-Zell-Antigenrezeptoren, kostimulatorischen Molekülen, Zytokinen und Zytokinrezeptoren eine wichtige Rolle. Am besten belegt ist bisher die Assoziation bestimmter MHC-Allele mit der OA. So weisen OA-Patienten signifikant häufiger als Kontrollen die HLA-Allele A2, DRB1*08, DR5 (DRB1*11) und/ oder DR6 (DRB1*1301) und DPB1*0201 auf, während die HLA-Klasse-II-Allele DR4 und DR7 überzufällig selten anzutreffen sind, d. h. möglicherweise einen protektiven Charakter besitzen. Das Vorhandensein von HLA-A2, DP2 und -DR5 oder -6 geht mit einem 10fach höheren Risiko für das Auftreten einer OA einher. Einige Unterschiede gibt es bezüglich der HLA-Assoziationen beider OA-Gruppen. So wird der Haplotyp DRB1*13-DQA1*01DQB1*06 häufiger bei der persistierenden OA gefunden, HLA-DRB1*01 hingegen gehäuft bei Patienten mit erweiterter Form der Oligoarthritis (Forre u. Smerdel 2002). Die nachgewiesene Interaktion zwischen HLA-Klasse-Iund Klasse-II-Genen führte zu der Hypothese, dass mehrere genetische Loci (d. h. ein HLA-A-Gen, zwei HLADRB1- oder -DQ-Gene sowie ein -DP-Gen) für die Prädisposition zur Oligoarthritis verantwortlich sind. Es wird vermutet, dass HLA-Allele in bestimmten Altersperioden (»window of susceptibility«) prädisponierend wirken. Exkurs Mittels Überlebenszeitanalysen konnten Prahalad und Glass (2002) nachweisen, dass 50% der Kinder, die mindestens eines der Allele HLA-A2, -DR8, -DR5 oder DPB1*0201 aufwiesen, vor dem 3. Geburtstag erkrankten. Kombinationen von HLA-A2, -DPB1*0201 sowie einem HLA-DR-Allel (DR3, DR5, DR6 oder DR8) engten den Erkrankungsgipfel bei einem Median von 2,4 Jahren ein.
Das gehäufte Auftreten der OA bei Mädchen weist auf einen ätiologischen Einfluss des Geschlechts bei der Manifestation der Erkrankung hin. Es ist bislang nicht klar, ob hierfür geschlechtsspezifische genetische und/oder hormonelle Einflüsse von Bedeutung sind. ! Die Ätiologie der Oligoarthritis ist bisher nicht bekannt. An einer genetischen Prädisposition besteht kein Zweifel.
5.4.5
Pathogenese und Pathologie
Die chronische Gelenkentzündung bei der OA stellt ein Resultat komplexer Zell-Zell-Interaktionen dar. Dendritische Zellen und Makrophagen, T- und B-Zellen sind am Krankheitsprozess beteiligt. Viele Kennzeichen der Erkrankung werden durch entzündliche Mediatoren hervorgerufen. Lokal von dendritischen Zellen und Makrophagen freigesetzte proinflammatorische Mediatoren (Zytokine, Chemokine) bewirken eine gezielte Migration von Entzündungszellen ins Gelenkkompartiment. Interferon-γ, freigesetzt von aktivierten CD4+-Zellen, führt zur Stimulierung von Monozyten/Makrophagen. Diese sezernieren die proinflammatorischen Zytokine Tumor-Nekrose-Faktor- (TNF-)α und Interleukin- (IL-)1, die in der Synovia von Kindern mit OA in erhöhter Konzentration nachgewiesen wurden. Mesenchymale Zellen wie Synovialzellen, Endothelzellen, Fibroblasten und Osteoklasten werden hierdurch stimuliert und setzen ihrerseits Enzyme und weitere Zytokine frei, wodurch der Entzündungsprozess amplifiziert wird. Die zellvermittelten Prozesse werden sowohl durch die dokumentierten aktivierten T-Zellen im Blut als auch durch die dichten Infiltrate aktivierter oligoklonaler TH1gewichteter T-Zellen im entzündeten und stark vaskularisierten Synovium von Patienten mit OA belegt (Wedderburn 2004). Für eine B-Zell-Aktivierung bei der OA sprechen das häufige Vorhandensein von Autoantikörpern (ANA), Hypergammaglobulinämien und der Nachweis einer vermehrten Expression des proinflammatorischen Markers CD23 auf B-Zellen von ANA-positiven Patienten. Aktuelle Daten weisen darauf hin, dass regulatorische T-Zellen zur natürlichen Selbstregulation der Pathologie bei der OA beitragen. So wurden bei Patienten mit persistierender OA signifikant höhere Konzentrationen regulatorischer T-Zellen nachgewiesen als bei Patienten mit extended OA. Diese CD4+-CD25+-regulatorischen T-Zellen, die der Aufrechterhaltung der Immuntoleranz dienen, scheinen für einen milderen Verlauf bzw. die persistierende Form der OA verantwortlich sein. Regulatorische T-Zellen können durch autologes Heat-shock-Protein(HSP-)60 aktiviert werden, ihr antiinflammatorischer Effekt wird durch die Produktion von IL-10 vermittelt (Kamphuis et al. 2005). In einer prospektiven Untersuchung konnte gezeigt werden, dass eine T-Zell-Aktivität auf HSP-60 mit remittierendem Verlauf der OA assoziiert ist (Prakken et al. 1996). Die Zytokinbalance ist für den Verlauf der Erkrankung entscheidend. Antiinflamatorische (TH2-) Zytokine (wie IL-4 oder -10) und die sie produzierenden den Chemokinrezeptor CCR4 exprimierenden CD4+-synovialen T-Zellen wurden insbesondere bei limitierten bzw. günstig verlaufenden Formen der OA gefunden. Crawley et al.
197
5.4 · Oligoartikuläre Verlaufsform
(2001) konnten zeigen, dass Patienten mit der prognostisch ungünstigen erweiterten Form der OA signifikant häufiger als jene mit persistierender OA einen Polymorphismus in der Promotorregion des IL-10-Gens (ATA) aufwiesen, der mit einer verminderten Produktion von IL-10 einher geht. Umgekehrt konnte man bei Patienten mit persistierender OA in der Synovia durch synoviale T-Zellen produziertes IL-4 nachweisen (Murray et al. 1998). Obgleich die OA eine speziell auf das Kindesalter beschränkte Form des Gelenkrheumas ist und kein entsprechendes Pendant im Erwachsenensalter findet, ähnelt ihre Gelenkpathologie jener der rheumatoiden Arthritis (RA). Im Rahmen der JIA kommt es zur zottigen Hypertrophie und Hyperplasie der Synovialis. Bei der OA scheint hierfür weniger eine verminderte Apoptose (programmierter Zelltod), als vielmehr eine vermehrte proliferative Aktivität verantwortlich zu sein (Harjacek et al. 2001). Die Subintima wird durch Makrophagen, Plasmazellen, B- und T-Lymphozyten infiltriert. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung bildet sich tumorartig wucherndes Synovialgewebe (Pannus), ein dichter Zellverband aus fibroblastenähnlichen Zellen (sog. Pannozyten). Die Pannozyten sind metabolisch hochaktiv und sezernieren katabole Enzyme (Metalloproteinasen). Im Insertionsbereich der Gelenkkapsel, einem Bereich, in dem der Knochen nicht durch Knorpel überdeckt und dadurch geschützt ist, kommt es durch invasiv-destruktives Wachstum der Pannozyten zu Knochenerosionen. Die gleichzeitige Aktivierung von Chondrozyten im hyalinen Knorpel resultiert in einer Hemmung der Kollagen- und Proteoglykansynthese und einer Zunahme der Sekretion von Metalloproteinasen. Die Stimulation der gelenknahen Osteoklasten bewirkt schließlich einen Knochenabbau und letztlich eine lokale Osteoporose. Destruktionen des Knorpels und Knochens treten bei der OA jedoch erheblich später als bei der RA auf. ! Eine initiale Immunreaktion führt via Synthese diverser Mediatoren (Zytokine) zur Akkumulation von Entzündungszellen im Gelenk und zur Aktivierung von ortsständigen Zellen. Für den Verlauf der Erkrankung spielen immunologische Regulationsmechanismen eine entscheidende Rolle.
5.4.6
Klinische Symptome
Charakteristischerweise manifestiert sich die Oligoarthritis im Kleinkindalter, daher wurde die Erkrankung früher oft auch als »frühkindliche Oligoarthritis« bezeichnet. Der Beginn der Erkrankung ist meist schleichend. Gelegentlich wird eine Infektion oder ein Trauma im zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten der Arthritis beobachtet. Bei den meisten Patienten lässt sich jedoch keine
typische Auslösesituation feststellen. Die Gelenkentzündung (meist des Kniegelenkes) äußert sich neben Schmerzen durch Schwellung, Überwärmung und Bewegungseinschränkungen, selten besteht eine lokale Rötung. Von einem jüngeren Kind werden oft keine Schmerzen angegeben. Man beobachtet eher Verhaltensänderungen, wie »Sich-tragen-lassen«, Entwicklungsrückschritte oder eine ausgeprägte Schonhaltung. Typisch ist, dass das Kind morgendliche Gelenkschmerzen (»Morgensteife«) hat, die oft nicht verbalisiert und manchmal überspielt werden. Dieser morgendliche Ruheschmerz kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und über Stunden anhalten. Auch nach körperlicher Inaktivität (z. B. nach längerem Sitzen, dem Mittagsschlaf) besteht ein »Anlaufschmerz«. Die Bewegung des entzündeten Gelenkes verstärkt die Schmerzen, so dass eine Schonhaltung des betroffenen Gelenkes, meist in Flexion (»Beugeschonhaltung«), eingenommen wird. Diese Fehlhaltung kann unbehandelt zu dauerhaften Fehlstellungen, Fehlbelastungen, Kontrakturen und Asymmetrien der Körperachse führen. Systemische Manifestationen sind bei der OA ungewöhnlich. Müdigkeit und reduzierter Allgemeinzustand werden gelegentlich beobachtet. Auch ein erhöhtes Schlafbedürfnis oder eine Änderung der Schlafgewohnheiten, Weinerlichkeit bei motorischen Tätigkeiten und Leistungsknick kommen vor (Ganser et al. 2003).
Gelenkbefallsmuster Typischerweise zeigt die oligoartikuläre Beginnform der JIA eine asymmetrische Gelenkmanifestation, bevorzugt an den großen Gelenken der unteren Extremitäten. Im Langzeitverlauf, meist innerhalb der ersten 3– 4 Erkrankungsjahre, kommt es bei 20–50% der Patienten zu einem Befall von 5 und mehr Gelenken, d. h. es entwickelt sich eine extended Oligoarthritis. Prädiktoren hierfür sind ein Befall der oberen Extremität, eine Arthritis an 2–4 Gelenken sowie eine erhöhte BSG (Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit) zu Erkrankungsbeginn (Guillaume et al. 2000).
5
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1
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Besonderheiten der Gelenkmanisfestation bei der Oligoarthritis Kniegelenke
5 Zu Beginn der Erkrankung am häufigsten betroffenes Gelenk 5 Klinische Zeichen: Schwellung, Überwärmung, Beugeschonhaltung (. Abb. 5.7), schmerzhafte Einschränkung von Streckung und/oder Beugung 5 Diagnostik: Sonografie wertvoll zum Nachweis von Synovialitis, Gelenkerguss, Baker-Zyste 5 Wichtige Differenzialdiagnosen sind Lyme-Arthritis, Hämophilie und Tuberkulose 5 Cave: Im Langzeitverlauf Entwicklung von – Achsenfehlstellungen möglich: Beugekontrakturen, Außenrotation des Unterschenkels mit Pseudovalgusstellung und Subluxation der Tibia nach dorsal. Folgeschäden sind fixierte Rotationsfehlstellungen des Beines, Fußfehlbelastungen mit Vorfußadduktion und Fußverschmächtigungen durch lang dauernde Schonhaltung – Wachstumsstörungen möglich: Beinlängendifferenz durch Wachstumsbeschleunigung auf der erkrankten Seite, Überwachstum und Reifungsvorsprung der medialen Femurkondyle oder der Patella
Sprunggelenke
5 Zweithäufigst betroffenes Gelenk. Das obere und/oder untere können betroffen sein. Auch Fußwurzelentzündungen (Tarsitiden) können bereits bei kleinen Mädchen im Rahmen einer OA auftreten (. Abb. 5.8 und 5.9). 5 Klinische Zeichen: Schwellung, Überwärmung, Schonhinken, schmerzhafte Bewegungseinschränkung besonders der Flexion, bei Beteiligung des Talocalcaneonaviculargelenks auch der Pro- und Supination 5 Diagnostik: Sonografisch gute Beurteilbarkeit der Region (. Abb. 5.10), allerdings sind entzündliche Veränderungen bei Kleinkindern vom Gelenkknorpel schwer abgrenzbar (seitendifferenter Befund!, Entrundung) 5 Bei Tarsitis differenzialdiagnostisch an enthesitis-assoziierte Arthritis bzw. juvenile Spondyloarthritis denken 5 Cave: Im Langzeitverlauf Entwicklung von – Fehlstellungen möglich: rheumatischer Knicksenkfuß (am häufigsten), Hacken- oder Hohlfuß, Zehenfehlstellungen – Wachstumsstörungen (Fußverschmächtigung) infolge Fehlbelastung möglich. Ungünstige Gelenkregion wegen der gestörten Statik
Zehengelenke
5 Gelegentlich betroffen. Wegen der Seltenheit des Auftretens wird eine Arthritis hier oft übersehen 5 Klinische Zeichen: Schwellungen, Druck- und Bewegungsschmerz, Schongang, Muskelverkürzung, Hallux valgus oder rigidus 5 Diagnostik: Sonografisch z. B. Zehengrundgelenke sehr sensitiv beurteilbar 5 Differenzialdiagnosisch an Psoriasisarthritis und Enthesitis-assoziierte Arthritis denken 5 Cave: Beeinträchtigung der Fußabrollung möglich, frühzeitige Behandlung und Hilfsmittelversorgung durch Einlagen und geeignetes Schuhwerk erforderlich
Ellenbogengelenke
5 Dritthäufigst bei der OA betroffenes Gelenk 5 Klinische Zeichen: Fehlende Überstreckung bzw. Streckdefizit des Ellenbogengelenkes und endgradige Einschränkung der Supination 5 Diagnostik: Sonografie sehr gut geeignet, vor allem von dorsal (Fossa olecrani) 5 Cave: Verschmächtigung des Armes bei lang dauernder Schonhaltung. Kontrakturen der Ellenbogengelenke sind oft relativ therapieresistent
Handgelenke
5 Vierthäufigst betroffenes Gelenk 5 Klinische Zeichen: Überwärmung, Schwellung und schmerzhafte Bewegungseinschränkung (Dorsalextension > Volarflexion, Radial- > Ulnarbewegung) 5 Cave: Im Langzeitverlauf Entwicklung von – Fehlstellungen mit Funktionseinbußen möglich: Abweichung der Mittelhand nach ulnar (. Abb. 5.11), teilweise mit kompensatorischer Gegenbewegung der Finger nach radial im Sinne einer juvenilen Handskoliose, Subluxation des Carpus nach volar (Bajonettstellung) – röntgenologischen Veränderungen möglich: Wachstumsvorsprung, Erosionen der Carpalia mit knöcherner Entrundung (. Abb. 5.12), bei fortgeschrittenem Verlauf Ankylose der Carpalia, Vergrößerung der Radiusepiphyse mit Erosionen und Wachstumsverzögerung der Ulnaepiphyse, Erosionen des Radioulnargelenks
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5.4 · Oligoartikuläre Verlaufsform
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Fingergelenke
5 Primär bei etwa 12% der Patienten (Laxer u. Clarke 2000), im Verlauf häufig bei der extended Oligoarthritis betroffen 5 Klinische Zeichen: Schwellungen (. Abb. 5.13), Druckschmerz und Bewegungseinschränkungen (Streckung, passive und aktive Flexion eingeschränkt) 5 Bei Daktylitis differenzialdiagnostisch an Psoriasis denken 5 Cave: Im Langzeitverlauf Entwicklung von Fehlstellungen wie Schwanenhals- und Knopflochdeformitäten möglich
Kiefergelenke
5 Häufig erst im Verlauf bei ca. 40% der Patienten betroffen; bei persistierender OA bei etwa einem Drittel der Fälle, bei extended OA bei drei Viertel der Fälle (Twilt et al. 2004) 5 Klinische Zeichen: Druckschmerz (typischerweise beim Druck nach kraniodorsal), asymmetrische Mundöffnung mit Abweichung zur erkrankten Seite, eingeschränkte Mundöffnung (grober Richtwert: <4 cm oder 2 Querfinger), aber: nicht selten asymptomatisch 5 Diagnostik: Inspektion (Frage: schiefe oder eingeschränkte Mundöffnung, Gesichtsasymmetrie mit Wachstumsstörungen der Mandibula), Palpation (Frage: Krepitation, Druckschmerz), kieferorthopädische Funktionsuntersuchungen. Die sonografische Beurteilung ist erschwert, die Kernspintomografie mit Gadolinium-Kontrastdarstellung bietet hingegen eine gute Beurteilungsmöglichkeit auch der entzündlichen Prozesse 5 Cave: Im Langzeitverlauf Entwicklung von – röntgenologischen Veränderungen möglich: frühzeitige Abflachung des Gelenkköpfchens aufgrund des hohen intraartikulären Drucks – kraniofazialen Wachstumsstörungen möglich (hohes Risiko bei Befall vor dem 4. Lebensjahr): Mikrognathie, Gesichtsdysmorphie (»Vogelgesicht«) 5 Eine Zusammenarbeit mit spezialisierten Kieferorthopäden ist sinnvoll
Schultergelenke
5 Befall in der Primärmanifestation untypisch, eher im Verlauf bei extended Oligoarthritis 5 Klinische Zeichen: Schwellung (vor allem ventral im Bereich der Bizepssehne), schmerzhafte Bewegungseinschränkungen (Abduktion, Außen- > Innenrotation). Muskuläre Veränderungen der Rotatorenmanschette sind im Kindesalter sehr selten 5 Diagnostik: Sonografisch gut zugängig, Erguss sehr gut axillär erfassbar 5 Cave: Im Langzeitverlauf Entwicklung von erosiven Veränderungen möglich
Hüftgelenke
5 Selten primär beteiligt 5 Klinische Zeichen: Schonhinken, schmerzhafte Bewegungseinschränkungen (Innenrotation, Abduktion) 5 Diagnostik: Sonografisch Nachweis von Erguss oder Synovialishyperplasie. Sehr sensitive Beurteilung mittels MRT möglich 5 Breite Differenzialdiagnostik erforderlich (vor allem bei isolierter Coxitis, z. B. Morbus Perthes, Tuberkulose). Typische Erstmanifestation einer enthesitis-assoziierten Arthritis bzw. Spondyloarthritis 5 Cave: Ungünstige Gelenkregion mit hoher Druckbelastung für das Gelenk. Erhöhtes Risiko für avaskuläre Knochennekrosen bei protrahiertem Verlauf sowie für erosive Veränderungen
Halswirbelsäule
5 Selten bei persistierender OA, aber möglich. Eher bei Kindern (vor allem kleineren) mit extended Oligoarthritis 5 Klinische Zeichen: Schmerzen und morgendliche Steifigkeit. Bewegungseinschränkungen besonders der Reklination und Seitneigung 5 Diagnostik: Röntgen, MRT (besonders zum Nachweis entzündlicher Veränderungen) 5 Differenzialdiagnose: Der HWS-Befall ist auch typisch für die systemische Form der JIA 5 Cave: Im Langzeitverlauf sind radiologische Veränderungen (z. B. Größenminderung des 4. HWK) bei einem Drittel der Patienten beschrieben. Atlantoaxiale Subluxation oder apophyseale Gelenkankylose (C2–C3) scheinen bei der oligoartikulären Verlaufsform selten zu sein
Lendenwirbelsäule, Sakroiliakalgelenke
5 Entwickeln sich hier entzündliche Affektionen, spricht dies eher für das Vorliegen bzw. den Übergang in eine enthesitisassoziierte Arthritis bzw. Spondyloarthritis
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
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5.9 . Abb. 5.7. Zweijähriges Mädchen mit Gonarthritis beidseits und Beugeschonhaltung vor allem des linken Kniegelenks . Abb. 5.8. Kernspintomografischer (sagittal, kontrastverstärkt) Nachweis von entzündlichen Veränderungen im oberen Sprunggelenk und Mittelfuß mit Erosionen bei einem 9-jährigen Mädchen mit seit dem 3. Lebensjahr persistierender OA. (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. K.-G. Hermann, Institut für Radiologie, Charité) . Abb. 5.9. Mittelfußschwellung bei einem Knaben mit persistierender OA
. Abb. 5.10. Sonografischer (im ventralen Longitudinalschnitt) Nachweis eines Ergusses im oberen und unteren Sprunggelenk bei einem 6-jährigen Mädchen mit OA . Abb. 5.11. Ulnardeviation des Handgelenkes und beginnende Gegenbewegung der Finger nach radial infolge persistierender Arthritis bei einem Mädchen mit OA . Abb. 5.12. Röntgenologische Veränderungen mit Osteoporose, Wachstumsvorsprung, Entrundung und Erosionen der Carpalia und Epiphysen, ulnare Wachstumsstörung sowie Verschmächtigung der gesamten Hand infolge Arthritis der rechten Hand . Abb. 5.13. Schwellungen von mehreren Fingergelenken (des Daumenendgelenkes, den proximalen Interphalangealgelenken 2 und 4 sowie den Metacarpophalangealgelenken 2 und 3) links bei extended OA. Knopflochdeformität des 4. Fingers
5.4 · Oligoartikuläre Verlaufsform
Begleitsymptome und Folgezustände der Arthritis Periartikuläre Manifestationen sind Bursitiden (z. B. Baker-Zyste) und Tendovaginitiden. Popliteale Synovialzysten entstehen oft bei einer Gonarthritis mit hoher lokaler Entzündungsaktivität. Sie finden sich typischerweise im medialen Bereich der Fossa poplitea und kommunizieren mit der Bursa gastrocnemia (. Abb. 5.14). Baker-Zysten können sich entlang der Muskellogen der Unterschenkelmuskulatur bis in die Wade ausdehnen. Assoziiert zur Arthritis kann auch eine Tendovaginitis auftreten. Sie kommt bei der oligoartikulären Verlaufsform vor, ist jedoch eher für die enthesitis-assoziierte Arthritis charakteristisch. Meist wird sie an den unteren Extremitäten, an den Strecksehnen auf dem Fußrücken, den Sehnen der Musculi tibialis posterior oder peroneus longus et brevis beobachtet. An der oberen Extremität sind die Strecksehnen auf dem Handrücken sowie die Beugesehnen der Finger in der Hohlhand und im Verlauf der Phalangen typischerweise betroffen. Eine Arthritis führt aufgrund der schmerzhaften Schwellung und Bewegungseinschränkung bereits nach Wochen zu sekundären Veränderungen an der Muskulatur. So kommt es häufig zu einer Hypotrophie der angrenzenden proximalen Muskulatur, d. h. bei Kniegelenkbefall des Musculus quadrizeps femoris, bei Sprunggelenkbefall des Musculus gastrocnemius. Das Gelenk wird zur Schmerzreduktion in einer Beugeschonhaltung fixiert. Dies führt zu einer Verkürzung des Muskelbandapparates auf der Gelenkbeugeseite. Am Kniegelenk führt eine länger dauernde Fehlhaltung beispielsweise zur Beugekontraktur (. Abb. 5.15), Pseudovalgusstellung und Subluxation des Tibiakopfes nach dorsal. Diese Fehlstellungen resultieren in Fehlbelastungen der gesamten Extremität mit kompensatorischer Abduktion und Beugestellung im Hüftgelenk sowie Vorfußbelastung. Eine Verschmächtigung der gesamten Extremität kann die Folge sein.
. Abb. 5.14. Sonografisch im dorsalen Longitudinalschnitt über dem medialen Femurkondylus Nachweis einer 6 cm langen Baker-Zyste
201
Auch Wachstumsstörungen sind eine häufige Komplikation bei der Oligoarthritis. Allgemeine Wachstumsstörungen (Kleinwuchs) werden bei der oligoartikulären Velaufsform sehr selten beobachtet. Häufig sind hingegen lokale Wachstumsstörungen, wie z. B. Beinlängendifferenzen. Am Kniegelenk kommt es durch die Entzündung zu einer Hyperämie der gelenknahen Epiphysenfuge mit beschleunigtem Längenwachstum und Wachstumsvorsprung der betroffenen Seite. Die resultierende Beinlängendifferenz kann eine Kniegelenkfehlstellung verstärken und zu einer Beckenasymmetrie mit konsekutiver Skoliose führen. Auch ein Überwachstum der medialen Femurkondylen ist beschrieben und kann in einem Genu valgum resultieren. Sind Finger oder Zehengelenke entzündet, besteht das Risiko eines zunächst beschleunigten Längenwachstums, später durch frühzeitigen Epiphysenschluss einer Reduktion des Wachstums mit Brachydaktylie. ! Begleitsymptome und Folgezustände von Gelenkentzündungen sind Muskelatrophien, Gelenkfehlhaltungen und -fehlstellungen sowie Wachstumsstörungen.
. Abb. 5.15. Beugekontraktur im rechten Kniegelenk mit Subluxation der Tibia nach dorsal und Fußfehlbelastung, Vorfußadduktion bei unbehandelter Arthritis, 12-jähriger Junge
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Extraartikuläre Manifestationen Eine chronische, nichtgranulomatöse Uveitis, die vorwiegend die vorderen Augenabschnitte mit Iris und Ziliarkörper befällt, ist in der Regel die einzige extraartikuläre Manifestation bei der OA . Ausführlich wird auf das Krankheitsbild der Uveitis im 7 Kap. 5.8 eingegangen. Etwa 20% aller OA-Patienten entwickeln eine derartige Augenentzündung (Kotaniemi et al. 2003). Nach aktuellen Daten der bundesdeutschen Dokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher wurde bei 16% von über 1.000 Patienten mit persistierender und 25% von mehr als 200 Patienten mit extended OA eine Uveitis diagnostiziert (Heiligenhaus et al. 2006). Junges Alter bei Beginn der JIA und das Vorhandensein antinukleärer Antikörper sind mit dem Auftreten einer Uveitis assoziiert. Das mittlere Alter bei Uveitisbeginn beträgt 5 Jahre, die Patienten sind zu 75% Mädchen. Die Uveitis entwickelt sich in weniger als 10% der Fälle vor der Gelenkmanifestation, bei etwa 50% gleichzeitig oder innerhalb der ersten 6 Monate nach Arthritisbeginn. Zwar ist das Risiko für eine Uveitis in den ersten Erkrankungsjahren am höchsten (90% der Betroffenen entwickeln innerhalb der ersten 4 Jahre nach Arthritisbeginn eine Augenbeteiligung), ein gewisses Restrisiko bleibt jedoch auch danach bestehen. Die Uveitis bei der OA ist bei ca. 85% der Fälle eine anteriore, bei 10% bezieht sie auch mittlere Augenabschnitte (d. h. den Glaskörper) mit ein. Bei drei Vierteln der Fälle betrifft sie beide Augen. Symptome werden in der Regel nicht angegeben. Manchmal besteht eine diskrete konjunktivale Rötung. Lichtscheu oder Kopfschmerzen werden von den Kindern aufgrund ihres jungen Alters meist nicht angegeben. Die Symptomarmut führt nicht selten zu einer verspäteten Diagnose der Uveitis. Daher sollte bei allen Kindern mit Oligoarthritis sofort bei Feststellung der Diagnose, in den ersten zwei Krankheitsjahren regelmäßig alle 6 Wochen und im Weiteren alle 3 Monate, eine ophthalmologische Konsultation mit Spaltlampenuntersuchung veranlasst werden (Heiligenhaus et al. 2003). Bei Auftreten einer Uveitis sind die Kontrollintervalle dem Krankheitsverlauf anzupassen. ! Kinder mit OA müssen regelmäßig dem Augenarzt vorgestellt werden.
Arthritis und Uveitis verlaufen häufig nicht zeitlich parallel. Selbst Jahre nach Remission der Gelenksymptomatik können noch Uveitisschübe auftreten. Mit zunehmender Uveitisdauer erhöht sich das Risiko für Komplikationen. Die häufigsten Komplikationen der Uveitis sind bandförmige Hornhautdegenerationen, posteriore Synechien (Verklebungen zwischen Irisrückfläche und Linsenvorderfläche) und Katarakt. OA-Patienten weisen bereits bei Diagnose der Uveitis in einem Drittel der Fälle Komplikationen auf, im Langzeitverlauf werden diese bei etwa jedem zweiten Patienten festgestellt. Höchster Risikofak-
tor für Uveitiskomplikationen im Krankheitsverlauf sind bereits bei Erstdiagnose bestehende Komplikationen. Das unterstreicht die Wichtigkeit eines Screenings auf Uveitis bei OA-Patienten. Je früher eine Uveitisbehandlung einsetzen kann, desto besser ist in der Regel die Prognose. Im akuten Schub der Uveitis werden corticosteroidhaltige Augentropfen eingesetzt. Die Lokalbehandlung wird häufig durch Mydriatika zur Prävention hinterer Synechien ergänzt (Evidenzgrad IV). Bei ausgeprägter Entzündungsaktivität und visusbedrohenden Komplikationen wird gelegentlich auch Cortison periokulär injiziert bzw. Cortison systemisch, auch als Corticosteroid-Bolustherapie, gegeben (Evidenzgrad IV). Bei Therapieresistenz erfolgt eine immunsuppressive Behandlung z. B. mit Methotrexat (Evidenzgrad III), Azathioprin oder Ciclosporin A (Evidenzgrad III) (Smith 2002). Neuerdings werden bei Versagen einer konventionellen immunsuppressiven Therapie auch Infliximab oder Adalimumab (TNF-Antagonisten) mit Erfolg eingesetzt (Evidenzgrad III). Es handelt sich um »Off-label-Therapien« bei therapieresistentem Verlauf, deren Gesamtstellenwert jedoch noch offen ist. Für die Behandlung der Uveitis ist in Deutschland das Ciclosporin zugelassen. Die Uveitis persistiert nicht selten im Langzeitverlauf, und zwar bei bis zu 50% der Betroffenen bis ins Erwachsenenalter (Kotaniemi et al. 2005). Generell hat sich die Prognose der Uveitis aber gebessert, die Rate der Erblindungen infolge Uveitis liegt inzwischen unter 5%.
5.4.7
Diagnose
! Die Diagnose Oligoarthritis ist eine klinische. Wegweisend sind die typischen Entzündungszeichen: Schwellung, Überwärmung, Bewegungseinschränkung und Schmerzen des Gelenks.
Um eine oligoartikuläre Form der juvenilen idiopathischen Arthritis zu diagnostizieren, bedarf es des Ausschlusses anderer Erkrankungen. Vor allem bei der Monarthritis ist eine sorgfältige Diagnostik notwendig, die nicht nur eine Differenzierung unter den entzündlichen Gelenkerkrankungen, sondern auch den Ausschluss anderer Ursachen für chronische Gelenkschwellungen oder -schmerzen erfordert. So sind einerseits infektassoziierte Arthritiden (wie z. B. die Coxitis fugax), die Lyme-Arthritis oder reaktive Arthritiden zu berücksichtigen, andererseits müssen u. a. mechanische Ursachen oder intraartikuläre Läsionen ausgeschlossen weden. Gewöhnlich erfolgt die Differenzierung klinisch, und die Befundsicherung kleiner Ergüsse durch Arthrosonografie, manchmal müssen jedoch weiterführende bildgebende Untersuchungen (z. B. Kernspintomografie) oder sogar invasive Maßnahmen (Gelenkpunktion, selten Arthroskopie,
5.4 · Oligoartikuläre Verlaufsform
Biopsie) hinzugezogen werden. Cave: Die Arthroskopie bei Kleinkindern hat das Risiko bleibender Bewegungseinschränkungen und der Entwicklung von Kontrakturen, daher sollte die Indikation sorgfältig und zurückhaltend gestellt werden. ! Vordringliche Differenzialdiagnosen sind die septische Arthritis, die Osteomyelitis sowie eine maligne Erkrankung.
Bei einem akuten septischen Krankheitsbild mit Fieber oder subfebrilen Temperaturen und/oder einem akut schmerzhaften geröteten Gelenk liegt die Verdachtsdiagnose einer septischen Arthritis nahe. Hier besteht die Indikation zur sofortigen diagnostischen Gelenkpunktion mit Aspiration von Gelenkflüssigkeit für eine bakteriologische Untersuchung (inklusive der Diagnostik auf säurefeste Stäbchen) und Abnahme von Blutkulturen, einschließlich unmittelbarem Therapiebeginn mit parenteralen Antibiotika.
Differenzialdiagnosen der juvenilen idiopathischen Oligoarthritis 1. Infektassoziierte Arthritiden – Septische Arthritis (meist reduzierter Allgemeinzustand, Fieber, erhöhte laborchemische Entzündungsparameter, starke Gelenkschmerzen, oft Gelenkrötung, insbesondere bei Säuglingen und immundefizienten Patienten daran denken) – Coxitis fugax: Transiente Synovitis der Hüfte (eine OA beginnt fast nie isoliert an der Hüfte) – Lyme-Arthritis (typischerweise episodische, relativ schmerzarme Arthritis vor allem des Kniegelenks) – Reaktive Arthritiden (oft relativ akutes Krankheitsbild mit schmerzhafter Arthritis z. B. nach Yersinien- , Salmonellen-, Chlamydieninfektionen, HLA-B27assoziiert) – Rheumatisches Fieber (ca. 2–3 Wochen nach Streptokokkeninfektion auftretende, migratorische, sehr schmerzhafte Arthritis bevorzugt der großen Gelenke, gut auf nichtsteroidale Antirheumatika ansprechend) – Poststreptokokkenarthritis (ca. 1–1,5 Wochen nach Streptokokkeninfektion akut auftretende, nichtmigratorische, schmerzhafte Arthritis, kein gutes Ansprechen auf nichtsteroidale Antirheumatika) – Tuberkulöse Arthritis (gewöhnlich Monarthritis der gewichttragenden Gelenke Hüfte oder Knie) 2. Andere Formen der juvenilen idiopathischen Arthritis oder Spondyloarthritiden (z. B. Arthritis bei chronischentzündlichen Darmerkrankungen, juvenile ankylosierende Spondylitis) 3. Kollagenosen (vor allem bei ANA-positiven jugendlichen Mädchen daran denken, 7 Kap. 7)
203
Auch onkologische Systemerkrankungen (z. B. akute Leukämien, Osteosarkom und Neuroblastom) können mit Knochenschmerzen und sogar einer Oligoarthritis einhergehen. Uncharakteristische klinische Beschwerden und unspezifische Laborbefunde sollten immer zu weiterführender Diagnostik Anlass geben. Das Ausmaß des Schmerzempfindens kann eine wichtige Hilfestellung für die Differenzialdiagnose sein. Gelenkschmerzen allein sind nicht das führende Symptom bei der OA, eher werden initial eine Gelenkschwellung oder Gangauffälligkeiten beobachtet (McGhee et al. 2002). Generell werden Schmerzen bei der OA meist als mäßiggradig und erträglich angegeben, bei Schmerzverstärkungssyndromen hingegen sind sie erheblich. Unerträgliche Schmerzen und eine bizarre Gelenkfehlhaltung weisen eher auf ein chronisches regionales Schmerzsyndrom vom Typ I hin, dass nicht selten mit psychischen Auffälligkeiten verbunden ist.
4. Juvenile Sarkoidose (bei kleinen Kindern mit Arthritis, Uveitis und Hautbeteiligung bedenken) 5. Traumata (z. B. Stressfrakturen, Kindesmisshandlung) 6. Überlastungsbedingte Beschwerden 7. Tumoren/maligne Erkrankungen – Knochentumoren (Osteosarkom, Ewing-Sarkom etc.) – Leukämien und Lymphome – Neuroblastom – Histiozytose, eosinophile Granulome, Metastasen 8. Hereditäre hämatologische Erkrankungen (Hämophilie A, Thalassämia major) 9. Andere hereditäre Erkrankungen (familiäres Mittelmeerfieber: episodisch für etwa 3 Tage Fieber mit Bauchschmerzen und/oder Arthritis) 10. Andere synoviale Erkrankungen (Fremdkörper-Synovitis, villonoduläre Synovitis etc.) 11. Nichtsynoviale Erkrankungen – Avaskuläre Nekrosen (Morbus Perthes, Morbus Sinding-Larsen, Morbus Osgood-Schlatter etc.) – Epiphyseolysen – Anatomische Malformationen (Scheibenmeniskus, strukturelle Abnormalitäten) – Idiopathischer vorderer Knieschmerz (früher: Chondropathia patellae, häufig jugendliche Mädchen betroffen, belastungsabhängiger vorderer Knieschmerz, typische Symptome: Ausstrecken des Beines nach längerem Sitzen mit gebeugten Knien nötig, Schmerzen beim Treppensteigen oder Sprungbelastungen) 12. Stoffwechselerkrankungen (z. B. Gicht, Hämochromatose, Glykogenosen)
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
! Die oligoartikuläre Form der JIA ist eine Ausschlussdiagnose. Eine eindeutige diagnostische Zuordnung erfordert eine differenzierte Eigen- und Familienanamnese, sorgfältige klinische Beurteilung sowie Labor-, bildgebende und ggf. weiterführende Unterschungen.
Labor Im akutem Stadium der Erkrankung besteht typischerweise eine Erhöhung der BSG und des C-reaktiven Proteins (CRP). Eine milde hypochrome Anämie, Leukozytose und Thrombozytose weisen auf eine hohe Krankheitsaktivität hin. Die Eisenspiegel sind dann meist erniedrigt, Ferritin jedoch aufgrund der Entzündungsaktivität erhöht. In der Elektrophorese findet man eine Erhöhung der AkutPhase-Proteine und Gammaglobuline, vorwiegend der IgG-Fraktion. Ein IgA-Mangel ist gehäuft mit einer Oligoarthritis assoziiert. Ein Rheumafaktor ist bei Kindern mit Oligoarthrits sehr selten nachweisbar und weist auf eine eher ungünstige Prognose hin. Bei Seropositivität für Rheumafaktoren sollten differenzialdiagnostisch Infektionen mit B-ZellStimulation (z. B. Epstein-Barr-Virus, Parvovirus B19) ebenso wie Kollagenosen bedacht werden. Antikörper gegen citrullinierte Peptide (CCP, »cyclic citrullinated peptide«) werden bei der Oligoarthritis selten nachgewiesen und sind wahrscheinlich von geringem diagnostischen Wert (Ferucci et al. 2005). Charakteristisch für die Oligoarthritis sind antinukleäre Antikörper, die bei bis zu 70% der Patienten nachgewiesen werden können. Diese zeigen oft ein homogenes oder gesprenkeltes Muster, die Titer liegen in der Regel im Bereich von 1:160 bis 1:640. Die Tests werden meist auf HEp-2-Zellen durchgeführt. Patienten, bei denen ANA nachgewiesen werden können, unterscheiden sich klinisch von ANA-negativen. Sie sind zu Erkrankungsbeginn jünger als ANA-negative mit Oligoarthritis, sie zeigen häufiger eine asymmetrische Arthritis und häufiger eine entzündliche Augenbeteiligung (Ravelli et al. 2005). Eine Spezifizierung der ANA gelingt meist nicht, Antikörper gegen definierte nukleoläre Antigene oder gegen Doppelstrang-DNS sind bei oligoartikulären Verlaufsformen selten und sollten vor allem bei jugendlichen Mädchen an eine Kollagenose denken lassen. Die Untersuchung auf ANA eignet sich weder zum Ausschluss noch zur Diagnosestellung einer juvenilen Oligoarthritis. > Für die Basisdiagnostik/Differenzialdiagnostik und Klassifikation der OA (bzw. vor Therapiebeginn) sind die Bestimmungen folgender Laborparameter meist ausreichend: Blutbild inklusive Differenzialblutbild, BSG, CRP, Kreatinin, Harnsäure, Glutamat-Pyruvat-Transaminase, alkalische Phosphatase, Lactatdehydrogenase, ANA, Immunglobuline, HLA-B27, Rheumakfaktoren, Borrelienserologie und Urinstatus. Je nach Anamnese und Klinik
sind gegebenenfalls weitere Untersuchungen zu veranlassen.
Bildgebende Diagnostik Arthrosonografie Die Arthrosonografie hat in den letzten Jahren einen erheblichen Stellenwert in der Diagnostik entzündlicher Gelenkveränderungen im Kindes- und Jugendalter erlangt (Ganser u. Winowski 2006). Die Arthrosonografie unterstützt die klinische Beurteilung der Gelenkregionen (Frosch et al. 2003). Sie sollte an allen Gelenkregionen bei klinischen Fragestellungen frühzeitig sowie zur Verlaufskontrolle eingesetzt werden, bei eindeutigen Befunden ist sie entbehrlich. Sensitiver als die klinische Untersuchung ist die Sonografie beim Nachweis entzündlicher Veränderungen, insbesondere kleiner Gelenkergüsse bzw. Ergüsse in klinisch schwieriger zu beurteilenden Gelenken (z. B. Hüfte), einer Enthesitis, Tendovaginitis, Bursitis oder Zyste. Die kleinen Gelenke und Weichteilstrukturen werden vorwiegend mit einem Linearschallkopf für die Frequenzen 12–15 MHZ dargestellt, größere Gelenke mit einem Linearschallkopf für die Frequenzen 6–10 MHz. Eine Darstellung in zwei Ebenen einschließlich dynamischer Untersuchung erfolgt standardisiert. Für die meisten Regionen liegen keine altersbezogenen Normwerte vor, so dass die Beurteilung im Seitenvergleich erfolgt. In letzter Zeit wird zunehmend auch die Power-Doppler-Sonografie eingesetzt, die Aussagen zur Aktivität von Synoviumproliferationen (hypervaskularisierter Pannus) zulässt. Die Schwere des Gelenkbefalls kann sonografisch durch das Ausmaß von Erguss, synovialer Verdickung und ggf. knöcherner Veränderungen beurteilt werden. Die Arthrosonografie gestattet durch eine ultraschallgeführte oder -gestützte Punktion auch eine sicherere Platzierung intraartikulärer Steroide. Sie eignet sich ausgezeichnet zur Verlaufskontrolle nach intraartikulärer Steroidinjektion. Die Einschränkungen der Arthrosonografie sind die folgenden: 5 Differenzierung des entzündlichen Substrates nur begrenzt möglich. 5 Gelenkknorpelbeurteilung nicht zuverlässig möglich. 5 Das gesamte Gelenkkompartiment kann nicht beurteilt werden. 5 Ossäre Veränderungen werden unvollständig erfasst. 5 Reiskörperchen (die die intraartikuläre Cortisoninjektion erschweren können) werden nicht zuverlässig erfasst. 5 Nicht alle Gelenke sind zugängig (z. B. kleine Wirbelgelenke oder Iliosakralgelenke nicht).
Röntgendiagnostik Die Röntgendiagnostik bildet nach wie vor den Goldsstandard bei der Beurteilung von Gelenkanatomie und -integrität, auch wenn bisher kaum Röntgenscores zur standar-
205
5.4 · Oligoartikuläre Verlaufsform
disierten Befundbeurteilung bei der JIA angewendet werden (Ausnahme: Poznanski-Score für die Beurteilung der Hände) (Graham 2005). Die Röntgendiagnostik wird bei der OA seitenvergleichend in mindestens einer Ebene durchgeführt. In Abhängigkeit von der klinischen Fragestellung ist häufig eine zweite Ebene erforderlich, insbesondere bei differenzialdiagnostischen Fragestellungen einer Osteonekrose, Fraktur, Osteomyelitis oder knöcherner Veränderungen durch neoplastische Prozesse. Röntgenveränderungen bei der OA beinhalten der Häufigkeit nach Weichteilschwellungen, Wachstumsstörungen, Gelenkspaltverschmälerungen und Erosionen. Die beiden letztgenannten Veränderungen sind jedoch oft erst nach einem Verlauf von 2 Jahren bei aktiver Erkrankung nachweisbar (bei Kindern entwickeln sich Gelenkspaltverschmälerungen und Erosionen aufgrund des breiten Gelenkknorpels später). Exkurs In einer kanadischen Untersuchung (Oen et al. 2003) von ca. 100 Oligoarthritispatienten wurden nach 2 Jahren Krankheitsdauer Wachstumsstörungen bei 25%, Erosionen bei 9% und Gelenkspaltverschmälerungen bei 5% der Fälle beobachtet, nach 6 Jahren Krankheitsdauer waren es vergleichsweise 25%, 25% bzw. 14%.
Magnetresonanztomografie Die Magnetresonanztomografie-(MRT-)Untersuchung ist die einzige nichtinvasive Methode, die eine klare Differenzierung zwischen proliferativem Synovialgewebe (Pannus) und Erguss, aber auch den einzelnen Gelenkstrukturen (Gelenkknorpel, subchondraler Knochen, Knochenmark, Sehnen, Bänder) ermöglicht. Im Vergleich zur Arthrosonografie erfasst die MRT sensitiver entzündliche Veränderungen und ist daher insbesondere zur Frühdiagnostik (initiales Staging) sehr gut geeignet. Sie erfasst ebenfalls Knorpelveränderungen, subchondrale Zysten, hypoplastische Bänder und Menisci besser als die Sonografie. Nicht verstärkte T1- und T2-gewichtete Sequenzen gestatten keine zuverlässige Unterscheidung zwischen Pannus und Erguss. T2-gewichtete FSE(»fast spin echo«)Sequenzen hingegen grenzen die hyperintense Flüssigkeit gut vom hypointensen Pannus ab. Auch Aufnahmen mit Fettsuppression lassen dies zu, aber der Kontrast zwischen Pannus und Gelenkknorpel ist schlecht. Außerdem kann der aktive, destruierende, hypervaskularisierte Pannus nicht vom inaktiven, fibrotischen abgegrenzt werden. Da der aktive Pannus rasch eine Kontrastmittelanreicherung zeigt, sind deshalb Aufnahmen mit Kontrastmittelverstärkung (Gadolinium) die Methode der Wahl, wenn das Ausmaß entzündlicher Gelenkveränderungen erfasst werden soll (Lamer u. Sebag 2000).
Bisher gibt es keine Studien bzw. Empfehlungen, wann die zeit- und kostenaufwendige MRT in der klinischen Routine bei der JIA (z. B. Screening?) eingesetzt werden sollte. Bei Verdacht auf entzündliche Veränderungen in den Sakroiliakalgelenken oder der Lendenwirbelsäule ist sie heute bereits die diagnostische Methode der ersten Wahl.
Szintigrafie Eine Skelettszintigrafie ist zur Diagnostik einer juvenilen idiopathischen Arthritis entbehrlich; die Methode wird lediglich aus differenzialdiagnostischen Erwägungen bei unklaren entzündlichen oder neoplastischen Prozessen nachrangig eingesetzt. ! Die kostengünstige, strahlungsfreie und bettseitig verfügbare Gelenksonografie ist heute die bildgebende Basisuntersuchung bei Kindern und Jugendlichen mit OA. Für die Beurteilung der Gelenkanatomie und -integrität bildet die konventionelle Röntgendiagnostik nach wie vor den Goldstandard. Bezüglich differenzierter Beurteilungen des Ausmaßes entzündlicher Veränderungen oder Gelenkknorpelveränderungen wird die MRT favorisiert. Die Computertomografie wird lediglich bei besonderen differenzialdiagnostischen Fragestellungen des Knochens durchgeführt, eine Szintigrafie ist meist entbehrlich.
5.4.8
Therapie
Die Behandlung der Oligoarthritis ist eine symptomatische. Sie orientiert sich an der Akuität bzw. Schwere der Erkrankung. Die Therapie umfasst medikamentöse, krankengymnastische, physikalische und ergotherapeutische Maßnahmen neben der psychosozialen Betreuung der gesamten Familie. Die Ziele der komplexen Therapie bestehen in: 5 einer vollständigen Unterdrückung der lokalen und systemischen rheumatischen Entzündung, 5 der Vermeidung bleibender Schäden und 5 der Förderung einer normalen körperlichen und psychosozialen Entwicklung des betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen. Oft muss die Behandlung über einen langen Zeitraum konsequent durchgeführt werden, was mit erheblichen Belastungen für die Familie verbunden ist. In die Therapiegestaltung müssen deshalb der Patient und dessen Familie aktiv einbezogen sein. Patienten- und Elterninformationen bzw. Schulungsmaßnahmen bezüglich der Erkrankung und ihrer Therapiemöglichkeiten sind für eine Akzeptanz der Behandlungsmaßnahmen wichtig. Hilfestellungen bei der Krankheitsbewältigung können durch eine psychologische Mitbetreuung der Familien, die Selbsthil-
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
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fegruppen der Deutschen Rheumaliga, Elternvereine und Gesprächskreise erfolgen.
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Medikamentöse Therapiemaßnahmen Nichtsteroidale Antirheumatika
3
Die medikamentöse First-line-Therapie der OA besteht im Einsatz schmerz- und entzündungslindender Medikamente (nichtsteroidaler Antirheumatika, NSAR, . Tab. 5.6) (Weller u. Huppertz 2005). NSAR bewirken eine Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase und damit eine verminderte Prostaglandinproduktion. Die Cyclooxygenase (COX) liegt in zwei Isoformen (COX-1 und -2) vor. COX-1 wird in fast allen Körperzellen, COX-2 nur bei Stress und Entzündungen exprimiert. Die »klassischen« NSAR hemmen COX-1 und COX-2 in etwa gleichem Umfang, die selektiven COX-2-Hemmer hemmen bei über 90%iger Hemmung der COX-2 nicht die COX-1. In der Kinderrheumatologie bestehen langjährige klinische Erfahrungen mit nichtspezifischen COX-Hemmern. Mit selektiven COX-2-Hemmern hingegen sind die Erfahrungen begrenzt. Die Indikation zum Einsatz von NSAR besteht bei Vorliegen einer Synovialitis und/oder entzündlich bedingten muskuloskeletalen Schmerzen. Im Kleinkindalter werden wegen der besseren Akzeptanz und genaueren Dosierbarkeit Präparate bevorzugt, die als Suspension zur Verfügung stehen. Eine synchrone Kombination verschiedener nichtsteroidaler Antirheumatika ist nicht sinnvoll. Die Medikamente werden mit der Nahrungsaufnahme verabreicht. Regelmäßige Laborkontrollen (Blutbild, Leber- und Nierenwerte, Urin) werden bei längerer Therapie empfohlen. Eine langfristig krankheitsmodifizierende Wirkung wird den NSAR bei der JIA bisher nicht zugeschrieben. Deshalb kann die NSAR-Therapie in der Regel nach vollständigem Abklingen der Gelenkentzündung und dokumentierter Entzündungsfreiheit abgesetzt werden.
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Glucocorticoide Lokal. Die intraartikuläre Corticosteroidapplikation wird bei der OA zunehmend früher im Krankheitsverlauf eingesetzt und nicht mehr nur dann, wenn NSAR keinen ausreichenden Therapieeffekt haben (Padeh u. Passwell 1998). Depotcorticosteroide mit geringer Löslichkeit und langer Halbwertszeit stellen eine hochwirksame und komplikationsarme Therapieoption dar (Evidenzgrad IIa). Sie führen rasch zur Rückbildung der Synovialitis (bis zur vollständigen Remission) mit Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit sowie Schmerzreduktion. Sie können eine systemische Behandlung abkürzen und Komplikationen wie Kontrakturen verhindern. Außerdem lassen sich bei frühem Einsatz auch Beinlängendifferenzen vermeiden (Sherry et al. 1999). Bei Durchführung der Gelenkpunktion in einem kindgerechten Setting mit altersentsprechender Aufklärung und Analgosedierung besteht eine gute Akzeptanz für diese therapeutische Maßnahme. Komplikationen sind selten. Gelegentlich treten Lipoatrophien oder peri-
. Tab. 5.6. Präparate
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Wichtige Nebenwirkungen der NSAR sind gastrointestinale Beschwerden, zentralnervöse Störungen (z. B. Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen) und Nierenfunktionsstörungen. Schwerwiegende gastrointestinale Nebenwirkungen wie Blutungen und Ulzera sind im Kindesalter deutlich seltener als bei Erwachsenen. Auch auf Hautveränderungen, wie z. B. eine Pseudoporphyrie, ist speziell unter Naproxen zu achten. Zu berücksichtigen ist, dass interkurrente Infektionen oder Entzündungen aufgrund der analgetischen/antipyretischen Wirkung der Substanzen in ihrer Symptomatik abgeschwächt werden können. Da NSAR die Blutungszeit verlängern können, sollten sie vor elektiven Operationen (je nach Halbwertzeit) abgesetzt werden.
a
Wirkstoff
Darreichungsform
Dosierung
Naproxena (Evidenzgrad Ib)
Tabletten, Saft in Deutschland nicht gelistet
10–15 mg/kg KG/Tag in 2 ED
Ibuprofena (Evidenzgrad Ib)
Tabletten, Saft
20–40 mg/kg KG/Tag in 3 ED
Diclofenacb (Evidenzgrad Ib)
Tabletten
2–3 mg/kg KG/Tag in 3 ED
Indomethacina (Evidenzgrad IIa)
Tabletten, Saft
2–3 mg/kg KG/Tag in 3 ED
Meloxicamb (Evidenzgrad Ib)
Tabletten, Saft in Deutschland nicht gelisted
0,125–0,25 mg/kg KG/Tag in 1 ED
Nichtselektive COX-Hemmer. Präferenzielle, aber nichtselektive COX-2-Hemmer. ED Einzeldosen.
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5.4 · Oligoartikuläre Verlaufsform
artikuläre Kalzifikationen auf, Infektionen sind eine Rarität (Breit et al. 2000). Da unabhängig von der Krankheitsdauer und dem Ausmaß der lokalen Entzündung die Behandlungsergebnisse im Kurz- und Langzeitverlauf für TriamcinolonHexacetonid signifikant besser als für Triamcinolon-Acetonid sind (Evidenzgrad Ib), wird Ersteres in der Kinderrheumatologie bevorzugt eingesetzt. Exkurs Eine Studie von Breit und Mitarbeitern (Breit et al. 2000) konnte zeigen, dass die mittlere Wirkungsdauer (mindestens 50%ige Entzündungsreduktion im Vergleich zum Ausgangsbefund) von Trimacinolon-Hexacetonid bei Patieten mit OA bei über 2 Jahren lag.
> In folgenden Dosierungen wird Triamcinolonhexacetonid verwendet: 5 1 mg/kg KG in großen Gelenken (Knie, Hüften, Schultern) 5 0,5 mg/kg KG in kleineren Gelenken (Ellbogen-, Hand, Sprunggelenke) 5 1–2 mg pro Gelenk in den Metacarpophalangeal- und Metatarsophalangealgelenken 5 0,6–1 mg pro Gelenk in den proximalen Interphalangealgelenken
Die Empfehlungen zur Nachbehandlung sind nicht einheitlich. Eine Gelenkentlastung wird über 24–48 h empfohlen. Alle Patienten profitieren nach Gelenkinjektionen von einer Physiotherapie. Lokal werden Steroide auch bei der Uveitis eingesetzt (7 Kap. 5.8). Systemisch. Eine systemische Glucocorticoidbehandlung
findet bei der Oligoarthritis nur in Ausnahmefällen Anwendung. Als schnell wirksame Substanzen werden Glucocorticoide manchmal bei hochaktiven Gelenkentzündungen (eher bei extended OA) in Form einer »Brückentherapie« bis zum Wirkeintritt einer Basistherapie eingesetzt (Evidenzgrad IV). ! Die Lokaltherapie mit intraartikulären Steroiden (Triamcinolon-Hexacetonid) ist eine effektive und nebenwirkungsarme Behandlungsmethode bei der Oligoarthritis. Etwa 90% der Patienten sprechen auf diese Behandlung an.
Basistherapeutika (langwirksame Antirheumatika) Eine Indikation zur Basistherapie besteht, wenn die Erkrankung trotz Therapie mit NSAR und intraartikulär verabreichten Glucocorticoiden chronisch voranschreitet bzw. Komplikationen (z. B. am Auge) drohen. Beim Übergang in eine extended OA wird in der Regel eine Basistherapie in Betracht gezogen.
207
Kontrollierte Studien zu Basismedikamenten (»disease modifying antirheumatic drugs«, DMARD) an Patienten mit ausschließlich oligoartikulärem Verlauf wurden bisher nicht durchgeführt. Die vorliegende Evidenz zur Wirksamkeit einzelner Basismedikamente [Methotrexat (Evidenzstufe Ib), Sulfasalazin (Evidenzstufe Ib), und Ciclosporin A (Evidenzstufe III)] bezieht sich in der Regel auf die JIA allgemein. Für Chloroquin und Hydrochloroquin konnte eine Wirksamkeit in Studien bisher nicht belegt werden, dennoch werden diese Substanzen im klinischen Alltag wohl mit gutem Erfolg von einigen erfahrenen Behandlern eingesetzt. Azathioprin gilt als Reservemedikament vor allem für die Uveitis. Methotrexat. Methotrexat (MTX) ist das am häufigsten
eingesetzte Basistherapeutikum bei der JIA (Niehues et al. 2005). Seine Wirksamkeit ist, speziell für die extended OA, in klinischen placebokontrollierten Studien nachgewiesen. Methotrexat ist für den Einsatz bei der JIA mit polyartikulärem Gelenkbefall zugelassen. Wird MTX bei einer oligoartikulären Verlaufsform eingesetzt, handelt es sich um eine Off-label-Anwendung. Die klinischen Studien, Wirkmechanismen und Nebenwirkungen sind ausführlich im Therapiekapitel (7 Kap. 4) dargestellt. > Dosierung: 5 10–15 mg/m2 KOF/Woche in einer Einzeldosis (oral, parenteral). Steigerung bis maximal 20 mg/m2 KOF/ Woche. Ab 15 mg/m2 KOF/Woche wird eine parenterale, meist subkutane Gabe empfohlen. 5 Kombination mit Folsäure: 5 mg/Woche 24–48 h nach MTX (fakultativ).
Bei Auftreten von Nebenwirkungen (z. B. Transaminasenerhöhungen, Übelkeit, Brechreiz, Aphthen, Haarausfall) sollte Folsäure nach der Methotrexat-Applikation verabreicht werden (Evidenzgrad IV). Bei ausgeprägten Nebenwirkungen wird ein vorübergehendes Aussetzen oder eine Umstellung der Therapie empfohlen. Eine frühzeitige Behandlung von Infektionen (z. B. antibiotisch, antiviral) ist ratsam. Auf eine sichere Antikonzeption ist bei der Therapie von Adoleszenten zu achten, da ein erhöhtes Teratogenitätsrisiko besteht. Antimalariamedikamente. Chloroquin und Hydroxychloroquin werden empirisch bei milder bis mäßiger Krankheitsaktivität eingesetzt. Ein Wirkungseintritt ist erst nach 3–6 Monaten zu erwarten. Für die Behandlung der JIA sind die Antimalariamedikamente zugelassen. Eine wichtige Nebenwirkung der Antimalariamittel besteht in der kumulativen Einlagerung der Substanz am Auge: reversible Hornhautepitheltrübungen, irreversible Retinopathie (u. a. mit Störungen des Farbsehens und Gesichtsfeldausfällen). Daher sind vor und langfristig
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
unter Therapie augenärztliche Untersuchungen indiziert. Wegen der fehlenden Möglichkeit einer Farbsehprüfung, sollte Chloroquin erst ab dem 4.–7. Lebensjahr eingesetzt werden. Das Risiko einer Retinopathie besteht ab kumulativen Dosen von ca. 250 g. > Dosierung: 5 Die Dosierung sollte jeweils bezogen auf die Base der Substanz sowie das Idealgewicht errechnet werden, da die Substanzen im Fettgewebe gespeichert werden. 5 Für Chloroquin liegt die tägliche Dosierung bei 3,5– 4 mg/kg Körpergewicht, für Hydroxychloroquin bei 5 mg/kg Körpergewicht (max. 310 mg Base bzw. 400 mg/Tag).
Sulfasalazin. Die Wirksamkeit von Sulfasalazin bei der
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JIA ist nach 24 Wochen Therapiedauer belegt (Evidenzgrad Ib). Das Medikament zeigt insbesondere bei der enthesitis-assoziierten Arthritis und bei der juvenilen Spondyloarthritis eine gute Effektivität. Bei ANA-positiver Oligoarthritis mit frühem Krankheitsbeginn wird es seltener eingesetzt. Für die Behandung der polyartikulären Form der JIA sowie der enthesitis-assoziierten Arthritis mit oligoartikulärem Befall ist es zugelassen. > Dosierung von Sulfasalazin: 5 (30–)50 mg/kg KG/Tag in 2–3 Einzeldosen, max 2,5 g/ Tag 5 Einschleichende Dosierung mit wochenweiser Steigerung um z. B. 500 mg
Nebenwirkungen sind bei bis zu 30% der Patienten beschrieben. Insbesondere ist auf Blutbildveränderungen wie Leukozytopenien oder megaloblastäre/hämolytische Anämien zu achten. Dermatologische Symptome treten nicht selten auf, beschrieben sind Pruritus, Exantheme und Photosensibilität. Sonnenschutz wird empfohlen. Auch gastrointestinale Beschwerden (z. B. Inappetenz, Bauchschmerzen) werden häufig beobachtet, eine Pankreatitis ist selten. Zu achten ist außerdem auf Nierenfunktionsstörungen (Proteinurie, Hämaturie). Bei jungen Männern ist auf die reversible Oligospermie und reversible Einschränkung der Zeugungsfähigkeit hinzuweisen. Ciclosporin A. Bei der Oligoarthritis wird Ciclosporin A
in der Regel nur bei schwerer, therapieresistenter Uveitis eingesetzt, für deren Behandlung es zugelassen ist. Zu dessen Wirksamkeit liegen keine kontrollierten Studien vor, in mehreren nichtkontrollierten Studien wurde aber ein Effekt beschrieben (Evidenzgrad III). Die Dosierung liegt bei 3–5 mg/kg KG/Tag in 2 Einzeldosen. Es besteht das Risiko schwerer Nebenwirkungen, insbesondere von Nephrotoxizität und arterieller Hypertension.
Azathioprin. Azathioprin wird vorwiegend bei therapieresistenter Uveitis oder als Reservemedikament bei Unverträglichkeit von Methotrexat eingesetzt. Vor Therapiebeginn kann die Bestimmung des abbauenden Enzyms Thiopurinmethyltransferase (TPMT) zur Vermeidung schwerer Nebenwirkungen beitragen. Bei regelrechter Funktion des Enzyms erfolgt die Behandlung mit einer Tagesdosis von 1,5–2,5 mg/kg KG/Tag in 1–2 Einzeldosen. Zu beachten sind hämatologische Nebenwirkungen wie die Leukozytopenie, Anämie, gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und akute Pankreatitis sowie Infektionen unter Immunsuppression. Es besteht möglicherweise ein etwas erhöhtes Onkogenitätsrisiko. Biologika. Die Biologika stellen eine neue Medikamen-
tengruppe dar. Die TNF-Inhibition durch monoklonale Antikörper (Infliximab, Adalimumab) oder ein lösliches TNF-Rezeptor-Immunglobulin-Fusionsprotein (Etanercept) erwies sich bei der JIA-Behandlung als wirksam. Bisher wurde lediglich Etanercept im Kindesalter abschließend geprüft und für die Behandlung von Kindern im Alter von 4 bis 17 Jahren mit aktiver polyartikulärer JIA, die unzureichend auf eine MethotrexatBehandlung angesprochen oder eine solche nicht vertragen haben, zugelassen (Evidenzgrad Ib). Der Wirkeintritt erfolgt rasch, oft bereits innerhalb von 14 Tagen. Insbesondere für die extended Oligoarthritis stellt dieses Medikament eine vielversprechende Therapieoption dar (Quartier et al. 2003). Bei der Uveitis ist eine sichere Wirksamkeit von Etanercept nicht nachweisbar (Smith et al. 2005). > Etanercept-Dosis: 0,4 mg/kg KG (max. 25 mg als Einzeldosis) 2-mal/Woche subkutan
Die kurzfristige Verträglichkeit ist gut, eine erhöhte Infektanfälligkeit ist wiederholt beschrieben worden. Über das Auftreten von Autoimmunopathien, schweren Blutbildveränderungen und demyelinisierenden Erkrankungen wurde kasuistisch berichtet. Insgesamt sind die Langzeitrisiken noch nicht beurteilbar, insbesondere sind keine Aussagen zur Induktion von Lymphomen möglich. Die Wirksamkeit von Infliximab ist bislang nur in offenen Fallserien dargestellt, randomisierte kontrollierte Studien wurden bisher nicht veröffentlicht. Einzelne Therapieberichte über die Behandlung der therapieresistenten Uveitiden bei Kindern und Jugendlichen mit Infliximab liegen vor (Evidenzgrad IV). Nach diesen scheint es bei der Behandlung der Uveitis wirksam zu sein. Die Therapie erfolgt mit Infusionen in einer Dosierung von 3–5 mg/kg Körpergewicht 2, 6 und anschließend alle 8 Wochen nach Erstgabe. Die Infusionen sollten unter Herz-Kreislauf-Überwachung mit der Möglichkeit zur Intensivbehandlung erfolgen. Es besteht ein rascher Wirkeintritt. An Therapierisiken ist neben Infusions- und allergischen Reaktionen (Dyspnoe, Kreislaufreaktionen mit
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5.4 · Oligoartikuläre Verlaufsform
Hypotonie) ein gesichtertes erhöhtes Infektionsrisiko, insbesondere für Tuberkulose, zu bedenken. Daher muss vor Therapiebeginn ein sicherer Ausschluss einer Tuberkulose erfolgen. Die Langzeitrisiken sind bisher nicht abschätzbar. Die Wirksamkeit von Adalimumab in einer Dosis von 24 mg/m2 KOF konnte für die JIA (über 48 Wochen) gezeigt werden (Ruperto et al. 2006). Die Applikation erfolgt alle 2 Wochen subkutan. Einzelne Therapieberichte über die Behandlung der therapieresistenten Uveitis bei Kindern und Jugendlichen liegen vor. ! Eine Basistherapie erfolgt bei der Oligoarthritis mit progredientem Verlauf (Übergang in extended Oligoarthritis), Erosivität, prognostisch ungünstigem Gelenkbefall und/oder therapieresistenter Uveitis. Bevorzugt wird Methotrexat eingesetzt. Alternativ kommen bei HLA-B27-assoziierten Arthritiden Sulfasalazin, bei mäßiggradiger Entzündungsaktivität Hydroxychloroquin in Betracht. Etanercept hat sich bei polyartikulärem Verlauf und unzureichendem Ansprechen auf MTX als wirksam erwiesen.
tis eingesetzt werden, da die methodenbedingte Überwärmung des Gelenkes eine Entzündung aktivieren kann. ! Nichtmedikamentöse Therapiemaßnahmen gehören obligat von Beginn der Erkrankung an zu einem effektiven Konzept der Entzündungsbehandlung. Im akuten Stadium der Gelenkentzündung erfolgen Kryotherapie, Gelenkentlastung sowie eine intensive Physiotherapie mit Elternanleitung. Bei Fehlstellungen erfolgt frühzeitig eine Hilfsmittelversorgung. > 5 Eine OA wird initial mit NSAR und Krankengymnastik behandelt. 5 Unterstützend oder bei unzureichendem Therapieerfolg werden Corticosteroide intraartikulär, ggf. auch wiederholt, verabreicht. 5 Basismedikamente, vor allem MTX, werden bei fehlendem Therapieansprechen oder Progredienz der Erkrankung eingesetzt.
5.4.9
Prognose
Nichtmedikamentöse Behandlungen Ein individuelles Behandlungskonzept mit Krankengymnastik, Ergotherapie und physikalischen Maßnahmen von Beginn der Erkrankung an ist entscheidend für eine günstige funktionelle Prognose. Im akut-entzündlichen Stadium wird intensiv mit Kälte behandelt. Die Kryotherapie führt zur Linderung der entzündlichen Schwellungen, aber auch des Schmerzes und der Bewegungseinschränkungen. Sie sollte bei akuter Entzündung wiederholt am Tag (z. B. alle 3–4 Stunden) angewandt werden (7 Kap. 14). Krankengymnastik ist ebenfalls wichtig. Die betroffenen Gelenke werden innerhalb des schmerzfreien Bewegungsumfangs, unter Abnahme der Eigenschwere unter vorsichtigem Zug bewegt. Verkürzte Muskelgruppen werden vorsichtig gedehnt, hypotrophe im Verlauf aktiviert. Auf einen effektiven Gelenkschutz durch Gelenkentlastung (z. B. durch Therapieroller) und Benutzung gelenkentlastender Hilfsmittel wie abfedernde Schuhe oder weiche Einlagen ist im akuten Stadium ebenfalls zu achten (Spamer et al. 2001). Besonders wichtig ist die korrigierende Behandlung von Gelenkfehlstellungen, die durch lang dauernde Entzündungen und schmerzbedingte Schonhaltung entstehen können. Hier sind insbesondere die Handfunktionsschiene zur Korrektur der Ulnardeviation, die Knielagerungsschiene zur Korrektur der Kniegelenkbeugekontraktur und Fingerorthesen zur Korrektur der Schwanenhals- oder Knopflochdeformität zu nennen. Bei Verspannungen der Muskulatur können eine Wärmebehandlung sowie Hydrotherapie eine Schmerzlinderung bewirken. Eine Elektrotherapie als Iontophorese oder Phonophorese ist bei Enthesopathien sinnvoll. Sie sollte jedoch nicht im Stadium einer floriden Arthri-
Patienten mit OA haben im Vergleich zu Patienten mit anderen JIA-Formen die beste Prognose. In etwa der Hälfte der Patienten mit oligoartikulärem Beginn der JIA lassen sich Langzeitremissionen erzielen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Remission ist in den ersten 5 Jahren nach Erkrankungsbeginn am größten. Nach 15 Jahren Krankheitsdauer ist die persistierende OA bei etwa 80% der Patienten zum Stillstand gekommen (Minden et al. 2002). Funktionseinschränkungen, die heute mit standardisierten Instrumenten (z. B. dem Childhood Health Assessment Questionnaire, CHAQ) gemessen werden, sind bei Patienten mit OA vergleichsweise selten. Nach mehr als 15 Jahren Krankheitsdauer ist lediglich jeder 4. Patient in seiner Funktionsfähigkeit im Alltag eingeschränkt. Wesentlich ungünstiger sieht hingegen die Prognose für Patienten aus, die in eine extended OA übergehen. Sie erreichen wesentlich seltener eine Remission, ca. 3 von 4 dieser Patienten haben beim Übergang in das Erwachsenenalter noch eine aktive Erkrankung. Diese Patienten weisen auch häufiger (in etwa 50%) Funktionsbeeinträchtigungen auf. Krankheitsbedingte Folgeschäden der OA beinhalten röntgenologisch nachweisbare Gelenkveränderungen (in etwa 25%), dauerhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke, Wachstumsstörungen, Osteoporose und Osteopenie. Eine Amyloidose ist bei der persistierenden OA nicht zu erwarten, bei der extended OA ist sie eine Rarität. Augenschädigungen mit relevanten Visusminderungen infolge Uveitis zeigen bis zu 25% der Betroffenen im Erwachsenenalter (Zak et al. 2003). In retrospektiven Analysen von Patienten mit juveniler Oligoarthritis und einer Krankheitsdauer von über 10 Jah-
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
ren (Flato et al. 2003; Oen et al. 2003) wurden u. a. folgende Risikofaktoren für andauende Krankheitsaktivität ausfindig gemacht: ANA-Positivität, früher Erkrankungsbeginn und hohe BSG zu Erkrankungsbeginn. Funktionsbeeinträchtigungen im Langzeitverlauf wurden häufiger bei ANA-positiven Patienten festgestellt. Prädiktoren für röntgenologische Veränderungen waren ebenfalls früher Krankheitsbeginn, Vorhandensein von HLA-DRB1*01 und persistierende Entzündungsaktivität. Ob Patienten mit OA langfristig ein erhöhtes Mortalitätsrisiko tragen, ist nicht bekannt. Für die Gesamtgruppe aller JIA-Patienten wird es angenommen (Thomas et al. 2003). Patienten mit Oligoarthritis haben, ebenso wie deren Angehörige ersten Grades oder auch Patienten mit anderen JIA-Formen, ein erhöhtes Risiko für das Auftreten weiterer Autoimmunerkrankungen (z. B. Thyreoiditiden in 10%). ! Die oligoartikuläre Verlaufsform der JIA hat bei frühzeitiger Diagnosestellung und Therapie eine gute Prognose. Vier von 5 dieser Patienten sind im Erwachsenenalter beschwerdefrei. Ungünstiger sieht die Langzeitprognose für Patienten mit extended OA aus. Eine frühzeitige effektive Therapie ist zur Verbesserung der Langzeitprognose erforderlich.
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5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
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5.5
verschiedene Krankheitsbilder mit Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Zahl der betroffenen Gelenke und die notwendige Therapie.
5.5.1
Rheumafaktornegative Polyarthritis
Definition und Epidemiologie Die RF–-Polyarthritis ist definiert als eine Arthritis, die 5 oder mehr Gelenke während der ersten 6 Monate betrifft. Arthritis wiederum ist benannt als Schwellung eines Gelenks oder Bewegungseinschränkung mit Schmerz für mindestens 6 Wochen, von einem Arzt gesehen und nicht durch eine andere Ursache erklärbar. Dabei gelten die folgenden Ausschlusskriterien: 5 Psoriasis oder Psoriasisanamnese beim Patienten oder einem Verwandten ersten Grades; 5 Arthritis bei einem HLA-B27 positiven Jungen nach dem 6. Geburtstag; 5 ankylosierende Spondylitis, enthesitisassoziierte Arthritis, Sakroileitis mit entzündlicher Darmerkrankung, Reiter-Syndrom oder akute Uveitis anterior oder eine diesbezügliche Anamnese bei einem Verwandten ersten Grades; 5 positiver IgM-Rheumafaktor bei mindestens 2 Untersuchungen im Abstand von mehr als 3 Monaten, während der ersten 6 Monate der Erkrankung; 5 systemische Arthritis. In einer Analyse von 10 Studien mit insgesamt über 2400 Patienten zur Auswertung und Validierung der ILAR-Klassifikation wurden zwischen 4% und 28% der Patienten als RF– klassifiziert, das Mittel lag bei 16,6%. Nach diesen Daten stellt die Gruppe der RF–-Polyarthritiden nach den Oligoarthritiden die zweitgrößte Gruppe innerhalb der JIA dar (Hofer u. Southwood 2002). Diese Form der JIA tritt ab dem 2.–3. Lebensjahr auf, ungefähr 50% der Betroffenen sind jünger als 6 Jahre, zu ca. 3 Vierteln sind Mädchen betroffen.
Polyartikuläre Verlaufsformen Ätiologie und Pathogenese
G. Dannecker Das primäre Ziel der Klassifikation der juvenilen idiopathischen Arthritis nach den Kriterien der International League of Associations for Rheumatology (ILAR) war, für wissenschaftliche Zwecke relativ homogene, sich gegenseitig ausschließende Gruppen von Erkrankungen auf der Basis von klinischen Merkmalen und laborchemischen Untersuchungen zu definieren. Diese Klassifikation liegt inzwischen in ihrer zweiten Revision vor. Dabei werden die Polyarthritiden (5 oder mehr Gelenke betroffen) in zwei Gruppen eingeteilt: die rheumafaktornegative (RF-) Polyarthritis und die rheumafaktorpositive (RF+) Polyarthritis (Petty et al. 2001). Es handelt sich hier um zwei
Der Name »juvenile idiopathische Arthritis« impliziert bereits, dass die Ursache der Erkrankung unbekannt ist. Mit dem Begriff JIA wird auch keine einheitliche Erkrankung bezeichnet, sondern eine Gruppe wahrscheinlich sehr unterschiedlicher Erkrankungen, die sich alle als Entzündung im Gelenk manifestieren. Dabei muss offen bleiben, ob ein einzelnes pathogenes Agens auf der Basis einer individuellen genetischen Disposition in verschiedenen Altersstufen unterschiedliche Erkrankungen hervorruft oder ob, wahrscheinlicher, verschiedene ätiologische Ursachen die differenten Erkrankungen induzieren, die alle in der Endstrecke »entzündetes Gelenk« münden.
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
! Wichtig ist aber, dass die JIA und damit ihre Unterguppen nach dem heutigen Wissen als Autoimmunerkrankungen auf der Basis einer genetischen Prädisposition einzuordnen sind.
Genetik Bezüglich der genetischen Prädisposition kommt dem Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) mit Abstand die größte Bedeutung zu. In dieser auf dem Chromsom 6 lokalisierten Region sind über 200 Gene angeordnet; viele von ihnen, wie zum Beispiel das HLA-System, mit einer wichtigen Funktion für das Immunsystem. Die Assoziationen zwischen der Expression verschiedener HLA-Klasse-I- und -Klasse-II-Polymorphismen und dem Risiko, an JIA zu erkanken, sind lange bekannt und vielfältig untersucht, oft mit widersprüchlichen Ergebnissen. Unter den HLA-Klasse-II-Molekülen ist die Assoziation mit DRB1*08-, DQA1*04- und DQB1*04-Allelen am engsten und konstantesten nachgewiesen, sowohl für die oligoartikuläre Arthritis als auch für die RF–-Polyarthritis. Da DRB1*08, DQA1*04 und DQB1*04 in einem starken »linkage disequilibrium« miteinander stehen, war lange umstritten, ob primär DR8 oder DQ4 oder beide HLA-Gene bei der JIA involviert sind. Nach einer neuen Studie scheint aber auch für die RF–-Polyarthritis die primäre Assoziation für das DRB1*08-Allel zu bestehen (Prahalad 2004; Smerdel et al. 2002). Auch das Absuchen des gesamten Genoms JIA-betroffener Familien bestätigte die Bedeutung des DR8-Haplotyps bei oligo- und polyartikulären Formen. Diese Arbeit zeigte darüber hinaus auf, dass auch andere chromosomale Regionen wie z. B. 7q11 mit polyartikulären Formen assoziiert sind. Verschiedene Studien, die die Nicht-HLAAssoziationen der JIA untersuchten, sind aufgrund der heterogenen ethnischen Populationen sowie der unterschiedlichen Untergruppen und Klassifikationen schlecht miteinander zu vergleichen. Diese Komplexität wird durch den polygenen Erbgang weiter erhöht. Eine Assoziation mit dem polyartikulären Verlauf wurde unter anderem beschrieben für den IgA-Mangel, der Expression des Z-Allels für α1-Antitrypsin und einem IL-4-Promoterpolymorphismus eines einzelnen Nukleotids (Thompson et al. 2004; Rosen et al. 2003).
T-Zellen, Zytokine und andere Faktoren Die primäre Aufgabe von MHC-Molekülen ist es, gebundene Peptide den T-Zellen zu präsentieren. Da diese dann unter definierten Umständen aktiviert werden, legt die Assoziation zwischen HLA-Expression und dem Risiko, an JIA zu erkranken auch eine wesentliche Rolle der TZellen in der Pathogenese der JIA nahe. Diese Hypothese wird zum Beispiel durch den Nachweis von aktivierten Th1-Zellen in den Gelenken von JIA-Patienten unterstützt. Der Nachweis von Regulationszellen bei Patienten mit oligoartikulärer Arthritis, nicht aber bei Patienten mit
rheumatoider Arthritis unterstützt die Hypothese, dass bei Patienten mit RF–-Polyarthritiden die fehlenden immunregulatorischen Zellen für den schweren Verlauf verantwortlich sein könnten. Diese regulatorischen T-Zellen könnten durch Hitzeschockproteine induziert sein (Wedderburn et al. 2000; Prakken et al. 2002). Sollte ein definiertes Antigen für die Entstehung eines bestimmten Subtyps der JIA verantwortlich sein, so wäre theoretisch denkbar, dass zumindest sehr früh in der Pathogenese die autoreaktiven T-Zellen monoklonal oder zumindest oligoklonal sein sollten. Einige Studien fanden tatsächlich eine oligoklonale Expansion von T-Zellen in betroffenen Gelenken, andere nicht. Immerhin scheint die Benutzung des variablen (V) Gensegments des T-ZellRezeptors im Vergleich zum peripheren Blut restringiert zu sein, und es wurde ein anderes Vβ-Restriktionsmuster in der Synovialflüssigkeit von polyartikulären Patienten (Vβ8, Vβ14, Vβ16) gefunden als bei oligoartikulären Patienten (Vβ20) (Forre u. Sioud 1993; Thompson et al. 1995). Die Rolle der Zytokine in der Pathogenese von Arthritiden ist wahrscheinlich am besten für die rheumatoide Arthritis beschrieben. Durch die Invasion von CD4+-TZellen in die Synovia kommt es zur Stimulation von Zellen wie z. B. Makrophagen. Diese wiederum generieren proinflammatorische Zytokine wie IL-1, IL-6 und TNFα, welche die zur Gelenkschädigung führende Freisetzung von Proteinasen bewirken. TNF-α kann auch die Expression von Adhäsionsmolekülen auf Endothelzellen induzieren und so zum Einwandern von neutrophilen Leukozyten führen, die über die Freisetzung von weiteren Proteinasen die Schädigung verstärken. Darüber hinaus sind Zytokine auch in der Übermittlung von Schmerzsignalen von Bedeutung (Choy u. Panayi 2001). Die überzeugende klinische Wirkung der TNF-α-Blockade bei Arthritiden wird vor dem Hintergrund dieser pathogenetischen Überlegungen verständlich. Im Gegensatz zu der systemischen Form der JIA, bei der IL-6 konstant erhöht gefunden wurde, sind die Untersuchungen zum Zytokinnetzwerk bei Kindern mit anderen Formen der JIA oft widersprüchlich. Im Hinblick auf die Polyarthritis wurde häufig nicht zwischen seropositiver und seronegativer Form unterschieden, was die Interpretation der Resultate erschwert. Mehrheitlich scheint der lösliche IL-2-Rezeptor (sIL-2R) in Korrelation mit der Aktivität der Erkrankung im Serum und in der Synovialflüssigkeit erhöht zu sein. IL-4-mRNA wurde signifikant häufiger in der Synovialflüssigkeit von Patienten mit oligoartikulärer Arthritis als bei Polyarthritiden gefunden, die antiinflammatorische Wirkug von IL-4 könnte also bei der Polyarthritis fehlen. TNF-α wurde nicht immer erhöht gefunden, wenn ja, konnte es zusammen mit IL-6 als ein Marker für die Aktivität der Erkrankung gesehen werden. Der lösliche TNF-α-Rezeptor p55 (p55sTNFR) wurde erhöht gemessen, was die Rolle von TNF-α in der Pathogenese unterstreicht (Mangge u. Schauenstein 1998; Moore 1998).
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5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
Neben den Komponenten der erworbenen Immunität ist auch das System der angeborenen Immunität in der Pathophysiologie der JIA beteiligt. Es lassen sich in großer Zahl Neutrophile in entzündeten Gelenken nachweisen, die Aktivierung des Komplementsystems und der Nachweis von Immunkomplexen zeigen eine aktive Entzündung an. Auch die Rolle des vaskulären Endotheliums, welches über die durch proinflammatorische Zytokine wie TNF-α-induzierte vermehrte Expression von Adhäsionsmolekülen (z. B. ICAM-1 oder VCAM-1) die Bindung und Migration von Leukozyten in entzündetes Gewebe ermöglicht, ist dabei wichtig. Die Hypothese, dass die »Myeloid-related-Proteine« 8 und 14, die besonders stark exprimiert sind in neutrophilen Granulozyten und Monozyten von entzündeten Gelenken, die Adhäsion von infiltrierenden Zellen an das vaskuläre Endothelium fördern, unterstützt diesen Aspekt. Insgesamt wurde wegen der Bedeutung der Entzündung und der angeborenen Immunität in der Pathogenese der JIA die Hypothese einer TZell vermittelten Autoimmunerkrankung auch in Frage gestellt (Frosch et al. 2000; Jarvis 1998).
Klinische Symptome Gelenkmanifestation Das klinische Bild wird durch die Manifestation der Arthritis bestimmt, diese ist überwiegend durch eine symmetrische, meist schmerzhafte Schwellung von großen und kleinen Gelenken gekennzeichnet (. Abb. 5.16 und 5.17). Von den großen Gelenken sind vor allem die Knie- , Handgelenke, Ellbogen und Sprunggelenke zu Beginn involviert, während Schulter- und Hüftgelenke oft erst im Verlauf befallen werden. Von den kleinen Gelenken, die sowohl zu Beginn als auch im Verlauf betroffen sein können, sind vor allem die Metokarpophalangealgelenke (MCP) und proximalen Interphalangealgelenke (PIP) der 2. und 3. Finger betroffen und das Interphalangealgelenk des Daumens. In ungefähr 25% sind auch die distalen Interphalangealgelenke betroffen.
a
. Abb. 5.16. Polyarthritis, RF-, Ganzkörperaufnahme. Vorsichtige, ängstliche Haltung. Schwellung in multiplen Gelenken mit Bewegungseinschränkung. (Die Aufnahme wurde freundlicherweise von Herrn Dr. G. Ganser, Sendenhorst, zur Verfügung gestellt.)
b
. Abb. 5.17. a Schwellung von Finger- oder Handgelenken. b Bei Befall der PIP-Gelenke Bildung der kleinen Faust nicht möglich. (Die Aufnahmen wurden freundlicherweise von Herrn Dr. G. Ganser, Sendenhorst, zur Verfügung gestellt.)
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Der Beginn kann akut sein, aber auch langsam und mit relativ wenigen Beschwerden. Neben der bei den kleinen Gelenken kaum zu bemerkenden Überwärmung finden sich häufig eine Schwellung und natürlich Schmerzen und eine zunehmende Bewegungseinschränkung. Letztere kann bei manchen Patienten mit fast fehlender entzündlicher Aktivität im Vordergrund stehen. Die Morgensteifigkeit ist ein typisches und häufiges Symptom. Neben der direkten Gelenkbeteiligung kommt es oft auch zu einer Tenosynovitis, die sich in einer ausgeprägten dorsalen Schwellung des Handrückens bemerkbar machen kann. Auch die Fingerbeugesehnen können betroffen sein, dies führt zu einer Beugeschonhaltung der Finger. Durch die Entzündung der Gelenke mit Bewegungseinschränkung kommt es zur Verkürzung von Muskeln und Sehnen mit nachfolgenden Beugekontrakturen, der Muskelschwund ist Konsequenz der eingeschränkten Beweglichkeit und der verminderten Benutzung der betroffenen Extremität. Über die chronische Hyperämie kann es zu einer lokalen Wachstumsbeschleunigung kommen, diese fällt aber meist nur bei einseitigem Gelenkbefall nach längerer Erkrankungsdauer auf. Beteiligung der Wirbelsäule. Die Beteiligung der Wir-
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belsäule manifestiert sich meist im HWS-Bereich. Auffällig sind oft ein Schiefhals und die eingeschränkte Rotati-
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Beteiligung der Temporomandibulargelenke. Diese ist nach MRT-Untersuchungen wesentlich häufiger als angenommen und manchmal nur durch eine sorgfältige Anamnese (Kopfschmerzen, Schmerzen in Ruhe oder beim Mundöffnen/Kauen, Wirbelsäulensymptome, Knacken, Reiben) und Untersuchung (Schwellung, Gesichtsasymmetrie, Lippenschlusslinie, asymmetrische oder eingeschränkte Mundöffnung, Profil; . Abb. 5.18) zu entdecken. Beteiligung der Gelenke der oberen Extremität. Die an den Händen und Handgelenken zu beobachtenden Deformitäten sind Folge der gestörten Balance von Knochenwachstum, Knorpeloberflächen und der einwirkenden Kräfte von Sehnen und Ligamenten. Je nach Ausprägung kann es zur Knopflochdeformität und/oder Schwanenhalsdeformität kommen. Bei Befall der Ellenbogen kommt es häufig zu einem Streckdefizit, das nicht immer Beschwerden macht, ebenso wie die Einschränkung der Supination. Ein Befall der Schultergelenke bei schweren Verläufen führt zu entsprechender Bewegungseinschränkung vor allem der Abduktion. Beteiligung der Gelenke der unteren Extremität. Hier kommt es meist zum Befall von Knie- und Sprunggelenken, oft mit Beteiligung der Sehnen. Beim Kniegelenk kann die typische Beugekontraktur zu einem steifen und unsicheren Gangbild führen. Ein Befall des Sprunggelenks führt meist zu einer Valgusstellung, seltener zum Varus. Die seltene Beteiligung der Hüftgelenke zeigt sich in einer Beugekontraktur und einer Einschränkung vor allem der Innenrotation. Dies wird aber oft erst bei der Untersuchung bemerkt. Während das Beachten einer Asymmetrie bei einer Oligoarthritis oft weiterführend ist, kann dieses Zeichen bei einer symmetrischen Polyarthritis trügerisch fehlen.
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Allgemeinsymptome Unspezifische Allgemeinsymptome sind Müdigkeit und Abgeschlagenheit; kleine Kinder sind zunehmend zurückhaltend und werden als lustlos beschreiben. Es kann auch zum Entwicklungsstillstand oder zur Regression körperlicher Fähigkeiten kommen. Subfebrile Temperaturen sind nicht selten, eine Lymphadenitis, Hepatospenomegalie und schwere Allgemeinveränderung sind bei der RF–Polyarthritis aber Ausnahmen.
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on, die durch eine Drehbewegung des ganzen Oberkörpers bei der Aufforderung, den Kopf zur Seite zu drehen, überspielt wird.
Diagnose . Abb. 5.18. Befall des Temporomandibulargelenks. Asymmetrische Mundöffnung als wichtiges Zeichen bei seitendifferentem Befall. (Die Aufnahme wurde freundlicherweise von Herrn Dr. G. Ganser, Sendenhorst, zur Verfügung gestellt.)
! Die Diagnose RF–-Polyarthritis ist eine klinische Diagnose, da es keine beweisenden Laborwerte oder Untersuchungen gibt. Die aufgeführte Diagnostik muss im Zu-
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5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
sammenhang mit den klinisch-anamnestischen Befunden interpretiert werden.
Die Diagnose hängt von einer sorgfältigen Anamnese inklusive Familienanamnese (Ausschlusskriterien!) und einer ausführlichen Untersuchung ab. Die in ≥5 Gelenken nachweisbare Arthritis ist üblicherweise symmetrisch und schließt kleine Gelenke ein. Bei der klinischen Untersuchung ist eine komplette Ganzkörperuntersuchung selbstverständlich; unter rheumatologischen Gesichtspunkten sollten nicht nur die Gelenke, sondern auch die Sehnenansätze (Enthesiopathie?) und die Haut (Psoriasiseffloreszenzen? Tüpfelnägel?) durch einen in der pädiatrischen Rheumatologie erfahrenen Kinderarzt untersucht werden. Oft ist die Diagnose nicht einfach zu stellen. Dies ist auch daran zu ermessen, wie viel Zeit vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnosestellung vergeht. Dabei kann die Verzögerung vom Auftreten der ersten Symptome bis zum Aufsuchen des Arztes (»Patientenverzögerung«) von der Verzögerung vom ersten Aufsuchen eines Arztes bis zur Diagnosestellung (»Arztverzögerung«) unterschieden werden. Die Patientenverzögerung wurde in einer Arbeit mit einem Median von einem Monat als relativ kurz gemessen, allerdings reichte die Zeitspanne von 0 bis 3,4 Jahre. Im Kontrast dazu war die Arztverzö-
gerung mit 3 Monaten deutlich länger mit einem Bereich von 0 bis 8,8 Jahren und überschritt bei ca. 13% der Patienten sogar ein Jahr. Dabei wurden die Polyarthritiden im Schnitt etwas schneller diagnostiziert wurden als die Oligoarthritiden (Gäre u. Fasth 1995). Oft ist die Diagnose besonders schwer zu stellen bei Patienten, die kaum entzündliche Zeichen, aber eine zunehmende Bewegungseinschränkung haben. Eine optimale diagnostische Abklärung sollte den Nachweis der entzündlich bedingten Arthritis führen und das Ausmaß des Gelenkbefalls und von ossären Veränderungen sowie der humoralen Entzündungsreaktion festlegen. Sie muss andere differenzialdiagnostisch wichtige Erkrankungen wie Malignome, Infektionen, Kollagenosen und Vaskulitiden ausschließen und die für die Klassifikation notwendigen oder prognoserelevante Parameter (z. B. RF) untersuchen. Im Verlauf dient die Diagnostik dann auch dem Monitoring der Krankheitsaktivität und von therapieassoziierten Nebenwirkungen. Natürlich muss eine Augenbeteiligung (Uveitis) ausgeschlossen werden, die ungefähr 5–10% der Kinder betrifft und häufiger bei ANA-positiven RF–-Polyarthritiden auftritt.
Labordiagnostik Eine Übersicht über die üblichen labordiagnostischen Verfahren ist in . Tab. 5.7 dargestellt. Ihre Interpretati-
. Tab. 5.7. RF–-Polyarthritis: Labordiagnostik Laborparameter
Bemerkungen
BSG
Unterschiedlich erhöht, kann aber auch normal sein
CRP
Unterschiedlich erhöht, kann aber auch normal sein
Blutbild
Anämie, Leukozytose, Thrombozytose als typische Zeichen einer Entzündung können, müssen aber nicht vorhanden sein
Leberfunktion
Normal
LDH
Kann bei der Unterscheidung zwischen malignen Erkrankungen (ALL, Lymphome, hier deutlich erhöht) und einer Polyarthritis einen Hinweis geben
Nierenfunktion
Normal
C3, C4, CH50
Normal, evtl. erniedrigt bei DD SLE
ANA, inkl. Subtypisierung
Positiv bei ca. einem Drittel der RF–-Polyarthritis, eher bei kleineren Mädchen mit symmetrischem Befall der größeren Gelenke. ANA können aber auch bei gesunden Kindern positiv sein. ds-DNA wichtig für DD SLE
HLA-B27
Abgrenzung zur enthesitisassoziierten Arthritis
RF
Abgrenzung zur RF+-Polyarthritis, dort 2-mal positiv im Abstand von mehr als 3 Monaten während der ersten 6 Monate der Erkrankung. Aber: Der RF ist weder zur Verifizierung noch zum Ausschluss einer JIA geeignet
Anti-CCP-Antikörper
Meist nur positiv bei RF+-Polyarthritis
Serologie
Borreliose; Streptokokken, reaktive Arthritiden (Yersinien, Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Mykoplasmen, Chlamydien)
Urinstatus
Unauffällig
Gelenkpunktion
Sinn ist der Ausschluss einer septischen Arthritis, eine septische Polyarthritis ist allerdings sehr ungewöhnlich (Neisserien?)
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
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on kann auch für die differenzialdiagnostische Abklärung wichtig sein.
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Bildgebende und apparative Diagnostik, Konsiliaruntersuchungen
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Auch die üblichen bildgebenden Verfahren helfen das Ausmass der Erkrankung festzulegen oder andere Ursachen auszuschließen. Bei typischem Verlauf sind belastende Untersuchungen wie MRT, CT, Szintigrafie, Biopsie oder Arthroskopie nicht notwendig.
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Sonografie. Die Sonografie als wenig belastende und nicht invasive Untersuchung kann durch Nachweis eines zellreichen Ergusses in mehreren Gelenken mit verdickter Synovia (Synoviaproliferation) und einer Tenosynovitis wesentlich zur Diagnosesicherung beitragen. Sie ist eine sensitive und verlässliche Methode für die Evaluation und die Verlaufsuntersuchung (Frosch et al. 2003). Eine Sonografie des Abdomen kann zur differenzialdiagnostischen Abklärung notwendig sein, z. B. bei Ver-
. Abb. 5.19. Röntgenaufnahmen einer 17 Jahre und 11 Monate alten Patienten mit seit Jahren bestehender polyartikulärer JIA (RF+). Oben: Rechte Hand a.-p. und seitlich. Subluxationsstellung im Daumengrundgelenk, kleine zystoide Aufhellungen sowohl im Bereich des Os-metacarpale-I-Köpfchens als auch der Daumengrundgliedbasis. Nachweis von eindeutigen Usuren im Bereich des Os-metacarpale-II-Köpfchens. Unten: Vorfuß beidseits a.-p. Nachweis von eindeutigen Usuren im Bereich des Os-metacarpale-V-Köpfchens. Typisch ist, dass sich die radiologischen Veränderungen an den Händen von medial nach lateral ausprägen, während dies an den Füßen umgekehrt ist. (Die Aufnahmen wurden im radiologischen Institut, ärztl. Direktor Prof. P. Winkler, des Olgahospitals Stuttgart angefertigt.)
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5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
dacht auf systemische JIA oder Tumorerkrankung mit der Fragestellung Lymphknoten, Milz, Leber, Serositis. Röntgen. Die Röntgenaufnahme der betroffenen Gelenke
erlaubt eine Abgrenzung gegenüber einer nichtarthritischen Erkrankung wie Tumor, Leukämie (metaphysäre Aufhellungsbänder), Epiphysiolyse, Osteochondrosis dissecans oder Osteonekrose. Dabei ist es bei einer Polyarthritis nicht sinnvoll, sämtliche befallene Gelenke zu röntgen, man kann sich auf ausgewählte Gelenke beschränken (z. B. im Bereich der Hände). Für die Sakroiliakalgelenke oder die Wirbelsäule ist die Sensitivität der Röntgenuntersuchung oft unzureichend. Frühe radiologische Veränderungen zeigen eine periartikuläre Weichteilschwellung, einen verbreiterten Gelenkspalt und eine Ossifikationsbeschleunigung oder auch eine gelenknahe Osteoporose, wobei bei einer RF– -Polyarthritis auch schon eine generalisierte Osteoporose sichtbar sein. Eine Gelenkspaltverschmälerung kann bereits innerhalb eines Jahres auftreten, zusätzlich kommen Erosionen, Destruktionen, Subluxationen und Ankylosierungen hinzu. Bei ungefähr 50% aller Kinder mit einer RF–-Polyarthritis finden sich zwei Jahre nach Diagnosestellung Zeichen einer radiologischen Progression mit Erosionen vor allem in den Karpal- und Metakarpophalangealgelenken (. Abb. 5.19). Die Progression ist umgekehrt mit der Zeitverzögerung bis zur Einleitung einer Therapie mit DMARDs korreliert; dies unterstreicht die Bedeutung der Einleitung einer frühzeitigen adäquaten Therapie (Bowyer et al. 2003; Mason et al. 2005) Über 5 Jahre nach der Diagnosestellung zeigten 43% der an RF–-Polyarthritis erkrankten Kinder im Vergleich zu 79% bei der RF+-Polyarthritis eine Gelenkspaltverschmälerung. Die entsprechenden Zahlen für die Erosionen waren 39% und 75%. Die radiologischen Zeichen des Gelenkschadens fanden sich vor allem in Hüften und Handgelenken, während Knie- und Sprunggelenke relativ ausgespart wurden. Die Gelenkspaltverschmälerungen, nicht aber die Erosionen korrelierten mit der Funktionseinschränkung, allerdings trug der Parameter »Schmerzen« am wesentlichsten zu Veränderungen im CHAQ bei (Oen et al. 2003).
wiederholten Untersuchungen bei 14 Kindern eine vermehrte Kontrastmittelaufnahme der temporomandibularen Gelenke gemessen, über 2 Drittel zeigten kondyläre Erosionen und ein Viertel einen Pannus. Bei allen Kindern mit klinischen Zeichen einer Beteiligung der temporomandibularen Gelenke zeigten sich auch MRT-Veränderungen, andererseits waren häufig MRT-Veränderungen ohne klinische Zeichen zu finden (Küseler et al. 2005). EKG, Echokardiografie. Vor allem bei Abgrenzung ei-
ner systemischen Arthritis oder einer Poststreptokokkenarthritis sinnvoll, auch zum Ausschluss einer kardialen Beteilgung bei DD SLE. Augenarzt. Spaltlampenuntersuchung und Visusbestimmung, regelmäßige Verlaufskontrollen nach den gegenwärtigen Richtlinien bei RF–-Polyarthritis alle 3 Monate für die ersten 6 Jahre der Erkrankung. Kieferorthopädie. Bei Verdacht auf Kiefergelenkaffektion wird eine Routinekontrolle alle 12 Monate empfohlen. Großzügige Indikation zur Durchführung eines Orthopantogramms, mindestens bei pathologischen Befunden auch MRT. Dermatologie. Konsiliaruntersuchung bei unklaren Hautbefunden. Auch eine Nagelfalzmikroskopie kann differenzialdiagnostisch (Mischkollagenose, Dermatomyositis) notwendig sein.
Differenzialdiagnose Bei klassischer Ausprägung ist die Diagnose RF–-Polyarthritis relativ leicht zu stellen, bei besonderen Formen wie zum Beispiel bei Krankheitsverläufen praktisch ohne Arthritiszeichen ist aber eine besonders gründliche und ausführliche differenzialdiagnostische Abklärung notwendig (. Tab. 5.8). ! Bei atypischer klinischer Präsentation und Laborkonstellation ist im Zweifel eine Knochenmarkpunktion zum Ausschluss einer Leukämie durchzuführen, dies ist besonders wichtig vor Beginn einer eventuellen Kortisontherapie.
Magnetresonanztomografie (MRT). Für die Diagnose ei-
ner typischen JIA ist die MRT für Routinezwecke sicher nicht notwendig. Allerdings kann sie in erfahrenen Händen für die Differenzialdiagnose von großer Bedeutung sein; sie gilt als die sensitivste Methode zum Nachweis der Krankheitsaktivität (Johnson u. Gardner-Medwin 2002). Von allen bildgebenden Verfahren ist die MRT für spezielle Fragestellungen in Bezug auf das Sakroiliakalgelenk, das Subtalargelenk, die (Hals-)Wirbelsäule und vor allem das Temporomandibulargelenk die Methode der Wahl. Bei einer Studie mit 15 Kindern mit einer neu diagnostizierten JIA (4 davon polyartikulär, 3 davon RF–) wurde bei
5.5.2
Rheumafaktorpositive Polyarthritis
Definition und Epidemiologie Die RF+-Polyarthritis ist definiert wie die RF–-Polyarthritis (Arthritis, die 5 oder mehr Gelenke während der ersten 6 Monate betrifft) mit der Ausnahme des Rheumafaktors. Dieser muss während der ersten 6 Monate der Erkrankung bei mindestens 2 Untersuchungen im Abstand von mehr als 3 Monaten positiv sein (Petty et al. 2001), ansonsten gelten die gleichen Ausschlusskriterien. Wegen der klinischen Ähnlichkeiten zu der RF–-Polyarthritis soll hier nur kurz
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
. Tab. 5.8. Differenzialdiagnose der JIA Erkrankungsgruppe
Erkrankung
Bemerkung
JIA, Kollagenosen, CRMO
JIA, systemisch
Die Arthritis kann polyartikulär sein. Typisch sind ein täglicher Fiebergipfel, zusätzlich Hepato-Splenomegalie und Exanthem. Abgrenzung: Klinik, Ausschlusskriterien
JIA, oligoartikulär
Klinisch manchmal schwierige Abgrenzung bei Befall von deutlich mehr als 4 Gelenken. Symmetrischer Befall von kleinen Gelenken weist auf Polyarthritis hin. Abgrenzung: Klinik
JIA, psoriasisassoziiert
Polyartikulärer Beginn möglich. Dabei ist das Muster eher asymmetrisch, typisch ist die Daktylitis. Hautveränderungen oft nicht vorhanden. Cave: Tüpfelnägel. Abgrenzung: Klinik, (Familien-)Anamnese, Ausschlusskriterien
JIA, enthesitisassoziiert
Ungefähr 1 Viertel mit polyartikulärem Beginn, meist aber nicht symmetrischer Befall der kleinen Gelenke, oft der unteren Extremität. Cave: Enthesitis, Uveitis anterior. Abgrenzung: Klinik, (Familien)-Anamnese, Ausschlusskriterien, HLA-B27
SLE
Häufg symmetrischer schmerzhafter Befall kleiner Gelenke. Cave: Fieber, Allgemeinsymptome Hautveränderungen, Mundschleimhaut, Nierenbeteiligung, Alopezie, Raynaud. Abgrenzung: Klinik, ds-DNA, C3, C4, Leukopenie, Anämie, Thrombopenie. Beim SLE findet sich im typischen Fall eine hohe BSG ohne wesentliche CRP-Erhöhung
Dermatomyositis
Hier können Arthralgien und milde, meist transiente und nicht-erosive Arthritiden auftreten. Die Arthritis kann polyartikulär sein. Oft ist die Bewegungseinchränkung nicht durch Arthritis, sondern durch Muskelkontrakturen bedingt. Abgrenzung: typische Veränderungen bei Dermatomyositis
Sklerodermie
Meist nur milde Arthritis, aber oft Morgensteifigkeit, Schmerzen, eingeschränkte Beweglichkeit. Cave: Hautveränderungen, Raynaud, Kalzinosis, Sicca-Symptomatik, Beteiligung innerer Organe. Abgrenzung: Klinik, Anti-Scl-70 (häufig) und AntizentromerenAntikörper (selten)
Chronisch-rekurrente multifokale Osteomyelitis
Schmerzen im muskuloskelettalen System, oft gelenknah, kann mit Arthritis einhergehen. Abgrenzung: Klinik, Bildgebung, Biopsie
Reaktive Arthritiden
Nach vorausgegangenem Infekt (z. B. Adeno- oder Parvoviren, Hepatitis, Röteln, Chlamydien, Yersinien, Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Mykoplasmen) auftretende Arthritis, oft selbstbegrenzt. Abgrenzung: Klinik, Serologie
Borreliose
Die Lyme-Arthritis ist selten (<10%) polyartikulär und hat oft einen episodischen Verlauf. Abgrenzung: Klinik, Serologie
Rheumatisches Fieber
Anhaltendes Fieber und eine sehr schmerzhafte wandernde Arthritis, die hauptsächlich die großen Gelenke befällt, sind typisch. Cave: Erythema marginatum, Herzbeteiligung, Chorea, subkutane Knoten. Abgrenzung: Klinik, EKG und Echo-KG, Streptokokkenserologie
Septische Arthritis
Sehr schmerzhaft, selten polyartikulär, aber beschrieben bei sexuell aktiven Adoleszenten (Gonokokken)
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Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
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5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
. Tab. 5.8. Fortsetzung Erkrankungsgruppe
Erkrankung
Bemerkung
Vaskulitiden
Kawasaki-Syndrom
Beim Kawasaki-Syndrom kann eine Polyarthritis auftreten, aber typisch sind Fieber, Haut- und Schleimhautveränderungen, Lymphknotenschwellungen. Abgrenzung: Klinik
Morbus Behçet
Bis zu 25% Arthritis, sowohl oligoartikulär als auch polyartikulär. Cave: orale und genitale Ulzerationen, Hautläsionen, Uveitis, zerebrale Beteiligung, Thrombosen. Abgrenzung: Klinik, HLA-B51, MIC-A*009 („MHC class I chain-related gene A”)
Purpura SchoenleinHenoch
Kann mit Arthritis einhergehen, diese ist aber meist mild und durch periartikuläre Entzündung gekennzeichnet. Cave: Hautveränderungen. Abgrenzung: Klinik; nur dann schwierig, wenn Arthritis der Hautveränderung vorangeht
Polyarteriitis nodosa
Die Polyarteriitis nodosa kann eine schwere und schmerzhafte Polyarthritis mit Muskelschmerzen verursachen. Cave: Hautverändeungen, Beteiligung innere Organe, Niere. Abgrenzung: Klinik, Biopsie
Maligne Erkrankungen
Leukämie, Lymphom Neuroblastom
Eine akute lymphatische Leukämie kann nicht nur Knochenschmerzen verursachen, sondern auch eine oligo- oder polyartikuläre Arthritis. Cave: Allgemeinsymptome, Leukopenie, relative Thrombopenie, erhöhte LDH, Katecholamine Abgrenzung: im Zweifelsfall Knochenmarkpunktion, insbesondere vor Kortisongabe
Angeborene und metabolische Erkrankungen
Kamptodaktylie-Arthropathie-Coxa-vara-Perikarditis-Syndrom
Schmerzlose, sehr ausgeprägte Polyarthritis mit oft großen Gelenkergüssen ohne Synoviaproliferation. Abgrenzung: Klinik, Genetik
Mukupolysaccharidosen
Abgrenzung: Klinik
Sarkoidose
Auch bei der Sarkoidose kann eine Polyarthritis auftreten, diese ist durch eine ausgeprägte synoviale Hypertrophie gekennzeichnet. Cave: Fieber, Hautverändeungen, Uveitis, Lungenbeteiligung. Abgrenzung: Klinik, Biopsie
Sichelzellanämie
Bei kleinen Kindern kann eine sehr schmerzhafte Schwellung von den ganzen Händen oder Füßen auftreten, dabei auch oft Fieber und Leukozytose, später eine wanderende Arthritis. Abgrenzung: Klinik, Hb-Elektrophorese
Hypermobilität
Überbewegliche Gelenke mit Schmerzen, oft abends/nachts, sehr selten Arthritis; Mädchen sind häufiger als Jungen betroffen. Abgrenzung: Klinik, fehlende Entzündungsparameter
Schmerzverstärkung
Chronische Schmerzen, aber bei den primären Formen keine Zeichen einer Arthritis. Abgrenzung: Klinik, fehlende Entzündungsparameter
Progressive pseudorheumatoide Dysplasie oder Arthropathie
Schmerzen in Fingern und Knien, gefolgt von Deformitäten und knöchern verdickten Fingergelenken; Patienten sind oft etwas kleiner als normal und haben evtl. eine lumbale Lordose. Abgrenzung: Klinik, fehlende Entzündungsparameter, Röntgen, Genetik
Pachydermodaktylie
Beidseitige Schwellung der PIP der Hände (v. a. 2.–4. Finger) mit Erythem und Verdickung der periartikulären Weichteilgewebe. Cave: Weichteilschwellung ohne röntgenologische Veränderungen. Abgrenzung: Klinik, evtl. Biopsie, fehlende Entzündungsparameter (Akikusa et al. 2005)
Sonstige
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
auf die Besonderheiten der RF+-Polyarthritis eingegangen werden; viele der für die RF–-Polyarthritis gemachten Ausführungen treffen auch auf die RF+-Polyarthritis zu. Die RF+-Polyarthritis ist aufgrund klinischer, laborchemischer und genetischer Faktoren mit der seropositiven rheumatoiden Arthritis des Erwachsenen identisch. Im Gegensatz zu dieser häufigsten Ursache einer chronischen Arthritis beim Erwachsenen ist die RF+-Polyarthritis bei Kindern und Jugendlichen aber selten und repäsentiert die kleinste Gruppe der JIA. Zwischen 0% und 16% der Patienten wurden als RF+ klassifiziert, wobei das Mittel der Studien aus Europa und Nordamerika bei ca. 2,5% lag. Die Häufigkeit der RF+-Polyarthritis in anderen Teilen der Welt scheint höher zu sein, eine brasilianische Studie ermittelte einen Anteil von 16%. Ob diese Unterschiede in der Häufigkeit durch eine unterschiedliche genetische Prädisposition, durch unterschiedliche Exposition gegenüber Umweltfaktoren wie Infektionen oder durch unterschiedliche Selektion zustande kommen, muss offen bleiben (Hofer u. Southwood 2002). Die RF+-Polyarthritis ist eine Erkrankung des späten Kindesalters oder der beginnenden Pubertät mit einem mittleren Erkrankungsbeginn bei ungefähr 9 Jahren und tritt sehr selten in den ersten Lebensjahren auf. Sie kommt wesentlicher häufiger bei Mädchen als bei Jungen vor, das Verhältnis weiblich zu männlich liegt zwischen 6 und 12 zu 1.
Ätiologie, Pathogenese, Genetik Auch die Ursache der RF+-Polyarthritis ist unbekannt. Im Gegensatz zu der DRB1*08-, DQA1*04- und DQB1*04Assoziation der RF–-Polyarthritis besteht bei der RF+-Polyarthritis wie bei der rheumatoiden Arthritis des Erwachsenen aber eine klare DRB1*04-Assoziation. Auch die klonale Restriktion von Vβ14+-T-Zellen aus der Synovialflüssigkeit ist ein Zeichen der RF+-Polyarthritis und weist auf einen unterschiedlichen molekularen Mechanismus in der Genese verschiedener Subtypen der JIA hin (Thompson et al. 1995).
Klinische Symptome Im Vergleich zur RF–-Polyarthritis besteht bei der RF+Polyarthritis eine Tendenz zum Befall von mehr Gelenken unter Einschluss der kleinen Gelenke von Händen und Füßen und zur ausgeprägteren Symmetrie. Deswegen präsentieren sich die meist weiblichen adoleszenten Patienten mit dem Bild einer symmetrischen Polyarthritis unter Einschluss der kleinen Gelenke der Hände und Füße, dabei sind häufig die Metokarpophalangealgelenke (MCP) und proximalen Interphalangealgelenke (PIP) sowie die Metatarsophalangealgelenke beteiligt. Die großen Extremitätengelenke sind ebenfalls beteiligt, weniger oft das Achsenskelett. Oft besteht auch eine Weichteilschwellung im Handgelenk- und Handrückenbereich und eine Tenosynovitis meist der Strecksehnen, dies kann häufiger
als bei den anderen Formen der JIA zu einem Schnappfinger oder sogar zur Sehnenruptur führen. Die Patienten entwickeln in bis zu 30% der Fälle subkutane, gut verschiebliche Rheumaknoten über Druckpunkten und Sehnenscheiden, z. B. an der Streckseite der Unterarme oder über dem Olekranon. Als extraartikuläre Symptome können Müdigkeit, subfebrile Temperaturen, Gewichtsverlust, gering ausgeprägte Hepatosplenomegalie und vergrößerte Lymphknoten auftreten. Zusätzlich kann selten eine die kleinen bis mittleren Gefäße betreffende Vaskulitis auftreten, eine Uveitis kommt praktisch nie vor.
Diagnose Wie bei der RF–-Polyarthritis gilt auch für die RF+-Polyarthritis, dass die Diagnose nach klinischen und anamnestischen Gesichtspunkten gestellt wird. Natürlich muss der Rheumafaktor positiv sein, aber es gibt auch hier keine beweisenden Laborwerte oder Untersuchungen.
Labordiagnostik Die Labordiagnostik wird nach den gleichen Gesichtspunkten durchgeführt wie in . Tab. 5.7 dargestellt. Bei der rheumatoiden Arthritis des Erwachsenen kann der IgM anti-IgG Rheumafaktor (RF) bei ungefähr 75% der Patienten nachgewiesen werden, aber seine Spezifität ist begrenzt. Bei Kindern mit RF+-Polyarthritis muss der RF definitionsgemäß zu 100% positiv sein, aber der RF kann auch bei Kindern mit anderen Erkrankungen positiv sein; er ist deswegen keine Hilfe für die Diagnosestellung einer rheumatischen Erkrankung im Kindesalter. Ein negativer RF schließt eine JIA nicht aus, da nur ca. 5% aller Kinder mit JIA RF+ sind. Ein positiver RF unterstützt bei entsprechender Klinik die Verdachtsdiagnose, das Ergebnis dient der Klassifikation und damit auch der prognostischen Einordnung. Da es Hinweise auf eine Untergruppe von RF+-Patienten mit oligoartikulärem, aber erosivem Verlauf gibt, kann die Bestimmung des RF auch bei nicht polyartikulären Erkrankungen indiziert sein (Sailer et al. 1997). Antikörper gegen zyklisches citrulliniertes Peptid (Anti-CCP) lassen sich bei 60–75% aller Patienten mit RA nachweisen. Die Spezifität von anti-CCP bei der RA beträgt 96–98%, die Sensitivität über 60%. Dabei kann das Vorhandensein der Antikörper mit schlechteren radiologischen Verläufen verbunden sein. Anti-CCP Antikörper lassen sich auch bei Kindern mit JIA nachweisen, aber fast ausschließlich bei der RF+-Polyarthritis. Ein positiver anti-CCP-Test selektioniert damit für eine Untergruppe der JIA, der Test ist aber nicht geeignet für die Diagnosestellung einer JIA, er sollte nur bei polyartikulären Formen der JIA durchgeführt werden. Die Tatsache, dass Anti-CCP-Antikörper nur bei der RF+-Polyarthritis vorkommen, unterstützt die Hypothese, dass diese Form mit der RA des Erwachsenenalters identisch ist (van Rossum et al. 2003).
221
5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
Bildgebende Diagnostik Auch hier gibt es bezüglich der Diagnostik keine wesentlichen Unterschiede zum Vorgehen bei der RF–-Polyarthritis. Durch den aggressiveren Verlauf der RF+-Polyarthritis kommt es aber früher und wesentlich häufiger zu radiologisch nachweisbaren Veränderungen als bei den anderen Untergruppen der JIA (. Tab. 5.9). Radiologische Schäden lassen sich besonders häufig an den Handgelenken, Metakarpophalangealgelenken und Hüften nachweisen.
Differenzialdiagnose Es sind prinzipiell die gleichen Erkrankungen in die differenzialdiagnostischen Überlegungen wie bei der RF–-Polyarthritis einzubeziehen, allerdings ergeben sich aus dem höheren Erkrankungsalter bei der RF+-Polyarthritis andere Schwerpunkte. Insbesondere ist auf die Abgrenzung zu einem SLE und zu den Mischkollagenosen zu achten.
5.5.3
Therapie
Behandlungsziele und Behandlungsteam Die Behandlung der JIA muss nicht nur den Erhalt und die Wiederherstellung der Gelenkfunktion im Auge haben, sondern auch die möglichst normale Entwicklung des Kindes und die Integrität der bestehenden Familienstruktur. Die enormen psychischen Belastungen für den Patienten und seine Familie, der mit der Therapie verbundene Zeitaufwand und die finanziellen Mehraufwendungen stellen einen sehr schwierigen und oft nur mit Mühe zu überwindenden Problemkreis dar.
Deswegen ist es selbstverständlich, dass die oft über viele Jahre notwendige Therapie nur von einem erfahrenen und interdisziplinären Team geleistet werden sollte. Diesem Team müssen neben dem Kinderheumatologen auch andere ärztliche Fachdisziplinen (u. a. Augenarzt, Orthopäde, Kieferorthopäde) angehören und vor allen Dingen auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem krankengymnastischen, ergotherapeutischen und psychosozialen Bereich. Um eine normale Entwicklung zu gewährleisten, ist eine möglichst normale Integration des Kindes in seinen Alltag (Kindergarten, Schule, Sport, Spiel, soziales Umfeld) notwendig. Das bedeutet auch, dass Krankenhausaufenthalte auf ein vertretbares Minimum beschränkt werden sollten und eine weitgehend ambulante Betreuung durch das interdisziplinäre Rheumateam vorzuziehen ist.
Medikamentöse Therapie Obwohl hier betont werden soll, dass alle oben genannten Säulen der Therapie für ihren Erfolg von großer Bedeutung sind, wird im Rahmen dieses Kapitels der Schwerpunkt auf die medikamentöse Therapie gelegt, die anderen Aspekte werden in 7 Kap. 14 und 15 dargestellt. Da in den wenigsten Studien ein Unterschied zwischen RF–-Polyarthritis und RF+-Polyarthritis gemacht wird, soll die Behandlung für beide Formen hier gemeinsam dargestellt werden, auch wenn die RF+-Polyarthritis tendeziell schwerer verläuft und intensiverer medikamentöser Behandlung bedarf. Unverändert steht für die JIA keine kausale medikamentöse Therapie zur Verfügung. Trotzdem hat sich die Behandlung in den letzten Jahren dramatisch verbessert mit sehr positiven Auswirkungen für die betroffenen Kin-
. Tab. 5.9. Prozentzahl nachgewiesener radiologischer Veränderungen bei verschiedenen JRA-Untergruppen Frühaufnahme (<2 Jahrea)
Erkrankung Systemisch
Pauciartikulär
RF–-Polyarthritis
RF+-Polyarthritis
aKrankheitsdauer;
Spätaufnahme (2–24 Jahrea)
Gelenkspaltverschmälerung
30
38
Erosionen
35
63
Wachstumsstörung
10
25
Gelenkspaltverschmälerung
5
14
Erosionen
9
25
Wachstumsstörung
22
27
Gelenkspaltverschmälerung
12
43
Erosionen
18
39
Wachstumsstörung
18
43
Gelenkspaltverschmälerung
32
79
Erosionen
55
75
Wachstumsstörung
45
32
nach Oen et al. 2003, Klassifikation nach JRA-Kriterien. Die Gelenkspaltverschmälerungen und nicht die Erosionen korrelieren mit der Funktionseinschränkung.
5
222
1 2
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
der und Jugendlichen. Das Ziel der Reduktion der Schmerzen und der Kontrolle des entzündlichen Prozesses und damit der Verbesserung von Wachstum und Entwicklung kann wesentlich effizienter als früher erreicht werden. Diese erfreuliche Entwicklung kommt durch eine Erwei-
terung der Auswahl von Substanzen in bekannten Medikamentengruppen, durch eine vollständig neue Klasse von Medikamenten und durch den gezielteren Einsatz von bekannten Medikamenten zustande. Dabei kommen vor allem die in . Tab. 5.10 dargestellten Substanzen bei
3 4 5
. Tab. 5.10. Medikamentöse Behandlung der JIA Gruppe
Substanz
Dosis (Bereich)
Gaben (pro Zeiteinheit)
Naproxen
10–20 mg/kg/Tag p.o.
2-mal/Tag
Ibuprofen
20–40 mg/kg/Tag p.o.
3-mal/Tag
Diclofenac
2–3 mg/kg/Tag p.o.
3-mal/Tag
Indomethazin
1–3 mg/kg/Tag p.o.
3-mal/Tag
COX-2-Inhibitoren
Meloxicam
0,125–0,25 mg/kg/Tag p.o.
1-mal/Tag
DMARD
Methotrexat (MTX)
10–20 mg/m2 Körperoberfläche p.o., s.c., i.m.
1-mal/ Woche
Azathioprin
1,5–3 mg/kg/Tag p.o.
1- bis 2-mal/Tag
Chloroquin
3–3,5 mg/kg/Tag p.o.
≤1-mal/Tag
Hydroxychloroquin
3–5 mg/kg/Tag p.o.
≤1-mal/Tag
Sulfasalazin
(einschleichen!) 30–50 mg/kg/Tag p.o.
2- bis 3-mal/Tag
Ciclosporin
2–5 mg/kg/Tag p.o.
2-mal/Tag
Leflunomid
<20 kg: Ladedosis (1 d): 100 mg p.o.
NSAID COX-1-Inhibitoren
6 7 8 9 10 11 12
Erhalt : 10 mg p.o.
13
20–40 kg: Ladedosis (2 d): 100 mg p.o. Erhalt : 10 mg p.o.
14
16
2-mal/Tag
Cyclophosphamid
0,5–2 mg/kg/Tag p.o. oder 500
Kortikosteroide
20
23
1-mal/Tag
mg/m2
1200
Systemisch: Prednisolon
Biologicals
mg/m2
i.v.
1-mal/Tag 1-mal/ Monat
Hochdosis; initial ≥1–2 mg/kg/Tag p.o.
2- bis 3-mal/Tag
Mitteldosis; >0,2 <1,0 mg/kg/Tag p.o.
1-mal/Tag (morgens)
Niedrigdosis; Erhalt ≤0,2 mg/kg/Tag p.o.
1-mal/Tag (morgens)
Methylprednisolon-Stoßtherapie: 20–30 mg/kg/ Tag für 3 Tage
1-mal/Monat
Lokal (Gelenk): TriamcinolonHexacetonid
1 mg/kg (Knie,Hüfte,Schulter, max. 40 mg) 0,5 mg/kg (Sprung- und Handgelenke, Ellbogen) 1–2 mg /Gelenk (MCP/MCT) 0,5–1 mg /Gelenk (PIP)
1-mal/Quartal
Etanercept
0,4 mg/kg/Tag s.c.
2-mal/Woche
Infliximab
3–6 (10) mg/kg/Tag i.v.
Woche 0, 2, 6, danach alle 8 Wochen
Adalimumab
24 mg/m2/Tag s.c.; ab 30 kg 40 mg
Alle 2 Wochen
Anakinra
1 mg/kg/Tag s.c.
1-mal/Tag
19
22
Erhalt : 20 mg p.o. Mycophenolat-Mofetil
18
21
1-mal/Tag
>40 kg: Ladedosis (3d): 100 mg p.o.
15
17
Jeden 2. Tag
DMARD disease modifying antirheumatic drugs; NSAID nonsteroidal antiinflammatory drugs.
223
5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
den polyartikulären Formen der JIA zum Einsatz. Häufig ist ein ausreichendes Ansprechen der Erkrankung aber nur durch eine Kombination verschiedener Medikamente aus verschiedenen Substanzgruppen zu erzielen.
NSAID Die NSAID kontrollieren Schmerzen und Entzündung über eine Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase (COX), das im Körper in 2 Formen vorliegt, COX-1 und COX2. Die »älteren« NSAID hemmen COX-1 und COX-2 im Verhältnis 1:1, die »selektiven« neueren NSAID hemmen COX-2 bis zu 300fach mehr als COX-1. Während COX1 in allen Körperzellen konstitutiv exprimiert wird, ist COX-2 in entzündeten Geweben induzierbar. Theoretisch ist deswegen bei der Verwendung von COX-2-Inhibitoren zu erwarten, dass weniger gastrointestinale Nebenwirkungen auftreten. Für Meloxicam konnte bei der JIA gezeigt werden, dass es bezüglich Wirkung und Verträglichkeit mit Naproxen vergleichbar ist, aber den Vorteil einer einmaligen täglichen Gabe hat. Für die meisten COX-2Inhibitoren wurden bei älteren Patienten jedoch erhöhte kardiovaskuläre Nebenwirkungen gezeigt, so für Celecoxib, Rofecoxib, Parecoxib und Valdecoxib. Aufgrund dieser Nebenwirkungen wurde die Zulassung von COX-2Inhibitoren teilweise zurückgezogen (Ruperto et al. 2005; Bresalier et al. 2005). Wegen der Möglichkeit der kardiovaskulären Nebenwirkungen von COX-2-Inhibitoren einerseits und der jahrzehntelangen guten Erfahrung bei geringer gastrointestinaler Toxizität der COX-1-Inhibitoren im Kindesalter andererseits ist der Einsatz von COX-2-Inhibitoren bei Kindern sehr kritisch zu sehen. Bei den Polyarthritiden werden die NSAID als erste Medikamente eingesetzt, sie alleine reichen aber praktisch nie zur Kontrolle der Erkrankung aus, weswegen nach Diagnosesicherung eine rasche Therapieintensivierung erfolgen sollte. Die Auswahl der NSAID beruht auf Verfügbarkeit, Geschmack und persönlichen Präferenzen. Insgesamt wird Naproxen am häufigsten eingesetzt, das wegen der längeren Halbwertszeit nur 2-mal pro Tag verabreicht werden muss. Dies hat deutliche Vorteile für die Compliance gegenüber Medikamenten, die 3- bis 4-mal pro Tag gegeben werden müssen. Bei Naproxen ist aber auch als Nebenwirkung die Pseudoporphyrie besonders bei hellhäutigen Kindern am häufigsten. Bei der Anwendung von Indomethazin kann es nicht selten zu Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten kommen. Bei Diclofenac ist die lange Halbwertszeit neuerer Retardpräparate vorteilhaft, diese müssen nur noch einmal am Tag gegeben werden. Abschließend ist noch zu bemerken, dass Acetylsalizylsäure von wenigen Ausnahmen abgesehen (Kawasaki-Syndrom, rheumatisches Fieber) als Antiphlogistikum heute keinen Platz mehr hat in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen im Kindesalter.
Evidenz Zwischen den bekannten COX-1-Inhibitoren bestehen keine gesicherten Unterschiede bezüglich ihrer Wirksamkeit, für ihren Einsatz gilt Evidenzniveau IB–IIA.
DMARD Die DMARD werden bei den Polyarthritiden frühzeitig eingesetzt, da NSAID und lokale Therapiemaßnahmen meist nicht ausreichen, die Erkrankung zu kontrollieren. Wegen des langsamen Wirkungseintritts der DMARD (bis 3 Monate) muss die Zeit evtl. durch Kortikosteroide überbrückt werden (»bridging agent«). DMARD können mit NSAID und Steroiden kombiniert werden. Evidenz Für die DMARD Methotrexat, Sulfasalazin und Leflunomid wurde in kontrollierten und randomisierten Studien gezeigt, dass sie bei den polyartikulären Formen der JIA wirksam sind (Evidenzniveau IA–IB). Im Gegensatz dazu sind Penicillamin, Goldpräparate und Hydroxychloroquin von nur fraglicher Wirksamkeit, ihre Effizienz konnte nie in kontrollierten Studien gezeigt werden. Allerdings haben Chloroquin und Hydroxychloroquin nach Expertenmeinung ihre Berechtigung vor allem in der Kombinationsbehandlung der JIA (Evidenzniveau IV), ihre Effizienz konnte auch bei der RA gezeigt werden.
Methotrexat (MTX). MTX als Folsäureantagonist ist das »Second-line-Mittel« der Wahl bei vielen Formen der JIA, und es kann mit anderen Medikamenten kombiniert werden. Der Nachweis seiner Wirksamkeit wurde in einer randomisierten kontrollierten doppelblinden Studie erbracht. Unter 10 mg/m2 MTX pro Woche zeigten 63% der Patienten eine Verbesserung, die Hälfte der behandelten Patienten hatte einen polyartikulären Verlauf. Diese Ergebnisse wurden auch in anderen Arbeiten bestätigt mit Ansprechraten bis 50% bei polyartikulären Patienten. In Anbetracht des häufigen Einsatzes von MTX gibt es aber immer noch relativ wenige Studien bezüglich des optimalen Gebrauchs bei den verschiedenen Untergruppen. Bei therapieresistenten Fällen scheint eine Dosissteigerung über 15 mg/m2 hinaus keinen zusätzlichen Gewinn mehr zu bringen, dabei ist eine subkutane Applikation zu bevorzugen (Giannini et al. 1992; Murray u. Lovell 2002; Ruperto et al. 2004; Alsufyani et al. 2004). Wann eine MTX-Therapie nach Erreichen einer klinischen und laborchemischen Remission beendet werden kann, ist unklar. Insgesamt wird nach Absetzen von MTX über Rezidivraten von bis zu 50% berichtet, hier scheinen keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Untergruppen zu bestehen. Häufig wird eine Fortführung der MTX-
5
224
1 2 3 4 5
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Behandlung für bis zu einem Jahr nach Remission empfohlen, teilweise noch mit anschließendem Ausschleichen. Dafür gibt es aber keine kontrollierten Studien. In einer Arbeit mit 25 JIA-Patienten, davon 13 polyartikulär, wurde kein Unterschied gefunden zwischen frühem (Schnitt 3,8 Monate) und spätem (Schnitt 12,6 Monate) Absetzen von MTX. Als hilfreicher Paramater für die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs wurde die Messung der »Myeloid-related-Proteine« (MRP) 8 und 14 vorgeschlagen (Ravelli et al. 1995; Gottlieb et al. 1997; Foell et al. 2004). Azathioprin. Azathioprin greift über die Purinsynthese in
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
den DNA-Synthese ein. Die Wirksamkeit wurde in einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie über 16 Wochen geprüft. Bereits nach 8 Wochen wurde eine geringe Reduktion der Krankheitsaktivität registriert. Im klinischen Alltag ist Azathioprin weitgehend von MTX verdrängt worden, sollte der Einsatz von Azathioprin doch überlegt werden, ist vorher zur Vermeidung hämatologischer Nebenwirkungen die Bestimmung der Thiopurinmethyltransferase (TPMT) indiziert (Kvien et al. 1986). Sulfasalazin. Der Schwerpunkt des Einsatzes von Sulfasalazin wird im allgemeinen bei den enthesitisassoziierten Arthritiden gesehen. Diese Ansicht wird von einer Metaanalyse unterstützt, die besonders bei Spondyloarthropathien einen Nutzen von Sulfasalazin beschrieb, obwohl die Substanz auch bei polyartikulären Formen wirksam war und eine randomisierte und placebokontrollierte Studie keinen Unterschied zwischen oligoartikulärer und polyartikulärer Form fand bei insgesamt guter Effektivität, aber hoher Nebenwirkungsrate (Van Rossum et al. 1998; Brooks 2001). In der Praxis wird aber bei den polyartikulären Formen MTX vor Sulfasalazin eingesetzt werden und bei Erfolglosigkeit von MTX wird üblicherweise nicht auf Sulfasalazin, sondern auf Biologicals umgesetzt. Ciclosporin. Ciclosporin entfaltet seine Wirkung über die Bindung an Ciclophilin, wodurch über einen Calcineurinantagonismus die Expression des Interleukin-2-Gens behindert und dadurch die Proliferation aktivierter T-Zellen unterdrückt wird. Für die Anwendung von Ciclosporin bei der JIA gibt es keine kontrollierten Studien, in mehreren nicht-kontrollierten Studien wurde aber ein Effekt beschrieben. Dabei war Ciclosporin allerdings besonders effektiv bei der systemischen Form der JIA zur Beeinflussung des Fiebers. Ciclosporin wird nur bei schweren Krankheitsverläufen und fast immer erst nach Versagen anderer medikamentöser Therapien oder zum Einsparen von Steroiden eingesetzt. Wegen der möglichen Nebenwirkungen (insbesondere Nephrotoxizität) sind häufige Laborkontrollen notwendig (Gerloni et al. 2001). Leflunomid. Leflunomid ist ein kompetitiver Inhibitor
der Dihydroorotatdehydrogenase und hemmt damit die
De-novo-Synthese von Pyrimidinen. Nach oraler Applikation wird die Substanz in die aktive Form A77 1726 umgewandelt, diese Substanz ist zu einem hohen Prozentsatz an Proteine gebunden und hat eine Halbwertszeit von 15– 18 Tagen (Olsen u. Stein 2004). Bei der RA wurde die Effizienz als ungefähr gleich wie die von MTX eingeordnet. In einer Studie, die MTX mit Leflunomid bei Patienten mit polyartikulärer JIA verglich, hatten beide Gruppen hohe Ansprechraten, allerdings war MTX effektiver als Leflunomid, dies kann evtl. auf eine teilweise Unterdosierung von Leflunomid zurückgeführt werden. Leflunomid war auch effektiv bei JIA-Polyarthritis-Patienten, die nicht auf MTX angesprochen hatten oder dieses nicht vertrugen. Bei den Nebenwirkungen war Leflunomid nach einer Therapiedauer von 48 Wochen nicht schlechter als MTX (Silverman et al. 2005). Der Stellenwert von Leflunomid in der Behandlung der JIA-Polyarthritiden muss noch bestimmt werden, bei MTX-Resistenz oder -Unverträglichkeit erscheint ein Einsatz sinnvoll, obwohl im praktischen pädiatrischen Gebrauch die lange Halbwertszeit Anlass zu Bedenken geben kann. Bei Intoxikation ist die Gabe von Cholestyramin zur Beschleunigung der Elimination notwendig. Aufgrund der Hepatotoxizität sollte keine Kombination mit MTX erfolgen bzw. eine besonders strenge Therapieüberwachung.
Kortikosteroide Intraartikulär. Das Ziel einer intraartikulären Injektion ist die rasche Reduktion der Synovitis mit den damit verbundenen Symptomen. Bei Kindern mit polyartikulärer Arthritis kann die Strategie vorgeschlagen werden, durch die Injektionen eine Remission zu induzieren, während eine Behandlung mit DMARD begonnen wird, die längere Zeit bis zum Wirkungseintritt benötigen. In anderen Situationen kann die intrartikuläre Injektion benutzt werden, um einen Schub der Erkrankung bei Kindern die bereits mit DMARD behandelt werden, zu kontrollieren, ohne die Dosis und damit Toxizität der DMARD zu steigern. Alternativ kann in diesen Situationen auch eine Methylprednisolonpulstherapie diskutiert werden. Bisher gibt es keine kontrollierten Studien, die intraartikuläre Steroide mit systemischer Methylprednisolonpulstherapie in Bezug auf Effektivität und Toxizität vergleichen. Erfahrungsgemäß ist aber der Effekt der intrartikulären Injektion deutlich länger anhaltend als der Erfolg einer Stoßtherapie, die wiederum klinisch inapparente oder nicht injizierbare (HWS-)Gelenke mitbehandelt. Eine Entscheidung sollte deswegen abhängig sein von der Zahl und Lokalisation der betroffenen Gelenke und auch der Erfahrung des Behandlers (Cleary et al. 2003). Für die Injektionsbehandlung ist Triamcinolon-Hexacetonid Mittel der Wahl, dieses ist Triamcinolon-Acetonid deutlich überlegen (Evidenzniveau Ib) (Zulian et al. 2004). Alle Subgruppen der JIA sprechen auf die Behandlung an, die Zeitdauer der Wirksamkeit ist aber bei den RF+-Poly-
5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
arthritiden mit 63 Wochen deutlich geringer als bei den RF– -Polyarthritiden mit 105 Wochen (im Vergleich oligoartikulär 121 Wochen), es wurde von Ansprechraten bis über 80% berichtet (Breit et al. 2000; Padeh u. Passwell 1998). Systemisch. Glukokortikoide sind hochpotente antiinflammatorische und schnell wirksame Substanzen, deren systemischer Einsatz aber wegen der bekannten Nebenwirkungen nur zurückhaltend und umsichtig erfolgen sollte. Der Einsatz sollte bei polyartikulär betroffenen Patienten klinischen Situationen wie schweren Schmerzen oder ausgeprägten Funktionseinschränkungen vorbehalten sein und kann so den Zeitraum bis zum Wirkungseintritt von DMARD überbrücken. Gerade in dieser Situation kann der Einsatz einer Methylprednisolon-Stoßtherapie sinnvoll sein, und die orale Steroiddauertherapie sollte so schnell wie möglich auf Niedrigdosisniveau (. Tab. 5.10) reduziert werden. Es gibt aber keine festgelegten Dosierungen in der Pädiatrischen Rheumatologie, sondern ausschließlich persönliche Empfehlungen (Evidenzniveau IV). Besonders in der Zeit vor der Verwendung der Biologicals hatten eine nicht unerhebliche Zahl von Patienten mit Polyarthritis ohne den dauerhaften Einsatz von Glukokortikoiden sehr schwere Krankheitsverläufe.
Biologicals Die Einführung der »biologischen« Medikamente und hier vor allem von Antitumornekrosefaktor-(TNF-) Substanzen hat die Therapie der rheumatischen Erkrankungen im Kindesalter wesentlich erweitert und verbessert. Die Schlüsselrolle von TNF in experimentellen und humanen Arthropathien wurde vielfach gezeigt und die erfolgreiche Anwendung dieser Therapie auch bei Kindern mit JIA bestätigt die zentrale Stellung dieses Zytokins in der Pathogenese. Allen Zytokinantagonisten ist aber gemeinsam, dass sie nicht nur ein Risiko der Immunsuppression (Tuberkulose) beinhalten, sondern dass auch über ihre Langzeitnebenwirkungen bisher relativ wenig bekannt ist. Neben dem Auftreten von Infektionen und Autoimmunerkrankungen wird immer wieder auch ein erhöhtes Malignitätsrisiko diskutiert. Die voliegenden Daten bei Erwachsenen mit RA unter anti-TNF-Therapie deuten darauf hin, dass diese Patienten eine höhere Rate an Lymphomen haben als Gesunde. Es ist aber nicht klar, ob RA-Patienten unter Anti-TNF-Therapie ein höheres Lymphomrisko haben als RA-Patienten unter konventioneller Therapie (Keystone 2005). Sicher sollte jedoch der Einsatz der neuen biologischen Medikamente vorläufig auf diejenigen Patienten beschränkt bleiben, die auf die konventionelle Therapie nicht ausreichend ansprechen oder unzumutbare Nebenwirkungen haben. Etanercept. Etanercept ist ein lösliches TNF-Rezeptor Fusionsprotein, das aus zwei p75-TNF-Rezeptoren und dem Fc-Teil von humanem IgG1 besteht. Das Fusionspro-
225
tein bindet an TNF-α und TNF-β (Lymphotoxin) und verhindert so deren Interaktion mit ihren eigentlichen Rezeptoren. Die Wirkung von Etanercept wurde zunächst in einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie (Evidenzniveau IB) bei Patienten mit polyartikulärem Verlauf gezeigt, dabei sprachen 3 Viertel der Patienten mit einer Verbesserung um mindestens 30% an. Diese Ergebnisse wurden mehrfach auch über einen längeren Zeitraum von 2 Jahren bestätigt. Im deutschen Etanercept-Register verbesserten sich von 322 Patienten mit JIA (94 RF–Polyarthritis, 39 RF+-Polyarthritis) nach 6 Monaten 83% um 30% nach den Giannini-Kriterien, 72% der Patienten um 50% und 52% der Patienten um 70%. Insgesamt war die Verbesserungsrate bei den polyartikulären Patienten höher als der Durchschnitt, da sie bei den Patienten mit systemischer Erkrankung niedriger lag. Trotz der hohen Kosten von Etanercept steigen die Behandlungkosten insgesamt nur geringfügig an, da weniger indirekte Kosten verursacht werden (Lovell et al. 2000; Lovell et al. 2003; Horneff et al. 2004; Schmeling et al. 2001; Haapasaari et al. 2004). Insbesondere profitieren besonders die Patienten mit polyartikulärer JIA von einer Behandlung mit Etanercept, das Medikament hält wahrscheinlich auch die radiologische Progression der Erkrankung auf, eine Kombination mit MTX ist sinnvoll. Infliximab. Infliximab ist ein chimerischer monoklonaler
Anti-TNF-Antikörper, d. h., dass die variable Region eines monoklonalen Mausantikörpers an die konstante Region eines humanen IgG1-Antikörpers fusioniert ist. Infliximab bindet an lösliches und membrangebundenes TNF-α und führt über antikörper- und komplementabhängige Zytotoxizität auch zur Zerstörung von Zellen, die TNF-α exprimieren. In einer Studie mit 24 Patienten (Polyarthritis) war Infliximab in seiner Wirksamkeit nach 12 Monaten identisch mit Etanercept, wobei die Rate der Studienabbrecher wegen Nebenwirkungen in der Infliximab-Gruppe deutlich höher war. Eine offene Studie mit polyartikulären Patienten im jungen Erwachsenenalter zeigte ebenfalls eine deutliche Besserung unter Infliximab-Therapie in Kombination mit MTX. Obwohl die Patienten eine schwer betroffene Gruppe mit vielfach therapieresistentem Verlauf darstellten, war ein Drittel bei der Abschlussvisite ohne Aktivitätszeichen in den Gelenken, aber 20% mussten die Therapie abbrechen (Lahdenne et al. 2003; Gerloni et al. 2005). Der Stellenwert von Infliximab in der Therapie der polyarthritischen JIA muss noch näher bestimmt werden. Insgesamt scheinen Infliximab und Etanercept gleichwertig zu sein bezüglich Wirkung, bei erhöhter Nebenwirkungsrate von Infliximab. Bei Versagen der EtanerceptTherapie ist durchaus ein Umsetzen auf Infliximab zu überlegen (und umgekehrt). Bei der Wahl zwischen den
5
226
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
1
beiden Medikamenten spielt auch die unterschiedliche Applikationsart eine Rolle.
2
Adalimumab. Adalimumab ist ein rekombinanter, komplett humanisierter IgG1-Anti-TNF-Antikörper und in seiner Wirkungsweise mit Infliximab vergleichbar. Patienten mit RA scheinen auf eine Adalimumab-Behandlung nicht ganz so gut anzusprechen wie auf Etanercept, aber in Kombination mit MTX wurde eine sehr gute Antwort gezeigt. Erste Erfahrungen bei polyartikulären JIA-Patienten liegen vor und sind vielversprechend. Eine 16-wöchige Studie mit 155 Patienten zeigte bei 91% der Patienten ein Ansprechen (Verbesserung um 30%), immerhin 70% der Patienten zeigten eine Verbesserung um 70%. Diejenigen Patienten die parallel MTX einnahmen, zeigten ein besseres und schnelleres Ansprechen. Das Medikament wurde gut vertragen und hat bei erwachsenen RA-Patienten bereits die Inhibition der radiologischen Progression gezeigt. Sollten sich die vielversprechenden Daten in längeren Studien bestätigen, wäre Adalimumab eine weitere wertvolle Bereicherung der therapeutischen Möglichkeiten, insbesondere da eine subkutane Applikation nur alle 2 Wochen notwendig ist (Lovell et al. 2004; Olsen u. Stein 2004).
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Anakinra. Anakinra ist ein rekombinanter Interleukin-
1-Rezeptor-Antagonist, der an den IL-1-Rezeptor bindet und so die proinflammatorische Wirkung von IL-1 vermindert. Bei Erwachsenen wurde die Wirksamkeit von Anakinra auch bei der RA gezeigt, 40–50% der Patienten zeigten eine Besserung um 20%. Allerdings war eine ausgeprägte Besserung nach 48 Wochen Therapiedauer selten zu beobachten. Auch Anakinra kann wahrscheinlich die radiologische Progression der RA verlangsamen. Bei Kindern liegen bislang nur wenige Erfahrungen vor, bei polyartikulären Verläufen der JIA wird von einer Ansprechrate von fast 70% berichtet, diese ist am höchsten bei Patienten mit systemischer Arthritis (Olsen u. Stein 2004; Lovell 2004; Verbsky u. White 2004). Auch in unserem Patientengut hat Anakinra bei Patienten mit therapierefraktärem M. Still teilweise eine sehr gute Wirkung gezeigt. Bis zum Vorliegen weiterer Daten ist Anakinra bei den polyarthritischen Formen der JIA nur von eingeschränkter Bedeutung. Anti-Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper, Atlizumab. At-
lizumab ist ein humanisierter monoklonaler anti-Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper, für den bei der RA ACR50Ansprechraten von 40% berichtet wurden. Bei Kindern liegen sehr gute Ergebnisse bei der Behandlung der systemischen Arthritis vor, nicht aber bei den RF–- oder RF+Polyarthritiden (Yokota et al. 2005). CTLA4Ig. Das »cytotoxic T-lymphocyte-associated anti-
gen 4« (CTLA-4) spielt bei der Aktivierung von T-Zellen
über die Bindung an CD80 und CD86 eine wesentliche Rolle. Ein Fusionsprotein aus CTLA-4 und einem Immunglobulin wurde bei der RA eingesetzt und verbesserte die Symptome der RA und die Lebensqualität der Patienten signifikant. Eine Studie bei Kindern ist begonnen worden, bisher liegen keine Ergebnisse vor (Kremer et al. 2003). Rituximab. Rituximab ist ein chimärer monoklonaler An-
tikörper, der an das auf B-Zellen exprimierte CD20 bindet und so zu einer schnellen und spezifischen Depletion von B-Zellen führt. Bei Patienten mit MTX-refraktärer RA waren zwei Infusionen von Rituximab alleine oder in Kombination mit entweder Cyclophosphamid oder MTX wirksam und resultierten in einer signifikanten Verbesserung der Symptome nach 24 und 48 Wochen (Edwards et al. 2004). Bei Kindern liegen einzelne Fallberichte u. a. mit SLE vor, allerdings fehlen bislang noch kontrollierte Daten. Bis auf weiteres ist der Einsatz von Rituximab bei Kindern und Jugendlichen mit JIA Einzelfallstudien vorbehalten.
Fazit Alle Patienten mit RF–- oder RF+-Polyarthritis sollten zu Beginn eine Therapie mit NSAID bekommen. Da diese Behandlung praktisch nie zu einer ausreichenden Kontrolle der Erkrankung führt, ist frühzeitig nach Diagnosesicherung eine Ausweitung der Therapie durchzuführen (. Abb. 5.20). Sicher ist es bei schwerkranken Patienten nicht gerechtfertigt, über mehrere Wochen einen Therapieeffekt der NSAID abzwarten. Ist der Gelenkbefall auf gut zugängliche Gelenke beschränkt und die Anzahl überschaubar, dann ist eine intraartikuläre Injektion angezeigt; bei sehr vielen oder schwer zugänglichen Gelenken, ausgeprägten Allgemeinsymptomen oder schwer beeinträchtigten Patienten ist eine Methylprednisolon-Stoßtherapie die Alternative. Parallel dazu sollte eine Behandlung mit MTX begonnen werden, zu Beginn evtl. noch von einer niedrig dosierten Kortikosteroidtherapie begleitet. Bei Unverträglichkeit oder Wirkungslosigkeit von MTX ist der Einsatz von Leflunomid zu überlegen, Kombinationen mit DMARD können notwendig werden. Bei nicht ausreichendem Ansprechen können Injektionen oder Methylprednisolon-Stöße wiederholt werden. Bei mehrfach ausbleibendem Ansprechen sollte mit einer TNF-Blockade aber nicht zu lange gezögert werden. Hier ist nach den bisherigen Erfahrungen Etanercept das Mittel der Wahl. Bei ausbleibendem Therapieerfolg sind weitere Biologicals zu evaluieren. Wahrscheinlich besteht in den ersten beiden Jahren die beste Gelegenheit, eine Remission zu erzielen, und man sollte keine entzündliche Aktivitäten in den Gelenken akzeptieren, bevor nicht die medikamentöse Therapie ausreichend ausgereizt wurde.
227
5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
Dieses knappe Therapieschema wird sich in der Praxis häufig nicht so klar umsetzen lassen, oft werden Kombinationstherapien notwendig, die nicht evidenzbasiert sind. Die Tragfähigkeit der Beziehung zwischen Kindern, Jugendlichen, Eltern und dem erfahrenen Rheumateam sind immer eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer Therapie.
5.5.4
Prognose
Die Prognose der JIA wurde früher generell als »gut« bezeichnet, obwohl die klinische Erfahrung der Einordnung der JIA als »gutartige« Erkrankung oft widerspricht. Viele
Kinder haben auch noch eine aktive Erkrankung im Erwachsenenalter und viele haben Einschränkungen in ihren täglichen Aktivitäten. Ein gut geplanter und durchgeführter Übergang (»transition«) der Behandlung vom Kinderrheumatologen zum internistischen Rheumatologen ist deswegen wichtig. Studien über die Prognose der JIA sind oft schwer miteinander zu vergleichen, da unterschiedliche Definitionen (JIA, JCA, JRA) existieren und vollständig unterschiedliche Behandlungskonzepte durchgeführt wurden. Häufig wurde nicht ausreichend zwischen den Untergruppen der JIA unterschieden. Zusätzlich sind die in diesen Studien eingeschlossenen Patienten meist über große Zentren aquiriert worden, damit ist die Gefahr einer negativen Aus-
NSAID + MTX 10 mg/m2/Woche p.o. ± intraartikulär Triamcinolon ± Methylprednisolon-Stoß ± Prednisolon oral niedrig dosiert
Kontrolle nach 4-8-12 Wochen Verbesserung
keine ausreichende Verbesserung
MTX 15 mg/m2/Woche p.o./s.c. ± erneut Methylprednisolon-Stoß ± intraartikulär Triamcinolon
Kontrolle alle 12 Wochen
Kontrolle alle 12 Wochen
Remission
keine ausreichende Verbesserung
Steroide und NSAID (schrittweise) beenden DMARD (MTX) nach einem Jahr Remission ohne Steroide: ausschleichen TNF-Blockade als Monotherapie
MTX 15 -20 mg/m2/Woche s.c. ± Kombinationstherapie ± Cyclosporin A ± Etanercept
Kontrolle alle 12 Wochen Keine ausreichende Verbesserung Intensivierung andere Kombinationen andere „biologicals“ Ultima ratio: Stammzelltherapie
. Abb. 5.20. Behandlungsalgorithmus bei Polyarthritis. (Mod. nach Hull 2001)
5
228
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
wahl von besonders schwer erkrankten Patienten gegeben. Und natürlich wurden verschiedene Parameter zum Messen des »Outcome« verwendet, und die Patienten wurden unterschiedlich lange verfolgt. Wichtig ist, dass auch in Abwesenheit von aktiver Entzündung Folgeschäden entweder durch die frühere Erkrankung oder als Nebenwirkung der gegebenen Medikamente vorhanden sein können wie z. B. Gelenkkontrakturen, Wachstumsretardierung, Osteoporose und Sehverlust durch Uveitis. Genauso wichtig, aber noch schwieriger in der Quantifizierung sind die psychosozialen Auswirkungen der Erkrankung und die Einschränkungen der Lebensqualität. Insgesamt scheinen ungefähr 30–40% aller Kinder mit JIA auch im Erwachsenenalter noch eine aktive Erkrankung zu haben, und ungefähr 30% nehmen noch DMARDs ein. Für die Untergruppe der RF–-Polyarthritiden liegt die Zahl der noch aktiven Erkrankungen im Erwachsenenalter wesentlich höher bei ungefähr 70%, und bei den RF+-Polyarthritiden haben nach einer Studie sogar 80% noch eine aktive Erkrankung. Neben einem frühen Erkrankungsbeginn und lang anhaltend erhöhter entzündlicher Aktivität sind viele betroffene Gelenke und ein positiver RF prognostisch ungünstig zu bewerten, diese Parameter sagen einen persistierenden Krankheitsverlauf voraus. Auch eine symmetrische Arthritis, wie ja meist bei den Polyarthritiden gegeben, und das Vorliegen von HLA-DRB1*08 (mit RF+-Polyarthritis assoziiertes HLA-Allel) in Kombination mit HLA-B27 sind Risikofaktoren für eine Gelenkarrosion (Foster et al. 2003; Flato et al. 2003). In Bezug auf die angegebene Lebensqualität bei erwachsenen Patienten ergeben sich vor allen Dingen bei den physikalischen Parametern hochsignifikante Unterschiede zu Gesunden, und nur die abgefragte mentale Gesundheit der Erkrankten lag im gleichen Bereich wie bei den Kontrollen. Das Selbstwertgefühl war bei 50% der Patienten deutlich beeinträchtigt, obwohl dies nur bei einem Drittel zu einer Beeinflussung ihrer Beziehungen führte. In den meisten Studien haben die Patienten eine deutlich bessere Ausbildung als der Durchschnitt erhalten, dies erscheint auch in Anbetracht der möglichen körperlichen Einschränkungen sinnvoll zu sein. Allerdings sind die Patienten trotzdem häufiger arbeitslos (Packham u. Hall 2002a,b). Obwohl bisher nur wenig Studien mit kleinen Zahlen vorliegen, scheint auch die Mortalität bei Patienten mit JIA erhöht zu sein. In einer Studie an Patienten mit rheumatoider Arthritis, juveniler chronischer Arthritis und anderen rheumatischen Erkrankungen war die standardisierte Mortalitätsratio bei den Patienten mit juveniler Arthritis am deutlichsten erhöht; sie betrug bei männlichen Patienten 3,39 und bei weiblichen 5,09 und war damit deutlich höher als bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (ca. 2,0) (Thomas et al. 2003).
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5.5 · Polyartikuläre Verlaufsformen
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5
230
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
ted with HLA-DR8 but not DQ4 on the DR8-DQ4 haplotype. Ann Rheum Dis 61: 354–357 Thomas E, Symmons DP, Brewster DH, Black RJ, Macfarlane GJ (2003) National study of cause-specific mortality in rheumatoid arthritis, juvenile chronic arthritis, and other rheumatic conditions: a 20 year followup study. J Rheumatol 30: 958–965 Thompson SD, Grom AA, Bailey S, Luyrink L, Giannini EH, Murray K, Passo MH, Lovell DJ, Choi E, Glass DN (1995) Patterns of T lymphocyte clonal expansion in HLA-typed patients with juvenile rheumatoid arthritis. J Rheumatol 22: 1356–1364 Thompson SD, Moroldo MB, Guyer L, Ryan M, Tombragel EM, Shear ES, Prahalad S, Sudman M, Keddache MA, Brown WM, Giannini EH, Langefeld CD, Rich SS, Nichols WC, Glass DN (2004) A genomewide scan for juvenile rheumatoid arthritis in affected sibpair families provides evidence of linkage. Arthritis Rheum 50: 2920–2930 Van Rossum MA, Fiselier TJ, Franssen MJ, Zwinderman AH, ten Cate R, van Suijlekom-Smit LW, van Luijk WH, van Soesbergen RM, Wulffraat NM, Oostveen JC, Kuis W, Dijkstra PF, van Ede CF, Dijkmans BA (1998) Sulfasalazine in the treatment of juvenile chronic arthritis: a randomized, double-blind, placebo-controlled, multicenter study. Dutch Juvenile Chronic Arthritis Study Group. Arthritis Rheum 41: 808–816 Van Rossum M, Van Soesbergen R, De Kort S, Ten Cate R, Zwinderman AH, De Jong B, Dijkmans B (2003) Anti-cyclic citrullinated peptide (anti-CCP) antibodies in children with juvenile idiopathic arthritis. J Rheumatol 30: 825–828 Verbsky JW, White AJ (2004) Effective use of the recombinant interleukin 1 receptor antagonist anakinra in therapy resistant systemic onset juvenile rheumatoid arthritis. J Rheumatol 31: 2071–2075 Wedderburn LR, Robinson N, Patel A, Varsani H, Woo P (2000) Selective recruitment of polarized T cells expressing CCR5 and CXCR3 to the inflamed joints of children with juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 43: 765–774 Yokota S, Miyamae T, Imagawa T, Iwata N, Katakura S, Mori M, Woo P, Nishimoto N, Yoshizaki K, Kishimoto T (2005) Therapeutic efficacy of humanized recombinant anti-interleukin-6 receptor antibody in children with systemic-onset juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 52: 818–825 Zulian F, Martini G, Gobber D, Plebani M, Zacchello F, Manners P (2004) Triamcinolone acetonide and hexacetonide intra-articular treatment of symmetrical joints in juvenile idiopathic arthritis: a double-blind trial. Rheumatology (Oxford) 43: 1288–1291
16
H.J. Girschick
18
5.6.1
21 22 23
5.6.2
Häufigkeit
Studien zur Inzidenz der juvenilen idiopathischen Arthritis liegen nach den neueren Klassifikationskriterien prospektiv nicht vor. Aus einer Vielzahl von früheren Klassifikationen, die sich auf die Kriterien von EULAR (European League against Rheumatism) und ARA (American Rheumatism Association, heute ACR: American College of Rheumatology) stützten, ergab sich eine jährliche Inzidenzrate von etwa 2–22 Betroffenen auf 100.000 Kinder im Alter von weniger als 16 Jahren. Der Anteil derjenigen Kinder mit rheumatischer Grunderkrankung und EAA beträgt in größeren Kohortenstudien etwa 20–30% (Minden et al. 2002).
Klassifikation
Enthesitisassoziierte Arthritis
17
20
Als Ausschlusskriterien gelten eine vom Hautarzt bestätigte Schuppenflechte beim Patienten selbst oder bei einem Angehörigen ersten oder zweiten Grades. Des Weiteren gelten systemische Manifestationsformen von Arthritis als Ausschluss. Diese Kriterien wurden 1998 neu formuliert, basieren aber für diese Erkrankungsgruppe im Wesentlichen auf bereits früheren Definitionen der juvenilen ankylosierenden Spondylitis (JAS) (auch Spondylarthropathie genannt).
5.6.3 5.6
19
5 positive Familienanamnese bei einem Angehörigen ersten oder zweiten Grades mit einer HLA-B27assoziierten Erkrankung (Sakroilitis, ankylosierende Spondylitis, anteriore Uveitis, entzündliche Darmerkrankungen), 5 anteriore Uveitis (schmerzhaft gerötetes Auge oder Lichtscheu), 5 Jungen mit einem Erkrankungsalter >8 Jahre.
Definition
Wie bereits eingangs in den Klassifikationskriterien (7 Kap. 5.1) dargelegt, handelt es sich bei der juvenilen enthesitisassoziierten Arthritis um eine Arthritis, die zusammen mit einer Enthesitis auftritt. Eine Enthesitis beschreibt eine Entzündung von Sehnen, Sehnenscheiden und Sehnenansätzen am Knochen (Petty et al. 1998, 2004). Alternative Klassifikationskriterien sind Arthritis oder Enthesitis mit gleichzeitigem Auftreten von mindesten zwei der folgenden Kriterien: 5 Druckschmerz über den Iliosakralgelenken oder entzündlicher Rückenschmerz, 5 Nachweis von HLA-B27,
Im Vergleich zu der eingangs erwähnten ILAR-Klassifikation von 1998 existieren konkurrierende Klassifikationen, die zwar nahezu die gleiche Gruppe von Patienten beschreiben, aber verschiedene Dinge stärker gewichten. So beziehen sich die sog. New-York-Kriterien für die Diagnose einer ankylosierenden Spondylitis im Wesentlichen auf die entzündliche Mitbeteiligung der Wirbelsäule (Bennett u. Wood 1968). Die 1990 von Amor aufgestellten Kriterien für die Klassifikation von Spondylarthropathien fassen die folgende Gruppe von Erkrankungen unter diesem Namen zusammen (Amor et al. 1990, 1991): die Entzündung von Gelenken und vom Axialskelett (Wirbelsäule und Sakroiliakalgelenke), des Weiteren die Entzündung von Sehnen-, Band- und Kapselansätzen am Knochen. Auch Arthritiden im Rahmen von entzündlichen Darmerkrankungen, von reaktiver Arthritis einschließlich des Reiter-Syndroms und der Schuppenflechte-Ar-
231
5.6 · Enthesitisassoziierte Arthritis
thritis wurden hier mit einbezogen. Ähnliches gilt für die von Dougados et al. (1991) aufgestellten Kriterien für die Spondylarthropathie in Europa. Auch hier wurden entzündliche Darmerkrankungen und Schuppenflechte, des Weiteren reaktive Arthritis in die Definitionskriterien mit einbezogen. Da jedoch im Kindesalter die Mitbeteiligung von Sakroiliakalgelenken oder der Wirbelsäule im Sinne einer ankylosierenden Spondylitis vor allem zu Beginn der Erkrankung noch deutlich begrenzt ist, bezieht sich die ILAR-Klassifikation im Kindesalter auf eine etwas enger gesetzte Gruppe von Patienten und schließt zum Beispiel eine Schuppenflechte aus (Petty et al. 2004). Ziel der ILAR Klassifikation ist, eine möglichst homogen und gut beschreibbare Patientenpopulation zu definieren, damit internationale Vergleiche möglich werden.
5.6.4
Ätiologie
Eine bestimmte singuläre Ätiologie der EAA ist nicht bekannt. Es besteht in den meisten Kohorten eine starke Präsenz von HLA-B27 bis hin zu fast 70%. Allerdings werden sehr stark schwankende Prozentangaben für HLA-B27 angegeben, da bei älteren Klassifikationen in Bezug auf die juvenile Spondylarthropathie die Schuppenflechte-Arthritis, das Reiter-Syndrom und die mit entzündlicher Darmerkrankung assoziierte Arthritis mit eingeschlossen wurden (Andersson et al. 1999). Definitionsgemäß sind diese Entitäten bei der EAA ausgeschlossen, andererseits ist bei der ILAR-Definition eine Sakroiliakalbeteiligung nicht zwingend erforderlich. Bezieht man sich auf die juvenile ankylosierende Spondylitis, d. h. den jugendlichen Morbus Bechterew, steigt die Präsenz von HLA-B27 auf bis zu 95% der Patienten an (Burgos-Vargas 1993; Burgos-Vargas et al. 1997; Cabral et al. 1995; Cassidy u. Petty 2001). Die Rolle von HLA-B27 wurde vor allem für die juvenile ankylosierende Spondylitis detaillierter analysiert. Familienuntersuchungen haben gezeigt, dass die ankylosierende Spondylitis bei etwa 20% der betroffenen Familien innerhalb der Familie vergleichbar mit einem autosomal-dominantem Erbgang weitergegeben wird. Es wird vermutet, dass diese schwerwiegendste Form aus dem Bereich der EAA 20fach häufiger bei Verwandten von bereits betroffenen Patienten auftritt und dass das Risiko in Nachfahren auf bis zu 80fach ansteigt. Das Risiko, dass ein männlicher HLA-B27-positiver Nachfahre eines erkrankten HLA-B27 heterozygot positiven Elternteils selbst an ankylosierender Spondylitis erkrankt, liegt bei etwa 20%. Das Risiko bei Mädchen wird deutlich geringer angegeben. Der Anteil von Mädchen in der EAA-Gruppe liegt etwa bei 25%. Betrachtet man erneut die deutlich enger definierte Gruppe der juvenilen ankylosierenden Spondylitis, dann steigt der Anteil der Jungen im Vergleich zu den Mädchen auf etwa 6 zu 1. Andere HLA-Gene wie HLA-A2, HLA-A28 und HLA-B60 wur-
den ebenfalls als mit juveniler ankylosierender Spondylitis verbunden beschrieben. Auch im Bereich von MHC-IIAntigenen wurde in einer mexikanischen Population eine erhöhte Frequenz an HLA-DRB1*08 gefunden. Dies zeigt, dass eine Vielzahl von Genen, die in der Antigenpräsentation eine Rolle spielen, mit der EAA und insbesondere mit der juvenilen ankylosierenden Spondylitis vergesellschaftet ist.
5.6.5
Pathogenese und Pathologie
Über Gewebspathologie bei der EAA wurde bisher in der Literatur noch nicht berichtet. Allerdings ist zu vermuten, dass bei der schweren juvenilen ankylosierenden Spondylitis ähnliche pathologische Veränderungen wie beim Erwachsenen auftreten. Die Analyse von Synovialflüssigkeit oder hyperplastischer Synovialmembran ist in der Regel nicht hilfreich zur Diagnosestellung. Synovialzellen exprimieren proinflammatorische Zytokine, u. a. TNF-α (Grom et al. 1996). In diesem Zusammenhang ist das kürzlich berichtete gute Ansprechen von refraktärer EAA auf TNFα-neutralisierende Substanzen nachvollziehbar (Henrickson u. Reiff 2004). Eine chronische Enthesitis führt nach langem Verlauf zu einer Verkalkung der Sehnenansätze im Sinne von knöcherner Spornbildung. Diese kann isoliert schmerzhaft sein. Der Einbezug des Achsenskelettes und hier insbesondere der Sakroiliakalgelenke ist charakterisiert durch eine subchondrale sterile Osteomyelitis, die MR-tomografisch gut dokumentierbar ist (. Abb. 5.21). Konventionell können sowohl Erosionen als auch überschießende Ossifikationen nachweisbar sein. Wie auch in 7 Kap. 6 dargelegt, ist bei der EAA und insbesondere bei der juvenilen ankylosierenden Spondylitis davon auszugehen, dass Peptide, die über die HLA-B27Moleküle präsentiert werden, im Rahmen eines »molekularen Mimicry« zu einer Kreuzreaktion mit körpereigenen Antigenen führen. Auslösend kommen hier den gastrointestinalen Infektionserregern Yersinien, Salmonellen, Shigellen und auch Klebsiellen entscheidende Rollen zu. Pathogenetisch werden weitere Szenarien diskutiert. Zum einen sollen HLA-B27-positive körpereigene Zellen schlechter in der Lage sein, intrazellulär eingedrungene Infektionserreger, z. B. Yersinien, abzutöten. Des Weiteren vermutet man, dass eine pathologische Präsentation von HLA-B27-eigenen Peptiden über HLA-B27 erfolgt und somit Autoreaktivität ausgelöst wird. Pathologische Multimerbildung von HLA-B27 wird ebenso mit der Pathogenese in Verbindung gebracht wie eine erhöhte Präsenz von nichtpeptidbeladenen HLA-B27-Molekülen auf der Zelloberfläche (Ebringer u. Wilson 2000; May et al. 2002; Wilson et al. 2003). Sollte initial eine gastrointestinale Infektion bestanden haben, dann ist bei Weiterbestehen der Arthritis differenzialdiagnostisch eine reaktive Arthritis in Betracht zu ziehen. Sollte jedoch im Verlauf eine chro-
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Keine Anhaltspunkte für das Einsetzen der Pfeile, bitte Pfeile neu einzeichnen.
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
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a
b
. Abb. 5.21. a Koronares MRT eines 17 Jahre alten Jungen mit lumbalen Wirbelsäulenschmerzen seit 2 Jahren, des Weiteren Sprunggelenk- und Fußentzündung. In einer T1-Wichtung nach GadoliniumKM-Gabe zeigt sich eine mittgradige, vor allem links betonte KM-Auf-
nahme der ISG-Fuge. b In einer stark T2-gewichteten TIRM/STIR-Aufnahme findet sich im kranialen Anteil des Os sacrum und angrenzenden Os ilium ein Knochenödem als Ausdruck einer ISG-Fugenentzündung
nisch dauerhafte Inflammation bestehen, dann ist die Präsenz einer EAA im Sinne einer nun chronischen rheumatischen Erkrankung des Jugendlichen zu postulieren. Die Übergänge können durchaus fließend sein.
bezogen und klinisch nahezu charakteristisch. Da in den Erwachsenenklassifikationen für Spondylarthropathie die Enthesiopathie nur ein Minorkriterium darstellt, werden Jugendliche, die in die Erwachsenenrheumatologie übergeführt werden, oft als atypische Spondylarthropathiepatienten eingestuft.
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Klinische Symptome Uveitis
Arthritis und Enthesitis Initial tritt eine Arthritis im Rahmen einer EAA an einem oder mehreren peripheren Gelenken meist der unteren Extremitäten auf (Cassidy u. Petty 2001). Zusätzlich besteht eine Enthesitis an einer oder mehreren Stellen, am häufigsten im Bereich des Knies oder der Füße. Systemische Manifestationszeichen fehlen, können aber, sofern eine Infektion auslösend gewesen sein sollte, z. B. in Form eines niedriggradigen Fiebers bestehen. Meist bestehen unterschiedlich starke Schmerzen im Bereich der Gelenke. Rückenschmerzen fehlen in der Regel häufig zum Manifestationszeitpunkt, nur etwa 24% der Kinder berichten auch über Schmerzen im Bereich der Lumbosakralund Sakroiliakalregion. In einer kürzlich veröffentlichen Langzeitverlaufsuntersuchung von mehr als 16 Jahren zeigte sich aber, dass 39% der EAA-Patienten eine ankylosierende Spondylitis entwickelt hatten und dass bei 36% diese in Erwägung gezogen wurde (Minden et al. 2002). Die Anzahl der betroffenen Gelenke ist in der Regel auf wenige (4 und weniger) beschränkt. Allerdings ist auch eine Gruppe mit polyartikulärem Beginn zu verzeichnen, hier sind vor allem die Finger- und Zehengelenke zu erwähnen. Gelenke im Bereich des Schultergürtels, z. B. Sternokostal-, Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenke können einbezogen sein. Dies kann zusätzlich zu einer schmerzbedingten Einschränkung der Atemexkursion führen. Wenige Jugendliche weisen bereits zu Beginn ein klassisches Bild einer ankylosierenden Spondylitis auf. Der Einbezug des Sehnenansatzapparates in die Entzündung ist besonders häufig auch auf die untere Extremität
Bei etwa 5–10% der betroffenen Jugendlichen tritt eine akute schmerzvolle anteriore Uveitis auf, die mit einer konjunktivalen Reizung und einer Lichtscheu einhergeht. In der Regel ist nur ein Auge betroffen, und Residuen sind unter adäquater Therapie seltener als bei der oligoartikulären Verlaufsform der JIA. Das klinische Bild ist von der Uveitis bei reaktiver Arthritis nicht zu unterscheiden (7 Kap. 6.1, . Abb. 6.3c).
Kardiopulmonale Mitbeteiligung Bei Patienten mit EAA ist über kardiale Beteiligungen nur im Einzelfall berichtet worden. Mehr Daten liegen bei der juvenilen ankylosierenden Spondylitis vor, bei der in bis zu etwa 5% der Fälle kardiale Affektionen beschrieben worden sind (Stamato et al. 1995). Es handelt sich dabei um in der Regel milde Klappenpathologien mit Insuffizienzzeichen von Mitralklappe und Aortenklappe. Eine Dilatation der Aorta wurde in einer Kleinkohorte von JAS-Patienten beschrieben. Bei Erwachsenen mit ankylosierender Spondylitis steigt die kardiale Mitbeteiligung auf bis zu 80% an. Hier werden vor allem Veränderungen im Bereich der Aortenwurzel und der Aortenklappe beschrieben. Daher erscheint es wichtig, regelmäßige kardiale Verlaufskontrollen auch bei Kindern und Jugendlichen mit EAA und insbesondere juveniler ankylosierender Spondylitis durchzuführen (Huppertz u. Sandhage 1994). Das respiratorische System ist in der Regel kaum betroffen, allerdings kann durch eine eingeschränkte Thoraxexpansion eine Einschränkung der Vitalkapazität erfolgen. Bei Erwachsenen zeigen feinstrukturelle Analysen
5.6 · Enthesitisassoziierte Arthritis
bei etwa 70% der Patienten Auffälligkeiten am Lungenparenchym. Andere Organsysteme wie das Nervensystem und die Nieren sind in der Regel nicht betroffen. Nierenfunktionsstörungen im Rahmen einer EAA wurden auf die Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika zurückgeführt. Eine Amyloidose scheint mit moderner antiinflammatorischer Therapie nicht mehr aufzutreten.
5.6.7
Diagnose
Um die verwirrende Vielfalt von diagnostischen Klassifikationen im internationalen Vergleich zu verbessern, wurde, wie bereits erwähnt, die ILAR-Klassifikation erarbeitet, welche die Grundlage für dieses Kapitel ist (Petty et al. 1998; Cassidy u. Petty 2001). Kriterien für die Diagnose von ankylosierender Spondylitis alleine sind in der Regel im Kindes- und Jugendalter nicht sinnvoll, da nur ein kleiner Bruchteil der Patienten überhaupt eine Skelettbeteiligung im Sinne des definierenden Begriffes aufweist. Zwar ist die klinische Bewegungseinschränkung im Bereich vor allem der Lumbalwirbelsäule diagnostisch hinweisend auf eine Mitbeteiligung der Sakroiliakalgelenke, dennoch zeigt die radiologische Evaluation in der Regel allenfalls leichte osteolytische Veränderungen oder es finden sich MR-tomografisch Zeichen einer periartikulären Knochenentzündung zusätzlich zu synovialitischen Veränderungen der ISG-Fuge. ! Es erscheint sinnvoll, den früheren Begriff der juvenilen Spondylarthropathien nun aufzuteilen in Schuppenflechte-Arthritis, EAA und reaktive Arthritis inkl. ReiterSyndrom. Innerhalb der EAA kann bei einer kleinen Fraktion eine juvenile ankylosierende Spondylitis diagnostiziert werden.
Von entscheidender Bedeutung für die Diagnosestellung ist die sorgfältige klinische Untersuchung, durch die sich auf der Basis der Klassifikationskriterien in der Regel eine Diagnose stellen lässt. Insbesondere der Einbezug der Enthesitis in den Entzündungsprozess ist ein wegweisender Denominator. Hier sind insbesondere der Fuß mit den Ansätzen der Achillessehne und der Plantaraponeurose im Bereich des Kalkaneus sowie die Sehnenansätze im Bereich der Kniescheibe und des Tibiakopfes von besonderer Bedeutung. Der Einbezug der größeren Gelenke ist in der Regel von anderen kindlichen Arthritisformen schwer zu unterscheiden. Wegweisend ist dennoch die diffuse Weichteilschwellung im Bereich von Sehnen, Sehnenscheiden und Sehnenansätzen, auch wenn solche Veränderungen z. B. im Rahmen eines Morbus Still oder einer frühkindlich auftretenden Oligoarthritis durchaus möglich sind. Differenzialdiagnostisch hilfreich sind hier dann zum einen das Erstmanifestationsalter und auch das
233
Geschlecht des betroffenen Patienten. Kleine distale Gelenke der Zehen und Finger sind bei der EAA häufiger betroffen, Daktylitiden sind typisch. Sollte allerdings eine Schuppenflechte bestehen oder eine entsprechende Anamnese in der Familie, dann wäre die Diagnose einer mit Schuppenflechte assoziierten Arthritis zu favorisieren. Der Einbezug des Tarsus und Metatarsus kann zu einer raschen funktionellen und dann auch permanenten Fußversteifung führen und ist prognostisch von Bedeutung. Der Einbezug des Achsenskelettes lumbosakral und weiter kranial lässt sich durch Abschätzen des Bewegungsumfanges der Wirbelsäule (z. B. nach Schober) analysieren. Hilfreich ist auch das Messen des FingerBoden-Abstandes im Verlauf. Allerdings wird hier die Hüftbeweglichkeit in die Analyse mit einbezogen. Eine regelmäßige Wirbelsäulenanalyse in Hinblick auf die Beugung nach den 4 Seiten und Drehfähigkeit ist erforderlich. Lokale Schmerzen können durch Bewegung oder Druck z. B. im Bereich der Sakroiliakalregion provoziert werden. Der Einbezug des Kostosternal- und Klavikularskelettes kann, sofern er mit einer lokalen Hyperostose einhergeht, auf eine verwandte Erkrankung, die chronische nichtbakterielle Osteomyelitis (CNO), hinweisen. Diese Erkrankung kann uni- oder multifokal verlaufen und mit den klinischen Zeichen einer EAA einhergehen. Sie weist jedoch zusätzlich deutliche ossäre Inflammationen und ggf. eine palmoplantare Pustulose auf. Eine weitere Differenzialdiagnose ist die Osteochondrosis dissecans, die gerade im Bereich der Fußwurzelknochen und hier vor allem im Talus mit einer Arthritis der Sprunggelenke und auch chronischen Entzündung im Bereich der Sehnen einhergehen kann. MR-tomografisch und auch röntgenologisch sind hier im Einzelfall keine eindeutigen Diagnosen zu stellen, so dass das klinische Bild im Verlauf entscheidend bleibt. Im Einzelfall kann hier eine Arthroskopie den Knorpel-KnochenDefekt nachweisen. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung der Osteochondrosis der Tuberositas tibiae und des Unterpols der Patella sowie des Achillessehnenansatzes des Kalkaneus ist schwierig. Traumatische Folgen, z. B. im Anschluss an intensives Lauftraining oder Leistungssport, sind differenzialdiagnostisch zu erwägen, wie auch der schmerzhafte Wirbelsäulenschmerz gegenüber Folgen von Trauma, dem M. Scheuermann als Wachstums- und Differenzierungsstörung und seltenen Formen von Osteoporose abgegrenzt werden muss. Maligne Erkrankungen, die das Skelettsystem erfassen, z. B. Leukämien, Neuroblastom, Langerhans-Zell-Histiozytose und im Einzelfall maligne osteogene Tumoren sind zu erwägen und auszuschließen. Gutartige Knochenpathologien, wie Knochenzysten, Enchondrome oder Exostosen sind in der Regel radiologisch gut abzugrenzen. Laborchemisch zeigen sich in der Regel in Blutbild und Laborübersichtswerten keine wesentlichen Auffälligkeiten. Eine moderate Senkungsbeschleunigung und
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Erhöhung anderer Inflammationsparameter dokumentiert die entzündliche Natur der Erkrankung. Das Fehlen von Rheumafaktoren oder antinukleären Antikörpern kann in der Differenzierung zu anderen Formen von kindlichem Rheuma helfen. Wie bereits erwähnt, ist die Durchführung einer Testung auf die Präsenz von HLAB27 von besonderer Wichtigkeit. In den Anfangsmonaten mag der klinische Verlauf zwischen einer reaktiven Arthritis und einer EAA klinisch nicht unterscheidbar sein; bei beiden ist HLA-B27 ein entscheidendes Merkmal.
a
Bildgebende Diagnostik Mittels konventioneller Radiologie ist eine EAA im Frühstadium in der Regel nicht diagnostizierbar, insbesondere wenn eine Beteiligung des Axialskelettes noch nicht vorhanden oder allenfalls milde ist. Nach längerem Verlauf können gelenknahe und sehnenansatznahe Knochenpartien erosiv verändert sein, letztere können auch durch Knochenneubildung betroffen sein. Nach langem Verlauf kann an der Wirbelsäule das klassische Bild einer ankylosierenden Spondylitis mit Verkalkung des anterioren Ligaments und einer intervertebralen knöchernen Fusionierung darstellbar sein. Da knöcherne Veränderungen im Bereich der Sakroiliakalregion und Wirbelsäule in der Regel erst mehrere Jahre nach initialen Beschwerden konventionell-radiologisch dokumentierbar sind, ist diese Technik im Alltag nur eingeschränkt hilfreich. Magnetresonanztomografische Analysen haben geholfen, insbesondere den Anteil der Enthesitis zum einen und der knöchernen Inflammation zum anderen darzustellen. Allerdings ist zu sagen, dass bei begrenzter Erfahrung mit dieser Technik die Befunde oft über- oder fehlinterpretiert werden und z. T. maligne Erkrankungen mit Beteiligung von Knochen und umgebenden Weichteilen diagnostiziert werden. Die Vorteile der MRT-Darstellung liegen vor allem darin, dass das Ausmaß der Inflammation dokumentiert werden kann (. Abb. 5.21 und 5.22). Die knöchernen Veränderungen sind jedoch in der Regel nur unzureichend darstellbar. Zur Darstellung letzterer würde sich eine Computertomografie des Beckens anbieten, um die anfänglich auftretenden Erosionen im Bereich von Sakrum und Os ilium zu dokumentieren und im späteren Verlauf die osteoplastische Überreaktion mit zunehmender Sklerose der Iliosakralfuge und gegebenenfalls kompletter Fusion darstellen zu können. Insgesamt mag trotz dieser überschießenden Knochenbildung eine allgemeine Osteoporose im Beckenbereich imponieren. Weitere bildgebende Analyseverfahren, wie z. B. die Skelettszintigrafie sind Ausnahmefällen vorbehalten. Zur Unterscheidung einer JIA-EAA von einer CNO kann eine technetiumbasierte Dreiphasenskelettszintigrafie wichtig sein. Auch die Abgrenzung zu malignen Tumoren erfordert in der Regel eine Skelettszintigrafie, alternativ kann zusehends die Ganzkörper-MRT eingesetzt werden. Die Domäne des Ultraschalls liegt darin, nicht nur einen Gelenk-
b . Abb. 5.22. a Klinik der Mittelfuß-, Zehen- und Sehnenentzündung: Eine Daktylitis, diffuse Mittelfußverschwellung und Druckschmerz an der Plantaraponeurose behindern die alltäglich körperliche Aktivität stark. b In einer stark T2-gewichteten TIRM/STIR-Aufnahme findet sich eine Arthritis im Großzehengrund- und Zwischengelenk. Ein Knochenödem ist im Metatarsale I nachweisbar. Die Plantaraponeurose ist ödematös verschwollen und ihre Insertion im Sinne einer Enthesitis (Pfeil) entzündet
serguss zu erfassen, sondern auch eine verstärkte Durchblutung im Bereich von Sehnenscheiden und Sehnenansätzen nachweisen zu können. Im spät fortgeschrittenen Stadium können knöcherne Veränderungen an der Wirbelsäule mittels konventioneller Radiologie, Computertomografie und MRT dokumentiert werden. In der Frühphase zeigt sich eine Steilstellung der Wirbelsäule. In der Regel werden weitere Manifestationen einer ankylosierenden Spondylitis mit Syndesmophytenbildung erst später im Erwachsenenalter sichtbar. Dennoch kann die MRT helfen, Inflammation im Bereich der Wirbelkörpergelenke und im Bereich des Knochens selbst nachzuweisen.
5.6.8
Therapie
Eines der Hauptziele der Therapie ist, Kindern mit juveniler idiopathischer Arthritis und insbesondere Jugendlichen mit EAA die Möglichkeit zu geben, möglichst normal aufzuwachsen und sich adäquat entwickeln zu können. Daher ist es von besonderer Bedeutung, dass Kinder und Jugendliche in ihrem sozialen Umfeld integriert sind. Da dies sehr häufig über sportliche Tätigkeit realisiert wird, ist es daher auch von Bedeutung, den Jugendlichen diese Aktivität zu ermöglichen oder diese darin zu bestärken. In der medikamentösen, schmerz- und entzündungshemmenden Therapie ist es das Ziel, die physische Beweg-
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5.6 · Enthesitisassoziierte Arthritis
lichkeit möglichst zu erhalten. Da Jugendliche sich oft bereits in einer Entscheidungsphase für die zukünftige Berufswahl befinden, kommt einer adäquaten Beratung über die prinzipiellen Möglichkeiten der Berufswahl und der Prognose im Einzelfall eine besondere Bedeutung zu. Regelmäßige physiotherapeutische Übungsbehandlung kann diese Ziele unterstützen. Der Einsatz der Medikamente hängt von der klinischen Ausprägung der Entzündung im Bereich der Gelenke und den anderen Manifestationsorten ab. Bei einer milden Verlaufsform mag der Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika alleine ausreichen. Bei einer sich rasch entwickelnden akuten Polyarthritis und ausgeprägter Enthesitis ist der Einsatz von systemisch zu gebenden Glukokortikoiden zu erwägen. Sollte sich mittelfristig weiter eine deutlich erhöhte Inflammationsaktivität zeigen und insbesondere die Sakroiliakalregion mit einbezogen sein, ist der Einsatz von Sulfasalazin als Basistherapeutikum empfehlenswert (Brooks 2001; Van Rossum et al. 1998, 2001, 2003; BurgosVargas et al. 2002; Imundo u. Jacobs 1996; Varbanova u. Dyankov 1999). > Dosierung von Sulfasalazin: Es wird in einem therapeutischen Bereich von 20–50 mg/ kgKG/Tag eingesetzt, das Medikament sollte über mehrere Wochen eingeschlichen werden.
In der Regel ist ein Effekt nach mehreren Wochen bis zu 3 Monaten Therapiedauer nachvollziehbar. Studien zum Einsatz von Sulfasalazin bei EAA oder juveniler Spondylarthropathie/ankylosierender Spondylitis sind selten. Die Autoren berichteten jeweils von einem guten Therapieerfolg, allerdings fehlen randomisierte doppelblind kontrollierte Studien, die vor allem die EAA als Zielgruppe miteinschließen. Es erscheint jedoch gerechtfertigt, auf die Erfahrungen der Erwachsenenmedizin in der Therapie der ankylosierenden Spondylitis zurückzugreifen. Insgesamt gesehen hat sich Sulfasalazin im Einsatz bei Kindern und Jugendlichen durchaus bewährt. Aufgrund einer Knochenmark- und Lebertoxizität sind regelmäßige Blutkontrollen erforderlich. Sollte eine Kombination aus NSAID und Sulfasalazin nicht ausreichen, die Symptome zu begrenzen, dann ist eine zusätzliche Gabe von Methotrexat (oral oder subkutan) gerechtfertigt. Sollten nur wenige Gelenke betroffen sein, dann wäre auch eine intraartikuläre Steroidapplikation mit Triamcinolon-Hexacetonid zu erwägen. Eine Steroidinjektion in die Iliosakralfuge ist in einer Studie als erfolgreich gewertet worden. Lokale Infiltrationen mit Glukokortikosteroiden am Ort der Enthesitis sollten durchaus erwogen werden, da eine systemisch-entzündungshemmende Therapie hier oft nur zögerlich eine Besserung herbeiführen kann. Niedrigdosierte systemische Steroide haben ihren Platz, wenn eine schwere Polyarthritis oder schwere Schmerzzustände bestehen. Sollte eine
Uveitis bestehen, dann ist auch an eine lokale Therapie mit Steroiden in Kombination mit lokalen nichtsteroidalen Antiphlogistika zu denken. Alternativ zu einer Kombinationsbasistherapie mit Sulfasalazin und Methotrexat ist ein Einsatz von Methotrexat in Kombination mit TNF-αblockierenden Biologika zu erwägen (Henrickson u. Reiff 2004). Aus dem Erwachsenenalter ist hier über sehr gute Erfolge in der Therapie der ankylosierenden Spondylitis berichtet worden (Sieper et al. 2002). Erste positive Erfahrungen gibt es auch im Kindes- und Jugendalter. Allerdings fehlen hier noch prospektive Studien, um die Effektivität letztendlich einschätzen zu können.
5.6.9
Prognose
Neben der systemischen kindlichen Arthritis und der rheumafaktorpositiven Polyarthritis weist die EAA und insbesondere die juvenile ankylosierende Spondylitis unter den Subgruppen des kindlichen Rheumas relativ gesehen eine schlechtere Prognose auf (Selvaag et al. 2005). In einer 2002 veröffentlichten Publikation wiesen 56% der Patienten 16 Jahre nach Diagnosestellung noch eine Krankheitsaktivität ihrer EAA auf. 63% der EAA Patienten berichteten über Schmerzen, 52% über Morgensteifigkeit und 27% der Patienten bedurften immer noch einer Kombinationstherapie aus NSAIDs und DMARDs (Minden et al. 2002). In einer weniger negativ vorselektionierten Patientengruppe wurde bei 60% der Patienten nach einem Verlauf von 10 Jahren eine Remission beschrieben, bei 60% der Patienten fand sich keine funktionelle Beeinträchtigung, 25% der Patienten hatten jedoch Erosionen im Gelenkbereich entwickelt (Flato et al. 1998). In anderen Arbeiten wurde über eine Einschränkung der Wirbelsäulenbeweglichkeit nach etwa 5–33 Jahren Krankheitsdauer berichtet. Je nach Patientenpopulation und zusätzlichen genetischen Einflüssen besteht eine Neigung zur Progression in Richtung ankylosierender Spondylitis. Allerdings fehlen hier neuere Daten und Analysen, die insbesondere den Einbezug der Wirbelsäule und die Progression in Richtung juvenile ankylosierende Spondylitis herausarbeiten. Im jugendlichen Alter erscheint die funktionelle Kapazität noch gut und wenig beeinträchtigt. Eine frühe Diagnosestellung scheint zu einem gebesserten Outcome entscheidend beitragen zu können (Stone et al. 2005).
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
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5.7
Psoriasisarthritis
C. Huemer
5.7.1
Definition und Klassifikation
Die Diagnose der juvenilen Psoriasisarthritis (JPsA) ist gesichert, wenn bei einem Patienten vor dem 16. Lebensjahr eine Arthritis und gleichzeitig eine Psoriasis (. Abb. 5.23) bestehen. Allerdings müssen die Haut- und Gelenksymp-
. Abb. 5.23. Typische Psoriasisläsion am Ellbogen. (Aus Ansell et al. 1991)
237
5.7 · Psoriasisarthritis
tome nicht gleichzeitig beginnen; Gelenksymptome können in vielen Fällen der dermatologischen Symptomatik vorangehen, sodass das Erkennen einer JPsA oftmals erschwert ist. In der jüngeren Vergangenheit wurden entsprechend diesen klinischen Erfahrungen Diagnosekriterien entwickelt (. Tab. 5.11), die als Vancouver-Kriterien (Southwood et al. 1989) und als ILAR-Kriterien (ILAR: International League of Associations for Rheumatology) definiert wurden (Petty et al. 1997, 2004). Ziel beider Kriterien-Sets ist es, die Diagnosestellung einer juvenilen Psoriasisarthritis noch vor dem Auftreten psoriasistypischer Hautläsionen zu ermöglichen. Eine retrospektive Analyse von Kindern mit »möglicher JPsA« (definiert nach den Vancouver-Kriterien) konnte demonstrieren, dass die Kriterien der definitiven JPsA (meist durch Neuauftreten psoriasiformer Hautläsionen) von etwa der Hälfte der Patienten nach durchschnittlich 2 Jahren erfüllt werden (Roberton et al. 1996). Die Klassifikationskriterien für JPsA inkludieren die klinischen Zeichen Arthritis, Psoriasis, Daktylitis und Nägeltüpfelung sowie eine positive Familienanamnese bezüglich Psoriasis. Arthritis ist definiert als eindeutige Gelenkschwellung oder beeinträchtigte Gelenkbeweglichkeit mit Schmerzen oder Druckdolenz von mindestens 6 Wochen Dauer. Daktylitis kann von Arthritis differenziert werden, wenn die Schwellung an dem betroffenen Finger oder der betroffenen Zehe auch über die Gelenkregion hinausreicht – dies im Sinne einer kombinierten Arthritis und Tenosynovitis. Offenbar weisen die JPsA und die psoriatische Arthritis im Erwachsenenalter doch klinisch unterschiedliche Merkmale auf: Die JPsA zählt nicht in demselben Maße zum Spektrum der Spondylarthropathien, allerdings können auch bei der JPsA klinische Symptome wie Sakroiliitis, Enthesitis, eine akute Uveitis oder die Assoziation mit HLA-B27 bestehen (Ramsey et al. 2000). Das initiale Gelenkbefallmuster bei JPsA präsentiert sich als asymmetrische Oligoarthritis und scheint mit Verlauf der Erkrankung vorwiegend im Sinne einer Arthritis der kleinen
Gelenke (MCP, MTP, PIP) von Händen und Füßen präsent zu sein (Moll et al. 1973; Huemer et al. 2002).
5.7.2
Häufigkeit
In der pädiatrischen Population tritt Psoriasis bei etwa 0,5% der Kinder und Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahr auf (Bowyer et al. 1996); der Anteil an Patienten mit zusätzlichen Symptomen der Arthritis muss als noch geringer eingestuft werden. Zur Epidemiologie der JPsA ist aus einer Reihe populationsspezifischer Studien eine Prävalenz zwischen 10 und 15 pro 100.000 und eine jährliche Inzidenzrate zwischen 2 und 3 pro 100.000 Kinder berichtet (Malleson et al. 1996; Symmons et al. 1996; Gare et al. 1992). Zur ethnischen Verteilung der JPsA gibt es nur wenige Untersuchungen; in einer US-amerikanischen Multicenterstudie konnte ein hoher Anteil (90%) weißer JPsAPatienten mit definitiver JPsA dokumentiert werden (5% der JPsA-Patienten waren hispanischer und 2,5% afroamerikanischer Herkunft; Bowyer et al. 1996). Die Altersverteilung der JPsA weist für den Beginn der Erkrankung ein bimodales Verteilungsmuster auf: Ein Altersgipfel besteht (vor allem bei Mädchen) im Vorschulalter, eine weitere Häufung um das 10. Lebensjahr. JPsA tritt nur äußerst selten im ersten Lebensjahr auf und ist beim weiblichen Geschlecht etwas häufiger zu verzeichnen.
5.7.3
Ätiologie
Die Ursache für JPsA ist noch ungeklärt, auch der Zusammenhang der gleichzeitigen oder konsekutiven Entwicklung von Arthritis und Psoriasis ist noch unklar. Wenige Berichte dokumentierten die Entstehung von psoriatischer Arthritis infolge eines physikalischen Traumas (Langevitz et al. 1990; Punzi et al. 1998). Psoriasis im Kindesalter kann infolge einer oberen Atemwegserkrankung und in seltenen Fällen nach Hautinfektionen auftreten
. Tab. 5.11. Diagnose- und Klassifikationskriterien für die juvenile Psoriasisarthritis
a
Vancouver-Kriterien (1989)a
ILAR-Kriterien (1997)
Arthritis und Psoriasis, oder:
Arthritis und Psoriasis, oder:
Arthritis mit mindestens 3 der folgenden Neben-Kriterien: 5 Daktylitis 5 Nägeltüpfelung oder Onycholysis 5 Familienanamnese für Psoriasis (Verwandte 1. und 2. Grades) 5 Psoriasisähnliche Hautläsion
Arthritis und mindestens 2 der folgenden Kriterien: 5 Daktylitis 5 Nägeltüpfelung oder Onycholysis 5 Familienanamnese für Psoriasis (Verwandte 1. Grades) 5 Ausschlusskriterien: – positiver Rheumafaktor – Vorhandensein einer anderen Form der JIA
Definitive juvenile Psoriasisarthritis; mögliche juvenile Psoriasisarthritis: Arthritis mit 2 der 4 Nebenkriterien
5
238
1 2 3 4
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
(Telfer et al. 1992; Vasey et al. 1982). Virale Infektionen wie Windpocken wurden zwar für die Entstehung der JPsA vermutet, in einer größeren Untersuchung konnte jedoch keinerlei Korrelation zwischen dem Beginn der JPsA und gleichzeitig bestehenden Infektionen mit Mykoplasmen, RSV, Adenovirus, Influenza A und B, Parainfluenza, Röteln, Zytomegalie oder Herpes-simplex-Virus identifiziert werden (Oen et al. 1995).
5
5.7.4
6
Zu den wichtigsten an der Entstehung der psoriatischen Arthritis beteiligten Zellen zählen zweifellos CD-8-positive T-Zellen, die in Hautbiopsien und der Synovialflüssigkeit nachgewiesen werden konnten (Paukkonnen et al. 1992; Chang et al. 1997). Die Konzentration von CD8-positiven T-Zellen scheint dabei in der Synovialflüssigkeit von Patienten mit Psoriasisarthritis höher zu sein als in anderen Arhritisformen (Costello et al. 1999); im Synovialgewebe können große Differenzen in den Ratios von CD4 zu CD8-positiven Zellen bestehen (Konig et al. 1997). Bei Patienten mit HIV-Infektion und Arthritis konnte eine deutliche Verschlechterung der Arthritis bei erniedrigten CD-4 positiven T-Zellen nachgewiesen werden (Vasey et al. 1989). Das Zytokinmuster der psoriatischen Arthritis wird wesentlich bestimmt durch Interleukin-(IL-)2, Tumornekrosefaktor (TNF), IL-1β, IL-8 sowie auch den TNF-αRezeptor und IL-2-Rezeptor. Vor allem die unterschiedlichen IL-2-Konzentrationen bei psoriatischer Arthritis unterscheiden das Zytokinmuster doch deutlich von der rheumatoiden Arthritis (Ritchlin et al. 1998; Gottlieb et al. 1995; Wong 1996; Partsch et al. 1998). In einer Arbeit von Murray et al. (1998) konnte gezeigt werden, dass bei Kindern mit persistierender oligoartikulärer Verlaufsform der Arthritis häufiger die Zytokine IL-4 und IL-10 nachgewiesen werden konnten als bei Kindern mit Polyarthritis.
7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Pathogenese und Pathologie
Exkurs Für einen signifikanten genetischen Hintergrund bei der Ausprägung von Psoriasis und psoriatischer Arthritis gibt es bereits hinreichende Evidenz (Tomfohrde et al. 1994). Bei monozygoten Zwillingen konnte eine Konkordanz für Psoriasis und psoriatischer Arthritis von 55–70% gezeigt werden (Eldar et al. 1994). Eine positive Familienanamnese (1. und 2. Verwandtschaftsgrad) konnte bei bis zu 60% der Kinder mit JPsA, aber nur bei 21% der Kinder mit anderen Formen der chronischen Arthritis dokumentiert werden (Southwood et al. 1989; Huemer et al. 2002). Auch ethnische Unterschiede für die Entstehung der psoriatischen Arthritis sind dokumentiert: In einer 6
populationsspezifischen Studie an einer asiatischen multiethnischen Gruppe konnte bei der indischen Subpopulation im Vergleich zu chinesischen und malaysischen Bevölkerungsgruppen eine deutlich höhere Prävalenz der psoriatischen Arthritis erfasst werden (Harrison et al. 1997). Aufgrund der klaren Assoziation von psoriatischer Arthritis und dem positiven Nachweis CD8-positiver Zellen in der Synovia dieser Patienten liegt die Hypothese einer Schlüsselfunktion des HLA-Systems nahe (Gladman 1986). Bei der psoriatischen Arthritis des Erwachsenen konnten Assoziationen mit HLA-B13, B17, B19, B39 und Cw6 beschrieben werden (Gladman et al. 1998). Die Präsenz von HLA-B27 wurde bei Patienten mit psoriatischer Arthritis mit entzündlicher Beteiligung von Wirbelsäule und Sakroiliakalgelenken assoziiert (Marsal et al. 1999). Keine dieser Assoziationen konnte bislang überzeugend für JPsA-Patienten dokumentiert werden, JPsA scheint sich von den anderen Formen der juvenilen idiopathischen Arthritis auch durch die nur geringe Rolle einer HLA-A2- oder DR-8-Assoziation zu unterscheiden (Roberton et al. 1996)
Bezüglich der pathohistologischen Veränderungen ist bei Kindern mit JPsA nur wenig bekannt. Das entzündete Synovialgewebe und die von Psoriasis betroffenen Hautareale zeigen bei histologischer Untersuchung eindeutig Hinweise einer ausgeprägten Angiogenese. In der Haut kann dies anhand verstärkter IL-8-Produktion durch Keratinozyten erklärt werden – dieses Zytokin zeichnet sich ganz besonders durch proangiogene Eigenschaften aus. Arthroskopische Untersuchungen demonstrieren bei Patienten mit Psoriasisarthritis eine ausgeprägte kapilläre Hyperämisierung und Neovaskularisation (Reece et al. 1999; Nickoloff et al. 1994).
5.7.5
Klinische Symptome
Innerhalb der ersten 6 Monate manifestiert sich die JPsA meist als Arthritis weniger Gelenke, dies erschwert in vielen Fällen die Abgrenzung der JPsA von der juvenilen idiopathischen Oligoarthritis. Nur in wenigen Fälle manifestiert sich die JPsA als symmetrische Polyarthritis zu Krankheitsbeginn. Bei jüngeren Kindern besteht oftmals eine Synovitis ohne signifikante Schmerzen, erst bei älteren Kindern besteht die doch deutliche Morgensteifigkeit und Schmerzen in den betroffenen Gelenken. Der klinische Verlauf der JPsA führt meist zu einer Zunahme der Zahl betroffener Gelenke – aus einer initialen oligoartikulären Form wird bei der überwiegenden Zahl der Patienten eine Polyarthritis (Roberton et al. 1996; Huemer et al. 2002).
5
239
5.7 · Psoriasisarthritis
Arthritis Das am häufigsten betroffene Gelenk ist bei JPsA das Kniegelenk, aber es gibt auch eine eindeutige Prädilektion für kleine Gelenke (Metakarpo-/Metatarsophalangealgelenke, proximale und distale Interphalangealgelenke) an Händen und Füßen. Das typische Gelenkbefallmuster bei etablierter JPsA (. Tab. 5.12) entspricht somit einer asymmetrischen Polyarthritis großer und kleiner Gelenke (Southwood et al. 1989; Roberton et al. 1996; Huemer et al. 2002). Die isolierte Schwellung eines einzelnen kleinen Gelenks, besonders einer einzelnen Zehe, ist für JPsA in hohem Maße pathognomonisch (. Abb. 5.24). Die Entzündung distaler Interphalangealgelenke (DIP) ist bei bis zu 30% und eine Daktylitis (definiert als diffuse Schwellung eines kleinen Gelenks an Finger oder Zehe, verbunden mit periartikulärer diffuser Verdickung) bei bis zu 49% der JPsA-Patienten beschrieben (Petty et al. 1998; Huemer et al. 2002). Das Vorhandensein von Daktylitis impliziert auch das gleichzeitige Vorliegen einer Tendinitis. Zu den selten betroffenen Gelenken bei JPsA zählen die Gelenke im Bereich des Schultergürtels, Beckengür-
tels und die Sakroiliakalgelenke (Southwood et al. 1989; Roberton et al. 1996; Huemer et al. 2002).
Enthesiopathie Bei entzündlichen Veränderungen im Bereich der knöchernen Insertionsstellen von Sehnen, Bändern oder Gelenkkapseln kommt es zu lokalisierter Rötung, Schwellung und Druckdolenz. Diese Enthesiopathie ist bei der psoriatischen Arthritis als wesentliches klinisches Zeichen definiert (Salvarani et al. 1997). Aus Fallbeschreibungen sind erwachsene Patienten mit Psoriasis und isolierter Enthesiopathie bekannt, bei pädiatrischen Patienten scheint diese jedoch nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Enthesiopathie scheint vorwiegend ein klinisches Zeichen und Frühsymptom der enthesitisassoziierten Arthritis zu sein.
Psoriasis Die typische dermatologische Symptomatik besteht bei Kindern in den gut demarkierten, erythematösen und desquamativen Hautläsionen im Bereich der Streckseiten von Ellenbogen-, Knie- und Interphalangealgelenken. Psoriasis vulgaris (. Abb. 5.25a) – die klassische Form der
. Tab. 5.12. Initiale und kumulative Gelenkbeteiligung bei JPsA-Patienten Southwood et al. (1989) Initial (%)
Roberton et al. (1996) Kumulativ (%)
Initial (%)
Kumulativ (%)
Knie
57
89
65
84
Sprunggelenk
14
63
22
60
PIP Hand
17
60
21
51
Handgelenk
11
23
25
43
MCP Hand
–
–
16
43
MTP Fuß
–
–
11
43
Temporomandibular
0
34
3
40
Subtalar
6
23
6
38
PIP Fuß
–
–
19
37
Hüfte
11
23
8
32
Ellenbogen
0
20
0
30
DIP Hand
–
–
5
27
Halswirbelsäule
3
17
3
25
Schulter
0
9
3
21
DIP Fuß
–
–
5
10
Sternoklavikular
–
–
0
10
Sakroiliakal
0
11
3
5
Akromioklavikular
–
–
0
5
Lendenwirbelsäule
0
9
0
2
240
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
. Abb. 5.24. Zweieinhalbjähriger Junge mit isolierter Entzündung der 3. Zehe rechts. (Aus Ansell et al. 1991)
Psoriasis – findet sich bei mehr als 80% der Kinder mit Arthritis und Psoriasis. Seltenere Formen der Psoriasismanifestation inkludieren Psoriasis guttata, die pustulöse Psoriasis und generalisierte Formen. Bei sehr jungen Patienten kann die dermatologische Symptomatik noch wenig imponieren, die sorgfältige Untersuchung im Bereich des Haaransatzes, retroaurikulär, periumbilikal, inguinal und perineal ermöglicht allerdings in vielen Fällen eine unzweifelhafte Diagnose. Das diagnostisch hilfreiche Ausspitz-Phänomen kann zur Diagnosesicherung beitragen (Reece et al. 1999): 5 Nach vorsichtigem Anreiben mit dem Holzspatel kommt es zu weißlich opaquer Verfärbung der Schuppen: »Kerzenwachsphänomen«. 5 Bei weiterem Reiben kommt es zu minimaler punktförmiger Hautblutung: »blutiger Tau«. In den Beschreibungen erwachsener Patienten mit psoriatischer Arthritis scheint die dermatologische Symptomatik vorwiegend das primäre Symptom zu sein, bei pädiatrischen Patienten liegt eine Psoriasis in durchschnittlich 50% der Fälle als Erstsymptom vor (Roberton et al. 1996; Huemer et al. 2002; Calabro 1977). Etwa 25% der Kinder mit JPsA »sine Psoriasis« entwickeln innerhalb von 2 Jahren nach Diagnose eine typische Psoriasis (Roberton et al. 1996). Eine Reihe von Veränderungen an Finger- und Zehennägeln finden sich bei Psoriasis – zu den häufigsten Zeichen zählt die Nägeltüpfelung (. Abb. 5.25b; sie findet sich bei etwa einem Drittel der Patienten), ein seltenes Symptom ist die vollständige Onycholysis. Kleinste, runde Vertiefungen im Bereich der Nägel (0,5–1 mm im Durchmesser), verbunden mit etwas verminderter Lichtreflexion der sonst glänzenden Nageloberfläche, repräsentieren dieses Zeichen der Nägeltüpfelung. In der neu revidierten Fassung der ILAR-Kriterien gilt der gesicherte Nachweis von mindestens zwei solcher Läsionen als ausreichend für das Vorliegen von Nägeltüpfelung (Petty et al. 2004). Da gerade im Kindesalter Nägeltüpfelung auch durch Nagelmykosen, unspezifische Ekzeme und mechanische Ein-
a
b . Abb. 5.25. a Typische Psoriasis vulgaris am Bein; b Nägeltüpfelung bei einem Kind mit Psoriasisarthritis. (Aus Ansell et al. 1991)
flüsse verursacht sein kann, ist das Kriterium Nägeltüpfelung nur mit Zurückhaltung und viel Erfahrung anzuwenden.
5.7.6
Diagnose
Das Ziel der neuen ILAR-Kriterien (. Tab. 1) zur Definition der juvenilen idiopathischen Arthritiden war die klare und homogene Erfassung der Kinder und Jugendlichen mit den bereits bekannten Formen kindlicher Arthritis und die Neudefinition eines wichtigen Krankheitsbildes
241
5.7 · Psoriasisarthritis
im Spektrum der pädiatrisch-rheumatologischen Erkrankungen (Petty et al. 1998). Die Diagnose der JPsA wird klinisch gestellt, wenn bei einem pädiatrischen Patienten eine Arthritis und eine Psoriasis vorliegen oder bei fehlenden Hautveränderungen mindestens zwei der folgenden zusätzlichen Kriterien zu finden sind: 5 Daktylitis, 5 Nägeltüpfelung oder Onycholysis, 5 positive Familienanamnese für Psoriasis in zumindest einem Familienmitglied ersten Verwandtschaftsgrades. Als Ausschlusskriterien für das Vorliegen einer JPsA gelten u.a. ein positiver Rheumafaktor und die systemische Verlaufsform der JIA (7 Abschn. 5.1.2). Exkurs In einer Reihe von retrospektiven Analysen konnten die ILAR-Kriterien bereits validiert und einzelne Aspekte präzisiert werden: Die Kriterien Psoriasis und positive Familienanamnese für Psoriasis erforderten in der Erstfassung der 1997 publizierten ILAR-Kriterien eine gesicherte Diagnose der psoriatischen Hautmanifestation durch den Dermatologen und gesicherten Hinweis für Psoriasis im 1. und 2. Verwandtschaftsgrad der Familie. In der revidierten Fassung der ILAR-Kriterien (Petty et al. 2004; Bernston et al. 2001; Fantini 2001; Foeldvari et al. 2000; Hofer et al. 2000; Krumrey-Langkammerer 2002; Ramsey et al. 2000) wurden diese Kriterien aus Gründen der mangelnden Praktikabilität und Präzision neu definiert: Die Diagnose der Psoriasis soll ärztlich (und bevorzugt dermatologisch) gesichert sein, das anamnestische Kriterium einer positiven Familienanamnese für Psoriasis wird auf Familienmitglieder 1. Verwandtschaftsgrades beschränkt. Besonders die Problematik einer korrekten Erfassung von Psoriasis bei Familienmitgliedern 2. Verwandtschaftsgrades schwächte in den durchgeführten retrospektiven Analysen (Ramsey et al. 2000; Manners et al. 2003) die Homogenität und Validität der ILAR-Kriterien, sodass eine Neurevision dringlich schien.
Es gibt für die JPsA keine pathognomonischen Laborparameter. Die Mehrzahl der Patienten weist erhöhte Entzündungsparameter (BSG, C-reaktives Protein), die Anämie der chronischen Entzündung sowie eine Thromobzytose auf. Zu beachten ist allerdings, dass sich bei bis zu einem Drittel der JPsA-Patienten keinerlei erhöhte Entzündungsaktivität findet. Antinukleäre Antikörper gibt es bei ca. 30–60% der JPsA-Patienten, Rheumafaktor ist bei JPsA-Patienten nicht nachweisbar. Die radiologischen Veränderungen bei JPsA sind grundsätzlich den Veränderungen bei chronischer Arthritis vergleichbar. Im frühen Stadium der Arthritis, insbesondere in den ersten Wochen der Erkrankung, besteht
. Abb. 5.26 Jugendliche Patientin mit Daktylitis des rechten Zeigefingers. Die Nativröntgenaufnahme zeigt periostale Reaktion, verschmälerten Gelenkspalt und Erosionen. (Aus Ansell et al. 1991)
in vielen Fällen nur eine Weichteilschwellung. Eine periartikuläre ossäre Rarefizierung kann innerhalb weniger Monate sichtbar werden, bei Zeichen der Daktylitis kann es zu einer ausgeprägten periostalen Knochenneubildung kommen (. Abb. 5.26).
5.7.7
Therapie
Die derzeitigen Empfehlungen zur Behandlung der JPsA beruhen auf Studienergebnissen zur juvenilen idiopathischen Arthritis – leider sind noch keine kontrollierten Therapiestudien für JPsA verfügbar. Der therapeutische Ansatz orientiert sich daher ganz wesentlich an den Behandlungskonzepten zur Therapie der kindlichen Oligoarthritis – der frühe Einsatz einer kombinierten Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika gilt auch für alle JPsA-Patienten als Therapie der Wahl zu Beginn der Erkrankung: > 5 Naproxen (15 mg/kg/Tag aufgeteilt auf 2 Gaben oder Ibuprofen (30–60 mg/kg/Tag aufgeteilt auf 3–4 Gaben), 5 intraartikuläre Steroidpräparate, vor allem Triamcinolon-Hexazetonid (1 mg/kg für große Gelenke, 0,5 mg/ kg für kleine Gelenke).
5
242
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
5 Sobald ein nur unzureichendes Ansprechen auf diese Therapie besteht oder die JPsA einen polyartikulären Verlauf nimmt, ist der Beginn mit einer Basistherapie mit Methotrexat (10–15 mg/m2/Woche) dringend indiziert.
JPsA Patienten scheinen keine deutlichen Unterschiede bezüglich des Ansprechens und des Nebenwirkungsprofils zu den anderen Formen der juvenilen idiopathischen Arthritis aufzuweisen. Das Ansprechen auf die intraartikuläre Verabreichung von Triamcinolon-Hexazetonid hat sich ausgezeichnet zur Behandlung der oligoartikulären Frühformen der JPsA bewährt, scheint aber nicht geeignet für die Behandlung der Daktylitis und Tenosynovitis. Methotrexat hat sich ausgezeichnet für die Behandlung der Psoriasisarthritis und auch der Psoriasis etabliert (Reece et al. 1999; Nickoloff 1994; Abu-Shakra et al. 1995; Cuellar et al. 1997; Espinoza et al. 1992). In eine Reihe von Studien (Ellis et al. 1991; Olivieri et al. 1997; Spadaro et al. 1997) konnte für die Psoriasisarthritis der effektive Einsatz von Cyclosporin A als Basistherapeutikum gezeigt werden – mit einer dem MTX vergleichbaren Wirksamkeit. Bei Langzeittherapie zeigte Cyclosporin A allerdings ein ungünstigeres Nebenwirkungsprofil als Methotrexat (Spadaro et al. 1997). Basierend auf den Erkenntnissen zur Pathophysiologie und den bei Psoriasis und Psoriasisarthritis bereits identifizierten Zytokinen ist seit der Entwicklung der zytokinspezifischen Medikamente ein ganz wesentlicher Fortschritt in der Therapie der chronischen Arthritiden im Kindesalter – und somit auch für die JPsA – zu erwarten.
14 Exkurs
15 16 17 18 19 20 21 22 23
In bislang vorliegenden placebokontrollierten Studien zu Etanercept und Infliximab konnte bei Patienten mit Psoriasisarthritis ein signifikanter Effekt in allen klinischen und funktionellen Parametern erzielt werden (Van den Bosch et al. 2000; Brandt et al. 2000; Mease et al. 2000; Antoni et al. 2002; Kruithof et al. 2002). Die zu Infliximab bislang vorliegenden Phase-II-Studien (IMPACT, Antoni et al. 2004) und Phase-III-Studien (IMPACT 2, Mease et al. 2004) zeigten durchaus positive Ergebnisse mit einem Ansprechen von bis zu 87% der Patienten mit Psoriasisarthritis. In einer offenen Studie bei 15 Patienten mit Psoriasisarthritis wurde Adalimumab – ein humaner monoklonaler Anti-TNF-Antikörper – untersucht: in den bislang vorliegenden Einzelergebnissen mit einem ausgezeichneten Ergebnis von bis zu 75% Ansprechrate.
5.7.8
Prognose
Im Vergleich zu anderen oligoartikulären Formen der kindlichen Arthritis ist die Prognose der JPsA ungüns-
tiger einzustufen. In einer Studie mit 63 JPsA-Patienten, die über mehr als 5 Jahre untersucht wurden, bestanden am Ende des Untersuchungszeitraumes bei mehr als 70% der Fälle noch Zeichen aktiver Arthritis (Roberton et al. 1996). Die ungünstigste Prognose weisen die JPsA-Patienten mit polyartikulärem Verlauf auf: Sie zeigen in einem signifikanten Ausmaß frühe erosive Veränderungen und bleibende funktionelle Beeinträchtigung (Southwood et al. 1989; Roberton et al. 1996).
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243
5.8 · Uveitis
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5.8
Uveitis
A. Heiligenhaus, U. Neudorf
5.8.1
Definitionen
Die Uvea ist die gefäßreichste Struktur im Auge. Sie besteht aus einer Pigmentepithelschicht und einer Gefäßschicht. Die Uvea wird unterteilt in Iris, Ziliarkörper und
5
244
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
! Uveitis ist der Überbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen Entzündungsformen der Uvea. Diagnose und Therapie setzen eine exakte Klassifikation voraus.
1 2
Häufigkeit
3
5.8.2
4
Die Uveitis ist bei Kindern seltener als im Erwachsenenalter und nimmt etwa 5% aller Uveitiden ein. Die Inzidenz der Uveitis im Kindesalter betrug in früheren Studien 4,3– 4,9, und die Prävalenz war 27,9/100.000 Einwohner (Kimura et al. 1954; Paivonsalo-Hietanen et al. 2000; TugalTutkun et al. 1996). Die Häufigkeit der Uveitis bei JIA-Patienten beträgt 13–24,4%. In der Kerndokumentation 2002 wurde bei 12% von 3271 JIA-Patienten eine Augenbeteiligung gefunden (Heiligenhaus et al. 2005; Kotaniemi et al. 1999, 2001). Etwa 80% der JIA-Patienten mit Uveitis haben eine Oligoarthritis, was darauf beruht, dass die Oligoarthritisgruppe die größte unter den JIA-Patienten ist. Etwa 85– 90% der Patienten mit Oligoarthritis und Uveitis sind ANA-positiv. Die JIA-Uveitis ist bei Mädchen wesentlich häufiger als bei Jungen und bei früher Arthritismanifestation besonders häufig (Cabral et al. 1994; Heiligenhaus et al. 2005; Kanski 1988; Kotaniemi et al. 2001). In . Tab. 5.13 werden die Häufigkeiten von Uveitis bei Patienten mit JIA dargestellt.
5 6
. Abb. 5.27. Schema des Auges, Strukturen der Uvea
7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Chorioidea (. Abb. 5.27). Die Iris gibt dem Auge seine individuelle Farbe, fungiert als Blende und optimiert damit die Abbildungsqualität. Der Ziliarkörper ermöglicht gemeinsam mit der Linse die Akkomodation und ist für die Kammerwasserproduktion verantwortlich, und gewährleistet damit auch die Ernährung von Linse und Hornhaut. Das Gleichgewicht aus Kammerwasserproduktion und abfluss im Kammerwinkel bestimmt den Augeninnendruck. Die Chorioidea gestattet die Ernährung und den Abtransport von Stoffwechselprodukten aus den äußeren Netzhautschichten. Die Uvea stellt mit der Blut-Kammerwasser-Schranke und der Blut-Retina-Schranke die wichtige Barriere gegen den Einstrom von Zellen und Mikroorganismen in das Auge dar. Entzündungen der uvealen Strukturen können unterschiedlichste funktionelle Störungen des betroffenen Auges zur Folge haben. Eine Entzündung der Uvea wird als Uveitis bezeichnet. Meist ist nicht die gesamte Uvea, sondern ein umschriebener Anteil betroffen. Die Entzündungen der Iris werden als Iritis und die des Strahlenkörpers als Zyklitis bezeichnet. Oft sind sie gemeinsam betroffen (Iridozyklitis). Entzündungen der Chorioidea werden Chorioiditis genannt, Entzündungen der Netzhaut Retinitis; wegen ihrer engen anatomischen und funktionellen Verbindung sind oft beide betroffen. Entsprechend dem Schwerpunkt der Entzündung werden diese dann mit Chorioretinitis oder Retinochorioiditis benannt. Zudem werden Entzündungen des Glaskörpers (Vitritis), der Gefäße (Vaskulitis), des Sehnerven (Neuritis nervi optici) oder der Papille (Papillitis) beobachtet. Eine Uveitis kann bei verschiedenen infektiösen oder nichtinfektiösen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen auftreten. Im Kindesalter müssen insbesondere juvenile idiopathische Arthritis (JIA), M. Behçet, Kollagenosen und M. Crohn genannt werden. Die Uveitis im Kindesalter ist eine der schwersten Augenerkrankungen, die trotz aller Fortschritte bei Diagnostik und Therapie nicht selten zum Visusverlust führt.
! Eine Uveitis ist besonders häufig bei Oligoarthritis, Mädchen, frühem Manifestationsalter der Arthritis und Nachweis von antinukleären Antikörpern.
. Tab. 5.13. Uveitis bei JIA-Patienten (Zahlen aus der Kerndokumentation 2002 in Klammern; Heiligenhaus et al. 2005) RF-negative Polyarthritis
5–10% (4%)
RF-positive Polyarthrtiis
Sehr selten (2%)
Systemische Arthritis
Sehr selten (1%)
Oligoarthritis
15–40% »extended”, 25% »persistent”, 16%
Psoriasisarthritis
Beginn Kleinkindesalter: bis 20% Beginn Schulkindesalter: keine Daten Für alle 10%
Enthesitisassoziierte Arthritis
5–10% (7%)
Sonstige Arthritis
5–10% (11%)
245
5.8 · Uveitis
. Tab. 5.14. Uveitisklassifikation nach der International Uveitis Study Group (Bloch-Michel u. Nussenblatt 1976) Anteriore Uveitis
Iritis (Vorderkammerentzündung) und Iridozyklitis (überwiegende Vorderkammerentzündung und begleitende Entzündung im vorderen Glaskörper) oder anteriore Zyklitis
Intermediäre Uveitis
Vorrangig Glaskörperentzündung ohne Beteiligung der Chorioidea, ggf. mit geringem bis mäßigem Vorderkammerzellbefund oder begleitender retinaler Vaskulitis
Posteriore Uveitis
Chorioretinitis, Retinochorioiditis, Retinitis und Neuroretinitis
Panuveitis
Entzündung der gesamten Uvea. Kombination aus schwerer Iritis und Chorioretinitis
Dauer
Limitiert: ≤3 Monate Persistierend: >3 Monate
Symptomatik
Symptomatisch: Schmerzen, Druckgefühl, Tränenträufeln, Lichtscheu, äußerlich gerötetes Auge Asymptomatisch: ohne die typischen Beschwerden, äußerliches weißes Auge
Verlauf
Akut: Schübe mit abruptem Beginn und limitierter Dauer Rezidivierend: wiederholte Schübe mit entzündungsfreien therapiefreien Intervallen von ≥3 Monaten Chronisch: persistierende Uveitis mit Schüben <3 Monaten nach Therapieunterbrechung
5.8.3
Klassifikation
Entsprechend den Empfehlungen der International Uveitis Study Group gilt die anatomische Klassifikation der Uveitis als Grundlage für die weitere Diagnostik. Zudem sind Dauer der Erkrankung, Symptomatik und Erkrankungsverlauf bedeutsam (. Tab. 5.14).
5.8.4
Ätiologie
Bei Fehlen einer assoziierten infektiösen oder entzündlich-rheumatischen Erkrankung wird die Uveitis als »idiopathisch« bezeichnet. Eine große und heterogene Gruppe von entzündlich-rheumatischen Grunderkrankungen kann im Kindesalter mit einer Uveitis verknüpft sein. Die typischen anatomischen Uveitisformen und klinischen Verläufe werden in . Tab. 5.15 dargestellt. Heutzutage sind bei etwa 15% der Kinder mit Uveitis infektiöse Auslöser nachweisbar. Bei den verschiedenen anatomischen Uveitisformen müssen differenzialdiagnostisch sehr unterschiedliche Infektionserkrankungen berücksichtigt werden (. Tab. 5.16). Im Gegensatz zur herpetischen anterioren Uveitis und der Toxoplasmose-Retinochorioiditis sind die anderen infektiösen Ursachen im Kindesalter sehr selten. ! Zur zielgerichteten Diagnostik und Therapie sollte eine anatomische Klassifikation der Uveitis erfolgen. Nach ätiologischen Aspekten müssen infektiöse, entzündlichrheumatische und idiopathische Uveitisformen differenziert werden.
. Tab. 5.15. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen mit Uveitis. Typische Symptomatik, Verlauf und anatomische Uveitisformen RF-negative Polyarthritis
Asymptomatisch, chronisch oder rezidivierend, anteriore Uveitis
RF-positive Polyarthritis
Kein typischer Verlauf
Systemische Arthritis
Kein typischer Verlauf
Oligoarthritis
Asymptomatisch, chronisch oder rezidivierend, anteriore Uveitis
Psoriasisarthritis
Asymptomatisch, chronisch oder rezidivierend oder akut oder rezidivierend symptomatisch, anteriore Uveitis
Enthesitisassoziierte Arthritis
Symptomatisch, rezidivierend, anteriore Uveitis
Sonstige Arthritis
Asymptomatisch oder symptomatisch, akut oder rezidivierend
. Tab. 5.16. Typische Infektionen bei den unterschiedlichen anatomischen Uveitisformen Anteriore Uveitis
Tuberkulose, Borreliose, Lues, HSV oder Zoster
Intermediäre Uveitis
Tuberkulose, Borreliose, Lues
Posteriore Uveitis
HSV, VZV, CMV, Toxoplasmose, Toxokariasis, HIV, Lues
5
246
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
5.8.5
Pathogenese und Pathologie
Autoimmunuveitis Posteriore Uveitis Bei der posterioren Uveitis handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. Als endogene Autoantigene wurden retinales S-Antigen oder interphotorezeptorbindendes Protein (IRBP) nachgewiesen. Es handelt sich um eine durch T-Zellen vermittelte Erkrankung. In der akuten Phase finden sich im Glaskörper und in der Netzhaut insbesondere CD4+-T-Zellen und Makrophagen. Neben TNF-α spielen IL-1, IL-2, IL-6 und IL-8 eine zentrale Rolle. Infolge der Expression der proinflammatorischen Zytokine kommt es an den Endothelien zur Expression der Zelladhäsionsmoleküle ICAM-1 (»intercellular adhesion molecule 1«), ICAM-2 und VCAM (»vascular cell adhesion molecule«). Die Leukozyten exprimieren LFA-1 (Leukozytenfunktionsantigen 1), VLA-4 (»very late antigene 4«) und MAC. was die Infiltration von Granulozyten, Makrophagen und Lymphozyten in das Gewebe fördert. Die ortständigen Zellen, beispielsweise retinale Pigmentepithelzellen, Müller-Zellen und Gefäßendothelien werden zur Expression von MHC-Klasse-II-Molekülen angeregt. Das Zytokinmuster entscheidet darüber, ob sich eine granulomatöse oder nichtgranulomatöse Entzündung ausbildet.
JIA-assoziierte anteriore Uveitis Über den Pathomechanismus der JIA-assoziierten Uveitis ist wenig bekannt. Im entzündlichen Infiltrat von Iris und Ziliarkörper finden sich viele Plasmazellen, aber wenige Lymphozyten, Makrophagen und mehrkernige Riesenzellen.
Vaskulitis Bei der retinalen Vaskulitis im Rahmen von systemischen Vaskulitiden handelt es sich vornehmlich um eine immunkomplexvermittelte Entzündung. Die Endothelien der retinalen Gefäße exprimieren die Adhäsionsmoleküle ICAM, VCAM und CD62P, -E und LFA-1. Perivasal sind CD4+-T-Zellen nachweisbar, die VLA und Interleukin-2Rezeptor (IL-2R) exprimieren.
Infektionen
19 20 21 22 23
Der Pathomechanismus von infektiösen Uveitiden soll exemplarisch an der HSV-induzierten Uveitis und der Toxoplasmose-Retinochorioiditis erläutert werden.
HSV-Uveitis Bei der anterioren Uveitis wurden intakte Viruspartikel im Kammerwasser und im Trabekelwerk gefunden. Neben der viral induzierten Zytopathologie spielt die Immunreaktion eine wichtige Rolle. In der anterioren Uvea kann eine okkludierende Vaskulitis und Perineuritis nachgewiesen werden.
Die akute retinale Nekrose repräsentiert eine viral induzierte Zytopathologie. Die begleitenden Immunreaktionen sind aber wichtig für den weiteren Entzündungsvorgang, der zur retinalen Nekrose führen kann. Die Erkrankung unterliegt der Kontrolle durch T-Zellen. Zu den wichtigsten proinflammatorischen Zytokinen zählen TNF-α, IL-1, IL-2, IL-6, IL-8 und IL-12. Schwere Gefäßokklusionen führen zur Ischämie von Retina und Chorioidea. Der massive Zusammenbruch der Blut-RetinaSchranke mit dem resultierenden erhöhten Proteingehalt im Glaskörperraum ist mit einem proliferativen und chemotaktischen Effekt auf das Pigmentepithel und die Fibroblasten verbunden. Die nekrotisch bedingten Netzhautlöcher und die proliferative Vitreoretinopathie führen schließlich zur Netzhautablösung.
Toxoplasmose-Retinochorioiditis In der betroffenen Netzhaut finden sich Trophozoiten. Diese penetrieren die Zellwand der retinalen Zellen und entkommen daher teilweise den Abwehrmechanismen. Mit dem Beginn der Antibiotikatherapie oder der Immunabwehr des Wirtes bilden sich zystenförmige Bradyzoiten. Die Aktivierung von B-Zellen und die Antikörperproduktion (IgM, IgE, IgA und IgG) sind die ersten Schritte der Immunabwehr. Dabei wird die klassische Komplementkaskade aktiviert. Die Antikörper sind aber nicht in der Lage, intrazelluläre Organismen zu beseitigen. Die zelluläre Immunantwort ist für die Abheilung der aktiven Läsionen von großer Bedeutung. Daran sind Makrophagen, NK-Zellen und T-Zellen beteiligt. Im entzündeten Gewebe sind IL-12, IFN-γ und TNF-α nachweisbar. Es findet sich auch eine retinale Vaskulitis. Eine Immunsuppression, insbesondere mit Störungen der T-Zell-Funktion, führt zum Rezidiv. ! Neben der mikrobiell induzierten Zytopathologie spielt auch die Immunreaktion eine wichtige pathogenetische Rolle bei infektiösen Uveitiden.
5.8.6
Klinische Symptome
Die Uveitis wird bei den meisten JIA-Kindern zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr festgestellt. Bei 3–10% manifestiert sich die Uveitis vor der Arthritis, bei 25–35% werden beide gleichzeitig festgestellt, bei 50% wird die Uveitis gleichzeitig mit oder in den ersten 6 Monaten nach Diagnose der Arthritis festgestellt, bei 90% innerhalb der ersten 4 Jahre nach der Arthritis, und extrem selten nach über 7 Jahren der Arthritis. Die Erkrankung tritt bei den Patienten mit idiopathischer anteriorer Uveitis meist erst einige Jahre später auf. Zu den Symptomen der akuten HLA-B27-positiven Iridozyklitis zählen Rötung der Konjunktiva, Tränenfluss, Lichtscheu, Schmerz und schlechtes Sehen. Typisch
5.8 · Uveitis
für die chronische Iridozyklitis ist, dass sie anfangs häufig ohne klinische oder subjektive Symptome einhergehen kann. Gelegentlich fallen die Kinder erst durch sehr schlechtes Sehen auf. Bei der intermediären und posterioren Uveitis sind Verzerrtsehen oder schlechtes Sehen typisch, die betroffenen Augen sind äußerlich unauffällig (Heiligenhaus et al. 2003, 2005; Kanski 1988, 1992; Kimura et al. 1964). ! 5 Die Uveitis verläuft bei vielen Patienten asymptomatisch mit äußerlich weißem Auge. 5 Obschon sich die Uveitis häufig mit oder kurz nach der Arthritis manifestiert, kann sie schon vor oder auch noch viele Jahre nach der Arthritis auftreten. 5 Alle Patienten mit Uveitis müssen regelmäßig vom Augenarzt untersucht werden.
5.8.7
247
chung oder auch im weiteren Verlauf können Inspektionen in Maskennarkose sinnvoll sein.
Nachweis von Uveitiskomplikationen Bei einem chronischen Uveitisverlauf können sich in der Lidspalte Bandkeratopathien entwickeln (. Abb. 5.28). Gelegentlich schreiten diese bis zur Hornhautmitte fort, was mit einer Sehminderung einhergeht. Häufig kommt es zur Ausbildung von hinteren Synechien. Ihr Nachweis wird durch eine Mydriatikagabe erleichtert (. Abb. 5.29). Gelegentlich bildet sich eine Rubeosis iridis, bei Synechien im Kammerwinkel können Augeninnendruckerhöhungen folgen. Gelegentlich entwickeln sich auf der Lin-
Diagnostik
Umfang der augenärztlichen Untersuchungen Das vorrangige Ziel der augenärztlichen Untersuchungen ist der Nachweis der Uveitis und ihrer Komplikationen. Die Visusbestimmung dient der Einschätzung der Minderung der Sehfähigkeit. Bei vielen Patienten mit Uveitis erscheint das betroffene Auge äußerlich unauffällig. Viele der typischen entzündlichen Veränderungen können nur mit der Spaltlampe festgestellt werden. Der Schweregrad der Entzündung wird anhand der Zellzahl in der Vorderkammer oder im Glaskörper bestimmt. Typische Komplikationen, wie beispielsweise Synechien, Bandkeratopathie, Katarakt und Glaskörpertrübungen, können nur mit der Spaltlampe nachgewiesen werden. Die Kontrollen sollten regelmäßig eine Mydriasis einschließen, womit sich Synechien oder Fundusveränderungen besser nachweisen lassen. Die Ophthalmoskopie dient dem Nachweis der Mitbeteiligung von Chorioidea und Retina. Besonderes Augenmerk gilt den Veränderungen von Papille, Makula und Gefäßen. Mit der Tonometrie werden erhöhte Augeninnendruckwerte festgestellt, die zum Glaukom führen können, oder erniedrigte Druckwerte, die Vorboten einer Phthisis bulbi sein können. Eventuell sind noch weitere Untersuchungen sinnvoll. Mit der Fluoreszeinangiografie lassen sich zystoide Makulaödeme oder Gefäßleckagen nachweisen. Mit elektrophysiologischen Messmethoden (z. B. Elektrookulogramm, Elektroretinogramm) können die erkrankten Netzhautschichten oder toxische Schädigungen (z. B. durch Chloroquin) ermittelt werden. Bei Trübungen der brechenden Medien lassen sich mit der Echografie eventuell Trübungen und Blutungen im Glaskörper, Netzhautablösungen oder intraokuläre Raumforderungen zeigen. Wegen der häufigen Amblyopien bei Kindern mit Uveitis sollten Sehschulkontrollen erfolgen. Bei Erstuntersu-
. Abb. 5.28. Bandkeratopathie bei JIA-Patienten mit anteriorer Uveitis
. Abb. 5.29. Posteriore Synechien bei JIA-Patienten mit anteriorer Uveitis; Diagnosestellung oft erst in diagnostischer Mydriasis
5
248
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
senvorderfläche Membranen, die das Sehvermögen drastisch mindern können. Die häufigste Komplikation einer Uveitis im Kindesalter ist die Katarakt. Die typische Katarakt wird an der hinteren Linsenkapsel (sog. hintere Schalentrübung) beobachtet. Durch die sehr ungünstige Lage in der optischen Achse verschlechtert sich der Visus oft schon früh. Es können sich Glaskörpertrübungen entwickeln, die das Sehvermögen stark herabsetzen. Zu den schwerwiegenden Komplikationen der Netzhautmitte zählen Makulaödem, Makulaatrophie und Makulapucker. Durch entzündliche Gefäßverschlüsse können sich Neovaskularisationen bilden. Typisch sind auch die entzündlichen Papillenödeme mit oder ohne Neuritis. Es können auch traktive, exsudative oder rhegmatogene Netzhautablösungen entstehen. Eine der schwersten Komplikationen der Uveitis im Kindesalter ist das Glaukom (. Abb. 5.30). Bei einer Zyklitis kann es zum Erliegen der Kammerwasserproduktion und damit zu einer gefährlichen okulären Hypotonie kommen. Bei Atrophien oder traktiven Membranen an der Glaskörperbasis kann eine Phthisis mit Erblindung folgen.
11
Nachweis von medikamentenbedingten Komplikationen
12
Schließlich müssen noch eine Reihe möglicher medikamentenbedingter Komplikationen am Auge berücksichtig werden. Eine langfristige und hoch dosierte lokale und/ oder systemische Kortisonanwendung kann zur Steigerung des Augeninnendruckes, zur Kataraktentwicklung und gelegentlich zur Bandkeratopathie (insbesondere bei phosphatierten Medikamenten) führen. Bei der systemischen Verwendung von hohen Dosen von Chloroquin oder Hydroxychloroquin können Schäden der Netzhaut resultieren.
13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Häufigkeit von augenärztlichen Screeninguntersuchungen Die augenärztlichen Screeninguntersuchungen bei Patienten mit JIA ohne bereits diagnostizierte Uveitis orientieren sich am typischen Uveitisverlauf in den verschiedenen Arthritisgruppen. Die Untersuchungen haben zum Ziel, die Uveitis möglichst früh und vor Ausbildung von Komplikationen zu erkennen. Bei Arthritisgruppen mit typischerweise asymptomatischer Uveitis und hoher Komplikationsrate werden besonders kurze Intervalle empfohlen. Die Kontrollintervalle bei bereits manifester Uveitis müssen sich individuell am Uveitisverlauf und den Komplikationen orientieren. Die Screeningintervalle bei JIA-Patienten werden in . Abb. 5.31 dargestellt. Wegen des asymptomatischen Verlaufes bleibt oft unklar, wie lange die Uveitis bereits bestanden hat. Bei einer chronischen Iridozyklitis können innerhalb von wenigen Tagen Fibrinmembranen, posteriore Synechien,
. Abb. 5.30. Glaukompapille bei JIA-Patienten mit chronischer anteriorer Uveitis. Eventuell muss zur Diagnosestellung eine Inspektion in Maskennarkose erfolgen
Glaskörperinfiltrationen, okuläre Hypo- oder Hypertonie entstehen. Innerhalb von wenigen Monaten können sich Bandkeratopathien, Katarakte oder Makulaödeme entwickeln.
Taschenlampentests durch die Eltern Bei schwerem und chronischem Verlauf der Iridozyklitis kann eine regelmäßige Kontrolle der Augen durch die Eltern sinnvoll sein. Dabei sollten die Eltern ihre Kinder nach Uveitisbeschwerden fragen. Das Sehvermögen kann grob orientierend für jedes Auge getrennt mit Hilfe von Spielsachen überprüft werden. Mit der Taschenlampe können nach dem Einträufeln kurzwirksamer Mydriatika (Tropicamid) neue Synechien früh erkannt werden. Die Selbstuntersuchungen ersetzen den wichtigen Besuch beim Augenarzt nicht, bieten aber eine gewisse zusätzliche Sicherheit.
Diagnostik zum Nachweis von Infektionen oder nichtinfektiösen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen Die Diagnostik erfolgt gemeinsam durch Augenarzt und Kinderarzt. Dem Kinderarzt sollten die Klassifikation und die Komplikationen der Uveitis sowie die aufgrund des klinischen Bildes und des bisherigen Ansprechens auf eine Therapie vermutete Ätiologie der Uveitis mitgeteilt werden. Bei jedem Patienten sollte eine minimale Basisdiagnostik erfolgen, die unter Berücksichtigung der Anamnese und der vermuteten Ätiologie modifiziert werden muss (. Tab. 5.17).
5
249
5.8 · Uveitis
JIA-Subgruppe
ANA
Alter bei JIA-Beginn (in Jahren)
JIA-Dauer (in Jahren)
Empfohlene Screening-Intervalle (in Monaten) 3
OA, RF-PA, PsA, AA
+
≤6
≤4
OA, RF-PA, PsA, AA
+
≤6
>4
6
OA, RF-PA, PsA, AA
+
≤6
≤7
12
OA, RF-PA, PsA, AA
+
>6
≤2
6
OA, RF-PA, PsA, AA
+
>6
>2
12
OA, RF-PA, PsA, AA
-
≤6
≤4
6
OA, RF-PA, PsA, AA
-
≤6
>4
12
OA, RF-PA, PsA, AA
-
>6 n.a.
n.a. n.a.
12
n.a.
n.a.
12
n.a.
n.a.
RF+ PA, Sys A
n.a. n.a.
Patienten mit Uveitis
n.a.
EAA
12 Entsprechend dem Uveitisverlauf
. Abb. 5.31. Augenärztliche Untersuchungsintervalle bei den unterschiedlichen JIA-Formen (OA Oligoarthritis, RF-PA seronegative Polyarthritis, PsA Psoriasisarthritis, AA andere Arthritis; EAA enthesitisassoziierte Arthritis, RF+PA seropositive Polyarthritis, Sys A systemische Arthritis; n.a. nicht anwendbar)
. Tab. 5.17. Empfohlener Umfang der Basisdiagnostik bei den unterschiedlichen anatomischen Uveitisformen (entspr. der individuellen Anamnese evtl. gezielte weitere Diagnostik) Anteriore Uveitis
Differenzialblutbild, Urinstatus, HLA-B27, ANA, Lues, Borreliose, ACE, Thoraxröntgenbild, pädiatrische Untersuchung
Intermediäre Uveitis
Differenzialblutbild, Lues, Borreliose, ACE, Thoraxröntgenbild, ggf. Schädel-MRT, pädiatrische Untersuchung
Posteriore Uveitis
Differenzialblutbild, Urinstatus, Lues, Borrelien, ACE, Thoraxröntgenbild, ANA, ggf.: HLA-B51, HLA-A29, HSV, VZV, HIV, Toxoplasmose, Toxocara, pädiatrische Untersuchung
! 5 Die Uveitis verläuft häufig asymptomatisch. Das betroffene Auge ist äußerlich häufig unauffällig. 5 Die augenärztlichen Untersuchungen haben den frühestmöglichen Nachweis von Uveitis und Uveitiskomplikationen zum Ziel. Zusätzliche Taschenlampentests durch die Eltern sind sinnvoll, ersetzen aber die augenärztlichen Kontrollen nicht. 5 Die Screeningintervalle bei JIA-Kindern orientieren sich an der Arthritisgruppe (Abb. 5.31). 5 Die Entzündungen von Gelenken und Augen verlaufen oft dissoziiert.
5.8.8
Therapie
Ziel der Behandlung ist das Vermeiden von visuslimitierenden Komplikationen und ein Visuserhalt. Der Augenarzt stellt die Indikation zur Therapie, überwacht den
Therapieerfolg und steuert die lokale Therapie. Der Kinderarzt führt die eventuell erforderliche systemische medikamentöse Therapie und das Monitoring der Therapie durch. Eine kausale Therapie ist nur bei den infektiösen Uveitiden möglich. Bei verschiedenen dieser Erkrankungen ist eine Kombination aus einer antimikrobiellen und antientzündlichen Therapie erforderlich. Bei idiopathischer Uveitis und bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen kann nur eine symptomatische Therapie erfolgen.
Antientzündliche Therapie Anteriore Uveitis (idiopathisch und bei JIA) Primär erfolgt eine Lokalbehandlung mit Kortikosteroiden (Evidenzstufe Ia) vorrangig mit Predisolonacetat, das gut in die Vorderkammer penetriert. Im Schub erfolgt initial eine stündliche Gabe. Die Dosis wird entsprechend der Entzündung dann langsam ausgeschlichen und, wenn erforderlich, in einer niedrig dosierten Erhaltungsdosis von ≤3 Tropfen täglich fortgesetzt, um eine Langzeitremission zu erzielen. Eventuell kann die Verwendung von lokalen oder systemischen nichtsteroidalen Antirheumatika hilfreich sein, um die Kortikoiddosis zu reduzieren (Evidenzstufe III). Eine subkonjunktivale oder parabulbäre Injektion von Kortikoiden kann zur Besserung von Glaskörperinfiltration oder Makulaödem beitragen (Evidenzstufe IIa). Bei beidseitiger Uveitis kann eine zusätzliche systemische Kortikoidgabe sinnvoll sein, initial in einer Dosis von 2 mg/ kg KG. Bei sehr hohem Entzündungsgrad, insbesondere mit Makulaödem oder Glaskörperinfiltration wird gelegentlich auf eine intravenöse Applikation zurückgegriffen (Evidenzstufe III). Eine perorale Dauertherapie hat meist
250
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
gegenüber der hoch dosierten lokalen Kortikosteroidgabe keinen Vorteil. Daher sollte auf eine systemische Kortikoidgabe möglichst verzichtet werden (Dana et al. 1997; Heiligenhaus et al. 2003). Obschon Methotrexat das immunsuppressive Medikament der ersten Wahl darstellt, ist die Ansprechrate mit etwa 60% bei der JIA-assoziierten Uveitis im Vergleich zu den anderen Uveitisformen niedrig. Die MTX-Dosis sollte etwa 10–15 mg/m2 KOF/Woche betragen (Evidenzstufe III). In der Regel kann nicht komplett auf die lokale Kortikoidgabe verzichtet werden. Alternativ kann Ciclosporin A (CsA) in einer Dosis von 3–5 mg/kg KG/Tag verwendet werden. In schweren Fällen kann in einem nächsten Schritt mit einer Kombination aus MTX und CsA in einer Dosis bis 3 mg/kg KG/Tag eine Besserung erzielt werden (Evidenzstufe III). In einigen Fällen wurde auch mit Azathioprin in einer Dosis von 1–3 mg/kg KG/ Tag eine Besserung der Uveitis bei JIA-Patienten beobachtet (Evidenzstufe III). Obschon Cyclophosphamid in einer Dosis von 1–2 mg/kg KG/Tag bei JIA-Patienten mit Uveitis erfolgreich eingesetzt wurde, sollte dieses wegen der teilweise sehr schweren Nebenwirkungen nur in sehr schweren und ausgewählten Fällen und mit äußerster Vorsicht eingesetzt werden (Evidenzstufe III) (Dana et al. 1997; Heiligenhaus et al. 2003; Hemady et al. 1992; Kilmartin et al. 1998; Samson et al. 2001). Die systemische Immunsuppression hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung in der Therapie der Uveitis im Kindesalter gewonnen. Zu ihren Indikationen zählen die unzureichende Wirksamkeit oder die multiplen okulären oder systemischen Nebenwirkungen von Glukokortikoiden. Immunsuppressiva können zur Reduktion der Kortikoiddosis beitragen (Dana et al. 1997). Grundsätzlich gilt, dass bei Verwendung von Immunsuppressiva eine ausreichende Erfahrung im Umgang und Monitoring der jeweiligen Präparate vorhanden sein sollte. Meist ist eine Therapiedauer von vorerst 2 Jahren einzuplanen. Der Stellenwert von neueren Immunsuppressiva, wie beispielsweise Mycophenolat-Mofetil und Leflunomid, ist derzeit unklar. Der Stellenwert der TNF-α-Inhibitoren zur Behandlung der anterioren Uveitis im Kindesalter ist derzeit noch nicht genau definiert. Obschon unkontrollierte Studien vermuten ließen, dass Etanercept den Verlauf der chronischen Uveitis verbessern kann, ist es unter der Behandlung andererseits schon zu Uveitisschüben oder -erstmanifestation gekommen. In einer prospektiven Studie sowie einem bundesweiten Register zeigte Etanercept keinen positiven Einfluss auf die Uveitis. Es konnte auch nicht zur Dosisreduktion anderer Immunsuppressiva beitragen (Evidenzstufe III) (Foster et al. 2003; Reiff et al. 2001; Smith et al. 2001). Andere Studien haben die Wirksamkeit von Infliximab zur Therapie der Uveitis untersucht. Den bisherigen Fallberichten zufolge scheint Infliximab besser zur
Behandlung einer Uveitis geeignet zu sein als Etanercept. Es wurde eines gutes primäres Ansprechen bei Patienten mit JIA-assoziierter Uveitis, HLA-B27-assoziierter Uveitis, M. Behçet, Sarkoidose und posteriorer Uveitis beobachtet (Evidenzstufe III). Unter der Behandlung kam es gelegentlich zur Rückbildung von zystoiden Makulaödemen (El-Shabrawi u. Hermann 2002; Suhler et al. 2005). Derzeit werden die Erfahrungen mit Infliximab bei Kindern mit Uveitis in einem bundesweiten Register zusammengetragen.
Intermediäre und posteriore Uveitis Eine Therapie mit steroidalen Augentropfen oder -salbe ist nur von begrenzter Wirkung. Bei einseitiger Entzündung kann mit einer parabulbären oder intraokulären Behandlung eine teilweise mehrmonatige Stabilisierung erzielt werden (Evidenzstufe III). Der Stellenwert der Kryokoagulation oder Pars-plana-Vitrektomie zum Erzielen einer langfristigen Reizfreiheit wird kontrovers beurteilt (Evidenzstufe III). Bei chronischem Verlauf, starker Glaskörperinfiltration, kompliziertem chronischem zystoidem Makulaödem, vitreoretinalem Traktionssyndrom und retinalen Neovaskularisationen sollte eine systemische Kortikosteroidtherapie erfolgen. Die Dosis sollte initial 2 mg/ kg KG betragen und sollte in 6–8 Wochen auf die individuelle Cushing-Schwelle reduziert werden. Gelegentlich ist eine langfristige Therapie mit einer niedrigen Erhaltungsdosis sehr wirksam. Bei unzureichender Wirksamkeit, bei hoher Kortikoiderhaltungsdosis oder schwerwiegenden systemischen Kortikoidnebenwirkungen kann die Verwendung von Immunsuppressiva sinnvoll sein. Zur Anwendung kommen insbesondere Methotrexat (Evidenzstufe III), Ciclosporin A (Evidenzstufe III) oder Mycophenolat-Mofetil (Evidenzstufe IV).
Zusätzliche Therapie In der akuten Phase der Uveitis mit Vorderkammerentzündung sollte die Pupille weitgestellt werden, um Synechien zu verhindern bzw. bestehende zu lösen. Dazu sollten Zykloplegika, wie beispielsweise Scopolamin, verwendet werden (Evidenzstufe IIa). Zur Prophylaxe kann Tropicamid zur Nacht angewendet werden. Zur Therapie von Augendruckerhöhungen bei Uveitis werden insbesondere Carboanhydrasehemmer, lokale β-Blocker und α-2-Agonisten eingesetzt (Evidenzstufe IIa). Zur Behandlung von Makulaödemen eignen sich parabulbäre, intraokuläre oder systemische Kortikosteroide (Evidenzstufe III), evtl. in Kombination mit systemischem Acetazolamid (Evidenzstufe III).
Chirurgische Therapie Zur Beseitigung dichter Bandkeratopathien werden Hornhautabrasionen mit einem Chelatbildner, wie beispielsweise EDTA, oder phototherapeutische Keratekto-
5.8 · Uveitis
mien benutzt (Evidenzstufe III). Bei Kataraktextraktion bei Patienten mit chronisch aktiver Uveitis, insbesondere bei JIA-assoziierter Uveitis, wird eine Lentektomie mit anteriorer Vitrektomie unter Verzicht auf eine Implantation einer Kunstlinse favorisiert (Evidenzstufe III). Zur operativen Behandlung des sekundären Offenwinkelglaukoms werden Cyclophotokoagulation, filtrierende Operationen mit adjuvanter Anwendung von Zystotatika (MMC oder 5-FU) oder Implantate (Molteno oder Ahmed Tubes) empfohlen (Evidenzstufe III). Zu den Indikationen einer Pars-plana-Vitrektomie zählen insbesondere die Beseitigung dichter Glaskörpertrübungen oder Blutungen, traktive Netzhautablösungen, Makula pucker, chronische zystoide Makulaaödeme oder okuläre Hypotonien (Evidenzstufe III) (Foster u. Barrett 1993; Kanski 1992). ! Es sollte immer zuerst eine lokale antientzündliche Therapie erwogen werden (. Abb. 5.32). Bei unzureichender Wirksamkeit der lokalen Therapie, bei hoher Kortikoiderhaltungsdosis oder systemischen Kortikoidnebenwirkungen kann eine Immunsuppression indiziert sein. Die systemische antientzündliche Therapie sollte immer gemeinsam von Augenarzt und Kinderarzt durchgeführt werden.
5.8.9
Prognose
Die Visusprognose ist bei Kindern mit Uveitis und assoziierter Erkrankung schlechter als bei denen ohne. Patienten mit assoziierter Systemerkrankung müssen im Vergleich zu den anderen Kindern mit Uveitis häufiger immunsuppressiv oder operativ behandelt werden. Dies reflektiert den schwereren Erkrankungsverlauf bei vielen dieser Patienten. Die Visusprognose ist bei früh manifestierender Uveitis in der Regel besonders schlecht. Die Prognose ist bei den Kindern schlechter, deren Uveitis vor oder gleichzeitig mit der Arthritis diagnostiziert wird. Die Assoziation von Geschlecht und Visusprognose wird kontrovers diskutiert. Der prognostische Wert von ANA auf den Visusverlauf ist ebenfalls unklar. Ein schlechter Visus beruht nicht selten auf Katarakt, Glaukom, makulären Läsionen und Amblyopie. Von besonderer Bedeutung für die Langzeitprognose sind die bei Erstdiagnose der Uveitis nachgewiesenen Komplikationen und Visus (Cassidy et al. 19977; Dana et al. 1997; Edelsten et al. 2002, 2003; Heiligenhaus et al. 2005; Kanski 1988, 1992; Tugal-Tutkun et al. 1996; Wolf et al. 1987; Zulian et al. 2002). Der asymptomatische Verlauf der Uveitis ist maßgeblich für die schlechte Visusprognose verantwortlich. Daher ist ein adäquates Screening von Kindern mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen besonders wichtig. Die Visusprognose ist bei symptomatischem Uvei-
251
tisverlauf meist besser, da eine frühzeitige Augenarztbehandlung erfolgt. Bei infektiösen Uveitiden ist häufig ein asymptomatischer, aber fulminanter Verlauf typisch. Häufig resultiert ein schlechter Visus, da die Komplikationen bei Diagnosestellung schon bestehen oder schwere Netzhautschäden entstehen. Trotz ihrer Seltenheit ist es wichtig, die Infektionserkrankungen in die Differenzialdiagnose einzubeziehen (Bosch-Driessen et al. 2002; Tugal-Tutkun et al. 1996). Das Komplikationsspektrum unterscheidet sich deutlich zwischen den verschiedenen anatomischen Uveitisformen. Bei Patienten mit anteriorer Uveitis werden gehäuft Bandkeratopathien (bis 70%), Synechien (bis 75%), Glaukome (bis 37%), Katarakte (bis 80%) und okuläre Hypotonie (bis 19%) beobachtet. Während ein gehäuftes Auftreten von chronischem zystoidem Makulaödem bei intermediärer oder Panuveitis bekannt ist, stellt es auch eine typische Komplikation bei JIA-assoziierter Uveitis sowie Sarkoidose dar (Dana et al. 1997; Heiligenhaus et al. 2005; Tugal-Tutkun et al. 1996; Wolf et al. 1987). Die Komplikationsrate nimmt mit einem längeren Krankheitsverlauf oft zu. Die Visusprognose ist aktuell besser als vor einigen Jahrzehnten. Dies mag auf dem besseren Screening, aber auch auf der effektiveren Therapie beruhen. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bestehen dennoch schon bei etwa einem Drittel der Patienten Komplikationen. Parameter einer schlechten Visusprognose bei Uveitis im Kindesalter sind: 5 Schweregrad der Entzündung bei Erkrankungsbeginn, insbesondere wenn Fibrinbildung oder posteriore Synechien vorliegen, 5 Nachweis einer entzündlich-rheumatischen Grunderkrankung (insbesondere JIA und Sarkoidose), 5 frühe Uveitismanifestation, insbesondere wenn Manifestation vor der Arthritis erfolgt, 5 beidseitige Uveitis, 5 Glaukompapille bei Erstdiagnose, 5 makuläre Läsionen (auch bei infektiöser Uveitis), 5 schlechter initialer Visus, 5 asymptomatischer Verlauf , 5 späte Diagnose. Entscheidend für die Prognose sind eine frühe Diagnosestellung und eine adäquate Therapie, evtl. mit Immunsuppressiva. Ein Drittel der Patienten hat bereits bei Diagnosestellung visusmindernde Komplikationen. Die Visusprognose ist bei asymptomatischem Verlauf meist schlechter.
5
252
Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Uveitis anterior ein- oder beidseitig
1
Schritt I : B E G I N N D E R T H E R A P I E
2 3
Prognostische Faktoren für drohenden Visusverlust: schlechter initialer Visus, Katarakt, Glaukompapille
Lokale Kortikoide (Prednisolonacetat 1%) Dosis: initial 3 Tage stündlich, dann 4 Tage alle 2 Stunden, dann 5x
Nicht vorhanden
REIZFREI
4 5
Lokale Kortikoide
Vorhanden
(Prednisolonacetat 1%) Dosis: initial 3 Tage stündlich, dann 4 Tage alle 2 Stunden, dann 5x
6
Systemische Kortikoide (Prednisolon/Prednison) Dosis: oral initial 2 mg/kg, ausschleichen auf Cushing-Dosis in 4 Wochen
7 8 9 10
REIZFREI
Nicht reizfrei oder reaktiviert bei Dosis oberhalb der Cushing-Schwelle oder bei Neuauftreten von Uveitiskomplikationen Schritt II : NACH ca. 4-6 WOCHEN (nach Klinik auch eher)
Methotrexat
CsA
Dosis: 10-15mg/m2 sc, oral
Azathioprin
oder
oder Dosis: initial 5 mg/kg Spiegel 100-150 ng/ml
Dosis: 1-2mg/kg
11 Lokale Kortikoide
12
(Prednisolonacetat 1%) ≤ 3 Tropfen zusätzlich, möglichst wenig, je nach Klinik
13 14
REIZFREI
Nicht reizfrei oder reaktiviert oder bei Neuauftreten von Uveitiskomplikationen
15 16
Schritt III : NACH ca 8-12 WOCHEN ( nach Klink auch eher) zusätzlich:
Methotrexat Dosis: 10-15mg/m2 sc, oral
CsA oder Dosis: initial 3 mg/kg Spiegel 100-150 ng/ml
17 18
Infliximab oder
Azathioprin oder Dosis: 1-2mg/kg
Adalimumab
Dosis: 3-6mg/kg iv alle 4-8 Wochen
oder
Dosis: 40mg sc alle 2 Wochen
19 20 21 22 23
Lokale Kortikoide (Prednisolonacetat 1%) ≤ 3 Tropfen zusätzlich, möglichst wenig, je nach Klinik
. Abb. 5.32. Antientzündliche Stufentherapie bei idiopathischer oder JIA-assoziierter anteriorer Uveitis
253
5.9 · Knochenstoffwechsel und Osteoporose
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5.9
Knochenstoffwechsel und Osteoporose
J. Roth Einer der Schlüsselprozesse während Kindheit und Adoleszenz ist die Entwicklung des Skelettsystems. Im Rahmen von rheumatischen Erkrankungen kann es zu erheblichen Störungen dieser Entwicklung kommen. Insofern ist die Überwachung des Skelettsystems und – falls nötig – eine therapeutische Intervention ein wichtiger Aspekt in der Betreuung von Kindern mit JIA und anderen rheumatischen Erkrankungen. Die Auswahl der diagnostischen Methoden und therapeutischen Ansätze muss sich dabei an den physiologischen Grundlagen und den strukturellen Besonderheiten des wachsenden Skeletts orientieren.
5.9.1
Skelettwachstum und Knochenstoffwechsel
Der Knochen ist eine dreidimensionale Struktur, die aus Knochenbälkchen, dem sog. trabekulären Knochen, und aus kompaktem Knochen, dem sog. kortikalen Knochen, besteht. Knochen ist ein sehr stoffwechselintensives Gewebe, das in seiner Grundstruktur aus einer organischen Matrix, die zu 90% aus Kollagen und zu 10% aus anderen Proteoglykanen und Glykoproteinen besteht, aufgebaut ist. Diese Matrix wird mineralisiert. Schließlich ist das gesamte Knochengewebe von 3 Zelltypen bevölkert: den von hämatopoetischen Stammzellen abstammenden Os-
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
teoklasten, die vor allem für den Knochenabbau verantwortlich sind, und den von mesenchymalen Stammzellen abstammenden Osteoblasten, die für den Knochenaufbau verantwortlich sind. Angesichts ihrer Herkunft ergibt sich also eine enge Verwandschaft zwischen Knochenzellen und Zellen des Immunsystems. Aus den Osteoblasten können sich als dritte Population Osteozyten entwickeln, die sich zum einen auf den Knochenoberflächen finden und zum anderen mit langen Ausläufern versehen als Netzwerk den gesamten Knochen durchziehen. Ihnen kommen wahrscheinlich wesentliche Funktionen bei der Koordination der Osteoblasten- und Osteoklastenaktivität zu.
Längenwachstum Das Längenwachstum des Knochens erfolgt über die enchondrale Ossifikation. Dabei wird in einem ersten Schritt im Bereich der Wachstumsfugen Knorpelgewebe gebildet, das dann in einem zweiten Schritt im Bereich der Metaphysen in Knochengewebe umgewandelt wird. Zunächst bildet sich die primäre Spongiosa, die durch Osteoblasten und Osteoklasten in die sekundäre Spongiosa umgebaut wird.
Modeling Die Zunahme des Knochenquerschnitts erfolgt durch den Mechanimus des »modeling«. Dabei arbeiten Osteoblasten und Osteoklasten an entgegengesetzten Oberflächen des kortikalen Knochens, wobei sich Osteoklasten typischerweise an der Innenseite (endostal) und Osteoblasten an der Außenseite (periostal) befinden. Organische Matrix wird angelegt, die dann sekundär mineralisiert wird. Durch den endostalen Abbau und periostalen Anbau nimmt der Gesamtdurchmesser bei Wirbelkörpern und Röhrenknochen zu, und die Markhöhle wird vergrößert. Allerdings überwiegt im Normalfall der Knochenaufbau, sodass es zum Beispiel zu einer Zunahme der Kortikalisdicke während Kindheit und Adoleszenz kommt (. Abb. 5.33).
Remodeling Das bereits existierende Knochengewebe wird kontinuierlich durch den Prozess des »remodeling« erneuert. Dabei handelt es sich um zyklisch ablaufende Resorptionsvorgänge durch Osteoklasten in sog. Resorptionslakunen, auf die ein Knochenaufbau (organische Matrixsynthese mit sekundärer Mineralisierung) durch Osteoblasten folgt. Im Gegensatz zum Modeling arbeiten Osteoklasten und Osteoblasten beim Remodeling also an derselben Stelle des Knochens. Die Bilanz ist meist ausgeglichen, allerdings kann es zum Beispiel bei Inaktivität zu einem Überwiegen des Abbaus und damit zu einem Verlust an Knochenmasse kommen (. Abb. 5.34).
Osteoblasten Osteoklasten
endostal
periostal
Mineralisierte Kortikalis Osteoid . Abb. 5.33. Darstellung des Modelingmechanismus, bei dem unter Mitwirkung von Osteoblasten und Osteoklasten eine Zunahme des Knochenquerschnitts erreicht wird
Osteopenie, Osteomalazie, Knochendichte und -masse Eine unzureichende Matrixsynthese oder übersteigerte Matrixresorption wird Osteopenie genannt. Das strukturelle Äquivalent am Knochen ist eine erniedrigte Anzahl oder Dicke der Trabekeln bzw. eine zu dünne Kortikaliswand (Schoenau et al. 2004). Eine gestörte Mineralisierung der Knochenmatrix wird Osteomalazie genannt. Der Mineralgehalt der Knochenmatrix und damit die Mineraldichte im Bereich der einzelnen Trabekeln oder der Kortikaliswand ist erniedrigt (Schoenau et al. 2004). Physikalisch ist die Dichte definiert als Masse pro Volumen in g/cm3. In der klinischen Praxis wird missverständlicherweise auch bei zweidimensionalen Projektionsmessmethoden wie der »dual energy X-ray absorptiometry« (DXA) von »bone mineral density« gesprochen. Hinter diesen Messergebnissen können sich allerdings sowohl Veränderungen der Dichte als auch der geometrischen Dimensionen des Knochens verbergen (Rauch u. Schoenau 2001). Von der Knochendichte zu unterscheiden ist die Knochenmasse in Gramm. Hinter einer erniedrigten Knochenmasse kann sich ein zu kleiner Knochen bei einer Wachstumsverzögerung, eine Osteopenie oder eine Osteomalazie verbergen (Rauch u. Schoenau 2001).
Regulation der Skelettentwicklung / muskuloskelettales System Wie bereits erwähnt, stammen Osteoklasten und Osteoblasten von hämatopoetischen bzw. mesenchymalen Stammzellen ab. Ihre Differenzierung wird durch verschiedene Interleukine, TNF-α TGF-β, Prostaglandin E2
255
5.9 · Knochenstoffwechsel und Osteoporose
Hämatopoetische Stammzelle
Mesenchymale Stammzelle
Osteoblasten
Osteoklasten
. Abb. 5.34. Darstellung des Remodelingmechanismus, bei dem unter Mitwirkung von Osteoblasten und Osteoklasten Knochen umgesetzt werden kann. Dieser Mechanismus ist wichtig für die Anpassung und kontinuierliche Erneuerung des Skelettsystems. Die Resorption durch Osteoklasten erfolgt in ungefähr einer Woche, während die Auffüllung der entstehenden Resorptionslakune durch Osteoblasten bis zu 120 Tage dauert
Osteozyten
1 Woche
120 Tage
und Hormone wie Östrogen und Testosteron beeinflusst. Außerdem muss für den Aufbau von Knochen ein ausreichendes Angebot an Vitaminen, Proteinen und Mineralstoffen zu Verfügung stehen. Zusätzlich beeinflussen Polymorphismen in zahlreichen für den Knochenstoffwechsel wichtigen Genen, wie z. B. Vitamin-D-Rezeptor-Polymorphismen, den Knochenstoffwechsel. Es wäre aber falsch, daraus zu schließen, dass das Skelettsystem nach einem festen, genetisch kodierten Bauplan aufgebaut wird. Funktionell betrachtet ist der wichtigste Parameter eines Knochens seine Festigkeit. Knochen muss so aufgebaut sein, dass er in optimaler Weise den mechanischen Belastungen standhält, die im Alltag auf ihn einwirken. Für die Festigkeit ist nicht nur die Knochendichte oder die Knochenmasse wichtig, sondern vor allem der geometrische Aufbau, also die räumliche Verteilung der Masse. Evolutionsbiologisch muss im optimalen Fall eine möglichst hohe Festigkeit mit möglichst wenig Masse erreicht werden. Mit Ausnahme von Traumata stellen die größten mechanischen Belastungen Kräfte dar, die durch Muskelzug am Knochen ausgeübt werden. Julius Wolff hat diesen Zusammenhang bereits Ende des vorletzten Jahrhunderts erkannt. In dem nach ihm benannten Ge-
setz formuliert er, dass die Form des Knochens der Funktion folgt. Von H. Frost stammt das Modell eines Regelkreises des Knochenaufbaus und -erhalts (Frost u. Schoenau 2000) (. Abb. 5.35). Nach diesem Modell werden die Verformungen, die durch Muskelkräfte am Knochen ausgelöst werden, registriert, und je nach der Stärke der Verformung werden Signale an die Knochenzellen gegeben, mehr Knochen aufzubauen, Knochen abzubauen oder den bestehenden Knochen zu erhalten. Zytokine, Hormone und Medikamente beeinflussen in diesem Regelkreis die Empfindlichkeit des Systems. Nicht zu vergessen ist auch die Wirkung all dieser Agenzien auf die Muskulatur (Zytokineffekte an der Muskulatur, Hormonrezeptoren an der Muskulatur, Muskelverlust unter Glukokortikoiden) und damit sekundär auf den Knochen. In pathologischen Zuständen finden sich zahlreiche Belege für dieses Modell. Im Falle der Immobilisierung einer Extremität durch eine Fraktur kann es innerhalb von Wochen zu einem Verlust von bis zu 40% der Muskel- und der Knochenmasse dieser Extremität kommen. Ähnliches gilt für Para- und Hemiplegien. Naturgemäß sind die genetischen und hormonellen Gegebenheiten in . Abb. 5.35. Modell eines Regelkreises der Knochenentwicklung. (Mod. nach Frost u. Schoenau 2000)
Anpassung
Muskelkraft
Knochenmasse Knochenstruktur
Sensor
Modifikatoren (Zytokine, Hormone, Ernährung, Medikamente etc.)
Knochenzellen
5
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
den betroffenen Extremitäten gleich wie im Gesamtorganismus, sodass dadurch der erhebliche lokale Verlust an Knochenmasse nicht erklärbar ist. Vielmehr kommt es durch den Verlust an Muskelmasse und die dadurch fehlenden Kräfte zu einem sekundären Verlust an Knochenmasse (Frost u. Schoenau 2000). In großen Untersuchungen an gesunden Kindern und Adoleszenten konnte gezeigt werden, dass ein enger linearer Zusammenhang zwischen Muskelmasse und Knochenmasse besteht. Gleichzeitig wird aber in der Pubertät mehr Knochenmasse relativ zur Muskelmasse aufgebaut. Dies unterstreicht einerseits die Abhängigkeit des Knochenaufbaus von der Muskulatur und andererseits das Postulat, dass Hormone wie Östrogen die Empfindlichkeit des Systems verändern können (Schiessl et al. 1998). ! Um in der klinischen Situation eines pathologischen Knochenverlustes zu einer pathogeneseorientierten Diagnostik und Therapie zu gelangen, ist es wichtig, das Skelettsystem in Relation zur Muskulatur zu untersuchen. Dadurch kann entschieden werden, ob es sich um eine primäre Knochenstörung wie z. B. bei Osteogenesis imperfecta handelt oder – wie im Falle von zahlreichen chronischen Erkrankungen – um eine sekundäre Knochenerkrankung, d. h. einen Knochenverlust infolge eines Muskelverlustes.
Osteoprotegerin, RANK/RANKL Das Zusammenspiel von Osteoblasten und Osteoklasten wird auf molekularer Ebene ganz wesentlich durch den »receptor activator of nuclear factor κB ligand« (RANKL) und seinen Rezeptor »receptor activator of nuclear factor κB« (RANK) vermittelt (Hofbauer u. Schoppet 2004). RANKL, ein Mitglied der TNF-Zytokin-Familie, wird von Osteoblasten, aber auch von aktivierten T-Zellen exprimiert. Durch Interaktion mit dem von Osteoklasten und ihren Vorläufern exprimierten RANK wird die Bildung und Differenzierung von Osteoklasten induziert sowie ihr Überleben durch Suppression der Apoptose verlängert. Die physiologische Regulation dieses Prozesses wird durch den ebenfalls von Osteoblasten gebildeten löslichen RANKL-Rezeptor Osteoprotegerin (OPG) gewährleistet, der als Antagonist für RANKL fungiert. Das Verhältnis von RANKL zu OPG bestimmt, ob es zu einer vermehrten Osteoklastenaktivierung mit nachfolgendem Knochenabbau kommt (. Abb. 5.36). Östrogenmangel, Glukokortikoide, eine vermehrte T-Zell-Aktivierung mit entsprechender Zytokinproduktion, aber auch fehlende mechanische Reize (s. oben) verschieben das Verhältnis zugunsten von RANKL. Bei der JIA kann es sowohl durch direkte Interaktion des von aktivierten T-Zellen exprimierten RANKL als auch durch erhöhte IL-1-, IL-6- und TNF-α-Spiegel zu vermehrter Osteoklastenaktivierung und vermehrtem Knochenabbau kommen. Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass es
Osteoblast
RANKL
OPG
RANK
Osteoklasten vorläufer
Osteoklast
T-Zelle
. Abb. 5.36. Interaktion von Osteoblasten, Osteoklasten und T-Zellen. Molekulare Interaktion von Osteoblasten, Osteoklasten und Zellen des Immunsystems über RANK (rezeptor activator of nuclear factor κB), RANKL (rezeptor activator of nuklear factor κB ligand) und OPG (Osteoprotegerin). Die Interaktion des von Osteoblasten aber auch Zellen des Immunsystems exprimierten RANKL (zellständig und trunkiert) mit RANK führt zu einer Differenzierung und Aktivierung von Osteoklasten bzw. deren Vorläufern. OPG, der ebenfalls von Osteoblasten gebildete lösliche Rezeptor für RANKL, dient zur Regulation des Systems
unter medikamentöser TNF-α-Blockade zu einer Normalisierung des RANKL/OPG-Verhältnisses kommt (Hofbauer u. Schoppet 2004).
5.9.2
Osteoporose
Definition Die WHO definiert die Osteoporose bei Erwachsenen als systemische Skeletterkrankung, die durch eine erniedrigte Knochenmasse, Veränderungen der Mikroarchitektur des Knochens und eine Erhöhung des Frakturrisikos gekennzeichnet ist. Sie quantifiziert den Mangel an Knochen, indem die mittels DXA gemessene »bone mineral density« (BMD) eines Menschen mit dem Normwert eines jungen Erwachsenen verglichen wird. Die daraus resultierende Standardabweichung des Patienten wird T-Score genannt. Der Bereich oberhalb eines T-Scores von –1 gilt als normal, –1 bis –2,5 wird als Osteopenie und der Bereich unterhalb von –2,5 als Osteoporose definiert (Consensus Development Conference 1993).
5.9 · Knochenstoffwechsel und Osteoporose
! T-scores sind für die Pädiatrie ungeeignet, weil bei einem noch im Wachstum befindlichen Organismus der Vergleich mit Erwachsenen automatisch falsch-niedrige Werte ergeben würde.
Eine evidenzbasierte Definition der Osteoporose im Kindesalter existiert nicht, insbesondere gibt es keine Daten, die eine Abschätzung des Frakturrisikos aus einer bestimmten Standardabweichung der Knochenmasse erlauben. Es ist auch fraglich, ob eine solche Definition auf der Basis von Standardabweichungen der BMD oder der Knochenmasse allein sinnvoll wäre. Im klinischen Szenario eines Kindes mit einer erniedrigten Knochenmasse (mit oder ohne Frakturen) müssen vielmehr folgende Parameter untersucht werden: 5 die Knochenmasse in Relation zur Körpergröße, 5 nach Möglichkeit die trabekuläre Dichte, die kortikale Dichte und geometrische Parameter des Knochens, 5 die Muskelmasse in Relation zur Körpergröße, 5 die Knochenmasse in Relation zur Muskelmasse. Schließlich ist es wichtig zu unterscheiden, ob die Knochenmasse lokal im Bereich einer Extremität oder systemisch erniedrigt ist.
Apparative Möglichkeiten zur Diagnostik Von allen verfügbaren Techniken zur Bestimmung des Skelettstatus kommen vor allem die DXA (dual energy Xray absorptiometry), die quantitative Computertomografie (QCT), hier insbesondere die periphere QCT (pQCT), und die Ultraschallmessung in Betracht (Specker u. Schoenau 2005). ! Bei den CT-Methoden und der DXA muss insbesondere für die geometrischen Parameter (Flächenparameter) bei einer Wachstumsverzögerung eine Korrektur nach der Körpergröße erfolgen. Im Falle einer Entwicklungsverzögerung ist eine Korrektur der Messwerte nach Pubertätsstatus (Mädchen: Stadium der Brustentwicklung, Jungen: Hodenvolumen und Pubes) vorzunehmen.
DXA. Die am weitesten verbreitete Technik ist die DXA.
Gemessen wird das Verhältnis der Absorption von Röntgenstrahlen zweier unterschiedlicher Wellenlängen im Knochen- und Weichgewebe. Quantifiziert wird die Knochenmineralmasse oder »bone mineral content« (BMC) des gesamten gemessenen Knochens (in g) und die BMC in Bezug auf die Knochenfläche (in g/cm2). Obwohl es sich also um eine Flächenprojektion handelt und nicht um eine Messung der physikalischen Dichte, wird das Ergebnis als »bone mineral density« (BMD) bezeichnet. In einem gemessenen Bereich ist keine Differenzierung zwischen trabekulärem und kortikalem Knochen möglich. Außerdem kann nicht zwischen Knochendichte und Knochengeo-
257
metrie unterschieden werden. Schließlich ist die Methode stark größenabhängig, und es muss eine Korrektur nach der Körpergröße erfolgen. Interessant ist die Möglichkeit der Messung an verschiedenen Messorten zentral und peripher. Außerdem kann mit der Ganzkörpermessung auch eine Bestimmung der Muskelmasse erfolgen. Die Strahlenexposition ist mit etwa 1–10 µSV (je nach Messort) recht gering. Bei dem Vergleich der Messwerte mit Referenzdaten muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Datenbanken nach Geschlecht unterscheiden, die Werte am selben Gerät mit derselben Softwareversion erhoben wurden und dass eine möglichst große Anzahl von Kindern/Jugendlichen derselben ethnischen Gruppe enthalten ist (Specker u. Schoenau 2005). Die Messung von Kindern unter 6 Jahren ist technisch möglich, allerdings existieren keine Normdaten, und die Präzision ist durch die ungenauere Abgrenzung des Knochens niedriger. pQTC. Gemessen wird entweder an der Tibia oder dem Radius. Gute Normdaten an deutschen Kindern existieren ab dem Alter von 6 Jahren. Bei jüngeren Kindern ist die Messung zum einen aus Compliancegründen schwierig, und andererseits ist bei einer physiologisch noch sehr dünnen Kortikalis im kleinkindlichen Skelett mit einer geringeren Präzision der Messung angesichts des partiellen Volumeneffekts zu rechnen. Die Gesamtmesszeit beträgt ca. 10 Minuten. Die Strahlenexposition ist mit <0,3 µSv fast vernachlässigbar, sie ist geringer als bei der DXA. Diese Technik erlaubt als einzige eine dreidimensionale Messung, d. h. eine Messung der Knochendichte und zugleich eine separate Analyse von trabekulärem und kortikalem Knochen sowie der Muskulatur. Damit kann die geforderte Differenzierung in ein primäres Knochenstoffwechselproblem gegenüber einem sekundären Knochenverlust infolge eines Muskelverlustes erfolgen. Außerdem können über die geometrischen Parameter des Knochens wie Kortikalisdicke, Markfläche und Knochenfläche Aussagen zur Knochenfestigkeit getroffen werden. Ein problemadaptierter therapeutischer Zugang ist daraus abgeleitet somit möglich (Schoenau et al. 2002). QTC. Bei gravierenden Veränderungen des Knochens bzw. vor Beginn spezifischer Therapien kann außerdem eine QCT der Wirbelsäule sinnvoll sein. Die QCT der Wirbelsäule ist bei modernen CT-Geräten mit einer Strahlenexposition von ca. 70 µSv verbunden. Normdaten wurden in den USA erhoben, sie sind auf Geräte verschiedener Hersteller adaptierbar, doch ist die Verfügbarkeit von Normdaten insgesamt schlechter, sodass die Beurteilbarkeit eher intraindividuell bei Verlaufsmessungen gegeben ist. Problematisch bleibt dabei die relativ hohe Strahlenexposition. Ultraschall. Verschiedene Ultraschallgeräte, mit denen an
unterschiedlichen Orten des Skeletts gemessen wird, sind
5
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
im Einsatz. Diese Technik ist stark größenabhängig, und die Messwerte werden zudem von verschiedenen Parametern des Knochens beeinflusst, ohne dass die relativen Veränderungen differenziert werden können. Der Knochenultraschall kann für eine klinische Diagnostik derzeit nicht empfohlen werden (Specker u. Schoenau 2005).
Labordiagnostik Die Labordiagnostik des Knochenstoffwechsels beinhaltet neben der Bestimmung von Kalzium, Vitamin- und Hormonspiegeln die Messung von Osteoblastenprodukten wie der alkalischen Phosphatase, Osteokalzin und Prokollagenpropeptiden als Marker des Knochenaufbaus und Osteoklastenenzymen sowie Kollagenabbauprodukten als Marker des Knochenabbaus. Problematisch in der klinischen Routine sind die starken tageszeitlichen Schwankungen der meisten Marker. Außerdem finden verschiedene biologische Prozesse wie Knochenwachstum, Modeling und Remodeling unter Beteiligung von Osteoblasten und Osteoklasten gleichzeitig am Skelett statt. Die einzelnen Marker sind nicht spezifisch für einzelne dieser biologischen Vorgänge. Aus einer bestimmten Laborkonstellation kann also nicht direkt auf eine spezifische Veränderung des Knochenstoffwechsels geschlossen werden (Schoenau u. Rauch 1997). In der klinischen Routine ist es deshalb sinnvoll, sich auf wenige, leicht verfügbare, globale Parameter zu konzentrieren. ! Für die Basislabordiagnostik ist die Bestimmung von alkalischer Phosphatase sowie 25-OH-Vitamin D3, Kalzium, Phosphat und Parathormon (vor allem unter Glukokortikoidtherapie) ausreichend. Insbesondere im Hinblick auf therapeutische Entscheidungen sollte noch die Bestimmung der Pyridinolin-Crosslinks im zweiten Morgenurin durchgeführt werden. Dieser Wert ist allerdings nur im Verlauf sinnvoll zu interpretieren.
16 17 18 19 20 21 22 23
5.9.3
Skelettale Veränderungen bei JIA
Veränderungen des Knochens bei JIA sind aus verschiedenen Gründen möglich: 5 Ernährungsdefizite, 5 mangelnde muskuläre Kraft, 5 hormonelle Störungen, 5 Zytokinwirkung, 5 Wachstumsretardierung. In Querschnittsstudien, die zumeist mit der DXA durchgeführt wurden, zeigen Patienten aller Untergruppen der JIA im Mittel eine erniedrigte Knochenmasse. Dieser Mangel an Knochenmasse findet sich sowohl an der Wirbelsäule als auch am peripheren Skelett (Pepmueller et al. 1996; Kotaniemi et al. 1998, 1999). Unter der Gabe von Glukokortikoiden kommt es möglicherweise zu einer re-
lativ stärkeren Abnahme der Knochenmasse im Bereich der LWS (Kotaniemi et al. 1998). Zu beachten ist, dass die Knochenmasse auch bei einer Wachstums- und Entwicklungsverzögerung erniedrigt ist. Wurden die Werte nach Alter, Körpergröße, Körpergewicht und Knochenfläche korrigiert, so blieb die Knochenmasse nur für die Gesamtkörperknochenmasse und an Stellen, wo kortikaler Knochen erfasst wird, signifikant erniedrigt (Pepmueller et al. 1996). Es fand sich eine hohe Korrelation der Muskelmasse mit der Knochenmasse (Pepmueller et al. 1996). In pQCTQuerschnittsstudien zeigten sich ebenfalls deutliche Veränderungen in allen Untergruppen, wobei die trabekuläre Knochendichte insbesondere in der Umgebung entzündeter Gelenke deutlich vermindert war, während die kortikale Dichte normal war. Die Kortikalisdicke zeigte sich dagegen wieder deutlich vermindert. Am stärksten erniedrigt waren die Muskelquerschnittsfläche und Muskelkraft (Roth et al. 2004). Insgesamt scheint es durchaus eine Abnahme bzw. mangelnde altersentsprechende Zunahme von Knochenmasse im Rahmen der JIA zu geben. Dabei kommt es insbesondere in der Umgebung entzündeter Gelenke zu einer Abnahme des trabekulären Knochens. Am kortikalen Knochen ist vor allem die Knochengeometrie verändert. Die in den DXA-Untersuchungen gefundenen erniedrigten Messwerte in Regionen kortikalen Knochens können einer zu dünnen Kortikalis entsprechen, weil die DXA nicht zwischen Kortikalisdicke und -dichte differenzieren kann. Die wichtigste Ursache für die Veränderungen scheint eine relative und absolute Muskelhypoplasie infolge Inaktivität, Medikamentenwirkung (z. B. Glukokortikoide) oder Zytokinwirkungen zu sein. Umgekehrt besteht eine hohe Korrelation sowohl der Muskelmasse als auch der Muskelkraft mit der Knochenmasse und den geometrischen Parametern des Knochens. Der Knochen kann also auf die Kräfte, die auf ihn einwirken, reagieren. Die funktionelle Muskel-Knochen-Einheit ist intakt. Die Knochenveränderungen bei der JIA sind damit vor allem sekundärer Genese. Glukokortikoide. Der Mechanismus der Glukokortikoidwirkung besteht in einer Reduktion der Knochenbildung und einer Steigerung der Knochenresorption. Neben einer direkten Inhibition der Osteoblastendifferenzierung und der Kollagensynthese im Osteoblasten erfolgt eine Hemmung der intestinalen Kalziumresorption und eine Steigerung der renalen Exkretion mit einem sekundären Hyperparathyreoidismus. Außerdem werden eine verminderte oder verzögerte Gondadotropinsekretion und eine verminderte Wachstumshormonwirkung beobachtet. Eine indirekte negative Wirkung auf die Knochenmasse stellt die kortisoninduzierte Muskelschwäche dar. In Querschnittsstudien wurde gefunden, dass mit Glukokortikoiden behandelte Patienten mit JIA eine Reduktion der Knochenmasse sowohl am Femur als auch an der
259
5.9 · Knochenstoffwechsel und Osteoporose
Wirbelsäule aufweisen. Diese Reduktion ist nur zum Teil durch eine erniedrigte Körpergröße erklärbar (Kotaniemi et al. 1993). Demgegenüber fand sich auch in Studien an Patienten, die niemals Steroide erhalten hatten, bei 30% der Patienten eine deutliche Reduktion der Gesamtknochenmasse (Henderson et al. 1997, 2000). Ein Problem aller pädiatrischen Studien ist die geringe Patientenzahl und die Heterogenität in Hinsicht auf Dosis und Dauer der Glukokortikoidapplikation. Außerdem bewirken Glukokortikoide eine Wachstumsverzögerung und können so bei fehlender Korrektur zu falsch-niedrigen Ergebnissen führen. Schließlich werden oftmals Patienten mit schwereren Krankheitsverläufen länger Glukokortikoide erhalten, der Effekt von Krankheitsverlauf und Glukokortikoiden ist damit schwer zu trennen (»Confounder-Effekt«). In einer großen Übersicht an 37562 englischen Kindern (Van Staa et al. 2003), die orale Glukokortikoide erhalten hatten, fand sich ein erhöhtes Risiko für Frakturen insbesondere der Extremitäten bei längerer und höher dosierter (>30 mg Prednisolon) Glukokortikoidgabe. Nach Ende der Therapie bestand kein erhöhtes Risiko. Auch in dieser Studie bleibt offen, ob das erhöhte Frakturrisiko aus der Glukokortikoidgabe oder der Schwere und Art der Grunderkrankung resultiert. Andere Medikamente. Für Basistherapeutika, insbesondere MTX, sind keine spezifischen negativen Effekte auf das Skelettsystem, die densitometrisch fassbar wären, beschrieben (Bianchi et al. 1999).
Frakturen Klare Aussagen zur Inzidenz von Frakturen sind aufgrund der mangelnden Datenlage und dem Wandel der Therapien nicht möglich. Allerdings finden sich Berichte über Frakturen, die mit schwereren Krankheitsverläufen assoziiert waren (Elsasser et al. 1982), und es gibt einzelne Berichte über sehr hohe Frakturinzidenzen (Murray et al. 2000), die unterstreichen, dass die Knochenveränderungen bei JIA nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung eines gesunden Skelettsystems als Erwachsener von Bedeutung sind, sondern auch unmittelbar negative Folgen haben können. Wichtig dabei ist, dass es insbesondere zu Beginn der Pubertät zu einer Zunahme der Frakturinzidenz kommt, die möglicherweise im Zusammenhang mit den geometrischen Verhältnissen (relativ dünne Kortikalisdicke) am schnell wachsenden Skelett steht.
Outcome-Daten In Outcome-Studien findet sich bei bis zu 50% der Erwachsenen mit JIA eine erniedrigte Knochenmasse. Prädiktoren sind eine fortbestehende Krankheitsaktivität, Glukokortikoidbehandlung >1 Monat, polyartikulärer Verlauf und höhere Steinbrocker-Klassen (Zak et al. 1999; Lien et al. 2003).
5.9.4
Therapeutische Optionen
Vitamin D und Kalzium Ein Kalziummangel (z. B. bei Vitamin-D-Mangel, alimentär) induziert die Entwicklung einer Rachitis im Bereich der Wachstumsfugen bzw. einer Osteomalazie an den anderen Skelettabschnitten, also eine Mineralisationsstörung. Ein isolierter Kalziummangel ist nicht für die Entwicklung einer Osteopenie bzw. einer Osteoporose verantwortlich. Unzureichender Knochenaufbau erfolgt bei mangelhafter Skelettstimulation (Muskelerkrankungen, Inaktivität), Knochenmatrixsynthesestörungen (Osteogenesis imperfecta) und bei hormonellen Störungen (z. B. Östrogen). Die Behandlung oder Prävention einer Osteoporose oder einer Osteopenie mit Kalzium erscheint deshalb auf dem Boden biologischer Betrachtungen nur bedingt sinnvoll. Andererseits kann es bei chronischen Erkrankungen zu einem Kalzium- und insbesondere Vitamin-D-Mangel kommen (Hochberg et al. 2002). Unter Glukokortikoiden entsteht eine weitere Störung des Vitamin-D- und Ca-Metabolismus durch eine zusätzlich reduzierte Ca-Aufnahme und einen sich daraus entwickelnden sekundären Hyperparathyreoidismus. Ein weitgehend vernachlässigter Mechanismus ist die mögliche Wirkung von aktiven Vitamin-D-Metaboliten auf die in der Muskulatur vorhandenen Vitamin-D-Rezeptoren (Bischoff et al. 2001). Empfehlungen für Erwachsene zur Vitamin-D- und Kalziumsupplementation liegen nur im Kontext der Glukokortikoidtherapie vor. Im wesentlichen beruhen alle Empfehlungen auf denselben Publikationen (Homik et al. 2004). Dennoch reicht das Spektrum von der eindeutigen Empfehlung bis zur Ablehnung. In den kleinen und nicht kontrollierten pädiatrischen Studien konnte meist kein konsistenter Anstieg der BMD (gemessen mit DXA) unter Vitamin D und Kalzium gezeigt werden (Berthold et al. 2004). Bei Kindern mit manifestem Vitamin-D-Mangel war unter Kalzitriol eine BMD-Zunahme (DEXA) zu verzeichnen (Reed et al.1991). Die ESPE sieht in ihrer Leitlinie eine geringe Evidenz, dass Vitamin D bei der Prävention oder der Therapie der glukokortikoidinduzierten Osteoporose von Nutzen ist (Hochberg et al. 2002). Deshalb wird lediglich die Sicherung einer adäquaten Vitamin-D-, Kalzium- und Proteinzufuhr gefordert. Für die JIA wird eine allgemeine Supplementation von Kalzium und Vitamin D nicht empfohlen. Unabhängig von einer Glukokortikoidgabe ist die Gabe bei einem Mangel allerdings klar indiziert, ggf. sind aktive VitaminD-Metaboliten effektiver, doch muss hier ein sorgfältiges Monitoring der Kalziumausscheidung über die Nieren erfolgen.
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
Evidenz 5 Keine Evidenz für die Kalzium- und Vitamin-DGabe bezüglich der Knochenmasse 5 Bei Mangel: Evidenz II für die Kalzium- und Vitamin D-Gabe bezüglich der Knochenmasse 5 Keine Evidenz bezüglich der Prävention von Frakturen
4 Kalzitonin und Fluoride
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Bezüglich Kalzitonin liegen einzelne Studien, bezüglich Fluoriden keine Daten zur Applikation bei Kindern vor. Insgesamt wird ihr Einsatz aufgrund der Datenlage auch bei Erwachsenen eher zurückhaltend gesehen. Insbesondere bei Fluoriden kann es bei falscher Dosierung zu einer Störung des Knochenaufbaus kommen. Eine Empfehlung zur Prävention oder Therapie der Osteoporose bei JIA kann nicht gegeben werden.
Bisphosphonate Die Hauptwirkung von Bisphosphonaten besteht in einer Supression der Osteoklastenaktivität. Der Knochenumsatz (das Remodeling) wird herabgesetzt (Srivastava u. Alon 2003). Allerdings können Bisphosphonate auch von anderen Zellen, z. B. Makrophagen, aufgenommen werden und dort ebenfalls verschiedene Stoffwechselwege modifizieren. Die orale Bioverfügbarkeit ist <5%, eine zusätzliche Störung der Resorption erfolgt durch Milchprodukte, Essen, Orangensaft, Kaffee, Kalzium, Eisenpräparate. Die Bindung erfolgt besser an trabekulärem als kortikalem Knochen. Die HWZ im Serum beträgt wenige Stunden, die Ausscheidung erfolgt über die Nieren. An unerwünschten Wirkungen treten insbesondere Kopfschmerzen, gastrointestinale Nebenwirkungen und eine inflammatorische Reaktion auf. Die theoretisch mögliche permanente Inhibition des Knochenumsatzes wird so nicht beobachtet. Die Frakturheilung scheint nicht gestört und eine Wachstumsstörung wird nicht gesehen. Knochenlinien, d. h. metaphysäre Sklerosezonen an langen Knochen und an Wirbelkörpern treten auf, haben aber keine klinische Bedeutung. Eine vermehrte Anhäufung von Mikrofrakturen, wie in Tierversuchen beobachtet, ist beim Menschen bisher nicht eindeutig nachgewiesen. Allerdings mehren sich Berichte über Osteonekrosen insbesondere des Kiefers, die bisher aber meist in spezifischen klinischen Situationen beobachtet wurden (Berthold et al. 2004). Bisphosphonate bleiben wahrscheinlich lebenslang im Knochen vorhanden. Die Plazentapassage ist möglich. Ratten zeigen eine Verkürzung der Diaphysen und eine Zunahme von Trabekeln mit konsekutiv weniger Markraum. Zwei Frauen, die Bisphosphonate im 3. Trimenon erhielten, haben gesunde Kinder entbunden. Unklar bleiben aber die Folgen einer Exposition im 1. und
2. Trimenon, z. B. nach einer Freisetzung aus während der Schwangerschaft abgebautem Knochen. Ein Fallbericht über 2 Kinder von Frauen, die wegen einer Osteogenesis imperfecta prae conceptionem, aber nicht in der Schwangerschaft Pamidronat erhalten hatten, beschreibt keine Skelettauffälligkeiten bei den Kindern (Munns et al. 2004). An Erwachsenen sind zahlreiche Studien zu verschiedenen Bisphosphonaten publiziert. Der Effekt auf die Knochenmasse ist dabei wesentlich deutlicher als die Reduktion von Frakturen. Das Ansprechen auf die Bisphosphonattherapie war in Studien der primären Prävention besser als in Behandlungsstudien (Homik et al. 2004) Evidenz Evidenz IA für den Anstieg der Knochenmasse (Erwachsene)
Für den Einsatz von Bisphosphonaten in der pädiatrischen Rheumatologie existieren keine randomisierten Studien. Erfahrungen bestehen vor allem mit Pamidronat und Alendronat. In heterogenen und kleinen Studienpopulationen konnte ein starker Anstieg der Knochenmasse gezeigt werden (Noguera et al. 2003). Evidenz 5 Evidenz III für den Anstieg der Knochenmasse 5 Keine Evidenz für die Prävention von Frakturen
Die größten pädiatrischen Erfahrungen für den Einsatz von Bisphosphonaten existieren für die Gruppe der an Osteogensis imperfecta erkrankten Kinder. Bei den schweren Formen dieser Erkrankung ist diese Therapie mittlerweile als Standardtherapie anerkannt. Allerdings lassen die Erfahrungen bei dieser Erkrankung nur begrenzt Rückschlüsse auf den möglichen Einsatz bei chronisch entzündlichen Erkrankungen zu. Eine Anwendung im Bereich der pädiatrischen Rheumatologie sollte schweren Fällen vorbehalten bleiben, wobei Indikationsstellung und Therapieüberwachung in erfahrenen Zentren erfolgen sollten und zunächst eine Konzentration auf die am besten evaluierten Präparate Pamidronat und Alendronat sinnvoll scheint.
Muskeltraining Der entscheidende Einfluss der Muskelkraft auf den Knochenaufbau und Erhalt ist bekannt. Dementsprechend konnte gezeigt werden, dass auch bei der JIA ein erheblicher Anteil des Knochenverlustes durch den Muskelverlust erklärbar ist (Roth et al. 2004). Interventionsstudien an Erwachsenen (Häkkinen et al. 2004) haben demonstriert, dass durch ein Trainingsprogramm die muskuläre Kraft tatsächlich gesteigert werden kann, dass dieser Trai-
5.9 · Knochenstoffwechsel und Osteoporose
ningseffekt anhält und dass damit ein signifikant besserer Verlauf in verschiedenen Parametern der Erkrankung ohne eine negative Wirkung auf die Gelenke einhergeht. Der Gewinn an Knochenmasse war relativ gering, wobei zu beachten ist, dass auch die Patienten in der Kontrollgruppe eine konsequente Behandlung mit DMARD erhalten haben und es sich insgesamt nicht um Patienten mit besonders schweren Krankheitsverläufen gehandelt hat. In weiteren Studien mit gezieltem Muskeltraining konnte gezeigt werden, dass in den Trainingsgruppen auch die Entzündungsreaktion und die Zytokinprofile positiv beeinflusst werden (De Jong et al. 2004). Damit sollte auch unter osteoprotektiven Aspekten der gezielte Muskelaufbau Teil einer modernen Physiotherapie bei JIA sein (Evidenz IIA).
5.9.5
Fazit
Bei Kindern mit JIA kann es in einem erheblichen Prozentsatz zu pathologischen Veränderungen sowohl der Muskulatur als auch des Skelettsystems kommen. Ein erheblicher Teil des Verlustes an Knochenmasse scheint dabei sekundär durch den Muskelverlust bedingt aufzutreten. Die apparative Diagnostik des Muskelskelettsystems ist bei allen Erkrankungsgruppen mit fehlender Remission und grundsätzlich bei polyartikulärem und systemischem Verlauf sinnvoll. Gemessen werden kann mit der pQCT oder der DXA. Im Falle der pQCT ist die Messung am peripheren Skelett ausreichend, speziell unter höher- und längerdosierter Glukokortikoidtherapie sollte allerdings eine zusätzliche Messung an der Wirbelsäule erwogen werden. Bei der DXA empfiehlt sich eine Ganzkörpermessung und eine Messung der LWS. Eine sorgfältige Interpretation der Messwerte, die den Besonderheiten der kindlichen Skelettentwicklung Rechnung trägt, ist obligat. Dabei ist auch die Frage wichtig, ob eine primäre oder sekundäre Knochenstörung vorliegt. Therapeutisch besteht die wichtigste Maßnahme in einer frühen und effektiven Therapie der Grunderkrankung. Begleitend dazu muss eine suffiziente Physiotherapie erfolgen, die auch ein Muskelkrafttraining einschließt. Nur in therapierefraktären Fällen und bei Frakturen kann eine weitergehende Therapie mit Bisphosphonaten auf der Basis einer sorgfältigen und differenzierten Diagnostik indiziert sein.
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Kapitel 5 · Juvenile idiopathische Arthritis
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263
6.1 ·
Reaktive und parainfektiöse Arthritiden H.J. Girschick, H.I. Huppertz, K. Latsch, U. Neudorf
6.1
Reaktive Arthritis – 264
6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.1.6 6.1.7 6.1.8 6.1.9 6.1.10
Definition – 264 Häufigkeit – 264 Klassifikation – 264 Ätiologie – 264 Pathogenese und Pathologie – 265 Klinische Symptome – 266 Diagnose und Differenzialdiagnose – 271 Therapie – 272 Prognose – 274 Virale Arthritiden – 274
Literatur
– 276
6.2
Lyme-Arthritis – 277
6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 6.2.7 6.2.8 6.2.9 6.2.10
Definition – 277 Häufigkeit – 277 Klassifikation – 278 Ätiologie – 278 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 284 Diagnose – 284 Therapie – 285 Prävention – 286 Prognose – 286
Literatur
– 286
6.3
Rheumatisches Fieber
6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.3.6 6.3.7 6.3.8 6.3.9
Definition – 287 Häufigkeit – 287 Klassifikation – 287 Ätiologie – 288 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 288 Diagnose – 290 Therapie – 290 Prognose – 291
Literatur
– 280
– 291
– 287
– 288
6
264
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
6.1
H.J. Girschick, H.I. Huppertz
6.1.1
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Reaktive Arthritis
Definition
Reaktive Arthritiden setzen sich zusammen aus einer diversen Gruppe von inflammatorischen Gelenkerkrankungen, die im Anschluss an Infektionen im Bereich des Genitales, der Harnwege, des Gastrointestinaltrakts, aber auch einer Vielzahl von anderen Organen und Geweben auftreten. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um die größte Gruppe innerhalb der rheumatischen Gelenkerkrankungen im Kindesalter. Bakteriell assoziierte reaktive Arthritiden können in mit HLA-B27 assoziierte und nicht assoziierte Arthritiden unterschieden werden (Toivanen u. Toivanen 2004). Zu den nicht HLA-B27-assoziierten Erkrankungen zählen die Lyme-Borreliose und das rheumatische Fieber. Diese zwei Entitäten werden an anderer Stelle gesondert behandelt. Arthritiden unmittelbar während oder im Anschluss von viralen Erkrankungen werden ebenfalls zu der Übergruppe reaktiver postinfektiöser Arthritiden gezählt, auch wenn strenggenommen ein Virusnachweis gegen eine postinfektiöse Genese spricht (Naides 1993). Bei der reaktiven Arthritis handelt es sich um eine inflammatorische Gelenkerkrankung, die durch eine zeitlich und räumlich getrennte Infektion ausgelöst werden kann und durch eine genetische Suszeptibilität des menschlichen Wirtes begünstigt wird (Fink 1988). In der Regel lässt sich aus Gelenkflüssigkeit oder Punktat kein lebender Erreger anzüchten. Allerdings konnte gezeigt werden, dass nicht replikative Erreger, Erregerbestandteile oder Erregergenom am Ort der Entzündung nachweisbar sind (Toivanen et al. 1987). Die Erkrankung betrifft nicht nur die Gelenke; eine Vielzahl von Organen des Wirtes können durch den immunologisch reaktiven Prozess erfasst werden.
6.1.2
Häufigkeit
Zur Inzidenz von reaktiven Arthritiden im Kindesalter sind wenig Daten bekannt. In der Erwachsenenmedizin wird eine Inzidenz von etwa 40 Betroffenen auf 100.000 Einwohner und Jahr für reaktive postenterische und posturethritische Arthritiden geschätzt. Der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die an reaktiven Arthritiden oder einer Lyme-Arthritis erkrankt sind, wird innerhalb von größeren pädiatrisch-rheumatologischen Zentren mit etwa 20% angegeben. Sicherlich werden eine Vielzahl von erkrankten Kindern beim Haus- oder Kinderarzt erfolgreich betreut, und somit wird die Inzidenz vermutlich unterschätzt. Die Häufigkeit von reaktiven Arthritiden wird von der Häufigkeit des suszepten MHC-Locus HLA-B27 in der
Bevölkerung beeinflusst (Gesamteuropa und Deutschland etwa 10% der Bevölkerung, Italien weniger als 6%, Finnland mehr als 10%) sowie von der Prävalenz von auslösenden Infektionen und Hygienestandards. Weitere genetische prädisponierende Faktoren werden diskutiert.
6.1.3
Klassifikation
Aufgrund einer deutlichen klinischen Variabilität und einer Vielzahl von auslösenden Erregern konnten bisher nur unscharfe Klassifikationskriterien erstellt werden. Einen Versuch stellen die 1995 erstellten Berlin-Kriterien für reaktive Arthritiden dar. Diagnostische Kriterien für reaktive Arthritis, Berlin 1995 (Kingsley u. Sieper 1996) Hauptkriterium: Typische periphere Arthritis, bevorzugt untere Extremität, asymmetrische Oligoarthritis. Zusätzlich: Hinweise für eine vorausgegangene Infektion. In der Vorgeschichte Auftreten einer Durchfallerkrankung oder Harnröhrenentzündung innerhalb der letzten 4 Wochen. Eine labortechnische Bestätigung durch Serologie und Erregerisolation ist wünschenswert aber nicht zwingend erforderlich. Sollte keine eindeutige Infektion vorausgegangen sein, ist eine labortechnische Bestätigung der Infektion notwendig. Ausschlusskriterien: Patienten mit anderen Ursachen von Monarthritiden oder Oligoarthritiden, z. B. Spondylarthropathie, septische Arthritis, kristallinduzierte Arthritis (Kinsley u. Sieper 1996).
Eine besonders ausgeprägte Form der reaktiven Arthritis stellt das Reiter-Syndrom dar. Es ist definiert durch die Triade Arthritis, Konjunktivitis und Urethritis/Zervizitis. Die Erstbeschreibung eines 16-jährigen Jungen erfolgte 1916 durch Hans Reiter. Er vermutete eine auslösende Spirochäteninfektion. Später wurden Hautauffälligkeiten zu den diagnostischen Kriterien des Reiter-Syndroms hinzugefügt.
6.1.4
Ätiologie
Reaktive Arthritiden können nach Infektionen mit einer Vielzahl sowohl bakterieller als auch viraler Infektionserreger auftreten. Die pathogenetischen Grenzen zu septischen Infektionen oder autoimmunologisch verursachten Arthritiden sind unscharf (. Abb. 6.1). Eine HLA-B27 Assoziation wurde für Campylobacter, Chlamydien, Clostridien, Salmonellen, Shigellen und Yersinien dokumentiert. Für bereits oben genannte andere Erreger konnte diese Assoziation nicht gefunden werden. Auch wenn ein kultivierbares infektiöses Agens in der Regel in der ent-
265
6.1 · Reaktive Arthritis
infektiöse
reaktive
autoimmunologische
Pathogenese
Septische Arthritis ChlamydienArthritis
. Abb. 6.1. Pathogenetisches Spektrum der Arthritis im Kindesalter. Schematische Darstellung des Arthritisspektrums von der Infektionsursache bis hin zu primären Störungen des Immunsystems im Sinne eines Toleranzverlustes bei Autoimmunität
Lyme LymeArthritis
SalmonellenArthritis Rheumatisches Fieber Enthesitis a. Arthritis Zunahme der Autoimmunität ANA (+) JIA SLE Abnahme der Infektiosität
zündeten Synovia oder im Gelenkerguss nicht nachgewiesen werden kann, scheinen die Erreger dennoch eine direkte Rolle zu spielen, da nicht kultivierbare Erregerpartikel oder deren DNA oder RNA nachgewiesen wurden. Es wird diskutiert, dass wenige nicht replikative Erreger lokal in Gelenken oder auch in extraartikulären Geweben persistieren und dadurch eine lang anhaltende immunologische Reaktion und Entzündung aufrechterhalten (Burgos-Vargas 1993; Burgos-Vargas et al. 1997).
6.1.5
Pathogenese und Pathologie
Eine Vielzahl von Bakterien ist in der Ätiologie und Pathogenese der reaktiven Arthritis einschließlich des Reiter-Syndroms im Kindesalter von Bedeutung. Insbesondere bei Klein- und Schulkindern spielen Durchfallerkrankungen mit den Erregern Salmonella, Shigella, Yersinia und Campylobacter eine größere Rolle als genitale Infektionen mit Chlamydien. Bei 80% der betroffenen Kinder und Jugendlichen wird in der Regel eine Gastroenteritis als auslösende Infektion identifiziert. Allerdings gibt es auch Individuen ohne apparente Auslöser. Patho-
genetisch wurde schon sehr früh die Rolle von HLA-B27 für die reaktive Arthritis erkannt, die präzisen molekularimmunologischen Vorgänge sind aber trotz intensiver Forschung noch unklar. Etwa 20–60% der Betroffenen sind HLA-B27-positiv. Dies zeigt, dass auch bei fehlendem HLA-B27 eine reaktive Arthritis auftreten kann und dass bei einer Populationsfrequenz von 10% bei weitem nicht alle Menschen mit diesem HLA-Marker an einer reaktiven Arthritis erkranken werden. Verschiedene Theorien sind erstellt worden, um das Zusammenspiel von Infektionserreger und HLA-B27 zu erklären (. Abb. 6.2): Zum einen geht man davon aus, dass das Molekül HLA-B27 Peptide mit arthritogener Potenz an T-Zellen präsentieren. Die Natur dieser Peptide ist letztendlich noch unklar. Es ist allerdings bekannt, dass es sich um Fragmente von HLA-B27 selbst oder Kollagene handeln kann (Wilson et al. 1997). Im Rahmen der Theorie der Autoimmunitätsentwicklung wird postuliert, dass diese präsentierten Peptide Ähnlichkeit mit Peptiden aus dem Gelenk besitzen (molekulares »Mimicry«) und dass vor allem CD8-positive zytotoxische T-Zellen im Rahmen einer Kreuzreaktion dann Gelenkstrukturen angreifen können (Wilson et al. 2000; Ebringer et al. 2000). Für
Wirtszelle mit intrazellulären Erregern
Induktion von TH-Zellen
CD4+
Leere HLA-B27
TH
Antigenpräsentation über HLA-B27
Atypische Präsentation über HLA-B27-Dimere
Typen 02,04,05 an Zahl erhöht
CD8+
Molekulares Mimicry • HLA B27 • Kollagene
B
T NK Zelle
MAC
CTL
Induktion von zytotoxischen T-Zellen
Direkte Stimulation von einer Vielzahl von Immuneffektorzellen
. Abb. 6.2. HLA-B27 und intrazelluläre Präsenz von Bakterien. Schematische Darstellung der Folgen einer Immunstimulation von intrazellulär prozessierten oder persistierenden Erregern. Verschiedene immunologische Effektorzellen werden induziert
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
die Theorie arthritogener Peptide und einer kreuzreagierenden CD8-positiven T-Zell-Antwort spricht auch die Beobachtung von May et al. (2002), dass expandierte T-Zell-Klone sowohl in der entzündeten Synovia als auch im Darm und im peripheren Blut von Patienten mit reaktiver Arthritis gefunden werden konnten. Diese Zellen wiesen den genetisch gleichen T-Zell-Rezeptor auf. Die Autoren postulieren, dass die Expansion und die Absiedelung in das Gelenk auf ein arthritogenes Peptid zurückzuführen ist. Eine zweite Theorie beschreibt die Präsentation von HLA-B27-abhängigen Peptiden über HLA-DR-Moleküle an CD4-positive T-Zellen. In diesem Szenario würde eine CD4-positive T-Zell-Immunantwort entstehen, die dann mit HLA-B27-Peptiden kreuzreagieren würde. In der Folge würde eine T-Helferzell-abhängige Antikörperantwort entstehen. Allerdings ist die Rolle von Antikörpern in der Pathogenese von reaktiver Arthritis noch unklar oder wird als minimal eingeschätzt. Weitere Modelle zur Pathogenese der reaktiven Arthritis beschreiben eine Rolle für »toll-like rezeptors«, stimulierende bakterielle Peptidoglykane, eine gestörte Zytokinbalance (TH2>TH1), eine reduzierte Beseitigung von bakteriellen Produkten im Gelenk und eine erhöhte Invasivität von arthritogenen Bakterien im Kontext von HLAB27 (Huppertz u. Heesemann 1996; Meyer-Bahlburg 2004). Es konnte zusätzlich gezeigt werden, dass HLA-B27 eine Dimerbildung vollziehen kann und dass Peptidpräsentationen von antigenpräsentierenden Zellen über solche Dimere zu einer direkten Stimulation von einer Vielzahl von immunologischen Effektorzellen führen können (Tran et al. 2004). Andere Autoren fanden einen signifikanten Anteil von nicht peptidbeladenen HLA-Molekülen auf der Zelloberfläche und messen diesem Befund eine signifikante Bedeutung bei, ebenso wie die Fehldrehung von HLA-B27 mit nachfolgendem »Autodisplay« (HLAB27 präsentiert sich in seiner eigenen Spalte) als mögliche Ursache diskutiert wird. Nicht auszuschließen ist auch eine direkte proinflammatorische Rolle von z. T. schwer abbaubaren Erregerbestandteilen, die im Gelenk von Patienten mit reaktiver Arthritis nachgewiesen werden konnten (Lipopolysaccharide, DNA, RNA). Hier könnten Stimulationen des Immunsystems über sog. toll-like receptors (TLR), die Rezeptoren des angeborenen Immunsystems, eine entscheidende pathogenetische Rolle spielen (Ozinsky et al. 2000).
21 6.1.6
22 23
Klinische Symptome
Die reaktive Arthritis tritt typischerweise vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf. Auch wenn einige Arbeiten eine Dominanz von männlichen Betroffenen beschreiben, wird in anderen Studien letztendlich keine
Geschlechtswendigkeit gesehen. Das Alter hängt zusätzlich auch von der Art des Infektionserregers ab. Chlamydien und genitale Infektionen spielen vor allem bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen eine Rolle. Eine Gelenkentzündung ist zwar das führende Symptom einer reaktiven Arthritis, allerdings muss diese Erkrankung als systemisch angesehen werden, da sie auch eine Vielzahl anderer Organe betreffen kann. Diesen Manifestationen voraus geht eine Infektion, die etwa 1–4 Wochen vorher auftritt. Die aktive Gelenkentzündung klingt bei einem Drittel der Patienten nach wenigen Wochen bis Monaten ab, um nicht nochmals aufzuflammen. Allerdings tritt die Erkrankung bei einem weiteren Drittel der Patienten erneut wieder auf und kann einen polyzyklischen Verlauf nehmen. Etwa ein Viertel der Patienten weist einen chronisch progressiven Verlauf auf. Bei wenigen Patienten kann es zu einem schwer destruktiven Verlauf vor allem beim Reiter-Syndrom kommen.
Primäre auslösende Infektionen Bei etwa 70% von Kindern mit Reiter-Syndrom wurden vorausgehende Durchfallerkrankungen beschrieben.
Shigellose Die Shigella-Enteritis geht in der Regel mit hohem Fieber und wässriger Diarrhö, des weiteren abdominellen Bauchkrämpfen über mehrere Tage einher. Tritt eine Arthritis etwa 1–3 Wochen später auf, dann betrifft sie im Wesentlichen die Knie- und Sprunggelenke. Im Gegensatz zum rheumatischen Fieber wandert diese Arthritis nicht und hält etwa bis zu 4 Monaten an. Es kann versucht werden den Erreger noch im Stuhl nachzuweisen, allerdings ist der zeitliche Abstand zur primären Infektion in der Regel schon zu groß. Demzufolge sind auch Blutkulturen und Kulturen von Synovialflüssigkeit in der Regel steril (Granfors et al. 1992). Die Diagnosestellung erfolgt über einen Antikörpernachweis gegenüber Shigella flexneri.
Salmonellose Im Anschluss an eine Darminfektion mit Salmonella typhimurium oder Salmonella enteritidis kann nach etwa bis zu 3 Wochen eine Arthritis von Knien und Sprunggelenken auftreten. Die Durchfallerkrankung kann so mild sein, dass sie unbeachtet bleibt. Im Einzelfall ist die inflammatorische Reaktion des Gelenks sehr stark ausgeprägt, sodass eine direkt infektiös-bakterielle Komplikation im Sinne einer septischen Arthritis oder gelenknahen Osteomyelitis durch eine Gelenkpunktion ausgeschlossen werden muss. Stuhlkulturen können in der Regel Salmonellen noch nachweisen (Huppertz u. Scheurlen 1991; Huppertz u. Sandhage 1993, 1994; Huppertz et al. 1995; Buxton et al. 2002). Eine Serokonversion gegenüber Salmonellenantigen H und O kann diagnostisch hilfreich sein. Einen eindrücklichen Krankheitsverlauf zeigt . Abb. 6.3.
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6.1 · Reaktive Arthritis
b
a
c
. Abb. 6.3a–c. Salmonellaassoziierte reaktive Arthritis. 12 Jahre alter Junge, Beschwerden seit 3 Monaten. Durchfall im Vorfeld. Schmerzhafte Arthritis der Knie, Sprunggelenke (a), Handgelenke, Zehen (b); Enthesitis an Hand- und Fußrücken; akute Uveitis und Episkleritis (c).
Yersiniose Auch bei der Yersiniose wurde ein Zeitintervall von 4– 7 Wochen angegeben, nach dem eine periphere Arthritis auftreten kann; es wurde aber auch der Einbezug der Wirbelsäule gesehen. Yersinien werden über kontaminiertes Essen, z. B. ungekochtes Fleisch, aufgenommen. Es kann versucht werden, Yersinien im Stuhl nachzuweisen. Klinisch geht eine Yersinia enterocolitica Infektion mit einer Gastroenteritis oder dem Bild einer Appendizitis oder Ileitis einher. Eine abdominelle Lymphadenopathie und ein gleichzeitiges Erythema nodosum können hinweisend sein (Granfors et al. 1989; Granfors 1997).
Campylobacterinfektion Bereits nach wenigen Tagen einer in der Regel milden Durchfallerkrankung kann eine Oligoarthritis oder Polyarthritis auftreten. Im Einzelfall ähnelt das Bild einer septischen Arthritis und erfordert eine Gelenkpunktion und Kultur der Synovialflüssigkeit (Gumpel et al. 1981).
Aortenklappeninsuffizienz. Keine knöchernen Destruktionen. BSG 45 mm/h, RF und ANA negativ, HLA-B27 positiv, Salmonellaantikörpernachweis positiv
Exkurs Ein typischer Fall wird durch den folgenden Verlauf illustriert. Ein 6 Jahre alter Junge wurde mit Beschwerden seit 2 Tagen in die Klinik eingewiesen. Er wies eine leichte Temperaturerhöhung von 38,2°C auf. Ein Durchfall im Vorfeld wurde verneint. Er klagte über Schmerzen im Bereich beider Knie und Sprunggelenke. Sein Fuß sei deutlich geschwollen. Bei der klinischen Untersuchung konnte dann auch eine Polyarthritis beider Knie (. Abb. 6.4b) und beider oberer und unterer Sprunggelenke (. Abb. 6.4a) bestätigt werden. Es bestand eine ausgeprägte Enthesitis beider Fußrücken. Laborchemisch zeigten sich deutlich erhöhte Inflammationsparameter (BSG 44 mm/h, CRP 8,6 mg/dl). Der Nachweis von Rheumafaktor oder antinukleären Antikörpern gelang nicht, allerdings war der Junge positiv für das Gewebsmerkmal HLA-B27. Blutkulturen und die Kultur eines Gelenkpunktats blieben steril. Im Stuhl konnte Campylobacter jejuni nachgewiesen werden. Stuhlkonsistenz und Frequenz waren unauffällig. Ein 6
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
konventionelles Röntgenbild konnte eine knöcherne Affektion ausschließen. MR-tomografisch zeigte sich eine ausgeprägte Synovialitis mit Gadolinium-Kontrastmittelaufnahme in den T1-gewichteten Aufnahmen (. Abb. 6.4c) und Ergussbildung in den stark T2-gewichteten Aufnahmen (. Abb. 6.4d) in den betroffenen Gelenken. Unter Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika und nach Erhalt der sterilen Kulturen auch mit einem intermittierenden Einsatz von oralen Kortikosteroiden waren die klinischen Symptome nach etwa 6 Wochen komplett rückläufig. Familienanamnestisch zeigte sich, dass der ebenfalls HLA-B27 positive Vater an einem Morbus Bechterew erkrankt war.
Chlamydieninfektion Infektionen des Genitales oder der Harnwege mit Chlamydia trachomatis treten in der Regel erst bei sexuell aktiven Jugendlichen auf. Daher ist diese Form der reaktiven Arthritis im späteren jugendlichen Alter zu erwarten. Allerdings kann auch eine reaktive Arthritis im Anschluss an eine Infektion des oberen Respirationstrakts mit Chlamydia pneumoniae auftreten (Chen et al. 2003; Sieper et al. 1992).
Clostridium difficile Eine gastrointestinale Infektion mit Clostridium difficile, des Weiteren auch extrakolische Manifestationsorte einer Infektion sind im Kindesalter sehr selten mit einer reaktiven Arthritis einhergegangen. Es werden in der Literatur nur Einzelfälle dargestellt. Dabei handelt es sich um Polyarthritiden, die im Anschluss an Diarrhöen aufgetreten sind und die eine positive Stuhlkultur für Clostridium difficile aufwiesen. Die Arthritis wird als asymmetrisch mit einem selbstlimitierten Verlauf beschrieben. Der Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika hat sich als hilfreich ergeben (Loffler et al. 2004).
Streptokokkeninfektion In einem vor kurzem publizierten Review wurden 180 Patienten mit Poststreptokokken reaktiver Arthritis analysiert (Mackie u. Keat 2004): 83% dieser Patienten hatten eine Erkrankung mit Streptokokken der Gruppe A durchgemacht. Etwa bis zu 2 Wochen nach Infektion trat eine nicht wandernde Arthritis von großen und kleinen Gelenken auf, die auch das Achsenskelett erfasste. Das Ansprechen auf nichtsteroidale Antiphlogistika wird als langsam beschrieben, ein chronischer Verlauf ist möglich. Eine HLA-Assoziation mit HLA-DRB1*01 wurde beschrieben. Im Einzelfall ist die diagnostische Abgrenzung zum akuten rheumatischen Fieber schwierig (Tutar et al. 2002; Birdi et al. 2001). In einer größeren Kohorte wurde allerdings das akute rheumatische Fieber mit einem anderen HLALocus (HLA-DRB1*16) assoziiert gefunden. Eine Assoziation mit HLA-B27 besteht nicht, sodass die poststrepto-
kokkenreaktive Arthritis pathogenetisch eher in der Nähe des akuten rheumatischen Fiebers angesiedelt ist und nicht im Bereich von HLA-B27-reaktiven Arthritiden (Ahmed et al. 1998). Die Therapie erfolgt in der Regel antiphlogistisch. Eine antibiotische Therapie wird initial über die Dauer von 3 Monaten empfohlen. Inwieweit eine längere Dauer (z. B. 12 Monate) oder Empfehlungen wie für das akute rheumatische Fieber (5 Jahre und mehr) sinnvoll sind, wird kontrovers diskutiert. Eine kardiale Mitbeteiligung wird als selten beschrieben.
Meningokokkeninfektion Die Infektion mit Neisseria meningitidis ist eine der am meisten gefürchteten Infektionen im Kindesalter. Im Anschluss an die akute Phase wird eine subakute Phase wenige Wochen nach Erstmanifestation beschrieben. Es handelt sich dabei um immunologisch determinierte Immunkomplex-Hypersensitivitätsreaktionen. Es treten Antigen-Antikörper-Immunkomplexe auf, die eine inflammatorische Reaktion im Gewebe hervorrufen, dort Komplement aktivieren und zu einem Influx von polymorphkernigen Granulozyten führen. Klinisch äußert sich dies als Arthritis, Vaskulitis, Episkleritis oder Perikarditis. In der Regel tritt dabei auch erneut Fieber auf, die Inflammationsparameter sind im Blut erhöht. Immunkomplexkomplikationen treten bei etwa 15% von Kindern auf, die eine Meningokokkeninfektion überlebt haben, davon macht die Arthritis mit 14% den größten Anteil aus (Goedvolk et al. 2003).
Andere Infektionen Wie in . Tab. 6.1 dargelegt, gibt es noch eine Vielzahl anderer Infektionserreger, die mit reaktiven Arthritiden einhergehen können. Im Einzelfall ist immer auszuschließen, dass eine septische Arthritis besteht. Dies ist insofern von Bedeutung, weil einige Erreger, z. B. Neisserien, mit einer begrenzten systemischen Inflammationsreaktion einhergehen können. Daher kann aufgrund des klinischen Bildes das Vorliegen einer septischen Arthritis unterschätzt werden (Girschick et al. 1998).
Muskuloskelettale Symptome Arthritis In der Regel tritt die Arthritis von hauptsächlich betroffenen großen Gelenken wie Knien, Sprunggelenke und Fußgelenke akut auf. Im Einzelfall können auch Arthralgien im Vorfeld bestehen (Burgos-Vargas u. Vazquez-Mellado 2001). Durch die rasche Entwicklung von Schwellung, Gelenkerguss und auch periartikulärer Schwellung kann im Einzelfall eine septische Arthritis nicht ausgeschlossen werden. Der zusätzliche Einbezug von Sehnen, Sehnenansätzen und Sehnenscheiden kann vor allem die Schmerzhaftigkeit nochmals deutlich verstärken. Im Bereich der Zehen kann eine Daktylitis imponieren. Gele-
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6.1 · Reaktive Arthritis
b a
c . Abb. 6.4a–d. Campylobacterassoziierte reaktive Arthritis. Arthritis von Knie und Sprunggelenken eines 6 Jahre alten Jungens mit ausgeprägter periartikulärer Weichteilreaktion (a, b). In der T1-gewichteten
d Gadoliniumserie der MRT zeigt sich eine ausgeprägte Synovialitis (c), in der T2-gewichteten Serie eine ausgeprägte Ergussbildung und periartikuläre Ödembildung (d)
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
. Tab. 6.1. Mit HLA-B27 assoziierte und nicht assoziierte Formen reaktiver Arthritis. (Nach Toivanen u. Toivanen 2004) Charakteristika
Mit HLA-B27 assoziiert
Nicht mit HLA-B27 assoziiert
Auslösende Infektionen
Campylobacter, Chlamydien, Clostridium difficile, Salmonellen, Shigellen, Yersinien
Borrelien, Brucella, Haemophilus, Leptospiren, Rickettisien, Coxiella, Mykobakterien (M. tuberculosis u. leprae), Neisserien (N. meningitidis u. gonorrhoeae), Staphylokokken, Streptokokken, Ureaplasmen, Mykoplasmen, Vibrio, Treponema pallidum
4
Erreger im Gelenk kultivierbar
Nein (Ausnahme Chlamydien)
Nein oder sehr selten
5
Erregerstrukturen im Gelenk nachgewiesen
Ja
Selten
Oligo- oder Polyarthritis
In der Regel Oligoarthritis, meist das Knie
Oligoarthritis, gelegentlich Polyarthritis
Reiter-Syndrom
Nachgewiesen
Nicht regelmäßig, jedoch nach Infektionen der Harnwege und des Genitales möglich (Ureaplasma, Gonokokken)
Übergang in Spondylarthropathie
Möglich
Nicht beobachtet
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gentlich können auch die Hand- und Fingergelenke miteinbezogen sein. Die Ergussbildung ist in der Regel ausgeprägt, aufgrund der Kürze der Entzündung ist eine synoviale Verdickung oder Proliferation noch nicht eindrücklich. Neben dem Auftreten einer peripheren Arthritis kann auch das Axialskelett und hier vor allem die Sakroiliakalregion mit einbezogen sein. Klinisch äußert sich dies als eingeschränkte lumbosakrale Beweglichkeit, Steifigkeit und Schmerzhaftigkeit.
Eine Urethritis oder Zervizitis ist im Kindesalter selten und kann gegebenenfalls bei Adoleszenten mit bereits bestehender sexueller Aktivität auftreten. Letztere Manifestation verläuft oft mild und wird als Zufallsbefund einer sterilen Pyurie entdeckt. Eine Balanitis, Zystitis, Prostatitis und gegebenenfalls auch Salpingo-Oophoritis sind seltene Befunde. Im Bereich der Haut ist eine psoriasisähnliche Läsion, die Pustulosis palmoplantaris, oder das Keratoderma blenorrhagicum beschrieben worden. Ein Erythema nodosum wird gelegentlich beobachtet.
Enthesitis
Augenbeteiligung
Die Enthesiopathie oder Enthesitis beschreibt eine Entzündung von Sehnen und Sehnenscheiden. Sie ist an sich ein typisches klinisches Zeichen der Spondylarthropathie, die im Kindesalter enthesitisassoziierte Arthritis genannt wird. Sie ist sehr stark mit dem Vorhandensein von HLAB27 assoziiert. Mit einbezogen in den entzündlichen Prozess sind die knöchernen Ansatzpunkte von Bändern, Sehnen, Gelenkkapseln oder Faszien. Diese Region ist stark durchblutet und daher auch im Rahmen einer bakteriellen Infektion mit entsprechenden Antigenen exponiert. In der Regel sind diese Regionen schmerzhaft auf Druck und Bewegung. Hervorzuheben ist die Entzündung des Achillessehnenansatzes oder auch der Plantaraponeurose. Des Weiteren charakteristisch ist eine sog. Wurstzehen- oder Wurstfingerbildung im Sinne einer Daktylitis. Hier ist eine Abgrenzung zur schuppenflechtenassoziierten Arthritis vorzunehmen. Eine seltene Manifestation ist der Einbezug des Brustkorbs. Betroffene Patienten können über pleuritisähnliche Schmerzen im Brustkorb klagen.
Bereits sehr früh wurde erkannt, dass Augenentzündungen ein Teil von reaktiver Arthritis oder Reiter-Syndrom sind. Beschrieben wurden Konjunktivitis, Keratitis und am häufigsten eine akute anteriore Uveitis, auch Iritis genannt. Sowohl einseitiger als auch beidseitiger Befall sind möglich. Die Patienten klagen häufig über Schmerz und Lichtscheu. Eine Beeinträchtigung des Sehvermögens kann auftreten. Der Tränenfluss ist verstärkt. Sorgfältige augenärztliche Untersuchungen sind notfallmäßig erforderlich, da dauerhafte und irreversible Schäden bei verzögerter Therapie drohen können. Lokal kommen nichtsteroidale Antiphlogistika, Mydriatika und Steroide zum Einsatz. Im Einzelfall können auch mittlere und hintere Abschnitte des Auges, z. B. in Form eines Makulaödems betroffen sein.
Haut und Schleimhäute Schleimhautläsionen der Mundmukosa sind häufig und äußern sich als leichtes Erythem oder Aphthenbildung.
Gastrointestinale Manifestation Da Durchfallerkrankungen ein häufiger Trigger einer reaktiven Arthritis sind, liegt es nahe, dass auch chronische entzündliche Darmerkrankungen häufiger mit reaktiver Arthritis vergesellschaftet sind. Oft verlaufen diese klinisch inapparent und sind im Einzelfall z. B. von einer Crohn-Erkrankung nicht zu unterscheiden. Zwei Arten
6.1 · Reaktive Arthritis
wurden im Wesentlichen beschrieben: Eine akute Enterokolitis, die von einer bakteriellen Infektion nicht zu unterscheiden ist. Des Weiteren eine chronische ulzerierende Ileokolitis, die von einem M. Crohn nicht zu unterscheiden ist. Es besteht eine sehr enge Verbindung gastrointestinaler entzündlicher Läsionen mit Gelenkerkrankungen, sowohl von reaktiver Arthritis als auch von enthesitisassoziierter Arthritis. Dies zeigt sich auch daran, dass etwa 20% aller Patienten mit M. Crohn auch periphere Arthritiden aufweisen.
Allgemeine systemische Manifestationen Unabhängig von Folgezuständen im Anschluss an die primäre Infektion können Kinder mit reaktiven Arthritiden weiter Fieber, Gewichtsabnahme, Müdigkeit und Muskelschwäche aufweisen. Eine Morgensteifigkeit peripherer Gelenke und des Achsenskelettes wurde beschrieben. Vereinzelt wurden Karditiden in der initialen Phase der reaktiven Arthritis diagnostiziert. Eine Nierenbeteiligung wird im Erwachsenenalter bei bis zu 50% der Patienten gesehen. Schwere Glomerulonephritiden und dauerhafte Nierenschäden sind jedoch selten.
6.1.7
Diagnose und Differenzialdiagnose
Wie bereits unter 7 6.1.1, 6.1.3 und 6.1.4 erläutert, ist die Stellung der Diagnose »reaktive Arthritis« im Einzelfall eine Herausforderung. Da nur relativ schwache diagnostische Kriterien bestehen, die sich auf das Vorhandensein einer peripheren Oligo- oder Polyarthritis mit z. T. Einbezug des Achsenskelettes stützen und anamnestisch zusätzlich eine vorausgehende Infektion innerhalb der letzten 4 Wochen erfordern, bleibt oft im klinischen Alltag eine signifikante Unsicherheit. Daher werden labordiagnostische Methoden zur Sicherung der Verdachtsdiagnose herangezogen. Im Einzelfall kann in der initialen inflammatorischen Phase eine leichte Leukozytose im Blutbild mit einer neutrophilen Betonung bestehen. Gelegentlich findet sich eine leichte Immunglobulin-G-, -A- oder M-Erhöhung, eine Senkungsbeschleunigung oder eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins. Je ausgeprägter die Arthritis, desto mehr können Erhöhungen von Inflammationsparametern erwartet werden. Im Einzelfall können diese so ausgeprägt sein, dass das klinische Bild von einer septischen Arthritis nicht zu unterscheiden ist. Dieses klinische Dilemma zeigt der unter 7 6.1.6 geschilderte klinische Fall (. Abb. 6.4). Da die Suche nach Autoantikörpern in der Regel nicht wegweisend ist, wird man sich vor allem in Fällen mit vorangehender gastrointestinaler oder genitoureteraler Infektion auf die Analyse von HLA-B27 stützen. Jedoch ist wie beschrieben, eine Vielzahl von Arthritiden auch nicht mit HLA-B27 assoziiert. Im Einzelfall wird häufig eine Gelenkpunktion erforderlich sein, um eine reaktive Arthritis von einer sep-
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tischen Arthritis zu unterscheiden. Hier kommt es vor allem auf die mikrobiologische Analyse an, die nicht nur kulturelle Nachweismethoden, sondern auch universelle PCR-Analysen zur breiten Erregersuche einsetzen sollte. Der Zellgehalt und die Zelldifferenzierung im Gelenkpunktat unterscheiden sich in der Regel bei der reaktiven Arthritis nicht von anderen Arthritiden und sind daher im Einzelfall nicht wegweisend. Insbesondere kann bei der reaktiven Arthritis im Anfangsstadium auch ein granulozytäres Zellbild dominieren, sodass allein von der Zytologie die Unterscheidung gegenüber einer septischen Arthritis nicht möglich erscheint. Im späteren Verlauf dominiert in der Regel ein lymphozytäres Bild. Vor allem bei Adoleszenten und zusätzlich in klinischen Verdachtsmomenten sollte die Gelenkflüssigkeit auch auf das Vorhandensein von Harnsäurekristallen in polarisiertem Licht untersucht werden, um eine Gicht oder Pseudogicht auszuschließen. Die Anzüchtung der Erreger stellt einen weiteren Eckpfeiler in der Diagnosestellung dar, und es sollten Anstrengungen unternommen werden, das auslösende Pathogen zu definieren. Dafür sind Abstrichkulturen des Rachens, des Urogenitaltraktes und Stuhlkulturen sinnvoll. Hier besteht durchaus die Chance, Salmonellen, Yersinien, Shigellen oder Campylobacter bei entsprechender Durchfallanamnese anzuzüchten. Da jedoch die primäre Infektion oft schon abgeklungen ist und für die klinische Symptomatik am Gelenk ein (auto)immunologisches Geschehen ja auslösend ist, bleibt oft der serologische Antikörpernachweis des Infektionserregers als einziges diagnostisches Werkzeug übrig. Dies ist auch von Bedeutung, weil manche der auslösenden Erreger schwer anzuzüchten sind. Zum Beispiel schließen negative Kulturen eine Chlamydieninfektion im Genitalbereich nicht aus. Zusätzlich ist zu beachten, dass auch asymptomatische Träger, z. B. von Salmonellen oder Chlamydien, möglich sind und ein positiver Nachweis hier eine falsche diagnostische Fährte setzen würde. Die serologischen Untersuchungen sind wegen des schwierigen Direktnachweises von großer Bedeutung. Eine IgG- , IgA- und IgM-Antwort gegen die genannten Erreger sollte untersucht werden, und insbesondere der Nachweis eines im Verlauf ansteigenden IgA-Titers gegen einen bestimmten Infektionserreger kann diagnostisch beweisend sein. Agglutionationsteste neben Enzymimmunoassays und Western-Blot-Verfahren kommen zum Einsatz. Eine Wiederholung der Tests sollte bei klinischem Verdacht angestrebt werden, da oft erst im Verlauf eine Serokonversion eindrücklich ist. Eine negative Serologie schließt natürlich eine Diagnose nicht aus. Wissenschaftlichen Laboren vorbehalten sind in der Regel direkte Immunfloreszenz zum Erregernachweis in der Synovialflüssigkeit oder synovialen Membran, des Weiteren elektronenmikroskopische Untersuchungen, DNA- und RNA-Analysen mittels Poly-
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
merasekettenreaktionen zum Nachweis einzelner Erreger (Huppertz et al. 1995). Im klinischen Alltag ist die Wertigkeit dieser modernen Testverfahren jedoch noch begrenzt.
Bildgebende Diagnoseverfahren Konventionelle radiologische Untersuchungen der betroffenen Gelenke zeigen in der Regel im Initialstadium einen unauffälligen knöchernen Befund mit einer deutlichen periartikulären Weichteilschwellung. Bei bereits lange chronischen Verläufen können periostale Verdickungen, fokale Osteopenien, subchondrale Zystenbildung und zunehmende Destruktion von Knorpel- und Knochenstrukturen gesehen werden. Der sonografischen Untersuchung kommt insbesondere eine Bedeutung in der Evaluation von synovialer Verdickung und Durchblutung, des Weiteren von Sehnenscheidenaffektionen zu. Die Dokumentation eines synovialen Ergusses kann durch eine Ultraschalluntersuchung erleichtert werden. Hilfreich ist die Sonografie vor allem in der Analyse der Kniekehle mit z. B. Nachweis von Baker-Zysten. Eine computertomografische Analyse ist in der Regel nur bei stärkerer knöcherner Destruktion oder bei Einbezug der Wirbelsäule erforderlich. Eine größere Rolle kommt der MR-tomografischen Untersuchung von Gelenk- und Knochenstrukturen zu (. Abb. 6.4). Insbesondere ein möglicher Einbezug von Sakroiliakalgelenken kann mittels Magnetresonanztomografie dokumentiert werden. Im Einzelfall kann eine ossäre Ödembildung das Vorhandensein einer gelenknahen Osteomyelitis bakterieller Genese vortäuschen.
Differenzialdiagnosen Da der Begriff der reaktiven Arthritis in dem vorliegenden Kapitel etwas weiter gefasst wurde und virale Arthritiden, Poststreptokokkenarthritiden, die Lyme-Borreliose und andere Infektionserreger in die Diagnose mit einbezogen wurden, sind diese strenggenommen bereits in der primären Diagnosestellung erwogen. Auszuschließen sind primär infektiöse Erkrankungen mit einem lebenden Infektionserreger am Ort der Gelenkentzündung, die septische Arthritis. Im Einzelfall kann ein niedrigvirulenter Erreger, z. B. Kingella kingae oder Mycobacterium tuberculosis, ein geringes inflammatorisches Bild erzeugen und so eine reaktive Arthritis vortäuschen. Die klassisch reaktive Arthritis der Hüfte, die Coxitis fugax, gehört strenggenommen auch in 7 Kap. 6, wird aber aufgrund ihrer Häufigkeit in 7 Kap. 12 gesondert behandelt. Chronische Inflammationserkrankungen am Knochen, wie z. B. die chronisch multifokale rezidivierende Osteomyelitis (CRMO), die im Erwachsenenalter als SAPHOSyndrom (Synovitis, Akne, Pustulosis, Hyperostosis, Osteitis) bezeichnet wird, sind im Einzelfall differenzialdiagnostisch abzugrenzen. In mediterranen Populationen kann eine Behçet-Erkrankung vorliegen. Verschiedene or-
thopädische Erkrankungen, z. B. der Morbus Perthes oder Morbus Osgood-Schlatter, können eine reaktive Arthritis vortäuschen. Nächtliche Arthralgien im Sinne von Wachstumsschmerzen sind ebenso zu erwägen wie Schmerzverstärkungssyndrome. Andere Formen von jugendlicher idiopathischer Arthritis, z. B. die mit Schuppenflechte assoziierte Arthritis oder die mit Enthesitis assoziierte Arthritis sind im Einzelfall sehr schwer abzugrenzen. Zu achten ist auf das gleichzeitige Vorhandensein einer chronischentzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, die für sich genommen auch mit einer chronischen Arthritis einhergehen können. Daher ist im Einzelfall auch eine endoskopische Evaluation des Gastrointestinaltrakts erforderlich.
6.1.8
Therapie
Da die reaktive Arthritis in der Regel junge Menschen betrifft, die vorher gesund waren, muss der Aufklärung über die Natur und Prognose der Erkrankung eine besondere Bedeutung eingeräumt werden. Es ist sicherlich sinnvoll hervorzuheben, dass trotz der Möglichkeit eines chronischen oder eines rezidivierenden Verlaufs im Allgemeinen die Prognose unter entsprechender entzündungshemmender Therapie günstig ist. Das allgemeine Management hängt sehr von der klinischen Situation ab. Sicherlich ist eine körperliche Schonung im Akutfall ratsam, allerdings sollte auf eine ausreichende Analgesie Wert gelegt werden, um drohenden Versteifungen durch Immobilität vorzubeugen. Prinzipiell kann im Vorfeld Aufklärung in Bezug auf die Kontamination von Nahrung mit Infektionserregern, persönliche Hygienemaßnahmen, Aufklärung in Hinblick auf sexuelle Aktivitäten und ggf. eine Partnerbehandlung hilfreich sein, um Rezidiven von reaktiven Arthritiden vorzubeugen.
Pharmakologische Therapien Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) und Steroide sind in der Regel sehr hilfreich, um zum einen Schmerz zu lindern und zum anderen die Entzündung zurückzudrängen. Hier ist darauf zu achten, dass die Dosis ausreichend hoch gewählt wird und dass eine feste Dauertherapie angestrebt wird. Eine reine Bedarfsmedikation ist in der Regel nicht ausreichend. Eine effektive Analgesie hilft, mittel- und langfristig durch Versteifungen hervorgerufene Beweglichkeitseinschränkungen zu vermeiden und die Rehabilitation effektiver zu gestalten. Die empfohlene Medikamentendosierung und die therapeutischen Regime unterscheiden sich für Kinder mit reaktiven Arthritiden nicht von anderen Kindern mit kindlichem Rheuma. In der Regel können nichtsteroidale Antiphlogistika nach Erreichen einer Remission auch wieder schrittweise beendet werden.
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6.1 · Reaktive Arthritis
Bei manchen Patienten ist der Einsatz von Glukokortikoiden erforderlich, insbesondere wenn eine schwere und beeinträchtigende Polyarthritis mit Sehnenscheidenentzündung besteht. Hier reicht in der Regel eine orale Gabe, z. B. von Prednison oder Prednisolon (2 mg/kg KG/d) aus. In der Regel ist die Dauer der Therapie mit Glukokortikoiden sehr kurz zu halten. Eine Reduktion der Steroiddosis kann oft schon nach wenigen Tagen sehr rasch erfolgen. Da im Einzelfall eine septische Arthritis in der Frühphase der Erkrankung nicht auszuschließen ist, sollte vor dem Einsatz von Steroiden eine gewisse diagnostische Sicherheit bestehen, dass kein pathogenetisch noch aktiver Infektionserreger vorhanden ist. Insbesondere gilt diese Vorsicht für eine geplante intraartikuläre Steroidapplikation. Der Einsatz lokaler Steroide sollte erst nach dem Erhalt negativer bakterieller Kulturen erfolgen. Sollte die Haut oder das Auge betroffen sein, dann können Kortikosteroide lokal oder auch systemisch appliziert werden. Bei Vorliegen einer Uveitis wird von augenärztlicher Seite sicher auch auf Mydriatika und NSAID-haltige Augentropfen zurückgegriffen werden.
Rheumabasistherapie (DMARDs) Da die Natur der reaktiven Arthritis in der Regel auf wenige Wochen und Monate beschränkt ist, sollte der Einsatz von Rheumabasistherapie (DMARDs, disease-modifying antirheumatic drugs) zurückhaltend erfolgen. Die Studienlage in Bezug auf den Einsatz von DMARDs bei der reaktiven Arthritis ist beschränkt. In der Regel wird eine solche Therapie erwogen, sollte die reaktive Arthritis aufgrund eines anhaltenden chronischen Verlaufes als enthesitisassoziierte Arthritis oder Spondylarthropathie eingeschätzt werden. Es gibt nur Einzelfallberichte, die vom Einsatz von Goldsalzen, Azathioprinen oder Methotrexat berichten. Sicherlich kommt diesen Medikamenten nur eine Rolle als Reservemedikament zu. > Durchaus zu überlegen ist aber die Verwendung von Sulfasalazin, insbesondere wenn die Patienten HLA-B27-positiv sind. Die eingesetzte Dosis variiert zwischen 20 und 50 mg/kg KG/Tag, entsprechend 1,5–2 g/Tag bei Adoleszenten. Sulfasalazin sollte einschleichend dosiert werden. Eine Therapiedauer bis zum Erreichen der Remission von 3–6 Monaten muss eingeplant werden. Es ist ratsam, die Therapie nach Erreichen von Remission noch 3–6 Monate weiterzuführen bevor eine Reduktion angestrebt wird.
Zu beachten ist das durchaus signifikante Nebenwirkungspotenzial von Sulfasalazin, das etwa bei 10–20% der therapierten Patienten liegt. Berichtet wird über Magenschmerzen, Transaminasenerhöhungen, allergische Hautreaktionen bis hin zum Steven-Johnson-Syndrom und den Verlust von Libido bei männlichen Patienten. Als therapeutisch günstig einzuschätzen ist der zusätzlich positive Effekt auf eine gegebenenfalls bestehende gastrointes-
tinale chronische Entzündung oder eine bestehende Iritis oder eine palmoplantare Pustulose. Über den Einsatz neuerer sog. biologischer Medikamente, z. B. TNF-α-blockierende Medikamente bei der reaktiven Arthritis im Kindesalter besteht noch nicht ausreichend Erfahrung, und der Einsatz sollte sicher eine absolute Ausnahme darstellen.
Antibiotikatherapie Wie bereits dargelegt, werden reaktive Arthritiden im Wesentlichen durch bakterielle Infektionserreger ausgelöst. Es gibt Evidenz dafür, dass die auslösende Mikrobe in menschlichem Gewebe für lange Zeit persistieren kann. Daher liegt die Durchführung einer antibiotisch antibakteriellen Therapie durchaus nahe. Allerdings sind die derzeit vorliegenden Empfehlungen nicht eindeutig. Sollte zum Zeitpunkt des Auftretens der reaktiven Arthritis ein Infektionserreger, z. B. aus dem Gastrointestinaltrakt noch nachweisbar sein, dann ist eine antibiotische Eradikation zu erwägen. In der Regel sind diese Erreger jedoch nicht mehr nachweisbar und der pathologisch-immunologische Prozess steht im Vordergrund. Ein frühzeitiger Einsatz von Antibiotika kann ein erneutes Auftreten einer reaktiven Arthritis verhindern. Daher sollte eine erneute frühzeitige antibiotische Therapie bei Wiederauftreten von Infektionen erwogen werden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass nachdem eine reaktive Arthritis aufgetreten ist, eine antibiotische Therapie in der Regel keinen therapeutischen Stellenwert hat.
Physikalische Therapie Prinzipiell sind reaktive Arthritiden genauso zu behandeln wie chronisch-rheumatische Formen. Im Akutfall ist es sicherlich vorteilhaft, Eispackungen, Umschläge und gegebenenfalls Gehhilfen zu verwenden. Bei ausgeprägter Entzündung von Sehnenansätzen im Bereich des Fußes und der Fußsohle können weiche Schuheinlagen schmerzlindernd sein. Im Einzelfall können Lagerungsschienen der Entwicklung von Gelenkkontrakturen vorbeugen. Hier ist jedoch auch auf eine aktive Physiotherapie mit Bewegungsübungen zu achten, um Versteifungen zu vermeiden und eine Muskelkräftigung durchzuführen. Naturgemäß wird eine aktive Bewegungstherapie anwendbar, wenn die akute und besonders schmerzhafte Phase der Erkrankung bereits etwas abklingt. Prinzipiell ist eine aktive Lebensführung mit sportlicher Tätigkeit, z. B. Schwimmen und Fahrradfahren, anzustreben, um die Beweglichkeit der Gelenke zu erhalten.
6.1.9
Prognose
Die Prognose einer reaktiven Arthritis kann sich im Langzeitverlauf sehr variabel darstellen. Die meisten betroffenen Kinder werden innerhalb von Wochen oder Mona-
6
274
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
ten eine vollständige Remission ihrer reaktiven Arthritis erreichen. Es wird angenommen, dass HLA-B27-assoziierte reaktive Arthritiden einen schwereren Verlauf nehmen und dass auch extraartikuläre Manifestationen wie eine Iridozyklitis, eine Aorteninsuffizienz oder ein Reiter-Syndrom hier deutlich häufiger auftreten. Auch war in Langzeitkohorten das Auftreten einer Schuppenflechte in dieser HLA-B27-positiven Gruppe feststellbar. Die Anzahl der betroffenen Gelenke zu Beginn der Erkrankung und damit auch sekundäre Folgezustände wie Anämie und Fieber scheinen im Langzeitverlauf eine negative prognostische Rolle zu spielen. Es gibt klinische Hinweise, dass reaktive Arthritiden nach Chlamydien- oder Yersinieninfektionen einen weniger schweren Verlauf nehmen als z. B. solche nach Salmonellen- oder Shigelleninfektionen. Sofern ein Übergang in eine juvenile Spondylarthropathie oder Enthesitis-assoziierte Arthritis (EAA) festzustellen ist, dann ist die Prognose langfristig durchaus weniger günstig. Dennoch ist es das Ziel der pharmakologischen und physikalischen Therapie, signifikante Einschränkungen der Lebensqualität zu vermeiden oder zumindest zu begrenzen.
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Im klinischen Alltag sind mehrere Virusinfektionen bekannt, die mit einer unmittelbar im Rahmen der Infektion oder im Anschluss auftretenden Infektion einhergehen. . Abb. 6.5 zeigt eine Auflistung von viralen Infektionserregern, die mit Arthritiden vergesellschaftet sind (Gerard et al. 2001; Nikkari et al. 1995). Im klinischen Alltag am häufigsten und am relevantesten sind vor allem das Parvovirus B19 (Nikkari et al. 1995), das Ebstein-Barr-(EBV-)Virus (Massa et al. 2002) und die Hepatitisviren B und C (Miller 1998; Burgos-Vargas et al. 1997). Inwieweit virale Infektionen und nachfolgende Arthritiden letztendlich zu infektionsassoziierten oder reaktiven Arthritiden zu zählen sind, ist in vielen Aspekten noch unklar. Erforderlich für eine pathophysiologische Verbindung ist zum einen die Korrelation einer klinischen Infektion mit der Autoimmunerkrankung. Zum anderen sollte die Autoimmunerkrankung persistieren, wenn das infektiöse Agens beseitigt wurde. Streng genommen sollte für die Frage, ob Infektionen Autoimmunerkrankungen auslösen auch der Nachweis einer mit Antigenen des Wirtes kreuzreagierenden T-Zell-Antwort gegen den Infektionserreger nachweisbar sein. Dieser antigenen Mimikry-Hypothese steht die Hypothese der persistierenden Infektion gegenüber. Es wird vermutet, dass dabei im Nebenschluss das Immunsystem in einer Art und Weise aktiviert wird, die zu einer Demaskierung verborgener Antigene, einer Präsentation von Selbstantigen und letztendlich zu dem Verlust von Toleranz führt.
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(Gerard et al. 2001)
Virale DNA/RNA Röteln Parvovirus B19 Hepatitis-B-Virus Hepatitis-C-Virus Adenovirus Herpes-simplex-Virus CM-Virus EB-Virus VZ-Virus Mumpsvirus Echovirus Coxsackie-Virus B Variola-Virus Vaccinia-Virus (Petty et al. 1997)
. Abb. 6.5. Präsenz von Erregergenom in Synovia von Arthritispatienten
Dieses diagnostische Spannungsfeld wird deutlich an der folgenden Kasuistik.
Kasuistik 6.1.10 Virale Arthritiden
13
Bakterielle DNA Acinetobacter Klebsiella Pseudomonas species Salmonella enteritidis Salmonella typhi Neisseria canis Moraxella Enterobacter Shigella Mykoplasmen Borrelia burgdorferi Chlamydia etc.
Ein 12 Jahre altes Mädchen wird vorgestellt mit einer seit Jahren bestehenden erosiven Monarthritis des rechten Ellbogengelenks (. Abb. 6.6). Das Mädchen hatte im Rahmen einer Bluttransfusion in Russland im Säuglingsalter eine Hepatitis C erworben. Im Rahmen einer einjährigen Interferon-2α-Therapie kam es zwar zu einer Reduktion der Viruskopienzahl im peripheren Blut, allerdings stieg die Viruslast unmittelbar nach Beendigung dieser Monotherapie wieder an. Die Arthritis hatte sich, gemessen anhand eines Scores, in dieser ersten Therapieperiode nicht verbessert. Unter Einsatz einer Kombinationstherapie von IFN-2α und Ribavirin kam es zu einem raschen Abfall von Hepatitis-C-Viruskopien und auch einer sukzessiven Besserung der Arthritis. Eine Ausheilung sowohl von Seiten der Hepatitis C als auch der chronischen Gelenkerkrankung konnte letztendlich erreicht werden. In diesem Einzelfall muss davon ausgegangen werden, dass die chronische Infektion per se zu einer Immunstimulation geführt hat, die u. a. die Arthritis mit unterhalten hat. Eine Autoimmunerkrankung im eigentlichen Sinne scheint dabei nicht ausgelöst worden zu sein. Die Patientin hatte lediglich nichtsteroidale Antiphlogistika erhalten, eine Basistherapie war nicht durchgeführt worden. Die Hypothese der chronischen Immunstimulation durch ein persistierendes infektiöses Agens wird durch mehrere Publikationen gestützt, die virales Genom im Gelenkpunktat und Synovialbiopsie von betroffenen Patienten nachwiesen. Demgegenüber stehen Untersuchungen von gesunden Individuen, die ebenso ErregerDNA in Gelenken aufweisen und nicht erkrankt sind.
6
275
6.1 · Reaktive Arthritis
Kopienzahl Hepatitis-C-Virus in 1000/ml Blut
2500
Arthritis Aktivität (1-10)
2000
10
1500
8
1000
6
500
4 2
0 11
12
12,8
13,3
13,8
14,4
14,9
15,4
16,4 Alter
a b
IFN-2α
Interferon + Ribavirin
0
. Abb. 6.6a,b. Hepatitis C und chronische Arthritis. a In der T2-gewichteten sagittalen MRT-Aufnahme sieht man eine ausgeprägte Synovialitis und Ergussbildung im Ellbogengelenk (Pfeile). b Hier wird verdeutlicht, dass nach effektiver virustatischer Kombinationstherapie die Arthritis ausgeheilt ist
Im Folgenden werden einzelne Viruserkrankungen exemplarisch dargestellt und das Spannungsfeld von Infektion und Autoimmunität erläutert.
Hepatitis-B- und -C-Viren Eine Arthritis im Rahmen einer akuten Hepatitis-B-Infektion ist eine seltene Begleitmanifestation (Rose u. Eppes 1997). Die Arthritis tritt in der Regel während der Prodromalphase plötzlich auf und erscheint schwerwiegend. Ein symmetrisches polyartikuläres Bild ist vergesellschaftet mit zusätzlichen systemischen Manifestationszeichen wie einem makulopapulären Ausschlag, einer leukozytoklastischen Vaskulitis, einer Urtikaria oder einer Lymphadenopathie. Pathogenetisch geht man vom Vorliegen einer immunkomplexmediierten Arthritis aus. Diese Symptome können einer ikterischen Phase deutlich vorangehen und sind im Einzelfall schwer in Verbindung mit einer Hepatitis B zu diagnostizieren. Patienten, deren aktive Hepatitis in eine chronische Phase mit Virämie übergeht, können intermittierend immer wieder Arthralgien oder Arthritis aufweisen. Eine Vaskulitis kann ebenso langfristig mit einer Hepatitis B vergesellschaftet sein. Die Hepatitis-C-Infektion ist oft mit einer Kryoglobulinämie vergesellschaftet. Dabei kann eine Arthritis oder eine kutane Vaskulitis zusätzlich auftreten. Weitere Autoimmunsymptome ähneln einem Sjögren-Syndrom, auch eine Glomerulonephritis ist möglich. Auch die Hepatitis A kann im Rahmen einer Kryoglobulinämie mit Arthralgien einhergehen. Im Kindesalter sind Berichte hierzu jedoch selten.
Parvovirus B19 Das Parvovirus B19 ist ein weit verbreitetes Virus, das im Kindesalter Ringelröteln verursacht. Neben dem klassischen rötelnartigen Ausschlag imponieren auch noch auffällig diffus gerötete Wangen. Epidemiologisch zeigt sich, dass bereits sehr früh im Kindesalter eine signifikante Durchseuchung mit Parvovirus B19 beginnt und dass im jungen Erwachsenenalter bereits 60% aller Menschen mit Parvovirus B19 infiziert waren. Im Rahmen der Akutinfektion weisen etwa 10% aller Kinder Arthralgien und etwa 5% aller Betroffenen eine zeitlich begrenzte Oligo- oder Polyarthritis auf (Naides 1993; Petty 1997; Nikkari et al. 1995, 1997; Lehmann et al. 2002, 2003). Typischerweise sind oft das periartikuläre Weichteilgewebe und auch Sehnen in den entzündlichen Prozess miteinbezogen. Im Erwachsenenalter wird bei etwa 50% der Betroffenen eine Arthralgie oder Arthritis beobachtet. Das klinische Bild kann von einer rheumatoiden Arthritis nicht unterscheidbar sein. In der Regel ist die Arthritis zeitlich auf wenige Wochen beschränkt. Der Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika hat sich bewährt. Eine sog. Basistherapie ist in der Regel nicht erforderlich. Es wird immer wieder diskutiert, ob dieses Virus eine generelle Rolle in der Auslösung von chronisch-rheumatischen Erkrankungen spielt. Bei Betroffenen sind oft niedrigtitrig Rheumafaktoren, antinukleäre Antikörper, Anticardiolipin- und Anti-Doppelstrang-DNS-Ak nachweisbar. Destruktive Gelenkveränderungen und auch kutane Rheumaknötchen sind beschrieben worden. Von besonderer Bedeutung, aber in der Pathogenese letztendlich noch nicht klar definiert, ist der durchaus häufige Nachweis von Parvovirus-B19-Genom in der Synovialflüssig-
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
keit und synovialen Membran sowohl von erwachsenen Patienten mit rheumatoider Arthritis als auch besonders von Kindern mit Morbus Still. Im Gegensatz dazu zeigen serologische Untersuchungen in größeren Kohorten von kindlichen Rheumapatienten keine erhöhte Infektionsinzidenz in den verschiedenen Subgruppen von juveniler idiopathischer Arthritis einschließlich der systemisch beginnenden JIA. Weitere Manifestation sind eine transiente aplastische Anämie oder auch Myokarditis. Assoziationen wurden beschrieben mit einer Schönlein-Hennoch-Purpura, einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura, Vaskulitiden und auch akutes Leberversagen.
Rötelnvirus Etwa Anfang der 90er Jahre wurde intensiv diskutiert, ob das Rötelnvirus nicht ein wichtiger Auslöser für die JIA und auch die rheumatoide Arthritis ist. Rötelnviruspersistenz im Synovialgewebe und auch seine Replikation in Synovialzellkulturen ist gut dokumentiert. Die Angaben zur Inzidenz einer Arthritis im Rahmen einer Rötelninfektion schwanken von 10–60% der Betroffenen. In der Regel treten Gelenksymptome etwa eine Woche nach Auftreten des Ausschlages auf. Es handelt sich dabei um eine symmetrische Polyarthritis mit Einbezug vor allem größerer Gelenke wie Knie, Sprunggelenke und Handgelenke. Die Schmerzkomponente ist in der Regel besonders ausgeprägt, eindrücklich ist eine Morgensteifigkeit. Bei den meisten Patienten klingt die Arthritis nach etwa 1–2 Wochen wieder ab. Einzelne Patienten werden jedoch eine persistierende Arthritis behalten. Es bleibt jedoch unklar, ob bei diesen Patienten eine rötelnvirusgetriggerte Erstmanifestation einer autoimmun-rheumatischen Erkrankung zu diagnostizieren ist. In der Regel wird die Diagnose aufgrund des klinischen Bildes gestellt. Eine serologische Testung ist möglich. Die Therapie ist in der Regel symptomatisch mit dem Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika. Nach Einführung der Masern-Mumps-Röteln-Impfung ist die Inzidenz von Röteln und auch von assoziierten Arthritiden deutlich zurückgegangen. Im Einzelfall wurden milde, transiente Arthritiden nach Impfungen beschrieben.
Epstein-Barr-Virus Im Rahmen einer infektiösen Mononukleose kann im Einzelfall auch eine symmetrische Polyarthritis oder Arthralgie in der Frühphase der Erkrankung auftreten. In der Regel ist das Bild symmetrisch. Aufgrund der systemischen Manifestationen, der Präsenz einer Leukopenie, Thrombozytopenie und eines gelegentlichen positiven antinukleären Antikörpertiters kann die Abgrenzung zu einem sich manifestierenden systemischen Lupus erythematodes schwierig sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass immer wieder eine Assoziation des SLE- mit dem
EBV-Virus beschrieben wurde. In der Regel sind jedoch die rheumatischen Manifestationen zeitlich begrenzt und sprechen auf nichtsteroidale Antiphlogistika gut an.
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277
6.2 · Lyme-Arthritis
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6.2
Lyme-Arthritis
H.J. Girschick, H.I. Huppertz, K. Latsch Die Lyme-Arthritis wurde zum ersten Mal 1977 beschrieben, nachdem eine lokal auf den Ort Old Lyme beschränkte »Epidemie« von Arthritis bei Kindern beobachtet worden war. Da das klinische Bild jedoch nicht für eine klassische juvenile rheumatoide Arthritis sprach, wurde schon sehr früh eine infektiöse Ätiologie und Pathogenese vermutet (Steere u. Malawista 1979). Letztendlich konnte mit der Spirochäte Borrelia burgdorferi die Ursache definiert werden (Burgdorfer et al. 1982; Steere et al. 1983).
6.2.1
Definition
Die Lyme-Borreliose ist eine inflammatorische Erkrankung, die durch die Spirochäte Borrelia burgdorferi ausgelöst wird. Klinische Beschreibungen des Krankheitsbildes in Europa gehen zurück in das späte 19. Jahrhundert, als bereits chronische Hautatrophien beschrieben wurden (Buchwald 1883). Im Jahr 1909 wurde zum ersten Mal das Erythema migrans, die frühe Hautmanifestation der Lyme-Borreliose, in Schweden beschrieben (Afzelius 1910). Über den ersten Fall einer Neuroborreliose nach einem Zeckenstich berichten 1922 Garin und Bujadoux. Bannwarth beschrieb 1941 mehrere Patienten mit lymphozytärer Meningitis und inflammatorischer Polyneuritis, die zusätzlich auch Gelenkprobleme aufwiesen. Eine erste erfolgreiche Therapie des Erythema migrans durch Penicillin wurde 1946 von Svartz beschrieben. Die Vermutung, dass es sich bei dem Erythema migrans um eine infektiöse Erkrankung handelt, wurde 1955 nach einer erfolgreichen »Übertragung« durch eine Hautbiopsie bestätigt (Binder et al. 1955). Gramnegative Borrelien werden von Zecken (Holzbock, Genus Ixodes) auf eine Vielzahl von Wirten übertragen. Die Lyme-Borreliose des Menschen manifestiert sich als eine Multisystemerkrankung der Haut oder anderer Organe wie dem Gelenk, dem Herzen, dem ZNS und der Augen.
6.2.2
Häufigkeit
In den USA wurde schon sehr früh begonnen, Fälle mit Lyme-Borreliose zentral zu erfassen. In den letzten Jahren wurden dabei etwa 15.000 Fälle pro Jahr registriert, was die Lyme-Borreliose zu einer der häufigsten vektorübertragenen Erkrankungen in den USA macht (Orloski et
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
al. 2000). In den USA gibt es eine geografische Häufung in den nordöstlichen Bundesstaaten, während dagegen im Süden und an der Westküste keine endemische Häufung besteht. In Europa wurde die Erkrankung hauptsächlich in bewaldeten Regionen Zentraleuropas und hier vor allem in Skandinavien, Deutschland, Österreich, Slowenien und Schweden beschrieben (Stanek 1985). Über die Infektion wurde auch in Russland, China und Japan berichtet. Kalkulierte Inzidenzen liegen für den US-Bundesstaat Connecticut mit 95/100.000 Einwohner vor. In Europa wurde in Slowenien eine Inzidenz bis zu 155/100.000 Einwohner, in Schweden von 69/100.000 und in einer Endemieregion in Deutschland entlang dem Main eine Inzidenz von 111/100.000 Einwohner beschrieben. Diese Inzidenzen beziehen sich jeweils auf alle Manifestationsformen der Lyme-Borreliose (Huppertz et al. 1999). Eine Lyme-Borreliose findet sich in allen Altersstufen ohne Geschlechtswendung. Besonders häufig werden Schulkinder und Erwachsene in der 4.–7. Lebensdekade infiziert. Genetische Faktoren zur Prädisposition sind für die Haut- und Neuroborreliose nicht bekannt, allerdings wurde in den USA eine gehäufte Präsenz von bestimmten HLA-DR-Molekülen bei der antibiotikaresistenten LymeArthritis beschrieben.
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6.2.3
Klassifikation
Um Patienten mit Borreliose möglichst stringent zu erfassen, wurden Falldefinitionen vom Center of Disease Control erstellt: 5 Eine Lyme-Borreliose liegt vor, wenn zum einen ein Erythema migrans von einem Arzt beobachtet wird. Diese Hautläsion breitet sich langsam zentrifugal über einen Zeitraum von Tagen bis Wochen aus und blasst im Verlauf zentral ab. 5 Zusätzlich wird mindestens eine weitere klinische Manifestation oder laborchemische Evidenz einer Infektion gefordert: Das Nervensystem kann im Rahmen einer lymphozytären Meningitis, einer Hirnnervenentzündung, einer Radikuloneuritis oder selten einer Enzephalomyelitis, jeweils allein oder in Kombination, betroffen sein. In Bezug auf eine Enzephalomyelitis wird eine isolierte intrathekale Produktion von Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi gefordert. Eine kardiovaskuläre Manifestation ist durch einen akut einsetzenden höhergradigen AV-Block charakterisiert, der sich innerhalb von Tagen bis Wochen wieder auflöst und manchmal mit einer Myokarditis verbunden ist. Das muskuloskelettale System ist durch wiederkehrende, kurze Episoden von Arthritis in einem oder wenigen Gelenken betroffen, in manchen Fällen entwickelt sich daraus eine chronische Arthritis. Laborchemisch wird zum einen die Isolation von Borrelia
burgdorferi als diagnostisch angesehen. Alternativ dazu gilt der Nachweis von Antikörpern durch einen gestaffelten Testablauf mit ELISA und einem bestätigendem Western Blot (Steere 2001). Die Lyme-Borreliose im Erwachsenenalter kann in drei klinische Stadien aufgeteilt werden, die miteinander überlappen können (. Abb. 6.7) (Steere 1989; Hengge et al. 2003). Die ersten zwei Stadien, die innerhalb weniger Wochen oder Monate nach Infektion auftreten, stellen die Frühphase der Infektion dar. Die dritte oder späte Phase tritt nach mehreren Monaten bis Jahren auf. Die frühen Manifestationsformen sind in der Regel selbst limitiert, späte Formen können chronisch oder progressiv verlaufen. Eine frühere Exposition gegenüber Borrelia burgdorferi verhindert eine Infektion nicht. Reinfektionen wurden beschrieben. In . Abb. 6.7 sind die Manifestationen einer Borreliose im Kindesalter denen im Erwachsenenalter gegenübergestellt. Prinzipiell handelt es sich im Kindesalter um die gleichen Manifestationen, dennoch folgt die Erkrankung einem etwas anderen Verlauf und sie hat auch eine etwas andere Gewichtung in Bezug auf die Symptome. Im Stadium der frühen Manifestationen bestehen im Kindesalter im Wesentlichen eine influenzaähnliche Sommergrippe, ein Erythema migrans, ein Lymphozytom oder eine lymphozytäre Meningitis mit Fazialisparese. Seltener können eine Myoperikarditis, Konjunktivitis oder auch Arthralgien im Vordergrund stehen. Beim Erwachsenen kommen hier auch schon manifeste Arthritiden und eine Meningoradikuloneuritis (Bannwarth-Syndrom) vor. Im Spätstadium sind bei Kindern eine Acrodermatitis chronica atrophicans, eine episodische oder chronische Oligoarthritis, eine Uveitis und Keratitis und jeweils selten eine Meningoradikuloneuritis, eine Enzephalomyelitis und eine Kardiomyopathie beschrieben worden (Singh u. Girschick 2004a).
6.2.4
Ätiologie
Das ätiologische Agens Borrelia burgdorferi sensu lato ist in drei Spezies eingeteilt worden, die jeweils die Borreliose des Menschen hervorrufen können: 5 Borrelia burgdorferi sensu stricto, 5 Borrelia afzelii, 5 Borrelia garinii. Alle diese drei Spezies wurden von Patienten in Europa isoliert. Borrelia burgdorferi sensu stricto kommt singulär in den USA vor. Bei Borrelien handelt es sich um Spirochäten, die eine variable Länge von 10–30 µm und einen Durchmesser der Helix von etwa 0,25 µm aufweisen (. Abb. 6.8). Unter optimalen Wachstumsbedingungen teilt sich der Erreger innerhalb von 7–20 h. Borrelia weist eine Dop-
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a
b
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. Abb. 6.7a–d. Manifestationen einer Borreliose im Kindes- und Erwachsenenalter. Die Tabelle fasst die klinischen Symptome der Borreliose bei Kindern im Vergleich zum Erwachsenen zusammen. Die Bilder a–d zeigen die typischen Manifestationen des Kindes. Das rechte Knie (d) weist einen Erguss auf, sichtbar an einer Schwellung oberhalb der Patella. (Mod. nach Singh u. Girschick 2004a).
pelmembranstruktur auf, die zwischenliegend die Flagellen einschließt. Der zentral gelegene protoplasmatische Zylinder beherbergt das lineare Chromosom und zusätzlich lineare und zirkuläre Plasmide. Die Proteine der äußeren Oberfläche (»outer surface proteins«, Osp) befinden sich auf Plasmiden. Daher hat der Erreger die Möglichkeit unter anderem eine starke antigene Variabilität durchzuführen. Unter reduzierten Kulturbedingungen kann der Erreger seine äußere Form in sog. Blebs (zystenartige Strukturen) ändern, die nach Wiederherstellung optimaler Bedingungen eine Rücktransformation erlauben. Inwieweit solche morphologischen Veränderungen mit der Pathogenese in Zusammenhang stehen, ist noch unklar. Die Tatsache, dass diese in infizierten Organen gefunden wurden, könnte darauf hinweisen, dass Borrelia burgdorferi mittels solcher Zysten persistieren könnte. Die Geißeln von Borrelien sind prinzipiell ähnlich aufgebaut wie von anderen Eubakterien. Allerdings sind diese durch die äußere Membran vor dem Kontakt mit Interzellularsubstanz geschützt,
sodass die Borrelien die Möglichkeiten haben, sich in viskösen Flüssigkeiten relativ ungehindert zu bewegen. Die Ausbreitung des Erythema migrans demonstriert eindrücklich, dass der Erreger in der Lage ist, auch solide Gewebsstrukturen zügig zu durchdringen. Das die Geißeln aufbauende Flagellin ist als 41-kD-Antigen im Western Blot nachweisbar; es ist eines der häufigsten mit anderen Eubakterien kreuzreagierenden Antigene. Die borreliale Zellmembran beherbergt u. a. die Außenproteine OspA, OspB und OspC. Auch wenn diese Osp-Proteine immunologisch und genetisch sehr variabel sind, haben sie sich als nützliche Eiweiße für die Entwicklung einer Vakzine erwiesen. Pathogenetisch geht man davon aus, dass diese Außenmembraneiweiße für die Adaptation des Erregers an unterschiedliche Kultur- und Gewebsbedingungen von großer Wichtigkeit sind. Borrelia burgdorferi persistiert im Darm vom Holzbock. Spirochäten können bereits über die Eiablage an die späteren Larven der Zecke weitergegeben werden. Diese ent-
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
. Abb. 6.8. Morphologie von Borrelia burgdorferi. Darstellung der Ultrastruktur der Spirochäte B. burgdorferi. Für die Pathogenese sind vor allem die Membranlipoproteine und die Flagellen von Bedeutung. (Mod. nach Singh u. Girschick 2004b)
wickeln sich nach dem Saugakt auf Nagern, Vögeln und Kleinsäugetieren zu Nymphen, die dann nach erneutem Saugakt als adultes Tier nun auch größere Säugetiere wie Hunde oder auch den Menschen zum Saugakt aufsuchen. Die Prävalenz einer Borrelieninfektion innerhalb der Zeckenpopulation variiert stark und ist besonders in Feuchtgebieten und Flussniederungen groß. Entsprechende endemische Verbreitungsgebiete wurden für Deutschland z. B. entlang der Flüsse Main und Donau beschrieben.
16
6.2.5
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Borreliale Pathogenesefaktoren
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Pathogenese und Pathologie
Auch wenn mit Borrelia burgdorferi der auslösende Erreger für eine Lyme-Borreliose und -Arthritis bekannt ist, bleiben doch viele Aspekte in Bezug auf die Pathogenese noch ungeklärt. Allerdings sind gerade kürzlich eine Vielzahl von neuen Aspekten, die für die Krankheitsentwicklung von Bedeutung sind, entdeckt worden. Borrelia burgdorferi unterzieht sich einer dramatischen Metamorphose, wenn es darum geht, von der Zecke auf das Säugetier überzuwechseln (. Abb. 6.9). Innerhalb des Darms von Zecken, die noch keine Blutmahlzeit genommen haben, exprimiert der Erreger das Lipoprotein OspA in großer Zahl. OspA ist für die Verankerung von Spirochäten an die Darmwand verantwortlich. Nach der Blutmahlzeit, d. h. nach Exposition mit Säugetierblut, beginnt Borrelia burgdorferi sein Oberflächenproteinrepertoire zu verändern, indem es OspA her-
unterreguliert und im Gegenzug das Molekül OspC hochreguliert. OspC scheint von Bedeutung zu sein für die Wanderung der Spirochäten aus dem Darm in die Speicheldrüsen der Zecke. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Impfungen auf der Basis von OspA ihre Wirkung gegen Borrelia burgdorferi nicht im Menschen selbst, sondern letztendlich in der Zecke entfaltet haben. Durch die Impfung generierte Anti-OspA-Antikörper waren in der Lage, borrelieninfizierte Zecken nach einer diese Antikörper enthaltenden Blutmahlzeit in Bezug auf Borrelien zu sterilisieren. Die Rolle von OspA innerhalb des Säugetierwirtes ist noch unklar. OspA-Expression erscheint im menschlichen Wirt niedrig, allerdings weist die Entstehung einer Immunität gegen OspA bei chronischer Borreliose auf eine zumindest intermittierende Expression dieses Antigens auf den Spirochäten hin. OspC zeigt eine sehr variable Expression innerhalb des Säugetiers und scheint zeit- und ortsabhängig zu sein (. Abb. 6.9). Aus der großen Familie der OspE- und OspF-Proteine, die auch als Erps bezeichnet werden, ist eine verstärkte Gen- und Proteinexpression bekannt, wenn Borrelia burgdorferi sich an die höhere Körpertemperatur anpasst. Diese Gruppe von Proteinen hat eine besondere Rolle für die Pathogenese, da sie in der Lage ist, humane Plasmafaktoren zu binden. Bekannt ist insbesondere, dass die komplementregulierenden Faktoren H und FHL-1 an die Oberfläche von Borrelia burgdorferi rekrutiert werden. In der Folge wird dann Komplement C3 gebunden, das jedoch durch den Einfluss von Faktor H und FHL-1
6.2 · Lyme-Arthritis
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. Abb. 6.9. Regulation der Genexpression von Borrelia burgdorferi beim Übertritt in den Wirt. (Mod. nach Singh u. Girschick 2004b)
in einem inaktiven Stadium verbleibt. Somit kann Borrelia burgdorferi aktiv die Komplementaktivierung im infizierten Gewebe umgehen, was entscheidend zur Komplementresistenz und einer weiter propagierten Infektion beitragen kann (. Abb. 6.9) (Singh u. Girschick 2004b). Sowohl auf genomischer als auch auf Proteinexpressionsebene haben sich Mechanismen und Strategien von antigener Variation entwickelt, die es Borrelia burgdorferi erlauben, dem Immunsystem zu entkommen. Zwischen den verschiedenen Isolaten ist eine bemerkenswerte Vielfalt in der Expression verschiedener OspC-Proteine zu erkennen. Innerhalb eines einzelnen Organismus gelingt es Borrelia burgdorferi z. B. im Vls-Genlocus durch genetische Rekombination von Plasmid-Genbestandteilen eine Vielzahl von verschiedenen Außenmembranlipoproteinen (VlsE) zu generieren. Gerade die besonders variablen Regionen werden auf der am weitesten außen liegenden Eiweißdomäne gefunden. Produziert nun der Wirt Antikörper gegen dieses Protein, dann gelingt es Borrelia burgdorferi durch eine neue Genrekombination das Epitop zu verändern, und somit läuft die immunologische Antwort des Wirtes buchstäblich ins Leere. Einen weiteren Pathogenesemechanismus stellt die Fähigkeit von Borrelia burgdorferi dar, mittels Bakteriophagen Genplasmide untereinander auszutauschen. Ein solcher Genaustausch könnte den Spirochäten die Fähigkeit geben, effektiv und schnell auf neue Umweltbedingungen und Selektionsdrücke zu reagieren (Singh u. Girschick 2004b).
Einen zusätzlichen Pathogenesemechanismus repräsentieren molekulare Veränderungen von Genen, die Außenmembranproteine kodieren, hier ist vor allem das Gen OspC von Bedeutung. Eine Diversifizierung in diesen Genen kann durch eine Vielzahl von Mechanismen einschließlich einer immunologischen Selektion, einem Gentransfer, einer intragenomischen Genrekombination und durch Umweltfaktoren ausgelöst werden. Da insbesondere OspC in der Borrelie innerhalb des menschlichen Organismus stark exprimiert wird, scheint hier eine besondere Interaktion mit dem Wirt zu bestehen. Eine weitere Gengruppe, die komplementregulatoraquirierenden Oberflächeneiweiße (CRASPs1–5), sind ebenso wie OspE-Eiweiße von besonderer Bedeutung, komplementregulierende Eiweiße des Menschen an die Oberfläche zu binden. Da die komplementmediierte Zelllyse nicht nur im Darm der Zecke, sondern auch in den folgenden Schritten der Übertragung der Spirochäte in den Wirt von besonderer Bedeutung ist, besitzt Borrelia burgdorferi hier einen effektiven Schutzmechanismus. Es hat sich gezeigt, dass Borrelia burgdorferi sehr sensitiv auf Veränderungen in der Umgebungstemperatur, im pH- und im Ernährungsstatus reagiert und eine Vielzahl von Genen in ihrer Expression verändert. Diese Veränderungen führen sogar dazu, dass die äußere Morphologie von Borrelia burgdorferi verändert wird. Wie oben erwähnt, entstehen z. B. unter deprivierenden Bedingungen sog. Zysten oder Blebs, die Borrelien-DNA enthalten und als Persistenzmechanismus angesehen werden. Diese Vielzahl von Adaptationsmechanismen ermöglicht
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
es dem Erreger von dem Niedertemperaturwirt Zecke zu dem Hochtemperaturwirt Mensch überzugehen. Innerhalb des Menschen werden Borrelien häufig in sog. bradytrophen Geweben wie Sehnen gefunden, die es Borrelia burgdorferi ermöglichen könnten, sich vor der Attacke des menschlichen Immunsystems zu verstecken. Neben den bisher geschilderten, primär auf den Erreger bezogenen Adaptationsvorgängen scheint die Rolle der Gewebslokalisation von Borrelia burgdorferi für das Überleben und die effektive »Flucht« vor dem Immunsystem von großer Bedeutung. Die Persistenz von Borrelia burgdorferi in bradytrophen Geweben, in tiefen Invaginationen auf der Oberfläche von Endothelzellen oder sogar der Nachweis einer zytosolischen Persistenz in gewebsständigen Zellen könnte zu einer Antibiotikaresistenz und zu einer unzureichenden Auseinandersetzung mit dem Immunsystem führen. Über eine intrazelluläre Persistenz in Makrophagen wurde berichtet. Diese sind nicht in der Lage, die Spirochäten komplett abzutöten. Auch wenn die experimentelle Evidenz eine intrazelluläre Persistenz des Erregers nahe legt, sind Berichte über ähnliche Phänomene im Patienten und in humanen Geweben sehr selten. Allerdings ist hier anzuführen, dass eine molekulare Detektion von Borrelia burgdorferi DNA in synovialer Flüssigkeit oder Gewebe durchaus sehr häufig positiv ist, sodass eine Erregerpersistenz zumindest in der Form von DNA möglich scheint. Im Wesentlichen scheint Borrelia burgdorferi jedoch extrazellulär vor allem in brady-
trophen Geweben zu persistieren, auch wenn eine niedrige Erregerdichte in intrazellulärer Lokalisation durchaus einen möglichen entscheidenden Pathogenesefaktor für die Persistenz und Entwicklung einer chronischen Borreliose darstellen könnte (Singh u. Girschick 2004b; Girschick et al. 1996, 1999).
Reaktionen des Wirtes auf die Infektion mit Borrelia burgdorferi Ein Zeckenstich kann zu einer lokalen, vaskulären Reaktion mit vermehrter Durchblutung und Aktivierung des nativen und später auch des adaptiven Immunsystems führen (. Abb. 6.10). Im Zeckenspeichel befinden sich eine Vielzahl von Substanzen, die teilweise gerinnungshemmend und teilweise antiinflammatorisch wirken. Dies hat zum Ziel, dass für die Zeit der Blutmahlzeit der Zecke ein flüssiger Blutsee zur Verfügung steht und dass durch die Anästhesie eine frühzeitige Entfernung der Zecke durch den Wirt verhindert werden soll. Dennoch beginnt der Wirt aufgrund von Gewebszerstörung und der lokalen Freisetzung von Chemokinen, Zellen der angeborenen Immunreaktion wie Granulozyten, Monozyten an den Ort des Geschehens zu verlagern, zusätzlich beginnt eine Komplementaktivierung (. Abb. 6.10). Antigenpräsentierende Zellen, z. B. dendritische Zellen, beginnen Borrelia burgdorferi zu phagozytieren und entsprechende Peptidsequenzen an T-Helfer-Lymphozyten zu präsentieren (. Abb. 6.11). Damit stellen die den-
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. Abb. 6.10. Immunologische Abwehr von Borrelia burgdorferi beim Übertritt in den Wirt. Ein Zeckenstich kann zu einer lokalen vaskulären Reaktion mit vermehrter Durchblutung und Aktivierung des angeborenen Immunsystems führen. Gleichzeitig werden sowohl die zellulären Effektoren der innaten und adaptiven Immunreaktion durch borreliale Bestandteile über „toll-like receptors“ stimuliert. Schließ-
lich werden T- und B-Zellen spezifisch durch die Verarbeitung und Präsentation von Borreliaantigen stimuliert. Dies kann zu einer soliden Immunantwort gegen den Erreger führen. (Mod. nach Singh u. Girschick 2003)
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6.2 · Lyme-Arthritis
. Abb. 6.11a–c. Interaktion von Borrelia burgdorferi mit gelenkständigen Synovialzellen und Effektorzellen des Immunsystems des Wirts. Eine Vielzahl von direkten Interaktionen von B. burgdorferi mit Synovialzellen, Monozyten (a; MAC), dendritischen Zellen (b; DC), T- und B-Zellen sind bekannt. Diese werden über „unspezifische“ innate Antigenrezeptoren („toll-like receptors“, TLR) oder „spezifische“ adaptive Rezeptoren (TZR, BZR) vermittelt. B. burgdorferi ist in der Lage, die Kommunikation der immunologischen Effektoren untereinander zu beeinflussen. Eine intrazellulare Persistenz des Erregers in Synovialzellen konnte nachgewiesen werden (c)
dritischen Zellen einen Übergang zur adaptiven Immunreaktion dar. Je länger die Erkrankung besteht, desto häufiger können borreliareaktive T-Lymphozyten gefunden werden. Spirochätenspezifische T-Zellen scheinen jedoch nicht nur für die Protektion, sondern auch für die Entwicklung einer destruktiven Lyme-Arthritis von Bedeutung zu sein. Die Präsenz von CD8-positiven T-Zellen ist mit einer Ausheilung der Lyme-Borreliose assoziiert worden (Busch et al. 1996). In den initialen Phasen der Erkrankung ist die humorale Immunantwort gegen Borrelia burgdorferi noch begrenzt. Erst in den Spätstadien, bei welchen evtl. schon eine jahrelange Exposition gegenüber dem Erreger besteht, findet sich eine robuste Antikörperantwort, die eine Vielzahl von spirochätalen Antigenen erkennen kann (Dressler et al. 1993). Trotz dieser gerade in den Spätstadien sehr ausgeprägten T- und B-Zell-Antwort besteht die Erkrankung dennoch, sodass gerade diese überschießende Immunantwort mit der Pathogenese verbunden sein könnte.
Borrelia burgdorferi scheint in der Lage, lokale gewebsständige Zellen des Wirtes zu manipulieren. Eine Modulation der Expression von Zelladhäsionsmolekülen und eine Steigerung der Expression von Metalloproteinasen erleichtert es dem Erreger sich in dem menschlichen Gewebe auszubreiten. Seine Penetrationsfähigkeit von verschiedenen Gewebstypen ermöglicht den Zugang zum Blut- und Lymphgefäßsystem und erleichtert somit die Ausbreitung in den gesamten Körper des Wirtes (Singh u. Girschick 2004a).
Entwicklung von Autoimmunität Eine mögliche Erklärung für die Entstehung von antibiotikaresistenten Lyme-Arthritiden ist durch die Entwicklung von Autoimmunität gegeben, die direkt oder indirekt vom Erreger mit verursacht wird und auf einem molekularen Mimikry basiert. Ein erster Hinweis dafür war der gehäufte Nachweis von HLA-DR4-Molekülen bei erwachsenen Patienten mit Lyme-Arthritis (Kalish et al. 1993). . Abb. 6.12. Antigenes Mimikriszenario im Gelenk eines Lyme-Arthritis-Patienten. (Als Übersicht bearbeitet in Singh u. Girschick 2004a)
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass synoviale Fibroblasten, die Borrelia burgdorferi intrazellulär »in vitro« beheimaten, MHC-Klasse-I- und MCH-Klasse-II-Moleküle exprimieren können. Vor einigen Jahren wurde experimentelle Evidenz präsentiert, die das Molekül LFA-Ia als kreuzreagierendes Eigenantigen von dem Außenmembranprotein OspA bei einem Patienten mit chronischer Lyme-Arthritis definieren konnte (Gross et al. 1998). Bei diesem Patienten konnten T-Helfer-Zellen nachgewiesen werden, die eine duale Spezifität sowohl gegen OspA als auch LFA-Ia hatten (. Abb. 6.12) (Gross et al. 2001).
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6.2.6
Klinische Symptome
Nach dem Erythema migrans ist die Lyme-Arthritis die häufigste Manifestation im Kindesalter. Eine Arthralgie oder Myalgie kann bereits innerhalb weniger Tage bis Wochen nach einer Infektion auftreten. Die eigentliche Arthritis jedoch tritt typischerweise Monate bis Jahre nach der Infektion auf. Betroffen sind vor allem große Gelenke wie das Knie in etwa 2 Dritteln der Fälle. Ein polyartikuläres Muster, das vor allem auch kleine Gelenke mit einschließt, ist sehr selten. Bei Erstmanifestation weist die Arthritis typischerweise einen episodischen Verlauf auf, diese Episoden dauern nur wenige Tage an und die Symptome verschwinden ohne Therapie. Bei Wiederauftreten von Episoden können diese prolongiert verlaufen und auch chronifizieren (etwa ein Fünftel der betroffenen Patienten) (Huppertz et al. 1995). Auch wenn in einer großen Kohorte die Art der oligoartikulären Inflammation different erschien im Vergleich zur juvenilen idiopathischen Arthritis, ist im Alltag die Unterscheidung rein aufgrund der klinischen Gelenkmanifestation schwierig (Huppertz et al. 1998). Daher erfordert die letztendliche Diagnosestellung weitere Kriterien zusätzlich zu den klinischen Symptomen. Diese basieren im Wesentlichen auf der Durchführung von Laboruntersuchungen.
18 6.2.7
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Diagnose
Eine detaillierte Anamneseerhebung kann bereits hinweisend sein, wenn von einem Zeckenstich vor Monaten oder Jahren und oder einem Erythema migrans berichtet wird. Allerdings zeigte sich in großen Kohorten, dass dieses Kriterium bei einer Vielzahl von Patienten nicht greift. In der Regel basiert die Diagnosestellung auf der Erkennung der charakteristischen klinischen Symptome und von Laborparametern. Prinzipiell ist für die Diagnose einer infektiösen Erkrankung die Isolation des ursächlichen Agens der Goldstandard. Allerdings ist die Kultur von Borrelia burgdorferi aus verschiedenen Gewebsflüssigkeiten oder Pro-
ben schwierig. Positive Kulturen konnten im Allgemeinen nur in der Frühphase der Erkrankung z. B. aus Hautbiopsien eines Erythema migrans oder weniger häufig von Blutkulturen isoliert werden. Gelegentlich werden positive Kulturisolate von Patienten mit akuter Meningitis oder Fazialisparese berichtet. In späteren Stadien der Erkrankung ist der genomische DNA-Nachweis (Polymerasekettenreaktion) den Kulturansätzen in Bezug auf die Detektion von Borrelia burgdorferi deutlich überlegen. Detaillierte Analysen liegen hier für Synovialflüssigkeit und Synovialgewebsbiopsien vor (Nocton et al. 1994). In der Regel werden jedoch indirekte Tests verwendet, um eine Infektion zu definieren. Es handelt sich dabei in der Regel um den serologischen Nachweis von Antikörpern der IgM- und IgG-Klasse im Serum. Es werden ELISA (enzym-linked immuno sorbent assay), indirekte Immunfloreszenztests und der Western Blot verwendet (Wilske u. Preac-Mursic 1993). Bei den meisten Patienten zeigt sich eine Abhängigkeit der serologischen Tests von der Dauer der Erkrankung und der klinischen Manifestation. In frühen Stadien zeigen weniger als 50% der Patienten nachweisbare Antikörper, die im Wesentlichen vom IgM-Typ sind. In späten Stadien steigt die Seropositivität auf 70–90% an, ein Shift von IgM zu IgG kann dann nachgewiesen werden. ! In der Regel wird als erstes ein ELISA-Test für IgG und IgM durchgeführt. Zeigt dieser ein positives Ergebnis, wird ein Bestätigungs-Western-Blot angeschlossen. Dies stellt derzeit die internationale Empfehlung zur Durchführung der Diagnostik dar (Dressler et al. 1993; Steere 2001).
In den letzten Jahren werden vermehrt rekombinante Antigene für die Testung im ELISA und Western Blot verwendet, die in verschiedenen Kohorten eine bessere Testcharakteristik gegenüber Ganzzelllysaten von Borrelia burgdorferi aufweisen (Lahdenne et al. 2003). In Europa tragen drei verschiedene Stämme von Borrelia burgdorferi zu den klinischen Erkrankungen bei, sodass eine Standardisierung der Serodiagnostik europaweit bisher nicht möglich war. Definitive Interpretationskriterien für eine einheitliche Diagnose konnten so in Europa bisher nicht gefunden werden (Robertson et al. 2000). Eine zügige Antibiotikatherapie in der Frühphase der Erkrankung kann die humorale Immunantwort abschwächen. Eine späte oder sogar negative Serokonversion kann nach frühzeitiger Antibiotikatherapie auftreten. Daher ist es zu erwägen, negative Tests bei eindeutig vermuteter Klinik im Verlauf von etwa 4–6 Wochen zu wiederholen. In der Regel jedoch ist die Frühborreliose eine klinische Diagnose. Bei den Spätformen der chronischen Erkrankung sind in der Regel die IgG-Antikörper-Titer sehr hoch und können dies für mehrere Jahre bleiben, auch wenn eine erfolgreiche antibiotische Therapie durchgeführt wurde. Nur eine geringe Zahl von Patienten bleibt
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6.2 · Lyme-Arthritis
in dieser späten Erkrankungsgruppe serologisch negativ (Willske et al. 1999). Hier kann evtl. ein — allerdings nicht standardisierter — T-Zell-basierter Testassay hilfreich sein. Eine mögliche Ursache für diese Seronegativität ist das Auftreten von Immunkomplexen von Borreliaantigen und borreliasspezifischen Antikörpern. Seronegative Patienten bleiben diagnostisch eine besondere Herausforderung. In dieser Situation sollten insbesondere eine Überweisung in ein spezialisiertes Zentrum und weitere differenzialdiagnostische Erwägungen angestrebt werden. Ein positiver serologischer Test für IgG gegen Borrelia burgdorferi kann nicht unterscheiden, ob es sich um eine späte Form der Infektion handelt, die noch aktiv ist, oder ob es sich um eine frühere Infektion handelt, die auf eine antibiotische Therapie angesprochen hat. Auch nach erfolgreicher antibiotischer Therapie bleiben serologische Teste in der Regel über Jahre positiv, sodass die Serologie nicht zum Therapiemonitoring herangezogen werden kann. Eine zytologische Analyse der Synovialflüssigkeit eines Betroffenen ist von limitierter Bedeutung, da das mononukleäre Zellbild nicht von einer rheumatischen Erkrankung unterscheidbar ist. Dennoch kann synoviale Flüssigkeit im Kindesalter für eine Polymerasekettenreaktion herangezogen werden. Es hat sich gezeigt, dass synoviale Gewebsbiopsien eine höhere Nachweiswahrscheinlichkeit als die synoviale Flüssigkeit ergeben (Priem et al. 1998).
6.2.8
Therapie
Die meisten Patienten, die aufgrund einer Lyme-Borreliose therapiert werden, haben eine exzellente Prognose, besonders im Kindesalter. Eine Arthritis wird sicherlich in der Regel symptomatisch mit nichtsteroidalen Antiphlogistika behandelt werden. Zusätzlich wird eine physikalische Therapie helfen, die Folgen von Arthritis, wie eine Beweglichkeitseinschränkung abzumildern. Die derzeitigen Empfehlungen zur Therapie der Lyme-Arthritis im Kindesalter basieren auf wenigen Studien (Gerber et al. 1995; Huppertz et al. 1995). In Europa wird bei Kindern unter 10 Jahren in der Regel eine intravenöse antibiotische Therapie mit entweder Ceftriaxon, Cefotaxim oder Penicillin G empfohlen (s. unten, »Therapieleitlinien«). Sollte das Kind älter als 10 Jahre sein, kann alternativ eine orale antibiotische Therapie mit Amoxicillin oder Doxycyclin für die Dauer von 30 Tagen durchgeführt werden. Bei fehlendem oder unzureichendem Ansprechen auf einen ersten antibiotischen Therapiezyklus wird eine Wiederholung der antibiotischen Therapie mit den unten aufgeführten Medikamenten empfohlen. Sollte die Arthritis weiter persistieren, dann kann eine intraartikuläre Steroidapplikation oder eine sog. entzündungshemmende Basistherapie, z. B. mit Methotrexat, erwogen werden (Dressler et al. 2005). Bei einer Allergie gegen die genannten Me-
dikamente sollte die Therapie mit auf Borreliose spezialisierten Ärzten und Mikrobiologen abgestimmt werden. Insgesamt gesehen sind die beschriebenen Therapiestrategien im klinischen Alltag durchaus erfolgreich. Allerdings basieren die Empfehlungen auf Fallkontrollstudien (Evidenzgrade IIa bis III), kontrollierte Doppelblindstudien fehlen. Therapieleitlinien 5 5 5 5
Symptomatische Therapie Physikalische Therapie Nichtsteroidale antiinflammatorische Therapie
Kausale Therapie (Evidenzgrad IIa bis III) – Intravenös appl. Antibiotika (empfohlene Dauer 14 Tage): Ceftriaxon 50 mg/kg/Tag als ED (maximale Dosis 2 g/Tag) Cefotaxim 200 mg/kg/Tag in 3 Einzeldosen Penicillin G 0,2–0,4 Mio. IE/kg/Tag in 4–6 ED – Oral appl. Antibiotika (empfohlene Dauer 30 Tage): Amoxicillin 50 mg/kg/Tag in 3 ED Doxyzyklin 200 mg/Tag bei Patienten über 10 Jahre
Aus der Literatur ist keine eindeutige Bevorzugung eines i.v.-antibiotischen Konzeptes vor einer oralen Therapie und umgekehrt abzulesen. Vergleichende Studien liegen nicht vor. Für Ceftriaxon spricht die lange Halbwertszeit und die damit verbundene einmalige Gabe pro Tag. Allerdings sind hier Probleme mit der Gallensekretion beschrieben worden. Cefotaxim und Penicillin haben den Nachteil der häufigen Anwendung, bei allerdings guter Verträglichkeit. Die orale 30-tägige antibiotische Therapie ist häufiger mit gastrointestinalen Beschwerden vergesellschaftet, sie kann aber einen stationären Aufenthalt vermeiden oder verkürzen helfen. Doxyzyklin wird vor dem 8. Lebensjahr aufgrund einer permanenten gelben Zahnverfärbung praktisch nicht eingesetzt, daher haben wir eine Empfehlung ab dem 10. Lebensjahr ausgesprochen. Doxyzyklin hat den Vorteil intrazellulär lokalisierte Erreger zu erfassen, was alle anderen genannten Substanzen nicht vermögen. Bei fehlendem/unzureichendem Ansprechen sollte eine Wiederholung der antibiotischen Therapie durchgeführt werden. Bei weiter persistierender Arthritis können eine intraartikuläre Steroidtherapie oder eine Basistherapie, z. B. mit Methotrexat, erwogen werden (nach Dressler et al. 2005).
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Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
6.2.9
Prävention
Eine Lyme-Arthritis kann effektiv vermieden werden, wenn Kinder und der erholungssuchende Erwachsene in der Natur buschige Areale oder langes Wiesengras meiden. Die bevorzugte Kleidung stellt helle Kleidung mit langen Ärmeln dar, die im Bereich der Knöchel oder Handgelenke einen Bund aufweisen. Das Tragen heller Socken, in welche die Hosenbeine gesteckt werden, ist ebenfalls hilfreich, die Zeckenwanderung zu unterdrücken. Im Gehölz und im Wald sollte ein Hut oder eine Kappe getragen werden. Als effektiv für die Insektenabwehr haben sich abweisende chemische Substanzen ergeben, die jedoch sehr häufig erneut appliziert werden müssen und im Kindesalter mit neurologischen Komplikationen verbunden sein können. Permethrin hat sich als ein sehr effektives, für den Menschen unschädliches Insektizid erwiesen. Die meisten Studien haben gezeigt, dass Borrelia burgdorferi erst nach einer Saugdauer von 12–48 h nach dem Zeckenstich von der infizierten Zecke auf den Menschen übergeht. Daher sollten anhaftende Zecken mit Zuhilfenahme einer Pinzette zügig entfernt werden. Die Applikation von Ölen, Klebstoff oder ähnlichen Substanzen sollte vermieden werden. Sollten Anteile des Kopfes am Stichort nach Zeckenentfernung verblieben sein, dann besteht in der Regel keine Notwendigkeit, diese durch zusätzliche Versuche zu entfernen, da andernfalls eine Superinfektion drohen könnte. Bisher wurden aus verschiedenen Impfkonzepten zwei Impfstoffe zur Marktreife gebracht, die auf dem rekombinanten Außenhüllenprotein OspA basieren. Es gibt Hinweise, dass die Wirkung dieser OspA-basierten Vakzine darauf beruht, dass Anti-OspA-Antikörper bei der Blutmahlzeit in die Zecke übertreten und diese in der Folge dadurch in Bezug auf Spirochäten »sterilisiert« wird. Aufgrund von Marketingproblemen stehen jedoch beide Vakzine nicht mehr zur Verfügung. Beide Impfpräparationen haben in etwa eine Effektivität von 80–90% in der Vermeidung einer Lyme-Borreliose gezeigt.
6.2.10 Prognose Auch wenn eine Lyme-Arthritis nicht mit Antibiotika therapiert wird, hat sie dennoch in der Regel eine gute Prognose (Dressler et al. 2005): Von 46 an Lyme-Arthritis erkrankten Kindern, die innerhalb der ersten 4 Jahre nach Zeckenstich keine Antibiotikatherapie erhalten hatten, waren 10 nach diesen 4 Jahren noch an durchschnittlich 2 Arthritisepisoden pro Jahr erkrankt. 10 Jahre später wies kein Kind mehr eine Arthritis auf, allerdings hatten 12 immer noch gelegentliche Gelenkbeschwerden angegeben. Weitere Studien haben gezeigt, dass etwa 20% deutscher Kinder, die an einer Lyme-Arthritis erkrankten und eine Antibiotikatherapie erhielten, nach einem Jahr weiterhin
eine Arthritis oder persistierende Arthralgien aufwiesen (Bentas et al. 2000). In der Regel findet sich bei einer Lyme-Arthritis keine schwerwiegende Gewebszerstörung von Knorpel- oder Knochenstrukturen, des Weiteren ist die Synovial-Proliferation als moderat einzuschätzen. Dennoch wird es im klinischen Alltag immer wieder einzelne Patienten geben, die zum einen die diagnostischen Kriterien für eine LymeArthritis erfüllen und zum anderen eine Chronifizierung der Arthritis erfahren haben, die letztendlich mit Funktionsbeeinträchtigung des Gelenks einhergeht. Inwieweit diese etwa 10% der Patienten letztendlich eine rheumatische Erkrankung aufweisen, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Therapiestrategien entsprechen in der Regel dann denen von der juvenilen idiopathischen Arthritis. Die Prognose kann im Einzelfall also nicht so günstig sein. Im Erwachsenenalter wurde eine schlechtere Prognose mit dem Vorhandensein von bestimmten HLAMolekülen wie DR2 oder DR4 assoziiert, die auch mit der rheumatoiden Arthritis des Erwachsenen assoziiert sind.
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287
6.3 · Rheumatisches Fieber
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6.3
Rheumatisches Fieber
U. Neudorf
6.3.1
Definition
Das akute rheumatische Fieber (ARF) ist ein inflammatorischer Prozeß, der Gewebe in verschiedenen Organsystemen betreffen kann. Es handelt sich dabei um einen gut charakterisierten immunologischen Vorgang nach durchgemachter Infektion, meist als Tonsillopharyngitis, mit β-hämolysierenden Steptokokken der Lancefield-Gruppe A. Diese Folgekrankheit manifestiert sich mit einer Latenz von 2–3 Wochen nach der eigentlichen bakteriellen Infektion. In diesem Intervall ist der Patient asymptomatisch. Die Diagnostik basiert auf den modifizierten JonesKriterien. Dabei entsprechen die Hauptkriterien dem klinischen Erscheinungsbild: Karditis, Arthritis, Chorea minor, Erytherma marginatum und subkutane Knötchen (Ayoub 2001; Keitzer 2005). ! Das rheumatische Fieber ist eine immunologisch vermittelte Folgeerkrankung von Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A.
6.3.2
Häufigkeit
Das ARF war weltweit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gleichmäßig verbreitet und trug auch in Europa erheblich zu Morbidität und Mortalität im Kindes- und Jugendalter bei. Im Rahmen der fortschreitenden Industrialisierung und Verbesserung der Lebensbedingungen, Hygiene und Verfügbarkeit von Antibiotika ist die Inzidenz erheblich zurückgegangen. Waren es früher 100–200/100.000 Neuerkrankungen, so sind es jetzt 0,5–3/100.000 (Griffiths u. Gerson 1990). Unabhängig kann es trotzdem situativ und lokalisiert zu deutlich höheren Zahlen kommen, wie dies aus den USA bekannt ist (Veasy et al. 1994; Zangwill et al. 1991) In den Entwicklungsländern ist die Häufigkeit unverändert hoch. Berichtet wird dies aus Indien und Sri Lanka. Bestimmte Volkszugehörigkeiten scheinen eine höhere Inzidenz mit sich zu bringen. Dies ist beispielsweise bei den Maoris auf Neuseeland der Fall. Die Altersgruppe zwischen 5 und 15 Jahren ist am häufigsten betroffen. Unter 5-jährige sind aber nicht ausgenommen, sodass 5% der Betroffenen so jung sein können (Tani et al. 2003).
6.3.3
Klassifikation
Eine Klassifikation der Krankheit existiert nicht. Für das ARF gelten die diagnostisch angewandten Jones-Kriterien. Bezüglich der Streptokokkenfolgeerkrankungen werden noch mehrere Manifestationsvarianten beschrieben: post-
6
288
Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A „Rheumatogener“ Stamm Serotypen M 3, M 18
1 2
Gefährdeter Mensch Positiv für HLA 4,2,1,3,7 DRB1*16 Allele D8/17
3 4 5
Immunologische Reaktion Kreuzreagierende Antikörper Zellvermittelte immunologische Reaktion
6 7 8
Inflammation von Gewebe und Organen: Herz, Gelenke, ZNS, Bindegewebe . Abb. 6.13. Pathogenese des ARF
9 10 11
streptokokkenreaktive Arthritis, Poststreptokokkenglomerulonephritis, Erythema nodosum, streptokokkeninduzierte akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM), »pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections« (PANDA).
12 13 14 15 16 17
6.3.4
Ätiologie
Das rheumatische Fieber ist als »Komplikation« einer Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A anzusehen. Dabei scheint das Zusammenspiel einer bestimmten Keimstruktur mit der genetischen Prädisposition des Menschen wichtig zu sein. Meist wird nur der Infekt der oberen Atemwege durch Streptokokken als Auslöser angeschuldigt, nicht z. B. Infektionen der Haut (Guidelines). Es wird davon ausgegangen, dass weniger als 2–3% vorher gesunder Menschen nach Steptokokkeninfekt ein ARF entwickeln.
18 6.3.5
19 20 21 22 23
Pathogenese und Pathologie
Die β-hämolysierenden Streptokokken werden nach Lancefield in 20 Serogruppen (A–H und K–V) eingeteilt. Als Kriterium werden dabei die immunologischen Eigenschaften der Zellwand und deren Polysaccharide benutzt. Das ARF gilt dabei als ein typisches Beispiel einer immunologischen Kreuzreaktivität, wobei im Rahmen der Immunantwort auf Streptokokkenantigene eine Kreuzreaktion mit körpereigenem Gewebe erfolgt. Dabei scheint das M-Protein von besonderer Bedeutung zu sein und die Immunantwort auszulösen. So wird die Herzbeteiligung als Folge von kreuzreagierenden Antikörpern zwischen M-
Protein und Herzmuskel (Myosin, Aktin, Keratin etc.) angesehen. Zusätzlich gibt es eine genetische Dispositon. Bestimmte HLA-Merkmale, DRB1*16, DR3, DR4, DR7 und D8/17, scheinen begünstigend zu sein (. Abb. 6.13) Die Gewebsschädigung ist nicht Ausdruck einer direkten zytopathischen Wirkung des Bakteriums, sondern ein immunvermittelter Prozess. Kreuzreagierende Antikörper führen zu einem inflammatorischen Vorgang am Herzen, in Gelenken und am Gehirn. Dies entspricht dem Bild einer Vaskulitis. Es kommt zu einer Proliferation von Endothelzellen, woraufhin sich eine Valvulitis oder Perikarditis entwickelt. Im Verlauf kommt es dann an den Klappen zur Abheilung mit Bildung von Narbengewebe (Fibrose) und Verkalkungen und damit zu den üblichen Herzklappenfehlern. ! Das akute rheumatische Fieber entsteht als Folge eines Infektes der oberen Luftwege mit Streptokokken der Gruppe A durch eine immunologische Kreuzreaktion der Antikörper gegen Streptokokkenbestandteile und gegen humane Antigene. Eine genetische Prädispositon ist anzunehmen.
6.3.6
Klinische Symptome
Die Arthritis ist mit 70% das häufigste klinische Symptom. Primär sind dabei große Gelenke (Knie, Ellbogen) involviert, wobei in bis zu 25% der Fälle auch Finger-, Zehen- und Zwischenwirbelgelenke betroffen sind. Die Arthritis wird dabei als migratorisch und additiv beschrieben. Es bestehen typische klinische Entzündungszeichen mit Rötung, Schwellung, Überwärmung und Berührungsempfindlichkeit. Charakteristisch ist, dass die Beschwerden nach wenigen Stunden verschwinden und an einer anderen Stelle wieder auftauchen können. Die Arthritis ist nicht destruktiv, nach ca. 4 Wochen ist sie meist spontan rückläufig und spricht typischerweise gut auf nichtsteroidale Antirheumatika an. Eine kardiale Beteiligung ist bei etwa der Hälfte der Patienten zu diagnostizieren. Die Karditis ist der wichtigste Faktor für Morbidität, Mortalität und damit Prognose. Es können alle Gewebsschichten des Herzens betroffen werden, das Endo-, Myo- und Perikard (. Abb. 6.14 und 6.15). Die Myokarditis ist Teil der initialen Manifestation und kann mit Zeichen der Herzinsuffizienz (ca. 5%) oder Rhythmusstörungen einhergehen (AV-Block, andere Rhythmusstörungen und Verlängerung des PR-Intervalls). Die Endokarditis bedeutet vor allem eine Valvulitis der Aorten- und Mitralklappe. Typisch ist dafür zu allererst ein neues Herzgeräusch, dass in der Regel Ausdruck einer Mitralinsuffizienz sein wird, die allein in etwa 65% der Fälle auftritt. Die Aorteninsuffizienz ist oft so gering ausgeprägt, dass sie auskultatorisch nicht wahrzunehmen ist. Insgesamt ist in 94%
6.3 · Rheumatisches Fieber
289
. Abb. 6.14. Moderate Mitralinsuffizienz (Pfeil) bei rheumatischem Fieber. Der Rückfluss aus dem linken Ventrikel (LV) in das linke Atrium (LA) wird blau kodiert
. Abb. 6.15. Deutlicher Perikarderguss (Pfeil) in Diastole im M-Mode
die Mitral- und/oder Aortenklappe betroffen. Im weiteren Verlauf kann es durch Fibrinauflagerungern auf der Klappe zur sog. Endocarditis verrucosa rheumatica kommen. Die weitere Entwicklung beinhaltet durch Fibrose und Verkalkung eine zunehmende Stenosierung der Klappen, sodass operative Maßnahmen erforderlich werden können. Die Chorea minor oder Chorea Sydenham bedeutet die inflammatorische Mitbeteiligung der Basalganglien und betrifft etwa 15% der Patienten. Das Intervall zwischen dem initialen Streptokokkeninfekt und der klinischen Manifestation ist hier besonders lang und beträgt in der Regel 2–4 Monate, kann aber auch in Einzelfällen 12 Monate sein. Typisch sind die unwillkürlichen, einschießenden, schraubenden und unkoordinierten Bewegungen. Im Schlaf verschwinden die Symptome. Innere Unruhe und emotionale Labilität liegen vor. Die Sympto-
matik verschwindet in der Regel nach 2–3 Wochen, sie kann aber auch Monate bis Jahre bleiben. Als Hauterscheinung ist das Erythema marginatum typisch, tritt aber nur in etwa 5% der Patienten auf. Es ist ein flüchtiges girlandenartiges Exanthem, das vorwiegend den Stamm betrifft. Subkutane Knötchen sind eine Rarität. Sie treten präferenziell an den Streckseiten von Gelenken wie Ellbogen und Knie, sowie im Bereich von Sehnenscheiden oder Periost auf. Die Größe ist 0,5–2 cm, und sie erinnern an pseudorheumatische Knötchen. ! Die klinischen Manifestationen des rheumatischen Fiebers sind Arthritis, Karditis, Chorea minor (SydenhamChorea), Erythema marginatum und subkutane Knötchen.
6
290
1 2 3 4 5
Kapitel 6 · Reaktive und parainfektiöse Arthritiden
Hauptkriterien
Nebenkriterien
Karditis Polyarthritis Chorea Erythema marginatum Subkutane Knötchen
Fieber Arthralgien BSG- und CRP-Erhöhung Verlängertes PR-Intervall
Die Diagnose kann gestellt werden, wenn 2 Hauptkriterien oder 1 Hauptkriterium und 2 Nebenkriterien erfüllt sind. Voraussetzung: Hinweise auf eine Infektion mit Streptokokken der Gruppe A durch: positiven Rachenabstrich, Streptokokkenantikörper-Erhöhung oder Anstieg im Verlauf
. Abb. 6.16. Die Jones-Kriterien von 1992
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
6.3.7
Diagnose
Die Diagnose im Rahmen der initialen Manifestation folgt den seit 1944 bekannten und zuletzt 1992 revidierten Jones-Kriterien (. Abb. 6.16). Die Hauptkriterien sind dabei klinische Kriterien. In Ausnahmefällen kann das ARF auch diagnostiziert werden, wenn die Jones-Kriterien nicht erfüllt sind. Die Chorea bedarf keiner weiteren Kriterien, wenn nicht andere Ursachen die Symptome erklären. Auszuschließen sind dabei systemischer Lupus erythematodes, Morbus Wilson, Chorea Huntington, Tics, Konversionsreaktionen, Medikamenteneffekte. Die Rezidivdiagnose ist möglich mit einem Hauptkriterium oder mehreren Nebenkriterien. Obwohl die Karditis praktisch meist die wichtigste Manifestation ist, hat die Echokardiographie noch keinen richtigen Stellenwert in den Kriterien erhalten (Folger et al. 1992). Mit deren Möglichkeiten, vor allem den Dopplertechniken, lassen sich Klappeninsuffizienzen und -stenosen gut erfassen und auch quantifizieren. Das Problem ist eher die Überdiagnostik — durch das Vorhandensein physiologischer, trivialer und passagerer Klappeninsuffizienzen (Brand et al. 1992). ! Die Jones-Kriterien machen die Diagnose des akuten rheumatischen Fiebers möglich, beweisend sind sie nicht.
6.3.8
Therapie
Es wird die initiale Therapie mit primärer Prävention (Streptokokkeneradikation), von der prophylaktischen, sekundären Prävention unterschieden. Mit Diagnose des ARF wird nach Entnahme eines Rachenabstriches zur Streptokokkeneradikation (unabhängig vom Befund) eine antibiotische Therapie empfohlen (Evidenzstufe III). Die Dosis des Penicllins V ist 100.000 IE/kg/Tag in 3 Gaben, maximal 3-mal 1,2 Mio. IE. Alternativ stehen Cephalosporine und Erythromycin zur Auswahl. Weiterhin erfolgt dann im Prinzip eine symptomatische Therapie. Die symptomatische Karditis wird mit Steroiden behandelt, begleitet von einer Therapie der Herzinsuffizienz mit Diuretika, Nachlastsenkern. Die Arthritis gilt als eher harmlos und kann mit Acetylsalicylsäure, aber auch mit Naproxen (10–15 mg/kg/Tag) behandelt werden (Haskes et al. 2003) (Evidenzstufe Ib). Die Chorea kann mild verlaufen, Ruhe und Vermeidung von physischem und psychischem Stress mag ausreichend sein. Bei schweren Verläufen werden Antikonvulsiva wie Valproat eingesetzt. Haloperidol kann ebenfalls hilfreich sein. Steroide scheinen keine Rolle zu spielen (Evidenzstufe IV). Wichtig ist als zweites die Reinfektionsprophylaxe als sekundäre Prävention bei abgelaufenem ARF. Empfohlen wird Benzathin-Penicillin G intramuskulär alle 4 Wochen, bei erhöhtem Risiko, wie Endemiegebiet, Umgebungserkrankungen oder fixiertem rheumatischem Herzfehler, alle 3 Wochen. Die Dosis unter 27 kg KG beträgt 600.000 IE, über 27 kg 1,2 Mio. IE (Evidenzstufe IIb). Die intramuskuläre Injektion ist schmerzhaft und wird nicht immer toleriert, bei guter Compliance werden 2-mal täglich 400.000 IE gegeben. Die intramuskuläre Gabe erscheint aber zuverlässiger (Lue et al. 1986). Bei eindeutigen Penicillinallergien steht in der Regel Erythromycin als Ausweichpräparat zur Verfügung. Die Dauer wird durch die Art der Herzbeteiligung bestimmt (Dajani et al. 1995). ! Neben der Therapie der initialen Symptome spielt die konsequente Sekundärprophylaxe eine große Rolle (. Abb. 6.17).
19 20
ARF mit Karditis und bleibendem Klappenfehler
Mindestens 10 Jahre nach ARF-Episode und bis zum 40. Lebensjahr evtl. lebenslang
ARF mit Karditis ohne bleibende Klappenerkrankung
10 jahre oder bis ins Erwachsenenalter, jeweils die längere Dauer
ARF ohne Karditis
5 Jahre oder bis zum 21. Lebensjahr
21 22 23
. Abb. 6.17. Dauer der Antibiotikaprophylaxe nach akutem rheumatischen Fieber
6.3 · Rheumatisches Fieber
6.3.9
Prognose
Die Prognose wird meist von dem Ausmaß der Herzbeteilligung, seltener von der Schwere der Chorea bestimmt. Entscheidenden Einfluss wird die Aufmerksamkeit bezüglich der Sekundärprophylaxe haben. Das Problem sind akute oder bleibende Herzschäden, die zur Herzinsuffizienz führen können oder operative Maßnahmen an den betroffenen Klappen erforderlich machen.
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291
6
293
7.1 ·
Systemischer Lupus erythematodes N. Wagner, D. Haffner, G.Dannecker
7.1
Definition – 295
7.2
Häufigkeit – 296
7.3
Genetik
7.4
Pathogenese
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 7.4.6
B-Zellen – 297 Autoantikörper – 298 T-Zellen, dendritische Zellen Komplement – 301 Apoptose – 301 Östrogene – 302
– 296 – 297
– 300
7.5
Pathologie
7.5.1 7.5.2 7.5.3
Kutane Veränderungen – 302 Gefäße und Herz – 302 ZNS – 303
– 302
7.6
Klinische Symptome – 303
7.6.1 7.6.2 7.6.3 7.6.4 7.6.5 7.6.6 7.6.7 7.6.8
Haut- und Schleimhautbeteiligung – 304 Muskuloskelettales System – 305 Hämatologische Aufälligkeiten – 305 Neurologische Auffälligkeiten – 306 Kardiale Beteiligung – 307 Pulmonale Beteiligung – 307 Gastrointestinale Beteiligung – 307 Andere Manifestationen – 308
7.7
Diagnose und Differenzialdiagnose – 308
7.7.1 7.7.2 7.7.3
Labordiagnostik – 308 Sonstige Diagnostik – 309 Differenzialdiagnose – 310
7.8
Lupusnephritis
7.8.1 7.8.2 7.8.3 7.8.4 7.8.5 7.8.6 7.8.7
Definition und Häufigkeit – 310 Klinische Symptome und Diagnose – 310 Pathoanatomische Klassifikation – 310 Weitere Formen der Nierenbeteiligung – 314 Indikationen für eine Nierenbiopsie – 315 Prognostische Faktoren – 315 Terminale Niereninsuffizienz – 315
– 310
7
294
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
7.9
Therapie
6
7.9.1 7.9.2 7.9.3 7.9.4 7.9.5 7.9.6 7.9.7 7.9.8 7.9.9 7.9.10 7.9.11
Kortikosteroide – 316 Nichtsteroidale Antirheumatika – 317 Hydroxychloroquin – 317 Azathioprin – 317 Cyclophosphamid – 318 Methotrexat – 319 Cyclosporin – 319 Mycophenolatmofetil (MMF) – 320 Plasmapherese – 320 Autologe Stammzelltransplantation – 321 Weitere Behandlungsansätze – 321
7
7.10
Prognose
8
7.11
Sonderformen
7.11.1 7.11.2
Neonataler SLE – 323 Medikamenteninduzierter LE
7.12
Antiphospholipid-Syndrom
7.12.1 7.12.2 7.12.3 7.12.4 7.12.5
Definition – 324 Diagnostik, Ätiologie und Pathogenese – 325 Klinische Symptome – 325 Diagnose und Differenzialdiagnose – 327 Therapie – 327
1 2 3 4 5
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Literatur
– 316
– 322
– 327
– 323 – 324
– 324
7.1 · Definition
Definition
7.1
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine BZell-vermittelte, schubweise verlaufende Autoimmunerkrankung, von der zahlreiche Organe betroffen sein können. Charakteristisch für den SLE sind Autoantikörper, die gegen Zellkernbestandteile gerichtet sind. Diese Autoantikörper verursachen direkte Schädigungen von Organen, darüber hinaus entsteht durch komplementbindende Immunkomplexe eine Vaskulitis, die sekundär Organschäden nach sich zieht. Kriterien zur Diagnose des SLE sind zuletzt 1997 in überarbeiteter Form vom American College of Rheumatology aufgestellt worden. Von herausgehobener prognostischer Bedeutung ist das Ausmaß der Beteiligung der Nieren. Unbehandelt ist die Prognose schlecht, durch immunsuppressive Therapie hat sie sich dramatisch gebessert. Klassifikation des SLE, revidierte Kriterien des American College of Rheumatology (1997). Der Nachweis von mindestens 4 der 11 Kriterien erlaubt die Diagnose SLE 1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Schmetterlingserythem: Flaches oder erhabenes Erythem über den Wangen, in der Regel die Nasolabialfalten ausssparend. Diskoide Hautveränderungen: Erythematöse, erhabene Effloreszenzen, die z. T. hyperkeratotisch verändert sind und mit Narbenbildung abheilen können. Fotosensibilität: Exanthem als Resultat einer ungewöhnlichen Reaktion auf Sonnenbestrahlung, anamnestisch oder aufgrund einer ärztlichen Untersuchung nachgewiesen. Orale Ulzeration: Orale oder nasopharyngeale Ulzeration, zumeist schmerzlos, aufgrund ärztlicher Untersuchung nachgewiesen. Arthritis: Nichterosive Arthritis von mindestens zwei oder mehr peripheren Gelenken, charakterisiert durch Schmerzhaftigkeit, Schwellung oder Erguss. Serositis: a) Pleuritis. Überzeugende anamnestische Angabe pleuritischer Beschwerden oder pleuritischen Reibens aufgrund ärztlicher Feststellung; oder b) Perikarditis. Dokumentiert durch EKG oder Geräusch oder Nachweis eines Perikardergusses. Nierenbeteiligung: a) Anhaltende Proteinurie von mehr als 0,5 g/Tag oder mehr als 3+ aufgrund von Teststreifenuntersuchung; oder b) Zellzylinder im Urin. 6
295
8. Neurologische Beteiligung: a) Zerebrale Anfälle bei Abwesenheit anderer Ursachen; b) Psychose bei Abwesenheit anderer Ursachen. 9. Hämatologische Manifestation: a) Hämolytische Anämie mit Retikulozytose; oder b) Leukopenie von weniger als 4000/mm3 an zwei oder mehr Untersuchungstagen; oder c) Thrombozytopenie von weniger als 150.000/ mm3 bei Ausschluss anderer Ursachen. 10. Immunologische Auffälligkeiten: a) Anti-DNA-Antikörper oder b) Anti-Sm-Antikörper oder c) Antiphospholipidantikörper 11. Antinukleäre Antikörper
Historischer Abriss. Kaposi hat 1872 die Erkrankung erst-
mals beschrieben. Der Terminus Lupus (= Wolf) wurde ursprünglich benutzt, um eine entstellende Entzündung im Gesicht zu beschreiben. Hierbei handelte es sich zumeist um eine Hauttuberkulose, die in der Kindheit als braunrotes, schuppendes, flaches Knötchen begann, in welches eine Knopfsonde leicht eindringen konnte. In der Folge vergrößerte sich der Herd aufgrund fehlender tuberkulostatischer Behandlung mit ausgeprägter Ulzeration und z. T. Mutilation (Lupus vulgaris). Der Lupus erythematodes wurde als Systemerkrankung von Osler 1895 definiert, Libman und Sacks beschrieben 1923 die kardiale Beteiligung in Form der Endokarditis mit entzündlichen Läsionen der Herzklappen. Der LE-Zell-Test, bei dem ein Antikörper gegen ein Histon identifiziert wird, wurde von Hargraves et al. 1948 beschrieben und erlaubte eine einheitlichere Identifikation von Patienten mit SLE sowie der viszeralen Beteiligung. Dem Test kommt heute aufgrund geringer Sensitivität keine herausragende Rolle mehr zu. Jacobs hat eindrucksvoll eine 13 Jahre alte Patientin, bei der 1954 die Diagnose eines SLE gestellt wurde, beschrieben. Diese Patientin litt an dem typischen Exanthem, Fieber, Arthritis und Haarausfall sowie einer Nephritis. Sie erhielt bereits damals 50 mg Prednison pro Tag und sprach auf die Behandlung an. Sofort nach Beginn der Remission wurde die Kortikosteroiddosis wegen der Sorge um unerwünschte Wirkungen und den lediglich palliativen Effekt reduziert, woraufhin die Erkrankung unausweichlich rezidivierte. Sie hat in dieser klinischen Situation 21 Monate überlebt, wovon sie mehr als 200 Tage im Krankenhaus zubrachte und dann an einer terminalen Niereninsuffizienz verstarb. In einer Serie der Columbia-Universität, New York, lag die Mortalität von Kindern mit SLE von 1930 bis 1946 bei 100% innerhalb von 3 Jahren, von 1949 bis 1960 immerhin noch bei über 85% nach 25 Jahren.
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
7.2
Häufigkeit
Die Prävalenz (Häufigkeit in einer Population) des SLE ist von der ethnischen Zugehörigkeit beeinflusst. In Europa und Nordamerika ist mit einer Prävalenz von etwa 40 auf 100.000 Personen zu rechnen, hierin sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene eingeschlossen. Frauen insbesonders im gebärfähigen Alter erkranken deutlich häufiger als Männer. Insgesamt besteht eine Frauenwendigkeit der Erkrankung von 3–4 zu 1, eine weiter unten zitierte epidemiologische Studie aus Minnesota ermittelt ein Verhältnis von 6,3 zu 1. Etwa 80% aller Erkrankungsfälle treten bei Frauen im gebärfähigen Alter auf. Amerikaner indianischer, afrikanischer oder hispanischer Abstammung sind ebenso häufiger betroffen wie asiatische Völker. Die Verteilung geschlechtsspezifischer Inzidenzraten (Neuerkrankung/Jahr) in Abhängigkeit der ethnischen Zugehörigkeit verdeutlicht die großen Unterschiede: 5 Amerikanerinnen afrikanischer Herkunft: 9,2:100.000, 5 Amerikaner afrikanischer Herkunft: 0,7:100.000, 5 Kaukasierinnen: 4:100.000, 5 Kaukasier: 0,5:100.000. Die Prävalenz bei Kindern und Jugendlichen liegt bei etwa 5–10 pro 100.000. Die Erkrankung ist deutlich häufiger in der 2. Lebensdekade mit Beginn in der frühen Pubertät. Prävalenzraten in der Altersgruppe von 10–20 Jahren sind 4:100.000 bei Kaukasierinnen, 20:100.000 bei Amerikanerinnen afrikanischer Herkunft, 13:100.000 bei Amerikanerinnen hispanischer Herkunft. Erkrankungen vor dem 5. Lebensjahr sind ausgesprochen selten. Basierend auf Daten eines Epidemiologie Projektes in Olmsted County, Minnesota stieg die jährliche Inzidenzrate der kaukasischen Bevölkerung von 1,51:100.000 (Zeitraum 1950–1979) auf 5,56:100.000 (Zeitraum 1980– 1992) (Uramoto et al. 1999). Diese Verdreifachung der Inzidenz (Häufigkeit des Auftretens in einer Zeiteinheit) wird unter anderem auf die verbesserte Diagnosestellung der milderen Verläufe des SLE zurückgeführt. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Diagnose eines SLE häufiger zu stellen ist als bisher angenommen; Schätzungen reichen bis zu 1:1000 (junge Frauen). Etwa 1–4% der Patienten von kinderrheumatologischen Sprechstunden leiden an einem SLE. Im freiwilligen kinderrheumatologischen Register in Berlin (Kerndokumentation) sind von insgesamt 5000 registrierten Patienten aus 22 Kliniken oder Schwerpunktpraxen etwa 100 Patienten an einem SLE erkrankt (Stand 2005). Der Erkrankungsbeginn bei diesen Patienten liegt im Median bei 12 Jahren, nur 16% der Patienten sind männlich. Schätzungsweise werden in Deutschland 1000–2500 Kinder und Jugendliche mit SLE betreut.
7.3
Genetik
Die Familiarität und polygene Ätiologie des SLE wird durch die 10fach erhöhte Konkordanz der Erkrankung bei eineiigen Zwillingen im Vergleich zu zweieiigen Zwillingen belegt. Wenn ein Zwilling an einem SLE erkrankt, liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung des eineiigen Zwillings bei 34%. Das Risiko für einen zweieiigen Zwilling an einem SLE zu erkranken liegt bei 3% und ist damit gegenüber dem Risiko für eine Familie, in der kein Mitglied an einem SLE leidet, deutlich erhöht. Die Suche nach Kandidatengenen für eine Prädisposition zum SLE hat sich als schwierig erwiesen. Dies liegt an der polygenen Natur der Erkrankung sowie an der für genetische Studien relativ geringen Fallzahl in einzelnen Stammbäumen. Die besten Evidenzen für eine Assoziation mit dem SLE hat sich für drei Genfamilien gezeigt: die Familie der HLA-Antigene, Faktoren des Komplementsystems sowie Fcγ-Rezeptoren (Wakeland et al. 2001). Bei den HLA-Antigenen haben die Allele DR2 und DR3 eine etwa 2- bis 3fach erhöhte Assoziation mit dem SLE. Hierbei sind die Assoziationen stärker bezogen auf die Autoantikörperprofile als auf die klinischen Symptome. Seit langem ist die Prädisposition für einen SLE bei Defizienz verschiedener Komplementfaktoren bekannt. Die C1q-Defizienz, die sehr selten auftritt, geht mit einer besonders schweren Erkrankung einher. Defizienzen von C2 und C4 sind ebenfalls überzufällig häufig assoziiert mit dem Auftreten eines SLE. Fcγ-Rezeptoren binden physiologischerweise IgG-Antikörper und Immunkomplexe, um diese der Zirkulation zu entziehen. Verschiedene Allele von FcγRIIa und FCγRIIIa begünstigen das Auftreten eines SLE. Linkage-Analysen haben bei verschiedenen dieser Genorte auf den Chromosomen 1, 2, 6 und 16 z. T. ausgeprägte Assoziationen zum Auftreten eines SLE gefunden. Derzeit kann man davon ausgehen, dass der SLE eindeutig eine genetische Prädisposition aufweist, die Erkrankung polygen verursacht wird und die Assoziation von HLA-Antigenen mit dem SLE nicht stärker als die anderer Kandidatengene ist. Verschiedene Inzucht-Mausstämme, bei denen ein SLE-ähnliches Krankheitsbild ensteht, sind seit langem bekannt. Beispiele hierfür sind die MRL/lpr-, die NZB/ W- sowie die BXSB-Stämme. Diese Tierstämme sind als Modellsysteme zum Verständnis der Genetik sowie der Pathogenese der Erkrankung eine wesentliche Hilfe. Durch Kreuzungsexperimente wurden chromosomale Regionen identifiziert, die für die Suszeptibilität der Erkrankung kodieren. Dabei hat sich gezeigt, dass mehrere chromosomale Regionen für die Krankheitsentstehung bei den verschiedenen Maustämmen verantwortlich sind, diese wirken kombinatorisch. Einzelne Allele sind dabei mit der Stärke des Phänotyp eines Krankheitssymptoms assoziiert. Jeder Mausstamm hat ein spezifisches Set von Genen, das für die Suszeptibilität verantwortlich ist. Daraus lässt
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7.4 · Pathogenese
sich ableiten, dass beim Menschen vermutlich auch sehr verschiedene Genkombinationen für die Auslösung eines SLE verantwortlich sind. Knock-out-Mausstämme, bei denen mittels homologer Rekombination nur jeweils ein Gen im Vergleich zum Wildtyp-Mausstamm alteriert ist, sind hervorragende In-vivo-Modellsysteme zur Identifizierung von Genfunktionen. Zahlreiche Gene, denen eine immunologische Funktion zugeschrieben wird, können in unterschiedlichem Ausmaß Autoimmunität auslösen. Dabei lassen sich Gruppen von Genen erkennen. Eine Gruppe sind die an der Apoptose beteiligten Gene wie z. B. Fas, Fas-Ligand und Bcl-2. Zytokine und Signaltransduktionsproteine wie Lyn, Interferon-α, IL-2 und CD22 sind eine weitere Gruppe. Die dritte Gruppe von Genen, die an der Entstehung von Autoimmunität beteiligt sein können, umfasst Proteine, die Immunkomplexe oder nukleäre Proteine beseitigen können. Beispiele hierfür sind Komplementfaktoren oder Fcγ-Rezeptoren und DNAse I. Damit wird deutlich, dass die Störung zahlreicher z. T. sehr unterschiedlicher immunologischer Funktionen mit einer erhöhten Suszeptibilität für SLE-ähnliche Symptome einhergeht. Wakeland et al. (2001) haben eine Hypothese zur genetisch vermittelten Auslösung des SLE vorgestellt. Danach treten Gene verschiedener Funktionen in Beziehung zueinander. Zunächst wird die Immuntoleranz für nukleäre Antigene, die z. B. nach Infektion oder Trauma frei werden, gestört; beteiligte Gene sind z. B. Komplementfaktoren und DNAse. In einem zweiten Schritt wird durch veränderte Signaltransduktion über Zytokine oder zelluläre Messenger wie z. B. lyn aber auch Fas Autoimmunität induziert, die nur in Verbindung mit dem ersten Schritt ein Niveau erreichen lässt, das krankheitsauslösend wirkt. In einem dritten Schritt wird die durch die ersten beiden Schritte entstandene humorale Autoimmunität gegen nukleäre Antigene aufgrund z. B. alterierter Fcγ-Rezeptoren zu den geschädigten Zielorganen wie der Niere gelenkt. So würden zahlreiche Gene in unterschiedlichen Kombinationen im Individuum einen SLE auslösen können. Die eingeschränkte Krankheitskonkordanz von eineiigen Zwillingen legt neben der genetischen Prädisposition exogene Einflüsse bei der Auslösung der Erkrankung nahe. ! Der SLE ist eine polygen bedingte Erkrankung, die exogenen Einflüssen unterliegt. Beteiligte Gene kodieren für HLA-Antigene, Komplementfaktoren, Fcγ-Rezeptoren, apoptosevermittelnde Proteine und Zytokine.
7.4
Pathogenese
7.4.1
B-Zellen
Der SLE wird typischerweise als klassische B-Zell-vermittelte Erkrankung betrachtet. Dies wurde in der Vergangenheit sicherlich durch die enge Assoziation von Autoantikörpern und Manifestation der Erkrankung begründet. Grundsätzlich ist die Diagnose eines SLE zu bezweifeln, wenn der Nachweis von Autoantikörpern gegen nukleäre Antigene nicht möglich ist. Ein sicherer Hinweis auf die kritische Rolle von B-Zellen ist folgendem Experiment zu entnehmen: Wenn die MRL/lpr-Maus, ein Tiermodell für den SLE, durch Kreuzung mit einer entsprechenden Knock-out-Maus B-Zell-defizient wird, entwickelt sich kein SLE. Daraus folgt, dass B-Zellen für die Entstehung eines SLE notwendig sind. Die Rolle der B-Zellen für die Pathogenese des SLE liegt nicht ausschließlich in der Produktion von Autoantikörpern, wie das nächste Experiment zeigt. MRL/lpr-Mäuse, die B-Zellen mit ausschließlich membranständigen Antikörpern aufweisen, entwickeln auch einen SLE, obwohl sie keine Autoantikörper im Serum aufweisen. Dieses Experiment zeigt, dass B-Zellen neben der Produktion von Autoantikörpern wesentliche andere Funktionen für die Pathogenese des SLE haben, sodass sogar ohne sezernierte Antiköper ein SLE unterhalten werden kann. Antigenpräsentation ist eine mögliche Funktion von B-Zellen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein könnte. Wiederholt konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit SLE B-Zellen, die Antikörper gegen nukleäre Antigene produzieren, klonal expandieren. Die Immunglobulingene der entsprechenden Autoantikörper sind somatisch mutiert. Dies weist auf eine typische T-Zell-abhängige Immunreaktion hin, die durch Affinitätsreifung gekennzeichnet ist. Vermutlich findet eine durch Selbstantigen initiierte und unterhaltene Immunreaktion statt. Wie es zum Verlust der Immuntoleranz kommt, ist bisher nicht eindeutig geklärt. B-Zellen, ähnlich wie T-Zellen, werden durch verschiedene Mechanismen bei der Produktion in Knochenmark und Thymus sowie nach ihrer Auswanderung in die Peripherie gegenüber Selbstantigenen tolerisiert (7 Kap. 2.2). Natürlicherweise existieren auch beim Gesunden selbstreaktive B-Zellen, deren Antikörper allerdings nur eine geringe Affinität aufweisen und die allein nicht in der Lage sind, eine Autoimmunerkrankung auszulösen oder zu unterhalten. Hierzu bedarf es der T-ZellHilfe, die im Fall eines SLE offensichtlich zustande kommt, ohne dass der immunologische Mechanismus völlig verstanden wird. Eventuell ist nicht der Verlust der Toleranz der B-Zellen im Knochenmark (zentral) von entscheidender Bedeutung für die Immunpathogenese, sondern die T-Zell-Hilfe für die Affinitätsreifung einzelner autoreaktiver B-Zell-Klone. B-Zellen wiederum sind beteiligt an der Homöostase von aktivierten T-Gedächtniszellen;
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
wenn B-Zellen fehlen, infiltrieren deutlich weniger T-Zellen die Nieren oder die Haut von Mausstämmen mit SLE. Autoantigenpräsentation durch B-Zellen ist vermutlich für die T-Zell-Aktivierung bedeutsamer als die Rekrutierung von T-Zellen über Entzündungsreize wie Immunkomplexe. Chan et al. (1999) vermuten, dass der Initialschritt in der Immunpathogenese des SLE der direkte B- und TZell-Kontakt in der Peripherie ist. Hierbei präsentiert die B-Zelle ein Autoantigen und aktiviert damit erfolgreich eine naive, autoreaktive T-Zelle. Diese hilft dann naiven, autoreaktiven B-Zellen in lymphatischen Organen bei der Affinitätsreifung von Autoantikörpern und Umwandlung in Plasmazellen, die als Effektorzellen hochaffine Autoantikörper sezernieren. Alternativ werden die B-Zellen zu Gedächtniszellen, die langfristig die Autoreaktivität sichern können. Schließlich werden die B-Zellen weiter Autoantigen für T-Zellen präsentieren. Die hier geschilderten Mechanismen haben ein hohes Risiko der anhaltenden Amplifikation, solange Autoantigen zur Verfügung steht. Aufgrund der immunvermittelten Gewebszerstörung werden nukleäre Antigene beim SLE anhaltend freigesetzt. ! Die B-Zelle ist von zentraler Bedeutung für die Immunpathogenese des SLE. Sie produziert Autoantikörper, die gewebeschädigend wirken und entzündliche Läsionen auslösen. Zudem ist ihre Funktion als Autoantigen präsentierende Zelle für T-Zellen entscheidend.
7.4.2
Autoantikörper
Im Jahr 1957 wurden bei Patienten mit SLE erstmals Antikörper gegen DNA beschrieben, in der Folge wurde der SLE als Autoimmunerkrankung interpretiert. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass zu diesem Zeitpunkt die Unterscheidung der Lymphozyten in T- und B-Zellen noch nicht bekannt war, wird die Bedeutung dieser Entdeckung und die Schwierigkeit der Interpretation klar. Sowohl Antikörper gegen einzelsträngige DNA wie auch gegen doppelsträngige DNA können beim SLE nachgewiesen werden, die letzteren sind für die Diagnose jedoch spezifischer. Diese Antikörper können sowohl der IgM wie den verschiedenen IgG Klassen angehören, sie binden an Basenpaare oder bestimmte Konformationen, die für die Doppelhelix der DNA typisch sind. Viele Gesunde haben als Teil ihres normalen Antikörperrepertoires niedrig affine Autoantikörper der Klasse IgM, die gegen einzelsträngige DNA gerichtet und nicht krankheitsauslösend sind. Die bei Patienten mit SLE gefundenen Autoantikörper sind von höherer Affinität und weisen zumeist somatische Mutationen der Ig-Keimbahngene auf. Daraus folgt, dass diese Autoantikörper wahrscheinlich bei einer Immunreaktion auf spezifische Antigene mit T-Zell-Hilfe entstanden sind. Hier zeigt sich die Nähe der Immunpathogenese des SLE mit einer Immunreaktion gegen z. B. pathogene Keime. Neben den anti DNA-Antikörpern sind bei Patienten mit SLE verschiedene andere Autoantikörper zu finden (. Tab. 7.1). Diese Antikörper haben die Gemeinsamkeit,
14 . Tab. 7.1. Autoantigene und Autoantikörper beim SLE
15
Antigen
Funktion
Autoantikörper
Häufigkeit
Klinische Besonderheit
DNA
Erbinformation
dsDNA
60–85%
Nephritis
DNA
Erbinformation
ssDNA
90%
Viele Gesunde haben IgM-Anti-ssDNA-Ak
Histone
Bestandteil des Chromatins
Histon (H1–H4)
60–90%
Nephritis
Sm
Ribonukleoprotein
Sm
5–30%
Nephritis
16 17 18
Splicing
19 20
RNP
Ribonukleoprotein, Splicing
RNP
–
Mixed connective tissue disease
U1RNA
Ribonukleoprotein, Splicing
–
–
–
Ro
RNA bindend; versch. Funktionen
SS-A
30–50%
Subakuter LE, kongenitaler AV-Block
La
Beendigung der Transkription
SS-B
15–40%
Subakuter LE, kongenitaler AV-Block
Phospholipide (Kardiolipin, Phosphatidylserin u. a.)
Blutgerinnung
Antiphospholipid
20–85%
Thrombembolische Komplikationen, Thrombozytopenie
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ZNS Beteiligung
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7.4 · Pathogenese
dass sie sich gegen nukleäre Antigene richten. Die Antigene, die die Bildung pathogener Antikörper auslösen können, sind auf Strukturen wie Chromatin oder Nukleosomen zu finden. Nukleosomen bestehen aus 166–240 Basenpaaren, die um verschiedene Histonmoleküle in einer Helixstruktur angeordnet sind, während Chromatin mehrere Nukleosomen umfasst. Bemerkenswerterweise sind diese Makromoleküle in der Lage, die Bindung von Autoantikörpern an Glomerula von Patienten mit SLE zu blockieren, wodurch die zentrale Bedeutung von nukleären Antigenen bei der Immunpathogenese des SLE gezeigt wird. Damit diese Antigene vom Immunsystem erkannt werden können, müssen sie in Kontakt mit immunkompetenten Zellen kommen. Dies wird ermöglicht durch Apoptose von Zellen, die durch verschiedene Mechanismen geschädigt wurden (z. B. Infektion, Bestrahlung). Während der Apoptose gelangen nukleäre Antigene an die Zelloberfläche und können eine Immunreaktion auslösen. Verschiedene Pathomechanismen führen zur Organschädigung durch Autoantikörper beim SLE: 5 Autoantikörper gegen DNA können direkt an die Basalmembran von Glomerula binden und so diese schädigen. Für Antikörper zugängliche DNA muss demnach in der Basalmembran vorhanden sein. 5 Komplexbildung von Autoantikörpern und Antigenen ist ein weiterer Pathomechanismus. Die Immunkomplexe zirkulieren und lösen in Gefäßen eine Vaskulitis und in der Niere eine Glomerulonephritis aus. Hohe Titer von Anti-Doppelstrang-DNAAntikörpern korrelieren mit der Schwere der Glomerulonephritis. Eine hereditäre Insuffizienz von Makrophagen und Mesangiumzellen, Immunkomplexe zu klären, die durch Mutationen von Fc-Rezeptoren ausgelöst wird, begünstigt die Entstehung einer Nephritis. 5 Bei Patienten mit SLE sind auch Autoantikörper gegen Oberflächenstrukturen von Blutzellen nachweisbar, diese können durch direkte Bindung an z. B. Erythrozyten oder Thrombozyten deren Schädigung verursachen. Komplementvermittelte Lyse und Auslösung von Phagozytose werden durch die Autoantikörperbindung initiiert. Dadurch kann beim SLE eine hämolytische Anämie oder eine Thrombozytopenie entstehen. 5 Ein noch unklarer Pathomechanismus ist die direkte Penetration von Zellen durch Autoantikörper.
Exkurs Kürzlich wurde ein neuer Pathomechanismus der Organschädigung durch Autoantikörper im Tiermodell beschrieben (Kowal et al. 2004). Dies könnte vor allem für die zerebrale Beteiligung beim SLE von Bedeutung sein. Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörper kreuzreagieren mit NMDA-Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind an der Signaltransduktion im ZNS beteiligt. Wenn im Tiermodell diese kreuzreagierenden Autoantikörper induziert werden, tritt so lange keine ZNS-Schädigung auf, bis die BlutHirn-Schranke aufgrund z. B. eines entzündlichen Reizes durchlässig für IgG-Moleküle wird. Dann jedoch kommt es zum Absterben von Neuronen insbesonders im Hippokampus und zur kognitiven Funktionseinschränkung. Der negative Effekt auf die Kognition kann durch die Verabreichung eines NMDA-Rezeptor-Antagonisten aufgehoben werden. Dies bedeutet, dass eine systemische Immunantwort mit Störung der Blut-Hirn-Schranke, jedoch ohne Einwanderung von Entzündungszellen in das ZNS, allein durch Transfer von kreureagierenden Anti-DNAAntikörpern eine Einschränkung kognitiver Fähigkeiten verursachen kann. Bei Patienten mit SLE sind solche Autoantikörper im Liquor bereits nachgewiesen worden. Darüber hinaus ist unter den verschiedenen Formen der ZNS-Beteiligung beim SLE der mentale Abbau ohne direkte Assoziation zur sonstigen Krankheitsaktivität ein wesentliches Syndrom. Der hier geschilderte Pathomechanismus würde die direkte Schädigung von Kognition durch Autoantikörper bedeuten.
Neben Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörpern sind bei SLE-Patienten weitere gegen nukleäre Antigene gerichtete Antikörper gefunden worden. Diese sind z. T. mit bestimmten Organmanifestationen oder Verlaufsformen des SLE assoziiert.
Histone Histone sind Bestandteile von Chromatin (H1, H2A und B, H3, H4). Das historisch wichtige LE-Zell-Phänomen ist durch Antikörper gegen das Histon H1 vermittelt. Bis zu 90% der Patienten mit SLE weisen Anti-Histon-Antikörper auf. Verschiedene Pharmaka wie z. B. Procainamid und Chlorpromazin können Anti-Histon-Antikörper induzieren. Wahrscheinlich sind Anti-Histon-Antikörper auch an der Auslösung der Nephritis des SLE beteiligt.
Sm, RNP, U1-RNA ! Autoantikörper verursachen eine Schädigung der Zielorgane (z. B. Niere) durch direkte Bindung an Gewebe, Immunkomplexbildung und komplementvermittelte Lyse.
Diese Ribonukleoproteine sind Teil des Splicing-Apparates, der für die Trennung von Exonen und Intronen bei der Transkription von DNA benötigt wird. Anti-Sm-Antikörper, die bei 5–30% der Patienten mit SLE gefunden werden, sind fraglich mit der renalen und der ZNS Beteiligung assoziiert, zudem ist die Höhe der Antikörpertiter Ausdruck der Krankheitsaktivität. Anti-RNP-Antikör-
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
per sind vergesellschaftet mit einer spezifischen Krankheitsentität, die Elemente verschiedener Kollagenosen aufweist, der »mixed connective tissue disease«. Diese Erkrankung ist im Kindesalter sehr selten.
SS-A, SS-B Diese Antigene wurden früher als Ro und La bezeichnet und binden an RNA. La ist ein Phosphoprotein, das Transkription beendet. Hinter der Bezeichnung Ro verbergen sich mehrere Proteine mit unterschiedlichen Funktionen. Anti-SS-A- und Anti-SS-B-Antikörper sind von erheblicher klinischer Bedeutung. Sie sind mit der eher milden Verlaufsform des subakuten kutanen LE assoziiert. Bei dieser Verlaufsform ist die Erkrankung häufig auf die Haut begrenzt, Übergänge in den typischen SLE mit viszeraler Beteiligung sind jedoch in einem geringen Prozentsatz möglich. Weiter ist der neonatale LE mit Anti-SS-AAntikörpern assoziiert. Dies ist eine Sonderform, bei der die von der Mutter passiv auf das Kind übertragenen Autoantikörper einen LE beim Neugeborenen auslösen können. Gefürchtet beim Neugeborenen ist der hochgradige AV-Block, dessen Pathophysiologie nicht völlig geklärt ist. Die weitaus meisten Mütter, deren Neugeborene beim neonatalen LE einen kongenitalen AV-Block aufweisen, haben Anti-SS-A-Antikörper.
Autoantikörper gegen membranständige Antigene Wie oben angeführt sind auch Oberflächenmoleküle Zielantigene von Antikörpern, die beim SLE gefunden werden. Hämolytische Anämie sowie Thrombozytopenie können durch Antikörper gegen Erythrozyten und Thrombozyten verursacht werden, möglicherweise sind aber auch Immunkomplexe, die sich an Fc-Rezeptoren auf diesen Blutzellen binden, an der Lyse beteiligt. Antilymphozyten-Antikörper, die verschiedene Oberflächenmoleküle binden, sind für die Lymphopenie mancher Patienten verantwortlich. Bei Patienten mit zerebraler Beteiligung konnten im Liquor Antineuron-Antikörper nachgewiesen werden.
Nachweismethoden Verschiedene Methoden werden zum Nachweis von Autoantikörpern eingesetzt. Der LE-Zell-Nachweis hat nur noch historische Bedeutung. Ein sehr gut geeigneter Screeningtest ist der Nachweis von antinukleären Antikörpern (ANA). Bei diesem Test werden mittels indirekter Immunfluoreszenz an einer Epithelzelllinie (Hep2), deren kultivierte Zellen nach Fixation auf Objektträger aufgebracht werden, antinukleäre Antikörper der Klasse IgG sichtbar gemacht. Die Tests auf ANA sind bis heute nicht standardisiert, sodass dem Labor eine besondere Verantwortung zukommt. Das Fluoreszenzmuster gibt einen Hinweis auf das Antigen, welches von den Autoantikörpern erkannt wird. Während z. B. Anti-DNA-Antikörper
ein homogenes Muster zeigen, weisen Anti-RNP-Antikörper bei der Bindung an Hep2-Zellen ein gesprenkeltes Muster bei der Immunfluoreszenz auf. Für die präzise Definition des erkannten nukleären Antigens sind spezifische Tests notwendig. Hierbei kommen vor allem ELISA-Tests zur Anwendung, die allgemein verfügbar und leicht durchführbar sind. Für Forschungszwecke werden die noch spezifischeren Immunpräzipitationen mit radioaktiver Markierung und Western Blots eingesetzt. > Helfen Antikörperbestimmungen bei der Aktivitätsbestimmung des SLE? Hierzu ist die Datenlage in der Literatur nicht einheitlich. In der Regel gilt, dass ein Titeranstieg von Antidoppelstrang-DNA-Antikörpern um das Doppelte oder mehr bei einem individuellen Patienten häufig einer Verschlechterung vorausgeht. Andererseits gibt es eindeutig Patienten mit anhaltend hohen Antidoppelstrang-DNA-Antikörpern, deren Krankhheitsaktivität nicht ausgeprägt ist. Insgesamt sind Verlaufskontrollen von Autoantikörpertitern neben anderen Laborkontrollen sinnvoll.
7.4.3
T-Zellen, dendritische Zellen
T-Zellen haben einen wesentlicheren Anteil an der Pathogenese des SLE, als lange Zeit vermutet wurde. Tiermodelle für den SLE, in denen T-Zellen genetisch eliminiert werden oder mittels Antikörpern reduziert werden, weisen eine abgeschwächte Krankheitsaktivität auf. Ferner ist die Assoziation des SLE mit MHC-Klasse-II-Genen und die Affinitätsreifung der Autoantikörper mittels somatischer Mutation ein deutlicher Hinweis auf eine Interaktion von B- und T-Zellen bei der Pathogenese des SLE, da diese Vorgänge einer durch Kontakt von T- und B-Zellen gesteuerten Immunantwort auf pathogene Keime ähneln. Aktivierte CD4+-T-Zellen sind bei SLE-Patienten vermehrt, ein Teil dieser Zellen ist autoreaktiv. Die Autoantigene für T-Zellen sind inzwischen z. T. durch Elution aus MHC-Klasse-II-Komplexen charakterisiert worden. Hierbei sind nukleäre Antigene beteiligt, die vermutlich von BZellen präsentiert werden. Wenn man experimentell diese Autoantigene modifiziert, führt dies zur Anergisierung der T-Zellen und, für die Pathogenese des SLE höchst aufschlussreich, zur Verringerung der Autoantikörperbildung durch B-Zellen. In der Folge ist auch beim Versuchstier die Krankheitsaktivität geringer. Dieses Experiment deutet ebenfalls auf die Notwendigkeit der Interaktion von T- und B-Zellen bei der Pathogenese des SLE. T-Zellen von SLE-Patienten zeigen eine gesteigerte und beschleunigte Antwort auf Triggerung ihres T-ZellRezeptor/CD3-Komplexes. Dies ist möglicherweise durch Veränderungen des T-Zell-Rezeptorkomplexes verursacht, da die ζ-Kette des T-Zell-Rezeptors bei SLE-Patienten deutlich geringer exprimiert ist. Das Zytokinpro-
301
7.4 · Pathogenese
fil beim SLE ist gekennzeichnet von der sog. Interferonsignatur. Damit sind zahlreiche interferonabhängige Gene gemeint, die beim SLE hochreguliert sind. Diese Interferonsignatur, die mittels Genchips nachgewiesen werden kann, wurde bei pädiatrischen Patienten mit SLE demonstriert (Bennett et al. 2003). Weitere Zytokine wie IL-10, IL-12 und IL-18 sind beim SLE erhöht, andere wie IL-2 erniedrigt. Neben der Hilfe für B-Zellen bei der Antikörperproduktion sind T-Zellen als Effektorzellen für die Organschädigung beim SLE wirksam. Zytotoxische T-Zellen, die aufgrund der Autoantikörper vermittelten initialen entzündlichen Reaktion z. B. in der Niere rekrutiert werden, können neben anderen Effektorzellen wie z. B. Granulozyten, Monozyten und NK-Zellen einen Beitrag zur Gewebsdestruktion leisten. Wie oben angeführt scheint Interferon-(IFN-)α eine zentrale Rolle beim SLE einzunehmen. Eine mögliche Quelle für dieses Zytokin sind dendritische Zellen, die als antigenpräsentierende Zellen an Immunreaktionen teilnehmen. Dendritische Zellen zirkulieren im Blut, sie sind aber insbesonders auch in Organen wie z. B. in der Haut als Langerhans-Zellen anzutreffen, von wo aus sie nach Antigenkontakt in die zugehörigen regionalen Lymphknotenstationen wandern. Beim SLE fördern bisher unbekannte Wachstumsfaktoren im Plasma die Entwicklung von dendritischen Zellen aus Monozyten — Plasma von Gesunden zeigt diesen Effekt nicht. Unreife dendritische Zellen sind von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung peripherer Toleranz. Diese wird möglicherweise durch die IFN-α-getriggerte Aktivierung dendritischer Zellen beeinträchtigt, wodurch autoreaktive B- und T-Zellen resultieren. Diese Sichtweise würde die Bedeutung von IFN-α und die Rolle von dendritischen Zellen bei der Pathogenese des SLE demonstrieren. Bemerkenswerterweise sind zahlreiche unerwünschte Wirkungen wie z. B. Fieber, Arthralgie, Kopfschmerz, psychiatrische Auffälligkeiten, Leukopenie etc. bei der Verabreichung von IFN-α beschrieben worden, die sich ebenso beim klinischen Bild eines SLE finden lassen (Pascual et al. 2003). Damit weist auch die Klinik des SLE auf eine besondere Bedeutung von IFN-α hin. ! In der Immunpathogenese des SLE helfen T-Zellen den BZellen bei der Produktion und Affinitätsreifung der Autoantikörper. Autoreaktive T-Zellen, die ihr spezifisches Autoantigen von B-Zellen präsentiert bekommen, können als Effektorzellen zytotoxisch wirken.
7.4.4
Komplement
Komplement besteht aus mehr als 20 Faktoren und kann über verschiedene Wege aktiviert werden: Beim klassischen Weg löst die Bindung von Antikörpern an C1 die
Aktivierung aus, der alternative Weg wird initiiert durch die Bindung von z. B. pathogenen Keimen an C3, der Lektin-Weg beginnt mit der Anheftung von mannosebindenden Lektinen an Mannose auf der Oberfläche bestimmter Bakterien. Die Funktion von Komplement ist: 5 Opsonisierung von Keimen, Aktivierung von Leukozyten und Lysierung von Zielzellen; 5 Klärung von Immunkomplexen; 5 Verstärkung der humoralen Immunantwort. Patienten mit den selten auftretenden Komplementdefekten (z. B. C1q, C2, C4) entwickeln sehr häufig einen SLE. Gendosiseffekte spielen sicher eine Rolle, da Menschen mit heterozygoten Nullallelen für C4 überzufällig gefährdet sind, einen SLE zu entwickeln. Ein Pathomechanismus besteht vermutlich in der eingeschränkten Fähigkeit zur Klärung von Immunkomplexen bzw. von zellulärem Debris nach Apoptose.
7.4.5
Apoptose
Eine zentrale Frage bei der Immunpathogenese des SLE ist, warum nukleäre Antigene zu Autoantigenen werden und wie diese überhaupt immunogen werden können, da sie im Zellkern verborgen und unerreichbar für Lymphozyten sind. Die direkte Lösung bietet sich in Form apoptotischer Zellen an; diese »sterbenden« Zellen exprimieren nachweislich auf ihrer Oberfläche in sog. apoptotischen Ausbuchtungen nukleäre Antigene. Diese werden normalerweise von Komplement gebunden, durch Makrophagen abgeräumt sowie in den regionalen Lymphknoten durch antigenpräsentierende Zellen vorgestellt. Dort lösen die Antigene, die von apoptotischen Zellen stammen, dann ein tolerogenes Signal aus. Schwächen bei der Klärung von apoptotischem Material, sei es durch Komplementdefekte oder Phagozytosedefekte, könnten erklären, warum es zu einer veränderten Immunogenität für nukleäre Antigene kommt. Darüber hinaus könnte IFN-α, dem wir weiter oben eine zentrale Rolle beim SLE zugeschrieben haben, die antigenpräsentierenden Zellen aktivieren, sodass kein Toleranzsignal, sondern eine aktive Autoimmunantwort ausgelöst wird. Damit könnte ein entscheidender Mechanismus bei der Immunpathogenese des SLE die mangelnde Toleranz gegenüber Antigenen apoptotischer Zellen sein; diese kann durch mangelnde Klärung apoptotischen Materials, veränderte Apoptose, quantitativ oder qualitativ, oder durch veränderte Signaltransduktion von antigenpräsentierenden Zellen und Lymphozyten entstehen. All diese Mechanismen sind wahrscheinlich polygen determiniert.
7
302
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
7.4.6
Östrogene
Die Bedeutung von Östrogenen für die Pathogenese des SLE ist nicht im einzelnen geklärt. Der Hinweis auf eine Rolle für Östrogene entstand zum einen durch die Beobachtung des deutlich häufigeren Auftretens eines SLE beim weiblichen Geschlecht sowie dem verminderten Testosteronmetabolismus und den erhöhte Spiegeln von Östrogenmetaboliten bei SLE-Patienten. Grundsätzlich zeigen gesunde Frauen höhere Immunglobulinspiegel und länger andauernde spezifische Immunantworten als Männer. Andere Hinweise auf eine stärkere Immunantwort bei Frauen im Vergleich zu Männern zeigt sich z. B. in einer beschleunigten Allograftabstoßung oder einer größeren Resistenz gegenüber tolerogenen Reizen. B- und T-Zellen haben Östrogenrezeptoren, die Wirkung von Östrogen auf immunkompetente Zellen hat jedoch z. T. widersprüchliche Ergebnisse gebracht. Zum einen konnte eine polyklonale B-Zell-Aktivierung und vermehrte Autoantikörperbildung nach Östrogengabe beobachtet werden, andererseits wurden verringerte lymphozytäre Proliferation auf Mitogene und verminderte Hypersensitivitätsreaktionen der Haut nach Östrogengabe festgestellt.
7.5
Pathologie
Die gestörte Regulation des Immunsystems beim SLE ist gekennzeichnet durch Verlust von Toleranz bei B-Zellen, Aktivierung von Autoantigen spezifischen T-Zellen, abnormen Zytokinprofilen und verstärkter Apoptose. Diese Dysregulation führt zur T-Zell-unterstützten Autoantikörperbildung, die als zentrales pathologisches Agens zur Immunkomplexvermittelten Organschädigung führt. Die Ablagerung von Immunkomplexen in Organen führt zur Komplementaktivierung und zur sekundären Infiltration des Organs mit Entzündungszellen. Eine typischer histopathologischer Befund beim SLE ist die LE-Zelle, die einen Makrophagen darstellt, der einen Hämatoxylinkörper phagozytiert hat. Der Hämatoxylinkörper besteht aus einem Komplex von Autoantikörpern und Kernmaterial apoptotischer Zellen. Die charakteristische LE-Zelle kann beim SLE in allen Organen gefunden werden, ist allerdings insgesamt eher selten und nicht als histopathologisches Suchkriterium für den SLE geeignet. Die Pathologie der Niere beim SLE wird zwecks zusammenhängender Darstellung von Pathologie und Klinik im Abschnitt »Lupusnephritis« behandelt (7 Kap. 7.8).
22
7.5.1
23
Bei der kutanen LE-Läsion zeigt sich eine vaskuläre und perivaskuläre Entzündung auf dem Boden einer Immunkomplexablagerung (. Abb. 7.1). Die Immunkomplexe
Kutane Veränderungen
. Abb. 7.1 Hautbiopsie (IgG) mit granulären Ablagerungen von IgG und Komplement entlang der epidermalen Basalmembran (»Lupusbande«). (Professor R. Waldherr, Heidelberg)
und Komplement sind zumeist an der Grenze von Dermis und Epidermis zu finden. Ein wahrscheinlich sekundär entstehendes mononukleäres Infiltrat mit T-Zellen kann die Integrität dieser Grenzzone zerstören. Mittels Immunfluoreszenz für Komplement und Immunglobulin lässt sich hier das sog. Lupusband darstellen. Aufgrund der vaskulitischen Veränderungen kann es zum Austritt von Erythrozyten aus den Gefäßen ins Gewebe sowie zum Ödem kommen.
7.5.2
Gefäße und Herz
Die LE-Vaskulitis kann in nahezu jedem Organ auftreten und ist durch Immunkomplexablagerung in der Gefäßwand gekennzeichnet. Fibrinoide Nekrose und Infiltration von Entzündungszellen kann zur nekrotisierenden Vaskulitis führen, die histologisch schwer von anderen Vaskulitiden zu unterscheiden ist. Das Auftreten von Antiphospholipid-Antikörpern kann thrombotische Mikroangiopathien auslösen. Eine verruköse Endokarditis, als Libman-Sacks-Endokarditis bezeichnet, zeigt zahlreiche Vegetationen auf den Herzklappen, insbesonders der Mitralklappe. Die Auflagerungen bestehen aus Fibrin, Zelldebris und Entzündungszellen. Grundsätzlich kann auch das Perikard (häufig) und das Myokard (selten) entzündlich verändert sein. Die in der Lunge gefürchtete Blutung entsteht wahrscheinlich auf dem Boden einer alveolären Immunkomplexablagerung und konsekutiven Schädigung durch Komplement und Vaskulitis.
303
7.6 · Klinische Symptome
7.5.3
ZNS
7.6
Vaskulitis, ausgelöst durch Immunkomplexablagerung und Komplementaktivierung, ist ein wesentliches Schädigungsmuster im ZNS. Hierbei ist die zugrunde liegende Läsion ähnlich der in anderen Organen beim SLE und Ausdruck der systemischen Erkrankung. Häufiger scheinen jedoch beim SLE thromboembolische Ereignisse in kleinen intrakraniellen Gefäßen mit sekundären entzündlichen Veränderungen assoziiert zu sein. Meist sind Patienten betroffen, die Antiphospholipid-Antikörper haben. Folge dieser vaskulären Pathologie sind Infarkte unterschiedlicher Größe. Blutungsneigung, ausgelöst durch Thrombozytopenien, kann ausgesprochen komplizierend zu intrazerebralen Blutungen führen. Nichtvaskuläre Schädigung des ZNS spielt beim SLE ebenfalls eine noch nicht eindeutig definierte Rolle. Wie weiter oben ausgeführt, können mit NMDA-Rezeptoren kreuzreagierende Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörper nach Störung der Blut-Hirn-Schranke ZNS-Läsionen verursachen, die mit einer kognitiven Einschränkung einhergehen.
Klinische Symptome
Der SLE kann nahezu jedes Organ befallen, dies bedingt die sehr große Variabilität in der klinischen Symptomatik. Häufig präsentieren sich die Patienten mit Allgemeinsymptomen wie Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Müdigkeit und Fieber. Hinzu kommen die Symptome einer allgemeinen Entzündung wie zum Beispiel Hepatosplenomegalie und Lymphknotenvergrößerung und die Zeichen der jeweiligen organspezifischen Beteiligung. Dabei sind Haut, Niere und der Bewegungsapparat am häufigsten betroffen, die ebenfalls häufigen hämatologischen Auffälligkeiten können sich klinisch wieder in Müdigkeit äußern (bei Anämie) oder in Infektanfälligkeit (bei Leukopenie) und Petechien (bei Thrombopenie). Der Beginn kann akut sein oder sich über lange Zeit hinziehen; vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnosestellung können Jahre vergehen. Eine Übersicht über die Häufigkeit der Manifestationen des SLE ist in . Tab. 7.2 gegeben.
. Tab. 7.2 Manifestationen des SLE bei Kindern. (Mod. nach nach Benseler u. Silverman 2005; Bader-Meunier et al. 2005; Lee et al. 2001) Symptom/Befund
Häufigkeit [%]
Kommentar
Müdigkeit, Gewichtsverlust
80–90
Fieber
50–70
Hepatosplenomegalie
30–40
Haut- und Schleimhautbeteiligung
70–90
Bei 30–40% besteht eine deutliche Photosensivität
5 Schmetterlingsexanthem
30–50
Typisch, aber nicht pathognomonisch
5 Raynaud-Symptomatik
10–15
5 Haarausfall
10–40
Meist diffus
5 Mundschleimhaut
10–30
Orale Ulzerationen
5 Vaskulitis
10–25
5 Diskoide Läsionen
5–10
5 Periunguales Erythem
10
Nagelfalzkapillaren untersuchen
Nephritis
50–80
In der Literatur werden Raten zwischen 20 und 80% beschrieben, abhängig davon, ob die Patienten nephrologisch oder rheumatologisch versorgt werden
Muskuloskelettales System
60–80
Hämatologische Auffälligkeiten
50–70
Neurologische Auffälligkeiten
20–40
Kardiale Beteiligung
10–30
Pulmonale Beteiligung
20–40
7
304
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
7.6.1
Haut- und Schleimhautbeteiligung
Hautmanifestationen sind beim SLE häufig, sie kommen sowohl zu Krankheitsbeginn als auch im Verlauf der Erkrankung vor und sie sind sehr unterschiedlich bezüglich ihrer Ausdehnung und ihrer Ausprägung. Beschrieben sind nicht nur das Schmetterlingsexanthem, sondern auch lichtempflindliche Ausschläge, vaskulitische Hautläsionen mit Indurationen und Ulzerationen, Palmar- und Plantarerythem, Raynaud-Syndrom, Erythema annulare und seltener auch ein diskoider Lupus (. Abb. 7.2–7.5). Haarausfall gehört ebenfalls zu den typischen Symptomen eines SLE, meist ist er diffus und nur selten lokal. Weitere seltenere mukokutane Manifestationen sind Urtikaria, bullöse Hauterscheinungen, periunguale Gangrän, Erythromelalgie, ödematose Schwellungen im Gesicht, genitale Ulzerationen, Livedo reticularis und Cheilitis (BaderMeunier et al. 2005). Die Mund- und Nasenschleimhaut kann ebenfalls betroffen sein, typisch sind schmerzlose, flache Ulzerationen am Hartgaumen, aber auch ein Enanthem und petechiale Ausschläge können auftreten. Das typische Schmetterlingsexanthem (. Abb. 7.2) ist ein wesentliches Kennzeichen des SLE, es kommt aber nur bei 30–50% der Erkrankten vor und es ist nicht pathognomonisch für den SLE. Typischerweise ist es auf beide Wangen und die Nasenbrücke ausgedehnt, seltener auch auf die Stirn, es spart aber die Nasolabialfalten aus. Das Exanthem ist meist scharf begrenzt, es kann leicht erhaben und makulös, makulopapulös oder vaskulitisch sein,
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
. Abb. 7.2 Schmetterlingserythem mit Überkreuzen der Nasenbrücke und unter Aussparung der Nasolabialfalten bei 14 Jahre alter Patientin
. Abb. 7.3 Subakute kutane Verlaufsform des SLE bei 10 Jahre alter Patientin
es heilt fast immer ohne Narben aus. In ungefähr 30% der Patienten ist das Schmetterlingexanthem photosensitiv. Die Morphologie der Hauterscheinungen kann sehr unterschiedlich sein, papulöse Veränderungen gehen in annuläre Läsionen über, die erhaben sein können, verkrustet und atroph (. Abb. 7.4a). Diese Veränderungen treten besonders bei den kutanen Formen auf. Ein makulopapulöser Ausschlag als Ausdruck einer Vaskulitis kann am ganzen Körper auftreten, ist aber auch besonders an sonnenexponierten Stellen lokalisiert. Teilweise sind diese Läsionen schmerzhaft, meist heilen sie ohne Narben ab. Die Vaskulitis kann sich als Erythem an den Fingerspitzen äußern, es gibt auch umschriebene purpuraähnliche Veränderungen (. Abb. 7.4b) und ein Erythema annulare(. Abb. 7.4c). Ähnlich wie bei einer Dermatomyositis und bei einer Sklerodermie kann eine periunguale Rötung als Folge der Erweiterung der Nagelfalzkapillaren zu sehen sein und es können digitale Ulzerationen entstehen. Diskoide Läsionen sind beim SLE eher selten und neigen zur narbenlosen Abheilung, die Läsionen treten am Kopf und den Extremitäten auf, sind meist scharf markiert und papulös schuppend. Häufig sind auch diese Läsionen lichtempfindlich.
305
7.6 · Klinische Symptome
. Abb. 7.4 a Photosensitives Exanthem am Unterarm; b Vaskulitis mit Purpura und Erythem der Fingerendglieder; c Erythema annulare
Die Erkrankungen des Knochens sind hauptsächlich behandlungsinduzierte Komplikationen wie die avaskuläre Knochennekrose besonders der großen, gewichtstragenden Knochen (Femurkopf). Diese Komplikation tritt besonders bei langer und hoch dosierter Steroidtherapie auf, kann aber auch innerhalb weniger Wochen nach Beginn der Behandlung gesehen werden. Auch die Osteoporose ist meist Kortisonfolge, evtl. verstärkt duch krankheitsbedingte körperliche Schonung.
7.6.3 . Abb. 7.5 Orales Ulkus
7.6.2
Muskuloskelettales System
Die meisten Patienten mit SLE haben zu irgendeinem Zeitpunkt eine Beteiligung von Gelenken, Muskeln oder Knochen. Die Arthritis befällt meist symmetrisch die kleinen und großen Gelenke; sie ist schmerzhaft. Die starken Schmerzen, die oft wesentliche Bewegungseinschränkung und die ausgeprägte Morgensteifigkeit sind meist nur von relativ geringen Gelenkschwellungen begleitet. Die Gelenkbeteiligung bei SLE kann von kurzer Dauer und migratorisch sein, sie ist sehr selten erosiv und geht deswegen fast nie mit radiologischen Veränderungen einher. Muskelschmerzen und Muskelschwäche sind relativ häufig und treten bei 20–30% der Patienten meist proximal betont auf. Eine wirkliche Myositis ist wesentlich seltener und geht häufig mit einer systemischen Vaskulitis einher, eine eventuelle steroidbedingte Myopathie ist von der eigentlichen muskulären Beteiligung abzugrenzen.
Hämatologische Aufälligkeiten
Hämatologische Aufälligkeiten im Sinne von Anämie, Leukozytopenie und Thrombozytopenie treten bei 50– 70% der SLE-Patienten im Kindes- und Jugendalter auf. Nicht selten werden diese Patienten, besonders wenn alle drei Zelllinien beteiligt sind (»Trizytopenie«), unter der Verdachtsdiagnose einer hämatologischen Systemerkrankung vorgestellt. Auch eine Sepsis als Primärmanifestation des SLE bei ausgeprägter Neutropenie ist möglich. Eine Thrombozytopenie tritt oft schon bei der Primärmanifestation auf, bei chronischer idiopathischer Thrombozytopenie sollte deswegen immer auch an die Differenzialdiagnose SLE gedacht und eine Untersuchung auf ANA durchgeführt werden. ! Bei der Kombination einer autoimmunen idiopathischen Thrombozytopenie und einer hämolytischen Anämie (Evans-Syndrom) ist das Risiko, dass ein SLE zugrunde liegt oder sich entwickelt, sehr hoch.
Auch Gerinnungsstörungen sind häufig beim SLE. Pädiatrische Patienten mit einem SLE und Antiphospholipid-
7
306
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
(aPL-)Antikörpern und hier besonders dem Lupusantikoagulans haben ein hohes Risiko, thromboembolische Komplikationen zu entwickeln. Von 149 pädiatrischen SLE-Patienten waren 24 (16%) positiv für das Lupusantikoagulans und bei 13 dieser Patienten traten 21 thromboembolische Zwischenfälle auf. Dabei kam es 9-mal zu einer Zerebralvenenthrombose, 3-mal zu einem arteriellen Schlaganfall, 4-mal zu einer tiefen Venenthrombose und 2-mal zu Lungenembolien, die restlichen Ereignisse waren anderer Natur. 31% der betroffenen Patienten hatten wiederholte Ereignisse (meist ohne Antikoagulation zu diesem Zeitpunkt), und im Schnitt ging die Diagnosestellung SLE den thromboembolischen Komplikationen 15 Monate voraus. Auch nach einer anderen Studie ist das Vorliegen des Lupusantikoagulans und nicht der AntikardiolipinAntikörper mit dem Auftreten von thromboembolischen Komplikationen korreliert. Allerdings gehen zumindest bei erwachsenen SLE-Patienten Antikardiolipin-Antikörper den Gerinnungsstörungen häufig um Jahre voraus, und diese frühen Antikörper scheinen einen schwereren klinischen Verlauf vorherzusagen (Levy et al. 2003; Berube et al. 1998; McClain et al. 2004). Eine Übersicht der hämatologischen Aufälligkeiten findet sich in . Tab. 7.3.
7.6.4
Neurologische Auffälligkeiten
Eine Mitbeteiligung des ZNS beim SLE kommt in 20–40% der Fälle vor, nimmt man lupusassoziierte Kopfschmerzen hinzu, so steigt die Zahl auf bis zu 70% an. Die Beteiligung des ZNS ist neben der Niere am häufigsten für Morbidität und Mortalität verantwortlich. Nach der Nomenklatur des American College of Rheumatology (ACR 1999) können 19 unterschiedliche Manifestationen eines neuropsychiatrischen Lupus unterschieden werden, die teilweise in . Tab. 7.4 dargestellt sind. Neuropsychiatrische Manifestationen sind häufig, umfassen Konfusionen, Angst- und kognitive Störungen, Stimmungsschwankungen, Depressionen und können bis zur Psychose gehen. Letztere zeigt oft Halluzinationen mit nicht selten suizidalen Tendenzen. Eine Depression ist oft schwer von den Auswirkungen der Krankheitsbearbeitung abzugrenzen oder von den negativen Auswirkungen
. Tab. 7.4 Neuropsychiatrischer Lupus. (Mod. nach Benseler u. Silverman 2005; ACR 1999) Symptom
Häufigkeit [%]
Aseptische Meningitis
Keine Angaben
Zerebrovaskuläre Erkrankung
10–30
Kopfschmerzen, Krampfanfälle häufig, aPL-positiv
Demyelinisierung
5
Selten
Kopfschmerzen
20–60
Auch migräneähnlich, cave ZNS-Vaskulitis, Hirnvenenthrombose
Bewegungsstörung
3–15
Bei Chorea nicht nur an das rheumatische Fieber denken, sondern immer auch an SLE
Myelopathie
1–8
11 12 13
. Tab. 7.3 Hämatologische Auffälligkeiten beim SLE. (Mod. nach Benseler u. Silverman 2005; Bader-Meunier et al. 2005)
14
Befund
Häufigkeit
Anämie (Hb <12 g/dl
30%, meist normozytär und normochrom, kann aber bei längerem Bestehen in eine mikrozytäre, hypochrome Form übergehen
Positiver Coombs-Test
30–50%, aber deutliche Hämolyse selten
Leukozytopenie (<4000/ml)
20–40%
Lymphozytopenie (<1500/ml)
25%, tritt häufiger auf als die Granulozytopenie und ist ein Aktivitätsmarker. Bei ausgeprägter Lymphozytopenie: cave Herpesvirusinfektion
15 16 17 18 19 20
Granulozytopenie (<1500/ml)
10%, bedingt durch zentrale Depression oder antigranulozytäre Antikörper
Thrombozytopenie (<150 000/ml)
15–30%, nach Möglichkeit keine Splenektomie bei SLE-bedingter chronischer Thrombozytopenie
Gerinnungsstörungen
Lupusantikoagulans bei 20–30% positiv, deutlich erhöhtes Thromboserisiko
21 22 23
Bemerkung
Krampfanfall
20–30
Akute Konfusion
20–40
Generalisiert > lokal
Angststörung
10–30
Kognitive Störung
20–60
Schulleistung fällt ab
Stimmungsschwankung/ Depression
30–60
Abgrenzung Krankheitsbearbeitung, verändertes Aussehen, Nebenwirkung von Medikamenten
Psychose
10–50
MRT oft normal
Peripheres Nervenssytem
3–30
Selten; Hirnnervenausfälle, transverse Myelitis
307
7.1 · Klinische Symptome
einer Kortisontherapie auf das Aussehen. Auch kognitive Störungen sind häufig und reichen von einer schlechteren Schulleistung bis zu manifester Konfusion und Koma. Bei allen diesen Veränderungen kann ein MRT des ZNS Normalbefunde zeigen. Kopfschmerzen sind eine sehr häufige Klage von SLEPatienten, sie können unterschiedliche Ursache haben und sind oft Zeichen einer aktiven ZNS-Vaskulitis. Häufig sprechen die Kopfschmerzen schlecht auf eine analgetische Behandlung an, ausszuschließen sind immer eine Hirnvenenthrombose und andere zerebrovaskuläre Insulte. Krampfanfälle können bei der Primärmanifestation auftreten, sind aber auch im Verlauf häufig. Patienten mit Krampfanfällen haben oft assoziierte Kopfschmerzen, eine kognitive Dysfunktion oder eine ZNS-Vaskulitis, aber auch eine hypertensive Krise oder ein urämischer Krampfanfall sind abzugrenzen. Eine Bewegungsstörung kann sich als Chorea äußern, die fast immer positive aPLAntikörper hat, aber auch als Tremor, parkinsonähnliche Bewegungen oder zerebelläre Ataxie (Quintero-del-Rio u. Miller 2000; Olfat et al. 2004).
7.6.5
Kardiale Beteiligung
Beim SLE können alle Herzwandschichten beteiligt sein, aber am häufigsten (bis 30%) tritt eine Perikarditis mit Perikarderguss auf. Dieser ist klinisch oft stumm, für einen eventuellen präkordialen Schmerz ist es typisch, dass er im Liegen stärker und im Sitzen schwächer ist. Ein Geräusch ist meist nicht zu hören, sehr selten kommt es zu einer Perikardtamponade. Eine Myokarditis ist durch Dilatation, Kardiomegalie, Rhythmusstörungen und Herzinsuffizienz gekennzeichnet, eine Tachykardie ohne Fieber sollte beim SLE immer an eine Myokarditis denken lassen. Im Rahmen einer endokardialen Beteiligung ist die klassische nichtbakterielle, verruköse Libman-Sacks-Endokarditis bei Kindern selten. Sie ist durch wenige Millimeter große Knötchen im Klappenbereich (meist Mitralklappe) gekennzeichnet und kann ein entsprechendes Herzgeräusch hervorrufen. Eine Herzklappenbeteiligung kann mit der Gegenwart von aPL-Antikörpern assoziiert sein. Myokardinfarkte beim SLE sind beschrieben, sie kommen relativ selten vor, können aber sogar als Primärmanifestation auftreten und einen tödlichem Ausgang nehmen. Ein wesentliches Problem der kardialen Morbidität ist die vorzeitige Atherosklerose. Dafür sind viele verschiedene Risikofaktoren verantwortlich gemacht worden einschließlich Veränderungen der Plasmalipide, Nephritis mit Proteinurie und veränderter Endothelfunktion. Wahrscheinlich ist der entzündliche Prozess des SLE selbst für das erhöhte arteriosklerotische Risiko verantwortlich, und dieses Risiko wird durch die Gabe von Kortison verstärkt. Eine interdisziplinäre Langzeitüberwachung und -bera-
tung bezüglich kardiovaskulärer Risikofaktoren ist sicher angezeigt (Lee et al. 2001; Ilowite 2000).
7.6.6
Pulmonale Beteiligung
Auch die Lungen sind ein häufiges Zielorgan des SLE. Oft ist die Lungenbeteiligung subklinisch und nur durch pathologische Lungenfunktionstests zu demonstrieren. Klinische Symptome sind Husten, Thoraxschmerzen, Orthound Dyspnoe. Die häufigsten Manifestationen sind Pleuritis mit Ergüssen, Pneumonitis und Lungenblutung. Aber auch pulmonale Hypertonie, Lungenfibrose, Pneumothorax, infektiöse Pneumonien und eine Verminderung des Lungenvolumens als Ausdruck einer gestörten Zwerchfellfunktion sind beschrieben und müssen differenzialdiagnostisch bedacht werden. Die Pleuritis kann einseitig sein und verursacht atemabhängige Thoraxschmerzen, die Begleitergüssse sind meist klein. Eine Pneumonitis mit Infiltraten und Atelektasen ist von der gefürchteten, wenn auch seltenen Lungenblutung abzugrenzen. Atemnot und Thoraxschmerzen sind wesentliche Symptome, auskultatorisch können sich Rasselgeräusche finden, bei der Blutung kann eine Hämoptyse auftreten. Plötzliche Blässe und Tachykardie, begleitet von einem Abfall des Hämatokrits, sprechen für eine Blutung, ähnliche Symptome ohne Hämatokritabfall treten auch bei Herzversagen auf. Patienten mit SLE unter immunsuppressiver Therapie haben natürlich ein erhöhtes Risiko für opportunistische Infektionen, die im Verlauf von einer primären Lungenbeteiligung abgegrenzt werden müssen (Petty u. Cassidy 2001; Benseler u. Silverman 2005).
7.6.7
Gastrointestinale Beteiligung
Eine gastrointestinale Beteiligung beim SLE tritt bei bis zu 30% der Patienten auf, es kann jeder Abschnitt des MagenDarm-Trakts betroffen sein. Orale Läsionen sind nicht selten, auch Parotitiden treten auf. Relativ häufig sind Bauchschmerzen, diese können durch eine Peritonitis, Vaskulitis, Pankreatitis, Obstruktionen oder einen paralytischen Ileus verursacht sein, auch eine Cholezystitis ist beschrieben. Die Pankreatitis mit Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen kann eine Primärmanifestation darstellen, aber auch medikamentös insbesondere durch Kortison und Azathioprin bedingt sein. Diarrhö und eine Enteropathie mit Eiweißverlust sind Zeichen der Darmbeteiligung des SLE, entweder als direkte Beteiligung der Darmwand oder auch als Folge einer mesenterialen Vaskulitis oder Thrombose. Auch eine intestinale Pseudoobstruktion — vielleicht als Folge einer gestörten Motilität der glatten Muskulatur — ist bekannt (Bader-Meunier et al. 2005).
7
308
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
7.6.8
Andere Manifestationen
Eine Beteiligung der Augen wurde in der Arbeit von Bader-Meunier et al. (2005) bei 7 von 155 Patienten beschrieben, erwähnt werden Retinopathie, Papillitis und eine Keratitis, ebenso baumwollartige Flecken als Ausdruck einer retinalen Vaskulitis. Eine Keratoconjunctivitis sicca mit Fremdkörpergefühl in den Augen, Augenrötung und Photophobie kann Teil eines sekundären Sjögren-Syndrom sein, dort tritt noch eine Xerostomie als Folge der Entzündung der Speicheldrüsen mit verminderter Speichelproduktion auf. Viele Patienten mit SLE haben antithyroidale Antikörper, auch die Schilddrüse ist eine Zielorgan des SLE. Dabei können sowohl Hypo- als auch Hyperthyreose auftreten, wenn auch die Schilddrüsenunterfunktion häufiger ist. Als weitere endokrine Störungen treten relativ häufig eine verzögerte Pubertät, Menstruationsunregelmäßigkeiten oder sogar eine komplettes Ausbleiben der Menstruation auf (Bader-Meunier et al. 2005; Petty u. Cassidy 2001).
Diagnose und Differenzialdiagnose
7.7
Primär beruht die Diagnose des SLE auf klinischen Kriterien, die durch laborchemische Paramter unterstützt werden. Neben dem Ausschluss anderer Erkrankungen ist bei der Diagnose auch eine exakte Ausdehnung der Organbeteiligung festzulegen, da wesentliche Therapieentscheidungen hiervon abhängen. Bei der Diagnosestellung haben die meisten Patienten mindestens 4 der revidierten Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology erfüllt (7 Kap. 7.1).
7.7.1
Labordiagnostik
Die Labordiagnostik beim SLE dient zum einen der differenzialdiagnosischen Abklärung, zum anderen der Abschätzung der Krankheitsaktiivität und dem Therapiemo-
10 11 12 13 14
. Tab. 7.5 Labordiagnostik beim SLE. (Nach Bader-Meunier et al. 2005)
Parameter Parameter
Bemerkungen
Leukozyten, Differenzialblutbild
Leukopenie und Lymphopenie sind diagnostische Kriterien!
Thrombozyten
Thrombopenie ebenfalls diagnostisches Kriterium!
Hämoglobin
Zu 30% erniedrigt, hämolytische Anämie ist ein diagnostisches Kriterium (cave LDH)
Coombs-Test
Antikörpernachweis, fast 50% positiv
BSG
Fast immer wesentlich erhöht
17
CRP
Häufig normal
18
Blutkultur, Serologie
Abgrenzung von Infektion bei Fieber
Leberfunktion
Ausschluss/Nachweis Hepatopathie
Nierenfunktion
Harnstoff, Kreatinin, Albumin, Kreatininclearance
Pankreas
Ausschluss/Nachweis Pankreatitis
21
Kardiale Funktion
CK-MB, Troponin Ausschluss/Nachweis Myokarditis
22
Komplement
16
20
23
Bemerkungen
Gerinnung
15
19
. Tab. 7.5 (Fortsetzung)
5 C3, C4, CH50 5 Angeborener Komplementdefekt
Zu 70–80% erniedrigt Gehäuft
5 Quick, PTT, Fibrinogen, evtl. D-Dimere 5 Lupusantikoagulans 5 KardiolipinAntikörper 5 Anti-β2-Glykoprotein-I-Antikörper
Verlängerte PTT als Ausdruck der aPL, Quick evtl. erniedrigt, DDimere bei Verdacht auf Thrombose Bei ca. 15–30% vorhanden, korreliert mit dem Auftreten von thromboembolischen Komplikationen Bei bis zu 50% vorhanden Korreliert beim aPL-Syndrom mit Thrombosen
ANA
Diagnostisches Kriterium! ANA sind zu über 50% mit einem Titer ≥1:1280 erhöht, zu 90% ≥1:640
5 ds-DNA
Diagnostisches Kriterium, bei 70– 90% erhöht! Bei 30–50% erhöht, auch wichtig für Abgrenzung Mischkollagenose
5 Weitere Antikörperdifferenzierung Rheumafaktor
Abgrenzung Polyarthritis
Schilddrüse
TSH und fT4, Schilddrüsenantikörper zum Ausschluss/Nachweis Thyreoditis
Urinuntersuchung
Eiweiß/Kreatinin-Ratio, Erythrozyten, Zylinder
309
7.7 · Diagnose und Differenzialdiagnose
nitoring. Eine Übersicht über die Labordiagnsotik und ihre Interpretation ist in . Tab. 7.5 dargestellt. ! Für den SLE ist es typisch, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen einem wesentlich erhöhten BSG-Wert und einem meist normalen CRP-Wert besteht.
7.7.2
Sonstige Diagnostik
nographie, EKG, ECHO-KG und evtl. EEG aufgefasst werden, je nach Klinik muss dann eine ausführlichere Diagnostik erfolgen, die in . Tab. 7.6 dargestellt ist. Für die Diagnose eines neuropsychiatrischen SLE gibt es verschiedene diagnostische Möglichkeiten, aber die Untersuchungsergebnisse sind häufig normal. Deswegen wird oft eine Kombination der angegebenen Untersuchungen verwendet, auch um andere, nicht durch SLEverursachte ZNS-Komplikationen wie zum Beispiel eine Infektion abzugrenzen.
Die Organdiagnostik beim SLE richtet sich nach dem Organbefall. Als grundlegende Diagnostik können sicher Thoraxröntgenaufnahme, Lungenfunktion, Abdomenso-
. Tab. 7.6 Ausführliche Organdiagnostik beim SLE. (Nach Benseler u. Silverman 2005; Petty u. Cassidy 2001) Organsystem
Untersuchung
Zweck, Ergebnis
Haut/Schleimhaut
Nagelfalzmikroskopie
Kapillarerweiterung, Differenzialdiagnose
Muskuloskelettal
Sonographie und evtl. Röntgen (betroffene Gelenke bei Arthritis)
Ausmaß der Gelenkbeteiligung
Hämatolgisches System
Knochenmark
Ausschluss Leukämie
Niere
Dopplersonographie
Ausschluss Thrombose
Chrom-EDTA-Clearance
GFR-Bestimmung
24-h-Blutdruckmessung
Nächtliche Hypertonie
Nierenbiopsie
Schwere der Nierenbeteiligung
Lumbalpunktion
Infektion, Blutung
EEG
Allgemein- oder Lokalveränderungen, Krampfpotenziale
CT
Im Vergleich zu MRT deutlich weniger aussagekräftig
MRT
Fokale Läsionen
MRT-Angiographie
Bei Verdacht auf zerebrovaskuläre Komplikationen
Konventionelle Angiographie
Bei Verdacht auf zerebrovaskuläre Komplikationen
SPECT (single photon emission computed tomography)
Funktion, bei Psychosen, aber umstritten
Kognitive Funktionstestung
Erfassung von Veränderungen, auch im Verlauf
Herz
Belastungstest Langzeit-EKG Koronarangiographie Myokardperfusionsscan Radionukleolidangiographie
Bei Arrhythmien, Hinweisen für Myokardinfarkt, Abklärung Risiko Koronararterien
Lunge
Thorax-CT Diffusionskapazität (DLCO)
Ausmaß Lungenbeteiligung, Abgrenzung Pneumonitis gegen Parenchymblutung, pulmonale Hypertension
Abdomen
Evtl. MRT
Sonstiges
Ophthalmologische Untersuchung
Okuläre Beteiligung
Gynäkologische Untersuchung
Schwangerschaftsverhütung, Verminderung der gonadalen Toxizität unter Cyclophosphamid
ZNS
7
310
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
7.7.3
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch ist der SLE abzugrenzen von anderen Autoimmunerkrankungen wie z. B. der systemischen Form oder den polyarthritischen Formen der juvenilen idiopathischen Arthritis oder einem KawasakiSyndrom. Bei einem typisch ausgeprägten SLE ist die Abgrenzung aufgrund der Klinik, des Alters und der Laborwerte einfach, schwieriger ist sie bei den Mischkollagenosen, wo teilweise eine ganz sichere Zuordnung nicht zu erreichen ist. Ansonsten wird die Differenzialdiagnoose des SLE wesentlich durch die primäre Organmanifestation bestimmt. So können die führenden Leitsymptome z. B. die einer Sepsis, eines Nierenversagens oder eines nephrotischen Syndroms, einer Myokarditis oder eines Myokardinfarkts, eines zerebrovaskulären Insults oder einer malignen Systemerkrankung sein.
7.8
Lupusnephritis
12
7.8.1
Definition und Häufigkeit
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Symptom/ Befund
Häufigkeit/Bemerkung
Hypertension
30–40%
Periphere Ödeme
Zusammen mit Hypertension üblich, mit WHO-Typ III und IV assoziiert
Mikrohämaturie
80%
Makrohämaturie
1%
Proteinurie
90%
Nephrotisches Syndrom
50%
Nierenversagen
17%, akutes Nierenversagen als Primärmanifestation des SLE selten
! An einen SLE sollte immer gedacht werden, wenn bei einem Adoleszenten eine unklare Organerkrankung mit Fieber und erhöhter BSG vorliegt.
11
13
. Tab. 7.7 Spezifische Symptome einer Nierenbeteiligung beim SLE. (Mod. nach Cameron 1994; Bader-Meunier et al. 2005)
Der Nierenbeteiligung kommt unter den Organmanifestationen des SLE eine entscheidende Rolle bei der Morbidität und Mortalität zu. Der Diagnose und Therapie der Lupusnephritis ist besondere Beachtung zu schenken, da durch eine adäquate frühzeitige Therapie der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst und das Mortalitätsrisiko der Patienten deutlich gesenkt werden kann. Klinische Symptome einer Nierenbeteiligung wie Proteinurie und Hämaturie sind bei etwa 30–70% aller pädiatrischen SLE-Patienten zu beobachten. Eine Nierenbeteiligung bei SLE scheint jedoch insgesamt häufiger zu sein, da sich in nierenbioptischen Untersuchungen bei bis zu 90% aller Patienten glomeruläre Ablagerungen von Immunglobulin- bzw. Komplemtentfaktoren nachweisen lassen. Die Lupusnephritis verläuft bei Kindern im Vergleich zu erwachsenen Patienten häufig akuter und schwerer, wobei vor allem ältere Kinder und Jugendliche betroffen sind, mit einem Mädchen-zuJungen-Verhältnis von ca. 4,5:1 (Cameron 1994).
7.8.2
Klinische Symptome und Diagnose
Eine Nierenbeteiligung tritt nur selten isoliert bei Patienten mit SLE auf. Meist bestehen neben Symptomen wie Müdigkeit, Anorexie, Nausea oder Fieber weitere Organmanifestationen (. Tab. 7.7). Als häufigstes renales Symptom findet sich bei ca. 80% der Patienten die Kombi-
nation aus einer Mikrohämaturie und einer Proteinurie (>150 mg/m2/Tag oder Protein/Kreatinin-Ratio >0,15). Bei der Hälfte der Patienten findet sich ein nephrotisches Syndrom, definiert durch das Vorliegen einer großen Proteinurie (>1 g/m2/Tag), Hypalbuminämie (Serumalbumin <2,5 g/dl) und Ödemen. Häufig finden sich in der Phasenkontrastmikroskopie dysmorphe Erythrozyten oder auch Erythrozytenzylinder. Eine Makrohämaturie tritt bei weniger als 2% der Patienten auf. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung weisen die Hälfte der Patienten eine reduzierte glomeruläre Nierenfunktion auf, gemessen an einer erniedrigten Kreatininclearance bzw. erhöhtem Serumkreatinin. Eine akute Niereninsuffizienz wird nur ausnahmsweise beobachtet. Eine arterielle Hypertonie besteht bei etwa 40% der Patienten zum Zeitpunkt der Erstmanifestation. Die Diagnosestellung einer Lupusnephrits erfordert in der Regel die Durchführung einer Nierenbiospie. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Schwere von weiteren Organmanifestationen als auch die Ausprägung der hämatologischen oder auch immunologischen Laborbefunde nicht mit der Schwere der Nierenbeteiligung korrelieren müssen. ! Die Schwere der Nierenbeteiligung korreliert nicht unbedingt mit der Ausprägung weiterer Organmanifestationen des SLE.
7.8.3
Pathoanatomische Klassifikation
Die lichtmikroskopischen morphologischen Veränderungen der Lupusnephritis sind nicht durch ein einheit-
7
311
7.8 · Lupusnephritis
liches, charakteristisches Bild gekennzeichnet, sondern unterscheiden sich von Patient zu Patient. Die meisten Patienten mit Lupusnephritis weisen eine immunkomplexmediierte glomeruläre Erkrankung auf, die gekennzeichnet ist durch glomeruläre Ablagerungen sowohl der Immunglobulinfraktion IgA, IgG und IgM sowie von Komplemtentfaktoren (sog. Full-House-Immunhistologie). Zur besseren Charakterisierung, verbunden mit der Hoffnung, die klinische Aussagekraft der nephritischen Veränderungen zu verbessern, wurde die Lupusnephritis nach der WHO in 6 Typen eingeteilt (Weening JJ et al. 2004). Die Einteilung orientiert sich an dem Muster der lichtmikroskopischen, elektronenoptischen und Immunfluoreszenzbefunde (. Tab. 7.8). Hierbei weisen 2 Drittel aller nierenbioptisch untersuchten Kinder mit Lupusnephritis eine fokal-segmentale oder auch diffus-proliferative Glomerulonephritis auf. Die Erfassung des Aktivitätsindex spielt eine wesentliche Rolle zur Beurteilung der langfristigen Prognose der Nierenveränderung bei SLE. So ist bei aktiven Entzündungsprozessen grundsätzlich von einer Reversibilität auszugehen, während sklerotische Veränderungen
ohne aktive Entzündung nicht reversibel sind. Daher ist bei dem Vorliegen von überwiegend sklerotischen Befunden eine immunsuppressive Therapie nicht sinnvoll. Die Klassifikation der Lupusnephritis mittels nierenbioptischer Untersuchung ist von elementarer Bedeutung zur Beurteilung der langfristigen Prognose und Festlegung der immunsuppressiven Therapie. Es besteht zwar eine gewisse Assoziation zwischen dem Schweregrad der klinischen Symptome wie Proteinurie, Hypertonie oder glomerulären Nierenfunktion und den verschiedenen Typen der Nierenbeteiligung, jedoch kann diese in Einzelfällen auch stark divergieren (. Tab. 7.9). WHO-Typ I. Der Typ I beinhaltet lichtmikroskopisch unauffällige Glomeruli und bedarf aufgrund einer exzellenten renalen Prognose auch bei Vorliegen geringer Immunglobulinablagerungen keiner speziellen Therapie.
WHO-Typ II. Dieser Typ (. Abb. 7.6) ist definiert durch eine mesangioproliferative Glomerulonephritis mit mesangialen Immunablagerungen ohne lichtmikroskopische Veränderungen (Typ IIA). Beim Typ 2B fin-
. Tab. 7.8 Pathoanatomische Lupusnephritis-Klassifikation nach WHO bei 365 Kindern. (Zusammengestellt von Cameron 1994) WHOTyp
Beschreibung
I
Normale Glomeruli
IA
IF und EM negativ
IB
IF und EM mit Immunablagerungen
II
Mesangioproliferative GN mit diffusen Ablagerungen in IF und EM
IIA
Leichte mesangiale Hyperzellularität
IIB
Mittelgradige mesangiale Hyperzellularität
III
Fokal-segmentale proliferative GN mit diffusen und fokalen, subendothelialen und subepithelialen Ablagerungen
IIIA
Mit aktiven nekrotisierenden Läsionen
IIIB
Mit aktiven und sklerosierenden Läsionen
IV
Diffuse proliferative GN mit mesangialen, subendothelialen und subepithelialen Ablagerungen
IVA
Ohne segmentale Läsionen
IVB
Mi akuten nekrotisierenden Läsionen
IVC
Mit akuten und sklerosierenden Läsionen
IVD
Mit sklerosierenden Läsionen
V
Membranöse Lupusnephritis mit diffusen subepithelialen und wenigen mesangialen und fokal-subendothelialen Läsionen in IF und EM
VI
Chronische sklerosierende Glomerulonephitis
IF Immunfluoreszenz; EM Elektronenmikroskopie; GN Glomerulonephritis.
Häufigkeit [%]
6
19
23
43
9 Keine Angaben
312
1 2
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
. Tab. 7.9 Korrelation zwischen den pathoanatomischen Befunden und der klinischen Symptomatik bei der Lupusnephritis Nierenhistologie
Große Proteinurie
Nephrotisches Syndrom
Hypertonie
Nierenversagen
Remission
Terminale Niereninsuffizienz
WHO-Typ II
–
–
–
–
+++
–
WHO-Typ III
+/–
+/–
+/–
+/–
++
+/–
WHO-Typ IV
++
++
++
++
+
+++
WHO-Typ V
+++
+++
+
+
+
+
WHO-Typ VI
+/–
–
+
++
–
+++
Vaskuläre Beteiligung
+/–
–
+++
++
+
+++
3 4 5 6 7
– Nicht zu beobachten, +/–, selten, +, gelegentlich, ++, häufig, +++, sehr häufig.
8 9 10 11 12 13 14 15
a
b
. Abb. 7.6 a Mesangiale (mesangial-proliferative) Lupusglomerulonephritis (II) mit unregelmäßiger mesangialer Zell- und Matrixvermehrung (Masson-Trichromfärbung). b Immunhistologisch Nachweis von IgG und Komplement (C1q, C4, C3) im Mesangium. (Professor R. Waldherr, Heidelberg)
16 17 18 19 20 21 22 23
den sich zusätzlich milde mesangiale Proliferationen und elektronenmikroskopisch sog. »dense deposits« im Mesangium. Klinisch zeigt sich in der Regel eine Mikrohämaturie und/oder auch eine geringgradige Proteinurie (<1g/m2/Tag). Eine Hypertonie ist selten, ein nephrotisches Syndrom oder eine Niereninsuffizienz wird nicht beobachtet. Die renale Prognose ist gut, eine spezifische Therapie ist nicht erforderlich. Jedoch sollten diese Patienten engmaschig kontrolliert werden, da sie unter Umständen rasch ein schwereres Krankheitsbild entfalten können. WHO-Typ III. Bei der fokal-segmentalen proliferativen
50% der Glomeruli lichtmikroskopische Veränderungen auf. Die renale Prognose ist variabel. Sind weniger als 20% der Glomeruli betroffen, beträgt die renale 5-Jahres-Überlebensrate ca. 95%. Diese Patienten haben in der Regel nur leichte renale Symptome wie eine geringe Proteinurie ohne nephrotisches Syndrom und eine normale GFR. Zeigen sich hingegen zelluläre Proliferationen, Nekrosen und größere subendotheliale Immunkomplexablagerungen in mehr als 40% der Glomeruli (Typ IIIB), so ist die Prognose ohne adäquate immunsuppressive Therapie schlecht. Bei diesen Patienten besteht initial meist eine große Proteinurie, häufig ein nephrotisches Syndrom oder auch ein erhöhter Blutdruck.
Glomerulonephritis werden neben Mesangialveränderungen auch segmentale intrakapilläre Proliferationen und gelegentlich auch nekrotische Veränderungen beobachtet (. Abb. 7.7). Definitionsgemäß weisen weniger als
WHO-Typ IV. Die diffus-proliferative Glomerulonephritis (. Abb. 7.8) ist die häufigste und schwerste Form der Lupusnephritis und betrifft ca. 43% der pädiatrischen Pa-
313
7.8 · Lupusnephritis
a
b
. Abb. 7.7 a Fokale (proliferative) Lupusglomerulonephritis (III) mit segmentaler Zellproliferation und Halbmondbildung (50% der Glomeruli; PAS-Färbung). b Immunhistologisch Immunkomplexdepots im Mesangium sowie segmental auch entlang der glomerulären Basalmembranen (IgG). (Professor R. Waldherr, Heidelberg)
a
b
. Abb. 7.8 a Diffus-proliferative Lupusglomerulonephritis (IV) mit endokapillärer Zellproliferation, segmentalen nekrotisierenden Schlingenveränderungen und Deckzellproliferation sowie subendothelialen (»wire loop«) Depots (Masson-Trichromfärbung). b Immunhistologisch massive mesangiale und periphere Immunkomplexablagerungen (IgG). (Professor R. Waldherr, Heidelberg)
tienten. Klinisch findet sich nahezu obligat eine Mikrohämaturie und Proteinurie, meist auch das Vollbild eines nephrotischen Syndroms, eine arterielle Hypertonie und/ oder auch eine eingeschränkte glomeruläre Nierenfunktion. Die histologischen Veränderungen entsprechen denen bei der fokal-proliferativen Erkrankung, jedoch sind bei der diffus-proliferativen Glomerulonephritis per Definition mehr als 50% der Glomeruli betroffen. Ausgeprägte Immunkomplexablagerungen führen zu einer Verdickung der glomerulären Kapillarwände unter dem lichtmikroskopischen Bild einer membranproliferativen Glomerulonephritis. Insbesondere bei Patienten mit Einschränkung der glomerulären Nierenfunktion findet sich häufig das Bild einer extrakapillären proliferativen Glomerulonephritis mit zellulären Halbmondbildungen. Ohne adäquate immunsuppressive Therapie kann die Erkrankung rasch zum terminalen Nierenversagen führen. Aber auch
unter Therapie kann es trotz Zurückdrängen der akuten Entzündungsprozesse zu einer progressiven Vernarbung (Sklerosierung) kommen. Die renale 5-Jahres Überlebensrate liegt zwischen 50 und 80%. Nur durch engmaschige Überwachung der glomerulären Nierenfunktion mittels Kreatinin- oder auch Chrom-EDTA-Clearance-Untersuchungen kann ein frühzeitiger Funktionsverlust bei diesen Patienten erfasst werden. Hierbei zeigt sich häufig ein relativ blandes Urinsediment und eine nur geringe oder rückläufige Proteinurie. WHO-Typ V. Die membranöse Glomerulonephritis (. Abb. 7.9) geht mit einer Verdickung der Kapillarwand und nur geringer mesangialer Proliferation einher. Klinisch findet sich meist ein nephrotisches Syndrom, verbunden mit einer Mikrohämaturie oder auch arteriellen Hypertonie. Die membranöse Lupusnephritis kann auch
7
314
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
1 2 3 4 5 6 7
a
b
. Abb. 7.9 a Membranöse Lupusglomerulonephritis (V) mit diffuser Basalmembranverdickung und Nachweis kleiner Depots an der Außenseite der glomerulären Membranen (Masson-Trichromfärbung). b Immunhistologisch feingranuläre Ablagerungen von IgG (und Komplement) entlang der glomerulären Basalmembranen und im Mesangium. (Professor R. Waldherr, Heidelberg)
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
isoliert als einzige Organmanifestation des SLE auftreten und daher mit einer idiopathischen membranösen Glomerulonephritis verwechselt werden. Wegweisend zur Diagnosestellung können in diesen Fällen das Bild einer Full-House-Immunhistologie (IgA, IgG, IgM sowie Komplementfaktorablagerungen), tubuloretikuläre Veränderungen in den Endothelzellen in der Elektronenmikroskopie, subendotheliale/mesangiale Ablagerungen wie bei der Lupusnephritis sowie Immunkomplexablagerungen entlang der tubulären Basalmembran und in den arteriellen Kapillaren sein. Ein Übergang in eine terminale Niereninsuffizienz wird im Zeitraum von 5 Jahren bei weniger als 20% der Patienten beobachtet. WHO-Typ VI. Dieser Typ ist definiert durch eine globale Sklerose von mehr als 90% der Glomeruli. Sie stellt einen Restzustand nach Abheilung der entzündlich bedingten Läsionen im Sinne einer Narbe dar. Hierbei ist zu bedenken, dass die Kreatininclearance bei diesen Patienten häufig das Ausmaß der Zerstörung unterschätzt, sodass es auch ohne neue aktive Entzündungsprozesse zu einer raschen Funktionsverschlechterung kommen kann.
19 20
Tubulointerstitielle Nephritis
22 23
Vaskuläre Beteiligung Eine vaskuläre Beteiligung findet sich nicht selten bei Patienten mit Lupusnephritis und stellt einen prognostisch ungünstigen Faktor dar. Die häufigste Manifestation sind subendotheliale Immunkomplexablagerungen oder auch das Bild einer thrombotischen Mikroangiopathie, die mit dem klinischen Bild einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura einhergeht. Bei letzterem finden sich gehäuft Antiphospholipid-Antikörper. Differenzialdiagnostisch muss auch an das Vorliegen einer Nierenvenenthrombose gedacht werden, die insbesondere bei nephrotischen SLE-Patienten auftreten kann.
Pauciimmunnekrotisierende Glomerulonephritis 7.8.4
21
len Hypertonie, Einschränkung der glomerulären Nierenfunktion und einem prognostisch ungünstigen Verlauf. Sie kann aber auch die einzige Manifestation der Lupusnephritis darstellen. Zusätzlich können auch Zeichen der tubulären Dysfunktion im Sinne einer distal renal tubulären Azidose (Typ I), Hyperkaliämie oder aber auch Hypokaliämie, bedingt durch renalen Salzverlust und konsekutiven sekundären Hyperaldosteronismus, vorkommen.
Weitere Formen der Nierenbeteiligung
Eine tubulointerstitielle Nephritis, die gekennzeichnet ist durch interstitielle Infiltrate und Tubulusläsionen, häufig verbunden mit Immunkomplexablagerungen entlang der tubulären Basalmembran, findet sich in der Regel zusammen mit entsprechenden oben beschriebenen glomerulären Veränderungen. Der Schweregrad der tubulointerstitiellen Veränderungen ist ein wichtiger prognostischer Faktor und korreliert mit dem Auftreten einer arteriel-
Bei diesen Patienten zeigt sich eine nekrotisierende Glomerulonephritis ohne oder nur mit geringgradig ausgeprägten Immunkomplexablagerungen. Diese Erkrankung tritt bei Patienten mit Lupusnephritis nur sehr selten auf und muss differenzialdiagnostisch gegenüber der Wegener-Granulomatose oder auch der idiopathischen nekrotisierenden Glomerulonephritis abgegrenzt werden. ! Die Klassifikation der Lupusnephritis mittels nierenbioptischer Untersuchung ist von elementarer Bedeutung zur Beurteilung der langfristigen Prognose und Festlegung der immunsuppressiven Therapie.
315
7.8 · Lupusnephritis
7.8.5
Indikationen für eine Nierenbiopsie
Patienten mit einer aktiven Lupusserologie, einer akuten Niereninsuffizienz, großen Proteinurie und Erythrozytenzylindern haben fast immer eine diffus-proliferative Lupusnephritis (. Tab. 7.9). Bei diesen Patienten ist eine Nierenbiopsie sinnvoll, um den Ausgangsbefund vor Einleitung der Therapie zu dokumentieren. Viel schwieriger ist die Beurteilung bei Patienten mit Mikrohämaturie und geringgradiger Proteinurie (0,1–1 g/m2/Tag). Diese Patienten können das ganze Spektrum von geringgradigen mesangialen Veränderungen bis hin zur diffus proliferativen Lupusnephritis oder auch einer membranösen Glomerulonephritis aufweisen (Niaudet 2000). Darüber hinaus ist differenzialdiagnostisch insbesondere bei Patienten mit Antiphospholipid-Antikörpern an eine thrombotische Mikroangiopathie zu denken. Bei diesen Patienten ist daher die Durchführung einer Nierenbiopsie zur Klärung der spezifischen renalen Diagnose erforderlich, um eine differenzierte Therapie einleiten zu können. Des Weiteren ist die Durchführung einer Nierenbiopsie bei Patienten mit Proteinurie und/oder Mikrohämaturie, bei denen die Diagnose des Lupus erythematodes unklar ist, sinvoll, um die Diagnose zu sichern. Es ist festzuhalten, dass die aufgrund einer nur gering ausgeprägten renalen Symptomatik verzögerte Durchführung einer Nierenbiopsie und die hieraus resultierende späte Einleitung einer adäquaten Therapie sich sehr ungünstig auf die langfristige Prognose dieser Patienten auswirkt (Esdaile et al. 1994). Indikationen zur Durchführung einer Wiederholungsbiopsie bei SLE-Patienten sind die Zunahme der renalen Symptome (insbesondere der Proteinurie), bei Patienten mit initialer milder Lupusnephritis (WHO-Typ II/III) oder aber auch das fehlende Therapieansprechen mit Persistenz der Proteinurie, um zwischen einer aktiven Lupusnephitis, die eine Erhöhung der immunsuppressiven Therapie benötigt, und Vernarbungsprozessen, die keine zusätzliche Therapie benötigen, zu unterscheiden. So wird in der Regel eine Wiederholungsbiopsie häufig bei Patienten notwendig, die nach einem initialen Ansprechen eine persitierende Proteinurie, neu auftretende arterielle Hypertonie oder Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate aufweisen.
7.8.6
Prognostische Faktoren
Der entscheidende prognostische Faktor für die Prognose der Lupusnephritis stellt das pathoanatomische Bild dar. Patienten mit einer diffus-proliferativen Glomerulonephritis, insbesondere bei dem Vorliegen von ausgeprägter Halbmondbildung oder auch nekrotisierenden Läsionen, haben eine schlechtere renale Prognose als solche mit anderen Formen der Lupusnephritis. Darüber hinaus konnten in zahlreichen Studien weitere prognostische Faktoren
herausgearbeitet werden wie Alter, Geschlecht, Rasse, das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie oder initiale Serumkreatininerhöhung, verzögerter Therapiebeginn, Exazerbation der Nephropathie unter Therapie und das therapeutische Ansprechen im ersten Jahr nach Diagnosestellung. Auch gehen bestimmte ACE-Polymorphismen mit einer ungünstigeren Prognose einher. Jüngere Kinder scheinen im Vergleich zu älteren Kindern oder auch Erwachsenen eine schlechtere renale Prognose zu haben. Schwarzafrikanische Patienten haben eine ungünstigere Prognose als Kaukasier, wobei dies teilweise auch durch einen unterschiedlichen sozioökonomischen Status erklärt wurde. Das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie stellt unabhängig von dem histologischen Bild einen prognostisch ungünstigen Faktor dar, sodass der Therapie der arteriellen Hypertonie ein gleich hoher Stellenwert wie der immunsuppressiven Therapie bei Kindern mit Lupusnephritis einzuräumen ist. Treten unter einer Therapie erneute Exazerbationen der Lupusnephritis auf, so ist dies mit einer ungünstigen Prognose verbunden. Diese Patienten bedürfen daher einer frühzeitigen Diagnosestellung und aggressiven Therapie. ! Da die Prognose und Therapie der Lupusnephritis vor allem vom pathoanatomischen Bild abhängt, sollte auch bei Patienten mit relativ geringer Symptomatik die Indikation zur Durchführung einer Nierenbiopsie eher großzügig gestellt werden.
7.8.7
Terminale Niereninsuffizienz
Etwa 20% der pädiatrischen Patienten mit Lupusnephritis entwickeln über einen Zeitraum von 5 Jahren eine terminale dialysepflichtige Niereninsuffizienz. Die Möglichkeiten und Durchführung einer Nierenersatztherapie unterscheiden sich prinzipiell nicht von denen bei anderen Patienten. Es stehen hierzu die Hämodiaylse, Peritonealdialyse und Nierentransplantation zur Verfügung. Zu bedenken ist jedoch, dass sich bei einigen Patienten selbst nach einer längeren Dialysepflichtigkeit die Nierenfunktion zumindest wieder teilweise erholen kann, sodass eine sorgfältige Planung der Nierenersatztherapie erforderlich ist. Im Falle einer terminalen Niereninsuffizienz kommt es häufig zu einer Besserung der klinischen Symptomatik des SLE unter chronischer Hämodialyse, sodass bei vielen Patienten die immunsuppressive Therapie reduziert oder auch teilweise sogar abgesetzt werden kann. Bei einigen Patienten zeigt sich jedoch auch eine Persistenz der klinischen Symptomatik oder auch eine klinische Verschlechterung. Das Patienten- und Transplantatüberleben bei SLEPatienten nach Nierentransplantation ist prinzipiell mit dem von Patienten mit anderen renalen Grunderkrankungen vergleichbar (Mojcik et al. 1996). In der Regel
7
316
1 2 3 4
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
wird jedoch bis zur Anmeldung für eine Transplantation einige Monate abgewartet, ob eine klinische und serologische Remission eintritt. Ein Rezidiv der Lupusnephritis in das Transplantat wird nur sehr selten (ca. 5%) beobachtet. Patienten mit Antiphospholipid-Antikörpern haben jedoch ein erhöhtes thrombotisches Risiko nach Transplantation und bedürfen einer erhöhten Aufmerksamkeit.
5
7.9
6
Die Therapie des SLE ist bisher nicht eindeutig evidenzbasiert durchführbar. Zahlreiche der unten aufgeführten Substanzen sind nicht im Kindesalter untersucht, z. T. sind auch die Daten für das Erwachsenenalter aufgrund des Fehlens kontrollierter Studien mit entsprechend hohen Patientenzahlen nicht sehr aussagefähig. Ein ernsthaftes Problem ist die zu geringe Zahl von Studien zur Kombinationstherapie bzw. zur sequenziellen Therapie. Zur weiteren Verbesserung der Langzeitprognose hinsichtlich Mortalität und Ausbildung einer Niereninsuffizienz ist dringend die konsequente Einschleusung von Patienten mit SLE in Therapieoptimierungsstudien notwendig. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass wir bisher zu wenig wissen über die langfristigen Folgen eines SLE, der im Kindesalter beginnt, und dessen Verlauf über die nächsten 60, 70 oder mehr Jahre möglicherweise durch Entscheidungen des erstbehandelnden Pädiaters beeinflusst wird. Grundsätzlich hat sich bei verschiedenen Autoimmunkrankheiten wie dem SLE, aber auch z. B. der JIA ein bereits früher Einsatz einer aggressiven immunsupprimierenden Therapie gegenüber einer abwartenden Haltung durchgesetzt.
7 8 9 10 11 12 13 14 15
Therapie
16
7.9.1
17
Kortikosteroide werden seit vielen Jahrzehnten in der Behandlung des SLE erfolgreich eingesetzt. Sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil in der Akutbehandlung und häufig auch in der Langzeittherapie. Ein primäres Ziel nach der Diagnose eines SLE ist, den Patienten rasch in die Remission zu bringen, das Auftreten von Komplikationen an weiteren Organen zu verhindern und die Remission mit der geringst möglichen Menge an Kortikosteroiden zu erhalten. Das letztgenannte Ziel ist wegen der unerwünschten Wirkungen einer Dauertherapie mit Kortikosteroiden über der Cushing-Schwellendosis von herausgehobener Bedeutung. Die antiinflammatorische und immunsuppressive Wirkung von Kortikosteroiden setzt rasch ein, sodass nach Beginn einer Therapie bereits nach wenigen Tagen eine Wirkung sichtbar wird. Kutane und viszerale Symptome sowie Laboruntersuchungen zeigen ein Ansprechen auf die Therapie.
18 19 20 21 22 23
Kortikosteroide
Die Dosis sollte der Schwere des SLE angemessen sein: 5 Bei einem subakuten, im Wesentlichen kutanen Verlauf ohne renale Beteiligung genügt häufig eine niedrige (0,1–0,2 mg/kg Prednison) oder mittlere Dosis (0,5 mg/kg Prednison) zur Remissionsinduktion. In diesem Fall wird häufig Hydroxychloroquin zusätzlich als steroidsparende Substanz eingesetzt (s. unten). 5 Bei einer renalen Beteiligung ab WHO-Typ III aufwärts, sonstiger schwerer viszeraler Beteiligung, ausgeprägten hämatologischen Veränderungen und insbesonders schweren ZNS-Symptomen wird hochdosiert mit Prednison (1–2 mg/kg) therapiert. Die Tagesdosis sollte auf 3 Dosen verteilt werden. 5 Alternativ kann bei schwerem Verlauf eine Pulstherapie mit intravenös verabreichten Methylprednisolon-Kurzinfusionen über 1 h durchgeführt werden (Baca et al. 1999). Hierbei werden an 3 konsekutiven Tagen 20–30 mg/kg Methylprednisolon, jedoch nicht über 1000 mg, verabreicht. Überwachung von Herzrhythmus, Blutdruck, Glukose und Elektrolyten während der Infusion ist angezeigt. Im Anschluss an die dritte Infusion erhält der Patient täglich 0,5 mg/kg Prednison. Mit diesem Regime sind nach Erfahrung einiger Autoren weniger unerwünschte Wirkungen bei optimaler Wirkung auf den SLE zu erzielen. Kontrollierte Daten zum Vergleich zwischen hochdosierter Steroidtherapie und Pulssteroidtherapie fehlen allerdings. Nach Erreichen einer Remission sollten Kortikosteroide sukzessive reduziert werden, die optimale Geschwindigkeit der Reduktion sowie die optimale Dosisreduktion sind nicht bekannt. Häufig wird in Dreitagesabständen initial um 10–20 mg und später um 2,5–5 mg Prednison reduziert. Die Tagesdosis sollte jetzt auf die morgendliche und mittägliche Gabe begrenzt werden, im weiteren Verlauf sollten Kortikosteroide ausschließlich morgens und dann alternierend nur noch jeden zweiten Morgen verabreicht werden. All diese Maßnahmen helfen die unerwünschten Wirkungen von Kortikosteroiden zu vermindern. Ein typischer Verlauf der Behandlung eines SLE zur Remissionsinduktion mit Kortikosteroiden wäre die 4- bis 6-wöchige hochdosierte Therapie mit Auftreten cushingoider Symptome und die Reduktion über weitere 4 oder mehr Wochen. Die erfolgreiche Reduktion kann meist nur mit einer Kombination mit einer der weiter unten aufgeführten Substanzen erreicht werden. Aufgrund der unerwünschten Wirkungen der Kortikosteroidtherapie sollten Blutdruck, Gewichts- und Längenentwicklung, Glukose, Blutbild überprüft und augenärztliche Untersuchungen (Spaltlampe, Augeninnendruckmessung) durchgeführt werden (Evidenzstufe IV) .
317
7.9 · Therapie
7.9.2
Nichtsteroidale Antirheumatika
Nichtsteroidale Antirheumatika eignen sich zur Behandlung der Arthritis des SLE. Ibuprofen, Naproxen, Indomethacin oder andere können eingesetzt werden. In der Regel sind die Arthritiden beim SLE kein schwerwiegendes klinisches Problem, sodass die alleinige Gabe eines NSAID rasch effektiv ist. Schwellung, Erguss und Bewegungseinschränkung sind durch das NSAID beeinflussbar. Fieber und milde Serositis können ebenfalls durch NSAID verbessert werden. Die Kombination mit Kortikosteroiden und/oder Hydroxychloroquin ist möglich. Mögliche unerwünschte Wirkungen insbesondere auf die Nierenfunktion müssen berücksichtigt werden. Die glomeruläre Filtrationsrate kann durch NSAID beeinflusst werden, daher ist bei Patienten mit Nierenfunktionseinschränkung Vorsicht bei der Medikation mit NSAID geboten.
7.9.3
Hydroxychloroquin
Zur Effektivität von Hydroxychloroquin beim SLE liegen trotz weitverbreitetem Einsatz keine kontrollierten Studien im Kindes- oder Erwachsenenalter vor. Allerdings konnte eine Studie bei Erwachsenen mit SLE zeigen, dass Patienten, die eine Therapie mit Hydroxychloroquin beenden, ein deutlich höheres Risiko für ein Rezidiv ihrer Erkrankung tragen als Patienten, die die Therapie mit Hydroxychloroquin fortsetzen (Canadian Hydroxychloroquin Study Group 1991). Hydroxychloroquin scheint effektiv zu sein bei der Behandlung einer subakuten, kutanen Verlaufsform des SLE, beim medikamenteninduzierten SLE und bei mittelschwerem Verlauf mit Beteiligung viszeraler Organe. Insbesonders kutane Symptome werden günstig beeinflusst. Häufig wird die Substanz mit Kortikosteroiden kombiniert und kann dabei steroidsparend sein. Als Dosis werden 5– 7 mg/kg/Tag eingesetzt, die volle Wirkung kann nach ca. 6 Wochen erwartet werden. Aufgrund der okulären unerwünschten Wirkungen sind halbjährliche ophthalmologische Untersuchungen indiziert. Die Einlagerung der Substanz in der Retina ist abhängig von der Dosis und der Dauer der Therapie, frühe Veränderungen sind meist reversibel. Ablagerungen in der Cornea können frühzeitig auftreten, sind z. T. mit einer Photophobie assoziiert und in der Regel vorübergehender Natur, sodass kein zwingender Grund zum Absetzen besteht. Ebenso können gastrointestinale Beschwerden auftreten, die bei weiterer Verabreichung rückläufig sind. Da Chloroquin ein größeres Potenzial für unerwünschte Wirkungen am Auge aufweist als Hydroxychloroquin, sollte letzterer Substanz der Vorzug gegeben werden. In Ergänzung der oben angegebenen Wirksamkeit beim SLE scheint Hydroxychloroquin einen günstigen Effekt auf die Blutfette sowie zur Prävention thromboembolischer Komplikationen aufzuweisen. Dies
wäre im Hinblick auf das erhöhte Risiko einer frühzeitigen Atherosklerose beim SLE wünschenswert. Hydroxychloroquin ist grundsätzlich kontraindiziert bei Schwangerschaft, da wenige Berichte über Fehlbildungen vorliegen. Es gibt inzwischen jedoch ernstzunehmende Daten über die weitgehende Sicherheit von Hydroxychloroquin bei Schwangeren, sodass die Fortführung einer Therapie mit Hydroxychloroquin bei Eintritt einer Schwangerschaft möglich erscheint (Costedoat-Chalumeau et al. 2003) (Evidenzstufe IB für Erwachsene).
7.9.4
Azathioprin
Der Purinantagonist Azathioprin wirkt immunsuppressiv aufgrund der Beeinträchtigung der DNA-Synthese. Bereits in den 70er Jahren konnte gezeigt werden, dass Azathioprin bei der Behandlung des SLE effektiv ist. Die übliche Dosis beträgt 1,5–2,5 mg/kg/Tag. Unerwünschte Wirkungen sind selten und betreffen das Knochenmark, die Leber und das Pankreas. Insbesonders die Hämatotoxizität wird durch die Aktivität der Thiopurinmethyltransferase beeinflusst, Defizienzen dieses Enzyms sind jedoch selten. Die Enzymaktivität kann bestimmt werden. Die Befürchtung der Induktion von Malignomen durch Azathioprin hat sich erfreulicherweise nicht bestätigt. Der Eintritt der Wirkung ist Wochen nach Therapiebeginn, sodass bei akutem Beginn eines SLE nicht mit einem raschen Effekt zu rechnen ist. Für die zügige Remissionsinduktion sind wie oben ausgeführt Kortikosteroide die Mittel der ersten Wahl. Azathioprin wird sehr häufig beim SLE in Kombination mit Kortikosteroiden eingesetzt, es ist steroidsparend und zeigt seine Wirkung insbesonders bei leichten bis mittelschweren Verläufen und in der Remissionserhaltung. Kürzlich wurde bei Erwachsenen eine Studie durchgeführt, bei der die Wirksamkeit und das Sicherheitsprofil von Azathioprin gegenüber Cyclophosphamid und Mycophenolatmofetil in der Remissionserhaltung von Patienten mit SLE-Nephritis (WHO-Typ III–V) geprüft wurde (Contreras et al. 2004). Vorausgegangen zur Remissionsinduktion war die Kombination von Cyclophosphamid und Kortikosteroiden. Hierbei zeigten Azathioprin und Mycophenolatmofetil eine Überlegenheit gegenüber der Remissionserhaltung mit Cyclophosphamid. Inwieweit diese Daten auf Kinder übertragbar sind, ist ungewiss. Alles in allem ist Azathioprin also eine weitgehend sichere Substanz in der Behandlung des SLE, die wahrscheinlich ihren größten Stellenwert in der Remissionserhaltung hat. Regelmäßige Kontrollen des Blutbildes und der Leber- und Pankreasfunktionsproben sind sinnvoll. (Evidenzstufe IB für Erwachsene)
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
7.9.5
Cyclophosphamid
Cyclophosphamid ist eine alkylierende Substanz, die durch Bindung an Guanin die Purinsynthese inhibiert und damit Zellreplikation verhindert. Der Einsatz von Cyclophosphamid hat insbesonders bei schweren Verläufen des SLE mit ausgeprägter renaler Beteiligung (WHOTypen IV und V) oder ZNS-Beteiligung die Prognose der Patienten deutlich verbessert. Studien bei Erwachsenen haben gezeigt, dass die langfristige Verabreichung von intravenös verabreichten Pulsen von Cyclophosphamid kombiniert mit Kortikosteroiden der kurzfristigen Verabreichung von Cyclophosphamid oder der ausschließlichen Verabreichung von Kortikosteroiden überlegen ist (Boumpas et al. 1992). Allerdings zeigen neuere Daten, dass, nachdem die Remission mit Cyclophosphamid und Kortikosteroiden induziert wurde, die Remissionserhaltung mit Azathioprin oder Mycophenolatmofetil der mit Cyclophosphamid überlegen ist (Contreras et al. 2004). Dies erscheint vorteilhaft, da die Toxizität von Cyclophosphamid mit der kumulativen Dosis deutlich ansteigt, während Azathioprin oder Mycophenolatmofetil weniger schwere unerwünschte Wirkungen aufweisen. Bei Kindern mit steroidabhängiger oder -resistenter Lupusnephritis (WHO-Typen III und IV) konnte gezeigt werden, dass die Verabreichung von Cyclophosphamid über 36 Monate (6 Monate in monatlichen Abständen i.v.Pulse von Cyclophosphamid, anschließend in dreimonatigen Abständen) effektiv ist zur Remissionsinduktion und Verbesserung der histopathologischen Befunde (Lehman u. Onel 2000). Aus derselben Arbeitsgruppe stammt ein Protokoll für Patienten, die entweder nach der dreijährigen Behandlung mit Cyclophosphamid ein Rezidiv ihres SLE erleiden oder nicht ausreichend auf die initiale Therapie mit Cyclophosphamid ansprechen. Hierbei wird Cyclophosphamid mit MTX (50–300 mg/m2) kombiniert (Lehman al. 2004). Bei den wenigen behandelten Kindern (n=5) zeigte sich ein Ansprechen auf diese Therapie. Cyclophosphamid kann mit Methyprednisolonstößen kombiniert werden, in diesen Fällen wird wegen der antiemetischen Wirkung Methyprednisolon unmittelbar vor Cyclophosphamid gegeben. Mit dieser Therapie wurde eine gute Wirksamkeit in einer nichtkontrollierten Studie bei schwerstkranken SLE-Patientinnen mit ZNS Beteiligung für eine mittlere Beobachtungsdauer von 3 Jahren beschrieben (Baca V et al. 1999). Nicht eindeutig entscheidbar ist zur Zeit die Frage, welche Substanz neben Kortikosteroiden die optimale Therapie zur Remissionsinduktion bei schwerer Lupusnephritis (WHO-Typen III, IV und V) darstellt. Die meisten Daten und Erfahrungen, jedoch keine kontrollierten Studien im Kindesalter, liegen für Cyclophosphamid vor. Die Substanz hat jedoch ein ausgeprägtes Potenzial unerwünschter Wirkungen, daher ist die Suche nach Alternativen sinnvoll. Möglicherweise spielt Mycophenolatmo-
fetil hier eine Rolle, in einer kleinen Serie war die Substanz in dieser Indikation erfolgreich, hier jedoch eher bei der WHO-V-Nephritis als bei der WHO-IV-Nephritis (Buratti et al. 2001). Derzeit werden unterschiedliche Konzepte verfolgt, vielfach wird Cyclophosphamid bei schwerer Nephritis oder ZNS-Beteiligung zusätzlich zu Kortikosteroiden eingesetzt, andere bevorzugen Azathioprin oder Cyclosporin in Ergänzung zu Kortikosteroiden. Cyclophosphamid sollte nicht oral gegeben werden, da das Toxizitätsprofil schlechter ist als bei intravenöser Stoßtherapie mit entsprechender Wässerung. Ursprünglich wurde vom NIH ein Protokoll für die Cyclophosphamid-Stoßtherapie entwickelt, das in einer für Kinder modifizierten Form im Folgenden wiedergegeben ist. > Gabe von Cyclophosphamid als intravenöse Pulstherapie in Anlehnung an das NIH Protokoll Dosierung von Cyclophosphamid (Endoxan): 5 Initiale Dosis 750 mg/m2, bei erniedrigter Kreatininclearance unter 50% initiale Dosis 500 mg/m2, Infusion von Cyclophosphamid in 50–150 ml 0,9% NaCl Lösung über 60 min. 5 Blutbild Ende der 2. Woche zwischen Tag 10 und 14 nach Cyclophosphamid-Gabe, Anpassung der Cyclophosphamid-Dosis auf 1000 mg/m2 bei nächster Gabe nach 1 Monat, sofern der Nadir der Leukozyten über 1500/µl bleibt. Bei Absinken der Leukozyten unter 1500/µl Verringerung der Cyclophosphamid-Dosis um 25%. 5 Gabe von insgesamt 7 Cyclophosphamid-Pulsen in monatlichen Abständen, im Anschluss Fortsetzung der Verabreichung in Dreimonatsintervallen über 18 Monate, sofern eine Remission erreicht ist. (Alternativen der Remissionserhaltung: Azathioprin, Mycophenolatmofetil, s. Text) Forcierte Wässerung zur Verhinderung der hämorrhagischen Zystitis unter Gabe von Cyclophosphamid: 5 Verabreichung einer halbisotonen Lösung 5%iger Glukose mit 3000 ml/m2/24 h, Flüssigkeitsbilanzierung, Elektrolytkontrolle im Serum, Gewichtskontrolle, bei unzureichender Diurese und/oder Ödembildung Gabe von Diuretika (z. B. Furosemid). 5 Patienten zum häufigen Wasserlassen anhalten (mindestens alle 2 h). 5 Mesna (Uromitexan) 400 mg/m2 ED i.v. zu den Zeitpunkten 0, 4 und 8 h nach Cyclophosphamid-Gabe, während des stationären Aufenthaltes jeden Urin mittels Stix auf Hämaturie untersuchen. Bei Verdacht auf hämorrhagische Zystitis: Erhöhung und Verlängerung der Hydrierung, ggfs. weitere Mesna-Gaben sowie Analgesie. Antiemetika: 5 Sofern parallel ein Kortokosteroidpuls (Methylprednisolon 25 mg/kg) verabreicht wird, soll dieser we-
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7.9 · Therapie
gen der antiemetischen Wirkung unmittelbar vor Cyclophosphamid gegeben werden, anderenfalls sollten 0,5 mg/kg Prednisonäquivalent gegeben werden. 5 Ondansetron (Zofran): 5 mg/m2 i.v. 15 min vor Beginn der Cyclophosphamid-Gabe, im weiteren Verlauf 4 mg/m2 alle 12 h, ggf. genügt auch die orale Verabreichung von 2-mal 4 mg/Tag. Alternativ Granisetron (Kevatril) für Kinder >2 Jahre: – <25 kg: 40 µg/kg als Kurzinfusion vor Beginn der Cyclophosphamid-Gabe; – >25 kg: 1 mg als Kurzinfusion vor Beginn der Cyclophosphamid-Gabe. 5 Bei Bedarf werden anschließend 20 µg/kg alle 12 h verabreicht.
Die unerwünschte Wirkung der hämorrhagischen Zystitis ist durch Gabe von ausreichenden Mengen Flüssigkeit und Mesna bei und nach der Verabreichung von Cyclophosphamid beherrschbar, Übelkeit und Erbrechen erfordern wirksame Antiemetika, die hämatologischen Wirkungen werden durch Dosisanpassungen bei Leukopenie von <1500/µl kontrolliert. Die gonadale Toxizität, die beim weiblichen Geschlecht zur Amenorrhö führen kann, wächst mit zunehmendem Alter und der kumulativen Dosis vom Cyclophosphamid. Während des ersten halben Jahres der Therapie mit monatlichen Gaben besteht so gut wie kein Risiko einer durch Cyclophosphamid induzierten dauerhaften Amenorrhö bei Patientinnen <18 Jahre, bei einer längerfristigen Behandlung über 3 Jahre mit dann dreimonatig verabreichten Pulsen dürfte das Risiko etwa bei 10–15% liegen. Dies ist für junge Frauen mit Kinderwunsch ein beträchtliches Risiko. In jüngerer Zeit wurde über gute Erfahrungen mit einer protektiven Ovarienbehandlung bei erwachsenen Frauen mit GnRH-Agonisten wie Leuprolid berichtet. Bei Männern trat unter Cyclophosphamid-Therapie Oligo- oder Azoospermie auf. Cyclophosphamid ist also derzeit ein weit eingesetztes effektives Medikament in der Behandlung schwerer Formen des SLE mit erheblichem Toxizitätsprofil. Die Therapie erfordert wiederholte Kurzaufenthalte in der Klinik, deren Bedeutung für den Patienten nicht unterschätzt werden sollte. Die langfristige Verabreichung kann evtl. durch Azathioprin oder Mycophenolatmofetil vermieden werden; zur Remissionsinduktion des SLE durch andere Substanzen als Cyclophosphamid liegen wenig aussagefähige Daten vor (Evidenzstufe III).
7.9.6
Methotrexat
Methotrexat (MTX) hemmt die Dihydrofolatreduktase, beeinträchtigt die Purinbiosynthese und fördert die Ausschüttung des antiinflammatorisch wirkenden Adenosin. MTX ist Mittel der ersten Wahl in der Behandlung der juvenilen idiopathischen Arthritis als »disease modifying
anti-rheumatic drug« (DMARD). Daher ist die Substanz vielen Kinderärzten bekannt; die unerwünschten Wirkungen sind vergleichsweise zu anderen DMARD oder zytotoxischen Substanzen relativ gut beherrschbar. Beim SLE ist MTX am ehesten als Alternative zum Azathioprin einzusetzen. Kontrollierte Studien zum Einsatz von MTX beim SLE liegen nicht vor. In einer nicht kontrollierten Studie konnte durch die Verabreichung von MTX bei Patienten mit schwerem SLE bei 8 von 10 Patienten die Kortikosteroiddosis gesenkt werden und Cyclophosphamid abgesetzt werden (Abud-Mendoza et al. 1993). Demgegenüber wurden bei 11 Patienten, bei denen bei Beginn des SLE MTX und Kortikosteroide verabreicht wurden, nach 7– 23 Monaten vielfach Rezidive beobachtet, die ein Umstellen der Therapie erforderlich machten (Ravelli et al. 1998). In dieser Studie wurde zudem über auffallend viele unerwünschte Wirkungen berichtet. Bei einer kleinen Anzahl von Patienten, die trotz Einsatz von Cyclophosphamid entweder ein Rezidiv entwickelten oder nicht in Remission kamen, wurde durch die Kombination von MTX und Cyclophosphamid eine Remission erreicht (Lehman et al. 2004). MTX sollte in einer Dosis von 10–15 mg/m2/Woche oral oder parenteral verabreicht werden. Bei gastrointestinalen Beschwerden oder Leistungsbeeinträchtigung nach MTX kann Folsäure in einer Dosis von 1 mg/Tag oder von 25% der MTX-Dosis 48 h nach MTX-Gabe gegeben werden. Regelmäßige Überwachung der Leberfunktion und der hämatologischen Parameter sind erforderlich (Evidenzstufe III).
7.9.7
Cyclosporin
Cyclosporin wirkt stark immunsuppressiv, indem es die Transkription von IL-2 sowie anderer Zytokine inhibiert. Die Substanz wird mit Erfolg nach Transplantation solider Organe eingesetzt. Aufgrund der potenziellen Nephrotoxizität muss der Einsatz von Cyclosporin beim SLE kritisch beurteilt werden. Sofern Cyclosporin mit Dosen unter 5 mg/kg/Tag bei Patienten mit unauffälliger Kreatininclearance eingesetzt wird, tritt meist keine Nephrotoxizität auf. Insbesonders jedoch bei langjähriger Therapie kann selbst bei einer Dosierung von unter 5 mg/kg/Tag bei einzelnen Patienten eine Nephrotoxizität im Sinne einer Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate oder aber auch Tubulopathie beobachtet werden. Hierbei ist zu betonen, dass eine unauffällige Kreatininclearance eine Einschränkung der wahren glomerulären Filtrationsrate oft nicht erfasst. Dies ist nur durch exakte Untersuchungsmethoden wie die Chrom-EDTA-Clearance oder die Inulinclearance möglich. Ist die Nierenfunktion bereits eingeschränkt, kann aufgrund der verschlechterten Ausscheidung der Substanz rasch ein nephrotoxischer Serumspiegel erreicht werden. Regelmäßige Kontrollen des Kreati-
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
nin im Serum sind daher bei Therapie mit Cyclosporin erforderlich. Die Serumspiegel von Cyclosporin korrelieren unzureichend mit der Wirksamkeit bei Autoimmunerkrankungen, sie dienen der Überprüfung der Toxizität. Cyclosporin-Talspiegel von 100 ng/ml (70–120 ng/ml) sind anzustreben. Eine kontrollierte Studie aus China hat bei Patienten im Alter von 10–14 Jahren (n=40) mit schwer verlaufendem SLE die Wirksamkeit von Cyclosporin gegen die Kombinationstherapie von Kortikosteroiden und Cyclophosphamid geprüft (Fu et al. 1998). Die Patienten waren zuvor zwecks Remissionsinduktion mit Kortikosteroiden hochdosiert therapiert worden und entwickelten eine Steroidabhängigkeit ihrer Erkrankung. Bei diesem etwas ungewöhnlichen Studienprotokoll (warum wurde Cyclosporin nicht mit Kortikosteroiden kombiniert?) stellte sich eine signifikante Wirksamkeit für die überprüften Endpunkte der Studie (Proteinausscheidung, Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörper) mit beiden Therapiearmen heraus. Die Wachstumsrate der Patienten war unter der Behandlung mit Cyclosporin besser als in der Vergleichsgruppe. Cyclosporin darf danach als möglicherweise effektiv in der Behandlung des SLE gelten; bisher hat sich die Substanz vermutlich wegen der potenziellen Nephrotoxizität allerdings nicht in der Therapie durchgesetzt. Bei verschiedenen Autoren besteht der Eindruck, dass nach Beendigung einer Therapie mit Cyclosporin Autoimmunerkrankungen relativ rasch rezidivieren. Darüber hinaus ist neben der potenziellen Nephrotoxizität (Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate, Tubulopathie, arterielle Hypertonie) die verstärkte Körperbehaarung eine wichtige unerwünschte Wirkung. Cyclosporin sollte in einer Dosis von 3–5 mg/kg/Tag verabreicht werden. Laborkontrollen (Serumkreatinin, Elektrolyte, Magnesium und Phosphat) und Serumspiegel von Cyclosporin sollten regelmäßig erfolgen (Evidenzstufe IIa).
7.9.8
Mycophenolatmofetil (MMF)
Mycophenolatmofetil inhibiert die Inosinmonophosphatdehydrogenase, die bei der Purinbiosynthese eine kritische Bedeutung aufweist. Die Wirkung auf proliferierende Zellen ist stärker als auf ruhende Zellen. Damit wird insbesonders die Proliferation von aktivierten T- und B-Zellen beeinträchtigt. Bei erwachsenen Patienten mit WHOIV-Lupusnephritis konnte in einer kontrollierten Studie Mycophenolatmofetil und Prednisolon (12 Monate) mit Cyclophosphamid (tägliche orale Gabe) und Prednisolon (6 Monate) gefolgt von Azathioprin und Prednisolon (6 Monate) verglichen werden (Chan et al. 2000). Dabei zeigte sich Mycophenolatmofetil ebenso effektiv wie Cyclophosphamid. Bei der Langzeitnachbeobachtung dieser Studie über im Median 63 Monate zeigte sich bei mehr als
90% der Patienten eine komplette oder partielle Remission in beiden Behandlungsarmen. Unter Mycophenolatmofetil traten jedoch weniger Infektionen auf, und die Anzahl notwendiger Hospitalisierungen war geringer. Bei Kindern liegen bisher lediglich Daten einer unkontrollierten Studie vor, die bei 11 Kindern mit therapierefraktärer Lupusnephritis durchgeführt wurde (Buratti et al. 2001). Hierbei zeigte sich ein relativ günstiger Effekt auf Patienten mit membranöser Lupusnephritis (WHO-Typ V), während die Patienten mit diffus proliferierender Glomerulonephritis weniger profitierten. Die Patienten waren hochselektiert, daher lassen sich allgemeine Schlussfolgerungen aus dieser Studie nicht ableiten. Es scheint jedoch möglich zu sein, dass Mycophenolatmofetil künftig eine wichtige therapeutische Ergänzung zur Behandlung des SLE darstellt und eventuell Cyclophosphamid zumindest bei der Erhaltung der Remission ablösen kann. Hierzu sind kontrollierte Studien notwendig. Einen wesentlichen Hinweis gibt eine Studie bei Erwachsenen, bei der sich die Erhaltung der Remission durch Mycophenolatmofetil oder Azathioprin als effektiver und sicherer herausgestellt hat als im Vergleich dazu Cyclophosphamid (Contreras al. 2004). Alle hier untersuchten Patienten hatten zur Erreichung einer Remission ihres SLE Cyclophosphamid-Pulse und Kortikosteroide erhalten. Mycophenolatmofetil wird mit 900–1200 mg/m2/Tag (maximal 2-mal 1 g/Tag) per os verabreicht. Gastrointestinale Unverträglichkeit und Leukozytopenie können dosisbegrenzend sein (Evidenzstufe III).
7.9.9
Plasmapherese
Mittels Plasmapherese oder Immunabsorption können pathogenetisch bedeutsame Autoantikörper und Immunkomplexe bei Patienten mit SLE aus der Zirkulation entfernt werden. Allerdings zeigten sich in einer kontrollierten Studie bei Erwachsenen mit Lupusnephritis unter Plasmapherese in Kombination mit Prednisolon und Cyclophosphamid keine besseren Ergebnisse als unter alleiniger mediakmentöser Therapie (Lewis et al. 1992). Andererseits kann die Plasmapherese in akuten, lebensbedrohlichen Krankheitsphasen, bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz oder Therapieversagen eine wichtige Option darstellen. So wurde von einzelnen Autoren unter einer Kombination von Plasmapherese mit intensiver Immunnsuppression (bestehend aus Methylprednisolon und Cyclophosphamid-Pulsen) bei schweren Verlaufsformen über Remissionen berichtet. Darüber hinaus ist die Plasmapherese/Immunabsorption eine wichtige Therapieoption bei der im Rahmen eines Antiphospholipidantikörpersyndroms bei SLE-Patienten auftretenden thrombotisch – thrombopenischen Purpura.
7.9 · Therapie
7.9.10 Autologe Stammzelltransplantation Bei einer autologen Stammzelltransplantation werden Stammzellen des Patienten gesammelt und außerhalb des Körpers aufbewahrt. Dann werden mit einer ablativen Therapie alle Lymphozyten des Patienten, die für die Unterhaltung des Autoimmungeschehens im Patienten, aber auch für die Infektionsabwehr notwendig sind, vernichtet. Danach werden die zuvor gesammelten Stammzellen in den Patienten zurückgegeben. Das Immunsystem des Patienten wird somit auf die naive Situation im Neugeborenenalter zurückgestellt. Das Immunsystem lernt erneut sich mit pathogenen Keimen auseinander zu setzten; Gedächtniszellen und Effektorzellen müssen neu gebildet werden. Auch wenn die genetische Ausstattung unverändert ist, da die autologen Stammzellen zurückgegeben werden, würde im Idealfall das erneute Auftreten eines SLE entweder unterbleiben oder zumindest so lange dauern, wie das Lebensalter des Patienten bei Ausbruch des SLE bei der Erstmanifestation war. In einer Übersicht über die etwas mehr als 50 SLE-Patienten, die bisher in Europa mit diesem Verfahren behandelt wurden, konnte bei 2 Dritteln der Patienten eine Remission erzielt werden (Jayne et al. 2004). Etwa ein Drittel dieser Patienten entwickelte innerhalb von 6 Monaten ein frühes Rezidiv; die Mortalität, die mit der Prozedur vergesellschaftet war, erscheint mit 12% vergleichsweise hoch. Die Patienten in dieser Studie litten bei dem bekanntermaßen großen Risiko einer Stammzelltranplantation an schwersten Verlaufsformen des SLE und waren zumeist therapierefraktär, sodass die krankheitsbedingte Mortalität bei dieser stark selektonierten Patientengruppe als hoch betrachtet werden muss. In der Zukunft werden viele weiterführende Fragestellungen bearbeitet werden, um die Bedeutung der autologen Stammzelltransplantation für Patienten mit SLE zu klären: Was ist das optimale Stammzellseparationsprotokoll? Wie wird die Ablation durchgeführt? Wie kann die Prozedur sicherer gestaltet werden? (Evidenzstufe III)
7.9.11 Weitere Behandlungsansätze Intravenös applizierte Immunglobuline (IVIG) sind bei verschiedenen Autoimmunkrankheiten mit unerschiedlichem Erfolg eingesetzt worden. In Analogie zur Behandlung der Immunthrombopenie ist die Thrombopenie bei SLE gut durch IVIG beeinflussbar (Arnal et al. 2002). In unkontrollierten Studien wurden bei Erwachsenen insgesamt günstige Effekte durch IVIG auf verschiedene Symptome des SLE beobachtet (Francioni et al. 1994; Levy et al. 1999). Der Aktivitätsindex sank, die Nierenfunktion besserte sich und die Entzündungszeichen nahmen ab. Dies traf auch bei einer längeren Verabreichung von bis zu 2 Jahren zu.
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Die Dosis entspricht den in der Behandlung der Immunthrombopenie üblichen Dosen und liegt zwischen 0,4 g/kg/Tag für 5 Tage bis zu 2 g/kg an einem Tag. Bis auf febrile Reaktionen bei der Infusion der IVIG ist nicht mit unerwünschten Wirkungen zu rechnen. Bei verschiedenen Kollagenosen ist berichtet worden, dass nach Absetzen der IVIG-Medikation rasch ein Rezidiv auftritt (Evidenzstufe IIB für Erwachsene). Ein möglicherweise interessanter Therapieansatz ist die Depletion von B-Zellen mittels eines monoklonalen Antikörpers gegen CD20. Hierbei werden die autoantikörperproduzierenden Zellen, die Antigenpräsentation und die durch B-Zellen erfolgte T-Zell-Aktivierung beeinträchtigt. Bisher sind hierzu bei Erwachsenen Phase-I/IIStudien durchgeführt worden, die die Sicherheit des Therapieansatzes sowie die Dosisfindung sichern (Looney et al. 2004). Bei den so behandelten Patienten zeigten sich therapeutische Wirkungen, sodass eine Weiterverfolgung sinnvoll erscheint. Ein Risiko ist die durch diese Therapie entstehende humorale Immundefizienz. Verschiedene hormonelle Therapieansätze (Bromocriptin, Dehydroepiandrosteron) sind bisher ausschließlich bei Erwachsenen z. T. mit Erfolg eingesetzt worden. > Subakuter kutaner Lupus erythematodes: 5 Kurzfristige Verabreichung von Prednison (z. B. Decortin) 0,5–1 mg/kg/Tag in 1–2 Einzeldosen bis zur Erreichung einer Remission, dann Reduktion auf 0,1– 0,25 mg/kg/Tag als morgendliche Einzeldosis. Reduktion alle 3 Tage zunächst um 20–30% der Gesamtdosis, später in sehr viel kleineren Schritten. 5 Zusätzlich Hydroxychloroquin (z. B. Resochin) 5–7 mg/ kg/Tag. SLE mit Nephritis vom WHO-Typ I und II: 5 Therapie wie bei subakutem, kutanem Lupus. 5 Darüber hinaus engmaschige Verlaufsbeobachtung, da ein Wechsel zu einem anderen WHO-Typ der Lupusnephritis möglich ist. SLE mit Nephritis vom WHO-Typ III: 5 Verabreichung von Prednison (z. B. Decortin) 0,5– 1 mg/kg/Tag in 1–2 Einzeldosen bis zur Erreichung einer Remission (z. B. über 4–6 Wochen), dann Reduktion auf 0,1–0,25 mg/kg/Tag als morgendliche Einzeldosis. Reduktion alle 3 Tage zunächst um 20–30% der Gesamtdosis, später in sehr viel kleineren Schritten. 5 Zusätzlich Azathioprin (z. B. Imurek) 1,5–2,5 mg/kg/ Tag in 2–3 Einzeldosen. Kontrolle von Blutbild, Leberwerten und Lipase. SLE mit Nephritis vom WHO-Typ IV und V oder schwere ZNS-Beteiligung (Psychose, ZNS Vaskulitis): 5 Intravenöse Pulssteroidtherapie mit Methylprednisolon (z. B. Urbason) 20–30 mg/kg, Maximaldosis 1 g als Kurzinfusion über 1 h. Die Therapie wird an 2 weiteren Tagen wiederholt. Überwachung von Herzrhythmus, Blutdruck, Glukose und Elektrolyten während der Infu-
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
sion ist angezeigt. Im Anschluss an die 3. Infusion erhält der Patient täglich 0,5 mg/kg Prednison. 5 Alternativ: Verabreichung von Prednison (z. B. Decortin) 2 mg/kg/Tag in 3 Einzeldosen, maximal 60 mg, bis zur Erreichung einer Remission (z. B. über 4–6 Wochen), dann Reduktion auf die Dosis, bei der die Remission erhalten bleibt. Reduktion alle 3 Tage zunächst um 20–30% der Gesamtdosis, später in sehr viel kleineren Schritten. 5 Zusätzlich zur Kortikosteroidtherapie Gabe von Cyclophosphamid-Pulsen intravenös (Verabreichung s. Übersicht in 7 7.9.5). Alternativ zur Cyclophosphamidtherapie befürworten einige Behandler die Gabe von Azathioprin oder Mycophenolatmofetil. Arthritis, konstitutionelle Symptome und Fieber bei SLE: 5 Verabreichung von nichtsteroidalen Antirheumatika (z. B. Naproxen, Ibuprofen etc.), sofern keine Niereninsuffizienz besteht. Kutane Symptome: 5 Topische Behandlung von befallenen Hautarealen mit steroidhaltigen Salben oder Cremes, topisches Tacrolimus; Hydroxychloroquin (s. oben). 5 Vermeidung von Sonne, Auftragen von Lichtschutzcreme mit hohem Faktor. Hämolytische Anämie und Immunthrombopenie: 5 Intravenöse Immunglobuline, 5 Plasmapherese. Arterielle Hypertonie: 5 Strikte antihypertensive Therapie, z. B. mit ACE-Inhibitoren, ist prognostisch entscheidend. Diese Vorschläge stellen ein mögliches praktisches Vorgehen dar; es gibt durchaus begründete Abweichungen hiervon (s. Text)
7.10
Prognose
Die Prognose des SLE hat sich in den vergangenen 50 Jahren dramatisch verbessert. Von J. Jacobs, einem Nestor der Kinderrheumatologie, sind Zahlen aus dem Columbia Presbyterian Medical Center veröffentlicht worden; danach betrug die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Erkrankung an einem SLE in den Jahren 1949–1960 nach 10 Jahren nur 20% (Jacobs 1982). Demgegenüber wurden in der gleichen Institution bereits Mitte der 70er Jahre 90% Überlebenswahrscheinlichkeit 10 Jahre nach Erkrankungsbeginn erzielt. Damit wird die Bedeutung der Immunsuppression als wesentliches Therapieprinzip deutlich — allerdings ist diese beeindruckende Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit ausschließlich durch die seinerzeit übliche Medikation bestehend aus Korti-
kosteroiden (Beginn 1962), Hydroxychloroquin und Azathioprin ermöglicht worden. Daher könnte man auch die Meinung vertreten, dass die Weiterentwicklung der Pharmakotherapie durch z. B. Cyclophosphamid, Cyclosporin oder Mycophenolatmofetil nur einen moderaten Beitrag zur Senkung der Sterblichkeit beigetragen habe. Allerdings sind heute vielfach steroidsparende Therapiemöglichkeiten im Einsatz, sodass schwerste unerwünschte Wirkungen im Sinne eines ausgeprägten Cushing-Syndroms kaum mehr vorkommen. In einer epidemiologischen Studie, in der alle Bewohner von Rochester (Minnesota) eingeschlossen wurden, zeigte sich eine Zunahme der Erkrankungshäufigkeit an SLE und eine Minderung der Sterblichkeit im Zeitraum 1980–1992 gegenüber 1950–1979. Begründet wird die Zunahme der Erkrankungen mit der Erkennung auch leichterer Verlaufsformen des SLE. Die Abnahme der Sterblichkeit wird der verbesserten Behandlung, aber auch dem Einschluss leichterer Verlaufsformen zugeschrieben (Uramoto et al. 1999). Eine umfangreiche Studie zur Prognose der Lupusnephritis im Kindesalter verfolgte 56 Patienten über 27 Jahre (Baqi et al. 1996). Eine initiale Nierenbiopsie, die einen WHO-Typ IV der Lupusnephritis zeigte, war der stärkste Prädiktor für die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz. Arterielle Hypertonie ist der zweitstärkste Faktor und die Kombination aus erniedrigtem C3 Komplement und erhöhtem Serumkreatinin der drittstärkste unabhängige Faktor für die Entwicklung der terminalen Niereninsuffizienz. In dieser Studie waren nach 5 Jahren fast 80% der Patienten mit einer WHO-Typ-IV-Nephritis niereninsuffizient, während alle anderen WHO-Typen (I– III, V) nach 5 Jahren zu etwa 30% eine Niereninsuffizienz entwickelt hatten. Kinder weisen im Vergleich zu Erwachsenen einen höheren Schweregrad der Erkrankung auf, wenn man die initial verwendete Steroiddosis zum Vergleich heranzieht. Die Prognose hinsichtlich der Mortalität ist für Kinder insgesamt besser als für Erwachsenen. Darüber hinaus besteht bei Patienten mit SLE ein erhöhtes Risiko für eine prämature Arteriosklerose, das unabhängig von anderen bekannten Risikofaktoren wie z. B. Nikotinabusus oder Übergewicht ist (Roman et al. 2003). Patienten mit einer prämaturen Arteriosklerose erleiden häufiger kardiovaskuläre Komplikationen wie Myokardinfarkt oder apoplektischen Insult. Dies kann für die langfristige Prognose von Kindern und Jugendlichen mit SLE eine erhebliche Bedeutung haben und sollte künftig bei der Therapie berücksichtigt werden. Insgesamt muss auch heute der SLE als eine schwere, insbesonders die Nierenfunktion bedrohende Erkrankung mit einer deutlichen Krankheitsbelastung des Patienten betrachtet werden. Um das individuelle Risiko eines Patienten einschätzen zu können, ist die initiale Nierenbiopsie indiziert, sofern der Urinstatus eine Proteinurie aufweist. Die oben genannten Prädiktoren (arterielle Hyper-
7.11 · Sonderformen
tonie, C3-Komplement und Serumkreatinin) helfen die Prognose des individuellen Patienten zu stellen. Dennoch wird im Einzelfall die Prognoseeinschätzung schwierig sein, sowohl bezüglich der langfristigen Entwicklung der Nierenfunktion als auch bezüglich der Häufigkeit des Auftretens von Rezidiven. Ein niedriger sozioökonomischer Status ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. Hierbei spielt in manchen Ländern der Krankenversicherungsstatus eine Rolle. Die ethnische Herkunft der Patienten hingegen hat keinen Einfluss auf die langfristige Prognose des SLE, wenn bei der Evaluation für den Versicherungsstatus und das mittlere Einkommen eine entsprechende Korrektur durchgeführt wurde. Seitens der Krankheitssymptome ist außer der WHO-IV-Nephritis die ZNS-Beteiligung mit einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet. Die herausragende Todesursache heute sind bakterielle Infektionen, die wahrscheinlich durch die Immunsuppressiva begünstigt werden. Daher ist eine effektive Überwachung auf Infektionen insbesonders in Phasen relativer Leukopenie von herausgehobener Bedeutung. Einige unerwünschte Wirkungen der Kortikosteroide (Akne, Striae, Stammfettsucht) können eine wesentliche subjektive krankheitsassoziierte Belastung darstellen, die auf die Compliance einen deutlichen Einfluss hat. Das Wachstum des Patienten kann sowohl durch die Erkrankung als auch durch die Kortikosteroidtherapie ungünstig beeinflusst werden. Diese Problemstellungen sollten bei der aufwendigen Betreuung dieser chronisch kranken Kinder und Jugendlichen bedacht werden. Dabei kann man auf den Konflikt stoßen, dass dem Jugendlichen seine aktuelle Erscheinung bei seiner »peer group« bedeutsamer ist als die mittelfristige Aussicht, eine Nierenfunktionseinbuße zu erleiden. Ein intensives Vertrauensverhältnis von Patient, Eltern und Arzt zueinander sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie in diesen Situationen.
7.11
Sonderformen
7.11.1 Neonataler SLE Frauen, die Anti-SSA- oder Anti-SSB-Antikörper aufweisen, können unabhängig von einer eigenen rheumatischen Erkrankung Neugeborene mit einem kongenitalen Herzblock entbinden. Das Risiko hierfür ist niedrig und liegt etwa bei 1–2 pro 100 Entbindungen von Schwangeren mit Anti-SSA- oder Anti-SSB-Antikörpern. Der Pathomechanismus für die Entstehung der Herzrhythmusstörung ist nicht bekannt. Der AV-Knoten bei Feten mit AV-Block ist fibrosiert; man nimmt an, dass die Umwandlung von kardialen Fibroblasten zu proliferierenden Myofibroblasten und entzündliche Vorgänge zur Narbenbildung am AV-Knoten führen. Kreuzreagibilität der mütterlichen Autoantikörper mit einem kardialen Rezeptor mag
323
ebenfalls bedeutsam sein für die Pathogenese (Buyon u. Clancy 2003). Der kongenitale Herzblock ist häufig bereits in der späten Phase der Schwangerschaft nachweisbar und kann sich durch eine entsprechende Bradykardie bemerkbar machen, die nur bei zweit- bis drittgradigem AV-Block auftritt. Farbdopplerechokardiografische Untersuchungen sollten durchgeführt werden, um strukturelle Anomalien bereits in utero aussschließen zu können. Zudem kann eine Myokarditis und eine Perikarditis mittels Farbdopplerechokardiografie bereits zu diesem frühen Zeitpunkt diagnostiziert werden. Die echokardiografische Messung des mechanischen PR Intervals kann helfen, einen fetalen AVBlock I. Grades zu entdecken, wenn die Schwangere AntiSSA- oder Anti-SSB-Antikörper im Serum hat. Ein Exanthem im Gesicht des Neugeborenen, das auch Wochen post partum auftreten kann, ist bei einem Teil der Kinder mit neonatalem SLE zu finden. Das Exanthem besteht aus erhabenen, entzündlichen, z. T. schuppenden Läsionen, die periorbital bevorzugt zu finden sind, aber am gesamten Integument auftreten können. Zur Therapie des Fetus mit AV-Block aufgrund mütterlicher Anti-SSA- oder Anti-SSB-Antikörper kann der Mutter Dexamethason (4 mg/Tag) verabreicht werden, das diaplazentar wirksam wird. Hierzu wird derzeit eine Studie durchgeführt. Demgegenüber ist die Gabe von Prednison über die Mutter unwirksam. Ist der Fetus ausgeprägt hydropisch, so kann eine Plasmapherese sinnvoll sein. Alternativ ist bei ausreichender Lungenreifung die Entbindung anzustreben. Weist das Neugeborene einen Grad-III-AV-Block auf, ist evtl. eine Schrittmacherimplantation erforderlich. Die anderen Symptome des neonatalen SLE sind harmloser und sollten mit Zurückhaltung behandelt werden. Mit dem Abbau mütterlicher Antikörper ist der neonatale SLE selbstlimitierend. Dieser Abbau kann allerdings Monate in Anspruch nehmen. Das Neugeborene sollte dem Sonnenlicht nicht ausgesetzt werden, da dies das Exanthem auslösen bzw. verstärken kann. Topische, niedrig konzentrierte Kortikosteroide können indiziert sein. Eine systemische Therapie sollte in deutlichem Unterschied zum SLE, der aggressiv behandelt wird, nach Möglichkeit unterbleiben. Die Prognose für Kinder, bei denen bereits fetal ein Herzblock auftritt, ist durch eine hohe Mortalität (43%) getrübt, demgegenüber liegt die Mortalität bei neonatalem Auftreten bei 6%. Ein Teil der Patienten weist eine Endokardfibroelastose auf, die prognostisch ungünstig ist. Die Prognose der kutanen Symptome des neonatalen LE ist sehr gut, sie heilen ohne Narbenbildung nach Monaten ab. ! Der kongenitale Herzblock ist entscheidend für die Prognose des neonatalen LE, die anderen Symptome sind in der Regel nicht schwerwiegend und verschwinden im Verlauf von Monaten.
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
7.11.2 Medikamenteninduzierter LE Verschiedene Pharmaka können einen medikamenteninduzierten LE auslösen. Die Symptome sind identisch mit denen eines SLE, im allgemeinen verläuft der medikamenteninduzierte LE jedoch milder. Hydralazin, Procainamid und Phenytoin waren die ersten Substanzen, bei denen die Assoziation mit der Auslösung von LE-Symptomen erkannt wurde. Die Pathogenese des medikamenteninduzierten LE ist nicht sicher aufgeklärt. Man nimmt an, dass Pharmaka einen Einfluss auf die Genexpression in Immunzellen nehmen können, wodurch Autoreaktivität ausgelöst wird. Patienten mit einem medikamenteninduzierten LE haben antinukleäre Antikörper, deren Spezifität meist gegen Histone gerichtet ist. Viele Patienten, die nach Medikamenteneinnahme solche Autoantikörper aufweisen, haben keine klinischen Symptome. Schwere renale Beteiligung oder ZNS-Symptome sind beim medikamenteninduzierten LE eher ungewöhnlich. Entscheidend für den Verlauf ist die zeitige Diagnosestellung. Der Verdacht, dass beim Patienten ein medikamenteninduzierter LE vorliegen könnte, ist wesentliche Voraussetzung, die eingenommenen Medikamente auf ihre Potenz, einen medikamenteninduzierten LE auszulösen, zu untersuchen. Auch bei neueren Substanzen, die im Kindesalter eingesetzt werden, sind Berichte über medikamenteninduzierten LE erschienen. Diese betreffen z. B. Etanercept, das als löslicher TNF-Rezeptor bei der polyartikulären Verlaufsform der juvenilen idiopathischen Arthritis eingesetzt wird, oder Infliximab, das als Anti-TNF-Antikörper beim M. Crohn Anwendung findet. Der entscheidende therapeutische Schritt ist das Absetzen der Substanz, die den medikamenteninduzierten LE auslöst. Zumeist sind die Symptome des medikamenteninduzierten LE nach Absetzen des Medikamentes innerhalb von Wochen bis Monaten rückläufig. Grundsätzlich kommen zur Behandlung von Symptomen des medikamenteninduzierten LE die gleichen Medikamente zur Anwendung wie bei der Therapie des SLE. In aller Regel ist jedoch nur der Einsatz niedrig dosierter Steroide oder von nichtsteroidalen Antirheumatika erforderlich.
Medikamente, die in der Pädiatrie eingesetzt werden und einen medikamenteninduzierten LE auslösen können 5 Antikonvulsiva (Carbamazepin, Ethosuximid, Lamotrigen, Phenytoin) 5 Antikonzeptiva, orale 5 Cimetidin 5 Captopril 5 Chlorpromazin 5 Clonidin 5 Diclofenac 5 Etanercept 5 Ibuprofen 5 Infliximab 5 Interferon 5 Isoniazid 5 Mesalazin 5 Promethazin 5 Spironolakton 5 Sulfasalazin 5 Tetrazyklin
7.12
Antiphospholipid-Syndrom
7.12.1 Definition Der Begriff Antiphospholipid-Syndrom (APS) umfasst die Assoziation des Vorhandenseins von Antiphospholipid-Antikörpern und Symptomen der Hyperkoagulabilität sowie möglichen Komplikationen in der Schwangerschaft. Dabei erkennen die Antiphospholipid-Antikörper (aPL) eine breite Palette von verschiedenen Antigenen, die alle zu Phospholipiden, phospholipidbindenden Proteinen oder einer Kombination von beiden gehören. Das APS kann entweder primär ohne zugrunde liegende Erkrankung auftreten oder sekundär z. B. im Rahmen eines SLE. In . Tab. 7.10 sind die vorläufigen Kriterien für die Klassifikation eines APS aufgeführt. Die Diagnose erfordert das Vorliegen zumindest eines klinischen Kriteriums und eines Laborkriteriums.
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7.12 · Antiphospholipid-Syndrom
. Tab. 7.10 Vorläufige Kriterien für die Klassifikation eines APS Klinische Kriterien
Laborkriterien
Vaskuläre Thrombose (eine oder mehrere klinische Episoden einer Thrombose im arteriellen oder venösen Bereich oder im Bereich der kleinen Gefäße in jedem Gewebe oder Organ)
Antikardiolipin-Antikörper (Antikardiolipin-IgGoder -IgM-Antikörper in mittleren oder hohen Titern mindestens 2-mal im Abstand von über 6 Wochen nachweisbar)
Komplikationen in der Schwangerschaft 5 Ein- oder mehrmaliges unerklärtes Absterben eines morphologisch unauffälligen Fetus während oder nach der 10. SSW, oder 5 eine oder mehrere Frühgeburten eines morphologisch normalen Neonatus während oder vor der 34. SSW; 5 3 oder mehr unerklärte konsekutive spontane Aborte vor der 10. SSW
LupusantikoagulansAntikörper (mindestens 2-mal im Abstand von über 6 Wochen nachweisbar nach den Kriterien der International Society on Thrombosis and Hemostasisa)
a Kriterien: verlängerte
phospholipidabhängige Gerinnung in einem Screeningtest wie z. B. aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), »diluted Russell’s viper venom time« (dRVVT), »kaolin clotting time« usw.; Versagen, die verlängerte Gerinnungszeit im Screeningtest durch normales plättchenarmes Plasma zu korrigieren; Verkürzung oder Korrektur der verlängerten Gerinnungszeit im Screeningtest durch Überschuss von Phospholipid; Ausschluss anderer Koagulopathien.
7.12.2 Diagnostik, Ätiologie und
Pathogenese Die am häufigsten nachgewiesenen Antiphospholipid-Antikörper sind Lupusantikoagulans-Antikörper, Antikardiolipin-Antikörper und Anti-β2-Glykoprotein-Antikörper. Dabei werden die Lupusantikoagulans-Antikörper mit Gerinnungstesten erfasst, während die beiden anderen Antikörper mittels Assays nachgewiesen werden, die eine immunologische Aktivität (Bindung der Antikörper an Kardiolipin oder β2-Glykoprotein) messen. Obwohl Lupusantikoagulans-Antikörper und Antikardiolipin-Antikörper beziehungsweise β2-Glykoprotein-Antikörper häufig gemeinsam auftreten, sind diese Antikörper nicht unbedingt identisch. Lupusantikoagulans-Antikörper können mit anderen Phospholipiden als mit Kardiolipin oder mit anderen Proteinen als β2-Glykoprotein reagieren, und manche Antikardiolipin-Antikörper oder Antiβ2-Glykoprotein-Antikörper haben keine Lupusantikoagulansaktivität. Generell sind Lupusantikoagulans-Anti-
körper spezifischer für das APS, während Antikardiolipin-Antikörper sensitiver sind. Die Spezifität der Antikardiolipin-Antikörper steigt mit dem Titer an und ist höher für IgG als für IgM. Trotz ihres Namens sind Lupusantikoagulans-Antikörper zumeist mit thromboembolischen Komplikationen und nur selten mit Blutungen assoziiert. Der Mechanismus wie die Antikörper eine Thrombose auslösen, ist unklar. Folgende Hypothesen wurden vorgeschlagen: 5 Aktivierung von Endothelzellen, 5 Einfluss auf durch Oxidantien vermittelte Schädigung des Endothels, 5 Modulation/Interferenz der Funktion der phospholipidbindenden Proteine, 5 Thrombozytenaktivierung durch aPL. Die gefundenen histopathologischen Veränderungen spiegeln die Kombination von verschiedenen pathophysiologischen Prozessen wider. Dabei sind thrombotische Mikroangiopathie, Ischämie aufgrund einer im Stromgebiet oberhalb gelegenen arteriellen Thrombose oder Embolie und periphere Embolisierung hervor zu heben; die thrombotische Mikroangiopathie ist eine Konsequenz der Beteiligung der Mikrovaskulatur. Die seltenen Blutungsereignisse können durch Bindung von Antiphospholipid-Antikörpern an Gerinnungsfaktoren auftreten, wenn die Gerinnungsfaktoren durch die Antikörperbindung neutralisiert werden.
7.12.3 Klinische Symptome Ein APS kann praktisch jedes Organ durch den thrombotischen Prozess betreffen, und innerhalb eines Organs kann es ein breites Spektrum unterschiedlicher Manifestationen geben. Mit der offensichtlichen Ausnahme der Schwangerschaftskomplikationen treten die meisten der bei Erwachsenen beobachteten klinischen Symptome auch bei Kindern auf. Zwischen den Symptomen eines primären und eines sekundären APS gibt es keine signifikanten Unterschiede, bei Kindern überwiegt das sekundäre APS. Die häufigste Manifestation bei Kindern wie bei Erwachsenen sind venöse Thrombosen; . Tab. 7.11 stellt eine Auswahl der möglichen klinischen Symptome dar.
»Katastrophales« APS Bei den meisten Patienten tritt das APS im Rahmen einer einzelnen Episode auf und Rückfälle erscheinen Monate oder Jahre nach dem ersten Ereignis. Bei einer Minderheit präsentiert sich das APS jedoch als akutes und schwer krank machendes Syndrom, das durch multiple gleichzeitige Gefäßverschlüsse an verschiedensten Stellen des Körpers gekennzeichnet ist. Dieses »katastrophale APS« wird durch die Beteiligung von mindestens drei unterschiedlichen Organsystemen im Laufe von Tagen oder Wochen
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1
Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
. Tab. 7.11 Klinische Manifestationen des APS (kursiv: auch bei Kindern beschriebene Manifestationen). (Nach Ravelli u. Martini 2005; Levine et al. 2003)
2 3
Symptome Venöser Schenkel
Tiefe Beinvenenthrombose, Thrombose der V. cava inferior oder Thrombose der Nebennieren-, Leber-, Mesenterial- oder Milzvenen
Arterieller Schenkel
Thrombose der Aorta oder der Arteria axillaris, carotis, subclavia, hepatica, mesenterica, pancreatica, ileofemoralis oder poplitea
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Organsystem
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5 Haut
Livedo reticularis, oberflächliche Thrombophlebitis, Ulzerationen, Akrozyanose
8
5 Lunge
Thromboembolien, pulmonale Hypertension, Lungenarterienthrombose, Lungenblutung
9
5 ZNS
Sinusvenenthrombose, Schlaganfall, transiente ischämische Attacke, Chorea, Krampfanfälle, transverse Myelitis, Enzephalopathie, Migräne, Pseudotumor cerebri
5 Niere
Nierenarterienthrombose, renale thrombotische Mikroangiopathie, Niereninfarkt, akutes oder chronisches Nierenversagen, Proteinurie, Hämaturie, nephrotisches Syndrom
5 Augen
Retinale Venenthrombose, Amaurosis fugax
5 Gastrointestinal
Hepatomegalie, Budd-Chiari-Syndrom, Enzymerhöhung, Mesenterialarterienthrombose, Leberinfarkt, Milzinfarkt, Pankreatitis, Aszites
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5 Hämatologie
Thrombozytopenie, hämolytische Anämie, hämolytisch-urämisches Syndrom, thrombotische thrombozytopenische Purpura
5 Nebennieren
M. Addison, Nebenniereninfarkt, Hodeninfarkt, Infarkt der Hirnanhangsdrüse
5 Extremitäten
Oberflächliche oder tiefe Thrombosen, Ischämie
5 Herz
Herzinfarkt, Angina, intrakardiale Thrombi, Libman-Sacks-Endokarditis, Artherosklerose
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5 Geburtshilflich
Absterben des Fetus, Frühgeburt, HELLPSyndrom, Oligohydramnion, Plazentainsufffizienz, Präeklampsie
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bei nachgewiesener histopathologischer Beteiligung definiert. Venöse oder arterielle Thrombosen der großen Gefäße sind beim katastrophalen APS seltener, im Vordergrund steht eine akute thrombotische Mikroangiopathie der klei-
nen Gefäße multipler Organe; hier sind besonders häufig die Nieren (78%), die Lungen (66%), das ZNS (56%), das Herz (50%) und die Haut (50%) mit entsprechenden Symptomen betroffen. Eine disseminierte intravaskuläre Gerinnung, die weder zum primären noch zum sekundären APS gehört, kommt bei ca. einem Viertel der Patienten vor. Die Erkrankung, die sehr selten auch bei Kindern beschrieben wurde, hat eine Mortalität von ca. 50% und kann durch Infektionen, chirurgische Eingriffe, Absetzen einer antikoagulativen Therapie und orale Antikonzeptiva getriggert werden. Therapeutische Versuche bestehen in der Kombination von Antikoagulation und Kortison plus Plasmapherese oder intravenöse Immunglobuline. Als fibrinolytische Medikamente wurden Streptokinase und Urokinase verwendet, bei zugrunde liegender SLE-Aktivität wurde Cyclophosphamid vorgeschlagen.
»Neonatales« APS Geburtshilfliche Komplikationen sind Bestandteil der Definition des APS, und es ist bekannt, dass AntikardiolipinAntikörper die Plazentaschranke überschreiten und im Nabelschnurblut nachgewiesen werden können. Mit sehr wenigen Ausnahmen wurden allerdings keine Thrombosen bei Kindern von aPL-Antikörper-positiven Müttern beschrieben. Trotzdem wird empfohlen diese Kinder zumindest bis zum fehlenden aPL-Antikörper-Nachweis (nach ca. 6 Monaten) zu überwachen und alle Neugeborenen, bei denen eine Thrombose aufgetreten ist, auf aPLAntikörper zu untersuchen.
Sekundäres APS Das sekundäre APS tritt bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten im Rahmen eines SLE auf (7 Kap. 7.6.3). Insgesamt reicht die Prävalenz von Antikardiolipin-Antikörpern beim SLE von 20 bis 80% und von Lupusantikoagulans-Antikörpern von 10 bis 60%. Die Häufigkeit von vaskulären Thrombosen wurde mit 0–24% angegeben. Diese unterschiedlichen Zahlen verdeutlichen klar die diagnostischen Schwierigkeiten beim APS und können unterschiedliche Labormethoden, unterschiedliche Populationen und ein unterschiedliches differenzialdiagnostisches Vorgehen widerspiegeln. Bei Kindern mit JIA wurden ebenfalls Antikardiolipin-Antikörper gefunden, dabei wurde keine Korrelation zwischen der Präsenz dieser Antikörper und der Krankheitsaktivität beschrieben. Thrombotische Komplikationen sind bei diesen Patienten bis auf Ausnahmen nicht aufgetreten. Auch bei anderen pädiatrischen Autoimmunerkrankungen wie juveniler Dermatomyositis, rheumatischem Fieber, Insulinabhängigem Diabetes mellitus sowie bei HIV-Infektionen wurden aPL-Antikörper beschrieben; ein APS kommt dabei aber praktisch nie vor und die Signifikanz dieser aPL-Antikörper muss weiter abgekärt werden.
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7.13 · Literatur
7.12.4 Diagnose und Differenzialdiagnose Aufgrund der sehr unterschiedlichen klinischen Verläufe sollte bei allen Kindern und Jugendlichen mit einer venösen oder arteriellen Thrombose ein APS mit in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden und eine entsprechende Abklärung erfolgen. Dies gilt insbesonders, wenn keine andere offensichtliche Erklärung vorliegt oder die Ereignisse wiederholt auftreten. Auch eine unerklärte Thrombozytopenie, eine hämolytische Anämie, eine Livedo reticularis oder eine Chorea sollten an ein APS denken lassen, wie natürlich auch eine verlängerte Gerinnungszeit in einem der phospholipidabhängigen Tests (u. a. aPTT). Die Diagnose wird dann nach den unter 7 Kap. 7.1 aufgelisteten Kriterien gestellt. Differenzialdiagnostisch müssen andere Ursachen einer Thrombophilie ausgeschlossen werden, dazu gehören u. a. die APC-Resistenz (Faktor-V-Leiden), ProteinS- und -C-Defizienz, AT-III-Mangel und eine Homozysteinurie. Andere mögliche Ursachen sind Vaskulitiden, nephrotisches Syndrom, heparininduzierte Thrombose und myeloproliferative Erkrankungen. Da eine normale aPTT auch in Gegenwart eines Lupusantikoagulans-Antikörpers gemessen werden kann, sollte bei der entsprechenden Abklärung nach einer Thrombose immer auch mit einem zweiten Assay auf Lupusantikoagulans-Antikörper getestet werden, und es sollten Antikardiolipin-Antikörper und Anti-β2-Glykoprotein-Antikörper gemessen werden.
7.12.5 Therapie Prophylaxe bei aPL-positiven Individuen ohne Thrombose aPL-Antikörper sind auch bei gesunden Kindern in unterschiedlicher Frequenz nachweisbar (2–80%), die meist niedrigen Titer sind wahrscheinlich postinfektiös bedingt. Bei zufällig gefundenen Auffälligkeiten, z. B. über eine verlängerte aPTT im Rahmen einer präoperativen Abklärung wird eine Verlaufskontrolle zum Nachweis der Normalisierung diskutiert. Da die meisten Menschen mit zufällig gefundenen positiven aPL-Antikörpern aber nie symptomatisch werden, sind Screeninguntersuchungen bei asymptomatischen Menschen sicher nicht indiziert. Die Frage bleibt offen, ob Individuen mit konstant erhöhten aPL-Antikörpern ohne Thrombose in der Anamnese behandelt werden sollten. Die Alternativen sind keine Behandlung oder niedrig dosiertes ASS. Obwohl die Effizienz von ASS in dieser Situation nicht gesichert ist, wird doch nach Expertenmeinung eine ASS-Prophylaxe empfohlen (Alarcon-Segovia et al. 2003). Dieses Vorgehen wird auch von den Autoren beim Nachweis von aPL-Antikörpern bei SLE-Patienten praktiziert. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch Hydroxychlo-
roquin eine thromboseprophylaktische Wirkung für SLEPatienten mit sekundärem APS-Syndrom haben könnte (Petri 1996). Bei asymptomatischen aPL-positiven Kindern und Jugendlichen ist das Thromboserisiko aufgrund der meist fehlenden anderen Risikofaktoren sicher noch geringer als bei Erwachsenen. Trotzdem wird bei dieser Gruppe in Hochrisikosituationen (Immobilisierung) eine Thromboseprophylaxe mit Heparin empfohlen, und es sollte eine Abklärung in Hinsicht auf weitere, hereditäre Risikofaktoren erfolgen. Auch Risikofaktoren wie Rauchen und oralen Antikonzeptiva sollte bei dieser Gruppe besondere Beachtung geschenkt werden.
Therapie und Prophylaxe bei aPL-positiven Individuen mit Thrombose Bei einer im Rahmen eines APS akut aufgetretenen Thrombose gelten die gleichen Behandlungsrichtlinien wie bei einer Thrombose ohne APS. Wichtig ist die Frage, ob eine Rezidivprophylaxe bei einer APS-induzierten Thrombose durchgeführt werden sollte. In zwei Arbeiten wurde ein deutlicher Nutzen einer Warfarin-Therapie gezeigt im Hinblick auf die Verminderung eines Thromboserezidivs; diese Wirkung war deutlich dosisabhängig, eine INR über 3 war signifikant besser als eine INR zwischen 2,0 und 2,9. In beiden Studien hatte übrigens ASS keinen Effekt gezeigt (Khamashta et al. 1995; Rosove u. Brewer 1992). Die aus diesen Studien abgeleitete Empfehlung einer hochdosierten Warfarin-Therapie wurde aber zwischenzeitlich wieder in Frage gestellt durch Arbeiten, die einen besseren Effekt einer INR zwischen 2,0 und 3,0 zeigten, weswegen dieser therapeutische Bereich derzeit empfohlen wird (Crowther et al. 2003; Crowther 2004). Eine prophylaktische antithrombotische Therapie nach einer APS-induzierten Thrombose ist damit Konsens. Besonders bei Kindern ist aber angesichts des erhöhten Blutungsrisikos und des verminderten Risikos einer rekurrenten Thrombose eine INR zwischen 2,0 und 3,0 als ausreichend anzusehen. Ein weitere detaillierte Aussage ist nur schwer möglich. Fragen wie lange die Behandlung durchgeführt werden sollte, ob die Behandlungsdauer auch andere Risikofaktoren berücksichtigen sollte und ob für arterielle und venöse Thrombosen die gleiche Prophylaxe zu empfehlen ist, sind völlig ungeklärt.
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Kapitel 7 · Systematischer Lupus erythematodes
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329
7
331
8.1 ·
Dermatomyositis A. Thon, M. Gahr
8.1
Definition – 332
8.2
Ätiologie und Pathogenese
– 332
8.3
Klinik
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5
Hautbeteiligung – 333 Muskelsymptome – 336 Gelenkbeteiligung – 337 Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt – 337 Weitere Organbeteiligung – 337
– 333
8.4
Diagnose
8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.4.4 8.4.5 8.4.6
Hautveränderungen – 337 Muskelkraft – 337 Laborbefunde – 338 Apparative Untersuchungen – 338 Muskelbiopsie – 339 Differenzialdiagnose – 339
– 337
8.5
Therapie
8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.4
Medikamentöse Therapie – 339 Physikalische Therapie – 342 Allgemeine Therapiemaßnahmen – 342 Therapieüberwachung – 342
8.6
Prognose Literatur
– 339
– 343 344
8
332
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Kapitel 8 · Dermatomyositis
8.1
Definition
Die Dermatomyositis ist eine systemische entzündliche Bindegewebserkrankung unklarer Ätiologie, deren Hauptmanifestationen eine Entzündung der Muskulatur und charakteristische Hauterscheinungen sind. Die Pathogenese kann wahrscheinlich auf eine Vaskulopathie zurückgeführt werden. Bei der juvenilen Dermatomyositis handelt es sich um eine sehr seltene Erkrankung; die jährliche Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen wird in verschiedenen Studien auf 0,2–0,4 Fälle pro 100.000 angegeben (Mendez et al. 2003; Kaipiainen-Seppanen u. Savolainen 1996; Symmons et al. 1996; Fujikawa u. Okuni 1997). Die häufigsten Fälle im Kindes- und Jugendalter treten in der Altersgruppe zwischen 5 und 10 Jahren auf. Jüngere Kinder sind ganz selten betroffen, obwohl die Erkrankung bei Säuglingen und Kleinkindern beschrieben wurde (Symmons et al. 1996; Sullivan et al. 1977; Pachman et al. 1997; Pachman et al. 1998). Es wird geschätzt, dass etwa 10–15% aller Patienten mit Dermatomyositis in der Kindheit erkranken. Bei Erwachsenen kommt die Erkrankung häufiger bei Afroamerikanern vor als bei Weißen; bei Kindern und Jugendlichen gibt es solche Unterschiede nicht. Sehr selten beobachtet man ein familiär gehäuftes Auftreten einer Dermatomyositis (Harati et al. 1986; Leonhardt 1961). Im Gegensatz zu anderen entzündlichen Bindegewebserkrankungen (z. B. juvenile idiopathische Arthritis) gibt es bei der Dermatomyositis keine weiteren Autoimmunerkrankungen in der Familie. Bei Kindern und Jugendlichen kennt man andere Formen der Myositis wie die Polymyositis oder die nur histologisch zu diagnostizierende Einschlusskörpermyositis praktisch nicht. Auch eine Dermatomyositis in Verbindung mit malignen Erkrankungen kommt in der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen nicht vor. Weitere Unterschiede zwischen juveniler und adulter Dermatomyositis sind in . Tab. 8.1 aufgeführt.
18 19 20 21 22 23
8.2
Ätiologie und Pathogenese
Die Ätiologie der juvenilen Dermatomyositis ist unbekannt. Verschiedene Befunde und Beobachtungen weisen auf eine autoimmune Genese hin. Auch über die pathogenetischen Abläufe herrscht Unklarheit. Es wird diskutiert, dass sich die primären entzündlichen Vorgänge an den Gefäßen abspielen, sodass man eigentlich von einer Vaskulitis sprechen müsste. Eine pathogenetische Rolle spielt auf jeden Fall das Immunsystem. Dabei reichen die Vorstellungen von einer genuinen Beteiligung des Immunsystems im Sinne einer Fehlregulation bis zu einer pathologischen Reaktion auf ein äußeres Agens (Infektion). Die Beteiligung des Immunsystems zeigt sich auch in der lymphozytären Infiltration im betroffenen Muskelgewebe. Ein immungenetischer Hintergrund z. B. im Sinne einer bevorzugten Manifestation der Erkrankung bei bestimmten HLA-Assoziationen ist nur sehr schwach ausgeprägt gefunden worden, so z. B. eine Bevorzugung von HLA-B8 und HLA-DR3 bei Kindern mit juveniler Dermatomyositis (Hirsch et al. 1981; Reed et al. 1998). So fand sich z. B. das Merkmal HLA-B8 bei betroffenen Kindern in 43% der Fälle, wohingegen die Kontrollpopulation eine Häufigkeit von 21% zeigte. Ähnliche Werte wurden für HLA-DR3 beschrieben. Allerdings wird die Bevorzugung von HLA-B8 auch bei anderen Kollagenosen z. B. beim systemischen Lupus erythematodes beschrieben. Insgesamt sind die Befunde einer HLA-I-Assoziation umstritten. Dies gilt auch für die Assoziation der Erkrankung mit dem Klasse-II-HLA-Antigen DQA1*0501, das in einer Studie bei mehr als 80% gefunden wurde (Tezak et al. 2002; Reed et al. 1991), während dies von anderen Autoren nicht bestätigt werden konnte (Vavrincova et al. 1993). Interessanterweise wird dieses HLA-Antigen vermehrt bei Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie gefunden. Allerdings sind familiäre Fälle beschrieben worden und auch einzelne Zwillingsfälle, sodass genetische Einflüsse sicherlich eine Rolle spielen. Ein Polymorphismus für das Tumornekrosefaktor-α-Gen wurde als Risikofaktor für einen schweren Verlauf einer juvenilen Dermatomyositis beschrieben (Pachman 2000; Hoffman et al. 2002).
. Tab. 8.1. Unterschiede zwischen juveniler Dermatomyositis und Dermatomyositis bei Erwachsenen Kinder und Jugendliche
Erwachsene
Akuter Verlauf
+
–
Systemische Vaskulopathie
+
–
Verkalkungen (Kalzinose)
+
–
Gleichzeitiges Vorkommen von Malignomen und Dermatomyositis
–
+
Da im Rahmen einer Graft-versus-Host-Erkrankung eine Polymyositis auftreten kann und bei Kindern mit Dermatomyositis vermehrt mütterliche Zellen gefunden wurden, ist die Hypothese formuliert worden, dass ein maternaler Mikrochimärismus eine Ursache der Erkrankung sei (Reed et al. 2000; Artlett et al. 2000; Reed 2000). Ein solcher Chimärismus von peripheren mononukleären Zellen und von Muskelgewebe findet sich bei bis zu 80% der Kinder mit juveniler Dermatomyositis. Wie bei fast jeder pädiatrischen Erkrankung unklarer Ätiologie werden auch hier Infektionen als Ursache diskutiert. Obwohl immer wieder berichtet wird, dass dem Ausbruch der Erkrankung eine Infektion, z. B. ein oberer Luftwegsinfekt, vorangeht, wird dies durch gute kontrollierte Studien nicht unterstützt. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass eine Coxsackie-B-Infektion (serologisch nachgewiesen) häufiger bei Kindern mit juveniler Dermatomyositis vorkommt als bei Kontrollen (Christensen et al. 1986). Ein weiterer Hinweis für eine infektiöse Genese ist die Beobachtung, dass bei Kindern mit Antikörpermangelsyndrom eine Assoziation zwischen Echovirusinfektion und einer chronischen Polymyositis beschrieben ist (Webster 1978). Auch die beobachtete jahreszeitliche Häufung (Frühjahr und Sommer) des Entstehens der juvenilen Dermatomyositis könnte ein Hinweis auf eine infektiöse Beteiligung sein (Pachman 1992). Bei Erwachsenen mit Dermatomyositis werden gehäuft Malignome beobachtet, was ebenfalls ein Hinweis auf eine Störung des Immunsystems sein könnte. Dies trifft allerdings nicht für die juvenile Dermatomyositis zu (Stockton 2001). Darüber hinaus gibt es eine Anzahl von immunologischen In-vitro-Befunden, die allerdings alle nicht sehr überzeugend sind: So werden u. a. Auffälligkeiten der zellulären Immunität gegenüber Muskelantigenen (Esiri 1973), eine gestörte Apoptose der Myofibrillen (Falcini 2000) und eine vermehrte Expression verschiedener Chemokine beschrieben (Uzel 2003). Hinweise auf eine durch Immunkomplexe vermittelte Vaskulitis sind ebenfalls zahlreich. Als Hinweis für eine Endothelschädigung werden histologisch Immunglobulin- und Komplementablagerungen beschrieben (Goncalves et al. 2002) und erhöhte Konzentrationen des Willebrand-Faktor-Antigens (Guzman et al. 1994; Bloom 1995), von Fibrinopeptid A und Komplementfaktor 3 beobachtet (Pachman u. Cooke 1980). Der Verschluss von kleinen Gefäßen (Arteriolen) mit konsekutiven Gewebsinfarkten in Gegenwart von rundzelligen Infiltraten weist ebenfalls auf eine Vaskulopathie (Vaskulitis) bei der Pathogenese hin. Es muss deutlich betont werden, dass alle hier beschriebenen Befunde und unzählige weitere bisher entweder nicht eindeutig genug waren oder in weiteren Studien nicht bestätigt werden konnten, um wirklich als pathogenetische Faktoren anerkannt zu werden.
8
333
8.3 · Klinik
Klinik
8.3
Typischerweise beginnt die Erkrankung mit allmählich zunehmender allgemeiner Schwäche, Verstimmung, Unwohlsein, Muskelschwäche, Gewichtsabnahme, Fieber und Hauterscheinungen (. Tab. 8.2). Alle diese Symptome können der Diagnosestellung teilweise Monate vorausgehen. Weniger typisch ist ein akut einsetzendes Krankheitsbild mit den beschriebenen Symptomen.
8.3.1
Hautbeteiligung
Neben sehr häufig auftretenden uncharakteristischen Hauterscheinungen gibt es typische, die die Diagnose Dermatomyositis erleichtern (und bei typischer Ausprägung fast als pathognomonisch zu bezeichnen sind); es handelt sich um periorbitale Ödeme, sog. Gottron-Papeln und Nagelfalzveränderungen. Typisch ist ein peri- bis supraorbitales Ödem bevorzugt im Bereich der Augenlider, lilaviolett bis fliederfarben (engl. heliotrop = Farbe der Blüten des Baldrians [Valeriana officinalis]). Solche Rötungen treten auch perioral und im Bereich der Wangen auf und ähneln dann häufig den Hauterscheinungen des systemischen Lupus erythematodes, von dem sie sich durch eine weniger starke Abgrenzung gegenüber der gesunden Haut differenzieren lassen (. Abb. 8.1 und 8.2). Unter Gottron-Papeln versteht man gerötete, makulopapulöse umschriebene Effloreszenzen, die an den Streck-
. Tab. 8.2. Prozentuale Häufigkeit von Symptomen bei Beginn der juvenilen Dermatomyositis. (Mod. nach Cassidy et al. 2005) Symptom/Befund
Häufigkeit [%]
Leichte Ermüdbarkeit
80–100
Progressive Schwäche der proximalen Muskulatur
16–96
Klassische Hauterscheinungen
35–85
Fieber
50–80
Muskelschwäche/Muskelschmerzen
30–80
Lymphadenopathie
50–75
Arthritis
10–65
Lebervergrößerung
10–20
Milzvergrößerung
10–15
Unspezifische Hauterscheinungen
10–15
Dyspnoe
5–15
Dysphagie
5–9
334
Kapitel 8 · Dermatomyositis
1 2 3 4 5
a
6 7 8 9 10
b
11 12 13 14 c
15 16
. Abb. 8.1a–c. Symmetrische fliederfarbene periorbitale Erytheme und Gesichtsrötungen bei juveniler Dermatomyositis. a,b 5-jährige Patientinnen, c 10-jährige Patientin
17 18 19 20
a
21 22 b
23
. Abb. 8.2a,b. Labiale (a) und periorbitale (b) lilafarbene Ödeme bei 13-jährigem Mädchen mit juveniler Dermatomyositis
seiten der Gelenke, bevorzugt an den Metakarpophalangealgelenken und den proximalen Interphalangealgelenken, auftreten. Auch der Befall der Knie und der Ellenbogen ist beschrieben. Aus diesen Hauterscheinungen entwickeln sich hyperkeratotische, atrophische, teilweise glänzend pergamentartige Erscheinungen (. Abb. 8.3). Im Bereich des Nagelfalzes ist die Haut verdickt und gerötet. In der Kapillarmikroskopie sieht man verdickte und geschlängelte Kapillaren, die teleangiektatisch verändert sind und Blutungen zeigen (. Abb. 8.4 und 8.5). Darüber hinaus gibt es eher untypische Hauterscheinungen in Form von lividen, teilweise ödematösen Erythemen im Bereich des oberen Rumpfes (Dekolleté), des Rückens, des Gesäßes, an den Streckseiten der Extremitäten und der Innenknöchel (. Abb. 8.6). Exposition gegenüber Licht (u. a. Sonnenbestrahlung) kann zum Aufflackern der Hauterscheinungen führen. In einzelnen Fällen werden Hautulzerationen beschrieben. Atrophische Veränderungen der Haut und Pigmentstörungen (Hyperpigmentierung häufiger als Hypopigmentierung) und Hyperkeratosen sind Spätfolgen. Haarausfall als Folge einer Entzündung der Kopfhaut kann vorkommen. Die Hauterscheinungen können den Muskelsymptomen vorausgehen. Häufiger ist, dass zuerst die Muskelschwäche beobachtet wird und danach die Hauterscheinungen auftreten. Dermatologische Symptome können ohne klinische Muskelerkrankung vorkommen. Wenn auch im Verlauf keine Muskelsymptome auftreten, spricht man von einer amyopathischen Dermatomyositis, die einen eher günstigen klinischen Verlauf nimmt (Pachman et al. 1998).
Hautverkalkungen (Kalzinose) Eine Kalzinose kommt in etwa einem Drittel der Fälle von jugendlicher Dermatomyositis vor. Sie scheint mit der Schwere der Hautbeteiligung zu korrelieren und ist an das Vorhandensein einer Vaskulopathie gebunden (. Abb. 8.7). Typischerweise treten die Verkalkungen am Beginn der Erkrankung auf; sie bestehen aus Kalziumphosphat und Apatitkristallen. Ein verzögerter Beginn der Therapie scheint eine Kalzinose zu begünstigen. Verkalkungen können in verschiedenen Formen auftreten. Am harmlosesten sind vereinzelte, häufig an den Extremitäten lokalisierte subkutane Plaques und Knötchen, die das Kind nicht beeinträchtigen. Außerdem gibt es Ablagerungen entlang der Faszien, die äußerst schmerzhaft sind und ebenfalls die Gelenkbeweglichkeit beeinträchtigen (. Abb. 8.8). Daneben gibt es muskuläre Verkalkungen, die besonders in Gelenknähe die Funktion beeinträchtigen. Diese Verkalkungen können nach außen ulzerieren und große pflegerische Probleme machen (. Abb. 8.9). Die oberflächlichen Verkalkungen können sich unter der Therapie langsam zurückbilden, während die tiefen
335
8.3 · Klinik
a
b
c
. Abb. 8.3a–c. Gottron-Papeln bei einem 7-jährigen Jungen mit juveniler Dermatomyositis
. Abb. 8.4. Typische Nagelfalzveränderungen bei Dermatomyositis: avaskuläre Areale, Riesenkapillaren, torquierte Kapillaren und Nagelfalzkeratose. (Mit freundlicher Genehmigung von Frau Priv.-Doz. Dr. Pfeiffer, Dermatologische Klinik, Universitätsklinikum Dresden)
. Abb. 8.5. Nagelfalzveränderungen im Sinne von Hyperkeratosen und Erythemen, daneben Gottron-Papeln über den Metakarpophalangeal- und proximalen Interphalangealgelenken
schwer zu beeinflussen sind und mit massiver Behinderung der Kinder und Jugendlichen verbunden sind.
2001). Der progressive und symmetrische Verlust des subkutanen Fettgewebes betrifft überwiegend den Oberkörper und wird vor allem bei weiblichen Jugendlichen beobachtet. Mit der Lipodystrophie sind meist metabolische Veränderungen assoziiert wie Insulinresistenz, pathologische Glukosetoleranz, Hypertriglyzeridämie, Acanthosis nigricans, Hirsutismus und Hepatomegalie. Obwohl der genaue Mechanismus unbekannt ist, nimmt man an,
Lipodystrophie Eine lokalisierte, partielle oder generalisierte Lipodystrophie, die auch bei anderen Autoimmunerkrankungen auftreten kann, wird bei 20–25% der Patienten mit juveniler Dermatomyositis gefunden (Huang 1996; Huemer et al.
8
336
Kapitel 8 · Dermatomyositis
1 2 3
a b
4 5 6
. Abb. 8.7. Massive Kalkablagerungen im Bereich der Schulter und des oberen Thorax bei einem 12-jährigen Jungen mit schwer verlaufender Dermatomyositis. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Hanefeld, Universitätskinderklinik Göttingen)
7 8 9 10
c
d
. Abb. 8.6a–d. Erythematöse Hautveränderungen glutäal, im Gesicht und an den Extremitäten
11 12 a
13 14 15 16 b
17
. Abb. 8.9. Massive subkutane Verkalkungen, die sich über Hautulzerationen nach außen entleeren. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Hanefeld, Universitätskinderklinik Göttingen)
18 19
dass die Insulinresistenz primär mit der Muskelerkrankung assoziiert ist, da auch beim Gesunden die Insulinsensitivität entscheidend von der insulinstimulierten Glykogensynthese im Skelettmuskel abhängig ist.
20 21 22 23
8.3.2 . Abb. 8.8. Kalziumablagerungen im Bereich der Faszien der unteren Extremität bei juveniler Dermatomyositis (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Hanefeld, Universitätskinderklinik Göttingen)
Muskelsymptome
Die Beteiligung des muskulären Systems äußert sich in einer motorischen Schwäche, die typischerweise proximal und symmetrisch beginnt. Die Schwäche äußert
337
8.4 · Diagnose
sich klinisch in zunehmendem Unvermögen Treppen zu steigen, in ein Auto zu klettern oder Haare zu kämmen. Das Gower-Phänomen ist oft positiv. Die Kinder äußern Schmerzen und sind unbeweglich. Bevorzugt sind die proximalen Muskeln der oberen und unteren Extremität und die Nackenbeuger betroffen. Weniger oft bzw. später im Verlauf der Erkrankung kann auch die distale Muskulatur beteiligt sein. In einem kleinen Prozentsatz ist die Pharynx- und Gaumenmuskulatur betroffen, sodass eine Dysphonie, eine schwache Stimme und eine nasale Sprache resultieren. Eine seltene Beteiligung des Ösophagus zeigt sich in Schluckstörungen. Viel häufiger (ca. 2 Drittel der Fälle) ist röntgenologisch eine subklinische Störung der Ösophagusmotilität nachweisbar. Eine Schwäche der Atemmuskulatur kann zu Aspirationspneumonien führen. Die Muskelsymptome entwickeln sich typischerweise langsam, sehr selten kommt es zum akuten Auftreten.
8.3.3
Gelenkbeteiligung
Transiente Arthralgien oder schwach ausgeprägte Arthritiden kommen in Einzelfällen vor. Eine persistierende Arthritis ist ungewöhnlich und sollte an andere Diagnosen, wie Sharp-Syndrom oder andere Mischkollagenosen denken lassen. Eine Beeinträchtigung der Gelenkfunktion wird am ehesten auf die muskuläre Entzündung und deren Folgen zurückzuführen sein.
8.3.4
Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt
Eine seltene Beteiligung des Gastrointestinaltrakts äußert sich in Bauchschmerzen, Bluterbrechen und blutigen Stühlen. Korrelat ist eine Vaskulitis der Schleimhaut, die im Extremfall eine Perforation der Darmwand zur Folge haben kann. Auch der Urogenitaltrakt kann in diesem Sinn betroffen sein.
8.3.5
Weitere Organbeteiligung
Eine Beteiligung der Herzmuskulatur (Kardiomegalie, EKG-Veränderungen, Myokarditis, AV-Block 1. Grades) kann selten vorkommen. Raynaud-Phänomene und Lungenbeteiligung in Form einer interstitiellen Pneumonie wurden beschrieben.
8.4
Diagnose
Traditionell wird die Diagnose nach den Kriterien von Peter und Bohan (1975) gestellt, auch wenn diese bei Kindern nicht validiert sind:
1. Charakteristische Hautveränderungen mit violetter Verfärbung der Oberlider (Heliotrop), periorbitalem Ödem, fleckigem Exanthem des Gesichtes, makulopapulöses, teils schuppendes Exanthem über den Streckseiten der Gelenke, besonders über den MCPund PIP-Gelenken (Gottron-Zeichen). 2. Symmetrische proximale Muskelschwäche. 3. Erhöhung eines oder mehrerer Muskelenzyme im Serum (CK, AST, LDH, Aldolase). 4. Myopathische Veränderungen im Elektromyogramm. 5. Nachweis einer lymphozytären Infiltration in der Muskelbiopsie. Die Diagnose einer Dermatomyositis gilt als gesichert, wenn neben den typischen Hautveränderungen (Kriterium 1) drei weitere Kriterien (2–5) erfüllt sind, als wahrscheinlich bei zwei und als möglich bei einem weiteren Kriterium.
8.4.1
Hautveränderungen
Die charakteristischen Hauterscheinungen wie Heliotrop und Gottron-Zeichen sind pathognomonisch und erlauben häufig eine Blickdiagnose (7 8.3.1)
8.4.2
Muskelkraft
Zum Nachweis der Muskelschwäche muss die Muskelkraft objektiviert werden. Dies ist mit einem klinischen Test und Beurteilung der Muskelkraft in Stärkegraden von 0– 5/5 möglich (BMRC 1981; . Tab. 8.3). Mit einem umfangreicheren Messinstrument, dem Childhood Myositis Assessment Scale (CMAS), können Muskelkraft, Funktion und Ausdauer quantifiziert werden. Der Test umfasst 14 Items und beurteilt anhand einer Skala von 0 bis 51 Punkten die Fähigkeit des Kindes, bestimmte Aufgaben auszuführen.
. Tab. 8.3. Manuelle Testung der Muskelkraft in Stärkegraden 0/5
Fehlende Muskelkontraktion
1/5
Muskelkontraktion sichtbar, aber keine aktive Bewegung
2/5
Aktive Bewegung unter Aufhebung der Schwerkraft
3/5
Aktive Bewegung gegen die Schwerkraft
4/5
Aktive Bewegung gegen geringen Widerstand
5/5
Normale Muskelkraft
8
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Kapitel 8 · Dermatomyositis
Exkurs Der CMAS wurde validiert für Patienten im Alter von 4– 16 Jahren, zeigt eine exzellente Reliabilität (Intra–und inter-observer) und eine gute Korrelation mit Ergebnissen manueller Beurteilung der Muskelkraft (Lovell 1999). Der Test nimmt etwa 10–15 Minuten in Anspruch und ist sowohl für die Patientenbetreuung als auch für klinische Studien geeignet.
spezifische Antikörper“ ( Jo-1, Mi-2, PL-7 etc.) und „muskelassoziierte Antikörper“ (Anti-PM-1, Anti-Ku ect.), sodass die Bestimmung dieser Antikörper weder für die Diagnostik noch für die Beurteilung des Krankheitsverlaufes von Bedeutung ist (Targoff 2002).
8.4.4
Apparative Untersuchungen
Elektromyogramm
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
8.4.3
Laborbefunde
Entzündungsparameter Unspezifische Entzündungsparameter wie Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und C-reaktives Protein (CRP) können normal oder leicht erhöht sein.
Im Elektromyogramm (EMG) findet sich typischerweise ein myopathisches Muster, das durch kurze, kleine, polyphasische Aktionspotenziale, Fibrillationen, positive scharfe Wellen und bizarre hochfrequente repetitive Entladungen gekennzeichnet ist. Die schmerzhafte Untersuchung ist besonders bei jüngeren Kindern nur schwer durchführbar und wird heute meist durch die im Folgenden aufgeführten bildgebenden Verfahren ersetzt.
Muskelenzyme Als Ausdruck der Myositis sind muskelständige Enzyme wie Kreatinkinase (CK), Aspartataminotransferase (AST/ ASAT), Alaninaminotransferase (ALT/ALAT), Laktatdehydrogenase (LDH) und Aldolase im Serum erhöht. Das Ausmaß der Enzymerhöhung korreliert nicht mit der Krankheitsaktivität. Bei schleichenden Verläufen kann die Muskelenzymerhöhung nur einzelne Enzyme betreffen oder auch ganz fehlen. Vor allem bei Kindern mit geringer Muskelmasse und schon längerem Krankheitsverlauf ist die CK in der akuten Krankheitsphase nicht immer erhöht. Andererseits kann eine Erhöhung der Kreatinkinase im späten Krankheitsverlauf ohne sonstige Hinweise auf eine Myositis persistieren (Pachman et al. 1998). Im Verlauf sind nur ein Rückgang erhöhter Enzyme oder ein erneuter Anstieg verwertbar. Bei längerem Krankheitsverlauf kann ein Rezidiv auch ohne erneute Erhöhung der Muskelenzyme auftreten.
Sonografie In der Sonografie stellen sich betroffene Muskeln mit erhöhter Echogenität dar. Der Ultraschall ist aber im Vergleich zur Magnetresonanztomografie weniger sensitiv zum Nachweis von Ödem und fokaler Verteilung der Myositis (Kane 2004).
Magnetresonanztomografie Unter den bildgebenden Verfahren hat die MRT die größte Bedeutung. Sie ist in der Lage, Ausmaß der Verände-
! Eine normale CK schließt eine Myositis nicht aus, deshalb ist immer die Bestimmung aller Muskelenzyme (CK, AST, ALT, LDH, Aldolase) erforderlich.
Vaskulitismarker Eine Erhöhung des Faktor-VIII-assoziierten Antigens (Willebrand-Faktor) reflektiert das Ausmaß der endothelialen Schädigung und ist bei vielen Patienten erhöht. Sofern der Willebrand-Faktor initial erhöht ist, ist er nach mehreren Untersuchungen (Guzman et al. 1994; Bloom et al. 1995) ein geeigneter Parameter zur Beurteilung der Krankheitsaktivität im Verlauf.
Autoantikörper Antinukleäre Antikörper (ANA) lassen sich in unterschiedlicher Frequenz nachweisen. Die Angaben schwanken zwischen 10 und 85% (Montecucco et al. 1990). Etwa 80% der betroffenen Kinder sind negativ für „muskel-
. Abb. 8.10. MRT beider Oberschenkel eines 9-jährigen Jungen mit Dermatomyositis. In den T2-gewichteten Aufnahmen zeigt sich in der Quadrizepsmuskulatur ein erhöhtes Signal als Ausdruck der entzündlichen Veränderungen; gut erkennbar ist die inhomogene Verteilung der Myositis (Pfeile). (Abt. Diagnostische Radiologie, Med. Hochschule Hannover)
339
8.5 · Therapie
rungen und die charakteristische fokale Verteilung der Muskelentzündung zu objektivieren (. Abb. 8.10). Zum Nachweis einer aktiven Myositis sind T2-gewichtete Aufnahmen mit Fettsuppression oder die Technik der ShortTime-Inversion-Recovery-Sequenz (STIR) am besten geeignet. Muskelödem und entzündliche Veränderungen stellen sich mit hyperintensem Signal dar, während T1-gewichtete Aufnahmen ein unauffälliges Signalmuster zeigen (Park 1995; Summers 1998; Kimball 2000). Anhand der Veränderungen im MRT kann eine günstige Stelle für eine erforderliche Muskelbiopsie festgelegt werden (. Abb. 8.10). Exkurs Auf T1-gewichteten Aufnahmen werden Gewebe mit langer T1–Relaxationszeit, wie z. B. Wasser, Flüssigkeiten signalarm (hypointens) und Gewebe mit einer kurzen T1Relaxationszeit wie Fett, kontrastmittelanreichernde Gewebe signalreich (hyperintens) abgebildet. Auf T2-gewichteten Aufnahmen werden Gewebe mit langer T2-Relaxationszeit wie z. B. Flüssigkeiten, Wasser, häufig Tumorgewebe signalreich (hyperintens) und Gewebe mit einer kurzen T2–Relaxationszeit wie z. B. Muskulatur, Blut, Kortikalis signalarm (hypointens) abgebildet. Eine Sonderform normaler Pulssequenzen stellt die Inversion-Recovery (IR)-Technik dar, welche die Grundlage der STIR-Sequenz ist. Diese Technik ermöglicht eine Unterdrückung des hyperintensen Fettsignals. Die T1- und T2-Kontraste der anderen Gewebe verhalten sich hingegen additiv, sodass Areale mit hoher Konzentration an freiem Wasser, wie Entzündungen oder Ödeme, hohe Signalintensitäten aufweisen.
Moderne bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie und in Zukunft auch die P-31-Magnetresonanzspektroskopie (Park et al. 2000) werden zur Revision und Anpassung der bisher verwendeten Diagnosekriterien führen und zunehmend invasivere Diagnostik ersetzen (Brown et al. 2006).
8.4.5
Muskelbiopsie
Eine Muskelbiopsie ist nur dann indiziert, wenn die klinischen Befunde einschließlich Laboruntersuchungen und MRT nicht eindeutig sind. Zur Biopsie sollten Muskeln gewählt werden, die klinisch auffällig, aber nicht atroph sind und/ oder im MRT Veränderungen zeigen (meist M. quadrizeps oder M. deltoideus). Die Muskelbiopsie kann prinzipiell als offene oder als perkutane Stanzbiopsie durchgeführt werden. Wegen des inhomogenen Befalls wird meist die offene Biopsie bevorzugt, auch wenn diese einen invasiveren Eingriff (Anästhesie, kosmetische
Folgen) darstellt. Nach einem EMG sollte innerhalb von 6 Wochen im betroffenen Muskel keine Biopsie erfolgen. Histologisch ist die Dermatomyositis gekennzeichnet durch perivaskuläre und perifaszikuläre Infiltrate von BLymphozyten, Makrophagen und überwiegend CD4+-TLymphozyten. Im Krankheitsverlauf ist ein progredienter Rückgang der Muskelkapillaren zu beobachten, der zur typischen perifaszikulären Muskelfaseratrophie führt.
8.4.6
Differenzialdiagnose
In frühen Krankheitsstadien, besonders wenn charakteristische Hautveränderungen fehlen, kann die Diagnose schwierig sein. Die Differenzialdiagnose umfasst postinfektiöse Myositiden, primäre Myopathien und inflammatorische Myositiden im Rahmen anderer Autoimmunerkrankungen. Die wichtigsten Erkrankungen sind in . Tab. 8.4 zusammengefasst.
8.5
Therapie
Bis heute steht keine kausale Therapie der juvenilen Dermatomyositis zur Verfügung. Die Therapieziele sind Suppression der Muskelentzündung, Besserung der Funktion mit Wiedererlangen der Muskelkraft, Prävention von Komplikationen, damit sich betroffene Kinder physisch und psychisch möglichst normal entwickeln können.
8.5.1
Medikamentöse Therapie
Steroidtherapie Mit Einführung der Steroidtherapie hat sich die Prognose der juvenilen Dermatomyositis in den letzten 50 Jahren dramatisch verbessert. Obwohl keine kontrollierten Studien vorliegen, gilt die hochdosierte Langzeitsteroidtherapie als Goldstandard (Dubowitz 1976: III; Ansell 1984: III; Reed 2002: III). Predniso(lo)n wird gegenüber Präparaten wie Dexamethason u. a. bevorzugt. Nach initialer Therapie mit 2 mg/kg Körpergewicht/Tag wird die Steroiddosis unter engmaschigem Monitoring schrittweise reduziert (. Tab. 8.5). Es wird eine Therapiedauer von ca. 2 Jahren empfohlen. Die meisten Experten warnen davor, frühzeitig auf eine alternierende Steroidgabe umzustellen (IV). In den letzten Jahren wird alternativ zur Langzeittherapie mit oralen Steroiden zunehmend die Steroidpulstherapie mit Methylprednisolon eingesetzt (Pachman et al. 1994: IIB; Huppertz 1999: IIB; Huang 1999: IIB). Es werden unterschiedliche Therapieschemata hinsichtlich Dauer und Intervall der Steroidpulse sowie der peroralen Steroidtherapie zwischen den Steroidpulsen verwendet.
8
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Kapitel 8 · Dermatomyositis
. Tab. 8.4. Differenzialdiagnose neuromuskulärer Erkrankungen. (Mod. nach Prieur 1999) Muskeldystrophien (MD) X-chromosomal-rezessiv Progressive MD Typ Duchenne Progressive MD Typ Becker Emery-Dreifuß-MD Autosomal dominant Myotone Dystrophie Curschmann-Steinert Fazioskapulohumerale MD Landouzy Gliedergürteldystrophie Autosomal-rezessiv Kongenitale Muskeldystrophie mit Merosinmangel Benigne Gliedergürteldystrophie
Entzündliche Erkrankungen Postinfektiös Viral: Influenza B, Coxsackie B, Echovirus, Enterovirus Toxoplasmose Trichinose, Zystizerkose Bakteriell (z. B. Staphylokokken) Tetanus Gasbrand Autoimmunerkrankungen Systemische juvenile idiopathische Arthritis Systemischer Lupus erythematodes Sklerodermie Periarteriitis nodosa
Kongenitale Myopathien Nemaline Myopathie Myotubuläre Myopathie Central-Core-Myopathie
Trauma Crush, Rhabdomyolyse Schlangenbiss
Myotonien Myotonia congenita Thomsen Myotone Dystrophie Steinert Genetische Erkrankungen Ehlers-Danlos-Syndrom Mukopolysaccharidosen
Medikamente Glukokortikoide Hydroxychloroquin Diuretika Amphotericin B Alkohol Vincristin D-Penicillamnin Cimetidin Chronische Hämodialyse
Metabolische Myopathien Glykogenosen Typ II Pompe, Typ V McArdle,Typ III, IV, VII, Muskulärer Carnitinmangel Carnitin-Palmitoyl-Transferase-Mangel Mitochondriale Myopathien Familiäre periodische Paralysen Hyperkaliämisch Hypokaliämisch Endokrinopathien M. Addison M. Cushing Hypopituitarismus Hypothyreose Myoadenylatdeaminasemangel
Neurogene Myopathien Spinale Muskelatrophien Subakuter Typ IB Werdnig–Hoffmann Intermediärer Typ II Chronischer Typ III Kugelberg–Welander Polyneuropathien Hereditäre motorisch-sensorische Neuropathie (de-/remyelinisierender/ axonalerTyp) Neurofibromatose Guillain-Barré-Syndrom Neuromuskuläre Übertragung Kongenitale Myasthenia gravis Botulismus Borreliose
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
> Praktisches Vorgehen: Überwachung der Steroidpulstherapie Temperatur, Puls, Atemfrequenz, RR vor Infusion. Kontrolle von Puls und RR alle 15 min während der ersten Stunde, danach alle 30 min. Reduktion der Infusionsgeschwindigkeit bei signifikanten RR- oder Pulsveränderungen Nebenwirkungen: Hyper- oder Hypotension, Elektrolytverschiebungen, Tachykardie, Flush, Sehstörungen, Schwitzen, metallischer Geschmack im Mund.
Neben einer schnelleren Besserung der Muskelkraft treten unter der Steroidpulstherapie teilweise weniger steroidinduzierte Nebenwirkungen wie Reduktion des Längenwachstums etc. auf; auch die Komplikation der Kalzinose wurde seltener beobachtet (7 8.3.1; . Tab. 8.6).
Immunsuppressiva Indikationen zum Einsatz immunsuppressiver Medikamente sind Steroidresistenz und -abhängigkeit oder intolerable Steroidnebenwirkungen. Bessern sich Muskelkraft unter adäquater Steroidtherapie nicht und bleiben die Muskelenzyme auch nach 3–4 Monaten erhöht, spricht man von einem steroidresistenten Krankheitsverlauf. Steroidabhängigkeit zeigt sich meist im späteren Krankheitsverlauf dadurch, dass bei Reduktion der Steroide unter eine bestimmte Dosis erneut Muskelschwäche und andere klinische Symptome der Erkrankung auftreten. Verschiedene Immunsuppressiva werden zur Behandlung der juvenilen Dermatomyositis eingesetzt: 5 Methotrexat, 5 Cyclosporin A,
341
8.5 · Therapie
. Tab. 8.5. Steroidtherapie der juvenilen Dermatomyositis Orale Steroidtherapie
Steroidpulstherapie
Initial
Prednison 2 mg/kg KG/Tag p.o. (4 Wochen)
Methylprednisolon 20–30 mg/kg KG i.v.(max. 1 g) über 1–3 Tage, Wiederholung nach 1–2 Wochen
Verlauf
1 mg/kg Kg/Tag mit langsamer Dosisreduktion über ca. 2 Jahre
Wiederholung der Steroidpulse im Abstand von 4 Wochen, Dauer unterschiedlicha
aMeist
im Intervall zwischen den Steroidpulsen niedrig dosierte orale Steroidtherapie.
5 Azathioprin, 5 Cyclophosphamid. Die Beurteilung der Effektivität ist schwierig, da keine kontrollierten Studien vorliegen. Am häufigsten wird niedrig dosiertes Methotrexat (MTX) als wöchentliche Einzelgabe in Anlehnung an die Behandlung der juvenilen idiopathischen Arthritis eingesetzt. > Dosierung von MTX: Die Dosen betragen 15–20–(25) mg/m2/Körperoberfläche bzw. 0,5–1,0 mg/kg als Einzeldosis pro Woche.
Bei Dosen über 15 mg/m2 sollte die Therapie parenteral erfolgen. Überwiegend wird heute die subkutane Injektion bevorzugt, da so Eltern oder ältere Kinder und Jugendliche die Behandlung selbst durchführen können. ! Hierbei ist zu beachten, dass MTX nicht generell zur subkutanen Injektion zugelassen ist und Eltern über den „OffLabel-Use“ sowohl hinsichtlich Indikation als auch Applikationsform aufgeklärt werden müssen. Zur subkutanen Injektion sind nur die Fertigspritzen in der Konzentration von 10 mg MTX/ml zugelassen, die bei Dosen von 15 mg oder mehr wegen des Injektionsvolumens für Kinder wenig geeignet sind.
Möglicherweise erlaubt der frühzeitigere Einsatz von Methotrexat eine raschere Reduktion der Steroiddosis und minimiert so die unerwünschten Wirkungen einer Langzeittherapie mit Steroiden (Al-Maouf et al. 2000; Ramanan et al. 2005; IIB). Die Nebenwirkungen einer Methotrexattherapie sind gering und bestehen überwiegend in einer reversiblen Erhöhung der Leberenzyme und gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit bzw. Entwicklung eines Ekelgefühls vor der Medikamenteneinnahme. Alternativ kann Cyclosporin A (CSA) in einer Dosierung von 3–5 mg/kg Körpergewicht/Tag gegeben werden. Fallbeschreibungen und unkontrollierte Studien zeigten auch für CSA eine gute Wirksamkeit bei steroidresistentem Verlauf (Heckmatt et al. 1989; Reiff et al. 1997; III). Neben einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion kann unter der Therapie mit CSA eine Hypertrichose und Gingivahyperplasie auftreten. Auf sorgfältige Mundpflege ist zu achten. MTX und CSA haben andere Immunsuppressiva in der Behandlung der juvenilen Dermatomyositis weitgehend verdrängt, neuere Publikationen zur Gabe von Azathioprin liegen nicht vor (Jacobs 1977: III). Cyclophosphamid ist bei ausgeprägtem vaskulitischem Verlauf, besonders bei gastrointestinalen Ulzerationen, versucht worden (Crowne et al. 1982: IV).
Immunglobuline Während für Erwachsene mit Polymyositis und Dermatomyositis in offenen und placebokontrollierten Studien
. Tab. 8.6. Konventionelle Steroidtherapie per os vs. Steroidpulstherapie bei 39 Kindern mit juveniler Dermatomyositis. (Nach Pachman et al. 1994) Steroidtherapie p.o. (n=25)
Steroidpulstherapie i.v. (n=14)
Hauterscheinungen (Jahre)
3,9
1,5
Muskelschwäche (Jahre)
2,7
1,5
Funktionelle Einschränkung (Jahre)
3,6
0,8
Kalzinose (%)
36
0
Katarakt (%)
24
24
Gewichtszunahme (%)
43
50
Wachstumsretardierung (%)
23
0
8
342
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Kapitel 8 · Dermatomyositis
eine signifikante Verbesserung der Muskelkraft und neuromuskulärer Symptome unter einer Therapie mit Immunglobulinen (2 g/kg KG/Monat) gezeigt werden konnte (Cherin et al. 1991: IIB; Dalakas et al. 1993: IB), liegen für Kinder mit juveniler Dermatomyositis nur einige retrospektive Untersuchungen mit kleinen Fallzahlen oder Fallberichte vor, die über günstige Ergebnisse berichten. Die Interpretation der Ergebnisse wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass meist die Immunglobuline in Kombination mit einem oder mehreren Immunsuppressiva verabreicht wurden (Al-Mayouf et al. 2000: III)
Für die Wirkung von Inhibitoren des proinflammatorischen Zytokins „Tumornekrosefaktor α“ (TNF-α-Blocker) wie Etanercept und Infliximab liegen bisher nur preliminäre, erfolgversprechende Ergebnisse vor (Miller et al. 2002; Maillard et al. 2002; III). Rituximab, ein monoklonaler Antikörper gegen das CD20-Antigen von B-Zellen wird derzeit in klinischen Studien untersucht.
Tacrolimus (FK506)
11
Bei persistierender Dermatitis kann Tacrolimus (FK 506) lokal versucht werden (Yoshimasu et al. 2002: III). Topische Steroide sollten wegen der Möglichkeit der Hautatrophie bei längerer Applikation nicht verwendet werden
13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
! Muskelaufbautraining erst beginnen, wenn keine klinischen Hinweise mehr für eine Myositis bestehen!
Biologika
10
12
5 Erhaltung des Bewegungsumfanges, 5 passives Durchbewegen, 5 vorsichtige Dehnung. 5 Spätere Krankheitsphasen: 5 Erreichen des vollen Bewegungsumfangs, 5 Vermeidung von Kontrakturen, 5 Muskelkräftigung.
Therapie der Kalzinose Es gilt als anerkannt, dass eine frühzeitige und aggressive Steroidtherapie die Frequenz und den Schweregrad der Kalzinose reduziert. Verschiedene Medikamente wurden zur Therapie der Kalzinose eingesetzt, ohne dass aus den Ergebnissen eine anerkannte Therapie abgeleitet werden könnte, u. a. Colchicin, Aluminiumhydroxid, Probenecid, Warfarin, Diltiazem. Über Einzelfälle mit dramatischer Besserung der Kalzinose unter Therapie mit Bisphosphonaten wurde berichtet (Ambler et al. 2005: III). Experimentelle Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine TNFBlockade sinnvoll sein könnte, da eine Überexpression des TNF-α308A-Allells mit einer langen aktiven Krankheitsdauer und pathologischen Kalzifikationen assoziiert ist (Pachmann et al. 2000: IIB). Oft kommt es zur spontanen Regression der Verkalkungen nach Monaten bis Jahren, wenn es gelingt, die Entzündungsaktivität anhaltend zu unterdrücken. Deshalb sollte die Indikation zur chirurgischen Exzision mit Zurückhaltung gestellt werden. Sie kann aber indiziert sein, wenn die Verkalkungen zu mechanischen Problemen oder Hautulzerationen führen.
8.5.2
Physikalische Therapie
Die physikalische Therapie hat folgende Aufgaben: Akute Krankheitsphase:
8.5.3
Allgemeine Therapiemaßnahmen
In der akuten Phase können Ernährung über eine Nasensonde und bei gastrointestinalen Komplikationen der Vaskulitis wie gastrointestinaler Blutung oder Darmperforation eine rasche chirurgische Intervention erforderlich werden. Die Atmung muss sorgfältig überwacht werden, da bei einem Drittel schwer erkrankter Kinder eine Beteiligung der Thorax- und Atemmuskulatur vorliegt, die zur Ruhedyspnoe und Hypoxie führen kann. Eine maschinelle Unterstützung der Atmung ist allerdings nur selten erforderlich. Sorgfältige Hautpflege zur Vermeidung von Ulzerationen mit der Gefahr sekundärer Infektionen ist ebenso entscheidend wie die Applikation von Sonnencremes mit hohem Lichtschutzfaktor (>30) bei häufig erheblicher Photosensitivität der Dermatitis.
8.5.4
Therapieüberwachung
Die Behandlung und Langzeitbetreuung eines Kindes mit juveniler Dermatomyositis sollte erfahrenen Kinderrheumatologen vorbehalten bleiben. Am besten erfolgt sie in einem spezialisierten Zentrum, in dem der Kinderrheumatologe in einem multiprofessionellen Team mit Physiotherapeuten, Psychologen und Sozialpädagogen zusammenarbeitet. Solange keine kausale Therapie zur Verfügung steht, ist die Behandlung darauf ausgerichtet, die entzündliche Krankheitsaktivität möglichst vollständig zu supprimie. Tab. 8.7. Interpretation der CHAQ-Ergebnisse (deutsche Version) Index
Beurteilung
0
Keine Einschränkung
0–≤0,5
Milde Einschränkung
0,5–≤1,5
Moderate Einschränkung
>1,5
Schwere Einschränkung
343
8.6 · Prognose
ren, den Krankheitsprozess zu verkürzen und krankheitsoder therapiebedingte Komplikationen zu vermeiden. Da es sich um eine sehr seltene Erkrankung handelt, ist die Evaluation neuer Medikamente und Therapieformen nur in multizentrischen Studien möglich. Die Beurteilung unterschiedlicher Therapieformen hinsichtlich Effektivität und Risiken erfordert standardisierte und validierte Messinstrumente zur Beurteilung der Krankheitsaktivität bzw. der funktionellen Einschränkungen der Patienten.
Krankheitsaktivität
Muskelkraft
Die Erkrankung kann monozyklisch verlaufen mit gutem Ansprechen auf die Therapie und kompletter Erholung innerhalb weniger Monate. Häufiger ist ein chronisch rezidivierender oder primär chronischer Verlauf mit der Notwendigkeit einer medikamentösen Langzeittherapie über mehrere Jahre. In der Prästeroid-Ära war die Prognose der juvenilen Dermatomyositis sehr ernst. Etwa ein Drittel der Patienten starb, ein Drittel entwickelte im Krankheitsverlauf schwere funktionelle Behinderungen und nur bei einem Drittel der Patienten kam die Erkrankung zum Stillstand (Bitnum 1964). Heute beträgt die Langzeitüberlebensrate über 90% bei kontinuierlicher Verbesserung der funktionellen Ergebnisse in den letzten 20 Jahren (Taieb et al. 1985; Huber et al. 2000).
Zur standardisierten Überprüfung der Muskelkraft und Ausdauer sollten neben dem manuellen Test der beschriebene CMAS (Childhood Myositis Assessment Scale) verwendet werden (7 8.4.2).
Funktion und Befinden Zur Bestimmung der Funktionseinschränkung und des psychosozialen Wohlbefindens wird in der pädiatrischen Rheumatologie ein Fragebogen eingesetzt, der Childhood Health Assessment Questionnaire (CHAQ), der auch für die juvenile Dermatomyositis validiert ist (Feldman et al. 1995) und in einer deutschen Übersetzung vorliegt (Foeldvari et al. 2001). Er besteht aus 30 Items und misst die physischen Funktionen in 8 Domänen: Anziehen und Körperpflege, Aufstehen, Essen und Trinken, Gehen, Körperpflege, Erreichen von Gegenständen, Greifen, Aktivitäten und häusliche Aufgaben. Die Interpretation der Ergebnisse zeigt . Tab. 8.7. Die Bewertung des Befindens (Schmerz, Gesamteinschätzung des Gesundheitszustandes) erfolgt auf einer 10 Punkte umfassenden visuellen Analogskala (VAS) durch die Eltern bzw. den Patienten. In jedem Funktionsbereich ist zumindest eine Frage für alle Altersgruppen relevant. Jede Antwort wird auf einer 4-Punkte-Skala bewertet: 0 = „problemlos“ bis 4 = „nicht möglich“. Die Antwort mit der höchsten Punktzahl bestimmt den Score für den jeweiligen Funktionsbereich. Werden Hilfe oder Hilfsmittel benötigt, beträgt die Punktzahl für den betreffenden Funktionsbereich mindestens 2. Der Funktionsindex wird als Mittelwert der 8 Funktionsbereiche angegeben.
Zur Beurteilung der Krankheitsaktivität und -folgen wurden von einer Gruppe internationaler Kinderrheumatologen, der Pediatric Rheumatology International Trials Organisation (PRINTO), vorläufige Kriterien erarbeitet, die derzeit prospektiv validiert werden (Ruperto et al. 2003).
8.6
Prognose
Exkurs In einer multizentrischen Studie zeigten 47/53 Patienten (72%) nach einer mittleren Krankheitsdauer von 7 Jahren keine oder nur eine minimale funktionelle Einschränkung, aber 16% eine signifikante Reduktion des Längenwachstums. Bei 34% bestand eine moderate Kalzinose. 35% der Patienten wurden zum Zeitpunkt der Studie noch medikamentös (Immunsuppressiva ± Steroide) behandelt (Huber et al. 2000).
Krankheits- oder therapiebedingte Faktoren können den Verlauf und die Prognose negativ beeinflussen (. Tab. 8.8).
. Tab. 8.8. Ungünstige Prognosefaktoren. (Mod. nach Huppertz 2001) Krankheit
Therapie
Rascher Krankheitsbeginn und ausgeprägte Muskelschwäche
Verzögerte Diagnose und später Therapiebeginn
Kutane Vaskulitis mit Ulzerationen
Inadäquate Steroidtherapie (Dosis, Dauer)
Gastrointestinale Vaskulitis
Ungenügendes Ansprechen auf die initiale Steroidtherapie
Muskelinfarkte in der Biopsie
Schlechte Compliance
8
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Kapitel 8 · Dermatomyositis
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8
347
9.1 ·
Sklerodermie und Sharp-Syndrom I. Foeldvari
9.1
Lokalisierte Sklerodermie
9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.5 9.1.6 9.1.7 9.1.8
Definition – 348 Häufigkeit – 348 Klassifikation – 348 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 349 Diagnose – 351 Therapie – 352 Prognose – 353
9.2
Systemische Sklerodermie
9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5 9.2.6 9.2.7 9.2.8
Definition – 353 Häufigkeit – 353 Klassifikation – 353 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 354 Diagnose – 357 Therapie – 358 Prognose – 359
9.3
Sharp-Syndrom (Mischkollagenose, »Mixed Connective Tissue Disease«)
9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.3.5 9.3.6 9.3.7 9.3.8
Definition – 359 Häufigkeit – 359 Klassifikation und diagnostische Kriterien Pathogenese und Pathologie – 360 Klinische Symptome – 360 Diagnose – 360 Therapie – 361 Prognose – 361
Literatur
– 361
– 348
– 348
– 353
– 354
– 359
– 360
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348
Kapitel 9 · Sklerodermie und Sharp-Syndrom
8
Das Wort »scleroderma« bedeutet harte Haut. Die Erkrankung Sklerodermie hat jedoch wesentlich mehr Facetten als nur die Verhärtung der Haut. Alle Formen der Sklerodermie sind im Kindesalter selten. Die häufigste Form im Kindesalter ist die lokalisierte Sklerodermie (LS). Sie unterscheidet sich darin von der systemischen Sklerodemie (SSc), dass sie sich meistens nur auf die Haut und das subkutane Gewebe beschränkt. Die SSc ist sehr viel seltener im Kindesalter als die LS, sie zeigt einen progressiven und langfristig tödlichen Verlauf. Eine SSc wird auf Grund der vorläufigen Kriterien des American College of Rheumatology diagnostiziert und in 2 Subtypen aufgeteilt: diffuse systemische Sklerodermie und limitierte systemische Sklerodermie. Das Sharp-Syndrom oder »Mixed Connective Tissue Disease« (MCTD) stellt eine Mischung verschiedener Komponenten von verschiedenen Kollagenosen dar, wobei häufig eine Komponente der systemischen Sklerodermie vertreten ist.
9
9.1
Lokalisierte Sklerodermie
9.1.1
Definition
1 2 3 4 5 6 7
10 11 12 13 14 15
Die lokalisierte Sklerodermie wurde zuerst 1854 beschrieben. Sie besteht aus einer charakteristischen Art der Induration und Verdickung der Haut mit vermehrter Kollagenablagerung. Eine systemische Beteilung ist per definitionem ausgeschlossen, es sei denn, es liegt eine Beteiligung lokaler Organe vor im Bereich der Läsion, wie Uveitis oder Arthritis, oder eine Ausweitung der Läsion in die Tiefe. Die LS ist nicht verwandt mit der systemischen Sklerodermie, und es ist wichtig hervorzuheben, dass hierbei das Raynaud-Phänomen nicht auftritt.
16
9.1.2
17
Die LS ist eine seltene Erkrankung, aber deutlich häufiger als die systemische Sklerodermie bei Kindern; das Verhältnis von LS zu SSc beträgt ungefähr 10 zu 1. Es liegen aber keine genauen Daten bezüglich Prävalenz und Inzidenz bei pädiatrischen Patienten vor. Wegen der minimalen Größe der Veränderung wird ein Teil der Patienten nicht bei den entsprechenden Spezialisten vorgestellt, und es liegt auch ein Zuweisungs-»Bias« vor: Lineare Läsionen werden eher zu Rheumatologen, morphaeaartige Läsionen eher zu Dermatologen geschickt. Die Inzidenz der LS in der Gesamtpopulation liegt bei 4,7 bis 27 auf 100.000 Menschen (Peterson et al. 1995). Die pädiatrischen Patienten stellen ungefähr 50% aller Patienten mit linearer Sklerodermie und 25% derjenigen mit Morphea dar (Vancheeswaran et al. 1996).
18 19 20 21 22 23
Häufigkeit
9.1.3
Klassifikation
Es liegt keine international anerkannte uniforme Terminologie vor. Während im dermatologischen Bereich der Terminus Morphaea verwendet wird, bevorzugen die pädiatrischen Rheumatologen den Begriff Skleroderma. Es ist offensichtlich, dass manchmal die Begriffe als Beschreibung und manchmal als Deskriptor der ganzen Erkrankung oder einer Subgruppe benutzt wurden. Dies führt zu Konfusion bei der Auswertung verschiedener klinischer Beobachtungen und von Ergebnissen der Grundlagenforschung. Am häufigsten wird die LS von den Kinderrheumatologen in 5 Subtypen aufgeteilt: 1. Plaquemorphaea 2. Generalisierte Morphaea 3. Bullöse Morphaea 4. Lineare Sklerodemie: a) »en coup de sabre«, b) progressive hemifaziale Atrophie, c) Parry-Romberg. 5. Tiefe Morphaea: a) subkutane Morphaea, b) Morphaea profunda, c) pansklerotische Morphaea, d) eosinophile Fasziitis.
9.1.4
Pathogenese und Pathologie
Histologische Untersuchungen der Haut und der subkutanen Gewebe zeigen Merkmale der frühen Entzündung mit Ödembildung und erhöhter Vaskularität. Diese erste Phase mit Sklerose und abnormaler Kollagenformation wird am Ende mit Atrophie der Gewebe abgeschlossen. Man kann auch eine progressive Verdickung der Dermis und Kondensation von Kollagen beobachten. Die aktuelle Forschung in Bezug auf die LS ist sehr limitiert. Die meisten Studien fokussieren auf die Pathogenese der systemischen Sklerodermie. Mehrere Studien weisen auf eine unterschiedliche Pathologie der LS im Vergleich zu der SSc hin; bei der LS liegt eine andere Verteilung der Densität des entzündlichen Infiltrats vor, es ist ausgeprägter, und eine Sklerose des papillären Teils der Dermis tritt häufiger auf. Messbare Autoantikörper wie auch die beobachteten Zytokinveränderungen weisen auf eine Autoimmungenese hin, da ähnliche Beobachtungen bei anderen Kollagenosen gemacht wurden (. Tab. 9.1.), bei denen eindeutig eine Autoimmungenese nachgewiesen ist. Die Verteilungsmuster mancher Läsionen, die die Mittellinie nicht überqueren, haben zu der Vermutung geführt, dass die Läsionen dermatopal sind und sich z. B. entlang der Blaschko-Linien verteilen. Die spezifische Evidenz auf eine genetische Ursache ist limitiert, da es lediglich Fallbeschreibungen vom Auftre-
349
9.1 · Lokalisierte Sklerodermie
. Tab. 9.1. Zytokine und Zelloberflächenmoleküle, die bei lokalisierter Skelodermie untersucht wurden. (Nach Murray u. Laxer 2002) Studie
Zytokine/Zelloberflächenmoleküle
Beobachtung
Y. Uziel (1994)
IL-2R
n Serumspiegel korreliert mit der aktiven Erkrankung
H. Ihn (1995)
Il-2, IL-4, IL-6
n korreliert mit Erkrankungsaktivität und vermindert sich mit der Remission
H. Ihn (1996)
IL-2R
n Serumspiegel korreliert mit der Schwere der Erkrankung
R. Vancheeswaran (1996)
Serum-IL-2R, E-Selectin, Endothelin-1
Keine Relation zu Präsenz oder Aktivität der Erkrankung
S. Sato (1996)
CD23
n Serumspiegel in generalisierter Morphaea erhöht
T. Nagaoka (2000)
IL-6/soluble gp130
n Serumspiegel korreliert mit Anzahl und Ausdehnung der Läsionen. Spiegel sind höher als bei systemischer Sklerodermie
H. Ihn (2000)
CD30
n Serumspiegel korreliert mit Anzahl der Läsionen, AntiHiston-Antikörper und IL-6
K. Yamane (2000)
sVCAM-1, E-Selectin
nSerumspiegel korreliert mit Schwere der Erkrankung
M. Kubo (2001)
TGF-B-Rezeptoren
n mRNA erhöht in dermalen Fibroblasten
ten der LS bei Zwillingen oder mehreren Generationen in der gleichen Familie gibt. Ein lokales Trauma wurde von einigen Autoren als Ursache diskutiert, es liegen aber nicht ausreichend Daten vor, um dies zu bestätigen. Eine Borreliose als Ursache wird nach dem jetzigen Wissenstand eindeutig verneint. ! Die Autoantikörper wie auch die beobachteten Zytokinveränderungen weisen auf eine Autoimmungenese der LS hin. Histologisch unterscheiden sich die Hautveränderungen der LS und SSc voneinander.
Zur Stellung der Diagnose ist es sehr wichtig, die Läsionen genau zu beschreiben. Dies beinhaltet die genaue Dokumentation der Lokalisation, ihrer Ausdehnung, Form und Symmetrie sowie die Bestimmung der Tiefe der Läsion mit Ultraschall oder MRT. ! Die Beteiligung der tieferen Strukturen ist unterschiedlich ausgeprägt. Bei ausgebreiteten Läsionen ist aber eine Auswirkung auf die Muskeln und Knochen der Region wahrscheinlicher.
Exkurs
9.1.5
Klinische Symptome
Die Läsionen erscheinen spontan, häufig wird ein lokales Trauma im gleichen Bereich beschrieben. In der frühen Phase ist die Diagnose schwierig. Meistens beginnt die LS mit einer oberflächlichen erythematösen Veränderung der Haut, die sich dann ausweitet und die sog. Lilac-Ring-Erscheinung zeigt; dies tritt besonders bei Plaqueläsionen auf. Mit der Zeit kann man eine Verhärtung der Haut oder der subdermalen Strukturen beobachten, die zu einer »elfenbeinartigen Erscheinung« der Oberfläche führt. Verlust der Haare und Anhydrose sind häufig, auch Hypo- oder Hyperpigmentierungen können in den betroffenen Bereichen auftreten. Die Beteiligung der tieferen Strukturen ist unterschiedlich, aber im Allgemeinen gilt: Je ausgebreiteter eine Läsion ist, desto größere Auswirkung hat sie auf Muskeln und Knochen in der Region. MRT-Untersuchungen und Biopsien zeigen, dass sich hier auch um eine aktive Entzündung in den tieferen Strukturen handelt.
In der größten pädiatrischen Sammlung von Patienten mit LS (Zulian et al. 2005a), in der 750 Patienten im Rahmen einer multinationalen Erhebung erfasst wurden, waren 529 weiblich (die W-M-Ratio lag bei 2,4 zu 1). Das Durchschnittsalter bei Erkrankung lag bei 7,3 Jahren (Spanne 0–16 Jahren). Die durchschnittliche Zeit zwischen erster Manifestation und Stellung der Diagnose lag bei 1,6 Jahren (Median bei 11 Monaten, Spanne 0–16,7 Jahren). Das Alter bei Erkrankung und die Dauer der Verzögerung bis zur Diagnosestellung waren nicht vom Subtyp der Erkrankung abhängig. 65% der Patienten hatten eine lineare Läsion, 26% eine Plaquemorphaea, 7% eine generalisierte und 2% eine tiefe Morphaea.
Die lineare Sklerodermie wird durch eine lineare Veränderung der Haut charakterisiert. Am häufigsten tritt diese Veränderung an den Extremitäten auf. Wenn die Läsion Gelenke überschreitet, kommt es häufig zu Gelenkentzündung, evtl. auch deutlich von der Läsion entfernt,
9
350
Kapitel 9 · Sklerodermie und Sharp-Syndrom
1 2 3 4 5 . Abb. 9.2. Coup-de-sabre-Läsion
6
! Die lineare Sklerodermie wird durch eine lineare Veränderung der Haut charakterisiert. Am häufigsten tritt diese Veränderung an den Extremitäten auf.
7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
. Abb. 9.1. Lineare Läsion am linken Bein, die Kniekehle überschreitend
und es kann im Verlauf zu Gelenkkontrakturen kommen (. Abb. 9.1). Ist die epiphyseale Wachstumszone involviert, kommt es zu einer Längendifferenz zwischen den Extremitäten. Im schlimmsten Fall können auch Finger, Zehen oder auch ganze Teile der Extremität verkrüppeln. Zwei besondere Formen wurden beschrieben: Die Präsentation »en coup de sabre« (. Abb. 9.2), die im Gesicht auftritt und an eine Duellnarbe erinnert, und das ParryRomberg-Syndrom, das durch Hemiatrophie des Gesichts mit sklerodermoiden Veränderungen der Haut charakterisiert ist. Dies wird von der »progressiven hemifazialen Atrophie« unterschieden, bei der die Hautbeteiligung weniger ausgeprägt ist. Diese beiden Formen sind wahrscheinlich Varianten der gleichen Erkrankung; dies reflektiert sich auch in dem ähnlichen Antikörperprofil. Bei der Coup-de-sabre-Läsion kommt es häufig zum Ausfall der Augenbrauen und Haare in dem Bereich, zur Atrophie der Zunge und des Zahnfleischs auf der betroffenen Seite wie auch zu Uveitis, intrakraniellen Verkalkungen und assoziierten zerebralen Krampfanfällen. Exkurs In der Datensammlung von Zulian et al. hatten die Patienten mit linearer Läsion zu 54% eine Läsion am Rumpf und/oder an den Extremitäten; 41% hatten eine unilaterale Läsion, 11% eine bilaterale und nur 2% eine zentraleam Bauch oder am Rücken; 23% (111 Patienten) hatten eine Läsion am Gesicht bzw. am Kopf, davon 99 eine Coup-de-sabre-Läsion, bei 8 bestand eine progressive hemifaziale Atrophie.
Die Morphaea (. Abb. 9.3) ist charakterisiert durch eine oder mehrere ovale oder runde, scharf abgegrenzte, asymmetrische umschriebene Indurationen der Haut, die im Zentrum geschmeidig und weißlich verfärbt sind. Diese Läsionen führen seltener zur Einschränkung der Beweglichkeit der Gelenke. Ein violetter Rand ist ein Hinweis auf eine aktive Entzündung. Im weiteren Verlauf verfärbt sich diese Veränderung, sie wirkt unterschiedlich pigmentiert. Die Haut ist, verglichen mit normaler Haut, um 13–310% verdickt. Die Morphaea tritt am häufigsten am Rumpf auf. Generalisierte Morphaea gilt für Patienten, die mehr als 4 plaqueartige Läsionen an 2 oder mehr Körperbereichen haben. Subkutane Morphaea beschreibt Läsionen, die größtenteils tiefere Schichten der Dermis betreffen und meistens am oberen Teil des Rumpfes oder am Unterarm auftreten, wobei die Haut wie »peau d’orange« (Orangenhaut) wirkt. Der Begriff Morphaea profunda wird benutzt, um solche Läsionen zu beschreiben, wo die Veränderungen tiefer liegen und eine größere Ausbreitung haben. Diese Läsionen überlappen mit der Kondition der Kategorie der eosinophilen Fasziitis. Der Begriff pansklerotische Morphaea bezeichnet eine sehr seltene Erkrankung, wobei bis zur Faszie ausgedehnte und ausgeprägte oberflächliche Läsionen in symmetrischer Verteilung an großen Gebieten des Körpers auftreten. Häufig sind auch Sehnen und Muskel involviert. Diese Erkrankung dehnt sich häufig sehr schnell aus, führt zu Kontrakturen und Hautulzerationen und manchmal auch zu systemischer Organbeteiligung. Es kann auch zu einem tödlichen Verlauf kommen.
351
9.1 · Lokalisierte Sklerodermie
Exkurs
Exkurs
In der Datensammlung von Zulian et al. hatten 192 Patienten eine Plaquemorphaea. Eine generalisierte Morphaea fand sich bei 51 Kindern und eine tiefe Morphaea bei 16 Patienten, wovon allein 10 Patienten eine eosinophile Fasziitis hatten. Kein Patient hatte eine bullöse Sklerodermie. Es gibt auch Patienten, die gleichzeitig lineare und » Morphaea«-Läsionen haben. Dies wurde bei 23% der Patienten von Zulian et al. beschrieben.
In dem Patientenkollektiv von Zulian et al. (2005) hatten nur 10% der Patienten erhöhte Entzündungsparameter, bei 22% der Patienten mit linearen Läsionen war die Senkungsgeschwindigkeit beschleunigt. Eine Eosinophilie trat bei 12–18% der Patienten auf, allerdings zeigten Patienten in der Gruppe der tiefen Morphaea zu 63% eine Eosinophilie. Das Serum IgG war bei 16,1% der Patienten erhöht. ANA wurden bei 671 der 750 Patienten bestimmt, und bei 42% lag eine Positivität vor. Die Verteilung war in den Subtypen ähnlich. Anti-Scl-70 wurde bei 372 von 750 Patienten untersucht, davon waren nur 12% positiv, bei 4 Patienten waren antizentromere Antikörper positiv. Beide Antikörper, Anti-Scl-70- und Antizentromer-Antikörper, traten ohne Zeichen einer systemischen Sklerodermie auf. 16 Patienten hatten auch Antikörper gegen DoppelstrangDNA, diese Patienten zeigten keinen Hinweis auf eine systemische Kollagenose. Der RF war bei 16% der Patienten positiv, hier fand sich eine signifikante Korrelation zu Arthritis als Teil von LS.
! Die Morphaea (. Abb. 9.3) ist charakterisiert durch eine oder mehrere ovale oder runde, scharf abgegrenzte, asymmetrische umschriebene Indurationen der Haut, die im Zentrum geschmeidig und weißlich verfärbt sind. Ein violetter Rand ist ein Hinweis auf eine aktive Entzündung.
9.1.6
Diagnose
Die Diagnose wird auf Grund der Erscheinung der Veränderung (linear, nicht linear), der Ausdehnung an der Oberfläche und in die Tiefe gestellt. Die körperliche Untersuchung des Patienten spielt eine sehr wichtige Rolle. Die Bildgebung hilft die Tiefe der Veränderung besser zu beschreiben. Eine Thermografie kann die Aktivität der Veränderung darstellen.
Labordiagnostik Die Laborwerte tragen nur zum Ausschluss von anderen Erkrankungen und zur Unterstützung der Diagnose bei. Man kann negative Laborwerte nicht zum Ausschluss der Diagnose benutzen. Die meisten Patienten zeigen keine Laborveränderungen.
! Es gibt keine spezifischen Laborveränderungen für die LS.
Bildgebung Es liegen keine evidenzbasierten Richtlinien zur standardisierten Evaluierung der Läsionen vor. Durch eine Magnetresonanztomografie mit Kontrastmittelgabe kann man die Tiefe und Aktivität der Läsionen erfassen. Dies ist besonders im Gesicht oder bei Läsionen, welche die Gelenke überschreiten, sinnvoll. Auch mittels einer hochauflösenden Ultrasschalluntersuchung kann die Tiefe und Aktivität der Entzündung beurteilt werden.
Thermografie Howell (1998) hat gezeigt, dass Thermografie ein interessantes Instrument ist, um die Aktivität der Läsionen zu beurteilen, jedoch steht eine prospektive Evaluierung dieser Methode noch aus.
Histologie Falls man eine Biopsie zur Sicherung der Diagnose durchführen möchte, ist es wichtig, dass bei der Biopsie bis zur Tiefe der Faszie vorgedrungen wird. Die unterschiedlichen Phasen der Läsion zeigen unterschiedliche histologische Bilder. Nach einer neueren Studie kann man aufgrund des histologischen Bildes auch zwischen LS und SSc unterscheiden.
Differenzialdiagnose
. Abb. 9.3. Morphaea
Viele Hauterkrankungen können sklerodermieartige Veränderungen verursachen. Besonders zu erwähnen sind Sarkoidose, Phenylketonurie, Graft-versus-Host-Erkrankung, SSc, Mixed Connective Tissue Disease, Dermatomyositis, eosinophile Fasziitis, Pannikulitis, Lipodystro-
9
352
1
Kapitel 9 · Sklerodermie und Sharp-Syndrom
phie, dialyseassoziierte Fibrose und späte kutane Veränderungen der Borreliose (Jablonska u. Blaszcyk 1998).
2 9.1.7
3 4 5 6
Therapie
Es gibt keine kontrollierten Therapiestudien. Über gute Erfahrungen mit Methotrexat wurde berichtet, auch in Kombination mit Methylprednisolon i.v. (Uziel et al. 2000; Meneghesso et al. 2005) (Evidenzgrad III). Eine klare Indikation zur Therapie mit Methotrexat ist gegeben, wenn die Läsion gelenkübergreifend ist und eine Kontraktur verursachen kann oder wenn sie sich in die Tiefe ausbreitet oder kosmetische Schäden verursacht.
Eine Pilotstudie zeigte eine gute Wirksamkeit von 1,25-Di-Hydroxyvitamin-D3 (Calcitriol; Elst et al. 1999; Evidenzgrad IV). Eine lokale Bestrahlung mit ultraviolettem Licht mit oder ohne Psoralen hat bei Patienten im Erwachsenenalter teilweise Erfolge gezeigt (Evidenzgrad IV). (. Tab. 9.2.). Es ist möglich, die Läsionen lokal mit niedrig konzentrierten steroidhaltigen Salben für eine bestimmte Zeit zu behandeln, jedoch sollte dies immer zeitlich limitiert sein. Um der Trockenheit der Haut entgegenzuwirken und den Juckreiz zu lindern, kann man auch fettende Hautcreme anwenden. Bei Veränderungen, die über die Gelenke hinausgehen, deformierend sind oder durch die Lokalisation deutlich die Lebensqualität einschränken, sollte
7 . Tab. 9.2. Klinische therapeutische Studien bei LS. Die Anzahl der Patienten ist meistens sehr niedrig, und nur zwei Studien sind kontrolliert (RCT), alle anderen sind Fallbeschreibungen. (Nach Murray u. Laxer 2002)
8
Therapie
Studiendesign
Autor
n
Outcome
Methotrexat
Case Series
Seyger 2001
7
Effektiv
MTX/Steroide
Case Series
Uziel 2000
10
Effektiv
MTX/Steroide
Case Series
Walsh 2000
Steroide
Case Series
Joly 1994
17
Effektiv
IFN
RCT
Hunzelmann 1997
24
Nicht Effektiv
Vitamin Da
Case Series
Cunningham 1998
12
Effektiv
Vitamin D
Case Series
Hulshof 1994
3
Effektiv
Vitamin D
RCT
Hulshof 2000
20
Nicht effektiv
Vitamin D
Case Series
Caca-Biljanovska 1999
3
Effektiv
Vitamin D
Case Series
Elst 1999
7
Effektiv
UVA1
Case Series
Kerscher 1998
20
Effektiv
UVA1
Case Seriesb
El-Mofty 2000
12
UVA1
Case Series (mit 5-Aminolävulinsäure)
Karrer 2000
5
Effektiv
UVA1
Case Seriesb
Stege
17
Effektiv
UVA/Psoralen
Case Series
Morison
UVA/Psoralen
Case Series
Kerscher
20
Effektiv
UVA/Psoralen
Case Series
Grundmann 2000
4
Effektiv
UVA/Vitamin D
Case Series
Kreuter 2001
19
Effektiv
Extra-Corporeal UVA/ Psoralen
Case Series
Cribier
2
Nicht Effektiv
Radon
Case Series
Schliapak
202
Effektiv
22
Plasmapharesis
Case Series
Wach 1995 (mit oralen Steroiden)
3
Effektiv
23
D-Penicillamine
Case Series
Falanga 1990
11
Effektiv
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
a b
Effektiv
Effektiv
Es wurden unterschiedliche Vitamin-D-Präparate benutzt, hauptsächlich Vitamin D3 (Calcitriol und Calcipotriol). Nicht behandelte Kontrollläsionen beim gleichen Patienten.
353
9.2 · Systemische Sklerodermie
immer eine systemische Therapie angewandt werden. Bei Läsionen, die über Gelenke gehen und bei denen Kontrakturen auftreten, sind Krankengymnastik und Ergotherapie als ergänzende Therapie wichtig. Beim Auftreten von kosmetisch deformierenden Veränderungen, besonders im Gesicht, ist eine psychologische Unterstützung und die Einbeziehung von plastischen Chirurgen sinnvoll. ! Es gibt keine kontrollierten Therapiestudien. Eine klare Indikation zur Therapie mit Methotrexat (evtl. in Kombination mit Steroiden) ist gegeben, wenn die Läsionen gelenkübergreifend sind, eine Kontraktur verursachen, sich in die Tiefe ausbreiten oder kosmetische Schäden verursachen.
9.1.8
Prognose
! Die Lebenserwartung der Kinder ist normal. In den ersten beiden Jahren ist die Erkrankung am »aggressivsten«. Die Erkrankung kommt meistens nach 3–5 Jahren zum Stillstand.
Die Läsionen sind dann fast immer fibrosiert. Bei 15% der Kinder mit einer Coup-de-sabre-Veränderung kommt es zum Wiederaufflackern der Erkrankung. Bei 1–5% der Patienten geht die Erkrankung in eine systemische Form über. Es liegen keine einheitlichen Messmethoden zur Bestimmung des Outcomes vor. Die Gruppe von Francesco Zulian versucht dies im Rahmen der Sklerodermiearbeitsgruppe der Europäschen Kinderrheumatologischen Gesellschaft (PRES) zu etablieren. Es werden wahrscheinlich folgende Punkte eine Rolle spielen: 5 Gesamtfläche der Läsionen, 5 Menge des Gewebeverlustes, 5 Grad der Verhärtung der Gewebe, 5 Gelenkkontrakturen, 5 Verlust der Adnexae der Haut, 5 Vorhandensein von Längenunterschieden der Extremitäten, 5 kosmetische Disfiguration / psychologischer Einfluss (CHQ), 5 Verminderung des Sehvermögens und Beteiligung des ZNS.
9.2
Systemische Sklerodermie
9.2.1
Definition
Die systemische Sklerodermie (SSc) ist eine Erkrankung unklarer Genese, die durch exzessive Deposition von Kollagen und anderen Makromolekülen der Bindegewebe in der Haut und in multiplen anderen Organen entsteht und mit schweren Veränderungen der Mikrovaskulatur einhergeht (. Abb. 9.4).
9.2.2
Häufigkeit
Die SSc ist im Kindesalter viel seltener als die LS, das Verhältnis beträgt ungefähr 1:10. Die Inzidenz der SSc wird mit 2–10 auf 1.000.000 Einwohner pro Jahr angegeben; ungefähr 10% der Patienten erkranken vor dem 18. Lebensjahr.
9.2.3
Klassifikation
Die SSc wird aufgrund der vorläufigen Kriterien des American College of Rheumatology (1980) diagnostiziert und in zwei Subtypen aufgeteilt: die diffuse systemische Sklerodermie und die limitierte systemische Sklerodermie (LeRoy et al. 1988). Unter den zweiten Subtyp fällt auch das CREST-Syndrom (»Calcinosis, Raynaud-Phänomen, Esophagus-Dysmotilität, Sklerodaktylie, Teleangiektasien«). Das CREST-Syndrom ist im Kindesalter extrem selten, unter 135 gesammelten Fällen von SSc war nur ein Kind (Foeldvari et al. 2000). Es gibt neu vorgeschlagene Klassifikationskriterien für die kindliche SSc (Zulian et al. 2005b), die im Rahmen von zwei internationalen Workshops über die SSc im Kindesalter unter der Obhut von PRES entstanden sind. Nach diesen vorläufigen »Padua-Kriterien« wird die kindliche SSc klassifiziert, wenn eine Sklerose bzw. Induration als Hauptkriterium vorliegt und zwei Minorkriterien erfüllt sind. Diese Kriterien müssen noch prospektiv getestet werden.
Die Erkrankungsaktivität und die Schädigung durch die Erkrankung spielen eine große Rolle bei der Bestimmung des Outcomes. Die Evaluationsmethoden müssen noch entwickelt und standardisiert werden.
. Abb. 9.4. Frühe Phase der systemischen Sklerodermie an den Händen mit ausgeprägtem Ödem
9
354
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Kapitel 9 · Sklerodermie und Sharp-Syndrom
Folgende Minorkriterien sind charakteristisch für SSc (eine genaue Beschreibung für die einzelnen Organsysteme liegt vor und wird demnächst veröffentlicht): 5 vaskuläre Veränderungen, 5 pulmonale Beteiligung, 5 gastrointestinale Beteiligung, 5 renale Beteiligung, 5 kardiovaskuläre Beteiligung, 5 Muskel-, Gelenk-, Sehnenbeteiligung, 5 Serologie, 5 kapillaroskopische Veränderungen.
9.2.4
. Tab. 9.3. Organbeteiligungsmuster bei Patienten mit juveniler systemischer Sklerodermie
Pathogenese und Pathologie
Das besondere Kennzeichen der SSc ist die Ablagerung von großen Mengen von Kollagen in der Haut und in anderen Organen. Theorien, die die Pathogenese erklären, müssen die drei »Wahrzeichen« der SSc berücksichtigen (Jiminez u. Derk 2004): 5 die Beteiligung von Endothel, 5 die Fibrose der Haut und von inneren Organen, 5 die immunologischen Abnormitäten. a
11 12 13 14 15 16 17 18 19
Wie bei anderen Autoimmunerkrankungen tritt eine Aktivierung des Immunystems durch ein unbekanntes Antigen (aus dem Umfeld oder aus dem eigenen Körper) in einem genetisch prädisponierten Wirt auf. Eine mögliche Kaskade kann durch die Aktivierung von Endothelzellen ausgelöst werden, was heute als primärer Mechanismus angesehen wird. Durch die Aktivierung der Endothelzellen wird der perivaskuläre fibrotische Prozess angeschoben. Das aktivierte Endothel lockt die an der Fibrose beteiligten Zellen an. Neuere Studien weisen auf einen Mikrochimärismus mit mütterlichen Zellen hin, die bei SSc-Patienten bis ins Erwachsenenalter überlebt hatten (Jiminez u. Artlett 2004) und für die Aktivierung der Endothelzellen verantwortlich sein könnten. Diese Theorie würde die SSc als eine chronische Graft-versus-HostErkrankung erklären. Neben Umweltfaktoren spielen auch genetische Faktoren eine wichtige Rolle (Jiminez u. Derk 2004; Assassi u. Mayes 2003). Es fällt eine Häufung von Autoimmunerkrankungen und Autoantikörpern bei den Familienangehörigen auf.
20 21 22 23
9.2.5
Klinische Symptome
In zwei multizentrischen Datenerhebungen von juvenilen SSc-Patienten (Foeldvari et al. 2000) und in der Datenerhebung für das juvenile SSc-Klassifikationsprojekt (Zulian 2005; Zulian et al., in Druck) hat sich ein anderes Muster der Organbeteiligung gezeigt, als es aus der »Erwachsenenliteratur« bekannt ist (. Tab. 9.3 und . Abb. 9.5).
Organbeteiligung
Foeldvari et al. (n=135)
Zulian et al. (n=153)
Haut
135 (100%)
116 (75,8%)a
Gelenke
106 (79%)
97 (63,5%)
Gastrointestinal
88 (65%)
106 (69%)
Nur ösophageal
63 (47%)
47 (31%)
Pulmonal
68 (50%)
64 (41,8%)
Kardiovaskulär
60 (44%)
44 (28,8%)
Zentralnervensystem
21 (16%)
4 (3%)
Renal
17 (13%)
15 (9,8%)
Muskulär
13 (10%)
37 (24,2%)
Raynaud-Syndrom
97 (72%)
128 (83,7%)
Kalzinose
36 (27%)
28 (18,3%)
Sjögren-Syndrom
7 (5%)
?
CREST
1
?
75,8% Hautinduration; 66% Sklerodaktylie; 44,1% Ödem.
In Abb. 9.5 kann man sehr gut sehen, wie sich die einzelnen Organmanifestationen über die Zeit entwickeln, bei einem durchschnittlichen Verlaufsbeobachtungsraum von 3,5 Jahren. Es gibt auch Organbeteiligungsmuster, die anderen Kollagenosen ähneln (Pope 2002). ! SSc bei Kindern zeigt ein anderes Muster der Organbeteiligung, als es aus den Daten von erwachsenen Patienten bekannt ist.
Raynaud-Phänomen Das Raynaud-Phänomen tritt bei 90% der Patienten auf (Foeldvari et al. 2000). Etwa bei 70% der Patienten ist es das erste Vorzeichen der Erkrankung. Mikrovaskuläre Veränderungen am Nagelbett sind pathognomisch für ein Raynaud-Phänomen, das sekundär bei einer Kollagenose auftritt. Es gibt spezifische Nagelfalzmuster, die für SSc sprechen (Dolezalova et al. 2003; Nagy u. Czirjak 2004; Cutolo et al. 2005). Die typische Raynaud-Attacke hat drei Phasen: 5 Zuerst kommt es durch Vasokonstriktion zu Blässe, 5 dann zu bläulicher Verfärbung und 5 schließlich durch Reperfusion zu einer rötlichen Färbung. Meistens sind die Finger distal des proximalen interphalangealen Gelenks beteiligt, die Daumen bleiben häufig ausgespart. Bei schweren Verläufen kommt es zu Gewebsverlust an den Fingerspitzen, teilweise mit offenen Ulze-
355
9.2 · Systemische Sklerodermie
. Abb. 9.5. Organmanifestation zum Zeitpunkt der Erkrankung und im Verlauf nach durchschnittlich 3,5 Jahren bei SSc. (Nach Zulian et al. 2005a)
Raynaud-Phänomen Verhärtung prox. MCP Verhärtung dist. MCP Sklerodaktylie Ödem Rattenbissnekrose Arthralgie Gewichtsverlust Arthritis Reduz. funktionelle Lungen-Vitalkapazität Kapilläre Nagelfalzveränderungen Digitale Infarkte Dyspnoe Muskelschwäche Kalzinose Abnormaler Röntgenthorax Gastroösophagealer Reflux 0
10
20
30
40 %
Beginn der Beschwerden
. Abb. 9.6. »Rattenbissnekrose«
ra (sog. Rattenbissnekrosen, . Abb. 9.6.). Mit einem Raynaud-Phänomen verwechselt werden kann die Wirkung von Kälte auf die Hände, die nur mit einer zyanotischen Phase einhergeht. Die Thermografie nach Kältestimulation ist bei der Diagnose des klassischen Raynaud-Phänomens hilfreich, aber nicht immer provozierbar. ! Mikrovaskuläre Veränderungen am Nagelbett sind pathognomisch für ein Raynaud-Phänomen, das sekundär bei einer Kollagenose auftritt.
Hautbeteiligung Eine SSc beginnt oft mit dem Auftreten des Raynaud-Phänomens in den Fingern, und im weiteren Verlauf mit einer diffusen ödematösen Schwellung der Finger (. Abb. 9.4). Das Ödem ist schmerzlos, führt aber häufig zu Bewegungseinschränkungen. Die Hautbeteiligung breitet sich
50
60
70
80
Zeitpunkt der Diagnose
von distal nach proximal aus. Die Dynamik des Prozesses ist individuell. Erst im Verlauf von Monaten wird dieses Ödem durch eine Fibrose ersetzt, wonach man die typischen Hautveränderungen finden kann (zu straffe Haut ohne Faltenbild). Diese Art von Hautbeteiligung führt zu Gelenkkontrakturen und im Gesicht zur Mimikarmut. Bei der diffusen Verlaufsform kommt es zu einer rapiden Ausweitung der Hautbeteiligung, die meist nach einem Zeitraum von 1–3 Jahren ein Plateau erreicht. Durch wiederholte mikrovaskuläre Traumen treten Ulzerationen an den Fingerspitzen mit Gewebeverlust auf. Bei manchen Patienten kommt es zu ausgeprägter subkutaner Kalkablagerung. Um die Wirksamkeit von Therapien beurteilen zu können, wurden verschiedene Hautscoresysteme entwickelt. Am häufigsten wird der modifizierte »Rodnan Skin Score« angewandt. Dieser wurde bei Erwachsenen mit SSc validiert (Furst et al. 1998; Merkel et al. 2003). Über die Nützlichkeit von Hautscores bei Kindern liegen die ersten Daten vor, wobei die Anwendbarkeit bei Kindern ohne sklerodermatöse Hautveränderung getestet wurde (Foeldvari u. Wierk 2006). ! Die Hautbeteiligung bei der SSc breitet sich von distal nach proximal aus.
Muskuloskeletale Beteiligung Während eine Gelenkschwellung seltener auftritt, sind Gelenkkontrakturen im Rahmen der Fibrose der Haut häufig. Bei Kindern wurden sie in 79% der Fälle beschrieben (Foeldvari et al. 2000). Aber auch subkutane Verkalkungen und eine Tenosynovitis können zu Gelenkkontrakturen führen. Das sog. Sehnenreiben ist ein typisches
9
356
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Kapitel 9 · Sklerodermie und Sharp-Syndrom
Merkmal der SSc, es kommt durch Fibrose der Sehnenscheiden zustande. Es ist spürbar und evtl. auch hörbar. Eine Myopathie findet sich bei bis zu 10% der Patienten und wird durch Fibrose oder durch sekundäre Muskelatrophie verursacht. Sie kann auch im Rahmen einer Erkrankung aus dem Formenkreis der Mixed Connective Tissue Disease auftreten.
Gastrointestinale Beteiligung Der Magen-Darm-Trakt ist das dritthäufigst betroffene Organsystem. Bei 48% der Kinder kommt es nur zu einer ösophagealen Beteiligung mit Ösophagusmotilitätsstörung (. Abb. 9.7a), häufig mit gastroösophagalem Reflux. Die Motilitätsstörung kann man frühzeitig z. B. mittels Ösophaguszintigrafie diagnostizieren. Bei 17% kommt es auch zu einer Beteiligung des restlichen Gastrointestinaltrakts (. Abb. 9.7b,c) (Foeldvari et al. 2000). Diese Patienten leiden häufig unter einer Motilitätsstörung mit Malabsorption, intestinaler Pseudoobstruktion, in extremen Fällen Pneumatosis intestinalis. Bei 15% der Patienten können gastrointestinale Blutungen auftreten, am häufigsten aus Teleangiektasien.
Kardiopulmonale Beteiligung
11 12 13
! In der aktuellen Literatur trennt man kardiale und pulmonale Beteiligung nicht mehr voneinander, sondern spricht wegen der engen Bezeihung der beiden Organsysteme von einer kardiopulmonalen Beteiligung.
Klinisch fällt am häufigsten eine belastungsabhängige Dyspnoe auf, die sich nach den New-York-Kriterien klassifizieren lässt. Eine kardiopulmonale Beteiligung tritt bei 49% der Patienten auf und ist seit der Therapierbarkeit von renalen Krisen die häufigste zum Tode führende Komplikation. Sie kann bereits vor den Hauterscheinungen auftreten. Es gibt zwei typische Manifestationen. Eine entzündliche Pneumonitis, die langfristig zu interstitieller Fibrose (. Abb. 9.8) führt, tritt relativ früh im Krankheitsverlauf auf. Diagnostisch, noch vor dem Auftreten der belastungsabhängigen Dyspnoe, kann man sie durch eine Lungenfunktionsprüfung mit Kohlenmonoxiddiffusionskapazität, ein hochauflösendes CT und eine bronchoalveoläre Lavage feststellen. Es ist wichtig, relativ früh, noch vor dem Auftreten klinischer Beschwerden, diese Beteiligung zu erkennen, um rechtzeitig eine wirksame Therapie einleiten zu können. Die interstitielle Lungenerkrankung führt auch zu einer pulmonalen Hypertension und einer sekundären Rechtsherzbelastung. Die zweite Komplikation, die pulmonale Hypertension (der Druck in den pulmonalen Arterien liegt in Ruhe über 25 mmHg und bei Belastung über 30 mmHg), tritt im späten Krankheitsverlauf auf und ist häufiger bei Patienten mit limitierter SSc. Sie kann primär durch die Fibrose der Pulmonalarterien verursacht werden oder sekundär durch die interstitielle Fibrose. Bei diesen Patienten ist eine Echokardiografie hilfreich, wobei dann eine Rechtsherzbelastung auffällt.
14 15 16 17
a
18 19
a
c
20 21 22
b b
23
. Abb. 9.7a–c. Gastrointestinale Beteiligung mit erstarrtem ausgeweiteten Ösophagus und erweitertem Kolon, welches zu einem aufgebläht wirkenden Bauch führt
. Abb. 9.8a,b. Hochauflösendes CT der Lungenbeteiligung mit deutlicher Lungengewebsverdichtung
357
9.2 · Systemische Sklerodermie
Häufig finden sich Mischformen; interstitielle Veränderungen und Komponenten der pulmonalen Hypertension können auch zusammen auftreten. Neben der Rechtsherzbelastung durch die pulmonale Hypertension kann es auch zu einer myokardialen Fibrose kommen. Bei 10% der Fälle entsteht ein asymptomatischer Perikarderguss. Es kann auch zu Herzrythmusstörungen kommen.
Renale Beteiligung Nach der pädiatrischen Studie trat eine renale Beteiligung nur bei 10% der Patienten auf (Foeldvari et al. 2000) und lag damit niedriger als in der Erwachsenenpopulation. »Renale Krisen«, durch einen akut auftretenden Blutdruck- und Kreatininanstieg charakterisiert, sind seit Einführung der ACE-Hemmer behandelbar, manchmal ist aber in der akuten Phase auch eine Hämodialyse notwendig. Eine renale Krise tritt am häufigsten in den ersten 5 Jahren der Erkrankung auf.
Bedeutung dieser Antikörper bei dieser Erkrankung noch unklar.
Beurteilung der Schwere der Erkrankung Die »Disease Severity Scale« von Medsger et al. (1999) schätzt mittels eines Scoringsystems die Schwere der Erkrankung ein und hilft damit die Aggressivität der Therapie besser zu begründen. Dieses Scoringsystem wurde nur bei Erwachsenen validiert. In letzter Zeit steht auch die Erfassung der Lebensqualität immer mehr im Vordergrund. Es gibt validierte Instrumente, welche die allgemeine Lebensqualität messen, wie z. B. das Child Health Questionnaire (CHQ). Es kann auch bei SSc angewandt werden. Im Erwachsenenbereich wurden auch krankheitsspezifische Instrumente entwickelt und getestet (Medsger et al. 1999). Ein multinationales Projekt unter der Obhut von PRES zur Entwicklung spezifischer pädiatrischer Instrumente ist in Planung.
Sjögren-Syndrom im Rahmen von SSc
9.2.6
Diese Komplikation trat nur bei 4% des pädiatrischen Kollektivs auf. Sie ist eine klinische Diagnose (Heijstek et al. 2005), wobei die Patienten über ein Gefühl »wie Sand im Auge« oder über vermehrten Bedarf an Flüssigkeitsaufnahme zum Schlucken von fester Nahrung berichten. Ein ausgeprägtes Trockenheitsgefühl im Mund kommt häufiger vor. Es kann zu rezidivierenden Parotisschwellungen kommen. Bei diesen Patienten dominiert in den Zielorganen eine Fibrose anstelle der lymphozytären Infiltration des klassischen Sjögren-Syndroms.
Die Diagnose SSc ist primär eine klinische Diagnose. Sie ist charakterisiert durch das Auftreten der Raynaud-Symptomatik mit Kapillarerweiterungen an den Nagelfalzansätzen. Im weiteren Verlauf tritt eine symmetrische Hautbeteiligung an den Extermitäten auf, besonders an den Händen mit Sklerodaktylie; dann dehnt sich die Hautbeteiligung nach proximal aus. Für jedes Organsystem gibt es spezifische Untersuchungsmethoden.
Diagnose
Raynaud-Phänomen ZNS-Beteiligung Überraschend fand sich bei 14% der pädiatrischen Patienten eine Beteiligung des ZNS; diese liegt damit deutlich höher als bei Erwachsenen. Aufgrund der Erhebung über eine Befragung ist aus den Daten die genaue Präsentation der ZNS-Beteiligung nicht anzugeben (Foeldvari et al. 2000). Bei Erwachsenen wurden meistens ZNS-Vaskulitiden beschrieben.
Das Raynaud-Phänomen selbst ist eine klinische Entität, aber die Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Raynaud-Phänomen ist sehr wichtig. Die Nagelfalzkapillarmikroskopie macht es möglich, die spezifischen kapillarmikroskopischen Veränderungen zu erkennen (Dolezalova et al. 2003; Nagy u. Czirjak 2004; Cutolo et al. 2005).
Hautbeteiligung Laborwertveränderungen Die Blutsenkung ist meistens im Normbereich. Häufig tritt eine Hypergammaglobulinämie auf. Bei vermehrter vaskulitischer Entzündungsaktivität ist auch das FaktorVIII-Antigen im Serum erhöht. Bei bis zu 90% der Patienten ist der antinukleäre Faktor (ANA) positiv. Die speziellen Autoantikörper korrelieren mit den Subtypen. Anti-Scl-70-(Topoisomerase-1-)Antikörper treten bei 20– 40% der Patienten mit diffusen Verläufen auf. Antizentromer-Antikörper sind typisch für das CREST-Syndrom. Anticalpastatin-Antikörper korrelieren bei manchen Patienten mit der Entzündungsaktivität und sind bei ungefähr 25% der Patienten positiv. Antikardiolipin-Antikörper treten bei bis zu einem Drittel der Patienten auf, doch ist die
Die Hautbeteiligung mit symmetrischer Induration bzw. Sklerose ist das Hauptkriterium der Klassifikation. Sie ist eine klinische Diagnose, nur in seltenen Fällen ist eine histologische Bestätigung nötig. Die Hautbeteiligung lässt sich mit dem modifizierten Rodnan Skin Score quantifizieren, wobei die pädiatrische Validierung noch aussteht (Foeldvari u. Wierk 2004, 2006; Heijstek et al. 2005; Medsger et al. 1999; Clements et al. 2001).
Muskuloskelettale Beteiligung Die Gelenkbeteiligung kann man durch eine Ganzkörpergelenkuntersuchung feststellen, mit der die Anzahl der bewegungseingeschränkten, geschwollenen und schmerzhaften Gelenke zu erfassen ist.
9
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Kapitel 9 · Sklerodermie und Sharp-Syndrom
Die muskuläre Beteiligung, die sich durch Muskelschwäche in bestimmten Muskelgruppen darstellt, kann man durch die Childhood Myositis Assessment Scale (CMAS) quantifizieren, die für die juvenile Dermatomyositis validiert wurde (Huber et al. 2004).
Gastrointestinale Beteiligung Die häufigste gastrointestinale Beteiligung führt zu Schluckstörungen, die sich am besten mit einer Ösophagusszintigrafie darstellen lassen. Sie ist sensitiver als eine Bariumbreischluckuntersuchung. Die auftretende Obstipation kann evtl. mit der szintigrafischen Untersuchung der Kolontransitzeit objektiviert werden. Von dem auftretenden klinischen Bild abhängend, können auch Ultraschall und CT eingesetzt werden. Störungen in der Absorption reflektieren sich am schnellsten über ein Abnehmen des Körpergewichts.
Eine ergänzende Rechtsherzkatheteruntersuchung sollte auf jeden Fall vor Beginn einer Therapie mit Endothelinantagonisten durchgeführt werden.
Renale Beteiligung Die Nierenbeteiligung kann man am besten über regelmäßige Blutdruck- und Gewichtskontrollen feststellen. Serumkreatininmessungen, Messung der quantitativen Eiweißausscheidung und mikroskopische Untersuchung des Urins auf Zylinder sind ebenfalls sinnvoll, um die renale Beteiligung beurteilen zu können.
Sjögren-Syndrom im Rahmen von SSc Das Sjögren-Syndrom ist eine klinische Diagnose, wie auch andere Kollagenosen, bei denen es sekundär assoziiert sein kann. Es gibt spezifische Tests, um die Quantität der Tränenflüssigkeit und der Speichelproduktion zu bestimmen (Heijstek et al. 2005).
Kardiopulmonale Beteiligung Um die Belastbarkeit eines Patienten nicht invasiv zu beurteilen, wird der 6-Minuten-Gehtest angewandt. Die ersten Studien zur Anwendung dieses Tests aus dem pädiatrischen Bereich liegen bisher jedoch nur für die kindliche Arthritis vor (Lelieveld et al. 2005; Li et al. 2005). Um eine interstitielle Lungenbeteiligung zu diagnostizieren, muss eine hochauflösende Computertomografie durchgeführt werden (Hochberg 1997). Gleichzeitig sollten ein Lungenfunktionstest und die Bestimmung der Kohlenmonoxiddiffusionskapazität erfolgen, um den Grad der Fibrose mit zu beurteilen. Diese nichtinvasiven Tests kann man auch im Verlauf wiederholen. Bei Erwachsenen wird auch regelmäßig eine bronchopulmonale Lavage eingesetzt, um die Entzündungsaktivität zu evaluieren. Hier wird auch der Anteil der eosinophilen und der neutrophilen Granulozyten als Aktivitätsmarker untersucht, zusätzlich wird auch eine Kultur auf pathogene Keime (z. B. Pneumocystis jiroveci) durchgeführt. Bei Kindern wird man diese Untersuchung zurückhaltender einsetzen; sie ist aber immer bei pulmonaler Verschlechterung oder der fehlenden Unterscheidung zwischen einer möglichen Infektion und der Zunahme der Fibrose in Erwägung zu ziehen. Bei der bronchopulmonalen Lavage ist es sehr wichtig, nicht nur die Oberlappenbronchien zu untersuchen (Witt et al. 1999). Die pulmonale Hypertension (Rosenzweig et al. 2004) kann man mit der Echokardiografie diagnostizieren, wobei ein pulmonaler Druck über 35 mmHg in Ruhe als erhöht bezeichnet wird.
ZNS-Beteiligung Vom klinischen Bild abhängend ist die nötige Bildgebung wie MRT plus ggf. Angiografie durchzuführen, ergänzt durch andere diagnostische Maßnahmen wie z. B. Lumbalpunktion.
Laborwertveränderungen Die Bestimmungen von BSG bzw. CRP sind sinnvoll, darüber hinaus eine Blutbilduntersuchung mit Differenzialblutbildbestimmung. Die Bestimmung des Serumkreatinins sollte mindestens alle 3 Monate durchgeführt werden. Bei den Antikörpern ist die Bestimmung von ANA und ENA (hier besonders Anti-Scl-70- und Antizentromer-Antikörper) wichtig. Keiner der Antikörper ist jedoch geeignet, die Diagnose zu sichern, und das Nichtvorhandensein schließt auch eine SSc nicht aus.
Beurteilung der Schwere der Erkrankung Es gibt kein spezifisches pädiatrisches Scoringsystem, um die Erkrankungsschwere zu beurteilen; der Einsatz des »Disease Severity Scale« (Medsger et al. 1999) oder des Erkrankungsaktivitätsindex ist möglich (Valentini et al. 2003a,b). Die prospektive Studie einer Inzeptionskohorte ist mit der Unterstützung von PRES geplant, um die Outcomemethoden, die in der Erwachsenenrheumatologie angewandt werden, auch in der Kinderrheumatologie zu evaluieren.
9.2.7 ! Es ist empfehlenswert, eine Echokardiografie mindestens alle 12 Monate durchzuführen, abhängend vom klinischen Bild auch öfter.
Therapie
Es gibt keine kausal heilende Behandlung der SSc. Bei der Therapie unterscheidet man eine immunsuppressive Therapie, um die Erkrankung global unter Kontrolle zu bringen und aufzuhalten, und eine supportive Therapie für die einzelnen Problembereiche.
359
9.3 · Sharp-Syndrom (Mischkollagenose, »Mixed Connective Tissue Disease«)
Bei der immunsuppressiven Therapie gibt es lediglich eine prospektive kontrollierte Studie bei SSc. Diese zeigte die Ineffektivität der D-Penicillamin-Behandlung (Clements et al. 1999; Evidenzgrad I). Mehrere retrospektive Datenerhebungen weisen darauf hin, dass z. B. bei Lungenbeteiligung Cyclophosphamid (White et al. 2000; Pakas et al. 2002; Giacomelli et al. 2002) effektiv ist (Evidenzgrad III). Ob die orale oder Puls-CyclophosphamidGabe wirksamer ist, kann man heute noch nicht eindeutig beantworten. Methotrexat zeigte in einer pädiatrischen Pilotstudie (Foeldvari u. Lehmann 1993; Evidenzgrad III) eine gute Wirksamkeit, besonders wenn die Therapie früh genug begonnen wurde. Generell sind die immunsuppressiven Therapien wirksam, wenn sie möglichst früh in der Erkrankung eingesetzt werden. Als »Rescuetherapie« scheint eine autologe Stammzelltransplantation Erfolge zu zeigen (Farge et al. 2004; Martini et al. 1999; Evidenz IIB und IV). Bei der Behandlung der pulmonalen Hypertension hat sich in den letzten Jahren ein großer Fortschritt gezeigt (Rosenzweig et al. 2004; Hachulla u. Coghllan 2004; Humbert et al. 2004). Dabei wurden nichtselektive Endothelinantagonisten (Bosentan; Hachulla u. Coghllan 2004, Barst et al. 2003; Evidenzgrad I), selektive Endothelinantagonisten (Sitaxsentan, Barst et al. 2002; Evidenzgrad I), verschiedene Prostaglandinpräparate subkutan (Trepostinil, Oudiz et al. 2004; Evidenzgrad I) oder i.v. (Epoprostenol, Badesch et al. 2000; Evidenzgrad I) und ein 5-Phosphodiesterase-Inhibitor (Sildenafil, (Sastry et al. 2004, Wilkins et al. 2005; Evidenzgrad I) untersucht. Es liegen wenige pädiatrische Daten vor (Rosenzweig et al. 2004). Diese Präparate können auch bei schweren Raynaud-Phänomen angewandt werden, eine pädiatrische Anwendungsbeobachtung für Iloprost liegt bereits vor (Zulian et al. 2004; Evidenzgrad III), auch für die pulmonale Hypertension (Barst et al. 2003). Bezüglich der einzelnen Organsysteme scheinen sich beim Raynaud-Phänomen Kalziumantagonisten wie Nifedipin zu bewähren, wobei erwähnt werden muss, dass Nifedipin den gastroösophagealen Reflux vermehrt. Neuere Studien testen die Endothelinantagonisten bei einem schweren Raynaud-Phänomen. Die Vermeidung von Kälteexposition ist ebenfalls wichtig. Niedrig dosiertes Aspirin (<2 mg/kg/Tag) hilft bei der Vermeidung von Mikrothromben in den Endgefäßen. Bei pulmonaler Hypertension kann man die Patienten prophylaktisch markumarisieren. Bei arthritischen Beschwerden empfiehlt sich die Gabe von nichtsteroidalen Antirheumatika wie z. B. Naproxen. Niedrig dosierte Steroide spielen hier ebenfalls eine Rolle. Bei gastroösophagealem Reflux ist an Omeprazol zu denken. Bei Motilitätsstörungen im Gastrointestinaltrakt wurden Medikamente wie Erythromycin, Cisaprid oder Octreotide empfohlen. Eine faserreiche Diät sollte bei Verstopfung helfen, muss aber stufenweise aufgebaut werden. Bei der Behandlung der »renalen Krise«
spielen die ACE-Hemmer eine große Rolle, in der akuten Phase auch die Hämodialyse. ! Eine kausal heilende Therapie gibt es nicht. Bei der Therapie unterscheidet man eine immunsuppressive Therapie, um die Erkrankung global unter Kontrolle zu bringen und aufzuhalten, und eine supportive Therapie für die einzelnen Organsysteme.
9.2.8
Prognose
Bei der multizentrischen pädiatrischen Datensammlung lag die Überlebensrate nach 5 Jahren Erkrankung zwischen 91% und 95% (Foeldvari et al. 2000; Zulian 2005) und war damit deutlich höher als in der Erwachsenenpopulation, wo sie mit 78% angegeben wird. Die Gründe für die bessere Prognose im Kindesalter sind mannigfaltig. Einerseits sind die kindlichen Patienten insgesamt gesünder, haben keine wesentlichen Komorbiditäten und vertragen deswegen auch die immunsuppressive Therapie mit weniger Komplikationen. Anderseits könnte die juvenile SSc eine mildere Form der Erkrankung bzw. auch eine prinzipiell andere Erkrankung sein, was sich auch in den unterschiedlichen Organbeteiligungsmustern widerspiegelt.
9.3
Sharp-Syndrom (Mischkollagenose, »Mixed Connective Tissue Disease«)
9.3.1
Definition
Das Sharp-Syndrom wurde das erste Mal 1972 bei einem Patienten mit einer überlappenden Symptomatik von verschiedenen Kollagenosen von G. Sharp beschrieben und von ihm selbst 2002 nochmals ausführlich dargestellt. Es handelt es sich um eine sehr symptomreiche Erkankung mit Zügen der rheumatoiden Arthritis, des systemischen Lupus erythematodes, der systemischen Sklerodermie und der Polymyositis. Nachweise von hochtitrigen Antikörpern gegen U1-RNP (>1:1000) sind spezifisch.
9.3.2
Häufigkeit
Es liegen keine genauen Daten über Inzidenz und Prävalenz vor. Man schätzt, dass auf einen pädiatrischen Patienten mit Mixed Connective Tissue Disease (MCTD) 100 Patienten mit kindlicher Arthritis kommen.
9
360
Kapitel 9 · Sklerodermie und Sharp-Syndrom
Klassifikation und diagnostische Kriterien
1
9.3.3
2
Es existiert zwar keine reine Klassifikation für Untergruppen der MCTD, aber Klassifikations- und diagnostische Kriterien liegen vor (7 9.3.6).
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
9.3.4
Pathogenese und Pathologie
Wie bei anderen Autoimmunerkrankungen tritt wahrscheinlich eine Aktivierung des Immunsystems durch ein unbekanntes Antigen in einem genetisch prädisponierten Wirt auf. Ein charakteristischer Hauptbefund ist der hochtitrige Anti-U1-RNP-Antikörpernachweis. Dieser Antikörper reagiert im Immunoblot mit dem U1-sn-Ribonukleoprotein-spezifischen Protein A, seltener C. Die Epitope, mit denen der Antikörper am Protein reagiert, beinhalten Sequenzen, die mit bestimmten viralen Sequenzen übereinstimmen. 60% der MCTD-Seren reagieren auch mit dem Sm-Epitop, das aber eher SLE-spezifisch ist. Gefäßhistologische Untersuchungen bei Kindern mit MCTD zeigen eine ausgeprägte Intimaproliferation und mediale muskuläre Hypertrophie (Sharp 2002). Auf eine genetische Prädisposition weist eine häufige positive Familienanamnese für Autoimmunerkrankungen in der Familie hin; in diese Richtung weist auch die Assoziation des HLA-DR4-Haplotyps mit Anti-U1-RNP-Antikörpern (Maddison 2000).
Klinische Symptome
14
9.3.5
15
Zu den Leitsymptomen gehören 5 diffuse Hand- und Fingerschwellungen, 5 das Raynaud-Phänomen und 5 eine nicht selten auftretende Polyarthritis, die erosiv sein kann (dies unterscheidet sie von den Arthitiden der klassischen Kollagenosen).
16 17 18 19 20 21 22 23
Es kommt häufiger zu Peritendinitis mit subkutanen Knötchen und auch zu Myositis, sklerodermaartigen Hautveränderungen und pulmonaler Hypertension. Signifikante renale Beteiligung und Zentralnervensystembeteiligung sind selten. Mier et al. (1996) haben in ihrer Langzeitkohorte von 11 pädiatrischen Patienten bei allen Patienten als klinische Symptomatik Arthralgie und Arthritis beschrieben, bei 10 von 11 ein Raynaud-Phänomen und eine proximale Muskelschwäche.
Exkurs In der pädiatrischen MCTD-Kohorte von 72 Patienten von Kotajima et al. (1996) zeigte sich eine höhere Anzahl von männlichen Patienten im Verhältnis 1:11, verglichen mit 1:16,9 bei den Erwachsenen. Bei den klinischen Symptomen zeigte sich ein Unterschied zu den erwachsenen Patienten mit einer signifikant erhöhten Rate der Lymphadenopathie, dem Gesichtserythem, der Photosensitivität, der Proteinurie und der CK-Erhöhung bei den pädiatrischen Patienten sowie einer signifikant verminderten Rate für pulmonale Beteiligung, Ösophagusbeteiligung, Rattenbissnekrosen und Muskelschwächen.
9.3.6
Diagnose
Das Bild einer Mischkollagenose geht mit dem hochtitrigen Nachweis von Anti-U1-RNP-Antikörpern (>1:1000) einher. Die klinischen Organmanifestationen können bei SSc, SLE, Polymyositis und juveniler idiopathischer Arthritis nachgelesen werden. Ob die Mischkollagenose klinisch eine separate Entität ist, wird immer wieder diskutiert, da Anti-U1-RNP-Antikörper auch bei Patienten mit SLE und SSc auftreten, wobei diese dann eine besondere Entität dieser Kollagenose zeigen. Zum Beispiel zeigen Patienten mit SSc und Anti-U1-RNP-Antikörpern eine limitierte Verlaufsform (Maddison 2000). Der hochtitrige Anti-U1-RNP-Antikörper hilft auch, die Mischkollagenose von den undifferenzierten Kollagenosen (Undifferentiated Connective Tissue Disease, UCTD) abzugrenzen (Mosca et al. 2004). In einer pädiatrischen Kohorte von 72 Patienten erfüllen 91–94% der Patienten mit MCTD auch die diagnostischen Kriterien von anderen Kollagenosen (Kotajima et al. 1996). Es ist deswegen manchmal schwierig, die MCTD von den anderen Formen der Kollagenosen klar abzugrenzen. Ein häufig benutztes Diagnose- und Klassifikationsschema ist das von Alarcon-Segovia und Villareal (1987). 1. Serologisches Kriterium: positiver hochtitriger AntiU1-RNP-Antikörper 2. Klinisches Kriterium: Ödem der Hände, Synovitis, Myositis, Raynaud-Phänomen, Akrosklerose 3. Diagnose: Serologie plus a) mindestens drei klinische Manifestationen oder b) Assoziation von Ödem der Hände und RaynaudPhänomen und Akrosklerose und mindestens eine andere Manifestation Alternativ wird das Schema von Kasukawa et al. (1987) angewendet: 1. Häufige Symptome: Raynaud Phänomen, geschwollene Finger oder Hände 2. Anti-U1-RNP-Antikörper
9.3 · Sharp-Syndrom (Mischkollagenose, »Mixed Connective Tissue Disease«)
3. Gemischte Befunde: a) SLE-artige Befunde – Polyarthritis – Lymphadenopathie – Erythem im Gesicht – Perikarditis – Leukopenie (<4000/nl) oder Thrombozytopenie (<100.000/nl) b) Sc-artige Befunde – Sklerodaktylie – Pulmonale Fibrose mit restriktiven Veränderungen der Lungenfunktion (VC<80% oder reduzierte DLCO <70%) – Hypomotilität oder Dilatation des Ösophagus c) Polymyositisartige Befunde – Muskelschwäche – Erhöhter Serum-CK-Wert – Myogenes Muster am EMG Diagnose, wenn 1., 2. und 3. erfüllt sind: 1. positiv für zwei der häufigen Symptome, 2. positiver Anti-U1-RNP-Antikörper, 3. positiv für ein oder zwei Befunde in zwei oder drei Erkrankungskategorien von a, b oder c. Die verschieden diagnostischen Kriterien haben unterschiedliche Sensitivität und Spezifizität für die Erkrankung (Amigues et al. 1996). Die Kriterien von AlarconSegovia zeigten die höchste Sensivität (62,5%) und Spezifizität (86,2%).
9.3.7
Therapie
Eine kausale Therapie existiert nicht. Die Therapie richtet sich nach den zu behandelnden Leitsymptomen und ist den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.
9.3.8
Prognose
Die Langzeitprognose hängt von den Leitsymptomen und von der dominierenden Organmanifestation ab, ist aber günstiger als bei SSc oder SLE. Es gibt wenige pädiatrische Daten zur Langzeitprognose. Mier et al. (1996) haben bei 11 pädiatrischen Patienten mit einer durchschnittlichen Verlaufsbeobachtung von 13,6 Jahren in 90% der Fälle einen günstigen Verlauf gezeigt. Bei 3 der 11 Patienten hat sich die Erkrankung mehr zu einer nicht gemischten Kollagenose entwickelt, bei 2 ging sie in eine SSc und bei einem in einen SLE über.
361
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9
362
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Kapitel 9 · Sklerodermie und Sharp-Syndrom
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363
10.1 ·
10 Vaskulitiden G. Dannecker, T. Hospach, J. Kümmerle-Deschner, S. Benseler, R. Keitzer, T. Kallinich, M. Frosch, J. Roth
10.1
Kawasaki-Syndrom
10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.1.5 10.1.6 10.1.7 10.1.8
Definition – 365 Epidemiologie – 365 Ätiologie – 365 Pathogenese – 366 Klinische Symptome – 367 Diagnose – 369 Therapie – 371 Prognose – 374
Literatur
– 365
– 374
10.2
Purpura Schönlein-Henoch – 375
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5 10.2.6 10.2.7 10.2.8 10.2.9
Definition – 375 Häufigkeit – 375 Klassifikation – 375 Ätiologie – 375 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 376 Diagnose – 376 Therapie – 377 Prognose – 377
Literatur
– 375
– 378
10.3
Takayasu-Arteriitis – 378
10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.3.5 10.3.6 10.3.7 10.3.8
Definition – 378 Häufigkeit – 378 Ätiologie und Pathogenese – 379 Pathologie – 379 Klinische Symptome – 380 Diagnose – 380 Therapie – 384 Prognose – 386
Literatur
– 386
10
364
1 2 3 4 5
Kapitel 10 · Vaskulitiden
10.4
Morbus Behçet
10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4 10.4.5 10.4.6 10.4.7 10.4.8
Definition und Klassifikation – 386 Häufigkeit – 387 Ätiologie – 387 Pathogenese und Pathologie – 388 Klinische Symptome – 388 Diagnose – 390 Therapie – 391 Prognose – 391
Literatur
6 7 8 9 10
– 386
– 393
10.5
Wegener-Granulomatose
10.5.1 10.5.2 10.5.3 10.5.4 10.5.5 10.5.6 10.5.7 10.5.8
Definition und Häufigkeit – 393 Klassifikation und Ätiologie – 393 Pathogenese – 393 Pathologie – 394 Klinische Symptome – 394 Diagnose – 395 Therapie – 396 Prognose – 397
11
Literatur
– 393
– 397
12
10.6
Panarteriitis nodosa, Churg-Strauss-Syndrom und andere seltene Vaskulitiden bei Kindern – 398
13
10.6.1 10.6.2
Panarteriitis nodosa – 398 Churg-Strauss-Syndrom – 402
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Literatur
– 404
365
10.1 · Kawasaki-Syndrom
10.1
Kawasaki-Syndrom
G. Dannecker
10.1.1 Definition Das Kawasaki-Syndrom (KS), früher auch mukokutanes Lymphknotensyndrom genannt, ist eine akute, systemische, selbst begrenzende fieberhafte Erkrankung, die durch eine nekrotisierende Vaskulitis hauptsächlich der kleinen und mittleren Arterien gekennzeichnet ist. Die Erkrankung ist charakterisiert durch Fieber, bilaterale nichteitrige Konjunktivitis, Erythem der Lippen und der Mundschleimhaut, Veränderungen an den Extremitäten, Ausschlag und zervikale Lymphadenopathie. Klinisch besonders wichtig ist die Entwicklung von Koronararterienaneurysmen oder -ektasien, die ohne adäquate Behandlung bei 15–25% der Erkrankten auftreten. Damit hat das KS das rheumatische Fieber als die häufigste Ursache von erworbenen Herzerkrankungen abgelöst.
10.1.2 Epidemiologie Die Erkrankung wurde zuerst 1967 von Tomisaku Kawasaki als »acute febrile mucocutaneous lymph node syndrome« beschrieben. Das KS tritt bei allen Rassen auf, ist aber bei Kindern japanischer Abstammung am häufigsten, dort beträgt die Inzidenz 112/100.000 bei Kindern unter 5 Jahren. Auch in den USA tritt das KS am häufigsten bei Kindern asiatischer Abstammung auf (Inzidenz 32/100.000 bei Kindern unter 5 Jahren), während die Inzidenz bei Kindern afrikanischer Abstammung deutlich geringer ist (ca. 17/100.000) und am niedrigsten bei Kindern kaukasischer Herkunft (ca. 9/100.000). Eine genetische Prädisposition wird durch ein gehäuftes familiäres Vorkommen nahegelegt; das Ausmaß des Einflusses dieser Prädisposition auf die Ätiologie und Pathogenese ist aber nicht sehr ausgeprägt und in seinem Mechanismus unbekannt. Das KS ist eine Erkrankung des Kleinkindes, 3 Viertel aller betroffenen Kinder sind unter 5 Jahre alt. Die meisten Erkrankungen treten zwischen dem 1. und 2. Lebensjahr auf, wobei auch der Altersgipfel regional unterschiedlich ist und bei asiatischen Kindern unter dem 12. Lebensmonat liegt. Es können aber auch ältere Kinder erkranken, die wahrscheinlich aufgrund der verzögerten Diagnose ein höheres Risiko von kardiovaskulären Komplikationen haben. Jungen sind etwas häufiger betroffen als Mädchen (1,5 zu 1), ein leichter saisonaler Anstieg der Erkrankungsfrequenz im Winter und Frühjahr ist bekannt (Newburger u. Fulton 2004; Newburger et al. 2004).
10
10.1.3 Ätiologie Auch fast 40 Jahre nach der Erstbeschreibung des KS ist seine Ursache unbekannt. Viele Argumente sprechen für eine infektiöse Ätiologie, und es wird diskutiert, dass das KS eine seltene und ungewöhnliche Antwort auf ein infektiöses Agens ist, dem die meisten Kinder in den ersten Lebensjahren begegnen. Für die infektiöse Ursache sprechen die folgenden Punkte: Kinder unter 3 Monate erkranken sehr selten an KS, nach dieser Hypothese bedingt durch den Schutz mütterlicher Antikörper. Auch die saisonal abhängige Inzidenz und das – wenn auch seltene – Auftreten von Epidemien unterstützen dies, wie auch die Altersverteilung des KS an eine erworbene Immunität denken lässt. Zusätzlich teilt das KS viele klinische Eigenschaften mit bekannten Infektionskrankheiten. Ähnlich wie manche Viruserkrankungen ist das KS eine selbstbegrenzende, hochfieberhafte Erkrankung mit Ausschlag, Lymphknotenschwellungen, Enanthem und konjunktivaler Injektion. Als bakterielle Erkrankung mit klinisch teilweise ähnlichen Symptomen ist Scharlach zu nennen. Trotz dieser Ähnlichkeiten konnte ein Keimnachweis bisher nicht geführt werden, wobei eine Vielzahl von infektiösen Agenzien als Ursache diskutiert wurden. Unter anderem wurden Retroviren, Adenoviren, EBV, humanes Herpesvirus 6, Chlamydien, Streptokokken, Mykobakterien und Hausstaubmilben als Verursacher vermutet. Im Blut von KS-Patienten konnte eine selektive Anreicherung von T-Zellen, die bestimmte Vβ-T-ZellRezeptoren exprimieren, nachgewiesen werden. Dies führte zu dem Vorschlag, dass das KS eine durch Superantigene vermittelte Erkrankung ist. Superantigene interagieren mit definierten Vβ-Familien des T-Zell-Rezeptors und sind damit in der Lage, eine große Zahl von T-Zellen zu stimulieren. Auch die große Ähnlichkeit des KS mit dem toxischen Schocksyndrom, einem durch Staphylokokkensuperantigene verursachten Krankheitsbild, unterstützen diese Hypothese ebenso wie die Tatsache, dass das toxische Schocksyndromtoxin 1 (TSST-1) auch bei Patienten mit KS nachgewiesen wurde. Da diese Ergebnisse aber nicht bestätigt werden konnten und auch die selektive Vβ-Expression nicht in allen Studien gefunden wurde, ist die Superantigentheorie heftig umstritten. Um die sehr widersprüchlichen Ergebnisse auf der Suche nach dem einen auslösenden Superantigen zu lösen, wurde vorgeschlagen, dass viele verschiedene (»any one of many superantigens«) Superantigene in der Lage sind, auf der Basis einer genetischen Disposition ein KS auszulösen. Die Argumente gegen eine superantigeninduzierte Ursache und für eine antigenspezifische Induktion des KS werden vor allem durch die klonale Expansion von CD8+T-Lymphozyten im Blut von KS-Patienten und durch die Tatsache einer oligoklonalen IgA-Antwort geliefert. In den Gefäßwänden von Kindern, die an KS verstorben
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
waren, konnten oligoklonale, IgA sezernierende Plasmazellen nachgewiesen werden, und es wurde vorgeschlagen, dass ein infektiöses Agens über die Schleimhäute der Atemwege oder des Gastrointestinaltrakts den Organismus infiziert mit der anschließenden hämatogenen Ausbreitung von reaktiven IgA-Plasmazellen in verschiedene Organe. Diese Theorie kann gut in Übereinstimmung gebracht werden mit einem ubiquitären, die Luftwege infizierenden Pathogen. Bis zum heutigen Datum bleibt die Ätiologie des KS unbekannt; wahrscheinlich ist aber nach dem derzeitigen Stand des Wissens, dass verschiedene infektiöse Ursachen auf einer genetischen Grundlage zu der Erkrankung führen (Curtis 2004; Shulman u. Rowley 2004; Burns u. Glodé 2004).
8
10.1.4 Pathogenese
9
Das KS ist eine generalisierte Vaskulitis mit einer Prädilektion für die mittelgroßen Arterien, obwohl Gefäße aller Größenordnungen betroffen sein können. Zusätzlich ist eine systemische Entzündung in vielen Organen vorhanden wie zum Beispiel Herz (Myokarditis), Nervensystem (aseptische Meningitis), Lunge (Pneumonitis), Magen-Darm-Trakt (Stomatitis, Enteritis, Hepatitis), Urogenitalsystem (Nephritis, Zystitis) und dem hämatopoetischen System (Lymphadenitis). Die entsprechende Aktivierung des Immunsystems schließt das zelluläre System, proinflammatorische Zytokine, Endothelzellaktivierung, Elastasen, Metalloproteinasen und Wachstumsfaktoren ein. Früh in der akuten Phase lassen sich Neutrophile in den Wänden der Arterien nachweisen, die rasch durch CD8+-T-Lympozyten, Makrophagen und Plasmazellen ersetzt werden. Entsprechend lassen sich in der Arteri-
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enwand schon in der Frühphase Ödeme und Nekrosen nachweisen, wobei die Veränderungen zuerst im Endothelbereich erscheinen und nur bei schwer betroffenen Gefäßen auch im Mediabereich. Durch die Entzündung der Gefäßwand wird die Schichtstruktur zerstört, dabei spielen wahrscheinlich die Matrixmetalloproteinasen wie MMP-9 eine wesentliche Rolle. Die derartig veränderten Gefäße können auftreiben und aneurysmatisch dilatieren. Zusätzlich kann zu einem späteren Zeitpunkt die Intima verdicken und das Gefäßvolumen durch Thrombosierung oder Stenosierung verengt werden. Die systemische Aktivierung des Immunsystems wird auch durch die Erhöhung verschiedener Zytokine aufgezeigt. Unter anderem wurden IL-1, TNF-α, IFN-γ, IL-4, IL-6, IL-8 und IL-10 erhöht gemessen, aber viele dieser Studien schlossen keine entsprechenden Kontrollen anderer fieberhafter Erkrankungen ein. Auch Serumimmunglobuline sind in der subakuten Phase der Erkrankung erhöht, und es konnten IgG- und IgA-Immunkomplexe nachgewiesen werden. Allerdings wurde keine Korrelation dieser Komplexe mit der Entwicklung einer Koronararterienerkrankung nachgewiesen und es finden sich auch keine Immunkomplexe im betroffenen Gewebe. Während sich im peripheren Blut eine Reduktion in der Gesamtzahl von CD8+-T-Zellen zeigt, expandieren die CD8+-Gedächtniszellen (CD45 RO+), und es finden sich 4- bis 5-mal mehr CD8+-T-Zellen in den betroffenen Gefäßwänden als CD4+-T-Zellen. Dies impliziert, dass eine antigeninduzierte Immunantwort beim KS CD8+T-Zellen einschließt, die aus der Zirkulation in die Koronararterienwände abwandern. Dies wiederum lässt auf die intrazelluläre Prozessierung eines (viralen) Antigens schließen mit entsprechender Präsentation durch MHCI-Moleküle (Shulman u. Rowley 2004).
. Tab. 10.1. Diagnostische Kriterien des Kawasaki-Syndroms. Die Diagnose erfordert Fieber plus 4 der anderen 5 genannten Kriterien sowie den Ausschluss anderer Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen Kriterium
Häufigkeit (%)
Besonderheiten
Fieber
100
≥5 Tage, antibiotikaresistent
Konjunktivitis
85
Beidseitig verstärkte Gefäßfüllung der Konjunktiven, nicht eitrig
20
Lippen/Mundhöhle
90
Trockene, geschwollene, hochrote Lippen, rissig, Erdbeerzunge, Mund-Rachen-Raum gerötet
21
Extremitäten (distal)
70
Akut: Rötung/Schwellung an Handteller und Fußsohle (Palmarund Plantarerythem) Subakut: ab 2.–3. Krankheitswoche Schuppung von Fingerspitzen, Zehen
Exanthem
80
Polymorph, stammbetont, keine Pusteln
Lymphadenopathie
70
Akute, nicht purulente Schwellung der Halslymphknoten, oft einseitig, Durchmesser >1,5 cm
19
22 23
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10.1 · Kawasaki-Syndrom
10.1.5 Klinische Symptome Die Manifestation der vielfältigen Symptome beim KS ist von der Zeitdauer der Erkrankung abhängig. Es werden im wesentlichen drei Phasen unterschieden: 5 Akute fieberhafte Periode von bis zu 10 Tagen Dauer. Meist beginnt das Fieber abrupt und es entwickeln sich dann im Verlaufe von 3–4 Tagen die typischen Symptome (. Tab. 10.1). Die Diagnose muss nach Möglichkeit in dieser Phase gestellt werden. 5 Subakute Phase von 2–4 Wochen Dauer. Ohne Behandlung hört das Fieber in der 3–4. Woche auf. Typisch ist in dieser Phase die Schuppung von Händen und Füßen. Ist das Kind mit Immunglobulinen behandelt, sind in dieser Phase häufig bis auf die Schuppung keine Symptome mehr vorhanden. 5 Phase der Rekonvaleszenz, die Monate dauern kann. Die meisten Kinder sind während dieser Phase ohne Symptome, gelegentlich besteht aber noch eine gewisse Müdigkeit und Leistungsschwäche.
10
4 Tagen Fieber gestellt werden kann. Andererseits ist die Diagnose auch möglich, wenn weniger als 4 (außer Fieber) der in Tab. 10.1 gezeigten Kriterien aufgetreten sind, dies gilt insbesondere dann, wenn eine Koronararterienbeteiligung nachgewiesen wurde. An die Diagnose KS sollte auch gedacht werden bei jedem Kleinkind mit unklarem Fieber ≥5 Tage und einem der anderen Hauptsymptome (s. auch unter 7 10.1.6, »Inkomplettes KawasakiSyndrom«).
Hauptsymptome Fieber. Das Fieber ist remittierend mit hohen Spitzen oft
bis über 40°C. Ein Ansprechen der Temperatur auf Antibiotika ist nicht zu beobachten, sehr wohl aber auf Antipyretika. Nach Einleiten einer adäquaten Therapie normalisiert sich die Temperatur üblicherweise in 2 Tagen, ohne Therapie hält die Temperaturerhöhung im Schnitt für 10–11 Tage an.
Typisch ist, dass die genannten Symptome oft nicht gleichzeitig auftreten und deswegen manchmal ein bewusstes, zeitlich sehr begrenztes Abwarten zur Diagnosesicherung notwendig ist. Wichtig ist, dass bei Vorliegen von ≥4 der klassischen Symptome die Diagnose KS auch schon nach
Konjunktivitis. Die Konjunktivitis ist meist beidseitig und beginnt kurz nach dem Fieber mit einer konjunktivalen Injektion. Sie ist nicht eitrig und schließt typisch die bulbären Konjunktiven unter Aussparung des Limbus corneae ein. Die schmerzlose Konjunktivitis hält ungefähr eine Woche an und kann gelegentlich auch zu subkonjunktivalen Blutungen führen (. Abb. 10.1a).
a
b
c
d
. Abb. 10.1. Symptome des KS. a Beidseitige Konjunktivitis; b Rötung der oropharyngealen Schleimhäute; c,d Palmar- und Plantarerythem und Exanthem. Das Palmarerythem ist besonders im Übergang deutlich zu erkennen, im Wadenbereich auch Exanthem
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
Schleimhautveränderungen. Die oropharyngealen Schleimhäute zeigen eine intensive Rötung, zusätzlich besteht oft eine Schwellung der Lippen, diese sind trocken und reißen häufig vertikal ein. Die »Erdbeerzunge« ist typisch, die Veränderungen an der Zunge sind identisch mit denen bei Scharlach. Zusätzlich besteht eine diffuse Rötung der Mund- und Rachenschleimhaut. Die Veränderungen halten ungefähr so lange an wie die Temperaturerhöhung (. Abb. 10.1b). Extremitäten. An den Händen und Füßen tritt ein Palmarund Plantarerythem auf, oft begleitet von schmerzhaften, teilweise sehr ausgeprägten ödematösen Schwellungen im Bereich von Hand- und Fußrücken. Die charakteristische Hautschuppung beginnt meist in der 3. Krankheitswoche im Perineum und an den Fingerspitzen, sie kann sich auf die ganze Palmar- und Plantarfläche ausdehnen. Die typischen Beau-Linien als tiefe Querfurchen an den Nägeln treten erst 1–2 Monate nach Beginn der Erkrankung auf (. Abb. 10.1c, d).
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Organsystem
Symptom
Kardiovaskulär
5 5 5 5 5 5
Gastrointestinal
5 5 5 5 5
Pulmonal
5 Husten 5 Rhinitis
ZNS
5 Aseptische Meningitis 5 Ausgeprägte Irritabilität 5 Sensoneurinaler Hörverlust
Urogenital
5 Urethritis
Haut
5 Induration an früherer BCG-Impfstelle 5 Beau-Linien
Muskuloskelettal
5 Arthralgie 5 Arthritis
Augen
5 Uveitis anterior
Exanthem. Auch der polymorphe, meist nicht juckende
Ausschlag tritt innerhalb von 5 Tagen nach Fieberbeginn auf. Die Läsionen sind am häufigsten diffus makulopapulär, können aber auch skarlatiniform oder purpuraähnlich sein oder einem Erythema multiforme gleichen. Wichtig ist, dass vesikuläre oder bullöse Hautveränderungen beim KS nicht beschreiben sind. Der Ausschlag ist stammbetont, kann sich aber auf Gesicht und Extremitäten ausdehnen. Lymphadenopathie. Die zervikale Lymphadenopathie
14
. Tab. 10.2. Kawasaki-Syndrom: andere klinische Auffälligkeiten
kommt von den klassischen Kriterien am wenigsten häufig vor. Die oft einseitig vergrößerten Lymphknoten (mindestens ein Lymphknoten >1,5 cm) sind häufig im vorderen Halsdreieck lokalisiert, die Lymphknoten sind fest und wenig schmerzhaft. Die Bildgebung zeigt keine Einschmelzung. Die Lymphadenopathie tritt zu Beginn der Fieberperiode auf und kann beträchtliche Ausmaße annehmen, hält aber meist nur wenige Tage an.
Nebensymptome Zusätzlich zu den Hauptsymptomen können phasenabhängig viele andere Symptome auftreten, die vor allen Dingen beim inkomplettem KS für die Diagnostik wichtig sind. Selbstverständlich sind die kardialen Manifestationen und Komplikationen des KS von größter Bedeutung (. Tab. 10.2). Kardiovaskulär. Die kardiovaskulären Erkrankungen sind die gefährlichsten Manifestationen des KS. Sie treten hauptsächlich in der Frühphase auf und sind für die Langzeitmorbidität und -mortalität verantwortlich. Eine Beteiligung des Perikards, des Myokards, des Endokards, der Klappen und der Koronararterien ist möglich. Die Perikarditis kann durch abgeschwächte Herztöne und präs-
Myokarditis Perikarditis Kongestives Herzversagen Valvuläre Regurgitation Auffälligkeiten der Koronararterien Aneurysmen nichtkoronarer Arterien 5 Raynaud-Symptomatik Bauchschmerzen Diarrhö Erbrechen Paralytischer Ileus Gallenblasenhydrops (sonografisch nachgewiesen) 5 Hepatosplenomegalie
ternale Schmerzen gekennzeichnet sein, die Myokarditis durch Herzversagen mit nachfolgender Vergrößerung von Leber und Milz. Bei der klinischen Untersuchung finden sich ein hyperaktives Präkordium, Tachykardie und ein Galopprhythmus, auskultatorisch ist ein leises, unspezifisches Systolikum als Ausdruck von Fieber und Anämie von dem typischen Geräusch (Decrescendo bis holosystolisch) einer Mitralinsuffizienz abzugrenzen. Gastrointestinal. Gastrointestinale Symptome wie Di-
arrhö, Erbrechen und Bauchschmerzen treten bei ungefähr 30% aller Patienten auf, selten kann sich das KS auch als akutes Abdomen wie paralytischer Ileus präsentieren. Auch eine nicht kardial bedingte Vergrößerung von Leber und zusätzlich Ikterus sind beschrieben. Ein sonografisch nachweisbarer Gallenblasenhydrops lässt sich bei ca. 15% der Patienten meist in den ersten beiden Krankheitswochen nachweisen. Pulmonal. Husten, Rhinitis und Heiserkeit in der Früpha-
se weisen auf eine mögliche virale Infektion der oberen
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10.1 · Kawasaki-Syndrom
Luftwege hin. Zusätzlich ist auch eine Tachypnoe möglich, röntgenologisch können sich in bis zu 15% der Fälle Auffälligkeiten finden. ZNS. Die Kinder mit KS zeigen oft eine sehr augeprägte Irritabilität, die möglicherweise auf eine aseptische Meningitis zurückzuführen ist. Ungefähr 30% aller Patienten mit KS haben bei einer Lumbalpunktion eine geringe Pleozytose mit Überwiegen der rundkernigen Zellen. Ein vorübergehender sensoneurinaler Hochtonverlust kann in der akuten Phase auftreten, ist aber meist ohne Langzeitkonsequenz.
10
Augen. Relativ häufig tritt neben der Konjunktivitis auch eine milde anteriore Uveitis auf, die sich aber ohne spezifische Therapie rasch bessert und ohne Folgeschäden abheilt.
10.1.6 Diagnose Die Diagnose des KS kann nicht durch pathognomonische klinische Befunde gestellt werden, sie ist abhängig von den diagnostischen Kriterien. Deswegen kommt der klinischen Beobachtung eine besondere Bedeutung zu.
Urogenital. Als Zeichen einer Urethritis tritt oft eine Dy-
Labordiagnostik
surie auf, die auch mit einer vermehrten Leukozytenausscheidung im Urin einhergehen kann.
Es gibt keine beweisenden oder spezifischen Laboruntersuchungen für das KS. Trotzdem ist die Labordiagnostik wichtig und vor allem bei der Bestätigung oder Verwerfung der Verdachtsdiagnose »inkomplettes KS« von großer Bedeutung. So ist es zum Beispiel nach der klinischen Erfahrung extrem unwahrscheinlich, dass bei einem KS am Tag 7 die Thrombozytenzahl normal ist und BSG und CRP nicht erhöht sind. Die möglichen laborchemischen Auffälligkeiten sind in . Tab. 10.3 zusammengefasst. Ein CRP-Wert ≥3 mg/ dl und eine BSG ≥40 mm n. W./h unterstützen die Verdachtsdiagnose ebenso wie die folgenden Laborparameter nach ≥5 Tagen Fieber: Albumin ≤3 mg/dl, Anämie, GPT erhöht, Thrombozyten ≥450.000 am Tag 7, Leukozyten ≥15.000/µl und im Urin 10 Leukozyten/Gesichtsfeld. Für die differenzialdiagnostische Abklärung sind Blutkulturen, Antistreptokokkentiter, Rachenabstrich, Stuhl-
Haut. Zusätzlich zu den unter den Hauptkriterien genann-
ten Hautveränderungen können in der 3. Phase der Erkrankung noch sogenannte Beau-Linien als Querfurchen der Fingernägel auftreten. Außerdem können im Bereich von BCG-Narben Indurationen und Rötungen auftreten, wahrscheinlich bedingt durch eine Kreuzreaktion von aktivierten T-Zellen. Muskuloskelettal. Arthralgie und weniger häufig Arthri-
tis können innerhalb der ersten Krankheitswoche auftreten und multiple Gelenke betreffen. Bei einem Beginn dieser Beschwerden nach dem 10. Krankheitstag sind vermehrt die großen, gewichtstragenden Gelenke betroffen.
. Tab. 10.3. Auffällige Laborparameter
Parameter
Bemerkungen
Leukozyten
Oft sehr ausgeprägte Leukozytose mit Neutrophilie und Linksverschiebung. 50% der Patienten haben >15.000 Leukozyten/µl
BSG und CRP
Fast immer stark erhöht
Hämoglobin
Anämie zunehmend bei längerer Krankheitsdauer
Thrombozyten
Stark erhöht, oft ab der 2.–3. Krankheitswoche, auch über 106 Thrombozyten/µl (Cave: Thrombopenie in der frühen Krankheitsphase als Ausdruck einer Gerinnungsstörung)
Transaminasen, γ-GT, Bilirubin
Häufig mäßig erhöht als Ausdruck der Leberbeteiligung, wobei ein Ikterus selten ist
Albumin
Erniedrigt, ausgeprägter bei langer und schwerer Erkrankung
Natrium
Erniedrigt evtl. auch als Ausdruck einer inadäquaten ADH-Sekretion
Plasmalipide
Cholesterol und HDL in akuter Phase deutlich erniedrigt
Urin
Sterile Leukozyturie
Liquor
Mononukleäre Pleozytose bei ca. 30–50%, oft ohne Eiweißerhöhung
Gelenkpunktat
Steril, Leukozyten >100.000/ml
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
kulturen, Leber- und Nierenfunktionswerte inklusive Gerinnung, ANA-Screening und serologische Untersuchungen sinnvoll.
Kardiologische Diagnostik Die Durchführung einer 2D-Echokardiografie ist sofort bei Verdacht auf ein KS angezeigt und sollte bei unkompliziertem Verlauf nach 2 und 6–8 Wochen wiederholt werden. Häufigere Untersuchungen sind bei Kindern mit höherem Risiko der Entwicklung von Koronararterienaneurysmen angezeigt. Dies ist gegeben, wenn 4 der folgenden Kriterien erfüllt sind (Harada 1991): 1. Leukozyten >12.000/ml, 2. Thrombozyten <350.000/ml, 3. CRP >3 mg/dl, 4. Hk <35%, 5. Albumin <3,5 g/dl, 6. Alter ≤12 Monate, 7. Geschlecht: männlich. Weitere Risikofaktoren sind Fieber über 10 Tage und erneutes Fieber nach einem fieberfreien Intervall von mindestens 24 Stunden. Die 2D-Bildgebung sollte von einem Kinderkardiologen durchgeführt werden, evtl. ist eine Sedierung des Kindes notwendig. Die Koronararterien sollten mit definierten Schnittebenen dargestellt werden. Die normale Weite der Koronararterien ist abhängig von der Körperoberfläche, Kalibersprünge der Koronarien (ein Segment ≥1,5-mal weiter als das benachbarte) sind für die Diagnostik von Aneurysmen ebenfalls wichtig (Newburger et al. 2004). Neben der Vermessung der Koronararteriendimensionen sind auch eine erhöhte Echogenität der Gefäßwand und die fehlende Reduktion des Gefäßvolumens zu beachten. Darüber hinaus ist bei allen Echokardiografien die Funktion des linken Ventrikels (Myokarditis bei >50% der KS-Patienten) zu untersuchen, und es ist auf mögliche Regurgitationen besonders an den Mitral- und Aortenklappen, regionale Dyskinesien und einen Perikarderguss zu achten. Im gleichzeitig anzufertigenden EKG finden sich evtl. Arrhythmie, verlängertes PR-Intervall oder unspezifische ST- und T-Wellen-Veränderungen. Schwere Verläufe können sich mit den Zeichen eines kardiogenen Schocks präsentieren.
Differenzialdiagnose In die differenzialdiagnostischen Erwägungen müssen verschiedene virale (u. a. Adenoviren, Röteln, Masern, Enteroviren, EBV, Parvoviren, CMV) und bakterielle Erkrankungen wie Scharlach, toxisches Schocksyndrom und das »staphylococcal scalded skin syndrome« einbezogen werden. Auch Leptospiren können ähnliche Symptome verursachen, von den Autoimmunerkrankungen sind die syste-
mische Form der juvenilen idiopathischen Arthritis und die Polyarteritis nodosa abzugrenzen. Auch eine Quecksilbervergiftung wurde als Differenzialdiagnose genannt. Weitere mögliche Differenzial- und mögliche Fehldiagnosen ergeben sich insbesondere bei inkomplettem KS. So können sich Kinder mit KS z. B. nur mit Fieber und einseitig vergrößerten Lymphknoten präsentieren, und es wird die Diagnose Lymphadenitis colli gestellt. Andererseits kann ein Exanthem im Zusammenhang mit einer fieberhaften Grunderkrankung auf ein verabreichtes Antibiotikum zurückgeführt werden und so zum Verpassen der Diagnose KS führen. Ähnliches trifft auf das Kleinkind mit Fieber, Ausschlag und meningealer Reizung zu. Zeigt die durchgeführte Lumbalpunktion eine Pleozytose, passt dies ebenso zu der Diagnose KS wie zu der Diagnose virale Meningitis. Eine sterile Pyurie wird als anbehandelter Harnwegsinfekt interpretiert, und ein fieberhaftes akutes Abdomen wird operiert – all dies sind mögliche Differenzialdiagnosen des KS.
Inkomplettes Kawasaki-Syndrom Kinder, die die unter 1.5.1 genannten Kriterien nicht erfüllen, werden als Kinder mit einem »atypischen« oder »inkompletten« KS diagnostiziert. Dabei ist der Begriff »inkomplett« vorzuziehen, da charakteristische Krankheitszeichen fehlen. Der Begriff »atypisch« ist dann für Krankheitsverläufe reserviert, die sich mit sehr ungewöhnlichen Symptomen präsentieren. Das inkomplette KS tritt häufiger bei Kindern unter einem Jahr auf und ist besonders problematisch, da in dieser Altersgruppe ein großes Risiko der Entwicklung von Koronararterienaneurysmen besteht. Da die Labordiagnostik beim inkompletten KS die gleichen auffälligen Resultate zeigt wie beim kompletten KS, kommt der korrekten Interpretation der Laborbefunde eine besondere Bedeutung zu. Besonders wichtig ist dabei die echokardiografische Untersuchung, die schon vor der Entwicklung von Koronararterienaneurysmen eine erhöhte Echogenität der Gefäßwand oder Ektasien als Hinweis auf eine Arteriitis zeigen kann. Eine verminderte linksventrikuläre Kontraktilität, eine milde Klappeninsuffizienz besonders häufig der Mitralklappe und ein Perikarderguss sind weitere Zeichen eines KS. Bei Fieber unklarer Ursache sollte deswegen besonders beim kleinen Kind frühzeitig an die Differenzialdiagnose KS gedacht und neben den Laboruntersuchungen auch eine Echokardiografie durchgeführt werden. An ein inkomplettes KS sollte gedacht werden, wenn ein über 5 Tage anhaltendes Fieber von 2 oder 3 der anderen Hauptkriterien begleitet wird und deutlich erhöhte Entzündungsparameter gefunden werden. Bei kleinen Kindern kann sich eventuell von den Hauptkriterien sogar nur Fieber manifestieren, erneut ist hier auf die große Bedeutung der anderen Symptome, der frühen Echokardiografie und der Laborwerte hinzuweisen.
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10.1 · Kawasaki-Syndrom
! Die Diagnose des KS bei Auftreten aller Hauptkriterien ist relativ einfach. Schwierig wird die Diagnose beim Auftreten eines inkompletten KS. Neben einer sorgfältigen klinischen Untersuchung sind eine frühe Echokardiografie und die Laboruntersuchungen von Bedeutung. Oberstes Ziel ist auch hier das Vermeiden der Koronararterienaneurysmen, deswegen muss die Diagnose möglichst früh (innerhalb der ersten 10 Tage) gestellt werden. Beim ernsthaften Erwägen der Differenzialdiagnose KS ist der Einsatz von Immunglobulinen auch ohne Sicherung der Diagnose zu überlegen.
10.1.7 Therapie Die Therapie hat die Reduktion der Entzündung und natürlich die Vermeidung von Koronararterienaneurysmen zum Ziel. Da diese meist in der 2.–3. Woche entstehen, muss die Therapie spätestens bis zum 10. Krankheitstag begonnen werden. Die kombinierte Gabe von intravenösen Immunglobulinen und von Acetylsalicylsäure stellt die etablierte, evidenzbasierte Behandlung in der ersten Krankheitsphase bei unkomplizierten Verläufen dar. Bei der Therapie von Komplikationen wie Nichtansprechen, Rezidiv und Aneurysmen kommen auch Steroide und andere Medikamente zum Einsatz.
Acetylsalicylsäure (ASS) ASS war das erste Medikament, das wegen seiner antithrombotischen und antiphlogistischen Wirkung beim KS eingesetzt wurde. Die Wirksamkeit von ASS wurde aber nie alleine in einer kontrollierten, randomisierten Studie untersucht, und sowohl der Einsatz als auch vor allem die Dosierung von ASS sind umstritten. Durch ASS allein wird die Entstehung von Koronorarterienaneurysmen nicht verhindert (Durongpisitkul et al. 1995). Die Dosierung in der akuten Phase wird kontrovers diskutiert. Während in Japan 30–50 mg/kg/Tag als Standardtherapie empfohlen werden, ist die entsprechende Dosisempfehlung in Nordamerika 80–100 mg/kg/Tag. In zwei Metaanalysen ergibt sich aber kein signifikanter Vorteil der höheren ASS-Dosierung in Bezug auf die Prävention von Koronorarterienaneurysmen. Die hochdosierte ASS-Therapie verkürzt die Fieberdauer signifikant, hat aber vermehrt Nebenwirkungen wie Transaminasenerhöhung; auch gastrointestinale Blutungen und ein Reye-Syndrom wurden beschrieben. Eine retrospektive Arbeit hat kürzlich den Einsatz von ASS überhaupt in Frage gestellt, da sowohl in Bezug auf die Fieberdauer als auch auf die Ínzidenz von Koronorarterienaneurysmen kein positiver Effekt von ASS gesehen wurde. Trotzdem wird häufig unverändert die Gabe von 80–100 mg/Tag empfohlen (Hsieh et al. 2004; Terai u. Shulman 1997; Durongpisitkul et al. 1995; Newburger et al. 2004; Burns u. Glodé 2004).
10
In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass die gleichzeitige Verabreichung von Ibuprofen (aber nicht Acetaminophen oder Diclofenac) die von ASS induzierte irreversible Hemmung der Plättchenaggregation antagonisiert. Dadurch könnte die protektive Wirkung von ASS aufgehoben werden (Catella et al. 2001). > Dosierung von ASS: ASS ist effektiv in der Behandlung des KS zur Fiebersenkung in der akuten Phase und wird in Kombination mit IVIG eingesetzt. ASS wird in der akuten Phase der Erkrankung in einer antiphlogistischen Dosierung von 30– 50 mg/kg/Tag (Vorgehen des Autors) oder 80–100 mg/ kg/Tag in 4 Dosen gegeben. 48–72 Stunden nach der Entfieberung wird mit einer Dosierung von 3–5 mg/kg/Tag (1 Dosis/Tag) weiterbehandelt, bei fehlenden Koronararterienveränderungen wird diese Therapie nach 6–8 Wochen beendet.
Immunglobuline Im Jahr 1984 wurde zum ersten Mal beim KS die Reduktion der Inzidenz von Koronorarterienaneurysmen nach intravenösen Immunglobulinen (IVIG) beschrieben. Der Wirkungsmechanismus ist unklar. Eine IVIG-Therapie kann über die Modulation der Expression und Funktion von Fc-Rezeptoren wirken, sie hemmt Entzündungsreaktionen durch Bindung an Komplementfaktoren oder an proinflammatorische Zytokine und sie beeinflußt die Immunantwort durch Bindung an andere Antikörper (»Anti-Idiotyp«) oder durch einen direkten Effekt auf T-Zellen. Bei der Behandlung des KS scheint die Modulation von Zytokinen und die Komplementbindung besonders wichtig zu sein (Furusho et al. 1984; Kazatchkine u. Kaveri 2001). In Analogie zu der Therapie bei der idiopathischen Thrombozytopenie wurde die Behandlung des KS mit IVIG zunächst über 4 oder 5 Tage durchgeführt, inzwischen gilt aber die Einzelgabe von IVIG in einer Dosierung von 2 g/kg als klar evidenzbasierte Standardtherapie (Evidenz IA). Diese Therapie ist nach mehreren Metaanalysen der fraktionierten Gabe von IVIG deutlich überlegen, der Effekt der IVIG-Therapie ist dosisabhängig. Die Behandlung sollte innerhalb der ersten 10 Tage und, wenn möglich, innerhalb der ersten 7 Tage der Erkrankung durchgeführt werden. Eine noch frühere Gabe (Tag 4 oder vorher) scheint die Inzidenz der Koronorarterienaneurysmen nicht weiter zu reduzieren, macht aber häufiger eine erneute IVIG-Therapie notwendig (Terai u. Shulman 1997; Durongpisitkul et al. 1995; Oates-Whitehead et al. 2005; Muta et al. 2004). Auch bei rechtzeitiger IVIG-Therapie treten bei ca. 5% der Erkrankten Koronaraneurysmen auf, deren spontane Rückbildungsrate hoch ist; immerhin bleiben aber bei 1% der Patienten große Aneurysmen zurück. Die Patienten, die trotz rechtzeitiger IVIG-Therapie Aneurys-
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
men bekommen, sind durch initiale CRP-Werte >10 mg/ dl, LDH >590 U/ml und Hb <10 g/dl und durch einen Anstieg der Leukozyten, der Neutrophilen und des CRP nach IVIG-Therapie gekennzeichnet. Eine frühe zusätzliche Therapie sollte für diese Patienten überlegt werden (Fukunushi et al. 2000; Mori et al. 2000). Sollte die Diagnose nicht innerhalb der ersten 10 Tage gestellt worden sein, ist auch die spätere Gabe von IVIG sinnvoll, insbesondere wenn noch Krankheitsaktivität vorhanden ist oder Koronorarterienaneurysmen nachgewiesen wurden. Hat der Patient kein Fieber mehr, ist die Gabe von IVIG nicht mehr evidenzbasiert; dann sollte niedrig dosierte ASS gegeben werden. Obwohl die Kosten-Nutzen-Effektivität hinsichtlich des Einsatzes der IVIG-Therapie nicht unumstritten ist und zumindest in der japanischen Literatur ein Einsatz nur bei hohem Risiko der Entwicklung von Koronorarterienaneurysmen nach dem Harada-Score (s. oben »Kardiologische Diagnostik«) unterstützt wurde (Sato et al. 1999), sollte jedes Kind mit der Diagnose KS dieser Behandlung zugeführt werden. Immunglobuline werden aus gepooltem menschlichen Plasma hergestellt. Nach heutigem Wissen ist die Übertragung von z. B. Hepatitis oder HIV ausgeschlossen, aber eine klare Indikation für den Einsatz sollte gegeben sein. Der unterschiedlichen Rate von Nebenwirkungen wie Fieber, Schüttelfrost, Urtikaria, Juckreiz, Übelkeit, Blutdruckabfall, Anaphylaxie und sterile Meningitis liegen wahrscheinlich unterschiedliche Präparationen zugrunde, insgesamt ist die IVIG-Therapie sehr gut verträglich. Hinsichtlich der Wirkung besteht kein signifikanter Unterschied zwischen verschiedenen Immunglobulinpräparationen (Oates-Whitehead et al. 2005). > Dosierung von IVIG: Die Einzelgabe von 2 g/kg IVIG, möglichst innerhalb der ersten 7 Tage der Erkrankung, stellt die Standardtherapie des KS dar. Die Therapie ist evidenzbasiert (Evidenzniveau IA), alle Kinder mit KS sind dieser Behandlung zuzuführen. Auch bei einer verzögerten Diagnosestellung scheint noch ein therapeutischer Nutzen gegeben zu sein. Die IVIG-Infusion wird üblich über 8–12 Stunden unter Monitorüberwachung mit RR- und Herzfrequenzkontrollen gegeben. Zu Beginn wird die 5%ige Infusion auf ca. 0,1 ml/kg/h eingestellt, bei guter Verträglichkeit wird die Infusionsgeschwindigkeit nach und nach auf maximal 2 ml/kg/h gesteigert.
Steroide
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Bei Vaskulitiden sind Steroide häufig die Therapie der Wahl, während ihre Anwendung beim KS relativ begrenzt ist. Diese Zurückhaltung geht auf eine Studie aus dem Jahr 1979 zurück, in der 11 von 17 Patienten, die mit oralem Prednisolon alleine behandelt wurden, Korono-
rarterienaneurysmen entwickelten. Obwohl die einzelnen Gruppen relativ klein und nicht randomisiert waren und zudem in der Gruppe mit Steroiden und ASS kein Aneurysma auftrat, wurde aus diesen Daten der zurückhaltende Gebrauch von Steroiden begründet. Spätere Studien zeigten zumindest keine negativen Auswirkungen oder sogar eine Reduktion der Inzidenz von Koronorarterienaneurysmen, wenn IVIG mit 2 mg/ kg intravenösem Prednisolon kombiniert wurde. Bei der Behandlung des akuten KS war die Kombination einer intravenösen Methylprednisolontherapie (30 mg/kg) mit einer nachfolgenden IVIG-/ASS-Therapie der alleinigen IVIG-/ASS-Therapie überlegen in Bezug auf Entzündungszeichen, Rückgang des Fiebers und Länge des Krankenhausaufenthalts. Bezüglich der Inzidenz der Koronorarterienaneurysmen konnte kein signifikanter Unterschied gefunden werden (Kato et al. 1979; Shinohara et al. 1999; Sundel et al. 2003). ! Der Nutzen des Einsatzes von Steroiden in der Initialphase des KS ist nicht gesichert und sollte bis zum Vorliegen weiterer Daten aus einer bereits laufenden randomisierten Studie Patienten mit IVIG-resistenten Krankheitsverläufen (7 10.1.7) vorbehalten sein.
Andere Medikamente (Akutphase) Die TNF-α-Produktion wird durch Pentoxifylline über die Hemmung der mRNA-Transkription gehemmt. Da TNF-α bei der Pathogenese des KS eine Rolle spielt, wurde in einer klinische Studie die Wirkung von Pentoxifylline untersucht. Dabei wurden in der Kombinationsgruppe, die mit hoch dosiertem Pentoxifylline und niedrig dosiertem IVIG behandelt wurde, keine Koronorarterienaneurysmen festgestellt im Vergleich zu 14% in der niedrig dosiertem IVIG-Gruppe. Das Medikament war gut verträglich, aber der Einsatz in der Früphase ist nicht gesichert (Furukawa et al. 1994).
Initial IVIG-resistente Krankheitsverläufe Ungefähr 10–20% aller Patienten mit KS sprechen auf die initiale Therapie mit IVIG und ASS nicht an, d. h., dass die Patienten ≥24–36 Stunden nach der initialen IVIGInfusion immer noch oder wieder fiebern. Nach Expertenmeinung (Evidenzniveau IV) wird dann eine erneute IVIG-Therapie mit 2 g/kg durchgeführt, dies auch unter der Vorstellung, dass die IgG-Konzentration im Serum mit der therapeutischen Wirksamkeit korrelieren könnte. Ungefähr 2 Drittel der primär resistenten Patienten sprechen dann auf die 2. IVIG-Therapie an. (Freeman u. Shulman 2004; Chiyonobu et al. 2003; Miura et al. 2004). Die Wirksamkeit einer Pulssteroidtherapie bei IVIGresistentem KS wurde von Hashino untersucht: 17 von 262 Patienten, die nicht auf eine erste IVIG-Einzelinfusion (2 g/kg) und ASS (30 mg/kg/Tag) und auch nicht auf eine erneute IVIG (1 g/kg) angesprochen hatten, wurden rando-
373
10.1 · Kawasaki-Syndrom
misiert entweder mit einer 3. IVIG-Therapie (1 g/kg) oder mit 20 mg/kg Methylprednisolon behandelt. Die Inzidenz von Koronararterienveränderungen war bei beiden Gruppen hoch (60–75%), aber nicht signifikant unterschiedlich, bei den mit Methylprednisolon behandelten Kindern war die Fieberdauer signifikant kürzer (Hashino et al. 2001). Weitere therapeutische Optionen bei therapieresistenten Formen beruhen sämtlich auf Einzelberichten oder kleinen Studien und sind daher nicht gesichert. Bereits eingesetzt wurden unter anderem Plasmaaustausch, Abciximab (Glycoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorinhibitor, schnellere Reduktion von bestehenden Aneurysmen gezeigt), TNF-Blockade mit Infliximab und Cyclophosphamid (Freeman u. Shulman 2004). > Praktisches Vorgehen: Bis zum Vorliegen weiterer Ergebnisse wird empfohlen, initial IVIG-resistente Krankheitsverläufe zunächst mit einer zweiten IVIG-Infusion (2 g/kg) zu behandeln. Der Einsatz von Steroiden sollte für Patienten reserviert sein, die auf ≥2 IVIG-Therapien nicht angesprochen haben. Dabei ist die Gabe von Methylprednisolon (30 mg/kg i.v. über 2–3 Stunden) einmal pro Tag für 1–3 Tage üblich.
Langzeitüberwachung und Therapie Die Langzeitüberwachung von Patienten mit KS sollte nach dem Ausmaß der koronaren Beteiligung erfolgen; Kinder ohne ein Zeichen einer Koronararterienbeteiligung sind im Allgemeinen nicht eingeschränkt. Da aber immer wieder vermehrte atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen nach KS auch bei Fehlen einer initialen Koronararterienbeteiligung diskutiert werden, kann auch bei diesen Kindern die Frage nach kardialen Spätfolgen erst durch geeignete Langzeitstudien beantwortet werden (Newburger et al. 2004).
10
Obwohl die Effektivität von sonografischen Kontrollen nach 6–12 Monaten bei primär unauffälligen Verhältnissen nicht gezeigt werden konnte, wurden sie bis vor kurzem offiziell empfohlen; sie werden aber jetzt nach neueren Richtlinien als optional bezeichnet. Andererseits wurden sogar lebenslängliche kardiologische Kontrollen vorgeschlagen. Mindestens jährliche Kontrollen sind sicher bei vorhandenen Aneurysmen angezeigt (Scott et al. 1999; McMorrow Tuohy et al. 2001; Dajani et al. 1994; Newburger et al. 2004; Brogan et al. 2002). Über den Einsatz der Koronararterienangiografie bei sonografisch nachgewiesenen Auffälligkeiten wird kontrovers diskutiert. Sicher sind nicht alle Bereiche der Koronarien sonografisch zu erfassen, aber selbst bei dem Nachweis von milden Ektasien oder kleinen, fusiformen Aneurysmen wird von Experten eine Angiografie nicht empfohlen (Evidenz IV). Falls bei komplexeren Problemen eine Angiografie notwendig ist, wird diese üblicherweise 6–12 Monate nach der Erkrankung gemacht. Zum Ausschluss von Aneurysmen nichtkoronarer Arterien sollte dabei auch eine Darstellung der abdominalen Arterien und der Arteria subclavia angestrebt werden. Zusätzlich sind auch kardiale Belastungstests sinnvoll (Newburger et al. 2004). Neuere nichtinvasive bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie können Veränderungen an den Koronararterien sehr gut erfassen. Bei einem direkten Vergleich mit der Koronararterienangiografie wurden die beiden Methoden als gleichwertig in Bezug auf die Identifikation von Koronararterienaneurysmen eingeordnet. Der Stellenwert der Magnetresonanztomografie in der klinischen Praxis besonders bei kleinen Kindern bleibt noch abzuwarten (Greil et al. 2002; Mavrogeni et al. 2004). Von Newburger et al. (2004) wurde die in . Tab. 10.4 dargestellte Risikostratifizierung in der Langzeitüberwachung und -behandlung von KS-Patienten vorgeschlagen.
. Tab. 10.4. Risikostratifizierung. (Nach Newburger et al. 2004) Risikolevel
Med. Therapie
Physikalische Aktivität
Kontrollen
Angiografie
I: Keine Koronararterienveränderungen im gesamten Krankheitsverlauf
Keine nach den ersten 6–8 Wochen
Keine Einschränkungen nach 6–8 Wochen
Prüfen der kardiovaskulären Risikofaktoren und Beratung alle 2–5 Jahre. Evtl. Echo-KG nach 1 Jahr
Nicht empfohlen
II: Vorübergehende Ektasie, nach 6–8 Wochen nicht mehr nachweisbar
Keine nach den ersten 6–8 Wochen
Keine Einschränkungen nach 6–8 Wochen
Prüfen der kardiovaskulären Risikofaktoren und Beratung alle 2–5 Jahre. Evtl. Echo-KG nach 1 Jahr
Nicht empfohlen
III: 1 kleines–mittleres Aneurysma (>3 mm, <6 mm; oder z-Score 3–7) einer Hauptkoronararterie
ASS 3–5 mg/kg/Tag, zumindest bis Regression des Aneurysma dokumentiert
Patient ≤11 Jahre: keine Einschränkungen nach 6–8 Wochen Patient 11–20 Jahre: nach Belastungstest alle 2 Jahre Kontaktsportarten nicht zu empfehlen bei ASS
Kardiologische Untersuchung jährlich mit EKG und Echo-KG, Belastungstest mit Perfusion alle 2 Jahre, wenn Patient >10 Jahre. Prüfen der kardiovaskulären Risikofaktoren
Empfohlen, wenn nichtinvasive Tests mit Bildgebung Ischämie zeigen
374
1 2 3
Kapitel 10 · Vaskulitiden
. Tab. 10.4. Fortsetzung Risikolevel
Med. Therapie
Physikalische Aktivität
Kontrollen
Angiografie
IV: ≥1 großes Aneurysma
Langzeittherapie ASS 3–5 mg/kg/Tag; bei sehr großem Aneurysma mit Warfarin oder niedrigmolekularem Heparin kombinieren
Kontaktsportarten vermeiden wegen Blutungsgefahr; andere Aktivitäten je nach Belastungstests
Halbjährliche kardiologische Kontrollen mit EKG und ECHO-KG; Belastungstest mit Perfusion Prüfen der kardiovaskulären Risikofaktoren Bei Frauen im gebärfähigen Alter: Beratung
Erste Angiografie nach 6-12 Monaten, früher falls klinisch indiziert; Wiederholung bei Ischämiezeichen
Langzeittherapie ASS 3–5 mg/kg/Tag; evtl. mit Warfarin oder niedrigmolekularem Heparin kombinieren (evtl. plus β-Blocker)
Kontaktsportarten vermeiden wegen Blutungsgefahr, andere Aktivitäten je nach Belastungstests
Halbjährliche kardiologische Kontrollen mit EKG und Echo-KG; Belastungstest mit Perfusion Prüfen der kardiovaskulären Risikofaktoren Bei Frauen im gebärfähigen Alter: Beratung
Angiografie auch zur Überprüfung therapeutischer Optionen
(≥6 mm) oder multiple Aneurysmata in der gleichen Koronararterie ohne Obstruktion
4 5 6
V: Koronararterien-Obstruktion
7 8 9
Von Brogan et al. 2002 wurde auch bei primär unauffälligen Koronararterien eine lebenslange Kontrolle alle 2 Jahre vorgeschlagen.
10
10.1.8 Prognose
11
Die Prognose des KS in Hinsicht auf die Lebensqualität wird im Wesentlichen durch das Auftreten von Koronorarterienaneurysmen bestimmt. Die Mortalität aller hospitalisierten Kinder wird mit 0,17% angeben, sie liegt aber bei Kindern über 10 Jahren deutlich höher (Chang 2002).
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375
10.2 · Purpura Schönlein-Henoch
echocardiograms are necessary for follow up evaluation of patients with Kawasaki disease ? Am J Cardiol 88: 328–330 Miura M, Ohki H, Tsuchihashi T, Yamagishi H, Katada Y, Yamada K, Yamashita Y, Sugaya A, Komiyama O, Shiro H (2004) Coronary risk factors in Kawasaki disease treated with additional gammaglobulin. Arch Dis Child 89: 776–780 Mori M, Imagawa T, Yasui K, Kanaya A, Yokota S (2000) Predictors of coronary artery lesions after intravenous gamma-globulin treatment in Kawasaki disease. J Pediatr 137: 177–180 Muta H, Ishii M, Egami K, Furui J, Sugahara Y, Akagi T, Nakamura Y, Yanagawa H, Matsuishi T (2004) Early intravenous gamma-globulin treatment for Kawasaki disease: the nationwide surveys in Japan. J Pediatr 144: 496–499 Newburger JW, Fulton DR (2004) Kawasaki disease. Curr Opin Pediatr 16: 508–514 Newburger JW, Takahashi M, Gerber MA et al. (2004) Diagnosis, treatment, and long-term management of Kawasaki disease: a statement for health professionals from the Committee on Rheumatic Fever, Endocarditis, and Kawasaki Disease, Council on Cardiovascular Disease in the Young, American Heart Association. Pediatrics 114: 1708–1733 Oates-Whitehead RM, Baumer JH, Haines L, Love S, Maconochie IK, Gupta A, Roman K, Dua JS, Flynn I (2005) Intravenous immunoglobulin for the treatment of Kawasaki disease in children (Cochrane Review). The Cochrane Library, Issue 2. Oxford: Update Software Sato N, Sugimura T, Akagi T, Yamakawa R, Hashino K, Eto G, Iemura M, Ishii M, Kato H (1999) Selective high dose gamma-globulin treatment in Kawasaki disease: assessment of clinical aspects and cost effectiveness. Pediatr Int 41: 1–7 Scott JS, Ettedgui JA, Neches WH (1999) Cost-effective use of echocardiography in children with Kawasaki disease. Pediatrics 104: e57 Shinohara M, Sone K, Tomomasa T, Morikawa A (1999) Corticosteroids in the treatment of the acute phase of Kawasaki disease. J Pediatr 135: 465–469 Shulman ST, Rowley AH (2004) Advances in Kawasaki disease. Eur J Pediatr 163: 285–291 Sundel RP, Baker AL, Fulton DR, Newburger JW (2003) Corticosteroids in the initial treatment of Kawasaki disease: report of a randomized trial. J Pediatr 142: 611–616 Terai M, Shulman ST (1997) Prevalence of coronary artery abnormalities in Kawasaki disease is highly dependent on gamma globulin dose but independent of salicylate dose. J Pediatr 131: 888–893
10.2
Purpura Schönlein-Henoch
10
10.2.2 Häufigkeit Für diese – im Kindesalter – häufigste Vaskulitis wurden Inzidenzen von 10–20/100.000 Kinder/Jahr ermittelt. In der Altersgruppe der 4- bis 6-Jährigen ist sie mit 70,3/100.000 am häufigsten. Allerdings kann die Erkrankung in jedem Alter auftreten. Mit einer Geschlechtsverteiliung von 1,2:1 sind Knaben etwas häufiger betroffen (Gardner-Medwin et al. 2002).
10.2.3 Klassifikation Die Kriterien des American College of Rheumatology weisen eine Sensitivität von 87,1% und eine Spezifität von 87,7% auf, wenn 2 der 4 folgenden Kriterien positiv sind (Mills 1990): 1. Alter <20 Jahre bei Krankheitsbeginn, 2. palpable Purpura, 3. Angina abdominalis, 4. histopathologischer Nachweis von Granulozyten in der Gefäßwand. Allerdings sind diese Kriterien nur für die Erwachsenenpopulation evaluiert und somit auf das Kindesalter nur eingeschränkt anwendbar. Die angegebene Altersgrenze wie auch die – in der Regel nicht durchgeführte – histologische Untersuchung erlauben keine weitere Spezifizierung. Aus diesem Grund wurde die Etablierung altersadäquater Diagnose- und Klassifikationskriterien gefordert (Gardner-Medwin et al. 2002).
10.2.4 Ätiologie Die Ätiologie ist unbekannt. Infektiöse Ursachen ließen sich nicht bestätigen; die saisonale Häufung von Herbst bis Frühling könnte aber aber auf eine postinfektiöse Genese hinweisen (Saulsbury 1999).
T. Hospach
10.2.1 Definition
10.2.5 Pathogenese und Pathologie
Die Purpura Schönlein-Henoch (PSH) ist eine leukozytoklastische Vaskulitis, die zumeist die kleinen Gefäße der Haut, der Gelenke, des Gastrointestinaltrakts und der Nieren befällt. Schönlein beschrieb 1837 erstmals eine purpuraassoziierte Arthritis, während Henoch 1874 über die Kombination einer Nephritis mit Bauchschmerzen berichtete.
Der durch unbekannte Trigger ausgelöste pathogenetische Prozess bewirkt, dass zirkulierende Immunkomplexe im Bereich der Gefäßwand präzipitieren. Durch Komplementaktivierung und Expression von Adhäsionsmolekülen kommt es zur Migration der Neutrophilen und Makrophagen zu den Endothelzellen. Die hierbei freigesetzten proteolytischen Enzyme führen zur Schädigung der Gefäßwand. Histopathologisch finden sich intra- und perimurale IgA-Ablagerungen im Bereich der kleinen Gefäße. Hierbei überwiegen die IgA1-Subklassen. Nierenhistologisch können unterschiedliche Befunde erhoben werden, die von minimalen glomerulären Veränderungen bis hin
376
1
Kapitel 10 · Vaskulitiden
zur – prognostisch ungünstigen – extrakapillären Proliferation mit Halbmondbildung reichen (White 1991).
2 10.2.6 Klinische Symptome
3
19
Die Kinder erkranken aus völligem Wohlbefinden heraus; gelegentlich wird über einen vorangegangenen Luftwegsinfekt berichtet. Fieber ist selten. Der typisch klinische Befund zeigt ein petechiales oder urtikariell-ödematöses, oftmals schmerzhaftes Exanthem im Bereich der Streckseiten der Unterschenkel, der Fußrücken sowie des Gesäßes; bei kleineren Kindern auch im Bereich der Kopfhaut. Eine abdominelle Beteiligung in Form von Übelkeit, Erbrechen, kolikartigen Bauchschmerzen, Invagination, Pankreatitis, Gallenblasenhydrops und blutigen Stühlen tritt bei bis zu 76% auf. Die über wenige Tage transienten Arthritiden oder Arthralgien treten bei 60–84% auf und sind meist im Bereich der Sprunggelenke und Knie lokalisiert (Tizard 1999). Eine besondere diagnostische Herausforderung ist es, wenn Bauch- und/oder Gelenksymptomatik dem petechialen Exanthem (um 1–2 Wochen) vorausgehen. Dies soll bei bis zu 25% der Patienten auftreten (Saulsbury 1999). Eine gelegentlich assoziierte Orchitis äußerst sich zumeist als Hodenschmerz. Krampfanfälle, neurologische Paresen und Kopfschmerzen können Ausdruck einer seltenen zentralnervösen Manifestation sein. Eine weitere seltene, aber lebensbedrohliche Mitbeteiligung ist die pulmonale Hämorrhagie, die sich als Husten, Tachydyspnoe und Hämoptoe äußern kann. Zeichen einer Nierenbeteiligung sind Hämaturie, Ödeme oder auch Kopfschmerzen. Letztere können auch die Folge einer arteriellen Hypertonie sein. Die in der Literatur angegebene Inzidenz der Nierenbeteiligung hängt vom Spezialisierungsgrad der Einrichtung ab und wird demzufolge sehr heterogen mit 20–100% angegeben (White et al. 1999). Zumeist tritt eine milde Glomerulonephritis mit Hämaturie und geringer Proteinurie auf (Kaku et al. 1998; Sano et al. 2002). Rund 75% der Nierenmanifestationen ereignen sich innerhalb von 4 Wochen nach Beginn der initialen Symptomatik; bis zu 97% innerhalb der ersten 3 Monate (Sano et al. 2002; Saulsbury 1999; Meadow et al. 1972).
20
! Auch negative Urinbefunde über 6 Monate kontrollieren (Narchi 2005).
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nenalter ist bei Kindern in der Regel keine Biopsie zur Diagnosesicherung notwendig. Akute Bauchschmerzen sind Ausdruck einer Beteiligung der Darmschleimhaut, die sonografisch weiter untersucht werden sollte. Hiermit lässt sich eine – zumeist ileoileal lokalisierte – Invagination, eine Darmwandblutung oder ein Gallenblasenhydrops diagnostizieren. Arthralgien und Arthritiden bevorzugen die untere Extremität. Häufig findet sich eine transiente Schwellung und Überwärmung der Gelenke, seltener eine Rötung. Eine Nephritis manifestiert sich oft erst nach der Initialphase als Mikrohämaturie mit oder ohne Proteinurie. Eine Nierenbiopsie ist bei anhaltender Proteinurie, Niereninsuffizienz und/oder nephrotisch-nephritischem Syndrom indiziert. Bei pulmonalen Symptomen wie Husten, Atemnot oder Hämoptoe sollte eine Lungenblutung mit Hilfe einer Thoraxröntgenuntersuchung oder einer Computertomografie ausgeschlossen werden. Zur Diagnostik der Orchitis eignet sich die Sonografie mit der sich auch eine Hodentorsion abgrenzen lässt. Differenzialdiagnostisch ist bei akutem hochfieberhaften Verlauf eine Sepsis/Meningitis mit Verbrauchskoagulopathie auszuschließen. Eine generalisierte Blutungsneigung, eine Immunthrombozytopenie oder ein
21 10.2.7 Diagnose
22 23
Die Diagnose kann meist anhand des typischen petechialen Exanthems mit charakteristischer Lokalisation im Bereich der unteren Extremitäten sowie des Gesäßes gestellt werden (. Abb. 10.2). Im Gegensatz zum Erwachse-
. Abb. 10.2. Typisch petechiales Exanthem im Bereich der unteren Extremität
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10.2 · Purpura Schönlein-Henoch
hämolytisch-urämisches Syndrom lassen sich laborchemisch ausschließen. Bei isoliert auftretenden Bauchoder Gelenkschmerzen sollten Erkrankungen aus dem Formenkreis des akuten Abdomens wie eine Appendizitis, eine Invagination, ein Abszess, eine Pankreatitis (die auch PSH-assoziiert auftreten kann) und eine chronischentzündliche Darmerkrankung ausgeschlossen werden. Die akute Arthritis kann aufgrund der Schmerzhaftigkeit und der Schwellung sowie der begleitenden Hauteffloreszenzen eine septische Arthritis oder eine Osteomyelitis imitieren. Nicht selten weist das nach 1–2 Tagen folgende petechiale Exanthem den Weg zur Diagnose. Gelegentlich kann auch ein systemischer Lupus erythematodes oder einer Panarteriitis nodosa das Krankheitsbild imitieren (White et al. 1999). Bei Säuglingen und Kleinkindern unter 2 Jahren ist die Erkrankung selten, in dieser Altersgruppe ist das als PSHVariante auftretende akute hämorrhagische Säuglingsödem (Morbus Finkelstein) abzugrenzen, das meist nur das Gesicht und die Extremitäten betrifft und den Stamm ausspaart. Adominelle Symptome und insbesondere die Nierenbeteiligung fehlen fast immer. Davon wiederum kann eine mit Kokarden auftretende Variante (Morbus Seidlmayer) abgegrenzt werden. Laborchemisch können unspezifische Veränderungen wie eine leichte Leuko- und Thrombozytose nachweisbar sein; das Serum-IgA ist in 50% der Fälle erhöht (Rostoker 2001). Die Gerinnungsanalyse ist unauffällig. Bei enteralem Blutverlust kann eine milde Anämie auftreten. Ein Test auf okkultes Blut im Stuhl kann die Hämatochezie verifizieren. Eine Lipasämie ist Ausdruck einer begleitenden Pankreatitis. Bei renaler Beteiligung kann eine Erhöhung des Serumkreatinins sowie eine Hypalbuminämie auftreten. Regelmäßige Blutdruckkontrollen sind obligat. ! Bauchschmerzen und Gelenksymptome können dem Hautbefund vorangehen!
10
renalen Beteiligung ist der Einsatz von NSAID nicht ratsam. Bei kolikartigen Bauchschmerzen können Spasmolytika eingesetzt werden. Für die Gabe von Kortikosteroiden zur Verkürzung und Linderung der Bauchschmerzen wurde ein Evidenzgrad II ermittelt (nach Hospach u. Dannecker 2004). Im Allgemeinen hat sich eine Dosis von 1–2 mg/kg Prednison/Prednisolon über 1 Woche mit konsekutivem Ausschleichen über 2–3 Wochen als wirksam erwiesen. In einzelnen Studien wird über weniger Invaginationen bei Steroidbehandelten berichtet (Allen 1960; Reinehr 2000); dem stehen aber auch Berichte von Darmperforationen unter Kortison gegenüber (Yavuz 2001). Diese Konstellation erfordert somit eine gründliche klinische und ggf. sonografische und/oder radiologische Untersuchung des Abdomens. Gelegentlich wird über den Einsatz von Colchizin, Dapson, Epsilonaminocapronsäure und Immunglobulinen berichtet. Hierüber liegen unzureichende Erfahrungen vor, sodass diese Substanzen für das Kindesalter nicht zu empfehlen sind. Über die Effektivität von Faktor XIII gibt es widersprüchliche Ergebnisse. Bei prolongierten Bauchschmerzen mit laborchemischem Nachweis der Erniedrigung von Faktor XIII berichten einzelne Autoren über einen positiven Effekt (Kamitsuji 1987; Fukui 1989). Der Einsatz von Steroiden zur Prävention einer renalen Beteiligung wird sehr kontrovers beurteilt (Buchanec et al. 1988; Mollica et al. 1992; Kaku et al. 1998; Reinehr et al.2000; Saulsbury 1999; Sano et al. 2002). Konklusiv kann dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden. Möglicherweise kann die aktuell noch nicht abgeschlossene Studie »Randomised placebo-controlled study to determine whether steroids reduce the inicidence and severity of nephropathy in Henoch-Schoenlein purpura« diese Frage beantworten (Tizard o. J.). Eine schwere Nephritis mit extrakapillärer Proliferation und Halbmondbildung muss meist immunsuppressiv (Endoxan, Methylprednisolonpulse) behandelt werden (Wyatt 2001).
10.2.8 Therapie Ziel der Therapie ist es, die Akutsymptomatik zu lindern sowie Komplikationen (Darminvagination, Nierenschäden) zu verhindern. Wenngleich die Einhaltung strikter Bettruhe lange Zeit als therapeutisches Dogma galt, konnte dies nie systematisch nachgewiesen werden. Im Einzelfall kann bei prolongierter Hautbeteiligung und/oder einer ausgeprägten Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens Bettruhe indiziert sein; für die Prävention einer renalen Beteiligung gibt es keine Evidenz. Eine symptomatische Schmerzlinderung ist meist mit Paracetamol und NSAID zu erreichen. Diese sind insbesondere bei muskuloskelettalen Schmerzen wirksam (Allen 1960; Szer 1996; Ozen 2002). Im Falle einer ausgeprägten
! Steroide verkürzen die Dauer und Heftigkeit der Bauchschmerzen. Vorsicht bei mitigierten abdominellen Symptomen unter dieser Therapie.
10.2.9 Prognose Wenngleich Rezidive bei bis zu einem Drittel der Patienten auftreten, ist die allgemeine Prognose dennoch sehr günstig (Saulsbury 1999). Die Langzeitmorbidität ist eng mit der Entwicklung der Nephritis assoziiert, deren Prognose zum allergrößten Teil ebenfalls günstig ist. Dies ist allerdings von der klinischen Präsentation und dem histologischen Befund abhängig: Patienten mit einer isolierten Hämaturie erho-
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
len sich fast ausnahmslos (White et al. 1999), wohingegen das Auftreten eines nephritisch-nephrotischen Syndroms mit einer schlechteren Prognose einhergeht (Sano et al. 2002; Saulsbury 1999). Die bioptisch nachgewiesene extrakapilläre Proliferation mit >75% Halbmondbildung ist mit einer schlechten Prognose assoziiert (White 1999). In nichtselektierten Studien gingen 1–5% in ein terminales Nierenversagen über (Koskimies et al. 1981; Stewart et al. 1988; Garcia-Porrua et al. 2002). Als Risikofaktoren für eine renale Beteiligung gelten ein Alter von >4 Jahren sowie schwere Bauchschmerzen und eine persistierende Purpura (Sano et al. 2002; Kaku et al. 1998).
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10.3
Takayasu-Arteriitis
J. Kümmerle-Deschner, S. Benseler
10.3.1 Definition Die Takayasu-Arteriitis (TA) ist eine idiopathische, chronisch-entzündliche granulomatöse Vaskulopathie, die primär die großen Gefäße betrifft, und zwar insbesondere die Aorta, ihre proximalen Äste (Gefäßabgänge) und gelegentlich die Pulmonalarterien und Koronarien. Der Gefäßbefall kann sowohl kontinuierlich als auch segmental sein. Die entzündlichen Veränderungen führen häufig zu Stenosierungen und Gefäßokklusionen, seltener kommt es zur Entstehung von Gefäßdilatationen und Aneurysmen (Kerr et al. 1994).
10.3.2 Häufigkeit Die TA gehört zu den drei häufigsten Vaskulitiden weltweit. Der Erkrankungsbeginn liegt meist in der dritten Lebensdekade, es gibt jedoch auch Fallberichte über Erkrankungen im ersten Lebensjahr. Insgesamt wird die Inzidenz der TA auf 2,6 pro 1 Mio. Menschen geschätzt (Minnesota’s Olmstead County, USA) (Kerr et al. 1994). Für das Kindesalter liegen keine Inzidenzzahlen vor. Es wird geschätzt, dass 7–24% der betroffenen Patienten Kinder sind. Die Prävalenz ist regional verschieden, mit Werten zwischen 0,26 und 0,64 pro 100.000. Es wird über eine ebenfalls regional unterschiedlich stark ausgeprägte weib-
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10.3 · Takayasu-Arteriitis
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liche Dominanz berichtet. Das mittlere Erkrankungsalter wird mit 11,4 Jahren angegeben (Aluquin et al. 2002).
che für ventrikulären Dysfunktion sein und ist ein Hinweis dafür, dass nicht nur die großen, sondern auch die kleinen Gefäße betroffen sind.
10.3.3 Ätiologie und Pathogenese
Infektionsbedingte Faktoren
Die Ätiologie der Erkrankung ist unklar. Genetische Faktoren, Autoimmunkomponenten und Infektionen werden diskutiert. Inder et al. (2000) untersuchten die histologischen Veränderungen in der Wand der Aorta bei 10 Patienten mit TA. Das Spektrum der Veränderungen reichte von akut entzündlichen, nodulären Infiltraten bis hin zum fibrotischen Ersatz der Wandkomponenten. Die nodulären Infiltrate, welche aus B- und T- Zellen bestanden, fanden sich durchweg in der Adventitia und kolokalisierten regelhaft mit dendritischen Zellen. Darüber hinaus waren häufig Granulozyten in der Adventitia nachweisbar.
Riesenzellgranulome in der Arterienwand, die den Tuberkulosefollikeln ähneln oder das gehäufte Auftreten einer manifesten Tuberkuloseinfektion bei TA-Patienten wurden als mögliche Ursache diskutiert, konnten jedoch nicht definitiv verifiziert werden (Chaubal et al. 2004). Es wurde postuliert, dass Mycobacterium tuberculosis eine Hypersensitivitätsreaktion in den großen Gefäßen als Trigger einer Autoimmunreaktion initiiert. Möglicherweise besteht auch eine Kreuzreaktion zwischen Hitzeschockproteinen und dem Antigen der Mycobakterien. Wie in vielen komplexen Erkrankungen scheint das Zusammenspiel von genetischen Faktoren und Immunprozessen eine Rolle zu spielen.
Genetische Faktoren Das gehäufte Auftreten der TA bei Frauen, die erhöhte Inzidenz in Asien und Südamerika, der Nachweis der TA bei monozygoten Zwillingen und den Geschwistern von TAPatienten sowie die Beschreibung unterschiedlicher HLATypen, die mit TA assoziiert sind, gelten als Hinweise auf mögliche genetische Faktoren.
Autoimmunbedingte Faktoren Etliche Fallberichte haben einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Autoimmunerkrankungen und der TA dargestellt. Es wurde eine Reihe von immunologischen Phänomenen bei TA untersucht. Antikörper. Es wurden erhöhte Spiegel von Antiendothe-
lin-Antikörpern, antiaortalen Antikörpern und Antikardiolpin-Antikörpern bei TA-Patienten gefunden. Die Bestimmung von ANA und Serumkomplementspiegel erbrachte variable Ergebnisse. Es wurde von Antikörpern gegen »vascular smooth muscle cells« (VSMC) berichtet, die Apoptose der glatten Muskulatur in der Gefäßwand bei TA induzieren können. T-Zellen. Eine erhöhte Gesamtzahl der T-Zellen sowie der CD4-positiven Zellen wurde als Hinweis auf eine zellvermittelte Immunreaktion gewertet. Immunfluoreszenzfärbungen der Vasa vasorum der Aorta von TA-Patienten zeigten eine Expression der MHC-HLA-Klassen I und II und ICAM-1, was für eine Endothelzellaktivierung spricht. Diese aktivierten Zellen scheinen natürliche Killerzellen, T-Lymphozyten und zytotoxische Zellen anzuziehen, welche die Gefäßwand möglicherweise über die Freisetzung von Perforin schädigen könnten. Biopsien des Endo- und Myokards zeigten eine erhöhte HLA-DR-Expression am Endothel und Hinweise auf Immunkomplexe an der Wand der kleinen Gefäße. Dies könnte die Ursa-
10.3.4 Pathologie Die TA ist eine Riesenzellarteriitis, die histologisch nicht von der Arteriitis temporalis oder der Polymyalgia rheumatica unterscheidbar ist. Weyand u. Goronzy (2003) haben ein Modell der Riesenzellarteriitis entwickelt und erfolgreich getestet. Die drei wichtigsten Schritte für die Entwicklung einer Riesenzellarteriitis sind demnach: 5 Vorhandensein von T-Zellen. Die Bildung von intramuralen Riesenzellen ist ein T-Zell abhängiger Prozess. CD4-positive T-Zellen sind eine Conditio sine qua non der Riesenzellarteriitis. Die Depletion dieser Zellen verhindert die Entstehung der Vaskulitis. 5 Aktivierung von intramuralen T-Zellen. Die klonale Proliferation der CD4-positiven T-Zellen in der Gefäßwand erfordert die Präsenz von spezifischen antigenpräsentierenden Zellen, den dendritischen Zellen. Die Aktivierung der dendritischen Zellen triggert die Entstehung der Vaskulitis. 5 Das Blutgefäß selbst determiniert das Vaskulitisbefallsmuster. Die Lokalisation und das Ausmaß der Gefäßwandentzündung ist definiert durch Lokalisation und Frequenz der dendritischen Zellen in der Gefäßwand. Dendritische Zellen erreichen die Gefäßwand über die Vasa vasorum der Adventitia. Der erste Schritt in der Entstehung der TA ist somit die Aktivierung der dendritischen Zellen in der Gefäßwand. Diese Zellen sind durch eine Vielzahl von Mechanismen aktivierbar. Der Aktivierungsmechanismus der dendritischen Zellen in der TA ist noch unbekannt. Die Aktivierung führt zur Expression von spezifischen Oberflächenmarkern (CD80, CD83 und CD86). Die aktivierten dendritischen Zellen sezernieren nun Chemokine
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
(z. B. Interferon-γ) und aktivieren T-Zellen. Diese T-Zellen habe unterschiedliche Effektorfunktionen: 1. Granulombildung: Sie reflektiert die Auseinandersetzung mit einem nichtverdaubaren Antigen. Interferon-γ ist essenziell für die Granulombildung. 2. Zytotoxizität: T-Killerzellen sezernieren Perforin und führen so zur direkten Schädigung der Gefäßwand. Langfristig kommt es zum narbigen Umbau der vormals entzündlich veränderten Gefäßwand und damit zur Entstehung von Stenosen. Dieser Prozess wird von spezifischen Wachstums- und Angiogenesefaktoren mediiert. Die genaue Kenntnis dieser Pathomechanismen eröffnet mittelfristig eine Vielzahl therapeutischer Optionen.
7
. Tab. 10.5. Klinische Symptome bei TA. (Nach Jain et al. 2000) Herz/Kreislauf
Thoraxschmerzen, Palpitationen, Herzinsuffizienz, KHK, Aorten- und Mitralinsuffizienz, Myokarditis, Hypertension (77– 90%), Strömungsgeräusche (70%), Claudicatio
Nieren
Renovaskuläre Hypertension, Glomerulonephritis (mesangial-proliferativ, fokalproliferativ, membranoproliferativ), Niereninsuffizienz (55%)
Neurologie
Synkopen, Sehstörungen, Apoplex, Parästhesien, hypertensive Enzephalopathie, Paraplegie, Subclavian-steal-Phänomen
Augen
Retinopathie 0–30% (. Abb. 10.3); 4 Stadien: I venöse Dilatation, II Mikroaneurysmen, III arteriovenöse Stenosen, IV okuläre Komplikationen Hypertensive Retinopathie, Katarakt, Optikusatrophie, Mydriasis, Irisatrophie, Rubeosis iridis
Lunge
Dyspnoe, Hämoptysis, Pleuritis, interstitielle Pneumonie, Lungenfibrose, alveoläres hyalines Syndrom
Magen/Darm
Anorexie, Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust
Haut
Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum, papulonekrotische Eruptionen, papuläre erythematöse Läsionen der Hände und Finger
10.3.5 Klinische Symptome
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Klinische Symptome bei TA reflektieren die schwere Entzündungsreaktion und die Ischämie der minderperfundierten Organe, welche durch die entzündlichen Gefäßstenosen bedingt ist. Das Spektrum der klinischen Manifestation ist sehr breit und reicht von der zufälligen Entdeckung abgeschwächter Pulse bei asymptomatischen Patienten bis zu dramatischen Präsentationen mit Herzinsuffizienz, Erblindung und zerebralen Symptomen (. Tab. 10.5). Es werden zwei klinische Phasen der TA unterschieden: die präpulslose Phase und die pulslose Phase. In der ersten Phase dominieren unspezifische systemische Symptome wie Ermüdung, Hyperthermie, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Arthralgien, Myalgien, Hautläsionen (Erythema nodosum, Ulzerationen) und Episkleritis oder Iritis. Diese Symptome können bis zu 8 Jahren denen der arteriellen Hypoperfusion voraus gehen, die sich als Gefäßgeräusche, Claudicatio der Extremitäten, verminderter brachialer arterieller Puls, Blutdruckdifferenzen, Schwindel und Aorteninsuffizienz manifestieren (Kerr et al 1994).
Kursiv: im Kindesalter am häufigsten (Hahn et al. 1998).
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10.3.6 Diagnose Die Diagnose der TA kann anhand der ACR-Kriterien (. Tab. 10.6) gestellt werden. Wenn ≥3 von 6 dieser Klassifikationskriterien erfüllt sind, liegt die Sensitivität bei 90,5% und die Spezifität bei 97,8%. Alternativ stehen die Ishikawa-Kriterien zur Verfügung (. Tab. 10.7). Diese Kriterien enthalten Zeichen und Symptome der Ischämie der großen Gefäße in Kombination mit systemischen Symptomen, unspezifische Entzündungszeichen in den Laborparametern und die angiografische Darstellung der stenotischen Läsionen der Aorta und ihrer Hauptäste. Neben der Klassifikation stellt die Beurteilung der Erkrankungsaktivität eine Herausforderung an den betreu-
. Abb. 10.3. Zentraler Augenhintergrund des rechten Auges. Kaliberschwankungen der arteriellen Gefäße (lange Pfeile) sowie erweiterte, gestaute venöse Gefäße mit Sludge-Phänomen (kurzer Pfeil)
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10.3 · Takayasu-Arteriitis
10
. Tab. 10.6. ACR-Kriterien für die Klassifikation der Takayasu-Arteriitis. Für die Diagnose müssen 3 der 6 Kriterien erfüllt sein. (Nach Hunder et al. 1990) Kriterium
Definition
1. Alter bei Krankheitsbeginn <40 Jahre
Entwicklung der klinischen Symptome oder klinischen Zeichen der TA vor dem 40. LJ
2. Claudicatio der Extremitäten
Entwicklung einer schnelleren Ermüdbarkeit und Missempfinden in Muskeln einer oder mehrer Extremitäten bei Bewegung, insbesondere der oberen Extremitäten
3. Verminderter brachialer arterieller Puls
Verminderte Pulsation einer oder beider brachialen Arterien
4. BIutdruckdifferenz >10 mmHg
Unterschied von >10 mmHg des systolischen Blutdrucks im Vergleich beider Arme
5. Geräusch über der Subklavia oder Aorta
Bei der Auskultation hörbares Geräusch über 1 oder 2 Subklaviaarterein oder abdomineller Aorta
6. Abnormalitäten des Arteriogramms
Arteriografische Enge oder Okklusion der gesamten Aorta, ihrer primären Abgänge oder großen Arterien in den proximalen oberen oder unteren Extremitäten, die nicht durch Arteriosklerose, fibromuskuläre Dysplasie oder ähnliche Ursachen hervorgerufen ist; Veränderungen sind normalerweise fokal oder segmental
. Tab. 10.7. Ishikawa-Kriterien für die klinische Diagnosestellung. (Nach Ishikawa 1988)
. Tab. 10.8. Untersuchungen und Befunde. (Nach Jain et al. 2000)
Obligatorisches Kriterium
Alter bei Krankheitsbeginn <40 Jahre
Milde (mikrozytäre, hypochrome) Anämie
25–63%
Majorkriterien
Linke mittlere A. subclavia
Leukozytose
Seltener
Rechte mittlere A. subclavia
Albuminurie
Mild
BSG >20/h
Hämaturie
Selten
Schmerzhafte Karotiden
Tuberkulintest
Abhängig von der Ethnologie
Hypertonus <40 Jahre
EKG
Linksventrikuläre Hypertrophie
Aorteninsuffizienz oder annuloaortische Ektasie
Echo/Doppler
Aorteninsuffizienz
Läsionen der linken mittleren A. carotis
Erhöhte BSG
Guter Index für Krankheitsaktivität
Weitere Krankheitsaktivitätsmarker: CRP, Willebrand-Faktor, TissuePlasminogen-Aktivator, ICAM-1, VCAM-1, PECAM-1
Kein Test kann spezifisch die Krankheitsaktiviät beurteilen
Minorkriterien
Läsionen der Pulmonalarterien Läsionen der distalen A. brachiocephalica Läsionen der thorakalen Aorta descendens Läsionen der abdominellen Aorta
enten in klinischer Remission eine akute Entzündung nachweisen. enden Arzt dar. Die klinischen Symptome der Entzündung und der Organminderperfusion sind häufig schwer unterscheidbar. Zudem gibt es für die TA bisher keine pathognomonischen serologischen Krankheitsaktivitätsmarker. Es findet sich lediglich eine Erhöhung der unspezifischen Entzündungsparameter. Verschiedene Untersuchungen weisen unspezifisch auf eine Entzündung oder Organschäden hin (. Tab. 10.8). Ob diese Folge von Vernarbungen oder Ausdruck einer akuten Entzündung sind, ist klinisch oft kaum zu unterscheiden und erschwert therapeutische Entscheidungen. In einem Vaskulitiszentrum konnten Kerr et al. (1994) bei 44% der Biopsate von Pati-
Bildgebende Verfahren Die Ziele der Bildgebung umfassen: 5 die Bestätigung der Verdachtsdiagnose TA durch Bestätigung eines TA-typischen Gefäßbefallsmusters; 5 die detaillierte Charakterisierung des Ausmaßes des Gefäßbefalls (Länge und Schwere der Stenosen, Anzahl der betroffenen Gefäßabschnitte); 5 die Charakterisierung der intravasalen Flussverhältnisse in den betroffenen Gefäßabschnitten und der Perfusionsverhältnisse in den zu durchblutenden Organen;
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
5 die Analyse der Erkrankungsaktivität in der Gefäßwand. Vorteile und Nachteile verschiedener bildgebender Verfahren sind in . Tab. 10.9 dargestellt.
Angiografie/digitale Subtraktionsangiografie Bislang war die konventionelle Angiografie die bevorzugte Methode zur Diagnosestellung der TA. Sie wird jedoch zunehmend durch die MRT-Angiografie ersetzt. Charakteristische angiografische Veränderungen sind ausgesparte Bereiche der betroffenen Aorta, in denen sich Aneurysmen, Stenosen und normale Bezirke abwechseln. Die entzündlich veränderten Äste sind häufig an ihren Abgängen betroffen. Das Ausmaß des Gefäßbefalls ist variabel. In der akuten Phase kommt es zur reaktiven Schwellung der Intima, die angiografisch nur indirekt über das Lumenkaliber beurteilt werden kann. Die Gefäßwanddicke kann nicht direkt beurteilt werden, ebenso können frühe systemische Veränderungen übersehen werden (Aluquin et al. 2002). Bei Kindern zeigt sich am häufigsten eine Stenose der Aorta, marginale Unregelmäßigkeiten/Undulationen sind bei milder Krankheitsaktivität zu sehen, und die Inzidenz von Aneurysmen erscheint erhöht (Lupi-Herrera et al. 1977). Anhand angiografischer Befunde wurden Klassifikationen der TA entwickelt. Gebräuchlich sind die Ueno-Klassifikation nach Lupi-Herrera et al. (1977) sowie die Eintei-
lung nach Moriwaki et al. (1997) (. Tab. 10.10). Risiken der Untersuchung sind eine höhere Rate von ischämischen oder embolischen Komplikationen bei Angiografien möglicherweise als Folge der Hyperkoagulabilität. Die Strahlenbelastung und invasives Vorgehen sind wichtige zu beachtende Punkte dieser Untersuchungsmethoden für Verlaufskontrollen bei Kindern (Aluquin et al. 2002).
Ultraschall/Dopplersonografie Dieses Verfahren ist geeignet zur Beurteilung der Karotiden. Allerdings ist die Darstellung nur bei wenigen Gefäßen möglich und bei kleinen Kindern oft schwierig. Es können Wandverdickungen dargestellt werden, und es besteht eine hohe Übereinstimmung zu Befunden der konventionellen Angiografie. In einigen Gefäßen wurden Schwellungen der Intima/Media gezeigt, die in der Angiografie als unauffällig beurteilt wurden. Dopplersonografisch kann durch die einhergehende verminderte Elastizität der Arterien auf die Dicke der Gefäßwand geschlossen werden (. Abb. 10.4). Die Ultraschalluntersuchung mit Hochauflösung ermöglicht den Nachweis von Gefäßwandveränderungen im Submillimeterbereich. Bei der Untersuchung der Karotiden z. B. ist die Auflösung 10mal größer als beim MRT und somit die Ultraschalluntersuchung die sensitivste Methode (Chaubal et al. 2004). Aufgrund der Beobachtung, dass die Gefäßwanddicke mit Rückgang der Krankheitsaktivität abnimmt, scheint diese ein besserer Verlaufsparameter zu sein als die Beur-
13 . Tab. 10.9. Vergleich der neueren bildgebenden Diagnostik bei TA. (Mod. nach Kissin et al. (2004)
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Untersuchungsverfahren
Pro
Contra
Dopplerultraschall: 5 Diagnosestellung (Weaver et al. 2004; Evidenz IIA) 5 Beurteilung der Krankheitsaktivität (Jain et al. 2000; Evidenz IIB) 5 Verlaufsbeobachtung (Jain et al. 2000; Evidenz IIB)
Hohe Auflösung der arteriellen Wand (0,1 mm) Wandelastizität messbar Karotiden gut darstellbar Darstellung von Kalzium/Plaques Blutflussrichtung darstellbar Nicht invasiv, tragbar, kostengünstig
Schlechte Darstellung der Aorta und prox. Subklavia Keine direkte Messung der Entzündung möglich Untersucherabhängig Kein standardisiertes Verfahren
MRT/A: 5 Diagnosestellung (Weaver et al. 2004; Evidenz IIA) 5 Beurteilung der Krankheitsaktiviät (Hahn et al. 1998; Evidenz IIA) 5 Verlaufsbeurteilung (Liang u. Hoffman 2005; Evidenz IV)
Moderate Auflösung der arteriellen Wand (1,0 mm) Gute Darstellung des Gefäßlumens Entzündung messbar über Wandödem und Kontrastmittelaufnahme Allgemeine Beurteilung des arteriellen Systemes Keine risikoreiche arterielle Punktion erforderlich
Schlechte Darstellung der distalen Gefäße Keine Darstellung von Kalziumplaques Keine standardisierte Technik Teuer Lange Untersuchungsdauer, ggf Sedierung erforderlich
CT-Angiogramm: 5 Diagnosestellung (Hunder et al. 1990; Evidenz IIA) 5 Beurteilung der Krankheitsaktivität (Hunder et al. 1990; Evidenz III) 5 Verlaufsbeurteilung (Hunder et al. 1990; Evidenz III)
Moderate Auflösung der arteriellen Wand (1,0 mm) Gute Darstellung des Gefäßlumens Entzündung messbar über Kontrastmittelaufnahme Allgemeine Beurteilung des arteriellen Systemes Darstellung von Kalziumplaques
Schlechte Darstellung der distalen Gefäße Strahlenbelastung Jodhaltiges Kontrastmittel Keine standardisierte Technik
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10.3 · Takayasu-Arteriitis
teilung des Lumenkalibers. Damit ist die Sonografie eine geeignete Methode zur Beurteilung des Therapieerfolges (Chaubal et al. 2004).
MRT/MRT-Angiografie Diese nichtinvasive Methode hat die konventionelle Angiografie bei Kindern weitgehend ersetzt. Punktionsrisiko und Strahlenbelastung werden vermieden, und zusätzliche wertvolle Informationen über die Gefäßwand können gewonnen werden. Wie mit der konventionellen Angiografie können mittels MRT-Angiografie die luminalen
. Tab. 10.10. Klassifikationen nach angiografischem Befund Ueno-Klassifikation, mod. nach Lupi-Herrera (1977) 5 Typ I
Aortenbogen und Äste betroffen
5 Typ II
Abdominelle Aorta und Äste betroffen
5 Typ III
Aortenbogen und abdominelle Aorta betroffen
5 Typ IV
Irgendwelche Anteile der Aorta und A. pulmonalis betroffen
Klassifikation nach Moriwaki et al. (1997) 5 Typ I
Äste des Aortenbogens betroffen
5 Typ IIa
Aorta ascendens, Äste des Aortenbogen betroffen
5 Typ IIb
Aorta ascendens, Äste des Aortenbogen und thorakale Aorta descenden betroffen s
5 Typ III
Thorakale Aorta descendens, Aorta abdominalis und/oder renalis betroffen
5 Typ IV
Aorta abdominalis und/oder renalis betroffen
5 Typ V
Kombination von Typ IIb und IV
10
Gefäßveränderungen und das Ausmaß der Entzündung dargestellt werden (. Abb. 10.5a). Vergleichende Untersuchungen fanden eine hohe Übereinstimmung zwischen konventioneller Angiografie und MRT-Angiografie. Es zeigte sich jedoch, dass Veränderungen der Gefäßwanddicke doppelt so häufig auftraten wie luminale Unregelmäßigkeiten. Neben dem Gefäßlumen kann im MRT auch die Gefäßwand anhand von Wanddicke, Ödem und Kontrastaufnahme beschrieben werden (. Abb. 10.5b). Diese Veränderungen scheinen die frühe vaskuläre Entzündung darzustellen, die der arteriellen Stenose und Ischämie vorausgehen. Durch den signifikanten Unterschied in der Gefäßwanddicke bei klinisch aktiven und inaktiven Patienten kommt dem MRT als Methode zur Verlaufskontrolle eine zentrale Rolle zu. Der Nachweis von Gefäßwandödemen bei klinisch symptomatischen Patienten trotz unauffälliger Laborwerte spricht für die hohe Sensitivität der Methode. Allerdings gibt es bisher nur Studien mit kleinen Fallzahlen, in denen die MRT-Untersuchung zur Verlaufsbeobachtung unter immunsuppressiver Therapie evaluiert wurde (Aluquin et al. 2002). Insgesamt erscheint die MRT bzw. MRT-Angiografie als geeignete Methode bei der Diagnosestellung der TA, bei der Beurteilung der Krankheitsaktivität und wahrscheinlich auch zur Verlaufskontrolle.
CT-Angiografie Die Möglichkeiten und Vorzüge der Gefäßdarstellung und Beurteilung sind ähnlich der MR-Angiografie. Zusätzlich können aortale Verkalkungen dargestellt werden (Yamada et al. 1998). In unterschiedlichen Studien wurden die Krankheitsaktivität und die Auswirkungen der Therapie beurteilt (Yamada et al. 1998). Die CT-Auflösung ist schlechter als beim Ultraschall, aber der Kontrast zwischen der Aortenwand und dem umliegenden Gewebe ist besser als beim MRT. Das CT ist im Vergleich zum MRT schneller und weniger durch Lärm und räumliche Enge belastend. Allerdings besteht eine erhebliche Strahlenbe. Abb. 10.4. Duplexsonografie der linken A. carotis communis; im B-Bild massive Wandverdickung, Lumen nicht abgrenzbar. Farbdoppler: nur schwacher Zentralstrom. PW-Doppler: nahezu venöses Flussprofil
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
lastung. Diese Methode ist geeignet zur Beurteilung des Krankheitsverlaufs, des Therapieerfolgs, der Bypassdurchgängigkeit und von Restenosen nach PTA.
1 2
Positronenemissionstomografie (PET) Bei der 18-Fluorodeoxyglukose-(FDG-)PET werden Unterschiede im Glukosemetabolismus visualisiert (. Abb. 10.6). In Zellen mit Entzündungsaktivität wird Glukose vermehrt aufgenommen, und die Arteriitis kann so dargestellt werden (Kobayashi et al. 2005). Es liegen erst wenige Untersuchungen mit diesem neuen, aufwendigen und teuren Verfahren vor. Diese konnten jedoch zeigen, dass der PET-Befund vor und nach immunsuppressiver Therapie mit dem klinischen Zustand und den Entzündungsparametern korreliert (Kobayashi et al. 2005).
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10.3.7 Therapie a
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b . Abb. 10.5. a MR-Angiogramm. Multiple stenotische und okklusive Läsionen. b MRT mit Kontrast. Verbreiterte Aortenwand und deutliche Kontrastmittelaufnahme als Ausdruck der floriden Entzündung
Der Erkrankungsverlauf der TA ist sehr variabel. Bei ca. 20% ist der Verlauf monophasisch und selbstlimitierend. Die Mehrzahl der TA Patienten hat jedoch einen progressiven oder rezidivierenden Erkrankungsverlauf und benötigt daher eine immunsuppressive Behandlung. Bereits manifeste Gefäßschäden können durch die derzeitig verfügbare medikamentöse Behandlung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das subklinische Fortschreiten der Erkrankung erschwert die Therapieentscheidung zusätzlich. So dokumentieren angiografische Verlaufsstudien, dass bei 61% der Patienten neue Gefäßläsionen aufgetreten waren, obwohl die Erkrankung klinisch in Remission war (Kerr et al. 1994). Die Behandlung der TA ist komplex. Es gibt bislang keine randomisierten, kontrollierten Therapiestudien. Ein mehrgleisiges Vorgehen ist empfehlenswert. . Abb. 10.6. PET-CT. Vermehrte FDG-Aufnahme in der Aorta thoracalis und A. pulmonalis
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10.3 · Takayasu-Arteriitis
Medikamentöse Therapie Die medikamentöse Therapie zielt auf die Reduktion der Entzündungsreaktion und die Minimierung von krankheits- und therapieassoziierten Komplikationen. Häufig können so langfristig gefäßchirurgische Interventionen vermieden werden. Mit Erfolg wurden bisher vor allem Steroide, aber auch andere immunsuppressive Medikamente in Kombination eingesetzt (Hoffman et al. 1994). 5 Kortikosteroide werden als Mittel der 1. Wahl zur Kontrolle der Entzündung empfohlen (Kerr et al. 1994; Evidenz IIA). 60% der Patienten kommen durch diese Behandlung in eine Remission. Rezidive treten bei über 50% der Patienten beim Ausschleichen der Steroide auf. Steroide sollten bis zur klinischen und laborchemischen Remission gegeben werden. Allerdings sind die Nebenwirkungen der Therapie gerade im Kindesalter nicht unwesentlich. Aus diesem Grunde wird eine Kombination mit anderen immunsuppressiven Medikamenten empfohlen (Kerr et al. 1994). 5 MTX kann die Remissionsrate bei steroidresistenter TA verbessern (Kerr et al. 1994; Hoffman et al. 1994; Evidenz IIA). Die empfohlene Dosis für das Erwachsenenalter liegt bei 0,3 mg/kg/Woche bis zu einer maximalen Dosis von 25 mg/Woche. Bei 50% konnte eine Remission erreicht werden (Hoffman et al. 1994). 5 Azathioprin (AZA) in Kombination mit Prednisolon führte bei neu diagnostizierten TA-Patienten in allen Fällen zur Remission, allerdings fehlen längere Verlaufsdaten. 5 Andere immunsuppressive Medikamente: Die meisten Erfahrungen beruhen auf Fallberichten, wie bei Cyclosporin und Leflunomid. Mycophenolatmofetil war bei Erwachsenen in einer Dosierung 2g/d in 3 Fällen von therapierefraktärer TA wirksam, es liegen jedoch auch konträre Berichte vor. In einer kleinen Studie ermöglichte Cyclophosphamid bei steroidresistenter TA in einer Dosierung von 2 mg /kg/d eine Steroidreduktion. 5 TNF-Blocker: Da TNF-α in der Granulombildung eine wichtige Funktion hat, wurde der Einsatz von TNF-Blockern bei der granulomatösen Vaskulitis TA in einer Pilotstudie bei Erwachsenen mit therapierefraktärer steroidabhängiger TA untersucht und es zeigte sich ein gutes Ansprechen (Tato et al. 2005; Evidenz III). 5 Antikoagulation: Die Frage der vollständigen langfristigen Antikoagulation ist individuell je nach Schwere der Gefäßstenose und Abschätzung des lokalen Thrombose- und Endorganischämierisikos zu entscheiden. Hochgradige Gefäßstenosen erfordern die vollständige Antikoagulation des Patienten. Richtlinien hierzu liegen nicht vor. Die Gabe von niedrig dosiertem Aspirin ist aufgrund des antithrombo-
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tischen Effekts und der inhibierenden Wirkung auf Interferon-γ eine sinnvolle Ergänzung. Herzinsuffizienz und Hypertonus bei TA müssen symptomatisch behandelt werden. Üblicherweise werden ACEHemmer wie Captopril mit gutem Erfolg verabreicht. Eine antituberkulöse Behandlung erfolgte bei allen Patienten in einer Studie von Hahn et al. (1998), da dort bei 90% der Patienten ein stark positiver Mantoux-Test nachgewiesen wurde. Dieses Vorgehen ist umstritten, sofern keine manifeste TBC-Infektion nachweisbar ist. ! Kortikosteroide bleiben die Eckpfeiler der Behandlung. Die frühzeitige aggressive Behandlung vermindert das Risiko von schweren Organischämien. Zusätzliche immunsuppressive Medikamente sind häufig erforderlich, um eine Induktion bzw. den Erhalt der Remission zu erzielen und die Nebenwirkungen der Langzeitbehandlung mit Steroiden zu reduzieren. Cyclophosphamid sollte nur bei schwerem therapierefraktärem Verlauf eingesetzt werden und die Applikation auf 6 Monate begrenzt werden. Die Anti-TNF-Therapie zeigt vielversprechende Erfolge, kontrollierte Studien stehen jedoch noch aus.
Interventionelle Verfahren Bei irreversiblen, hämodynamisch wirksamen Läsionen sind interventionelle Eingriffe zur Revaskularisierung indiziert, die bei entsprechender Erfahrung eine niedrige Mortalität und Morbidität haben. Indikationen: Stenose der zervikokranialen Gefäße, Befall der Koronarien, moderate bis schwere Aorteninsuffizienz, Aortenisthmusstenose, renovaskuläre Hypertonie, Claudicatio der Extremitäten und größenprogrediente Aneurysmen mit Rupturgefahr (Liang u. Hoffman 2005).
Perkutane transluminale Ballonangioplastie (PTBA) mit oder ohne Stent Die Ballondilatation kurzstreckiger fokaler Läsionen, die noch nicht okkludiert sind, zeigt exzellente Ergebnisse (Tyagi et al. 1999; Evidenz IIA). Dieses Verfahren wird auch bei Kindern erfolgreich angewendet (Tyagi et al. 1999) und ermöglicht oft eine Aufschiebung des chirurgischen Eingriffs, bis die Patienten größer sind. Die Risiken dieses Verfahrens sind Gefäßdissektion, Embolisation, Ruptur oder Thrombose. Bei Kinder ist die Restenoserate mit 19% höher als bei Erwachsenen, was durch die Kombination der kleineren Aorta und der aggressiveren Krankheitsverläufe zu erklären ist. Allerdings können diese Stenosen erneut dilatiert werden. Besonders für schwer kranke Kinder ist diese Methode von Bedeutung, da sie weniger invasiv ist. Die Implantation eines Stents ist eine Option bei unzureichendem Effekt der Ballondilatation. Positive Erfahrungen gibt es auch schon bei Kindern, allerdings ist ggf. eine Reexpansion des Stents abhängig vom Wachstum erforderlich.
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
Chirurgische Intervention Wo eine Ballondilatation nicht sicher oder unmöglich ist, wird eine chirurgische Intervention in Erwägung gezogen. Mögliche Verfahren sind Endarteriektomie, Resektion des betroffenen Segments mit orthotopem Gefäßersatz, oder Bypass des stenosierten Segments, Autotransplantation der renalen Gefäße oder der Niere. Bypässe zeigen die besten Langzeitergebnisse (Liang u. Hoffman 2005; Evidenz IIA). Eine chirurgische Intervention sollte jedoch nur während einer inaktiven Phase erfolgen (Weaver et al. 2004). Bei Kindern sollten diese Verfahren so lange wie möglich herausgezögert werden, um das Operationsrisiko zu minimieren. Gleichzeitig darf der richtige Zeitpunkt für die operative Intervention auch nicht versäumt werden, um irreversible ischämische Schäden zu verhindern.
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10.3.8 Prognose
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Die TA hat bei Kindern einen aggressiveren Verlauf als bei Erwachsenen. Risikofaktoren für eine erhöhte Mortalität sind Hypertension, arterielle Aneurysmen und Aorteninsuffizienz. Die häufigsten Todesursachen bei Kindern sind unkontrollierte Hypertension sowie Komplikationen als Folge des chirurgischen Eingriffs. Die 5-Jahres-Überlebensrate mit medizinischer oder chirurgischer Intervention liegt zwischen 80 und 94%.
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Kissin EY, Merkel PA (2004). Diagnostic imaging in Takayasu arteritis. Curr Opin Rheumatol 16: 31–37 Kobayashi Y, Ishii K, Oda K, Nariai T, Tanaka Y, Ishiwata K, Numano F (2005). Aortic wall inflammation due to Takayasu arteritis imaged with 18F-FDG PET coregistered with enhanced CT. J Nucl Med 46: 917–922 Liang P, Hoffman GS (2005). Advances in the medical and surgical treatment of Takayasu arteritis. Curr Opin Rheumatol 17: 16–24 Lupi-Herrera E, Sanchez-Torres G, Marcushamer J, Mispireta J, Horwitz S, Vela JE (1977) Takayasu’s arteritis. Clinical study of 107 cases. Am Heart J 93: 94–103 Moriwaki R, Noda M, Yajima K, Sharma BK, Numano F (1997). Clinical manifestation of Takayasu arteritis in India and Japan. New classification of angiographic findings. Angiology 48: 369–379 Tato F, Rieger J, Hoffmann U (2005). Refractory Takayasu’s arteritis successfully treated with the human, monoclonal anti-tumor necrosis factor antibody adalimumab. Int Angiol 24: 304–307 Tyagi S, Khan AA, Kaul UA, Arora R (1999). Percutaneous transluminal angioplasty for stenosis of the aorta due to aortic arteritis in children. Pediatr Cardiol 20: 404–410 Weaver FA, Kumar SR, Yellin AE, Anderson S, Hood DB, Rowe VL, Kitridou RC, Kohl RD, Alexander J (2004). Renal revascularization in Takayasu arteritis-induced renal artery stenosis. J Vasc Surg 39: 749– 757 Weyand CM, Goronzy JJ (2003). Medium- and large-vessel vasculitis. N Engl J Med 349: 160–169 Yamada I, Nakagawa T, Himeno Y, Numano F, Shibuya H (1998). Takayasu arteritis: evaluation of the thoracic aorta with CT angiography. Radiology 209: 103–109
10.4
Morbus Behçet
R. Keitzer, T. Kallinich
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Literatur
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10.4.1 Definition und Klassifikation
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Es handelt sich um eine seltene, rezidivierende inflammatorische Erkrankung, die chronisch und schubweise verläuft. Bei abgeschwächten Verlaufsformen können rekurrrierende orale und genitale Aphthen mit pustulösen Hautläsionen die einzige Manifestation bleiben. Andererseits können Augen-, ZNS-, gastrointestinale und pulmonale Beteiligung zu bedrohlichen Komplikationen führen und eine intensive akute sowie langfristige Immunsuppression erforderlich machen (s. unten, Tab. 10.15). Morbus Behçet wird den Vaskulitiden zugeordnet und kann – als vaskulitische Besonderheit – sowohl Arterien verschiedener Größe als auch Venen betreffen. Die Hauterscheinungen haben Ähnlichkeiten mit den Neutrophilendermatosen. Als klinische Entität wurde der Morbus Behçet (M. B.) bereits von Hippokrates beschrieben, danach hat 1931 der griechische Augenarzt Adamantiades Einzelfälle in der französischen Literatur veröffentlicht, 1937 erwähnt Behçet in einer englischsprachigen Publikation erstmals die typische klinische Symptomentrias von oralen und genitalen Aphthen mit Uveitis. Die Erkrankung wird in der Literatur meist als Morbus Behçet, auch als Morbus Adamantiades-Behçet sowie nach ihrem Hauptverbreitungsgebiet entlang der alten Sei-
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10.4 · Morbus Behçet
denstraße vom östlichen Mittelmeer bis nach Japan »silk road disease« genannt. Auch »Behçet-Syndrom« ist eine verbreitete Bezeichnung. Klassifikationen mit unterschiedlicher Gewichtung der klinischen Symptome wurden mehrfach publiziert, alle sind für Kinder nicht evaluiert. Das obligate Leitsymptom sind orale Ulzerationen. In den aktuelleren Publikationen finden meist die Diagnosekriterien einer Internationalen Studiengruppe Anwendung, die sich auf die Auswertung von nahezu 1000 Patienten aus 7 internationalen Zentren stützen (. Tab. 10.11). Allerdings beziehen sich ältere Publikationen z. T. noch auf die »Klassifikation nach Mason und Barnes« (. Tab. 10.12).
. Tab. 10.11. Diagnosekriterien der International Study Group for Behçet’s disease (Lancet 1990) (Sensitivität 91%, Spezifität 96%) Rezidivierende orale Aphthen (obligat)
Minor-, Majoraphthen oder herpetiforme Aphthen mindestens 3-mal in 12 Monaten rekurrierend
Plus mindestens 2 der folgenden Kriterien: Rezidivierende genitale Läsionen
Aphtöse Ulzerationen oder Vernarbungen
Augenbeteiligung
Augenärztliche Diagnose von Uveitis anterior oder Uveitis posterior oder Glaskörperinfiltraten (Spaltlampe) oder retinaler Vaskulitis
Hautläsionen
Erythema nodosum (Beschreibung des Patienten). Pseudofollikulitis oder papulopustulöse Läsion oder akneiforme Knötchen oder bei postadoleszentem Patienten ohne Steroidtherapie (ärztliche Beschreibung)
Positiver Pathergietest
Prick-Test mit 20-G-Nadel (Innenseite Unterarm), abgelesen vom Arzt nach 24–48 Stunden
10
10.4.2 Häufigkeit Die Prävalenz bei Erwachsenen in Japan und Taiwan wird mit 10–15 pro 100.000, in der Nordostregion der Türkei mit >370 Fällen pro 100.000 Einwohner angeben. In Westeuropa ist die Erkrankung um den Faktor 150 seltener. Bei Kindern unterschiedlicher ethnischer Herkunft <15 Jahren in Frankreich wurde die Häufigkeit auf 1 pro 600.000 geschätzt, dies entspricht den Hochrechnungen in Westeuropa und USA (Koné-Paut 1998). Im Erwachsenalter liegt der Beginn der Symptome im Mittel zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr (Altersspektrum 2 Monate bis 72 Jahre). Beginnt der M. Behçet im Kindesalter, so finden sich anamnestisch familiäre Erkrankungen deutlich häufiger als beim Erwachsenentyp. Die Angaben über den Beginn der ersten Krankheitssymptome im Kindesalter variieren in verschiedenen Publikationen von 3–24% aller Erkrankungen (. Tab. 10.13). Neuere Studien zeigen bei Kindern kaum Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Erkrankungshäufigkeit, allerdings besteht eine Bevorzugung des männlichen Geschlechtes, bei den schweren Verlaufsformen auch im Kindesalter (Koné-Paut 2002).
10.4.3 Ätiologie Der M. B. ist keine hereditäre Erkrankung mit mendelschem Erbgang, das relative Erkrankungsrisiko steigt aber z.B. unter erstgradigen Verwandten erkrankter türkischer Patienten um den Faktor 11–50 (Gul et al. 2000). Diese genetische Disposition drückt sich auch in der Assoziation mit HLA-B*51 aus, dessen Frequenz bei erkrankten Nordeuropäern 8%, bei Türken 24% ausmacht Der Nachweis von HLA-B*51 erhöht das relative Erkrankungsrisiko bei Türken um den Faktor 5–10, bei Deutschen nur um den Faktor 2,6. Bei HLA-B*51 sind 26 verschiedene Polymorphismen (HLA-B*5101 bis 5129) beschrieben, das Suballel
. Tab. 10.13. M. Behçet bei Kindern Autoren, Herkunft der Patienten
Patientenzahl, erste Symptome (Median), Diagnose
. Tab. 10.12. »Mason-und-Barnes-Kriterien« für die Diagnose M. Behçet. Diagnosestellung mit 3 Hauptkriterien oder 2 Hauptkriterien und 2 Nebenkriterien. (Nach Mason u. Barnes 1969)
Kohne-Paut et al. (2002), Frankreich
n=55, Beginn: 7,5 J, Diagnose: 11,6 J
Hauptkriterien
Nebenkriterien
Kari et al. (2001), Großbritannien
n=10, Beginn: 4 J, Diagnose: 13 J
Orale Aphthen
Gastrointestinale Ulzerationen
Genitale Aphthen
Thrombophlebitis, Arthritis
Koné-Paut et al. (1998), Frankreich, Türkei, Iran, Saudi Arabien
n=65, Beginn: 8,4 J, Diagnose: 13 J
Augenbeteiligung
Kardiovaskuläre Läsionen, ZNS-Beteiligung
Treudler et al. (1999), Deutsches Register Morbus Behçeta
Hautläsionen
Familienanamnese hinsichtlich M. Behçet
n=28 (22% aller Patienten im Register), Beginn: 10,5 J, Diagnose: 11 J (25% familäre Fälle)
a
Das Deutsche Register M. Behçet wurde 1990 in Berlin gegründet.
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
HLA-B*5107 ist allerdings negativ mit M. Behçet korreliert. Trotzdem ist ein familiär gehäuftes Auftreten eher selten. Insgesamt bestehen auch Parallelen zu den autoinflammatorischen Erkrankungen (FMF, TRAPS, CIAS1-Erkrankungen). Die Ätiologie der Erkrankung bleibt ungeklärt.
. Tab. 10.14. Symptomkonstellation bei M. Behçet
Systemisch
Fieber, Abgeschlagenheit, Inflammation
Gastrointestinal
Rezidivierend Bauchschmerzen, orale Ulzerationen, perianale Ulzerationen, multifokale Ulzera im Darm (ileozökal), Splenomegalie, DD: entzündliche Darmerkrankung
Urogenital
Skrotale, penile, vulvale, vaginale Ulzerationen, Glomerulonephritis, Orchidoepididymitis, Nierenamyloidose
Dermatologisch
Papeln und Pusteln, Pathergie Test, E. nodosum, Ulzerationen
Okular
Uveitis anterior
Muskuloskelettal
Arthralgien, Oligoarthritis, Myalgien, Thoraxschmerz
Neurologisch
Kopfschmerzen (Pseudotumor), Sinusthrombose, Parenchymläsionen, Meningoenzephalitis, otovestibuläre Störungen, extrapyramidale Störungen
Vaskulär
Oberflächliche Thrombosen, tiefe Venenthrombosen, arterielle Vaskulitis, Aneurysmata
Kardial
Endo-, Myo-, Perikarditis
Psychosomatisch
Kognitive Defekte, Depression, Angst, Aggressivität
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10.4.4 Pathogenese und Pathologie Neben den Berichten über die genetische Disposition existieren verschiedene Studien über eine Rolle infektiöser Auslösemechanismen, jedoch bleiben die exogenen Faktoren spekulativ. Inflammatorische Mediatoren wie Streptococcus sanguis bzw. faecalis, Herpes- und Hepatitisviren wurden beschrieben, konnten aber nicht durchgehend bestätigt werden. Neuere Hinweise beziehen sich auf Toll-like-Rezeptorvarianten und zugehörige Liganden des Heat-Shock-Proteins 60 mit Hochregulation responsiver T-Zellen bei disponierten Individuen. Zudem fällt auch in inaktiven Krankheitsphasen bei Patienten mit M. Behçet die TH1 Antwort bei Stimulation verstärkt aus (Evereklioglu 2005). Die Bedeutung der gesteigerten Aktivität der natürlichen Killerzellen wird kontrovers diskutiert. Im Rahmen der Beschreibungen neonataler Behçet-Fälle bei ebenfalls erkrankten Müttern lassen sich auch humorale Faktoren annehmen. Die Immunhistopathologie zeigt eine nekrotisierende, immunkomplexvermittelte Vaskulitis mit perivaskulär leukozytärem (leukoklastischem) Zellbild, aber auch mit lymphomonozytären perivaskulären Infiltraten von Venen, Kapillaren und Arterien. Die Neutrophileninfiltration mit Steigerung von Chemotaxis, Phagozytose und gesteigerter Produktion von Superoxid sind ein wesentlicher Befund bei M. B. Neutrophile sind auch der dominiernde Zelltyp bei Haut- und Augeninfiltrationen. Die Bedeutung von Endothelschäden und Endothelantikörpern als primärer oder sekundärer Teil des Geschehens ist ungeklärt (Arayassi u. Hamdan 2004; Evereklioglu 2005).
ten sie häufiger am weichen und harten Gaumen und im tieferen Pharynxbereich auf (. Abb. 10.7). Die Abheilung erfolgt nur langsam über mehr als 2 Wochen. Die Aphthen sind sehr schmerzhaft und können durch lokale Bagatelltraumata oder zahnärztliche Interventionen provoziert werden. Man unterscheidet Minoraphthen (<10 mm) und Majoraphthen (häufiger narbige Abheilung), aber auch herpetiforme Aphthen, die in Gruppen von zahlreichen kleinen Geschwüren auftreten und zu größeren Ulzera konfluieren können (Al-Otabi et al. 2005).
10.4.5 Klinische Symptome Genitale Ulzera
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Sie umfassen ein breites Spektrum von Präsentationsmustern, die geographisch und altersabhängig variieren können (. Tab. 10.13), hinzu kommt eine unterschiedlich lange Phase oligosymptomatischer Präsentationen (. Tab. 10.14).
Orale Aphthen
22 23
Sie sind bei 97% der Patienten die erste Manifestation und können – insbesondere bei Kindern – anderen Erscheinungen um Jahre vorausgehen. Diese Läsionen unterscheiden sich morphologisch nicht von den in der Pädiatrie häufigen Aphthen anderer Genese, allerdings tre-
Diese treten mit 60–80% – bei ethnisch erheblichen Differenzen – gleichermaßen bei Kindern und Erwachsenen auf (Koné-Paut et al. 2002; Treudler et al. 1999). Skrotum oder Labien sind überwiegend befallen, aber auch Perineal- oder Perianalregion, allerdings nicht die Urethra. Tiefe Ulzera sind schmerzhaft und heilen oft erst nach 10–30 Tagen ab, genitale Ulzera neigen mehr als orale Aphthen zur Narbenbildung (Anamnese, klinische Untersuchung!) Spätestens die Kombination von oralen und genitalen Aphthen (bipolaren Aphthen) sollte die Aufmerksamkeit auf M. B. lenken, diese Koinzidenz kommt aber auch bei anderen Erkrankungen vor, wie z. B. bei entzündlichen
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10.4 · Morbus Behçet
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durch einen Prick-Test mit einer 20-G-Nadel oder durch intrakutane Injektion von 0,1 ml isotoner Kochsalzlösung binnen 2–48 Stunden provoziert werden kann. Letzere Reaktion wird als positiver Pathergietest bezeichnet und stellt ein Hauptkriterium der internationalen Klassifikation dar. Diese überschießende Reaktion auf unspezifische Reize zeigt sich auch als generelle Neigung zur Hyperreaktivität nach Organtraumata (z. B. Uveitisschub nach Augenoperation, Synoviitisschub nach Gelenkpunktion) Der positive Pathergietest wird regional unterschiedlich für 19–53% der Patienten mit M. B. angegeben, kommt bei Patienten aus dem Nahen Osten häufiger vor und fällt bei Nordeuropäern und Nordamerikanern seltener positiv aus. Laut publizierter Fallserie des Deutschen Registers M. Behçet fand sich ein positiver Pathergietest bei ca. 60% der Erwachsenen und 40% der Kinder (Treudler et al. 1999).
Augenbeteiligung bei M. Behçet
. Abb. 10.7. Orale Aphthe
Darmerkrankungen, Malignomen oder rezidivierender Polychondritis.
Hauterscheinungen Neben den schon erwähnten kutanen Lokalisationen der aphthösen Läsionen kommen spontane pustulöse Hautreaktionen, Erythema nodosum (bei Kindern 26% vs. 50% bei Erwachsenen), nekrotisierende Follikulitis (bei Kinder 38% versus 80% bei Erwachsenen), akneartige Läsionen, neutrophile Dermatosen (Sweet-Syndrom) und oberflächliche Thrombosen vor.
Mit einer Häufigkeit von ca. 50% steht eine Augenbeteiligung bei Erwachsenen und Kindern häufig im Mittelpunkt der Erkrankung (Kari et al. 1998; Koné-Paut 1998). Die Gefahr schwerer Visusminderung erfordert oft eine rasche, aggressive Therapieentscheidung und immer die Einbeziehung erfahrener Ophthalmologen. Die Augensymptomatik ist bei Kindern seltener und tritt meist erst Jahre nach den Aphthen auf. Charakteristisch ist eine meist bilaterale, rekurrierende intraokulare Entzündung, die alle Uveastrukturen (Iris, Ziliarkörper, Netzhaut, Aderhaut) betreffen kann. Die isolierte anteriore Uveitis (»Iritis«) ist eher selten und kann durch Sedimentieren von Entzündungszellen in der Vorderkammer mit »Hypopyon« und Synechien (»Kleeblattpupille«) imponieren (. Abb. 10.9, prognostisch schlechtes Zeichen). Häufiger und funktionell bedrohlich ist die posteriore Uveitis (okklusive, retinale Vaskuli-
Pathergiephänomen und Pathergietest. Unter dem Pathergiephänomen versteht man die spontane Neigung zu Pustelbildung (. Abb. 10.8) durch unspezifische Reize, die
. Abb. 10.8. Pustulöse Läsion bei M. Behçet
. Abb. 10.9. Hypopyon und Synechien (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Pleyer, Augenklinik der Charité)
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
Gefäßbeteiligung
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M. B. beinhaltet eine systemische Vaskulitis, die überwiegend oberflächliche und tiefe Venen, aber auch Arterien betrifft. Die Häufigkeitsangaben bei Erwachsenen schwanken von 7–50% klinisch manifester Gefäßbeteiligung. Bei insgesamt 20% der Kinder wurden venöse Thrombosen gefunden (Koné-Paut et al. 2002). Die Beteiligung der Gefäße des ZNS wird im folgenden Abschnitt beschrieben.
2 3 4
Beteiligung des Zentralnervensystems (»NeuroBehçet-Erkrankung«)
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. Abb. 10.10. Retinale Vaskulitis (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Pleyer, Augenklinik der Charité)
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tis; . Abb. 10.10), die häufig mit Glaskörperinfiltraten, retinalen Exsudaten und Hämorrhagien einhergeht. Gefürchtete Sekundärkomplikationen sind Makulaödem und Optikusatrophie. Konjunktivitis und (Epi-)Skleritis sind seltene Augenmanifestationen (Zierhut et al. 2005). Eine Augenbeteiligung im Kindesalter gilt als ungünstiges Prognosekriterium (Koné-Paut 1998). ! Die Panuveitis steht häufig im Mittelpunkt der Erkrankung. Die Gefahr schwerer Visusminderung erfordert oft eine rasche, aggressive Therapieentscheidung und immer die Einbeziehung erfahrener Ophthalmologen. Gefürchtete Sekundärkomplikationen sind Makulaödem und Optikusatrophie.
Arthritis oder Arthralgien Sie werden bei bis zu 75% der Patienten gefunden. Die Arthritis verläuft meist als Monarthritis, seltener auch als Oligo- oder Polyarthritis. Arthralgien kommen bei Kindern als muskuloskeletales Hauptsymptom vor, aber selten sind sie das Initialsymptom der Erkrankung (<7%). Eine Beteiligung der Ileosakralgelenke ist bei Erwachsenen in Einzelfällen, im Kindesalter bisher nicht berichtet.
Gastrointestinale Symptome Diese werden bei 30% der Erwachsenen – geographisch stark variierend – beschrieben und sind überwiegend die Folge von Mukosaulzerationen (Kolon und Ileum) mit Neigung zu Perforationen. Klinisch wird über kolikartige Bauchschmerzen, wässrige, z. T. auch blutige Durchfälle berichtet. Im Zusammenhang mit analen Ulzerationen, Erythema nodosum, Fieberschüben und Wachstumsstörungen können sich differenzialdiagnostische Probleme der Abgrenzung zum Morbus Crohn ergeben, zumal in Einzelfällen auch eine Granulombildung bei M. B. beschrieben wurde. ! Bauchschmerzen treten bei rund 50% der Kinder mit M. B. auf (Koné-Paut et al. 2002), Darmulzerationen mit Perforationsgefahr gelten als häufige Ursache.
Während bei Erwachsenen die ZNS-Beteiligung mit 2,5– 50% der Fälle sehr unterschiedlich angegeben wird und hier das männliche Geschlecht weit überwiegt, werden in drei pädiatrischen Fallsammlungen bei ca. 20% der Patienten ZNS-Symptome beschrieben (Kari et al. 2001; Koné-Paut et al. 2002; Treudler et al. 1999) und neurovaskuläre Folgen (Sinusthrombose, Gefäßverschluss, Aneurysma) unterschieden. Hirndruck ist meist Ausdruck – z. T. larvierter – Sinus- und zerebralvenöser Thrombosen. Hirnparenchymerkrankungen (80%) – meist Hirnstamm – kommen zahlenmäßig am häufigsten vor und zeigen sich in Kopfschmerzen (Pseudotumor cerebri), Paresen, Hirnnervenausfällen und spinalen Zeichen. Bei hirnbioptischen Untersuchungen findet sich ein vaskulitsches Muster mit venöser Dominanz, histologisch sieht man perivaskuläre Infiltrate von Lympozyten und Neutrophilen. Der Neuro-Behçet kann auch ohne andere Symptome des M. Behçet vorkommen und dann differenzialdiagnostisch besondere Probleme bereiten. Diagnostisch wegweisend ist die MRT-Diagnostik mit Angio-MRT und die Liquoruntersuchung. Die wichtigste Differenzialdiagnose – multiple Sklerose – zeigt im Liquor immer ein mehr lymphozytäres Bild, oligoklonale Banden sind bei M.B. nicht beschrieben (Haghighi et al. 2005). ! Die Prävalenz von Neuro-Behçet ist im Kindesalter mit 20% relativ hoch, klinische Zeichen sind Kopfschmerzen (Pseudotumor cerebri), Paresen und Hirnnervenausfälle. Zu unterscheiden sind Parenchymbefall und vaskulitische Folgen am ZNS. Das Mortalitätsrisiko der ZNS-Beteiligung liegt zwischen 5 und 10%. Die ZNS-Erkrankung kann isoliert vorkommen (eigene Diagnosekategorie »NeuroBehçet«).
10.4.6 Diagnose Die Diagnose des M. Behçet ergibt sich aus der Symptomkonstellation und den Diagnosekriterien, die allerdings für das Kindesalter nicht evaluiert sind und zu Beginn der Erkrankung häufig noch nicht erfüllt werden. Orale Aphthen sind das Leitsymptom, bipolare Aphthen (z. B. Mundhöhle und Genitale) und eine Panuveitis führen zur
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10.4 · Morbus Behçet
klassischen Symptomtrias; papulöse Läsionen und Pathergietest sollen einbezogen werden. Die ethnische Herkunft muß berücksichtigt werden, ist jedoch keinesfalls ein Ausschlusskriterium. Exkurs In der Gruppe des deutschen Krankheitregisters M. Adamantiades-Behçet waren 20% der Patienten im Kindesalter erkrankt (n=26), davon waren 10 nordeuropäischer Abstammung und HLA-B51 fand sich bei ca. 30% in gleicher Häufung bei türkisch- und deutschstämmigen Patienten (Treudler et al. 1999; Zouboulis et al. 2003).
Die Bedeutung der Labordiagnostik liegt in der Diagnose von Organkomplikationen (z. B. D-Dimere bei Thrombosen) und im Ausschluß anderer Autoimmunerkrankungen, ansonsten zeigen Patienten mit M. B. lediglich eine unspezifische Akutphasenreaktion. Die Bestimmung von HLA-B51 kann einbezogen werden, hat im Einzelfall aber keine diskriminierende Bedeutung. In der Histologie kann der Hinweis auf eine Neutrophilendermatose (leukoklastische Vaskulitis) hilfreich sein. Eine interdisziplinäre Beurteilung ist wichtig für die Diagnosestellung wie für die rechtzeitige Therapie der Organmanifestationen (Ophthalmologie, Dermatologie, Neurologie, Neuroradiologie, Kardiologie, Angiologie). > Diagnosestellung entsprechend den Kriterien aus Tab. 10.11 und 10.12 und ethnischer Herkunft (aber auch kaukasische Patienten können an M. Behçet erkranken!). Bipolare Aphthen plus papulöse Hautläsionen (auch Pathergietest) sowie die anteriore Uveitis (mit Beteiligung des Glaskörpers oder retinaler Vaskulitis) sind die klassische diagnostische Trias. Die Erkrankung wird bei kaukasischen Patienten nicht selten unterschätzt!
10.4.7 Therapie Männliche Patienten mit frühem Krankheitsbeginn (auch Kinder) zählen zur höchsten Risikogruppe für einen schweren Krankheitsverlauf. Schweregrad und Umfang der Organbeteiligung bestimmen die Therapieintensität, bipolare Aphthen sprechen auf lokale Steroidherapie und orale Colchizintherapie an. Die Panuveitis bedarf einer aggressiven Behandlung, z.B. Steroidpulse zunächst gefolgt von hochdosierter oraler Steroidtherapie, dann Cyclosporin plus niedrigdosierte systemische Steroidtherapie sind die häufigsten empirischen Empfehlungen. Bei Cyclosporin sind im Rahmen der Neuro-Behçet-Erkrankung allerdings ZNS-Nebenwirkungen berichtet worden. Auch andere Immunsuppressiva u.a. Azathioprin, Tacrolimus, Mycophenolatmofetil, i.v.-Immunglobuline sowie Chorambucil und Cyclophosphamid (Neuro-Behçet) wur-
10
den in Kasuistiken als erfolgreich publiziert (. Tab. 10.15). Interferon-α wurde bei der schweren therapieresistenten, visusbedrohenden Augenbeteiligung als überlegene Substanz eingesetzt. Vielversprechende Ansätze ergeben sich aus Einzelfallberichten der sog. Biologicals (z. B. Infliximab) bei komplizierten Verläufen mit Versagen anderer Therapieansätze. Ophthalmochirurgisches Vorgehen ist Komplikationen vorbehalten und kann einen Krankheitsschub am Auge induzieren. Cyclophosphamid wurde auch bei der ZNS-Erkrankung erfolgreich in Kombination mit Steroiden angewendet. Thalidomid ist als wirksame Therapie für alle Manifestationsformen des M. B., insbesondere für die ZNS Beteiligung empfohlen worden (Evereklioglu 2005; Zierhut et al. 2005). Die Therapie richtet sich nach der Organbeteiligung, wegen der raschen Visusbedrohung bei Augenbeteiligung ist die Therapieentscheidung bei Augenbefall durch ein ophthalmologisches Zentrum mit Erfahrung zu treffen! Die Augenerkrankung kann den Visus rasch bedrohen und erfordert ebenso wie die ZNS-Erkrankung eine aggressive systemische Behandlung. Orientierende Anhaltspunkte für die jeweilige Therapieentscheidung bietet Tabelle 10.15.
10.4.8 Prognose Der Verlauf mit Exazerbationen und Remissionen ist unvorhersehbar, tendiert allerdings nach den ersten 5 Jahren zur Stabilisierung und größeren Intervallen der Krankheitsschübe. Die Beteiligung von ZNS und großen Gefäßen neigt dagegen nicht zur Abschwächung nach 5 Jahren. Der Erkrankungsbeginn vor dem 25. Lebensjahr und männliches Geschlecht gelten als ungünstige prognostische Faktoren, das Vorliegen von HLA-B51 hat keinen Einfluss auf die Prognose. Die Mortalität wird im Rahmen einer großen türkischen Studie bei jungen Erwachsenen mit 10% angegeben, Gefäßkomplikationen sind die häufigste Todesursache (Al-Otabi et al. 2005). Die Mortalität im Kindesalter wird mit ca. 3% angegeben (Kari et al. 2001; Koné-Paut 1998; Treudler et al. 1999). ! Die Prognose der Neuro-Behçet Erkrankung wird als ungünstig eingeschätzt, die Mortalität des M. Behçet verdoppelt sich durch Beteiligung des ZNS. Ungünstige Prädiktoren sind früher Beginn, Hirnstammbeteiligung, mehr als 2 Attacken pro Jahr und Steroidabhängigkeit.
392
1
Kapitel 10 · Vaskulitiden
. Tab. 10.15. Therapieoptionen bei M. Behcet. (Mod. nach Al-Otabi et al. 2005; Evereklioglu 2005) Organbefall
Medikament
Anwendung/Dosis
Nebenwirkungen
anteriore Uveitis
Prednisolon-, Dexamethason-Augentropfen, Mydriatika
Wie rheumatologische Anwendung
Therapie nach interdisziplinärer Absprache in Kooperation mit einem erfahrenen Ophthalmologischen Zentrum
posteriore Uveitis
+ IFN-α + Immunsuppression wie ZNS Erkrankung
Orale Aphthen
Triamcinolonacetonid
Lösung, topisch
Lidocain
Topisch
Tetracyclin Lsg
Topisch
7
Colchicin
p.os, max 1,5 mg/Tag
Gastrointestinale NW, Leukopenie, Neuropathie, cave Intoxikation (7 Kap. 11)
8
Thalidomid
50–300 mg/Tag (Erwachsene)
Teratogen, Neuropathie (Monitoring), Müdigkeit, Obstipation, Kopfschmerz, Exantheme
Wie orale Aphthen, zusätzlich Prednisolon
Start 1 mg/kg po (dann Reduktionsschema)
2 3 4
Okuläre Beteiligung
5 6
9
Genitale Ulzerationen
10
Methotrexat
11
IFN-α Cyclosporin A
»Rheumatologische« Dosierung, 5 mg/kg/Tag
Bethamethason
lokal
Prednisolon
p.os
Colchizin
p.os
Hautläsionen
12 13 14
Leukopenie, Hepatotoxizität, Lunge, Teratogenität
Dapsone, Thalidomid, Pentoxyphyllin Arthritis
15
NSAR
Niereninsuffizienz, Behaarung, Interaktionen
vgl. oben
p.os
Sulfasalazin Triamcinolonderivate
intraartikulär
Methotrexat
p.os, i.m.
17
Prednisolon
p.os
Cyclosporin
p.os, <5 mg/kg/Tag
ggf. Spiegelmonitoring
18
Azathioprin (AZA)
1-2,5 mg/kg/Tag
Dosierungen und Nebenwirkungen wie bei rheumatologischer Anwendung (juvenile idiopathische Polyarthritis)
Methylprednisolon
20–30 mg/kg/Tag (max. 1 g) an 3 folgenden Tagen
Prednisolon
p.os., 1–2 mg/kg/Tag
16
19
ZNS (Neuro-Behçet)
20
CSA + AZA
21
Cyclophosphamid
22 23
500–750 mg/m2 (alle 4 Wochen)
Leukopenie, Zystitis, Infektionen, Gonadentoxizität, Malignome
Vaskulitis
Therapie wie bei Neuro- Behçet plus ASS, Heparin (niedermolekular), Warfarin, Dipyrimadol Plus angiologische interventionelle Therapien bei Stenosen oder Aneurysmata
Alle komplizierten Organmuster
Infliximab/Etanercept
Erfolgreiche Einzelfallberichte
. Kap. 4
393
10.5 · Wegener-Granulomatose
Literatur Al-Otabi LM et al. (2005) Behcet´s Disease: A Review. J Dent Res 84: 209–222 Arayassi T, Hamdan A (2004) New insights into the pathogenesis and therapy of Behcet disease. Curr Opin Pharmacol 4: 183-18 Evereklioglu C (2005) Current concepts in the etiology and treatment of Behcet disease. Surv Ophthalmol 50: 297–350 Gul A et al. (2000) Familial aggregation of Behcet’s disease in Turkey. Ann Rheum Dis 59: 622-625 Haghighi B A et al. (2005) Neuro-Behcet Disease. A review. Neurologist 11: 80–87 International Study group (1990) Criteria for diagnosis of Behcet’s disease. International Study Group for Behcet’s Disease. Lancet 5, 335: 1078–80 Kari JA et al. (2001) Behcet’s disease in UK children: clinical features and treatment including thalidomide. Rheumatology (Oxford) 40: 933–938 Koné-Paut I (1998) Clinical features of Behcet’s disease in children: an international collaborative study of 86 cases. J Pediatr 132: 721– 725 Koné-Paut I et al. (2002) Paediatric Behcet’s disease in France. Ann Rheum Dis 61: 655–656 Mason RM, Barnes CG (1969) Behcet’s syndrome with arthritis. Ann Rheum Dis 28: 95–103 Treudler R et al. (1999) Twenty-eight cases of juvenile-onset Adamantiades-Behcet disease in Germany. Dermatology 199: 15–19 Zierhut M et al. (2005) Behcet´s disease in essentials in ophthalmology: uveitis and immunological disorders. In: Pleyer U, Mondino B (eds) Uveitis and immunological disorders. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio Zouboulis C C et al. (2003) Current epidemiological data from the German Registry of Adamantiades-Behcet’s disease. Adv Exp Med Biol 528: 43–48
10.5
Wegener-Granulomatose
10
nicht geprüft (Frosch u. Föll 2004). Wie bei anderen primären Vaskulitiden ist die Ätiologie der WG unbekannt.
10.5.3 Pathogenese Die grundlegende Pathogenese dieser Vaskulitis ist eine pathologische Aktivierung von Phagozyten im Rahmen der Transmigration durch die Gefäßwand (Weiss u. Crissmann 1984). Die Ursache hierfür ist noch unklar, doch scheint Autoantikörpern (c-ANCA: »antineutrophile cytoplasmatische Antikörper«) gegen Proteinase 3, ein zytoplasmatisches Protein in Phagozyten, eine pathogenetische Bedeutung zuzukommen. Granulozyten und Monozyten von Patienten mit WG exprimieren auf der Zellmembran Proteinase 3, das Antigen der c-ANCA. Die Bindung von c-ANCA aktiviert Granulozyten und Monozyten und induziert die Expression proinflammatorischer Zytokine sowie die Produktion von Sauerstoffradikalen (»respiratory-burst«), was mit einer gesteigerten Zytotoxizität gegenüber Endothelzellen einhergeht (Falk et al. 1990; Charles et al. 1992). Daüber hinaus werden exogene Faktoren, wie die Besiedlung und Infektion mit Staphylococcus aureus, für die Entwicklung der WG verantwortlich gemacht (Stegeman et al. 1994). Auch eine genetische Prädisposition scheint relevant zu sein, da eine Heterozytogie für einen α-1-Antitrypsin-Mangel und Polymorphismen für den Fcγ-Rezeptor und Proteinase 3 mit der WG assoziiert sind (Esnault et al 1997; Dijstelbloem et al. 1999). ! Die Pathogenese der Wegener-Granulomatose ist gekennzeichnet von einer Entzündung der Gefäßwand, aus-
M. Frosch, J. Roth
10.5.1 Definition und Häufigkeit Nach den Kriterien der Chapel-Hill-Konsensuskonferenz wird die Wegener-Granulomatose (WG) definiert als eine nekrotisierende granulomatöse Entzündung kleiner und mittelgroßer Gefäße mit Beteiligung des Respirationstrakts (Jennette et al. 1994). Über das Vorkommen der WG hauptsächlich im Erwachsenenalter wird berichtet, obwohl die WG in jedem Lebensalter in Erscheinung treten kann. Epidemiologisch verwertbare Daten im Kindesund Jugendalter liegen nicht vor.
10.5.2 Klassifikation und Ätiologie . Tab. 10.16 zeigt die 4 Klassifikationskriterien der WG
(Leawitt et al. 1990). Der Nachweis von 2 oder mehr Kriterien war in dieser Studie bei Erwachsenen mit einer Sensitivität und Spezifität von 90% verbunden. Für das Kindesalter sind Sensibiltät und Spezifität dieser Klassifikation
. Tab. 10.16. Kriterien des American College of Rheumatology für die Klassifikation der Wegener-Granulomatose 1999 (Leawitt et al. 1990). Für die Klassifikation als Wegener-Granulomatose sollten bei einem Patienten wenigstens 2 der 4 Kriterien nachweisbar sein Kriterium
Definition
1. Nasale Deformität
Entwicklung schmerzhafter oder schmerzloser oraler Ulzera oder eitrige oder blutige Nasensekretion
2. Abnorme Thoraxröntgenaufnahme
Nachweis von Knoten, fixierten Infiltraten oder Höhlenbildungen der Lunge
3. Urinsediment
Mikrohämaturie im Sediment
4. Granulomatöse Entzündung in der Biopsie
Histologischer Nachweis einer granulomatösen Entzündung innerhalb der Wand einer Arterie oder perivaskulären oder extravaskulären Region einer Arterie oder Arteriole
394
1
Kapitel 10 · Vaskulitiden
gelöst durch eine pathologische, wahrscheinlich c-ANCA vermittelte Phagozytenaktivierung.
2 10.5.4 Pathologie
3 4 5 6 7
Die Kombination von Vaskulitis (meist kleiner Arterien und Venen), Nekrose und granulomatöser Entzündung fand sich bei 90% von Lungenbiopsien erwachsenener Patienten mit WG (Travis et al. 1991). Die Nierenbiopsie liefert bei Patienten mit WG für gewöhnlich den Befund einer fokalen, segmentalen nekrotisierenden Glomerulonephritis (. Abb. 10.11). Eine renale Vaskulitis ist allerdings bei weniger als 50% der Patienten nachweisbar (Lie et al. 1990; Aasarød 2001).
8
10.5.5 Klinische Symptome
9
Die WG kann neben der typischen Trias mit Beteiligung von oberen Atemwegen, Lunge und Niere auch viele andere Organe betreffen. Der Erkrankungsbeginn der Kinder mit WG kann sowohl im frühen Kleinkindesalter bis zur Adoleszenz beobachtet werden (Frosch u. Föll 2004). Die größten Studien zur Häufigkeit der Organbeteiligung existieren zur WG des Erwachsenen (Hoffman et al. 1992; Reinhold-Keller at al. 2000). Falldarstellungen und zusammenfassende klinische Beobachtungsstudien im Kindesalter bestätigen, dass die häufigsten klinischen Symptome und Organmanifestationen altersunabhängig sind (. Tab. 10.17) (Belostotsky et al. 2002; Rottem et al. 1993; Stegmayr et al. 2000). Allerdings zeigt sich im Kindesund Jugendalter etwa 5-mal häufiger die Entwicklung einer subglottischen Trachealstenose (. Abb. 10.12) und zweimal häufiger eine Nasendeformität (. Abb. 10.13), bei 40–50% der Patienten (Frosch u. Föll 2004; Belostotsky et al. 2002; Rottem et al. 1993; Stegmayr et al. 2000).
10 11 12 13 14 15 16
. Abb. 10.11. Histopathologie der Nierenbeteiligung bei WegenerGranulomatose. Diffuse extrakapilläre nekrotisierende Glomerulonephritis mit nekrotisierender Arteriolitis (Masson-Trichromfärbung, Vergr. 100:1; aus Frosch u. Föll 2004)
. Abb. 10.12. MRT des Halses bei einem 13-jährigen Mädchen mit Darstellung einer subglottischen Trachealstenose 2 Jahre nach Erkrankungsbeginn vor erster Lokaltherapie. (Aus Frosch u. Föll 2004)
17 18
. Tab. 10.17. Organbeteiligung (in Prozent) bei Wegener-Granulomatose im Kindes- und Jugendalter sowie erwachsenen Patienten. (Nach Frosch u. Föll 2004) Wegener-Granulomatose im Kindes- und Jugendalter
Wegener-Granulomatose im Erwachsenenalter
Rottem et al. 1993 (n=23)
Stegmayr et al. 2000 (n=10)
Belostotsky et al. 2002 (n=17)
Hoffman et al. 1992 (n=158)
Reinhold-Keller et al. 2000 (n=155)
Obere Atemwege
91
90
58
92
99
21
Lunge
74
80
87
85
66
Niere
61
100
53
77
70
22
Augen
48
n. b.
53
52
61
ZNS
17
10
12
8
11
Haut
52
40
53
46
33
19 20
23
Organ
n.b. nicht bestimmt.
395
10.5 · Wegener-Granulomatose
10
Gelenkbeteiligungen werden in 50% der Fälle beschrieben, äußern sich überwiegend als Arthralgie, während objektivierbare Synovialitiden selten sind. Die Hautvaskulitis der WG variiert auch im Kindesalter vom Erythem bis hin zur nekrotisierenden Ulzeration und Gangrän (. Abb. 10.14).
10.5.6 Diagnose ! Die Diagnose der Wegener-Granulomatose basiert auf den typischen Organmanifestationen an oberen Atemwegen, Lunge und Niere, sowie dem histopathologischen Nachweis von Vaskulitis, Granulomen und Nekrosen (Arthreya 1995; Dillon u. Ansell 1995, Langford u. Hoffman 1999).
. Abb. 10.13. Nasendeformität (sog. Sattelnase) bei einer 18-jährigen jungen Dame nach chronischer Beteiligung der obereren Atemwege bei Wegener-Granulomatose, 7 Jahre nach Erkrankungsbeginn. (Aus Frosch u. Föll 2004)
! Die häufigsten klinischen Symptome und Organmanifestationen der Wegener-Granulomatose sind altersunabhängig. Im Kindes- und Jugendalter kommt es jedoch besonders häufig im Erkrankungsverlauf zu einer subglottischen Trachealstenose und Nasendeformität.
Über 90% der Patienten mit WG zeigen initial eine Entzündung der Atemwege. Die Symptomatik der oberen Atemwege kann sich in Sinusitis, Otitis, Blutung oder Hörstörung äußern (Langford et al. 1996). Die WG der unteren Atemwege kann Alveolar-, Bronchialgewebe und Pleura betreffen und zeigt sich klinisch in Husten, Obstruktion, Dyspnoe oder blutigem Bronchialsekret bis zur Lungenblutung (Frosch u. Föll 2004). Auch 30% der pulmonal asymptomatischen Patienten mit WG zeigen röntgenologische Strukturveränderungen. Über 50% der Patienten zeigen im Kindes- und Jugendalter im Verlauf der Erkrankung eine Nierenbeteiligung (Abb. 10.11), die zu ca. 10% Ursache für eine terminale Niereninsuffizienz ist (Rottem et al. 1993, Stegmayr et al. 2000). Die Beteiligung des Auges bei WG im Kindesalter wird bei 10–50% der Patienten beobachtet und bedroht langfristig die Sehkraft. Eine zentrale Vaskulitis der WG wird bei etwa 10% der Patienten im Krankheitsverlauf nachgewiesen, wobei zentrale und periphere Nervenlähmungen am häufigsten sind, während intrakranielle Blutungen oder Strukturanomalien der zentralen WG selten sind (Frosch u. Föll 2004).
Die größten Erfahrungen zur Biopsie existieren für die Lunge und Niere (7 Kap. 10.5.3). c-ANCA zeigen eine hohe Assoziation zur aktiven WG. Ein typisches zytoplasmatisches Fluoreszenzmuster wird bei 70–90% der Patienten mit aktiver WG gefunden (Niles 1989). Zahlreiche Studien zeigen eine hohe Spezifität des c-ANCA-Nachweises von 80–100% für die WG. Gerade im Kindesalter werden ANCA, allerdings überwiegend perinukleäre ANCA (p-ANCA), auch bei anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie JIA und zystische Fibrose gefunden. Ein positiver c-ANCANachweis kann hilfreich sein für die Diagnostik der WG, kann jedoch nicht grundsätzlich eine Biopsie zur Sicherung einer Diagnose ersetzen. Schwankungen der c-ANCA-Titer können individuell mit der Krankheitsaktiviät korrelieren, sind aber isoliert betrachtet keine Indikation für eine Therapieänderung (Frosch u. Föll 2004). > Praktisches Vorgehen: 5 Bei Verdacht auf Wegener-Granulomatose sollte eine gezielte Entzündungs- und Funktionsdiagnostik der am häufigsten betroffenen Organe erfolgen, insbe-
. Abb. 10.14. Hautbeteiligung mit Gangrän im Bereich der rechten Großzehe bei 14-jähriger Patientin mit Wegener-Granulomatose bei Erkrankungsbeginn
396
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Kapitel 10 · Vaskulitiden
sondere der oberen und unteren Atemwege sowie der Niere. Ziel ist eine sichere diagnostische Einordnung der Vaskulitis, bestätigt durch den histopathologischen Nachweis einer Vaskulitis und granulomatösen Entzündung innerhalb der Wand einer Arterie oder perivaskulären Region einer Arterie oder Arteriole. 5 Die Auswahl der Biopsie erfolgt nach der klinischen Manifestation, die größten Erfahrungen bestehen für die Untersuchung der Lunge und Niere. 5 Ein positiver c-ANCA-Nachweis kann hilfreich sein, ersetzt jedoch nicht eine Biopsie zur Sicherung der Diagnose.
10.5.7 Therapie ! Zur Induktion einer Remission wird initial die Behandlung mit Cyclophosphamid und Glukokortikoiden empfohlen, zum Remissionserhalt die Therapie mit Methotrexat. Die Therapie der Wahl der subglottischen Trachealstenose ist die Lokalbehandlung mit Dilatation und intraläsionaler Steroidinjektion.
Vor Einführung immunsuppressiver Therapien lag die mittlere Überlebenszeit der Patienten mit WG bei 5 Monaten. Eine signifikante Verbesserung brachte die Behandlung mit Cyclophosphamid und hochdosiertem Predniso-
lon (Fauci-Schema, Fauci et al. 1979). Dadurch erreichten 75% der Patienten eine komplette Remission, jedoch zeigen 50% der Patienten im weiteren Verlauf Rezidive (Hoffman et al. 1992). Darüber hinaus wird bei 50% der Erwachsenen eine medikamentenabhängige Toxizität beobachtet. Dazu zählen hämorrhagische Zystitis, Infertilität, Myelodysplasie, Infektionen und maligne Erkrankungen. Im Kindesalter werden zur Induktion einer Remission verschiedene Behandlungsregime benutzt. Neben der oralen Behandlung werden auch intravenöse Cyclophosphamidpulse bei geringerer kumulativer Dosis mit gutem Effekt eingesetzt (Rottem et al. 1993, Stegmayr et al. 2000) (EBM-Level III). Eine behandlungsbezogene Langzeitmorbidität wird bei Kindern mit 22% gegenüber Erwachsenen (mit 45%) deutlich seltener beobachtet. Medikamentenassoziierte maligne Erkrankungen sind deutlich weniger wahrscheinlich (. Tab. 10.18) (Rottem et al. 1993). Während die Datenlage für die Induktionstherapie noch relativ gut ist, ist die effektivste Form der anschließenden Remissionserhaltung weitgehend unklar. Die Behandlung mit Methotrexat und Glukokortikoiden wurde bei WG-Patienten ohne initial lebensbedrohliche Krankheitsaktivität oder relevante Cyclophosphamidtoxizität untersucht. Zusammenfassend wird die Behandlung mit MTX als sinnvolle Alternative als Initialbehandlung für ausgewählte Patientengruppen und zur remissionser-
. Tab. 10.18. Krankheitsverlauf und Morbidität bei Wegener-Granulomatose im Kindes- und Jugendalter. (Aus Frosch u. Föll 2004) Krankheitsverlauf
Rottem et al. 1993 (n=23)
Stegmayr et al. 2000 (n=10)
Belostotsky et al. 2002 (n=17)
Alter bei Erkankungsbeginn (range) (Jahre)
15,4 (9,3–19,4)
17,8 (11–30)
6,3 (0–14)
Beobachtungzeitraum (Jahre)
8,7
9 (1–23)
n.b.
Patienten in Remission
20 (87%)
10 (100%)
16 (94%)
Patienten mit Rezidiven
53%
80%
n.b.
18
Krankheitsbezogene Morbidität Subglottische Stenose
35%
n.b.
41%
19
Niereninsuffizienz
35%
60%
18%
Terminale Niereninsuffizienz
9%
10%
6%
Tod
2 (9%)
0
2 (12%)
20 21
Medikamentenbezogene Morbidität Maligne Erkrankungen
0
0
0
22
Infertilität
28%
40%
n.b.
Zystitis
50%
0
n.b.
Schwere Infektionen
43%
n.b.
n.b.
23
n.b. nicht bestimmt.
397
10.5 · Wegener-Granulomatose
haltenden Therapie angesehen (Langford et al. 2000, 2003; Reinhold-Keller et al. 2002) (EBM-Level III). Die Daten für den Einsatz anderer Immunsuppressiva wie Azathioprin, Cyclosporin A oder Mycophenolat sind sehr begrenzt. In Einzelfällen wurde bei Patienten mit remittierender Entzündung unter Immunsuppression eine TNF-Blockade mit Etanercept erfolgreich eingesetzt. In einer placebokontrollierten Studie bei 180 Erwachsenen mit WG zeigte sich allerdings kein signifikanter Effekt für den Erhalt der Remission (WGET Research Group 2005), (EBM Level IB). Die subglottische Stenose bei WG, ein typisches Problem im Kindes- und Jugendalter, lässt sich durch eine systemische antientzündliche Therapie nicht befriedigend beeinflussen. Die Behandlung der Wahl ist die intratracheale Dilatation und intraläsionale Injektion eines lang wirksamen Glukokortikoids (Langford et al. 1996). In den ersten Jahren nach Entwicklung einer subglottischen Stenose benötigen viele Patienten wiederholte derartige Lokalbehandlungen zur effektiven Reduktion der Atemwegsstenose. Oft kann dadurch die Notwendigkeit zur Tracheotomie vermieden werden (Hoffman et al. 2003) (EBM-Level III). Ein allgemeingültiges Behandlungsschema für die Wegener-Granulomatose im Kindesalter existiert nicht. > Praktisches Vorgehen: 5 In der Regel erfolgt bei akuter Vaskulitis mit Funktionseinschränkung der Lunge oder Niere eine Induktionstherapie mit Cyclophosphamid, als Bolustherapie (500–1000 mg/m2 im Abstand von 4 Wochen) oder oral (2 mg/kg Körpergewicht und Tag – hierbei wird bei gleicher Behandlungszeit eine höhere kumulative Dosis erreicht). 5 Die Cyclophosphamidbehandlung wird initial durch eine Hochdosistherapie mit Glukokortikoiden ergänzt (2 mg/kg Körpergewicht und Tag in 3 Einzelgaben oder Pulstherapie mit Methylprednisolon, 10–20 mg/ kg Körpergewicht, maximal 1 g pro Gabe, jeweils an 3 aufeinanderfolgenden Tagen), die bei klinischem Ansprechen rasch reduziert wird. 5 Zur Remissionserhaltung erfolgt im Allgemeinen eine antientzündliche Therapie mit Methotrexat und niedrig dosierten Glukokortikoiden. 5 Die Behandlung der subglottischen Trachealstenose erfolgt lokal, durch Dilatation und intraläsionale Steroidinjektion.
10.5.8 Prognose Heutzutage überleben mehr als 80% der Patienten mit WG länger als 5 Jahre, obwohl krankheitsfreie Langzeitremissionen ohne Reaktivierungen selten sind (Savage et al. 1997). Die langfristige Morbidität und Mortalität ist in
10
. Tab. 10.18 zusammengefasst. Die meisten Langzeitkom-
plikationen werden im Kindesalter etwa gleich häufig zu denen des Erwachsenen beobachtet (Belostotsky et al. 2002; Rottem et al. 1993; Stegmayr et al. 2000). Während im Kindes- und Jugendalter bisher therapieabhängige maligne Erkrankungen nicht nachweisbar sind, werden mit unterschiedlicher Häufigkeit Infertilität, Zystitis und Infektionen beobachtet (Frosch u. Föll 2004).
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
sis. Long-term renal outcome in patients with glomerulonephritis. Arthritis Rheum 43: 1836–1840 Langford CA, Talar-Williams C, Barron KS, Sneller MC (2003) Use of a cylophosphamide-induction Methotrexate-maintenance regimen for the treatment of Wegener’s granulomatosis: extended followup and rate of relapse. Am J Med 114: 463–469 Leawitt RY, Fauci AS, Bloch DA et al. (1990) The American College of Rheumatology 1990 criteria for the classification of Wegener’s granulomatosis. Arthritis Rheum 33: 1101–1107 Lie JT and the Members and Consultants of the American College of Rheumatology Subcommittee on Classification of Vasculitis (1990) Illustrated histopathologic classification criteria for selected vasculitis syndromes. Arthritis Rheum 33: 1074–1087 Niles JL, McCluskey RT, Ahmad MF, Arnaout MA (1989) Wegener’s granulomatosis autoantigen is a novel neutrophil serine proteinase. Blood 74: 1888–1893 Reinhold-Keller E, Beuge N, Latza U, de Groot K, Rudert H, Nölle B, Heller M, Gross WL (2000) An interdisciplinary approach to the care of patients with Wegener’s granulomatosis. Long-term outcome in 155 patients. Arthritis Rheum 43: 1021–1032 Reinhold-Keller E, Fink COE, Herlyn K, Gross WL, de Groot K (2002) High rate of renal relapse in 71 patients with Wegener’s granulomatosis under maintenance of remission with low-dose methotrexate. Arthritis Rheum 47: 326–332 Rottem M, Fauci AS, Hallahan CW, Kerr GS, Lebovics R, Leavitt RY, Hoffman GS (1993) Wegener granulomatosis in children and adolescents: clinical presentation and outcome. J Pediatr 122: 26–31 Savage COS, Harper L, Adu D (1997) Primary systemic vasculitis. Lancet 349: 553–558 Stegeman CA, Cohen Tervaert JW, Sluiter WJ, Manson W, de Jong PE, Kallenberg CGM (1994) Association of chronic nasal carriage of Staphylococcus aureus and higher relapse rates in Wegener’s granulomatosis. Ann Intern Med 113: 12–17 Stegmayr BG, Gothefors L, Malmer B, Müller-Wiefel DE, Nilsson K, Sundelin B (2000) Wegener granulomatosis in children and young adults. A case of ten patients. Pediatr Nephrol 14: 208–213 Travis WD, Hoffman GS, Leavitt RY, Pass HI, Fauci AS (1991) Surgical pathology of the lung in Wegener’s granulomatosis. Review of 87 open lung biopsies from 67 patients. Am J Surg Pathol 15: 315– 333 Wegener’s Granulomatosis Etanercept Trial (WGET) Research Group (2005) Etanercept plus standard therapy for Wegener`s granulomatosis. N Engl J Med 352:351-361 Weiss M, Crissman J (1984) Renal biopsy findings in Wegener’s granulomatosis: segmental necrotizing glomerulonephritis with glomerular thrombosis. Human Pathol 15: 943–956
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10.6
Panarteriitis nodosa, ChurgStrauss-Syndrom und andere seltene Vaskulitiden bei Kindern
S. Benseler Die Gruppe der selteneren Vaskulitiden im Kindesalter umfasst systemische, primär organspezifische, infektionsassoziierte (Guillevin 2004) und medikamentenassoziierte Vaskulitiden (Yoruk et al. 2002). Die Gruppe der seltenen systemischen Vaskulitiden beinhaltet die Panarteriitis nodosa (sPAN) (Ozen et al. 2004), die Churg-StraussVaskulitis (Keogh u. Specks 2003) und die ANCA-assoziierten Vaskulitiden, die in 7 Kap. 10.5 besprochen werden. Die Gruppe der primär organbezogenen Vaskulitiden um-
fasst neben anderem die kutane PAN (Fathalla et al. 2005) und die primäre ZNS-Vaskulitis (Benseler et al. 2006). Diese Erkrankungsgruppe stellt eine besondere diagnostische und therapeutische Herausforderung für den behandelnden Arzt dar. Für das Kindesalter existieren bislang keine validierten Diagnose- oder Klassifikationskriterien sowie Therapieprotokolle (Ozen 2005). Ozen hatte 1992 für die PAN diagnostische Kriterien vorgeschlagen, die retrospektiv anhand von 31 pädiatrischen Patienten erstellt worden waren. Diese Kriterien sind im Verlauf jedoch nie validiert worden. Brogan und Dillon veröffentlichten 2002 modifizierte ACR-Kriterien für das Kindesalter (. Tab. 10.19). Die Vaskulitisarbeitsgruppe der Europäischen Gesellschaft für Kinderrheumatologie (PRES) hat ein Expertengremium gebildet, das Vorschläge für Diagnosekriterien für einzelne kindliche Vaskulitiden veröffentlicht hat (Ozen et al. 2006). Diese müssen nun in verschiedenen Populationen validiert werden. Bislang stehen für die Klassifikation der seltenen Vaskulitiden einzig validierte Kriterien des Erwachsenenalters zur Verfügung. Die Grundlage für diese Klassifikationskriterien sind zum einen die Art und Größe des betroffenen Gefäßabschnitts und dessen Histologie (Chapel-Hill-Klassifikation, Jennette et al. 1994), zum anderen die klinische Präsentation (American College of Rheumatology Classification, Fries et al. 1990).
10.6.1 Panarteriitis nodosa Definition Die Panarteriitis nodosa (PAN) oder Polyarteriitis nodosa ist eine nekrotisierende, systemische Vaskulitis. Gemäß der Chapel-Hill-Konsensusklassifikation ist die »klassische« PAN durch das Vorliegen einer nekrotisierenden, intramuralen Entzüdung der mittleren und/oder kleinen arteriellen Gefäßabschnitte definiert. Eine Vaskulitis des kapillaren Gefäßbetts (Arteriolen, Kapillaren und Venolen) oder eine Glomerulonephritis findet sich definitionsgemäß bei der PAN nicht (. Abb. 10.15). Im klinischen Alltag wird die Diagnose PAN häufig durch die ACR-Klassifikationskriterien bestätigt (Lightfoot et al. 1990) (. Tab. 10.19). In großen PAN-Studien bei Erwachsenen insbesondere aus Frankreich wurde die Assoziation von Hepatitis-B-Virus (HBV) und PAN beschrieben (Guillevin et al. 2005). HBV-assoziierte PAN im Kindesalter ist im Alltag die Ausnahme.
Häufigkeit Es gibt sehr wenige populationsbasierte Daten zur Häufigkeit der PAN im Kindesalter. Gardner-Medwin et al. (2002) erfassten insgesamt nur 8 Kinder mit primärer Vaskulitis von insgesamt 585 Vaskulitiden bei 1,1 Millionen Kindern unter 17 Jahren in den britischen West Midlands. Nur 3 von diesen 8 Kindern hatten die Diagno-
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10.6 · Panarteriitis nodosa, Churg-Strauss-Syndrom und andere seltene Vaskulitiden bei Kindern
10
. Tab. 10.19. Klassifikationskriterien der Panarteriitis nodosa. Der Nachweis von ≥3 Kriterien erlaubt die Klassifikation als PAN. (Nach Brogan et al. 2002)
. Abb. 10.15. Histologie der systemischen Panarteriitis nodosa. Fokale Gefäßnekrose in einer mittelgroßen Hautarterie mit fokal zerstörter Wandstruktur (Pfeile). Hämatoxilin-Eosin-Färbung, Vergr. 1:400. (Herzlichen Dank an Gino Somers, Pathologie, Pediatric Laboratory Medicine, The Hospital for Sick Children, Toronto)
se PAN. Das mittlere Erkrankungsalter dieser PAN-Patienten lag bei 10,6 Jahren. Ozen et al. (2004) veröffentlichten die Ergebnisse eine Querschnittsstudie von pädiatrischen PAN-Fällen. In dieser Studie wurden systemische PAN, kutane PAN, mikroskopische PAN, klassische PAN und HBV-assoziierte PAN unterschieden. Ozen berichtet, dass in dieser selektionierten Patientengruppe 63 von 110 pädiatrischen PAN-Patienten die Diagnose systemische PAN hatten. Das mittlere Erkrankungsalter lag hier bei 8,8 Jahren. Es waren 33 Jungen und 30 Mädchen an systemischer PAN erkrankt. Die Daten zur Häufigkeitsverteilung stehen allerdings in deutlichem Widerspruch zu anderen Veröffentlichungen und unseren eigenen Erfahrungen, wonach die kutane PAN die häufigste PAN im Kindesalter ist. Die jährliche Inzidenz der PAN insgesamt (ACR-Klassifikation) wird mit 2,4/1 Mio. (95% CIl 0,9–5,3) angegeben. Die Prävalenz für das Erwachsenenalter liegt bei 30,7 (95% CI 21–40) /1 Mio.
Ätiologie und Pathogenese Die Ätiologie der systemischen PAN ist unklar. Häufig werden Analogien zur Ätiologie von infektionsassoziierten systemischen Vaskulitiden gezogen. Die Pathogenese der HBV-assoziierten PAN umfasst die intravaskuläre Immunkomplexablagerung, die vermutlich durch einen Überschuss an zirkulierendem Antigen (HBV) induziert wird. Detaillierte Daten sind für die Pathogenese der HCV-assozierten systemischen Vaskulitis verfügbar, bei der es zu einer HCV-induzierten Autoantikörperbildung kommt. Antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANCA) finden sich bei ca. 40% der pädiatrischen PANPatienten (Bakkaloglu et al. 2001). Im Mausmodell konnte nachgewiesen werden, dass ANCAs nicht nur ein Epiphä-
Kriterium
Definition
Gewichtsverlust ≥5% oder fehlende Gewichtszunahme
Gewichtsabnahme ≥5% des Körpergewichts seit Erkrankungsbeginn nach Ausschluss von Diät und anderen Faktoren oder Kreuzen der Gewichtsperzentilen nach unten
Livedo reticularis
Retikuläre Zeichnung der Haut der Extremitäten oder des Rumpfes
Testikulärer Schmerz
Schmerz oder Empfindlichkeit der Hoden nach Ausschluss von Infektionen, Trauma und anderen Ursachen
Myalgien, Muskelschwäche oder Beinschmerzen
Diffuser Muskelschmerz (Ausnahme: Schulter und Hüftgürtel) oder Schwäche oder Empfindlichkeit der Beinmuskeln
Mono- oder Polyneuropathie
Entwicklung einer Mononeuropathie, multipler Mononeuropathien oder einer Polyneuropathie
Systemische arterielle Hypertension
Systolischer oder diastolischer Blutdruck oberhalb des altersbezogenen Referenzbereichs
Erhöhte Retentionswerte
Erhöhte Retentionswerte (Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure) oberhalb des altersbezogenen Referenzbereichs nach Ausschluss von Dehydratation und Obstruktion
Hepatitis-B-Virus-Infektion
Nachweis von Hepatitis-B-SurfaceAntigen oder von Antikörpern gegen HBV im Serum
Pathologische Arteriographie
Arteriographischer Nachweis von Aneurysmen oder Gefäßverschlüssen der viszeralen Gefäße, nicht verursacht durch Arteriosklerose, fibromusklärer Dysplasie oder anderer nichtentzündlicher Ursachen
Biopsie eines kleinen oder mittleren Gefäßes: Nachweis von polymorphkernigen Neutrophilen
Histologischer Nachweis von Granulozyten oder Granulozyten und mononukleären Leukozyten in der Gefäßwand
nomen sind, sondern eine pathogenetische Rolle für die ANCA-mediierte Glomerulonehritis spielen. Histologisch findet sich in Gefäßbiopsaten von Patienten mit aktiver PAN eine schwere, akute, nekrotisierende Entzündung, die alle Abschnitte der Gefäßwand einschließt. Das intramurale Infiltrat besteht vorrangig aus Neutrophilen und Makrophagen. Es finden sich oftmals fokale, d. h. nur Abschnitte des Gefäßdurchmessers betreffende Entzündungen oder segmentale Fibri-
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
noidnekrosen. Im Verlauf heilen diese Läsionen narbig, was makroskopisch der Entstehung der Aneurysmen und knotigen Gefäßveränderungen (P. »nodosa”) entspricht. Insgesamt erscheint die Histopathologie der PAN kompatibel mit einer primären Aktivierung von Neutrophilen und Makrophagen. Der Trigger für diese Aktivierung ist nach wie vor unklar.
Genetische Faktoren Die PAN im Kindesalter ist etwas häufiger bei Jungen als bei Mädchen. Bislang blieb die Suche nach genetischen Faktoren weitgehend erfolglos. HLA-Assoziationen für PAN sind in größeren Studien nicht gefunden worden. In einer Kasuistik wird über eine familiäre Form der PAN berichtet, die bei HLA-identen Geschwistern, nicht aber der HLA-identen Mutter auftrat. Bemerkenswert ist das gehäufte Auftreten von PAN in der Gruppe der Patienten mit familiärem Mittelmeerfieber (FMF). In Fallberichten sind Assoziationen einzelner spezifischer Mutationen der FMF-Gens MEFV und PAN beschrieben worden. Es ist nach wie vor unklar, ob eine Kausalität neben der Assoziation von FMF und PAN besteht.
Autoimmunbedingte Faktoren Der Pathomechanismus, der zur Entstehung der PAN führt ist zwar nach wie vor unklar, jedoch deuten zahlreiche Berichte auf eine infektionsassoziierte Genese der Erkrankung hin. Die Rolle der Infektion für die Entstehung von Autoimmunität ist am Beispiel der HBV-assoziierten PAN und der HCV-assoziierten Vaskulitis am weitestgehenden untersucht worden. B-Zellen. Für die HCV-assoziierte systemische Vaskuli-
tis wurde die Rolle der B-Zellen im Detail untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass das Hepatitis-C-Virus, genauer das Hüllprotein des HCV, das CD81-Molekül bindet, das auf B-Zellen exprimiert wird. Diese Interaktion zwischen HCV-E2 und CD81 führt zur Aktivierung des antiapoptotischen Bcl-2-Protoonkogens und damit zur Verlängerung der Überlebenszeit der B-Zelle. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass 80% der HCVreaktiven B-Zellen eine t(14, 18)-Translokation aufweisen. Die Expansion der B-Zellen führt zur gesteigerten Produktion von Antikörpern, die sich gemeinsam mit dem Antigen an der Gefäßwand ablagern und eine schwere Entzündungsreaktion zur Folge haben. Neben einem direkten Effekt von Viren auf B-Zellen sind indirekte Mechanismen wie die Modifikation von Selbstantigen durch vorangegangenen Gewebeschaden denkbar. T-Zellen. Die Rolle von T-Zellen in der Pathogenese der
PAN ist unklar. Giscombe u. Grunewald (1995) untersuchten das T-Zell-Rezeptor-Repertoire von 8 Vaskulitispatienten im peripheren Blut. Sie identifizierten einen ex-
pandierten T-Zell-Klon, der bei MHC-Klasse-II-identen gesunden Kontrollen und Patienten mit rheumatoider Arthritis nicht zu finden war. Dieser Befund ist mit der Existenz eines gemeinsamen vaskulitisassoziierten Antigens vereinbar. Granulozyten/Neutrophile. Die Histologie der PAN sug-
geriert eine pathogenetische Rolle der Granulozyten. ANCAs können Neutrophile aktivieren, was zur Freisetzung von Radikalen und lysosomalen Enzymen führt. Darüber hinaus modifizieren ANCAs die Flusseigenschaften von Granulozyten, was die Sequestration dieser Zellen im Gefäßbett zur Folge hat. Das Chemokin IL-8, das bei Patienten mit PAN erhöht gefunden wird, ist ein potenter Aktivator von Neutrophilen.
Infektionsbedingte Faktoren Die PAN zeigt eine eindeutige Assoziation mit Infektionen. HBV ist nicht zuletzt ein Bestandteil der ACR-Klassifikationskriterien. Infektionen sind potenzielle Trigger der schweren Entzündungsreaktion in der Gefäßwand bei PAN. Im Gegensatz zur Kawasaki-Vaskulitis liegt das mittlere Erkrankungsalter der PAN außerhalb des Kindesalters, was Überlegungen hinsichtlich des Infektionsspektrums beieinflusst. Über virale Erkrankungen wie HBV und HZV wird häufiger berichtet als über bakterielle Infektionen. Die exakte Rolle der Infektion in der Pathogenese ist weitgehend unklar.
Pathologie Die PAN ist eine nekrotisierende Vaskulitis. Es findet sich eine schwere, transmurale Entzündung mit Fibrinoidnekrosen. Granulome kommen nicht vor. Die Vaskulitis kann histologisch in Phasen eingeteilt werden: akute Entzündung → Vessel-Remodelling → Gefäßnarbe/Aneurysma.
Klinische Symptome Die klinischen Symptome der systemischen PAN reflektieren zum einen die schwere transmurale Entzündungsreaktion und zum anderen die resultierende transiente oder permanente Organischämie. Diese kann auf der Grundlage von Gefäßwandschwellung, Gefäßwandumbau oder Gefäßthrombosierung entstehen. Die Häufigkeiten der Symptome sind in . Tab. 10.20 zusammengefasst. Allgemeinsymptome sind sehr häufig. Sie umfassen Fieber, Abgeschlagenheit, Gedeihstörung, Kleinwuchs und fehlende Gewichtszunahme. Mukokutane Befunde sind im Kindesalter ebenfalls sehr häufig. Klinische Korrelate kutaner Gefäßentzündungen sind Livedo reticularis, die Prominenz des kutanen Venengeflechts, und deutlich schmerzhafte Hautknoten mit begleitender Schwellung und Überwärmung. Es kann zudem zu lokalen Hauteinblutungen kommen. Die korrespondierenden Lymphknoten sind typischerweise deutlich vergrößert.
10.6 · Panarteriitis nodosa, Churg-Strauss-Syndrom und andere seltene Vaskulitiden bei Kindern
. Tab. 10.20. Klinische Symptome der Panarteriitis nodosa Symptom
Häufigkeit [%]
Allgemeinsymptome
95–100
Fieber
57–69
Abgeschlagenheit
1–35
Gewichtsverlust/Gedeihstörung
17–40
Bluthochdruck
20–35
Hautläsionen
71–90
Arthralgien/Arthritis
39–60
Myalgien
46–71
Gastrointestinale Symptome
23–45
Pulmonale Symptome
2
Kardiale Symptome
6–18
ZNS-Symptome
22–37
PNS-Symptome/Neuritis
22–37
Testikulärer Schmerz
6
Im Verlauf können permanente trophische Störungen im Versorgungsgebiet der jeweiligen betroffenen Hautgefäße auftreten. Die entzündeten Gefäße können auch tiefer in der Haut liegen und eine entzündliche Myositis oder eine durch Schmerz und/oder Ischämie bedingte Muskelschwäche zur Folge habe. Eine seltene Manifestation der PAN ist die nekrotisierende Fasziitis der Waden oder anderer Muskelgruppen. Wadenschmerz an sich ist nicht ungewöhnlich bei Kindern und Jugendlichen mit PAN. Der Nachweis von Gefäßthrombosen sollte die Abklärung einer Thrombophilie zur Folge haben. Neben den Muskeln finden sich entzündliche Gelenkveränderungen im Rahmen der systemischen Vaskulitis. Rund 40% der PAN-Patienten haben eine Arthritis. Neuropathien finden sich ebenfalls gehäuft bei PAN. Insbesondere die Mononeuritis multiplex ist ein typischer neurologischer Befund einer PAN. Das Spektrum der ZNS-Beteiligung umfasst neurokognitive Störungen, Krampfanfälle, Vigilanzstörungen, Meningitis und schwere Kopfschmerzen. Über okuläre Symptome im Kindesalter ist gehäuft berichtet worden. Bei Erwachsenen sind Fälle von beidseitigem plötzlichem Funktionsverlust des Gleichgewichtsorgans bei PAN aufgetreten. Die Nierenbeteiligung der PAN ist eine Vaskulitis der mittleren und kleinen Arterien, die sowohl extra- wie auch intrarenal nachweisbar seien kann. Es findet sich definitionsgemäß keine Glomerulonephritis. Eine Nierenarterienvaskulitis führt typischerweise zur schweren, oftmals therapierefraktären arteriellen Hypertension. Es finden sich
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10
ebenfalls Berichte über intra- und perirenale Blutungen bei PAN. Neben den Nieren können die mittleren und kleinen Arterien des Herzens, der Lungen und des Gastrointestinaltrakts (GIT) im Rahmen der PAN entzündlich verändert sein. Die klinische Präsentation umfasst schwere Diarrhöen, enterale Blutungen und schwere episodische Schmerzen. Die kardiale Gefäßbeteiligung kann eine hypertrophe Kardiomyopathie, Rhythmusstörungen, Angina pectoris, myokardiale Ischämien und sogar ein Herzversagen zur Folge haben. Die Vaskulitis der Lungen wird als Asthma verkannt, selten findet sich das klinische Bild einer Bronchiolitis obliterans. Weitere Organsystem, die betroffen seien können, sind die Hoden und die Milz. Hodenschwellung und Schmerz sind ein Diagnosekriterium, wobei dies im klinischen Alltag eher selten auftritt. Milzbeteiligungen sind ebenfalls selten.
Diagnose und Verlauf Die Verdachtsdiagnose PAN wird im klinischen Alltag häufig anhand der modifizierten ACR-Kriterien gestellt (Tab. 10.19). Hier sind neben den häufigen Organmanifestationen der Haut und der Muskeln und Gelenke insbesondere die typischen, aber selteneren Organmanifestationen von diagnostischer Bedeutung. Letztere sind insbesondere die arterielle Hypertension bei renaler Vaskulitis und die periphere Neuritis. Die Sicherung der Diagnose erfolgt mittles Biopsie und/oder Angiographie. Für die klinische Verlaufsbeobachtung steht neben der klinischen Untersuchung der Birmingham-Vaskulitis-Index (BVAS) des Erwachsenenalters zur Verfügung (Luqmani et al. 1994). Die Laboruntersuchungen bei PAN spiegeln die schwere systemische Entzündungsreaktion wider. Typischerweise sind die Blutsenkungsgeschwindigkeit und das C-reaktive Protein deutlich erhöht. Blutbildveränderungen bei PAN sind Anämie und die deutlich erhöhte Neutrophilen- und Thrombozytenzahl. Organfunktionsparameter sind in Abhängigkeit vom vaskulären Organbefall verändert. Die Rolle von Fibronektin und von Willebrand-Faktor-Antigen bei systemischer PAN ist unklar. Neue Marker der Gefäßentzündung und des Gefäßwandumbaus wie »vascular endothelial cell growth factor« (VEGF), »platelet derived growth factor« (PDGF) und der endothelialen Mikropartikel (EMP) sind für die PAN noch nicht systematisch untersucht worden.
Bildgebende Verfahren und Funktionstests Die Bildgebung der PAN umfasst die Darstellung der vaskulären Entzündung und der Gefäßveränderung in den betroffenen Organen sowie des parenchymatösen Defekts.
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Kapitel 10 · Vaskulitiden
Angiographie/digitale Subtraktionsangiographie. Die Angiographie ist häufig essenzieller Bestandteil der Diagnosestellung PAN. Sie hat die folgenden Ziele: 5 Bestätigung der Verdachtsdiagnose systemische PAN durch Nachweis von Aneurysmen und/oder Stenosen in verschiedenen Organsystemen; 5 Beschreibung des Ausmaßes des Organbefalls; 5 detaillierte Charakterisierung des Ausmaßes des Gefäßbefalls (Länge und Schwere der Stenosen, Anzahl der betroffenen Gefäßabschnitte); 5 Charakterisierung der intravasalen Flussverhältnisse in den betroffenen Gefäßabschnitten und der Perfusionsverhältnisse in den zu durchblutenden Organen.
Die konventionelle Angiographie oder die digitale Subtraktionsangiographie ist nach wie die bevorzugte Methode zur Diagnosestellung der PAN. Sie liefert neben der Charakterisierung des Gefäßbettes zusätzlich Informationen über die intravasalen Flussverhältnisse. Die MR-Angiographie (MRA) sollte bei Diagnose einer PAN ebenfalls durchgeführt werden. Bei Übereinstimmung der angiographischen Befunde ist die MRA die bevorzugte Methode zur Verlaufsbeobachtung der Gefäße. Die CT-Angiographie wird aufgrund besserer Verfügbarkeit ebenfalls häufig eingesetzt. Sie ist mit einer erheblichen Strahlenbelastung verbunden. Aneurysmen sind charakteristische angiographische Veränderungen der PAN.
Neben der immunsuppressiven Behandlung sollte in Abhängigkeit von den intravasalen Flussverhältnissen eine Antikoagulation oder Gabe von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure gedacht werden, wobei das Blutungsrisiko dieser Patienten berücksichtigt werden muss. Bei Nierenbeteiligung ist häufig eine antihypertensive Therapie indiziert, zumeist werden ACE-Hemmer eingesetzt.
Prognose Studien zum Langzeitoutcome von pädiatrischen Patienten mit PAN sind limitiert. In der bereits zitierten Studie von Ozen verstarb ein Patient, zwei Drittel der Patienten erreichten eine Remission, ein Drittel hatte eine persistierend aktive Erkrankung. Langzeitbeobachtungen von Erwachsenen mit PAN bezifferen die 5-Jahres-Überlebenzeit mit nur 61–63%. Die PAN-Rezidivrate für Kinder wird mit 10% angegeben. Erwachsene mit PAN haben eine Rezidivrate von mehr als 40%. Die unterschiedliche Beobachtungsdauer in den Studien muss allerdings berücksichtigt werden. Langzeitbeobachtungsstudien für PAN im Kindesalter liegen nicht vor. ! Die PAN im Kindesalter ist selten. Validierte Diagnosekriterien, Therapieprotokolle und Langzeitbeobachtungen liegen nicht vor. Erkrankungsverläufe mit persistierender Entzündungsaktivität finden sich bei einem Drittel der Patienten. Additive experimentelle Therapien mit Zytokinantagonisten erscheinen erfolgversprechend.
Ultraschall/Dopplersonographie. Der Dopplerultraschall
wird zunehmend bei PAN-Patienten eingesetzt. Dieses nichtinvasive und meist verfügbare Verfahren ist insbesondere zur Verlaufsbeobachtung einer spezifischen vaskulären Läsion geeignet. Die Anwendbarkeit beschränkt sich auf Gefäße, die dem Ultraschall zugänglich sind und schließt beispielsweise intrakranielle Gefäßentzündungen aus.
Therapie Zur Behandlung der systemischen PAN wird nicht selten ein aggressives immunsuppressives Therapieregime gewählt, das sowohl hochdosierte Kortikosteroide als auch steroidsparende Immunsuppressiva einschließt. Cyclophosphamid wird häufig primär neben Kortikosteroiden eingesetzt. Nur rund 60% der Patienten erreichen eine Remission unter Therapie. Verläufe mit persistierender Erkrankungsaktivität sind bei rund 40% der pädiatrischen PAN-Patienten nachweisbar. Die Behandlung dieser Patienten ist nicht evidenzbasiert und umfasst die Kombination mehrerer Immunsuppressiva, die zusätzliche intermittierende Gabe von Immunglobulinen und die Behandlung mit Antitumornekrosefaktor-α-(Anti-TNF-α-)Therapien (Evidenz III für Erwachsene) oder Plasmapherese. Therapiestudien für die systemische PAN im Kindesalter gibt es nicht.
10.6.2 Churg-Strauss-Syndrom Definition Das Churg-Strauss-Syndrom (CSS) ist eine außerordentlich seltene Erkrankung im Kindesalter. Die Diagnose ist oft schwierig zu stellen. Es handelt sich um eine systemische granulomatöse, nekrotisierende Vaskulitis der kleinen und mittleren Gefäße (Masi et al. 1990). Ursprünglich waren CSS-Patienten unter der Panarteriitis nodosa klassifiziert worden. Churg und Strauss beschrieben erstmals 1951 CSS als eigene Erkrankungsentität. In Verlaufs- und Therapiestudien wird CSS in die Gruppe der ANCA-assoziierten Vaskulitiden geordnet. Im klinischen Alltag wird die Diagnose CSS oftmals mit Hilfe der ACR-Klassifikationskriterien gestellt und durch eine Biopsie bestätigt. Umfangreichere Studiendaten zur CSS liegen nur für das Erwachsenenalter vor.
10.6 · Panarteriitis nodosa, Churg-Strauss-Syndrom und andere seltene Vaskulitiden bei Kindern
Klassifikationskriterien des Churg-StraussSyndroms (Masi et al. 1990) Für die Klassifikation des Churg-Strauss-Syndroms (CSS) müssen mindestens 4 der folgenden 6 Kriterien nachweisbar sein. Bei Nachweis von 4 oder mehr der 6 Kriterien hat das Klassifikationssystem eine Sensitivität von 85% und eine Spezifität von 99,7%. 1. Asthma 2. Eosinophilie >10% 3. Neuropathie, (Mono- oder Polyneuropathie) 4. Pulmonale Infiltrate, nicht fixiert 5. Paranasale Sinusauffälligkeiten 6. Extravaskuläre eosinophile Infiltrate
Häufigkeit Es gibt keine populationsbasierten Daten zur Häufigkeit des CSS im Kindesalter. Rheinhold-Keller et al. (2002) identifizierten insgesamt 3 Erwachsene mit CSS in einer großen deutschen Vaskulitisstudie und berechneten die CSS-Inzidenzrate mit 1/1 Mio./Jahr. Die höchste CSS-Inzidenzrate insgesamt hat Großbritannien mit 3/1 Mio./Jahr (Watts u. Scott 2004).
Ätiologie und Pathogenese CSS wird häufig in die Gruppe der ANCA-assoziierten Vaskulitiden eingeordnet. In einer großen italienischen Studie an 93 konsekutiven CSS-Patienten wurde gezeigt, dass nur 40% ANCA-positiv sind. Die Mehrzahl wies pANCA mit Spezifität für Myeloperoxidase auf (Sinico et al. 2005). Die ANCA-positiven Patienten in dieser Studie hatten häufig eine Glomerulonephritis und eine alveoläre Kapillaritis. Die Rolle der Antineutrophilen-Antikörper in der Ätiologie und Pathogenese des CSS ist unklar. Ebenso kontrovers diskutiert wird die Rolle von Medikamenten wie beispielsweise Leukotrienrezeptorantagonisten (Turvey et al. 2003). Histologisch ist das CSS durch das Vorliegen eines vorwiegend eosinophilen, intramuralen und perivaskulären Infiltrates gekennzeichnet. Palisadengranulome sind häufig zu finden.
Genetische Faktoren Das CSS im Kindesalter ist selten. Genetische Faktoren über die Atopie hinaus wurden bislang nicht identifiziert.
403
10
Entstehung der CSS-Vaskulitis eine wichtige Rolle. CSSMarker wie der sIL2-Rezeptor sowie das eosinophile kationische Protein (ECP) reflektieren den systemischen Entzündungsprozess.
Klinische Symptome Die klinischen Symptome des CSS sind ausschließlich für das Erwachsenenalter zusammengefasst worden. Die Leitsymptome sind die schwere Entzündung der Atemwege und Asthma. 70% der Patienten haben eine vorbestehende und sich akut verschlechternde Sinusitis, Polyposis und/oder Rhinitis. Bei 80% wird die Diagnose Pneumonie und Asthma gestellt. Schwere Allgemeinsymptome treten faktisch bei allen Patienten auf. Sie schließen Abgeschlagenheit, Fieber und Gewichtsverlust ein. Darüber hinaus haben 64–75% eine Mononeuritis multiplex, 40– 70% eine kutane Vaskulitis und 32–62% eine Entzündung des Gastrointestinaltrakts. Eine Herzbeteiligung mit Perikarditis (23%) oder Myokarditis (13%) ist prognostisch ungünstig und mit hoher Mortalität verknüpft. Die klinische Abgrenzung des CSS von der systemischen PAN kann im Einzelfall schwierig sein. Die Biopsie ist diagnoseweisend. Ein Charakteristikum der CSS ist die in Phasen verlaufende Erkrankungsvorgeschichte: 5 Die jahrelang andauernde Prodromalphase ist gekennzeichnet durch chronisch-allergische Rhinitis und Asthma. Das Asthma ist häufig schwer und kortikoidabhängig, sodass die folgenden Symptome oft durch die Kortikoidtherapie teilweise maskiert werden. 5 Die vaskulitische Phase des CSS ist gekennzeichet durch das Auftreten der folgenden Symptome: pulmonale Infiltrationen, Mononeuritis multiplex, gastrointestinale Beteiligung, schwere kardiale Beteiligung sowie Haut- und Gelenkbeteiligung. Die seltene Manifestation an den Nieren geht oftmals mit einer geringen Proteinurie und einer Nierenfunktionseinschränkung einher. In dieser Phase findet sich sehr häufig eine deutliche Eosinophilie. 5 Bei Diagnosestelllung einer CSS hat der jugendliche Patient eine schwere Atemwegserkrankung mit einer deutlichen systemischen Entzündungsreaktion, Anämie, Leukozyose und Eosinophilie. Die Symptome können anfangs als schwere therapierefraktäre Pneumonie fehlgedeutet werden.
Pathologie Die Pathogenese des CSS ist eng mit der Pathogenese der Atopie und des Asthmas verknüpft. TH2-Helferzellen und das von ihnen kontrollierte Zytokinmuster stehen im Mittelpunkt pathogenetischer Untersuchungen des CSS. Eine Reihe unterschiedlicher Triggermechanismen für die systemische Inflammation und Vaskulitis sind untersucht worden. Die pathogenetische Rolle von Antikörpern wird kontrovers diskutiert. ANCAs spielen vermutlich bei der
Diagnose und Verlauf Die Verdachtsdiagnose CSS wird im klinischen Alltag anhand der modifizierten ACR-Kriterien gestellt. Diagnoseweisend sind die Erkrankungsvorgeschichte eines schweren Asthmas, die pulmonale Manifestation der Vaskulitis und die Hypereosinophilie. Die Sicherung der Diagnose erfolgt mittels Biopsie.
404
1 2 3 4 5 6 7
Kapitel 10 · Vaskulitiden
Die pulmonale Bildgebung ist nicht selten diagnoseweisend. Häufig wird die Diagnose »chronische Pneumonie« gestellt. Typische Befunde des hochauflösenden CT sind retikuläre basale Veränderungen, Zeichen der Atemwegsentzündung, fleckförmige, knotige Veränderungen, interlobuläre Septenverdickung, Verbreiterung der Bronchialwände und Atelektasen. Silva et al. (2005) verglichen diese Veränderungen mit histologischen Befunden bei CSS-Patienten und konnten zeigen, das die parenchymatösen Veränderungen häufig Zeichen einer eosinophilen Pneumonie sind. Die septalen Veränderungen reflektieren ein pulmonales Ödem, und die bronchialen Wandveränderungen sind Zeichen muskulärer Hypertrophie und Nekrosen sowie eosinophiler Infiltrate in der Wand der großen Atemwege.
Therapie
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
In der Behandlung des CSS hat sich bei Erwachsenen ein »Induktions-Erhalt«-Therapiestufenschema durchgesetzt. Die initiale Induktionstherapie besteht typischerweise aus Cyclophosphamid und hochdosierten Steroiden. Mit dieser Behandlung erreichen 80% der Patienten eine Remission. Im Verlauf nach 6–12 Monaten wird Methotrexat (MTX) als Erhaltungsdauertherapie eingesetzt. Alle verfügbaren Therapiestudien zum Cyclophosphamid subsumierten CSS in der Regel unter »ANCA-assoziierte Vaskulitis«. In neueren Untersuchungen an Patienten mit milderem, nicht lebensbedrohlichem CSS wurde in nichtrandomisierten offenen Studien die Rolle von MTX plus hochdosierter Steroide in der Induktionsbehandlung untersucht (Metzler et al. 2004). Die mittlere Therapiedauer zur Remission waren 5 Monate, die Remission konnte bei 12 der 23 Patienten gehalten werden. Die anderen 11 Patienten hatten Rezidive nach einer mittleren Dauer von 9 Monaten. Neben Cyclophosphamid, MTX und Prednison werden in Einzelfällen auch Immunglobuline zur CSS-Behandlung eingesetzt (Takigawa et al. 2005). Therapierefraktäre Fälle sind erfolgreich mit TNF-Rezeptor-Antagonisten behandelt worden und in Fallberichten veröffentlicht worden (Arbach et al. 2002).
Prognose Die Prognose des CSS ist vom initialen Organbefallsmuster, dem Errreichen der Remission und der Häufigkeit des Auftretens von Rezidiven abhängig. Häufig ist die Reduktion der Steroide durch das Wiederaufflammen eines schweren Asthmas limitiert. Rund 25% der Patienten haben ein Rezidiv im ersten Jahr. Die 10-Jahres-Überlebensrate wird bei Erwachsenen mit 72–79% angegeben. Die schwere myokardiale, perikardiale oder koronare Beteiligung ist prognostisch sehr ungünstig. Gastrointestinale Beteiligung ist ebenfalls ein ungünstiger Prognosefaktor.
! Das CSS im Kindesalter ist selten. Validierte Diagnosekriterien, Therapieprotokolle und Langzeitbeobachtungen liegen nicht vor. Frühe Rezidive treten häufig auf. Die Behandlung folgt einem Induktions-Erhalt-Stufenschema. Mildere CSS-Verläufe können mit MTX behandelt werden. Immunglobuline werden additiv verwandt. Experimentelle Therapien mit Zytokinantagonisten können bei refraktären Verläufen erfolgreich sein.
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10.1 · Panarteriitis nodosa, Churg-Strauss-Syndrom und andere seltene Vaskulitiden bei Kindern
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405
10
407
11.1 ·
11 Periodische Fiebersyndrome T. Kallinich, R. Keitzer
11.1
Definition – 409
11.2
Diagnostik
11.3
Familiäres Mittelmeerfieber – 414
11.3.1 11.3.2 11.3.3 11.3.4 11.3.5 11.3.6 11.3.7 11.3.8 11.3.9
Definition – 414 Häufigkeit – 415 Klassifikation – 415 Ätiologie – 415 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 417 Diagnose des FMF – 419 Therapie – 420 Prognose – 421
11.4
CIAS1-pathien
11.4.1 11.4.2 11.4.3
Familiäres kälteinduziertes autoinflammatorisches Syndrom Muckle-Wells-Syndrom – 423 NOMID/CINCA – 424
11.5
TNF-Rezeptor-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS)
11.5.1 11.5.2 11.5.3 11.5.4 11.5.5 11.5.6 11.5.7 11.5.8
Definition – 425 Häufigkeit – 425 Klassifikation – 426 Ätiologie – 426 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 427 Diagnose – 428 Therapie – 428
11.6
Hyper-IgD-Syndrom (HIDS) – 428
11.6.1 11.6.2 11.6.3 11.6.4 11.6.5 11.6.6 11.6.7 11.6.8 11.6.9
Definition – 428 Häufigkeit – 429 Klassifikation – 429 Ätiologie – 429 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 430 Diagnose – 431 Therapie – 431 Prognose – 431
– 409
– 416
– 421
– 426
– 430
– 422
– 425
11
408
1
Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
11.7
Granulomatöse Erkrankungen
11.8
PFAPA-Syndrom (periodisches Fieber, aphthöse Stomatitis, Pharyngitis und Adenopathie) – 432
11.8.1 11.8.2 11.8.3 11.8.4 11.8.5 11.8.6
Definition – 432 Häufigkeit und Ätiologie – 432 Klinische Symptome – 432 Diagnose – 432 Therapie – 433 Prognose – 433
2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Literatur
– 433
– 431
409
11.2 · Diagnostik
11.1
Definition
Der Begriff der »periodischen Erkrankung« wurde erstmalig von Reimann 1948 vorgeschlagen. Diese Definition umfasste zu Beginn eine heterogene Gruppe von Syndromen unklaren Ursprungs, die bei Personen ohne eine andere Grunderkrankung in periodischen Abständen zu wiederkehrenden gleichförmigen Symptomen führen. Anfang der 1960er Jahre wurde erneut von Reimann die Gruppe der vererbten periodischen Fiebersyndrome postuliert, wobei zu dieser Zeit die überwiegende Mehrzahl der Syndrome noch nicht als eigenständige Entitäten definiert war. In den letzten Jahren wurden für einen Teil der periodischen Fiebersyndrome die molekulargenetischen Ursachen entschlüsselt. Dieser Meilenstein in der Forschung hat nicht nur einen entscheidenden Einfluss für das Verständnis von Pathogenese, Diagnostik und Therapie, sondern eröffnet auch die Möglichkeit einer exakteren Klassifikationen. Unter dem (historischen) Begriff der periodischen Fiebersyndrome werden alle Erkrankungen zusammengefasst, in deren Verlauf es bei sonst gesunden Patienten zu immer wiederkehrenden fieberhaften Episoden mit einer gleichen oder ähnlichen Charakteristik kommt (. Tab. 11.1). Die Anwendung dieses Begriffs ist jedoch bei vielen Erkrankungen irreführend, da die einzelnen Fieberschübe nicht selten keiner strengen Periodizität folgen, sondern in scheinbar wahllosen Zeitabständen auftreten. Trotzdem soll diese Bezeichnung beibehalten werden. Hereditäre periodische Fiebersyndrome. Sie stellen eine klar definierte Subgruppe der periodischen Fiebersyndrome dar (. Tab. 11.1). Diese Erkrankungen folgen einem (rezessiven oder dominanten) autosomalen Erbgang. Aufgrund der pathogenetischen Erkenntnissen wurde für diese Gruppe auch der Begriff der »autoinflammatorischen Syndrome« geprägt (s. unten). Die Identifizierung der zugrunde liegenden Genmutationen verdeutlichte darüber hinaus, dass bestimmte Syndrome Störungen in identischen biochemischen Vorgängen aufweisen. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich einerseits die Gruppe der Syndrome mit Mutationen im CIAS-1-Gen und andererseits die Gruppe mit einer Alterierung der IL-1β-Prozessierung zusammenfassen. Der infantilen Sarkoidose und dem Blau-Syndrom können Mutationen im CARD15/NOD2-Gen zugrunde liegen. Obwohl für diese Syndrome kein periodisches Auftreten der Symptome beschrieben wird, sollen sie aufgrund der beobachteten autoinflammatorischen Phänomen in diesem Kapitel Erwähnung finden. Einen Überblick über die Symptomatik der einzelnen Fiebersyndrome gibt . Tab. 11.2. Einige Charakteristika der periodischen Fiebersyndrome finden sich in der folgenden Auflistung.
11
Charakteristika der periodischen Fiebersyndrome 5 Rezidivierend auftretende selbstlimitierende Fieberschübe über mehr als 6 Monate 5 Hohe Entzündungsmarker während der Attacken (CRP, Ferritin, Serumamyloid A, BSG) 5 Völlige Beschwerdefreiheit zwischen den Attacken 5 Keine infektiologische Ursache
Autoinflammatorische Syndrome. Zwischen den Jahren 1997 und 2002 wurden für eine Reihe hereditäre periodische Fiebersyndrome Gendefekte identifiziert. Da es bei diesen Erkrankungen zu einer unkontrollierten überschießenden Antwort des angeborenen Immunsystems kommt, ohne dass dabei Mechanismen der erworbenen Immunantwort, wie die Bildung von Autoantikörper oder autoantigenspezifische T-Zellen, eine Rolle spielen, wurde in Abgrenzung zu den Autoimmunerkrankungen der Begriff autoinflammatorische Syndrome geprägt (McDermott et al. 1999; Stojanov u. Kastner 2005). Auf die zugrunde liegenden pathopysiologischen Veränderungen wird bei den einzelnen Krankheitsbildern eingegangen werden.
11.2
Diagnostik
Rezidivierend auftretende Fieberzustände sind ein alltägliches Phänomen in der pädiatrischen Praxis. Die Zahl der infektbedingten Fieberschübe beim gesunden Kleinkind wird mit bis zu 8 pro Jahr angegeben. Diese febrilen Perioden sind meist ein Zeichen der Auseinandersetzung des Immunsystems mit viralen Krankheitserregern. In aller Regel finden sich in der Anamnese, der klinischen Untersuchung oder der Labordiagnostik Zeichen einer Infektion. Von dieser »physiologischen Infektanfälligkeit« des Kindes, die mit notwendigen Lernvorgängen des sich entwickelnden Immunsystems zusammenhängt, müssen periodisch auftretende Fieberschübe differenziert werden, denen eine andere Ursache zugrunde liegt. Häufig gelingt dies nicht unmittelbar und bedarf eines längeren Beobachtungszeitraums. Das Vorgehen setzt sich aus mehreren Schritten zusammen. Anamnese. Neben den allgemeinen anamnestischen Fra-
gen sollte zur Abklärung periodischer Fiebersyndrome auf die im Folgenden aufgeführten Fragen besonderes Gewicht gelegt werden. Die Anfertigung eines Stammbaumes sowie die Führung eines Beschwerdekalenders über einen längeren Zeitraum kann hilfreich sein. 5 Fieberattacken: Manifestationsalter der Fieberattacken? Dauer des Fiebers? Fiebertyp (Kontinua, inter-
17
18
19
20
21
22
23
+
+
Hereditäres periodisches Fiebersyndrom
Periodisches Fieber (mit regelmäßigen Abständen)
Rezidivierendes Fieber, Inflammation
+
+
+
Autoinflammatorische Erkrankung
+
+
+
Alterierung der IL-1β-Prozessierung
(+)
+
+
+
Autosomaldominant
(+)
+
+
+
Autosomaldominant
+
+
Autosomaldominant
+
+
+
Autosomaldominant
TNFRSF1A
+
+
+
?
Autosomalrezessiv
MVK
9
Granulomatöse Erkrankung
Autosomaldominant
Autosomalrezessiv
Vererbungsmodus
14 PSTPIP1/ CD2BP
12
CIAS1
8 +
+
Autosomaldominant
CARD15/ NOD2
BLAU
7
CIAS1
10 HIDS
(+)
+
+
Multifaktoriell
CARD15/ NOD2
EOS
6
CIAS1
11
TRAPS
5
MEFV
13
PAPA
(+)
+
+
Multifaktoriell
CARD15/ NOD2
Morbus Crohn
4
Gen
15 CINCA/NOMID
+
?
Unbekannt
unbekannt
PFAPA
3
MWS
+
25% autosomaldominant
Elastase
Zyklische Neutropenie
2
FCAS
1
FMF
. Tab. 11.1. Klassifikation der periodischen Fiebersyndrome
410 Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
16
Konjunktivitis
Arthritis / Arthralgien
Konjunktivitis
Polyarthralgien
Marenostrin/ Pyrin
Türken, Araber, Juden, Armenier
<10. Lebensjahr
12–72 Stunden
Sterile Peritonitis, Obstipation
Selten
Häufig Monarthritis, seltener Myalgien
Erysipelartige Läsionen
Protein
Ethnizität
Manifestationsalter
Attackendauer
Abdominelle Symptomatik
Augenbeteiligung
Muskuloskeletalbeteiligung
Hauterscheinungen
Kälteinduzierte Urtikaria
Unbekannt
1–2 Tage
<6. Lebensmonat
Ubiquitär
Cryopyrin/ NALP3/PYPAF1
Urtikariaähnliches Exanthem
Möglich
2–3 Tage
<1. Lebensjahr
Ubiquitär
Cryopyrin/ NALP3/PYPAF1
Urtikarielles multiformes Exanthem
Arthritis der großen Gelenke, irreguläre Ossifikationen
Konjunktivitis, Uveitis, Optikusatrophie
Möglich
Variabel
Postnatal
Ubiquitär
Cryopyrin/ NALP3/PYPAF1
1q44
1q44
1q44
16p13
Chromosom
CIAS1/NALP3/ PYPAF1
CIAS1/NALP3/ PYPAF1
CIAS1/NALP3/ PYPAF1
MEFV
Gen
Autosomaldominant
CINCA/NOMID
Autosomaldominant
Autosomaldominant
MWS
Autosomalrezessiv
FCAS
Art der Vererbung
FMF
. Tab. 11.2. Syndromübersicht
Migratorisches Exanthem
Makulopapulöses Erythem
Granulomatöses, makulo-papulöses Exanthem
Unbekannt
Unbekannt Nicht-verkäsende, granulomatöse Arthritis Symmetrische, benigne Polyarthritis, Arthralgien Ausgeprägte, wandernde Myalgien, seltener Monarthritis
Destruktive, pyogene sterile Arthritis
Pyoderma gangränosa, Akne
Selten Uveitis mit konsekutiver Erblindung
Selten Konjunktivitis, periorbitale Ödeme
Häufig Unbekannt Schmerzen, Diarrhoen, Erbrechen
Unbekannt
3–5 Tage
<5. Lebensjahr
Mögliche Häufung in Israel
Unbekannt
Unbekannt
Unbekannt
Unbekannt
PFAPA
Kein attackenartiger Verlauf
<5. Lebensjahr
Ubiquitär
Nucleotide-binding oligomerization domain 2
16q12
CARD15/NOD2
Autosomal-dominant
BLAU
3–7 Tage
<1. Lebensjahr
v. a. Holland, Frankreich
Mevalonatkinase
12q24
MVK
Autosomalrezessiv
HIDS
Schmerzen, Erbrechen, Übelkeit
Tage bis Wochen
<5. Lebensjahr
Ubiquitär
TNF-Rezeptor 1
12p13
TNFRSF1A
Autosomaldominant
TRAPS
Keine
Kein schubartiger Verlauf
<5 Lebensjahr
Mögliche Häufung unbekannt
CD2-binding protein 1
15q24
PSTPIP1/CD2BP
Autosomaldominant
PAPA
11.2 · Diagnostik 411
11
21
22
23
18 16 15
17
19 Keine
IL-1β-Blockade
Keine
Steroide IL-1 β Blockade
Keine
Colchicin
Spezifische Laborparameter
Therapie
Häufig
Selten
20
Häufig
14
Amyloidose
Steroide, Azathioprim
Keine
Unbekannt
10
IL-1 β-Blockade
Keine
Häufig
12 Steroide, TNF-αBlockade
Erniedrigter Anteil des löslichen TNF-R1, Defekt im TNF-R-Shedding
Häufig
Brustschmerzen, schmerzhafte Hodenbeteiligung, Lymphadenopathie, zentranervöse Beteiligung
8
Keine
Steroide
Steroide
Keine
Keine
Erhöhtes IgD und IgA, verminderte Aktivität der Mevalonatkinase
Steroide, Etanercept, Statine
Unbekannt
Zervikale Lymphadenopathie, Schüttelfrost, Pharyngitis, orale Aphthen, Kopfschmerzen
PFAPA
Unbekannt
Keine
BLAU
3
Extrem selten
Sehr häufig (zervikale) Lymphadenopathie, Splenomegalie
HIDS
7
Zentralnervöse Symptomatik mit Krampfanfällen, möglicher Hörminderung, Hemiparese, erhöhtem Liquordruck, Übergangsformen zu anderen CIAS1Pathien
9 TRAPS
6
Pleuritis, Perikarditis, Hodenschmerz
11 PAPA
5
Weitere Manifestationen
13
CINCA/NOMID
4
Übergangsformen zu anderen CIAS1Pathien; sensoneuraler Hörverlust
MWS
1
Übergangsformen zu anderen CIAS1Pathien
FCAS
2
FMF
. Tab. 11.2. Fortsetzung
412 Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
5
5 5 5 5 5
mittierend)? Tagesrhythmik? Frequenz der Fieberattacken? Auslösende Faktoren für die Fieberattacken? Ansprechen der Fieberattacken auf medikamentöse Therapie? Hypothermiephasen? Begleitende Symptome: Arthralgien? Arthritis? Myalgien? Bauch- oder Brustschmerzen? Atembeschwerden? Lymphadenopathien? (Orale oder genitale) Aphthen? Urtikarielle oder erysipelartige Hautveränderungen? Juckende Effloreszenzen? Konjunktivitis? Uveitis? Visusminderung? Hörminderung? Ödeme? Zentralnervöse Symptome? (Abdominelle) Operationen? Gewichtsverlust? Hinweise auf assoziierte Erkrankungen/Komplikationen: Zeichen einer Vaskulitis oder einer Amyloidose? Familienanamnese: Rezidivierendes Fieber? Amyloidose? Unklares Nierenversagen? Ethnizität?
Körperliche Untersuchung. Im Folgenden sind einige für die Diagnostik der periodischen Fiebersyndrome wichtige körperliche Befunde aufgeführt: 5 Kompletter Gelenkstatus; 5 Exantheme, Erytheme, erysipelartige Läsionen, pustulöse Hautveränderungen, Urtikaria; 5 Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie; 5 Aphthen; orale und/oder genitale Ulzerationen; 5 audiometrische Untersuchung: Hörverlust; 5 Zeichen einer Pleuritis oder Perikarditis; 5 Blutdruck; 5 Gewicht, Länge, Perzentilenlage; 5 augenärztliche Untersuchung: Uveitis, Papillenödem. Labordiagnostik. Neben der zur Abklärung eines Fie-
11
413
11.2 · Diagnostik
tischen Methoden sind jedoch weniger etabliert, sodass diese Tests keinen Bestandteil der Routinediagnostik darstellen. Diagnostik bei oligosymptomatischen, autoinflammatorischen Erkrankungen. Von manchen Patienten wird das
rezivierend auftretende Fieber nicht als Leitsymptom geschildert oder tritt überhaupt nicht auf. Die Erkrankung manifestiert sich in diesen Fällen erstmalig z. B. in Form eines Perikard- und/oder Pleuraergusses, einer assoziierten Vaskulitis oder einer Amyloidose. Bei diesen Patienten sollte nach weiteren Zeichen für ein periodisches Fiebersyndrom gesucht werden, die molekulargenetische Untersuchung kann dann diagnostisch entscheidend sein. Differenzialdiagnosen. Die Liste der Differenzialdiagno-
sen ist lang und umfasst Erkrankungen, die unter dem Begriff des Fiebers unklarer Genese zusammengefasst werden. Hierbei ist insbesondere nach infektiologischen, rheumatologischen, autoimmunologischen und malignen Erkrankungen sowie Immundefekten zu fahnden (7 Übersicht). Ein mögliches differenzialdiagnostisches Vorgehen zeigt .Abb. 11.1. Auswahl an Differenzialdiagnosen bei Fieber unklarer Genese Lokalisierte Infektionen 5 5 5 5 5 5 5 5
Bakterielle Endokarditis Harnweginfektion Intrabdomineller Abszess Osteomyelitis Otitis media Enzephalitis/Meningitis Pneumonie Bronchiektasen …
ber unklarer Genese vorgeschlagenen Basisdiagnostik sollte zur Abklärung eines periodischen Fiebersyndroms die Bestimmung der Akute-Phase-Proteine und des Differenzialblutbildes sowohl während einer Attacke wie auch im symptomfreien Intervall erfolgen. Charakteristischerweise lässt sich kein Anhalt für eine infektiologische Ursache des Fiebers oder einen zugrunde liegenden Immundefekt finden. Auf Hinweise einer Amyloidose (Proteinurie) ist zu achten. Die durchschnittliche Konzentration des Serum Amyloid-A-Proteins (SAA) scheint ein sensitiver prädiktiver Parameter für das Risiko einer Amyloidose zu sein (Gillmore et al. 2001).
Spezifische Infektionen
Spezifische Diagnostik Hierzu steht insbesondere die molekulargenetische Untersuchung auf Mutationen in den entsprechenden Genen zur Verfügung. Zu beachten ist, dass auch bei klinisch eindeutig zu klassifizierenden Patienten nicht in allen Fällen Mutationen im Bereich der kodierenden Exone zu finden sind. Funktionelle zelluläre Defekte können die Diagnostik stützen; die analy-
Neoplastische Erkrankungen
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(A)typische Mykobakterien Mykoplasmen Bartonellen Malaria Borrelien Yersinien, Camplyobacter, Salmonellen, Shigellen, Amöben 5 Viren: EBV, CMV, Parvovirus B19 …
Immundefekte 5 Immundefekte der T- und B-Zellen sowie der Neutrophilen, Komplementdefekte 5 Aids … 5 5 5 5
Leukämien und Lymphome Neuroblastome Solide Tumoren Castleman-Syndrom … 6
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
Autoimmunerkrankungen und autoinflammatorische Syndrome 5 5 5 5 5 5 5
Systemische idiopathische juvenile Arthritis Systemischer Lupus erythematodes Dermatomyositis Kawasaki-Syndrom Vaskulitiden Entzündliche Darmerkrankungen Periodische Fiebersyndrome …
Weitere Erkrankungen 5 5 5 5 5 5
Diabetes insipidus Morbus Addison Zentrales Fieber Familiäre Dysautonomie Medikamentenfieber (Ersatz-)Münchhausensyndrom …
Aufgrund der strengen Periodizität des Fiebers stellt die zyklische Neutropenie eine wichtige Differenzialdiagnose dar. Bei dieser seltenen Erkrankung kommt es in periodischen Abständen (alle 18–21 Tage) zu einem Abfall der Neutrophilen auf weniger als 200 Zellen/µl. Unterstützt durch eine ungewöhnliche (an)aerobe mukosale Keimbesiedlung kommt es zu rezidivierenden Infektionen der (oberen) Luftwege und des Gastrointestinaltraktes. Ebenso können hautbesiedelnde Keime wie Staphylokokken und Streptokokken während der Phasen einer abgeschwächten Abwehr eine lokale kutane Infektion hervorrufen. Die Symptome beginnen meist im frühen Kindes-
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11.3
Familiäres Mittelmeerfieber
11.3.1 Definition Das familiäre Mittelmeerfieber (FMF) ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung (OMIM 249100), charakterisiert durch kurze selbstlimitierende febrile Attacken, verbunden mit Zeichen einer Serositis und einer stark erhöhten Akute-Phase-Reaktion (Sohar et al. 1967). Die Amyloidose stellt eine schwere Komplikation der Erkrankung dar. Das FMF wurde erstmalig 1945 von Siegal an 10 Patienten als eine eigenständige nosologische Entität beschrieben und anfänglich als benigne paroxsymale Peritonitis, periodische Peritonitis bzw. rekurrierende Polyserositis bezeichnet (Siegal 1945). Es wird vermutet, dass das FMF ursprünglich auf die Länder des Mittleren Ostens beschränkt war. Durch Handel, Kriege und Vertreibung kam es in den letzten beiden Jahrtausenden zu ausgeprägten Völkerwanderungen entlang der Mittelmeeranrainer, sodass die Erkrankung heute insbesondere in den Bevölkerungsgruppen der sephardischen Juden, Libanesen, Türken, Armenier sowie in Teilen der arabischen Bevölkerung vorkommt. Doch durch weitere Migrationsbewegungen im 20. Jahrhundert fand die Erkrankung eine erneute Verbreitung vor allem in Mitteleuropa und Nordamerika, sodass das FMF nicht mehr allein auf den Mittelmeerraum beschränkt ist (BenChetrit u. Levy 1998). In Mitteleuropa kommt die Erkrankung bis auf sehr wenige Ausnahmen allerdings nach wie vor ausschließlich bei Personen mit Vorfahren aus Ländern des Mittelmeerraumes vor. ! Trias des FMF: rezidivierendes Fieber über 12–72 Stunden, Zeichen einer Serositis (Peritoneum, Perikard, Pleura, Hodenhüllen) und ethnische Herkunft.
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alter und manifestieren sich als streng periodisch auftretendes Fieber mit zervikalen Lymphknotenschwellungen, oralen aphthösen Ulzerationen, einer Pharyngitis sowie weiteren Zeichen einer Infektion der oberen Luftwege. Die Erkrankung stellt somit eine wichtige Differenzialdiagnose des PFAPA-Syndroms dar. Die Diagnose wird über die periodische Neutropenie gestellt. In etwa 25% der Fälle liegt ein autosomal-dominanter Erbgang vor (Mutationen in der Neutrophilenelastase ELA-2). Da den febrilen Schüben der zyklischen Neutropenie eine infektiöse Ursache zugrunde liegt, wird die Erkankung nicht in die Definition der periodischen Fiebersyndrome mit aufgenommen (s. oben), sondern als eine Differenzialdiagnose diskutiert.
. Abb. 11.1. Differenzialdiagnostische Überlegungen bei rezidivierend auftretenden Fieberschüben im Kindesalter
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11.3 · Familiäres Mittelmeerfieber
11.3.2 Häufigkeit Die Häufigkeit der Erkrankung schwankt zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen. Während die Prävalenz der Erkrankung in Israel bei 1:500 liegt, wird sie bei der jüdischstämmigen Bevölkerung Nordafrikas auf unter 1:250 geschätzt. In der türkischen Gesamtbevölkerung ist etwa jeder 500. bis 1000. klinisch an FMF erkrankt. Die genetische Prävalenz wird in dieser Bevölkerungsgruppe wesentlich höher eingeschätzt. Der Begriff der »armenischen Erkrankung« wurde durch das besonders hohe Aufkommen des FMF in dieser Bevökerungsgruppe geprägt. Für diese Volksgruppe existieren erwartete Prävalenzdaten von bis zu 5,9% (Touitou 2001). In Deutschland leben zurzeit etwa 1,9 Millionen Bürger mit türkischem Pass. Aus den aktuellen Berliner Einschulungsuntersuchungen ist bekannt, dass gegenwärtig etwa die Hälfte der türkischstämmigen Bevölkerung einen deutschen Pass besitzt, sodass die Zahl der Mitbürger mit türkischen Vorfahren auf etwa 3,8 Millionen geschätzt werden kann. In der türkischen Gesamtbevölkerung ist etwa nach aktuellen klinischen Daten jeder 1000. an FMF erkrankt; allerdings zeigen sich auch hier starke geografische Unterschiede mit einer Prävalenz von 2–3 pro 1000 in Zentral- und Ostaanatolien sowie entlang der Schwarzmeerküste. Aus diesen Regionen fanden in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die stärksten Migrationsbewegungen nach Mitteleuropa statt. Aus diesen Zahlen lässt sich abschätzen, dass in Deutschland etwa 4000 bis 8000 türkische Patienten mit FMF leben. Diese Rechnung berücksichtigt nicht die Bürger anderer Länder mit einer hohen Prävalenz an FMF, wie z. B. Palästina, Libanon und Armenien. Es ist von einer hohen Anzahl nicht diagnostizierter Fälle mit FMF auszugehen.
11.3.3 Klassifikation Am weitaus häufigsten ist der sog. FMF-Phänotyp I. Hierbei treten die klassischen Symptome eines FMF vor der Ausbildung einer Amyloidose auf. Der FMF-Phänotyp II ist definiert als 1. bioptisch gesicherte AA-Amyloidose bei einem Patienten mit einer positiven Familienanamnese für FMF, 2. Auftreten klassischer FMF-Symptome nach dem Zeitpunkt einer bioptisch gesicherten AA-Amyloidose oder 3. bioptisch gesicherte AA-Amyloidose und dem Nachweis von 2 Mutationen im MEFV-Gen (Sohar et al. 1967). Die Prävalenz dieses Phänotyps wird in größeren Kohortenstudien zwischen 0,3 und 9% angegeben. In prospektiven Studien ist bei insgesamt 534 Patienten bisher aller-
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dings erst ein Patient mit FMF-Phänotyp II identifiziert worden. Der FMF-Phänotyp III beschreibt den Nachweis von zwei Mutationen im MEFV-Gen ohne Auftreten FMFtypischer Symptome oder einer Amyloidose. In manchen jüdischstämmigen Bevölkerungsgruppen findet man diesen Phänotyp häufiger als den Phänotyp I (Kogan et al. 2001). Allerdings scheint er bei Patienten in Mitteleuropa eine untergeordnete Rolle zu spielen. Durch eine umfangreiche genetische Familiendiagnostik werden bei Kindern immer häufiger 2 Mutationen im MEFV-Gen ohne bekannte FMF-typische Symptomatik identifiziert. Eine Zuordnung zu den beschriebenen Phänotypen lässt sich bei diesen Patienten zur Zeit nicht treffen. ! Eine Amyloidose kann auch ohne vorangegangene FMFtypische Symptome auftreten (FMF-Phänotyp II).
11.3.4 Ätiologie Zwei unabhängige Konsortien konnten 1997 das für FMF verantwortliche Gen (MEFV, abgeleitet von Mediterranean fever) auf dem kurzen Arm des Chromosom 16 identifizieren (International FMF Consortium 1997; French FMF Consortium 1997). Das Genprodukt (Pyrin oder Marenostrin) umfasst 781 Aminosäuren und besteht aus 4 funktionellen Domänen (. Abb. 11.2.) Die N-terminal gelegene Pyrindomäne war bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt; die sich anschließende Aufschlüsselung ihrer Rolle bei der inflammatorischen Reaktion sowie der Apoptose trug aber wesentlich zum Verständnis der proinflammatorischen Reaktion und der Pathophysiologie des FMF bei. Weiter wurde eine B-BoxZinkfingerdomäne, eine Coiled-Coil-Domäne und C-terminal eine B30.2-Domäne identifiziert. Bisher wurden 43 krankheitsassoziierte Mutationen, 24 Polymorphismen und 9 Mutationen unbekannter Funktion identifiziert (Touitou et al. 2004). Ein Cluster an Mutationen findet sich in den Exonen 2 und 10. Bisher wurde nur eine Mutation im pyrinkodierenden Exon 1 identifiziert. Das FMF folgt einem autosomal-rezessiven Erbgang, d. h., Patienten mit einer Homozygotie bzw. einer kombinierten Heterozygotie (zwei unterschiedliche Mutationen, die auf je einem der beiden Allele lokalisiert sind) können an FMF erkranken. Allerdings weisen bis zu 20% aller Patienten mit einem klinisch eindeutig definiertem FMF nur eine oder keine Mutation im MEFV-Gen auf, sodass weitere genetische Veränderung in regulatorischen Elementen oder anderen Genabschnitten postuliert werden müssen.
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
. Abb. 11.2. Mutationen im MEFV. Dargestellt sind die FMF verursachenden Mutationen in den entsprechenden Exonen. „Hotspots“ finden sich in Exon 2 und 10. Die Grenzen der Proteindomänen sind in kleinen Ziffern aufgeführt (BB-ZF Zinkfingerdomäne; CC Coiled-Coil-Domäne; B30.2 B30.2-Domäne
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11.3.5 Pathogenese und Pathologie Während der FMF-Attacken findet sich regelmäßig eine deutliche Erhöhung der Akute-Phase-Reaktion (Serumamyloid A, CRP, Blutsenkungsgeschwindigkeit), an den Orten der lokalen Inflammation zeigt sich ein neutrophiles Infiltrat. Die Beobachtung, dass das MEFV-Gen besonders in diesen infiltrierenden Zellen exprimiert wird, ließ schon bald dessen zentrale Rolle bei der Regulation der Leukozytenfunktion vermuten. Essenzielle Erkenntnisse über die Funktion des MEFV während der inflammatorischen Reaktion wurden über die Beobachtung gewonnen, dass die Pyrindomäne des Proteins mit der Pyrindomäne des ASC (apoptosis-associated speck-like protein with a CARD) eine ProteinProtein-Interaktion eingeht und so makromolekulare Komplexe entstehen (. Abb. 11.3) (zusammengefasst von McDermott 2004).
Neben der N-terminalen Pyrin-Domäne besitzt das ASC eine C-terminale CARD (Caspase-recruitment domain). Diese CARD bindet nun wiederum über eine Protein-Protein-Interaktion spezifisch die Caspase-1 (interleukin-1β converting enzyme, ICE), was zur Aggregation und Autoaktivierung des Enzyms führt. Die aktivierte Caspase-1 kann nun 1. zur Apoptose der Zelle führen, 2. den Transkriptionsfaktor NF-κB aktivieren und 3. die Speicherform des IL-1β (Pro-IL-1β) in dessen aktive sezernierbare Form überführen. Dieses wird sezerniert und entfaltet seine systemische Wirkung (. Abb. 11.4) (Wang et al. 2002; Richards et al. 2001). Welche Rolle spielt nun das Marenostrin/Pyrin bei der Aktivierung der Caspase-1? In Mausexperimenten (7 Exkurs) konnte gezeigt werden, dass das intakte Marenostrin/Pyrin die Caspase-1 bremst und die Immunreaktion eindämmt, während funktionsunfähiges Marenostrin/Pyrin diese Funktion verloren hat — die Immunant-
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β
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κ . Abb. 11.3. Molekulare Vorgänge in Inflammasomen. Dargestellt sind die intrazellulären Mechanismen, die zu einer Prozessierung des IL-1β führen. Während Pyrin einen inhibitorischen Effekt auf die Caspase-1 Aktivierung ausübt, unterhält Cryopyrin diesen Prozess. Diese Signale werden über Proteininteraktionen der Pyrin- sowie der CARD-Domänen vermittelt. (ASC apoptosis-associated speck-like protein with a CARD)
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11.3 · Familiäres Mittelmeerfieber
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Auftreten der ersten Symptome und der Diagnosestellung betrug in der Türkei vor wenigen Jahre noch 9 Jahre. Selten wird von einem »late onset FMF« jenseits des 40. Lebensjahrs berichtet. ! Das Manifestationsalter des FMF liegt in den ersten beiden Lebensdekaden.
Odysee eines Patienten (geb. 1985) mit FMF
. Abb. 11.4. Systemische Wirkung des IL-1β. Makrophagen sezenerieren nach Aktivierung IL-1β. Die systemische Wirkung wird entweder direkt oder über die Vermittlung weiterer Botenstoffe vermittelt
wort verläuft überschießend (Chae et al. 2003). Eine solche ungehemmte Reaktion wird auch bei Patienten mit FMF als Ursache für das klinische Beschwerdebild vermutet. Inflammasom: Die Prozessierung des Pro-IL-1β in die aktive Form des IL-1β ist durch eine Kaskade an ProteinProtein-Interaktionen reguliert. Diese Proteinkomplexe müssen sich bei einer Aktivierung der Zelle rasch formieren, um die proinflammatorische Reaktion zeitnah und streng reguliert auszulösen. Diese komplexen ProteinStrukturen werden als Inflammasom bezeichnet. Exkurs Makrophagen von Mäusen, die eine trunkierte Form des MEFV exprimieren, produzieren nach Stimulation mit bakteriellen Lipopolysacchariden (LPS) deutlich mehr IL-1β als die Kontrolltiere. Dies ist durch eine vermehrte Caspase-1-Aktivität hervorgerufen. Dies legt die Vermutung nahe, dass das intakte Pyrin der Kontrolltiere zu einer Suppression der Caspase-1-Aktivität und damit zu einer Kontrolle der IL-1β-Produktion führt. Diese These wurde bestätigt, indem einer Makrophagenzelllinie intaktes MEFV transfiziert wurde — diese Zellen verloren die Fähigkeit, nach LPS-Stimulation IL-1β zu produzieren (Abb. 11.3) (Chae et al. 2003).
5 09/1986, 11/1986, 11/1987 und 4/1988 Infektarthritis 5 09/1987 OP bei Hodenschwellung, Diagnose »Epididymiditis« 5 06/1988 »Urtikaria mit Knieschwellung« 5 01/1989 Verdacht auf M. Perthes → Schienenbehandlung 5 08/1989 und 10/1989 Fieber, Bauchschmerzen 5 06/1990 Appendektomie wegen akuten Abdomens 5 09/1995 Gonarthritis → Arthroskopie bei Verdacht auf septische Arthritis 5 Insgesamt 28 stationäre Aufenthalte in 7 Kliniken, über 100 ambulante Vorstellungen 5 07/1999 Diagnose FMF
Febrile Attacke Akut kommt es zu hohem Fieber mit schmerzhaften Krisen an einer oder zwei Lokalisationen (Abdomen, Brust, Gelenke, Haut, Skrotum) und erheblichem Krankheitsgefühl (Sohar et al. 1967). Das Fieber verschwindet spontan nach 12–72 Stunden. In seltenen Fälle können die Attacken auch mit subfebrilen Temperaturen einhergehen. Die Zeit zwischen den Attacken ist variabel und liegt zwischen wenigen Wochen und mehreren Monaten. In dieser Zeit ist der Patient beschwerdefrei.
Abdominelle Beschwerden Abdominelle Schmerzen treten bei 90% der Patienten auf und werden durch eine Peritonitis ausgelöst. Meist sind die abdominellen Beschwerden mit einer Obstipation verbunden, in manchen Fällen kommt es aber auch zu einer Durchfallssymptomatik. Nicht selten werden die Patienten aufgrund der Beschwerden, dem hohen Fieber und den erhöhten Entzündungsparametern unter dem Bild eines akuten Abdomens operiert. Eine Splenomegalie in Folge der chronischen Entzündungsreaktion wird in 10– 60% der Fälle beobachtet.
Arthritis 11.3.6 Klinische Symptome Manifestationsalter Bei 90% der Patienten beginnt die Symptomatik vor dem 20., bei 60% bereits vor dem 10. Lebensjahr. Patienten können bereits im 3. Lebensjahr eine klinisch manifeste Amyloidose entwickeln. Die durchschnittliche Zeit zwischen
Die akute Arthritis ist die zweithäufigste Organmanifestation der FMF-Attacke und wird bei 75% der Patienten beobachtet. Meist kommt es zu einer deutlich schmerzhaften, geröteten und überwärmten Schwellung eines großen Gelenks der unteren Extremitäten, die in der Mehrzahl der Fälle rasch regredient ist. Im sterilen Punktat lassen sich anfänglich bis zu 106/mm3 neutrophile Granulozyten nachweisen. Im Verlauf kommt es zum Über-
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
wiegen mononukleärer Zellen. Bei 5% der Patienten kann die Arthritis, insbesondere bei Befall der Knie- und Hüftgelenke, über Wochen anhalten. Sehr selten entstehen bleibende Schäden im Bereich der Hüfte. Eine Sakroileitis kann uni- oder bilateral als Ausdruck des FMF auftreten. ! Bei Kindern aus betroffenen Ländern ist das FMF die zweithäufigste Einzeldiagnose in Rheumaambulanzen.
Seltene Manifestationen Muskelbeschwerden sind als Manifestationsart des FMF bisher wenig beschrieben, können aber in unterschiedlichster Form auftreten und in bis zu 40% der Fälle vorkommen (kurzanhaltende Myalgien bei Fieber; Fibromyalgiesymptomatik, Myalgien bei Anstrengung). Hautödeme wurden in 1–5% der Fälle beschrieben, selten kann es zu einer Mollaret-Meningitis (rezidivierende sterile Meningitis) kommen.
Thoraxschmerzen
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Eine meist einseitige Pleuritis mit atemabhängigem Thoraxschmerzen und flacher Atmung tritt bei etwa 40% der Patienten auf. Die chronische Entzündung kann zu einer Pleuraschwartenbildung führen. Eine Perikarditis wird bei 1% der Patienten beobachtet.
Hautmanifestationen
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Typisch ist ein erysipelartiges Erythem der unteren Extremitäten (. Abb. 11.5), seltener werden urtikarielle Veränderungen beobachtet.
Skrotale Beschwerden Eine Entzündung der Tunica vaginalis testis führt zu heftigen unilateralen Schwellungen eines Hodens. Das Bild ähnelt dem einer Hodentorsion, sodass diese Patienten nicht selten notfallmäßig operiert werden. Diese Manifestation ist eher selten (5% der männlichen Patienten) und tritt vor allem im Kindesalter auf, allerdings können rezidivierende Hoden- oder Nebenhodenentzündungen wegweisend sein.
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Untypische Verläufe des FMF Neben dem Phänotyp-II-FMF, bei dem die Amyloidose als erste oder einzige Manifestation der Erkrankung auftritt, stellen andere oligosymptomatische Verläufe eine diagnostische Herausforderung dar. So kann das Fieber als Leitsymptom fehlen oder nur zeitweilig auftreten. Eine Arthritis oder Perikarditis/Pleuritis als einzige Manifestation sind beschrieben.
Assoziierte Erkrankungen Kinder mit FMF erkranken in bis zu 7% der Fälle an einer Purpura Schoenlein-Henoch und in bis zu 1% an einer Polyarteriitis nodosa (Ozdogan et al. 1997). Ebenso ist eine Assoziation mit dem Morbus Behçet beschrieben. ! Bei Kindern aus betroffenen Ländern mit Vaskulitiden (Purpura Schoenlein Henoch und Polyarteriitis nodosa) sollte die Diagnose eines FMF mit bedacht werden.
. Abb. 11.5a–d. Kutane Manifestationen bei periodischen Fiebersyndromen. a,c Arthritis und erysipelartige Läsion bei FMF; b multiformes urtikarielles Exanthem bei NOMID/CINCA; d urtikarielles Exanthem bei FCAS (das Bild wurde freundlicherweise von H. Hoffman, La Jolla, USA, zur Verfügung gestellt)
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b
c
d
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Amyloidose Der chronische Entzündungsprozess beim FMF führt zu Ablagerungen des Amyloid-A-Proteins. In der Regel sind primär die Nieren betroffen. Dabei manifestiert sich die Nierenamyloidose mit einer Proteinurie, die in der Regel nach 3–5 Jahren in ein nephrotisches Syndrom übergeht. Nach durchschnittlich weiteren 1–2 Jahren manifestiert sich eine Niereninsuffizienz. Im weiteren Verlauf kann es prinzipiell in allen extrazerebralen Organen zu Ablagerungen und dem damit verbundenen Organverlust kommen. Therapeutisch besonders schwierig ist dabei die Einschränkung der Darmfunktion bei Mitbefall der Darmmukosa. Selten sind primär extrarenale Organe, wie z. B. die Schilddrüse oder das Herz (mit restriktiver Kardiomyopathie) betroffen. Vor der Einführung des Colchicins verstarb etwa ein Drittel der Patienten mit FMF während der ersten 4 Lebensdekaden an den Komplikationen einer Amyloidose. Die Amyloidose ist eine Erkrankung, die häufig Patienten im Kindesalter betrifft: Bereits im 5. Lebensjahr können Patienten eine klinisch manifeste Amyloidose entwickeln. In einer großen Kohorte waren 90% aller Patienten, die an Amyloidose verstarben, unter 40 Jahre (Pras et al. 1982). ! Eine Amyloidose kann bereits nach kurzer Latenzzeit im frühen Kindesalter auftreten.
Die Prävalenz der Amyloidose schwankt erheblich zwischen einzelnen Ethnitäten und scheint darüber hinaus durch Umweltfaktoren mitbeeinflusst zu sein (Pras et al. 1982). Sie steht in keiner Beziehung zur Häufigkeit und Intensität der Attacken. Bei persistierender Proteinurie sollte die Diagnose einer Amyloidose histologisch gesichert werden. Amyloidablagerung können nach einer Kongorotfärbung durch das charakteristische grünliche Aufleuchten unter polarisierendem Licht, immunhistologisch durch Antikörper gegen Amyloid oder aber elektronmikroskopisch nachgewiesen werden. Andere gehäuft bei FMF auftretende Erkrankungen mit Nierenbeteiligung (Purpura Schoenlein-Henoch oder Polyarteriitis nodosa) müssen ausgeschlossen werden. Die Nierenbiopsie ist die definitive Methode zum Nachweis einer renalen Amyloidablagerung. Alternativ kann, allerdings mit geringerer Sensitivität, eine Rektumbiopsie durchgeführt werden. Aspiriertes abdominelles Fettgewebe hat sich als unzureichend sensitives Untersuchungsmaterial zur Diagnostik einer Amyloidose bei FMF erwiesen. > Zur frühzeitigen Diagnose einer beginnenden Nierenamyloidose sollte in regelmäßigen Abständen (4–6 Monate) eine Untersuchung auf eine Proteinurie durchgeführt werden. Bei persistierender Proteinurie ist eine bi-
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11.3 · Familiäres Mittelmeerfieber
optische Diagnosesicherung zum Ausschluss anderer Ursachen der Nierenfunktionseinschränkung notwendig.
11.3.7 Diagnose des FMF Die Diagnose des FMF wird primär anhand von klinischen Kriterien gestellt, die molekulargenetische Analyse dient der Diagnosesicherung und ist ein wichtiges Hilfsmittel bei oligosymptomatischen Manifestationen.
Klinische Kriterien Die Tel-Hashomer-Kriterien (Livneh et al. 1997) wurden für Populationen mit einer hohen FMF-Prävalenz entwickelt (7 Übersicht). Die Sensitivität der Kriterien lag in der israelischen Bevölkerung bei >95%, die Spezifität bei >97%. Eine Evaluierung der Kriterien in Bevölkerungsgruppen mit niedrigerer Prävalenz des FMF und einer relativ hohen Prävalenz anderer hereditärer periodischer Fiebersyndrome wurde bisher nicht durchgeführt. Es ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass diese Kriterien laborchemische Veränderung sowie die molekulargenetische Diagnostik nicht in die Diagnosefindung mit einbeziehen.Trotzdem ist deren Anwendung auch bei Patienten in Mitteleuropa empfohlen, da die Spezifität gegenüber anderen Diagnosekriterien erhöht ist und atypische Verlaufsformen mitberücksichtigt werden.
Diagnosekriterien für das FMF (nach Livneh et al. 1997) 5 Hauptkriterien: Typische Attacken (≥3 derselben Art, Fieber ≥38oC; Dauer 12–72 Stunden) 1. (Generalisierte) Peritonitis 2. (Unilaterale) Pleuritis oder Perikarditis 3. Monarthritis der Sprunggelenke, Kniegelenke oder Hüften 4. Nur Fieber 5 Nebenkriterien: 1–3 Untypische Attacken (im Unterschied zur typischen Attacke Fieber <38oC und/oder Dauer <12 Stunden oder >72 Stunden) plus Schmerzen in Mindestens einer Lokalisation (1–3) 1. lokalisierte Bauchschmerzen ohne Peritonitis 2. Brustschmerzen 3. Arthritis in anderen Gelenken 4. belastungsabhängige Beinschmerz 5. Gutes Ansprechen einer Colchicintherapie 5 Zusatzkriterien 1. Familiäre FMF-Erkrankungen 2. entsprechende ethnische Herkunft 3. <20 Jahre bei Erstmanifestation 4. Art der Attacken (4-7): 4. Schwer, bettlägrig 6
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
5. Spontane Remission 6. Symptomfreie Intervalle 7. Ehöhte Akute-Phase-Reaktion 8. Episodische Hämaturie/Proteinurie 9. Laparotomie ohne eindeutigen Befund 10. Konsanguinität der Eltern 5 Die Diagnose eines FMF kann gestellt werden bei Vorliegen von: 1. ≥1 Hauptkriterium 2. ≥2 Nebenkriterien 3. 1 Nebenkriterium plus ≥5 Zusatzkriterien 4. 1 Nebenkriterium plus ≥4 der ersten 5 Zusatzkriterien
dings erlaubt sie keinen endgültigen Ausschluss der Erkrankung. Bei der molekulargenetischen Untersuchung sollte aus Kostengründen ein sequenzielles Vorgehen gewählt werden, da sich die Mutationen im Exon 10 und weniger im Exon 2 häufen. Erst bei negativem Untersuchungsbefund in diesen Genabschnitten empfiehlt es sich ggf. weitere Exone zu untersuchen. Da die Diagnose eines FMF eine lebenslange Therapie nach sich zieht, empfiehlt es sich bei diagnostischen Unklarheiten eine weitere Beobachtung mit Beschwerdekalender und die Bestimmung der Enzündungsparameter. Gegebenenfalls kann ein Therapieversuch mit Colchicin eingeleitet werden.
Laboruntersuchungen Während der symptomfreien Intervalle zeigt sich bei etwa 2 Dritteln der Patienten eine persistierende Erhöhung der Entzündungsparameter (CRP, Serumamyloid A und Blutsenkungssgeschwindigkeit). Die interindividuellen Unterschiede der subklinischen Inflammation sind bisher noch unzureichend validiert, trotzdem können Zeichen einer persistierenden Entzündung die Diagnose eines FMF unterstützen. Die Konzentration des IgD im Serum ist bei Patienten mit FMF häufig erhöht und kann somit die Differenzialdiagnose eines HIDS fälschlicherweise unterstützen.
Molekulargenetische Analyse des MEFV-Gens Die klinische Diagnose eines FMF kann durch den Nachweis homozygoter oder kombiniert heterozygoter Mutationen des MEFV-Gens gestützt werden (International FMF Consortium 1997; French FMF Consortium 1997). Die Untersuchung ist insbesondere bei klinisch unklaren Fällen mit atypischen Verläufen sehr hilfreich. Zudem kann durch den genetischen Nachweis eines FMF die Compliance beim Patienten verbessert werden. Bei der genetischen Analyse ist zu berücksichtigen, dass nicht bei allen klinisch klar definierten Fälle mit FMF zwei Mutationen im MEFV-Gen nachgewiesen werden können (Cazeneuve et al. 2003). Damit erlaubt der ausgebliebene Nachweis einer Homozygotie bzw. kombinierten Heterozygotie keinen Ausschluss eines FMF. Auf der anderen Seite stellen Fälle mit genetisch gesichertem FMF ohne eine entsprechende klinische Präsentation eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Diese Patienten müssen sorgfältig auf Vorliegen klinischer Symptome und insbesondere Zeichen einer Amyloidose untersucht werden, um ggf. rechtzeitig eine Therapie einzuleiten. > Die Diagnose eines FMF wird anhand von klinischen Kriterien gestellt. Die molekulargenetische Untersuchung des MEFV-Genes kann diese Diagnose bestätigen und ist sehr hilfreich bei untypischen Verlaufsformen. Aller-
11.3.8 Therapie Indikation zur Colchicintherapie Die ersten Beschreibungen einer prophylaktischen Colchicingabe zur Kontrolle der Attacken bei FMF stammt aus dem Jahr 1972 (Ozkan et al. 1972). Nachfolgend wurde in drei unabhängigen kontrollierten Studien die Wirksamkeit der prophylaktischen Colchicingabe bei erwachsenen Patienten mit FMF demonstriert. In einer sich daran anschließenden großen Kohortenstudie mit einem Beobachtungszeitraum von 13 Jahren wurde darüber hinaus der protektive Effekt einer kontinuierlichen Colchicinapplikation auf die Ausbildung einer Amyloidose eindrucksvoll dargestellt (Zemer et al. 1986). Unter einer adäquat dosierten Colchicinprophylaxe kommt es bei etwa 2 Dritteln der Patienten zu einem völligen Sistieren der Symptomatik, bei etwa einem Drittel sind die Symptome deutlich abgeschwächt. Bei 2-3% der Patienten wird keine Verbesserung der klinischen Symptomatik beobachtet; trotzdem ist auch bei diesen Patienten das Risiko, eine Amyloidose zu entwickeln, deutlich vermindert. Da Colchicin in Deutschland weder für die Indikation FMF noch für das Kindesalter zugelassen ist, sollte der Einsatz nach formaler Aufklärung und schriftlicher Einwilligung der Eltern erfolgen. In der Prophylaxe klinischer Attacken und der Amyloidose existieren zur Zeit keine Alternative zu Colchicin. Evidenz Empfehlungen zum Einsatz von Colchicin bei FMF Kallinich et al. 2006) 5 Der kontinuierliche Einsatz von Colchicin zur Prophylaxe von Attacken und der Ausbildung einer Amyloidose ist empfohlen (Evidenzgrad I / II). 6
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tationen im PSTPIP1/CD2BP-Gen ausgelöst (Shoham et al. 2003). Auf die Pathophysiologie dieses Syndroms soll an dieser Stelle eingegangen werden, da es ein weiteres Beispiel einer Alterierung des Pyrinstoffwechsel darstellt: PSTPIP1 bindet an die CC- und B-Box-Domaine des Marenostrin/ Pyrin-Proteins; die physiologische Funktion dieser Proteininteraktion in vivo ist unklar. Weist das PSTPIP1 jedoch PAPA-assoziierte Mutationen auf, so wird die Bindung an das Pyrinprotein verstärkt; diese Bindung hemmt das Pyrin in seiner Funktion als negativer Regulator der IL-1Prozessierung — die Zellen dieser Patienten zeigen eine ungehemmte proinflammatorische Reaktion. Diese Beobachtungen zeigen, dass auch die Pathologie des PAPASyndroms durch eine Fehlregulierung der proinflammatorischen Reaktion bedingt ist.
5 Eine Colchicintherapie sollte bei Diagnosestellung begonnen und lebenslang fortgeführt werden (Evidenzgrad IV). 5 Die orale Gabe von Colchicin richtet sich nach dem Lebensalter: Unter 5 Jahren sind 0,5 mg/Tag, zwischen 5–10 Jahren 1 mg/Tag und über 10 Jahren 1,5 mg/Tag empfohlen. Eine schrittweise Steigerung bis zu 2 mg/Tag (z. B. in Schritten von 0,25 mg/Tag) kann zur Kontrolle der Krankheitsaktivität nötig sein und ist unabhängig vom Lebensalter bzw. den Körpermaßen (Evidenzgrad II). 5 Während eines Schubes sollte die Colchicindosis nicht erhöht werden. Eine symptomatische Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika oder in schweren Fällen mit Opioiden ist möglich (Evidenzgrad III). 5 Colchicin ist bei der Behandlung einer etablierten Amyloidose empfohlen. Bei Patienten mit einem Nierenversagen sollte die Colchicintherapie dosisadaptiert unter strenger Kontrolle der Nebenwirkungen weitergeführt werden, um sekundäre Amyloidosen in anderen Organen zu kontrollieren (Evidenzgrad II). 5 Zur Kontrolle der Krankheitsaktivität und der Colchicintherapie sind regelmäßige (alle 4–6 Monate) körperliche und laborchemische Untersuchungen (inkl. Akute-Phase-Proteine, Leber- und Muskelenzyme, Differenzialblutbild, Urin auf Protein) empfohlen (Evidenzgrad IV). 5 Die häufigste Nebenwirkung einer Colchicintherapie ist eine Diarrhö. Diätetische Maßnahmen (Reduktion von Milchprodukten), Aufteilung der Dosen und ggf. eine zeitweilige Dosisreduktion sind in diesem Fall hilfreich (Evidenzgrad III). 5 Auf mögliche Medikamenteninteraktionen ist zu achten (Beeinflussung der Zytochrom-P-450-Aktivität) (Evidenzgrad IV).
11.4
CIAS1-pathien
Die Aufschlüsselung der molekularen Vorgänge bei der angeborenen inflammatorischen Immunantwort stellten einen weiteren Meilenstein bei der Beschreibung der sog. CIAS1-pathien dar (Synonym: CAPS, »cryopyrinassoziierte periodische Syndrome«): 5 familiäres kälteinduziertes autoinflammatorisches Syndrom (FCAS), 5 Muckle-Wells-Syndroms (MWS), 5 Chronic Infantile Neurological and Articular Syndroms/Neonatal Onset Multisystem Inflammatory Disease (CINCA/NOMID).
11.3.9 Prognose Vor Einführung des Colchicins verstarb etwa jeder 3. Patient während der ersten 4. Lebensdekaden an den Folgen einer Amyloidose. Die tägliche konsequente und rechtzeitig begonnene Einnahme des Colchicins schützt in sehr vielen Fällen vor der Ausbildung einer Amyloidose. Exkurs Das autosomal-dominant vererbte Syndrom der pyogenen sterile Arthritis, Pyoderma gangraenosum und Akne (PAPA-Syndrom) (Synonym: familiäre rekurrierende Arthritis; Erstbeschreibung 1997; OMIM 604416) wurde bisher in 2 Familien beschrieben und wird durch Mu6
Bei allen drei Syndromen wurden in den letzten Jahren Mutationen im CIAS1-Gen (weitere Bezeichnungen: PYPAF1 oder NALP3) als Ursache für die Symptomatik identifiziert (Hofmann et al. 2001; Aksentijevich et al. 2002). Da darüber hinaus Übergangsformen zwischen diesen Erkrankungen existieren, wurde postuliert, dass diese Syndrome unterschiedlich ausgeprägte klinische Schweregrade einer gemeinsamen pathophysiologischen Veränderung darstellen (. Abb. 11.6). Da diese Erkenntnisse des Weiteren zu neuen therapeutischen Optionen führten, soll die Pathophysiologie dieser Syndrome gemeinsam besprochen werden, um dann auf die besonderen Aspekte der einzelnen klinischen Entitäten getrennt einzugehen. Im Jahr 1999 wurden autosomal-dominante Mutationen im CIAS1-Gen als Ursache für das FCAS und MWS identifiziert (Hoffman et al. 2001). CIAS1 ist auf dem Chromosom 1q44 lokalisiert und kodiert für das 920 Aminosäuren lange Cryopyrin. Das Genprodukt ist aus der nterminalen Pyrindomäne, einer NACHT-Domäne und einer c-terminalen leuzinreichen Domäne (LRR) aufgebaut. Die bisher identifizierten Mutationen liegen ausnahmslos in Exon 3 und betreffen die NACHT-Domäne bzw. deren flankierenden Regionen (Abb. 11.7).
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
. Abb. 11.6. Syndrome, bei denen Mutationen im CIAS-1-Gen beschrieben wurden, zeigen viele Übergangsformen und können als Ausdruck eines Kontinuums mit unterschiedlichen Schweregrad aufgefasst werden
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Aufgrund der klinischen Überlappungen der Syndrome konnte in rascher Abfolge gezeigt werden, dass autosomal-dominante Mutationen in diesem Gen auch bei etwa 60% der Fälle mit einem NOMID/CINCA gefunden werden (Aksentijevich et al. 2002). Interessanterweise sind die beschriebenen Mutationen nicht exklusiv für das ein oder andere Syndrom, d. h., dieselben Mutationen wurden beispielweise bei MWS und NOMID/CINCA bzw. MWS und FCAS beschrieben. Zusammen mit der Beobachtung, dass manche Patienten mit NOMID/CINCA keine Mutationen im CIAS1 aufweisen, deutet diese Tatsache daraufhin, dass weitere genetische Veränderungen für die phänotypische Ausprägung der einzelnen Syndrome verantwortlich sind. Cryopyrin wird wie das Marenostrinpyrin-Protein vorwiegend in Monozyten und polymorphkernigen Leukozyten exprimiert. Dort bindet es über eine Interaktion der Pyrindomänen an das ASC. Das ASC-Protein wiederum rekrutiert und aktiviert die Caspase-1, was in der Folge zur Prozessierung der IL-1β-Vorstufe in seine aktive Form führt (Abb. 11.3) (siehe auch 3.5). Anders als das Pyrin, das einen hemmenden Effekt auf die Entzündungskaskade hat, führt die Cryopyrin/ASC-Interaktion zu einer Aktivierung der proinflammatorischen Prozesse (Agostini et al. 2004; sowie zusammengefasst bei McDermott 2004). Aufgrund bisher unbekannter Mechanismen führen autosomal-dominante Mutationen im CIAS-1-Gen
zu einer weiteren Verstärkung der proinflammatorischen Reaktion. Dies wurde unter anderem durch eine vermehrte IL-1β-Produktion der Monozyten von Patienten mit MWS und NOMID/CINCA gezeigt. Dies bedeutet, dass die proinflammatorische Enzündungsreaktion auch ohne adäquaten Stimulus unterhalten wird und erklärt die autoinflammatorischen Phänomene bei diesen Syndromen. Die Erkenntnisse über die zentrale Rolle der IL-1βProzessierung bei der Pathogenese dieser Syndrome führten zur erfolgreichen Einführung einer gezielten Antizytokintherapie. Auf die Ergebnisse wird bei der Besprechung der einzelnen Krankheitsbilder eingegangen.
11.4.1 Familiäres kälteinduziertes
autoinflammatorisches Syndrom Definition Das autosomal-dominant vererbte familiäre kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom (FCAS) (Synonym: familiäre Kälteurtikaria, Kältehypersensitivität; Erstbeschreibung 1940; OMIM 120100) ist durch kälteinduzierte schmerzhafte urtikarielle Läsionen verbunden mit arthralgiformen Beschwerden, Fieberschüben mit Schüttelfrost, Kopfschmerzen und einer Konjunktivitis geprägt. Die typische Dauer der Attacken beträgt einen Tag. Die Kälteunverträglichkeit führte bei vielen der beschriebenen Fami. Abb. 11.7. Mutationen im CIAS1. Die Mutationen der CIAS1-pathien sind in Exon 3 lokalisiert und betreffen vorwiegend die NACHT-Domäne. In Blau sind die exklusiv bei MWS, in Rot die bei CINCA/NOMID und in Grün die bei FCAS gefundenen Mutationen dargestellt. In Schwarz sind die Mutationen markiert, die bei mehreren Syndromen beschrieben wurden
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11.4 · CIAS1-pathien
lien zu einem Umzug in wärmere Klimazonen (Hoffman et al. 2001). ! Trias des FCAS: kälteinduzierte kurze Fieberschübe, urtikarielles Exanthem und Arthralgien
Häufigkeit, klinische Symptome Bisher sind ca. 300 Fälle mit FCAS beschrieben.In 95% der Fälle tritt die Symptomatik bereits in den ersten 6 Lebensmonaten auf, bei 60% ist eine Manifestation in den ersten Lebenstagen beschrieben. Nach einer mittleren Kälteexposition von einer Dreiviertelstunde kommt es nach Ablauf von Minuten bis Stunden zu Fieberschüben (93%), Polyarthralgien (84%) mit Bevorzugung der Hand- und Sprunggelenke sowie der Knie, Konjunktivitiden (84%), extremem Schwitzen (78%), Schwindel (67%), Kopfschmerzen (58%), ausgeprägtem Durstgefühl (53%) und Übelkeit (51%). Der urtikarielle Hautausschlag beginnt meist an den Extremitäten und breitet sich dann generalisiert aus (Abb. 11.5); zu gleichen Teilen wird das Exanthem als »juckend«, »brennend« oder »juckend und brennend« bezeichnet. Während der Schübe besteht eine Leukozytose; CRP, IL-6 und die Blutsenkungsgeschwindigkeit sind mäßig erhöht. Die Symptomatik hält im Durchschnitt 12 Stunden an (30 Minuten bis 72 Stunden). Häufig treten die Symptome in den Abendstunden auf. Die Ausbildung einer Amyloidose ist eine seltene Komplikation der Erkrankung (2– 4%).
Diagnose Klinische Diagnosekriterien wurden erstellt. Die Diagnose lässt sich durch den Nachweis von Mutationen im CIAS1-Gen untermauern. Diagnosekriterien für das FCAS (nach Hoffman et al. 2001) 5 Durch experimentell oder natürliche Kälteexposition ausgelöste rekurriende Fieberepisoden verbunden mit einem Hautausschlag 5 Autosomal-dominanter Erbgang 5 Erstmanifestation <6 Lebensmonate 5 Dauer der Attacke <24 Stunden 5 Begleitende Konjunktivitis 5 Fehlen von Taubheit, periorbitalen Ödemen, Lymphadenopathie oder Serositis
Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist insbesondere die erworbene Form der Kälteurtikaria. Diese zeigt keine familiäre Häufung, ist anfänglich auf den Ort der Kälteexposition beschränkt (positiver »Eiswürfeltest«), und geht mit Schleimhautödemen, respiratorischer Symptomatik, Flush und Tachykardie einher. Fieber, eine Leukozytose sowie Arthralgien zählen nicht zu diesem Krankheitsbild.
11
Therapie Die bisherigen therapeutischen Optionen waren limitiert. Neben der Vermeidung einer Kälteexposition wurde bei einem Teil der Patienten ein positives Ansprechen auf eine hochdosierte Steroidtherapie beschrieben. In einer kleinen Studie konnte die klinische Symptomatik sowie der Anstieg der Akute-Phase-Reaktion nach einer experimentellen Kälteexposition komplett durch die einmalige Gabe eines IL-1-Rezeptoranatagonisten kupiert werden (Hoffman et al. 2004). Evidenz Die kälteinduzierten Symptome eines FCAS lassen sich durch Gabe eines IL-1-Rezeptor-Antagonisten vermeiden (Evidenzgrad III).
Prognose Die Symptome bestehen lebenslang, sind belastend und führen nicht selten zum Umzug in wärmere Regionen. Eine Amyloidose ist eine selten auftretende Komplikation des FCAS.
11.4.2 Muckle-Wells-Syndrom Definition Das autosomal-dominant vererbte Muckle-Wells-Syndrom (MWS; Synonym: Urtikaria-Taubheit-Amyloidose-Syndrom; Erstbeschreibung 1962; OMIM 191900) ist durch einen urtikariellen Hautausschlag, arthralgiforme Schmerzen, körperliche Abgeschlagenheit sowie einen progredienten Hörverlust gekennzeichnet (Muckle u. Wells 1962). Die assoziierten Fieberschübe sind in der Regel milde und nicht bei allen Patienten ausgeprägt. Die Ausbildung einer Amyloidose stellt eine gefürchtete Komplikation dar. Es finden sich häufig überlappende Symptome zum FCAS bzw. NOMID/CINCA. ! Trias des MWS: urtikarieller Hautausschlag, progredienter sensoneuraler Hörverlust und Amyloidose
Häufigkeit, klinische Symptome Das MWS ist sehr selten, genaue Angaben zur Prävalenz liegen nicht vor. Bereits in den ersten Lebenswochen kann es zur Manifestation eines nicht-juckenden urtikariellen Exanthems kommen. Die Hauterscheinungen können täglich auftreten oder einer Rhythmik unterliegen. Begleitend werden Konjunktivitiden und Arthralgien/Arthritiden beschrieben. Der progrediente sensoneurale Hörverlust beginnt meist in der Adoleszenz, einzelne Fälle einer Manifestation im Kindesalter sind jedoch beschrieben. Zwei- bis dreitägige rezidivierende Fieberschübe verlaufen in der Regel milde und werden nicht von allen Patienten angegeben. Eine Amyloidose tritt im Verlauf der Erkran-
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
! Trias von NOMID/CINCA: neonatal auftretendes Exanthem, neurologische Symptomatik und Arthropathie.
det sich häufig eine chronisch inflammatorische Reaktion mit daraus folgender Entzündungsanämie. Fieber kann in unterschiedlicher Intensität und Länge schubweise auftreten, ist aber nicht bei allen Verläufen zu beobachten. Eine Hepatosplenomegalie und eine Lymphadenopathie sind insbesondere während der Schübe häufig zu beobachten. 5 Exanthem: Bei etwa einem Dreiviertel der Fälle fällt unmittelbar postnatal ein migratorisches urtikarielles bis multiformes Exanthem auf, in den übrigen Fälle entwickelt sich dieses noch in der Neonatalperiode (. Abb. 11.5). Der Ausschlag persistiert in wechselnder Intensität lebenslang. 5 Zentralnervöse Manifestationen: Im Verlauf der Erkrankung kommt es häufig zu einer sterilen Meningitis mit Nachweis von neutrophilen Infiltrationen im Liquor und einem erhöhten Liquordruck. Chronische Kopfschmerzen, Übelkeit, Krampfanfälle, Hirnatrophien mit leichter Erweiterung des Ventrikelsystems sowie Hemiplegien werden als Ausdruck dieser chronischen Entzündung gedeutet. Inflammatorische Reaktionen im Bereich der Cochlea können zu einer progredienten sensoneuralen Hörminderung führen. Eine leicht- bis mäßiggradige geistige Retardierung kann vorkommen. 5 Arthropathie: Eine Arthritis manifestiert sich bei etwa 50% der Fälle und betrifft vorzugsweise die Knie, Ellbogen, Sprung- und Handgelenke, sowie die Hüften und Schultern. Eine prämature patellare Ossifikation mit daraus folgendem überschießendem Wachstum ist häufig. Die Epiphysen weisen typischerweise eine irreguläre Ossifikation mit z. T. grotesker Deformität der Extremitäten auf. Radiologisch zeigt sich das Bild von deutlich vergrößerten Epiphysen mit darin willkürlich angeordneten vergröberte Trabekelstrukturen (. Abb. 11.8). 5 Morphologische Veränderungen: Patienten mit NOMID/CINCA ähneln sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild, häufig findet sich eine Wachstumretardierung. Typisch sind außerdem faziale Auffälligkeit wie eine prominente Stirn und eine Sattelnase, die Hände und Füße erscheinen kurz und verdickt. 5 Ophthalmologische Veränderungen: Ein progredienter Sehverlust kann Audruck einer Optikusatrophie sein. Eine chronische anteriore Uveitis wird bei etwa der ½ der Patienten beobachtet, wobei in einer Beobachtungsstudie keine Synechienbildung beobachtet wurde. Darüberhinaus wurden Papillenödeme, Entzündungen des Glaskörpers sowie chronische Konjunktivitiden beschrieben. 5 Amyloidose: Die chronische Inflammation kann zu Amyloidablagerung führen.
Häufigkeit, klinische Symptome
Diagnose
Das NOMID/CINCA ist sehr selten, genaue Angaben zur Prävalenz liegen auch hier nicht vor. Bei den Patienten fin-
Die Diagnose wird durch das klinische Bild gestellt. Häufig ist das postnatale persistierende Exanthem wegwei-
kung bei etwa einem Viertel der Patienten auf. Weitere in der Literatur beschriebene Auffälligkeiten, wie eine Kälteprovokation der Symptome, das Auftreten von sterilen Menigitiden, Kleinwuchs, faziale Dysmorphie und Papillenödeme, sind keine »klassischen« Manifestationen des MWS, sondern stellen Übergangsformen zu FCAS bzw. NOMID/CINCA dar (Abb. 11.6).
Diagnose Die Diagnose wird aufgrund der klinischen Präsentation gestellt und kann durch Mutationsanalysen des CIAS1Gens gestützt werden. Eine positive Familienanamnese kann wegweisend sein.
Therapie Die Therapie mit dem IL-1-Rezeptorantagonisten führte in einer Pilotstudie innerhalb weniger Stunden zum Verschwinden des urtikariellen Exanthems (Hawkins et al. 2004). Nach 7 Tagen kam es zur einer Normalisierung der Entzündungsparameter, im weiteren Verlauf besserte sich die chronische Entzündungsanämie.
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Evidenz
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Erste Pilotdaten sprechen für eine gute Wirksamkeit der IL-1-Blockade beim MWS (Evidenzgrad III).
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Prognose Die Prognose hängt entscheidend von der Entwicklung einer Amyloidose ab. Über die Langzeitwirkung einer Therapie mit IL-1-Rezeptor-Antagonisten und deren Effekt auf Amyloidablagerungen lässt sich zur Zeit keine Aussage treffen.
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11.4.3 NOMID/CINCA Definition NOMID/CINCA (Erstbeschreibung 1981; OMIM 607115) ist durch eine chronische multisystemische Entzündung charakterisiert, die sich in der Trias eines neonatal auftretenden Hautausschlages, einer neurologischen Symptomatik sowie einer Arthropathie äußert. Unter den durch Mutationen im CIAS-1-Gen bedingten Erkrankungen stellt das NOMID/CINCA die schwerste Verlaufsform dar (Prieur et al. 1987). Formal verfolgt die Erkrankung einen autosomal-dominanten Erbgang, häufig wird aber das Auftreten von Spontanmutationen beobachtet.
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11.5 · TNF-Rezeptor-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS)
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inflammatorische Reaktion zu kontrollieren (GoldbachMansky et al. 2006). Es kann davon ausgegangen werden, dass hierdurch die Risiken einer zentralnervösen Komplikation bzw. einer Amyloidoseentwicklung deutlich reduziert sind. Evidenz Eine gegen IL-1β gerichtete Therapie kontrolliert die inflammatorische Reaktion und die klinische Symptomatik (Evidenzgrad III).
Prognose Spontane Remissionen der Erkrankung wurden bisher nicht beobachtet. In der Regel kommt es zu einer progredienten Symptomatik, z. T. mit einer zunehmender Einschränkung der Kognition, funktionellen Gelenkschädigungen, Hör- oder Visusverlust und der Ausbildung einer sekundären Amyloidose. Als Todesursache sind bakterielle Infektionen, Vaskulitiden und Komplikationen sekundärer Amyloidosen beschrieben.
11.5 . Abb. 11.8. Exostosen der Tibia bei NOMID/CINCA
TNF-Rezeptor-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS)
11.5.1 Definition send. Eine deutliche Erhöhung der Akute-Phase-Reaktion kann die Diagnose unterstützen. Da Mutationen im CIAS-1-Gen bei diesem Syndrom häufig spontan auftreten, findet sich in der Regel keine familiäre Häufung. Ein Mutationsnachweis untermauert die Diagnose; allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass bei knapp der Hälfte der Patienten mit klinisch eindeutig zuzuordnendem NOMID/CINCA keine Mutationen in CIAS-1 gefunden werden (Aksentijevich et al. 2002).
Therapie Nichtsteroidale Antirheumatika lindern bei manchen Patienten die Schmerzen ohne den entzündlichen Prozess zu beeinflussen. Glukokortikoide können bei einigen Patienten das Fieber kontrollieren und die Mobilität verbessern, verhindern aber nicht die Gelenkdestruktion. Andere immunsuppressive bzw. zytostatische Therapien führen zu keiner Besserung der Symptomatik. An insgesamt 18 Patienten wurde eindrucksvoll die positive Wirkung des IL-1-Rezeptorantagonisten Anakinra bei der Behandlung des NOMID/CINCA demonstriert. Bei allen Patienten kam es zu einer deutlichen Symptomverbesserung und einer Kontrolle der Akute-Phase-Reaktion. Kernspintomografisch waren die entzündlichen Prozesse im Bereich der Meningen und der Cochlea rückläufig, der Liquordruck sank unter der Therapie ab. Die gegen IL-1β gerichtete Therapie hat den Vorteil, nicht nur die klinische Symptomatik, sondern auch die
Das autosomal-dominant vererbte TNF-Rezeptor-assoziierte periodische Syndrom (TRAPS) (Synonym: familiäres irisches Fieber, FMF-ähnliches Syndrom mit Amyloidose, benignes autosomal-dominantes familiäres periodisches Syndrom; Erstbeschreibung als TRAPS 1999; OMIM 142680) ist durch das Auftreten langanhaltender Beschwerden verbunden mit Fieberschüben, wandernden Myalgien und Exanthemen, Konjunktivitiden, periorbitalen Ödemen und seltener Arthritiden charakterisiert. Mutationen im TNFRSF1A-Gen sind an der Ätiologie der Erkrankung beteiligt (McDermott et al. 1999; Hull et al. 2003). Etwa 25% der Patienten entwickelt eine Amyloidose mit z. T. multisystemischer Ausbreitung. ! Trias des TRAPS: langanhaltende Schübe mit Fieber, wandernde Myalgien und Exantheme sowie Augensymptomatik.
11.5.2 Häufigkeit Das TRAPS ist eine seltene Erkrankung, Zahlen zur Prävalenz des Syndroms liegen nicht vor. Mit der Möglichkeit einer molekulargenetischen Diagnostik können nun die zuvor als eigenständige Syndrome beschriebenen Verläufe einer Entität zugeordnet werden. Dabei zeigt sich auch, dass Patienten mit bisher unklarem periodischen Fieber
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
ohne weitere wegweisende klinische Zeichen an TRAPS erkrankt sein können. Somit ist von einer relativ hohen Zahl nicht diagnostizierter Fälle auszugehen.
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11.5.3 Klassifikation
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Neben einer klassischen Form des TRAPS mit klinisch definiertem Krankheitsbild und molekulargenetischen Veränderungen im TNFRSF1A-Gen existiert ein TRAPSähnliches klinisches Krankheitsbild, bei dem bisher keine Mutationen gefunden wurden.
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zugrunde liegenden Mutation auf klinische Anzeichen einer Amyloidose geachtet werden. Die Mutationen P46L und R92Q werden auch in Kontrollpopulationen gefunden. Da sie jedoch mit hoher Frequenz bei Patienten mit einer TRAPS-typischen Symptomatik zu finden sind, werden sie eher als Mutationen mit geringer Penetranz und nicht als benigne Polymorphismen gewertet. ! Die Entwicklung einer Amyloidose ist prinzipiell bei jeder zugrunde liegenden Mutation zu bedenken.
11.5.5 Pathogenese und Pathologie 11.5.4 Ätiologie Durch genomweite Screeninguntersuchungen konnte in zwei unabhängigen Familien mit periodischen Fieberschüben (familiäres irisches Fieber bzw. benignes autosomal-dominantes familiäres periodisches Syndrom) das verantwortliche Gen auf Chromsom 12p13 lokalisiert werden. Unter anderem ist in dieser Region das TNFRSF1AGen lokalisiert, das für den TNF-Rezeptor 1 (TNF-R1, p55, CD120a) kodiert. Da der Serumspiegel des TNF-R1 in Mitgliedern einer der beiden Familien erniedrigt war, wurde die Aufmerksamkeit auf dieses Gen gelenkt. In der Folge konnten 1999 Mutationen im TNFRSF1A-Gen als Ursache der autoinflammatorischen Reaktionen bei diesen Patienten identifiziert werden (McDermott et al. 1999). Die einzelnen Syndrome wurden unter dem ätiologisch beschreibenden Namen des TNF-Rezeptor-assoziierten periodischen Syndroms (TRAPS) zusammengefasst. Mutationen wurden bisher in den Exonen 2, 3 und 4 beschrieben, die für die 2. und 3. cysteinreiche extrazelluläre Domäne des TNF-Rezeptors kodieren (. Abb. 11.9). Cysteinmutationen führen zur Auflösung stabilisierender Disulfidbrücken und können so zu einer Konformationsänderung des extrazellulären Rezeptoranteils führen. Es wurde postuliert, dass Cystein betreffende Mutationen zu einer besonders schweren Verlaufsform des TRAPS mit häufiger Ausbildung einer Amyloidose führen. Doch wie beim FMF muss auch beim TRAPS prinzipiell bei jeder
Nach Anbinden des Liganden an den TNF-Rezeptoren schneidet der Aminopeptidaseregulator des TNFR1-Sheddings (ARTS-1) zwischen den Aminosäuren an Position 201 und 202 den extrazellulären Anteil des Rezeptors ab. Dieser Prozess bewirkt, dass die Zelle nicht weiter über TNF stimuliert werden kann und der nun lösliche Rezeptoranteil freies TNF binden kann. Dieser negative Feedbackmechanismus führt demzufolge zu einer Kontrolle der Immunantwort. Die erniedrigten Serumspiegel des löslichen TNF-R1 bei Patienten mit TRAPS legten die Vermutung nahe, dass Mutationen im TNFRSF1A-Gen den Prozess des Abscherens alterieren könnten. Tatsächlich wurde in einigen Arbeiten für bestimmte Mutationen ein Defekt in diesem negativ-regulatorischen Vorgang beobachtet. Aus diesen Beobachtungen ließ sich folgern, dass es bei Patienten mit TRAPS zu einer überschießenden, unkontrollierten autoinflammatorischen Wirkung des TNF kommt. In weiteren Arbeiten wurde ein defizitäres Abschneiden des Rezeptors nicht konsistent nachgewiesen, sodass die »Shedding«-Hypothese derzeit Gegenstand der Diskussion ist. Weitere pathophysiologische Veränderungen, wie eine beeinträchigte Anbindung des Liganden, eine inkorrekte intrazelluläre Proteinkonfiguration mit daraus folgendem Verbleib des Rezeptors im endothelialen Retikulum sowie eine defekte Signaltransduktion werden als Ursache der phänotypischen Veränderungen diskutiert (Huggins et al. 2004; Lobito et al. 2006).
. Abb. 11.9. Mutationen im TNFRSF1A. Die Mutationen des TRAPS liegen in Exon 2–4 des TNFRSF1A-Genes und betreffen vor allem die 2. und 3. cysteinreiche extrazelluläre Domäne (CDR2/3) des Rezeptors.
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11.5 · TNF-Rezeptor-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS)
11.5.6 Klinische Symptome Manifestationsalter Im Mittel treten die ersten Symptome im 3. Lebensjahr auf. Allerdings werden auch manche Patienten erst im Erwachsenenalter symptomatisch.
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Patienten beobachtet. Eine schmerzhafte Hodenbeteiligung sowie eine generalisierte Lymphadenopathie können auftreten. Das Auftreten einer demyelinisierenden Erkrankung als weiteres Symptom des TRAPS wird diskutiert.
Amyloidose Art der Attacken Die Art, Häufigkeit und Dauer der Attacken ist bei den einzelnen Patienten extrem variabel. An dieser Stellen wird ein »typischer« Verlauf dargestellt: Die Dauer der Attacken wird im Durchschnitt mit etwa 2–3 Wochen angegeben, wobei die schmerzhaften Episoden nach wenigen Tagen ihr Maximum erreicht haben und langsam abflachen. Fieber tritt meist über einen Zeitraum von wenigen Tagen auf, bei Erwachsenen beobachtet man gelegentlich Verläufe ohne eine erhöhte Körpertemperatur. Verläufe mit täglichen Beschwerden sind beschrieben, bei der Mehrzahl der Patienten kommt es allerdings zu einem episodischen Verlauf der Symptome.
Eine Amyloidose tritt bei etwa 25% der Patienten auf. Schwere multisystemische Verläufe können schon im Jugendalter beobachtet werden (. Abb. 11.10).
Myalgien und Exantheme Krampfartige, wandernde myalgieforme Schmerzen werden von fast allen Patienten mit TRAPS beschrieben. Meist kommt es zu einem lokalem Auftreten mit Zeichen einer Inflammation, wie Überwärmung und Verhärtung. Bei entzündlichen Veränderungen im Bereich der Gelenke kann es zu einer begleitenden Synovitis kommen. Normale Muskelenzyme und die Ergebnisse histologischer Untersuchungen sprechen dafür, dass die myalgiformen Schmerzen beim TRAPS weniger Ausdruck einer Myositis, sondern vielmehr einer Fasziitis mit monozytärer Infiltration sind. Das begleitende großfleckige Exanthem wandert meist mit den schmerzhaften Muskelarealen. Histologisch ist das Bild von einem perivaskulären und oberflächlichen Infiltrat von Lymphozyten und Monozyten gekennzeichnet.
a
b
Abdominelle Beschwerden Abdominelle Beschwerden sind ein weiteres häufiges Symptom bei TRAPS und werden meist durch entzündliche peritoneale Infiltrate hervorgerufen. Die Beschwerden reichen von Erbrechen und Obstipation zu Zeichen eines akuten Abdomens, welche nicht selten eine abdominelle Operation nach sich ziehen.
Augenbeteiligung Bei über 75% der Patienten kommt es im Verlauf zu einer uni- bzw. bilateralen Augenbeteiligung mit Konjunktivitiden sowie periorbitalen Ödemen und Schmerzen. Selten können schwere Uveitiden auftreten.
Weitere Symptome Brustschmerzen aufgrund der Beteiligung der Thoraxmuskulatur bzw. der Pleura werden bei etwa der 50% der
c . Abb. 11.10a–c. Nierenamyloidose bei einem Patienten mit TRAPS. a In einer Kongorotfärbung nach Puchtler stellt sich eine Amyloidablagerung in einer Arterienwand dar. b Unter polarisierendem Licht erscheinen die Ablagerung in grünlich und doppellichtbrechend. c Eine Immunhistochemie erlaubt die Differenzierung in eine AAAmyloidose
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
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! Eine Amyloidose kann auch ohne eine vorangegangene TRAPS-typische Symptomatik auftreten.
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Laborchemische Veränderungen
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Der lösliche TNF-R1 kann zwischen den Attacken erniedrigt sein, aufgrund der inflammatorischen Reaktion kommt es aber nicht selten während der Attacken zu einer »Pseudonormalisierung« des Spiegels. Die Akute-PhaseProteine sind während der Attacken deutlich erhöht und können im symptomfreien Intervall den Grad der subklinischen Inflammation anzeigen.
11.5.7 Diagnose Evidenz
TRAPS ist durch das Vorliegen von Mutationen im TNFRSF1A-Gen definiert. Hilfreich zur weiteren Diagnosestellung sind die vorgeschlagenen diagnostischen Indikatoren. Für die Diagnose hinweisend ist darüber hinaus der Nachweis einer erniedrigten TNF-R1-Konzentration im beschwerdefreien Intervall. Die Akute-Phase-Proteine sind in der Regel deutlich erhöht.
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Glukokortikoide und nichtsteroidale Antirheumatika können während der Attacke eingesetzt den Verlauf abschwächen (Evidenzgrad III). Eine prophylaktische Therapie mit Etanercept führt bei der Mehrzahl der Patienten zu einer deutlichen Reduktion der Attackenfrequenz sowie einem verminderten Einsatz von Glukokortikoiden. Die inflammatorischen Reaktion wird durch das Medikament nur partiell kontrolliert (Evidenzgrad III).
Diagnostische Indikatoren für das Vorliegen eines TRAPS (nach Hull et al. 2003) 1. Rekurrierende Episoden mit inflammatorischen Symptomen über mindestens 6 Monate – Fieber – abdominelle Schmerzen – (migratorische) Myalgien – makuläres, flächiges Exanthem, häufig den Myalgien folgend – Konjunktivitis, periorbitale Ödeme – Brustschmerzen – Arthralgien oder monartikuläre Synovitis 2. Durchschnittliche Episodendauer >5 Tage 3. Besserung durch Glukokortikoide, aber nicht durch Colchicin 4. Betroffene Familienmitglieder 5. Jede Ethnizität kann betroffen sein
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Symptomatik bzw. einem signifikant geringeren Einsatz von Glukokortikoiden; eine signifikante Kontrolle der inflammatorischen Aktivität wird aber nur bei einem Teil der Patienten erreicht (Church et al. 2006). Es existieren Einzelfallberichte über eine verbesserte bzw. stabile Nierenfunktion bei sekundärer Amyloidose durch den Einsatz von Etanercept. Einzelfallberichte zeigen, dass der Einsatz anderer gegen TNF gerichteter Medikamente, wie Infliximab, bei der Behandlung des TRAPS ineffektiv ist und es darunter sogar zu einer Verschlechterung der Symptomatik kommen kann (Church et al. 2006). Erste Berichte über den erfolgreichen Einsatz einer gegen IL-1β gerichteten Therapie liegen vor (Simon et al. 2004).
11.5.8 Therapie Glukokortikoide können den Verlauf einer Attacke lindern, führen aber nicht zur Reduktion der Anfallfrequenz. Auch nichtsteroidale Antirheumatika stellen nur eine symptomatische Therapieoption dar. Wie mehrere Beobachtungsstudien mit kleinen Fallzahlen berichten, führt eine kontinuierlich durchgeführte gegen TNF-α gerichtete Therapie bei etwa 2 Dritteln der behandelten Patienten zu einer deutlichen Besserung der
11.5.9 Prognose Die Anzahl und der Schweregrad der Episoden schwankt über die Jahre, die Symptomatik kann im Erwachsenenalter abgeschwächt auftreten. Für die Prognose entscheidend ist das Auftreten einer Amyloidose, die sich in manchen Fälle multisystemisch mit Verlust mehrerer Organfunktionen manifestieren kann.
11.6
Hyper-IgD-Syndrom (HIDS)
11.6.1 Definition Das Hyper-IgD-Syndrom (HIDS; Synonym: Hyperimmunoglobulinämie D und periodisches Fiebersyndrom, holländisches periodisches Fieber; OMIM 260920) wurde erstmalig 1984 bei 6 niederländischen Patienten als eigenständige Entität beschrieben. Autosomal-rezessiv vererbte Mutationen in der Mevalonatkinase (MVK) sind ursächlich an der Pathogenese der Erkrankung beteiligt. Die Symptomatik ist durch 3- bis 7-tägige febrile Episoden, begleitet von einer zervikalen Lymphadenopathie sowie einer abdominellen Symptomatik mit Erbrechen und einer Diarrhö, geprägt. Stark erhöhte Immunglobulin-D-Konzentrationen sind bei der Diagnostik wegweisend, deren Fehlen schließt aber ein HIDS nicht aus. Eine Amyloidose tritt extrem selten auf.
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11.6 · Hyper-IgD-Syndrom (HIDS)
! Trias des HIDS: febrile Attacken über 3–7 Tage, Lymphadenopathie und abdominelle Symptomatik sowie hohe Immunglobulin-D-Spiegel.
11.6.2 Häufigkeit In dem niederländischen HIDS-Register sind derzeit knapp 200 Fälle erfasst. Auf der Grundlage eines Neugeborenenscrennings wird die Inzidenz des HIDS in den Niederlande auf 1:5000 bis 50.000 geschätzt; damit ist von einer großen Zahl nicht diagnostizierter Fälle auszugehen.
11.6.3 Klassifikation Bei etwa 75% der Patienten, welche die vorgeschlagenen Kriterien eines HIDS erfüllen (7 11.6.7), werden Mutationen in der MVK gefunden. Diese Verläufe werden als klassisches HIDS bezeichnet. Die Patienten ohne eine nachgewiesene Mutation unterscheiden sich klinisch durch eine längere Dauer der Attacken und eine niedrigere Frequenz der Schübe. Die Akute-Phase-Reaktion ist schwächer ausgeprägt, ebenso sind IgA, IgG3 und IgD weniger stark erhöht; die Aktivität der Mevalonatkinase ist nicht alteriert. Diese Verlaufsformen werden als varianter Typ des HIDS bezeichnet. Die Ätiologie dieser Entität ist unklar. Patienten mit einer Mevalonatazidurie (S. unten) weisen ebenfalls Mutationen der MVK auf, die zu einem völligen Funktionsverlust der Enzymaktivität führen. Es existieren Übergangsformen zwischen dem HIDS und der Mevalonatazidurie. Mevalonatazidurie. Ein völliger Funktionsverlust der
Mevalonatkinase aufgrund rezessiv vererbter Mutationen der MVK führt zu dem schweren Krankheitsbild der Mevalonatazidurie. Bisher sind 20 Patienten mit dieser Erkrankung beschrieben. Bei schweren Verlaufsformen finden sich ausgeprägte psychomotorische Retardierungen, faziale Dysmorphien, Katarakte, Hepatosplenomegalien, Lymphadenopathien und Anämien. Diese Patienten versterben bereits in der Kindheit. Bei leichteren Verlaufsformen wird eine schwächere psychomotorische Retardie-
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rung, eine muskuläre Hypotonie sowie eine Ataxie beobachtet. Bei allen Patienten kommt es zu krisenhaften Fieberepisoden mit Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie, Arthralgien, Ödemen sowie einem morbilliformen Exanthem. Die Konzentration der Mevalonsäure ist in allen Körperflüssigkeiten massiv erhöht. Die krankheitsverursachenden Mutationen sind ganz überwiegend zwischen den Aminosäuren 243 und 334 der MVK lokalisiert.
11.6.4 Ätiologie Mit Hilfe unterschiedlicher Herangehensweisen zeigten 1999 zwei unabhängige Arbeitsgruppen, dass autosomalrezessive Mutationen der MVK (Chromsom 12q24) für die Symptomatik bei HIDS verantwortlich sind (Houten et al. 1999). Diese Mutationen führen zu einer verminderten Residualaktivität der zellulären Mevalonatkinase von 1,8–28%. Im Gegensatz zu Patienten mit einer Mevalonatazidurie sind die Werte der Mevalonsäureexkretion im Urin beim HIDS nur während der Attacken mäßig erhöht (4–28 mmol/mol Kreatinin). Meist liegt eine kombinierte Heterozygotie mit einer überwiegenden Beteiligung der Mutationen V337I und I268T vor. Die weiteren für HIDS verantwortlichen Mutationen verteilen sich gleichmäßig über die MVK-kodierende Region (. Abb. 11.11). Nur drei Mutationen (H20P, I268T und S272F) wurden bisher sowohl bei Patienten mit HIDS als auch bei Patienten, die an einer Mevalonatazidurie erkrankt sind, gefunden. Allerdings sind klinische Übergangsformen zwischen den beiden Entitäten wie auch zwischen HIDS und TRAPS beschrieben worden, sodass die molekulargenetische Analyse keine endgültige Differenzierung erlaubt (Stojanov et al. 2004). ! Bei der molekulargenetischen Diagnostik auf Vorliegen eines HIDS sollten zuerst die Mutationen V337I und I268T untersucht werden, da diese mit Abstand am häufigsten gefunden werden. Erst dann sollte die weitere Untersuchung der verbleibenden Exone eingeleitet werden.
Über die Häfte der bisher beschriebenen Patienten sind niederländischen oder französischen Ursprungs, was auf eine Häufigung der Erkrankungen in diesen Ländern oder . Abb. 11.11. Mutationen in der Mevalonatkinase (MVK). Während Mutationen, die bei der Mevalonatazidurie gefunden werden (rot), in Exon 2 und 8–10 lokalisiert sind, finden sich bei HIDS-Patienten Mutationen über die gesamte MVK verteilt (grün). Mutationen, die bei beiden Erkrankungen gefunden werden, sind schwarz dargestellt
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1
Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
aber auf eine intensivierte Diagnostik zurückgeführt werden kann.
genaue Funktion dieses löslichen Immunglobulins ist derzeit noch unbekannt.
11.6.5 Pathogenese und Pathologie
11.6.6 Klinische Symptome
Die Mevalonatkinase ist ein Schlüsselenzym der Isoprenoid- und Cholesterolbiosynthese (. Abb. 11.12). Bisher ist unklar, weshalb Mutationen im Bereich der MVK zu der inflammatorischen Symptomatik verbunden mit dem beobachteten Anstieg des IgD führen. Es existieren Hinweise, dass die erniedrigte Konzentration an Isoprenoiden bei Patienten mit HIDS möglicherweise für die erhöhte Produktion von proinflammatorischen Zytokinen (wie das IL-1β) durch die Leukozyten mitverantwortlich ist.
Manifestationsalter
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Immunglobulin D. In der membrangebundenen Form ist das IgD Teil des B-Zell-Rezeptors und wird auf reifen B-Zellen exprimiert. Diesem Molekül wird eine entscheidende Rolle bei der B-Zell-Ontogenese und der Antikörperbildung zugesprochen. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass IgD-defizitäre Mäuse eine normale Entwicklung des Immunsystems mit weitgehend regulärer Antikörperbildung aufweisen. Die lösliche Form des IgD weist eine kurze Halbwertszeit von 2,8 Tagen auf. Eine hohe Konzentration IgD-produzierender Plasmazellen wird insbesondere in den oberen Atemwegen gefunden. Die
Die Symptome beginnen im Mittel im frühen Kindesalter (6. Lebensmonat); Fälle eines sehr frühen (erste Lebenswoche) sowie sehr späten Manifestationsalter (6. Lebensdekade) sind beschrieben.
Art der Attacken Viele Patienten erleben unspezifische Prodromi eines febrilen Schubes wie Hals- oder Rückenschmerzen, Rhinitis, Müdigkeit, Schwindels oder Kopfschmerzen. Der kurz darauf folgende Beginn einer febrilen Attacke ist durch einen raschen Anstieg der Körpertemperatur auf >40oC geprägt. Das Fieber sinkt in der Regel langsam über einen Zeitraum von 3–7 Tagen ab. Meist treten die Schübe alle 1– 2 Monate auf, wobei auch in der Häufigkeit starke interindividuelle Unterschiede zu verzeichnen sind. Als Auslöser der Attacken sind Impfungen, virale Infektionen, kleine Operationen oder emotionaler Stress zu eruieren. In den meisten Fällen treten die Schübe jedoch unerwartet auf.
Lymphadenopathie und Splenomegalie Eine Lymphadenopathie tritt bei 94% der Patienten auf. Charakteristischerweise sind insbesondere die zervikalen Lymphknotenstationen betroffen, welche während einer febrilen Attacken rasch anschwellen. Histologisch zeigt sich das Bild einer unspezifischen reaktiven Lymphadenitis. Im Kindesalter findet man während der febrilen Attacken bei ca. 50% der Fälle eine Splenomegalie.
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Abdominelle Beschwerden
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Abdominelle Beschwerden sind eine häufige Manifestation des HIDS und äußern sich mit Diarrhöen (82%), Erbrechen (56%) sowie heftigen Bauchschmerzen. In einer Serie mit 50 Patienten wurde ein Drittel der Patienten unter dem Bild einer akuten Appendizitis operiert. Intraoperativ stellten sich z. T. ausgeprägte Adhäsionen sowie eine mesenteriale Lymphadenitis dar.
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Arthralgien und Arthritis
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. Abb. 11.12. Der Isoprenoidmetabolismus ist bei HIDS alteriert: Die Mevalonatkinase verstoffwechselt Mevalonsäure zu Mevalonphosphat. Bei HIDS liegt ein Defekt dieses Moleküls vor, sodass es zu einer Akkumulation der Substrate kommt. Pharmakologisch kann die Konzentration der Mevalonsäure sowie der weiteren Stoffwechselprodukte durch Statine gehemmt werden
Rund 80% aller Patienten berichten von polyartikulären Arthralgien. Eine benigne, häufig symmetrisch auftretende Arthritis tritt bei 3 Vierteln der Patienten auf und betrifft insbesondere die Knie sowie die oberen Sprunggelenke. Diese Manifestation wird vorwiegend bei jüngeren Patienten beobachtet. Im Gelenkspunktat finden sich überwiegend polymorphkernige Neutrophile, das Synoviabiopsat zeigt Zeichen einer vasoproliferativen Synovitis.
431
11.7 · Granulomatöse Erkrankungen
Hauterscheinungen Etwa 75% der Patienten berichten von Hauterscheinungen, wobei in abfolgender Häufigkeit folgende Läsionen beschrieben sind: erythematöse Makulae und Papulae, Urtikaria, noduläre Veränderungen, morbilliforme Ausschläge, Erythema anulare, Purpura und Petechien.
Amyloidose Bisher wurde das Auftreten einer AA-Amyloidose bei 4 Patienten beschrieben.
Laborchemische Veränderungen
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5 Rekurrierende Attacken 5 Zervikale Lymphadenopathie 5 Abdominelle Symptomatik: Schmerzen, Diarrhö, Erbrechen 5 Hauterscheinungen (erythematöse Makulae und Papulae) 5 Arthralgien/Arthritiden 5 Splenomegalie
11.6.8 Therapie
Während der Attacken wird eine deutliche Erhöhung der Akute-Phase-Reaktion sowie eine Leukozytose mit Neutrophilie beobachtet. Zwischen den Schüben kommt es meist zu einer Normalisierung der Werte. Eine deutliche Erhöhung der IgD-Konzentration galt ursprünglich als pathognomisch für die Erkrankung; mittlerweile wurden jedoch Fälle mit HIDS beschrieben, bei denen die Konzentrationen dieses Immunglobulins im Normbereich liegen und Patienten mit FMF und PFAPA identifiziert, die ebenfalls erhöhte IgD aufweisen. Es existiert keine Korrelation zwischen dem Schweregard der Erkrankung und der Höhe des IgD im Serum. Etwa 80% der Patienten weisen eine Erhöhung der IgA-Konzentration sowie 30% der IgG3-Konzentration auf. Während der febrilen Schübe ist häufig eine Mevalonatausscheidung im Urin zu messen. Die Cholesterolkonzentration liegt im Normbereich und bleibt im Verlauf unverändert.
In unkontrollierten Studien wurde bei einem Teil der Patienten ein positiver Effekt durch den Einsatz von Steroiden sowie Etanercept erzielt. Thalidomid und Colchicin führen zu keiner Besserung der Symptomatik. Statine blockieren die HMG-CoA-Reduktase (Abb. 11.12) und vermindern so die Konzentration der Mevalonsäure. In einer kontrollierten Studie an 6 Patienten konnte der prophylaktische Einsatz von Simvastatin die Ausscheidung von Mevalonsäure über den Urin vermindern, ein leichter Rückgang der durchschnittlichen Krankheitstage wurde beobachtet. Evidenz Der Einsatz von Steroiden oder Etanercept kann die Symptome lindern beziehungsweise die Anzahl der Attacken reduzieren (Evidenzgard IV). Der Einsatz von Statinen bei der Behandlung des HIDS ist derzeit Gegenstand weiterer Untersuchungen.
11.6.7 Diagnose Die Diagnose beruht auf dem klinischen Verlauf und kann durch eine molekulargenetische Analyse der MVK untermauert werden. Die zelluläre Mevalonatkinaseaktivität kann als weiteres Kriterium herangezogen werden. Diagnosekriterien wurden vorgeschlagen (7 Übersicht), anzumerken ist jedoch, dass eine Erhöhung des IgD kein obligates Kriterium für diese Erkrankung darstellt.
Diagnostische Kriterien für das Vorliegen eines HIDS (Drenth et al. 1994) Konstant vorliegende Veränderung 5 Erhöhtes IgD (≥100 IE/ml) gemessen zu zwei verschiedenen Zeitpunkten mit mindestens einem Monat Abstand
Veränderungen während der Attacken 5 Erhöhte Blutsenkgeschwindigkeit und Leukozytose 5 Erhöhtes IgA (≥2,6 g/l) 5 Rascher Beginn des Fiebers (≥38,5°C)
6
11.6.9 Prognose Die febrilen Schübe treten lebenslang auf. Die Ausbildung einer Amyloidose ist eine extrem seltene Komplikation.
11.7
Granulomatöse Erkrankungen
Die in den letzten Jahren gewonnenen molekulargenetischen Erkenntnisse bei den Formen der granulomatösen Erkrankungen des Kindesalter weisen auf eine autoinflammatorische Pathogenese dieser Erkrankungen hin und sollen daher an dieser Stelle kurz erwähnt werden. So fanden sich bei der infantilen Sarkoidose und dem BLAUSyndrom Mutationen im Bereich des CARD15/NOD2Gens (Miceli-Richard et al. 2001; Kanazawa et al. 2005). Dies spricht für eine gemeinsame pathophysiologische Endstrecke bei diesen Erkrankungen. Das CARD15/NOD2-Genprodukt ist ein Molekül der angeborenen Immunantwort, welches über die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-kappa-B und die Regulierung der Apoptose Entzündungsreaktionen steu-
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
ern kann. Die leuzinreiche Region (LRR) des Moleküls ist ein intrazellulärer Rezeptor für Bestandteile mikrobieller Pathogene, wie z. B. das LPS der gramnegativen Bakterien. Bei Patienten mit Morbus Crohn werden häufig Mutationen in dieser LRR-Domäne als krankheitsverursachende Veränderung gefunden. Beim BLAU-Syndrom sowie bei der sich früh manifestierenden granulomatösen Arthritis finden sich Mutationen vorwiegend im Bereich der NACHT/NBS-Domäne. In-vitro-Analysen zeigten, dass diese Mutationen zu einer vermehrten basalen NF-kappa-B-Aktivität führen und somit eine autoinflammatorische Reaktion unterhalten.
6 7 8 9 10 11 12 13
11.8
PFAPA-Syndrom (periodisches Fieber, aphthöse Stomatitis, Pharyngitis und Adenopathie)
11.8.1 Definition Im Jahr 1987 wurde erstmalig an 12 Kindern ein Syndrom beschrieben, das durch ein streng periodisch auftretendes Fieber charakterisiert ist. Aufgrund der damit verbundenen weiteren Symptomatik wurde von den selben Autoren 2 Jahre später der Begriff des PFAPA-Syndroms (Synonym: Marshall-Syndrom) geprägt (Marshall et al. 1987; Thomas et al. 1999; Padeh et al. 1999). ! TRIAS des PFAPA-Syndroms: periodisches Fieber, aphthöse Stomatitis mit Pharyngitis, zervikale Lymphadenopathie
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11.8.2 Häufigkeit und Ätiologie Bisher sind knapp 200 Fälle mit einem PFAPA-Syndrom in der Literatur beschrieben. Die meisten Patienten mit PFAPA (>200) werden derzeit am Sheba Medical Center in Israel betreut. Da für diese Erkrankung keine spezifischen diagnostischen Testverfahren vorliegen und die Diagnose nur durch Ausschluss anderer sich ähnlich präsentierender Erkrankungen erfolgt, erscheint eine exakte Prävalenzerhebung schwierig. Möglicherweise stellt das PFAPA-Syndrom aber das häufigste periodische Fiebersyndrom bei Kindern dar, deren Vorfahren aus Deutschland stammen. Die Ätiologie des Syndroms ist unklar. Es ist keine familiäre Häufung bekannt. Diskutiert werden immunologische bzw. infektiologische Ursachen.
11.8.3 Klinische Symptome Hauptmerkmal des PFAPA Syndroms (aber nicht bei allen Patienten zwingend vorliegend) ist die strenge Periodizi-
tät der febrilen Attacken. Eltern berichten häufig, dass sie den Zeitpunkt eines neuen Schubes schon weit im Voraus bestimmen können. Das Manifestationsalter liegt im Durchschnitt im 4. Lebensjahr, wobei der jüngste Patient erste Symptome bereits im 6. Lebensmonat aufwies. In manchen Fällen kommt es vor Fieberbeginn zu einem Erschöpfungszustand, der als Prodrom des Fieberschubs zu deuten ist. Meist berichten die Eltern dann von einem plötzlichen starkem Auffiebern mit sich anschließenden anhaltend hohen Temperaturen für durchschnittlich 4 Tage. Bei etwa der Hälfte der Patienten kommt es dann zu einem abrupten Ende der Fieberepisoden, bei der anderen Hälfte klingt das Fieber über einen Zeitraum von 1–2 Tagen langsam ab. Meist treten die Symptome etwa alle 3 Wochen auf, selten können die symtomfreien Intervalle aber auch eine Länge von 2–4 Monaten aufweisen. Begleitet werden die febrilen Attacken von 5 zervikalen bilaterale Lymphknotenschwellungen (88%), 5 Schüttelfrost (80%), 5 einer z. T. exsudativen Pharyngitis (72%) ohne Erregernachweis, 5 (klein-)aphthöse, relativ schmerzarme Stomatitis (70%), 5 Kopfschmerzen (60%), 5 mäßig ausgeprägten abdominellen Beschwerden (49%), 5 seltener von Übelkeit, Diarrhö, Husten, Heiserkeit, Hautausschlag. Während des Verlaufs können sich die Begleitsymptome wandeln. Zwischen den Attacken ist das Kind beschwerdefrei, die Lymphknotenschwellung, Stomatitis und Pharyngitis sind rückläufig. In den laborchemischen Untersuchungen zeigt sich eine mässige Leukozytose mit Linksverschiebung, eine beschleunigte Blutsenkgeschwindigkeit sowie ein erhöhtes CRP. Gelegentlich ist das Immunglobulin D erhöht.
11.8.4 Diagnose Die Diagnose eines PFAPA-Syndroms erfolgt aufgrund der klinischen Präsentation. Da kein spezifischer diagnostischer Test vorliegt, kann die Diagnose nur nach Ausschluss anderer Erkrankungen gestellt werden. Gegebenenfalls müssen ein FMF, eine zyklische Neutropenie (7 11.2) oder ein TRAPS differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden. Erhöhte Immunglobulin-D-Spiegel können den Verdacht auf Vorliegen eines HIDS lenken. Ein Infekt der oberen Luftwege sowie rezidivierende bakterielle Tonsillitiden müssen ausgeschlossen werden.
11.8 · PFAPA-Syndrom (periodisches Fieber, aphthöse Stomatitis, Pharyngitis und Adenopathie)
Diagnosekriterien für ein PFAPA-Syndrom (nach Thomas et al. 1999) 5 Periodisch auftretendes Fieber mit Manifestation vor dem 5. Lebensjahr 5 Ausschluss eines Infekts der oberen Luftwege 5 Mindestens eines der folgenden Symptome: – aphthöse Stomatitis – zervikale Lymphadenitis – Pharyngitis 5 Ausschluss einer zyklischen Neutropenie 5 Völlige Symptomfreiheit zwischen den Intervallen 5 Regelhafte Entwicklung, normales Wachstum
11.8.5 Therapie Nichtsteroidale Antirheumatika können in etwa einem Drittel der Fälle das Fieber gut senken. Nur bei einer kleinen Zahl an Patienten scheint die Gabe von Antibiotika den Verlauf etwas abzumildern. Bei 75% der Patienten bewirkt eine frühzeitige einoder ggf. zweimalige Gabe von Prednisolon (1–2 mg/ kg KG) eine dramatische Besserung der Symptomatik mit völligem Ausbleiben des Fiebers. Die weiteren Symptome werden von dieser Therapie in unterschiedlichem Ausmaße beeinflusst, am wenigsten jedoch die aphthöse Stomatitis. Bemerkenswert ist, dass das regelmäßige Kupieren der Attacken durch Prednisolon die Frequenz zwischen den einzelnen Schüben verringert (Padeh et al. 1999; Thomas et al. 1999). Der Einsatz von Cimetidin führte bei einer kleinen Fallzahl zu einer Remission in etwa 30% der Fälle. Der Wirkmechanismus ist unklar, auch lässt sich aufgrund der Fallzahl derzeit keine eindeutige Therapieempfehlung für dieses Medikament aussprechen. In etwa 3 Vierteln der Fälle scheint eine Tonsillektomie zu einer Besserung der Beschwerden zu führen, sodass dies nach entsprechender Risikoabwägung eine weitere Therapieoption darstellen kann. Evidenz Bei ersten Prodromi einer Attacke kann die einmalige Gabe von 1–2 mg/kg KG Prednisolon zu einem Ausbleiben der Attacken führen. Gegebenfalls kann diese Dosis am Folgetag sowie die Hälfte der Dosis am 3. und 4. Tag der Attacke wiederholt werden (Evidenzgrad III). Die prophylaktische Einnahme von Cimitidin kann nur im Rahmen eines Heilversuches durchgeführt werden, da die Datenlage hierzu unzureichend erscheint. Ebenso sollte eine Tonsillektomie nur nach gründlicher Risikoabwägung erfolgen.
433
11
11.8.6 Prognose Die Prognose der Erkrankung ist sehr gut. Im Laufe der Zeit verringert sich Frequenz der Attacken, bis sie nach einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von 5 Jahren sistieren.
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Kapitel 11 · Periodische Fiebersyndrome
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435
12.1 ·
12
Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden K. Buckup, G. Horneff, W. Mannhardt-Laakmann, F. Zepp, M. Weiß, H. J. Girschick, S. Bielack, H. Olschewski 12.1
Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4 12.1.5 12.1.6
Gelenkerkrankungen – 437 Traumata – 442 Aseptische Knochen- und Epiphysennekrosen – 445 Peripatellares Schmerzsyndrom (Chondropathia patellae) Scheibenmeniskus – 452 Gutartige Knochentumoren – 453
Literatur
– 451
– 458
12.2
Akute transiente Arthritis des Hüftgelenks (Coxitis fugax) – 459
12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6
Definition – 459 Pathophysiologie – 459 Klinik – 459 Diagnostik – 460 Therapie – 460 Prognose – 460
Literatur
– 461
12.3
Immundefekterkrankungen
12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.3.5 12.3.6 12.3.7
T- und B-Zell Immundefekte – 461 Immundefekte mit deutlichem Antikörpermangel – 463 Andere gut definierte Immundefektsyndrome – 467 Erkrankungen bei Immundysregulation – 469 Defekte der Granulozyten und Makrophagen – 470 Defekte der natürlichen Immunität – 473 Angeborene Komplementdefekte – 473
Literatur
– 461
– 473
12.4
Stoffwechselerkrankungen, Skelettdysplasien und Bindegewebserkrankungen – 476
12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.4.5 12.4.6 12.4.7 12.4.8 12.4.9
Störungen des Kalziumphosphatstoffwechsels – 476 Kristallarthropathien – 476 Hyperlipoproteinämie (Typ IIa und IV) und Hypercholesterinämie Mukopolysaccharidosen – 479 Mukolipidosen – 480 Sphingolipidosen – 481 Alkaptonurie – 482 Homocystinurie – 482 Skelettdysplasien – 482
– 479
– 437
436
1
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
12.5
Pseudorheumaknoten Literatur
2
12.6
3 4 5 6 7 8 9
11 12 13 14 15
18
12.7.1 12.7.2 12.7.3 12.7.4 12.7.5 12.7.6 12.7.7 12.7.8 12.7.9
Definitionen und Klassifikation – 487 Häufigkeit – 488 Ätiologie – 488 Pathogenese und Pathologie – 488 Klinische Symptome – 488 Diagnose – 488 Therapie – 490 Prognose – 493 Praktisches Vorgehen – 493
21 22 23
– 487
– 494
12.8
Nichtbakterielle Osteomyelitis
12.8.1 12.8.2 12.8.3 12.8.4 12.8.5 12.8.6 12.8.7 12.8.8 12.8.9
Definition – 494 Häufigkeit – 494 Klassifikation – 494 Ätiologie – 494 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 495 Diagnose – 495 Therapie – 496 Prognose – 496
Literatur
– 494
– 494
– 497
12.9
Leukämien und maligne Knochentumoren
12.9.1 12.9.2 12.9.3
Akute lymphoblastische Leukämie Maligne Knochentumoren – 501 Fazit – 504
19 20
– 487
Infektionen
16 17
– 485
12.7
Literatur
10
– 485
Wachstumsschmerzen Literatur
– 484
Literatur
– 498
– 504
12.10
Hämophilie und Sichelzellkrankheit
12.10.1 12.10.2
Hämophilie A und B – 505 Sichelzellerkrankung – 506
Literatur
– 507
– 505
– 497
437
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
12.1
Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
K. Buckup Eine Vielzahl angeborener, entzündlicher und verletzungsbedingter Erkrankungen können das wachsende Skelettsystem befallen. Zur Diagnose der orthopädischen Erkrankungen gehören die sorgfältige Anamnese und eine systematische klinische Untersuchung (Buckup 2005). Die Untersuchung muss in den typischen menschlichen Positionen des Stehens, Gehens und Liegens vorgenommen werden. Hierdurch bekommt man einen Eindruck, wie sich der Patient bewegt (. Abb. 12.1) und wie er sich aufrichtet. Einige Erkrankungen wie z. B. Fehlhaltungen der Wirbelsäule, Fußfehlstellungen, Beinachsenfehler und Lähmungen können so schnell aufgedeckt werden.
12.1.1 Gelenkerkrankungen
12
als Schmerzursachen, bei Kindern und Jugendlichen sind es angeborene Veränderungen, entwicklungsbedingte Störungen und Sportüberlastungsschäden. Wenn sie auftreten, bevorzugen sie meist bestimmte Lebensalter, so das Säuglings-, das mittlere Schulalter und die pubertäre Lebensphase. Im Säuglingsalter sind die Abgrenzungen einzelner Krankheitsbilder besonders schwierig, da in dieser Zeit auf einen Schulterschmerz undifferenziert mit einer Pseudoparese (hängender Arm) reagiert wird. Besonders die Abgrenzung zwischen einer Klavikularfraktur, geburtstraumatischen Plexuslähmung und einer Epiphysenlähmung ist oft schwierig. Die Klavikularfraktur ist am ehesten zu erkennen, wobei hier eine Klavikularpseudarthrose und später die traumatische Klavikularfraktur abgegrenzt werden müssen (geburtstraumatische Frakturen heilen immer von selbst, Klavikularpseudarthrosen nicht). Kindliche Klavikularfrakturen traumatischer Ursache zeigen ein eigenes klinisches und morphologisches Bild mit heftigen Schmerzen und Abheilen der Fraktur mit starker Kallusbildung. Deutliche Schmerzen bei der Bewegungsuntersuchung weisen auf eine Humeruskopfepiphysenlösung hin.
Schultergelenk Kinder und Jugendliche leiden seltener unter SchulterArm-Schmerzen als Erwachsene. Kopf, Nacken, Schultergürtel und Arme stellen eine funktionelle Einheit dar, deren einzelne Komponenten dynamisch miteinander verbunden sind. Bei der Komplexität der anatomischen Strukturen und der funktionellen Zusammenhänge können oft verschiedene Ursachen zugleich zu vielfältig empfundenen Schmerzsyndromen führen. Bei den Erwachsenen überwiegen mehr die degenerativen Veränderungen
. Abb. 12.1. Ganguntersuchung
. Tab. 12.1. Erkrankungen in Abhängigkeit vom Lebensalter. (Nach Debrunner 2002) Kongenitale Schäden
5 Dysmelien 5 Klumpfuß 5 Hüftreifestörung, -dyplasie und –luxation 5 Coxa vara 5 Tibiapseudarthrose 5 Osteogenesis imperfecta
Geburtstrauma
5 Hirnschäden (infantile Zerebral parese) 5 Geburtslähmungen: Plexus brachialis, obere und (seltener) untere Lähmung 5 Frakturen (Klavikula, Humerus usw.)
Säuglingsalter
5 Kongenitale Hüftluxation 5 Zerebrale Paresen 5 Septische Arthritis (Hüfte)
Kindheit
5 Morbus Perthes 5 Hämatogene Osteomyelitis 5 Ellbogen, Unterarm (GrünholzBrücke) 5 Primäre Knochentumoren
Adoleszenz
5 5 5 5 5
Junge Erwachsene
5 Meniskusläsion (selten) 5 Bandscheibenvorfall (selten) 5 Osteochondrosis dissecans (auch schon früher)
Epiphyseolysis capitis femoris Morbus Scheuermann Skoliose Habituelle Patellaluxation Morbus Osgood-Schlatter, Morbus Köhler 5 Spastischer Plattfuß
438
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Erhebliche Schmerzen sind auch vorhanden, wenn eine Osteomyelitis (Säuglingsosteomyelitis) und später eine rheumatoide Arthritis das Schultergelenk befallen haben. Im mittleren Schulalter ist eine Instabilität des Schultergelenks häufig Ursache von Schultergelenkbeschwerden. Bei Rotationsbewegungen mit abgespreiztem Arm treten Schmerzen auf, mit dem Gefühl des Verhakens oder »Hängenbleibens« der Schulter (Laer 2001). In der pubertären und postpubertären Phase sind neben der Gelenkinstabilität zu einem geringen Teil auch die Tumoren Ursache von Schulterschmerzen (z. B. juvenile Knochenzyste). Selten verursachen angeborene Veränderungen im Schulterbereich Beschwerden, wie die Korakoklavikularsynostose, Luxationen des Akromioklavikular- und Sternoklavikulargelenks. Neben einer Einschränkung der Schultergelenkbeweglichkeit zeigt sich oft ein peripheres Engpasssyndrom mit ausstrahlenden Schmerzen über die Schulter in den Arm. Auch eine Halsrippe oder Anomalie der ersten Rippe können Engpasssyndrome verursachen.
Ellenbogengelenk Schmerzen im Ellenbogengelenk bei einem Kleinkind mit Pronationsblockierung des Unterarmes sprechen für eine Subluxation des Radiusköpfchens (Pronatio dolorosa/ Chassaignac). Eine Osteonekrose des Capitulum humeri oder radii kann Ursache einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk sein. Eine Ablösung des osteonekrotischen Knorpel-Knochen-Anteils (freier Gelenkkörper) führt oft zu Gelenkblockierungen. Neben entzündlich bedingten (bakteriell-rheumatischen) können Verletzungen (Frakturen, Luxationen) Ursachen für Schmerzen sein. Ältere, sportlich aktive Jugendliche klagen gelegentlich über die besonders bei Erwachsenen vorzufindenden Insertionstendinosen am Ellenbogengelenk (Epicondylitis radialis et ulnaris) (Debrunner 2002; Laer 2001).
tion einer juvenilen idiopathischen Arthritis, der schnellende Finger und Tumoren sind hier als Schmerzursache von Bedeutung (z. B. Enchondrom) (Debrunner 2002).
Wirbelsäule Rückenschmerzen, verursacht durch eine angeborene Fehlbildung der Wirbelsäule, sind selten. Angeborene Defekte der Halswirbelsäule in Verbindung mit einem Klippel-Feil-Syndrom, die Diastematomyelie thorakal und Defekte lumbal können zu Rückenschmerzen führen. Schmerzen in Verbindung mit dem Klippel-Feil-Syndrom werden meist durch eine Hypermobilität bzw. Instabilität der nicht verblockten Segmente oder durch eine sekundäre Spondylarthrose verursacht. Die Diastematomyelie ist gehäuft mit Hautveränderungen und neurologischen Symptomen der unteren Extremitäten assoziiert, die sich in einem Hohlfuß und einer Wadenatrophie zeigen. Entwicklungsbedingte Fehlbildungen sind in der Regel schmerzfrei. Skoliosen, assoziiert mit Rückenschmerzen, sind häufig mit anderen Veränderungen verbunden, wie z. B. einer Diszitis oder einem Tumor. Die Scheuermann-Kyphose ist eine häufige Ursache von thorakalen Schmerzen, vornehmlich bei männlichen Jugendlichen (Meurer et al. 2002). Die Schmerzen treten meist im Alter zwischen 14 und 17 Jahren auf und werden über dem Scheitelpunkt der Kyphose angegeben (. Abb. 12.2). Die Beschwerden können sich auch in der unteren lumbalen Wirbelsäule bei einer ausgeprägten lumbalen Lordose manifestieren. Die Untersuchung zeigt eine
Hand- und Fingergelenke Hand- und Fingergelenkbeschwerden sind im Kindesund Jugendalter eher selten. Die angeborene oder erworbene Radioulnarsynostose ist mehr mit Bewegungseinschränkungen verbunden und selten Ursache für Beschwerden. Die Styloiditis radii und ulnae sind Zeichen einer Überlastung des Bandapparats oder zeigen sich im Rahmen einer juvenilen idiopathischen oder rheumatoiden Arthritis. Heranwachsende, besonders wenn sie am Beginn einer Berufsausbildung stehen, klagen häufig über Sehnenscheidenentzündungen und einen im proximalen Handgelenkbereich nicht immer eindeutig abzuklärenden Schmerz (Handwurzelinstabilität). Auch eine Madelung-Deformität, die zunächst symptomlos ist, kann bei zunehmender Handgelenkbelastung (PC-Arbeit) zu Beschwerden führen. Schmerzen in der Hand bzw. den Fingern sind nur ausnahmsweise zu finden. Die Manifesta-
. Abb. 12.2. Fixierte starke Brustkyphose im Stand und in Vorneigung (Morbus Scheuermann)
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
stärkere thorakale, nicht flexible Kyphose, verbunden mit einer lumbalen Hyperlordose. Okkulte Frakturen entstehen häufig nach Verletzungen im Sport und sind nicht immer sofort offensichtlich. Insbesondere Frakturen der Pars interarticularis von Wirbelkörpern lassen sich auf den Nativröntgenbildern schwer nachweisen (Laer 2001). Eine Muskelzerrung ist leicht diagnostizierbar auf der Basis der Anamnese, körperlichen Untersuchung und des »normalen« Röntgenbildes. Die Spondylolyse und Spondylolisthese sind häufige Ursachen von Rückenschmerzen bei Jugendlichen. Die Rückenschmerzen entwickeln sich meist in der späteren Kindheit oder Jugend. Sie werden in den unteren Lendenwirbelsäulenbereich, in die Gesäßregionen und nicht selten mit Ausstrahlung in die Oberschenkel projiziert. Der Schmerz ist assoziiert mit starken, vornehmlich sportlichen Aktivitäten und verbessert sich durch Ruhe. Neurologische Symptome oder Defizite sind unüblich, außer bei einer sehr ausgeprägten Spondylolisthese. Gehäuft finden sich diese Beschwerden bei Leistungssportlern (Kunstturnern, Speerwerfern, Balletttänzern). Ein Bandscheibenvorfall bei Kindern ist selten. Die Diszitis betrifft meist Kinder im Alter zwischen 1 und 5 Jahren. Das Kind klagt über Rückenschmerzen, aber auch Bauchschmerzen. Es weigert sich zu laufen oder hinkt. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist deutlich eingeschränkt und schmerzhaft. Weniger als die Hälfte der Kinder zeigen Fieber, meist erscheinen sie aber sehr krank. Rückenschmerzen können erste Symptome eines Tumors sein. Kinder mit einem eosinophilen Granulom (Histiozystose), die über Rückenschmerzen klagen, sind meist jünger als 7 Jahre (Hefti u. Jundt 1995). Der Schmerz wird in der Regel über dem betroffenen Wirbelkörper lokalisiert. Neurologische Zeichen sind unüblich. Osteoide Osteome finden sich in den dorsalen Anteilen der Wirbelsäule. Die Patienten klagen über Rückenschmerzen, besonders nachts. Die Beschwerden lindern sich nach Gabe von z. B. Aspirin. Betroffen sind insbesondere Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren. Die Szintigrafie und das CT erlauben eine präzise Bestimmung des Tumorortes. Aneurysmatische Knochenzysten finden sich ebenfalls gehäuft in den dorsalen Anteilen der Wirbelsäule und verursachen über den betroffenen Wirbelkörpern eine lokale Schmerzhaftigkeit bei Bewegung und Druck. Kinder mit bösartigen Tumoren der Wirbelsäule klagen über konstante und an Stärke zunehmende Rückenschmerzen. Tumoren, welche die Wirbelsäule mit einbeziehen, sind das Ewing-Sarkom, das Osteosarkom, das Chondrom, das metastatische Neuroblastom und die Leukämie. Mehrere intraabdominale Prozesse können Rückenschmerzen verursachen, wie Infektionen des Urogenitaltrakts, ovariale Zysten oder entzündliche Darmer-
439
12
krankungen. Obwohl die meisten Kinder mit Rückenschmerzen nach einer gründlichen Untersuchung einer Diagnose zugeschrieben werden können, bleibt ein Teil ohne Zuordnung. Die Diagnose psychosomatischer Beschwerden kann nur nach einer komplett durchgeführten Untersuchung gestellt werden und nachdem alle anderen Ätiologien von Schmerzen ausgeschlossen worden sind (Buckup 2001; Hefti 2006). Detailliertes Nachfragen bei diesen Kindern offenbart oft Schulprobleme oder intrafamiliäre Konflikte.
Hüftgelenk Erkrankungen der Hüfte haben ihren Hauptschmerz in der Leisten- und Trochanterregion. Sie können auch ausschließlich mit Schmerzen in der Kniegelenkregion beginnen und umgekehrt selbst Ausstrahlungsgebiet eines Schmerzes von sakralen und lumbalen Prozessen sowie von Erkrankungen der Beckenregion sein. Die Ursache des Knieschmerzes liegt in der Irritation des N. obduratorius, der nahe dem Hüftgelenk verläuft und dessen Ramus posterior über die Innenseite des Oberschenkels bis zum Kniegelenk reicht. Viele der mit Schmerzen einhergehenden Hüftgelenkerkrankungen können einem bestimmten Lebensalter zugeordnet werden (. Tab. 12.2). Die anatomische Besonderheit der Hüftgelenkregion des Säuglings bringt es mit sich, dass es in seltenen Fällen zu einer akuten Gelenkentzündung kommen kann (Säuglingskoxitis). Schlechter Allgemeinzustand, Fieber, Nahrungsverweigerung, Schonhaltung, Rötung, Schwellung und Druckschmerz der Leiste und des proximalen Oberschenkels sowie ein durchgemachter Infekt und eine Nabelentzündung deuten auf dieses Krankheitsbild hin. Eine bakterielle Entzündung kann ebenso in der späteren Kindheit entsprechende Symptome verursachen. Die sog. Coxitis fugax (»Hüftschnupfen«) findet sich nicht selten im Kindes- und Jugendalter und ist gekennzeichnet durch Leistenschmerzen, Hinken und Schonhaltung, bei sonst unbeeinträchtigtem Allgemeinzustand. Sie kann nach allgemeinen bakteriellen und viralen Infekten auftreten. Das erste Zeichen des Morbus Perthes kündigt sich durch flüchtige, manchmal nur wenige Tage bestehende Leistenschmerzen und ein vorübergehendes Hinken an (Hefti 2006; Rühmann et al. 1997) (. Tab. 12.3). Der Epiphysenabrutsch (Epiphysiolysis capitis femoris) im Pubertätsalter zeigt neben Hüftgelenkbeschwerden auffallend häufig im Beginn der Erkrankung zunächst Schmerzen im Oberschenkel oder gar im Kniegelenk (Buckup 2001). Die Coxa vara und valga mit verkleinerten bzw. vergößerten Schenkelhalswinkeln machen gelegentlich aufgrund einer ungünstigen Biomechanik des Hüftgelenks Beschwerden, die mehr tendopathischer Natur sind und in der Gegend des Trochanter major liegen.
440
1
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
. Tab. 12.2. Synopsis der wichtigsten Krankheiten des Hüftgelenks Alter
Hinken
Schmerzen
Bew.-Einschränkung
Sonografie/Röntgen/MRT
Lux.-Grad III–IV (bei Gehbeginn)
Keine
Abduktionshemmung der Hüfte, Schnappphänomen (Ortolani)
Dislokation des Hüftkopfes (Sonografie)
2 Angeborene Hüftluxation
3 4
Perthes-Krankheit
3–5
Verkürzungs-Belastungs- u. Ermüdungshinken, weniger Schmerzhinken
Im fortgeschr. Stadium
Abspreizung u. Innendrehung
Stadienbedingte Epiphysenumbaustörungen (Röntgen)
Epiphysiolisis capitis femoris (lenta u. acuta)
8–15
Lentaform ermüdungs-, belastungsbedingtes Hinken; in der Akutaform Verkürzungs- u. Schmerzhinken
Lentaform mäßig, akutaform stark, häufig in Kniegelenk u. Oberschenkelbereich
Abspreizung; Innendrehung, bei fortgeschr. Stadien Kontrakturen
Epiphysenabrutsch (Röntgen))
Coxa saltans (schnappende Hüfte)
9–14
Bei ausgeprägten Formen
Selten (während u. nach Schnappen)
Abspreizung, Innendrehung
Unauffällig (Röntgen)
Coxitis fugax
4–8
Schmerzbedingt, gelegentlich starke/keine Belastung möglich
Starke
Alle Bewegungen
Evtl. Gelenkerguss (Sonografie), Röntgen normal
Eitrige Koxitis
Säuglings-/ Kindesalter
Keine Belastung möglich
Sehr starke
Alle Bewegungen, bes. Innenrotation
Gelenkerguss (Sonografie), Lateralisation oder Zerstörung des Hüftkopfes (Röntgen)
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Die »schnappende Hüfte« bereitet selten Hüftschmerzen im Trochanterbereich und wird mehr als unangenehm empfunden. Schmerzen in der Hüft- und Leistenregion können in seltenen Fällen einer Osteonekrosis ischiopubica (aseptische Knochennekrose) zugeordnet werden. Tumoren im Hüft- und angrenzenden Beckenbereich kommen ebenfalls als Ursache von Hüftgelenk- und Beckenbeschwerden in Frage, wie das Ewing-Sarkom, das juvenile Chondrom und die aneurysmatische Knochenzyste (Windhager et al. 1995). Traumatische und tendopathische Veränderungen dieser Region sind ferner in die differenzialdiagnostischen Überlegungen mit einzubeziehen.
Kniegelenk Bei Kindern bis 10 Jahren sind Knieschmerzen selten. Angeborene Fußdeformitäten mit Gangbildstörungen sowie eine ausgeprägte Achsenfehlstellung im Kniegelenk (X-/ O-Bein, Genu recurvatum/antecurvatum) sind leicht als mögliche Ursachen für Kniegelenkbeschwerden zu erkennen. Der nicht immer haltungsschwache Senk-/Spreiz-
fuß führt zu einer Fehlstatik des Fußes mit Belastungsbeschwerden bis hin ins Kniegelenk. Aseptische Knochennekrosen bereiten, je nach Reizzustand, lokalisierte Schmerzen und eine Druckdolenz über den betroffenen Gelenkarealen, wie der Morbus Osgood-Schlatter an der Tuberositas tibiae und der Morbus Sinding-Larsen an der Patellaspitze (Bruns 1996; Hefti 1997). Gegen Ende des Wachstums ist die Osteochondrosis dissecans eine häufige Ursache von Knieschmerzen. Nach Belastung können eine Synovitis und eine Kapselschwellung auftreten. Aus ihrem »Bett« gelöste Knorpel-Knochen-Dissekate führen zu Gelenkblockierungen. Bei einer Patellasubluxation oder der habituellen Patellaluxation sind eine chronische Synovitis und Kapselschwellung schmerzverursachend. Das Krankheitsbild der Chrondopathia patellae mit retropatellaren Schmerzen findet sich zahlreich bei jungen Mädchen als Grund für Knieschmerzen. Eine stärkere X-Bein-Stellung mit konsekutiver Mehrbelastung der Patella führt zu peripatellaren Schmerzen (. Abb. 12.3). Die zahlreichen Schleimbeutel der Kniegelenkgegend geben ebenso häufig Anlass für Beschwerden. Bei
441
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
12
. Tab. 12.3. Differenzialdiagnose des Hinkens. (Nach Buckup 2001) Kleinkind (1–6 Jahre)
Kind (6–10 Jahre)
Adoleszenz (10–16 Jahre)
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Septische Koxitis (Arthritis) Osteomyelitis Rheumatioide Arthritis Coxitis fugax Hüftluxation Muskeldystrophie (Myopathie) Coxa vara Zerebralparese Morbus Perthes Apophysitis calcanei Diszitis Leukämie Tumoren (Osteoidosteom)
5 5 5 5 5 5 5 5 5
Morbus Perthes Beinverkürzung Kontrakturen (Knie-/Hüftgelenk) Scheibenmeniskus Rheumatoide Arthritis Patellainstabilität Zerebralparese Myopathien Apophysitis calcanei
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Epiphysiolysis capitis femoris Rheumatoide Arthritis Hüftdysplasie Osteochondrosis dissecans Patellainstabilität Chondrolyse Morbus Osgood-Schlatter, Köhler Sinding-Larsen Kontrakturen (Hüft-/Kniegelenk) Stressfraktur Achillodynie Tarsale Koalitionen
Schmerzen oder Druckempfinden im Kniekehlenbereich muss eine Baker-Zyste ausgeschlossen werden. Ein Scheibenmeniskus fällt klinisch durch ein tastbares oder hörbares Klicken auf. Verletzungen des Kniegelenks bereiten hin und wieder diagnostische Schwierigkeiten. Leichte Prellungen und Distorsionen werden von Kindern, Untersuchern (auch Eltern) wegen der Schmerzhaftigkeit während der Untersuchung oft überbewertet. Die klinische Abklärung ergibt nur selten eindeutige Ergebnisse, da immer das gesamte Kniegelenk schmerzt und eine Differenzierung der Schmerzhaftigkeit einzelner Bereiche des Kniegelenks nicht möglich ist. Im Vordergrund stehen die Meniskussymptomatik und die Kapsel-Band-Verletzungen. Bei Jugendlichen kommen selten traumatische Risse der Menisken vor. Ein Rotationsschmerz und eine Druckdolenz über dem entsprechenden Kniekehlenspalt weisen auf die Verletzung hin (Kannus 1998; Nottage u. Matsuura 1994; Oostvogel et al. 1988). Tumoren kommen ebenfalls, wenn auch sehr
a
b
. Abb. 12.3. a Genu valgum, b Genu varum
selten, als Ursache für Kniegelenkbeschwerden in Frage (z. B. nichtossifizierendes Knochenfibrom).
Sprunggelenk, Fußwurzel, Vorfuß Fußschmerzen sind bei Kindern nicht ungewöhnlich. Beide Beine müssen im Vergleich betrachtet werden, um mögliche Achsenfehler, Kontrakturen von Hüft- und Kniegelenken als Gründe für Fußschmerzen abzugrenzen. Die Form des Fußes, die Rückfußstellung, der Abrollvorgang und die Hautbeschaffenheit geben häufig erste Hinweise für eine Diagnose (. Abb. 12.4). Schlecht sitzende Schuhe tragen zu Fußschmerzen bei und müssen als Ursache in Erwägung gezogen werden. Auch ein kleines »Steinchen« in einem täglich getragenen Schuh kann schnell als Grund für Fußschmerzen gefunden werden. Die meisten flexiblen Knick- oder Plattfüße des Jugendlichen sind nicht schmerzhaft. Gelegentlich entwickelt sich aus einem symptomlosen Knick-/Plattfuß, besonders nach starker Belastung, ein kontrakter Knickoder Plattfuß mit erheblichen Beschwerden. Die Ursachen können eine tarsale Koalition (knöcherne oder bindegewebige Brücke zwischen zwei Knochen des Rück- und/ oder Mittelfußes) sein. Zusätzlich verursachen Läsionen
. Abb. 12.4. Fußerkrankungen und ihre Lokalisationen
442
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
der Sehne des M. peroneus longus und brevis gelegentlich belastungsabhängige Fußschmerzen (. Abb. 12.5). Akzessorische Knochen, wie das Os tibiale externum, bereiten in der Regel keine Beschwerden; es sei denn, sie sind stark vorspringend, was besonders bei ausgeprägtem Knick-/Senkfuß zu finden ist (Schuhdruck). Fersenschmerzen im Wachstumsalter müssen an eine Apophysitis calcanii, im späteren adoleszenten Alter an eine Hagelund-Exostose denken lassen. Davon sind besonders Kinder und Jugendliche betroffen, die nach langer und intensiver sportlicher Betätigung gelegentlich über Schmerzen entlang der Achillessehne klagen (Achillodynie). Bei einem »hochgesprengten« Fuß und beim dorsalen Fußhöcker kommt es vielfach durch Schuhdruck zu ausgeprägteren Beschwerden in der Fußwurzel und über dem Fußrücken (Jerosch u. Mamsch 1998). Sprunggelenkbeschwerden finden sich bei einer Osteochondrosis dissecans der Talusrolle und bei anlagebedingten oder posttraumatischen Instabilitäten (Innen-/ Außenbandläsionen). Aseptische Knochennekrosen betreffen das Os naviculare (Köhler I) und das Mittelfußköpfchen II und III (Köhler II). Sie führen zu Mittel- und Vorfußbeschwerden (Köhler 1913; Hefti 1999; Zollinger 1986). Bei älteren Heranwachsenden können Ermüdungsbrüche, besonders des 2. und 3. Mittelfußknochens, auftreten, meist nach einer Extrem- oder Dauerbelastung. Schmerzen und rezidivierende Schwellungen im Bereich des Sprunggelenks weisen auf entzündliche Erkrankungen hin, wie z. B. die rheumatoide Arthritis. Auch Osteoidosteom, Synovialom und Ewing-Sarkom als die häufigsten auch im Fußbereich zu findenden Tumoren müssen differenzialdiagnostisch als Schmerzursache mit in Erwägung gezogen werden.
16
12.1.2 Traumata
17
Frakturen finden sich im Wachstumsalter häufiger als Kontusionen und harmlose Distorsionen ohne Instabilitäten. Etwa 10–20% aller Verletzten im Wachstumsalter sind durch Verkehrsunfälle bedingt. Diese haben in 80% der Fälle Polyblessuren zur Folge. Zwischen 20 und 40% wer-
18 19 20 21 22 23
. Abb. 12.5. a Spitzfuß, b Hackenfuß, c Knickfuß, d Hohlfuß, e Plattfuß
den durch den Sport verursacht und 40–50% durch Spiel und im Hause (Laer 2001). Arthralgien und Arthritiden, die durch Verletzungen verursacht sind, lassen sich in der Regel durch eine genaue Anamnese beurteilen. Ermüdungsbrüche, Instabilitäten und Epiphysenlösungen sind allerdings nicht immer ganz einfach anamnestisch herauszufinden. Ergänzende bildgebende Untersuchungen helfen zur weiteren Abklärung. Zwischen Knochenbrüchen im Kindesalter und denjenigen ausgewachsener Jugendlicher bzw. Erwachsener bestehen wesentliche Unterschiede, die durch das Epiphysenwachstum bei Kindern gekennzeichnet sind. Obwohl die meisten Frakturen durch die Wachstumsfuge schnell und ohne bleibende Folgen heilen, werden andere durch einen partiellen oder kompletten Wachstumsstopp mit daraus resultierenden Wachstumsstörungen kompliziert. Die Prognose der Wachstumsverletzungen hängt im großen Maße von der Stellung der Frakturebene innerhalb der Epiphyse ab. Im Allgemeinen kann man erwarten, dass Frakturen durch die Zone der provisorischen Kalzifizierung, ob mit oder ohne begleitendes metaphysäres Wachstum, schnell und ohne Wachstumsstörungen heilen, wenn eine gute Reposition erreicht wurde. Dislozierte, aber auch undislozierte Fakturen, die sowohl die Epiphyse, Epiphysenfuge und Metaphyse betreffen, haben eine schlechtere Prognose, da sie durch die Keimschicht der Wachstumszone verlaufen und zu Nekrosen des Wachstumsknorpels und Durchblutungsstörungen führen können. Trotz anatomischer Reposition bilden sich häufig knöcherne Brückenbildungen zwischen Epiphyse und Metaphyse aus. Je nach Ausmaß dieser Ausheilungsbrücke kann das Wachstum dieses Bereichs dann sistieren und zu einer angulären Deformität oder Gelenkinkongruenz führen, abhängig vom Alter der betroffenen Fuge. Auch Epiphysenlösungen und Bandausrisse mit Teilen der Epiphyse können zu knöchernen Brückenbildungen Anlass geben. Splitterbrüche der Wachstumsfuge in Verbindung mit schweren Weichteil- und Quetschverletzungen haben einen sehr ungünstigen Verlauf. Zerstörungen der Keimzellschicht und/oder totale Unterbrechung der Gefäßzufuhr zur Wachstumsfuge bedeuten eine frühzeitige Verknöcherung der Fugen und totalen Wachs-
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
tumsstopp. Die Spätfolgen sind Verkürzungen und Achsenfehlstellungen. Je jünger der Patient, desto größer sind die zu erwartenden Veränderungen. Prinzipien der Behandlung. Zur Diagnosestellung und Therapie sind stets Röntgenbilder in 2 Ebenen notwendig, da zahlreiche Frakturen sich nur in einer Ebene darstellen. Bei Schaftfrakturen müssen die angrenzenden Gelenke mit abgebildet werden. Die Mehrzahl aller Frakturen des Kindes können konservativ durch Reposition und Immobilisation im elastischen Verband oder Gips behandelt werden. Die Frakturheilung am wachsenden Skelett erfolgt praktisch immer über die Kallusbildung. Der primäre Kallus wird unter späterer Belastung umstrukturiert, sodass wieder eine Kompakte und ein Markkanal entstehen (. Abb. 12.6) (Buckup 2001). Die exakte anatomische Reposition der metaphysären und diaphysären Frakturen ist bei Kindern nicht immer erforderlich. Der wachsende Knochen hat besonders bei jungen Patienten mit noch großer Wachstumserwartung ein bemerkenswertes Umbaupotenzial und Korrekturfähigkeit. Innerhalb bestimmter Grenzen kann man erwarten, dass sich Achsenfehlstellungen in der Frontal- (VarusValgus-) und der Sagittalebene (Anterekurvation) spontan während des Wachstums korrigieren. An den unteren
. Abb. 12.6. Achsenkorrektur während des Wachstums. Die Epiphysenfuge stellt sich wieder senkrecht zur Längsachse des Knochens. Die Epiphyse wächst asymmetrisch in die Länge, man spricht vom epiphysären Längenwachstum. Durch Beiwachsen in der Konkavität und Abnehmen auf der konvexen Seite richtet sich der Schaft gerade. Dieses periostale Dickenwachstum und die epiphysäre Längenwachstum sind besonders gut bei jüngeren Kindern entwickelt; Frakturen werden in dieser Altersgruppe am besten korrigiert
443
12
Extremitäten sollten allerdings aus statischen Gründen nur geringe Fehlstellungen hingenommen werden. Eine Achsenfehlstellung in der Nähe des Gelenks wird sich besser umbauen als eine Abwinklung in der Mitte des Schaftes, und junge Kinder haben ein weitaus größeres Umbaupotenzial als ältere. Exkurs Leichte Rotationsfehler, besonders des Femurs, können toleriert werden, da im Rahmen der physiologischen Detorsion und Rotation Fehler wieder vollständig verschwinden oder sich auf ein kompensierbares Maß reduzieren. Lediglich Rotationsfehler am Unterschenkel und Finger, die durch die nächstliegenden Gelenke nicht ausgeglichen werden können, sollten nicht hingenommen werden, da sie oft zu Beschwerden führen. Der Heilungsprozess jeder Fraktur führt zu einer mehr oder weniger ausgedehnten Hyperämie der sie umgebenden Wachstumszone. Das Ausmaß der dadurch verstärkten Wachstumspotenz ist abhängig vom Ausmaß der Fraktur, der operativen Eingriffe und des Alters des betroffenen Kindes. Eine Seitverschiebung der diaphysären Fragmente ist häufig wünschenswert. Die Fraktur stimuliert gewöhnlich bei Kindern das Wachstum gegenüber der unbeteiligten Gegenseite. Die End-zu-End-Reposition oder Überdistraktion kann ein ungewünschtes, vermehrtes Längenwachstum bedeuten. Frakturen in der Präpubertät bewirken eine Beschleunigung des physiologischen Schlusses der Fuge infolge der Hyperämie, mit einer eher daraus resultierenden Verkürzung.
Die operative Behandlung ist nur bei bestimmten kindlichen Frakturen erforderlich. Frakturen mit Beteilung der Gelenkoberfläche müssen sorgfältig reponiert werden. Eine verbleibende Gelenkinkongruenz hat einen frühzeitigen Gelenkverschleiß zur Folge. Die Epiphysenfrakturen verlangen ebenfalls eine exakte Reposition, um ein späteres Fehlwachstum zu vermeiden. In diesen Fällen wird häufig die offene Reposition und interne Fixation (Kirschner-Draht-Spickung oder Schraubenfixation), meist mit zusätzlicher Gipsruhigstellung, angewandt. Ruhigstellungsschäden, wie Gelenksteife, sind bei Kindern auch bei längerer Immobilitation nicht zu erwarten. Daher sind im Kindesalter physikalische und physiotherapeutische Nachbehandlungen in der Regel nicht notwendig. Nach Anlegen eines Gipses sind ständige Gips- und Weichteilüberprüfungen erforderlich. Bei allen komplizierten Frakturen sollten zusätzliche Röntgenstellungskontrollen in den ersten Wochen erfolgen, um einen Stellungsverlust frühzeitig zu erkennen. Die Ischämie einer Extremität ist eine entscheidende Komplikation bestehender Frakturen und Luxationen. Verletzungen im Bereich des Ellenbogen- und Kniegelenks und Frakturen des Unterarmes sind besonders häu-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
fig von einer mangelnden Durchblutung begleitet. Die Schwellung innerhalb eines geschlossenen Faszienkompartiments oder unter einem zu eng angelegten Gips kann die Ursache sein. ! Die Ischämie einer Extremität ist ein absoluter Notfall. Irreversible Weichteilschäden setzen innerhalb von 6–8 Stunden nach dem Gefäßverschluss ein und schreiten rasch fort. Muskel- und Nervennekrosen führen zu Paralysen, Kontrakturen und Deformitäten (z. B. Volkmann-Kontraktur).
auch beim schmerzhaften Knie klinisch beurteilen. Die Translation in a.-p.-Richtung kann durch den LachmannTest mit der extensionsnahen Schubladenprüfung untersucht werden (Buckup 2005). Stets muss die Prüfung im Vergleich zur Gegenseite erfolgen und berücksichtigt werden, dass Kinder gegenüber Erwachsenen generell eine erhöhte Bandlaxität aufweisen. Eine vordere Schublade bis zu 10 mm kann noch normal sein. Auch die mediale und laterale Aufklappbarkeit können überprüft werden, ohne dass man dem Kind allzu große Schmerzen zufügt. Röntgen. Zum Ausschluss einer Fraktur bei einem Hä-
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Frakturheilungsstörungen wie Pseudarthrosen, Refrakturen, Sudeck-Dystrophien und Infektionen sind bei Kindern selten. Pathologische Frakturen kommen im Kindesalter vor und sind meist das Ergebnis bestimmter Krankheitsbilder (z. B. juvenile Knochenzyste).
Kniebinnenverletzungen Definition. Läsionen an den Menisken oder am Bandap-
parat des Kniegelenks, die bei Kindern und Adoleszenten vorkommen. Häufigkeit. Verglichen mit den Erwachsenen erleiden Kinder und Jugendliche nur selten Verletzungen an den Menisken und/oder am Bandapparat des Kniegelenks. Eine epidemiologische Studie aus Schweden beschreibt die jährliche Inzidenz der Meniskusläsion bei Kindern mit 7 pro 100.000 Anfang der 60er Jahre und mit 25 pro 100.000 Kinder Anfang der 80er Jahre (Abdon u. Bauer 1989). In der 3. und 4. Lebensdekade liegt die Inzidenz bei 90 pro 100.000 Einwohner. Führt man bei Vorliegen eines Hämarthros beim Kind systematisch eine Arthroskopie durch, so findet man je nach Altersgruppe bei 30–40% (Kinder) bzw. 50–60% (Adoleszente) eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes und/oder eine Meniskusläsion. Insbesondere bei Kindern scheint die Diagnose von Kniebinnenläsionen rein klinisch äußerst schwierig zu sein, sodass das MRT und ggf. die Arthroskopie die klinische Diagnose häufig korrigieren muss. Diagnostik. Bei einer Verletzung mit einem Kniegelenkerguss liegt häufig eine Kniebinnenverletzung vor. Der genaue Unfallmechanismus kann nur selten rekonstruiert werden. Oft passiert es sehr schnell. Die Kinder können sich meist nicht an den Unfallhergang erinnern. Klinische Untersuchung. Die klinische Untersuchung des verletzten Kniegelenks ist schmerzhaft und sollte deshalb behutsam vorgenommen werden. Die Inspektion zeigt unter Umständen Schürfungen und Hautverletzungen. Meist ist ein frischer Gelenkerguss inspektorisch gut sichtbar. Wir verzichten beim Akutverletzten wegen der schmerzhaften Knieuntersuchung auf Meniskuszeichen. Hingegen lässt sich der Zustand des Bandapparates
marthros sollte immer ein Röntgenbild angefertigt werden. Intraartikuläre Frakturen zeigen sich am häufigsten als ossäre Ausrisse des vorderen Kreuzbandes an der Eminentia intercondylaris, selten auch des proximalen Ansatzes in der Fossa intercondylaris. Ein wesentlicher Gelenkerguss sollte grundsätzlich punktiert werden. Mit Hilfe des Punktats kann folgender Schluss gezogen werden: 5 Seröser Erguss: keine frische Kniebinnenläsion. Entweder liegt ein chronischer Reizzustand vor (z. B. bei Osteochondrosis dissecans, bei freiem Gelenkkörper, bei chronischer Knieinstabilität), oder es handelt sich um eine juvenile rheumatische Arthritis. 5 Hämarthros mit Fettaugen: Fettaugen sind ein Hinweis auf eine Fraktur. Am wahrscheinlichsten ist der ossäre Ausriss des vorderen Kreuzbandes an der Eminentia intercondylaris; möglich sind aber auch andere intraartikuläre Frakturen. 5 Hämarthros ohne Fettaugen: Hier liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kniebinnenläsion vor, d. h. eine Meniskusläsion, eine Ruptur des medialen Seitenbandes oder eine intraligamentäre Ruptur des vorderen Kreuzbandes (synoviale Verletzungen). Möglich ist auch eine frische, traumatische Patellaluxation mit Zerreißung des medialen Retinakulums und eine Knorpel-Knochen-Läsion am lateralen Femurkondylus. Zur weitergehenden Beurteilung von Kniebinnenläsionen hilft auch das MRT. Therapie. Die Behandlung von Kniebinnenläsionen bei Kindern und Jugendlichen mit offenen Epiphysenfugen unterscheidet sich z. T. grundlegend von derjenigen bei Erwachsenen. Gewisse Behandlungsmethoden können wegen der offenen Wachstumsfugen bei Kindern nicht angewendet werden, auch müssen für die Indikationsstellung teilweise andere Überlegungen als bei Erwachsenen angestellt werden (Aichroth et al. 2002; Hefti 2006).
Mediale Meniskusläsion Meniskusläsionen sind seltene Verletzungen bei Kindern und Jugendlichen. Größere Lappenrisse und insbesonde-
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12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
re Korbhenkelrisse sollten arthroskopisch durch Nähte refixiert werden.
Laterale Meniskusläsion Laterale Meniskusläsionen finden sich bei Kindern und Jugendlichen fast ausschließlich im Zusammenhang mit Scheibenmenisken. Stets sollte nur der innere Teil des Meniskus entfernt, der äußere Teil belassen werden. Der laterale Meniskus hat eine wesentliche Stabilisierungsfunktion. Die komplette Entfernung eines Außenmeniskus führt unweigerlich nach wenigen Jahren zu einer Arthrose und Knieinstabilität.
Mediale Seitenbandläsionen Mediale Seitenbandläsionen finden sich bei Kindern häufiger. Oft kommt es zum Ausriss am knorpeligen proximalen Ansatz. Später verknöchert dieser knorpelige Teil und ist auf dem Röntgenbild als »Stieda-Pellegrini-Schatten« sichtbar. Da isolierte Läsionen des medialen Seitenbandes eine gute Prognose haben, sollte die Therapie konservativ sein, solange der zentrale Pfeiler intakt ist. Ist dies nicht der Fall, so muss der zentrale Pfeiler (d. h. das vordere Kreuzband) wiederhergestellt werden. Das mediale Seitenband kann dann spontan ausheilen. Bleibt das vordere Kreuzband instabil, so wird auch der mediale Bandapparat nicht stabil ausheilen (Kannus 1998).
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Die isolierte komplette Ruptur hat keine Fähigkeiten zur Regeneration. Grundsätzlich ist die Prognose der vorderen Kreuzbandruptur bei Kindern und Jugendlichen schlechter als bei Erwachsenen. Bei chronischer vorderer Kreuzbandinsuffizienz im Kinder- und Jugendalter treten gehäuft Knorpel- und Meniskusläsionen auf (Aichroth et al. 2002). Die Ursache hierfür sind die vermehrte Aktivität der jungen Patienten und die allgemeine Bandlaxität und das damit verbundene größere Gelenkspiel. Die primäre Naht des vorderen Kreuzbandes hat eine schlechte Prognose. Therapeutisch erfolgt eine Arthroskopie des Gelenks mit Entleerung des Hämathros und Spülung des Gelenks. Etwa 14 Tage nach dem Trauma sollte in Abhängigkeit vom Knochenalter eine vordere Kreuzbandplastik in der Technik für Erwachsene erwogen werden. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Durchbohren der Wachstumsfuge äußerst selten zu einer signifikanten Verletzung der Epiphysenfuge mit Entwicklung einer Wachstumsstörung führt. Bei Jungen unter 13 Jahren, bei Mädchen unter 11,5 Jahren sollte zunächst versucht werden, mit konservativen Maßnahmen eine Stabilität zu erreichen (Orthese, Krankengymnastik). Bei einer kompletten Ruptur mit Begleitverletzungen muss primär operativ vorgegangen werden (Aichroth et al. 2002; Hefti 2006).
Ausriss der Eminentia intercondylaris Der Ausriss der Eminentia intercondylaris, d. h. der knorpelig-knöcherne Ansatz des tibialen Ansatzes des vorderen Kreuzbandes, ist eine der häufigeren Verletzungen am Kniegelenk bei Kindern und Jugendlichen. Die Diagnose kann anhand des Nativröngenbildes gestellt werden. Nichtdislozierte Frakturen können durch eine Gipsruhigstellung (Gipshülse 4 Wochen) zur Abheilung gebracht werden. Dislozierte Eminentia-intercondylaris-Frakturen müssen operativ reponiert und refixiert werden (Oostvogel et al. 1988).
Läsionen des vorderen Kreuzbandes Die intraligamentäre Ruptur des vorderen Kreuzbandes bei offenen Epiphysenfugen tritt in verschiedenen Formen auf: 1. isolierte inkomplette Ruptur (häufigste Form in der hier besprochenen Altersgruppe, wird meist übersehen); 2. isolierte komplette Ruptur; 3. komplette Ruptur mit Begleitverletzungen. Bei der isolierten inkompletten Ruptur regeneriert sich meist das Band. Die Behandlung sollte deshalb eher konservativ sein (Gips- oder Schienenorthesenruhigstellung bis zur Abschwellung). Frühzeitig sollte ein Muskeltraining erfolgen.
12.1.3 Aseptische Knochen- und
Epiphysennekrosen Osteochondrosis dissecans des Ellenbogengelenks Definition. Lokal begrenzte avaskuläre Nekrose des Ellen-
bogengelenks am Radiusköpfchen oder Capitulum humeri (Morbus Panner). Das betroffene Areal kann sich mitsamt der Knorpelschicht aus dem Knochenverbund lösen und einen freien Gelenkkörper bilden (Buckup 2001). Anamnestisch liegt oft ein Trauma vor, es muss jedoch nicht ursächlich sein. Häufig findet sich die Erkrankung bei Leistungssportlern (Eisläufer, Kunstturner, Handballer). Häufigkeit. Seltene Erkrankung. Sie findet sich meist nicht vor dem 12. Lebensjahr. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Klinik und Diagnostik. Es bestehen Bewegungsschmerzen
und eine Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk. Eine Dissekatbildung mit Entwicklung eines freien Gelenkkörpers ist selten. Bei freiem Gelenkkörper kann es zu Einklemmungen (Streckhemmung) mit Schmerzen und einer Gelenkergussbildung kommen. Die Diagnose wird mit Nativröntgenbildern gestellt. Eine Computertomografie oder ggf. Magnetresonanztomografie können zur weiteren Diagnostik hilfreich sein.
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Therapie. Die wichtigste Maßnahme ist die Reduktion der sportlichen Aktivität bzw. das Sportverbot, ggf. auch eine vorübergehende Ruhigstellung des Gelenks. Bei Verdacht auf eine ausgedehntere Dissekatbildung ist ein operatives Vorgehen indiziert. Es erfolgt ein Anbohren der sklerotischen Zone (Pridie-Bohrung) oder bei einem fortgeschrittenen Befund eine Refixation des Dissekats. Bei freier Gelenkkörperbildung ist meist die Exstirpation der »Gelenkmaus« indiziert. In Ausnahmefällen kann auch die Indikation zu einer Knorpel-Knochen-Transplantation bestehen.
Morbus Perthes Definition. Hüftgelenkerkrankung bei Kindern und Ju-
gendlichen, basierend auf einer vorübergehenden Durchblutungsstörung des Femurkopfes unklarer Genese (. Abb. 12.7). Ätiologie. Verschiedene Faktoren scheinen einen Einfluss auf die Entstehung des Morbus Perthes zu haben. Die Ätiologie dieser Erkrankung ist bis heute weitgehend unklar. Neben einer vorübergehenden verminderten Durchblutung des Femurkopfes, intraossären Druckerhöhungen, Gerinnungsstörungen und metabolischen Knochenprozessen werden insbesondere Skelettretardierungen und genetische Faktoren für das Krankheitsbild verantwortlich gemacht. Eine multifaktorielle Vererbung wird postuliert. Kinder mit Morbus Perthes sind häufig minderwüchsig. Besonders in jüngeren Jahren ist die Skelettretardierung ausgeprägter als das Zurückbleiben der Körpergröße. Die stärksten Abweichungen bestehen in der Altersgruppe zwischen 5 und 9 Jahren. In dieser Zeit ist vom Alter her eine 2- bis 4-jährige Skelettretardierung zu den normal Entwickelten zu sehen. Im höheren Alter gleichen sich Skelett- und chronologisches Alter wieder an. Bei
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. Abb. 12.7. Morbus Perthes links, Junge im Alter von 4 Jahre, Femurkopf im Fragmentationsstadium
Kindern mit einer ausgeprägten Skelettretardierung verläuft die Erkrankung deutlich verlängert (Barker u. Hahl 1986; Catteral 1971). Häufigkeit. Der Morbus Perthes ist die häufigste aseptische Knochennekrose. Sie tritt hauptsächlich zwischen dem 3. und 12. Lebensjahr auf; die meisten Erkrankungsfälle manifestieren sich im Alter zwischen 4 und 8 Jahren. Jungen sind 4-mal häufiger betroffen als Mädchen. Die Inzidenz der Perthes-Erkrankung pro Jahr beträgt bei der weißen Bevölkerung 10,8 pro 100.000 Kinder und Jugendliche im Alter von 0–15 Jahren, bei Schwarzen liegt die Inzidenz um mehr als die Hälfte niedriger, bei 0,45 pro 100.000 Kinder und Jugendliche. Klinik. Zu Beginn der Erkrankung ermüden die Kinder meist rasch und beginnen leicht zu hinken. Sie klagen über geringe Schmerzen im Hüftgelenk, manchmal auch nur über Kniebeschwerden. Auffällig ist die Diskrepanz zwischen einer oft deutlichen Funktionsbehinderung des Hüftgelenks und der gering ausgeprägten Beschwerdesymptomatik. Im weiteren Verlauf stellen sich meist nur gelegentliche Schmerzen, ein konstantes Hüfthinken und zunächst eine scheinbare, dann reale Beinverkürzung ein. Neben einem Leistendruckschmerz entwickelt sich eine zunehmende Einschränkung der Hüftgelenkbeweglichkeit, insbesondere der Innenrotation und Abduktion. Bildgebende Diagnostik. Die Diagnose des Morbus Per-
thes wird letztendlich röntgenologisch gestellt. Neben der a.-p.-Aufnahme ist immer auch ein axiales Röntgenbild (Rippstein- oder Lauenstein-Aufnahme) anzufertigen. Das MRT ermöglicht im Frühstadium und vor Auftreten von Veränderungen im Nativröntgenbild durch Nachweis einer epiphysären Ichämie eine Differenzialdiagnose zu klinisch ähnlich verlaufenden Krankheitsbildern wie der Coxitis fugax und der epiphysären Dysplasie. Therapeutische Konsequenzen aus der Frühdiagnose des Morbus Perthes anhand des MRT ergeben sich nicht, dies gilt auch für die Szintigrafie. Das Röntgenbild des Hüftgelenks lässt aufgrund der pathologisch anatomischen Veränderungen verschiedene Stadien erkennen: 5 Initialstadium (präradiologisches Stadium): Nur im MRT darstellbar. 5 Kondensationsstadium: Der Femurkopf erscheint röntgendichter und etwas abgeflacht, der Gelenkspalt erweitert. 5 Fragmentationsstadium: Teilweise oder völlige Auflösung des Femurkopfes mit osteolytischen und sklerotischen Zonen. 5 Reparationsstadium: Aufbauphase des Femurkopfes. 5 Endstadium: Endzustand mit oder ohne Defektheilung.
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
Je nach Alter, Erkrankungsbeginn und Ausmaß der Kopfnekrose erfolgt die Ausheilung mit einer mehr oder weniger starken Deformierung des Hüftkopfes. Typisch ist der abgeflachte pilz- oder walzenförmige Kopf mit verkürztem Schenkelhals und hochstehendem Trochanter major mit hieraus resultierender Beinverkürzung.
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6. Lebensjahr, so ist die Prognose unabhängig von allen anderen Faktoren eher gut. Die Prognose bei einem Erkrankungsbeginn nach dem 6. Lebensjahr lässt trotz adäquater konservativer und operativer Therapie ein schlechteres Endresultat erwarten. Bei Mädchen zeigen sich schlechtere Ausheilungsergebnisse als bei Jungen (Parsch et al. 1995).
Therapie. Die Therapie des Morbus Perthes hat folgende
Ziele (Buckup 2001; Coates et al. 1990; Rühmann et al. 1997): 5 Erhaltung und Verbesserung der Beweglichkeit des betroffenen Hüftgelenks 5 Containmentverbesserung (Verbesserung der Hüftgelenkkongruenz; . Tab. 12.4)
Osteochondrosis dissecans des Kniegelenks Definition. Lokal begrenzte avaskuläre Nekrose des sub-
chondralen Knochens mit herdförmiger Abgrenzung (. Abb. 12.8). Im Verlauf kann sich eine partielle oder totale Abtrennung des betroffenen subchondralen Knochenanteils entwickeln und zu einem freien Gelenkkörper (»Gelenkmaus«) führen.
Sport. Eine leichte sportliche Betätigung, bei der die Be-
wegung im Hüftgelenk im Vordergrund steht (Schwimmen, Fahrradfahren) ist möglich. Sportarten, die das Hüftgelenk stark belasten (z. B. Geräteturnen, Kontaktsportarten) sollten gemieden werden. Ein vollständiger Verzicht auf jeglichen Sport für mehrere Jahre ist nicht sinnvoll, da die Bewegung für das betroffene Hüftgelenk günstig ist. Prognose. Die Prognose des Morbus Perthes ist vom Al-
Ätiologie. Die Ätiologie der Osteochondrosis dissecans
ist nicht endgültig geklärt. Rezidivierende Traumata, fokale Ischämien und Störungen der normalen Ossifikation werden diskutiert. Bei Leistungssportlern lässt sich die Erkrankung gehäuft beobachten. Der distale Femur ist der häufigste Sitz der Erkrankung. Rund 10% der Betroffenen haben eine systemische Form mit multiplen Läsionen (Ellenbogen-, Sprung-, Hüftgelenk). Eine beidseitige Erkran-
ter des Patienten abhängig. Erkrankt das Kind vor dem
. Tab. 12.4. Therapieschema bei Morbus Perthes. (Nach Buckup 2001) Kinder <5 Jahre
Klinische Verlaufskontrollen Bildgebende Kontrollen alle 6 Monate Bei Bewegungseinschränkungen Physiotherapie Temporäres Sportverbot
Kinder >5 Jahre
Klinische Verlaufskontrollen Bildgebende Kontrollen alle 3–6 Monate Bei Bewegungseinschränkungen Physiotherapie Ggf. entlastende Orthese Bei Dezentrierung operative Intervention zur Containmentverbesserung: 5 ggf. Adduktorentenotomie bei erheblicher Abduktionshemmung 5 präoperativ Abduktionsaufnahmen und ggf. Funktionsarthrografie (Einstellbarkeit?) 5 intertrochanträre Varisierung, selten Valgisierung (bei „hinge abduction“) 5 Azetabuloplastik/Salter-Osteotomie 5 ggf. Kombination aus intertrochantärer und Pfannendachkorrektur
Kinder >8 Jahre
Klinische Verlaufskontrollen Bildgebende Kontrollen alle 3–6 Monate Bei Bewegungseinschränkungen KG-Übungsbehandlung 5 Bei Dezentrierung operative Intervention zur Containmentverbesserung: 5 präoperative Abduktionsaufnahme und ggf. Arthrografie 5 intertrochanträre Varisierung, selten Valgisierung 5 ggf. Tripleosteotomie des Beckens mit Pfannenschwenkung 5 ggf. Kombination intertrochantäre Umstellung und Tripleosteotomie 5 ggf. Adduktorentenotomie bei erheblicher Abduktionshemmung
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
5 Sekundär grenzt sich diese mit einer Randsklerose gegenüber dem umgebenen Knochen ab (Stadium 2), der darüberliegende Knorpel ist intakt. 5 Im Stadium 3 kommt es zu einer zirkulären Ausdünnung und ggf. Unterbrechung des Knorpelbelages, was zu einer partiellen Lockerung des Dissekats führt. 5 Löst sich das Dissekat vollständig aus seinem Bett (sog. Mausbett) und bildet einen freien Gelenkkörper, handelt es sich um ein Stadium 4.
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Klinik. Die Symptome bei der Osteochondrosis dissecans sind eher unspezifisch. In der Regel klagen die Patienten über belastungsabhängige Kniebeschwerden, die anfangs intermittierend, später als Dauerschmerz auftreten. Erst nach Ausbildung eines Dissekats mit Ablösung kann es zu Gelenkblockierungen kommen. Aufgrund der unspezifischen Symptomatik wird eine Osteochondrosis dissecans im Kindes- und Jugendalter häufig als Wachstumsschmerz oder rheumatischer Schmerz fehlgedeutet.
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Diagnostik. Die Diagnose wird mit Nativröntgenbildern gestellt. Der Defektbereich ist meist durch eine reaktive Sklerosierung vom gesunden Knochen abgegrenzt. Die MRT-Untersuchung bildet den Nekroseherd aufgrund des umgebenen Ödems meist vergrößert ab.
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. Abb. 12.8. 14-jähriger Junge mit Osteochondrosis dissecans am medialen Femurkondylus
kung der Kniegelenke wird bei 10% der Patienten gesehen (Bruns 1996; Hefti 1999).
Morbus Osgood-Schlatter Definition. Aseptische Knochennekrose im Bereich der Tuberositas tibiae. Ätiologie. Mikrotraumatische Läsionen, wie eine Über-
Klassifikation. Die häufigere juvenile Form der Erkran-
kung (mit offenen Epiphysen bei Ausbruch) wird von der selteneren adulten Form (mit geschlossenen oder prämaturen Fugen) unterschieden. Der juvenile Typ hat eine bessere Prognose als die erwachsene Form. Pathophysiologisch verläuft die Osteochondrosis dissecans in Stadien: 5 Initial kommt es zu einer umschriebenen subchondralen Nekrose (Stadium 1).
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Therapie. Ein Therapieschema findet sich in . Tab. 12.5.
beanspruchung des Patellabandes mit resultierendem Ungleichgewicht zwischen mechanischer Belastung (körperliche Aktivität, Körpergewicht) und verminderter Belastungsfähigkeit an der noch knorpeligen Apophyse der Tuberositas sind Hauptgrund für die Entwicklung der Osteonekrose. Häufigkeit. Die Erkrankung findet sich gehäuft bei übergewichtigen Jungen zwischen 11 und 15 Jahren, die aktiv Sport treiben (z. B. Fußball) (Hefti 2006).
. Tab. 12.5. Therapieschema bei Osteochondrosis dissecans des Kniegelenks. (Nach Buckup 2001)
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Keine Beschwerden
Sportverbot (Reduktion), ggf. vorübergehende (Teil-)Entlastung, klinische und bildgebende Diagnostikkontrolle nach 6 Monaten (danach erneute Entscheidung)
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Mäßige Symptome; bildgebend (Röntgen, MRT), ohne Anhalt für Dissektion
Evtl. arthroskopische Abklärung, ggf. Herdanbohrung, temporäres Sportverbot, Entlastung, klinische und bildgebende Diagnostikkontrolle nach 6 Monaten
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Ausgeprägte Symptome; bildgebend (Röntgen, MRT) Dissektion
Arthroskopische, ggf. offene Revision mit Dissekatrefixation (Spongiosaunterfütterung), Dissekatentfernung, Knorpel-/Knochentransplantation; bei Achsenfehler zusätzlich Achsenkorrektur
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
Klinik und Diagnostik. Meist imponiert eine beiderseits über der Tuberositas tibiae bestehende Schmerzhaftigkeit nach sportlicher Betätigung. Der Schmerz lässt sich durch Anspannung der Quadrizepsmuskulatur gegen Widerstand (beugen des Kniegelenks gegen Widerstand, Treppe auf- bzw. absteigen, forciertes Laufen und Springen) auslösen. Meist lässt sich eine Weichteilschwellung über der Tuberositas tasten. Das seitliche Röntgenbild zeigt häufiger eine Fragmentation der Tuberositas tibiae. Therapie. In der Regel handelt es sich um eine selbsthei-
lende Erkrankung. Initial ist eine Reduktion der sportlichen Aktivität angezeigt. Im akuten Zustand können Eisbehandlungen, physikalische Therapie und das Auftragen von Salben hilfreich sein. Stabilisierende Kniegelenkbandagen, ggf. eine vorübergehende Entlastung sind weitere Behandlungsoptionen. Selten ist ein operativer Eingriff mit Entfernung einzelner Fragmente sowie einer Anbohrung der Tuberositas tibiae zur Durchblutungsförderung und besseren Regeneration der Apophyse erforderlich. Bei derartigen Eingriffen ist auf eine unbedingte Schonung der proximalen Tibiaepiphyse zu achten.
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tiphlogistische Maßnahmen führen meist zur Beschwerdefreiheit.
Aseptische Knochennekrosen im Fußbereich Aseptische Nekrosen im Fußbereich können in jedem Lebensalter vorkommen. Während des Wachstums auftretende Knorpelverknöcherungsstörungen finden sich an den Epiphysen und Apophysen. Es handelt sich um interossäre Durchblutungsstörungen, in deren Folge Nekrosen auftreten. Der nekrotische Knochenbezirk ist in seiner Belastbarkeit gemindert. Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es zu einem erneuten Einsprossen von Blutgefäßen, zur Resorption von nekrotischem Gewebe und zum Aufbau neuen Knochens. Die Erkrankungen erstrecken sich über Monate bis zu mehreren Jahren. Aseptische Osteonekrosen können symptomlos, ohne Schmerzen verlaufen oder auch mit Beginn der Erkrankung Schmerzen verursachen. Differenzialdiagnostisch sind tumoröse Veränderungen oder infektbedingte Osteonekrosen abzugrenzen (Hefti 1999; Zollinger 1986).
Osteonekrose des Os naviculare (Köhler I) Definition. Passagere Durchblutungsstörungen mit asep-
Morbus Sinding-Larsen-Johansson Definition. Aseptische Knochennekrose im Bereich der
tischer Knochennekrose des Os naviculare im adoleszenten Alter.
Patellaspitze bei Jugendlichen. Häufigkeit. Das Erkrankungsalter entspricht dem des
Morbus Osgood-Schlatter. Ätiologie. Durch wiederholte Mikrotraumen im Ansatz-
bereich des Ligamentum patellae am unteren Kniescheibenpol entwickelt sich eine aseptische Nekrose des knorpeligen Sehnenansatzes. Klinik. Die Patienten klagen über belastungsabhängige Schmerzen in der Patellaregion. Bei der klinischen Untersuchung findet sich eine Druckdolenz am unteren Patellapol, gelegentlich auch eine leichte Schwellung. Auch werden Schmerzen an dieser Stelle bei gestrecktem Anheben der Beine gegen Widerstand angegeben (Fulkerson 2002). Diagnostik. Im Röntgenbild (besser im MRT) lassen sich gelegentlich Knochenveränderungen am unteren Patellapol als Osteolysen oder knöcherne Ausziehungen objektivieren. Differenzialdiagnostisch kommt das »jumper’s knee« beim ausgewachsenen Patienten in Frage. Statt zu einer Nekrose am knorpeligen Sehnenansatz kommt es zu einer solchen im Sehnenbereich, was im Röntgenbild dann nicht festzustellen ist. Therapie. Ein zeitweises Sportverbot und/oder eine Änderung des Aufbautrainings, lokale physikalische und an-
Häufigkeit. Die Veränderungen treten zwischen dem 2. und 10. Lebensjahr mit Gipfel um das 5. und 6. Lebensjahr auf. Jungen sind 4-mal häufiger betroffen als Mädchen. Ein doppelseitiger Befall findet sich in etwa 30% der Fälle. Ätiologie. Wiederholte mechanische Kompressionskräfte werden als Ursache für die Durchblutungsstörungen des Os naviculare mit anschließender Osteonekrose diskutiert. Das Os naviculare ist derjenige Fußwurzelknochen, der am spätesten ossifiziert. Klinik und Diagnostik. Die Kinder klagen über belas-
tungsabhängige Schmerzen über dem Fußrücken. Auffällig sind ein Schonhinken sowie ein Abrollen des Fußes überwiegend über den äußeren Fußrand. Zusätzlich bestehen ein Druckschmerz und eine Schwellung über dem Os naviculare sowie eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung der Fußwurzel. Anfänglich findet sich ein leicht verdichtetes Os naviculare mit Verbreiterung der angrenzenden Gelenkspalte. Im Fragmentationsstadium zeigen sich die typischen nekrotischen Veränderungen mit Abplattung des Os naviculare. Die Normalisierung des Röntgenbildes dauert mehrere Jahre. Selten verbleibt eine Deformation des Os naviculare. Therapie. Die Behandlung ist zunächst symptomatisch. Im Stadium der Nekrose muss u. U. während 4–6 Wochen eine Ruhigstellung des Fußes im Unterschenkelgips-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
verband erfolgen. Anschließend werden entlastende Einlagen verordnet. Langfristig baut sich das Os naviculare wieder normal auf (Hefti 1999; Zollinger 1986).
Osteonekrose des Metatarsalköpfchens (Köhler II, »Freiberg’s disease«) Definition. Passagere Durchblutungsstörungen mit asep-
tischer Osteonekrose, überwiegend am Köpfchen des 2., in abnehmender Häufigkeit auch am 3., 1. und 5. Mittelfußköpfchen (Köhler 1920). Häufigkeit. Im Wesentlichen sind Mädchen im Alter zwi-
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schen dem 9. und 17. Lebensjahr betroffen. Das Verhältnis Mädchen zu Jungen beträgt 3:1.
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Ätiologie. Eine familiäre Häufung wird beobachtet. Me-
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Diagnostik. Sklerosierung und Verdichtung, später Fragmentation, der Fersenbein-, Epi- und Apophyse (die Apophyse erscheint im 5. Lebensjahr, Synostierung im 12. Lebenjahr). Zwischen dem Auftreten von Schmerzen und der Fragmentation der Apophyse findet sich meist keine Übereinstimmung. Eine Abgrenzung pathologischer radiologischer Befunde durch Vergleichsaufnahmen der Gegenseite ist meist unergiebig. Therapie. Die Behandlung besteht in entlastenden Maß-
chanische Ursachen können eine ursächliche Rolle bei der Erkrankung spielen. Infolge einer Spreizfußdeformität oder Insuffizienz des ersten Strahls treten unphysiologische Belastungen auf die Metatarsalköpfchen der zentralen Fußstrahlen auf. Klinik. Die z. T. starken und belastungsabhängigen Schmerzen können exakt über dem betroffenen Mittelfußknochen lokalisiert werden. Auf passiven Druck von dorsal und plantar durch den Untersucher ist ein Schmerz auszulösen. Das Abrollen des Fußes ist schmerzhaft und führt zu einem Schonhinken. Diagnostik. Im Anfangsstadium sind keine röntgenologischen Veränderungen sichtbar. Später kommt es zur Verdichtung, Fragmentation und schließlich zur Abplattung des Metatarsalköpfchens oder zu becherförmigen Deformationen. Therapie. Im floriden Stadium sollte durch entlastende
Maßnahmen versucht werden, den Prozess ohne gröbere Deformierung zur Ausheilung zu bringen. Ein niedriger Schuhabsatz mit Metatarsalabstützung oder eine vorübergehende Ruhigstellung im Gipsverband ermöglichen dies. Bei Persistenz der Beschwerden ist die chirurgische Behandlung mit Teilresektion des entsprechenden Metatarsalköpfchens, gelegentlich auch eine Verkürzungsosteotomie des Metatarsale, angezeigt.
Apophysitis calcanei Definition. Aseptische Knochennekrose im Bereich des Fersenbeines. Häufigkeit. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
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physitis calcanei. Es findet sich eine Schwellung mit begleitender Druckschmerzhaftigkeit über der Kalkaneusepiphyse im Ansatzbereich der Achillessehne. Die Beschwerden verstärken sich nach sportlicher Betätigung.
Ein doppelseitiger Befall ist oft gegeben, familiäre Häufungen werden beschrieben. Klinik. Ursache des Fersenschmerzes bei Kindern zwi-
schen dem 5. und 12. Lebensjahr ist fast immer eine Apo-
nahmen. Eine Minderung der sportlichen Betätigung sollte empfohlen werden. Schuhfersenerhöhungen und Fersenpolsterungen, evtl. die Versorgung mit einer Knickfußkorrektureinlage, sind nützlich. Bei Persistenz der Beschwerden ist eine vorübergehende Gipsruhigstellung von 4–6 Wochen indiziert. Mit Abschluss des Wachstums kommt es in der Regel zu einem vollständigen Verschwinden der Beschwerden, sodass auch bei einer anfänglichen erheblichen Beschwerdesymptomatik eine operative Therapie nicht indiziert ist.
Fersenschmerz im Kindesalter Wie bereits erwähnt, stellt die Apophysitis calcanei die häufigste Ursache des Fersenschmerzes im Kindesalter dar. Differenzialdiagnostisch sind weitere Erkrankungen abzugrenzen: 5 Haglund-Exostose und posterolaterale Exostose, 5 Insertionstendinose an der Plantaraponeurose, 5 Achillodynie, 5 kalkaneare Knochenzyste (z. B. aneurysmatische Knochenzyste) (Jerosch u. Mamsch 1998).
Osteochondrosis dissecans der Talusrolle Definition. Herdförmige avaskuläre Nekrose mit umge-
bender Sklerose im Bereich der Talusrolle. Die mediale Osteochondrose, die am häufigsten auftritt, ist mehr dorsal, die laterale mehr ventral auf der Talusrolle lokalisiert (. Abb. 12.9). Ätiologie. Wiederholte Traumen (Sprunggelenkdistorsionen) bei oft insuffizientem Bandapparat und dysplastischem Innenknöchel werden bei älteren Kindern als Ursache für die Osteonekrose am medialen Talus mit verantwortlich gemacht. Die Osteonekrose am lateralen Talus ist meist traumatisch verursacht. In seltenen Fällen liegt eine idiopatische Osteochondrosis dissecans des Talus vor. Klinik. Belastungsabhängige Schmerzen (Fremdkörpergefühl) und eine gelegentliche Schwellneigung im oberen Sprunggelenk sind typische Symptome dieser Erkran-
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
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12
Häufigkeit. Mädchen (insbesondere mit asthenischem Körperbau und schwacher Muskulatur) sind etwa 3-mal so häufig betroffen wie Jungen. Die Chondropathie ist eine der häufigsten Ursachen von Knieschmerzen im Jugendalter. Ätiologie. Die Ursachen des femoropatellaren Schmerz-
a
b
. Abb. 12.9. Osteochondrosis dissecans bei einem 14-jährigen Mädchen. a Röntgenbild (a.-p.) des oberen Sprunggelenks. b Dazugehöriges MRT-Bild. Ausgedehnter Defekt an der medialen Taluskante. Arthroskopisch aufgebrochener Knorpel und zentraler Knochendefekt (Nekrose)
kung. Selten kommt es zur Ablösung eines Osteochondralfragmentes (»Gelenkmaus«) mit Gelenkblockierung. Diagnostik. Meist reichen a.-p.- und seitliche Röntgenaufnahmen zur Darstellung einer Osteochondrosis dissecans aus. Zur genaueren Beurteilung und Stadiumeinteilung der Osteochondrose ist eine MRT-Untersuchung hilfreich. Therapie. Ein Therapieschema zeigt . Tab. 12.6.
syndroms sind vielfältig. Ein im Rahmen des pubertären Wachstumsschubs resultierendes Ungleichgewicht zwischen den muskulären und ligamentären Stabilisatoren des Kniegelenks wird als Hauptgrund für die Beschwerden angenommen. Der Hochstand der Kniescheibe, abnorme Achsenverhältnisse sowie das Genu valgum und Torsionsfehler des distalen Oberschenkels mit relativer Lateralisation der Tuberositas tibiae prädestinieren zu einer Chondropathie durch die laterale Kippung der Kniescheibe über dem Kondylenrand. Bei Beugung kommt es zur abnormen Druckvermehrung hinter der lateralen Facette mit Ausbildung einer Chondropathie. Auch eine Imbalance der Streckapparate zwischen M. vastus lateralis und M. vastus medialis führt zu einer mangelhaften Zügelung und konsekutiv zu einer Lateralisation der Kniescheibe mit einem erhöhten Anpressdruck der lateralen Patellafacette. Eine posttraumatische chronische Instabilität, vor allem des Kreuzbandes, kann femoropatellare Schmerzen auslösen. Beim Versuch, die Kreuzbandinstabilität zu kompensieren, kommt es zur Überlastung des Streckapparates. Osteochondrale Läsionen, die nach einer Luxation der Patella, Patellakontusionen oder Patellafraktur entstehen, enden oft in einer Chondropathia patellae bzw. Chondromalazie. Eine besondere Bedeutung als Ursache der Chondropathie wird der Dysplasie der Femurkondylen und vor allem der Patella zugeschrieben (Stanitski 1993). Klinik und Diagnostik. Die Erkrankung findet sich ty-
12.1.4 Peripatellares Schmerzsyndrom
(Chondropathia patellae) Definition. Belastungsabhängige
Beschwerdesymptomatik im Patellabereich, die im jugendlichen Alter auftritt und im Abschluss der Pubertät meist verschwindet (Debrunner 2002; Fulkerson 2002).
pischerweise im Adoleszentenalter. Die Patienten, die meist sportlich aktiv sind, klagen über belastungsabhängige Schmerzen im gesamten Kniegelenk oder im Bereich des vorderen und medialen Gelenkspaltes. Das Treppaboder Bergabgehen verstärkt die Beschwerden. Nach längerer Belastung wird oft über eine Instabilität des Kniegelenks geklagt. Neben der Druckschmerzhaftigkeit der
. Tab. 12.6. Therapieschema bei Osteochondrosis dissecans des Sprunggelenks. (Nach Buckup 2001) Keine Beschwerden
Keine Maßnahmen, Kontrolle nach Beschwerden (6 Monate), Reduzierung der sportlichen Belastung
Mäßige Symptome, Bildgebung (Röntgen, MRT) ohne Anhalt für Dissektion
Evtl. arthroskopische Abklärung, ggf. Anbohrung des osteochondralen Herdes; temporäres Sportverbot; bei Bandinstabilität entsprechende Schuhversorgung, Kontrolle nach Beschwerden (spätestens 6 Monate)
Ausgeprägte Symptome, Dissektion (Röntgen, MRT, CT)
Arthroskopie, ggf. offene Revision; Dissekatentfernung, ggf. Refixation, bes. bei Patienten mit traumatischen lat. Patellakantendefekten; in Ausnahmefällen Knorpel-/Knochentransplantation; bei Bandinstabilität bandstabilisierende Maßnahmen, temporäres Sportverbot
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Patellafacette ist das Zeichen nach Zohlen, der Anpressschmerz der Patella bei gleichzeitiger Quadrizepsspannung, sehr typisch. Das positive Ausfallen des Tests darf nicht überbewertet werden. Auch bei sonst beschwerdefreien Patienten kann die Prüfung durch dieses Zeichen als schmerzhaft empfunden werden. Die Bewegungsprüfung des Kniegelenks ist meist unauffällig. Häufig sind unter der Patella Reibgeräusche fühlbar und hörbar. Gelegentlich findet sich ein »Patellaschnappen« bei Kniebeugung von 30–40°. In der Regel kann die Diagnose des Patellasyndroms klinisch gestellt werden, sodass Röntgenuntersuchungen nicht notwendig sind. Zur differenzialdiagnostischen Abklärung empfiehlt sich, insbesondere bei chronischem Schmerzsyndrom, eine Röntgen- und MRTDiagnostik des Kniegelenks. Die axialen Aufnahmen zeigen manchmal eine leichte Lateralisation und/oder Verkippung der Patella, teilweise dysplastische Patellaformen, meistens aber völlig unauffällige Röntgenbefunde. Therapie. Aufgrund der meist vollständig rückläufigen
Beschwerdesymptomatik nach Wachstumsabschluss sind konservative Therapiemaßnahmen ausreichend. In der akuten Phase sollten die Schmerzen symptomatisch behandelt werden, durch Eiskühlung, Hochlagern und Schonung. Muskelgleichgewichtsstörungen sollten durch Kräftigung der kniegelenkstabilisierenden Muskulatur, speziell des M. vastus medialis obliquus, therapiert werden. Ein absolutes Sportverbot ist nicht angezeigt. In ihrer Wirkung fraglich sind Kniebandagen oder Tapeverbände zur Zügelung der Patella. Zu empfehlen sind Schuhe mit flachen weichen Absätzen, um die Kniegelenke beim Gehen stärker zu strecken und Stressbelastungen zu verringern. Vorsicht ist mit operativen Maßnahmen geboten. Eine operative Übertherapie sollte unbedingt vermieden werden. Zum definitiven Ausschluss intraartikulärer Läsionen mit Knorpelschäden, einer Plica mediopatellaris, Synovialveränderungen oder einer Meniskusanomalie kann ggf. eine Arthroskopie notwendig werden. Bei nachgewiesenem lateralem Hyperpressionssyndrom mit Verkippung der Patella ist eine Entlastung durch Spaltung des lateralen Retinakulum möglich (Stanitski 1993).
19
12.1.5 Scheibenmeniskus
20
Definition. Angeborene fehlerhafte Anlage des Außen-
21
meniskus, der scheibenförmig statt hufeisenförmig ausgebildet ist. Häufigkeit. Es handelt sich um eine häufige Anomalie.
22
Beide Geschlechter sind gleich häufig betroffen.
23
Ätiologie. Ätiologisch werden verschiedene Ursachen für die Entwicklung des Scheibenmeniskus diskutiert. Neben einer Störung der ursprünglichen Meniskusanlage
mit mangelhafter Rückbildung der zentralen Anteile wird ein apositionelles Wachsen der primär regelrechten Meniskusanlage für die Fehlform verantwortlich gemacht (Raber 1998; Woods u. Whelan 1990). Drei Typen werden nach Watanabe unterschieden: 5 kompletter Scheibenmeniskus, 5 inkompletter Scheibenmensikus, 5 Wrisberg-Ligament-Typ. Beim kompletten wie beim inkompletten Scheibenmeniskus sind die peripheren, meniskokapsulären Verbindungen intakt. Die als Wrisberg-Ligament-Typ bezeichnete Variante weist eine gelockerte periphere Anheftung auf und verursacht frühzeitig Beschwerden. Klinik und Diagnostik. Beschwerden treten meist im Al-
ter von 5–6 Jahren auf. Typisch ist ein Schnappen, weniger Schmerzen im Kniegelenk, welche die Eltern veranlassen, ihr Kind ärztlich untersuchen zu lassen. Oft kann das Schnappen reproduziert werden, durch aktives Strecken des Kniegelenks aus einer Kniebeugung von 20° bis 30°. Falls der Meniskus eingerissen ist, findet man eine positive Meniskussymptomatik. Ein Scheibenmeniskus unterliegt häufig einer zystischen Degeneration. Die Zyste ist entlang der Gelenklinie dann tastbar und gewöhnlich vor dem lateralen Seitenband gelegen. Differenzialdiagnostisch müssen Meniskuszysten, die kongenitale Subluxation des Kniegelenks, eine angeborene Kreuzbandaplasie, das Schnappen von Sehnen und die Patellaluxation in Erwägung gezogen werden. Das Nativröntgenbild hilft in der Diagnostik nicht weiter; eine MRT-Untersuchung ermöglicht in den meisten Fällen eine Darstellung des Scheibenmeniskus. Zu bedenken ist allerdings, dass die MRT-Untersuchung aufgrund des Alters der betroffenen Kinder in der Regel in Narkose erfolgen muss. Therapie. Beschwerdefreie oder diskret schmerzhafte Scheibenmenisken bedürfen in der Regel keiner Behandlung. Beim symptomatischen Scheibenmeniskus sollte unter Belassen einer möglichst stabilen Meniskusbasis eine ausgedehnte Resektion erfolgen. Die mittel- bis langfristigen Ergebnisse nach einer partiellen Meniskusentfernung zeigen gute bis sehr gute funktionelle Ergebnisse. Röntgenologische Zeichen einer beginnenden Arthrose wurden nach kompletter Meniskektomie bei 56% der Patienten gefunden. Eine komplette Meniskusentfernung sollte nicht erfolgen, da dies langfristig zu einem frühzeitigen Gelenkverschleiß führen kann (Aglietti et al. 1995; Asig et al. 2003).
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
453
12
12.1.6 Gutartige Knochentumoren Die Häufigkeitsverteilung benigner Knochentumoren innerhalb der einzelnen Lebensdekaden zeigt . Abb. 12.10.
Nichtossifizierendes Knochenfibrom Definition. Metaphysär gelegener fibrohystiozytärer Knochenprozess. Möglicherweise spielen Ossifikationsstörungen und lokale Überlastung des Knochens an Sehnenansatzpunkten eine Rolle. Die Läsion beginnt nahe der Wachstumsfuge und wandert mit zunehmendem Längenwachstum diaphysenwärts. Die distale Femurepiphyse stellt neben der proximalen und distalen Tibiametaphyse die Hauptlokalisation des Tumors dar. Charakteristischerweise kommt es im Verlauf des Wachstums zu einer Rückbildung oder Sklerosierung des Knochenprozesses.
. Abb. 12.10. Häufigkeitsverteilung benigner Knochentumoren
rysmatische Knochenzysten können auch in Kombination mit anderen gut- und bösartigen Knochenprozessen (Osteoblastom, Chondroblastom, nichtossifzierendes Fibrom, fibröse Dysplasie) vorkommen (Windhager et al. 1995).
Häufigkeit. Beide Geschlechter sind gleich häufig betrof-
fen. Der Tumor kann bei 20–30% aller Kinder zwischen dem 4. und 10. Lebensjahr gefunden werden. Klinik und Diagnostik. Nichtossifizierende Fibrome werden meist zufällig röntgenologisch entdeckt. Selten klagen die betroffenen Kinder über leichte, uncharakteristische Schmerzen, bevorzugt in der Kniegelenkgegend. Nur ausnahmsweise kommen bei großen Knochenfibromen Spontanfrakturen vor. In der Regel lässt sich die Diagnose anhand des sehr charakteristischen Röntgenbildes stellen. Typischerweise finden sich traubenförmig konfigurierte zystische Defekte, die scharf begrenzt und von einem Sklerosesaum umgeben sind. Die Kortikalis ist verdünnt und manchmal leicht vorgewölbt, jedoch stets erhalten. Das Knochenfibrom liegt meist exzentrisch. Die Mehrzahl aller nichtossifizierenden Knochenfibrome kann allein aus dem Röntgenbild diagnostiziert werden (. Abb. 12.11).
Häufigkeit. Aneurysmatische Knochenzysten sind eher selten. Beide Geschlechter sind etwa gleich häufig betroffen. Das bevorzugte Alter ist das 2. Dezennium. Klinik. Die Erkrankung verläuft selten asymptomatisch.
Meist findet sich eine schmerzhafte Schwellung oder Be-
Differenzialdiagnosen. Solitäre Knochenzyste, fibröse Dysplasie, Chondromyoxidfibrom, chronische entzündliche Prozesse. Therapie. Wegen der spontanen Rückbildung des Tumors ist keine Therapie erforderlich. Es empfehlen sich regelmäßige Verlaufskontrollen. Ausgedehnte Fibrome, insbesondere die zentral liegenden Formen zeigen eine geringere Rückbildungstendenz. In solchen Fällen oder bei drohender Fraktur ist eine operative Ausräumung sowie Auffüllung des Defekts mit Spongiosa angezeigt. Insgesamt besteht eine gute Prognose, Rezidive sind nicht zu erwarten.
Aneurysmatische Knochenzyste Definition. Zumeist solitär zystischer Tumor mit expansivem Wachstum, der zu exzentrischen blasigen Knochenauftreibungen führt. Der Tumor findet sich bevorzugt im metaphysären Bereich der langen Röhrenknochen der Wirbelsäule (Wirbelbögen) und im Beckenbereich. Aneu-
. Abb. 12.11. Nichtossifizierendes Knochenfibrom. a.-p.-Röntgenbild eines nichtossifizierenden Knochenfibroms bei einem 14-jährigen Jungen (polyzyklische traubenförmig konfigurierte Defekte)
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
wegungseinschränkung im Gelenkbereich (Kniegelenk). Aneurysmatische Knochenzysten der Wirbelsäule oder der Wirbelgelenkfortsätze verursachen relativ früh eine radikuläre Schmerzsymptomatik, auch Paraplegien oder komplette Querschnittssyndrome sind möglich. Ausgedehnte aneurysmatische Knochenzysten können zu Spontanfrakturen führen. Diagnostik. Radiologisch zeigt sich meist eine exzentrische Lokalisation des Tumors mit Osteolyse der Kompakta und extraossärer Ausdehnung der papierdünnen Kortikalis (Seifenblasenbild; . Abb. 12.12b).
röser Flüssigkeit gefüllte Knochenaffektion unbekannter Ätiologie. Die Metaphysen des proximalen Humerus und des proximalen Femurs stellen die Hauptlokalisationen dar. Es besteht eine große Neigung zu spontanen Frakturen. Häufigkeit. Die juvenile Knochenzyste ist im Kindesalter eine häufige Läsion. Der Tumor tritt vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 5 und 15 Jahren auf. Jungen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. Klinik und Diagnostik. Die Knochenzysten machen meist
Differenzialdiagnosen. Riesenzelltumor, benignes Oste-
oblastom, juvenile Knochenzyste, eosinophiles Granulom, Osteosarkom, Chondrosarkom, fibröse Dysplasie. Therapie und Prognose. Soweit technisch durchführbar sollte die En-bloc-Resektion vorgenommen werden. Sie vermindert gegenüber der Kürettage oder der einfachen Resektion die Rezidivrate deutlich. Ist eine En-bloc-Resektion nicht möglich, empfiehlt sich nach Kürettage die zusätzliche Anwendung von nekrotisierenden Substanzen (Phenol, Methylmetakrylat). Hierdurch kann die Rezidivrate gesenkt werden. Im Bereich der Wirbelsäule ist häufig eine selektive arterielle Embolisation der versorgenden Gefäße als Therapie angezeigt. Darüber hinaus besteht bei chirurgisch nicht angehbaren aneurysmatischen Knochenzysten auch die Indikation zur Strahlentherapie. Da sich die aneurysmatische Knochenzyste auch auf dem Boden eines benignen oder malignen Knochentumors ausbilden kann, ist vor definitivem Behandlungsbeginn die Durchführung einer Biopsie im Hinblick auf die Therapieplanung angezeigt.
keine Beschwerden. In einzelnen Fällen können druckschmerzhafte Schwellungen, Belastungs- und/oder Bewegungsschmerzen bestehen. In 2 Dritteln der Fälle wird die Diagnose anlässlich einer spontanen Fraktur gestellt (Parsch et al. 1995). Radiologisch zeigen sich scharf begrenzte, rundliche Aufhellungsherde und oft eine Ausbuchtung der verdünnten Kortikalis. Eine periostale Reaktion fehlt immer. Die Zysten überschreiten die Epiphysenfugen sehr selten. Mit dem Wachstum wandern sie langsam diaphysenwärts (. Abb. 12.13).
a
Juvenile Knochenzyste
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Definition. Expansiv wachsende, vorwiegend während
des Wachstumsalters auftretende osteolytische, mit se-
17 18 19 20 21 22 23
a
b
. Abb. 12.12a,b. Aneurismatische Knochenzyste. a Röntgenaufnahme a.-p., b seitliches Röntgenbild (osteolytische Läsion, wenig Randsklerose, ähnelt einer Seifenblase)
b . Abb. 12.13. a Röntgenbild (a.-p.) einer juvenilen Knochenzyste bei einem 14-jährigen Mädchen (metaphysär, einkammerig, Zystenwand papierdünn mit Fraktur). b Nach mehrmaliger Lochschraubenversorgung Ausheilungsbild vor Schraubenentfernung
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
Therapie und Prognose. Frakturen heilen meist ohne Probleme. Nicht selten verschwindet die Zyste nach Ausheilung der Fraktur. Gute Erfolge erreicht man durch eine Druckentlastung des Tumors mittels kanülierter Schrauben (Ekkernkamp et al. 1990). Eine weitere Therapiemöglichkeit besteht in einer Steroidinstallation, wobei über eine Kanüle die Zystenflüssigkeit abgezogen und über eine weitere Nadel Methylprednisolonacetat injiziert wird. Die Kürettage des Tumors und Auffüllung mit Spongiosa führt in 20–30% der Fälle zu Rezidiven. Sehr große Zysten erfordern gelegentlich eine Entfernung und Überbrückung des Defekts mit Eigenknochen (Beckenkamm, Rippe, Wadenbein). Frakturgefährdete Zysten können durch intramedulläre Nägel bis zur Ausheilung stabilisiert werden.
Eosinophiles Granulom (Langerhans-ZellHistiozytose) Definition. Osteolytischer Tumor retikulärer Knochen-
markzellen und granulomatösen Charakters (eosinophile Granoluzyten, mehrkernige Riesenzellen und Langerhans-Zellen).
455
12
möglich (Wagenknecht et al. 1990). Differenzialdiagnosen: alle osteolytischen Knochenerkrankungen. Therapie und Prognose. Die Kürettage führt bei gut zugänglichen Herden zur Ausheilung. Eine Bestrahlung ist u. U. nur bei nichtzugänglichen Herden oder Progression des Tumors indiziert. Bestrahlungen in Epiphysennähe sollten vermieden werden. Spontanremissionen sind möglich. Disseminierende Granulome erfordern eine Chemotherapie. Die solitären oder multiplen eosinophilen Knochengranulome haben eine sehr gute Prognose. Die disseminierenden Verlaufsformen, früher als Hand-SchüllerChristian-Krankheit und Abt-Letterer-Siwe-Syndrom bezeichnet, mit Befall anderer Organsysteme haben schlechtere Prognosen; in wenigen Fällen können sie auch tödlich enden.
Osteoidosteom Definition. Gutartiger osteoplastischer Tumor mit charakteristisch klinischem, röntgenologischem (»Nidus«) und histologischem Bild. Häufigkeit. Das Osteoidosteom macht ca. 11% aller benig-
Ätiologie. Die Ätiologie ist ungeklärt. Er kommt solitär
in wenigen Herden (häufig) oder multipel (selten) vor. Typische Tumorlokalisationen sind das Schädeldach, das Femur, der Unterkiefer, die Rippen, das Becken, die Wirbelsäule und der Humerus. Dysfunktion des Immunsystems und Veränderungen des Thymus scheinen in der Tumorgenese ätiologisch eine Rolle zu spielen. Häufigkeit. Die Erkrankung ist selten und tritt bevorzugt
zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr auf. Jungen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Mädchen (Kuwabaras u. Takahashi 1990). Klinik. Der Tumor verursacht zu Beginn meist keine Beschwerden. Durch eine zunehmende Vergrößerung der einzelnen Herde kommt es zum Auftreten lokalisierter Schmerzen sowie ggf. zu einer begleitenden lokalen Weichteilschwellung. Bei Befall von Wirbelkörpern treten Rückenschmerzen, bei Betroffensein der Schädelkalotte Kopfschmerzen auf. Neurologische Ausfälle werden berichtet. Gangstörungen sind u. U. ein erster Hinweis auf den Befall des Beckens oder der unteren Extremitäten (Hefti u. Jundt 1995). Diagnostik. Radiologisch finden sich solitäre oder multiple osteolytische Herde mit kortikalen und periostalen Reaktionen. Bei Befall der Wirbelsäule zeigt sich charakteristischerweise das von Calvé beschriebene Bild der Vertebra plana. Ebenso bei lokalisiert erscheinendem Krankheitsbild ist eine sorgfältige Untersuchung nach weiteren Granulomen erforderlich. Dies ist durch eine Szintigrafie
nen Tumoren aus. Betroffen sind besonders Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 10 bis 25 Jahren. Das Verhältnis von männlich zu weiblich beträgt 2:1. Klinik und Diagnostik. Das Oestoidosteom ist ein
schmerzhafter Tumor. Die Patienten klagen über langsam zunehmende Knochen- und/oder Gelenkschmerzen, die insbesondere während der Nachtphasen bestehen und im Zeitverlauf zunehmen. Typischerweise sprechen die Beschwerden gut auf die Gabe von Salicylatderivaten (z. B. Aspirin) an. Das Osteoidosteom kann grundsätzlich in allen Knochen vorkommen. Häufig findet sich der Tumor im diaphysären Bereich von Femur und Tibia. Selten ist der Befall der Wirbelsäule (Wirbelbögen oder Wirbelfortsätze) sowie des Fuß- und Handskeletts. Beim Befall der Wirbelsäule kann es zu ausstrahlenden Schmerzen im Schulter-, Becken- oder Extremitätenbereich mit schmerzreflektorischer Fehlhaltung und Funktionseinschränkung der betroffenen Extremitäten kommen (Healy u. Ghelman 1986). Bei Entwicklung einer schmerzhaften Skoliose im Kindes- und Adoleszentenalter ist differenzialdiagnostisch immer an ein Osteoidosteom zu denken. Das Osteoidosteom zeigt ein charakteristisches Röntgenbild. Um einen kleinen Aufhellungsherd (»Nidus«) findet sich eine ausgeprägte perifokale Sklerosierung mit spindeliger Auftreibung der Kortikalis. Im Bereich der Wirbelsäule lässt sich ein Osteoidosteom meist schlecht nachweisen. Bei einem Verdacht empfiehlt sich die Durchführung einer Szintigrafie oder Computertomografie (. Abb. 12.14).
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
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a
b
c
. Abb. 12.14a–c. Osteoidosteom. a MRT-Schnittbild des proximalen Femurs bei einem 8-jährigen Jungen mit Osteoidosteom. b Postoperatives Bild nach Ausräumung des Tumors. c Ausheilungsergebnis 12 Wochen postoperativ
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Differenzialdiagnosen. Brodie-Abszess,
Osteoblastom, chronische Osteomyelitis, Ermüdungsfraktur, maligne Knochentumoren.
Therapie und Prognose. Die Entfernung des Nidus ist
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ausreichend; sie führt zur unmittelbaren Beschwerdefreiheit. Je nach klinischem und radiologischem Befund kann die Nidusentfernung durch eine En-bloc-Resektion, eine CT-gesteuerte Kürettage oder Thermokoagulation erfolgen. Bei unvollständiger Nidusresektion muss mit einem Rezidiv gerechnet werden (Rosenthal et al. 1992).
(Ozaki et al. 2002). Bei einer sich langsam entwickelnden skoliotischen Fehlhaltung im Adoleszentenalter ist differenzialdiagnostisch immer an ein Osteoblastom zu denken. Radiologisch zeigen sich stark variierende Befunde. Häufig finden sich osteolytische Herde mit leicht sklerotischem Randsaum, der jedoch nicht das Ausmaß der Randsklerose beim Osteoidosteom erreicht. Beim Befall der Wirbelkörper kann sich eine Veränderung des Pedikelschattens ergeben. Zur weiteren differenzialdiagnostischen Abklärung empfiehlt sich die Durchführung einer Skelettszintigrafie (als lokalisierte massive Anreicherung) und/oder einer Computertomografie.
Osteoblastom Definition. Gutartiger, meist solitär intramedullär wachsender, gefäßreicher osteoblastärer Tumor, der sich histologisch nicht vom Osteoidosteom unterscheidet (»großer Bruder des Osteoidosteoms«). Bevorzugt kommt es zum Befall der Wirbelsäule, insbesondere im Bereich der Wirbelbögen, der Quer- und Artikulationsfortsätze. Osteoblastome finden sich auch in allen anderen Knochen, bevorzugt im spongiösen Bereich der Metaphysen von Femur und Tibia. Häufigkeit. Das Osteoblastom ist wesentlich seltener als das Osteoidosteom und macht ca. 3% aller benignen Tumoren aus. Der Tumor tritt vornehmlich in der Adoleszenz auf. Das Verhältnis von männlich zu weiblich beträgt 2:1. Klinik und Diagnostik. Die Beschwerdesymptomatik ist im Vergleich zum Osteoidosteom weniger stark ausgeprägt. Es fehlt der typische Nachtschmerz und das gute Ansprechen der Schmerzen auf Salicylate. Bei gelenknahem Sitz kann es zu Schwellungen des Gelenks kommen. Nahezu die Hälfte der Osteoblastome findet sich im Bereich der Wirbelsäule, die meisten davon liegen lumbal
Differenzialdiagnosen. Osteomyelitis, eosinophiles Gra-
nulom, Osteosarkom, Chondromyoxidfibrom, monostatische fibröse Dysplasie. Therapie und Prognose. Bei asymptomatischem Verlauf ist eine abwartende Haltung angezeigt. Bei symptomatischen Osteoblastomen empfiehlt sich die Kürettage des Tumors, ggf. mit autologer Spongiosaauffüllung. Falls dies nicht möglich ist, sind additive Maßnahmen wie Kryochirurgie oder eine Phenolbehandlung sinnvoll. Ein radikales Vorgehen (En-bloc-Resektion) ist in der Regel nicht notwendig. Rezidive sind selten (Papagelopoulos 1999).
Enchondrom Definition. Benigner Tumor, der aus reifem hyalinem Knorpel aufgebaut ist (ätiologisch vermutlich heterotope Knorpelreste der Epiphysenfuge im metaphysären Bereich). Solitäre Enchondrome finden sich insbesondere im Bereich der Phalangen an Hand und Fuß sowie der Rippen. Das Risiko einer malignen Entartung ist insgesamt sehr niedrig. Nur bei sehr großen, stammnah lokalisierten Enchondromen kann es u. U. zu einer malignen Entartung kommen (Campanacci 1990).
12.1 · Orthopädische Differenzialdiagnosen und häufige Krankheitsbilder
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Häufigkeit. Das Enchondrom ist ein relativ häufiger Tu-
Häufigkeit. Der Tumor manifestiert sich meist ab dem
mor. Der Tumor manifestiert sich meist im 2. Lebensjahrzehnt. Beide Geschlechter sind gleich häufig betroffen.
10. Lebensjahr. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
Klinik und Diagnostik. Aufgrund des langsamen Wachs-
Klinik und Diagnostik. Osteochondrome sind primär nicht schmerzhaft. Meist führt eine schmerzlose Knochenvorwölbung zur Feststellung der Veränderungen. Beschwerden entstehen in der Regel erst mit zunehmender Tumorgröße durch Druck auf angrenzende Nerven, Gefäße und Weichteile. Große Osteochondrome in Gelenknähe können auch zu Bewegungseinschränkungen führen. Häufig entsteht über der Exostose eine Bursa, die Reizerscheinungen und lokal entzündliche Symptome auslösen kann (Marcove 1984; Peterson 1994). Radiologisch ist die Diagnose eines Osteochondroms auf den Nativröntgenaufnahmen in der Regel sicher zu stellen. Osteochondrome können breitbasig oder schmalblasig dem Knochen aufsitzen. Der Tumor ist immer durch eine dünne Kortikale scharf begrenzt. Die der knöchernen Basis aufsitzende hyaline Knorpelkappe erscheint im Röntgenbild nicht. In Einzelfällen ist die Durchführung einer Computertomografie angezeigt. Nach Abschluss des Körperlängenwachstums kommt es in der Regel zu keiner weiteren Progredienz des Tumorwachstums. Zunehmende lokale Schmerzen, gepaart mit einer stetigen Wachstumsvergrößerung des Tumors nach Abschluss des Körperlängenwachstums, sind verdächtig auf eine maligne Entartung. Differenzialdiagnose: Chondrosakrom.
tums der Enchondrome findet sich meist ein asymptomatischer Verlauf. Enchondrome werden oft als Nebenbefund im Rahmen einer aufgrund anderer Beschwerden angefertigten Röntgenuntersuchung diagnostiziert. Spindelförmige oder kugelförmige Auftreibungen der Phalangen an Händen und Füßen mit Schmerzen können auf ein Enchondrom hinweisen. Bei Kindern kann es zu Frakturen mit gelegentlichem Zurückbleiben des Längenwachstums der betroffenen Gliedmaße oder aber zu Knochendeformierungen kommen. Radiologisch finden sich meist scharf konturierte, osteolytische, zentrale oder exzentrisch liegende Knochenprozesse mit tüpfligen Verkalkungen, vornehmlich im metaphysären Bereich. Eine auffällige Trennung zwischen rein lytischen Arealen und deutlich kalzifizierten Bezirken kann auf eine maligne Entartung ebenso hindeuten wie ein schnelles Tumorwachstum mit begleitender erheblicher Schmerzhaftigkeit. Zur weiteren diagnostischen Abklärung empfiehlt sich die Durchführung einer Magnetresonanztomografie. Bildgebende Befunde sowie die Biopsie und/oder eine Dünnschichtcomputertomografie führen zur definitiven Diagnose. Therapie und Prognose. Bei zufälliger Diagnose und nicht vorhandener Symptomatik sind Verlaufskontrollen ausreichend. Bei Beschwerden reicht in der Regel eine sorgfältige Kürettage des Tumors mit evtl. Spongiosaauffüllung aus. Große stammnahe Enchondrome können, wenn auch selten, maligne entarten. Bestätigt sich histologisch der Verdacht auf ein Chondrosarkom, so muss eine weite Resektion des Tumors mit Überbrückung erfolgen. Das Risiko einer malignen Entartung beim Enchondrom ist nicht genau bekannt. Bei der multiplen Enchondromatose (Ollier-Syndrom) mit meist einseitig auftretenden Enchondromen (Röhrenbeckenknochen) wird in der Literatur eine Entartungsrate bis zu 30% beschrieben.
Osteochondrom (»kartilaginäre Exostosen«) Definition. Einer der häufigsten benignen Tumore im Be-
reich der Metaphysen der langen Röhrenknochen (gehäuft kniegelenknahes Auftreten an Femur und Tibia sowie im proximalen metaphysären Bereich des Humerus). Es kommt zum Wachstum periostal versprengter Epiphysenfugenknorpelzellen. Unter Berücksichtigung aktueller genetischer Untersuchungen ist in Bezug auf die Ätiologie auch eine echte Neoplasie zu diskutieren. Nach dem Wachstumsabschluss kommt es in der Regel nicht zur Ausbildung neuer Osteochondrome.
Therapie und Prognose. Bei symptomlosem Verlauf, stationärer Größe des Tumors und fehlenden funktionellen Störungen ist eine Behandlung in der Regel nicht notwendig. Regelmäßige Kontrollen zur Größenbeurteilung sind erforderlich. Die Resektion von epiphysennahen Osteochondromen im Kindesalter sollte aufgrund der Gefahr einer Epiphysenfugenschädigung äußerst zurückhaltend erfolgen. Insgesamt ist die Prognose gut; die Gefahr einer sarkomatösen Entartung, die von der Knorpelkappe ausgeht, liegt bei 2%.
Chondroblastom Definition. Seltener benigner Tumor aus knorpeliger Grundsubstanz, der fast immer epiphysär in den langen Röhrenknochen der Extremitäten und des Beckens lokalisiert ist (Hefti u. Jundt 1994; Marcove 1984). Häufigkeit. Der Tumor ist eher selten und tritt vorwiegend in der 2. Lebensdekade auf. Das männliche Geschlecht wird im Verhältnis 2:1 bevorzugt. Klinik und Diagnostik. Es findet sich eine eher uncharak-
teristische Beschwerdesymptomatik. In der Regel bestehen anhaltende (über Wochen bis Monate dauernde) Gelenkbeschwerden mit lokaler Weichteilschwellung und ggf. Bewegungseinschränkung. Häufig wird primär eine in-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
traartikuläre Störung als beschwerdeauslösend vermutet. Radiologisch finden sich runde, ovale, osteolytische Läsionen mit feinem sklerotischem Rand und fleckigen Verkalkungen im Zentrum. Ein Hineinreichen des Tumors in die Metaphyse ist möglich. Kommt es zum Durchbruch der Epiphysenfuge im Wachstumsalter, so können disproportionierte Wachstumsstörungen resultieren. Differenzialdiagnosen. Chondrosarkom, Osteoblastom (das Osteoblastom dehnt sich erst nach Wachstumsabschluss epiphysär aus), Chondromyoxidfibrom, Knochentuberkulose, Riesenzelltumor und Morbus Perthes (Chondroblastom im Femurkopf). Therapie und Prognose. Grundsätzlich handelt es sich um einen benignen Tumor, der jedoch lokal aggressiv wachsen kann. Aufgrund der häufig gelenknahen Lokalisation ist eine En-bloc-Resektion in der Regel nicht möglich. Es empfiehlt sich eine Kürettage des Tumors mit autologer Spongiosaauffüllung. Bei einem derartigen Vorgehen werden jedoch Rezidivquoten bis zu 50% beschrieben. ! Zur Rezidivvorbeugung empfiehlt sich daher parallel zur Kürettage die Anwendung einer nekrotisierenden Substanz (Phenol, Polyacrylmetacrylat, Kryochirurgie). Damit kann die Rezidivrate auf unter 10% gesenkt werden.
Chondromyoxidfibrom Definition. Seltener benigner Tumor, der sich histolo-
gisch aus knorpelähnlichen myoxomatösen und fibromatösen Anteilen aufbaut. Der Tumor manifestiert sich im metaphysären Knochenbereich, bevorzugt in den langen Röhrenknochen der unteren Extremitäten (Campanacci 1990). Häufigkeit. Der Tumor ist selten und betrifft hauptsächlich jugendliche Patienten zwischen 15 und 25 Jahren. Klinik und Diagnostik. Aufgrund des langsamen Tumorwachstums bestehen selten Beschwerden. Mit zunehmender Größe kann es zu lokalen druckschmerzhaften Schwellungen im Tumorbereich kommen. In seltenen Fällen wird der Tumor im Rahmen einer Spontanfraktur diagnostiziert. Radiologisch findet sich im metaphysären Bereich der langen Röhrenknochen eine exzentrische, scharf umschriebene osteolytische Zone. Bei zunehmendem Tumoralter ist auch eine septierte Binnenstruktur möglich. Differenzialdiagnosen. Chondrosarkom, Chondroblas-
22
tom, Chondrom, Osteoblastom.
23
Therapie und Prognose. In der Regel empfiehlt sich we-
gen der hohen Rezidivfreudigkeit eine En-bloc-Resektion, die aufgrund der metaphysären Lokalisation problemlos
möglich ist. Insgesamt ist die Prognose gut. Eine maligne Entartung ist äußerst selten (Marcove 1984).
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12.2
12
Akute transiente Arthritis des Hüftgelenks (Coxitis fugax)
G. Horneff
12.2.1 Definition Es handelt sich um eine passagere Arthritis des Hüftgelenks unklarer Ätiologie. Sie ist die häufigste Ursache für Hüftschmerzen im Alter von 2–10 Jahren. Synonyme sind Infektarthritis, transiente Arthritis und »Hüftschnupfen«.
12.2.2 Pathophysiologie Die transiente Synovitis des Hüftgelenkes ist eine häufige Ursache für Schonhinken bei ansonsten gesunden Kindern. Mögliche Ursachen sind eine 1–2 Wochen zurückliegende virale Infektion, eine Hypersensitivitätsreaktion oder ein Trauma. Wenige Untersuchungen zeigen eine unspezifische synoviale Hypertrophie. Die Erkrankung ist selbst begrenzt und kann gelegentlich länger als 6 Wochen andauern. Bei prolongierten Verläufen wurden Parvoviren oder Rötelnviren als Auslöser vermutet.
12.2.3 Klinik Sie beginnt akut mit Schmerz, Schonhinken, Bewegungseinschränkung insbesondere der Abduktion und der Rotation. Beim Gang vor dem Untersucher wird das betroffene Bein kürzer belastet als das gesunde. Eine typische Schonhaltung ist die leichte Abduktion, Beugung und Außenrotation. Der Schmerz wird oft nach distal, also in das Bein oder das Kniegelenk projiziert, sodass bei Knieschmerzen immer auch das Hüftgelenk untersucht werden muss. Die Kinder erkranken meist im Vorschul- oder frühen Schulalter (Median 6 Jahre, Jungen häufiger als Mädchen), sind afebril und ansonsten gesund. Typische Befunde bei Coxitis fugax 5 5 5 5
5 5 5 5
Alter 3–10 Jahre (Median 6) Vorausgehender Infekt in der Anamnese Kein Fieber, allenfalls subfebrile Temperaturen Ruheschmerzen und Zunahme bei Belastung, Ausstrahlung der Schmerzen in das Bein bis zum Knie Humpelndes Gangbild Schonhaltung in Abduktion, Außenrotation Druck- und Bewegungsschmerz Bewegungseinschränkung, insbesondere Abduktion und Innenrotation 6
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1 2
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
5 Normale Laborwerte (Leukozyten, CRP), allenfalls geringe BSG-Beschleunigung 5 Sonografischer Ergussnachweis 5 Normalbefund bei Röntgen der Hüfte in 2 Ebenen (nicht obligat)
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12.2.4 Diagnostik
5
Labor
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Zu untersuchen sind Blutbild, CRP und BSG, die in der Regel normale Werte ergeben. Wird eine Gelenkpunktion durchgeführt, so findet sich ein seröser, wenig entzündlicher Befund (<20.000 Zellen/µl, mikroskopisch keine Bakterien, Kultur steril).
lenknahen Osteomyelitis kann der Erguss serös sein. Bei Persistenz des Beschwerdebildes zählt der M. Perthes zu den häufigen Differenzialdiagnosen.
Eine Epiphyseolysis capitis femoris betrifft in der Regel ältere, präpubertäre, leicht adipöse Kinder im Wachstumsschub. Auf ein Drehmann-Zeichen — Zwangsaußenrotation bei Beugung in der Hüfte — ist zu achten. Der Beginn einer juvenilen idiopathischen Arthritis ist bei alleinigem Hüftgelenksbefall eher unwahrscheinlich. Die Hüftdyplasie oder eine meta- oder epiphysäre Knochendysplasie geht nicht mit einem Gelenkerguss einher. In das Hüftgelenk projizierte Schmerzen sollen an Senkungsabszess, Leistenhernie, Hodentorsion, Leukämie, Osteoidosteom, Frakturen, rechtsseitig evtl. auch an eine Appendizitis denken lassen.
Bildgebung Die Diagnose wird durch den sonografischen Nachweis freier Gelenkflüssigkeit (Gelenkerguss) im vorderen Rezessus unterstützt (. Abb. 12.15). Eine Verbreiterung der Synovia (Gelenkhaut) kann ebenso bestehen wie eine erhöhte Durchblutung bei der Doppleruntersuchung. Eine Röntgenaufnahme der Hüfte in 2 Ebenen (a.-p. und nach Lauenstein) ergibt bei der Coxitis fugax einen unauffälligen Befund. Sie sollte früh nur bei zweifelhafter Diagnose erfolgen oder aber bei Persistenz der Beschwerden. Auch ein Morbus Legg-Calvé-Perthes kann mit einem Gelenkerguss einhergehen. Er kann in der MRT frühzeitig und sicher diagnostiziert werden. Diese sollte bei Persistenz des Krankheitsbildes über 2 Wochen erfolgen.
Differenzialdiagnose ! Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die septische Arthritis. Bei Vorliegen von Fieber, sehr starken Ruheschmerzen trotz Entlastung (durch Bettruhe) oder deutlich erhöhten Entzündungszeichen (Leukozytose, CRP-Erhöhung, BSG-Beschleunigung) ist eine septische Arthritis auszuschließen (Gelenkpunktion). Bei Vorliegen einer ge-
12.2.5 Therapie Die Therapie der Coxitis fugax ist konservativ. Meist ist Schonung der betroffenen Hüfte für wenige Tage ausreichend. Oft ist das Kind im Bett beschwerdefrei. Nach Rückgang der Beschwerden erfolgt eine Mobilisierung. Bei nicht beschwerdefreien Kindern ist die Diagnose zu überdenken. Der Einsatz von NSAR (z. B. Ibuprofen oder Naproxen) ist hilfreich. Bei nicht beschwerdefreien Kindern mit ausgeprägten Gelenkergüssen wird durch Gelenkpunktion eine Diagnosesicherung und Entlastung erreicht. ! Schienungen und Extensionen beeinträchtigen das Kind mehr als die Erkrankung. Längerfristige Ruhigstellungen sind zu vermeiden.
12.2.6 Prognose Im Regelfall kommt es zu einer Restitutio ad integrum binnen 2 bis maximal 6 Wochen. Die Entwicklung ei-
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. Abb. 12.15. Die sonografische Untersuchung bei einem Kleinkind mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung ergab einen Gelenkerguss, der sich spontan innerhalb von 10 Tagen zurückbildete. Bei unauffälligen Laborwerten (Blutbild, BSG, CRP) und Beschwerdefreiheit unter Bettruhe wurde auf eine Gelenkpunktion verzichtet
12.3 · Immundefekterkrankungen
ner chronischen Arthritis (>6 Wochen), insbesondere einer juvenilen idiopathischen Arthritis, ist bei alleinigem Hüftgelenksbefall selten. Die Entwicklung einer Hüftschädigung (Coxa plana) ist selten und entspricht eher einem abgelaufenen M. Perthes.
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12.3
Immundefekterkrankungen
W. Mannhardt-Laakmann, F. Zepp Das Immunsystem lässt sich in ein antigenunspezifisches und ein antigenspezifisches System einteilen, die Immunantwort in humorale Reaktionen (Zytokine, Komplement, Immunglobuline/Antikörper) und zelluläre Reaktionen (Granulozyten, Monozyten/Makrophagen, NK-Zellen, Bund T-Lymphozyten) differenzieren. Physiologischerweise spielen bei der Abwehrreaktion alle genannten 4 Kompartimente in einem komplizierten Netzwerk zusammen und werden in Abhängigkeit vom Antigen auf unterschiedliche Weise komplex reguliert. Um eine immunologische Sicherheit zu gewährleisten, ist das Immunsystem insbesondere im Bereich der primären Abwehr (»Tolllike-Rezeptorsystem«) sowie der Regulation redundant angelegt, sodass »kleinere« Störungen und Defekte kompensiert werden können. Immundefekte können alle Zellkompartimente betreffen: Granulozyten, Makrophagen/Monozyten, Lymphozyten (T- und B-Zellen, natürliche Killerzellen), deren assoziierte humorale Reifungs- und Differenzierungsproteine (koloniestimulierende Wachstumsfaktoren), deren Effektorproteine (Zytokine/Lymphokine, Immunglobuline) sowie darüber hinaus unspezifische und immunspezifische Ligand-Rezeptor-Strukturen, die in Zusammenhang mit erster Antigenerkennung und Reifung und Differenzierung des Immunsystems und der peripheren Immunreaktion stehen. Ursächlich liegen Mutationen in für die Immunreaktionen verantwortlichen Genen zugrunde. Die Einteilung der primären Immundefekte unterliegt einer stetigen Anpassung an die Aufklärung der genetischen Ursachen und wird von einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der WHO gepflegt (Notarangelo et al. 2004, adaptiert von Niehues et al. 2005).
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12
Einteilung der Immundefekte (mod. nach WHO) 5 T- und B-Zell-Immundefekte 5 Immundefekte, bei denen der Antikörpermangel im Vordergrund steht 5 Andere gut definierte Immundefektsyndrome 5 Immundefekte mit Immundysregulation und mit lymphoproliferativer Erkrankung 5 Defekte der Phagozytenzahl und -funktion 5 Defekte der natürlichen Immunität (»defects in innate immunity«) 5 Komplementdefekte
Immundefekte können ein komplettes Kompartiment betreffen und führen dann im Extremfall zum schweren kombinierten Immundefekt (SCID), der aufgrund der fehlenden Infektionsabwehr unbehandelt zum Tode führt. Bei partiellen Immundefekten findet sich häufig eine Störung in der Regulation der Immunantworten, sodass insbesondere bei diesen Patienten Autoimmunphänomene und krank machende Autoimmunreaktionen auftreten können (. Tab. 12.7). Patienten mit Immundefekten zeigen klinisch generell eine signifikante Infektionsanfälligkeit mit Neigung zu schweren polytop auftretenden bakteriellen, viralen und Pilzinfektionen, die in der Regel systemisch-septisch verlaufen und sich häufig bereits im Säuglingsalter manifestieren. Bei partiellen Immundefekten können Inflammationsreaktionen und Autoimmunreaktionen das klinische Bild dominieren. Die in . Tab. 12.7 vorgenommene Beschreibung der Immundefekte bezieht sich auf die Klassifikation angeborenener Immundefekte (Notarangelo et al. 2004; Bonilla et al. 2006) und beschreibt die klinisch häufigsten und therapeutisch bedeutsamsten.
12.3.1 T- und B-Zell Immundefekte Schwere kombinierte Immundefekte (SCID) ! Ist die Lymphopoese im Bereich der Vorläuferzellen tiefgreifend gestört, so entwickelt sich ein Immundefekt, der sowohl das T-Zell- als auch das B-Zell-System betrifft und klinisch zu einer schweren generalisierten Infektionsanfälligkeit gegenüber viralen, bakteriellen und Pilzantigenen bereits im frühen Säuglingsalter führt. Ohne Stammzellersatztherapie ist ein Überleben nicht möglich.
Die Häufigkeit kombinierter Immundefekte wird mit 4/100.000 Neugeborene (Ryser et al. 1988) aufgrund der hohen Frühmortalität wahrscheinlich unterschätzt. Die zwar angelegten lymphatischen Organe sind dysplastisch, da eine lymphatische Besiedlung fehlt. Ursächlich lassen sich Differenzierungsdefekte von Funktionsdefekten abgrenzen, die zugrunde liegenden Gendefekte sind weitgehend aufgeklärt (Buckley et al. 2004).SCID (T–B+)
462
1
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
. Tab. 12.7. Immundefekte mit assoziierten Autoimmunreaktionen Immundefekt
2
Autoimmunreaktion
T- und B-Zell-Immundefekte
3
SCID
Maternofetale Graft-versus-host-Reaktion
Omenn-Syndrom
Erythrodermie/Hepatosplenomegalie
4
Immundefekte mit Antikörpermangel XLA
(chronische) Arthritis
Hyper-IgM
Thrombo-/Neutropenie, hämolyt.Anämie, Hypothyreose, Polyarthritis
6
CVID
SLE-ähnliche Symptome
IgA-Defizienz
JIA, SLE, ITP, hämolytische Anämie, Autoimmunendokrinopathie
7
Andere gut definierte Immundefektsyndrome
5
8 9 10 11 12
Wiscott-Aldrich
Thrombo-/Neutropenie, hämolyt.Anämie, Hautexzem, Vaskulitis, Arthritis
Ataxia teleangiectatica
Anti-IgA
Chronische mukokutane Candidiasis
Autoimmunendokrinopathie
DiGeorge-Syndrom
Autoimmunzytopenie, Arthritis
Immundefekte mit Lymphoproliferation „ALPS“
Thrombo-/Neutropenie, hämolytische Anämie, Hypergammaglobulinämie
Defekte der Phagozytenzahl und -funktion
Keine
Defekte der natürlichen Immunität
?
Komplementdefekte (C1, C1q, C2, C4)
SLE-ähnliche Vaskulitis
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Bei dieser SCID-Form sind B-Zellen vorhanden, aber funktionslos. Vererbungsmodus ist zumeist X-chromosomal — insbesondere bei Vorliegen einer Genmutation, die für die γ-Kette kodiert, die zahlreichen Interleukinrezeptoren wie IL2-Rezeptoren (Noguchi et al. 1993), IL4-, IL7-, IL9-, IL15- und IL21-Rezeptoren gemeinsam ist und auf allen Lymphozyten exprimiert wird. Seltener liegen autosomal-rezessive Erbgänge vor, z. B. Mutationen im JAK3Gen (Macchi et al. 1995), IL7α-Gen (Giliani et al. 2005), CD45-Gen, CD3δ-Gen (Dadi et al. 2003).
SCID (T–B–) Bei Störungen der Ausbildung antigenspezifischer Rezeptoren in lymphatischen Vorläuferzellen durch Genmutation (RAG-1-, RAG-2-, Artemis-Gen; autosomal-rezessiv) resultiert ein kompletter Ausfall lymphatischer Zellen: Weder T- noch B-Lymphozyten sind nachweisbar. Eine Sonderform der RAG-Mutationen (»Missens-Mutation«) findet sich beim Omenn-Syndrom (Aleman et al. 2001), das auch klinische Charakteristika wie Erythrodermie, Hepatosplenomegalie und Eosinophilie aufweist, wobei die Symptome Ausdruck einer autoaggressiven Reaktion pathologisch aktivierter autologer T-Zellen sind.
Retikuläre Dysgenesie Hier ist die Reifungsdefizienz von T- und B-Lymphozyten mit einem myeloischen Stammzelldefekt gepaart. Vererbungsanalysen zeigen einen autosomal-rezessiven Verlauf ohne Kenntnis der zugrunde liegenden Genmutation. Klinisch besteht bei Geburt bereits eine signifikante Leukound Thrombopenie.
Adenosindeaminase-(ADA-) und Purinnukleosidphosphorylase-(PNP-)Mangel Enzymdefekte im Purinstoffwechsel führen zur Akkumulation von toxischen Stoffwechselmetaboliten (Deoxyadenosin/Deoxy-ATP/Deoxy-GTP) in Lymphozyten mit Hemmung ihrer Proliferation und somit Ausreifungsstörung. Sekundär entwickelt sich ein kombinierter Immundefekt, dessen Ausmaß mit dem Schweregrad des Enzymmangels korreliert. Insbesondere beim PNP-Defekt kann die humorale Immunfunktion erhalten sein. Entsprechend einer Immunregulationsstörung können Autoimmunphänomene wie eine hämolytische Anämie auftreten (Markert et al. 1991).
463
12.3 · Immundefekterkrankungen
Kombinierte Immundefekte (CID) mit T- und B-Zellen Es handelt sich hierbei um funktionelle Defekte reifer, postthymischer T-Zellen. Allerdings ist eine Immunantwort durch die gestörte Signalaufnahme und/oder -verarbeitung nicht möglich; sekundär resultiert ein humoraler Immundefekt aufgrund der fehlenden Steuerung der B-Zellen durch T-Zellen. Die wichtigsten Funktionsdefekte finden sich beim MHC-Klasse-II- und MHC-Klasse-I-Defekt, beim CD3γbzw. CD3ε-Defekt sowie bei den Signaltransduktionsstörungen (CD8α-Gendefekt, ZAP-70-Defekt), deren Genmutationen weitgehend aufgeklärt sind (Buckley 2004). Der Vererbungsmodus ist autosomal-rezessiv. Klinik. Eine postnatal progrediente Gedeihstörung mit chronischer Enteritis, chronischer mukokutaner Candidiasis, persistierender Pneumonitis mit trockenem Husten, pulmonaler Obstruktion durch opportunistische Erreger sind charakteristische klinische Merkmale einer schweren Immundefekterkrankung. Lokale und generalisierte bakterielle Infektionen treten komplizierend hinzu. Chronische exzematöse Hautveränderungen mit Pruritus und Bluteosinophilie, die durch eine maternofetale Graftversus-host-Reaktion (GvHD) ausgelöst werden, fallen in wechselndem Ausmaß auf (Müller et al. 2001). Demgegenüber kommt es nach Bluttransfusionen charakteristischerweise zu einer akuten GvHD mit schwerer Dermatitis, Enteropathie bis hin zum Ileus, Hepatitis mit Leberversagen und einer irreversiblen Panzytopenie mit fehlenden therapeutischen Optionen. ! Die Prophylaxe durch generelle Bestrahlung von Blutprodukten vor jeglicher Transfusion im Säuglings- und Kindesalter stellt die einzige Möglichkeit dar, eine solche lebensbedrohliche Komplikation zu vermeiden.
Diagnose. Familienanamnese mit engem Verwandt-
schaftsgrad der Eltern sowie bei körperlicher Untersuchung fehlende tastbare Lymphknoten und nicht sichtbaren Tonsillen können bereits die Grundlage einer Verdachtsdiagnose bilden. Fehlt sonografisch und/oder röntgenologisch der normalerweise ausgeprägt sichtbare Säuglingsthymus, sollte unverzüglich die spezielle immunologische Labordiagnostik angeschlossen werden. Lymphopenie mit Werten unter 1000/µl, Eosinophilie und Thrombozytose in Kombination mit fehlenden T-Lymphozyten sind klassische Befunde bei SCID. Die Serumimmunglobulinspiegel fehlen, bei jungen gestillten Säuglingen können IgG-Immunglobuline von der Mutter jedoch diagnostisch verwirren. Lymphozytenphänotypisierung der T-und B-Lymphozyten-Subpopulationen sowie Lymphozytenproliferationstests auf Stimulation mit polyklonalen und spezifischen T-Zell-Antigenen geben Auskunft über die Funk-
12
tionsfähigkeit des Immunsystems. Die HLA-Typisierung kann klären, ob maternale Lymphozyten im Kind proliferieren. Inzwischen ermöglicht die Verfügbarkeit spezieller immunologischer Messmethoden eine genauere Charakterisierung des zugrunde liegenden Defekts, die in einer molekulargenetische Analyse bestätigt werden kann. Die molekulare Aufklärung im Einzelfall hat auch für eine zukünftige genetische Beratung und Pränataldiagnostik für die betroffene Familie eine wichtige Bedeutung. Therapie. Die Stammzelltransplantation ist die einzige
kurative Therapieoption. Eine symptomatische Behandlung ist notwendig, um die Zeit bis dahin zu überbrücken. Dabei müssen die betroffenen Kinder streng isoliert und praktisch keimfrei gepflegt werden. Medikamentös werden Pneumocysti carinii- und Pilzprophylaxe initiiert. Immunglobuline werden regelmäßig in hoher Dosierung substituiert. Bei Infektionsverdacht wird nach mikrobiologischer Diagnostik unverzüglich mit einer breiten antimikrobiellen Therapie begonnen. Blutprodukte sollten CMV-frei getestet sein und müssen vor Transfusion bestrahlt werden. Lebendimpfungen sind streng kontraindiziert, bei BCG-geimpften Säuglingen muss eine tuberkulostatische Kombinationstherapie eingeleitet werden. Die Ernährung der dystrophen Kinder muss in der Regel parenteral ergänzt werden und erfordert einen zentralvenösen Zugang. Die Stammzelltransplantation lymphohämatopoetischer Spenderzellen muss so früh wie möglich erfolgen; ein guter Allgemeinzustand des Patienten begünstigt den Transplantationserfolg. Durch Vorbehandlung des Stammzelltransplantats mit dem Ziel der T-Zell-Depletion kommen auch Eltern mit einem haploidentischen genetischen Hintergrund als Spender in Frage (Amrolia et al. 2000; Antoine et al. 2003). Für SCID mit ADA-Mangel lässt sich die Immunfunktion auch durch Enzymsubstitution verbessern. Darüber hinaus sind erste gentherapeutische Ansätze zur Eradikation des Gendefektes in Erprobung (Aiuti et al. 2002). Prognose. Ohne Stammzelltransplantation sterben alle
Patienten während des ersten Lebensjahres. Bei allogener Empfänger-Spender-Konstellation kann sich im immundefekten Empfänger eine GvHD entwickeln, die je nach medikamentösem Behandlungserfolg die Prognose mitbestimmt. Häufig müssen die Patienten trotz erfolgreicher Rekonstitution des T-Zell-Systems lebenslang mit Immunglobulinen substituiert werden.
12.3.2 Immundefekte mit deutlichem
Antikörpermangel B-Lymphozyten mit ihrer Fähigkeit, antigenspezifische Antikörper zu sezernieren, entwickeln sich aus pluripo-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
. Abb. 12.16. Patient mit XLA: Sklerödem
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tenten hämatopoetischen Vorläuferzellen im Knochenmark, wo sie unter dem Einfluss von nichtlymphoiden Stromazellen, Milieuzytokinen und genetischen Faktoren zu antigenspezifischen B-Zellen heranreifen. Die weitere Differenzierung zur antigenspezifischen, antikörperproduzierenden Plasmazelle mit Isotypenswitch von IgM zu IgG und Ausbildung einer B-Zell-Gedächtnisfunktion erfolgt in den peripheren sekundär lymphatischen Geweben, z. B. Lymphknoten. Dabei unterliegen B-Lymphozyten der Regulation durch T-Lymphozyten, insbesondere in der Phase der sekundären Immunantwort mit Produktion antigenspezifischer Antikörper. Defekte im System der immunglobulinproduzierenden B-Zellen beziehen sich auf zwei Funktionsphasen: 5 intrinsische Defizienz während der B-Zell-Maturation und -differenzierung, 5 mangelnde T-Zell-Hilfe (primäre T-Zell-Defizienz, mangelnde Kooperation). Hieraus resultieren unterschiedliche diagnostisch fassbare Befunde: 5 fehlende Immunglobulinproduktion (»Agammaglobulinämie«), 5 eingeschränkte Immunglobulinproduktion (»Hypogammaglobulinämie«, Immunglobulinsubklassenmangel), 5 fehlende Produktion spezifischer Antikörper trotz (niedrig) normaler Immunglobulinspiegel,
5 dysbalancierte Immunglobulinproduktion mit Bildung von Autoantikörpern.
Agammaglobulinämien 5 X-chromosomal vererbte Agammaglobulinämie (XLA): Ist die B-Zell-Ausreifung durch eine Mutation im B-Zell-Tyrosinkinase-Gen (Btk) gestört (Stopp der Entwicklung von Pro- zu Prä-B-Zelle; Conley et al. 1998; Gaspar et al. 1998), so führt das zu einer B-Lymphopenie und einem praktischen Fehlen peripherer Immunglobuline im Serum der Patienten (Bruton 1952). Aufgrund der transplazentaren IgG-Übertragung von Mutter auf Fetus entwickeln sich die klinischen Symptome des Immundefekts je nach Stillverhalten erst nach dem ersten Lebens(halb)jahr mit einer zunehmenden Anfälligkeit gegenüber bakteriellen Infektionen insbesondere von kapseltragenden Spezies (Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Staphylococcus aureus und Pseudomonas species). Klinisch sind besonders die Atemwege (Otitis/Mastoiditis, Sinusitis, Pneumonie, Bronchitis; . Abb. 12.16), seltener Gastrointestinaltrakt mit chronifizierender Enteritis und Malabsorbtion betroffen. Bakterielle Hautinfektionen (Zellulitis, Furunkel, Impetigo) treten in 30% der Fälle auf (. Abb. 12.17). Bei Beginn im Säuglingsalter ist der septische Verlauf charakteristisch (Sepsis, Meningitis, Osteomyelitis, septische Arthritis; Conley et al. 2002). Obwohl das
12.3 · Immundefekterkrankungen
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munglobulintherapie als ebenso effektiv durch, die zwar 1- bis 2-mal wöchentliche s.c.-IgG-Gaben erforderlich macht, aber zu Hause als ambulante »Heimbehandlung« selbstverantwortlich durchgeführt werden kann (Gardulf et al. 1995). Subjektiv gewinnen die Patienten mit dieser Therapieform Lebensqualität. Darüber hinaus nehmen die IgG-Serumspiegel konstantere Werte an und schwanken nicht mehr so stark wie während der IVIgG-Therapie. Alle unter IgG-Substitution auftretenden bakteriellen Infektionen müssen nach vorangehender Erregerisolierung und Resistenzbestimmung großzügig antibiotisch behandelt werden, um Komplikationen vorzubeugen.
. Abb. 12.17. Bronchiektasien bei XLA
T-Zell-System bei XLA intakt scheint, lösen Infektionen mit Enteroviren (ECHO, Coxsackie, Polio; McKinney 1987) chronisch protrahierte, prognostisch ungünstige ZNS-Erkrankungen aus. Von klinischer Besonderheit ist die Tatsache, dass Patienten mit XLA trotz mangelnder Fähigkeit zur Produktion von Autoantikörpern zu Arthritiden neigen. Die Genese dieser Arthritiden (T-Zell-Imbalance oder infektiös?) ist nicht endgültig geklärt. 5 Autosomal-rezessiv vererbte Agammaglobulinämie: Etwa 10% der Patienten mit Agammaglobulinämie sind weiblich. Entsprechend wurden eine Reihe weiterer Gendefekte aufgeklärt (Conley 1999), die zum Reifungsstopp auf Pro-B-Zell-Ebene führen und klinisch vergleichbare Immundefekte verursachen. Lebensbedrohliche Infektionen treten häufig bereits früher als bei XLA auf. Diagnose. Alle Serumimmunglobulinspiegel (IgA, IgG, IgM, IgE, Subklassen) sind fehlend oder weit unterhalb des Normbereiches nachweisbar. Antigenspezifische Antikörper fehlen komplett. Totimpfungen (DTPa etc.) und entsprechende Booster mit fehlender Impfantwort können diagnostisch eingesetzt werden. Bei Verdacht auf XLA hilft die genetische Untersuchung auf BTX-Mutation (Lindvall et al. 2005); eine pränatale Diagnostik sowie die Untersuchung des Überträgerinnenstatus ist möglich. Therapie. Seit etwa 20 Jahren stehen intravenöse polyvalente IgG-Immunglobulinpräparate zur Verfügung, die in einer Dosierung von 400–500 mg/kg KG alle 2–4 Wochen verabreicht werden. Damit die Infektionsanfälligkeit signifikant reduziert werden kann, müssen die IgG-Zielspiegel vor der folgenden Substitution im Altersnormbereich liegen (Eijkhout et al. 2001). Alternativ setzt sich insbesondere für ältere Kinder und Jugendliche die subkutane Im-
Prognose. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto günstiger sind die Langzeitperspektiven. Trotzdem treten chronische Lungenerkrankungen (Bronchiektasien) sowie chronische Otitis media mit Mittelohrkomplikationen und Hörminderung auf, die günstigstenfalls durch operative Versorgung (Tympanoplastik u. Ä.) gebessert werden kann. Die Häufigkeit von ZNS-Erkrankungen durch Enterovirusbefall lässt sich durch die frühzeitige Immunglobulintherapie reduzieren; die letal verlaufende Impfpoliomyelitis spielt seit Umstellung auf den Poliototimpfstoff keine Rolle mehr.
Immunglobulinmangel mit normalem oder erhöhtem IgM (Hyper-IgM-Syndrom) Verschiedene Mutationen (CD40-Ligand, HIGM1; NEMO/IKKγ; AID, HIGM2; UNG; CD40-Gen, HIGM3), die X-chromosomal bzw. autosomal vererbt werden, führen bei betroffenen Patienten zur Unfähigkeit, den Wechsel von IgM zu IgG zu vollziehen. Dabei lässt sich bei HIGM1 und HIGM3 eine gestörte T-B-Zell-Interaktion ursächlich beschreiben, bei HIGM2 liegt ein intrinsischer B-Zell-Defekt vor (Gulino et al. 2003). Klinisch fallen die Patienten durch rezidivierende bakterielle Infektionen des Respirationstrakts auf (Otitis media, Pneumonien). Charakteristisches klinisches Symptom für Säuglinge ist die schwere Pneumocystis-carinii-Pneumonie, die auf eine T-B-Zell-Interaktionsstörung hinweist. MagenDarm-Infektionen mit Giardia lamblia und Kryptosporidien mit wässrigen Durchfällen und Malabsorption können eine parenterale Ernährung notwendig machen. Patienten mit Hyper-IgM-Syndrom weisen charakteristischerweise in unterschiedlichem Ausmaß assoziierte Autoimmunphänomene auf: Thrombozytopenie, hämolytische Anämie, Hypothyreose, Neutropenie sowie seltener Polyarthritis. Zusätzlich neigen Patienten mit HIGM2 zur polyklonalen Lymphoproliferation (klinisch Lymphknotenvergrößerung bei fehlenden Keimzentren, Splenomegalie). Diagnose. Die Serumimmunglobulinspiegel IgA, IgG,
IgG-Subklassen sind stark vermindert, während IgMSpiegel normal oder sogar polyklonal erhöht vorliegen.
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Antigenspezifische IgG-Antikörper fehlen und lassen sich auch durch (Booster-)Impfungen nicht induzieren (Übersicht bei Mannhardt et al. 2004). Immunologische Untersuchungen (Phänotyp CD40-Ligand, CD40-Antigen sowie Proliferationstests) unterstützen die Diagnose, in Zweifelsfällen können Mutationsanalysen durchgeführt werden. Therapie. Alle Formen von Hyper-IgM erhalten eine lebenslange regelmäßige Immunglobulinsubstitution. Eventuell lassen sich hiermit die IgM-Spiegel in den Normbereich zurückführen. Die chronische Neutropenie kann ggf. eine G-CSF-Therapie notwendig machen. Säuglinge und Kleinkinder sollten eine Pneumocystis-carinii-Prophylaxe mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol erhalten. Assoziierte Autoimmunerkrankungen und Lymphoproliferation können mit Steroiden erfolgreich behandelt werden. Prognose. Bei chronischen opportunistischen Infektionen mit Kryptosporidien kann die sklerosierende Cholangitis zur biliären Zirrhose führen, mit der Gefahr von Gallengangmalignomen. Diese Komplikation determiniert die eingeschränkte Lebenserwartung, sodass bei HLA-identischem Spender eine Knochenmarktransplantation frühzeitig empfohlen wird.
Variables Immundefektsyndrom (»Common Variable Immunodeficiency”, CVID) Es handelt sich hier um den häufigsten primären Immundefekt (1:10.000 bis 1:50.000), wenngleich die Ursachen sehr heterogen und bislang genetisch nicht hinreichend definiert werden konnten (Cunningham-Rundles 2001; Hubert et al. 2004). Charakteristischerweise fallen die Patienten beiderlei Geschlechts klinisch meist erst im 2. und 3. Lebensjahrzehnt durch zunehmende Infektionsanfälligkeit im Bereich des Respirations- und Gastrointestinaltrakts auf; Infektionen werden sowohl durch Bakterien als auch durch opportunistische Erreger hervorgerufen und weisen ein ähnliches Spektrum wie bei Hyper-IgM-Patienten auf. Bei verzögertem Therapiebeginn durch späte Diagnose komplizieren Bronchiektasen den Verlauf. Neben der Infektanfälligkeit bestimmen Autoimmunreaktionen aufgrund einer unkontrolliert überschießenden Immunreaktion sowie lymphoproliferative Symptome das klinische Bild. Bei einem Drittel der Patienten ist eine Splenomegalie nachweisbar, des Weiteren treten vergrößerte Lymphknoten, Granulome und eine noduläre lymphoide Hyperplasie des Gastrointestinaltrakts auf. Die Rate an Lymphomen ist signifikant gesteigert (Spickett et al. 2001). Diagnose. Die Betroffenen weisen eine Hypogammaglobulinämie und eine defekte spezifische Antikörperproduktion auf. Die zugrunde liegenden Ursachen führen zur
Störung der B-Zell-Differenzierung. Wichtigstes diagnostisches Kriterium ist die fehlende Produktion antigenspezifischer Antikörper z. B. nach Boosterimpfung. Die allgemeinen Serumimmunglobulinspiegel für IgG und IgA können niedrig sein, IgM normal oder erhöht (Differenzialdiagnose zu Sonderformen des Hyper-IgM!). B-Lymphozyten sind in der Anzahl häufig erniedrigt. Einschränkungen der T-Zell-Funktionen lassen auf eine Defizienz der Signaltransduktion schließen. Therapie und Prognose. Die frühzeitig beginnende regelmäßige Immungloblinsubstitution (i.v. oder s.c.) und eine entsprechende antimikrobielle Therapie bei Infektionen können Spätkomplikation (Bronchiektasen) vorbeugen. Bei Autoimmun- und lymphoproliferativen Erkrankungen müssen Immunsuppressiva (z. B. Steroide) eingesetzt werden. Chronische Lungenerkrankung und Auftreten von Lymphomen schränken die Lebenserwartung ein.
Fehlende Produktion spezifischer Antikörper trotz (niedrig) normaler Immunglobulinspiegel In der Regel fallen diese Kinder durch eine gesteigerte Infektanfälligkeit auf, ohne dass auf den ersten Blick Einschränkungen in der Immunabwehr nachweisbar wären, T-Zell-Funktion sowie die Antikörperproduktion auf Proteinantige (z. B. Tetanus, Diphterie) sind intakt. Erst die fehlende Impfantwort auf Polysaccharidantigene (z. B. mit Pneumokokkenpolysaccharid) zeigt den Defekt. Die Therapie richtet sich nach dem Ausmaß der klinischen Symptome (insbesondere pulmonale Affektionen) und kann eine regelmäßige Immunglobulinsubstitution erforderlich machen.
Immunglobulinsubklassenmangel Der Mangel an Immunglobulinsubklassen kann prinzipiell alle Immunglobulinklassen treffen (IgA, IgG, IgM). Die genetischen und/oder molekularen Ursachen sind bislang kaum aufgeklärt (Pan et al. 2000). Die Diagnose wird durch die Tatsache erschwert, dass die Spiegel per se breit streuen und auch noch altersabhängig ansteigen (Buckley 2002). Von klinischer Relevanz behandlungsbedürftig (Immunglobulinsubstitution) sind die Mangelzustände dann, wenn die Produktion spezifischer Antikörper, insbesondere gegenüber Polysaccharidantigenen, nachweisbar eingeschränkt ist und somit das Risiko für die Ausbildung Bronchiektasen besteht.
IgA-Defizienz Der selektive Immunglobulin-A-Mangel (IgA-Defizienz) ist der häufigste (1:500–1:700) »Immundefekt« und weist Werte unter 0,05 g/l IgA im Serum auf, gepaart mit dem Fehlen von sekretorischen IgA. Die antigenspezifische IgG-Antwort ist nicht betroffen. IgG-Subklassendefekte (insbesondere IgG2 und IgG4) können assoziiert auftreten
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12.3 · Immundefekterkrankungen
(Burrows u. Cooper 1997). Wahrscheinlich ist das Auftreten klinischer Symptome (respiratorische Infektanfälligkeit, Autoimmunkrankheiten oder Allergien) von den assoziierten immunologischen Störungen abhängig (Hammarström et al. 2000). Überzufällig häufig werden Zöliakie und chronisch entzündliche Darmerkrankungen mit IgA-Defizienz assoziiert. Eine kausale Therapie existiert nicht. Da IgA-defiziente Patienten eine Sensibilisierung mit Anti-IgA-Antikörperbildung entwicklen können, sollten bei notwendiger Immunglobulinsubstitution (z. B. assoziierte IgG-Subklassenmangel) IgA-arme Präparate verwendet werden.
Transiente Hypogammaglobulinämie des Säuglings Hierbei handelt es sich nicht um einen Immundefekt, sondern um eine Reifungsverzögerung, die sich durch zu niedrige Immunglobulinspiegel in Bezug auf das Kindesalter äußert; die Reaktion auf Impfantigene führt demgegenüber zu einer regelrechten spezifischen Immunantwort mit Produktion spezifischer Antikörper. Damit ist ein Immundefekt unwahrscheinlich. Mit ansteigendem Lebensalter normalisieren sich die Immunglobulinspiegel auch ohne Substitutionstherapie (Kilic et al. 2000).
12.3.3 Andere gut definierte
Immundefektsyndrome Reife T-Lymphozyten resultieren als multiple Subpopulationen (T-Helfer-, T-Regulator-, T-Suppressor-Zellen, zytotoxische T-Zellen) nach einem komplexen Ausreifungsund Differenzierungsprozess zunächst im Knochenmark (Entwicklung der hämatopoetischen Progenitorzellen), die als unreife Prä-T-Stammzellen das Knochenmark verlassen und im Thymus die weitere Ausreifung mit Erkennung der Antigenspezifität bei gleichzeitiger Selbsttoleranz erlernen (Mannhardt et al. 2004). Parallel zur genetisch gesteuerten polyklonalen Diversifikation und Proliferation finden im Thymus Reifungsvorgänge unter dem Einfluss von T-Zell-spezifischen Wachstumsfaktoren statt, die über ein sich differenzierendes Rezeptorsystem die Funktionsfähigkeit etablieren: Die Immuneffektorfunktionen werden mittels eines fein abgestimmten Antigen-(Ligand-)Rezeptorsystems und Signalübertragungsprozessen eingeleitet. Die resultierende antigenspezifische Immunantwort setzt das Zusammenspiel aller Lymphozytensubpopulationen voraus. Dieses wird über ein komplexes Geflecht aus Zellinteraktionen zwischen Erkennungsrezeptoren mit regulativem Austausch von Botenstoffen (Zytokinen) vermittelt. Heute lassen sich molekularbiologisch und molekulargenetisch eine Vielzahl von Störungen einer T-Zell-Reifungs- und Differenzierungsebene zuordnen. Da T-Lymphozyten auch regulative Funktionen ausüben, beziehen schwerwiegende Störungen im-
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mer auch die humorale Antwort mit ein, und Autoimmunität ist eine mögliche klinische Komplikation. Der Übergang zu kombinierten Immundefekten ist fließend.
Wiskott-Aldrich-Syndrom Bei diesem X-chromosomal vererbten Krankheitsbild treten klinisch Thrombozytopenie, chronisches Ekzem sowie die Anfälligkeit zu rezidivierenden opportunistischen Infektionen auf. Die Ursache liegt in der Mutation des WASP-Gens, was in letzter Konsequenz lymphozytäre Tyrosinkinasen, die für rezeptorvermittelte Signaltransduktionsprozesse bei der Aktivierung der Immunantwort (Tund B-Zellen) eine Rolle spielen (Cory et al. 1996), in ihrer Funktion beeinträchtigt. Bei der Differenzierung der Thrombozyten bewirkt das WASP-Protein die Polymerisation von Aktinfilamenten. Die Thrombozytopenie entsteht durch vermehrten Abbau in der Milz. Klinik. Die Thrombozytopenie führt bereits bei Neugebo-
renen zu schweren Blutungen. Nach dem ersten Lebenshalbjahr treten bakterielle (kapseltragende Bakterien) sowie opportunistische Infektionen hinzu, virale Infektionen (z. B. Herpes, Varizellen) verlaufen schwer. Ein Ekzem wie bei atopischer Dermatitis tritt bereits während der ersten Lebensmonate auf. Charakteristisch ist die Entwicklung von Autoimmunphänomenen (Arthritis, Vaskulitis, hämolytische Anämie, Neutro-/Thrombopenie; Dupuis-Girod et al. 2003). Diagnostik. Thrombozyten sind sowohl in Anzahl unter (100.000/µl) als auch Funktion beeinträchtigt (Größe halbiert, Aggregationsfähigkeit vermindert). Bei der immunologischen Phänotypisierung sind B-Zellen vorhanden, IgA und IgE erhöht, Paraproteine im IgG-Bereich. Demgegenüber sind IgM immer vermindert, Isoagglutinine fehlen, die IgM-Polysaccharidantwort versagt, antigenspezifische Antikörper werden unzureichend gebildet. TZell-Funktionsstörungen und Lymphopenien entwickeln sich später; in T-Zell-Proliferationsuntersuchungen fallen vor allem Einschränkungen auf spezifische Antigene auf (Tetanus, Allo-AG; Ima et al. 2003). Die molekulargenetisch nachweisbare Mutation im WASP-Gen beweist die Diagnose im Verdachtsfall; eine positive Familienanamnese ist möglich. Therapie und Prognose. Die Erkrankung kann durch HLA-identische Stammzelltransplantation erfolgreich therapiert werden (Filipovich et al. 2001). Bis zum Zeitpunkt der Intervention sollten eine antimikrobielle Prophylaxe sowie regelmäßige i.v.-Immunglobulingaben durchgeführt werden (Litzman et al. 1996). Das Ekzem kann durch kuhmilch- und eifreie Diät behandelt werden. Die Langzeitprognose ist durch das besondere Risiko der Malignomentwicklung getrübt (lymphoretikulär, myeloische Leukämie).
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
DNA-Reparaturdefekte Die Ataxia teleangiectatica (Louis-Barr-Syndrom) beruht auf einem großen Gendefekt des ATM-Gens mit autosomal-rezessiver Vererbung. In der Folge treten klinisch eine progrediente zerebelläre Ataxie, geistige Retardierung, okulokutane Teleangiektasien, endokrine Störungen (Diabetes mellitus, Hypogonadismus) sowie Symptome eines kombinierten Immundefekts auf (bronchopulmonale Infektionen). Die spontane Chromosomenbrüchigkeit, die Empfindlichkeit gegenüber ionisierenden Strahlen und das hohe Malignomrisiko erklären sich durch die Minderfunktion eines DNA-Reparatur-Komplexes, der durch die Mutation im ATM-Gen ungenügend phosphoryliert wird (Savitsky et al. 1995). Der Immundefekt lässt sich durch die Mitbetroffenheit von Genen der Immunglobulin-GenSuperfamilie erklären. Die klinische Symptomatik mit Ataxie, Teleangiekasien und progeroidem Habitus entwickelt sich etwa ab dem 2. Lebensjahr progredient, bei Verdacht ist die molekulargenetische Untersuchung indiziert. Bei der Therapie des Immundefektes stehen symptomatische Maßnahmen im Vordergrund, da aufgrund des DNA-Reparatur-Defekts hohe Risiken bezüglich der myeloablativen Konditionierung vor einer eventuellen Stammzelltransplantation stehen. Die Stammzelltranplantation beeinflusst ohnehin lediglich den immunologischen Defekt, ohne die Progredienz der neurologischen Symptome aufhalten zu können. Die immunologische Dysbalance führt zu einer Neigung zur Anti-IgA-Antikörperbildung. Daher müssen für die Immunglobulinsubstitution IgA-arme Präparate ausgewählt werden. Eine antiinfektiöse Dauerprophylaxe, die Verwendung von bestrahlten CMV-freien Blutprodukten sowie Vermeidung von Lebendimpfungen sind weitere wichtige Behandlungsstrategien. Die Prognose wird durch die schwere Behinderung mit Infektionsanfälligkeit besonders pulmonal sowie der gesteigerten Malignomentwicklung bestimmt (Übersicht bei Habermehl u. Zepp 2005). Das Nijmegen-Chromosomeninstabilitätssyndrom ist ein autosomal-rezessiv vererbter Symptomenkomplex aus Minderwuchs, Mikrozephalie, mentaler Retardierung, Cafe-au-lait-Flecken und gesteigerter Infektionsanfälligkeit. Der Gendefekt betrifft das NBS1-Gen, das für Anteile eines DNA-Reparatur-Komplexes kodiert und klar vom ATM-Gen abzugrenzen ist (Weemaes et al. 1981). Spontane Chromosomenbrüche betreffen allerdings wie bei der Ataxia teleangiectatica Gene der Immunglobulinsuperfamilie mit einem resultierenden Immundefekt insbesondere der T-Helfer-Zellen sowie eingeschränkter zytotoxischer T-Zell-Funktion, humoraler Defizienz mit Mangel an antigenspezifischen Antikörpern, gesteigerter Radiosensitivität sowie erhöhtes Malignomrisiko. Die Therapie ist in Analogie zur Ataxia teleangiectatica supportiv. Autoimmunphänomene sind bislang nicht berichtet worden.
Molekularbiologisch lassen sich bislang mindestens zwei weitere DNA-Reparaturdefekte (LIG4-Syndrom, Bloom-Syndrom) mit ähnlichem, z. T. aber sehr variabel ausgeprägtem Immundefekt abgrenzen (O’Driscoll et al. 2004).
Chronische mukokutane Candidiasis Die Erkrankung setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, wobei einerseits die rezidivierenden Pilzinfektionen (Überwiegend Candidainfektionen) von Haut und Schleimhäuten, andererseits Endokrinopathie mit Beteiligung multipler Organsysteme, gepaart mit einem partiellen T-Zell-Defekt (immunregulatorische T-ZellFunktionen, Zytokinproduktion), insbesondere gegenüber Pilzantigenen auffallen. Antikörpertiter gegenüber Pilzantigenen sind demgegenüber mit hohen Titern nachweisbar. Bei der autosomal-rezessiven Polyendokrinopathie-Candidiasis-Eckodermaldysplasie (APECED) liegt die Mutation im AIRE-Gen und führt klinisch zur Entwicklung der Autoimmunendokrinopathie. Die Candidainfektionen beginnen im ersten Lebensjahr, betreffen Nägel, Haut und Schleimhäute; systemische Pilzinfektionen werden nur selten beobachtet. Aufgrund des selektiven TZell-Defekts verläuft die Erkrankung benigne; ist ein IgGSubklassendefekt assoziiert, besteht eine zusätzliche Anfälligkeit für kapseltragende Bakterien. Diagnostisch fällt eine selektive Einschränkung der TZell-Antwort auf Candidaantigen auf, während die Mitogenantwort auf polyklonale Antigene und andere spezifische Antigene nicht eingeschränkt ist. In vitro wird nach Stimulation mit Candida kein IL2 und kein INFγ gebildet. Die Endokrinopathien (etwa 20%) betreffen hauptsächlich Schilddrüse (Hypothyreose) und Nebenschilddrüse (Hypoparathyreoidismus mit hypocalciämischen Krampfanfällen), Pankreas (Diabetes mellitus) und Nebennierenrinde (M. Addison). Eine begleitende Alopezie ist häufig. Es wird vermutet, dass der chronisch mukokutanen Candidiasis mit Endokrinopathie sowie dem Krankheitsbild der autoimmunen Endokrinopathien ähnliche immunologische Störungen zugrunde liegen. Therapeutisch kommen Antimykotika (z. B. Itraconazol) erfolgreich zum Einsatz, die endokrinen Störungen müssen entsprechend hormonell substituiert werden (Übersicht Habermehl u. Zepp 2005).
Thymusdefekte DiGeorge-Sequenz Es handelt sich um einen Entwicklungsfelddefekt (Mutation in Genen für die Steuerung des Entwicklungsfeldes der 3. und 4. entodermalen Schlundtasche in Assoziation zu Mikrodeletionen in der Region 22q11.2 [»CATCH 22«]), der einen Symptomenkomplex mit Hypo-bis Aplasie des Thymus und konsekutiver T-Zell-Defizienz, Hypopara-
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12.3 · Immundefekterkrankungen
thyreoidismus, Vitium cordis und Gesichtsdysmorphie beschreibt. Der Phänotyp ist ausgesprochen variabel, auch der T-Zell-Defekt variiert von partiell ohne wesentliche klinische Auswirkung über die Entwicklung von Autoimmunphänomenen (Gennery et al. 2002) bis zum vollständigen Funktionsverlust (komplette DiGeorge-Sequenz; Ryan et al. 1997). Klinik. Die auffällige Gesichtsmorphe in Verbindung mit hypokalziämischen Krampfanfällen sowie kardialen und pulmonalen Komplikationen häufig bereits während der ersten Lebenstage werden von frühzeitig auftretenden generalisierten und opportunistischen Infektionen begleitet (viral, mykotisch, bakteriell). Insbesondere therapieresistente Diarrhö, Gedeihstörung und Pneumonie sind charakteristisch. Die weitere Entwicklung kann von einer psychomotorischen Entwicklungsverzögerung begleitet sein (Ryan et al. 1997). Bei partiellem T-Zell-Defekt können sich aufgrund regulativer Funktionsstörungen Autoimmunphänomene entwickeln (Gennerey et al. 2002).
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Prüfung der T-Zell-Funktion bei guter Funktion (Perez et al. 2003) in Zusammenarbeit mit pädiatrischen Immunologen gegebenenfalls durchgeführt werden. Prognose. Bei kompletter DiGeorge-Sequenz sterben
mehr als 80% aller Kinder auch aufgrund assoziierter, z. B. kardialer Fehlbildungen. Kinder mit Thymushypoplasie und Restfunktion können demgegenüber im Zeitverlauf ein funktionsfähiges Immunsystem entwickeln.
Winged-Helix-Nude-(WHN-)Defekt Die Mutation im WHN-Gen (autosomal-rezessiv) führt klinisch zu Alopezie und einer abnormen Entwicklung des Thymusepithels mit einer konsekutiven T-Zell-Störung und immunologisch vergleichbarer Klinik wie bei DiGeorge-Syndrom (Pignata 2002). Allerdings scheint die alleinige Stammzelltransplantation nicht für eine anhaltende Immunrekonstitution auszureichen.
12.3.4 Erkrankungen bei Diagnostik. Bei Hypokalziämie, Mangel an Parathormon
und evtl. Herzgeräusch werden Echokardiografie und Sonografie des Mediastinums zur Darstellung des Thymus (fehlender Thymusschatten im Röntgenbild des Thorax) die Verdachtsdiagnose erhärten. Immunologische Untersuchungen des T-Zell-Phänotyps und der Funktionsanalyse ergeben je nach Ausmaß der Thymusdysplasie verminderte T-Zell-Zahlen bis zum völligen Fehlen. Auch lassen sich häufig unreife T-Zell-Vorstufen (CD1, CD38, gesteigerte γ/δ-Rezeptor positive T-Zellen), eingeschränkte Zytokinproduktion, verminderte proliferative Antwort auf polyklonale und antigene/allogene Stimulation nachweisen. B-Lymphozyten und Immunglobulinspiegel finden sich häufig normal, bei mangelnder T-Zell-Hilfe können antigenspezifische Antikörper fehlen. Zur ursächlichen Differenzierung sollte eine molekulargenetische Untersuchung auf CATCH22 mittels FISH-Technik erfolgen (kann auch pränatal eingesetzt werden). Therapie. Die Transplantation von fetalem humanen Thymusgewebe kann bei kompletter Thymusaplasie die T-Zell-Funktion rekonstituieren (Markert et al. 2003). Bei entsprechender Indikation (Therapiemöglichkeiten der Begleiterkrankungen) ist aber die HLA-identische Stammzelltransplantation heute vorzuziehen. Bei partiellen TZell-Defekten hängt die Therapie vom Ausmaß des Immundefekts ab und schließt die Cotrimoxazol-Prophylaxe (Pneumocystis carinii) sowie die Immunglobulinsubstitution bei entsprechender Indikation mit ein. Bei Bluttransfusionen (z. B. kardiochirurgische Eingriffe) müssen unbedingt bestrahlte Blutprodukte verwendet werden, um eine Graft-versus-host-Reaktion zu vermeiden. Lebendimpfungen sind entsprechend der STIKO-Empfehlungen generell nicht indiziert, können nach individueller
Immundysregulation Störungen der Zytotoxidität Im Folgenden werden charakteristische Erkrankungen mit Störungen der Zytotoxizität dargestellt. Genetisch wird die Unfähigkeit, zytotoxische Lysosomen intrazellulär zu transportieren (Chediak-Higashi-Syndrom, Griscelli-Syndrom), zur Ausschleusung zu bringen (MUNCDefekt) oder funktionell unwirksame Zytolysine (Perforindefekt) zu bilden, unterschieden. Die Betroffenen erkranken überwiegend während des ersten Lebensjahres mit Fieber, Hepatosplenomegalie und ZNS-Symptomen. Insbesondere nach Virusinfektionen entwickelt sich eine unregulierte Proliferation ineffektiver zytotoxischer Zellen mit überschießender Zytokinfreisetzung (IFN). Somit wird eine schwere Inflammationsreaktion mit Multiorganbeteiligung und entsprechender Histologie einer Hämophagozytose provoziert (Schneider 2002).
Immundefekte mit Albinismus Beim autosomal-rezessiv vererbten Chediak-Higashi-Syndrom führt die Mutation im Lyst-Gen zur Verschmelzung der azurophilen Granula der Neutrophilen zu Riesengranula (diagnostisch-mikroskopisch hinweisend im peripheren Differenzialblutbild) mit der Folge von Chemotaxisdefekt und Störung der antimikrobiellen Toxizität (Barbosa et al. 1996). Die Zytotoxizität von T- und NK-Zellen ist ebenfalls eingeschränkt, woraus ein kombinierter Immundefekt resultiert mit histiozytärer Proliferation und Makrophagenaktivierung (»HLH«) in der Terminalphase. Einzige erfolgreiche Therapieoption besteht in der Stammzelltransplantation. Die dem Syndrom vergesellschaftete Neurodegeneration und der okulokutane Albinismus bleiben unbeeinflusst.
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Das Griscelli-Syndrom (Mutation im RAB27a-Gen, autosomal-rezessiv; Menasche 2000) lässt sich aus dem Haarschaft durch die mikroskopisch erkennbare Verplumpung des Pigments bei infektanfälligen Patienten mit Hypopigmentierung von Haut und Haar stellen. Die Zytotoxizität von T- und NK-Zellen ist ebenfalls eingeschränkt mit der Folge einer dysbalancierten Lymphoproliferation (HLH). Eine progressive Enzephalopathie entwickelt sich in schweren Fällen.
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Familiäre hämophagozytierende Lymphohistiozytose (HLH)
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Beim Perforinmangel (autosomal-rezessiv) liegt eine Mutation im PRF1-(Perforin-)Gen vor, was zu einer funktionell erniedrigten NK- und CTL-Aktivität führt (Stepp et al. 1999). Die T-Zellen selbst sind stark aktiviert (CD25+, HLADr+). (b) Beim MUNC-Defekt (Mutation im MUNC13-4; autosomal-rezessiv) ist die Exkretion des Perforins in den synaptischen Spalt gestört mit der klinischen Folge einer erniedrigten NK und CTL-Aktivität (Feldmann et al. 2003). Das X-chromosomale lymphoproliferative Syndrom (XLP, »Purtilo-Syndrom«) wird durch eine inadäquate Lymphoproliferation auf EBV klinisch gekennzeichnet und beruht auf einer Mutation im SAP-Gen (Imashuku et al. 1999). Neben der Hepatitis kann eine aplastische Anämie induziert werden, und die Entwicklung von Lymphomen ist gehäuft. Die familiäre HLA ist nur durch Stammzelltransplantation heilbar (Henter et al. 2002).
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Autoimmunes lymphoproliferatives Syndrom (ALPS) Dem ALPS, autosomal-rezessiv vererbt, liegt ursächlich eine gestörte Apoptose (»programmierter Zelltod«) zugrunde, was zu einer Fehlsteuerung des Immunsystems mit dem klinischen Bild einer chronischen, nicht malignen Lymphoproliferation, Hepatosplenomegalie, Autoimmunphänomenen und, diagnostisch hinweisend, dem Nachweis einer erhöhten Anzahl sog. doppelt negativer T-Lymphozyten (CD3+, CD4–, CD8–) führt (Canale et al. 1997). Für die Dysregulation bezeichnend sind auch die nachweisbare Hypergammaglobulinämie (IgG, IgA, IgM) sowie die Coombs-Test-positive autoimmun-hämolytische Anämie. Entsprechend der verschiedenen zugrunde liegenden Mutationen lassen sich mehrere ALPS-Subtypen abgrenzen: Typ Ia/b, IIa/b, III (Rieux-Laucat et al. 2003). Die klinische Manifestation kann zwischen dem frühen Säuglingsalter bis ins Erwachsenenalter hinein beginnen (Puck et al. 2000). Ein assoziierter Immundefekt liegt nur ausnahmsweise vor. 5 Beim Typ Ia (CD95-Mangel) liegt die Mutation im Fas/APO1-Gen und begünstigt klinisch die Entwicklung von Adenopathie, Splenomegalie und Autoimmunzytopenien (Haas et al. 1997; Martin et al. 1999). Ein gesteigertes Lymphomrisiko wird beschrie-
ben (Straus et al. 2001). Beim sehr seltenen Typ Ib liegt demgegenüber ein Mangel an CD95-Ligand vor. 5 Weitere Mutationen, die zur eingeschränkten Apoptose führen, betreffen Gene für intrazelluläre Proteasen (Typ IIa: Caspase-10-Defekt, Typ IIb: Caspase-8Defekt), die an der Signalübertragung der FAS-induzierten Apoptose beteiligt sind (Wang et al. 1999; Chun et al. 2002). 5 Dem Typ-III-ALPS werden alle heterogenen klinischen Erscheinungsbilder ohne klare molekulare Mutation zugeordnet (Dianzani 1997). Therapeutisch kommen je nach Typ Kombinationen von Immunsuppressiva, aber auch die Stammzelltransplantation in Frage (Benkerrou et al. 1997).
12.3.5 Defekte der Granulozyten und
Makrophagen Störungen auf Ebene der hämatopoetischen Stammzellen können entweder die Ausreifung im Knochenmark mit der Folge der kongenitalen Granulozyzopenie betreffen oder die Funktionfähigkeit der Neutrophilen beeinträchtigen: kongenitale Phagozytenfunktionsdefekte mit Einschränkung der Adhärenz und Motilität (Chemotaxis), Phagozytose, Mikrobenabtötung. Klinisch kennzeichnend für alle Erkrankungen ist die bereits im frühen Säuglingsalter beginnende Neigung zu rezidivierenden bakteriellen Infektionen mit eiterbildenden Bakterien (Staphylococcus aureus, andere grampositive und gramnegative Erreger, Pilze, insbesondere Aspergillus). Virale Infektionen werden ohne zusätzliche Komplikationen abgewehrt. Klinisch werden Ulzera und Nekrosen (Neutropenien) sowie Organabszesse (Störung der Mikrobenabtötung) beobachtet. Betroffen sind neben Haut- und Schleimhäuten (Dermatitis, Gingivitis, Stomatitis) insbesondere Lymphknoten, Leber, Knochen, Mittelohr und Lunge. Die Infektionen heilen überwiegend unter heftiger Narbenbildung ab. Bei vielen Leukozytendefekten sind die zugrunde liegenden Gendefekte inzwischen ebenfalls aufgeklärt. > Die jeweilige Therapie hängt von der klinischen Prognose ab und reicht von einer konsequenten antimikrobiellen und fungiziden Infektionsprophylaxe über die Wachstumsfaktortherapie mit granulozytenkoloniestimulierendem Faktor (G-CSF) bis hin zur hämatopoetischen Stammzelltransplantation.
Schwere kongenitale Neutropenie (KostmannSyndrom) Es besteht ein Ausreifungsstopp der Myelopoese auf Promyelozytenebene, was in der Knochenmarkuntersuchung
12.3 · Immundefekterkrankungen
zur Abklärung einer permanenten Neutropenie mit Zellzahlen zwischen 0 und 200 Granulozyten/µl sichtbar wird. Die Vererbung ist autosomal-rezessiv, bei ca. 2 Dritteln der Fälle bestehen heterozygote Mutationen im Elastase-2-Gen (Ancliff et al. 2001). Das Ansprechen auf physiologische Dosen an G-CSF ist eingeschränkt; der Faktor selbst wird in ausreichender Menge und Funktion in den Patienten gebildet, jedoch lediglich in pharmakologisch hohen Dosen die Granulozytenausreifung propagiert. Ohne Therapie versterben alle Patienten an schweren bakteriellen Infektionen. > Seit 1988 wird die überwiegende Mehrzahl der Patienten erfolgreich mit G-CSF in Dosierungen zwischen 5–60 µg/ kg KG pro Tag subkutan behandelt (Welte et al. 1997).
Bei Patienten, die nicht auf die Wachstumsfaktortherapie ansprechen, hilft einzig die hämatopoetische Stammzelltransplantation. Zur Abschätzung des individuellen Leukämierisikos, das bei Patienten mit kongenitaler Neutropenie aufgrund der genetischen Bereitschaft zu maligner Transformation signifikant gesteigert ist, sollte in jährlichen Abständen eine Knochenmarkzytogenetik (Screening auf Monosomie 7 oder andere Transformationen) durchgeführt werden. Ob durch die Zytokintherapie ein Selektionsvorteil für maligne Klone unterstützt wird, bleibt unklar.
Zyklische Neutropenie Bei der zyklischen Neutropenie oszillieren die Neutrophilenzahlen in regelmäßig periodischen Intervallen von 18–22 Tagen. Dabei kommt es zu erniedrigten Neutrophilenzahlen <500/µl über 4–8 Tage, gefolgt von Normalwerten für 2 Wochen. Die zyklischen Schwankungen können auch Retikulozyten und Thrombozyten betreffen. Die Vererbung ist autosomal-dominant, der Gendefekt leigt ebenfalls im Elastase-2-Gen (Horwitz et al. 1999). Der Verdacht auf eine zyklische Neutropenie ist bei periodischen Fieberschüben begleitet von bakteriellen Infektionen unterschiedlichen Schweregrades (Stomatitis, Lymphadenitis, Mastoiditis, Pneumonie) gegeben. Bei milderer Symptomatik können progrediente Zahnprobleme bis hin zum vollständigen Verlust bleibender Zähne führendes Leitsymptom einer zyklischen Neutropenie sein. > Die Therapie der Wahl besteht wie bei kongenitaler schwerer Neutropenie in der regelmäßigen Verabreichung von G-CSF in deutlich niedrigeren Dosierungen von 1–5 µg/kg KG pro Tag. Nach bisherigen Beobachtungen bestehen keine unerwünschten Nebenwirkungen.
Primäre Autoimmunneutropenie Im peripheren Blutbild fällt eine schwere Neutropenie mit Werten unter 500/µl auf, wenngleich die Infektanfällig-
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keit vergleichweise mild ausfällt und Infektionskomplikationen in der Regel fehlen. Die Neutropenie ist durch serologisch nachweisbare Granulozytenautoantikörper bedingt und tritt insbesondere zwischen dem 1.und 2. Lebensjahr mit selbstlimitierendem Verlauf bis zum 4. Lebensjahr bei mehr als 90% und guter Prognose auf. Die frei zirkulierenden IgG-Antikörper sind zumeist gegen Neutrophilenantigene 1 und 2 (NA1, NA2) gerichtet und stehen möglicherweise in Zusammenhang mit vorausgegangenen Virusinfektionen (Dale 1998). Die Granulopoese im Knochenmark erfolgt ohne Beeinträchtigung, was die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu kongenitalen Neutropenien durch Nachweis aller Granulozytenreifungsstufen in der Knochenmarkunteruntersuchung ermöglicht. > Therapeutisch kommen situativ Antibiotika, bei häufig rezidivierenden bakteriellen Infektionen auch eine Trimethoprim-Sulfamethoxazol-Dauerinfektionsprophylaxe zum Einsatz. In Ausnahmefällen wurde über den wirksamen Einsatz hochdosierter Immunglobuline, von Steroiden sowie von G-CSF berichtet.
Weitere mit Neutropenien gekoppelte Krankheitsbilder 5 X-chromosomale Neutropenie (WASP-Gendefekt, autosomal-dominant) 5 Shwachmann-Diamond Syndrom (SBDS-Mutation, autosomal-rezessiv) 5 Typ-Ib-Glykogenose mit Neutropenie (autosomalrezessiv) Die hier genannten, durch Gendefekte verursachten syndromalen Krankheitsbilder sind ebenfalls mit signifikanten Neutropenien gekoppelt. Dementsprechend sind diese Erkrankungen durch typische bakterielle Infektionen kompliziert. Zur immunologischen Stabilisierung ist neben der erkrankungsspezifischen Therapie die Zytokintherapie mit G-CSF indiziert (Dale 1998; Dror et al. 2002).
Leukozytenadhäsionsdefekte (LAD1, LAD2, LAD3) Alle drei Leukozytenadhäsionsdefekte weisen klinisch ulzerierende Infektionen mit Leukozytose auf, was auf den Funktionsverlust der Neutrophilen hinweist. Während bei LAD1 und LAD3 der verzögerte Nabelschnurrestabfall verbunden mit Omphalitis bereits postnatal als wichtiges klinisches Symptom erkennbar wird und im weiteren Verlauf aufgrund der Funktionsdefizienz von T- und NKZellen schwere nekrotisierende Entzündungen mit Gedeihstörung auftreten, manifestiert sich LAD2 infektiologisch mit eher milden baktereriellen und Pilzinfektionen, dafür tritt ein psychomotorischer Entwicklungsrückstand mit Mikrozephalie und Krampfanfällen auf (Bunting et al.
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
2002). Charakteristisch ist die Unmöglichkeit, eine Blutgruppe festzustellen (»Bombay-Blutgruppe hh«). Alle drei Erkrankungen werden autosomal-rezessiv vererbt, die molekularen Ursachen sind bekannt: 5 LAD1: β-Kette (CD18) von LFA-1, Mac 1, p150,95; 5 LAD2: GDP-Fukose-Transporter; 5 LAD3: gestörte Rap1-Aktivierung der Integrine. Diagnostisch weisen Fehl- oder Minderexpression von CD18, LFA1, CR3, CR4 (LAD1), CD15s (LAD2), gestörte Chemotaxis, Rollen, Adhäsion in den Granulozytenfunktionsuntersuchungen auf die Defekte hin. Therapeutische Erfolge werden einzig durch die hämatologische Stammzelltransplantation (LAD1, LAD3) erzielt, aufgrund der ZNS-Manifestation bei LAD2 ist die Therapie hier symptomatisch.
Weitere Defekte der Motilität und Chemotaxis Durch die Fortschritte in der molekularen Diagnostik sind inzwischen eine Vielzahl von Gendefekten mit der Folge von Granulozytenfunktionsstörungen aufgeklärt worden. Die klinischen Symptome ähneln in unterschiedlicher Ausprägung denjenigen bei LAD. Zur Differenzierung der jeweiligen Granulozytenfunktionsstörungen sind Speziallaboratorien nötig. Beim Rac-2-Defekt führt der Rac-2-GTPase-Defekt (autosomal-dominant) aufgrund einer Störung aktinabhängiger Neutrophilenfunktionen zu einer LAD1-ähnlichen Symptomatik mit der einzig kurativen Therapieoption der Stammzelltransplantation. Ein ähnliches Krankheitsbild mit mentaler Retardierung liegt beim βAktin-Defekt vor (Mutation von ACTB, kodiert zytoplasmatisches Aktin, Vererbung autosomal-dominant). Der autosomal-rezessiv vererbte Formylpeptidrezeptordefekt ist klinisch von der juvenilen Parodontitis begleitet. Beim spezifischen Granulamangel (Störung im CTSC-Gen: Störung der Kathepsinaktvierung von Serinproteasen, damit fehlendes intrazelluläres Reservoir von Rezeptoren für chemotaktische Faktoren sowie von Adhäsionsproteinen wie β-Integrinen) kommt es zu Gewebeneutropenie (nicht Blutneutropenie) und nekrotisierenden Haut- und Schleimhautulzera, die von rezidivierenden Pneumonien begleitet werden. Die Neutrophilen weisen pathologisch gelappte Kerne auf; elektronenmikroskopisch sind spezifische Granula stark reduziert; die Chemotaxis fällt pathologisch aus (Seger 2005).
Septische Granulomatose (CGD) Etwa 2 Drittel der CGD-Patienten sind männlich und haben den Gendefekt (gp91-Phagozytenoxidase, phox) über ihre in der Regel klinisch gesunden Mütter (10% intrazelluläre »killing« sind ausreichend) X-chromosomal ererbt. Einige der betroffenen Patienten weisen assoziierte Gendefekte (Ornithintranscarboxylasemangel, Retinitis pigmentosa, Duchenne-Muskeldystrophie sowie Kell-
Erythrozyten-Antigenmangel mit konsekutivem McLeod-Syndrom (hämolytische Anämie, Akanthozytose) auf. Das letzte Drittel verteilt sich auf die autosomal-rezessiv vererbten Mutationen (p22-phox, p47-phox, p67-phox). Während die Phagozytosefähigkeit der Neutrophilen nicht eingeschränkt ist, führt der Gendefekt zu einer fehlenden Funktion der NADPH-Oxidase, woraus ein Superoxidanionmangel resultiert. In der Folge werden die Serinproteasen Kathepsin G und Elastase nicht aus den azurophilen Granula freigesetzt, und es resultiert die Störung der mikrobiellen Abtötung. Zusammen mit einer überschießenden Entzündungsreaktion kommt es zur granulomatösen Entzündung mit narbiger Abheilung (Kamani et al. 2000). Klinik. Es kommt bereits im frühen Säuglingsalter zu rezidivierenden, eitrig abszedierenden granulomatösen Bakterien- und Pilzinfektionen von Haut, Schleimhäuten, Lungen, Lymphknoten, Milz und Leber. Die Wundheilung ist durch Fistelbildung kompliziert. Sekundär kann eine Dystrophie resultieren. Haupterreger sind Staphylokokken, Enterobakterien und Aspergillen, seltener Aktinomyzeten, Nocardien, Pseudomonas, atypische Mykobakterien. Diagnose. Bei Verdacht sollten die Granulozyten auf ihre Fähigkeit zur Sauerstoffradikalbildung untersucht werden. Im Dihydroxyrhodamintest können die Granulozytenpopulationen auch bei Konduktorinnen differenziert und somit eine Untersuchung der Familie angeboten werden. Eine Differenzierung in die 4 genetischen Unterformen ist molekulargenetisch möglich. Therapie. Nach Diagnosestellung ist die wichtigste Maßnahme die Vorbeugung weiterer, möglicherweise lebensbedrohlicher Infektionen (cave multilokuläre Leber-/ Milzabszesse, Aspergílluspneumonie). > Die konsequente Infektionsprophylaxe wird mit einer Kombination aus dem zellgängigen Trimethoprim-Sulfamethoxazol und dem lipophilen Antimykotikum Itraconazol durchgeführt und ist präventiv wirksam (Gallin et al. 2003).
Die kontrovers beurteilte Interferon-γ-Therapie ist bei Versagen der antimikrobiellen Infektionsprohylaxe indiziert, wohl aber nicht gegenüber Aspergillus wirksam (International CGD Cooperative Study Group 1991). Akute Infektionen mit Organabszessen werden kombiniert durch Drainage, Antibiotika und Antimykotika über mehrere Wochen bis Monate intravenös behandelt (Goldblatt 2002). In Einzelfällen hat sich der Einsatz von Granulozytentransfusionen bei schweren Organkomplikationen bewährt. Für Hochrisikopatienten besteht die Option der Stammzeltransplantation mit gutem Erfolg, da bereits 10%
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Literatur
neutrophiler Funktionalität durch Spenderzellen die Abtötungsfunktion kompetent vermitteln (Seger et al. 2002). Seit einigen Jahren wird der Einsatz der Gentherapie in Studien geprüft; die Resultate sind ermutigend. Die Letalität bei CGD liegt weiterhin zwischen 2 und 5% der Patienten pro Jahr.
12.3.6 Defekte der natürlichen Immunität Als Ursache der anhidrotischen ektodermalen Dysplasie mit den klinischen Symptomen eines Immundefekts (rezidivierende Sepsitiden durch Pneumokokken, Staphylokokken, Mykobakterien) wurden jüngst verschiedene Mutationen im NEMO-Gen (INBKG/INBα, X-chromosomal/ autosomal-dominant vererbt) beschrieben, das in der Signaltransduktionskaskade der Zytokin- und Toll-like-Rezeptor-Familie (insbesondere TNFα, IL15/1IL17, IL1/IL18/ TLR) zur Aktivierung des Transkriptionsfaktors NFNB führt. Bei fehlender Aktivierung entsteht ein Mangel an inflammatorischen Zytokinen, sodass auch schwere Infektionen ohne adäquate entzündliche Reaktion (Fieber, IL16-Produktion) ablaufen (Dolfinger 2001; Courtois 2003). Defekte der IL1-Rezeptor-assoziierten Kinase 4 (IRAK4) führen zu einer defizienten Signalverarbeitung nach Sti-
mulation von Toll-like-Rezeptoren (TLR) auf Zellen des unspezifischen Immunsystems, die die Frühphase der antimikrobiellen Immunantwort über die Stimulation der IL1-Rezeptor-assoziierten Kinase einleiten. Bei Versagen sind die betroffenen Patienten extrem anfällig für bekapselte grampositive Erreger; auch hier führt der Defekt zu einer mangelnden NFκB-Aktivierung und unzureichender Zytokinproduktion (IL6, TNFα) (Picard 2003). Das WHIM-Syndrom (Warzen, Hypogammaglobulinämie, Infektionen, Myelokathexis) weist als erstes Immundefektssyndrom als Ursache einen Defekt im Chemokinrezeptor (CXCR4) auf (Hernandez 2003). Klinisch bedeutsam ist die chronische Neutropenie trotz granulozytär hyperplastischem Knochenmark- Neutrophile werden im Knochenmark retiniert- sowie die Hypogammaglobulinämie mit der erhaltenen Fähigkeit, spezifische Antikörper zu bilden. Therapeutisch werden G-CSF und eine Immunglobulinsubstitution erfolgreich eingesetzt. Defekte des mannosebindenden Proteins (MBP) und der MBP-assoziierten Protease 2 (MASP2) führen eben-
falls zu einer gesteigerten Infektionsanfälligkeit. Das Opsonin MBP bindet wie der Komplementfaktor C1q an den C1q-Rezeptor und vermittelt die Lektinaktivierung des Komplementsystems für Abwehrvorgänge. Bei einer Mutation der vorgeschalteten mannosebindenden assoziierten Serinprotease ist die Komplementaktivierung ebenfalls gestört. (Stendgard-Peterson et al. 2003).
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12.3.7 Angeborene Komplementdefekte Das Komplementsystem bildet mit seinen mehr als 30 Proteinkomponenten, Inhibitoren, Regulatoren und Membranproteinen ein Netzwerk mit Effektorfunktionen der unspezifischen und der antikörpervermittelten spezifischen Immunität sowie Regulationsvorgängen bei Entzündungsprozessen. Dementsprechend können Defekte im Bereich der Einzelkomponenten zum Funktionsverlust bei der Lyse von Bakterien und Viren, mangelhafter Opsonisierung von Fremdpartikeln sowie Autoimmunphänomenen führen. Die klinischen Symptome lassen sich in 3 Komplexe zusammenfassen: 5 Neigung zu bakteriellen Infektionen, 5 Autoimmunerkrankungen, 5 Angioödem. Unter den rezidivierenden bakteriellen Infektionen stehen generalisierte Infektionen mit Meningokokken im Vordergrund (Mangel an lytischen Komponenten bei C3-, C5-C9-Defekten (Wurzner et al. 1992)). SLE-ähnliche Krankheitsbilder mit Vaskulitis können bevorzugt in Assoziation zu Defekten von C1, C1q, C2 und C4 auftreten, während Mangelzustände an membranständigen, komplementbindenden Proteinen zu Immundefekten (»leukocyte adhesion deficiency« bei CD11/CD18-Defizienz) und Mangel an Regulatorproteinen zu differenten entzündlichen Erkrankungen prädisponieren (chronische Urtikaria, hämolytisch-urämisches Syndrom). Eine besondere klinische Bedeutung weist der Mangel an C1-Inhibitor auf. Es tritt das hereditäre Angioödem auf, das charakteristischerweise mit rezidivierenden Schwellungen von Haut, Schleimhaut und inneren Organen ohne Juckreiz und Rötung auftritt und als steroidresistent gilt. Lebensbedrohlich kann sich ein Glottisödem entwickeln, das intensivmedizinische Maßnahmen und die Infusion eines C1-Inhibitor-Konzentrats erfordert (Agostoni 2004).
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
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1
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
12.4
2
Stoffwechselerkrankungen, Skelettdysplasien und Bindegewebserkrankungen
Vitamin-D-resistente Rachitis
F. Zepp
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Muskuloskelettale Auffälligkeiten und/oder Beschwerden sind nicht selten Begleitsymptome nichtrheumatischer Systemerkrankungen. Die Symptome können dabei lediglich Teilaspekt eines komplexen Krankheitsbildes sein oder aber die führende Symptomatik der Grunderkrankung repräsentieren. Im folgenden Kapitel sind Stoffwechselerkrankungen, Skelettdysplasien und Bindegewebserkrankungen, die mit Beschwerden am Bewegungsapparat einhergehen, zusammenfassend dargestellt.
12.4.1 Störungen des
Hypophosphatasie Störungen des Kalziumphosphatstoffwechsels führen zu einer fehlerhaften Ossifikation der knöchernen Matrix. Neben den charakteristischen Symptomen der Rachitis klagen die betroffenen Kinder häufig über Gelenkbeschwerden und berührungsempfindliche (Röhren-)Knochen. Bei der typischen Rachitis handelt es sich um einen Vitamin-D-Mangel, entweder infolge ungenügender nutritiver Zufuhr oder im Zusammenhang mit unzureichender Exposition gegenüber Sonnenlicht. Eine verminderte intestinale Resorption von Vitamin D oder Kalzium kann sekundär durch chronische Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts bedingt sein. Differenzialdiagnostisch sind daher auch Zöliakie, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Sklerodermie und chronische Lebererkrankungen auszuschließen.
Phosphatdiabetes (hypophosphatämische Vitamin-D-resistente Rachitis)
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Klinisch manifestiert sich die Erkrankung mit Kleinwuchs und Verbiegung der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. Seltener treten überschießende ektopische Kalzifikationen besonders an Hand- und Kniegelenken auf, die mit Bewegungseinschränkungen einhergehen können. Gelegentlich entwickeln die Patienten schmerzhafte subperiostale Erosionen an den kleinen Fingergelenken, die nicht selten initial als juvenile idiopathische Arthritis fehldiagnostiziert werden. Für die muskuloskelettalen Beschwerden sind vor allem die Fehlbelastungen infolge der oft erheblichen Verbiegungen der langen Röhrenknochen verantwortlich. Die Erkrankung wird in der Mehrzahl X-chromosomal (primär dominant, XLHR, seltener rezessiv) oder autosomal-dominant (ADHR) vererbt, auch sporadisches Auftreten ist beschrieben. Es liegt eine verminderte Phosphatreabsorption im proximalen Tubulussystem der Nie-
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Die Vitamin D-resistente Rachitis vom Typ I wird autosomal-rezessiv vererbt. Der Defekt der renalen 1-α-Hydroxylase bedingt eine verminderte Hydroxylierung von 25Hydroxycholecalciferol zu 1,25-Dihydroxycholecaliferol. Typische rachitische Beschwerden des Bewegungsapparates manifestieren sich meist vor dem 2. Lebensjahr. Bei der seltenen Vitamin-D-resistenten Rachitis vom Typ II handelt es sich um einen Defekt des Vitamin-DRezeptors. Die Symptome manifestieren sich schon im ersten Lebensjahr. Ein weiteres charakteristisches Symptom ist das Auftreten einer Alopezie. Beide Krankheitsbilder können durch hohe Dosen von Vitamin D therapeutisch positiv beeinflusst werden.
Kalziumphosphatstoffwechsels
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18
ren und eine verminderte Kalzitriolsynthese vor. Laborchemisch sind erniedrigte Serumphosphatkonzentrationen bei normalen Kalziumspiegeln charakteristisch.
Die Hypophosphatasie ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die infolge einer Mutation des die alkalische Phosphatase kodierenden Gens (1p32.1-34) mit stark erniedrigten Enzymkonzentrationen im Serum einhergeht. Schon früh manifestiert sich die Krankheit mit dem Bild einer schweren Rachitis und dem Auftreten rezidivierender Frakturen. Differenzialdiagnostisch ist die Hypophosphatasie von der Osteogenesis imperfecta abzugrenzen. Weitere Symptome sind Chondrokalzinose, Pseudogicht und vorzeitiger Zahnausfall. Eine wirksame Therapie existiert nicht.
12.4.2 Kristallarthropathien Kristallarthropathien sind im Kindesalter sehr selten und werden leicht als juvenile idiopathische Arthritis fehldiagnostiziert.
Hyperurikämie mit Harnsäurearthropathie (Gicht) Definition. Der Begriff Gicht umfasst eine Gruppe von
Krankheiten, die durch eine Hyperurikämie und konsekutive Ablagerung von Harnsäurekristallen in Geweben charakterisiert sind. Hauptsymptome sind die akut auftretende Monarthritis, meist am ersten Metatarsophalangeal-Gelenk, subkutane Urateinlagerungen (Tophi) und die Entwicklung einer Nephrolithiasis mit dem Risiko des terminalen Nierenversagens. Häufigkeit. Die idiopathische Gicht, bei der kein eindeu-
tiger Enzymdefekt als Ursache der Hyperurikämie nachgewiesen werden kann, ist im Kindesalter eine extrem seltene Erkrankung. Bei anderen Formen der Gicht (s. unter »Ätiologie und Pathogenese«) ist das Auftreten einer
12.4 · Stoffwechselerkrankungen, Skelettdysplasien und Bindegewebserkrankungen
symptomatischen Gicht grundsätzlich auch im Kindesalter möglich. Insgesamt sind Arthropathien jedoch in dieser Altersgruppe eine Rarität. Ätiologie und Pathogenese. Ursachen für eine Hyperu-
rikämie und die daraus resultierenden Ablagerungen von Harnkristallen sind entweder eine erhöhte Produktion oder die verminderte renale Ausscheidung von Harnsäure bzw. eine Kombination beider Störungen. Bei Überschreiten der Löslichkeitsgrenze für Harnsäure kommt es in der Gewebeflüssigkeit zur Ablagerung der Harnsäurekristalle. Dies tritt bei tieferen Temperaturen früher ein und erklärt damit auch die bevorzuge Lokalisation der Arthropathie an den Gelenken der distalen Extremitäten. Abgelagerte Uratkristalle induzieren eine lokale inflammatorische Reaktion, die sich am Gelenk als Arthritis manifestiert. Durch Phagozytose von Uratkristallen aktivierte neutrophile Granulozyten sind wesentlich für die chronische Gelenkschädigung verantwortlich. Der Nachweis von Uratkristallen in Granulozyten der Synovialflüssigkeit kann diagnostisch genutzt werden. Ursachen von Hyperurikämie und Gicht A: Erhöhte Harnsäureproduktion Primär: 5 Harnstoffwechseldefekt (Hypoxanthin-GuaninPhosphoribosyl-Transferase-Mangel) 5 Lesch-Nyhan Syndrom (vollständiger HPRT-Defekt) 5 Becker-Syndrom (Phosphoribosyl-PyrophosphatSynthetase-Hyperaktivität) Sekundär: 5 Typ-Ia-Glykogenose (M. Gierke; Glu-6-Phosphatdehydrogenase-Defizienz) 5 Typ-Ib-Glykogenose (Glu-6-Phosphattranslokase-Defizienz) 5 Typ-Ic-Glykogenose (Glu-6-Phosphatedehydrogenase-Defizienz) 5 Myeloproliferative Erkrankungen 5 Lymphoproliferative Erkrankungen 5 M. Gaucher 5 Hämolytische Erkrankungen 5 Polycythaemia vera 5 Psoriasis 5 Adipositas 5 Exzessive purin- und eiweißreiche Ernährung B: Verminderte Harnsäure-Ausscheidung 5 Niereninsuffizienz (reduzierte GFR) 5 Polyzystische Nieren 5 Blei-Nephropathie 5 Analgetika-Nephropathie 5 Hypothyreose 5 Hyperparathyreoidismus 6
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
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12
Diabetische Ketoazidose Laktatazidose Prolongierte Hungerphasen Dehydratation Amyloidose Sarkoidose Trisomie 21 Diabetes insipidus Bartter-Syndrom Medikamenteninduziert (Low-dose-Salizylate, Diuretika, Pyrazinamid, Ethambutol, Levodopa)
Klinische Symptome. Der akute Gichtanfall geht mit Fie-
ber, Schmerzen und pathologisch veränderten laborchemischen Inflammationsparametern (Leukozytose, CRP, BSG) einher. Primär manifestiert sich die Krankheit in der Regel mit einer Monarthritis, bevorzugt an den Grundgelenken der großen Zehen (Podagra) sowie an Knie-, Ellbogengelenken und den Gelenken der Hand. Die betroffenen Gelenke zeigen die typischen Symptome einer entzündlichen Arthritis mit Rötung, Schwellung, Überwärmung, Schmerz und Bewegungseinschränkungen. Im Kindesalter sind Erstmanifestationen der Hyperurikämie am Harntrakt (Nephrolithiasis und Koliken) eher selten. Diagnose. Im akuten Gichtanfall werden laborchemisch unspezifische inflammationsassoziierte Parameter wie Leukozytose, BSG oder CRP positiv nachgewiesen. Die Harnsäurekonzentration im Serum ist deutlich erhöht. Der zulässige obere Harnsäuregrenzwert im Serum steigt im Verlauf der Pubertät von 3,5 mg/dl auf 7 mg/dl beim adulten Mann bzw. 6 mg/dl bei der Frau. Die endgültige Diagnosestellung erfolgt durch den Nachweis von Harnsäurekristallen in der Synovialflüssigkeit von betroffenen Gelenken. Therapie. Das Ziel der Gichttherapie ist die dauerhafte Reduktion der Harnsäurekonzentration durch Reduktion der Synthese (Hemmung der Synthese und Reduktion der Aufnahme von Purinen) sowie über Steigerung der Ausscheidung. Allopurinol hemmt die Xanthin- und Hypoxanthinoxidase (-dehydrogenase) und blockiert dadurch die Synthese von Harnsäure. Die Substanzen Xanthinund Hypoxanthin können renal problemlos ausgeschieden werden. Diätetisch wird eine purinarme Kost (bevorzugt vegetarisch) empfohlen. Durch Erhöhung der täglichen Trinkmenge kann ebenfalls eine verbesserte Harnsäureausscheidung erreicht werden. Die Alkalisierung des Harns u. a. durch vegetarische Kost und orale Gabe von Bikarbonat (pH-Ziel 6,8 mit 2–6 g/Tag) vermindert die Bildung von Harnsäurekristallen. Im akuten Anfall werden Antiphlogistika zur Kontrolle der arthritischen Beschwerden eingesetzt.
478
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Prognose. Abhängig von der zur Gicht führenden Grunderkrankung ist die Prognose günstig, wenn durch die vorangehend beschriebenen Maßnahmen eine Reduktion der Harnsäurekonzentration erreicht werden kann.
Therapie. Die Therapie der Hyperurikämie entspricht der
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Lesch-Nyhan-Syndrom
4
sehr seltenen (Frequenz >1:100000) X-chromosomal vererbten Defekt der Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HPRT: Xq26-q27). Das Enzym katalysiert die Synthese von Hypoxanthin zu Inosinmonophosphat und von Guanin zu Guanosylmonophosphat. Infolge des Enzymmangels kommt es zur überschießenden Produktion von Hypoxanthin und Harnsäure. Neben der Entwicklung von Arthropathien führt beim Lesch-Nyhan Syndrom klinisch die Entwicklung schwerster neurologischer und psychischer Symptome.
Prognose. Durch die Kontrolle der Hyperurikämie können Nephrolithiasis und Arthritiden vermieden werden. Die schweren neurologischen und psychischen Symptome bleiben davon jedoch unbeeinflusst, sodass die Gesamtprognose ausgesprochen schlecht ist.
1 2
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Definition. Das Lesch-Nyhan Syndrom beruht auf einem
bei Gicht (s. oben). Die neurologischen Symptome, insbesondere die autoaggressive Komponente, sind therapieresistent.
Chondrokalzinosen Definition. Unter Chondrokalzinosen werden Erkrankungen zusammengefasst, die mit der Einlagerung von Kalziumpyrophosphatkristallen (Ca2P2O7x2H2O) in die gelenkbildenden Strukturen und die Synovialflüssigkeit und konsekutiver Entwicklung arthritischer Beschwerden einhergehen.
Ätiologie. Infolge des HPRT-Mangels treten bei den Pa-
tienten exzessive Harnsäurekonzentrationen auf. Die typischen Symptome der Gicht entwickeln sich allerdings oft erst im Adoleszentenalter. Die Ätiologie der schweren neurologischen Auffälligkeiten ist nicht geklärt. Auch hat die Therapie der Hyperurikämie durch Allopurinol keinen Einfluss auf die Entwicklung und den Verlauf der neurologischen Symptome. Der Schweregrad der Erkrankung hängt wesentlich vom Ausmaß des Enzymdefektes ab, bisher sind über 60 Mutationen beschrieben. Klinische Symptome. Heterozygote Anlageträgerinnen sind klinisch unauffällig. Obwohl bei betroffenen Knaben eine Hyperurikämie und -urie schon im Säuglingsalter nachweisbar ist, tritt die Gichtarthritis meist erst in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter auf, bevorzugt an Knie- und Ellbogengelenken. Schon im ersten Lebenshalbjahr manifestieren sich hingegen neurologische Symptome mit progredienter Choreoathetose, Opisthotonus, Spastik und schwerer psychomentaler Retardierung. Im weiteren Verlauf treten psychische Auffälligkeiten mit Aggressivität, Autoaggressivität und schweren Selbstmutilationen hinzu. Im Zusammenhang mit der exzessiven Hyperurikämie steht das zusätzliche Auftreten einer Nephrolithiasis. Diagnose. Die Diagnose des Lesch-Nyhan-Syndroms er-
folgt auf Basis des Nachweises der ausgeprägten Hyperurikämie und -urie (Harnsäureausscheidung >40 mg/ kg KG/Tag) und der charakteristischen neurologischen Symptome. Der Enzymdefekt wird in Lymphozyten oder kultivierten Fibroblasten bestätigt. Genetische Untersuchungen sind möglich. Viele Patienten entwickeln im Verlauf eine megaloblastäre Anämie, die therapeutisch nicht durch Folsäuresubstitution beeinflusst werden kann.
Häufigkeit. Chondrokalzinosearthropathien sind primä-
re Erkrankungen des Erwachsenenalters und kommen im Kindesalter nur sehr selten vor. Klassifikation und Ätiologie. Die Chondrokalzinosen können nach ihren Ursachen in primäre (Pseudogicht) und sekundäre Formen unterteilt werden. Bei den primären Formen handelt es sich um autosomal-dominant vererbte Speichererkrankungen. 5 Typ 1 (»early onset form«) manifestiert sich schon im Kindesalter und kodiert auf Chromosom 8q. 5 Dem Typ 2 (»late onset form«) liegt möglicherweise ein Defekt der auf Chromosom 5q15 kodierten synovialen Pyrophosphohydrolase zugrunde.
Zu den Krankheiten mit sekundärer Speicherung von Kalziumpyrophosphat zählen die Hämochromatose, die Hämosiderose, der Hyperparathyreoidismus, die Hypothyreose, die Hypomagnesiämie, die Hypophosphatasie und der Morbus Wilson. Pathogenese und Pathologie. Ähnlich wie bei der Gicht
führt die Einlagerung der Kristalle zu einer lokalen Inflammationsreaktion. Die Persistenz der klinischen Symptome ist in der Regel länger als bei der Gicht, da die Kalziumpyrophosphatkristalle im Unterschied zu Harnsäurekristallen nicht mehr abgebaut werden können. Klinische Symptome. Die Krankheit kann sich an allen Gelenken, bevorzugt jedoch an den großen Gelenken der Extremitäten manifestieren. Klinisch imponieren akut auftretende arthritische Beschwerden, die häufig über Monate persistieren. Im Verlauf entwickelt sich eine chronisch degenerative Destruktion der betroffenen Gelenke.
12.4 · Stoffwechselerkrankungen, Skelettdysplasien und Bindegewebserkrankungen
Diagnose. Im akuten Schub sind unspezifische inflammationsassoziierte Laborparameter pathologisch erhöht. Kalziumpyrophosphat kann jedoch nicht in Serum oder Urin nachgewiesen werden. Die Diagnose gelingt mittels Nachweis der Kristalle aus der Synovialflüssigkeit im Polarisationsmikroskop. Therapie. Neben der Therapie der Grunderkrankung bei
den sekundären Formen, besteht lediglich die Möglichkeit die lokale Inflammationsreaktion durch den Einsatz von Antiphlogistika zu kontrollieren. Die Prognose der Chondrokalzinosen ist letztendlich von der Grunderkrankung abhängig.
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12
lesterin bzw. Chylomikronen erhöht im Serum nachgewiesen. Therapie. In Abhängigkeit von der vorliegenden Form
der Erkrankungen werden neben diätetischen Maßnahmen Fett- bzw. Cholesterinsenker eingesetzt. Die akute schmerzhafte Arthritis kann durch Antiphlogistika gelindert werden. Prognose. Infolge der Gefäßkomplikationen ist die Le-
benserwartung der betroffenen Patienten eingeschränkt, insbesondere bei Vorliegen der homozygoten Form.
12.4.4 Mukopolysaccharidosen 12.4.3 Hyperlipoproteinämie (Typ IIa und
IV) und Hypercholesterinämie Definition. Es handelt sich um autosomal vererbte Störungen des Fettstoffwechsels, die mit einer starken Vermehrung von Triglyceriden und Cholesterin im Serum einhergehen. Klassifikation. Die Hyperlipidämien werden nach Frede-
rickson in die Gruppen I–V eingeteilt. Typ I betrifft Chylomikronen, Typ IIa LDL, Typ IIb LDL und VLDL, Typ III VLDL und Chylomikronen, Typ IV VLDL und Typ V VLDL und Chylomikronen. Für die Beurteilung von assoziierten Symptomen des Bewegungsapparats sind besonders Typ IIa mit exzessiven Cholesterinerhöhungen und Typ IV mit Erhöhung der Triglyceride im Serum interessant. Ätiologie und Pathogenese. Es handelt sich um autoso-
mal vererbte Störungen des Lipidstoffwechsels, die im Wesentlichen auf Rezeptorstörungen, insbesondere für LDL, zurückzuführen sind. Infolge der Cholesterin- oder/und Trigylceriderhöhung im Serum kommt es sekundär zu Speicherphänomenen, die sich in der Haut als Xanthome und Atherome manifestieren. Einlagerungen in Sehnen und Gelenken führen ebenfalls zu Xanthomen und lösen Arthralgien aus. Die Speicherung in der Gefäßwand begünstigt die Entwicklung einer Artherosklerose. Klinische Symptome. Neben den Atheromen und Arthralgien ist für den Krankheitsverlauf vor allem die Entwicklung schwerer artherosklerotischer Gefäßveränderungen entscheidend. Akute Anfälle schmerzhafter Arthritiden betreffen die kleinen Gelenke an Füßen und Händen und gehen häufig mit deutlichen Erhöhungen von Akutphaseparametern (BSG, CRP) einher. Diagnose. Entsprechend der zugrunde liegenden Fettstoffwechselstörung werden Triglyceride und/oder Cho-
Mukopolysaccharidosen (MPS) sind genetisch determinierte Enzymdefekte des Stoffwechsels von Glykosaminoglykanen (saure Mukopolysaccharide). Die Häufigkeit der Mukopolysaccharidosen wird durchschnittlich auf 1:20.000 Geburten geschätzt. Glykosaminoglykane stellen komplexe Kohlenhydrate dar, die im Gewebe mit Proteinen zu großmolekularen Proteoglykanen verbunden werden. Sie werden intrazellulär synthetisiert, größtenteils in den Extrazellularraum ausgeschieden und in Lysosomen wieder abgebaut. Bei Defekten der lysosomalen Enzyme häufen sich abhängig vom spezifischen Enzymdefekt unterschiedliche Abbauprodukte in den Lysosomen verschiedener Gewebe an (. Tab. 12.8). Je nach dem betroffenen Gewebetyp kommt es zu komplexen systemischen Entwicklungsstörungen (Skelettdysplasien, Dysostosis multiplex, Kleinwuchs, mentale Retardierung) oder lokalen Organfunktionsstörungen (Kardiomyopathie durch Herzmuskeleinlagerung, Hornhauttrübung, Hepatosplenomegalie). Die Diagnose erfolgt durch Nachweis einer erhöhten Mukopolysaccharidausscheidung im Urin (24-h-Sammelurin) und dem spezifischen Nachweis der verminderten Enzymaktivität in Leukozyten oder kultivierten Fibroblasten. Eine molekulare Analyse der verschiedenen Krankheitsformen ist ebenfalls möglich. Insbesondere zwei der lysosomalen Speicherkrankheiten können das klinische Bild einer Arthritis imitieren. Beim Scheie-Syndrom (MPS I-S) handelt es sich um eine leichtere Form des α-Iduronidase-Mangels. Meist erst nach dem Kleinkindesalter fallen die betroffenen Kinder mit einer zunehmenden Steifigkeit bzw. Kontrakturen der Gelenke auf, besonders an Händen, Ellbogen und Knie, ohne Schwellung oder lokale Schmerzhaftigkeit. Radiologisch ergeben sich gelegentlich schwache Hinweise auf eine Dysostosis multiplex. Die Körperlängenentwicklung wie auch die Intelligenz sind normal. Die MPS des Typs IV (Morbus Morquio) manifestiert sich im frühen Kleinkindesalter und ist durch dysproportionierten Kleinwuchs, Herzklappenverdickung, Horn-
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1
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
. Tab. 12.8. Mukopolysaccharidosen (MPS Mukopolysaccharid; DS Dermatansulfat, HS Heparansulfat, KS Keratansulfat) Typ
Name
Vererbung
Mps
Enzymdefekt
Klinik
I-H
Pfaundler-Hurler
Autosomalrezessiv
DS, HS
α-L-Iduronidase
Dysostosis multiplex, Demenz, Hornhauttrübung, Herzversagen, Tod in Adoleszenz
I-S
Scheie (früher Typ V)
Autosomalrezessiv
DS, HS
α-L-Iduronidase
Gelenkkontrakturen und -ergüsse, Hornhauttrübung, normale Intelligenz
II
Hunter
X-rezessiv
DS, HS
Iduronatsulfatsulfatase
Wie I mit leichterem Verlauf
III-A
Sanfilippo-A
Autosomalrezessiv
HS
Heparansulfatsulfatase
Schwerer ZNS-Befund mit progredienter Demenz, Schlafstörung, Krampfanfällen
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III-B
Sanfilippo-B
Autosomalrezessiv
N-Acetyl-α-DGlucosaminidase
Idem
8
III-C
Sanfilippo-C
Autosomalrezessiv
N-Acetyl-Transferase
Idem
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III-D
Sanfilippo-D
Autosomalrezessiv
Idem
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N-Acetyl-Glucosamin-6-Sulfatsulfatase
IV-A
Morquio-A
Autosomalrezessiv
Galaktosamin-6Sulfatsulfatse
Kurzrumpfiger Kleinwuchs, spondyloepiphysäre Dysplasie
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IV-B
Morquio-B
Autosomalrezessiv
β-Galaktosidase
Mildere Ausprägung von IV-A
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VI
Maroteaux-Lamy
Autosomalrezessiv
DS
N-Acetyl-Galaktosamin-α-4-S-Sulfatase
Ähnlich I mit normaler Intelligenz
VII
Sly
Autosomalrezessiv
DS, HS
β-Glucuronidase
Dysostosis multiplex, variable Intelligenz, Hepatosplenomegalie
IX
Hyaluronidasemangel
Hyaluronidase
Multiple periartikuläre Weichteiltumore, Kleinwuchs
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KS
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hauttrübung bei normaler Intelligenz charakterisiert. Die Kinder entwickeln ab dem 3. Lebensjahr Ergüsse in den großen Gelenken (insbesondere Kniegelenk) und/oder eine zunehmende muskuloskelettale Schlaffheit. Im weiteren Verlauf treten Verdickungen und Bewegungseinschränkungen der kleinen Fingergelenke, die Entwicklung von Genua valga und ein watschelndes Gangbild auf. Radiologisch kann eine spondyloepiphysäre Dysplasie und eine Hypoplasie des Dens mit erhöhtem Risiko für eine atlantoaxiale Instabilität nachgewiesen werden. Die MPS IV-A wird durch einen Defekt der Galaktosamin-6-Sulfat-Sulfatase, die MPS IV-B durch den Defekt der β-Galaktosidase verursacht. Im Urin ist eine erhöhte Ausscheidung von Keratansulfat nachweisbar. Beide Enzymdefekte werden autosomal rezessiv vererbt. Eine spezifische kurative Therapie besteht nicht. Bei den Mukopolysaccharidosen werden allerdings in zunehmendem Umfang gentechnologisch hergestellte Enzymer-
satzpräparate zur dauerhaften Substitutionstherapie eingesetzt.
12.4.5 Mukolipidosen Bei den Mukolipidosen handelt es sich um Stoffwechselerkrankungen, die durch die intrazelluläre Speicherung von Glykosaminoglykanen und Spingolipiden ohne auffällige Glykosaminoglykanausscheidung im Urin charakterisiert sind. Neben variabel ausgeprägten skelettären Symptomen entwickeln die betroffenen Kinder regelmäßig neurologische und okuläre Auffälligkeiten. Die Typ-I-Mukolipidose ist durch eine Defizienz der Sialidase verursacht. Klinisch ähnelt sie dem M. Hurler (s. oben) mit rumpfbetontem Kleinwuchs, progredienten Gelenkkontrakturen und Symptomen der Dysostosis multiplex. Im Urin wird eine erhöhte Ausscheidung von sialinisierten Oligosacchariden nachgewiesen.
12.4 · Stoffwechselerkrankungen, Skelettdysplasien und Bindegewebserkrankungen
Die Mukolipidose der Typen II und III werden durch die Defizienz der Phosphotransferase verursacht. Bei der schweren Verlaufsform (Typ II, »I-cell disease«) fallen die Patienten schon im Säuglingsalter durch einen Hurler-Phänotyp mit Dysostosis multiplex auf. Weitere Symptome sind dysproportionierter rumpfbetonter Kleinwuchs und ausgeprägte Gelenkkontrakturen. Der Name »I-celldisease« wird auf den Nachweis von intrazellulären Einschlusskörperchen (Inclusions) in kultivierten Fibroblasten zurückgeführt. Patienten mit der rasch progredienten Form werden in der Regel nicht älter als 10 Jahre. Die milde Verlaufsform (Typ III, Pseudo-Hurler-Dystrophie) manifestiert sich ebenfalls durch dysproportionierten Kleinwuchs und eine spondyloepiphysäre Dysplasie. Meist nach dem 2. Lebensjahr entwickelt sich die eingeschränkte Beweglichkeit zunächst von Schulter- und Hüftgelenken, später auch der kleinen Fingergelenke. Die Prognose hinsichtlich der Lebenserwartung ist gut.
12.4.6 Sphingolipidosen Sphingolipidosen sind seltene genetisch determinierte Enzymdefekte, die mit einer pathologischen Speicherung von Sphingolipiden in verschiedenen Körperzellen einhergehen. Drei Krankheiten aus dieser Gruppe, M. Gaucher, M. Farber und M. Fabry, manifestieren sich mit muskuloskelettalen Symptomen.
Morbus Gaucher Der M. Gaucher ist eine autosomal-rezessiv vererbte Speicherkrankheit, bei der es infolge eines Defekts der Glukozerebrosidase (auf Chromosom 1q21) zur Speicherung von Glukozerebrosiden in retikoloendothelialen Zellen (Gaucher-Zellen) besonders im Knochenmark, der Milz, der Leber und in den Lymphknoten kommt. Es werden in Abhängigkeit von der klinischen Verlaufsform 3 Typen unterschieden. 5 Patienten mit Typ I (chronischer nichtneuronopathischer Typ, adulter Typ) entwickeln im jungen Erwachsenenalter neben der typischen Splenomegalie eine Osteoporose mit Neigung zu pathologischen Frakturen, insbesondere von Femur und Wirbelkörpern. 5 Bei Typ II (akuter infantiler neuronopathischer Typ) dominieren neurologische Symptome meist schon im Säuglingsalter. 5 Typ III tritt im Adoleszentenalter auf (subakuter juveniler neuronopathischer Typ) und manifestiert sich ähnlich Typ I, allerdings in Kombination mit neurologischen Symptomen wie Demenz und therapieresistenten Anfallsleiden. Diagnostisch können die typischen Gaucher-Zellen im Knochenmark bzw. Glukozerebrosidspeicherungen in Le-
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berbiopsaten nachgewiesen werden. Die diagnostische Bestätigung des Enzymdefekts erfolgt durch die Messung der Enzymaktivität in Leukozyten oder Fibroblastenkulturen. Therapeutisch werden bei Typ I erfolgreich rekombinante Enzymersatzpräparate eingesetzt. Die regelmäßige Enzymsubstitutionstherapie führt zur Rückbildung der Speicherphänomene und der skelettalen Symptome. Neurologische Ausfälle sind auch unter Enzymersatztherapie nicht reversibel, sodass diese Option bei Typ II nicht erfolgreich eingesetzt werden kann. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Ersatztherapie bei Typ III liegen noch keine ausreichenden Studienerfahrungen vor.
Morbus Farber Der M. Farber (Lipidgranulomatose) ist ein seltener autosomal-rezessiv vererbter Defekt der lysosomalen sauren Ceramidase. Das nicht abgebaute Glykolipid Ceramid akkumuliert im Zytoplasma von Fibroblasten, Histiozyten, Makrophagen und Nervenzellen. Die Ceramidablagerung induziert eine Fremdkörperreaktion, die zur Ausbildung von Gewebsgranulomen führt. Histopathologisches Korrelat sind proliferierende Mesenchymalzellen. Von den Speicherphänomenen und der Granulombildung sind insbesondere das Zentralnervensystem, innere Organe, lymphatisches Gewebe, Haut, Knochen und Synovia betroffen. Schon früh entwickeln die Patienten rötliche, schmerzhafte Schwellungen und subkutane Knötchen im Verlauf von Sehnenscheiden und Gelenken. Bevorzugt betroffen sind die kleinen Finger- und Handgelenke, sowie Ellbogen-, Knie- und Sprunggelenke. Die häufig auffällig heisere Stimme der Patienten ist auf epiglottale und laryngeale Einlagerungen zurückzuführen, die darüber hinaus auch das rekurrierende Auftreten pulmonaler Infektionen begünstigen. Bei ZNS-Beteiligung kann eine psychomotorische Entwicklungsverzögerung auftreten. Diagnostisch werden die Ceramideinlagerungen in bioptisch gewonnenen Granulomen bzw. der Enzymdefekt in kultivierten Fibroblasten nachgewiesen. Der klinische Verlauf ist variabel, insgesamt ist die Prognose bei fehlender suffizienter Therapie allerdings schlecht. Grundsätzlich erscheint der Einsatz einer Knochenmarktransplantation möglich, insbesondere wenn keine ZNSBeteiligung vorliegt. Die Gelenkschmerzen können durch nichtsteroidale Antiphlogistika positiv beeinflusst werden, ohne dass dies jedoch die klinische Progression der Krankheit aufhält.
Morbus Fabry Der M. Fabry beruht auf einer seltenen X-chromosomal vererbten Defizienz der Ceramidtrihexosidase α-Galaktosidase A, die zur Akkumulation von Ceramiddi- und -trihexosiden in Endothelzellen, glatten Muskelzellen der Gefäßwand sowie in Ganglien und perineuralen Zellen führt. Die Variabilität der klinischen Symptome kommt dadurch
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
zustande, dass bevorzugt das Gefäßsystem von den Ceramideinlagerungen betroffen ist. Histopathologisch werden Schaumzellen in der Muskulatur, dem retikoloendothelialen System und in Nierenbiopsien nachgewiesen. Die betroffenen Knaben entwickeln im Schulalter oder der frühen Adoleszenz rekurrierende Fieberschübe und ausgeprägte arthritische Beschwerden an den distalen Extremitäten. Die Klinik geht mit charakteristischen, als Brennen beschriebenen Schmerzkrisen in den betroffenen Gelenken sowie mit Akroparästhesien einher. Im weiteren Verlauf treten Schwellungen besonderes der Finger-, Ellbogen- und Kniegelenke mit konsekutiver Entwicklung von Gelenkfehlstellungen auf. An der Haut entwickelt sich häufig ein papulöses, livide verfärbtes Exanthem (Angiokeratom). Die Diagnose kann durch Messung der Enzymaktivität in kultivierten Fibroblasten und Leukozyten gestellt werden. Im Urin werden große Mengen von Ceramiddiund -trihexosiden ausgeschieden. Die gelenkbetonten Schmerzen können durch Phenytoin und/oder Carbamazepin positiv beeinflusst werden. Die seit kurzer Zeit verfügbare Enzymersatztherapie mit rekombinanter α-Galaktosidase ist erfolgreich, kann allerdings schon eingetretene zentralnervöse Symptome nicht mehr korrigieren. Unbehandelt sterben die Patienten meist infolge renaler, kardialer und zentralnervöser Komplikationen im frühen Erwachsenenalter. Heterozygote Anlageträgerinnen entwickeln gelegentlich eine milde Verlaufsform der Erkrankung.
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12.4.7 Alkaptonurie
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Die Alkaptonurie ist eine seltene autosomal-rezessiv vererbte Aminosäurestoffwechselkrankheit, bei der es aufgrund eines Defekts der Homogentisinsäureoxidase im Tyrosinabbau zur Akkumulation von Homogentisinsäure kommt. Homogentisinsäure polymerisiert zu dunklen Pigmenten, die zur typischen dunklen Verfärbung (Alkaptonurie) des Urins führen. Durch Alkalisierung des Urins kann dieser Effekt verstärkt werden. Die Ablagerung der sog. ochronotischen Pigmente in Bindegewebe und Knorpel induziert wahrscheinlich über lokale toxische Effekte ausgeprägte degenerative Veränderungen (Ochronose). Während der dunkle Urin schon früh auffällt, entwickelt sich die ochronotische Osteoarthritis meist erst im 2.–3. Lebensjahrzehnt mit typischen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. Eine Einschränkung der Phenylalanin- und Tyrosinzufuhr ist ohne befriedigenden Effekt auf den klinischen Verlauf.
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12.4.8 Homocystinurie Die Homocystinurie oder Hyperhomocysteinämie ist eine sehr seltene Aminosäurestoffwechselerkrankung (Inzidenz ~1:350.000) und beruht meist auf einem autosomal-rezessiv vererbten Defekt der Cystathion-β-Synthetase. Das Enzym katalysiert den Abbau von Homocystein über Cystathion zu Cystein. Alternativ wird Homocystein zu Methionin remethyliert. Beide Umbauschritte finden physiologisch etwa im gleichen Verhältnis statt. Methionin dient nach Umwandlung zu S-Adenosylmethionin als Methylgruppendonor für eine Vielzahl von Enzymen, die Methylgruppen übertragen. Dabei wird S-Adenosylmethionin in S-Adenosylhomocystein umgewandelt, welches dann zu Adenosin und Homocystein hydrolisiert. Durch die Abbaustörung des Homocysteins kommt es zur Akkumulation der Aminosäure, die normalerweise nur in geringen Konzentrationen im Serum und nicht im Urin nachweisbar ist. Wahrscheinlich induziert die Hyperhomocysteinämie Gefäßläsionen, die für die frühe Entwicklung artherosklerotischer Veränderungen und von Kollagenstrukturdefekten verantwortlich sind. Klinisch erinnert der Habitus der Patienten an ein Marfan-Syndrom. Die betroffenen Kinder sind hochgewachsen, haben lange Extremitäten, eine Arachnodaktylie, einen hohen Gaumen und leiden unter Myopie, Retinadegeneration und Linsenluxation. Häufig entwickeln sich kutane Ulzerationen und livide Hautverfärbungen an den Wangen und Extremitäten. Schon im Kleinkindesalter manifestiert sich eine meist generalisierte Osteoporose. Typisch sind degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule (Fischwirbel) und Frakturen der langen Röhrenknochen. Im Gegensatz zum Marfan-Syndrom ist die Gelenkmotilität jedoch eher eingeschränkt. Etwa die Hälfte der Patienten leidet zudem unter einer psychomotorischen Retardierung und zerebralen Krampfanfällen. Die Diagnose kann durch Nachweis von erhöhten Homocysteinwerten in Serum und Urin gestellt werden. Die Therapie besteht aus Reduktion der Methioninzufuhr bei gleichzeitiger Supplementierung von Cystein und Gabe von Betain (6 g/Tag). Bei einem Teil der Patienten kann durch Gabe von Vitamin B6 (Pyridioxin) eine Restaktivität der Cystathion-β-Reduktase induziert werden. Wichtiges Ziel der Therapie ist es, schwere thromboembolische Komplikationen und die Entwicklung einer frühen Artherosklerose zu verhindern.
12.4.9 Skelettdysplasien Der Begriff Osteochondrodysplasien umfasst eine heterogene Gruppe von Krankheiten, die die Anlage und/oder Entwicklung von Knochen und/oder Knorpelgewebe betreffen. Die klinische Manifestation dieser Krankheiten ist
12.4 · Stoffwechselerkrankungen, Skelettdysplasien und Bindegewebserkrankungen
außerordentlich variabel. Neben frühkindlichen letalen Verläufen imponieren vielfältige Wachstumsstörungen, degenerative Prozesse und frühzeitige Arthrosen. Führende klinische Hinweise sind dysproportionierter Kleinwuchs, Verbiegungen und rezidivierende Frakturen von Röhrenknochen ohne adäquates Trauma, oder das Auftreten symmetrischer, nicht entzündlicher Gelenkveränderungen. Bei Verdacht auf eine Skelettdysplasie sollte zunächst eine Primärdiagnostik durch Röntgen der Wirbelsäule in zwei Ebenen, des Beckens und des Handskeletts veranlasst werden. Ergeben sich Hinweise auf eine generelle Skeletterkankungen, so sollten weitere gezielte diagnostische Maßnahmen in einem Spezialzentrum für Kleinwuchs veranlasst werden.
Achondroplasie und Hypochondroplasie Die beiden Erkrankungen werden durch Mutationen des Rezeptors für Fibroblastenwachstumsfaktor hervorgerufen, die zu Störungen der Proliferation und Differenzierung von Chondrozyten in den Wachstumszonen der Knochen führen. Die Achondroplasie stellt mit einer Inzidenz von etwa 1:15.000 die häufigste Skelettdysplasie dar. Meist schon bei Geburt fälllt eine dysproportionierte Körperentwicklung auf. Kardinalsymptome sind dysproportionierter Kleinwuchs mit einer Endgröße zwischen 120 und 140 cm bei relativ langem Rumpf, sowie Makro- und Megalenzephalie mit Erweiterung der Liquorräume und charakteristisch eingesunkener Nasenwurzel. Weiterhin bestehen auffällig kurze Finger und eine ausgeprägte Hypermotilität der Gelenke. In den ersten Lebensjahren sind die Kinder eher hypoton und weisen eine allerdings nur passager verzögerte motorische Entwicklung auf. Im weiteren Verlauf normalisiert sich der Entwicklungsrückstand, die Intelligenz der Kinder ist normal. Mit Beginn des Laufens entwickelt sich meist eine ausgeprägte Lendenlordose. Kinder mit Achondroplasie neigen infolge der veränderten Anatomie des Schädels zur rezidivierenden Infektionen der oberen Luftwege, insbesondere zu Otitiden. Im Wachstum tritt gelegentlich eine progrediente Einengung des kraniospinalen Übergangs auf, die zu distalen neurologischen Ausfällen führen kann. In diesen Fällen ist eine neurochirurgische Dekompressionstherapie erforderlich. Auch bei der Hypochondroplasie steht der dysproportionierte kurzgliedrige Kleinwuchs mit einer durchschnittlichen Endgröße zwischen 130 und 150 cm im Vordergrund. Weitere Symptome sind Makrozephalie, Genua vara und vermehrte Lendenlordose. Radiologisch imponieren bei beiden Krankheitsbildern die verkürzten Röhrenknochen und Schenkelhälse, quadratische Beckenschaufeln und initial abgeflachte, später eher hohe Wirbelkörper.
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Diasthrophe Dysplasie Der autosomal-rezessiv vererbten Erkrankung liegen Mutationen im Sulfattransportersystem zugrunde. Neben dem dysproportionierten Kleinwuchs fallen eine progrediente Kyphoskoliose, Gelenkkontrakturen besonders des Schultergürtels und der Hüftgelenke, sowie das Auftreten von Klumpfüssen auf. Bei etwa einem Viertel der Patienten wird eine Gaumenspalte beobachtet. Radiologisch finden sich Verkürzungen und metaphysäre Auftreibungen der Röhrenknochen, die progrediente Kyphoskoliose und eine Hypoplasie besonders der zervikalen Wirbelkörper, mit dem Risko einer atlantoaxialen Instabilität.
Kollagenopathien Mutationen, die die Struktur der Kollagene betreffen, resultieren in skelettären Entwicklungsstörungen, deren klinische Manifestationen von neonatal letalen Verläufen über dysproportionierten Kleinwuchs bis zu relativ normaler Skelettentwicklung mit progredienten arthrotischen Veränderungen reichen.
Spondyloepiphysäre Dysplasie congenita Es handelt sich um eine autosomal-dominant erbliche Dysplasie, die durch Mutationen im Kollagen-2-Gen (A1) verursacht wird. Symptome sind Kleinwuchs unter 140 cm mit Verkürzung der Extremitäten und normal konfigurierten Händen, kurzer Rumpf, flaches Mittelgesicht und ausgeprägte Myopie. Radiologisch sind Ossifikationsverzögerungen nachweisbar, die insbesondere Wirbelkörper (Platyspondylie), Becken und die proximalen Femurephiphysen betreffen. Bei Vorliegen einer Hypoplasie des Dens axis besteht ein erhöhtes Instabilitätsrisiko der zervikalen Wirbelsäule, das durch entsprechende Funktionsaufnahmen abgeklärt werden muss. Die früh auftretenden arthrotischen Veränderungen sind wahrscheinlich auf die mangelnde Stabilität und die reduzierte Belastbarkeit des Knorpels zurückzuführen.
Stickler-Syndrom Die Erkrankung wird durch Mutationen im COL2A1-, COL11A1-, oder CoL11A2-Gen ausgelöst. Die Körperlängenentwicklung der Patienten kann eingeschränkt, aber auch normal sein. Initial fällt ein marfanoider Habitus mit Feingliedrigkeit und Überstreckbarkeit der Gelenke auf. Im weiteren Verlauf entwickeln die Patienten infolge der gestörten Kollagenstabilität schmerzhafte arthrotische Bewegungseinschränkungen. Radiologisch sind die verzögerte Ossifikation, die flachen Wirbelkörper und schlanke Diaphysen bei breiten Metaphysen führende diagnostische Kriterien. Auch monosymptomatische Verläufe mit alleiniger Arthrose oder alleiniger Myopie sind möglich.
Pseudoachondroplasie Die Erkrankung ist Folge von Mutationen im COMP (»cartilage oligogomeric matrix protein«) kodierenden
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Gen. Klinisch manifestiert sich die Krankheit im Keinkindesalter durch einen dysproportionierten Kleinwuchs mit langem Rumpf und kurzen Extremitäten. Im Unterschied zur Achondroplasie ist die Schädelkonfiguration unauffällig. Aufgrund der Knorpelstoffwechselstörung entwickeln die Patienten frühzeitig arthrotische Beschwerden, besonders in Hüft- und Kniegelenken.
Multiple epiphysäre Dysplasie Für die Krankheitsgruppe sind Mutationen im COMP oder Kollagen-Typ-IX-Gen (COL9A2) verantwortlich. Bei nur geringgradig eingeschränkter Körperlängenentwicklung imponieren frühzeitige arthrotische Veränderungen und Gelenkschmerzen besonders in der Hüfte mit konsekutiver Entwicklung eines watschelnden Gangbildes. Radiologisch finden sich epiphysäre Veränderungen im Sinne einer verzögerten Ossifikation mit flachen Epiphysen und abgeflachte Wirbelkörper. Monosymptomatische Verläufe mit ausschließlicher Hüftarthrose sind beschrieben, weshalb differenzialdiagnostisch auch das Vorliegen eines beidseitigen M. Perthes erwogen werden muss.
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Progressive pseudorheumatoide Arthropathie des Kindesalter
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Bei dieser sehr seltenen Form einer Skelettdysplasie handelt es sich um die Folgen von Mutationen im WISPP3Gen. Die Klinik imitiert eine frühe juvenile idiopathische Arthritis. Schon im Kleinkindesalter manifestiiert sich eine meist an den Hüftgelenken beginnende progressive Gelenkversteifung. Weitere Symptome sind morgendliche Gelenksteifigkeit, Weichteilschwellungen und verminderte Beweglichkeit der zervikalen Wirbelsäule. Radiologisch werden flache Wirbelkörper mit Ossifikationsdefekten und breite Enden der proximalen und medialen Phalangen nachgewiesen.
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Metaphysäre Dysplasie vom Typ Schmid
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Diese Form der Skelettdysplasie wird durch Mutationen im Kollagen Typ X kodierenden Gen (COL10A1) hervorgerufen. Die Krankheit manifestiert sich mit moderatem Minderwuchs (Endgröße 130–160 cm) und progredienter Entwicklung von Coxa vara und Genua vara sowie Verkrümmungen des Femurs. Radiologisch fallen metaphysäre Unregelmäßigkeiten im Bereich der großen Gelenke an der unteren Extremität auf.
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12.5
Pseudorheumaknoten
F. Zepp
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Definition. Pseudorheumaknoten sind subkutan gelegene, gutartige granulomatöse Hautveränderungen bevorzugt im Bereich der unteren Extremitäten, die histopathologisch Granulomen (Rheumaknoten) bei juveniler
idiopathischer Arthritis gleichen und eine hohe spontane Rückbildungstendenz besitzen. Häufigkeit. Granulomata können in jedem Lebensalter auftreten. Die Form des subkutanen Granuloma annulare entwickelt sich am häufigsten bei jungen Kindern (Altersgipfel 2–9 Jahre), wird aber auch bei Erwachsenen gesehen. Überwiegend wird in der Literatur von einer gleichen Manifestationsrate für Mädchen und Knaben berichtet. Klassifikation. Pseudorheumaknoten (Synonym: subku-
tanes Granuloma annulare) stellen einen Subtyp des Granuloma annulare dar. Das Granuloma annulare ist eine bei Kindern relativ häufig vorkommende selbstlimitierende inflammatorische Hauterkrankung. Weitere Formen sind das lokalisierte, das generalisierte oder disseminierte und das perforierende Granuloma annulare. Ätiologie, Pathogenese, Pathologie. Die Ätiologie der Pseudorheumaknoten ist nicht bekannt. In der Anamnese findet sich nur selten ein Hinweis auf ein vorangehendes Trauma oder lokale entzündliche Veränderungen der Haut. Pathohistologisch gleichen die Veränderungen Rheumaknoten bei chronischer Arthritis mit pallisadenartig angeordneten Histiozyten und zentraler nekrotischer Zone degenerierten Kollagens. Bisher hat sich keine eindeutige Assoziation der subkutanen Granulome zu chronischen Gelenkerkrankungen bestätigen lassen. Obwohl sie histologisch auch der Necrobiosis lipoidica diabeticorum ähneln, haben sich bislang auch keine eindeutigen Hinweise über ein vermehrtes Auftreten der Pseudorheumaknoten bei Diabetes mellitus belegen lassen. Klinische Symptome. Pseudorheumaknoten manifestie-
ren sich in der Regel als nicht schmerzhafte, immobile subkutane Indurationen. Die das Granulom überdeckenden Hautregionen sind nicht pathologisch verändert. Die Knoten entwickeln sich solitär oder multipel, können eine schnelle Größenzunahme über einige Wochen aufweisen und persistieren nicht selten über mehrere Monate. Die durchschnittliche Größe liegt zwischen 2 mm und 5 cm. Nur in Ausnahmefällen sind die subkutanen Hautveränderungen (druck)schmerzhaft. In etwa 65% der Fälle entwickeln sich die Knoten als solitäre Läsionen im Bereich der unteren Extremitäten, bevorzugt in prätibialer Lokalisation. Weitere Prädilektionsstellen sind die oberen Extremitäten, das Gesäß, das Gesicht und der behaarte Kopf. Selten sind die Augenlider betroffen. In 19–75% der Fälle kommt es nach spontaner Regression zum Wiederauftreten der Granulomata sowohl in gleicher wie in neuer Lokalisation. Auch bei rekurrierendem Auftreten bilden sich die Hautveränderungen jedoch ohne spezifische Therapie zurück.
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12.6 · Wachstumsschmerzen
Diagnose. Aufgrund der subkutanen Lokalisation der oft schnell wachsenden Hautveränderungen ist die klinische Diagnose nicht immer einfach. Neben der physischen Untersuchung geben sonografische, radiologische und MRtomografische Untersuchungen nur eingeschränkt eine diagnostische Hilfestellung. Differenzialdiagnostisch müssen Traumata, Infektionen, Tumoren, metabolisch bedingte Knochen- oder Hautveränderungen und chronisch inflammatorische bzw. autoimmunologische Prozesse erwogen werden. Durch eine sorgfältige Anamnese, insbesondere im Hinblick auf allgemeine körperliche Belastbarkeit, Appetit- und Gewichtsentwicklung, sowie systemische Begleitsymptome wie Fieber können relevante Differenzialdiagnosen unwahrscheinlich gemacht werden. Die Bestimmung eines Blutbildes mit Differenzialblutbild sowie von Entzündungsparametern (BSG, CRP) erlauben weitgehend den Ausschluss einer infektiösen oder entzündlichen Erkrankung. In Ausnahmefällen, z. B. bei schmerzhaftem oder schnell wachsendem Befund, ermöglichen die Biopsie oder Exzision und histologische Aufarbeitung eine weitere Differenzierung.
12.6
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Wachstumsschmerzen
F. Zepp Definition. Der Begriff »Wachstumsschmerzen« be-
schreibt rekurrierende, selbstlimitierende Schmerzensensationen in den (unteren) Extremitäten, die in der Regel abends und nachts auftreten, nicht eindeutig muskuloskelettalen Strukturen zugeordnet werden können und keine bekannte Ursache haben. Häufigkeit. Mangels eindeutiger klinischer Kriterien für Wachstumsschmerzen sind Aussagen zur Häufigkeit des Krankheitsbildes nur eingeschränkt möglich. In der Regel treten Wachstumsschmerzen bei Kindern im Alter zwischen 2 und 12 Jahren auf, etwas häufiger bei Mädchen als bei Knaben. Die in der Literatur berichtete Prävalenz liegt abhängig von klinischer Definition, Altersgruppe und genetischem Hintergrund der untersuchten Population zwischen 4 und 37%. Im Schulkindalter klagen etwa 10–20% aller Kinder irgendwann einmal über derartige Schmerzen.
Therapie. Pseudorheumaknoten haben eine ausgezeich-
nete spontane Rückbildungstendenz, sodass grundsätzlich eine zuwartende Haltung empfohlen werden sollte. In der Literatur wird über eine Vielzahl von Therapieoptionen berichtet, u. a. Okklusionsverbände mit Kortison oder Einsatz von Dapsone, Kaliumiodid, Niacinamid, Chlorambucil und Isoretinoiden. Alle diese Maßnahmen haben jedoch zu keinen überzeugenden Therapieerfolgen geführt. Auch bei schnell wachsenden Knoten ist eine chirurgische Exzision in der Regel nicht sinnvoll. Im Zweifelsfall, wenn eine definitive Diagnose angestrebt wird, sollte eine begrenzte Biopsie vorgenommen werden. Dies beeinflusst aber keinesfalls den Krankheitsverlauf, insbesondere da Pseudorheumaknoten häufig rekurrieren. Prognose. Die Prognose der gutartigen Hautverände-
rung ist exzellent. Entsprechend den Angaben in der Literatur kommt es bei ausreichend zuwartender Haltung immer zur Spontanregression.
Literatur Chung S, Frush DP, Prose NS et al. (1999) Subcutaneous granuloma annulare: MR imaging features in six children an literatur review. Radiology 210: 845–849 Felner EI, Steinberg JB, Weinberg AG (1997) Subcutaneous granuloma annulare: a review of 47 cases. Pediatrics 100: 965–967 Grogg KL, Nascimento AG (2001) Subcutaneous granuloma annulare in childhood: clinicopathologic features in 34 cases. Pediatrics 107: E42
Klassifikation. Das Krankheitsbild ist klinisch nicht ein-
deutig charakterisiert, eine allgemein anerkannte Klassifikation existiert nicht. Schon in der medizinischen Literatur des frühen 19. Jahrhunderts werden wachstumassoziierte Schmerzen beschrieben. Sie sind von chronischen Gelenkerkrankungen, rheumatischem Fieber und anderen muskuloskelletären inflammatorischen Krankheiten abzugrenzen. Wachstumsschmerzen haben immer einen benignen Verlauf und verschwinden meist innerhalb von 1–2 Jahren. Ätiologie, Pathogenese, Pathologie. Die Ursache von Wachstumsschmerzen ist nicht bekannt. Obwohl sie zeitlich mit der Phase des kindlichen Wachstums koinzidieren, gibt es keinerlei wissenschaftliche Hinweise dafür, dass biologische Vorgänge des Wachsens Schmerzen induzieren. Wachstumsschmerzen treten nicht bevorzugt in Phasen beschleunigten Wachstums auf. Sie werden auch von Kindern mit Wachstumsstörung oder -verzögerung beklagt. Die Präsenz von Wachstumsschmerzen hat keinen negativen Einfluss auf das individuelle Wachstumsverhalten. Psychogene Ursachen werden diskutiert, allerdings liegen hierzu keine systematischen Untersuchungen vor. Haltungsstörungen, Müdigkeit und chronische Überlastung des Skelettapparats z. B. durch sportliche Aktivitäten werden ebenfalls als Ursache in Betracht gezogen. Populationsbezogene Studien weisen darauf hin, dass über Wachstumsschmerzen häufig im Zusammenhang mit anderen Schmerzsymptomen wie Kopf- und Bauchschmerzen berichtet wird. Möglicherweise haben die betroffenen Kinder eine niedrigere Schmerzschwelle.
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Klinische Symptome. Trotz der unscharfen klinischen Definition werden die folgenden klinischen Symptome regelmäßig im Kontext von Wachstumsschmerzen beschrieben. Die Beschwerden treten üblicher Weise im Vorschulund Schulalter auf und werden primär in der unteren Extremität wahrgenommen. Es handelt sich um bilaterale, als dumpf empfundene, in der Tiefe lokalisierte Schmerzen, die nicht eindeutig einer muskuloskelettalen Struktur zugeordnet werden können. Oberschenkel und Wadenregion sind am häufigsten betroffen. Schmerzen in der oberen Extremität kommen selten vor, und dann ausschließlich in Zusammenhang mit primären Beschwerden in den Beinen. Ältere Kinder (>6. Lebensjahr) beschreiben die Schmerzen auch als krampfartige, kriechende Sensation oder als Ruhelosigkeit der Beine. Die Schmerzen treten paroxysmal auf mit schmerzfreien Intervallen von Tagen bis Monaten. Üblicherweise entwickeln sich die Schmerzen am Abend oder über Nacht. Die Schmerzqualität kann so ausgeprägt sein, dass Kinder aus dem Schlaf heraus erwachen und anhaltend weinen. In den Morgenstunden tritt meist eine spontane Besserung ein. Nur wenige Patienten klagen über isolierte Schmerzen während des Tagesverlaufs. Die Schmerzwahrnehmung kann durch Massage, Wärmeapplikation oder den Einsatz von Analgetika (Ibuprofen) gelindert werden. Normalerweise ist die Lebensführung der betroffenen Kinder (Schulbesuch, sportliche Aktivitäten) nicht eingeschränkt. Der körperliche Untersuchungsbefund während und nach Schmerzperioden ist unauffällig. Etwa ein Drittel der betroffenen Kinder klagt über weitere Schmerzsymptome wie Kopf- oder Abdominalbeschwerden. Meist ergibt die Familienanamnese Hinweise auf ähnliche Beschwerden während der Kindheit bei Eltern oder weiteren Verwandten. Diagnose. Allgemein akzeptierte diagnostische Kriterien existieren nicht (s. oben). Die Diagnose kann gestellt werden, wenn ein Kind sich mit der typischen Anamnese hinsichtlich Alter und Beschwerden, ohne objektivierbare klinische Befunde und ggf. unauffälligen Zusatzuntersuchungen (Labor, apparative Untersuchungen) präsentiert. Die Schmerzen treten üblicherweise spät am Tag oder nachts auf, führen häufig zum Erwachen, sind nicht eindeutig gelenkbezogen und werden durch körperliche Belastung verstärkt. Wachstumsschmerzen manifestieren sich intermittierend mit beschwerdefreien Intervallen von wenigstens einigen Tagen. Voraussetzung für die Diagnosestellung ist ein monatliches Auftreten über mindestens 3 Monate. Die physische Untersuchung sowie Laborstudien und technische Untersuchungen wie Sonografie oder Röntgen liefern keine pathologischen Resultate. ! Die Diagnose »Wachstumsschmerzen« ist eine Ausschlussdiagnose. Sie muss in der Verlaufsbeobachtung
insbesondere bei lang anhaltenden Beschwerden regelmäßig sorgfältig überprüft werden. Differenzialdiagnostisch müssen Krankheiten des rheumatischen Formenkreises, insbesondere juvenile Spondyloarthropathien und andere Arthritiden, Traumata (Überlastungsreaktionen, Stressfrakturen), Tumoren (Leukämien, Osteosarkome, Osteoidosteom), Osteomyelitiden, Osteonekrosen (M. Perthes), metabolische Erkrankungen (Rachitis, Vitamin-C-Mangel), Perfusionsstörungen, neurologische Ursachen (spinale Tumoren) und Schmerzverstärkungssyndrome (Fibromyalgie) in Betracht gezogen werden.
Grundsätzlich sind bei unauffälligem physischem Untersuchungsbefund Laboruntersuchungen nicht zwingend indiziert. Zum orientierenden Ausschluss eines entzündlichen Geschehens sind die Bestimmung eines Blutbildes mit Differenzialblutbild, der Blutsenkungsgeschwindigkeit, des CRP-Wertes, der LDH und des Harnsäurespiegels hilfreich. Gegebenenfalls ist eine sonografische bzw. radiologische Untersuchung der betroffenen Körperregion (mit angrenzenden Gelenken) in Erwägung zu ziehen. Pathologische Ergebnisse in diesen Tests stellen die Diagnose »Wachstumsschmerzen« in Frage. Therapie. Wichtiger Bestandteil der Therapie ist die Aufklärung der betroffenen Kinder und ihrer Familien über die harmlose Natur der Krankheit. Dadurch werden unnötige Sorgen und Ängste gemindert, und es wird die Voraussetzung geschaffen, dass die Kinder trotz der häufig länger anhaltenden Beschwerden ein normales Leben führen können. Eine Einschränkung der normalen Lebensführung, insbesondere von körperlichen Aktivitäten, führt nicht zu einer Besserung der Schmerzen und sollte daher auch nicht empfohlen werden. Akute Schmerzen können durch Massage, Wärmeapplikation und den Einsatz von Analgetika (nichtsteroidale Antirheumatika, z. B. Ibuprofen) positiv beeinflusst werden. Chronische Beschwerden können teilweise durch Muskeldehnungsübungen gelindert werden. Kinder die mehr als 4-mal pro Woche Schmerzepisoden erleben oder bei denen regelmäßig Störungen des Schlafs auftreten, sollten prophylaktisch mit einer abendlichen Dosis von Ibuprofen oder Naproxen behandelt werden. Solange die Beschwerden anhalten, sind regelmäßige Überprüfungen des klinischen Verlaufes in etwa dreimonatlichen Abständen erforderlich. Prognose. Der Krankheitsverlauf ist selbstlimitierend, üblicherweise verschwinden die Schmerzen in einem Zeitfenster von 1–2 Jahren, gelegentlich aber auch erst nach Abschluss der Adoleszenz.
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12.7 · Infektionen
Literatur Evans AM, Scutter SD (2004) Prevalence of »growing pains« in young children. J Pediatrics 145: 255–258 Hashkes PJ, Friedland O, Jaber L et al. (2004) Decreased pain threshold in children with growing pains. J Rheumatol 31: 610–613 Halliwell P, Monsell F (2001) Growing pains: a diagnosis of exclusion. Practioner 245: 620–623
12.7
Infektionen
M. Weiß Gelenkschmerzen oder Schmerzen z. B. an den oberen und unteren Extremitäten mit entsprechender Schonhaltung können ein wichtiger Hinweis auf eine Infektion am Knochen oder an den umgebenden Weichteilen sein. Grundsätzlich werden isolierte Infektionen der Knochen (Osteomyelitis) von übergreifenden Infektionen an Knochen und angrenzenden Gelenkstrukturen unterschieden (Osteoarthritis). Für die Entstehung einer Osteomyelitis oder Osteoarthritis durch Streuung von Bakterien auf hämatogenem Wege sind unterschiedliche Durchblutungsverhältnisse bei Kindern in verschiedenen Lebensaltern verantwortlich. Eine andere Ursache für Gelenk- und/ oder Knocheninfektionen sind äußere Verletzungen und eine lokale Invasion von Infektionserregern, die nach Ausbreitung im Gewebe knöcherne Strukturen erreichen. Dazu führen Riss- oder Schnittwunden ebenso wie Bissverletzungen, traumatische Quetschungen oder offene Frakturen. Bei operativen Eingriffen nach Verletzungen können Bakterien aus Wunden verschleppt werden und mit einer erheblichen Zeitverzögerung von Tagen oder Wochen zu einer Knochen- oder Gelenkentzündung führen (7 Kap. 12.1).
12.7.1 Definitionen und Klassifikation Hämatogene Osteomyelitis Unter einer hämatogenen Osteomyelitis versteht man eine über den Blutstrom nach Baktereninvasion entstehende Knochen- und Knochenmarkentzündung mit akutem oder chronischem, über 3–4 Wochen hinausgehenden Verlauf. Die Osteomyelitis bildet sich häufig in den Metaphysen langer Röhrenknochen. Wegen der oft verschleierten Symptomatik schwierig zu diagnostizieren sind die Osteomyelitiden an Beckenknochen oder Wirbelkörpern.
Nichthämatogene Osteomyelitis Nichthämatogen kann eine Osteomyelitis oder Osteoarthritis durch eine äußere Verletzung mit Eintritt von Bakterien über die Haut und anschließende Ausbreitung in das Gewebe entstehen. Auch Infektionen der Haut (Staphylodermie, Hautabszesse) und des Weichgewebes (Phlegmo-
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ne, Erysipel), die sich in der Nähe von großen oder kleinen Gelenken manifestieren, sind mögliche Ursachen einer per coninuitatem entstehenden Entzündung einer Gelenkkapsel (septische Arthritis). Bei Säuglingen und Kleinkindern kommt es oft zur weiteren Ausdehnung einer metaphysär beginnenden Osteomyelitis über den Epiphysenspalt in die Epiphysen- und Gelenkregion (eitrige Osteoarthritis).
Multifokale Osteomyelitis Eine bakteriell bedingte Osteomyelitis kann sich an mehreren Stellen des Körpers entwickeln, wobei diese Gefahr besonders bei Kindern im Säuglingsalter gegeben ist. Entsprechend wird diese von mehreren osteomyelitischen Herden gekennzeichnete Form, die bei ca. 10% der Osteomyelitiden von Kindern vorkommt, als multilokuläre oder multifokale Osteomyelitis bezeichnet. Da meist ein knöcherner Entzündungsherd in der klinischen Symptomatik in den Vordergrund tritt, muss bei der körperlichen Untersuchung und der weiteren Diagnostik an die Möglichkeit disseminierter Entzündungsherde gedacht werden. Von den bakteriellen, infektiös bedingten Osteomyelitiden abzugrenzen und separat zu definieren sind die chronisch rezidivierenden, nichtbakteriellen multifokalen, aber auch unilokulären Osteomyelitisformen (CRMO), die in 7 Kap. 12.8 ausführlich behandelt werden.
Spondylarthritis Eine besondere Form der bakteriellen Osteomyelitis stellt die infektiöse, hämatogen entstehende Entzündung der Wirbelkörperknochen dar, die als Spondylarthritis oder Spondylodiszitis bezeichnet wird.
Arthritis bei Virusinfektionen Primär wird in diesem Kapitel die bakterielle, schließlich eitrige Entzündung von Knochen und Gelenken behandelt. Jedoch kann es auch bei viralen Infektionen zur Gelenkbeteiligung mit Arthritis und typischen Entzündungszeichen kommen, wie es beispielsweise von Ringelröteln (Parvovirusinfektionen) oder Röteln bei Kindern und bei Erwachsenen bekannt ist. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass es bei typischen Virusinfektionen des Kindesalters wie Varizellen in seltenen Fällen zu komplizierenden Gelenkbeteiligungen kommen kann. Begleitende oder nachfolgende Gelenkbeteiligungen bei Infektionen werden ausführlich an anderer Stelle behandelt (7 Kap. 6). ! Die akute infektiöse Osteomyelitis muss von anderen akuten, z. B. traumatischen oder chronischen entzündlichen Erkrankungen des Knochen- und Bewegungsapparates abgegrenzt werden. Bei der sog. chronischen Osteomyelitis ist frühzeitig an die nicht infektiös bedingten Knochenentzündungen zu denken.
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1
Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
12.7.2 Häufigkeit
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Die über den Blutstrom entstehende Osteomyelitis oder Osteoarthritis kommt bei Jungen häufiger als bei Mädchen vor. Insgesamt handelt es sich bei den bakteriellen Osteomyelitiden um relativ seltene, jedoch für das Kindesalter wichtige und typische Infektionen, für die keine verlässlichen Inzidenzzahlen aus Deutschland zur Verfügung stehen. Durch die verbesserte mikrobiologische und radiologische Diagnostik sowie die Etablierung neuer diagnostischer Kriterien ergibt sich in den letzten Jahren das Bild einer besser möglichen Abgrenzung von infektiösen und nicht infektiös bedingten Osteomyelitiden (7 Kap. 12.8), sodass wahrscheinlich früher der Anteil vermuteter infektiös bedingter und antibiotisch oder chirurgisch behandelter Osteomyelitiden, gerade bei chronischen (»therapieresistenten«) Verläufen, überschätzt wurde.
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12.7.3 Ätiologie
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Zu einer Infektion von Knochen und Gelenken kommt es durch die Invasion von Bakterien. Dabei dominieren grampositive Bakterien, vor allem Staphylokokken, aber auch Streptokokken. Die bei oberen und unteren Atemwegsinfektionen bedeutsamen Pneumokokken mit ihren zahlreichen Serotypen können zu schweren invasiven Infektionen mit Gelenkbeteiligung führen. Das Erregerspektrum der Osteomyelitiden und Osteoarthritiden umfasst aber auch gramnegative Bakterien wie Haemophilus influenzae spp. oder Enterobacteriaceae wie Escherichia coli, die besonders bei Neugeborenen eine Gefahr darstellen. Es gibt also ein breites Erregerspektrum, sodass bei der Planung der antibakteriellen Behandlung auf die potenzielle Wirksamkeit der zur Initialtherapie verwendeten Antibiotika zu achten ist. Bei Patienten mit bestimmten Grunderkrankungen sind besondere Erreger zu berücksichtigen. So treten bei Kindern mit Sichelzellanämie gehäuft Osteomyelitiden durch Salmonellenspezies auf. Eine Übersicht der bei Osteomyelitis und septischer Arthritis zu erwartenden Erreger zeigt . Tab. 12.9.
12.7.4 Pathogenese und Pathologie Die hämatogene Streuung von Bakterien im Knochen unterscheidet sich wegen des sich ändernden Durchblutungsmusters der langen Röhrenknochen in verschiedenen Lebensaltern. Grundsätzlich sind Kinder durch den im Knochen verlangsamten Blutstrom am Übergang der Endarterien in den Wachstumszonen in sinusoidale Venengeflechte gefährdet, dass sich Bakterien absiedeln und zu einer bakteriellen Entzündung im Knochen, beginnend in der Metaphyse, führen. Beim Säugling erfolgt
aber die Durchblutung des gesamten Knochens zentral aus der Metaphyse mit Kapillargefäßen, die über die noch nicht geschlossene Epiphysenfuge auch den gelenknahen Bereich des Knochens erreichen. Entsprechend werden in den Knochen gelangende Bakterien vor allem beim jungen Säugling über die Blutbahn bis in die Gelenkhöhle gespült und führen zu eine gefährlichen Osteoarthritis, d. h. einer gemeinsamen Entzündung von Knochengewebe und Gelenkhöhle. So dominieren beim Säugling mit einer resultierenden septischen Arthritis die Symptome der schmerzhaften Bewegungseinschränkung und Schonhaltung mit evtl. begleitender Schwellung und Rötung.
12.7.5 Klinische Symptome Auf eine Osteomyelitis deuten die klassischen Entzündungszeichen mit Schmerzen, Rötung, Überwärmung, Schwellung und Funktionseinschränkung (Bewegungseinschränkung oder Schonhaltung) hin. Diese Symptome sind bei der Osteomyelitis älterer Kinder vor allem bei Befall der Extremitäten ausgeprägt, während die Symptomatik bei Befall der Beckenknochen oder der Wirbelsäule oft uncharakteristischer erscheint und sich die Osteomyelitis nicht klinisch ohne weitere diagnostische Maßnahmen erschließt. Gefährlich ist die häufig nur mild ausgeprägte Symptomatik bei der Osteomyelitis und zur septischen Arthritis voranschreitenden Erkrankung von Säuglingen und Neugeborenen, bei denen das wichtigste klinische Zeichen neben den erhöhten Entzündungswerten die Schonung einer Extremität oder eine erkennbar schmerzhafte Bewegungseinschränkung bei der Prüfung der passiven Beweglichkeit ist. Die Manifestation einer bakteriellen Infektion an den Wirbelkörpern als Spondylitis oder bei gelenküberschreitendem Bild als Spondylodiszitis läuft oft über Tage oder Woche unbemerkt ab oder wird zunächst auf andere Ursachen zurückgeführt. Als Hauptsymptom wird die betroffene und schmerzhafte Wirbelsäulenregion von den Patienten durch eine Schonhaltung entlastet. Dies fällt bei Kleinkindern, die den Schmerz noch nicht lokalisiert angeben können, duch das sog. Dreifußzeichen im Sitzen auf, bei dem sich die Kinder im Sitzen mit den Händen nach hinten abstützen, oder dadurch, dass sie das Sitzen oder Laufen völlig verweigern und nur liegen wollen, sodass nicht selten eine andere, z. B. akute neurologische Erkrankung vermutet wird.
12.7.6 Diagnose Die Diagnose lässt sich im einfachsten Fall aus der akut aufgetretenen Schmerz- und klinischen Entzündungssymptomatik (7 12.7.5) in Zusammenhang mit den laborchemisch gefundenen Entzündungszeichen, einer mikro-
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12.7 · Infektionen
12
. Tab. 12.9. Erreger der Osteomyelitis und septischen Arthritis im Kindesalter. (Nach Roos et al. 2003) Erreger
Besondere Fälle und Risikogruppen
Staphylococcus aureus (75–80%), Streptokokken der Gruppe A, Pneumokokken
Kinder aller Altersstufen
S. aureus, Streptokokken, Kingella kingae
Septische Arthritis
S. aureus, gramnegative Stäbchen
Chronische Osteomyelitis
Gramnegative Stäbchen, Candida albicans
Frühgeborene
Streptokokken der Gruppe B, Escherichia coli
Neugeborene
Haemophilus influenzae
Säuglinge und Kleinkinder
Brucellen
Kinder aus Mittelmeerländern
Pseudomonas aeruginosa
Patienten mit Neutropenie oder Leukämie, Kinder mit penetierenden Fußverletzungen
Gramnegative Bakterien, Mycobacterium tuberculosis, Brucellen
Osteomyelitis der Wirbelkörper oder des Beckens
Staphylococcus aureus
Diszitis
Anaerobier, Mischinfektionen
Osteomyelitis im Gesichtsbereich und bei Zahninfektionen, im Beckenbereich oder nach Bissverletzungen
Salmonellen
Sichelzellanämie
biologischen Bestätigung mit Erregernachweis und einer radiologischen Bilddokumentation der Knochenbeteiligung sichern. Nicht immer sind jedoch bei akutem Krankheitsbeginn und den notwendigen Überlegungen zum Therapiebeginn alle 4 Komponenten der Diagnostik positiv zu finden, sodass bei Klinik und typischen Laborbefunden auch vor einer mikrobiologischen Erregerbestätigung (aber erst nach der Abnahme der notwendigen mikrobiologischen Kulturen!) eine antibiotische Therapie oder eine weitere chirurgische Diagnostik und Therapie (7 12.7.7) einzuleiten ist. Labordiagnostik. Das Blutbild kann eine Leukozyto-
se und in der Differenzierung eine Neutrophilie mit einer fast immer vorhandenen Linksverschiebung aufweisen. Die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) ist bei der akuten bakteriellen Entzündung ebenso erhöht wie das C-reaktive Protein (CRP). Diese Parameter sind jedoch bekanntermaßen keine spezifischen Laborwerte für eine bakterielle Infektion, sondern sie werden auch bei anderen entzündlichen Erkrankungen, wie den systemischen Formen der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) oder anderen chronischen Entzündungen des Kindesalters, deutlich erhöht gefunden. Deshalb muss bei jedem Verdacht auf eine Osteomyelitis eine Blutkultur abgenommen und der mikrobiologische Erregernachweis versucht werden. Da mit der Blutkultur nur in maximal 50% der Fälle der Erregernachweis zu führen ist, sind die Möglichkeiten zur Gewinnung von weiteren Kulturen z. B. aus der lokalen Entzündung am Knochen bei einem punktablen Abszess oder aus einem
entzündeten Gelenk bei entsprechender Gelenkschwellung und ausreichender Flüssigkeitsansammlung unbedingt zu nutzen. So kann der bakterielle Erreger mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von 70% oder gar mehr isoliert werden. Neben der aeroben Kultur sollte auch eine anaerobe Kultur aus Blut, Eiter oder Punktionsmaterial angelegt werden, um die seltenen, aber möglichen Erreger zu finden. Biopsien des Knochengewebes sind in der Regel bei bakteriologisch, klinisch und radiologisch gesicherten Osteomyelitiden nicht notwendig. Jedoch sollte immer dann eine Knochenbiopsie auch zum Ausschluss differenzialdiagnostisch in Frage kommender maligner Erkrankungen erwogen und unter einer Narkose durchgeführt werden, wenn entsprechende diagnostische Zweifel bestehen. Bei einer Arthritis, die möglicherweise septisch bedingt ist, wird die Gelenkpunktion je nach Ausmaß der Flüssigkeitsansammlng und der Gefahr einer Gewebskompression durch den entstehenden Eiter nicht nur unter diagnostischen, sondern auch unter therapeutischen, entlastenden Aspekten durchgeführt. Diagnostisch dient die Punktion zum mikrobiologischen Erregernachweis (Gramfärbung und Kultur) sowie zur Messung des Zell- und Eiweißgehaltes im Punktat. Bei einer septischen Arthritis liegen die Granulozyen im Gelenkerguss in hoher Zahl (über 25.000/µl) vor. ! Bei klinischem Verdacht auf eine infektiöse Osteomyelitis oder Arthritis ist die unverzügliche Diagnostik notwendig, bei der sich laborchemische Entzündungszeichen, mikro-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
biologische Untersuchungen und eine gestaffelte radiologische Diagnostik (Sonografie, Magnetresonanztomografie, ggf. Szintigrafie und konventionelle Röntgenaufnahmen) ergänzen.
Bildgebende Diagnostik. Vor Einführung der Ultraschalldiagnostik war nur die szintigrafische Untersuchung zur frühen Darstellung der entzündlichen Veränderungen am Knochen geeignet, während konventionelle Röntgenaufnahmen in der Frühphase der akuten Osteomyelitis noch keine Erkennung der beginnenden knöchernen Veränderunen erlaubten. Hier hat sich durch die Etablierung der pädiatrischen Ultraschalldiagnostik ein wesentlicher Fortschritt sowohl bei der Ostemyelitis als auch bei der Osteoarthritis ergeben. Den Verdacht auf eine Osteomyelitis der langen Röhrenknochen kann eine sonografische Untersuchung durch frühen Nachweis eines Weichteilödems unterstützen. Im Verlauf treten subperiostale Abszessbildungen und Erosionen der knöchernen Kortikalisstrukturen hinzu, die ebenfalls sonografisch dokumentierbar sind. Evidenz Während die Sensitivität der Ultraschalluntersuchung des Knochens nur um 60% liegt, ist die hohe Spezifität positiver Ultraschallbefunde am Knochen von über 90% hervorzuheben (Evidenzgrad III).
Bei der Arthritis mit Gelenkschwellung und der Fragestellung einer septischen Arthritis liegt die Sensitivität der sonografischen Diagnostik höher als bei der Osteomyelitis, sodass speziell bei Säuglingen mit auffälligen Hüftbefunden ohne Verzögerung zur Ultraschalldiagnostik zu raten ist (. Abb. 12.18). Mit der MRT steht für die stationär zu behandelnden Patienten mit einer vermuteten Osteoarthritis, Arthritis, Spondylodiszitis (. Abb. 12.19) oder Osteomyelitis (. Abb. 12.20) eine hoch sensitive, sehr spezifische und nicht strahlenbelastende Schnittbildgebung zur Verfügung, durch die die früher als Standard gebräuchliche szintigrafische Knochenuntersuchung an Bedeutung verloren hat. Allerdings hat die 99Tc-Szintigrafie des Knochensystems noch immer dann einen hohen Stellenwert, wenn aufgrund von Entzündungszeichen im klinischen Verlauf oder nach allgemeiner Symptomatik eine multifokale Osteomyelitis vermutet werden muss und eine Auschlussdiagnostik durchzuführen ist. Mit der MRT-Untersuchung kann die initiale Sonografie effektiv ergänzt werden.Vor allem bei Knochenentzündungen der Wirbelsäule ist der MRT-Befund wegen der hohen Sensitivität und guten Auflösung der knochenumgebenden Gewebestrukturen in der Bilddarstellung diagnostisch sehr wertvoll. Wenn eine Mitbeteiligung oder isolierte Entzündung der Zwischenwirbelscheibe vorliegt
(Diszitis), wird im Verlauf nach mehreren Wochen in der MRT die Verschmälerung der Bandscheiben erkennbar. Die MRT-Diagnostik kann im Verlauf der Behandlung zu Kontrolluntersuchungen, z. B. über die Rückbildung der entzündlichen Veränderungen am Knochen, herangezogen werden. Alternativ zur MRT-Diagnostik kommt bei der Osteomyelitisdiagnostik auch die CT-Untersuchung in Frage, sie hat jedoch den Nachteil der je nach untersuchter Körperregion nicht unerheblichen Strahlenbelastung. Nur noch zur Verlaufsbeurteilung knöcherner Veränderungen oder zur Erfassung von Komplikationen oder Residuen werden konventionelle Röntgenbilder der betroffenen Knochenregionen angefertigt (. Abb. 12.20b) Repräsentative Bildbeispiele von drei Patienten mit Osteoarthritis der linken Hüfte, Spondylodiszitis und Osteomyelitis des distalen Unterschenkels zeigen . Abb. 12.18–12.20.
12.7.7 Therapie Die antibiotischeTherapie der Osteomyelitis ist gegen die am häufigsten vorkommenden und damit bei der Initialtherapie zu kalkulierenden bakteriellen Erreger gerichtet. Wegen der Notwendigkeit einer ausreichenden Gewebekonzentration des Antibiotikums im Knochen und/oder Gelenk muss die Behandlung intravenös durchgeführt werden. Lange Zeit beruhte die intravenöse bakterizide Therapie auf Penicillinpräparaten, wobei staphylokokkenwirksame Substanzen wie das penicillinasefeste Flucloxacillin (40–100 mg/kg KG/Tag) bevorzugt eingesetzt wurden. Eine gute Staphylokokkenwirksamkeit und einen Vorteil bei der Behandlung außerhalb der Klinik erworbener methicillinresistenter Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA) bietet das nur auf grampositive Erreger wirksame Clindamycin, das mit 40 mg/kg KG/Tag in 3 Einzeldosen appliziert wird. Jedoch sind auch zunehmende Resistenzen von Staphylococcus aureus gegen Clindamycin zu berücksichtigen und bei klinischem Nichtansprechen der Behandlung andere staphylokokkenwirksame Antibiotika einzusetzen (Rifampicin, evtl. auch die im Kindesalter nicht generell zugelassenen Gyrasehemmer wie Ciprofloxacin). Als Alternative zu Clindamycin kann bei der kalkulierten Initialtherapie der Osteomyelitis, unter der primären Annahme eines grampositiven Erregers, ein Cephalosporin der 2. Generation wie Cefuroxim oder Cefotiam, in einer Dosierung von 150 (–200) mg/kg KG/Tag, eingesetzt werden. Der Vorteil des Cephalosporins der 2. Generation gegenüber Clindamycin liegt in der zusätzlichen Wirkung gegen einige gramnegative Erreger bei insgesamt guter Staphylokokkenwirksamkeit. Allerdings ist die Wirkung gegen gramnegative Bakterien schwächer als bei den Cephalosporinen der 3. Generation (s. unten).
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12.7 · Infektionen
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. Abb. 12.18a–d. Bildgebung bei einem 5 Monate alten Jungen, der mit Schonung der linken Hüfte und schmerzhafter Bewegungseinschränkung erkrankte. a In der linken Hüfte fallen sonografisch eine vermehrte Echogenität, eine Verdickung der Gelenkkapsel und eine Weichteilschwellung mit Flüssigkeitseinlagerung und vermuteter Septierung auf. b Das Röntgenbild zeigt die noch diskrete Erweiterung des Gelenkspalts der Hüfte auf der linken Seite bei unauffällig erscheinendem Hüftkopf. c Das dazugehörende MRT-Bild verdeutlicht den massiven Erguss um das linke Hüftgelenk. Ätiologisch wurden cephalosporinsensible Pneumokokken als Erreger der bakteriellen Koxarthritis links nachgewiesen. d Wie die Röntgenaufnahme 8 Monate nach Beginn der Erkrankung zeigt, entwickelten sich trotz intensiver antibiotischer und kinderchirurgischer Behandlung mit Eröffnung und Spülungen des Hüftgelenks und guter klinischer Besserung des Jungen im weiteren Verlauf eine Entrundung des linken Hüftkopfes und eine abgeflachte Hüftpfanne links mit epiphysärer Wachstumsstörung
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c
d
a
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. Abb. 12.19a,b. Bei einem 25 Monate alten Mädchen traten akut Schreiattacken beim Wickeln auf. Das Mädchen wollte weder sitzen noch laufen und gab bei der passiven Bewegung der Hüften Schmerzen an. Der aus der Klinik bei fehlendem Fieber und nur diskreten Entzündungszeichen abgeleitete Verdacht auf eine Spondylodiszitis als Ursache wurde durch die MRT-Untersuchung bestätigt. Im Bereich der Lendenwirbelsäule bestand eine ausgeprägte Spondylitis der Wir-
belkörper L5 und S1 mit Schwellung und Infiltration des Spinalkanals und der angrenzenden Disci (a). Der Schwere des Knochenbefalls entsprechend wurde eine intravenöse antibiotische Therapie über mehr als 3 Wochen durchgeführt. Regelmäßige klinische und MRT-Kontrollen ohne Hinweis auf Rezidiv führten zu einem Residualzustand im MRT-Bild der Lendenwirbelsäule 17 Monate nach Manifestation der Spondylodiszitis (b)
Zur Wahl der optimalen Antibiotikabehandlung ist die Erregerkultivierung und Resistenztestung im mikrobiologischen Labor weiter das primär angestrebte diagnostische Ziel (s. oben). Wenn der Erreger der Osteomyelitis nicht bekannt ist und neben den dominierenden Staphylokokken und Streptokokken auch die erwähnten gramnegativen Erreger (. Tab. 12.9) zu berücksichtigen sind, wird die Kombination von Clindamycin mit einem Cephalosporin der 3. Generation wie Cefotaxim in einer Dosierung von
150 mg/kg KG/Tag in 3 Einzeldosen empfohlen. Die Wirkung von Cefotaxim erfasst auch den in den vergangenen Jahren vermehrt beschriebenen gramnegativen invasiven Erreger Kingella kingae, der in einzelnen Serien bei bis zu 20% von Osteomyelitiden und septischen Arthritiden und vor allem bei Kindern unter 2 Jahren gefunden wurde.
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
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. Abb. 12.20a,b. Ein 7 Jahre und 4 Monate altes Mädchen klagte über plötzlich aufgetretene Schmerzen im linken Fuß, die bei körperlicher Untersuchung mit auffallender Schwellung und Rötung im Bereich des oberen Sprunggelenks lokalisiert wurden. a Die ausgedehnte Osteomyelitis der linken distalen Fibula wurde in der MRT nachgewiesen; anschließend wurde die zur kompletten Heilung führende an-
tibiotische Therapie eingeleitet. b Bei radiologischen Verlaufskontrollen zeigten sich diskrete osteolytische Veränderungen in der Fibulaepiphyse ohne Instabilität. (Für die radiologischen Aufnahmen danken wir der Kinderradiologischen Abteilung, Chefarzt: Dr. M. Kellner, im Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße und der Radiologischen Klinik Merheim, Chefarzt: PD Dr. J.-P. Hedde, Kliniken der Stadt Köln)
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Evidenz Für diese Therapieempfehlungen fehlen prospektiv ausgerichtete Studien, jedoch können die pädiatrischen Erfahrungen und Berichte der letzten Jahre mit Evidenzgrad IV angegeben werden. Auch für die Dauer der intravenösen antibiotischen Therapie gibt es keine prospektiven Studien und nur Experten- und Gremienempfehlungen nach Evidenzgrad IV.
Gefürchtet war und ist die unzureichende Sanierung eines infektiösen Knochen- und/oder Gelenkherdes, sodass sich bei zu frühem Absetzen die Gefahr einer chronischen Osteomyelitis mit Gewebedestruktion und der Notwendigkeit chirurgischer Eingriffe ergibt. Die Mindestdauer der intravenösen Antibiotikatherapie beträgt 3 Wochen, in denen der klinische und laborchemische Verlauf monitorisiert wird. Neben Rückbildung der Schmerzen und der Bewegungseinschränkung werden die Normalisierung nicht nur des CRP-Wertes, sondern auch der anfangs meist massiv erhöhten BSG gefordert. Unter diesen Bedingungen handelt es sich bei der 3-wöchigen Behandlungsdauer eher um eine Mindestzeit, bei der in Zweifelsfällen, z. B. mit einer noch erhöhten BSG, eine weitere orale antibiotische Therapie für z. B. 2–3 Wochen angeschlossen werden kann. Wegen der geringeren Gewebespiegel im Vergleich zur intravenösen Anibiotikagabe und der generellen Complianceproblematik ist die orale Antibiotikafolgetherapie umstritten und erfordert regelmäßige klinische Kontrollen. Kommt es im Verlauf der antibiotischen Behandlung einer Osteomyelitis nach initialer Besserung zu einem erneuten Anstieg der Entzündungszeichen, zu Fieber
oder weiteren lokalen Beschwerden am Bewegungsapparat, dann muss an ein Rezidiv oder eine Chronifizierung der knöchernen Entzündung gedacht werden. In Absprache mit einem Kinderchirurgen sind bildgebende Untersuchungen durchzuführen, um evtl. notwendige chirurgische Eingriffe zur Knochensanierung zu veranlassen. ! Die eitrige Osteoarthritis des Säuglings, z. B. an den Hüften, oder die isolierte septische Arthritis älterer Kinder bedeutet primär eine Indikation zum entlastenden operativen Eingriff durch den Kinderchirurgen. Diese Situationen stellen einen infektiologischen Notfall dar!
Die eitrige Arthritis ist auch eine wichtige Differenzialdiagnose der häufig bei Kleinkindern diagnostizierten Coxits fugax (7 Kap. 12.2). Wird bei Nachweis oder Verdacht auf einen eitrigen Erguss eine Gelenkpunktion in Narkose durchgeführt, so kann nicht nur diagnostisch der Erreger gesichert, sondern zusätzlich durch Drainage und Spülung der Gelenkhöhle der Druck vom umliegenden Knochengewebe genommen und damit eine Schädigung des Wachstums oder eine Destruktion der Knorpel- und Knochenstrukturen aufgehalten werden. Die Ruhigstellung des entzündlich betroffenen Knochens oder Gelenks ergibt sich zu Beginn der Erkrankung meist schon als natürliche Schonhaltung oder schmerzbedingt auftretende Bewegungseinschränkung. Eine entlastende Lagerung und symptomatische Schmerzbehandlung sind sinnvoll. Länger als eine Woche dauernde Immobilisationen sollen jedoch wegen der dann zu berücksichtigenden Muskelatrophien oder Bewegungseinschränkungen durch fehlende Aktivität vermieden werden. In der Rehabilitation von Kindern mit Osteomyelitis, Oste-
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oarthritis, septischer Arthritis oder Spondylodiszitis wird zur gezielten Physiotherapie geraten. Antibiotikaauswahl 5 Die antibiotische Therapie der bakteriellen Osteomyelitis oder Arthritis wird intravenös über einen Zeitraum von 3 Wochen oder länger durchgeführt. 5 Bei der Auswahl der Medikamente werden mit Clindamycin nur die grampositiven Bakterien wie Staphylokokken und Streptokokken erfasst. 5 Bei der möglichen Annahme gramnegativer Erreger wird deshalb bis zum Erhalt mikrobiologischer Resultate und Resistenztestungen die Kombination mit einem breit wirksamen Cephalosporin der 3. Generation (Cefotaxim) empfohlen.
12.7.8 Prognose Die frühe und ausreichend lange intravenöse antibiotische Therapie ist von vorrangiger Bedeutung, um eine Ausheilung der bakteriellen Knochen- und/oder Gelenkentzündung zu erreichen. Bei nicht effektiv durchgeführter Therapie kann der Enzündungsprozess wieder aufflammen und neben allgemeinen Entzündungszeichen zu einer Destruktion des Knochengewebes führen. Insgesamt treten Defektheilungen inkl. Wachstumsstörungen bei <10% der Erkrankten auf. Negative Konsequenzen einer unzureichend behandelten Osteomyelitis sind Sequestrationen, die chirurgische Eingriffe erfordern, oder Knochensubstanzverluste, die bis zu pathologischen Frakturen führen. Eine typische Komplikation nach einer Osteomyelitis beim Säugling oder Kind sind Wachstumsstörungen, die besonders dann zu befürchten sind, wenn die bakterielle Entzündung in der Nähe oder unter Einbeziehung der Epiphysenfugen ablief und das weitere Knochenwachstum mit verminderter oder auch vermehrter Knochenlängenentwicklung beeinflusst wird. Regelmäßige Kontrollen der Längenentwicklung, ggf. radiologische und orthopädische Kontrolluntersuchungen, sind deshalb bei der Betreuung von Säuglingen und Kindern mit Zustand nach Osteomyelitis unerlässlich.
12.7.9 Praktisches Vorgehen Bei der Annahme einer hämatogenen oder nicht hämatogen entstandenen bakteriellen Infektion des Knochens oder der umgebenden Weichteile ist eine intravenöse antibiotische Therapie notwendig. Vor dem Beginn der antibiotischen Therapie müssen die notwendigen diagnostischen Maßnahmen einschließlich der Gewinnung der
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Kulturen zur möglichen Erregerisolierung durchgeführt werden. 5 Zur Diagnostik gehörem bei klinischem Verdacht Differenzialblutbild, BSG und CRP ebenso wie die Abnahme von Blutkulturen und, falls möglich, mikrobiologische Kultivierungen der am Knochen, im Gewebe oder in betroffenen Gelenken durch Punktion gewonnenen Flüssigkeiten. 5 Sonografie, MRT, Knochenszintigrafie und konventionelle Röntgenaufnahmen werden je nach klinischer Präsentation und unmittelbarer Verfügbarkeit zum Nachweis und zur Dokumentation knöcherner und entzündlicher Veränderungen der umgebenden Weichteile eingesetzt. 5 Vor Beginn einer intravenösen Antibiotikagabe sind neben den diagnostischen Prozeduren ggf. notwendige therapeutische operative Maßnahmen mit einem Kinderchirurgen zu planen und durchzuführen. Besonders wichtig ist die unmittelbare Entlastung gefährdeter Gelenke bei einer eitrigen Arthritis. 5 Als Antibiotika zur kalkulierten, noch ungezielten intravenösen Behandlung vor Isolierung eines Erregers kommen die gegen Staphylokokken und Streptokokken gut wirksamen Substanzen Clindamycin, Cefuroxim/Cefotiam oder das penicillinasestabile Flucloxacillin in Frage. 5 Bei Annahme oder hohem Risiko einer Infektion durch gramnegative Bakterien, z. B. im 1. Lebensjahr, wird die Kombination von Clindamycin mit einem Cephalosporin der 3. Generation (Cefotaxim) empfohlen. Nach Isolation des Erregers und Resistenztestung kann die Antibiotikatherapie optimiert und auf ein wirksames Medikament reduziert werden. 5 Die intravenöse Antibiotikatherapie einer bakteriellen Osteomyelitis sollte für mindestens 3 Wochen erfolgen. Kriterium für eine Beendigung ist neben der klinischen Besserung die laborchemische Rückbildung der Entzündungszeichen mit Normalisierung von CRP und BSG. Bei noch erhöhter BSG nach 3 Wochen intravenöser Therapie ist eine Fortsetzung mit oralen Antibiotika für weitere 2–3 Wochen zu erwägen. 5 Eine Ruhigstellung des betroffenen Gelenks oder der Extremitäten ist nur für eine Woche sinnvoll. Dann sollte bereits frühzeitig eine mobilisierende und rehabilitierende Physiotherapie zum funktionellen Training begonnen werden. Bei stabilitätsgefährdenden Entzündungen (z. B. Spondylodiszitis) ist eine stabilisierende Hilfsmittelversorgung wichtig. 5 Je nach Ausmaß der knöchernen Läsionen und umgebenden Gewebsveränderungen sind radiologische Verlaufskontrollen (Röntgen, MRT) zur Verlaufsbeurteilung und Erkennung von Residualzuständen notwendig.
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
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ronic osteomyelitis«, »pustulotic arthroosteitis«, »chronic recurrent multifocal osteomyelitis« (Jurik et al. 1987; Appell et al. 1983). Der letztgenannte Krankheitsname wurde vor allem im pädiatrischen Schriftgut in den letzten 10 Jahren verwendet (Carr et al. 1993). Allerdings waren darunter in der Regel auch unifokale Verlaufsformen und nicht rekurrierende Verläufe eingeschlossen. Daher wurde vor kurzem die »chronisch nichtbakterielle Osteomyelitis« als beschreibende Diagnose postuliert, solange laborchemische oder genetische Marker zur Definition der Erkrankung fehlen (Girschick et al. 2005). Im Erwachsenenalter wird eine ähnliche Erkrankung als »SAPHO-Syndrom« bezeichnet (Synovitis, Akne, Pustulosis, Hyperostosis, Osteitis; Kahn u. Chamot 1992). Die CNO wird von einzelnen Autoren als Untergruppe des SAPHO-Syndroms im Kindesalter betrachtet (Chamot et al. 1987).
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Nichtbakterielle Osteomyelitis
H.J. Girschick
12.8.1 Definition
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Bei der chronischen nichtbakteriellen Osteomyelitis (CNO) im Kindesalter handelt es sich definitionsgemäß um eine entzündliche Erkrankung des Knochens. Am Ort der Entzündung können weder durch kulturelle Methoden noch durch molekularbiologisch-mikrobielle Analysen lebende Erreger, Erregerbestandteile oder ErregerDNA nachgewiesen werden. Die CNO betrifft vor allem die Metaphysen der langen Röhrenknochen und zusätzlich bevorzugt die Wirbelsäule, das Becken und den Schultergürtel. Knochenläsionen können jedoch an jedem Ort des Skeletts auftreten, so auch am Schädel (Girschick et al. 2005).
12.8.2 Häufigkeit Epidemiologische Daten zur Inzidenz und Prävalenz sind nicht publiziert. Aus einer überregionalen Fallkohortenstudie kann die Inzidenz auf etwa 1:1.000 Kinder und Jugendliche geschätzt werden (Girschick et al. 2005).
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12.8.3 Klassifikation Eine international gültige Klassifikation fehlt. Innerhalb der letzten 30 Jahre wurden eine Vielzahl von Diagnosen und Begriffe zur Beschreibung der chronisch nichtbakteriellen Osteomyelitis im Kindes- und Erwachsenenalter verwendet: »chronic sclerosing osteomyelitis«, »condensing osteitis«, »sclerosis and hyperostosis«, »primary ch-
12.8.4 Ätiologie Pathogenetisch besteht eine enge Verbindung der CNO zur enthesitisassoziierten Arthritis und zur Psoriasisarthritis. Seit den ersten Beschreibungen wird immer wieder intensiv über eine mögliche infektiöse Ätiologie der CNO diskutiert. Insbesondere wurde Propionibacterium acnes als möglicher Erreger aus den Knochenläsionen mancher Patienten isoliert (Kotilainen et al. 1996). Allerdings haben größere Kohortenstudien und detaillierte mikrobielle »State of the art«-Analysetechniken keinen Infektionserreger am Ort des Geschehens nachweisen können. Es wird diskutiert, dass Propionibacterium acnes ggf. als Kontaminante über den operativen Zugang in die Kulturgefäße gelangt ist. In Einzelfällen wird auch der Erreger der Katzenkratzkrankheit (Bartonella henselae) als Erreger diskutiert (Waldvogel et al. 1994). In der überwiegenden Mehrzahl der pädiatrischen Patienten ist jedoch ein Infektionserreger nicht nachweisbar (Girschick et al. 2005). Obwohl die Erkrankung seit etwa 30 Jahren nun als klinische Entität beschrieben ist (Giedion et al. 1972), bleibt die Ursache und die Pathogenese letztendlich noch unklar.
12.8.5 Pathogenese und Pathologie Inwieweit autoimmunologische Vorgänge eine Rolle bei der Erkrankung spielen oder genetisch autoinflammatorische Ursachen bestehen, wird derzeit untersucht. Das Vollbild der Erkrankung, die chronisch rekurrierende multifokale Osteomyelitis, erinnert vor allem in Bezug auf den rekurrierenden Verlauf an chronisch autoinflammatorische Erkrankungen aus dem Formenkreis der Fiebersyndrome (z. B. TRAPS-Syndrom), genetische Analysen hierzu sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Letztendlich ist auch eine reaktiv inflammatorische Erkrankung im
12.8 · Nichtbakterielle Osteomyelitis
Anschluss an eine noch nicht definierte Infektion auf der Basis einer genetischen Neigung (HLA-B27) als mögliche Pathogenese vorstellbar.
12.8.6 Klinische Symptome Bei der CNO können Manifestationen am Skelett und an den übrigen Organen unterschieden werden. Die entzündlichen Läsionen am Skelett können unifokal oder multifokal auftreten (Girschick et al. 2005). Sie sind initial in der Regel osteolytischer Natur und ändern im Verlauf das Bild in sklerotische und hyperostotische Läsionen. Offenbar setzt die chronische Entzündung einen Knochenneubildungsreiz. Betroffen sind vor allem die Metaphysen der langen Röhrenknochen und der Schultergürtel mit Einschluss der Clavicula (Girschick et al. 1998). Es können jedoch alle Knochen des Skeletts in den Prozess einbezogen werden. Ein primär chronischer oder primär undulierender Krankheitsverlauf wurde beschrieben. Rezidive auch unter Therapie sind häufig. In den letzten 10 Jahren werden mit der Verbesserung der bildgebenden Untersuchungstechniken zunehmend auch begleitende Arthritiden beschrieben. Es sind nicht nur Gelenke in der Nähe der Knochenläsion von Arthritis betroffen, sondern auch weit entfernt liegende Gelenke. Eine Arthritis kann sowohl initial gleichzeitig auftreten als auch einer CNO vorausgehen oder nachfolgen. Im Einzelfall können somit die Diagnosekriterien einer enthesitisassoziierten Arthritis oder Spondylarthropathie erfüllt sein. Übergänge in das Vollbild einer Spondylarthropathie wurden in einer Langzeitverlaufskohortenstudie beschrieben (Vittecoq et al. 2000). Andere Organe können ebenso in einen chronischentzündlichen Prozess einbezogen sein und damit dokumentiert die CNO einen »systemischen Charakter«. Vor allem Hautmanifestationen im Sinne einer palmoplantaren Pustulose, einer Schuppenflechte oder einer Acne conglobata werden assoziiert. Uveitiden, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und auch chronisch-entzündliche Lungenerkrankungen sind berichtet worden. Die klinische Diagnose kann anhand der klinischen Zeichen einer Osteomyelitis (chronischer Schmerz, lokale Schwellung, Bewegungseinschränkung von Gelenk oder Extremität vermutet werden).
12.8.7 Diagnose Bei der CNO handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Die Diagnosestellung bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen kann im Einzelfall schwierig sein, da das klinische Bild und der Verlauf der Erkrankung stark variieren können. Die Diagnose basiert zum einen auf den klinischen Symptomen einer Osteomyelitis und zum ande-
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ren auf diagnostischen Prozeduren, welche konventionelles Röntgen, Technetium-Skelettszintigrafie, MRT und ggf. CT mit einschließt (Girschick et al. 1998). Konventionelle Röntgenanalysen in der Frühform der Erkrankung zeigen allenfalls eine Abnahme der Knochendichte, welche sich lokalisiert im Sinne einer Osteolyse darstellen kann. Im »natürlichen« Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer signifikanten Knochenneubildung, sodass vor allem eine Verdickung der Compacta (Hyperostose) der betroffenen Knochen zu verzeichnen ist. Frakturen langer Röhrenknochen als Folge einer CNO sind nicht beschrieben worden. Wirbelkörpersinterungen sind jedoch nicht selten. Im Einzelfall können osteolytische Veränderungen und Hyperostosen gleichzeitig bestehen, sodass die Abgrenzung zu einem malignen Knochentumor (Osteosarkom, Ewingsarkom) schwierig sein kann. Die Technetium-Skelettszintigrafie eignet sich besonders zur Dokumentation eines multifokalen Befallsmusters. Es ist auf eine Dreiphasenanalyse mit Spätaufnahme zu achten, da im Einzelfall die Knochenläsionen nur eine geringe Nuklidspeicherung aufweisen können. Die Knochenszintigrafie hilft klinisch silente Läsionen zu erfassen. Der Einsatz der MRT ist insbesondere von Bedeutung, um neben der Knochenläsion auch die Affektion von umgebenden Weichgewebsstrukturen und Gelenken zu dokumentieren. Aufgrund eines starken Signals in den T2-Wichtungen (inkl. fettsupprimierte STIR/TIRMSequenzen) und einer deutlichen lokalen Kontrastmittelaufnahme kann erneut die Abgrenzung zu einem malignen Geschehen im Einzelfall schwierig sein. Insbesondere bei einer unifokalen Manifestation kann diese Abgrenzung im Einzelfall auch unmöglich sein. ! Der Einsatz der MRT hat sich als sehr hilfreich vor allem in der Verlaufsbeobachtung der Knochenläsionen und für die Steuerung der Dauer und der Intensität der Therapie bewährt. Sollte eine Ganzkörper-MRT zur Verfügung stehen, dann kann im Einzelfall auf eine Knochenszintigrafie verzichtet werden.
Computertomografische Analysen bringen in der Regel nur bei ausgeprägter Hyperostose und einem gemischt osteolytisch-osteosklerotischem Bild zusätzliche Informationen über den Ausprägungsgrad der Läsion. Bildgebende Diagnostik kann eine CNO weder beweisen noch ausschließen. Insbesondere bei einer unifokalen Manifestationsform erscheint die Durchführung einer bioptischen Sicherung des Befundes dringend angeraten. Im Einzelfall kann bei klassischer Ausprägung eines chronisch multifokalen Bildes inkl. Hautveränderungen auf eine Biopsie verzichtet werden. Eine mikrobielle Analyse (Standardkulturen, Mykobakterienkultur), die auch molekularbiologische Analyseverfahren (universelle Such-PCR) mit einschließt, bleibt in der Regel ohne wegweisenden Be-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
fund (Girschick et al. 1999). In einzelnen Verdachtsfällen konnte jedoch ein virulenter Infektionserreger, z. B. Staphylococcus aureus oder Bartonella henselae, nachgewiesen werden, sodass letztendlich die Diagnose einer chronisch-bakteriellen Osteomyelitis zu stellen war. Eine Mykobakteriose (Tuberkulose, atypische Mykobakteriose) muss ausgeschlossen werden. Laborchemische Analysen sind in der Regel nicht wegweisend. In wenigen Fällen können eine Leukozytose und eine Senkungsbeschleunigung bestehen. Bei einzelnen Patienten mit CRMO wird eine moderate IgG-Erhöhung im Rahmen einer chronischen Immunstimulation interpretiert. Die konventionelle Histologie bietet von unifokalen und multifokalen Läsionen ein vergleichbares Bild (Girschick et al. 1999; Bjorksten et al. 1978). In der Frühform der Erkrankung überwiegt eine lympho- und monozytäre Entzündung. Es können Granulozyten z. T. mikroabszessartig angehäuft sein. Je länger die Erkrankung fortschreitet, umso mehr dominieren Reparationsvorgänge mit überschießender Osteoidbildung, die in Hyperostose resultieren. Im Bereich des spongiösen Knochens lässt sich nach etwa einem Jahr eine deutliche Fibrosierung mit nur noch leichtem, schütterem Entzündungsinfiltrat nachweisen. Dieses sehr variable histologische Bild ist im Einzelfall nicht von einer chronisch-bakteriellen Osteomyelitis zu unterscheiden. Entscheidend ist eine möglichst vollständige Aufarbeitung der Biopsie um regional unterschiedliche Ausprägungen des entzündlichen Bildes erfassen zu können. Bei sehr starker Knochenneubildung kann die Differenzialdiagnose zum Osteoidosteom oder Osteoblastom schwierig sein. Immunhistologisch bietet sich im lymphozytären Infiltrat ein gemischtes Bild aus T- und B-Zellen, welche aktiviert sind. Granulozyten und Monozyten sind ebenso wechselnd ausgeprägt nachweisbar. Ein spezifisches immunhistologisches Bild existiert für die CNO nicht. Die entscheidende Indikation zur histologischen Analyse ist der Ausschluss differenzialdiagnostisch zu erwägender maligner Erkrankungen. Differenzialdiagnostisch ist in erster Linie eine chronisch-bakterielle Osteomyelitis zu erwägen. Dabei ist vor allem an Bartonella henselae, Mycobacterium tuberculosis, atypische Mykobakterien und Neisserien (Kingella kingae) zu denken. In seltenen Fällen kann auch eine Osteomyelitis durch Staphylococcus aureus mit nur gering erhöhten Inflammationsparametern mit einem multifokalen Befallsmuster einhergehen. Differenzialdiagnostisch sollte hier dann auch ein Immundefekt ausgeschlossen werden. Da die CNO eine Ausschlussdiagnose darstellt, sollte in der diagnostischen Aufarbeitung die Differenzialdiagnose von malignen Erkrankungen wie Osteosarkom, Ewingsarkom, Neuroblastom, Rhabdomyosarkom, Leukämie und vor allem auch die Langerhans-Zell-Histiozytose ausgeschlossen werden. Gutartige Knochentumoren
wie das Osteoidosteom oder Osteoblastom sind bei unifokalen Verlaufsformen abzugrenzen. Betrachtet man historische Kohorten, so kann das Vollbild der chronisch multifokalen rekurrierenden Osteomyelitis durchaus nach mehreren Jahren Krankheitsdauer mit einer deutlichen körperlichen Behinderung und Funktionseinschränkung einhergehen (Bjorksten et al. 1978; Yu et al. 1989). Der Übergang in eine enthesitisassoziierte Arthritis oder Spondylarthropathie wurde in mehreren Kohorten von Kindern und jungen Erwachsenen beschrieben (Vittecoq et al. 2000). Pathogenetisch ist die CNO der juvenilen idiopathischen Arthritis verbunden und kann mit Symptomen der enthesitisassoziierten Arthritis oder Schuppenflechte überlappen.
12.8.8 Therapie Unter früh eingeleiteter suffizienter entzündungshemmender Therapie zeigt die Erkrankung eine deutlich bessere Prognose als unter bedarfsorientierter Schmerztherapie oder im Vergleich zu ohne Therapie. Mittel der Wahl sind nichtsteroidale Antiphlogistika. Bei Patienten mit häufigen Rezidiven oder ausgeprägt multifokalem Befallsmuster wurden der Einsatz von Kortikosteroiden, Bisphosphonaten, Sulfasalazin und TNF-α blockierenden Substanzen als hilfreich beschrieben (Girschick et al. 2005; Wagner et al. 2002). Der Einsatz von antibiotischer Therapie hat sich letztendlich als nicht dauerhaft effektiv gezeigt. Positive Effekte, z. B. einer Azithromycintherapie, wurden auf einen immunmodulierenden Effekt zurückgeführt (Schilling u. Wagner 2000). Bei unifokalen Verlaufsformen wurde von einer Therapiedauer von etwa einem Jahr im Durchschnitt berichtet, bei multifokalen Verlaufsformen von etwa 1,5 Jahren. Von großflächigen Knochenresektionen sollte abgesehen werden. Es konnte gezeigt werden, dass Rezidive in biopsierten oder partiell resezierten Knochen ebenso häufig auftreten wie an nicht biopsierten Stellen. Die Knochenbiopsie sollte allein für mikrobielle und histologische Diagnostik durchgeführt werden. ! Langzeiterfahrungen zeigen, dass eine ledigliche Bedarfsmedikation zur Schmerz- und Entzündungshemmung den Verlauf in der Regel nicht beeinflusst und eine langfristige Chronifizierung drohen kann.
12.8.9 Prognose Prinzipiell ist die Prognose der chronischen nichtbakteriellen Osteomyelitis im Kindesalter gut, sofern konsequent eine entzündungshemmende Therapie durchgeführt wird. Im Vergleich zu Berichten von Spontanverläufen sind die Langzeitfolgen von entzündungshemmend therapierten
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12.9 · Leukämien und maligne Knochentumoren
Kindern deutlich günstiger. Allerdings sind Spontanremissionen von milden Ausprägungsformen beobachtet worden. Multifokale Verlaufsformen weisen durchschnittlich eine Therapiedauer mit NSAID von etwa 1,5 Jahren auf (Girschick et al. 2005). Im Einzelfall kann jedoch die Notwendigkeit zu einer entzündungshemmenden Therapie deutlich über diese Zeitspanne hinausgehen. Eine Anbindung an ein kinderrheumatologisches Zentrum zur Koordination von Diagnostik und Therapie ist erforderlich. Aufgrund der prinzipiell guten Prognose ist von mutilierenden Resektionen abzusehen. Im Einzelfall können jedoch Langzeitverläufe die körperliche und psychosoziale Entwicklung der in der Regel zurzeit der Adoleszenz betroffenen Patienten deutlich beeinträchtigen und mit einer körperlichen Behinderung einhergehen.
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12.9
Leukämien und maligne Knochentumoren
S. Bielack Krebserkrankungen können Symptome verursachen, die denen rheumatischer Erkrankungen verblüffend ähneln. In großen Serien von Kindern, die mit muskuloskelettalen Beschwerden in pädiatrisch-rheumatologischen Spezialabteilungen vorgestellt wurden, lag der Anteil zugrunde liegender bösartiger Erkrankungen bei etwa 0,25–1%, das mediane Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und Stellung der korrekten, nicht rheumatologischen Diagnose bei gut 5 Monaten (Cabral u. Tucker 1999; Gonçalves et al. 2005). Jeder Rheumatologe, dem ein Kind zur Abklärung von »Rheuma« vorgestellt wird, ist daher gut beraten, wenn er Krebserkrankungen in die Differenzialdiagnostik einschließt. Muskuloskelettale Beschwerden, die bei bösartigen Erkrankungen beobachtet werden, sind vor allem lokalisierte oder diffuse Knochenschmerzen, aber auch Arthritiden, Arthralgien und Myalgien. Jeder Kinderonkologe hat Patienten kennen gelernt, die aufgrund fehlgedeuteter Beschwerden mit dem Etikett »rheumakrank« versehen wurden und infolge dieser gravierenden Fehleinschätzung ungeeigneten Therapieverfahren zugeführt wurden, mit entsprechend langfristigen Verzögerungen und im Einzellfall deletären Folgen. Besonders häufig treten Beschwerden, die an rheumatische Erkrankungen erinnern, bei der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) und bei Knochentumoren auf. Andere Malignome, die rheumatische Erkrankungen vortäuschen können, sind z. B. Lymphome, metastasierte Neuroblastome, gelenknahe Weichteilsarkome und andere. Sicherlich fällt es nicht schwer, bei einem matten, blassen Kind mit Blutungszeichen, generalisierter Lymphadenopathie und Hepatosplenomegalie an Leukämie zu denken, zumal wenn sich im Blutbild Hyperleukozytose, Anämie und Thrombozytopenie finden. Nicht immer sind die Hinweise aber so deutlich. Klassische klinische Zeichen und sogar Blutbildveränderungen können zunächst äußerst diskret sein oder im Einzelfall vollständig fehlen, obwohl eine Krebserkrankung besteht. Ziel dieses Kapitels ist es, den Leser am Beispiel der Leukämien — speziell der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) und der Knochentumoren — mit der Differenzialdiagnose zwischen rheumatischen und malignen Erkrankungen, den Grundzügen der erforderlichen Dia-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
gnostik sowie mit der zeitgemäßen therapeutischen Strategie und ihren Erfolgsaussichten vertraut zu machen.
2 12.9.1 Akute lymphoblastische Leukämie
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Epidemiologie
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Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa 2000 Kinder im Alter von weniger als 15 Jahren an Krebs, etwa die Hälfte davon an Leukämie. Häufigste Leukämieform bei Kindern und Jugendlichen ist die ALL mit 75%, deren Symptomatik besonders häufig Anlass zur Verwechslung mit Rheuma gibt. Das Hauptmanifestationsalter der ALL liegt zwischen 2 und 5 Jahren, grundsätzlich kann aber jedes Alter betroffen sein. Etwa 15–20% der pädiatrischen Leukämien sind akute myeloische Leukämien (AML); chronische Leukämien treten in dieser Altersgruppe kaum auf.
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Klinische Symptome und körperlicher Untersuchungsbefund
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Die Symptome der ALL erklären sich zum einen direkt durch Proliferation des leukämischen Klons im Knochenmark und in extramedullären Lokalisationen wie Leber, Milz, Lymphknoten oder ZNS. Häufig, aber längst nicht immer findet sich eine generalisierte Lymphadenopathie. Bei vielen Kindern mit ALL führt die Proliferation leukämischer Zellen in Leber und Milz zu einer Hepatosplenomegalie, die von diffusen oder lokalisierten Bauchschmerzen und Inappetenz begleitet sein kann. Bei ZNS-Befall kann es zu Kopf- und Rückenschmerzen, Hirnnervenausfällen und Hirndruck kommen. Auch die typischen muskuloskelettalen Beschwerden der ALL, auf die unten detailliert eingegangen werden soll, werden durch Proliferation leukämischer Blasten verursacht. Neben diesen unmittelbar durch Wachstum des leukämischen Zellklons bedingten Symptomen stehen bei der ALL häufig indirekte, durch Verdrängung der normalen Hämatopoese entstehende Erkrankungszeichen im Vordergrund. So kommt es durch Verdrängung der normalen Erythropoese zur Anämie mit nachfolgender Schwäche und Mattigkeit, durch Verdrängung der Megakaryopoese zur Thrombozytopenie, gefolgt von Blutungszeichen wie Epistaxis, Zahnfleischbluten, Petechien und Hämatomen bis hin zu Suggilationen. Die Verdrängung der gesunden Granulopoese führt zur Abwehrschwäche mit erhöhter Anfälligkeit für bakterielle, virale und Pilzinfektionen. Fieber kann sowohl als Rektion auf solche Infektionen als auch durch Zytokinfreisetzung der Leukämiezellen auftreten. An Leukämie erkrankte Patienten können zunächst mit rein muskuloskelettalen Beschwerden auffallen, die von denen einer juvenilen idiopathischen Arthritis nicht zu unterscheiden sind. Muskuloskelettale Symptome tre-
ten bei bis zu 2 Dritteln aller Kinder mit ALL auf (Gonçalves et al. 2005). Sie schließen lokalisierten oder diffusen Knochenschmerz, Arthralgie, Arthritis und Synovitis ein. In einer größeren Serie pädiatrischer Leukämiepatienten hatten z. B. bei der Erstdiagnose 62% der Patienten muskuloskelettale Schmerzen und 13% die klinischen Zeichen einer Arthritis. Acht Prozent dieser Kinder waren als vermeintlich rheumakrank (fehl)diagnostiziert worden und einige hatten daraufhin schon Steroide erhalten (Barbosa et al. 2002). Die leukämietypischen Knochen- und Gelenkbeschwerden werden offenbar weniger durch unmittelbare leukämische Infiltration der Synovia ausglöst. Ursächlich ist vielmehr eine Reizung periostaler Bezirke in Gelenknähe durch proliferierende leukämische Blasten. ! Initiale artikuläre und extraartikuläre Symptome können sich bei Leukämie und Rheuma derart ähneln, dass sie oft nicht helfen, die Differenzialdiagnose zu klären. Die Stellung der korrekten Leukämiediagnose kann lange auf sich warten lassen, wenn die Diagnostik einseitig auf z. B. eine Arthritis fokussiert wird. Eine vorschnelle Therapie mit Kortikosteroiden oder Methotrexat kann zur vorübergehenden Beschwerdebesserung führen, letztlich wird hierdurch jedoch nur die Diagnosestellung verschleppt und durch Induktion von Resistenzen der spätere Erfolg der Chemotherapie gefährdet (Révész et al. 1985).
Trotz aller Ähnlichkeiten und Überschneidungen der muskuloskelettalen Symptomatik bei Rheuma und ALL gibt es einige klinische Hinweise, die auf leukämische Ursachen hindeuten können. So gelten Knochenschmerzen ohne direkten Gelenkbezug und fehlende Gelenksteifigkeit als typisch für die ALL. Die Knochenschmerzen treten klassischerweise zunächst intermittierend auf, betreffen vor allem die Metaphysen und entwickeln sich erst im Verlauf zu starken Dauerschmerzen mit einem nächtlichen Intensitätsmaximum (Costello et al. 1983; Ostrov et al. 1993). Die Heftigkeit leukämiebedingter Schmerzen ist disproportional stark zu den bei der körperlichen Untersuchung nachweisbaren, nur mäßigen lokal entzündlichen Befunden. Häufig werden alterstypische Aktivitäten durch diese starken Schmerzen eingeschränkt. Gerade von kleinen Kindern wird oft berichtet, sie seien weniger gelaufen und haben weniger gespielt als zuvor. Im Vergleich hierzu sind die Schmerzen bei rheumatischen Erkrankungen weniger stark, sie haben ihr Maximum am Morgen und werden charakteristischerweise von Gelenksteifigkeit begleitet. Die Knochensymptome einer ALL präsentieren sich meist als pauciartikulärer Befall großer Gelenke, häufiger an den Beinen als an den Armen. Häufigste Manifestationsorte sind die Kniegelenke gefolgt von den Sprunggelenken, doch auch der Befall der Hüften, Ellenbogen oder Handgelenke und anderer Gelenke ist beschrieben. Cha-
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12.9 · Leukämien und maligne Knochentumoren
rakteristischerweise treten die Beschwerden bei ALL symmetrisch auf und betreffen ein bestimmtes Gelenk nur vorübergehend, bessern sich dort dann spontan, nur um wenig später andernorts mit gleicher Heftigkeit wiederzukehren. Bei der Arthritis bei ALL handelt es sich somit zusammenfassend um eine schmerzhafte, migratorische, pauciartikuläre Arthritis großer Gelenke.
Labor Die wichtigste initiale Laboruntersuchung bei Verdacht auf Leukämie ist das Blutbild mit mikroskopischer Differenzierung. Finden sich im Blutausstrich Leukämiezellen, so ist die Diagnose gesichert. Das maschinelle Differenzialblutbild allein reicht nicht aus, da die typischen kleinen Blasten der ALL apparativ nicht immer von normalen Lymphozyten differenziert werden können. Der von Virchow eingeführte Begriff der Leukämie bedeutet »weißes Blut«, ein Ausdruck, der sich bei Betrachtung des Leukozytenüberstandes einer leukämiekranken Patientin mit Hyperleukozytose aufdrängte (Virchow 1845). In diesem begrifflichen Kontext muss vor der Fehleinschätzung gewarnt werden, dass eine Leukämie immer mit erhöhten Leukozytenwerten einherginge. Ganz im Gegenteil kann das Blutbild noch Wochen und Monate nach Beginn der Beschwerdesymptomatik normale Werte aufweisen. Bei Diagnose findet sich im peripheren Blut von Kindern mit ALL nur bei etwa einem Drittel eine Leukozytose, während je ein weiteres Drittel Leukozytenwerte im Normbereich oder sogar eine Leukopenie aufweisen. Offenbar präsentieren sich gerade ALLPatienten mit muskuloskelettalen Symptomen häufiger mit einem »aleukämischen” Blutbild (Whitlock u. Gaynon 1999). Auch die pathognomonischen leukämischen Blasten können in der Peripherie lange fehlen. Ein »normales« Blutbild schließt das Vorliegen einer Leukämie also keineswegs aus! Differenzialdiagnostisch muss immer dann besonders an das Vorliegen einer Leukämie gedacht werden, wenn sich im peripheren Blut quantitative Auffälligkeiten mehrerer Zellreihen finden. Typisch für die ALL ist vor allem eine Thrombozytopenie. Hier besteht ein deutlicher Unterschied zur JIA, die in der Regel mit erhöhten oder zumindest hoch normalen Thrombozytenzahlen einhergeht. ! Erniedrigte Thrombozytenzahlen sind also ein Warnzeichen: Bei »typisch rheumatischen« Beschwerden und Thrombozytopenie muss immer an eine Leukämie gedacht werden!
Die Differenzierung der Leukozyten kann wichtige differenzialdiagnostische Hinweise geben, selbst wenn sich im Ausstrich keine Blasten finden lassen. Zeigen Patienten mit JIA als Ausdruck der systemischen Entzündungsreaktion meist eine Leukozytose mit Neutrophilie, so findet
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sich bei ALL häufiger eine relative Lymphozytose, nicht selten bei relativ niedrigen Gesamtleukozytenwerten. Weitere Auffälligkeiten die auf eine Leukämie hinweisen können, sind unter anderem eine Erhöhung der LDH als Zeichen des erhöhten Zellumsatzes. Auch Hyperurikämie und Hyperphosphatämie können auftreten, gleichfalls durch erhöhten Zellumsatz bedingt. Die Blutsenkung ist bei Leukämie wie bei JIA oft erhöht und gibt daher kaum differenzialdiagnostische Hinweise. All diese Untersuchungen sind jedoch unspezifisch und nicht ausreichend sensitiv. Der Ausschluss einer zugrunde liegenden Leukämie allein durch Blutuntersuchungen ist nicht immer möglich. Untersucht man leukämiebedingte Gelenkergüsse, so sind diese mäßig entzündlich, leukämische Zellen findet man darin nur im Ausnahmefall. Die diesbezügliche Ausbeute kann durch immunologische Färbungen auf frühe B-Zell-Antigene erhöht werden.
Bildgebung Bei Kindern mit Leukämie finden sich in bis zu 50% der Fälle radiologisch nachweisbare Skelettveränderungen, besonders in den langen Knochen der Extremitäten (Parker et al. 1980; Gallagher et al. 1996). Typische, in der Röntgenaufnahme darstellbare Befunde sind transverse metaphysäre Aufhellungslinien (metaphysäre Bänderungen) und eine frühzeitige, deutliche Osteopenie. Leukämische Knochenmarkinfiltration, lokale Hämorrhagien und Nekrosen von Knochentrabekeln können zu permeativ imponierenden Destruktionen bis hin zu fokalen, geografischen Osteolysen führen. Osteopenie und Osteolysen begünstigen das Auftreten pathologischer Frakturen, z. B. auch als Kompressionsfrakturen von Wirbelkörpern. Neben diesen Zeichen der Knochendestruktion können andererseits auch eine Periostabhebung mit subperiostaler Knochenneubildung unterschiedlichen Ausmaßes und eine fokale oder diffuse Osteosklerose auftreten, letztere jedoch eher bei akuter Megakaryoblastenleukämie als bei ALL. In nicht ganz seltenen Einzelfällen präsentiert sich die ALL auch mit tumorartigem Befall in Form lokalisierter Knochenlymphome, die dann in der Bildgebung anderen malignen Knochentumoren (s. unten) sehr ähneln. Die Magnetresonanztomografie ist sicherlich nicht die Methode der Wahl zur Diagnose einer Leukämie, wird jedoch zur Abklärung von Gelenkbeschwerden häufig durchgeführt und kann dann Hinweise auf eine zugrunde liegende Knochenmarkerkrankung liefern, denn Änderungen der Knochenmarkzusammensetzung — so auch der Ersatz des normalen hämatopoetischen Marks durch eine hyperzelluläre Blastenpopulation — lassen sich mit Hilfe der MRT äußerst sensitiv darstellen (Takagi u. Tanaka 1996; Tardivon et al. 1997) (. Abb. 12.21). In der F-18-Deoxyglucose-Positronenemissionstomografie (FDG-PET) können leukämisch infiltrierte Kno-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
weise ist bei ALL das normale Knochenmark durch eine einförmige Blastenpopulation verdrängt (. Abb. 12.23). Vorbehandlung mit Steroiden führt zur Linksverschiebung im Knochenmark und kann die Beurteilung des Aspirats erheblich erschweren. Neben der für die Morphologie angewandten MayGrünwald-Färbung stehen verschiedene zytochemische Färbemethoden zur Verfügung, die der Klassifikation vorhandener leukämischer Blasten dienen. Automatisierte Immunfluoreszenzuntersuchungen (FACS) und molekulargenetische Untersuchungen (spezifische Translokationen, T-Zell-Rezeptor-Rearrangement) ergänzen das diagnostische Portfolio.
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Therapie und Prognose
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. Abb. 12.21. Fleckförmiger Knochenmarkbefall bei ALL in der MRT (Abbildung freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. P. Winkler, Radiologisches Institut, Olgahospital Stuttgart)
chenmarkareale als hypermetabol auffallen. In der Knochenszintigrafie kann sich eine erhöhte Traceraufnahme finden, häufiger in Form multipler Foci als diffus. Diese Foci sind an den Extremitäten vor allem metaphysär/diaphysär gelegen, am Rumpf besonders an Becken, Rippen oder Wirbelsäule lokalisiert (Shalaby-Rana u. Majd 2001).
Die Behandlung der ALL ist eine der Erfolgsgeschichten der pädiatrischen Onkologie. Lag die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit für Kinder mit ALL 1965 noch unter 0,1%, so liegt sie heute bei ca. 80% (Pui et al. 2004). Die meisten dieser Patienten dürfen als geheilt gelten. Grundlage des Erfolgs sind Polychemotherapieprotokolle, die im Rahmen flächendeckender Therapieoptimierungsstudien entwickelt und eingesetzt werden. In aktuellen Therapieprotokollen der BFM- und COALL-Gruppen, nach deren Protokollen in Deutschland therapiert wird, finden vor allem Kortikosteroide (Prednison, Dexamethason), Antimetabolite (Methotrexat, 6-Mercaptopurin, 6-Thioguanin, Cytosinarabinosid), Vincaalkaloide (Vincristin), Anthrazykline (Daunorubicin, Doxorubicin), Alkylanzien (vor allem Cyclophosphamid) und Asparaginase Anwendung. Die Intensität der Behandlung wird am individuellen Rückfallsrisiko orientiert, das u. a. am frühen Ansprechen auf eine Standardtherapie abgeschätzt werden kann. Die ZNS-Prophylaxe, für die früher regelhaft eine Schädelbestrahlung erforderlich war, wird heute meist mittels hochdosierter Methotrexattherapie und intrathekaler Methotrexatgaben durchgeführt. Die etwa 9-monatige intensive Chemotherapie wird durch eine anschlie-
Knochenmark Die Analyse des Knochenmarks ist unverzichtbar zum Ausschluss bzw. zur Diagnose einer Leukämie. Es erscheint dringend geraten, bei jedem Patienten mit einer vermeintlich rheumatischen Erkrankung spätestens vor Kortikosteroid- oder Methotrexattherapie eine Knochenmarkpunktion durchzuführen. Das Mark wird in der Regel durch Punktion aus dem Beckenkamm gewonnen, wobei sich die Spina iliaca posterior superior besonders eignet (. Abb. 12.22). Bei bildgebend fokalem Befall kann es angeraten sein, auch unmittelbar im Bereich vermuteter Herde zu punktieren. Aufgrund der Schmerzhaftigkeit des Knochenmarkpunktion geschieht diese heute an vielen pädiatrischen Zentren in einer Kurznarkose. Das Aspirat wird anschließend gefärbt und mikroskopisch untersucht. Klassischer-
. Abb. 12.22. Knochenmarkpunktion aus der Spina iliaca posterior
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12.9 · Leukämien und maligne Knochentumoren
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. Abb. 12.23a,b. Knochenmarkausstrich. Normalbefund mit buntem hämatopoetischen Bild (a), einförmige leukämische Blastenpopulation bei ALL (b)
ßende orale Erhaltungstherapie ergänzt, die 2 Jahre nach Diagnosestellung abgeschlossen ist. Ansprechpartner bei diagnostischen oder therapeutischen Fragen sind die Studienzentralen. ALL-BFM-Studienzentrale Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Schwanenweg 20 D-24105 Kiel Tel.: 0431-597-4033 Fax: 0431-597-4034 E-Mail:
[email protected]
COALL-Studienzentrale Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Zentrum für Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin Klinik und Poliklinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Martinistr. 52 20246 Hamburg Tel.: 040-42803-2580 Fax: 040-42803-8101
12.9.2 Maligne Knochentumoren Epidemiologie und Pathologie Maligne Knochentumoren sind typische Erkrankungen des Jugendalters, können aber auch bei jüngeren Kindern und bei Erwachsenen auftreten. Fast alle bei pädiatrischen Patienten beobachteten Knochenkrebserkrankungen sind entweder Osteosarkome oder kommen aus der Familie der Ewing-Tumoren. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 300–400 Patienten an einem dieser Knochensarkome, davon deutlich mehr als die Hälfte im 2. Lebensjahrzehnt, Jungen etwas häufiger als Mädchen. Osteosarkome sind die häufigsten bösartigen knocheneigenen Tumoren. Sie sind definiert durch die Fähigkeit der Tumorzellen, unreife Knochenmatrix (Osteid) zu bilden. Diese Eigenschaft kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein, sodass neben rein osteoblastischen Wuchsformen auch eher chondroblastische, fibroblastische und andere Subtypen auftreten. Bei Kindern und Jugendlichen entstehen Osteosarkome meist an den Metaphysen langer
Extremitätenknochen. Das Knie (distales Femur, proximale Tibia und Fibula) ist in mehr als 2 von 3 Fällen betroffen. Erst nach Abschluss des Wachstums steigt der Anteil der Osteosarkome des Körperstamms. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung finden sich nur bei 10–15% der Patienten Metastasen, fast immer in der Lunge, seltener im Skelett. Beschränkt sich die Behandlung auf die Lokaltherapie, so entwickeln jedoch innerhalb weniger Monate auch fast alle zunächst scheinbar metastasenfreien Patienten Tochtergeschwülste an den oben beschriebenen Regionen und versterben daran (Arndt u. Crist 1999). Zur Ewing-Tumorfamilie gehören das typische und das atypische Ewing-Sarkom und der maligne periphere neuroektodermale Tumor (PNET). Ewing-Tumoren sind vermutlich neuroektodermalen Ursprungs. Histologisch finden sich kleine blaue rundzellige Tumoren, die charakteristische Translokationen unter Einbeziehung des EWSGens auf Chromosom 22 aufweisen — zu etwa 80% t11;22 (EWS/FLI1); zu etwa 10–15% t21;22 (EWS/ERG); selten andere. Anders als Osteosarkome sind Ewing-Tumoren in der Hälfte der Fälle am Rumpf lokalisiert. Häufigste Lokalisationen sind Becken, Femur und Thoraxwand. An den Extremitäten sind überwiegend die Diaphysen betroffen. Auch Ewing-Tumoren metastasieren ohne systemische Therapie extrem häufig. Betroffen sind Lungen und Knochen zu etwa gleichen Teilen. Gelegentlich findet sich auch ein Knochenmarkbefall.
Klinische Symptome Maligne Knochentumoren verursachen zunächst völlig unspezifische Beschwerden. Im Median vergehen so vom Beginn der Symptomatik bis zur Diagnosestellung etwa 2 Monate (Bielack et al. 2002). Klinisch ist besonders die Abgrenzung zu traumatisch bedingten Symptomen bedeutsam. Erst in zweiter Linie kommt es zu Verwechslungen mit rheumatischen Beschwerden. In der Regel präsentieren sich dem hinzugezogenen Arzt äußerlich völlig gesund erscheinende Jugendliche, die über zunächst belastungsabhängige, z. T. bereits länger bestehende Schmerzen der betroffenen Region berichten. Meist erst Wochen später werden eine tumorbedingte Schwellung und Bewegungseinschränkungen benachbarter Gelenke deutlich. Die Auftreibung der Tumorre-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
gion kann im Verlauf monströse Ausmaße annehmen (. Abb. 12.24). Gelegentlich ist eine pathologische Fraktur erstes Symptom. Hier ist besondere Wachsamkeit gefordert, denn die inadäquate Versorgung der Fraktur in Verkennung der Diagnose kann spätere extremitätenerhaltende Tumoroperationen unmöglich machen oder gar zur Inoperabilität führen. Beim Ewing-Sarkom kommen lokal entzündlich wirkende Begleitreaktionen vor und auch Tumorfieber kann auftreten. Initial fehlen Allgemeinsymptome bei Knochensarkomen jedoch meist und treten typischerweise erst bei ausgedehnter Fernmetastasierung auf.
Diagnostik Wird ein Knochensarkom vermutet, so müssen Untersuchungen vorgenommen werden, die folgenden Zielen dienen: 5 Sicherung der Diagnose, 5 Beschreibung der lokalen Tumorausdehnung, 5 Beschreibung der systemischen Tumorausbreitung (Suche nach Metastasen), 5 Evaluation der Therapiefähigkeit (Organfunktionen). Der körperliche Untersuchungsbefund beinhaltet die Beschreibung tast- oder sichtbarer Schwellungen, der Verschiebbarkeit der über dem Tumor gelegenen Haut, der Beweglichkeit benachbarter Gelenke und evtl. neurologischer Ausfälle. Auch wenn eine lymphatische Metastasierung bei Knochensarkomen recht selten ist, sollten die regionären Lymphknotenstationen palpiert werden. Für Knochensarkome spezifische Laborparameter sind nicht bekannt. Hohe Werte der alkalischen Phospha-
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. Abb. 12.24. Kolbenförmige Auftreibung des distalen Oberschenkels bei lokal fortgeschrittenem Femurosteosarkom
tase (AP) oder der Laktatdehydrogenase (LDH) gelten jedoch als prognostisch ungünstig. Die konventionelle Röntgenaufnahme in mehreren Ebenen ist Methode der Wahl zur Darstellung knöcherner Veränderungen. Bei Ewing-Tumoren findet sich meist rein osteolytisches Wachstum. Beim Osteosarkom werden »mottenfraßartige« Osteolysen neben unterschiedlich stark ausgeprägten Sklerosezonen gefunden (. Abb. 12.25). Tumorausdehnung in die umgebenden Weichteile ist mit typischen Periostreaktionen verbunden, so mit zwiebelschalenartigen Verkalkungen bei diaphysären Tumoren (besonders beim Ewing-Tumor), dreiecksförmigen reaktiven Verkalkungen am Rand des extraossären Tumoranteils metaphysärer Tumoren (sog. Codman-Dreieck, besonders beim Osteosarkom) oder im Weichteiltumor gelegenen, radiär von der Kortikalis ausgehenden feinen Verkalkungen (Spiculae). Wolkige Verkalkungen im Weichteiltumor sind charakteristisch für Osteosarkome. Gelingt die Darstellung ossärer Veränderungen mit Hilfe der konventionellen Röntgenuntersuchung, so sind für die Darstellung der intramedullären Tumorausdehnung und des Weichteiltumors Schnittbilduntersuchungen erforderlich. Die höchste Aussagekraft hat die MRT, die sich als Standarduntersuchung für diese Fragestellungen durchgesetzt hat. Nur selten werden andere Untersuchungstechniken wie eine lokale Computertomografie oder Angiografie erforderlich. Auch auf sog. Skipmetastasen, vom Primärtumor unabhängige Herde im gleichen Knochen, muss in der MRT geachtet werden, die daher immer den gesamten befallenen Knochen sowie beide benachbarten Gelenke erfassen soll. Da sich die Metastasierung bei Knochensarkomen weitgehend auf einige wenige definierte Organsysteme beschränkt, kann sich auch die diesbezügliche Diagnostik auf diese Organsysteme — namentlich Lunge und Knochen — konzentrieren. Essenziell ist die Untersuchung des Thorax zur Darstellung von Lungenmetastasen. Sie beinhaltet konventionelle Röntgenaufnahmen und eine Computertomografie, bei der heute routinemäßig die Spiraltechnik zum Einsatz kommt. Die Suche nach Knochenmetastasen erfolgt mittels 99mTc-Skelettszintigrafie. Beim Ewing-Tumor wird die Metastasensuche durch eine Knochenmarkpunktion ergänzt. Neben der morphologischen Beurteilung des Knochenmarkes lässt sich eine etwaige Tumorzellkontamination bei Ewing-Tumoren durch Polymerasekettenreaktion (RT-PCR) untersuchen, die die Detektion Ewing-Tumor spezifischer EWSTranslokationen erlaubt. Ob weitere bildgebende Methoden wie z. B. die Positronenemissionstomografie (PET) zusätzliche Erkenntnisse liefern können, ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Die Verdachtsdiagnose Knochensarkom muss stets bioptisch gesichert werden. Es muss ausreichend Material für konventionelle Histologie und Immunhistochemie
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12.9 · Leukämien und maligne Knochentumoren
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überprüfen histologische und radiologische Befunde. Es besteht die Möglichkeit der konsiliarischen Beratung bei Fragen zur (Differenzial-)Diagnostik, zur Indikationsstellung und Durchführung der Lokaltherapie oder zur systemischen Therapie. Ansprechpartner sind die Studienzentralen. Cooperative Osteosarkomstudiengruppe (COSS) Olgahospital — Pädiatrisches Zentrum der Landeshauptstadt Stuttgart Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Pädiatrie 5 (Onkologie, Hämatologie, Immunologie), Bismarckstr. 8 D-70176 Stuttgart Tel.: 0711-992-3881/3877 Fax: 0711-992-2749 E-Mail:
[email protected]
EURO-E.W.I.N.G.-Studienzentrale
. Abb. 12.25. Osteosarkom des distalen Femurs im Nativröntgenbild. Charakteristische Codman-Dreiecke beidseits am proximalen Tumorrand, Spiculae und wolkige Verkalkungen in den Weichteilen
gewonnen werden, außerdem Frischmaterial für molekulargenetische Untersuchungen. Um die optimale Materialgewinnung, -versorgung und -untersuchung zu gewährleisten und um zu verhindern, dass ungeeignete Biopsietechniken das spätere lokaltherapeutische Vorgehen erschweren, sollte bereits die Probeentnahme erfahrenen Zentren vorbehalten bleiben. Die referenzpathologische Mitbeurteilung ist heute Standard.
Therapie und Prognose Seit über 25 Jahren werden fast alle Kinder- und Jugendliche, aber auch viele betroffene Erwachsene aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Therapieoptimierungsstudien der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) behandelt. Beim Osteosarkom sind dies die »Cooperativen Osteosarkomstudien« (COSS; Bielack et al. 2002), bei Ewing-Tumoren die »(EI)CESS/ EURO-E.W.I.N.G.-Studien« (Paulussen et al. 2001). Therapieoptimierungsstudien dienen nicht nur dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, für den angesichts der Seltenheit dieser Tumoren eine breite, multizentrische Kooperation unabdingbar ist. Sie tragen auch erheblich zur erreichten hohen Qualität der Patientenversorgung bei: Interdisziplinär erstellte Therapieprotokolle geben fundierte Anleitungen zur lokalen und systemischen Tumortherapie sowie zur Supportivtherapie. Referenzinstitutionen
Universitätsklinikum Münster Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, AlbertSchweitzer-Str. 33 48129 Münster Tel.: 0251-83-56484 Fax: 0251-83-56489 E-Mail:
[email protected]
Knochensarkome können nur durch interdisziplinäre Therapiestrategien geheilt werden. Ausgehend von den Leitlinien der multizentrischen Behandlungsprotokolle legen pädiatrische bzw. internistische Onkologen, Radiologen, Nuklearmediziner, Pathologen, Operateure und Strahlentherapeuten gemeinsam die im individuellen Fall geeigneten diagnostischen und therapeutischen Schritte fest. Um die Heilungschancen nicht zu gefährden, sollte die Behandlung von Knochensarkompatienten an spezialisierten Zentren erfolgen, an denen die erforderliche interdisziplinäre Expertise vorhanden ist. Ausgehend von der Beobachtung, dass auch fast alle Patienten mit scheinbar lokalisierter Erkrankung kurzfristig Metastasen entwickelten, wurde in den 1970er Jahren damit begonnen, zusätzlich zur Operation oder lokalen Bestrahlung eine Chemotherapie einzusetzen. Durch die Kombination von systemischer und lokaler Therapie wurden rasch dramatische Erfolg erzielt. Die Heilungsraten stiegen innerhalb weniger Jahre von zuvor nur 10–20% auf 50–70% und mehr (Arndt u. Crist 1999; Bielack et al. 2002, 2004; Paulussen et al. 2001). Die Therapie eines Knochensarkoms beginnt möglichst unmittelbar nach Diagnosestellung, heute im Regelfall mit einer sog. neoadjuvanten Chemotherapiephase (Synonyme: präoperative Chemotherapie, Induktionschemotherapie). Die vor der Lokaltherapie einge-
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
leitete medikamentöse Induktionsbehandlung hat zum Ziel, das Sarkom zu verkleinern und zu devitalisieren, um die anschließende Lokaltherapie sicherer und schonender durchführen zu können. Das Ausmaß des Tumoransprechens auf die präoperative Chemotherapie hat sich als zuverlässiger prognostischer Faktor für das spätere Lokalrezidiv- und Metastasenrisiko erwiesen (Bielack et al. 2004). Während gutes Ansprechen bei Ewing-Tumoren durch Größenreduktion des Weichteiltumors vorhergesagt werden kann, ist dies bei Osteosarkomen oft nicht möglich, da deren Osteoidmatrix eine Tumorschrumpfung selbst bei weitgehender Abtötung der Tumorzellen unmöglich machen kann. Im Anschluss an die Lokaltherapie wird die Chemotherapie noch bis zu einer Gesamtdauer von etwa 9–12 Monaten fortgeführt. Bei allen malignen Knochentumoren des Kindes- und Jugendalters kommen intensive Chemotherapieprotokolle zur Anwendung. Gegen Ewing- und Osteosarkome wird das Anthrazyklin Doxorubicin (Adriamycin) eingesetzt. Auch Alkylanzien, insbesondere Ifosfamid, finden bei beiden Erkrankungen Verwendung. Ergänzt wird die Chemotherapie des Osteosarkoms vornehmlich durch Cisplatin und hochdosiertes Methotrexat, die des EwingTumors durch Vincristin, Actinomycin D und Etoposid (Arndt u. Crist 1999). Beim Ewing-Tumor wird in Risikosituationen zusätzlich eine Hochdosistherapie mit Busulfan und Melphalan und autologer Blutstammzelltransplantation evaluiert. Ziele der Lokaltherapie sind zuvorderst die sichere Kontrolle des Primärtumors, dann eine möglichst gute Funktion und — wenn erreichbar — ein zufriedenstellendes kosmetisches Ergebnis. Da Lokalrezidive meist deletäre Folgen haben, darf die sichere Tumorkontrolle durch funktionelle oder kosmetische Erwägungen nicht gefährdet werden. Beim Osteosarkom ist die vollständige Operation des Primärtumors (und auch aller erkennbaren Primärmetastasen) Lokaltherapie der Wahl. Auch beim Ewing-Tumor — früher eine Domäne der Bestrahlung — gewinnt die Operation zunehmend an Bedeutung. Um Lokalrezidive zu vermeiden, müssen Knochensarkome mit »weiten« Resektionsgrenzen operiert werden, d. h. der Tumor inkl. Biopsienarbe muss en bloc, allseits von gesundem Gewebe umhüllt und unverletzt entfernt werden. Es kommen hierzu je nach Ausgangssituation verschiedene operative Verfahren in Frage. Es sind dies ablative Operationen wie Amputation oder Exartikulation, Resektionen mit Replantation des distalen Extremitätenabschnittes (bes. die Umkehrplastik nach Borggreve bei Tumoren der Knieregion) oder Resektionen mit Rekonstruktion des Operationsdefekts durch Endoprothesen oder biologische Materialien. Heute können etwa 3 Viertel der Knochensarkome extremitätenerhaltend operiert werden. Beim Ewing-Tumor steht mit der Bestrahlung ein weiteres effektives Verfahren zur Verfügung (Schuck et al. 2003),
anscheinend jedoch mit einer höheren Lokalrezidivrate behaftet als die Operation. Schwerpunkte der Radiotherapie liegen daher derzeit bei inoperablen Läsionen oder der zusätzlichen Lokaltherapie bei unzureichendem Sicherheitsabstand der Operation oder bei schlechtem Chemotherapieansprechen. Mit Einführung der Chemotherapie in das interdisziplinäre Behandlungskonzept hat sich die Überlebensrate von Kindern und Jugendlichen mit bösartigen Knochentumoren dramatisch gebessert. Insgesamt liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit nun — je nach Ausgangslage — bei etwa 50–80% (Arndt u. Crist 1999; Bielack et al. 2002; Paulussen et al. 2001). Prognostisch ungünstig sind eine hohe Tumorlast (große Primärtumoren, Primärmetastasen) und Tumorsitz am Rumpf. Auch therapieabhängigen Faktoren kommt erhebliche prognostische Bedeutung zu: Inadäquate Lokaltherapie hat fast regelhaft tödlichen Konsequenzen. Das Ansprechen des Primärtumors auf präoperative Chemotherapie, gemessen am Anteil verbliebener vitaler Tumozellen im Operationspräparat, korreliert eng mit dem lokalen und systemischen Rückfallsrisiko.
12.9.3 Fazit Bei jedem Kind mit unerklärten muskuloskelettalen Symptomen müssen bösartige Erkrankungen, insbesondere die Leukämie und Knochensarkome, in die differenzialdiagnostischen Überlegungen aufgenommen werden. Dies gilt umso mehr, wenn Klinik oder Labor für die juvenile idiopathische Arthritis nicht ganz typisch sind. Bevor eine juvenile Arthritis mit Steroiden oder Zytostatika behandelt wird, sollte eine Leukämie durch Knochenmarkpunktion ausgeschlossen worden sein. Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf eine bösartige Grunderkrankung gehören an ein pädiatrisch hämatologisch-onkologisches Zentrum.
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12.10 · Hämophilie und Sichelzellkrankheit
significance of the joint manifestations of childhood leukemia. J Rheumatol 10: 753–757 Gallagher DJ, Phillips DJ, Heinrich SD (1996) Orthopedic manifestations of acute pediatric leukemia. Orthop Clin North Am 27: 635–644 Gonçalves M, Terreri MTRA, Barbosa CMPL, Len CA, Lee L, Hilário MOE (2005) Diagnosis of malignancies in children with musculoskeletal complaints. Sao Paulo Med J 123: 2005 Murray MJ, Tang T, Ryder C, Mabin D, Nicholson JC (2004) Childhood leukaemia masquerading as juvenile idiopathic arthritis. BMJ 329: 959–961 Ostrov BE, Goldsmith DP, Athreya BH (1993) Differentiation of systemic juvenile rheumatoid arthritis from acute leukaemia near the onset of disease. J Pediatr 122: 595–598 Parker BR, Marglin S, Castellino RA (1980) Skeletal manifestations of Leukemia, Hodgkin disease and non-Hodgkin lymphoma. Semin Roentgenol 15: 302–315 Paulussen M, Fröhlich B, Jügens H (2001) Ewing Tumour. Incidence, Prognosis and Treatment Options. Pediatr Drugs 3: 899–913 Pui CH, Schrappe M, Ribeiro RC, Niemeyer CM (2004) Childhood and Adolescent Lymphoid and Myeloid Leukemia. Hematology (Am Soc Hematol Educ Program): 118–145 Révész T, Kardos G, Kajtar P, Schuler D (1985) The adverse effect of prolonged prednisolone pretreatment in children with acute lymphoblastic leukemia. Cancer 55: 1637–1640 Schuck A, Ahrens S, Paulussen M et al. (2003) Local therapy in localized Ewing tumors: results of 1058 patients treated in the CESS 81, CESS 86, and EICESS 92 trials. Int J Radiat Oncol Biol Phys 55: 168–177 Shalaby-Rana E, Majd M (2001) (99m)Tc-MDP scintigraphic findings in children with leukemia: value of early and delayed whole-body imaging. J Nucl Med 42: 878–883 Takagi S, Tanaka O (1996) The role of magnetic resonance imaging in the diagnosis and monitoring of myelodysplastic syndromes or leukemia. Leuk Lymphoma 23: 443–450 Tardivon AA, Vanel D, Munck JN, Bosq J (1997) Magnetic resonance imaging of the bone marrow in lymphomas and leukemias. Leuk Lymphoma 25: 55–68 Virchow R (1845) Weisses Blut. Frorieps Notizen 36: 151–156 Whitlock JA, Gaynon PS (1999) Acute lymphoblastic leukemia. In: Lee GR, Forester J, Lukens J, Paraskevas S, Gree GP, Rodgers GM (eds) Wintrobe’s clinical hematology, 10th edn. Williams & Willkins, Baltimore, pp 2241–2271
12.10
Hämophilie und Sichelzellkrankheit
H. Olschewski
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Die Pathogenese der hämophilen Arthropathie ist komplex und weist Charakteristika sowohl einer inflammatorischen (Frühstadium) als auch degenerativen Erkrankung (Spätstadium) auf. Nach nur wenigen Blutungsereignissen entwickelt sich eine eiseninduzierte proliferative Synovialitis mit Hypertrophie und Fibrose. Durch die entzündlichen Veränderungen nimmt die Blutungsneigung des Gelenks weiter zu. Gleichzeitig kommt es durch die Einblutungen zu einem direkt schädigenden Effekt auf den Knorpel mit Erosion der Knorpeloberfläche, subchondraler Cystenbildung, Verschmälerung des Gelenkspalts und Osteophytenbildung (Roosendaal et al. 2003). Die klinische Manifestation der Hämophilie ist abhängig vom Ausmaß des Faktorenmangels. Leitsymptome der schweren und mittelschweren Hämophilie (Plasmaspiegel <5%) sind Blutungen in große Gelenke und Weichteile spontan oder nach geringfügigen Traumen. Die ersten Gelenkblutungen treten im frühen Kleinkindalter auf und sind wegen der Instabilität des Gelenks meist im oberen Sprunggelenk lokalisiert. Bei älteren Kindern kommt es eher zu Blutungen in Knie- und Ellenbogengelenk. Die akute Gelenkblutung (Hämarthros) manifestiert sich mit einem Erguss und einer Schwellung der Synovialis. Symptome sind ein plötzlich einsetzender starker Schmerz, Spannungsgefühl und ein teigig geschwollenes überwärmtes Gelenk mit Bewegungseinschränkung. Bei wiederholten Einblutungen in ein Gelenk entsteht früh, im Median im Alter von 15 Jahren, eine hämophile Arthropathie. Im Spätbefund stehen die Symptome einer chronisch deformierenden Gelenkerkrankung mit zunehmender Achsenabweichung und einer Bewegungseinschränkung bis zur völligen Belastungsunfähigkeit im Vordergrund. Zusätzliche Komplikationen der Blutergelenke sind eine erhöhte Infektionsgefährdung und die Entwicklung avaskulärer Nekrosen. Die Diagnose des Hämarthros bzw. der hämophilen Arthropathie umfasst die klinische Untersuchung und bildgebende Verfahren (Sonografie, konventionelles Röntgen und MRT). Die MRT ist dem konventionellen Röntgen überlegen, da bereits frühe Veränderungen an Synovia und Knorpel erkannt werden können.
12.10.1 Hämophilie A und B Die Hämophilie ist eine meist hereditär verursachte Koagulopathie. Bei der Hämophilie A ist aufgrund eines Gendefekts in der Region Xq28 der Faktor VIII vermindert. Bei der Hämophilie B führt der Gendefekt in der Region Xq26–27.3 zu einem Faktor-IX-Mangel. Beide Faktoren spielen eine Rolle in der plasmatischen Gerinnung und führen zu einer Aktivierung des Faktors X. Betroffen sind in der Regel nur Jungen. Mädchen sind entsprechend ihres Konduktorinnenstatus meist asymptomatisch. Die Häufigkeit der Hämophilie A wird mit 1:10.000 Jungen, die der Hämophilie B mit 1:60.000 angegeben.
> Die Therapie der akuten Blutung besteht aus der sofortigen Faktorensubstitution. Der Spiegel muss auf einen hämostatisch wirksamen Level von 40–50% angehoben werden. Dies wird bei der Hämophilie A durch die Gabe von 20–30 IE/kg KG Faktor VIII 2-mal täglich erreicht. Bei der Hämophilie B wird eine Substitution von 40–60 IE/ kg KG Faktor-IX-Konzentrat einmal täglich empfohlen (Schneppenheim et al. 2004).
Während der akuten Phase ist eine kurzfristige Ruhigstellung des betroffenen Gelenks möglich; eine längerdauernde Immobilisation muss vermieden werden. Sinnvoll ist die frühzeitige Anwendung isometrischer Übungen.
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Kapitel 12 · Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden
Zur Analgesie dürfen keine thrombozytenaggregationshemmenden Medikamente eingesetzt werden. Zur Behandlung der chronischen Synovitis stehen als Maßnahmen eine Synoviorthese oder eine Synovektomie zur Verfügung. Ziel dieser Maßnahmen ist eine Reduktion der Blutungsfrequenz und des Schmerzes sowie eine Verbesserung der Gelenkfunktion. Die Synoviorthese kann chemisch (Osmiumsäure, Rifampicin) oder radiotherapeutisch (32P, 90Y) durchgeführt werden. Die Synovektomie wird arthroskopisch oder offen durchgeführt. In Fällen einer weit fortgeschrittenen Arthropathie mit Gelenkzerstörung kann eine Korrekturosteotomie, eine Arthroplastik oder Arthrodese indiziert sein (Hilgartner 2002). Die hämophile Arthropathie ist eine der Hauptursachen für die Morbidität der Patienten mit Hämophilie. Mit einem frühen Prophylaxebeginn kann die Entwicklung einer Arthropathie vermieden werden. Hat sich erst einmal eine Arthropathie entwickelt, ist die Prognose hinsichtlich der Gelenkfunktion schlecht (Kern et al. 2004).
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12.10.2 Sichelzellerkrankung Bei der Sichelzellerkrankung handelt es sich um eine erbliche Hämoglobinopathie. Aufgrund eines Strukturdefekts der β-Globin-Ketten wird ein anomales Hämoglobin (HbS) gebildet. Verschiedene Formen der Sichelzellerkrankung sind bekannt (HbSS, HbSC, Sichelzell-βThalassämie). Betroffen sind vor allem Patienten aus dem Mittelmeerraum, Afrika und Asien. Die Strukturveränderung des Hämoglobins führt zu einer verminderten Verformbarkeit der Erythrozyten und einer pathologischen Adhäsionsbereitschaft der Retikulozyten. Folge davon ist eine Sequestration der Sichelzellen in Milz und Leber sowie eine Okklusion kleiner Gefäße. Leitsymptome der Sichelzellerkrankung sind eine chronisch-hämolytische Anämie und ausgeprägte Schmerzkrisen durch Gefäßverschlüsse mit Organinfarkten. Aus wiederholten Milzinfarkten resultiert eine funktionelle Asplenie mit einer erhöhten Infektionsgefährdung. Besonders betroffen ist das Skelettsystem mit Knochenmarknekrosen, Knocheninfarkten, Infektionen und aseptischer Knochennekrose (Smith 1996). Im Säuglings- und Kleinkindalter manifestiert sich eine Sichelzellkrise im Rahmen einer Knochenmarknekrose als Hand-Fuß-Syndrom. Symptome der Daktylitis sind eine schmerzhafte symmetrische Schwellung der Hände oder Füße. Jenseits des Kleinkindalters sind die Schmerzkrisen lokalisiert in der Wirbelsäule und den langen Röhrenknochen. Symptome sind Schmerzen, Berührungsempfindlichkeit und Schwellung. Mäßiges Fieber, Leukozytose und milde Entzündungszeichen können ebenfalls vorkommen. Differenzialdiagnostisch vom Knocheninfarkt abzugrenzen sind Osteomyelitis und septische Arthritis. Bevorzugte Lokalisationen sind Tibia, Humerus
und Femur. Häufige Erreger sind Salmonellen und Staphylococcus aureus (Burnett et al. 1998). Die aseptische Knochennekrose betrifft vor allem Femur- und Humeruskopf. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung liegt zwischen 28 und 40 Jahren. Hüftkopfnekrosen können aber auch schon vor dem 10. Lebensjahr vorkommen. Hauptsymptom ist eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des betroffenen Gelenks. Die Sichelzellerkankung wird durch die Hämoglobinelektrophorese nachgewiesen. Bei Knocheninfarkten ist das konventionelle Röntgen in den frühen Stadien wenig aussagekräftig. Bei länger bestehendem Befall der Wirbelsäule kann es radiologisch zu typischen Veränderungen der Wirbelkörper mit »Fischmaulkonfiguration« kommen. Die Unterscheidung zwischen vasookklusiver Krise und Osteomyelitis ist oft schwierig, da die klassischen Symptome, die radiologischen Veränderungen und die Laborergebnisse ähnlich sein können. Es gibt kein bildgebendes oder nuklearmedizinisches Verfahren, mit dem sicher zwischen einem Knocheninfarkt und einer Osteomyelitis diskriminiert werden kann. Bei Verdacht auf eine Infektion ist eine Blut- und Stuhlkultur erforderlich. Zusätzlich sollten eine Sonografie und im Verlauf ein Röntgenbild gemacht werden. Im Fall einer Osteomyelitis ist die subperiostale Flüssigkeitsansammlung meist größer als 6 mm, während diese beim Knocheninfarkt geringer ausgeprägt ist. Eine Punktion des Gelenk- oder Subperiostalergusses zur Erregergewinnung sollte angestrebt werden. Für die Diagnose einer Hüftkopfnekrose ist die MRT-Untersuchung hilfreich. Aufgrund der hohen Infektionsgefährdung wird im Säuglingsalter mit einer Penicillinprophylaxe begonnen und mindestens bis zum Alter von 5 Jahren fortgeführt. Zusätzlich zu den üblichen Impfungen wird eine Pneumokokkenimpfung empfohlen. Die Therapie der Schmerzkrisen besteht aus einer Hydrierung mit dem 1- bis 1,5fachen Erhaltungsbedarf und einer effizienten Schmerztherapie, ggfs. mit Opiaten. Bei Osteomyelitisverdacht wird eine i.v.-Antibiose mit Ampicillin/Oxacillin oder Clindamycin empfohlen. Für die aseptische Knochennekrose gibt es keine einheitliche Therapieempfehlung. Angewendet werden bei jüngeren Kindern eine initial kurze Ruhigstellung und ausreichende Analgesie. Bei älteren Kindern und Erwachsenen wird in frühen Stadien der Hüftkopfnekrose eine Schenkelhalsbohrung zur Druckentlastung (»core decompression«) empfohlen, in späteren Stadien eine Umstellungsosteotomie. Eine Endoprothese sollte aufgrund der hohen Komplikationsrate mit Infektionen und Verlust der Funktionalität bei diesen Patienten nur zurückhaltend eingesetzt werden (Dickerhoff u. von Ruecker 2004).
Literatur
Literatur Burnett MW, Bass JW, Cook BA (1998) Etiology of osteomyelitis complicating sickle cell disease. Pediatrics 101: 296–297 Dickerhoff R, von Ruecker A (2005) Leitfaden für die Betreuung von Sichelzellpatienten. Internet-Neufassung 11/05 der Sichelzellstudie Deutschland Hilgartner M (2002) Current treatment of hemophilic arthropathy.Curr Op in Pediatr 14: 46–49 Kern M, Blanchette V, Stain A, Einarson T, Feldman B (2004) Clinical cost implications of target joints in canadian boys with severe hemophilia A. J Ped 145: 628–634 Roosendaal G, Lafeber F (2003) Blood-induced joint damage in hemophilia. Semin Thromb Hemost 29: 37–42 Schneppenheim R, Bergmann F (2005) Thrombozyten und Gerinnung. In: Lentze, Schaub, Schulte, Spranger (Hrsg) Pädiatrie, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio Smith JA (1996) Bone disorders in sickle cell disease. Hematol Oncol Clin North Am 10: 1345–1356
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12
509
13.1 ·
Idiopathische muskuloskelettale Schmerzverstärkungssyndrome T. Hospach 13.1
Definition – 510
13.2
Klassifikation – 510
13.3
Chronisches regionales Schmerzverstärkungsyndrom
13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4 13.3.5 13.3.6
Ätiologie – 510 Pathogenese und Pathologie Klinische Symptome – 511 Diagnose – 511 Therapie – 512 Prognose – 514
13.4
Generalisiertes idiopathisches Schmerzverstärkungssyndrom (Fibromyalgie) – 514
13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4 13.4.5 13.4.6 13.4.7 13.4.8
Definition – 514 Epidemiologie – 514 Klassifikationskriterien – 515 Ätiologie und Pathogenese – 515 Klinische Symptome – 516 Diagnose – 516 Therapie – 517 Prognose – 517
Literatur
– 518
– 510
– 511
13
510
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Kapitel 13 · Idiopathische muskuloskelettale Schmerzverstärkungssyndrome
13.1
13.2
15 16 17
13.3
Unter einem idiopathischen muskuloskelettalen Schmerzverstärkungssyndrom versteht man einen Symptomenkomplex, bei dem es zu inadäquat stark empfundenen Schmerzen kommt. Dieser Zusammenhang drückt sich in der Bezeichnung Schmerzverstärkungssyndrom aus. Im Gefolge treten Hautveränderungen, funktionell-muskuloskelettale Störungen sowie im Spätstadium auch eine Dystrophie auf. Die Beeinträchtigung des allgemeinen, sozialen und psychischen Befindens kann dabei erheblich sein (Konijenber et al. 2005; Murray et al. 2000). Von einer Chronifizierung ist auszugehen, wenn die Symptomatik länger als 3 Monate anhält. Die Nomenklatur ist durch ihre Vielfältigkeit verwirrend. Malleson (1992) schlägt eine umfassende Bezeichnung vor, wonach regionale von diffusen Schmerzverstärkungssyndromen unterschieden werden: 5 Zu den regionalen Erkrankungen wird das chronische oder komplexe regionale Schmerzverstärkungssyndrom gerechnet (»chronic regional pain syndrome«, CRPS); häufig werden synonym die Bezeichnungen sympathische Reflexdystrophie, reflexneurovaskuläre Dystrophie, Algodystrophie, Kausalgie oder Sudeck-Dystrophie verwendet. 5 Die diffusen Schmerzverstärkungssyndrome umfassen die durch etablierte Klassifkationskriterien spezifischer definierte Fibromyalgie (7 Abschn. 13.4).
13 14
Definition
Klassifikation
Grundsätzlich ist zu klären, inwieweit vorangegange Traumata (Unfall, OP, Arthritis usw.) die Symptomatik kausal erklären können und die Schmerzreaktion somit als adäquat zu werten ist. Kann eine den Schmerz erklärende Erkrankung ausgeschlossen werden, so ist von einem idiopathischen Schmerzverstärkungssyndrom auszugehen. Die hierfür vorgeschlagenen Klassifikationskriterien zeigt
Chronisches regionales Schmerzverstärkungsyndrom
Epidemiologie Die idiopathischen Schmerzverstärkungssyndrome sind ein häufiger Grund der Vorstellung beim Kinderrheumatologen. Verschiedene Studien geben an, dass zwischen 6 und 25% aller neuen einem Kinderrheumatologen vorgestellten Patienten an einem idiopathischen Schmerzverstärkungssyndrom (regionales Schmerzverstärkungssyndrom, Fibromyalgie, tiefsitzende Rückenschmerzen) leiden (Rosenberg et al. 1990; Malleson et al. 1996; Bowyer 1996). Die Inzidenz des CRPS im Kindesalter ist nicht bekannt und schwierig zu ermitteln, weil von einem äußerst breiten Symptomenspektrum auszugehen ist. Es besteht eine eindeutige Mädchenwendigkeit (6:1). ! Das Prädilektionsalter reicht von 9–15 Jahren. Kinder im Vorschulalter sind in der Regel nicht betroffen (Anthony et al. 2005).
13.3.1 Ätiologie Die Ursache ist nicht bekannt. Häufig ist anamnestisch ein schmerzhaftes Triggerereignis zu eruieren, wie ein Trauma, eine Fraktur, eine Operation, eine Arthritis oder eine lokale Entzündung. Auf den besonderen Zusammenhang mit psychosozialen Stressfaktoren wie intrafamiliär auffälligen Beziehungsmustern mit überprotektiven Eltern, einem hohen Leistungsanspruch in Sport und Schule, familären Erkrankungen etc. weisen verschiedene Studien hin (Sherry et al. 1991; Anthony et al. 2005). Für Kinder und Jugendliche mit einem an CRPS erkrankten Angehörigen wurde ein erhöhtes Risiko ermittelt (Maillard et al. 2004).
. Tab. 13.1
18 19 20 21
. Tab. 13.1. Klassifikationskriterien für die idiopathischen Schmerzverstärkungssyndrome. (Nach Malleson et al. 1992) Klassifikation
Kriterien
Lokalisiertes Schmerzverstärkungssyndrom
1. Anhaltender Schmerz im Bereich einer Extremität a) über 1 Woche ohne Behandlung b) über 1 Monat mit Behandlung 2. Fehlen vorangeganger kausaler Traumata 3. Ausschluss anderer kausaler Erkrankungen Alle 3 Kriterien müssen erfüllt sein
Diffuses Schmerzverstärkungssyndrom
1. Generalisierte Schmerzen an 3 oder mehr Körperregionen für mindestens 3 Monate 2. Ausschluss kausaler Erkrankungen Beide Kriterien müssen erfüllt sein
22 23
511
13.3 · Chronisches regionales Schmerzverstärkungsyndrom
13.3.2 Pathogenese und Pathologie Die pathogenetischen Prozesse sind nicht bekannt. Es ist davon auszugehen, dass die Schmerzverarbeitung multidimensional vermittelt ist (Anthony et al. 2005). Hiernach wird der Schmerz modifiziert durch biologische (z. B. genetische), psychische (z. B. individuelle Schmerzverarbeitungsstragien) sowie soziale Faktoren (z. B. familiärer Umgang mit Schmerzen). Dieses Konzept ist auch im Hinblick auf eine multidisziplinäre Behandlung sowie die sekundäre Prophylaxe relevant. Die Rolle des sympathischen Nervensystems ist nicht abschließend geklärt. Wenngleich eine ursächliche Beteiligung nicht nachweisbar ist, so weisen die autonomen Zeichen (Dystrophie, Temperaturunterschiede, Veränderung der sudorischen Aktivität) auf eine pathophysiologisch relevante Beteiligung.
13.3.3 Klinische Symptome Meist ist die untere Extremtität unilateral betroffen. Die initial nur belastungsabhängigen Schmerzen werden im Verlauf kontinuierlich angegeben und als sockenförmige Dysästhesien mit dumpfem oder brennendem Charakter beschrieben. Eine bloße Berührung oder gar der Luftzug kann als Schmerz empfunden werden (Allodynie). Die betroffene Extremität ist meist kühl, livide und kann im Verlauf ödematös anschwellen (. Abb. 13.1). Die sudorische Aktivität ist seitendifferent; zumeist hyperhydrotisch. Im Verlauf stellen sich funktionelle Ver-
. Abb. 13.1. Ödematöse Schwellung
13
änderungen ein; gelegentlich tritt auch eine Pseudoparalyse (. Abb. 13.2) auf. Unbehandelt kann es zur Atrophie der Haut, deren Anhangsgebilde sowie des Knochens kommen. Die für das Erwachsenenalter beschriebenen typischen 3 Phasen (Schmerz, vasomotorische Veränderung, Atrophie) sind im Kindesalter aber meist nicht vorhanden; das klinische Spektrum in dieser Altersgruppe ist sehr variabel. Besonders auffallend ist die Diskrepanz zwischen der nach außen hin ruhigen, z. T. gar fröhlichen Stimmungslage und der Angabe extremer Schmerzen (Sherry 2001).
13.3.4 Diagnose Die Diagnose ist klinisch zu stellen. Weder laborchemisch noch bildgebend ist ein beweisender Befund zu erheben. Radiologisch finden sich allenfalls Zeichen der inaktivitätsbedingten Osteoporose. Zum Ausschluss einer infektiösen oder malignen Erkrankung führen wir meist eine lokale Magnetresonanztomografie durch. Auch hier können sich sekundäre Veränderungen im Sinne eines Knochenmark- oder Weichteilödems finden. Die Skelettszintigrafie kann sowohl eine verminderte, eine vermehrte als auch eine normale Nuklidaufnahme zeigen (Laxer
. Abb. 13.2. Pseudoparalyse
512
Kapitel 13 · Idiopathische muskuloskelettale Schmerzverstärkungssyndrome
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
. Abb. 13.3. Ninhydrintest. Man erkennt die erhöhte sudorische Aktivität der rechtseitig betroffenen Extremität
et al. 1985). Vereinzelt wurde über pathologische Befunde bei der Thermografie berichet; allerdings steht dieses Verfahren nur wenigen Zentren zur Verfügung (Lightman et al. 1987). Mittels zusätzlicher elektrophysiologischer Untersuchungen (sympathische Nervenleitgeschwindigkeit) kann eine Beteiligung des sympathischen Systems dokumentiert werden; der Ninhydrintest kann eine seitendifferente sudorische Aktivität verifizieren (. Abb. 13.3). Wird die Diagnose Schmerzverstärkungssyndrom in Erwägung gezogen, dann sollten differenzialdiagnostisch relevante Erkrankungen mit den genannten Methoden ausgeschlossen werden. Es ist sinnvoll, diesen diagnostischen Prozess mit dem Beginn der Therapie abzuschließen. Mehrfach durchgeführte Untersuchungen im Verlauf bergen die Gefahr der Verunsicherung von Patient und Familie. Zweifel an der Diagnose verhindern die notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit als Grundlage für einen Behandlungserfolg. Der grundlegende diagnostische Schritt ist, die präsentierten Symptome auf das Krankheitsbild des CRPS hin zu überprüfen. Dabei sind die von Merskey und Bogduk 1994 vorgeschlagenen Kriterien hilfreich (. Tab. 13.2) und können einer vielfach beschriebenen Diagnoseverzögerung über Monate bis Jahre entgegenwirken (Murray 2000; Wilder 1992). Differenzialdiagnostisch sind neben Traumata vor allem infektiöse Erkrankungen wie eine Osteomyelitis auszuschließen; dies ist vornehmlich anhand von bildgebenden Verfahren möglich. Die chronische nichtbakterielle Osteomyelitis, die unifokal auftreten und oft mit
unauffälligen Laborparametern einhergehen kann, ist eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen. Röntgen- und MRT-Aufnahmen können diese Diagnose verifizieren. Inflammatorische Erkrankungen wie eine Arthritis und insbesondere eine Enthesitis können klinisch und sonografisch ausgeschlossen werden; oft wird über ein Ansprechen auf NSAR berichtet. Osteonekrosen machen häufig belastungsbedingte Schmerzen. Maligne Erkrankungen (Ewing-Sarkom, Lymphom, Leukämie) müssen sorgfältig ausgeschlossen werden. Spinal oder perispinal lokalisierte Tumore (u. a. Neuroblastom) sowie die periphere Mononeuropathie sind häufig durch pathologische Muskeleigenreflexe und das Fehlen der Allodynie auszuschließen. Die hypermobilitätsassoziierten Schmerzen werden nur zeitweise und belastungsabhängig angegeben und haben ein klinisches Untersuchungskorrelat. Die ebenfalls mit Parästhesien einhergehende Erythromelalgie, das RaynaudSyndrom oder auch der M. Fabry zeigen in der Regel einen bilateralen Befall. Ein Osteoidosteom verursacht hauptsächlich nächtliche Schmerzen die auf eine Therapie mit einem NSAR ansprechen. ! Bildgebende und laborchemische Untersuchungen sind unauffällig. Die initiale Diagnostik kann umfassend sein; danach sollte man sich aber auf die Diagnose festlegen.
13.3.5 Therapie Ziel der Therapie ist die Schmerzreduktion und die funktionelle Wiederherstellung. Eine klare evidenzbasierte Behandlungsrichtlinie ist nicht bekannt; dies drückt sich auch in der Vielfalt der mitgeteilten therapeutischen Optionen aus. Dabei spiegelt die Wahl des Verfahrens oftmals die fachspezifische Zugehörigkeit der behandelnden Ärzte wider. In der Literatur berichten deswegen die Anästhesisten über die Behandlung mit Nervenblockaden und die Internisten oder Pädiater über Physio- und Psychotherapie sowie Schulung und Medikamente. Prospektive vergleichende Untersuchungen der verschiedenen Verfahren stehen nicht zur Verfügung.
. Tab. 13.2. Diagnostische Kriterien für das CRPS (Kriterien 2–4 müssen erfüllt sein). (Nach Merskey u. Bogduk 1994)
22
1.
Auslösendes Ereignis
2.
Anhaltende, im Hinblick auf ein auslösendes Ereignis inadäquate Schmerzen, Allodynie oder Hyperalgesie
23
3.
Im Verlauf Nachweis eines Ödems, einer Veränderung der Hautdurchblutung, pathologischer sudomotorischer Aktivität
4.
Ausschluss der Diagnose bei Vorhandensein einer adäquaten kausalen Erkrankung
13.3 · Chronisches regionales Schmerzverstärkungsyndrom
Exkurs Die wenigen systematischen Untersuchungen umfassen zumeist nur kleine Kohorten, die retrospektiv evaluiert wurden. Eine 70 Kinder umfassende retrospektive Beobachtung berichtet über eine Besserung durch folgende Behandlungen: Physiotherapie 69%, transkutane Nervenstimulation 51%, nichtsteroidale Antiphlogistika 40%, Antidepressiva 56%, Opiode 49%, Steroide 0%, Sympathikusblockade 76%, Sympathektomie 33%. Eine anhaltende Schmerzfreiheit trat aber nur bei 46% der Kinder auf (Wilder et al. 1992). Andere Autoren berichten über die erfolgreiche Behandlung mit Gabapentin, Bisphosphonaten, der prophylaktischen Gabe von Vitamin C nach Traumata und der spinalen Rückenmarkstimulation bei Erwachsenen (Wheeler 2000; McQuay 1996; Kemler 2001; Zollinger 1999; Varenna 2000). Dadure et al. berichteten 2005 über ein rasches Ansprechen auf eine kontinuierliche periphere Nervenblockade bei therapierefraktärem kindlichen CRPS; Langzeitverläufe sind aber noch nicht bekannt. In der größten prospektiven Studie wurden 103 Kinder untersucht. Dabei waren 92% unter einer aggressiven Physio-, Hydro- und Desensibilisierungstherapie über 5 Stunden pro Tag nach 2 Wochen symptomfrei. Nach 5 Jahren waren noch 88% der Patienten mit Beteiligung des autonomen Nervensystems schmerzfrei und funktionell nicht beeinträchtigt. Die Gruppe der Patienten, bei denen das autonome Nervensystem nicht sichtbar beteiligt war, zeigte zu 90% eine uneingeschränkte Funktion, aber nur zu 78% Schmerzfreiheit (Sherry 2001). Die Rezidivrate wurde mit 31% angegeben. Eine ebenfalls prospektive Studie von Lee et al. (2002) zeigte, dass eine Kombinationsbehandlung aus Physiotherapie, Schulung und Verhaltenstherapie zu verbesserter Funktion und vermindertem Schmerz führte.
Diese Studien unterstreichen, dass die in der Erwachsenenmedizin eingesetzten Medikamente (Opiode) und Ganglienblockaden für das Kindes- und Jugendalter in der Initialbehandlung nicht indiziert sind. Bei assoziierten Symptomen wie Schlafstörungen und Depressionen kann auch eine antidepressive Behandlung im Einzelfall notwendig sein. Ganz eindeutig liegt der Schwerpunkt der pädiatrischen Behandlung aber nicht bei den Medikamenten oder invasiven Verfahren. Oerlemans (2000) und Anthony (2005) schlagen — ausgehend von dem Konzept multidimensional vermittelter Schmerzen — ein teamorientiertes multidisziplinäres rehabilitatives Behandlungsprogramm vor. Für die praktische Umsetzung bedeutet dies, dass ein multiprofessionelles Team aus Psychologen, Physio-, Ergotherapeuten, Lehrern, betreuenden Schwestern und Ärzten den therapeutischen Prozess eng begleitet. Bei uns hat sich
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13
eine täglich stattfindende Schmerzkonferenz mit Vertretern dieser Berufsgruppen bewährt. Mit einer erfolgreichen Physiotherapie können inaktivitätsbedingte dystrophe Folgeschäden verhindert und eine sukzessive Toleranz gegenüber multiplen haptischen und thermischen Reizen vermittelt werden (Sherry 1999). Dabei ist ein »aggressives« Training im Sinne eines kontinuierlich progressiven schmerzüberschreitenden Vorgehens notwendig. Eingesetzt werden verschiedene Belastungsübungen, Kälte- und Wärmeanwendungen, Abreiben mit Frotteetüchern, Igelball, Hydrotherapie u. a. (7 Kap. 14). Diese täglich über mehrere Stunden dauernde Behandlung ist sehr personalintensiv, da in der Regel eine 1:1-Betreuung notwendig ist. Unabdingbar ist es, dass die behandelnden Physiotherapeuten mit der Erkrankung vertraut sind, um mit den Patienten konsequent an der Anhebung der Schmerzschwelle arbeiten zu können. Hierbei kann auch ein aerobes Ausdauertraining zielführend sein. Im Rahmen der Beschäftigungs- bzw. Ergotherapie kann die Funktion in spielerischen-unbewussten Übungen trainiert und so den Patienten Selbstvertrauen im schmerzfreien Gebrauch der betroffenen Extremität vermittelt werden. Die Aufgabe der Psychologie ist es, die psychischen Trigger bzw. Stressoren und die den Schmerz unterhaltende Angst zu erkennen und Lösungsstrategien zu vermitteln. Dabei sollte die ganze Familie in den Prozess eingebunden werden. Die häufig beobachtete Überprotektion seitens der Eltern kann thematisiert und die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Patienten gestärkt werden. Mit einer familienorientierten Verhaltenstherapie im Rahmen einer interdisziplinäre Behandlung ließen sich signifikante Befundbesserungen erzielen (Ecclestone 2003). Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu den Eltern ist überaus wichtig, um eine langfristige Verhaltensänderung im oft festgefahrenen Familiengefüge erreichen zu können. Für eine Optimierung der Patientenevaluierung ist eine enge Koordination mit den somatischen Therapeuten angezeigt. Nach sorgfältiger Diagnosestellung ist es die Aufgabe des Arztes, den Eltern und dem Patienten die Erkrankung zu erläutern. Hilfreich ist hierbei die Vermittlung eines klaren laienverständlichen Schmerzverarbeitungsmodells. Dies ist ein aufwändiger Prozess, für den genügend Zeit zur Verfügung gestellt werden sollte. Das Verstehen der komplexen Schmerzentstehungs- und verarbeitungsmechanismen ist Grundlage für die notwendige Compliance. Wenngleich psychische Anteile eine große Rolle spielen können, sollte darauf geachtet werden, dass die angebene Symptomatik nicht in die Nähe einer rein imaginären Erkrankung gerückt wird. Die zur Verlaufsbeurteilung häufig eingesetzten Schmerzskalen können sehr hilfreich sein, bergen aber auch die Gefahr der Fixierung und damit Perpetuierung des Schmerzes. Zur Sicherung eines langfristigen Therapieerfolgs ist es notwendig,
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Kapitel 13 · Idiopathische muskuloskelettale Schmerzverstärkungssyndrome
bereits während der stationären Behandlung Kontakt zu den entsprechenden ambulanten Therapeuten aufzunehmen um eine ambulante Fortführung der Therapie zu gewährleisten Zudem sollte den Patienten ein individuell ausgearbeitetes Übungsprogramm mit nach Hause gegeben werden. Wegen der Rezidivgefahr sind regelmäßige ambulante Kontrollen notwendig. ! Ein multidisziplinäres Behandlungsprogramm ist ein für das Kindes- und Jugendalter adäquates und erfolgreiches Therapieverfahren. Die Physiotherapie sollte kontinuierlich, progressiv und schmerzüberschreitend durchgeführt werden.
13.3.6 Prognose Wenngleich sich in der Literatur keine Berichte über Spontanverläufe finden, sind die mitgeteilten Fälle unter der jeweiligen Behandlung im Allgemeinen günstig. Maillard et al. (2004) berichten über eine Remission bei >80% ihres multidisziplinär behandelten CRPS-Kollektivs. Mit dem von Sherry (2001) propagierten intensiven Übungsprogramm sowie bedarfsweiser Psychotherapie konnte eine Langzeitremission über 5 Jahre bei 90% erzielt werden. Wenngleich sich keine Korrelation zwischen der Dauer der Erkrankung und der Zeitspanne bis zum Erreichen der Remission feststellen ließ (Murray 2000; Maillard 2004), ist dennoch davon auszugehen, dass eine Frühdiagnose helfen kann, psychische und/oder somatische Folgeschäden zu verhindern. Über im weiteren Verlauf auftretende psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Konversionsreaktionen wurde berichtet (Sherry 1999). Rezidive, die auch weitere Körperregionen betreffen können, treten bei ca. einem Drittel der Patienten auf (Sherry 1999; Murray 2000).
13.4
Generalisiertes idiopathisches Schmerzverstärkungssyndrom (Fibromyalgie)
13.4.1 Definition Der Begriff »generalisiertes« oder »diffuses« idiopathisches Schmerzverstärkungssyndrom ist definiert als Schmerzempfinden an mindestens 3 Körperregionen über mindestens 3 Monate, ohne dass eine kausale Erkrankung vorhanden ist (Malleson et al. 1992). Hierunter subsumiert wird die Fibromyalgie (FM) mit spezifischen Diagnosekriterien, die insbesondere durch die verschiedenen Druckschmerzpunkte und Allgemeinveränderungen charakterisiert sind (Abschn. 13.4.3). Von einer sekundären Fibromyalgie spricht man, wenn eine organische Erkrankung (z. B. Kollagenose, Arthritis) zugrunde liegt.
13.4.2 Epidemiologie Von allen Patienten mit einem idiopathischen Schmerzverstärkungssyndrom werden 25–40% als solche mit juveniler Fibromyalgie (JFM) diagnostiziert (Malleson 1992; Yunus u. Masi 1985). Für die Prävalenz existieren unterschiedliche Angaben: Israelische Schulkinder waren zu 6,2% an einer FM erkrankt (Buskila et al. 1993). Bei einer Erhebung an 548 mexikanischen Schulkindern wurde diese Diagnose nur bei 1,2% gestellt (Clark et al. 1998). Eine unlängst an 1756 finnischen Schulkindern durchgeführte Studie ermittelte eine Prävalenz von 7,5% für das generalisierte Schmerzverstärkungssyndrom; dabei wurde bei 1,3% eine primäre FM diagnostiziert (Mikkelsson 1999). Das Prädilektionsalter liegt wie beim CRPS in der Adoleszenz (8–16 Jahre; Median bei Beginn 13,7 Jahre, Median bei Diagnose 15,5 Jahre). Das weibliche Geschlecht überwiegt mit 4:1 (Gedalia et al. 2000; Malleson 1992).
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. Tab. 13.3. ACR-Klassifikationskriterien von 1990 für die Fibromyalgie (für die Diagnose FM müssen beide Kriterien erfüllt sein). (Nach Wolfe et al 1990) A
Bilaterale auftretende muskuloskelettale Schmerzen der oberen und unteren Extremität sowie im Bereich der Wirbelsäule für mindestens 3 Monate
B
Schmerzen an mindestens 11 von 18 Druckpunkten (jeweils bilateral): 5 Subokzipitaler Muskelansatz 5 Mm. intertransversarii post. cervicis (C4–7) 5 Mitte des oberen Randes des M. trapezius 5 M. supraspinatus am Ursprung oberhalb der Spina scapularis 5 Epicondylus humeri lateralis 5 Oberer äußerer Quadrant der Glutealregion 5 Fettkörper im Bereich des medialen Kniegelenks 5 Sternokostale Syndesmose (bes. II. ICR) 5 Trochanter major
13.4 · Generalisiertes idiopathisches Schmerzverstärkungssyndrom (Fibromyalgie)
13
515
. Tab. 13.4. Diagnosekriterien für die juvenile Fibromyalgie. (Nach Yunus und Masi 1985) 1. Obligate Kriterien
5 Schmerzen oder Steifigkeitsgefühl in 3 oder mehreren anatomischen Regionen seit mindestens 3 Monaten 5 Fehlen einer kausalen Erkrankung
2. Hauptkriterien
Mindestens 5 Schmerzpunkte an folgenden Stellen müssen positiv sein: 5 Oberrand M. trapezius 5 Unterer Teil M. sternocleidomastoideus 5 Lateraler Teil M. pectoralis major 5 Mittelteil M. supraspinatus 5 Lateraler Ellbogen 5 Oberer äußerer Quadrant der Glutealregion 5 Trochanter major 5 Fettkörper im Bereich des medialen Kniegelenks
3. Nebenkriterien
Mindestens 3 der folgenden Kriterien müssen vorhanden sein: 5 Chronische Angst oder Anspannung 5 Müdigkeit 5 Schlafstörung 5 Chronische Kopfschmerzen 5 Irritables Kolon 5 Subjektive Weichteilschwellung 5 Taubheitsgefühl 5 Schmerzveränderung durch körperliche Aktivität 5 Wetterfühligkeit 5 Schmerzveränderung durch Angst und Stress
13.4.3 Klassifikationskriterien Die von Wolfe et al. 1990 publizierten ACR-Kriterien für die FM sind nicht an Kindern und Jugendlichen evaluiert (. Tab. 13.3). Für die juvenile FM entwickelten Yunus und Masi (1985) anhand der ersten 33 beobachteten Patienten diagnostische Kriterien (. Tab. 13.4). Neben den typischen Schmerzpunkten gehen auch allgemeine Kriterien wie Angst und Schmerzempfindlichkeit in diesen Score ein. Grundsätzlich ist anzumerken, dass Patienten mit einem generalisierten Schmerzverstärkungssyndrom an fast allen Körperregionen Schmerzen angeben, insbesondere auch bei Berührung. Fehlende Schmerzdruckpunkte sollten somit nicht zum Ausschluss eines generalisierten Schmerzverstärkungssyndroms führen; für die spezifischere Diagnose der FM werden diese aber gefordert.
13.4.4 Ätiologie und Pathogenese Eine Ursache ist nicht bekannt. Einige Autoren diskutieren genetische Faktoren, andere eine multifaktorielle Genese. Exkurs Von 50 Familienmitgliedern aus 17 Familien bei denen ein Mitglied an einer FM erkrankt war, zeigten 52% ebenfalls Zeichen einer FM. Diese Kohorte wies eineiige Zwillinge auf, die im Abstand von 6 Monaten an einer FM 6
erkrankten (Pellegrino 1989). Buskila et al. (1996) untersuchten 58 Nachkommen aus 20 FM-Kernfamilien. Hiervon wiesen 16 (28%) eine primäre FM auf; die höchste Prävalenz fand sich bei Nachkommen von an FM erkrankten Müttern. Die psychologischen und familiären Faktoren zwischen den Familien mit und ohne erkrankte Nachkommen waren gleich, sodass von genetischen Einflüssen ausgegangen wurde. Andererseits wiesen die Ergebnisse einer finnischen Zwillingsstudie, bei der überwiegend die nichteineiigen Zwillinge betroffen waren, auf exogene Faktoren hin (Mikkelsson et al. 2001). Andere Autoren vermuten eine Störung zentralnervöser Prozesse wie die verzögerte Kortikotropinfreisetzung als Ursache eines funktionellen hypothalamischen Defekts (Torpy et al. 2000). Verschiedene Studien berichten über erniedrigte Schmerzschwellen bei jugendlichen FM Patienten (Conte 2003; Buskila 1993). Diese Schmerzschwellen und die Verarbeitungsmechanismen des Schmerzes werden durch das Lernen am elterlichen Modell geprägt (Reid et al. 1997; Schanberg 1998). Darüber hinaus wurden für diese Patientengruppe höhere Depressions- und Angstscores, mehr emotionale Instabilität und weniger Familienzusammenhalt ermittelt (Conte et al. 2003). Anthony et al. (2005) gehen von einem multifaktoriellen Geschehen aus, bei dem u. a. die schmerzassoziierte Angst zu einem Circulus vitiosus führt, der wiederum zu einer Erniedrigung der Schmerzschwelle beiträgt. Auch andere Autoren favorisieren diese These der multifaktoriellen Genese (Sherry, Malleson 2001). 6
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Kapitel 13 · Idiopathische muskuloskelettale Schmerzverstärkungssyndrome
Eine 2003 publizierte Studie befasste sich mit den Risikofaktoren der JFM. Dabei konnte an 1440 Probanden gezeigt werden, dass Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und anderen somatischen Beschwerden, insbesondere chronischen Kopfschmerzen, ein erhöhtes Risiko haben, an einem generalisierten Schmerzverstärkungssyndrom zu erkranken (Jones et al. 2003). Eine Studie an erwachsenen FM-Patienten erbrachte einen Zusammenhang für negative Ereignisse in der Kindheit wie körperliche oder sexuelle Misshandlung, geringe emotionale Beziehung und Scheidung der Eltern (Imbierowicz 2003).
lauf der Untersuchung variieren. Die Triggerpunkte können schmerzhaft sein; das Fehlen der Positivität für diese Druckschmerzpunkte schließt aber ein generalisiertes Schmerzverstärkungssyndrom nicht aus. Die Laborwerte sind normal, leicht erhöhte antinukleäre Antikörper können vorhanden sein (Gedalia 2000). ! Diffuse Schmerzen am gesamten Integument, der Muskulatur und den Gelenken kennzeichnen das generalisierte Schmerzverstärkungssyndrom. Die Triggerschmerzpunkte müssen für die Diagnose nicht positiv sein.
13.4.5 Klinische Symptome
13.4.6 Diagnose
Oftmals wird über eine lange Vorgeschichte mit unzähligen Untersuchungen, erfolglosen Behandlungen und langen Schulfehlzeiten berichtet. Die Schmerzen werden anhaltend diffus über das gesamte Integument, die Weichteile, Muskulatur und Gelenke angegeben. Der Schmerzcharakter wird dabei als brennend, ziehend, teilweise stechend beschrieben. Auf der Schmerzskala werden höchste Werte eingetragen. Diese subjektiv heftig empfundenen Schmerzen stehen im krassen Gegensatz zum oft unbeeinträchtigten, teilweise ruhig lächelnden Habitus der Patienten. Wie auch beim CRPS ist oftmals eine familiäre Konfliktkonstellation mit teilweise überprotektiven Eltern eruierbar (Sherry 1999). Häufig berichten die Patienten über assoziierte Symptome. In der mit 59 Patienten größten JFM-Kohorte wurden Kopfschmerzen zu 76%, Schlafstörungen zu 69%, Steifigkeit zu 29%, subjektive Gelenkschwellung zu 24%, Müdigkeit zu 20%, Bauchschmerzen zu 17%, Hypermobilität zu 14% und Depression zu 7% genannt (Gedalia et al. 1993). Ein hoher Score für eine begleitende Depression bei der JFM wurde in einer nachfolgenden Studie bestätigt (Mikkelsson et al.1997). Eine genauere Untersuchung der Schlafstörungen mittels Polysomnografie zeigte, dass eine verlängerte Einschlafzeit und häufige Aufwachphasen zu einem verkürzten und somit nicht erholsamen Schlaf führen (Tayag-Kier et al. 2000). Eine große Überlappung zeigte sich für das chronische Müdigkeitssydrom: Von 27 Patienten litten 8 (30%) auch an einer FM (Bell 994). Übergänge von regionalen in diffuse Schmerzverstärkungssyndrome sind beschrieben: 10% einer Kohorte mit diffusen Schmerzen litten anamnestisch an einem lokalen Schmerzverstärkungssyndrom (Malleson 1992). Der körperliche Untersuchungsbefund ist unauffällig; im Gegensatz zum CRPS finden sich keine Störungen des autonomen Nervensystems. Bei der körperlichen Schmerzevalutaion wandelt sich die initial ruhige Grundstimmung in eine angespannte oftmals extrem emotionale Situation mit heftigen Schmerzäußerungen. Dabei kann die bloße Berührung der Haut schmerzhaft sein (Allodynie). Die Schmerzgrenze der Allodynie kann im Ver-
Die Diagnose lässt sich in der Regel klinisch-anamnestisch stellen; der körperliche Untersuchungsbefund ist bis auf die Schmerzen und ggf. die Druckpunkte normal. Insbesondere die Diskrepanz der angegebenen Schmerzen und der Menge der bis dato durchgeführten Untersuchungen zum unauffälligen körperlichen Befund lassen an die Diagnose denken. Die ACR-Kriterien von 1990 für die Fibromyalgie sind Klassifikationskriterien und somit nicht primär für diagnostische Zwecke gedacht; zudem sind sie nicht an Kindern und Jugendlichen evaluiert. Die Diagnosekriterien von Yunus und Masi (1985) für die juvenile Fibromyalgie enthalten neben dem obligaten Kriterium der muskuloskelettalen Schmerzen an mindestens 3 Stellen über die Dauer von 3 Monaten ohne erklärbare Ursache, 5 typische Schmerzpunkte und assoziierte Allgemeinsymptome, von denen mindestens 3 erfüllt sein müssen (. Tab. 13.4). Differenzialdiagnostisch ist ein chronisches Müdigkeitssyndrom abzugrenzen, bei dem Allgemeinveränderungen insbesondere auch Schlafstörungen im Vordergrund stehen. Allerdings treten in bis zu 30% der Fälle beide Erkrankungen gemeinsam auf (Bell 1994). Schilddrüsenerkrankungen können mit einer ähnlichen Symptomatik einhergehen (Keenan et al. 1993). Bei Infektionen mit EBV sind protrahierte Verläufe mit diffusen Schmerzen und Müdigkeit bekannt. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass anstelle der Fibromyalgie häufig eine chronische Lymearthritis diagnostiziert und statt einer differenzierten Behandlung eine antibiotische Therapie eingeleitet wird (Sigal 1992; Steere 1993). Generalisierte knochenschmerzenverursachende Malignome (Leukämie, Lymphome) zeigen häufig Lymphknotenschwellungen, eine Hepatosplenomegalie und einen schlechten Allgemeinbefund. Das periphere Blutbild ist oft auffällig; im Differenzialblutbild fehlt die »bunte«, d. h. normale Verteilung der Leukozyten und ihrer Vorläufer. Eine erhöhte alkalische Phosphatase sowie Elektrolytveränderungen lassen an primäre oder sekundäre Knochenerkrankungen denken (Rachitis, Hyperpa-
13.4 · Generalisiertes idiopathisches Schmerzverstärkungssyndrom (Fibromyalgie)
rathyreoidismus). Eine generalisierte juvenile Osteoporose lässt sich über das Röntgenbild erfassen.
13.4.7 Therapie Kontrollierte Studien zur Behandlung der juvenilen Fibromyalgie gibt es nicht. Neben der Schmerzlinderung und der funktionellen Wiederherstellung sollten die Begleitsymptome wie Schlaf-, Angststörungen und ggf. Depressionen behandelt werden. Der Effekt einer medikamentösen Therapie wird unterschiedlich beurteilt. Studien an Erwachsenen zeigten nur einen kurzen und milden Effekt (Leventhal 1999). Für das Kindesalter gibt es wenige Untersuchungen: Eine alleinige Therapie mit NSAR ist nicht wirksam (Romano 1991), während sich NSAR kombiniert mit trizyklischen Antidepressiva als effektiv erwiesen (Siegel 1998). Spezifische SSRI (»selective serotonin reuptake inhibitors«) sollten wegen der erhöhten Suizidgefahr nur äußerst vorsichtig eingesetzt werden (Anthony 2005). In einer unlängst erschienen Studie war eine Kombinationstherapie bestehend aus Fluoxetin und kognitiver Verhaltenstherapie erfolgreicher als eine Monotherapie beider Behandlungen. Auch hier wurde eine erhöhte Rate an Suizidversuchen beschrieben (March 2004). Nach unseren Erfahrungen hat sich eine 2-wöchige stationäre, multidisziplinäre Behandlung bestehend aus Physiotherapie, Ausdauertraining, Psychotherapie, Schulung und einer eventuellen medikamentösen Behandlung mit Low-Dose-Antidepressiva zur Schlafregulierung bewährt. Für Erwachsene konnte im Rahmen einer Metaanalyse gezeigt werden, dass eine Kombinationsbehandlung mit Medikamenten, kognitiver Verhaltenstherapie und körperlichen Übungen einer isolierten medikamentösen Therapie überlegen ist (Rossy 1992). In einer jüngst erschienen Übersicht wird ein multimodales individuelles Behandlungsprogramm favorisiert (Mease 2005). Das Erlernen von Schmerzverarbeitungsstrategien soll in psychotherapeutischen Sitzungen vermittelt werden. Hierzu dienen Übungen zur Muskelrelaxation, autogenem Training und Schulungen über den Prozess der Schmerzverarbeitung. Die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie ließ sich in mehreren Studien nachweisen (Walco 1993; Sandstrom 1999; Ecclestone 2003.) Es sollte dringend darauf hingearbeitet werden, dass die Patienten rasch wieder die Schule besuchen und sich aktiv in ihr soziales Umfeld einbringen (Kimura 2000). Dabei ist eine Einbindung der ganzen Familie hilfreich: Es konnte mehrfach nachgewiesen werden, dass die Eltern-Kind-Interaktion einen Einfluss auf die Bewältigung der Krankheit hat (Reid et al. 2005; Schanberg 1998). Physiotherapeutisch sollen die Patienten sukzessive lernen, den durch Bewegung und Belastung hervorgerufenen Schmerz in den Hintergrund zu drängen bzw. sich trotz Schmerzen zu bewegen. Neben Einzelübungen
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kann auch in Gruppen trainiert werden, wobei Letzteres mit der Gefahr der negativen Beeinflussung der einzelnen Patienten verbunden sein kann (7 Kap. 14). Wichtig ist die körperliche Fittness. Mit aerobem Ausdauertraining (Joggen, Inlinen, Spiele) kann unbewusst die Schmerzschwelle angehoben und Vertrauen in die körperliche Belastbarkeit und ein erholsamer Schlaf zurückerlangt werden. In dieser Hinsicht haben sich Dehn- oder Kraftübungen weniger bewährt als die aeroben sportlichen Aktivitäten (Sherry 1997). Zur langfristigen Konsolidierung des Therapierfolgs ist es wichtig, dass die Patienten zu Hause ein festes Übungsprogramm absolvieren; die Fortführung der Physio-, Ergo- und der Psychotherapie muss gewährleistet sein. Auch hier sind ambulante Kontrolluntersuchungen in regelmäßigen Abständen notwendig.
13.4.8 Prognose Wie Langzeiterhebungen zeigen, ist oft mit einem jahrelangen Verlauf und einer erheblichen körperlichen, psychischen und sozialen Morbidität zu rechnen. Viele Studien verwenden die Schulfehltage als Verlaufsparameter. Diese Einschränkung der Ausbildungsmöglichkeiten kann Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter mit sich bringen. In einer Studie von Rabinovich et al. aus dem Jahre 1990 hatten 92% der juvenilen FM Patienten nach 15–60 Monaten noch signifikante Schmerzen. Andererseits scheint die Prognose der juvenilen Fibromyalgie besser zu sein als bei der Erwachsenenform: Von 15 Patienten waren 11 nach 30 Monaten symptomfrei (Buskila et al. 1995). In einer von Siegel 1998 durchgeführten Erhebung zeigten die meisten Patienten nach einem mittleren Untersuchungsintervall von 2,6 Jahren eine Verbesserung. Eine andere Untersuchung zeigte, dass nach einem Jahr nur noch 25% der betroffenen Schulkinder an einer FM litten (Mikkelsson 1999). In dem von Sherry (2001) untersuchten Kollektiv waren 90% der Patienten mit diffusem Schmerzverstärkungssyndrom nach der Behandlung symptomfrei, aber nach 5 Jahren nur noch 50%. Davon waren allerdings 90% uneingeschränkt aktiv und gingen zur Schule oder Arbeit. Eine weitere Erhebung zeigte, dass nach 18 Monaten 60% der Patienten besser, 36% unverändert und 4% schlechter waren. In den letzten beiden Gruppen waren signifikant weniger Übungen absolviert worden, sodass dies als Hinweis auf Notwendigkeit einer kontinuierlichen körperlichen Betätigung zu werten ist (Gedalia 2000).
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Kapitel 13 · Idiopathische muskuloskelettale Schmerzverstärkungssyndrome
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14.1 ·
Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie D. Banholzer, K. Nirmaier, G. Ganser, W. Bureck 14.1
Physiotherapie
– 522
14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.1.4 14.1.5 14.1.6
Therapieformen – 522 Behandlungsschema – 525 Sport bei oder trotz kindlichem Rheuma Schmerz und Physiotherapie – 531 Juvenile idiopathische Arthritis – 532 Literatur – 549
14.2
Physikalische Therapie bei juveniler idiopathischer Arthritis und Kollagenosen – 549
14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.2.4 14.2.5 14.2.6 14.2.7 14.2.8
Kryotherapie – 550 Hydrotherapie – 551 Thermotherapie (Wärmebehandlung) – 552 Elektrotherapie – 552 Phonophorese (Ultraschalltherapie) – 553 Massage – 554 Lymphdrainage – 554 Literatur – 554
14.3
Ergotherapie
14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4 14.3.5 14.3.6 14.3.7 14.3.8
Berufsbild – 554 Befunderhebung – 555 Therapie – 555 Gelenkschutz – 559 Schienenbau in der Kinderrheumatologie Hilfsmittel – 563 Elternanleitung und -beratung – 564 Literatur – 564
– 529
– 554
– 561
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
Die nichtmedikamentösen Behandlungsmöglichkeiten vieler rheumatischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind von größter Bedeutung und gleichwertig neben der medikamentösen Behandlung einzusetzen. Im Folgenden wird zwischen Physiotherapie, physikalischer Therapie und Ergotherapie differenziert, wobei Überschneidungen nicht zu vermeiden sind. Zum Zweck der Darstellung eines in unseren Augen sehr wichtigen ganzheitlichen Therapiekonzeptes werden physikalische Therapiemaßnahmen und Ergotherapie teilweise auch schon unter Physiotherapie erwähnt. Die Auswahl und der Einsatz einer speziellen Therapie hängen natürlich auch von der Erfahrung der Therapeuten ab und sind immer von subjektiven Gesichtspunkten geprägt. Naturgemäß können mit diesen Behandlungsmethoden keine randomisierten doppelblinden Studien durchgeführt werden – dies sollte nicht dazu verleiten, ihre Wertigkeit in Frage zu stellen.
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14.1
Physiotherapie
D. Banholzer, K. Nirmaier
14.1.1 Therapieformen Die folgenden Therapieformen sind die gegenwärtig bevorzugten in der Behandlung der rheumatischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. In der Regel ist es sinnvoll, Kombinationen anzuwenden. Hierbei sind, je nach Symptomatik und Aktivitätszustand der Erkrankung, die unterschiedlichsten Kombinationen möglich und indiziert. Somit kann eine physiotherapeutische Behandlungseinheit Teilsequenzen bzw. Elemente unterschiedlicher Techniken und Konzepte beinhalten (. Tab. 14.1).
Krankengymnastik Die klassische Krankengymnastik beinhaltet in der Rheumatologie die entlastende Lagerung der verspannten Muskulatur zur Schmerzlinderung und passives/assistives Durchbewegen der betroffenen Gelenke zur Kontraktur-
10 . Tab. 14.1. Anwendungsspektren verschiedener Therapieformen (+++ sehr wichtig, ++ wichtig, + einsetzbar)
11
Therapieform
Akut
Chronisch
Krankengymnastik
+++
+++
Schlingentisch/Traktionsbehandlung
+++
++
Bewegungsbad
+++
+++
Myofasziale Releasetechnik
++
++
Manuelle Therapie
+ (nur Piccolotraktion)
++
Gerätegestütze Krankengymnastik
+ (Gewichte unterhalb des Eigengewichts der Extr.)
++
Bobath (Kinder)
+
+++
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Anwendungsspektrum
Vojta (Kinder)
++
PNF (ohne Stretch)
+ (passiv-assistives Bewegen)
++
Entspannungstechnik
++
++
19
Manuelle Lymphdrainage
++ bis +++
+
Klassische Massage
+
+
20
Kältetherapie
+++
Wärmetherapie
+
+++
Ultraschall gepulst
+++
++
22
Iontophorese
+
+
Interferenzstrom
++
+
23
Hochvolt
++
+
TENS
++
++
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14.1 · Physiotherapie
vermeidung. Weitere Ziele sind Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit und angepasste Kräftigung der insuffizienten Muskulatur, um die muskuläre Dysbalance zu minimieren. Anbahnen physiologischer Bewegungsabläufe, beispielsweise mittels Gangschule (s. unten), und die Beratung, welches Hilfsmittel zur Entlastung des Kindes im Alltag eingesetzt werden kann, wird ebenfalls in die Behandlung integriert. Prinzipiell stehen das Erhalten oder Wiedererlangen der passiven und aktiven Gelenkbeweglichkeit über das volle physiologische Bewegungsausmaß, muskuläre Stabilität sowie das Vermeiden oder Revidieren von Gelenkfehlstellungen im Vordergrund.
Ganganalyse und Gangschule Um das Gangbild bezüglich Bewegungsradius, Bewegungsfluss und insbesondere der Qualität in allen Gangphasen (Standphase und Schwungphase) analysieren zu können, empfiehlt es sich, das Gehen auf Video aufzunehmen und ggf. mit einer speziellen Software auszuwerten. Dabei lässt sich feststellen, wie viel Bewegung beispielsweise in den Hüftgelenken, Kniegelenken und Sprunggelenken stattfindet und ob eine Achsenabweichung in einer Phase des Gehens besteht. ! Die Gangschule beinhaltet sowohl die gezielte Korrektur des funktionellen Defizits als auch den richtigen Einsatz von Gehhilfen.
Eine 100%ige Entlastung eines Beins mittels Gehhilfen ist nicht empfehlenswert, da dieses Bein in erheblicher Flexion von Hüfte und Kniegelenk über dem Boden gehalten werden muss (Schonhaltungsmuster) und sich die Blutzirkulation durch die fehlende Muskelpumpe verschlech-
14
tert. Des Weiteren nimmt die Muskelatrophie in diesem Bein ein größeres Ausmaß an, als dies durch die alleinige Entzündung mit der resultierenden Schonhaltung der Fall wäre. Eine Belastung, mindestens in Form von Sohlenkontakt (entspricht ≤5kg), wirkt sich positiv auf den Gelenkknorpel und Erhalt der physiologischen Abrollbewegung des Fußes beim Gehen aus.
Schlingentisch und Traktionsbehandlung Schlingen nehmen über Seilzüge das Eigengewicht des aufgehängten Körperteiles auf, sodass dem Kind ein assistives Bewegen ohne Schmerz möglich ist. Mit Gewichten kann eine feindosierte Kräftigung erfolgen. Die Bewegung wird in der Regel hubfrei durchgeführt. Die Aufhängung im Schlingentisch oder Schlingenkäfig kann aber auch mit einer Lotverschiebung so durchgeführt werden, dass auf das betroffene Gelenk ein sanfter, entlastender Zug und/ oder Druck ausgeübt wird (Ernährungsverbesserung des Gelenkknorpels) (Saurat 1992). Besonders eignet sich diese Behandlung bei akuter und subakuter Entzündung von Wirbelsäule (vor allem Halswirbelsäule), Schultergelenk, Ellenbogen, Hüftgelenk und bei schmerzverstärkenden Syndromen (. Abb. 14.1). Ergänzend können im subakuten Stadium zur Aufhängung andere Behandlungstechniken eingesetzt werden, wie z. B. die manuelle Therapie.
Bewegungsbad Durch die Wassertemperatur (31–32°C) entspannt die Muskulatur, und der Auftrieb vermindert das Eigengewicht so erheblich, dass Kinder mit schmerzhaften Gelenken und Schmerzsyndromen sich gerne und mit einem deutlich vergrößerten Bewegungsradius im Wasser bewegen. Auch eine Kräftigung über den Wasserwiderstand . Abb. 14.1. Traktionsbehandlung. Schlingentisch: Mobilisation des Hüftgelenks in die Extension
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
ist möglich. Die Bewegungsfreude potenziert sich, wenn diese Therapieeinheit in einer Kleingruppe stattfindet. Diese Therapieform ist in jedem Stadium der Entzündung möglich.
Myofasziale Releasetechnik Dies ist eine sehr sanfte Weichteiltechnik, die mit verschiedenen Griffen auf das Fasziensystem einwirkt. Die Beweglichkeit und Verschiebung des Bindegewebes werden bei Verhärtungen und Verfestigungen verbessert und somit auch die Gelenkbeweglichkeit.
Manuelle Therapie Bei reversibler Funktionseinschränkung eines Gelenks kann mit Traktion, translatorischen Gleittechniken und Weichteiltechniken die Limitierung schrittweise reduziert werden. Bei akut entzündlichen Prozessen sollte diese Technik nur sehr zurückhaltend angewendet werden.
Vojta. Ziel ist es, das Zusammenspiel der Muskelketten zu optimieren, um eine verbesserte Lokomotion zu erzielen. Die Behandlung findet in fest definierten Ausgangsstellungen mittels Stimulierung bestimmter Zonen statt. Beim Auslösen der künstlichen Bewegungsgebilde werden physiologische Bewegungsabläufe aktiviert und eine Normalisierung des Muskeltonus erarbeitet. Beide Parameter sind bei Kindern mit JIA gestört und stellen Behandlungsziele dar. Besonders bei Kindern mit Entzündungsherden an der Wirbelsäule, im subakuten und chronischen Stadium, sehen wir durch den Einsatz des Vojta-Konzeptes eine gute muskuläre Stabilisierung und Verbesserung der Koordination. Jedoch müssen die Ausgangsstellungen so gewählt und ggf. modifiziert werden, dass die betroffenen Gelenke keine zu hohe Belastung erfahren. Propriozeptive neuromuskuläre Faszilitation (PNF). Die
Bei dieser Therapieform wird an speziellen medizinischen Trainingsgeräten trainiert. Ein physiologischer Bewegungsablauf oder eine Teilsequenz können geschult werden. Außerdem wird eine kontrollierte und dosierte Kräftigung der insuffizienten Muskulatur erzielt, beispielsweise die Kräftigung des M. quadrizeps mit einer Beinpresse. Bevorzugt sollte an Seilzügen trainiert werden, da diese eine dreidimensionale Bewegung zulassen. Prinzipiell gibt es nur wenige Geräte, die für Kinder ≤140 cm Körpergröße einsetzbar sind. Die Gewichtsabstimmungen müssen sehr fein sein. Weitere Anwendungsmöglichkeiten stellen die Schmerzverstärkungssyndrome und Enthesiopathien dar.
PNF ist ein Behandlungskonzept, das primär an Erwachsenen entwickelt wurde, aber auch in der Pädiatrie eingesetzt wird. Ziele dieser Technik beim rheumatologischen Kind sind, die intra- und intermuskuläre Koordination zu verbessern, einen Bewegungsablauf zu erlernen, zu automatisieren und zu ökonomisieren und ggf. das Bewegungsausmaß zu erweitern und zu stabilisieren. Die »Patterns« (hier als Bewegungsschablonen zu verstehen) sind Idealbewegungen im Hinblick auf die Gelenkmechanik und Muskelketten. Ähnlich wie beim Bobath-Konzept steht der Alltagsbezug im Vordergrund. Aufgrund der Ideallinie ist diese Technik vielseitig einsetzbar: Sowohl ein passives-assistives Bewegen eines Gelenkes oder einer Extremität ist möglich als auch bei älteren Kindern ein Dehnen, Bewegen und/oder muskuläres Stabilisieren mit einem Führungswiderstand.
Neurophysiologische Techniken
Entspannungstechniken
In der physiotherapeutischen Behandlung eines an juveniler idiopathischer Arthritis erkrankten Kindes müssen immer zwei Aspekte berücksichtigt werden: die Erkrankung mit ihren Auswirkungen an sich und der jeweilige Entwicklungsstand. Aus diesem Grund ergänzen die neurophysiologischen Techniken die grundlegenden Techniken wie beispielsweise Krankengymnastik und Schlingentisch.
Alle Entspannungstechniken haben ein gemeinsames Ziel: das Lösen von Spannungszuständen im Körper. Das Kind lernt Spannungszustände wahrzunehmen und diese selbst zu regulieren. Mit dem Harmonisieren des Muskeltonus erfolgt zeitgleich eine psychische Entspannung. Aus unserer Sicht ist bei den Schmerzsyndromen wie z. B. Fibromyalgie die Entspannung ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Hier eine Auswahl häufig angewandter Entspannungstechniken: 5 Beim autogenen Training wird die Entspannung über eine Art Autosuggestion erreicht. 5 Die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen erzielt eine Harmonisierung über bewusstes Anspannen bestimmter Muskelgruppen mit anschließendem bewussten Lösen der Anspannung. 5 Auch Yoga trägt mit den Bausteinen körperliches Üben und »richtiges« Atmen zur Entspannung bei.
Gerätegestützte Krankengymnastik
Bobath. Ziel ist es, dem Kind in der Entwicklung seiner Selbständigkeit die notwendige Unterstützung zu bieten. Die Behandlung findet in situationsbezogenen Handlungen statt. Es werden mit dem Kind zusammen Möglichkeiten an Bewegungsübergängen und Lokomotion erarbeitet. So kann es trotz seiner Bewegungseinschränkung so weit wie möglich selbständig sein. Ebenso wird ein neu gewonnenes Bewegungsausmaß sofort in einen bestmöglichen physiologischen Bewegungsablauf integriert.
525
14.1 · Physiotherapie
5 Des Weiteren können Feldenkreis, Shiatsu, Tai-Chi und Tanztherapie ein Weg zum Erreichen des Eutonus sein.
Manuelle Lymphdrainage Bei der manuellen Lymphdrainage werden milde, überwiegend kreisförmige Dehnreize über die Haut gesetzt. Die Haut und die Lymphkollektoren beantworten diese Reize mit einer Erhöhung der Lymphangiomotorik, dies resultiert in einer Erhöhung des Lymphzeitvolumens. Auch eine verbesserte Lymphbildung und Lockerung von fibrotisch verändertem Bindegewebe findet statt. Prinzipiell folgt einer manuellen Lymphdrainage eine Kompression in Form von Bandagen oder medizinischen Kompressionsstrümpfen. Die Kompression darf bei der JIA nur für wenige Stunden und mit reduziertem Druck durchgeführt werden (Földi u. Kubik 2002). Bei der JIA sollte die Behandlung im akuten Stadium täglich erfolgen. Ist die Entzündung rückläufig, so kann die Behandlungsfrequenz auf 2–3 Mal pro Woche reduziert werden. Im chronischen Zustand ist ein deutlicher Behandlungserfolg weniger gegeben.
Physikalische Therapie Klassische Massage. Die klassische Massage besteht prin-
zipiell aus vier verschiedenen Techniken und verfolgt hauptsächlich die Detonisierung der Muskulatur, eine Durchblutungsverbesserung, Schmerzlinderung und Trophikverbesserung. Kältetherapie. Die Kältetherapie bewirkt eine Schmerz-
linderung, wirkt abschwellend und entzündungshemmend. Sie kann lokal an den Gelenken oder global angewendet werden. ! Direkt unmittelbar nach der Kälteanwendung sollte aufgrund der analgetischen Wirkung keine Physiotherapie erfolgen. Es besteht die Gefahr, dass durch die verschobene Schmerzgrenze ein Bewegungsausmaß ausgeschöpft wird, das für das entzündete Gelenk einen gesteigerten Reiz darstellt.
Wärmetherapie. Die Zufuhr von Wärme bewirkt eine Stei-
gerung des Stoffwechsels und der Durchblutung und somit eine Detonisierung des Gewebes. Auch eine Schmerzlinderung kann erzielt werden. Wärme kann lokal oder global angewendet werden. Wegen einer möglichen Entzündungsverstärkung sollte die Wärmetherapie nur sehr bedingt Anwendung im akuten Stadium finden (Elektrotherapie 7 14.2.4)
14
14.1.2 Behandlungsschema Zu Beginn einer PT-Behandlung werden die Nah- und Fernziele zusammen mit den Eltern und dem Kind besprochen und festgelegt. Die Ziele sollen für das Kind erreichbar sein. Je nach Entzündungsaktivität und den momentanen Bedürfnissen des Kindes werden die Nahziele immer wieder aktualisiert. ! Prinzipiell darf Physiotherapie niemals weh tun … denn sobald in den betroffenen Gelenken Schmerzen auftreten, reagiert der Körper mit einer gelenkspezifischen Schonhaltung.
Unabhängig davon, welche Gelenke betroffen sind, entscheidet die Entzündungsaktivität über den Grad der Belastung. Akutes Stadium Subakutes Stadium Chronisches Stadium
Gewichtsentlastung Teilbelastung Vollbelastung
Die Gewichtsbelastung muss stets so weit reduziert werden, bis physiologische Bewegungsabläufe möglich sind. Aus diesem Grunde ist ein guter Informationsfluss zwischen Ärzten und Physiotherapeuten sehr wichtig. Die Therapieformen werden anhand des vorliegenden aktuellen Befundes ausgewählt. Eine Orientierung bietet das in . Tab. 14.2 wiedergegebene Behandlungskonzept, das nicht als rigides Schema zu verstehen ist. Die realisierbare ambulante Physiotherapie unterscheidet sich in Zeitdauer und Frequenz von der stationären. Im stationären Bereich sind zwei Therapieeinsätze täglich anzustreben, um eine schnellstmögliche Genesung zu erreichen und das Kind so rasch wie möglich wieder in seine gewohnte Umgebung entlassen zu können.
Intraartikuläre Injektion Direkt vor der Injektion sollte eine physiotherapeutische Befundaufnahme stattfinden, um den Behandlungsverlauf gut verfolgen zu können. Am Tag der Injektion sind das oder die Gelenke von der Physiotherapeutin passiv-assistiv in alle physiologischen Bewegungsrichtungen durchzubewegen. Hypertone Muskulatur wird mit passiven Maßnahmen gelockert. Zusätzlich kann noch eine elektrische Bewegungsschiene eingesetzt werden. Idealerweise werden die Eltern mit angeleitet. Um das Bewegungsausmaß zu erweitern und die Schmerzen zu lindern, muss auf eine gute Lagerung geachtet werden. Die Kinder haben Bettruhe und dürfen nur zur Toilette aufstehen. Am ersten postoperativen Tag wird die Bettruhe langsam aufgelockert. Die Physiotherapie erfolgt weiterhin zweimal täglich und wird schrittweise erweitert: Gelenkmobilisation, Aktivieren hypotoner Muskulatur, Bahnen physiologischer Bewegungsmuster.
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1
Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
. Tab. 14.2. Behandlungskonzept Entspannung und Schmerzlinderung
2
Langsames, passives/assistiv-aktives Durchbewegen Physikalische Maßnahmen
3
Bewegungsbad
4
Schlingentisch
Lagerung (zur Schmerzlinderung und zum Erhalt des Bewegungsausmaßes)
Entlastende Hilfen
5 6 7
Verbesserung bzw. Erhalt der Gelenkbeweglichkeit, Wiederherstellen bzw. Erhalt des muskulären Gleichgewichtes (. Abb. 14.2)
Gelenkmobilisation
Bahnen physiologischer Bewegungsmuster
Neurophysiologische Techniken
Aktivieren hypotoner Muskulatur Detonisieren hypertoner Muskulatur (z. B. Dehntechniken)
Gangschule
8 9
Sonstiges
Elternanleitung Hausaufgaben Hilfsmittelversorgung
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Um das passiv erlangte Bewegungsausmaß zu erhalten, werden Gipslagerungsschalen hergestellt. Bei Kleinkindern kann dies auch sofort nach der Injektion noch in Narkose gemacht werden, bei größeren Kindern wird die Anpassung im allgemeinen am 1. oder 2. postoperativen Tag, wenn die Injektionsbehandlung vermehrt ihre Wirkung entfaltet hat, durchgeführt. Bei fehlenden kontrollierten Studien ist das dargestellte physiotherapeutische Konzept im Rahmen der intraartikulären Injektion subjektiv und entspricht dem Vorgehen in einem der beteiligten Zentren.
Lagerung Durch gezielte Lagerung wird die Aktivität der Muskelgruppen, die gegen die Schwerkraft arbeiten, aufgehoben. Es kommt zur Entspannung der hypertonen Muskulatur, Entlastung der Gelenke und somit zur Schmerzlinderung. Dadurch bleibt das Bewegungsausmaß erhalten bzw. wird passiv erweitert. ! Prinzip der Lagerung: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Die meist in Beugung gehaltenen Gelenke werden in größtmöglicher Extension abgeholt, ohne Quengelung (immer unterhalb der Schmerzgrenze bleiben!). Das Ei-
. Abb. 14.2. Wiederherstellung des muskulären Gleichgewichts unter Entlastung
527
14.1 · Physiotherapie
gengewicht wird an die Unterlage abgegeben, damit das Kind »loslassen« kann. Lagerungshilfen: Stofftiere, Handtücher, Gipslagerungsschienen, Handschienen, Fingerschienen (s. unten »Hilfsmittel«)
Elternanleitung Die Elternanleitung ist ein wichtiger Bestandteil in der Physiotherapie. Sie ist nicht nur Anleitung in physiotherapeutischen Techniken. Den Eltern sollen vielmehr Informationen vermittelt werden, die ihnen den Umgang mit der Erkrankung im Alltag erleichtern. Folgende Punkte sind wichtig: Die Eltern sollen auf mögliche, durch Schmerzen ausgelöste Verhaltensänderungen ihrer Kinder sensibilisiert werden. Je nach betroffenem Gelenk reagieren diese z. B. mit Unlust beim An- und Ausziehen oder verweigern längere Gehstrecken und wollen getragen werden. Je besser der Elternblick geschult ist, desto früher können Störungen erkannt werden, und die Therapie kann schnell adäquat erfolgen. Wichtig ist auch der Austausch von Ideen, z. B. zur Verbesserung der Therapieintegration in den Alltag und der Akzeptanz gegenüber Hilfsmitteln. Den Eltern und Kindern sollten klare und leicht verständliche Anweisungen gegeben werden. Lieber wenig Übungen, aber dafür korrekt ausgeführt. Erst wenn sich die Eltern in der Grifftechnik ganz sicher sind, können die Übungen auch eigenständig zu Hause ausgeführt werden. Vorsicht: Eltern und Kinder nicht überfordern! ! Eltern sind in erster Linie Eltern und keine Therapeuten. Die normale, gefühlsbetonte Interaktion zwischen Eltern und Kindern soll möglichst nicht gestört werden.
Werden die Physiotherapie und die Hausaufgaben von den Eltern als Last und nicht als unterstützende Hilfe gesehen, überträgt sich dies auf das Kind und seine Therapiemotivation.
Hausaufgaben Hausaufgaben sollen in erster Linie das Bewusstsein und den Erfolg der laufenden Therapie unterstützen. Sie sind auch wichtig, um behandlungsfreie Zeiträume (wie z. B. Ferien) zu überbrücken. 5 Wenig Übungen (maximal drei). 5 Nur sicher ausgeführte Übungen werden mit nach Hause gegeben. 5 Am besten diese schriftlich festhalten, vom Kind selbst oder von den Eltern notiert. 5 Regelmäßige Hausaufgabenkontrolle, um korrekte Ausführung zu gewährleisten. 5 Kinder dürfen nicht überfordert werden.
14
5 Möglichst in den kindlichen Tagesablauf einbinden, z. B. auf dem Spielplatz, im Freibad, beim Abendritual.
Hilfsmittel Sinn der allgemeinen und speziellen Hilfsmittel ist, dem Kind eine Erleichterung in seinen zu bewältigenden Alltag zu bringen. Das Kind soll trotz seiner Erkrankung möglichst aktiv und mobil bleiben, die durch die Erkrankung an sich ausgelöste Problematik sollte aber nicht durch Aktivität forciert und potenziert werden. ! Aus diesem Grund gilt insbesondere für den Einsatz von Hilfsmitteln: So wenig wie möglich, jedoch unbedingt so viel wie nötig!
Hilfsmittel werden mit dem Kind, den Eltern, dem Arzt, den Physio- und Ergotherapeuten und dem Orthopädiemechaniker ausgewählt und dann angepasst. Sie müssen mit dem Kind ausgesucht werden. Denn nur mit der Akzeptanz der Kinder werden sie auch genutzt. Notfalls muss mit allen Beteiligten ein Kompromiss gefunden werden. Die Hilfsmittel müssen stets den wechselnden Bedürfnissen und Größenverhältnissen des Kindes oder Jugendlichen angepasst werden, ansonsten können sie mehr Schaden als Nutzen bringen. Ein Beispiel: Kind mit Arthritis im Kniegelenk, primäres Streckdefizit im Kniegelenk von ca. 15°. Als entlastende Hilfe wird im Alltag der Einsatz eines Laufrades empfohlen. Die Sitzhöhe des Sattels muss so gewählt werden, dass bei Fersenkontakt die maxmimale Kniestreckung (15° Flexion) erfolgen muss. Verringert sich das Streckdefizit durch medikamentöse und physiotherapeutische Maßnahmen beispielsweise auf 5°, muss die Sattelhöhe unmittelbar angepasst werden. Ansonsten bremst der Einsatz des Laufrades den positiven Genesungsprozess und das Wiedererlangen des physiologischen Gelenk-/Muskelspiels wird negativ beeinflusst. Einerseits ist für viele Kinder eine Versorgung mit Hilfen erforderlich und andererseits möchte man sie durch die Hilfen so wenig wie möglich in eine für das soziale Umfeld sofort sichtbare Sonderrolle bringen. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, zuerst den Pool der allgemeinen bzw. kommerziell erwerblichen Hilfen (z. B. Laufrad) auszuschöpfen. Reicht diese Form der Hilfsmittelversorgung nicht aus, sind spezielle Hilfen (Rezeptverordnung) erforderlich.
Allgemeine Hilfen 5 Hilfen und entlastende Hilfen für die untere Extremität und Wirbelsäule (. Abb. 14.3): − Diverse Rutschautos, Dreirad, Laufrad, Kettcar, Roller, Fahrrad
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
. Abb. 14.3. Allgemeine Hilfen zur Entlastung der unteren Extremität
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
− Knieschoner: Beim Inlinen prinzipiell anzuziehen; beim Spielen mit neuen Fahrzeugen oder beim Erlernen des Gehens empfehlenswert − Gutes Schuhwerk, Rolltreppe/Aufzug benutzen, Buggy/Kinderwagen, Trolley und doppelte Schulbücherausführung, Sitzkeil, richtige Sitzhöhe, höhenverstellbarer Tisch 5 Hilfen und entlastende Hilfen für die obere Extremität und Wirbelsäule: − Rucksack mit Abstützung übers Becken, Muff, Oberteil mit Vordertasche, weite Hosen-/Jackentaschen, provisorische Halskrawatte − Ellenbogen-/Handschoner: Beim Inlinen prinzipiell anziehen; beim Spielen mit neuen Fahrzeugen empfehlenswert − Breite Bändel/Kordelschlaufen an Zipper, Klettverschlüsse an Schuhen, dicke Stifte, Stiftverbreiterungen, Sitzkeil, richtige Sitzhöhe, höhenverstellbarer Tisch
Spezielle Hilfen 5 Schaleneinlagen in Sonderanfertigung 5 Schuherhöhung, orthopädische Zurichtung am Konfektionsschuh wie z. B. Abrollhilfe 5 Tapen 5 Münsterpferdchen, speziell modifizierter Sitzroller oder Fahrrad, Rollstuhl, Gehhilfen (Unterarmgehstützen mit anatomischen Griffen, kanadische Stöcke) 5 Deckenhaken und Schlaufen für Traktionsbehandlung 5 Motorschiene 5 Gipslagerungsschalen 5 Beckengurt 5 Halskrawatte 5 Aufbissschiene, Handschienen, diverse Fingerschienen
Erläuterungen Laufrad, Fahrrad, Münsterpferdchen, Sitzroller. Eigengewicht sollte möglichst gering sein. Die Sattelhöhe muss so eingestellt sein, dass das Kind mit den Füßen gerade noch auf den Boden kommt. Handbremsen können bei Betroffenheit der unteren Extremität in Einsatz kommen. Kettcar. Der Sitz muss so weit nach hinten gestellt werden, dass die Kniegelenke so weit wie möglich in Streckung sind. Roller. Die Lenkerstange muss so eingestellt werden, dass der Körper gut aufgerichtet ist. Darf bei Betroffenheit der unteren Extremität nur dann benutzt werden, wenn das Standbein das nicht betroffene Bein ist. Schuhwerk. Besonders bei betroffener unterer Extremi-
tät ist eine gute Schuhversorgung eine wichtige Grundlage. Die Schuhe sollten »verwringbar« sein (flexible Sohle), bezüglich der Weite der Fußbreite entsprechen (WMS-System), eine gute Fersenführung aufweisen und bezüglich des Obermaterials eine gewisse Stabilität haben. Des Weiteren sollten die Schuhe über mehrere Klettverschlüsse oder Schnüre zu regulieren sein und weder zu klein noch zu groß bzw. auf Zuwachs gekauft werden. Einlagen. Prinzipiell sollten Schaleneinlagen verordnet
werden, da der Kalkaneus hier besser gefasst werden kann (. Abb. 14.4). Sie müssen langsohlig sein und sollten unbedingt nach Gips- oder Knetabdruck erstellt werden. Grundsätzlich werden beide Füße versorgt. Die Einlagen sollten eine stabilisierende, eine dämpfende und eine bettende Schicht aufweisen. Ist die Erkrankung akut, liegt die Gewichtung in der weichen Dämpfung und Entlastung. Eine Entlastung wird über eine gleichmäßige Verteilung des Gewichtes über den ganzen Fuß erzielt (kein Spitzendruck!). Bei Entzündung im Bereich der Grundgelenke ist
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14.1 · Physiotherapie
14
Aufbissschiene. Meist wird nur für die untere Zahnreihe eine Schiene nach Abdruck angefertigt; ggf. Kombination von unterer und oberer Zahnreihe möglich. Fingerschiene, Handschiene. Entweder als Funktionsoder Lagerungsschienen (7 Kap. 14.3).
. Abb. 14.4. Einlagenversorgung. Funktioneller Abdruck mit Knetmasse, dreischichtiger Aufbau der Schaleneinlage
eine Entlastung über eine zusätzliche 1 mm dicke Polypropylenschicht zur Sohlenversteifung notwendig. Ist die Erkrankung subakut oder chronisch, kann mittels einer abstützenden Einlage mit einer sachten Korrektur der Fußstellung begonnen werden. Anzustrebendes Endziel ist die physiologische Fußstellung mit der Dreipunktbelastung: lateraler Kalkaneus, Metatarsalköpfchen I und V (Dreibogenbasis) Unterarmgehstützen. Sie müssen mit anatomischen Grif-
fen (evtl. mit Softgriffen) ausgestattet sein. Trolley. Er muss leicht rollen, und der Teleskopgriff muss so eingestellt werden, dass das Kind ihn in einer gut aufgerichteten Körperhaltung ziehen kann. Gipslagerungsschalen. Sie können aus Weißgips oder
Softcast mit Hardcastlongette sein. Sie werden in der maximal möglichen schmerzfreien Korrekturstellung des Gelenks angefertigt. Nach dem Dehnen empfiehlt es sich, das Gelenk ca. 30 Minuten in dieser erarbeiteten Bewegungsrichtung zu belassen. Die Schale wird durch die Binden entgegen den kompensatorischen Rotationsausweichbewegungen von distal nach proximal angewickelt.
Motorschiene. Mit der elektrischen Motorschiene können die Extremitäten, an der unteren Extremität besonders das Kniegelenk, auf eine sehr sanfte, gleichmäßige Weise passiv durchbewegt werden. Derzeit gibt es keine Motorschienen auf dem Markt, die den Größenverhältnissen kleinerer Kinder angepasst sind. Orthopädische Zurichtung am Konfektionsschuh. Ein
Pufferabsatz minimiert die Stauchwirkung bei Fersenkontakt; Abrollhilfen können – je nach Problematik – als Mittelfußrolle, Ballenrolle oder Schmetterlingsrolle angebracht werden. Schuherhöhung bei Beinlängendifferenz. Ein Beinlän-
genausgleich sollte auch dann erfolgen, wenn das nicht betroffene Bein nur 0,5 cm kürzer ist. Eine asymmetrische Gewichtsbelastung führt zu einer Fehlbelastung der Gelenke und Wirbelsäule und kann somit Entzündungsaktivität und Gelenksfehlstellungen verstärken. Ist ein Beinlängenausgleich erforderlich, könnte theoretisch bei einer Differenz von ≤0,5 cm der Ausgleich mittels einer langsohligen Einlegesohle erfolgen. Dies führt in der Regel jedoch zu einem Volumenproblem im Bereich des Ballens und der Zehen. Von einer kurzsohligen, keilförmigen Einlegesohle ist wegen einer zu hohen Belastung im Vorfußbereich abzusehen. Es empfiehlt sich daher, einen Beinlängenausgleich prinzipiell über die komplette Schuhlänge fest in die Sohle zu integrieren.
14.1.3 Sport bei oder trotz Sitzhöhe. Die Sitzfläche muss so hoch eingestellt werden,
dass die Füße plan auf dem Boden stehen können und der Winkel zwischen Unterschenkel und Oberschenkel ≥90° Grad beträgt. Deckenhaken. Sie dienen als Befestigungsgrundlage für eine Traktions-/Schlingenaufhängung für zu Hause.
Provisorische Halskrawatten (Trikotschlauch und Schaumgummimaterial) oder Halskrawatten auf Rezept müssen so breit sein, dass ein Teil des Kopfgewichtes direkt über die Krawatte an den Rumpf/Schultergürtel abgegeben werden kann. Sie sollten besonders dann in Einsatz kommen, wenn ein Kind lang sitzen muss und/oder sich Ermüdungszeichen ankündigen.
Halskrawatte.
kindlichem Rheuma Langzeitstudien zu juveniler Arthritis und körperlicher Aktivität stehen aus. Die Erfahrung vieler kinderrheumatologisch tätiger Ärzte und Therapeuten ist aber, dass Sport Kindern und Jugendlichen mit juveniler idiopathischer Arthritis helfen kann; der positive Effekt dosierter sportlicher Aktivität innerhalb von kontrollierten Übungsprogrammen ist belegt. Im Akutstadium der rheumatischen Entzündungen steht eine Gelenkentlastung im Vordergrund. Hiermit vereinbar sind gelenkentlastende Sportarten wie Schwimmen in warmem Wasser, Fahrradfahren auf der Ebene und isometrische Übungen unter physiotherapeutischer Anleitung. Entscheidend ist, mögliche Fehlbelastungen und Fehlstellungen zu erkennen und früh zu korrigieren.
530
1
Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
. Tab. 14.3. Risiken verschiedener Sportarten bei kindlichenm Rheuma (VG Verletzungsgefahr, SB Stoßbelastung, AB achsengerechte Belastung, B Beweglichkeit, AD Ausdauer; - geeignet, . möglich, / nicht empfehlenswert)
2
Entzündungsaktivität
3 4 5
VG
SB
Ob. Extremität
AB
B
AD
Hoch
Niedrig
Hoch
Niedrig
²
²
²
/
-
.
-
²
²
/
-
/
-
Aerobic Badminton
Unt. Extremität
Basketball
²
²
²
/
.
/
.
Eishockey
²
²
²
/
.
/
.
²
²
²
6
Fechten
/
-
/
-
Federball
²
.
-
/
-
7
Frisbee
²
.
-
/
-
/
.
.
-
.
-
/
-
Fußball
8 9
²
²
²
Golf Handball
²
²
²
/
.
/
.
Hockey
²
²
²
/
.
/
.
Inlineskating
²
²
²
/
.
/
.
²
²
/
-
-
-
²
/
-
.
-
²
-
-
/
.
/
-
/
.
10
Joggen
11
Kampfsportarten ohne Körperkontakt
²
Kanu/Rudern
²
12 13 14 15 16 17 18 19
²
²
Klettern Leichtathletik Lauf
²
/
-
/
-
Wurf
²
/
-
/
.
Sprung
²
/
-
/
.
Langlauf
²
²
.
-
.
-
Radfahren
²
²
.
-
-
-
.
-
.
-
/
-
.
-
-
-
-
-
/
-
.
-
Reiten
²
Rhythmische Gymnastik
²
²
Schwimmen
²
²
Schlittschuhlaufen
²
²
Skialpin
²
²
²
/
.
.
-
Snowboard
²
²
²
/
.
/
.
Squash
²
²
²
/
.
/
.
²
²
²
/
-
-
-
²
²
²
.
-
-
-
²
/
-
/
.
²
²
.
-
.
-
²
²
/
.
.
-
/
-
/
-
²
/
.
/
.
²
/
-
-
-
Taekwondo ohne Widerstand
21
Tennis
²
Tischtennis
Tanzen
Trampolin
²
²
Turnen
23
²
²
20
22
²
Volleyball Wandern
²
² ²
14.1 · Physiotherapie
Im inaktiven Stadium der Erkrankung besteht der Wunsch nach sozialer Integration, der oft verbunden ist mit Wiederaufnahme einer vermehrten, normalen sportlichen Betätigung. In Bezug auf den Schulsport ist eine enge kooperative Zusammenarbeit zwischen den Behandlern und der Schule am Heimatort mit dem Ziel einer weitgehenden Integration geboten. Eine individuelle Abstimmung des Übungsprogramms bezogen auf den Krankheitsverlauf, den kognitiven Entwicklungsstand, die betroffenen Gelenke mit Abwägen der altersbezogenen Bedürfnisse, Belastungen, Compliance und psychosozialen Faktoren ist sinnvoll. Es gibt Sportarten, die mehr geeignet sind, und Sportarten, die weniger gut geeignet sind (. Tab. 14.3). Wichtig ist, dass es kein grundsätzliches Bewegungsverbot für die Kinder geben darf. Kinder, die einen geeigneten Sport treiben, sind emotional ausgeglichener und weisen eine bessere muskuläre und ossäre Stabilität auf. Aufgrund von Aspekten des Gelenkschutzes sollte Folgendes beachtet werden: 5 Stoßbelastungen möglichst vermeiden 5 achsengerechte Belastung der Gelenke 5 Vorsicht bei zu hohem Verletzungsrisiko, z. B. bei Mannschaftssport Wenn sich das Kind für eine Sportart entschieden hat und diese regelmäßig betreibt, sollten die Eltern besonders sensibel für Veränderungen sein. Treten nach dem Sport vermehrt Entzündungszeichen oder Schmerzen in den betroffenen oder benachbarten Gelenken auf, dann sind diese möglicherweise überlastet. Dies gilt es in jedem Falle zu vermeiden. Leistungssport sollte aus unserer Sicht nicht betrieben werden.
531
14
z. B. Wegziehen des Beines oder Unmut mitgeteilt. Nur die wenigsten Kinder klagen über Schmerzen. Eine kleine Anzahl von Kindern empfindet erst bei einem sehr intesiven Reiz einen Schmerz. Diese Kinder sind dadurch gefährdet, dass die betroffenen Gelenke einem zu hohen Reiz ausgesetzt werden. Die Physiotherapie darf in diesem Fall keineswegs die Schmerzgrenze als Limitiertung haben; Orientierung bietet hier nur das Gelenk mit seinen Weichteilen. Eine Ausnahme stellen diejenigen Krankheitsbilder dar, die dem Oberbegriff »Reflex Neurovascular Dystrophie« (RND; Sherry 2001) zugeordnet werden. Hier gibt es derzeit zwei völlig kontroverse Behandlungsstrategien: Nach dem Behandlungskonzept von D. Sherry wird, um die pathologisch nach unten verschobene Schmerzschwelle anzuheben, in der Physiotherapie bewusst das Schmerzempfinden des Patienten ignoriert. Diese Vorgehensweise erfordert eine täglich mehrstündige intensive 1:1-Betreuung durch einen Physiotherapeuten. Primär findet die Therapie ohne Anwesenheit der Eltern statt. Dieses Behandlungskonzept erfordert eine extrem gute Patientenführung. Die andere Behandlungsstrategie sieht ein Vermeiden der schmerzauslösenden Faktoren vor. Physiotherapie darf nur unterhalb der Schmerzgrenze stattfinden. Ziel beider Strategien ist es, die Schmerzschwelle in den Normbereich zurückzuverlagern.
14.1.4 Schmerz und Physiotherapie Da der akute Schmerz im Gegensatz zum chronischen Schmerz eine Schutz- und Warnfunktion hat, gelten in der Physiotherapie folgende Grundsätze: Bei allen rheumatoiden Erkrankungen ist primäres Ziel, den Schmerz durch unterschiedlichste Maßnahmen (Lagerung, physikalische Maßnahmen) zu reduzieren oder, wenn möglich, zu eliminieren. Eine prinzipielle Ruhigstellung sollte aufgrund der fortschreitenden Atrophie und Trophikverschlechterung nicht oder zeitlich nur sehr limitiert erfolgen. Grundsätzlich sollte sowohl in der Therapie als auch zu Hause das größtmögliche Maß an Mobilität ausgeschöpft und evtl. erweitert werden, jedoch stets unterhalb der subjektiven Schmerzgrenze. Schmerz darf kein Bestandteil der Therapie sein, da dieser einen Circulus vitiosus nährt. Schmerzen werden von den Kindern meist nonverbal in Form von Mimik und Gestik und Vermeidungsstrategien wie . Abb. 14.5. Schnelltest für OSG unter Belastung (pathologisch)
532
1 2
Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
14.1.5 Juvenile idiopathische Arthritis Da Krankheitsaktivität und -form bestimmen, welche Therapieform in welcher Intensität und Kombination eingesetzt werden sollte, ist eine gute, in kurzen Abständen
folgende Ganzkörperbefunderhebung wichtig. Auch die Entscheidung, welche allgemeinen Hilfen und Hilfsmittelversorgungen für das Kind mit seinem individuellen Krankheitsverlauf angezeigt sind, resultiert daraus.
3 4 5
. Tab. 14.4. Schnelltests Wie?
Beispiele für Pathologie
In Rückenlage, distaler Unterschenkel im Überhang, müssen dorsokranial des Kalkaneus deutliche Falten zu sehen sein. Fußrücken und Tibia bilden nahezu eine Linie
5 Flexion des Vorfußes 5 Flexion der Zehen 5 Schmerzen
Zehenstand mit seitengleicher Belastung, aufgerichtetem Kalkaneus, dorsokranialer Faltenbildung und extendierten Zehengrundgelenken
5 5 5 5
Extension
Im Langsitz, das kontralaterale Bein aufgestellt und mit den Armen festgehalten, das Knie auf die Unterlage drücken lassen. Dabei muss sich die Ferse von der Unterlage abheben.
5 Aktivität der Glutäalmuskulatur 5 Schmerzen
Flexion
In Rückenlage muss das Kind die Ferse zum Po führen können
5 Lateralflexion im Rumpf 5 Schmerzen
Extension
In Rückenlage muss das kontralaterale Bein mit Knieflexion so weit in Hüftflexion gebracht werden, dass die Lendenlordose ausgeglichen ist. Das zu testende Bein bleibt in der maximal möglichen Hüftstreckung liegen, evtl. zusätzlich aktiv in Extension spannen lassen. Knieextension im ipsilateralen Knie erforderlich (Thomas-Handgriff )
5 Auflösung der Entlordorsierung 5 Leistenschmerzen
Flexion
In Rückenlage muss das Kind das Knie bis zum Bauch führen können. Das Kniegelenk wird hierzu flektiert. Das kontralaterale Bein bleibt auf der Unterlage liegen
5 Lateralflexion im Rumpf 5 Leistenschmerzen
Kompression
Entspannte Rückenlage, gestrecktes zu testendes Bein in »maximal-loose-packed position« (im Hüftgelenk ca. 30° Flexion und Abduktion sowie 15–20° Außenrotation. Traktion, dann Kompression, dann wieder Traktion in der Längsachse des Beines
5 Lateralflexion auf ipsilateraler Seite 5 Hüftschmerzen bei Kompression
ISG
Vorlauf im Liegen
Entspannte Rückenlage, Beine und Becken parallel und achsengerecht: Pat. kommt in Langsitz, wobei der Therapeut dessen Beine knapp über der Unterlage hält (Derbolowsky)
5 Veränderung des Knöchelstandes bez. Höhe und/oder Rotation weist auf eine Beckenverwringung hin. Schmerzen
Wirbelsäule
Extension Halswirbelsäule
Im Sitzen: Bei voller Extension des Kopfes sollte das Gesicht nahezu waagrecht stehen
5 Mund wird geöffnet 5 Fortlaufende Bewegung in die restliche Wirbelsäule 5 Schmerzen
Flexion der gesamten Wirbeläule
Ausgangstellung aufrechter Stand, der Patient flektiert langsam, absteigend nacheinander alle Wirbelsäulensegmente.
5 Ungleichmäßige, disharmonische Bewegung?
Öffnen
Dreifingertest: In Rückenlage oder im Sitz/ Stand mit aufgerichteter Wirbelsäule müssen längs drei Finger des Kindes zwischen die Zahnreihen passen
5 Asymmetrische u./o. zu geringe Mundöffnung 5 Schmerzen
OSG
Plantarflexion
6 7 8
OSG, USG, Zehen
Knie
9 10 11
Hüfte
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 Kiefer
23
Seitendifferenz Calcaneus varus Schmerzen Flexion der Zehen
533
14.1 · Physiotherapie
14
. Tab. 14.4. Fortsetzung Wie?
Beispiele für Pathologie
Flexion
Im Sitzen, die Füße stehen auf dem Boden, die gesamte Wirbelsäule ist aufgerichtet. Das Kind muss die im Ellenbogen gestreckten Arme bis parallel zu den Ohren führen können
5 Veränderung der Kopfstellung 5 Elevation im Schultergürtel 5 Vermehrte Streckung oder Lateralflexion des Rumpfes 5 Schmerzen
Abduktion, Außenrotation
Nackengriff : Senken der in den Nacken erhobenen Hand auf den Rücken bis zwischen die Schulterblätter
5 Lateralflexion oder Hyperextension im Rumpf 5 Schmerzen
Extension, Adduktion, Innenrotation
Schürzengriff : Hochführen der Hand auf der dorsalen Rumpffläche, am Gesäß beginnend bis zu den Schulterblättern. Nackengriff und Schürzengriff können kombiniert getestet werden!
5 Lateralflexion oder Hyperextension im Rumpf 5 Schmerzen
Flexion
Im Sitz oder Stand mit aufrechter Wirbelsäule, ca. 90° Schulterflexion. Bei Supination und Flexion im Ellenbogen sollen die Fingerspitzen die unilaterale Schulter berühren können
5 Weiterlaufende Bewegungen von Schulter und/oder Hand 5 Schmerzen
Extension
Im Sitz oder Stand mit aufrechter Wirbelsäule, ca. 90° Schulterflexion. Bei Supination und Extension im Ellenbogen sollte mindestens die Nullstellung erreicht werden
5 Weiterlaufende Bewegungen von Schulter und/oder Hand 5 Schmerzen
Handgelenk
Extension
Im Sitz mit Ellbogenflexion, Pronation und aufliegendem Unterarm sollte die Hand 90° dorsalextendiert und dabei die Finger gestreckt und gespreizt werden können (»Sonne geht auf«)
5 Hyperextension in den Fingergrundgelenken 5 Weiterlaufende Bewegungen Richtung Schulter 5 Schmerzen
Fingergelenke
Flexion PIP und DIP
Kleine Faust bei 0-Stellung der Grundgelenke
5 Flexion der MCP-Gelenke 5 Abstand zwischen Fingerkuppe und Handteller
Flexion Grundgelenke
Große Faust, Flexion aller Fingergelenke
5 Unvollständiger Faustschluss
Extension, Abduktion
»Aufgehende Sonne«. Im Sitz mit Ellbogenflexion, Pronation und aufliegendem Unterarm sollte die Hand in Verlängerung des Unterarmes sein und die Finger dabei gestreckt und gespreizt werden können
Abduktion Daumen
»L« — der Daumen wird 90° zum Zeigefinger abgespreizt
Schulter
Ellenbogen
Befunderhebung Um sich in einer kleinen Zeiteinheit einen Überblick über sämtliche Gelenke machen zu können, ist es empfehlenswert, nach folgendem Raster vorzugehen: 5 Erfragen von verbalen und nonverbalen Ausweichstrategien/Verhaltensänderungen; 5 Schnelltests aufgrund der gelenkspezifischen Schonhaltungen (. Tab. 14.4, . Abb. 14.5); 5 Schmerzbogen (. Abb. 14.6) mitgeben und ausfüllen lassen; 5 Inspektion auf Entzündungszeichen, Atrophie, Achsenabweichung; 5 sonstige Tests.
5 Flexion im Grund- und Hyperextension im Endgelenk
Sind hierbei Auffälligkeiten festzustellen, muss sich eine genaue Befundaufnahme mittels Gelenkmessung und Beurteilung der Spontanmotorik – wenn möglich – ergänzt durch eine funktionelle Videoanalyse anschließen. Erstreckt sich ein Bewegungsumfang nur passiv über das volle, physiologische Bewegungsausmaß, so spricht dies für eine unzureichende muskuläre Aktivität und Stabilität.
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
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. Abb. 14.6. Schmerzbogen
Verschiedene Gelenke Füße und Zehen Bewegungsmöglichkeiten
5 Oberes Sprunggelenk: Dorsalextension/Plantarflexion 5 Unteres Sprunggelenk zusammen mit den Mittelfußgelenken: Supination mit Adduktion sowie Pronation mit Abduktion 5 Zehen: Dorsalextension/Plantarflexion Im Stand wird das Körpergewicht gleichmäßig auf die Dreibogenbasis Ferse, Metatarsale I und V verteilt. Beim Gehen laufen verschiedene Phasen ab. 1. Standphase: − Initiale Standphase: OSG 0°, Subtalargelenk in Neutralnullstellung − Stoßdämpfungsphase: OSG 5° Plantarflexion, Kalkaneus 5°Eversion, subtalare Pronation − Mittlere Standphase: OSG 5° Dorsalextension, Kalkaneus 3°Eversion − Terminale Standphase: OSG 10° Dorsalextension, Kalkaneus 2° Eversion 2. Schwungphase: − Vorschwungphase: OSG 15° Plantarflexion, MTP 60° Dorsalextension − Initiale Schwungphase: OSG 5° Plantarflexion − Mittlere und terminale Schwungphase: OSG 0°, Subtalargelenk in Neutralnullstellung
Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien, Verhaltensänderungen: Protest beim An- und Ausziehen von Strümpfen und Schuhen; Kind möchte viel getragen werden; unsicherer Gang, vermehrtes Hinfallen; verkürzte Gehstrecke; verändertes Gangbild; Anlaufschmerzen, Schmerzen beim Gehen, Stehen, Treppensteigen; Beschwerden beim und nach Sport; vorhandene Schuhe drücken. Inspektion
5 5 5 5 5 5 5 5
Schwellung Rötung Überwärmung Atrophie (insbesondere M. triceps surae) Beinlängendifferenz, im Stand Achsenabweichung Fußgewölbe, Gewichtsverteilung Abnutzung der Schuhe
Tests
5 5 5 5
Schnelltest (. Tab. 14.4) Gaenslen-Test Hocke: Symmetrisches flüssiges Bewegungsmuster? Stand: Die Großzehe muss bei Belastung des Basisdreiecks Ferse, Metatarsalia I und V extendiert werden können. 5 Podometer: Unter einer u-förmig gebogenen Plexiglasscheibe ist ein Spiegel angebracht. Stellt sich das
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14.1 · Physiotherapie
5 5 5
5
5
Kind darauf, werden die Druckverhältnisse von plantar sichtbar. Es können Fußgewölbe, Gewichtsverteilung und Belastungspunkte sehr gut beurteilt werden. Gelenkmessung nach Neutralnullmethode (Ausgangsstellung: Rückenlage) Dorsalextension/Plantarflexion 10–20/0/60–70. Wichtig: Bei Plantarflexion dorsokranial des Kalkaneus Faltenbildung Unteres Sprunggelenk zusammen mit den Mittelfußgelenken: Supination/Pronation 50–60/0/30. Wichtig: Die Ferse wird bei der Pronationsbewegung fixiert. Diese Bewegungsrichtung ist oft schmerzhaft eingeschränkt. Zehen: Dorsalextension und Plantarflexion im Seitenvergleich. Bei nicht vollständig erreichtem Bewegungsausmaß sollte man zum Test am Ende der Bewegung passiv nachfedern. Beobachtung der Spontanmotorik
Kapselmuster
5 OSG: erst Plantarflexion, dann Dorsalextension 5 USG: Supination 5 Zehen: Extension Folgen
Durch die gelenkspezifischen Schonhaltungen kommt es zur muskulären Dysbalance. Der M. tibialis anterior, die kurzen plantaren Fußmuskeln oder der M. flexor hallucis longus werden hyperton, der M. triceps surae und M. peroneus longus hypoton. Durch die Arthritis auch nur eines einzelnen Fußgelenks kann es zu erheblichen Störungen des Gangbildes kommen, vor allem in der Vorschwungphase (. Abb. 14.7). Bevor sich ein unphysiologischer Gang einschleift, muss schon möglichst früh (teil)
14
entlastet werden, auch um die gesamte Körperstatik nicht zu gefährden. Varianten der Abweichung
Je nach Lokalisation des/der entzündeten Gelenke kann es zu folgenden Fehlstellungen kommen: Knicksenkfuß, Hohlfuß, Hackenfuß, Vorfußadduktion, Hallux flexus/rigidus, Hallux valgus, Krallen-/Hammerzehen. Wenn mehrere Fußgelenke betroffen sind, treten die verschiedenen Fußfehlstellungen kombiniert auf. In der Regel steht aber eine Fehlstellung im Vordergrund (Spamer et al. 2001). Primärer Knicksenkfuß
5 Ursache: Entzündung des unteren Sprunggelenkes 5 Kompensation: leichte Dorsalextension und Supination, Valgusstellung der Ferse durch Lockerung des Kapsel-Band-Apparates, Abflachung des Längs- und Quergewölbes 5 Stand: Der Fußinnenrand wird vermehrt belastet 5 Gang: Abrollen über den medialen Fußrand. Die Hüfte ist in Außenrotation. Sekundärer Knicksenkfuß
5 Ursache: Gelenkentzündungen der unteren Extremität. Der nicht betroffene Fuß wird überlastet. Hohlfuß
5 Ursache: Entzündung im Mittelfußbereich 5 Kompensation: Hypertone, kurze Zehenflexoren und ein hypertoner und verkürzter M. quadratus plantae. Die Folge ist ein verstärktes Längsgewölbe. 5 Stand: Vermehrte Belastung im Fersen- und Ballenbereich (mögliche Spätfolge: Krallenzehen) 5 Gang: Lautes, hartes Aufsetzen der Ferse. Kein weiches Abrollen möglich Rheumatischer Hackenfuß
5 Ursache: Entzündung im oberen Sprunggelenk 5 Kompensation: Dorsalextension und Supination (evtl. Flexion im Großzeh) 5 Stand: vermehrte Belastung des Fußaußenrandes. Entlastung des Großzehgrundgelenkes und Belastung des Endgelenkes. Kaum Zehenstand möglich 5 Gang: Abrollen über den Außenrand. Kaum aktives Abdrücken möglich Vorfußadduktion
5 Ursache: Primär bei Arthritis im Großzehgrundgelenk mit Hallux flexus, sekundär bei Gelenkentzündungen der unteren Extremität 5 Kompensation: Der Körper verschafft sich eine verbreiterte Basis durch Vorfußadduktion Hallux flexus . Abb. 14.7. Komplexe Fußdeformität bei Kind mit Polyarthritis
5 Ursache: Primär Arthritis des MTP I, sekundär bei einem Hackenfuß, später Hallux flexus rigidus möglich
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
5 Kompensation: Flexion des Großzehgrundgelenkes 5 Stand: vermehrte Belastung des Fußaußenrandes. Entlastung des Großzehenballens, dafür Belastung des Endgelenkes 5 Gang: Vermehrtes Abrollen über den Außenrand. Aktives Abdrücken schwierig
− Fahrrad: Sattel so einstellen, dass ein freies Abrollen möglich ist − Normaler Roller − Buggy bzw. Kinderwagen für längere Strecken, um eine Überlastung zu vermeiden − Unterarmgehstützen mit anatomischen Griffen
Hallux valgus
Physiotherapie
5 Ursache: Arthritis des MTP I, vor allem bei Mitbeteiligung anderer Grundgelenke, das Auswärtsdrehen des Fußes und Abrollen über den medialen Fußrand bei anderen Fußdeformitäten kann einen Hallux valgus ebenfalls begünstigen. 5 Kompensation: Adduktion der Großzehe, Abflachung des Quergewölbes 5 Stand: Entlastung des MTP I 5 Gang: Vermehrtes Abrollen über den Außenrand
Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1.
Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Schaleneinlagen in Sonderanfertigung − Akut: bettend und dämpfend/Übergang: abstützend und dämpfend − Chronisch: korrigierend und dämpfend − Bei Entzündung der Zehengrundgelenke und der Metatarsalia: zusätzliche lange, durchgängige PPSohle zum Stabilisieren − Bei Enthesitis, Hacken- und Hohlfuß: zusätzlich dämpfendes Fersenpolster und evtl. Pufferabsatz − Bei Entwicklung einer Vorfußadduktion: Schuhe mit breiter Sohle oder spezieller Schuhverbreiterung − Jedes Kind mit einem »rheumatischem Fuß« sollte mit dämpfenden Schaleneinlagen versorgt werden 5 Gutes Schuhwerk: Mit geringem Gewicht, angemessener Weite bzw. gutem Halt, korrekter Länge und weicher Sohle, um eine gute Abrollbewegung zu ermöglichen 5 Orthopädische Schuhe: Werden bei ausgeprägten Fuß- und Zehendeformitäten individuell angepasst. Das Kind mit aussuchen lassen, sonst werden die Schuhe nicht getragen. 5 Abrollhilfen: Auf vorhandene Konfektionsschuhe wird eine zusätzliche Rolle angebracht, entweder um den Abrollvorgang zu erleichtern oder um eine gezielte Funktionsentlastung in einem bestimmten Bereich zu erzielen (Wiegenabrollung, Mittelfußabrollung, Ballenabrollung) 5 Gipslagerungsschalen: Werden in größtmöglicher schmerzfreier Plantarflexion angefertigt 5 Entlastende Hilfen: − Diverse Rutschautos (nicht bei akuten MTPs) − Dreirad, Kettcar, Laufrad, Sitzroller, Münsterpferdchen
Empfohlene Therapieformen:
5 Akut: Krankengymnastik, Bewegungsbad, manuelle Lymphdrainage, Kältetherapie, Interferenzstrom und optional ergänzend myofasziale Releasetechnik, klassische Massage, KG-Gerät (Beinpresse mit minimalem Gewicht) 5 Chronisch: Krankengymnastik, Bewegungsbad, manuelle Therapie, Wärmetherapie, Bobath und ergänzend optional: myofasziale Releasetechnik, PNF/Vojta, KG-Gerät
Kniegelenk Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien bzw. Verhaltensänderungen: Kein physiologisches Krabbeln, ggf. Aufstellen des betroffenen Beines oder Porutschen; Fersensitz und Kniestand mit Gewichtsverlagerung auf die nicht betroffene Seite. Einseitiges Aufstehen über das nicht betroffene Bein. Verkürzte Gehstrecke, Kind will viel getragen werden, möchte keine Treppen steigen. Keine lockere Flexion in der Schwungphase des Gehens. Vermehrte Knieflexion in der initialen Standphase: Teilweise setzen die Kleinkinder nicht plantigrad und die größeren Kinder nicht mit der Ferse auf, sondern zeigen eine Vorfußbelastung. Zehenstand und -gang nur mit Knieflex möglich. Valgusstellung im Kniegelenk. Schonhaltung: Flexion Inspektion
5 5 5 5
Schwellung Rötung Überwärmung Atrophie (insbesondere M. quadrizeps Vastus medialis) 5 Beinlängendifferenz, im Stand 5 Achsenabweichung Tests
5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Gelenkmessung nach Neutralnullmethode (Ausgangsstellung: Rückenlage) 5 Flexion/Extension 160°/0°/5–10°. Bei nicht vollständig erreichtem Bewegungsausmaß sollte man zum Test am Ende der Bewegung passiv nachfedern.
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14.1 · Physiotherapie
Sonstiges
5 Tanzende Patella 5 Kapselmuster: Flexion 5 Beobachtung der Spontanmotorik
5
Folgen
Die Schonhaltung löst eine muskuläre Dysbalance aus. Die Muskeln, die das Knie strecken, werden hypoton und atrophieren (besonders der Vastus medialis des M. quadrizeps femoris), und die Kniebeuger werden hyperton und verkürzen. Wird das betroffene Knie in Flexion gehalten, so verändert sich die komplette Statik: Asymmetrie und Fehlbelastung auf sämtlichen Etagen (Fuß bis Kopf) sind die Folgen. Häufig resultiert auf der betroffenen Seite eine Innenrotationsstellung im Hüftgelenk, Valgusstellung und Außenrotationsstellung im Kniegelenk. Physiologische Bewegungsmuster werden pathologisch verändert. Im Kniegelenk löst der Entzündungsprozess häufig einen Wachstumsschub mit dadurch resultierender Beinlängendifferenz aus.
5 5 5
5 5
Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Entlastende Hilfen: − Rutschautos, Dreirad bedingt, Laufrad, Sitzroller, Münsterpferdchen − Fahrrad (Sattel muss so eingestellt sein, dass die maximale Knieextension erzielt wird) − Kettcar (Sitzfläche soweit nach hinten stellen, dass maximale Knieextension erzielt wird) − Roller (sofern das betroffene Bein die phasische Bewegung übernimmt) − Buggy, Kinderwagen (für längere Strecken, um eine Überlastung zu vermeiden)
5 5 5
14
− Unterarmgehstützen mit anatomischen Griffen − Knieschoner bei Benutzung von neuen Fahrzeugen, vor allem bei hoher Entzündungsaktivität Gehstrecke kurz halten, Treppensteigen wenn möglich unterlassen und Aufzug oder Rolltreppe verwenden Gutes Schuhwerk, um Sturzgefahr zu minimieren und eine sichere Basis zu haben Schaleneinlagen in Sonderanfertigung (akut: bettend und dämpfend, chronisch: korrigierend z. B. bei sekundärem Knick-/Senkfuß und dämpfend) Beinlängenausgleich sollte auch dann erfolgen, wenn das nicht betroffene Bein nur 0,5 cm kürzer ist. Ansonsten erhält man sich die Beugestellung im betroffenen Kniegelenk künstlich Zusätzliche Gewichte wie z. B. Schulranzen sollten vermieden werden. Dafür Einsatz von Trolley, doppelte Ausführung von Schulbüchern etc. Sitzhöhe auf Stühlen: Zu tiefes Absitzen lässt den Druck im Kniegelenk steigen (maximal bei 90° Knieflexion), d. h., die Sitzhöhe muss nach oben korrigiert werden (z. B. mittels Sitzkeil). Die Füße sollen planen Bodenkontakt haben Entlastende Unterlagerung des betroffenen Beines in Rückenlage Gipslagerungsschale in maximal möglicher Knieextension Motorschiene
Physiotherapie
Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1.
. Abb. 14.8. KG-Gerät. Aktive Korrektur der Beinachsen
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
Im Rahmen von Wiederherstellung oder Erhalt des muskulären Gleichgewichtes muss hauptsächlich die ischiokrurale Muskulatur, besonders M. biceps femoris, detonisiert und insbesondere der mediale Teil des M. quadrizeps femoris auftrainiert werden. Primäres Ziel ist die volle Knieextension. Das Erarbeiten der Knieflexion wird hinten angestellt. Empfohlene Therapieformen:
5 Akut: Krankengymnastik, Bewegungsbad, manuelle Lymphdrainage, Kältetherapie, Interferenzstrom und ergänzend optional: myofasziale Releasetechnik, manuelle Therapie (Piccolotraktion), Schlingentisch/ Traktion, klassische Massage, KG-Gerät (Beinpresse mit minimalem Gewicht) 5 Chronisch: Krankengymnastik, Bewegungsbad, manuelle Therapie, Wärmetherapie, Bobath und ergänzend optional: myofasziale Releasetechnik, TENS, PNF, Vojta, klassische Massage, KG-Gerät (. Abb. 14.8)
Hüftgelenk Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien bzw. Verhaltensänderungen: Ungern in Bauchlage; erschwertes Abspreizen beim Wickeln; kurze Schrittlänge beim Krabbeln; verkürzte Gehstrecke. Kind will viel getragen werden, möchte keine Treppen steigen. Vermehrte Ventralkippung des Beckens mit vermehrter Lendenlordose; Schmerzen in der Leiste. Schonhaltung: Flexion, Innenrotation. Inspektion
5 Atrophie (besonders Glutäalmuskulatur) 5 Beinlängendifferenz, im Stand 5 Achsenabweichung der gesamten unteren Extremität, des Beckens und der Wirbelsäule Tests
5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Gelenkmessung nach Neutralnullmethode (Ausgangsstellung: Rückenlage) 5 Flexion/Extension 150–160°/0°/20–30° 5 Adduktion/Abduktion 20–40°/0°/40–50° (ohne Leistenschmerzen und ohne Lateralflexion des Beckens) 5 Innen-/Außenrotation 50–60°/0°/50–90°. Bei nicht vollständig erreichtem Bewegungsausmaß sollte man zum Test am Ende der Bewegung passiv nachfedern. 5 Dreiphasentest in Bauchlage Sonstiges
5 Kapselmuster: Innenrotation, Hyperextension 5 Beobachtung der Spontanmotorik
Folgen
Die Schonhaltung löst eine muskuläre Dysbalance aus. Die Muskeln, welche die Hüfte strecken und nach außen drehen, werden hypoton und atrophieren (besonders die Glutäen). Die Hüftbeuger, Innenrotatoren und damit auch Adduktoren werden hyperton und verkürzen. Wird das betroffene Hüftgelenk in Flexion und Innenrotation gehalten, verändert sich die komplette Statik: Asymmetrie und Fehlbelastung auf sämtlichen Etagen (Fuß bis Kopf) sind die Folgen. Das Becken nimmt an Ventralkippung zu. Die Lendenwirbelsäule weist eine zunehmende Lordosierung auf. Im Kniegelenk und Fußgelenk resultiert auf der betroffenen Seite eine Valgisierung mit einer sekundären Fußfehlstellung. Beim Gehen schiebt sich der Oberkörper bei der Standbeinphase des betroffenen Beines über dieses, um die mangelnde Funktion der Glutäalmuskulatur auszugleichen (Duchenne-Gangbild). Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Entlastende Hilfen: − Diverse Rutschautos, Dreirad bedingt, Laufrad, Sitzroller, Münsterpferdchen − Fahrrad (Sattel muss so eingestellt sein, dass die Hüfte so weit als möglich gestreckt wird) − Roller (sofern das betroffene Bein die phasische Bewegung übernimmt) − Buggy, Kinderwagen für längere Strecken, um eine Überlastung zu vermeiden − Unterarmgehstützen mit anatomischen Griffen 5 Treppensteigen wenn möglich unterlassen und Aufzug oder Rolltreppe verwenden. Gehstrecke kurz halten. 5 Gutes Schuhwerk, um Sturzgefahr zu minimieren und eine sichere Basis zu haben. 5 Schaleneinlagen in Sonderanfertigung (akut: bettend und dämpfend; chronisch: korrigierend bei sekundärem Knick-/Senkfuß und dämpfend) 5 Beinlängenausgleich sollte auch dann erfolgen, wenn das nicht betroffene Bein nur 0,5 cm kürzer ist. Ansonsten erhält man sich die Beugestellung im betroffenen Hüftgelenk künstlich. 5 Zusätzliche Gewichte wie z. B. Schulranzen sollten vermieden werden. Dafür Einsatz von Trolley, doppelte Ausführung von Schulbüchern etc. 5 Sitzhöhe auf Stühlen: Winkel zwischen Becken und Oberschenkel sollte ≥90° sein. So kann ein Sitz auf den Sitzbeinhöckern ermöglicht und das Sitzen und Aufstehen erleichtert werden. Die Füße müssen planen Bodenkontakt haben, d. h., die Sitzhöhe muss nach oben korrigiert werden (z. B. mittels Sitzkeil) 5 Entlastende Unterlagerung des betroffenen Beines in Rückenlage und Seitenlage. 5 Deckenhaken und Schlaufen für eine Schlingenaufhängung für zu Hause 5 Motorschiene
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14.1 · Physiotherapie
Physiotherapie
Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1. Im Rahmen der Wiederherstellung bzw. des Erhalts des muskulären Gleichgewichtes müssen hauptsächlich der M. iliopsoas und die Adduktoren detonisiert und die Mm. glutaeus maximus und medius sowie die ventrale kaudale Rumpfmuskulatur (Bauchmuskeln) gekräftigt werden. Primäres Ziel ist die volle Hüftstreckung. Die Hüftflexion wird hinten angestellt.
5 5 5 5
− Flexion BWS: Ott von C7 30 cm nach kaudal, bei maximaler Flexion 30–34 cm − Flexion LWS: Schober von S1 10 cm nach kranial, bei maximaler Flexion 14-15 cm − Extension: Meist zuerst eingeschränkt Becken: Kippen nach ventral, Aufrichten nach dorsal, dreidimensionale Beckenbewegungen Iliosakralgelenk (ASTE-Seitlage, Beine sind flektiert): Kippen nach ventral, Aufrichten nach dorsal Dreiphasentest in Bauchlage Derbolowsky (oder Vorlauf im Liegen)
Empfohlene Therapieformen:
Sonstiges
5 Akut: Krankengymnastik, Bewegungsbad, Schlingentisch/Traktion, manuelle Therapie (Piccolotraktion), Interferenzstrom und ergänzend optional: myofasziale Releasetechnik, manuelle Lymphdrainage, klassische Massage, KG-Gerät (Beinpresse mit minimalem Gewicht) 5 Chronisch: Krankengymnastik, Bewegungsbad, manuelle Therapie, Wärmetherapie, Bobath und ergänzend optional: myofasziale Releasetechnik, PNF/Vojta, klassische Massage, KG-Gerät
5 Druck- und Klopfschmerz ISG/LWS 5 Einbeinstand: Schmerzen auf betroffener Seite 5 Beobachtung der Spontanmotorik
Iliosakralgelenk Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien oder Verhaltensänderungen. Einbeinstand auf betroffener Seite unkoordiniert bzw. schmerzhaft. Einseitige Schmerzen im ISGBereich (oft nach langem Sitzen). Steifes Gangbild (kaum Rotation), schmerzhafte Bewegungsübergänge, schlechter Schlaf. Schonhaltung: Dorsalkippung bzw. Aufrichtung des Beckens. Die LWS flacht ab, die BWS und HWS kyphosieren zunehmend. Inspektion
5 Asymmetrisches Muskelrelief 5 Stand: Beckenkippung und Wirbelsäulenkrümmung (Pathologie: vermehrt aufgerichtetes Becken, abgeflachte Lendenlordose, vermehrte BWS-Kyphose und HWS-Lordose) 5 Achsenabweichungen, Beckenschiefstand, -verwringung 5 Gang: Reduzierte Beckenbewegungen, vor allem Rotation und Extension auf betroffener Seite, Duchenne Tests
5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Gelenkmessung nach Neutralnullmethode (Ausgangsstellung: Stand) 5 Wirbelsäule − Seitwärtsneigung ca. 30–40° − Rotation bei fixiertem Becken ca. 30°
14
Folgen
Durch die Sakroiliitis kommt es zur oben beschriebenen typischen Schmerzschonhaltung. Die gerade Bauchmuskulatur, der M. glutaeus maximus und die ischiokrurale Muskulatur werden hyperton und verkürzen. Die schrägen Bauchmuskeln sowie der Beckenboden und die Rückenstrecker (autochtone Rückenmuskulatur) werden hypoton und inaktiv. Die komplette Statik verändert sich: Asymmetrie und Fehlbelastung auf sämtlichen Etagen (Fuß bis Kopf). Auch eine funktionelle Beinlängendifferenz von bis zu 2 cm kann aus einer Sakroiliitis resultieren. Um die Schmerzen beim Gehen zu minimieren, kommt es zur Lateralflexion auf der betroffenen Seite (Duchenne). Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Entlastende Hilfen: − Breite, elastische Binde oder ggf. Beckengurt zur äußeren Stabilisation des Beckenrings − Unterarmgehstützen mit anatomischen Griffen (einseitig: Dreipunktgang auf betroffener Seite, beidseits: Vierpunktgang) − Fahrrad auf der Ebene (Lenkerhöhe so einstellen, dass ein aufrechter Sitz gewährleistet ist) 5 Treppensteigen wenn möglich unterlassen und Aufzug oder Rolltreppe verwenden. Gehstrecke kurz halten 5 Gutes Schuhwerk, um Sturzgefahr zu minimieren und eine sichere Basis zu haben 5 Schaleneinlagen in Sonderanfertigung 5 Zusätzliche Gewichte wie z. B. Schulranzen sollten vermieden werden. Dafür Einsatz von Trolley, doppelte Ausführung von Schulbüchern etc. 5 Sitzhöhe auf Stühlen: Winkel zwischen Becken und Oberschenkel sollte ≥90° sein, so wird ein Sitz auf den Sitzbeinhöckern ermöglicht und das Sitzen und Aufstehen erleichtert. Die Füße sollen planen Bodenkontakt haben, damit die Wirbelsäulenhaltung aktiv auskorrigiert werden kann. Gelingt dies nicht, kann
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
die Sitzhöhe individuell nach oben korrigiert werden, z. B. mittels Sitzkeil 5 Alltagsumgebung rückenschonend einrichten (Arbeitshöhe der Körpergröße anpassen) 5 Wärmflasche oder warmes Vollbad, um die Morgensteifigkeit zu reduzieren 5 Deckenhaken und Schlaufen für eine Schlingenaufhängung zu Hause
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Es kommt zu einer Schmerzschonhaltung in die Extension, später Lateralflexion und Rotation. Durch segmentale Ankylosierungen werden benachbarte Bereiche instabil. Die Stabilisation der sensiblen Halswirbelsäule steht deshalb vor der Mobilisation.
Empfohlene Therapieformen:
Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Akut: Krankengymnastik, Bewegungsbad, Schlingentisch/Traktion, PNF (Beckenpattern), Interferenz, Hochvolt, Wärmetherapie und ergänzend optional: myofasziale Releasetechnik, Entspannungstherapie, klassische Massage, KG-Gerät (Beinpresse mit minimalem Gewicht) 5 Chronisch: Krankengymnastik, Bewegungsbad, Schlingentisch/Traktion, PNF, Ultraschall gepulst, manuelle Therapie, Wärmetherapie und ergänzend optional: myofasziale Releasetechnik, Vojta, klassische Massage, KG-Gerät
5 Entlastende Hilfen: Halskrawatte/Nackenkissen oder andere Lagerung zur Unterstützung in der Nacht (Kissenhöhe beachten) 5 Lenker: Höhe, Breite und Abstand zum Sitz so wählen, dass eine aufrechte Körperhaltung gewährleistet ist 5 Schaleneinlagen in Sonderanfertigung (dämpfend) 5 Beinlängenausgleich sollte auch dann erfolgen, wenn die Beinlängendifferenz nur 0,5 cm beträgt 5 Doppelte Schulbücherausführung 5 Rucksack mit Abstützung übers Becken, weite Hosentaschen, provisorische Halskrawatte 5 Sitzhöhe auf Stühlen: Winkel zwischen Becken und Oberschenkel sollte ≥90° sein. So wird ein Sitz auf den Sitzbeinhöckern ermöglicht. Die Füße müssen planen Bodenkontakt haben, d. h., die Sitzhöhe muss nach oben korrigiert werden (z. B. mittels Sitzkeil) 5 Eventuell schräge Tischplatte erforderlich, um länger andauerndes Nach-unten-Schauen zu vermeiden 5 Keine Spiele, bei denen das Gewicht der Arme lange gehalten werden muss (z. B. Gameboy)
Halswirbelsäule Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien bzw. Verhaltensänderungen: Protest bei Kleidungsstücken, die über den Kopf an- und ausgezogen werden müssen. Kompensation der eingeschränkten Kopfbeweglichkeit durch vermehrtes Nachschauen mit den Augen. Umwendbewegungen mit dem ganzen Körper. Schlafstörungen. Spiele und Arbeiten über Kopf schwierig. Langes Sitzen mit vorgebeugtem Kopf ist schmerzhaft; Kopfschmerzen.
Physiotherapie Schonhaltung: Zuerst wird die Extension, später die Late-
ralflexion und Rotation schmerzbedingt eingeschränkt.
5 Muskelrelief (einseitige Hypertrophie des M. trapezius pars descendens und M. levator scapulae) 5 Asymmetrie, Achsenabweichungen (steilgestellte HWS, skoliotische Veränderungen, Schiefhals, Protraktion und Elevation des Schultergürtels) Tests
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5 Palpation der Schulter- und Nackenmuskulatur 5 Beobachtung der Spontanmotorik
Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1. Im akuten Statium sollte hier besonders auf Entlastung und entlastende Ausgangsstellungen geachtet werden.
Inspektion
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Sonstiges
Folgen Physiotherapie
5
− Extension/Flexion: 45°/0°/50° − Rotation: 80–90°/0°/80–90° − Lateralflexion: 45°/0°/45°
5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Gelenkmessung nach Neutralnullmethode (Ausgangsstellung aufrechter Sitz, am besten angelehnt. Auf weiterlaufende Bewegungen des Oberkörpers, des Schultergürtels und der Augen achten.)
Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1. Die Stabilisation der sensiblen Halswirbelsäule steht vor der Mobilisation. Empfohlene Therapieformen:
5 Akut: Krankengymnastik, Bewegungsbad, Schlingentisch/Traktion, myofasziale Releasetechnik, evtl. Wärmetherapie, klassische Massage und ergänzend optional: Entspannungstechniken, manuelle Lymphdrainage 5 Chronisch: Krankengymnastik, Bewegungsbad, Vojta/PNF, myofasziale Releasetechnik, Wärmetherapie, klassische Massage und ergänzend optional: Bobath, manuelle Therapie, Entspannungstechniken
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14.1 · Physiotherapie
Kiefergelenk Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien oder Verhaltensänderungen: Ablehnen von festen Nahrungsmitteln wie Brotrinde, Fleisch, Apfel. Asymmetrisches Mundöffnen, lässt sich die hinteren Zähne nicht putzen (zu weites Mundöffnen erforderlich). Häufiges Ans-Ohr-Fassen, Kopfschmerzen, weinerlich. Schonhaltung: Mundschluss Inspektion
5 Atrophie 5 Asymmetrie (Gesicht und Mundöffnen) 5 Können beide Zahnreihen im Bereich der Backenzähne aufeinander gepresst werden? 5 Achsenabweichung 5 Kiefer- und Zahnfehlstellungen
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5 Schaleneinlagen in Sonderanfertigung: Sowohl im akuten als auch im chronischen Stadium steht die dämpfende Wirkung im Vordergrund; im chronischen evtl. auch korrigierend. 5 Zusätzliche Gewichte wie z. B. Schulranzen sollten vermieden werden. Dafür Einsatz von Trolley, doppelte Ausführung von Schulbüchern etc. 5 Sitzhöhe auf Stühlen: Winkel zwischen Becken und Oberschenkel sollte ≥90° sein. So kann ein Sitz auf den Sitzbeinhöckern und das Sitzen und Aufstehen mit aufgerichteter Wirbelsäule ermöglicht werden. Die Füße müssen planen Bodenkontakt haben, d. h., die Sitzhöhe muss nach oben korrigiert werden (z. B. mittels Sitzkeil) Physiotherapie
5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Weitere Tests mit aufgerichteter Wirbelsäule durchführen
Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1. Im Rahmen der Wiederherstellung bzw. des Erhalts des muskulären Gleichgewichtes muss hauptsächlich der M. masseter detonisiert werden.
Sonstiges
Empfohlene Therapieformen:
5 Gelenkmessung (Ausgangsstellung Sitz oder Stand) 5 Mundöffnung in cm: Zahnreihenabstand mindestens 4 cm 5 Palpation des Kiefergelenks: bei geöffnetem Mund beidseits gleichzeitig untersuchen, ohne Druckschmerz 5 Palpation des Kiefergelenks bei Mundöffnung/ -schluss − Schmerz? Knacken? Asymmetrische Bewegung? Abweichung zur Seite? − Kiefer weicht zur betroffenen Seite ab, unrunde Bewegung? 5 Palpation des M. masseter: bei geöffnetem Mund und bei festem Kieferschluss, ohne Schmerz bei Druck auf den Muskelansatz 5 Beobachtung der Spontanmotorik
5 Akut: Krankengymnastik, Schlingentisch/Traktion, manuelle Lymphdrainage, Kältetherapie/Wärmetherapie, TENS, manuelle Therapie (vorsichtig!) und ergänzend optional: Therapie nach Castillo Morales, myofasziale Releasetechnik, Ultraschall gepulst 5 Chronisch: Krankengymnastik, Vojta/PNF, manuelle Therapie, Wärmetherapie und ergänzend optional: klassische Massage, TENS, myofasziale Releasetechnik
Tests
Folgen
Die Schmerzvermeidung löst eine muskuläre Dysbalance und ein Schonen der Kiefergelenke aus. Die Schonhaltung bewirkt sekundär eine Fehlhaltung der Halswirbelsäule. Diese Fehlhaltung kann fortlaufend auch auf tiefere Etagen Auswirkungen haben. Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Entlastende Hilfen: − Aufbissschiene nach Abdruck (vom Zahnarzt/ Kieferorthopäden anfertigen lassen) − Entlastende Unterlagerung der Halswirbelsäule in Rückenlage und Seitenlage, besonders beim Schlafen (Kissenhöhe beachten!)
Schultergelenk Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien bzw. Verhaltensänderungen: Vermeidet Stützfunktionen, z. B. Krabbeln. »Kampf« beim An-/Ausziehen von Oberbekleidung. Kind kann sich an den Möbeln nicht mehr hochziehen; Gegenstände über Kopfhöhe können nicht mehr selbständig geholt werden oder auf den Kopf gesetzt werden, z. B. Becher. Weiter entfernte Gegenstände, z. B. unter dem Bett, werden mit dem Bein oder einem Hilfsgegenstand nicht mehr herbeigeschafft. Eingeschränktes Klettern; kann sich beim Schaukeln schlecht an den Seilen halten; trägt wenn überhaupt nur noch leichte Gegenstände. Wacht nachts oft auf und ist weinerlich. Fönt und frisiert sich die Haare nicht mehr selbst. Schonhaltung: Adduktion und relative Extension im Schultergelenk, Protraktion und Elevation im Schultergürtel.
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
Inspektion
5 5 5 5 5 5
Schwellung Rötung Überwärmung Atrophie (besonders M. deltoideus) Position der Schulterblätter Achsenabweichung des gesamten Schultergürtels in der Frontal-/Sagittalebene 5 Achsenabweichung der Wirbelsäule in der Frontal-/ Sagittalebene Tests
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5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Gelenkmessung nach Neutralnullmethode (Ausgangsstellung: Sitz oder Rückenlage) − Flexion/Extension 180°/0°/45° − Abduktion/Horizontale Adduktion 80°/0/20°-45° − Innen-/Außenrotation (Hochrotation) 70°/0°/90°. Bei nicht vollständig erreichtem Bewegungsausmaß sollte man zum Test am Ende der Bewegung passiv nachfedern 5 Hochheben der Hand bis zur Berührung des gegenüberliegenden Ohres über den Kopf hinweg 5 Widerstandtests − Beurteilung des skapulohumeralen Rhythmus − Painful Arc« (schmerzhafter Bogen) − Palpation des Schultergelenks und der Gelenke des Schultergürtels, ohne Schmerz bei Druck
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Sonstiges
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5 Kapselmuster: Außenrotation, Abduktion, Innenrotation 5 Beobachtung der Spontanmotorik
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5
− Weite Hosen- und Jackentaschen, um das Gewicht des Armes darin abzugeben − »Desault«-Rumpfschlauchverband aus festerem Material (kurzfristige vermehrte Ruhigstellung) Fahrzeuge, z. B. Fahrrad, wenn das Armgewicht vorrangig abgegeben werden kann und keine forcierte Stützaktivität erforderlich macht Doppelte Schulbücherausführung bzw. zu tragendes Gewicht erheblich minimieren Rucksack mit Abstützung übers Becken, evtl.Trolley auf nicht betroffener Seite Spielzeug mit leichtem Gewicht Gute Sitzposition auf Stühlen: Winkel zwischen Becken und Oberschenkel sollte ≥90° sein. So kann ein Sitz auf den Sitzbeinhöckern und das Sitzen und Aufstehen mit aufgerichteter Wirbelsäule ermöglicht werden. Die Füße müssen planen Bodenkontakt haben. Deckenhaken und Schlaufen für Traktionsbehandlung
Physiotherapie
Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1. Empfohlene Therapieformen:
5 Akut: Krankengymnastik, Schlingentisch/Traktion, manuelle Therapie (vorsichtig!), Kältetherapie, PNF, TENS und ergänzend optional: manuelle Lymphdrainage, Interferenz, Ultraschall gepulst, Vojta 1. Phase 5 Chronisch: Krankengymnastik, Schlingentisch/Traktion, manuelle Therapie, Wärmetherapie, PNF/Vojta/ Bobath und ergänzend optional: KG-Gerät (Seilzüge), myofasziale Releasetechnik
Folgen
Es resultiert ein muskuläres Ungleichgewicht. Die Muskeln, die im Schultergelenk die Flexion und Drehbewegungen ausführen, werden hypoton und atrophieren (besonders der M. deltoideus und die Rotatorenmanschette). Die Muskeln, die den Schultergürtel anheben (besonders M. trapezius pars descendes) und die Protraktion begünstigen (besonders M. pectoralis), werden hyperton und kürzer. Wird die betroffene Schulter geschont, setzt sich dies in einer asymmetrischen Rumpfhaltung und Haltung des Kopfes in allen Ebenen fort. Physiologische Bewegungsmuster werden pathologisch verändert. Sekundäre Schmerzen durch Überreizung der Sehnenansätze, bedingt durch die unphysiologischen Haltungs- und Bewegungsabläufe, können die Folge sein. Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Entlastende Hilfen: − Evtl. Oberteil mit Vordertasche (meist Kapuzenpulli)
Ellenbogen Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien bzw. Verhaltensänderungen: Schmerzen, Protest bei An- und Ausziehen von Oberbekleidung. Kleine Kinder vermeiden Handund Ellbogenstützen oder Stützen mit Ellbogenflexion. Sie lassen sich nicht mehr gerne an der Hand nehmen. Schmerzen z. B. nach Fahrradfahren, längerem Schreiben, Sport mit Armeinsatz. Vermeiden von vollständiger Ellbogenextension im Alltag. Schonhaltung: Flexion. Inspektion
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Schwellung (z. B. lateral des Olekranons) Rötung Überwärmung Atrophie/Hypertrophie (Atrophie der Streck- und Hypertrophie der Beugemuskulatur) 5 Achsenabweichung (am besten in 0-Stellung von Hand-, Ellbogen- und Schultergelenk zu beurteilen)
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14.1 · Physiotherapie
5 Gelenkstellung (Beurteilung von lateral: Das Olekranon liegt bei Extension hinter der Oberarmschaftachse. Beurteilung von volar: Eine Veränderung der physiologischen Valgusstellung von 0–26° ist nicht zu erwarten) Tests
5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Widerstandstests der Ellbenbogengelenkmuskeln 5 Gelenkmessung nach Neutralnullmethode − Flexion/Extension: 150°/0°/0°–15°. Ausgangsstellung aufrechter Sitz, Ellbogen in Extenion und Supination − Pronation/Supination: 90°/0°/90°. Ausgangsstellung aufrechter Sitz, Oberam liegt dem Thorax an, Ellbogen in 90°-Flexion, bezüglich Pro- und Supination in Nullstellung. Bei nicht vollständig erreichtem Bewegungsausmaß sollte man zum Test am Ende der Bewegung passiv nachfedern. Sonstiges
5 Kapselmuster − Humeroulnargelenk: Flexion − Radioulnargelenk: Supination 5 Beobachtung der Spontanmotorik
14
5 Gipslagerungsschalen (in maximal möglicher Extension von ventral angebracht, Neutralstellung in Bezug auf Pro- und Supination, gute Polsterung, kein Druck auf das Olekranon) 5 Bei betroffenen akuten Ellbogengelenken sind Unterarmgehstützen kontraindiziert. Ist jedoch aufgrund akuter Gelenke der unteren Extremität eine Entlastung dringend erforderlich, empfiehlt es sich, kanadische Stöcke bzw. Achselstützen einzusetzen. Physiotherapie
Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1. Empfohlene Therapieformen:
5 Akut: Krankengymnastik, manuelle Lymphdrainage, Kältetherapie und ergänzend optional: Bewegungsbad, klassische Massage 5 Chronisch: Krankengymnastik, manuelle Therapie, Wärmetherapie, PNF und ergänzend optional: Bewegungsbad, klassische Massage
Handgelenk Befund
Durch Arthritiden wird die Fossa olecrani durch Erguß und Entzündungsgewebe aufgefüllt. Die Extension ist nur noch erschwert möglich. Schnell kommt es zu einer schmerzbedingten Flexionsstellung des Ellbogengelenks und somit zu einem muskulären Ungleichgewicht. Die Beugemuskulatur, vor allem M. brachialis und M. brachioradialis, wird hyperton, die Strecker, insbesondere der M. triceps brachii, dagegen hypoton. Eine Einschränkung von Pro- und Supination ist nicht zwingend und erst dann zu erkennen, wenn auch Flexion und Extension behindert sind.
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien bzw. Verhaltensänderungen: Vermeiden von Stützfunktion, z. B. Krabbeln, evtl. Porutschen. Stützt auf überstreckten Fingergrundgelenken oder in Fausthaltung, hat Schwierigkeiten sich selbst vollständig anzuziehen (besonders Socken und Knöpfe), umgeht Schieben von schweren oder großen Gegenständen, vermeidet schwere Gegenstände zu tragen. Kann sich nicht gut Festhalten, z. B. Schaukel, oder Hochziehen. Vermeidet Wurf- und Fangspiele, Schwierigkeiten beim Greifen oder Halten von Gegenständen, z. B. Stift, oder greift in der Schonhaltung. Verlangsamte Schreibgeschwindigkeit und unflüssiges Schriftbild. Vermeidet generell den Einsatz der betroffenen Hand. Schonhaltung: leichte Palmarflexion und Ulnarabduktion
Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
Inspektion
5 Entlastende Hilfen: − Muff, Oberteile mit Vordertaschen, weite Hosenund Jackentaschen − Dreieckstücher, Unterarmschlingen (nur in sehr akuter Phase und möglichst kurz benutzen, da keine langfristige Ruhigstellung zu empfehlen ist) − Lenkerhöhe und -abstand der Gehhilfen dem Ellbogenbefund anpassen 5 Ellenbogenschoner bei Benutzung von neuen Fahrzeugen oder dem Gehenlernen anziehen (vor allem in der akuten Phase) 5 Zusätzliche Gewichte wie z. B. Taschen, Einkaufskörbe sollten vermieden werden; dafür Einsatz von Rucksack und Schulranzen möglich
5 Schwellung (dorsal des Handgelenkes oder auf dem Handrücken) 5 Rötung oder glänzende Haut 5 Überwärmung 5 Atrophie (besonders der Handextensoren und Mm. interossei) 5 Achsenabweichung
Folgen
Tests
5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Gelenkmessung nach Neutralnullmethode (Ausgangsstellung: Sitz mit Flexion im Ellenbogen und unterlagertem Unterarm) − Flexion/Extension 80–90°/0°/90°
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
− Ulnarabduktion/Radialabduktion 40°/0°/25°. Bei nicht vollständig erreichtem Bewegungsausmaß sollte man zum Test am Ende der Bewegung passiv nachfedern. 5 Überprüfung der Muskellänge der Handflexoren 5 Phalen-Test zum Ausschluss eines Karpaltunnelsyndroms 5 Gaenslen-Test Sonstiges
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5 Palpation der Sehnenfächer der Handextensoren 5 Kapselmuster − Mediokarpalgelenk: Dorsalextension − Radiokarpalgelenk: Palmarflexion 5 Beobachtung der Spontanmotorik Folgen
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Entweder vermeiden die Kinder es, an der betroffenen Hand eine Stützfunktion zu übernehmen, oder sie stützen auf überstreckten Fingergrundgelenken oder auf den proximalen Phalangen einer gefausteten Hand. Die Kinder sind bemüht, das radialgewanderte Greifzentrum der Finger beizubehalten. Im Handgelenk ist es ihnen nicht mehr möglich, die Mittelstellung bezüglich der Abduktion zu halten, die Hand weicht nach ulnar ab. Feinmotorische Tätigkeiten werden zunehmend in Palmarflexion und Ulnarabduktion ausgeführt. Häufig entwickelt sich hieraus eine kindliche Handskoliose (Mittelhand ulnar, Finger radial), die sich von dem Erscheinungsbild der Handskoliose bei Erwachsenen unterscheidet. Auch ein Abrutschen des Handkarpus nach palmar kann die Folge sein (Stufenbildung). Additiv oder singulär kann eine Tenosynovitis der Handextensoren in Erscheinung treten. Besteht eine chronische Arthritis am Handgelenk, so können Wachstumstörungen – besonders in Form eines verminderten Längenwachstums der Ulna – aufgrund der Entzündungsreaktion an sich oder durch Inaktivität resultieren. Die oben genannten Faktoren führen zu einer muskulären Dysbalance, die einen Circulus vitiosus auslösen. Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Entlastende Hilfen: Kleidung: Oberteil mit Vordertasche, weite Hosentaschen, Jackentaschen, Muff, kurzfristige Entlastung über Dreieckstuch 5 Fahrzeuge, z. B. Fahrrad, wenn das Armgewicht vorrangig abgegeben werden kann und keine forcierte Stützaktivität erforderlich macht. Lenkerstange so breit und hoch wählen, dass die Hände möglichst achsen- und funktionsgerecht eingesetzt werden können; spezielle Anpassung der Griffe von Dreirad, Roller, Fahrrad etc. 5 Ellbogen-/Handschoner (z. B. von Inlinern etc.) sollten beim Üben mit neuen Fahrzeugen oder beim Erlernen des Gehens prinzipiell getragen werden
5 Handschienen als Funktionsschienen und/oder Lagerungsschienen 5 Feinmotorik: dicke Stifte, Stiftverbreiterungen, breite Bändel; Kordelschlaufen an Zipper, Klettverschlüsse an Schuhen; spezielle Verbreiterungen für feinmotorisches Handwerkszeug 5 Spielzeug mit leichtem Gewicht und breitem Griff. Bei akuten Gelenken kühle Spielmaterialien verwenden, z. B. Knete, Teig, Kastanien; bei chronischen Gelenken warme Spielmaterialien, z. B. Sand 5 Gute Sitzposition auf Stühlen: Winkel zwischen Becken und Oberschenkel sollte ≥90° sein. So kann ein Sitz auf den Sitzbeinhöckern und das Sitzen und Aufstehen mit aufgerichteter Wirbelsäule ermöglicht werden. Die Füße müssen planen Bodenkontakt haben. 5 Sind Gehhilfen wegen einer Entzündungsaktivität in der unteren Extremität erforderlich, sollten keine Unterarmstützen, sondern kanadische Stöcke bzw. Achselstützen verwendet werden. Therapie
Ergotherapie 7 Kap. 14.3; Physiotherapie: Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2; mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1. Empfohlene Therapieformen:
5 Akut: Krankengymnastik, Bobath, manuelle Therapie (Piccolotraktion), manuelle Lymphdrainage, Kältetherapie, Ultraschall gepulst 5 Chronisch: Krankengymnastik, Bobath/Vojta/PNF, manuelle Therapie, Wärmetherapie und optional ergänzend KG-Gerät an Seilzügen
Finger und Daumen Befund
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien bzw. Verhaltensänderungen: Stützen wird vermieden. An- und Ausziehen, z. B. Knöpfe und Reißverschluss, bereiten Schwierigkeiten. Tragen schwerer Gegenstände, z. B. Taschen, ist schmerzhaft. Greifen und Halten kleiner, schmaler Gegenstände, z. B. Radiergummi, Stift, ist erschwert. Schreibfluss und -geschwindigkeit sind beeinträchtigt. Schonhaltungen:
5 Fingergrundgelenke: Flexion 5 Proximale Interphalangealgelenke (PIP): Flexion 5 Daumengrundgelenk: Flexion. Kompensatorisch: Hyperextension des Daumenendgelenkes 5 Flexotenosynovitits: Flexion aller drei Gelenke Inspektion
5 Schwellung (an den Gelenken oder palmar im Sehnenscheidenbereich) 5 Rötung oder glänzende Haut
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14.1 · Physiotherapie
5 Überwärmung 5 Achsenabweichung
5 Chronisch: Krankengymnastik, Bobath/Vojta/PNF, manuelle Therapie, Wärmetherapie
Tests
Besondere Verlaufsformen Enthesitisassoziierte Verlaufsform
5 Schnelltest (. Tab. 14.4) 5 Palpation: Krepitationen im Sehnenscheidenbereich: Flexotenosynovitis Sonstiges
5 Kapselmuster − Fingergrundgelenke: Dorsalextension − Fingermittelgelenke: Dorsalextension − Fingerendgelenke: Dorsalextension − Daumensattelgelenk: Abduktion 5 Beobachtung der Spontanmotorik Folgen
Bei einer Flexotenosynovitis kommt es zu einer deutlichen palmaren Schwellung. Der gesamte Finger wird in Flexion gehalten (7 Kap. 14.3).
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Bei dieser Form der Arthritis sind die Sehnen-, Bänder-, Faszien und Kapselansätze an knöchernen Strukturen besonders der unteren Extremität betroffen. Oft tritt auch eine Entzündung im Bereich des Kalkaneus ein. Aus diesem Grund ist hierbei darauf zu achten, dass stets ein Schuhwerk getragen wird, dass besonders im Fersenbereich eine gute Passform hat und keine zusätzliche Reibung hervorruft. In der akuten Phase der Entzündung ist aus physiotherapeutischer Sicht die Therapie der Wahl gepulster Ultraschall und eine individuelle Schaleneinlagenversorgung in Sonderanfertigung mit zusätzlich eingearbeitetem Fersenpolster. »Lose« Fersenkissen haben sich nicht bewährt, evtl. können Pufferabsätze verwendet werden. Um den Reiz an den knöchernen Strukturen zu reduzieren, sollte prinzipiell die Gehstrecke kurz gehalten (Schonung) und die Aktivität minimiert werden (auch kein Sport!).
Allgemeine Hilfen und Hilfsmittel (7 Kap. 14.3)
5 Fahrzeuge, z. B. Fahrrad, wenn das Armgewicht vorrangig abgegeben werden kann und keine forcierte Stützaktivität erforderlich macht. Lenkerstange so breit und hoch wählen, dass die Hände möglichst achsen- und funktionsgerecht in Einsatz gebracht werden können. Spezielle Anpassung der Griffe von Dreirad, Roller, Fahrrad 5 Ellbogen-/Handschoner, z. B. von Inlinern etc., sollten beim Üben mit neuen Fahrzeugen oder beim Erlernen des Gehens getragen werden 5 Feinmotorik: dicke Stifte, Stiftverbreiterungen, breite Bändel/Kordelschlaufen an Zipper, Klettverschlüsse an Schuhen. Spezielle Verbreiterungen für feinmotorisches Handwerkszeug 5 Spielzeug mit leichtem Gewicht und breitem Griff (z. B. Puzzle). Bei akuten Gelenken kühle Spielmaterialien verwenden, z. B. Knete, Teig, Kastanien; bei chronischen Gelenken warme Spielmaterialien, z. B. Sand 5 Sind Gehhilfen wegen einer Entzündungsaktivität in der unteren Extremität erforderlich, sollten keine Unterarmstützen, sondern kanadische Stöcke bzw. Achselstützen verwendet werden.
Ist der Entzündungszustand abgeklungen, empfiehlt es sich, bei der Steigerung der Belastung und beim Sport vorübergehend eine ergänzende passive Stabilisierung mit z. B. Achillo-Hit oder mittels »Tapen« vorzunehmen. (Mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum sind in . Tab. 14.1 aufgeführt.) Empfohlene Therapieformen:
5 Akut: Ultraschall gepulst, Krankengymnastik, Bewegungsbad, Kältetherapie und ergänzend optional: myofasziale Releasetechnik, klassische Massage 5 Chronisch: Ultraschall gepulst, Krankengymnastik, Bewegungsbad, Wärmetherapie, myofasziale Releasetechnik, KG-Gerät und ergänzend optional: klassische Massage
Dermatomyositis Wegen des schleichenden Beginns und der großen Variabilität der Symptome gilt es bei dieser Erkrankung besonders wachsam für die aktuelle Situation zu sein. Ansonsten kann eine Verschlechterung leicht als mangelnde Kooperationsbereitschaft fehlgedeutet werden. Befund
Therapie
Ergotherapie 7 Kap. 14.3; Physiotherapie: Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2 mögliche Therapieformen bzw. Anwendungsspektrum siehe . Tab. 14.1. Empfohlene Therapieformen unsererseits:
5 Akut: Krankengymnastik, Bobath, manuelle Therapie, Kältetherapie, manuelle Lymphdrainage, Ultraschall gepulst
Verbale und nonverbale Ausweichstrategien bzw. Verhaltensänderungen: Lustlosigkeit, Reizbarkeit, Appetitlosigkeit, Schluckstörungen, Sprachauffälligkeiten. Bewegungsabläufe wie Aufstehen, Hinsetzen, Treppensteigen wirken grobmotorisch oder gelingen nicht mehr. Positives Gowers-Zeichen, in Rückenlage kann der Kopf nicht mehr angehoben werden. Um den Verlauf zu beurteilen, ist ein regelmäßiger Ganzkörperstatus zu erheben. Beurteilt werden die Haut,
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
das Bindegewebe, die Gelenkbeweglichkeit und vor allem aber die Muskulatur mit einer genauen Muskelprüfung: 5 Inspektion: Konturveränderung des Muskelreliefs 5 Bewegungsprüfung: isotonische Muskeltests auf Kraft, Stufe 0–5 nach Janda (wichtig: Um Ausweichbewegungen und somit Messungenauigkeiten zu vermeiden, ist auf eine korrekte Ausgangsstellung und gute Fixation des proximalen Gelenkpartners zu achten) 5 Passive Bewegungsprüfung auf Muskelverkürzung, eingeschränkte Palmarflexion (!) bei Betroffenheit der Hände 5 Palpation der völlig entspannten Muskulatur: Tonus? Druckschmerz? 5 Umfangmessungen Eventuell erforderliche allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
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5 Entlastende Hilfen: Hand-/Fingerschienen (7 Kap. 14.3) 5 Fahrzeuge, um längere Distanzen zu überwinden, z. B. Fahrrad, Roller 5 Spezielle Hilfen für die Feinmotorik: Stift, Essbesteckverbreiterung, Klettverschluss an Schuhen, spezielle Scheren 5 Doppelte Schulbücherausführung 5 Gipslagerungsschalen (kein Quengeln!) 5 Laptop als Schreibmedium 5 Atemhilfsmittel (Blubbern, Flutter)
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Physiotherapie
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Hauptziele sind Schmerzreduktion, Erhalt bzw. Verbesserung sowohl der Beweglichkeit von Haut und Muskeln als auch der Muskelkraft (Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2.)
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! Im akuten Entzündungszustand keine bewegungs- und kraftverbessernden Übungen durchführen!
Empfohlene Therapieformen:
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5 Akut: Krankengymnastik, myofasziale Releasetechnik, Schlingentisch, Bewegungsbad (nur bei reizloser Haut!), manuelle Lymphdrainage ohne Kompression, PNF ohne Widerstand, ggf. Atemtherapie, und ergänzend optional: Entspannungstechniken, Castillo Morales im orofazialen Bereich 5 Chronisch: Akute und gerätegestützte Krankengymnastik (nicht forciert) und Vojta/Bobath
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Systemischer Lupus erythematodes
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Beim systemischem Lupus erythematodes stehen Müdigkeit und Allgemeinsymptome wie Abgeschlagenheit im Vordergrund der unspezifischen Beschwerden. Durch Balneotherapie und Bewegungstherapie lassen sich diese Symptome physikalisch behandeln.
Bei einer Arthritis werden die gleichen Therapien wie bei der JIA angewandt. Stehen Arthralgien und/oder Myalgien im Vordergrund der Beschwerden, dann kann durch Massage und Lymphdrainage eine Beschwerdelinderung erreicht werden. Auch die TENS kommt als lokale Schmerztherapie in Betracht, z. B. bei Kopfschmerzen im Rahmen der Grunderkrankung. Bei ausgeprägter Raynaud-Symptomatik kann durch die Applikation von lokaler Wärme – Elektrotherapie, evtl. TENS-Therapie und hydroelektrische Bäder – eine Durchblutungssteigerung erreicht werden. Kontraindiziert ist eine Thermotherapie jedoch bei Vorliegen einer floriden Vaskulitis.
Sklerodermie Physiotherapie ist ein wichtiger Bestandteil in der Behandlung und Begleitung von Patienten mit Sklerodermie. Um den Verlauf beurteilen zu können, sollte regelmäßig sowohl ein Ganzkörperstatus mit Beurteilung von Haut und Bindegewebe, Überprüfung der Gelenkbeweglichkeit und Funktionalität als auch Umfangmessungen an den Weichteilen der Extremitäten durchgeführt werden (Behandlungskonzept siehe . Tab. 14.2). In der ödematösen Phase steht die Reduktion der Schwellung im Vordergrund. In der Übergangsphase und der sklerotischen Phase liegt der therapeutische Schwerpunkt auf Erhalt bzw. Verbesserung der Beweglichkeit von Haut und Bindegewebe (. Tab. 14.5). Eventuell erforderliche allgemeine Hilfen und Hilfsmittel
5 Fahrzeuge, um längere Distanzen zu überwinden (z. B. Fahrrad, Roller) 5 Spezielle Schuhversorgung, um die Abrollbewegung zu unterstützen 5 Beinlängenausgleich 5 Gipslagerungsschalen (kein Quengeln!) 5 Hand-/Fingerschienen (7 Kap. 14.3) 5 Spezielle Hilfen für die Feinmotorik: Stift, Essbesteckverbreiterung, Klettverschluss an Schuhen, spezielle Scheren 5 Laptop als Schreibmedium 5 Atemhilfsmittel (Blubbern, Flutter)
Sharp-Syndrom (»mixed connective tissue disease”) Eine ausgeprägte Arthritis und Kontrakturen der Fingergelenke sind bei dieser Erkrankung häufig und im Spätstadium relativ therapieresistent. Eine frühzeitige effektive Physiotherapie und Ergotherapie mit Hilfsmittelversorgung (Handfunktions- und Lagerungsschienen, Fingerorthesen) kann die Beweglichkeit der Gelenke verbessern. Im akut entzündlichen Stadium wird die Kryotherapie konsequent eingesetzt, zur Schmerzbehandlung auch die TENS-Therapie in Kombination mit der Bewegungs-
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14.1 · Physiotherapie
14
. Tab. 14.5. Empfohlene Therapiemaßnahmen bei Sklerodermie. Um keinen erhöhten Reiz zu setzen, dürfen die Behandlungstechniken nicht forciert eingesetzt werden! Phase
Ziel
Empfohlene Therapieformen
Ödematöse Phase
Reduktion der Schwellung
5 Manuelle Lymphdrainage, 3–5 Mal/Woche ohne Kompression (Földi u. Kubik 2002)
Übergangsphase und sklerotische Phase
Verbesserung des Lymphabflusses, Lockerung des Gewebes
5 Manuelle Lymphdrainage (ohne Kompression und mit vorsichtigen gewebsmobilisierenden Griffen) 5 Mäßige Wärmebehandlung
Vermeidung u. Reduzierung von Kontrakturen
5 Krankengymnastik 5 Schlingentisch 5 Bewegungsbad
Erhalt/Verbesserung von Kraftausdauer und Koordination
5 Krankengymnastik 5 KG-Gerät 5 PNF
Reduzierung der Fibrotisierung
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Gelenkmobilisation
Manuelle Therapie
Erhalt/Verbesserung der Atemfunktion
Atemtherapie
therapie. Bei entzündlicher Sehnenbeteiligung ist auch die Iontophorese und Phonophorese begleitend sinnvoll. Sind im Rahmen der Grunderkankung bereits trophische Störungen aufgetreten, ist eine Lymphdrainage evtl. in Kombination mit Massage zu empfehlen. Eine Myopathie im Rahmen der Grunderkrankung kann mit Elektrotherapieverahren behandelt werden.
Nichtrheumatische Ursachen von Arthralgien und Arthritiden – Hypermobilitätssyndrom Eine Überbeweglichkeit kann Probleme in der Statik und Dynamik auslösen. Aus diesem Grund ist das Risiko für traumatische Läsionen, Reizzustände von Sehnen und Kapseln, Abweichungen des Achsenskeletts und degenerative Beschwerden erhöht. Ziel der Physiotherapie ist bei diesem Krankheitsbild, ein in der Statik und Dynamik stabilisierendes Muskelkorsett aufzubauen, unter Berücksichtigung des Gelenkschutzes. Das Anbahnen physiologischer Bewegungsabläufe und das muskuläre Auftrainieren findet somit stets unter Beachtung der Gelenkachsen statt. Besteht ein akuter oder chronischer Reizzustand, dann entsprechen die empfohlenen physiotherapeutischen Maßnahmen denen bei der juvenilen idiopathischen Arthritis. Ansonsten sind KG-Gerät und andere muskelkorsettaufbauende Therapieformen empfehlenswert. Sportliche Betätigung kann empfohlen werden; bei der Auswahl der Sportart muss darauf geachtet werden, dass keine deutliche asymmetrische Belastung erfolgt und
Myofasziale Releasetechnik Bindegewebsmassage Klassische Massage UVA1-Bestrahlung im orofazialen Bereich Castillo Morales
dass die Beweglichkeit nicht gefördert wird. Die Belastung sollte möglichst achsengerecht sein (. Tab. 14.3)
Schmerzverstärkungssyndrome In der Physiotherapie gibt es im Umgang mit dem Schmerz bei Schmerzverstärkungssyndromen derzeit zwei völlig kontroverse Behandlungsprinzipien (7 Kap. 14.1.1). Ziel beider Prinzipien ist es, eine Normalisierung des Schmerzempfindens zu erlangen. Wichtig in der Betreuung von Patienten mit Schmerzverstärkungssyndromen ist, dass alle Beteiligten stets »an einem Strang« ziehen. Dies macht eine überdurchschnittlich gute und enge interdisziplinäre Teamarbeit mit Feed-back-Besprechungen in kurzen Zeitintervallen (in der Akutphase möglichst täglich) unabdingbar. Generalisiert: Beispiel Fibromyalgie
Die Physiotherapie übernimmt in der Behandlung von Fibromyalgiepatienten den körperlichen und spannungsregulierenden Part. Mit verschiedenen Techniken versucht man das Körperschema positiv zu beeinflussen. Des Weiteren sollen die Patienten aus ihrem »Schmerzschneckenhaus« herausgelockt werden und wieder Freude an passiver und aktiver Bewegung erlangen. Aus unserer Sicht wirkt sich die Kombination von Einzeltherapie und Teilnahme an sportlichen Aktivitäten in der Gruppe sehr positiv aus. Anfangs eignet sich eine Teilnahme an einer krankheitsspezifischen Sportgruppe. Später ist der Mannschaftssport
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
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mit Gleichaltrigen prinzipiell empfehlenswert, wobei kein zu hohes Verletzungsrisiko bestehen sollte.
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Eine Regulierung der Gesamtkörperspannung kann durch den Einsatz von Entspannungstechniken (7 Kap. 14.1.1) und eines Galileo-TM-Traininggerätes (s. unten) unterstützt werden. Bei der Auswahl der Technik sollte der Patient entscheiden, welche Form ihm zusagt. Aus unserer Erfahrung ist die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen eine häufig gewählte Form.
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Lokal: Beispiel sympathische Reflexdystrophie
Aus Sicht der Physiotherapie ist das »chronic regional pain syndrom« (CRPS 1) ein sehr komplexes und zeitintensives Krankheitsbild. Je nach Stadium und Ausprägung der Kardinalsymptome werden die therapeutischen Behandlungsformen gewählt und gewichtet. Sportliche Aktivitäten sollten so ausgewählt werden, dass keine einseitige Belastung erfolgt (erhöhte Gefahr der Überlastung) und das Verletzungsrisiko gering ist (7 Kap. 14.1.1). Des Weiteren weist die Anwendung eines Galileo-TMTraininggerätes nach unserer persönlichen Erfahrung positive Effekte auf. Das Galileo-TM-Traininggerät arbeitet mit seiner Plattform wie eine Wippe mit einer Amplitude von 0–6 mm (entspricht einem Hub von 0–12 mm) und kann in der Frequenz von 5–30 Hertz variiert werden. Die patentierte Bewegungsform des Galileotrainings ist aufgrund der Wippfunktion eine teilweise Kreisbewegung, welche die linke bzw. rechte Körperhälfte abwechselnd und gegenläufig bezüglich der Beuger- und Streckermuskulatur trainiert. Abhängig vom Frequenzbereich dominiert eine Detonisierung oder Aktivierung der Muskulatur. Das aktive Training ruft u. a. eine deutliche Durchblutungssteigerung hervor, was sich insbesondere im Bereich der lokalen Schmerzverstärkungssyndrome positiv auswirkt. Ist die untere Extremität betroffen, wird meistens im Stand triniert; bei Erkrankung der oberen Extremität wird ebenfalls direkt – die Hände werden auf die Trainingsplattform gesetzt – trainiert. Bei generalisierten Schmerzverstärkungssyndromen hat ein Training auf der schwenkbaren Behandlungsliege mit einer detonisierenden Frequenz positive Resonanz, ergänzt durch Entspannungstechniken wie z. B. progressive Muskelentspannung nach Jacobsen. Eine sorgfältige Anamnese und Beobachtung bzw. Korrektur während des Trainings ist Grundvoraussetzung jeder Anwendung. Stadium I (akute Phase). In diesem Stadium sind Beratung und Anleitung wichtig, um ein Anschwellen der betroffenen Extremität zu verhindern, den venösen und lymphatischen Abfluss zu unterstützen und eine Schmerzverstärkung zu vermeiden (. Tab. 14.6).
. Tab. 14.6. Empfohlene Therapieformen in der akuten Phase Ziel
Therapieform
Beratung, Anleitung, Aktivierung der Muskelpumpe, Erhalt der Beweglichkeit
Krankengymnastik (inkl. Gangschule)
Lokales Training des Vegetativums (Gefäßtraining)
Wechselreize, z. B. warm/kalt mit geringer Amplitude
Reduzierung des Ödems
Manuelle Lymphdrainage (in der Regel ohne nachfolgende Kompression)
Schmerzreduzierung
Kältetherapie (nur milde Kälte und lange Anwendungsdauer)
5 Hilfen: Muff, Oberteil mit Vordertasche; Dreieckstuch; weite Hosen- und Jackentaschen; keine enge bzw. einschnürende Kleidung (z. B. BH-Träger, Unterhose, Strümpfe) oder Schmuck an der betroffenen Extremität; passendes und gutes Schuhwerk; Fahrrad, Sitzroller; Unterarmgehstützen 5 Lagerung: die betroffene Extremität sollte möglichst in einer abflussfördernden Position gelagert oder gehalten werden. 5 Bewegung: Die betroffene Extremität sollte unbedingt, aber nicht forciert, aktiv bewegt werden. Statische Arbeiten wie z. B. langes Stehen sollten vermieden werden. Eine Ruhigstellung fördert eine dystrophe Entwicklung (Mucha 1995) Stadium II (dystrophe Phase). In diesem Stadium steht die Schmerzbeseitigung oder -reduzierung, das Entgegenwirken der Muskelatrophie und somit auch der Erhalt der Funktionalität im Vordergrund (. Tab. 14.7). Stadium III (atrophe Phase). Hier liegt der Schwerpunkt
in der Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit und -funktionalität, Minimierung der Muskelatrophie und Vermeidung einer Osteoporose (. Tab. 14.8). Wir bedanken uns herzlich für die freundliche Unterstützung und Bereitstellung von Materialien bei Fa. Maisch, Fa. Holz-Hoerz, Fa. Kokua, Fa. Nic.
14.2 · Physikalische Therapie bei juveniler idiopathischer Arthritis und Kollagenosen
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14
. Tab. 14.7. Empfohlene Therapieformen in der dystrophen Phase Ziel
Empfohlene Therapieform
Desensibilisierung der betroffenen Extremität
Krankengymnastik
Schmerzreduzierung
5 Kälte-/Wärmetherapie (nur milde Kälte/Wärme) 5 TENS (Kesler et al. 1988)
Erhalt bzw. Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit, Funktionalität und Muskelkraft, Kraftausdauer
5 Krankengymnastik 5 Bewegungsbad 5 KG-Gerät (kein forciertes Training!)
Lokales Training des Vegetativums (Gefäßtraining)
Wechselreize, z. B. warm/kalt mit zunehmender Amplitude
Regulierung des Spannungszustandes
Entspannungstherapie
Homogenisierung des Körperbildes
5 Krankengymnastik 5 Entspannungstherapie
Reduzierung des Ödems
Manuelle Lymphdrainage (in der Regel ohne nachfolgende Kompression)
. Tab. 14.8. Empfohlene Therapieformen in der atrophen Phase Ziel
Empfohlene Therapieform
Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit
Krankengymnastik Manuelle Therapie (nicht forciert!) Bewegungsbad
Verbesserung der Durchblutung
Wärmetherapie (nur milde Wärme) Bewegungsbad CO2-Bäder (Földi u. Kubik 2002)
Verbesserung der Muskelkraft/Kraftausdauer
Krankengymnastik KG-Gerät (kein forciertes Training!)
14.1.6 Literatur Castillo Morales R (1998) Die orofaziale Regulationstherapie, 2. Aufl. Pflaum, München Földi M, Kubik S (2002) Lehrbuch der Lymphologie, 5. Aufl. Urban & Fischer, München Götz-Neumann K (2003) Gehen verstehen. Thieme, Stuttgart Hartmannsgruber R, Wenzel D (1999) Physiotherapie Pädiatrie, Bd 12. Thieme, Stuttgart Kapandji IA (2001) Funktionelle Anatomie der Gelenke. Enke, Stuttgart Kesler RW et al. (1988) Reflex symphatetic dystrophy in children: treatment with transcutaneous electric nerve stimulation. Pediatrics 82: 728–732 Mucha C (1995) Algodystrophie. In: Schmidt L et al. (Hrsg) Lehrbuch der physikalischen Medizin und Rehabilitation. Fischer, Frankfurt Saurat C (1992) Behandlung mit dem Schlingenkäfig. Eular, Basel Sherry D (2001) Diagnosis and treatment of amplified musculoskeletal pain in children. Clin Exp Rheumatol 19: 617–620 Spamer M, Häfner R, Truckenbrodt H (2001) Physiotherapie in der Kinderrheumatologie. Pflaum, München Wahn V et al. (2001) In: Rheumatische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Hans Marseille, München Zukunft-Huber B (2005) Der kleine Fuß ganz groß. Urban & Fischer, München
14.2
Physikalische Therapie bei juveniler idiopathischer Arthritis und Kollagenosen
G. Ganser Die physikalischen Therapieverfahren haben einen wichtigen Stellenwert im Konzept der Behandlung von juvenilen Arthritiden (. Tab. 14.9) und von Kollagenosen (. Tab. 14.10). Sie sollten bereits frühzeitig neben der medikamentösen Therapie zur Entzündungshemmung, Bewegungserweiterung, Schmerzbehandlung sowie Wachstumslenkung bei entzündlich bedingten Wachstumsstörungen eingesetzt werden (Fricke 1996). Die physikalischen Maßnahmen orientieren sich an der Erkankung, dem Alter des Patienten und erfordern häufig spezielle Erfahrungen des Therapeuten im Umgang mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen und mit der Manifestation der entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparates in diesen Altersgruppen (Ganser 2002). Schwerpunktmäßig werden die physikalischen Therapieverfahren wie folgt eingesetzt: 5 Kryotherapie bei akuten Gelenkentzündungen der peripheren Gelenke und der Wirbelsäule 5 Hydrotherapie und Thermotherapie als Bewegungsbad in warmem Wasser zur Muskelentspannung und Gelenkentlastung 5 Elektrotherapie zur Schmerzbehandlung, Muskelentspannung und Entzündungsbehandlung bei Enthesopathien 5 Phonophorese zur Entzündungsbehandlung bei Enthesopathien 5 Massagen zur Muskelentspannung bei weichteilrheumatischen Prozessen
550
1
Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
. Tab. 14.9. Physikalische Therapie bei juveniler idiopathischer Arthritis Oligoarthritis
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»persistent
»extended«
A. mit Enthesis
Polyarthritis
Psoriasis-A.
Syst. A.
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Kältekammer
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Kaltluft
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Eispackungen
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Bewegungsbad
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Wärme
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Massage
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Man. Lymphdrainage
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Interferenzstrom
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Iontophorese
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Phonophorese
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TENS
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5
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. Tab. 14.10. Physikalische Therapie bei Kollagenosen SLE
MCTD
JDM
JSCL
Vaskulitis
SJIA
Kältekammer
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5 Lymphdrainage zur Behandlung lokaler entzündungsassoziierter Ödeme und Verbesserung der lokalen Stoffwechselprozesse
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14.2.1 Kryotherapie Bereits vor über 2000 Jahren verwendeten die Griechen Schnee vom Olymp zur Entzündungsbehandlung von Gelenken. Auch im Mittelalter soll die Eisbehandlung bei Entzündungen erfolgreich eingesetzt worden sein. Die Kneipp-Kaltwasserbehandlung, seit Ende des letzten Jahrhunderts ein wichtiger Bestandteil der physikalischen
Therapie, dient überwiegend der Anregung des Kreislaufs. Die örtliche Kältebehandlung für die Füße und Hände hat jedoch auch antientzündliche Effekte. In den letzten Jahrzehnten ist zunehmend neben einer örtlichen auch eine systemische Kältebehandlung bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen eingesetzt worden. Einen nachhaltigen antientzündlichen Effekt hat die Ganzkörperkältetherapie in der Kältekammer. Die Kryotherapie bewirkt eine Verlangsamung der Produktion von Entzündungsproteinen und führt zu einer Verminderung des Stoffwechsels im Gelenk; damit wird ein antiphlogistischer Effekt erzielt. Eine wichtige Komponente ist auch der analgetische Effekt der Kälte,
14.2 · Physikalische Therapie bei juveniler idiopathischer Arthritis und Kollagenosen
551
14
wie z. B. die Anwendung von Kältesprays zur Behandlung von Sportverletzungen zeigt (Fricke 1996). Insbesondere im akut entzündlichen Stadium ist eine intensive Kältebehandlung sinnvoll. Die Kryotherapie führt zur Linderung der entzündlichen Schwellungen, aber auch des Schmerzes und sekundär der Bewegungseinschränkungen und sollte bei akuter Entzündung häufig angewandt werden. Der Patient verspürt ein verbessertes Allgemeinbefinden und eine Funktionsverbesserung der betroffenen Gelenke. Man unterscheidet nach der Form der Anwendungen: 5 Kältekammer (Ganzkörperkältetherapie; –120 bis –170°C). Anwendungzeit 30 Sekunden bis 3 Minuten 5 Kaltluftbehandlung (flüssiger Stickstoff bis –180°), setzt korrekte Anwendung voraus 5 Lokale Eisbehandlung durch gestoßenes Eis (in Kunststoffbeuteln verpackt) 5 Direkte Eisabreibungen (»Eis am Stiel«) 5 Eis in ein Handtuch geschlagen oder feuchte Handtücher, die durch eine Salzlösung von gefrorenem Wasser lange die Kälte halten 5 Industriell hergestellte Kryopacks (Gel), z. B. aus dem Kühlschrank als milde Kälte, oder gekühlte Dinkel-/Kirschkernsäckchen, Quark-/oder Alkoholgemischumschläge
Kältekammertherapie. Die meisten Kinder können alleine oder in Begleitung eines Elternteils unter Aufsicht eines Arztes die Kältekammer besuchen. Voraussetzung ist Infektfreiheit sowie eine entsprechende Ausrüstung mit Mundschutz, Ohrschutz, Handschuhen, festem Schuhwerk, trockener Haut und trockenen Haaren, damit keine Kälteschäden entstehen. Die Patienten werden zunächst in kleinen Gruppen in einen Vorraum eingelassen. In diesem beträgt die Temperatur –60°C, eine Aufsichtsperson ist anwesend. Nach Gewöhnung an die Kälte werden die Patienten in die Hauptkammer gelassen, die mit Temperaturen von –120°C betrieben wird. Die Patienten halten sich dort 30 Sekunden bis zu 3 Minuten auf, die Zeitdauer wird je nach Verträglichkeit systematisch gesteigert. Unmittelbar nach Verlassen der Kältekammer haben etwa 90% der Patienten eine Schmerzlinderung auch an den bedeckten Gelenken. Der Langzeiteffekt der Kältetherapie hängt von der Häufigkeit der Anwendungen und der Therapiedauer ab. Er hält oft Wochen bis Monate an.
Die lokale Kaltluftbehandlung (mit flüssigem Stickstoff oder Kaltluftmaschinen) erzeugt eine örtliche Kälteanwendung bis zu –180°C und wird unter stationären Bedingungen 1–3 Mal täglich im Bereich der entzündeten Gelenke angewandt.
Häusliche Weiterbehandlung
! Kältepackungen geben anfangs niedrigere Temperaturen als gestoßenes Eis ab, somit besteht das Risiko einer örtlichen Unterkühlung/Erfrierung.
Um eine effektive Unterkühlung des Gewebes und Hemmung der Enzymaktivität zu erreichen, ist eine länger andauernde Anwendung von Kälte erforderlich. Es empfiehlt sich daher, z. B. die Eisbeutel an kleinen Gelenken 5–10 Minuten, an großen Gelenken je nach Alter des Kindes bis zu 20 Minuten örtlich anzuwenden. Zum Schutz der Haut vor Erfrierungen sollte die Kälte nicht auf der ungeschützten Haut angewandt werden, sondern der Kältebeutel in einem Tuch verpackt sein. Eine kurzzeitige Anwendung von Kälte bewirkt eine reaktive Hyperämie, die durch die Anwendung von milder Kälte vermindert werden kann. Eine länger dauernde Applikation führt auch zu einer Erschlaffung der Muskulatur, Dämpfung der Reaktionsfähigkeit der Nerven und damit zu einem analgetischen Effekt. Dieser Effekt ist bei der örtlichen Kaltluftbehandlung (bis –180°C für 2–3 Minuten) relativ ausgeprägt.
Kontraindikationen
Patienten mit Hypertonie, Asthma bronchiale, peripheren Durchblutungsstörungen, zentralen Durchblutungsstörungen, Kälteurtikaria oder Kollagenosen mit RaynaudSymptomatik sind von der Kältetherapie ausgenommen.
Bei guter Verträglichkeit der Kältetherapie besteht die Möglichkeit und Empfehlung, akut entzündete Gelenke auch zu Hause regelmäßig zu kühlen. Aufgrund des zeitlich begrenzten Effektes der Kältebehandlung sollte man bei akuten Entzündungen 3 Mal täglich kühlen. Bei geringer Entzündungsaktivität kann die Häufigkeit der Therapie reduziert werden. Nach örtlich angewendeter Kältetherapie ist der Bewegungsumfang der Gelenke oft erweitert. Die darauf folgende krankengymnastische Behandlung darf nicht über die Schmerzgrenze hinausgehen; es wird deswegen auch empfohlen, die Behandlung nicht unmittelbar an die Kryotherapie anzuschließen.
14.2.2 Hydrotherapie Über das Wasser als therapeutisches Medium lassen sich sowohl Wärmereize, Kältereize als auch hydrogalvanische Anwendungen (Reize durch elektrischen Strom) vermitteln. Dies wird bei der Anwendung hydroelektrischer Vollbäder (Stangerbäder) und Teilbäder (Vierzellen- oder Zweizellenbäder) bei weichteilrheumatischen Beschwerden, generalisierten Muskelschmerzen oder Durchblutungsstörungen gezielt eingesetzt. Es wird ein konstanter Gleichstrom angewendet mit dem therapeutischen Ziel einer oberflächlichen Durchblutungsvermehrung und Schmerzminderung. Im Kindesalter werden aber am häu-
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
figsten Bewegungsbäder im warmen Wasser durchgeführt, da sie therapeutische Effekte mit Spiel und Spaß verbinden können. Ferner wird Wärme durch das Medium des Wassers sehr gut übertragen (Ganser 2002). Einzelnen Badezusätzen werden bestimmte biologische Effekte zugeschrieben. So wirken Fichtennadel und Tonikumbad eher belebend, Arnika und Rosmarin eher beruhigend, Schwefel mindert den Schmerz, Sole oder Kohlensäurebäder sind durchblutungsfördernd. ! Bei kleinen Kindern sind ätherische Öle (Fichtennadel, Tannennadel) als Badezusatz kontraindiziert, da die ätherischen Inhaltsstoffe Krampfanfälle begünstigen können.
14.2.3 Thermotherapie (Wärmebehandlung) Man unterscheidet die Anwendung von Wärme, d. h. Temperaturen von 26 bis 38°C, und von Hitze, d. h. Temperaturen über 41°C. Bevorzugt wird die Wärmebehandlung eingesetzt bei muskulär bedingten Schmerzen, Muskelverspannungen und Muskelkontrakturen, um eine Lockerung und Entspannung der Muskulatur zu erreichen. Typische Anwendungsbeispiele sind Peloidpackungen (Fangopackungen), die heiße Rolle oder erwärmbare Kissen, die mit Körnern oder Gel gefüllt sind und in der Mikrowelle auf die gewünschte Temperatur gebracht werden. Auch das Bewegungsbad im warmen Wasser (Wassertemperatur 32°) ist eine Wärmebehandlung mit dem Ziel der Muskelentspannung, Kontrakturbehandlung und Gelenkentlastung. Man sollte darauf achten, dass die Kinder maximal 30 Minuten im warmen Wasser bleiben und möglichst unter Anleitung die betroffenen Gelenke bewegen. Günstig ist die Abnahme der Eigenschwere durch den Auftrieb des Wassers sowie die Freude, die die Kinder beim Spielen im warmen Wasser haben. Auch Kontrakturen können durch eine regelmäßige Behandlung in warmem Wasser günstig beeinflusst werden. Periphere Durchblutungsstörungen sowie Ernährungsstörungen der Haut oder des darunterliegenden Gewebes (trophische Störungen) werden oft durch Wärmebehandlung günstig beeinflusst. Bei peripheren Durchblutungsstörungen bietet sich auch das Warmhalten der Extremitäten an, d. h. konsequentes Benutzen von Handschuhen und warmen Strümpfen. Eine Fingergymnastik in einem erwärmten Trägermedium wie z. B. Leinsamen oder Rapssamen wird oft als sehr angenehm empfunden und im Rahmen der Ergotherapie eingesetzt. Im inaktiven Stadium einer Entzündung ist es auch möglich, dass Patienten die Sauna besuchen. Auf die kalten Wechselbäder sollte jedoch insbesondere bei peripheren Durchblutungsstörungen verzichtet werden. Die Anwendung von Wärme ist bei akuten Entzündungen an den Gelenken kontraindiziert.
14.2.4 Elektrotherapie Elektrische Ströme und Phonophorese (Ultraschallbehandlung) werden therapeutisch auch bei Kindern und Jugendlichen zur Schmerzlinderung, Entzündungshemmung und Verbesserung der Durchblutung von Haut und Muskulatur eingesetzt mit dem Ziel der Beschwerdelinderung und Funktionsverbesserung. Nicht alle elektrotherapeutischen Verfahren können im Kindesalter angewandt werden. Bedenken bestehen bei zu hoher Stromstärke oder Überwärmung im Bereich der Wachstumsfuge, sodass Schädigungen der Wachstumsfuge, des Knorpels oder des wachsenden Knochens entstehen können. Bei dosisangepasster Anwendung und Phonophorese mit einem festen Rhythmus zwischen Impulsen und Pausen (sog. gepulster Ultraschall) wurden diese Nebenwirkungen bisher nicht beobachtet. Für alle dargestellten elektrotherapeutischen Verfahren gilt, dass der Erfolg erst nach einer längeren Behandlungsserie erkennbar wird und nicht bereits nach 1 oder 2 Behandlungen eintritt. Regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen dienen der Erfolgskontrolle und lassen eventuelle Nebenwirkungen, z. B. Hautreizungen frühzeitig erkennen. Man unterscheidet in der Elektrotherapie folgende Frequenzen: Niederfrequenz Mittelfrequenz Hochfrequenz
1–1000 Hz 1–100 kHz >100 kHz
Nieder- und mittelfrequente Ströme wirken über Verschiebung elektrisch geladener Teilchen im stromdurchflossenen Gebiet. Eine relativ angenehme Anwendung niederfrequenter Ströme ist die Hochvolttherapie, die insbesondere zur Muskelentspannung eingesetzt wird und stoffwechselanregend wirkt. Mittelfrequente Ströme (1–100 kHz) wirken im wesentlichen schmerzlindernd und stoffwechselsteigernd. Sie sollen Reize für die Ernährung und den Aufbau der Muskulatur setzen und werden mitunter als unangenehm empfunden. Dies lässt sich vermeiden, indem man mehrere Frequenzen überlagert. Hochfrequenztherapie ruft ebenso wie Ultraschall eine direkte Wärmewirkung hervor, beide wirken in der Tiefe durchblutungsfördernd. Bei der Phonophorese ist die Wärmewirkung verbunden mit einer Mikromassage des betroffenen Gebietes. Ferner kann das Einbringen eines antiphlogistischen Medikaments in tiefere Gewebeschichten durch die Iontophorese oder Phonophorese erfolgen. Bei der Iontophorese werden unter die Elektroden antiphlogistische Medikamente (z. B. Diclofenac) aufgebracht. Die Ionen bewegen sich und dringen in die Tiefe (Iontophorese: ion = gehen/wandern, phorein = tragen).
14.2 · Physikalische Therapie bei juveniler idiopathischer Arthritis und Kollagenosen
Eine klassische Indikation der Iontophorese ist die chronische Tenosynovitis. Die Gleichstrombehandlung (Galvanisation) zeichnet sich durch Anwendung konstanter Ströme gleicher Richtung aus, die über Hautelektroden eingebracht werden. Dies kann als Längsdurchflutung (z. B. oberhalb und unterhalb des Kniegelenks), als Querdurchflutung (rechts und links des Kniegelenks) und als Iontophorese durchgeführt werden. Die Stromanwendung erfolgt nur kurzzeitig, sie darf das Gewebe nicht zusätzlich reizen. Bei einer wenig aktiven Entzündung können höhere Stromstärken und eine längere Anwendungsdauer gewählt werden. Die Behandlung wird jedoch in größeren Abständen durchgeführt. Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS). Hier-
bei handelt es sich um eine Gleichstromtherapie, die den Vorteil besitzt, dass die batteriebetriebenen Geräte auch zur Heimtherapie eingesetzt werden können. Die TENSTherapie ist in der Kinderrheumatologie noch ein relativ unbekanntes Verfahren, die meisten Erfahrungen stammen aus der Schmerztherapie. Klassische Indikation ist dementsprechend die Schmerztherapie, z. B. zur Behandlung von entzündungsbedingten Gelenkkontrakturen, posttraumatisch oder bei weichteilrheumatischen Krankheitsbildern. Bei der TENSTherapie werden Elektroden auf der Haut des Patienten aufgebracht, und das Entzündungsgebiet wird von Strom durchflossen. Die Stromstärke wird vom Patienten selbst gewählt. Der durch die Haut fließende Strom erzeugt ein mildes Kribbeln, Pochen oder Vibrieren und darf keinesfalls als Schmerz empfunden werden. Ziel ist es, Nerven so zu stimulieren, dass körpereigene Schmerzimpulse nur noch abgeschwächt an das Rückenmark geleitet bzw. von dort an Schmerzzentren im Gehirn weitergeleitet werden. Für die Dauer der Anwendung wird eine Beschwerdelinderung erreicht, die oft stundenlang anhält. Neben dieser direkten Beeinflussung der Nerven können durch die Stimulation Endorphine freigesetzt werden, welche die schmerzhemmende Wirkung verstärken und ein längerfristiges Ansprechen ermöglichen. Dieser Effekt wird vorwiegend bei niederfrequentem Reizstrom (<10 Hz) erfolgen. Eine Behandlung ist prinzipiell an allen Gelenken möglich. Wirksam ist auch die Behandlung von Kopfschmerzen und Durchblutungsstörungen, z. B. bei Mischkollagenosen oder Sklerodermie, nach Operationen wie arthroskopischer Synovektomie, bei Narbenschmerzen, bei degenerativen Prozessen oder Chondropathia patellae, bei sog. Wachstumsschmerzen und zur Muskelstimulation. Wenig Wirkung wird bei psychosomatisch bedingten Schmerzen erzielt.
553
14
! Besonders empfehlenswert ist die Anwendung unmittelbar vor und während der Krankengymnastik, um dabei durch die Schmerzlinderung eine bessere Beweglichkeit zu erreichen.
Die TENS-Therapie wird meist mit Frequenzen zwischen 50 und 100 Hz durchgeführt. Dies führt zu einer milden Vibration. Die Anwendungsdauer beträgt ca. 30 Minuten und kann mehrfach täglich nach Bedarf erfolgen. Auch die kombinierte Anwendung beider Frequenzen (50– 100 Hz, <10 Hz, Burst-Effekt) lässt sich mit einem speziellen TENS-Gerät erreichen. Eine Anwendung bei Kindern ab ca. 4 Jahren ist nach sorgfältiger Einweisung der Eltern möglich. Die Ansprechrate scheint bei 50% zu liegen, auch bei chronischen Schmerzen noch bei 20–30%. Das Verfahren ermöglicht eine Selbststeuerung bei Schmerzen des Bewegungsapparates, ferner in Kombination mit anderen therapeutischen Verfahren eine Verbesserung der Beweglichkeit und evtl. auch eine Einsparung von Analgetika und Antiphlogistika.
14.2.5 Phonophorese (Ultraschalltherapie) Schallwellen zwischen 16 Hz und 16 kHz sind hörbar. Über 16 kHz beginnt der Ultraschallbereich, der therapeutisch (800–1000 kHz) und diagnostisch (>2,5 MHz) genutzt werden kann. Ultraschall wirkt therapeutisch im Sinne einer hochfrequenten Mikromassage des Gewebes. Die therapeutischen Effekte sind Analgesie, Hyperämie und Muskelentspannung. Durch Phonophorese kann neben der Schmerzlinderung und Mehrdurchblutung eine bessere Ernährung des Gewebes erreicht werden. Generelle Anwendungsbeispiele sind Arthritis, Bursitis, Tenosynovitis, Rückenschmerzen, Muskelschmerzen und Durchblutungsstörungen. Wichtig ist, im Kindesalter nur geringe Stromstärken von 0,1 bis 0,35 W pro Quadratzentimeter einzusetzen. Bei konstantem Ultraschall kommt es zu einer vermehrten Durchblutung aufgrund der Überwärmung des Gewebes. Um dies zu vermeiden, setzt man einen gepulsten Ultraschall ein, d. h., man setzt einen Impuls von 0,5–1 Millisekunde Dauer und anschließend 9 Millisekunden Pause. Der gepulste Ultraschall führt zu einer deutlich geringeren Überwärmung des Gewebes und hat keinen schädigenden Einfluss auf Wachstumsfugen. Die Mikromassagen mit dem Schallkopf können auf ein unruhiges Kind beruhigend wirken (Ganser 2002). Mit der Phonophorese lassen sich auch Medikamente über die Haut in tiefergelegene Entzündungsregionen transportieren, die dort ihre Wirkung entfalten. Kontraindikationen sind fieberhafte Allgemeinerkrankungen, eitrige Entzündungen, Fremdkörper (z. B.
554
1
Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
Metallimplantate nach Frakturen), Endoprothesen und Hautreizungen im Stromgebiet.
2 14.2.6 Massage
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Die Massage ist eine Reiztherapie und hat ihre Indikation vorwiegend bei Muskelverspannungen und weichteilrheumatischen Beschwerden. Man unterscheidet zwischen klassischer Massage, Unterwassermassage und Bindegewebsmassage (Fricke 1996; Spamer et al. 2001). Die Wirkung der Massage ist je nach Technik tonisierend oder detonisierend für die Muskulatur bzw. das Bindegewebe, durchblutungsfördernd und entschlackend sowie entspannend. An Grifftechniken werden Streichungen, Knetungen, Reibungen, Klopfungen, Vibrationen eingesetzt. Die Behandlung soll als angenehm empfunden werden, Schmerzen der Muskulatur und der Gelenke sind zu vermeiden. Bei korrekter Indikation und Grifftechnik tritt eine Entspannung der Muskulatur auf. Eine schmerzbedingte Schonhaltung von Gelenken kann durch Massage aufgehoben werden. Durch die Massage darf keine Hyperämisierung entzündeter Gelenke erzeugt werden. Bei weichteilrheumatischen Beschwerden und Schmerzverstärkungssyndromen gilt die Unterwassermassage als besonders schonend und schmerzvermeidend. Die Kombination der Massage mit anderen physiotherapeutischen Anwendungen führt zu einer Verbesserung der Therapieeffekte (Ganser 2002).
14.2.7 Lymphdrainage Bei einer Entzündung des Gewebes entsteht begleitend ein Lymphödem durch verminderte Transportkapazität der Lymphgefäße, entzündliche Hyperämie und Austritt von Entzündungsmediatoren in das Gewebe. Der Lymphdrainage wird eine vagotonisierende Wirkung zugeschrieben, die mit einem verbesserten Lymphtransport, einer Steigerung der Eigenmotorik der kleinen Muskulatur der Lymphgefäße sowie möglicherweise einer Neubildung von Lymphgefäßen einhergehen soll. Die Wirkung der Lymphdrainage besteht in einer Verschiebung von Gewebeflüssigkeit, Erhöhung der Lymphgefäßbewegung und -transportkapazität. Hierdurch entsteht eine Entlastung der Schmerzrezeptoren im Gewebe, eine Dämpfung der Sympatikuswirkung, evtl. auch eine Verminderung des intraartikulären Druckes (Ganser 2002; Werner et al. 1997). Kontraindikationen für die Lymphdrainage sind akute bakterielle Entzündungen.
14.2.8 Literatur Fricke R (1996) Kryotherapie. In: Adler S (Hrsg) Physikalische Therapie im Kindes- und Jugendalter, 2. Aufl. Barth, Leipzig, S. 86–95 Ganser G (2002) Physikalische Therapie bei juveniler chronischer Arthritis und Kollagenosen. Akt Rheumatol 27: 213–220 Kolster B, Ebelt-Paprotny G (1998) Leitfaden Physiotherapie, 3. Aufl. G. Fischer, Stuttgart Spamer M, Häfner R, Truckenbrodt H (2001) Physiotherapie in der Kinderrheumatologie – das Garmischer Behandlungskonzept. Pflaum, München Werner G, Klimczyk K, Rude J (1997) Checkliste Physikalische und rehabilitative Medizin. Thieme, Stuttgart
14.3
Ergotherapie
W. Bureck In vielen Kliniken, Institutionen und Praxen hat die Ergotherapie im interdisziplinären Team ihren eigenständigen anerkannten Platz bei Behandlung und Hilfsmittelversorgung rheumakranker Kinder und Jugendlicher sowie der Patienten- und Elternschulung, für den Gelenkschutz und die berufliche Orientierung zur beruflichen Eingliederung und Rehabiliation. Die Schwerpunkte der ergotherapeutischen Behandlung der juvenilen idiopatischen Arthritis (JIA) liegen in der Therapie der Hand-, Daumen- und Fingergelenke. Im Vordergrund stehen hierbei der Erhalt der Beweglichkeit, wenn nötig und möglich die Mobilisation der Gelenke, die frühzeitige Korrektur von Fehlstellungen durch Schienen, am günstigsten im Anfangsstadium, und Gelenkschutzunterweisungen. Hinzu kommt die Vermittlung von Eigentrainingsprogrammen zur Prävention bzw. Kontrakturprophylaxe unter Berücksichtigung des gelernten Gelenkschutzes. Zu den weiteren Aufgaben der Ergotherapie zählen: Hilfsmittelberatung bzw. Hilfsmittelversorgung und -training bei Einschränkungen an der oberen Extremität, Durchführung von Patientenschulungen, Elternund Angehörigenanleitung bzw. -beratung. Jeder Patient wird entsprechend seiner Fähigkeiten und seines Leistungsvermögens in der Ergotherapie behandelt, wobei stets Rücksicht auf die gesamte Persönlichkeit mit ihrer geistigen, emotionalen, sozialen und körperlichen Entwicklung genommen wird.
14.3.1 Berufsbild Ergotherapeuten (Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten) sind eine medizinische Berufsgruppe, die auf ärztliche Verordnung behandelt. Anwendung findet diese Therapie allgemein bei Störungen im Bereich der Motorik, der Sinnesorgane und der geistigen und psychischen Fähigkeiten.
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14.3 · Ergotherapie
Der Begriff »ergon« kommt aus dem Griechischen und bedeutet: Werk, Tat, Handlung, Arbeit, Schöpfung, Beschäftigung, Kunstwerk, Leistung, Verrichtung der Seele und des Körpers. Übergeordnetes Ziel einer jeden Behandlung ist die weitestmögliche Selbständigkeit des zu Behandelnden im täglichen Leben. Dazu zählen z. B. die Wiedereingliederung des Patienten in Schule und/oder Beruf oder die Förderung seiner Aktivität und Leistungsfähigkeit in physischer, psychischer und geistiger Hinsicht. Dies kann in Einzel- und/oder Gruppenbehandlung geschehen.
14.3.2 Befunderhebung Neben Inspektion und Palpation der Hände des Patienten hat die standardisierte Befundung der Hand- und Fingergelenke vor Beginn und während der Therapie (bei Kindern in etwa ab dem Schulalter in dieser Form möglich) einen hohen Stellenwert. Durch eine adäquate Befundung und Verlaufskontrolle, z. B. durch normierte Tests wie Neutralnullmessmethode, Messung der Handkraft, Schmerzintensitätmessung laut visueller Analogskala (VAS), diverse Greiftests, die computergestützt durchgeführt werden können (. Abb. 14.9) sowie Nachweis von Fehlstellungen (digitale fotodokumentarische Erfassung von Hand- und Fingergelenken) kann eine Veränderung der funktionellen Werte dokumentiert werden. Es hat sich außerdem gezeigt, dass sich ein Patient bzw. die Eltern durch den gemeinsamen Vergleich der funktionellen Werte des Handfunktionstests am PC-Bildschirm in ihrer Mitarbeit stark motivieren lassen. Um einen Überblick über den Gesamtzustand des Patienten zu gewinnen, ist eine Anamnese mit Diagnose, Dauer der Erkrankung, Medikamenteneinstellung, durchgeführten und evtl. geplanten Punktionen und Operationen, zur Hilfsmittelund Schienenversorgung und nicht zuletzt zum ADL-Bereich (»activities of daily life«) inkl. Schul- und Freizeitaktivitäten notwendig.
. Abb. 14.9. Digitaler Handfunktionstest
14
Im Gegensatz zu Schulkindern und Jugendlichen ist es oft nicht möglich, bei Kleinkindern einen umfassenden Handfunktionstest durchzuführen. Hier werden die Funktionen der Hand durch Beobachtung des Kindes beim Spiel wie folgt überprüft: 5 Wie sieht die Beweglichkeit von Schulter, Ellenbogen, Handgelenk, Daumen und Finger bei Alltagsbewegungen aus? (Ausweichbewegungen, Achsabweichungen, Schwellungen) 5 Wie stützt sich das Kind beim Spielen und Aufstehen ab? (passive und aktive dorsale Extension in den Handgelenken) 5 Zeigt sich eine spontane Schmerzschonhaltung? 5 Ist das Kind in der Lage, beim Spielen und Greifen das Handgelenk in der Streckung zu halten? 5 Zeigt das Handgelenk in Ruhe oder bei manuellen Tätigkeiten eine Abweichung zur Kleinfingerseite? 5 Zeigt sich beim Anspannen der Hand bzw. bei der Streckung der Finger eine Tendenz zur Fehlstellung der Handwurzel? 5 Wie richtet sich die Handachse bei den genannten Bewegungen aus? Zeigt sich das Bild einer sog. kindlichen Handskoliose (s-förmige Fehlstellung)? 5 Können die Finger die Spreizbewegung ausführen? 5 Können der kleine und der große Faustschluss ausgeführt werden? 5 Wie sieht die Stabilität jedes einzelnen Fingers aus? 5 Sind lokale Wachstumsstörungen bzw. -rückstände festzustellen?
14.3.3 Therapie Zu Beginn einer Therapie ist es wichtig, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Schmerzen, die vom Therapeuten ausgelöst werden, würden dieses Vertrauensverhältnis gefährden, beim Patienten eine Abwehrspannung aufbauen und die unerlässliche Mitarbeit erschweren. Zudem führen Angst und Schmerzen zu einer Erhöhung des Muskeltonus. Die reflektorische Schonhaltung des Gelenks wird verstärkt und die ohnehin eingeschränkte Beweglichkeit wird zusätzlich verringert (. Abb. 14.10). Die ergohandtherapeutische Behandlung bei entzündlichen Gelenkveränderungen an der Hand und/oder an den Fingergelenken sollte so früh wie möglich einsetzen. Dabei ist die Einzeltherapie einer gruppentherapeutischen Maßnahme vorzuziehen. In der Regel ist nach folgenden Richtlinien zu therapieren: Die Behandlung sollte in einer angenehmen, entspannten Atmosphäre stattfinden, die für das Alter des Kindes oder des Jugendlichen entsprechend gestaltet ist. Damit sind Spielmöglichkeiten sowie gezielt eingesetzte Materialien zur Förderung der Kreativität ebenso gemeint wie Ratespiele, Vorlesen oder Vorspielen von Hörspielkassetten oder mitgebrachten eigenen Musiktonträgern etc. Die funktionelle Therapie und
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
der Einsatz von handwerklichen Medien sind aufeinander abzustimmen. Da Kleinkinder oft nur über einen relativ kurzen Zeitraum für die Therapie zu gewinnen sind, muss man sie immer in einem kindgerechten Rahmen behandeln, solange Bewegungseinschränkungen, Fehlbelastungen oder Achsenfehlstellungen bestehen. Das betroffene Gelenk wird langsam, vorsichtig und gleichmäßig innerhalb des schmerzfreien Bewegungsausmaßes und achsenkorrigierend bewegt. Dabei muss auf gelenknahes, großflächiges Greifen ohne punktuellen Druck geachtet werden. Durch diese passive Bewegung der betroffenen Gelenke (eingeschlossen sind auch Gelenke mit hochgradiger Entzündungsaktivität) wird über die Entspannung der hypertonen Muskeln Bewegungseinschränkungen vorgebeugt bzw. die Beweglichkeit verbessert. Nachdem ein Vertrauensverhältnis zum Patienten aufgebaut worden ist, können die Muskelgruppen gedehnt werden, die das Gelenk in der Schmerzschonhaltung fixieren. ! Es sollte zu keiner Hebelwirkung mit Druckerhöhung auf die Gelenkanteile kommen, um Schmerzen im Gelenk zu vermeiden. Dehnungsschmerz der Muskulatur kann, solange der Patient mitarbeitet, toleriert werden. Spannt er jedoch dagegen, wird die Dehnung unterbrochen. Solange Achsenfehlstellungen nicht aktiv korrigiert werden können, erfolgt die Dehnung überwiegend passiv. Um Mikrotraumen und die folgende Narbenbildung im Gewebe zu verhindern, sollte die Dehnung langsam durchgeführt werden unter Berücksichtigung der individuellen Schmerzschwelle und Compliance.
Sind die Fehlstellungen annähernd vom Patienten ausgleichbar, werden zunehmend aktive Therapieübungen eingesetzt. In dieser Phase werden jene Muskelgruppen aktiviert, die der Fehlstellung entgegenwirken. Dabei lernt der Patient, zunächst noch unterstützt vom Therapeuten und anschließend selbständig, in kleinen Bewegungsab-
schnitten Fehlstellungen aktiv zu korrigieren. Der Patient muss verlernte physiologische Bewegungsabläufe wieder erlernen bzw. die pathologischen Bewegungsabläufe verlernen. Das heißt, die wiedererlangte Beweglichkeit muss bewußt in die Alltagsbewegungen einbezogen werden. Anfangs vom Therapeuten kontrolliert und evtl. durch Hilfsmittel unterstützt, soll der Patient später, ohne sich darauf zu konzentrieren, Bewegungen in den physiologischen Bahnen durchführen. Für ein weiter fortgeschrittenes Stadium der JIA lassen sich folgende ergotherapeutische Ziele zusammenfassen: 5 Muskelkräftigung und Gelenkmobilisation unter Berücksichtigung der Fingergrundgelenke, 5 Verminderung der Kraftanwendung vor allem im Bereich der Fingergelenke, 5 Schienentherapie zur Prophylaxe und Korrektur, 5 Erhalt von größtmöglicher Selbständigkeit im ADLBereich unter Berücksichtigung der Gelenkschutzregeln, speziell bei der persönlichen Hygiene, beim Spielen, An- und Ausziehen und bei der Haushaltsführung. Das Ziel der funktionellen Ergotherapie bei Patienten mit weit fortgeschrittenem Krankheitsverlauf ist weniger die Wiederherstellung der physiologischen Bewegungsabläufe. Vielmehr geht es darum, sinnvolle Kompensationsbewegungen einzuüben, um Tätigkeiten im täglichen Leben besser meistern zu können. Im Einzelnen sind hier beispielsweise die Korrektur des transversalen Handgewölbes durch Schienen, der Einsatz von gelenkmobilisierenden Fingerübungen ohne Widerstand, das motorische Funktionstraining zur Verbesserung der Öffnung, der Greiffähigkeit und der Kraft der Hand und der Einsatz von belastungsmindernen Hilfsmitteln zu nennen. Physikalische Maßnahmen (. Abb. 14.11, 14.12.) sind zur Vorbereitung, während oder nach der Therapie einsetzbar. Am entzündeten Gelenk dienen Kälteapplikationen wie z. B. Ganzkörperkältetherapie, lokale Kaltluftbehandlung,
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Fehlbelastung vorzeitiger Gelenkverschleiß, falsche Anatomie
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Fehlstellung schwer bzw. nicht korrigierbar
Entzündung (Einsatz von funktioneller Therapie & Gelenkschutz)
Schmerz- Schonhaltung aktive Korrektur möglich (Funktionelle Therapie & Einsatz von Schienen)
22 23
Schon-Fehlhaltung passive Korrektur möglich (Funktionelle Therapie, Hilfsmittelversorgung & Schienenversorgung)
. Abb. 14.10. Auswirkungen des Schmerzkreislaufs auf die Gelenke (»Dominoeffekt«)
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14.3 · Ergotherapie
14
Handgelenk, die Palmarflexion zur Kontrolle von möglichen Kontrakturen und die Pro- und Supination, die im distalen Radioulnargelenk stattfindet. Die Richtwerte des Bewegungsumfanges bei Kindern und Jugendlichen liegen für die Dorsalextension/Palmarflexion bei 90/0/90 und für die Radialabduktion/Ulnarabduktion bei 30/0/40 sowie für die Pronation/Supination bei 80–90/0/90–80. Durch eine schmerzentlastende (reflektorische) Schonhaltung kommt das Handgelenk in eine Ulnardeviation und Palmarflexion. Zusätzlich kann es bedingt durch eine Lockerung des Kapsel-Band-Apparates zu einer Subluxation der Handwurzelknochen bis hin zur sog. Bajonettstellung kommen. . Abb. 14.11. Gekühlter Rapssamen
. Abb. 14.12. Paraffinbad
Eisbeutelanwendungen, Kühlpacks, gekühlte Rapssamen (. Abb. 14.11) oder Erbsen, mehrmals täglich mindestens 20 Minuten angewandt, zur Entzündungshemmung, zur Schmerzreduzierung und zur Steigerung der Gelenkmobilität. Wärmeanwendungen werden in der Kinderrheumatologie weitaus weniger eingesetzt als die Kältetherapie und kommen vorwiegend bei systemischen Autoimmunerkrankungen mit peripherer Durchblutungsstörung, bei Muskelkontrakturen und bei polyartikulärem oder destruierendem Verlauf einer JIA ohne aktive Entzündung zum Einsatz.
Behandlungsbeispiele Handgelenk Das Handgelenk, das ein Eigelenk ist, wird aus Radius (Speiche) und Ulna (Elle) sowie der distalen Reihe der 8 Handwurzelknochen gebildet. Folgende Bewegungsrichtungen sind bei der Therapie dieses »Schlüsselgelenks« hervorzuheben: Die achsengerechte Dorsalextension, die Radialabduktion entgegen dem Ulnardrift im
Ergotherapeutische Behandlung der Arthritis im Handgelenk 5 Vorsichtige passiv-assistive Mobilisation in die Dorsalextension bzw. Radialbewegung unter Traktion mit Unterstützung des Handwurzelbereichs 5 Aktive Mobilisation durch Aktivieren der Handextensoren 5 Verwischen von Rasierschaum am Spiegel (sensomotorisches Training) 5 Schnelles Winken oder Werfen mit kleinen, leichten Bällen, wobei die Bewegung stets aus dem Handgelenk erfolgen sollte 5 Aufmalen einer Sonne auf die Innenseite der Hand, wobei die Strahlen der Sonne nur zu erkennen sind, wenn Handgelenk und Finger in Extension und Finger in Abduktion gebracht werden 5 Korrektur der Fehlstellung durch konsequentes Tragen von Handfunktionsschienen
Daumen Daumensattelgelenk. Das Daumensattelgelenk (Karpometakarpalgelenk, CMC I) ist ein Sattelgelenk und wird aus dem Os trapezium und dem Os metacarpale pollicis (1. Mittelhandknochen) gebildet. Die Bewegungsrichtungen sollen vor allem in die Abduktion sowie Flexion und Extension durchgeführt werden. Die Richtwerte im Bewegungsausmaß liegen hier in der Abduktion/Adduktion bei 45/0/0 und in der Flexion/Extension bei 20/0/45. Mit der Ulnardeviation im Handgelenk ist in der Regel, aufgrund von reflektorischen Schonhaltungen, eine Adduktionsstellung des Daumens verbunden.
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
Ergotherapeutische Behandlung der Arthritis im Daumensattelgelenk 5 Passives (unter leichter Traktion) und aktives Üben der Daumenabduktion, -extension, ggf. -zirkumduktion 5 Einsatz von Therapieknete (. Abb. 14.13) 5 Kryotherapie (z. B. Bewegen in kühlem Raps) 5 Bei Bedarf nächtliches Tragen einer Abduktionsorthese
5 Daumengrund- und -endgelenk. Daumengrund- und
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-endgelenke sind jeweils Scharniergelenke. Das Daumengrundgelenk (Metakarpophalangealgelenk, MCP I) wird aus dem 1. Mittelhandknochen und der proximalen Phalanx des Daumens gebildet. Das Daumenendgelenk (Interphalangealgelenk, IP I) setzt sich aus der proximalen und distalen Phalanx zusammen. In beiden Gelenken wird in Flexion und Extension bewegt. Dabei liegt das Bewegungsausmaß im MCP I aktiv bei 40/0/0 und passiv bei 60/0/0. Das Bewegungsausmaß im IP I liegt in der Flexion/Extension aktiv bei 80/0/5–10 und passiv bei 100/0/30. Handtherapeutische Behandlung der Arthritis im Daumengrund- und -endgelenk 5 Passiv-assistive Mobilisation des Daumengrundgelenks unter Traktion mit Schwerpunktsetzung auf die Extension bei vorhandener 90/90-Deformität 5 Aktive Mobilisation des Daumengrundgelenks 5 Passiv-assistive Mobilisation des Daumenendgelenks unter leichter Traktion. Dabei wird das Daumengrundgelenk in Extension gehalten, während man bei der Mobilisation des Endgelenks schwerpunktmäßig die Flexion beübt 5 Aktive Mobilisation des Daumenendgelenks, z. B. durch Beüben des Spitzgriffs mit funktionellen Steckspielen wie Solitaire, Halma u. a.
18 Finger
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Fingergrundgelenke. Die Fingergrundgelenke (Metakar-
pophalangealgelenke, MCP II–V) sind Kugelgelenke. Sie setzen sich aus dem distalen Anteil der Mittelhandknochen und dem proximalen Anteil der Grundphalanx zusammen. Die Bewegungsrichtungen liegen in der Flexion, Extension, Ab- und Adduktion. Das Bewegungsausmaß in MCP II–V liegt in der Flexion/Extension aktiv bei 80– 90/0/30–40 und passiv bei 100/0/80–90. Aufgrund der Lockerung des Kapsel-Band-Apparates verschieben sich Gelenkkopf und Gelenkpfanne gegenseitig, wobei der Gelenkkopf nach palmar abrutscht.
. Abb. 14.13. Therapieknete
Handtherapeutische Behandlung der Arthritis in den Fingergrundgelenken Passiv-assistive Mobilisation unter Traktion von MCP II–V, wobei der Schwerpunkt individuell gesetzt werden muss. Bei einem Beugedefizit sollte vermehrt die Flexion, bei einem Streckdefizit vermehrt die Extension beübt werden. Wie immer ist die gelenknahe Unterstützung beim Durchbewegen wichtig.
Fingermittel- und -endgelenke. Die Fingermittelgelenke
(proximale Interphalangealgelenke, PIP II–V), als auch die Fingerendgelenke (distalen Interphalangealgelenke, DIP II–V) sind Scharniergelenke. Bei den PIPs wird das Gelenk aus dem distalen Anteil der Grundphalanx und dem proximalen Anteil der Mittelphalanx gebildet. Bei den DIPs setzt sich das Gelenk aus dem distalen Anteil der Mittelphalanx und der Endphalanx zusammen. Die Bewegungsrichtungen finden in Flexion und Extension statt. Das Bewegungsausmaß in PIP II–V liegt in der Flexion/Extension bei 110/0/0 und in DIP II–V in der Flexion/Extension bei 70–80/0/5 passiv 30. Schwanenhalsfehlstellung. Hervorgerufen wird diese Fehlstellung vor allem durch eine Arthritis in den MCP mit nachfolgender Kontraktur der Muskulatur, die eine Flexionsstellung in den MCP-Gelenken, eine Hyperextension in den PIP-Gelenken und eine Flexionsstellung in den DIP-Gelenken nach sich zieht.
14.3 · Ergotherapie
Handtherapeutische Behandlung der Schwanenhalsfehlstellung 5 Passiv-assistive Mobilisation der MCPs, PIPs und DIPs, wobei darauf zu achten ist, dass die Extension bis maximal in die 0-Grad-Stellung gebracht werden darf 5 Aktives Beüben der kleinen Faust 5 Einsatz von Antihyperextensionsorthesen, die tagsüber bei Greiftätigkeiten zu tragen sind
Knopflochfehlstellung. Diese Fehlstellung ist charakterisiert durch eine Hyperextension der MCP-Gelenke, eine Flexionsstellung in den PIP-Gelenken und eine kompensatorische Hyperextension in den DIP-Gelenken. Die Ursache hierfür liegt vor allem in einer Arthritis der PIPs und einem daraus resultierenden falschen Sehnenzug.
Handtherapeutische Behandlung der Knopflochfehlstellung 5 Passiv-assistive Mobilisation der MCPs, PIPs und DIPs, wobei der Schwerpunkt der Behandlung in der Extension der PIPs liegen soll 5 Aktive Extensionsübungen (PIPs) 5 Eventuell aktive Beübung der kleinen Faust bei gleichzeitigem Defizit in der Flexion 5 Einsatz von Antiflexionsorthesen
14.3.4 Gelenkschutz Der Gelenkschutz beschreibt einen möglichst ökonomischen Krafteinsatz der Gelenke während der Arbeit oder Ruhe unter Berücksichtigung der physiologischen Körperhaltung. Der Gelenkschutz umfasst Methoden, die die Gelenke vor Überlastung im täglichen Leben schützen. Die Ziele des Gelenkschutzes sind die Vermeidung von Schmerzen, Überbeanspruchungen und Fehlbelastungen sowie die Vorbeugung von (weiteren) Deformitäten und die Erhaltung von physiologischen Bewegungsabläufen. Gerade Kinder neigen dazu, bei Schmerzen die betroffenen Gelenke ruhig zu stellen oder durch Ausweich- oder Trickbewegungen falsch zu belasten. Durch das frühzeitige, konsequente Befolgen der Gelenkschutzregeln können Kind und Angehörige selber aktiv dazu beitragen, Entzündungen, drohende Fehlstellungen und Versteifungen positiv zu beeinflussen, da der Verlauf der Erkrankung bei akuter und chronischer Entzündung abhängig von den Belastungen des Alltags ist. ! Bei zu viel Ruhe für die Gelenke können sich vielerlei negative Folgen ergeben: Schmerzschonhaltung o Kraftab-
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14
schwächung oAbnahme der Beweglichkeit o Sehnenverkürzungen o Muskelverkürzungen o Knochenentkalkungen o Gelenkfehlstellungen: Selbständigkeit ist eingeschränkt Bei zu viel Belastung können folgende Erscheinungen auftreten: Schmerzen o Ermüdung o Überbelastung o vermehrte Entzündungsanfälligkeit o »Reizerguß” o Schonhaltung o Gelenkinstabilität o vorzeitiger Gelenkverschleiß o Gelenkfehlstellungen: Selbständigkeit ist eingeschränkt Es ist also wichtig, das Gleichgewicht zwischen Ruhe und Belastung zu finden!
Deswegen kann Gelenkschutz keine einmalige Therapiemaßnahme sein, sondern bedeutet ein Umdenken und Umschulen aller bisher durchgeführter Lebens- und Verhaltensweisen. Zu Beginn der Erkrankung ist der Gelenkschutz besonders wichtig. Teilweise bedeutet Gelenkschutz, auf liebgewonnene Freizeitaktivitäten mit hoher Gelenkbeanspruchung – wie z. B. Fußball, Handball, Tennis, Ballett oder Inlinerfahren – zumindest zeitweise (bei Krankheitsaktivität) zu verzichten. Hier gilt es nach Hobbys Ausschau zu halten, bei denen die Gelenkbelastung nicht im Vordergrund steht (. Tab. 14.3). Gelenkschutzprinzipien sollten auch in beschwerdefreien Zeiten aufrechterhalten werden. Gelenkschutz soll nicht bedeuteten, dass das Kind sich und seine Gelenke möglichst viel schonen soll. Eltern und Kind sollen erkennen, begreifen und lernen, wann aus einer Bewegung eine Belastung entsteht. Diese Forderung zu verwirklichen ist oft schwierig, da die Patienten, aber auch ihre Eltern in diesen Stadien oft noch nicht glauben wollen, dass sie chronisch erkrankt sind. Hinzu kommt noch, dass die von einer rheumatischen Erkrankung betroffenen Kinder und Jugendliche in Phasen der Erkrankung, in denen die Gelenke nicht akut entzündet sind und daher keine Schmerzen verursachen, in gewohnte Lebens- und Verhaltensmuster zurückfallen. Umso mehr wird vom Therapeuten Einfühlungsvermögen und psychologisch-didaktisches Vorgehen verlangt, um Angehörige, Kinder und Jugendliche nicht abzuschrecken, sondern zu motivieren. Oft ist es hilfreich, die Kinder zusammen mit den Angehörigen über Gelenkschutz zu informieren, damit ein Verständnis für die Erkrankung entsteht. Die dauerhafte Umsetzung von Gelenkschutzprinzipien im täglichen Leben des Patienten erfordert eine gute Patientenberatung und -aufklärung. Deren Inhalte sind die Vermittlung von Grundkenntnissen über den Gelenkaufbau, den Krankheitsverlauf und über die häufigsten Gelenkfehlstellungen, darüber hinaus sollte der Unterschied zwischen Bewegung und Belastung verdeutlicht werden. Rheumapatienten müssen im Rahmen von Alltagssituationen begreifen, dass nicht alle Bewegungen im täglichen Leben zuträglich für ihre Gelenke sind.
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
! Deshalb ist das Motto des Gelenkschutzes: »Bewegung tut den Gelenken gut, doch eine Überbelastung und Fehlbelastung schadet den Gelenken!«
Grundregeln des Gelenkschutzes
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Anhand der folgenden Gelenkschutzregeln kann das Kind bzw. die Angehörigen entscheiden, ob gerade gelenkschonend agiert wird: Achsengerechtes Halten und Bewegen: Beim alltäglichen Hantieren sollen Unterarm und Mittelfinger eine Linie bilden, sodass Handgelenk und Finger achsengerecht stehen. Hebelwirkung ausnutzen: Das Anwenden des physikalischen Gesetzes der Hebelwirkung verringert den Kraftaufwand z. B. beim Öffnen von Drehverschlüssen. Dauerbelastungen vermeiden: Da langandauernde gleichbleibende Gelenkpositionen das Versteifen der Gelenke begünstigen, ist es besser, die Stellung öfter zu verändern. Langandauernde gleichförmige Bewegungen, die mit einem gewissen Kraftaufwand durchgeführt werden, belasten die Gelenke ebenfalls. Deshalb sollten auf Tätigkeiten mit langandauernden gleichförmigen Bewegungen Abwechslung oder Pausen folgen. Viele und große Gelenke mit einbeziehen: Je mehr Gelenke in eine Bewegung einbezogen werden, desto geringer ist die Belastung für jedes einzelne Gelenk. Ebenfalls ist es günstiger, die Belastung von größeren und kräftigeren Gelenken tragen zu lassen. Stoß- und Schlagbewegungen vermeiden: Erschütterungen der Gelenke sollen vermieden werden, da hierdurch immer neue Reizungen entstehen, die Entzündungen nicht zur Ruhe kommen lassen. Druck auf Gelenke in Fehlstellung vermeiden: Um die Fehlstellung der Gelenke nicht zu verstärken, soll jeglicher Druck in diese Richtung vermieden werden. Zug an den Gelenken vermeiden: Unkontrollierter Zug an den Gelenken kann zur Lockerung der Bänder und zur Instabilität beitragen. Hilfsmittel einsetzen: Beim Einsatz von Hilfsmitteln wird die Belastung für Gelenke gemindert. Ruhepausen einlegen: Es sollten immer wieder Pausen eingelegt werden, damit die Gelenke nicht überlastet werden. Sonstiges: Gewichte verteilen bzw. geringe Gewichte einsetzen; dynamisch statt statisch arbeiten (Vermeidung von Haltearbeit); beidseitig, achsengerecht und körpernah belasten.
Möglichkeiten des Gelenkschutzes bei verschiedenen Tätigkeiten Schusterdaumen (90/90-Deformität):
5 Vermeidung von Greiftätigkeiten, bei denen das Endgelenk in eine Überstreckung gerät. 5 Tragen von Daumengrundgelenksorthesen (Schiene zur Streckung des Daumengrundgelenks). 5 Aktive Beugeübungen des Endgelenks bei gestrecktem Grundgelenk. Schwanenhalsdaumen:
5 Vermeidung des Greifens und Haltens von Gegenständen mit überstrecktem Grundgelenk. 5 Beugeübungen des Grundgelenks bei abgespreiztem Sattelgelenk. 5 Tragen von Daumenabduktionsorthesen (Schiene zur Abspreizung des Daumens im Sattelgelenk). Schwanenhalsdeformität:
5 Vermeidung von Greiftätigkeiten mit überstreckten Mittelgelenken; Streck- und Spreizübungen der Finger. 5 Tragen von Antihyperextensionsorthesen (Schiene gegen die Überstreckung im Fingermittelgelenk). 5 Aktive Beugeübungen der Mittelgelenke, z. B.: »kleine Faust«. Knopflochdeformität:
5 Vermeidung von Greiftätigkeiten mit überstreckten Endgelenken. 5 Tragen von Antiflexionsorthesen (Schienen, gegen das nächtliche Einsteifen der Mittel- und Endgelenke). 5 Tragen von Spiralfederextensionsschienen (Schienen, die passiv das Streckdefizit verbessern, abhängig von der Akzeptanz des Patienten). 5 Aktive Streckübungen der Mittelgelenke sowie Beugeübungen der Endgelenke. Gelenkschutz für Handgelenke:
5 Vermeidung des Abstützens mit der flachen Hand (beim Aufstehen, Liegestützübungen und beim Aufdrücken von Türen). 5 Vermeidung des Aufstützen des Kopfes auf die Handinnenflächen (z. B. beim Lesen oder Denken). 5 Tragen von Handfunktionsschienen. 5 Äußere Stabilisierung des Handgelenkes durch das Tragen von maßgefertigten, elastischen, stabilisierenden Handgelenkmanschetten mit eingearbeiteten Aluminiumstegen zur volaren Unterstützung (. Abb. 14.14).
561
14.3 · Ergotherapie
. Abb. 14.14. Maßgefertigte Handgelenkbandage
14.3.5 Schienenbau in der
Kinderrheumatologie Hand- und Fingergelenke gehören zu den Gelenken, die hauptsächlich durch Bänder geführt und gehalten werden. Die Lockerung dieses Kapsel-Band-Apparates durch Schwellung und Entzündung führt daher schnell zum Kraftverlust sowie zu einer Schmerzschonhaltung. Durch das Übergewicht der Beugemuskulatur ist diese Schmerzschonhaltung meistens die Beugestellung der Hand- und Fingergelenke. Am Handgelenk stellt sich häufig auch noch eine Ulnarfehlstellung ein, in der alle Alltagsaktivitäten wie z. B. Schreiben, Malen, Essen, Spielen etc. mit gebeugtem Handgelenk durchgeführt werden. Dadurch dass die Gelenke wegen der Schmerzschonhaltung nicht mehr in die Streckung gebracht werden, arbeiten nur Muskeln, die die Gelenke in dieser Fehlstellung fixieren. Den Risiken von Kontrakturen, Muskelatrophie und Funktionseinschränkungen gilt es durch die Schienentherapie entgegenzuwirken. Voraussetzung ist die Compliance, die man bei Kindern jüngeren Alters und Jugendlichen nicht immer zu erwarten hat. Gerade hier ist es wichtig, sich gemeinsam mit Eltern und dem Kind langsam, behutsam und in kindgerechter Art und Weise an die Fertigstellung der Schiene heranzutasten. Jede Schiene wird dem einzelnen Befund entsprechend genau angepasst, sodass jedes Gelenk exakt korrigiert wird. Ziele der Schienentherapie: 5 Korrektur von Achsenfehlstellungen; 5 Ermöglichung von funktioneller (achsengerechter) Therapie; 5 Entlastung und Schonung von Gelenke; 5 Vorbeugung von Deformitäten, Kontrakturprophylaxe, Hypermobilitätsprophylaxe, Schmerzprophylaxe; 5 Ersatz von Funktionen und selten Redression (»Quengelung«)
14
Bei kontinuierlicher Therapie leisten Handschienen einen enormen Beitrag zur Korrektur der Achsenfehlstellungen. Eine Schienenversorgung kann niemals die funktionelle Behandlung des Therapeuten ersetzen. Regelmäßige Kontrollen wahren die Passgenauigkeit und die korrekte Funktion der verordneten Schienen. In der kinderrheumatischen Schienentherapie kommen hauptsächlich statische Schienen zum Einsatz, die eine gelenkentlastende, gelenkstabilisierende oder z. T. gelenkkorrigierende und den Muskeltonus regulierende Indikation haben. Statische Schienen bestehen aus einem oder mehreren nicht beweglichen Teilen für einen oder mehrere Gliedmaßenabschnitte, die vorübergehend zu stützen, schützen und/oder korrigieren sind. Hierzu zählen vor allem Ruhe- und Nachtlagerungsschienen, Daumengrundgelenk- oder Abduktionshülsen, Antiulnardeviationsorthesen sowie Schwanenhals und Knopflochringe. Wichtig ist die Gewöhnung an diese Hilfsmittel durch Spielen, Malen und Basteln, um eine optimale Passqualität zu gewährleisten. Jede Schiene wird mit einer schriftlichen Trageanweisung (Schienenpass) an den Patienten ausgegeben.
Korrektur von Fehlstellungen durch Schienen Handfunktionsschienen Indikationen. a) Ulnardeviation im Handgelenk; b) Sub-
luxation im Handgelenk. Zielsetzung. Wiederherstellung der physiologischen Mittelachse im Handgelenk (. Abb. 14.15) und damit Korrektur beginnender bzw. vorhandener Fehlhaltungen oder Fehlstellungen, Unterstützung des Handkarpus zur Vor-
. Abb. 14.15. Handfunktionsschiene
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
beugung/Behandlung der Subluxation nach volar, Stabilisation und Verbesserung der Handgelenksstatik und damit die Kraftübertragung, Schutz der erkrankten Gelenke vor Über- bzw. Fehlbelastung.
schienen tagsüber bei Belastung des Handgelenks getragen werden, z. B. beim Schreiben, Malen, Essen, Anziehen, Radfahren usw. Letztendlich muss aber abhängig vom jeweiligen Befund und in Absprache mit Kind und Eltern vom zuständigen Arzt und Ergotherapeuten über Häufigkeit und Dauer des Tragezeitraums entschieden werden. In Ausnahmefällen kann die Schiene auch während des Schlafs getragen werden. Ein dauerhaftes Tragen ist wegen möglicher muskulärer Hypotonie nicht zu empfehlen.
Lagerungsschienen
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Knopflochfehlstellungen; b) Handskoliose; c) Streckdefizite im Handgelenk.
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Indikation. Schwanenhalsfehlstellung. Zielsetzung. Schutz vor Überstreckung im PIP-Gelenk beim Strecken der Hand (. Abb. 14.19).
Indikationen. a) Fingergelenkfehlstellungen, vor allem
Zielsetzung. Wiederherstellung der physiologischen Mittelachse im Handgelenk und damit Korrektur beginnender bzw. vorhandener Fehlhaltungen oder Fehlstellungen über Nacht (. Abb. 14.16).
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Tragezeitraum. Fingergelenkfehlstellungen: nachts, bei
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Schmerzen auch tagsüber; Handskoliose und Streckdefizite: nachts.
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Antiflexionsorthesen
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gierbar ist.
. Abb. 14.17. Antiflexionsorthese
Indikation. Knopflochfehlstellung, die noch passiv korri-
Zielsetzung.
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derextensionsorthesen (. Abb. 14.18)
Antihyperextensionsorthesen Tragezeitraum. Grundsätzlich sollten Handfunktions-
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Tragezeitraum. Repetitiv kurzzeitig tagsüber. Alternative zu den Antiflexionsorthesen: Spiralfe-
Streckung
des
betroffenen
Gelenks
(. Abb. 14.17).
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. Abb. 14.18. Spiralfederextensionsorthese
18 19 20 21 22 23 . Abb. 14.16. Lange Nachtlagerungsschiene
. Abb. 14.19. Antihyperextensionsorthese
563
14.3 · Ergotherapie
14
. Abb. 14.20. Daumengrundgelenkorthese
Tragezeitraum. Tagsüber; nachts funktionell nicht sinn-
voll.
Daumengrundgelenkorthese Indikationen. a) 90/90-Deformität (Präventiv- bzw. Kor-
rekturbehandlung); b) akute MCP-I-Arthritis (Seitenbandverletzung, Luxation); c) Daumenverstauchung. Zielsetzung. Immobilisierung, Korrektur, Stabilisierung,
Entlastung sowie Schmerzlinderung des Daumengrundgelenks bei freier Beweglichkeit des Daumenendgelenks bzw. des Daumensattelgelenks (. Abb. 14.20).
. Abb. 14.21. Daumenabduktionsorthese
und Instabilität im Daumensattelgelenk; c) Adduktionskontraktur im CMC-Gelenk.
gang der Schmerzschonhaltung, »Verlernen« der falsch angeeigneten Bewegungsmuster, Besserung der Gelenkfunktionen durch Entspannung der hypertonen Muskelgruppen, die das Gelenk unter Belastung in die Fehlstellung ziehen. Die Verordnung der Hilfsmittel durch den Arzt erfolgt in der Regel, nachdem in der Ergotherapie ein Selbsthilfetest (SHT) stattgefunden hat. Durch die Auswertung des SHT wird schnell deutlich, welche alltäglichen Funktionen eingeschränkt sind.
Zielsetzung. Schmerzlinderung im Daumensattelgelenk; Verhinderung einer Zunahme der Adduktionsstellung bzw. Kontraktur (. Abb. 14.21).
! Die Auswahl der Hilfsmittel sollte sorgfältig überdacht werden, nach dem Motto: »Nur soviel Hilfsmittel wie nötig!«
Tragezeitraum. Nachts auf Dauer, in Funktionsstellung
Die Hilfsmittel sollten so verordnet werden, dass der Patient eine Handlung selbständig, evtl. unter Benutzung der Schienen, ausüben kann. Bei fortgeschrittener Entzündungsaktivität und Fehlstellungen dienen sie auch dazu, dass der Patient so gut wie möglich eigenständig und unabhängig im Alltag zurecht kommt. Die Fingergelenke kann man z. B. mit folgenden Hilfsmitteln entlasten: 5 anatomische Griffverdickungen am Fahrrad- oder Rollerlenker; 5 Moosgummiverdickungen an Zahnbürste, Werkzeug, Häkelnadel, Pinsel, Messer etc.; 5 Stiftverdickungen für Blei- und Filzstifte, Bügelscheren, Buchstützen.
Tragezeitraum. Individuell abhängig von den Beschwer-
den.
Daumenabduktionsorthese Indikationen. a) Daumenabduktionshülse; b) Schmerzen
tagsüber.
14.3.6 Hilfsmittel Um Schmerzschonhaltungen, Bewegungseinschränkungen, Ausweichbewegungen und permanente Fehlbelastungen zu verhindern, kann man Hilfsmittel zum Gelenkschutz einsetzen. Die Anwendung von vorbeugenden und funktionsstützenden Alltagshilfen führt zu einer Entlastung der Gelenke. Dadurch soll Folgendes erreicht werden: Minderung der Entzündungsreaktion, somit Rück-
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Kapitel 14 · Physiotherapie, physikalische Therapie, Ergotherapie
14.3.7 Elternanleitung und -beratung Der Verlauf der Erkrankung und die Prognose werden maßgeblich vom Verständnis und der Mitarbeit der Eltern beeinflusst. Es ist also außerordentlich wichtig, die Eltern frühzeitig als Mittherapeuten zu gewinnen und zu schulen. Wenn das erlernte Wissen von den Eltern wohldosiert zu Hause umgesetzt wird, ist die Krankheitsbewältigung für Kind und Eltern erleichtert. Bei einem stationären Aufenthalt des Kindes bietet es sich an, die Eltern in die tägliche Therapie mit zu integrieren. Sie sollten über die Funktion und Bewegungseinschränkung der betroffenen Gelenke informiert und angeleitet werden, wie die Gelenke zu mobilisieren sind. Ihr Auge sollte geschult werden, Fehlstellungen und pathologische Bewegungsmuster zu erkennen und darauf zu reagieren. Unter Anleitung des Therapeuten sollen die Eltern die Möglichkeit haben, das Erlernte zu üben, das richtige Anlegen von Orthesen zu überprüfen, die physikalischen Maßnahmen durchzuführen und den Gelenkschutz anzuwenden. Nur so sind die Eltern später zu Hause in der Lage, die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen mit zu übernehmen und die ambulante Therapie in den Praxen vor Ort zu ergänzen.
14.3.8 Literatur Altenbockum C von, Hibler M, Spamer M, Truckenbrodt H (1998) Juvenile chronische Arthritis. Entwicklung von Achsenfehlstellungen an Hand, Knie und Fuß und ihre krankengymnastische Behandlung. Hans Marseille, München American Society for Surgery of the Hand (1990) Die Hand – Klinische Untersuchung und Diagnostik. Primärtherapie häufiger Erkrankungen und Verletzungen Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio Berlinghoff A, Borgmann H, Eppelmann K, Hübner J, Kreienbaum A, Sonneborn B (1993) Informationen zum Gelenkschutz. St. JosefStift, Sendenhorst Bureck W (2001) Konservative ergotherapeutische Behandlung von Rheumapatienten. Z Handth 2: 27–35 Hasselblatt A (1999) Ergotherapie in der Orthopädie. Bildungsverlag EINS, Troisdorf Hochschild J (1998) Strukturen und Funktionen begreifen, Bd 1: Funktionelle Anatomie – Therapierelevante Details. Thieme, Stuttgart
565
15.1 ·
15
Krankheitsbewältigung im Alltag A. Illhardt, K. Wersing, G. Ganser
15.1
Krankheitsbewältigung: eine Begriffsklärung
15.1.1 15.1.2 15.1.3 15.1.4
Definition – 566 Ziele der Krankheitsbewältigung – 566 Die Personen im Bewältigungsprozess – 567 Die Phasen der Krankheitsbewältigung – 567
15.2
Krankheitsbezogene psychosoziale Belastungen und Anforderungen
15.2.1 15.2.2 15.2.3 15.2.4
Krankheits- und behandlungsspezifische Aspekte Innerpsychische Prozesse – 568 Chronischer Schmerz – 569 Soziales Umfeld – 570
15.3
Strategien der Krankheitsbewältigung
15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4 15.3.5 15.3.6 15.3.7 15.3.8 15.3.9 15.3.10
Bewältigungsstile – 572 Abwehrmechanismen – 573 Psychotherapeutische Verfahren – 573 Beratung und Patientenschulung – 574 Atmosphäre: Stationsklima und Therapeut-Patient-Beziehung – 575 Familiäre Bewältigung – 576 Schulische Integration – 576 Grundsätze für die Berufsorientierung – 577 Sozialrechtliche Aspekte – 578 Bedeutung der Selbsthilfe – 579
15.4
Transition
15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.6
Generelle Prinzipien der Transition – 579 Pubertät und Adoleszenz – 580 Besonderheiten der Anamnese und Untersuchung in der Adoleszenz Berufliche Eingliederung – 583 Transitionsprozess und Transfer – 584
Literatur
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
Krankheitsbewältigung: eine Begriffsklärung
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15.1
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15.1.1 Definition
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Die Bewältigung einer Krankheit verläuft immer individuell und altersbedingt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Ausdruck Krankheitsbewältigung (sinnverwandte Benennungen sind Krankheitsverarbeitung, Krankheitsmanagement oder auch Coping) recht vielfältig eingesetzt, da je nach Absicht des Sprechers sowohl der Prozess der Bewältigung als auch das Ziel oder die Strategie gemeint sein kann. Fasst man die einschlägige Literatur zu diesem Thema zusammen (z. B. Muthny 1994; Petermann 1996), so lassen sich folgende Definitionsinhalte auflisten: Krankheitsbewältigung 5 ist ein Prozess, 5 spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab: innerpsychisch (emotional, kognitiv) und durch zielgerichtetes Handeln (Verhalten), 5 wird durch unterschiedliche protektive und hindernde Faktoren beeinflusst.
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15.1.2 Ziele der Krankheitsbewältigung »Du musst lernen, Deine Krankheit zu akzeptieren« ist ein Satz, der von Ärzten und Therapeuten im Zusammenhang mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen häufig gebraucht wird. Akzeptanz als Ziel der Krankheitsbewältigung ist jedoch ein sehr hoher Anspruch; heißt es doch, etwas zu akzeptieren, also anzunehmen, das man im Grunde lieber heute als morgen los werden möchte. In der Regel sprechen Patienten, junge wie erwachsene, die einen sehr guten Umgang mit ihrer Erkrankung gefunden haben, in den seltensten Fällen von Akzeptanz, sondern eher von Umschreibungen wie »im Griff haben«, »damit klarkommen« oder gebrauchen Darstellungen wie »Für mich ist die Krankheit Normalität geworden«. Nach Cohen und Lazarus (1979) lässt sich das Bewältigungsverhalten eines körperlich chronisch kranken Menschen in folgende fünf Zielsetzungen zusammenfassen: 5 Reduktion der Bedrohung; 5 Chance, den Stressor besser meistern zu können; 5 Stabilisierung eines positiven Selbstwertgefühls; 5 Aufrechterhaltung einer emotionalen Balance; 5 Etablierung befriedigender sozialer Beziehungen. Ein neuerer Ansatz der Medizin und Psychologie verwendet den Begriff der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Dieser Aspekt basiert auf der Frage, wie Patienten die Auswirkungen ihrer Krankheit und die Effekte, folglich auch die Nebenwirkungen der Therapien, auf ihre subjektive Gesundheit wahrnehmen und welche Auswirkungen
dies auf ein »normales« Leben hat. Lebensqualität ist definiert als »… multidimensionales Konstrukt, das körperliche, emotionale, mentale, soziale und verhaltensbezogene Komponenten des Wohlbefindens und der Funktionsfähigkeit aus der Sicht der Patienten und/oder von Beobachtern beinhaltet« (Bullinger et al. 1996). Für ein Kind bedeutet z. B. eine hohe Lebensqualität, dass es die gewohnten Freizeitaktivitäten größtenteils weiter ausüben kann und eine positive Peergroup-Integration erfährt. Stehen für den Betroffenen selbst Gesichtspunkte wie Lebensqualität und höchstmögliche Normalität im Vordergrund einer Zielfrage der Krankheitsbewältigung, ist für den Arzt oder Therapeuten vor allem die Compliance ein bedeutsames Ziel. Unter Compliance versteht man die Bereitschaft und Einsicht einer erkrankten Person, die vorgeschlagene Therapie zu akzeptieren und durch eigene Mitwirkung zu unterstützen. In letzter Zeit wird das Wort Compliance vermehrt durch den Begriff »Empowerment« ersetzt. Gemeint ist hiermit, dass die Patienten in die Lage versetzt werden sollen, selbstverantwortlich und abhängig vom jeweiligen Entwicklungsstand mit ihrer Erkrankung umzugehen (Günter 2004). Vor allem im Zusammenhang mit den Patientenschulungen (7 Abschn. 15.3.4) wird die Selbstwirksamkeit (»self efficacy«) als Ziel des Bewältigungsprozesses erwähnt. Darunter versteht man die subjektive Einschätzung z. B. eines jungen Patienten bezüglich seiner Handlungskompetenz, inwieweit er also »selbst« Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen kann. Als Ursachen für eine Störung der Compliance und des Empowerments führt Günter (2004) folgende Aspekte an: 5 Autonomiestreben (vor allem bei Jugendlichen), 5 psychische Vorerkrankung, 5 krankheitsbedingte Depression, 5 familiäre/soziale Situation, 5 akute psychosoziale Krisen, 5 (schlechte) Prognose, 5 Ausdruck eines Anliegens/Problems (Hilferuf), 5 Kritik am Behandlungssetting (informierte Patienten), 5 Probleme im Management seitens der Zentren: − mangelnde Konstanz (und Kompetenz) der ärztlichen Ansprechpartner, − Haltung der Ärzte, − Kooperation zwischen den Ärzten. Im Bereich der chronischen Erkrankungen im Kindesund Jugendalter lässt sich zusammenfassend sagen, dass das alte Bild des passiv folgsamen Patienten immer mehr einem Paradigmenwechsel unterliegt. Das Ziel ist der gut informierte und aktiv handelnde Patient in der Rolle eines Kotherapeuten.
15.1 · Krankheitsbewältigung: eine Begriffserklärung
15.1.3 Die Personen im
Bewältigungsprozess Bei jeder chronischen Erkrankung im Kindes- und Jugendalter sind in der Regel mehrere Personen direkt und indirekt von der Krankheit betroffen. Dies sind zum einen natürlich die Kinder oder Jugendlichen selbst. Eine weitere Personengruppe, die zwar nicht selbst betroffen, aber emotional durch die Erkrankung sehr beeinflusst ist, sind die Eltern, aber auch die übrigen Familienmitglieder. Wie eine Krankheit bewältigt wird und was dabei verarbeitet werden muss, ist abhängig von der Person und ihrem Alter sowie von der kognitiven Entwicklung der betroffenen Person. Während die betroffenen Kinder ihre Krankheitslast häufig auf die Eltern übertragen und dadurch eine Entlastung erfahren, tragen Vater und Mutter die gesamte Bürde einer Erkrankung. Dazu zählt neben einer hohen Verantwortlichkeit z. B. bei Therapieentscheidungen auch die Bewältigung von erzieherischen und psychosozialen Aspekten (z. B. Schule, Kindergarten). Die Eltern sind Mediatoren zwischen den Kindern und den unterschiedlichen Sozialpartnern (Angehörige, Lehrer, Mitschüler etc.). Die betroffenen Kinder denken und leben eher auf der Ebene des Hier und Heute, dagegen spielt bei den Eltern immer auch der Zukunftsaspekt eine beherrschende Rolle (z. B. die Wahl der richtigen Schulform, berufliche Aspekte usw.; 7 Absch. 15.2.4).
15.1.4 Die Phasen der
Krankheitsbewältigung Die Bewältigung einer chronischen Krankheit ist ein Prozess, d. h., das entsprechende Ziel wird nicht direkt, sondern zumeist über verschiedene Phasen erreicht. Die verschiedenen Stufen verlaufen dabei nicht nach einem starren Plan, sondern sind eher als eine Art roter Faden zu sehen. Der Verlauf ist zudem individuell sehr unterschiedlich und auch abhängig vom Alter der betroffenen Person. Der komplette Phasenverlauf betrifft eher Jugendliche bzw. die Eltern. Kleinere Kinder orientieren sich in der Regel an der Befindlichkeit ihrer Eltern im Bewältigungsprozess. So ist z. B. die Schockphase oder die Phase des Handelns bei Kindern wesentlich seltener, wogegen viele Kinder und vor allem Jugendliche zur Verleugnung bzw. Verdrängung neigen. Es lassen sich folgende Phasen beschreiben: 1. Schockphase. Werden jugendliche Patienten oder El-
tern mit der Diagnose einer rheumatischen Erkrankung konfrontiert, führt dies häufig zu einem Bruch der bisherigen Gemütslage und zu einem Gefühl der Bedrohung. Vor allem Eltern gebrauchen Bilder wie »Es tat sich ein großes Loch auf« oder »Vor uns stand plötzlich ein großer Berg«. Diese Phase kann allerdings auch völlig anders ver-
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laufen, vor allem dann, wenn die Diagnose erst zu einem sehr späten Zeitpunkt festgestellt wird. Dann kann die Krankheitsbestimmung auch eine beruhigende Wirkung haben, da z. B. vermutete schlimmere Erkrankungsarten ausgeschlossen worden sind und eine zielgerichtete Behandlung beginnen kann. 2. Phase der Verdrängung und Verleugnung.Das »Nicht-
wahrhabenwollen« einer chronischen Erkrankung ist eine der typischsten Reaktionen nach der Diagnosestellung. Diese Zeitspanne hat geradezu eine Pufferfunktion, die es ermöglicht, die Erkrankung sukzessive anzunehmen. Gerade die jungen Patienten verbleiben häufig über einen sehr langen Zeitraum in dieser Phase. Für einen jungen Menschen ist das Eingestehen einer Erkrankung inkompatibel mit für dieses Alter typischen Charakteristika wie Gesundheit und Sportlichkeit. Verdrängung und Verleugnung kann aber auch bedeuten, dass die Betroffenen von einer Fehldiagnose ausgehen oder aber die Behandlung komplett ablehnen. 3. Phase der intensiven Gefühle. In diesem Bewälti-
gungsabschnitt steht vor allem die Frage »Warum gerade ich bzw. wir?« an vorderster Stelle. Schon sehr kleine Kinder äußern diesen Gedanken. Zudem zeigen die Patienten Gefühle wie Wut, Angst, Enttäuschung und Trauer. Diese Emotionen können sowohl offen geäußert, aber auch versteckt über Abwehrmechanismen (s. unten) wie z. B. Projektion auf die soziale Umgebung kompensiert werden. Auch Rückzug und Depression sind charakteristische Momente dieser Bewältigungsstufe. Gerade Jugendliche wirken in dieser Zeit niedergeschlagen. Sie ziehen sich zurück, meiden Außenkontakte oder verschanzen sich z. B. hinter ihren Computern. Solche Niedergeschlagenheit sollte als Reaktion auf die Erkrankung verstanden und auch akzeptiert werden. 4. Phase des Handelns und Verhandelns. Diese Phase
ist oft durch eine große Betriebsamkeit und Aktivität gekennzeichnet: Man versucht alles Mögliche in Bewegung zu setzen, um die Krankheit meistern. Neben einer ausgeprägten Informationssuche z. B. über Fachliteratur oder Internetrecherchen kann häufig auch eine Hinwendung zu alternativen bzw. komplementären Behandlungsmethoden beobachtet werden. Es ist aber auch eine Phase des »Ver-Handelns«, in der vor allem die Eltern die Ausprägung der Diagnose in Frage stellen oder aber die Dosis der Medikamente zu reduzieren suchen, da sie die Erkrankung des Kindes als nicht so »ausgeprägt« wie von ärztlicher Seite diagnostiziert sehen. 5. Phase des Gleichgewichts und der Restabilisierung.
Nachdem vor allem die Diagnosestellung, aber auch die emotionale Verarbeitung der Erkrankung häufig als eine Krisensituation empfunden wird, führt die letzte Phase
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
der Krankheitsverarbeitung wieder zurück in eine Art andere oder neue Normalität: Alltag und Krankheit rücken in ein Gleichgewicht. Es können Energien reaktiviert und das Schicksal kann besser akzeptiert werden. Für ein betroffenes Kind bedeutet eine solche Restabilisierung, statt einer verbotenen Sportart ein neues Hobby gefunden zu haben. Die meisten Patienten und Eltern erreichen diese Stufe, allerdings können vor allem Schübe einen »Rückfall« in vorherige Stufen verursachen. Die Tatsache, dass man nun besser informiert ist und auch Hilfsmöglichkeiten kennt, ist zumeist ausschlaggebend dafür, nicht ganz »von vorne« anfangen zu müssen.
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15.2
Krankheitsbezogene psychosoziale Belastungen und Anforderungen
Eine chronische rheumatische Erkrankung bringt viele Veränderungen mit sich, nicht nur für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, sondern auch für die gesamte Familie. Im Folgenden werden zunächst innerpsychische Belastungen dargestellt, bevor auf das soziale Umfeld eingegangen wird. Ziel ist es, Belastungen und Verhaltensweisen der Betroffenen zu erklären und verständlich zu machen. Die beschriebenen Aspekte sollen dabei lediglich generelle Probleme darstellen. Das Erleben von Belastungen und Anforderungen ist stets individuell verschieden.
15.2.1 Krankheits- und
behandlungsspezifische Aspekte Bei der Krankheitsbewältigung handelt es sich um einen psychosozialen Adaptationsprozess: Die Anforderungen der Erkrankung und ihrer Behandlung müssen an die Erfordernisse des täglichen Lebens angepasst werden. Eine Krankheit zu bewältigen heißt nicht nur, die Krankheit und ihre Therapie zu meistern oder zu verarbeiten, sondern es müssen darüber hinaus innerpsychische und psychosoziale Aspekte aufgefangen werden. Belastend sind für die Betroffenen selbst natürlich die Maßnahmen, die direkt mit der Behandlung der Krankheit verbunden sind. So bedeutet der Krankenhausaufenthalt immer auch eine Trennung von der Familie, den Freunden und Mitschülern. Nicht selten leiden die Kinder unter großem Heimweh. Vor allem aber werden unangenehme Maßnahmen im Zusammenhang mit Diagnostik und Therapie wie Blutentnahmen oder Injektionen als unangenehm erfahren. Insbesondere kleine Kinder können massive Spritzenängste entwickeln, die manchmal ein weiteres Vorgehen unmöglich machen. Hier entsteht eine Assoziationskette:
Kranksein = Spritzen = Angst und Schmerz = unangenehme Gefühle = Abwehrhaltung. Diese Aversionen beziehen sich aber auch z. B. auf die Farbe oder den Geruch eines Medikaments, was über Konditionierungsprozesse zu Übelkeit und Erbrechen schon im Vorfeld einer Injektion führen kann. Äußerlich sichtbare Zeichen wie z. B. Fehlstellungen der Gelenke, Kleinwüchsigkeit, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten (z. B. Cushing-Syndrom nach Einsatz von Kortikosteroiden) oder auch das Tragen von Hilfsmitteln (Einlagen, Schienen) vermitteln dem betroffenen Kind ein Gefühl des Andersseins und bringen es in eine Sonderrolle, in der es sich ständig erklären muss oder aber Reaktionen wie Bemitleidung oder Ablehnung erfährt. Der umfassende Behandlungsplan bei einer rheumatischen Erkrankung im Kindes- und Jugendalter muss auch zu Hause fortgeführt werden. Dadurch entstehen natürlich erhebliche Einbußen im Freizeitbereich.
15.2.2 Innerpsychische Prozesse Ein Teil der krankheitsspezifischen Konflikte ist in der Regel sowohl für die Eltern der betroffenen Kinder und Jugendlichen als auch für die Ärzte und Stationsmitarbeiter leicht erkennbar, da die jungen Patienten z. B. ein Missfallen der Therapiemaßnahmen offenkundig oder z. B. Schmerzen durch Verhaltensänderungen oder Klagen deutlich machen. Dagegen entziehen sich innerpsychische Prozesse zumeist unserer Beobachtung. Das Denken und Fühlen eines rheumakranken Kindes liegt wie bei einem Eisberg (. Abb. 15.1) im Verborgenen. Zu diesen innerpsychischen Prozessen gehört u. a. das subjektive Krankheitskonzept, mit dessen Hilfe sich ein betroffenes Kind Ursache, Symptomatik und Prognose seiner Erkrankung sowie das Krankheitsgeschehen zu erklären versucht. Hier können z. B. fiktive oder irrationale Vorstellungen vorherrschend sein, wodurch ein
. Abb. 15.1. Das Eisbergmodell
15.2 · Krankheitsbezogene psychosoziale Belastungen und Anforderungen
unbeschwerter Umgang mit der Erkrankung verhindert wird. Ein anderer Aspekt der gedanklichen Ebene ist das subjektive Behandlungskonzept eines Patienten. Hier sind Vorstellungen über die Wirkung, Ziel und Durchführung der Therapie abgebildet. Ein unangemessenes Behandlungskonzept kann beispielsweise Behandlungsängste oder eine ablehnende Therapieeinstellung (Noncompliance) hervorrufen. Teilweise durch Medien, aber vor allem auch durch Selbst- und Fremdwahrnehmung beeinflusst, existiert bei jedem Menschen ein Körperkonzept, also ein Sammelsurium von Eindrücken, wie eine Person sich selbst in ihrem Körper wahrnimmt. Insbesondere bei Jugendlichen hat die Körperlichkeit einen hohen Stellenwert. Der Eindruck vom eigenen Körper (»body image«) kann durch die rheumatische Erkrankung stark negativ gefärbt werden, sodass sich betroffene Jugendliche z. B. weniger attraktiv fühlen. Die kognitve Entwicklung eines Kindes nimmt großen Einfluss auf das Krankheits- und Behandlungskonzept eines Kindes. Der kognitive Entwicklungsstand wird nach Piaget in verschiedene Phasen eingeteilt. Ein kleines Kind von wenigen Jahren (Phase des präoperativen Denkens) erfährt seine Krankheit eher als etwas Beunruhigendes. Sein Entwicklungsstand und damit verbunden das kognitiv-emotionale Krankheitskonzept lässt es noch nicht zu, sich weitreichende Gedanken über die Krankheit zu machen. Eine Bedrohung erfährt das kleine Kind eher durch äußere unangenehme Prozeduren wie Blutentnahmen oder Injektionen. Das heißt, die Krankheit ist identisch mit den spürbaren Symptomen oder Körperempfindungen. Entsprechend wird das Kind den Arzt oder die Schwester, aber auch die Eltern, die es ins Krankenhaus gebracht haben, für sein »Leiden« verantwortlich machen. In diesem Alter reagieren die kleinen Patienten eher darauf, wie die Eltern mit der Erkrankung umgehen: Zeigen die Eltern einen positiv gefärbten Umgang mit der Erkrankung, so hat dies in der Regel auch beruhigende Wirkung auf die Kinder. Mit zunehmendem Alter und somit kognitiver Reife ändert sich auch das Krankheitskonzept. Kinder ab dem Grundschulalter (konkret-operationale Denkmuster) sehen schon eher einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, d. h., das Kind kann z. B. nachvollziehen, dass seine Beschwerden durch eigene oder auch ärztliche Maßnahmen beeinflusst und somit auch verbessert werden können. Kinder ab etwa dem 11. Lebensjahr (formal-operationales Stadium) nähern sich dem Denkmuster von uns Erwachsenen langsam an. Das heißt, sie verstehen nicht nur Zusammenhänge, sondern begreifen auch Wirkmechanismen von Therapien oder Medikamenten. Allmählich entwickelt sich ein umfassendes Konzept. Oftmals lassen sich in diesem Alter, z. T. auch schon eher, auffällige Entwicklungsungleichmäßigkeiten erkennen. So glänzt ein Kind z. B. einerseits durch fachmännische Äuße-
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rungen von medizinischem Wissen (»unser kleiner Professor!«) und fällt andererseits durch Entwicklungsrückschritte auf (»spielt noch mit Puppen«). Jugendliche begreifen in der Regel ihre Erkrankung in einem umfassenden Konzept, in dem Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge genauso erkannt werden wie psychosoziale Belastungsfaktoren und Anforderungen. In diesem Alter spielen auch altersspezifische Entwicklungsaufgaben, die der Jugendliche oder junger Erwachsene zu lösen hat, eine Rolle. Unter Entwicklungsaufgaben verstehen wir Bewältigungsleistungen, die einerseits individuelle Bedürfnisse, andererseits gesellschaftliche Anforderungen darstellen. Beispiele für solche Entwicklungsaufgaben sind die Akzeptanz der körperlichen Veränderungen und des eigenen Aussehens, die Aufnahme enger/intimer Beziehungen, die Ablösung vom Elternhaus die Orientierung auf Ausbildung oder die Entwicklung einer Zukunftsperspektive. Für einen jungen Rheumatiker ist eine zufriedenstellende Lösung dieser Aufgaben doppelt schwer, da er gleichzeitig auch die Erfordernisse seiner Krankheit managen muss. Manche krankheitsspezifischen Belastungen sind mit den zu lösenden Entwicklungsaufgaben schwer vereinbar; so führen die eingeschränkten körperlichen Möglichkeiten z. B. zu Problemen bei der beruflichen Orientierung, oder ein negatives Körperkonzept hat eine Zurückhaltung bei der Aufnahme von intimen Beziehungen zur Folge. Auf die allgemeine und kognitive Entwicklung des Kindes hat die Entstehung einer rheumatischen Erkrankung ebenfalls großen Einfluss. Während manche Entwicklungsbereiche unabhängig von der Erkrankung verlaufen, können durch die emotionale und körperliche Belastung, Stresswirkung der Krankheit oder die sozialen Umfeldveränderungen bestimmte Entwicklungsstränge gehemmt oder gestört sein (z. B. geringes körperliches Wachstum, verminderte Informationsverarbeitung). Andererseits kann durch die Auseinandersetzung mit der Krankheit oder durch Gedanken zu abstrakten Fragen des Lebens auch ein Entwicklungsvorsprung z. B. im kognitiven Bereich festgestellt werden.
15.2.3 Chronischer Schmerz Neben Schwellungen und eingeschränkter Beweglichkeit ist der chronische Schmerz ein wesentliches Symptom bei einer rheumatologischen Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. Kindliche Schmerzreaktionen weichen häufig von denen der Erwachsenen ab und werden daher oftmals nicht richtig ernstgenommen. Zieht sich z. B. ein Kind zurück, kann dies ein Hinweis auf empfundene Schmerzen sein. Insbesondere Kleinkinder verfügen nicht über das oben genannte Repertoire von Schmerzstrategien, sondern müssen diese noch mit Hilfe von Erwachsenen erlernen. Hier ist viel Einfühlvermögen und Beobachtungs-
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
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gabe gefordert, um die Beschwerden richtig einschätzen zu können. Während die Beschwerden beim erwachsenen Rheumatiker stark im Vordergrund stehen, sind Kinder und Jugendliche eher in der Lage, die Beschwerden u. a. durch Ablenkung (also z. B. im Spiel) zu kompensieren. Vor allem im schulischen Bereich kann die bewusste Ablenkung von Schmerzzuständen allerdings auch zu Konzentrationsproblemen führen. Schmerz ist als ein biopsychosozialer Prozess zu verstehen, d. h., die Schmerzwahrnehmung ist nicht nur nerval gesteuert, sondern wird auch durch psychosoziale Aspekte wie Stress, Angst, Leistungsdruck, familiäre Strukturen usw. beeinflusst. Treten vermehrt Schmerzimpulse und/oder oben genannte Schmerzverstärker auf, kann sich der Schmerz chronifizieren. Es entsteht ein Schmerzgedächtnis, wodurch sich in der Regel auch die Schmerzempfindlichkeit erhöht.
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15.2.4 Soziales Umfeld
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Nachdem im ersten Teil die innerpsychischen Prozesse beleuchtet wurden, soll im folgenden Teil der Fokus auf äußere Prozesse und das soziale Umfeld verlagert werden. Die Sichtweise der Familie soll dargestellt werden, ebenso wie schulische und berufliche Besonderheiten.
Familie »Rheuma hat immer die ganze Familie.« Dieser Satz hat sich in der Praxis häufig bewahrheitet. Tatsächlich hat die rheumatische Erkrankung eines Kindes immer auch Auswirkungen auf alle Familienmitglieder. Erkrankte Kinder, Mütter, Väter und Geschwister erleben die chronische Krankheit und ihre Belastungen aus unterschiedlichen Perspektiven. Auf diese Besonderheiten im Erleben der einzelnen Familienmitglieder soll folgend eingegangen werden.
nahmen, therapeutische Maßnahmen und Arztbesuche müssen die Eltern viel Zeit aufwenden. Die gesamte Aufmerksamkeit wird auf einmal für das kranke Kind benötigt. Eigene Interessen, soziale Kontakte und auch andere Familienmitglieder werden nicht selten in dieser Zeit vernachlässigt (Schwind u. Becker 1993). Beziehungen in der Familie können sich verändern. Vielfach wird in der Fachliteratur von einer engeren, z. T. symbiotischen Bindung der Mutter an das kranke Kind berichtet. Die Mütter sind meist die Hauptpflegekräfte und daraus resultierend oft stark belastet (Salewski 2004). Gerade bei chronisch kranken Kindern sieht man häufig das Phänomen der Überbehütung, was zur Einschränkung der kindlichen Aktivitäten und zu erschwerter Kontaktaufnahme gegenüber Gleichaltrigen führen kann. Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Kinder werden dadurch unterdrückt. Obwohl in der Literatur meist nur von den Müttern die Rede ist, sind die Väter ebenso belastet. Der Vater gilt, auch nach heute noch gültigen gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen, vielfach als Haupternährer der Familie, was in der Situation mit einem chronisch kranken Kind und durch die häufigen finanziellen Mehraufwendungen noch bedeutsamer ist. So befinden sich Väter oft in einem Konflikt zwischen der Notwendigkeit der Berufstätigkeit einerseits und dem Wunsch, in dieser schwierigeren Situation mehr Zeit mit der Familie und dem kranken Kind verbringen zu wollen, andererseits (Seiffge-Krenke et al. 1996; Fentner u. Seiffge-Krenke 1997). Nicht selten sieht man bei Vätern rheumakranker Kinder aber auch einen stärkeren Hang zur Leugnung der Krankheit. Die gesundheitlichen Probleme des Kindes werden von ihnen als übertrieben oder lediglich vorübergehend eingestuft. Insgesamt wird deutlich, dass Mütter und Väter die chronische Erkrankung ihrer Kinder unterschiedlich erleben, je nachdem wie stark sie in die Betreuung eingebunden sind (Salewski 2004).
Sichtweise von Geschwisterkindern Sichtweise der Mütter und Väter Die Mitteilung der Diagnose, in der Regel durch den behandelnden Arzt, ist für die meisten Eltern ein Schockerlebnis. Gerade bei rheumatischen Erkrankungen haben viele Mütter und Väter bereits einen längeren Weg von Arzt zu Arzt hinter sich, bis sie an einen Kinderrheumatologen verwiesen werden (Schwind u. Becker 1993). Die Zeit der Ungewissheit ist durch die Kenntnis der Erkrankungsart vorbei, was zum einen eine Erleichterung darstellen kann, aber zum anderen auch neue Fragen, Ängste und Sorgen aufwirft. Die Eltern müssen sich damit auseinander setzen, dass ihr Kind chronisch krank ist. Die verständlichen Hoffnungen auf ein sich gesund entwickelndes Kind sind plötzlich beeinträchtigt (Bogyi 1996). Der Lebensalltag muss umgestellt werden. Durch Medikamentenein-
Geschwister chronisch kranker Kinder sind in der Forschung weitgehend vernachlässigt. Neben der Betrachtung des Krankheitserlebens des betroffenen Kindes und seiner Eltern wurden die Geschwisterkinder oft vergessen. So ist in der Literatur von sog. »Schattenkindern« die Rede (Schwind 1996; Sesterhenn 1991), was besagt, dass die Geschwister oft im Schatten ihrer Schwester oder ihres Bruders stehen, bei denen die Erkrankung übermächtig scheint. Die chronische rheumatische Erkrankung der Schwester oder des Bruders bedeutet auch für die Geschwister einen starken Einschnitt in ihren Lebensalltag. Sie fühlen sich häufig zurückgesetzt hinter dem kranken Kind und berichten über geringere Zuwendung seitens der Eltern (Sesterhenn 1991). Vielfach erleben sie eine Bevorzugung des kranken Kindes, dessen Bedürfnisse auf einmal an ers-
15.2 · Krankheitsbezogene psychosoziale Belastungen und Anforderungen
ter Stelle stehen, während von ihnen Rücksicht und Verständnis erwartet wird. Besonders ältere Schwestern werden häufig in die Pflege des kranken Kindes und in Haushaltsaufgaben mit einbezogen (Tröster 1999). Nicht selten sind die Geschwisterkinder mit diesem ihrem Alter nicht entsprechenden Reifeanspruch überfordert, eigene Wünsche, Bedürfnisse und Emotionen zurückstellen zu müssen. Aggressive oder regressive Verhaltensweisen können ans Tageslicht treten, um die Aufmerksamkeit der Eltern für sich zu gewinnen (Bogyi 1996). Wichtig ist, auch gerade bei vererbbaren chronischen Erkrankungen, die oft heimliche Angst der Kinder zu berücksichtigen, ebenfalls zu erkranken oder, insbesondere bei kleinen Kindern, die Angst vor »Ansteckung«. Manche Geschwisterkinder klagen plötzlich selbst über Gelenkschmerzen, um die gleiche Aufmerksamkeit der Eltern zu erhalten. Daraus wird ersichtlich, dass Rheuma immer die ganze Familie betrifft. Auch wenn nur ein Familienmitglied erkrankt ist, so ändern sich doch Lebensgewohnheiten für alle. Das Familienleben muss erst einmal neu geordnet werden, um wieder eine Balance zu finden.
Kindergarten und Schule Schule und Kindergarten haben für Kinder neben der Familie eine entscheidende Bedeutung für ihre Entwicklung. Der Besuch dieser Einrichtungen bedeutet nicht nur Erwerb von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Insbesondere die sozialen Kontakte, die Teilnahme an Gruppenprozessen, die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen und das Knüpfen von Freundschaften sind für alle Kinder von besonderer Bedeutung. Sie stellen einen großen Teil kindlicher Lebensqualität dar. Für viele rheumakranke Kinder und auch Eltern stellt sich die Frage, wie es nach der Diagnosestellung im Kindergarten und in der Schule weitergeht. Häufig wollen die betroffenen Kinder nichts über ihre Krankheit verlauten lassen. Der Wunsch nach Normalität und Zugehörigkeit ist dabei besonders wichtig. Für rheumakranke Kinder im Kindergarten gibt es häufig Probleme, weil sie infolge ihrer Erkrankung nicht an allen körperlichen Aktivitäten teilnehmen können. Das Mitmachen beim Toben, Springen und Klettern kann krankheitsbedingt untersagt und dadurch problematisch sein, weil dies zur Ausgrenzung beiträgt. Kleine Kinder klagen häufig nicht über Schmerzen, sondern weichen unbewusst in Schonhaltungen aus. Wenn Erzieher und Betreuer nicht über die Besonderheiten rheumatischer Erkrankungen aufgeklärt sind, können sie Gelenkbelastungen und -überlastungen nicht richtig einschätzen und die Kinder somit ungewollt überfordern. Wenn es um die Integration chronisch kranker und behinderter Kinder an den Regelschulen geht, stehen die Erwartungen häufig hinter der Realität zurück. Der Erfolg hängt sehr von der Bereitschaft der Lehrer und Eltern ab, gemeinsame Lösungswege zu suchen und umzusetzen.
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Die Mutter eines an einer rheumatischen Erkrankung leidenden Kindes beschrieb ihre Erfahrungen folgenderweise: »Bei der Einschulung sprach ich mit dem Rektor, bat um einen Klassenraum in der unteren Etage, Befreiung vom Schulsport und Verständnis für Alexanders Müdigkeit durch die vielen Medikamente. Ich bekam die Antwort, es doch vielleicht an einer Behindertenschule zu versuchen. Das tat weh!« (Schubert 2001) In vielen Fallbeispielen wird zudem deutlich, dass rheumakranke Schüler oft in ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber Mitschülern und Lehrern eingeschränkt sind. Die besondere Krankheitsspezifik bringt es mit sich, dass die rheumatische Erkrankung vielfach nicht nach außen sichtbar ist. Dies ist einerseits von Vorteil, da die Kinder nicht anhand von äußerlichen Merkmalen auffallen und stigmatisiert werden können. Allerdings sind dadurch auch Probleme und Schwierigkeiten für Außenstehende nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Aufgrund der Morgensteifigkeit der Gelenke können viele rheumakranke Schüler früh in den ersten Unterrichtsstunden schlecht einen Stift halten, nur langsam schreiben oder laufen. Wenn die gleichen Kinder dann gegen Mittag, weil die Gelenkeinschränkungen sich gelegt haben, fröhlich sind, auf dem Schulhof rennen, im Unterricht ohne Probleme mitschreiben und anscheinend keine Schmerzen mehr haben, werden sie nicht selten als Simulanten oder Drückeberger abgestempelt (Grave 2001). Die Wege im und um das Schulgebäude herum werden häufig zum Problem, da insbesondere Kinder mit Schmerzen und Einschränkungen in den unteren Extremitäten Schwierigkeiten mit dem Laufen und Treppensteigen haben. Schulsport ist ein Thema, das für rheumakranke Kinder sehr problematisch ist. Wurde früher eher ein generelles Schulsportverbot ausgesprochen, geht die heutige ärztliche Richtlinie eher dahin, die Teilnahme am Schulsport nach individueller Einschätzung zu ermöglichen. Diese Regelung wird aber von vielen Schulen eher abgelehnt, und es heißt häufig: »Alles mitmachen oder gar nichts«. Weiterhin stellen krankheitsbedingte Fehlzeiten eine große Belastung dar. Viele Kinder und Jugendliche fehlen regelmäßig über einen längeren Zeitraum in der Schule, häufig bedingt durch Klinikaufenthalte. Die fehlenden Unterrichtsmaterialien von der Schule zu erhalten und den versäumten Lernstoff nachzuarbeiten, gestaltet sich meist schwierig. Aus diesem Grund lastet auf rheumakranken Schülern oft ein großer Leistungsdruck, einerseits von Seiten der Lehrer und Eltern, andererseits setzen sich die Schüler diesen Druck z. T. auch selbst. Dabei spielt der Wunsch nach Normalität und Anerkennung eine entscheidende Rolle. Das Wiederholen einer Klassenstufe aus krankheitsbedingten Gründen wollen die meis-
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
ten vermeiden, weil dies mit einem Verlust von Zugehörigkeitsgefühl und Freundschaften einhergeht. Jedoch ist dies bei schwierigen Krankheitsverläufen teilweise nicht vermeidbar. Da rheumakranke Kinder und Jugendliche einen großen Teil des Tages in der Schule verbringen, sind zwischenmenschliche Probleme, wie Hänseleien und Ausgrenzung, eine große Belastung. Ursachen dafür sind häufig mangelndes Wissen zum Krankheitsbild und daraus resultierendes Unverständnis für die Andersartigkeit der Schüler. Strategien zur Vermeidung schulischer Probleme sowie mögliche Nachteilsausgleiche werden im 7 Abschn. 15.3.3 behandelt.
Herausforderungen in den Bereichen Freizeit, Peergroup und Berufsorientierung Rheumakranke Kinder und Jugendliche müssen sich an viele Regeln, Vorschriften und Verbote halten. Medikamente müssen zuverlässig eingenommen werden, trotz der teilweise erheblichen Nebenwirkungen. Arztbesuche und Therapien, wie das tägliche Kühlen oder das Durchbewegen der Gelenke, müssen sorgfältig und gewissenhaft durchgeführt werden. Zum Teil wird dabei von den Kindern eine Reife und Einsicht gefordert, die ihrem Alter keinesfalls entspricht. Insbesondere für Jugendliche stellt es eine Herausforderung dar, den Wunsch nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit mit der Abhängigkeit von Medikamenten, Ärzten, Therapeuten und elterlicher Fürsorge in Einklang zu bringen. Viele sportliche Aktivitäten sind aufgrund der Gelenkprobleme untersagt oder stark eingeschränkt. Gerade der Sport ist für viele Kinder und Jugendliche jedoch von großer Bedeutung und der Verzicht auf Fußball, Inlineskaten, Ballett oder andere liebgewonnene Sportarten fällt besonders schwer, weil damit vor allem häufig auch ein Verlust von Freundschaften und Zugehörigkeitsgefühl einhergeht. Neue Freizeitaktivitäten zu finden stellt für viele ein Problem dar. Die täglichen Therapien beanspruchen viel Zeit, die bisher für Freizeitaktivitäten, Freunde oder Hausaufgaben genutzt worden ist. Für die gesamte Familie ist es schwierig, alle therapeutischen Anforderungen mit den alltäglichen Aufgaben des Alltags in Einklang zu bringen. Das kann dazu führen, dass vor allem in der ersten Zeit nach Diagnosestellung eine Abschottung nach außen stattfindet, einfach weil die Familie weniger Zeit für Außenkontakte und eigene Interessen hat. »Jetzt weiß ich, wer meine wirklichen Freunde sind«
ist ein Gedanke, den Kinder und Jugendliche nicht selten äußern. Der Verlust von Kontakten zu Gleichaltrigen wird von ihnen als besonders belastend erlebt. Da sie nicht mehr alle Aktivitäten mitmachen dürfen, häufig in der Schule fehlen und therapiebedingt weniger Freizeit haben, sind sie z. T. von der üblichen Alltagsgestaltung Gleichaltriger ausgeschlossen. Junge Menschen haben nach gesell-
schaftlichen Zuschreibungen jung, fit und aktiv zu sein. Eine chronische Erkrankung passt dazu nicht. Die Entscheidungen, Alkohol zu trinken, wenn gleichzeitig starke Medikamente eingenommen werden, oder mit Gelenkproblemen eine Nacht tanzen zu gehen, sind besondere Herausforderungen für diese Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund kann auch die berufliche Orientierung für rheumakranke Jugendliche Probleme aufwerfen. Viele Jugendliche sind unsicher, wie sich Beruf und Krankheit vereinbaren lassen. Manche müssen sich von ihrem Traumberuf verabschieden, weil sie ihm körperlich nicht gewachsen sind. Von Außenstehenden hören junge Rheumatiker vielfach die fälschliche Meinung, dass sie bestenfalls einen Beruf im Büro ausüben können, wo sie unter anderem wenig körperlich belastet und keiner feuchten Witterung ausgesetzt sind. Bei der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz treffen rheumakranke Jugendliche häufig auf Vorurteile bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit und ggf. ihres Schwerbehindertenstatus. Nicht wenige verschweigen ihre Erkrankung daher und kämpfen sich trotz Schmerzen und Gelenkeinschränkungen durch die Ausbildung. In 7 Abschn. 15.3.7 und 15.3.8 wird auf Möglichkeiten zur Unterstützung bei der Berufsorientierung eingegangen.
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Strategien der Krankheitsbewältigung
Nach der Darstellung von Belastungen und Anforderungen soll im Folgenden der Fokus auf Strategien zur Bewältigung dieser krankheitsbezogenen Herausforderungen gerichtet werden. Dabei sind neben Information auch konkrete Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten aufgeführt, um rheumakranken Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern den Weg zu einer erfolgreichen Bewältigung zu erleichtern.
15.3.1 Bewältigungsstile Wie gut jemand eine Krankheit bewältigt und meistert, ist abhängig von vielen sog. protektiven Faktoren. Für die jungen Rheumatiker selbst sind das vor allem soziale Aspekte wie Unterstützung durch die Familie und Freunde, eine unproblematische Schul- und Freizeitsituation oder sozial- bzw. persönlichkeitspsychologische Gesichtspunkte. Ein schüchternes, kontaktscheues Kind wird vielleicht eher zu einem grüblerischen Verhalten neigen, während ein sozial gut eingebundener junger Mensch durch seine Freunde optimal abgefedert wird. In diesem Zusammenhang lassen sich verschiedene Bewältigungsstile herausstellen, die allerdings eher für den Erwachsenenbereich definiert wurden. Sie komprimieren natürlich die vielen individuellen Möglichkeiten,
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15.3 · Strategien der Krankheitsbewältigung
mit einer Krankheit umzugehen. Dabei gibt es keinen »wahren« Weg, sondern vielmehr können die verschiedenen Stile zu unterschiedlichen Zeitpunkten und individuell verschieden sehr effektiv sein.
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sie ihre Bedürfnisse nach Anerkennung und des Dazugehörens stillen, allerdings wirken sie nach außen häufig so willensstark (»Ich schaffe alles alleine«) und robust, dass sie bezüglich ihrer Erkrankung nach außen als unglaubwürdig erscheinen.
Verleugnender Bewältigungsstil Dieser Stil ist nicht nur Bestandteil des Phasenverlaufs (s. oben), sondern auch ein bevorzugter Weg, den besonders ältere Kinder und Jugendliche einschlagen. Krankheit und Schmerzen stehen im gegensätzlichen Kontext zu dem, was eigentlich mit Jungsein verbunden ist, nämlich Gesundheit und Beweglichkeit. Aus diesem Grund wird all das, was nach außen als »uncool« gilt, verleugnet. Diese Strategie kann zwar einerseits zu Ablehnung der Therapiebereitschaft (Compliance) führen, andererseits aber für den Betroffenen zum Ausdruck bringen, so normal wie möglich leben zu wollen.
Sinnsuchender Bewältigungsstil Diese Form der Bewältigung einer Krankheit zeichnet sich durch Grübeln und der Suche nach einem Sinn, einem Inhalt, der »Botschaft« der Erkrankung aus. Man findet sie weniger bei den Kindern, sondern vor allem bei den Eltern. Oftmals stehen Fragen wie »Haben wir in der Familie etwas falsch gemacht?« oder »Sollten wir unsere Lebensweise oder Erziehung überdenken?« im Vordergrund. Damit lässt sich zunächst eine Menge Trost finden, allerdings kann diese Vorgehensweise auch schnell zu Resignation und Rückzug führen. So sehen manche Eltern die Erkrankung ihres Kindes als eine Art Fügung, ausgerechnet in diese Familie hineingeboren zu sein.
15.3.2 Abwehrmechanismen Der Begriff Abwehrmechanismus stammt aus der Psychoanalyse. Man bezeichnet damit verschiedene Verhaltensweisen, mit denen sich Menschen vor seelischen Konflikten schützen. Solche Verhaltensweisen lassen sich bei chronisch kranken Kindern und Jugendlichen vermehrt feststellen. Der Einsatz von Abwehrmechanismen entzieht sich in der Regel dem Bewusstsein, sie spielen allerdings einen wichtigen Beitrag zur Selbstkontrolle der Betroffenen bei der Bewältigung eines seelischen Konfliktes wie der chronischen Krankheit. Typische Mechanismen sind die Kompensation (die durch die Krankheit erlebte Schwäche wird durch die Überbetonung eines anderen Charakterzuges ausgeglichen, z. B. überbetontes Leistungsstreben, aggressives Verhalten oder besondere »Coolness«), Fantasie (Aktivitäten und Gedanken verlaufen vermehrt in Fantasiewelten, z. B. PC-Spiele), Projektion (die eigenen Unzulänglichkeiten werden auf andere übertragen), Regression (Rückzug auf frühere Entwicklungsstufen) oder Verdrängung und Verleugnung (Versuch, die Krankheit als nicht existent wahrzunehmen). Obwohl diese Mechanismen eher von der Krankheit wegführen, können sie für eine Weile eine gewisse Schutzwirkung für die Betroffenen haben.
Aktiver, zupackender Bewältigungsstil Kennzeichen dieses Stils sind, dass die Betroffenen oder Eltern die Krankheit als bewältigbare Herausforderung ansehen und sich problemorientiert und informiert mit der Erkrankung auseinander setzen. Diese Patienten oder Eltern sind meistens gut informiert und versuchen durch intensive Recherchen auf dem neusten Stand der wissenschaftlichen Forschung in der Kinderrheumatologie zu sein. Auch die Mitgliedschaft und engagierte Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe gehört zu den Charakteristika dieses Stils. Allerdings trifft diese handlungsorientierte Bewältigungsart eher auf Eltern zu. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum Jugendliche selten in Selbsthilfegruppen zu finden sind.
Suche nach sozialer Einbindung und Unterstützung Personen, die diesen Stil bevorzugen, kompensieren ihre Krankheitslast durch emotionalen Austausch und gegenseitige Verantwortlichkeit innerhalb sozialer Strukturen wie Familie, Freundeskreis, Clique oder Verein. Sie gelten oft als starke Persönlichkeiten, die zudem über eine hohe soziale Kompetenz verfügen. Im sozialen Gefüge können
15.3.3 Psychotherapeutische Verfahren Es gibt keine Patentrezepte, mit denen sich ein schwerwiegendes Ereignis wie eine rheumatische Erkrankung ohne Weiteres bewältigen lässt. Zudem handelt es sich immer um einen individuellen Prozess, sodass auch die Strategien auf den Einzelnen ausgerichtet sein sollten. Hier greifen vor allem psychotherapeutische Verfahren der sog. verhaltens- und ressourcenorientierten Kurzzeittherapie. In erster Linie geht es um supportive Maßnahmen und Hilfe zur Selbsthilfe sowie um Krisenintervention (Jochmus 1997). Dabei sollten nicht die erlebten Defizite und Handicaps im Vordergrund stehen, sondern es soll eine Fokussierung auf die eigenen inneren Kräfte der jungen Patienten erfolgen. Auf diese Weise werden Probleme, die das Selbstbild oder das Selbstbewusstsein betreffen, reduziert. Das Ziel ist, die Krankheit nicht als einen Faktor zu begreifen, der das ganze Leben bestimmt, sondern der lediglich ein »Puzzlestück« der Persönlichkeit darstellt. Dies ist gerade zu Beginn einer Krankheit sehr wichtig. Da chronisch kranke Jugendliche häufig zu Verschlossen-
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
heit neigen, sind vor allem Interventionen effektiv, bei denen kreative und altersentsprechende Methoden (Malen, Spiel, Musik, Cartoons, Kollagen etc.) zum Einsatz kommen (. Abb. 15.2) (Jochmus 1997; Illhardt 2002). Ebenso wie es protektive Aspekte gibt, die den Umgang erleichtern (z. B. familiäre Unterstützung), gibt es Risikofaktoren, die die Bewältigung eher erschweren (z. B. geringe soziale Kompetenz, Probleme in der Schule oder psychische Vorerkrankungen). Hier gilt es, das Augenmerk auf eine Reduktion dieser Faktoren zu setzen. Erprobte Maßnahmen sind Trainingsprogramme zum Erlernen der sozialen Kompetenz oder Interventionen aus der kognitiven Therapie (z. B. zur Reduktion von Spritzenängsten). Teil der psychologischen Betreuung sind im Zusammenhang mit der Schmerz- und Stressbewältigung Entspannungsverfahren (autogenes Training, Tiefmuskelentspannung nach Jacobson, Hypnotherapie, Biofeedback). Vor allem kombiniert mit therapeutischen Geschichten (Fantasiereisen, Imagination), können sie einen Beitrag zur Bewältigung der Rheumaerkrankung leisten. Besonders bei kleineren Kindern ist der Einsatz von therapeutischen Geschichten wirkungsvoll, in denen z. B. bestimmte Tiere als Sympathieträger die gewünschte Botschaft übermitteln.
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15.3.4 Beratung und Patientenschulung Die Information von rheumakranken Kindern und Jugendlichen über ihre Erkrankung und deren Behandlung stellt heute einen wichtigen Baustein im Therapiemanagement dar. Da die Krankheitsbewältigung deutlich mit dem Wissen über die Erkrankung und ihre Behandlung zusammenhängt, ist es wichtig, hier altersspezifische Informationsangebote einzusetzen. Dies kann sowohl in Einzelgesprächen und durch den Gebrauch von kindgerechtem Anschauungsmaterial und Modellen geschehen als auch durch umfassende Schulungsprogramme.
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Beratung erfolgt in der Regel in Einzelgesprächen oder zusammen mit Familienangehörigen. Es sollte dabei beachtet werden, dass altersspezifische Modelle benutzt werden, um medizinische oder psychosoziale Themen zu vermitteln. Vor allem in der Anfangsphase der Krankheitsbewältigung sollte Wert auf eine massierte Wissensvermittlung gelegt werden, da zu diesem Zeitpunkt nur beschränkt Informationen aufgenommen werden können. Gerade in der ersten Zeit der Diagnosestellung muss das Bedürfnis der Eltern respektiert werden, das eigene Gleichgewicht durch Betonung der eigenen Problemlösekompetenz, »Normalität« und Abgrenzung von Mitbetroffenen wiederzuerlangen. (Sarimski 2002) Darüber hinaus können Gesprächsrunden für kleinere Patienten- oder Elterngruppen angeboten werden. Hier lassen sich insbesondere gruppendynamische Prozesse sowie lernpsychologische Aspekte (z. B. Lernen am Modell) nutzen. Auch der Einsatz von kindgerechten Broschüren, z. B. geLENKig – Ein Rheumabuch für Kinder (Wiedebusch u. Ganser 1992) oder therapeutischen Spielen, z. B. Ach Du Dickes Knie (Illhardt u. Minnebusch 1997), hat sich als Medium zur Wissensvermittlung bewährt. In den verschiedenen Rheumazentren in Deutschland werden regelmäßige Patientenschulungen angeboten, die sich in der Art der Durchführung unterscheiden. Neben dem stationären Setting, bei dem die Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts geschult werden, gibt es Schulungen im Zusammenhang mit einer Rehabilitationsmaßnahme oder Elternwochenenden. Eine Schulungsmaßnahme ist genau definiert als ein Informationsangebot, das von verschiedenen Berufsgruppen durchgeführt wird, dem genau abgestimmte Wissensinhalte zugrunde liegen und das gut evaluiert sein muss. Kern dieses Informationsangebots sind verschiedene Module zu den Themen 5 Krankheitsbild und -ursachen, 5 medikamentöse Therapie, 5 Ergotherapie, 5 Krankengymnastik, 5 Krankheitsbewältigung, 5 Alltagsbewältigung (Schule, Berufliche Orientierung, sozialrechtliche Fragen). Solche Schulungen reduzieren mögliche Krankheits- und Behandlungsängste und steigern die Therapiecompliance. Darüber hinaus haben sie auch einen großen Anteil an einer Verbesserung der Lebensqualität und helfen Kosten im Gesundheitssystem reduzieren.
22 23 . Abb. 15.2. Kinderbild zum Thema Gelenkschmerz
15.3 · Strategien der Krankheitsbewältigung
Exkurs Patientenschulung »geLENKig-Tage« Als Beispiel für eine der verschiedenen Schulungsformen werden die »geLENKig-Tage«vorgestellt. Hierbei werden Patienten- und Elternschulungen angeboten, die von einem eigens geschulten, interdisziplinärem Trainerteam (Qualifikation als Schulungstrainer) durchgeführt werden. Zu diesem Team gehören Ärzte, Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter, Erzieherinnen, Lehrer und Schwestern. An mehreren Tagen werden kleine, möglichst altershomogene Gruppen (ca. 6–8 Teilnehmer) geschult. Bei der Wissensvermittlung werden vor allem Medien, Gestaltungsformen und Modelle genutzt, die dem Alter der Teilnehmer entsprechen (z. B. Tiersymbole für die Medikamente, Rollenspiele, Malen, Basteln, einfache plastische Gelenkmodelle, Spiele, Gruppenarbeit etc.). Ein Frontalunterricht sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Nach einer Schulungsmaßnahme erhalten die Kinder und Jugendlichen eine Urkunde, die sie als »Spezialisten« für ihre Erkrankung ausweist. Die Inhalte der Schulungen wurden bundesweit vereinheitlicht, sodass sich zwar die Art der Durchführung, nicht aber das vermittelte Wissen in den verschiedenen Zentren unterscheidet. Das Schulungsprogramm basiert auf 6 Modulen: Modul 1 stellt eine kindgerechte Einführung in den medizinischen Teil der Erkrankung dar. Die Teilnehmer erhalten Hintergrundwissen zu den Themen Anatomie der Gelenke, Ablauf von Entzündungsprozessen, Immunsystem, Diagnostik usw. Ziel ist es, die betroffenen Kinder und Jugendlichen über die verschiedenen Krankheitsursachen, -abläufe und aktivitäten zu informieren. Die Teilnehmer sollen zudem ihre spezifische Erkrankung dem entzündlich-rheumatischen Formenkreis zuordnen können. Modul 2 bezieht sich auf die verschiedenen Therapiemöglichkeiten, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem breiten Spektrum der medikamentösen Therapie liegt. Es sollen vor allem die Akzeptanz der therapeutischen Maßnahmen und damit eine positive Compliance durch diesen Schulungsabschnitt erzielt werden (. Abb. 15.3). In Modul 3 werden physiotherapeutische Inhalte vermittelt. Neben der Thematisierung von theoretischen Anteilen (Aufbau und Funktion der Gelenke) lernen die Teilnehmer anhand praktischer Unterweisungen, wie durch bestimmte aktive oder passive Bewegungen Schonhaltungen und Fehlstellungen vermieden werden können. Dabei nimmt der Transfer des Erlernten auf den häuslichen Bereich einen wichtigen Stellenwert ein. Modul 4 wird von der Ergotherapie bestimmt. Den Schulungsteilnehmern werden wichtige Gelenkschutzregeln vermittelt, und sie lernen Hilfsmittel und Schie6
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nen kennen, die ebenfalls Schonhaltung und Fehlstellung vermeiden helfen. Teilweise werden sogar Hilfsmittel selbst angefertigt. In Modul 5 stehen vor allem Fragen, die die Alltagsbewältigung betreffen, im Vordergrund. Je nach Alter werden die Teilnehmer mit Aspekten des Sozialrechts (z. B. Schwerbehindertenausweis) konfrontiert. Darüber hinaus werden Möglichkeiten der Freizeitgestaltung sowie Strategien zur schulischen Integration und beruflichen Orientierung in der Gruppe bearbeitet. Modul 6 befasst sich mit psychologischen Aspekten der Krankheitsbewältigung. Es werden Gefühle und Gedanken der Betroffenen im Zusammenhang mit der Erkrankung thematisiert und gemeinsam aktive und passive Copingstrategien unter Nutzung der eigenen Ressourcen entwickelt. Die Teilnehmer sollen lernen, über Schwächen reden zu können und im Austausch mit Gleichbetroffenen Unterstützung zu erfahren. Nicht als eigenes Modul, aber als fester Bestandteil des Schulungsprogramms bildet das therapeutische Spiel »Ach Du Dickes Knie« (. Abb. 15.4; Illhardt u. Minnebusch 1997) den Abschluss der Patientenschulung. Mit Hilfe von Ereigniskarten, in den Wissensfragen und Aspekte der Alltags- und Krankheitsbewältigung behandelt werden, aber auch Spaßaufgaben gestellt werden, sollen sich die Teilnehmer noch einmal mit den Inhalten der Schulung auseinander setzen (Wiederholungseffekt) und im spielerischen Gruppenprozess neue Strategien der Krankheitsbewältigung kennen lernen.
15.3.5 Atmosphäre: Stationsklima und
Therapeut-Patient-Beziehung Einen wichtigen, oftmals unterschätzten Stellenwert bei der Krankheitsbewältigung nimmt die Therapeut-Patient-Beziehung ein. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, daher brauchen sie auch Therapeuten, die spezialisiert und in der Pädiatrie ausgebildet sind. So sollte z. B. ein Arzt nicht nur seine medizinischen Kenntnisse zum
. Abb. 15.3. Patientenschulung: Das Abwehrsystem
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
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. Abb. 15.4. Spielkarten des therapeutischen Spiels: »Ach Du Dickes Knie«
Einsatz bringen, sondern immer auch den psychosozialen Kontext berücksichtigen. Dies macht bei der pädiatrischen Ausbildung auch den Schwerpunkt Jugendmedizin notwendig, damit die Behandler so besser auf die Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen eingehen und einwirken können. Neben der ambulanten Behandlung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt und angestrebt wird, müssen rheumakranke Kinder und Jugendliche in Schüben der Erkrankung auch häufig stationär behandelt werden. Deshalb ist es wichtig, ihnen ein Stations- und Krankenhausmodell zu bieten, in der sich ein Kind oder Jugendlicher auch wohlfühlen kann und mit dem nicht nur Kranksein assoziiert wird. So kann das Kind den Krankenhausaufenthalt z. B. als angenehm empfinden, wenn sich hier nicht alles nur um die Krankheit dreht, sondern auch positive Aspekte wie Spiele, Sonderveranstaltungen (z. B. Sommerfest, Ausflüge, Ferienfreizeit usw.) und Clowntherapien stattfinden. Vor allem aber sollte eine wohlwollende, kindgerechte und humorvolle Atmosphäre herrschen.
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15.3.6 Familiäre Bewältigung In verschiedenen Studien wurden Bedingungsfaktoren für eine erfolgreiche oder ungünstige Krankheitsbewältigung in Familien chronisch kranker Kinder und Jugendlicher untersucht. Die Ergebnisse, die dabei hauptsächlich gefunden wurden (Timko et al. 1992; Goldbeck et al. 2001; Reisine 1995; Sesterhenn 1991; Seiffge-Krenke et al. 1996; Handford et al. 1986), sind in . Tab. 15.1 zusammengefasst. Diese Einteilung sollte jedoch nicht als absolut verstanden werden. Grundsätzlich können hier negativ beschriebene Faktoren für eine gewisse Zeit durchaus wichtig und funktional sein, genauso wenig sind die eher positiven Faktoren immer eine Garantie für eine gute Bewältigung.
Grundsätzlich ist es wichtig, die möglichen Risiken zu kennen. Die meisten Familien, so belegen auch Untersuchungen, kommen mit der Erkrankung nach einer gewissen Zeit gut zurecht und können sie in ihren Alltag integrieren. Das sollte für alle Beteiligten das angestrebte Ziel sein. Problematische Familienkonstellationen sollten daher insgesamt nicht überbewertet werden. Es stellt sich die Frage, inwiefern tatsächlich die chronische Krankheit des Kindes die Ursache dafür ist, oder ob die Gründe nicht in einer bereits beeinträchtigten Familieninteraktion zu finden sind. Neben Belastungen lassen sich jedoch in einigen Familien auch positive Auswirkungen der chronischen Erkrankung eines Kindes finden, wie die Zunahme sozialer Kompetenzen verbunden mit größerem Verantwortungsbewusstsein und Einfühlungsvermögen (Warschburger u. Petermann 2000). Ebenso ist von einem Entwicklungsimpuls in Bezug auf größere Selbständigkeit und Selbstwert durch die Übernahme neuer Rollen und Erwerb von Kompetenzen die Rede (Boeger u. Seiffge-Krenke 1996). Schulungen, Gesprächsrunden und Austausch im Rahmen der Selbsthilfe (7 Abschn. 15.3.10) sind dabei eine wichtige Unterstützung für die Familien auf dem Weg zu einer guten Bewältigung des Alltags.
15.3.7 Schulische Integration Die Schule muss der besonderen Lebenslage rheumakranker Kinder und Jugendlicher Rechnung tragen. Schüler mit einer rheumatischen Erkrankung sollten nicht ohne Weiteres in Körperbehindertenschulen eingegliedert werden. Mit bereits kleinen Hilfestellungen und Nachteilsaus-
. Tab. 15.1. Positive und negative Determinanten für die Krankheitsbewältigung Eher positiv
Eher negativ
Kohäsion und familiärer Zusammenhalt
Vermeidung – Verleugnung der Krankheit und ihrer Probleme
Funktionierende, unterstützende Partnerbeziehung
Psychische und psychosomatische Probleme
Offene Kommunikation, Fähigkeit Gefühle zu äußern
Grüblerische Denkweise,
Optimistische Lebenseinstellung
Pessimistische Lebenseinstellung
Unterstützung durch soziales Umfeld
Schweres Krankheitsbild, stark fortschreitende Funktionseinschränkungen
Akzeptanz der Erkrankung, Normalisierung
Rumination (gedankliches Festkrallen an der Erkrankung)
15.3 · Strategien der Krankheitsbewältigung
gleichen können sie wie alle anderen am normalen Unterricht teilnehmen. Da jedoch nicht davon auszugehen ist und erwartet werden kann, dass Lehrer über rheumatische Krankheiten im Kindes- und Jugendalter umfassend informiert sind, liegt die Informationsverantwortung auf Seiten der Kinder, Jugendlichen und ihrer Eltern. Ein offenes Vorgehen und das Suchen eines klärenden Gesprächs mit Schulleitung und den Lehrern sind daher dringend anzuraten, sobald die Diagnose gestellt ist und der Schüler in die Schule zurückkehrt. Bei einem Schulwechsel sollte die Information noch vor Schuljahresbeginn erfolgen, da eine Planung von Stundenplan und Raumverteilung im Nachhinein oft nur schwer möglich ist. Wichtig beim Informationsgespräch mit der Schule sind vor allem folgende Punkte (Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband 2004): 5 Erklärung des Krankheitsbildes und seiner Auswirkungen auf die Schule; 5 Gestaltung des Schulalltages (u. a. zweiter Schulbuchsatz, Klassenraum im Erdgeschoss, Verlängerung der Schreibzeit bei Prüfungen, individuelle Leistungsfeststellung); 5 Sportunterricht, z. B. (Teil-)Befreiung, Verlegung in Randstunden; 5 Umgang mit Fehlzeiten und Weiterleitung der Unterrichtsmaterialien; 5 Schulweg und Schultransport; 5 Teilnahme an Klassenausflügen. Nur durch eine intensive Aufklärung lassen sich Vorbehalte, Ängste und Unsicherheiten bei allen Beteiligten abbauen – und so bleibt abschließend darauf hinzuweisen, dass rheumakranke Schüler normal behandelt werden wollen, weder mitleidig belächelt noch ausgegrenzt von anderen. Eine wichtige Aufgabe des Lehrers bleibt in diesem Sinne die Information der Mitschüler, wenn möglich gemeinsam mit dem kranken Schüler. Ein offenes Gespräch und die Thematisierung der besonderen Problemlage und der notwendigen Maßnahmen, die auch die Möglichkeit für Mitschüler umfasst, Fragen zu stellen, kann für alle Beteiligten verständlich machen, dass die Nachteilsausgleiche keine Bevorzugung darstellen, sondern lediglich eine notwendige Hilfe im Umgang mit der Krankheit sind.
15.3.8 Grundsätze für die
Berufsorientierung Eine gezielte Berufsorientierung ist besonders für rheumakranke Jugendliche von herausgehobener Bedeutung. Folgende Grundsätze sollten dabei Beachtung finden:
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Frühzeitige Orientierung. Spätestens zwei Jahre vor dem Schulabschluss sollte mit Überlegungen zur beruflichen Zukunft begonnen werden. So können im Vorfeld Hilfsund Fördermöglichkeiten mit Behörden, wie der Arbeitsagentur oder dem Integrationsamt in die Wege geleitet werden. Individuelle Interessen und Fähigkeiten als Ausgangspunkt. Es gibt keinen eindeutig »rheumagerechten« Be-
ruf, ebenso ist kein Berufsbild von vornherein generell unmöglich. Aufgrund der Vielfältigkeit rheumatischer Erkrankungen lassen sich Entscheidungen für oder gegen ein Berufsbild nur im Einzelfall mit den Jugendlichen unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsprofils und des Krankheitsverlaufs treffen. Motivation und Stärkung. Durch ihre Erkrankung erleben die Jugendlichen vielfältige Einschränkungen. Wichtig ist es, sie zu befähigen, sich und ihre Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Je höher der Ausbildungsabschluss, um so besser sind die beruflichen Chancen. Die Jugendlichen sollten kei-
nesfalls in eine Schulform oder in ein Berufsbild gedrängt werden, nur weil ein bestimmter Weg als vermeintlich weniger belastend angesehen wird. Orientierung auf mehrere Bereiche. Die Ausrichtung auf nur einen ganz speziellen Beruf sollte vermieden werden. Günstiger ist es für Jugendliche, sich in mehreren Bereichen zu orientieren, so z. B. sich für einen Beruf im sozialen, handwerklichen oder medienorientierten Bereich zu interessieren. Es gibt in den meisten Berufszweigen vielseitige Einsatzmöglichkeiten. Krankheitsverlauf und Belastbarkeit. Je nach Krankheitsbild, Krankheitsaktivität und den daraus resultierenden körperlichen Möglichkeiten muss nach individuellen Wegen gesucht werden.
Anlaufstelle für Beratung und Vermittlung in Ausbildung und Beruf sind die Arbeitsagenturen, die neben der allgemeinen Berufsberatung eine spezielle Rehabilitationsberatung für Erstausbildung anbieten. Die Rehabilitationsberater sind insbesondere mit der spezifischen Situation von chronisch kranken und behinderten Jugendlichen vertraut und unterstützen die Jugendlichen bei der Berufsfindung. Auf dieser Grundlage eines Rehabilitationsantrages kommen verschiedene finanzielle Förderungen für einen Ausbildungsplatz rheumakranker Jugendlicher in Betracht, z. B. berufsvorbereitende Maßnahmen und besondere Ausbildungsbedingungen und Förderungen für Arbeitgeber. Für Jugendliche mit einem Schwerbehindertenausweis ist zudem der Integrationsfachdienst (IFD) eine empfeh-
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
lenswerte Adresse. In jedem Arbeitsagenturbezirk gibt es einen IFD, der sich ganz individuell mit der beruflichen Eingliederung behinderter Menschen befasst. Die Mitarbeiter helfen bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsoder Praktikumsplatz, bei der Bewerbung und informieren über Leistungsansprüche und Fördermöglichkeiten. Wenn die Aufnahme eines Studiums in Betracht kommt, sollte die Entscheidung sorgfältig getroffen werden. Einerseits verschafft ein Studium oft bessere Aussichten zur Teilhabe am Arbeitsleben und zu beruflichem Erfolg. Hochschulen bieten zudem oft flexiblere Möglichkeiten der Zeit- und Arbeitseinteilung, was bei chronischen Krankheiten besonders von Vorteil sein kann. Bei einem Abbruch des Studiums verfügen die Jugendlichen aber über keine berufliche Qualifikation und haben keine Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung oder Erwerbsminderungsrente. Für behinderte Studierende gibt es im Universitätsalltag zahlreiche Nachteilsausgleiche. Bei der Zulassung zum Studium kann unter bestimmten Voraussetzungen die Durchschnittsnote oder Wartezeit verbessert werden, Ortswünsche lassen sich vorrangig realisieren und auch eine sofortige Zulassung zum Studium ist möglich. Zudem gibt es auch während des Studiums Hilfen. An den meisten Hochschulen gibt es Beauftragte für Behindertenfragen, die ganz konkret bei der Durchsetzung von Ansprüchen unterstützen. Bei den Studentenwerken sind nähere Informationen und eine umfassende Broschüre über Studium und Behinderung erhältlich (Deutsches Studentenwerk 2005).
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15.3.9 Sozialrechtliche Aspekte
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Familien mir rheumakranken Kindern haben häufig finanzielle Mehraufwendungen durch krankheitsbedingte Fahrten zu Ärzten und Therapeuten, Pflege des Kindes oder auch Anwesenheit bei längeren stationären Aufenthalten. Im Sozialrecht gibt es viele Möglichkeiten, Nachteilsausgleiche geltend zu machen und auch finanzielle Hilfen zu erhalten. Im Folgenden werden die wichtigsten Regelungen und Ansprüche dargestellt, um einen kurzen Einblick in die Thematik zu geben.
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Krankenversicherung (SGB V). In Zeiten der Gesundheitsreform und Budgetkürzungen ist es heute schwieriger geworden, Leistungen erstattet zu bekommen, insbesondere für chronisch Kranke. Dennoch sollte auf die Beantragung von Fahrtkosten, Unterkunftskosten oder Krankengeld nicht verzichtet werden. Jede Krankenkasse hat unterschiedliche Richtlinien, und nicht selten liegen Entscheidungen im Ermessen des Sachbearbeiters. Krankenkassen übernehmen nach dem SGB V Fahrtkosten zu stationären Behandlungen. Ambulante Fahrtkosten für rheumakranke Kinder werden nur übernommen, wenn ein Schwerbehindertenausweis mit den Merkzei-
chen H oder aG bzw. die Pflegestufe 2 oder 3 vorliegen. Begleitpersonen können bei Nachweis der medizinischen Notwendigkeit stationär mit aufgenommen werden, allerdings trifft das in der Regel nur für Eltern von Kindern im Vorschul- und Grundschulalter zu. Viele Krankenhäuser bieten jedoch eine kostengünstige Elternunterbringung in Wohnheimen oder Elternhäusern an. Eltern haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf sogenanntes Kinderpflegekrankengeld für einen Zeitraum von 10 Tagen pro Jahr für jeden Elternteil (Alleinerziehende 20 Tage). In der Zeit besteht ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung durch den Arbeitgeber. Wenn ein Elternteil erkrankt oder wegen der Mitaufnahme im Krankenhaus die daheimgebliebenen Kinder nicht versorgen kann, besteht Anspruch auf Haushaltshilfe. Schwerbehindertenausweis (SGB IX). Rheumakranke Kinder sind chronisch kranke Kinder. Deshalb besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung beim Versorgungsamt zu stellen. Mit der Bewilligung eines Ausweises sind Nachteilsausgleiche verbunden. Ein Schwerbehindertenausweis beinhaltet zum einen den Grad der Behinderung (GdB), der in Zehnerschritten von 0 bis 100 bemessen wird, und zum anderen Merkzeichen, die je nach Diagnosestellung und Beeinträchtigung vergeben werden. Die Nachteilsausgleiche, die der Schwerbehindertenausweis mit sich bringt, sind zum einen finanzieller Natur. Dazu zählen Ermäßigungen bei Eintrittspreisen, ermäßigte oder kostenlose Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und steuerliche Vergünstigungen. Im Berufsleben bietet der Ausweis zusätzlich noch einen besonderen Kündigungsschutz, Befreiung von Mehrarbeit und zusätzliche Urlaubstage. Die Sorge, der Schwerbehindertenausweis führe im Berufsleben zu Nachteilen, kann einerseits nicht als ganz unbegründet betrachtet werden. Andererseits sollte die Scheu vor der Beantragung insbesondere auch für schwerer betroffene Jugendliche nicht zu groß sein, denn seitens des Integrationsamtes gibt es viele – vor allem auch finanzielle – Anreize für Arbeitgeber, Schwerbehinderte einzustellen. Im Vorstellungsgespräch muss der Ausweis rein rechtlich nur angegeben werden, wenn man danach gefragt wird. Jedoch ist ein offener Umgang immer ratsamer als Verschweigen, denn das kann das Arbeitsverhältnis von Anfang an stark belasten. Die Entscheidung für oder gegen einen Beantragung kann in aller Ruhe getroffen werden. Eine Antragstellung ist in der Regel sehr einfach und auch später jederzeit möglich (Landschaftsverband Westfalen-Lippe 2004). Pflegeversicherung (SGB XI). Die Pflegebedürftigkeit für
rheumakranke Kinder und Jugendliche kann heute oft vermieden werden. Insbesondere bei den schweren Verlaufsformen des kindlichen Rheumas, bei fortschreitenden Be-
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15.4 · Transition
einträchtigungen und Behinderungen, kann die Pflege jedoch notwendig werden. Die Antragstellung erfolgt bei der zuständigen Pflegekasse. Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und die Anerkennung einer Pflegestufe gestalten sich oft schwierig, da im Vergleich mit gesunden gleichaltrigen Kindern der erhöhte Pflegebedarf nachgewiesen werden muss. Zur Überprüfung des Bedarfs kommt ein Gutachter des Medizinischen Dienstes zum Hausbesuch. Darauf sollten sich Familien gut vorbereiten und ein Pflegetagebuch führen, worin alle Pflegetätigkeiten detailliert aufgeführt sind. Zur Pflege zählen die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen in den vier Bereichen: Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung. Anhand der Pflegeintensität und -häufigkeit wird die Pflegebedürftigkeit in drei Stufen eingeteilt: 5 erheblich Pflegebedürftige (I), 5 Schwerpflegebedürftige (II), 5 Schwerstpflegebedürftige (III). Da die Pflege schwer rheumatisch erkrankter Kinder und Jugendlicher einen hohen Zeitaufwand und auch eine nicht zu unterschätzende psychosoziale Belastung darstellt, müssen einige Eltern, insbesondere Mütter, ihre Berufstätigkeit aufgeben oder einschränken. Bedeutsam ist daher, dass mit Zuerkennung einer Pflegestufe Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegeperson, Pflegekurse und auch eine Ersatzpflegekraft, um der Pflegeperson eine Auszeit zu geben, möglich sind.
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von Sponsoren, Förderern und Stiftungen die professionelle Betreuung in der bisherigen Qualität im Gesundheitswesen erhalten bzw. verbessert werden. Die Deutsche Rheuma-Liga als bundesweite Organisation rheumakranker Menschen bietet Angebote der Hilfe und Selbsthilfe für die Betroffenen. Vorrangige Aufgaben und Ziele der Rheuma-Liga sind die Aufklärung der Öffentlichkeit, die Vertretung der Interessen Rheumakranker gegenüber Politik, Gesundheitswesen und Öffentlichkeit sowie die Förderung von Forschung. Darüber hinaus gibt es Selbsthilfegruppen mit teils sehr aktiver örtlicher und überregionaler Arbeit, die direkt an einzelnen Kliniken assoziiert sind und Erfahrungsaustausch, schulische und berufliche Integration sowie Beratung anbieten, z. T. auch zielgruppenorientiert z. B. für Jugendliche. Ziel der Selbsthilfe in der Kinderrheumatologie ist es meist, Versorgungsdefizite auf institutioneller Ebene zu beseitigen. Dabei ist die Selbsthilfe jedoch nicht als Konkurrenz zur Fremdhilfe zu sehen, sondern vielmehr als wichtige Unterstützung der professionellen Hilfe. Beide sind wechselseitig voneinander abhängig. Eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten führt letztendlich zu einer qualitativ besseren Versorgungssituation.
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Transition
15.4.1 Generelle Prinzipien der Transition 15.3.10 Bedeutung der Selbsthilfe Selbsthilfe ist ein wichtiger Baustein der Krankheitsbewältigung. Sie funktioniert auf kleinen Ebenen, wenn rheumakranke Kinder, Jugendliche und Eltern gemeinsam im Krankhaus sind und ihre Sorgen und Erfahrungen austauschen. Durch diese Form der informellen Hilfe machen viele die Erfahrung, dass andere gleiche Erlebnisse haben und sie ähnliche Sorgen und Ängste beschäftigen. Am Beispiel anderer ist es möglich, neue Wege einzuschlagen, die vorher undenkbar schienen. Im Gegensatz zur professionellen Hilfe knüpft Selbsthilfe nicht an eine spezifische fachliche Ausbildung, sondern vielmehr an persönliche Erfahrungen sowie praktische Kenntnisse und Fertigkeiten an, die jeder Einzelne erworben hat. Selbsthilfe bedeutet, dass die Mitglieder selbst betroffen sind und in eigener Sache handeln. Die Zusammenarbeit basiert auf Gleichstellung und gegenseitigem Erfahrungsaustausch. Die Selbsthilfe in organisierten Formen, wie z. B. die Deutsche Rheumaliga, ist heute aus dem Bereich der Kinderrheumatologie nicht mehr wegzudenken. In Zeiten von Budgetierungen und immer einschneidenderen Gesundheitsreformen kann vielfach nur durch den Einsatz betroffener Familien und finanzielle Unterstützung
Juvenile rheumatische Erkrankungen können auch im Erwachsenenalter noch aktiv sein und sind mit Einschränkungen auf körperlicher, funktioneller und sozialer Ebene verbunden. Daher ist es entscheidend, die medizinische und psychosoziale Betreuung über das Jugendalter hinaus kontinuierlich fortzuführen. Die Bewältigung einer rheumatischen Erkrankung ist gerade in der Übergangsphase zum Erwachsenenalter geprägt durch die körperlichen und kognitiven Veränderungen des Patienten in der Adoleszenz. Eine Verbesserung der Langzeitprognose und Compliance erfordert einen koordinierten, strukturierten, kontinuierlichen Überleitungsprozess mit enger Kooperation der medizinischen Betreuer (»Transition«). Unter Transition versteht man diesen gezielten und geplanten Übergang von Adoleszenten und jungen Erwachsenen mit einer chronischen Erkrankung von einem pädiatrischen Gesundheitssystem in den Erwachsenenbereich. Ziel des Übergangsprozesses ist, eine koordinierte, nicht unterbrochene Gesundheitsversorgung anzubieten, die sich am Alter, den entwicklungsphysiologischen Reifungsprozessen und individuellen Bedürfnissen des Patienten orientiert (Blum 1995).
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
Für die erfolgreiche Absolvierung der typischen Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz benötigt der Jugendliche eine umfassende Unterstützung durch die Familie, die seit der Kindheit betreuenden Ärzte und einen psychosozialen Austausch in altersentsprechenden Peergroups. Der Übergang vom Kindes- in das Erwachsenenalter und die damit verbundene Bewältigung der Entwicklungsaufgaben ist für chronisch kranke Jugendliche erschwert. Sie sind häufiger in der Schule, im Berufsleben und in der Freizeit eingeschränkt, weisen häufiger chronische Begleiterkrankungen und Depressionen auf als gesunde Gleichaltrige (Beresford 2004). Ihre Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven unterscheiden sich signifikant von denen der Jugendlichen ohne Behinderung (Hurrelmann et al. 2003). Die Folgen der JIA im Erwachsenenalter sind sowohl auf körperlicher Ebene (erhöhte Morbidität mit Folgen der Erkrankung an Gelenken und inneren Organen, erhöhte Mortalität), auf funktioneller Ebene (Einschränkungen der Funktionsfähigkeit) als auch auf sozialer Ebene (Einschränkungen der Partizipation; erhöhte Erwerbs-, Arbeitsunfähigkeits- und Arbeitslosenrate) lebensverändernd (Minden et al. 2005). Gerade der Jugendmediziner hat aufgrund seines sozialpädiatrischen und entwicklungspsychologischen Wissens und oft langjährigen Vertrauensverhältnisses gute Voraussetzungen dafür, die adoleszenten Patienten bei ihrer Balance zwischen Entwicklungsanforderungen und Krankheitsanpassung zu unterstützen, die erfolgreiche Absolvierung der Entwicklungsaufgaben als ein therapeutisches Ziel zu bewirken und die Krankheitsbewältigung in Peergroups zu steuern. Die Phase der Adoleszenz ist aufgrund der soziologischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte (früherer Pubertätseintritt, längere Beschulung, höhere Qualifikationen erforderlich, längere finanzielle und emotionale Abhängigkeit von den Eltern) deutlich verlängert (Bühlmann 2001). Günstige Zeitpunkte für den Transfer sind Änderungen der Lebenssituation der Adoleszenten (abgeschlossene Ausbildung der Sekundarstufe II oder Lehre, Ortswechsel, Beginn des Studiums, Wehrdienst oder Zivildienst), wobei der Patientenwunsch und die individuelle Entwicklung (begrenzte Unabhängigkeit, »Erwachsenen-Sozialisation«) maßgeblich zu berücksichtigen sind (Ganser 2005). Die Schwere der Erkrankung, die Selbstverantwortung und Arztwahl des Patienten sowie eventuelle Störungen von Wachstum und Entwicklung sollten den Zeitpunkt des Transfers wesentlich mit beeinflussen.
15.4.2 Pubertät und Adoleszenz Zunächst ist zu unterscheiden zwischen den Begriffen Pubertät und Adoleszenz. Hierbei steht Pubertät für die so-
matischen Entwicklungen (Wachstumsschub, sekundäre Geschlechtsmerkmale, Erlangen der Geschlechtsreife), die unter dem Einfluss hormoneller Veränderungen ablaufen. Adoleszenz steht für die psychosozialen Entwicklungsschritte, die gleichzeitig mit der Pubertät beginnen, diese jedoch um Jahre überdauern. Die Adoleszenz beginnt mit den ersten Pubertätszeichen und endet mit dem Abschluß der körperlichen und psychosozialen Adaptationsvorgänge (Bühlmann 2001). Die WHO kennt darüber den Begriff »Jugend« für die Altersgruppe der 14- bis 25-Jährigen. Zu den Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz gehören die Selbständigkeitsentwicklung, der Aufbau reifer Beziehungen, eine Änderung der Körperwahrnehmung, Entwicklung einer Erwachsenensexualität, die kognitive Entwicklung vom konkreten Denken hin zum abstrakten Denken und eigener Identität sowie die Realisierung der Berufsplanung bis hin zu einer konkreten Umsetzung in der Berufsausbildung. Man teilt die Adoleszenz in eine frühe Phase von 10 bis 13 Jahren, mittlere Phase von 13 bis 16 Jahren und späte Phase von 17 und mehr Jahren ein. Bereits in der Kindheit werden verdickte Gelenke als kosmetisch störend und unangenehm wahrgenommen. In der frühen Phase der Adoleszenz erfolgt die Konfrontation mit den körperlichen Veränderungen der Pubertät am intensivsten. Auch die Körperwahrnehmung spielt gerade bei einer rheumatischen Erkrankung eine besondere Rolle. Durch eine hohe Krankheitsaktivität kann das Längenwachstum reduziert sein oder die Pubertätsentwicklung um Jahre verspätet eintreten, verbunden mit einem späteren Auftreten der sekundären Geschlechtsmerkmale (Minden et al. 2002a). Generalisierte (Kleinwuchs) und lokale Wachstumsstörungen (z. B. Beinlängendifferenzen, Mikrognathie) treten bei bis zu 30% der Jugendlichen auf und sind gerade in der Pubertät oft eine Belastung. Auch bei »gesunden« Jugendlichen sind Probleme bei der Akzeptanz körperlicher Veränderungen, die zu Störungen der eigenen Körperwahrnehmung, psychischen Störungen oder Selbstverletzungen führen können, nicht selten. Jugendliche mit Rheuma sind hier besonders gefährdet, müssen sie doch krankheits- oder therapiebedingte Veränderungen ihres Körpers zusätzlich akzeptieren (Seiffge-Krenke et al. 1996). In der mittleren Adoleszenzphase besteht eine Zeit der Auflehnung und Ambivalenz. Während die wesentlichen pubertären Veränderungen abgeschlossen sind, ist die Entwicklungsaufgabe, den Körper im Rahmen verschiedener Modellbilder anzunehmen. In dieser Phase beobachtet man häufig eine Ablehnung der chronischen Erkrankung mit Noncompliance bezüglich medikamentöser und physikalischer Behandlungen. In der mittleren Phase der Adoleszenz werden die körperlichen Veränderungen normalerweise abgeschlossen; bei Rheumati-
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kern kann das Längenwachstum sich jedoch noch bis zum 20. Lebensjahr hinziehen. In der späten Adoleszenz besteht die Entwicklungsaufgabe, den Körper so zu akzeptieren wie er ist. Die Integration des Körpers in die Gesamtpersönlichkeit verlangt ein hohes Maß an Toleranz sich selbst gegenüber. Aufgrund der rheumatischen Erkrankung kann eine Entwicklungsstörung entstehen, da äußerlich stigmatisierende Veränderungen als unabänderlich hingenommen werden müssen. Hinsichtlich der kognitiven Entwicklung ist die Fähigkeit zur Abstraktion auch Grundlage für ein zukunftsgerichtetes Denken und die Basis für eigene Wertmaßstäbe. So werden auch Aussagen der beratenden Ärzte bezüglich der Therapie und Langzeitprognose intensiv hinterfragt. Die Schwierigkeit der Beratung liegt darin, dass gerade bei der kognitiven Entwicklung keine Korrelation zum chronologischen Alter besteht. Die Einschätzung, wie weit der jugendliche Patient bereits in der Lage ist, zu abstrahieren und seine chronische Erkrankung mit einzubeziehen, ist deshalb besonders zu berücksichtigen. Eine kontinuierliche Betreuung bis zum Abschluss dieser Entwicklungsphase ist gerade bei chronischen Erkrankungen wertvoll, da sorgfältig abgeschätzt werden sollte, inwieweit der jugendliche Patient in der Lage ist, seine täglichen Therapieschemata konsequent durchzuhalten. In Bezug auf die Sexualität Jugendlicher gibt es in der Regel keine entwicklungsbedingten Unterschiede zwischen juvenilen Rheumatikern und altersentsprechenden Jugendlichen. In der späten Adoleszenzphase werden langfristige individuelle Partnerschaften als Grundlage für die Intimität gesucht. Chronisch kranke Jugendliche zeigen bezüglich fester Partnerschaften oft eine besondere Zurückhaltung. In einigen Studien war der Zeitpunkt erster sexueller Aktivität bei Patienten mit systemischer JIA deutlich verzögert. Junge Männer und Frauen mit JIA hatten es schwerer als Gleichaltrige, eine Partnerbeziehung einzugehen. Ausgeprägte physische Behinderungen, ein negatives Selbstbild oder reduziertes Selbstbewusstsein stellten die bedeutendsten Hindernisse für sexuelle Aktivität dar. Aufgrund der komplexen Therapien benötigen Adoleszente ein differenziertes Wissen zu Fertilität und Antikonzeption unter Immunsuppression (Oestensen 2005). Die sozialen Auswirkungen der JIA im Erwachsenenalter betreffen auch Partnerschaft und Familienplanung. In einer englischen Studie waren die juvenilen Rheumatiker im mittleren Alter von 26,7 Jahren überwiegend Singles, lediglich 33% verheiratet oder in einer Partnerschaft lebend. Dies zeigt einen indirekten Einfluss der Erkrankung auch auf die Sexualität und Partnerschaft (David et al. 1994). Während der gesamten Adoleszenz spielt die Familie in der Diskussion mit den Jugendlichen eine wesentliche Rolle. Neben den Beziehungen zu den Eltern ist auch das Verhältnis zu den Geschwistern wichtig, gerade im
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Zusammenhang mit psychosomatischen Problemen oder Symptomen. Jugendliche gehen den Weg in die Selbständigkeit nicht in Isolation, sondern sind über weite Strecken in ihrer Meinungsbildung durch die Gleichaltrigen (Peergroups) geprägt. Kontakte außerhalb der Familie im erweiterten sozialen Raum wie Schule, Arbeitsplatz und Freizeit spielen eine besondere Rolle. Die Gruppe der Gleichaltrigen setzt auch wichtige Maßstäbe für medizinische Entscheidungssituationen. So können Einflüsse Gleichaltriger bezüglich Ernährung, Diätverhalten, körperlichem Krafttraining und sportlicher Betätigung zu einer Störung des Selbstbildes oder Verschlechterung der rheumatischen Erkrankung durch nicht adäquate körperliche Belastung führen. Daher sollte bei der Evaluation möglicher Noncompliance die Umfeldsituation der Adoleszenten detailliert analysiert werden. Zeichen der Isolation, der sozialen Desintegration, Aktivität der chronischen Erkrankung und fehlende Kommunikation im Elternhaus sind wesentliche Risikofaktoren für eine Fehlentwicklung und Noncompliance in der Adoleszenz. Die ärztliche Betreuung und Beratung sollte berücksichtigen, in welcher Position sich die Jugendlichen gegenüber den Eltern befinden, wie weit der Ablösungsprozess bereits fortgeschritten ist. Hierbei können Eltern einen großen Rückhalt darstellen, andererseits aber auch den Autonomieprozess (z. B. durch rigide Wertvorstellungen oder »Overprotection«) wesentlich behindern. Am Ende der Adoleszenz steht eine Selbstständigkeit mit Lösung aus dem familiären Rahmen. Die Selbstständigkeit variiert in verschiedenen Gesellschaftsstrukturen und Kulturen. Chronische Krankheiten können schwerwiegende Auswirkungen auf die psychosoziale Adaptation der Adoleszenten haben. Hinzu kommt, dass Jugendliche häufig relativ lange mit ihren Familien zusammenleben – mit möglicherweise verspätetem Einstieg in das Arbeitsleben und hierdurch bedingt einer verlängerten materiellen Bindung an die Familie. Die Belastungen und Bewältigungsstrategien hängen einerseits von der Art der chronischen Krankheit, andererseits von der Zeit ihrer Erstmanifestation ab. Krankheiten, die bereits im frühen Kindesalter begonnen haben, führen häufig zu einer vermehrten elterlichen Aufmerksamkeit und Sorge. Die Veränderungen in der Pubertät sind unter Umständen verbunden mit einer Störung der intensiven Eltern-Kind-Beziehung. Das normale Autonomiebestreben des Adoleszenten trifft auf eine elterliche Haltung, die aufgrund der Sorge bezüglich des weiteren Verlaufs der Erkrankung restriktiv und überbehütend ist. Häufig sind demonstrative Konfrontationen die Folge. Das gezielte frühzeitige Einbeziehen des Kindes in diagnostische und therapeutische Verfahren verbunden mit einer Mitverantwortung und Selbstständigkeitserziehung auf der Ebene der Krankheit vermeidet die intensive Auseinandersetzung in der Adoleszenz. Durch frühes
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Delegieren von therapeutischen Aufgaben an die Kinder kann Selbstverantwortung gefördert und die krankheitsbezogene Selbstständigkeit bereits in der frühen Adoleszenz erhöht werden. Die Reaktionsweise von Jugendlichen auf eine in der Adoleszenz neu auftretende Erkrankung hängt von der Selbstständigkeitsentwicklung, dem Maß an eigener Persönlichkeit, dem kognitiven Entwicklungsstatus, aber auch dem familiärem Umfeld, der Unterstützung durch Peergroups und der Integration im sozialen Umfeld der Schule ab. Jede chronische Erkrankung birgt das Risiko einer veränderten Körperwahrnehmung, regressiven Verhaltens und schwerwiegender psychosozialer Störungen. Die Gruppe der Gleichaltrigen übernimmt eine entscheidende Rolle für die Krankheitsakzeptanz, da gerade durch die Peergroup dem Patienten ein möglichst großes Maß an Integration und Normalität vermittelt werden soll. Die Eltern werden ebenfalls auf die Krankheitsverarbeitung einwirken. Eine intensive Steuerung des Krankheitsmanagements und Überbehütung durch die Eltern birgt das Risiko einer reduzierten Selbstständigkeitsentwicklung, die trotz der chronischen Erkrankung eine zentrale Entwicklungsaufgabe bleibt. Hierdurch bedingt können Regressionstendenzen oder Störungen der Entwicklung oder Körperwahrnehmung mit begleitenden Erkrankungen (z. B. Essstörungen), psychischen Störungen oder Selbstverletzungen auftreten. Der Behandler sollte für die Wahl der geeigneten Behandlungsstrategie deshalb die persönlichkeitsspezifischen (intrinsischen) und krankheitsbedingten (extrinsischen) Faktoren analysieren und mit dem Patienten gemeinsam Strategien zur Bewältigung der Erkrankung entwerfen, d. h. Herstellen einer größtmöglichen Normalität in der persönlichen Entwicklung (Bühlmann 2001). Der Kinder- und Jugendmediziner besitzt gute Voraussetzungen für die Beratung und Wegbegleitung aufgrund der fachlichen Kenntnisse der physiologischen Vorgänge während der Pubertät sowie durch das oft langjährige Vertrauensverhältnis. Stellenweise hat er die Möglichkeit, in Konflikten zwischen Eltern und Geschwistern zu vermitteln, Fehlentwicklungen bei der Ausbildung des adulten Körperschemas zu verhindern und die Transition an der Absolvierung der Entwicklungsaufgaben auszurichten (Ganser 2005). ! Es besteht in der Phase der Pubertät und Adoleszenz eine deutlich erhöhte Sensibilität gegenüber dem eigenen Körper und dem äußeren Erscheinungsbild. In der Pubertät und Adoleszenz ist nicht immer die medizinisch optimale Therapie die beste Lösung, sondern ein gemeinsam erarbeiteter Kompromiss, der vom Adoleszenten akzeptiert und mitgetragen wird und damit eine größere Chance zur Umsetzung hat. Themen wie Eigenverantwortung im Rahmen der zunehmenden Selbstständigkeit, Körperwahrnehmung, Freizeitverhalten und psychosomatische
Probleme nehmen in der Adoleszentenbetreuung einen besonderen Raum ein.
Nach Absolvierung der maßgeblichen Entwicklungsaufgaben sollte der Jugendliche bzw. junge Erwachsene den Zeitpunkt des Transfers in eine internistisch-orientierte Behandlung selbst bestimmen.
15.4.3 Besonderheiten der Anamnese und
Untersuchung in der Adoleszenz Als besondere Anforderung an das medizinische Personal wird insbesondere Professionalität gefordert; hierbei spielen Vertrauen, Respekt und Ehrlichkeit eine besondere Rolle. Die angewandte Sprache soll gut verständlich sein, medizinische Fachausdrücke sind weitgehend zu meiden. Adoleszente sollten bei möglichen entwicklungsassoziierten Problemen in der Sprechstunde die Gelegenheit haben, ihre Anliegen alleine vorzubringen. Anamnese, körperliche Untersuchung und das Beurteilungsgespräch können unter diesen Umständen mit dem Patienten alleine erfolgen, bevor man die Ergebnisse in Anwesenheit des Patienten auch den Eltern mitteilt. Andererseits ist darauf zu achten, dass bei der Untersuchung eines Adoleszenten, der zum Untersucher gegengeschlechtlich ist, eine für den Patienten vertrauenswürdige Person der Untersuchung beiwohnt, die zum Patienten gleichgeschlechtlich ist. Dies kann ein Elternteil, aber auch ein Mitarbeiter der Einrichtung sein. Exkurs Das Anamnesegespräch berücksichtigt die Krankheitssituation mit möglichen Fehlzeiten in der Schule, Teilnahme am Schulsport, Freizeitverhalten einschließlich der Wünsche und Möglichkeiten sportlicher Betätigungen, Hobbies, berufliche Pläne und Perspektiven. Die Entwicklungsaufgaben und ihre altersbezogene Absolvierung, die Sozialisation in Peergroups, die Kommunikationsstrukturen und Krankheitsbewältigung sowie emotionale Aspekte spielen eine zentrale Rolle (Bühlmann 2001). Neben gesundheits- oder krankheitsassoziierten Problemen, deren Ursprung und Relevanz für den Alltag des Patienten müssen auch Ziele und Compliance in der therapeutischen Beziehung und der zukünftige Behandlungsplan unter Berücksichtigung der patientenbezogenen Motivation ausführlich besprochen werden. Eine offene Gesprächstechnik ermöglicht eine breitere Erfassung medizinischer und auch psychosozialer Probleme. Auch die Problemkreise Depression, Verdrängung der Erkrankung und negative Gedanken, Sexualität und Konsum von Zigaretten, A))lkohol und anderen Drogen sollten bei der Anamnese erfasst werden. Das Thema 6
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15.4 · Transition
Antikonzeption unter Immunsuppression sollte aktiv angesprochen werden. Zu berücksichtigen ist, dass die körperliche Untersuchung für Jugendliche eine Belastung darstellen kann, insbesondere bei fehlendem Vertrauensverhältnis zu dem Untersucher. Aus der Sicht der Adoleszenten geht es nicht darum, abnorme Befunde zu erheben, um eine Krankheitsbeurteilung durchzuführen, sondern auch um die körperliche Integrität und somit eine intime und intensive Auseinandersetzung mit dem persönlichen Befinden. Daher ist es wichtig, sich vor Beginn der Untersuchung ein Bild über den psychosozialen Entwicklungszustand des Patienten zu machen und auf die Psychodynamik der Adoleszenten einzugehen. Die Untersuchungssituation sollte von den Adoleszenten mitgestaltet sein, insbesondere ist die Gegenwart eines Elternteils vor der körperlichen Untersuchung zu besprechen. Es ist zu berücksichtigen, dass Jugendliche, die körperliche Veränderungen aufgrund ihrer Erkrankung aufweisen, sich häufig nur ungern betrachten und anfassen lassen. Die Untersuchungsschritte sind von daher ausreichend zu erläutern und der Untersuchungsgang zu kommentieren. Mit Rücksicht auf das Bedürfnis nach Intimität sollte der Patient teilweise bekleidet bleiben. Der Untersuchungsgang beinhaltet eine internistische Untersuchung, die Pubertätsentwicklung, die Beurteilung sämtlicher Gelenke hinsichtlich Schwellungen, Überwärmungen und Funktion, Bewegungs- und Gangbildanalyse.
Wesentlich ist auch die Beurteilung möglicher Störungen der körperlichen, psychosozialen und kognitiven Entwicklung – somit der altersentsprechenden Absolvierung von Entwicklungsaufgaben. ! Gerade eine Entwicklungsstörung in der Adoleszenz und eine gestörte Integration in Peergroups fördern das Risiko erhöhter Abhängigkeit von den Eltern, verzögerte Reifungsprozesse, ein schwaches Selbstbewusstsein, ein vermindertes Selbstvertrauen sowie die Angst vor dem Scheitern in Schule und Beruf. Entscheidend für positive Adaptationsvorgänge bei chronischen Erkrankungen sind langzeitige vertrauensvolle Beziehungen zur Familie, Freunden und Behandlern, um mit individuellen Krankheitsbewältigungsstrategien die chronische Erkrankung anzunehmen und zu meistern.
15.4.4 Berufliche Eingliederung Die wichtigsten Einflussfaktoren für die gesellschaftliche Integration junger Rheumatiker sind der soziale Status, die familiären Strukturen und das Umfeld. Viele Patienten haben subjektiv eine hohe Lebensqualität; dennoch sind
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Auswirkungen der Erkrankungen auf die berufliche und gesellschaftliche Integration junger Rheumatiker gegeben. In der Langzeitprognose konnte in einigen Studien kein signifikanter Unterschied zwischen Patienten mit juveniler Arthritis und einem altersentsprechenden Kontrollkollektiv hinsichtlich des Ausbildungsstandes, Jahreseinkommens, Krankenversicherungsstatus gezeigt werden. Dennoch sind vermehrte krankheitsassoziierte Schmerzen und Symptome, die höhere Rate an Arbeitslosigkeit, die fehlende Integration in Schule und Beruf, der höhere Grad an Frustration und Depression sowie anderes partnerschaftliches Verhalten direkte oder indirekte Auswirkungen der Erkrankung. Exkurs Die berufliche Zukunft setzt eine langfristige Planung unter Berücksichtigung der chronischen Erkrankung voraus. Eine an den individuellen Neigungen, Interessen, Möglichkeiten und körperlicher Belastbarkeit orientierte berufliche Ausbildung wird zur Realisation eigener Pläne beitragen, somit dem Adoleszenten den Weg in die Selbstständigkeit und finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen. Eine frühzeitige Beschäftigung mit dem Thema der beruflichen Integration ab der 8. Klasse, regelmäßige Beratungen, Praktika und Erfahrungen unter kontrollierten Verhältnissen mit Unterstützung der Behandler und Familie sowie eine kompetente Berufsberatung durch Rehabilitationsberater der Arbeitsagenturen und eine sozialmedizinische Betreuung fördern die berufliche Eingliederung, orientiert an der rheumatischen Erkrankung sowie an den Wünschen und Fähigkeiten des Patienten. Nach einer Untersuchung in Deutschland hat der überwiegende Teil junger Erwachsener mit juveniler idiopathischer Arthritis einen qualifizierten Schulabschluss (Hochschulreife ca. 25%, mittlere Reife ca. 35%; Minden et al. 2002a, 2005). Dennoch sind überproportional viele junge Rheumatiker nicht vollzeitig berufstätig, sei es durch verlängerte Ausbildungszeiten, Arbeitslosigkeit oder vorzeitige Berentung. Die hohe Rate von Arbeitslosigkeit bei jungen Rheumatikern macht die Notwendigkeit einer frühzeitigen und individuell an der Krankheitsaktivität und eigenen Erfahrungen ausgerichteten beruflichen Eingliederung deutlich. Die eingeschränkte Partizipation junger Rheumatiker mit erhöhter Erwerbs- und Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit sowie die allgemeine Jugendarbeitslosigkeit machen es erforderlich, dass junge Rheumatiker einen möglichst qualifizierten Schulabschluss erwerben, bleibende Behinderungen sowie Störungen von Wachstum und Entwicklung durch spezialisierte Betreuung verhindert werden und die berufliche Eingliederung, orientiert an den individuellen Ressourcen, frühzeitig erfolgt 6
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
– in Kooperation der Behandlungszentren mit den Arbeitsagenturen und Arbeitgebern (Ganser 2005). (Zur Berufsplanung siehe 7 Abschn. 15.3.8)
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auf den Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen als auch auf eine sichere Konzeption (besonders relevant für die Jugendlichen unter Basistherapie) (Minden et al. 2005; Oestensen 2005).
15.4.5 Compliance und Lebensplanung
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Die antientzündliche Behandlung umfasst den Einsatz von Medikamenten, Physiotherapie, Ergotherapie, physikalischen Maßnahmen und erfordert täglich einen erheblichen zusätzlichen Zeitaufwand von dem Patienten und seiner Familie. Die Verantwortlichkeit für die Behandlung geht in der Adoleszenz von den Eltern auf den Patienten selbst über. Die Fähigkeit zur Compliance ist einerseits von abstraktem Denken, von der Beurteilung der Konsequenzen für die eigene Zukunft, andererseits aber auch von der Beratung durch Eltern, Peergroups und eigenen Erfahrungen abhängig. Ein langjähriges Vertrauensverhältnis und eine konstante Behandlung durch spezialisierte Behandler wirken sich positiv aus. Exkurs Die Compliance stellt das eigentliche Problem der Therapie Jugendlicher dar. Nur etwa jeder zweite Jugendliche nimmt die Rheumamedikamente regelmäßig ein, lediglich jeder fünfte führt die ihm empfohlenen krankengymnastischen Maßnahmen durch oder trägt die verordneten Schienen regelmäßig (Niewerth et al. 2004). Die Ursachen für diese mangelhafte Compliance sind vielfältig und reichen von Vergessen, über mangelhaftes Krankheitsverständnis bis hin zum Vermeiden der Behandlung aus Angst vor unerwünschten Wirkungen der Medikamente oder vor Hänseleien (z. B. beim Tragen von Schienen). Verbessert werden kann die Compliance durch Motivation der Jugendlichen und ihr Einbeziehen in Therapieentscheidungen (Kyngäs 2002).
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Bei der Behandlung rheumakranker Jugendlicher gilt es außerdem, das in diesem Alter typische »Risikoverhalten« zu berücksichtigen. Im Jugendalter werden im Rahmen der Identitätsfindung Grenzen ausgetestet und neu gesteckt. Das Bedürfnis nach neuen anderen Erfahrungen und Bewusstseinserweiterungen führt zum Kontakt mit Alkohol und Drogen. Im Rahmen einer Umfrage berichteten 31% im Mittel 14-jähriger US-amerikanischer Jugendlicher mit JIA über gelegentlichen, 12% über regelmäßigen Alkoholkonsum. Gelegentlichen Nikotin- oder Drogenkonsum gaben 15% an. Drei Viertel der Befragten standen unter Rheumamedikamenten, jeder Dritte unter Methotrexat (Nash et al. 1998). Drogenkonsum sollte also im Rahmen der Rheumasprechstunde thematisiert werden und eine Beratung der Jugendlichen im Hinblick auf eine potenziell erhöhte Nebenwirkungsrate der Medikamente erfolgen. Beratung ist auch bezüglich Sexualität und Antikonzeption erforderlich. Hinzuweisen ist sowohl
! Da die Mehrheit der Jugendlichen mit chronischer Erkrankung ihren ärztlichen Ansprechpartner als Vertrauensperson sieht, ergibt sich die Notwendigkeit der Beratung. Im Rahmen der rheumatologischen Betreuung Jugendlicher sind entwicklungsspezifische Besonderheiten und allgemeine Fragen des Gesundheitsverhaltens zu thematisieren, um die Compliance und eine kontinuierliche Therapie zu gewährleisten sowie altersspezifisches Risikoverhalten zu reduzieren.
15.4.6 Transitionsprozess und Transfer Eine Fortführung der medizinischen und psychosozialen Betreuung der Patienten mit JIA ist über das Jugendalter hinaus erforderlich, weil die rheumatische Erkrankung oft bis ins Erwachsenenalter persistiert. Mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen haben noch eine aktive Erkrankung mit erhöhten Risiken für Morbidität, Mortalität und Behinderung (Minden et al. 2005). Ein Betreuungswechsel zum Erwachsenenrheumatologen wird somit zu einem bestimmten Zeitpunkt unumgänglich, um eine altersangepasste Behandlung realisieren zu können. Kinder- und Erwachsenenrheumatologie unterscheiden sich allerdings erheblich, z. B. im Patientenklientel, in der Betreuungsform, den Therapiekonzepten und der Betreuungsintensität (White 2002). Um dem Patienten den Wechsel von einem pädiatrisch geführten in ein internistisches Versorgungssystem zu erleichtern und Störungen der Compliance und Entwicklung zu vermeiden, ist eine entsprechende langfristige Vorbereitung erforderlich. ! In die Planung der Transition sollen der Patient und seine Familie aktiv einbezogen sein. Die Krankheitsaktivität, Compliance, Absolvierung der altersbezogenen Entwicklungsaufgaben und die individuellen Bedürfnisse des Patienten sollten berücksichtigt werden.
Die aktuelle Lebenssituation (z. B. Wohnortwechsel, abgeschlossene Ausbildung der Sekundarstufe II oder Lehre, Beginn des Studiums, Wehrdienst oder Zivildienst) als äußere Zeichen für absolvierte Entwicklungsaufgaben sowie der Wunsch des Patienten (»Arztwahl«) sind wesentliche Kriterien für den Zeitpunkt des Transfers. Der Betreuungswechsel (Transfer) wird demnach in der Regel zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr stattfinden, der Transitionprozess umfasst die Adoleszenz und das junge Erwachsenenalter (16.–25. Lebensjahr).
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Literatur
Exkurs Wie der Prozess der Vorbereitung aussehen sollte, hat eine britische Arbeitsgruppe mittels Surveys und Interviews von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit JIA, aber auch des betreuenden medizinischen Personals untersucht (McDonagh et al. 2004). Für den begleiteten Übergang ins Erwachsenenalter wünschen sich Jugendliche Akzeptanz und Kommunikationsbereitschaft von Seiten der behandelnden Ärzte und ein aktives Einbeziehen in Entscheidungsprozesse. Sie legen Wert auf eine individuell angepasste Information bezüglich der Erkrankung, aber auch bezüglich psychosozialer und beruflicher Fragen. Der Betreuungswechsel selbst sollte dann erfolgen, wenn sich der Jugendliche ausreichend gut vorbereitet fühlt und in der Lage ist, seine Krankheit selbst zu managen. Der Zeitpunkt hängt also vom Entwicklungsstand und nicht vom chronologischen Alter des Patienten ab. Außerdem sollte sich die Krankheit in einer stabilen Phase befinden. Die besonderen Betreuungsbedürfnisse chronisch kranker Jugendlicher wurden in den letzten Jahren zunehmend anerkannt, zahlreiche theoretische Richtlinien für deren effiziente Transition entwickelt und verschiedene Transitionsmodelle bzw. -programme vorgestellt. In den USA, Australien und Großbritannien gibt es beispielsweise so genannte »transition clinics« oder »young adult teams«, die eine multidisziplinäre Versorgung Jugendlicher und junger Erwachsener anbieten (Ansell et al. 1998). Von den Betroffenen werden diese Betreuungsformen als hilfreich bewertet, was sich in deren verbesserter Lebensqualität und höheren gesundheitsbezogenen Kontrollüberzeugungen widerspiegelt (McDonagh et al. 2000; Shaw et al. 2004a–c). In einer retrospektiven Kohortenstudie wurde nachgewiesen, dass eine derartige multiprofessionelle Betreuung auch die Partizipation chronisch kranker junger Erwachsener verbessern kann (Bent et al. 2002). In Deutschland wurde dem Aspekt der Transition kranker Jugendlicher von gesundheitspolitischer Seite bisher zu wenig Beachtung geschenkt. Jeder dritte junge Erwachsene mit noch aktiver JIA wird, entsprechend einer Untersuchung von 215 Betroffenen, unzureichend medizinisch versorgt (Minden et al. 2002a). Die in gut 50% der Fälle fehlende spezialisierte Betreuung war hierfür zumindest teilweise verantwortlich. Es gilt demnach, die besonderen Bedürfnisse rheumakranker Jugendlicher zu thematisieren und die notwendigen Betreuungsstrukturen zu schaffen. Kinderund Erwachsenenrheumatologen sollten sich gemeinsam dieser Aufgabe stellen und versuchen, unter möglichst effektiver Nutzung der jeweils lokalen Gegebenheiten und Ressourcen die Betreuung der ihnen anvertrauten Jugendlichen zu verbessern. 6
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Medizinische Konsequenzen aus der »verlängerten Adoleszentensituation« sind regelmäßige interdisziplinäre Sprechstunden für Patienten in der späten Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter, damit die Patienten, die sich gut betreut und aufgehoben fühlen, nach wie vor kommen können und der Übergang somit schrittweise gestaltet werden kann. Eine Etablierung ambulanter gemeinsamer Sprechstunden mit kooperativer Betreuung junger Rheumatiker (Zielalter 18–23 Jahre) bzw. stationäre Kooperationsmodelle im Sinne einer »Transition-Clinic« (Zielalter 16–25 Jahre) können eine kontinuierliche und koordinierte medizinische Betreuung im Transitionsprozess sicherstellen. Es ist zu erwarten, dass die direkten und indirekten Kosten der Behandlung durch eine verbesserte Betreuungsintensität zu senken sind und die Krankheitslast sowie die krankheitsbedingten Ausfälle in Schule und Beruf deutlich reduziert werden können (Brunner et al. 2004). Hierdurch können krankheitsbedingte Nachteile chronisch kranker Kinder und Jugendlicher in der Ausbildung und gesellschaftlichen Integration abgebaut werden. Dies wiederum hat positive Auswirkungen auf die individuelle Krankheitslast, Lebensqualität und die indirekten Kosten, die den Hauptteil (etwa 2 Drittel) der Kosten ausmachen, wenn die Betroffenen das Erwachsenenalter erreicht haben. Arbeitsunfähigkeit und frühzeitige Berentung spielen hierbei eine wesentliche Rolle (Minden et al. 2004).
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Kapitel 15 · Krankheitsbewältigung im Alltag
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Sachverzeichnis
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A Abwehrmechanismus 573 Acetylsalicylsäure 132 Achondroplasie 483 activation-induced cytidine deaminase (AID) 27 Adalimumab (Humira) 57, 158 Adenosindeaminase-(ADA-)Mangel 462 Adoleszenz 580 Agammaglobulinämie – X-chromosomal vererbte – autosomal-rezessiv-vererbte 465 AIRE (autoimmune regulator) 14 Alkaptonurie 482 Allodynie 511 ALPS (autoimmune lymphoproliferative syndrome) 22 Amyloidose 188, 419 – Niereninsuffizienz 188 Anakinra 57, 161 Anergie, klonale 65 Ankylose 186 Anti-β2-Glykoprotein-Antikörper 325 Anticitrullinantikörper 92 Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörper 299 Antigen 13 Antigenpräsentation 14 Antikardiolipin-Antikörper 92, 325 Antikörper 90 – antineutrophile zytoplasmatische (ANCA) 91, 393, 399 – antinukleäre (ANA) 89, 204, 300 – chimäre human/murine 58 – extrahierbare nukleäre (ENA) 90 –– Anti-Histon-Antikörper 90 –– Anti-La/SS-B 90 –– Anti-Ribonukleine 90 –– Anti-Ro/SS-A 90 –– Anti-Scl70-Antikörper 90 –– Anti-Sm 90, 299 –– Anti-U1-Ribonukleine 90 – humane monoklonale 57 – murin-human chimäre monoklonale 57 Antimalariamittel 141 Antiphospholipid-Antikörper 305 Antiphospholipid-Syndrom (APS) 324 – Klassifikation 325 – klinische Manifestationen 326 – sekundäres 326 – Therapie 327 Antirheumatika, nichtsteroidale (NSAR) 58, 132, 206 Anti-RNP-Antikörper 299 Anti-Ro-/Anti-La-Antikörper 74 Anti-Sm-Antikörper 299 Anti-SS-A-Antikörper 323, 300 Anti-SS-B-Antikörper 323, 300Anti-TNFAntikörper 54 Antizytokintherapie 56 – spezifische 35 Antizytostatikatherapie – Ciclosporin A 59 – Corticosteroide 58
– Leflunomid 59 – Methotrexat 58 – nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) 58 – Sulfasalazin 58 APECED (autoimmune polyendocrinopathy, candidiasis, ectodermal dystrophy) 14, 22 Aphthen, orale 388 Apophysitis calcanei 450 APS-1 (autoimmune polyglandular syndrome 1) 14 Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (AgKJR) 5 Arthritis – Aktivierungsmechanismen von Makrophagen 33 – Ätiologie 231 – Ausschlusskriterien 178 – bildgebende Diagnostik 234 – Definition 178, 230, 233 – Differenzialdiagnose 233 – Effektormechanismen von Makrophagen 34 – Enthesitis-assoziierte 230 – entzündliche 33 – HLA-B27 231 – intraartikuläre Steroidapplikation 235 – Inzidenz 179, 230 – juvenile idiopathische (JIA) 36 –– Enthesitis-assoziierte 38 –– Genetik 36, 40 –– intrafamiliäre Transmission 39 –– Kleinwuchs 186 –– oligoartikuläre 37 –– polyartikuläre 37 –– Protein-Energie-Malnutrition 186 –– Psoriasis 39 –– systemische 37, 181 –– Unterformen 37 – juvenile rheumatische (JRA) 5, 7 – kardiale Beteiligungen 232 – Klassifikation 178, 230 – klinische Symptome 232 – Makrophagenphänotypen 33 – Methotrexat 235 – Pathogenese 231 – Prävalenz 179 – Prognose 235 – reaktive 264 –– Antibiotikatherapie 273 –– Ätiologie 264 –– Augenbeteiligung 270 –– Campylobacterinfektion 267 –– Chlamydieninfektion 268 –– Clostridium difficile 268 –– Definition 264 –– Diagnose 271 –– Differenzialdiagnose 271 –– Enthesitis 270 –– gastrointestinale Manifestation 270 –– Haut 270 –– HLA-B27-Assoziation 264 –– Inzidenz 264 –– Klassifikation 264
–– klinische Symptome 266 –– Meningokokkeninfektion 268 –– Pathogenese 265 –– Prognose 273 –– Salmonellose 266 –– Schleimhäute 270 –– Shigellose 266 –– Streptokokkeninfektion 268 –– Sulfasalazin 273 –– Therapie 272 –– Yersiniose 267 – rheumatoide 54 –– Antizytokintherapie 56 –– Immunpathogenese 55 –– Methotrexat 58 –– Zytokine 55 – septische 492 – Subgruppen 178 – Sulfasalazin 235 – Therapie 234 – TNF-α 54 – TNF-α-Blockade 235 – Uveitis 232 – virale 274 Arthropathie, progressive pseudorheumatoide 484 Ataxia teleangiectatica 468 Atlizumab 58, 162 Atrophie, progressive hemifaziale 350 Aufhellungslinien, transverse metaphysäre 499 Auranofin 157 Ausspitz-Phänomen 240 Autoantigen, Komplementaktivierung 30 Autoimmunerkrankungen 33 – Makrophagen 33 Autoimmunität 22 – Umweltfaktoren 22 Autoimmunität 29 – Bystander-Aktivierung 62 – Grundlagen 60 – humorale 30 – Infektion 61 – molekulare Mimikry 61 – Selbstantigen 62 Autoimmunkrankheiten 60 – Ätiologie 60 – genetische Faktoren 60 – genetische Grundlagen (Zusammenfassung) 64 – Infektionen 62 – Pathogenese (Zusammenfassung) 60, 64 – Umweltfaktoren 60 Autoimmunneutropenie, primäre 471 Autoimmunuveitis 246 – anteriore 249 – HSV-Uveitis 246 – intermediäre 249 – posteriore 249 – Toxoplasmose-Retinochorioiditis 246 AV-Block 323 Azathioprin 148, 192
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B Baker-Zyste 99, 201 Ballonangioplastie, perkutane transluminale 385 Ballzeichen 83 Bandkeratopathie 247 Basiliximab (Simulect) 58 Beau-Linien 368 Behçet-Syndrom 163; s. auch Morbus (Adamantiades-)Behçet Berufsorientierung 577 Bewegungsbad 523 Bisphosphonate 260 Bobath 524 Borrelia burgdorferi 278 – Antikörper 284 – Kultur 284 – Western Blot 284 BTLA (B and T lymphocyte attenuator) 17 B-Vorläuferzellen 23 Bystander-Aktivierung 62 B-Zellen 64 – Affinität 28 – Autoimmunität 29 – Entwicklung 23 – Funktion 27 – Ignoranz 29 – reaktive 29 – Rekombination 24 – Toleranz 29 B-Zell-Rezeptor 24, 25
C c-ANCA 393 C1q-Defizienz 296 cCandidiasis, chronische mukokutane 468 CARD15/NOD2-Gen 431 CD4+-T-Zellen 18 – Effektorfunktionen 18 CD8+-T-Zellen 18 – Effektorfunktionen 18 Chediak-Higashi-Syndrom 469 Chemokine 47 – rheumatoide Arthritis 54 – Signalübertragung 54 Childhood Health Assessment Questionnaire (CHAQ) 343 Childhood Myositis Assessment Scale 81, 337 Chloroquin 141, 207 Chondroblastom 457 Chondrokalzinose 478 Chondromyoxidfibrom 458 Chondropathia patellae 451 Chorea minor 289 Chorea Sydenham 289 chronic recurrent multifocal osteomyelitis 494 chronic regional pain syndrome (CRPS) 510 chronisches Müdigkeitssydrom 516 Churg-Strauss-Syndrom 402
CIAS1-Gen 421 CIAS1-pathien 421 CINCA 424 Ciclosporin A 59, 188 Ciclosporin 155 Codman-Dreieck 502 Common Variable Immunodeficiency (CVID) 466 Compliance 566, 584 Coping 566 Corticosteroide 58 Cortisol 137 Coup-de-sabre-Läsion 72 COX-1-Inhibitoren 223 COX-2-Antagonisten 132 COX-2-Inhibitoren 223 Coxitis fugax 459 CREST-Syndrom 353 CT-Angiografie 383 Cyclophosphamid 153, 318 cytotoxic T lymphocyte antigen 4 (CTLA-4) 17
D Daclizumab (Zenapax) 58 Daktylitis 237, 239, 241 Deletion, klonale 65 Deoxynukleotidyltransferase, terminale (TdT) 25 Dermatomyositis 332, 545 – amyopathische 334 – Autoantikörper 338 – Chimärismus 333 – Hauterscheinungen 333 – Immunsuppressiva 340 – Infektionen 333 – Inzidenz 332 – Magnetresonanztomografie 338 – Malignome 333 – Muskelenzyme 338 – Muskelsymptome 336 – Nagelbettveränderungen 77 – Pathogenese 332 – Prognose 343 – Sonografie 338 – Steroidtherapie 339 – Vaskulitis 333 – von Willebrand-Faktor 338 Dexamethason 137 Diclofenac 132, 206 DiGeorge-Sequenz 468 DNS-Antikörper – Doppelstrang (ds-DNS) 91 – Einzelstrang (ss-DNS) 91 Drehmann-Zeichen 460 DXA 257 Dysgenesie, retikuläre 462 Dysplasia congenita, spondyloepiphysäre 483 Dysplasie 473 – anhidrotisch ektodermale 473 – diastrophe 483 – metaphysäre vom Typ Schmid 484 – multiple epiphysäre 484
A–F
E Echokardiografie 370 Effektor/Gedächtnis-TH-Zellen 18 Effektor-Memory-T-Zellen 20 Effektor-T-Zellen, zytotoxische 18 Einlagen 528 Elektrotherapie 552 Ellenbogengelenk 80 Empowerment 566 en coup de sabre 72, 350 Enchondrom 456 Endocarditis verrucosa rheumatica 289 Endokardfibroelastose 323 Enthesitis 84, 230, 233, 545 Entspannungstechniken 524 Entzündung 43 Entzündungsparameter – BSG 88 – C-reaktives Protein 88 – Serumamyloid A 88 – Serumimmunglobuline 88 Epstein-Barr-Virus 276 Erberkrankungen – mit Autoimmunphänomenen 40, 41 – mit monogenem Erbgang 41 Ergotherapie 554 – Daumen 557 – Finger 558 – Handgelenk 557 Erythema marginatum 289 Erythema migrans 279 Erythema nodosum 389 Etanercept (Enbrel) 57, 158, 192 EULAR Standing Committee of Pediatric Rheumatology 5 Evans-Syndrom 305 Ewing-Tumor 501 Exostose, kartilaginäre 457
F Fahrtkosten 578 Faszilitation, propriozeptive neuromuskuläre (PNF) 524 Fibromyalgie 514 – juvenile 515 – Klassifikationskriterien 514 Fieber – remittierendes 182 – rheumatisches 287 –– Jones-Kriterien 290 – unklarer Genese 190 Fiebersyndrome, periodische 40 Fingergelenke 80 Fluoride 260 Folsäure 145, 207 Fraktur 442 Freiberg’s disease 450 Fußgelenk 81
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G Galileo 548 Gallenblasenhydrops 368, 376 Ganganalyse 523 Gelenkschutz 559 Genetik 36 Genrearrangierung 25 Gicht 476 Gipslagerungsschale 529 Glomerulonephritis – diffus-proliferative 311 – fokal-segmentale 311 – membranöse 313 – mesangioproliferative 311 Glucocorticoide 35, 136 Gold 157 Gottron-Papeln 77, 333 Granulom, eosinophiles 455 Granuloma annulare, subkutanes 484 Granulomatose, septische (CGD) 472 Griscelli-Syndrom 469
H Hackenfuß 535 Hallux flexus 535 Hallux valgus 536 hämatologische Auffälligkeiten 306 Hämophagozytose 170, 188 Hämophilie 505 Handfunktionsschiene 561 Handgelenk 80 Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) 212 Hautschuppung 368 Hepatitis-B- und C-Viren 275 Hepatosplenomegalie 185 Herzblock, kongenitaler 323 Hilfsmittel 527, 563 Hinken, Differenzialdiagnose 441 HLA-Assoziation 212 HLA-B27 265 HLA-Klasse I 15 HLA-Klasse II 15 HLA-Molekül 13 – Antigenpräsentation 13 – HLA-Klasse I 13 – HLA-Klasse II 13 – Polymorphismus 13 Homocystinurie 482 Hüftgelenk 80 Hüfthinken 446 Hüftschnupfen 459 Hydrotherapie 551 Hydroxychloroquin 141, 207 Hypercholesterinämie 479 Hyper-IgM-Syndrom (HIDS) 428, 465 Hyperlipoproteinämie 479 Hypermobilitätssyndrom 547 Hypertension, pulmonale 356 Hypertonie, arterielle 310 Hyperurikämie 476
Hypochondroplasie 483 Hypogammaglobulinämie, transiente des Säuglings 467 Hypophosphatasie 476
I Ibuprofen 132, 206 IgA 25f IgA-Defizienz 466 IgD 25f IgE 25f IgG 25f IgM 25f Ignoranz, klonale 65 IL-1-Rezeptor-Antagonist 161 IL-2-Rezeptor (IL-2R) 48 – Signalübertragung 49 IL-6-Rezeptor-Antikörper 192 Immunantwort 43 – sekundäre 19 – spezifische 32 –– Induktion 32 – T-Zell-abhängige 27 Immundefekte, schwere kombinierte (SCID) 25, 461 Immunglobulin – Funktion 25 – intravenös appliziertes (IVIG) 164 – Struktur 25 Immunität 44 – erworbene 44 – unspezifische 44 Immunkomplexe, Bildung 30 Immunmodulation 63 Immunpathogenese 55 – rheumatoide Arthritis 55 immunreceptor tyrosine-based activation motif (ITAM) 16 Immunsystem 32 – angeborenes 32 – erworbenes 32 Indomethacin 132, 206 inducible costimulator (ICOS) 17 Infektion 60 – Grundlagen 60 Infliximab 57, 158 Insulinresistenz 335 Integration, schulische 576 Interferon 54 Interferon-α (IFN-α) 54, 301 Interferon-β (IFN-β) 54 Interferon-γ 54 Interleukin-1 161 – Rezeptor 47 Interleukin-1-Antagonist 192 Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist 48 Interleukin-2 48 Interleukin-4 50 Interleukin-6 50 – rheumatoide Arthritis 51 – Wirkung 51 Interleukin-7 51 Interleukin-10 51
Interleukin-12 51 – rheumatoide Arthritis 51 Interleukin-16 51 Interleukin-18 51 Interleukine 46 IPEX 22 IPEX-Syndrom (immune dysregulation, polyendocrinopathy, enteropathy, x-linked syndrome) 21
J JIA (juvenile idiopathische Arthritis) 258 – skelettale Veränderungen 258 JRA (juvenile rheumatische Arthritis) 5, 7
K Kälteurtikaria 423 – familiäre 422 Kalzinose 334 Kalzitonin 260 Kalzium 259 Kapillarmikroskopie 334 Kawasaki-Syndrom (KS) 164, 365 – Acetylsalicylsäure (ASS) 371 – diagnostische Kriterien 366 – Differenzialdiagnose 370 – Exanthem 368 – Extremitäten 368 – Fieber 367 – gastrointestinal 368 – Haut 369 – Immunglobuline 371 – inkomplettes 370 – IVIG-resistente Krankheitsverläufe 372 – kardiologische Diagnostik 370 – kardiovaskuläre 368 – Konjunktivitis 367 – Labordiagnostik 369 – Langzeitüberwachung 373 – Lymphadenopathie 368 – muskuloskelettal 369 – pulmonal 368 – Schleimhautveränderungen 368 – Steroide 372 – urogenital 369 – ZNS 369 Keratoma blenorrhagicum 270 Kiefergelenk 79 Killer-T- (NKT-)Zellen 11 Kinderpflegekrankengeld 578 Knicksenkfuß 535 Kniebinnenverletzungen 444 Kniegelenk 80 Knochemasse 254 Knochen 253 – kortikaler 253 – trabekulärer 253 Knochendichte 254 Knochenmarkpunktion 500 Knochenmarktransplantation, autologe 192 Knochenmasse 258
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Knochennekrose, aseptische 445 Knochenstoffwechsel 253 – Glukokortikoide 258 – Labordiagnostik 258 – therapeutische Optionen 259 Knochentumoren – gutartige 453 – maligne 501 –– Röntgen 502 –– Studienzentrale 503 –– Therapie 503 Knochenzyste 453 – aneurysmatische 453 – juvenile 454 Knopflochfehlstellung 559 Köbner-Phänomen 184 Kombinationstherapie 166 Komplementanalysen 89 Komplementdefekte 301 Komplementkaskade 28 Konfliktkonstellation, familiäre 516 Koronararterienaneurysma 370 Koronararterienangiografie 373 Kostimulation 16 – Tumor-Nekrose-Faktor (TNF-)Familie 17 Kostmann-Syndrom 470 Krankengymnastik 522, 525 – Behandlungsschema 525 – Ellenbogen 542 – Elternanleitung 527 – Finger und Daumen 544 – Halswirbelsäule 540 – Handgelenk 543 – Hüftgelenk 538 – Iliosakralgelenk 539 – intraartikuläre Injektion 525 – Kiefergelenk 541 – Kniegelenk 536 – Lagerung 526 – Schultergelenk 541 – Sprunggelenk 534 – Zehen 534 Krankheitsbewältigung 566 Kreuzbandruptur 445 Kryoglobuline 89 Kryotherapie 209, 550
L Labor 88 – Basisdiagnostik 94 Lagerungsschiene 562 Lauenstein-Aufnahme 446 Lebensqualität 86 Leflunomid 59, 147 Lesch-Nyhan-Syndrom 478 Leukämie, akute lymphoblastische 498 – Arthralgie 498 – Arthritis 498 – Knochenschmerz 498 – muskuloskelettale Symptome 498 – Studienzentrale 501 – Synovitis 498 Leukozytenadhäsionsdefekt 471 Libman-Sacks-Endokarditis 302, 307
Lipodystrophie 335 Livedo reticularis 76 Lupus erythematodes (LE) – medikamenteninduzierter 324 – neonataler 300 – subakuter kutaner 300 Lupus erythematodes, systemischer (SLE) 30, 76, 295, 546 – Arthritis 305 – Atherosklerose 307 – Bauchschmerzen 307 – Hautmanifestationen 304 – Labordiagnostik 308 – Lungenblutung 307 – Manifestationen 303 – Myokarditis 307 – neonataler 323 – neuropsychiatrischer 306 – Nierenbiopsie 315 – Niereninsuffizienz, terminale 315 – Organdiagnostik 309 – Perikarditis 307 – Pleuritis 307 – Pneumonitis 307 – revidierte Kriterien des American College of Rheumatology 295 – Ulzerationen 304 Lupus vulgaris 295 Lupusantikoagulans-Antikörper 325 Lupusband 302 Lupus-like-Syndrom 40 Lupusnephritis 310 Lyme-Arthritis 277 – Antibiotika 285 – Ätiologie 278 – Definition 277 – Diagnose 284 – Häufigkeit 277 – Klassifikation 278 – klinische Symptome 284 – Manifestationen 278 – Pathogenese 280 – Prävention 286 – Prognose 286 – Therapie 285 Lyme-Borreliose 277 Lymphadenopathie 185 Lymphdrainage 554 – manuelle 525 Lymphknotensyndrom, mukokutanes 365 Lymphozytom 279
M Magnetresonanztomografie (MRT) 110, 217 – Ganzkörperuntersuchung 111 – Gelenk 112 – Halswirbelsäule 121 – Hand- und Fingergelenke 125 – Iliosakralgelenke 124 – Kiefergelenk 121 – Kniegelenk 126 – Markraum 115 – Sehnenansatzstelle 115
G–M
– Sehnenscheiden 115, 125 – Sequenzen 111 – Sprunggelenk 126 – synoviale Verdickung 119 – Weichteile 117 Makrophagen – Aktivierungsmechanismen 31 – andere Autoimmunerkrankungen 34 – antientzündliche Therapie 34, 35 – Autoimmunerkrankungen 33 – Differenzierungswege 31 – Effektorfunktionen 32 – entzündliche Arthritiden 33 – Grundlagen (Zusammenfassung) 66 – Interaktion 32 – Pathogenerkennung 32 – pathogenetische Funktionen 35 – Phagozytose 32 – proinflammatorische Produkte 34 – regulatorische Funktionen 33 Makrophagenaktivierungssyndrom 170, 188 MAP-Kinase (mitogen activated protein kinase) 31 Marenostrin 415 Marshall-Syndrom 432 Massage 554 Mastzellen 29 MEFV-Gen 416 Meloxicam 206 Memory-Zellen, zentrale 20 6-Mercaptopurin 148 MESNA 153 Metalloproteinase 197 Methotrexat 58, 142, 192, 207 Methylprednisolon 191 – i. v.-Pulstherapie 138 Methylprednisolon-Pulstherapie 188, 224 Mevalonatazidurie 429 Mevalonatkinase 428 MHC – Klasse-I-Gene 13 – Klasse-II-Gene 13 – Klasse-III-Gene 13 MHC/Peptid-Komplexe 14 – Generierung 14 MHC-Klasse-I-Moleküle 11 Mikrochimärismus 354 Mimikry, molekulare 61, 265 Mischkollagenose 359 – Diagnoseschema 360 Mitogene 28 Mittelmeerfieber, familiäres 414 mixed connective tissue disease 546 Modeling 254 Mollaret-Meningitis 418 Monozyten 31 – Grundlagen (Zusammenfassung) 66 Morbus (Adamantiades-)Behçet 386 Morbus Fabry 481 Morbus Farber 481 Morbus Finkelstein 377 Morbus Gaucher 481 Morbus Köhler I 449 Morbus Köhler II 450 Morbus Osgood-Schlatter 448
592
Sachverzeichnis
Morbus Panner 445 Morbus Perthes 446 Morbus Seidlmayer 377 Morbus Sinding-Larsen-Johansson 449 Morbus Still 181 – Anämie 187 – Exanthem 184 – oligoartikuläre Verlaufsform 194 Morgensteife 197 Morphaea 76, 348 MRL/ lpr-Maus 297 MRT-Angiografie 383 Muckle-Wells-Syndrom 423 Mukolipidose 480 Mukopolysaccharidose 479 MUNC-Defekt 469 Muskelbiopsie 339 Muskelkraft 337 Muskelmasse 258 Muskeltraining 260 Mycophenolatmofetil 156 Myeloid-related-Protein 213 Myoperikarditis 279
N Nagelfalzveränderungen 333 Nägeltüpfelung 240 Naproxen 132, 206 Natalizumab 165 Natural-Killer-Zellen 29 Nephritis, tubulointerstitielle 314 Nephrotisches Syndrom 310 Neuro-Behçet-Erkrankung 390 Neutropenie – schwere kongenitale 470 – zyklische 414, 471 NFAT (nuclear factor of activated T cells) 16 Nijmegen-Chromosomeninstabilitätssyndrom 468 Ninhydrintest 512 NOMID 424
O Ödeme, periorbitale 333 Oligoarthritis 194 – Differenzialdiagnosen 203 – frühkindliche 197 Ollier-Syndrom 457 Omenn-Syndrom 462 Onycholysis 240 Ösophagusmotilitätsstörung 356 Ossifikation, enchondrale 254 Osteoarthritis, eitrige 492 Osteoblasten 254 Osteoblastom 456 Osteochondrom 457 Osteochondrosis dissecans 233, 445 Osteoidosteom 455 Osteoklasten 253 Osteomalazie 254
Osteomyelitis 487 – chronische nichtbakterielle (CNO) 494 –– andere Organe 495 –– Arthritis 495 –– Bartonella henselae 494 –– Differenzialdiagnose 496 –– Histologie 496 –– Hyperostose 495 –– mikrobielle Analyse 495 –– multifokal 495 –– nichtsteroidale Antiphlogistika 496 –– Osteolyse 495 –– Propionibacterium acnes 494 –– unifokal 495 Osteopenie 254, 256 Osteoporose 253, 256 Osteoprotegerin 256 Osteosarkom 501 Osteozyten 254 outer surface proteins (Osp) 279 Oxford-Muskelkraft-Messungsskala 84
P Panarteriitis nodosa 398 p-ANCA 395, 403 Pannus 197 Panuveitis 390 PAPA-Syndrom 421 Parry-Romberg-Syndrom 350 Parvovirus B19 275 Patella, tanzende 83 Pathergietest 389 pathogen-associated molecular pattern (PAMP) 15 Pathogenerkennung 32 Patientenschulung 574 PD-1 (programmed cell death-1) 17 Pediatric Rheumatology European Society (PRES) 5 Pediatric Rheumatology International Trials Organization (PRINTO) 5 Penicillamin 154 Perforindefekt 469 Perikarditis 185 Periostreaktionen 502 PFAPA-Syndrom 432 Pflegeversicherung 578 Phagozyten, mononukleäre 31 Phagozytose 32 Phonophorese 553 Phosphatdiabetes 476 Plantaraponeurose 233 Plasmapherese 320 Pleuritis 185 Pneumonitis 356 Polyarthritis, RF- 211 – Allgemeinsymptome 214 – bildgebende Diagnostik 216 – Definition 211 – Diagnose 214 – Differenzialdiagnose 217 – Epidemiologie 211 – Gelenkmanifestation 213 – Genetik 212
– Labordiagnostik 215 – radiologische Veränderungen 217 Polyarthritis, RF+ 217 – Adalimumab 226 – Anakinra 226 – Anti-Interleukin-6-RezeptorAntikörper 226 – Azathioprin 224 – Behandlungsalgorithmus 227 – Biologicals 225 – Ciclosporin 224 – CTLA4lg 226 – Definition 217 – Diagnose 220 – Differenzialdiagnose 221 – DMARD 223 – Epidemiologie 217 – Etanercept 225 – Genetik 220 – Infliximab 225 – intraartikuläre Kortikosteroide 224 – Labordiagnostik 220 – Leflunomid 224 – medikamentöse Therapie 221 – Methotrexat 223 – NSAID 223 – Prognose 227 – Rituximab 226 – Sulfasalazin 224 – Symptome 220 – systemische Kortikosteroide 225 Polyendokrinopathie-CandidiasisEktodermaldysplasie, autosomal-rezessive (APECED) 468 Polygenie 13 Polymorphismus, therapierelevanter 41 Positronenemissionstomografie (PET) 384 pQTC 257 Prednisolon 137 Prednison 136, 137 PRES (Pediatric Rheumatology European Society) 5 PRINTO (Pediatric Rheumatology International Trials Organization) 5 Proteinenergiemalnutrition 86 Pseudoachondroplasie 483 Pseudoporphyrie 135 Pseudorheumaknoten 484 Psoriasisarthritis – Ätiologie 237 – Definition 236 – Diagnose 240 – Enthesiopathie 239 – Epidemiologie 237 – Etanercept 242 – Gelenkbefallmuster 239 – Infliximab 242 – intraartikuläre Steroidpräparate 241 – Klassifikation 236 – klinische Symptome 238 – Methotrexat 242 – Naproxen 241 – Pathogenese 238 – Prognose 242 – Psoriasis 239 – Therapie 241
593
Sachverzeichnis
Pubertät 580 Pulssteroidtherapie 316, 340 Pulstherapie, intravenöse 318 Purinnukleosidphosphorylase-(PNP-) Mangel 462 Purpura Schönlein-Henoch (PSH) 375 – abdominelle Beteiligung 376 – Arthritis 376 – Bettruhe 377 – Differenzialdiagnose 376 – Exanthem 376 – Faktor XIII 377 – Kortikosteroide 377 – Nierenbeteiligung 376 – Nierenbiopsie 376 – NSAID 377 – Orchitis 376 – Paracetamol 377 – zentralnervöse Manifestation 376 Purpura, thrombotisch-thrombozytopenische 314 Purtilo-Syndrom 470 Pustulosis palmoplantaris 270 Pyrin 415
Q Quantitative Computertomografie (QCT) 257
R Rachitis, Vitamin-D-resistente 476 RANK 256 RANKL 256 Rattenbissnekrose 355 Raynaud-Phänomen 354 Reflexdystrophie, sympathische 510 Releasetechnik, myofasziale 524 Remodeling 254 Reye-Syndrom 132, 135 Rheumafaktoren 91 Riesenzellarteriitis 379 Rippstein-Aufnahme 446 Rituximab 165 Röntgen – Demineralisation 108 – Destruktionsmuster 108 – Frakturen 109 – Gelenkspaltverschmälerung 107 – Synostose 107 – Usuren 107 Rötelnvirus 276
S SAPHO-Syndrom 494 Sarkopenie 186 Sattelnase 73, 395 Scheibenmeniskus 452 Schienentherapie 561 Schlingentisch 523 Schmerzdruckpunkte 515
Schmerzpunkte 85 Schmerzverarbeitungsstrategien 517 Schmerzverstärkungssyndrom 510 – generalisiertes 514 –– differenzialdiagnostisch 516 –– klinische Symptome 516 –– multidisziplinäre Behandlung 517 – chronisch regionales 510 –– Behandlungsprogramm, multidisziplinäres 513 –– diagnostische Kriterien 512 –– differenzialdiagnostisch 512 –– klinische Symptome 511 – Klassifikationskriterien 510 Schmetterlingsexanthem 304 Schnelltest 532 Schuherhöhung 529 Schule 571 Schulsport 571 Schultergelenk 79 Schwanenhalsfehlstellung 558 Schwerbehindertenausweis 578 Selbstantigen, infektionsinduzierte Freisetzung 62 Selbsthilfe 579 Selektion 14 – negative 14 – positive 14 Serum-Amyloid-A-Protein 413 Sichelzellerkrankung 506 Sichelzellkrise 506 Signaltransduktionskaskade 16 Signalübertragung, juxtakrine 43 silk road disease 387 Skelettentwicklung 254 – Regulation 254 Skelettszintigrafie 234 Skleroderma 348 Sklerodermie 546 – diffuse systemische 353 – limitierte systemische 353 – lineare 349 – lokalisiert 348 –– Bildgebung 351 –– Differenzialdiagnose 351 –– Histologie 351 –– Labordiagnostik 351 –– therapeutische Studien 352 –– Thermografie 351 – systemisch 348 –– Disease Severity Scale 357 –– gastrointestinale Beteiligung 356 –– Hautbeteiligung 355 –– immunsuppressive 358 –– kardiopulmonale Beteiligung 356 –– Labor 357 –– muskuloskelettale Beteiligung 355 –– Organbeteiligung 354 –– renale Beteiligung 357 –– Sjögren-Syndrom 357 –– supportive Therapie 358 –– ZNS-Beteiligung 357 SLE 76 Sonografie 97 – Ergussmenge 98 – Ergussnachweis 97
M–T
– Ergussqualität 98 – Standardschnitte 100 – Synovialis 99 – Untersuchungstechnik 100 – Usuren 100 – Vaskularisation 99 – Weichteile 99 Sphingolipidose 481 Spiculae 502 Spondylarthropathie 230 Spondylitis, juvenile ankylosierende 230 Spondylodiszitis 491 Sport 529 Sprunggelenk 80 Stammzelltransplantation 167 – Ausschlusskriterien 168 – autologe 321 – Einschlusskriterien 168 – Ergebnisse 169 – Komplikationen 170 – Konditionierung 168 – Mobilisierung 168 – Mortalität 170 – Toleranzinduktion 170 – T-Zell-Depletion 168 Steroidpulstherapie 316, 340 Stickler-Syndrom 483 Still, George Frederic 181 Streptokokken, β-hämolysierende 288 Subsepsis allergica 190 Sudeck-Dystrophie 510 sudorische Aktivität 511 Sulfasalazin 58, 140, 208 Superantigene 365 Suppression, klonale 65 supramolecular activation cluster (SMAC) 16 Syndrom – autoimmunes lymphoproliferatives (ALPS) 470 – familiäres kälteinduziertes autoinflammatorisches 422 – nephrotisches 310 – X-chromosomales lymphoproliferatives 470 Synechien 247 Synovialflüssigkeit 92 Synovitis 56 – Zytokinnetzwerk 56 systemischer Lupus erythematodes s. Lupus erythematodes, systemischer
T Takayasu-Arteriitis (TA) 378 – ACR-Kriterien 380 – bildgebende Verfahren 381 – interventionelle Verfahren 385 – Ishikawa-Kriterien 380 – Klassifikation 380, 383 – klinische Symptome 380 – medikamentöse Therapie 385 – Mycobacterium tuberculosis 379 Temporomandibulargelenke 214 Tendinitis 84
594
Sachverzeichnis
Tenosynovitis 214 Thalidomid 163 – Neuropathie 163 T-Helfer-1-Zellen 18, 19 T-Helfer-2-Zellen 18 T-Helfer-3-(TH3-)Zellen 22 T-Helferzellen 11, 19 Therapie, manuelle 524 Thermotherapie 552 Thiopurinmethyltransferase 150 Thrombose 325 Thrombozytopenie 499 TI-1- (T-Zell-unabhängig-1-)Antigene 28 TI-2- (T-Zell-unabhängig-2-)Antigene 28 T-Lymphozyten 11 TNF-α 163 – biologische Effekte 53 – klinische Effekte 53 – rheumatoide Arthritis 54 TNF-Antagonisten 54 TNF-Rezeptor 1 426 TNF-Rezeptor-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS) 425 TNF-Rezeptor-p75-Immunglobulin-FcFusionsprotein 57 Toleranz 29 – immunologische 14 – orale 166 Toll-like-Rezeptoren (TLR) 15 Trachealstenose, subglottische 394 Traktionsbehandlung 523 Transition 579 Transskriptionsfaktor AIRE 20 Transmission, intrafamiliäre 39 Transportprotein TAP 15 Trauma 442 T-regulatorische 1-(TR1-)Zellen 22 Triamcinolon 137 Triamcinolon-Acetonid 207 Triamcinolon-Hexacetonid 207 Trizytopenie 305 Tumor, maligner peripherer neuroektodermaler (PNET) 501 Tumor-Nekrose-Faktor-Antagonisten 158 Tumor-Nekrose-Faktor (TNF-)Familie 17, 52 T-Zell-Aktivierung 15 – Signaltransduktionskaskade 16
T-Zellen 64 – Aktivierung 14 – Antigenpräsentation 14 – Autoimmunität 22 – Effektormechanismen 17 – Entwicklung 11 – Kostimulation 16 – MHC-Restriktion 13 – regulatorische 21 T-Zell-Rezeptor 11 – Diversität 11 T-Zell-Toleranz 20 – pheriphere 20 – zentrale 20, 22 T-Zell-Vorläufer 14
U U1-RNP-Antikörper 359 Ulkus, genitales 388 Ulzeration, orale 73 Untersuchung, körperliche 70 Usuren 216 Uveitis 202, 243 – anteriore 245 – intermediäre 245 – posteriore 245
V Vaskulitis 366 – leukozytoklastische 375 Vaskulopathie 378 Veränderungen, radiologische 221 Vitamin D 259 Vojta 524 Vorfußadduktion 535 Vβ-Restriktionsmuster 212
W Wachstumsschmerzen 485 Wachstumsstörung, lokale 201 Wegner-Granulomatose 73, 393 – Sattelnasendeformität 73
Winged-Helix-Nude-(WHN-)Defekt 469 Wiskott-Aldrich-Syndrom 467
X XLA (Agammaglobulinämie Typ Bruton) 24
Z ZAP-70 (zeta-associated protein) 16 Zellen – antigen-präsentierende (APZ) 15 – dendritische (DZ) 15 Zytokine 46, 212 – Antizytokintherapie 56 – Bedeutung 42 – Effekte 56 – Einteilung 42 – Entzündung 43 – erworbene, spezifische Immunität 45 – Grundlagen (Zusammenfassung) 42, 66 – Immunantwort 43 – juxtakrine Signalübertragung 43 – natürliche unspezifische Immunität 44 – Nomenklatur 42 – rheumatoide Arthritis 55 Zytokinproduktion 43 – Regulation 43 Zytokinrezeptor 43 – Beispiele 44 Zytokinwirkung 43 – Regulation 43