Butler � Parker � Nr. 70 � 70
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Butler � Parker � Nr. 70 � 70
John D. Acton �
Parker und der � ›Geigeklau‹ �
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»Sie sind schon wieder zurück?« Mike Rander sah von seinem Schreibtisch hoch und schüttelte verwundert den Kopf. »Ist das Konzert in olympischer Rekordzeit über die Bühne gegangen?« »Ich muß sehr enttäuscht gestehen, Sir, daß es überhaupt nicht stattfand!« »Ausgefallen?« Rander erhob sich und lächelte, »sollte das Orchester von einer Grippewelle erfaßt worden sein?« »Dies wäre zumindest noch eine eindeutige Erklärung gewesen, Sir. Ich muß jedoch vermelden, daß Dirigent und Orchester sich bester Gesundheit erfreuen.« »Dann ein Streik? Lassen Sie sich nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Parker! Was war nun wirklich los?« »Das Orchester vermißte die Instrumente, Sir.« »Wie, bitte?« »Das Orchester vermißte die Instrumente, Sir. Sie konnten trotz eifrigen suchen nicht gefunden werden.« »Das kann doch nicht wahr sein!« Mike Rander schmunzelte amüsiert, und schüttelte den Kopf. »Das erinnert ja direkt an einen Streich von cleveren Lausejungens!« »Die Konzertgäste samt Orchester waren erheblich anderer Meinung, Sir. Es gab das, was ich einen mittle-
ren Skandal nennen würde.« »Kann ich mir vorstellen Die Polizei ist doch wohl eingeschaltet worden, oder?« »In der Tat, Sir.« »Auf die morgigen Zeitungen bin ich gespannt,« sagte Anwalt Rander, »das wird nette und amüsante Schlagzeilen geben. Nicht zu glauben, einem ganzen Orchester die Instrumente zu stehlen. Wie konnte dies geschehen? Weiß man schon Einzelheiten?« »Sie müssen knapp anderthalb Stunden nach der letzten Verständigungsprobe entwendet worden sein, Sir. Und zwar sehr dreist, wenn ich es so ausdrücken darf. Augenzeugen sahen einen großen Transportwagen und zwei Bühnenarbeiter, die die Instrumente in aller Öffentlichkeit verluden. Von diesem Moment ab fehlt dann leider jede Spur.« »Tut mir leid, Parker, daß Sie um Ihren Musikgenuß gekommen sind. Aber das läßt sich bestimmt nachholen. Soll das Konzert neu angesetzt werden?« »Die Konzertdirektion bemüht sich um neue Instrumente, Sir. Sobald sie komplett sind, soll das Konzert endgültig stattfinden.« »Aha!« Rander wirkte zerstreut, um dann seinen Butler voll anzusehen, »wo liegt der tiefere Sinn dieses Diebstahles, Parker? Will man der Direktion, dem Dirigenten oder dem 3 �
Orchester eins auswischen? Könnte irgendeine Konkurrenz dahinterstecken?« »Ich erlaubte mir, bereits entsprechende Gedanken zu machen, Sir, wenngleich ich gestehen muß, daß ich vorerst noch zu keinem Resultat gekommen bin.« »Vielleicht handelt es sich nur um einen sehr gewagten Ulk!« »Oder um das Vorspiel zu einer Trauermusik. Sir!« * Parker wollte sich nach dieser kurzen Unterhaltung hinüber in die Privatgemächer begeben und sich ein wenig in seiner Bastelstube umsehen, als das Telefon klingelte. Parker blieb stehen und hob den Hörer ab. Korrekt und distanziert meldete er sich. »Wie hat Ihnen das Konzert gefallen?« erkundigte sich eine verzerrt klingende Stimme, in der allerdings deutliche Ironie mitschwang. »Mit wem habe ich die Ehre?« fragte Parker kühl und höflich. »Mit einem Kunstfreund. Der Name tut nichts zur Sache.« »Wie Sie meinen, Sir. Oder sollte ich Madam sagen?« Parker nickte seinem jungen Herrn zu, der sofort, verstand, ans Telefon eilte und den Zusatzhörer gegen sein Ohr preßte. Rander konnte jetzt das Gespräch verfolgen.
»Auch das tut nichts zur Sache,« erwiderte die undeutliche Stimme, von der man tatsächlich nicht sagen konnte, ob sie einer Frau oder einem Mann gehörte. »Ich will Ihnen nur sagen, daß das Orchester seine Instrumente zurückhaben kann.« »Wie erfreulich, wenn ich mich so ausdrücken darf.« »Natürlich gegen eine Erstattung der entstandenen Unkosten.« »Die sich auf welche Summe erstrecken?« Parker hatte mit einer präzisen Zahlenangabe gerechnet, doch sie ließ zu seiner Verwunderung auf sich warten. Dafür ging der Atem des Anrufers oder der Anruferin jetzt schnell und scharf. »Darf ich nachfragen, ob Sie meine Frage verstanden haben?« erkundigte der Butler sich. »Tausend Dollar,« sagte die Stimme jetzt, und sie klang deutlich unsicher. Diese Summe war derart gering, daß selbst Parker überrascht war und um ein Haar verdutzt nachgefragt hätte. Er faßte sich aber in gewohnter Weise und ließ nichts von seiner Überraschung hörbar werden. »Diese Summe müßte wo und wie hinterlegt werden?« fragte Parker höflich weiter. »Ich… ich weiß nicht.,« sagte die verzerrt klingende Stimme, deren Unsicherheit nun vollends durchklang, »ich… ich werde Sie noch ein4 �
mal anrufen!« Es klickte in der Leitung. Parker legte den Hörer auf und sah seinen jungen Herrn schweigend an, während auch er den Hörer auflegte. Rander schüttelte den Kopf. »Ich will mich ja nicht festlegen,« meinte Anwalt Rander, »aber dieser Anrufer machte einen ziemlich verwirrten Eindruck, Parker, finden Sie nicht auch?« »Ich freue mich, mich Ihrer Auffassung anschließen zu können,« antwortete der Butler, »mit einem Profi, wenn ich es so ausdrücken darf, haben wir es ganz sicher nicht zu tun.« »Tausend Dollar! Das ist doch gar nichts!« Rander war noch immer konsterniert, »die gestohlenen Instrumente dürften das Mehrfache wert sein.« »In der Tat, Sir!« »Ich denke, wir informieren Lieutenant Madford,« schlug Mike Rander vor, »er kann sich ja dann mit dem zuständigen Dezernat in Verbindung setzen. Tja, Parker, von einem Fall für Sie kann hier ja wohl nicht gesprochen werden. Mit solch kleinen Fischen werden Sie sich ja sicher nicht abgeben, oder?« »Ich bin mir meiner Reaktion nicht unbedingt sicher, Sir.« »Sie wollen sich doch nicht mit solchen Bagatellen befassen?« »Ich darf daran erinnern, Sir, daß ich um einen hohen Kunstgenuß
gebracht worden bin. Auf dem Konzertprogramm standen das Violinkonzert D-Dur, Opus 77 von Johannes Brahms sowie die 4. Sinfonie FMoll Opus 36 von Peter Tschaikowski.« »Wie interessant.,« antwortete Rander und verzog sein Gesicht. Von klassischer Musik ließ er sich nicht gerade in helle Begeisterung versetzen. »Noch interessanter aber ist die Tatsache, daß dieser Konzertsaboteur ausgerechnet Sie angerufen hat. Haben Sie irgendeine Erklärung dafür?« »Ich muß leider bedauern, Sir.« »Ist auch gar nicht so wichtig,« schloß Mike Rander, »aus der von Ihnen erwarteten Trauermusik wird höchstens ein Scherzo. Und ich habe nichts dagegen!« * Arthur Stevenson, international bekannter Violin-Virtuose, groß, schlank, ein fast dämonischer Typ, war nach dem peinlichen Zwischenfall in der Concert Hall zurück in seine Hotelsuite gefahren und entspannte sich. Sein erster Zorn über das ausgefallene Konzert hatte sich bereits gelegt. Er lag auf einer Couch und rauchte. Er übersah sein Faktotum, einen rundlichen, immer etwas ängstlich wirkenden Mann von etwa fünfzig Jahren, der für die Garderobe und alle Unannehmlichkeiten 5 �
zuständig war. »Gehen Sie noch aus, Sir?« fragte Will Glanser. »Nach diesem Eklat?« fragte Stevenson fast empört zurück und strich sich über die hohe Stirn, »nachdem ich mich innerlich auf meinen Solopart eingestimmt hatte? Halten Sie mich für einen empfindungslosen Bauerntrampel?« »Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?« erkundigte Will Glanser sich weiter. Er ging auf die Fragen seines Herrn und Meisters niemals ein. »Gehen Sie, gehen Sie, Will! Ich muß jetzt mit mir allein sein. Holen Sie mir vorher aber noch das Migränemittel aus der Reiseapotheke.« »Die Tabletten stehen schon auf dem Tisch,« sagte Will Glanser, der Stevenson durch und durch kannte, »ich bin gegenüber in meinem Zimmer, falls Sie mich brauchen.« »Bringen Sie meine Geige nach unten in den Tresor,« schloß Stevenson mit einer tragischen Geste und strich sich wieder über die überhaupt nicht schmerzende Stirn, »drehen Sie das Licht ab, ich brauche jetzt die Einsamkeit, um zurück zu mir zu finden!« Will Glanser griff nach dem Geigenkasten, löschte das Licht und verließ den Wohnraum der Suite. Kaum aber hatte er die Tür hinter sich geschlossen, als er leise, aber deutlich und mit Nachdruck sagte:
»Verdammter Mistkerl!« * Parker war innerlich erleichtert, als das Telefon läutete. Er hatte den Apparat durch zur Wohnhalle gestellt und konnte hier ungestört abheben. Sein junger Herr befand sich im Studio der großen Dachgartenwohnung und brauchte nicht belästigt zu werden. »Parker… Josuah Parker« meldete der Butler sich höflich. »Ich rufe noch einmal wegen der tausend Dollar an,« sagte die bereits bekannte, verzerrte Stimme, »ich… ich habe mir die Sache überlegt, ich will kein Geld.« »Sie werden gewiß zwingende Gründe für Ihre Entscheidung haben,« antwortete Parker gemessen, »darf ich fragen, wo man die bewußten abhanden gekommenen Instrumente nun abholen kann?« »In der Lemmen Street, auf dem Gelände der Schrotthandlung…!« »Hoffentlich haben die kostbaren Instrumente keinen Schaden davongetragen.« »Warten Sie’s ab,« sagte die Stimme, »ich sage Ihnen aber gleich, daß ab sofort hier in Chikago kein Konzert mehr stattfinden wird…« »Und die Gründe dieses recht ungewöhnlichen Entschlusses?« »Sie taugen nichts…« »Meinen Sie im Moment meine 6 �
bescheidene Wenigkeit, oder aber die Musikinstrumente?« »Die Instrumente…!« Die Stimme am anderen Ende der Leitung blieb humorlos und trocken. Ja, fast so etwas wie ein gehässiger Unterton war zu hören. »Bevor Sie auflegen, hätte ich eine sehr spezielle Frage. Warum haben Sie sich ausgerechnet an meine bescheidene Person gewandt? Hätten Sie nicht besser mit der Konzertdirektion verhandelt?« »Sie sind für mich der richtige Mann,« lautete die Antwort. »Vielleicht kenne ich Sie sogar, und Sie wissen es nicht. Vielleicht habe ich aber auch nur in den Zeitungen von Ihnen gelesen. Im Grund ist das doch vollkommen gleichgültig.« »Darf ich eine Zusatzfrage stellen?« »Ich habe nicht mehr viel Zeit, ich muß mich um die Instrumente kümmern… Schnell…!« »Inwiefern werden ab sofort in Chikago keine Konzerte mehr stattfinden? Was haben Sie gegen Konzerte, falls ich meine Frage auf diesen Punkt ausweiten darf?« »Auch die Konzerte taugen nichts,« sagte die verzerrt klingende Stimme. »Alles blutiger Dilettantismus. Die wahren Musiker wurden und werden an die Luft gesetzt und…« Die Stimme brach mitten im Satz ab. Auf der Gegenseite wurde ohne jede Vorwarnung aufgelegt. Parker,
der das Gespräch selbstverständlich auf Band aufgezeichnet hatte, begab sich hinüber zu seinem jungen Herrn, betrat das Studio und räusperte sich diskret, aber überhörbar. »Was gibt’s?« erkundigte sich Mike Rander. »Falls es Sie interessiert, Sir, so möchte ich Ihnen mitteilen, daß die gestohlenen Instrumente in der Lemmen Street zu finden sind!« * Die Lemmen Street war eine schmale Industriestraße im Osten der Stadt, umgeben von hohen, brandig und rissig aussehenden Fabrikmauern, Zäunen und Abfallplätzen. Auf einem dieser freien Plätze befand sich auch die Schrotthandlung, von der der Anrufer am Telefon gesprochen hatte. Josuah Parker lenkte sein hochbeiniges Spezial-Monstrum in diese sehr düstere Straße. Mike Rander strahlte die Einfahrt mit dem superstarken Handscheinwerfer an. Das Tor zum Schrottplatz war weit geöffnet. »Hier sollen sich die Instrumente befinden?« wunderte Rander sich, »sind Sie sicher, Parker, daß Sie richtig verstanden haben?« »Ich möchte mich dafür verbürgen, Sir. Wenn Sie erlauben, begebe ich mich auf das Grundstück.« »Und ich komme selbstverständ7 �
lich mit. Fahren Sie schon los!« Das hochbeinige Monstrum fuhr durch das Tor und hielt vor einer kleinen Steinbaracke, die einen sehr ausgeschlachteten Eindruck machte. Die Fensterscheiben waren bis auf wenige Ausnahmen zerschlagen worden. Einige feiste Ratten fühlten sich gestört, quiekten und liefen erstaunlich gelassen davon. »Ziemlich unheimlich,« sagte Rander. »und wo sollen nun die Instrumente sein, Parker? Ich fürchte, man hat uns hereingelegt!« Mike Rander hatte seinen Satz gerade beendet, als plötzlich eine wütende. wilde Stichflamme fast wie eine Explosion hochschoß. Es roch schlagartig nach Benzin. Josuah Parker schritt schnell, jedoch ohne Verzicht auf Würde, um die Steinbaracke herum und sah sich diesem Feuer gegenüber. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Ein Kleingebirge, bestehend aus Musikinstrumenten aller Art, löste sich bereits auf und rutschte schnell in sich zusammen. Geigen, Celli, Kontrabässe, Holzblasinstrumente und Blech, wie Trompeten, Posaunen und Saxophone, das alles zerschmolz in diesem wütenden Feuer. An die Bergung auch nur eines Instrumentes war überhaupt nicht zu denken. »Vandalismus in reinster Form,« kommentierte Mike Rander, der jetzt neben seinem Butler stand.
»Diejenige Person, Sir, die die Instrumente geraubt und anschließend dem Feuer überantwortet hat, diese Person, Sir, muß schrecklich hassen können.« »Ob diese Person sich noch auf dem Schrottplatz aufhält?« »Ich möchte dies als fast sicher unterstellen, Sir, sie wird sich am Feuer und an der Zerstörung der Instrumente laben!« »Warum suchen wir diese Person dann nicht?« »Mir lag es fern, Sir, Ihren Intentionen vorgreifen zu wollen, jedoch möchte ich bekennen, daß ich mich an der vorgeschlagenen Suche nur zu gern beteiligen würde!« * Arthur Stevenson war wütend. Einige Male schon hatte er versucht, sein Faktotum Will Glanser zu erreichen, doch Glanser hatte auf die Anrufe nicht reagiert. Stevenson sah sich also veranlaßt aufzustehen. Er kochte vor Gereiztheit und Zorn, als er seine Suite verließ, den Hotelkorridor überquerte und dann mit Schwung und Wut die Tür zu Glansers Hotelzimmer aufdrückte. »Mann, Glanser… Wo stecken Sie denn?« Er schaltete das Licht ein und stutzte. Sein Faktotum war nicht anwesend. Allein diese Tatsache war geeignet, Stevensons schlechte Laune noch zu steigern. 8 �
Will Glanser hatte einfach dazusein. Wieso war er weggegangen, ohne sich die Erlaubnis einzuholen? Das war bisher noch nie vorgekommen. War Glanser verrückt geworden? Stevenson stürmte zurück in seine Suite und griff nach dem Telefonhörer. Er rief die Hotelhalle an und fragte dort nach seinem Faktotum. Ais er nichts erfuhr – man hatte Glanser nicht gesehen – und gerade auflegen wollte, dachte er an seine Meistergeige. »Hat Glanser wenigstens meine Geige einschließen lassen?« erkundigte er sich. Er mußte einen kurzen Moment warten und nutzte die Gelegenheit, mit seinen Fingerkuppen einen Marsch auf der Tischkante zu trommeln. »Mister Stevenson? Ja… Tut mir leid, Ihre Geige ist nicht im hoteleigenen Tresor abgeliefert worden!« »Wie, bitte…?« Stevenson war außer sich. »Ihre Geige ist nicht abgeliefert worden, Sir.« »Das kann doch nicht wahr sein!« Stevensons Stimme steigerte sich zu einem heiseren Schreien, »meine Geige muß abgeliefert worden sein!« »Wir bedauern, Sir. Wir werden Sie sofort informieren, falls sie noch gebracht wird.« Stevenson hörte kaum noch hin. Er ließ den Hörer in die Gabel fallen und wischte sich über die schweißnasse Stirn. Seine Cardovari war
verschwunden! Seine Meistergeige, die ein Vermögen wert war! Hatte Glanser sie mitgenommen? Was mochte sein Faktotum mit ihr angestellt haben? Stevenson ließ sich nach kurzem Nachdenken mit der Polizei verbinden. Für ihn stand es fest, daß Glanser die Cardovari gestohlen hatte. Er verfluchte den Moment, an dem er seinerzeit Glanser in seine Dienste genommen hatte. * Josuah Parker schritt zwischen den aufgetürmten Autowracks einher und hielt Ausschau nach der Person, die die Instrumente in Brand gesetzt hatte. Das Feuer leuchtete bis hierher und strahlte die zerbeulten Wracks unheimlich an. Flammenschatten tanzten auf nassem Blech und spiegelten sich in geborstenen Windschutzscheiben. Parker war fest davon überzeugt, daß der Täter sich noch auf dem Schrottplatz befinden mußte. Diese Person wollte und mußte den Brand und die Vernichtung der Instrumente aus nächster Nähe genießen. Parker hörte plötzlich wenige Meter vor sich ein scharrendes Geräusch. Er blieb sofort stehen und wartete ab. Er wollte nicht in eine Falle laufen. Die aufeinandergetürmten 9 �
Wracks boten eine Unmenge von Versteckmöglichkeiten. Die Aussicht, von einem heimtückischen Schuß getroffen zu werden, war hier sehr groß. Das Geräusch wiederholte sich nicht. Parker entschloß sich, den möglichen Gegner herauszufordern. Der Butler, der sich vor dem Verlassen der Dachgartenwohnung entsprechend präpariert hatte, holte aus seiner Manteltasche ein flaches Metalletui, öffnete es und warf dann einen erbsengroßen Gegenstand in die Richtung, aus der das bewußte, scharrende Geräusch gekommen war. Erstaunliches trat ein. Es erfolgte nämlich ein Geräusch, das dem Abfeuern einer Handfeuerwaffe ungemein ähnlich klang. Befand sich die Täterperson dort in der Nähe, mußte sie mit größter Sicherheit entsprechend reagieren und diesen vermeintlichen Schuß aus der Nähe beantworten. Zu Parkers Überraschung blieb alles ruhig, die erwartete Antwort erfolgte nicht. Parker versuchte es mit einer zweiten Spezialerbse. Peitschend klang der vermeintliche Schuß auf, ungemein und täuschend ähnlich. Erneut keine Antwort…! Dafür hörte Parker hinter sich schnelle Schritte. »Parker, was ist…?« rief Mike
Rander im Näherkommen, »haben Sie ihn erwischt?« »Ich würde dringend raten und empfehlen, Sir, in Deckung zu gehen,« warnte der Butler seinen jungen Herrn. Er hatte diesen Satz kaum beendet, als irgendwo auf dem Platz ein kicherndes Gelächter zu hören war, das an ein irres Monstrum erinnerte. »Dort!« rief Rander und rannte sofort in eine enge Gasse hinein, die von Autowracks gebildet wurde. Parker sah seinem jungen Herrn kopfschüttelnd nach. Spontane Reaktionen dieser Art schätzte er überhaupt nicht, sie gefährden nur unnötig Leib und Seele. Notgedrungen mußte Parker seinem jungen Herrn allerdings folgen, er mußte zur Stelle sein, falls es zu Zwischenfällen kam. Diese Zwischenfälle kamen schneller als erwartet. Parker hörte plötzlich echte Schüsse. Daß sie echt waren, sagten ihm seine Ohren. Sein junger Herr schien Kontakt mit der Täterperson bekommen zu haben. Doch warum schoß er? Anwalt Mike Rander gehörte ganz gewiß nicht zu jenen Leuten, die vorschnell nach der Waffe griffen. Es mußte also ein zwingender Grund vorliegen. Parker fühlte sich verantwortlich und wollte einschreiten. Er beeilte sich also etwas mehr als üblich… 10 �
und erhielt Sekunden später einen bösen Schlag über den Kopf, dessen Gewalt allerdings und erfreulicherweise von der stahlblechgefütterten Melone abgefangen wurde. Dennoch ging der Butler leicht in die Knie, und selbst während dieses Vorgangs war nichts von Lässigkeit in seinen Bewegungen zu sehen. Korrekt und durchaus würdevoll litt er unter den Wirkungen dieses Schlages und verlor sogar für einen sehr kurzen Moment die allgemeine Übersicht. »Oh, Parker…!« hörte er dann die Stimme seines jungen Herrn. »Oh, Parker… Habe ich Sie etwa niedergeschlagen?« Parker richtete sich wieder auf und nickte würdevoll. Er lüftete die in die Stirn getriebene Melone an und deutete eine knappe Verbeugung an. »Ich fürchte, Sir,« meinte er dann, »Ihre Vermutung ist zutreffend.« »Das tut mir leid,« entschuldigte sich Rander und konnte sich ein jungenhaftes Grinsen, nicht ganz verkneifen. »Ich habe Sie für den Täter gehalten. Er flüchtete genau in diese Richtung.« »Es irrt der Mensch, solange er strebt.,« erklärte Parker, »ich darf mir wohl erlauben, dieses recht bekannte Dichterwort zu zitieren. Darf ich höflichst fragen, warum Sie schossen?« »Der Täter warf mir einen Schraubenschlüssel ins Kreuz,« antwortete Mike Rander, »durch die ungeziel-
ten Schüsse wollte ich ihn aus seinem Versteck locken.« »Was Ihnen gelungen sein dürfte, Sir…! Es ist allerdings damit zu rechnen, daß die Täterperson sich inzwischen abgesetzt hat, zumal das Instrumentenfeuer sich gelegt hat.« »Warum reden Sie so umständlich von einer Täterperson, Parker? Dieser Ausdruck ist neu bei Ihnen.« »Ich kann leider nicht mit Sicherheit sagen, Sir, ob es sich bei dem Täter um eine Person weiblichen oder männlichen Geschlechts bandelt.« »Wenn ich an den Schraubenschlüssel denke, den ich ins Kreuz bekam, muß es sich um einen Mann handeln,« erwiderte Rander und rieb sich den immer noch schmerzenden Rücken, »nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich ihn ins Genick bekommen hätte.« »Mir scheint, Sir, daß von einem Scherzo nach wie vor nicht die Rede sein kann,« deutete Parker in seiner vornehmen Art an, »ich denke, es handelt sich nach wie vor um das Vorspiel zu, einer besonders tragischen und düsteren Trauermusik!« »Malen Sie nicht wieder den Teufel an die Wand,« wehrte der Anwalt ab, »ob Scherzo oder Trauermusik, mir soll’s gleich sein… Ab sofort kann Lieutenant Madford nach dieser Musik tanzen. Für uns ist der Fall jetzt erledigt, Parker…!«
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*
Am anderen Morgen war Mike Rander bester Laune. Die Ereignisse der Nacht waren bereits vergessen. Er hatte geduscht, sich angekleidet und betrat den großen Wohnraum seiner Dachgartenwohnung, wo der Tisch am breiten Panoramafenster bereits gedeckt war. Unauffällig und geräuschlos betrat Parker den Raum und servierte das Frühstück und die Post. »Irgendwelche Privatpost?« erkundigte sich Rander, als Parker den Kaffee eingoß. »Ein Päckchen, Sir…« »Von wem?« »Von einem Mister Geigenklau!« »Von wem, bitte?« Rander sah überrascht hoch und setzte die Kaffeetasse wieder ab. »Von einem Herrn, der sich laut Absender ›Geigenklau‹ nennt, Sir.« »Soll das ein schlechter Witz sein?« »Ich hoffe nicht, Sir.« »Geben Sie das Päckchen mal her!« »Vor dem Frühstück, Sir?« »Ein Mister Geigenklau schreibt einem ja schließlich nicht jeden Morgen. Ich bin gespannt, was er uns schickt!« Parker brachte das Päckchen, das etwa die Größe eines mittleren Schuhkartons aufwies. Er servierte es selbstverständlich auf, einem silbernen Tablett. »Ich habe mir bereits erlaubt, das
Päckchen auf verborgene Sprengladungen hin zu kontrollieren,« meinte Parker, als er das Päckchen servierte. »Wenn Sie erlauben, werde ich es öffnen.« »Das dauert mir zu lange…« Rander griff nach dem Frühstücksmesser und durchtrennte den lästigen Bindfaden. Er riß das braune Packpapier herunter und öffnete dann vorsichtig den Karton. Josuah Parker hielt sich während dieser Prozedur diskret zurück und beobachtete aus gemessener Entfernung, die keineswegs den Rückschluß auf übertriebene Neugier zuließ. »Schauen Sie sich das mal an, Parker.« Rander hielt den Schuhkarton hoch, um den es sich in der Tat handelte, »Holzsplitter… Nichts als Holzsplitter!« »Und ein Brief, wenn meine Augen mich nicht sonderlich täuschen, Sir.« »Richtig, auch ein Brief!« Rander fetzte den Umschlag auf und nahm einen Papierbogen heraus. Er überlas die wenigen Zeilen und reichte den Brief dann an seinen Butler weiter. »Die Reste und Splitter einer Cardovari-Meistergeige,« sagte Parker, nachdem er sich mit dem Brieftext vertrautgemacht hatte. »Die Reste und Splitter einer was?« »Einer Cardovari-Meistergeige, Sir… Sie dürfte schätzungsweise 12 �
eine Viertelmillion Dollar wert gewesen sein.« »Tatsächlich?« Rander wunderte sich, daß für eine Geige soviel gezahlt wurde. »Maestro Cardovari war ein Zeitgenosse des Maestro Stradivari, der seinerzeit in Cremona, wenn mich nicht alles täuscht, Geigen baute. Cardovari-Geigen sind mehr als selten und werden auf dem einschlägigen Kunstmarkt fast mit Gold aufgewogen, wenn ich diese schwärmerische Umschreibung verwenden darf.« »Aha!« sagte Rander beeindruckt. »Wieviel Geigen dieses Baujahrs gibt es denn noch?« »Man rechnet mit höchstens einem Dutzend Geigen dieser Art, Sir…! Darf ich an dieser Stelle bemerken, daß Mister Stevenson solch eine Geige besitzt. Jener Mister Stevenson, Sir, der am Vorabend das Violinkonzert von Johannes Brahms spielen wollte!« »Glauben Sie, daß es sich um diese Geige handelt?« »Ein gewisser Verdacht erhebt sich selbst wider besseres Wissen, Sir.« »Ich begreife… Dieser Mister Geigenklau ist derjenige, der in der vergangenen Nacht auch die Konzertimstrumente verbrannte!« »Auch dies steht zu befürchten, Sir!« »Demnach könnte sich dieser Anschlag gegen Stevenson gerichtet
haben.« »Auch solch ein Verdacht liegt nahe, Sir. Wenn Sie erlauben, werde ich Mister Stevenson anrufen.« »Müssen wir wohl, nachdem uns dieser Geigenklau die Geigentrümmer freundlichst zugeschickt hat! Na, ich bin gespannt!« Parker stellte die notwendige Verbindung her und sprach kurz mit der Rezeption des Hotels, in dem Mister Stevenson abgestiegen war. Als er auflegte, sah er durchaus zufrieden aus, doch das hätte nur ein Kenner seines Pokergesichts vorsichtig feststellen können. »Na, vermißt Stevenson seine Geige?« fragte Rander, der inzwischen frühstückte. »Ihr Verdacht hat sich in allen Einzelheiten bestätigt.,« sagte Josuah Parker, »ich hatte den Vorzug, Lieutenant Madford vom Morddezernat sprechen zu können.« »Madford? Seit wann befaßt er sich mit gestohlenen Geigen?« »Seit der Ermordung des Mister Stevenson,« gab Parker höflich zurück. »Lieutenant Madford wird in spätestens einer halben Stunde bei Ihnen vorsprechen, Sir, und er bittet Sie, sich zu seiner Verfügung zu halten.« * »Stevenson ist mit einer Geigensaite � erdrosselt worden,« sagte Lieuten13 �
ant Madford, der kleine, drahtige Polizeioffizier mit dem cholerischen Temperament. Seine Wege kreuzten sich immer wieder mit denen Randers und Parkers und nie zu seinem Vergnügen. Er hegte so etwas wie eine Haßfreundschaft zu Rander und Parker, zumal dieses seltsame Zweigespann ihm mehr als einmal fertige Lösungen zu Mordfällen präsentiert hatte. »Weiß man, wer der Täter ist?« wollte Rander wissen. »Es muß sein Faktotum Will Glanser gewesen sein. Dieser Mann ist nämlich seit der vergangenen Nacht wie vom Erdboden verschwunden.« »Dann müßte er die Konzertinstrumente gestohlen und verbrannt haben,« fügte Rander hinzu. »Und auf sein Konto käme dann auch die Atomzertrümmerung der Meistergeige!« »Wovon reden Sie? Meistergeige? Atomzertrümmerung?« »Wie, Sie kennen keine GardovariGeigen?« wunderte Mike Rander sich angelegentlich und schüttelte verweisend den Kopf, »Cardovari – lebte zur Zeit Stradivaris und hatte seine Geigenwerkstatt in Cremona, wenn ich mich recht erinnere… So etwas muß man aber wissen, Madford! Das gehört einfach zur Allgemeinbildung!« »Wenn schon… was ist mit dieser Geige?« Mike Rander berichtete, was
geschehen war. Madford hörte schweigend zu und strich sich dabei mehrfach seinen kleinen, schmalen Bart auf der Oberlippe, der nicht breiter war als der Rücken eines Tafelmessers. »Sehr interessant.,« meinte er schließlich, »also ein Racheakt dieses Will Glanser… Liegt klar auf der Hand. Aus irgendeinem Haßmotiv heraus stahl er die Konzertinstrumente, um Stevenson das Konzert zu vermasseln. Anschließend beseitigte er diese Meistergeige und zertrümmerte sie. Und danach war sein Arbeitgeber, dieser Stevenson, an der Reihe, den er erdrosselte. Wenn wir Glanser haben, ist der Fall bereits gelöst. Und Glanser werden wir erwischen, dafür verbürge ich mich.« »Ich wünsche Ihnen Hals- und Beinbruch, Madford!« »Nur eins möchte ich wissen, Rander, wieso wandte Glanser sich an Sie? Kannte er Sie?« »Er wandte sich an meinen Butler!« »Und warum?« »Keine Ahnung, das weiß selbst Parker nicht.« »Wo steckt er eigentlich?« Madford sah sich im großen Wohnraum um und wurde unruhig. Er hatte es nicht besonders gern, wenn Josuah Parker sich auf den Kriegspfad begab. »Parker vertritt sich etwas die 14 �
Beine,« entschuldige Rander seinen Butler, »aber wie ich ihn kenne, ist das nur ein Vorwand, um wieder einmal etwas zu unternehmen.« »Wem sagen Sie das!« seufzte Madford, »er wird sich bestimmt wieder in meine Arbeit einmischen. Aber das sage ich Ihnen, wenn er mir diesmal in die Quere kommt, dann ist er reif, Rander, dann lasse ich ihn glatt einsperren!« * Josuah Parker verließ um diese Zeit die Vorhalle der Carnuba Hall und durchblätterte den Veranstaltungskatalog, den er sich an der Kasse gekauft hatte. In diesem Katalog waren alle kulturellen Termine der Stadt für diesen Monat verzeichnet, selbstverständlich auch die Konzerte. Parker hatte die Daten richtig und genau im Kopf gehabt. Am Abend dieses Tages fand hier in der Carnuba Hall ein Konzert für die Jugend statt. Beginn 20 Uhr. Ein bekannter Dirigent führte die interessierten jugendlichen Zuhörer in die Welt der Sinfonie ein. Parker studierte den Kalender ausgiebig. Dazu setzte er sich auf eine Polsterbank in der Vorhalle und orientierte sich. Er war überrascht, was die Stadt bot: Kammerkonzerte, Klavierabende, Opernabende und Sinfoniekonzerte. Im Schnitt fand fast
alle vier Tage solch eine Veranstaltung statt, natürlich in verschiedenen Räumen und Konzertsälen. Parker prägte sich die erforderlichen Daten ein und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das bevorstehende Konzert hier in der Oarnuba Hall. Nach einem letzten Blick auf die Vorhalle, betrat er die Straße und schritt in eine schmale Gasse, die sich am Ende zu einem Wendehammer ausweitete. Hier befand sich auch der Bühneneingang zum Konzerthaus. Der Portier in seinem Glasverschlag trat neugierig an den Schalter, als Parker den Bühneneingang betrat. Doch er verzichtete eingeschüchtert auf alle Fragen, als der Butler höflich seine Melone lüftete und an ihm vorbeischritt. Der Portier starrte dem Butler nach und zerbrach sich in den folgenden 47 Minuten den Kopf darüber, mit welch prominenter Person er es wohl zu tun gehabt hatte. Parker hingegen hatte ganz andere Sorgen. Er hatte die Warnung und Drohung des Anrufers noch sehr genau im Ohr, wonach kein Konzert mehr stattfinden sollte. Das nächste Konzert nach dem Anschlag am vergangenen Abend fand hier im Haus statt, und zwar in knapp achteinhalb Stunden. Mußte man nicht damit rechnen, daß die Täterperson also versuchen würde, hier in der Car15 �
nuba Hall Unheil anzurichten!? Dieser Verdacht lag zumindest mehr als nur nahe. Parker lustwandelte durch die vielen Korridore, die einem Labyrinth glichen, suchte und fand die Zugänge zu den Garderoben, Aufenthaltsräumen und Künstlerzimmern und stand schließlich auf der großen Bühne. Im Hintergrund befand sich eine Orgel, davor absteigend eine Vielzahl von breiten, stufenartigen Podesten, auf denen die Musikerpulte standen. Erfreulicherweise waren keine Instrumente zu sehen, sie befanden sich noch in den Händen der Musiker. Die Lichtverhältnisse waren an diesem Morgen schlecht in der großen Konzerthalle. Vages Zwielicht dämmerte in der großen Halle, Einzelheiten waren nicht zu unterscheiden. Parker wollte gerade die breite Konzertbühne überqueren, als er plötzlich Schritte hörte, laut und ungeniert. Parker verschwand sofort hinter einer der Säulen und wartete ab. Dann sah er einen mittelgroßen, korpulenten Mann, der von der anderen Seite her die Konzertbühne betrat und hinauf zur Orgel schritt. Der Mann, der einen einfachen, dunkelgrauen Anzug trug, fühlte sich unbeobachtet. Parker wartete ab. Er wollte herausfinden, was dieser Mann tat.
Der Mann hatte die Orgel erreicht, nahm auf der Bank davor Platz und zog plötzlich hektisch und wie rasend Register. Dann spielte er, ohne daß aber auch nur ein einziger Ton zu hören war. Seine Hände bewegten sich über den Tasten, huschten hin und her und entwickelten ein unheimliches Eigenleben. Parker spürte instinktiv, daß er hier und jetzt Kontakt mit jener Person aufnehmen konnte, die für die Zerstörung der Instrumente verantwortlich sein mußte. Er wollte die Säule gerade verlassen, als es den unheimlichen Orgelspieler nicht mehr hielt. Er hatte das Instrument eingeschaltet und spielte jetzt laut. Es war schrecklich, was der Butler zu hören bekam. Passagen, die den wirklichen Künstler verrieten, wechselten ab mit einer wahnsinnigen Kakophonie, in der die Akkorde zertrümmert wurden. Die Tonfluten rauschten auf wie ein riesiger Wasserfall und brachten die Konzerthalle zum Dröhnen. Parker schüttelte seine Befangenheit ab und beeilte sich, hinauf zur Orgel zu kommen. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als plötzlich das Licht in der Halle aufflammte. Gleißendes Licht und Scheinwerfer, die auf die Konzertbühne ausgerichtet waren, taten fast körperlich weh. Das Orgelspiel brach plötzlich ab. »He, was machen Sie da?« rief eine 16 �
leicht quäkende, wütende Stimme. Sie kam vorn von den Saartüren her. Der Orgelspieler wandte sich um, sah den Butler, der sich ihm bis auf etwa zehn Meter genähert hatte, sprang von der Bank hoch und rannte dann, hysterisch lachend, mit rudernden Armen seitlich zur Orgel, wo er verschwand. Parker pfiff in diesem Moment auf die sonst gewahrte Würde. Er nahm mit einer für ihn erstaunlichen Schnelligkeit die Verfolgung auf und mußte scharf bremsen, als ihm einige Sitzhocker und Klappstühle entgegenflogen. »So warten Sie doch!« rief Parker, »ich möchte mich mit Ihnen unterhalten!« Der Flüchtende wartete nicht. Statt der Klappstühle und Hocker, die Parkers Verfolgung hemmten, feuerte er plötzlich einen Schuß auf den Butler ab. Josuah Parker, an Treffern überhaupt nicht interessiert, zog es unter diesen Umständen vor, die Unterhaltung mit diesem Mann zu vertagen! * »Sie glauben also, daß wir es mit einem geistesgestörten Mann zu tun haben?,« fragte Lieutenant Madford. Er hatte gerade gehen wollen, als Josuah Parker von seinem Ausflug zurückgekehrt war. Der Butler hatte seine Erlebnisse eingehend und aus-
führlich geschildert und dazu etwa Minuten zweiundzwanzig gebraucht, für seine Verhältnisse nicht sonderlich viel Zeit. »Wenn Sie die Orgelmusik gehört hätten, würden Sie mir beipflichten, Sir.« »Haben Sie den Mann genau gesehen?« »Ich würde ihn sofort wiedererkennen, Sir.« »War es dieser Mann hier?« Madford zauberte ein Foto aus der Brusttasche hervor, das er dem Butler reichte. Josuah Parker warf nur einen kurzen Blick auf das Foto und nickte. »Also Will Glanser,« stellte Madford zufrieden fest, »es paßt alles zusammen. Glanser verursachte diesen ganzen Wirbel, aber er wird nicht mehr lange frei herumlaufen, seine Festnahme ist nur eine Routinesache.« Mike Rander beeilte sich, seinen Butler genau ins Bild zu setzen und ihm von Will Glanser und Stevensons Ermordung zu berichten. Parker hörte schweigend zu. Irgendwie bedauerte er den Mann, den er in der Konzerthalle beobachtet hatte. »Darf ich fragen, Sir, ob Sie schon etwas über das Privatleben dieses Will Glanser wissen?« »Sergeant McLean kümmert sich gerade darum…« Madford nickte. »Gehen wir also davon aus, daß wir es mit einem Irren zu tun haben. 17 �
Glauben Sie, Parker, daß er das Konzert für die Jugend stören wird? Jetzt, nach diesem Zwischenfall?« »Davon bin ich fest überzeugt, Sir. Will Glanser wird seine Pläne um jeden Preis durchführen.« »Dann sitzt er bereits in der Falle,« sagte Madford und nickte zufrieden, »ich werde die Carnuba Hall hermetisch abriegeln lassen. Zivilbeamte selbstverständlich. Ich werde ein paar Stunden vor dem Konzert die Halle unter Kontrolle stellen. Wenn Glanser dann erscheint, haben wir ihn!« »In der Tat.,« sagte Parker nur. »Glauben Sie nicht, daß Glanser jetzt gewarnt ist?« gab Mike Rander zu überlegen. »Wenn schon… Wenn er geisteskrank ist, was ich durchaus unterstelle, dann wird er sich darum herzlich wenig kümmern, dann wird er womöglich gar nicht an solche Möglichkeiten denken, Rander. Dann wird er nur seine Rachepläne im Auge haben!« »Hoffentlich geht Ihre Rechnung auf, Madford!« »Natürlich wird sie aufgehen,« meinte Madford selbstzufrieden, »was wollen wir mehr? Wir haben auf Anhieb den Mann gefunden, der für den Mord an Stevenson, für die verbrannten Instrumente und für die zertrümmerte Meistergeige zuständig ist. Ein Glücksfall, daß das alles schnell ermittelt werden so
konnte…« Er wandte sich an den Butler und lächelte ironisch, »diesmal, Parker, werden Sie überhaupt keine Zeit haben, mir ins Handwerk zu pfuschen, diesmal werde ich nämlich schneller sein!« * »Schön, ich komme mit,« sagte Mike Rander eine knappe halbe Stunde später, »aber ich möchte wissen, was Sie bei Berni Bernson wollen.« »Ihn warnen, Sir…!« »Vor wem….?« Rander stieg in das hochbeinige Monstrum seines Butlers. Parker, der höflich geöffnet hatte, schloß die Tür, ging um den Wagen herum und nahm vor dem Steuer Platz. Sein Wagen stand noch in der Tiefgarage des großen Bürohauses und sollte nun hinaus auf die Straße rollen. »Im Gegensatz zu Lieutenant Madford glaube ich nicht, Sir, daß man Will Glanser unterschätzen sollte. Er ist in der Carnuba Hall überrascht worden und wird sich dort mit dem Mißtrauen eines Geisteskranken ganz sicher nicht mehr sehen lassen.« »Wie will er dann das Konzert… Moment, Sie glauben, er würde sich mit dem Dirigenten befassen?« »Mit Mister Berni Bernson, Sir,« sagte Parker und steuerte sein hochbeiniges Monstrum über die Rampe hinauf zur Straße, »ich erlaube mir, 18 �
von der Voraussetzung auszugehen, daß ein Konzert dann nicht stattfinden kann, wenn der Dirigent nicht verfügbar ist.« »Mann, Parker, Sie jagen mir ja richtig Angst ein. Glauben Sie, daß Glanser so etwas wie eine Mordserie veranstalten wird?« »Mit solch einer Möglichkeit müßte man rechnen, Sir.« »Herrliche Aussichten. Wenn man nur das Motiv kennen würde, warum Glanser von diesem Mordrausch erfaßt worden ist.« »Ich glaube, die Motive zu kennen, Sir. Wenn Sie erlauben, werde ich an anderem Ort und zu einer anderen Zeit darüber ausführlicher berichten. Nun bewegt mich nur die Sorge um Mister Berni Bernson, um dessen Leben ich fürchte, falls er nicht gewarnt wird.« »Warum haben wir ihn nicht angerufen? Damit hätten wir Zeit gespart.« »Dies, Sir, versuchte ich bereits. Leider meldete sich Mister Bernson nicht!« * Berni Bernson konnte sich nicht melden, weil er benommen und halb betäubt in einem Sessel seiner Wohnung saß und dazu noch gefesselt war. Sein Kopf schmerzte scheußlich. Dennoch starrte er fasziniert auf
Will Glanser, der vor dem Flügel saß und spielte. Glanser befand sich offensichtlich in einer anderen Welt. Er hatte die Augen halb geschlossen, den Kopf in den Nacken geworfen und spielte irgendeinen Klavierpart, von dem allerdings nichts zu hören war. Seine kurzen, fleischigen Finger huschten über die Klaviertasten, sie berührten sie aber nicht. Sie spielten Läufe und ruhige Passagen. Nur Glanser hörte alles, um dessen Mund nun ein hingerissen-verträumtes Lächeln spielte. Dann fuhr Glanser plötzlich zusammen, rieb und massierte sich die knackenden Fingergelenke und drehte sich zu Bernson herum. »Wie hat es Ihnen gefallen?« fragte Glanser sachlich und durchaus in einem normalen Ton. »Seit wann spielen Sie?« fragte Bernson zurück. Er hatte längst begriffen, daß er es mit einem bedauernswerten Menschen zu tun hatte, dessen Sinne verwirrt waren. Es galt, Zeit zu gewinnen. Instinktiv fühlte Bernson, daß er in Lebensgefahr schwebte. Ein falsches Wort, und dieser seltsame Gast, der ihn niedergeschlagen und gefesselt hatte, würde ihn töten. »Ich spiele seit Jahren,« antwortete Glanser, »man müßte es eigentlich hören.« »Sie haben bei Freudhoff gelernt, nicht wahr?« 19 �
»Bei Adanski!« korrigierte Glanser, »beim Legatospiel müßten Sie das eigentlich am Anschlag gehört haben.« »Adanski!« meinte Bernson, »ich kann mich noch gut erinnern. Bei ihm studierte ich früher einmal Harmonielehre.« »Wie gefällt Ihnen mein Spiel?« wiederholte Glanser seine Frage. »Üben Sie täglich?« erkundigte sich Bernson ausweichend. »Selbstverständlich. Ein großer Künstler ist immer fleißig. Täglich arbeite ich vier bis fünf Stunden…« »Man hört es,« erwiderte Bernson und zerbrach sich verzweifelt den Kopf darüber, wie er sich befreien konnte. Im Augenblick sah er aber leider keine Möglichkeit. Bis ihm plötzlich so etwas wie ein rettender Einfall kam. »Ich will Sie nicht kränken,« sagte er also, »aber ist Ihr Legatospiel nicht etwas zu breit?« »Wollen Sie mich beleidigen?« brauste Glanser auf und erhob sich drohend, »wollen Sie mich provozieren? Gehören auch Sie zu diesen Kunstbanausen, die von Musik in Wirklichkeit keine Ahnung haben!?« Glanser hatte plötzlich eine Klavier- oder Violinsaite in der Hand und näherte sich Bernson. Seine Absicht war unverkennbar. Er wollte die Saite um Bernsons Hals schlingen und ihn erwürgen. »Unter… unter Künstlern sollte
man offen und unvoreingenommen diskutieren,« sagte Bernson schnell. Auf seiner Stirn bildeten sich dicke, klebrige Schweißperlen. Er hoffte, das Richtige gesagt zu haben. »Ach so…!« Glanser war ehrlich verwirrt. Die Tatsache, daß er als Künstler apostrophiert worden war, schmeichelte ihm. Wahrscheinlich hatte er so etwas lange nicht mehr gehört. »Wollen Sie mir nur schmeicheln?« fragte er dennoch mißtrauisch. »Wenn Sie einer ehrlichen Diskussion nicht gewachsen sind, brauchen uns nicht länger zu wir unterhalten.« Bernson spürte, daß er auf dem richtigen Weg war. Will Glanser ließ den Draht sinken und blieb vor Bernson stehen. »Sie wissen natürlich, was ich eben gespielt habe…,« fragte er dann zu Bernsons Entsetzen. Wie. sollte er das wissen, er hatte ja nicht einen einzigen Ton gehört. »Natürlich,« sagte Bernson heiser. Er durfte sich jetzt keinen Fehler leisten. »Haben Sie meine Anlaufkadenz dem Rondothema vor herausgehört?« »Na… Natürlich… Brillant…!« »Was halten Sie grundsätzlich von den Kadenzen?« »Das ist… ist Auffassungssache,« redete Bernson sich heraus. »Man hört sie heutzutage recht selten in den Konzertsälen. Wenn ich könnte, 20 �
würde ich Ihnen meine Art der Auffassung einmal interpretieren.« »Ich würde mich freuen.« »Dazu müßten Sie mich aber erst losbinden,« sagte Bernson, der immer weiter an Boden gewann. »Losbinden? Wieso!?« Will Glanser war sehr überrascht. Er verstand überhaupt nicht. Er konnte sich nicht erinnern, den Dirigenten Bernson gefesselt zu haben. »Hier, meine Hände!« Bernson ruckte an seinen Fesseln, um Glanser aufmerksam zu machen. Glanser nickte wie selbstverständlich und band den Dirigenten los. Bernson hätte sich am liebsten sofort auf Glanser gestürzt, doch der Blutstau in Händen und Unterarmen machte jede schnelle Bewegung unmöglich. Langsam ging er hinüber zum Flügel und setzte sich auf den Hocker. Er massierte sich die Gelenke und Finger und beobachtete Glanser, der schräg neben ihm stand. Bernson beobachtete aber auch die schwere Vase auf dem Flügel. Sie war das geeignete Instrument, um Glanser außer Gefecht zu setzen. »Warum spielen Sie nicht?« sagte Glanser und wirkte auf einmal ungeduldig und nervös. »Sofort!« Bernson versuchte sich mit einigen Läufen, die wegen der schmerzenden und steifen Finger allerdings mißtönend klangen. Glanser war schnell und leise hin-
ter Bernson getreten und… schlang ihm plötzlich die Drahtsaite um den Hals. Bernson erstarrte. Er wagte sich nicht zu rühren. Noch hatte sein unheimlicher Besucher die Saite nicht angezogen. »Ich hasse schlechte Musik,« sagte Glanser leise, »noch mehr hasse ich schlechte Musiker, die sich durch unlautere Mittel einen Namen gemacht haben. Solche Musiker muß man ausmerzen, damit sie die heilige Musik nicht schänden!« Bernson wollte schreien, sich wehren, doch in diesem Augenblick zog Will Glanser die Stahlsaite an… »Das können Sie doch nicht machen, Parker,« entrüstete sich Mike Rander. Josuah Parker stand vor der Wohnungstür des bekannten Dirigenten Bernson, doch er läutete nicht, sondern benutzte sein Spezialbesteck, um die Tür sehr leise zu öffnen. »Falls Mister Bernson Besuch hat, möchte ich ihn nicht erschrecken, Sir… Sie dürfen versichert sein, daß ich mich entschuldigen werde, falls es zu einem Eklat kommt.« Rander fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut. Als Anwalt und Strafverteidiger war ihm natürlich vollkommen klar, gegen welche Gesetze sein Butler verstieß. »Wenn Sie erlauben, Sir. werde ich vorausgehen…« Parker wartete die Erlaubnis allerdings nicht ab, sondern betrat die große Wohndiele 21 �
und sah sich suchend um. Die Halle war leer. Eine breite, elegant geschwungene Treppe führte hinauf ins Obergeschoß. Wo hielt Bernson sich auf? Falls er überhaupt zu Hause war… Parkers Kopf bewegte sich ein wenig zur Seite. Sein scharfes Gehör hatte den fast hauchzarten Anschlag auf einer Klaviertaste wahrgenommen. Damit war die Richtung gegeben. Schnell und raumgreifend eilte Parker auf eine der vier Türen zu, die in die Wohnhalle mündeten. Hier blieb er kurz stehen, um dann die Türklinke niederzudrücken. »Gesperrt…?« flüsterte er seinem jungen Herrn zu, »Sir, ich beschwöre Sie, die Tür aufzubrechen. Schließen Sie sich bitte meinen wahrscheinlich nur unzulänglichen Bemühungen an!« Er ging einige Schritte zurück, nahm einen Anlauf und stürmte dann gegen die Tür. Mike Rander schloß sich den Bemühungen seines Butlers an. Er schwitzte zwar Blut und Wasser, weil sie in eine fremde Wohnung eingedrungen waren und nun auch noch eine Tür einrammen wollten, doch Parkers Bewegungen waren derart zwingend, daß er sich ihnen anschloß. Als Mike Rander und Josuah Parker gegen die Tür anrannten, brach sie sofort aus dem leichten Schloß
und schwang weit auf. »Dort, Sir…!« Parker deutete auf einen Mann, der vor dem Flügel saß und offensichtlich über den Tasten zusammengebrochen war. Parker eilte ans geöffnete Fenster, dessen Vorhang sich im leichten Wind bewegte. Er beugte sich durch das Fenster und entdeckte auf dem darunterliegenden Dach Will Glanser, der gerade hinter einigen Schornsteinen verschwand… * »Ich kann doch nicht sämtliche Musiker unter Bewachung stellen,« sagte Lieutenant Madford aufgebracht, »und wer sagt mir, daß Glanser sich nur auf Chikago beschränken wird?« »Sie sollten aber alle Musiker insgeheim warnen,« schlug Mike Rander vor, »Bernson ist gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen. Beim nächsten Opfer wird Glanser keinen Fehler mehr machen.« Madford befand sich in Randers Dachgartenwohnung und war sehr düsterer Stimmung. Seine Suche nach Will Glanser war bisher ohne Erfolg geblieben. Der geistesgestörte Mann war wie vom Erdboden verschwunden. »Darf ich fragen, Sir, ob Sie inzwischen Einzelheiten über das Leben 22 �
dieses Mister Glanser in Erfahrung bringen konnten?« Parker stand steif und würdevoll seitlich hinter dem Sessel von Mike Rander und wartete darauf, sich als dienstbarer Geist betätigen zu können. Die entsprechenden Drinks hatte er selbstverständlich schon serviert. »Glanser stammt hier aus sagte Lieutenant Chikago,« Madford, »er galt schon als Kind als eine Art Wunderknabe auf dem Klavier und trat in kleineren Orchestern auf. Er besuchte dann die städtische Musikschule und studierte später bei Adanski, einem Musikprofessor, der ihm den letzten Schliff beibrachte. Als junger Mann stand Glanser vor einer tollen Laufbahn und trat in größeren Konzerthäusern auf. Er verlobte sich mit einer gewissen Jane Cressling, er heiratete sie ein Jahr später, und dann ging die Ehe in die Brüche. Jane Cressling zeigte ihn wegen versuchten Mordes an, das Verfahren wurde niedergeschlagen, und Glanser kam in eine Heilanstalt. Nach drei Jahren wurde er als geheilt entlassen und verschwand von der Bildfläche. Von dieser Zeit an trat er nicht mehr in Erscheinung.« »Wie geriet er an Stevenson?« Rander sah den Lieutenant erwartungsvoll an. »Wir konnten das in Stevensons Konzertagentur erfahren, Rander. Er muß eines Tages auf Glanser gesto-
ßen sein. Das ist jetzt dreieinhalb Jahre her. Von dieser Zeit an arbeitete Glanser bei Stevenson als eine Art Faktotum und reiste mit ihm quer durch die Staaten. Glanser war für die Garderobe und so weiter verantwortlich. Das Verhältnis zwischen Stevenson und Glanser wird als gut bezeichnet.« »In Glanser muß es aber gefressen haben,« sagte Rander langsam, »ich kann mir vorstellen, daß er sich von der Welt und von seinen Mitmenschen betrogen fühlte und sich dafür eines Tages rächte, als der letzte Tropfen das Faß zum Überlaufen brachte.« »Alles schön und gut, aber wie kommen wir an Glanser heran.« Madford holte tief Luft. »Spätestens die Abendzeitungen werden die Sache mit dem ›Geigenklau‹ groß herausstellen. Was in der Öffentlichkeit dann los sein wird, können Sie sich ja vorstellen. An wem bleibt alles hängen? An mir, Lieutenant Madford…!« »Darf ich fragen, ob Glanser hier in Chikago noch Angehörige hat?« mischte Parker sich in die Unterhaltung ein. »Seine Eltern sind tot. Da existierte eine Schwester, aber die hat ihren Bruder seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Sie betreibt übrigens eine Musikalienhandlung… Mensch, Parker, glauben Sie, daß Glanser sich dort sehen lassen wird?« 23 �
»Diese Möglichkeit besteht durchaus, Sir.« »Dann werde ich Miß Glansers Geschäft unter Sonderbewachung stellen.« »Darf ich weiter nach Mrs. Cressling fragen, Sir?« »Glansers frühere Frau… Tja, die lasse ich bereits überwachen.« »Wo wohnt sie hier in der Stadt?« »Hören Sie, Rander, kommen Sie mir nicht in die Quere,« sagte Madford, der offensichtlich nicht mit der Sprache herausrücken wollte. »Okay, Madford, dann werden wir diesen Fall eben auf unsere Art angehen,« antwortete Rander und warf seinem Butler einen schnellen Blick zu. »Legen Sie doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage,« beschwerte sich Madford hastig, »warum gegeneinander arbeiten? Also, Mrs. Cressling hat ihren Mädchennamen wieder angenommen Sie hat eine private Musikschule eingerichtet.« »Das ist doch wenigstens schon etwas,« sagte Rander lächelnd, »die interessantesten Dinge wollen Sie uns wohl verschweigen, wie?« »Unsinn, ich will nur vermeiden, daß wir uns gegenseitig auf die Füße treten, Rander. Wie gesagt, die Musikalienhandlung und die Musikschule werden intensiv überwacht. Ich bin sicher, daß Glanser uns dort ins Netz gehen wird.« »Viel Glück,« sagte Rander.
»Und was werden Sie unternehmen?« wollte Madford wissen. »Ich…? Überhaupt nichts! Ich habe in meinem Anwaltbüro zu tun, Madford…!« »Und Sie, Parker?« »Ich werde erst einmal gründlich nachdenken,« beschied Parker den Polizeioffizier, »ich möchte unnötige Wege und Sackgassen vermeiden.« »Welche Sackgassen?« fragte Madford sofort. »Diese, Sir, werden das Ergebnis und die Frucht meiner Gedankentätigkeit sein, mit anderen Worte, diese werde ich zu eliminieren wissen.« »Dann mal viel Spaß bei Ihrer Gedankenarbeit.,« gab Madford spöttisch zurück, »ich werde Sie anrufen, wenn ich Glanser erwischt habe. Vielleicht störe ich Sie dann noch beim Nachdenken!« * Die Carnuba Halle war hermetisch abgeriegelt worden. Die eintreffenden Musiker des Orchesters mußten es sich gefallen lassen, daß ihre Personalien von der Polizei genau überprüft wurden. Der Orchesterleiter selbst identifizierte selbst jeden einzelnen Kollegen. Eine Stunde vor dem Konzert für die Jugend hatten die Musiker sich in der großen Garderobe versammelt und diskutierten über den ›Gei24 �
genklau‹, wie Will Glanser von der Presse bereits genannt worden war und wurde. Die Stimmung der Musiker war gedrückt. Sie alle wußten selbstverständlich, daß ihr Dirigent im Krankenhaus lag. Berni Bernson konnte das Konzert selbstverständlich nicht leiten. Ein jüngerer Ersatzdirigent, ein hoffnungsvolles Talent, war eingesprungen. Auch Paul Curless befand sich in nervöser Verfassung. Er war der Ersatzdirigent, den man aus Detroit geholt hatte. Der junge, schlanke Mann hatte ganz ehrlich Angst. Er war nicht daran interessiert, von einer Violin- oder Klaviersaite gewürgt und erdrosselt zu werden. Man hatte ihm zwar versichert, daß nichts passieren könnte, doch es war für ihn kein gutes Gefühl, daß die Polizei Will Glanser bisher noch nicht hatte festnehmen können. Die Konzerthalle war im Gegensatz zu sonst restlos ausverkauft. Neugier und Sensationslust hatten alle Karten weggehen lassen. Ein erwartungsvolles Publikum wollte aus nächster Nähe miterleben, wie der ›Geigenklau‹ das Konzert verhindern wollte. Nur Josuah Parker war nicht anwesend. Obwohl an Musik sehr interessiert, hatte er es vorgezogen, sich mit anderen Dingen zu befassen. Er hoffte, noch schnell genug sein zu
können… * Parker saß in seinem hochbeinigen Monstrum und fuhr hinüber in den Westteil der Stadt. Er beabsichtigte, einem gewissen Adam Adanski einen Besuch abzustatten, jenem Musiklehrer, der seinerzeit Will Glanser unterrichtet hatte. Parker hatte sich die Adresse auf normalem Weg verschafft und dazu nur ins Telefonbuch geschaut. Er hoffte, daß Lieutenant Madford nicht auch auf diesen Gedanken gekommen war. Parker hoffte das nicht aus Gründen des sportlichen Ehrgeizes, sondern ihm war längst klar, daß ein Mann wie Will Glanser nicht mit normalen, polizeilichen Mitteln gefaßt werden konnte. Parker lächelte unwillkürlich, als hart an seinem Spezialwagen ein kleiner, rassiger Sportwagen vorbeischoß, in dem eine junge, sehr attraktive Dame saß, die ihm freundlich und ohne jeden Spott zuwinkte. Parker beantwortete diesen Gruß durch das Lüften seiner schwarzen Melone. Und er erkannte diese junge Dame wieder, als er etwa zwei Kilometer weitergefahren war. Sie stand neben ihrem kleinen Sportwagen und winkte, diesmal allerdings nicht freundlich, sondern mehr verzweifelt. Ihr Wagen hatte offensichtlich 25 �
eine Panne. Es war für Josuah Parker selbstverständlich, daß er half. Knapp hinter dem Heck des kleinen Sportwagens hielt er sein hochbeiniges Monstrum an und stieg aus. »Gehe ich richtig in der Annahme, Madam, daß Sie der speziellen Hilfe bedürfen?« erkundigte er sich. »Der Motor,« sagte die junge und sehr attraktive Dame, »er hustete plötzlich und spielte dann nicht mehr mit…« »Ich darf mich vorstellen,« sagte Parker, der auf Formen hielt, »Parker mein Name, Josuah Parker…« »Ich weiß,« erwiderte sie und ließ ihn dann in die Mündung einer kleinen Handfeuerwaffe blicken, »machen Sie keine Dummheiten, Parker, sonst muß ich schießen!« »Sie versetzen mich in das, was man gemeinhin Erstaunen nennt.,« gab der Butler zurück, ohne erschreckt zu sein, »darf ich fragen, warum Sie mir diese Waffe präsentieren?« »Fragen Sie später noch einmal,« gab sie zurück und schielte an ihm vorbei auf die Straße. Sie wartete gewiß auf Verstärkung. »Hatte ich möglicherweise schon einmal das Vergnügen, Ihren Weg kreuzen zu dürfen?« »Wahrscheinlich nicht, Parker, aber ich warne Sie noch einmal, versuchen Sie ja nicht mich abzulenken! Ich lasse mich nicht hereinlegen, ich
schieße sofort!« »Welche Drohungen aus solch einem wirklich attraktiven Mund,« tadelte der Butler in höflicher Art, »wessen Unmut habe ich mir zugezogen?« »Fragen Sie später noch einmal,« gab die junge Dame zurück. Sie hielt die Waffe so geschickt, daß sie von den Insassen vorbeifahrender Wagen nicht gesehen werden konnte. »Worauf warten wir, wenn ich dennoch weiterfragen darf?« »Sie gehen mir auf die Nerven,« fuhr sie ihn an, »halten Sie endlich den Mund…!« »Wie Sie befehlen, Madam!« Parker nickte und verhielt sich für einen Moment ruhig. Gewiß, er hätte ihr die Waffe mit Leichtigkeit aus der Hand schlagen können, aber würde sie dann noch reden? War es nicht aufschlußreicher herauszubekommen, in wessen Auftrag sie ihn so geschickt gestoppt hatte? »Sie sehen eigentlich gar nicht so gefährlich aus,« meinte sie nachdenklich und musterte ihn. »In der Tat.,« erwiderte Parker höflich, »es würde mich allerdings interessieren zu erfahren, wer meine bescheidene Wenigkeit als gefährlich bezeichnet.« »Sie stellen ja schon wieder Fragen,« sagte sie, »warten Sie doch noch einen Moment!« Parker sah hinter seinem Mons26 �
trum einen Buick auftauchen, der jetzt anhielt. Zwei handfest aussehende Männer kamen schnell näher und winkten der jungen Dame zu. »Klappte ja bestens,« sagte einer der beiden Handfesten. »War eine Kleinigkeit.,« meinte die junge Dame, »er tat prompt das, was wir erwarteten.« Parker wandte sich den beiden Männern zu. Die hartgeschnittenen Gesichter und die fast zu unauffälligen, dunkelgrauen Anzüge – übrigens von bestem Schnitt – verrieten, daß es sich um Profis handelte. »Kommen Sie mit in den Buick,« sagte der Wortführer der beiden Männer. »Wir holen Sie nur zu ‘ner kleinen Ausfahrt ab. Ihnen passiert nichts, wenn Sie vernünftig sind!« »Ich sehe mich außerstande, Ihrer Einladung zu widerstehen.« »Machen Sie keinen Quatsch, Sie kommen mit!« Der zweite Profi hatte mißverstanden und wurde bereits ärgerlich. »Er meinte, daß er mitkommen will,« interpretierte die junge Dame und lächelte etwas mokant, »er hat’s nur etwas umständlich ausgedrückt.« »Kommen Sie!« Der Mann sah den Butler finster an und wies mit dem Kopf hinüber zum Buick. Parker folgte der seltsamen Einladung, die einer Entführung sehr nahekam. Wahrscheinlich hätte er selbst jetzt
noch eine Änderung der Situation herbeiführen können, doch er verzichtete darauf. Seine Neugier war eben doch zu groß! * Paul Curless, der junge Dirigent aus Detroit, verließ das Künstlerzimmer und betrat die große, angestrahlte Bühne. Beifall rauschte auf. Die Musiker hatten vor ihren Pulten Platz genommen und verfolgten den Weg des jungen Dirigenten, der vorn an der Bühnenrampe entlangschritt und dann sein Podest erreichte. Curless bestieg es und verbeugte sich dankend. Der Beifall schwoll an. Die Zuschauer ehrten seinen Mut und seine Entschlossenheit. Immerhin gab es ja einen gewissen ›Geigenklau‹, der dieses Konzert verhindern wollte. Langsam ebbte der Beifall ab, die letzten Räusper und Huster klangen auf, dann breitete sich erwartungsvolle Stille aus. Paul Curless griff nach dem Taktstock und gab den Einsatz. Doch schon nach wenigen Takten faltete er sich an die Stirn, schwankte leicht, hielt sich am Notenpult fest und sackte dann haltlos in sich zusammen. Ein Aufschrei ließ die Grundfesten der Carnuba Hall erzittern. Die Zuhörer sprangen auf, redeten wild durcheinander, wurden von Panik 27 �
erfaßt und. rannten dann zu den Ausgängen. Kriminalbeamte in Zivil, sicherheitshalber im Saal verteilt, versuchten das Chaos zu bändigen. Sie wurden überrannt. Andere Beamte boxten sich zur Konzertbühne durch und kümmerten sich um Curless, der regungslos am Boden lag. Der ›Geigenklau‹ schien seine Drohung wahrgemacht zu haben. Das Konzert fand nicht statt! * Es machte den Butler stutzig, daß man ihn ungeniert durch die Stadt fuhr, daß man sehr ungeniert vor einem Nachtlokal hielt, daß man ihn ungeniert aussteigen ließ. Gangster normaler Bauart bevorzugten bei »Einladungen« oder Entführungen Augenbinden, die sie ihren Opfern anlegten. Dieses Verhalten konnte zwei Gründe haben. Entweder wollte man ihn nach einem Gespräch umbringen und so jede Spur verwischen, oder aber der Einladende war sich seiner Stärke derart bewußt, daß er glaubte, auf alle Vorsichtsmaßnahmen verzichten zu können. Die beiden harten Profis dirigierten den Butler nach dem Betreten der Nachtbar durch eine schmale Tür neben der Garderobe, führten ihn über eine schmale, hühnersteigähnliche Treppe hinauf ins Oberge-
schoß und drückten ihn dann in ein spartanisch eingerichtetes Büro. Alte, zerkratzte Büromöbel bildeten die Einrichtung, auf dem Boden lag ein Kunststoffteppich. Es roch nach kaltem Tabakrauch. »Hauen Sie sich hin,« sagte einer der beiden Männer. »Der Chef wird gleich kommen.« Parker nahm also Platz und stellte seinen Universal-Regenschirm zwischen die Knie. Er nahm zur Kenntnis, daß der Büroraum fensterlos und neben dem Geldschrank älterer Bauart eine zweite Tür war, die in einen Nebenraum führte. Schritte näherten sich, dann wurde die Tür geöffnet. Die beiden Profis neben Parker nahmen fast so etwas wie Haltung an. Sie nickten dem untersetzten, muskulösen Mann zu, der leise die Tür hinter sich schloß. Der Mann hatte eine rundes Gesicht, voll bis aufgedunsen, eine hohe Stirnglatze und einen erstaunlich schmallippigen Mund über einem breiten Kinn, das man als energiegeladen bezeichnen konnte. »Parker mein Name, Josuah Parker,« stellte der Butler sich vor und lüftete seine schwärze Melone, »ich würde mich höflicherweise gern erheben, doch ich glaube zu wissen, daß Ihre beiden Mitarbeiter abrupte Bewegungen mißverstehen könnten.« Der Rundkopf lächelte amüsiert. »Mein Name tut nichts zur Sache,« 28 �
sagte er, »Sie werden ihn auch nicht kennen, ich bin neu in der Stadt.« »Darf ich meinem Erstaunen Ausdruck darüber verleihen, daß Sie mich zu sehen wünschten?« »Sie dürfen, Parker…« Der Rundkopf blieb hinter dem Schreibtisch stehen und lehnte mit dem Rücken gegen den altertümlichen Geldschrank, »ich habe schon viel von Ihnen gehört, so viel, daß ich es für richtig halte, Sie aus dem Verkehr zu ziehen.« »Wie darf ich Ihre Worte verstehen, die sich durch eine gewisse Lässigkeit auszeichnen?« »Sie könnten meine Kreise stören,« meinte der Rundkopf, »und bevor wir uns in die Haare bekommen, werde ich Sie lieber kaltstellen.« »Ein nach wie vor ungenauer Ausdruck, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.« »Sie werden für ein paar Wochen mein Gast sein, Parker. Habe ich mich jetzt deutlich genug ausgedrückt?« »In diesem Zusammenhang spielt es wohl keine Rolle, ob ich damit einverstanden bin oder nicht?« »Richtig. Sie werden das tun, was ich will, sonst haben Sie Ärger, Parker!« »Welche Kreise könnte ich stören? Sie werden verstehen, daß meine Neugier geweckt worden ist.« »Ich interessiere mach für das Musikgeschäft.,« gab der Rundkopf
zu Parkers Überraschung zur Antwort. »Für das Musikgeschäft?« Parkens Gesicht, sonst stets beherrscht, verriet Verblüffung. »Für das Musikgeschäft.,« wiederholte der Rundkopf, »was ein gewisser ›Geigenklau‹ kann, kann ich schon lange.« * »Sehr einfach,« sagte Madford grimmig, »Paul Ourless wurde vergiftet, Rander. Das steht inzwischen einwandfrei fest. Es ist noch eine Frage, ob er überhaupt mit dem Leben davonkommen wird.« Lieutenant Madford hatte den jungen Anwalt im Büro aufgesucht, das sich in einem Zweckbau im Loop befand. Mike Randers Mitarbeiter wirkten hier: Juristen, Angestellte, Sekretärinnen und Schreibhilfen. Madford benahm sich in den offiziellen Räumen des jungen Anwalts irgendwie gehemmter als in der Privatwohnung Mike Randers. Es beeindruckte ihn immer wieder, wie geschickt und zwingend sachlich Rander mit seinen Mitarbeitern verkehrte. Hier im Büro zeigte der Anwalt sein wahres Gesicht, hier war zu erkennen, warum er so ungemein erfolgreich war. Ein durchschnittlicher Mann hatte sich solch einen Apparat niemals leisten können. 29 �
»Vergiftet! Wie denn?« Rander goß seinem Gast einen alten Whisky ein und versorgte auch sich selbst. Sie saßen in Randers Privatbüro, schalldicht und gediegen möbliert. Durch die beiden Fenster konnte man hinunter auf und in die Straßenschluchten der Stadt sehen. »Daran rätseln wir noch herum, aber es scheint, als sei die Partitur auf dem Notenpult präpariert worden.« »Wie soll ich mir das vorstellen?« Rander sah Madford interessiert an. »Curless baute sich vor dem Dirigentenpult auf, griff nach dem Taktstock und schlug die Partitur auf. Das sagen alle Augenzeugen übereinstimmend aus. Wenige Sekunden später ging er bereits zu Boden. Schwere Atemlähmungen übrigens.« »Raffiniert gemacht!« Mike Rander schüttelte fast anerkennend den Kopf, »dieser Glanser scheint sehr erfinderisch zu sein. Er muß die Partitur bereits präpariert haben, als Parker ihn um ein Haar in der Carnuba Hall erwischte.« »Denken wir uns auch. Als meine Leute die Hall auf den Kopf stellten und durchsuchten, haben sie selbstverständlich nicht an die Partitur gedacht. Ich hätte es übrigens auch nicht getan. Wer kommt schon auf solch verrückte Gedanken.« »Eben nur ein Geisteskranker!«
»Ihr Butler wird sich wundern, wenn er das hört.,« meinte Lieutenant Madford etwas zu beiläufig, »wo steckt der Wunderknabe eigentlich, Rander?« »Er vertritt sich wieder einmal die Beine. Sie kennen ihn doch inzwischen, Madford. Selbst ich weiß kaum, was er denkt und plant.« »Manchmal ist er mir direkt unheimlich.« »Manchmal? Mir ist Parker immer unheimlich«, sagte Mike Rander auflachend, »seitdem er für mich arbeitet, hat mein Leben sich radikal verändert. Ich komme nicht mehr zur Ruhe.« »Wie halten Sie das bloß aus, Rander?« »Man gewöhnt sich eben auch an einen Josuah Parker.« Rander schmunzelte. »Der Wahrheit die Ehre, Madford, ein anderes Leben möchte ich überhaupt nicht mehr leben. Er braucht es nur nicht unbedingt zu wissen, sonst gräbt er noch mehr Kriminalfälle aus, als das jetzt schon der Fall ist.« »Daß er sich häufig hart am Rande der Illegalität bewegt, wissen Sie doch wohl, oder?« »Natürlich.« Rander seufzte gekonnt. »Aber Sie müssen zugeben, Madford, daß er die bewußte Linie nie überschreitet. Er kennt genau seine Grenzen.« »Und wird es solange treiben, bis er eines Tages im Leichenschauhaus
landet, Rander. Seine Methoden sind zu ungewöhnlich.« »Und werden es bleiben, Madford, ob uns das paßt oder nicht. Wäre er anders, hätten wir’s nicht mehr mit einem Josuah Parker zu tun. Und was den ›Geigenklau‹ angeht, so bin ich fest davon überzeugt, daß Parker bereits auf einer Spur ist, an die weder Sie noch ich überhaupt denken. Gerade weil er unorthodox arbeitet, gerade deswegen hat er ja so großen Erfolg!« * »Sie spielen demnach also ein Instrument?« fragte Parker den Rundkopf gespielt harmlos. »Unsinn!« Der Rundkopf grinste. »Ich und ein Instrument. Das wäre ja ein Witz, Parker. Nein, ich habe mich in das Musikgeschäft eingeschaltet.« »Ich verstehe. Jener Mensch, den man inzwischen ›Geigenklau‹ nennt, scheint Sie inspiriert zu haben.« »Das ist es, Parker.« »Sie wollen seine Methoden kopieren?« »Ich habe mich bisher geniert, etwas Erfolgreiches zu kopieren. Im Falle ›Geigenklau‹ werde ich das Geschäft aber ganz groß aufziehen.« »Fast genial,« lobte Parker mit Emphase. »Sie wollen das Musikleben lahmlegen, falls man nicht entsprechend an Sie zahlt?«
»Richtig! Denken Sie nur an die vielen Orchester, Big Bands und Beatgruppen, die sich in den Staaten ‘rumtreiben. Gegen Gebühr garantiere ich ungestörte Aufführungen. Falls man nicht zahlt, wird es großen Ärger geben.« »Sie werden demnach, wenn ich recht vermute, Musikinstrumente verschwinden lassen?« »Unter anderem. Wichtiger sind die Musiker und Dirigenten.« »Diesen Geschäftszweig hat bisher noch kein Mensch entdeckt.« »Eben. Ich werde mir also ein Monopol aufbauen können. Sehr gewinnträchtig, finden Sie nicht auch?« . »Ich muß Ihnen das zollen, was ich Anerkennung nenne, gegen meinen Willen übrigens.« »Die Sache klappt bereits.« »Wie darf ich das verstehen?« »Curless und das Konzert für die Jugend. Es ist bereits ausgefallen!« Der Rundkopf sah den Butler triumphierend an. »Es ist ausgefallen?« Parker schien ehrlich verblüfft zu sein und zeigte es. »Curless liegt im Krankenhaus und wird behandelt. Ich kann Ihnen verraten, daß er mit dem Leben davonkommen wird. An unnötigen Morden war ich noch nie interessiert«. »Darf ich höflichst fragen, wie Sie dieses Konzert verhindern konnten?«
»Warum nicht?« Der Rundkopf mit der ausgeprägten Stirnglatze schien gern zu reden, wogegen Parker absolut nichts einzuwenden hatte. Informationen sammelte er schließlich nur zu gern. Der Rundkopf kam um den Schreibtisch herum und lehnte sich nun zur Abwechslung gegen die Wand. »Wie ich Curless außer Gefecht gesetzt habe? Sehr einfach! Ich habe die Partitur auf seinem Dirigentenpult etwas, na, sagen wir, herrichten lassen!« »Sie sind einem einfachen Mann aus dem Volk hoffentlich nicht gram, daß er Ihnen nicht folgen kann.« »Wie, bitte? Ach so! Also, Parker, Einband und Partiturseiten habe ich mit einem Kontaktgift bestreichen lassen. Das Zeug dringt durch die Poren und über die Blutbahn ins Atemzentrum und löst Bewußtlosigkeit aus.« »Darf ich erneut betonen, daß ich dies für ausgesprochen genial halte?« »So schlimm ist das nun auch wieder nicht. Man muß sich eben etwas einfallen lassen.« »Zumal Sie doch improvisieren mußten, nicht wahr?« »Genau, Parker. Nachdem dieser ›Geigenklau‹ in der Presse erwähnt wurde, habe ich sofort geschaltet und die neuen Möglichkeiten entdeckt.«
»Die Frage scheint mir zu sein, wie der richtige ›Geigenklau‹ darauf reagieren wird.« »Dieser Wahnsinnskandidat…!« Der Rundkopf lachte breit und siegessicher. »Was will er gegen mich schon unternehmen, Parker? Wenn er mir in die Quere kommt, werde ich ihm ein Bein stellen.« »Wahrscheinlich,« sagte Parker höflich. »Gegen Sie ist Will Glanser das, was der Volksmund einen blutigen Amateur nennen würde. Darf ich fragen, welche Musikveranstaltung Sie nach dem Konzert für die Jugend sprengen werden?« »Warum, nicht? Sie bleiben ja vorerst mein Gast. Ich habe mich für ein Musical entschieden. Wird morgen abend in der Globe Hall veranstaltet. Falls die Direktion nicht zahlt, wird das Musical platzen!« »Ich möchte Ihre erfreuliche Geduld nicht unnötig strapazieren,« schickte der Butler voraus, »aber was sagen die ortsansässigen Herren zu Ihrer Aktivität? Ich erinnere mich, daß Sie davon sprachen, hier in der Stadt neu und unbekannt zu sein.« »Was die Knilche hier in Chikago denken, ist mir Wurst.,« gab der Glatzköpfige zurück. »Um etwas gegen mich zu unternehmen, müssen Sie mich erst mal finden! Und das wird nicht so leicht sein.« »Dann begreife ich immer noch nicht, warum Sie ausgerechnet
mit dem ängstlich-geduckten Gehabe verstand die Welt nicht mehr. Er verstand sie nicht mehr, und er wurde überschwemmt von Wogen des Hasses und des Nichtbegreifens. Irgend jemand hatte ihn um die Früchte seines Plans gebracht. Das Konzert für die Jugend war abgesagt worden. Warum, nun, das wußte er nicht zu sagen. Er wußte nur, daß zehn Minuten nach Beginn des Konzerts die Carnuba Hall vollkommen leergeräumt worden war. Er hatte aus Wortfetzen weggehender Besucher gehört, daß der Ersatzdirigent Paul Curless einem Anschlag zum Opfer gefallen war. Einem Anschlag des ›Geigenklau‹, wie es geheißen hatte. Doch gerade das konnte unmöglich stimmen. Der ›Geigenklau‹ war doch er! Und er hatte nichts unternommen. Aus Vorsicht, aus einer gewissen Angst heraus. Wer also mochte ihm ins Handwerk gepfuscht haben? Glanser, unauffällig, stand in einer Bierbar am Tresen und trank mit nervösen, kleinen Schlucken. Er glaubte schon jetzt zu wissen, daß irgendeine Person in der Stadt ihm die Stellung streitig machen wollten Wer konnte sich als ›Geigenklau‹ ausgegeben haben? Wer immer dieser Mann sein * mochte, er mußte so schnell wie möglich beseitigt werden wie dieser Will Glanser, der rundliche Mann � Josuah Parker, der ihm in der Woh-
meine bescheidene Wenigkeit zu sich einluden? Stelle ich wirklich solch eine Gefahr dar?« »So schlimm ist es ja nun auch wieder nicht, Parker, aber ich habe mir sagen lassen, daß Sie sich für den ›Geigenklau‹ sehr interessieren. Bevor Sie nun unkontrolliert herumschnüffeln, möchte ich Sie lieber kaltstellen.« Parker fand, daß er ausgezeichnet informiert worden war. Nun war es seiner bescheidenen Ansicht nach an der Zeit, etwas für seine Freiheit zu tun. »Erlauben Sie, daß ich mir eine meiner Zigarren anzünde?« erkundigte er sich bei dem jovialen Glatzkopf. »Rauchen Sie, Barker! Sie sollen nicht sagen, daß ich ein sturer Gangster bin!« »Ich werde das bei Gelegenheit zu rühmen wissen,« antwortete der Butler, holte sein abgegriffenes Zigarrenetui aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers und entnahm diesem Etui eine seiner pechschwarzen Spezialzigarren. Weder der Rundkopf noch seine beiden Mitarbeiter ahnten, was sich da vor ihren Augen zusammenbraute. Hätten sie es gewußt, wären sie sicher nicht so ruhig geblieben…
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nung des Dirigenten Bernson so aufdringlich und gefährlich geworden war. Aber nicht nur Josuah Parker mußte dran glauben, auch sein junger Herr, dieser Anwalt Mike Rander! Will Glanser ärgerte sich nachträglich darüber, daß er sich überhaupt mit dem Butler in Verbindung gesetzt hatte. Dadurch hatte er freiwillig wichtige Positionen preisgegeben. Nun, das ließ sich alles schnell ändern. Glanser trank sein Glas leer und verließ die Bierbar. Er brauchte klare Gedanken. Er wollte ein wenig durch die Straßen schlendern und dann vielleicht, einen Besuch machen. Auf seiner Todesliste standen ja noch so viele Personen! * Parker zündete sich umständlich die pechschwarze Zigarre an, genoß den würzigen Tabakduft und wunderte sich wieder einmal, warum seine Umgebung plötzlich zu husten begann. Der Rundkopf und seine beiden Mitarbeiter schnappten nach Luft und krausten ihre Nasenflügel. Solch einen Tabakduft hatten sie vorher noch nie erlebt. Der Duft war derart würzig, daß ihnen fast schlecht wurde. »Ich glaube, Sie verschwinden mit dem Giftkraut lieber,« sagte der Rundkopf und röchelte andeutungs-
weise. Die beiden stämmigen Mitarbeiter und Profis wechselten zum Fenster hinüber und schnappten diskret nach Luft. In diesem Moment – Parker hätte vorsichtshalber die Augen fest geschlossen – flammte ein greller Lichtblitz von der Spitze der Zigarre auf. Der Rundkopf und die beiden Mitarbeiter wurden prompt geblendet. Parker warf die Zigarre zu Boden und griff hastig nach einer zweiten, die er sich zwischen die Lippen preßte. Er hielt sich mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Nase zu und atmete nur noch durch den Zigarrenfilter. Diesen Vorteil hatten der Rundkopf und seine Mitarbeiter nicht. Aus der platzenden Zigarre stiegen ungemein wirkungsvolle Betäubungsgase hoch, die sich blitzschnell ausbreiteten. Der Rundkopf und. die beiden Profis hatten keine Chance. Schon nach wenigen Atemzügen rutschten sie haltlos zu Boden und verloren das Bewußtsein. Parker entwaffnete sie, interessierte sich für den Tascheninhalt der Schlafenden, entnahm den Brieftaschen einige Papiere, die ihm wichtig genug erschienen und wandte sich anschließend dem Ausgang zu. Für ihn war dieses Intermezzo erledigt. Als er unten in der Garderobe der Bar erschien, traf er auf eine gute, alte Bekannte, wie er es vielleicht 34 �
ausgedrückt hätte. Die junge attraktive Dame aus dem Sportwagen hatte sich in eine Zigarettenverkäuferin verwandelt. Sie trug Netzstrümpfe, ein sehr knappes Satinhöschen und ein noch knapperes Oberteil. Sie schleppte sich mit einer Art Bauchladen ab und starrte den Butler entgeistert an. »Ich würde anregen, hinauf zu Mister Unbekannt zu gehen,« sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone, »mir scheint, daß Sie dort gebraucht werden. Im übrigen möchte ich Sie eindringlich warnen, falls ich mir diese Freiheit nehmen darf. Wer mit dem Feuer spielt, kann sich unter Umständen erhebliche Verbrennungen zuziehen. An diese Spruchweisheit aus dem Volke sollten Sie hin und wieder denken.« * Parker brauchte nicht lange zu warten, bis bekannte Gesichter vor der Nachtbar auftauchten. Zuerst erschienen die beiden Profis, die einen noch leicht mitgenommenen und verschlafenen Eindruck machten. Sie blieben am Eingang zur Bar stehen und sondierten die Lage. Dann gingen sie zum parkenden Buick hinüber und setzten sich ans Steuer. Eine knappe Minute später erschien der Rundkopf mit der hohen Stirnglatze, der Mann in Chi-
kago, der eine neue Geschäftsbranche aufziehen wollte. Auch der Rundkopf wirkte verschlafen und schlaff. Er stakste zum Buick und ließ sich auf den Rücksitz fallen. Sekunden später zog der Wagen an und verschwand. Parker, dem sein hochbeiniges Monstrum nicht zur Verfügung stand – er hatte es am Ort seiner Entführung zurücklassen müssen – , verzichtete auf jede Verfolgung. Er hatte es immerhin mit Profis zu tun, wie er selbst festgestellt hatte. Diese Profis würden ein verfolgendes Taxi mit Leichtigkeit abhängen. Warum also erst solch einen sinnlosen Versuch unternehmen? Parker überquerte die Straße und ging zurück in die Nachtbar. »Ich gehöre der Kommission für die psychodelische Kontrolle der Nachtbetriebe an,« sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone, »ich habe den Auftrag, die Garderoben des Hauses auszupendeln.« Die etwas dickliche Frau hinter dem Garderobentisch bekam einen hochroten Kopf vor Aufregung, als Parker diesen Satz produziert hatte, der reiner Unsinn war. »Ach so!« sagte sie aufgeregt. »Wo finde ich die Garderoben?« Sie schob einen fahrbaren Kleiderständer etwas zur Seite und deutete auf eine mit Stoff bespannte Tür. »Sehr schön,« lobte der Butler, 35 �
»bitte, schicken Sie mir das Zigarettengirl!« Die Garderobenfrau, die wohl jetzt erst ihren Dienst angetreten hatte und den Butler nicht kannte, überschlug sich fast vor Aufregung und wieselte auf leichten Senkfüßen davon. Parker stieg derweil über eine schmale Stiege hinunter in den Keller, wo sich tatsächlich die mehr als schäbigen Garderoben befanden. Es handelte sich um nackte, unverputzte Kellerräume, unter deren Decken dicke Heizungsrohre verliefen. Es herrschte eine muffig-überhitzte Atmosphäre. In einem größeren Kellerraum befanden sich einige Striptease-Tänzerinnen, die gerade Kostüm anlegten, um später etwas zum Ausziehen zu haben. Sie reagierten überhaupt nicht, als Parker kurz in diesen Kellerverschlag hineinschaute. Schritte auf der Treppe. Das Zigarettengirl erschien und sah sich suchend um. Als es den Butler erkannte, wollte es überstürzt verschwinden. »Blinde Hast schadet bekanntlich nur den Nerven,« mahnte der Butler, »ich möchte mich mit Ihnen in aller Ruhe unterhalten. Ich bin sicher, daß Sie etwas Zeit für mich haben werden.« In ihrem sparsamen Kostüm wirkte sie nicht mehr so selbstsicher wie auf der Straße. Sie stellte den Bauchladen ab und reckte sich. Der
breite Riemen hatte auf ihrer nackten Schulter deutliche, tiefe Spuren hinterlassen. »Was wollen Sie also?« fragte sie nun mit gespielter Patzigkeit. »Nur eine Information, die ich entsprechend selbstverständlich honorieren werde.« »Sie, Sie können mir überhaupt nichts beweisen!« »Wer sagt Ihnen, daß ich dies überhaupt zu tun wünsche? Ich bin mir längst klar, daß man Sie für Ihre Rolle engagiert hat.« »Genauso ist es gewesen! Das heißt, das müssen Sie mir erst mal beweisen. Ich kenne Sie überhaupt nicht, ich habe Sie noch nie gesehen.« »Sie brauchen nichts zu befürchten. Die Komödie mit der Handfeuerwaffe und der vorgetäuschten Wagenpanne habe ich bereits vergessen. Ich möchte nur wissen, wo ich jenen Herrn finden kann, dessen Stirn eine Glatze ziert.« »Ich kenne den Mann überhaupt nicht.,« sagte sie. »Marty hat mir ein paar Scheine in die Hand gedrückt, und Marty hat mich losgeschickt. Er hat dem Burschen auch das Lokal und das Büro vermietet.« »Wer ist, wenn ich fragen darf, jener Marty?« »Das bin ich! Und Sie werden mich verdammt schnell noch besser kennenlernen!« sagte in diesem Augenblick eine harte, kalte Stimme hinter 36 �
dem Butler. »Bleiben Sie stehen und nehmen Sie die Flossen hoch!« »Der Ton Ihrer Stimme gefällt mir überhaupt nicht.,« tadelte der Butler und drehte sich langsam zu Mary um, einem schmalen, bissig aussehenden Typ, der einen Browning in der Hand hielt. Überflüssig zu sagen, daß die Mündung auf den Butler gerichtet war. War! Parker hatte sie ihm im Umwenden selbstverständlich aus der Hand geschlagen. Und zwar mit dem Stock seines Universal-Regenschirms, wozu er verweisend den Kopf geschüttelt hatte. Er hatte allerdings nicht mit dem Zigarettengirl gerechnet. Diese bemerkenswerte Dame zerlegte auf Parkers Melone eine schwere Vase. Parker hielt es für taktisch richtig, erst einmal den Ohnmächtigen zu spielen. Wurde nicht schon an anderer Stelle gesagt, daß er an Informationen stets interessiert war? * Mike Rander fuhr zurück in seine Wohnung. Es war inzwischen 21.00 Uhr geworden, und er hatte seine letzten Anweisungen im Anwaltsbüro erteilt. Rander wunderte sich kaum, daß sein Butler sich noch nicht gemeldet hatte. Er war es gewöhnt, daß Parker seine Heimlichkeiten hatte. Und zudem konnte Josuah
Parker kommen und gehen, wann immer er es wünschte. Parker war schließlich mehr als ein Butler. Im Grund war er ein gleichberechtigter Partner seines jungen Herrn. Rander erreichte das große Hochhaus an der Lincoln Park Avenue, fuhr hinunter in die Tiefgarage und stieg in der Nähe des Expreßlifts aus seinem Wagen. Ihm entging, daß ganz in seiner Nähe ein Mörder auf ihn wartete, der eine Violinsaite in der Hand hielt. Rander schloß den Wagen ab und ging zum Lift hinüber. Er hatte eine elegante Dokumententasche in der linken Hand, griff mit der rechten nach der Zigarette im Mund und hörte plötzlich hinter sich ein schnelles, fast gieriges Atmen. Mike Rander, keineswegs unerfahren, warf sich sofort zu Boden, rollte sich nach links ab und schleuderte seine scharfkantige Dokumentenmappe auf den Angreifer, den er nur vage sehen konnte. Die Tasche landete äußerst glücklich im Gesicht des Mannes. Der Gegner – mittelgroß, offensichtlich korpulent – flog gegen die Tür eines anderen parkenden Wagens und ergriff die Flucht. Rander rappelte sich auf und begann mit der Verfolgung. Er hatte das sichere Gefühl, von dem ›Geigenklau‹ überfallen worden zu sein. Er rannte hinter dem flüchtenden Mann her und entschloß sich dann, 37 �
ihm den Weg abzuschneiden. Er brauchte sich nur an der Rampe aufzubauen. Dort mußte der Angreifer mit Sicherheit erscheinen, wenn er hinauf auf die rettende Straße wollte. Rander hatte längst seine 7,65 gezogen und entsichert. Verständlicherweise hatte er etwas dagegen, umgebracht zu werden. Zu seiner Überraschung ließ der Angreifer sich nicht blicken. Er schien sich irgendwo in der Tiefgarage versteckt zu halten. Wahrscheinlich hatte der ›Geigenklau‹ durch die blitzschnelle Reaktion Mike Randers einen Schock davongetragen. Rander hatte Zeit und rührte sich nicht. Er wollte den heimtückischen Angreifer in Sicherheit wiegen. Jetzt kam es darauf an, wer die besseren Nerven hatte. Zu Mike Randers Enttäuschung näherte sich der Tiefgarage ein Wagen, die abgeblendeten Lichter hielten genau auf die Einfahrt zu. Parker? Nein, dessen Monstrum hatte ein anderes Licht. Kamen irgendwelche Büroinhaber zurück? Es war klar, daß in solch einem riesigen Bürohaus auch in den Abendstunden gearbeitet wurde. Rander, dem dieser Block gehörte, hatte die Fluchten und Büros an eine Vielzahl von Firmen vermietet. Der Wagen – es handelte sich um einen Buick – fuhr hinunter in die Tiefgarage. Rander stoppte ihn
durch Handzeichen und trat an den Rand des Scheinwerferlichts. Er wollte nicht, daß irgendwelche Mieter mit dem Mörder in Kontakt gerieten und so in Gefahr gebracht wurden. In dem Buick saßen drei Männer, neben einem stämmigen Fahrer ein untersetzter, muskulös wirkender Mann mit einer ausgeprägten Stirnglatze. Im Wagenfond saß ein dritter, stämmiger und durchtrainiert wirkender Fahrgast. Irgendwie spürte Mike Rander, daß er es auf keinen Fall mit normalen Staatsbürgern zu tun hatte. Und um ein Haar wäre er zurück in die Dunkelheit gesprungen, um sich in Sicherheit zu bringen. Doch dann überwog sein Verantwortungsgefühl. »Passen Sie auf!« sagte er hastig zu dem Fahrer, der das Wagenfenster heruntergekurbelt hatte und ihn fragend ansah, »hier unten in der Garage treibt sich ein Verrückter herum. Ich weiß nicht, ob er bewaffnet ist.« »Mister Rander?« fragte der Mann mit der Stirnglatze vom Beifahrersitz her. »Richtig. Und wer…« Weiter kam Rander nicht. Der Fahrer des Buick ließ ihn in den Lauf einer Waffe blicken. »Steigen Sie ein!« sagte die Stirnglatze fast freundlich, »mit Ihnen wollte ich mich unterhalten. 38 �
Schön, daß wir uns hier in der Garage schon treffen.« »Hören Sie!« Rander wollte noch einmal auf den ›Geigenklau‹ hinweisen, doch die drei Männer im Buick waren an einer weiteren Unterhaltung nicht interessiert. Er mußte im Fond neben dem dritten Mann Platz nehmen und erhielt sofort einen Lauf in die Seite gerammt. Der Buick stieß zurück und gewann die Zufahrtsstraße. »Moment mal. Wie war das mit dem Verrückten in der Garage?« fragte in diesem Augenblick der Mann mit der Stirnglatze. »Ich wurde in der Tiefgarage überfallen,« erwiderte Rander, »ich würde mich nicht wundern, wenn, es der ›Geigenklau‹ gewesen ist. Sie haben von ihm in den Zeitungen vielleicht schon gehört, oder?« »Los, schnell, zurück nach unten!« brüllte die Stirnglatze animiert den Fahrer an, »nun dreh den Schlitten schon!« Der Fahrer, der den Buick gerade wenden wollte, schlug die Vorderräder umgekehrt ein und wollte zurück in die Tiefgarage. Doch in diesem Moment schoß eine Art Geschoß aus Blech und Gummi aus der Garage heraus, streifte den Buick hart am Kühler, schleuderte ein wenig und verschwand dann ohne Licht in der Dunkelheit. »Verdammt. Was war das?« brüllte der Mann mit der Stirnglatze.
»Mister,Geigenklau«, erwiderte Rander, »jetzt bin ich sogar sicher! Aber wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?« »Was ich von Ihnen will, Rander?« Die Stirnglatze lachte leise auf. Sie hatte sich von der Überraschung schon wieder erholt, »ich will von Ihnen einen gewissen Josuah Parker. Und Sie werden ihn mir verschaffen, ob Sie wollen oder nicht!« * Da Parker sich bereits im Keller befand, war es eine Kleinigkeit, ihn in den angrenzenden Heizungskeller zu schaffen. Die junge Dame und Marty mußten sich gehörig abschleppen, zumal der Butler es ihnen nicht leichtmachte. Er landete nach fünf Minuten in einem Raum, der fast vollständig von einem viereckigen Öltank ausgefüllt wurde. »Was machen wir jetzt, Marty?« fragte das Zigarettengirl. »Ihm auf den Zahn fühlen,« erwiderte Marty, »ich will wissen, weshalb sie hinter ihm her sind.« »Wer sind diese Männer eigentlich?« »Keine Ahnung, Hazel, sie kamen, mieteten mein Büro und zahlten nicht schlecht.« »Hoffentlich geht das alles nicht ins Auge, Marty. Ich habe Angst. Vielleicht hätten wir uns auf die ganze Sache gar nicht einlassen sol39 �
len…« »Nun mach mal halblang, Hazel. Sie haben nicht schlecht gezahlt. Und in dieser Geschichte steckt noch mehr Geld, verlaß dich darauf! Ich muß nur ‘rausbekommen, um was es geht. Scheint sich um ein tolles Geschäft zu handeln.« Parker, voll bei Bewußtsein, bekam selbstverständlich jedes Wort mit. Er fand bestätigt, daß die junge Dame nicht gelogen hatte. Der Rundkopf, wahrscheinlich wirklich neu in der Stadt, hatte sich aus Gründen der Sicherheit und der Tarnung diesen kleinen Nachtclub gemietet, um Butler Parker zu verhören. Falls es zu einer Panne kam, konnte Parker, wie jetzt geschehen, nur auf dieses Lokal hinweisen, doch hier endeten dann aber auch schon alle Spuren. »Sollten wir diesen Butler nicht an die Glatze verkaufen?« schlug Hazel, das Zigarrengirl, freundlich vor. »Ich weiß doch überhaupt nicht, wo ich den Glatzkopf finden kann.« »Hast du wirklich nicht die geringste Ahnung?« »Nicht die Bohne, Hazel, glaub mir! Wenn schon, dann müssen wir das Geschäft mit Parker allein machen. Er muß uns sagen, um was es geht. Und er wird es uns sagen, darauf kannst du dich verlassen!« Parker fand es an der Zeit, ein wenig zu stöhnen. Dann richtete er
den Oberkörper auf, schüttelte scheinbar verwirrt den Kopf und griff nach seinem Universal-Regenschirm. Marty war schneller. Er kickte den Schirm aus Parkers Reichweite und baute sich breitbeinig vor ihm auf. »Nun machen Sie schon,« sagte Marty ungnädig, »so fest kann der Schlag doch überhaupt nicht gewesen sein.« »Sie unterschätzen die Fitneß der jungen Dame,« meinte der Butler und stand auf, »ich fürchte, ich leide bereits unter einer leichten Gehirnerschütterung!« »Sie werden ‘ne schwere bekommen, wenn Sie nicht auspacken, Parker!« »Was wünschen Sie, bitte, von meiner bescheidenen Wenigkeit zu erfahren? Ich stehe zu Ihrer Verfügung.« Während Parker noch sprach, lüftete er höflich seine Melone und… ließ sie auf das Handgelenk von Marty fallen, der daraufhin verhalten und überrascht aufbrüllte. Parker fing die Waffe auf, die aus Martys Hand fiel und wog sie nachdenklich in der Hand. »Mit Schußwaffen sollte man stets sehr vorsichtig umgehen,« erläuterte er dazu, während Marty von einem Bein auf das andere hüpfte, da das Handgelenk schmerzte, »Schußwaffen verleiten zu Brutalitäten und 40 �
Grausamkeiten, besonders in der Hand von labilen Menschen. Das wird sich in diesem Land eines Tages hoffentlich endgültig herumsprechen.« Hazel wollte erneut tätlich werden. Da sie diesmal keine passende Vase zur Hand hatte, versuchte sie gegen Parkers Kniescheibe zu treten. Parker nahm das Knie zur Seite, und Hazel trat mit ihren leichten Pumps mit voller Kraft gegen den Öltank, der wie eine Kesselpauke aufdröhnte. Nun hüpfte die attraktive Hazel von einem Bein auf das andere und stieß einige Wehlaute aus. Parker griff nach seinem Universal-Regenschirm und ließ den Browning in seiner Tasche verschwinden. »Ich werde diese Waffe mit oder ohne Ihrer gütigen Erlaubnis aus dem Verkehr ziehen,« meinte er würdevoll, »zudem möchte ich Sie eindringlich warnen. Tätigen Sie mit dem Herrn, den Sie die Glatze nennen, möglichst keine Geschäfte, sie könnten nämlich tödlich sein! Beschränken Sie sich auf die Nachtbar und führen Sie ein Leben im Rahmen Ihrer Möglichkeiten! Zu große Schuhe, so sagt ein altes Sprichwort, verursachen Blasen an Fersen und Zehen. Damit möchte ich mich verabschieden und Ihnen noch einen relativ guten Abend wünschen.« Parker verließ den Tankkeller,
schloß die Sicherheitstür aus dickem Stahlblech hinter sich, sperrte das Schloß ab und sich in seiner Bastelstube sehr sorgfältig umgesehen. Er trug einige Überraschungen bei sich, die sich sehen lassen konnten. Dazu gehörte eine ganz spezielle Sache, von der er sich einiges erhoffte. Nach einer Fahrt von einer halben Stunde hatte der Butler über die westliche Ausfallstraße der Peripherie der Stadt erreicht, bog von der Schnellstraße ab und benutzte eine normale Landstraße, die in Richtung See führte. Nach einer weiteren Viertelstunde kam das Ufer in Sicht und damit auch die vielen Wochenendund Bootshäuser, die meist mit einem weit in den See hinausführenden Landungssteg versehen waren. Parker hielt sein hochbeiniges Monstrum an, betätigte den Lichtknopf und gab einige Signale, die er verabredet hatte. Diese Lichtsignale wurden prompt erwidert. Man erwartete ihn also schon ungeduldig. Parker fuhr mit seinem hochbeinigen Monstrum bis dicht an das Bootshaus heran und hielt an. Er stieg aus und näherte sich der Tür. Da er sich sicherheitshalber eine schußsichere Weste angelegt hatte, brauchte er heimtückische Schüsse nicht unbedingt zu fürchten. Es wurde nicht geschossen. Die Tür öffnete sich. Die beiden Profis erschienen und nickten ihm 41 �
stumm und wenig einladend zu. »Nun kommen Sie schon, Parker,« rief der Rundkopf mit der Stirnglatze, »mein Kompliment, Sie sind sehr pünktlich!« »Darf ich mich nach dem Befinden meines jungen Herrn erkundigen?« Während Parker sprach, sah er zu Mike Rander hinüber, den man inzwischen auf einem einfachen Stuhl festgezurrt hatte. »Alles in Ordnung«, rief Mike Rander. »Nun denn, hier wäre ich und stehe zur Verfügung.« Parker drehte sich zu dem Rundkopf um. »Sehr schön,« sagte der Mann und grinste, »ich wußte doch, daß wir uns wiedersehen würden, Parker. Sie vermasseln mir nicht die Tour!« »Sollen wir ihn nicht erst mal durchsuchen?« fragte einer der beiden Profis. »Natürlich, filzt ihn!« Der Rundkopf war völlig einverstanden, »seht euch sein Zigarrenetui genau an, ich möchte nicht noch einmal eingeschläfert werden.« Parker ließ sich widerspruchslos durchsuchen. Die beiden Profis klopften und fühlten ihn nach allen Regeln der Kunst ab, beließen ihm aber arglos die zwiebelförmig aussehende alte Uhr, eine Pillendose, das Feuerzeug und einen Zigarrenabschneider. »Ja, was haben wir denn hier?« wunderte sich einer der beiden Pro-
fis, der Parkers Brieftasche geöffnet hatte und durchsuchte. Er grinste und reichte an seinen Partner einige Fotos weiter. »Donnerwetter!« sagte dieser Partner und drohte dann dem Butler fast neckisch mit dem Zeigefinger, »hätte ich auch nicht von Ihnen gedacht, Parker, daß Sie so was mit sich herumschleppen.« »Was denn?« fragte der Rundkopf, der verständlicherweise neugierig geworden war. »Hier… die Fotos, Chef!« Nun wanderten die Fotos an den Rundkopf mit der Stirnglatze weiter. Die drei Männer steckten die Köpfe zusammen und amüsierten sich. »Ich… ich fand die Fotos, zufällig in jener Bar, in der Sie mich festhalten wollten,« kommentierte der Butler, der ein wenig verwirrt und verlegen zu sein schien. »Sie haben’s faustdick hinter den Ohren,« meinte der Rundkopf und legte die Fotos aus der Hand. Dann fuhr er sich über die Stirn und schüttelte den Kopf, als müsse er irgendwelche verstiegenen Gedanken abschütteln. Auch die beiden Profis fühlten sich plötzlich nicht mehr sonderlich wohl. Sie bekamen Schweißausbrüche und verließen dann fluchtartig den Raum, um die Toilette aufzusuchen. Ein plötzlicher Brechreiz setzte ihnen böse zu. Der Rundkopf mit der Stirnglatze 42 �
schaffte diesen Weg allerdings nicht. Er brach plötzlich zusammen und blieb neben dem einfachen Tisch regungslos liegen. »Was ist denn das?« fragte Rander erstaunt. Er hatte bisher schweigend zugesehen. »Ich möchte mit Sicherheit unterstellen, Sir, daß den Herren der Anblick der diversen Fotos ein wenig auf das Nervensystem schlug. Wenn Sie erlauben, werde ich Sie jetzt losbinden.« »Und die beiden Profis?« »Werden inzwischen ebenfalls schlafen, Sir!« Rander rieb sich die schmerzenden Handgelenke, als er frei war und näherte sich dem Tisch, auf dem die Fotos lagen. Er beugte sich über sie, stutzte und sah lächelnd hoch. »Na, wenn das kein raffinierter, psychologischer Trick ist!« meinte er dann und nahm eines der Fotos in die Hand, bevor der Butler ihn zu warnen vermochte, »Pin-up-Fotos… Und zwar ziemlich gewagte Aufnahmen, die müssen ja selbst den abgebrühtesten Gangster ablenken.« »Anwälte eingeschlossen,« sagte Parker mit einigem Bedauern in der Stimme, »ich fürchte, Sir, auch Sie werden gleich der Ruhe pflegen.« Parker fürchtete nicht umsonst. Mike Rander wurde ein wenig schlecht. Nach einer Gähnserie rutschte er auf den Boden und bettete sich neben den Rundkopf mit
der Stirnglatze. Josuah Parker benutzte einen seiner vielen Kugelschreiber, um die Pin-up-Fotos zusammenzuschieben. Er bugsierte sie in einen Aschenbecher und verbrannte sie anschließend. Nicht etwa aus Prüderie, sondern weil die Fotos präpariert worden waren. Jeder, der sie anfaßte, kam an einem mehr oder weniger langen Tiefschlaf nicht vorbei. * »Sie hätten mich doch wenigstens warnen können,« beschwerte Mike Rander sich eine gute Stunde später. »Wie sind Sie überhaupt auf den Gedanken gekommen, diese Fotos zu präparieren?« »Ich gestehe, daß ich gewisse Methoden kopiert habe, Sir. Mister Unbekannt, wie ich den Rundkopf nennen möchte, da Angaben zur Person nach wie vor fehlen, setzte auf ähnliche Art und Weise den Ersatzdirigenten Paul Curless außer Gefecht.« »Ich denke, Sie haben mir eine Menge zu erzählen, Parker. Aber ich verstehe nicht, warum wir diesen Rundkopf samt seinen beiden Typen im Bootshaus zurückgelassen haben.« »Einmal, Sir, weil ich Sie unbedingt in Sicherheit bringen wollte, nachdem auch Sie sich infiziert hatten. Zum anderen, um die Dinge 43 �
nicht unnötig zu verzögern und abzubremsen.« »Wieso abbremsen?« »Der einzig legale Weg, um den Mister Unbekannt und seine beiden Mitarbeiter außer Gefecht zu setzen, Sir, wäre deren Übergabe an die Polizei gewesen. Dort hätte Mister Unbekannt geleugnet und wahrscheinlich Sie und meine bescheidene Wenigkeit des Kidnappings angeklagt. Mit anderen Worten: Lieutenant Madford hätte Mister Unbekannt und dessen Mitarbeiter wieder freigeben müssen. Um diese Prozedur, die zu nichts führt, abzukürzen oder sie überhaupt nicht aufkommen zu lassen, darum, Sir, habe ich davon Abstand genommen, Maßnahmen zu ergreifen.« »Wahrscheinlich war das richtig so, Parker.« »Ich bin stolz und glücklich, Sir, daß Sie meine Auffassung teilen. Immerhin nahm ich die günstige Gelegenheit wahr, die Gesichter der drei Herren abzulichten, damit eine Identifikation möglich ist. Ich darf ergänzen, daß ich jetzt selbstverständlich auch die Fingerlabdrücke dieser Herren besitze.« »Hätte ich mir schon fast denken können!« Rander zündete sich eine Zigarette an und testete, ob sie bereits schmeckte. Sie schmeckte nicht. Das an sich harmlose Kontaktgift, mit dem die Fotos präpariert worden waren, saß ihm noch im
Blut. Er warf die Zigarette über Bord. »Jene Person, die sich ›Geigenklau‹ nennt, Sir, hat sich gemeldet.,« berichtete Parker weiter, »sie will ein Opernkonzert, das morgen abend stattfindet, um jeden Preis verhindern.« »Wie sich das trifft,« meinte Anwalt Rander seufzend, »und Mister Unbekannt mit Stirnglatze will dafür sorgen, daß ein Musical im Globe nicht über die Bühne geht.« »Sie sind auch schon entsprechend informiert worden, Sir?« »Mister Unbekannt prahlte damit herum… Ihnen hat er’s also auch gesagt?« »In der Tat, Sir. Als Mister Unbekannt und seine beiden Mitarbeiter mich in einen Nachtclub verschleppten.« »Damit gehen wir herrlichen Zeiten entgegen,« sagte Rander, »Madford wird rotieren, wenn er erfährt, was da alles auf ihn zukommt. Ich schlage vor, Parker, Sie lassen sich vorerst nicht in seiner Nähe sehen, sonst könnte er sie mit Fragen und Vorwürfen durchlöchern.« »Darf ich um ein bis zwei freie Tage bitten, Sir?« Parker ging auf dieses Angebot sofort ein. »Aber selbstverständlich,« sagte Rander auflachend, »machen Sie sich ein paar schöne Tage, Parker, aber laufen Sie Madford möglichst 44 �
nicht über den Weg!« »Das bedeutet doch, daß ich, beide Opernkonzerte abschirmen muß,« sagte Madford am anderen Tag – es war gegen 10.00 Uhr morgens – aufgebracht und lief in Randers Studio nervös hin und her. »Ich denke sogar, daß ich beide Konzerte verbiete. Stellen Sie sich mal vor, wenn dieser verdammte ›Geigenklau‹ es diesmal weder auf die Instrumente noch auf den Dirigenten abgesehen hat. Er könnte ja auch womöglich irgendeine Sprengladung zünden.« »Seit wann wissen Sie von ›Geigenklaus‹ Absicht?« fragte Mike Rander. »Die beiden Veranstalter der Opernkonzerte sind von ›Geigenklau‹ angerufen worden. Etwa vor einer halben Stunde. Sie können sich vorstellen, was jetzt dort los ist.« »Hat ›Geigenklau‹ denn keine Ablösungssumme genannt?« »Er verlangt für jeden Abend fünftausend Dollar! Zusammen also zehn!« »Ich rate Ihnen, die Konzerte streichen zu lassen,« sagte Mike Rander, »meiner Schätzung nach fällt bestimmt auch noch ein Musical aus.« »Wie bitte?« »Na, ich muß Ihnen dazu erst eine Geschichte erzählen. Regen Sie sich aber nicht unnötig auf, Madford, das kostet nur Zeit und Nerven!« »Das kann doch nur heißen, daß
Parker und Sie hinter meinem Rücken wieder einmal etwas angestellt haben. Und da soll ich mich nicht aufre…« »Moment mal, das Telefon!« unterbrach Rander seinen Gast. Er. hob ab, meldete sich und reichte den Hörer dann an Madfort weiter. »Madford,« bellte Polizeilieutenant in die Leitung. Anschließend hörte er ein paar Sekunden schweigend zu, um dann den jungen Anwalt mit einem tödlichen Blick zu messen. Er warf den Hörer in die Gabel und zwang sich zur Ruhe. »Es war McLean,« sagte er, »er hat mir etwas von einem Musical erzählt. Die Direktion des VickTheatars ist eben von ›Geigenklau‹ angerufen worden. Nur gegen Zahlung von 50.000 Dollar bis heute mittag kann das Musical gebracht werden.« »Viel Geld,« sagte Rander nur. »Ich möchte jetzt, zum Henker, genau wissen, von wem Sie diese Musical-Geschichte erfahren haben, bevor die Theaterdirektion überhaupt informiert wurde.« »Nur, wenn Sie sich wieder abregen, Madford! Ich muß vorausschicken, daß dieser ›Geigenklau‹ nicht mit dem richtigen ›Geigenklau‹ identisch ist.« »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Wollen Sie behaupten, wir hätten es inzwischen mit ›Geigenklaus‹ zu tun?« 45 �
»Genau das, Madford!« »Ich werde noch wahnsinnig.« »Später, Madford, später, nicht jetzt. Wollen Sie jetzt endlich mal zuhören?« »Wenn ich dahinter komme, daß Sie und Ihr Butler…« »Warten Sie, irgendwo muß ich doch noch Beruhigungstabletten haben,« meinte Rander ironisch. »Schön, erzählen Sie,« sagte Madford etwas gedämpfter und sich zur Ruhe zwingend, »erzählen Sie! Aber ich will alle Einzelheiten hören.« »Sofort, wenn Sie mich endlich zu Wort kommen lassen, Madford. Um es gleich vorwegzunehmen, Parker habe ich ein paar Tage Urlaub gegeben.« »Das kann doch nur heißen, daß er…?« Madford regte sich schon wieder auf. »Das soll und kann nur heißen, daß er sich ein paar freie Tage genommen hat.,« entgegnete Mike Rander lächelnd, »ob Ihnen das nun gefällt oder nicht!« * Die kleine Musikalienhandlung lag in einer stillen, beschaulichen Seitenstraße am Rande des Loop und war über eine Treppe zu erreichen, die hinunter in eine Art Souterrain führte. Als Parker diese Musikalienhandlung betrat, schepperte wohl-
klingend ein Glockenlied, das allerdings ganz leicht verstimmt war. Eine schlanke Frau von schätzungsweise fünfundfünfzig Jahren kam in den Laden und nickte dem Butler freundlich zu. »Parker mein Name, Josuah Parker,« sagte der Butler, »habe ich den Vorzug, mit Miß Martha Glanser zu sprechen?« »Ja, ich bin Martha Glanser.« »Ich komme wegen Will Glanser, Ihrem Bruder?« »Ja, bitte?« Sie war nicht mehr freundlich, sie wirkte sofort sehr zugeknöpft. »Ich komme als Freund,« schickte der Butler voraus, »ich kann mir vorstellen, daß die Polizei bereits bei Ihnen war.« »Wer sind Sie eigentlich?« »Ich übe den Beruf eines Butlers aus und hatte die Möglichkeit, erst gestern noch per Telefon mit Ihrem Bruder zu sprechen, den ich übrigens für sehr krank halte.« »Für krank?« »In der Tat! In meinen Augen ist Ihr Bruder selbstverständlich kein Verbrecher, auch wenn er leider den Dirigenten Stevenson umgebracht hat, wie fast mit letzter Sicherheit feststeht. Ihr Bruder ist geistig verwirrt und bedarf dringendst der ärztlichen Behandlung.« Sie sah ihn einen Moment lang prüfend an und zeigte dann auf die Hintertür. 46 �
»Bitte, kommen Sie mit! Ich habe Vertrauen zu Ihnen.« »Das ich selbstverständlich nicht enttäuschen werde, Madam!« Parker folgte in den kleinen Wohnraum, in dem es blitzsauber war. Er nahm in einem leichten Sessel Platz, während Miß Glanser vor einem imitierten Kamin stehenblieb. »Will ist wirklich kein Verbrecher,« sagte sie und unterdrückte ein Beben in ihrer Stimme: »Er ist krank, sehr krank. Ich habe fürchterliche Angst, daß er eines Tages gehetzt und dann erschossen wird.« »Eben dem möchte ich vorbeugen, Miß Glanser. Und ich hoffe, Sie werden mir dabei helfen.« »Wie soll ich Ihnen helfen, Mister Parker? Ich weiß ja nicht, wo Will sich versteckt hält.« »Hat er sich in letzter Zeit mit Ihnen in Verbindung gesetzt?« »Er rief einige Male an.« »Und drohte, das Musikleben zu reinigen, nicht wahr?« »Ja, so ungefähr. Wissen Sie, seit damals hat Wills Geist sich verwirrt.« »Würden Sie die Freundlichkeit halben, mir einige Details zu geben, Madam? Ich kann Ihnen versichern, daß ich nicht aus Neugier frage, mir geht es wirklich nur darum, Ihren Bruder so schnell wie möglich zu einem Arzt zu bringen, bevor er zu einer reißenden Bestie wird, womit
leider zu rechnen ist.« Parker hatte absichtlich so laut gesprochen, da er hinter einer Tür, die wahrscheinlich hinaus in den Korridor führte, ein Geräusch gehört hatte. Seine Provokation wirkte. Die Tür wurde aufgerissen, und Will Glanser erschien auf der Bildfläche. Er war leider nicht allein. Er wurde begleitet von einem Schrotgewehr, dessen Lauf abgesägt war, der aber dennoch ausdrücklich auf den Butler gerichtet war. Oder vielleicht gerade deswegen. * »Mister Glanser, wenn ich nicht sehr irre?« Josuah Parker deutete eine leichte Verbeugung an, griff aber nicht nach seiner Melone. Schrotschüsse wollte er nicht unbedingt provozieren. »Will!« Miß Martha Glanser sprang erschreckt auf und wurde bleich, »Will, warum bist du noch einmal zurückgekommen?« »Wer ist eine reißende Bestie?« Will Glanser schien die Worte seiner Schwester nicht gehört zu haben. Er sprach ausschließlich zu Parker. »Dies ist eine Frage, über die man diskutieren müßte,« erwiderte der Butler ausweichend, »haben Sie sich inzwischen entschieden, welches Opernkonzert Sie ausfallen lassen wollen?« 47 �
»Beide, wenn ich mein Geld nicht bekomme!« Glanser war mißtrauisch, wie Geisteskranke es häufig zu sein pflegen. Der Lauf des Schrotgewehrs wies nach wie vor auf den Butler. »Und was, wenn ich fragen darf, machen Sie mit dem vielen Geld, das Sie zweifellos verdienen werden, Mister Glanser?« Wenn Parker Angst hatte, so zeigte er sie nicht. Seinem glatten Pokergesicht war keine Regung anzumerken. »Mit dem Geld?« Glanser schien verblüfft zu sein, da ihm diese Frage gestellt wurde. »Was ich mit dem Geld mache?« »Ich möchte unterstellen, daß Sie an einer Führung eines Bankkontos kaum interessiert sein werden.« »Ich, ich werde mit dem Geld eine Schule aufmachen. Eine Musikschule, auf der die Genies dieser Welt unterrichtet werden. Und zwar von mir. Kostenlos! Ich werde eine neue Generation von Musikern fördern und…« Glanser brach in seiner Rede ab und starrte den Butler mißtrauisch an. »Verstehen Sie überhaupt etwas von Musik?« »Ich liebe die Klassik,« erwiderte der Butler. Er berechnete seine Chancen, um Will Glanser außer Gefecht setzen zu können. Die Chance war groß, diesen armen Menschen endlich dorthin zu brin-
gen, wohin er gehörte, nämlich in ein Krankenhaus. »In Jahrhunderten wird man sich an mich erinnern,« begann Glanser nun wieder. »Und ich werde endlich dazu kommen, der Welt zu zeigen, wie ein Solist zu spielen hat.« »Welches Instrument bevorzugen Sie?« »Das Piano,« sagte Glanser gespreizt. »Und warum, wenn ich fragen darf, beendeten Sie so plötzlich Ihre Karriere?« »Man jubelte mir zu. Man…« Glansers starrer Blick begann zu flattern. Sein Gesicht bedeckte sich mit einer hektischen Röte. Der Lauf des Schrotgewehrs bewegte sich leicht. Josuah Parker schob sich vorsichtig in eine Ausgangsposition. »Die Fachkritiker sahen in mir den neuen Rubinstein,« redete Glanser weiter, »mein Anschlag wurde gerühmt. Ich, ich…« »Warum knüpfen Sie nicht da an, wo Sie aufgehört haben?« fragte Parker, um den Mann zu beschäftigen. »Man ruinierte mich. Man machte mich verrückt. Meine Frau, meine Frau…« »Will, bitte!« rief Martha Glanser dazwischen, »Will, so beruhige dich doch!« »Sie zerstörte alles. Sie ruinierte mich!« Will Glansers Augen wurden stechend, »aber nicht nur sie. Alle. Alle. Sie sperrten mich ein. Sie nah48 �
men mir das Klavier weg. Ich durfte nicht mehr spielen. Und dann dieser Stevenson. Dieses Miststück. Dieses dreckige Schwein!« Glanser stand dicht vor einem neuen Ausbruch. Parker wußte, daß es jetzt geschehen mußte, wenn er Will Glanser entwaffnen wollte. Er spannte unauffällig seine Muskeln. »Bleiben Sie stehen,« sagte Glanser plötzlich scharf und mit durchaus normaler Stimme, »ich werde Sie töten müssen, Parker! Sie gehören auch zu denen, die mich wieder einsperren wollen, die meine Karriere vernichten wollen.« Der Lauf des Schrotgewehres hob sich wieder. Der Zeigefinger krümmte sich. Glanser nahm Druckpunkt, dies war deutlich zu sehen. »Warum wenden Sie sich nicht ah einen Konzertagenten?« sagte der Butler ruhig und gemessen, »ohne Kontaktaufnahme können Sie natürlich keine Engagements erwarten.« »Sie glauben, daß man mich nehmen wird?« Glansers Stimme wurde kindlich, hoffnungsvoll. Parker tat dieser Mensch unsagbar leid. Glanser war sehr, sehr krank… »Ich könnte Sie mit einem erstklassigen, internationalen Agenten zusammenbringen,« redete der Butler weiter, »aber Sie müssen sich entscheiden, Mister Glanser. Sie sollten die Musikwelt nicht zu lange warten lassen.« »Vielleicht haben Sie recht.« Glan-
ser war offensichtlich beeindruckt. Und vielleicht hätte der Butler es geschafft, Glanser dazu zu überreden, die Waffe aus der Hand zu geben, doch leider waren in diesem Moment vorn im Musikladen laute Stimmen zu hören. »Sie haben mich belogen!« brüllte Glanser und sprang durch die immer noch geöffnete Tür zurück in den Korridor. Vorher aber schoß er noch, doch die Schrotladung ging erfreulicherweise in die Zimmerdecke. * Da war nun nichts zu machen. Madfords Überwachungsleute hatten Glanser verfolgt und sich beeilt, in die Musikalienhandlung zu kommen. Sie hatten Unheil verhindern wollen, dabei aber leider Will Glanser vertrieben. Mit der Schläue und Gerissenheit eines Geisteskranken hatte Glanser seine Verfolger abgeschüttelt, ohne erfreulicherweise noch einmal geschossen zu haben. Das bewußte Schrotgewehr lag in der Korridordiele und konnte kein Unheil mehr anrichten. Parker wartete nicht auf die Rückkehr der beiden Beamten des Morddezernats. Er verabschiedete sich von der fassungslosen Martha Glanser und verließ die Musikalienhandlung. Es galt, einen weiteren Besuch 49 �
zu machen. Adain Adanski, ein alter Herr mit weißem, schütterem Haar, etwa fünfundsiebzig Jahre alt, wohnte in einer sehr persönlich eingerichteten Atelierwohnung im Herzen der Stadt, hoch über den Dächern. »Ich habe gelesen, was man Will vorwirft.,« sagte er mit erstaunlich jugendlicher Stimme, »ich habe eigentlich schon immer gewußt, daß es einmal so mit ihm enden würde.« »Darf ich nähere Einzelheiten erfahren, Mister Adanski?« »Will arbeitete fast drei Jahre mit mir zusammen. Wie lange ist das schon her. Aber ich erinnere mich genau. Er war ein sogenanntes Wunderkind. Er gab Konzerte und entzückte die Fachwelt. Er war etwa zweiundzwanzig Jahre alt, als er zu mir kam. Und von diesem Zeitpunkt an begann seine eigentliche Ausbildung. Er war ein Blender, wenn Sie mich verstehen. Ich brachte ihm das richtige Verständnis für die Musik bei, gab ihm gewissermaßen erst den Hintergrund.« »Stellten Sie damals, Glanser muß etwa 22-23 Jahre alt gewesen sein, schon irgendwelche seelischen Veränderungen fest?« »Wenn ich es recht betrachte, dann muß ich diese Frage beantworten. Er kam sich fertig vor und konnte keine Kritik vertragen. Wir hatten viel häßliche Auftritte. Wenn ich ihn korrigierte, geriet er in Hysterie und
schimpfte maßlos.« »Es war eben seine einmalige Begabung als Pianist, seine technische Brillanz, seine Perfektion, aber eben ohne jede Tiefe. Ich fühlte und wußte aber, daß sich die Zusammenarbeit lohnen würde. Jeder Lehrer sucht verzweifelt nach solch einem Jahrhundertschüler. Und ich, Adam Adanski, hatte ihn gefunden.« »War er da schon verheiratet?« »Er hatte gerade geheiratet.« »Könnten Sie sich möglicherweise noch an diese Frau erinnern?« »Erinnern? Aber selbstverständlich. Ich sehe sie ja hin und wieder in der Stadt. Sie hieß Jane Cressling. Eine blendende Schönheit. Ebenfalls Musikerin. Sie spielte Cello und wechselte dann zum Gesang über. Eine nette Altstimme. Am Cello war sie besser, ganz einwandfrei.« »Wie verlief diese Ehe, wenn ich diese indiskrete Frage an Sie richten darf?« »Sie lebten wie Hund und Katze miteinander. Jane war damals eine sehr temperamentvolle, eigenwillige junge Dame. Will eher etwas gehemmt und ungelenk. Und eifersüchtig dazu. Du lieber Himmel, wenn ich an diese Zeit zurückdenke.« »Gewissen Akten konnte ich entnehmen, daß Will Glanser seine Frau hatte umbringen wollen.« »Unsinn, daran glaube ich heute noch nicht, Mister Parker. Er ist viel50 �
leicht auf sie losgegangen, aber Jane hat die Dinge damals maßlos übertrieben. Es kam zu einer Anklage und Will sollte ins Gefängnis. Zu diesem Zeitpunkt verdüsterte sich sein Geisteszustand, und seine Anwälte erreichten es, daß er in eine Heilanstalt überführt wurde.« »Wie lange, falls Sie sich erinnern, mußte er in dieser Anstalt verbleiben?« »Ich glaube, es waren gut zehn Jahre. Dann entließ man ihn und er verschwand aus meinem Gesichtsfeld.« »Hat er sich nie wieder bei Ihnen gemeldet? Auch nicht in jüngster Zeit?« »Nein,« erwiderte Adanski und schüttelte den Kopf, »ich muß bei dieser Gelegenheit noch sagen, daß Will mich wohl haßt. Er sagte damals, knapp vor dem angeblichen Mordanschlag auf seine Frau Jane, ich hätte ihm die Karriere verdorben und ihn unsicher gemacht. Reiner Unsinn selbstverständlich. Warten Sie, Mister Parker, glauben Sie, daß er sich nach so langer Zeit an mir rächen könnte?« »Ich kann Ihnen allerdings nur zu größter Vorsicht raten,« erwiderte der Butler, »ein verwirrter Mensch wie Will Glanser ist nicht mehr Herr seiner Handlungen, er wird nur noch vom Unterbewußtsein gesteuert. Sie sollten sich unter Polizeischutz stellen oder vielleicht die
Stadt verlassen.« * Glanser sah um diese Zeit nicht verwirrt aus. Er glich einem Durchschnittsbürger und bewegte sich auch so. Er ging in normalem Tempo die Brest Street hinunter und beobachtete dabei ganz ungezwungen den Backsteinbau hinter einem kleinen ungepflegten Vorgarten, der die Musikschule einer gewissen Jane Cressling beherbergte. Das Schild am Torpfosten traf ihn wie ein Keulenschlag. Er blieb stehen und las diesen so verhaßten Namen immer wieder. Jane Cressling! Wie sehr er doch diese Frau haßte, die ihm nur Unheil und Unglück gebracht hatte. Er zwang sich zum Weitergehen, sein Instinkt sagte ihm, daß auch dieses Haus von der Polizei überwacht wurde. Will Glanser unterdrückte den Zwang, einfach durch das Tor zu gehen, einfach vor Jane zu treten und ihr die Violinsaite um den schlanken Hals zu legen. Hastig wandte er sich ab, als er weit unten auf der Straße ein seltsames Gefährt entdeckte. Es handelte sich um ein hochbeiniges Monstrum auf Rädern, das sich schnell näherte und dann vor dem Tor zur Musikschule angehalten wurde. Glansers Augen verengten sich. Da war dieser Mann mit Melone und Regenschirm, 51 �
der ihn hatte hereinlegen wollen. Auch dieser Mann mußte sterben. So schnell wie möglich! * Sie war fünfundvierzig Jahre alt, wie der Butler genau wußte, aber sie hatte sich auf fünfunddreißig zurechtgemacht, was etwas aufdringlich wirkte. Sie hatte noch eine recht ansehnliche, vollschlanke Figur, aschblondes Haar und ein Gesicht, in das das Alter bereits deutlich seine Spuren eingezeichnet hatte, was allerdings durch das Make-up nicht auf den ersten Blick zu erkennen war. »Schon wieder wegen Will,« sagte Jane Cressling gereizt, »ich habe wichtigere Dinge zu tun, als dauernd über Will befragt zu werden. Wer sind Sie eigentlich?« »Parker, Josuah Parker,« wiederholte der Butler sicherheitshalber noch einmal. »Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, Madam, aber mir scheint, daß meine Fragen unmittelbar mit Ihrer Sicherheit zu tun haben.« »Sie meinen, Will könnte mich ermorden?« Sie lachte etwas zu laut. »Man sollte mit dieser Möglichkeit durchaus rechnen. Sie waren seine Frau, Sie zeigten ihn damals wegen versuchten Mordes an, Sie sorgten dafür, daß man ihm in der Heilanstalt später das Klavier wegnahm.«
»Wer hat das gesagt?« Ihr Gesicht wurde rot. »Ich machte mir die Mühe, in der bewußten Heilanstalt Erkundigungen einzuziehen.« »Scheren Sie sich aus dem Haus, Sie verdammter Schnüffler!« Sie wurde wütend, was ihr überhaupt nicht stand, »gehen Sie, sonst rufe ich die Polizei!« »Warum ließen Sie Ihrem Mann das Klavier wegnehmen?« »Das geht Sie überhaupt nichts an. Wenn Sie nicht sofort gehen, gibt es einen Skandal!« »Worin Sie ja gewisse Erfahrungen haben, Madam, nicht wahr?« Parker griff nach Melone und Regenschirm und deutete eine mehr als knappe Verbeugung an, »ich bin davon überzeugt, daß die Zeitungen sich für gewisse Details der damaligen Affäre interessieren werden.« »Wie, wie meinen Sie das?« »So, wie ich es zu sagen beliebte.« »Sagen Sie, wollen Sie mich erpressen?« Sie lachte schrill. »Wer interessiert sich heute schon für das, was damals war?« »Ich möchte Ihnen die Fragen der Reihe nach beantworten, Madam,« erwiderte der Butler gemessen und würdevoll, »ich beabsichtige selbstverständlich nicht, Sie zu erpressen. Methoden dieser Art liegen mir fern. Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß die Öffentlichkeit sich dafür interessiert, wie es damals zur 52 �
Krankheit Ihres ehemaligen Mannes kam. Und damit dürfte Ihre zweite bereits die Antwort gefunden haben.« »Fragen Sie schon!« Sie lenkte ein. Sie war mürrisch, spürte aber, daß sie den Butler nicht verärgern durfte. Sie spürte auch, daß sie einem Mann gegenüberstand, der auf Hysterie nicht reagierte. »Warum ließen Sie will Glanser das Klavier wegnehmen? Zehn Jahre hatte er im Gefängnis verbüßt und wurde dann in eine Heilanstalt überwiesen, aber Sie dachten selbst nach dieser langen Zeit noch an ihn. An ihn und an das Klavier. Haßten Sie so sein Genie?« »Sein sogenanntes Genie hat mich angewidert.,« sagte sie und wurde wieder schrill, »mit einem Genie wie Will verheiratet zu sein. Das ist die Hölle! Alle Welt kümmert sich nur um dieses Genie und sie als die Frau stehen im Schatten und werden nur am Rande erwähnt. Wie ich dieses Klavier gehaßt habe! Ich hätte es am liebsten mit der Axt in Stücke geschlagen!« »Wollte Will Glanser Sie wirklich ermorden?« »Natürlich. So hat das Gericht doch befunden!« »Aufgrund Ihrer Aussage!« »Bei dieser Aussage bleibe ich noch heute! Dieses Genie war geistig nicht normal, Mister Parker, man hätte es nie frei herumlaufen lassen
dürfen. So, und jetzt werden Sie gehen. Ich habe zu all diesen Dingen nichts mehr zu sagen.« Sie war sehr alt, als Parker sich verabschiedete. Sie war eine Frau, die selbst noch heute nur zu hassen vermochte. Im Grunde tat sie dem Butler leid. Sie würde niemals mit ihrem Haß fertig werden. * Als Parker zur Tür der Musikschule hinunterschritt, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Gerade erst hatte er sich doch von Jane Cressling verabschiedet, doch hier kam sie ihm bereits wieder entgegen. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen! Parker lüftete die Melone, als die Dame an ihm vorbeischritt. »Miß Cressling?« erkundigte Parker sich. »Maud Cressling!« erwiderte sie. Sie war selbstverständlich wesentlich jünger als Jane Cressling und wahrscheinlich die Tochter der haßerfüllten Frau, die er oben zurückgelassen hatte. »Parker mein Name, Josuah Parker! Ich möchte keineswegs als unhöflich oder besonders neugierig erscheinen, aber ich darf wohl unterstellen, daß Sie die Tochter von Mrs. Cressling sind?« »Wenn Sie bei meiner Mutter waren, müßten Sie es eigentlich 53 �
sehen,« sagte Maud Cressling lächelnd, »wir müssen uns sehr gleichen, nicht wahr?« »In der Tat, verblüffend, Miß Cressling. Entschuldigen Sie die Neugier eines alten Mannes!« Ein erneutes Lüften der Melone, dann ging der Butler weiter. Er war überrascht und besorgt zugleich, auf diese Zweitausgabe von Mrs. Cressling gestoßen zu sein. Damit hatte er nicht gerechnet. Lieutenant Madford mußte das entweder absichtlich oder zufällig verschwiegen haben. Maud Cressling! Eine Jane Cressling, wie sie wohl zur Zeit ausgesehen haben mochte, als sie Will Glanser heiratete. War Glanser der Vater? Wie würde dieser verwirrte Mann reagieren, wenn er Maud plötzlich gegenüberstand? Würde er erkennen, daß es sich um die Tochter seiner ehemaligen Frau handelte, die übrigens ihren Mädchennamen wieder angenommen hatte? Oder würde er in Maud die Frau sehen, die sein Leben zerstört hatte? Parker hatte die Straße erreicht und ging hinüber zu seinem parkenden Monstrum. Ihm paßte diese neue Konstellation nicht. Mord lag in der Luft! * »Hat Ihr Butler sich endlich gemeldet?« fragte Madford, der behaup-
tete, rein zufällig bei Mike Rander vorbeigekommen zu sein. »Bisher nicht.,« gab Rander ehrlich zurück, »könnte, aber sein, daß er sich bald meldet. Haben Sie was für ihn?« »Vielleicht möchte er von mir gern erfahren, wer dieser unbekannte Gangster ist, der sich in das Geschäft dieses ›Geigenklau‹ eingeschaltet hat.« »Haben Sie ihn aufgrund der Fotos identifizieren können, die Parker von ihm und seinen beiden Gorillas aufgenommen hat?« »Diesmal hat Ihr Butler die richtige Idee gehabt. Die Fotos und Fingerabdrücke haben das Rätsel gelöst, Rander.« »Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Madford!« »Der Gangsterboß heißt Randy Grossman und stammt aus Milwaukee, ein eiskalter, schwerer Junge, der wirklich aus dem Fach ist, wie man so sagt.« »Seine beiden Profis sicher auch, wie?« »Natürlich, es handelt sich um Killer der zweiten Garnitur, wenn ich mich mal so ausdrücken darf. Steve Danton und Haie Odgen. Sie kommen aus Detroit und Atlantic City.« »Kann man etwas gegen dieses Trio unternehmen? Ich meine, werden sie gesucht?« »Leider nicht. Sie haben ihre letzten Strafen regulär abgesessen und 54 �
wurden entlassen. Zur Zeit liegt nichts gegen sie vor.« »Na ja, dieses Geheimnis ist immerhin gelöst, Madford. Sie sollten Parker dankbar sein.« »Das wäre ich auch, wenn er mir nicht immer ins Handwerk pfuschen würde. Wissen Sie, wo er aufgetaucht ist?« »Ich lasse mich nur noch überraschen.« »Er kreuzte bei Glansers Schwester auf und hätte Glanser um ein Haar außer Gefecht gesetzt.« Madford erzählte die ganze Geschichte und schloß mit einer vagen Handbewegung. »Leider kamen meine Leute dazu,« meinte er bedauernd, »Glanser schoß und setzte sich ab. Verletzt wurde niemand, aber ich fürchte, er wird jetzt noch mißtrauischer und vorsichtiger werden.« »Wie sieht’s denn mit den Veranstaltungen heute abend aus, Madford?« »Ich verhandele gerade mit den zuständigen Direktionen. Sie sollen meiner Meinung nach alles ausfallen lassen. Sie kennen meine Bedenken, Glanser könnte plötzlich auf Massenmord umschalten. Dazu brauchte er nur eine mittelschwere Sprengladung.« »Und wie reagiert man auf Ihre Vorschläge?« »Die Direktion des ›Globe‹ will sich den Fall noch einmal gründlich überlegen. Die Direktion des ›Vick‹
scheint die fünfzigtausend Dollar zahlen zu wollen, wartet aber den nächsten Anruf des ›Geigenklau‹ ab.« »Den Anruf von Randy korrigierte Rander Grossman,« lächelnd, »der echte ›Geigenklau‹, Willi Glanser, ist wesentlich billiger. Er verlangt ja nur fünftausend Dollar, falls man das Opernkonzert nicht platzen lassen will.« »Natürlich. Fassen wir also zusammen, Rander, zwei Musicals und zwei Opernkonzerte, die heute abend über die Bühne gehen sollen, sind bedroht. Ich hätte niemals gedacht, daß ich mich mit solchen Dingen mal befassen müßte.« »Etwas künstlerische Betätigung Ihnen bestimmt nicht kann schaden,« frotzelte Mike Rander, »können Sie keine einstweilige Verfügung gegen eine Durchführung der Musicals und Konzerte erwirken? Ich würde das aus Gründen der Sicherheit vorschlagen und auch durchsetzen.« »Okay, angenommen, ich bekomme diese einstweiligen Verfügungen, Rander, angenommen, diese vier bedrohten Veranstaltungen werden abgesetzt. Und dann? Wollen Sie alle Veranstaltungen lahmlegen, nur weil es einen ›Geigenklau‹ und einen Gangster gibt, der diesen ›Geigenklau‹ kopiert? Wie lange brauchen wir, bis wir diese Burschen erwischt haben? Man 55 �
wird mich in der Stadt lynchen, wenn das Kulturleben plötzlich nicht mehr existiert.« »Hoffen wir auf Parker.« »Parker. Parker. Wenn ich diesen Namen schon höre! Ihr Butler ist auch kein Übermensch!« Madford regte sich selbstverständlich wieder einmal auf, der Name Parker war schließlich gefallen. »Natürlich ist er kein Übermensch,« meinte Rander lachend, »aber er ist ein Mann, der ungewöhnliche Methoden bevorzugt, wie Sie zugeben müssen.« »Weil er eben nicht an Vorschriften gebunden ist. Im Gegensatz zu mir!« »Weil er zwar kein Übermensch, aber auch kein gewöhnlicher Mensch ist.,« sagte Rander und meinte es jetzt ernst. »Er hat schon Qualitäten, die sich sehen lassen können, Madford, geben Sie das ruhig zu!« »Möglich. Aber an diesem ›Geigenklau‹ wird er sich die Zähne ausbeißen,« prophezeite Madford grimmig. »Randy Grossman und die beiden Killer will ich selbst übernehmen. Die zu erwischen ist eine Frage der Fahndung.« »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Madford. Und wie gesagt, sorgen Sie dafür, daß beide Musicals und die Opernkonzerte ausfallen. Wir haben es mit einem Geisteskranken und mit einem ausgekochten Gangs-
ter zu tun. Die werden vor nichts zurückscheuen!« * Daß er verfolgt wurde, merkte der Butler schon nach wenigen Metern. Hinter seinem hochbeinigen Monstrum fuhr ein etwas zu unauffällig aussehender Ford, der zu sehr auf Abstand hielt und Überholchancen konsequent mißachtete. Parker wußte nach etwa zweihundert Metern, wer ihm da so beharrlich folgte. Es handelte sich um die beiden Mitarbeiter des Unbekannten. Parker waren die inzwischen bekanntgewordenen Namen verständlicherweise noch nicht gegenwärtig. Der Butler ließ sich durch die Verfolger wahrlich nicht aus der Ruhe bringen. Verfolgungen dieser Art war er gewöhnt. Es gab da immer einige Leute, die ihm übel mitspielen wollten. Das brachte sein Hobby eben so mit sich. An einem kleinen Park, der eigentlich nur ein grüner, staubbedeckter Rasen war, hielt er sein Monstrum an und besorgte sich die letzte Gewißheit. Richtig, der Ford hielt ebenfalls an. Und die beiden Mitarbeiter beschäftigten sich plötzlich mit ihren Zeitungen, um nicht gesehen zu werden. Parker verließ sein Monstrum und ging steif und gemessen hin56 �
über zu einer Telefonzelle. Das Funktelefon in seinem Wagen wollte er absichtlich nicht benutzen. Die beiden Gangster im Ford hätten die Anlage genau feststellen können, so gering war die Entfernung. Parker rief also seinen jungen Herrn an, tauschte mit ihm die neuesten Nachrichten aus und war wesentlich informierter, als er wieder zurück zu seinem Wagen ging. Nun war ihm bekannt, wer die beiden Männer im Ford waren und für wen sie arbeiteten. Wichtiger aber war ihm, daß sein junger Herr nun vom Vorhandensein einer gewissen Maud Cressling wußte und wie sehr Parker sich um das Leben dieses Mädchen sorgte, das unter Sonderbewachung gestellt wurde, solange Parker unterwegs war. Parker wollte und mußte nämlich seine beiden Verfolger abziehen und beschäftigen. Er fand es an der Zeit, sie und ihren Boß aus dem Verkehr zu ziehen. Sie taten ihm prompt den Gefallen, sich weiter mit ihm zu beschäftigen, als er in seinem hochbeinigen Monstrum losfuhr. Sie hielten sich wahrscheinlich für sehr geschickt und schienen überhaupt nicht auf den Gedanken zu kommen, daß sie an der Nase herumgeführt wurden. Parker suchte neutrales Gelände auf. Und dieses neutrale Gelände bot sich förmlich in der Gestalt des
bewußten Bootshauses an, in das man ihn in der vergangenen Nacht bestellt hatte. Das Hinausfahren an den See hatte zudem noch den Vorteil, daß die beiden Verfolger annehmen konnten und mußten, Parker wolle dort noch nach Spuren suchen. In Anbetracht der beiden Verfolger, die ihn ja nicht aus den Augen verlieren sollten, dauerte es gut eine Stunde, bis der Uferstreifen in Sicht kam. Parker beobachtete den Ford im Rückspiegel. Als die beiden Verfolger sicher sein durften, daß ihr Opfer zum Bootshaus wollte, ließen sie sich weiter abfallen. Der Butler parkte sein Monstrum vor dem Bootshaus, stieg aus und inspizierte den Bau erst einmal von außen. Die Bootshäuser und Ferienbungalows in der näheren und weiteren Umgebung waren leer und unbewohnt. Falls es zu einer Schießerei kam, wurden harmlose Bürger wenigstens nicht gefährdet. Als Parker hinter dem Haus verschwunden war, setzte er erst einmal sein Spezialblasrohr zusammen. Es bestand aus einzelnen kleinen Plastikrohren, die er ineinandersteckte. Anschließend blies Parker eine hauchdünne Plastikfolie auf und versteckte sie im hohen Unkraut seitlich neben dem Bootshaus. Damit aber nicht genug. Wenn Parker seine Vorbereitungen traf, 57 �
scheute er keine Auslagen. Er präparierte zwei weitere Folien und versah sie mit Preßluftpatronen, die nicht größer waren als eine gute runde Zigarre. An diesen »Zigarren« befestigte er dünne Perlonschnüre, die er zu sich ausrollte und mit der Hand kontrollieren konnte. Er mußte sich beeilen, denn er hörte bereits das schnelle Näherkommen eines Wagens. * Steve Danton und Haie Odgen ließen sich förmlich aus dem Ford fallen und gingen sofort in Schußposition. Sie hatten selbstverständlich ihre Waffen gezogen und hatten nur das eine Ziel, den Butler möglichst schnell ins Jenseits zu befördern. Die Aufgabe schien leicht… Sie entdeckten seitlich neben dem Haus, in Richtung Landungssteg eine Gestalt, die nur der gesuchte und verhaßte Butler sein konnte. Sie spritzten sofort auseinander, um in taktisch geschickter Manier ihr Opfer in die Zange zu nehmen. Steve Danton sah den Butler ganz deutlich vor sich. Da war der schwarze Anzug, aber da war vor allen Dingen die wohlbekannte Melone, die einfach nicht zu übersehen war. Danton duckte sich ab, pirschte sich an die Ecke des Bootshauses heran und nahm sich sehr viel Zeit, sein Opfer anzuvisieren.
Dann löste er den Schuß und war sicher, auch wirklich getroffen zu haben. Er zwinkerte leicht benommen und überrascht mit den Augen, als dieser Butler Parker förmlich explodierte. Ein scharfer Knall, der von dieser Explosion herrührte, dröhnte und sirrte in seinen Ohren. Danton schüttelte erstaunt den Kopf und hielt Ausschau nach Parker, der dort im Unkraut liegen mußte. Parker aber hatte sich in Luft aufgelöst. »Haie, alles in Ordnung!« rief er seinem Partner zu, der irgendwo auf der anderen Seite des Hauses stehen mußte. Dann trat Danton reichlich ungeniert aus der Deckung heraus und schritt auf sein Opfer zu. Dabei übersah er verständlicherweise, den kleinen Pfeil, der auf ihn zuschwirrte. Er sah ihn erst, als dieser Pfeil in seinem rechten Oberschenkel stak und dort leicht wippte. Danton starrte völlig überrascht auf diesen ihm fremden Gegenstand, der vom Himmel gefallen zu sein schien. Er spürte nur einen leichten Schmerz, faßte vorsichtig nach dem Pfeil und zuckte dann plötzlich wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er erinnerte sich eines Films, den er vor einigen Tagen gesehen hatte. In diesem Film hatten sich Indios am Amazonas betätigt und eine Expedition dezimiert. Und zwar mit Blas58 �
rohrpfeilen, die selbstverständlich, wie es sich dramaturgisch gehörte, vergiftet waren. Danton brach der kalte Angstschweiß aus. Gift! Indios! Er wollte Haie eine Warnung zuschreien, doch mehr als nur ein unmusikalisches Krächzen brachte er nicht zustande. Er fiel auf die Knie und zog den Pfeil vorsichtig aus dem Fleisch seines Oberschenkels. Haie trabte inzwischen heran und sah erstaunt auf seinen Partner Steve. »Was machst du denn da?« fragte er überrascht, »haste was verloren?« »Gift!« Steve Danton deutete auf seinen Oberschenkel. »Gift? Hast du noch alle Tassen im Schrank?« »Ach so, hier!« Steve Danton zeigte den kleinen, harmlos aussehenden Pfeil und verdrehte die Augen. »Wo hast du denn den her?« fragte Haie Odgen interessiert. »Deckung!« brüllte Danton jetzt. Er hatte seine Stimme wiederentdeckt und warf sich gleichzeitig flach auf den Boden, »Deckung, Haie, sonst erwischt er dich!« »Du solltest mal zu ‘nem Facharzt gehen,« meinte Haie Odgen, »ich weiß da eine gute Adresse.« Danton sprang auf, warf sich gegen die Knie von Odgen und
brachte ihn zu Fall. Die beiden Männer wälzten sich auf dem Boden herum. * Josuah Parker war zufrieden. Den ersten Mann hatte er außer Gefecht gesetzt, der zweite würde bald folgen. Im Moment hatten sie sich in Deckung geworfen, doch wie er die Gangster einschätzte, würde der zweite Mann bald versuchen, ihn nachdrücklich zu erwischen. Er brauchte nicht lange zu warten. Haie verließ die Deckung und wischte wie ein flüchtender Hase hinüber in den Garten, in dem das Unkraut sich breitmachte. Parker hätte diesen Mann sofort greifen können, doch er wollte ihn erst ein wenig weichkochen. Parker zog an einem der beiden Perlonfäden. Die angesprochene?Zigarre' öffnete sich und preßte ihre Luft in die dünne Hülle. Wie durch ein Wunder, physikalisch aber leicht zu erklären, pumpte ein zweiter?Parker' sich auf und gaukelte Odgen ein prächtiges Ziel vor. Odgen ließ sich nicht lange nötigen. Er richtete sich auf und pumpte diesen Parker voll Blei. Da er einen Schalldämpfer verwendete, verursachte er dabei keinen unnötigen Krach. Parker explodierte und löste 59 �
sich in leichte Fetzen auf. Odgen stieß ein triumphierendes Knurren aus und trat zum Sturmangriff an. * Odgen lief auf die Stelle zu, an der er sein Opfer eben noch gesehen hatte. Er kam nicht weit. Er sah im Gegensatz zu Danton einen Schatten auf sich zufliegen, hatte ein böses Gefühl in der Magengegend und blieb dann wie angewurzelt stehen. In seinem linken Oberschenkel stak nun ebenfalls ein Pfeil, der nur aus einem Blasrohr stammen konnte. Odgen stöhnte. Nicht etwa vor Schmerz, denn den verspürte er überhaupt nicht, aber vor Angst und Überraschung. Dann warf er sich ins Unkraut und riß den Pfeil aus dem Oberschenkel. »Steve, Steve! Mich hat’s erwischt!« brüllte er mit jämmerlicher Stimme. »Hierher, Haie!« Steves Stimme klang schon sehr schwach, als breite sich in seinem Körper eine erste Lähmung aus. Haie Odgen robbte zurück zur Hausecke und kroch zu Danton, der jetzt an der Hauswand hockte und sich gar nicht wohl fühlte. »Dieser verdammte Butler,« stöhnte Odgen, »er hat uns mit Blas-
rohrpfeilen beschossen.« »Das ist unfair,« beschwerte sich Danton und nickte, »das ist gegen die Spielregeln.« »Wir müssen abhauen und den Chef warnen…« »Los, wir kriechen zum Wagen!« Danton und Odgen rissen sich noch einmal zusammen und arbeiteten sich an den rettenden Ford heran. Doch sie kamen nicht weit: Erfaßt von einer tatsächlich lähmenden Müdigkeit blieben sie im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke und rollten sich zu einem kleinen Mittagsschläfchen zusammen… * Randy Grossman sah den Ford vor dem Bootshaus und wunderte sich, daß seine beiden Mitarbeiter Danton und Odgen sich nicht sehen ließen. Schließlich hatten sie ihn doch alarmiert und zum Bootshaus hinausbestellt. Weit hatte Grossman es nicht gehabt. Er hatte sein Hauptquartier in einer kleinen Pension am Rande der Stadt aufgeschlagen, um von hier aus ungestört operieren zu können. Nun schienen die Dinge endlich geklärt zu sein. War dieser Butler erst einmal ausgeschaltet, stand seinem Geschäft nichts mehr im Weg. Den Anwalt Rander würde man so ganz nebenbei ausschalten. Grossman zog sicherheitshalber 60 �
seine Pistole, als er den Buick verließ und sich dem Ford näherte. Wie gesagt, er wunderte sich, daß weder Danton noch Odgen sich blicken ließen. Bis er sie sah…! Sie lagen friedlich nebeneinander und glichen riesigen, aber schnarchenden Säuglingen. Grossman witterte Unheil. Er sah sich etwas scheu um, schüttelte verständnislos den Kopf und benutzte seine rechte Schuhspitze als Alarmwecker. Weder Danton noch Odgen reagierten. Nur ihr Schnarchen wurde etwas lauter. Wahrscheinlich fühlten sie sich leicht gestört. Als Grossman sich umdrehte, sah er den verhaßten Butler, der plötzlich aus dem Unkraut auftauchte und hinüber zum Landungssteg gehen wollte. Das war das Signal für Grossman. Jetzt zeigte sich, welche Klasse er war. Aus der Hüfte heraus feuerte er zwei, drei Schüsse auf den Butler ab, der plötzlich explodierte und dann einfach nicht mehr existent war. Grossman lief auf diese Stelle zu und rechnete damit, noch einmal schießen zu müssen. Dann hörte er ein Geräusch hinter sich, wirbelte herum und sah gerade noch eine freischwebende Melone, die wie eine fliegende Untertasse auf ihn zusegelte und ihn dann an der Schläfe voll erwischte.
Das hohe Unkraut freundlichst auf.
nahm ihn
* Will Glanser beobachtete den alten Backsteinbau und verzog dabei sein Gesicht, als leide er Höllenqualen. Er stand im Hof eines benachbarten Grundstücks und hörte auf die Musik, die zwar gedämpft, dennoch aber deutlich an seine Ohren drang. Irgendein blutiger Anfänger spielte auf seinem Klavier. Glanser schüttelte den Kopf. Pfuscher dieser Sorte mußten so schnell wie möglich daran gehindert werden, die Musik zu vergewaltigen. Glanser prüfte die Möglichkeiten, in den Backsteinbau einzudringen. Sein Mißtrauen und sein Instinkt sagten ihm, daß er es von der Straßenseite aus nicht versuchen durfte. Um in diese Musikschule zu gelangen, mußte er die Brandmauer übersteigen, dann durch den kleinen Hinterhof schleichen und von dort aus in das Haus eindringen. * Das Klavierspiel war verständlicherweise schlecht. Es wurde von einem jungen Mann produziert, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Jazzpianist zu werden, obwohl ihm jede Begabung abging. Um gewisse Schwächen, wie er sich 61 �
eingeredet hatte, auszubügeln, hatte er einen Kurs bei Mrs. Cressling belegt und genierte sich nicht, die Tasten zu bearbeiten. Er saß mit dem Rücken zur Tür und war ahnungslos. Er konnte ja nicht wissen, daß er bereits die Ohren eines ehemals einsamen Könners fürchterlich beleidigt hatte. Er hämmerte auf den Tasten herum und lauschte verzückt auf die Klänge, die dem mißhandelten Flügel entstiegen. Leise öffnete sich hinter ihm die Tür. Will Glanser schob sich in den Übungsraum. In seinen Händen hielt er eine Klaviersaite, die er um den Hals des Spielers schlingen wollte. Auf Zehenspitzen schlich Glanser an den Ahnungslosen heran und hob bereits die Arme, als er plötzlich den warmen, satten Ton eines Cellos hörte. Er war wie elektrisiert. Längst Verklungenes stieg in ihm hoch. Er hatte plötzlich scharfe Bilder und Tonfolgen vor seinem geistigen Auge und in seinen Ohren. Wie unter einem fremden Zwang wandte er sich ab, schlich zurück in den Korridor und schloß leise die Tür hinter sich. Der verhinderte Jazzpianist, der wohl nie einer werden würde, hämmerte weiterhin auf den Tasten herum…
*
»Sie…!?« Grossman richtete sich auf und rieb sich die schmerzende Schläfe. Er war noch leicht benommen, konnte den vor ihm stehenden Butler aber deutlich erkennen. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt?« sagte Parker und lüftete seine Melone. »Wie… wie haben Sie mich? Ich meine…« Grossman redete nicht weiter, er hatte das dumpfe Gefühl, alles falsch gemacht zu haben. »Ein gewisses Unwohlsein wird sich bald legen,« beruhigte Parker den Gangster, »Sie werden verstehen, daß ich Ihnen Handschellen anlegte.« »Handschellen!« Erst jetzt merkte Grossman, daß er sie tatsächlich trug. Er richtete sich steif auf. »Schließen Sie die Dinger sofort wieder auf!« »Das sollten wir doch lieber der Polizei überlassen,« meinte Joshua Parker, »sie wird übrigens bald eintreffen. Ich war so frei, sie zu informieren.« »Was versprechen Sie sich von diesem Theater?« »Eine Festnahme, Mister Grossman, wenn ich ehrlich sein will!« »Sie… Sie kennen mich?« Grossman staunte. »Sie und Ihre beiden Mitarbeiter Danton und Odgen. Während unseres ersten gemeinsamen Besuches 62 �
hier im Bootshaus war ich so frei, Aufnahmen von Ihnen und Ihren Mitarbeitern zu machen. Ganz zu schweigen von der Anfertigung diverser Fingerabdrücke!« »Na, und…? Was wollen Sie mir und meinen Jungens denn anhängen, Parker? In spätestens vierundzwanzig Stunden sind wir doch wieder frei!« »Möglicherweise befinden Sie sich da in einem Irrtum, Mister Grossman.« »Zur Not wird dann eben Aussage gegen Aussage stehen.« »Meine bescheidene Aussage werde ich mit einem interessanten Filmstreifen belegen können.« »Was soll das heißen?« Statt zu antworten,, zeigte der Butler dem Gangsterchef eine handliche Filmkamera. »Sie… Sie haben!?« Grossman begriff und wurde heiser wie Danton vor etwa fünfzehn Minuten. »Sie und Ihre beiden Mitarbeiter gefilmt, als sie zum Sturmangriff auf meine bescheidene Person antraten,« erläuterte der Butler, »ich bin sicher, daß man die diversen Schußwaffen genau erkennen wird, zumal ich als Amateurfilmer nicht gänzlich unbegabt sein soll, wie seinerzeit der von Cambridgeshire Herzog erklärte, dessen Butler ich sein durfte.« Grossman brach nun auch noch der Schweiß aus. Er hatte das
Gefühl, daß eine Zelle auf ihn wartete… * Will Glanser sah durch das Schlüsselloch. Seine Frau…! Erregung faßte ihn, sein Atem ging schneller. Eine fürchterliche Welle des Hasses überflutete ihn. Seine Finger öffneten und schlossen sich wie in einem Krampf. Da saß seine Frau…! Da saß Jane und spielte Cello. Er konnte ihr Profil genau erkennen. Es war unverkennbar. Dieses Gesicht würde er niemals vergessen. Er öffnete die Tür langsam und vorsichtig. Jane durfte nicht gewarnt werden und mußte ahnungslos bleiben, bis er vor ihr stand. Er hatte die Tür halb geöffnet, als sie den Kopf herumnahm und ihn entdeckte. Sie schrie nicht. Sie lächelte und sah ihn fragend an. »Bitte…?« fragte sie tatsächlich, als hätte sie ihn noch nie gesehen. »Ich bin’s…« sagte Glanser und trat vorsichtig näher. Unsicherheit erfaßte ihn. Dies war seine Frau, aber sie war es dennoch nicht. Irgendwie sah sie anders aus, irgendwie paßte sie nicht in sein Vorstellungsbild. »Bitte?« wiederholte Jane noch einmal und stand jetzt auf. 63 �
»Kennst du mich nicht?« fragte er und lächelte böse. »Ich soll Sie kennen? Wie kommen Sie dazu, so mit mir zu reden?« Der Ton ihrer Stimme wurde schärfer. »Ich komme dazu, weil ich dich jetzt umbringen werde,« sagte Glanser und riß die Drahtsaite aus der Tasche. Worauf die Frau verständlicherweise schrie… Und zwar sehr laut! * »Ich hörte den Schrei und konnte Glanser gerade noch vertreiben,« sagte Rander, der seinem Butler von seinen Erlebnissen berichtete, »Glanser wollte töten, aber er hätte Maud, nicht Jane Cressling umgebracht!« »Seine Tochter, Sir…?« »Nein. Sie stammt aus einer zweiten Ehe, die Jane Cressling nach ihrer Scheidung von Glanser einging.« »Darf ich fragen, Sir, was aus dieser zweiten Ehe wurde.« »Scheidung,« erwiderte Rander lakonisch, »Mrs. Cressling scheint eine Frau zu sein, mit der man nicht zusammenleben kann, aber bitte, ich sage das völlig wertfrei, mir steht da keine Kritik zu.« »Was tut sich inzwischen in der privaten Musikschule der Mrs. Cressling, Sir?« »Die Polizei schirmt den Bau völlig ab, Glanser hat keine Chance, noch
einmal eindringen zu können.« »Er wird es dennoch versuchen, Sir. Er hat seine frühere Frau gesehen. Er wird mit allen Mitteln versuchen, sie zu töten. Sie ist für ihn identisch mit seinem künstlerischen Versagen!« »Das habe ich Madford auch schon gesagt, aber er will dafür garantieren, daß dort nichts mehr passiert.« »Im Grunde bedaure ich es ungemein, Sir, daß man die gegebenen nicht ausspielen Möglichkeiten kann.« »Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen, Parker. Sie möchten die beiden Cresslings als Köder anbieten, nicht wahr?« »In der Tat, Sir…!« »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Parker. Daraus wird nichts, dieses Risiko können wir einfach nicht eingehen. Wenn wir Glanser fassen wollen, müssen wir uns schon etwas anderes einfallen lassen.« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich mich mit diesem Problem beschäftigen.« »Was hat’s draußen am Bootshaus gegeben, Parker? Sie haben ziemlich pauschal erzählt.« »Die Herren Grossman, Danton und Odgen befinden sich inzwischen in Haft und unter Anklage. Lieutenant Madford drückte seine Zufriedenheit darüber aus, daß ich die belastenden Filme gleich mitliefern konnte.« 64 �
»Daran wird er schwer schlucken,« sagte Rander lächelnd, »immerhin waren Sie es wieder, der ihm Gangster frei Haus lieferte.« »Ich tat, was ich konnte, Sir… Ich bin sicher, die Aufführungen zweier Musicals ermöglicht zu haben. Die Direktionen das Globe und des Vick brauchen nun keine Befürchtungen mehr zu hegen.« »Die Kopie des Geigenklau wäre damit aus der Welt geschafft.« Rander nickte zustimmend, »bleibt Glanser, der wirkliche und richtige Geigenklau. Was denken Sie, Parker, wird er überhaupt noch an die Opernkonzerte denken?« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich mich in dieser Hinsicht nicht festlegen. Die Gedanken eines geistig verwirrten Menschen lieben die Umwege genauso wie die direkten Einbahnstraßen. Ich würde sicherheitshalber unterstellen, daß Will Glanser die beiden Konzertabende nicht vergessen hat.« »Nun, diese beiden Aufführungen wird Madford ja wohl überwachen lassen können… Haben wir bestimmte Pläne, Parker?« »Mich interessiert nach wie vor die Musikschule der Mrs. Cressling, Sir… Dort ist und bleibt der Schlüssel zu Will Glanser. Dieses Haus wird ihn magisch anziehen.« »Also, gut, beziehen wir dort Wache. Das meinen Sie doch, oder?« »In etwa, Sir… Wenn Sie erlauben,
würde ich vorher aber noch gern mit Miß Cressling reden…!« »Ich komme mit,« sagte Rander, »hier in der Wohnung hält’s mich ohnehin nicht. Ich habe das Gefühl, daß wir zum Endspurt ansetzen und da möchte ich dabeisein!« * Von einem Opernkonzert, das er verhindern wollte, wußte Glanser nichts mehr. Seine Gedanken kreisten nur noch um seine frühere Frau. Alte Wunden und Wahnvorstellungen waren aufgerissen. Alles in ihm verlangte nach Rache. Er wußte längst, und das mit der Klarheit eines gesunden Menschen, daß der Backsteinbau, in dem seine Frau Jane lebte, von der Polizei überwacht wurde. Ihm war klar, daß er nicht noch einmal in dieses Haus eindringen konnte. Glanser hielt sich ganz in der Nähe des Hauses auf, brauchte aber nicht zu befürchten, daß man ihn entdeckte. Er hockte auf einem gegenüberliegenden Flachdach hinter einem Schornstein und sah unverwandt zu dem Haus hinüber. Es war später Nachmittag geworden. Er hatte diesen seltsamen, schwarz gekleideten Mann mit der Melone gesehen, der dem Haus einen Besuch abgestattet hatte. 65 �
Parker…! Auch er mußte noch sterben! Dieser Mann hatte seine Pläne zu empfindlich gestört… Glanser hüstelte leicht, als der schwache Luftzug die Abgase eines Schornsteins zu ihm herunterwehte. Es roch nach Brand, glosenden Kohlen und nach Feuer. Glansers Augen verengten sich plötzlich. Ihm war da eine Idee gekommen, an der er von Sekunde zu Sekunde immer mehr Gefallen fand… * »Ich werde gehen,« sagte Jane Cressling zu ihrer Tochter Maud und schüttelte energisch den Kopf, »ein Überfall reicht mir, Maud. Ich will nicht von diesem Verrückten umgebracht werden.« »Mit diesem Verrückten warst du einmal verheiratet.,« sagte Maud kühl. »Das bereue ich noch heute…« Jane Cressling fuhr sich vorsichtig über das Haar. Sie hatte sich wieder auf jung zurechtgemacht und wirkte ein wenig lächerlich. »Du hast mir eigentlich fast gar nichts von der damaligen Zeit erzählt.« »Warum auch, ich möchte sie endgültig vergessen. »War Glanser wirklich solch ein Genie?« »Er war verrückt, aber das merkte ich zu spät.«
»Er muß doch ein einmaliger Pianist gewesen sein, Mutter.« »Diese Einmaligkeit ging mir auf die Nerven! Aber beenden wir dieses Thema.« »Warte noch…« Maud sah ihre Mutter zwingend an. »Wollte Glanser dich damals wirklich umbringen?« »Ich… Ich weiß es nicht, ich hatte jedenfalls diesen Eindruck. Und ich wollte es nicht noch einmal soweit kommen lassen!« »Warte noch!« Maud baute sich förmlich vor ihrer Mutter auf. »Sei einmal ganz ehrlich. Warum fiel er dich an?« »Du lieber Himmel! Ich weiß es nicht mehr so genau, das spielt doch heute keine Rolle mehr.« »Du weißt es noch sehr genau!« »Er war fürchterlich eifersüchtig und mißverstand eine, sagen wir, delikate Situation.« »Er überraschte dich?« »Maud! Ich muß doch sehr bitten!« Jane Cressling sah ihre Tochter empört an. »Er überraschte dich also?« Mauds Stimme klang sanft. »So ungefähr,« räumte Jane Cressling jetzt ein. Sie wirkte ein wenig verlegen, »ein alter Freund besuchte mich, und Glanser kam überraschend dazu. Es war aber alles vollkommen harmlos.« »Danke, mehr wollte ich nicht wissen!« »Was soll das heißen?« Jane Cress66 �
ling war unsicher geworden. »Das soll heißen, daß ich dieses Haus verlassen werde, Mutter. Nein, nein, das hat mit der damaligen Geschichte nichts zu tun. Ich möchte nur endlich frei sein.« »Aber das ist doch Unsinn, Maud. Du hast doch hier alles, was du brauchst!« »Vielleicht ist es genau das, was ich nicht mehr haben will. Du bist so… so besitzergreifend, wenn du verstehst, was ich meine. Alles muß sich um dich drehen. Allein wirst du dich bestimmt wohler und auch freier fühlen.« »Wir reden noch darüber, wenn ich wieder zurück bin, Maud! Bitte, überstürze nichts!« Maud trat ans Fenster und wartete, bis ihre Mutter den Raum verlassen hatte. Dann drehte sie sich um und ging hinüber in ihr kleines Apartment. * Glanser sah wie die Frau, die den Backsteinbau verließ, sich mit einigen etwas zu unauffällig aussehenden Zivilisten unterhielt und dann mit ihrem Wagen verschwand. Glanser wurde unruhig. Er wollte sich gerade abwenden und das Dach verlassen, als drüben am Backsteinbau eine Balkontür geöffnet wurde. Jane! Jawohl, das war Jane. Sie trat auf den Balkon hinaus und sah in
den kleinen Vorgarten hinunter. Glanser beruhigte sich wieder. Er hatte die Frau, die gerade weggefahren war, bereits wieder vergessen. Warum auch nicht? Dort auf dem Balkon war ja Jane, die er umbringen wollte… * »Meine Mutter ist weggefahren,« sagte Maud Cressling, »wohin, Mister Parker, kann ich Ihnen nicht sagen. Sie will irgendwo abwarten, bis dieser bedauernswerte Mister Glanser von der Polizei festgenommen worden ist.« »Sie haben Mitleid mit Mister Glanser?« Parker und Mike Rander hatten Maud Cressling aufgesucht und befanden sich in ihrem kleinen Apartment. »Doch, ja!« sagte Maud, und man durfte es ihr glauben, »ich habe erst in den vergangenen Stunden so richtig erfaßt, wie schrecklich sein Schicksal ist.« »Ich freue mich, Miß Cressling, daß Sie so darüber denken,« sagte Parker, »hoffentlich gelingt es, Mister Glanser so schnell wie möglich zurück in eine Heilanstalt bringen zu können. Darf ich fragen, ob Sie keine Angst haben? Immerhin wollte er Sie doch umbringen.« »Das ändert aber nichts an den Tatsachen,« mischte Mike Rander sich ein. 67 �
»Natürlich nicht, Mister Rander. Wissen Sie, mir ist da ein Gedanke gekommen!« »Der wäre?« »Mister Glanser hält mich doch für meine Mutter, die er umbringen will, nicht wahr?« »Stimmt.,« sagte Rander knapp. »Könnte man Mister Glanser nicht auf meine Spur setzen? Ich meine, wäre es nicht möglich, daß ich ihn vorsichtig in eine Lage hineinbugsiere, die es ermöglicht, ihn festzunehmen?« »Darf ich Ihnen meine bescheidene Anerkennung aussprechen?« sagte Josuah Parker. »Offen gesagt, Miß Cressling, diesen Vorschlag wollte ich Ihnen gerade unterbreiten.« »Diese Sache ist aber sehr gefährlich,« gab Mike Rander zu bedenken. »Ich weiß, aber sie lohnt sich doch.« »Sehr wahr, Miß Cressling.« »Haben Sie bestimmte Vorschläge?« Maud Cressling schien entschlossen zu sein, sich Glanser als Köder anzubieten. »Es geht um die Polizei,« sagte Parker. »Es würde zuviel Zeit kosten, mit den verantwortlichen Stellen zu konferieren, wobei noch nicht einmal sicher ist, ob man auf dieses gefährliche Spiel eingehen wird. Man wird…« Rander unterbrach ihn. »Hören Sie,« sagte er und trat an
das Fenster, hinter dem die frühe Dämmerung stand, »Feuerwehr! Ganz in der Nähe. Irgendwo scheint es zu brennen!« »In der Tat.,« sagte Parker und begab sich ebenfalls hinüber ans Fenster, »sehr in der Nähe, wie ich bemerken möchte!« »Sie sagen das mit solch einer eigenartigen Betonung, Mister Parker?« Maud Cressling sah den Butler prüfend an. »Ich bin mir zwar nicht sicher, Miß Cressling, aber ich möchte fast unterstellen, daß weder Sie noch wir irgendwelche Pläne zu beraten brauchen.« »Wieso nicht?« Rander hatte das Fenster verlassen und trat zurück in den Raum. »Will Glanser scheint bereits so etwas wie Regie zu führen,« erwiderte der Butler und nickte Maud Cressling zu. »Dieses Feuer in wahrscheinlich unmittelbarer Nachbarschaft dürfte von einiger Bedeutung sein!« * Glanser nahm den Weg, den er schon kannte. Vom Nachbargrundstück und dessen Hinterhof aus stahl er sich an den Backsteinbau heran. Und dabei stieß er auf einen der Zivilbeamten, die die Rückseite des Backsteinbaus abschirmten. 68 �
Das Feuer in der Nachbarschaft lenkte den Mann verständlicherweise ab. Als er merkte, daß sich hinter seinem Rücken etwas tat, war es bereits zu spät. Eine Klaviersaite nahm ihm die Luft und die Besinnung. Glanser pirschte sich an das Haus heran und stieg durch ein geöffnetes Kellerfenster in das Haus ein… * »Natürlich können Sie sich umziehen,« sagte Parker zu Maud Cressling, »wenn Sie erlauben, werde ich allerdings Ihr Apartment bewachen.« »Aber draußen bleiben,« sagte Maud lächelnd, »ich möchte mich nämlich noch kurz unter die Dusche stellen.« Sie nickte ihm zu und verschwand in ihrem Schlafzimmer. Parker baute sich vor der Tür zum Apartment auf und bedauerte es ungemein, sich nicht eine seiner spezialangefertigten Zigarren anzünden zu können. Ihm war danach, seine Lungen zu erfrischen. »Ich werde noch einmal einen durch das Haus Rundgang machen,« sagte Rander, »in ein paar Minuten bin ich wieder zurück. Lassen Sie sich die Zeit nicht zu lang werden, Parker! Und nicht durchs Schlüsselloch gucken, die junge Dame zieht sich nämlich um!«
Rander grinste und drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger, »Aber, Sir!« gab der Butler gedehnt und abwehrend zurück, »solch eine Indiskretion würde ich mir niemals gestatten!« Parker sah seinem jungen Herrn leicht mißbilligend nach und wanderte dann vor der Zimmertür auf und ab. Eine intensivere Wache hätte man sich sicher nicht vorstellen können. * Will Glanser entdeckte den alten Speisenaufzug durch Zufall. Auf der Suche nach der Kellertreppe geriet er an eine Holzverschalung in der Wand, fand einen Riegel, öffnete ihn und blickte in einen schmalen Schacht, der immerhin groß genug war, ihn aufzunehmen. Daß er in einer ehemaligen, herrschaftlichen Küche stand, die sich hier im Souterrain befand, wußte oder merkte er nicht. Er starrte in den Schacht hinein, in dem noch die Kabelstränge lose herumhingen prüfte fast mechanisch ihre Tragfähigkeit und wußte, daß dies der Weg hinauf ins Obergeschoß war. Mit einer erstaunlichen Gewandtheit stieg er in den Schacht ein und arbeitete sich fast geräuschlos nach oben. Sein Gesicht zeigte dabei keinerlei Anstrengung. Es war glatt und ausdruckslos. Nur in seinen 69 �
Augen Feuer.
glühte
ein
fürchterliches
* Maud stand unter der Dusche und fühlte sich vollkommen sicher. Daß der Vorraum dieses Duschraums die ehemalige Teeküche War, wußte sie nicht. Sie kannte zwar den Schacht des Speisenaufzugs, der dort entlangführte, doch sie dachte nicht an ihn. Und sie wußte schon gar nicht, daß ihr Mörder sich vorsichtig an sie heranarbeitete. Sie wußte nur, daß ein gewisser Josuah Parker draußen vor der Tür stand und auf sie aufpaßte. * Parker, eben noch entspannt und gelassen, wurde plötzlich von einer Unruhe erfaßt. Seine innere Alarmklingel schepperte zuerst zögernd, dann aber schrillte sie lautstark, als stünde eine Katastrophe dicht bevor. Parker, der sich auf seine innere Alarmklingel stets verlassen konnte, verlor keine Zeit mit unnötigen Bedenken. Er drückte sofort und unmittelbar die Tür zum Apartment auf und trat ein. Er hörte das Rauschen der Dusche, gleichmäßig und monoton. »Miß Maud?« rief er. Keine Antwort! Er verzichtete auf einen zweiten
Anruf, der vielleicht wertvolle Zeit gekostet hätte. Parker trat hinüber ins Schlafzimmer, sah sich kurz um und drückte dann die Tür zum Vorraum der eigentlichen Dusche auf. Tief und beruhigt atmete er durch. Hinter der Glastür der voll aufgedrehten Dusche erkannte er die nicht unschönen Umrisse von Maud Cressling, die gerade ihre Arme hochreckte und sie den Strahlen der Dusche entgegenstreckte. * Ein wohlgefälliges Bild, das der Butler in sich aufnahm. Er nickte anerkennend und zog sich dann diskret zurück. Die innere Alarmuhr schwieg… Will Glanser nahm sich sehr viel Zeit. Er wollte jetzt nichts mehr überstürzen. Noch ein, zwei Meter, dann hatte er die Etage erreicht, die er erreichen wollte. Noch ein, zwei Meter, dann konnte er sich an Jane rächen und ihr alles zurückzahlen, was sie ihm angetan hatte. Glanser hangelte sich am Stahlseil weiter hoch und stützte sich mit den Schuhspitzen am Eisengestänge der Führungsschienen geschickt ab. Nicht einen Moment lang hatte er ein Gefühl der Unsicherheit. Mit traumwandlerischer Sicherheit suchte und fand er seinen Weg. Dort schimmerten Lichtfäden durch die Dunkelheit zu ihm hinun70 �
ter. Bald hatte er den Ausstieg erreicht. Er machte sich keine Gedanken darüber, daß die Durchreichklappe vielleicht von außen zugenagelt worden war. Irgendwie spürte er, daß er ohne Schwierigkeiten in die Etage einsteigen konnte. * Parker hörte seinen Namen und ging hinüber ins Treppenhaus. Er beugte sich Ober das Geländer. »Sir?« rief er höflich und gemessen zurück. »Hier unten im Erdgeschoß alles in Ordnung,« antwortete Mike Rander. »Hier im Augenblick ebenfalls,« parierte Parker und hörte in diesem Augenblick erneut das Schrillen seines inneren Alarmweckers. »Ich werde hier unten bleiben,« erklärte Rander, »halten Sie oben die Stellung, Parker, klar?« »Gewiß, Sir!« Parker verließ das Treppenhaus und begab sich zurück zur Tür des Apartments. Er wollte diskret lauschen, doch dann riß er ohne jede Vorwarnung die Tür auf und sah sich einer schrecklichen Szene gegenüber. Maud Cressling lag seltsam verrenkt auf einer Couch. Der Bademantel hatte sich über ihrem Körper geöffnet und gab die ganze Länge der Beine und Schenkel frei. Gegen die Couch gelehnt stand ein Cello, dessen Hals rechtwinklig
abgeknickt war. Die Saiten waren heraus- und heruntergerissen worden und bildeten ein unentwirrbares Durcheinander. Hinter der Couch, der Frau und dem Cello aber stand Will Glanser und hielt die Klaviersaite in der Hand. Er wollte sie Maud gerade um den Hals streifen. »Ihre Hände, Mister Glanser!« mahnte Parker sanft und geistesgegenwärtig. »Sie dürfen Ihre Hände nicht gefährden, wie wollen Sie sonst noch Klavier spielen!« Glanser sah zu Parker hinüber, auf Maud, dann auf seine Hände. Er schluchzte plötzlich auf und barg sein Gesicht im hochgenommenen, angewinkelten Unterarm. Parker konnte Will Glanser ohne irgendwelche Schwierigkeiten aus dem Raum führen… * »Sie wurde vor Schreck ohnmächtig, als Glanser plötzlich aus der Wand kam,« sagte Mike Rander zu Lieutenant Madford. »Das war wohl ihr Glück, denn sie konnte Glanser nicht antworten. Und dann war auch schon Parker zur Stelle und fand genau die richtigen Worte, um Glanser wieder ruhig werden zu lassen.« »Wie hat sie es überstanden?« wollte Madford wissen. Er und Rander standen im Treppenhaus des Backsteinbaus und unterhielten sich 71 �
leise miteinander. Maud Cressling hatte vom Polizeiarzt eine Beruhigungsspritze bekommen und schlief. »Körperlich ohne einen Kratzer, seelisch wird sie einige Zeit brauchen, bis sie die Erlebnisse verdaut hat.,« sagte Mike Rander, »Sie ahnen nicht, Madford, wie froh ich bin, daß alles so glücklich ausgegangen ist.« »So glücklich werden Grossman und seine beiden Killer bestimmt nicht sein.« »Haben Sie bereits gestanden?« »Restlos. Ich ließ Parkers Film entwickeln und ihnen vorführen. Grossman steckte sofort auf, gegen diese Beweise konnten weder er noch seine beiden Mitarbeiter etwas ausrichten.« »Ende gut, alles gut.« Rander dehnte sich und zündete sich eine Zigarette an, »selbst das Musikleben unserer Stadt ist nicht mehr gefährdet.« »Mir fällt’s ja schwer, aber ich werde mich bei Parker bedanken, sobald er wieder zurück ist. Erstaunlich, daß er darauf bestand, Will Glanser in die Heilanstalt zu bringen.« »Wenn Sie Parker richtig kennen würden, würden Sie es nicht erstaunlich finden, Madford. Parker hatte und hat Mitleid mit diesem armen Teufel!« *
Will Glanser betrat den Eßsaal und verbeugte sich. Josuah Parker, allein in dem großen Saal, klatschte diskret Beifall. Er hörte sofort damit auf, als Will Glanser einen Schritt zurücktrat und sich dann ans Klavier setzte, das man in den Saal geschoben hatte. Parker hatte darauf bestanden, und die verständnisvollen Ärzte waren seinem Wunsch sofort nachgekommen. Will Glanser setzte sich, rieb und massierte sich die Finger und sah hoch zu dem Dirigenten, den nur er allein sah. Er lauschte der Musik, die nur in seiner Einbildung aufrauschte und wartete auf seinen Einsatz. Glanser spielte wie in seinen besten Tagen, wie er glaubte. Josuah Parker, vorn auf dem Stuhl, litt Qualen. Will Glanser spielte ohne jeden Zusammenhang. Die Töne aus dem Klavier mischten sich zu einer nervenzerfetzenden Kakophonie, die die Trommelfelle malträtierte. Josuah Parker hielt das ganze Konzert durch und klatschte Beifall, als Glanser sich erhob, schweißnaß, glücklich, in einer anderen Welt. Glanser deutete auf den Dirigenten, den nur er allein sah, schüttelte ihm die Hand und verbeugte sich. Josuah Parker spürte einen Kloß im Hals. In seinem sonst so beherrschten Gesicht zuckte es. Glanser, der große geniale Pianist zog sich langsam zurück, verbeugte 72 �
sich und genoß den Beifall, der in seinen Ohren donnernd rauschte. Er hörte Beifallsrufe und genoß die Bewunderung, auf die er solange hatte verzichten müssen. Butler Parker stand auf und verließ langsam den Saal. Er war froh, daß er Glanser zurück in seine Welt hatte bringen können. Er wußte, daß
Glanser, dieser unglückliche Mensch, vielleicht jetzt wieder glücklich war. Und es war erstaunlich, daß Josuah! Parker in diesen Minuten einmal nicht an den nächsten Fall dachte, wie es sonst war, wenn er wieder einmal einen Schlußstrich gezogen hatte.
ENDE
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