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Parker tappt ins »Teufels-Dreieck« Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Die Menschen im Flughafengebäude von Fort Lauderdale (Florida) sperrten im wahrsten Sinn des Wortes Mund und Nase auf. Was sich ihren erstaunten Blicken bot, konnte nur eine Erscheinung aus einer anderen Welt sein. Zwei Menschen aus der Zeit der Queen Victoria schienen aus der Vergangenheit angereist zu sein und hatten dabei eine vierstrahlige Düsenmaschine benutzt. Die stattlich aussehende Dame, groß und recht füllig - sechzig Jahre mochte sie zählen, wahrscheinlich war sie noch ein wenig älter -, trug ein zerbeultes Tweed-Kostüm und große, bequeme Schuhe, die an Lastkähne auf dem Mississippi erinnerten. Auf ihrem weißen Haar, das einen silbernen Schimmer aufwies, saß ein Hut, der eine Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte. An ihrem linken Handgelenk baumelte ein perlenbestickter Pompadour, der vollgestopft zu sein schien. Diese Dame bewegte sich mit der selbstverständlichen Sicherheit einer Frau, die sich auf jedem noch so skurrilen Parkett ohne Schwierigkeiten zurechtfindet. Die grauen Augen sahen durch die Menge der Flughafengäste förmlich hindurch. Schräg hinter ihr schritt feierlich und gemessen ein echter englischer Butler, wie man ihn nur noch in Kostümfilmen zu sehen bekommt. Er
trug einen schwarzen Zweireiher, schwarze Schuhe und eine schwarze Krawatte, die diskret den weißen Eckkragen umschloß. Die schwarze Melone auf dem Kopf des Butlers saß korrekt. Sie schien mit einer Wasserwaage austaxiert worden zu sein. Am linken angewinkelten Arm dieses Butlers hing ein altväterlich gebundener Regenschirm, der eigentlich schon in ein Museum für Vorgeschichte gehörte. Die beiden ruppigen Beamten des Zolls schluckten erst mal, als das seltsame Paar vor dem langen Abfertigungstisch erschien, um die Pässe vorzulegen. Das heißt, der Butler besorgte das in einer überzeugenden Mischung aus Selbstverständlichkeit und eisiger Höflichkeit. »Lady Agatha Simpson?« fragte der erste Zollbeamte, nachdem er den Paß der Dame aufgeschlagen hatte. »In der Tat«, erwiderte der Butler. Er besaß das undurchdringliche Gesicht eines erfahrenen Pokerspielers. Seine Stimme klang unpersönlich. Der Butler nahm der älteren Dame die Antwort ab. »Mr. Josuah Parker?« fragte der Zollbeamte weiter. »Wie aus dem Paß hervorgeht«, erwiderte der Butler. »Sie kommen als Touristen?« lautete die nächste Frage.
»Unsinn, junger Mann«, grollte die ältere Dame. »Wir kommen als Invasoren! Meine Flotte liegt draußen auf der Reede...« »Wie war das?« fuhr der zweite Zollbeamte irritiert dazwischen. Er hatte etwas von einer Flotte gehört. »Es handelte sich um das, was man gemeinhin einen Scherz nennt«, erläuterte Parker. Sein Englisch war von einer Perfektion, die man hier in Staaten nicht kannte. »Wie lange werden Sie bleiben?« fragte der erste Zollbeamte. Er wich dem kühlen Blick der Dame aus. »So kurz wie möglich«, antwortete sie mit dunkel gefärbter Stimme; »Und falls Sie noch weitere Fragen stellen, fliege ich sofort wieder zurück.« »Der geplante Aufenthalt Myladys wird sich auf etwa zehn Tage beschränken«, erklärte Butler Parker. »Und wohin wollen Sie?« »Zu Ihrem Präsidenten, falls die Zeit reicht«, warf die Sechzigjährige ein. Sie äußerte es in einem Ton, der keine Zweifel zuließ, daß sie auch meinte, was sie sagte. »Wollen Sie mich nun endlich durchlassen oder nicht? Ich habe keine Lust, dumme Fragen zu beantworten.« Ein Geheimdienstbeamter, der sich bisher diskret im Hintergrund gehalten hatte, schob sich näher heran. Er sah derart unauffällig aus, daß er fast schon wieder auffiel. Er griff nach den beiden Pässen und blätterte in ihnen. »Gehören Sie dem FBI oder der CIA an?« fragte die Lady und musterte interessiert den sportlichen Mann. »FBI oder CIA? Wie kommen Sie denn darauf?« Der
Geheimdienstbeamte war leicht schockiert. »So wie Sie sehen alle Geheimdienstbeamte im Fernsehen aus«, stellte die Lady fest. »Welches Kaliber verwenden Sie? Tragen Sie einen Achtunddreißiger, junger Mann?« »Ha... Haben Sie Gepäck?« wollte der Geheimdienstbeamte wissen, der längst einen roten Kopf bekommen hatte. »Ich nehme an, daß meine Kreditbriefe Ihre negative Zahlungsbilanz aufbessern werden«, meinte die ältere Dame. »Ich reise stets ohne Gepäck. Sonst noch Fragen, junger Mann? Diese Prozedur beginnt mich zu langweilen.« Die Dame, die laut Paß Lady Agatha Simpson hieß, setzte sich in Bewegung und ignorierte die Männer der Paßkontrolle. Sie wollten Einwände gegen diese Eigenmächtigkeit erheben, doch der Geheimdienstbeamte schüttelte den Kopf und reichte dem Butler die Pässe. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt«, sagte er. »Wenn Sie erlauben, werde ich diese verbale Geste der Höflichkeit an Mylady weiterreichen«, antwortete der Butler. »Übrigens, Ihr Schulterhalfter trägt wirklich ein wenig auf. Sie sollten das bei Gelegenheit korrigieren.« »Sag', daß ich träume«, bat der erste Zollbeamte seinen Kollegen. »Wir träumen beide«, meinte der zweite Zollbeamte. Der Geheimdienstbeamte sah dem skurrilen Paar nach und eilte dann mit schnellen Schritten in sein Büro, um
ein Fernschreiben aufzugeben und einige Telefonate zu führen. * »Haste das mitbekommen, Jimmy?« fragte ein untersetzter, stämmiger Mann, der etwa dreißig Jahre alt schien. Er trug dunkle Hosen und ein groß gemustertes Jackett. Sein Gesicht war rundlich und strahlte Freundlichkeit aus. »Ich glaub's aber nicht, Oscar«, erwiderte sein Partner. Er war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und schlank und hatte schwarze Wieselaugen. »Die Alte stinkt doch vor Geld«, sagte Oscar. »Hat die nicht was von Kreditbriefen gesagt?« spekulierte Jimmy. »Hat sie!« Oscar nickte. »Nehmen wir uns die zur Brust?« »Und ob! Die kassieren wir ab.« Jimmy grinste. »Das erledigen wir draußen auf dem Vorplatz. Du nimmst den Butler, ich die Alte.« Die beiden Ganoven folgten dem ungleichen Paar, das gerade die Empfangshalle durchschritten hatte und sich den Ausgangstüren näherte. Oscar und Jimmy waren auf kleine Gaunereien spezialisiert und versierte Taschendiebe. Wenn es allerdings sein mußte und sich lohnte, waren sie auch durchaus in der Lage, einen Raub auszuführen. Hemmungen hatten sie auch nicht, was den Gebrauch von Waffen anbetraf. Sie hatten inzwischen Anschluß an die ältere Dame und ihren Butler gefunden, die vor dem Gebäude standen und sich nach einem Taxi umsahen.
Jimmy, der sich mit der >Alten< befassen wollte, wie er gesagt hatte, hielt bereits das kleine Rasiermesser in der linken Hand, um damit die Schnüre des Pompadours zu durchschneiden. Das war eine bewährte Methode, um unauffällig an die Beute heranzukommen. Die Schneide war scharf und in der Lage, auch dünne Lederstreifen zu durchtrennen. Oscar, der es auf den Butler abgesehen hatte, schob sich an ihn heran und warf unauffällig einen Bück in die Runde. Draußen auf dem Flugplatz mußte man natürlich immer mit Polizeidetektiven rechnen, und er hatte keine Lust, sich gerade jetzt die Tour vermasseln zu lassen. Dieses verrückte Paar aus England mußte sowas wie ein kleines Vermögen mit sich herumschleppen. Jimmys Rasiermesser befaßte sich bereits mit den dünnen Schnüren, die den Pompadour mit dem Handgelenk der älteren Dame verbanden. Die Schneide hätte solch ein Hindernis normalerweise ohne weiteres geschafft, doch jetzt klappte es nicht. Sie sägte und säbelte an einer dünnen Schnur herum, erreichte jedoch nichts. Von einem schnellen und sauberen Durchtrennen konnte überhaupt keine Rede sein. Es kam noch schlimmer. »Begreifen Sie denn nicht, junger Mann?« Die Lady aus England wendete den Kopf und blitzte Jimmy an. »Die Schnüre bestehen aus geflochtenem Stahldraht!« Jimmys Augen weiteten sich vor Überraschung. Dann aber wollte er retten, was noch zu retten war, griff mit beiden Händen nach dem Pompadour
und hatte die feste Absicht, ihn vom Handgelenk der Trägerin zu zerren. Sie verabreichte ihm eine Ohrfeige. Es handelte sich nicht um eine normale ihrer Art, eine Granate schien plötzlich eingeschlagen zu haben. Jimmy flog zurück, vollführte einen fast geglückten Salto und blieb dann benommen auf den Betonplatten liegen. »Wagen Sie es nicht noch mal, eine wehrlose Frau anzugreifen«, hörte Jimmy ihre Stimme wie durch Watte. »Ich habe große Lust« Sie noch mal zu züchtigen.« Diese Lust verspürte Jimmy nun überhaupt nicht. Instinktiv kroch er vor der unheimlich gewordenen Frau weg, kniete und lief dann schwankend zum Parkplatz. Er hatte völlig vergessen, daß er mit einem Partner zusammenarbeitete. Oscar dachte auch nicht mehr daran. Er tanzte auf dem linken Fuß und stieß heulende Töne aus, die einen Coyoten wahrscheinlich entzückt hätten. Oscar litt unter einem stechenden Schmerz in der Gegend seiner rechten Zehen, irgendein spitzer Dorn mußte dort einen Hauptnerv getroffen haben, ein Dorn, dessen Herkunft er sich nicht zu erklären vermochte. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß dieser Dorn mit der Spitze von Parkers Regenschirm in Zusammenhang zu bringen war. »Ihre Bemühungen sind sinnlos«, sagte Josuah Parker zu Oscar. »Mylady pflegt grundsätzlich keine Spenden zu verteilen.« Oscars Augen füllten sich mit Tränen. Was man ihm gerade zugefügt hatte, war eine tiefe Beleidigung. Es war ihm nicht gelungen, an die Brieftasche dieses Butlers
heranzukommen, und dann hielt man ihn noch für einen Penner, der durch diesen Tanz ein paar Cents abkassieren wollte. Oscar humpelte von dannen und strebte ebenfalls dem Parkplatz zu. Nein, für ihn war die Sache damit noch längst nicht erledigt. Sein negativer Ehrgeiz war geweckt worden, aber auch seine Rachegefühle. * »Da scheint etwas passiert zu sein«, sagte Kathy Porter. Ihr Gesicht, dessen Schnitt ein wenig exotisch wirkte, war gerade das, was die Männer veranlaßte, sie mit interessiertem Wohlwollen zu mustern. Sie saß auf dem Beifahrersitz eines amerikanischen Straßenkreuzers, der von Mike Rander gesteuert wurde. Der Vierzigjährige sah immer noch wie ein großer Junge aus, der allerdings sehr wohlerzogen war. Man merkte es auf Anhieb, daß er sein Brot nicht gerade durch körperliche Arbeit verdiente. Beim zweiten Eindruck mußte man ihn für einen Mann halten, der im Spitzenmanagement einer Großfirma arbeitete. »Der Jet ist vor knapp zehn Minuten gelandet«, stellte Mike Rander fest. »Mylady und Butler Parker sind also schon ...« Kathy Porter setzte sich ruckartig auf. »Richtig«, erwiderte Mike Rander und lächelte. »Sie sind also bereits auf amerikanischem Boden.« »Du lieber Himmel!« Kathy Porter seufzte. »Wollte ich auch gerade sagen. Lady Simpson scheint bereits zugeschlagen zu haben.«
Kathy Porter war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha Simpson und wurde von der älteren Dame wie eine Tochter behandelt. Mike Rander, der jahrelang in den Staaten als Anwalt gearbeitet hatte, war vor kurzer Zeit nach England zurückgekehrt und widmete sich unter anderem der Vermögensverwaltung der immens reichen Lady Agatha. Er hatte nicht im Traum daran gedacht, jetzt schon wieder in die Staaten zurückkehren zu müssen, doch es gab dafür einige Gründe. Mike Rander fuhr langsam an die Menschengruppe heran und stieg aus dem Wagen. Er trug eine weiße Smokingjacke und eine dunkle Hose. Er sah elegant aus, schien ein reicher Nichtstuer und Playboy zu sein. Kathy Porter trug einen leichten Hosenanzug, der ihre schlanke und biegsame Figur unterstrich. Sie kam um den Wagen herum und eilte zusammen mit Mike Rander zum Haupteingang des Flughafengebäudes. Ihre Befürchtungen wurden bestätigt. Agatha Simpson stritt sich mit zwei uniformierten Männern, die zum Flughafenpersonal gehörten. Parker hielt sich höflich im Hintergrund und hörte scheinbar überhaupt nicht zu. » ... scheinen Angst zu haben, Ihre Schuhsohlen könnten sich abnutzen, wie?« raunzte Lady Agatha die Männer an. »Ich wiederhole noch mal, ich sollte bestohlen werden. Ist das eine Art, Gäste Ihres Landes zu empfangen?« »Wen sollen wir verfolgen, Lady?« fragte einer der Uniformierten ratlos. »Das weiß doch ich nicht!« Sie sah ihn empört an. »Sie sind dort zum
Parkplatz gelaufen. In den amerikanischen Fernsehserien sind Leute wie Sie aber wesentlich intelligenter und schneller. Nun ja, Traumfabrik, wie ich inzwischen merke.« »Mylady werden abgeholt«, warf Josuah Parker ein und deutete auf Mike Rander, der sich mit Kathy Porter durch die Menge der amüsierten Zuschauer schob. »Was für ein Land!« Agatha Simpson schaute grimmig in die Runde. »Man ' hätte es niemals in der Unabhängigkeit entlassen dürfen. Da sind Sie ja endlich. Wo haben Sie eigentlich gesteckt, Mike?« »Wir sind im Stau hängen geblieben, Mylady«, entschuldigte der Anwalt sich. »Da war überhaupt nichts zu machen.« »Ein einziger Londoner Bobby würde reichen, so etwas zu entwirren«, behauptete die ältere Dame. »Ich hätte dort bleiben sollen, ich weiß es schon jetzt.« Sie maß die beiden Uniformierten geringschätzig und bahnte sich dann ungeniert ihren Weg durch die Menge. Die Detektivin benutzte dabei ihren perlenbestickten Pompadour, den sie wie einen Propeller kreisen ließ. Die Neugierigen wichen respektvoll zurück. »Gab es Schwierigkeiten, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander, während das Quartett zu seinem Wagen ging. »Mylady wurde von Taschendieben belästigt«, erwiderte Josuah Parker. »Es gab keine Verletzte?« fragte Kathy Porter besorgt. Sie kannte die Energie ihrer Chefin.
»Die beiden Diebe konnten sich gerade noch rechtzeitig absetzen, Miß Porter«, erwiderte der Butler. »Wir werden den Fall so schnell wie möglich klären, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha, während sie in den Wagen stieg. »Ich werde keine einzige Stunde länger als nötig in diesem barbarischen Land bleiben. Hoffentlich sind die Hotels hier wenigstens akzeptabel.« »Auf Mylady wartet eine Suite im >Sheraton<, direkt am Strand«, schaltete der Butler sich ein. »Bis zum Yachthafen sind es nur einige Minuten.« »Wenigstens etwas.« Sie nickte. »Ich glaube, meine Stimmung wird wieder versöhnlich.« »Es wird Ihnen gefallen, Mylady«, warf Mike Rander ein. »Die ersten Ermittlungen haben Miß Porter und ich bereits aufgenommen.« »Und was ist dabei herausgekommen?« Sie schaute sich nun doch interessiert und neugierig um, als der Wagen über die superbreite Avenue glitt, die einen freien Blick auf den Atlantik gestattete. Die Kette der supermodernen Hotels, Yachthäfen und Restaurants schien einen optischen Vorgriff auf das Jahr Zweitausend darzustellen. Alles war von atemberaubender Größe. »Spuren konnten bisher nicht gefunden werden, Mylady«, berichtete Mike Rander, der zusammen mit Kathy Porter bereits vor einer Woche hier in Florida eingetroffen war. »Man bezieht sich achselzuckend auf das Teufels-Dreieck und nimmt einfach zur Kenntnis, daß wieder mal eine Yacht oder ein Flugzeug
verschwunden ist. Die Sache mit der vermißten Maschine hat kaum große Schlagzeilen gemacht, Mylady. Das Thema Bermuda- oder Teufelsdreieck scheint sich überholt zu haben.« »Ich werde es wieder aktuell machen, Mike«, erwiderte die ältere Dame grimmig. »Man wird sich hier an der Küste oder sogar in ganz Amerika noch wundern, verlassen Sie sich darauf!« Agatha Simpson ahnte nicht, wie' prompt das in Erfüllung gehen sollte. * Oscar und Jimmy litten noch sichtlich unter dem, was sie am Flughafen erlebt hatten, Sie saßen in einem Schnellimbiß und schütteten erst mal Kaffee in sich hinein, um ihre angekratzten Nerven wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. Jimmys linke Backe war sichtlich angeschwollen, Oscars rechter Fuß brannte höllisch. Die beiden Ganoven hatten im Grund noch immer nicht begriffen, was mit ihnen geschehen war. »Und jetzt?« fragte Jimmy und sah Oscar an. »Lassen wir die Sache sausen?« »Wohl wahnsinnig, wie?« Oscar schüttelte den Kopf. »Wir wissen, wo die Alte abgestiegen ist. Das is' erst mal wichtig. Die werden wir uns natürlich noch mal zur Brust nehmen.« »Ich glaub', ich hab' 'ne leichte Gehirnerschütterung«, behauptete Jimmy und befingerte äußerst vorsichtig seine linke Backe.« Ich bin noch nie von 'nem Pferd getreten worden, aber so ähnlich muß es sein.«
»Haste dir mal meinen rechten Schuh angesehen?« fragte Oscar. »Das Oberleder ist richtig aufgepiekt worden. Weiß der Henker, wie dieser komische Butler das geschafft hat.« »Ob das vielleicht sowas wie Kollegen sind?« fragte Jimmy. »'ne echte Lady mit Butler?« Oscar schüttelte den Kopf. »Kann doch nur 'ne raffinierte Masche sein, oder?« »Läßt sich ja feststellen, Jimmy. Was hältst du davon, wenn wir mal Kontakt mit Bernie Balmer aufnehmen?« »Das is' doch 'n Halsabschneider, Oscar.« »Aber er hat das, was wir nich' haben, nämlich Beziehungen und Moneten.« »Wenn er einsteigt, will er beteiligt werden.« »Warum auch nicht, Jimmy? Oscar lächelte mühsam. »Ich bin für Bernie. Mit ihm zusammen können wir die goldene Gans ausnehmen.« »Für wie fett hältst du sie, Oscar?« »Die ist vollfett, Jimmy. Ich hab' immer noch das Wort >Kreditbriefe< in den Ohren. Und dann 'ne Lady! Kommt direkt aus den Staaten und schleppt 'nen Butler mit sich 'rum. Wahrscheinlich uralter Adel oder so. Nee, ich bin für Bernie Balmer.« Sie bezahlten ihren Kaffee und setzten sich in ihren Chevrolet. Sie passierten die Front des SheratonHotels in Fort Lauderdale und fuhren zum öffentlichen Strand im Norden der Stadt. Hier gab es eine Art LunaPark mit vielen kleinen Restaurants, Snackbars und Diskotheken. Vor einer dieser Diskotheken hielten sie und warfen berufsmäßig einen prüfenden
Blick in die Runde, bevor sie das Etablissement betraten. Bernie Balmer war ein fünfundvierzigjähriger, dicker und kurzatmiger Mann, dessen schlaue Augen fast völlig unter dicken Lidern verschwanden. Er saß links vom langen Bartresen in einer Art Nische und kontrollierte Rechnungen. Als er die beiden Ganoven sah, winkte er fast müde ab. »Verschwindet«, meinte er dann mit einer überraschend hohen Stimme, die nicht zu seinem Aussehen paßte. »Wie wär's denn mit 'nem dicken Geschäft, Bernie?« fragte Oscar. »Ich hab' heute schon mal gelacht, das reicht für den Rest des Tages.« Bernie Balmer zeigte kein Interesse. Das Format der beiden Ganoven war ihm selbstverständlich nur zu bekannt. »'ne englische Lady mit Butler«, warf Jimmy hastig ein. »Kreditbriefe.« »Habt ihr sie?« Bernie Balmer wußte, daß Oscar und Jimmy für einen Taschendiebstahl die richtigen Leute waren. »Nee, noch nicht, aber wir wissen, wo die Alte abgestiegen ist.« »Bringt die Kreditbriefe, dann reden wir weiter!« Balmer beschäftigte sich wieder mit den Rechnungen. »Die Sache hat 'nen Haken, Bernie«, schickte Oscar voraus. »Die Lady hat uns wie'n Profi ausgetrickst.« »Die könnte vom Fach sein.« Jimmy warf damit einen guten Köder aus. Bernie Balmer sah hoch und lehnte sich zurück. »Los, erzählt«, meinte er dann gespielt gelangweilt. Fort Lauderdale >gehörte< ihm, wie er es gern ausdrückte. Konkurrenten waren nicht erwünscht oder hatten mit ihm
zusammenzuarbeiten und zu teilen. »Setzt euch für'n Moment, Jungens!« Oscar übernahm es, einen genauen Bericht abzuliefern. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Bernie«, beendete er seine Erzählung.« Entweder ist sie echt, dann ist sie stinkreich, oder sie is' vom Fach und will hier auf 'ne neue Tour abstauben. Nur du kannst 'rausfinden, was wirklich mit ihr los ist.« »Die Alte und ihr Butler sind also von 'nem Pärchen abgeholt worden«, faßte Bernie Balmer zusammen. »Sie wohnen zusammen im >Sheraton<. Gute Adresse! Ich werd' mich mal drum kümmern, Jungens, ihr haltet euch vorläufig aus der Schußlinie, is' das klar?« »Und wie sieht's aus, wenn da was zu holen ist, Bernie?« wollte Jimmy nun wissen. »Für 'nen guten Tip zahle ich immer, Jungens, das wißt ihr doch. Versprecht euch aber keine goldenen Berge. Meine Leute werden mal auf den Busch klopfen und sehen, was dran ist an dieser goldenen Gans. So, und nun könnt ihr verschwinden.« Als sie gegangen waren, griff Bernie, Palmer nach dem Telefon und sprach mit einem gewissen Ron Walton, einem seiner besten Spürhunde, der scharf war wie ein dressierter Dobermann. * Steve Atmore, ein sich lässig gebender Amerikaner, vierzig Jahre alt, groß, vollschlank und mit einer ausgeprägten Stirnglatze versehen, war der Leiter der Radarkontrolle der Küstenwacht.
Er war sichtlich befangen, als Mike Rander ihm Lady Simpson vorstellte, und musterte verstohlen Butler Parker, den er nicht recht einzuordnen wußte. »Sie wissen von Mr. Rander, mein Lieber, daß ich Nachforschungen über eine Verwandte anstelle«, schickte Lady Agatha liebenswürdig voraus, was im Grund mehr als selten war. Zu solchen Äußerungen ließ sie sich nur dann hinreißen, wenn sie sich ausgeglichen fühlte. »Sie wissen, Martha Harrington flog mit einer Piper zu den Bermudas und kam dort nie an.« »Wir hatten sie während des Fluges auf dem Radarschirm, Mylady«, bestätigte Steve Atmore. »Wir hielten auch den üblichen Funkkontakt mit dem Piloten Ihrer Verwandten. Es gab keine Probleme.« »Bis was passierte, mein lieber Atmore?« fragte Agatha Simpson. »Der Pilot gab einen Funkspruch an uns durch. Er sagte, er sei plötzlich wie von Watte umgeben und könne das Wasser nicht mehr sehen. Dann wollte er noch etwas durchgeben, aber der Funkkontakt riß ab, und auch auf dem Radarschirm war nichts mehr zu sehen.« »Sie schickten sofort ein Suchflugzeug 'raus auf See, nicht wahr?« schaltete Mike Rander sich ein. »Selbstverständlich. Knapp zehn Minuten später war bereits ein Flugboot der Coast-Guard unterwegs und flog den Punkt an, wo wir die Piper laut Radar vermuteten.« »Ohne Ergebnis, wie wir inzwischen wissen.« Die Detektivin nickte nachdenklich. »Wurden Trümmer gefunden?«
»Nichts, Mylady, absolut nichts. Es gibt wirklich gar nichts, was dieses Rätsel aufhellen könnte.« »Vor dem Flug hierher nach Florida habe ich einige Bücher über das Teufels-Dreieck gelesen«, sagte die ältere Dame. »Oder auch Bermuda-Dreieck genannt, Mylady«, warf der Radarspezialist der Küstenwache ein. »Es gibt ja eine Menge Bestseller darüber, aber als Fachmann muß ich Ihnen sagen, daß es mehr ist als nur ein Dreieck, eigentlich handelt es sich um eine Art Verschobenes Trapez.« »Sie sollten es mir erklären, junger Mann«, bat Lady Simpson leutselig. Sie saß zusammen mit Steve Atmore, Kathy Porter, Mike Rander und Butler Parker in der Lobby des Hotels und hatte einige anregende Getränke bestellt. Sie achteten nicht weiter auf die Gäste an den Nebentischen, denn das Thema fesselte sie selbstverständlich. »Es handelt sich um ein Seegebiet, Mylady, das südöstlich vor der Atlantikküste der Staaten liegt.« Steve Atmore kannte sich aus, wie deutlich zu hören und auch zu spüren war. »Hier von der Küste aus gesehen sind die Begrenzungspunkte draußen im Atlantik einmal die Bermuda-Inseln, dann San Juan und Puerto Rico.« »Und hier an der Küste?« »Die Gegend um Miami, Mylady, aber das geht weit 'rauf bis in den Norden, sagen wir, bis etwa Daytona Beach. Ich möchte noch mal betonen, genau begrenzt ist dieses Gebiet nicht.« »Und was passiert in diesem Dreieck oder Trapez, Sir, wenn diese Frage ge-
stattet ist?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Flugzeuge. Yachten und Schiffe verschwinden«, lautete die lakonische Antwort. »Funksprüche reißen ab, ohne einen akuten Anlaß. Oder aber wir erfahren erst viele Tage später, daß zum Beispiel eine Yacht oder ein Frachter sich nicht mehr meldet und offensichtlich untergegangen ist.« »Man spricht diesem Dreieck, um bei dieser geometrischen Form zu bleiben, Sir, übernatürliche Kräfte zu.« »Natürlich, Mr. Parker, ich glaube, ich kenne so ziemlich alles, was über das Bermuda-Dreieck je geschrieben wurde. Die einen Autoren behaupten, dort gäbe es eine Art Loch, das in eine andere Raum-Zeit-Dimension führt, andere wieder sprechen von Kraftfeldern, die auf dem Meeresgrund liegen und von Maschinen einer Überzivilisation stammen, die wir nicht mehr kennen. Andere wieder behaupten, das Dreieck sei so etwas wie eine Einflugschneise von UFOs. Es gibt eine Menge von Theorien, Mr. Parker, und Sie dürfen mir glauben, daß viel Unsinn dabei ist.« »Woran glauben denn Sie, mein Lieber?« wollte die Detektivin wissen. »Dieses Seegebiet, von dem ich eben gesprochen habe, ist so etwas wie eine verrückte Wetterküche, Mylady«, antwortete Steve Atmore. »Wie aus heiterem Himmel tritt dort Nebel auf, toben sich örtlich begrenzte Stürme aus. Offen gesagt, ich persönlich glaube nicht an übernatürliche Dinge, Allerdings ist es schon verblüffend, daß Funk- und Radarkontakte so urplötzlich abreißen.« »Das läßt doch den Schluß zu, daß die Maschinen in der Luft zerbrochen
oder explodiert sind, wie?« fragte Mike Rander. »Richtig«, antwortete der Radarspezialist. »Und was die Yachten und Frachter anbetrifft, so dürften sie von einer schweren See erwischt worden sein. Wenn so ein Schiff kentert, bleibt für den Funker keine Zeit mehr SOS zu geben.« »Und warum findet man keine Trümmer?« wollte Kathy Porter wissen. »Die Strömung in diesem Seegebiet ist sehr stark«, gab Atmore zurück. »Trümmer und Ölflecke treiben schnell auf den Atlantik hinaus.« »Wie war das mit den berühmten fünf Avenger-Torpedoflugzeugen, mein lieber Atmore?« wollte Agatha Simpson wissen. »Sie erinnern sich an diese Geschichte?« »Sie können darüber in jedem Buch lesen, das sich mit dem BermudaDreieck befaßt«, gab Atmore lächelnd zurück. »Die Sache passierte im Dezember 1945. Die fünf Bomber kehrten nie wieder zurück, und auch ein Martin-Flugzeug, das man zur Suche ausschickte, ging verloren.« »Es sollen da einige rätselhafte Funksprüche existieren«, sagte die ältere Dame. Sie war ganz bei der Sache. Übernatürliche Dinge interessierten sie sehr. »Der Pilot, der die übrigen Avenger führte, hat doch plötzlich jede Orientierung verloren und dem Sinn nach durchgegeben, die See sei weiß geworden und löse sich auf.« »Ja, ich weiß natürlich von diesen Funksprüchen.« Atmore nickte.« Meiner Ansicht nach hat er genau das durchgegeben, was er gesehen hat. Die
See war weiß geworden, weil Nebelbänke über sie wegstrichen.« »Mit anderen Worten, meine Verwandte ist einem ganz normalen Unfall zum Opfer gefallen?« Agatha Simpson war mit solch einer Deutung überhaupt nicht einverstanden. »Das möchte ich sagen, Mylady. Und was das Verschwinden von Yachten angeht, so muß ich noch sagen, daß im Seegebiet hier vor Miami natürlich viele Privatschiffe unterwegs sind. Und manche Skipper verfügen noch nicht mal Über die Grundkenntnisse der Navigation. Wahrscheinlich landen sie, weit draußen im Atlantik, haben dann keinen Sprit mehr in den Tanks und gehen verloren.« »Im Augenblick macht das TeufelsDreieck wieder Schlagzeilen«, fügte Anwalt Mike Rander hinzu. »Ein gewisser Melvin Pritchard stellt einen neuen Tatsachenbericht über dieses Dreieck zusammen. Sein Verlag spricht von sensationellen und neuen Erkenntnissen und Tatsachen.« »Er wird das bringen, was man bereits kennt.« Steve Atmore lächelte amüsiert. »Wahrscheinlich hat er diese Suppe nur neu angerührt. Wenn Sie wollen, mache ich Sie mit Pritchard bekannt. Er hat mich natürlich auch gründlich interviewt und tat wirklich geheimnisvoll.« »Er lebt in Fort Lauderdale?« fragte Butler Parker. »In Pompano Beach, nur ein paar Meilen von hier.« Der Radarfachmann nickte. »Ich bin sicher, daß er Sie gern empfängt. Für Publicity ist er immer zu haben. Wenn es um Werbung geht, ist er schon fast ein Genie!«
* »Die Alte hat ein paar Schrauben locker«, sagte Ron Walton. »Gleichgültig, hat sie Geld?« fragte Bernie Balmer. Er sah seinen Spürhund abwartend an. Ron Walton war etwa achtundzwanzig und sah gut aus, überhaupt nicht wie ein Gangster. Schlank, groß und flachsblond schien er der typische Junge von nebenan zu sein, dem man nichts Böses zutraute. In Wirklichkeit aber war er nicht nur scharf wie ein Dobermann, sondern darüber hinaus ein gefühlskalter Killer. »Sie hat Geld, Balmer«, antwortete Ron Walton. »Sie ist 'ne echte Lady aus London, stinkreich sogar. Die ist schon keine goldene Gans mehr, sondern sowas wie 'ne Goldmine.« , »Und was will sie hier in Fort Lauderdale?« erkundigte sich der Besitzer der Discothek. »Die sucht nach 'ner Verwandten, die mit 'ner Privatmaschine abgestürzt ist. Sie wollte 'rüber zu den Bermudas. Teufels-Dreieck und so.« »Hört sich nicht schlecht an.« Bernie Balmer zündete sich eine Zigarre an. »Weiter, was hast du noch herausbekommen?« »Sie reist mit 'nem Butler, Balmer, scheint ein völlig vertrottelter Bursche zu sein. Für die Alte arbeiten dann hoch ein Mike Rander, der Anwalt ist, und 'ne Gesellschafterin, die Kathy Porter heißt. Das habe ich drüben im Hotel festgestellt.« »Teufels-Dreieck also«, wiederholte Bernie Balmer. »Die Alte will also was herausbekommen. Wird sie'n Flugzeug nehmen oder 'ne Yacht?«
»Ich bleib' am Drücker, Balmer. Sie unterhielt sich mit einem Radarfachmann von der Coast-Guard. Ich habe fast jedes Wort mitbekommen, ich saß an 'nem Nebentisch.« »Haben die was gemerkt?« »Nee, darauf gehe ich jede Wette ein.« Ron Walton lachte leise. »Nehmen wir uns die Alte zur Brust?« »Könnte schon sein, ich muß darüber erst mal nachdenken.« Balmer war ein Mann, der sich nicht in die Karten blicken ließ. Er finanzierte und vermittelte dubiose Geschäfte. Selbst Ron Walton hatte keine Ahnung, wie weit Balmers Verbindungen reichten. »Versuch' mal 'rauszubekommen, wie diese Alte ihre Verwandte auskundschaften will«, sagte Bernie Balmer schließlich. »Spesen spielen keine Rolle, aber nicht übertreiben, Ron.« »Sitzt da vielleicht 'ne kleine Entführung drin, Balmer?« erkundigte sich Ron Walton. »Kann schon sein, Ron.« Balmers Gedanken arbeiteten auf Hochtouren, was bestimmte Gründe hatte, doch er dachte nicht daran, Walton auch nur einen Tip zu geben. »Was für'n Eindruck macht dieser Anwalt auf dich?« »Typischer Playboy, Balmer.« Ron Walton lächelte geringschätzig. »Engländer, kein Gegner. Von der Kleinen gar nicht erst zu reden. Total verschüchtert, hat keine Ahnung, wie sexy sie ist.« »Und genau das reizt dich, wie?« Balmer sah seinen auf den Mann dressierten Bluthund abschätzend an. »Ich würd's ihr gern sagen und beweisen.« Ron Walton grinste wie ein Filmschurke.
»Möglich, daß ich dir die Kleine eines Tages schenken werde, Ron«, antwortete Bernie Balmer wegwerfend. »Aber den Zeitpunkt bestimme ich, ist das klar?« »Klar, kein Thema, Balmer, ich kann warten. Wir beuten die Goldmine also aus?« »Wenn überhaupt, dann ich!« Bernie Balmer ließ keine Zweifel aufkommen. Er war der Mann, der das Sagen hatte. »Versuche herauszubekommen, was die Lady will. Ich brauche jede Einzelheit. Du kannst Spesen machen und ein paar Typen einsetzen, aber mein Name bleibt aus dem Spiel.« »Wie üblich, ist doch klar.« »Wieso will sie das Verschwinden ihrer Verwandten untersuchen?« fragte sich Balmer halblaut und nachdenklich. »Sie muß doch wissen, daß sie längst hin ist.« »Vielleicht glaubt sie an Mord, Balmer?« Ron Walton sah Balmer ausdruckslos an. »Nur nicht zu clever sein, Ron«, warnte Bernie Balmer beiläufig. »Du bist nicht der Typ, der selbständig arbeiten kann, immer daran denken.« »Ich kenne meine Grenzen, Balmer.« Ron Walton nickte, obwohl er gerade über diesen Punkt erheblich anders dachte. Im Grund wartete' er schon seit einiger Zeit darauf, Balmer ein Bein stellen zu können. Leider hatte sich solch eine Gelegenheit bisher noch nicht ergeben, aber was nicht war, konnte ja noch werden. Man durfte allerdings nicht auf einen Zufall warten, sondern mußte etwas unternehmen. *
Melvin Pritchard, der Autor des neuen Buches über das Bermuda-Dreieck, war ein fünfzigjähriger, rundlicher und gemütlich aussehender Mann mit hellwachen Augen. Er trug einen englisch gestutzten Schnurrbart und schien auch englische Tweedstoffe zu lieben. Er wirkte sehr unamerikanisch. »Es ist mir eine Ehre, Mylady, Sie in meinem Haus begrüßen zu können«, sagte er und bemühte sich um eine englische Aussprache. »Sie sind mir dem Namen nach selbstverständlich sehr bekannt. « »Bei Gelegenheit werde ich wahrscheinlich mal ein Buch von Ihnen lesen«, versprach Agatha Simpson in der ihr eigenen, ungenierten Art. Sie schaute sich im Bungalow des Schriftstellers um. Das große, einstöckige Haus im Rancho-Stil lag direkt an der Küste und verriet, daß Melvin Pritchard gut im Geschäft sein mußte. Billig war das Haus mitsamt seiner englischen Einrichtung bestimmt nicht. Es gab übrigens überall Mahagoni, wohl auch ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr der Autor den englischen Stil schätzte. »Ich werde Ihnen selbstverständlich mein neustes Buch zusenden, Mylady«, versprach Melvin Pritchard und begrüßte dann Josuah Parker mit deutlicher Reserve. Pritchards Weltbild schien ein wenig ins Wanken geraten zu sein. Butler gehörten seiner Ansicht nach in die Küche, doch dieser Butler dachte nicht daran, die offiziellen Räume zu verlassen. »Sie schreiben über das TeufelsDreieck, nicht wahr?« Agatha Simpson nickte wohlwollend.
»Ein faszinierendes Thema«, erwiderte Pritchard. »Was darf ich Ihnen anbieten, Mylady? Könnte Ihr Butler vielleicht ...« »Mr. Parker ist als Gast hier«, stellte die ältere Dame sofort richtig. »Und er wird mit Sicherheit auch einige Fragen an Sie richten.« »Wegen Ihrer Verwandten, Mylady?« »Martha Harrington.« Die Detektivin nickte. »Sie kennen den Fall, nicht wahr?« »Das jüngste Opfer des BermudaDreiecks«, meinte Pritchard. »Ich darf Ihnen mein Beileid aussprechen?« »Wenn Sie unbedingt darauf bestehen? Martha Harrington war nur eine entfernte Verwandte von mir. Sie heiratete vor Jahren hierher in die Staaten. Für mich kaum verständlich.« »Martha Harrington war in Florida nicht unbekannt«, erwähnte der Schriftsteller respektvoll. »Ihr verstorbener Mann war groß im Baugeschäft tätig.« »Wie glauben Sie, ist sie umgekommen, Mr. Pritchard?« schaltete sich der Butler gemessen ein. »Sie werden, wie ich unterstellen darf, eine bestimmte Theorie aufgestellt haben.« »Sie ist eindeutig entführt worden.« Pritchard versorgte die Lady mit einem Sherry und ließ sich dazu herab, auch für Parker solch ein Getränk einzugießen. »Guter Gott, entführt?« Agatha Simpson sah den Autor überrascht an.« Ich denke, sie ist mit ihrem Flugzeug über See verschwunden.« »Verschwunden schon, Mylady, aber dieses Verschwinden gleicht dem Tatbestand einer Entführung.«
»Können Sie das beweisen?« Die Sechzigjährige nahm einen Schluck Sherry.« Hängt das mit Ihrem neuen Buch zusammen? Sie wollen darin ja sensationelle Enthüllungen bringen.« »Ihre Verwandte dürfte von Aquanauten entführt worden sein.« »Von wem, bitte?« Agatha. Simpson setzte ihr Glas ab. »Aquanauten, Mylady. Meiner Ansicht nach existieren auf dem Grund des Bermuda-Dreiecks Tiefseebasen einer bestimmten Spezies von Menschen, die sich der See angepaßt haben.« »Dürfte es sich dabei um die neuen Thesen handeln, Sir?« erkundigte sich Parker. »Überlebende von Atlantis, Mr. Parker.« Der Autor nickte. »Meiner Ansicht nach existieren tief unten auf dem Grund der See hochspezialisierte und drucksichere Lebensbasen einer vergangenen Zivilisation. Das erklärt natürlich auch, woher diese ungemein starken Kraftfelder stammen, die das Teufels-Dreieck zu dem gemacht haben, was es ist.« »Demnach würde Mrs. Martha Harrington noch leben, Sir?« fragte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Mit Sicherheit.« Melvin Pritchard nickte. »Und ich würde mich nicht wundern, wenn Mrs. Harrington eines Tages im wahrsten Sinn des Wortes wieder auftauchen würde.« »Warum sollte man sie freigeben?« Gegen ihre Skepsis und gegen ihren Willen war Lady Agatha von dieser Theorie fasziniert. Sie interessierte sich stets für alle Dinge paranormaler Art. Sie glaubte an UFOs und außerirdische Existenzen.
»Ich nehme an, diese Aquanauten, Mylady, werden einer Art Verhör unterzogen«, meinte der Schriftsteller. »Man zapft ihre Gehirnströme an und will so herausfinden, wie weit die Welt hier oben sich inzwischen entwickelt hat.« »Sie wollten einige Beweise anführen, Sir«, erinnerte der Butler. »Sie werden in meinem neuen Buch zu finden sein«, versprach Melvin Pritchard. »Sie werden verstehen, daß ich der Buchvorstellung nicht vorgreifen möchte.« »Und wann erfolgt die, mein lieber Pritchard?« erkundigte sich die ältere Dame leutselig. »Kommenden Samstag, also in zwei Tagen. Mein Verlag zieht das groß auf. Die Erstauflage ist besonders hoch. Hollywood interessiert sich bereits für diesen Stoff. Übrigens, ich darf Sie schon jetzt darauf aufmerksam machen, daß ich mich in der Pressekonferenz auf das geheimnisvolle Verschwinden von Mrs., Martha Harrington beziehen werde. Ihre Entführung unterstreicht nur die Richtigkeit meiner Theorie.« »Schlagzeilen hat meine Verwandte aber offensichtlich nicht gemacht«, warf Lady Agatha ein. »Keine besonders großen, Mylady, das stimmt, aber hier vor der Küste passiert ja soviel! Man hat sich leider bereits an das Teufels-Dreieck gewöhnt. Aber man wird nach der Vorstellung meines Buches wieder hellhöriger werden, glauben Sie mir.« »Sie sind der Fachmann, lieber Pritchard«, lobte Agatha Simpson den Autor liebenswürdig wie kaum. »Was raten Sie mir? Soll ich abwarten, bis meine Verwandte wieder auftaucht?
Oder wäre es nicht besser, doch gewisse Nachforschungen anzustellen?« »Wie sollten die aussehen, Mylady?« »Ich würde liebend gern das Seegebiet absuchen, obwohl Martha Harrington schon vor gut drei Wochen verschwunden ist.« »Das würde ich übernehmen, Mylady.« Melvin Pritchard geriet in Eifer. »Man wird Ihre Verwandte bestimmt nicht an einem Küstenstrich absetzen, sondern irgendwo draußen auf See. Und noch etwas, wozu ich raten würde: Studieren Sie das Übernormale, draußen im Dreieck, Mylady! Und setzen Sie sich mit Donald Cardey in Verbindung! Er ist ein sagenhaft sensibles Medium. In Trance sieht dieser Mann Dinge, die weit über unser menschliches Vorstellungsvermögen gehen. Mein Sekretär könnte solch einen Besuch arrangieren, denn Cardey ist ein äußerst scheuer Mensch.« »Ich freue mich schon jetzt auf Ihr Buch«, sagte Lady Simpson. »Mr. Parker, erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran, daß ich mit dem Harlow-Verlag rede.« »Sie ... Sie haben Beziehungen zum Harlow-Verlag drüben in England?« Melvin Pritchard strahlte. Er wußte um die Bedeutung dieses Hauses. »Mylady besitzt einige Anteile an diesem Haus«, warf Josuah Parker ein. »Myladys Wünsche dürften dort auf einen Boden fallen, den man nur als fruchtbar bezeichnen kann.« »Das ... Das wäre ja sagenhaft, Mylady.« Melvin Pritchard geriet ins Vorstadium leichter Ekstase. »Eine Lizenzausgabe für England wäre mein größter Wunsch.«'
Er brachte Lady Agatha und den Butler bis an den Wagen, den Parker gemietet hatte. Seine Augen nahmen einen entzückenden Schein an, als der Butler formvollendet die Tür für Lady Simpson öffnete, um dabei höflich die schwarze Melone zu lüften. »Sind die beiden Lümmel noch da?« fragte Lady Agatha, als der Wagen sich in Bewegung setzte. »Nach wie vor, Mylady«, erwiderte Parker. »Darf ich bei dieser Gelegenheit darauf verweisen, daß das ungenierte Benehmen schon an Mißachtung grenzt? « »Sie dürfen, Mr. Parker.« Lady Agatha nickte grimmig. »Eine Frechheit, wie diese beiden Flegel eine Beschattung ausführen. Man scheint mich für eine dumme Gans aus der Provinz zu halten.« »Wünschen Mylady dagegen etwas zu unternehmen? « »Selbstverständlich«, lautete ihre Antwort. »Ich will wissen, wer uns warum beobachten läßt. Die Einzelheiten überlasse ich Ihnen, Mr. Parker, Hauptsache, sie sind wirkungsvoll.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, versprach der Butler in seiner gemessenen und höflichen Art. * Pete und Jeff waren durchaus erfahrene Ganoven, die wahrlich nicht zur dritten Garnitur gehörten. Sie waren um die fünfundzwanzig Jahre alt und vom Aussehen her austauschbar, kleideten sich lässig, legten größten Wert darauf, nie aufzufallen und arbeiteten als freie >Unternehmer<. Sie ließen
sich von Fall zu Fall anheuern, erledigten ihre jeweiligen Aufträge und genierten sich nicht, mit fast jedem Druckmittel zu arbeiten. Für die örtliche Steuerbehörde betrieben sie eine Bootsagentur. Sie vermittelten an Sportfischer Yachten aller Art und zahlten pünktlich ihre Abgaben. Ihr Büro war allerdings so gut wie immer geschlossen, denn es gab Bootseigner, die sehr wohl wußten, daß in ihren Abrechnungen die Namen von Pete Boone und Jeff Monton zu erscheinen hatten. Die beiden Ganoven hatten sie zu dieser Art der Abrechnung überredet und waren auf vollstes Verständnis gestoßen. Ein paar in Brand geratene und explodierte Yachten hatten dieses generelle Verständnis erzeugt. Pete Boone und Jeff Monton saßen in ihrem einfachen Chevrolet und beschatteten die Lady aus England, die mit einem Butler durch die Gegend fuhr. Die beiden Ganoven hielten das skurrile Paar tatsächlich für Ignoranten aus der Provinz. Darum hatten sie sich bisher auch nicht besonders angestrengt. »Was machen die denn jetzt?« fragte Pete, der am Steuer des Chevrolet saß. »Die scheinen campen zu wollen, wie?« Jeff Monton lächelte abfällig. Der Wagen, den sie verfolgten, hielt vor einem Supermarkt, der auch auf Campingartikel spezialisiert hatte. Der Butler stieg aus und schritt würdevoll zum Eingang. »Weiß der Teufel, warum Walton uns auf das komische Paar angesetzt hat«, fragte sich Pete Boone halblaut. »Weil die Alte nach Geld aussieht, ist doch klar.« Jeff Monton lehnte sich zurück und zündete eine Zigarette an.
»Ron hat immer so seine Asse im Ärmel.« »Ron Walton?« Pete Boone verzog sein Gesicht zur Grimasse. »Sag' lieber Bernie Balmer!« »Der hat noch mehr Asse im Ärmel.« Jeff Monton nickte. »Ich glaube, Pete, wir sollten diesmal besonders wachsam sein, vielleicht fällt für uns diesmal ein dicker Brocken ab.« »Stop, mein Junge!« Pete Boone schüttelte den Kopf. »Auf dicke Brocken pfeife ich, wenn wir sie Bernie Balmer abjagen müssen. Selbstmord liegt mir nicht.« »Der Butler kommt 'raus!« Jeff Monton deutete ungeniert zum Supermarkt hinüber. Der Butler schritt würdevoll auf den Wagen zu. Hinter ihm folgte ein Angestellter, der zwei große, vollbepackte Einkaufstüten schleppte. Parker öffnete die Wagentür der Beifahrerseite und ließ die beiden Tüten auf dem Nebensitz abstellen. Er reichte dem jungen Mann ein Trinkgeld und setzte sich dann ans Steuer. »Was mag der Typ bloß gekauft haben?« wunderte Pete Boone sich. »Soll ich mal im Supermarkt auf den Busch klopfen?« fragte Jeff Monton. »Nee, besser nicht, das könnte Spuren hinterlassen.« Pete Boone schüttelte den Kopf. »Moment mal, is' der verrückt?« Der Wagen, in dem das seltsame Paar saß, beschleunigte plötzlich wie eine Rakete und mißachtete alle Gebote der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Er jagte, in Richtung Highway und nahm einige Kurven in der Manier eines Rennwagens. Dabei brach natürlich je-
desmal das Heck des überweich gefederten amerikanischen Wagens aus, und die Pneus radierten über den Straßenbelag, was nicht ohne Quietschen und Pfeifen abging. Pete Boone hatte unwillkürlich die Verfolgung aufgenommen. Er wollte sich auf keinen Fall abhängen lassen. Er war ein guter Fahrer, der mit einem Auto umzugehen verstand. »Die ... Die sind doch wahnsinnig«, stöhnte Jeff Monton, der natürlich sofort an die Verkehrspolizei dachte. »Die wollen uns abhängen.« Pete Boone war vom Jagdfieber erfaßt worden. »Aber nicht mit mir, Leute, nicht mit mir!« Er visierte eine Straßenecke an, hinter der der Wagen mit dem seltsamen Paar verschwand. Er riß den Chevrolet in die enge Kurve, steuerte gegen, fing das ausbrechende Heck ab und ... rutschte wie auf Schmierseife haltlos auf einen Hydranten zu. Boone trat auf das Bremspedal, wollte zaubern, den Wagen doch noch abfangen, aber aus der Schmierseife schien inzwischen so etwas wie Glatteis geworden zu sein. Dann krachte es. Der Chevrolet stieß an den Hydranten und knickte ihm um. Damit waren die beiden Ganoven prompt fündig geworden und konnten die Wasserfontäne bestaunen, die aus dem Hydranten zum Himmel schoß. »Nichts wie 'raus«, brüllte Jeff Monton. Er hörte bereits das nervenzerfetzende Jaulen einer Polizeisirene. Er drückte die auf seiner Seite heile Wagentür auf und wollte losrennen. Er kam nicht weit! Der Wagen hatte sich tatsächlich auf Schmierseife befunden, wie er jetzt
merkte. Es riß ihm die Beine unter dem Leib weg, und Monton schlidderte wie ein Rennrodler ein Stück die Straße hinunter. Pete Boone hatte sich bereits an die Verfolgung gemacht. Auch er saß auf dem Asphalt und wurde haltlos über die abschüssige Straße bewegt. Buntschillernde Seifenblasen umspielten ihn dabei ausgesprochen neckisch, doch er fand das gar nicht lustig. Auch er hatte inzwischen das Jaulen der näher kommenden Polizeisirene gehört und zuckte zusammen, als eine Art Einschlag hinter ihm zu hören war. Blech kreischte, dann splitterte Glas. Er wandte sich um, so gut es ging, und schloß die Augen. Ein Streifenwagen der Polizei hatte sich mit seiner Breitseite gegen das Wrack des Chevrolets gedrückt und sich dabei ein wenig verformt. Zwei uniformierte Streifenbeamte stiegen aus dem Wagen und ... nahmen rutschend die Verfolgung der beiden Rennrodler auf, umspielt von Wassergüssen und bunten Seifenblasen. Zu beiden Seiten der Straße versammelten sich neugierige Zuschauer, die die Rodler begeistert anfeuerten und sich königlich amüsierten. Selbst im verwöhnten Amerika, wo das Unmögliche an der Tagesordnung war, präsentierte sich den Zuschauern ein bisher unbekannter Gag. Einige wettbegeisterte Beobachter schlossen schnell Wetten, wer wohl schneller sein würde, die beiden Uniformierten oder die Flüchtenden. Nun, alle vier Beteiligten trafen sich vor einer soliden Mauer. Die Streifenpolizisten hatten rigoros die Waffen gezogen und stellten Pete Boone und Jeff Monton.
In diesem Moment tauchten Lady Simpson und Butler Parker am Ort der Festnahme auf. Der Butler lüftete höflich seine schwarze Melone und deutete auf die ältere Dame. »Mylady fand diese Art der Verfolgung äußerst beeindruckend«, schickte Parker gemessen voraus. »Mylady hat alle Details beobachtet und bietet ihre guten Dienste als Augenzeuge an.« * »Sie kennen Lady Simpson besser als ich, Miß Porter«, sagte Mike Rander, der den Buick steuerte. »Ist sie gegen Flugzeuge allergisch?« »Sie wollen ein Flugzeug mieten?« fragte die Gesellschafterin Agatha Simpsons. »Sie möchte doch die Route studieren, die ihre Verwandte genommen hat.« »Nur ja kein Flugzeug, Mr. Rander.« Kathy schüttelte fast entsetzt den Kopf. »Mylady fliegt leidenschaftlich gern.« »Wo ist da das Problem?« Mike Rander lächelte. »Übrigens, wir wollten uns nicht mehr so förmlich anreden, Kathy? Schon wieder vergessen?« »Ab sofort nicht mehr, Mike«, sagte sie. »Sie fragen nach dem Problem, Mike?« »Für Sie scheint es eins zu sein, Kathy, oder?« »Lady Simpson pflegt selbst zu steuern«, erwiderte Kathy Porter. »Ich habe ein paar Flüge mit ihr hinter mir. Danach wäre ich am liebsten in ein Nervensanatorium gegangen.« »Das muß ja sagenhaft gewesen sein. Und wie reagierte Mr. Parker darauf?«
»Wie wohl?« Sie lachte. »Er verzieht doch grundsätzlich keine Miene. Ihm sieht man nie an, was er denkt. Seine Selbstbeherrschung ist sagenhaft.« »Sie war mir immer unheimlich«, gestand Mike Rander versonnen. »Ich habe mit Parker zusammen manchen Sturm erlebt, ich darf gar nicht mehr daran denken, aber seine Selbstbeherrschung verlor er eigentlich nie;« »Ich bewundere ihn, Mike.« »Ich weiß, das ist mir nicht entgangen, Kathy. Und ich kann Sie gut verstehen. Also kein Flugzeug! Dann eben eine Yacht!« »Eine Yacht ist wesentlich nervenschonender, Mike, bestimmt! Es muß natürlich etwas Besonderes sein, Mylady stellt so ihre Ansprüche.« ' »Hier an der Küste bekommt sie alles, was sie wünscht.« Rander kannte sich aus. »Wir fahren am besten 'rüber zum Yachthafen, dort gibt es Mietboote aller Art.« »Wissen Sie, Mike, daß wir bereits seit zehn Minuten verfolgt werden?« Kathy fragte das völlig beiläufig, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt. »Natürlich, ein Chrysler sitzt hinter uns«, antwortete Mike Rander nicht weniger beiläufig.. »Myladys Ankunft scheint einiges Interesse ausgelöst zu haben.« »Ob das mit den Taschendieben vom Flughafen zu tun hat?« »Ausgeschlossen, solche Ganoven nehmen keine Verfolgung auf. Und selbst wenn, warum beschattet man dann uns, Kathy?« »Das frage ich mich allerdings auch.«
»Wir werden uns den Burschen später mal aus der Nähe ansehen«, schlug der Anwalt vor. »Im Yachthafen ergibt sich bestimmt eine passende Gelegenheit, Kathy.« »Ob dieser Verfolger etwas mit dem Verschwinden von Mrs. Harrington zu tun hat, Mike?« Das >Mike< kam ihr flüssig von den Lippen. Sie mochte den Anwalt, der sich seine Jungenhaftigkeit und sein saloppes Wesen bewahrt hatte. Rander nahm sich überhaupt nicht wichtig und stapelte tief, wann und wo es sich immer machen ließ. »Ihre Frage, Kathy, ist berechtigt.« Rander nickte. »Vielleicht steckt hinter dem Verschwinden von Mrs. Harrington mehr als nur ein Unglücksfall.« Sie hatten inzwischen den Yachthafen erreicht und verließen den Buick, ohne den Verfolger zur Kenntnis zu nehmen. Der war inzwischen aus seinem Chrysler gestiegen und schlenderte betont desinteressiert an der Front der Clubhäuser entlang. Mike Rander und Kathy Porter brauchten nicht lange zu suchen. Bei einem Bootsverleiher entdeckten sie einen Kabinenkreuzer, der für die Hochsee ideal war. Diese Yacht war gut und gern zwölf Meter lang und besaß am Heck zwei festgeschraubte Drehstühle mit Haltegurten. Dieser Kabinenkreuzer wurde also eindeutig für Angelsportler bereit gehalten. »Für eine Woche?« fragte der Verleiher, ein altes Rauhbein und taxierte Mike Rander mit einem schnellen Blick. »Das läßt sich machen, Sir. Kennen Sie sich in Yachten aus?«
»Ich denke schon«, erwiderte Rander lächelnd. »Ich will an der Küste entlang bis 'rauf nach Daytona Beach.« »Klare Sache.« Das Rauhbein nickte. »Da kann nichts passieren. Können Sie navigieren?« »Ich werde in Küstennähe bleiben«, versprach Mike Rander. »Rüsten Sie die Yacht aus, ja? Für vier Personen, übrigens.« »Vier Personen? Sie wollen 'ne kleine Besatzung mitnehmen?« »Zwei ältere Freunde«, antwortete Rander. »Is' auch 'ne Möglichkeit, Urlaub zu machen, Sir.« Das Rauhbein sah Kathy Porter unverhohlen interessiert an »An Ihrer Stelle würd' ich allein auf große Fahrt gehen.« , Mike Rander überhörte die zarte Anspielung, während Kathy Porter das Büro des Verleihers verließ. Solange der Anwalt die geschäftlichen Dinge regelte, hielt sie unauffällig Ausschau nach dem Verfolger. Sie brauchte kaum nach ihm zu suchen. Er lehnte auf dem Geländer eines nahen Bootssteges und schaute gelangweilt ins Wasser. Er mochte etwa achtundzwanzig Jahre alt sein, sah gut aus, hatte flachsblondes Haar und war der typische nette Junge von nebenan, der einer alten Frau gern über die Straße half. Kathy Porter schlenderte auf ihn zu und bereitete alles für einen kleinen, harmlos aussehenden Zwischenfall vor. Dazu >aktivierte< sie ihren Borgia-Ring! *
»Hier dürfte die Agentur der beiden Männer sein, die Mylady beschatteten«, sagte Butler Parker und hielt den Mietwagen an. Er deutete auf ein relativ niedriges Bürogebäude, das nur über acht Stockwerke verfügte. Es befand sich in der Nähe des Yachthafens und schien der Sitz vieler Firmen zu sein, wie man den Hinweisschildern links und rechts vom Eingang entnehmen konnte. »Ich werde hier draußen warten«, entschied die Detektivin. »Sehen Sie sich in aller Ruhe um, Mr. Parker.« Sie lehnte sich zurück und genoß das Leben und Treiben am Hafen. Motorund Segelboote aller Größen kamen und gingen, und weit draußen auf See waren die weißen Segel einiger Schoner und Yachten zu erkennen. Sie glichen Schwänen, die majestätisch ihre Bahn zogen. Josuah Parker hatte bereits mit schnellem Blick herausgefunden, in welchem Stock sich die Agentur der beiden Verfolger Boone und Monton befand. Nicht umsonst war er mit Agatha Simpson zurück zur Rutschbahn gefahren, nicht ohne Grund hatte die ältere Dame sich listigerweise als Augenzeugin angeboten. Dadurch hatte sie herausgefunden, wie die beiden Verfolger hießen und was sie trieben. Die Geschäftsadresse war bei dieser Gelegenheit ebenfalls genannt worden. Nach Lage der Dinge befanden Boone und Monton sich noch auf dem Polizeirevier, oder man hatte sie vielleicht sogar zum Hauptquartier der örtlichen Polizei gebracht. Mit Störungen war also nicht zu rechnen. Parker fuhr mit dem Lift hinauf in die zweite Etage des Bürohauses und wußte sofort, warum sich die Agentur
in diesem Stockwerk befand. In der Höhe dieser Etage schloß sich an das Hauptgebäude ein Nebentrakt an, der ein flaches Dach besaß. Von diesem Flachdach aus konnte man wieder auf andere Dächer übersteigen. Die Herren Boone und Monton waren also in der Lage, jederzeit inoffiziell ihre Agentur zu verlassen. Die Tür zur Agentur war zwar verschlossen, aber für den Butler bedeutete das kein Hindernis. Er nahm sein kleines Spezialbesteck und überredete das Schloß, innerhalb weniger Sekunden jeden Widerstand aufzugeben. Josuah Parker betrat die Räume der Agentur, die einen unbenutzten Eindruck machten. Gewiß, das Büromobiliar war vollständig vorhanden, doch hier wurde augenscheinlich so gut wie überhaupt nicht gearbeitet. Es herrschte eine fast keimfreie Ordnung. Parker interessierte sich für den Geschäftsverkehr. Er fand einige Aktenordner mit Auftragsdurchschriften, Belegen und Abrechnungen. Boone und Monton vermieteten tatsächlich Yachten aller Art und hatten ihre Einkünfte und Provisionen penibel genau verbucht. Eine oberflächliche Prüfung zeigte ihm, daß die beiden Agenten eigentlich nur mit einem halben Dutzend Bootsverleihern zusammenarbeiteten. Er notierte sich Namen und Adressen dieser Verleiher und verzichtete bewußt darauf, nach verborgenen Dingen zu suchen. Er wußte längst, daß in den drei kleinen Räumen dieser Agentur mit Sicherheit nichts versteckt wurde, was den beiden Männern hätte gefährlich werden können. So etwas fand sich
höchstens in ihren Privatwohnungen, deren Adressen er sich ebenfalls aufschrieb. Als Parker nach knapp fünfzehn Minuten zurück zum Wagen kam, machte er eine erstaunliche Entdeckung: Lady Simpson saß nicht mehr im Fond des Autos. Aus irgendwelchen Gründen war sie gegangen. Oder hatte man sie entführt? Butler Parkers Gesicht zeigte zwar keine Reaktion, doch er machte sich Sorgen. Er kannte das Temperament seiner Herrin leider nur zu gut. Wenn sie sich auf den Kriegspfad begab, was durchaus der Fall sein konnte, dann entwickelte sie die Energie eines Bulldozers. * Sie stolperte gekonnt über eine Bohle des Bootssteges und fiel gegen den Flachsblonden, der ihr den Rücken zugedreht hatte. Er fuhr herum, als sei er von einer Tarantel gestochen worden und ... lächelte dann automatisch, als er Kathy Porter in den Armen hielt. »Entschuldigung«, sagte sie scheu. »Ich ... Ich muß gestolpert sein.« »Macht doch nichts.« Ron Walton zeigte kaum Neigung, sie aus seiner Umarmung zu entlassen. Sie drückte sich leicht von seiner Brust ab und ritzte ihn dabei mit dem Borgia-Ring. Walton zuckte nur leicht zusammen und sah verdutzt auf sein linkes Handgelenk. »Ich ... Ich habe Sie doch nicht verletzt, oder?« Kathy war schrecklich scheu und verlegen. Während er sich die winzige Kratzwunde betrachtete, hatte sie den Borgia-Ring wieder
ungefährlich gemacht. Von dem kleinen Dorn, der aus der Mitte des Rings hervorgeragt hatte, war längst nichts mehr zu sehen; »Ich werde gleich zusammenbrechen«, meinte Ron Walton und ahnte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, wie nahe er der Wahrheit war. Er wollte noch etwas sagen, doch eine plötzlich auftretende Übelkeit und Schwäche hinderte ihn daran. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, er schwankte leicht. »Ist Ihnen nicht gut?« fragte Kathy Porter. Sie wußte sehr gut, wie wirksam der Dorn ihres Borgia-Rings war.' Er war mit einem leichten Giftstoff präpariert und stammte natürlich aus dem Londoner Labor des Butlers. »Weiß der Henker«, murmelte Ron Walton und knickte in den Knien ein.« Irgendwas is' mit mir.« »Kommen Sie, ich werde Ihnen helfen.« Die junge Dame deutete zum Parkplatz hinüber, wo sein Chrysler stand. Ron Walton nahm kaum zur Kenntnis, daß neben ihm der Playboy auftauchte und ihn zusätzlich stützte. Der Flachsblonde sehnte sich nur nach seinem Wagen und dem weichen Sitz. Er wollte seine Ruhe haben, nichts als seine Ruhe. »Das sieht aber verdächtig nach einer Lebensmittelvergiftung aus«, meinte Kathy Porter besorgt. »Haben Sie innerhalb der vergangenen Stunde Fleisch gegessen?« erkundigte sich Mike Rander. Der flachsblonde Killer wollte antworten, doch er schaffte es nicht. Er war überglücklich, als das Paar ihm in den Chrysler half. Ihm entging dabei, daß Kathy Porter geschickt die
Brieftasche aus der Innentasche seines Jacketts zog und sie aufschlug. Sie sichtete den Inhalt, während Mike Rander ihr mit seinem Körper Deckung gab. »Ich sollte Ihr Hemd öffnen«, sagte Kathy Porter hilfsbereit, als sie die Brieftasche zurücksteckte. »Ich denke, wir holen einen Arzt«, schlug Mike Rander vor. »Kommen Sie mit unserem Wagen nach, Kathy, wollen Sie?« Er setzte sich ans Steuer des Chrysler und fuhr los. Ein Blick in den Rückspiegel sagte ihm, daß der Buick folgte. Kathy Porter gab ihm durch ein Handzeichen zu verstehen, daß alles in bester Ordnung war. Mike Rander lächelte. Kathy Porter war wirklich eine bemerkenswerte Frau und hübsch dazu. Es machte Spaß, mit ihr zusammenzuarbeiten. Sie ging auf jedes Stichwort ein und stellte keine unnötigen Fragen. Und Angst schien sie so gut wie gar nicht zu kennen. Wie sie diesen Beschatter ausgeschaltet hatte, war ein Meisterstück der Verstellungskunst gewesen. Mike Rander setzte den Flachsblonden außerhalb der Stadt auf einem Feldweg ab und wartete, bis Kathy Porter hielt. Sie stieg aus dem Buick und warf einen flüchtigen Blick auf den Flachsblonden. »Wie lange wirkt das Gift?« fragte Rander. »Eine gute halbe Stunde«, erwiderte sie. »Wir haben noch etwa zehn Minuten Zeit.« »Mehr brauche ich nicht, Kathy. Ich möchte mir mal seinen Wagen näher ansehen.«
»Kennen Sie sich noch aus, Mike?« fragte sie lächelnd. »Wer durch Parkers Schule gegangen ist, verlernt nichts«, meinte er. »Ich wette, der Bursche dort hat irgendwo zumindest eine Waffe versteckt.« »Natürlich«, erwiderte sie. »Er hatte keine Waffe bei sich. An Ihrer Stelle würde ich unter dem Armaturenbrett suchen.« »Schon gefunden.« Rander war ihrem Rat gefolgt und präsentierte einen kurzläufigen Achtunddreißiger, der in einer einfachen, aber sinnvollen Halterung gesteckt hatte. »Ich werde das Ding etwas behandeln.« Mit Waffen kannte der Anwalt sich aus, wie Kathy Porter jetzt zum ersten Mal sah. Er klappte die Trommel auf und bückte sich. Er nahm vom Feldweg ein Steinchen auf, drehte es zwischen den Fingern und stopfte es dann in den Auslösemechanismus. Dann ließ er die Trommel zurück in den Rahmen klappen. »Das müßte eigentlich reichen«, sagte er lächelnd. »Er wird einige Zeit brauchen, bis er das Steinchen gefunden hat.« Mike Rander steckte den Trommelrevolver zurück in die Halterung und ging zu Ron Walton hinüber. Der Flachsblonde hatte die Augen geschlossen und machte immer noch einen geistesabwesenden Eindruck. »Ist das Gift gefährlich?« fragte er Kathy, als er die Luft aus den beiden Vorderreifen ließ. »Aber nein«, gab sie zurück. »Sie müßten doch Mr. Parker kennen, Mike. Bei ihm ist immer alles wohldosiert.«
»Sie haben seine Adresse?« Mike Rander deutete auf den Flachsblonden. »Er wohnt am Davie Boulevard, Mike. Er heißt Ron Walton und ist Privatdetektiv. Er hat sogar eine echte Lizenz.« »Sehen wir uns doch mal sein Büro an, oder?« Sie setzten sich in den Buick und fuhren zurück in die Stadt. Ihr Vorsprung war groß genug, um das Büro des Privatdetektivs zu inspizieren. »Ich wüßte nur zu gern, für wen dieser Ron Walton arbeitet«, sagte Mike Rander während der Fahrt. »Lady Simpson wird uns Vorwürfe machen, daß wir diesen Mann nicht mitgenommen haben.« »Bestimmt.« Kathy Porter schmunzelte. »Sie verhört ihre Gegenspieler nur zu gern.« »Dazu wird sie bald Gelegenheit bekommen.« Mike Rander hatte bereits wieder die Stadtgrenze erreicht. »Nach dieser Panne werden dieser Privatdetektiv und sein Auftraggeber ruppig werden.« »Und ihre Deckung verlassen müssen.« Kathy Porter nickte zustimmend. »Jetzt glaube ich fest daran, daß hinter dem Verschwinden von Mrs. Harrington mehr steckt als nur ein Unglücksfall, Mike.« »Nämlich?« Er sah sie kurz und prüfend an. »Wer profitiert von ihrem Verschwinden oder sogar von ihrem Tod?« fragte Kathy Porter. »Mrs. Harrington war sehr reich. Fragt sich also, wer erben wird. Morgen ist die Testamentseröffnung, danach wissen wir mehr!«
* »Ich hoffe, Sie wissen genau, was Sie tun«, sagte Lady Agatha. Sie saß in einem japanischen Wagen und zeigte keine Spur von Angst. Sie musterte die beiden Männer, die sie nachdrücklich gebeten hatten, den Wagen zu wechseln. Dies war in der Form des Vorzeigens eines geöffneten Rasiermessers erfolgt. Mylady kannte die beiden Männer, die sie zu dieser Ausfahrt eingeladen hatten. Sie hatte sie bereits draußen auf dem Flugplatz von Fort Lauderdale gesehen und einen von ihnen sogar nachdrücklich geohrfeigt. Normalerweise hätte die ältere Dame sich solch eine formlose Einladung nachdrücklich und energisch verbeten, doch in diesem Fall war sie nur zu gern darauf eingegangen. Sie wollte nämlich herausbekommen, was die beiden Taschendiebe eigentlich im Schild führten. Arbeiteten sie auf eigene Rechnung? Wollten Sie sich für ihre Panne am Flughafen rächen? Oder standen sie im Dienst eines mächtigen Hintermannes, der dann mit dem rätselhaften Verschwinden ihrer Verwandten zu tun haben mußte. Jimmy saß neben seinem Partner Oscar, der den Wagen steuerte. Die flinken Wieselaugen beobachteten die ältere Dame unablässig. Er dachte mit Sicherheit noch immer an die schallende Ohrfeige, die sie ihm draußen am Flugplatz verabreicht hatte. »Ihnen passiert überhaupt nichts, Madam«, sagte Oscar. »Wir brauchen nur ein paar Auskünfte.«
»Ihnen passiert wohl was, falls Sie nicht auspacken«, warf Jimmy ein. »Ich hab' nämlich 'ne Stinkwut auf Sie!« »Etwa wegen der harmlosen Ohrfeige, junger Mann?« Agatha Simpson lächelte amüsiert. »Schnauze«, fuhr Oscar dazwischen, als Jimmy antworten wollte. »Wir waren eben dämlich und haben dafür abkassiert.« »Sehr richtig«, fand Lady Agatha und nickte zufrieden. »Sie haben sich benommen wie Anfänger. Warum haben Sie sich ausgerechnet auf mich gestürzt?« »Weil Sie wie 'ne Provinztante aussehen«, gab Oscar ehrlich zurück. »Jetzt wollen Sie mir aber Sand in die Augen streuen«, erwiderte die ältere Dame. »Sie sind doch auf mich angesetzt worden, wie es so heißt. Sie haben doch auf mich gewartet.« »Wer soll uns auf sie angesetzt haben?« Jimmy zeigte deutliche Verblüffung. »Irgend jemand, der mich kennt.« »Nee, da liegen Sie schief, Madam«, schaltete Oscar sich ein. »Mein Partner und ich arbeiten freiberuflich.« »Und freiberuflich haben Sie mich jetzt gekidnappt?« »Weil wir wissen wollen, was eigentlich gespielt wird«, räumte Jimmy ehrlich ein. »Wieso sind Sie eben verfolgt worden?« »Sie meinen den Wagen, der gegen den Hydranten krachte?« »Genau den, Madam.« Jimmy nickte. »Die beiden Burschen im Wagen haben normalerweise schon 'ne Menge aufm Kasten.«
»Wieso knallte die Kiste eigentlich wie auf Schmierseife gegen den Hydranten?« wollte Oscar wissen. »Wieso haben Sie das gesehen?« stellte Lady Agatha die Gegenfrage. »Weil wir Sie beschattet haben.« Oscar grinste. »Wir waren aber noch hinter dem anderen Wagen.« »Vorsicht zahlt sich immer aus«, fand Jimmy. »Halten Sie irgendwo«, verlangte die Lady mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Ich glaube, wir sollten uns wie vernünftige Menschen unterhalten. Und zudem möchte ich einen Tee trinken.« »Sie glauben doch nicht, daß wir da mitmachen werden, oder?« fragte Jimmy. »Das Strandhotel dort sieht recht gut aus«, meinte Agatha Simpson, ohne auf den Einwand überhaupt einzugehen. »Ich glaube, ich werde Sie anstellen, wenn auch nur befristet.« »Hören Sie mal, Madam«, schickte Jimmy wütend voraus. »Mit Ihrem komischen Butler können Sie von mir aus so umspringen, aber nicht mit uns, is' das klar? Sie haben wohl keine Ahnung, was man mit 'nem Rasiermesser alles machen kann, wie?« »Ihr Ton mißfällt mir, junger Mann!« Die Detektivin schwang ihren Pompadour gekonnt und legte ihn auf Jimmys Nase, die sich daraufhin bedenklich zur Seite neigte. Der >Glücksbringer< im perlenbestickten Handbeutel, nämlich das echte Pferdehufeisen, entwickelte eine Dynamik, der die Nase nicht gewachsen war. Jimmy jaulte, verlor sein Rasiermesser und rutschte auf dem Beifahrersitz
zusammen. Oscar trat unwillkürlich auf das Bremspedal und wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Mit diesem Überraschungsund Entlastungsangriff hatte er nicht gerechnet. »Stellen Sie sich gefälligst nicht so weinerlich an«, fuhr die resolute Dame den Getroffenen an, der vorsichtig seine Nase betastete. »Sie werden jetzt aussteigen, damit ich mich in aller Ruhe mit Ihrem Begleiter unterhalten kann.« Oscar hatte blitzschnell die Lage abgeschätzt. Er fuhr an den Straßenrand heran und wandte sich zu Lady Agatha um. Der Strandabschnitt nördlich der Stadt war recht einsam. Er konnte sich also mit der rabiaten Frau befassen und ihr mal zeigen, wer hier den Ton angab. Als er hielt, drehte er sich zu Lady Simpson um, lächelte sie gespielt harmlos an und ... hielt dann plötzlich ein bösartig aussehendes Springmesser in der Hand, dessen Spitze auf den Hals der Lady gerichtet war. »So nicht, Madam«, sagte er wütend. »Nicht mit uns!« »Aber vielleicht so!« Agatha Simpson genierte sich nicht, die Spitze ihrer Hutnadel in die Schulter des stämmigen Taschendiebes zu rammen. Daraufhin brüllte Oscar, als sei er gerade aufgespießt worden, was ja auch irgendwie, wenn auch in verkleinertem Maßstab, stimmte. * »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit überglücklich«, sagte Josuah Parker, als seine Herrin die Lobby des >Sheraton< betrat. Sie
machte einen aufgekratzten und zufriedenen Eindruck. »Ich muß wieder mal alles allein machen«, sagte sie, allerdings ohne jeden Vorwurf. »Mylady beschämen mich zutiefst.« »Ich habe die beiden Taschendiebe verhört, Mr. Parker.« »Mylady meinen die beiden Herren vom Flugplatz?« »Zwei kleine Ganoven, Mr. Parker, aber keine Herren«, stellte sie klar. »Und wo, wenn ich fragen darf, Mylady, befinden sich die beiden Taschendiebe zur Zeit?« »Im Kofferraum ihres japanischen Wagens. Er steht drüben auf dem Parkplatz.« »Haben die beiden Männer gesundheitliche Schäden davongetragen, Mylady?« »Aber nein, Mr. Parker!« Sie setzte sich. »Es sind robuste Naturen, hoffe ich wenigstens. Wissen Sie, warum ich gekidnappt worden bin?« »Mylady wurden gekidnappt?« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. Nur seine Stimme hob sich ein wenig. »Nun gut, ich kam den beiden Flegeln entgegen«, räumte sie ein. »Als Sie oben in der Bootsagentur waren, erschienen Sie plötzlich neben dem Wagen und fuchtelten mit Rasiermessern herum.« »Sollte man einen Racheakt unterstellen, Mylady?« »Unsinn, Mr. Parker! Oscar und Jimmy wollten nur wissen, wer ich bin und was ich wert bin.« »Oscar und Jimmy, Mylady?« Parker hatte sich seit Jahren das Wundern abgewöhnt. »Ihre Vornamen, Mr. Parker. Nach ihrer Panne draußen am Flugplatz,
haben sie sich an einen gewissen Bernie Balmer gewandt. Dieser Balmer muß ein Raubfisch hier an der Küste sein. Oscar und Jimmy glauben, daß er einen direkten Draht zur Mafia besitzt und wohl auch in ihren Diensten steht.« »Darf ich dem entnehmen, Mylady, daß die beiden Verfolger Pete Boone und Jeff Monton für Balmer arbeiten?« »Diese Burschen, deren Agentur Sie durchsucht haben? Natürlich arbeiten Sie für Balmer, wenn auch nicht direkt.« »Es existiert demnach, wie ich herauszuhören mir erlaube, eine Art Bindeglied oder Mittelsmann?« »Richtig, Mr. Parker.« Sie nickte bestätigend. »Dieser Mittelsmann ist laut Oscar und Jimmy ein gewisser Ron Walton, ein Privatdetektiv.« »Ich möchte mich erkühnen, Mylady zu diesen Ermittlungen zu beglückwünschen«, antwortete Josuah Parker. »Ein erstaunlicher Aufwand der hiesigen Unterwelt, wenn ich so sagen darf. Entweder interessiert man sich für Myladys Vermögensverhältnisse, oder aber ...« » .. . es geht um meine Verwandte Harrington, das wollten Sie doch sagen, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady!« Parker nickte andeutungsweise. »Wenn Mylady gestatten, möchte ich für die zweite Möglichkeit votieren.« »Nur sie allein kommt in Betracht, Mr. Parker.« Lady Agatha nickte nachdrücklich. »Würde man sich für mich interessieren, hätte man mich längst entführt, finden Sie nicht auch?« »Eine schlüssige Beweisführung, Mylady, die Täter hätten sich auf
keinen Fall mit einer komplizierten Beschattung begnügt.« »Wir haben es also mit einem Verbrechen zu tun, Mr. Parker, begangen an meiner Verwandten Martha Harrington.« »Die Richtigkeit dieses logischen Schlusses drängt sich förmlich auf, Mylady, wenn ich das sagen darf.« »Wir werden uns diesen Mr. Bernie Balmer mal aus der Nähe betrachten«, erwiderte die Detektivin. »Mit der Mafia wollte ich es schon immer mal zu tun haben. Denken Sie sich ein paar hübsche Überraschungen aus, Mr. Parker.« »Wie Mylady wünschen. Waren Mylady mit der flüssigen Schmierseife auf dem Asphalt zufrieden, wenn ich höflichst nachfragen darf?« »Recht nett.« Die resolute Dame nickte wohlwollend. »Ob ich mit Schmierseife allein der Mafia beikommen werde, wage ich allerdings zu bezweifeln, Mr. Parker. Ich hoffe, Sie wissen in etwa, mit welchen Gegnern ich es ab sofort zu tun habe.« * »Sag' mir, daß ich mich verhört habe, Ron«, meinte Bernie Balmer gereizt. »Sag's schon!« »Ich steh' doch selbst vor 'nem Rätsel, Balmer«, antwortete der flachsblonde Ron Walton und machte einen völlig geknickten Eindruck. »Ich bin 'reingelegt worden wie ein Anfänger.« »Gut, daß du's sagst.« Balmer paffte an seiner Zigarre. »Wenn sich diese Panne erst mal 'rumspricht, dann ist dein Image zum Teufel.«
»Muß sich das 'rumsprechen, Balmer?« Ron Walton wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er fühlte sich noch immer übel und hatte ein flaues Gefühl im Magen. »Kommt drauf an.« Bernie Balmer ließ den Flachsblonden schmoren. »Und du bist sicher, daß die Kleine dich 'reingelegt hat?« »Anders kann ich's mir nicht erklären.« Ron Walton deutete auf die winzige Wunde auf dem Handrücken. »Damit muß das zusammenhängen. Balmer, ich muß von der Kette, ich will mir die Kleine kaufen.« »Die bekommst du noch früh genug, Ron.« Balmer winkte ab. »Glaubst du noch immer, daß diese Typen aus der Provinz stammen?« Bevor Ron Walton antworten konnte, läutete das Telefon auf Balmers Schreibtisch. Er hob ab, meldete sich und hörte einen Moment zu. Ron Walton bekam deutlich mit, wie das Gesicht des Mannes sich langsam verfärbte. »Okay, stellen Sie Kaution«, sagte Bernie Balmer schließlich. »Walton wird Ihnen 'nen Scheck vorbeibringen. Sorgen Sie dafür, daß die beiden Idioten umgehend wieder frei kommen!« Balmer legte auf und sah Ron Walton an. Er nagte an seiner Zigarre und bemühte sich sichtlich um Fassung. »Is' was, Balmer?« fragte Ron Walton schließlich. »Pete Boone und Jeff Monton sitzen«, antwortete Balmer leise.« Sie sind festgenommen worden, Sie haben 'nen Hydranten umgesäbelt, als sie die Lady und ihren Butler verfolgten.« »Wie war das!?« Ron Walton schluckte. »Pete und Jeff sitzen?«
»Sie sind von der Lady und ihrem Butler aufs Kreuz gelegt worden«, antwortete Bernie Balmer mit verdächtiger Ruhe. »Ihr Anwalt hat gerade angerufen. Klar, Ron, daß du die Kaution bezahlen wirst.« »Na ... Natürlich«, gab Ron Walton zurück. »Jetzt begreife ich überhaupt nichts mehr.« »Aber ich, Ron!« Bernie Balmer war aufgestanden und warf die angekaute Zigarre in den großen Aschenbecher. »Du hast die ganze Sache auf die leichte Schulter genommen, du hast auf jede Vorsicht verzichtet, du hast dich benommen wie ein Trottel!« »Balmer, bitte, ich kann ...« »Du kannst eben nichts, Walton«, sagte Balmer und wurde förmlich. »Du hast zu lange auf der faulen Haut gelegen und jeden Instinkt verloren. Wird höchste Zeit, daß du wieder mal das kleine Einmaleins lernst.« »Balmer, ich brauche eine zweite Chance!« »Um noch mal alles zu versieben?« Balmer schüttelte den Kopf.«" Du hättest spüren müssen, daß wir's mit Profis zu tun haben. Ein Walton läßt sich von 'ner kleinen Sexbiene austricksen, Pete und Jeff fallen auf 'ne angebliche Lady und 'nen komischen Butler 'rein! Wenn ich das erzähle, glaubt mir das kein Mensch.« »Soll ich das Quartett hochnehmen oder umpusten, Balmer? Ich mach's sofort!« t »Schwachkopf!« Balmer wehrte ab. »Köpfchen ist jetzt wichtiger als 'ne Kanone!« »Soll ich das Quartett kidnappen?« »Das ist ja noch schwachsinniger, Walton. Ich brauche diese Typen für Riesenschlagzeilen.«
»Schlagzeilen? Ich verstehe kein Wort.« »Ist auch besser so, Walton.« Bernie Balmer winkte ab. »Du wolltest eine zweite Chance haben, schön, du sollst sie haben. Ich will wissen, ob die Alte 'ne Yacht oder 'ne Maschine nimmt, um' sagen wir mal, nach den Bermudas zu kommen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?« »Ich weiß ja inzwischen, bei wem sie die Yacht gemietet haben.« Ron Walton war fast glücklich, wenigstens eine Erfolgsmeldung abliefern zu können. »Dann hol' aus dem Bootsverleiher 'raus, wann sie auslaufen will. Hoffentlich schaffst du wenigstens das, Walton. Verdammt, was ist denn da draußen los? Sieh' mal nach!« Der Flachsblonde ging zur Tür des. Privatbüros und öffnete sie. Dann blieb er wie angewurzelt stehen, als er sich einem seltsamen Paar gegenübersah. »Halten Sie keine Maulaffen feil, junger Mann«, blaffte Lady Agatha den angeblichen Privatdetektiv an und schob ihn energisch zur Seite. Wenig damenhaft stellte sie ihm dabei ein Bein, und Walton flog rücklings auf den Teppich. Er reagierte blitzartig wie ein schnappender Bluthund, das heißt, er hatte durchaus diese Absicht und wollte nach seiner Waffe im Schulterhalfter greifen. Es blieb bei dem mißglückten Versuch ... Josuah Parker stieß mit der Spitze seines Universal-Regenschirms gegen eine schwere Vase, die in glücklicher Nähe neben Waltons Kopf auf einem Wandbord stand. Sie fiel nach unten und landete auf Waltons Stirn, der dar-
aufhin nur noch schielte und nicht mehr weiter mitspielte. * »Sie sind Bernie Balmer?« Agatha Simpson fragte in einem Ton, der mehr als abfällig klang. »Wer... Wer sind Sie?« Balmer hatte keine Ahnung, wie das Paar es geschafft hatte, in die Hinterräume seiner Discothek zu gelangen. Er griff vorsichtig nach der Alarmklingel, die unter der Schreibtischplatte angebracht war. Bruchteile von Sekunden später stöhnte er. Lady Simpsons Pompadour landete auf seiner rechten Brust, worauf der Gangster wie nach einem Huftritt zurück in den Sessel fiel. »Reizen Sie mich nicht, Sie Flegel«, fuhr Agatha Simpson ihn an. »Und wagen Sie es nicht, noch mal nach einer Waffe oder Alarmklingel zu greifen. Sie werden mir jetzt Rede und Antwort' stehen!« »Wer sind Sie?« stotterte Bernie Balmer. Solch eine Behandlung hatte er seit Jahren nicht mehr erfahren. Inzwischen war er immerhin ein einflußreicher Boß geworden. »Sie haben die Ehre, von Lady Simpson befragt zu werden«, ließ der Begleiter der energischen Dame sich gemessen vernehmen. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.« »Ich ... Ich kenne Sie nicht, Lady.« Balmer rang nach Fassung. »Sie haben Mr. Parker und mich von zwei üblen Subjekten verfolgen lassen«, redete Lady Agatha weiter. »Sie befinden sich jetzt in der Gewalt der
Polizei, was Sie aber wahrscheinlich schon wissen.« »Ich habe niemals ... Woher wollen Sie wissen ...? Wieso sollte ich Sie beschatten lassen?« Balmers Stirn glänzte vor Schweiß. »Gewisse Umstände redeten das, was man gemeinhin eine deutliche Sprache zu nennen pflegt«, warf Josuah Parker ein. »Ich möchte Sie sicherheitshalber darauf verweisen, daß Mylady es nicht schätzt, belogen zu werden.« »Wenn Sie ... Wenn Sie nicht sofort abhauen, werde ich andere Seiten aufziehen«, plusterte sich Bernie Balmer auf. »Ich werde Sie wegen Überfall und Hausfriedensbruch und auch wegen Nötigung verklagen.« Das hätte er besser nicht gesagt. Agatha Simpson marschierte energisch um den Schreibtisch herum und benahm sich erneut wenig damenhaft. Sie trat gegen Balmers linkes Schienbein und verabreichte ihm anschließend eine ihrer berüchtigten Ohrfeigen. Bernie Balmer heulte auf und fiel samt Sessel um. Er raffte sich hoch und rannte auf eine Nebentür zu. Er dachte nur noch an Flucht und nicht an den perlenbestickten Pompadour der resoluten Dame. Dieses Wurfgeschoß, längst wieder in Myladys Besitz, war schneller als er und erwischte ihn zwischen den Schulterblättern. Bernie Balmer kam aus dem Kurs und landete wenig glücklich auf dem Wandtisch, wo Flaschen und Gläser standen. Nachdem das Klirren und Scheppern verklungen war, richtete er sich auf und stierte Lady Agatha aus ungläubigen Augen an.
»Kommen wir endlich zum Thema«, schlug die Lady vor. »Wieso ist meine Verwandte, Mrs. Martha Harrington verschwunden? Warum interessieren Sie sich für meine Nachforschungen? Was gefällt Ihnen daran nicht? Was haben Sie zu fürchten?« Während die Detektivin diese Fragen stellte,' stand Parker hinter dem Schreibtisch und blätterte in Balmers Telefonverzeichnis. Er kümmerte sich überhaupt nicht um seine Herrin und Bernie Balmer, dessen heile Welt in Trümmer gegangen war. Sie glich nur noch der schweren Blumenvase, deren Trümmer Ron Waltons Kopf halbkreisförmig umgaben. »Ich hatte Ihnen einige Fragen gestellt, Balmer«, erinnerte Agatha Simpson den Gangsterboß grimmig. »Ich bin es nicht gewöhnt, daß man mir eine Antwort verweigert.« »Ich ... Ich kenne keine Martha Harrington, Lady«, sagte Bernie Balmer hastig. »Den Namen, den Sie noch nie gehört haben, sprechen Sie aber erstaunlich richtig und flüssig aus, junger Mann!« »Zu ... Zufall.« Bernie Balmer schob sich außer Reichweite der resoluten Sechzigerin. »Sie kennen sie also.« Lady Simpson nickte fast mitleidig. »Was sind Sie doch für ein Dummkopf, Balmer! Natürlich müßten Sie diesen Namen kennen. Martha Harrington war eine hier an der Küste bekannte Frau. Ihr Verschwinden im TeufelsDreieck wurde immerhin in den örtlichen Zeitungen und von den Rundfunkstationen erwähnt.«
»Da ... Daher kenne ich ja den- Namen«, korrigierte sich der Gangsterboß hastig. »Sie haben also mit ihrem Verschwinden oder sogar Tod zu tun, Balmer«, stellte Lady Agatha klar. »Dafür werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen.« »Sie können mir überhaupt nichts beweisen, Lady! Ich weiß immer noch nicht, wovon Sie eigentlich reden?« Josuah Parker hatte das Telefonregister durchgeblättert und beschäftigte sich voll Akribie mit den vielen kleinen Notizzetteln, die Balmer in einem Sandelholzkästchen aufbewahrte. Er paßte den Zeitpunkt genau ab. Als Bernie Balmer einen schnellen Blick darauf warf, steckte Parker einige dieser Zettel ein. »Sie werden sie selbstverständlich zurückerhalten, Mr. Balmer«, sagte er dazu höflich. »Gehen Sie um keinen Preis davon aus, daß es meine Absicht wäre, Sie berauben zu wollen.« Agatha Simpson hatte absichtlich von Balmer abgelassen und ging zu Ron Walton hinüber, der sich bewegte und stöhnte. Bernie Balmer glaubte eine echte Chance zu haben. Er sprang trotz seiner Korpulenz überraschend schnell hoch und stürzte sich auf den Butler, um ihm die Notizzettel aus der schwarz behandschuhten Hand zu reißen. Diese Zettel schienen für den Gangsterboß von größter Wichtigkeit zu sein. Eindeutiger hatte er sich nicht verraten können. Natürlich gelang es ihm nicht, die Zettel wieder in seinen Besitz zu bringen. Butler Parker sorgte für ein Hindernis, mit dem der Gangsterboß nicht gerechnet hatte. Mit der Spitze des
Universal-Regenschirms stieß Josuah Parker den soliden Papierkorb in den Kurs des Angreifers, der prompt darüber ins Stolpern geriet und dann vor der Kante des Schreibtisches landete. »Blinder Eifer schadet nur, wie der Volksmund zu sagen pflegt«, kommentierte Parker das Zurückprallen von Bernie Balmer, der sich auf seinen Rücken legte und eine kleine Verschnaufpause einlegte. »Haben wir alles, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha. »Falls Mylady einen Ortswechsel wünschen, wäre dem nichts hinzuzufügen«, lautete Parkers würdevolle Antwort. »Darüber hinaus ist wohl bald mit dem Erwachen jener Herren zu rechnen, die im Vorraum liegen. Es durfte sich also empfehlen, nun das Feld zu räumen.« * »Mehr kann Mylady aus erzieherischen Gründen nicht für sie tun, sagte Josuah Parker und reichte den beiden Taschendieben Oscar und Jimmy die Flugtickets. »Ich glaub's noch immer nicht«, sagte Oscar. »Is' Ihre Chefin bei der Heilsarmee?« wollte Jimmy wissen. »Mylady möchte sich nur für Ihre Kooperation bedanken«, antwortete der Butler. »Darüber hinaus befürchtet Mylady, Mr. Bernie Balmer könne früher oder später darauf kommen, daß Sie gewisse Informationen geliefert haben, was Ihrer Gesundheit wohl kaum zuträglich sein würde.« »Der würd' uns doch glatt killen lassen«, meinte Oscar.
»Hier wären noch die Reisespesen«, setzte Parker hinzu und reichte dem kleinen Taschendieb einen Umschlag. »Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, so würde ich an Ihrer Stelle tatsächlich nach San Franscisco fliegen.« »Was dachten denn Sie?« fragte Jimmy und tat erstaunt. »Nun, möglicherweise spielen Sie mit dem Gedanken, die beiden Tickets einzulösen und hier in Fort Lauderdale zu bleiben.« »Wir sind doch nicht lebensmüde«, behauptete Oscar fast empört. »Nichts wie weg, Mr. Parker! Wir kennen Balmer besser als Sie!« »Sollen wir ihm noch 'nen Tip geben?« fragte Jimmy und sah seinen >Geschäftspartner< an. »Hat er eigentlich verdient.« Oscar war einverstanden. »Bernie Balmer hat's ja irgendwie mit der Mafia«, redete Jimmy weiter und dämpfte unwillkürlich seine Stimme. »Aber wer die Mafia hier vertritt, das wird natürlich nich' an die große Glocke gehängt.« »Wenn überhaupt, dann wird darüber nur geflüstert«, warf Oscar ein. Auch er dämpfte seine Stimme und sah sich verstohlen im Empfangsgebäude des Flughafens um. »Es steht Ihnen selbstverständlich frei, die Information im Flüsterton zu geben.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Befassen Sie sich mal mit Jerome C. Canterfall«, wisperte Jimmy noch leiser. »Der Typ hat 'ne Werbeagentur und bedient hier die ganze Küste.« »Stinkreich«, fügte Oscar hinzu, »und stinkvornehm.«
Die beiden Taschendiebe hatten das Gefühl, nun doch zuviel gesagt zu haben. Sie wandten sich um und gingen hinüber zur Abfertigung. Butler Parker sah ihnen einen Moment nach und begab sich dann hinaus in Richtung Parkplatz. Als er an einem Zeitungskiosk vorüberging, wurden gerade die Abendblätter geliefert. Er sah den Teil einer Hauptschlagzeile, blieb stehen und kaufte sich dann ein Exemplar. In riesiger Aufmachung wurde auf ein weiteres Opfer des berüchtigten Bermuda-Dreiecks hingewiesen. Eine Motoryacht war nach dem Absetzen eines Funkspruchs plötzlich verschwunden. Suchflugzeuge der Coast Guard hatten bisher keine Spuren gefunden. »Eine meiner bescheidenen Ansicht nach interessante Meldung, Mylady«, sagte er, als er den Wagen erreicht hatte, in dem die ältere Dame zurückgeblieben war. »Darf ich mir gestatten, Mylady das Abendblatt zu reichen?« Er durfte. Agatha Simpson nahm ihre Lorgnette hervor, klappte die längst aus der Mode gekommene Stielbrille aus dem schildblattverzierten Griff und überflog Schlagzeile und Artikel. »Drei Personen scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben«, sagte sie dann animiert. »Haben Sie gelesen, Mr. Parker? In dem nur verstümmelt empfangenen Funkspruch heißt es, die Yacht sei von milchigem Nebel eingehüllt und man habe die Orientierung verloren. Die Suchflugzeuge konnten etwa vierzig Minuten später keine Spur eines solchen Nebels feststellen.«
»Mr. Melvin Pritchard dürfte über dieses Ereignis nicht gerade; unglücklich sein«, sagte Josuah Parker. »Der Schriftsteller?« Agatha Simpson nickte. »Richtig, er will ja in zwei Tagen sein neuestes Buch vorstellen. Eine bessere Publicity könnte er sich gar nicht wünschen.« »Die Yacht befand sich auf dem Weg nach den Bermudas, Mylady?« Parker steuerte den Wagen. »Zu den Bermudas«, forderte sie. »Und jetzt dürfte sie sich wohl bei diesen Aquanauten befinden, von denen Melvin Pritchard träumt. Was natürlich ein Humbug ist, Mr. Parker. Wenn überhaupt, dann sind die drei Menschen von der Yacht natürlich von UFOs entführt worden. Es gibt sie nämlich, ob Ihnen das nun paßt oder nicht!« * Pete Boone und Jeff Monton, die Inhaber der sogenannten Bootsagentur, befanden sich nach Hinterlegung einer Kaution wieder auf freiem Fuß und hatten erneut Posten bezogen. Sie standen noch immer unter dem Schock, den sie erlitten hatten. Die beiden etwa fünfundzwanzigjährigen Männer hatten sich von Ron Walton einiges sagen lassen müssen. Walton, der angebliche Detektiv mit dem flachsblonden Haar, hatte ihnen die Hölle heiß gemacht und den ganzen Ärger weitergereicht, den er bei Bernie Balmer einstecken mußte. Pete Boone und Jeff Monton verhielten sich diesmal bedeutend vorsichtiger. Sie hatten ihren Wagen verlassen und sich so aufgebaut, daß man sie
unmöglich vom Bungalow aus beobachten konnte, in dem das Quartett aus England seit einigen Stunden Quartier bezogen hatte. Dieser Bungalow stand hart am Strand und lag inmitten eines gepflegten Gartens, der fast schon einem kleinen Park glich. Der Swimming-pool war umgeben von blühenden, dicht stehenden Sträuchern. »Ich versteh's einfach nicht«, sagte Pete Boone und schüttelte den Kopf. »Warum läßt man uns nicht 'ran an die Typen?« »Genau das ist streng verboten.« Jeff Monton schüttelte den Kopf. »Ich werd' mich hüten, Walton noch saurer zu machen.« »Der muß 'ne Menge eingesteckt haben.« Pete Boone grinste schadenfroh. »Hast du' das Horn auf seinem Kopf gesehen?« »Warum sollen wir nur einstecken?« gab Jeff Monton zurück. »Mensch, wenn ich dran denke, wie wir von der Alten und ihrem Butler 'reingelegt worden sind!« »Mit flüssiger Schmierseife«, erinnerte Jeff Monton. »Nicht zu glauben, womit die Gauner aus England arbeiten. Richtig unfair!« »Warum läßt man uns nicht 'ran?« wiederholte Pete Boone noch mal nachdenklich. »Sonst wird doch nie lange gefackelt.« »Walton hat doch selbst keine Ahnung«, behauptete Jeff Monton abfällig. »Der tut doch auch nur, was Balmer will.« »Und der zappelt wieder an 'nem anderen Strick«, erklärte Pete Boone.« Die brauchen uns nichts vorzumachen. Ich will dir mal was sagen, da is' 'ne superfette Sache im Spiel.«
»Aber welche?« Jeff Monton schien ratlos. »Weißt du, ich komm' über die Schmierseife einfach nicht weg. Schütten die doch damit die Straße voll! Und wir rauschen gegen 'nen Hydranten. Es ist sagenhaft...« »Sollte man sich mal für die Zukunft merken.« »Das sind keine Anfänger«, faßte Jeff Monton zusammen. »Das sind ausgekochte Profis. Warum sind die aus dem >Sheraton< ausgezogen? Warum haben die sich den teuren Bungalow da drüben gemietet?« »Das weiß nur Balmer, wenn überhaupt.« Pete Boone und sein Partner kannten selbstverständlich gewisse Zusammenhänge innerhalb der Unterwelt. Daß Ron Walton für Balmer arbeitete, war klar, ebenso klar war ihnen auch, daß Bernie Balmer seinerseits von der örtlichen Mafia abhängig war, die es ihm gestattet hatte, diesen Bezirk zu übernehmen. Die beiden Gangster ergingen sich in Mutmaßungen über das Geschäft, das Balmer mit Sicherheit plante. Sie unterhielten sich leise, aber sehr ungeniert miteinander, denn, wie gesagt, sie fühlten sich völlig sicher und unbeobachtet. Was allerdings nicht der Fall war! Pete Boone fuhr plötzlich zusammen und blieb wie versteinert stehen. Er hatte gerade einen Satz begonnen, war aber nicht mehr in der Lage, ihn auch korrekt zu beenden. Er wollte nach seinem Kopf greifen, schaffte es jedoch nicht mehr. Er fiel gegen den Stamm einer Palme, umarmte sie fast liebevoll und rutschte dann langsam zu Boden. »He, was ist?« fragte Jeff Monton bestürzt. Trotz der herrschenden
Dunkelheit hatte er diese Umarmung deutlich mitbekommen. Eine Sekunde später rutschte auch er zu Boden und legte sich quer über seinen Partner. Bevor er völlig bewußtlos wurde, hörte er knapp neben sich noch das Knirschen von Schuhen. * Lady Agatha saß vor dem Fernsehgerät und verfolgte die Übertragung, die sich mit dem plötzlichen Verschwinden der Yacht befaßte. Zwei Reporter der örtlichen TV-Station kommentierten Bildberichte, die sie vor einigen Stunden zusammengestellt hatten. Sie befragten die trauernden Angehörigen, Offizielle der Coast Guard und Freunde der vermißten drei Personen und Wassersportler, die sich in den Gewässern des BermudaDreiecks auskannten. Es war eine geschickt und äußerst spannend aufgemachte Sendung, die eindeutig unter dem Vorzeichen des Rätsels Teufels-Dreieck stand. Aus Kommentaren und Interviews ging hervor, daß die drei vermißten Männer als erfahrene HochseeSportfischer wahrlich nicht zum ersten Mal auf See gefahren waren. Archivfotos zeigten die Motoryacht, die sich in Luft aufgelöst zu haben schien. Es handelte sich um einen Kabinenkreuzer etwa von der Größe, die Mike Rander und Kathy Porter für die Fahrt hinüber nach den Bermudas gemietet hatten. Diese Yacht machte einen seetüchtigen und soliden Eindruck. Ein Repräsentant der Firma, die den Kabinenkreuzer herstellte, kam ebenfalls zu Wort. Er bestätigte
nachdrücklich, dieser Bootstyp sei ein bewährtes und hochseetüchtiges Modell, schon seit vielen Jahren im Dienst. Der Repräsentant konnte sich das Verschwinden der Yacht nicht erklären. Zur Erhöhung der Spannung wurde dann der verstümmelt aufgefangene Funkspruch im Original wiedergegeben. Man hatte diesen Spruch automatisch auf Tonband gespeichert, er gab die unerhörte Dramatik wider. Eine aufgeregte Stimme sprach in aufgeregtem Ton von einem milchigen Nebel, der die Yacht plötzlich umgab. Die Stimme sprach vom plötzlichen Verlust jeder Orientierung und vom Verrücktspielen der Kompaßnadel. Während die Stimme immer wieder von einem nervösen Hüsteln unterbrochen wurde, ließen sich im Hintergrund weitere Stimmfetzen vernehmen, die aber so gut wie gar nicht zu verstehen waren. Sie gingen ebenfalls in ein Hüsteln über. Dann brach die Hauptstimme plötzlich inmitten eines Satzes ab. Nach einer kleinen Pause meldeten die beiden Reporter sich wieder zu Wort. Sie wiesen auf ein Interview mit Melvin Pritchard hin, dessen Buch über das Teufels-Dreieck nächstens der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte. Melvin Pritchard, der Mann mit dem englischen Tick, gab sich seriös und überlegen. Er kondolierte selbstverständlich erst mal den Angehörigen der Vermißten und verbreitete sich anschließend über die tödlichen Geheimnisse des sogenannten Bermuda-Dreiecks. Melvin Pritchard zählte geläufig eine schier endlose Reihe von ähnli-
chen Vorfällen auf und mokierte sich über die Vertreter einer exakten Wissenschaft, die nach wie vor, für ihn verständlich, verbissen nach sogenannten normalen Erklärungen suchten, die es im Fall des TeufelsDreiecks nun mal nicht gäbe. Pritchard ließ geschickt einfließen, daß sein neues Buch gerade diesen Wissenschaftlern neues Material unterbreiten würde und nickte ernst, als einer der beiden Reporter ihn fragte, ob er an übernatürliche Erklärungen glaube. Der Schriftsteller sprach selbstverständlich wieder von Atlantis, das seiner Schätzung nach vor etwa zehntausend Jahren untergegangen sei, ferner von einem Fenster, das in die vierte Dimension führe und ließ dann anklingen, daß seiner Ansicht nach auf dem Grund der See die Basis von Aquanauten zu finden sei, die über ungeheure Energiequellen verfügten. Pritchard verstand es wirklich, sich in Szene zu setzten. Offensichtlich gegen seinen Willen ließ er sich von dem Reporter entlocken, er könne den Beweis für die Existenz solcher Aquanauten antreten, denn er habe einige Personen ausfindig gemacht, die solche Unterwasserbewohner gesehen hätten. Aus verständlichen Gründen hätten sie ihn gebeten, keine Namen zu nennen, doch im Bildteil seines neuesten Buches seien einige Dokumentaraufnahmen der erwähnten Aquanauten zu finden, wenn auch ein wenig undeutlich. »Sein Buch wird eine Riesenauflage erreichen«, meinte Mike Rander, der sich zusammen mit Lady Simpson die Sendung ansah. »Eine bessere
Reklame gibt es überhaupt nicht mehr.« »Ich traue diesem Burschen nicht über den Weg«, erwiderte Lady Agatha nachdenklich. »Ich traue ihm ganz und gar nicht, Mike!« »Worauf spielen Sie an, Mylady?« »Vor drei Wochen meine Verwandte«, zählte die ältere Dame auf. »Ihr Verschwinden fiel mit der Nachricht zusammen, daß Pritchard sein neues Buch vorstellen wird. Und jetzt, knapp zwei Tage vor der entsprechenden Pressekonferenz, verschwinden erneut einige Menschen. Das sieht doch eindeutig nach Bestellung aus, finden Sie nicht auch?« »Aber Mylady«, meinte Anwalt Rander. »Ich halte es für ausgeschlossen, daß ein Autor dadurch auf sein Buch aufmerksam macht, in dem er für entsprechende Todesfälle sorgt, über die er schreibt.« »Sie können es sich nicht vorstellen, weil Sie zu arglos sind, Mike«, gab die Lady grimmig zurück. »Und Sie besitzen natürlich kein Fingerspitzengefühl für Verbrechen. Ich weiß, wem ich mich ab sofort widmen werde: Melvin Pritchard steht auf meiner Liste ganz' weit oben. Und er wird mit Sicherheit noch seine Freude an mir haben, darauf kann er sich verlassen. Das lasse ich nicht durchgehen! Diese angeblichen Aquanauten werde ich diesem Burschen gründlich austreiben!» * »Bin ich denn nur von Idioten umgeben?« brauste Bernie Balmer auf. Er sah Ron Walton wütend an. »Wie
konnte das passieren? Pete Boone und Jeff Monton sind verschwunden? Das gibt's doch überhaupt nicht! Das sind doch zwei Leute, die sich auskennen.« »Ich war draußen und wollte nachhören, was sich bei der komischen Alten und ihrem Butler tut«, erwiderte der angebliche, flachsblonde Privatdetektiv zerknirscht. »Pete und Jeff waren verschwunden. Und auch ihren Schlitten hab' ich nich' mehr finden können. Nur das hier, Balmer!« Er reichte dem Diskothekbesitzer einen Brief, dessen Kopfzeilen sehr beeindruckend waren. Unter dem Namen der Lady Agatha war in feiner altmodisch wirkender Kursivschrift verzeichnet, welche Titel sie noch zusätzlich trug und welchen Gesellschaften sie als Präsidentin vorstand. Das Papier bestand aus handgeschöpftem Bütten und zeichnete sich durch Vornehmheit aus. »Was soll der Unsinn?« fragte Bernie Balmer. Der Gedanke an diese ungewöhnliche Frau reichte bereits um ihn wieder in Rage zu bringen. »Lies doch«, forderte der angebliche Privatdetektiv ihn auf. Balmer beugte sich über die wenigen Zeilen, die mit einer Schreibmaschine geschrieben worden waren. Ihm wurde mitgeteilt, man habe den beiden aufdringlichen Beobachtern namens Pete Boone und Jeff Monton zu einer kleinen Reise verholfen. Unterschrieben hatte ein gewisser Josuah Parker. »Das is' der Butler«, sagte Ron Walton überflüssigerweise. »Wer sonst?« Ich bin doch nicht geistig gestört«, fuhr der Diskothekbesitzer seinen Mitarbeiter an. »Was soll das heißen, Boone und Monton seien
auf 'ne kleine Reise geschickt worden?« »Was wohl, Balmer?« Ron Walton vermochte nur in den Kategorien seines Berufs zu denken. Für ihn waren Boone und Monton bereits tot. »Lassen wir uns das gefallen!?« »Wo hat das Ding hier gelegen?« erkundigte sich Bernie Balmer. »Genau da, wo ich Boone und Monton zurückgelassen habe, Balmer.« »Hast du dir den Bungalow angesehen?« »Ich habe sofort Fliege gemacht, Balmer«, antwortete der angebliche Privatdetektiv. »Scharf auf 'ne bestimmte Art von 'ner Reise bin ich noch nie gewesen. Aber noch mal, lassen wir uns das bieten? Die Alte und ihr Butler haben immerhin Boone und Monton abserviert.« »Ihr Risiko und Pech!« Balmer zuckte die Achseln. »Die hätten eben besser aufpassen, müssen.« »Wird's jetzt nicht endlich Zeit, daß wir das verdammte Quartett hochnehmen, Balmer? Sowas können wir doch nicht auf uns sitzen lassen! Unser ganzer Ruf geht zum Teufel!« »Das Denken is' immer noch meine Sache, Walton«, herrschte Balmer seinen Mitarbeiter an. »Verschwinde mal für 'ne Viertelstunde, ich muß nachdenken!« Ron Walton wußte natürlich, was das in Wirklichkeit bedeutete. Balmer würde jetzt umgehend zum Telefonhörer greifen und den Vertreter der Mafia anrufen. Nun, Walton hütete sich, dazu auch nur eine Anspielung zu machen. Er verließ das Privatbüro des Discothekbesitzers und ging in den Vorraum, wo drei stämmige
Hausangestellte Balmers saßen und pokerten. Sie machten nicht gerade einen entspannten Eindruck und hatten alle entzündete Augen. Sie litten noch unter einem Spezialspray, mit dem Parker sie vor seinem Antrittsbesuch bei Balmer behandelt hatte. Walton zündete sich eine Zigarette an und mixte sich einen Drink. Er setzte sich in einen Sessel und schaute zur Decke. Er dachte darüber nach, warum Balmer soviel Rücksicht gegenüber dem Quartett aus England übte. Und warum, so fragte er sich weiter, schlug die Mafia nicht zu und gab die Jagd frei auf diese Typen aus London? Was wurde hier gespielt? Warum gab man dieser komischen Alten und ihrer Begleitung soviel Spielraum? Balmer erschien in der Tür und winkte Walton zu sich herein. »Schließ die Tür«, sagte er, während er zu seinem Schreibtisch zurückkehrte. »Nun paß genau auf. Was ich dir zu sagen habe, muß haargenau ausgeführt werden. Boone und Monton können wir selbst jetzt noch geldbringend anlegen. « »Ich versteh' kein Wort, Balmer.« »Die beiden Idioten werden auf See verschwinden, Walton! Ja, du brauchst mich gar nicht so groß anzugucken, Boone und Monton werden auf See verschwinden. Die sind heute, so gegen Abend, mit 'nem Boot zum Hochseefischen rausgefahren und verschwunden!« »Ach so, ich kapiere!« Ron Walton meinte das in doppeltem Sinn. Einmal wußte er jetzt, was er tun sollte, zum anderen aber wurde ihm klar, warum es eigentlich ging. Hier wurde ein
raffinierter Schwindel aufgezogen, den die Mafia wünschte! * »Ich weiß nicht recht, Mr. Parker, sind Sie sicher, die amerikanischen Verhältnisse richtig einzuschätzen?« fragte Anwalt Mike Rander. Er befand sich mit dem Butler allein in dem großen Wohnraum des Bungalows. Mylady hatte sich bereits zurückgezogen, um ein wenig an ihrem geplanten Bestseller zu arbeiten, wie sie behauptete. Natürlich lag sie längst im Bett, wie Parker aus Erfahrung wußte. »Sie rechnen mit gewissen Überraschungen, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. »Na, und ob! Man wird die beiden Ganoven inzwischen längst vermißt haben und neugierig sein.« »Darf ich meine Frage erweitern, Sir?« »Sie glauben, daß ich mit einem Besuch rechne, nicht wahr?« »Dies, Sir, wäre der Sinngehalt meiner diesbezüglichen Frage gewesen.« »Natürlich werden hier im Lauf der Nacht einige Typen erscheinen, Parker.« Mike Rander verfiel automatisch in den altvertrauten Ton jener Jahre, als er noch mit Parker eng zusammengearbeitet hatte. »Mögliche Eindringlinge, Sir, werden entsprechend begrüßt werden«, versprach Josuah Parker. »Ich habe mir erlaubt, entsprechende Vorkehrungen zu treffen.« »Wo haben Sie die beiden Kerle eigentlich untergebracht, Parker?« »Nachdem ich so frei war, Sir, sie mittels meiner Gabelschleuder außer
Gefecht zu setzen, schaffte ich die beiden Herren zu einer hier in der Nähe befindlichen Tankstelle, der ein Schnellimbiß angegliedert ist.« »Ich ahne schon etwas.« Mike Rander lächelte. »Sie haben den Burschen eine kostenlose Reise verpaßt, wie?« »Ein probates Mittel, Sir«, entgegnete Josuah Parker. »Meiner bescheidenen Schätzung nach befinden sich die Herren inzwischen auf einem Highway in Richtung Norden. Das Bestimmungsziel dieses Trucks ist wohl New Orleans, falls ich die Unterhaltung der beiden Fahrer, die eine Tasse Kaffee trinken wollten, richtig gedeutet habe.« »Wie ich Sie kenne, haben Sie schon richtig zugehört, Parker. Nun, damit dürften wir die beiden Ganoven vorerst mal los sein.« »Dies entspricht meiner bescheidenen Absicht, Sir. Ich möchte die Gegenseite ein wenig austrocknen, falls diese Umschreibung erlaubt ist.« »Sie wollen die Gegenseite zwingen, aktiver zu werden und neue Leute einzusetzen?« | »Dies selbstverständlich auch, Sir, aber in erster Linie möchte ich testen, was die Gegenseite sich alles noch gefallen läßt.« »Sie wollen sie bis aufs Blut reizen?« »So könnte man es in der Tat ebenfalls ausdrücken, Sir.« »Das kann ins Auge gehen, Parker.« »Gewisser Risiken, Sir, bin ich mir durchaus bewußt.« Parker nickte zustimmend, aber eben nur andeutungsweise. »Ein gewisser Langmut gibt meiner Wenigkeit zu denken.«
»Da ist was dran, Parker! Sie kennen Myladys Theorie? Melvin Pritchard hat demnach diese ganzen rätselhaften Dinge inszeniert, um sein Buch besonders gut verkaufen zu können.« »Mylady war so freundlich, mich in diese Theorie einzuweihen«, erwiderte Josuah Parker. »Und was halten sie von ihr?« »Der Verkauf des Buches würde wahre Rekordauflagen erreichen, falls Mylady noch zusätzlich vor der Pressekonferenz im erwähnten Teufels-Dreieck verschwinden würde.« »Wie war das?« Mike Rander sah den Butler irritiert an. »Wenn ich mich erkühnen darf, Sir, würde ich vorschlagen, noch vor dem Samstag die Seereise nach den Bermudas anzutreten.« »Worauf wollen Sie hinaus, Parker?« »Die Gegenseite veranlassen, entsprechende Maßnahmen zu treffen, um solch ein Verschwinden zu ermöglichen.« »Sie... Sie denken an ein Verbrechen?« »An eine Bombe mit Zeitzünder, Sir, grob angedeutet. Wahrscheinlich wird die Gegenseite mit wesentlich feineren Mitteln arbeiten, die ich zur Zeit allerdings noch nicht einzuschätzen vermag.« »Ich denke, diesen Vorschlag brauchen wir Mylady nur kurz vortragen. Sie wird sofort mitspielen.« »Mit letzter Sicherheit, Sir.« »Worauf Sie sich verlassen können«, war in diesem Moment von der Wohnhalle her die dunkel gefärbte, jetzt animiert klingende Stimme der älteren Dame zu vernehmen. Agatha Simpson stand angekleidet in der Tür zum
Wohnraum und hatte den letzten Teil der Unterhaltung mitgehört. »Mr. Parker, ich kann mich nicht konzentrieren, ich brauche etwas Ablenkung.« Mylady haben besondere Wünsche oder Vorstellungen?« »Ich hoffe doch, daß Sie wissen, was ich wünsche, Mr. Parker.« »In der Tat, Mylady!« Parkers Gesicht blieb wie üblich ausdruckslos. »Wenn ich Mylady richtig interpretiere, wünschen Mylady einen gewissen Mr. Jerome C. Canterfall zu besuchen.« »Richtig«, sagte sie. »Kathy hat eben von meinem Zimmer aus angerufen. Man gibt dort eine Party. Ich möchte mir das mal aus der Nähe ansehen, Mr. Parker!« * Jerome C. Canterfall, laut Auskunft der beiden dankbaren Taschendiebe der örtliche Mafia-Boß, der die Küste von Miami bis hinauf nach Palm Beach kontrollierte, sah selbstverständlich nicht aus wie ein Gangster. Jerome C. Canterfall war fünfzig, mittelgroß, schlank und wirkte durchaus sportlich. Ihm war anzusehen, daß er sich oft auf einem Golfplatz bewegte. Er gab in dieser Nacht tatsächlich eine Garten-Party und hatte illustre Gäste geladen, die zur örtlichen und überörtlichen Prominenz gehörten. Viele dieser Leute wußten nicht oder ahnten nur, daß Canterfall dubiose Verbindungen unterhielt, aber man hätte sich nie getraut, seine Einladung auszuschlagen. Er war wer an diesem Küstenstrich, auf seinen Partys hatte
man immer Gelegenheit, einflußreiche Menschen aus Politik, Geschäft und Kunst kennenzulernen. Sein Haus im Rancho-Stil lag in der Nähe von Port Everglades, südlich von Fort Lauderdale. Ein weiträumiger Garten umgab es, ein Garten, der von einer harmlos aussehenden, weiß getünchten Ziegelmauer umschlossen wurde. Diese Mauer hatte es selbstverständlich in sich. Elektronische Anlagen schützten den Gesamtkomplex, hinzu kamen gut ein Dutzend hochspezialisierter Angestellter, die Waffen trugen und Patrouille gingen. Parker stoppte den Mietwagen vor dem geschlossenen Gartentor, stieg aus und begab sich zu dem kleinen Wachhäuschen jenseits des Tores. Er hatte diesen. Durchlaß noch nicht ganz erreicht, als ein uniformierter Wächter ihm entgegenkam. »Lady Simpson«, meldete Parker und deutete diskret auf die Dame im Fond des Wagens. »Melden Sie Mylady umgehend an!« »Haben Sie 'ne Einladungskarte?« fragte der Wächter mißtrauisch und schaltete ein zweites Torlicht an, um den Butler besser studieren zu können. »Mylady wird niemals eingeladen, sondern geruht zu erscheinen«, stellte der Butler fest. »Wenn Sie jetzt bitte umgehend Mr. Canterfall informieren würden!« Sein Ton hatte es in sich. Der Wächter stutzte leicht und beeilte sich dann, zurück in sein kleines Wachhaus zu kommen. Von dort aus rief er im Haus des Werbemanagers Canterfall an. Er ließ den Butler dabei nicht aus den Augen.
»Nee, tut mir leid«; sagte der Wächter, als er zum Tor zurückkehrte. Er grinste jetzt abfällig. »Der Boß, äh, ich meine, Mr. Canterfall empfängt nur geladene Gäste.« »Sie erlauben, daß ich ein paar Zeilen auf Myladys Visitenkarte schreibe?« Parker holte einen seiner Patentkugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen und notierte dann tatsächlich einige Zeilen auf eine Visitenkarte, die er aus der Ziertuchtasche geholt hatte. Natürlich schrieb er nicht, ihm kam es nur darauf an, den Kugelschreiber unbehelligt in die schwarz behandschuhte Rechte nehmen zu können. Er reichte dem Wächter die Visitenkarte und ... drückte dann auf den Halteclip des Kugelschreibers. Die Folgen waren beachtlich. Der Mann, der gerade etwas sagen wollte und daher seinen Mund geöffnet hatte, schluckte voll den Spray, der aus der Spitze des Kugelschreibers kam, riß weit die Augen auf und schnappte nach frischer Luft... setzte sich dann auf den Kies. Butler Parker begab sich zu der kleinen Seitenpforte und bemühte sein Spezialbesteck. Es dauerte etwa zwanzig Sekunden, bis er das an sich recht komplizierte Schloß geöffnet hatte. Er betrat das Grundstück und zog den inzwischen schlafenden Wächter in das kleine, logenähnliche Häuschen. Dann öffnete er die schweren Riegel und den Querbalken des Tores, setzte sich ans Steuer und schob mit dem Kühler des Wagens die beiden Torflügel auf. Sanft und geschmeidig rollte der
Wagen dann über den geschwungenen Kiesweg zum Haus. »Ich werde diesem Flegel Canterfall gleich Manieren beibringen, Mr. Parker«, grollte Agatha Simpson, als das Haus in Sicht kam. »Meine Stimmung könnte gar nicht besser sein! Wann werden Mr. Rander und Kathy sich einschalten?« »In etwa vier Minuten, Mylady«, sagte Parker nach einem Blick auf die Wagenuhr. »Danach wird die Elektronik das spielen, was man gemeinhin verrückt zu nennen pflegt!« * Sie betraten den großen, weiträumigen Innenhof, in dessen Mitte ein imposanter Springbrunnen plätscherte. Dieser Patio war ein Meisterwerk der Gartenbaukunst. Es gab wunderschöne Blumenarrangements, kleine Nischen, Laubengänge und eine Terrasse, die dicht bevölkert war. Zwei Köche beschäftigten sich mit einem Grill, auf dem Rindersteaks lagen. Zusätzlich hatten sie ein riesiges kaltes Büffet zu bedienen. Nach Parkers oberflächlicher Schätzung hatte Jerome C. Canterfall etwa achtzig bis hundert illustre Gäste geladen, die sich augenscheinlich bestens amüsierten und teilweise zu den Klängen einer Steelband tanzten. Der Hausherr war nicht zu übersehen. Er hatte sich wirkungsvoll neben dem Springbrunnen aufgebaut und hielt Hof. Er trug einen nachtblauen Smoking, ein reich verziertes Rüschenhemd und war sich seines Wertes bewußt. Er stufte die kurzen Gespräche mit seinen Gästen bewußt
ab. Hier gab es nur ein paar höfliche Worte, dort wurden schon einige längere Sätze gesprochen, dann wieder hatte er wenigstens zwei bis drei Minuten Zeit für besonders wichtige Gäste. Daß er ein äußerst wachsamer Mann war, stand außer Zweifel. Als Lady Simpson, begleitet von Butler Parker, im Patio erschien, fixierte er die beiden Neuankömmlinge und wandte sich an einen jungen, drahtigen Mann, der knapp fünfundzwanzig sein mochte. Er setzte ihn mit einigen Worten in Bewegung und kam dann auf die ältere Dame zu. Der junge Mann verschwand höchst eilig im Innern des Hauses. Zum Auftritt der Lady Simpson hätten eigentlich nur noch Fanfaren gehört. Als sie auf der Terrasse erschien, beherrschte sie sofort die Szene und ließ alle Gespräche verstummen. Mit der Selbstsicherheit einer regierenden Herrscherin schritt sie auf Canterfall zu, der ihr entgegenkam. Parker hörte um sich herum nur Tuscheln und Raunen. Man fragte sich verstohlen, wer diese majestätisch aussehende Dame wohl sein könnte. Parkers Gesicht blieb ausdruckslos, als er hinter Lady Agatha schritt. Ein Hofmarschall hätte nicht würdiger gehen können. »Lady Simpson«, verkündete Parker, nachdem er mit der Spitze seines Universal-Regenschirms nachdrücklich auf die Steinplatten der Terrasse geklopft hatte. Während seiner kurzen Vorstellung nahm er die schwarze Melone ab. »Und Sie sind Canterfall, nicht wahr?« erkundigte Lady Agatha sich
ausgesprochen leutselig bei dem Mafia-Boß. Ihre an sich schon dunkel gefärbte Stimme dröhnte wie eine Glocke durch den Patio. »Sagen Sie, mein Bester, woher stammt eigentlich Ihr scheußliches Personal? Dieser Flegel am Tor behauptete doch, Sie wollten mich nicht empfangen.« »Ein ... Ein Mißverständnis, Mylady«, erwiderte Canterfall und hüstelte nervös. »Ich freue mich, Mylady, Sie begrüßen zu können.« Übertreiben Sie nicht, junger Mann«, grollte die ältere Dame. »In Wahrheit wünschen Sie mir doch die Pest an den Hals, oder? Es paßt Ihnen nicht, daß ich Ihre Kreise störe, wie?« »Aber, Mylady!« Canterfall war solch eine offene Sprache nicht gewöhnt und bekam einen roten Kopf. »Ich hatte ja noch gar nicht das Vergnügen, Ihnen, äh, vorgestellt zu werden.« »Kunststück, junger Mann, ich verkehre gesellschaftlich nicht mit Parvenüs!« »Wie, bitte?« Canterfall überlegte, ob er gerade beleidigt worden war oder nicht. »Nach der klassischen Definition handelt es sich bei einem Parvenü um einen Emporkömmling oder Neureichen«, schaltete sich Josuah Parker würdevoll ein. »Dieser Begriff entstammt der französischen Sprache.« Die näher stehenden Gäste traten unauffällig den Rückzug an und setzten sich ab. Sie schufen einen freien Raum um Lady Simpson, Butler Parker und den Mafia-Boß. »Man hat mir zugetragen, Canterfall, daß Sie hier der zuständige Mafia-Vertreter sind«, redete die Detektivin ungeniert weiter. »Sobald ich von den
Bermudas wieder zurück bin, werde ich mich um Sie. kümmern, verlassen Sie sich darauf! Ich möchte wetten, daß Sie mit dem Verschwinden meiner Verwandten zu tun haben.« »Mylady sprechen von Mrs. Martha Harrington«, warf Josuah Parker ein. »Sie verschwand auf eine bisher nicht ergründ- und erklärbare Weise mit ihrem Privatflugzeug im sogenannten Teufels-Dreieck.« »Und Gnade Ihnen Gott, Canterfall, wenn Sie dabei Ihre Hände im Spiel hatten«, schloß Agatha Simpson. »Noch etwas, mein Butler und ich werden jetzt Ihr Grundstück verlassen. Kommen Sie ja nicht auf die Idee, mich ärgerlich zu machen!« »Mylady schätzt es nicht, belästigt zu werden«, präzisierte Parker.« Mylady reagiert in solchen und ähnlichen Fällen äußerst empfindlich und nachdrücklich!« * »Und er hat nichts unternommen?« staunte Mike Rander eine halbe Stunde später. »Nichts, Sir«, meldete Josuah Parker. »Er erinnerte meine bescheidene Wenigkeit an eine sogenannte Salzsäule. Mr. Canterfall dürfte noch nie in seinem Leben derart behandelt worden sein.« »Natürlich wird er blutige Rache schwören.« »Davon sollte man selbstverständlich ausgehen, Sir. Und der Zeitpunkt solch einer Rache ergibt sich für den morgigen Tag. Mylady machte Mr. Canterfall deutlich, daß Mylady in einigen Stunden in See zu stechen gedenkt.«
»Das wird zu einem Spiel mit dem Feuer werden, Mr. Parker.« »In der Tat, Sir! Mr. Canterfall wird selbstverständlich Rache üben wollen. Man sollte davon ausgehen, daß die gemietete Yacht inzwischen wohl entsprechend hergerichtet wird.« »Sollten wir uns das nicht ansehen, Parker?« Mike Randers Anrede klang wieder altvertraut. »Die Gefahr, Sir, dabei überrascht zu werden, dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach ein wenig zu groß sein«, entgegnete der Butler. »Darf ich daran erinnern, wie gut das Grundstück Mr. Canterfalls abgeschirmt wurde?« »Miß Porter und ich haben wenigstens vier Wachtrupps beobachtet, als wir die elektronische Mauersicherung in Aufruhr brachten.« Mike Rander lächelte. »Die Leibwächter drehten fast durch und wußten gar nicht, was sie tun sollten.« . »Diese Beschäftigung erlaubte es Mylady, die Party gefahrlos zu verlassen, Sir. Die Leibwächter aber dürften nun die inzwischen gemietete Yacht streng abschirmen.« »Nun ja, wir wissen ja schließlich, daß der Kabinenkreuzer geimpft werden soll.« »Kurz nach dem Verlassen des Yachthafens, Sir, müßte man intensiv nach verborgenen Sprengladungen suchen.« »Gut, nehmen wir an, wir haben sie gefunden und unschädlich gemacht, Parker. Und dann? Was bringt das? Canterfall wird eben wissen, daß sein Anschlag mißglückt ist.« »Denken Sie daran, daß Canterfall vielleicht ein Beobachtungsflugzeug einsetzt, Parker.«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Die Besatzung dieses Flugzeugs könnte später von angeblich geheimnisvollen Erscheinungen berichteten.« »Und was werden wir berichten, Parker? Ich habe keine Lust, Schlagzeilen zu machen.« »Wenn es erlaubt ist, Sir, werde ich mir darüber einige Gedanken machen«, gab Butler Parker zurück. »Ich werde davon ausgehen, daß Mr. Canterfall sowohl Flugzeuge als auch Motoryachten einsetzen wird. Dies sollte und müßte der Ausgangspunkt meiner bescheidenen Überlegungen sein.« »Am liebsten wäre mir, Sie könnten ein U-Boot auftreiben«, sagte Anwalt Mike Rander spöttelnd. »Ein Hinweis, Sir, den ich dankbar aufzugreifen mir erlaube.« Parker deutete eine seiner berühmten knappen Verbeugungen an. * Gegen zehn Uhr am anderen Morgen erschien das Quartett im Haus der verschwundenen Martha Harrington, einem imposanten Anwesen bei Dania. Von einer Testamentseröffnung konnte selbstverständlich keine Rede sein. Der Anwalt bedauerte ungemein, in dieser Sache vorerst nichts tun zu können, da die Leiche der Mrs. Harrington fehle. Erst nach einer gesetzlichen Frist und nach einer erfolgten Todeserklärung könne man sich noch mal zusammenfinden. Er ließ allerdings durchblicken, daß das Vermögen der Martha Harrington
wohltätigen Stiftungen zufließen würde. »Es gibt also keinen unmittelbar Begünstigten?« erkundigte die ältere Dame sich nach der offiziellen Eröffnung des Anwalts. »Mit Sicherheit nicht, Mylady«, erwiderte der Anwalt, der einen äußerst korrekten Eindruck machte. »Typisch Martha«, meinte Agatha Simpson versonnen. »Lassen Sie mich noch deutlicher fragen: Gibt es irgendwelche Angehörigen hier in den Staaten, die vom Tod meiner Verwandten profitieren würden?« »Diese Frage kann ich verneinen, Mylady.« Der Anwalt nickte steif. »Weder mittel- noch unmittelbar wird es einen persönlichen Erben geben. Soviel darf ich bereits jetzt sagen. Ich möchte noch hinzufügen, daß die wohltätigen Stiftungen, denen das Erbe zufließen wird, über jeden Zweifel erhaben sind. Es handelt sich um nationale Fonds, die treuhänderisch verwaltet werden.« »Das macht die Sache wesentlich einfacher«, sagte die Detektivin später, als man im Wagen saß, um zu Melvin Pritchard zu fahren. »Wegen ihres Geldes ist sie also nicht umgebracht worden.« »Diese Möglichkeit ist in der Tat nun auszuschließen, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei. »Sie ist mit ihrem Flugzeug abgeschossen worden, weil sie sich im Bereich des Bermuda-Dreiecks befand«, führte Lady Simpson grimmig weiter aus. »Sie ist wahrscheinlich abgeschossen worden, um für Schlagzeilen zu sorgen.«
»Sie denken an das neue Buch dieses Pritchard, Mylady?« schaltete sich Mike Rander ein. »Natürlich«, gab sie zurück. »Er braucht Publicity. Darum mußten auch die drei Sportfischer sterben. Und ich gehe jede Wette ein, daß bis morgen noch zusätzlich einiges passieren wird. Stellen Sie sich mal vor, während der Pressekonferenz käme die Nachricht durch, da sei im Teufels-Dreieck schon wieder eine Yacht oder ein Sportflugzeug verschwunden!? Pritchard müßte ja vor Wonne jauchzen.« »Hat er denn diese Publicity überhaupt nötig?« erkundigte Kathy Porter sich. »Wie meinen Sie das, Kindchen?« Agatha Simpson war Kathy Porter gegenüber fast immer geduldig und liebenswürdig. »Waren seine letzten Bücher Flops, Mylady?« »Flops, Kindchen?« »Reinfälle, Mylady«, erklärte sie lächelnd. »Eigentlich müssen sie es gewesen sein, falls er wirklich als Anstifter hinter diesen Dingen stehen sollte.« »Sehr gut, Kindchen!« Die ältere Dame nickte wohlwollend. »Danach werde ich Mr. Pritchard deutlich fragen. Und dann werden wir uns mal mit diesem Hellseher befassen. Für solche Leute habe ich schon immer etwas übrig gehabt.« »Sollte man besagten Mr. Cardey nicht unmittelbar aufsuchen, Mylady?« schlug Parker vor. »Eine direkte Konfrontation wäre unter Umständen wirkungsvoller und ergiebiger als ein Besuch nach Voranmeldung.«
»Manchmal haben sogar Sie brauchbare Vorschläge«, meinte Lady Agatha leutselig. »Sehen wir uns diesen Mann mal aus der Nähe an. Ich bin einverstanden. Sie haben hoffentlich seine Adresse, Mr. Parker?« »Gewiß, Mylady.« Parker, der den Wagen steuerte, bog prompt in die nächste Seitenstraße ein. »Ich darf übrigens darauf aufmerksam machen, daß Mylady...« »Ich werde verfolgt?« fragte sie hoffnungsfroh. »Das genaue Gegenteil, Mylady, wollte ich gerade vermelden«, redete der Butler weiter. »Mr. Canterfall scheint daran interessiert zu sein, jedes weitere Aufsehen zu vermeiden.« »Weil er unsere Hochseeyacht präparieren läßt«, gab die Detektivin zurück, die die Theorie ihres Butlers selbstverständlich kannte. »Haben Sie sich schon etwas einfallen lassen, Mr. Parker? Ich sage Ihnen aber gleich, kommen Sie mir nur ja nicht mit einem Schlauchboot, in das ich übersteigen soll. Und denken Sie daran, daß es im Bermuda-Dreieck Haie gibt.« »Mylady dürfen versichert sein, daß meiner bescheidenen Wenigkeit rechtzeitig eine Lösung einfallen wird«, erklärte der Butler und minderte die Geschwindigkeit des Wagens. Er deutete auf ein langgestrecktes Haus im spanischen Stil, das inmitten einer grünen Rasenfläche stand. »Das Haus des Hellsehers, Mylady.« »Arm scheint er nicht gerade zu sein«, entgegnete sie. »Nun, wollen wir sehen, ob er wirklich so öffentlichkeitsscheu ist, wie Pritchard es behauptet hat.« *
»Hellsehen ist die Fähigkeit, Dinge und Ereignisse wahrzunehmen, die mit normalen Sinnen nicht erfaßt werden können, Dinge und Ereignisse, die geographisch weit entfernt sein können.« Donald Cardey lehnte sich zurück und schloß für einen Moment die Augen. Er war hager, etwa sechzig und hatte eine ausgeprägte Glatze. Er trug eine große Brille, die ihm ein eulenhaftes Aussehen verlieh. So öffentlichkeitsscheu, wie Pritchard behauptet hatte, war er gar nicht. Er hatte Lady Simpson und ihre Begleiter nach kurzer Vorstellung fast herzlich eingeladen in sein Arbeitszimmer, in dem man sich jetzt befand. Der Raum war mit Büchern vollgestopft und machte den Eindruck einer mittelalterlichen Gelehrtenstube. Geheimnisvolles war allerdings nicht zu sehen. »Können Sie auch in die Zukunft sehen?« erkundigte Lady Simpson sich nachdrücklich und zwang den Hellseher, sich wieder aufzurichten und die Augen zu öffnen. »Das wäre Präkognition, Mylady«, erwiderte Donald Cardey höflich. »Das wäre die Fähigkeit, Dinge vorherzusagen, die sich erst noch ereignen werden.« »Können Sie das?« bohrte Agatha Simpson nach. »Da muß ich bedauern, Mylady.« Cardey breitete die Hände aus. »Sehr schade, Mr. Cardey«, sagte sie. »Ich werde morgen mit einem Motorboot ins Bermuda-Dreieck fahren. Natürlich hätte ich gern gewußt, was mich dort erwartet.«
»Sie werden sich überraschen lassen müssen, Mylady«, erwiderte Donald Cardey.' »Eine Fahrt in das TeufelsDreieck ist wohl immer ein Risiko.« Laut Pritchard treiben sich dort draußen Aquanauten herum.« »Ich höre durchaus den spöttischen Unterton in Ihrer Stimme, Mylady«, schickte der Hellseher voraus, »aber ich möchte Sie warnen: Nehmen Sie die Dinge keineswegs auf die leichte Schulter!« »Sie glauben an diese Aquanauten?« schaltete sich Mike Rander ein. »Ich glaube an sie«, sagte Cardey mit überraschender Schlichtheit.« Und ich habe sie bereits gesehen. Nein, mißverstehen Sie mich nicht! Ich habe sie vor meinem geistigen Auge gesehen. Und ich weiß, daß sie eine Kultstätte besitzen, die ich mit der von Stonehenge vergleichen möchte.« »Stonehenge in England?« fragte der Anwalt verblüfft. »Richtig.« Der Hellseher nickte. »Sie ist natürlich wesentlich kleiner, aber wie gesagt, sie erinnert an Stonehenge.« »Und diese Kultstätte haben Sie gesehen?« Lady Simpsons Augen nahmen einen leichten Glanz an. Das, was sie da gerade hörte, hörte sie gern. Sie war übernatürlichen Dingen gegenüber stets aufgeschlossen. »Ich habe sie gesehen«, wiederholte der Hellseher mit einer Sicherheit und Selbstverständlichkeit, die frappierend war. »Nicht direkt, wie ich noch mal betonen möchte, aber dank meiner hellseherischen Fähigkeiten.« »Wo, bitte, befindet sich diese Kultstätte?« wollte Josuah Parker wissen.
»Draußen bei den Bermudas?« fragte Agatha Simpson in gespannter Erwartung. »Keineswegs» Mylady.« Donald Cardey schüttelte den Kopf. »Diese Kultstätte liegt vor der Haustür, würde ich sagen. Nun, ich will Sie nicht auf die Folter spannen: Fahren Sie hinaus zu den Bahamas, genauer gesagt, sehen Sie sich im Gebiet der Little Abaco Islands um! Dort muß sie sein. Es gibt dort eine Unzahl von Riffen und Untiefen, von Korallenbänken und menschenleeren Sandstreifen, die auf dem Meer aufsteigen und wieder versinken, bevor man sie überhaupt richtig zur Kenntnis nehmen kann.« »Und auf solch einem Riff steht die Kultstätte?« Die Detektivin war augenscheinlich fasziniert. »Die geologischen Formationen dort sind sehr in Unruhe«, erläuterte der Hellseher weiter. »Wahrscheinlich hängt alles mit den Aktivitäten der Aquanauten zusammen, Mylady.« »Mr. Pritchard vermutet auf dem Grund der See sogenannte Zufluchtstätten einer längst vergangenen Kultur, Sir«, sagte Parker mit neutraler Stimme. »Diese Vertreter einer uralten Kultur verfügen laut Mr. Pritchard über geradezu gewaltige Energiequellen.« »Das ist auch meine Meinung, Mr. Parker.« Cardey nickte langsam und wirkte keineswegs wie ein Mann, der Hirngespinsten nachjagt. »Und wie sehen diese Aquanauten aus, Sir?« wollte nun Kathy Porter wissen. »Wie können diese Menschen in solch einer Tiefe leben? Der Druck unter Wasser muß doch gewaltig sein und jedes menschliche Leben unmöglich machen.«
»Sie leben natürlich in geschützten, drucksicheren Seebasen, verstehen Sie? Sie werden doch gewiß die Tiefseekugeln kennen, Miß Porter, nicht wahr? Nun, sie erreichen Tiefen, bis zu zehn- und elftausend Metern, ohne daß den darin befindlichen Menschen etwas geschieht. So ähnlich sehen die Tiefseebasen der Aquanauten aus, wie ich sie gesehen habe. Sie bestehen natürlich nicht aus Stahl, wie wir ihn kennen, sondern aus einem Material, dessen Zusammensetzung wir wohl nie erfahren werden.« »Und wie kommen die Aquanauten an die Oberfläche der See?« Mike Rander amüsierte sich ein wenig über die Erklärungen des Hellsehers. »Mit Tauchkugeln, wie wir sie ja längst kennen«, redete Donald Cardey weiter. »Nachdem diese Tauchkugeln eine bestimmte Höhe erreicht haben, verlassen die Aquanauten sie und schwimmen an die Oberfläche.« »Sie haben diese Tiefseebasen gesehen?« Agatha Simpson sah den Hellseher in einer Mischung aus Neugier und Mißtrauen an. »Und auch die Aquanauten, Mylady«, bestätigte Donald Cardey ernst. »Nicht direkt, wie ich betonen möchte, sondern mit meinem geistigen Auge, wie ich bereits sagte.« »Und was treiben die Aquanauten?« erkundigte sich Kathy Porter. »Sie warten auf den Zeitpunkt ihrer Rückkehr auf die Erde, Miß Porter, um sie wieder in Besitz zu nehmen. Wann das geschehen wird, vermag ich nicht zu sagen.« »Und zwischendurch erscheinen sie in dieser Kultstätte?« Mike Rander bemühte sich um Ernsthaftigkeit. »Ge-
schieht das in regelmäßigen Abständen, Mr. Cardey?« »Hinter dieses Geheimnis bin ich noch nicht gekommen, Mr. Rander«, antwortete der Hellseher in einem Ton, als spreche er von der selbstverständlichsten Sache der Welt. »Irgendwann wird es mir bestimmt gelingen, Kontakt mit den Aquanauten aufzunehmen.« »Mr. Pritchard behauptet, er kenne gewisse Augenzeugen, die die Aquanauten gesehen und sogar fotografiert haben wollen«, meldete Lady Agatha sich zu Wort. »Ich kenne diese Fotos.« Donald Cardey nickte. »Sie sind ziemlich unscharf und könnten von Laien für, sagen wir, Delphine oder Tümmler gehalten werden, aber es handelt sich natürlich um Aquanauten, wie ich weiß. Das bringt mich übrigens auf etwas, was noch gesagt werden sollte: Delphine sind meiner Ansicht nach intelligente Mitarbeiter dieser geheimnisvollen Kulturträger. Sie wissen, Delphine besitzen eine außerordentliche Intelligenz.« »Pritchards Buch muß ja demnach eine Sensation werden«, vermutete Mike Rander. »Ich denke, er kann diesen Erfolg brauchen, oder? Seine beiden letzten Bücher waren ja nicht gerade große Verkaufsschlager, wenn ich recht orientiert worden bin.« »Leider«, bestätigte der Hellseher, »die Themenkreise, die er behandelte, haben seine Leser wohl überfordert. Mit diesem Buch aber wird er sein großes Comeback feiern, hoffe ich!« *
»Ich hatte Sie selbstverständlich sicherheitshalber angekündigt«, sagte Cary Orland lächelnd. »Glauben Sie mir, Mylady, normalerweise hätte Mr. Cardey Sie nie empfangen.« Cary Orland war der Sekretär des Schriftstellers, ein etwas dicklicher Mann von etwa dreißig Jahren mit rundlich-freundlichem Gesicht. Er hatte Lady Simpson und ihre Begleiter in Pritchards großen Wohnraum geführt. »Nett von Ihnen, junger Mann«, erwiderte Lady Agatha und gab sich relativ freundlich, nachdem sie ihn durchdringend gemustert hatte. »Sie arbeiten schon lange für Mr. Pritchard?« »Ich bin an ihn vermietet worden.« Cary Orland lächelte. »Eigentlich arbeite ich für den Verlag, der das Buch herausbringt.« »Und was ist Ihre Tätigkeit?« verlangte die Detektivin zu wissen. »Ich sorge dafür, daß die Termine eingehalten werden, Mylady. Mr. Pritchard hatte da gewisse Schwierigkeiten mit der Niederschrift. Er wollte immer wieder zusätzliche Literatur auswerten und weitere Recherchen anstellen.« »Sie haben ihm auch bei der Niederschrift geholfen?« Agatha Simpson war hellhörig geworden. »Mr. Pritchard diktierte, ich schrieb«, präzisierte der ausgeliehene Sekretär recht halbherzig. Es schien ihm darauf anzukommen, daß sein Licht nicht unter dem Scheffel verschwand. »Haben Sie ihm auch bei seinen letzten Büchern geholfen?« schaltete sich der Anwalt ein. »Leider nicht, Sir.« Cary Orland schüttelte den Kopf. »Ich möchte wet-
ten, sie wären dann wohl besser angekommen. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber gewisse Dinge der Darstellung wären dann wohl doch etwas, nun ja, flüssiger und journalistischer ausgefallen.« »Morgen wird das neue Buch also vorgestellt.« Lady Simpson nickte. »Wie hoch ist die Erstauflage?« »Darüber darf und kann ich nichts sagen, Mylady.« Orland zuckte die Achseln. »Mit der Verkaufspolitik habe ich nichts zu tun, ich bin nur für die rechtzeitige Niederschrift zuständig gewesen.« »Sie sind also ein Ghostwriter, nicht wahr?« erkundigte Kathy Porter sich lächelnd. »Nein, nein, so ist das nicht, Miß«, wehrte Orland erneut halbherzig ab. »Schön, ich habe gewisse Formulierungen, sagen wir, geglättet, mehr aber wirklich nicht. Als Ghostwriter hätte ich ja im Namen von Melvin Pritchard das ganze Buch geschrieben.« »Glauben Sie an das, was er da an Thesen vertritt? Ich erwarte eine offene Antwort, junger Mann, und ich will Ihnen auch sagen, warum ich sie erwarte: Ich suche einen Sekretär zur Mitarbeit an meinem geplanten Bestseller.« »Sie suchen... einen... Sekretär...?« Orland schluckte, seine Augen glänzten, er leckte sich unwillkürlich die vollen Lippen. »Einen Ghostwriter, der mir die unwichtige Detailarbeit abnimmt«, präzisierte Agatha Simpson. »Dieser Sekretär müßte natürlich wendig sein und sich auf meinen Stil einstellen können.«
»Kleinigkeit, Mylady«, erwiderte Cary Orland und gab jede Vorsicht auf. »Ich imitiere jeden Stil, den Sie haben wollen, das ist 'ne Spezialität von mir.« »Wir werden über diesen Punkt noch miteinander reden, junger Mann. Ich denke, Sie werden mit dem Honorar zufrieden sein.« »Ihr Angebot reizt mich, Mylady«, gestand Cary Orland. »Ich bin nach dem Erscheinen des Buches ohnehin frei. Ich könnte sofort anfangen.« »Sie sind nicht vertraglich an Ihren jetzigen Verlag gebunden?« »Aber nein, ich bin nur befristet engagiert worden, Mylady. Nur für Pritchard.« »Und wo befindet er sich jetzt, junger Mann?« »Um die Wahrheit zu sagen, Mylady, er ist, sagen wir, etwas leicht angetrunken und liegt auf seinem Bett.« »Er hat wohl einen kräftigen Vorschuß auf seinen Erfolg genommen, wie?« Sie lachte gespielt verständnisvoll. »So ungefähr, Mylady.« Cary Orland nickte. »Aber bis morgen dürfte er wieder in Ordnung sein und sich der Presse stellen können.« »Werden auch Vertreter des Verlags zugegen sein, Mr. Orland?« fragte Mike Rander. »Selbstverständlich, Sir.« Orland nickte. »Immerhin stellt Mr. Canterfall sich zürn ersten Mal als Buchverleger vor.« »Canterfall?« Lady Simpson hüstelte ein wenig. »Canterfall junior, Mylady«, redete Cary Orland arglos weiter. »Er hat den Verlag vor einem halben Jahr
übernommen, ich meine den Verlag, für den Pritchard unter Vertrag steht. Dieser neue Pritchard ist der Einstand von Canterfall junior.« »Versteht er denn was von Büchern?« staunte Mike Rander gespielt und tat zusätzlich noch irritiert. »Keine Ahnung« Sir!« Cary Orland zuckte die Achseln. »Er hat Kunstgeschichte studiert und bisher ein paar, sagen wir, Fotomagazine herausgegeben. Aber mit dem neuen Pritchard wird er bestimmt ganz groß einsteigen. Das Buch wird ein Hit werden!« * «Hoffentlich wird meine Abfahrt auch gebührend beobachtet, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson, als sie an Bord des großen Kabinenkreuzers stieg. Sie hatte ihre Garderobe ergänzt und trug über ihrem weiten TweedKostüm eine kanariengelbe Ölhaut. »Mylady dürfen versichert sein, daß dieser Moment von vielen Augenpaaren zur Kenntnis genommen wird«, versicherte Josuah Parker ihr. »Wollen Mylady das Ablegemanöver selbst übernehmen, oder sollte vielleicht Mr. Rander...?« »Papperlapapp, Mr. Parker!« Sie schaute ihn unwirsch an. »Wir wollen doch schließlich heil diesen Hafen hinter uns lassen, oder?« »Wenn ich mir gestatten darf, Mylady den Ruderstand zu zeigen?« »Unsinn, Mr. Parker, darin kenne ich mich aus! Machen Sie die Leinen los! Wo ist übrigens der Seebär, der mir diese Yacht vermietet hat?«
»Auf See, Mylady, wie sein Stellvertreter meiner bescheidenen Wenigkeit versicherte.« »Glauben Sie das, Mr. Parker?« »Auf keinen Fall, Mylady, man dürfte ihn kurzfristig gebeten haben, sich nicht weiter um diesen Kabinenkreuzer hier zu kümmern.« »Alles an Bord, Mr. Parker?« Lady Simpson sprach in einem Ton, als sei sie Kapitän eines Schlachtschiffes. »Miß Porter und Mr. Rander befinden sich bereits unter Deck, Mylady«, antwortete Parker. »Die Leinen sind inzwischen gelöst, und die Yacht treibt bereits leicht ab, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.« »Absicht, reine Absicht, Mr. Parker...« »Sie treibt auf einige Boote zu, Mylady, die einen relativ verletzbaren Eindruck machen.« »Sind Sie etwa nervös, Mr. Parker?« Agatha Simpson befand sich auf dem freien, oberen Ruderstand und blickte versonnen auf die Vielzahl der Hebel, Knöpfe, Schalter und Anzeigetafeln. Dann entschloß sie sich, erst mal alles der Reihe nach auszuprobieren. Ihre kräftigen Finger verwandelten sich in die eines Klaviervirtuosen, der Läufe und Griffe übte. Sie nickte erfreut, als plötzlich die beiden Innenbordmotoren ansprangen, womit sie eigentlich nicht gerechnet hatte. »Kenne ich mich nun aus oder nicht?« fragte sie den Butler und bedachte ihn mit einem ironischen Blick, in dem Triumph lag. Dann steigerte ihr Selbstvertrauen sich. Lady Agatha drückte beide Fahrt- oder Gashebel energisch nach vorn. Die Folgen waren beachtlich ...
Der schwere Kabinenkreuzer verwandelte sich in eine Art Heuschrecke, die sich auf Wasser spezialisiert hat. Das Boot machte einen gewaltigen Satz nach vorn und hob sich aus dem Wasser. Die beiden Motoren röhrten auf wie brünstige Elche oder Hirsche, das Wasser hinten am Heck verwandelte sich in weißen Schaum. Nach dem Panthersprung nach vorn nahm das Boot sofort volle Fahrt auf und raste ein wenig unkontrolliert auf einen nahen Bootssteg zu. Einige Wassersportler auf diesem Steg sahen sich veranlaßt, den Steg hastig zu verlassen. Sie hechteten ins Wasser und kraulten, getrieben von wildem Entsetzen, zurück an Land. Agatha Simpson saß derweil noch neben dem weich gepolsterten und gefederten Rudersitz. Beim Vorspringen des Kabinenkreuzer war sie aus dem Gleichgewicht geraten und hatte den Sitz verfehlt. Parker wäre ihr gern zu Hilfe gekommen, doch auch er rang intensiv mit seinem Gleichgewicht. Er hatte sich gerade noch im letzten Moment und äußerst geistesgegenwärtig mit dem Bambusgriff seines UniversalRegenschirms nach einem Haltegriff verhakt und zog sich nun am Schirmstock mühevoll nach vorn, um sich in den Besitz des Ruders zu bringen. Das war nicht gerade einfach. Die beiden leistungsstarken Motoren liefen auf vollen Touren und katapultierten den Kabinenkreuzer mit der Geschwindigkeit eines Rennbootes durch das Wasser. Übrigens, der bedrohte Steg stand inzwischen nicht mehr zur Debatte.
Der Bug des Kabinenkreuzers hatte sich auf die Breitseite einer Segelyacht konzentriert, an deren Deck etwa zehn bis zwölf junge Leute waren, die vorerst noch freundlich winkten. Sie hatten noch nicht bemerkt, was da auf sie zukam. Als sie es begriffen, hüpften sie fast gleichzeitig ins Wasser und brachten sich ebenfalls in Sicherheit. Butler Parker hatte es inzwischen geschafft, das Ruder zu erreichen. Im allerletzten Moment ließ er den schweren Kabinenkreuzer um die Segelyacht herumspringen und korrigierte dann vorsichtig den Kurs. Gleichzeitig sorgte er dafür, daß die Fahrt etwas zurückgenommen wurde. »Man darf Sie aber auch keinen Moment allein lassen«, hörte er hinter sich die Stimme seiner Herrin, die sich ebenfalls nach vorn gekämpft hatte. »Sie sind technisch völlig unbegabt.« »Wie Mylady zu meinen belieben.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Um ein Haar hätten Sie eine Katastrophe verschuldet.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht.« »Von einem Motorboot muß man eben etwas verstehen, Mr. Parker. Ich werde jetzt das Ruder übernehmen, damit nicht doch noch etwas passiert!« Mylady beschämen mich.« Parker übergab das Ruder an die ältere Dame und suchte nach einem passenden Halt, da er nicht wußte, was sie plante. »Solch ein Kabinenkreuzer ist kein Spielzeug«, dozierte Lady Agatha und sah zufrieden in die Runde. »Draußen auf See werde ich Ihnen beibringen, wie man richtig steuert, hier im engen Hafen ist das zu kompliziert für Sie.«
»Mylady machen meine Wenigkeit glücklich«, antwortete Josuah Parker.« Darf ich mich erkühnen, Mylady auf die Boje dort aufmerksam zu machen? Sie könnte sich als hinderlich erweisen.« »Schnickschnack, Mr. Parker!« Sie hatte die erwähnte Boje endlich bemerkt. »Wir werden sie elegant nehmen und umfahren.« Was sie anschließend tat. Sie umfuhr die Boje allerdings nicht gerade elegant, sondern brachte ihr ein an sich nicht gerade riesiges Leck bei. Sie versank gurgelnd und verschwand in der weißen Heckwelle. »Kurs halten, Mr. Parker, darauf kommt es an!« Agatha Simpson deutete hinaus auf See. »Später werde ich Ihnen zeigen, wie man seine Position bestimmt. Es gibt da verschiedene Methoden, wie ich gelesen habe. Ich werde mich sicherheitshalber nach dem Stand der Sterne orientieren.« »Mylady, es ist kurz nach Mittag«, erinnerte Josuah Parker. »Nun, dann werde ich eben eine sogenannte Kreuzpeilung vornehmen, Mr. Parker. Wie das geht, steht dort in dem Buch. Ich weiß es, aber machen Sie sich inzwischen damit ein wenig vertraut. Ohne Theorie keine Praxis!« »Mylady hätten es nicht treffender auszudrücken vermögen«, gab der Butler zurück. »Wenn es erlaubt ist, möchte ich mich jetzt nach dem Befinden von Miß Porter und Mr. Rander erkundigen. Sie sind erstaunlicherweise noch nicht an Deck erschienen.« *
»Himmel nochmal, will sie uns umbringen?« keuchte Mike Rander, als Parker in der großen Hauptkabine erschien. »Mylady hat soeben die Hafeneinfahrt passiert«, meldete der Butler mit stoischer Ruhe. »Nach Lage der Dinge dürfte vorerst nicht mit weiteren Überraschungen zu rechnen sein.« »Ich habe mir ein paar blaue Flecken geholt, Parker. Es hat mich glatt von den Beinen gerissen.« »Sie dürfen versichert sein, Sir, daß es meiner Wenigkeit kaum anders erging. Ist Miß Porter wohlauf?« »Sie muß bereits einschlägige Erfahrungen gemacht haben. Sie hat sich sofort in eine Koje gelegt.« »Eine weise Entscheidung, Sir. Inzwischen ist die offene See erreicht, wie ich beruhigend versichern darf. Weitere Kunststücke dürften uns vorerst erspart bleiben.« Dann kann man sich also 'rauf an Deck trauen?« »Durchaus, Sir. Mylady hat Kurs auf die Bahamas genommen.« »Wann rechnen Sie mit einem Zwischenfall, Mr. Parker?« »Erst in einer Stunde, Sir. Man wird warten, bis der Kabinenkreuzer weit draußen auf See ist.« »Sollten wir jetzt nicht nach den kleinen Überraschungen suchen, Parker? Ein ziemlich unschönes Gefühl, auf einer tickenden Zeitbombe zu sitzen.« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich Ihre Ansicht teilen.« Parker nickte andeutungsweise und zustimmend. »Falls meine bescheidenen Sinne mich nicht trügen, dürften sich die erwähnten Überraschungen im Bilgenraum befinden.«
Mike Rander deutete auf eine schmale Tür, durch die man den kleinen Maschinenraum erreichte. Er setzte sich sofort in Bewegung, während Josuah Parker Kathy Porter begrüßte, die inzwischen erschienen war. Er .bat sie, Mylady unauffällig zur Hand zu gehen, falls es zu Zwischenfällen oben auf dem Ruderstand kam. Sie lächelte und ging nach oben an Deck. Mike Rander und Butler Parker machten sich anschließend daran, den Kabinenkreuzer intensiv zu durchsuchen. Im Maschinenraum, in dem die beiden kräftigen Motoren standen, hoben sie den Deckel zu einem Einstieg. Parker bemühte sich gemessen hinunter in den Bilgenraum und wurde schon nach wenigen Minuten fündig. Er erschien wieder oben im Maschinenraum und präsentierte dem Anwalt zwei kleine, grau gestrichene Kästchen, in denen es leise, aber immerhin hörbar tickte. »Zeitzünder, Sir«, meldete er. »Die dazugehörigen Sprengladungen zeichnen sich durch eine erstaunliche Größe aus.« »Zwei Sprengladungen also.« Rander atmete hörbar durch. »Die Dinger sind jetzt entschärft, Mr. Parker?« »Diese zweifelsfrei, Sir.« »Moment mal, Sie nehmen an, daß es noch weitere Sprengladungen gibt?« »Davon sollte man in der Tat ausgehen, Sir. Die Mitarbeiter Mr. Canterfall werden sich damit keineswegs begnügt haben.« »Können Sie feststehen, auf welche Uhrzeit die Zeitzünder eingesteht wurden?«
»Dazu müßte man die beiden Kästchen öffnen, wovon ich dringend abrate, Sir. Man weiß nicht, welche zusätzlichen Überraschungen eingebaut wurden.« »Also gut, lassen wir das, Parker. Sie rechnen also mit weiteren Sprengsätzen. Wo könnten die versteckt sein?« »Außenbords, Sir, wenn ich eine Prognose wagen dürfte.« »Dann werde ich mal nachsehen, sobald wir die Fahrt weggenommen haben.« »Sir, darf ich mir erlauben, einen Hinweis zu geben?« »Natürlich, Parker, das wissen Sie doch.« »Man sollte sich nicht weiter um Sprengsätze kümmern, Sir. Der Kabinenkreuzer sollte doch ohnehin auf geheimnisvolle und rätselhafte Art verschwinden.« »Und was ist mit uns, Parker? Müssen wir doch in ein Schlauchboot um-. steigen?« »Für eine gewisse Zeit schon, Sir«, gab Josuah Parker würdevoll zurück und schloß den Einstieg zur Bilge. »Dies wird jedoch im Schutz einer plötzlichen und rätselhaften Wetterverschlechterung geschehen, für. die zu sorgen ich mir bereits die Freiheit nahm.« * Ron Walton, der angebliche Detektiv mit dem flachsblonden Haar, saß neben dem Piloten der einmotorigen Cessna und suchte die Wasseroberfläche mit dem Fernglas ab. Der Pilot, der im Dienst eines gewissen Jerome C. Canterfall stand, jedoch
eine unabhängige, winzig kleine Fluglinie betrieb, war vor einer Stunde in Fort Lauderdale gestartet und wußte genau, welchen Kurs er zu nehmen hatte. Sein Ziel waren die Little Abaco Islands und ihre vorgelagerten Riffe und Sandbänke. Worum es genau ging, wußte der Mann natürlich nicht. Man hatte ihm nur gesagt, Walton wolle einen Kabinenkreuzer beobachten, der die kleine Inselgruppe der Bahamas ansteuerte. Der Pilot war auf achthundert Meter gestiegen, um Walton einen guten Rundblick zu gestatten. Das Wetter zu dieser Stunde war ausgezeichnet, die Sicht entsprechend sehr gut. Unten auf See waren hin und wieder Segelyachten und größere Motorboote zu sehen, deren Zahl aber von Meile zu Meile immer geringer wurde. Normalerweise hielten diese Boote stets Kontakt mit der Küste, falls sie nicht über die entsprechende, nautische Einrichtung verfügten. Ron Walton befand sich in bester Laune. Er hatte die Vorbereitungen getroffen, die den Kabinenkreuzer auf rätselhafte Art und Weise verschwinden lassen mußten. Der angebliche Privatdetektiv hatte seiner Phantasie die Sporen gegeben, damit es nicht wieder zu einer Panne kam. Er hatte die Vernichtung der Hochseeyacht mit doppelt und dreifacher Sicherung vorbereitet. Diesmal würden Bernie Balmer und dessen Hintermänner voll und ganz zufrieden sein. Er sah auf seine Armbanduhr. Nach seiner Zeitrechnung verblieben noch rund dreißig Minuten, bis das verdammte Quartett aus England sich
endlich in Luft auflösen wurde. Zu diesem Zeitpunkt mußte der Kabinenkreuzer sich bereits weit draußen auf See befinden, und zwar in einem Gebiet, das nicht gerade sehr befahren war. Der Pilot, ein handfest aussehender Mann, tippte Walton an und deutete nach links. Er legte seine Cessna in eine flache Kurve, damit Walton besser sehen konnte. Da war der Kabinenkreuzer! Er pflügte mit ziemlicher Fahrt durch die See. Erfreulicherweise war weit um ihn herum kein anderes Fahrzeug zu sehen. Man war und blieb also unter sich. Besser konnte die Sache gar nicht laufen. Ron Walton gab dem Piloten durch ein Handzeichen zu verstehen, nicht zu nahe an den Kabinenkreuzer heranzufliegen. Darüber hatten sie sich bereits schon vor dem Start unterhalten. Der Pilot verstand und zog seine Maschine noch ein wenig höher, um dann auf südlichen Kurs zu gehen. Als der Kabinenkreuzer nur noch an ein Stück Treibholz erinnerte, was seine Dimensionen betraf, ging der Pilot auf Parallelkurs und begnügte sich mit Sichtkontakt. Er überholte den Kabinenkreuzer, flog eine weite Schleife und gab Walton immer wieder Gelegenheit, die Yacht durch das Fernglas zu beobachten. Noch zehn Minuten! Ron Walton merkte, daß er von einer, gewissen Nervosität erfaßt wurde. Gut, er hatte alle Eventualitäten durchkalkuliert und sie in seinen Plan miteinbezogen, aber irgendwo in seinem Hinterkopf wuchsen plötzlich dennoch gewisse Zweifel.
Bisher hatte dieser Butler samt seiner verrückten Lady immer anders reagiert als erwartet. Dieser Bursche war trickreich und hatte eine gefährliche Phantasie. Ob er wirklich so ahnungslos war da unten auf dem Kabinenkreuzer? Nun, selbst wenn er die beiden Sprengladungen gefunden hatte, dann gab es immer noch zwei weitere hochbrisante Ladungen, die völlig ausreichten, um den Kabinenkreuzer verschwinden zu lassen... Der Pilot tippte Walton jetzt nachdrücklich an. Der flachsblonde Privatdetektiv schaute nach unten und ... schluckte vor Aufregung. Auf der Wasseroberfläche breitete sich ein milchiger, vorerst dünner Nebelschleier aus. Ein Gazeschleier verdeckte den Kabinenkreuzer, ein Gazeschleier, der dichter wurde und sich weiter ausbreitete. »Was ist das?« schrie Walton dem Piloten zu. Der antwortete nur durch das ratlose Heben seiner Schultern. »'runtergehen«, brühte Walton nervös. »Los, tiefer 'runter!« Der Pilot nickte, aber er kam der Aufforderung Waltons nur recht halbherzig nach. Natürlich wußte auch der Pilot, was man sich über das Teufels-Dreieck erzählte. Er kannte auch die vielen geheimnisvollen Zwischenfähe, die sich darin ereignet hatten. Der Nebel war inzwischen dicht geworden und bedeckte die See in einem großen Oval. Vom Kabinenkreuzer war nicht mehr viel zu sehen, er war plötzlich noch nicht mal in Umrissen zu erkennen.
»Geben Sie das an die Coast Guard durch«, rief Walton dem Piloten zu, der heftig nickte und unmerklich dafür sorgte, nicht zu nahe an diesen Nebelfleck heranzufliegen. Er griff nach dem Handmikrophon, schaltete die Funkanlage ein und setzte seinen ersten Spruch ab. Nur noch fünf Minuten nach Waltons Berechnung... Der Nebel war jetzt kompakt geworden und erinnerte an einen riesigen Wattebausch. Seine Höhe betrug inzwischen rund zweihundert Meter, und die Watte quoll in heftigen Turbulenzen immer weiter nach oben. Da passierte es! Tief unten in dieser dichten Watte war plötzlich ein orangefarbener Blitz zu sehen, der die Watte für ein paar Sekunden färbte. Dann strudelten die Nebel noch heftiger durcheinander und lösten sich in Teilfetzen auf. »'runter, 'runter«, brühte Ron Walton, der innerlich erleichtert aufatmete. Die Sache hatte geklappt, er war voll und ganz rehabilitiert, er hatte Balmer und damit auch der Mafia bewiesen, daß man sich auf ihn verlassen konnte. Der Pilot war vorsichtig. In großen Kreisen näherte er sich dem Turm, den die Watte gebildet hatte. Er hielt nach wie vor sein Handmikrofon in Betrieb und berichtete mit aufgeregter Stimme, was er sah. Endlich wagte er es, durch die sich auflösenden Nebelfetzen zu fliegen. Ron Walton suchte hastig die Wasseroberfläche nach dem Kabinenkreuzer ab. Nichts zu sehen! Die große Yacht war verschwunden. Auf dem Wasser trieben nur einige
Trümmerstücke, dann war da noch eine Öllache auszumachen. Ron Walton lehnte sich zurück und schloß für einen Moment erleichtert und erschöpft zugleich die Augen. Er brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen. Das Quartett war erledigt und ein weiteres Opfer des berüchtigten Bermuda-Dreiecks geworden! * »Ausgezeichnet, Ron, sehr gut!« Bernie Balmer strahlte, als der angebliche Privatdetektiv Bericht erstattet hatte und ihm einige Fotos vorlegte, die Walton mit einer Polaroidkamera gemacht hatte. Die Wracktrümmer auf See waren deutlich zu erkennen, ebenfalls auch der Ölfilm. Es handelte sich bei diesen Beweisstücken selbstverständlich um Farbaufnahmen. »Ich habe eigentlich bis zuletzt an einen faulen Trick gedacht«, gab Ron Walton ehrlich zu. »Was sagen Sie zu diesen Nebelwolken? Die waren eigentlich nicht geplant.« »Weiß der Henker, was das ist.« Bernie Balmer sah sich einige Fotos an, auf denen die Wattewolken klar zu erkennen waren. Sie hoben sich gegen den sonst azurblauen Himmel deutlich ab. »Vielleicht ist mit dem BermudaDreieck tatsächlich was nicht in Ordnung, aber das ist nicht unser Bier.« »Ich bin also wieder voll im Geschäft?« »Voll im Geschäft.« Bernie Balmer nickte und raffte die Fotos zusammen. »Morgen wird es Schlagzeilen geben, die sich gewaschen haben, wobei die heutigen sich auch sehen lassen können.«
Er deutete auf einige Zeitungen, die in großer Aufmachung vom Verschwinden zweier Männer namens Pete Boone und Jeff Monton berichteten. Auch sie waren zu Opfern des berüchtigten Teufels-Dreiecks erklärt worden. »Morgen ist die Pressekonferenz und die Vorstellung von Pritchards neuestem Buch, oder?« fragte Ron Walton schon fast zu beiläufig. »Richtig«, bestätigte Bernie Balmer und lächelte. »Mit der Publicity muß die Schwarte ja zu 'nem wilden Renner werden, Ron.« »Die Auflagen werden Rekordhöhen erreichen.« »Ich würd' an deiner Stelle nicht zuviel darüber nachdenken«, riet Balmer seinem Mitarbeiter. Er bediente sich wieder des vertrauten Tones. »So, und jetzt freue ich mich auf die Nachrichten.« »Sind die Funkdurchsendungen meines Piloten gut angekommen?« »Gestochen scharf, das weiß ich bereits. Der Mann hätte Reporter werden sollen, so gut war sein Bericht.« »Er wird zur Zeit von der Küstenwache verhört.« »Da wird's doch keine Panne geben, wie?« Balmer sah seinen Mitarbeiter mit einem letzten Rest von Sorge und Mißtrauen an. »Ausgeschlossen, Balmer! Der Pilot hat überhaupt keine Ahnung, was eigentlich passiert ist.« »Nehmen wir einen Drink.« Balmer gab sich großzügig. Er deutete auf die Hausbar. Ron Walton mixte zwei Drinks und kam zu Balmers Arbeitstisch zurück. »Das war schon ein verrücktes Quartett«, meinte der Diskothekbesitzer
und nahm einen Schluck aus dem Glas. »Ehrlich, Ron, so was is' mir bisher noch nie über den Weg gelaufen.« »Waren das nun Amateure oder Profis?« fragte Walton. »Amateure. Ich weiß inzwischen, daß die Lady 'ne echte Lady war. Hochadel und so. Und der Butler war ebenfalls goldecht.« »Gegen uns hatten sie auf die Dauer keine Chance.« »Natürlich nicht, aber Kopfschmerzen haben sie uns schon gemacht.« »Die komische Alte muß bei Canterfall 'ne irre Show abgezogen haben, wie?« »Ich weiß noch nicht mal, wer Canterfall ist«, gab Bernie Balmer mit überraschender Kühle und Distanz zurück. »Vergessen Sie den Namen, Ron, vergessen Sie ihn möglichst schnell!« »Schon gut, schon gut, Balmer.« Walton lächelte ein wenig verkrampft und ärgerte sich, den Namen erwähnt zu haben. »Ich hab' noch zu tun.« Balmer sah zur Tür hinüber, und Ron Walton verstand. Er trank sein Glas leer und verließ das Büro. Als er draußen vor der Discothek in seinem Wagen saß, schossen ihm einige Gedanken durch den Kopf, die mit seiner unmittelbaren Gesundheit zu tun hatten. War es vielleicht ratsam, erst mal in volle Deckung zu gehen? Waren Balmer und sein Auftraggeber vielleicht der Ansicht, daß er inzwischen zu viel wußte? Stand er bereits auf der Liste jener Personen, die im Bermuda-Dreieck noch umkommen würden?
Wie gesagt, er wüßte eine Menge über einen gewissen Schwindel und hatte persönlich daran mitgearbeitet. Er war damit zu einem wichtigen Augenzeugen geworden, den die Mafia hier an der Küste nicht mehr sonderlich schätzte. Ron Walton hatte einfach keine Lust, irgendwo in den Sümpfen oder nahen Everglades für immer zu verschwinden. Er fühlte sich auch noch zu jung, um für Schlagzeilen zu sorgen. Er fuhr rasant los in Richtung Davie Boulevard, um eine kleine Reise vorzubereiten. In seinem Büro standen zwei fertig gepackte Koffer. Als vorausschauender Mann hielt er sein Fluchtgepäck stets griffbereit. Daß er bereits verfolgt wurde, ahnte er nicht. * Cary Orland hatte sich vergewissert, daß der Autor fest schlief. Melvin Pritchard hatte wieder mal ausgiebig getrunken und stand darüber hinaus noch unter dem Einfluß eines Schlafmittels. Bis zum kommenden Tag würde er mit Sicherheit nicht wieder zu sich kommen. Der rundliche Orland, Pritchards Ghostwriter, hatte eben erst einen wichtigen Telefonanruf erhalten und war dabei, einen bestimmten Befehl umgehend auszuführen. Er wußte genau, was gut für ihn war. Seine bisherige Erfolgskurve kletterte weiter steil nach oben. Für die Zukunft brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Er saß am Steuer eines Caravans, dessen Ladefläche mit normaler Campingausrüstung gefüllt war.
Orland schien sich bis zur Pressekonferenz und Buch-vorstehung ein wenig entspannen zu wollen. Er hatte keine Eile. Cary Orland verließ in westlicher Richtung Fort Lauderdale und hielt auf die nahen Everglades zu. Er wußte inzwischen sowohl aus Radiomeldungen als auch von einem Telefonanruf her, was mit dem englischen Quartett geschehen war. Irgendwie bedauerte der rundliche Sekretär des Schriftstehers diesen tödlichen Ausgang, denn gerade Lady Simpson und Butler Parker hatten ihm gefallen. Gut, sie standen auf der Gegenseite, aber sie waren wirklich einmalige Typen gewesen, über die man eigentlich schreiben mußte. Es waren keine genormten US-Bürger gewesen, sondern echte, unverwechselbare Persönlichkeiten. Orland, der sich nicht zu Unrecht als Schriftsteller fühlte, konnte sich dieses Paar durchaus als die Helden einer Kriminalserie vorstellen, die man sogar an eine Fernsehgesellschaft verkaufen konnte. Es handelte sich da um ein Paar, das gegen den Strich agierte und so gar nicht mit jenen Krimihelden zu verwechseln war, die die Bildschirme bevölkerten und alle gegeneinander austauschbar waren. Nun, vielleicht nahm er sich dieses skurrile Paar eines Tages wirklich mal zum Vorbild einer Kriminalserie. Er lächelte unwillkürlich, als er an all die vielen Möglichkeiten dachte, die dieser Gedanke bot. Er befand sich bereits auf der Straße, die am New North River Canal entlangführte, und bog auf halber Strecke in einen schmalen Weg ein. Der vollbepackte Karavan holperte
über die schmale Fahrbahn, die praktisch eine Aneinanderreihung von wassergefüllten Schlaglöchern darstellte. Sie schlängelte sich durch ein wahres Dickicht von tropischen Bäumen und Pflanzen und endete vor einem kleinen Wasserloch. Der Sekretär des Schriftstellers hielt und zerrte ein zusammengefaltetes Schlauchboot aus dem Laderaum. Er blies es mittels einer Preßluftflasche auf, schleppte einen kleinen Außenborder herbei und montierte ihn am Gestänge des Schlauchbootes. Anschließend mühte er sich noch mit drei Benzinkanistern ab wie sie von der Armee verwendet werden. Nachdem er alles verstaut hatte, warf er den kleinen Außenborder an und durchquerte das Wasserloch. Er kannte sich hier bestens aus, denn er fand auf Anhieb eine Art Durchfluß, der allerdings von tief hängenden Zweigen eines Baumes getarnt wurde. Durch einen engen, teils nur zu erahnenden Kanal erreichte er einen kleinen See, in dem abgestorbene Baumstämme verfaulten und einen modrigen Geruch verbreiteten. Nach etwa zwanzig Minuten erreichte Cary Orland eine Art Insel, auf der hohe Bäume mit breiten Blätterkronen standen. Er gab Vollgas und ließ das Schlauchboot über das schlüpfrige Ufer weit aufs trockene Land rutschen. Er stieg aus und bewaffnete sich mit den beiden ersten Kanistern auf das dichte Unterholz zu. Auch hier gab es einen kaum erkennbaren Pfad, der in einer Lichtung endete. Der Sekretär des Schriftstellers schien die Einmaligkeit dieses Anblicks überhaupt nicht zu bemerken.
Immerhin stand er vor einer Art Steinzeittempel, der überraschend an Stonehenge erinnerte. Mächtige Steinpfeiler, die aus einem Stück bestanden und erstaunlicherweise mit Tang und Wasserpflanzen bedeckt waren, trugen Dolmen, also mächtige Steinplatten, die ebenfalls aus einem Stück bestanden und quer über diesen Pfeilern lagen. Diese urweltliche Anlage hatte eine Höhe von sechs bis acht Metern und bedeckte ein Quadrat, dessen Kantenlänge schätzungsweise sechzig Meter betrug. Schaute man allerdings genauer hin, dann wurde man sich darüber klar, daß man einer raffinierten, optischen Täuschung zum Opfer fiel: Die steinzeitliche Anlage war perspektivisch raffiniert verkürzt und wesentlich kleiner. Und was noch erstaunlicher war, sie wurde von Tarnnetzen nach oben hin geschützt. Cary Orland kannte das alles, wie deutlich zu sehen war. Er öffnete den ersten Benzinkanister und näherte sich den Steinpfeilern. Er kippte den Kanister ein wenig an und machte sich daran, den harten Stein mit Benzin zu begießen, ein Vorhaben, das auf den ersten Blick hin völlig sinnlos erscheinen mußte. Der Sekretär des Erfolgsautors ahnte ebenfalls nicht, daß sein Tun genau verfolgt wurde. Darüber hinaus wäre er nie in seinem Leben darauf gekommen, daß ein indianisch anmutendes Blasrohr auf ihn gerichtet wurde! * Ron Walton, der angebliche Privatdetektiv, hatte seine beiden
Fluchtkoffer im Wagen verstaut und beeilte sich, aus Fort Lauderdale herauszukommen. Er wollte so schnell wie möglich sicheren Boden unter den Füßen gewinnen. Sein Ziel war eine Adresse, die nur er allein kannte. Er benutzte die Okeechobee Road, die durch die Everglades führte und vergaß nicht, von Zeit zu Zeit in den Rückspiegel zu sehen. Falls er beschattet wurde, wollte er sich etwaige Verfolger nachdrücklich vom Hals schaffen. Die Straße war recht belebt. Sie führte zum Okeechobee Lake, einem bevorzugten Ziel für Touristen. Ron Walton hatte sein Aussehen ein wenig verändert. Von seinem flachsblonden Haar war nichts mehr zu bemerken. Er hatte sich eine dunkle Perücke übergestreift und trug eine leicht getönte Brille. Zusätzlich hatte er sich noch einen schmalen Lippenbart aufgeklebt. Der angebliche Privatdetektiv hatte während der Fahrt mehrfach nach seinem Trommelrevolver unter dem Armaturenbrett gefingert. Die Berührung mit der Schußwaffe beruhigte ihn jedesmal. Er war auf keinen Fall wehrlos, falls während der Fahrt etwas passierte. In seinem Versteck hatte er über diesen Trommelrevolver hinaus noch zusätzliche Waffen. Hatte er das Versteck erst mal erreicht, dann konnte er eine kleine Armee in Schach halten. Natürlich fuhr er nicht bis hinauf zum Okeechobee Lake. Er war zuerst südlich hinunter in Richtung Miami Beach gefahren und dann wieder in nordwestlicher Richtung abgebogen. Als der kleine Ort Pennsuco in Sicht kam, verringerte er die Geschwindigkeit seines Chrysler und
bog von der Hauptstraße ab. Nach einer kleinen Rutschpartie über einen schmalen Feldweg erreichte er einen kleinen See, an dessen Ufern Wochenendhäuser und Fischerhütten standen. Ron Walton hatte jetzt keine Bedenken mehr, den Trommelrevolver aus der Halterung unter dem Armaturenbrett zu nehmen. Er ließ ihn griffbereit in seiner Gürtelhalfter verschwinden und den Chrysler auf einem Parkplatz stehen. Dann nahm er die beiden Koffer aus dem Wagen und ging auf eines der Wochenendhäuser zu, an dessen Steg ein kleines Motorboot festgemacht war, das mit einer Plane zugedeckt war, Er nahm sich Zeit. Noch mal vergewisserte er sich, daß ihm niemand gefolgt war. Er schnallte die schwere Plane los, rollte sie zusammen und verstaute sie im Heck des Bootes. Dann stellte er die beiden Koffer in das flache Boot und ... richtete sich auf, als er einen Wagenmotor hörte. Natürlich, diesen Jeep dort hatte er ja gesehen, in ihm saß ein junges Paar, grell gekleidet und offensichtlich miteinander beschäftigt. Mit schnellem Blick vergewisserte er sich, den Mann und die Frau noch nie vorher gesehen zu haben. Der Mann mochte vielleicht fünfunddreißig Jahre zählen, die Frau etwa zehn Jahre weniger. Sie war schwarzhaarig und hatte ein tiefbraunes Gesicht. Der blonde Mann trug einen dünnen Schnurrbart. Das Paar stieg aus dem Wagen und winkte Walton. Er war auf der Hut. Hatte die Mafia ihm Fremde auf den Hals geschickt? Sie brauchte ja nur anzufordern, und schon standen ihr frische, unverdächtige Typen zur Verfügung.
»Gibt's hier Alligatoren?« fragte ihn die junge Frau in einem breiten, südstaatlich gefärbten Dialekt. »Überall«, erwiderte Walton, der seine Wachsamkeit ein wenig minderte. »Kann man hier'n Bungalow oder sowas mieten?« wollte der Mann wissen. Er sprach unangenehm nasal, und Walton wunderte sich, wie die junge attraktive Frau das nur aushielt. »Kaum«, antwortete Walton. »Fahren Sie weiter 'rauf zum Okeechobee, da bekommen Sie, was Sie wollen.« »Ziemlich einsam hier, wie?« redete der Mann weiter. »Nur was für Jäger und Fischer«, gab Walton zurück. »Richtig für Jäger.« Der Mann lächelte mokant. In diesem Moment begriff Ron Walton. Die Jäger standen vor ihm. Sie hatten ihn erwischt, bevor er sein eigentliches Versteck überhaupt erreicht hatte. »Haben Sie Angst, daß Canterfall Ihnen an den Kragen geht?« wollte die Frau wissen. Ron Walton verzichtete auf eine Antwort. Die Zeit war gekommen, den Trommelrevolver aus der Gürtelhalfter zu reißen. Er besorgte das mit einer Schnelligkeit, die wirklich beeindruckend war. Er hielt die Waffe in der Hand und richtete sie auf die Frau. »Euer Pech«, sagte er. »Los, herkommen! Wir fahren gemeinsam ein Stück in die Sümpfe. Macht schon, Leute, mein Zeigefinger bekommt die ersten Zuckungen!« Sie gehorchten und kamen vorsichtig über den Steg auf ihn zu. Sie ließen ihn nicht aus den Augen und ahnten wohl, daß er sofort abdrücken würde,
falls sie auch nur die Andeutung einer falschen Bewegung machten. * »Sehr schöne Arbeit«, sagte Canterfall senior und nickte Bernie Balmer zu, der ihm die Fotos vorgelegt hatte. »Vielleicht sollten wir sie noch in den Bildteil des Buches übernehmen.« »Davon verstehe ich nichts, Sir«, sagte Balmer respektvoll. Er befand sich im Studio des Werbemanagers und konnte durch die bis zum Boden reichenden Fensterscheiben in den Patio sehen. Dort war wieder mal ein riesiges, kaltes Büffet aufgebaut worden und eine Bar, die jedem Hotel zur Ehre gereicht hätte. Die meisten der geladenen Gäste waren bereits vollzählig vertreten. An diesem Morgen sollte Pritchards neues Buch über das Bermuda-Dreieck vorgestellt werden. Es ging auf zehn Uhr zu. »Es gibt neue Arbeit für Sie, Walton«, redete Canterfall senior weiter. »Sie wissen, ich hasse unwichtige Leute, die zuviel wissen.« »Klarer Fall, Sir. Sie denken an Walton?« »Sie schalten schnell, Balmer.« Canterfall nickte lächelnd. »Walton wird jetzt nicht mehr gebraucht. Sorgen Sie dafür, daß er vom Teufels-Dreieck verschlungen wird, aber diesmal ohne Schlagzeilen. Wir wollen nichts übertreiben, verstehen Sie?« »Verstanden, Sir.« Bernie nickte geschmeichelt und ließ sich nicht anmerken, wie unwohl er sich fühlte. Er fragte sich, ob Canterfall ihn nicht auch zu diesen unwichtigen Personen zählte.
Der Chef der örtlichen Mafia schien seine Gedanken erraten zu haben. »Sie doch nicht, Balmer«, sagte er herzlich. »Ich lasse doch nicht meinen besten Vertrauensmann aussteigen. Machen Sie sich da mal keine Gedanken.« »Ron Walton«, wiederholte Balmer und hüstelte. »Dann denke ich noch an diesen Ghostwriter Orland«, redete Canterfall sachlich weiter. »Der Junge wird mit Sicherheit zu üppig werden und eines Tages reden.« »Er wird ebenfalls verschwinden, Sir.« , »Unauffällig und ohne Schwierigkeiten«, schärfte Canterfall seinem Gegenüber noch mal ein. »Orland ist zu ersetzen. Er müßte inzwischen eigentlich längst hier sein. Warten Sie mal, ich werde anrufen.« Canterfall rief von seinem Studio aus die Torwache an, fragte nach Pritchard und Orland, hörte kurz zu und legte dann wieder auf. »Noch nicht eingetroffen.« Canterfall rieb sich das Kinn. »Sollte Pritchard wieder betrunken sein?« »Ich könnte zu ihm 'rausfahren, Sir.« In diesem Moment läutete das Telefon. Canterfall hob ab, nannte seinen Namen und nickte dann Balmer zu. »Gerade eingetroffen«, sagte er und legte auf. »Aber ohne Orland, Balmer. Wie finden Sie das?« »Ich sollte wohl doch mal nachsehen, Sir, wo Orland steckt, wie?« »Aber diskret, Balmer. Und wenn's sein muß, dann... Na, Sie wissen ja schon.« Canterfall wandte sich abrupt ab und ging in den großen Innenhof. Balmer
folgte und verdrückte sich seitlich zum Ausgang. Als er zum Parkplatz ging, sah er den Schriftsteller, der gerade aus seinem Wagen stieg. Melvin Pritchard machte einen angetrunkenen Eindruck und blieb stehen, als Canterfall junior ihm schnell entgegenkam. Canterfall junior war ein großer, schlaksig aussehender Mann von etwa achtundzwanzig Jahren, der gut gekleidet war und einen hochnäsigen Eindruck machte. »Sie kommen allein?« fragte Canterfall junior überrascht. »Wo steckt Orland?« »Mein Babysitter hat mich sitzen lassen«, sagte Pritchard angeheitert und lachte unvermittelt auf. »Seit Monaten endlich allein, Junior, ein herrliches Gefühl.« »Mensch, Pritchard, reißen Sie sich zusammen! Die Pressemeute wartet da drüben im Patio auf Sie.« »Auf den einmaligen Erfolgsschriftsteller, ich weiß.« Melvin Pritchard lachte abfällig. »Warum stellen Sie nicht Orland vor, Junior?« »Hören Sie, Pritchard ...« Weiter kam Canterfalls Sohn nicht. Hinter ihm erschienen zwei Angestellte seines Vaters, die Melvin Pritchard zwischen sich nahmen und ihn ziemlich rauh ins Haus schleppten. Bahner, der das alles mitbekommen hatte, wartete, bis Canterfall junior ebenfalls im Haus verschwunden war. Dann eilte er zu seinem Wagen. Innerhalb weniger Minuten waren ihm zusätzlich gewisse Zusammenhänge klar geworden. Es war gesund, sie möglichst schnell zu vergessen und nie darüber zu reden.
Als Bernie Balmer wendete, erschien ein Pontiac. Am Steuer saß ein sehr englisch aussehender Mann von etwa fünfzig Jahren, der einen gepflegten, schwarzen Schnurrbart und eine randlose Brille trug. Er hielt und half seiner Begleiterin aus dem Wagen, einer Dame, die sehr amerikanisch aussah. Sie trug ein großblumig gemustertes Kleid und darüber eine teure Nerzjacke, obwohl es um diese Tageszeit schon recht heiß war. Ihr Haar war lila eingefärbt, die Sonnenbrille von beachtlicher Größe. »Bellamy vom Harlow Verlag«, schnarrte der Herr. »Sagen Sie, guter Mann, wo findet die Pressekonferenz statt?« »Drüben im Patio, Sir«, antwortete Balmer und nahm unwillkürlich Haltung an. »Kommen Sie, meine Liebe«, bat der Engländer in Richtung der nerzbestückten Dame. »Finden Sie nicht auch, daß das hier ziemlich aufgesetzt und vulgär wirkt?« Bernie Balmer hatte keine Zeit, sich weiter um die beiden Besucher der Pressekonferenz zu kümmern. Er fuhr wieder an und beeilte sich zu Pritchards Haus, um dort nach Orland zu suchen. Bei dieser Gelegenheit konnte er sich auch um Ron Walton kümmern und ihn zu sich in die Discothek bestellen. Dort würde man ihn dann festhalten, bis man sich näher mit ihm beschäftigen konnte. Balmer konnte sich erlauben, im Stadtgebiet schneller zu fahren, als es die Polizei erlaubte. Er hatte überall seine Verbindungen und brauchte eine Anzeige nicht zu fürchten. Als er nach scharfer Fahrt das Haus des Schriftstellers erreicht hatte und aus
dem Wagen stieg, hörte er Musik aus einem geöffneten Fenster. Bernie Balmer ging auf das geöffnete Fenster zu und rief laut nach Orland, den er nur oberflächlich kannte. Er erhielt so etwas wie eine Antwort, deren Sinn er jedoch nicht verstand. Bernie Balmer machte sich die Sache sehr einfach. Er stieg durch das ebenerdige Fenster in den Arbeitsraum und marschierte dann zu der nur angelehnten Tür. Nachdem er sie aufgestoßen hatte, hörte er weit hinten im Wohnraum hinter dem mit Büchern vollgestopften Raumteiler eine Stimme. Balmer beeilte sich, Orland zu stehen und ihn zu Canterfall zu bringen. Er ging hastig und auch ein wenig wütend um den Raumteiler herum und ... sah anschließend nur noch Sterne, bevor er bewußtlos wurde. * Canterfall junior eröffnete die Pressekonferenz und begrüßte die Anwesenden mit wohlgesetzten Worten. Er ließ deutlich durchblicken, daß er studiert hatte und vom Fach einiges verstand. Er kündigte sensationelle Beweise für eine Theorie an, die bald zu einer wissenschaftlichen Sensation werden würde. Dann befaßte er sich mit Melvin Pritchard und pries dessen einmalige Begabung als Sachbuchautor. Er verwies auf Pritchards bisherige Arbeiten, auf den Spott, den er geerntet hatte und auf die nunmehrige Rehabilitierung durch die Tatsachen. »Wir werden Ihnen gleich eine Serie von Aufnahmen präsentieren können«,
schloß Canterfall junior, »die beweisen, mit welcher Gründlichkeit Pritchard recherchiert hat. Die Presseabteilung meines Verlages wird Ihnen einige Aufnahmen auf der Leinwand dort zeigen. Darüber hinaus sind selbstverständlich ausführliche Pressemappen vorbereitet worden.« Er deutete auf die große Leinwand, die man hinter dem Springbrunnen aufgebaut hatte. Dann Überließ er Pritchard das Wort, einem Schriftsteller, der sichtlich angeheitert zu sein schien, sich aber ungemein zusammenriß. Melvin Pritchard hatte nicht viel zu sagen. Er kam noch mal kurz auf seine Theorie zu sprechen, erwähnte die unterseeischen Basen der Aquanauten und bedankte sich fast artig bei Canterfall junior, dessen großzügige finanzielle Hilfe es erst ermöglicht habe, die erforderlichen Ermittlungen anzustellen. Als er darüber hinaus noch mehr sagen wollte, tauchte Canterfall senior hinter ihm auf und schob ihn behutsam, aber dennoch recht nachdrücklich vom Tisch weg. Er übergab ihn den beiden Angestellten, die den Schriftsteller bereits ins Haus gebracht hatten. Sie nahmen ihn in die Mitte und schleppten ihn diskret ab. »Die Diskussion um das TeufelsDreieck hat leider eine bestürzende Aktualität erhalten«, sagte Canterfall senior, der sich gut in Szene zu setzen wußte. »Ich darf auf das rätselhafte Verschwinden von Mrs. Martha Harrington verweisen, auf das Verschwinden von drei Sportfischern und dann von dem Geheimnis um das Verschwinden vier englischer Herrschaften, die hinüber zu den Bahamas wollten. Und ich möchte
behaupten, daß auch in Zukunft mit weiteren Zwischenfällen zu rechnen sein wird. Aber nun zu den Fotos!« Sie waren beeindruckend. Angestellte des Verlages projizierten eine Auswahl von Bilddokumenten auf die Leinwand, die man nur als sensationell bezeichnen konnte. Man begann zuerst mit recht verschwommenen Aufnahmen, auf denen die erwähnten Aquanauten zu erahnen waren. Es waren menschenähnliche Gestalten in seltsamen Taucheranzügen, wie sie von Sporttauchern nur annähernd benutzt wurden. Auf dem Rücken dieser Wesen waren stromlinienförmige Apparaturen zu erkennen, die wahrscheinlich die Aqualungen enthielten. Canterfall junior erläuterte diese Aufnahmen, die angeblich unabhängig voneinander von verschiedenen Beobachtern geschossen worden waren. Dann leitete er über zu jenen mächtigen Steingebilden, die man auf einem Riff in der Nähe der Bahamas entdeckt haben wollte, um eine Art Tempelbau, der auf rätselhafte Art und Weise aus dem Meer aufgestiegen und dann wieder in der See verschwunden sei. Man war mehr als beeindruckt. Die abgebrühten Pressevertreter bestaunten dieses kleinere Abbild von Stonehenge, das mit Seetang und Meerespflanzen bedeckt war. Die Aufnahmen waren von erstaunlicher Schärfe und ließen wirklich keine Zweifel an der Existenz dieser Megalithbauten aufkommen. In schneller Folge wechselten die Dias und zeigten den steinzeitlichen Kultbau von allen Seiten, bis... auf ei-
nem der Dias plötzlich eine fast unglaubliche und zusätzliche Dokumentation zu erkennen war. Im Vordergrund der Anlage war eine stattlich aussehende, ältere Dame zu erkennen, die ein Schrotgewehr in Händen hielt. Auf ihrem Kopf saß ein Hut, den man nur als eine abenteuerliche Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen bezeichnen konnte. Begleitet wurde die ungewöhnlich und leicht skurril aussehende Dame von einem Butler, wie man ihn nur noch in entsprechenden Kostümfilmen zu sehen bekommt. Es war nicht weiter verwunderlich, daß zuerst zaghaftes, dann jedoch brüllendes Gelächter aufbrandete. Die Pressevertreter amüsierten sich glänzend, zumal Canterfall junior erst vor wenigen Sekunden noch behauptet hatte, die Fotos seien unter Lebensgefahr geschossen worden. Irritiert durch das Gelächter wandte Canterfall junior sich um und... erstarrte. Canterfall senior, der ebenfalls nicht wußte, was die Heiterkeit ausgelöst hatte, beugte sich vor und ... rutschte in sich zusammen. In Sekundenschnelle stand ihm dichter Schweiß auf der Stirn. Er sah zu seinen Mitarbeitern hinüber, die den Diaprojektor bedienten. Sie waren nicht mehr zu sehen. Neben dem Projektor stand ein sehr englisch aussehender Herr unbestimmbaren Alters. »Ich erlaube mir darauf zu verweisen, daß diese Aufnahmen samt und sonders gefälscht sind«, verkündete dieser Herr mit würdevoller, aber tragender Stimme,
die den Patio füllte.« Die Dokumentarfotos wurden, wie es in der Fachsprache wohl treffend heißt, getürkt. Besagter Megalithbau steht in den nahen Sümpfen der Everglades und wurde von geschickten Stukkateuren errichtet, die im Dienst- und Lohnverhältnis Mr. Canterfalls stehen. Man wird Sie einladen, diesen Nachbau aus nächster Nähe zu besichtigen, zumal ein Niederbrennen in quasi letzter Sekunde verhindert werden konnte!« Der Tumult, der entstand, war riesengroß. Die Presseleute redeten und schrien, durcheinander. Canterfall junior saß bleich an seinem Tisch und ließ Fragen auf sich herunterprasseln. Canterfall senior hingegen wollte sich davonstehlen, doch er kam nicht weit. Es war ein relativ drahtiger Mann, der ihn daran hinderte. Er war identisch mit dem jungen Mann, der sich nach der Landung von Lady Simpson um die Papiere gekümmert hatte. Er war nicht allein, wie sich zeigte. Einige angebliche Pressevertreter entpuppten sich als seine Mitarbeiter, die blitzschnell zupackten und diverse Handschellen klicken ließen. Der sehr englisch aussehende, ältere Herr kämpfte sich zusammen mit seiner Begleiterin nach vorn zum Vortragstisch und verwandelte sich in Sekundenschnelle zurück in... Butler Parker. Nachdem die Perücke, der Schnurrbart und das Jackett verschwunden waren, sah man genau den Butler vor sich, den man eben noch auf dem Dia bestaunen konnte. Canterfall senior erlitt daraufhin einen Kollaps und rutschte haltlos in sich zusammen. Seine Nerven
vibrierten, denn der totgeglaubte Butler stand sehr lebendig vor ihm und klagte ihn verschiedener Morde an! * »Es war mir von Beginn an klar, daß Canterfall senior hinter diesen angeblich rätselhaften Unglücksfällen stand«, erläuterte Agatha Simpson mit besonderem Behagen. Der Sturm hatte sich gelegt, die Pressevertreter umlagerten die Lady, die es sichtlich genoß, wieder mal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. »Hat sein Sohn davon gewußt?« wurde sie gefragt. »Nach Lage der Dinge offensichtlich nicht«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Man sollte vorerst davon ausgehen, daß er völlig ahnungslos war. Sein Vater, der Vertreter der örtlichen Mafia hier an der Küste, wollte den Start seines Sohnes als Verleger mit allen Mitteln fördern und gleichzeitig durch eine Riesenauflage ein einmaliges Geschäft machen. Er veranlaßte die rätselhaften Zwischenfälle, die nichts anderes waren als geplanter Mord!« »Wie wurde Mrs. Martha Harrington ein Opfer des Teufels-Dreiecks?« lautete die nächste Frage. »Sehr einfach.« Agatha Simpson nickte grimmig. »Sie wurde mittels einer kleinen Boden-Luft-Rakete abgeschossen, nachdem das Flugzeug, in dem sie saß, durch geschickte Manipulation an das Boot herangelockt worden war. Sekunden später detonierte die Rakete und zerfetzte die Maschine bis zur Unkenntlichkeit.« »Entsprechende Geständnisse liegen bereits vor«, schaltete sich Josuah Par-
ker gemessen ein. »Der Täter ist ein gewisser Ron Walton, der von Mr. Rander und Miß Porter gesteht werden konnte. In einem Versteck in der Nähe von Pennsuco wurde eine Art Waffenlager sicher gestellt, in dem sich weitere Kleinraketen befanden.« »Und wer hat diesen verrückten Papptempel gebaut?« wollte ein anderer Pressevertreter wissen. »Der geht zu Lasten eines gewissen Cary Orland«, berichtete der Butler weiter. »Er ist der Ghostwriter Mr. Pritchards, der das neue Buch praktisch von der ersten bis zur letzten Zeile geschrieben hat. Orland sorgte im Auftrag von Canterfall senior für diese angeblichen Megalithbauten und auch für die Aufnahmen, auf denen man die sogenannten Aquanauten erkennen soll. Auch Mr. Orland war so freundlich, bereits ein Geständnis abzulegen. Er dürfte zudem der geistige Vater jener Morde sein, die Canterfall senior dann veranlaßte. Orland wollte das neue Buch Pritchards mit allen Mitteln und um jeden Preis lancieren und zu einem Welterfolg hochtreiben.« »Und dieser Lümmel wagte es sogar, mich in seine Pläne miteinzubeziehen«, übernahm Agatha Simpson wieder die weitere Erklärung. »Mein Kabinenkreuzer sollte in die Luft gejagt werden und wurde es auch, aber weder Canterfall senior noch Orland konnten wissen, daß ich und meine Begleiter planmäßig in ein U-Boot der USMarine umstiegen und zwar im Schutze eines großen Nebelfeldes. Einzelheiten dazu wird Ihnen Mr. Parker mitteilen, mit Kleinigkeiten
gebe ich mich nicht gern ab, mir liegt mehr die große Planung am Herzen.« Die Tatsachen schälten sich von Minute zu Minute immer mehr heraus. Butler Parker erklärte mit wohlgesetzten Worten, daß man mit den staatlichen Behörden der USA Kontakt aufgenommen und zusammengearbeitet habe. In diesem Zusammenhang verwies er auf den jungen, drahtigen Beamten, den er zum ersten Mal nach der Landung in Fort Lauderdale gesehen hatte. »Nach dem Wegtauchen des U-Bootes und dem Abdrehen des Flugzeuges, in dem Ron Walton saß, wurden Mylady und ihre Begleiter von einem Hubschrauber an Land gebracht«, schloß er. »Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Herren Walton und Orland bereits auf den Weg gemacht, um sich entweder in Sicherheit zu bringen oder aber im Fall Orland den Steinzeittempel zu verbrennen, der in Wirklichkeit nur als Holz und Schaumstoff bestand. Die beiden Herren konnten erfreulicherweise beschattet und festgenommen werden.« Man wollte wissen, ob Pritchard von diesen Täuschungsmanövern gewußt habe. »Diese Frage kann glatt verneint werden«, berichtete der Butler in seiner überzeugenden, sachlichen Art weiter. »Mr. Pritchard dürfte ahnungslos gewesen sein, wie übrigens auch Canterfall junior, worauf ich noch mal besonders verweisen möchte. Und noch etwas wäre hinzuzufügen: Die beiden angeblich vom TeufelsDreieck verschlungenen Herren Pete Boone und Jeff Monton, Mitarbeiter eines gewissen Bernie Balmer, erfreuen sich bester Gesundheit und
inzwischen auch staatlicher Pflege. Sie wurden von FBI-Beamten in New Orleans aus einem Sattelschlepper geborgen, während Canterfall senior sie für tot hielt und Mr. Orland sie auf seine eigenwillige Art zu Schlagzeilen vermarktete, wenn mir dieser Ausdruck gestattet ist.« Er wurde ihm gestattet. Agatha Simpson und der Butler wurden von den Pressevertretern bedrängt und umlagert. Sie mußten Detailfragen beantworten und erklären, welche Rolle Kathy Porter und Mike Rander in diesem Fall gespielt hatten. »Miß Porter und Mr. Rander sorgten für die Festnahme Ron Waltons«, erwiderte Butler Parker. »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit konnten den Ghostwriter Orland in den Sümpfen der Everglades stellen und dort jene Fotos schießen, die Sie soeben auf der Leinwand genossen. Mylady liebt es, hin und wieder Maske zu machen, wenn ich es so umschreiben darf. Darüber hinaus hatten sich Mitarbeiter jenes Herrn dort noch zusätzlich eingeschaltet, der dankenswerterweise für die Beschaffung eines kleinen U-Bootes sorgte.« Der erwähnte junge Mann hatte sich längst abgesetzt und war zu Kathy Porter und Mike Rander hinübergegangen. »Solch einen Fischzug wünsche ich mir jeden Monat«, sagte er lächelnd und deutete zu Lady Agatha und Butler Parker hinüber, »sie sind einmalig, nicht wahr?« »Ein unschlagbares Gespann«, erwiderte Mike Rander. »Sagen Sie, was dachten Sie nach der Ankunft von
Lady Simpson und Butler Parker hier in Fort Lauderdale?« »Ich war, offen gesagt, total verblüfft und ratlos«, gestand der junge FBI-Beamte. »Wir haben Sie alle ununterbrochen beschatten lassen, wir wußten nicht, was Sie planten. Und dann bekamen wir Informationen aus London, die uns sicher machten, daß Lady Simpson und Butler Parker für einigen, Wirbel sorgen würden.« »Was ist jetzt mit der örtlichen Mafia?« wollte Mike Rander wissen. »Canterfall wird nach deren Spielregeln fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel«, antwortete der FBIBeamte. »Und er wird durch einen neuen Mann ersetzt werden. Damit geht das Spiel dann wieder von vorn los.« »Wird man versuchen, sich an Lady Simpson und Mr. Parker zu rächen?« erkundigte sich Kathy Porter ein wenig besorgt. »Das ist natürlich nicht auszuschließen«, gab der FBI-Beamte zurück. »Was die Mafia betrifft, so herrschen hier bei uns in den Staaten harte Sitten.. Werden Sie in den Staaten bleiben?« »Keine Ahnung.« Kathy Porter hob die Schultern. »Mylady ist gut für jede Überraschung.« Bevor der FBI-Beamte dazu etwas sagen konnte, schob sich einer seiner Mitarbeiter an ihn heran und überreichte ihm ein Schreiben, das der Mann überflog. »Kaum zu glauben«, murmelte er dann und schüttelte den Kopf. »Das hört sich ja wie bestellt an.« »Was ist passiert?« fragte Mike Rander.
»Ob Sie's nun glauben oder nicht, Mr. Rander, da ist ein Sportflugzeug auf dem Flug zu den Bermudas verschwunden. Der Funkkontakt brach plötzlich ab, und auf dem Radarschirm war es von einer Sekunde zur anderen Verschwunden ...« »Doch ein Teufels-Dreieck«, meinte Kathy Porter beeindruckt. »Sieht so aus.« Der FBI-Beamte nagte an seiner Unterlippe. »Ob das noch was mit Canterfalls und Orlands Manipulation zu tun hat?« »Selbst wenn«, Mike Rander hob abwehrend die Hände. »Warten Sie mit der Bekanntgabe, bis wir wieder im Flugzeug sitzen. Lady Simpson wird sich sonst kaum von Fort Lauderdale trennen können!« * »Ein sehr anregender Fall«, meinte die Detektivin am anderen Morgen, als man sich in der Empfangshalle des Flugplatzes befand. »Aber ich wußte leider zu früh, wer der Täter war, das mindert ihn natürlich ein wenig.« »Es wird mit Sicherheit einen neuen Fall geben, Mylady«, sagte Mike Rander. »Selbstverständlich.« Sie nickte^, »An sich würde ich ja hebend gern das Geheimnis des Teufels-Dreiecks lösen, Mike. Ich frage mich, ob wir nicht doch noch etwas bleiben sollten.« »Zum Prozeß gegen Canterfall werden Mylady zurückerwartet«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Bis dahin könnte man vielleicht die entsprechende Basisliteratur studieren.«
»Das könnten Sie für mich übernehmen, Mr. Parker«, gab sie zurück. »Ein passabler Vorschlag. Und dann werden wir das Bermuda-Dreieck mal sehr intensiv abfliegen, schlage ich vor.« Sie merkte nicht, wie geschickt sie abgeschirmt wurde, als man zur Flugkontrolle ging. Mike Rander, Kathy Porter und auch Josuah Parker sorgten dafür, daß Agatha Simpson keinen noch so flüchtigen Blick auf die Zeitungskioske werfen konnte. Dicke, große Schlagzeilen berichteten nämlich bereits vom Verschwinden des Sportflugzeugs und von einem weiteren Opfer des Bermuda-Dreiecks. »Welchen Kurs nimmt unsere Maschine eigentlich?« erkundigte sie sich, als die vier die Kontrolle passiert hatten. »Es geht zuerst zu den Bermudas, Mylady«, erwiderte Josuah' Parker. »Sehr gut.« Sie nickte zufrieden. »Bis dahin kann ja erfreulicherweise noch allerhand passieren. Wir werden auf jeden Fall die See genau beachten, das bitte ich mir aus. Und noch etwas, Mr. Parker: Dieses verschwundene Sportflugzeug, von dem die Zeitungen berichten, interessiert mich nicht. Im Bermuda-Dreieck wird es natürlich auch Abstürze geben, die mit dem Unvermögen der Piloten zu tun haben. Sie hätten sich also gar nicht so bemühen müssen, um, mir die Schlagzeilen vorzuenthalten!« »Mylady wußten ...?« Parkers Gesicht blieb fast ausdruckslos, während Kathy Porter und Mike Rander bereits lachten. »Ich wußte«, bestätigte die ältere Dame grimmig. »Mir verheimlicht man nichts, Mr. Parker, denken Sie daran!«
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht und beschämt«, antwortete Josuah Parker. »Mylady mögen einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann verzeihen, der den Versuch unternahm, Mylady ein wenig hinter's Licht zu führen.« Er deutete eine seiner knappen Verbeugungen an und lüftete höflich die schwarze Melone. Dann ging er zu einem Zeitungskiosk und erstand sämtliche Blätter, die vom Verschwinden des Sportflugzeuges berichteten. »Was soll ich damit?« fragte sie, als Parker zurückkehrte. »Informationen für Mylady.«
»Papperlapapp, Mr. Parker! Die Radiostation von Fort Lauderdale berichtete schon vor anderthalb Stunden, daß nach dem letzten Funkspruch die Maschine wegen Treibstoffmangel zu Bruch ging. Sie sollten sich in Zukunft besser orientieren.« Die Lady maß Parker mit einem amüsierten Blick und rauschte dann weiter. In Parkers Gesicht rührte sich etwas: Seine linke Augenbraue steilte deutlich nach oben, ein sicheres Zeichen dafür, daß Josuah Parker sich die Freiheit nahm, so etwas wie Verblüffung zu zeigen.
ENDE scan: crazy2001 @ 10/2011 corrected: santos22
Red. Hinweis: Der heutigen in der Schweiz verbreiteten Auflage ist ein interessanter Prospekt des Instituts Mössinger, Fernschule in Zürich, beigelegt, den wir der Aufmerksamkeit unserer Leser empfehlen.
Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen neuen
Nr. 191
PARKER schockt Graf Dracula Als überaus höflicher Mensch stand Butler Parker einem gewissen Graf Dracula abwartend gegenüber, während Lady Simpson sich wieder mal veranlaßt fühlte, mit ihrem Pompadour nachdrücklich zuzulangen, was dann mit einigen Kurzschlüssen endete. Was als eine Marotte begann, entwickelte sich schnell zu einem fast tödlichen Drama, denn es gab mehrere Vampire und Draculas, die ihre Reißzähne blutgierig in schlanke Frauenhälse schlagen wollten. Clevere Gangster, die aufeinander nicht gut zu sprechen waren, schlössen sich zusammen, um das skurrile >Quartett< - Butler Parker, Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander - möglichst stilgerecht unter die Erde zu bringen. Daß dies nicht gelang, versteht sich am Rand, doch warum es nicht klappte, nun, das sollten Sie lesen. Günter Dönges schrieb einen neuen Parker-Krimi, in dem sich wieder Hochspannung, Witz und Humor paaren. Wer eine Gänsehaut liebt, sollte diesen Parker-Krimi auf keinen Fall versäumen.