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PARKER kontra „Mr. Freiheit.“ Roman von Edmund Diedrichs Lady Agatha hatte an der Küste eine weitläufige Verwandte besucht und befand sich auf dem Rückweg nach London. Sie lehnte im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und starrte mißmutig aus dem Fenster. »Mylady waren mit dem Besuch unzufrieden?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. Der Butler saß stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, am Steuer und verzog keine Miene, als Agatha Simpson ihr Leid klagte. Plötzlich waren das typische Geräusch von Rotorblättern und das hohe Singen einer Hubschrauberturbine direkt über ihnen zu hören. Lady Agatha ließ sich sofort ablenken und kurbelte das Seitenfenster herunter, um nach dem Luftgefährt zu sehen. Interessiert verfolgte sie den Flug eines mittelgroßen, grüngestrichenen Helikopters, der in geringer Höhe flog und hinter einem Wäldchen verschwand. »Mister Parker, warum biegen Sie hier ab?« protestierte die ältere Dame, als der Butler ohne Ankündigung die Hauptstraße verließ und auf einen schmalen Weg einbog. »Mylady haben natürlich sofort bemerkt, daß mit besagtem Luftfahrzeug etwas nicht in Ordnung ist«, erläuterte Parker. Die Hauptpersonen: John Brixon verteidigt einen Bankräuber, der drei Millionen erbeutet hat, und schon gerät der Anwalt auf Abwege. Lester Simon betreibt eine Bowlingbahn und ein InkassoUnternehmen, legt sich aber leider mit Butler Parker an. Ray Arcton ist ehemaliger Box-Profi und steigt mit Mylady in den Ring. Hayes und Connors sind die beiden »Sergeants«, die Angst vor einer Operation haben, die Mylady an ihnen vorzunehmen gedenkt. Haie Tucker und Tim Wesley begegnen im Adamskostüm einer Mädchenpensionatsklasse. Lady Agatha und Butler Parker lösen ihren Fall auch in chloroformiertem Zustand und mit Themsewasser an den Füßen. »Mylady vermißten zum Beispiel die Hoheitszeichen und die Re-
gistriernummern, die ein solches Gerät aufzuweisen pflegt. Daraus zogen Mylady einen Schluß, der mit großer Wahrscheinlichkeit zutreffen dürfte und zu dem man Mylady nur beglückwünschen kann.« Parker griff an seine Melone und lüpfte diese andeutungsweise, als hochherrschaftlicher Butler wußte er schließlich, was sich gehörte. »Sehr schön aufgepaßt, Mister Parker. Sie machen sich«, lobte die Lady, die nicht den geringsten Schimmer hatte, wovon ihr Butler sprach. »Und welchen Schluß zog ich nun aus den fehlenden Kennzeichen des Hubschraubers?« »Mylady dachten sofort daran, daß hinter jenem Wäldchen die Strafanstalt Millwall liegt«, fuhr Parker fort, »und Mylady sehen einen engen Zusammenhang zwischen dem Helikopter und der Anstalt.« »Ach, tatsächlich?« Agatha Simpson lehnte sich in die Polster zurück und staunte wieder mal über sich selbst. Sie glaubte jedes Wort von Parker und war felsenfest davon überzeugt, jene scharfsinnigen Hinweise und Schlüsse geliefert zu haben, von denen er sprach. »Mylady vermuten, daß der Hubschrauber möglicherweise dazu dient, den Gefängnisaufenthalt eines oder mehrerer der Insassen auf illegale Weise zu beenden«, erklärte Parker, während er den schweren Wagen über den schmalen Pfad jagte. »Sie meinen… äh, ich meine also, daß mit diesem Helikopter ein Ausbruchversuch unternommen werden soll?« Die ältere Dame hatte begriffen und war plötzlich wie elektrisiert. Sie witterte einen neuen Fall und war gern bereit, sich mit ihrer unbändigen Energie darauf zu stürzen. Bevor Parker antworten konnte, kam der Hubschrauber schon zurück. Er strich in geringer Höhe über das Wäldchen und passierte Sekunden später das ehemalige Londoner Taxi, das sich Parker nach eigenen Plänen zu einer Trickkiste auf Rädern hatte umbauen lassen. Jenseits des Wäldchens, dem sie bereits sehr nahe gekommen waren, waren Alarmsirenen und Schüsse zu hören. Agatha Simpson richtete sich kerzengerade in ihrem Sitz auf und ließ das Fenster herab. »Ich habe also recht gehabt, Mister Parker. Was sagen Sie zu meiner Spürnase? Einer Lady Agatha kann man nichts vorma-
chen!« triumphierte sie. »Mylady sind wie immer bewundernswert«, wußte Josuah Parker, ohne einen Muskel seines glatten Pokergesichts zu verziehen. Er steuerte seinen Privatwagen an den Wegrand und hielt. Vor ihnen tauchte ein Troß von Fahrzeugen auf, die ohne Ausnahme ihr Blaulicht kreisen und ihre Sirenen ertönen ließen. Wenig später jagten die Wagen vorbei und verschwanden hinter einem Hügel. »Ich werde mich unverzüglich dieses Falles annehmen und die Ausbrecher zurückbringen«, kündigte Lady Agatha unternehmungslustig an. »Wie ich die Polizei kenne, ist sie auch diesmal wieder hoffnungslos überfordert.« Ohne nähere Fakten zu kennen, wußte die Lady natürlich sofort, was passiert war. Sie hatte sich bereits im vorhinein ihr Bild von der Situation gemacht und würde sich auf keinen Fall mehr davon abbringen lassen. »Die Justiz wird Mylady wie so oft zu großem Dank verpflichtet sein«, vermutete Josuah Parker und stoppte vor einem quer über den Weg stehenden Streifenwagen. Lady Agatha klinkte die Fondtür auf und schob ihre majestätische Fülle ins Freie. Sie stampfte auf den Streifenwagen zu und baute sich vor einem älteren Mann in Uniform auf. Der musterte die resolute Dame beeindruckt und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück, um nicht gerammt zu werden. Lady Agatha nutzte die Gelegenheit, um sofort nachzurücken und den Uniformträger am Streifenwagen förmlich festzunageln. »Was soll das, junger Mann?« erkundigte sich die passionierte Detektiv mit einer Stimme, die freundlich klingen sollte, in Wirklichkeit aber an ein fernes Donnergrollen erinnert. »Warum versperren Sie hier den Weg?« Agatha Simpson rückte noch etwas näher, was den verdatterten Mann veranlaßte, sich fast ganz mit dem Rücken auf die Motorhaube des Streifenwagens zu legen und die Arme haltsuchend auszubreiten. Dazu rollte er heftig mit den Augen und versuchte krampfhaft, etwas zu sagen, aber es wurde nur ein undefinierbares Stammeln. »Nun reißen Sie sich mal ein bißchen zusammen«, raunzte die Lady. »Sagen Sie mir endlich klipp und klar, was hier los ist, wenn ich bitten darf.« Sie trat etwas zurück und streckte ihrem Opfer ihre hilfreiche Hand entgegen. Der Mann griff dankbar danach und fühlte sich im
nächsten Augenblick hochgerissen und durch die Luft gewirbelt. Als er wieder zur Besinnung kam, lehnte er mit dem Rücken an einem am Wegrand stehenden Baum, während ihm die ältere Dame die Wangen tätschelte, was sein Gebiß zum Klappern brachte. Neben dem Streifenwagen hatten sich mehrere jüngere Uniformträger aufgebaut und starrten hilflos auf das Geschehen. Sie begriffen nicht, was sich ihren Augen bot, schienen vor allem nicht in der Lage zu reagieren. Lady Agathas Opfer war inzwischen zu sich gekommen und konnte ihre Fragen beantworten. »Was ist da los, ist jemand ausgebrochen?« wollte Agatha Simpson wissen und sah den älteren Mann streng an. »Ausbruch… ja… jawohl, Lady. Drei Leute«, stammelte der entnervte Beamte und ließ sich am Baumstamm zurücksinken. »Das ist ja wohl nicht zu fassen«, freute sich Lady Agatha. »Sind die Leute mit dem Hubschrauber abgeholt worden?« »Es handelte sich dabei um mehr oder weniger prominente Gefangene?« erkundigte sich Josuah Parker, während er dem Mann einen Becher mit altem französischen Cognac reichte, um seine Lebensgeister anzuregen. »Unsere Stars, sozusagen«, lautete die Antwort. »Alle drei lebenslänglich, die Kerle, und dann werden sie einfach so rausgeholt…« »Gehen Sie nicht so verschwenderisch mit meinem guten Cognac um, Mister Parker«, grollte seine Herrin, »etwas weniger hätte auch genügt, oder wollen Sie den Mann betrunken machen?« Sie nahm ihm den Becher aus den Händen und trank hastig. Unnötige Verschwendung konnte sie nun mal nicht ausstehen. »Fahren Sie Ihren Wagen an die Seite, damit ich durch kann«, forderte Agatha Simpson und sah die jungen Uniformträger neben dem Streifenwagen scharf an. »Das geht nicht, Lady, wirklich nicht.« Ein junger Mann trat leichtsinnigerweise vor und baute sich vor Lady Agatha auf. »Und warum nicht, mein Junge?« wollte die resolute Dame mit übertriebener Freundlichkeit in der Stimme wissen. »Strikter Befehl, wir dürfen niemand rein oder rauslassen, Lady«, gab der junge Mann Auskunft. »Tut mir leid, aber Sie müs-
sen umkehren.« »Mister Parker, was sage ich dazu?« wandte sich die Lady an ihren Butler. »Mylady wollen sicher an die Einsicht der Herren appellieren«, vermutete Parker, um sich gleich darauf diskret abzuwenden. Agatha Simpson hatte an den vor ihr stehenden jungen Polizisten ›appelliert‹ und als Argument eine leichte Ohrfeige eingesetzt, die ihn in die Arme seiner Kameraden warf. »Ein Irrtum, Mister Parker, Sie stimmen mir da sicher zu«, erklärte die Lady, während sie auf die vier jungen Männer blickte, die sich malerisch neben dem Streifenwagen ausgestreckt hatten. »Reine Notwehr, ich glaubte, sie wollten mich angreifen«, fuhr sie munter fort. »Das Leben ist voller Mißverständnisse«, bestätigte der Butler, »allerdings könnte dieser Irrtum teuer werden. Bei Widerstand gegen die Staatsgewalt sehen unsere Richter im allgemeinen keinen Anlaß, Milde walten zu lassen.« »Na, hören Sie mal, Mister Parker, auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?« empörte sich Agatha Simpson und stieg in den Streifenwagen Gleich darauf heulte der Motor gequält auf, das Getriebe krachte, und der Wagen machte einen Satz nach vorn. Im nächsten Moment schoß er über die Böschung und verschwand kopfüber in einem mit morastigem Wasser gefüllten Graben. »Sie haben mich absichtlich nicht gewarnt, Mister Parker«, grollte die Lady, als sie sich mühsam auf den Weg gearbeitet hatte. »Ich glaube sogar, Sie haben gelacht, als ich in den Graben stürzte.« »Wie Mylady zu meinen belieben«, erwiderte Parker gemessen. »Man bittet mit Verlaub um Verzeihung.« * Lady Agatha saß in ihrem Lieblingssessel in der großen Wohnhalle ihres Hauses in Shepherd’s Market. Sie schilderte stimmgewaltig ihre Erlebnisse in den vergangenen Stunden und stärkte sich zwischendurch durch herzhafte Schlucke aus einem großen Schwenker mit altem, französischem Cognac. Am Kamin lehnten Kathy Porter, Myladys Sekretärin und Gesell-
schafterin, und Mike Rander, ihr Anwalt und Vermögensverwalter. Die beiden lauschten gespannt Lady Agathas Bericht und gestatteten sich hin und wieder kleinere Heiterkeitsausbrüche, wenn Mylady zu offensichtlich übertrieb. »Und Sie haben wirklich die jungen Streifenbeamten gemaßregelt?« erkundigte sich Mike Rander ungläubig und schüttelte den Kopf. Als Anwalt sah er bereits die Komplikationen, die Agatha Simpson wieder mal durch ihr unbeherrschtes Temperament heraufbeschworen hatte. »Ich habe sie kaum berührt, die sind doch von allein umgefallen«, verteidigte sich die resolute Dame. »Sie wissen doch, mein Junge, wie saft- und kraftlos die heutige Jugend ist. Außerdem habe ich in Notwehr gehandelt, ich fühlte mich angegriffen. Fragen Sie Mister Parker, der wird es Ihnen bestätigen.« »In der Tat, Sir, ein bedauerliches Mißverständnis«, gab Josuah Parker würdevoll zu verstehen. »Die Herren wurden von Mylady versehentlich und nur sehr oberflächlich berührt und gaben sich daraufhin einem kollektiven Schwächeanfall hin.« »Natürlich, Parker, das kennen wir ja. Mylady zieht die Mißverständnisse an wie der Honig die Bienen.« Mike Rander erlaubte sich ein spöttisches Lachen und verdrehte in gespielter Verzweiflung die Augen. »Ich muß doch sehr bitten, Mike«, empörte sich Agatha Simpson umgehend und sah ihn strafend an. »Glauben Sie mir etwa nicht?« »Aber selbstverständlich, Mylady, ich zweifle keinen Augenblick an ihrer Darstellung«, beruhigte Rander sie. »Ich überlege nur, wie das die zuständigen Justizstellen interpretieren werden.« »Und wie war das mit dem Gefängnisdirektor?« wollte Kathy Porter noch mal hören. »Nun ja, er stellte sich etwas dumm an«, erinnerte sich die Lady. »Er wollte mir doch partourt nicht sagen, was genau vorgefallen war. Berief sich auf irgendwelche albernen Vorschriften und Verschwiegenheitspflichten. Ich mußte ihm klarmachen, wer ich bin, mein Kind, danach war er eigentlich recht gesprächig.« »Auch dabei kam es leider zu einem kleinen Unfall«, warf Parker gemessen ein. »Mister Harris, der Direktor, mußte eine Prellung seiner rechten Hand hinnehmen, als Myladys Handbeutel versehentlich darauf fiel.« »Ach ja, versehentlich.« Mike Rander grinste. »Wie kam es da-
zu?« »Dieser Mensch wollte allen Ernstes nach den Wachen klingeln und mich rauswerfen lassen. Was sagt man denn dazu?« Lady Agatha war empört und sah sich mit flammenden Augen um. »Mich, Lady Simpson, wollte er wie einen seiner Häftlinge von rohen Wärtern abtransportieren lassen. Unerhört, sowas! Ich hoffe, seine Hand tut ihm noch lange weh.« Sie lächelte schadenfroh und gönnte sich einen tiefen Zug aus ihrem Glas. »Außerdem verletzte sich Mister Harris oberflächlich, als er mit Mylady zusammenprallte und dabei über einen Drehstuhl stolperte«, ergänzte Parker den Bericht über die Zusammenkunft mit dem Gefängnisdirektor. »Er wollte an mir vorbei aus dem Zimmer rennen«, erklärte die ältere Dame. »Dabei habe ich ihn versehentlich gestreift und aus dem Gleichgewicht gebracht. Für einen Gefängnisdirektor hat der Mann erstaunlich wenig Stehvermögen, muß ich sagen.« »Gibt es jemand, dem Sie auf der Rückfahrt begegnet und dem Sie nicht in irgendeiner Form versehentlich zu nahe getreten sind?« erkundigte sich Mike Rander spöttisch. Bevor Mylady antworten konnte, ertönte die Türglocke, und Parker schritt gemessen zum verglasten Vorflur, wo er eine Schranktür öffnete und die Überwachungsanlage einschaltete. Der Monitor leuchtete auf und zeigte das wie stets ein wenig gereizt wirkende Bulldoggengesicht von Chief-Superintendent McWarden. »Machen Sie schon auf, Mister Parker, ich komme keineswegs zufällig vorbei«, knurrte der Yard-Mann, der als Freund des Hauses die Überwachungsanlage kannte. »Wer ist es, Mister Parker?« rief Agatha Simpson von ihrem Platz herüber, während Parker McWarden an sich vorbeiließ und die Tür hinter ihm schloß. »Ich bin es, Mylady, und ich komme wie gesagt nicht zufällig vorbei«, erklärte McWarden, der noch grimmiger als sonst wirkte. »Nehmen Sie doch Platz, mein lieber McWarden. Mister Parker wird Ihnen sofort einen Sherry servieren«, flötete Lady Agatha, ganz entgegen ihrer sonstigen Art, mit dem ChiefSuperintendenten umzugehen. »Sie haben den Bogen überspannt, Mylady, diesmal sind Sie dran«, erklärte McWarden, während er von Parker seinen Sherry entgegennahm. »Eigentlich müßte ich Sie festnehmen und zum Verhör in den Yard mitnehmen, und ich muß gestehen, das wäre
eine wahre Freude für mich.« »Darf man sich als Myladys Anwalt erkundigen, um was es geht?« fragte Mike Rander. »Dürfen Sie, Mister Rander, dürfen Sie! Es geht um Körperverletzung in fünf Fällen, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beamtenbeleidigung und Sachbeschädigung. Von kleineren Delikten will ich nicht sprechen.« Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und lächelte Lady Agatha schadenfroh an. * »Eine ganz schöne Latte«, bemerkte Mike Rander in seiner saloppen Art. »Da kommt allerhand zusammen, fürchte ich.« »Worauf Sie sich verlassen können.« McWarden nickte grimmig und nahm einen Schluck aus seinem Sherry-Glas. »Aber Sie kennen Ihre Lady ja, sie kann sich einfach nicht beherrschen«, fuhr er grinsend fort. »Das ist ja wohl der Gipfel«, empörte sich Lady Agatha, während sie den Chief-Superintendenten mit flammenden Blicken maß. »Ich werde mich umgehend beim Innenminister beschweren.« »Das wird Ihnen wenig nützen, denn mit dem habe ich bereits gesprochen«, gab McWarden genüßlich zurück. »Auch der Minister ist der Ansicht, daß es jetzt reicht und Sie energisch zur Ordnung gerufen werden sollten.« »Na, dem werde ich was erzählen, wenn er mir wieder über den Weg läuft«, überlegte die Lady. »Sie sehen eventuell einen Kompromiß, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. »Möglicherweise, Mister Parker? aber das kommt ganz auf Ihre Chefin an. Eine kleine Spende zum Beispiel für eine karitative Einrichtung könnte da Wunder wirken… man würde dann möglicherweise von einer Anklageerhebung absehen.« »Nun ja, ich will nicht kleinlich sein, obwohl ich es weiß Gott nicht einsehe«, bemerkte Lady Agatha. »Ich denke, ich werde zehn Pfund erübrigen können.« »Mit zehn Pfund dürfte es da kaum getan sein«, freute sich McWarden, der den sprichwörtlichen Geiz der Lady kannte. »Da müssen Sie schon etwas mehr springen lassen.«
»Mylady dachte in diesem Zusammenhang an einen Betrag von tausend Pfund, Sir. Man wird den Scheck umgehend fertigmachen«, versprach Mister Parker. »Wollen Sie mich ruinieren, Mister Parker?« Agatha Simpson starrte ihren Butler entsetzt an und schloß erschüttert die Augen. »Tausend Pfund, das darf ja wohl nicht wahr sein«, klagte sie und rang theatralisch die Hände. »Wo ich mit jedem Penny rechnen muß!« »Wenn Mylady mit einer Stundung meiner bescheidenen Bezüge gedient wäre?« bot Parker höflich an. »Nun, auch ich könnte eventuell fünf oder zehn Pfund spenden, um Sie vor dem Ruin zu retten«, erbot sich Mike Rander lächelnd. »Wir werden uns in der Haushaltsführung einschränken müssen, Mister Parker, wenn ich tatsächlich diese tausend Pfund zahlen sollte«, befürchtete die Lady. »Was kein Problem sein dürfte, da Mylady zur Zeit ohnehin streng nach Diät leben und sich förmlich kasteien«, .beruhigte sie Parker. »Das ist allerdings wahr, Mister Parker. Im Augenblick gönne ich mir wirklich kaum etwas«, gab die Lady zu. »Dann wäre das Problem ja gelöst«, freute sich der ChiefSuperintendent. »Es gibt allerdings noch eine Bedingung.« »Jetzt übertreiben Sie aber, mein Lieber«, grollte Lady Agatha und sah ihn gereizt an. »Eine Kleinigkeit für Sie, wirklich«, gab McWarden zurück. »Man bittet Sie lediglich um Ihre Hilfe.« »Das ist natürlich etwas anderes, ich wußte sofort, daß Sie nur deshalb gekommen sind«, freute sie sich. »Um was handelt es sich?« »Ich brauche nicht lange um den heißen Brei herumzureden, Sie haben den Ausbruch aus Millwall ja selbst hautnah miterlebt«, fuhr McWarden fort, während ihm Parker einen neuen Sherry servierte. »Leider ist dies nicht der erste Fall. In letzter Zeit fänden bereits drei dieser spektakulären Ausbrüche statt, mit diesem hier. Es handelt sich dabei um sorgfältig geplante und durchgeführte Unternehmen, die mit fast schon militärischer Präzision durchgezogen werden. Weitere Fälle sind zu erwarten.« »Wie wurden die beiden anderen Ausbrüche inszeniert?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Einmal wurde ein Fleischlieferant mit seinem Wagen abgefangen, und zwei zu langen Gefängnisstrafen verurteilte Großbetrüger wurden im Fleischerwagen aus der Anstalt geschmuggelt. Ein anderes Mal wurde das Müllauto ausgetauscht, und ein Bankräuber darin in die Freiheit gebracht. Und jedesmal hinterließen die ›Transporteure‹ ihre Visitenkarte.« »Die wie aussieht?« erkundigte sich Mike Rander gespannt. »Man hinterließ jedesmal ein großes Transparent mit der Aufschrift: Mit den besten Empfehlungen von der Liberty Ltd. dem Spezialisten für den Weg in die Freiheit«, knurrte McWarden gereizt. »Eine ausgemachte Unverschämtheit, sowas.« »Man hörte bislang nichts über die beiden anderen Fälle«, wunderte sich Kathy Porter. »Wurde eine Nachrichtensperre verhängt?« »Allerdings, Miß Porter, man wollte die Öffentlichkeit nicht beunruhigen.« »Nur ich kann diesen Fall lösen«, verkündete Lady Agatha optimistisch. »Sie haben mich in Ihrer Not nicht umsonst um Hilfe angefleht, mein lieber McWarden.« »Zu gütig, Mylady, der Yard ist Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet«, reagierte der Chief-Superintendent leicht säuerlich. »Ist bei diesen Ausbrüchen ein Schema zu erkennen? Ich meine, man wird doch nicht irgendeinen kleinen Ganoven herausholen, oder?« wollte Mike Rander wissen. »Natürlich nicht. Es handelt sich jedesmal um Leute, die wegen Eigentumsdelikten in beachtlichen Größenordnungen verurteilt worden waren. Ein Bankräuber, zwei Großbetrüger und zwei Scheckbetrüger. Alle haben eines gemeinsam: Ihre Beute wurde bislang nicht aufgefunden.« »Von daher weht also der Wind«, stellte Mike Rander fest, »Man hat die Jungs rausgeholt, um als Honorar einen Teil der Beute zu kassieren.« »Gibt es sonst noch eine Gemeinsamkeit, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. »Wie konnte man zum Beispiel Kontakt mit den Herren aufnehmen?« »Nun, alle Ausbrecher wurden von einer Gefangenenhilfsorganisation betreut, die sich besonders um alleinstehende Gefangene kümmert und nach deren Entlassung ihre Resozialisierung betreiben will«, erklärte McWarden zögernd. »Diese bemerkenswerte Einrichtung wurde selbstverständlich
überprüft?« hakte Parker nach. »Natürlich, Mister Parker, das war einer unserer ersten Schritte. Der Initiator dieser Organisation ist über jeden Zweifel erhaben«, räumte McWarden ein, »aber…« »Aber?« fragte Kathy Porter, die McWardens Zögern bemerkt hatte. »Nun ja, er ist in letzter Zeit von etwas seltsamen Mitarbeitern umgeben, die früher in seiner Umgebung nicht zu finden waren.« »Ganz klar, diese Organisation ist es!« rief Lady Agatha triumphierend. »Ich spüre es mit jeder Faser meines Herzens. Mein Instinkt hat mich noch nie im Stich gelassen, das ist allgemein bekannt.« »Myladys kriminalistischer Spürsinn ist unübertrefflich«, wußte Parker und deutete eine leichte Verbeugung in Richtung seiner Herrin an. »Dem Yard sind die Hände gebunden, was diese Einrichtung angeht«, gab McWarden zu. »Wie gesagt, ihr Gründer genießt einen fast schon legendären Ruf, er ist sozusagen ›off limits‹ für uns. Aber wenn Sie als Privatperson mal bei ihm vorbeischauen würden, Mylady, um in Ihrer bekannt diskreten Art ein paar Worte mit ihm zu wechseln«, schmeichelte der Chief-Superintendent Agatha Simpson schamlos. Mike Rander und Kathy Porter wandten sich ab, damit man ihren Heiterkeitsausbruch nicht mitbekam. Auch um Parkers Lippen spielte für eine Sekunde die Andeutung eines Lächelns, wofür er sich allerdings sofort selbst energisch zur Ordnung rief. Ein britischer Butler erlaubte sich keine Gefühlsregung, gleich, in welcher Situation. »Nun ja, man rühmt tatsächlich mein Fingerspitzengefühl, mein lieber McWarden«, lobte sich Mylady umgehend und ungeniert. »Ich denke, daß ich die Angelegenheit bis zum Wochenende abschließen kann. Ich werde Mister Parker einige unwichtige Details überlassen, um sein Selbstvertrauen zu stärken. Er ist ja so sensibel«, fuhr sie fort und musterte den Butler wohlwollend. »Man bedankt sich außerordentlich für die großherzige Chance, Mylady«, gab Parker würdevoll zurück. »Meine bescheidene Person wird sich bemühen, Myladys Vertrauen zu rechtfertigen.« »Ich werde Ihnen dabei natürlich wieder mal kräftig unter die Arme greifen müssen, Mister Parker, aber machen Sie sich nichts draus. Auch ich habe mal klein angefangen«, zeigte sie sich nach-
sichtig. »Ich habe ein Dossier zusammengestellt, das ich Ihnen hierlassen werde«, meldete sich McWarden zu Wort. Er legte einen dünnen Aktenordner auf den Tisch und erhob sich hastig. Angesichts des Wortgeplänkels zwischen Mylady und Parker fürchtete er um seine Selbstbeherrschung und wollte lieber gehen, bevor er einen Lachkrampf erlitt. »Wenn Sie das nächste Mal wiederkommen, gehört dieser Fall schon der Vergangenheit an«, sagte Lady Agatha noch und winkte ihm huldvoll zum Abschied. * »Allein dieser Name ist doch schon verdächtig«, fand Lady Agatha. »Wie kann man sich nur ›Bruderschaft der helfenden Hand‹ nennen?!« Die Detektivin saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und war auf dem Weg nach Pimlico, wo die Organisation ein kleines Büro betrieb. »Der Gründer ist ein ehemaliger Geistlicher, daher wohl der Name, Mylady«, erläuterte Parker. »Geistlich oder nicht, Mister Parker, ich sage Ihnen, mit diesem Verein stimmt was nicht, ich fühle es ganz deutlich«, behauptete Agatha Simpson und lachte dazu leise. »Mich kann man nicht täuschen, Mister Parker, auch wenn man sich einen frommen Namen zulegt.« »Deshalb ist Mylady in der Unterwelt auch so gefürchtet«, vermutete Parker, ohne einen Muskel seines glatten, ausdruckslosen Gesichts zu verziehen. »Entweder man hat’s oder man hat’s nicht, Mister Parker, und ich habe es eben, das Gespür für das Kriminelle, gleich, wo und in welcher Form es auftritt. Deshalb bin ich auch so erfolgreich.« »Mylady werden zweifellos in die Annalen der Kriminalgeschichte eingehen.« Bevor sich die ältere Dame zu dieser schmeichelhaften Bemerkung äußern konnte, lenkte Parker seinen Privatwagen in eine Parklücke und stieg aus. Einen Augenblick später hielt er seiner Herrin den Schlag auf und half ihr beim Aussteigen. Agatha Simpson musterte das schmalbrüstige, sehr gepflegt wirkende Haus, vor dem sie standen. »Macht keinen schlechten
Eindruck, sieht gar nicht wie das Hauptquartier einer Gangsterbande aus«, bemerkte sie, während sie energisch dem Eingang zustrebte. »Mylady lassen sich natürlich nicht von Äußerlichkeiten täuschen«, wußte Parker, während er seiner Herrin die Haustür öffnete. »Wohl wahr, Mister Parker, mir kann man keinen Sand in die Augen streuen.« Lady Agatha schob sich an Parker vorbei in den engen Flur und stapfte zielstrebig zu einer schmalen, verglasten Tür, hinter der Licht zu sehen war. Dort befand sich ein großer Raum, der durch eine Art Tresen zweigeteilt wurde. Vor dem Tresen standen einige einfache Sessel und Tische, dahinter saß an einem recht schäbig wirkenden Schreibtisch eine ältliche Sekretärin, die bei Myladys Eintritt den Kopf hob und die Besucherin müde musterte. Parker trat unauffällig hinter seiner Herrin ein und baute sich diskret im Rücken von Lady Agatha auf. Die Detektivin sah sich ungeniert um und kümmerte sich nicht um die Angestellte, die zum Tresen gekommen war und ihrerseits Mylady ausgiebig betrachtete. »Kann ich Ihnen helfen?« erkundigte sie sich schließlich, als Agatha Simpson noch immer nichts gesagt hatte. »Ich möchte Ihren Chef sprechen, gutes Kind«, erklärte Mylady der vielleicht sechzigjährigen Angestellten. »Und sagen Sie diesem Mister… Mister…« Lady Agatha runzelte die Stirn und dachte angestrengt über den Namen nach, der ihr aber nicht einfiel. »Mister Samuel Chilton«, soufflierte Parker. »Ich weiß, Mister Parker, ich vergesse grundsätzlich nichts, das wissen Sie doch.« Sie wandte sich wieder an die Angestellte. »Also, sagen Sie Ihrem Mister Chilton, daß Lady Simpson ihn sprechen möchte und nicht gern wartet.« »Ich werde sehen, ob Mister Chilton Zeit erübrigen kann«, gab die ältliche Sekretärin pikiert zurück und verschwand hinter einer gepolsterten Tür. Einen Augenblick später war sie bereits wieder da. »Es tut mir leid, Mister Chilton ist in einer wichtigen Besprechung. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen gern einen Termin«, verkündete sie und erlaubte sich dazu ein schadenfrohes Lächeln. Agatha Simpson wandte sich stirnrunzelnd nach Parker um.
»Was sage ich dazu, Mister Parker, ist das nicht eine ausgemachte Frechheit?« erkundigte sie sich. »Man begegnet Mylady in der Tat nicht mit dem nötigen Respekt«, bemerkte Parker, während er eine Klappe im Tresen öffnete und seine Herrin hindurchführte. »He, was machen Sie denn da, das geht doch nicht!« entrüstete sich die ältliche Angestellte und bekam vor lauter Aufregung hektische rote Flecken im Gesicht. »Natürlich geht das, meine Liebe, das sehen Sie doch.« Die Detektivin hatte die gepolsterte Tür bereits erreicht und riß sie schwungvoll auf. Die Angestellte war so leichtsinnig, sich der Lady in den Weg stellen zu wollen. Sie wurde förmlich zur Seite gefegt und landete auf einem Sessel neben der Tür, wo sie schluchzend liegenblieb. Lady Agatha stapfte in das hinter der Polstertür liegende Büro und steuerte den schweren Schreibtisch an, der im Hintergrund des Raumes unter einem breiten Fenster stand. Dort saß ein kahlköpfiger, älterer Mann, der überrascht aufsah, als die Tür aufflog und Lady Agatha erschien. An der rechten Seiten wand erhoben sich aus ihren Ledersesseln zwei jüngere Männer, die einen sportlich-durchtrainierten Eindruck machten. Sie spannten ihre Körper und sahen aus wie zwei Raubkatzen, die jeden Augenblick zum Sprung ansetzten. Sie ließen die Lady nicht aus den Augen und schienen nur darauf zu warten, zum Einsatz zu kommen. * »Sind Sie dieser Prediger, der Strafgefangenen hilft und nach ihrer Entlassung für Ihre Resozialisierung sorgen will?« wollte Lady Agatha wissen, während sie vor dem Schreibtisch stoppte und auf den kahlköpfigen Mann dahinter herabsah. »Der bin ich, aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit. Hat Ihnen das meine Sekretärin nicht gesagt? Lassen Sie sich bitte einen Termin geben, ja? Hat mich sehr gefreut, wirklich. Auf Wiedersehen und alles Gute für sie, Lady!« Samuel Chilton, um den es sich handelte, war aufgesprungen und streckte Agatha Simpson leichtsinnigerweise die Hand entgegen. Mylady ergriff die ihr dargebotene Rechte und schüttelte sie
kräftig. Daraufhin wurde der Bruderschafts-Chef blaß im Gesicht und stöhnte laut. Lady Agatha drückte noch etwas kräftiger, woraufhin Chilton Töne ausstieß, die an das Heulen von Wölfen beim Anblick des Vollmondes erinnerten. Er stierte seine Besucherin aus hervorquellenden Augen an und zerrte verzweifelt an seiner Hand, um sich aus Myladys Griff zu befreien. Die beiden jungen Männer, die die Szene bis dahin schweigend beobachtet hatten, hielten die Zeit zum Eingreifen für gekommen. »Jetzt reicht’s aber, altes Mädchen«, verkündete einer von ihnen und griff nach Myladys Schulter. »Du hast doch gehört, daß der Chef keine Zeit hat. Also zieh’ Leine und laß’ dich hier nicht mehr sehen, klar?« Die ältere Dame ließ Chiltons Hand los und wandte sich zu dem jungen Mann um. »Sie haben mich eben beleidigt«, sagte sie hoffnungsvoll. »Kneifen Sie nicht und sagen Sie mir die Wahrheit!« »Kneifen, bei dir, du alte Fregatte?« amüsierte sich der junge Mann. »Ich glaube, du blickst nicht durch, was?« Lady Agatha lächelte gar nicht wohlwollend. »Ich habe es ganz deutlich gehört. Ist es nicht so, Mister Parker, daß ich beleidigt wurde?« Bevor der Butler seiner Herrin antworten konnte, handelte sie schon. Ihr rechter, mit derbem Schuhwerk bekleideter Fuß krachte gegen das Schienbein des Leichtfertigen und verursachte nachhaltigen Schmerz. Der junge Mann stöhnte und zog das lädierte Bein an, um es zu massieren. Dazu improvisierte er einen kleinen Tanz, dem allerdings kein großes Talent anzumerken war. Lady Agatha beendete die etwas peinliche Vorstellung, indem sie eine kräftige Ohrfeige austeilte, die den Betroffenen gegen den Schreibtisch Chiltons warf, an dem er langsam zu Boden sackte und sich davor auf dem Teppich zu einer Verschnaufpause niederlegte. Der zweite junge Mann hatte einen Augenblick erstaunt und ungläubig zugesehen, dann schüttelte er seine Überraschung ab und wollte dem bedrängten Kollegen zu Hilfe eilen. Dazu zog er eine biegsame Stahlrute aus der Innentasche seines Sportsaccos und hatte ganz eindeutig die Absicht, diese Mylady über den Schädel zu ziehen. Er hatte jedoch die Rechnung ohne Josuah Parker gemacht. In
seinem Vorwärtsdrang wurde er jäh gehindert, als die Sauerstoffversorgung plötzlich unterbrochen wurde. Das hing mit Parkers Schirmgriff zusammen, der sich liebevoll um seinen Hals gelegt hatte und ihn nachdrücklich an weiteren Aktivitäten hinderte. Parker befreite ihn aus seiner mißlichen Lage, indem er den Bambusgriff vom Hals löste und den Schirm zurückzog. Bevor der junge Mann darüber Erleichterung verspürte, kam der Schirmgriff schon wieder auf ihn zu und legte sich auf seinen Hinterkopf. Da besagter Griff mit Blei ausgegossen war, zeigte sich der hitzige junge Mann tief beeindruckt und legte gleichfalls eine Pause ein, die er wie sein Kollege auf dem Teppich verbrachte. * »Und? Konnte dieser Mister Chilton etwas zur Sache sagen?« erkundigte sich Mike Rander, nachdem Lady Agatha und Josuah Parker nach Shepherd’s Market zurückgekehrt waren. »Leider nicht, Sir. Er verneint rundheraus jeden Zusammenhang zwischen den Befreiungsaktionen und seiner Organisation. Daß auch die entkommenen Gefangenen von ihm betreut wurden, stellt er als reinen Zufall dar«, zog Parker ein Fazit ihres Gesprächs mit dem Gefangenen-Wohltäter. »Das Gespräch hat überhaupt nichts gebracht«, mäkelte Agatha Simpson. »Und ich will Ihnen auch sagen, warum, mein Junge: Mister Parker war wieder mal zurückhaltend und hat das Verhör falsch angefaßt. Ich hätte mehr aus diesem scheinheiligen Wanderprediger herausgeholt, das können Sie mir glauben.« Sie schnaufte empört und schüttelte noch nachträglich den Kopf. »Mister Chiltons Gesundheit machte einen nicht allzu stabilen Eindruck, Mylady«, erinnerte Parker diskret seine Herrin. »Nun ja, er war nicht sehr sicher auf den Beinen, aber ein paar Ohrfeigen hätten ihn schon nicht umgebracht«, erklärte Mylady, während sie den Imbiß musterte, den ihr Parker serviert hatte. Sie fühlte sich nach diesem Ausflug ›total erschöpft‹ und hatte Parker sofort nach ihrer Rückkehr aufgetragen, für eine kleine Stärkung zu sorgen, selbstverständlich im Rahmen ihrer Diät. Wohlwollend musterte sie eine silberne Platte mit frischem norwegischem Lachs, einem großen Teller mit diversen Käsesorten, eine Platte mit kroß gebratenen Würstchen, Hühnerschenkeln und
gebackenen Nierchen sowie die Körbchen mit frischem Landbrot und gebräuntem Toast. Dazu hatte Parker gesalzene Butter aufgetragen und auch den Nachtisch nicht vergessen. Hierfür hatte er verführerisch duftenden Apfelkuchen vorgesehen und als Garnierung eine Schale mit Schlagsahne bereitgestellt. »Es ist wirklich nicht leicht, Diät zu leben, aber was sein muß, muß eben sein«, bedauerte sich Lady Agatha. »Zum Glück verfüge ich über eiserne Selbstdisziplin.« »Darin sind Mylady einfach bewundernswert«, wußte Parker zu rühmen und stellte diskret eine neue Platte mit Lachs auf den Tisch, da Mylady die alte in beachtlicher Geschwindigkeit geleert hatte. Rander nutzte die Chance, während Myladys ›Imbiß‹ den Butler weiter zum Gespräch mit dem Chef der ›Bruderschaft der helfenden Hände‹ zu befragen. »Was für einen Eindruck haben Sie von Chilton gewonnen?« wollte er wissen; während er grinsend beobachtete, wie Mylady den Nachtisch in Angriff nahm und Schlagsahne auf ihren Apfelkuchen häufte. »Meine bescheidene Wenigkeit hatte nicht den Eindruck, als könnte Mister Chilton der Initiator der Befreiungsorganisation sein«, äußerte Parker vorsichtig. »Allerdings befand er sich in Gesellschaft zweier junger Männer, die eindeutig dem kriminellen Milieu zuzuordnen sind.« »Vielleicht zwei Ex-Sträflinge, die sich zu einem Betreuungsgespräch in seinem Büro aufhielten?« tippte Kathy Porter an, die aufmerksam zugehört hatte. »Diesen Eindruck hatte man nicht, Miß Porter. Vielmehr schienen die Herren die Aufgabe einer Leibwache zu erfüllen.« »Ganz üble Schläger waren das«, mischte sich Lady Agatha dazwischen, die den Mund voller Sahne hatte. »Warum haben Sie mir übrigens nur ein Stück Kuchen serviert, Mister Parker? Ich mache eine Diät, aber ich faste nicht.« »Es handelte sich um einen ganzen Kuchen, Mylady, allerdings und zugegebenermaßen um einen sehr kleinen«, schränkte er anschließend ein, als er Myladys empörten Gesichtsausdruck wahrnahm. »Ich hoffe nicht, Mister Parker, daß Sie mich verhungern lassen wollen«, fragte sie streng und blickte ihrem Butler prüfend in die Augen. »Auf keinen Fall, Mylady. Meine bescheidene Wenigkeit hat noch
eine kleine Eisspezialität vorbereitet.« Parker verließ die Halle und kehrte gleich darauf mit einem Pokal zurück, dessen Inhalt für eine kleine Schulklasse gereicht hätte. »Vanilleeis mit heißen Kirschen«, verkündete er, während er die Köstlichkeit servierte. »Nicht schlecht, Mister Parker, wenn auch nicht sehr üppig«, fand Mylady und griff nach dem bereitgelegten Löffel. »Erzählen Sie inzwischen, welchen Eindruck ich bei unserem Besuch im Büro dieser dubiosen Organisation gewann«, forderte sie, während sie das Eis löffelte. »Mylady gewannen den zwingenden Eindruck, daß Mister Chilton unter Druck steht und seine Organisation von Dritten mißbraucht wird«, berichtete Parker. »Die beiden bereits erwähnten Herren hatten eindeutig den Auftrag, Mister Chilton unter Kontrolle zu halten.« »Das heißt also, daß die Bruderschaft der helfenden Hände< doch etwas mit den Gefangenenbefreiungen zu tun hat?« präzisierte Kathy Porter. »Davon sollte man ausgehen, Miß Porter, wenngleich auch die genannte ›Bruderschaft‹ offensichtlich dazu mißbraucht wird.« »Dieser Chilton hatte doch die Hosen voll«, ließ sich Mylady vernehmen, die gerade den letzten Löffel Eis zu sich nahm. »Man hat Mister Chilton unter Druck gesetzt und ihn gezwungen, mitzumachen.« »Mister Chilton, Mylady«, korrigierte Parker umgehend. »Ich weiß, Mister Parker, Sie brauchen mich nicht ständig zu korrigieren. Ich verfüge über ein Gedächtnis, um das mich jeder Computer beneiden würde.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, bestätigte Parker ihr, ohne eine Miene zu verziehen. Er wußte natürlich, daß das Gedächtnis seiner Herrin schlecht war, aber das würde sie niemals zugeben. Sie hielt sich für einen Menschen, der durch und durch perfekt war und pflegte dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit ohne falschen Scham festzustellen. »Ich werde diese ›Liberty Ltd.‹ in einer Woche ausräuchern, Mister Parker. Man bittet eine Lady Agatha nicht umsonst um Hilfe. Ich werde dem Yard mal zeigen müssen, wie man so etwas macht.« Die Detektivin strotzte wieder mal vor Selbstbewußtsein und glaubte, was sie sagte. »Mylady haben schon bestimmte Vorstellungen, wie Mylady vorzugehen gedenken?« erkundigte sich Parker höflich.
»Selbstverständlich, Mister Parker, ich weiß genau, wie ich diesen Fall anpacke.« Sie blinzelte ihm spitzbübisch zu und erhob sich, »Allerdings möchte ich, daß auch Sie sich Ihre Gedanken machen und einen Plan entwickeln, den ich dann begutachten werde.« »Sie gehen meditieren, Mylady?« unterbrach Mike Rander spöttisch, der natürlich ebenso wie die anderen Anwesenden wußte, wohin es Mylady zog. Sie war auf dem Weg in ihr sogenanntes Studio und würde sich dort mit Sicherheit einige Videofilme ansehen. »Ich werde tatsächlich über diesen interessanten Fall nachdenken und überlege bereits, ob ich ihn nicht zur Grundlage meines neuen Drehbuches mache«, verkündete Lady Agatha, während sie bereits die Treppe emporstieg. »Die BBC wird mir zu Füßen liegen, um es zu bekommen.« »Mylady werden neue Maßstäbe setzen«, wußte Parker und verneigte sich andeutungsweise. »Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte den Anwesenden noch mal huldvoll zu und verschwand, wobei ihr Abgang durchaus an den einer regierenden Monarchin erinnerte. »Hat Mylady überhaupt schon mal eine einzige Zeile zu Papier gebracht?« erkundigte sich Mike Rander lächelnd, während er sich eine Zigarette anzündete. »Mylady ist noch mit den Vorarbeiten beschäftigt und sondiert die in Frage kommenden Themen«, antwortete Parker neutral. Er hatte seiner Herrin vor geraumer Zeit im ersten Stock ihres Hauses ein mit modernster Bürotechnik ausgerüstetes Studio eingerichtet, in dem die ältere Dame ihre aufsehenerregenden Bestseller zu schreiben gedachte. Sie hatte dabei unter anderem die erklärte Absicht, eine gewisse Agatha Christie in ihre literarischen Schranken zu verweisen. »Wie geht es jetzt weiter?« wollte Mike Rander wissen. »Man sollte davon ausgehen, daß man in absehbarer Zeit kontaktiert wird, Sir. Myladys Besuch bei Mister Chilton und seiner ›Bruderschaft der helfenden Hände‹ dürfte sich herumsprechen und eine Reaktion provozieren.« »Womit sich die Gangster auf der anderen Seite aber auch verraten und zugeben würden, daß die ›Bruderschaft‹ in der Sache mit drinhängt, Parker.«
»Ohne Frage, Sir. Dennoch sollte man mit einem baldigen Besuch rechnen.« Josuah Parker hatte kaum seinen Satz beendet, als das Telefon zu läuten begann. »Ihr Stichwort, Parker«, lächelte Mike Rander. * »Mister Parker?« erkundigte sich eine barsche Stimme, nachdem sich der Butler gemeldet hatte. »In der Tat, Sir, was kann man für Sie tun?« fragte Parker höflich zurück. Die Stimme am anderen Ende der Leitung lachte belustigt. »Für mich können Sie nichts tun, wohl aber für sich selbst und für Ihre komische Lady.« »Könnten Sie möglicherweise etwas konkreter werden, Sir?« wollte Parker wissen, während er das Tonbandgerät einschaltete, um das Gespräch mitzuschneiden. Mike Rander war inzwischen neben ihn getreten und hielt den Zweithörer ans Ohr. »Sie kümmern sich da um eine Sache, die tödlich für Sie sein kann, Parker, nämlich dann, wenn Sie nicht schleunigst die Finger davon lassen. In diesem Fall wird man nämlich Ihr vorzeitiges Ableben zu beklagen haben, und das Ihrer Lady dazu.« »Meine bescheidene Wenigkeit vermag Ihnen nicht zu folgen, Sir«, behauptete Parker mit ausdrucksloser Stimme. »Sie wissen sehr genau, wovon ich spreche, Parker.« Die Stimme hatte deutlich an Schärfe gewonnen. »Halten Sie sich raus aus dieser Fluchtgeschichte, oder Sie leben nicht mehr lange. Verstanden?!« »Darf man erfahren, wer Sie sind, Sir?« »Das spielt doch keine Rolle, aber wenn Sie unbedingt einen Namen brauchen, nennen Sie mich Mister Liberty.« »Unter falscher Bescheidenheit scheinen Sie nicht zu leiden, Sir«, bemerkte Parker gemessen. »Das habe ich wohl mit Ihrer Chefin gemeinsam, wie ich höre; wenngleich die eigentlich kein Grund hat für Ihre Überheblichkeit. Im Grund sind Sie es doch, der den Laden schmeißt, Parker, und genau deshalb spreche ich auch Sie an. Also, Finger weg! Haben Sie das kapiert? Sonst weilen Sie nicht mehr lang unter den Lebenden…«
Es klickte in der Leitung, und der Mann, der sich ›Mister Liberty‹ nannte, hatte aufgelegt. »Unter Minderwertigkeitskomplexen leidet der Junge nicht gerade«, stellte Mike Rander fest, während sie das Tonband noch mal abhörten. »Gewiß nicht, Sir. Aber gerade die Eitelkeit bietet dankenswerte Ansatzpunkte, um einen Gegner aus der Reserve zu locken und zu Fehlern zu verführen«, bemerkte Parker würdevoll. »Was Sie ja in der Vergangenheit oft genug bewiesen haben, Parker«, bestätigte Mike Rander. »Wollen Sie das Band übrigens Mylady vorspielen? Es wird ihr nicht gefallen, was dieser Mann über sie zu sagen hatte.« »Man sollte das Band wohl besser löschen, Sir, zumal es keine wie auch immer gearteten Hinweise enthält«, schlug Parker vor, während er das Band bereits zurückspulte. »Jetzt scheinen wir auch noch Besuch zu bekommen«, bemerkte Mike Rander und deutete mit dem Kinn zum Eingang, wo einige Signallampen aufflammten und anzeigten, daß sich Fremde dem Haus näherten. Steif und würdevoll, als habe er den sprichwörtlichen Ladestock verschluckt, schritt Parker zu einem Wandschrank neben dem verglasten Vorflur und öffnete ihn. Hinter der Tür kam eine mit einer Vielzahl von Knöpfen und Schaltern sowie einem Monitor versehene Schalttafel zum Vorschein. Parker legte einen Hebel um, und einen Augenblick später leuchtete der Monitor auf. Er lieferte die gestochen scharfe Aufnahme von zwei jüngeren Männern, die in diesem Augenblick vor der schweren Eingangstür ankamen. Einen Augenblick später ertönte der Türgong. Parker legte einen weiteren Hebel um und schaltete die Sprechanlage ein. »Mit wem hat man das Vergnügen?« erkundigte er sich höflich, während er die Männer auf dem Monitor beobachtete. Die hatten natürlich keine Ahnung, daß sie von einer Kamera übertragen wurden und benahmen sich entsprechend ungeniert. Beide griffen in ihre Innentaschen und verrieten dabei viel Routine. Ihre Hände kamen mit großkalibrigen Pistolen zum Vorschein, die sie schnell und geübt überprüften. Dann beugte sich einer von ihnen zum Gitter der Sprechanlage vor. »Sergeant Hayes und Sergeant Connors vom Yard. Wir haben den Auftrag, Lady Simpson wichtige Unterlagen über die Flucht-
organisation zu überbringen.« Der Sprecher zwinkerte auf dem Monitor seinem Begleiter deutlich zu und baute sich breitbeinig vor der Tür auf. »Einen Augenblick, meine Herren«, verkündete Parker und betätigte den Türöffner. Kaum war das Summen des Schließkontaktes zu hören, als die angeblichen Sergeants schon vorstürmten und die Tür förmlich aufsprengten. Sie warfen sich mit Schwung und Energie in die verglaste Vorhalle und hielten plötzlich ihre Waffen in den Fäusten. Hinter der gleichfalls verglasten Zwischentür zur Halle stand Josuah Parker und sah den beiden Himmelsstürmern indigniert entgegen. »Die Herren absolvieren hier eine Übung?« erkundigte er sich gemessen, wenngleich in seiner Stimme ein gewisser Tadel mitschwang. »Quatsch, Übung, Mann, das hier ist blutiger Ernst.« Der Mann, der sich als »Sergeant Hayes« vorgestellt hatte und einen mächtigen, etwas ungepflegt wirkenden Seehundsbart trug, lachte spöttisch. Sein Begleiter musterte den Butler kopfschüttelnd. »Mein Gott, daß es so was sie Sie überhaupt noch in freier Wildbahn gibt. Und dann gibt es auch noch Leute, die Respekt vor so ’ner Vogelscheuche haben, nicht zu glauben, sowas.« Er schüttelte erneut den Kopf und konnte es einfach nicht fassen. Dieser seltsame, skuril wirkende Mann gefährlich? Einfach lächerlich sowas! Er winkte Parker mit seiner Pistole zu und deutete mit dem Kinn auf die Zwischentür. »Mach schon, auf, Alterchen, wir wollen hier nicht Wurzeln schlagen.« »Ihr Auftreten entspricht keinesfalls den üblichen Normen der Höflichkeit«, tadelte Parker. »Sind Sie übrigens in der Lage, sich als Angehörige der erwähnten Polizeiorganisation auszuweisen?« »Mann, du hast wohl ’n weichen Keks, was? Das hier sind unsere Ausweise!« Der Mann mit dem Seehundsbart hob seine Pistole an und hielte scheinbar spielerisch auf Parker. »Mach schleunigst auf, Mann, wenn du dir nicht ’n Luftloch einfangen willst, kapiert?« »Ihre Ausführungen lassen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig«, räumte Parker ein. »Deshalb möchte auch meine bescheidene Wenigkeit nicht zurückstehen und ein klares Wort zur Situation sagen: Sollten Sie Ihre Absicht, Ihre Waffen zu gebrauchen,
in die Tat umsetzen, sollten Sie besser mit gewissen Querschlägern rechnen, die Ihrer Gesundheit kaum förderlich sein dürften.« Die beiden ungebetenen Besucher sahen sich einen Moment ratlos an und dachten angestrengt über Parkers gewundene Sätze nach. »Was wollen Sie damit sagen?« erkundigte sich schließlich der angebliche › Sergeant Hayes ‹. »Man wollte lediglich damit zum Ausdruck bringen, daß das Glas um Sie herum schußsicher ist und Ihren Geschossen mit Sicherheit widersteht. Selbstverständlich ist es Ihnen unbenommen, einen Versuch zu wagen. Man verfügt im Haus über eine ausgezeichnete Apotheke und kann jederzeit Erste Hilfe leisten.« Die beiden Männer sahen sich ratlos und betreten an. Die Situation entwickelte sich nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatten. »Das ist doch Blödsinn, Mann, machen Sie auf, oder es knallt, kapiert?!« knurrte der Seehundsbart und versuchte, energisch und unnachgiebig zu wirken. »Man wird sich schon vorab um Verbandszeug bemühen«, verkündete Parker und wandte sich ab. »Los, wir verschwinden«, knurrte der Begleiter des Seehundsbartes und wollte die Eingangstür öffnen, doch die Klinke ließ sich nicht niederdrücken. Ein elektronischer Kontakt hatte sie arretiert und konnte nur vom Innern des Hauses gelöst werden. »Verdammt, die Tür geht nicht auf!« fluchte der inzwischen nervös wirkende Mann und warf sich mit dem ganzen Körpergewicht dagegen. »Laß mich mal.« Der Seehundsbärtige schob seinen Begleiter beiseite und bemühte sich selbst. »Sie sollten davon ausgehen, daß Sie aus eigener Kraft Myladys Haus nicht verlassen können«, deutete Parker an, der den keuchenden Männern gelassen zugesehen hatte. »Lassen Sie uns hier raus, Mann, das ist Freiheitsberaubung!« fluchte Sergeant Hayes< und musterte Parker anklagend. »Man möchte Ihnen zuvor eine kleine Erfrischung zukommen lassen, die Herren machen einen angegriffenen Eindruck«, verkündete Parker und betätigte einen weiteren Hebel auf seinem Schaltbrett. Im gleichen Augenblick prasselte eiskaltes Wasser von der Flurdecke herab und durchnäßte die völlig überraschten Besucher.
Parker schaltete die Sprechanlage aus, um die wüsten Verwünschungen der Herren nicht registrieren zu müssen. Er wandte sich ab und begab sich gemessen in den ersten Stock, um Mylady vom Eintreffen Ihrer Besucher zu unterrichten. … Agatha Simpson, die sich ein leichtes Nickerchen gegönnt hatte, war sofort hellwach und nur zu gern bereit, sich ihren ungebetenen Gästen zu Widmen. »Ich werde die Lümmel einem strengen Verhör unterziehen, Mister Parker«, verkündete sie. »Passen Sie gut auf, damit Sie es auch lernen.« »Man wird sich bemühen, Mylady nachzueifern«, versprach Parker, ohne eine Miene zu verziehen. Die Detektivin stand inzwischen vor der verglasten Zwischentür und musterte die angeblichen Polizeibeamten kritisch durch ihre Lorgnette. »Die Herren sehen aus, als ob sie frieren würden, Mister Parker«, stellte sie fest und wandte sich zum Schaltbrett um. »Ich denke, eine heiße Dusche wird das ändern«, glaubte sie und betätigte den entsprechenden Hebel. Daraufhin wallte plötzlich dichter Nebel durch den Vorflur und hüllte die schreienden Männer ein. »Es scheint ihnen zu gefallen«, freute sich Mylady und korrigierte die Temperatur noch ein wenig. »Mylady sollten den Duschvorgang vielleicht jetzt beenden, da der Gärungsprozeß der Herren sonst zu weit fortschreiten könnte«, gab der Butler zu bedenken. »Papperlapapp, Mister Parker, ich denke nur an die Gesundheit meiner Gäste. Sollen Sie sich vielleicht eine Erkältung holen?« Die beiden Männer im Vorflur, die nach wie vor durch die Nebelschwaden verdeckt waren, standen jetzt offenbar direkt hinter der Glastür und trommelten mit den Fäusten dagegen. »Die Herren scheinen Mylady etwas mitteilen zu wollen«, vermutete Parker und stellte die Dusche ab, was ihm einen mißbilligenden Blick seiner Herrin eintrug. * Parker hatte die ungebetenen Besucher in einem Gästezimmer im Keller des altehrwürdigen Fachwerkhauses untergebracht. Es handelte sich dabei um ein Mini-Appartement, das durchaus an-
sprechend eingerichtet war und über alle Annehmlichkeiten verfügte. Die Tür allerdings ließ sich nur von außen öffnen und war mit Stahlblech beschlagen, um einem eventuellen Ausbruchsversuch wirkungsvoll begegnen zu können. »Das wird Sie teuer zu stehen kommen, Mann!« blaffte der angebliche Sergeant Hayes und sprang auf, als Parker am nächsten Morgen die Tür öffnete, um das Frühstück zu servieren. Da Parker ein großes Tablett vor sich her trug, glaubte er den Butler überrumpeln zu können und sprang ihn an. Parker, der mit diesem Angriff gerechnet hatte, wich mühelos aus und stellte das Tablett auf den Wohnzimmertisch. Dann wandte er sich um und bemühte ein Buch aus dem Regal zur Wiederherstellung der Ordnung. Er legte den dicken Band nachdrücklich auf die Stirn des stürmischen Gastes und überredete ihn auf diese Weise zu einer kleinen Ruhepause. Der zweite Mann hatte überrascht zugesehen und schüttelte ungläubig den Kopf, als er sah, wie mühelos Parker seinen Partner ausschaltete. »Man hofft, Sie hatten eine angenehme Nacht, Sir«, bemerkte Parker, während er den Tee in die dünnwandigen Tassen goß und die Schale mit dem Gebäck zurechtrückte. »Mann, Sie haben vielleicht Nerven«, wunderte sich der angebliche Sergeant Connors, »ein eindeutigerer Fall von Freiheitsberaubung ist mir noch nicht passiert. Sie werden ’ne Menge Ärger kriegen.« »Etwas Ähnliches deutete auch schon Ihr Kollege an«, nickte Parker. »Allerdings sollte man doch von einer anderen Sicht der Dinge ausgehen. Sie sind Lady Simpsons Gäste und können selbstverständlich jederzeit wieder gehen.« »Ach wirklich? Dann haue ich jetzt ab.« Der angebliche Sergeant Conners drückte sich entschlossen aus dem Sessel hoch und wollte zur Tür gehen. »Zuvor hätte Mylady allerdings noch einige Fragen an Sie zu richten, Sir«, bemerkte Parker gemessen, während er seelenruhig zusah, wie Connors die Türklinke ergriff und sie drückte. Daraufhin geschah absolut nichts. Die Klinke auf der Innenseite der Tür war nur eine Attrappe und hatte keinerlei Funktion. Von innen ließ sich die Tür nur mittels eines Spezialschlüssels öffnen, den Parker in einer seiner zahlreichen Westentaschen trug.
»Verdammt, diese Misttür geht nicht auf…« beschwerte sich Conners und drehte sich gereizt zu Parker um. »Sie wird sich für Sie öffnen, nachdem Sie Mylady Rede und Antwort gestanden haben, Sir«, ließ sich Parker in aller Ruhe vernehmen. »Bis dahin sollten Sie sich noch als Gast des Hauses betrachten. Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf das wirklich ausgezeichnete Gebäck lenken?« »Jetzt habe ich aber die Schnauze voll!« Conners verlor sichtlich die Fassung und warf sich förmlich auf den Butler. Der hatte auch mit dieser Attacke gerechnet und zog höflich die schwarze Melone, während er beiseite trat. Als der wütende Angreifer an ihm vorbeischoß, krachte die mit solidem Stahlblech ausgefütterte Melone auf seinen Hinterkopf und veranlaßte ihn zu einer spektakulären Bauchlandung. Er überschlug sich, zeigte einen etwas verunglückten Salto und krachte zum Abschluß mit dem Kopf gegen die Tür. Zu seinem Pech wurde diese im gleichen Augenblick von außen aufgestoßen, was seinem Schädel nicht gut bekam. Connors stöhnte laut und meldete sich erst mal ins Reich der Träume ab, während Lady Agatha ihre walkürenhafte Figur in den Raum schob und sich forschend umsah. * »Was ist hier los, Mister Parker? Ich hoffe, unsere Gäste machen Ärger…« erkundigte sie sich erwartungsvoll und musterte ihre ungebetenen Besucher tatendurstig. »Hören Sie, Lady, lassen Sie uns hier raus, und wir vergessen die Sache. War halt ’n Mißverständnis, kann ja mal vorkommen, okay?« schlug der angebliche Sergeant Hayes vor, der inzwischen wieder zu sich gekommen war. »Ich habe da ein paar Fragen an Sie«, kündigte Lady Agatha an, ohne auf Hayes’ Vorschlag einzugehen. »Und ich hoffe, daß Sie mich ordentlich belügen werden, junger Mann.« »Wir haben keine Lust, uns mit Ihnen zu unterhalten: Wir gehen jetzt, und Sie werden uns nicht daran hindern…« verlangte der angebliche Sergeant Connors, der seinen Schwächeanfall gleichfalls überwunden hatte.
Er wollte sich an der Hausherrin vorbeischieben und durch die offene Tür versehwinden, aber er hatte nicht mit Myladys Standfestigkeit gerechnet. Agatha Simpson rührte sich keinen Millimeter vom Fleck, verlagerte ihr Gewicht etwas nach links und klemmte den schmächtigen Connors zwischen sich und der Wand ein. Der angebliche Sergeant stöhnte gequält und mußte gegen eine gewisse Atemnot kämpfen, die ihn plötzlich befiel. Er strampelte verzweifelt mit Armen und Beinen, um sich zu befreien, aber gegen die resolute Dame hatte er keine Chance. Schließlich sackte er erschöpft zusammen und rutschte zu Boden, als Mylady zur Seite trat. »Was hat er nur?« wunderte sie sich, während sie ihn kopfschüttelnd betrachtete. »Die heutige Jugend ist einfach zu schwächlich, Mister Parker.« »Nun, bis Ihr Kollege wieder zu sich findet, könnten wir beide ein wenig plaudern«, schlug Lady Agatha vor und lächelte Hayes, den zweiten Besucher, fast wohlwollend an. »Ich sage kein Wort, und mein Kumpel auch nicht«, versicherte Hayes. »Lassen Sie uns hier raus, und die Sache ist erledigt. Ansonsten sehe ich schwarz für Sie, Lady, das wird Sie teuer zu stehen kommen.« »Sie weigern sich also, mir Auskunft zu erteilen?« erkundigte sich Lady Agatha noch mal. »Und ob! Und jetzt lassen Sie uns endlich hier raus. Sie alte Fregatte!« »War das eine Beleidigung, Mister Parker?« wollte Lady Agatha freudig erregt wissen. »Dem sollte man nicht Unbedingt widersprechen, Mylady«, bestätigte der Butler, während er sich abwandte, um nicht mitansehen zu müssen, was nun unweigerlich kam. Die ältere Dame nickte befriedigt bei Parkers Antwort und nahm Maß. Dann schnellte ihre nicht eben kleine Rechte vor und klatschte in Hayes’ Gesicht. Der Mann starrte die Lady einen Augenblick verdattert an, dann begann er zu wanken und mußte sich mit den Händen an der Wand stützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Nun, was halten Sie jetzt von einem kleinen Gespräch?« erkundigte sich Mylady freundlich. »Nie… niemals!« nuschelte Hayes, der anscheinend Probleme mit den Zähnen hatte.
»Nun gut, wie Sie wollen.« Agatha Simpson wandte sich ab und sprach Parker an. »Ich denke, Mister Parker, ich habe jetzt genug von der Verstocktheit dieser Lümmel. Ich werde mich wieder meinen Studien widmen und in meinen Privat-OP zurückgehen. Machen Sie die beiden Subjekte inzwischen für eine kleine Sezierung fertig.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker verneigte sich höflich, als seine Herrin an ihm vorbeirauschte, und wandte sich dann an die beiden Besucher. »Tut mir aufrichtig leid, meine Herren, aber Sie haben ja selbst gehört, was Mylady angeordnet hat. Und ich muß Ihnen gestehen, ich habe nicht die Kraft und den Mut, Mylady zu widersprechen. Man möchte schließlich nicht auch auf dem Operationstisch enden, meine bescheidene Wenigkeit hat in dieser Hinsicht in Myladys Haus schon viel mitansehen müssen.« »Moment mal, was soll das Ganze eigentlich?« fragte Hayes nervös. »Was bedeutet das denn, Privat-OP, Sezierung, Operationstisch… undsoweiter?« »Bitte lassen Sie uns gehen, Ihre Chefin tickt doch nicht ganz richtig!« flehte Connors, der inzwischen auch wieder bei vollem Bewußtsein war. »Es handelt sich um Myladys Forschungen«, deutete Parker vage an. »Ehrlich gesagt, sind sie ein wenig umstritten in Fachkreisen.« »Ist sie etwa Ärztin?« wollte Hayes wissen. »Nicht ganz, Sir. Mylady hat sich ihre medizinischen Kenntnisse auf autodidaktischem Weg angeeignet; Sie hat eine Menge Bücher dazu gelesen und glaubt nun, der Medizin neue Wege aufzeigen zu müssen.« »Und was heißt das im Klartext?« fragte Connors kleinlaut. »Mylady ist ganz besonders an der Entwicklung neuer Operationstechniken interessiert. Sie möchte eine Methode entwickeln, bei der der Patient während des Eingriffs bei Bewußtsein bleibt und dem Arzt dabei seine Eindrücke schildern kann.« »Sowas gibt’s doch gar nicht, Mann, die Alte muß total übergeschnappt sein!« »Sie sollten sich nicht allzusehr sorgen, meine Herren. Mylady hat inzwischen auf diesem Gebiet einige Erfahrung gesammelt«, erklärte Parker gemessen. »Sie hat sowas tatsächlich schon gemacht?« staunte Hayes und
schüttelte sich unwillkürlich bei diesem Gedanken. »Die Operationen an sich verliefen gar nicht schlecht, allerdings war in allen sechs Fällen das Ableben der Patienten zu beklagen«, fuhr Parker fort. »Wo…wo hatte sie denn ihre Patienten her?« erkundigte sich Connors mit vor Schreck geweiteten Augen. »Nun, es handelte sich um unangemeldete Besucher, die Myladys Haus freundlicherweise aufsuchten. Vertreter, der Gasmann, Leute wie Sie zum Beispiel«, erklärte Parker. »Jedesmal, wenn man einen Besucher zum Bleiben überreden konnte, setzte Mylady eine ihrer bemerkenswerten Operationen an.« »Aber das ist ja heller Wahnsinn!« flüsterte Hayes. »Und das lassen Sie zu?« »Was soll man machen, meine Herren? Als Butler schuldet meine Wenigkeit Gehorsam und Ergebenheit, obwohl anschließend immer gewisse Probleme zu bewältigen sind.« »Was für Probleme?« hauchte Connors, dessen Gesicht inzwischen die Farbe frischen Schnees angenommen hatte. »Nun, die Beseitigung der… äh… Operationsrückstände ist nicht immer ganz einfach«, murmelte Parker und blickte dabei ergeben zur Decke. Bevor er noch mehr sagen konnte, ertönte plötzlich eine Glocke auf dem Flur, und der Butler zuckte unwillkürlich zusammen, so sah es jedenfalls für Hayes und Connors aus. Sie ahnten nicht, daß das alles nur ein raffiniertes Schauspiel war, das sie ›weichkochen‹ sollte. »Die Glocke«, flüsterte Parker. »Es ist soweit, meine Herren!« »Was… was meinen Sie damit?« krächzte Hayes und griff sich an die Kehle. »Die Glocke, Sir, das Signal. Mylady ist bereit für die Operation. Ich muß Sie jetzt hinbringen. Haben Sie noch einen Wunsch?« Hayes und Connors sahen sich an und schüttelten stumm die Köpfe. »Dann darf ich Sie jetzt bitten, meine Herren.« Parker deutete einladend zur Tür und verneigte sich leicht. In diesem Augenblick war Myladys sonores Organ auf dem Flur zu hören. »Wo bleiben Sie denn, Mister Parker, wie lange soll ich denn noch warten?« grollte sie. Im nächsten Moment erschien sie selbst in der Tür und baute sich vor ihren Opfern auf, die sie entsetzt anstarrten.
Mylady hatte Maske gemacht und sich auf ›Operateurin‹ getrimmt. Sie trug einen weißen Kittel, der ihre üppige Figur wie ein Zweimannzelt umwehte. Auf dem Kopf saß eine gestärkte Haube, die mit zwei Nadeln an ihrem Haar befestigt war. Dazu trug sie eine Gesichtsmaske, die nur die Augen freiließ, und an den Händen durchsichtige Gummihandschuhe. Um ihre Taille hatte sie eine Art Kälberstrick gegürtet, in dem zwei lange Messer steckten. Aus der Brusttasche ihres Kittels schaute eine gewaltige Schere, von deren Schneiden dunkelrote Tropfen auf ihren Kittel fielen. »Mylady benötigen Nachschub?« erkundigte sich Parker, während er ihr die beiden Männer entgegenschob. »Allerdings, Mister Parker; Der Patient von eben war leider nicht sehr widerstandsfähig. Schon nach ein paar harmlosen Schnitten in die Bauchdecke hat er aufgegeben und es vorgezogen, sich ins Jenseits zu flüchten. Ich kann nur hoffen, daß diese beiden Herren stärker sind.« »Was nicht der Fall zu sein scheint, Mylady«, stellte Parker fest, während er die in Ohnmacht Fallenden auffing. * Wegen der bevorstehenden › Operation ‹ zogen es die beiden angeblichen Sergeants vor, das Wenige, das sie wußten, Lady Agatha mitzuteilen. Sie gaben den Namen eines gewissen Ray Arcton preis, der in Soho eine kleine Sportschule betrieb und ihnen den Auftrag erteilte, Lady Agatha und Parker zu einem mehr oder weniger langen Klinikaufenthalt zu verhelfen. Mylady war auf dem Weg zu dieser Schule. »Ich werde Ihnen dort mal eine kleine Demonstration meiner Fitneß liefern, Mister Parker«, überlegte sie, »Auch Ihnen könnte ein wenig Bewegung nicht schadend.« »Wie Mylady zu meinen belieben«, erwiderte Parker, ohne seine Pokermiene zu verziehen. Er steuerte sein hochbeiniges Monstrum, wie sein Privatwagen allgemein genannt wurde, an den Straßenrand und stieg aus. Dann öffnete er seiner Herrin den hinteren Schlag und führte sie zu einem verwahrlost wirkenden Gebäude, in dem sich laut einer ehemals blauen, abbröckelnden
Schrift ›Rays Sportstudio‹ befand. Im Treppenhaus roch es penetrant nach Unrat, Schweiß und abgestandener Luft. »Rays Sportstudio« befand sich im zweiten Stock, wo es die gesamte Etage einnahm. Parker stieß eine verglaste Pendeltür auf und ließ seiner Herrin den Vortritt. Vor ihnen lag ein schmaler Gang, der in einen kleinen Vorraum mit Bar und Sitzecke führte. Die aufdringlich geschminkte, nicht mehr ganz junge Frau hinter der Bar starrte Lady Agatha überrascht an. Bevor sie sich von ihrem Schreck erholte, stand Mylady schon an ihrer Theke und hieb den Pompadour auf das dünne Holz. Einige Gläser sprangen hoch und landeten klirrend auf dem Boden. »Ich möchte den Chef sprechen, mein Kind, und zwar sofort«, verlangte Lady Agatha, während sie interessiert einige Plakate musterte, die Stärkungsmittel und Vitaminkonzentrate anboten. »Wollen… wollen Sie sich anmelden?« erkundigte sich die Barfrau und gestattete sich ein spöttisches Grinsen. »Das habe ich nicht nötig, ich bin fit«, grollte Lady Agatha. »Meine Zeit ist knapp bemessen, also schaffen Sie den Mann her. Beeilen Sie sich!« »Der Chef ist gerade beim Training. Tut mir leid«, freute sich die Barfrau, »aber wenn Sie gegen Mittag nochmal wiederkommen wollen?« Agatha Simpson würdigte sie keiner Antwort, sondern walzte zu einer Tür im Hintergrund. Dort waren die unverwechselbaren Geräusche sportlicher Betätigung zu hören. Die altere Dame stieß die Tür auf und blickte in einen Saal, der mit Trainingsgeräten vollgestellt war, an denen sich eine Handvoll Leute abrackerte. In der Mitte war ein Boxring aufgebaut. Ein herkulisch gebauter, glatzköpfiger Neger und ein untersetzter, dunkelhaariger Mann lieferten sich einen Sparringskampf. Die Detektivin hielt zielstrebig auf den Ring zu und musterte die Kämpfer. »Wer von Ihnen ist dieser Ray Aston?« wollte sie wissen, währen sie die Körper der Boxer fachkundig und ungeniert begutachtete. »Mister Ray Arcton, Mylady«, korrigierte Parker, der hinter sie getreten war und sich unauffällig im Saal umsah. »Meinetwegen, dann eben Arcton, seien Sie doch nicht immer so supergenau, Mister Parker«, ärgerte sich Agatha Simpson. »Al-
so, wer von Ihnen beiden ist dieses Subjekt?« Der herkulische Neger scheuchte den Sparringspartner in seine Ecke und kam grinsend auf Lady Agatha zu. »Das bin ich. Was wollen Sie denn von mir?« knurrte er, während er sie kopfschüttelnd ansah. »Sie haben da zwei Subjekte geschickt, die in mein Haus eindringen und mich und meinen Butler belästigen sollten«, grollte Lady Agatha. »Was haben Sie dazu zu sagen, junger Mann?« »He, was sagt ihr zu dieser kessen, alten Tante?« erkundigte sich Arcton bei den Sportsfreunden, die sich inzwischen um den Ring versammelt hatten und dem Gespräch lauschten. »Ich warte immer noch auf Ihre Antwort, Sie Lümmel«, erinnerte Lady Agatha ihn. Dann holte sie aus und… trat dem überraschten Sportler gegen die rechte Wade. Arcton schrie auf und zog das malträtierte Bein an. Er massierte es heftig und starrte die ältere Dame aus zusammengezogenen Augen tückisch an. »Sind Sie nicht ganz bei Trost, Lady? Sie wissen wohl nicht, wer ich bin, oder?« »Ich weiß sehr wohl, wer Sie sind, Sie eingebildetes Subjekt. Warum haben Sie mir Ihre Schläger auf den Hals geschickt?« Während sich Agatha Simpson mit dem Sportschulinhaber auseinandersetzte, sah sich Parker dem Spott und den Anzüglichkeiten der übrigen Besucher ausgesetzt. »Was bist denn du für ein komischer Typ?« begehrte einer zu wissen und wollte sich bei seiner Frage fast kugeln vor Lachen. »Kommste aus ’m Museum, oder woher sonst?« warf ein anderer ein und erntete dafür begeisterte Zurufe seine Mitschüler. Ein Vorwitziger schlich hinter Parker und wollte ihm die Melone vom Kopf schlagen. Zu seinem Pech hatte Parker diese Absicht erkannt. Er rückte seinen Universal-Regenschirm, den er unter den Arm geklemmt hatte, zurecht und stieß ihn dann ruckartig nach hinten, Lautes Stöhnen war die Folge. Die Schirmspitze hatte sich in den Solarplexus des ›Melonenattentäters‹ gebohrt und ihm jede Lust an Aktivitäten genommen. »He, was haste mit meinem Kumpel gemacht?« brüllte ein stiernackiger Kerl und baute sich drohend vor Parker auf. »Man ist untröstlich, Sir, falls man Ihrem Bekannten Schmerz zugefügt haben sollte«, entschuldigte sich der Butler höflich und lüpfte seine Melone.
»Was hat er gesagt?« erkundigte sich der verblüffte Mann bei seinen Kumpanen. »Er hat gesagt, daß du blöd bist«, antwortete einer, und das gefiel dem Stiernackigen keineswegs. Er hob die Fäuste und hatte die erklärte Absicht, Parker zu attackieren. »Darf ich einen Augenblick um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten, Sir?« Parker hob gebieterisch die Hand und stoppte damit den kurz bevorstehenden Angriff. »Was ’n los?« wollte der Stiernackige wissen und glotzte Parker an. Der Butler drehte seine Kopfbedeckung mit der Wölbung nach außen und tippte damit sachte an das Kinn des untersetzten Mannes. Der hatte das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd erwischt worden zu sein und stöhnte dumpf. Dann verdrehte er die Augen und ließ sich seufzend zu Boden fallen. Die anderen Sportsfreunde starrten abwechselnd auf ihren Kollegen und auf Parker. Sie begriffen nicht, was da eben geschehen war. Dann schüttelten sie ihre Verblüffung ab und rückten geschlossen gegen Parker vor. Sie machten einen mehr als aggressiven Eindruck und ließen ihn lautstark wissen, welche Knochen sie ihm zu brechen gedachten. Parker bückte sich und ergriff eine schmale Bank, die er hob und dann im Kreis um sich schwenkte. Daraufhin begaben sich einige Angreifer zu Boden, während sich die übrigen hastig zurückzogen, um aus der Reichweite der Bank zu kommen. »Ihr Vorgehen läßt eine gewisse Fairneß vermissen, meine Herren«, rügte Parker, während er die Bank fallen ließ und den Sitz seines Binders korrigierte. Einer der Sportsfreunde wollte es noch mal wissen und stürmte plötzlich auf den Butler los. Parker verlor keine Sekunde seine Würde und Gelassenheit. Fast spielerisch drückte er sich vom Boden ab, ergriff zwei über ihm an dicken Seilen hängende Ringe und zog sich daran hoch. Der stürmische Angreifer rauschte unten durch und prallte ein paar Schritte weiter gegen einen Barren. Er wendete auf der Stelle und kam zurück, um im zweiten Anlauf sein Ziel zu erreichen. Parker hatte inzwischen Schwung geholt und schaukelte mit beachtlicher Fahrt vor und zurück. Als der gereizte Angreifer in
Reichweite war, stieß Parker seine Beine gerade wieder vor und… erwischte den blindlings Anstürmenden mit den Schuhspitzen am Kinn. Daraufhin verlor der Mann die Angriffslust und entschloß sich zu einer kleinen Pause auf dem staubigen Hallenboden. Parker ließ sich inzwischen gleichfalls zu Boden fallen und federte elegant ab, ohne an Würde zu verlieren. Gelassen holte er aus einer Innentasche seines Covercoats eine kleine Bürste, um ein imaginäres Staubkorn vom Hosenaufschlag zu entfernen. * Ray Arcton, der Betreiber der Sportschule, traute seinen Augen nicht. Seine besten Schüler wurden scheinbar mühelos und fast schon elegant ausgeschaltet. Er beschloß, die Schmach persönlich zu tilgen und bog entschlossen die Ringseile auseinander, um sich auf Parker zu stürzen. Doch er hatte die Rechnung ohne Lady Agatha gemacht. Die ältere Dame wartete, bis Arctons Stiernacken zwischen den Seilen steckte, dann streckte sie den rechten Fuß aus und stemmte ihn auf das direkt über Arctons Nacken verlaufende Seil. Der Mann schrie überrascht auf, als sich das rauhfaserige Seil in sein Nackenfleisch grub, während gleichzeitig das unter dem Hals befindliche Seil durch den Andruck von oben den Adamsapfel drückte. Arcton spürte, wie ihm die Luft knapp wurde und begann mit den Beinen zu strampeln. Agatha Simpson beugte sich besorgt vor und tätschelte ihm nahezu liebevoll die wie eine polierte Billardkugel glänzende Glatze. »Was haben Sie denn, mein Lieber, irgendwas nicht in Ordnung?« erkundigte sie sich. Arcton röchelte und fuhr mit den Händen in der Luft herum. »Nanu, woran liegt das denn?« wunderte sich Agatha Simpson. »Mister Arcton scheint ernsthafte Atemprobleme zu haben, Mylady«, äußerte Parker hinter seiner Herrin. »Wollen Sie mir etwa die schwache Konstitution dieses Lümmels anlasten, Mister Parker?« grollte die Lady, während sie den Druck ihres Fußes auf das Ringseil lockerte. »Mitnichten, aber wie Mylady eben schon selbst andeuteten, macht Mister Arcton ganz den Eindruck, sich Myladys Fragen stel-
len zu wollen.« »Das ist allerdings richtig«, nickte die Detektivin, obwohl sie selbstverständlich nichts dergleichen angedeutet hatte. »Sie verstehen mich von Tag zu Tag besser, Mister Parker. Schaffen Sie also dieses Subjekt in den Ring, ich denke, das ist die richtige Arena für mein Verhör.« »Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker stieg ebenso mühelos wie würdevoll über die Ringseile und machte sich daran, Ray Arcton zu befreien, was sich als nicht ganz einfach erwies, da Mylady ihn mehr oder weniger kunstvoll in die Seile eingewickelt hatte. »Bevor ich mit dem Verhör beginne, Mister Parker, sollte ich möglicherweise etwas für meinen Kreislauf tun«, überlegte Lady Agatha. »Ich spüre deutlich, daß er jeden Augenblick zusammenbrechen muß.« Josuah Parker verstand diesen Hinweis natürlich und holte aus einer der zahlreichen Taschen seines schwarzen Covercoats eine lederumhüllte Flasche, die einen ausgezeichneten französischen Cognac enthielt. Er füllte den silbernen Flaschenverschluß bis obenhin und reichte seiner Herrin die ›Medizin‹, die sie in einem Zug hinunterspülte. »Ich denke, Mister Parker, mein Kreislauf braucht noch etwas Hilfestellung«, fand sie und beobachtete ungeduldig, wie Parker den Verschluß ein zweites Mal füllte. »Nun gut, jetzt fühle ich mich in der Lage, mit dem Verhör zu beginnen«, erklärte sie und begab sich zur Ringmitte, wo Ray Arcton, der herkulisch gebaute Sportlehrer, noch immer unter den Nachwirkungen seiner kurzen Gefangenschaft zwischen den Ringseilen litt. Er schnaufte und sah Lady Agatha aus trüben Augen an. »Sie wollten mir gerade erzählen, warum Sie Ihre Totschläger in. mein Haus geschickt haben«, ermunterte ihn die ältere Dame nahezu freundlich. »Lassen Sie sich ruhig Zeit mit der Antwort, ich bin Ihnen nicht böse, wenn Sie mich erst ein bißchen anlügen, junger Mann.« Agatha Simpson Sah ihn erwartungsvoll an und ließ ihren Handbeutel mit dem darin befindlichen Hufeisen kreisen. »Ich weiß nichts, Sie müssen mich verwechseln, Lady«, knurrte Arcton. »Ich kann mir einfach nicht erklären, was das alles soll.« »Was sage ich dazu, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agat-
ha bei Parker, der sich diskret hinter ihr hielt. »Mister Arcton dürfte unter einer gewissen Gedächtnisschwäche leiden«, vermutete Parker. »Mylady geben sich sicher mit dieser ersten und ein wenig unüberlegten Antwort nicht zufrieden.« »Worauf Sie sich verlassen können.« Die Detektivin nickte grimmig und rückte etwas näher an den Sportschulbetreiber heran, der sich inzwischen erholt hatte. »Also, Sie Lümmel, wer hat Ihnen den Auftrag gegeben, mir Ihre Schläger ins Haus zu schicken?« wiederholte Mylady ihre Frage. »Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen.« Ray Arcton fühlte sich wieder fit und ärgerte sich darüber, daß er sich hatte demütigen lassen. Dafür wollte er der Lady eine Lektion erteilen, die sie ihr Leben lang nicht vergaß. Er hob seine in Boxhandschuhen steckenden Fäuste und rückte auf die Lady zu. Probehalber wischte er mit der Rechten durch die Luft und ließ sie an Myladys Nasenspitze vorbeizischen. »Sollte das ein Angriff gewesen sein?« erkundigte sich Agatha Simpson erfreut und wollte es dem Sportlehrer gleichtun. Sie ließ ihren perlenbestickten Pompadour hochsteigen, um gleichfalls knapp an ihrem Gegner vorbeizusausen. Leider verschätzte sie sich dabei etwas, und das im Handbeutel befindliche Hufeisen eines ehemaligen Brauereipferdes landete auf der Brust des überraschten Sportlers. Arcton stieß einen erschreckten Kiekser aus und faßte nach der Stelle, die ihm den unangenehmen Eindruck vermittelte, von einer Kanonenkugel getroffen worden zu sein. Er schwankte ein paar Schritte zurück und schielte vorwurfsvoll. »Das is’ nich’ fair«, beschwerte er sich, während er weiter die schmerzende Stelle massierte. »Das lasse ich mir nicht nachsagen«, grollte Lady Agatha. »Mister Parker, legen Sie mir sofort ein Paar Boxhandschuhe an!« »Mylady wollen sich in der edlen Kunst des Faustkampfes üben?« fragte der Butler vorsichtshalber, während er bereits Boxhandschuhe von einem Hocker in der Ringecke nahm und seiner Herrin überstreifte. »Jetzt werd’ ich dir mal zeigen, was Sache ist«, rief Arcton und tänzelte an. »Sie genieren sich nicht, gegen eine Dame anzutreten?« erkundigte sich Parker gemessen.
* »Dame? Daß ich nicht lache!« Der ehemalige Boxer hob die Fäuste und fintierte damit vor Myladys Gesicht. »Die ist doch schlimmer als ein ganzes Rudel Schläger!« »Das ist gewiß eine Beleidigung, Mister Parker?« fragte Lady Agatha sicherheitshalber. »Ein entsprechender Tenor war nicht zu überhören«, bestätigte der Butler gemessen. »Und wer gewann den Kampf?« wollte Mike Rander schmunzelnd wissen, nachdem Mylady und Parker nach Shepherd’s Market zurückgekehrt waren. »Ich muß doch sehr bitten, mein lieber Junge, was ist das denn für eine Frage?« entrüstete sich Lady Agatha und sah den Anwalt empört an. »Selbstverständlich Mylady«, antwortete Parker gemessen. »Und zwar durch k.o. in der dritten Runde.« »Durch k.o.?« wunderte sich Kathy Porter. »Ich denke, dieser Arcton ist ehemaliger Profi?« »Was ist das schon gegen eine Lady Simpson?« ließ sich die Hausherrin selbstzufrieden vernehmen. »Ich habe dem Mann deutlich seine Grenzen aufgezeigt.« »Mylady waren in der Tat überzeugend«, wußte Josuah Parker zu berichten. »Mister Arcton hatte in keiner Phase des Kampfes eine Chance.« »Und dieser Kampf wurde nach den üblichen Regeln des Boxsports ausgetragen?« erkundigte sich Mike Rander listig. »Mylady hat nicht rein zufällig unkonventionelle Mittel eingesetzt?« »Nun ja, Sir, es ergab sich, daß Myladys Pompadour unbeabsichtigt eine Rolle spielte«, räumte Parker vorsichtig ein. »Was kann ich dazu, wenn der Lümmel nicht aufpaßt?« mokierte sich Lady Agatha. »Er lief ja direkt in meinen Handbeutel.« »Der was in einem Boxkampf zu suchen hat, Mylady?« wollte Mike Rander lächelnd wissen. »Ich habe ihn aus reiner Gewohnheit bei mir gehabt, mein lieber Junge«, erklärte Lady Agatha und versuchte sich an einem Augenaufschlag, der unschuldig wirken sollte. »Als ich die Fäuste hochriß, um einen Angriff abzuwehren, schwang der Beutel vor und traf meinen Gegner am Kinn.«
»Na, wenn das kein Zufall ist«, spottete Rander weiter. »Und das war dann das ›Aus‹ für Arcton, ja?« »Mister Arcton stürzte wie der sprichwörtliche gefällte Baum auf den Boden und wurde später mit einer leichten Gehirnerschütterung in ein nahegelegenes Hospital eingeliefert«, vervollständigte Parker den Bericht. »Konnte er wenigstens noch etwas zur Sache äußern?« wollte Kathy Porter wissen. »Er wurde angeblich per Telefon engagiert, und sein Honorar wurde ihm durch einen Botendienst zugestellt«, ärgerte sich Lady Agatha. »Wenn Mister Parker mich nicht daran gehindert hätte, die Vernehmung fortzusetzen, hätte ich ihn sicher dazu gebracht, mehr zu sagen.« Sie sah ihren Butler strafend. »Mister Arcton hatte sich bereits in den Zustand der Bewußtlosigkeit geflüchtet, Mylady«, erinnerte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Papperlapapp, das war doch reine Schauspielerei, weiter nichts, Mister Parker. Sie lassen sich ganz einfach zu leicht austricksen.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, gab Parker ungerührt zurück. »Allerdings sollte in diesem Zusammenhang die ärztliche Diagnose nicht vergessen werden, die von einer Gehirnerschütterung und einem gewissen Ruhebedürfnis des Mister Arcton sprach.« »Auch Ärzte sind nur Menschen, die sich allzuleicht täuschen lassen«, wußte die Lady. »Man braucht schon eine gewisse Erfahrung und Menschenkenntnis, um Schein und Wirklichkeit trennen zu können.« »Man wird sich bemühen, von Myladys reichhaltigen Erfahrungen zu profitieren, wenngleich Mylady natürlich unerreichbar sind«, schmeichelte Parier seiner Herrin. * »Zeigen Sie mir, daß Sie aufgepaßt haben, Mister Parker, und wiederholen Sie, warum ich gerade zu dieser Adresse fahren möchte«, forderte die Lady ihren Butler auf. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und blickte mal wieder nicht durch, aber das konnte sie natürlich nicht zugeben.
»Wie Mylady wünschen.« Parker war durch nichts zu erschüttern. »Mylady beabsichtigen, Mistreß Susan Prescott einen Besuch abzustatten, die im Norden ein kleines Reihenhaus bewohnt.« »Das weiß ich natürlich, Mister Parker, aber warum will ich das? Oder wissen Sie das etwa nicht?« gab Lady Agatha ärgerlich zurück. »Mistreß Prescott, Mylady, ist die Ehefrau eines gewissen Mister Norman Prescott, der zusammen mit einem zweiten Gefangenen vor wenigen Tagen aus der Strafanstalt Millwall befreit wurde. Der zweite Gefangene ist den Polizeiakten zufolge ohne Anhang, so daß sich Mylady auf Mistreß Prescott konzentrieren möchte. Mylady gehen davon aus, daß sich Mister Prescott mit seiner Gattin in Verbindung setzen wird.« »Sehr richtig, Mister Parker, Sie scheinen ja doch einigermaßen aufgepaßt zu haben.« Agatha Simpson nickte zufrieden, wußte sie jetzt doch wieder Bescheid. »Aber wird sich Scotland Yard nicht dasselbe sagen und diese Mistreß Pencoke längst verhört haben?« sorgte sie sich. »Mistreß Prescott, Mylady«, korrigierte Parker höflich. »Seien Sie doch nicht so penetrant pingelig, Mister Parker, nur weil ich mich mal versprach«, grollte die Lady prompt. »Scotland Yard wird natürlich nichts aus Mistreß Prescott herausbekommen, während Myladys Verhörtechnik unübertroffen ist«, wußte Parker und versöhnte damit wieder seine Herrin. »Das ist natürlich richtig, Mister Parker, in dieser Beziehung kann mir niemand das Wasser reichen«, stimmte Lady Agatha sofort zu. »Entweder man kann’s oder man kann’s nicht. Was mich betrifft, ich kann es sogar meisterhaft.« »Worum Mylady von der Fachwelt glühend beneidet wird«, wußte Parker und fand erneut freudige Zustimmung. »Das stimmt, Mister Parker, und deshalb versucht man auch immer wieder, mich für die verschiedensten Organisationen zu gewinnen. Aber ich ziehe meine Unabhängigkeit vor, nur so kann man erfolgreich arbeiten. Weshalb wurde dieser Mann eigentlich eingesperrt?« »Mister Prescott überfiel einige Banken und erbeutete dabei mehr als drei Millionen Pfund, die seitdem verschwunden sind. Die Unterwelt veranstaltete ihrerseits eine regelrechte Treibjagd auf Mister Prescott, um an sein Geld zu kommen, aber bislang vergebens. Mylady vermuten sehr richtig, daß die Fluchthelfer der
sogenannten »Liberty Ltd.« einen erheblichen Prozentsatz der Beute als Honorar verlangen.« »Aber nicht mehr lange, Mister Parker. Ich habe die feste Absicht, diese Fluchtorganisation in ein paar Tagen zu zerschlagen. Und Sie wissen: Was sich eine Lady Simpson vornimmt, führt sie auch durch.« Parker antwortete nicht darauf, denn man hatte inzwischen die Zieladresse erreicht, und er mußte nach einem Parkplatz Ausschau halten. Gerade als er eine Lücke entdeckte, kam eine junge Frau aus einem kleinen Reihenhaus und hielt am Fahrbahnrand. Sie schien aufgeregt und hielt nach etwas Ausschau. Als sie Parkers Wagen entdeckte, trat sie auf die Straße und winkte heftig. Offenbar hielt sie seinen Privatwagen für ein Taxi, was er übrigens tatsächlich mal war. Hinter der jungen Frau tauchten jetzt mehrere sportlich wirkende Männer auf und rannten auf sie zu. Die Frau sah sich gehetzt um und wich vor dem Ansturm zurück auf die Fahrbahn. Parker lenkte sein Fahrzeug zwischen die fast auf der Mitte der Straße stehende Frau und ihre Verfolger. Agatha Simpson öffnete die Fondtür auf ihrer Seite und winkte der jungen Frau. »Steigen Sie ein, meine Liebe, beeilen Sie sich«, forderte sie sie auf und ergriff ihren Arm, um sie ins Wageninnere zu zerren. Die junge Frau schluchzte erleichtert, als die Tür hinter ihr zufiel und Parker sein hochbeiniges Monstrum beschleunigte. »Nun beruhigen Sie sich mal, meine Liebe, hier sind Sie in Sicherheit«, erklärte Mylady ihrem aufgelösten Gast und reichte der jungen Frau ein Taschentuch. »Mistreß Susan Prescott, wie man vermuten darf?« erkundigte sich Parker von vorn und lüpfte dabei andeutungsweise die Melone, die er korrekterweise auch beim Autofahren trug. »Sie kennen mich?« staunte die junge Frau und hörte auf zu schluchzen. »Die Herren, die sich so sehr für Sie interessieren, dürften Mitarbeiter der sogenannten ›Liberty Ltd.‹ sein?« fragte Parker weiter, während er einen Blick in den Rückspiegel warf. Weiter hinten hatte sich gerade ein grauer Ford vom Straßenrand gelöst, suchte Anschluß an Parkers hochbeiniges Monstrum und holte schnell auf. Die junge Frau drehte sich um und starrte ängstlich in den Rückspiegel. »Sie holen uns ein«, schrie sie, als sie sah, daß der Ford schnell
näher kam. »Fahren Sie doch zu, beeilen Sie sich!« * »Reißen Sie sich gefälligst zusammen, meine Liebe, ich bin schließlich bei Ihnen«, raunzte Lady Agatha, während sie interessiert beobachtete, wie der graue Ford längsseits ging und der Beifahrer eine veritable Maschinenpistole aus dem Seitenfenster hielt. »Ich bitte mir doch aus, Mister Parker, daß Sie diese Lümmel stoppen, damit ich mit ihnen ein paar klärende Worte wechseln kann«, wandte sie sich an ihren Butler, der ungeachtet der MPi geradeaus blickte und sich nicht um die Bedrohung aus dem Ford kümmerte. »Ich will hier raus, lassen Sie mich aussteigen, ich will nicht sterben!« kreischte Susan Prescott in den höchsten Tönen, um gleich darauf von Lady Agatha mit einer nicht eben sanften Ohrfeige zum Schweigen gebracht zu werden. Mittlerweile hatte man ein recht verlassen wirkendes Straßenstück erreicht, auf dem sich keine anderen Fahrzeuge als Parkers hochbeiniges Monstrum und der Ford der Gangster befand. Parker tat so, als bemerkte er jetzt erst den Wagen an seiner Seite und lüftete grüßend die schwarze Melone. Der Beifahrer mit der Maschinenpistole winkte heftig und bedeutete ihm, an den Straßenrand zu fahren und zu halten. Der Butler kam diesem Wunsch umgehend nach. Der Ford stellte sich quer vor Parkers schwarzen Wagen. Fahrer und Beifahrer sowie zwei Weitere Insassen fielen förmlich aus ihrem Fahrzeug, um ihren Gegner einzukreisen und mit Schußwaffen zu bedrohen. Lady Agatha beobachtete die Szenerie mit sichtlichem Wohlgefallen und griff nach ihrem perlenbestickten Pompadour. Neben ihr starrte Susan Prescott schreckensbleich nach draußen und fing leise an zu schluchzen. Einer der Banditen preßte seine Maschinenpistole gegen Parkers Seitenscheibe und bedeutete ihm, diese herunterzukurbeln. Parker dachte nicht im Traum daran. Statt dessen schaltete er die bordeigene Wechselsprechanlage ein und wandte sich über einen außen am Wagen versteckt angebrachten Lautsprecher an
die Waffenträger. »Man wünscht einen außerordentlich erfolgreichen Tag«, grüßte er höflich. »Darf man sich nach den Wünschen der Herren erkundigen?« »Kurbel die Scheibe runter, oder ich verpaß’ dir ’ne Ladung Blei«, drohte der Mann neben seinem Fenster und fuchtelte wild mit seiner MPi herum. »Sie haben die Absicht, mit meiner bescheidenen Wenigkeit zu kommunizieren?« fragte Parker gemessen nach, woraufhin ihn der Mann entgeistert anstarrte. »Was meint er?« wandte er sich an seine Kollegen, die gleichfalls die Köpfe schüttelten und nicht wußten, wovon Parker sprach. »Sie wünschen mit meiner Wenigkeit ein Gespräch zu führen?« übersetzte Parker seine Frage ins Allgemeinverständliche. »Genau das wünsche ich«, antwortete der Gangster fast ebenso höflich. Dann aber ging ihm auf, daß er sich im Ton vergriffen hatte, und er wurde sofort wieder ruppig. »Kurbel endlich das Fenster runter, du Vogelscheuche, oder wir machen ’n Sieb aus deiner altersschwachen Kiste, klar?!« »Sie drückten sich ebenso rüde wie unmißverständlich aus«, rügte Parker. »Leider kann man Ihrem Wunsch nicht nachkommen. Falls Sie die Absicht haben sollten zu schießen, darf man auf eventuelle Querschläger und damit verbundenen gesundheitlichen Risiken aufmerksam machen. Dieser Wagen ist selbstverständlich gepanzert.« »Nichts als Bluff, Herb, laß dir nichts erzählen«, warf einer von den Kerlen ein und hob drohend die Waffe. »Ein Test steht Ihnen selbstverständlich frei, meine Herren. Man hofft, genügend Verbandsmaterial an Bord zu haben.« Der Mann neben Parkers Wagen zögerte sichtlich, er wollte offensichtlich kein Risiko eingehen. Statt dessen griff er nach der Klinke und wollte die Tür aufreißen. Auf diesen Augenblick hatte Parker gewartet. Seine schwarz behandschuhte Rechte legte einen der zahlreichen Schalter unter dem Armaturenbrett um und löste damit einen bestimmten Kontakt aus. Der Gangster, dessen Hand sich um den Türgriff spannte, schrie plötzlich auf und absolvierte einen durchaus bemerkenswerten Luftsprung. Initiator dieses Sprunges war der Gleichstromimpuls, der durch die Türklinke floß und die Hand des Ganoven förmlich
daran festschmiedete. »Verdammt, helft mir doch!« keuchte der auf- und abspringende Gangster und bemühte sich, seine Hand von der Klinke zu lösen, was sich jedoch als unmöglich erwies. Ein Kumpan faßte sich ein Herz und eilte ihm zu Hilfe. Er umklammerte den Arm seines Kollegen und wollte ihn vom Wagen wegreißen. Im gleichen Augenblick durchpulste der gleichgerichtete Ström auch seinen Körper und veranlaßte ihn, wie ein Rudel Wölfe beim Anblick des Vollmondes aufzuheulen und gleichfalls ein Hochsprungtraining aufzunehmen. Die beiden übrigen Gangster starrten verständnislos und wußten nicht, was sie von der Sache halten sollten. Sie waren so fasziniert von der Vorstellung, die sie geboten bekamen, daß sie nicht mal merkten, als Lady Agatha den hinteren Wagenschlag öffnete und ihre majestätische Fülle ins Freie schob. Sie spürten noch einen Luftzug hinter sich und wollten sich instinktiv zur Seite werfen, doch es war schon zu spät. Lady Agathas Handbeutel landete einen Doppelschlag und erwischte die beiden Männer an den Hinterköpfen. Es krachte dumpf, dann war ein synchron ausgestoßener Seufzer zu hören, und die beiden Herren legten sich zu einer Zwischenpause auf den staubigen Asphalt der Straße. Unternehmungslustig beäugte Mylady den Wagen und baute sich hinter den beiden vom Gleichstrom beflügelten Hochspringern auf. Parker schaltete seine Stromfalle ab und überließ die beiden Männer seiner Herrin. Lady Agatha beschloß, auch in diesem Fall zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sie griff in die Frisuren der Ganoven und sorgte für einen innigen Kontakt ihrer Schädel. Um sicherzugehen, wiederholte sie die Prozedur. Danach wollten auch diese Herren nicht mehr mitspielen und machten es ihren Kollegen nach, die bereits reglos auf dem Asphalt lagen und laute Schnarchtöne produzierten. Susan Prescott saß im Fond und starrte mit offenem Mund und aus weitaufgerissenen Augen auf die ihr unwirklich vorkommende Szene. Die ältere Dame wälzte sich zurück zu ihr und ließ sich schnaufend in die Polster fallen. »Sie haben jetzt mit eigenen Augen gesehen, daß Sie von diesen harmlosen Jungen nichts zu befürchten haben«, erklärte sie. »Deshalb sollten Sie mir jetzt alles erzählen, damit ich Ihnen
auch weiterhin helfen kann, gutes Kind.« * »Das heißt also, Mistreß Prescott, die Fluchthilfeorganisation trat an Sie in der Person des Mister Chilton von der »Bruderschaft der helfenden Hände« heran und bot Ihnen an, Ihren Gatten aus dem Gefängnis zu befreien, wenn er bereit wäre, die Hälfte seiner beiseite geschafften Beute als Honorar abzutreten?« faßte Parker den etwas konfusen Bericht der jungen Frau zusammen. »So ist es, Mister Parker«, bestätigte Susan Prescott, während sie immer wieder nach den bewußtlosen Gangstern schielte. »Ich habe dann mit meinem Mann im Gefängnis gesprochen, und er war einverstanden. Vorige Woche ist er befreit worden.« »Und seitdem ist er verschwunden, nicht wahr?« mischte sich Lady Agatha ein und musterte die junge Frau mit einem bei ihr seltenen Anflug von Verständnis. »Stimmt, Mylady. Ich habe daraufhin Mister Chilton von der ›Bruderschaft‹ angerufen, und der sagte mir, ich müßte noch etwas warten. Aus Gründen der Sicherheit müßte sich mein Mann noch versteckt halten.« »Was nicht unbedingt unvernünftig klingt, Mistreß Prescott«, ließ sich Josuah Parker vernehmen. »Na, natürlich, aber wir hatten uns in einem kleinen Hotel an der Küste verabredet. Von da aus wollten wir zum Kontinent übersetzen, es war alles vorbereitet. Nur Norman tauchte nicht auf.« Sie schluchzte verzweifelt und ließ ihren Tränen freien Lauf. Lady Agatha wandte sich betroffen ab und starrte angestrengt nach draußen. »Und dann riefen Sie wiederholt die ›Bruderschaft‹ an und erkundigten sich nach Ihrem Mann, bis man dort die Geduld verlor?« setzte Parker die Befragung fort. »Irgendein fremder Rüpel kam an den Apparat und schnauzte mich an, endlich Ruhe zu geben, andernfalls erginge es mir so wie meinem Mann.« Die junge Frau schluchzte wieder laut. »Daraufhin habe ich gedroht, zur Polizei zu gehen, wenn ich nicht bald mit meinem Mann sprechen kann«, beendete sie ihre Geschichte. »Woraufhin man Ihnen dieses Rollkommando ins Haus schickte, Kindchen«, nickte Lady Agatha und wuchtete die Tür auf. »Aber
den Strolchen werde ich jetzt Manieren beibringen. Darauf können Sie sich verlassen.« Sie beugte sich über den Fahrer des Ford und tätschelte ihm unsanft die Wangen. »Aufwachen, Sie Lümmel! Ich habe ein paar Fragen an Sie«, grollte sie. Der Gangster sah seine Chance gekommen und griff nach den Knöcheln der Lady. Er hatte die Absicht, sie durch einen kräftigen Ruck zu Fall zu bringen und dann zu überwältigen. Aber er unterschätzte Myladys Standfestigkeit. Agatha Simpson wankte zwar, fiel aber nicht. Statt dessen fühlte sie sich angegriffen und leitete Gegenmaßnahmen ein. Sie hielt ihren perlenbestickten Pompadour über die Brust des Gegners, ließ ihn einen Augenblick pendeln und… dann einfach fallen! Der Gangster schrie, als der Handbeutel wie ein Felsbrocken auf sein Brustbein donnerte und nachhaltigen Schmerz verursachte. Er löste seihen Griff um Myladys Knöchel und gab sich freudig einer neuerlichen Ohnmacht hin. Hinter der Detektivin hatte sich ein zweiter Gangster aufgerichtet, um sie anzufallen. Während sie mit dem Kollegen beschäftigt war, würde sie eine leichte Beute für ihn werden, wie er glaubte. Doch Lady Agatha hörte im letzten Augenblick ein scharrendes Geräusch und drehte sich um. Der Angreifer lief voll in ihre herumwirbelnden Hände und sah plötzlich bunte Sterne vor seinem geistigen Auge. Auch er zog es vor, ein zweites Mal parterre zu gehen. Die restlichen Gangster, die inzwischen ebenfalls wieder bei Bewußtsein waren, wollten das Ruder noch mal herumreißen und das Blatt zu ihren Gunsten wenden. Sie stürzten sich beide gleichzeitig auf die Lady. Mitten in der Bewegung jedoch stoppten sie plötzlich. Fast synchron griffen sie nach ihren Hinterteilen und ertasteten dort einen seltsamen Gegenstand. Mit angewidertem Gesichtsausdruck zerrten sie diesen aus ihren Gesäßmuskeln und starrten entsetzt auf die Blasrohrpfeile, die sie in Händen hielten. Sie warfen die heimtückischen Geschosse mit spitzen Fingern in die Büsche am Straßenrand und fühlten deutlich, wie ihnen der Schweiß ausbrach. Auch wenn sie in der Schule nie besonders gut aufgepaßt hatten, fielen ihnen plötzlich Horrorgeschichten und vergiftete Pfeile ein. Sie fühlten schon jähes Unwohlsein in sich aufsteigen und setzten sich total entkräftet auf die Straße.
»Die Herren sollten tunlichst allzu heftige Bewegungen vermeiden, dies bringt den Kreislauf nur unnötig in Wallung und sorgt für eine raschere Verteilung des Giftes«, empfahl Parker, während er seine Pfeile aus dem Gebüsch barg. »Gi… Gift?« ächzte einer der beiden und sah seinen Kollegen aus weitaufgerissenen Augen an. »Was denn für Gift, Mann?« »Meine bescheidene Wenigkeit hatte Gelegenheit, einige Jahre in Südamerika zuzubringen«, erklärte Parker gemessen. »In dieser Zeit konnte man bescheidene Kenntnisse in der Verwendung gewisser Pfeilgifte erwerben, besonders im Hinblick auf eines, das man allgemein Curare nennt.« »Cu… Curare? Mann, das ist doch das Zeug, mit dem die Indianer auf die Jagd gehen und Pumas und so’n Zeug töten, oder? Das hab’ ich neulich im Fernsehen gesehen, ist doch absolut tödlich, das Zeug! Und mit sowas schießen Sie durch die Gegend… Sind Sie übergeschnappt, Mann?« »Es handelte sich sicher um Jaguare, die auf diese Weise gejagt werden, Pumas kommen nur in Nordamerika vor«, unterrichtete Parker den Gangster. »Ansonsten trübt Sie Ihre Erinnerung nicht. Curare ist in der Tat absolut tödlich.« »Ich will aber nicht sterben, helfen Sie mir doch, Mann!« Der Ganove verdrehte die Augen und ließ sich stöhnend zurücksinken. Man sah ihm an, daß er mit dem Leben abgeschlossen hatte. »Es gibt natürlich ein Gegengift«, erinnerte Parker und steckte sich gelassen eine seiner spezialgefertigten Zigarren an. »Geben Sie’s mir, ich sage Ihnen alles, was ich weiß!« flehte der vor Schreck bleiche Gangster und starrte Parker flehentlich an. »Dazu muß sich meine bescheidene Wenigkeit erst Myladys Zustimmung einholen«, gab Parker zu bedenken. »Wenn Sie sich einen Augenblick gedulden wollen, wird man das sofort erledigen.« »Beeilen Sie sich, Mann! Lange mache ich’s nicht mehr, das spür’ ich doch!« Der Gangster schien total entnervt. Josuah Parker entfernte sich, blieb hinter einem Busch stehen und genoß den Rauch seiner Spezialzigarre, der in dichten Schwaden über seinen Kopf dahinzog. Ein Geschwader Mücken, das den seltsam gekleideten Zweibeiner zum Ziel erkoren hatte und gerade zum Angriff überging, drehte überhastet ab, als es in
den Einzugsbereich des Zigarrenrauches geriet. Eine gute Hundertschaft konnte sich nicht mehr retten und stürzte besinnungslos zu Boden, während die restlichen Insekten sich aus der Gefahrenzone katapultierten. Von allem schien Parker nichts zu merken. Er stand da und genoß. * Die Abschlußklasse eines außerhalb von London gelegenen Mädchenpensionats hatte am Spätnachmittag ein Erlebnis, das keinesfalls im Stundenplan vorgesehen war. Zwei altjüngferlich wirkende Lehrkräfte führten die zwanzig jungen Damen zum nahegelegenen Sportplatz, um den Schultag mit etwas Leichtathletik abzuschließen. Die Schülerinnen, alle zwischen siebzehn und zwanzig, wirkten genauso lustlos wie ihre Lehrerinnen und schienen keine große Lust zu haben, der körperlichen Ertüchtigung zu huldigen. Sie spazierten in kleinen Gruppen und unterhielten sich kichernd über ihre ersten Liebeserfahrungen. »Bitte, meine Damen, etwas flotter wird es wohl gehen«, wurde eine Erzieherin energisch und scheuchte ihre Schutzbefohlenen vorwärts. Der Sportplatz kam in Sicht. Einen Augenblick bewegte sich die Gesellschaft noch normal weiter, dann gerieten die jungen Damen an der Spitze ins Stocken und hielten schließlich. Sie legten die Handflächen zum Schutz gegen die tiefstehende Sonne über die Augen und spähten angestrengt auf den Platz. »Was ist denn nun schon wieder, warum gehen Sie denn nicht weiter?« stöhnte eine Lehrerin und beschloß im stillen, nach den großen Ferien einen weniger nervenaufreibenden Job zu übernehmen. Die vorn stehenden Mädchen stießen sich kichernd an und deuteten mit den Fingern auf den Platz, die anderen Mädchen drängelten sie zur Seite und wollten auch sehen, was es da so Interessantes gab. Als schließlich die zwanzig jungen Damen wußten, worum es ging, kam es zu einem nahezu lebensgefährlichen Massenstart. Wie auf ein geheimes Kommando hin setzten sich alle gleichzei-
tig in Bewegung, und die beiden ältlichen Erzieherinnen verstanden die Welt nicht mehr. Seufzend folgten sie ihren Schülerinnen. Die hatten inzwischen den Platz erreicht. Mit weit ausgebreiteten Armen rannten sie quer über den Rasen, schwärmten aus und strebten dann von allen Seiten zur Mitte des Platzes, als wollten sie das Zentrum der Arena einkesseln. Das entsprach tatsächlich ihrer Absicht. Kreischend bildeten sie schließlich einen geschlossenen Kreis, faßten sich an den Händen und begannen zu tanzen, wozu sie ein Lied intonierten, das sich durch freizügigen Text auszeichnete. Die beiden überforderten Lehrerinnen hatten keuchend und leise schimpfend ihre Schützlinge erreicht und drängten sich beherzt unter den Armen einiger Mädchen hindurch nach vorn. Einen Augenblick später wünschten sie sich, sie hätten es besser nicht getan. Der Anblick, der sich ihren schreckgeweiteten Augen bot, war einfach ›shocking‹ und strapazierte ihre Gemüter über Gebühr. Sie erspähten nämlich vier mehr oder weniger junge Männer im Adamskostüm. Und das war einfach zuviel für die Augen der beiden Damen. Entsetzt wandten sie sich ab. Ihre Schülerinnen registrierten diese Reaktion natürlich aufmerksam und amüsierten sich köstlich darüber. Sie rückten zusammen und zwangen die Erzieherinnen, in ihrer Mitte zu verweilen. * Haie Tucker, der den grauen Ford bei der Verfolgung von Parisers hochbeinigem Monstrum gefahren hatte, erwachte als erster aus der Ohnmacht. Er brauchte einige Zeit, bis er wieder zu Sinnen kam. Er öffnete langsam die Augen und sah über sich den blauen Himmel und die tiefstehende Sonne, deren Strahlen angenehm warm seine Haut liebkosten. Bei diesem Gedanken fuhr er wie von der Tarantel gestochen hoch. Er schaute an sich hinab und stellte fest, daß er nichts außer seiner Armbanduhr trug. Neben ihm lagen drei Kollegen, gleichfalls im Adamskostüm. Entsetzt sprang er auf und rüttelte seine Partner wach. »Was ’n los?« gähnte Tim Wesley und richtete sich schlaftrunken auf. Wesley hatte im Ford als Beifahrer fungiert und Butler Parker mit
der Maschinenpistole bedroht. »Steh’ auf, du Blödmann, wir haben Probleme!« fauchte ihn Tucker an und versetzte ihm einen Fußtritt. Das wollte sich Wesley nicht gefallen lassen und sprang auf die Füße, um seinem Vormann Bescheid zu stoßen, vergaß es jedoch sofort, als er an sich hinuntersah. »Ich… ich bin ja nackt!« japste er und blickte seinen Kollegen empört an. »Nicht nur du, du Schwachkopf, dieser verdammte Parker hat uns reingelegt«, bestätigte Tucker verbittert. Wenige Augenblicke später waren auch die beiden übrigen Herren auf den Beinen und blickten beschämt um sich. Sie verstanden die Welt nicht mehr und fühlten sich alles andere als wohl. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Plötzlich war nicht weit entfernt Johlen und Schreien zu hören. Bevor die verdatterten Gangster zu einer Reaktion fähig waren, schwärmten junge Mädchen aus und umzingelten sie. Die konsternierten Herren wagten noch einen Fluchtversuch, doch der scheiterte kläglich. Es stellte sich heraus, daß ihre Fußgelenke durch solide Handschellen miteinander verbunden waren und keine schnelle Bewegung erlaubten. Deshalb bemühten sie sich krampfhaft, ihre Blößen zu verbergen und die jungen Damen abzuwehren. Sie kämen erst wieder zu sich, als sie von einigen Polizeibeamten zu einem Mannschaftswagen geführt und unsanft hineingeschubst wurden. Dankbar zogen sie die groben Wolldekken, mit denen man ihre Körper bedeckt hatte, enger um ihre Schultern und starrten voller Abscheu und Entsetzen aus dem Fenster auf die Mädchen, die ihnen fröhlich zuwinkten. »Daß ihr euch nicht schämt, ihr Lüstlinge, das wird teuer für euch«, grinste ein Polizist, während er ihnen eine Zigarette anbot. »Und gleich ’ne ganze Klasse, ihr habt Mut, das muß man euch lassen«, fügte ein Kollege hinzu. »Ihr braucht die gar nicht so anzuhimmeln, der Richter wird nämlich ganz anders über den kleinen Spaß denken«, wies der Streifenführer seine Leute zurecht. »Besonders, wenn man an die Kanonen denkt, die wir zusammen mit den Klamotten auf der Aschenbahn entdeckt haben«, ließ sich ein anderer Polizist vernehmen. Die vier Gangster hatten die Augen geschlossen und hingen ihren Gedanken nach, die man als äußerst trübe bezeichnen mußte.
Sie knirschten dabei mehr oder weniger laut mit den Zähnen und schworen tausend Flüche, es einem gewissen Butler Parker heimzuzahlen. Der war in diesem Augenblick dabei, sein hochbeiniges Monstrum zu besteigen, das in der Nähe parkte. Er hatte die Szene aus einem Gebüsch mit Hilfe eines Fernglases beobachtet und gleichzeitig interessante Schnappschüsse geschossen, die er einigen Zeitungsredaktionen zuzustellen gedachte. Er hatte die Absicht, einen gewissen »Mr. Liberty« aus der Reserve zu locken und zu Unvorsichtigkeiten zu verleiten. Unterwegs hielt er an einer Telefonzelle und wählte die Nummer einer sogenannten »Bruderschaft der helfenden Hände« in London. Er ließ sich mit einem Mr. Samuel Chilton verbinden und empfahl ihm, die Morgenpresse besonders aufmerksam durchzusehen. * »Sie gehen mir allmählich auf die Nerven, Parker«, verkündete »Mr. Liberty« bei einem Anruf am nächsten Vormittag. »Was durchaus in meiner Absicht liegt, Sir«, erklärte Josuah Parker gemessen. »Sie sind verdammt hochnäsig, Parker, aber das werde ich Ihnen sehr schnell abgewöhnen. Gegen eine gutgezielte Kugel sind auch Sie machtlos.« In der Stimme des »Mr. Liberty« schwang unüberhörbar nur mühsam unterdrückte Gereiztheit mit, die Parker natürlich nicht entging. »Fand ein entsprechender Versuch nicht erst gestern statt?« erkundigte er sich höflich. »Bei dieser Gelegenheit, Sir, erlauben Sie mir die Frage, ob Sie die heutige Morgenpresse bereits studiert haben?« »Habe ich, Parker, und ich sage Ihnen, das haben Sie nicht umsonst gemacht! Okay, es war nicht ungeschickt, wie Sie meine Leute reingelegt haben, aber ein zweites Mal gelingt Ihnen das nicht! Beim nächsten Mal sind wir am Drücker, das garantiere ich Ihnen!« »Übernehmen Sie sich da nicht ein wenig, Sir?« fragte Parker höflich. »Wie meinen Sie das, Parker?« Die Stimme des »Mr. Liberty«
vibrierte jetzt förmlich vor unterdrückter Wut. »Nun, Ihre bisherigen Aktionen gegen Mylady und meine bescheidene Wenigkeit waren bislang nicht allzu beeindruckend, Sir, und der Qualitätsstandard Ihrer Mitarbeiter scheint mir beklagenswert. Das läßt sogar gewisse Rückschlüsse auf Sie selbst zu. Auch Ihr eigener Standard, Sir, scheint sich durch ein gewisses Mittelmaß auszuzeichnen.« Einen Augenblick war es auf der anderen Seite der Leitung still, nur das Atmen von »Mr. Liberty« war deutlich zu hören. Dann meldete er sich wieder zu Wort. »Diese Bemerkung wird Ihnen noch leid tun, Parker, das schwöre ich Ihnen«, keuchte er. »Mitnichten, Sir. Nach den bisher mit Ihrer Organisation gemachten Erfahrungen dürfte man kaum etwas zu befürchten haben.« »Und die Befreiungsaktionen aus den diversen Gefängnissen, die ich bisher durchgezogen habe?« schrie »Mr. Liberty«, der offensichtlich die Beherrschung verloren hatte. »Waren die etwas nichts, he?« »Zugegeben, Sir, ein gewisser Erfolg ist Ihnen nicht abzusprechen. Aber Sie hatten stets das Überraschungsmoment auf Ihrer Seite, niemand rechnete mit solchen Aktionen. Trotzdem, durchaus akzeptabel geplant und durchgeführt. Aber wenn Sie an einen vorbereiteten und fähigen Gegner geraten… ich fürchte, Sir, in einem solchen Fall stünden Sie auf verlorenem Posten.« »Mit fähigem Gegner meinem Sie wohl sich selbst, Parker, oder? Aber ich werde Ihnen schon sehr bald Ihr großes Maul stopfen, ich verspreche Ihnen, daß…« Josuah Parker hörte nicht weiter zu, sondern legte einfach den Hörer auf. Zwar widerstrebte es ihm, eine derartige Unhöflichkeit zu begehen, aber er wollte dadurch den sogenannten »Mr. Liberty« noch mehr reizen, zumal das Nervenkostüm des Mannes ganz offensichtlich nicht das beste waf… »Wer war das?« erkundigte sich Lady Agatha, die sich gerade mit ihrem zweiten Frühstück beschäftigte. Sie befleißigte sich dabei äußerster Zurückhaltung und hatte sich deshalb nur ein mittelgroßes Steak, etwas Salat, eine Platte mit geräuchertem Lachs sowie einige kroß gebratene Würstchen servieren lassen, zu denen es doppelt gebackenes Landbrot und gesalzene Butter gab. Als Abschluß stand ihr ein kleiner Apfelkuchen zur Verfü-
gung. »Ein gewisser Mr. Liberty, Mylady«, erwiderte Parker höflich. »Mir ist so, als hätte ich den Namen schon mal gehört, Mister Parker«, überlegte die Lady halblaut, während sie sich dem Apfelkuchen widmete. »Was durchaus möglich scheint, Mylady«, ließ sich Parker dazu vernehmen, was seine Herrin ärgerte und zu einer Nachfrage zwang. »Natürlich weiß ich mit diesem Namen einiges anzufangen, Mister Parker, schließlich verfüge ich über ein fotografisch genaues Gedächtnis. Ich frage mich nur, wie es da bei Ihnen aussieht? Zeigen Sie mir, daß auch Sie wissen, was dieser Name bedeutet«, forderte sie. Parker verzog keine Miene, wußte er doch, daß sich seine Herrin keine Namen merken konnte und ihm gern den sogenannten schwarzen Peter zuschob, um ihre Unwissenheit zu bemänteln. »Mister Liberty ist der Führer jener Organisation, die sich ›Liberty Ltd.‹ nennt und sich auf die Befreiung finanziell gutsituierter Strafgefangener spezialisiert hat«, erläuterte der Butler deshalb würdevoll, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht rührte. »Richtig, Mister Parker, das ist dieser Oberlümmel, dem ich demnächst das finstere Handwerk legen werde«, stimmte Lady Agatha huldvoll zu. »Und was wollte er von mir?« »Mister Liberty stieß die üblichen Drohungen aus und gab seiner Absicht Ausdruck, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit demnächst mit einigen Kugeln zu bedenken«, antwortete Parker gemessen. »Sehr schön, Mister Parker, auf diese Weise wird mir nicht langweilig werden. Lassen Sie sich etwas Hübsches einfallen, wie ich diesen Kerl ausschalten werde. Ich lasse Ihnen bei Kleinigkeiten dieser Art freie Hand und kann nur hoffen, daß Sie mich nicht enttäuschen.« »Man wird sich Mühe geben«, versprach Parker und verneigte sich. * »Es ist mir wie immer ein ausgesprochenes Vergnügen, für My-
lady und Sie tätig sein zu dürfen«, versicherte Horace Pickett, der Josuah Parker in einem kleinen Pub im Norden Londons gegenübersaß. Pickett, ein fast schlanker, etwa sechzigjähriger Mann mit der straffen Haltung eines ehemaligen Offiziers, hatte sich in früheren Jahren als sogenannter »Eigentumsumverteiler« betätigt und gutbetuchte Mitbürger um ihre Brieftaschen erleichtert. Eines Tages jedoch war er dabei an einen Mafia-Boß geraten, der nach einem »Zusammenstoß« mit Pickett nicht nur seine Brieftasche, sondern auch einige wichtige Papiere vermißte. Er setzte ein Killer-Kommando auf den Eigentumsumverteiler an, und nur dem entschiedenen Einsatz eines gewissen Josuah Parker hatte es Pickett zu verdanken, daß sein Leben damals kein abruptes Ende nahm. Seitdem wandelte er auf der richtigen Seite des Gesetzes und rechnete es sich zur Ehre an, immer wieder für Parker tätig zu werden. »Konnten Sie inzwischen in der Szene eruieren, ob man Näheres in Sachen ›Liberty Ltd.‹ weiß?« erkundigte sich Parker höflich. »Ich habe mich gründlich umgehört, Mister Parker, aber niemand weiß Konkretes. Sicher, es gibt Gerüchte, wie das immer der Fall ist, wenn sich was tut auf dem Markt, aber wie gesagt, etwas Greifbares kann ich Ihnen leider nicht bieten.« »Was sagt man zu Mister Ray Arcton, dem Betreiber der Sportschule? Bevorzugt er einen bestimmten Auftraggeber?« »Keinesfalls, Mister Parker. Arcton vermietet seine Schläger an jeden, der dafür zahlt. Man engagiert ihn telefonisch, schickt ihm per Boten oder Post eine Anzahlung und nach Erledigung des Auftrages den Rest. Sie kennen das Verfahren ja.« »In der Tat, Mister Pickett, es handelt sich dabei um das übliche, allgemein verbreitete und leider auch sehr zuverlässige System. Dann dürfte auf dem Umweg über Mister Arcton also auch nicht an diesen Herrn namens >Mr. Liberty< heranzukommen sein.« »Wahrscheinlich nicht, Mister Parker. Ich bedaure, daß ich Ihnen nicht mehr bieten kann, aber ich werde meine Recherchen selbstverständlich fortsetzen. Allerdings, ein Gerücht sollten Sie vielleicht doch kennen…« »Welches wäre das?« fragte Josuah Parker gemessen. »Oft kommt man gerade auf dem Umweg über einen vagen und nur auf Gerüchten basierenden Hinweis auf eine echte Spur.«
»Das ist allerdings richtig, Mister Parker. Nun, auch der Anwalt Brixton wird hinter vorgehaltener Hand als möglicher ›Mister Liberty‹ gehandelt. Er hat die meisten der befreiten Gangster verteidigt und soll auch hin und wieder die Dienste des Mister Arcton in Anspruch nehmen. Ganz allgemein gilt er als Anwalt der Unterwelt.« »Wozu braucht ein Anwalt die Dienste eines Schlägerbosses, wenn man fragen darf, Mister Pickett?« »Brixton vertritt viele Kredit- und Immobilienhaie juristisch. Wenn jemand seinen Ratenzahlungen, der Miete oder sonstigen Verpflichtungen nicht pünktlich nachkommt, wird Brixton eingeschaltet, der den Säumigen ein offizielles Anwaltsschreiben schickt und ein paar Tage später, wenn das nichts genützt hat, Arctons Schläger. Außerdem wickelt er viele Räumungsklagen ab, die er gleichfalls mit ›handfesten‹ Argumenten unterstützt. Beste Beziehungen werden ihm zur örtlichen Mafia nachgesagt, die seine Privatgeschäfte toleriert. Aber wie gesagt, das alles hält einer gerichtlichen Untersuchung natürlich nicht stand, es ist das übliche Gemisch aus Klatsch, Halb- und Ganzwahrheiten, Neid und Mißgunst.« »Wobei auch in diesem Gemisch ein Körnchen Wahrheit stecken dürfte, Mister Pickett. Ihre diesbezüglichen Hinweise kann man deshalb nur als hochinteressant bezeichnen.« »Es wäre wirklich sehr gut, wenn diesem Brixton endlich das Handwerk gelegt wird, Mister Parker. Ich weiß natürlich, daß Sie keine Warnung brauchen, trotzdem darf ich um Vorsicht bitten, wenn Sie sich mit ihm anlegen wollen. Brixton ist durch und durch skrupellos und schreckt vor nichts zurück. Sie sollten davon ausgehen, daß ihm auch ein Menschenleben nicht viel bedeutet.« »Man weiß Ihre Mahnung zu würdigen, Mister Pickett, seien Sie unbesorgt! Es scheint übrigens, als ob man sich für uns interessiert.« Parker, der die Tür im Auge hatte, entdeckte drei junge Männer, die gerade hereinkamen und jemand Bestimmtes suchten. Als sie Pickett und den Butler entdeckten, steuerten sie zielstrebig auf sie zu. Es handelte sich bei ihnen um muskelbepackte, in schwarzes Leder gehüllte Kerle, denen man ihre Schlägerprofession schon von weitem ansah. Das empfanden auch einige andere Gäste so und suchten aus Gründen der Gesundheitserhaltung das
Weite. Die jungen Männer schoben sich, vor Selbstbewußtsein und Kraft strotzend, durch die Tischreihen und demonstrierten schon durch ihr Auftreten, wie stark sie waren. Pickett und Parker setzten ihr Gespräch fort und taten so, als bekämen sie gar nicht mit, was um sie herum passierte. Sie erörterten gerade die Aussichten eines bestimmten Pferdes beim nächsten Rennen in Epsom, als die Schläger ihren Tisch erreichten. Der Anführer griff nach einem Stuhl und ließ sich schwer darauf fallen. Er zog einen gefährlich aussehenden Dolch aus einer Innentasche seiner Lederjacke und rammte ihn vor sich in die Tischplatte. »Ich glaube, ihr beiden Opas habt ein kleines Problem«, verkündete er, während er überheblich grinste. * »Das worin besteht, Sir?« erkundigte sich Parker höflich, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht rührte. Der Schläger starrte ihn überrascht an. Er hatte eine andere Reaktion erwartet. Er war gewohnt, daß man bei seinem Auftauchen Angst, meistens sogar unverhüllte Panik zeigte, aber die beiden »alten Herren«, wie er sie bei sich nannte, saßen gelassen da und schienen die von ihm und seinen Kumpanen ausgehende Bedrohung gar nicht wahrzunehmen. »Es gibt da jemand, der dich nicht mag, Alterchen«, klärte er Parker auf. »Pech für den Opa da, daß er sich in deiner Begleitung befindet. Wir werden ihn gleich mitbehandeln.« »Was darf man sich darunter vorstellen?« fragte Parker, während er ein Etui herausholte und ihm eine lange, fast schwarze Zigarre entnahm. Horace Pickett, der Parkers Spezialzigarren kannte, beeilte sich, ein Taschentuch aus der Brusttasche zu ziehen und gegen die Nase zu pressen. »Wir werden euch ein bißchen zurechtstutzen, kann sein, daß dabei der eine oder andere Knochen draufgeht, aber sowas heilt ja wieder. Im Krankenhaus könnt ihr dann gemeinsam darüber nachdenken, daß es sich nicht lohnt, in anderer Leute Angelegen-
heiten zu schnüffeln.« »Sie haben also die erklärte Absicht, zwei alten, harmlosen und relativ verbrauchten Männern Harm anzutun?« hakte Parker gemessen nach, während er seine Zigarre anzündete. »Was?« Der Schläger starrte Parker stirnrunzelnd an und überlegte angestrengt, was dieser gedrechselte Satz zu bedeuten hatte. Dann starrte er hilflos auf seine Kumpane, die hinter ihm standen und seinen Blick achselzuckend zurückgaben. »Redest du immer so kariert?« erkundigte er sich, während er einige vorwitzige Rauchschwaden, die zu ihm herüberwehten, beiseite wedelte. »Meine bescheidene Wenigkeit ist in der Tat bemüht, sich eines gepflegten Umgangstones zu befleißigen. Auch Sie sollten sich darum bemühen«, gab Parker würdevoll zurück und sog kräftig an seiner Zigarre. Eine besonders dichte Wolke schwebte auf den Schläger zu und umhüllte seinen Kopf fast vollständig. Daraufhin erlitt er einen mittelschweren Hustenanfall und fuhr sich mit den Händen an den Hals. Offensichtlich litt er unter Atemschwierigkeiten. »He, was ist los. Mann?« erkundigte sich einer seiner Kumpane und beugte sich besorgt über ihn. Auch Parker sorgte sich um den jungen Mann und rückte etwas näher, um ihm auf den Rücken zu klopfen und etwas Linderung zu verschaffen. Dabei passierte ihm ein kleines Mißgeschick. Er kam dem Gesicht des Schlägers mit seiner Hand etwas zu nahe, so daß die Zigarrenspitze Kontakt mit dem Bart des jungen Mannes aufnahm. Ein unangenehmer Geruch machte sich bemerkbar, aus dem Haargestrüpp am Kinn des Schlägers stiegen leichte Rauchwölkchen. Parker reagierte sofort und zeigte sich der Situation gewachsen. Geistesgegenwärtig ergriff er sein Bierglas, das er bis dahin noch nicht angerührt hatte, uns goß den Inhalt über den Brandherd. »Wie ungeschickt«, entschuldigte sich Parker bei dem Schläger, während der seinen Bart betastete. »Ich hoffe, Sie können meiner bescheidenen Wenigkeit noch mal verzeihen. Aber zum Glück konnte das Schlimmste verhütet werden.« »Dafür bring ich dich um«, knurrte der junge Mann wütend und wollte nach seinem Dolch greifen. Doch der befand sich nicht mehr da, wo er ihn deponiert hatte.
Während Parker, sich mit seinem Bart beschäftigt hatte, hatte Horace Pickett mit der ihm eigenen Geschicklichkeit die Schneidware längst aus dem Tisch gezogen und sicher in einer Tasche verstaut. »Sie vermissen etwas?« fragte Parker höflich, während der Schläger unter den Tisch sah, wo er seine Waffe vermutete. Auch Parker beugte sich vor, um sich an der Suche zu beteiligen. Und wieder unterlief ihm eine kleine Ungeschicklichkeit. Sein rechter Arm fegte versehentlich die schwarze Melone, die neben ihm auf der Tischplatte gelegen hatte, vom Tisch und… traf zufällig den Hinterkopf des nach seinem Dolch suchenden Schlägers. Der junge Mann stöhnte beeindruckt, als die Melone einschlug. Das hatte seinen guten Grund. Parkers Kopfbedeckung war nämlich mit Stahlblech ausgefüttert und entsprechend solide. Den Schläger überkam das nicht sehr angenehme Gefühl, von einem aus großer Höhe herabstürzenden Ziegelstein getroffen worden zu sein. Deshalb streckte er alle viere von sich. Er grunzte gequält, dann erschlafften seine Glieder, und er blieb reglos neben seinem Stuhl liegen. Die anderen Mitglieder des Schlägertrupps sahen sich bestürzt an. Sie begriffen nicht, was ihrem Vormann passiert war und wußten nicht, was sie tun sollten. »Ihrem Kollegen scheint schlecht geworden zu sein«, erklärte Parker, während er sich besorgt über den Bewußtlosen beugte. »Sie sollten ihn an die frische Luft bringen, dann wird es ihm besser gehen. Selbstverständlich helfen wir Ihnen«, schlug Horace Pickett vor und erhob sich. Die beiden jungen Männer sahen sich an, nickten erleichtert und bückten sich, um ihren Vormann hochzuziehen. »Ihr beide führt ihn nach draußen, klar?« knurrte einer von ihnen und bedeutete Pickett und Parker, den Bewußtlosen in die Mitte zu nehmen. Dabei ließ er unauffällig eine langläufige Pistole sehen, die er aus dem Gürtel zog. »Sie verfügen über beeindruckende Argumente«, bestätigte ihm Parker und hakte den Schläger-Vormann unter. Gemeinsam mit Pickett führte er ihn aus dem Lokal zum Parkplatz. »Schafft ihn zu eurer Kiste«, befahl einer der Schläger. »Wir müssen die Karre sowieso verschwinden lassen. Ich bleibe bei euch, und ihr fahrt hinter meinem Kumpel her. Klar?« »Sie haben also die Absicht, uns nicht nur körperlichen Schaden
zuzufügen, sondern womöglich sogar ums Leben zu bringen?« erkundigte sich Parker gemessen. »Mal sehen, was sich ergibt«, reagierte der Schläger. »Auf jeden Fall verschwindet ihr beide erst mal für ’ne Weile. Den schwarzen Schrotthaufen da lassen wir in der Themse baden. Unser Auftraggeber möchte, daß der Opa mit der Melone und der Wagen für ’ne Weile nicht zu finden sind um irgend ’ne Lady zu beunruhigen oder so. Also, beeilt euch gefälligst…« * »Nun, wie man sehen kann, konnten Sie die Schläger rechtzeitig zur Ordnung rufen«, schmunzelte Mike Rander eine halbe Stunde später, nachdem Parker in das alte Fachwerkhaus in Shepherd’s Market zurückgekehrt war. »In der Tat, Sir, mit Hilfe meines bescheidenen Regenschutzes gelang es mir, die Herren von ihren verwerflichen Absichten abzubringen«, berichtete Parker. »Die anschließende Aussprache brachte allerdings wenig Greifbares. Man gab an, von einem Herrn namens Lester Simon beauftragt worden zu sein, meine Wenigkeit zu verfolgen und ein wenig zu beschädigen.« »Man hat Sie also verfolgt, ohne daß Sie etwas davon bemerkt haben, Mister Parker«, triumphierte Lady Agatha. »Das wäre mir natürlich nicht passiert.« »Auf keinen Fall, Mylady. Allerdings sind Mylady auch unerreichbar«, gab Parker vage zurück und verneigte sich leicht. »Weiß ich ja, Mister Parker, das brauchen Sie mir nicht immer zu sagen! Aber Sie haben wieder mal nichts aus den Lümmeln herausgeholt, Sie sind zu weich, um ein Verhör effektiv zu führen. Mir hätten diese Subjekte alles gesagt, das garantiere ich Ihnen. Ich frage mich wirklich, wann Sie endlich härter werden, schließlich gebe ich Ihnen doch ein glänzendes Beispiel. So wird aus Ihnen nie ein guter Kriminalist.« Die Lady gab einen tiefen Seufzer von sich und blickte ergeben zur Decke. Sie glaubte, was sie sagte, hielt sich selbst für eine begnadete Kriminalistin und Parker für einen talentierten Amateur. »Man wird sich um Besserung bemühen«, gab Parker gelassen und ohne Gefühlsregung zurück. »Mylady können davon ausge-
hen, daß meine bescheidene Wenigkeit nichts unversucht lassen wird, Myladys Ansprüchen gerecht zu werden.« Agatha Simpson erlaubte sich ein Stirnrunzeln, und Mike Rander und Kathy Porter wandten sich vorsichtshalber ab, um ihre Belustigung zu verbergen. »Natürlich wissen Sie auch nicht, wer dieser Chester Dimmon ist«, fuhr die Lady in ihrer Anklage fort und Seufzte erneut. »Mister Lester Simon, Mylady«, korrigierte der Butler dezent, was Mylady prompt in Harnisch brachte. »Sie brauchen mich nicht zu verbessern, Mister Parker, ich habe alles genau im Kopf, besonders was Namen betrifft«, behauptete sie ungeniert, obwohl Mylady sich partout keine Namen merkte und von Parker immer wieder ins Bild gesetzt werden mußte. »Außerdem wollen Sie nur vertuschen, wer dieser Lester Dingsbums ist, während ich das natürlich sehr genau weiß, schließlich kenne ich mich in der Szene hundertprozentig aus«, fuhr die ältere Dame fort und sah Parker triumphierend an. »Also, Mister Parker, was wissen Sie über den Kerl?« »Selbstverständlich ist Myladys Kenntnisstand entschieden besser als der meine«, erklärte Parker höflich. »Es widerstrebt meiner Person daher, mein bescheidenes Wissen vorzubringen.« Lady Agatha sah ihren Butler verblüfft an, mit dieser Antwort hatte sie’ nicht gerechnet. Jetzt war sie genauso schlau wie vorher. »Papperlapapp, Mister Parker«, rang sie sich schließlich mit einem gequälten Lächeln ab. »Sie brauchen sich doch nicht zu genieren, schließlich sind wir hier unter uns. Sagen Sie uns nur das wenige, ich verspreche Ihnen, keiner von uns wird darüber lachen.« Sie nickte huldvoll und wartete gespannt auf Antwort, denn sie wußte absolut nichts über Lester Simon. Kathy Porter sprang auf, preßte die Hände gegen den Mund und verließ vor sich hinprustend die Halle. Mike Rander verwandelte geschickt sein aufsteigendes Lachen in einen Hustenanfall. »Wie Mylady wünschen«, begann Parker würdevoll. »Man bedankt sich bereits im voraus für Myladys unendliche Güte und Geduld.« »Nun erzählen Sie schon, Mister Parker, spannen Sie mich nicht unnötig auf die Folter«, erwiderte Lady Agatha gereizt. »Manchmal geht mir Ihr Gehabe mächtig auf die Nerven, muß ich sa-
gen.« »Wofür man um Nachsicht bitten möchte«, erklärte Parker würdevoll. »Nun aber zur Sache…« »Das wird auch Zeit!« Lady Agathas Ungeduld hatte ihren Gipfelpunkt erreicht. Sie ertrug es nicht, noch länger auf die Folter gespannt zu werden. »Nun, Mylady, Mister Lester Simon betreibt zwei gutgehende Unternehmen, wie zu erfahren war. Das eine ist eine durchgehend geöffnete Bowlingbahn, das andere ein vielbeschäftigtes Inkassounternehmen.« »Das ist alles, Mister Parker?« fragte die Detektivin enttäuscht und sah ihren Butler an. »Nicht ganz, Mylady. Wie außerdem zu erfahren war betreibt besagtes Inkassoinstitut sein Geschäft mit Hilfe einiger hartgesottener Schläger. Die Erfolgsquote dieses Unternehmens dürfte bei nahezu hundert Prozent liegen.« »Diesen Lümmel werde ich wohl einen Besuch abstatten müssen, Mister Parker. Bereiten Sie alles vor! Was weiß ich noch über ihn, das kann ja wohl nicht alles sein, ich pflege schließlich gründlich zu recherchieren.« »Wofür Mylady einschlägig bekannt und gefürchtet ist«, gab ihr Parker recht. »Mister Simon werden gute Kontakte zu einem gewissen Mister John Brixton nachgesagt.« »Wer ist denn das schon wieder, Mister Parker?« ärgerte sich die ältere Dame und spülte ihren Groll mit einem Schluck Cognac hinunter. »Wollen Sie mich etwa verwirren? Natürlich weiß ich im Prinzip, wer das ist, aber der Ordnung halber sollten Sie es noch mal erwähnen.« »Da kann ich auch mit dienen, Mylady«, mischte sich Mike Rander ein. »Dieser Brixton ist leider ein Berufskollege, ein Anwalt, der sich als Vertreter der Unterwelt einen Namen gelacht hat. Der Kerl ist alles andere als ein Aushängeschild meines Berufsstandes. Er soll mit dubiosen Mitteln arbeiten und hat viele Mandanten mit gekauften oder erpreßten Aussagen rar dem Gefängnis bewahrt.« »Scheint ja ein nettes Früchtchen zu sein, aber auch diesem Subjekt werde ich das Handwerk legen«, überlegte Agatha Simpson. »Und was hat dieser Anwalt mit unserem Fall hier zu tun, Mister Parker, wissen Sie auch, was ich darüber weiß?« »Mylady spielen sicher darauf an, daß man Mister Brixton nach-
sagt, der eigentliche Inhaber der Bowlingbahn und des Inkassounternehmens des Mister Simon zu sein, der nur als sein Strohmann fungieren soll«, verkündete Parker würdevoll. »Tatsächlich?« staunte Lady Agatha. »Ich muß schon sagen, in der kurzen Zeit habe ich allerhand herausgefunden, wirklich sehr beachtlich«, lobte sie sich selbst. »Hat dieser Brixton nicht auch einen Großteil der befreiten Häftlinge verteidigt?« fragte Mike Rander. »Mir war es, als hätte ich davon gehört.« »In der Tat, Sir. Aber das ist noch nicht alles. Wie Mister Pickett zu berichten wußte, denkt man in der Unterwelt darüber nach, ob Mister Brixton nicht der Betreiber der sogenannten ›Liberty Ltd.‹ sein könnte.« »Was mit Sicherheit so ist, Mister Parker, Sie werden es umgehend für mich beweisen. Übrigens, was Mister Pickett angeht…« »Denken Sie daran, ihn demnächst mal zum Tee einzuladen, Sie wissen, ich schätze ihn sehr. Aber es braucht natürlich nicht gleich morgen zu sein«, ahmte Mike Rander Mylady lächelnd nach und zitierte dabei einen ihrer Lieblingsaussprüche. Tatsächlich hielt die Dame des Hauses sehr viel von Pickett und seinem perfekten Auftreten und hatte Parker schon des öfteren aufgetragen, an eine Einladung zum Tee für Pickett zu denken. Da sie aber stets um ihre Finanzen besorgt war und einen nahezu schottischen Geiz an den Tag legen konnte, verschob sie diese Einladung immer wieder. »Richtig, mein lieber Junge, genau das wollte ich sagen. Woher wissen Sie das übrigens?« »Reine Gedankenübertragung, Mylady, weiter nichts. Was haben Sie als nächstes vor?« fragte Rander listig, um sie in Verlegenheit zu bringen. Er wußte natürlich, daß sie erst bei Parker rückfragen mußte. Prompt wandte sie sich auch an ihren Butler. »Sagen Sie, Mister Rander, was ich als nächstes plane«, forderte sie ihn auf. »Mal sehen, ob Sie sich in meine Gedankenwelt hineinversetzen können, Mister Parker.« »Mylady wollen sicher entweder dem Anwalt Mister Brixton oder dem Bowlingbahn- und Inkassounternehmer Mister Simon einen Besuch abstatten«, vermutete Parker. »Ich werde zuerst diesen Bowlingbahnmenschen aufsuchen, Mister Parker«, entschied sie. »Ich habe schon lange nicht mehr
gebowlt.« »Worin Sie sicher mal meisterlich waren«, flachste Mike Rander. »Stimmt, mein Junge. Woher wissen sie das? Tatsächlich stand ich mal vor der Berufung in die Nationalmannschaft«, schwindelte sie umgehend und blickte versonnen drein. Parker gestattete sich ein leichtes Hüsteln. Kathy Porter, die inzwischen wieder anwesend war, und Mike Rander sahen sich an und beherrschten sich nur mühsam. »Was gibt’s denn da zu kichern?« erkundigte sich Mylady indigniert. »Sie lachen doch nicht etwa, oder?« * Der junge Mann an der Kasse blickte erstaunt auf, als Agatha Simpson am Schalter auftauchte. »Sie wünschen bitte?« fragte er unsicher, während er die ältere Dame von oben bis unten musterte, »Dies ist doch eine Bowlinghalle, oder, junger Mann?« reagierte die Detektivin ungehalten. »Was also kann ich hier schon wollen?« »Mylady gibt sich die Ehre, in Ihrem Etablissement bowlen zu wollen«, schaltete sich Josuah Parker würdevoll ein. »Sie dürfen Mylady eine Bahn zuteilen.« »Donnerwetter, hätte ich ihr nie zugetraut«, erklärte der junge Mann, während er Agatha Simpson ihr Ticket reichte und von Parker dafür das Geld entgegennahm. »Verzeihen Sie, aber haben Sie schon mal gebowlt?« »Ich muß doch sehr bitten, junger Mann!« Agatha Simpson sah ihn mißbilligend an. »Ich war mal die absolute Nummer eins und durch niemand zu schlagen, und auch jetzt berate ich die Nationalmannschaft vor schwierigen Wettkämpfen.« »Wußte gar nicht, daß es im Bowling ’ne Nationalmannschaft gibt«, staunte der Kassierer. »Eine Tatsache, die bedauerlicherweise nur wenig bekannt ist«, bemerkte Parker, der natürlich wußte, daß so etwas nicht existierte. »Die meisten Menschen interessieren sich leider nur für triviale Sportarten.« Er nickte dem jungen Mann zu und führte seine Herrin ins Foyer, wo sie erneut Aufsehen erregt. Die Mehrzahl der Besucher waren junge Leute in unkonventioneller Kleidung, die das Auftau-
chen der Lady samt Butler durch gellende Pfiffe begleiteten. »Keine Vorschußlorbeeren«, erklärte die ältere Dame in seltener Bescheidenheit und winkte den jungen Leuten huldvoll zu. »Erst die Leistung, dann der Applaus.« »Sag’ bloß, du willst uns hier was vormachen, Oma?« erkundigte sich ein Jüngling mit schütterem Ziegenbart und baute sich grinsend vor ihr auf. Er war offensichtlich der Platzhirsch, denn die anderen Besucher scharten sich sofort hinter ihm und schauten mehr oder weniger erwartungsvoll drein. »Warum nicht, junger Mann?« erkundigte sich Lady Agatha freundlich. »Glauben Sie etwa, daß eine Dame wie ich keine anständige Kugel mehr schieben kann?« »Du siehst mir nicht gerade wie’n Sportas aus, Oma«, grinste der Ziegenbärtige und musterte Mylady demonstrativ. »Sollten Sie tatsächlich der Enkel Myladys sein?« fragte Parker höflich, während er den jungen Mann gelassen ansah. »Wieso denn das, Mann? Sehe ich so aus?« lautete die provozierende Antwort. »Meine bescheidene Wenigkeit erlaubte sich diesen an sich logischen Schluß, weil Sie Mylady duzen und mit ›Oma‹ ansprechen«, bemerkte Parker freundlich. »Oder mangelt es Ihnen an den Grundkenntnissen der allgemein üblichen Umgangsformen?« »Wie war das?« Der Ziegenbärtige starrte den Butler verblüfft an und bekam den Mund vor Staunen nicht mehr zu. Seine Anhänger kicherten, was ihn sichtlich ärgerte und anspornte. »Wer bist denn du überhaupt, Opa? Du siehst aus, als wärste aus ’nem Uraltfilm entsprungen. Biste Butler oder sowas, he?« »In der Tat hat meine bescheidene Wenigkeit die Ehre und den Vorzug, für Mylady als Butler tätig sein zu dürfen«, entgegnete Parker würdevoll. »Wären Sie übrigens in der Lage, Mylady eine bestimmte Kugel zu empfehlen?« Mit dieser Wendung des Gesprächs hatte der Ziegenbärtige nicht gerechnet. Dann aber überzog ein Grinsen seine Züge; Parkers Frage hatte ihn auf eine, wie er meinte, großartige Idee gebracht. Er ging zur hölzernen Rinne, die an einer Längswand des Foyers verlief, und wählte dort sorgfältig und lange unter den diversen Bowlingkugeln. Schließlich hatte er sich für eine entschieden und kam auf Lady Agatha zu.
Es handelte sich offensichtlich um das größte verfügbare Modell, das ein entsprechendes Gewicht besaß. Obwohl der junge Mann über respektable Muskelpakete verfügte, schien auch er sich anstrengen zu müssen, um die Kugel halten zu können. Er bemühte sich, eine gewisse Lässigkeit vorzutäuschen und ließ seinen Arm hochschwingen, um Mylady die Kugel zu überreichen. »Die dürfte genau richtig sein, Oma«, grinste er und ließ die Kugel abrupt los. Sie fiel in Myladys ausgestreckte Hand und… war zur Enttäuschung des Ziegenbärtigen und seiner Fans nicht in der Lage, Mylady aus der Fassung zu bringen. »Ein bißchen leicht, will mir scheinen, aber für den Anfang mag sie genügen«, erklärte Agatha Simpson und schob sich an dem jungen Mann vorbei auf die Bahn zu. Der wollte die Niederlage nicht so ohne weiteres hinnehmen und streckte den Fuß vor. Lady Agatha wich aus und… ließ plötzlich die Kugel fallen. Sie landete dicht neben dem Fuß des jungen Mannes auf den Bohlen. Der streitsüchtige Platzhirsch sprang erschrocken zur Seite und erntete dafür schadenfrohes Gelächter seiner Anhänger. »Das wäre fast schiefgegangen«, bemerkte Lady Agatha süffisant, während sie die Kugel aufhob. »Sie sollten besser aufpassen, junger Mann.« »Ich soll besser aufpassen bei so ’ner alten Fregatte…« Wütend schob er sich auf sie zu. Da griff Parker dezent aus dem Hintergrund ein. Der Schläger spürte, wie ihm plötzlich die Luft knapp wurde und er unwiderstehlich zurückgezogen wurde. Das hing mit Parkers Universal-Regenschirm zusammen, dessen Bambusgriff sich um den Hals des jungen Mannes gelegt hatte. Parker lockerte den Griff erst, als der Schläger dicht vor ihm stand und er mit seiner Melone leicht auf den Hinterkopf des jungen Mannes klopfen konnte. Der Schläger fühlte ein unwiderstehliches Schlafbedürfnis und ließ sich auf dem Boden nieder. »Was soll das, Mister Parker, glauben Sie, ich kann nicht auf mich aufpassen?« ärgerte sich Mylady, die sich um das Vergnügen, den jungen Mann zu ohrfeigen, gebracht sah. »Was ist denn hier los, zum Teufel?« erhob sich da eine scharfe Stimme aus dem Hintergrund des Foyers. Ein hochgewachsener, schlanker Mann um die fünfzig kam mit energischen Schritten näher und starrte aus zusammengekniffenen Augen auf die Szene, die sich ihm bot. »Mister Lester Simon, wie zu vermuten ist?« erkundigte sich
Parker höflich, während er seine schwarze Melone lüftete. »Allerdings, und wer sind Sie und dieses wildgewordene Weib da, wenn man fragen darf?« »Sie haben die Ehre und den Vorzug, Lady Simpson in voller Aktion zu sehen«, erklärte Parker gemessen. »Ich hörte da was von einem wildgewordenen Weib, Mister Parker, ist das richtig?« wollte Mylady wissen. Sie ließ von den jungen Männern ab, die sich gern zurückzogen, und faßte ihren neuen Gegner ins Auge. »Eine solche Bemerkung fiel tatsächlich, Mylady«, bestätigte Parker würdevoll. »Ich bin empört, Mister Parker, so kann man doch nicht von einer Dame sprechen«, freute sich Lady Agatha und trat auf den Bowlinghallenbetreiber zu. Der musterte sie von oben bis unten und schüttelte ungläubig den Kopf. »Daß Sie sich hierher trauen, Mylady… wirklich, nicht zu fassen!« »Sie kennen mich also, Sie Subjekt?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Mister Simon war so frei, seine Schläger auf meine bescheidene Person anzusetzen und sie zu beauftragen, mir körperlichen Schaden zuzufügen«, erläuterte Parker. »Womit er im Prinzip natürlich mich gemeint hat«, stellte Mylady selbstbewußt fest. »Ohne Frage, Mylady. Außerdem dürfte Mister Simon für einen Mister Liberty tätig sein, wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu hören war.« »Was Sie nicht alles wissen, Parker.« Simons Hand fuhr blitzschnell in sein Jackett und brachte einen kurzläufigen Revolver zum Vorschein. »Aber was meine Leute versäumt haben, werde ich jetzt selbst nachholen. Verlassen Sie sich darauf!« »Sind Sie sicher?« erkundigte sich Parker höflich, während er unauffällig die Spitze seines Universal-Regenschirmes hob. Bevor Simon antworten konnte, verließ ein kleiner, buntgefiederter und durch Druckluft angetriebener Pfeil den Hohlstock des Schirmes und bohrte sich in Simons Oberschenkel. Entgeistert starrte der auf das exotisch anmutende Geschoß und wurde plötzlich blaß im Gesicht. Er ließ den Revolver fallen und schien sich auf einmal unwohl zu fühlen. Auf seiner Stirn bildeten sich dicke Schweißtropfen und rannen ihm über’s Gesicht.
»Ein Pfeil«, flüsterte er, während er Parker anklagend ansah. »Ein Pfeil, sowas gibt’s doch gar nicht!« »Wie Sie sehen, Sir, doch«, bemerkte Parker. »Sie sollten übrigens allzu heftige Bewegungen vermeiden, das regt den Kreislauf nur unnötig an und sorgt für eine schnellere Verteilung.« »Verteilung? Von was?« keuchte Simon, der natürlich ahnte, was gemeint war. »Verteilung des Giftes, Sie Lümmel«, meldete sich Lady Agatha genüßlich zu Wort. »Aber keine Angst, Sie haben noch ein paar Minuten, es wirkt relativ langsam!« »Aber… aber… das ist ja Mord!« japste der Bowlingbahn- und Inkassounternehmer und fiel schluchzend auf die Knie. * »Eigentlich ein nicht uninteressanter Sport, Mister Parker«, fand Lady Agatha, während sie eine neue Kugel in die Hand nahm und prüfend wog. Dann holte sie schwungvoll aus und ließ sie machtvoll auf die Bohlen donnern. Die Kugel nahm Fahrt auf und raste, immer schneller werdend, nach vorn. Dort standen die jungen Schläger, die es nicht geschafft hatten, rechtzeitig die Bowlinghalle zu verlassen, zusammen mit Simon und starrten aus weitaufgerissenen Augen der heranrasenden Kugel entgegen. Sie waren aneinander gefesselt und mittels solider Handschellen aus Parkers Privatbesitz an der Wand fixiert und hatten keine Chance, diesen nicht ungefährlichen Standort zu verlassen. Allerdings hatten sie die Möglichkeit, ihre Füße zu gebrauchen, was sie notgedrungen taten. Bemerkenswert synchron hoben sich ihre Gehwerkzeuge von den Holzbohlen, und die Kugel rauschte haarscharf unter ihnen durch. »Schade, wieder nicht getroffen«, ärgerte sich Agatha Simpson und griff nach einer weiteren Kugel. Diesmal zielte sie sorgfältiger, um endlich einen der Männer von den Beinen zu holen. Parker, der aus humanitären Erwägungen stets darauf achtete, daß niemand ernsthaft zu Schaden kam, rutschte plötzlich aus und stolperte gegen seine Herrin. Die Kugel knallte auf die Bohlen, hoppelte über die Umrandung und verschwand irgendwo in der Weite der Halle. »Man bittet Mylady, die Ungeschicklichkeit meiner bescheidenen
Person zu verzeihen. Man wird sich bemühen, in Zukunft etwas besser aufzupassen«, schwindelte Parker ungeniert. »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, grollte Lady Agatha. »Darf man Mylady bei dieser Gelegenheit eine kleine Erfrischung anbieten?« fuhr Parker fort und reichte einen Becher mit französischem Cognac, den er aus seiner Taschenflasche gefüllt hatte. »Mylady haben wahrlich Schwerstarbeit verrichtet und dürften ihrem Kreislauf doch etwas zugesetzt haben.« »Sie haben völlig recht, Mister Parker. Tatsächlich fühle ich mich etwas schwach auf den Beinen.« Die ältere Dame ließ sich nur zu gern ablenken und griff dankbar nach dem Becher, den sie in einem Zug leerte. »Ich habe den Eindruck, mein Kreislauf leidet noch immer«, klagte sie anschließend und hielt Parker den Becher auffordernd entgegen. »Was habe ich jetzt vor, Mister Parker?« erkundigte sie sich unternehmungslustig, nachdem sie erneut ihre ›Kreislaufmedizin‹ genommen hatte. * »Auch diese Vernehmung hat im Grund genommen nicht viel gebracht, Mister Parker«, räsonierte Lady Agatha unterwegs. »Und woran liegt das wieder mal? An ihrer Weichherzigkeit! Hätten Sie mich nicht daran gehindert, diese Lümmel umzubowlen, wüßte ich jetzt mehr.« »Dabei wären mit Sicherheit einige Knöchel zu Bruch gegangen«, gab Parker zu bedenken. »Außerdem handelte es ich bei den Herren um Mitläufer und Schläger, die zu Myladys Informationsstand kaum etwas beigetragen hätten.« »Wenn schon, ein kleiner Krankenhausaufenthalt hätte diesen Subjekten mal gut getan, dabei hätten Sie Gelegenheit gehabt, an ihre eigenen Opfer zu denken«, grollte Mylady weiter. »Mylady wollen sicher nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, um ein Bibelzitat zu gebrauchen«, entgegnete der Butler. »Nun gut, vielleicht haben Sie recht, Mister Parker«, seufzte Lady Agatha, die natürlich längst nicht so hartherzig war, wie sie sich gern gab. Im Grund ihres Wesens war sie eine durchaus
warmherzige Frau, die sich nur nach außen hin schroff und unnachgiebig gab. »Immerhin«, fuhr sie nachdenklich fort, »hat dieser Bowlingbahnchef noch mal bestätigt, daß er für diesen Unterweltsanwalt den Strohmann spielt und für ihn arbeitet.« »Aus diesem Grund sind Mylady zu besagtem Anwalt unterwegs«, bestätigte Parker. »Man darf Mylady übrigens dazu gratulieren, den Fall in Kürze abzuschließen.« »Ach, tatsächlich?« staunte sie und wunderte sich wieder mal über ihre eigene Tüchtigkeit. »Nun ja, Mister Parker, ich hatte ja versprochen, die Angelegenheit in kürzester Zeit zu erledigen.« »Mylady sind einfach bewundernswert, was das Lösen komplizierter Kriminalfälle angeht«, wußte Parker seine Herrin zu rühmen. »Es nimmt nicht Wunder, daß die Behörden immer wieder Myladys Mitarbeit suchen.« »Wie komme ich darauf, daß dieser Fall jetzt so gut wie erledigt ist, Mister Parker? Rekapitulieren Sie kurz, ich möchte sehen, ob Sie mitgekommen sind.« »Mylady waren so frei, in Gegenwart des Mister Simon, dem Betreiber der Bowlingbahn, ihren beabsichtigten Besuch bei Mister Brixton, dem Anwalt, zu erwähnen. Mylady gehen sehr richtig davon aus, daß Mister Simon besagten Anwalt inzwischen angerufen und auf Myladys Besuch vorbereitet hat.« »Stimmt genau, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte zufrieden und lehnte sich behaglich in die Polster zurück. »Ich hoffe, Sie begreifen meine Taktik, Mister Parker. Dieser Anwalt wird mir eine Falle stellen, in die ich natürlich nicht hineintappen werde, das kann man mit einer Lady Simpson schließlich nicht machen.« Sie gab ein verächtliches Auflachen von sich und kommentierte so die Vergeblichkeit eines solchen Versuches. »Nein, eine Lady Simpson fällt auf sowas nicht rein. Sie wären natürlich in die Falle getappt, und ich hätte Sie wieder mal befreien müssen, Mister Parker, aber vielleicht lernen Sie es mit der Zeit noch. Ich werde bei Gelegenheit den Spieß umdrehen und den windigen Anwalt überführen. Ich werde ihn einem strengen Verhör unterziehen und die Wahrheit aus ihm herausholen. Danach werde ich McWarden anrufen und ihm den Lümmel auf einem Silbertablett servieren. Die letzten Beweise dürfen Sie übrigens beitragen, schließlich sollen auch Sie Ihr Erfolgserlebnis haben.«
»Myladys Güte ist immer wieder überwältigend«, bedankte sich Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich hoffe nur, Mister Parker, Sie wissen schon, womit ich mich danach beschäftige. Ich hasse Langeweile.« * Das Lächeln der Empfangsdame war so falsch wie ihr Gebiß. Es handelte sich um eine aufgedonnerte Blondine, die ihre besten Jahre bereits hinter sich hatte und dies durch Verwendung von Kosmetika zu übertünchen suchte. »Mister Brixton erwartet Sie bereits, Mylady, wenn ich bitten darf?« säuselte sie und stöckelte voran in Richtung einer ledergepolsterten Tür. Parker, den sie keines Blickes gewürdigt hatte, folgte seiner Herrin diskret in einigem Abstand. Die Empfangsdame stieß die Tür zum Chefbüro auf und trat zur Seite, um Mylady durchzulassen. In diesem Augenblick meldete sich laut und unüberhörbar Parkers innere Alarmanlage. Er wollte gerade an die Seite seiner Herrin eilen, um sie zurückzuhalten, aber es war schon zu spät. Ein Schlag auf den Hinterkopf trieb ihm die Melone tief in die Stirn. Er sackte, wenn auch nicht ohne eine gewisse Würde, in die Knie und konnte nicht umhin, einen diskreten Seufzer von sich zu geben. Er kämpfte gegen aufsteigende Bewußtlosigkeit an, aber leider vergebens. Irgend jemand riß ihm die Melone vom Kopf und versetzte ihm einen weiteren Schlag. Auch Lady Agatha erging es nicht besser. Sie hatte kaum den Fuß über die Schwelle zum Chefbüro gesetzt, als ihr schon ein Wattebausch unter die Nase gepreßt wurde. Bevor sie sich zur Wehr setzen konnte, war sie bereits chloroformiert und sackte gegen den Türrahmen, um langsam auf den dicken Teppich zu rutschen und sich dort der Ruhe hinzugeben. Ray Arcton, Betreiber einer Sportschule, dem Mylady auch schon einen Besuch abgestattet hatte, starrte zufrieden auf die vor seinen Füßen liegende Lady und verzog die Lippen zu triumphierendem Grinsen. »War mir ein ausgesprochenes Vergnügen, Lady«, freute er sich, während er den chloroformgetränkten Wattebausch in einen
Papierkorb warf. »Wir beide haben ja noch eine Privatrechnung zu begleichen.« »Hoffentlich stellst du dich dabei nicht wieder so dämlich an«, stichelte der Anwalt, ein korpulenter Mann Mitte vierzig, der in elegantem Nadelstreifenanzug einen durchaus seriösen Eindruck machte. »Keine Angst, diesmal geht nichts schief, darauf können Sie sich verlassen, Sir. Die Lady wird ebenso wie ihr Butler auf Nimmerwiedersehen verschwinden, dafür garantiere ich.« »Wird auch Zeit, die sind mir allmählich auf die Nerven gegangen. Schaff Sie in den Bunker, ich komme nachher raus, um mich noch ein wenig mit den beiden zu unterhalten, bevor sie uns für immer verlassen.« * »Na, wie gefällt Ihnen die neue Lage?« erkundigte sich John Brixton, der feixend in der Tür stand und eine Zigarre rauchte, deren Qualm er demonstrativ in Richtung seiner Gefangenen blies. Lady Agatha und der Butler lagen auf zwei morschen, nicht sehr stabil wirkenden Holzpritschen in einem feuchten Keller. Die Steinwände waren mit Moos und Schimmel bedeckt. Der Raum strahlte die dumpfe Atmosphäre einer Totengruft aus, und eine solche sollte es ja auch für Lady Agatha und Josuah Parker sein. »Ihre Gastfreundschaft läßt durchaus zu wünschen übrig, Sir«, ließ sich Parker vernehmen. »Dies ist nicht die Umgebung, die man gemeinhin einer Lady bietet.« »Wenn ich könnte, würde ich Sie jetzt ohrfeigen, Sie Subjekt«, grollte Lady Agatha und zerrte an ihren Fesseln. »Dazu wird es wohl nicht mehr kommen, Mylady«, gab der Anwalt genüßlich zurück. »Sie haben hiermit sozusagen Ihre Endstation erreicht, und ich muß sagen, ich bedaure das nicht. Sie sind mir in der Vergangenheit zu oft in die Quere gekommen.« »Was Sie in Ihrer Eigenschaft als sogenannter ›Mister Liberty‹ sicher gestört hat, Sir«, bemerkte der Butler gemessen. »Stimmt, Parker, absolut richtig.« Der Anwalt nickte und kam etwas näher. »Sie waren ein verdammt cleverer Gegner, aber letztendlich doch nicht gut genug, um mich ernsthaft zu gefähr-
den.« »Mister Parker ist auch nur ein leidlich begabter Anfänger«, meldete sich Agatha Simpson aufgebracht zu Wort. »Ihr wirklicher Gegner bin ich, und das werden Sie noch zu spüren bekommen. Mir ist bisher noch kein Krimineller entkommen, dafür bin ich bekannt.« »Daß ich nicht lache, Mylady. Ohne Ihren Butler wären Sie doch hilflos wie ’n neugeborenes Baby. Nein nein, nur Parker war ernstzunehmen, aber dieses Problem ist jetzt erledigt. Sie werden beide hier sterben.« »Was sage ich denn dazu, Mister Parker?« empörte sich Lady Agatha entrüstet. Sie konnte es einfach nicht verstehen, daß ihre Talente derart ignoriert, ja sogar abgestritten wurden. »Das unbedeutende Urteil eines Ahnungslosen«, tröstete Parker sie. »Mylady sollten Mister Brixtons Beurteilung nicht allzuviel Wert beimessen.« »Habt ihr eigentlich keine anderen Sorgen?« wunderte sich der Anwalt. »Ihr werdet sterben, und zwar hier drin, und das sehr bald. Ihr werdet wie Ratten jämmerlich ersäuft, kein angenehmer, aber für ein paar Schmalspurschnüffler durchaus angemessener Tod.« »Sie scheinen nicht von dem, was man Skrupel nennt, sonderlich tangiert zu werden, Sir«, stellte Parker gemessen fest. »Nicht im geringsten. Mit Skrupel kommt man heutzutage nicht weit.« »Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, die Firma »Liberty Ltd.« ins Leben zu rufen?« erkundigte sich Parker. »Verzeihen Sie die Neugier eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes, der an der Schwelle zum Tod steht, aber…« »Öh, das erkläre ich Ihnen gern, Parker«, unterbrach ihn der Anwalt mit einem Anflug von Eitelkeit in der Stimme, »da Sie ja ohnehin nicht mehr lange zu leben haben, kann ich es Ihnen ruhig sagen.« Er räusperte sich, lächelte versonnen und fuhr dann fort: »Wissen Sie, der Gedanke kam mir, als ich meinen ersten Bankräuber, diesen Prescott, verteidigte. Der Mann hatte etliche Banken überfallen und eine Beute von mehr als drei Millionen Pfund gemacht, die aber nie gefunden wurden. Da beschloß ich, Leute wie Prescott aus dem Gefängnis zu holen – gegen eine angemessene Be-
teiligung an ihrer Beute, versteht sich.« »Den Kontakt ließen Sie über Mister Samuel Chilton und seine Gefangenen-Betreuungsorganisation >Bruderschaft der helfenden Hände< herstellen, indem Sie Mister Chilton womit erpreßten, Mister Brixton?« »Nun ja, der gute alte Chilton hat da eine Schwester mit drei Kindern, an denen er sehr hängt. Wir haben ihm klargemacht, wie leicht heutzutage ein Unfall passieren kann, danach spurte er einwandfrei. Außerdem habe ich selbst bei meinen Gefängnisbesuchen mit den betreffenden Leuten gesprochen.« »Warum befreiten Sie Mister Prescott, der Sie, wie Sie sagten, ja erst auf die Idee brachte, erst jetzt?« »Nun ja, zunächst befreite ich einige andere Gefangene, mit denen ich auch vereinbarungsgemäß die Beute teilte. Es ging mir darum, Vertrauen aufzubauen, denn Prescott war ein mißtrauischer Hund. Und Sie wissen ja, auch im Knast erfährt man, was draußen vor sich geht. Ich mußte mir also erst mal Prescotts Vertrauen erwerben, ihn von meiner Zuverlässigkeit überzeugen, bevor ich ihm selbst den Vorschlag machen konnte, ihn herauszuholen. Die anderen Ganoven hätten natürlich längst nicht soviel Beute gemacht wie er, deshalb fiel mir das Teilen mit denen nicht schwer. Mir ging es um einen ganz anderen, dicken Fisch.« »Um Mister Prescott und seine drei Millionen Pfund, die Sie für sich allein vereinnahmen Wollten«, vermutete Parker. »Richtig, Parker. Sie haben ein helles Köpfchen, schade, daß Sie es so bald nicht mehr gebrauchen können.« Brixton grinste diabolisch und steckte sich eine neue Zigarre an. »Jedenfalls gelang es mir, Prescott gegen entsprechendes Honorar zum Ausbruch zu überreden. Als ich ihn erstmal in meiner Gewalt hatte, war es ein leichtes, ihm das Versteck der Beute zu entlocken. Bedauerlicherweise starb der arme Prescott kurz danach.« Brixton lächelte zynisch und sog zufrieden an seiner Zigarre. »Sie haben ihn also umbringen lassen, Sie Lümmel.«, grollte Lady Agatha. »Dafür werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen.« »Wohl kaum, Mylady… So lange leben Sie nicht mehr. Übrigens, in vier Stunden läuft mein letztes Befreiungsunternehmen. Zwei Finanzjongleure, die zusammen rund zwei Millionen beiseite geschafft haben. Ich werde sie mittels eines umgebauten Tanklastzuges aus dem Gefängnis Pemberton holen und sie überreden, mir ihre Beute abzutreten. Danach verschwinde ich nach Süd-
amerika. Es ist bereits alles arrangiert.« »Mit einem Tanklastzug? Wie denn das, Sir?« provozierte Parker den eitlen Anwalt, um mehr darüber zu erfahren. Der ließ sich gern über dieses Thema aus. »Organisation ist alles, mein lieber Parker. Schade, daß Sie die Erkenntnis mit ins feuchte Grab nehmen müssen. Einmal im Monat, jeweils am ersten Montagnachmittag, wird Pemberton mit Heizöl versorgt. Die ›Liberty Ltd.‹ hat einen umgebauten Tankzug besorgt, und wird diesen gegen den routinemäßigen Tanker austauschen. Während des Hofgangs der Gefangenen werden einige von ihnen, die dafür großzügig mit Tabakwaren und Drogen versorgt wurden, eine Schlägerei anzetteln. In dem allgemeinen Durcheinander, das dann ausbricht, werden meine Kandidaten in den Tanker steigen und aus der Anstalt gebracht werden. So einfach ist das.« »Sie sind ein Schuft, Sie mieser Unterweltsanwalt«, kommentierte Lady Agatha wenig damenhaft. Brixton machte das nichts aus. »Ich wünsche Ihnen angenehme Unterhaltung.« Er winkte gönnerhaft mit der Hand. »Ich überlasse Sie jetzt Ihrem Schicksal. Der Bunker hier liegt unterhalb des Wasserspiegels der Themse, und die fließt gleich nebenan, direkt an der Mauer. Es gibt da ein Ventil, das den Raum unter Wasser setzen kann, wenn man das will… Und ich will natürlich! Gestatten Sie, daß ich Ihnen jetzt zu einem kleinen Bad verhelfe.« John Brixton begab sich zu einem Steinquader in der Ecke des Raumes und betätigte einen verborgenen Mechanismus. Sofort war das Gurgeln und Rauschen von hereinströmendem Wasser zu hören. Der Boden wurde feucht. »Ich will mir keine nassen Füße holen, dazu waren meine Schuhe zu teuer«, erklärte Brixton und eilte zur Tür, »wünsche Ihnen aber gute Unterhaltung!« * »Ich muß mich sehr wundern, Mister Parker… In was für eine Lage haben Sie mich da gebracht! Nun habe ich Ihnen mal vertraut, und dann das hier, ein feuchter Keller, in den man dreckiges Themsewasser leitet, um mich, Lady Simpson, zu ersäufen! Unerhört sowas! Ich erwarte, daß Sie etwas unternehmen. Zeigen Sie mir, daß Sie von mir gelernt haben und enttäuschen Sie mich
nicht!« »Meine bescheidene Wenigkeit bedauert Myladys beklagenswerte Lage ungemein und wird sofort die erforderlichen Gegenmaßnahmen in die Wege leiten«, versprach der Butler. Das übelriechende Wasser strömte mit bemerkenswerter Heftigkeit in den Keller und war bereits bis knapp unterhalb der Liegefläche gestiegen. »Ihretwegen werde ich mir nasse Füße holen, Mister Parker, Sie wissen doch, wie leicht ich mich erkälte«, klagte die Lady und sah unwillig auf die schmutzige Brühe, die nur noch eine Handbreit unterhalb ihres Körpers gurgelte. »Man wird Mylady mit einer bewährten Medizin versorgen, um größeres gesundheitliches Ungemach von Mylady abzuwenden«, erklärte Parker gemessen, während er sich bemühte, an die Absätze seiner Schuhe heranzukommen. Endlich hatte er es geschafft, klappte den rechten Absatz beiseite und entnahm ihm ein dünnes, biegsames Sägeband, das mit winzigen Diamantsplittern besetzt war. Schnell und routiniert setzte Parker sein Spezialwerkzeug an und durchtrennte seine Fesseln. Einen Augenblick später kauerte er bereits auf seiner Pritsche und massierte sich die Gelenke, um die Blutzirkulation anzuregen. »Seien Sie nicht so egoistisch, Mister Parker. Befreien Sie mich endlich!« forderte die ältere Dame ungeduldig. »Sofort, Mylady.« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und machte sich daran, Lady Agatha zu befreien. Anschließend servierte er ihr einen guten, alten französischen Cognac, um ihren Kreislauf in Schwung zu bringen. »Sie können mir die Flasche ruhig überlassen, ich muß mich noch ein wenig mit meinem Kreislauf beschäftigen. Sie wissen, wie anfällig ich bin, Mister Parker«, erklärte die Detektivin, die sich schon wesentlich munterer fühlte, und griff nach der lederumhüllten Taschenflasche. »In der Zwischenzeit können Sie ja die Tür öffnen, falls Ihnen das gelingt. Ehrlich gesagt, zweifle ich daran.« »Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker verzog ob Myladys Zweifel keine Miene. Er krempelte seine Hosenbeine hoch und watete durch die Brühe zur Tür. Aus einer der zahlreichen Innentaschen seines schwarzen Covercoats nahm er einen völlig regulär aussehenden Kugelschreiber und
schraubte ihn auseinander. Zum Vorschein kamen eine kleine Kapsel, die er in das Türschloß preßte, sowie ein Minizünder; den er mit der Kapsel verband und dann mittels seines Feuerzeuges in Gang setzte. Er hatte gerade wieder auf der Pritsche Platz genommen, als eine scharfe Detonation die Luft erzittern ließ. Ein greller Lichtblitz blendete von der Tür herüber. Agatha Simpson ließ vor Schreck den gerade erst wieder gefüllten Becher fallen und wandte sich vorwurfsvoll an den Butler. »Hätten Sie mich nicht vorwarnen können, Mister Parker? Jetzt habe ich meine Medizin verschüttet«, klagte sie. »Man wird Mylady im Privatwagen meiner bescheidenen Wenigkeit mit Neuer versorgen«, versprach Parker. »Darf man vorschlagen, diese ungastliche Stätte jetzt zu verlassen?« »Und wie stellen Sie sich das vor, Mister Parker? Soll ich etwa durch diese stinkende Brühe schwimmen? Ich erwarte Ihre Vorschläge!« Josuah Parker räusperte sich diskret, bevor er weitersprach. »Es entspricht keinesfalls und mitnichten der Etikette, Mylady, aber in Anbetracht der besonderen Umstände…« »Ich habe schon verstanden, Mister Parker, Sie brauchen nicht weiterzusprechen«, erklärte Lady Agatha munter. »Ich erlaube Ihnen ausnahmsweise, mich zu tragen!« * Es sah nach der üblichen Routine aus. Die Gefangenen drehten während der Freistunde auf dem großen, gepflasterten Innenhof ihre Runden und wurden dabei von gelangweilt wirkenden Wächtern beobachtet. Da passierte es… Ein jüngerer Gefangener rempelte einen großen, massig wirkenden Häftling und wurde deshalb von diesem prompt zur Ordnung gerufen. Der Mann versetzte dem Schmächtigen einen Faustschlag, der diesen quer über den Hof schleuderte und an einer Mauer hinabrutschen ließ. Die bewaffneten Wächter erwachten aus ihrer Lethargie und wurden munter. Sie setzten sich in Bewegung und kamen energisch auf ihre Schutzbefohlenen zu, sichtlich froh, endlich mal
Abwechslung in ihrem eintönigen Alltag zu erleben. Die Freunde des Niedergeschlagenen stürzten sich auf den massigen Häftling und prügelten wild auf ihn ein. Der setzte sich heftig zur Wehr und teilte selbst kräftig aus. Das animierte einige andere Gefangene, sich gleichfalls zu betätigen. Sie stürzten sich ins Kampfgetümmel und beteiligten sich mit Begeisterung an der Keilerei. Nach außen hin sah es so aus, als wäre aus völlig nichtigem Anlaß eine allgemeine Prügelei ausgebrochen. In Wirklichkeit waren die Beteiligten durch großzügige Tabakwaren- und Drogenzuwendungen dazu angehalten worden, ausgerechnet an diesem Tag und zu diesem Zeitpunkt eine Schlägerei zu beginnen. Die Wächter hatten ihre Gewehre zur Hand genommen und hieben mit den Kolben auf die verknäulten Gefangenenkörper. Das Chaos auf dem Gefängnis-Innenhof war perfekt. Das fanden auch zwei ältere Gefangene. Sie sahen sich einen Augenblick an, dann nickten sie sich zu und schoben sich langsam zu einer Hausecke. Ein kurzer Blick zurück zeigte ihnen, daß niemand auf sie achtete. Sie bogen um die Ecke und bauten sich an der schmalen Durchgangsstraße auf, die quer durch das Gefängnisgelände führte. Höchstens eine Minute später dröhnte ein Tanklastzug heran und bremste. Ohne zu zögern, sprangen die beiden Häftlinge vor, stürzten sich auf einen bestimmten Teil des gewaltigen Behälters, den man ihnen vorher genau beschrieben hatte, und öffneten eine kleine Klappe. Einen Moment später waren sie hinter dieser Klappe verschwunden, und der Tanklastzug zog wieder an. Zwei Minuten später wurde er durch das Tor zur Außenwelt gewunken und verschwand mit aufheulender Maschine hinter einem Hügel. Die Wächter brauchten etwa zehn Minuten, bis sie die Schlägerei unter Kontrolle gebracht hatten und ihre Schützlinge vor ihnen standen. Erst in diesem Augenblick, beim Durchzählen, ging ihnen auf, daß zwei Männer fehlten. Weitere fünf Minuten vergingen mit der Suche, die eigentlich überflüssig war, bis die Wächter zu der Erkenntnis gelangten, daß die Vermißten tatsächlich verschwunden waren. Erst jetzt gab man Alarm. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der
schwere Tankzug schon etliche Meilen von der Strafanstalt entfernt. Ganz abgesehen davon, daß noch niemand den Tanker mit dem Entkommen der Gefangenen in Verbindung brachte. * Da die Zeit drängte, hatte Parker von der nächstgelegenen Telefonzelle aus Kathy Porter, Mike Rander sowie Horace Pickett verständigt und gebeten, sich auf dem Parkplatz eines kleinen Landgasthauses, nur wenige Meilen vom Gefängnis Pemberton entfernt, einzufinden. Zum Glück lag Pemberton nur rund fünfzig Meilen von London entfernt, so daß das vereinbarte Treffen kurze Zeit später stattfinden konnte. Wie vereinbart, hatte Mike Rander aus Parkers Privatlabor Funksprechgeräte mitgebracht, die unter die Anwesenden verteilt wurden. Horace Pickett wurde, wie von Parker erbeten, von einigen seiner ›Neffen‹ begleitet, die beim Abschluß des Falles mithelfen sollten. »Zum Gefängnis führt nur diese schmale Zufahrtstraße, die größtenteils durch den Wald hier verläuft«, erläuterte Parker und verfolgte die Straße mit dem behandschuhten Zeigefinger auf der Karte. »Irgendwo unterwegs, wahrscheinlich auf einer Lichtung oder ähnlichem, sollte ein unauffälliges Fahrzeug warten, um die per Tankwagen befreiten Häftlinge aufzunehmen und weiterzutransportieren. Dafür kommen nur wenige Stellen in Frage, da der erwähnte Tanklastzug aufgrund seiner Größe nicht überall von der Straße abweichen kann. Es gilt, dieses für den Weitertransport der befreiten Sträflinge bestimmte Gefährt rechtzeitig ausfindig zu machen und zu übernehmen.« »Was sollen wir tun, wenn wir den Wagen gefunden haben, Mister Parker?« erkundigte sich Horace Pickett. »Sollen wir die Besatzung unschädlich machen oder werden Sie das selbst übernehmen?« »Man bittet um entsprechende Meldung über Funk, Mister Pikkett. Durch Einsatz geeigneter Mittel wird dann die lautlose und unauffällige Ausschaltung der Herren Gangster übernommen.« »Hoffentlich geht das nicht schief, Mister Parker, Sie stellen sich manchmal ungeschickt an«, sorgte sich Lady Agatha und seufzte.
»Mylady werden zufrieden sein, wie meine bescheidene Wenigkeit zusagen darf«, erwiderte Parker höflich und nickte seinen Helfern, die sich daraufhin zu ihren Fahrzeugen begaben und den Parkplatz verließen. »Scheint so, als würde jetzt die Schlußrunde eingeläutet, wie?« erkundigte sich Mike Rander lächelnd bei Josuah Parker. »Was nie und nimmer möglich wäre ohne meinen Einsatz«, behauptete Lady Agatha und warf sich stolz in die Brust. »Ohne Myladys Hilfe wäre man noch keinen Schritt weitergekommen«, bestätigte Parker höflich. »Nur Myladys tatkräftiges Engagement hat dazu geführt, daß man kurz vor Abschluß des Falles steht. Ein weiteres Ruhmesblatt für Myladys siegreiche Fahnen, wenn man es mal poetisch umschreiben darf.« »Sie dürfen, mein lieber Mister Parker, Sie dürfen! Genauer hätten Sie es nicht treffen können…« * Mike Rander und Josuah Parker standen hinter einer altehrwürdigen Eiche und spähten auf die Lichtung, die ihnen von Horace Pickett über Funk genannt worden war. Dort parkte ein grauer Lieferwagen, der laut Beschriftung an den Seitenwänden einer Sanitärfirma in London gehörte. Am Fahrzeug lehnten zwei Herren, die Parker durchaus bekannt vorkamen. Es handelte sich dabei um die angeblichen ›Sergeants‹ Hayes und Connors, die zu Beginn des Falles in Myladys Haus vorgesprochen hatten, um sie und den Butler im Auftrag eines gewissen Ray Arcton ein wenig zu lädieren. Die beiden Schläger rauchten und plauderten miteinander. Von Zeit zu Zeit warfen sie einen Blick auf ihre Armbanduhren und sahen immer wieder in die schmale Zufahrt der Lichtung. Parker schätzte den wirklich nicht breiten Weg ab. Der Tanklastzug würde ihn gerade passieren können. Parker entnahm einer seiner zahlreichen Innentaschen die sogenannte Gabelschleuder, wie sie von Jungen immer wieder gern verwendet wird, um beispielsweise die Stabilität von Fensterscheiben zu überprüfen. Er baute das Gerät, das er in seinem privaten Labor perfektioniert hatte, mit routinierten Bewegungen zusammen und wählte
aus einer Blechdose die passende Munition. Der Butler entschied sich für zwei hartgebrannte Tonmurmeln und legte die erste in den straff gespannten Gummizug. Einen Augenblick später sirrte das seltsame Geschoß unhörbar durch die Luft und landete auf Connors’ Hinterkopf. Der Mann zuckte erschrocken zusammen, faßte in einer Reflexbewegung nach der schmerzenden Stelle und legte sich dann auf der Lichtung zu einer kleinen Ruhepause nieder. Sein Kollege Hayes blickte ungläubig auf seinen Partner und sah sich gehetzt um. Einen Moment später lag er neben ihm. Parkers zweite Murmel hatte seine Stirn liebkost und ihn davon überzeugt, daß er gleichfalls Ruhe brauchte. »Sagenhaft, Parker, das macht Ihnen keiner nach«, kommentierte Rander und schlenderte auf die Lichtung, um sich zu den Gangstern niederzubeugen. »Die sind erstmal für ’ne Weile weggetreten«, stellte er fest und packte Connors unter den Achseln, um ihn durch die geöffnete Ladetür in den Wagen zu werfen. Dann schob er Hayes hinterher und sprang selbst in den Lieferwagen, um die beiden Gangster zu fesseln. Josuah Parker nutzte die Zeit, um ein mitgebrachtes Kosmetikköfferchen zu öffnen und ein wenig Maske zu machen. Danach entledigte er sich seines schwarzen Covercoats, der Melone und der Handschuhe und stieg in einen blauen, leicht angeschmutzten Overall, den er in einer Plastiktüte mitgebracht hatte. Als Mike Rander den Wagen verließ und ins Freie sprang, starrte er den Butler überrascht an. Der Seehundsbart, das sorgfältig zurechtgemachte Gesicht und die ganze Haltung zeigten jenen Mister Hayes, den er soeben bewußtlos im Laderaum verstaut hatte! * »Eins muß man diesem Mister Liberty, wer auch immer das sein mag, lassen: Was der Bursche anfaßt, klappt hundertprozentig, seine Planung ist einfach erstklassig«, meinte der Fahrer des Tanklastzuges, während er das schwere Fahrzeug routiniert und mit beträchtlicher Geschwindigkeit über die schmale Straße steuerte. »Hast du ’ne Ahnung, wer der Bursche ist?« wollte sein Beifah-
rer wissen. Beide Herren gehörten zum Stammpersonal eines gewissen Lester Simon und fungierten bei diesem offiziell als Aufsicht in der Bowlinghalle. »Nee, aber es wird gemunkelt, daß es dieser Rechtsanwalt sein könnte, mit dem sich der Boß öfters trifft.« »Würde ich dem glatt zutrauen, schlau genug ist der bestimmt. Aber es ist sowieso besser, wenn wir das nicht so genau wissen. Es ist auf jeden Fall gesünder.« »Da hast du mit Sicherheit recht, Kumpel.« Der Fahrer entdeckte die enge Abzweigung zu der vereinbarten Lichtung und bremste den schweren Lastzug behutsam. Einen Augenblick später rumpelte der riesige Wagen über den schmalen Waldweg, während Büsche und Äste der den Weg säumenden Bäume an der Hülle des Tanks entlangschrammten. »Da ist ja Hayes«, meinte der Beifahrer und deutete mit dem Kinn nach vorn. »Gleich haben wir’s geschafft und wieder ’ne ordentliche Stange Geld verdient.« Der Fahrer steuerte den Laster zwischen zwei alten Bäumen hindurch ins Unterholz und stellte die Zündung ab. Dann sprang er ins Freie und ging auf den kleinen Lieferwagen zu, um die vermeintlichen Kollegen zu begrüßen. Grinsend näherte er sich Hayes. »Na, klappt ja alles bestens, was? Jetzt werden wir unsere Gäste noch schnell umladen, und dann ab durch die Mitte. Danach können die Bullen meinetwegen nach dem Tanker suchen.« »Man hofft, Sie hatten eine angenehme Fahrt, Sir?« erkundigte sich der Mann, den er für Hayes hielt, höflich. Der Tankzugfahrer starrte ihn einen Augenblick verblüfft an, dann ging ihm ein Licht auf. Er langte in seinen Overall und wollte die Pistole ziehen, aber dazu kam er nicht mehr. Von hinten legte sich etwas auf seinen Kopf, das seinem Eindruck nach nur ein veritabler Felsbrocken sein konnte, und der zwäng ihn in die Knie. »Ein schöner Treffer, nicht wahr, Mister Parker?« dröhnte Lady Agatha, die vom Waldrand her ihren Handbeutel geschleudert hatte. »Eine bemerkenswerte Leistung, zu der man Mylady unbedingt gratulieren muß«, bestätigte Parker würdevoll, während er den bewußtlosen Gangster bereits unter den Achseln packte und auf die Ladefläche des Lieferwagens schob. Dort versorgte er ihn mit
einer seiner spezialgehärteten Handschellen und wartete auf Mike Rander, der eben um den Wagen herumkam und den Beifahrer mit sich schleppte. »Das wäre erledigt, Parker«, lächelte er, während er sein ›Opfer‹ gleichfalls in den Wagen schob und mit Fesseln versorgte. »Alles in Ordnung?« erkundigte sich Horace Pickett, der neben ihnen auftauchte und höflich nickte. »Die Operation läuft ganz nach Plan, Mister Pickett, jetzt gilt es nur noch, den Drahtzieher dingfest zu machen.« »Was ich persönlich in die Hand nehmen werde, damit da keine Panne passiert«, ließ sich Mylady vernehmen. »Dieser Teil der Aktion ist viel zu wichtig, als daß ich ihn blutigen Amateuren überlassen würde.« »Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker lüftete würdevoll seine Melone. »Darf man sich nach Myladys Plänen erkundigen?« »Nun ja, ich werde das Haus dieses Unterwelt-Rechtsverdrehers stürmen«, erklärte sie. »Und ich weiß auch schon, wie.« »Darf man sich nach Einzelheiten erkundigen, Mylady?« blieb Parker ruhig und gelassen. »Mit diesem Tanklastzug, Mister Parker, womit denn sonst? Das bietet sich doch förmlich an, finden Sie nicht?« »Mit dem Tanker?« fragte Mike Rander ungläubig. »Wie wollen Sie das denn anstellen, Mylady?« »Ich werde das Fahrzeug persönlich zum Haus dieses Anwalts steuern und ihn damit niederwalzen«, erklärte Lady Agatha munter und schwang sich bereits auf die Trittstufen zum Führerhaus. * »Mylady kennen sich in der Handhabung eines solchen Fahrzeugs aus?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. »Ich kann doch schließlich Auto fahren, oder?« gab die die ältere Dame forsch zurück und öffnete die Fahrerkabine. »Aber wie«, murmelte Mike Rander und sah ungläubig zu, wie sich Mylady an das mächtige Lenkrad klemmte. »Was sagten Sie da eben, meine Junge?« erkundigte sie sich mißtrauisch. »Mir war so, als hätten Sie eine dumme Bemerkung gemacht.« »Keinesfalls, Mylady. Ich habe Ihnen nur viel Glück gewünscht.
Allerdings halte ich es nicht für klug, den Tanker zu benutzen. Der dürfte mittlerweile von der Polizei gesucht werden. Man wird in der näheren Umgebung überall Straßensperren aufgebaut haben, um ihn zu stoppen.« »Ich kann der Polizei nur raten, mir nicht in die Quere zu kommen. Es könnte sein, daß ich den Tankzug vor einer Sperre nicht mehr rechtzeitig anhalten kann«, wischte Agatha Simpson dieses Problem beiseite und wandte sich an ihren Butler auf dem Beifahrersitz. »Was sollen diese beiden seltsamen Hebel hier, Mister Parker? Die stören doch nur, finden Sie nicht?« »Es handelt sich um die Schalthebel, Mylady. Größere LKW’s verfügen über eine Vielzahl von Schaltstufen, die das Vorhandensein zweier Hebel sinnvoll erscheinen lassen«, gab Parker ungerührt zurück. »Reine Verschwendung, einer hätte es auch getan«, behauptete Lady Agatha, ließ den Motor an und rührte energisch im Getriebe. Sofort war lautes Knirschen und Mahlen zu hören, das anzudeuten schien, daß das Getriebe mit dieser Behandlung nicht einverstanden war. Bevor Parker sich dazu äußern konnte, setzte sich der Laster in Bewegung und… drückte erstmal eine junge Pappel nieder, da Mylady versehentlich einen Vorwärtsgang erlischt hatte, anstatt rückwärts aus der Richtung zu rangieren. »Das kann man nicht mitansehen.« Mike Rander bedeckte seine Augen, während der Tanker über die Lichtung röhrte und immer wieder Kontakt mit einem Baum oder einem Gebüsch aufnahm. »Mylady pflegt einen etwas ungewöhnlichen Fahrstil«, kommentierte Horace Pickett und warf sich zur Seite, um der mächtigen Motorhaube des Lasters zu entgehen. Endlich hatte es die Detektivin geschafft, die riesige Haube des Tankers auf den zur Straße führenden, schmalen Weg auszurichten. Dröhnend hielt der Tankzug darauf zu. Kathy Porter, die neben Mike Rander stand, schrie plötzlich erschrocken auf und sprintete los. »Mein Mini«, schrie sie. »Er steht neben der Einfahrt zum Weg…« »Aber nicht mehr lange«, vermutete Mike Rander und lag damit richtig. Einen Augenblick später war lautes Krachen zu hören. Reißen von Blech und Bersten von Glas tönte herüber, dann war nur noch das sich entfernende, übertourende Geräusch des LKW-Motors zu hören. Als Mike Rander und Horace Pickett zur Straße kamen, stand
Kathy Porter kopfschüttelnd neben einem wie von einem riesigen Bügeleisen flachgewalzten Ex-Mini. * »Chef, da kommt er!« schrie ein junger Streifenbeamter aufgeregt und trat mit der Kelle vor die Sperre, um den herandonnernden Tanker zum Halten aufzufordern. Der Tankzug verringerte die Geschwindigkeit aber nicht im geringsten. Der junge Polizist starrte empört und schwenkte die Kelle noch heftiger. Dazu vollführte er einen seltsamen, recht eigenwilligen Tanz, indem er auf- und absprang, um sich besser bemerkbar zu machen. Der Vorgesetzte, ein in Ehren ergrauter, erfahrener Streifenführer, erfaßte die Situation mit einem Blick. »Zurück, Edwards«, brüllte er, »der bringt Sie sonst um!« »Aber er, muß doch halten, Sir, er muß doch mein Signal sehen!« beschwerte sich der junge Beamte und winkte noch aufgeregter, während der Truck nur noch wenige Meter entfernt war. Der Streifenführer sprang vor und riß seinen Kollegen geistesgegenwärtig zur Seite. Eine Sekunde später donnerte der Tanker an ihnen vorbei, zerfetzte die Sperre und schleuderte einen Streifenwagen durch die Luft. »Das gibt’s doch nicht!« stammelte der junge Polizist und schüttelte unglaublich den Kopf. »Das gibt’s doch gar nicht«, meinte auch Lady Agatha und schüttelte gleichfalls den Kopf. »Haben mich die Dummköpfe denn nicht gesehen?« »Möglicherweise ging man davon aus, daß Mylady halten würden«, äußerte Parker vorsichtig. »Dazu besteht nicht der geringste Anlaß. Außerdem habe ich’s eilig«, grollte die Lady. »Ich will diesen Fall unbedingt heute noch abschließen.« * John Brixton, der in einer ruhigen Gegend Londons ein kleines
Einfamilienhaus bewohnte, schritt gerade durch den gepflegten Garten und begutachtete die Arrangement, die ein bekannter Partyservice getroffen hatte. Er gab einen kleinen Empfang, zu dem er einige wichtige Leute eingeladen hatte, und legte Wert darauf, dabei zu glänzen. Zufrieden musterte er die hübsch gedeckten Tische mit den silbernen Leuchtern und Serviettenhaltern, das von einer durchsichtigen Plane geschützte kalte Büffet und die wohlbestückte Bar. Er fand alles in bester Ordnung und freute sich auf eine erfolgreiche Gesellschaft. Wenig später fuhren bereits die ersten Wagen vor. Livrierte Diener empfingen die Gäste und führten sie in den Garten. Eigens dafür bereitstehende Wagenpfleger fuhren die teuren Vehikel auf den hinter dem Haus liegenden Parkplatz, der selbstverständlich bewacht war. Brixton ging durch die Reihen seiner Gäste, beugte sich artig über Damenhände und wechselte mit den Herren Begrüßungsworte. Er achtete darauf, daß jeder Neuankömmling mit einem Glas versorgt wurde und gab der kleinen Kapelle ein Zeichen, mit dem Spielen zu beginnen. Später, im Lauf der Party, würde er sich mit einigen Herren zu einer geschäftlichen Besprechung zurückziehen, um über die Abwicklung gewisser Aktionen zu diskutieren, die samt und sonders im kriminellen Bereich angesiedelt waren. Brixton hatte gerade das kalte Büffet freigegeben und beobachtete lächelnd, wie seine Gäste darüber herfielen, als ihn ein merkwürdiges Geräusch irritierte. Es hörte sich an wie das zornige Brummen eines aufgebrachten Bienenschwarms und kam stetig näher. Schließlich ging das zornige Brummen in das Rattern einer großvolumigen Maschine über. Einen Augenblick später tauchte die gewaltige Silhouette eines Tanklastzuges am Ende der Straße auf, in der Brixtons Haus lag. Verärgert beobachtete der Anwalt den näherkommenden LKW; er würde den zuständigen Beamten seines Reviers, die er großzügig beschenkte, am nächsten Morgen einiges zu erzählen haben, beschloß er verärgert. Schließlich hatten die Kerle für seine Ruhe und Sicherheit zu garantieren und hätten dafür Sorge tragen müssen, daß der scheußlich lärmende Tanker nicht seine Party störte.
Dann erstarrte der Mann förmlich. Der Tankzug hatte sein Grundstück erreicht, und Brixton erkannte plötzlich, wer im Führerhaus saß. Bevor er zu einer Reaktion fähig war, schwenkte der mächtige Kühler des Tankers herum und hielt auf den schmiedeeisernen Zaun zu, auf den der Anwalt so stolz war. Krachend drückte der Laster den Zaun in den weichen Boden. Brixtons Gäste fuhren herum und stierten dem Ungetüm ungläubig entgegen. Die Reaktionsschnellen unter ihnen warfen ihre Teller weg und setzten zu einem Sprint an, um hinter das Haus zu gelangen. Die Kapelle beendete ihren Vortrag mit einem schrillen Mißton und warf sich kollektiv in die Büsche. * »Eine Party, wie hübsch, Mister Parker«, freute sich Agatha Simpson. Ihr Gesicht überzog ein glückliches Strahlen, als sie sah, wie einige Herren im Smoking mit einigen Damen in teuren Roben in den nahen Swimmingpool sprangen, um dem Tanklastzug zu entgehen. »Das Büffet reizt mich irgendwie«, stellte Mylady fest und sah sich zu einer kleinen Korrektur der Lenkung veranlaßt. Die mächtige Motorhaube bohrte sich ins Büffet und ließ Platten, Teller, Schüsseln und die dazugehörigen Köstlichkeiten durch die Luft wirbeln. Da die Bremsen nicht einwandfrei zu funktionieren schienen, was im wesentlichen darauf zurückzuführen war, daß Mylady mit ihren Beinen nicht an das Pedal reichte, setzte sie den LKW zwecks Vollbremsung einfach gegen einen soliden Baum, wo er mit rauchendem Kühler stehen blieb. * »Brixton und seine Helfershelfer sitzen samt und sonders hinter Gitter, die befreiten Häftlinge haben wir wieder eingesammelt, bis auf Prescott, der tot ist. Damit ist dieser Fall endlich erledigt, Mylady«, meldete Chief-Superintendent McWarden, nachdem ihn Parker ins Haus geführt hatte. Huldvoll deutete Lady Agatha auf den Platz gegenüber und lud
McWarden zum Frühstück ein. »Sie haben nur noch die Leute einzusammeln brauchen, die ich Ihnen zugetrieben habe, mein lieber McWarden«, lächelte sie. »Ohne mich hätten Sie diesen Fall nie und nimmer gelöst, das wissen Sie ganz genau.« »Wobei auch Mister Parker seinen Teil dazu beitrug«, bemerkte der Yard-Mann maliziös. »Nun, ein wenig hat er tatsächlich geholfen«, gab Mylady großzügig zu. »Sie sollten übrigens mit einigen recht saftigen Schadenersatzforderungen rechnen, Mylady«, bemerkte McWarden lächelnd. »Sie haben da eine ganz schöne Trümmer-Strecke hinterlassen.« »Ich habe mich wohl verhört, mein lieber McWarden? Ist das etwa der Dank für meinen aufopferungsvollen Einsatz?« empörte sich Lady Agatha umgehend. »Vielleicht kann ich das irgendwie hinbiegen«, überlegte McWarden. »Leicht geht das allerdings nicht, das weiß ich jetzt schon.« »Mister Parker, wo bleibt das Frühstücksgedeck für unseren lieben Gast?« flötete Mylady. »Wollen Sie den armen Mann etwa verhungern lassen? Und vergessen Sie den Sherry nicht, Sie wissen, ich bin gern großzügig…« »Wie Mylady zu meinen belieben.« Obwohl es nicht einfach war, blieb Parkers Miene ungerührt, wie es sich für einen hochherrschaftlichen Butler geziemte.
ENDE Nächste Woche erscheint Butler Parker Band 336 Curd H, Wendt
PARKER zähmt den Baulöwen »Sie lesen wohl keine Zeitung? Hier wird eine sechsspurige Autobahn gebaut!« behaupten die beiden Landvermesser, die eines Tages mit ihren rotweißen Fluchtstäben auf Myladys Anwesen im Londoner Stadtviertel Shepherd’s Market auftauchen. Buddy March und Tony Melier raten der älteren Dame, schleunigst ihr Grundstück zu verkaufen, um einer Enteignung zuvorzukommen. Doch so schnell läßt Lady Simpson sich nicht ins Bockshorn jagen.
In ihrer handfesten Art fordert sie die Männer zum Verschwinden auf. Als Buddy und Tony wenig später zurückkehren, bringen sie eine Rockergruppe mit, die das angebliche Mißverständnis mit Schlagringen und Totschlägern aus der Welt schaffen will. Josuah Parker, der den merkwürdigen Geschäftsmethoden des Vermessungsbüros Harley auf den Grund geht, sieht sich bald mit kaltblütigen Scharfschützen, kampflustigen Holzfällern und einem wildgewordenen Baggerfahrer konfrontiert. Myladys Butler muß wieder mal tief in seine Trickkiste greifen, bis es ihm gelingt, den kriminellen Firmenring zu sprengen und den geheimnisvollen Baulöwen dingfest zu machen. Gönnen Sie sich jede Woche BUTLER PARKER!