R. Gradinger H. Gollwitzer Ossäre Integration
ESKA Implants GmbH & Co. KG bedankt sich herzlich bei den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats unter der Leitung von Herrn Professor Dr. med. Reiner Gradinger und bei allen weiteren Autoren, die durch ihre vielseitigen und umfassenden Beiträge dieses Werk ermöglicht haben.
R. Gradinger H. Gollwitzer Ossäre Integration
R. Gradinger H. Gollwitzer
Ossäre Integration Mit 258 Abbildungen und 28 Tabellen
123
Prof. Dr. Rainer Gradinger Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München
Dr. Hans Gollwitzer Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau Prof. Küntscher-Straße 8 82418 Murnau/Staffelsee
ISBN 3-540-22721-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN 987-3-540-22721-2 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
SPIN 11309734 Titelbild und Design: deblik, Berlin Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier
18/5135/yb – 5 4 3 2 1 0
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Vorwort Der Knochen ist ein Organ und wurde lange Zeit nicht so gesehen. Ein Gelenk ist ein äußerst komplexes Organ und wird bis heute nicht so gesehen. Dieses Buch, an dem viele Experten mitgewirkt haben, hat das Ziel Mechanik, Materialien und Biologie zu verbinden und das heutige Wissen auf diesen faszinierenden Arbeitsfeldern in ihrer Interaktion darzustellen. Die Idee spongiöse-trabeculäre Strukturen zu schaffen, um eine knöcherne Integration von Implantaten zu erreichen, stammt von Henßge, Hanslik und Grundei und wurde Schritt für Schritt in den letzten 3 Jahrzehnten entwickelt. Auch von meinem akademischen Lehrer Hipp wurde die biologische Potenz dieses Lösungsansatzes erkannt und aktiv mitbegleitet. An der Entwicklung waren viele Kliniker und Grundlagenforscher verschiedenster Richtungen – Ingenieure, Chemiker, Physiker, Biologen, Mathematiker, Informatiker, Anatomen u.a. – beteiligt. Was hat all diese Leute zusammengeführt? Die Idee! Was hat sie weiterarbeiten lassen an einem wissenschaftlich nicht eindeutig beschriebenen aber lebenden Projekt? Die Überzeugung und das Erleben, dass es geht! Die heute vorliegenden 17-Jahres-Ergebnisse im Bereich der Hüftendoprothetik, welche bei über 93% der eingebrachten Hüftendoprothesenstiele eine knöcherne stabile Integration nachweisen, sind weltweit unerreicht. Die heutzutage zur Verfügung stehenden weiterentwickelten Implantate lassen eine weitere Steigerung dieser exzellenten Ergebnisse erwarten. Wir sind der dauerhaften Integration eines Fremdmaterials in den menschlichen Körper zumindest sehr nahe gekommen, wahrscheinlich haben wir dies bereits jetzt erreicht. Die Diskussion über die Entfernbarkeit eines knöchern integrierten Implantates ist eine Scheindiskussion, die an dem Ziel der dauerhaften Versorgung unserer Patienten vorbeigeht. Versagensfälle wird es immer geben. Diese Quote zu minimieren ist unsere Aufgabe und es ist eine technisch zu lösende Aufgabe, auch diese Fälle dann entsprechend zu versorgen. Dabei kann es nicht das Ziel sein, lieber eine höhere Quote von Versagensfälle zu produzieren unter dem Gesichtspunkt diese einfacher lösen zu können. Die Aussage, dass wir dem Ziel einer dauerhaften-lebenslangen-Integration von Endoprothesensystemen in den menschlichen Körper nahe gekommen sind, ist Realität geworden. Zukünftige Entwicklungsansätze betreffen den Verschleiß von beweglichen Implantatteilen als bis heute nicht vollständig gelöstes Problem, das unter Umständen zum Teil mit bionischen Ansätzen verbessert werden kann. Die Optimierung der 3-dimensionalen Ausrichtung von Ersatzteilen im menschlichen Körper ist eine weitere Herausforderung, die mit Hilfe von Navigationssystemen in naher Zukunft verbessert werden kann. Der Übergang von Endo- zu Exoprothesen ist nach wie vor experimentell, die jetzt vorliegenden Ergebnisse sind allerdings ermutigend. Das vorgelegte Buch soll zur Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse beitragen, wohl wissend, dass »eine neue wissenschaftliche Wahrheit sich nicht in der Weise durchzusetzen pflegt, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist« (Zitat: Max Planck). Prof. Dr. R. Gradinger (München, März 2006)
VII
Inhaltsverzeichnis Teil I
1
Geschichtliche Entwicklung
Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal® . . . . . . . . . . . 2 H. Grundei
Teil II
Teil III Anwendung
5 5.1
Wirbelsäule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Bandscheibe – Verblockungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . 83 W. Arnold
5.2
Wirbelkörperprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 R. Gradinger, A. Töpfer, H. Gollwitzer
6 6.1
Große Gelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Kurzstielige oder langstielige Schulterprothesen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 P.M. Rozing, M.A. van der Sande, J. Nagels
Experimentelle Grundlagen
6.2.1 Hüfte: Standardimplantat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 H. Gollwitzer, R. Gradinger
2 2.1
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Biomechanische Grundlagen der Implantatverankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 E. Steinhauser
2.2
Biologische und physiologische Grundlagen . . . . . . . 24 G. Schmidmaier, B. Wildemann
2.3
Tierexperimentelle Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 30 R. Ascherl, W. Erhardt, S. Kerschbaumer, M.L. Schmeller, R. Gradinger
2.4
Histologische Untersuchungen von Implantaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 S. Kerschbaumer
2.5
Metallurgische Grundlagen für die gusstechnische Herstellung einer räumlichen Oberflächenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 K. Klingbeil
6.3
Kniegelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 J. Scholz
6.4
Sprunggelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 J. Rudigier
3 3.1
Oberflächenbeschichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Beschichtungen auf Implantaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 D. Repenning
7 7.1
Kleine Gelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Fingergrundgelenksendoprothese . . . . . . . . . . . . . . . . 147 C. Weber
3.2
Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtung . . . . . . . . . . . 62 H. Gollwitzer, L. Gerdesmeyer
7.2
Fuß: Großzehengrundgelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 K.-H. Olms
3.3
Bioaktive Oberflächenbeschichtung. . . . . . . . . . . . . . . . 69 G. Schmidmaier, B. Wildemann
8
Ossäre Integration in der oralen Implantologie . . . . 162 J. Sprang
4
Metallimplantatallergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 P. Thomas, B. Summer
9 9.1
Spezialimplantate Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 W. Mittelmeier, M. Hauschild, R. Bader, R. Gradinger
6.2.2 Hüfte: Schenkelhalsprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 W. Thomas 6.2.3 Hüfte: Kurzstiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 G. von Salis-Soglio, J. Gulow 6.2.4 Oberflächenersatz des Hüftgelenkes: Doppel-Cup-Prothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 P. Juhnke 6.2.5 Spannungsverteilung und Primärstabilität bei vollstrukturierten versus teilstrukturierten Femurkomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 R. Burgkart, R. Glisson
VIII
Inhaltsverzeichnis
9.2
Tumorendoprothetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 R. Gradinger, H. Gollwitzer
9.3
Endo-/Exoprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 K.-H. Staubach, H. Grundei, H. Aschoff
9.4
Individualprothesen, Sonderanfertigungen . . . . . . . 195 R. Ascherl, H. Grundei, I. Hartung, R. Gradinger
Teil IV Ausblick
10
Verschleißteile und tribologische Optimierung . . . . 208 C. Kaddick, E. Steinhauser, K. Klingbeil
11
Entfernung ossär integrierter Implantate . . . . . . . . . . 215 H.S. Grundei, H. Gollwitzer
12
Trends und zukünftige Entwicklungen auf dem Gebiet der ossären Integration . . . . . . . . . . . 220 R. Gradinger, H. Gollwitzer Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
IX IX
Autorenverzeichnis Arnold, Wolf, Prof. Dr. Zentralklinikum Suhl gGmbH Zentrum für Orthopädie, Unfallund Wiederherstellungschirurgie Albert-Schweitzer-Straße 2 98527 Suhl Ascherl, Rudolf, Prof. Dr. Park-Krankenhaus Leipzig-Südost GmbH Orthopädisch – Traumatologisches Zentrum Strümpellstraße 41 04289 Leipzig
Aschoff, Horst-Heinrich, Dr. Sana Kliniken Lübeck GmbH Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie Kronsforder Allee 71-73 23556 Lübeck
Bader, Rainer, Dr. Dipl.-Ing. Forschungslabor für Biomechanik und Implantat-Technologie Universität Rostock Doberaner Straße 142 18055 Rostock
Burgkart, Rainer, Dr. Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München
Gerdesmeyer, Ludger, PD Dr. Department Endoprothetik und Wirbelsäulenchirurgie Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Mare Klinikum Eckernförder Straße 219 24119 Kiel-Kronshagen Glisson, Rich, M.D. Orthopaedic Research Laboratories Department of Surgery Duke University Medical Center 375 MSRB, Box 3093 Durham, NC 27710 U.S.A.
Orthopädische Klinik und Poliklinik Universitätsklinikum Leipzig Liebigstraße 20 04103 Leipzig
Hartung, Ingo ESKA Implants GmbH & Co. Grapengießerstraße 34 23556 Lübeck
Hauschild, Matthias, Dr. Orthopädische Klinik und Poliklinik Universität Rostock Doberaner Straße 142 18055 Rostock
Gollwitzer, Hans, Dr.
Juhnke, Peer, Dr.
Abt. für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau Professor-Küntscher-Straße 8 82418 Murnau
Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München
Gradinger, Rainer, Prof. Dr. Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München
Kaddick, Christian, Dr.-Ing.
Grundei, Hans, Dr.-Ing. ESKA Implants GmbH & Co. Grapengießerstraße 34 23556 Lübeck
Erhardt, Wolf, Prof. Dr. Institut für Experimentelle Onkologie und Therapieforschung Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München
Gulow, Jens, Dr.
Grundei, Hannu S., Dr. ESKA Implants GmbH & Co. Grapengießerstraße 34 23556 Lübeck
ENDOLAB Mechanical Engineering GmbH Seb.-Tiefenthaler-Straße 13 83101 Thansau / Rosenheim
Kerschbaumer, Susanne, Dr. Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München
Klingbeil, Klaus, Dr.-Ing. ESKA Implants GmbH & Co. Grapengießerstraße 34 23556 Lübeck
X
Autorenverzeichnis
Mittelmeier, Wolfram, Prof. Dr. Orthopädische Klinik und Poliklinik Universität Rostock Doberaner Straße 142 18055 Rostock Nagels, J., Dr. Department of Orthopaedics Leiden University Medical Center Albinusdreef 2 NL-2333 ZA Leiden THE NETHERLANDS Olms, Kai-Hinrichs, Dr. Chirurgische Gemeinschaftspraxis Drs Osten, Olms, Drewes und Sax Markt 7 23611 Bad Schwartau Repenning, Detlev, Dr. omt GmbH Oberflächen- und Material-Technologie Seelandstraße 7 23569 Lübeck Rozing, P.M., Prof. Dr. Department of Orthopaedics Leiden University Medical Center Albinusdreef 2 NL-2333 ZA Leiden THE NETHERLANDS
Rudigier, Jürgen, Prof. Dr. Chirurgische Klinik II Klinikum Offenburg Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Freiburg Ebertplatz 12 77654 Offenburg
Sande, van der, M.A., Dr. Department of Orthopaedics Leiden University Medical Center Albinusdreef 2 NL-2333 ZA Leiden THE NETHERLANDS
von Salis-Soglio, Georg, Freiherr, Prof. Dr. Orthopädische Klinik und Poliklinik Universitätsklinikum Leipzig Liebigstraße 20 04103 Leipzig
Schmeller, Marie-Luise, Dr. Institut für Experimentelle Onkologie und Therapieforschung Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München
Summer, Burghard, Dipl.-Biol. Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie Ludwig Maximilian Universität München Frauenlob-Straße 9-11 80337 München Thomas, Peter, PD Dr. Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie Ludwig Maximilian Universität München Frauenlob-Straße 9-11 80337 München Thomas, Wolfram, Prof. Dr.
Schmidmaier, Gerhard, PD Dr. Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie Charité, Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Scholz, Jörg, Prof. Dr. Chefearzt der orthopädischen Abteilung Emil-Behring-Klinikum Gimpelstaig 9 14165 Berlin
Sprang, Jürgen, Dr. Dr. Zahnärztliche Praxis Binderstraße 24 20146 Hamburg
Staubach, Karl-Hermann, Prof. Dr. Klinik für Unfallchirurgie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck Steinhauser, Erwin, Dr.-Ing. Abteilung Biomechanik Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie der Technischen Universität München Connollystraße 32 80809 München
Clinica Quisisana Via G Giacomo Porro, 5 00197 Rom ITALY
Toepfer, Andreas, Dr. Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München Weber, Christian, Dr. Ärztlicher Direktor Orthopädische Abteilung Asklepios Klinik Hohwald Hauptstraße 16 01844 Hohwald Wildemann, Britt, PD Dr. Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie Charité, Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
I
Teil I
Geschichtliche Entwicklung
Kapitel 1
Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal® – 2 H. Grundei
1 Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal® H. Grundei
Zusammenfassung Die Entwicklung der Endoprothetik begann im 19. Jahrhundert. Sie ist eingebettet in eine Jahrtausende alte Entwicklung der Medizin. Mit der Einführung neuer Materialien und neuer physikalischer Wirkprinzipien im 19. und 20. Jahrhundert erfuhr die Endoprothetík eine rasante Entwicklung, sodass sie heute einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Steigerung der Lebenserwartung liefern kann. Weltweit werden heutzutage jährlich mehr als 1.000.000 künstliche Hüftgelenke und 800.000 künstliche Kniegelenke eingesetzt, davon allein in Deutschland ca. 150.000 Hüft- und 60.000 Knieendoprothesen. Meilensteine in der Entwicklung der Endoprothetik waren die Einführung des »Knochenzements« zur Verankerung von Implantaten und die Realisierung von Oberflächenstrukturen zur dauerhaften zementfreien Fixation von Endoprothesen.
Geschichte der Orthopädie Die Orthopädie ist so alt wie die Chirurgie, und beide Disziplinen sind stets im Zusammenhang mit der angewandten Medizin zu betrachten. Ägypter, Griechen und Römer kann man als die Väter der angewandten Orthopädie und Chirurgie bezeichnen. Prähistorische Funde haben gezeigt, dass es schon damals Versorgungen mit Körperersatzstücken und -stützen gab.
Die Griechen beschäftigten sich als erste nachweislich wissenschaftlich mit Deformitäten des Körpers. Hippokrates, der 460 vor Christi wirkte, gilt als einer der Väter der Orthopädie (griech. ορτηοσ, Orthos = Gerade, παιδεια, Paideia = Erziehung oder Kind). Er berichtete ausführlich über die Verkrümmung der Wirbelsäule und empfahl bei seinen Behandlungsmethoden das Streckbett und die Gymnastik. Er beschrieb Verrenkungen an Hüfte und Knie sowie die Klumpfußbehandlung. Einige dieser Anwendungen findet man noch heute in der täglichen Praxis. Mit Ende des 15. und Beginn des 16. Jahrhunderts findet man in Mittel- und Nordeuropa Aufzeichnungen über chirurgische Behandlungsmethoden der Wirbelsäule. Waffenschmiede und Mechaniker waren die beruflichen Ahnen der so genannten chirurgischen Instrumentenmacher, die gemeinsam mit dem chirurgischen Medikus (Feldscherer oder Wundarzt) in den folgenden Jahrhunderten bei kriegerischen Auseinandersetzungen ihre handwerkliche und ärztliche Kunst bei Söldnern und Obrigkeiten anwandten. Die eigentliche Entwicklung der wissenschaftlichen Orthopädie begann im 18. Jahrhundert. 1741 veröffentlichte der französische Arzt Andry eine Monographie, in der er über seine Beobachtungen von Deformitäten des Körpers berichtete: »Orthopädie oder die Kunst bey Kindern die Ungestaltheit des Leibes zu verhüten und zu verbessern« [1]. Absicht des Autors war es, durch Aufklärung dafür zu sorgen, dass Kinder natürlich aufgezogen werden und dass Faktoren, die das Wachstum und die Entwicklung der Kinder hemmten, vermieden wurden.
3 Kapitel 1 · Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal®
Verformungen der Knochen und Gelenke sollten nicht mehr als gottgewollt, sondern als veränderbar und formbar angesehen werden. Die Realisierung dieser Vision erfolgte durch den Schweizer Arzt Venel, der 1780 die erste orthopädische Heilanstalt gründete. Orthopädische Leiden (z. B. Klumpfüße) wurden durch Apparate und Schienen behandelt – die erreichten Korrekturen konnten mit Gipsabdrücken belegt werden. Das deutsche Vorbild einer solchen Entwicklung war Johann Georg Heine, der in Würzburg als chirurgischer Instrumentenmacher 1816 ein entsprechendes Institut gründete. In dieser Einrichtung wurden, manchmal über Jahre, vor allem Patienten im Alter von 5–25 Jahren behandelt [2]. Mit den Erfindungen ▬ der Äthernarkose (1842 durch Long, USA), ▬ der Chloroformnarkose (1847 durch Simpson, England), ▬ des Gipsverbandes (1851 durch Mathijsen, Holland), ▬ der aseptischen Wundversorgung (1867 durch Lister, England; basierend auf dem Grundgedanken des Franzosen Pasteur) und ▬ der Röntgentechnik (1895 durch Röntgen, Deutschland) sowie den Ereignissen des deutsch-französischen Krieges 1870/71 wurden schließlich wesentliche Meilensteine für die Entstehung und Weiterentwicklung der operativen Orthopädie gelegt, um die zahlreichen durch den Krieg entstandenen Verstümmlungen zu behandeln [3]. Mit dem Inkrafttreten der Sozial- und Krankenversicherung in Deutschland am 1. Januar 1884 wurden die Voraussetzungen für eine so genannte staatliche Krüppelvorsorge geschaffen, die bis dahin ausschließlich von wissenschaftlichen und karitativen Organisationen geleistet wurde. Durch die Übernahme dieser Leistung durch den Staat wurde die Vorsorgung von Kranken ein öffentliches Anliegen und führte auch zu einer Neugliederung der Aufgaben des Instrumentenmachers in Chirurgie- und Orthopädie-Mechanik.
Elfenbein, das die Funktion des natürlichen Gelenkes übernehmen sollte [4]. Am Hüftgelenk implantierte Smith-Petersen 1923 eine Plexiglasschale [5], die den zerstörten Hüftkopf ersetzen sollte. Diese Erfindung scheiterte letztendlich, da die eingesetzten Materialien und die gewählte Befestigung der Implantate nicht den auftretenden Belastungen gewachsen waren. Erst die Erfindung der mechanisch festen und korrosionsstabilen CoCrMo-Legierung Vitallium durch Venable und Stuck [6] in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts führte bei dem so genannten Kopfstiel (von
Geschichte der Endoprothetik Die Geschichte der Endoprothetik begann 1890 mit Themistocles Gluck (⊡ Abb. 1.1). Er war der erste, der die Idee eines künstlichen Gelenks in die Tat umsetzte. Für das Kniegelenk entwickelte er ein Scharniergelenk aus
⊡ Abb. 1.1. Kniescharniergelenke nach Gluck (1890)
1
4
1
Teil I · Geschichtliche Entwicklung
Judet 1946, [7]) zu beachtlichen Erfolgen und ermöglichte auch die Erfindung stielendiger Prothesen durch Moore und Thomsen [6]. Hauptproblem aller Endoprothesenentwicklungen dieser Zeit blieb die mangelhafte Verankerung der Prothesenstiele im knöchernen Lager. Die unterschiedlichen Elastizitätsmodule von Metallstiel und Knochen führten durch eine mangelhafte Kraftübertragung zu ungünstigen Umbauvorgängen im Knochen und zur Lockerung der Implantate. Der entscheidende Fortschritt in der Entwicklung der Endoprothetik gelang Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts dem Engländer Charnley [8]. Er ergänzte den Hüftkopfersatz um eine künstliche Hüftpfanne und verankerte diese Totalprothese mit so genanntem Knochenzement. Dieses aushärtende Polymethylmetacrylat (PMMA) wurde bis dato in der Zahnmedizin und der plastischen Chirurgie bereits erfolgreich eingesetzt. Diese revolutionäre Verankerungsform und der Einsatz günstiger Gleitpartner im Sinne einer »Low-friction-Arthroplastie« (metallischer Hüftkopf und Kunststoffpfanne) führten zu einer enormen Verbreitung der Totalendoprothetik. Charnley fand bald Anhänger. Im Jahre 1966 implantierten der Hamburger Buchholz sowie der Schweizer Müller eigene Entwicklungen, drei Jahre später Mittelmeier und Weber [9]. In der Knieendoprothetik entstanden die ersten Totalendoprothesen als reine Scharnierprothesen. Die Modelle von Shiers (1954) und Walldius (1957) entstanden noch vor der Einführung des Knochenzements – sie mussten also für eine ausreichende Stabilisierung mit langen Stielen im Knochen verankert werden. Aber bereits das Implantat der Guepar-Gruppe (1968) war zur Zementfixierung vorgesehen [10]. Für den Oberflächenersatz des Knies waren für die damalige Zeit der Typ »St. Georg«, ein Modell von Buchholz und dem Chirurgie-Mechaniker Link, sowie das Modell des Amerikaners Marmor Stand der Technik [10]. Seit Beginn der siebziger Jahre bestand eine enge Zusammenarbeit zur Entwicklung von Knochenimplantaten zwischen Henßge, dem damaligen Direktor der Orthopädischen Klinik, seinem damaligen Oberarzt Thomas und Grundei, Leiter und Inhaber der orthopädischen Vertragswerkstatt für orthopädische Hilfs- und Heilmittel, der Medizinischen Hochschule zu Lübeck. Zielsetzung ihrer Forschungen ab Herbst 1972 war die Entwicklung von Implantaten, die der menschlichen Anatomie und den natürlichen Bewegungsabläufen mög-
lichst nahe kommen. Einer ihrer Schwerpunkte lag in der Knie- und Hüftendoprothetik. 1974 zeichneten sich nach umfangreichen anatomischen Studien durch Grundei und Thomas [11, 12] erste greifbare Ergebnisse im Kniebereich ab: die Gleitachs-Endoprothese, die die physiologischen Bewegungsabläufe Rollen, Gleiten und Rotieren realisieren konnte und sich nicht mehr über einen starren Achspunkt bewegte (⊡ Abb. 1.2). Hinzu kamen zeitnah die Femurund Tibiastiele für das Knie in ihrer querovalen Form. 1975 führte diese Entwicklungsstudie zur weltweit ersten keramischen Vollprothese mit physiologischen Bewegungsabläufen (⊡ Abb. 1.3). Mit der Firma Feldmühle AG in Plochingen wurde dieses Konstruktionsprinzip in enger Zusammenarbeit umgesetzt. Der Oberflächenersatz des Knies, der ebenfalls Bestandteil der anatomischen Studien war, fand unter der Bezeichnung »Anatomische GT-Schlitten-Endoprothese« durch die Erstimplantation 1977 seinen Einzug in die Welt der Implantate (⊡ Abb. 1.4). In der Hüftendoprothetik traten in den siebziger Jahren erste Probleme auf, die darauf zurückzuführen waren, dass die technisch gestalteten Stiele wenig Rücksicht auf die Anatomie des Femurs und die damit zusammenhängende Ausbildung des Zementmantels nahmen. Auch hier wurde die Anatomie zur Richtschnur für die Gestaltung eines neuen Hüftstieles gemacht und so entwickelten Grundei, Henßge und Etspüler den anatomischen Hüftstiel »GHE« [13] (⊡ Abb. 1.5). Die Erstimplantation fand im Dezember 1980 statt.
⊡ Abb. 1.2. Gleitachsendoprothese (1974)
5 Kapitel 1 · Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal®
a
b
⊡ Abb. 1.3. Keramische Vollprothese in Leiche – Situs
⊡ Abb. 1.4. a GT-Schlitten (1977); b GT-Gleitachsendoprothese, zementierbar (1978)
1
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Teil I · Geschichtliche Entwicklung
1
⊡ Abb. 1.5. GHE-Hüftstiel (1979–1980) mit Formkörper und anatomischer Anpassung an das koxale Femurende
Zementfreie Endoprothesenfixation Die Hauptursache für das damalige Versagen von zementierten Prothesen war die ungenügende Verbundfestigkeit der Knochen-Zement-Grenze. Durch Zermürbung und Zerrüttung des Knochenzementmantels kam es bei Wechselbeanspruchung zur aseptischen Lockerung. Eine akzeptable Lösung für diese Problematik sahen verschiedene Entwicklungsgruppen nur durch die Realisierung zementfreier Prothesenfixationen gegeben. Vor-
aussetzung dafür ist, dass durch die räumliche Gestaltung der Implantatoberfläche eine biomechanische Verbindung zwischen Implantat und wachsendem Knochen geschaffen wird. In der Entwicklung der Endoprothetik wurden dabei entsprechend dem technischen Stand der Metallurgie und der Bearbeitungstechnologie unterschiedliche Wege beschritten [14]. Die einfachste Form der Oberflächengestaltung ist eine Vergrößerung der Implantatoberfläche durch mechanische Bearbeitung wie Schmieden oder Gießen. Realisiert
7 Kapitel 1 · Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal®
a
b
c
⊡ Abb. 1.6a–c. Verschiedene Oberflächengestaltungen von Hüftgelenksendoprothesen: a kraterförmige Vertiefungen nach Judet, b Tragrippen nach Mittelmeier, c aufgesinterte Kugeln nach Lord
wurde dieses Konstruktionsmerkmal z. B. durch McKee [15] und Siwash [16], die zur Verankerung gewindeähnliche Oberflächen einsetzten. Judet [17] versah seine Prothese mit kraterförmigen Vertiefungen (⊡ Abb. 1.6a), Galante [18] veröffentlichte 1971 seinen räumlich offenen Verankerungsweg durch das Fiber-Mesh-Verfahren als Mikro-3-D-Raumstruktur (⊡ Abb. 1.7). Grundlage dieses Verfahrens waren zerhäckselte Metallspäne aus Titan- oder Kobalt-Chrom-Legierungen, die willkürlich ineinander geschüttet wurden und dann durch hohe Wärmezufuhr sinterverschweißt auf Endoprothesen gebracht wurden. Mittelmeier [19] setzte zur besseren Kraftüberleitung Tragrippen ein (⊡ Abb. 1.6b). Diese Oberflächengestaltungen lassen ein Heranwachsen des Knochens an die zerklüftete Implantatoberfläche zu und schaffen damit eine mechanische Verbindung zwischen Implantat und Implantatlager. Durch das Aufsintern von Kugeln gelang es Lord [20], eine Oberfläche zu schaffen, die sich in der Tiefe öffnete und ein begrenztes Hineinwachsen des Knochens in das Implantat zuließ (⊡ Abb. 1.6c). Die begrenzte mechanische Festigkeit dieser Oberflächenstruktur führte zum Teil zu Ablösungen der aufgesinterten Strukturen bei hohen Belastungen und damit zum Versagen der Prothese. Eine wichtige Grundvoraussetzung für eine lange Lebensdauer von zementlos eingebrachten Implantaten ist, dass sich bei der Verankerung der Endoprothesenkomponenten im knöchernen Lager ein stabiles mechanisches und biologisches Gleichgewicht zwischen dem Implantat und dem Organ »Knochen« einstellen kann. Dies ist
⊡ Abb. 1.7. Fiber-Mesh nach GALANTE (1971)
1
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Teil I · Geschichtliche Entwicklung
mit interkonnektierenden dreidimensional offenzelligen Raumstrukturen möglich, die ein Hindurchwachsen des Knochens bei erhaltener Blutzufuhr ermöglichen.
Entwicklung von »Spongiosa-Metal®« Grundei [13] suchte nach Verfahrenswegen zur Herstellung von dreidimensionalen Oberflächenstrukturen, die in ihrem Erscheinungsbild dem menschlichen Spongiosaknochen ähneln, räumlich jedoch gröber – makromaschig – ausfallen, sodass der natürliche Knochen ein- und hindurchwachsen kann. Die poröse Struktur des aus mineralisierter Kalbsspongiosa gewonnenen »Kieler Knochenspans« der Firma Braun Melsungen AG diente zur räumlichen Orientierung und war Grundlage für die Entwicklung und Maschenweitenbestimmung der späteren Metallspongiosa (⊡ Abb. 1.8). Dieses Knochenersatzmaterial wurde während der sechziger Jahre in der Kieler Universitätsklinik für Orthopädie und Chirurgie bei Defekten und zum Aufbau von Neuknochen regelmäßig eingesetzt. Schon durch den Begriff Spongiosa (= schwammartige Struktur) war es naheliegend, nach Werkstoffen oder Materialien zu suchen, die ebenfalls schwammartig aufgebaut waren, wie z. B. der Natur- oder Kunstschwamm. Der Naturschwamm, gelbfarbig, faserig und zugleich mit weiten Kanälen versehen, war ungeeignet für die in Frage kommende Abgusstechnik, weil sein Zellaufbau sehr unregelmäßig zerklüftet und die Porenweiten mehr als fünf Millimeter groß waren (⊡ Abb. 1.9). Der rostrotfarbige Kunstschwamm hingegen, den man in jedem Klassenzimmer oder zum Befeuchten von Briefmarken benutzte, war ein zellulärer Gummischwamm, aus Latex industriell hergestellt (⊡ Abb. 1.10). Dieser hatte eine immer wiederkehrende, gleiche Oberflächengüte ähnlich der natürlichen Spongiosa. In 18-monatiger Kleinarbeit wurden in einem zahntechnischen Labor die keramischen Abformmassen erprobt, mit denen es dann Anfang 1980 gelang, Gussstücke im Schleudergussverfahren unter Verwendung von Gummischwämmen herzustellen (s. auch Kap. 2.5). Die Vorstellung, dass der Gummischwamm die hochviskösen keramischen Einbettmassen wie Wasser in sein inneres Zellenlabyrinth aufnimmt, erfüllte sich nicht. Trotz unterschiedlichster Einbettversuche, wie mit gefrorenen Schwämmen oder durch Evakuieren, war die Oberfläche stets nur zerklüftet; besaß also ausschließlich trichterarti-
⊡ Abb. 1.8. Kieler Knochenspan
⊡ Abb. 1.9. Naturschwamm (1980)
⊡ Abb. 1.10. Kunstschwamm (1980)
9 Kapitel 1 · Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal®
ge Vertiefungen und keine inneren interkonnektierenden Verbindungen. Da mit diesem Schwammmaterial das gesteckte Ziel des räumlich offenen Metallgerüsts nicht zu realisieren war, mussten andere Wege beschritten werden. Schließlich fand sich bei der Firma Otto Bock Kunststoff (Duderstadt) in einem Polyurethan-(PUR-)Schwamm ein geeignetes Material. Dieser war in seiner Zellstruktur steuerbar, sodass man die Zellgrößen dieses Schaumschwammes vorherbestimmen konnte. Gewählt wurde der Schaumtyp 16 Pores per Inches (PPI, 1 Inch ≈ 2,5 cm). Diesem Schaumschwamm wurden dann in einem besonderen Verfahren nach Walz die Zellwände durch explosionsartige Druckwellen entfernt, wodurch ein PUR-Schaumgerüst im Sinne eines »retikulierten Filterschaums« zurück blieb. Dieser Filterschaum war die tragende Säule von »Spongiosa I« (⊡ Abb. 1.11). Die Stege dieses industriell hergestellten Schwammgerüsts waren jedoch bei der gewählten Maschenanzahl von 16 PPI zu dünn und ließen sich gusstechnisch nicht umsetzen. Die Suche nach flüssigen Materialien, mit denen man die feinen Stege des Filterschaums durch Tauchen oder Aufspritzen verstärken konnte, führten zu einer kleinen Wachsfabrik in der Nähe von Hamburg. Dort wurden Wachse für die Pharmaindustrie hergestellt, und dieses Wachs wurde der Verstärkungswerkstoff für das nächste Jahrzehnt. Im Frühjahr 1981 konnte den wissenschaftlichen Partnern Henßge und Hanslik erstmalig metallische Blöcke mit der geforderten offenen 3-D-Raumstruktur mit Maschenweiten von 0,3 bis 2,5 mm präsentiert werden (⊡ Abb. 1.12). Die gegossenen Metallspongiosa-Implantate wurden schließlich im Tiermodell untersucht [21].
⊡ Abb. 1.11. Spongiosa Metal® I nach Grundei (1981)
Integrationsmodell am Schaf Die von Grundei hergestellten metallspongiösen Implantatwürfel mit einer Kantenlänge von 10–12 mm wurden in einen operativ gesetzten Defekt in das Iliosakralgelenk von 12 gesunden Mutterschafen im Alter von 1–3 Jahren implantiert, wobei 2 Tiere unmittlebar nach dem Eingriff verstarben [21]. Röntgenuntersuchungen erfolgten unmittelbar nach dem Eingriff und vor der Opferung der Tiere 181 Tage postoperativ. Weitere Röntgenaufnahmen, makroskopische Aufnahmen und histologische Untersuchungen wurden vom Operationspräparat gefertigt (⊡ Abb. 1.13). Alle zehn metallspongiösen Implantate wurden in den 181 Tagen knöchern umwachsen und integriert, sodass
⊡ Abb. 1.12. Metallische Blöcke Spongiosa Metal® I (1981)
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ein fester Sitz der Implantate mit Arthrodeseeffekt der Iliosakralgelenke herbeigeführt wurde. Histologisch bestätigte sich die knöcherne Integration der metallspongiösen Implantate. So zeigte sich nicht nur ein Heranwachsen des Knochens an das Implantat (⊡ Abb. 1.14a), sondern ein Hindurchwachsen in das Innere der spongiösen Metallblöcke (⊡ Abb. 1.14b und 1.14c). Bei fünf der zehn Präparate konnte sogar im Zentrum der Implantate mineralisierter Knochen nachgewiesen werden. Diese ermutigenden Ergebnisse der Implantatintegration am Großtiermodell des Schafes konnten eine Anwendung am Menschen für bestimmte Osteosyntheseprobleme und für die Oberflächengestaltung von Gelenkimplantaten rechtfertigen und führten zur Herstellung gegossener Metallspongiosa-Implantate für die Humanmedizin [22]. Im Mai 1982 wurde von Henßge die erste Hüfttotalendoprothese mit metallspongiöser Oberfläche zementfrei implantiert. Im weiteren Verlauf folgten 1982 die erste zementfreie Knieendoprothese (GT-Gleitachsendoprothese) sowie weitere Produkte zur Versorgung gelenkendoprothetischer Indikationen. Mit der zuvor beschriebenen Oberflächenstruktur »Spongiosa Metal I« ergaben sich bei kleinen Stielgrößen durch die begrenzte Bauteilfestigkeit technische Limitationen. Ebenso war die Implantatentwicklung kleiner Gelenke, wie z. B. Fingergelenke, eingeschränkt. Auch ermöglichte diese Technologie nur eine ungenügende Reproduzierbarkeit. Hieran anknüpfend wurde die weitere Entwicklung forciert und mit der Realisierung von Einzelelementen, den so genannten Tripoden, die zur Belegung eines Grundsubstrats eingesetzt wurden, verbessert. Diese Tripoden ermöglichen es heute, definierte Strukturhöhen zwischen 0,65 und 3 mm zu gestalten und dabei einen offenen Raum von 60–70% zu realisieren (⊡ Abb. 1.15). Dabei kann in absoluter Reproduzierbarkeit die hervorragende Offenmaschigkeit gezielt nach den Erfordernissen des gewünschten KnochenimplantatInterface umgesetzt werden [23]. Die so produzierte aggressive und raue Oberfläche der ESKA-Endoprothese verzahnt sich beim Einsetzen mit dem Knochen und gewährleistet optimale Bedingungen für die Primärstabilität. Im weiteren Verlauf wird die dreidimensionale, interkonnektierende, offenmaschige Oberflächenstruktur schnell und vollständig von Knochen durchwachsen. Biomechanische Untersuchungen haben gezeigt, dass durch den konzeptionellen Aufbau von massivem Kern
⊡ Abb. 1.13. Beispiele von Operationspräparaten (1981): makroskopische Darstellung der ISG-Verblockung und radiologische Kontrolle
11 Kapitel 1 · Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal®
a
c
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d
⊡ Abb. 1.14. Histologischer Nachweis: Präparat aus dem Randgebiet des Implantates, Vergrößerung 60fach (Implantat: schwarz, kalzifizier-
ter Knochen: rot/violett, Osteoid: blau). Voller Kontakt zwischen Metall und Knochen mit hyperostotischer Verdichtung
mit offenmaschiger Oberflächenstruktur eine Elastizität erzielt wird, die mit der des menschlichen Knochens vergleichbar ist. Hieraus ergeben sich beste Voraussetzungen für eine isoelastische Integration der Endoprothese im knöchernen Lager. Anwendungsbeispiele (⊡ Abb. 1.16): ▬ Gelenkersatz am oberen Bewegungsapparat – Fingergelenk – Schultergelenk ▬ Gelenkersatz am unteren Bewegungsapparat – Hüftgelenk – Kniegelenk – Sprunggelenk – Zehengelenk ▬ Gelenkersatz an der Wirbelsäule
⊡ Abb. 1.15. Spongiosa Metal® II nach Grundei (1990)
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⊡ Abb. 1.16. Anwendungsbeispiele
Oberflächenveredelung
Durch die Beschichtung des Implantats mit Hydroxylapatit ergibt sich das Potential einer biologischen Wechselwirkung zwischen Knochen und Implantat. Es entsteht eine biologisch, chemische und stoffschlüssige Verbindung [24].
Punkt der Produktphilosophie ist die Absicht, die natürlichen und anatomischen Gegebenheiten zu rekonstruieren sowie die Langzeitverankerung durch zementlose knöcherne Integration zu gewährleisten. Heute wird diese Methode mit dem Begriff Bionik beschrieben [25]. Bionik ist dabei die systematische Beobachtung und Untersuchung der Problemlösungen der Natur im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit auf menschliche Technik und Materialien.
Titan-Niob-Metallschicht
Literatur
Hydroxylapatit
Die Biokompatibilität des Werkstoffes wird durch Veredelung an der knochenseitigen Oberfläche verbessert.
Ausblick Forschung und Entwicklung werden mit höchstem Engagement fortgeführt, um innovativ modernste Produkte zum Gelenkersatz zu entwickeln und so die Lebensqualität des betroffenen Patienten zu verbessern. Zentraler
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13 Kapitel 1 · Geschichtliche Entwicklung der Endoprothetik und der Fixation durch Spongiosa-Metal®
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II
Teil II
Experimentelle Grundlagen
Kapitel 2
Grundlagen – 16
Kapitel 2.1
Biomechanische Grundlagen der Implantatverankerung – 16 E. Steinhauser
Kapitel 2.2
Biologische und physiologische Grundlagen – 24 G. Schmidmaier, B. Wildemann
Kapitel 2.3
Tierexperimentelle Untersuchungen – 30 R. Ascherl, W. Erhardt, S. Kerschbaumer, M.L. Schmeller, R. Gradinger
Kapitel 2.4
Histologische Untersuchungen von Implantaten – 38 S. Kerschbaumer
Kapitel 2.5
Metallurgische Grundlagen für die gusstechnische Herstellung einer räumlichen Oberflächenstruktur – 46 K. Klingbeil
Kapitel 3
Oberflächenbeschichtung – 53
Kapitel 3.1
Beschichtungen auf Implantaten – 53 D. Repenning
Kapitel 3.2
Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtung – 62 H. Gollwitzer, L. Gerdesmeyer
Kapitel 3.3
Bioaktive Oberflächenbeschichtung – 69 G. Schmidmaier, B. Wildemann
Kapitel 4
Metallimplantatallergie – 75 P. Thomas, B. Summer
2.1 Grundlagen Biomechanische Grundlagen der Implantatverankerung E. Steinhauser
Zusammenfassung Die mechanisch stabile und dauerhafte Verankerung ist eine notwendige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit eines künstlichen Gelenkersatzes. Bei der zementfreien Verankerungstechnik sind Formgebung und Oberflächenstrukturierung der Implantate von entscheidender Bedeutung für deren primäre und sekundäre Stabilität. Mittels biomechanischer Untersuchungen konnten die Grenzen der vom Knochen tolerierbaren Relativbewegungen in der Grenzschicht zum Implantat sowie für poröse Oberflächenstrukturierungen die optimalen Bereiche für Porengröße und Porosität ermittelt werden. Gegenwärtig wird mittels der gezielten Funktionalisierung von Implantatoberflächen angestrebt, eine möglichst frühzeitige ossäre Integration zu erreichen.
Einleitung Bei Implantaten unterscheidet das Medizinproduktegesetz zwischen Kurz- und Langzeitimplantaten. Kurzzeitimplantate verbleiben definitionsgemäß bis zu maximal 30 Tagen im Körper des Patienten, bei darüber hinausgehenden Verweildauern wird von Langezeitimplantaten gesprochen. Diese Aufteilung bewirkt, dass die meisten orthopädischen Implantate wie die Gelenkendoprothesen als Langzeitimplantate betrachtet werden, da diese über viele Jahre – im Idealfall bis zum Ableben eines endoprothetisch versorgten Patienten – ihre Funktion erfüllen sollen. Die biomechanischen Grundlagen der dauerhaften Implan-
tatverankerung sollen im folgenden Kapitel am Beispiel der Hüftgelenksendoprothetik erörtert werden, da die bei künstlichen Gelenken vorliegenden komplexen Vorgänge meist auf einfachere Implantate übertragbar sind. Zu den wichtigsten Anforderungen eines Implantats gehört neben dessen Biofunktionsfähigkeit auch die Bioverträglichkeit der verwendeten Werkstoffe bzw. von deren Abrieb- und Korrosionsprodukten. Die Lebensdauer einer Totalendoprothese wird hauptsächlich von deren Verschleißbeständigkeit sowie den geweblichen Vorgängen im Implantatlager bestimmt. Andere Faktoren, wie z. B. Infektionen, Luxationen, Implantatbrüche oder periprothetische Frakturen, treten in weit geringeren prozentualen Anteilen wie die sog. aseptische Implantatlockerung auf [1], die auf den biologischen Reaktionen auf unweigerlich anfallende Abriebprodukte und den postoperativen Belastungsverhältnissen im Knochenlager beruht. Die Implantation einer Endoprothese führt zu einer geänderten mechanischen Beanspruchungssituation des periprothetischen Knochens, da der Lastfluss über das Implantat zu einer Entlastung des Knochens (»stress shielding«) führt. Andererseits können jedoch auch lokale Spannungskonzentrationen zu einer erhöhten Belastung des Knochenlagers führen. Zu große Abweichungen vom natürlichen Belastungsmuster – sowohl eine Mehr- als auch eine durch »stress shielding« bedingte Minderbeanspruchung – führen zu einem resorptiven Knochenumbau mit dem Risiko einer konsekutiven aseptischen Implantatlockerung. Prinzipiell stehen zwei verschiedene Arten für die Verankerung einer Gelenkendoprothese im Knochen zur Verfügung. Zum einen die von Sir John Charnley etablierte Verwendung von Knochenzement, zum anderen
17 Kapitel 2.1 · Grundlagen: Biomechanische Grundlagen der Implantatverankerung
die zementfreie Verankerung mit direktem Kontakt des Implantats zu dessen knöchernem Lager. Die Entscheidung, ob eine Endoprothese zementiert oder zementfrei implantiert werden soll, wird in der Regel in Abhängigkeit von vielen Faktoren, wie z. B. der Beschaffenheit und mechanischen Belastbarkeit des Knochenlagers, dem Alter und Aktivitätsgrad des Patienten, der Schwierigkeit und Dauer des operativen Eingriffs etc., abhängig gemacht. Die Fixation ohne Verwendung von Knochenzement wird favorisiert, wenn die Erhaltung bzw. Neogenese von Knochen gegenüber einer sofortigen Vollbelastbarkeit des Implantates im Vordergrund steht.
Zementfreie Verankerungstechniken der Hüftendoprothetik Für alle zementfreien Implantate ist eine primär stabile Fixation notwendige Voraussetzung. Die Ausschaltung von Relativbewegungen im Interface im Sinne einer mechanisch stabilen Primärverankerung ist die wesentliche Bedingung für ein knöchernes Einwachsen zementfreier Implantate. Die sekundäre Integration soll bei zementfreien Implantaten schließlich möglichst knöchern erfolgen und damit eine dauerhafte stabile Verankerung garantieren. Neben dem eingesetzten Implantatmaterial sind diesbezüglich v. a. die Oberflächenstruktur als auch das Implantat-Design wesentlich.
Oberflächenstrukturierung Raugestrahlte Oberfläche vs. Oberflächenstrukturierung Strukturierte Oberflächen von Endoprothesen sind neben deren äußerer formgebender Gestalt ein wichtiger Bestandteil, um eine dauerhafte knöcherne Integration zu erreichen. Als technische Verfahren zur Erzeugung strukturierter Oberflächen sind bei den Endoprothesen das Raustrahlen mit Korundpartikeln, Gießen, Plasmaspritzen, Sintern (Aufsintern von kleinen Kugeln oder Drähten) und Diffusionsschweißen zu nennen. Die Erzeugung strukturierter Oberflächen durch eine Laserbearbeitung ist zurzeit noch als experimentell anzusehen. Alle Oberflächenstrukturen können auf Grund der von ihnen ausgehenden Kerbwirkungen sowie eventuell beim Herstellvorgang auftretender thermisch induzierter
2.1
Gefügebeeinflussungen des Implantatgrundkörpers dessen Dauerfestigkeit senken. Die Sinter- und Diffusionsschweißverfahren beeinflussen durch Temperaturen, die knapp unterhalb des Schmelzpunktes des Grundwerkstoffs liegen, dessen metallographisches Gefüge stärker als das Partikelstrahlen, Gießen oder Plasmaspritzen [2]. Durch Raustrahlen können im Gegensatz zu den anderen genannten Fertigungsverfahren keine porösen Strukturen erzeugt werden. Implantate mit einer raugestrahlten Oberfläche bedürfen daher einer geometrischen Formgebung, die eine stabile, auf einem Pressfit- bzw. Verklemmungsprinzip beruhende Fixation gewährleistet. Neuere Untersuchungen zeigten, dass die mit hoher Geschwindigkeit auf die Implantatoberfläche geschossenen Strahlpartikel teilweise auf der Implantatoberfläche trotz obligatorisch nachfolgender Reinigungsvorgänge verbleiben können [3, 4]. Wenn diese äußerst harten Korundpartikel in vivo in die künstlichen Gelenkflächen gelangen, kann es durch den einsetzenden Dreikörperverschleiß zu einer erhöhten Freisetzung von schädlichen Abriebpartikeln mit konsekutiver Implantatlockerung kommen.
Porengröße und Relativbewegung in der Grenzfläche Implantatknochen Für eine dauerhafte zementfreie Verankerung eines Implantats im Knochen, die sog. Sekundärstabilität, sind neben der Oberflächenstruktur mehrere weitere Bedingungen ausschlaggebend: Unmittelbar nach der Implantation dürfen an der Grenzfläche zwischen Implantat und Knochen nur kleine Relativbewegungen auftreten. In einer tierexperimentellen Studie an Hunden wurde von Pilliar et al. schon früh gezeigt, dass Relativbewegungen über 150 µm die Bildung von Bindegewebe in der Grenzfläche nach sich ziehen [5]. Pilliar et al. untersuchten im gleichen Prüfmodell Relativbewegungen < 28 µm und fanden hierbei direktes Knocheneinwachsen vor [5]. Eine andere Arbeitsgruppe erbrachte ebenfalls unter Verwendung eines Tiermodells den Nachweis, dass es bereits bei Bewegungen in einer Größenordnung von 75 µm zur Ausbildung von Bindegewebe zwischen Implantat und Knochen kommt [6]. Um eine größtmöglich Primärstabilität – z.B. bei einem Hüftstiel – mit möglichst kleinen Mikrobewegungen hin zum Knochenlager zu erzielen, kann das Implantat entweder über einen Verklemmungsmechanismus (meist bei Implantaten mit gestrahlter Oberfläche) oder eine regelrechte Verzah-
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2
Teil II · Experimentelle Grundlagen
nung (meist bei anatomisch geformten Stielen mit poröser Oberflächenstrukturierung) initial eingebracht werden. Implantate mit einer porösen Oberfläche müssen über eine Porengröße verfügen, die gut vom Knochen zu erschließen ist. Bereits in den 1970er Jahren wurden von verschiedenen Forschergruppen tierexperimentelle Studien zur Ermittlung der optimalen Porengröße in Hinblick auf ein rasches knöchernes Einwachsen und eine hohe mechanische Festigkeit der Grenzschicht durchgeführt [7, 8]. Bobyn et al. untersuchten 1980 in einer Studie an Hunden systematisch den Einfluss der Porengröße auf die Scherfestigkeit und das Einwachsverhalten an Implantaten aus einer Kobaltbasislegierung. Die verwendeten Implantate wiesen Porengrößen von 20–50 µm, 50–200 µm, 200–400 µm und 400–800 µm auf, die Porosität lag zwischen 30 und 35% und wurde durch pulvermetallurgisch aufgebrachte Kugelstrukturen erzielt. Für die Porengrößen zwischen 50 und 400 µm wurden die höchsten Scherfestigkeiten, die in einem Bereich von 17 MPa lagen, nach einer Einheilungszeit von 8 Wochen ermittelt [9]. Von verschiedenen Forschergruppen wurden Aussagen zur Mindestporosität poröser Implantatoberflächen publiziert, die in einem Bereich von 20–40% liegen. Es ist jedoch zu beachten, dass nicht allein die Parameter Porengröße und Porosität für die Implantatverankerung von Bedeutung sind, sondern insbesondere die Erschließbarkeit der Hohlräume für knöcherne und vaskuläre Strukturen [10]. Die Arbeitsgruppe um Gradinger und Mittelmeier schlug demzufolge eine Einteilung von Oberflächenstrukturen in ▬ makrostrukturierte Oberflächen, z. B. Waben, Lamellen, Stufen, Rippen mit Strukturgrößen > 2000 µm, ▬ mesostrukturierte Oberflächen, z. B. Kugeln, Netze, Gitter, trabekuläre Strukturen mit Öffnungen zwischen 100 und 2000 µm und ▬ mikrostrukturierte Oberflächen, z. B. gestrahlte Oberflächen oder mittels Plasmabeschichtung aufgebrachte Strukturen mit Erhebungen/Öffnungen < 100 µm vor [10]. Um die Interposition von Bindegewebe zwischen Knochen und Implantat zu verhindern, sollte unmittelbar postoperativ ein direkter und möglichst vollständiger Grenzflächenkontakt zwischen Implantat und Knochenlager in den für die Lastübertragung wichtigen Regionen bestehen. Zudem kann eine frühe Zellbesiedelung und knöcherne Integration von Implantaten das Risiko der Implantatinfektion vermindern [11]. Die Erzielung einer möglichst frühzeitigen knöchernen Integration bei zementfrei eingebrachten Endoprothesen liegt gegenwärtig im Zen-
trum der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Durch die gezielte Funktionalisierung der Implantatoberflächen verspricht man sich, unter Beibehaltung der bewährten metallischen Grundwerkstoffe, bestimmte biologische implantatassoziierte Aspekte gezielt verbessern zu können. Diese Aspekte können sowohl auf eine verbesserte bzw. beschleunigte knöcherne Integration der Implantate durch eine Beschichtung mit Hydroxylapatit, Wachstumsfaktoren (BMP-2 oder BMP-7) oder RGD-Peptiden ausgerichtet sein [12–14], als auch den Schutz der Implantate vor einer Besiedelung mit Bakterien betreffen [15].
Implantat-Design Neben der Oberfläche und dem damit einhergehenden Prinzip des Knochenan- bzw. -einwachsens spielt die Gestalt eines Implantats eine wichtige Rolle für dessen primäre und sekundäre Verankerung. Bei den Hüftstielen lassen sich drei verschiedene Gestaltkonzepte von einander abgrenzen, im Einzelnen der so genannte Geradschaft, anatomisch und somit meist in einer Links-Rechts-Variante geformte Stiele sowie individuell für den Patienten angefertigte Prothesenstiele. In der Anfangszeit der zementfreien Hüftendoprothetik waren Stiele mit poröser Oberflächenstrukturierung über ihre volle Länge mit der jeweiligen Struktur versehen. Nachdem verschiedene klinische Studien bei diesen vollstrukturierten Implantaten über ausgeprägte Oberschenkelschmerzen der Patienten berichteten [16] und seitens der Biomechanik das bei diesen Stielen stark ausgebildete »stress shielding« im proximalen Implantatlager erkannt wurde, begann die Entwicklung teilstrukturierter Implantate. Ziel dieser im proximalen Bereich strukturierten Stiele war die Reduzierung der distalen Kraftübertragung bei gleichzeitiger Erhöhung der proximalen Lastübertragung, um die Umbauvorgänge des Knochens besser steuern zu können. Bezüglich des optimalen Orts für die Verankerung eines Hüftstiels gibt es neben der proximalen Verankerung, die sich hauptsächlich auf die Metaphyse des Femurs bezieht und bei der Mehrzahl heutiger Hüftstiele angewandt wird, auch die distal betonte Verankerung, die z. B. beim von Prof. Zweymüller entwickelten Geradschaft seit Jahrzehnten klinisch erfolgreich verfolgt wird. Eine Sonderform der Implantatverankerung stellt die epimetaphysäre Fixation dar, deren bekanntestes Anwendungsbeispiel die bereits 1976 entwickelte Druckscheibenprothese
19 Kapitel 2.1 · Grundlagen: Biomechanische Grundlagen der Implantatverankerung
nach Huggler und Jacob darstellt. Vor einigen Jahren hat eine auffallende Entwicklung von Schenkelhals- und Kurzstielendoprothesen eingesetzt, da man bei diesen Implantaten zum einen knochensparende Primäreingriffe bei weitgehend physiologischer Lastübertragung, zum anderen für den Fall eines Revisionseingriffs eine leichte Entfernbarkeit dieser Implantate bei noch erhaltenem meta- und diaphysärem Knochenlager erwartet. Für die Verankerung der Pfannenkomponente gelten grundsätzlich die gleichen Randbedingungen wie für Stiele. Grundvoraussetzung für eine dauerhafte ossäre Integration ist eine hohe Primärstabilität des Implantats, die bei den Pfannen oftmals durch eine zusätzliche Verankerung mit Knochenschrauben im Os ilium ausgeführt sein kann. Im Wesentlichen gibt es drei verschiedene Konzepte zur Pfannenfixation, man unterscheidet zwischen Pressfit-Pfannen, Schraub- und Spreizpfannen. Während Schraub- und Spreizpfannen zumeist über eine raugestrahlte oder plasmabeschichtete Oberfläche verfügen (bei Schraubpfannen wäre bei einer porösen Oberfläche das Eindrehmoment zu groß, Spreizpfannen sind sehr dünnwandig und nicht für raumfordernde poröse Strukturen geeignet), sind bei den Pressfit-Pfannen auch offenporige Oberflächen möglich. Die Unterschiede zwischen diesen drei Fixationsprinzipien liegen neben der langfristig erzielbaren, knöchernen Integration der Pfannengehäuse in der intraoperativen Handhabung sowie der Positionier- und Korrigierbarkeit.
2.1
möglich, andere als unmittelbar postoperative Situationen zu untersuchen, da z. B. implantationsbedingte knöcherne Umbaureaktionen erst im Laufe von Wochen über Monate bis zu mehreren Jahren eintreten bzw. ablaufen. In Zusammenhang mit der ossären Integration von Implantaten sind verschiedene Untersuchungsaspekte zu nennen: 1. Ermittlung der Primärstabilität eines Implantats, 2. Erfassung der Lastübertragung vom Implantat auf dessen knöchernes Lager, 3. Bestimmung der mechanischen Festigkeit von Oberflächenstrukturierungen und -beschichtungen. Keines der Prüfverfahren zur Untersuchung der genannten Fragestellungen ist geeignet, eine Standardisierung in Form einer normierten Prüfung – z. B. nach ISO, DIN oder ASTM – zu erlangen. Dies liegt daran, dass diese Testmethoden trotz vieler zu treffender Vereinfachungen hinsichtlich der realen Verhältnisse noch über eine Vielzahl freier Randbedingungen verfügen. So kann es z. B. bei einer Untersuchung angezeigt sein, humanes Knochenmaterial für die Ermittlung der Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochen zu verwenden – und hierbei die große inter- und intraindividuelle Streuung zugunsten eines möglichst realen Knochenlagers in Kauf zu nehmen – und bei einer anderen vergleichenden Untersuchung verschiedener Implantatsysteme diese an standardisierten Knochen aus Kunststoff durchzuführen.
Biomechanische Prüfverfahren Ermittlung der Primärstabilität eines Implantats In Hinblick auf eine realitätsnahe Testung von Implantaten wurden biomechanische Prüfverfahren entwickelt, die eine Vorhersage des klinischen Erfolgs bzw. eine Risikoabschätzung von Neuentwicklungen erlauben sollten. Basierend auf den Ergebnissen klinischer Verlaufskontrollen, röntgenologischer Untersuchungen und Schadensanalysen wurden verschiedene Testmethoden etabliert. Diese Prüfmethoden können hochspezifische Fragestellungen untersuchen, jedoch nicht allumfassend alle Parameter, die für den klinischen Erfolg eines Implantatsystems verantwortlich sind, mittels einer einzigen Prüfung analysieren. Darüber hinaus müssen bei diesen Prüfungen starke Vereinfachungen, z. B. hinsichtlich der Simulation von Muskel- und Gelenkkräften, angesetzt werden, da die komplexen anatomischen Gegebenheiten nicht nachgebildet werden können. Diese Aussage trifft sowohl für experimentelle als auch für mathematische Modellierungen zu. Es ist auch nicht
Die Primärstabilität eines Implantats kann auf verschiedene Arten quantifiziert werden (s. auch Kap. 6.2.5). Zum einen kann die belastungsabhängige Relativbewegung zwischen Implantat und dessen Knochenlager als Maß für die Implantatstabilität ermittelt werden. Hierbei ist zwischen den reversiblen Micromotions und Setzbewegungen des Implantats zu differenzieren. In der Regel kann mit den Micromotion-Messungen erst nach einer zyklischen Vorbelastung der Implantate (bis zur Eliminierung der Setzvorgänge) begonnen werden. Zum anderen können die Kräfte und/oder Drehmomente, die zum Einbringen bzw. Entfernen des Implantats aus seinem Lager erforderlich sind, beurteilt werden. Derartige Prüfverfahren werden typischerweise zur Ermittlung der Primärfestigkeit von künstlichen Hüftpfannen eingesetzt.
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Teil II · Experimentelle Grundlagen
Micromotion-Messung
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In der Literatur finden sich experimentelle und theoretische (Finite-Elemente-)Studien zur Ermittlung der Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochen. Hierbei wurde primär der Einfluss der Implantatform, Oberfläche und Verankerungstechnik bestimmt, dies sowohl für Hüftstiele als auch für Pfannen. Rechnersimulationen erlauben ein breites Spektrum an Variationen der o. g. Implantatparameter, bedürfen jedoch wegen der zu treffenden Vereinfachungen bezüglich des Knochenaufbaus und nicht exakt bekannter mechanischer Kennwerte stets einer Validierung mit experimentell gewonnenen Ergebnissen [17]. Auch experimentelle Untersuchungen sind nur unter großen Einschränkungen hinsichtlich der Realitätsnähe möglich. Die in der Literatur publizierten Studien unterscheiden sich in vielen Punkten, dies betrifft sowohl Richtung und Betrag der aufgebrachten Belastung, Art und Lage der Messaufnehmer, Art des Knochenmodells etc. Heutzutage ist bekannt, dass Bewegungen mit einer großen axial-rotatorischen Belastungskomponente, wie z. B. das Treppensteigen, eine kritische Belastungsform darstellen [17, 18]. Die am Femur angreifenden Muskelkräfte haben einen großen Einfluss auf das Messergebnis, viele Studien wurden jedoch ohne eine Simulation muskulärer Kräfte durchgeführt. ⊡ Abbildung 2.1 zeigt am Beispiel eines humanen Knochenmodells die Ermittlung der proximalen Relativbewegungen, indem mittels linearer Wegaufnehmer die dreidimensionale Bewegung des Implantats in Bezug zur Oberfläche des Femurs aufgezeichnet wird. Da eine Starrkörperbetrachtung des Implantats wegen dessen Flexibilität nicht ausreichend genau wäre, muss dieselbe Messung unter identischer Belastung an mehreren Orten, z. B. dem distalen Ende des Hüftstiels, durchgeführt werden. Exemplarisch ist in ⊡ Abb. 2.2 der Betrag der axialen und transversalen Relativbewegungen für den Einbeinstand des in ⊡ Abb. 2.1 gezeigten Implantats an dessen proximalen und distalen Messpunkten dargestellt.
⊡ Abb. 2.1. Ermittlung der Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochenlager an einem Leichenknochen [17]
Eindreh-, Ausdreh-, Auszieh- und Kippversuche an Hüftpfannen Zur Ermittlung der Primärfestigkeit von künstlichen Hüftpfannen werden neben Micromotion-Messungen auch Ausdreh- und Kippversuche eingesetzt. Für Micromotion-Messungen gelten die Gesetzmäßigkeiten, die im vorangegangenen Abschnitt am Beispiel der Hüftstiele
⊡ Abb. 2.2. Graphische Darstellung der proximalen und distalen Mikrobewegungen (angegeben in mm) bei einer Hüftgelenkkraft von 1000 N für das in ⊡ Abb. 2.1 gezeigte Experiment
21 Kapitel 2.1 · Grundlagen: Biomechanische Grundlagen der Implantatverankerung
erläutert wurden. Mit Ausdrehversuchen kann das rotatorische Lösemoment und hieraus die Scherfestigkeit der Grenzfläche zwischen Pfanne und Knochenlager ermittelt werden. Eindreh-, Auszieh- und Auskippversuche an Pfannen sind weitere etablierte Prüfverfahren zur Ermittlung der initialen Implantatstabilität [19, 20]. Insbesondere bei Schraubpfannen hängt die primäre Stabilität vom Eindrehmoment und der Form des Pfannengehäuses bzw. Gewindes ab. Bei Eindreh- und Auskippversuchen können anhand der Drehmoment-Drehwinkel-Diagramme wichtige Aussagen und quantitative Beurteilungen der biomechanischen Eigenschaften gewonnen werden. Neben den Aussagen zur Primärstabilität der Implantate liefern diese Prüfverfahren weitere wichtige biomechanische Kenngrößen. So sollte z. B. das Eindrehmoment nicht zu groß sein, da hierunter die Positioniergenauigkeit der Pfanne leidet. Da ein Überdrehen der Pfanne auf jeden Fall vermieden werden muss, ist die Erkennbarkeit des Aufsetzpunktes der Pfanne sowie die Überdrehsicherheit bzw. -reserve ein weiterer wichtiger biomechanischer Parameter in Hinblick auf die intraoperative Handhabung des Implantats [19].
2.1
nischen Spannung, dem Maß für die Beanspruchung des Knochens, verknüpft. Theoretische Verfahren (Finite-Element-Methode, FEM) erlauben ebenfalls eine Analyse der Lastübertragung, bedürfen jedoch einer experimentellen Validierung. Die DMS-Technik ermöglicht hochpräzise Messungen; allerdings sind diese auf Orte entsprechend der Ausdehnung der Dehnmessstreifen (DMS) begrenzt. Würde man sehr große Dehnmessstreifen verwenden, führte dies zu einer Mittelung der Messwerte der vom DMS überspannten Areale, womit ein Verlust an Messgenauigkeit einherginge (⊡ Abb. 2.3). Die Spannungsoptik, Thermographie und FEM erlauben eine Übersichtsbeurteilung ganzer Flächenareale, im Vergleich zur DMS-Technik verfügen Spannungsoptik und Thermographie jedoch über eine geringere Genauigkeit.
Erfassung der Lastübertragung vom Implantat auf dessen knöchernes Lager Durch die Implantation einer Endoprothese ändert sich unvermeidbar die mechanische Beanspruchung des Knochenlagers. Große Abweichungen vom physiologischen Belastungsmuster – sowohl Mehr- als auch Minderbelastung – führen zu resorptivem Knochenremodelling mit der Gefahr einer aseptischen Implantatlockerung. Ziel der Implantatfixation sollte daher eine möglichst physiologische Lastübertragung auf das Knochenlager sein. Messverfahren, mittels derer die Lastübertragung analysiert werden kann, erlauben durch einen Vergleich mit dem Zustand des noch nicht endoprothetisch versorgten Knochens eine Abschätzung der postoperativen ossären Umbauvorgänge. Die experimentell ermittelbare Messgröße ist die mechanische Dehnung des Knochens, die an dessen äußerer Oberfläche mittels Dehnungsmessstreifentechnik, der Thermographie (Messung der durch die mechanische Belastung entstehenden Wärmeströme) oder des Photostressverfahrens, d. h. einer spannungsoptischen Beschichtung, gemessen werden kann. Die Dehnung ist über das Materialgesetz eindeutig mit der mecha-
⊡ Abb. 2.3. Betrachtung eines spannungsoptisch beschichteten Kunststofffemurs durch ein Polariskop. Hierbei werden die Dehnungen der Femuroberfläche farblich dargestellt
22
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Bestimmung der mechanischen Festigkeit von Oberflächenstrukturierungen und -beschichtungen
2 Bereits beim Einbringen von Endoprothesen, aber auch im Rahmen der späteren dauerhaften Belastung kommt es zu hohen mechanischen Belastungen in der Grenzfläche respektive an der Implantatoberfläche. Diese Belastungen können dazu führen, dass sich Beschichtungen ganz oder teilweise vom Grundkörper des Implantats lösen oder Elemente der Oberflächenstrukturierung ausbrechen. Callaghan et al. untersuchten 50 totale Hüftendoprothesen mit einer porösen Kugelbeschichtung und fanden in 18% der Fälle abgelöste Kugeln im Bereich der Pfanne und in 24% lose Kugeln im Bereich des Femurstiels [21]. Übliche Testverfahren beruhen auf Messungen der Haftfestigkeit von Beschichtungen, Ausreißversuchen eingebetteter oder eingewachsener Implantate oder Probekörper mit strukturierter Oberfläche, Finite-Elemente-Berechnungen oder Scherversuchen. Mittelmeier und Mitarbeiter konzipierten eine »einfache und reproduzierbare Methodik«, die die mechanische Festigkeitsprüfung von Strukturelementen ermöglicht [10, 22]. An speziell gefertigten Probekörpern mit einzelnen Strukturelementen, aber auch an beschichteten Implantatkomponenten wird hierbei mittels eines gehärteten Stempels die Scherfestigkeit der Oberflächenstruktur ermittelt (⊡ Abb. 2.4).
⊡ Abb. 2.4. Scherversuch an einer Einzelstruktur einer trabekulären Implantatoberfläche
Diese Prüfmethodik lässt sich nicht nur unter quasistatischen Belastungsbedingungen anwenden, sondern erlaubt auch eine dynamische Prüfung der Oberflächenstrukturen. Allerdings besteht bei diesem Prüfverfahren eine Limitation bezüglich einer Mindestbauhöhe der Strukturen von ca. 1 mm, und auch sehr grobe bzw. großflächige Makrostrukturen sind für eine derartige Testung nicht zugänglich.
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23 Kapitel 2.1 · Grundlagen: Biomechanische Grundlagen der Implantatverankerung
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2.1
2.2 Grundlagen Biologische und physiologische Grundlagen G. Schmidmaier, B. Wildemann
Zusammenfassung Ein wichtiger Aspekt bei der Implantologie ist die dauerhafte dreidimensionale Verankerung eines Biomaterials im endostalen Bereich eines Knochens. Da der Knochen kein uniformes Gewebe darstellt und sich die Verankerungseigenschaften in den verschiedenen Bereichen deutlich unterscheiden, ist das Wissen über die Makro- und Mikroarchitektur des Knochens eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration von Implantaten. Das Verständnis über die zugrunde liegenden zellulären Mechanismen und interzellulären Wechselwirkungen ist notwendig für die Weiterentwicklung von Implantatsystemen und soll im Folgenden erläutert werden.
Knochenstruktur Makrostrukturell lassen sich folgende Strukturen langer Röhrenknochen unterscheiden: die Substantia compacta, die die Markhöhle der Röhrenknochen umgibt, die Substantia corticalis, die die Oberfläche der Epiphyse bildet, die Substantia spongiosa, die sich im Knocheninneren befindet und die Medulla ossium, der Markkanal. Der Knochen ist außen von Periost (mit Ausnahme der Gelenkflächen) und innen von Endost überzogen. Die Struktur des kompakten Knochens ist durch eine Lamellenstruktur gekennzeichnet. Diese wird aus Osteonen mit zentral liegendem Haversschen Kanal gebildet, die in radiärer Orientierung durch Volkmannsche Kanäle verbunden sind.
Der gesunde Knochen ist kein statisches Gewebe, sondern unterliegt dem ständigen Auf- und Abbau durch ein gerichtetes Zusammenspiel von knochenaufbauenden und -abbauenden Zellen [1] (⊡ Abb. 2.5). Frost beschrieb 1966 den zeitlichen und anatomischen Zusammenhang zwischen Knochenresorption und -formation und nannte diese funktionelle Einheit »basic metabolic unit« (später auf »basic multicellular units« umbenannt, BMU) [2].
Zellen des Knochens Der Knochen ist aus folgenden vier verschiedenen Zelltypen zusammengesetzt [3]: »bone lining cells«, Osteoblasten, Osteozyten und Osteoklasten. »Bone lining cells«, Osteoblasten und Osteozyten stammen von lokalen Osteoprogenitorzellen mesenchymaler Herkunft ab: ▬ »Bone lining cells« sind flache, inaktive Zellen, die auf der äußeren und inneren Knochenoberfläche und in den Havers-Kanälen liegen. Lichtmikroskopisch stellen sich diese spindelförmig dar, besitzen nur wenig raues endoplasmatisches Retikulum und einen wenig ausgeprägten Golgi-Komplex. ▬ Bei den Osteoblasten handelt es sich um Zellen, die Bestandteile der Knochengrundsubstanz (Kollagen, Proteoglykane, Glykoproteine) synthetisieren und deren Mineralisation regulieren. Sie befinden sich an der Oberfläche der Knochenbälkchen, liegen dort vergleichbar mit einem einschichtigen »Epithel« zusammen und stehen über feine zytoplasmatische Fortsätze
2.2
25 Kapitel 2.2 · Grundlagen: Biologische und physiologische Grundlagen
Ruhe
Aufbau
Mineralisation
Ruhe
Gefäß
Monozyten Osteoblasten Lining-Cells Ok
Lining-Cells Osteoid
Progenitor
Neuer Knochen
Ruffled border Knochen Osteozyt
⊡ Abb. 2.5. Schematische Darstellung der Zellen des Knochens (in Anlehnung an Marks u. Odgren [3]). Ok = Osteoblast
in Verbindung. Histologisch stellen sie sich basophil dar und weisen alle Anzeichen aktiver, proteinbildender Zellen auf. Sie produzieren Typ-I-Kollagen und sezernieren alkalische Phosphatase. Die neugebildete, noch nicht verkalkte Grundsubstanz, die von den Osteoblasten abgegeben wird, bezeichnet man als Osteoid. Aktive Osteoblasten bilden täglich einen etwa 1 µm breiten Osteoidsaum, von dem innerhalb von drei bis vier Tagen 70% verkalken. Der Rest mineralisiert innerhalb der nächsten sechs Wochen [3]. ▬ Der Osteozyt ist ein reifer Osteoblast, der vollständig von Knochengrundsubstanz umgeben ist. Osteozyten sind über feine filopodienartige Fortsätze, die sich in Knochenkanälchen befinden und radiär von den Osteozyten verlaufen, verbunden. »Gap junctions« gewährleisten den Fluss von Ionen und kleinen Molekülen über eine Strecke von bis zu 15 Zellen. Osteoklasten hingegen entstehen durch die Fusion mononukleärer Zellen, die aus hämatopoetischem Gewebe stammen. Es sind große, stark verzweigte und bewegliche Riesenzellen, die Knochengrundsubstanz abbauen (⊡ Abb. 2.6). Der große, multinukleare Zellleib weist bei aktiven Osteoklasten einen Bürstensaum (»ruffled bor-
⊡ Abb. 2.6. Osteoklasten im Knochen, dargestellt mit der enzymatischen TRAP- (tartratresistente saure Phosphatase-)Färbung
der«) auf, dem Ort der Knochenresorption [4]. An Stellen der Knochenresorption liegen Osteoklasten in Einbuchtungen, die als Howship-Lakunen bezeichnet werden. Sie besitzen unter anderem tartratresistente saure Phosphatase (TRAP) als Enzym. Osteoblasten, reife Osteozyten und Osteoklasten stehen in engem Zusammenhang beim Auf- und Abbau der Knochenmasse [3] und werden als »basic multicellular units« (BMU) bezeichnet (⊡ Abb. 2.5) [1]. Am Anfang des
26
2
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Knochen-Remodellings steht die Aktivierung von »lining cells« und das Anlocken von Osteoklastenvorläufern aus dem Knochenmark oder dem Blut. Nach der Fusion zu aktiven Osteoklasten resorbieren diese den Knochen. Die Resorptionsphase dauert nur ca. 2–4 Wochen und endet mit der Apoptose der Osteoklasten. Anschließend wird die Resorptionslakune von Osteoblasten ausgefüllt, die Osteoid produzieren. Nach einer Ruhephase setzt die Mineralisation ein und es bildet sich neuer Knochen. Die Phase des Knochenaufbaus dauert ca. 4–6 Monate und ist somit deutlich länger als die Resorptionsphase [5]. Nur durch eine funktionierende Interaktion aller beteiligten Zellen ist eine knöcherne Integration und dreidimensionale Verankerung von Implantaten im Knochen möglich.
Knochenmatrix und Wachstumsfaktoren Das Knochengewebe setzt sich aus Zellen und extrazellulärer Matrix zusammen. Letztere besteht zu 35% aus organischen und zu 65% aus nichtorganischen Anteilen. Die nichtorganischen Anteile setzen sich hauptsächlich aus Kalzium und Phosphat als Hydroxylapatit zusammen [6], während die organischen aus kollagenen und nichtkollagenen Proteinen bestehen. Typ-I-Kollagen macht mehr als 90% des organischen Knochenmaterials aus und ist das wichtigste Strukturprotein des Knochens. Die übrigen 10% der nichtkollagenen Proteine erfüllen verschiedene regulierende Funktionen. Der Anteil der Wachstumsfaktoren (WF) an nichtkollagenen Proteinen des Knochens beläuft sich lediglich auf weniger als 1% [6]. Bereits 1920 vermutete Bier, dass die Frakturenden des Knochens ein »Agens« freisetzen, das den Heilungsprozess positiv beeinflusst [7]. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Suche nach dem einzigartigen »Wundhormon«, speziell im Frakturhämatom, fortgesetzt. Levander entdeckte 1938, dass die intramuskuläre Injektion eines Extrakts von in saurem Alkohol gelöstem Knochen und Kallus die Bildung heterotopen Knochenund Knorpelgewebes auslöst. Er schlussfolgerte, dass die Knochenregeneration ein Resultat der Aktivierung undifferenzierten mesenchymalen Gewebes durch spezifische knochenbildende Substanzen sei [8]. 1965 gelang es Urist erneut mittels eines Extrakts aus demineralisiertem Knochen ektope Knochensubstanz zu erzeugen [9]. Diese Beobachtungen lösten in der Folge zahlreiche Untersuchungen zur Erforschung der lokalen Knochenstimulation durch extrazelluläre Matrix aus, in deren Verlauf einige WF, als
Erstes »bone morphogenic protein-2« (BMP-2), entdeckt wurden. WF sind Polypeptide, die generalisiert, in sehr kleinen Konzentrationen, in spezifischen Geweben gebildet werden und als lokale Faktoren der Zellregulation fungieren. Die meisten WF werden als hochmolekulare Vorstufen freigesetzt, die durch proteolytische Spaltung in ihre aktive Form mit niedrigem Molekulargewicht überführt werden. Im Folgenden soll auf die für den Knochenstoffwechsel bedeutende WF näher eingegangen werden. WF vermitteln an ihren Zielzellen sowohl eigene Effekte als auch indirekte Wirkungen über die Beeinflussung von systemischen Hormonen wie Parathormon, Vitamin D, Kalzitonin und Wachstumshormon (GH) [10, 11]. Auf Mesenchymzellen, Fibroblasten, Chondrozyten und Osteoblasten üben WF zahlreiche Effekte aus [12]. In diesen Zellen regulieren sie den Phänotyp durch Differenzierungsvorgänge und beeinflussen die Proliferation und Stoffwechselfunktionen, wie Matrix- und Proteinsynthese. Nach Freisetzung aus der Knochenmatrix sind WF in der Lage, den Metabolismus von Osteoblasten und Osteoklasten während der Remodelling-Vorgänge zu steuern sowie die Heilungsantwort nach einem Trauma oder die ossäre Integration von Biomaterialien anzuregen und zu kontrollieren [13–15]. Die Konzentration der im Knochen gespeicherten WF beeinflusst das Ausmaß der Knochenneubildung und der Resorption [16]. Die Konzentration der Faktoren im Knochen variiert mit der Lokalisation, den physiologischen Bedingungen und nicht zuletzt mit dem Alter. Im kortikalen Knochen nehmen die Konzentrationen von IGF-I und TGF-β mit zunehmendem Alter ab [17] (⊡ Tabelle 2.1).
Knochenheilung und Implantateinheilung Die Implantateinheilung ist vergleichbar der Knochenbildung und -heilung, deren Prinzipien im Folgenden näher erklärt werden. Die Knochenheilung kann in folgende zwei Arten unterteilt werden: ▬ Primäre Heilung: Es kommt zu einem direkten Zusammenwachsen der Knochenenden mit Wiederherstellung der Havers-Kanäle. Dies erfolgt nur bei einem direkten Kontakt der Knochenenden. ▬ Sekundäre Heilung: Im Frakturspalt bildet sich ein knorpeliges Gewebe, das analog zur embryonalen Knochenbildung im weiteren Heilungsverlauf verknöchert [19]. Diese Heilungsform findet sich stets bei dem Vorhandensein eines Frakturspalts.
27 Kapitel 2.2 · Grundlagen: Biologische und physiologische Grundlagen
2.2
⊡ Tabelle 2.1. Wachstumsfaktoren (WF) im zeitlichen Verlauf der Knochenheilung (mod. nach Solheim [18]). Heilungsphase
WF
Quelle, Lokalisation und Wirkung
Inflammation und Hämatombildung
BMP-2/4
In mesenchymalen Zellen des Hämatoms und der Kambiumschicht des Periosts im Fakturbereich. BMP-4-mRNA zeigt sich in Osteoprogenitorzellen des proliferierenden Periosts, der Markhöhle und des Muskels.
TGF-β1
Von Thrombozyten und Entzündungszellen freigesetzt. Stimuliert die Proliferation mesenchymaler Zellen der Kambiumschicht des Periosts.
PDGF
Von Thrombozyten und Entzündungszellen freigesetzt. Stimuliert die Proliferation mesenchymaler Zellen der Kambiumschicht des Periosts.
aFGF
In Zellen der Kambiumschicht, assoziiert mit einer Zunahme mesenchymaler Zellen.
BMP-2/4
In Osteoblasten, die den Geflechtknochen nach Fraktur auskleiden. Nimmt mit zunehmender Knochenreifung ab.
TGF-β1
In proliferierenden mesenchymalen Zellen, in Osteoblasten und in der Matrix.
PDGF
Von Thrombozyten freigesetzt. Stimuliert die intramembranöse Knochenbildung.
BMP-2/4
In Vorläuferzellen, kurz vor deren Reifung zu Chondrozyten.
TGF-β1
In mesenchymalen Zellen, jungen und reifen Chondrozyten.
IGF-I
In jungen Chondroblasten am Rand des durch Knorpel ersetzten fibrösen Gewebes.
aFGF
Gebildet von Chondrozyten, ihren Vorläufern und Makrophagen. Stimuliert die Chondrozytenproliferation/-reifung.
BMP-2/4
Intrazellulär in Osteoblasten der kalzifizierten Knorpelmatrix.
TGF-β1
In der Umgebung hypertropher Chondrozyten und in Chondrozyten am Rand der Ossifikationszone.
bFGF
Möglicherweise von Chondrozyten gebildet. Wichtig für die enchondrale Ossifikation.
Kallusbildung und intramembranöse Knochenbildung
Chondrogenese
Enchondrale Ossifikation
Sowohl bei der primären als auch bei der sekundären Knochenheilung ist die Revaskularisierung des neu gebildeten Gewebes für die nutritive Versorgung notwendig [20]. Bei der Implantateinheilung unterscheidet man nun die Distanzosteogenese von der Kontaktosteogenese (⊡ Abb. 2.7) [21]. Den beiden Prinzipen ist gemein, dass es durch das Einbringen eines Implantats in ein Knochenlager zur Hämatombildung und Inflammation kommt. Durch die Verletzung wird die Kontinuität des Knochens zerstört und Gefäße zerreißen. Es kommt zu entzündlichen Reaktionen und der Bildung eines Hämatoms mit lokaler Infiltration von u. a. Granulozyten, Monozyten und Mastzellen. Die Mastzellen führen über Histaminund Heparinfreisetzung zu einer Entzündungsreaktion. Im Hämatom finden sich des Weiteren pluripotente Stammzellen, die zu Osteoblasten, Fibroblasten und Chondroblasten ausdifferenzieren. In das Hämatom
⊡ Abb. 2.7. Prinzip der Distanzosteogenese und Kontaktosteogenese (mod. nach Davies [22]). Roter Pfeil: Richtung der Knochenneusynthese
sezernierte Zytokine und Wachstumsfaktoren fördern die Zellinfiltration, Angiogenese und Zelldifferenzierung. In der hypervaskularisierten Entzündungsphase wird das Frakturhämatom schließlich lokal phagozytiert.
28
2
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Bei der Distanzosteogenese findet die Knochenneubildung am alten Knochenlager statt, also in einer Distanz zum Implantat. Die osteogenen Zellen stammen bei dieser Heilung aus dem alten Knochen. Im Verlauf der Heilung wächst der neue Knochen dann an das Implantat heran. Im Gegensatz dazu kommt es bei der Kontaktosteogenese zu einer de-novo-Bildung von Knochen direkt am Implantat. Hierfür verantwortlich sind Progenitorzellen, die zum Implantat migrieren, dort zu Osteoblasten differenzieren und extrazelluläre Matrix synthetisieren, die dann im Verlauf mineralisiert und neuen Knochen bildet. Im Verlauf der Heilung schließt sich so der Spalt zum Knochen. Im Idealfall erfolgen beide Prozesse parallel bei der Einheilung von Implantaten. Eine Störung der Kontaktosteogenese kann jedoch zum Verlust des ImplantatKnochen-Kontakts und somit zur Implantatlockerung führen. In diesem Fall bildet sich eine fibröse Zwischenschicht zwischen dem Knochenlager und dem Implantat, die nicht mineralisiert und somit keine Stabilität gewährleistet.
Osteokonduktion, Osteoinduktion und Osteogenese Notwendig für die Kontaktosteogenese ist die Osteokonduktivität des Implantats. Eine mikrostrukturierte Oberfläche von Implantaten begünstigt auf Grund ihrer Struktur und Porosität die Fibrinogenabsorption, die Thrombozytenaktivierung sowie -adhäsion und ermöglicht somit das Anhaften von osteoblastären Zellen und die Neusynthese von Knochen direkt auf der Implantatoberfläche [23, 24]. Osteokonduktion ist ein passiver Prozess, der auf Grund von Materialeigenschaften das Adhärieren und Einwachsen von Zellen in eine Struktur ermöglicht. Dem gegenüber stehen die aktiven Prozesse der Osteoinduktion und Osteogenese. Unter Osteoinduktion versteht man den aktiven Prozess der Anlockung von Zellen und deren Differenzierung. Wachstumsfaktoren gehören zu den osteoinduktiven Substanzen, die migratorisch und differenzierend auf Zellen wirken. Während der Störung der Knochenkontinuität werden im Knochen gespeicherte Faktoren wie TGF-β1, IGF-I, BMP-2 freigesetzt. Thrombozyten sind ebenfalls eine Quelle für Wachstumsfaktoren (PDGF, TGF-β1, VEGF, EGF) [25].
Als osteogen bezeichnet man Zellen, die das Potential zur Differenzierung in Osteoblasten und somit zur direkten Knochenbildung besitzen [26]. Die Modifikation von Implantaten zu osteoinduktiven oder osteogenen Materialien ist ein bedeutendes Forschungsfeld in der orthopädischen und traumatologischen Chirurgie. Mit diesen Modifikationen könnte die Einheilung und somit die Haltbarkeit von Prothesen verbessert werden (s. auch Kap. 3.3).
Oberflächeninteraktion Entscheidend für die Einheilung von Materialien ist deren Oberflächenbeschaffenheit. Rauhigkeit, Ladung, chemische Zusammensetzung und andere Faktoren beeinflussen die biologischen Reaktionen nach Implantation und entscheiden somit über Abstoßung oder Integration. Unmittelbar nach Implantation kommt es zu Wechselwirkungen zwischen der Implantatoberfläche und Serumproteinen, die von elektrochemischer, dispersiver (van-der-WaalsKräfte) oder chemischer Natur sind und zur Absorption von Proteinen auf der Oberfläche führen. Dadurch kommt es zur Änderung der Proteinkonformation und teilweise zur Degradation. Die so gebildete Proteinschicht stellt dann das Substrat für die Zellanhaftung dar. Über spezifische Ligandrezeptorbindungen haften im Folgenden Zellen an die Proteinschicht. Es kommt zu einer Verankerung der Zellen und zur Auslösung intrazellulärer Kaskaden, die Auswirkungen auf die weitere Zelladhäsion, Proliferation oder Differenzierung haben [27].
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29 Kapitel 2.2 · Grundlagen: Biologische und physiologische Grundlagen
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2.2
2.3 Grundlagen Tierexperimentelle Untersuchungen R. Ascherl, W. Erhardt, S. Kerschbaumer, M.L. Schmeller, R. Gradinger
Zusammenfassung Vor dem klinischen Einsatz neu entwickelter Implantate spielen neben den In-vitro-Tests v. a. die tierexperimentellen Untersuchungen eine zentrale Rolle und stellen die entscheidende Untersuchung vor der Humananwendung dar. Alleinig durch die tierexperimentelle Untersuchung kann die Biokompatibilität und Integration eines Implantats in einem intakten Organismus vor dem klinischen Einsatz getestet werden. In Experimenten mit implantierten Probekörpern können die Verträglichkeit und Integration neuer Materialien und Oberflächen evaluiert werden, während in den aufwendigeren sog. Gebrauchstest funktionsfähige Implantate auf Oberflächen- und Strukturkompatibilität sowie mechanische Eigenschaften, Funktion und Funktionsdauer untersucht werden können. Klinische Langzeitstudien an kleinen Kollektiven helfen schließlich, die Entwicklung zu etablieren.
Einleitung In der modernen Implantologie stehen sich die beiden wesentlichen Verankerungsformen der zementierten und der zementfreien Implantatverankerung gegenüber. Ohne die seit den fünfziger Jahren bewährte und technologisch wiederholt verbesserte Implantatfixation mit Knochenzement wird die Endoprothetik auf absehbare
Zeit nicht auskommen. Bei jüngeren Patienten allerdings nimmt die zementfreie, direkte, biologische Verankerung immer größeren Raum ein: Weltweit wird mindestens die Hälfte der Endoprothesen am Hüftgelenk zementfrei implantiert. Material und Design der Prothesenbauteile und deren Oberflächen müssen dabei dem Knochengewebe die Möglichkeit zum lebendigen, remodellierenden und belastungsangepassten Ein- und Umbau geben.
Biokompatibilität In der Endoprothetik bestimmen Werkstoff und Formgebung eines Implantats frühes, grenzschichtarmes Einheilen und dauerstabile, biologische Fixation. Die chemische Zusammensetzung und die physikalischen Eigenschaften prägen die Biokompatibilität, unter der längst mehr verstanden wird als nur die Verträglichkeit und Funktion von Materialien, Bauteilen oder Systemen im Körper. Gerade beim Gelenkersatz wird vom technischen und biologischen System eine zielgerichtete Interaktion gefordert: knöcherne Heilung und konsequente Verankerung sollen über Jahre eine dauerhafte, schmerzfreie Belastbarkeit (und Beweglichkeit) gewährleisten. Erste Auskünfte hinsichtlich der Verträglichkeit von neuen Materialien geben orientierende Experimente wie Zell- und Gewebekulturen oder Expositionsversuche mit Probekörpern und Abriebpartikeln in vivo wieder. Diese
31 Kapitel 2.3 · Grundlagen: Tierexperimentelle Untersuchungen
werden zunehmend standardisiert; herkömmliche Legierungen auf der Basis von Kobalt oder Titan sind längst bewährt und bezüglich ihrer Gewebereaktion sicher und weitreichend abgeklärt.
Oberflächenkompatibilität Als Oberflächenkompatibilität eines Materials oder Bauteils dürfen seine physikalischen, chemischen und morphologischen Eigenschaften gelten, die ihrerseits eine erwünschte biologische Wechselwirkung mit dem Wirtsgewebe erzeugen. Bei Langzeitimplantaten im Knochen entscheidet diese Interaktion fast schicksalhaft über die Dauerfunktion der Implantate als Gelenkersatz, und die Kompatibilität kann im Hinblick auf die Reaktion des Knochengewebes folgendermaßen abgestuft werden: ▬ inkompatibel: Freisetzung von Substanzen in toxischen Konzentrationen → Überempfindlichkeits-, Entzündungs- und Fremdkörperreaktionen bis zur Implantatabstoßung; ▬ biokompatibel: Freisetzung von Substanzen in nichttoxischen Konzentrationen → Integration des Gewebes in eine dünne Bindegewebsschicht (Distanzosteogenese); ▬ bioinert: keine Freisetzung toxischer Substanzen → keine Gewebereaktion bzw. knöchernes Einheilen (Kontaktosteogenese); ▬ bioaktiv: positive Interaktion mit Gewebedifferenzierung → Knochenbildung an Grenzfläche zwischen Knochen und Implantat (Kontaktosteogenese)
Strukturkompatibilität Strukturkompatibilität ist die Anpassung der inneren und äußeren Architektur und Formgebung von Bauteilen an das Wirtsgewebe, um mechanische Parameter und die morphologische Bauweise des Gewebes nachzuahmen und damit Einheilungsvorgänge zu fördern. Hierzu gehören Anordnung und Auswahl von Fasern bei Verbundwerkstoffen ebenso wie Design und Dimensionierung von (offenzelligen) strukturierten Implantatoberflächen (⊡ Tabelle 2.2). In diesem Zusammenhang gilt Porosität als Anteil der Hohlräume am Gesamtvolumen (Angaben oft in Prozent).
2.3
⊡ Tabelle 2.2. Reaktion des Knochenlagers auf Porosität und Porengröße von Implantatoberflächen [8, 12, 14]. Porengröße [µm]
Reaktion Knochenlager
<50
Bindegewebe
50–500
Knochen
240
Rechnerisches Optimum für Knochen
Porosität [%] 40–65
Optimum Knochen
Versuche mit Probekörpern Kortikale und/oder spongiöse Implantationen standardisierter Probezylinder werden regelmäßig zur ersten Analyse von Strukturdimensionen und -varianten, Beschichtungen oder Materialkombinationen eingesetzt. Dies ist ein wenig funktionelles Modell, weil nur gering belastet, liefert aber doch wichtige Informationen über Qualität, Quantität und Dynamik der biologischen Verankerung [8, 15, 21]. Für diese Fragestellungen sind Kaninchen oder Ratten ethisch und morphologisch geeignete Spezies. Unser Modell zur kombinierten mikromorphologischen und biomechanischen Testung von Oberflächen sieht die Implantation von definierten Testkörpern in den distalen, spongiosareichen Femurkondylus, quer zur Längsachse vor. Ausdrückversuche und gleichzeitige histologische Schnitte an derselben Probe sind dadurch möglich und erlauben einen intraindividuellen Vergleich [21]. Zwar sind diese sog. »Push-out Tests« nicht ohne Tücken [3] und werden gerade in der Biomechanik kontrovers diskutiert. Uns haben diese Experimente jedoch immer zuverlässige Ergebnisse gebracht und sie sind mehr als nur eine Screening-Untersuchung. Nicht unerheblich unter den ethischen Aspekten von Versuchplanungen ist für uns die dadurch mögliche deutliche Reduktion der Fallzahlen. Strukturierte Oberflächen schneiden dabei hinsichtlich ihrer Scherfestigkeit deutlich besser ab als glatte oder gestrahlte Oberflächen (⊡ Abb. 2.8). Die größere Oberfläche, die entsprechende Dimensionierung und Porengröße (⊡ Tabelle 2.2) und wohl auch die gesteigerte Primärstabilität bedingen eine schnelle, konsequente Implantateinheilung.
32
Teil II · Experimentelle Grundlagen
MPa
12 Wochen postoperativ
6
2
n=9
5 4 3 2
n=12 n=11
1 0
gestrahlt
glatt
strukturiert
⊡ Abb. 2.8. Scherfestigkeit von Probekörpern im »Push-out-Test«. Strukturierte Oberflächen zeigen sich im Vergleich zu glatten oder gestrahlten Oberflächen deutlich überlegen. Kleines Bild: Kontaktradiographie eines integrierten strukturierten Probekörpers 12 Wochen nach Implantation
Gebrauchstest Der eigentliche Gebrauchstest sieht die Überprüfung funktioneller, belasteter Bauteile vor. Optimal ist die Implantation nicht nur miniaturisierter, sondern – besser – anatomisch adaptierter Endoprothesen in eine geeignete Spezies (⊡ Abb. 2.9). Wenngleich auch Schafe oder Ziegen für derartige Untersuchungen herangezogen werden können, erscheint die Spezies Hund aufgrund vielfältiger Erkenntnisse und weitreichender Erfahrungen überlegen: Morphologie wie auch Festigkeit des Knochens [10, 11, 23] und seine Heilung [11, 20, 24] sind dem Menschen sehr nahe. Gerade am Azetabulum entspricht die Spongiosaarchitektur sehr der des menschlichen Bälkchengerüstes [14]. Auch die mechanischen Belastungen gelten in gewissen Grenzen als übertragbar, was grundlegende Untersuchungen von Bergmann und Mitarbeitern [7] aufzeigen konnten. Bei überwiegend anteromedialer Krafteinleitung an Kopf und Pfanne wurden Lastspitzen von 50–80% des Körpergewichts ermittelt. Biologische Reaktionen bei Lockerungen und Implantatversagen ähneln sehr den humanklinischen Befunden [23]. Für Langzeituntersuchungen setzen wir auch bevorzugt Hunde mit gleichzeitigen Hüftleiden ein [1, 4]; hier wird das Experiment zur passageren Therapie. Und auch die Veterinärmedizin profitiert nicht selten von Narkosetechniken [13], Implantatdesign und Operation (Planung, Strategie, Zugang, Instrumente u. v. a. m.).
Autopsiepräparate und experimentelle Gebrauchstests sind unseres Erachtens von besonderen Wert, Wirksamkeit und Effektivität von Konzepten der Implantatverankerung sichtbar und messbar, also wissenschaftlich evident zu überprüfen. Damit helfen derartige Untersuchungen nicht nur der experimentellen Forschung und klinischen Praxis, sie tragen auch wesentlich dazu bei, die Entscheidungsfindungen bei Betroffenen und Kostenträgern zu erleichtern. Explantate anlässlich des Versagens von Endoprothesen dienen eher der aktuellen Schadensanalyse, nicht so sehr der kritischen, wissenschaftlichen Beweisführung [2]. Neben aufwendigen prospektiven, klinischen Langzeitstudien (Register können hier weiterhelfen) und dem experimentellen Gebrauchstest gibt es nur wenige weitere Argumente für oder gegen manchmal allzu schnell etablierte Endoprothesensysteme – und aus der »Philosophie« wird die begründete Anwendung.
Operation und Implantationstechnik (am Beispiel Hund) Nach entsprechender Genehmigung durch die Behörden, klinischer, laborchemischer und radiologischer Eingangsuntersuchung (Beckenübersicht, auch zur Prothesenplanung) sowie Adaptation erfolgten die Eingriffe in Seitenlage und allgemeiner Intubationsnarkose mit einem Halothan-Lachgas-Sauerstoffgemisch in Kombination mit Etomidate-Dauertropfinfusion. Ein modifizierter Zugang nach Piermattei und Greeley [17] entspricht weitgehend dem humanklinischen dorsalen Zugangsweg und erlaubt auch eine gute Exposition des Oberschenkelhalses. Die kleinen Außenrotatoren wurden teilweise durchtrennt, der N. ischiadicus verläuft sehr oft direkt am unteren Pfannenrand und nahe am Trochanter major, seine sorgfältige Darstellung und schonende Behandlung verhindert konsequent Neurapraxien oder echte Paresen. Die Rekonstruktion der pelvitrochantären Muskulatur beugt den gefürchteten Luxationen vor, bei allen Untersuchungsserien haben wir zusätzlich Antiluxationseinrichtungen vorgesehen (⊡ Abb. 2.9). Für die Versuche mit tripodenstrukturierten, zementlosen Azetabula (zwei Größen) wurden für die Press-fitVerankerung untermaßige Fräsen konstruiert, eine zentrale Kortikalisschraube (2,7 mm) sicherte den primären Sitz. Die Tripodengrößen lagen bei 1,5 mm, Anordnung und Design entsprachen somit einer günstigen Porosität von etwa 60% und einer Porengröße von 300–400 µm
33 Kapitel 2.3 · Grundlagen: Tierexperimentelle Untersuchungen
2.3
⊡ Abb. 2.9. Modulare Hüfttotalendoprothese für den (experimentellen) Ersatz des Hüftgelenkes am Hund. Zementierter Geradschaft und zementfrei zu implantierende Hüftpfanne mit zusätzlicher Schraubenfixation, strukturierter Oberfläche, PE-Inlay und Antiluxationsring (*)
(⊡ Abb. 2.9, ⊡ Tabelle 2.2). In den peripheren Strukturschichten durfte eine Porosität von etwa 80% angenommen werden. Die Stielverankerungen waren zementiert, hier wurden weitere Fragestellungen, wie das Einheilen konservierter Kortikalistransplantate untersucht. Die Autoren danken in diesem Zusammenhang der DFG für die Unterstützung der Versuchserien zur Transplantation. Postoperativ erfolgte die entsprechende Wundpflege und Analgesie. Vollbelastung tritt beim Hund nicht immer rasch, sondern eher nach der 3.–4. Woche ein [4, 20] und ist zögerlicher als bei anderen Spezies [7].
Untersuchungstechniken Neben ausgesprochen langen Beobachtungsdauern [4] sehen die Versuchsserien auch anderer Gruppen regelmäßig Verläufe von 6 bis max. 12 Monaten vor [5, 6, 9, 14]. Rechl [20] konnte in umfangreichen Experimenten unter anderem szintigraphisch den Abschluss der wesentlichen Einheilungsvorgänge nach einem Zeitraum von etwa 6 Monaten ermitteln. Unsere Versuchserien mit ESKATripoden sahen jeweils eine Dauer von 26 Wochen vor. Radiologische Verlaufskontrollen wurden postoperativ, nach 4 Wochen, 3 und 6 Monaten vorgenommen. Kontakt-
⊡ Abb. 2.10. Intravitale, polychrome Sequenzmarkierung des Knochens mit fluoreszierenden Farbstoffen: Die unterschiedlich fluoreszierenden Ringe entsprechen dem jeweiligen Knochenwachstum zu den Zeitpunkten der Applikation von Calceingrün, Tetrazyklin, Xylenololorange und wieder Tetrazyklin
röntgen der Hartschnitte ergaben die nähere radiographische Übersicht der knöchernen Kontaktzonen ( Kap. 2.4). Die Oberflächenfärbung der Hartschnitte erfolgte nach S. Kerschbaumer, hierbei zeichneten sich die noch nicht vollständig mineralisierten, osteoiden Gewebe bräunlich, der reife und mineralisierte Knochen färbte sich türkis. Die polychrome Sequenzmarkierung (PSM) erlaubte eine intravitale Färbung der Knochenneubildung zum Zeitpunkt der jeweiligen Applikation fluoreszierender Farbstoffe ( Kap. 2.4) [18, 19]. Die Applikation von Calceingrün, Tetrazyklin, Xylenolorange und wieder Tetrazyklin erfolgte intramuskulär über Sterilfilter in Monatsabständen und direkt vor Versuchsende und erlaubte ähnlich einer Baumrinde die Zuordnung der jeweiligen Ossifikationsaktivität (⊡ Abb. 2.10).
34
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Ergebnisse
2
Die Kontakt- und Mikroradiographien zeigten einen sehr dichten Knocheneinbau in die Struktur mit einer Ausrichtung in Hauptrichtung der Belastungen im kraniomedialen Pfannenabschnitt (⊡ Abb. 2.11 und 2.12). Dies beweist nicht nur die gute knöcherne Integration, sondern auch die konsekutive Reaktion der Spongiosa auf diese feste und innige biologische Verankerung.
Histologisch zeigte sich ebenfalls eine knöcherne Integration, die wiederum zunächst auf die belasteten kranialen Anteile betont war. Die fluorochromen Farbstoffe dokumentierten zum einen den noch nicht ganz abgeschlossenen knöchernen Ein- und Umbau, gerade in den tieferen Strukturräumen nahe zum Grundkörper, zum anderen fanden sich bereits Tetrazyklinbanden auch in den zentralen Poren mit dichtem Kontakt zur Oberfläche des Sockels (⊡ Abb. 2.13).
⊡ Abb. 2.11. Beckenübersicht 12 Wochen postoperativ (links) und Kon-
⊡ Abb. 2.12. Kontaktradiographie von Azetabula 36 Wochen post-
taktröntgenaufnahmen eines Pfannensockels (rechts). Beachte die besonders im belasteten, kraniomedialen bis kraniodorsalen Abschnitt integrierte Struktur und Oberfläche
operativ zeigen eine durchwegs sehr gute Integration. Auffallend ist dabei nicht nur das Einwachsen des mineralisierten Knochens in die trabekulären Strukturen, sondern auch die Anpassung der Spongiosa an die veränderte Belastungssituation
a
b
⊡ Abb. 2.13. a Hartschnittblock mit Oberflächenfärbung. Im oberen Pfannenabschnitt stabile Einheilung. b Polychrome Sequenzmarkierung (PSM) als Übersicht mit Um- und Anbau am Rand des metalli-
c schen Azetabulums (Pfeile, Vergrößerung 25×). c Zunehmende Integration der Metalloberfläche. Ausbreitung der Mineralisationsfronten zur Implantatoberfläche (Pfeile, 250×)
35 Kapitel 2.3 · Grundlagen: Tierexperimentelle Untersuchungen
Eine erste deutliche Knochenneubildung zeigte sich ab der 4. Woche postoperativ, wohl begünstigt durch die hervorragende Primärstabilität des Azetabulums durch Press-fit-Verklemmung und durch die Verzahnung über die raue Oberflächenstruktur der Tripoden (⊡ Abb. 2.14). Offensichtlich fand vermehrt Knochenanbau an den eher konvexen Flächen der Tripoden statt, erst später schienen die Winkel zwischen den kleinen Metallbälkchen integriert zu werden, aber auch in diesen Abschnitten zeigte sich nach 26 Wochen immer wieder eine nahezu grenzschichtfreie knöcherne Einheilung (⊡ Abb. 2.15). Auch zwischen den Tripoden fand sich rege Knochenneubildung und führte zu einer Verzahnung einzelner Metalltrabekel in allen Strukturtiefen. Die von Kerschbaumer entwickelte Oberflächenfärbung beweist eindrucksvoll die Unterschiede zwischen Osteoid, das sich bräunlich darstellt, und dem Türkisblau des reifen und vollständig mineralisierten Knochengewebes. Die meisten Trabekel der Metallstruktur waren zum Untersuchungszeitpunkt noch mit Osteoid umgeben, eine Differenzierung in festes und noch tragfähigeres Knochengewebe konnte jedoch bereits an einer Vielzahl von Stellen beobachtet werden (⊡ Abb. 2.16).
2.3
a
Diskussion und klinische Übertragbarkeit b
Neben den rauen und gestrahlten Oberflächen, die vorzugsweise bei Titanlegierungen eingesetzt werden, befinden sich unterschiedliche porös strukturierte Designvarianten in der klinischen Anwendung. Tripoden erlauben eine definierte, standardisierte Dimensionierung. Die Kombination einer gegossenen Kobalt-Basis-Legierung als gut verträgliches Material und einer optimierten Porengröße und Porosität (⊡ Tabelle 2.2) können zu einer konsequenten Einheilung führen. Das Modell des Hundeazetabulums gilt zur Überprüfung der Einheilung von lebenden Knochen unter physiologischen Lastbedingungen als international bestens akzeptiert. Vergleichbare Untersuchungen stammen u. a. von Bobyn und Mitarbeitern [8, 9, 12], Diehl und Harms [10], der Gruppe um Harris [5, 6, 14]. Eine Beobachtungszeit von etwa einem halben Jahr zeigt die schon fast abgeschlossenen Einheilungsvorgänge. Gerade im gemischt spongiös-kortikalen Lager des Azetabulums ergeben offen strukturierte Oberflächen augenscheinlich bessere und schnellere Integrationen als geschlossene Überzüge mit großen Rautiefen. Die Gruppe
c
⊡ Abb. 2.14. a Nahezu vollständige ossäre Integration am kranialen, äquatoriellen Implantatabschnitt (PSM, 50×). b Kontaktzone einer Tripode zum Metallkörper des Azetabulums. Neubildung von Knochen an den (konvexen) Bereichen der Tripoden und in den »Poren« (PSM, 50×). c An der äußeren, offenzelligen Struktur nach 24 Wochen immer noch reger Umbau und knöcherner Verbund (Pfeile) zwischen zwei Tripodenbälkchen. IF Interface (PSM, 70×)
36
Teil II · Experimentelle Grundlagen
2
a
b
c
d
⊡ Abb. 2.15. a An der konvexen Seite einer Tripode im äußersten Oberflächenanteil des kranialen Azetabulums direkter Knochenanbau. Noch nicht vollständig abgeschlossene Mineralisation im Implantatlager (PSM, 100×). b Zwischen zwei Tripoden integrierende Knochen-
a
neubildung (Pfeile). c Tripode mit engem Kontakt zum neugebildeten Knochen (PSM 100×). d Polychrome, intravitale Färbung der Knochenneubildung mit grenzschichtarmer, dichter Integration der Tripodenoberfläche (Ausschnitt aus c) PSM, 250×)
c
⊡ Abb. 2.16. a Im kaudalen Anschnitt der Pfanne zeigt sich die Mineralisation des Knochens noch nicht abgeschlossenen; Osteoid (bräunlich); reifer Knochen (türkis) (Kerschbaumer-Färbung, 250×). b An einer Tripodenkreuzung komplette Knocheneinheilung mit noch nicht vollständiger Mineralisation (braun, Pfeil) (Kerschbaumer, 250×). c Grenzschichtfreies Einheilen mit partiell abgeschlossener Mineralisation von Knochen im Bälkchenwinkel einer Tripode (Kerschbaumer, 250×)
b
37 Kapitel 2.3 · Grundlagen: Tierexperimentelle Untersuchungen
um Harris verfolgt und favorisiert inzwischen schwammartige Strukturen aus Tantal, die in ihrer Dimensionierung und Architektur nicht weit von den untersuchten Tripoden entfernt sind. Das Tripodengefüge erweist sich im Experiment anderen, vergleichbaren Oberflächendesigns als mindestens gleichwertig und ebenbürtig.
Klinischer Ausblick Die klinischen Erfahrungen und Studien belegen das konsequente Einheilen der Struktur; sie leistet im azetabulären Lager auch bei Revisionseingriffen beste Dienste. An Hüftstielen sollte sie nur proximal und metaphysär appliziert sein, so werden allfällige Revisionsoperationen mit Explantationen nicht allzu sehr erschwert und gehen ohne größeren Knochensubstanzverlust einher. Dieser Forderung kommen inzwischen alle Hüftstiele mit diesen Oberflächen nach. Zusätzliche Beschichtung, möglicherweise aus Hydroxylapatit oder Titan-Niob werden gerade unter nicht immer einfachen klinischen Bedingungen (ersatzschwaches Lager, Revisionen, Allergien, Low-grade-Infekte) die Einheilung verbessern können.
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2.4 Grundlagen Histologische Untersuchungen von Implantaten S. Kerschbaumer
Zusammenfassung Die histologische Untersuchung stellt eine Standard- und Basisuntersuchung dar, um die Vitalität des Knochenlagers, die ossäre Integration von Implantaten und die Abriebbelastung des umgebenden Gewebes zu erfassen und qualitativ zu beurteilen. Die Bewertung des periimplantären Gewebes im Tiermodell und bei humanen Explantaten ist unverzichtbarer Bestandteil in der Entwicklung und Qualitätssicherung medizinischer Implantate.
Histologie tierexperimenteller und tiertherapeutischer Implantate Übertragbarkeit und Vergleich der Knochenstruktur und Belastung Tierexperimentelle Untersuchungen können auf die Humansituation übertragen werden, vorausgesetzt, die jeweiligen Knochenstrukturen sind vergleichbar. Dabei ist zu beachten, dass bei Versuchstieren verschiedener Spezies und verschiedenen Alters in den selben Knochenquerschnitten unterschiedlich differenzierte Knochenstrukturen vorliegen. Grundsätzlich wird die Knochenstruktur in zwei Ordnungsstufen unterteilt, in niedrig differenziertes und höher differenziertes Knochengewebe. Niedrig differenzierter Knochen besteht aus so genanntem primitiven Geflechtknochen und primären Lamellenknochen. Ersterer ist überwiegend bei Schafen, Kaninchen und Ratten anzutreffen, ist ungerichtet, ohne Kittlinien und
weist als appositionelle Wachstumsstruktur ein Gefäßverteilungsmuster auf, das als Netzwerk, radiär und zirkulär angeordnet, mit der periostalen Oberfläche verbunden ist und ca. 2/3 des Knochens zentripedal versorgt. Primärer Lamellenknochen ist ebenfalls ohne Kittlinien, weist ein netzartiges Gefäßverteilungsmuster auf und unterscheidet sich vom Geflechtknochen durch parallele, plexiforme bzw. parallelkonzentrische Anordnung der Kollagenfasern (primäres Osteon). In der Regel ist der Anteil an primären Strukturen umso höher, je jünger das Skelettalter ist. Sekundäres, höher differenziertes Knochengewebe entsteht durch Abbau und Aufbau von bereits existierendem knöchernen Gewebe und besteht aus konzentrisch geschichteten Lamellen (Osteonen) mit abgrenzenden Kittlinien. Die Vaskularisation zeigt ein Verteilungsmuster, bei dem die ernährenden Gefäße baumartig verzweigt und zentrifugal aus den Markraumarterien entspringen (Havers-System). Für die Übertragung von tierexperimentellen, histologischen Untersuchungsergebnissen können nur Knochenbezirke gleicher Struktur herangezogen werden. Bei der Beurteilung muss neben den morphologischen Gegebenheiten auch die unterschiedliche Skelettbeanspruchung berücksichtigt werden. Beim Schäferhund zum Beispiel, der aufgrund züchtungsbedingter Dysplasie häufiger mit Hüftgelenksendoprothesen therapeutisch versorgt wird, findet durch die gebeugte Haltung der Gliedmaße der Lastwechsel in sagittaler Ebene statt. Dadurch ist neben der medialen Druckkraft und lateralen Zugkraft eine erhöhte Zugbeanspruchung der kranialen Abschnitte und eine erhöhte Druckbeanspruchung der kaudalen Abschnitte zu
39 Kapitel 2.4 · Grundlagen: Histologische Untersuchungen von Implantaten
berücksichtigen [1]. Beim Menschen hingegen treten diese erhöhten Druck- und Zugbelastungen vorwiegend in der frontalen Ebene, d. h. medial und lateral auf. Reparations- bzw. Umbauvorgänge in der Knochenstruktur hingegen entsprechen einander häufig, z. B. bei Mensch und Hund. Aufgrund der ähnlichen Knochenstruktur sind die Umbauvorgänge unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Belastungsverhältnisse, sowohl unter physiologischen als auch unter pathologischen Bedingungen, vergleichbar [1].
Zelluläre Reaktion Das Tierexperiment ist ein wichtiger Bestandteil für die Erforschung der zellulären Reaktion bei der Implantatentwicklung und Biokompatibilitätsprüfung von Werkstoffen. Bei intramuskulären und intraossären Festkörperimplantationen können morphometrische Analysen der sich um den Festkörper bildenden Bindegewebsmembranen sowie Einzelzellbeobachtungen an der Grenzfläche Implantat-Wirtsgewebe vorgenommen werden. Festkörperimplantate im Weichteilgewebe sind immer von einer Bindegewebsmembran umgeben; dieser sitzt zum Implantat hin ein Histiozytenverband auf. Die Dicke der Bindegewebsmembran und deren zelluläre Zusammensetzung gibt, in Abhängigkeit von dem Faktor Zeit, Aufschluss über den fibrogenetischen Reiz des Implantatkörpers als Parameter von Biokompatibilität des Implantats und Stabilität der Verankerung. Die Erfassung der zellulären Abwehrreaktion auf Abriebpartikel sowie deren Verteilung ist durch die Implantation verkleinerter Prothesen im Tierversuch möglich. Um eine Überlagerung durch funktionelle Reize auszuschließen, können materialspezifische Reaktionen nur in Kombination mit Befunden von der Partikelapplikation in vivo und der damit verbundenen direkten Zellschädigung ausreichend interpretiert werden [2]. Histologisch untersucht wird das Knochenlager, unmittelbar an das Implantat angrenzendes und aus der näheren Umgebung stammendes Gewebe sowie bei Gelenken die Neokapsel. Im Tierexperiment werden zusätzlich Gewebe/Organe und regionale Lymphknoten untersucht, um eine Fernwirkung abzugrenzen [3]. Bei Humanimplantaten (und auch beim Hund) steht eine histiozytäre Reaktion im Vordergrund, wobei in Abhängigkeit von der Partikelgröße Makrophagen oder Fremdkörperriesenzellen als primär reagierende Zellen in Erscheinung treten.
2.4
Die Übertragbarkeit der zellulären Situation auf die Humansituation kann nur unter Berücksichtigung der funktionellen und morphologischen Unterschiede erfolgen.
Fluorochrome Sequenzanalyse Röntgenologische Verlaufskontrollen und zeitlich gestaffelte histologische Untersuchungen allein geben nur unzureichend Auskunft über die Abläufe von Aufbau, Umbau und Reparationsvorgängen im Knochen. Die polychrome Fluoreszenzmarkierung gestattet, in verkalktem Gewebe intravital Zeitmarken zu setzen, die sich farblich unterscheiden, um Zeitabläufe knöcherner Reaktionen nachzuvollziehen (⊡ Abb. 2.17). Die Farbstoffe (Fluorochrome) aus der chemischen Gruppe der Komplexbildner werden über einen derzeit noch nicht genau geklärten, komplexen Bindungsmechanismus im verkalkten Gewebe angereichert. Naheliegend ist die Annahme, dass sie vor allem an anorganischen Bindungsstellen der Knochengrundsubstanz, bestehend aus Hydroxylapatit (Ca10[PO4]4[OH]2) haften, da bei der Weichteilverkalkung nur die verkalkten Bereiche gefärbt sind und bei Entkalkung des Knochens die Markierungen verloren gehen. Bei intravitaler Markierung färben sich nur Strukturen an, die in Aufbau oder Resorption aktiv sind. Die Anforderungen an die Markiersubstanz im Tierexperiment sind: ▬ gute farbliche Unterscheidbarkeit, ▬ Markierung des gleichen Stadiums der Knochenbildung, ▬ keine Hemmung der Knochenbildung durch die Markiersubstanz, ▬ gute systemische Verträglichkeit der zur Markierung benötigten Dosen und ▬ lange Haltbarkeit der fluoreszierenden Eigenschaften ohne Beeinträchtigung durch die Präparation der Knochenproben und das zur Fluoreszenzanregung benötigte kurzwellige Licht. Für die praktische Anwendung wird die UltraviolettFluoreszenz bevorzugt, bei der im ultravioletten Bereich (365 nm), mit einer Emission über den gesamten sichtbaren Bereich, angeregt wird. Für die Beurteilung humaner Knochenbiopsien sind derzeit nur Tetrazykline als Knochenfluorochrome zugelassen, wodurch die zeitliche Zuordnung knöcherner
40
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Radiologische Untersuchungen Kontaktradiographie
2 Biopsien, Explantate und Knochenpräparate in toto werden vor der histologischen Aufarbeitung direkt auf das Filmmaterial aufgelegt und mit weicher Röntgenstrahlung mit entsprechend langer Belichtungszeit durchleuchtet. Die so erhaltenen Bilder sind schärfer (fehlender Weichteilmantel) und feiner in der Auflösung als konventionelle Aufnahmen der gesamten Körperregion. Die Beurteilungskriterien entsprechen der normalen Röntgenuntersuchung. ⊡ Abb. 2.17. Lamelläre Knochenneubildung mit polychromer Darstellung der Mineralisationsfronten im koxalen Implantatlager. Vergrößerung: 64×, PMMA
Aktivitäten durch die Verwendung nur einer einzigen Farbkomponente (gelb) erschwert ist. Erste experimentelle Ergebnisse mit verschiedenfarbigen Tetrazyklinvarianten zeigten ermutigende Ergebnisse und könnten eine polychrome Sequenzmarkierung auch in der Humananwendung standardisiert ermöglichen. Tierexperimentell haben sich folgende Fluorochrome bewährt: Calceingrün (grün), Xylenolorange (orange), Tetrazyklin (gelb), Alizarinkomplexon (rot) und Calceinblau (blau). Die polychrome Sequenzmarkierung dient der Untersuchung des lamellären Knochenanbaus. Verkalkter Knochen entsteht aus der von Osteoblasten gebildeten Grundsubstanz durch Apatiteinlagerung. Während dieser Phase können Fluorochrome angelagert werden und wandern bei fortwährender Knochenbildung in die Tiefe. Erfolgt eine zeitlich versetzte neuerliche Markierung, entstehen so genannte Banden, wodurch die Dynamik der Knochenbildung wiedergegeben wird. Anhand der Abwesenheit einzelner Marken kann auf lokale Inaktivität bzw. auf Ruhephasen geschlossen werden. Auch während der Resorptionsphasen werden Bindungsstellen für die Fluorochromeinlagerung frei, wodurch die Osteoklastenhöhlen markiert werden, vorausgesetzt, die Resorption sistiert nach Verabreichung der Markiersubstanz. Die Banden stellen sich bei Resorptionsvorgängen im Fluoreszenzmikroskop als feiner, gezackter lokaler Resorptionssaum dar. Eine weitere Datierungsmöglichkeit einsetzender Resorptionsvorgänge besteht durch den gezackten Abbau bereits vorhandener, bei Anbauvorgängen entstandenen Markierungsbanden [4].
Mikroradiographie Die Methode der Mikroradiographie unterscheidet sich von der Kontaktradiographie durch noch weichere Röntgenstrahlen, längere Belichtungszeiten (bis 15 min) und einer Präparatdicke von ca. 100 µm. Die Dünnschliffe werden direkt auf das Filmmaterial aufgelegt und angepresst. Neben der klinischen Untersuchung, der radiologischen Verlaufskontrolle und der histologischen Auswertung bietet die Mikroradiographie eine weitere Auswertungsmethode der Implantatintegration. Metabolische Knochenveränderungen, Knochenbildung, Resorption, der Mineralisationsgrad sowie das Einwachsverhalten von Implantaten können analysiert werden [5]. Durch Planimetrie und bildanalytische Verfahren können zusätzliche Informationen über Kortikalisdicke und Kortikalisspongiosierung gewonnen und quantitative Auswertungen ermöglicht werden. Radiologische Diagnosen, die durch unterschiedliche Härte der Röntgenstrahlen vorgetäuscht werden können, z. B. ein Aufhellungssaum zwischen Implantat und Kompakta, lassen sich durch die Mikroradiographie aufgrund der Schichtdicke von 60–150 µm quantifizieren. Eine qualitative Beurteilung ermöglicht die Kombination von Histologie und Mikroradiographie der selben oder sich entsprechender Präparate.
Histomorphologische Untersuchungen Die lichtmikroskopische Beurteilung gliedert sich in zwei Untersuchungstechniken mit unterschiedlicher Aussage. Entkalkte, in Paraffin eingebettete, gefärbte Präparate er-
41 Kapitel 2.4 · Grundlagen: Histologische Untersuchungen von Implantaten
2.4
möglichen die Beurteilung des Interface und der Neokapsel in Bezug auf die zelluläre Zusammensetzung und die Fremdkörperbelastung des Gewebes. Unentkalkte in Kunststoff (Methylmethacrylat, Epoxidharz) eingebettete Präparate werden als Dünnschliff ungefärbt für die Studie der Knochenumbaudynamik (fluorochrome Sequenzanalyse) oder oberflächengefärbt zur Beurteilung der Morphologie, des Interface, der zellulären Veränderungen, des Verkalkungsgrades und z. T. zur Beurteilung der Vitalität des Implantatlagers, der Zellund Knochenvitalität, herangezogen.
Interface Das Interface, die Grenzschicht zwischen Implantat und Implantatlager, kann sich durch direkten knöchernen Kontakt auszeichnen oder eine mitunter millimeterdicke Bindegewebsmembran darstellen. Faktoren, die für ein breites, bindegewebiges Interface und verstärkte Bindegewebsproliferation überwiegend verantwortlich gemacht werden können, sind neben lokalen, vaskulären, zellulären oder zytotoxischen Ursachen auch biomechanische Faktoren und Mikrobewegungen, die auf unterschiedliche Elastizitätsmoduli von Implantat und kompaktem Knochen beruhen. Nach der Implantation demarkieren sich lokal dünne nekrotische Bereiche mit Fibrin und Proteoglykanablagerungen an der Grenzfläche. Mit der Einsprossung von Gefäßen und Fibroblasten in der Reparations- und Einheilungsphase erfolgt die Ausbildung einer dünnen Bindegewebsmembran mit hohem Kollagengehalt, in der sich später Knochen neu differenzieren kann. Da die Ausbildung dieser Membran auch in Abwesenheit von Belastung und somit bei reduzierter oder fehlender Mikrobewegung erfolgt, wird ihr neben der Pufferwirkung auch eine Bedeutung für die Vaskularisation des Implantatbettes zugeschrieben. Das initial zellreiche Interface wird mit zunehmender Implantattragedauer zellärmer und fibrös umstrukturiert. Bei stabilen Implantaten ist das Interface schmal und die Kollagenfasern straff und parallel um das Implantat angeordnet. Bei Instabilität ist der Kollagensaum ungleich breiter, verliert zum Prothesenstiel hin an Faserdichte und ist in seiner Gesamtgefügestruktur aufgelockert, bedingt durch nicht lamelläre Anordnung der Kollagenfasern (⊡ Abb. 2.18 und 2.19).
⊡ Abb. 2.18. Bindegewebiges Interface mit parallellamellärer, straffer und ungeordneter Anordnung der Kollagenfasern. Vergrößerung: 128x, Paraffin, HE
a
b
⊡ Abb. 2.19. a Implantat mit breitem bindegewebigen Interface und fehlender ossärer Integration. Übersicht und Vergrößerung: 64×, PMMA, K1. b Prothesenstiel mit vollständiger ossärer Integration. Übersicht und Vergrößerung: 64×, PMMA, K1
42
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Morphologische Veränderungen
2
Morphologische Veränderungen der Spongiosa und Kompakta eines endoprothetisch versorgten Femur sind neben der biomechanisch bedingten, veränderten Belastung auf die Implantation zurückzuführen. Bei der Präparation des Implantatlagers wird das medulläre Gefäßgeflecht verletzt, sodass in weiten Bereichen hypo- und avaskuläre Knochenstrukturen vorliegen. Nur in metaphysären Bereichen bleiben aufgrund der von der A. nutritia unabhängigen Versorgung intakte Gefäße bis in Implantatnähe erhalten. Wird eine Prothese mit Knochenzement implantiert, verursachen die thermischen und chemisch-toxischen Noxen der Zementpolymerisation eine zusätzliche Gewebe- und Knochenschädigung in der Kompakta. Das Bild der Gewebeschädigung ist im gesamten Bereich ähnlich und entspricht dem einer Nekrose, mit unterschiedlicher Ausdehnung. Im Zuge der Revaskularisation, die verstärkt vom periostalen Gefäßnetzwerk ausgeht, unterliegt das innere und mittlere Drittel der Kortikalis Resorptionsprozessen, die sowohl die Nekrosen als auch gleichzeitig den vitalen Knochen betreffen, entsprechend der veränderten biomechanischen Krafteinleitung. Dadurch entstehen Resorptionslakunen und eine Spongiosierung der Kompakta, die mit zunehmender Implantattragedauer an Ausmaß und Größe wieder verlieren. Mitunter wird im inneren Kortikalisdrittel eine sekundäre Markhöhle ausgebildet. Gleichzeitig erfolgt appositionell eine Dickenzunahme, die temporär auf die postoperative Zeit beschränkt oder aber als appositionelle Wandverdickung belastungsabhängig bestehen bleiben kann.
Abriebpartikel: Identifikation und Reaktion Durch Verwendung verschiedenster Materialien, z. B. Metall, Polyäthylen, Keramik etc. sowie deren Paarungen als Gleitkörper und dem Einsatz von Knochenzement stehen den biologischen Anforderungen bezüglich Verträglichkeit vor allem technische Anforderungen der Tribologie gegenüber. Abriebpartikel entstehen an Artikulationsflächen in unterschiedlicher Menge, Form und Größe. In Abhängigkeit von der Größe werden die Partikel phagozytiert und über Lymphspalten abtransportiert (<20 µm), oder im Gewebe abgelagert und von Histiozyten und Fremdkörperriesenzellen umgeben (>20 µm). Daraus entwickelt sich ein Fremdkörpergranulationsgewebe, das
je nach Material charakteristische Merkmale besitzt. Die Qualität und Größe der Abriebpartikel ist vorwiegend für die zelluläre Zusammensetzung der Gewebereaktion verantwortlich. Polymorphkernige Leukozyten sind nur in Verbindung mit Infektionen nachweisbar und fehlen in dem fremdkörperbedingten chronisch-proliferativen Granulationsgewebe. Die Intensität und Ausdehnung der Gewebereaktion wird von der anfallenden Partikelmenge und der Transportkapazität der perivaskulären Lymphspalten bestimmt [6]. Solange ein Gleichgewicht zwischen Materialverschleiß und Gewebsreaktion besteht, ist der Zustand kompensiert. Bei einem Überangebot an Verschleißprodukten, eine Folge von ungünstigen Materialpaarungen, Beschädigung, Subluxation und Instabilität, dekompensiert dieser Mechanismus und bedingt die Proliferation eines Fremdkörpergranuloms mit Neigung zu Fibrosierung und Nekrose. Besondere Aufmerksamkeit muss der topographischen Lage der Fremdkörper im Gewebe entgegengebracht werden, da z. B. die Kumulation von Abriebpartikeln unmittelbar im Interface die Langzeitstabilität des Implantates beeinträchtigt. Dazu ist die eindeutige Identifikation der Partikel notwendig, die sich im Lichtmikroskop oft als schwierig erweist. Die elementare Zusammensetzung ist nur mit Hilfe analytischer Verfahren, wie z. B. Atomabsorptionsspektroskopie (AAS), »energy-dispersiv-analytic X-ray« (EDAX) oder Laser-Mikrosonden-Massenanalyse (LAMMA), eruierbar [7].
Metall Metallabrieb ist makroskopisch an der Grau- bis Schwarzfärbung des Gewebes erkennbar und erscheint im normalen Durchlicht immer schwarz mit unterschiedlichen Formen: rundlich, spanförmig oder scharfkantig mit spitzen Ecken. Die Größenverteilung variiert von 0,5–100 µm, wobei Partikel von 0,5–5 µm am häufigsten nachweisbar sind und oft zu größeren Haufen agglomeriert vorliegen. Im polarisierten Licht sind sie durch den lichtbrechenden Effekt der Kanten als randständig hell gelb-orange leuchtende Partikel erkennbar (⊡ Abb. 2.20 und 2.21). Geringe Mengen von Metallabriebpartikeln werden extrazellulär und nur z. T. intrazellulär in mononukleären Histiozyten gespeichert. Bei erhöhtem Anfall überwiegt die Phagozytose mit intrazellulärer, perivaskulärer Konzentration. Gewebeschichten mit exzessiver Metallbeladung degenerieren mit vollständiger Nekrose der His-
43 Kapitel 2.4 · Grundlagen: Histologische Untersuchungen von Implantaten
⊡ Abb. 2.20. Metallose des Interface, kompensiert mit intrazelluär gespeichertem Metallabrieb. Durchlicht (links)/polarisiertes Durchlicht (rechts); Vergrößerung: 320×, HE
⊡ Abb. 2.21. Metallose des Interface, dekompensiert mit nekrotischer Degeneration der Phagozyten und Gewebszellen und vollständiger Strukturauflösung. Durchlicht (links)/polarisiertes Durchlicht (rechts); Vergrößerung: 320×, HE
tiozyten und Makrophagen. Häufig sind Lymphozyten und Plasmazellen in Bereichen histiozytärer Infiltration vorhanden, die auf eine mögliche Hypersensibilisierung zurückgeführt werden können [7–9].
Polyäthylen Polyäthylenpartikel sind farblos, durchscheinend und somit im Durchlichtmikroskop nur schwer identifizierbar,
2.4
⊡ Abb. 2.22. Exzessive Gewebsbelastung mit PE-Flakes unterschiedlichster Größe und ausgeprägter Fremdkörperreaktion. Durchlicht (links)/polarisiertes Durchlicht (rechts); Vergrößerung: 16×, HE
⊡ Abb. 2.23. Ausschnittvergrößerung aus Abb. 2.22. Ausgeprägte Fremdkörperreaktion mit zahlreichen, mehrkernigen Fremdkörperriesenzellen und intrazellulär gespeicherten PE-Partikeln. Durchlicht (links)/polarisiertes Durchlicht (rechts); Vergrößerung: 64×, HE
andererseits aufgrund ihrer doppelbrechenden Eigenschaften im polarisierten Licht als hell-weiß aufleuchtende Partikel gut sichtbar. Feiner Polyäthylenabrieb ist körnig, plättchen- oder spindelförmig und meist 5–40 µm groß. Seltener werden Partikel 50–100 µm groß bzw. größere Flakes gefunden. Bei vermehrtem Abriebanfall von sehr kleinen Partikeln zeigt sich Tendenz zur Agglomeration (⊡ Abb. 2.22 und 2.23). Polyäthylenpartikel stimulieren im Vergleich zu Metall und Acrylat die ausgeprägteste histiozytäre Reaktion.
44
2
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Kleinere Partikel sind in mononukleären Makrophagen gespeichert, größere werden von zahlreichen mehrkernigen Fremdkörperriesenzellen umflossen und phagozytiert. Mit zunehmender Prothesentragezeit und vermehrtem Abriebanfall verbreitert sich das Kapselregenerat und das Interface mit deutlicher Tendenz zu Fibrosierung und z. T. Nekrotisierung [8, 10].
können, für eine extreme Metallose durch 3-Körperverschleiß und Nekrose verantwortlich gemacht werden (⊡ Abb. 2.24) [11].
Acrylat
Al2O3-Keramik-Abriebpartikel sind aufgrund der hervorragenden tribologischen Eigenschaften und der ungleich größeren Härte im Vergleich zu anderen Gleitpartnern nur selten nach einem Kugelbruch, bzw. bei einer Al2O3Al2O3-Paarung zu finden. Die Keramikpartikel kommen als feine Körner <0,5 µm, Splitter oder größere Fragmente bis 10 µm vor. Im Durchlicht sind sie von einer scharfen, dunklen Linie begrenzt und sind im Zentrum milchig transparent. Sehr feinen Partikeln fehlt das durchscheinende Zentrum, wodurch sie als fast homogene dunkle Körper erscheinen. Die nur spärlich auffindbaren Keramikpartikel werden bevorzugt intrazellulär gespeichert und in tieferen Gewebeschichten bevorzugt perivasal abgelagert. Eine Fremdkörperreaktion wird nicht stimuliert. Häufig jedoch können Keramikpartikel, die nach einem Prothesenversagen und einer neuerlichen Prothesenimplantation aus dem Kapselregenerat in den Gelenkspalt penetrieren
Knochenzement (Polymethylmethacrylat – PMMA) wird bei der histologischen Präparation aus dem Gewebe herausgelöst und kann nur anhand der »leeren« ovalen oder runden, den Acrylatperlen entsprechenden Löchern vermutet werden. Die Größenverteilung ist weit gestreut und reicht von <1 µm bis 1 mm und mehr. Feinkörnige Partikel <0,5 µm sind, da intrazellulär gespeichert, lichtmikroskopisch nicht eindeutig identifizierbar, verleihen der Zelle aber eine gelbliche Farbe und teilweise eine geringe Doppelbrechung im polarisierten Licht. Das dem Knochenzement zugesetzte Röntgenkontrastmittel Zirkoniumdioxid (ZrO2) liegt als maulbeerförmiges Konglomerat vor und ist ebenfalls wie der Zement, im polarisierten Licht diffus weißlich, mäßig doppelbrechend, bei größeren Konglomeraten hell polarisierend (⊡ Abb. 2.25). Sehr feiner Zementabrieb wird in mononukleären Histiozyten gespeichert, größere Acrylatpartikel sind regelmäßig von 1–4 Lagen mehrkerniger Fremdkörperriesenzellen und/oder spindelförmigen Histiozyten (Fibroblasten) umgeben. Ansammlungen des feinkörnigen Materials finden sich auch extrazellulär inner-
⊡ Abb. 2.24. Metallose, die von Keramikpartikeln (links oben und rechts
⊡ Abb. 2.25. Abriebbeladenes Interface mit diffus, intrazellulär vorlie-
unten) nach einem Prothesenversagen verursacht wurde. Durchlicht (links)/polarisiertes Durchlicht (rechts); Vergrößerung: 100×, HE
gendem Acrylat-Abrieb und einzelnen Zirkoniumdioxid-Konglomeraten. Durchlicht (links)/polarisiertes Durchlicht (rechts); Vergrößerung: 128×, HE
Keramik
45 Kapitel 2.4 · Grundlagen: Histologische Untersuchungen von Implantaten
halb fibrosierter Bereiche zwischen Bindegewebsfasern und perivaskulär. Die Fremdkörperriesenzellzahl und die Granulomentwicklung korreliert mit der Menge der Abriebpartikel [6].
Fazit Aufgrund der komplexen Interaktion zwischen Organismus und Implantat bzw. einzelner Implantatbestandteile muss neben der werkstoffkundlichen Analyse der Implantate eine präzise histologische Aufarbeitung des periimplantären Gewebes erfolgen. Die histologische Untersuchung stellt somit eine essentielle Basisuntersuchung – sowohl in der Entwicklung neuer Implantate als auch in der Versagensanalyse explantierter Implantate – dar.
Literatur 1. Prieur WD (1980) Coxarthrosis in the dog. Part I: normal and abnormal biomechanics of the hip joint. Vet Sur 9:145–149 2. Tsutsui T et al. (1999) Exposure of macrophage-like cells to titanium particles does not effect bone resorption, but inhibits bone formation. J Orthop Sci 4:32–38 3. Urban RM et al. (2000) Dissemination of wear particles to the liver, spleen and abdominal lymph nodes of patients with hip or knee replacement. J Bone Joint Surg Am 82/A:457–476 4. Rahn BA (1976) Die polychrome Sequenzmarkierung des Knochens. Nova Acta Leopoldina, Leipzig 233:249–255 5. Heuck F (1969) Mikroradiographische Untersuchung des gesunden und kranken Knochengewebes. Radiologe 9:142–154 6. Willert HG, Lintner GF (1987) Morphologie des Implantatlagers bei zementierten und nicht zementierten Gelenkimplantaten. Langenbecks Arch Chir 372:447–455 7. Maloney WJ et al. (1995) Isolation and characterization of wear particles generated in patients who have had failure of a hip arthroplasty without cement. J Bone Joint Surg Am 77/A:1301– 1310 8. Lee JM et al. (1992) Size of metallic and polyethylene debris particles in failed cemented total hip replacement. J Bone Joint Sur Br 74/B:380–384 9. Lombardi AV et al. (1989) Aseptic loosening in total hip arthroplasty secondary to osteolysis induced by wear debris from titanium-alloy modular femoral heads. J Bone Joint Surg Am 71/A:1337–1342 10. Schmalzried TP et al. (1992) Periprosthetic bone loss in total hip arthroplasty. Polyethylene wear debris and the concept of effective joint space. J Bone Joint Surg Am 74/A:849–863 11. Milosev L et al. (2000) Extensive metallosis and necrosis in failed prostheses with cemented titanium-alloy stems and ceramic head. J Bone Joint Surg Br 82/B:352–357
2.4
2.5 Grundlagen Metallurgische Grundlagen für die gusstechnische Herstellung einer räumlichen Oberflächenstruktur K. Klingbeil
Zusammenfassung Die zementfreie Integration von Implantaten im knöchernen Lager erfolgt am sichersten, wenn die Oberfläche der Implantate durch eine Modifikation ihrer räumlichen Gestaltung eine biomechanische Verbindung zwischen dem wachsenden Knochen und der Implantatoberfläche zulässt. Dies ist beispielsweise mit dreidimensionalen interkonnektierenden Strukturen möglich, deren Herstellung auf der Oberfläche von Endoprothesen nur mit einem speziellen gusstechnischen Verfahren gelingt. Dabei wird als Werkstoff eine Kobaltbasislegierung eingesetzt, die eine hohe Festigkeit und Duktilität besitzt und dadurch für die knöcherne Integration der Endoprothesen einen dauerhaften und festen Verbund zwischen Endoprothese und knöchernem Lager garantiert. Die Qualität des Gusses kann durch zusätzliche Wärmebehandlungen erhöht werden, die auch die mechanische Bearbeitung der Prothese durch Drehen, Fräsen, Schleifen und Polieren verbessern.
Entwicklung In der Geschichte der Endoprothetik sind unterschiedliche Wege bei der Gestaltung der Oberflächengeometrie beschritten worden [1]. Die einfachste Form der Oberflächengestaltung, die zum Teil auch heute noch zur Anwendung kommt, ist eine Vergrößerung der Implantatoberfläche durch einfache geometrische Gestaltungen, z. B. durch gewindeähnliche Strukturen [2, 3], durch
kraterförmige Vertiefungen [4] oder durch Tragrippen [5]. Diese Oberflächengestaltung lässt das Heranwachsen der Spongiosa an die zerklüftete Implantatoberfläche zu und schafft dadurch eine mechanische Verbindung zwischen Implantat und Knochen. Da sich bei dieser Verankerung in der Regel eine Bindegewebsschicht an der Implantatoberfläche ausbildet, ist eine kraftschlüssige Verankerung des Implantates nur bedingt gegeben, sodass es bei hohen Belastungen zu einer Lockerung kommen kann. Durch das Aufsintern von Kugeln gelang es Lord [6], eine Oberfläche zu schaffen, die sich auch in der Tiefe öffnete und ein begrenztes Hineinwachsen der Spongiosa in das Implantat zuließ. Die begrenzte mechanische Festigkeit dieser Oberfläche führte zum Teil zum Ablösen der aufgesinterten Strukturen bei hohen Belastungen und damit zum Versagen der Prothese. Eine wichtige Voraussetzung für eine lange Lebensdauer von Implantaten ist, dass sich bei der Verankerung der Endoprothesenkomponenten im knöchernen Lager ein stabiles mechanisches und biologisches Gleichgewicht zwischen dem Implantat und dem sich neu bildenden und kontinuierlich umbauenden Knochen einstellen kann. Dies ist mit interkonnektierenden Raumstrukturen möglich, durch die der Knochen hindurchwachsen kann und in denen er auch durchblutet wird. Diese dreidimensionalen Raumstrukturen wurden erstmalig mit dem Spongiosa Metal® I geschaffen [7, 8], das auf der Basis retikulierter Filterschäume entstand, und eine technische Weiterentwicklung im Spongiosa Metal® II (Grundei) fand, das aus miteinander vernetzten Tripoden aufgebaut ist [9].
2.5
47 Kapitel 2.5 · Grundlagen: Metallurgische Grundlagen für die gusstechnische Herstellung
Metallurgische Grundlagen Die Herstellung dieser dreidimensionalen Raumstrukturen auf der Oberfläche zementfreier Endoprothesen ist nur auf gusstechnischem Wege über das Wachsausschmelzverfahren möglich, wobei sich vor allem Kobaltbasislegierungen mit ihrer hohen Festigkeit und Duktilität als Einsatzmaterial anbieten (⊡ Tabelle 2.3). Diese Werkstoffe aus den Legierungselementen Kobalt, Chrom und Molybdän sind seit den dreißiger Jahren im klinischen Einsatz und zeichnen sich durch eine hohe Biotolerabilität, gute Korrosionsstabilität und mechanische Bearbeitbarkeit aus [10]. Der Nickelgehalt dieser Legierung wird bewusst niedrig gehalten (<0,25%), um die Gefahr von allergischen Reaktionen zu minimieren.
Gusstechnische Herstellung dreidimensionaler Raumstrukturen Für die gusstechnische Herstellung wird das so genannte Feingießen nach dem Wachsausschmelzverfahren verwendet [11]. Bei diesem Verfahren wird für jedes metallische Implantat, das hergestellt werden soll, ein entsprechendes Vorbild – ein »Modell« – aus speziellem Wachs und verbrennbarem Kunststoff gefertigt. Dieses Präzisionsgießverfahren sichert eine endabmessungsnahe Herstellung von Gussstücken mit einer sehr hohen Ober-
flächengüte. Eine Gusshaut im herkömmlichen Sinne entsteht nicht. Mit diesem Verfahren ist die Herstellung von Teilen mit komplizierten Hinterschneidungen, wie sie bei der dreidimensionalen Raumstruktur auftreten, möglich (⊡ Abb. 1.15). Die dabei entstehende Oberflächenstruktur bildet mit dem Kern eine feste Einheit und verhindert, dass sich bei Belastung Einzelteile der Struktur ablösen. Die Modelle aus speziellem Wachs oder thermoelastischen Kunststoffen kommen aus mehrteiligen Spritzgießwerkzeugen und werden mit halbautomatischen Wachsspritzmaschinen hergestellt. Die exakte Steuerung von Form- und Wachstemperatur sowie des Spritzdruckes sichert das Entstehen von formtreuen Modellen in engen Maßtoleranzen. An den Modellen werden dabei bereits so genannte »Anschnitte« vorgesehen, mit denen die Einzelwachse in einem späteren Arbeitsgang in ein Gießsystem eingefügt werden können. Diese Wachsmodelle werden in einem aufwendigen Prozess entweder von Hand oder mit einem Roboter mit der räumlichen Struktur versehen. In Ausnahmefällen und bei kleineren Serien können diese Modelle auch mit Hilfe der Stereolithographie aus Wachs oder Kunststoff hergestellt werden. Die Wachsmodelle werden im ersten Schritt des Gießprozesses (⊡ Abb. 2.26) zu so genannten Trauben zusammengefügt, um bei jedem Guss gleich mehrere Endoprothesen zu erhalten. Diese Modelltrauben bestehen in der Regel jeweils aus einem gleichfalls aus Wachs gespritzten Zentralstab mit bereits angefügtem keramischen Gieß-
⊡ Tabelle 2.3. Mechanische Eigenschaften der eingesetzten Werkstoffe (Zugfestigkeit Rm, 0,2% –Dehngrenze RP0,2, Bruchdehnung A, Dauerbiegefestigkeit σ BW ) Werkstoff
Norm
Messwerte
Rm MPa
Rp0,2 MPa
A%
Rm Pa
Rp0,2 MPa
A%
σ BW MPa
CoCrMo-Gusslegierung (ISO 5832–4, ASTM F75)
>665
>450
>8
800–1000
500–600
10–20
400–500
CoCrMo-Schmiedelegierung (ISO 5832–12, ASTM F799)
>1172
>827
>12
1200–1400
850–1050
20–30
600–700
CoCrMo-Schmiedelegierung (pulvermetall.-erschmolzen) (ISO 5832–12, ASTM F1537)
>1172
>827
>12
1200–1400
900–1100
20–30
600–700
Titan GRAD 1–4B (ISO 5832–2)
200–680
140–520
30–10
250–750
200–550
16–30
100–300
TiAl6V4 gegossen (EN 3352, ASTM B 367–83)
>880
>815
>5
880–1000
815–900
5–10
TiAl6V4 geschmiedet (ISO 5832–3)
> 860
>780
>10
860–1120
800–1000
10–15
440–690
48
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Formherstellung
2
Gießen
Montage Brennen und Erhitzen der Form
Gußbaum
Tauchen
Feinkeramik
Gießen
Vakuum- oder Roll-over-Gießen
Stützkeramik Besanden Abschlagen der Formmasse
Trennen
Schalenbildung durch mehrmaliges Tauchen und Besanden
Schleifen
Ausschmelzen und Ausbrennen
⊡ Abb. 2.26. Schematische Darstellung des Gießverfahrens
2.5
49 Kapitel 2.5 · Grundlagen: Metallurgische Grundlagen für die gusstechnische Herstellung
trichter, um den bis zu zwölf Endoprothesen angeordnet sind. Die Art der Montage ist ausschlaggebend für die Qualität der Implantate, aber auch für die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. Dieser Modellbaum wird mehrfach in eine zähflüssige Formkeramik, den so genannten Schlicker, getaucht, um eine keramische Schale um den Wachsbaum aufzubauen. Dabei sind vor allem die ersten Schichten der Formkeramik wichtig, die als Negativform alle Einzelheiten der Endoprothese und der komplizierten Oberfläche wiedergeben muss. Danach werden weitere gröbere Schichten, die Stützkeramik, aufgebracht, die der keramischen Form auch eine ausreichende mechanische Stabilität verleihen sollen. Nach jeder Schicht erfolgt eine Besandung und sorgfältige Trocknung der Form unter kontrollierten klimatischen Bedingungen sowie der Einsatz von Katalysatoren, die die Aushärtung beschleunigen, um ein Reißen der Form zu verhindern. Nach dem Aushärten der keramischen Stützschicht hat der Wachsmodellbaum seine Aufgabe erfüllt und kann aus der Form entfernt werden. Das erfolgt in einem speziellem Ofen, in dem das Wachs zunächst verflüssigt wird und aus der Form läuft. Danach erfolgt eine aktive Verbrennung der Wachsreste und der Kunststoffanteile, sodass am Ende dieses Prozesses eine Hohlform entsteht, die für den Gießprozess zur Verfügung steht. Diese Form wird vor dem Abgießen gebrannt und mit einer Temperatur von etwa 1200 °C zum Gießprozess geführt, um zu sichern, dass die Schmelze auch in enge Querschnitte und feinste Konturen ausläuft. Das Abgießen der Kobalt-Basis-Legierung erfolgt bei einer Temperatur zwischen 1500 und 1600 °C und kann je nach Anforderung an das Implantat in einer Vakuum-Induktions- oder einer Roll-over-Schmelz- und Gießanlage erfolgen. In der Vakuumanlage erfolgt das Schmelzen der CoCrMo-Legierung in einer geschlossenen Kammer bei Unterdruck und in einer Stickstoffatmosphäre (⊡ Abb. 2.27) [12]. Die Roll-over-Anlage ist dagegen ein offenes System, das bei atmosphärischem Druck, aber auch unter einem Schutzgasschleier arbeitet, um ein Oxidieren der Schmelze zu verhindern (⊡ Abb. 2.28). Nach dem Abkühlen der Traube wird die keramische Schale abgeschlagen und der Gussbaum mit Trennscheiben in seine Einzelteile getrennt. Danach erfolgt ein wichtiger Schritt des metallurgischem Prozesses – das Homogenisierungs- oder Lösungsglühen, bei dem die hohen Leistungsparameter des Materials (Zugfestigkeit und Bruchdehnung) erzeugt wer-
Material-Schleuse
Schmelzkammer
Induktionsbeheizter Schmelztiegel
Schleuse
Zur Vakuumpumpe und Schutzgaseinleitung
Zur Vakuumpumpe und Schutzgaseinleitung Gießkammer
Feingussform
Gussteilentnahme
⊡ Abb. 2.27. Vakuumgießanlage
⊡ Abb. 2.28. Roll-over-Schmelz- und Gießanlage
50
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Gusslegierung
Gusslegierung homogenisiert
2
⊡ Abb. 2.29. Schliffbilder der CoCrMo-Gusslegierung
den. Bei einer Temperatur von 1100–1200 °C gehen die Karbide, die sich an den Korngrenzen angelagert haben, fein verteilt in Lösung. Dieser Zustand wird nach einer Haltezeit von etwa einer Stunde durch Abschrecken der Teile in Wasser stabilisiert. Es entsteht ein metallurgisches Gefüge mit feinen Korngrenzen, das eine Zugfestigkeit von etwa 1000 MPa und eine Bruchdehnung von etwa 20% besitzt (⊡ Abb. 2.29). Diese Fertigung ist ein technologisch und zeitlich sehr aufwendiger Prozess, der etwa 2–4 Wochen in Anspruch nimmt. Werden Gussrohlinge aus klinischen Gründen, z. B. bei Sonderimplantaten für die Tumorversorgung, in kürzerer Zeit benötigt, so ist auch ein Abguss in Hochfrequenzgießanlagen für Schleuderguss möglich. Beim Schleudergießverfahren werden die Wachsmodelle vollständig in einen Keramikkörper (Muffel) eingegossen, der in einem Ofen ausgeformt (entwachst) und gebrannt wird. Die Schmelze wird induktiv unter Schutzgas in einem Schmelzriegel hergestellt, der in einem Gehäuse auf einem Schleuderarm befestigt ist. Nach dem Er-
reichen der erforderlichen Schmelztemperatur wird die heiße Form horizontal vor die Öffnung des Schmelzriegels gelegt und der Schleudervorgang gestartet, bei dem der Schleuderarm in schnelle Umdrehungen (200–500 U/min) versetzt wird. Dabei schießt die Schmelze unter der Wirkung der Zentrifugalkraft in die heiße Form. Auch dieser Gießprozess wird mit dem Entformen des Gussrohlings, dem Trennen vom Angießer und der Wärmebehandlung abgeschlossen. Die Herstellung im Schleudergussverfahren ist teurer, da in der Regel nur einzelne Gussrohlinge hergestellt werden, ist aber innerhalb von vierundzwanzig Stunden zu realisieren. Bei allen Gießprozessen erfährt der Gussrohling einen Maßschwund, der beim Wachsmodell etwa 1% gegenüber der Wachsform und beim Gießprozess etwa 2% gegenüber der Keramikform beträgt. Um maßgerechte Gussrohlinge herstellen zu können, wird der Gesamtschwund von 3% deshalb bereits bei der Herstellung der Wachsform berücksichtigt, die entsprechend größer ausgeführt werden muss.
2.5
51 Kapitel 2.5 · Grundlagen: Metallurgische Grundlagen für die gusstechnische Herstellung
Metallurgische Eigenschaften der interkonnektierenden dreidimensionalen Oberfläche Spongiosa-Metal® II Der effektive Elastizitätsmodul der gegossenen Spongiosa-Metal®-II-Oberfläche besitzt einen Wert von 300–400 N/mm2, ist also mit den Werten des natürlichen Knochens vergleichbar (⊡ Tabelle 2.4). Dadurch ergibt sich, dass das knöchern integrierte Implantat auf der Grenzfläche zwischen Implantat (E-Modul 220000 N/mm2) und Knochen (E-Modul 1000–17000 N/mm2) eine isoelastische Verbindungsschicht (Spongiosa-Metall + natürliche Spongiosa) besitzt, die für einen natürlichen Kraftfluss über das Implantat und für eine natürliche Spannungsverteilung im umgebenden Knochen sorgt. Unter bestimmten Bedingungen, z. B. wenn keine weitere mechanische Bearbeitung der Implantatoberfläche durch Schleifen, Polieren oder Strahlen erfolgt, kann eine HIP-Behandlung (»hot isostatic pressing«) der Gussrohlinge erforderlich werden. Bei dieser Behandlung werden durch hohen Druck und hohe Temperatur Mikroporositäten beseitigt und Poren verschweißt, sodass
eine Erhöhung der Festigkeit und eine Verbesserung der Oberflächenqualität möglich ist (⊡ Abb. 2.30). Das Gießverfahren und die abschließende Oberflächenbehandlung durch Beizen und Sandstrahlen liefern Gussrohlinge mit einer großen Form- und Maßtreue, hoher Festigkeit und ausgezeichneter Oberflächengüte.
⊡ Tabelle 2.4. Elastizitätsmoduli von Werkstoffen und Strukturen Werkstoff
E-Modul [N/mm2]
Kobaltbasislegierung
220000
CrNiMo-Stahl
210000
Titan
110000
Titanlegierungen
110000
Al2O3-Keramik
380000
Polyethylen
1000
Knochen (Kortikalis)
10000–20000
Knochen (Spongiosa)
100–2000
Spongiosa Metal II (Typ: forte)
300–400
1500
2000 Th1-Th3: Zonenthermoelemente Th4-Th8: Ladungsthermoelemente
1350
1600
Th8 Th7
600
P
450
1200 1000
Th2
Th5 Th4
800 Th3
600
300
400
150
200
0
0
1
2
3
4
⊡ Abb. 2.30. »Hot Isostatic Pressing« (HIP)
5
6
7
8 Zeit in h
9
10
11
12
13
14
15
16
0
Argondruck p in bar
750
Th1
Th6
Zone 2
900
1400
Ladung
Zone 1
T
1050
Zone 3
Temperatur T in °C
1200
1800
52
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Qualitätssicherung
2
Begleitet wird der gesamte Gießprozess medizinischer Produkte durch eine umfangreiche Qualitäts- und Werkstoffprüfung. Die Gussrohlinge werden nach der Wärmebehandlung zunächst mit Hilfe des Farbeindringverfahrens auf Oberflächendefekte (Risse, Poren) untersucht. Danach erfolgt eine 100%ige Röntgenkontrolle, um auch innere Fehler des Gussteiles (Lunker, Porositäten) zu erkennen. Parallel dazu erfolgt die Bestimmung der mechanischen Eigenschaften (Zugfestigkeit Rm, 0,2% -Dehngrenze RP0,2, Bruchdehnung A und Brucheinschnürung Z) an Zugproben, die mit der Traube gegossen worden sind. Erst, wenn diese Prüfungen bestanden worden sind, wird der Gussrohling für die weitere Bearbeitung freigegeben.
Titanlegierungen und dreidimensionale Oberflächen Der Einsatz von Titan und Titanlegierungen (⊡ Tabelle 2.3) für die Herstellung von Endoprothesen mit einer dreidimensionalen Raumstruktur ist möglich, aber nicht unproblematisch [12]. Titan und seine Legierungen schmelzen erst bei sehr hohen Temperaturen (1800 °C) und stellen deshalb hohe Anforderungen an die keramische Form und die technische Ausstattung der Gießanlage. Wegen der hohen Reaktivität der Schmelze reagiert das flüssige Titan mit Elementen der Schmelz- und Gussform, sodass an der Oberfläche der Gussrohlinge Verbindungen entstehen können, die nicht biokompatibel sind. Außerdem kommt es in der Randzone durch Sauerstofflösung zu Gitterverspannungen im Gefüge, die zur Versprödung des Werkstoffes führen (»α-case«). Diese Veränderungen im Randbereich erfordern eine aufwendige Nacharbeit an den Gussrohlingen, um die veränderte Randzone durch technische oder chemische Prozesse wieder abzutragen. Die technischen Parameter von Gussrohlingen aus Titan und Titanlegierungen sind im Vergleich zu Titanschmiedelegierungen oder Kobaltbasislegierungen eher bescheiden (⊡ Tabelle 2.3). Besonders die niedrige Dauerbiegewechselfestigkeit empfiehlt es, vergossene Titanwerkstoffe nur bei kleineren Endoprothesen (Zahnimplantate) oder Sonderimplantaten (Wirbelkörperersatz) einzusetzen oder durch die konstruktive Auslegung der Implantate die erforderliche Festigkeit zu erzielen. Wegen
der aufgetretenen Gussporositäten ist bei Titanrohlingen eine HIP-Behandlung zur Verdichtung der Bauteile unbedingt erforderlich.
Fazit Durch die dargestellten technologischen Abläufe können Implantate mit einer räumlichen Oberflächenstruktur geschaffen werden, die einerseits dem Knochen einen festen Halt für die knöcherne Integration bieten und die anderseits als homogene Gussteile eine feste Verbindung mit dem tragenden Implantatkern besitzen. In Verbindung mit der anatomischen Gestaltung der Endoprothesenkomponenten entstehen Implantate, die eine lange Lebensdauer und eine beschwerdefreie Funktion ermöglichen.
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3.1 Oberflächenbeschichtung Beschichtungen auf Implantaten D. Repenning
Zusammenfassung Die Anforderungen an Implantatwerkstoffe sind je nach Einsatzbereich sehr vielfältig: Sie reichen von hoher mechanischer Dauerwechselfestigkeit über angepasste Steifigkeiten und hoher Bruchdehnung hin zu den unabdingbaren biologischen Verträglichkeiten. Alle in der Implantologie verwendeten Werkstoffe sind technische Werkstoffe und primär nicht für biologische Belange entwickelt worden. Entsprechend erfüllen die in der Implantologie verwendeten Werkstoffe die mechanischen Anforderungen in exzellenter Weise, während von biologischer Seite in zweierlei Hinsicht Optimierungsbedarf besteht: Einerseits sind alle metallischen Implantatwerkstoffe besonders in bakteriell entzündlichen Situationen korrosionsanfällig und andererseits denaturieren sie an der Oberfläche adsorbierte Eiweiße. Besonders mit Beschichtungen auf Tantal-, Niob- und Zirkoniumoxidbasis sowie ihrer multinärer Verbindungen werden die Ionenabgaben um mehrere Größenordnungen im Vergleich zu den herkömmlichen Werkstoffen verringert, und sie bieten Potential, in der Feinabstimmung ihrer multinären Zusammensetzung spezifische Proteinadsorptionen zu unterstützen.
gewebe so erreicht werden, dass das Therapeutikum so eingestellt ist, dass seine unphysiologischen Wirkungen und Nebenwirkungen auf den Organismus stets kleiner sein werden als dessen kompensatorische Potenz« [1]. Unabhängig von der physiologischen und somatischen Situation hängt die Sensitivität des Patienten gegenüber dem Fremdkörper von zwei grundsätzlichen Faktoren ab: 1. von den gewählten Materialien und der Kombination dieser Materialien bei mehrteiligen Implantatsystemen und 2. von der geometrischen Auslegung des Implantatsystems.
Implantatmaterialien in der Medizin In der Implantologie haben sich in den verschiedenen implantologischen Einsatzgebieten unterschiedliche Materialien durchgesetzt, deren Hauptauswahlkriterien im Wesentlichen durch die mechanischen Eigenschaften – teils auf Kosten der bestmöglichen biologischen Akzeptanz – bestimmt sind. ⊡ Tabelle 3.1 gibt hierzu einen repräsentativen Überblick.
Einleitung
Kobaltbasislegierungen
Implantate stellen für den Patienten eine biologische »Fremdsituation« dar, die grundsätzlich zu Fremdkörperreaktionen führt. »Insofern muss die Langzeitstabilität der Kontaktzone eines Implantats mit dem Hart- und Weich-
In der Knieendoprothetik werden beispielsweise die Kobaltbasislegierungen aufgrund der günstigeren mechanischen Eigenschaften, wie Dauerwechselfestigkeit, Kerbunempfindlichkeit und E-Modul, gegenüber den biolo-
54
Teil II · Experimentelle Grundlagen
⊡ Tabelle 3.1. Gängige medizinische Implantatmaterialien mit typischen Eigenschaften
3
Implantologischer Einsatzbereich
Bevorzugter Werkstoff
Selektierter Hauptvorteil
Restriktionen
Hüft und Knieimplantologie im Knochenkontakt
CoCrMo bzw. CoNiCrMo-Legierungen z. B. CoCr28Mo6 und CoNi35Cr20Mo10
Hohe Dauerwechselfestigkeit (σ > 450 MPa) und hohe Streckgrenze (Rp > 900 MPa), geringe Kerbempfindichkeit
Titanlegierungen: TiGr2 bzw.4, TiAl6V4, TiAl5Nb7
Vergleichsweise gute Biokompatibiltät
▬ Allergene Sensibilisierung ▬ Freisetzung von Metallionen, im verstärkten Maße bei bakteriell verursachten Infektionen ▬ Ausbildung einer Bindegewebskapsel ▬ Niedriges E-Modul ▬ Kerbempfindlich ▬ Empfindlich gegen Reibkorrosion
Unfallchirurgie
316 L X3 CrNiMo 18.4 X2 CrNiMoN 17.13.3
Gute Bearbeitbarkeit und gute mechanische Eigenschaften, hoher E-Modul
▬ Hohe allergene Sensibilisierung ▬ Freisetzung von Ni und Cr ▬ Bindegewebskapsel
Dentalimplantologie Wirbelsäulenchirurgie
Titan Gr2 und Gr4
Gute biologische Verträglichkeit und hinreichende mechanische Festigkeiten, günstige Eigenschaften erzielbar durch plasmaelektrochemische Prozesse
▬ Bildung schwarzer Suboxide ▬ Depassiviert in anaerobem Milieu
Gefäßchirurgie
316 L X3 CrNiMo 18.4
Werkstoff mit sehr guten Poliereigenschaften und hoher Bruchdehnung; gute Stützwirkung bei filigraner Struktur erreichbar
s. oben
Herzchirurgie
Pyrogener Kohlenstoff
Gut bearbeitbarer Werkstoff mit günstigen Reibeigenschaften für die Lagerstellen
Wirkt thrombogen, erfordert dauernde Verabreichung von Antikoagulationsmedikamenten
gisch verträglicheren Titanlegierungen bevorzugt eingesetzt. Kobaltbasislegierungen weisen zwar mit einer sich an der Oberfläche spontan ausbildenden Cr2O3- Passivschicht gute Korrosionsbeständigkeiten auf, mit der steigenden Einsatzdauer der Implantate werden jedoch zunehmend Sensibilisierungen durch allergene Reaktionen beobachtet.
Medizinische Stähle Im Bereich der Gefäßchirurgie kommen für die Gefäßwandstützimplantate (»Stents«) bevorzugt rostfreie austenitische Edelstähle, wie X3CrNiMo18.14 bzw. 316L, zur Anwendung. Edelstähle besitzen nach einer Vakuumweichglühung hohe Bruchdehnungen bis zu 90% und können auf Grund ihres hohen E-Moduls von ca. 210 GPa als filigrane, steife Stützimplantate ausgelegt werden. Bioverträglichere Werkstoffe auf Titanbasis weisen hingegen
nur Bruchdehnungen von 15–40% und E-Module zwischen 110 und 120 GPa auf.
Titan und Titanlegierungen Reintitan- und Titanlegierungen (Ti Gr2, Ti Gr4, TiAl5Nb7) gelten als die bioverträglichsten Werkstoffe und zeigten wie Tantal- und Nioboberflächen eine gegenüber »stainless steel« verbesserte Widerstandsfähigkeit gegenüber bakteriellen Infektionen [2]. Dennoch können Titanwerkstoffe bei bakterieller Infektion korrosionsanfällig sein. In experimentellen Studien wurde gezeigt, dass nach perkutaner Inokkulation mit Staphylococcus aureus die Infektionsrate von Titan bei 35% liegt, während diejenige von »stainless steel« 75% beträgt. Bereits Rabenseifner und Mitarbeiter [2] zeigten in einer 1987 vorgelegten Studie, dass mit »stainless steel« nach Beimpfung mit S. aureus keine Wundeinheilung erfolgte, wäh-
55 Kapitel 3.1 · Oberflächenbeschichtung: Beschichtungen auf Implantaten
3.1
ten des Grundmaterials mit ausgezeichneten biologischen Werten der Beschichtung zu kombinieren.
Interaktionen an der Implantatoberfläche
⊡ Abb. 3.1. Korrosion von vestibulär positioniertem Titan nach 4 Tagen
rend die Wunde nach Knochenbruch mit Tantal- und Niobnägeln »normal« verheilten. Stelzel et al. [3] legte eine Studie mit beschichteten und unbeschichteten oral vestibulär positionierten Titanplättchen vor, in der die Korrosion von Titan zu schwarzen Suboxiden in anaerobem, bakteriellem Habitat bei den Probanden bereits nach 4 Tagen auftrat. ⊡ Abbildung 3.1 zeigt stellvertretend die tiefgründige Korrosion einer Titanprobe. Mit Niob- und Tantal basierten Oberflächen werden Korrosionen selbst im stark sauren Milieu nicht beobachtet. Trotz der vergleichbar besseren Ergebnisse mit diesen Metallen bzw. deren Oxide muss unterstrichen werden, dass Implantate aus jedwedem Werkstoff Fremdkörper für das Immunsystem darstellen und eine Infektion deutlich begünstigen.
Keramik Eine grundsätzlich bessere Situation stellt sich bei der Auswahl der Werkstoffe für artikulierende Flächen in Gelenkprothesen dar. Hier steht mit den Keramikköpfen und -pfannen aus Al2O3 hinsichtlich Abriebfestigkeit, Reibwert und biologischer Verträglichkeit ein Werkstoff zur Verfügung, der in beiden Anforderungsprofilen, der mechanischen Festigkeit sowie der biologischen Kompatibilität vergleichsweise günstige Eigenschaften aufweist. Der Einsatz von Keramiken beschränkt sich im Wesentlichen auf kompakte, steife und nicht bruchgefährdete Implantatkomponenten. Grundsätzlich stößt man jedoch mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden, bearbeitbaren »Volumenwerkstoffen« auf prinzipielle Restriktionen, um alle geforderten Eigenschaften für ein sicher ossär integrierendes, langzeitstabiles Implantat zu erfüllen. Oberflächenbeschichtungen bieten die Möglichkeit, günstige mechanische Eigenschaf-
Bezüglich eines sinnvollen »Bioengineerings« von Oberflächen treten als Erstes die physikalisch-chemisch nachvollziehbaren Forderungen zur Gewebeverträglichkeit in den Vordergrund, die auf das Korrosionsverhalten, also die Ionenabgabe in das Gewebe, abstellen. Dabei sind sowohl die Bedingungen des gesunden als auch des bakteriell infizierten periimplantären biologischen Milieus zu berücksichtigen. Die Korrosion stellt einen relativen Begriff dar und wird durch elektrochemisch bzw. chemisch ermittelte Korrosionsströme beschrieben. Mit Hilfe elektrochemischer Korrosionsuntersuchungen [4] werden bei den Standardimplantatwerkstoffen in physiologischer Kochsalzlösung mit Milchsäure (DIN 13927) Korrosionsströme zwischen 10–6 und 10–8 A/cm2 festgestellt. Überschlagsrechnungen auf Basis der Faraday-Gesetze ergeben, dass bei 1 µA/cm2 für eine in der Hüft- und Knieimplantologie üblicherweise verwendeten CoCrMoLegierung pro Sekunde 1012 Co-Ionen pro Quadratzentimeter Implantatoberfläche in das periimplantäre Gewebe abgegeben werden. Eine weitere Gegenrechnung ergibt, dass pro Quadratzentimeter ca. 1015 Atome in der ersten Atomlage der direkt an der Oberfläche adsorbierten Proteine liegen. Dies bedeutet, dass bei dieser allgemein gültigen und als bioverträglich akzeptierten Korrosionsrate in der ersten Sekunde quasi jedes 1000. Atom der adhärierenden Proteinatomlage, und innerhalb einer Stunde durchschnittlich jedes Proteinatom mit freigesetzten Kobaltionen in Wechselwirkung tritt. Dieser Vorgang bewirkt letztendlich die Fragmentierung und Denaturierung der adhärierenden Proteine. Von der Zusammensetzung der primär adsorbierten Proteinschicht hängt es ab, ob Gewebszellen, Entzündungszellen oder Bakterien an der Oberfläche adhärieren [5]. Eine zusätzliche bakterielle Infektion führt auf Grund der pH-Absenkung und der kathodisch depolarisierenden Wirkung anaerober Spezies auf die Passivschichten der Implantatmaterialien zu einer noch höheren Korrosionsrate. Die sich aus der Oberfläche lösenden Korrosionsprodukte sind Fremdkörper und unphysiologische Ionenzusammensetzungen und können über verschiedene Entzündungs- und Abwehrreaktionen das Immunsystem für Sekundärantworten gegen Bakterien schwächen.
56
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Auslegung und Auswahl von Beschichtungen
3
Oberflächenverfahren verfolgen das Ziel, das Interface zwischen Implantat und Gewebe biologisch, chemisch und physikalisch so zu modifizieren, dass die funktionelle Verträglichkeit zum biologischen Milieu stetig verbessert wird. Die Verfahren zur Oberflächenmodifikation lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen einteilen, nämlich in die physikalischen und chemischen Vakuumbeschichtungsverfahren, in die nasschemischen Auftrags- und Oxidationsverfahren sowie in die klassischen Pulverauftragsverfahren. Die physikalischen und chemischen Hochvakuumverfahren benutzen die übergeordneten Kürzel PVD (»physical vacuum deposition«) und CVD (»chemical vacuum deposition«), von denen sich weitere durch die Verfahrensweise gekennzeichnete ableiten, wie IAD (»ion-assisted deposition«) oder PECVD (»plasmaenhanced chemical vapour deposition«). Im nasschemischen Bereich finden in jüngerer Zeit zunehmend die elektrochemische Plasmaoxidation und das Sol-Gel-Verfahren an Bedeutung. Bei der Plasmaoxidation werden insbesondere auf Titanwerkstoffen durch Anlegen von Spannungen von bis zu einigen 100 V in wässrigen Elektrolyten oberflächenporöse Oxidschichten von ca. 10 µm Dicke erzeugt. Die Anforderungen an Implantatmaterialien sind so differenziert, dass sie nicht mit einem homogenen Vollmaterial erfüllt werden können, sondern nur durch Materialkombination in sog. Verbundwerkstoffen, zu denen auch beschichtete Materialien gehören. Besonders mit den modernen, im Hochvakuum durchgeführten plasma- und ionenunterstützten Beschichtungsverfahren haben sich für die Implantologie vielfältige Möglichkeiten eröffnet, mit einem differenzierten »Bioengineering« auf die zunehmenden Detailerkenntnisse zur Gewebeverträglichkeit von Implantaten zu reagieren. Mit den Beschichtungen verknüpft sind nicht nur Forderungen nach einer reizfreien, gewebeverträglichen Oberfläche, sondern auch nach Eigenschaften, die das Langzeitverhalten des Implantats positiv beeinflussen. Die Forderungen sind im Einzelnen: ▬ Hohe Haftfestigkeit der Schichten auf dem Substratmaterial, die vorzugsweise mit sog. Scratchtests (DIN V EN 1071–3) ermittelt werden. Diese ergeben eine direkte Korrelation zu den Haftscherfestigkeiten. ▬ Erhalt der Dauerwechselfestigkeit des Grundmaterials. Diese wird in der Regel von der Schicht mindernd beeinflusst, wenn sich der E-Modul von der Schicht
▬ ▬
▬
▬
▬ ▬
zum Grundmaterial zu abrupt ändert oder wenn es über die kerbempfindliche Schicht während der dynamischen Dauerbelastung zur Risspropagation ins Grundmaterial kommt. Im Haftbereich der Schicht dürfen sich keine spröden Mischphasen ausbilden. Die Schichten müssen porenfrei, dicht und nach Möglichkeit nanoskaliert sein. Unter porenfrei ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass keine durchgehenden Poren in der Schicht zum Grundmaterial erlaubt sind, um den Austritt schädlicher Korrosionsprodukte möglichst vollständig zu unterdrücken. Die Schichten dürfen keine elektrochemischen Kurzschlusselemente zum Substrat ausbilden oder müssen zumindest so ausgelegt sein, dass ihr Gradientenverlauf eine Selbstheilung zulässt. Um eine späte akute Fremdkörperreaktion zu vermeiden, sollten die Schichten nicht resorbierbar sein oder langsam resorbierbar ohne beschleunigte »bulk degradation«. Beschichtungen sollen eine geringe Ionenabgabe aufweisen, die deutlich < 10–9 Cb liegt. Wechselwirkungen mit adhärierenden Proteinen und anderen biologischen Molekülen sollen keine erhöhte Anforderung an die Immunpotenz erfordern (Fragmentierungs-, Komplexierungsreaktionen, Proteolysen etc.).
Die Betrachtungen schließen in dieser Arbeit nur biopassive Materialien ein. Bioaktive osteoinduktive »Composites« wie BMPs [5, 14, 15], Hydroxylapatite, PRGs u. a. zur beschleunigten ossären Integration setzten nach Resorption wieder das Grundmaterial frei und haben nur eingeschränkte Bedeutung für die Langzeitstabilität des Fremdmaterials im knöchernen Kontakt.
Stabilitätskriterien und Oberflächen-pH Die Materialauswahl für »biopassive« Schichten, die eine Ionenabgabe < 10–9 Coulomb gewährleisten, ist eng begrenzt und erstreckt sich im Wesentlichen auf die Refraktärmetalle Niob, Tantal, Zirkonium und ihre Legierungen sowie oxidische Verbindungen. Das heißt, die Auswahl schließt außer den metallischen Schichten auch Keramikschichten wie Zirkonoxid, Niobdioxid und Tantaloxid oder ihre multinären Mischphasen ein. Edelmetalle scheiden auf Grund ihrer elektrochemischen Inkompatibilität
3.1
57 Kapitel 3.1 · Oberflächenbeschichtung: Beschichtungen auf Implantaten
6,5
V´O3
SiO2 Ta2O5 SnO2
Elektronegativität (ev)
zu den Implantatmaterialien und wegen ihrer hohen elektrischen Leitfähigkeit [6] aus. Baurschmidt et al. [7] postulieren Halbleiteroberflächen als ideale Oberflächen zum Erhalt der nativen Struktur von adsorbierten Proteinen. Halbleiter vermindern mittels Charge-Transferreaktion das Risiko, dass Proteine bei Adsorption denaturieren, wenn die energetischen Lagen von Leitungs- und Valenzband zu den Elektronenstrukturen der Proteine geeignet überlappen. Abweichend von dieser Hypothese vertritt der Verfasser dieser Arbeit die Auffassung, dass die Oberflächenbindungszustände, die Hydrolysefähigkeit sowie der pH-abhängige pzzp (»point of zero zeta potential«) eine übergeordnete Rolle zur Adsorption der Proteine und ihrer Degradation einnehmen. Alle o. g. Refraktärmetalle bzw. die sich spontan bildenden Oxide stellen unterschiedliche oberflächennahe pH-Werte ein, d. h., direkt an der Oberfläche können die Materialien in ihrem Reaktionsverhalten in atomarer Dimension wie Säuren oder Basen betrachtet werden. Aluminiumoxid reagiert beispielsweise in wässrigen Medien basisch, Titanoxid amphoter und Siliziumoxid sauer. Durch Titration der äquimolaren Menge an Säure bzw. Lauge lässt sich der Oberflächen-pH neutralisieren. Am Neutralisationspunkt sind alle Oberflächenladungen ausgeglichen, dies entspricht dem pzzp. Es ist davon auszugehen, dass sich die Proteine, ähnlich wie bei der Ionenaustauschchromatographie genutzt, auf Grund ihrer pH-abhängigen Nettoladung bzw. ihrer unterschiedlichen isoelektrischen Punkte an den verschiedenen Oberflächen unterschiedlich binden. ⊡ Abbildung 3.2 gibt den pH-Plot vs. die Elektronegativität einiger Oxide wieder [8]. Die spezifischen Oberflächeneigenschaften der Oxide lassen dem gemäß unterschiedliche, spezifische Proteinadsorptionen erwarten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch chemische oder plasmachemische Vorbehandlungen weiterer Einfluss auf die Oberflächenbindungszustände genommen werden kann. Dieser Betrachtungsweise bleibt als conditio sine qua non die hohe Korrosionsstabilität der Materialien übergeordnet. Die A-priori-Auswahlkriterien ergeben sich aus der Stabilität der Oxide. Diese lässt sich in grober Näherung mit den freien Bildungsenthalpien der Oxide korrelieren. ⊡ Tabelle 3.2 führt diese exemplarisch auf. Die freien Bildungsenthalpien der Oxide spiegeln jedoch nicht vollständig das Reaktionsverhalten der Metalle in wässrigen Medien wider. Dieses ist stark vom pH-Wert, von komplexbildenden organischen Verbin-
6,0
ZrO2
Fe2O3
TiO2 HgO FeTiO3
CuO
Fe3O4
ZnO NiO
Cr2O3
5,5
CO
Al2O3 Ag2O
SrTiO3 5,0
MgO
BaTiO3 0
7 PZZP (pH)
14
⊡ Abb. 3.2. »Point of zero zeta potential« (pzzp) verschiedener Metalloxide (aus [8])
⊡ Tabelle 3.2. Bildungsenthalpien verschiedener Passivschichten Verbindung
Passivschicht auf
Freie Bildungsenthalpie aus den Elementen ∆G (kJ/mol)
TiO2
Titan
–956
ZrO2
Zirkonium Vollmaterial
–1101
Nb2O5
Niob, Niobnitrid
–1921
Ta2O5
Tantal »Vollmaterial«
–2064
dungen sowie vom elektrochemischen Potential des wässrigen Mediums abhängig. Sauerstoffreiche wässrige Lösungen weisen positive Potentiale auf und unterstützen die Passivreaktionen der Metalle, während sich die Potentiale in sauerstoffarmen oder -freien Lösungen immer weiter zu negativen Werten verschieben. Diese letztgenannten Bedingungen wirken »kathodisch depolarisierend«, d. h. die schützende Passivschicht löst sich auf und die Korrosionsempfindlichkeit der Metalle bzw. ihrer Legierungen erhöht sich. Diese Bedingungen lie-
58
3
Teil II · Experimentelle Grundlagen
gen u. U. bei bakteriell verursachten Infektionen vor. Im Bereich der Dentalimplantologie werden im mikrobiellen, anaeroben Habitat des Sulkus der Schleimhaut pH-Werte unterhalb 4 mit Potentialen von E < –200 mV gemessen [9], verglichen mit einem pH-Wert von 7 und E > +70 mV bei aeroben nichtentzündlichen Habitaten. Infolge der anaeroben Besiedlungen korrodiert Titan zu schwarzen Suboxiden mit einem erhöhten Risiko von infektiösen Osteolysen und der Konsequenz des Implantatspätverlusts [9]. Eine bessere Grundlage zur A-priori-Beurteilung der Oberflächenstabilität bieten die so genannten Pourbaix-Diagramme [10], auch wenn sie die Wirkung der organischen Komplexbildner nicht mit erfassen. In den ⊡ Abbildungen 3.3 bis 3.6 sind die Diagramme der Metalle Chrom (stellvertretend für die Kobaltbasis- und Edelstahllegierungen), Titan, Tantal und Niob wiedergegeben. Die Diagramme zeigen, dass sich Chrompassivschichten bereits bei pH-Werten von < 5 auflösen können. Titan bildet unter physiologischen Bedingungen neben den halbleitenden Titandioxidschichten elektrisch sehr gut leitende schwarze Suboxidschichten, sog. Magneli-Phasen mit der formalen Zusammensetzungen TinO2n-1 aus. Diese Magneli-Phasen sind in der Regel voluminöser als die ca. 100 nm dicken Titandioxidschichten und scheren von der Implantatoberfläche unter Partikelabgabe ins Gewebe ab. Die Pourbaix-Diagramme weisen für Niob, Tantal und Zirkonium aus, dass ihre Oxide und Hydroxide selbst unter extrem sauren und elektrochemischen Bedingungen stabil sind. Diese in vitro gewonnenen Erkenntnisse korrelieren sehr gut mit den Ergebnissen der von unterschiedlichen implantologischen Fachbereichen durchgeführten tierexperimentellen und klinischen Studien [2, 3, 11,12]. Rabenseifner [2] führt bei der Verwendung von Tantal- und Niobnägeln die trotz Infektsituation verbesserte Wundeinheilung auf die Stabilität der Materialien zurück. Schildhauer [12] findet eine erhöhte Zytokinaktivität an Tantaloberflächen. Mit cerid-Tantal/Tantaloxid beschichteten Edelstahlstents legte Stark eine Studie vor, nach der die Restenoserate der mit diesen Koronarstents versorgten Risikopatienten von 75% bei unbeschichteten Edelstahlstents auf weniger als 30% sank, und bei Patienten mit normalem Restenoserisiko von 27% auf weniger als 15% [13]. Auf Grund der Nichtresorbierbarkeit und der Langzeitstabilität der Beschichtungen ist das Risiko einer Restenose bzw. späterer Stentthrombosen mit diesen Stents minimiert.
-2 -1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 2,2 2,2 2 E(V) 2 Korrosion ? 1,8 1,8 1,6 1,4 1,2
Korrosion b
1,6 1,4 1,2 1
1 0,8
0,8
0,6
0,6
0,4
0,4 0,2
0,2 0
a
Korrosion 0
Passivität
-0,2
-0,2
-0,4
-0,4
-0,6
-0,6
-0,8
-0,8
-1 -1,2
-1
Korrosion
-1,2
-1,4
-1,4
-1,6
-1,6
-1,8
-1,8
-2
-2
Immunität
-2,2
-2,2
-2,4 -2,4 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 pH
⊡ Abb. 3.4. Theoretische Domänen der Korrosion, Immunität und Passivität von Titan bei 25 °C
-2
0
2
4
6
8
10
12
14
16 2
2 E(V)
1,6
1,6 1,2
Korrosion
b
1,2
0,8
0,8
0,4
0,4
0
a
0
Passivität
-0,4
-0,4
-0,8
-0,8
-1,2
-1,2
Immunität
-1,6 -2
0
2
4
6
8
-1,6 10
12
14
16 pH
⊡ Abb. 3.3. Korrosion, Immunität und Passivität von Chrom bei 25 °C
59 Kapitel 3.1 · Oberflächenbeschichtung: Beschichtungen auf Implantaten
-2
0
2
4
6
8
10
12
14
2 E(V)
2
1,6 1,2
1,6
b
1,2
0,8
0,8
0,4 0
16
0,4
Passivität
a
0
-0,4
-0,4
-0,8
-0,8
-1,2
-1,2
Immunität
-1,6 -2
-1,6 0
2
4
6
8
10
12
14
16 pH
14
16
⊡ Abb. 3.5. Immunität und Passivität von Niob bei 25 °C
-2
0
2
4
6
8
10
12
2
2 E(V)
1,6
1,6 1,2
b
Wie oben ausgeführt, spielt die Schichthaftung für die langfristige Sicherheit eine wichtige Rolle. Zur Gewährleistung dieses Kriteriums haben sich im Wesentlichen Verfahren durchgesetzt, die im Hochvakuum vor dem eigentlichen Beschichtungsprozess einen so genannten Plasmaätzprozess zulassen, in dem mittels energiereicher Argonionen Verunreinigungen und Oxidschichten von der Oberfläche sicher entfernt werden können. In situ wird der Prozess dann auf die Atom für Atom aufwachsende Schicht umgestellt. ⊡ Abbildung 3.7 zeigt eine sehr dichte, porenfreie Tantal/Tantaloxidschicht, die quasi ohne sichtbaren Interface auf Edelstahl 316L aufgebracht wurde. Die Atome werden sehr energiereich mit einer thermodynamischen Temperatur von T > 1.000.000 Kelvin (!) auf der Oberfläche kondensiert. Hiermit ist zum einen gewährleistet, dass die Schicht mit dem Implantatmaterial metallurgisch »verwächst« und zum anderen lassen sich über ein sog. Schicht-Matching die mechanischen und (elektro-)chemischen Eigenschaften der Schicht graduell an das Substratmaterial anpassen. Die Oberbegriffe zu diesen Verfahren lauten PVD, PECVD und Ionenimplantationsverfahren. Allen Verfahren gemeinsam ist, dass sie ionen- und plasmagestützte Vakuum- bzw. Hochvakuumverfahren sind. Der Vorteil dieser Verfahren liegt u. a. darin, dass die Beschichtung mit sehr hohen Oberflächenaktivierungen stattfindet und damit während der Beschichtung eine hohe Atombeweglichkeit der kondensierenden Atome an
0,8
0,4
0,4
Passivität
0
a
-0,4
-0,4
-0,8
-0,8
-1,2
-1,2
-1,6
-1,6
Immunität
-2
-2 -2
Beschichtungen, Beschichtungsverfahren und Anwendungen
1,2
0,8
0
3.1
0
2
4
6
8
10
12
14
⊡ Abb. 3.6. Immunität und Passivität von Tantal bei 25 °C
16 pH
⊡ Abb. 3.7. 5 µm dicke, dichte Tantalschicht auf medizinischem Edelstahl 316L mit festem, metallurgischen Verbund zum Grundmaterial
60
Teil II · Experimentelle Grundlagen
0
Konzentration [at %]
Fe Ta
80
3
70 60 50 40 30 20 10 50
100
150
200
250
300 Zeit
350 [s]
⊡ Abb. 3.8. Konzentrationsprofil einer nanoskalierten Tantaloxidschicht auf einem Edelstahlstent (Aufnahme: omt, Lübeck). Die Schichtdicke dieser Aufnahme entspricht 2,2 µm.
der Oberfläche gegeben ist. Die Oberflächenaktivierungen liegen vergleichsweise mehr als 1000fach höher als bei Plasmaspraying-Verfahren. Die hohe Atombeweglichkeit während der Beschichtung führt nach Maßgabe der Phasendiagramme zur Ausscheidung hochzäher, nanoskalierter heterogener Keramikschichten. ⊡ Abbildung 3.8 zeigt das Elementtiefenprofil eines mit nanoskaliertem Tantaloxid beschichteten Stents. Die Besonderheit dieser Vorgehensweise lässt das Tiefenprofil erkennen: Das Tantal ist zunächst in der Stahloberfläche auf einer Tiefe von ca. 50 nm mittels eines hochenergetischen Beschusses mit Tantalionen implantiert worden. An der eigentlichen Grenzfläche zum Stahlgrundkörper erscheint eine Übergangszone aus reinem Tantal (E-Modul ~ 170GPa), auf die sich letztendlich eine äußere, ca. 0,5 µm nanoskaliert erzeugte Tantaloxidschicht aufbaut. In ⊡ Tabelle 3.3 sind weitere Beschichtungen für die verschiedenen Anwendungsbereiche der Implantologie aufgeführt, die das Ziel haben, die Langzeitstabilität und die elektrophysiologische Neutralität der Implantatsubstratmaterialien zu erhöhen.
Literatur 1. Hartmann HJ, Brinkmann E (2000): Weißbuch Implantologie. Jahrbuch Verlag, S. 7 2. Rabenseifner R (1984): [Is fracture healing in the presence of biocompatible implant materials tantalum and niobium different in comparison to steel implants?]. Z Orthop Ihre Grenzgeb 122/3:349–355 3. Stelzel et al. (2004): Meeting Abstract, Wien 2004 4. Müller HJ, Greener EH (1970): Polarization studies of surgical materials in Ringer’s solution. J Biomed MatRes 4:29–41 5. Jennissen HP et al. (1999): Mat Wiss u Werkstofftechnik 30:838–845 6. Thull R et al. (1992): [Model for immunologic testing of biomaterials]. Biomed Technik 37/7–8:162–169 7. Baurschmidt P et al. (1975): Biomed Technik (Ergänzungsband) 20:49 8. Butler MA, Ginley DS (1978): J Electrochem Soc 125/2:228 9. Marsh P, Martin MV (2002): Orale Mikrobiologie. Thieme Verlag 10. Pourbaix M (1976): Atlas of Electrochemical Equilibria. National Association of Corrosion Engineers. Texas 11. Hennig FF et al. (1992): [A comparative study of the characteristics of femoral hip prosthesis heads–study and results ceramic-coated hip joint heads of titanium]. Biomed Technik 37/9:200–204 12. Schildhauer T, Köller M (2004): Cytokinfreisetzung humaner Lenkozyten. Meeting Abstract DGK 2004
3.1
61 Kapitel 3.1 · Oberflächenbeschichtung: Beschichtungen auf Implantaten
⊡ Tabelle 3.3. Übersicht einer Auswahl unterschiedlicher Beschichtungsmaterialien und -verfahren mit Anwendungsbeispielen Schichtsystem
Aufbau/Schichtdicke [µm]
Anwendung/Ziel
Verfahren
Literatur
NbTi 50
Dreifach/8–12 µm
Minderung der allergenen Sensibilität von CoCrMo
IAD/PVD
16
Niob-TitanMischkeramik
Gradientenschicht/ 4–7 µm
Gelenkgegenkörper zu High-density-Polyethylen (HDPE) für Knie, Hüfte, Kiefergelenk, Finger zur Minderung des PE-Verschleißes
IAD/PVD
6, 11, 17
Titannitrid
2–3 µm
Verschleißminderung bei artikulierenden Flächen; Gefahr der Pittingkorrosion auf CoCrMo und »stainless steel«
IAD/PVD
22
Zirkon-Titan Mischoxidkeramik
Gradientenschicht/ 7–12 µm
Zahnimplantate, Kiefergelenk, Osteosyntheseschrauben aus Titan und 316L zur Minderung der Titan-Reibkorrosion und Korrosion von 316L
IAD/PVD
18, 19
Tantal
Metallschicht
Hüftpfannen auf spongioser Kohlefaser
CVD
19, 20
Tantal/nTantaloxid
Gradientenschicht mit »mixed interlayer«
Stents, Osteosyntheseplatten, 316L
Kombinierte Ionenimplantation, IAD/PVD
20,23
Titandioxid
Einphasig, feinporig/ 8–12 µm
Zahnimplantate
Elektrolytische Plasmaoxidation
24
Titan
Einphasig/30–50 µm
Orthopädische Implantate
VPS (»vacuum plasma spraying«)
25,26
DLC (»diamondlike carbon«)
Einphasig/2–5 µm
Artikulierende Flächen, Stents
Plasma-CVD
28
Silber
Nanolayer/< 10 nm
Infektionsschutz
PVD, Galvanik
27
HA (Hydroxylapatit)
20–30 µm
Beschleunigte Osseointegration mit gesteuerter Resorption
elektrochemisch, Plasmaspritzen
13. Stark B (2000): MSM, private Kommunikation 14. Jennissen HP (1998): Patentschrift PCT/DE98/03463# 15. Sampath TK et al. (1990): Bovine osteogenic protein is composed of dimers of OP-1 and BMP-2A, two members of the transforming growth factor-beta superfamily. J Biol Chem 265/22:13198– 13205 16. Plenk H, Schider S (1990): Tantaluma and Niobium. Williams DP Concise encyclopedia of medical material. Pergamon Press 17. Thull R, Reuther J (1993): Untersuchungen und Eigenschaften von Titan-Zirkonoxid und Titan-Nioboxid auf Titan. Universität Würzburg, interne Publikation 18. Repenning D (1993): Jahrbuch für orale Implantologie 93:19 19. Jeng YX, Sun H (2001): Thin solid films 398–399:471 20. Sun DC et al.(1997): 23rd Soc for Biomat, New Orleans, Louisiana, S. 431 21. Graf HL, Sen B (2002): Z Zahnärztl Implantol 18:169 22. Hirschfeld KM (2000): Korrosionsuntersuchungen am System Titannitrid. Berichte aus der Werkstofftechnik 23. Poggie RA et al.: Cohen_Implex_Corp.com/S2–1 htms 24. Meyer S (2003): Plasmachemische Beschichtung. Der andere Verlag, Osnabrück
25. Khan MA et al. (1999): The corrosion behaviour of Ti-6Al-4V, Ti-6Al7Nb and Ti-13Nb-13Zr in protein solutions. Biomaterials 20:631– 637 26. Gruner H (2003): Plasmaspritzen für die Medizintechnik. medrevat.ch/deutsch/plasmaspritzen.htm 27. Gosheger G et al. (2004): Silver-coated megaendoprostheses in a rabbit model – an analysis of the infection rate and toxicological side effects. Biomaterials 25:5547–5556 28. Klaffke D (2003): Jahresbericht DFG
3.2 Oberflächenbeschichtung Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtung H. Gollwitzer, L. Gerdesmeyer
Zusammenfassung Obwohl Infektionen mehr denn je zu den wesentlichen Komplikationen orthopädischer und traumatologischer Implantate zählen, gibt es für die klinische Anwendung noch keine etablierten antibakteriellen Implantate. Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtungen könnten die bakterielle Besiedelung der Implantate hemmen und dadurch die Infektionsraten reduzieren. Aktuelle Entwicklungen werden im folgenden Beitrag vorgestellt und diskutiert. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Beachtung der Biokompatibilität, um eine sichere ossäre Integration der beschichteten Implantate nicht zu gefährden. Aufgrund der zunehmenden Häufigkeit antibiotikaresistenter Bakterien besteht zudem die Notwendigkeit der Entwicklung antibakterieller Oberflächen mit Breitspektrumwirkung, insbesondere gegen antibiotikaresistente Infektionserreger.
Infektion des intraossären Implantats Aus Orthopädie und Unfallchirurgie ist der Einsatz von Metall- und Kunststoffimplantaten nicht mehr wegzudenken und hat die Behandlung und Rekonstruktion vieler traumatischer, degenerativer, entzündlicher und tumoröser Pathologien vereinfacht, funktionalisiert bzw. erst ermöglicht. Als Paradebeispiel gilt der künstliche Hüftgelenksersatz, eine der erfolgreichsten orthopädischen Operationen, die den Patienten eine rasche Schmerzfreiheit und Wiederherstellung der Funktion und Mobilität ermöglicht.
Doch selbst eine so erfolgreiche Operation wie die Hüfttotalendoprothese (TEP) bleibt nicht ohne Risiken. Die mit Abstand häufigste Versagensursache ist die aseptische Lockerung im Implantatlager zwischen Endoprothese und Knochen. Weniger häufig, aber um ein Vielfaches schwerwiegender ist der Endoprotheseninfekt. Dessen kurative Therapieansätze sind häufig mit wiederholten und belastenden Operationen verbunden und meist nur nach Entfernung des Gelenkersatzes erfolgreich. Ein- oder zweizeitige Wechsel sind dabei häufig nicht zu umgehen, der Erfolg derartiger Operationen ist ungewiss. Durch eine verbesserte Infektionsprophylaxe mittels Reinraumtechnik, perioperativer Antibiotikaprophylaxe, Verkürzung der Operationszeiten und dem Einsatz antibiotikahaltigen Knochenzements konnten die Infektraten deutlich reduziert werden. Aufgrund der steigenden Implantationszahlen – mit weltweit mehr als 1,5 Millionen Hüft-TEPs pro Jahr – erfahren die Infektionen dennoch eine zunehmende Bedeutung. Durch Protheseninfektionen scheitern primär implantierte Hüft-TEPs trotz chirurgischer Intervention und hochdosierter Antibiotikatherapie in etwa 1–2% der Fälle. Knie- und Ellenbogen-TEPs weisen Infektionsraten von bis zu 5 bzw. 7% auf und bei Revisionseingriffen ist die kumulierte Infektionsrate noch deutlich höher anzusetzen als bei den Primärimplantationen. Neben den verheerenden Konsequenzen für die betroffenen Patienten verursachen Implantatinfektionen enorme zusätzliche volkswirtschaftlichen Kosten. Allein durch infizierte Osteosynthesematerialien und Endoprothesen entstehen in den USA pro Jahr mehr als 1,8 Mrd. Dollar an zusätzlichen Behandlungskosten [1].
63 Kapitel 3.2 · Oberflächenbeschichtung: Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtung
Der volkswirtschaftliche Schaden durch Arbeitsunfähigkeit und Rentenzahlungen übertrifft diese Summe noch bei weitem.
Pathogenese der Implantatinfektion Zum Verständnis von Präventions- und Therapiemöglichkeiten ist die genaue Kenntnis der Pathophysiologie implantatassoziierter Infektionen eine wesentliche Voraussetzung. Grundlage der Implantatinfektion ist – wie bei der ossären Integration – die Wechselbeziehung zwischen lebendem Gewebe (Zellen, Bakterien) und Fremdmaterial an der Grenzfläche zwischen Implantat und Organismus, dem so genannten »interface« [2]. Jedes Implantat kommt unmittelbar nach der Implantation mit Blut und Gewebe in Kontakt und wird dabei von einer Schicht aus Proteinen und Glykoproteinen überzogen. Dieser sog. »conditioning film« bietet dann eine Angriffsfläche zur Adhäsion von weiteren Proteinen und Zellen, aber auch von Bakterien. Häufige Erreger von Implantatinfektionen wie Staphylococcus aureus haben spezifische Bindungsstellen für typische Bestandteile des »conditioning film« entwickelt, wie den »clumping factor« zur Bindung an Fibrinogen. Fibrin und Fibrinogen sind wesentliche Bestandteile des »conditioning film«, die eine bakterielle Adhäsion an Biomaterialien begünstigen. So wetteifern Bakterien und körpereigene Zellen um die Besiedelung dieser neueingebrachten Oberfläche, ein Wettstreit, der von Gristina als »race for the surface«
3.2
bezeichnet wurde [2]. Gewinnen die körpereigenen Zellen diesen Wettlauf, so kann das Implantat biologisch in den Organismus integriert werden, was eine zukünftige Implantatinfektion deutlich erschwert. Siedeln sich jedoch Bakterien auf dem Implantat ab, so können diese proliferieren oder auf der Oberfläche über viele Monate persistieren, bevor eine klinisch relevante Infektion auftritt. In diesem Fall können sich adhärente Bakterien vermehren und auf der Oberfläche einen Biofilm aus Proteinen, Glykoproteinen, Ionen und mikrobiellen Nährstoffen bilden (⊡ Abb. 3.9 und 3.10). In diesem Biofilm liegen die Bakterien in einer sessilen Form vor und besitzen eine vielfach höhere Resistenz gegen Antibiotika als planktonische, d. h. von der Oberfläche abgelöste Mikroorganismen. Ist eine Schwellenanzahl an Bakterien erreicht, so werden planktonische Mikroorganismen in das umgebende Gewebe freigesetzt, wodurch das klinische Korrelat der Infektion entsteht. Die Ursache für Infektionen, die innerhalb von 12 Monaten postoperativ auftreten, ist definitionsgemäß auf intra- oder unmittelbar postoperativ eingebrachte Bakterien zurückzuführen. Damit sind 70–80% der Implantatinfektionen als unmittelbare Operationsfolge zu sehen. Dies bedeutet auch, dass eine konsequente perioperative Prävention der bakteriellen Besiedelung mittels antiinfektiöser Oberflächen eine effektive Infektprophylaxe darstellen kann. Sowohl das Immunsystem als auch systemisch applizierte Antibiotika erreichen implantatadhärente Mikroorganismen nur von Seiten des umgebenden Organismus,
⊡ Abb. 3.9. Schematische Darstellung des bakteriellen Biofilms auf Metall. bzw. Kunststoffimplantaten. Das Implantatmaterial kann durch Bakterien direkt verändert bzw. abgebaut werden
64
Teil II · Experimentelle Grundlagen
3
⊡ Abb. 3.10. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Biofilms von Staphylococcus epidermidis auf einer Ti-6Al-4V-Oberfläche
weshalb eine komplette Eradikation der adhärenten Bakterien regelmäßig scheitert. Eine antiinfektiöse Implantatoberfläche könnte somit durch zusätzliche Wirkung vom Implantat aus eine sinnvolle Weiterentwicklung zur Infektprophylaxe darstellen. Oberflächenbeschichtungen bringen außerdem den Vorteil mit sich, dass eine Optimierung der Grenzfläche zwischen Implantat und Organismus erreicht werden kann, ohne die bestehenden Eigenschaften des zugrunde liegenden Implantats zu verändern. Ein weiterer Vorteil ist die mögliche Verwendung der Beschichtung als Wirkstoffträger, wodurch zum einen Reoperationen zur Entfernung erschöpfter Wirkstoffdepots vermieden werden, zum anderen lokal hohe Wirkstoffkonzentrationen ohne systemische Toxizität erreicht werden.
Infektprophylaxe und Biokompatibilität Eine Implantatinfektion kann zum Versagen der ossären Integration und zur Lockerung des Implantats führen. Ebenso beeinflusst die knöcherne Integration die Infektresistenz des Implantats, fest integrierte Implantate erweisen sich als signifikant infektionsresistenter. Des Weiteren ist die Biokompatibilität des Implantats von entscheidender Bedeutung für die Leistungsfähigkeit der periimplantären Immunantwort. Verschiedene Autoren konnten nachweisen, dass die Primärantwort des Immunsystems gegen das eingebrachte Implantat große
Bedeutung für die Sekundärantwort gegenüber möglichen Infektionserregern besitzt. So reagieren Abwehrzellen nach Kontakt mit einem Biomaterial mit einer erhöhten Abwehrreaktivität und Exozytose von leukozytären Granula [3]. Charakteristisch hierfür ist die von Gristina beschriebene periimplantäre »immuno-incompetent fibroinflammatory zone« mit einer durch den Fremdkörper bedingten chronischen Entzündungsreaktion. Die dadurch verursachte Erschöpfung des Immunsystems resultiert in einer insuffizienten Sekundärantwort gegen Bakterien [4]. Zimmerli et al. konnten beispielsweise zeigen, dass polymorphkernige neutrophile Granulozyten aus dem periimplantären Gewebe eine signifikant geringere Fähigkeit zur Peroxidbildung auf verschiedene Stimuli besitzen als Zellen der Kontrolle aus Exsudat oder Blut. Des Weiteren zeigten die Abwehrzellen aus dem periimplantären Gewebe neben einer signifikant reduzierten Menge an Myeloperoxidase, β-Glukuronidase, Lysozym und B12-Bindungsprotein eine verminderte Stimulierbarkeit der B12-Bindungsproteinsekretion sowie erniedrigte Ingestionsraten opsonierter Partikel [3]. In weiteren Arbeiten konnte diese verminderte bakterizide Aktivität mit Reduktion des oxidativen Metabolismus und der granulären Enzyme in vivo bestätigt werden [5]. In diesem Zusammenhang sei – neben der primären Biokompatibilität des Implantats – die besondere Bedeutung der immundefizienten Wirkung von Abriebpartikeln erwähnt und auf die weiterführende Literatur verwiesen (z. B. [6]). Die Biokompatibilität spielt somit für die Entwicklung einer antibakteriellen Oberfläche eine entscheidende Rolle und muss deshalb von Beginn an beachtet werden. So konnten Pommer et al. zeigen, dass eine biokompatible Beschichtung von Fixateur-externe-Pins mit Hydroxylapatit neben einer verbesserten Integration zugleich zu einer Reduktion der Infektionsrate führen kann [7]. Die allermeisten Entwicklungen antiinfektiöser Oberflächen stammen aus der Anwendung kardiovaskulärer und urologischer Implantate. Studien zu antiinfektiösen Maßnahmen in Orthopädie und Unfallchirurgie sind dem gegenüber selten, häufig nicht standardisiert und meist mit geringer Power ohne sicheren Wirksamkeitsnachweis. Größtes Hindernis ist dabei die relativ geringe Infektionsrate der orthopädischen und traumatologischen Implantate, weshalb für konfirmatorische Studien extrem große Patientenkollektive erforderlich sind. Soll beispielsweise eine Absenkung der Infektrate bei Hüft-TEPs von insgesamt 2% auf 1% mit einer statistischen Power von
65 Kapitel 3.2 · Oberflächenbeschichtung: Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtung
80% nachgewiesen werden, so werden dafür mehr als 5000 Studienpatienten benötigt. Bei einer Absenkung der Infektrate von 2% auf lediglich 1,5% steigt die erforderliche Fallzahl bereits auf über 22.000 an [8]. Dies ist auch einer der wesentlichen Gründe dafür, dass sich präventive Verfahren wie die Reinraumtechniken nur verzögert durchsetzen.
Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtungen Prinzipiell muss bei antiinfektiösen Oberflächenbeschichtungen unterschieden werden zwischen antiadhäsiven Oberflächen, die die initiale Adhärenz der Bakterien verhindern, und antibakteriellen Oberflächen, die das Wachstum anhaftender Bakterien reduzieren. Sowohl bei antiadhäsiven als auch bei antibakteriellen Oberflächen darf dabei die notwendige ossäre Integration nicht außer Acht gelassen werden.
Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtungen: antiadhäsiv Verschiedene Materialeigenschaften sind für die Adhärenz von Mikroorganismen und körpereigenen Zellen an Biomaterialien verantwortlich. Dies sind insbesondere die Oberflächentopographie und die freie Oberflächenenergie (»surface free energy«). Eine glatte und somit möglichst kleine dreidimensionale Oberfläche reduziert die Anhaftungsmöglichkeiten für Mikroorganismen und reduziert dadurch das Infektionsrisiko. Physikalische und chemische Verfahren wie das Elektropolieren werden deshalb zur Oberflächenoptimierung eingesetzt. Im Gegensatz hierzu sind jedoch Oberflächenvergrößerungen zur besseren zellulären Anhaftung und stabilen ossären Integration günstig, was zwangsläufig wieder eine gesteigerte Möglichkeit der bakteriellen Adhäsion mit sich bringt. Bei der Beurteilung der freien Oberflächenenergie ist zu beachten, dass Biomaterialien im Organismus unmittelbar nach der Implantation von einer Proteinschicht überzogen werden (»conditioning film«), wodurch sich die Oberflächencharakteristik signifikant verändern kann. Wie artifizielle Oberflächen besitzen auch Bakterien eine definierte Oberflächenenergie. Daraus ergibt sich eine gewisse Präferenz des jeweiligen Bakterienstammes zu bestimmten Materialien. Antiadhäsive Oberflächen
3.2
sind deshalb meist mit »unpassenden«, extrem hydrophoben oder extrem hydrophilen Oberflächen ausgestattet. Diese extrem geladenen Oberflächen minimieren neben der bakteriellen Adhäsion auch die Zell- und Proteinadsorption, und werden deshalb klinisch vorzugsweise intravaskulär in Blut- und Harnwegen auf Kathetern und Stents eingesetzt. Intravaskulär ist die Hemmung der Protein- und Zelladhäsion ein wünschenswerter Effekt zur Minimierung des Thrombose- und Stenoserisikos, während im Gegensatz dazu bei intraossären Implantaten eine verbesserte Protein- und Zelladhäsion zur Implantatintegration angestrebt wird. Klinische Erfahrungen mit antiadhäsiven Oberflächen bestehen im Bereich der Orthopädie auf Grund der o. g. Überlegungen bisher noch nicht. Im Infektmodell am Hamster konnten Nakamoto und Mitarbeiter zwar signifikant geringere Bakterienmengen auf heparin- und urokinasebeschichteten Stahldrähten nachweisen [9]. Limitierend muss hier jedoch angeführt werden, dass die Kontamination der Implantate nicht in vivo, sondern bereits vor Implantation stattfand, und dass die Stahldrähte subkutan implantiert wurden und somit die Ergebnisse nicht auf den Knochen übertragbar sind.
Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtungen: antibakteriell Auf Grund der beschriebenen Interferenzen zwischen antiadhäsiven Eigenschaften und der angestrebten ossären Integration scheinen bakterizide Oberflächen für orthopädische und traumatologische Implantate überlegen. Für Endoprothesen und andere orthopädische Implantate sind bisher noch keine antiinfektiösen Oberflächen etabliert, jedoch befinden sich derzeit verschiedene antibakterielle Oberflächenbeschichtungen in der (prä-) klinischen Entwicklung. Die eingesetzten Beschichtungen bestehen zum Teil direkt aus dem antibakteriellen Wirkstoff, andere sind Kombinationen aus Wirkstoff und Wirkstoffträger. Dabei unterscheidet man aufgrund der wirksamen Substanzen zwischen Oberflächenbeschichtungen mit Antibiotika, Antiseptika und antibakteriell wirksamen Metallen. Antiseptikabeschichtungen Von Darouiche und Mitarbeitern wurde eine antiseptikahaltige Beschichtung für Marknägel beschrieben und am Tiermodell getestet [10, 11]. Das auf der Oberfläche
66
3
Teil II · Experimentelle Grundlagen
fixierte Antiseptikum Chlorhexidin reduzierte die Infektionsrate im Tiermodell signifikant, Langzeitbiokompatibilität und Wirkung auf Immunsystem und Knochenlager sind jedoch bisher noch unklar. Eine ähnliche antiseptische Oberflächenbeschichtung wurde von De Jong et al. für die Anwendung auf Fixateur-externe-Pins entwickelt und ebenfalls im Tiermodell mit antibakteriellem Erfolg getestet [12]. Dabei wurden die Pins mit mehreren Schichten chlorhexidinhaltigem Hydroxylapatit beschichtet. Das Einwachsverhalten der Chlorhexidinbeschichtung ist jedoch noch nicht geklärt und auch hier fehlen längerfristige Ergebnisse. Antibiotikabeschichtungen Während für zentralvenöse Katheter, Herzklappen und urologische Implantate bereits antibiotikahaltige Oberflächenbeschichtungen zur Infektprophylaxe entwickelt und in größeren klinischen Studien, v. a. mit Rifampicin und Minocyclin erfolgreich getestet wurden, befinden sich orthopädische Anwendungen noch in der präklinischen Entwicklung. Eine Erfolg versprechende Oberflächenmodifikation ist dabei die Ausstattung einer biodegradierbaren Polymerbeschichtung auf Basis von Poly-D,L-Laktid (PDLLA) mit Gentamicin und anderen Antibiotika. Eine signifikante antibakterielle Wirksamkeit gegen verschiedene Staphylokokkenstämme konnte dabei sowohl in vitro [13] als auch in vivo [14, 16] nachgewiesen werden. Innerhalb der ersten Stunden werden aus der degradierbaren PDLLA-Beschichtung bereits wesentliche antibakteriell wirksame Mengen an Antibiotika freigesetzt, gefolgt von einer langsamen und kontinuierlichen Freisetzung über mehrere Wochen zum Erhalt des Wirkstoffspiegels im Gewebe. Neben der hoch signifikanten Reduktion des Bakterienwachstums in vitro konnte die antiinfektiöse Wirkung an einem neuetablierten Infektmodell der Ratte in vivo bestätigt werden [14–16]. Sowohl in der radiologischen Untersuchung (⊡ Abb. 3.11) als auch in der Histologie zeigte sich eine Reduktion der infektiösen Knochendestruktion nach lokaler Gentamicin-Applikation. Mikrobiologische Analysen konnten dies auf Grund einer deutlichen Minderung der Keimzahl im Knochen und am Implantat unterstützen. Die Erfolg versprechenden Ergebnisse der tierexperimentellen Untersuchungen waren Anlass, diese Technologie auf die humane Implantation Gentamicin-beschichteter Marknägel in besonders kritischen Situationen zu übertragen. Erste beschichtete Tibiamarknägel (UTN
a
b
c
⊡ Abb. 3.11a–c. Radiologische Aufnahmen 28 Tage nach Inokulation von 102 koloniebildenden Einheiten (Staphylococcus aureus) und Implantation von a unbeschichteten, b PDLLA-beschichteten und c Gentamicin-beschichteten Kirschner-Drähten. Durch die lokale Gentamicin-Gabe kommt es zu einer Reduktion der infektiösen Knochendestruktion. (Mit freundlicher Genehmigung von G. Schmidmaier u. M. Lucke, nach [16])
Protect, Synthes) wurden bei Patienten mit komplizierten offenen Unterschenkelbrüchen implantiert. Die Indikation zur Implantation antibiotikabeschichteter Nägel stellt sich insbesondere bei drittgradig offenen Frakturen, da diese ein bis zu 30% höheres Risiko zur Entwicklung einer Osteomyelitis im Vergleich zu Patienten mit geschlossenen Frakturen aufweisen. Eine weitere Indikation sind Reosteosynthesen, da auch hier bekannt ist, dass es vermehrt zu Knocheninfektionen kommt. Limitierend gilt jedoch für antibiotikahaltige Oberflächen, dass gerade bei Revisionsoperationen und septischen Prothesenwechseln ständig steigende Infektionsraten mit antibiotikaresistenten Bakterien zu beobachten sind. Bis zu 45% der Staphylococcus-aureus- und sogar bis zu 85% der Staphylococcus-epidermidis-Stämme von implantatassoziierten Infektionen wurden bereits als Methicillin-resistent eingestuft [17]. Der Einsatz von Antibiotika muss auf Grund der sich rasch verändernden Resistenzlage deshalb gerade bei Revisionsoperationen gezielt und wohl überlegt erfolgen.
67 Kapitel 3.2 · Oberflächenbeschichtung: Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtung
Antibakterielle Metalle Antibakterielle Metalle, v. a. Silber, Kupfer und Zink werden bereits seit Jahrhunderten zur Abtötung von Mikroorganismen und zur Prophylaxe von Infektionen eingesetzt. Wie bei den antiadhäsiven und antibiotikahaltigen Oberflächen stammen auch bei Silber die ersten antibakteriellen Oberflächen aus der Entwicklung intravaskulärer Katheter. In Orthopädie und Unfallchirurgie wurden silberhaltige Oberflächenbeschichtungen v. a. für Fixateur-externe-Pins untersucht. Während im Infektmodell am Schaf nach einer relativ kurzen Studienzeit von zweieinhalb Wochen noch Vorteile für die silberbeschichteten Pins dokumentiert wurden [18], zeigten sich in den durchgeführten Humanstudien gegenteilige Ergebnisse. Auf Grund signifikant erhöhter Silberspiegel im Serum ohne Nachweis einer antibakteriellen Wirkung mussten zwei klinische Studien mit silberbeschichteten Fixateur-externe-Pins und Herzklappen aus ethischen Gründen abgebrochen werden [19, 20]. Gosheger et al. berichteten von einer silberbeschichteten Megaendoprothese, die im Infektmodell am Kaninchen mit Staphylococcus aureus eine Reduktion der Infektrate von 47 auf 7% ermöglichte [21]. Dabei wurden jedoch lediglich die Oberflächen beschichtet, die nicht in Knochen implantiert wurden. Ein Schutz der Oberflächen am Implantat-Knochen-Interface ist somit nicht zu erwarten. Auch zeigte sich eine signifikante Erhöhung des Serumsilberspiegels und des Organsilberspiegels. Der Einsatz silberbeschichteter Implantate muss somit weiter kritisch diskutiert werden, insbesondere ist die Toxizität der Beschichtungen im Knochenlager als limitierender Faktor zu werten. Die Kombination antibakterieller und biokompatibler Eigenschaften wird von Gollwitzer, Heidenau und Mitarbeitern in der Entwicklung einer antiinfektiösen Titanoxidbeschichtung angestrebt. Grundlage ist eine gewebefreundliche Sol-Gel-Tauchbeschichtung auf Basis von Titanoxid, in die verschiedene antibakterielle Wirkstoffe eingearbeitet werden können. Unter Beachtung der konzentrationsabhängigen Zytotoxizität untersuchter Metallionen zeigte Kupfer im Zellversuch die günstigsten Ergebnisse, während andere Metalle wie Silber, Zink und Quecksilber ihre antibakterielle Wirkung nur bei ausgeprägt zytotoxischen Konzentrationen erreichten. Nach homogener Integration der Kupferionen in die Oberflächenbeschichtung konnte in vitro eine ausgezeichnete antibakterielle Wirksamkeit der Kupfer-Titanoxid-Ober-
3.2
fläche bei gleichzeitig guter Zytokompatibilität bestätigt werden [22, 23]. Die weiterführenden Untersuchungen in vivo stehen noch aus.
Zukünftige Technologien und Ausblick Neben den erwähnten, »etablierten« und bereits nahe an der klinischen Anwendung stehenden Technologien gibt es noch diverse alternative experimentelle Ansätze. Vielversprechend wird die Beeinflussung der Kommunikation von Bakterien im Biofilm, dem so genannten »quorum sensing«, diskutiert. Es konnte gezeigt werden, dass diverse Abwehr-, Resistenz- und Wachstumsprozesse der Bakterien über Informationsaustausch im Biofilm gesteuert werden. Eine Unterbrechung dieser Mechanismen durch Quorum-sensing-Inhibitoren könnte die Empfindlichkeit der sessilen Bakterien erhöhen und eine Biofilmprophylaxe oder sogar eine Antibiofilmtherapie ermöglichen. Die Kombination von Biomaterialien mit Immunmodulatoren bzw. Komponenten der Immunabwehr gilt ebenfalls als viel versprechender Ansatz zur antibakteriellen Oberflächenmodifikation. Etienne et al. erforschen dabei den Einsatz von Defensin, einem antimikrobiellen Peptid der Anopheles gambiae Mücke und konnten in vitro bereits erste Erfolge verzeichnen [24]. Auch der Einsatz von Stickoxiden als antibakterielle Wirkstoffe wird an Oberflächenbeschichtungen untersucht. Gerade bei immunologisch aktiven Substanzen kann jedoch die Invivo-Wirksamkeit nicht sicher vorhergesagt werden. Antiinfektiöse Oberflächen können trotz der viel versprechenden Ergebnisse nur als weiterer Baustein in der Infektionsprophylaxe gesehen werden und bisherige Maßnahmen nicht ersetzen. Eine konsequente Infekttherapie vor Implantation des Biomaterials bleibt ebenso notwendige Grundforderung wie die konsequente Einhaltung aller anderen Parameter der Infektionsprophylaxe. Antiinfektiöse Oberflächenbeschichtungen könnten jedoch die Infektionsrate im infektgefährdeten Implantatlager herabsetzen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Beachtung der Biokompatibilität, um die sichere ossäre Integration als wesentlichen Schutz vor Infektionen nicht zu gefährden. Auf Grund der zunehmenden Häufigkeit antibiotikaresistenter Bakterien besteht die Notwendigkeit der Entwicklung antibakterieller Oberflächen mit Breitspektrumwirkung gegen resistente Infektionserreger.
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Teil II · Experimentelle Grundlagen
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3.3 Oberflächenbeschichtung Bioaktive Oberflächenbeschichtung G. Schmidmaier, B. Wildemann
Zusammenfassung Das vorliegende Kapitel beschreibt Grundlagen sowie experimentelle und klinische Studien zur Oberflächenmodifikation von Implantaten mit dem Ziel, die Integration in den Knochen zu verbessern.
Einleitung Implantate zur Versorgung von Knochen- und Gelenkdefekten sind in der Mehrzahl aus Metall. Trotz der Weiterentwicklung im Bereich der Metallurgie stellen diese Biomaterialien im Organismus einen Fremdkörper dar, dessen ossäre Integration bei insgesamt guter Bioverträglichkeit der Implantate immer noch ein Problem ist. Zur Verbesserung der Oberflächeneigenschaften von metallischen Implantaten werden daher seit Jahren verschiedene Möglichkeiten untersucht. Hierzu gehört die Modifikation der Oberflächenstruktur und -eigenschaft, die in verschiedenen Studien zu einer verbesserten Osteointegration von Implantaten geführt und bereits breite klinische Anwendung in der orthopädischen Chirurgie gefunden hat.
Strukturen oder chemische Zusammensetzungen erreicht werden sollen. Die extrazelluläre Matrix von Knochen besteht zu 65% aus nichtorganischen und zu 35% aus organischen Anteilen. Die nichtorganischen Anteile setzen sich hauptsächlich aus Kalzium und Phosphat als Hydroxylapatit zusammen [1]. Die Beschichtung von metallischen Implantaten mit Hydroxylapatit oder Kalziumphosphat konnte in zahlreichen Studien eine Verbesserung der Implantateinheilung zeigen (⊡ Abb. 3.12) [2–4] und ist seit Jahrzehnten im klinischen Einsatz in der Endoprothetik. Der Hauptbestandteil der organischen Knochenmatrix ist das Kollagen. Durch die Beschichtung von Metallen mit Kollagen, soll das Anwachsen von Zellen und somit ebenfalls die Osteointegration verbessert werden [5].
Biomimetische Oberflächen Unter Biomimetik versteht man im Allgemeinen die Nachahmung von biologischen Prozessen und Strukturen. Bei Implantaten bedeutet dies, dass durch Oberflächenmodifikationen von Metallen knochenähnliche
⊡ Abb. 3.12. Ergebnisse zur Implantateinheilung in Rattenfemura 2 Monate nach Implantation. Dargestellt ist die initiale Kraft zum Herausdrücken von Implantaten mit verschiedenen Oberflächen. Die benötigte Push-out-Kraft ist bei den HAP-beschichteten Implantaten signifikant höher im Vergleich zur Titangruppe [4]
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3
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Die Zelladhäsion wird durch Proteinstrukturen in der extrazellulären Matrix vermittelt. Das Tripeptid Arg-GlyAsp (auch RGD-Peptid genannt) gilt als universelle Erkennungs- und Bindungssequenz von Adhäsionsproteinen bei Zell-Zell- und Zell-Matrix-Kontakten. Daher ist die Beschichtung von Oberflächen eine vielversprechende Methode zur Verbesserung der Zelladhäsion [6]. Jedoch sind die in der Literatur beschriebenen Ergebnisse zur Verbesserung der Knocheneinheilung mit RGDs widersprüchlich [7, 8] All die genannten Modifikationen basieren auf dem Prinzip der Osteokonduktion, worunter die Eigenschaft eines Materials verstanden wird, Zellen als Leitstruktur zur Adhäsion und Knochenapposition zu dienen. Neben dieser passiven Eigenschaft könnte durch das Einbringen osteoinduktiver Faktoren die Oberfläche »aktiviert« und eine migratorische und differenzierende Wirkung auf Zellen ausgelöst werden (Osteoinduktion).
Bioaktive Substanzen Es ist inzwischen allgemein anerkannt, dass es möglich ist, die Knochenheilung durch osteoinduktive Faktoren positiv zu beeinflussen [9–14] (s. auch Kap. 2.2). Ein Problem stellt jedoch die lokale und effektive Applikation der Faktoren am Wirkort dar. Osteoinduktive Faktoren, wie Wachstumsfaktoren, haben im Organismus eine sehr kurze Halbwertszeit [15, 16] und sind nicht spezifisch für Zellen des Knochenmetabolismus. Dies kann konzentrationsabhängig zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Bei systemisch appliziertem IGF-I können neben Elektrolytverschiebungen auch Veränderungen der Serumkonzentrationen von Insulin und Wachstumshormon auftreten. Weiter sind Hypoglykämie, Hypokaliämie, Konvulsionen, Pseudotumor cerebri, Papillenödem, Fazialisparesen, Parotisschwellung, Tachykardie, vorübergehend veränderte Leber-Funktions-Tests, Anti-IGF-I-Antikörper, Haarausfall und vermehrt Infektionen des oberen Respirationstraktes beschrieben [17–19]. Die Möglichkeit, TGFβ1 systemisch zu verabreichen, ist auf Grund von dessen immunsuppressiver Wirkungen stark eingeschränkt [13]. Die hochdosierte, systemische Applikation von rh-TGF-β1 erzeugt bei Ratten ein Spektrum an Läsionen in zahlreichen Zielgeweben des Organismus sowie im Bereich der Injektionsstellen an Venen und Muskelgewebe [20]. Daher muss eine geeignete Applikationsform entwickelt werden, die eine optimale Wirkung der Faktoren gewährleistet und das Risiko von Nebenwirkungen minimiert.
Applikationsformen In experimentellen Studien wurden Faktoren entweder systemisch, durch Injektionen und Katheter, oder lokal, mittels osmotischer Minipumpen und subperiostaler Injektionen, verabreicht [21–26]. Bei der lokalen Injektion von TGF-β ist im Bereich der Einstichstelle eine ausgeprägte Ödembildung zu beobachten [27] und mit jeder Injektion wird zudem ein Minitrauma erzeugt, das den Heilungsprozess stören und eine Eintrittspforte für Keime darstellen kann. Eine weitere Möglichkeit der lokalen Applikation besteht daneben in der Einarbeitung der Wachstumsfaktoren in Trägermaterialien wie Kollagenschwämmen, Gelen und Membranen, die operativ direkt an den Wirkort gebracht werden [28, 29]. Obwohl hier Effekte der Faktoren auf Knochengewebe und -stoffwechsel nachweisbar sind, erscheinen diese Methoden für die klinische Anwendung unpraktikabel. Externe Pumpen, Katheter oder direkt vor Ort platzierte Trägermaterialien erfordern zum einen die Einbringung weiteren Fremdmaterials und bergen die Gefahr von Infektionen. Letztere können durch sekundäre Dislokationen, zusätzliche Folgeeingriffe erforderlich machen. Dislozierte oder fehlerhaft eingebrachte Kollagenschwämme mit Wachstumsfaktoren können zu einer Knochenbildung im umliegenden Weichgewebe führen. Darüber hinaus bestehen Kollagenschwämme teilweise aus bovinem Material, das im Körper als Fremdeiweiß zu allergischen Reaktionen führen kann [30]. Für den klinischen lokalen Einsatz sind derzeit die Wachstumsfaktoren BMP-2 und BMP-7 zugelassen.
Anforderungen an lokale Applikationssysteme Da die systemische Applikation der Faktoren zahlreiche Probleme mit sich bringt, müssen bioaktive Wachstumsfaktoren lokal und kontrolliert angewendet werden. Hierbei sollte es vermieden werden, zusätzlichen Fremdkörper in den Organismus einzubringen. Applikationssysteme sollten die Freisetzung der Faktoren optimal gewährleisten sowie deren biologische Aktivität sicherstellen. Im Idealfall sind sie bioresorbierbar [31, 32]. Um Immunreaktionen, Toxizität und Nebenwirkungen zu reduzieren, ist die Biokompatibilität eine weitere essentielle Anforderung an das Trägermaterial. Die Knochenbildung darf weder durch eine hervorgerufene Fremdkörperreaktion noch durch
71 Kapitel 3.3 · Oberflächenbeschichtung: Bioaktive Oberflächenbeschichtung
3.3
physikalische Blockierung auf Grund unvollständigen Abbaus des Trägermaterials beeinträchtigt werden. Es ist erforderlich, dass die Faktoren kontinuierlich und kontrolliert freigesetzt werden, da sie ansonsten resorbiert würden, ehe sie ihre Wirkungen entfalten könnten [33]. Eine hohe Benutzerfreundlichkeit und leichte Handhabung für den Operateur sind anzustreben. Zudem sollte die Applikation der Wirkstoffe auch indirekt bei geschlossenen Frakturen oder im Bereich der Implantologie möglich sein.
Drug-Delivery-System (DDS) Die Kombination eines Implantats mit einem »DrugDelivery-System« (DDS) würde eine optimale Lösung zur Stabilisierung der Fraktur oder Protheseneinheilung mit lokaler Stimulation der Knochenheilung und ossärer Integration darstellen. Als Drug-Delivery-System könnte eine resorbierbare Beschichtung von Biomaterialien dienen. Diese Beschichtung muss fest auf der Oberfläche des Implantats haften, um den Einbringungsprozess unbeschadet zu überstehen. Die in die Beschichtung eingearbeitete Menge und die Freisetzung der Faktoren kann durch die direkte lokale Applikation gering gehalten werden. So werden hohe lokale Konzentrationen, bei geringer systemischer Belastung, direkt am gewünschten Wirkort erreicht. Als Substanzen für die Beschichtung von Osteosynthesematerialien und Implantaten zur lokalen Wirkstofffreisetzung werden derzeit verschiedene Materialien untersucht. Zu ihnen zählen: Kalziumphosphat, Hydroxylapatit, Heparin und Polymere [34–39]. Zellkulturstudien konnten zeigen, dass Bisphosphonate eingearbeitet in Hydroxylapatit, die DNA-, Protein- und Kollagensynthese von Osteoblasten stimulieren [40] und die Implantateinheilung verbessern [34]. Die Freisetzung von BMP-2 aus einem biphasischen Kalziumphosphat bewirkt die De-novo-Knochenformation in nichtskelettalem Gewebe in einem Rattenmodell [41]. Auch eine Kalziumphosphatbeschichtung kann als Modifikation für metallische Implantate und DDS dienen. Liu et al. zeigen eine dosisabhängige Einlagerung von BMP-2 in die Kalziumphosphatbeschichtung, wobei die biologische Aktivität des Wachstumsfaktors erhalten bleibt [35]. Aber auch synthetische Materialien wie Polymere werden als lokale Drug-Delivery-Systeme erprobt.
⊡ Abb. 3.13. Zyklische Monomere
»Platelet-derived growth factor-BB« (PDGF-BB) wurde zur Verbesserung der gelenkten Gewebeneubildung in Poly(L-Laktid) Membranen eingearbeitet [42, 43]. Bei einigen dieser Materialien konnten Rückstände des Trägermaterials nachgewiesen werden, die eine chronische Entzündungsreaktion hervorrufen und die Osteoinduktion hemmen können [44]. Biomaterialien auf der Basis von Laktid, Glykolid (⊡ Abb. 3.13) und ihrer (Co-)Polymere, ermöglichen eine genaue Dosierung und Kombination der Wirksubstanzen sowie deren gleichzeitige oder zeitlich versetzte Freisetzung [45–48]. Die Freisetzung von Wirksubstanzen wird auch durch das Abbauverhalten von Polymeren beeinflusst. Die Biodegradation von Polymeren ist mikrostrukturell abhängig von der chemischen Zusammensetzung, der Kristallinität und dem Molekulargewicht, makrostrukturell von der Geometrie und Größe des Implantats und außerdem noch von Umgebungsfaktoren wie Temperatur, Milieu, Wasserdampfdruck und Implantatbett [49]. Der Abbau erfolgt hauptsächlich durch zwei Mechanismen: den Oberflächenabbau (Surface-Erosion) und dem Abbau der Masse (Bulk-Erosion) [50]. Für die Verwendung als Drug-Delivery-System ist die Freisetzungskinetik der Wirksubstanz von großer Bedeutung. Es werden drei Hauptmechanismen der Freisetzung unterschieden [51]: 1. Diffusion, 2. Polymerquellung gefolgt von einer schnellen diffusionskontrollierten Freisetzung, 3. Polymerabbau.
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Teil II · Experimentelle Grundlagen
3
⊡ Abb. 3.14. Schematische Darstellung der Substanzfreisetzung aus einem Matrix-Delivery-System. Mit Zunahme der Zeit verlangsamt sich die Freisetzung, da die Wegstrecke für die Substanz länger wird
Die drei Prozesse erfolgen teils parallel und in Abhängigkeit der Polymereigenschaften. In ⊡ Abb. 3.14 ist die Substanzfreisetzung schematisch dargestellt. Anfangs kommt es zu einer raschen Freisetzung aus der oberen Schicht des Polymers. Mit der Zeit verlangsamt sich die Freisetzung, da die Substanz aus tiefen Schichten eine längere Wegstrecke hat.
Poly(D,L-Laktid) (PDLLA) Bereits 1960 wurde Polylaktid als biodegradierbares Material für chirurgische Implantate entwickelt. Das Trägermaterial Poly(D,L-Laktid) (PDLLA) ist ein inertes, amorphes PLA-Stereo-Co-Polymer, das durch Hydrolyse zu Laktidsäure biodegradiert und letztlich als Kohlendioxid und Wasser ausgeschieden wird. Nach der Metabolisierung können weder in Fäzes noch im Urin toxische Metabolite des Laktids nachgewiesen werden [52]. In vitro behält PDLLA, im Verlauf von bis zu 25 Wochen, nahezu 100% seiner Stabilität bei und kann, abhängig von der Menge, in vivo innerhalb eines Jahres vollständig degradiert werden. Das Laktid zeichnet sich durch seine gute Biokompatibilität aus [53, 54]. Osteosynthesematerialien können ohne Veränderungen des Materialdesigns mit PDLLA als Drug-Delivery-System für Wachstumsfaktoren beschichtet werden, sodass kein zusätzliches Fremdkörpermaterial als Träger eingesetzt werden muss. Die Schichtdicke auf metallischen Implantaten beträgt ca. 10 µm und weist eine hohe mechanische Stabilität auf, die einer intramedullären Implantation zu über 96% standhält [38] und ebenso über eine ausgezeichnete Bruchdehnung verfügt [55].
Die osteoinduktiven Faktoren lassen sich in einem kalten Beschichtungsverfahren einarbeiten, ohne ihre biologische Aktivität zu verlieren. Lagerungsversuche zeigen, dass es bei einer Lagerung der beschichteten Implantate über 14 Monate zu keinem Verlust der biologischen Aktivität der eingearbeiteten Substanzen kommt [56]. In der Beschichtung sind sie als feine Suspension verteilt und werden vor allem durch Diffusions- und Erosionsvorgänge freigesetzt [51]. In-vitro und In-vivo-Versuche zeigen, dass die eingearbeiteten Substanzen nach einem initialen Peak von ca. 50% in den ersten 42 Stunden in den folgenden 40 Tagen kontinuierlich bis zu 80% freigesetzt werden.
Experimentelle Anwendung einer PDLLA Beschichtung mit Wachstumsfaktoren Um die Wirkung der lokalen Applikation von Wachstumsfaktoren in vivo zu untersuchen, wurden tierexperimentelle Studien am Klein- und Großtiermodell durchgeführt. Die Wachstumsfaktoren IGF-I, TGF-β1 und BMP-2 wurden alleine oder in Kombination in die Beschichtung von Implantaten zur intramedullären Stabilisation eingearbeitet und die Knochenheilung zu verschiedenen Zeitpunkten anhand radiologischer, biomechanischer und histologischer Methoden ausgewertet. Es zeigt sich sowohl im Ratten- als auch im Schweinemodell eine beschleunigte Knochenheilung durch die lokale Applikation der Wachstumsfaktoren (⊡ Abb. 3.15) [57–60]. Die kombinierte Gabe der Wachstumsfaktoren IGF-I und TGF-β1 wirkt synergistisch auf die Knochenheilung bei der Ratte [59]. Langzeituntersuchungen verdeutlichen die Beschleunigung der Heilung durch die Wachstumsfaktoren in der frühen Phase ohne Änderung der physiologischen Heilungsabläufe und ein vergleichbares Remodeling des Kallus in der späten Phase [61]. Des Weiteren zeigen sich keine vermehrten Fremdkörperreaktionen oder Resorptionslakunen durch die Beschichtung, wodurch auf eine gute Biokompatibilität geschlossen werden kann [54]. Zusammen mit der Untersuchung der systemischen Parameter, die keine Änderungen durch die lokale Wachstumsfaktorenapplikation zeigen, verdeutlichen die Studien, dass diese Applikationsmethode von Wachstumsfaktoren die Heilung beschleunigt, ohne die physiologischen Abläufe zu beeinflussen. Die Kombination von biomechanisch etablierten Implantatsystemen mit bioaktiven Oberflächenbeschichtun-
73 Kapitel 3.3 · Oberflächenbeschichtung: Bioaktive Oberflächenbeschichtung
⊡ Abb. 3.15. Röntgenbilder 28 Tage nach Osteotomie und Stabilisation mit unbeschichteten, PDLLA-beschichteten und IGF-I- und TGFβ1-beschichteten Marknägeln [60]. Durch die lokale Applikation der Wachstumsfaktoren kommt es zur vollständigen Überbrückung der Osteotomiespalts
gen könnte die Komplikationsrate in der orthopädischen und unfallchirurgischen Chirurgie weiter senken. Eine Kombination verschiedener Wirkstoffe in Beschichtungen zur Anwendung maßgeschneiderter Oberflächen erscheint ebenfalls möglich. Vor einer breiten Anwendung dieser Technologien, sind jedoch weitere klinische Studien notwendig.
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Teil II · Experimentelle Grundlagen
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4 Metallimplantatallergie P. Thomas, B. Summer
Zusammenfassung Nickel, Chrom und Kobalt sind klassische Auslöser kutaner Kontaktallergien. Metallimplantatassoziierte allergische Reaktionen können als lokale oder disseminierte Ekzeme, Wundheilungsstörungen, Urtikariaschübe oder möglicherweise als Implantatlockerung auftreten. Allerdings scheinen diese Reaktionen im Vergleich zu den kutanen Sensibilisierungsraten selten. Zur Abklärung dienen Anamnese, Epikutantest und Analyse von periimplantärem Gewebe. Der Lymphozytentransformationstest bleibt aufgrund der schwierigen Relevanzbewertung umstritten. Eine erweiterte Datensammlung zu Patienten mit allergiebedingter Implantatunverträglichkeit soll zusammen mit Untersuchungen zu Mechanismen der periimplantären Unverträglichkeitsreaktion die Grundlage für weiterführende Empfehlungen liefern.
Metallallergie Nickel, Chrom und Kobalt sind klassische Auslöser kutaner Kontaktallergien. Sensibilisierungsraten der Allgemeinbevölkerung betragen gegenüber Nickel bis zu 10% (bei Betonung des weiblichen Geschlechts) und gegenüber Kobalt und Chrom bis zu 2% [1–4]. Nickel ist weiterhin das häufigste Kontaktallergen beim epikutan getesteten dermatologischen Patientengut (⊡ Tabelle 4.1). Anhand von kutanen Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber Metallen wurden Charakteristika der Kontaktallergie schon lange untersucht. Als klinische Bilder der Metallallergie sind
⊡ Tabelle 4.1. »Hitliste« der Kontaktallergene Platz
Allergen
% der Getesteten (n=6346)
1
Nickel (II) – sulfat
15,4
2
Duftstoff-Mix
9,0
3
Perubalsam
8,4
4
Kaliumdichromat
6,8
5
Kobalt (II) – chlorid
6,5
6
Dibromdicyanobutan/2-Phenoxyethanol
5,0
7
Amerchol L-101
5,0
8
Kolophonium
4,8
9
p-Phenylendiamin
4,5
10
Kompositen-Mix
3,1
Gemäß Datenauswertung, 1. Halbjahr 2004, Informationsverbund dermatologischer Kliniken (IVDK)
klassische Kontaktekzeme (oft im Bereich der Hände), aber auch ungewöhnliche Erscheinungsformen wie pseudolymphomartige Schwellungen, nickelinduzierte Cheilitiden und von innen heraus (hämatogen) provozierte Ekzeme zu nennen (z. B. über Nahrungsmittelkontamination) [4–6]. Dass hier eine von T-Lymphozyten getragene Spättyp(Typ-IV-)Reaktion vorliegt, wurde anhand von histologischen Analysen entsprechender Ekzemherde, aber auch über eine In-vitro-Stimulierbarkeit humaner Lymphozyten durch Metallexposition gezeigt [7–10].
76
4
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Bei bestehender spezifischer Überempfindlichkeit (»Sensibilisierung«) kann die individuelle Auslöseschwelle für Hautreaktionen sehr unterschiedlich ausfallen. So kann der kurzzeitige, aber häufige Nickelkontakt durch Umgang mit Münzen bereits bei einer Kassiererin ein Handekzem unterhalten. Dies kann im Epikutantest nachvollzogen werden. Auch auf die Haut platzierte Euromünzen zeigen genügend Nickelfreisetzung, um ein lokales Ekzem zu provozieren [11]. Wie aus ⊡ Abb. 4.1 erkennbar wird, ist bei der üblicherweise am Rücken durchgeführten Epikutantestung auch durch aus Euromünzen freigesetztes Nickel eine interindividuell schwankende Ekzeminduktion möglich. Neben unterschiedlichen »Elutionsbedingungen« (Schweißmenge und pH) trifft freigesetztes Nickel auch auf von Person zu Person unterschiedliche Apoptoseschwellen bei mononukleären Zellen (Lymphozyten, Monozyten) [12]. Dieses Phänomen – ähnlich wie die Phänotypänderung antigenpräsentierender (dendriti-
scher) Zellen unter Metallexposition – zeigt ebenfalls die individuell unterschiedlich ausgeprägte Reaktionsbereitschaft gegenüber Metallen [13, 14]. Schließlich können proinflammatorische Reize eine spezifische Sensibilisierung begünstigen. Dazu gehören u. a. das hautirritierende Potential von Substanzen, zusätzliche bakterielle Infekte und Substanzkontakt in Wundflächen (z. B. Ohrlochstechen und Nickelkontakt). Für die kutane Metallkontaktallergie sind somit viele Aspekte hinterfragt und teilweise auch in entsprechenden prophylaktischen Maßnahmen umgesetzt worden [11]. Beispiele hierfür sind Schutzkleidung, Schutzhandschuhe bei beruflichem Umgang mit potentiellen Kontaktallergenen, die Propagierung nickelarmer Metalllegierungen für Ohrschmuck und Piercing und die europäische »Nickel Direktive«. Letztere schreibt vor, dass Gebrauchsgegenstände mit längerem Hautkontakt maximal 0,5 µg/cm2 Nickel pro Woche freisetzen dürfen [15]. Speziell in Skandinavien hat die schon vor Jahren begonnene Umsetzung dieser Maßnahmen bereits zu einem Rückgang der Nickelsensibilisierung in der jüngeren Bevölkerung geführt [16].
Metallimplantate und Immunreaktion Pathophysiologie
⊡ Abb. 4.1. Interindividuell schwankende Reaktion auf freigesetztes Nickel aus Euromünzen bei zwei Nickel-allergischen Personen
Mit dem Einbringen von Implantatmaterialien am Menschen ist neben der anfänglichen Entzündungsreaktion im weiteren Verlauf je nach »Biokompatibilität« der Materialien ein Abklingen der Entzündungsantwort und beispielsweise eine ossäre Integration der Hüft- oder Knietotalendoprothesen die Regel. Allerdings kann bei manchen Personen eine spezifische Überreaktion von Lymphozyten gegen Legierungskomponenten entstehen bzw. es können eingebrachte Metallimplantate bereits auf eine vorbestehende Metallallergie bei den jeweiligen Patienten treffen. Noch wird im Gegensatz zu kutaner Kontaktallergie teils nur vermutet, welche Faktoren eine Metallimplantatallergie bahnen bzw. manifest werden lassen: ▬ Adjuvansfaktoren wie »Low-grade«-Infekt, Induktion vaskulärer Adhäsionsmoleküle durch Nickel- und Kobaltionen, durch Partikelexposition erfolgte Makrophagenaktivierung, mäßiggradige Korrosionsphänomene (unterhalb für Lymphozyten lokal toxischer Werte) [18–20], ▬ Anreicherung von Partikeln in lokalen Lymphknoten [21, 22],
77 Kapitel 4 · Metallimplantatallergie
▬ patienteneigene Faktoren, wie vorbestehende Kontaktallergie oder Neigung zu »TH1-Entzündungsantwort« auf Fremdmaterialien [7]. Eine meist unspezifische Entzündung wird vornehmlich über die partikelinduzierte Makrophagenaktivierung unterhalten. Phagozytose, Enzymfreisetzung und Produktion von Interleukin 1, 6 sowie Prostaglandin E werden besonders unter den Aspekten Osteoklastenaktivierung, Knochenresorption und Gewebeumbau untersucht [18, 20, 23, 24]. Die biologischen Effekte der beim Gelenkersatz auftretenden Abriebpartikel variieren mit deren Größe und Zusammensetzung [25–28]. Makrophagendominierte Fremdkörperreaktionen mit Riesenzellen werden meist durch größere Partikel (speziell Polyethylen) induziert. Makrophagen-Fibroblasten-Interaktion im synovialen Interface führt zu verstärkter Fibrosierungsreaktion. Typisch ist auch die erhöhte Vaskularisierung durch von Monozyten freigesetztem VEGF ("vascular endothelial growth factor"). Unklar ist, ob auch eine alterierte verbliebene Synovialflüssigkeit zu (Lubricin-vermittelter?) Implantatlockerung führen kann. Den bei Metall-Metall-Paarungen eher im Nanometerbereich liegenden Abriebpartikeln wird neben lokal toxischen Effekten auch eine Immunaktivierung zugeschrieben. Dazu gehören die Induktion von vaskulären Adhäsionsstrukturen mit periimplantärer Rekrutierung von Entzündungszellen und die nach Proteinbindung mögliche Antigenwirkung. Auf die Auseinandersetzung auch des spezifischen Immunsystems mit freigesetzten Metallen deuten die von Hallab et al. [29] als erhöht beschriebenen metallspezifischen In-vitro-Lymphozytenantworten bei Endoprothesenträgern. Mögliche systemische Effekte sind auch in Assoziation zu erhöhten Metallspiegeln in Blut und Urin von Endoprothesenträgern denkbar, wurden bisher jedoch nie schlüssig gezeigt [17]. Urban et al. [21] beschrieben anhand von Autopsiebefunden bei Patienten mit Gelenkersatz eine Partikelverteilung in Lymphknoten und inneren Organen wie Leber und Milz. Karzinogene Effekte wurden von Urban jedoch nicht beschrieben – ebenso wenig wie in einer Datenauswertung des skandinavischen Endoprothesenregisters. Anzumerken bleibt, dass Urban und Mitarbeiter auch bei einigen ihrer Kontrollpersonen eine Organpartikelbelastung fanden, so z. B. Goldpartikel nach entsprechender antirheumatischer Therapie oder Rückstände von Bariumkontrasteinläufen.
Klinisches Bild Im Gegensatz zur kutanen Kontaktallergie gibt es praktisch keine Daten über die Epidemiologie metallimplantatassoziierter allergischer Reaktionen. Jedoch beschreiben Kasuistiken und kleine Fallserien typische MetallimplantatallergiePatienten unter dem klinischen Bild von Ekzemreaktionen über Osteosynthesematerialien sowie Knie- oder Hüftendoprothesen, mit dem Bild von Wundheilungsstörungen oder disseminierten Ekzemen [8, 30–34] (⊡ Abb. 4.2). Auch die mögliche Assoziation von aseptischer Lockerung und rezidivierenden lokalen Ergüssen und Schmerzen mit Metallimplantatallergien wird in Betracht gezogen [20, 35]. Schließlich wurden auch Urtikariaschübe nach Metallimplantation [31] sowie Ekzeme und sterile Osteomyelitis nach Stahldraht-Cerclage beschrieben [37, 38]. Vermutlich entsteht nur bei einem kleinen Teil der implantattragenden Patienten eine lokale periimplantäre
⊡ Abb. 4.2. Ekzemreaktion nach Knie-TEP bei einer Nickel-allergischen Patientin
4
78
4
Teil II · Experimentelle Grundlagen
Überempfindlichkeit. Beschrieben wurden hierzu lymphozytär dominierte periimplantäre histopathologische Veränderungen [39] und entsprechende molekularbiologische Entzündungsprofile [30]. Es gibt jedoch auch Berichte [40], wonach selbst Patienten mit bekannter kutaner Nickelkontaktallergie bei Einbringen nickelhaltiger Materialien einen komplikationslosen Verlauf zeigten. Allerdings lässt sich bei metallallergischen Patienten vorab nicht sagen, wer allergiebedingte Unverträglichkeitsreaktionen zeigen wird.
Diagnostik Meist wird der Verdacht auf eine Metallimplantatunverträglichkeit geäußert, wenn differentialdiagnostische Schritte (Infektausschluss, mechanisches Versagen, neurologische Komplikationen u. a.) keine Klärung der Symptome gebracht haben. Als Diagnostikhilfen dienen: ▬ Anamnese, ▬ Epikutantest, ▬ Analyse von periimplantären Gewebe, ▬ Lymphozytentransformationstest. In der Anamnese ist auf Angaben früherer Unverträglichkeitsreaktionen bei Metallkontakt bzw. bei Metallimplantation zu achten sowie auf Assoziation der berichteten Beschwerden und/oder Hauterscheinungen mit der erfolgten Metallimplantation. Der Epikutantest bietet eine standardisierte Methode zum Nachweis einer Typ-IV-Allergie. Dementsprechend gibt es für viele Legierungskomponenten durch die Deutsche Kontaktallergie-Gruppe (DKG) evaluierte Testpräparationen. Eine erweiterte »Implantattestreihe« umfasst auch Knochenzementkomponenten. Es ist allerdings zu vermuten, dass nicht alle periimplantär auftretenden Metallüberempfindlichkeitsreaktionen sich über eine Hauttestreaktion widerspiegeln (und umgekehrt). Der Epikutantest sollte jedoch als standardisierter Test durchgeführt werden. Andererseits ist der Aussagewert einer Zusatzhauttestung über Testlegierungsplättchen sowie die Bedeutung einer subkutanen Vorabimplantation von Materialproben umstritten. Im Tierexperiment zeigt sich einerseits, dass injizierte Nickel- und Kobaltsalze relativ gut löslich und somit im Urin wiederzufinden sind, während Chrom durchaus auch länger im Gewebe/intrazellulär gespeichert wird [17]. Andererseits ist die »Immunisierungsstärke« bzw.
⊡ Abb. 4.3. Ekzemreaktion bei Kobaltallergie in Assoziation mit Unterschenkel-Osteosynthese
das Erreichen einer überschießenden Immunantwort bei epikutaner oder subkutaner Applikation oft besser als bei Injektion in tiefere Gewebebereiche oder bei gastrointestinaler Applikation (⊡ Abb. 4.3). Histologie und Immunhistologie des periimplantären Gewebes liefern bei kutanen Reaktionen wertvolle Zusatzinformationen. Wegen der erschwerten Zugänglichkeit sind allerdings implantatnahes Punktatmaterial oder periimplantäre Biopsien nicht routinemäßig zu erhalten. Da jedoch kutane und periimplantäre Immunreaktionen mit Charakteristika einer Typ-IV-Allergie nicht immer parallel auftreten, kann die Analyse von periimplantärem Gewebe sinnvolle Zusatzinformationen liefern. Einerseits kann neben Abstrichmaterial aus dem Implantatlager auch über Kultur aus Biopsien sowie histologisch und molekularbiologisch nach einem »Low-grade«-Infekt
79 Kapitel 4 · Metallimplantatallergie
gesucht werden. Und andererseits kann eine T-lymphozytär dominierte Entzündung mit Charakteristika einer TypIV-Allergie identifiziert werden [39]. Es kann auch nach Oligoklonalität des T-Zellinfiltrats gesucht werden. Dies gilt als Hinweis für ein antigeninduziertes oligo(mono)klonales T-Zell-Infiltrat. Zusätzlich ist es möglich, im Gewebe Aktivierungsmarker und die Zytokinexpression (wie IFN-γ) anhand des Einsatzes von PCR-Techniken zu beurteilen [30]. Damit lässt sich beispielsweise ein TH1typisches Entzündungsmuster identifizieren. Im Lymphozytentransformationstest (LTT) kann bei einem Teil der metallallergischen Patienten eine spezifische Reaktivität der zirkulierenden Blutlymphozyten nachgewiesen werden [7, 10, 41]. Kürzlich hatten Hallab et al. [29] über erhöhte LTT-Ansprechraten bei komplikationsbehafteten Hüft-TEP-Trägern berichtet. Auch in unserer Arbeitsgruppe werden In-vitro-Testsysteme zur Erfassung der Lymphozytenreaktivität gegenüber Metalllegierungen im Kokulturverfahren mit Referenzmaterialien eingesetzt. Die Ergebnisse solcher Tests sind unter Berücksichtigung aller Befunde zu interpretieren. Sie können allerdings den Epikutantest nicht ersetzen und müssen aufgrund der großen methodischen Unterschiede zwischen den verschiedenen derzeit angewendeten Kultur- und Stimulationstechniken mit Vorsicht interpretiert werden. Derzeit ist es aber eher nur in Einzelfällen möglich, eine kausale Verknüpfung zwischen einer im Hauttest gefundenen Kontaktallergie gegenüber Implantatkomponenten und der Unverträglichkeit eines Implantats zu zeigen. Dies bedarf der Zusammenschau von klinischem Bild einschließlich dem Ausschluss der Differentialdiagnosen, von Testergebnissen und Abklingen der Symptomatik nach Materialwechsel. Um weitere Erkenntnisse zur Epidemiologie und Ausprägung von Überempfindlichkeitsreaktionen zu erhalten, betreuen die Autoren ein Implantatallergieregister (
[email protected]) sowie eine Informationsplattform (Kontakt: http://derma.klinikum.uni-muenchen.de/Implantatallergie.htm), worüber Informationen gesammelt und Auskünfte für Anfragen gegeben werden. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit der DGOOC (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie) sowie der DKG (Deutsche Kontaktallergie-Gruppe). Weiterhin wird über den Arbeitskreis »Implantatallergie« der DGOOC, dem auch der Erstautor angehört, eine Verfassung von Stellungnahmen zum Thema Implantatallergie angestrebt.
Schlussfolgerungen für die Praxis Nickel, Kobalt und Chrom sind Hauptauslöser kutaner Metallkontaktallergien. Auch wenn allergische Reaktionen gegenüber Metallimplantaten selten sind, so sollte nach Ausschluss von Differentialdiagnosen daran gedacht und eine möglichst komplette Diagnostik angestrebt werden. Dazu gehören Anamnese, erweiterte Epikutantestung sowie als ergänzende (und bisher nicht routinemäßige) Informationsquelle die periimplantäre Gewebeanalyse. Der Lymphozytentransformationstest liefert ebenfalls Zusatzinformationen, darf aber nicht überbewertet werden. Wird präoperativ bereits eine Metallallergie angegeben, so sollte auf Alternativen, die dieses Metall nicht enthalten, ausgewichen werden. Sollte trotzdem vom Operateur das Einsetzen des potentiell allergieauslösenden Metalls favorisiert werden, so muss mit dem Patienten eine Güterabwägung getroffen werden. Der Patient muss nach Aufklärung über ein Komplikationsrisiko zustimmen. Wie hoch dieses Risiko ist, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Die Autoren würden sich über Rückmeldungen zu obigem Register und zur Informationsplattform freuen, da hiermit eine bessere Datenlage geschaffen werden soll.
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Teil II · Experimentelle Grundlagen
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III Teil III
Anwendung
Kapitel 5
Wirbelsäule – 83
Kapitel 5.1
Bandscheibe – Verblockungssystem – 83 W. Arnold
Kapitel 5.2
Wirbelkörperprothesen – 88 R. Gradinger, A. Toepfer, H. Gollwitzer
Kapitel 6
Große Gelenke
– 94
Kapitel 6.1
Kurzstielige oder langstielige Schulterprothesen? – 94 P.M. Rozing, M.A. van der Sande, J. Nagels
Kapitel 6.2.1
Hüfte: Standardimplantat – 99 H. Gollwitzer, R. Gradinger
Kapitel 6.2.2
Hüfte: Schenkelhalsprothesen – 110 W. Thomas
Kapitel 6.2.3
Hüfte: Kurzstiel – 116 G. von Salis-Soglio, J. Gulow
Kapitel 6.2.4
Oberflächenersatz des Hüftgelenkes: Doppel-Cup-Prothesen – 120 P. Juhnke
Kapitel 6.2.5
Spannungsverteilung und Primärstabilität bei vollstrukturierten versus teilstrukturierten Femurkomponenten – 126 R. Burgkart, R. Glisson
Kapitel 6.3
Kniegelenk – 132 J. Scholz
Kapitel 6.4
Sprunggelenk – 137 J. Rudigier
III Kapitel 7
Kleine Gelenke – 147
Kapitel 7.1
Fingergrundgelenksendoprothese – 147 C. Weber
Kapitel 7.2
Fuß: Großzehengrundgelenk – 156 K.-H. Olms
Kapitel 8
Ossäre Integration in der oralen Implantologie – 162 J. Sprang
Kapitel 9
Spezialimplantate
Kapitel 9.1
Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel – 168 W. Mittelmeier, M. Hauschild, R. Bader, R. Gradinger
Kapitel 9.2
Tumorendoprothetik – 180 R. Gradinger, H. Gollwitzer
Kapitel 9.3
Endo-/Exoprothese – 190 K.-H. Staubach, H. Grundei, H. Aschoff
Kapitel 9.4
Individualprothesen, Sonderanfertigungen – 195 R. Ascherl, H. Grundei, I. Hartung, R. Gradinger
5.1 Wirbelsäule Bandscheibe – Verblockungssystem W. Arnold
Zusammenfassung Zur indikationsabhängigen operativen Therapie pathologischer Veränderungen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 wurde ein standardisiertes Operationsverfahren entwickelt. Zum Einsatz kommen starre oder elastische Spacersysteme, deren Instrumentarium auch für den minimal-invasiven Zugang bei L4/5 und den endoskopischen Einsatz bei L5/S1 geeignet ist. Die allgemeine Hauptindikation ist der konservativ therapierefraktäre Kreuzschmerz auf Grund einer Bandscheibendegeneration. Eine Ausweitung der Indikation bei traumatischen Wirbelsäulenschädigungen ist in Zukunft möglich. Bei exakter Positionierung der Spacer ist die Distraktionsspondylodese belastungsstabil, d. h. der Patient kann am 1. postoperativen Tag mobilisiert werden. Eine Orthese wird besonders bei jüngeren Patienten als Mahnbandage gegen Extrembewegungen, nicht zur Entlastung empfohlen. Eine intensive postoperative Rumpfmuskelkräftigung ist wie bei jeder anderen Spondylodesenoperation oder der Versorgung mit einer künstlichen Bandscheibe unabdingbar.
Die Spondylodese im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule ist ein Standardverfahren zur Behandlung von chronischen Schmerzzuständen, die auf Instabilitäten basieren. Auch heute gibt es noch unterschiedliche Ansichten zu kombinierten Verfahren wie der dorsoventralen oder nur dorsalen Stabilisierung sowie über die Wahl der Implantate. Eine Grundvoraussetzung zur Operation ist der dringende Wunsch des Patienten auf Schmerzfreiheit bei
Versagen einer ausgiebigen und umfangreichen konservativen Therapie sowie seine Kooperationsbereitschaft.
Indikationen Die Hauptindikation für die endoskopische lumbale Wirbelsäulenfusion, eine weniger traumatisierende Methode, ist wie für die offene Spondylodese der konservativ ausgereizte, therapieresistente Kreuzschmerz auf Grund einer Bandscheibendegeneration (auch nach mehreren Voroperationen ohne Laminektomie) oder auch bei höhergradiger Instabilität [7]. Zusätzlich werden der radikuläre Schmerz – evtl. als Folge einer Foramenstenose – und das Posthemilaminektomiesyndrom angegeben [6]. Für uns ist besonders die stark schmerzhafte, arosive Osteochondrose eine Indikation für den vorderen (und endoskopischen) Zugang.
Kontraindikationen Weitgehend einig ist man sich über die Kontraindikationen, die bei einer Spondylolisthesis des Grades 3 und 4, einer notwendigen Fusion von mehr als zwei Etagen und nicht durchgebauten ventralen Spondylodesen bestehen. [6, 7].Wegen der Gefahr des Nachsinkens des Spacers ist für Patienten mit ausgeprägter Osteoporose das Verfahren ungeeignet. Bei einer vorausgegangenen Diszitis muss die Infektion voll ausgeheilt sein, die Operationsmethode sollte in diesen Fällen mit entsprechender Zurückhaltung angewendet werden.
84
Teil III · Anwendung
Erweitert werden die Kontraindikationen noch um die aus der laparoskopischen Chirurgie bekannten allgemeinen Kontraindikationen für ein Pneumoperitoneum.
Operationsprinzipien und Zugänge
5
Der offene anteriore, transabdominale und auch retroperitoneale Eingriff an der Lendenwirbelsäule stellt nach unseren Erfahrungen in Beziehung auf Blutverlust, Kreislaufbelastung und postoperative Mobilisation im Gegensatz zu den Angaben bei anderen Autoren [5] keinen belastenderen Eingriff als die dorsale Spondylodese dar. Die Diskussion über die biomechanischen Vorteile unterschiedlicher Spondylodesearten ist noch nicht endgültig abgeschlossen. Beim Aufklärungsgespräch über ventrale Zugänge sind unbedingt die Probleme eines Plexusschadens mit retrograder Ejakulation und Blutungen, vor allem venöse, zu dokumentieren. Ein kombiniertes dorsoventrales Vorgehen wird in jedem Fall einer dorsalen Instabilität von uns favorisiert, wie zum Beispiel bei Zuständen nach Laminektomien. Die Verwendung eines starren Spacers in Kombination mit einer dorsalen Spondylodese ist üblich (Cages aus Metall, in letzter Zeit zunehmend nur noch aus Titan, Beckenkammspan oder Kunstknochen). Der weiter unten beschriebene elastische Spacer kommt ausschließlich ventral wie eine künstliche Bandscheibe zum Einsatz.
Endoskopische anteriore Distraktionsspondylodese am Beispiel des ESKA-Bandscheibendübels ESKA-Spacer-System Für die Distraktionsspondylodese ist ein spezielles Instrumentarium erforderlich, das auch bei der endoskopischen lumbalen Wirbelsäulenfusion einsetzbar ist. Es wird ein spezielles Spacersystem elastisch oder starr der Firma ESKA Implants (Lübeck) verwendet: 1. Einteiliger Spacer (Bandscheibendübel Typ I) mit dreidimensionaler Gitternetzstruktur »Spongiosa Metal®« (⊡ Abb. 5.1) 2. Bandscheibenspacer (Bandscheibendübel Typ II) mit Silikonkern für eine elastische ventrale Spondylodese (⊡ Abb. 5.2) als Weiterentwicklung des Typs I.
⊡ Abb. 5.1. Einteiliger Spacer (Bandscheibendübel Typ I) mit dreidimensionaler Gitternetzstruktur »Spongiosa Metal®«
⊡ Abb. 5.2. Bandscheibenspacer (Bandscheibendübel Typ II) mit Silikonkern für eine elastische ventrale Spondylodese
Beide Spacervarianten sind entsprechend der vorliegenden Anatomie in unterschiedlichen Längen und Durchmessern vorhanden: ▬ Bandscheibendübel Typ I: Länge 30 mm; Ø 15–20 mm Länge 35 mm; Ø 15–21 mm Länge 40 mm; Ø 17–19 mm Länge 45 mm; Ø 19 mm Bei Bedarf sind unterschiedliche Längen und Durchmesser erhältlich. ▬ Bandscheibendübel Typ II (mit Silikonkern): – konische Form – Implantationsrichtung Sagittalebene L5/S1 Länge 30 mm; Ø 15–19 mm Länge 35 mm; Ø 21–25 mm – parallele Form – Implantationsrichtung Frontalebene L4/5 Länge 40 mm; Ø 21–25 mm Länge 45 mm; Ø 21–25 mm
85 Kapitel 5.1 · Wirbelsäule: Bandscheibe – Verblockungssystem
5.1
Operationstechnik Für die Spaceraufnahme müssen nach Einbringen und Zentrieren von Kirschner-Drähten mit dem Kronenbohrer Kanäle gefräst werden. Der Kronenbohrer ist kanüliert und garantiert die zentrale Position, wenn er über dem platzierten Kirschner-Draht eingesetzt wird. Eine Markierung am äußeren Ende zeigt die Tiefe der Bohrung an. Quer angebrachte Stäbe am Platzierungsinstrument ermöglichen die exakte waagerechte Position beim elastischen Spacer. Kronenbohrer und Spacersystem werden über einen suprasymphysär platzierten 33-mm-Trokar (Fa. Ethicon Endo-Surgery) eingebracht. Der Spacer selbst besitzt einen abgerundeten Kopf zur Spreizung des mit dem Kronenbohrer (2 mm geringerer Durchmesser) ausgefrästen Lochs. Die endgültige Verklemmung wird durch den 1 mm größeren Durchmesser am Ende des Spacers erreicht (⊡ Abb. 5.3). Zur Vermeidung von Überdruck durch Flüssigkeits- und Luftkompression besitzt der Spacer eine zentrale vordere Öffnung. Die Korrektur, Entfernung und Platzierung des Spacers ist mit dem Platzierungsinstrument über einen ImbusSechskant mit Innengewinde möglich (⊡ Abb. 5.4). Die Grund- und Deckplatten des entsprechenden Segmentes liegen bei 2, 4, 8 und 10 Uhr des Spacers, um genügend Festigkeit zu garantieren, aber auch um genügend Spongiosa für die ESKA-Oberfläche zu bieten.
⊡ Abb. 5.3. Spacer zur endoskopischen Distraktionsspondylodese: 1 abgerundeter Kopf. 2 zentrale vordere Öffnung. 3 1 mm größerer Durchmesser am Spacerende. 4 Imbus-Sechskant zur Fixation des Platzierungsinstrumentes
Distraktionsspondylodese L5/S1: Voraussetzungen, Patientenvorbereitung, Lagerung Die Schaffung eines transperitonealen Zugangs zum lumbosakralen Bereich der Wirbelsäule berücksichtigt die Erfahrungen der laparoskopischen Rektumchirurgie [3]. Vorbereitung des Patienten, Lagerung, Positionierung des Operationsteams und Anordnung der Geräte erfolgen wie zur Rektumexstirpation. Auch die ersten Operationsschritte wie Sigmolyse, Darstellung der Ureteren und der Beckenachse sowie die Mesodissektion entsprechen dem Vorgehen bei diesem Eingriff. In der gleichen Patientenposition erfolgt auch die spätere Wirbelsäulenoperation unter zusätzlicher Verwendung des Röntgenbildverstärkers (2 Ebenen!). Allerdings ändert sich dann die Arbeitsrichtung der Operateure (⊡ Abb. 5.6). Röntgenologisch und endoskopisch werden anatomische Varianten und pathologische Darmbefunde dia-
⊡ Abb. 5.4. Platzierungsinstrument für das ESKA-Spacersystem
86
5
Teil III · Anwendung
gnostiziert. Die Darmvorbereitung erfolgt wie für alle kolorektalen Eingriffe (präoperative Lavage, Single-shotAntibiotikaprophylaxe). Seitens der Wirbelsäule gehören die exakte klinische Untersuchung, Nativ-Röntgenaufnahmen, MRT, bei manchen Autoren auch die Diskographie und die orientierende neurologische Untersuchung zur präoperativen Diagnostik. Der Patient muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei diesem laparoskopischen Verfahren noch nicht um eine etablierte Standardoperation handelt. Die Operateure müssen den Patienten über ihre persönlichen Erfahrungen und das Operationsrisiko (Darm- und Wirbelsäulenoperation getrennt) voll aufklären [1, 2]. Anzumerken ist, dass die Präparation zunächst von kranial nach kaudal erfolgt. Diese Richtung und mit ihr das operative Set-up wechseln dann bei dem eigentlichen
Wirbelsäuleneingriff mit der Präparation von kaudal nach kranial (⊡ Abb. 5.5 und ⊡ 5.6) Im Segment L5/S1 werden die konischen Spacer eingesetzt und in sagittaler Ebene implantiert (⊡ Abb. 5.7).
Distraktionsspondylodese L4/5 Im Gegensatz zu L5/S1 erfolgt der Zugang zu dem Segment L4/5 in üblicher Weise standardisiert retroperitoneal. Hierzu werden von der Industrie unterschiedliche Spreizersysteme angeboten, die weitgehend einen minimal-invasiven Zugang ermöglichen. Es werden die gleichen Fräser und das Setzinstrumentarium wie bei dem Segment L5/S1 verwendet (s. ⊡ Abb. 5.4). Die Spacer werden in diesem Segment in der Frontalebene implantiert und entsprechen in ihren Größen den
⊡ Abb. 5.5. Lagerung des Patienten und Anordnung bei der Bauchpräparation zu Beginn der endoskopischen Wirbelsäulenverblockung
⊡ Abb. 5.6. Lagerung des Patienten, Arbeitsrichtung und Trokarplatzierung (33 mm-Trokar suprasymphysär) bei der endoskopischen Wirbelsäulenverblockung
⊡ Abb. 5.7. Endoskopische Implantation der Bandscheibendübel in Höhe L5/S1 in sagittaler Richtung
87 Kapitel 5.1 · Wirbelsäule: Bandscheibe – Verblockungssystem
anatomischen Gegebenheiten. Aus der Implantationsrichtung ergibt sich auch die Notwendigkeit der Implantation paralleler Spacer.
Nachbehandlung Bei exakter Positionierung der Spacer ist die Distraktionsspondylodese belastungsstabil, d. h. der Patient kann am 1. postoperativen Tag mobilisiert werden. Eine Orthese wird besonders bei jüngeren Patienten als Mahnbandage gegen Extrembewegungen, nicht zur Entlastung empfohlen. Eine intensive postoperative Rumpfmuskelkräftigung ist wie bei jeder anderen Spondylodesenoperation oder der Versorgung mit einer künstlichen Bandscheibe unabdingbar.
Biomechanische Prüfung des Spacers Typ II Zusammenfassend ergab die biomechanische Prüfung des elastischen Bandscheibenspacers auf einem Belastungssimulator keine Schädigung, die auf die konstruktive Gestaltung der metallischen Träger und des Silikonpuffers zurückzuführen ist (Labor für Biomechanik und Experimentelle Orthopädie – Prüfbericht Nr. 09/02 – ESKA). Ein positives Votum der Ethikkommission der Landesärztekammer Thüringen (Nr. KL/1018/04/111) und der Georg-August-Universität Göttingen (Nr. 1/8/03) zum Einsatz des Bandscheibendübels Typ II liegt vor.
Literatur 1. 2 3.
4.
5. 6. 7.
Arnold W et al. (1996) Endoskopisch lumbale Wirbelsäulenfusion. Logistik im Tierversuch. Minim Invas Chir 5:119–124 Hildebrandt U et al. (1996) First experience with laparoscopic spine fusion in an experimental model in pig. Surg Endosc 10:143–146 Köckerling F, Gastinger I (1995) Chirurgische Operationslehre. In: Kremer K et al. (Hrsg), Bd. 7, Teil 2. Thieme, Stuttgart New York, S 258, 267, 282 Kuslich SD et al. (1995) Spinal Instrumentation. In: Regan JJ et al. (Hrsg) Atlas of endoscopic spine surgery. Quality Medical Publishing, St. Louis, pp 293–331 Ohlinger A et al. (1996) Laparoskopische 2-Etagenfusion mit Bagby- und Kuslich (BAK)-Implantaten. Chirurg 67:348–350 Regan JJ et al. (1995) Atlas of endoscopic spine surgery. Quality Medical Publishing, St. Louis Wittenberg RH (1996) Fortbildungsveranstaltung und Workshop «Endoskopische lumbale Wirbelsäulenfusion«. Orthopädie-Information BVD-Mitteilungen DGOT 4:140
5.1
5.2 Wirbelsäule Wirbelkörperprothesen R. Gradinger, A. Toepfer, H. Gollwitzer
Zusammenfassung Die typischen Indikationen zum Ersatz eines Wirbelkörpers finden sich v. a. nach Frakturen mit entsprechender Destruktion und Instabilität des Wirbelkörpers sowie bei Primärtumoren und Metastasen der Wirbelkörper. Bei schmerzhafter, instabiler Wirbelkörperdestruktion mit knöchernem Substanzverlust von mehr als 50%, neurologischem Defizit oder Immobilisierung des Patienten kann auch bei Metastasen ein Wirbelkörperersatz indiziert sein. Dabei sollte eine Therapie immer interdisziplinär in einem spezialisierten Tumorzentrum erfolgen. Aufgrund der besseren Korrekturmöglichkeiten und der stabileren Verblockung werden extendierbare Wirbelkörperprothesen immer häufiger eingesetzt. Der vorliegende Beitrag gibt eine Übersicht über die Möglichkeiten des Wirbelkörperersatzes mit einem modularen und extendierbaren System und nennt Risiken und Komplikationsmöglichkeiten.
Funktionelle Anatomie und Biomechanik Zum Verständnis der operativen Versorgungsmöglichkeiten im Bereich der Wirbelsäule ist eine kurze Betrachtung der funktionellen Anatomie und Biomechanik notwendig. Die Wirbelsäule reicht vom Hinterhaupt bis zum Os coccygis. Eine Besonderheit stellt die gelenkige Verbindung zwischen dem Os occipitale, dem Atlas und dem Axis dar. Erst der dritte Halswirbelkörper zeigt den ty-
pischen Aufbau mit Wirbelkörper-Interartikularportion, Querfortsätzen sowie dorsal angeschlossener Lamina mit Processus spinosus. Im thorakalen Bereich trägt der Brustkorb wesentlich zur Stabilität bei. Eine Besonderheit sind die gelenkigen Verbindungen zwischen Querfortsatz und Rippen. Im Bereich der Lendenwirbelsäule nimmt die statische Belastung von L1 zu L5/S1 Schritt für Schritt zu. Das Os sacrum ist aus Wirbeln und entsprechenden Querfortsätzen entstanden und stellt einen knöchernen Block dar. Die gelenkige Verbindung zur unteren Extremität ist hier das Iliosakralgelenk als Amphiarthrose. Das Os coccygium entspricht der Rückbildung des Schwanzskelettes und ist aus 4–5 Wirbelkörpern zusammengesetzt. Für die Stabilität sind neben den gelenkigen Verbindungen vor allem auch die Bandverbindungen, hier insbesondere das Ligamentum longitudinale anterius und posterius sowie die Ligg. flava und die Ligg. interspinosa verantwortlich. Bezüglich der Beweglichkeit sind im Bereich der Halswirbelsäule der sog. Kopfgelenksbereich (C0–C2), der mittlere Bereich (C2–C5) sowie der untere Bereich (C5–Th1) zu unterscheiden. 60% der Rotationsfähigkeit ist in den oberen Kopfgelenken lokalisiert, hier vor allem C1 und C2. Die Flexionsfähigkeit beruht vor allem auf dem Segment C0/C1, während die Seitneigung vor allem dem Segment C2/C3 zugeschrieben ist. In den darunter liegenden Abschnitten ist die Beweglichkeit insgesamt, bezogen auf die Anzahl der Wirbelkörper, deutlich reduziert. Eine besondere Belastung besteht am Übergang von C7 zu Th1. Die Brustwirbelsäule selbst ist am wenigsten beweglich und zwar in allen Ebenen. Im Bereich der Len-
89 Kapitel 5.2 · Wirbelsäule: Wirbelkörperprothesen
denwirbelsäule ist vor allem die Flexion/Extension in den unteren Segmenten am stärksten ausgeprägt, die Seitneigung ist im Segment L3/L4 am stärksten möglich. Für die Versorgung bei Wirbelkörperdestruktionen ist zu beachten, dass die Übergänge von der Brust- zur Lendenwirbelsäule sowie von der Lendenwirbelsäule zum Sakrum besonders biomechanisch belastet sind. Dies hat Konsequenzen für die entsprechende operative Versorgung. Weiterhin muss man die ventral lokalisierten Gelenkverbindungen (Wirbelkörper und Bandscheiben mit Bändern) von den dorsalen Interartikularportionen unterscheiden. Wichtig ist dabei für Wirbelkörperersatz und Verblockung, dass durchschnittlich 80% der Belastung von den ventralen Gelenkverbindungen übernommen wird und somit die Wiederherstellung der vorderen Säule bei Destruktion entscheidend für ein annähernd normales biomechanisches Verhalten der Wirbelsäule ist. Ebenso beziehen sich 90% der Durchblutung auf die vorderen Wirbelsäulenabschnitte, was für die Knochenheilung und für die ossäre Integration von Implantaten eine wesentliche Bedeutung hat. Für eine alleinige ventrale Versorgung ist jedoch die Integrität der dorsalen knöchernen und ligamentären Strukturen (v. a. Rotations- und Distraktionsinstabilität) eine entscheidende Voraussetzung.
Indikationen zum Wirbelkörperersatz Indikationen sind schmerzhafte, instabile Wirbelkörperdestruktionen mit knöchernem Substanzverlust von mehr als 50% und Störung der Wirbelkörperintegrität, neurologischem Defizit und/oder Immobilität des Patienten [1]. Die Wirbelkörperdestruktion kann dabei traumatischer, infektiöser oder tumoröser Genese sein (benigne, maligne oder semimaligne Tumoren, tumorähnlichen Läsionen) oder auch im Rahmen von fortgeschrittenen Osteoporosen entstehen (⊡ Tabelle 5.1). Die Versorgung ist daher von der Ursache abhängig zu machen.
Tumorentitäten Nach einer Sammelstatistik finden sich die in den ⊡ Tabellen 5.2 und 5.3 genannten Tumoren [2]. Das seltene Auftreten von primären Knochentumoren (insgesamt 1% aller primären Malignome) sollte dazu führen, dass diese Patienten in entsprechend spezialisierten
⊡ Tabelle 5.1. Mögliche Indikationen zum Wirbelkörperersatz Genese
Indikation
Fraktur
Frakturen mit Kompressionskomponente und entsprechend ausgeprägter Störung der Wirbelkörperintegrität und Bandscheibenzerreißung, Berstungsspaltbruch (A3.2), kompletter Berstungsbruch (A3.3), posttraumatische Fehlstellung/Instabilität
Spondylodiszitis
Destruktion, Fehlstellung, Abszedierung, Myelitis
Tumor/ Metastasen
Schmerzen, Instabilität, nicht beherrschbares Tumorwachstum, neurologisches Defizit, Immobilität
⊡ Tabelle 5.2. Häufigkeit benigner und semimaligner extraduraler Tumoren der Wirbelsäule Benigner/semimaligner Tumor
Prozentualer Anteil an WK-Tumoren
Hämangiom
4,2%
Osteoidosteom
6,2%
Osteoblastom
4,7%
Osteochondrom
4,2%
Riesenzelltumor
3,8%
Chondrom
1,3%
Chondroblastom
0,5%
Chondromyxoidfibrom
0,5%
Benignes fibröses Histiozytom
0,2%
Tumorähnliche Läsionen Aneurysmatische Knochenzyste
3,8%
Eosinophiles Granulom
o.A.
⊡ Tabelle 5.3. Häufigkeit primärer maligner extraduraler Tumoren der Wirbelsäule Maligner extraduraler Tumor
Prozentualer Anteil an WK-Tumoren
Chondrosarkom
6,8%
Osteosarkom
4,8%
Ewingsarkom
4,2%
Fibrosarkom
2,3%
Angiosarkom
1,7%
Malignes fibröses Histiozytom
0,3%
Non-Hodgkin-Lymphom
0,8%
Plasmozytom
30,2%
5.2
90
Teil III · Anwendung
⊡ Tabelle 5.4. Zuordnung der Wirbelkörpermetastasen zu Primärtumoren [3]
5
Primärtumor
Prozentualer Anteil an WK-Metastasen
Mammakarzinom
21%
Lungenkarzinom
14%
Prostatakarzinom
7,5%
Nierenzellkarzinom
5,5%
Gastrointestinale Tumoren
5%
Schilddrüse
2,5%
Andere
44,5%
Zentren behandelt werden. Bezüglich der Häufigkeit sind fraglos die knöchernen Metastasen im Bereich des Achsskeletts von herausragender Bedeutung (⊡ Tabelle 5.4), insbesondere auch deswegen, weil die Lebenserwartung auch bei Patienten mit knöchern metastasierten Tumoren heute deutlich zugenommen hat. Wirbelsäulentumoren zeigen besondere Affinität zu bestimmten Wirbelsäulenabschnitten, was durch anatomische Grundlagen wie die Blutversorgung bedingt ist. Im ventralen Abschnitt finden sich eher die bösartigen, im dorsalen Wirbelsäulenabschnitt eher die gutartigen Wirbelkörpertumoren (⊡ Abb. 5.8). Bei Tumoren ist ein endoprothetischer Wirbelkörperersatz immer dann indiziert, wenn die grundsätzlichen Indikationen (Schmerz, Wirbelkörperinstabilität, [drohendes] neurologisches Defizit und Immobilität des Patienten) vorliegen. Um eine definitive Entscheidung zur Operation zu treffen, ist eine umfassende Diagnostik (klinische Untersuchung einschließlich neurologischer Abklärung, Staging des Patienten mit Abschätzung der Lebenserwartung sowie lokale Bildgebung mit Röntgennativaufnahmen und Kernspin-/Computertomographie) zu fordern. Die früher häufig übliche Skelettszintigraphie wird heute zunehmend von der Positronenemissionstomographie oder auch von der Ganzkörperkernspintomographie abgelöst. Als relative Kontraindikationen gelten bei Patienten mit Metastasierung der Wirbelsäule ein Tumorbefall mit multipler Metastasierung, eine Lebenserwartung von unter 3 Monaten, komplette Querschnittslähmung und Destruktion von mehr als zwei benachbarten Wirbelkörpern [1].
⊡ Abb. 5.8. Prädilektionsorte maligner und benigner Wirbelsäulentumoren: Aufgrund anatomischer Gegebenheiten, und hier insbesondere aufgrund der Blutversorgung, sind maligne Tumoren wie Metastasen v. a. in den ventralen Abschnitten lokalisiert
Implantate Die Wirbelkörperprothese wird als interne Augmentation des Wirbelkörpers (Fraktur) bzw. als Wirbelkörperersatz nach Korporektomie (Tumor) eingesetzt. Man unterscheidet dabei den Wirbelköperersatz mittels biologischer Transplantate (trikortikaler Knochenspan aus Beckenkamm, Rippen etc.) von industriell hergestellten Wirbelkörperersatzimplantaten (»cages«). Bei ausgedehnter Destruktion des Wirbelkörpers erweisen sich der trikortikale Beckenkamm oder andere Knochentransplantate als häufig nicht ausreichend, und weisen neben der zusätzlichen Entnahmenmorbidität Nachteile wie eine lange Einbauzeit, schlechte biomechanische Eigenschaften und relativ häufige Pseudarthrosen auf. Ein weiterer Nachteil ist insbesondere in der Tumor-
91 Kapitel 5.2 · Wirbelsäule: Wirbelkörperprothesen
5.2
⊡ Abb. 5.9. Wirbelkörperersatz Typ GHG (Firma ESKA Implants): distrahierbares System zum Wirbelkörperersatz monosegmental (links) und als modulares System (rechts)
chirurgie das Risiko der Transplantatnekrose bei notwendiger postoperativer Strahlentherapie. Eine Grundvoraussetzung für den Einsatz industriell hergestellter Wirbelkörperimplantate sind intakte Deckplatten der benachbarten Wirbelkörper, um ein Einsinken und Nachsintern zu vermeiden. Daraus ergibt sich bereits die relative Kontraindikation bei ausgeprägter Osteoporose. Bei diesen Wirbelkörperersatzimplantaten unterscheidet man zwischen expandierbaren und nicht expandierbaren Cages. Der wohl bekannteste und klinisch am besten untersuchte nicht expandierbare Cage ist der sog. »Meshed Titanium Cage« nach Harms. Trotz breiter klinischer Anwendung zeigten sich Nachteile, die in der implantologischen Forschung zur Entwicklung expandierbarer Cages führten. Diese Nachteile betreffen v. a. intraoperative Schwierigkeiten wie die Notwendigkeit eines wiederholten Zuschneidens und Einpassens des Cages mit Zeitverlust und der Gefahr der Deckplattenverletzung. Zudem bereitet die Rotationseinstellung häufig Schwierigkeiten, und eine Distraktion des Implantates zur stabileren Verblockung ist nicht möglich.
Expandierbare Wirbelkörperprothesen Die genannten Schwierigkeiten führten zur Entwicklung in situ expandierbarer Implantate. Als vorteilhaft hat es sich zudem erwiesen, ein modulares System zu benutzen,
das entsprechend den Wirbelsäulendimensionen ausgerichtet ist. Diese Voraussetzungen erfüllt der GHG-Wirbelkörperersatz (Gradinger, Hipp, Grundei). Er besteht aus 3 distrahierbaren Grundkörpern jeweils für HWS, BWS und LWS mit entsprechenden aufsteckbaren Modulteilen, die der Resektionsausdehnung angepasst eingebracht werden. Zusätzlich besteht dieser Wirbelkörperersatz aus einem extendierbaren Modul, das in den Grundkörper eingearbeitet ist. So ist eine Anpassung einer Lendenwirbelkörperendoprothese von 36–57 mm möglich. Weiterhin besteht die Möglichkeit, ein doppelstöckiges Modul einzubringen (⊡ Abb. 5.9). Um dem zementlos implantierten Wirbelkörperersatz die Chance der sekundären knöchernen Integration zu geben, ist grundsätzlich eine Primärstabilität des Implantats anzustreben. Ob und welche Zusatzstabilisierungen angezeigt sind, hängt im Wesentlichen von der Destruktion (Bandapparat!) und von der Lokalisation ab. Die besonders biomechanisch belasteten Abschnitte wie zervikothorakaler oder thorakolumbaler sowie lumbosakraler Übergang sollten eine zusätzliche dorsale Stabilisierung mittels transpedikulärer Instrumentation erfahren (⊡ Abb. 5.10). Dies ist immer auch dann in den anderen Abschnitten notwendig, wenn ventrale Destruktionen auf die dorsalen Wirbelsäulenabschnitte übergegriffen haben. Eine Instabilität bei isolierter Stabilisierung mit ventralen Cages nach Korporektomie ist v. a. in der Rotation und Extension zu erwarten [4].
92
Teil III · Anwendung
Fallbeispiele Fallbeispiel 1 (⊡ Abb. 5.11) Fallbeispiel 2
5
⊡ Abb. 5.10. Ersatz von BWK 8 und LWK 4 mittels GHG-Wirbelkörperersatz und zusätzlicher ventraler (LWS) sowie dorsoventraler Stabilisierung bei einem 70-jährigen Patienten mit Plasmozytom. Die dorsale Stabilisierung der BWS war aufgrund einer fortgeschrittenen Zerstörung auch dorsaler Wirbelsäulenabschnitte notwendig geworden
⊡ Abb. 5.11. 71-jährige Patientin mit Bronchialkarzinom und metastasenbedingter kompletter Zerstörung des LWK-4 (links). Aufgrund der immobilisierenden Schmerzen und der neurologischen Symptomatik bestand die Indikation zur Dekompression und zum Ersatz des Lendenwirbelkörpers mit zusätzlicher ventraler Stabilisierung bisegmental von L3 auf L5 (rechts)
Eine 36-jährige Patientin stellte sich mit therapieresistenten Rückenschmerzen und beginnenden neurologischen Ausfällen der unteren Extremität in unserer Klinik vor. Die weitere radiologische Diagnostik erbrachte einen Tumor im Bereich des Uterus mit metastasenverdächtigen Raumforderungen der Adnexe bei Uterus myomatosus. Des Weiteren bestand der Verdacht auf eine Metastase im Bereich des LWK 4 mit Einengung des Spinalkanals und Beteiligung der Pedikel sowie ein Lungenrundherd subpleural rechts. Aufgrund des zunehmenden neurologischen Defizits erfolgte zunächst die Laminektomie in Höhe L4 mit Probebiopsie der Pedikel und dorsaler Stabilisierung von L3 auf L5 (⊡ Abb. 5.12). Die feingewebliche Untersuchung erbrachte eine Metastase eines hochdifferenzierten Leiomyosarkoms G1. Im Rahmen der weiteren Therapie erfolgte die Myomenukleation des Uterus (G1, R1) durch die Kollegen der gynäkologischen Abteilung und schließlich bei insgesamt günstiger Prognose und Frakturrisiko der ventrale Wirbelkörperersatz des LWK 4 (s. ⊡ Abb. 5.12). Postoperativ zeigte sich ein rascher Rückgang der neurologischen Symptomatik. Adjuvant erfolgte noch die
93 Kapitel 5.2 · Wirbelsäule: Wirbelkörperprothesen
⊡ Abb. 5.12. 36-jährige Patientin mit Spinalkanaleinengung und Befall des LWK 4 durch eine Metastase eines hochdifferenzierten Leiomyosarkoms. Aufgrund des neurologischen Defizits erfolgte zunächst die Lami-
lokale Radiatio des LWK 4 und die operative Entfernung einer Lungenmetastase durch Teilentfernung des rechten Unterlappens. Fünf Jahre postoperativ ist die Tumorerkrankung weiterhin stabil, die Patientin ist ohne neurologisches Defizit voll mobilisiert.
Risiken und Fehlerquellen Neben den Risiken der Gefäß-, Organ- und Nervenverletzung (Plexus!) im Zugangsweg sind implantatbedingte Fehlerquellen zu beachten. Beim Einbringen expandierbarer Cages muss eine Überdistraktion mit der Gefahr der Kompression angrenzender Deckplatten vermieden werden. Weiterhin ist auf ein mögliches Verkippen während der Distraktion zu achten. Weitere Komplikationen sind Implantatdislokationen, mangelnde knöcherne Integration, Nachsintern mit Repositionsverlust und die Infektion.
nektomie L4 mit Probebiopsie und dorsaler Stabilisierung (Steffi-Platten, Fa. Acromed, links). Nach Exzision des Primärtumors schließlich Ersatz des LWK 4 mittels extendierbarem ESKA GHG-Wirbelkörperersatz (rechts)
chen Eingriffen [1]. So konnte in eigenen Untersuchungen bei Metastasen der Lendenwirbelsäule neben einer deutlichen Schmerzreduktion bei 58% der operierten Patienten eine Besserung des präoperativ bestehende neurologischen Defizits erreicht werden [1]. Die Indikation zum kombinierten dorsoventralen Vorgehen ist in Abhängigkeit von der Prognose des einzelnen Patienten eher weit zu stellen. Die alternativen Therapiemöglichkeiten sind natürlich die Strahlentherapie wie auch die Chemotherapie in Abhängigkeit von der Tumorentität. Die Entscheidung, welches Verfahren in welcher Kombination gewählt wird, muss im Rahmen einer interdisziplinären Tumorkonferenz festgelegt werden, die Behandlung sollte daher ausschließlich in spezialisierten Tumorzentren erfolgen.
Literatur 1.
Fazit 2.
Die bisherigen Erfahrungen mit dem GHG-Wirbelkörperersatz bei Tumorbefall der Wirbelsäule zeigen, dass eine stabile Rekonstruktion möglich ist – auch bei einer kompletten Wirbelkörperresektion. Die vorliegenden operativen Ergebnisse belegen die Sinnhaftigkeit von sol-
5.2
3. 4.
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6.1 Große Gelenke Kurzstielige oder langstielige Schulterprothesen? P.M. Rozing, M.A. van der Sande, J. Nagels
Zusammenfassung Im Gegensatz zur Frakturendoprothetik des Schultergelenks ist bei Omarthrose und rheumatoider Arthritis die Implantation kurzstieliger Humeruskomponenten möglich. In der vorliegenden Studie wurden die klinischen und radiologischen Ergebnisse nach Implantation einer Kurzstiel- (60 Schultern) und einer Langstielprothese (66 Schultern) verglichen. Dabei zeigte sich aufgrund einer optimierten Rekonstruktion der biomechanischen Verhältnisse eine mindestens gleichwertige Beweglichkeit im Schultergelenk nach Implantation der kurzstieligen Humeruskomponente. Auch die bei langen Stielen relativ häufig auftretenden Komplikationen des Stress Shielding (9%) und der periprothetischen Fraktur (9%) konnten bei Anwendung kurzer Stiele vermieden werden. Nach den vorliegenden Ergebnissen sollte somit bei entsprechender Operationsindikation (Omarthrose, rheumatoide Arthritis) und gutem metaphysären Knochenlager die Implantation einer proximal verankerten kurzstieligen Prothese der Schulter bevorzugt werden.
Einleitung Die biomechanischen Anforderungen von Humeruskopfprothesen nach Frakturen unterscheiden sich von denen bei Arthrose oder rheumatoider Arthritis (RA). Bei der Rekonstruktion des proximalen Humerus nach Fraktu-
ren muss die Prothese mit dem distalen Stielanteil in der Humerusdiaphyse fixiert werden, da die gebrochenen Tubercular proximal um die Prothese rekonstruiert werden müssen. Bei Schultern mit Omarthrose oder rheumatoider Arthritis sind lange Stiele unnötig, da nur der Humeruskopf ersetzt werden muss und der metaphysäre Knochen ausreichend Stabilität zur Verankerung einer Humeruskopfprothese bietet. Für diese Indikationen wurde eine kurzstielige Humeruskopfprothese entwickelt (Multiplex Shoulder Prosthesis, ESKA Implants, Lübeck). In der vorliegenden Studie verglichen wir die klinischen und radiologischen Ergebnisse dieser Kurzstielprothese [1] mit einer Patientengruppe, der eine langstielige Prothese implantiert worden war [2].
Material und Methoden Seit 1994 verwendete der Erstautor (PMR) die zementfreie Multiplex-Schulterprothese (ESKA Implants GmbH & Co, Lübeck) als Implantat der ersten Wahl bei Omarthrose und rheumatoider Arthritis (RA) des Schultergelenkes (⊡ Abb. 6.1). In den Jahren zuvor bzw. wenn die kurzstielige Schulterprothese nicht in der Klinik vorrätig war, wurde eine zementfreie langstielige Schulterprothese implantiert (Biomet Inc, Warsaw, Indiana, USA). Die Operationsindikationen für eine Schulterprothese waren Schmerzen und Bewegungseinschränkung bei gleichzeitigen radiologischen Zeichen der Destruktion des Glenohumeralgelenkes. Eine Hemiarthroplastik wurde durchgeführt, wenn
95 Kapitel 6.1 · Große Gelenke: Kurzstielige oder langstielige Schulterprothesen?
6.1
ten eine ipsilaterale Ellenbogenprothese einliegend. Bei 2 Patienten wurde die Prothese zementiert. Alle Patienten wurden im Abstand von einem und zwei Jahren postoperativ und dann in unregelmäßigen Abständen in der Ambulanz nachuntersucht, geröntgt und klinisch nach dem Constant Score und dem HSS 100 Score bewertet [3]. Die Röntgenuntersuchungen beinhalteten eine Bewertung bezüglich Stress Shielding im Humerusschaft und Hinweise für Lockerungszeichen der Prothesenkomponenten. Die statistische Auswertung erfolgte mittels Mann-Whitney Test mit Hilfe der NCSSSoftware (Kaysville, Utah, Version 5.01).
Ergebnisse Klinische Evaluation ⊡ Abb. 6.1. Kurzstielige Multiplex-Schulterprothese mit und ohne poröser Stieloberfläche
das Glenoid noch intakt war oder wenn bei destruiertem Glenoid kein ausreichendes Knochenlager für eine sichere Fixation einer Glenoidkomponente und/oder eine massive irreparable Rotatorenmanschettenruptur vorlag. Eine kurzstielige Schulterprothese wurde bei 53 Patienten in 60 Schultern implantiert (45-mal bei rheumatoider Arthritis und 15-mal bei Omarthrosen). Aus logistischen Gründen wurde in 6 Fällen eine zementierte Schulterprothese implantiert. Bei 7 Patienten wurde auf beiden Seiten eine Schulterprothese implantiert und 9 Patienten hatten eine ipsilaterale Ellenbogenprothese. Die durchschnittliche Nachuntersuchungszeit betrug 54 Monate (20–101). Das Durchschnittsalter der Patienten war 65 Jahre. Diesem Patientenkollektiv wurde eine Gruppe mit 66 langstieligen Schulterprothesen gegenübergestellt (46-mal bei rheumatoider Arthritis, 20-mal bei Omarthrosen) [2]. Diese zementfreien langstieligen Schulterprothesen (Biomet Inc., Warsaw, Indiana, USA) wurden vom Erstautor (PMR) zwischen 1992 und 1998 implantiert. Die 59 Patienten dieser Gruppe (3 Männer, 56 Frauen) hatten ein durchschnittliches Alter von 62 Jahren (34–85), und die durchschnittliche Nachuntersuchungszeit betrug 87 Monate (24–152). Sieben Patienten wurden bilateral mit einer Schulterprothese versorgt und 6 Patienten hat-
Bei der Auswertung der Ergebnisse wurde entsprechend der Fragestellung der Schwerpunkt auf den Vergleich von Humeruskomponenten mit kurzem und langem Stiel gelegt. Selbstverständlich besitzt v. a. bei Totalendoprothesen die Glenoidkomponente einen wesentlichen Einfluss auf das Outcome der Schulterprothese. Gerade die funktionellen Ergebnisse müssen somit unter dieser Einschränkung beurteilt werden (Anmerkung der Herausgeber). Kurzstielprothese (Multiplex-Schulterprothese, ESKA Implants). Es wurden 38 Hemiprothesen und 22 Tota-
lendoprothesen (Glenoid: 16-mal Polyethylen und 6-mal Metall) implantiert. Der postoperative klinische HSS Score (max. 100 Punkte) verbesserte sich von durchschnittlich 43 auf 52 Punkte. Die aktive Anteversion verbesserte sich von durchschnittlich 62 auf 93 Grad, die Abduktion von 52 auf 84 Grad und die Außenrotation von 10 auf 27 Grad (⊡ Tabelle 6.1). Langstielprothese (Biomet Inc.). In dieser Gruppe wurden 15 Hemi- und 51 Totalendoprothesen mit 38 zementierten und 13 zementfreien Glenoidkomponenten implantiert. Der postoperative klinische HSS-Score verbesserte sich von durchschnittlich 41 auf 67 Punkte. Die aktive Anteversion verbesserte sich von durchschnittlich 65 auf 82 Grad, die Abduktion von 53 auf 67 Grad und die Außenrotation von 15 auf 21 Grad. Da die Nachuntersuchungszeit bei den langstieligen Prothesen mit 7,2 Jahren länger war als bei den kurzen Stielen, erfolgte zum Vergleich eine Auswertung mit einem Follow-up von 5 Jahren. In dieser Gruppe mit kürzerer Nachuntersuchungszeit verbesserte sich der HSS-Score von 41 auf
96
Teil III · Anwendung
⊡ Tabelle 6.1. Klinische Ergebnisse vor der Operation und bei der letzten Nachuntersuchung n
Kurzer Stiel n=60
Langer Stiel n=66
Diagnose Omarthrose/RA
15/45
20/46
hemi/total
38/22
15/51
▬ normal
25 (46%)
31 (47%)
▬ dünn
10 (19%)
7 (11%)
▬ kleiner Riss
3 (6%)
5 (8%)
▬ großer Riss
16 (16%)
23 (35%)
Alter
65±11 Jahre
62±11 Jahre
Nachuntersuchung
präop.
45±24 Monate
präop.
87± 35 Monate
Constant Score
26±9
46±15
34±11
47±17
HSS (100 Punkte)
43±13
52±18
41±11
67±21
▬ Schmerz (30 Punkte)
10±7
22±7
9±6
23±8
▬ Bewegung (25 Punkte)
9±3
14±4
9±3
12±4
▬ Funktion (20 Punkte)
7±5
13±5
7±5
15±5
▬ Kraft (15 Punkte)
12±2
10±6
12±3
11±5
Aktive Flexion
62°±28°
93°±38°
65°±27°
82°±41° (n.s.)
Abduktion
52°±20°
84°±34°
53°±23°
67°±29° (p=0,002)
Außenrotation
10°±22
27°±22°
15°±20°
21°±23° (n.s.)
Rotatorenmanschette
6
65 Punkte. Die aktive Anteversion verbesserte sich von durchschnittlich 65 auf 79 Grad, die Abduktion von 53 auf 64 Grad und die Außenrotation von 15 auf 22 Grad. Bei den Nachuntersuchungen war im Vergleich beider Gruppen die Schulterbeweglichkeit bei Patienten mit kurzstieligen Prothesen statistisch signifikant größer (p=0,002).
Komplikationen In der Gruppe der Kurzstiele zeigten sich keine intraoperativen, jedoch postoperative Komplikationen. Ein Patient entwickelte eine Wundinfektion zwei Wochen postoperativ, die erfolgreich mit Antibiotika behandelt wurde. Ein weiterer Patient klagte über eine schmerzhafte Impinge-
ment-Symptomatik, die mittels Akromioplastik behandelt wurde. Ein Patient zog sich drei Monate postoperativ eine traumatische Fraktur des Tuberculum majus mit Ruptur der Supra- und Infraspinatussehne zu. In der Gruppe der Langstielprothesen wurden 6 Humerusfrakturen im Bereich der Prothesenspitze beobachtet. Bei 5 Patienten traten die Frakturen ohne adäquates Trauma auf, nur in einem Fall lag ein Sturzereignis vor. Bei einem Patienten war die Fraktur in der Höhe zwischen seiner Schulter- und Ellenbogenprothese lokalisiert, wobei sich die Ellenbogenprothese nach Heilung der Fraktur lockerte. Drei Patienten erlitten eine Humerusfraktur innerhalb des ersten postoperativen Jahres, ein Patient nach sieben und zwei weitere Patienten nach zehn Jahren. Zwei dieser Frakturen wurden mittels interner Osteosynthese und vier Frakturen mittels Sarmiento-Gips behandelt.
97 Kapitel 6.1 · Große Gelenke: Kurzstielige oder langstielige Schulterprothesen?
6.1
Röntgenuntersuchungen der humeralen Komponente Inkomplette röntgentransparente Linien wurden in einem Fall um eine zementierte kurzstielige humerale Komponente beobachtet. Die zementfreien humeralen Kurzstielkomponenten wiesen allesamt Zeichen einer stabilen ossären Integration auf ohne Anhalt für Migration oder röntgentransparente Linien (⊡ Abb. 6.2). Es zeigten sich keine Anzeichen eines Stress Shielding wie Knochenresorption im Bereich des Tuberculum majus oder des Humerusschaftes. In der Gruppe der Langstielprothesen wurde die kortikale Dicke an vier verschiedenen Stellen des proximalen Humerus gemessen: jeweils medial und lateral am proximalen und distalen Drittelpunkt zwischen dem geometrischen Mittelpunkt des Humeruskopfes und der Prothesenspitze [2]. Bei sechs Patienten zeigte sich eine signifikante Reduktion der Kortikalisstärke in den Jahren nach Implantation. Dieses Stress Shielding wurde bei fünf Patienten mit rheumatoider Arthritis beobachtet (⊡ Abb. 6.3) und bei einem weiteren Patienten mit Omarthrose und einer zementierten Humeruskomponente. Der früheste Zeitpunkt eines signifikanten Stress Shielding wurde 4 Jahre postoperativ beobachtet.
⊡ Abb. 6.3. Stress Shielding: proximale Knochenrückbildung am Humerus 7 Jahre nach Implantation einer langstieligen Prothesenkomponente
⊡ Abb. 6.2a,b. Röntgenabbildung a
b
einer Kurzstielprothese in situ: präoperativ (a); postoperativ (b)
98
Teil III · Anwendung
Diskussion
6
Determinanten für die aktive Schultergelenkbeweglichkeit sind das Patientenalter, der Zustand der Rotatorenmanschette [4, 5] und die Lage des Rotationszentrums [6–8]. In der vorliegenden Studie erreichten Patienten mit einer kurzstieligen Schulterprothese nach einem vergleichbaren Nachuntersuchungszeitraum eine größere aktive Anterversion, Abduktion (p=0,002) und Außenrotation als die Vergleichsgruppe mit Langstielprothesen. Diese Ergebnisse bestätigen auch die Intention des kurzstieligen Prothesendesigns. In der normalen Anatomie des Humerus liegt das Rotationszentrum des Humeruskopfes medial und posterior zur Längsachse des Humerusschaftes. Bei der Verwendung einer langstieligen Schulterprothese positionieren sich der Kopf und das Rotationszentrum durch die Ausrichtung im Humerusschaft zwangsweise zu weit lateral (und anterior). Dies führt zu einer Verkürzung des Hebelarmes der Muskeln der Rotatorenmanschette und mindert so die aktive Beweglichkeit. Um dieses Problem zu vermeiden, muss der Prothesenkopf genau an der Stelle positioniert werden, wo der zerstörte Humeruskopf reseziert wurde. Bei dem Design der Multiplex-Schulterprothese wird ein Kopf mit äquivalentem Radius und Höhe wie der originale Humeruskopf auf eine zirkuläre Basisplatte gesteckt, die die resezierte Fläche der Humerusmetaphyse abdeckt. Diese Basisplatte hat einen kurzen Stiel mit einer rauen Oberfläche zur Unterstützung der ossären Integration und wird in die Metaphyse des Humerus implantiert. Dabei muss der kurze Stiel der Basisplatte nicht in der Humeruschaftachse liegen. Die Position der Basisplatte wird durch die Resektionsebene in der korrekten Inklination und Retroversion vorgegeben und korrigiert somit automatisch auch das laterale und mediale Offset. Bei langstieligen Schulterprothesen kann man die Position des Rotationszentrum durch die Verwendung von exzentrischen Köpfen verbessern. In dieser Studie kamen jedoch keine exzentrischen Köpfe zur Anwendung. Stress Shielding des proximalen Humerus wurde in 9% der Fälle nach der Implantation einer Langstielprothese beobachtet [2]. Diesem Stress Shielding liegt eine fehlende proximale Krafteinleitung aufgrund des rigiden Schaftdesigns im Vergleich zum weicheren Knochen bei gleichzeitig steifer distaler Verankerung zugrunde. Eine mögliche Lösung dieses Problems stellt die Verwendung von kurzstieligen Endoprothesen dar. Eine kurzstielige Schulterprothese mit Basisplatte verteilt die Belastung besser in der proximalen Humerusmetaphyse und führt dadurch
zu einer optimierten Krafteinleitung vom Implantat in den Knochen. Stress Shielding des proximalen Humerus kann mit Hilfe dieses Designs vermieden werden, wie die Ergebnisse unserer Studie zeigen. Das Konzept einer Kurzstielprothese mit proximaler Fixierung und Verankerung im metaphysären Humerus scheint eine mechanisch gute Integration zu ermöglichen, da eine Prothesenlockerung in unserer Studie nicht nachgewiesen werden konnte. Der Gebrauch einer langstieligen Schulterprothese weist im Vergleich zur kurzstieligen Prothese ein wesentlich erhöhtes Risiko einer periprothetischen Fraktur auf (9% verglichen mit 0%). Besonders bei einliegender ipsilateraler Ellenbogenprothese sollte der Gebrauch eines langen intramedullären Schulterprothesenstiels vermieden werden, da die zwischen den Prothesen liegende Humerusdiaphyse hohen Dreh- und Biegekräften ausgesetzt ist und damit eine Sollbruchstelle darstellt. Mit der kurzstieligen Multiplexprothese traten keine Humerusfrakturen auf. Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie kann geschlossen werden, dass mit Verwendung der Multiplex-Kurzstielprothese im Vergleich zu konventionellen Langstielprothesen durch optimierte Rekonstruktion der biomechanischen Verhältnisse eine verbesserte aktive Beweglichkeit erreicht werden kann. Die Probleme des Stress Shielding und der periprothetischen Frakturen können durch kurze Stiele der Humeruskomponenten vermieden werden.
Literatur 1.
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6.2.1 Große Gelenke Hüfte: Standardimplantat H. Gollwitzer, R. Gradinger
Zusammenfassung Die zementfreie Verankerung von Hüfttotalendoprothesen hat in den letzten Jahrzehnten eine enorme Entwicklung erfahren und stellt gerade beim jungen Menschen den Goldstandard des künstlichen Hüftgelenkersatzes dar. In der folgenden Arbeit werden die Grundprinzipien der Verankerung zementfreier Hüftimplantate, wichtige Entwicklungsschritte moderner Endoprothesen sowie wesentliche Komponenten und Charakteristika der Hüftgelenkskomponenten am Beispiel der ESKA-GHE- und G2-Endoprothesen vorgestellt. Ferner wird eine Übersicht über die wesentlichen klinischen Ergebnisse bei der Verwendung dieser Hüftimplantate gegeben. In den nun vorliegenden Langzeitergebnissen der zementfreien Endoprothesen bestätigt sich das Konzept der ossären Integration, so zeigen sich nach 17 Jahren herausragende Standzeiten mit 94% der Stiele und 84% der Pfannen in situ.
Knöcherne Integration zementfreier Hüftendoprothesen Der künstliche Hüftgelenksersatz besitzt zweifellos eine herausragende Position in der orthopädischen Chirurgie und stellt einen der größten medizinischen Fortschritte des letzten Jahrhunderts dar. Mittlerweile werden weltweit mehr als eine Million Hüfttotalendoprothesen jährlich implantiert, davon rund 135.000 in Deutschland. Nach Implantation der ersten künstlichen Gelenke durch Themistokles Gluck und einer Vielzahl an Rück-
schlägen (Lockerung, Infektion, Fraktur, Implantatbruch) gelang Sir John Charnley schließlich der Durchbruch. Durch den Einsatz von Polymethylmetacrylat (PMMA, »Knochenzement«) erreichte er eine formschlüssige Kraftübertragung vom Implantat in den azetabulären und femoralen Knochen und erfüllte damit die Voraussetzung für eine primär stabile Implantatverankerung. Doch häufiges Versagen des Zementmantels sowie Hitzenekrosen durch hohe Aushärtungstemperaturen des Polymers führten zu relativ hohen Raten an Osteolysen und aseptischen Lockerungen. Schließlich wurden die Ergebnisse der zementierten Verankerung Ende der 70er Jahre als unzureichend angesehen. In der Folge gab es eine Vielzahl neuer Entwicklungen, wobei zum einen die Verbesserung der Zementiertechnik im Mittelpunkt stand, und zum anderen das Ziel einer dauerhaften, zementfreien Implantatfixation verfolgt wurde [1]. Dabei zeigte sich, dass der Erfolg der zementfreien Endoprothesenverankerung sowohl von der Primärstabilität als auch von der dauerhaften sekundären Integration in das Knochenlager abhängt. Wesentlichen Einfluss darauf haben Materialeigenschaften, Implantatdesign und Oberflächengestaltung [2]. Bekanntermaßen ist die Ausschaltung von Relativbewegungen im Interface im Sinne einer mechanisch stabilen Primärverankerung die wesentliche Bedingung für ein knöchernes Einwachsen zementfreier Implantate. Deshalb ist für alle zementfreien Stiele eine primär stabile Fixation durch das »Press-fit«-Prinzip eine notwendige Voraussetzung. Die sekundäre knöcherne Integration wird bei zementfreien Prothesen schließlich über eine Oberflächenstruk-
100
6
Teil III · Anwendung
turierung der Implantate angestrebt. Bei zementfreien Implantaten werden vollstrukturierte von teilstrukturierten Prothesen und, in Bezug auf die knöcherne Verankerung, die Prinzipien der diaphysären, metaphysär-diaphysären, rein metaphysären bzw. epimetaphysären Verankerung unterschieden. Neben den zementfreien Hüftendoprothesen dürfen auch die zementierbaren Implantate im Spektrum der einzusetzenden Gelenke nicht fehlen. Die Indikationen für den Einsatz von Knochenzement sind dabei für jeden Patienten im Einzelfall zu prüfen, jedoch ist der Einsatz von Knochenzement gerade bei Hüftpfannen in den letzten Jahren deutlich in den Hintergrund getreten. Aus diesem Grund stehen die Besonderheiten und Entwicklungsschritte zementfreier Standardendoprothesen der Hüfte im Fokus dieser Arbeit, die im Folgenden am Beispiel der GHE- und G2-Prothese (ESKA Implants, Lübeck) erörtert werden (⊡ Abb. 6.4).
a
Hüftstiel vollstrukturiert (GHE) b
Grundlage für die Entwicklung der zementfreien GHEProthese war die Überlegung, als Oberflächenstruktur die natürliche Spongiosa zu imitieren und somit nicht nur ein Heranwachsen (»bony ongrowth«) des Knochens zu ermöglichen, sondern über ein Hindurchwachsen (»bony ingrowth«) eine komplette Verzahnung von Implantat und Knochen zu erzielen (»Spongiosa-Metall«, Endocast®) [3]. Die Entwicklungsschritte zur Herstellung des auf einem Kunststoffschwamm basierenden Spongiosametalls wurden bereits in Kap. 1 dieser Monographie beschrieben. Sämtliche Implantate mit dieser interkonnektierenden Oberfläche wurden aus einer Kobalt-Chrom-Molybdän-Basislegierung hergestellt, die Porengröße entsprach 800–1500 µm mit einer Porosität von ca. 60%. Sowohl im Tierexperiment als auch an Humanexplantaten konnte für derart modifizierte Implantate ein Einwachsen von vitalem Knochengewebe mit Blutgefäßen und Kollagenfasern bis zu einer Tiefe von 3 mm in das kommunizierende Hohlraumsystem nachgewiesen werden [4]. Ein weiterer Schritt zur verbesserten knöchernen Integration und Primärstabilität war die Entwicklung so genannter »anatomischer Stiele« mit »Ei-ovalem« Durchmesser und konischer, anatomisch angepasster Form. Die anatomische Form der GHE-Implantate wurde durch Untersuchungen an humanen Leichenfemora entwickelt und weist eine seitendifferente S-förmige Schwingung ent-
c
d
e
⊡ Abb. 6.4. Zementfreie Hüftgelenksimplantate: a Hüftstiel G2 mit festem Konus, b Hüftstiel GHE als Stieladapter, c Doppelkonen zur Kombination der Hüftstiele mit unterschiedlich gewinkelten und lateralisierenden »Schenkelhälsen«, d Metallsockel »Standard« Typ 2000 (auch mit Schraubenlöchern zur zusätzlichen Schraubenfixation verfügbar), e Metallsockel »Kapuziner« (alle Abbildungen mit freundlicher Überlassung der Fa. ESKA Implants).
101 Kapitel 6.2.1 · Große Gelenke: Hüfte: Standardimplantat
sprechend dem proximalen Femur auf [3]. Dabei soll zum einen durch die abgeflachte Implantatschulter das Trochantermassiv bei der Implantation geschont werden, zum anderen soll die anatomisch angepasste Form das primäre Fixationsprinzip des »press-fit« optimieren. Weiterhin erleichtert die S-förmige Schwingung die Anpassung des Implantates in das koxale Femurende und damit die Vermeidung von Rotationsfehlern während der Implantation [5]. Die klinischen Untersuchungen zu diesen relativ steifen und kurzstieligen zementfreien Hüfttotalendoprothesen zeigten überwiegend positive Ergebnisse (⊡ Tabelle 6.2). Sielewicz et al. konnten insgesamt 605 zementfreie Hüfttotalendoprothesen über einen durchschnittlichen Zeitraum von 5 Jahren nachuntersuchen [6]. Dabei zeigten sich nach Merle d’Aubigné bei 565 Patienten (85%) exzellente oder gute Resultate. Lediglich 3 Endoprothesen (0,5%) mussten aufgrund einer aseptischen Lockerung gewechselt werden, bei 2 weiteren Hüften bestand zum Nachuntersuchungszeitpunkt der radiologische Verdacht auf eine Lockerung ohne klinische Beschwerdesymptomatik. Intra-
operativ kam es in 4 Fällen zu Frakturen des Femurschafts, die jedoch unter Entlastung folgenlos ausheilten [6]. Elf postoperative Luxationen mussten geschlossen reponiert werden, und zweimal kam es intraoperativ zur Fraktur des Trochanter minors. Bei der radiologischen Nachuntersuchung zeigte sich bei 99% der azetabulären Komponenten keine Stellungsänderung, nur bei 5 Hüftpfannen wurde eine Protrusion nachgewiesen. 98,5% der Hüftstiele waren in unveränderter Stellung in situ, 3 Stiele zeigten sich radiologisch und klinisch gelockert und mussten gewechselt werden. Als häufigste Ursache unbefriedigender postoperativer Ergebnisse wurden Schmerzen im Bereich des Oberschenkels angegeben, die insgesamt 7,4% der Patienten beklagten. Weitere Nachuntersuchungen nach 5–9 Jahren [7] bzw. 5,8 Jahren [8] zeigten gute und sehr gute funktionelle Resultate (Matsui et al. 100%, Scholz et al. 88%) mit ausgezeichneten Standzeiten der Implantate. Sugano und Mitarbeiter berichteten bei ausschließlich dysplastischen Hüften zu 100% von exzellenten und guten Ergebnissen, und einem durchschnittlichen Anstieg des
⊡ Tabelle 6.2. Ergebnisse nach Implantation zementfreier Hüfttotalendoprothesen (Typ ESKA); ateilstrukturierter Stiel (tcl); HHS durchschnittliches Funktionsergebnis nach Harris-Hip-Score (max. 100 Punkte; sehr gut/gut >80); bPAO Revision wegen periartikulärer Ossifikationen; cteilstrukturierter Stiel mit Hydroxylapatitbeschichtung; dHämodialysepatienten; enur aseptische Lockerung; fPrimäreingriffe und Wechseloperationen Autor
Hüften
Follow-up (Jahre)
Pat.-Alter
Pfannenrevision
Stielrevision
Sehr gut/gut (Merle d’Aubigné)
Deckinga [23]
96
6,2 (5,3–6,7)
75,5 (32–72)
0
0
93,2 HHS
Götze [26]
137
11,8 (10,1–14,9)
5
10
88,3 HHS
Kinnerc
200
4 (2–5)
64 (34–81)
0
0
97 HHS
51
6,3 (5–9)
50 (29–66)
1 (Infektion)
1 (Implantatbruch)
100%
[27]
Matsui [7] d
Nakai [11]
15
3,7 (2–6)
59,6 (46–74)
1 (Infektion)
1 (Infektion)
94%
Plötz [12]
106
2,8 (1–5,4)
Max. 65
0
0
98%
Runkelf [13]
72
3,6 (2–7)
55,6 (25–80)
2 (Lockerunge) 3 (OP-Fehlere)
2 (Lockerunge)
88%
Runkel [17]
43
3,6
53,4 (26–79)
2 (Lockerunge) 1 (OP-Fehlere)
2 (Lockerunge)
88%
Scholz [8]
990
5,8
57 (33–82)
3 (Infektion)
5 (OP-Fehlere) 3 (Infektion)
87%
Sielewicz [6]
605
5
57 (33–82)
0
3 (Lockerunge)
85%
Sprick [10]
138
6,3 (5–8,5)
62,4
2 (Lockerunge)
1 (Lockerunge)
91,2 HHS
b
2 Infektion, 1 Kopfbruch, 2 PAO Sugano [9]
66
3,6 (2–6)
51 (29–63)
6.2.1
0
0
100%
102
6
Teil III · Anwendung
Merle d’Aubigné Scores von 7,8 auf ausgezeichnete 16,9 Punkte (max. 18 Punkte) [9]. Im Gegensatz zu anderen Studien zeigte sich hier nur selten ein postoperativer Oberschenkelschmerz, der zudem rasch rückläufig war [9]. Sprick und Dufek bestätigten diese Beobachtung in einer weiteren Untersuchung mit postoperativem Oberschenkelschmerz bei lediglich 4% der Patienten [10], und Nakai et al. konnten eine derartige Komplikation sogar bei keinem ihrer Patienten beobachten [11]. Wenn sich unbefriedigende Resultate einstellten, so waren diese v. a. auf die Ausbildung periartikulärer Ossifikationen zurückzuführen, eine Komplikation, die durch die Einführung einer postoperativen Nachbestrahlung minimiert werden konnte [10]. Herausragend sind die Langzeitergebnisse der Stiele mit strukturierter Oberfläche. So zeigten sich in einer aktuellen Untersuchung von Gerdesmeyer et al. nach einer Nachbeobachtungszeit von 17 Jahren! noch 94% der Stiele stabil integriert! [Publikation in Vorbereitung]. Damit liegen die Ergebnisse deutlich über den Resultaten gängiger zementfreier oder auch zementierter Implantate, wie sie nach ähnlichen Nachbeobachtungszeiten z.B. im Rahmen der »Schwedenstudie« von Malchau et al. beobachtet werden konnten.
Postoperative Oberschenkelschmerzen nach zementfreier Hüftendoprothetik Als wesentliche Ursachen der postoperativen Oberschenkelschmerzen beim GHE-Stiel konnten eine schlechte primäre Passgenauigkeit des Implantats, eine Implantation in Varusposition, höheres Lebensalter mit Osteopenie [12] und eine vermehrte distale Krafteinleitung [4, 13] nachgewiesen werden. Weitere Autoren fanden für andere zementfreie Implantate postoperative Oberschenkelschmerzen bei bis zu 40% der operierten Patienten. Als Hauptursachen wurden dabei Mikrobewegungen zwischen Implantat und Knochen, hohe Lasttransfers zum Femur mit Belastungsspitzen durch steife Implantate (abhängig von Material, Geometrie und Größe, Oberfläche!) und ein Missverhältnis des Elastizitätsmoduls zwischen Implantat und Knochen verantwortlich gemacht. Weitere bekannte Risikofaktoren sind eine schlechte Knochenqualität mit Osteopenie sowie periostale Irritationen [14]. Interessanterweise war der postoperative Oberschenkelschmerz bei Plötz et al. nach einer stabilen ossären Integration zumeist rückläufig [12]. Weiterhin zeigte sich, dass selbst eine stabile fibröse Integration zu hervorra-
genden klinischen Ergebnissen führte. So wurde selbst bei Stielimplantaten, die radiologisch komplett von einer dünnen bindegewebigen Schicht umgeben waren, kein Stielwechsel notwendig [12]. Diese Ergebnisse stehen in Übereinstimmung mit Daten von Engh und Mitarbeitern, die die stabile fibröse Integration mit einem röntgendichten Saum im Abstand von nicht mehr als einem Millimeter zum Implantatstiel definierten [15]. Therapeutisch stehen bei chronischen Oberschenkelschmerzen nach sorgfältiger diagnostischer Abklärung anderer Ursachen neben analgetisch-antiphlogistischen Maßnahmen und der temporären Belastungsreduktion auch operative Verfahren zur Verfügung (kortikale Anbohrung, laterale Augmentation und Versteifung durch Anlagerung allogenen Knochens, Komponentenwechsel) [14].
Stress Shielding Vollstrukturierte Standardimplantate werden im koxalen Femurende sowohl metaphysär als auch diaphysär integriert. Eine feste diaphysäre Verankerung kann allerdings bei Belastung zum proximalen Schwingen des Stielimplantates führen. Folge ist eine mangelnde proximale Integration mit Rückbildung des nicht belasteten metaphysären Knochens im Sinne einer periprothetischen Saumbildung, dem sog. »stress shielding« [7, 15, 16]. Neben dem Knochenverlust durch Stress Shielding birgt eine rein distale Krafteinleitung zusätzlich ein erhöhtes Risiko eines Dauerschwingbruchs durch Wechselbelastung des Implantates. Auffallend war das proximale Stress Shielding auch bei der vollstrukturierten GHE-Prothese [7, 12]. So zeigte sich v. a. in der Zone I nach Gruen (lateral zum Trochanter major, ⊡ Abb. 6.5) häufig eine Knochenrückbildung mit Einwachsen von fibrösem Gewebe, radiologisch als kalkarme Zone oder noch häufiger als innere Kortikalisierungslinie zu erkennen [12]. Sprick und Dufek beschrieben diesen lateralseitigen Sklerosesaum in 46,4% der nachuntersuchten Hüftstiele nach 5 Jahren, ohne eine klinische Beschwerdesymptomatik beobachten zu können [10]. Durch proximales Schwingen des Implantats kann es jedoch auch zu einer proximal-medialen Knochenresorption kommen (Zone VII nach Gruen). Runkel und Mitarbeiter beobachteten eine derartige Resorption des Kalkars mit Verlust der medialseitigen Kragenauflage bei vollstrukturierten Implantaten sogar in 44% [13] bzw. 54% [17] der Hüftstiele, wobei eine stabile Verankerung durch die distale Integration gewährleistet war. Aufgrund dieser
103 Kapitel 6.2.1 · Große Gelenke: Hüfte: Standardimplantat
6.2.1
⊡ Abb. 6.5. Zoneneinteilung nach Gruen (Femur) sowie DeLee und
⊡ Abb. 6.6. Zementfreie Implantation eines vollstrukturierten GHE-
Charnley (Acetabulum) zur standardisierten Bestimmung der ossären Integration zementfreier Implantate.
Stiels sowie einer zementfreien Pfanne mit Spongiosa Metall I und zusätzlicher Schraubenfixation.
medialseitigen Resorption der knöchernen Kragenauflage wurde auch der Einsatz von Hüftstielen mit proximalem Kragen, der zu einer Optimierung der Kraftübertragung auf die Knochentrabekel beitragen sollte [3], weitgehend wieder verlassen. Entsprechend der proximalen Knochenresorption kann es bei vollstrukturierten Hüftstielen durch die distale Krafteinleitung auch zu einer Hypersklerosierung im Bereich der Stielspitze kommen. Eine derartige knöcherne Sockelbildung im Sinne einer Dichtezunahme der Kortikalis bzw. einer Knochenneubildung um die Prothesenspitze wurde von Plötz et al. in bis zu 77% dieser Stiele beschrieben [12]. Diese blieb jedoch ohne klinische Beschwerdesymptomatik, falls der Stiel schlüssig verklemmte [10, 12]. Als nuklearmedizinisches Korrelat dieses Knochenumbaus wurde bei asymptomatischen und
fest integrierten vollstrukturierten Hüftimplantaten ein persistierend positiver Befund in der Knochenszintigraphie bis zu 22 Monate nach Implantation nachgewiesen [8]. Dies ist insbesondere bei der Diagnostik der (septischen) Lockerung zu beachten, um falsch-positive Aussagen zu vermeiden bzw. korrekt zu interpretieren.
Hüftstiele teilstrukturiert (GHE, G2) und Spongiosa-Metall II Die berichteten Limitationen der vollstrukturierten Implantate führten zur Weiterentwicklung der zementfreien Prothesenstiele. Als günstig erwies sich dabei eine Teilstrukturierung der Prothesenstiele mit Beschränkung der makroporösen Oberflächenstrukturen auf die proximalen
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6
Teil III · Anwendung
zwei Drittel der Stiele. Ziel war dabei eine Reduktion der distalen, diaphysären Krafteinleitung bei gleichzeitig vermehrter proximaler Krafteinleitung und metaphysärer Integration unter Vermeidung des sekundären Stress Shielding. Diesen Anforderungen an die neue Generation zementfreier Hüftprothesenstiele in Kombination mit den Überlegungen einer möglichst biologienahen Implantatintegration wurde in der Entwicklung der aktuellen GHE- und G2-Endoprothesen Rechnung getragen. Die Oberflächenstrukturierung ist hier auf die proximalen zwei Drittel begrenzt. Um eine reproduzierbare Oberfläche zu erreichen, wurde weiterhin eine standardisierte 3-dimensionale Trabekelstruktur eingeführt (Spongiosa-Metal II®), die über ein mesostrukturiertes und interkonnektierendes System ebenfalls ein Hindurchwachsen des Knochens durch die Trabekelporen ermöglicht [2]. Entscheidend ist dabei die wirksame Oberfläche des strukturierten Implantats, also die Oberfläche, die über ausreichend große Poren der Eintritts- und Verbindungskanäle eine knöcherne Erschließung zulässt (100–2000 µm) [2]. Die entwickelte Trabekelstruktur stellt mit einer Porosität von mehr als 70% eine Maximierung der wirksamen Oberfläche dar, da letztlich die gesamte Geometrie der knöchernen Erschließung mit ausreichend weiten Poren zur Verfügung steht. Zu beachten ist bei der Konstruktion solch oberflächenstrukturierter Implantate auch, dass die Bruchstabilität des Implantats gewährleistet sein muss. Durch den begrenzten Innendurchmesser des femoralen Markraums ist auch der Gesamtdurchmesser des Implantates limitiert. Die Bauhöhe der Oberflächenstrukturierung geht somit zwangsläufig »zu Lasten« des Prothesenkerndurchmessers, der für das Bruchrisiko der Prothese verantwortlich ist. Gerade bei kleinen Endoprothesen kann dabei ein kritischer Kerndurchmesser erreicht werden [18]. Durch die von der Arbeitsgruppe um Gradinger entwickelte Teilstrukturierung mit einem glatten, distalen Stielanteil sowie einer graduierten, abnehmenden Oberflächenbauhöhe von proximal nach distal konnte dieser Problematik begegnet werden [19]. Der Graduierung der Oberflächenstruktur entsprechend kommt es auch zu einer fließenden – von proximal nach distal abnehmenden – Krafteinleitung in das femorale Knochenlager. Die Gleichmäßigkeit der Trabekel und die graduierte Abnahme der Bauhöhe ohne Kalibersprünge gewährleistet wiederum eine Minimierung der Kerbwirkung mit Reduktion des Bruchrisikos [19]. Ursächlich für die günstigen klinischen Ergebnisse der G2-Stiele ist neben der metaphysären Integration
wohl auch die isoelastische dynamische Verankerung der Implantate über das Spongiosametall. Aufgrund der unterschiedlichen Elastizitätsmodule zwischen Knochen und Metall entstehen bei Belastung durch Scher-, Torsions-, Zug- und Druckkräfte Spannungen und Bewegungen am Interface. Diese können durch die Übergangszone im Bereich des Spongiosametalls teilweise gemindert werden, da die Trabekelstruktur in der Lage ist, Spannungsspitzen zu kompensieren [18]. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass auftretende Mikrobewegungen ein Maximum von ca. 28 µm nicht überschreiten, da es sonst zur Ausbildung eines bindegewebigen Interface kommt [20]. Weiterhin passt sich das Knochenlager der Krafteinleitung an. Diese ist im proximalen metaphysären Bereich entsprechend der Bauhöhe der Tripoden am größten und nimmt nach distal mit Abnahme der Tripodenbauhöhe ebenfalls ab, um letztendlich im Prothesenspitzenbereich mit glatter Oberfläche auf ein Minimum abzusinken. Dies zeigt sich als distales bindegewebiges Interface, radiologisch als innere Kortikalisierungslinie zu erkennen (⊡ Abb. 6.7). Neben der graduiert abnehmenden Bauhöhe der Trabekelstrukturen wurde bei der G2-Prothese auch die Form im Vergleich zum GHE-Implantat vereinfacht, so besitzen diese Stiele nur eine einfache Kurvation, um die vorbereitende Raspelung des femoralen Markraums und die Implantation zu vereinfachen. Obwohl auch für proximal teilstrukturierte Hüftstiele ein Auftreten von Oberschenkelschmerzen durch eine verminderte Primärstabilität und Mikrobewegungen an der Prothesenspitze diskutiert wurde [21], konnte dies in eigenen Untersuchungen ausgeschlossen werden [22]. Insgesamt scheint die Problematik der postoperativen Oberschenkelschmerzen durch den Einsatz teilstrukturierter Hüftstiele weitgehend beseitigt. Decking und Mitarbeiter beschrieben bei einem Patienten mit ausgeprägter Sklerosierung um die Prothesenspitze therapieresistente und persistierende Oberschenkelschmerzen, die durch eine Anbohrung des Femurs in diesem Bereich gelindert werden konnten [23]. Als weitere Vorteile der proximal teilstrukturierten Implantate wird neben der Reduktion des Stress Shieldings auch eine verminderte Korrosion und eine einfachere Explantation im Wechselfall diskutiert [16]. Im Gegensatz zu den vollstrukturierten Implantaten liegen für die proximal teilstrukturierten Stiele noch keine Langzeitergebnisse vor, aktuelle klinische Beobachtungen lassen jedoch vielversprechende Ergebnisse erwarten (⊡ Abb. 6.8).
105 Kapitel 6.2.1 · Große Gelenke: Hüfte: Standardimplantat
6.2.1
⊡ Abb. 6.7. Zementfrei implantierter GHEStiel mit teilstrukturierter Oberfläche (Spongiosa Metal I) 12 Jahre nach Implantation. Bei proximaler ossärer Integration ist distal ein schmaler Saum mit innerer Kortikalisierung (Vergrößerung, Pfeil) zu erkennen. Der distale Saum ist Folge der proximal festen Verankerung, welche distal Mikrobewegungen zulässt, und ist somit nicht als Lockerung zu werten (siehe auch Kapitel 6.2.5).
a
b
⊡ Abb. 6.8. Zementfrei implantierter G2-Hüftstiel mit zementfreier Standardpfanne, asymmetrischem Inlay und zusätzlicher Schraubenfixation bei einer 68-jährigen Patientin mit destruierender Coxarthro-
c se: a präoperativ, b postoperative Kontrolle, c unveränderte Stellung 1 Jahr postoperativ.
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Teil III · Anwendung
Pfannenimplantate Schraubpfannen
6
Äquivalent zu den zementfreien Hüftstielen erfolgte die Entwicklung zementfreier Pfannenimplantate. Die Entwicklung der Schraubpfannen beruhte zunächst auf dem Grundgedanken einer Primär- und Sekundärstabilität durch mechanische Verzahnung von Gewinde und Knochenlager. Bei den Schraubpfannen mit glatter Oberfläche zeigte sich jedoch durch Druckspitzen im Knochenlager (mit Knochenresorption und Nekrose) eine mangelhafte Sekundärstabilität, die zu inakzeptablen Lockerungsraten führte [24]. Eine Weiterentwicklung stellen hier die porösen Schraubpfannen dar, die auf eine verbesserte Sekundärstabilität mit geringeren Lockerungsraten hinweisen [24]. Hierfür fehlen derzeit jedoch noch die Resultate größerer Studien, um einen klinischen Einsatz tatsächlich empfehlen zu können.
Sphärische Pfannen Für die klinische Anwendung setzten sich vorerst die sphärischen Pfannen mit Press-fit-Verankerung durch, die im Gegensatz zu den Schraubpfannen auch eine Korrektur der Positionierung während der Implantation erlauben [24]. Hier erwies sich, in Anlehnung an die Entwicklung bei Hüftstielen, eine Oberflächenstrukturierung für die zementfreie Integration als wesentlich, um eine adäquate Primär- und Sekundärstabilität zu ermöglichen. Die zur zementfreien Implantation vorgesehene formschlüssige metallische Pfannenschale der Firma ESKA wurde, dem Prinzip des knöchernen Einwachsens entsprechend, mit einer interkonnektierenden Oberflächenstrukturierung versehen. In den klinischen Nachuntersuchungen konnten bislang überwiegend gute bis sehr gute Ergebnisse bei gleichzeitig niedrigen Lockerungsraten beobachtet werden (⊡ Tabelle 6.2). Frühlockerungen waren dabei meist auf Operationsfehler mit einer primär zu steilen Pfannenpositionierung zurückzuführen [13, 17]. Decking et al. konnten bei keiner der 96 nachuntersuchten Pfannenimplantate eine Saumbildung oder gar Lockerung beobachten, und knöcherne Umbauvorgänge des Pfannenlagers traten nur selten auf [23]. Auch Plötz et al. erreichten bei 98% der Pfannenimplantate eine feste knöcherne Integration, zwei Pfannenimplantate zeigten eine Migration und mussten revidiert werden [12]. Gerdesmeyer et al.
konnten bei den zementfreien sphärischen Pfannenimplantaten nach 17 Jahren Nachbeobachtungszeit noch 84% der Implantate stabil integriert vorfinden [Publikation in Vorbereitung]. Diese hohen Standzeiten liegen wie bei den zementfreien Stielen deutlich über den aus der Literatur beschriebenen Ergebnissen für zementfreie und zementierte Implantate und bestätigen das Prinzip der dauerhaften ossären Integration.
Schraubenfixation bei Press-fit-Pfannen Um das Risiko einer Frühlockerung zu vermindern und über eine verbesserte Primärstabilität eine knöcherne Pfannenverankerung zu ermöglichen, wird eine zusätzliche Schraubenfixation durch die metallische Pfannenschale empfohlen. So beobachteten Runkel et al. Frühlockerungen von Pfannenimplantaten lediglich in der ersten Phase der Studie, also bei Prothesen, die ohne zusätzliche Schraubenfixation eingebracht worden waren. Bei den später implantierten Press-fit-Pfannen mit zusätzlicher Schraubenfixation konnte keine derartige Komplikation mehr beobachtet werden [13]. Dies steht in Übereinstimmung mit Untersuchungen anderer Autoren, die auch nachweisen konnten, dass zwei bikortikale Schrauben die Primärstabilität von Press-fit-Pfannen verbessern, dass jedoch mehr als zwei Schrauben keinen zusätzlichen Vorteil bringen. Auch die Bedenken der vermehrten Osteolysenbildung durch die Schraubenlöcher konnten nicht bestätigt werden [24]. Weitere neue Techniken zur Verbesserung der Primärstabilität beschäftigen sich mit dem Einsatz von Finnen oder Stiften an der Pfannenrückfläche oder einem unterschiedlichen Durchmesser der Pfannenfräse zum Implantat (»dual geometry components«), um eine stabilere Verklemmung zu erreichen. Dabei korreliert eine initiale Inkongruenz in den DeLee- und Charnley-Zonen I und III (⊡ Abb. 6.5) direkt mit der radiologischen Lockerungsrate, während kleine polar lokalisierte Spalten (DeLee- und Charney-Zone II) erfahrungsgemäß keinen Einfluss auf die Integration zeigten [24]. Neben der Pfannenlockerung wurden von Plötz et al. noch persistierende und therapieresistente Leistenschmerzen – v.a. bei Hüftbeugung – als mögliche Komplikation beschrieben [12]. Durch die Probeinfiltration mit Lokalanästhetikum kann in diesen Fällen eine Schmerzfreiheit erreicht werden, was eine Reizung des Musculus iliopsoas durch ein überstehendes Pfannenimplantat oder
107 Kapitel 6.2.1 · Große Gelenke: Hüfte: Standardimplantat
6.2.1
a
b
⊡ Abb. 6.9. Zementfrei implantierter G2-Hüftstiel mit zementfreier Standardpfanne und asymmetrischem Inlay bei einem 69-jährigen
Vernarbungen unter der Iliopsoassehne bestätigt. Eine morphologische Diagnosesicherung kann zum Teil per CT erfolgen. Eine der neuesten Entwicklungen stellt der, im Gegensatz zum sphärischen Standardimplantat entwickelte, abgeflachte Metallsockel »Kapuziner« dar (⊡ Abb. 6.4). Hiermit soll durch eine reduzierte Bautiefe zwischen Implantat und Knochenlager ein Ringschluss erreicht werden. Bei korrekter Implantation ist dabei ein vermehrter Primärkontakt zwischen Implantatoberfläche und Knochen – v. a. im Bereich der Fossa acetabuli – möglich [25]. Ob dadurch die klinischen Ergebnisse verbessert werden müssen die entsprechenden klinischen Studien zeigen (⊡ Tabelle 6.2).
c Patientin mit Coxarthrose: a präoperativ, b postoperative Kontrolle, c unveränderte Stellung beim Follow-up.
Klinische Anwendung der zementfreien Standardprothese des Hüftgelenkes Die Indikation zur Implantation zementfreier Hüftendoprothesen sehen wir bei allen Formen der Gelenkzerstörung und gleichzeitig erhaltener Knochenqualität des Implantatlagers. Typische Indikationen für die zementfreie Hüftendoprothetik sind vor allem ▬ die therapieresistente fortgeschrittene primäre oder sekundäre Koxarthrose im jungen und mittleren Lebensalter bei entsprechendem Leidensdruck, ▬ die Koxarthrose bei älteren, rüstigen Patienten mit guter Knochenqualität, ▬ die Hüftkopfnekrose,
108
Teil III · Anwendung
▬ die Schenkelhalsfraktur beim jungen Patienten nach Scheitern der osteosynthetischen Versorgung, ▬ operable proximale Femurmetastasen, aber auch der ▬ Endoprothesenwechsel bei erhaltenem Knochenlager.
6
Die Indikationsstellung zum Einsatz von Knochenzement muss im Einzelfall entschieden werden. Interessant ist anzumerken, dass bei älteren Menschen mit seniler Osteoporose nach der Implantation zementfreier metallspongiöser Endoprothesenstiele eine Knochenneubildung stimuliert wurde [8]. Bei der präoperativen Aufklärung sollte mit dem Patienten insbesondere das Problem einer möglichen Luxation und Beinlängendifferenz besprochen werden. Zu den relevanten Operationsrisiken zählen weiterhin periartikuläre Ossifikationen mit Bewegungseinschränkung, aseptische Lockerung, Infekt, Femurschaft- und Trochanterfrakturen, Hämatom, Nachblutung, Abrieb, Implantatbruch, Thrombose und Embolie. Wesentliche Punkte der Operationsplanung sind ggf. eine Eigenblutspende und eine Radiatio zur Ossifikationsprophylaxe bei Risikopatienten. Weiterhin sollte eine exakte präoperative Planungszeichnung erstellt werden, dazu stehen sowohl konventionelle als auch entsprechende digitale Planungsschablonen zur Verfügung. Im Rahmen der präoperativen Planung sollte insbesondere bei der dysplastischen Hüfte auf eine Wiederherstellung des anatomischen Drehzentrums geachtet werden. Ferner ist in diesem Zusammenhang auch die korrekte Einstellung des femoralen Offsets wesentlich, wofür neben den Standardstielen auch lateralisierende Implantate bzw. Stiele mit einstellbaren Doppelkonen zur Verfügung stehen. Da das Fixationsprinzip der zementfreien Femurstiele eine metaphysäre Verankerung vorsieht, muss bereits präoperativ auf ein ausreichendes Knochenlager am koxalen Femurende geachtet werden. Um dies in den entsprechenden Fällen möglich zu machen, ist vereinzelt eine diaphysäre Markraumaufbohrung notwendig. An Implantaten stehen sowohl für Standardimplantate als auch für lateralisierende Stiele jeweils 7 Stielgrößen mit einfacher (G2) oder doppelter Kurvation (GHE) mit bzw. ohne Kragen zur Verfügung (⊡ Abb. 6.4). Überlängen für Revisionseingriffe sind ebenso erhältlich. Der ESKA-Adapter-Hüftstiel mit modularem Konusadapter von 0° bis 20° ermöglicht zusätzliche Einstellungen zur physiologischen Rekonstruktion der Gelenkkinematik. Unterschieden wird auch zwischen links und rechts, da entsprechend der natürlichen Antetorsion des koxalen Fe-
murendes in das Stielimplantat ebenfalls eine Antetorsion von 6° integriert ist. Die Koppelung des Hüftkopfes erfolgt über einen EURO-Konus der Größe 12/14 mm, die Kombination der Gleitpartner Keramik–Polyethylen bzw. Keramik–Keramik wird derzeit bevorzugt eingesetzt. Gerade für eine dauerhafte knöcherne Integration, und hier insbesondere zur Vermeidung abriebinduzierter Osteolysen, spielt die Wahl der Gleitpartner eine entscheidende Rolle. Diesbezüglich sei auf das Kap. 10, »Verschleißteile und tribologische Optimierung«, in der vorliegenden Monographie verwiesen. Für die Hüftpfannenrekonstruktion stehen sowohl für den »Standard« als auch für den abgeflachten »Kapuziner« Metallsockel jeweils 11 verschiedene Größen mit einem Außendurchmesser von 44–68 mm zur Verfügung. Als Gelenkpartner können Inlays aus Polyethylen, Aluminiumoxid-Keramik sowie ESKA-Ceram® eingesetzt werden. Asymmetrische Inlays zur Optimierung der Pfannenüberdachung sind ebenfalls erhältlich. Die Kopfgröße kann zwischen 28 und 32 mm gewählt werden.
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6.2.1
6.2.2 Große Gelenke Hüfte: Schenkelhalsprothesen W. Thomas
Zusammenfassung Die ESKA-Schenkelhalsendoprothese »CUT« verfolgt zur Realisierung einer adäquaten Antwort bei der endoprothetischen Behandlung der Coxarthrose das Prinzip der inneren metaphysären Fixation. Es wird hierbei durch die minimale Knochenresektion der gesamte Schenkelhals in seiner knöchernen Struktur erhalten und als Verankerungsstruktur genutzt. Gleichzeitig kann eine dynamische Fixation mit proximaler Krafteinleitung erreicht werden. Bei der kleinen Dimension der Endoprothese sind genaue präoperative Planung und Ausführung des Eingriffs unter Implantation der korrekten Größe des Implantates von ausschlaggebender Bedeutung. Die neue anatomische Form mit Großkopfversorgung und metallischen Gleitpaarungen erleichtert diesen Anspruch.
Einleitung Bei der Coxarthrose ist im Wesentlichen neben der Gelenkpfanne der Femurkopf von Verformung, Zystenbildung und osteophytärer Umwandlung betroffen. Um den gesunden Schenkelhals bei notwendiger endoprothetischer Versorgung zu erhalten, sind schon frühzeitig entsprechende Endoprothesen entwickelt worden [1]. Nachdem diese Implantate wegen Material- und Verankerungsproblemen nur kurzfristig erfolgreich waren, verging eine geraume Zeit, bis Huggler und Jacob die
Druckscheibenprothese zur klinischen Anwendung brachten [2]. Auch die Gruppe ESKA hat ein zementloses Schenkelhalsimplantat entwickelt, das ähnlich wie die Druckscheibenprothese die laterale Femurkortikalis für die Anbringung einer Lasche mit Schraube durchbohren musste und seit 1995 zur Anwendung kam (Cigar, Eska Implants, Lübeck). Um die gelegentlich auftretenden Laschenprobleme (v. a. Schmerz und Instabilität) zu vermeiden, wurde eine Variante mit innerer Fixation entwickelt [3].
Schenkelhalsendoprothese CUT mit rein innerer Fixation Diese »Schenkelhalsendoprothese CUT 2000« wird mit ihrer anatomisch angepassten Form zwischen Zug- und Drucktrabekel des Schenkelhalses eingebracht, wo sie sich über die dreidimensional offenmaschige Verankerungsstruktur des Spongiosametalls zementfrei verankern lässt. Diese biomechanisch günstige Integration geschieht durch dynamische Fixation des Implantates unter funktioneller Beanspruchung. Hierbei entsteht, wie im physiologischen Fall ohne Implantat, eine erhöhte Krafteinleitung an der medialen Schenkelhalskortikalis mit Kompensation an der lateralen Anlagezone der inneren Femurkortikalis. Dieser Effekt ist durch funktionell-morphologische Analysen [4], durch spannungsoptische Untersuchungen [5, 6] und durch szintigraphische Studien [7] bestätigt worden.
111 Kapitel 6.2.2 · Große Gelenke: Hüfte: Schenkelhalsprothesen
Modulare Bestandteile der Schenkelhalsprothese Die ESKA-Schenkelhalsendoprothese CUT bietet dem Operateur durch ihre vielfältige Zusammenstellbarkeit ein weites Anwendungsspektrum. Sie besteht aus drei Teilen (⊡ Abb. 6.10): Der eigentliche Endoprothesenkörper ist konisch gestaltet, wobei sich der Durchmesser zur Peripherie hin verjüngt. Dieser periphere Teil ist zugleich gebogen gestaltet, um sich dem kurvigen Verlauf der lateralen Zugtrabekel des Schenkelhalses anzulegen. Das laterale Ende der Endoprothese ist an der Oberfläche glatt und passt sich reizlos der inneren Kortikalis des Femur an. Diese Gestaltung mit dem lateral längeren, gebogenen Anteil macht die Endoprothese in ihrer Form dem englischen Gehrock ähnlich, was letztlich zur Namensgebung »CUT« geführt hat. Die mediale Stufe im Endoprothesenkörper führt zu einer rechtwinkeligen Abstützung auf den kräftigen Drucktrabekeln des Kalkar. Der Querschnitt der Endoprothese ist ebenfalls zur bestmöglichen Anpassung an die normalanatomischen Verhältnisse des Schenkelhalses oval gestaltet. Die Endoprothese wird mit anwachsenden Durchmessern geliefert, wobei pro Durchmesser jeweils 3 verschiedene Längen zur Verfügung stehen. Die Endoprothese kann wegen ihrer neutralen Form für die rechte und linke Seite angewandt werden. Die Verankerungsoberfläche besteht aus dem langjährig erprobten »Spongiosametall II« [8, 9].
⊡ Abb. 6.10a–c. Endoprothese CUT A (anatomische Form): a Endoprothesenkörper mit 10°-Adapter (a.p.-Ansicht); b Endoprothesenkörper mit 10°-Adapter (seitliche Ansicht); c Endoprothese mit 10°-Adapter, Großkopf und Kapuzinerpfanne
6.2.2
Auf dem Endoprothesenkörper wird ein Halsadapterteil konisch fixiert. Dieser Adapter steht in einer 10°- und in einer 20°-Winkelvariante zur Verfügung, wodurch je nach Notwendigkeit eine variable Schenkelhalseinstellung erfolgen kann. Hierdurch sind individuelle Anpassungen des Varus-/Valgus-Winkels sowie des Ante- und Retroversionswinkels mit unterschiedlichen Off-set-Ergebnissen möglich (⊡ Abb. 6.11). Die Stabilität dieser Konusverbindung wurde in einer biomechanischen Studie nachgewiesen [10]. Auf den Konus des Endoprothesenhalses (Adapter) wird der Endoprothesenkopf aufgesetzt. Die Köpfe werden je nach Anforderung in unterschiedlichen Längen und Durchmessern angewandt. Als azetabuläre Endoprothese bevorzugen wir die ESKA-Kapuziner-Pfanne, die mit ihrer abgeflachten Bodenform eine Press-fit-Fixation durch Ringschluss ermöglicht. Auf der Basis der Auswertung der klinischen Erfahrungen der Mitglieder der Anwendergruppe (s. Ergebnisse) und durch neue biomechanische Erkenntnisse sowie technische Neuerungen (Metall-Metall-Paarungen), sind Anregungen zur Perfektionierung dieses Endoprothesen-
⊡ Abb. 6.11. Endoprothese CUT A (anatomische Form): Schematische Darstellung der Beeinflussung von Off-set und Beinlänge durch den Adapterwinkel und die Kopfhalsgröße
112
6
Teil III · Anwendung
konzeptes entstanden. Das endgültige Implantat hat jetzt eine der Anatomie des Schenkelhalses verbessert angepasste Form (»CUT A«). Durch diese auch medial kurvige Gestaltung ist eine verbesserte Implantation in den Schenkelhals möglich, ohne dass die bei der gestreckten Form öfter beobachtete valgische Aufstellung entsteht. Außerdem wird das CUT-Implantat heute mit der Großkopfversorgung kombiniert. Hierdurch entsteht eine Verlagerung des Bewegungszentrums in die natürliche Ebene. Dies hat ein günstiges Verhältnis zwischen dem Verankerungselement des Endoprothesenkörpers und dem Hebel des Bewegungselementes (Halsadapter und Kopf) zugunsten der Verankerungsseite zur Folge. Die Großkopfversorgung wurde erst durch die gleichzeitige Perfektionierung metallischer Gleitpaarungen möglich. Für die hier beschriebene so genannte »bionische« Version der Großkopfversorgung kommt der zementlose Metallsockel mit abgeflachtem Pol zur Press-fit-Fixation zur Anwendung. In diesen Sockel werden in modularer Bauweise Metall-Inlays unterschiedlicher Durchmesser eingebracht (38 mm, 44 mm, 48 mm; ⊡ Abb. 6.10).
Operationstechnik Die Operation wird mit Hilfe von Schablonen zeichnerisch oder mit dem Computer geplant. Hierbei ist es wichtig, bei gegebener korrekter subkapitaler Resektion den richtigen Durchmesser und die genaue Länge entsprechend der Operationsanleitung auszuwählen. Diese Daten müssen dann während der Operation überprüft werden. An unserer Klinik wird die Operation in Rückenlage des Patienten über einen transglutäalen Zugang in minimal-invasiver Technik durchgeführt. Nach Kapsulotomie wird der Hüftkopf nach Anlage einer Sägeschablone subkapital in einem Winkel von 45 Grad zur Horizontalebene reseziert. Der Schenkelhalsstumpf wird durch Hohmann-Hebel und entsprechende Haltungsmanöver am Bein nach lateral weggehalten. So wird zunächst die Hüftpfanne endoprothetisch versorgt. Anschließend wird der Schenkelhalsstumpf aus dem Situs herausgedreht. Es erfolgt eine zentrale Aufbohrung und die Überprüfung des Durchmessers mit einer entsprechenden Messmünze. Mit Universal- und Formraspeln wird der Schenkelhals aufbereitet, wobei die endgültige Formraspel zugleich als Probeimplantat zur Überprüfung von korrektem Durchmesser und Länge durch Bildwandlerkontrolle dient. Mit den Probeteilen können auch Bein-
länge, Schenkelhalsposition und Impingement geprüft werden. Erst danach werden die Probeteile durch die endgültigen Endoprothesenteile ersetzt. Es folgen Spülung des Situs, Einlage von Redondrainagen, schichtweiser Wundverschluss und abschließende Röntgenkontrolle.
Nachbehandlung Wir favorisieren eine individuelle Rehabilitation mit prinzipiell drei Phasen: ▬ Klinische Phase: Unter Heparinschutz erfolgt die Frühmobilisation ab dem 1. postoperativen Tag mit Gehübungen an zwei Unterarmstützen mit Bodenkontakt. In dieser Phase streben wir eine frühe Autonomie des Patienten durch Aufstehübungen, Sitzen und Treppensteigen, Toilettengang und Ankleidetraining an. Danach (3.–5. Tag) erfolgt die Entlassung aus der stationären Behandlung und der Übergang in die zweite Phase. ▬ Domizilphase: Der Therapeut/die Therapeutin begleitet den Patienten am Entlassungstag nach Hause, überprüft die häuslichen Verhältnisse (Toilettenerhöhung, Treppen, Teppiche, Bett etc.) und beginnt die individuelle Rehabilitation entsprechend den Leistungsanforderungen des Patienten. Nach 10 Tagen Beginn der Belastungssteigerung (10 kg alle 2 Tage) bis zur vollen Belastung unter gleichzeitigem Training der hüftstabilisierenden Muskulatur. Dann Übergang auf Entlastung mit einer Unterarmstütze. ▬ Leistungsphase: Zum Erreichen der vollen Leistungsfähigkeit werden Muskelstabilität, Ausdauer und Gangästhetik perfektioniert. Klinische und radiologische Kontrollen erfolgen nach 3, 6 und 12 Monaten, danach jährlich (⊡ Abb. 6.12).
Ergebnisse Die ESKA-Schenkelhalsendoprothese »CUT« findet seit nunmehr 8 Jahren Anwendung. In einem multizentrischen Anwenderkreis von 54 Kliniken sind bisher ca. 2500 Implantationen durchgeführt worden. Die Anwendergruppe hat gemeinsam Richtlinien zur korrekten Planung und Ausführung der Operation erarbeitet und die Perfektionierung der Implantate und der Instrumente vorangetrieben. Die Gruppe betreut eine gemeinsame Erfassungsstudie und führt eine zentrale Schadensmel-
113 Kapitel 6.2.2 · Große Gelenke: Hüfte: Schenkelhalsprothesen
dung und Analyse durch. Bei den Anwendern zeigen sich klinische Ergebnisse, die sich im Wesentlichen mit den eigenen – im Folgenden dargestellten – Beobachtungen decken: Wir überblicken 136 Operationsverläufe bei 130 Patienten (69 weiblich, 61 männlich) über einen Zeitraum von durchschnittlich 52 Monaten (3–96). 64-mal wurde das linke, 60-mal das rechte Hüftgelenk operiert, wobei
a
b
⊡ Abb. 6.12a,b. Klinischer Fall (Röntgenverlauf ): Patientin 47 Jahre: a
6.2.2
6 Fälle bilateral versorgt wurden. Das Alter der Patienten zum Operationszeitpunkt lag im Durchschnitt bei den weiblichen Patienten bei 52 Jahren (26–68), bei den männlichen bei 57 Jahren (21–71). Die Operationsindikationen sind in ⊡ Tabelle 6.3 zusammengestellt. Als postoperative Komplikation (⊡ Tabelle 6.4) wurde eine Thrombose beobachtet, die die Rehabilitation verzögerte. Vier Revisionen mussten wegen Implantatlockerung durchgeführt werden (3%). Wir sahen einen weiteren Fall einer beschwerdefreien Migration (drohende Lockerung?), 5-mal lag ein Trochanterschmerz vor, der nach ca. 12 Monaten und lokaler Antiphlogistikainfiltration abklang. Es wurde eine Fissur am Schenkelhals mit komplikationslosem Verlauf ohne Zusatzeingriff beobachtet. Weiterhin mussten wir eine Luxation wegen Impingement mit Austausch des Endoprothesenkopfes von 28 mm auf 32 mm behandeln. Eine Beinlängendifferenz von mehr als 1 cm bestand bei 1 Patienten. Die Funktion, gemessen anhand des Harris-HipScores, besserte sich rasch und die Werte lagen bei der letzten Nachuntersuchung bei durchschnittlich 92 von 100 möglichen Punkten (⊡ Tabelle 6.5).
Präoperativ: Dysplasiecoxarthrose rechts; b 1 Jahr postoperativ nach Implantation einer CUT-Prothese und Kapuzinerpfanne: Harris-HipScore 98
⊡ Tabelle 6.4. Komplikationen nach CUT-Endoprothresenimplantation (n=136) Komplikation
Anzahl [n]
⊡ Tabelle 6.3. Operationsindikationen bei verschiedenen
Thrombose
1
Diagnosen
Luxation
1
Diagnose
Operierte Hüftgelenke
Infektion
0
Arthrose
90
Lockerung mit Wechsel
4
Arthritis rheumatica
22
Migration
1
Hüftkopfnekrose
20
Beinlängendifferenz:
Frische Frakturen
1
+1,5 cm
1 (~0,7%)
Postraumatische Arthrose
2
+1 cm
4 (~2,9%)
Ankylose
1
+0,5 cm
6 (~4,5%)
⊡ Tabelle 6.5. Funktion nach Harris-Hip-Score (HHS, max. 100) im Nachuntersuchungszeitraum (durchschnittlich 52 Monate) Untersuchung
Prä-op
6 Wochen
3 Monate
12 Monate
Letztes Follow-up
Harris-Hip-Score
54
78
87
88
92
114
Teil III · Anwendung
Diskussion
6
Die Coxarthrose führt zur Degeneration des Knorpels und zu verformenden Umwandlungen des subchondralen Knochens des Hüftkopfes mit Osteophyten- und Zystenbildungen. Wir haben aus diesem Grunde mit der ESKA-Schenkelhalsendoprothese »CUT« ein Konzept entwickelt, bei dem der knochengesunde Schenkelhals erhalten bleibt und zur Fixation einer kurzen Endoprothese genutzt wird [3]. Das biomechanische Prinzip der dynamischen Fixation dieser Endoprothese wurde durch eine funktionellmorphologische Analyse untersucht [4]. Es zeigte sich hierbei unter Beanspruchung eine Erhöhung der Krafteinteilung medial, lateral und unter der Endoprothesenstufe. Dieses Phänomen ließ sich in der klinischen Anwendung durch szintigraphische Verlaufsbeobachtungen belegen [7]. Biomechanische Untersuchungen an Kunstknochen [5] und an Kadaverknochen [6] haben ihrerseits dieses Prinzip bestätigt. Es wurde in diesen Arbeiten besonders darauf hingewiesen, dass bei der relativ kleinen Dimension dieser Endoprothese eine gründliche Planung und präzise Ausführung der Operation unter Kontrolle der korrekten Größe und Länge unerlässlich sind. Zur Verbesserung einer bündigen Implantation wurde der Endoprothesenstiel in seiner Form durch eine mediale Kurvatur der anatomischen Form des Schenkelhalses angepasst (»CUT A«). Außerdem wurde zur Verbesserung des Hebelverhältnisses des relativ kleinen Verankerungskörpers der Endoprothese zum Hebelarm der Bewegungselemente (Halsadapter und Kopf) die Großkopfversorgung eingeführt. Dies war durch die neuerlich verfügbaren abriebarmen metallischen Gleitpaarungen möglich geworden. Durch diese Versorgung entsteht zugleich ein höherer Luxationsschutz und ein vermindertes Impingement-Risiko. Weiterhin lässt sich durch diese neue Version das Risiko der Beinlängendifferenz senken.
Schlussfolgerung Die ESKA-Schenkelhalsendoprothese »CUT« kann aufgrund der Resektion des allein erkrankten Hüftkopfes ohne Opferung des gesunden Schenkelhalses als adäquate Lösung zur endoprothetischen Primärversorgung der Coxarthrose angesehen werden. In einer multizentrischen Anwenderstudie von 54 Kliniken mit mehr als 2500 Implantationen hat sich innerhalb der ersten 8 Jahre gezeigt,
dass Misserfolge vermieden werden können, wenn entsprechend der gemeinsam erarbeiteten Operationsrichtlinien die Resektionsebene korrekt gewählt wird und das Implantat mit dem größtmöglichen Durchmesser und der richtigen Länge zur tiefen lateralen Kortikalisanlage implantiert wird. Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte kann mit sehr guten Ergebnissen gerechnet werden (bisher 8-jährige Erfahrung). Auf der Basis der klinischen Erfahrungen einschließlich der Schadensanalysen wurde das Implantat konzeptuell perfektioniert: Der Endoprothesenstiel ist mit einer medialen Kurvatur ausgestattet. Die Großkopfversorgung verbessert die biomechanischen Verhältnisse der Implantatstabilität, reduziert das Risiko des Impingements und nutzt zugleich die Möglichkeit der tribologisch günstigeren metallischen Gleitpaarung. Im Falle einer Lockerung kann ohne besondere Schwierigkeiten eine Revision mit Übergang auf eine diaphysäre Stielverankerung durchgeführt werden.
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115 Kapitel 6.2.2 · Große Gelenke: Hüfte: Schenkelhalsprothesen
Anmerkung der Herausgeber Die ossäre Integration der in Kap. 6.2.2 beschriebenen Schenkelhalsprothese CUT mit proximaler Krafteinleitung konnte auch osteodensitometrisch bestätigt werden [1] und realisiert die knochensparende femorale Verankerung in der Hüfttotalendoprothetik. Wie im vorangegangenen Beitrag beschrieben, sind für diese solide Integration und für das klinische Ergebnis die exakte präoperative Planung und Implantatauswahl sowie die präzise Schenkelhalsresektion und Implantation erfolgsentscheidend. In verschiedenen Untersuchungen zeigten sich jedoch im klinischen Einsatz Probleme in der Umsetzung dieses Konzeptes, sodass gehäuft implantationsbedingte Komplikationen wie v. a. Beinlängendifferenzen und Schaftfissuren auftraten. So beschrieb Flamme [2] nicht nur eine im Vergleich zum Standardimplantat deutlich verlängerte Lernkurve, sondern v. a. die Komplikationen der Beinverlängerung von mehr als 5 mm (35%), der zu kurz implantierten Prothese (16%) und der Schaftsprengung (8%). Bei Stukenborg-Colsman et al. klagten gar 90% der 58 nachuntersuchten Patienten mit CUT-Endoprothesen über eine Beinverlängerung, Schaftfissuren waren bei 24% zu beobachten [3]. Die hohen klinischen Komplikationsraten sind auf anfangs nicht ausgereifte Implantate zurückzuführen, die in den Jahren der Weiterentwicklung sicher eine Verbesserung erfahren haben. Ob dadurch eine nachhaltige Reduktion der bekannten Komplikationen sichergestellt ist, bleibt abzuwarten und muss in prospektiven Studien belegt werden.
Literatur 1.
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Leichtle et al. (2005) Periprothetische Knochendichteveränderungen nach Implantation einer Schenkelhalsprothese Typ CUT. Erster gemeinsamer Kongress Orthopädie-Unfallchirurgie 2005, Berlin Flamme CH (2005) Die Lernkurve der CUT-Prothese. Erster gemeinsamer Kongress Orthopädie-Unfallchirurgie 2005, Berlin Stukenborg-Colsman C et al. (2004): Die Schenkelhalsprothese CUT 2000 und die Druckscheibenprothese im Vergleich – klinische und radiologische Frühergebnisse. Deutscher Orthopädenkongress 2004, Berlin
6.2.2
6.2.3 Große Gelenke Hüfte: Kurzstiel G. von Salis-Soglio, J. Gulow
Zusammenfassung Es wird über die bisherigen klinischen Erfahrungen mit der ESKA-Kurzstielendoprothese berichtet. Das Implantat beruht auf der Philosophie der proximalen Kraftübertragung und Verankerung und zeichnet sich durch eine metallspongiöse Oberflächenstruktur aus. Von November 2002 bis Januar 2005 erfolgten 55 Implantationen, davon 49-mal als Primäreingriff und 6-mal im Rahmen von Revisionsoperationen. Bis auf einen Fall mit der Notwendigkeit eines frühzeitigen Implantatwechsels wegen Infektion sind die bisherigen Verläufe sowohl klinisch als auch radiologisch erfolgreich. Die Kurzstielendoprothese stellt die Vervollständigung eines differenzierten Versorgungsangebotes vom Oberflächenersatz bis hin zu modularen Revisionssystemen dar.
Entwicklung und Geschichte von Kurzstielen in der Hüftendoprothetik Die femoralen Komponenten bei primären Hüftendoprothesen unterscheiden sich vor allem durch Material, Länge, Design und Verankerungsprinzip. Bezüglich der Verankerung im knöchernen Implantatlager können 3 Gruppen unterschieden werden: 1. epiphysäre Verankerung (Oberflächenersatz), 2. metaphysäre Verankerung (so genannte »Schenkelhalsendoprothesen«), 3. metadiaphysäre/diaphysäre Verankerung (Kurzstiele und Standardstiele).
Die gemeinsame Philosophie der Kurzstiele besteht vor allem darin, dass bei einer gewünschten proximalen Kraftübertragung über eine proximale Implantatverankerung auch eine geringere Längendimensionierung des Endoprothesenstiels ausreichend ist. Vorzüge der Kurzstiele werden darüber hinaus in der Möglichkeit eines knochensparenden Vorgehens und in der leichteren Rückzugsmöglichkeit gesehen, sodass diese Implantate vor allem für jüngere Patienten empfohlen werden. Unterschiede zwischen den derzeit auf dem Markt befindlichen Kurzstielen bestehen bezüglich Länge, Design, Oberflächenstruktur, Resektionshöhe und vor allem bezüglich der vorliegenden klinischen Erfahrungen. Die erste Kurzstielendoprothese wurde 1977 durch Pipino konzipiert und 1979 erstmalig implantiert (zementiert und zementfrei). Nach günstigen Frühergebnissen [1] wurde durch Pipino und Mitarbeiter im Jahre 2000 über 44 Langzeitverläufe (>10 Jahre) mit 82% guten und sehr guten Ergebnissen berichtet [2]. Eine Weiterentwicklung stellt die 1996 eingeführte CFP-Endoprothese (Fa. Link) dar, die zementfrei implantiert wird und die ebenfalls zu positiven kurz- und mittelfristigen Ergebnissen führte. Anfang der 1980er Jahre wurde schließlich von Morrey an der Mayo-Klinik (USA) ein zementfreies Kurzschaftsystem entwickelt und 1985 erstmalig implantiert. Die Ergebnisse bei den ersten 146 Patienten (162 Hüften, Nachuntersuchung durchschnittlich 6,2 Jahre postoperativ) wurden im Jahre 2000 publiziert [3]. Die Implantationen erfolgten hier bei jüngeren Patienten mit einem Durchschnittsalter von 51 Jahren. Revisionsoperationen wurden v. a. aufgrund abriebinduzierter Lockerungen durch Osteolysen bei 6% der Patienten notwendig und wurden nicht direkt auf das
117 Kapitel 6.2.3 · Große Gelenke: Hüfte: Kurzstiel
6.2.3
Verankerungsprinzip zurückgeführt. Mechanisches Versagen der Stielverankerung führte lediglich bei 3 Patienten zu Revisionsoperationen. Bewerkenswert war außerdem, dass der für zementfreie Endoprothesen häufig beschriebene Oberschenkelschmerz von Morrey und Mitarbeitern bei stabil integrierten Kurzstielen nicht beobachtet wurde [3]. Hube und Mitarbeiter [4] berichteten im Jahre 2004 über eine prospektive randomisierte vergleichende Untersuchung zwischen dem Mayo-Kurzschaft und einem Standardschaft, hier zeigten sich für den Kurzschaft v. a. in der frühen postoperativen Phase (3 Monate postoperativ) signifikant bessere Ergebnisse.
Die ESKA-Kurzstielendoprothese Im Jahre 2002 wurde durch von Salis-Soglio und Grundei eine zementfreie Kurzstielendoprothese entwickelt, die über eine charakteristische metallspongiöse Oberflächenstruktur verfügt und rein metaphysär verankert wird. Das Implantat ist kragenlos, vollstrukturiert und weist zwei Drittel der Länge eines herkömmlichen Standardstieles auf (⊡ Abb. 6.13). Es existieren insgesamt 6 Größen, wobei sowohl die Resektionshöhe als auch die Markraumpräparation der Operationstechnik beim Standardstiel entsprechen. Die Markraumraspeln sind der Länge der Kurzstiele angepasst.
⊡ Abb. 6.13. Kurzstiel und Standardstiel (Fa. ESKA Implants)
Kasuistik Die ESKA-Kurzstielendoprothese wurde zunächst ausschließlich in der Klinik des Erstautors eingesetzt, wo von November 2002 bis Dezember 2004 insgesamt 55 Implantationen erfolgten. Die wichtigsten Daten der eigenen Kasuistik können wie folgt zusammengefasst werden: ▬ 55 Implantationen bei 54 Patienten (1 einzeitige doppelseitige Versorgung: ⊡ Abb. 6.14, ⊡ Tabelle 6.6) ▬ 32 Frauen, 22 Männer ▬ Durchschnittsalter 58,8 Jahre [35–85 Jahre]
Ergebnisse im eigenen Patientengut Die Implantatgröße lag nahezu immer eine Größe über der im Rahmen der computer-gestützten präoperativen
⊡ Tabelle 6.6. Indikationen zur Implantation der ESKA-Kurzstiele Indikation
Anzahl Hüften (n)
Koxarthrose
44
Hüftkopfnekrose
5
Aseptische Endoprothesenlockerung
6
Planung für das entsprechende Standardimplantat berechneten Größe. Der intraoperative Verlauf war in 49 der 50 Fälle unkompliziert, einmal kam es beim Einsetzen des Implantats zu einer proximalen Schaftfissur, die unter Einhaltung einer 6-wöchigen Tippbelastung ausheilte und keine weiteren Folgen nach sich zog. Die planmäßige Weiterbehand-
118
Teil III · Anwendung
6
⊡ Abb. 6.14. Einzeitige doppelseitige Implantation von Kurzstielendoprothesen zur Versorgung einer beiderseitigen Hüftkopfnekrose
⊡ Abb. 6.15. Hüftgelenksresektion wegen Infektion, nach Ausheilung Implantation einer zementfreien Kurzstielendoprothese
119 Kapitel 6.2.3 · Große Gelenke: Hüfte: Kurzstiel
6.2.3
lung beinhaltete 3 Wochen Tipp- und anschließend 3 weitere Wochen Teilbelastung, danach war bei regelrechtem Verlauf der Übergang zur Vollbelastung gestattet. In einem Fall kam es im Rahmen einer Frühinfektion zu einer frühzeitigen Implantatlockerung mit der Notwendigkeit der Wechseloperation. Eine aseptische Lockerung konnte im bisherigen Nachuntersuchungszeitraum nicht beobachtet werden. ⊡ Abbildung 6.15 zeigt den radiologischen Befund bei einem 36 Jahre alten Patienten mit rheumatoider Arthritis. Wegen einer hämatogenen Infektion war eine Hüftgelenksresektion notwendig geworden, nach Ausheilung der Infektion wurde der Patient mit einer Kurzstielendoprothese versorgt.
Fazit Die in der Literatur bislang mitgeteilten Erfahrungen mit so genannten »Kurzstielen« können als durchaus ermutigend bewertet werden, wobei auch bei diesen Implantaten eine deutliche Lernkurve vorliegt. Letzteres ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass gerade bei kurzstreckiger Verankerung eine ganz exakte Passgenauigkeit für eine stabile ossäre Integration realisiert werden muss. Trotz der selbstverständlich gebotenen Einschränkungen im Hinblick auf die kurze Beobachtungszeit scheint sich das Prinzip der proximalen Krafteinleitung und Verankerung auch bei der ESKA-Kurzstielendoprothese zu bewähren. Ein besonderer Vorzug ist in der ausreichenden Größendimensionierung auch bei nach distal eng zulaufenden Markräumen zu sehen, so dass eine proximale Unterdimensionierung und somit ggf. ein Schwingen der Endoprothese mit »stress-shielding« verhindert werden kann. Im Falle eines Rückzuges kann – nach knochensparender Entfernung mit adäquatem Instrumentarium (z. B. einem oszillierenden Meißelsystem) – auf einen Standardstiel zurückgegriffen werden. Sollte sich die Philosophie der Kurzstiele bewähren, würde dies nicht etwa eine Verdrängung der anderen Implantate bedeuten, sondern es käme hierdurch zu einer lückenlosen Vervollständigung eines differenzierten Versorgungsangebotes, das vom Oberflächenersatz bis hin zu modularen Revisionssystemen reicht (⊡ Abb. 6.16). Je nach individuellen Gegebenheiten ist dann die Entscheidung für eine Implantatform zu treffen, wobei bei dem
⊡ Abb. 6.16. Femorale Komponenten bei metallspongiösen Hüftendoprothesen
hier vorgestellten Implantatsystem ein besonderer Vorteil in dem problemlos möglichen intraoperativen Strategiewechsel zu sehen ist.
Literatur 1. 2.
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6.2.4 Große Gelenke Oberflächenersatz des Hüftgelenkes: Doppel-Cup-Prothesen P. Juhnke
Zusammenfassung Die erste Generation des Oberflächenersatzes ist aufgrund der verwendeten Materialien gescheitert. Heute stehen uns bessere Instrumentarien, besseres Design und mit der Metall-Metall-Paarung eine abriebarme Gleitpaarung zur Verfügung. Die Probleme der jetzigen Prothesengeneration betreffen eher die femorale Komponente, während bei der ersten Generation meist die Pfanne betroffen war. Schenkelhalsfraktur und aseptische Lockerung stellen die wichtigsten Revisionsursachen dar, hier könnte eine vermehrte Beachtung der Blutversorgung des Femurkopfes sowie eine Optimierung der Femurkappenplatzierung zu einer Verbesserung der Resultate führen.
Historie und Entwicklung des Oberflächenersatzes am Hüftgelenk Die Coxarthrose des jungen Patienten stellt für den operativ tätigen Orthopäden eine Herausforderung dar. Junge und aktive Patienten mit Coxarthrose haben im Gegensatz zu älteren Patienten einen grundsätzlich anderen Anspruch an einen totalen Gelenkersatz. Erfolge intertrochantärer Umstellungsosteotomien sind zeitlich begrenzt und den jüngeren Patienten steht nach Implantation einer Hüfttotalendoprothese eine so genannte »Prothesenkarriere« mit mehreren Wechseloperationen bevor. Dorr [1] konnte zeigen, dass Patienten unter 45 Jahren mit einer durchschnittlichen »Überlebensrate« der Prothesen von
87,6% nach 10 Jahren die schlechtesten Ergebnisse beim totalen Gelenkersatz haben. Diese Ergebnisse wurden von Joshi [2] bestätigt. So wurde bereits in den 50er und 60er Jahren u. a. von Sir John Charnley nach einer knochensparenden Lösung im Sinne eines Oberflächenersatzes für junge Patienten gesucht, die eine Alternative zum totalen Hüftgelenkersatz darstellen sollte. Charnley setzte zwei zementlos fixierte Teflonschalen als Gelenkoberflächenersatz ein, ein Versuch, der aufgrund intensiver Gewebsreaktionen auf das verwendete Material scheiterte [3, 4]. Wagner, der ab 1975 die nach ihm benannten Schalenprothesen implantierte, benutzte sowohl Keramik als auch Metall für das femorale Implantat in Kombination mit einer Polyethylen-(PE-)Pfanne. Nach vielversprechenden Frühresultaten, berichtete auch er über eine überdurchschnittliche Lockerungsrate [5]. Somit kann die erste Generation von Cup-Prothesen durch Auftreten zahlreicher Komplikationen als Fehlschlag bezeichnet werden. Rechl et al. fügten ihrer Nachuntersuchung der in unserer Klinik implantierten Wagner-Doppel-Cup-Prothesen bezeichnenderweise den Untertitel »Eine Problemanalyse« an [6]. Zwischen 1977–1984 wurden an unserer Klinik bei 114 Patienten (67 Männer, 47 Frauen) insgesamt 124 Wagner-Doppel-Cups implantiert. 85% (n = 104) der Endoprothesen konnten klinisch und radiologisch nachuntersucht werden. 45 Cups wurden histologisch (Hartschnitt-Histologie) untersucht (⊡ Abb. 6.17). Bei einem durchschnittlichen Follow-up von 107 Monaten [12–144 Monate] zeigten sich bei 76 Patienten mit 104 Cups insgesamt 53 Lockerungen. Dies entsprach
121 Kapitel 6.2.4 · Große Gelenke: Oberflächenersatz des Hüftgelenkes: Doppel-Cup-Prothesen
6.2.4
Hieraus ist dann die so genannte zweite Generation von Cup-Prothesen entstanden. Grundsätzlich wurde nicht nur das Design geändert und das Instrumentarium entschieden verbessert, wesentlich für die neue Generation war jetzt, dass eine Metall-Metall Gleitpaarung im Vordergrund stand.
Metall-Metall Gleitpaarung ⊡ Abb. 6.17. Kontaktradiographie und Dünnschliffpräparat einer Wagner-Dopplcup-Prothese: Zementknochenverzahnung in der Kontaktradiographie unter dem Dom und medial, sowie deutliche Anfärbung des lateralen Bindegewebes im Dünnschliffpräparat (aus H. Rechl et al. Doppelcup-Arthroplastik, Demeter Verlag).
eine Revisionsrate von 51%. Nur ca. 20% der Patienten hatten eine Standzeit des Oberflächenersatzes von mindestens 10 Jahren, im Einzelfall bis 18 Jahre. Bei dieser Untersuchung war die Lockerungshäufigkeit der Pfanne deutlich höher als die der femoralen Komponente. Unter Belastungsbedingungen verformte sich die dünnwandige zementierte Polyethylenpfanne und führte so zur Zementfraktur. Rechl konnte weiterhin nachweisen, dass »StressShielding« unter dem femoralen Cup, sowie mechanisch und durch Abrieb bedingte Osteolysen am medialen und lateralen Cuprand zusammen mit der reibungsbedingten Zunahme von Mikrobewegungen sekundär zur Ausbildung eines bindegewebigen Interface bis hin zum vollständigen bindegewebigen Ersatz des Femurkopfes führten [6]. Diese hohe Revisionsrate wurde von Witzleb und Mitarbeitern bestätigt, auch in seinem Patientengut lag die Revisionsrate bei den von ihm zwischen 1977 und 1987 implantierten 305 Wagner-Doppelcups bei 50% [7]. Bell et al. führten sowohl die Pfannen- als auch die Cuplockerung der Wagner-Doppel-Cup Prothesen auf eine durch Abriebpartikel induzierte bindegewebige Fremdkörperreaktion zurück [8]. Aufgrund dieser hohen Versagensraten und der beschriebenen Komplikationen wurde dieses Verfahren zunächst nahezu allerorts eingestellt. Jedoch waren einzelne chirurgisch tätige Orthopäden, allen voran Harlan Amstutz in Los Angeles, an einer Weiterentwicklung des Oberflächenersatzes interessiert und haben sehr konsequent die Fehler analysiert sowie darauf basierend eine Weiterentwicklung dieses Prothesensystems betrieben.
Die erste Generation von Metall-Metall-Paarungen wurde wegen gravierender Fertigungsmängel in ihrer klinischen Anwendung zunächst wieder verlassen. M.E. Müller implantierte zwar gemeinsam mit A. Huggler bis 1975 zahlreiche Hüfttotalendoprothesen mit Metall-MetallPaarungen und erreichte z. T. gute Langzeitergebnisse. Jedoch zeigte sich, dass es im Vergleich zu den Polyethylengleitpaarungen früh zu hohen Versagensraten kam, mit durchschnittlichen Frühlockerungsraten von 6,8%. Als Ursachen wurden hier unter anderem die zu dünnwandigen metallischen Pfannen genannt. Nach der Renaissance der Metall-Metall Paarungen in den 80er Jahren aufgrund verbesserter Fertigungstechnologien begannen McMinn in Birmingham und Amstutz in Los Angeles zu Beginn der 90er Jahre Oberflächenprothesen zu entwickeln, die auf dieser Tribologie basierten. Grundsätzlich gibt es bei der neuen Generation von Metall-Metall-Paarungen mit verbesserten tribologischen Eigenschaften zwei unterschiedliche Grundmaterialien: zum einem Kobalt-Chrom-Molybdän-Schmiedelegierung und zum anderen eine karbidhaltige Kobaltbasisschmiedelegierung. Mehrere publizierte Simulatorversuche [9, 10] konnten zeigen, dass nach einer gewissen Einlaufphase die Verschleißmenge abnimmt. So liegt der Verschleiß bei den Metall-Metall-Paarungen mit einer mittleren Partikelrate von <0,3 mm3/Jahr deutlich unter den MetallPolyethylen-Verbindungen mit einer mittleren Abriebrate von 30–100 mm3/Jahr. Doch nicht allein das Abriebvolumen ist für den klinischen Erfolg entscheidend. So berichteten beispielsweise Plitz et al., dass die Gewebereaktion nicht nur vom Partikelgrundmaterial abhängt, sondern auch entscheidend von der Partikelgröße und Morphologie [11]. Metall-Metall Paarungen führen zwar zu einem geringeren Partikelvolumen als Metall-Polyethylen-Verbindungen, jedoch finden sich aufgrund der geringen Größe im Nanometerbereich auch eine deutlich höhere Gesamtzahl von Abriebpartikeln [12]. Plitz et al. wiesen
122
6
Teil III · Anwendung
deshalb auf die Bedeutung weiterer Studien zum Ausschluss von systemischen Reaktion durch Metallpartikel hin und forderten außerdem einen fundierten Nachweis für eine längere Standzeit im Vergleich zu Metall-Polyethylen-Verbindungen [11]. Auch die Arbeitsgruppe um Jacobs stellte die Frage, ob Abriebpartikel bei Metall-Metall-Paarungen ein Grund zur Besorgnis sein könnten [13]. Er verwies wie andere Autoren auf die erhöhte Konzentration von Metallionen in Blut und Urin von Patienten mit Metall-Metall-Gleitpaarungen. Bereits 1973 berichteten Coleman et al. von 11fach erhöhten Kobaltkonzentrationen und dreifach erhöhten Chromkonzentrationen bei Patienten mit CoCr-Paarungen beim totalen Hüftgelenkersatz [14]. Auch bei den neueren Metall-Metall-Paarungen konnten diese Ergebnisse erneut nachgewiesen werden. So untersuchten Schaffer et al. 76 Patienten mit Metall-Metall-Paarungen beim totalen Hüftgelenkersatz und konnten zeigen, dass die Konzentration von Kobalt und Chrom im Blut postoperativ im Intervall ansteigen und die Konzentrationen im Urin zu jedem Zeitpunkt erhöht waren [15]. Die Metallionenkonzentration im Blut und Urin weisen beim Oberflächenersatz nahezu die gleichen Konzentration vor wie beim totalen Hüftgelenkersatz mit Metall-Metall-Paarungen [13]. Aufgrund der gegenwärtigen Datenlage schließen wir Patienten mit kompensierter Niereninsuffizienz von der Implantation einer Doppel-Cup Prothese aus. Die Vorteile der Doppel-Cup-Prothesen liegen in der geringeren Knochenresektion durch Erhaltung des epiund metaphysären Femurs. Des Weiteren kann durch die physiologische Krafteinleitung in den Femur »stress shielding« vermieden werden. Die Biomechanik des Hüftgelenks bleibt dadurch nahezu unverändert. Beim Auftreten von Komplikationen und Lockerungen bestehen in vielen
⊡ Tabelle 6.7. Risikoscore zur Abschätzung des Komplikationsrisikos nach Oberflächenersatz am Hüftgelenk nach [17]. Risikofaktor
Punkte
Femurkopfzysten >1 cm
2
Gewicht <82 kg
2
Voroperation
1
Erhöhte Aktivität (»UCLA rating system«)
1
Surface Arthroplasty Risk Index (maximal 6 Punkte): niedriges Risiko < 3 Punkte; erhöhtes Risiko > 3 Punkte
Fällen relativ einfache Revisionsmöglichkeiten. Kishida et al. haben anhand von prospektiven Knochendichtemessungen nachgewiesen, dass epiphysär krafteinleitende Oberflächenersatzprothesen geringere Umbauprozesse am proximalen Femur verursachen, was bis dahin nur an radiologischen Verlaufsserien vermutet wurde [16].
Indikationen Die Indikation sehen wir in erster Linie beim jungen, aktiven Patienten mit Coxarthrose, sei sie durch eine Dysplasie oder auch posttraumatisch bedingt. Bei der Indikation stützen wir uns auf den von Amstutz et al. [17] entwickelten Risikoscore (⊡ Tabelle 6.7). Amstutz hatte in seinem gesamten Patientenkollektiv eine durchschnittliche Standzeit von 94,4% nach vier Jahren. Anhand des von ihm entwickelten Risikoscores hatten Patienten mit erhöhtem Risiko (>3 Punkte) eine durchschnittliche Standzeit von 89% nach 4 Jahren. Patienten mit niedrigem Risiko (<3 Punkte) erreichten im gleichen Nachuntersuchungszeitraum eine signifikant bessere Standzeit von 97%. Daraus folgerten die Autoren, dass Patienten mit einem höherem Risikoindex (>3) ein 4,2fach erhöhtes Risiko für eine Revision haben. Als zusätzliche Risikofaktoren konnte er große Femurkopfzysten, Patientengröße, weibliches Geschlecht sowie eine kleine Endoprothesengröße bei männlichen Patienten beobachten [17].
Kontraindikationen Dass die Hüftkopfnekrose eine Kontraindikation des Oberflächenersatzes ist, zeigten die Ergebnisse von Adili et al. Sie implantierten bei 28 Patienten mit Hüftkopfnekrose insgesamt 29 Doppel-Cup-Prothesen. Die durchschnittliche Standzeit nach 3 Jahren betrug 75,9%. Revisionen mussten bei acht Doppel-Cup-Prothesen (27,6%) nach durchschnittlich 18 Monaten (8–43 Monate) mit Umwandlung in eine totale Hüftendoprothese durchgeführt werden [18]. Kontraindikationen: ▬ hochgradige Schenkelhalsdeformität, ▬ Hüftkopfnekrosen, ▬ Coxarthrose bei coxa vara, ▬ Adipositas (BMI >30), ▬ Niereninsuffizienz.
123 Kapitel 6.2.4 · Große Gelenke: Oberflächenersatz des Hüftgelenkes: Doppel-Cup-Prothesen
6.2.4
Ergebnisse In unserem eigenen Krankengut haben wir zwischen 12/2003 und 02/2005 bei 16 Patienten (10 Männer, 6 Frauen) mit einem Durchschnittsalter von 40,6 Jahren (19–62 Jahre) 20 Doppel-Cup-Prothesen implantiert (⊡ Abb. 6.18). Diese Zahl ist im Vergleich zu der in unserer Klinik im gleichen Zeitraum implantierten Hüfttotalendoprothesen sehr gering, jedoch spiegelt sie unsere strenge Indikationsstellung zum Oberflächenersatz wider. Verwendet wird das Hüftoberflächenersatz ESKABionik-System (⊡ Abb. 6.19). Das System wird vollständig (Azetabulum- und Femurkopfkomponente) durch die klinisch bewährte Spongiosa-Metal-II-Oberflächenstruktur zementlos eingesetzt. Die Patienten werden regelmäßig postoperativ nach sechs Wochen, drei und sechs Monaten sowie nach einem Jahr klinisch und radiologisch (sechs Wochen und ein Jahr postoperativ) nachuntersucht. Bei einem durchschnittlichen Follow-up von 18 Monaten (2–28 Monate) konnten wir keine Infektion und keine aseptische Lockerung beobachten. Der durchschnittliche Harris-Hip-Score in unserem Patientengut stieg von 52 Punkten präoperativ auf 92 Punkte postoperativ. An Komplikationen traten bei zwei Doppel-Cup-Prothesen eine Schenkelhalsfraktur und eine Pfannendislokalisation auf, die zu einer Revision zur totalen Hüftendoprothese führten. Somit betrug unsere Revisionsrate 10%. Des Weiteren hatten wir eine Luxation, die geschlossen reponiert wurde. Bei den gegenwärtigen angewendeten Doppel-CupProthesen werden Revisionsraten zwischen 2–17% angegeben. Shimmin et al. konnten 3497 Birmingham Cups, die in Australien in mehreren Kliniken bei 3429 Patienten implantiert worden waren, nach einem durchschnittlichen Follow-up von 36 Monaten nachuntersuchen [19]. Sie konnten dabei als Komplikationen 50 Schenkelhalsfrakturen, 12 aseptische Pfannenlockerungen, 4 aseptische Lockerungen der femoralen Komponente, 2 Infektionen und 1 allergische Reaktion nachweisen. Dies entsprach einer Revisionsrate von 2%. In einer weiteren Publikation haben sie diese aufgetretenen Komplikationen genauer analysiert [20]. Es zeigte sich, dass bei den 50 Schenkelhalsfrakturen Frauen mit 1,91% signifikant häufiger betroffen waren als Männer mit 0,98%. 52% der Schenkelhalsfrakturen waren durch »neck notching« (Abschluss der Femurkappe unter Niveau der Schenkelhalskortikalis) bedingt. Bei 82% war zusätzlich die Prothese in VarusPosition implantiert worden.
⊡ Abb. 6.18. G.J. 62 Jahre männlich prä- und postoperativ nach Doppel-Cup Versorgung auf der rechten Seite.
⊡ Abb. 6.19. Hüftoberflächenersatz ESKA- Bionik- System
Über zufriedenstellende Ergebnisse berichteten auch Witzleb et al. Zwischen 1998 und 2004 führten sie insgesamt 420 Implantationen durch. In erster Linie wurde hier die Birmingham-Hip-Resurfacing-TEP, z. T. die DuromProthese (Fa. Zimmer) eingesetzt. Die ersten 238 Patienten wurden in einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 2 Jahren nachuntersucht. Der postoperativ erreichte durchschnittliche Harris-Hip-Score lag wie in unserem Patientengut bei 91–94 Punkten. Die Revisionsrate betrug 2,2% [7]. Ein weiterer Punkt, auf den Witzleb et al. hin-
124
6
Teil III · Anwendung
wiesen, war, dass Patienten, die mit einer so genannten Dysplasiepfanne versorgt worden waren, identische Harris-Hip-Score-Werte erreichen wie Patienten mit einer idiopatischen Coxarthrose und einer Standardpfanne. Die Hüftdysplasie muss somit nicht als Kontraindikation des Oberflächenersatzes angesehen werden. Steven Cuts berichtete 2004 auf dem International Hip Congress in Innsbruck über seine Ergebnisse von 65 Prothesen (60 Patienten). Es traten dabei 5 Schenkelhalsfrakturen, 4 aseptische Pfannenlockerungen und 2 Infektionen auf; dies entsprach einer Revisionsrate von 17%. Laut Amstutz sind die Schenkelhalsfraktur und die aseptische Lockerung der femoralen Komponente gegenwärtig die wesentlichen und damit häufigsten Gründe für eine Revision. Er selbst konnte lediglich fünf Schenkelhalsfrakturen bei 600 Doppel-Cup-Prothesen zwischen 1996 und 2003 beobachten. Diese Schenkelhalsfrakturen wurden analysiert und u. a. histologisch untersucht. Im Wesentlichen kam er zu dem Schluss, dass es multifaktorielle Ursachen sind, die zu einer Schenkelhalsfraktur führen. Unter anderem eine zu ausgedehnte Fräsung des Hüftkopfes, wodurch das Areal der femoralen Kappe nicht komplett mit eingeschlossen werden konnte. Der so freiliegende gefräste Knochen scheint aufgrund von »Stabilitätsverlust« anfälliger für Frakturen zu sein. Bei weiteren Frakturen war die Zementschicht am Dom zu dick, sodass auch hier die Kappe nicht passgerecht aufsaß. Größere Kortikalis nahe Zysten können einbrechen und ebenfalls zur Fraktur führen [21]. Um in Zukunft bei der Anwendung von Doppel-CupProthesen weitere Komplikationen zu vermeiden bzw. zu minimieren, fordern u. a. Beaulé und Mitarbeiter, die Blutversorgung des Hüftkopfes bei der Implantation mehr zu berücksichtigen. Nicht allein die durch »neck notching« bedingten Schenkelhalsfrakturen sind für ihn ein Grund für die z. T. hohen Revisionsraten, sondern auch die operativ bedingte Zerstörung der Gefäßversorgung, die letztendlich zur Nekrosebedingten Lockerung der femoralen Komponente führen kann [22]. Erst mit Hilfe der Angiographie gelang es, die arterielle Versorgung des Hüftkopfes darzustellen. Voraussetzung hierfür waren die morphologischen Untersuchungen an Korrosionspräparaten und postmortalen Angiogrammen durch Hipp [23]. Dabei zeigte sich, das ein Großteil der arteriellen Blutversorgung über den R. profundus der A. circumflexa femoris medialis am Schenkelhals entlang zum Hüftkopf gelangt. Aus diesem R. profundus entspringt der R. nutritius capitis distalis, der sich in mehrere kleine Äste aufteilt
und in den kaudalen Kopfanteil zieht. Die Rr. nutrii capitis proximales versorgen den oberen metaphysären und den lateralen epiphysären Hüftkopfanteil und treten am lateralen Knorpelrand des Kopfes in den Knochen ein. Hier besteht auch die größte Gefahr der Gefäßschädigung während der Präparation des Hüftkopfes. Nur ein Teil des medialen epiphysären Hüftkopfs wird durch die Gefäße im Lig. capitis femoris versorgt [24]. Diese Erkenntnisse sind bei der Implantation eines Oberflächenersatzes von entscheidender Bedeutung, gleichgültig welcher Zugang gewählt wird. Beaulé et al. postulierten, dass es, bedingt durch das Fräsen des Hüftkopfes – insbesondere posterolateral – zu irreversiblen Gefäßschäden im Bereich des Hüftkopfes kommen kann und die Lockerung der femoralen Komponente somit vorprogrammiert ist. Mit Hilfe eines DRT Laser Dopplers haben Beaulé und Mitarbeiter bei Patienten, die einen totalen Hüftgelenkersatzes bekamen, die Durchblutung des Hüftkopfes anterolateral und zentromedial vor und nach Osteotomie des Hüftkopfes gemessen. Dabei konnten sie zeigen, dass die mittlere Blutflussrate des Hüftkopfes durch die Osteotomie um 50% abnahm [22]. Sie folgerten, dass eine Verkleinerung des Hüftkopfes (z. B. durch Fräsen beim Oberflächenersatz) eine ähnlich ausgeprägte Verminderung des Blutflusses im Bereich des Hüftkopfes verursachen kann. In diesem Zusammenhang sei die Untersuchung von de Waal Malefit und Huskies erwähnt [25], die zeigen konnte, dass ein intraoperatives »neck notching« mit einer deutlichen höheren Lockerungsrate der femoralen Komponente assoziiert war (28,6% vs. 6,8%). Interessanterweise kam es in dieser Serie bei keinem dieser Patient zu einer Schenkelhalsfraktur [25].
Diskussion und Fazit Die erste Generation des Oberflächenersatzes ist aufgrund der verwendeten Materialien gescheitert. Während die Komplikationen bei der ersten Generation der Doppel-Cup-Prothesen v. a. im Bereich der Pfanne lokalisiert waren, betreffen die Probleme der jetzigen Prothesengeneration eher die femorale Komponente. Heute stehen uns bessere Instrumentarien, ein besseres Design und mit der Metall-Metall-Paarung eine abriebarme Gleitpaarung zur Verfügung. Trotz zum Teil noch nicht akzeptabler Revisionsraten zeigen die ermutigenden Ergebnisse u. a. von Amstutz,
125 Kapitel 6.2.4 · Große Gelenke: Oberflächenersatz des Hüftgelenkes: Doppel-Cup-Prothesen
dass die Versorgung von jungen Patienten mit Coxarthrose mit einer Doppel-Cup-Prothese eine ernst zunehmende Alternative darstellt. Die hohen Versagerraten der ersten Generation, die Anlass dafür waren, diese Art der Prothesenversorgung Mitte der 80er Jahre wieder zu verlassen, lag sicherlich nicht an der Idee des Oberflächenersatzes, sondern war bedingt durch das Versagen der eingesetzten Materialien. Die Vorteile der Knochenersparnis und die physiologische Krafteinleitung wurde bereits oben erwähnt. Jedoch können diese Vorteile nur einem Teil der Patienten zugute kommen. Denn die Vorausetzung für einen zufrieden stellenden Langzeitverlauf, noch nachzuweisen durch langfristige angelegte Studien, sind zunächst abhängig von einer strengen Indikationsstellung unter Zuhilfenahme des erwähnten Risikoscores. Weitere detaillierte Fehleranalysen sind notwendig, um im Vorfeld die gegenwärtig publizierten Revisionsraten sowie die vorhandenen Komplikationen besser einordnen zu können und somit zu minimieren. Ebenso müssen hinsichtlich der durch Abrieb bedingten erhöhten Serum- und Urinkonzentrationen von Metallionen bessere Langzeitergebnisse vorliegen, um festlegen zu können, ob es sich hier um ein Gefahrenpotential handelt oder nicht. Revisionen werden auch in Zukunft noch notwendig sein, jedoch sind sie, u. a. bedingt durch das modular vorliegende System, einfach und sicher durchzuführen. Die gegenwärtigen Veröffentlichungen in den nichtwissenschaftlichen Medien, die den Einsatz von Doppel-Cup-Prothesen sehr unkritisch begleiten, sind insofern nicht hilfreich, da sie den Patientendruck erhöhen und bei den Patienten falsche Hoffnungen wecken. Unter den genannten Vorrausetzungen kann das Konzept des Oberflächenersatzes einen wichtigen Stellenwert zwischen Osteotomie und Totalendoprothese erlangen und diese Lücke schließen, zumal die Langzeitergebnisse beim jungen Patienten mit totalem Gelenkersatz nicht zufriedenstellend sind.
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6.2.4
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6.2.5 Große Gelenke Spannungsverteilung und Primärstabilität bei vollstrukturierten versus teilstrukturierten Femurkomponenten R. Burgkart, R. Glisson
Zusammenfassung Wesentliche Voraussetzung für eine dauerhafte ossäre Integration eines Implantats ist das Erreichen einer hohen Primärstabilität zum Zeitpunkt der Implantation. Für lange Prothesenstandzeiten ist schließlich die Prävention der implantatnahen Knochenatrophie durch »stress-shielding« von großer Bedeutung. Dazu ist eine möglichst physiologische Krafteinleitung vom Implantat in den benachbarten Knochen notwendig. Ziel der Studie war es, den Einfluss der Ausdehnung der Oberflächenstrukturierung von anatomisch geformten zementfreien Femurstielen mit offenporiger, dreidimensional interkonnektierender Oberfläche (ESKA Implants, Lübeck) auf die beiden Parameter Primärstabilität und Spannungsverteilung exakt in vitro zu quantifizieren. Bei den durchgeführten Versuchen an humanen, gepaarten Femora zeigten sich für die Mikrobewegungen – als bekanntes Maß für die Primärstabilität – keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen vollstrukturierten versus proximal 2/3-strukturierten Femurstielen. Zwar ergaben sich gegenläufige Tendenzen mit kleineren Mikrobewegungen distal für die vollstrukturierten Stiele, während die teilstrukturierten proximal geringere Werte aufwiesen. Alle mittleren Werte waren aber für die klinisch relevante proximale Region <33 µm und zeigten damit gleichermaßen ein hohes Maß an Primärstabilität. Dagegen ergab die Studie, dass die teilstrukturierten Implantate eine physiologischere Oberflächenspannungsverteilung proximomedial am Femurknochen bewirkten und
diese Unterschiede statistisch signifikant waren. Daraus kann als möglicher positiver Effekt der Teilstrukturierung eine verbesserte Lastübertragung vom Prothesenstiel auf den Knochen in diesem Bereich abgeleitet werden. Somit ergibt sich aus der vorgestellten Arbeit, dass – zumindest unter In-vitro-Bedingungen – die reduzierte 2/3-Strukturierung keine Nachteile i. S. der Primärstabilität aufwies und zusätzlich Vorteile gegenüber der Vollstrukturierung bei der Oberflächenspannungsverteilung am Knochen nachgewiesen werden konnten.
Einleitung Bei der Beurteilung der ossären Integrationsfähigkeit der femoralen Komponente eines Hüftendoprothesensystems sind vor allem zwei Merkmale von großer Bedeutung. Zum einen muss sich der Femurstiel durch eine hohe Primärstabilität auszeichnen und andererseits eine optimale Lastübertragung auf das knöcherne Lager gewährleisten. Die Primärstabilität ist dabei essentielle Voraussetzung für eine ossäre Integration bei zementfreien Systemen, da es zu einem Knocheneinbau nur kommen kann, wenn unmittelbar nach der Implantation am Interface zwischen Implantat und Knochen minimale Relativbewegungen auftreten. Pilliar und Mitarbeiter konnten tierexperimentell an Hunden zeigen, dass Relativbewegungen über 150 µm die Bildung von Bindegewebe in der Grenzfläche Implantat-Knochen zur Folge haben [1]. Bei Relativbewegungen unter 28 µm fand die Arbeitsgruppe
127 Kapitel 6.2.5 · Große Gelenke: Spannungsverteilung und Primärstabilität
eine direkte ossäre Integration [1]. Burke et al. konnten ebenfalls tierexperimentell nachweisen, dass sich auch bei Mikrobewegungen von 75 µm regelhaft ein fibröses Interface zwischen Implantat und Knochen ausbildet und eine ossäre Integration bei derartigen Relativbewegungen verhindert wird [2]. Entsprechend gelten Mikrobewegungen kleiner gleich 50 µm als wesentliche Bedingung für eine ossäre Integration eines Implantats. Außerdem konnten verschiedene Arbeitgruppen tierexperimentell zeigen, dass für eine rasche und stabile ossäre Verankerung der Parameter »Porengröße« als Eigenschaft strukturierter Prothesenoberflächen wesentlich ist [3,4]. Bobyn et al. konnten dabei an Hunden 8 Wochen nach Implantation für Porengrößen zwischen 50 und 400 µm die höchsten Scherfestigkeiten nachweisen [3]. Da entsprechend dieser Grundlagenergebnisse die Bedeutung von Primärstabilität und Oberflächenstrukturierung für die ossäre Integration belegt wurde, ergab sich die klinisch relevante, weiterführende Fragestellung, welchen Effekt die Ausdehnung einer rauen Oberflächenstrukturierung des Femurstiels auf die in vitro messbare Primärstabilität hat. Ein Ziel der hier vorliegenden Studie war daher, Differenzen bzgl. der proximalen und distalen Mikrobewegungen zwischen vollstrukturierten und 2/3-oberflächenstrukturierten Femurkomponenten in gepaarten humanen Femurpräparaten zu evaluieren. Das zweite – oben bereits erwähnte – wichtige Merkmal eines knochenbiologisch positiv zu bewertenden Femurstiels ist seine optimale Lastübertragung auf das knöcherne Lager. Durch die Implantation einer Endoprothese wird unweigerlich die mechanische Beanspruchung des proximalen Femurs verändert. Sowohl Über- als auch Unterbelastungen des knöchernen Lagers können zu weitreichenden, klinisch relevanten ossären Veränderungen führen. Hauptproblem am proximalen Femur ist häufig eine Minderlastübertragung vom Implantat auf den Knochen proximomedial am Femur in Höhe des Kalkar. Dadurch bedingt kommt es im weiteren Verlauf zu einem resorptiven Knochenremodelling im Sinne des sog. proximalen »stress shielding« mit den Gefahren der aseptischen Implantatlockerung und periprothetischer Frakturen [5], als Nebeneffekt tritt oftmals eine distale Knochenhypertrophie auf. Um diese Kraftübertragungsphänomene quantitativ erfassen zu können, hat eine Vielzahl von Arbeitsgruppen entweder Finite-Elemente-Analysen (FEM) oder In-vitro-Untersuchen an proximalen Human- bzw. Kunststofffemora mit Dehnmessstreifen
6.2.5
oder seltener photoelastisch untersucht und den Effekt des »stress shielding« nachgewiesen [6–10]. Zur Vermeidung dieser negativen Auswirkungen auf die Knochenstruktur sollte daher das Ziel einer optimierten Femurkomponente eine möglichst physiologische Lastübertragung auf das femorale Knochenlager sein. Neben bereits experimentell nachgewiesenen diesbezüglichen Effekten durch Änderung der Steifigkeit, des geometrischen Designs etc. kann eine weitere Einflussvariable die Ausdehnung der rauen Oberflächenstrukturierung des Femurstiels mit unterschiedlichen Krafteinleitungsorten sein. Das zweite Ziel der hier vorliegenden Studie war daher die In-vitro-Evaluation der Differenzen bzgl. der Spannungsverteilung am proximalen Femur zwischen vollstrukturierten und 2/3-oberflächenstrukturierten Femurkomponenten in gepaarten humanen Femurpräparaten mittels photoelastischer Beschichtungstechnik [9, 12, s. auch Kap. 2.1 »Biomechanische Grundlagen der Implantatverankerung«].
Material und Methode Zehn gepaarte, gefrierkonservierte Humanfemora mit durchschnittlichem Alter von 45,2 ± 7,8 Jahren (Range 24–70) wurden gereinigt, oberflächlich entfettet und mit spannungssensitiver photoelastischer Beschichtung (Pl-8, Measurements Group, Raleigh, NC, USA) überzogen. Messpunkte wurden an der Knochenoberfläche 1 cm proximal und 1, 3, 7, 11 und 15 cm distal des Trochantor minor jeweils medial, anterior, lateral und posterior markiert. Für die Einbeinstandsimulation wurde entsprechend den Angaben von Davy [10] eine axiale Gelenkkontaktkraft von 1500 N mittels eines speziell konstruierten Abduktionszuges eingeleitet (⊡ Abb. 6.20). Die Hauptspannungsdifferenzen (HSD) wurden an den Messpunkten der belasteten intakten Femora ermittelt. Schließlich wurde randomisiert in den rechten bzw. linken Femur entsprechend den Richtlinien des Herstellers eine anatomisch geformte, zementfreie, kragenlose Femurkomponente mit einer vollstrukturierten Oberfläche (Hüftstiel mit »Spongiosametall«-Oberfläche, ESKA Implants, Lübeck) implantiert. Das kontralaterale Femur erhielt ein Implantat aus identischem Material (CoCr) und Stiel-Kerngröße, das allerdings nur in den proximalen zwei Drittel des Stieles eine strukturierte Oberfläche aufwies. Die HSD-Messungen wurden anschließend noch ohne axiale Belastung wiederholt, um den Effekt
128
Teil III · Anwendung
⊡ Abb. 6.21. Versuchsaufbau zur Messung der Relativbewegung zwi-
6
schen Implantat und Knochenlager mittels Wegmesssensoren
⊡ Abb. 6.20. Versuchsaufbau zur Simulation des Einbeinstandes mit eingespanntem anatomischen Femurpräparat, das mit einer photoelastischen Beschichtung versehen wurde
der Implantation im Sinne von Einbauspannungen zu ermitteln. Anschließend erfolgten die HSD-Messungen unter identischen Einbeinstandbedingungen, wie an den intakten Knochen mit 1500 N. Nach Subtraktion der Einbauspannungen wurden die resultierenden HSD mit einliegendem Implantat mit den HSD der intakten Femora verglichen und prozentual ausgewertet. Für die statistische Auswertung erfolgte eine Varianzanalyse (Signifikanzniveau p <0,05). Zur Analyse der Relativbewegungen der Implantatstiele gegenüber den Femora wurden je zwei klei-
ne kortikale Fenster proximal-anterior bzw. -posterior und distal-anterior bzw. -posterior gebohrt und an mit Gewindeaufnahmen vorbereiteten Stellen kleine Metallstifte am Stiel befestigt. Mittels Wegmesssensoren (Instron, USA) konnten dadurch direkt die Relativbewegungen in superior-inferiorer (s-i), anterior-posteriorer (a-p) und medial-lateraler (m-l) Richtung gemessen werden (⊡ Abb. 6.21). Zur Lastsimulation wurde wiederum der Einbeinstand mit axialer Last von 1500 N herangezogen. In einer zweiten Messserie wurden zusätzliche kritische Alltagsbewegungen wie Treppensteigen simuliert. Dazu wurde eine innenrotatorische Torsionslasteinleitung von 5 Nm, 10 Nm und 22 Nm kombiniert mit 1200 N axialer Last mittels einer servohydraulischen Prüfmaschine (Instron 1321, Instron, USA) aufgebracht. Vor den beschriebenen Messserien wurden 1000 axiale Lastzyklen mit einer Oberlast von 1500 N zur Evaluation möglicher Setzvorgänge des Hüftstiels (»Subsidence«-Effekt) durchgeführt und das Einsinken dokumentiert. Für die statistische Auswertung erfolgte wiederum eine Varianzanalyse (Signifikanzniveau p <0,05).
Ergebnisse Direkt unter der Schenkelhalsosteotomie ergaben sich an der proximomedialen Knochenoberfläche für beide Implantatausführungsformen HSD-Werte, die über 80% niedriger als die intakten Kontrollwerte waren (⊡ Abb. 6.22). An allen weiteren medialen Messpunkten verursachten die teilstrukturierten Femurstiele tendenziell weniger
129 Kapitel 6.2.5 · Große Gelenke: Spannungsverteilung und Primärstabilität
6.2.5
⊡ Abb. 6.23. Ergebnisse der proximal gemessenen Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochenlager nach rein axialer (links) und kombinierter axialer und torsionaler Belastung (rechts) [superior-inferior (s-i), anterior-posterior (a-p) und medial-lateral (m-l), Innenrotation mit Wegmessung in m-l Richtung (IR)]
⊡ Abb. 6.22. Ergebnisse der Spannungsanalyse für die medialen Messpunkte (n = 10 Femora). Die Spannungswerte sind als Prozentabweichungen von den Spannungswerten der intakten Femora aufgetragen. Die Nulllinie stellt somit den »physiologischen« Spannungsverlauf dar
Spannungsreduktion als die vollstrukturierten Implantate. 3 cm distal des Trochanter minor war diese Differenz statistisch signifikant (p <0,05) (⊡ Abb. 6.22). Außerdem zeigten sich statistisch signifikante Differenzwerte an den anterioren Messpunkten 11 und 15 cm distal des Trochanter minor mit p-Werten <0,005 bzw. <0,02 respektive. Während an diesen beiden Messpunkten die durchschnittlichen Spannungsgrößen durch die vollstrukturierten Prothesen um 34% bzw. 40% erhöht waren, ergaben sich für die 2/3-strukturierten Stiele lediglich Erniedrigungen von 16% bzw. 38% gegenüber den Normalwerten der intakten Femora. Keine signifikanten Differenzen der Implantate konnten an den posterioren und lateralen Messpunkten festgestellt werden. Bezüglich der Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochenlager zeigten beide untersuchten Oberflächenvarianten proximal und distal gegenläufige Tendenzen. So waren unter sämtlichen untersuchten Lastfällen die durchschnittlichen Mikrobewegungen der teilstruk-
⊡ Abb. 6.24. Ergebnisse der distal gemessenen Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochenlager nach rein axialer (links) und kombinierter axialer und torsionaler Belastung (rechts) [superior-inferior (s-i), anterior-posterior (a-p) und medial-lateral (m-l), Innenrotation mit Wegmessung in m-l Richtung (IR)]
turierten Stiele (≤23 µm) proximal geringer als die der vollstrukturierten Implantate (≤33 µm) (⊡ Abb. 6.23). Distal dagegen ergaben sich niedrigere Relativbewegungen für die vollstrukturierten Stiele mit ≤17 µm vs. den teilstrukturierten Implantaten mit ≤57 µm (⊡ Abb. 6.24). Keine der Unterschiede waren statistisch signifikant (p >0,05).
130
Teil III · Anwendung
Die vorgeschalteten 1000 Lastzyklen zur Erzielung der Setzvorgänge der Stielvarianten ergaben ein Einsinken der Implantate von durchschnittlich 3,5 µm für die vollstrukturierten und 1,2 µm für die teilstrukturierten Prothesen. Diese sehr niedrigen Werte wiesen keine statistisch signifikanten Unterschiede auf.
Schlussfolgerungen
6
Bei beiden untersuchten Stielvarianten wurden erhebliche Reduktionen der Hauptspannungsdifferenzen proximomedial direkt unter der Schenkelhalsosteotomie im Vergleich zur analog gemessenen »physiologischen« Spannungsverteilung der intakten Femora gemessen. Diese Ergebnisse sprechen für eine geringe Lastübertragung in diesem Bereich und sind im Sinne des sog. »stress shielding« zu interpretieren. Allerdings ist auf Grund des kragenlosen Designs der Komponenten direkt unter der Osteotomieebene auch aus rein biomechanischen Gründen nur sehr eingeschränkt per se ein Lasttransfer über Scherkräfte möglich. Entsprechende Ergebnisse wurden ebenso mit anderen zementfreien, kragenlosen Endoprothesensystemen erhoben, wobei allerdings nur wenige Arbeitsgruppen analog unseres Untersuchungsaufbaues direkt unter – d. h. im Mittel 1 cm distal – der Osteotomieebene Messungen vorgenommen haben [11, 12]. Bereits am nächsten proximomedialen Messpunkt, der sich 1 cm unter dem Trochanter minor befand (⊡ Abb. 6.22), verursachte der teilstrukturierte Stiel nur noch 29% Spannungsreduktion im Vergleich zu den Normalwerten. Auch bei allen weiteren Messpunkten auf der medialen Seite erreichte der teilstrukturierte Stiel tendenziell eine Spannungsverteilung die um Faktor 1,5 bis 2 näher an den physiologischen Werten war als bei dem vollstrukturierten Implantat. Dieser Unterschied war 3 cm distal des Trochanter minor auch statistisch signifikant. Diese Untersuchungsergebnisse korrespondieren mit den Erkenntnissen aus zahlreichen klinischen Studien, die bei anfänglich häufig verwendeten vollstrukturierten Stieldesigns ausgeprägte, proximomediale Knochenresorptionen im Sinne des »stress shieldings« regelhaft radiologisch nachweisen konnten [13]. Um diese negativen Knochenumbauvorgänge zu verhindern, wurden proximal teilstrukturierte Stiele entwickelt, um aus theoretischen Überlegungen heraus distal weniger und proximal mehr Kraft auf das ossäre Lager zu übertragen. Wie in
unseren In-vitro-Untersuchungen auch quantitativ belegbar, ist dieses Konzept für die hier untersuchten Implantatversionen korrekt. Zwar beziehen sich die Messdaten auf Hauptspannungsdifferenzen, aber dennoch kann daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass die teilstrukturierten Stiele eine höhere proximale Kraftübertragung bewirken und dadurch einen physiologischeren Lasttransfer als vollstrukturierte Komponenten vom Implantat auf den Knochen ermöglichen. Dadurch wird die biomechanische Vorraussetzung geschaffen, um die negativen Stress-shielding-Effekte zu vermeiden, womit aus knochenbiologischer Sicht in der vorgestellten Studie die teilstrukturierte Variante der vollstrukturierten überlegen ist. Die erhöhten Spannungswerte, die anterodistal von den vollstrukturierten Stielen verursacht wurden, sind wahrscheinlich durch den verstärkten Knochen-Implantat-Kontakt in dieser Region bedingt, da diese Implantate einen größeren Durchmesser durch die zusätzliche distale Oberflächenstrukturierung aufweisen. Durch die flächendeckende Analyse der Oberflächenspannung mittels photoelastischem Verfahren zeigten sich außerdem regelhaft lokalisierte, fleckförmige Areale mit hohen Spannungswerten vor allem am metadiaphysären Übergang des proximalen Femurs bei beiden Stielvarianten gleichermaßen. Wie auch schon in früheren Publikationen beschrieben, sind umschriebene Regionen mit verstärktem Implantat-Endost-Kontakt dafür verantwortlich, kombiniert mit der Induktion hoher Ringspannungen auf Grund eines »Keileffekts« der sich verjüngenden Stiele im proximalen Drittel [11, 14]. Der zweite Teil der In-vitro-Testung bezog sich auf die Beurteilung der Unterschiede bezüglich der Primärstabilität. Relevante Messgröße hierfür waren die Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochenlager unter physiologischen Lastbedingungen, in unserem Testaufbau eine axiale Lastsimulation analog des Einbeinstandes sowie einer kombinierten Lasteinleitung von verschiedenen Torsionskräften im Sinne einer Innenrotation mit einer axialen Kraft. Grundsätzlich ergab sich unter sämtlichen Belastungsbedingungen für die gemessenen Relativbewegungen kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den teil- und den vollstrukturierten Stielen. Die gegenläufigen Trends für die proximalen und distalen Mikrobewegungswerte der beiden Implantatversionen sind aus knochenbiologischer Sicht ohne Bedeutung, da sämtliche proximale Werte deutlich unter der »50-µm-Grenze« liegen, die experimentell als
131 Kapitel 6.2.5 · Große Gelenke: Spannungsverteilung und Primärstabilität
Vorraussetzung für eine ossäre Integration gefunden wurde [1, 2]. Sogar bei hohen Torsionsmomenten von 22 Nm, die bekanntermaßen Herausforderungen für die Primärstabilität von femoralen Komponenten darstellen, waren die mittleren Relativbewegungen der teilstrukturierten Stiele <25 µm und die der vollstrukturierten <29 µm. Grundsätzlich lassen sich die tendenziell niedrigeren Mikrobewegungswerte der teilstrukturierten Komponenten biomechanisch einfach erklären, da diese analog zu den Spannungsdaten proximal einen engeren Implantat-Knochen-Kontakt haben, der zu einer erhöhten Krafteinleitung und gleichzeitigen Fixation proximal führt. Auf Grund der distal glatten Prothesenoberfläche der teilstrukturierten Stiele mit gleichzeitig geringerem Durchmesser auf Grund des Fehlens der Oberflächenstrukturierung ist distal der gegenläufige Effekt mit vermehrten Relativbewegungen zu beobachten. Der durchschnittlich höchste mittlere Wert lag dabei für Bewegungen in der mediolateralen Ebene bei ca. 57 µm. Dieser Wert zeigte zwar, dass das glatte distale Prothesendrittel unter Last distal vermehrt nachgibt, aber gleichzeitig in der klinisch wesentlich relevanteren proximalen Region mit mittleren Bewegungswerten von 17 µm und kleiner Standardabweichung (± 5) äußerst stabil verankert ist. Generell sind die gemessenen Relativbewegungen der hier untersuchten zementfreien Endoprothesenversionen unter Einbeinstandbedingungen vergleichbar zu Daten von früheren Studien von Seejong (30 µm) [15], Burke (10 µm) [16], Whiteside (10 µm) [17], O´Connor (12– 17 µm) [18] und Walker (7–26 µm) [19]. Zusammenfassend zeigt die vorgestellte Studie einen deutlichen, in vitro verifizierbaren Effekt der Ausdehnung der Oberflächenstrukturierung von zementfreien femoralen Endoprothesenstielen. Bezüglich der Relativbewegungen gab es keinen signifikanten Unterschied beider untersuchter Stielvarianten und sämtliche Werte wiesen Primärstabilitäten aus, die eine ossäre Integration ermöglichen. Bei der Beurteilung der Lastübertragung zeigte sich allerdings eine tendenzielle Überlegenheit des teilstrukturierten Stieldesigns mit physiologischerer Spannungsverteilung im Vergleich zur vollstrukturierten Variante. Proximomedial – 3 cm unter dem Trochanter minor – war dieser Unterschied auch statistisch signifikant. Fasst man die Effekte der Mikrobewegungsanalyse und der Spannungsoptik zusammen, ist als Fazit der Einsatz proximal teilstrukturierter Prothesenstiele als vorteilhaft anzusehen.
6.2.5
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6.3 Große Gelenke Kniegelenk J. Scholz
Zusammenfassung Die knöcherne Integration zementfrei verankerter Kniegelenktotalendoprothesen unterscheidet sich von sämtlichen anderen Kunstgelenken durch die unterschiedliche Mechanik der Gelenksysteme, die vom unikondylären Schlitten bis zur Starrachsprothese variiert. Zusätzlich zeigen die aktuellen Analysen der Biomechanik des Kniegelenks einen deutlich komplexeren Bewegungsablauf als dies bisher angenommen wurde. Dies hat aufgrund der komplexen Krafteinleitungen in das Gelenksystem mit dem Auftreten von axialen Druck-, Dreh- und Scherkräften einen erheblichen Einfluss auf die primäre Stabilität des Systems und somit auf die knöcherne Integration. Diese kann nur dann erwartet werden, wenn primär stabile Verhältnisse geschaffen und Mikrobewegungen, insbesondere der Tibiakomponenten, vermieden werden. Sowohl Prothesendesign als auch Oberflächengestaltung und insbesondere eine korrekte achsgerechte Implantation sind hierfür maßgeblich.
Einleitung Die dauerhaft stabile Verankerung von zementfrei implantierten Kniegelenktotalendoprothesen ist ein komplexes Geschehen mit multifaktoriellen Einflüssen. Im Gegensatz zur Hüftgelenkendoprothetik ergeben sich größere Unterschiede im Design der Implantate, mit dem monokondylären Schlitten beginnend und bis zum starrachsig
geführten Gelenk reichend. Die hieraus resultierenden höchst differenten Freiheitsgrade ergeben völlig unterschiedliche Krafteinleitungen in das knöcherne Lager und auf die Polyethylengleitflächen. Hiervon werden sowohl die zur Osteointegration notwendige Primärstabilität als auch die Dauerhaftigkeit der Verankerung durch sekundäre, abriebbedingte Osteolysen beeinflusst.
Biomechanik des Kniegelenkes Die Kenntnisse über die Biomechanik des Kniegelenkes haben sich durch die Beobachtungen mit der dynamischen Magnetresonanztomographie [1] gewandelt (⊡ Abb. 6.25). Ging man früher auf der Basis der Arbeiten von Menschik [2] von einem komplexen Rollgleitvorgang aus, der im lateralen und im medialen Kompartment in ähnlicher Form abläuft, so ist dies dahingehend zu revidieren, dass mediales und laterales Kompartment unterschiedlich in den Bewegungsablauf integriert sind. Während der mediale Kondylus beim Beugevorgang nur einen kurzen Gleitweg nach dorsal beschreitet und dann in eine Rotationsbewegung übergeht, ist der Gleitweg des lateralen Kondylus wesentlich länger und das Rotationsmoment entsprechend kleiner. Hiervon werden die axialen, die Dreh- und die Scherkräfte bestimmt, die zudem erheblich durch die Varus-/Valgusausrichtung des Gelenkes variieren. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Osteointegration einer Kniegelenkendoprothese von biomechanischen Aspekten deutlicher beeinflusst, als dies z. B. für das Hüftgelenk gilt, da dieses einen festen Drehpunkt besitzt.
133 Kapitel 6.3 · Große Gelenke: Kniegelenk
6.3
täten diese zusätzliche Führung des Gelenks erfordern. Je nach Schweregrad der präoperativen Ausgangssituation übernimmt eine »lose geführte« oder eine »starr geführte« Achse die Stabilisierungsaufgabe, wobei die lose geführte Achse auch bis zu einem gewissen Grad eine Rotation ermöglicht. Die Verankerung dieser Implantate in Tibia und Femur erfolgen intramedullär über längere Stiele von unterschiedlicher Dicke und Formgebung.
Oberflächendesign
⊡ Abb. 6.25. Dynamische MRT-Analyse des Bewegungsablaufes im Kniegelenk [1]. Femoral ER = Femorale Außenrotation
In der Kniegelenksendoprothetik wird fast ausschließlich die Materialkombination einer Kobaltbasislegierung femoral mit einer Tibiagelenkfläche aus Polyethylen eingesetzt. Die Tibiagelenkfläche ist über ein metallisches Plateau im Knochen fixiert. Die metallischen Implantate zur Verankerung im Knochen sind an ihrer Rückseite mit einer strukturierten Oberfläche versehen, um eine ossäre Integration zu erleichtern. Keramikimplantate werden derzeit nur experimentell eingesetzt.
Prothesendesign Kniegelenkimplantate stehen als monokondyläre und bikondyläre Schlittenendoprothesen mit feststehendem oder beweglichem Polyethylenplateau und als achsgeführte Implantate mit variablem oder fixiertem Drehzentrum zur Verfügung. Zementlos verankerte monokondyläre Schlitten finden nur eine sehr begrenzte Anwendung, da die primäre stabile Verankerung problematisch ist. Als minimale endoprothetische Versorgung gewinnt der zementierte Monoschlitten – zumindest als temporäre Lösung – neue Bedeutung. Bei den bikondylären Prothesenmodellen wird zwischen »unconstrained« (keine Achsführung), »semi-constrained« (lose Achsführung) und »constrained« (starre Achsführung) unterschieden. Die femorale Komponente ist überwiegend durch zwei kleine Zapfen und durch die großflächige stabile Auflage auf den meist fünf Schnittebenen formadaptiert. Die Tibiakomponenten bestehen aus einer dem Tibiakopf aufliegenden Platte und einem im Design unterschiedlich gestalteten Stiel mit einer meist flügelartigen Rotationssicherung. Die primäre Stabilität kann auch durch zusätzliche Schraubenfixation erhöht werden. Achsgeführte Implantate kommen dann zur Anwendung, wenn erhebliche Deformitäten oder Bandinstabili-
Einflüsse der auf das Kniegelenk einwirkenden Kraftmomente auf die Osteointegration Auf das Kniegelenk wirken axiale, Dreh- und Scherkräfte ein. Diese Kräfte müssen von dem Gelenkimplantat auf den Knochen übertragen werden. Gleichzeitig ist die primäre Stabilität der Komponenten zwingende Voraussetzung für die Osteointegration. Sowohl Primär- als auch Sekundärstabilität sind femoral besser zu erreichen als tibial. Klinische Studien zeigen bei zementfrei verankerten Oberflächenprothesen tibial deutlich höhere Lockerungsraten [3]. Analysen der gelockerten Implantate zeigten einen mangelhaften knöchernen Einwuchs. In einer weiteren Studie konnte für mikroporöse Oberflächen nur in einer Ausdehnung von 2–10% der Oberfläche eine knöcherne Fixation gefunden werden [4]. Trotz dieser ungünstigen Werte können auch solche Implantate über einen längeren Zeitraum klinisch ohne Symptome bleiben. Trotzdem muss es Ziel sein, das Knocheneinwuchsverhalten zu verbessern, um eine langfristige Implantatstabilität zu erreichen. Neben den designspezifischen Faktoren, Material, Oberflächenstruktur und Oberflächenbeschichtung beeinflusst die primäre Stabilität die Osteointegration wesentlich. Mikrobewegungen der Implantatkomponenten
134
6
Teil III · Anwendung
lassen den Knocheneinwuchs scheitern und führen zur bindegewebigen Verankerung. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass eine Bewegungsamplitude von 150 µm zur ausschließlich bindegewebigen Verankerung führt [5]. Die primäre Stabilität wird durch Kräfte auf das Kniegelenk beeinflusst, die sich wie folgt beschreiben lassen: In der Gangphase variieren die reinen Druckkräfte, bezogen auf die einzelnen Kompartimente des Kniegelenks. Sie erreichen lateral das einfache und medial 180% des Körpergewichts [6]. Diese Druckkräfte steigern sich, wenn die Lasteinleitung sich in der Sagittalebene verschiebt, was insbesondere bei Varus-/Valgusfehlpositionierungen eines Implantats oder bei Überstreckung des Gelenks der Fall ist. Die posteroanterioren Scherkräfte wurden von Piliar und Mitarbeitern mit dem zweifachen Körpergewicht berechnet [5]. Harrington gab für Drehkräfte einen Wert von 8–9 N an [7]. Dies bedeutet, dass während des Gehens auf ein Kniegelenkimplantat Biegelastwechsel einwirken, die zwischen dem halben und dem zweifachen Körpergewicht schwanken. Die Scherkräfte variieren in Abhängigkeit von der Bewegungsfreiheit der Femurkondylen auf dem Tibiaplateau und erreichen bei stark formadaptierten Gelenkflächen oder Achsführungen 100–220 N [8]. Demgegenüber sind die Einflüsse der Drehkräfte mit 8–9 N auf das knöcherne Lager gering. Aus diesen Daten folgt, dass die primäre Stabilität eines Knieimplantats auch davon abhängt, inwieweit die physiologischen Kräfte auf das Kniegelenk vom Implantatdesign und der Positionierung der Implantatteile im Knochen berücksichtigt werden. Designvariationen am Implantat sind v. a. in der Formgebung der Gleitflächen und der Gestaltung des Stieles der Tibiakomponente möglich. Für fixierte Tibiaplateaus gilt, dass die Scherkräfte umso größer sind, je größer die Formschlüssigkeit ist. Steven und Mitarbeiter haben experimentell die Mikrobewegungen von Tibiakomponenten bikondylärer Schlittenendoprothesen ohne, mit kurzem und mit langem Stiel überprüft [9]. Dabei zeigte sich erstaunlicherweise für alle Gelenkabschnitte, dass der Stiel keinen positiven Einfluss auf die Primärstabilität hatte. Das stielfreie Implantat wies die geringsten und das Implantat mit dem längsten Stiel die größten Mikrobewegungen auf. Die Ursache hierfür konnte nicht eindeutig analysiert werden. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass eine primäre Aufsockelung und Verklemmung des Stiels distal im Knochen hierfür ursächlich ist.
Alleine aus diesen Darstellungen wäre zu fordern, dass eine zementfrei zu verankernde, bikondyläre Schlittenendoprothese eine möglichst große Bewegungsfreiheit der Femurkondylen auf dem Tibiaplateau haben muss, und dass die tibiale Komponente ohne oder mit sehr kurzem Stiel verankert sein sollte. Mobile Polyethylenplateaus sind in der Lage, Kraftspitzen abzufangen.
Einfluss durch die OP-Technik Jeffrey und Mitarbeiter berichteten, dass bereits eine Achsabweichung um mehr als 3° bzw. 4° in einer Ebene von der Mikulicz-Linie zu dramatischen Lockerungsraten führen [10]. Nach 10 Jahren zeigten sich 12% der Implantate gelockert, bei denen die Mikulicz-Linie außerhalb des medianen Korridors lag. Auch aus diesem Gesichtspunkt verzeiht das Kniegelenkimplantat Fehlpositionierungen deutlich weniger als dies für andere Gelenke gilt. Ursächlich ist eine Erhöhung und Verlagerung der axialen Kräfte nach medial oder lateral und eine Steigerung der Kraftschwankungen beim Transfer der Kräfte von medial nach lateral in der Gangphase. Auch Positionierungen der Implantate mit folgender Hyperextension in der Standphase belasten das Implantatlager unverhältnismäßig. Die Industrie hat folgerichtig versucht, die Instrumente zur korrekten Implantation von Kniegelenkendoprothesen zu optimieren, was teilweise jedoch zu einer Verkomplizierung der Systeme geführt hat. Trotzdem ist festzustellen, dass die Fehlerquote selbst bei routinierten Operateuren hoch ist und somit die Prognosen für das Implantat verschlechtert. Auch eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass trotz aufwendigen Instrumentariums das Einhalten des 4°-Korridors für die Mikulicz-Linie nur in 68% der Fälle möglich war. Durch die Einführung der Navigation konnte die Präzision für die Positionierung der Implantate deutlich gesteigert werden [11]. Der 4°-Korridor für die MikuliczLinie wird in 94–96% eingehalten, was auf die einwirkenden axialen Kräfte und somit die primäre Stabilität einen großen Einfluss hat. Das Gleiche gilt für die Platzierung der Implantatteile zueinander, die physiologische Neigung der tibialen Gelenkflächen nach dorsal, die Rotation der Femurkomponente und das im Bild kontrollierbare Ligament-Balancing. Einen Unterschied im Wert von Navigationssystemen auf CT-Basis oder auf Infrarotlichtreflexionsbasis ergibt sich bisher aus der Literatur nicht.
6.3
135 Kapitel 6.3 · Große Gelenke: Kniegelenk
Erfahrungen mit dem ESKA-Kniegelenksystem: Bikondyläre Schlittenendoprothese mit metallspongiöser Oberflächenstruktur und fixiertem bzw. mobilem Polyäthylenplateau In der Zeit von November 1996 bis November 2003 wurden bei 189 Patienten insgesamt 216 bikondyläre Schlittenendoprothesen mit metallspongiöser Oberfläche implantiert. 99-mal kam das Modell ST mit festem Polyethylenplateau, 117-mal das Modell mit RP mit Rotationsplateau zur Anwendung. Die durchschnittliche Nachuntersuchungszeit betrug 1,7 Jahre. Die klinischen Nachuntersuchungsergebnisse nach dem HSS-Score ergaben einen durchschnittlichen Wert von 86 Punkten für das ST-Modell und 91 Punkten für das RP-Modell. Die durchschnittliche Beugefähigkeit lag bei freier Streckung für die ST-Gruppe bei 100°, für die RP-Gruppe bei 114°. Bedeutsamer für die Frage der knöchernen Integration ist jedoch die Analyse der zum Nachuntersuchungszeitpunkt gefertigten Röntgenaufnahmen. Diese Röntgenaufnahmen zeigten, dass bezüglich der korrekten Positionierung der Implantate in Projektion auf die Mikulicz-Linie dieses im 4°-Korridor in 68% der Fälle gelungen war. Fehlpositionierungen des femoralen Implantates mit Notching an der ventralen Kortikalis traten in 2 Fällen auf. Der tibiale Slope betrug bei den ST-Modellen 3°
(integriert im Polyethylenplateau), bei den RP-Modellen durchschnittlich 2°. Zur Beurteilung von Positionsveränderungen oder Lysesäumen wurden das Femur in der seitlichen Aufnahme in drei Zonen (ventrales Femurschild, Region der Zapfen und dorsale Kondylen), die Tibia a.-p. und seitlich in fünf Zonen (Tibiaplateau ventral und dorsal, medial und lateral und Umgebung des Stieles) eingeteilt. Beurteilt wurden Sklerosezonen, Lysesäume ab 2 mm und Positionsveränderungen (⊡ Tabelle 6.8).
⊡ Tabelle 6.8. Radiologische Ergebnisse Implantate (n=216)
Sklerose
Lysesaum
Positionsänderung
Femur ventral
3
10
0
Femur dorsal
4
0
0
Region der Zapfen
0
0
0
Tibia ventral
11
1
1
Tibia dorsal
14
1
1
Tibia medial
10
1
1
Tibia lateral
12
0
0
Region des Stieles
1
1
1
⊡ Abb. 6.26. ESKA modulares Kniesystem – Oberflächenersatz Typ ST (starres tibiales Plateau) und RP (tibiales Rotationsplateau)
136
Teil III · Anwendung
Ergebnis der Analyse der Röntgenaufnahmen Statistisch signifikante Unterschiede ergaben sich in der ST- bzw. RP-Gruppe nicht. Die Zahlen belegen jedoch, dass es lediglich zu einer aseptischen Lockerung gekommen ist. In allen anderen 215 Fällen konnte weder eine Positionsveränderung der Implantatteile noch ein Lysesaum im Bereich der Tibia festgestellt werden. Die Lysesäume am ventralen Femurschild belegen die fehlende Druckbelastung des Knochens an dieser Stelle. Eine klinische Relevanz konnte hiervon jedoch nicht abgeleitet werden.
6
Fazit Die besonderen biomechanischen Gegebenheiten des Kniegelenks beeinflussen die Osteointegration von Kniegelenkendoprothesen erheblich. Biegelastwechsel und eine vom Beugeausmaß abhängig wandernde Druckbelastung erfordern ein Implantatdesign und eine Präzision bei der Implantation, die die primäre Stabilität als Voraussetzung für die Osteointegration sicherstellen. Navigationssysteme sind äußerst hilfreich, die korrekte Position des Kunstgelenks zu sichern, und helfen somit, Krafteinleitungen zu vermeiden, die zu Mikrobewegungen oberhalb der Toleranzgrenze führen. Auch das Implantatdesign muss diesen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Sowohl die modulare bikondyläre Oberflächenersatzprothese ST als auch RP erfüllen diese Voraussetzungen und haben in einer Studie gezeigt, dass in 215 von 216 Fällen eine knöcherne Integration radiologisch nachzuweisen war.
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6.4 Große Gelenke Sprunggelenk J. Rudigier
Zusammenfassung Die Problematik zementierter Endoprothesen der 1970er Jahre mit z. T. destruierenden Lockerungen ließ bis zur Entwicklung zementfreier Endoprothesen die Arthrodese als alleinig sinnvolle Maßnahme zur Behandlung der OSGArthrose erscheinen. Die zementfrei zu implantierende ESKA-Endoprothese mit völlig neuem Verankerungskonzept verdrängte die Arthrodese in der eigenen Klinik fast vollständig. In einer über 16-jährigen Erfahrungszeit (seit 1990) waren neben insgesamt sehr guten Ergebnissen extrem wenig Lockerungen zu beobachten. Verantwortlich hierfür dürfte neben dem biomechanisch schlüssigen Oberflächendesign auch die mögliche »knöcherne Integration« an der Knochenkontaktfläche sein. Unter Beachtung einer adäquaten Indikationsstellung ist von einer 87%igen Integrationsrate auszugehen.
Einleitung Bei Arthrosen des oberen Sprunggelenks konnte sich die Endoprothetik im Gegensatz zu Hüfte und Knie zunächst nicht als Standardverfahren etablieren, obwohl erste Endoprothesen mit z. T. abenteuerlichem Design bereits Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre implantiert wurden [1, 2]. Die Entwicklung weiterer Modelle in zylindrischer, sphärischer und multidirektionaler Ausführung änderte daran nichts [3–5]. Bis zu Beginn der
1990er Jahre wurden die Endoprothesen überwiegend mit Knochenzement verankert. Das Prothesendesign berücksichtigte nicht ausreichend die Scherkräfte an der Implantat-Knochen-Grenze. Eine knöcherne Integration war bei keiner dieser Prothesen möglich. Infektionen, frühzeitige Lockerungen, Einsinken der Prothesenkomponenten und Knochennekrosen [3–5] mit ausgedehnten Knochendefekten waren die Folge. Daher wurde vor allem in Deutschland die Arthrodese des oberen Sprunggelenkes als Methode der Wahl bevorzugt [6, 7]. Eine Ausnahme war die Rheumachirurgie [5]. Ein erster neuer erfolgsträchtiger Ansatz war die zementfreie LCS-Endoprothese »New Jersey low contact stress« von Büchel und Pappas [8], die zwar seit 1981 implantiert wurde, über die aber erst seit 1988 Publikationen vorliegen. Sie wird zementfrei implantiert und besitzt zwischen den im Knochen fixierten Tibia- und Taluskomponenten ein bewegliches Mittelteil aus Polyethylen. Dieser Polyethylenmeniskus dient der Ableitung der Scherkräfte, verursacht aber gewisse Schwierigkeiten bei der Stabilisierung des Gelenks. Sie kann als Mutter aller zementfreien Drei-Komponenten-Endoprothesen betrachtet werden, die Mitte der 1990er Jahren aus Skandinavien (STAR) [9–11] oder den USA (Buechel-Pappas) [8] in Deutschland eingeführt wurden. Modifikationen dieser Prothesenart kamen aus Frankreich (Salto) und der Schweiz (Hintegra) hinzu [12]. In der desolaten Situation der 1980er Jahre und ohne zunächst die LCS-Prothese von Büchel und Pappas zu kennen wurde vom Autor gemeinsam mit Dr. Hans
138
Teil III · Anwendung
Grundei (Firma S&G, später ESKA-Implants) seit 1985 eine zementfreie Zweikomponentenendoprothese – versehen mit den bekannten eine ossäre Integration ermöglichenden Oberflächenstrukturen – entwickelt, die nach zahlreichen anatomischen und biomechanischen Studien 1990 zur Implantationsreife gelangte [13]. Sie erfuhr bei gleichbleibendem Grundkonzept 1993 und 1998 Verbesserungen, die die Materialstärke und die Handhabung betrafen, und eine kontinuierliche Optimierung des Instrumentariums und der Implantationstechnik.
6
Konzept der ESKA – Endoprothese Die ESKA-Sprunggelenksendoprothese war eine echte Neuentwicklung, bei der Scherkräfte durch eine firstartige Oberflächengestaltung im Tibia- und Talusteil vermieden werden und die Oberfläche eine enge knöcherne Verzahnung zum Knochen des Implantatlagers erlaubt. Im Einzelnen wurden bei der Entwicklung folgende Faktoren berücksichtigt: 1. Oberflächengestaltung: Die tragenden spongiösen Strukturen des Implantatlagers sollen durch die zementfreie Verankerung möglichst gering geschwächt werden. 2. Die Implantatoberfläche soll eine stabile knöcherne Einheilung gewährleisten. Dies wurde realisiert durch die charakteristische Tripodenoberfläche (⊡ Abb. 6.27). 3. Zur Vermeidung von Scherkräften und damit von aseptischen Lockerungen sollen die Spongiosatrabekel der Tibia und des Talus weitgehend senkrecht auf die Implantatkontaktfläche auftreffen, daher das firstartige Design des Implantats (⊡ Abb. 6.28). 4. Bei eventuellem Verschleiß soll das Polyäthylenteil unabhängig von den Verankerungskomponenten und damit ohne Schädigung des Knochenlagers austauschbar sein. 5. Auf eine gute Seitenstabilität und eine Entlastung des Innen- und Außenknöchels war zu achten. Sie wird dadurch erreicht, dass der von Natur vorgegebene sagittale Knochengrat in der Mitte der Tibiagelenkfläche (individuell unterschiedlich ausgebildet), der mit einer angedeuteten Längsrinne in der Mitte der Gelenkfläche des Talus korrespondiert, sich in verstärkter Form im Prothesendesign wiederfindet (⊡ Abb. 6.27b).
⊡ Abb. 6.27a,b. ESKA-OSG-Endoprothese: a halbseitlich (mit Tripoden besetzter Oberflächenstruktur); b von vorne (sichtbar sind die Führungsrille im PE-Teil und die korrespondierende Rinne im Talusteil)
6. Die Gefäßversorgung des Talus, die überwiegend von distal erfolgt, darf nicht beeinträchtigt werden (Pfeile ↑ in ⊡ Abb. 6.28b). Die nach diesen Richtlinien konzipierte Endoprothese wurde im eigenen Haus zwischen Februar 1990 und Februar 2005 bei 153 Patienten mit besten Erfahrungen implantiert (anfänglich 2- bis 4-mal, zuletzt 30- bis 42mal pro Jahr). Die Implantation erfolgt wegen der Firstform und den queren zentralen Verankerungsstegen in beiden Komponenten von ventrolateral über eine Außenknöchel- oder in Sonderfällen Innenknöchelosteotomie. Die zugangsbedingte Osteotomie ist meist nach 6–8 Wochen geheilt. Ein Zielgerät zur Achsenausrichtung und 6 Schablonen erlauben ein exaktes achsengerechtes Positionieren der Prothesenkomponenten. Nachbehandelt wird 2 Wochen in einem geschalten Unterschenkelgips in Neutralstellung des Sprunggelenkes. Einmal täglich wird ab dem 6. Tag aus der Gipsschiene heraus aktiv und passiv geübt. Danach darf der Patient in einem Gehgips voll belasten. Zu Beginn der 7. postoperativen Woche wird der Gehgips entfernt und die Belastung auf das halbe Körpergewicht zurückgenommen. Der Patient steigert anschließend wöchentlich bei Verwendung von 2 Unterarmgehstützen die Belastung bis zur 12. Woche. Ab diesem Zeitpunkt gehen bereits 95% der Patienten ohne Unterarmgehstützen. Über die Indikationsstellung, die dank der besseren Führung weiter als bei Meniskusendoprothesen gestellt werden kann, die Operationstechnik und die Ergebnisse (⊡ Abb. 6.29 und 6.30) mit auffallend geringen Lockerungsraten wurde bereits ausführlich publiziert [13–15].
139 Kapitel 6.4 · Große Gelenke: Sprunggelenk
6.4
a
b
⊡ Abb. 6.28a–c. Merkmale der Prosthese: a Der Winkel von 155° an der Knochenkontaktoberfläche der Tibiakomponente; b die radiale Ausrichtung der Knochentrabekel und ihr weitgehend senkrechtes Auftreffen auf die Prothesenoberfläche; die intramedulläre und subta-
Zur knöchernen Integration an der Knochen-Implantat-Grenze Grundsätzlich ist zu fragen: Findet bei dieser OSG-Prothese tatsächlich eine knöcherne Integration in ihre Oberflächenstruktur statt oder nur eine bindegewebige? Wenn ja, immer oder bei welchem Prozentsatz überhaupt? Welche Faktoren – Lebensalter, Begleiterkrankungen (Diabetes, Leberzirrhose), Aktivität, Ursache der Arthrose (posttraumatisch, chronische Polyarthritis, genuine Arthrose) – beeinflussen das Einwachsen von Knochen in die Oberflächenstruktur? Wechseloperationen würden direkte morphologische Aussagen ermöglichen. Jedoch ist ihre Zahl mit bisher
c lare Gefäßversorgung (↑) bleibt unberührt; c die radiologische Bestätigung des senkrechten Auftreffens der Trabekelstrukturen (hier: 2 Jahre nach der Implantation)
8 bei 152 eigenen Implantationen in 16 Jahren und 2 weiteren nach auswärtigen Implantationen sehr gering. Weiterhin sind die Gründe, die den Wechsel verursachen, meist von sich aus für eine fehlende knöcherne Integration verantwortlich (z. B. Infektion, Fehlbelastung der Prothesenkomponenten, problematisches Implantatlager). Streng genommen erlauben nur Wechsel, die bei weiterbestehender Schmerzsymptomatik erfolgen, eine sichere Aussage. Dies trifft allerdings nur in einem einzigen Fall zu. Daher müssen vor allem die indirekten Aussagen der radiologischen Verlaufsbeobachtungen für die Beantwortung der Integrationsfrage herangezogen werden.
140
Teil III · Anwendung
80 77
n=90
70
68 60 50 40
6
30 27
20
21
10
2
5 0 < 1000 m
1000-5000 m
> 5000 m
⊡ Abb. 6.29. Verbesserung der schmerzfreien Gehstrecken nach Implantation einer OSG-Endoprothese (postoperativ: weiße Säule)
Überlebensraten in % 100 90
100 89
80
83
70 60 50 40 30 20 10 0 1- 5 Jahre (n=78)
5-10 Jahre (n=18)
> 10 Jahre (n=12)
⊡ Abb. 6.30. Intakte Endoprothesen nach Implantationsdauer (eigenes Krankengut in %, Stand Februar 2006)
141 Kapitel 6.4 · Große Gelenke: Sprunggelenk
6.4
Aussagen aufgrund von Wechseloperationen In den ⊡ Tabellen 6.9 und 6.10 sind unsere Wechseloperationen dargestellt (einschließlich auswärtig implantierter ESKA-Endoprothesen). Die Zusammenstellung zeigt, dass zum Zeitpunkt des Prothesenausbaus (Umwandlung in Arthrodese oder Wechsel) bei Infektsituationen keine knöcherne Integration vorlag, unabhängig vom Zeitpunkt der Implantation. Dies gilt auch für den einen Ausbau bei chronischer Polyarthritis. Materialermüdungen, die entweder die erste Serie betrafen oder denen ein zur Fehlbelastung führender Implantationsfehler zugrunde lag, zeigten ebenfalls keinerlei knöcherne Integration (Unruhe/Instabilität bedingt). Anders war die Situation bei posttraumatischen Patienten, bei denen aufgrund anderer Probleme der Ausbau erfolgte (⊡ Abb. 6.31). Hier lag entweder eine komplette knöcherne Integration vor oder zumindest auf der Seite, die kein Problem hatte. Der Ausbau war auch bei fester
a
⊡ Tabelle 6.9. Umwandlungen in Arthrodesen Gründe
Anzahl [n]
Implantationszeit
Grunderkrankung
Integration
Infektion
2
<1 Jahr
Chron. Polyarthritis
Nein
Lockerung Materialermüdung
1
10 Jahre
Chron. Polyarthritis
Nein
Ossifikationen
1
3 Jahre
Posttraumatisch
Ja
⊡ Tabelle 6.10. Prothesenwechsel Gründe
Anzahl [n]
Implantationszeit
Grunderkrankung
Integration
Lockerung
1
4 Jahre
Posttraumatisch + Knochendefekt Tibia
Tibia nein, Talus ja
Lockerung + Knochennekrose Tibia
1
ca. 1 Jahr
posttraumatisch
Tibia nein, Talus ja
Lockerung Materialermüdung
2a
6 und 9 Jahre
Posttraumatisch
nein
Infektionen
2b
7 und <1 Jahre
Posttraumatisch
nein
a1-mal
b
Spätfolge eines Implantationsfehlers, b1-mal Leberzirrhose, 1-mal massiver Nikotinabusus
⊡ Abb. 6.31a,b. Fest in die Oberflächenstruktur eingewachsener Knochen (Wechsel wegen rezidivierenden schmerzhaften Verknöcherungen an Innen- und Außenknöchel). a Taluskomponente; b Tibiakomponente
142
Teil III · Anwendung
knöcherner Integration bei Verwendung eines schmalen Osteotomiemeißels unproblematisch.
Aussagen auf Grund radiologischer Verlaufsbeobachtungen
6
2 Patientengruppen sind hierbei zu unterscheiden. Da seit Anfang 2001 die Struktur der Implantatoberfläche zur besseren knöchernen Integration mit intraoperativ zubereitetem autologem Knochenmehl ausgefüllt wird (⊡ Abb. 6.32), sind die zwischen 1990 und 2000 von den seit 2001 operierten Patienten getrennt zu betrachten. Gruppe 1, Implantationen 1990–2000. Von den 43 Patienten dieser Gruppe ohne Ausfüllen der Oberflächenstrukturen mit Knochenmehl konnten 31 ausgewertet werden. 4 Wechsel, 3 in Arthrodesen umgewandelte (s. oben) und 5 wegen fehlender Röntgenkontrollen nicht auswertbare Patienten wurden nicht berücksichtigt. Röntgenkontrollen nach mindestens 1 Jahr (meist nach 3, z. T. bis 15 Jahren) zeigten bei 19 Patienten keinerlei Veränderungen an der Implantat-Knochen-Grenze (keine Saumbildung, keine Wanderungen einer Prothesenkomponente), sodass von einer innigen knöchernen Verbindung zwischen Implantatoberfläche und Knochenlager auszugehen ist (⊡ Abb. 6.33 und 6.34). Bei 12 Patienten ließen sich Veränderungen feststellen, die eindeutig gegen eine knöcherne Integration sprechen:
6-mal Säume und einzelne kleine abgelöste Tripodenfragmente (⊡ Abb. 6.35), 4-mal alleinige Saumbildungen, 2-mal Wanderungen in den ersten 2 Jahren mit anschließend unauffälligem Verlauf bei einer dieser Patienten. Allerdings kam es bei diesen Patienten aufgrund ihrer geringen oder fehlenden Beschwerden nicht zu einer Wechseloperation. Diese Beobachtungen legen nahe, dass es bei 61% der ohne Knochenmehlzusatz implantierten Endoprothesen zu einer knöchernen Integration gekommen sein dürfte. Würde man die Wechseloperationen hinzuzählen, wären dies ca. 52%. Gruppe 2, Implantationen 2001–2003. Diese Gruppe mit Ausfüllen der Oberflächenstrukturen mit Knochenmehl (⊡ Abb. 6.32) umfasst wegen der gestiegenen Implantationsfrequenz 58 Patienten, von denen 47 ausgewertet konnten. Bei den übrigen 11 Patienten ließen die Röntgenkontrollen keine eindeutigen Aussagen zu. Ein Wechsel erfolgte bisher bei keinem Patienten dieser Gruppe! Bei allen 47 Patienten wurden bei Röntgenkontrollen nach mindestens 1 Jahr keinerlei Wanderung einer Prothesenkomponente beobachtet! 41 Patienten zeigten keine Saumbildung, und keine sonstigen Veränderungen an der Implantat-Knochen-Grenze (⊡ Abb. 6.33 und 6.34). Saumbildungen um das Implantat herum ohne weitere Auffälligkeiten waren bei 2 Patienten und in Kombination mit kleinen Tripodenfragmenten bei 3 Patienten erkennbar (⊡ Abb. 6.35). Ein Patient mit einem Sonderimplantat nach gescheiterter OSG-Arthrodese zeigte abgebrochene Schrauben in den zusätzlich angebrachten Plattenteilen. Damit ist in dieser Gruppe von den mit Knochenmehlzusatz implantierten Endoprothesen bei mindestens 87% der Patienten von einer knöchernen Integration oder zumindest von einer innigen knöchernen Verbindung zwischen Implantatoberfläche und Knochenlager auszugehen.
Fazit
⊡ Abb. 6.32. Herstellung des Knochenmehles. Unten ist die Struktur der rechten Seite der Tibiakomponente aufgefüllt
Dass eine knöcherne Integration möglich ist und in der Mehrzahl der Fälle auch stattfindet, zeigen die Verlaufsbeobachtungen eindeutig. Jedoch scheinen bindegewebige Fixierungen nicht zwangsläufig zu Wechseloperationen zu führen. Der Vergleich der beiden radiologisch ausgewerteten Gruppen legt die Schlussfolgerung nahe, dass durch das zusätzliche Auffüllen der Oberflächenstruktur mit autologem Knochenmehl die Integrationsrate von 52–61% auf etwa 87% gesteigert wird.
143 Kapitel 6.4 · Große Gelenke: Sprunggelenk
a
⊡ Abb. 6.33a,b. Radiologisches
b
Beispiel für eine knöcherne Integration: 64 Jahre alte Patientin mit posttraumatischer Arthrose: a Ausgangssituation mit einer Gehstrecke <1 km, massiven Belastungsschmerzen und mäßig eingeschränkter Beweglichkeit; b Situation nach 3 Jahren mit einer schmerzfreien Gehstrecke von >10 km (Dorsalextension/ Plantarflexion 15/0/40°). Keinerlei Saumbildung
6.4
144
Teil III · Anwendung
6
a
b
⊡ Abb. 6.34a,b. Sonderanfertigung bei einem 57 Jahre alten Patienten mit hypermobiler Pseudarthrose bei gescheitertem Arthrodeseversuch des linken OSG: a radiologische Ausgangssituation; b Röntgenbilder und klinische Situation 3 Jahre nach der Implantation.
Schmerzfreie unlimitierte Gehstrecke, Beweglichkeit Dorsalextension/ Plantarflexion 10/0/20°. Kein Schraubenbruch trotz Rundlöcher und voller Belastung im Alltag spricht für absolute Ruhe an der Knochenimplantatgrenze und damit für eine knöcherne Integration
145 Kapitel 6.4 · Große Gelenke: Sprunggelenk
6.4
a
b
⊡ Abb. 6.35a,b. Röntgenbeispiel für fehlende knöcherne Integration: a Ausgangssituation nach posttraumatischer Arthrose mit schlecht durchblutetem Knochenlager; b 2 Jahre nach Prothesen-
implantation mit leichter Saumbildung und kleinen abgelösten Tripodenfragmenten (↑)
146
6
Teil III · Anwendung
Ein günstiger Effekt auf die Überlebensraten ist hierdurch zweifellos zu erwarten und wohl auch eingetreten. Genaue Aussagen bezüglich des Anteils, den eine knöcherne Integration auf Prothesenlockerungen hat, sind jedoch schwierig, da auch das Prothesendesign und eine optimale Implantationstechnik für eine bewegungsfreie Situation an der Implantat-Knochen-Oberfläche von entscheidender Bedeutung sind. Auch wurde die Implantationstechnik seit dem Jahr 2000 zusätzlich zu den oben genannten Maßnahmen wesentlich verbessert. Fraglich erscheint, ob eine weitere wesentliche Verbesserung möglich ist, da die Knochenqualität und die Osteogenesepotenz je nach Grunderkrankung und Arthroseursache sehr unterschiedlich sind (z. B. sklerosierter Knochen nach Trümmerfrakturen, areaktiver Knochen infolge Antirheumatika bei chronischer Polyarthritis oder anderen Systemerkrankungen, unterschiedliche Knochenqualität je nach Lebensalter sowie bei Arthrosen unbekannter Ursachen). Ein sicherer Einfluss gravierender Begleiterkrankungen oder der Aktivität des Patienten auf die knöcherne Integration war jedoch ebenso wenig zu erkennen wie Unterschiede bei den verschiedenen Arthroseursachen.
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7.1 Kleine Gelenke Fingergrundgelenksendoprothese C. Weber
Zusammenfassung Die Endoprothetik der Fingergrundgelenke hat deutlich an Bedeutung gewonnen. Bekannt ist, dass Fingergrundgelenke am gestreckten Finger eingeschränkte Kugelgelenke sind. In Kenntnis der Historie der Fingergelenkendoprothetik erachteten die Autoren die Entwicklung eines Fingergrundgelenkimplantats als dringlich. Die ESKA-Endoprothese für das Fingergrundgelenk besteht aus einem proximalen-metakarpalen Schaft mit elliptischem Gelenkkopf und einem Stiel, der im Zentrum des elliptischen Gelenkkopfes gelagert ist und mit dem distal-phalangealen Schaft eine Teilkopplung gewährleistet. Das Material besteht aus Chrom-Kobalt-Molybdän mit Spongiosa Metal II zur Förderung der ossären Integration. Beachtenswert ist die technische Ausführung, die den funktionell-anatomischen Besonderheiten des Grundgelenkes nachgestaltet wurden. Entscheidend für den Erfolg ist die Rekonstruktion des umgebenden Weichteilmantels. Mit dem Einsatz der Prothese ist es gelungen, eine Verbesserung des Bewegungsausmaßes und vor allem eine deutliche Schmerzlinderung zu erreichen.
Entwicklungsgeschichte Die Endoprothetik der Fingergelenke, und dabei speziell der Fingergrundgelenke, ist noch nicht so etabliert wie die Endoprothetik größerer Gelenke. So wird beispielsweise seit vielen Jahren die Hüft- und Kniegelenksendoprothe-
tik – und in den letzten 8 bis 10 Jahren auch die Schulter-, Ellenbogen- und Sprunggelenksendoprothetik – mit guten bis sehr guten Erfolgen praktiziert. Dabei liegen die ersten Versuche, destruierte Fingergelenke zu ersetzen, schon mehr als 60 Jahre zurück. Im Jahre 1940 veröffentlichte Burman in den USA erstmals den Ersatz eines Metakarpalköpfchens durch eine Monobloc-Prothese [1].
Verankerte Implantate Die ersten kompletten Fingerprothesen für Mittel- und Grundgelenke entwickelten Brannon und Klein (USA/ Deutschland, 1959) für posttraumatische Arthrosen [2]. Diese Modelle entsprachen achsgeführten Scharnierprothesen und wurden unzementiert eingesetzt. Die Weiterentwicklung der festgekoppelten Scharnierprothese speziell für Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) schuf A.E. Flatt Ende der 50er Jahre [3]. Die unzementierten Schäfte waren nun durch zwei Schenkel neu gestaltet. Die Gelenkpartner waren aus Metall, jedoch kam es bei diesen frühen Modellen in der Folge zu Metallosen und erheblichen Osteolysen. Stellbrink et al. entwickelten das zementiert eingebrachte Modell »St. Georg« (1971) [4]. Um das Problem der Metallose zu verhindern, erfolgte die Implantation nach dem Low-friction-Prinzip. Demzufolge bestand der proximale Schaft aus Polyethylen und war mit einem Kugelkopf versehen, der korrespondierende distale Schaft wurde aus Chrom-Kobalt gefertigt.
148
6
Teil III · Anwendung
Durch Englert wurde wenige Jahre später eine teilgekoppelte Prothese entwickelt, die tief intramedullär einzementiert wurde [5]. Beide Schäfte waren aus ChromKobalt konstruiert. Das Scharnier war lose geführt und ließ eine gewisse Seitbewegung zu. Zur Vermeidung einer Metallose wurden Polyethylenscheiben zwischen die Metallschenkel als dritte Komponente des Bewegungssegmentes eingebracht. Andere Entwicklungen lieferten Mitte der 70er Jahre zementfrei zu verankernde Prothesen mittels Spreiz(Mathys) und Schraubdübelprinzip (Gschwend). Die Kunststoffschäfte wurden durch das Dübelprinzip am Knochen fixiert, das Gelenk war als loses Scharnier mit Einschränkung der Ulnardeviation konzipiert. Ergebnisse hierzu wurden jedoch nicht veröffentlicht. Hagert und Mitarbeiter [6] stellten 1986 eine neue Form der zementfreien Implantation von MCP-Gelenken vor. Im Sinne der Osteointegration verwendeten sie hohle Titanschrauben, die in den intramedullären Raum eingebracht wurden. Die beiden Schäfte wurden durch ein Polyethylenkugelgelenk verbunden. Lundborg verwendete ebenfalls Titanverankerungsschrauben mit einem flexiblen Silikongelenkteil [7]. Eine zementfreie Osteointegration wurde auch durch die Verwendung des Materials Pyro-Carbon angestrebt und bei einer ungekoppelten Prothese realisiert [8]. Die fehlende Koppelung der Prothese macht natürlich die exakte Rekonstruktion des Weichteilgewebes notwendig. Nach einem ähnlichen Prinzip ist die ungekoppelte »Elongenius«-Prothese von Hagena et al. (2005) [9] konzipiert. Die Schäfte bestehen wiederum aus Titanlegierungen, der anatomisch geformte Gelenkkopf aus ultrahochverdichtetem Polyethylen. Auch die Entwicklung der ESKA-Fingergrundgelenksprothese folgte dem Grundprinzip der ossären Integration. Durch eine Metallspongiosa, die auf beide Verankerungsschäfte aufgebracht wird, kommt es zu einem Einwachsen des Knochens in das interkonnektierende Hohlraumsystem. Die Prothese ist teilgekoppelt und nach dem Lowfriction-Prinzip der Gelenktribologie konzipiert.
Flexible Implantate Einem komplett anderen Konzept der Fingerendoprothetik folgte die Entwicklung der flexiblen Implantate. Zu den Resektionsplastiken der Fingergelenke wurden zusätzlich Silikonimplantate als Interponate eingesetzt. Swanson
berichtete 1968 über sein Konzept der Resektions-Interpositions-Arthroplastik mit einem neuen flexiblen Silikonimplantat [10]. Dieser »Platzhalter« wurde in den letzten 40 Jahren am häufigsten verwendet und gilt auch heute noch als der »Goldene Standard« in der rekonstruktiven Fingergelenkschirurgie. Nach guten kurz- und mittelfristigen Ergebnissen [11] zeigten die Langzeitergebnisse jedoch vermehrt erhebliche Komplikationsraten [12–16]. Eine Weiterentwicklung dieser flexiblen Implantate stellt die Neu-Flex-Prothese der Firma DePuy dar [17,18]. Die Darstellung der einzelnen Fingergrundgelenksprothesen der letzten 40 Jahre sollte lediglich einen gewissen Entwicklungsfluss aufzeigen und erhebt keinen Anspruch auf vollständige Darstellung sämtlicher Modelle. Trotz der zahlreichen Misserfolge wurden die Fingerendoprothesen weiterentwickelt. Die Verankerungen der Prothesen erfolgten zementiert und zementlos, der Gelenkschluss erfolgte gekoppelt, teilgekoppelt, ungekoppelt oder wurde durch flexible Implantate hergestellt. Als Material wurde Metall/ Metall, Metall/Kunststoff/Metall (Low-friction-Prinzip), Kunststoff/Metall oder nur Kunststoff eingesetzt. Bis auf die reichlich vorhandenen Langzeitergebnisse über den Swanson-Silastik-Platzhalter gibt es über die anderen bisherigen Modelle nur kurzfristige und nur wenige mittelfristige Ergebnisse. Für manche Implantate liegen gar keinerlei Nachuntersuchungsergebnisse vor und dies mag durch postoperative Probleme der Prothesen begründet sein. Die häufigsten Komplikationen nach Prothesenversorgung sind Metallosen, Knochenarrosionen, Osteolysen und Einsinken der Prothesenschäfte in den Markraum. Des Weiteren wurden Frakturen und aseptische Lockerungen, Implantatbrüche, Luxationen und auch die gefürchteten Infektionen beobachtet. Hauptursache der relativ vielen Misserfolge der Fingerendoprothetik ist unseres Erachtens die ungenügende Beachtung der funktionell-anatomischen Gestaltung des Metakarpophalangealgelenkes als Schlüsselgelenk in der Funktion der Hand, falsche Verankerungstechnik sowie falsche Gleitpaarungen. Die Biomechanik des Fingergrundgelenkes unterscheidet sich wesentlich von der anderer Fingergelenke. Aufgrund dieser zentralen Stellung der MCP-Gelenke muss die Funktionstüchtigkeit des Gelenkes erhalten bleiben und kann nicht alternativ – wie beispielsweise die Mittel- und Endgelenke – durch eine Arthrodese stabilisiert werden. Ein weiteres Problem sind die erheblichen Zug-, Kompressions- und Stauchungseffekte, die beim Bewegungsablauf auf die Gelenkflächen wirken.
149 Kapitel 7.1 · Kleine Gelenke: Fingergrundgelenksendoprothese
Biomechanik des MCP-Gelenkes Funktionell sind die Fingergrundgelenke am gestreckten Finger eingeschränkte Kugelgelenke mit Seitbewegungen und einer gewissen Rotationsmöglichkeit. Bei gebeugtem Finger sind es reine Scharniergelenke. Entwicklungsgeschichtliche Ursache ist die Möglichkeit der günstigen Stellung der Finger in Streckung mit mehreren Bewegungsfreiheitsgraden zum Zugreifen. In Beugestellung wird das Festhalten gesichert. Knöchern beteiligt sich am Gelenk das Caput ossis metacarpalis und die Basis der Grundphalanx. Das Caput ist asymmetrisch geformt, palmar abgeflacht und ähnelt in der Sagittalebene der Form einer Ellipse. Bei Bewegungen der Grundphalanx um das Caput entsteht eine Kurve ohne festen Drehpunkt. Palmar läuft die Gelenkfläche in zwei prominenten Knochenvorsprüngen aus, die wichtig für die Spannung des radialen und ulnaren Kollateralbandes sind. Die Basis der Grundphalanx ist flach. Der Breitendurchmesser ist dabei größer als der Höhendurchmesser, wodurch der Flächenumriss »quer eiförmig« erscheint. Die Gelenkkapsel ist weit und reicht palmar-proximal über die Knorpelknochengrenze des Caput hinweg. Seitlich wird die Kapsel durch das radiale und ulnare Seitenband verstärkt, die vom kranialen Caput schräg seitlich an die Basis der Grundphalanx verlaufen. Das akzessorische, radiale und ulnare Seitenband zieht vom Caput metacarpalis ebenso wie das phalangoglenoidale Band von der Basis der Grundphalanx beidseits zur palmaren Platte. Zeltförmig überdacht wird das Gelenk von der Dorsalaponeurose. Diese wird kranial-zentral durch die Streckzügel der Finger und seitlich von der Lamina intertendinea und Lamina superficialis gebildet, die sich radial und ulnar mit der Palmarplatte verbinden. Palmar der Platte sind die beiden Beugesehnen mit ihr verbunden. Die Streck- und Beugesehnen bilden zusammen für das Gelenk die aktiven Stabilisatoren. Durch die anatomischen Gegebenheiten sind Bewegungen nur um zwei Achsen möglich, der transversalen (Extension/Flexion) und der dorsopalmaren Achse (Abduktion/Adduktion). In Extension sind die beiden Kollateralbänder gelockert und lassen dadurch eine gewisse Seit- und Rotationsbewegung zu. Aufgrund der anatomischen Verhältnisse benannte Tamai das Grundgelenk auch als Articulatio ellipsoidea [18]. Das Gelenk nimmt in der Gesamtheit der Fingerbewegung die Schlüsselstellung ein. Beim Greifen wird das
7.1
Gelenk als letztes gebeugt und beim Öffnen der gebeugten Hand als erstes gestreckt.
Indikationen zum MCP-Gelenkersatz Die häufigste Indikation zum Ersatz von Fingerprothesen besteht bei den destruktiven Zerstörungen der Fingergrundgelenke bei folgenden Erkrankungen: ▬ Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, insbesondere der rheumatoiden Arthritis (RA), ▬ bei posttraumatischen sekundären Arthrosen, ▬ und im geringen Maße bei Polyarthrosen der Fingergrundgelenke. Die Gelenkdestruktionen verursachen Schmerzen und führen zu Bewegungseinschränkungen bzw. Instabilitäten im Gelenk. Im eigenen Patientengut wurden 90% der Fingergelenke bei Patienten mit RA eingesetzt. Neben den zunehmenden knöchernen Destruktionen kommt es zu einer palmaren Luxation der Grundphalanxbasis mit einem gleichzeitigen ulnaren Gleiten der Streckaponeurose in den Interdigitalraum und einer daraus resultierenden Ulnardeviation der Finger (⊡ Abb. 7.1). Gleichzeitig kommt es durch die Insuffizienz der Streckerhaube zu einer ulnaren Abweichung der palmaren Stabilisatoren (palmare Platte mit den beiden Beugesehnen). Durch die funktionellen anatomischen Gegebenheiten der MCP-Gelenke und die zentrale Stellung im Bewegungsablauf der komplexen Handfunktionen sollte der Funktionserhalt der MCP-Gelenke erste Priorität haben. Die Indikation zum endoprothetischen Ersatz der Fingergrundgelenke stellt sich vorwiegend bei RA-Patienten, da es im Laufe der Erkrankungen häufig auch zu destruktiven Veränderungen benachbarter Gelenke mit entsprechenden Funktionsverlusten kommen kann.
Entwicklung der ESKA-Prothese Durch die Verwendung neuer Materialien, den Erkenntnissen der bisherigen Fingergrundgelenksprothesen und unter besonderer Beachtung der Weichteilsituation sollten neu entwickelte Implantate in Zukunft bessere Behandlungsergebnisse erzielen. Welches Konzept der Endoprothesen sich letztendlich als das Beste erweisen wird, können nur langfristige Studien mit einer mindestens 5-jährigen Beobachtungszeit belegen. Bei den Veranke-
150
Teil III · Anwendung
7
⊡ Abb. 7.1. Typischer Röntgen- und Kernspintomographiebefund der Zerstörung des Metakarpophalangealgelenkes bei rheumatoider Arthritis mit Luxation der Grundphalanxbasis nach palmar und Ulnardeviation der Finger
rungsprinzipien im Knochen hat sich jedoch aus den bisherigen Erfahrungen die zementierte Form nicht bewährt, hier hat sich die zementfreie Verankerung durchgesetzt. Der Gelenkschluss, ob fest gekoppelt, teil- oder ungekoppelt, hängt von der Destruktion des Knochens und von der Weichteilsituation ab. In der Materialwahl und Kopplung der Gelenkteile haben sich im Sinne der ossären Integration Pyrocarbon, Titan und Metallspongiosa durchgesetzt. Metall-Metall-Paarungen haben sich aufgrund der entstandenen Metallosen mit den entsprechenden Komplikationen der Osteolysen und aseptischen Lockerungen nicht bewährt. Die Verankerung von reinen Kunststoffimplantaten (Mathys, Gschwend-Prothese) hat ebenfalls schlechte Ergebnisse gebracht. Die Metall-Kunststoff-Metall-Paarung im Sinn der des Low-friction-Prinzips hat sich wie in der »großen« Endoprothetik von Vorteil erwiesen. Die Forderungen an die Fingergrundgelenksprothesen müssen deshalb sein:
1. eine hohe Bruchfestigkeit zu garantieren, 2. eine stabile Verankerung zu besitzen und 3. im Bewegungsmechanismus einen geringen Abrieb zu zeigen. Aus den Erkenntnissen der bisherigen Entwicklung der Fingergelenksendoprothetik und der Notwendigkeit der operativen Rekonstruktion der MCP-Gelenke, insbesondere beim RA-Patienten, erachteten wir die Entwicklung eines neuen Implantats für besonders dringlich. Die ESKA-Prothesenentwicklung begann im Jahr 1995 und 1999 wurde erstmals eine derartige Prothese bei einer Patientin mit rheumatoider Arthritis implantiert. Das Design der Prothese wurde hauptsächlich geprägt durch das Spätstadium der Gelenkdestruktion. Klinisch erkennbar durch Synovitis, Flexionskontrakturen, Bewegungseinschränkungen, Ulnardeviation und Schmerzen. Radiologisch sind meist erhebliche Destruk-
151 Kapitel 7.1 · Kleine Gelenke: Fingergrundgelenksendoprothese
7.1
tionen sichtbar, besonders des Metakarpalkopfes. Oft handelt es sich um Stadium 4 und 5 der Röntgeneinteilung nach Larsen [19].
Aufbau der ESKA-Implantate Das Konzept der ESKA-Prothese geht von einer geringen knöchernen Resektion des Metakarpalkopfes aus, die Basis der Grundphalanx wird nur angefrischt. Die beiden Schaftkomponenten sind teilgekoppelt und zementfrei verankert (⊡ Abb. 7.2). Die Prothese besitzt einen proximalen und distalen Schaft in 5 verschiedenen Größen. Es besteht eine begrenzte Kompatibilität zwischen den verschiedenen Größen der proximalen und distalen Schäfte. Grundmaterial ist ein biokompatibles CoCrMo mit Spongiosa Metal® zur Verankerung im Sinne der zementfreien ossären Integration. Beide Schäfte sind zur Rotationsstabilität quer oval geformt. Der proximale metakarpale Schaft ist fest mit dem elliptischen Gelenkkopf verankert (⊡ Abb. 7.3). Der Gelenkkopf besteht zur verbesserten Stabilität und Minderung des Verschleißes aus Polyurethan und ist von dorsal nach palmar elliptisch geformt, den anatomischen Gegebenheiten nachgebildet und beeinflusst somit die Kollateralbandspannung beim Bewegungsablauf günstig.
⊡ Abb. 7.3. ESKA Fingergrundgelenksendoprothese in ungekoppeltem Zustand: Proximales metakarpales Implantat (links) mit fest verankertem Gelenkkopf (Polyurethan) und Führungsstiel. Beachte die palmarseitige Verjüngung des V-förmigen Ausschnitts im Gelenkkopf,
⊡ Abb. 7.2. ESKA Fingergrundgelenksendoprothese: Schemazeichnung (links) und Implantat (rechts). Sowohl metakarpal (unten) als auch phalangeal (oben) erfolgt die zementfreie Verankerung über die Tripodenstruktur (Spongiosa Metal®). Die Gleitpartner bestehen nach dem Low-friction-Prinzip aus Metall-Kunststoff-Metall
die zu einer Stabilisierung des Stiels und damit zu einer Gelenkstabilisierung bei Beugung führt. Distales Implantat (rechts): Die zylindrische Aussparung für den proximalen Stiel ist zur Abriebreduktion mit Polyethylen ausgekleidet
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7
Teil III · Anwendung
Die Teilkopplung der beiden Schäfte erfolgt über einen Stiel (»stem«), der in dem beschriebenen Polyurethankopf zentral gelagert ist und sich in einem V-förmigen Ausschnitt in Längsrichtung von dorsal nach palmar bewegt (⊡ Abb. 7.3). Das Material des Stems ist CrCoMo-Schmiedelegierung. In Neutralstellung (Streckung des Fingers) ist damit eine Seitbewegung (An- und Abspreizen) von je 8° und auch eine geringe Rotation möglich. Bei Beugung verjüngt sich der V-Spalt im Polyurethankopf, sodass bei 90° Flexion keine Seitbewegungen mehr möglich sind (⊡ Abb. 7.3). Dies ist wichtig für den Grobgriff der Hand. Die distale phalangeale Komponente besteht aus einem Schaft und der Gelenkoberfläche. Der Werkstoff ist wie beim proximalen Schaft biokompatibles CrCoMo mit Spongiosa Metal®. Die Gelenkoberfläche ist poliert und seitlich abgerundet, um ein Einschneiden des Polyurethankopfes in der Bewegung zu verhindern. Zentral der Gelenkoberfläche bis in den Schaft reichend besteht eine zylindrische Aussparung, die mit einem ultrahochmolekularen Polyethylen (UHMWPE) ausgekleidet ist. In diese zylindrische Aussparung wird der Stem eingeführt (⊡ Abb. 7.2). Der Stem kann sich entsprechend der Kinematik des Grundgelenkes in der Gleithülse kolbenartig bewegen und gewährleistet dadurch die Erweiterung des Gelenkspaltes (»Pistoneffekt«) und verringert die Zugbelastung bei Bewegung. Im teilgekoppelten Zustand ist bei dem Implantat das Low-friction-Prinzip (CrCoMo-PUR-CrCoMo) in der Bewegung gewährleistet. Die tribologischen Eigenschaften wurden in eigenen Untersuchungen und im Labor für Biomechanik und Experimentelle Orthopädie Klinikum Großhadern-München auf dem Fingersimulator getestet. Der Prothese wurde eine gute mechanische Dauerfestigkeit und Verschleißbeständigkeit bestätigt, mit der Möglichkeit einer langfristigen Verankerung durch die Makrostrukturierung der Stieloberflächen [20].
Eigene klinische Untersuchungen Material und Methode Im Zeitraum von Juni 1999 bis Mai 2003 wurden in der Klinik für Orthopädie und Rheumaorthopädie Hohwald/ Sachsen insgesamt 77 Fingergrundgelenksprothesen bei 33 Patienten implantiert (29 einseitig und 4 doppelseitig). 61 der Prothesen wurden bei 21 Rheumatikern einge-
setzt. Der durchschnittliche Krankheitsverlauf der RA betrug zum Zeitpunkt der Operation seit der Erstdiagnose 17 Jahre [6–24 Jahre]. Die restlichen Prothesen wurden bei 3 Patienten mit Psoriasis (5 Prothesen), bei 2 Patienten mit Polyarthrose (3 Prothesen) und 3 Patienten mit posttraumatischer Arthrose (3 Prothesen) implantiert. Nachuntersucht wurden 31 Patienten (94%). Eine Rheumatikerin war verstorben, eine Patientin unbekannt verzogen. Bei den 31 Patienten handelte es sich um 25 Frauen und 6 Männer. Zum Zeitpunkt der Operation betrug das Durchschnittsalter der Frauen 64 Jahre (43–79), das der Männer 61,5 Jahre (59–67). Das MCP-IIGelenk wurde insgesamt 29-mal, das MCP-III-Gelenk 24mal, das MCP-IV-Gelenk 12-mal und das MCP-V-Gelenk 9-mal ersetzt. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug 38 Monate (24–53 Monate). Radiologisch zeigten alle Patienten mit rheumatoider Arthritis eine fortgeschrittene Gelenkzerstörung im Larsen-Stadium 4 oder 5 und eine erhebliche Weichteildysbalance (⊡ Abb. 7.1). Zusätzliche rekonstruktive Eingriffe an den Fingerstrahlen und am Handgelenk waren vorausgegangen (1-mal PIP-Arthroplastik, 3-mal PIP-Arthrodesen und 4 Handgelenksarthrodesen). Das prospektive Studiendesign nahm eine Bewertung nach subjektiven Kriterien wie Schmerz, gefühlter Kraftzuwachs und Zufriedenheit sowie nach objektiven Kriterien wie Bewegungsausmaß, Handkraft und Ulnardrift vor. Die postoperativen radiologischen Kontrollen wurden nach Lage der Prothese, Knochenresorptionszonen, Implantatsinterungen und Osteolysen bewertet.
Ergebnisse Die relativ kurze Nachbeobachtungszeit kann natürlich nur einen begrenzten Aussagewert über die MCP-ESKAProthese geben. Beeinträchtigt wird das Ergebnis auch von der Progredienz der Erkrankung bei den RA-Patienten an den benachbarten Hand- und Fingergelenken. Das durchschnittliche aktive präoperative Bewegungsausmaß in den betroffenen MCP-Gelenken für Extension/ Flexion von 0–27–65° konnte postoperativ auf 0–12–69° verbessert werden. Die postoperativ gemessene aktive Beugung zeigte somit zu den präoperativen Befunden nur eine geringe Verbesserung von durchschnittlich 4°, während das aktive Extensionsdefizit von 27° auf 12° reduziert werden konnte. Die mittlere Verbesserung der postoperativen Beweglichkeit war bei Zeige-, Mittel- und
153 Kapitel 7.1 · Kleine Gelenke: Fingergrundgelenksendoprothese
Ringfinger weitgehend gleich, am Kleinfinger mehr eingeschränkt. Die Ulnardeviation bei den RA-Patienten konnte von präoperativ durchschnittlich 25° (15–50°) auf postoperativ 12° (0–32°) gebessert werden. Das Schmerzempfinden wurde mit einer verbalen numerischen Skala (0–10) ermittelt. Die Schmerzen konnten von präoperativ 7,1 (4–10) auf postoperativ 1,2 (0–4) reduziert werden. Vollständig schmerzfrei waren 11 Patienten. Die Handkraft, gemessen beim Faustschluss, wurde subjektiv deutlich besser beurteilt als objektiv mit dem
7.1
Vigorimeter gemessen. Deutlich mehr Kraft nach der Implantation gaben subjektiv 3 Patienten an – objektiv keiner, mehr Kraft subjektiv 17 – objektiv 19, weniger Kraft subjektiv 2 – objektiv 2. Auch die postoperative Gebrauchsfähigkeit der Hände wurde zum Nachuntersuchungszeitpunkt ermittelt und zeigte eine Besserung gegenüber dem präoperativen Zustand. 22 der Patienten gaben eine Besserung der Gebrauchsfähigkeit an, 8 Patienten keine Veränderung. Nur eine RA-Patientin gab ihren Zustand schlechter an als vor der Operation. Tiefe Infektionen oder oberflächige Wundheilungsstörungen wurden nicht beobachtet. 3 Monate postoperativ kam es bei einem Patienten bei einem Sturz auf die geballte Hand zu einer Prothesenentkopplung am MCP 5-Gelenk. Die operative Reposition gelang mühelos. Radiologisch zeigten die Kontrollaufnahmen in 2 Ebenen zum Nachuntersuchungszeitpunkt eine aseptische Lockerung eines metakarpalen Schaftes mit Sinterung von 2 mm. In 2 Fällen (1-mal metakarpal, 1-mal phalangeal) Lysesäume von unter 1 mm. 2 Prothesenschäfte (1-mal phalangeal, 1-mal metakarpal) zeigten gegenüber der postoperativen Aufnahme bei der Röntgennachuntersuchung einen Lagewechsel der Prothesenspitze an die radiale Kortikalis. Ursache könnte eine Unterdimensionierung der Schäfte sein. Die übrigen Schäfte waren im Sinne der Osteointegration fest verankert (⊡ Abb. 7.4). Prothesenbrüche konnten ausgeschlossen werden.
⊡ Abb. 7.4. Stabile ossäre Integration der MCP-ESKA-Prothesen am 2. bis 5. Strahl und anatomische Stellung der Finger bei einer Patientin mit rheumatoider Arthritis (unten). Klinisches Ergebnis (oben)
154
Teil III · Anwendung
Bis auf 2 RA-Patienten würden sich alle Patienten wieder operieren lassen.
Diskussion
7
Aufgrund von fehlenden Nachweisen über lange Zeit gut funktionierender MCP-Gelenksendoprothesen wird der Silastik-Spacer von Swanson immer noch als »Goldener Standard« bei der Versorgung der deformierten und funktionseingeschränkten MCP-Gelenke – speziell bei RA-Patienten – angesehen. Die Reihe der Publikationen über Langzeitergebnisse des Silastik-Spacers ist vielgestaltig [11, 21, 22]. Die kurz- und mittelfristigen Ergebnisse zeigen dabei eine hohe Patientenzufriedenheit mit Schmerzbeseitigung und ausreichendem Bewegungsausmaß. Die vorliegenden Langzeitergebnisse weisen jedoch eine erhebliche Diskrepanz zu den Frühergebnissen aus. Im Langzeitverlauf sind es vor allem Implantatbrüche, Luxationen, Rotationsfehlstellungen, Einsinken der Implantate, Osteolysen und abriebbedingte Synovitiden, die die klinischen Ergebnisse beeinträchtigen [12–14, 23, 24]. Der Swanson-Spacer wird intramedullär nicht fixiert und kann sich dadurch kolbenartig im Sinne des Pistoneffektes bewegen. Die Folge sind erheblicher Abrieb, der langfristig zur Ausbildung einer bindegewebigen Narbe, von Swanson als »encapsulation process« bezeichnet, führt. Diese Gelenkstabilisierung unter Abnahme der Beugefähigkeit führt zu einer langfristigen Schmerzreduzierung. Die Einschränkung des postoperativen Bewegungsausmaßes [24] schwächt aber natürlich erheblich die Handfunktion. Nur 38% der Patienten waren nach 14-jährigem Verlauf mit der Handfunktion noch zufrieden. Trotzdem wird der Silastik-Spacer nach Swanson auch weiterhin häufig verwendet. Gründe dafür sind die oben beschriebene Situation, noch fehlende Alternativen an »echten« Prothesen und ein nicht unwesentlicher Kostenfaktor zugunsten des Swanson-Spacers. Ein weiterer Grund für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von MCP-Totalendoprothesen ist die Anzahl von Patienten, die durch Gelenkdestruktionen für diesen operativen Eingriff in Frage kommen. Allein in Deutschland gibt es etwa 1,6 Millionen RA-Patienten. Die rheumatische Hand (einschließlich MCP-Gelenke) wird bekanntermaßen zu 95% im 10-jährigen Krankheitsverlauf mitbetroffen [25]. Insgesamt wären dies somit über 12 Millionen möglich erkrankte MCP-Gelenke.
Trotz der bisher reichlich entwickelten MCP-Gelenkprothesenmodelle gibt es nur wenige Berichte über den klinischen Verlauf und Langzeitergebnisse der MCPEndoprothesen [8, 26, 27]. Bei Beckenbaugh handelt es sich um eine ungekoppelte Prothese aus Pyro-CarbonMaterial, bei Koob und Wessels um eine achsgeführte, zementfrei zu verankernde Prothese aus Edelstahl mit Titan-Niob-Beschichtung. Aus Erfahrungen der bisherigen Berichte und den funktionell-anatomischen Erkenntnissen über die Kinematik und Weichteilproblematik des MCP-Gelenkes haben wir eine Prothese entwickelt, die zementfrei über Osteointegration zu verankern sowie teilgekoppelt ist und die der knöchernen und weichteiligen Situation (Articulatio ellipsoidea) möglichst gerecht werden sollte. Eine Verankerung mit Zement ist aufgrund der kleinen Knochenverhältnisse und der damit verbundenen schlechten Rückzugsmöglichkeiten nicht ratsam. Durch diese Fixationstechnik und darauf wirkende Kräfte kommt es frühzeitig zur Lockerung und zum Ausbruch der Prothese. Das Prinzip der Osteointegration von Prothesen im Knochen wurde erstmals von Brånemark (1977) [28] an Zahn- und Kieferimplantaten aus Titan vorgestellt. Hagert et al. [6] setzten erstmals Titanstifte bzw. -schrauben mit einem Polyethylenkugelgelenk am MCP-Gelenk ein. Lundborg et al. [7] verankerten ebenfalls mit Titanschrauben und einem flexiblen Silikonmittelteil als »Gelenk«. Das Problem waren die Gelenkanteile, die in einer hohen Rate zu Bruch kamen. Auch Pyro-Carbon-Material ist aufgrund seiner Eigenschaften (biokompatibles Material und gleiches Elastizitätsmodul wie kortikaler Knochen) zur Osteointegration sehr geeignet [26]. Wir verwendeten biokompatible CrCoMo-Legierungen mit Spongiosa Metal®, das sich in der »großen« Endoprothetik (Hüfte, Knie) schon mehrfach bewährt hat. Metall-Metall-Paarungen und Kunststoff allein haben in der Biomechanik des Prothesengelenkes versagt (Metallose, hoher Abrieb). Das Low-friction-Prinzip (Metall-PUR-Metall) beinhaltet unsere Gelenkmechanik. Die Frage der Endoprothetik des MCP-Gelenkes, besonders beim RA-Patienten, muss unbedingt in den unterschiedlichen Verlaufsformen der Erkrankung Beachtung finden. Leider kommen die Patienten erst in einem späten Stadium mit erheblichen Gelenkdestruktionen und kontraktem Weichteilmantel, der durch die Synovialitis erheblich zerstört ist, zum operativen Eingriff. Dadurch ist die Weichteilrekonstruktion extrem schwierig. Deshalb besteht unsere Forderung nach einer losen Teilkopplung,
155 Kapitel 7.1 · Kleine Gelenke: Fingergrundgelenksendoprothese
die den Pistoneffekt erfüllt und die Weichteildysbalance teilweise kompensiert. Natürlich muss trotzdem die Weichteilrekonstruktion so exakt wie nur möglich durchgeführt werden (Rezentrierung der aktiven Stabilisatoren – Extensoren/Flexoren, Balance der Kollateralbänder und evtl. plastischer Eingriff der Streckerhaube). Hier stellt sich die Frage nach einer früheren Operationsindikation, um die Progredienz der Weichteilzerstörung zu verhindern. Dann ist mit Sicherheit auch die ungekoppelte Prothese [9] mit einem stabilen Weichteilmantel ein erfolgversprechendes Modell. Eine differenzierte Indikationsstellung der Endoprothesenversorgung der MCP-Gelenke speziell beim Rheumatiker, dem am häufigsten betroffenen Patienten, ist unbedingt erforderlich. Eine ungekoppelte Versorgung eines posttraumatisch geschädigten MCPGelenkes, bei relativ erhaltenem Weichteilmantel, ist mit dem vorgestellten Modell der ESKA-Prothese natürlich auch ohne Stem möglich.
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7.1
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7.2 Kleine Gelenke Fuß: Großzehengrundgelenk K.-H. Olms
Zusammenfassung Patienten mit einer Großzehengrundgelenkarthrose werden in frühen Stadien konservativ oder durch gelenkerhaltende Korrekturosteotomien [1] behandelt. Im Endstadium des Hallux rigidus gibt es verschiedene Behandlungsoptionen: ▬ Keller-Brandes-Resektionsarthroplastik, ▬ Großzehengrundgelenkarthrodese oder ▬ endoprothetischer Ersatz des Großzehengrundgelenkes. Nach langer routinemäßiger Anwendung der beiden erstgenannten Verfahren ergab sich der Großzehengrundgelenkersatz als konsequente Entwicklung aus der Endoprothetik anderer Gelenke. Die ESKA-Großzehengrundgelenkprothese berücksichtigt mit ihrem Design sowohl die Anatomie als auch die Funktion des Großzehengrundgelenks.
Anatomie des Großzehengrundgelenks Das Großzehengrundgelenk bildet die Verbindung zwischen dem Metatarsaleköpfchen und der Grundphalanx einerseits und dem Gelenk zwischen den beiden Sesambeinen und dem Metatarsaleköpfchen andererseits. Das Gelenk wird durch Muskeln, Sehnen und Bänder in einem dynamischen Gleichgewicht gehalten (⊡ Abb. 7.5).
Biomechanik Die Biomechanik des Großzehengrundgelenkes und dessen Spitzenbelastungen wurden hinlänglich untersucht [2]. Für den endoprothetischen Ersatz dieses Gelenkes ist es bedeutsam, dass der Gelenkanteil zwischen Metatarsale und Grundphalanx weitgehend senkrecht zur Belastungsachse des Körpers arbeitet, während der plantare Anteil zwischen Metatarsale und Sesambeinen einer erheblichen Druck-Gleit-Bewegung ausgesetzt ist. Ist auch nur ein Anteil des Gelenkes versteift, so ist das gesamte Gelenk als steif anzusehen und funktionsuntüchtig. Die Endoprothese muss folgerichtig zum Ziel haben, beide Kompartimente beweglich zu halten. Eines der Hauptprobleme der auf dem Markt befindlichen Prothesen ist die im Verlauf weniger Monate stark abnehmende Beweglichkeit des endoprothetisch versorgten Großzehengrundgelenkes [3]. Wegen der hohen axialen Belastung muss eine Einsteifung des Großzehengrundgelenkes dann zwangsläufig zu einer Lockerung des Implantats führen, da die volle Last bei eingesteiftem Gelenk auf die Verankerung des Implantats im Knochen übertragen wird.
Bisherige Entwicklungen von Endoprothesen des Großzehengrundgelenks und klinische Anwendung Die auf dem Markt befindlichen Prothesen teilen sich in Hemiprothesen und Totalendoprothesen auf, die aus
157 Kapitel 7.2 · Kleine Gelenke: Fuß: Großzehengrundgelenk
a
b
⊡ Abb. 7.5. a Sesambeinkomplex: Frontalansicht des 1. und 2. Strahls. b Sesambeinkomplex: Seitansicht und Blutversorgung
metallischem oder nichtmetallischem Material hergestellt sein können. Die Hemiprothesen sind sowohl als phalangealer als auch metatarsaler Ersatz verfügbar. Unter den nichtmetallischen Prothesen sind neben den Silikonprothesen eine Keramikprothese (Moje-Prothese) und eine keramikbeschichtete Metallprothese (Toefit-Plus) verfügbar [4]. Die Silikonprothesen werden von einigen Autoren mit stetigem Erfolg eingebaut, haben allerdings den unbezweifelten Nachteil der Fragmentierung des Silicons mit Fremdkörperreaktion. Die Einführung der Titangrommets [5] hat zu einer besseren Verankerung
7.2
geführt, an der Fragmentierung des Silikons allerdings nichts Entscheidendes ändern können. Die Keramikprothesen sollen eine knöcherne Integration erreichen; hierzu sind allerdings nur Einzelbeschreibungen verfügbar, sodass nicht regelhaft von einer knöchernen Integration ausgegangen werden kann. Beide nichtmetallischen Prothesen sind auch als Hemiprothesen verwendbar. Die metallischen Prothesen ähneln sich in der metallurgischen Zusammensetzung, weichen allerdings im Design voneinander ab. Auch diese Prothesen werden als Hemiprothesen oder aber als Vollprothesen angeboten. Die Komponenten der Totalendoprothesen sind ungekoppelt. Neben einem reinen Oberflächenersatz werden Prothesen angeboten, die entweder den dorsalen Anteil oder aber den plantaren Anteil des Metatarsaleköpfchens überdecken. Der Winkel zwischen Implantatverankerung und dem Kopfteil der Prothese ist rechtwinklig oder um einige Grade nach dorsal gekippt (Bioaction-Prothese). Die phalangealen Anteile der Prothesen ähneln sich im Design, sind teilweise rund oder aber anatomisch geformt (Bioaction-Prothese). Unterschiede weisen die Verankerungen der Implantate auf. Die Stiele unterscheiden sich dabei in ihrer Form und in der Beschichtung. Meist werden die Stiele in den Schaft eingeschlagen, lediglich bei einer Prothese, die eigentlich aus 4 Komponenten besteht (Toefit-Plus), wird die Schaftkomponente eingedreht. Bei Versagen der Prothesen bleiben wenige Rückzugsoptionen. Natürlich kann die Prothese einfach entfernt werden und damit die funktionelle Amputation der Großzehe gebilligt werden. Ein stabiler 1. Strahl kann jedoch nur durch eine Arthrodese des Großzehengrundgelenkes erreicht werden. Dabei ist bei den Totalprothesen wegen des großen Substanzverlustes meist eine Beckenkamminterpositionsarthrodese erforderlich, während bei Hemiprothesen in der Regel eine direkte Arthrodese durchführbar ist.
Entwicklung einer neuartigen Hemiprothese Aus den Erfahrungen mit anderen Großzehengrundgelenksprothesen ergab sich der Ansatz für die Entwicklung einer neuen Endoprothese, die zunächst als Hemiprothese ausgelegt sein sollte. Entscheidend für das Funktionieren des Großzehengrundgelenkes ist die Beachtung der Biomechanik. Die Grundphalanx soll ungehindert auch über
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7
Teil III · Anwendung
den dorsalen Anteil des Metatarsaleköpfchens gleiten können, sodass hier eine dorsale Überdeckung angestrebt werden musste. Für die Beweglichkeit des gesamten Gelenks ist aber die ungehinderte Funktion des Sesambeinkomplexes entscheidend. Folgerichtig ergab sich die Notwendigkeit der plantaren und dorsalen Überdeckung des Metatarsaleköpfchens, damit auch das Sesambein-/Metatarsalegelenk in die Prothese einbezogen wird. Neben den Überlegungen zum Design, erschien die Verankerung bedeutsam. Aus den Erfahrungen mit anderen ESKA-Implantaten lag es nahe, die Verankerung durch einen offenporigen Stiel zu übernehmen, da hier eine knöcherne Integration nachgewiesen ist. Die Stirnfläche der als Kappenprothese strukturierten Endoprothese soll ebenfalls in das Metatarsale 1 knöchern integriert werden, sodass hierfür das Prinzip der interkonnektierenden Tripodenbeschichtung übernommen wurde (⊡ Abb. 7.6). Der Einbau der Prothese sollte zur korrekten Platzierung mit Hilfe eines kanülierten Instrumentariums erfolgen und den Gebrauch von Schablonen für die Säge-
schnitte überflüssig machen. Der Substanzverlust am Metatarsale sollte so gering sein, dass die direkte Arthrodese als Rückzugsmöglichkeit erhalten bleibt.
ESKA-SPRINT-Hemiprothese Aus den genannten Überlegungen entstand eine kappenförmige Prothese für das Großzehengrundgelenk, die sowohl den dorsalen als auch den plantaren Anteil des Metatarsaleköpfchens überdeckt. Die Stirnseite der Protheseninnenfläche wurde mit Spongiosa-Metall II belegt und der dünne Schaft offenporig gestaltet. Die Prothese wurde in 6 Größen gefertigt, um später eventuell auch die Grundgelenke der kleinen Zehen, etwa beim M. Köhler-Freiberg, ersetzen zu können. Das Instrumentarium wurde als kanüliertes System gefertigt und alle Einzelschritte konnten einer Nummerierung der Instrumente folgend ausgeführt werden. Auf Sägeschnitte wurde gänzlich verzichtet.
Operationsanleitung Großzehengrundgelenkprothese Der Eingriff erfolgt in Blutleere am oberen Sprunggelenk mit 250 mmHg. Bei Kontraindikationen kann der Eingriff auch ohne Blutleere erfolgen.
Operativer Zugang Der Zugang erfolgt durch einen dorsomedial gelegenen Hautschnitt unter Schonung des dorsomedialen Gefäßnervenbündels. Das Release der lateralen Gelenkstrukturen ist meist nicht erforderlich. Ist das Gelenk sehr kontrakt, so sollten die Sehne des M. adductor hallucis, die laterale Kapsel und das fibulare Sesamband durchtrennt werden. Durch eine mediale T-förmige Kapsulotomie wird das Großzehengrundgelenk eröffnet und vollständig inspiziert.
Präparation der knöchernen Strukturen
⊡ Abb. 7.6. Ansicht der Endoprothese mit Spongiosa-Metall-II-beschichteter Stirnfläche
Sämtliche Exophyten am Mittelfußköpfchen und an der Basis der Grundphalanx werden entfernt. Ein 2,5 mm starker Führungsdraht wird unter Durchleuchtungskon-
159 Kapitel 7.2 · Kleine Gelenke: Fuß: Großzehengrundgelenk
trolle retrograd in das Metatarsale 1 eingebracht. Der Draht muss in beiden Durchleuchtungsebenen zentral liegen. Ein begrenzter Ausgleich einer Elevatusstellung ist möglich. Dabei muss der Führungsdraht in der Seitansicht nach dorsal verlaufend eingebracht werden. Bei korrekt liegendem Führungsdraht erfolgt das weitere Vorgehen ausschließlich über diesen Draht. Zunächst wird die Markierungslehre eingebracht, die die Bautiefe der Prothese anzeigt. Die Markierung erfolgt mit einem Sägeblatt oder einem Stift. Ist eine Überlänge des Mittelfußknochens auszugleichen, kann entsprechend mehr reseziert werden. Dabei gilt zu beachten, dass der 1. Mittelfußknochen nicht länger als der 2. Mittelfußknochen sein sollte. Die Polfräse wird über den Draht geschoben und das Köpfchen des 1. Mittelfußknochens bis zu der zuvor gesetzten Markierung abgefräst. Zur Korrektur einer Überlänge muss entsprechend mehr abgefräst werden. Die Polraspeln sind in 2 Größen verfügbar, die sich nach der Größe des Metatarsale richten. Dann wird der Formfräser in absteigender Größe eingesetzt. Beginnend mit der größten Größe 6 wird der Kopf des Metatarsale I außen zylindrisch zurechtgefräst, bis die gewünschte Größe erreicht wird. Standardgröße ist die Größe 3 für Frauen und 4 für Männer. Der plantare Überstand wird mit dem Formmeißel abgetragen, der anschließend mit dem Abzieher entfernt werden kann. Das plantare Fragment kann mit Meißeln gelöst werden und mit einer Zange entfernt werden. Mit der entsprechenden Größe wird die Stirnfläche mit der Stirnflächenraspel zubereitet.
Endoprothesenimplantation Nach Entfernen des Führungsdrahtes kann die Probeprothese mit dem Einschläger eingesetzt werden. Das Gelenk wird auf seine freie Beweglichkeit geprüft. Es ist darauf zu achten, dass sich das Gelenk mühelos um ca.1 cm distrahieren lässt, sonst muss nachreseziert werden. Jede Korrektur muss wieder mit der Polfräse und den Formfräsen beginnen. Bei korrektem Implantatsitz und freier Gelenkbeweglichkeit wird nach dem Führungsdraht auch die Probeprothese entfernt. Die Entfernung der Probeprothese wird durch das Eindrehen des Universalhandgriffs erleichtert. Über den wieder eingebrachten Führungsdraht wird ein Bohrer, dessen Größe sich an der Probeprothese ori-
7.2
⊡ Abb. 7.7. Seitansicht einer korrekt implantierten Hemiprothese mit plantarer und dorsaler Überdeckung im Röntgen
⊡ Abb. 7.8. Dorsoplantare Röntgenkontrolle nach Implantation einer ESKA-Sprint-Hemiprothese des Großzehengrundgelenks
entiert, eingebracht. Der Bohrer liegt in 2 Größen vor. Nach Entfernen des Bohrers wird die Prothese mit dem Einschläger eingesetzt. Es folgt die erneute Kontrolle der freien Gelenkbeweglichkeit (⊡ Abb. 7.7 und Abb. 7.8). Schließlich folgen noch ausgiebige Spülung des Operationsgebietes, lockerer Verschluss der Kapsel und Hautnaht.
Nachbehandlung Die sofortige Vollbelastung in einem Schuh mir harter Sohle (z. B. DARCO surgical shoe) ist gestattet. Der sofortige Beginn mit krankengymnastischer Übungsbehandlung auch unter Zuhilfenahme einer Bewegungsschiene erscheint entscheidend für das Endergebnis. Eine Thromboseprophylaxe für eine Woche postoperativ ist anzuraten.
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Teil III · Anwendung
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⊡ Abb. 7.9. a Präoperatives Röntgenbild mit Nachweis einer ausgec
prägten Zerstörung des Großzehengrundgelenkes. b Intraoperativer Befund. c Prothesensitz intraoperativ. d Postoperative Beweglichkeit. e Postoperatives Röntgen seitlich. f Postoperatives Röntgen a.p.
161 Kapitel 7.2 · Kleine Gelenke: Fuß: Großzehengrundgelenk
Klinische Ergebnisse Die Entwicklung der Prothese wurde zeitgleich mit der endgültigen Planung des Buches abgeschlossen, sodass nur Erstergebnisse mit einem Nachbeobachtungszeitraum von 6–8 Monaten vorgelegt werden können. Insgesamt wurden 4 Prothesen eingebaut. Die Patienten waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden und zeigten eine deutlich gesteigerte Aktivität im Alltag. Beklagt wurde allerdings eine über 4 Monate andauernde Schwellneigung und eine Fehlbelastung des Fußes auf der Außenkante für 6–8 Wochen. Eine Überlastung der Sesambeine war klinisch nicht evident.
Nachdem die ersten Erfahrungen gute Ergebnisse erbrachten, müssen Langzeitstudien darüber Aufschluss geben, ob sich diese biomechanischen Ansätze vorteilhaft auf die Haltbarkeit und Funktionsfähigkeit der Prothese auswirken.
Literatur 1. 2.
3.
Kasuistik Bei einer 59 Jahre alten Patientin mit Hallux rigidus im Endstadium wurde eine Hemiprothese (⊡ Abb. 7.9) implantiert. Die Indikation wurde wegen erheblicher Schmerzen gestellt. Die Patientin wünschte keine Arthrodese oder eine modifizierte Operation nach Valenti. Der Eingriff erfolgte mit Single-shot-Antibiose und dauerte 40 min. Intraoperativ bestätigte sich die ausgeprägte Gelenkdestruktion (⊡ Abb. 7.9b). Mit dem entsprechenden Instrumentarium wurde die Implantation durchgeführt und ergab einen korrekten Sitz der Prothese (⊡ Abb. 7.9c). Die Gelenkbeweglichkeit betrug postoperativ ca. 60° in der Dorsalflexion (⊡ Abb. 7.9d). Die postoperativen Röntgenbilder ergaben ebenfalls einen regelrechten Sitz der Prothese (⊡ Abb. 7.9e,f). Direkt postoperativ wurde Vollbelastung gestattet, die Krankengymnastik erfolgte nach gesicherter Wundheilung.
Fazit Die ESKA-Sprint Endoprothese erfüllt die biomechanischen Kriterien an eine Großzehengrundgelenkprothese mit besonderer Berücksichtigung der anatomischen Besonderheiten dieses Gelenkes. Beide Gelenkkompartimente des Großzehengrundgelenkes werden alloplastisch überdeckt und ermöglichen die uneingeschränkte Beweglichkeit. Die besondere Oberflächenstruktur der Kontaktfläche zwischen Prothese und Metatarsale durch SpongiosaMetall II wie auch der offenporige Stiel der Endoprothese ermöglichen eine knöcherne Integration.
7.2
4. 5.
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8 Ossäre Integration in der oralen Implantologie J. Sprang
Zusammenfassung Die aus dem klinischen Einsatz gewonnenen Erkenntnisse über die Oberflächenstruktur oraler enossaler Implantate führten zu der neuartigen Ausbildung einer offenmaschigen, dreidimensionalen Fixtur. Dieses Raumnetzimplantat stellt die Abkehr von rotationssymmetrischen Implantatkörpern dar und erzielt sowohl eine Dämpfung bei der physiologischen Implantatbelastung als auch eine verminderte Grenzschichtspannung zwischen Knochen und Implantatoberfläche. In tierexperimentellen Studienreihen wurde besonders unter dem Einfluss bioaktiver Substanzen die beschleunigte ossäre Integration der Implantate bestätigt. Die ersten Patientenversorgungen konnten mit Raumnetzimplantaten klinisch erfolgreich durchgeführt werden.
Einleitung Wie der Wunsch nach ewiger Jugend den Menschen seit dem Entstehen seines Bewusstseins nicht mehr losgelassen hat, so ließ der als Schicksalsschlag hingenommene Verlust der Zähne immer wieder die Hoffnung auf eine 3. Dentition – egal wie artifiziell sie auch beschaffen sein mochte – aufkeimen. Zähne haben eine große somatopsychische Bedeutung und unterbewusste Funktion als Waffe-, Schönheits-, Macht- und Potenzsymbol. Die mastikatorischen Funktionen des kraniomandibulären Systems erfüllen nicht nur als Eingangspforte des Gasaustauschs und der Stoffwech-
selversorgung ihre Aufgaben. Den oralen Funktionen kommt maßgebliche Bedeutung beim Kauen, Sprechen, Atmen und Schlucken zu, sie sichern die vertikale und transversale Weichteil- und Kiefergelenkstützung, formen die Ästhetik und beeinflussen psychosoziale Faktoren. Die Sprache als eine der Schlüsselfähigkeiten der menschlichen Existenz benötigt funktionsfähige Lippen und Zahnreihen. Zwei Drittel aller Konsonanten und Vokale im Deutschen können nur unter Nutzung von Lippen, Gaumen und Zähnen sprachkorrekt gebildet werden. Zahnverlust führt zu einer Veränderung der Artikulation. Fehlende Front- und Seitenzähne stören die Bildung von Resonatoren und die ursprüngliche Raumbildung zur Erzeugung und Modellation von Resonanzen ist erschwert oder nicht mehr gegeben [1]. Die Lebensqualität eines Menschen wird durch Zahnverlust eingeschränkt. Es besteht eine deutliche Korrelation zwischen Zahnverlust, fehlender prothetischer Versorgung und reduzierter mundbezogener wie allgemeiner Lebensqualität [2]. Konventionelle Prothesen, die verloren gegangene Zähne ersetzen, steigern nicht immer die Lebensqualität. Nur implantatgetragene orale Rehabilitationen zeigen eine signifikante »Erhöhung der Vital- und Sozialfunktionen« [3]. In der oralen Implantologie werden metallische oder keramische Körper als Zahnwurzelersatzwerkstoffe unzementiert in vitales Knochengewebe eingebracht. Ziel dieser Insertion rotationssymmetrischer, zylindrischer oder blattförmiger Implantatkörper ist eine ossäre Integration, die durch den direkten Kontakt von Knochen- und Implantatoberfläche von Brånemark nachgewiesen wurde [4].
163 Kapitel 8 · Ossäre Integration in der oralen Implantologie
Diese unmittelbare Knochen-Implantat-Verbindung, über die einwirkende und eingeleitete dynamische Kräfte vom Knochen schadlos aufgenommen werden und Knochenresorption und Knochenregeneration dauerhaft im Gleichgewicht stehen, stellt die Grundvoraussetzung für eine langfristige Verankerung stomatognather Rekonstruktionen dar.
Historischer Hintergrund In einem archäologischen Grab auf der Playa de Los Muertos im Ulloa Valley von Honduras wurde 1931 das erste bekannte dentale Implantat der Medizingeschichte entdeckt. In einem großen Unterkieferfragment einer etwa 20-jährigen Maya-Frau aus dem 7. nachchristlichen Jahrhundert sind drei verlorengegangene Schneidezähne durch künstliche Zähne aus der Schale einer doppelwandigen Molluske ersetzt. Ursprünglich wurde angenommen, dass dieses Schalensubstitut post mortem inseriert worden ist. Der brasilianische Zahnmediziner Amadeo Bobio jedoch konnte 1972 aufgrund radiographischer Untersuchungen nachweisen, dass diese Implantate osseointegriert und zu Lebzeiten eingesetzt worden waren [5]. Im 17. Jahrhundert wurden die unterschiedlichsten Materialien verwendet, um fehlende Zähne zu ersetzen. Neben Holz, Elfenbein und Knochen war es in gehobenen Kreisen sogar üblich, dass Untertanen ihrer Herrschaft die eigenen Zähne zu Verfügung stellen mussten. Selbst bereits Gehängte waren am Galgen vor »Zahnräubern« nicht sicher [6]. Diese Versuche, verloren gegangene Zähne durch fremde Zähne zu ersetzen, waren die ersten homologen Transplantationen. Die ersten wirklichen alloplastischen Implantationen fanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts statt. Maggiolo implantierte 1809 ein konisches Goldrohr in eine leere Alveole, das an der Wurzel durch eine vierarmige Kralle fixiert wurde und einen Stiftzahn aufnahm [7]. Bereits 1885 beschrieb der amerikanische Zahnarzt Younger die Transplantation eines Zahns in eine künstlich hergestellte Alveole in einem zahnlosen Kieferabschnitt [8]. Der zunächst als »Younger-Operation« bezeichnete Vorgang wurde schon kurze Zeit später Implantation genannt. Von der eigentlichen zahnärztlichen enossalen Implantologie kann man frühestens seit dem operativen Verfahren des Russen Znamensky sprechen, der nicht resorbierbare künstliche Zahnwurzeln verwendete [9]. Bereits 1891 erschienen in der »Deutschen Monats-
schrift für Zahnheilkunde« sieben implantologische Berichte [10]. So lagen zu Beginn des ersten Weltkriegs schon mehrere Implantationsmethoden vor, wobei als Formen Zapfen und Hohlzylinder und als Materialien Metalle, Keramik und Elfenbein verwendet wurden. Auch gab 1914 der Wiener Zahnarzt Josef Peter eine hervorragende Übersicht über den Stand der Implantologie heraus und stellte Fälle nach »Greenfield« vor (⊡ Abb. 8.1) [11, 12]. Die moderne Oralimplantologie hatte ihre Anfänge in den späten 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Der deutsche Zahnarzt Müller in Berlin ging 1937 von dem Gedanken aus, dass ein Fremdkörper die besten Einheilungsmöglichkeiten in der Zone der optimalen Ernährung, d. h. zwischen Knochen und Periost haben würde. Müller und kurz darauf der Schwede Dahl (1943) gliederten erfolgreich subperiostale Implantate ein. Gershkoff und Goldberg führten dieses Verfahren 1949 in die Praxis ein und verhalfen ihm zur weltweiten Verbreitung [13]. Zunächst wurde noch ein Abdruck über der Schleimhaut genommen und um die jeweilige Schleimhautdicke radiert. Dies führte verständlicherweise zu einem ungenauen Sitz des Gerüsts und automatisch zum Misserfolg. Deshalb empfahl Ogus 1951 die direkte Abdrucknahme der operativ freigelegten Knochenoberfläche, wodurch jedoch ein weiterer Eingriff erforderlich wurde. Die direkte Abdrucknahme führte zu einem besseren Sitz der subperiostalen Gerüstimplantate und verhalf diesem Verfahren endgültig zum Durchbruch. Aber die anfänglich mit Euphorie aufgenommene Methode der subperiostalen Implantation stieß in den
⊡ Abb. 8.1. Röntgenbild eines Implantats nach »Greenfield EJ (USA)«, 1913. Der Hohlzylinder ist aus einem Platin-Iridium-Gitter geformt
8
164
8
Teil III · Anwendung
60er-Jahren aufgrund der Vielzahl von Misserfolgen immer mehr auf Ablehnung. Zahlreiche Autoren berichteten über negative Ergebnisse mit dem Hauptkritikpunkt, dass ein erheblicher Verlust des ohnehin schon stark reduzierten Restknochens eintrat und nach Entfernung ein stark narbig verändertes, insuffizientes Prothesenlager übrig blieb. Bis 1972 wurde die Insertion subperiostaler Voll- und Teilimplantate trotz der massiven Schwierigkeiten empfohlen. Durch die Entwicklung enossaler Implantate als rotationssymmetrische und zylindrische Körper setzte eine revolutionäre Ära in der Zahnmedizin ein. 1981 formulierten Albrektsson und Mitarbeiter die für eine verlässliche Osseointegration notwendigen Faktoren [14]: 1. Biokompatibilität 2. Design 3. Oberfläche 4. Empfängerstelle 5. chirurgische Technik 6. Belastung Die wesentlichen Probleme der Biokompatibilität, der mechanischen Belastbarkeit und der chirurgischen Insertionstechnik enossaler Implantate sind heute weitgehend gelöst. Entscheidende Kriterien, Implantate direkt im Knochen zu verankern und damit eine dauerhafte ossäre Integration zu erzielen, stellen vor allem das Design und die Oberflächenstruktur in ihrer Makro- und Mikroporosität dar, insgesamt also die Oberflächenkonditionierung, aus der eine große Oberflächenvergrößerung resultiert. Die oralen Implantatindikationen sind in drei Gruppen klassifiziert (BDIZ 1997): 1. Einzelzahnersatz 2. reduzierter Restzahnbestand 2a Freiendsituation 2b Schaltlücke 2c stark reduzierter Zahnbestand 3. zahnloser Kiefer Diese Indikationsklassen stellen den Einsatzrahmen oraler ossär integierter Implantate dar. Deren klinischer Erfolg weist spezifische Kriterien auf. Das einzelne, unverblockte Implantat ist klinisch unbeweglich, der röntgenologische Befund zeigt keine periimplantäre Transluzenz und der mittlere jährliche Knochenabbau nach dem ersten postoperativen Jahr liegt unter 0,2 mm. Schmerzen, Infektionen, Neuropathien, Parästhesien oder Verletzungen des Nervenkanals dürfen nicht vorliegen und die prothetische Versorgung muss eine zumindest zufriedenstellende Reha-
bilitation aufzeigen. Die Mindesterfolgsquote soll nach 5 Jahren bei 85%, nach 10 Jahren bei 80% liegen [15]. Das moderne Implantat ist heute ein enossales Implantat und wird geprägt durch ein Makrodesign, vor allem als rotationssymmetrischer oder zylindrischer Körper, und durch die Oberflächenstrukturierung, dem Mikrodesign, als entscheidendem Schlüssel der Einheilung. Das orale Implantat ist ein halb offenes Implantat und hat immer eine Implantatdurchtrittsstelle, den »locus minoris resistentiae«, der über den Langzeiterfolg wesentlich entscheidet.
Spezifisches Konzept des Raumnetzimplantats nach Sprang und Grundei Material und Methode Aus den im klinischen Einsatz gewonnenen Erkenntnissen über die Oberflächenstrukturierung und das Makrodesign enossaler Implantate wurde ein Basisimplantat mit der völlig neuartigen Ausbildung einer offenmaschigen Oberflächenstruktur, einem dreidimensionalen Maschengebilde, entwickelt. Die durchgewachsene Knochensubstanz dient als Dämpfung bei der physiologischen Implantatbelastung, wodurch gleichzeitig die Grenzschichtspannung zwischen Knochen und Implantatoberfläche vermindert und damit ein druckbedingter Knochenabbau verhindert wird [16]. Die tierexperimentelle Entwicklungsarbeit wurde in zwei Studienreihen durchgeführt. Bei sechs Schäferhunden wurden systematisch entweder in zahnlosen Kieferabschnitten, deren Zähne 3 Monate vorher entfernt wurden, Implantationen durchgeführt, oder die Implantatinsertion erfolgte unmittelbar nach Extraktion als Sofortimplantation in das Knochenlager. Zur Verfügung standen Raumnetzimplante aus Titan, aus Titan mit einer Niob-Beschichtung (Titan-Nioboxynitrid-Beschichtung) und aus einer Chrom-Kobalt-Molybdän-Legierung. Der zweite Implantattyp zeichnet sich durch die Kombination zweier Werkstoffklassen, nämlich von Metallen und Keramiken aus. Der Kern besteht aus einer Titanlegierung, die Oberfläche besitzt eine mikroabgeschiedene Mehrphasen-Titan-Niob-Keramikschicht als Ummantelung. Ein spezielles Hochvakuumionendiffusionsverfahren verleiht dem Schichtsystem höchste Haftfähigkeit bei hoher Eigentragfähigkeit (⊡ Abb. 8.2). Die Implantatkörper hatten einen Durchmesser von 3,3 mm, 4,0 mm und 4,3 mm in den Längen 10 mm, 13 mm, 15 mm und 18 mm. Das Lebensalter der Hunde
165 Kapitel 8 · Ossäre Integration in der oralen Implantologie
betrug im Schnitt 2 Jahre, deren Gewicht variierte zwischen 20,5 kg und 26,5 kg. Die Insertion aller Implantate erfolgte aufgrund des zylindrischen Designs bei beiden Studien nach dem Press-Fit-Verfahren. Das Ziel der zweiten Studie bestand darin, beim Rhesusaffen (Macaca mulatta) die beschleunigte Osseointegration von Raumnetzimplantaten unter dem Einfluss bioaktiver Substanzen – Knochenmorphogenen – zu untersuchen und nachzuweisen. Auch in dieser Gruppe wurden systematisch einzeitige und zweizeitige Implantationen durchgeführt. Ergänzt wurde die Studie um Sinuselevationen und um Augmentationen bioaktiver Substanzen in Knochendefekte mit
⊡ Abb. 8.2. Raumnetzimplantat aus Titan mit einer Niob-Beschichtung (Titan-Nioboxynitrid-Beschichtung) nach dreimonatiger Inkorporation im Hundekiefer. Histologische Aufbereitung mit der TrennDünnschliff-Technik nach Donath [19]
einer Titannetzabdeckung als Barrierefunktion. Appliziert wurde ein Komplex von Proteinen, der die Morphogenese von Knochengewebe auslöst. Dieser Komplex bestand aus den osteoinduktiv wirksamen Matrixproteinen BMP-1, BMP-2 (BMP-2A), BMP-3 (Osteogenin), BMP-4 (BMP4B), BMP-5, BMP-6, BMP-7 (»osteogenic protein«, OP-1) und dem »osteoinductive factor«. Dieses Material wurde in Denaturierungs- und Renaturierungszyklen als Knochenkollagen aus Kälbersymphysen gewonnen. Die Besonderheit dieser Studie lag darin, dass nach der ossären Integration der inserierten Implantate diese mit zahnärztlich-prothetischer Versorgung funktionell belastet wurden [17, 18]. Die Tiere beider Versuchsreihen wurden in 4-wöchigem Abstand einer radiologischen Verlaufskontrolle unterzogen (⊡ Abb. 8.3). Diente die erste Studie durch zusätzliche Fluorochrommarkierung ausschließlich zum Nachweis der
⊡ Abb. 8.3. Topogramm eines Rhesusaffenschädels (Macaca mulatta) mit implantatgetragener prothetischer Kronen- und Brückenversorgung. Im Oberkieferseitenzahnbereich wurde eine Sinuselevation und Augmentation durchgeführt (Sinuslift). Hoch auflösende axiale und sagittale Aufnahmen wurden zur präzisen postoperativen Kontrolle angefertigt und in einem Computerprogramm SIMPLANT™ verrechnet und ausgewertet, um die ossäre Integration der funktionell belasteten Implantate nachzuweisen
8
166
Teil III · Anwendung
ossären Integration des oralen Raumnetzimplantats, so konnte im experimentellen Studienkonzept bei den Primaten eine beschleunigte ossäre Integration der dentalen Implantate durch das Oberflächendesign und die Verwendung eines Wachstumsfaktors nachgewiesen werden. Von besonderem Interesse war hier die funktionelle Belastung der Implantate durch prothetische Versorgungen in Form von Kronen- und Brückenersatz. Vor allem der Abwendung von verschraubten Verbindungen vom Implantat-Abutment hin zu interner konischer Verbindung als formschlüssigen Verbund galt das prothetischfunktionelle Interesse.
Nach erfolgreichem Abschluss der beiden beschriebenen Versuchsreihen, Entnahme der die Implantate enthaltenden Knochensegmente und Fixierung wurden die histo-
logischen Präparate nach der von Donath beschriebenen Trenn-Dünnschliff-Technik aufbereitet und ausgewertet [19]. Die Ergebnisse der Studie führten zur Entwicklung eines normierten Insertions-Sets und eines Systemaufbaus, die die Auswahlkriterien für ein Implantatsystem erfüllen: Primärstabilität, wurzelanaloge Durchmesser und Flächen, übersichtliche Aufbausysteme, zuverlässige schraubenfreie Implantat-Abutment-Verbindungen und einen klar strukturierten Pool an prothetischen Aufbauteilen, sodass höchste Implantationssicherheit gewährleistet ist. Aufbauend auf umfangreichen und in über 25-jähriger Erfahrung gewonnenen Erkenntnissen aus implantologischer Forschung und gezielter Anwendung in der Praxis, wurden die spezifischen Resultate der beiden tierexperimentellen Studien in einem Pilotprojekt in der implantologischen Praxis eingesetzt und Patienten nach einem festen Protokoll mit dem Raumnetzimplantat funktionell und ästhetisch einwandfrei versorgt (⊡ Abb. 8.4 bis 8.7).
⊡ Abb. 8.4. Operationssitus unmittelbar nach Insertion des Raum-
⊡ Abb. 8.5. Postoperative Röntgenkontrolle der vorherigen Implantat-
netzimplantates in der Regio 16. Das Implantat ist nach dem Press-FitVerfahren in den Knochen eingebracht
insertion. Zur Aufbereitung des Knochenlagers wurde zusätzlich ein »interner Sinuslift« durchgeführt, die basale kortikale Begrenzung der Kieferhöhle wurde perforiert und unter der Schneider-Membran ein Knochenersatzmaterial (β-Trikalziumphosphat) kondensiert
Resultate und praktische Anwendung
8
167 Kapitel 8 · Ossäre Integration in der oralen Implantologie
Zukünftige Entwicklung Makro- wie Mikrodesign dieses neuen oralen Implantattyps lassen schon jetzt die Beschichtung der Oberflächen mit osseoinduktiven Biomaterialien zu und eröffnen damit den Weg zum biologischen und bioaktiven Implantat, dass schnell belastbar und ossär sicher integriert wird.
Literatur
⊡ Abb. 8.6. Implantation auf einer Leerstrecke des 1. Oberkieferquadranten. Operationssitus, die Implantatlager sind maschinell aufbereitet, die Raumnetzimplantate werden im Press-Fit-Verfahren inseriert
⊡ Abb. 8.7. Postoperative Kontrolle der Implantatinsertion; die Implantate sind bikortikal abgestützt, wobei die kraniale Implantatbasis in der Kortikalis des Kieferhöhlenboden liegt (Panoramaschichtaufnahme)
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8
9.1 Spezialimplantate Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel W. Mittelmeier, M. Hauschild, R. Bader, R. Gradinger
Zusammenfassung Die steigende Anzahl der Wechseloperation von Endoprothesen mit ebenfalls zunehmenden Mehrfachwechseln stellt hohe Anforderungen an Operateure, Implantate und die Möglichkeiten des Wiederaufbaus von Knochengewebe. Gerade der limitierende biologische Faktor Knochen erfordert eine präzise präoperative Planung und ein flexibles auf die jeweilige Defektsituation anzupassendes Therapiekonzept. Die verschiedenen Probleme azetabulärer und femoraler Knochendefekte nach Hüftendoprothetik und ein Therapiekonzept mit angepassten Lösungsvorschlägen werden im folgenden Beitrag vorgestellt.
Problem: mehr Mehrfachwechsel und eine Fülle verschiedener Implantate Mit zunehmender Zahl von Endoprothesenprimärimplantationen werden bei begrenzter Standzeit folglich auch immer mehr Wechseleingriffe notwendig. Zudem sind die Möglichkeiten des Wiederaufbaus von Knochengewebe begrenzt und immer größere Defektvolumina zu bewältigen. Besondere Probleme entstehen durch teilweise noch stabil fixierte Monobloc-Endoprothesenanteile (z. B. Stiel), die keinen modularen Wechsel eines Kopfes erlauben. Des Weiteren ergeben in relativer Fehlposition eingebrachte Implantate (z. B. Stiel in Retrotorsion) die Notwendigkeit, zwischen dem Ausbau eines fest verankerten Segments (Stiel/Pfanne) und Kompromisslösungen
von Kopf und/oder Inlay zu entscheiden. In Einzelfällen muss auch auf der Basis spezieller Werkstoffe (z. B. nach Versagen eines Keramikimplantats) zu Kompromisslösungen übergegangen werden.
Hüftpfanne Azetabuläre Knochendefekte In der Vergangenheit wurden bei größeren Knochendefekten verschiedene Verfahren, wie große Primärpfanne, Aufbau mit Spongiosa oder Allograft-Chips (»morzilised graft«) [1–5] eingesetzt und zeigten bei Azetabulumdefekten Typ II nach D’Antonio (⊡ Tabelle 9.1) akzeptable Ergebnisse. Problematisch sind hingegen Defekte des Typs III und IV, und Pfannenrevisionen bei großen Azetabulumdefekten (Typ III + IV) zeigen vergleichsweise hohe Komplikationsraten. Insbesondere aseptische Lockerungen, Luxationen und Infektionen führen zu einer hohen Komplikationsrate mit Revisionsraten von 50% und mehr [6]. Krüger et al. [7] postulierten, dass Press-fit-Verankerungen einer ausreichenden Reststabilität des azetabulären Ringes mit mehr als 50% Knochensubstanz bedürfen. Große segmentale Allografts hingegen unterliegen dem Risiko einer Nekrose [4, 5, 8–10] mit ossärer Resorption bzw. Ermüdungsbruch des Allografts nach etwa 5–7 Jahren. Pfannenmigrationen von 56% nach einem Followup von 6,5 Jahren resultieren [11] aus dem Problem der sekundären Instabilität nach Resorption oder Bruch des histologisch nekrotischen Allografts [8]. Auch die Ver-
169 Kapitel 9.1 · Spezialimplantate: Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel
⊡ Tabelle 9.1. Klassifikation der knöchernen Azetabulumdefekte und Konzept der Implantatwahl bei Revisionen Klassifikation nach D’Antonio Typ I
Implantatwahl
segmental peripher
Standardimplantat
zentral Typ II
ovalär
Kranialpfanne
Typ III
kombiniert I+II
Kranialpfanne und Lasche
Typ IV
Beckendiskontinuität
Kranialpfanne und Lasche und Zapfen
wendung von Allograft-Chips in Form von impaktierten Knochengrafts im tragenden Bereich ist bei Defekttyp D’Antonio III und IV (⊡ Tabelle 9.1) wegen zunehmender Pfannenmigration nicht empfehlenswert. Knochenchips sollten nicht vornehmlich an primär lastragender Stelle eingebracht werden, sondern allenfalls ergänzend zu primär stabilen Pfannensystemen Verwendung finden. Bei großen segmentalen Allografts ist eine langfristige knöcherne Integration und Revitalisierung nicht zu erwarten [12]. Auch die Verankerung mit großen Stützschalen und Zement bot bislang keine ausreichende Langzeitlösung [1, 2, 13–15], zumal eine ergänzende biologische Rekonstruktion damit nicht erzielt werden kann. Zudem besteht das Risiko der Ermüdungsfraktur von segmentalen Allografts und ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko.
Pfannenrevisionsimplantate Die Wahl des notwendigen Implantats ist anhand einer exakten Planung so weit wie möglich vorzugeben. Diese Planung muss sowohl eine sinnvolle Defektklassifikation, als auch das gewünschte Hüftdrehzentrum berücksichtigen. Dies bedeutet für uns heute in der Revisionschirurgie, dass wir immer eine primär stabile Verankerung im autochtonen Knochenlager anstreben müssen, was natürlich bei zahlreichen Azetabulumdefekten nicht alleine mit Standardimplantaten, wie wir sie von der Primärimplantation kennen, zu erreichen ist. Folgende Implantate werden bei Pfannenrekonstruktionen heute überwiegend verwendet: ▬ Standardpfanne bei kleineren Defekten, ▬ Laschenpfanne mit zementiertem Inlay (z. B. BurchSchneider-Ring, Müller-Pfanne),
9.1
▬ überwiegend Defekt füllendes Rekonstruktionsimplantat: – einteilig, zementfrei fixiert – (z. B. LOR-Pfanne) mit zusätzlichem Insert, – mehrteilig/modular, zementfrei fixiert – (z. B. BrehmPfanne, Sockel-Pfanne, Kranialpfanne), ▬ evtl. Kombination der Pfanne mit segmentalem Allograft oder auch Knochenersatzmaterial Als Verankerungstechniken für Revisionspfannen werden eingesetzt: ▬ Schrauben/Nägel, ▬ Lasche: – anformbar, – starr, ▬ Verankerungszapfen – Teil des Implantates, – modular, ▬ teilweise Press-fit-Verklemmung, ▬ als Rückzugsmöglichkeiten: – Beckenteilersatz mit ausschließlicher Lasteinleitung im Os ilium, – Sattelendoprothese.
Grundlagen zur Entwicklung eines modularen, defektadaptierten Pfannensystems Grundlage für das von uns verwendete Konzept der Kranialpfanne war die Entwicklung eines modularen Pfannenkonzepts auf der Basis bereits etablierter Konstruktionsdetails: ▬ ovaläre Pfanne (mit zusätzlicher Schraubenverankerung nach Gaenslen [1952]) ▬ intramedullärer Stiel (gemäß der von Ring [1968] angegebenen Pfanne, die mit einem intramedullären Stiel im Os ilium zu verankern war) ▬ Laschen am Pfannenrand (wie von M.E. Müller empfohlen) ▬ sehr raue, strukturierte Oberfläche, wie sie von den Primärpfannen (Fa. ESKA, Lübeck) bekannt ist – als eine dreidimensional offenzellige Metallstruktur mit sog. Tripoden [18] ▬ Modularität (wie bereits bei den Femurstielen etabliert)
170
Teil III · Anwendung
Über die Implantatdetails soll eine stabile Primär- und Sekundärverankerung mit folgenden Prinzipien erreicht werden: ▬ Press-fit, ▬ Form-fit, ▬ Reibschluss.
9
Dabei ist die Kombination der Verankerungsprinzipien entscheidend – mit unterschiedlicher Gewichtung in Abhängigkeit von der Defektsituation. So erzielt die Anwendung der Lasche eine Erhöhung der Kipp- und Torsionsstabilität über asymmetrische Fixation am lateralen Azetabulumrand, der Zapfen eine stabilisierende Führung – vornehmlich gegen Kippmomente – im Os ilium und somit eher in der resultierenden tragenden Kraft der Pfanne. Mit dem Grad des Defekts nach D’Antonio nimmt meist die Möglichkeit der Form-fit-Verankerung ab, wobei die ovaläre Form des Implantats die häufigsten, meist nach kranial ausgedehnten Defekte nachformt. Das Press-fit-Verfahren kann nur über einen geschlossenen azetabulären Ring realisiert werden, und funktioniert somit nicht beim Defekttyp D’Antonio IV. Reibschluss ist letztlich abhängig von einer möglichst großen knöchernen Kontaktfläche. Nach Morscher 1989 [17] sollte eine zementlose Pfanne zumindest zu 50% der lasttragenden Oberfläche mit autochtonem Knochen bedeckt sein. Diese Regel wird durch die Kombination o. g. Prinzipien relativiert. Grundsätzlich kann die Primärstabilität mit transfixierenden Schrauben erhöht werden. Schraubenverankerungen in das Sitzbein oder Schambein sind unseres Erachtens nicht sinnvoll, da sie entsprechend der Lastübertragung nach kranial ungünstig dauerbelastet werden, damit lockerungsanfällig sind und keine Erhöhung der Stabilität mittel- oder langfristig erreichbar ist.
Kranialpfannensystem Das Konzept der hier vorgestellten Systemlösung richtet sich nach dem ursprünglichen Konzept von Gradinger, das sich in den letzten Jahren seit 1993 bewähren konnte. Gemäß der etablierten Klassifikation von D’Antonio (⊡ Abb. 9.1) [19, 20] sind segmentale Defekte (D’Antonio Typ I) in der Regel mit Standardimplantaten stabil zu versorgen (⊡ Tabelle 9.1). Problematischer sind die ovalären und kombinierten Defekte (Typ II und III), die
nach unserem Konzept mit einer sog. Kranialpfanne zu versorgen sind, die der Defektform angepasst ist. Rein ovaläre Pfannen ohne Abstützlaschen sind für die Versorgung von rein ovalären Defekten (D’Antonio Typ II), die in der Regel kraniolateral anzutreffen sind, geeignet (⊡ Tabelle 9.1). Liegen kombinierte Defekte vor, d. h. eine Kombination aus segmentalen und ovalären Defekten (D’Antonio Typ III), ist es ratsam, die primäre Stabilität der Pfanne durch eine kraniolateral angebrachte Lasche zu erhöhen (⊡ Abb. 9.2). Über diese Lasche können Kompressions- als auch Abstützschrauben eingebracht werden. Für Defekte mit einer Beckendiskontinuität ist die Verwendung eines intramedullären Zapfens erforderlich (⊡ Abb. 9.2). Bezüglich der Operationstechnik ist bei derartigen Implantaten so zu verfahren, wie dies bereits von Maurice E. Müller bezüglich seiner Abstützschale angegeben wurde. Grundsätzlich sollten die zentralen Schrauben zuerst besetzt werden, bevor Laschenschrauben eingebracht werden, um das System nicht durch exzentrischen Zug der Laschenschrauben zu verkippen. Bei Implantaten mit biegsamen Laschen müssen diese zunächst vorgeformt werden, um eine Einpassung in den Defekt zu erzielen. Mehrfaches Biegen der Laschen ist dabei wegen der Gefahr der Vorschädigung des Metallkörpers zu vermeiden. Bei Verwendung von Allograft-Chips oder Knochenersatzmaterialien ist eine Einpassung der Materialien vor der Pfannenimplantation üblich. Die Augmentation von Knochenersatzmaterialien, deren Vorteil für den Knochenaufbau auch tierexperimentell [16] belegt ist, kann durch sparsame Entnahme von autogener Spongiosa über den oberen Schnittrand am oberen Beckenkamm erfolgen. Große segmentale Allografts zum Zwecke des Lageraufbaus sind wegen der Gefahr der Ermüdungsfraktur, die häufig ab dem 4. bis 6. Jahr postoperativ auftritt, umstritten. Bei Verwendung dieser Knochensegmente sollte eine zusätzliche Schraubenverankerung der Pfanne nicht im Allograft erfolgen, sondern die Schrauben eher im Sinne von Pfahlschrauben in das körpereigene Implantatlager ausreichend weit hinein reichen. Die größte Problematik sehen wir in der Versorgung von sog. Beckendiskontinuitäten (D’Antonio Typ IV), die teilweise erst intraoperativ erkannt werden. Dies bedeutet, dass man intraoperativ auf diese Problematik reagieren können muss, wobei eine Systemlösung auf der Basis modularer Implantate wesentliche Vorteile bietet. Liegen ein Typ-IV-Defekt und eine Pfannendiskontinuität vor, kann eine Primärstabilität letztendlich nur über
171 Kapitel 9.1 · Spezialimplantate: Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel
⊡ Abb. 9.1. Defekteinteilung modifiziert nach D’Antonio mit Darstellung der Defekte vom Typ 2, 3 und 4 (von links). Darunter die verschie-
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9.1
denen Versorgungsmöglichkeiten des modularen Kranialpfannensystems bis zum Beckenteilersatz.
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⊡ Abb. 9.2. Konzept der Cranialpfanne – a) Konstruktionszeichnung und b) Implantat.
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Teil III · Anwendung
eine zusätzliche intramedulläre Verankerung im Os ilium über entsprechende intramedulläre Stiele erreicht werden (⊡ Abb. 9.2 und 9.3). Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass ein an der Pfanne angebrachter Stiel vor allem im dorsalen Anteil des verbliebenen Os ilium zu liegen kommt. Denn nur hier ist der nutzbare Verankerungsraum groß genug und weist ausreichend spongiösen Knochen auf, um eine sekundäre Stabilisierung über ossäre Integration dauerhaft zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass die Positionierung des Pfannenstiels exzentrisch eher bajonettartig sein muss und nicht den Vorstellungen von Ring folgen kann, da damit eine Fehlpositionierung der Pfanneneingangsebene resultieren
9
⊡ Abb. 9.3. Beispiel eines Pfannenwechsels: Frühversagen eines Gelenkes mit Titan-Nitrit-beschichtetem Kopf, Wechsel auf Müller-Ring mit segmentalem Allograft und früher Pfannenlockerung nach 4 Jahren. Wechsel auf Cranialpfanne und Knochenaufbau mit KnochenersatzMaterial Bonit. Hier Verwendung des zusätzlichen Zapfens bei vollständigem Verlust der ventralen Pfannenanteile (siehe Schemazeichnung) und nur sehr dünnem, mechanisch nicht belastbarem hinterem Acetabulumwall (trotz Restkontinuität funktionell Defekt-Typ 4).
würde. Sicherlich ist es technisch schwierig, eine derartige Pfanne optimal zu platzieren. Da der Zapfen eine vorgegebene Richtung sowie Position auf der Pfanne hat, ist die Vorbereitung des Implantatlagers von entscheidender Bedeutung. Das Pfannenlager muss zunächst unter Berücksichtigung des Drehzentrums im kaudalen Bereich mit Formfräsen vorbereitet werden. Die Kontrolle der Pfannenposition und das Vorbohren des Zapfenlagers im Os ilium sind über spezielle Bohrschablonen möglich. Die endgültige Positionierung der Pfanne erfolgt letztlich über die Führung des Zapfens im Bohrloch des Os ilium. Ziel der Rekonstruktion sollte einerseits eine gute Primärverankerung sein, die eine frühe Mobilisierung wenigstens unter Teilbelastung ermöglicht. Andererseits sollte aber auch die optimale Dauerstabilität des Implantats im Knochenlager und seine Funktionssicherheit gewährleistet sein. Dazu ist in der Regel eine (Teil-) Rekonstruktion des Knochenlagers anzuraten. Die Ergebnisse des hier angegebenen Verfahrens wurden von Gradinger und Mitarbeitern 2003 [21] in einer ersten Serie dargestellt. Durch eine besser adaptierte Laschenform der zweiten Generation der Kranialpfanne (Lasche »anatomisch adaptiert«, seit 2003) ist eine leichtere intraoperative Orientierung bezüglich der Pfanneneingangsebene gegeben. Durch Anlegen der Lasche am lateralen Os ilium wird in der Regel eine gute Ausrichtung der Pfanne bei korrekter Vorbereitung des knöchernen Lagers erreicht. Angesichts der bisherigen Ergebnisse steht heute durch das vorliegende Revisionssystem der Kranialpfannen (mit und ohne Lasche, mit und ohne zentrale Stielverankerung und zusätzlicher Schraubenstabilisierung) ein standardisiertes Implantat zur Verfügung, mit dem letztendlich nahezu alle Defekte bis hin zur Azetabulumdiskontinuität therapierbar sind. Die Zuordnung von Defekttyp und Implantatauswahl aus dem Kranialpfannensystem hat sich laut bisherigen Ergebnissen bewährt [21]. Bezüglich Defekttyp II sind die Ergebnisse der Kranialpfanne mit primärer zentraler Schraubenstabilisierung gut vergleichbar mit etablierten Verfahren der einschlägigen Literatur. Die vorliegenden Frühergebnisse zeigen insbesondere für die Defekte III und IV die Möglichkeit einer zuverlässigen und stabilen Revisionslösung im Vergleich zu den bisherigen Verfahren. Erst bei hochgradiger Diskontinuität des Azetabulums, bei der nur noch eine Verankerung im Os ilium möglich ist, ist ein Rückzug auf individuell angepasste Spezialimplantate notwendig. Diesbezüglich liegen eigene Ent-
173 Kapitel 9.1 · Spezialimplantate: Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel
wicklungen und Erfahrungen aus der Tumorchirurgie vor [22]. Der überwiegende Anteil der Typ-IV-Defekte konnte jedoch der Versorgung mit dem Kranialpfannensystem zugeführt werden. Indiziert sind derartige Individualimplantate, wenn neben einer Beckendiskontinuität bei sehr großen Defekten das Azetabulum und somit breitflächige Verankerungsmöglichkeiten weitgehend aufgebraucht sind. Regeln sind bei individuell unterschiedlicher Knochenstabilität nur eingeschränkt aufzustellen. Meist aber ist bei Destruktion des Azetabulums bis über die Höhe der Incisura ischiadica (a.p.-Röntgenbild) bereits die Verankerungsmöglichkeit derart reduziert, dass weit weniger als die Hälfte der Pfannenoberfläche mit tragendem Knochengewebe abgedeckt ist. In Kombination mit der fehlenden ventralen und dorsalen Abstützung kann dann in der Regel nur noch mit einer individuell ausgerichteten, intramedullären Finne im Os ilium stabil verankert werden. Die Anwendung derartiger semimodularer, im Verankerungselement individuell gefertigter Implantate erfolgte bisher im Rahmen von Pfannenrevisionen in unserer Arbeitsgruppe in nur 7 Fällen.
Alleiniger Pfannenwechsel Kann nach Beurteilung der Röntgenbilder und intraoperativer Prüfung von einem stabil fixierten Stiel ausgegangen werden, ergeben sich für den Pfannenwechsel besondere Voraussetzungen. Monobloc-Stiele (d. h. Stiele mit nicht abnehmbarem Kopf) können nur belassen werden, wenn deren Kopf keine Beschädigungen (Kratzer) oder Abriebspuren aufweist. Ansonsten wäre mit einem verfrühten Versagen des neuen Gleitpartners zu rechnen und eine unzureichend lange Standzeit des gesamten Systems zu erwarten. Bei Schäden des Kopfes ist ein Austausch des betreffenden Monobloc-Stiels vorzuziehen – es sei denn, dass reduzierter Allgemeinzustand oder nur geringe Beanspruchung (z. B. bei sehr alten Patienten) dagegen sprechen und einen geringst möglichen Eingriff rechtfertigen. Bei älteren Stielen, die über spezielle Konen verfügen, muss vorab geprüft werden, ob ein Kopfwechsel (evtl. spezielle Herstellung) überhaupt ausführbar ist. Bei Belassen des Stiels ist jedenfalls wesentliche Voraussetzung, dass Kopf- und Konusgröße bekannt sind. Dabei sollte auf den Implantatpass und/oder den OP-Bericht zurückgegriffen werden. Teilweise kann wegen ungenauer Angaben in entsprechenden Dokumenten oder Verlust derselben nur eine
9.1
Rückfrage beim Hersteller bezüglich des Designs derartiger Chargen die höchst wahrscheinliche Klärung bringen. Beim operativen Zugang ist dann zu beachten, dass der in situ bleibende Teil, d. h. insbesondere Kopf bzw. Konus, geschont werden (z. B. mittels Kompresse oder Konusschoner aus Kunststoff). Dadurch kann die Versorgung der Pfanne je nach Zugangsweg deutlich erschwert sein.
Hüftstiel Stielexplantation Beim Austausch des Stiels sind häufig sehr unterschiedliche Voraussetzungen gegeben. Der Ausbau eines gut fixierten Stiels, der wegen einer Infektion zu entfernen ist, kann aufwändig sein und der definitiv entstehende Femurdefekt ist nicht immer sicher vorauszusagen. Hier sind dünne Lamellenmeißel und spezielle Ausschlaginstrumente von wesentlichem Vorteil zur Schonung des Knochenlagers ( Kap. 11). Zur Entfernung von Zementresten werden verschiedene, über Jahre bewährte Spezialmeißel angeboten. Meist muss aber dennoch der distale Zementköcher entweder unter Bildverstärkersicht überbohrt oder auch über ein distales Fenster geborgen werden. Bezüglich der Fensterung wurden vor allem von Wagner und Nieder Empfehlungen angegeben, die das Vorgehen über den posterioren Zugang in Seitenlagerung erleichtern. Wir bevorzugen aufgrund des Zuganges von anterolateral die Vermeidung eines Fensters, da hiermit eine zusätzliche Schwächung des Femurs in Kauf genommen werden muss. Ist aber die Fensterung unvermeidbar, legen wir ein anterolaterales Fenster an, um über diesen Zugangsweg eine bessere Übersicht zu erzielen. Von Vorteil ist dabei, dass die laterale und vor allem die dorsale Wand einschließlich Trochanter major und minor in den meisten Fällen geschont werden kann. Eine Cerclagenfixierung, günstigerweise mit Bandcerclagen aus Titanlegierungen, ist zum Abschluss des Eingriffs erforderlich, um das Fenster wieder adäquat zu verschließen.
Revisionsimplantate In Abhängigkeit vom Defektausmaß nach der Implantatentfernung muss die Vorgehensweise und die Entscheidung zum geeigneten Implantat getroffen werden.
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Teil III · Anwendung
Teilweise können additive Allografts, z. B. Onlay-Grafts (angelegte halbe Femursegmente, die mit Cerclagen fixiert werden können), zum Knochenaufbau verwendet werden. Bei kleinen Defekten mit erhaltener proximaler Femurstabilität können teilweise auch zementierte Standardstiele eingesetzt werden. Bei einer großen Zahl von »partikelgeschädigten« Femora mit ausgedehnten Osteolysen muss jedoch zu Revisionsstielen übergegangen werden, die sich wie folgt klassifizieren lassen: ▬ nichtmodulare Stiele: 1. lange zementierte Stiele, 2. spezielle Lösung: Exeter-Stiel mit Vorkompression von Allograft-Chips, 3. verlängerte zementfreie nichtmodulare Stiele (z. B. Wagner-Stiel, Zimmer); ▬ modulare Stiele: 1. zementierte modulare Stiele: Variationsmöglichkeiten, z. B. der individuellen Ausrichtung des Halses, 2. modulare zementfrei verankerte Revisionsstiele, Verankerung: eher distale Verankerung, 3. modulare zementfrei verankerte Revisionsstiele mit elastischer distaler Führung (z. B. sog. Nagelstiel, ESKA Implants, Lübeck), Verankerung: proximale Abstützung + distale Führung des Stiels, 4. Durchsteckstiel Verankerung: Adapter zu einem Kniemodul, somit Erhaltung eines Femursegments als Knochenschale mit Muskelinsertionen oder Knochenaufbau entlang des Stiels mittels Allograft, 5. Tumorendoprothese mit modularem Teil- oder Komplettersatz des Femurs.
Zuordnung des Stiels zu verschiedenen Defektformen Die Auswahl des geeigneten Stiels muss je nach Kenntnis des Defekts und gemäß den individuellen Anforderungen des Patienten (Alter/erreichbarer Mobilisationsgrad, Knochenqualität, Infektion in der Anamnese) erfolgen. Wichtig ist bei derartigen Eingriffen, dass auch am Femur intraoperativ mit einer geänderten Defektsituation gerechnet werden muss, z. B. durch Fraktur des Femurs. Es muss dann die technische Ausstattung durch Rückzugsimplantate gegeben sein und die Ausbildung des Operateurs entsprechende Kenntnisse in der Rekonstruk-
tion auch dieser anspruchsvollen Gewebedestruktionen voraussetzen. Wenn möglich, ist neben der Schonung der Knochenreste auch immer der Aufbau des Knochenlagers anzustreben, um bei einem eventuellen weiteren Eingriff noch Rekonstruktionsmöglichkeiten zu belassen. Die von D’Antonio (1993) angegebene Klassifikation erfasst nur grob die Problematik der Defektbeschreibung, kann aber sowohl für die Operationsplanung als auch für vergleichende Studien hilfreich sein. In ⊡ Tabelle 9.2 ist die Klassifikation modifiziert nach Kriterien der AAOS zitiert, in ⊡ Abb. 9.4 wurden Beispiele von Defektsituationen unter Modifikation und Erweiterung der D’AntonioVorgaben dargestellt. Selbstverständlich gibt es auch Knochenläsionen im Übergangsbereich zwischen den hier angegebenen Defektgruppen. Segmentale Defekte (Typ I, s. auch ⊡ Abb. 9.4 Beispiele a–c) lassen sich bei schonender Entfernung des gelockerten Implantats in der Regel durch einen einfachen Revisionsstiel substituieren, teilweise kann auch ein Standardstiel zum Einsatz kommen. Bei kavitären Defekten (Typ II, s. auch ⊡ Abb. 9.4 Beispiele d + e) ist es nur in Einzelfällen vertretbar, Standardstiele zu verwenden. Teilweise sind sie – bei intaktem proximalen Femurende und ausreichend stabiler Brücke nach distal – über einen Revisionsstiel mit proximaler Verankerung (z. B. Nagelstiel) zu versorgen. Beispiele für
⊡ Tabelle 9.2. Klassifikation femoraler Knochendefekte modifiziert nach AAOS I. segmentale Defekte
A. proximal B. interkalär C. Trochanter major
II. kavitäre Defekte
A. spongiös B. kortikal C. Ektasie
III. kombinierte segmentale und kavitäre Defekte IV. Malalignment
V. femorale Stenose VI. femorale Diskontinuität
A. Rotationsfehlstellung B. Achsfehlstellung
1. partiell a) anterior b) medial c) posterior 2. komplett
175 Kapitel 9.1 · Spezialimplantate: Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel
Revisionsstiele sind in ⊡ Abb. 9.5 angegeben. Zum Beispiel ergibt sich dieser Fall bei Auswanderung des Stiels mit implantatbedingter kleiner Fensterung (Beispiel d). Da häufig aber das proximale Segment durch die Partikelerkrankung destruiert wurde, ist bei diesen femoralen Knochendefekten die Domäne der starren langstieligen Revisionsimplantate zu sehen. Die Überbrückung eines kavitären Defekts muss aber die ausreichend stabile Verankerung im distalen Segment gewährleisten. Wird dabei der Isthmus des Femurs überschritten, kann dies nur mittels Zementierung oder besser – wegen Vermeidung von weiterer Beeinträchtigung der Knochenlagerqualität – über einen verriegelbaren Stiel erfolgen. Ansonsten wäre das Risiko des Telescopings mit Einstauchung des Knochenlagers und Instabilität hoch. Die Verriegelung sollte dann zur Vermeidung einer Fraktur des Femurs (Ermüdungsbruch) oder auch des Bolzens (bzw. auch mehrerer) nur temporär über 3 Monate erfolgen.
a
f
b
g
c
h
d
i
e
j
⊡ Abb. 9.4. Einteilung femoraler Knochendefekte bei liegender Hüftgelenksendoprothetik.
9.1
Malalignment-Defekte (Typ IV, s. auch ⊡ Abb. 9.4 Beispiel f) mit Achsabweichung sind problematisch, da auch hier die von Wagner angegebene Regel einer ausreichenden Überbrückung des Defekts von wenigstens 6 cm eingehalten werden sollte. Andererseits ist diese Überbrückung wegen der Achsdeviation nur unter dem Risiko der Perforation des Knochenlagers oder besser durch gleichzeitige Osteotomie zu versorgen. Bei der Überbrückung sind die o. g. Prinzipien für kavitäre Defekte zu beachten. Diskontinuitäten des Femurs (Typ VI, s. auch ⊡ Abb. 9.4 Beispiel g) sind in analoger Weise zu beherrschen, wenn o. g. Regeln mit ausreichend primärstabiler Verankerung im distalen Segment berücksichtigt werden (⊡ Abb. 9.6). Durch nahezu segmentale Destruktion des Knochenlagers mit erhaltenem zentralen Segment wird die Situation der Femurstenose beschrieben (Typ V, s. auch ⊡ Abb. 9.4 Beispiel h). Hier muss die Reststabilität des proximalen Segments vorgeben, ob ein Nagelstiel oder ein starrer Revisionsstiel einzusetzen ist. Bei starker Schädigung im Bereich des proximalen Femurs ist bereits bei der Präparation, z. B. Aufbohrung, die Frakturgefahr gegeben. Sinnvoll ist die gleichzeitige Anwendung von Knochenchips oder Knochenersatzmaterialien zum wenigstens teilweisen Wiederaufbau des Knochenlagers. Kombinierte, d. h. segmentale und kavitäre Defekte (Typ III, s. auch ⊡ Abb. 9.4 Beispiele h–j) stellen hohe Anforderungen an die Rekonstruktionstechnik. Es gelten die oben dargestellten Rekonstruktionsregeln, jedoch ist die Verankerung erschwert. Bei sehr großen Defekten wird teilweise die Exeter-Technik mit Impaktierung von Allograft-Chips und anschließender Aufzementierung mit einem polierten langen Stiel empfohlen [23]. Weiterhin kann auch mit starren langen Revisionsstielen, teilweise mit temporärer Verankerung und Knochenaufbau – z. B. mit Allografts – gearbeitet werden. Häufig wird aber – besonders beim alten multimorbiden Patienten – eine sofort belastbare Situation gefragt. Bei extrem geschwächtem Knochenlager und noch dazu bei Fraktur im Rahmen der Präparation kann die Rekonstruktion mit konventionellen Stielen überfordert sein. Dann muss eventuell im Einzelfall auch auf einen kompletten Ersatz des Femurs mit Tumorimplantaten zurückgegriffen werden. Dabei muss die stabile Fixation im distalen Femursegment eine Mindestverankerungsstrecke von wenigstens 10 cm, besser 12 cm betragen [24], denn die hohen Biege- und Torsionsmomente müssen hier auf das überwiegend spongiöse, kniegelenknahe Knochenlager übertragen werden.
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Teil III · Anwendung
⊡ Abb. 9.5. Modulare RevisionsstielKonzepte: Links: Modularer Stiel mit starrem distalen Anteil und Stern-Profil. Mitte: Nagel-Stiel mit elastischem distalen Modul und strukturiertem proximalen Segment einer interkonnektierenden Tripodenoberfläche. Rechts: Durchsteck-Endoprothese
Besonders anspruchsvoll sind große kombinierte Defekte, die mit einer liegenden, intakten Knieendoprothese kombiniert sind. Dabei ist es hilfreich, wenn die distale Kniekomponente beibehalten bleiben kann, insofern der betreffende Hersteller eine Adaptermöglichkeit zu einem Aufbauteil des distalen Femurs bietet. Hier kann die Durchsteckendoprothese der Fa. ESKA hilfreich sein. Falls die Knieendoprothese erhalten werden kann, muss aber auf eine ausreichende Stabilität der verbleibenden Knochenbrücke geachtet werden, da sonst eine sekundäre Ermüdungsfraktur resultieren kann. Im Falle periprothetischer Frakturen wegen Ermüdung des durch Partikelerkrankung geschwächten Knochenlagers entstehen Defektsituationen verschiedener Ausprägung mit zusätzlicher Diskontinuität. Folglich gelten analoge Behandlungskriterien [25]. Im selteneren Fall bei komplett festsitzendem Endoprothesenstiel kann je nach Frakturtyp die Möglichkeit einer Stabilisierung mittels Osteosynthese geprüft werden. Die Realisierung
ist in der Regel durch das Implantat erschwert. In letzter Zeit haben sich die winkelstabilen Plattensysteme bewährt [26], da sie einerseits auch die monokortikale Schraubenverankerung anbieten und andererseits eine vergleichsweise höhere Stabilität erreichen.
Abstimmung von Stiel und Pfanne – Range of Motion/Design/Position In der Endoprothetik ist die freie postoperative Beweglichkeit ein wichtiger Faktor für die ungestörte Langzeitfunktion. Falls die (Revisions-)Hüftendoprothese einen für den Patienten nur unzureichenden Bewegungsumfang (»range of motion«) zulässt, kann es zum Anschlagen des Endoprothesenhalses am Pfannenrand (ProthesenImpingement) kommen. Daraus können Materialversagen (z. B. massiver Abrieb bei Polyethylenpfannen, Deformation des Pfannenrands mit erhöhtem Metallabrieb bei
177 Kapitel 9.1 · Spezialimplantate: Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel
⊡ Abb. 9.6. Femurteilersatz mit Tumorimplantat (hier MML-System). Beispiel eines proximalen Femurteilersatzes bei einer 83-jährigen Patientin mit nahezu vollständig aufgelöstem proximalen Femursegment nach Entfernung des gelockerten Implantats. Nach der Femurersatzlösung ist eine sorgfältige Rekonstruktion der Muskelinsertionen erforderlich.
9.1
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metallischen Pfanneneinsätzen und Randabplatzer oder Bruch bei keramischen Pfanneneinsätzen), hohe Scherbeanspruchungen in der Grenzfläche zwischen Pfannengehäuse und knöchernem Implantatlager sowie Luxationen resultieren [27]. Es werden Luxationsraten nach primärem Hüftgelenkersatz von 0,3–9% angegeben [28], bei Wechseloperationen ist die Rate deutlich höher und beträgt z. T. über 20% [27]. Wesentliche Faktoren für die Endoprotheseninstabilität sind ungünstige Positionierung und Designmerkmale der Implantatkomponenten. Demzufolge sind bei Wechseloperationen eine präzise präoperative Diagnostik und Operationsplanung für die Wahl geeigneter Revisionsimplantate sowie die ideale Positionsvorgabe erforderlich. Bei Impingement-Phänomenen oder rezidivierender Luxation ist zudem eine weiterführende Diagnostik wie Computertomographie oder Röntgenfunktionsaufnahmen zur Ursachenanalyse und Festlegung der Operationsstrategie oftmals erforderlich. Im Revisionsfall müssen präoperativ auch die jeweiligen Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Implantatkomponenten geprüft werden. In der Planung sollten darüber hinaus Variationsmöglichkeiten für eine mögliche Anpassung an sich erst intraoperativ ergebende Situationen, z. B. ungenügende Qualität des knöchernen Implantatlagers, Abriebsituation etc., bedacht werden. Im Vergleich zur konventionellen zweidimensionalen Planung mittels Standardröntgenbildern können mit einer computerassistierten dreidimensionalen Operationsplanung, die bislang noch mit zeitlichem Mehraufwand verbunden ist, anatomische Besonderheiten exakter erfasst werden. Von Vorteil wäre zukünftig auch die Berücksichtigung der Qualität des knöchernen Implantatlagers sowie der Weichteilverhältnisse in der präoperativen Planung, um gezielt das Implantat, das den jeweiligen biomechanischen Erfordernissen am besten gerecht wird, einsetzen zu können. Intraoperativ muss dann zur Erzielung eines suffizienten postoperativen Bewegungsumfangs auf eine exakte Implantatpositionierung geachtet werden. Eine laterale Inklination von 45° und Anteversion der Pfanne von 15–20° sowie eine Antetorsion des Stiels von etwa 10° sind dabei in der Regel anzustreben. Bei Revision nur einer Teilkomponente ist deren Position auf die Stellung der belassenen Implantate abzustimmen. Mit geeigneten Navigationssystemen kann eine präzisere Positionierung der Hüftimplantate erzielt werden. Die Eignung dieser Systeme in der klinischen Routine konnte nachgewiesen werden, jedoch muss die Überle-
genheit gegenüber der konventionellen Endoprothesenimplantation in klinischen Langzeitergebnissen noch belegt werden. Um einer Luxation in der postoperativen Phase vorzubeugen, sollten die Beweglichkeit und die Stabilität der Endoprothese intraoperativ genau geprüft werden. Unter Umständen müssen Implantatposition, Lage des Rotationszentrums, femoraler Offset und Beinlänge korrigiert werden. Dies ist zum Teil durch den modularen Aufbau der Revisionsendoprothese einfach zu realisieren; zudem wird damit der Wechsel einzelner Implantatkomponenten ermöglicht. Bei einer Instabilität können stielseitig Offset und Beinlänge durch den Einsatz langer bzw. spezieller Revisionsköpfe oder mittels modular aufgebauter Stiele optimiert werden, pfannenseitig stehen asymmetrische, überhöhte und sog. Schnapppfanneneinsätze zur Verfügung. Im Hinblick auf das Design ist des Weiteren zu beachten, dass nur bestimmte Implantatkombinationen (insbesondere bei unterschiedlichen Herstellern) eingesetzt werden sollten, d. h., Stiel, Kopf, Pfanneneinsatz und Metallgehäuse dürfen nur bei entsprechender Zulassung miteinander kombiniert werden. Dies trifft insbesondere bei Verwendung keramischer Implantate zu.
Zukunft In den letzten Jahrzehnten wurde viel bezüglich der Implantatstabilität, -variabilität und der Verankerungssicherheit erreicht. Aber die oben erwähnten, zunehmenden Anforderungen und Risiken verlangen eine Weiterentwicklung der verfügbaren Systeme. Es gilt vor allem, antiinfektiöse Implantatbeschichtungen mit ausreichend langem und intensivem Oberflächenschutz gegen Bakterien zu entwickeln und in die Klinik einzuführen. Auch weitere Designverbesserungen an Pfannen und Inlays zur Verringerung des Impingement-Risikos bei gleichzeitig erhöhter Sicherheit gegen Luxationen sind anzustreben. Auch biomechanisch kalkulierte, sichere und einfache Navigationssysteme können zukünftig die Ergebnisse der Wechseloperationen verbessern helfen. Besonders bei Teilwechseln, bei denen die noch stabil verankerten Implantatteile in situ verbleiben können, werden Rechnerkalkulationen über die ideale Position und Dimension der ergänzenden Implantatkomponenten (z. B. Position eines asymmetrischen Inlays, Torsion des proximalen Stielsegments) hilfreich sein.
179 Kapitel 9.1 · Spezialimplantate: Implantate und Strategien beim Hüftendoprothesenwechsel
Aber letztlich begrenzt die Qualität des verbliebenen Knochenlagers meist die Anwendungsmöglichkeiten und Rekonstruktionssicherheit. Somit bleibt vor allem im Hinblick auf die Rekonstruktion bezüglich schnell belastbarer und stabiler Knochenersatzverfahren, z. B. über bioaktive Eigenschaften von Implantaten, Entwicklungspotential für die Zukunft. Aber auch die verminderte Schädlichkeit der durch Abrieb und Korrosion entstehenden Partikel wird in verschiedenen Arbeitsgruppen angestrebt.
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9.2 Spezialimplantate Tumorendoprothetik R. Gradinger, H. Gollwitzer
Zusammenfassung Während primäre maligne Knochentumoren gerade bei Erwachsenen selten auftreten, sind Knochenmetastasen deutlich häufiger und haben ihr Altersmaximum zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Grundlage der Therapie ist die Sicherung der Diagnose mittels Biopsie und die bildgebende sowie histologische Stadieneinteilung des malignen Tumors. Das Therapiekonzept (neoadjuvant/operativ/ adjuvant) muss jeweils individuell erstellt werden. Nach der Tumorresektion kann die Rekonstruktion biologisch oder mittels Endoprothesensystemen erfolgen. Gerade die weiterentwickelten modularen Systeme führen heutzutage zu guten funktionellen Ergebnissen mit langen Standzeiten und einer reduzierten Komplikationsrate. Individuell angefertigte Implantate stehen zur Verfügung, müssen jedoch aufgrund der Breite der modularen Systeme nur noch selten – und dann v. a. am Becken – eingesetzt werden.
Epidemiologie Primäre, maligne Knochentumoren sind mit weniger als 1% aller primärer maligner Tumoren im menschlichen Körper insgesamt selten. Dementsprechend verfügen nur wenige Zentren über ausreichende Erfahrung in der Diagnostik und Therapie solcher Tumoren. Die operative Therapie stellt dabei nur einen Teilaspekt – wenn auch einen wichtigen – dar. Im Kindesalter sind primär malig-
ne Knochentumoren häufiger, mit 3,4% aller maligner Neoplasien (60% Osteosarkom, 25% Ewingsarkom) [1]. Der häufigste maligne Knochentumor ist die Metastase eines anderen Primärtumors. 20% aller Karzinompatienten erleben Metastasen des Skelettsystems. Das Altersmaximum für Skelettmetastasen liegt zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. An erster Stelle sind Mammakarzinome für eine Skelettmetastasierung verantwortlich (70%), gefolgt von Prostatakarzinomen (50%), Bronchialkarzinomen (30%), Nierenzellkarzinomen (25%), u. a. Bezüglich der Metastasen ist die Unterscheidung zwischen osteolytischen und osteoblastischen Metastasen notwendig. Mammakarzinome können sowohl osteoblastisch als auch osteolytisch ausgebildet sein. Prostatakarzinome sind häufig osteoblastisch, die anderen meist osteolytisch [2]. Dies hat therapeutische Konsequenzen, worauf später eingegangen wird.
Diagnostik Primäre maligne Knochentumore, die meist jüngere Menschen betreffen, werden im Durchschnitt erst 6 Monate nach Auftreten der unspezifischen Erstsymptome definitiv diagnostiziert. Die bildgebende Diagnostik beruht heute auf Standardröntgenaufnahmen in 2 Ebenen und der Kernspintomographie, die ebenfalls mindestens 2 Schichtebenen umfassen muss. Dabei ist die axiale und longitudinale Schichtung (koronar oder sagittal, je nach Skelettabschnitt) in einer T1-gewichteten Sequenz zur Beurteilung der Längsausdehnung des Tumors im Knochenmarks-
181 Kapitel 9.2 · Spezialimplantate: Tumorendoprothetik
raum notwendig. In einer weiteren Schicht – meist der axialen Schicht – sollten zusätzlich zu den T1- auch T2-gewichte Messsequenzen durchgeführt werden, wobei eine T1-Schichtung mit i.v.-Gabe von Kontrastmittel durchgeführt werden muss. Dies dient zur Orientierung der Lage von vitalen bzw. nekrotischen Tumoranteilen. Die Computertomographie hat vor allem die Aufgabe, die Kortikalisdestruktionen deutlich zu machen. Eine besondere Bedeutung in der Diagnostik von malignen Knochentumoren hat heute die Positronenemissionstomographie (PET), mit der einerseits Metastasierungen von stoffwechselaktiven Tumoren, andererseits die Unterscheidung von vitalen und nichtvitalen Knochentumorarealen gelingt. PET und Ganzkörper-MRT haben die Szintigraphie als Screeninguntersuchung nach Metastasen weitgehend abgelöst. Vor jedweder Therapie steht die Sicherung der Diagnose, was auch heute die Biopsie – sei sie nun offen oder geschlossen unter CT-Kontrolle – unerlässlich macht. Bei jeder Biopsie muss die mögliche nachfolgende Operation berücksichtigt werden, d. h. dass der Biopsieweg im späteren operativen Zugangsbereich liegen muss, da dieser bei der definitiven Operation mit entfernt werden muss. Die Tumorbiopsie sollte deswegen in der Regel bereits im endgültig versorgenden Tumorzentrum erfolgen, insbesondere da man weiß, dass bei etwa 20% biopsiebezogene Komplikationen mit negativer Auswirkung auf das Ergebnis und die Überlebensprognose auftreten können [3]. Die histologische Aufarbeitung der Biopsie sowie später auch des endgültigen Tumorpräparates führt zu einer Typisierung der Knochentumoren: 1. knochenbildende Tumoren: Osteosarkom, 2. knorpelbildende Tumoren: Chondrosarkom, 3. Riesenzelltumoren: Osteoklastom, 4. Marktumoren: Sarkome der Ewinggruppe, Plasmozytom, malignes Lymphom u. a. 5. Andere vom Knochen ausgehende Tumoren: Malignes fibröses Histiozytom, epitheloides Hämangioendotheliom, Angiosarkom, Leiomyosarkom, Liposarkom, Fibrosarkom. Während die Gruppen 1–4 die Mehrzahl der primären Knochentumoren ausmachen, treten Knochentumoren der letzten Gruppe sehr selten auf. Betrachtet man die einzelnen Tumorentitäten im Detail, so wird deutlich, dass sehr viele unterschiedliche Ausbildungen und Variationsmöglichkeiten der einzelnen Tumoren vorhanden sind. Dies lässt sich besonders am
9.2
Osteosarkom zeigen, bei dem nur 45% dieser Tumore reine Osteosarkome sind; 55% zeigen mehr oder weniger stark ausgebildete andere Gewebsformationen, was zu Diagnosen leitet wie: chondroblastisches Osteosarkom, fibroblastisches Osteosarkom usw. Auch beim Chondrosarkom sind unterschiedliche Varianten bekannt wie das mesenchymale oder myxoide Chondrosarkom. Der Riesenzelltumor ist selten primär maligne, seine biologische Potenz ist allerdings schwer einschätzbar. Bei den Tumoren der Ewing-Gruppe haben sich heute neue Erkenntnisse bzgl. der Prognose auf der Basis der Gendiagnostik ergeben. Diesbezüglich ist jedoch ein abschließendes Urteil noch nicht möglich, die weitere Forschungsentwicklung bleibt abzuwarten. Systematisch werden die Knochentumoren histologisch in 3 Gruppen unterteilt: hoch differenziert (G1), mittelgradig differenziert (G2) und gering differenziert (G3). Die bildgebenden wie die histologischen Befunde führen zu einem Tumorstaging bzw. zu einer Stadiengruppierung bei malignen Tumoren, wobei neben dem histologischen Befund auch die Tumorausdehnung sowie die Metastasierung berücksichtigt wird (⊡ Tabelle 9.3). Nicht nur in der Primärdiagnostik kommt der pathologischen Beurteilung eine herausragende Bedeutung zu. Auch nach erfolgter Operation hat die Beurteilung des gewonnenen Präparates durch den Pathologen wegweisende Bedeutung. Zuerst ist die Radikalität der Operation zu beurteilen: ▬ R0: Tumor im Gesunden entfernt, kein Residualtumor, ▬ R1: Residualtumor nur mikroskopisch erkennbar, ▬ R2: Residualtumor makroskopisch nachweisbar. Von besonderer Bedeutung ist auch der minimale und maximale Abstand des Tumors vom gesunden umgebenen Gewebe, was in Millimetern angegeben werden muss. Handelt es sich um einen Tumor, der eine präoperative Chemotherapie erhielt (z. B. Osteosarkome, Ewing-Sarkome), so ist die Ansprechrate des Tumors auf die erfolgte Chemotherapie von herausragender Bedeutung für die Prognose (⊡ Tabelle 9.4). Diese Beurteilung ist vor allem für das weitere Regime der postoperativen adjuvanten Therapie entscheidend (z. B. zusätzliche Strahlentherapie, Änderung der Chemotherapeutika). Die Ergebnisse nach Behandlung von primären malignen Knochentumoren sind in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert worden. Je nach Tumorentität beträgt die Überlebensrate heute bzgl. der Ewing-Sarkome etwa 50%, bzgl. der Osteosarkome etwa 70%.
182
Teil III · Anwendung
⊡ Tabelle 9.3. Stadiengruppierung (Staging) bei malignen Knochentumoren Stadium
Histologisches Grading
Tumorausdehnung
Lymphknotenstatus
Metastasierung
IA
G1, G2
T1
N0
M0
IB
G1, G2
T2
N0
M0
IIA
G3, G4
T1
N0
M0
IIB
G3, G4
T2
N0
M0
IIIA
jedes G
Jedes T
N1
M0
IIIB
jedes G
Jedes T
Jedes N
M1
⊡ Tabelle 9.4. Regressionsgrade nach Salzer-Kuntschik für maligne Knochentumoren [4]
9
Regressionsgrad
Verbliebenes Tumorgewebe
I
Keine vitalen Tumorzellen
II
Vereinzelt nachweisbare Tumorzellen, oder eine vitale Tumorinsel <0,5 cm Durchmesser
III
Weniger als 10% vitales Tumorgewebe
IV
10–50% vitales Tumorgewebe
V
>50% vitales Tumorgewebe
VI
Kein Effekt der Chemotherapie erkennbar
⊡ Tabelle 9.5. Bewertungsschema nach Mirels zur Abschätzung des Frakturrisikos bei knöchernen Metastasen [5]. Von einem deutlich erhöhten Frakturrisiko ist bei einem Score von >7 Punkten auszugehen (»drohende pathologische Fraktur«) Score
1
2
3
Lokalisation
obere Extremität
untere Extremität
peritrochantär
Metastasentyp
osteoblastisch
gemischt
osteolytisch
Größe
< 1/3 Kortikalis
1/3–2/3 Kortikalis
> 2/3 Kortikalis
Schmerzen
gering
mäßig
belastungsabhängig
Bei Metastasen des Knochens besteht bei drohender pathologischer Fraktur die Indikation zur operativen Stabilisierung bzw. Endoprothesenimplantation. Das Risiko pathologischer Frakturen kann nach Mirels et al. abgeschätzt werden [5], von einem deutlich erhöhten Risiko (»drohende pathologische Fraktur«) ist bei einem Score von >7 Punkten auszugehen (⊡ Tabelle 9.5). Generell ist jedoch zu beachten, dass deutliche radiologische Veränderungen durch Metastasen meist erst ab einem Befall
von mindestens 50% des Knochenvolumens auftreten und somit automatisch eine gewisse Erhöhung des Frakturrisiko beinhalten.
Therapiegrundsätze Nach Rekonstruktion einer Extremität mittels Endoprothese ist eine lokale Rezidivrate zwischen 5 und 10% zu
183 Kapitel 9.2 · Spezialimplantate: Tumorendoprothetik
erwarten, wobei die häufigsten Lokalrezidive erwartungsgemäß bei marginalen Resektionen gefunden werden. Dies bedeutet für das operative Vorgehen, dass Kompromisse bzgl. der Radikalität des operativen Eingriffes nur dann zu rechtfertigen sind, wenn die Prognose im individuellen Fall bereits schlecht ist. Die schlechteste Prognose haben v. a. die Patienten, bei denen mehrere Kompartimente durch den Tumor bereits kontaminiert sind. Hier liegt die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei nur noch 20%. Natürlich ist die Prognose auch für die Patienten besonders ungünstig, bei denen bereits primäre Metastasen vorliegen. Bemerkenswert ist, dass auch bei diesen Patienten eine Überlebenszeit zwischen vier und acht Jahren erreichbar ist, wenn durch die multimodale Therapie »zumindest vorübergehend eine Tumorfreiheit« erreicht werden kann. Für die Behandlung von primären malignen Knochentumoren gilt der Grundsatz »Radikalität vor Funktionalität«. Die jeweilige Entscheidung, wie vorgegangen werden sollte, hängt natürlich von der individuellen Situation des Patienten selbst ab. Bei der Behandlung von Knochenmetastasen ist ebenfalls eine individuelle Entscheidung über die zu wählenden Therapieverfahren, die in der Regel in einem interdisziplinären Konsens zu fällen ist, notwendig. Hier gilt der Grundsatz »Funktionalität vor Radikalität«. Da die Patienten mit Knochenmetastasen aufgrund der verbesserten Therapiemöglichkeiten heute wesentlich längere Überlebenszeiten zu erwarten haben, ist bei der Wahl des Operationsverfahrens immer zu berücksichtigen, dass nach Möglichkeit ein lokales Rezidiv im Skelettsystem, wenn es denn operiert wird, vermieden werden sollte. Die zu erwartende Lebenszeit hängt in hohem Maße von der Aggressivität des Primärtumors ab. Die Einschätzung der Überlebenszeit kann nur individuell interdisziplinär annähernd vorausgesagt werden und hängt in hohem Maße auch von den noch verbleibenden adjuvanten Therapiemöglichkeiten ab. In der Regel sollten auch bei Knochenmetastasen bei drohenden oder eingetretenen Frakturen Tumorresektionen mit nachfolgendem endoprothetischen Ersatz vorgenommen werden. Verbundosteosynthesen mit Knochenzement sind allenfalls kurzfristige Lösungen. Intramedulläre Osteosynthesen sind nur dann zu vertreten, wenn nur noch eine sehr kurze Lebenszeitspanne zu erwarten ist unter dem Gesichtspunkt der Pflegeerleichterung bei minimal-invasivem Zugang. In den letzten 25 Jahren wurden über Kooperationen mit Herstellern (S+G Implants, ESKA Implants) und Kliniken (Orthopädische Klinik der TU München
9.2
und Orthopädische Klinik der Medizinischen Universität Lübeck, Orthopädische Universitätsklinik Leipzig, Orthopädische Klinik Suhl u. a.) der konsequente Weg von der individuellen Tumorprothese zum modularen Endoprothesensystem beschritten. In der Regel sind wir heute in der Lage, Tumorversorgungen mittels Endoprothesen mit modularen Systemen sowohl im Bereich der oberen wie im Bereich der unteren Extremität und der Wirbelsäule zu gewährleisten. In Einzelfällen sind die »Custom-made«-Sonderanfertigungen noch notwendig, z. B. bei speziellen Abstützungen im Bereich des Beckens oder bei semimodularen Systemen in der Beckenendoprothetik.
Auswahl der operativen Verfahren Unterschiedliche Gesichtspunkte gelten bei der Versorgung von sog. primär malignen Knochentumoren oder bei der Versorgung von sekundären malignen Knochentumoren (Metastasen). Bei der ersten Patientengruppe darf bzgl. der Radikalität der Operation möglichst kein Kompromiss eingegangen werden. Natürlich fließt in die Entscheidung, welches Operationsverfahren durchgeführt wird, die persönliche Einstellung des Patienten zu seiner Krankheit mit ein. Immer zu erwägen sind Amputationen oder gar Exartikulationen, Segmentamputationen mit oder ohne Umdrehplastik und der endoprothetische Ersatz. In der Regel ist eine extremitätenerhaltende Operation nur dann sinnvoll, wenn eine entsprechende Funktion der Extremität erreichbar ist. Es müssen deshalb evtl. notwendig werdende Muskel- und Weichteilresektionen sowie eine evtl. notwendig werdende Resektion von großen Nerven diesbezüglich Berücksichtigung finden. Am Beispiel des Kniegelenks lässt sich ein derartiger Entscheidungsalgorithmus am besten darstellen: ▬ Liegt ein enger Tumorkontakt zur A./V. poplitea sowie dem N. ischiadicus vor, bleibt nur die Amputation. ▬ Liegt ein Kontakt oder eine Infiltration der A./V. poplitea bei nichtkontaminiertem N. ischiadicus vor, ist die Umkehrplastik nach Borggreve die Therapie der Wahl. ▬ Sind A./V. poplitea sowie der N. ischiadicus gut vom Tumor separierbar, kann eine sog. Limb-salvage (extremitätenerhaltende Operation) durchgeführt werden. Bei rein diaphysär gelegenen Knochentumoren (häufig Ewing-Sarkom) kann die Segmentresektion mit anschlie-
184
Teil III · Anwendung
ßender autologer Rekonstruktion (vaskularisiertes Fibulatransplantat, Kallusdistraktion) sinnvoll sein. Allografts haben sich insbesondere als lasttragende Rekonstruktionen weder für eine diaphysäre, noch für eine epimetaphysäre Rekonstruktion bewährt, weshalb wir Allografts lediglich als additive Rekonstruktionsverfahren im Sinne einer Abstützung bei erhaltenen Gelenkflächen einsetzen. Die operative Therapie von Knochenmetastasen hat neben der möglichst vollständigen Entfernung des befallenen Knochenareals v. a. die Wiederherstellung der Funktion in kurzer Zeit zum Ziel. Hier wird in der Regel der endoprothetische Ersatz biologischen Rekonstruktionen vorzuziehen sein. Letztendlich ist die Indikation zum operativen Vorgehen und der Auswahl des Verfahrens individuell zu stellen.
Tumorendoprothesensysteme
9
Untere Extremität Modulares System Femur und Tibia Eine endoprothetische Versorgung des gesamten Femurs sowie der proximalen Tibiahälfte ist mit dem modularen ESKA MML-Endoprothesensystem möglich (⊡ Abb. 9.7). Aufgebaut ist dieses System aus einem Trochanterteil (Länge 80 mm) in Rechts-Links-Version mit Konusadaptern in 0°, 10° und 20° bei einer Konusdefinition von 12/14 mm Durchmesser. Aufgrund der verschiedenen Konusadapter ergibt sich eine sehr breite Variabilität des CCD-Winkels und der lateralen und distalen OffsetEinstellung. Alternativ und einfacher zu handhaben ist die Versorgung mit einem einfachen Konus, wobei hier eine Variabilität über die Kopflänge bzw. extrazentrische Konusbohrung im Bereich des Kopfes mit möglicher Einstellung der Ante- und Retroversion möglich ist. Das Trochanterteil eröffnet die Möglichkeit, weichteilige und knöcherne Fixationen über sog. Krallenplatten, einfache CL-Platten oder auch lediglich mit Schrauben mit Unterlegscheibe am Trochanter major vorzunehmen. Die für den Femurschaft vorgesehenen Verlängerungsmodule umfassen folgende Längen: 30 mm, 40 mm, 50 mm, 60 mm, 80 mm, 120 mm und 160 mm. Damit sind in verschiedenen Kombinationen Verlängerungen in 10-mm-Schritten möglich. Die verbleibende Adaptationsmöglichkeit der Länge (»Feineinstellung«) ist durch die Kopflängenunterschiede gegeben.
Da das Trochanterimplantat ebenso wie das distale Femurteil mit einem Innenkonus ausgestattet ist, wird bei dem kompletten Ersatz des Femurs ein Zwischenadapter mit doppelseitigem Außenkonus notwendig. Wird lediglich ein diaphysäres Segment reseziert, ist umgekehrt ein Adapterteil mit bds. Innenkonus notwendig. Kniegelenk Für den Ersatz des Kniegelenkes wird femoral- und tibialseitig heute das sog. Tumor-/Revisionsknie verwendet, das eine starre Querachsverbindung aufweist und in zwei Größen (small, medium) zur Verfügung steht. Biomechanische Tests zu diesem Gelenksystem zeigen deutlich verbesserte tribologische Eigenschaften sowie eine deutliche Verbesserung der Achsstabilität. Die bei uns durchgeführten Labortests ergaben eine Reduktion des Polyethylenabriebs um den Faktor 10, sowohl im medialen wie auch im lateralen Gelenkabschnitt. Die klinische Untersuchung von 60 Patienten (Einbau der Endoprothese 1976 bis 1996) ergab bei einem durchschnittlichen Follow-up von 4,9 Jahren die Notwendigkeit einer Reoperation wegen Weichteilkomplikationen bei 34%, aufgrund mechanischer Probleme der Endoprothese selbst sogar bei nahezu 60%. Trotz dieser hohen Komplikationsrate betrug die Erfolgsrate des Beinerhaltes bei diesen Patienten nach 10 Jahren Laufzeit immerhin 95% [6]. Die hier dargestellten Ergebnisse decken sich mit den Resultaten anderer Autoren nach etwa 10 Jahren Nachbeobachtungszeit. Zwischen 1997 und 2004 wurden in der Orthopädischen Klinik des Klinikums rechts der Isar der TU München 89 Patienten mit dem sog. TumorRevisionsknie-System versorgt. 58 Patienten wiesen einen Tumor im Bereich des Kniegelenkes und 31 Patienten erhebliche Destruktionen bei Kniegelenksprothesenlockerungen auf. An erster Stelle standen hier die Patienten mit Osteosarkomen (n = 24). In keinem Fall kam es zu einem Versagen im Bereich des Implantates selbst. Reoperationen waren bei 11 Patienten wegen aseptischer Lockerung, Infekt oder Arthrofibrose notwendig. Dies bedeutet, dass das neue Kniegelenksendoprothesensystem (Tumor-Revisionsknie) den biomechanischen Ansprüchen nicht nur genügt, sondern gegenüber den früher eingesetzten Endoprothesensystemen einen echten Fortschritt darstellt. Eine besondere Herausforderung stellt die Rekonstruktion des Streckapparates nach proximaler Tibiaresektion dar. Die alleinige Fixierung des abgelösten Lig. patellae an der Prothese selbst ist zum Scheitern verurteilt. Daher wurden in der Vergangenheit aufwendige Rekonstruk-
9.2
185 Kapitel 9.2 · Spezialimplantate: Tumorendoprothetik
a
b
⊡ Abb. 9.7a–e. Verschiedene Versorgungsmöglichkeiten an Femur,
c
d
e
Kniegelenk und proximaler Tibia bis zum totalen Femurersatz. Das
modulare ESKA-MML-System ermöglicht eine individuell angepasste Rekonstruktion
tionen, z. B. durch Verlagerung der Fibula nach ventral oder Muskelschwenklappenplastiken mit dem medialen Gastrocnemiuskopf durchgeführt, um eine biologische Verankerung des Lig. patellae zu erreichen. Diese Verfahren waren nur teilweise erfolgreich und von einer relativ hohen Komplikationsrate (N. peronaeus-Läsionen u. a.) behaftet. Es wurde deshalb eine spezielle Verankerungsmöglichkeit in der proximalen Tibiakopfprothese entwickelt, ein sog. Trevira-Band, das um die Patella herumgeführt und primär stabil am proximalen Tibiaersatz verankert werden kann (⊡ Abb. 9.8). Durch zusätzliche biologische Rekonstruktionsmaßnahmen ließ sich dadurch auch eine bleibende stabile Verankerung des Lig. patellae mit korrekter Spannungsvorgabe erreichen [7]. 12 Patienten, die derartig versorgt worden waren, zeigten ein exzellentes Ergebnis bzgl. der aktiven Streckfunktion des Kniegelenkes, nur 3 Patienten zeigten ein aktives Streckdefizit von >10°. Die 5-Jahres-Überlebensrate bei kniegelenksnahen, primär malignen Knochentumoren lag bei unserem Patientengut bei 78.5%, was über dem in der Literatur angegebenen Durchschnitt liegt. Auch die Infektionsrate ist mit
3,3% im eigenen Krankengut unterhalb der Infektraten aus vergleichbaren Studien [8, 9]. Lokale Rezidive traten im eigenen Krankengut lediglich bei 4% auf, dies liegt im Bereich der Literaturangaben (4,2–6%) [10, 11]. Vor 1991 stellte der Ermüdungsbruch der Verankerungsstiele mit einer Rate von 18% noch ein großes Problem dar, was auf die geringe Kerndichte der verwendeten Stiele zurückzuführen war. Nach 1991 kam es in keinem Fall zu einem Stielbruch. Zur Verfügung stehen derzeit Adapterstiele in zementloser oder zementierter Ausführung mit Außendurchmessern von 10 bis 16 mm (zementiert) und 13 bis 16 mm (zementlos). Die Länge der Stiele beträgt 120 oder 160 mm. Femoralseitig sollten grundsätzlich der Antekurvation angepasste, d.h. gebogene Stiele mit einem Radius von etwa 2 m benutzt werden. Tibialseitig bevorzugen wir die geraden Stiele. Die Hauptproblematik beim proximalen Femurersatz ist die relativ hohe Komplikationsrate (etwa 10%) sowie die stabile Verankerung der Glutealmuskulatur, was im Bereich der Trochanterprothese heute durch entsprechende Krallenplatten oder nicht-resorbierbare reißfeste Nähte (z.B. Fiberwire) weitgehend gewährleistet werden kann.
186
Teil III · Anwendung
⊡ Abb. 9.8. Schemazeichnung und Abbildung des proximalen MMLTibiaersatzimplantates (ESKA-Implants) mit der Möglichkeit der Re-
9
fixation des Streckapparates mittels Treviraband. Postoperative Röntgenkontrolle (aus [7])
Immer ist die zusätzliche anatomische Verankerung über sog. Muskeladaptationsnähte für die dauerhafte Fixation notwendig. Becken Bei Tumorbefall des Beckens bevorzugen wir nach Möglichkeit die sog. innere Hemipelvektomie. Demgegenüber zeigt die externe Hemipelvektomie keine Vorteile hinsichtlich der Radikalität und Überlebensraten und wurde weitgehend verlassen. Nach ersten Erfahrungen mit »Custom-made«-Beckenprothesen [12] wurden zur Rekonstruktion zunehmend Endoprothesensysteme entwickelt, die semimodular aufgebaut sind. Lediglich der Verankerungsteil im Os ilium bzw. im Os sacrum wird nach Anfertigung eines »Rapid-prototyping«-Beckenmodells auf der Basis von vorgefertigten Verankerungsteilen noch individuell hergestellt (⊡ Abb. 9.9) [13, 14]. Die Auswertung von 47 Patienten ergab in 32% gute und in 48% befriedigende Ergebnisse. Der Rest war als schlecht einzustufen, was v. a. auf Lokalrezidive sowie Infektionen zurückzuführen war. Insgesamt mussten bei 7 Patienten sekundäre externe Hemipelvektomien durchgeführt werden. Eine der Hauptkomplikationen ist die postoperative Luxation, die durch den Einsatz eines Trevirastrumpfes (nach Winkelmann) mittlerweile deutlich verbessert werden konnte. Vereinzelt kommt gerade im Bereich des Beckens der Einsatz von Individualprothesen und Sonderanfertigungen noch zum Einsatz. Dies trifft insbesondere für die Fälle zu, bei denen eine Erhaltung
⊡ Abb. 9.9. Rapid-prototyping-Beckenmodell zur Planung eines individuellen Beckenteilersatzes. Auf Basis eines CT-Datensatzes wird ein 1:1-Beckenmodell aus Polyurethan hergestellt, das zur Planung von Resektion und Beckenteilersatz herangezogen wird. Während die Verankerung im Os ilium individuell angefertigt wird, können modulare Implantate zur Rekonstruktion des Gelenkes zur Anwendung kommen
des Azetabulums möglich ist und gleichzeitig ein Großteil des Os iliums meist mit Durchtrennung der Linea terminalis wegen eines Tumorbefalls notwendig geworden ist (⊡ Abb. 9.10, 9.11, 9.12). Hier haben sich Abstützrekonstruktionen, die im Os sacrum verankert werden und zusätzlich mit einer Platte das Os ilium an richtiger
187 Kapitel 9.2 · Spezialimplantate: Tumorendoprothetik
a
c
b
⊡ Abb. 9.10. a Präoperatives Röntgen einer 44-jährigen Patienten mit Ewing-Sarkom und Destruktion des rechten Os iliums (links) nach neoadjuvanter Chemotherapie. b Postoperative Röntgenkontrolle nach
Tumorresektion und Rekonstruktion mittels individuell gefertigtem Beckenteilersatz und Fibulainterponat. c 3 Jahre postoperativ zeigt sich ein stabiles Implantat mit integriertem Fibulainterponat
a
b
9.2
c
⊡ Abb. 9.11. a Röntgen eines Patienten mit Destruktion des linken Hüftgelenkes und des Os iliums durch eine Hypernephrommetastase. b Resektion und Rekonstruktion mittels individuell gefertigtem Beckenteilersatz und Hüftgelenksendoprothese unter exakter Wiederherstellung des ursprünglichen Drehzentrums. c Klinisches Ergebnis
188
Teil III · Anwendung
Position halten, bewährt. Vor allem die Kombination mit autologer Rekonstruktion zur Wiederherstellung der Linea terminalis lässt ein dauerhaft gutes Ergebnis erwarten. Zur Überbrückung wird hier in der Regel ein Fibulatransplantat verwendet.
a
9
Obere Extremität Im Bereich der oberen Extremität kommen modulare Rekonstruktionssysteme nach Resektionen des proximalen Humerus unterschiedlicher Ausdehnung zum Einsatz. Die Verankerungsstiele der Schultersysteme weisen eine Länge von 90 bis 130 mm (zementiert) bzw. 100 bis 130 mm (zementfrei) auf und einen Durchmesser von 8 bis 12 mm (zementiert) bzw. 8 bis 13 mm (zementfrei). Ähnlich wie im Bereich der unteren Extremität können über modulare Stecksysteme entsprechende Defektlängen ausgeglichen werden. Auf das proximale Segment können i. S. einer Hemiarthroplastik entsprechende Kopfgrößen eingepasst werden (⊡ Abb. 9.13a). Alternativ dazu kann ein individuell angefertigtes Verankerungsteil für die sog. Reversed-Schulter-Endoprothese zum Einsatz kommen (⊡ Abb. 9.13b).
b
c
⊡ Abb. 9.12. a Patientin mit multipler Metastasierung eines Mammakarzinoms im Bereich des Beckens und Femurs links mit immobilisierenden Schmerzen. b Modularer kompletter Femur- und Kniegelenksersatz (MML, ESKA Implants) mit individual angefertigtem Beckenteilersatz, postoperatives Röntgenbild. c Die Patientin ist an einer Gehstütze mobilisiert
a
b
⊡ Abb. 9.13. a Modulare Schulterhemiarthroplastik zum Ersatz des proximalen Humerus bei Metastasierung. b Ersatz des pathologisch frakturierten proximalen Humerus durch eine modulare »reversed« Totalendoprothese der Schulter
189 Kapitel 9.2 · Spezialimplantate: Tumorendoprothetik
Die klinischen Ergebnisse hängen insbesondere bei der Schulterendoprothetik im Wesentlichen davon ab, ob der Abduktormechanismus erhalten werden kann oder nicht. Durch den Einsatz der Reversed-Schulter-Endoprothese konnten die funktionellen Ergebnisse gegenüber früheren Resultaten deutlich verbessert werden [15].
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9.2
9.3 Spezialimplantate Endo-/Exoprothese K.-H. Staubach, H. Grundei, H. Aschoff
Zusammenfassung Nach Entwicklung einer neuartigen Endo-/Exoprothese für Oberschenkelamputierte kann entgegen der durchweg kritischen Einstellung von beteiligten Chirurgen und Orthopäden die Indikation bei jüngeren, aktiven und motivierten Patienten gestellt werden. Das dreigeteilte Modularsystem erlaubt einerseits ein zweizeitiges Implantationskonzept, gleichzeitig aber auch operative »Rückzugmöglichkeiten«, die bei Hautweichteilproblemen die Entfernung einzelner bzw. mehrerer Komponenten möglich macht und damit strategischen Freiraum schafft. Ein tiefer Infekt wurde in keinem unserer Fälle nachgewiesen. Allein die überaus große Zufriedenheit unserer bislang behandelten Patienten mit dieser neuartigen Endo-/Exoprothese gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich dieses von uns entwickelte Prinzip in ausgewählten Indikationen durchsetzen und Anerkennung erreichen wird. Bis dahin gilt es natürlich, weitere Erfahrungen zu sammeln, zu analysieren und Schwachpunkte kurzfristig zu korrigieren, bevor die Indikationen auf andere Körperregionen und natürlich auch auf andere Disziplinen erweitert werden können.
Einleitung Seit der Antike beinhaltet die Exoprothetik das Konzept, der Natur nachgeformte Gliedmaßenteile zu konstruieren
und sie mittels Halteriemen und später Köcher am Gliedmaßenstumpf bzw. Körper zu befestigen [1]. Die Endoprothetik hingegen, als sehr junge Wissenschaft, nahm ihren Ausgangspunkt im vorletzten Jahrhundert, als Gluck aus Berlin 1890 [2] einem Patienten erstmals ein aus Elfenbein bestehendes künstliches Kniegelenk implantierte. Smith-Peterson [3], Judet [4] und Moore [4] begannen Gelenkprothesen aus Materialien wie Vitallium, Plexiglas und schließlich Metall zu konzipieren. Die erste intramedulläre Verankerung nahmen ebenfalls Moore und Bohlmann [6] 1940 vor: Dabei handelte es sich um eine Hüftendoprothese, ohne gleichzeitig die Pfanne zu ersetzen. Obgleich die temporäre externe Frakturfixierung mit Penetration der Haut durch Malgaigne über 150 Jahre zurückliegt, gilt doch heute noch als unumstößliches Gesetz, dass permanente Implantate nie die Haut als »immunologische Schutzhülle« perforieren dürfen. Unsere Arbeitsgruppe hat als erste dieses Gesetz wohl wissend relativiert, und das umfangreiche Wissen von Exoprothetik und Endoprothetik zu einem neuen Konzept zusammengeführt. Eine umfangreiche Literaturrecherche ergab, dass entsprechende perkutane, intraossäre Verankerungen von Exoprothesen nur sporadisch und ohne wissenschaftliche Aufarbeitung durchgeführt wurden. Auch die schwedische Arbeitsgruppe von R. Brånemark, die zurzeit vermutlich die meisten perkutanen, intraossären Verankerungen durchgeführt haben, scheinen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen, da bislang keine wissenschaftlichen Pu-
191 Kapitel 9.3 · Spezialimplantate: Endo-/Exoprothese
9.3
blikationen vorliegen, sondern unterschiedliche Zahlen [7, 8] aus diversen Vorträgen bekannt werden. Von unserer Arbeitsgruppe wurden seit 1999 bei insgesamt 5 Patienten eine Endo-/Exoprothese implantiert, wovon sich 4 in situ befinden und eine in einem auswärtigen Krankenhaus wegen angeblicher Weichteilprobleme entfernt wurde. Das aufgrund von Erfahrungen der ersten Implantationen modifizierte Design ist mittlerweile so standardisiert und alltagstauglich, dass in ausgesuchten Fällen von oberschenkelamputierten Patienten eine Implantation einer Endo-/Exoprothese empfohlen werden kann.
Material und Methode
⊡ Abb. 9.14. Gekoppelte Komponenten der Endo-/Exoprothese
Implantatdesign Die über 25 Jahre umfassende Erfahrung der Fa. ESKA Implants, Lübeck, hinsichtlich der ossären Integration zementfrei zu implantierender Knie- und Hüftgelenksendoprothesen hat angesichts der zu erwartenden extrem hohen Wechselbelastungen an Oberschenkelprothesenstielen bereits initial bei der Entwicklung ausschließlich an ein Implantat mit spongiös konfigurierter Tripodenoberfläche denken lassen. Umfangreiche Erfahrungen im Bereich interner Prothesen lagen über die Kobalt-Chrom-Molybdän-Legierung vor, die was Festigkeit, Langlebigkeit und Biokompatibilität angeht, von uns favorisiert wird [9]. Die Methode der Wahl ist ein von distal einzubringender Metallstiel, der auf einem Metallflansch gegen das transsektierte Knochenende gesetzt wird. Zur Verstärkung und Versiegelung des Knochengewebes dient eine Metallüberwurfhülse (⊡ Abb. 9.14). An das konisch hohle, distale Ende des Metallstiels schließt sich ein metallischer doppelkonischer Adapter an, der durch eine Metallschraube gesichert wird. Schließlich folgt der perkutane Metalladapter, der auf dem letzten Konus mit einer Metallschraube fixiert ist. Sämtliche Komponenten dieser Endo-/Exoprothese bestehen wie o. g. aus der Chrom-Kobalt-Molybdän-Legierung, oberflächlich allerdings titanisiert. Die zunächst verwendeten Silikonzylinder mit nach distal auslaufender Titanfasernetzverstärkung wurden im weiteren Verlauf aus Gründen der daraus resultierenden Weichteilirritationen verlassen [10]. Zusammenfassend besteht dieses neuartige Implantat somit aus dem eigentlichen Femurstiel, dem andockenden Mittelteil, das ebenso wie der Femurstiel auf seiner Ober-
fläche die o. g. Tripodenstruktur aufweist und dem die Weichteile penetrierenden Exomodul, an das schließlich die entsprechende Exoprothese angeschlossen werden kann (⊡ Abb. 9.14).
Operationstechnik Grundsätzlich sollte in einem zweizeitigen Operationsverfahren in Anlehnung an Brånemark und Mitarbeiter vorgegangen werden [11]. Der operative Zugangsweg muss in Abhängigkeit von den jeweiligen posttraumatischen Gegebenheiten individuell gewählt werden. Entgegen der ehemaligen Empfehlung [10] wird das Femur von lateral freigelegt (⊡ Abb. 9.15): Eine Stumpflänge von 12–16 cm oberhalb des Kniegelenkes wird angestrebt. Es folgt das sparsame Aufraspeln des Femurschafts, um dann den oberflächlichenstrukturierten Femurstiel in Press-fitTechnik in das Femur einzutreiben. Die eigentliche Endoprothese steht in diversen Längen und Umfängen zur Verfügung. Es folgt dann die Montage der Überwurfhülse durch Fixierung mittels Kaltverschweißung und Sicherung durch eine Schraube. Der erste Schritt wird nach Verschluss der distalen Öffnung des Mittelteilmoduls unter Verwendung eines Kunststoffstopfens beendet, die Weichteile und die Haut darüber verschlossen. Nach sicherem Einheilen der implantierten Prothesenanteile kann ca. 4–6 Wochen später der zweite Operationsschritt erfolgen: die Anlage des eigentlichen Stomas
192
Teil III · Anwendung
⊡ Abb. 9.15. Operativer Zugang mit lateraler Inzision
⊡ Abb. 9.17. Prothesenstoma mit Exoprothesenmodul in situ
des Implantates trotzdem möglich sind. Ein Metallring des Metallzylinders auf Hautniveau verhindert ein mögliches Vorwachsen des Epithels auf den Anschlussadapter (⊡ Abb. 9.17).
9
Patientengut und bisherige Ergebnisse
⊡ Abb. 9.16. Herstellung des Prothesenstomas mittels Ringstecheisen
sowie die Montage des perkutanen Anschlussadapters zur Fixation der Exoprothese. Mittels eines scharfen Ringstecheisens wird ein HautWeichteil-Zylinder am Amputationsscheitel in Richtung auf den Blindstutzen des Mittelmoduls entnommen (⊡ Abb. 9.16). Besonders wichtig ist, dass es im Bereich des Stomas zu keiner ausgeprägten Narbenbildung in den Weichteilen kommt. Dadurch wird auch gewährleistet, dass die Ränder des Weichteilstomas eng über den glatten Schaft der Exoprothese geführt werden, und Relativbewegungen des Haut-Weichteil-Mantels gegenüber der Schaftachse
Bei insgesamt 5 Patienten wurden nach traumatischer Oberschenkelamputation die o. g. Endo/Exoprothese implantiert. 4 der 5 Prothesen befinden sich noch in situ. Einem Patienten wurden in einem auswärtigen Krankenhaus in einer aufwendigen Operation wegen eines angeblichen oberflächlichen Haut-Weichteil-Infekts sämtliche Endo-/Exoprothesenanteile entfernt. Das Präparat des intramedullären Femurstiels zeigte eine allseitig gute Osteointegration ohne Anhalt für eine Osteitis oder Lockerung (⊡ Abb. 9.18). Aufgrund der o.g. anfänglich verwendeten Silikonund Titanmeshbauteile kam es über eine chronische Weichteilirritation zu oberflächlichen, chronifizierenden Hautekzemen bzw. Ulzera. Nach Korrektur dieser Bauteile im austauschbaren Mittelteil der Endoprothesenkomponente und Ersetzen derselben durch stabile Metallteile kam es schließlich zum Abklingen der Weichteilproblematik. Der erste Patient, der nunmehr seit 6 Jahren mit dieser Endo-/Exoprothese versorgt ist, bedurfte im Bereich des Stomas nach massiver Weichteilretraktion einer mikrochirurgischen Weichteilrekonstruktion. Seit über einem Jahr ist diese Problemzone abgeheilt.
193 Kapitel 9.3 · Spezialimplantate: Endo-/Exoprothese
9.3
⊡ Abb. 9.18. Entnommener Femurstiel mit allseitig anhaftendem Knochengewebe
Die letzen beiden Patienten wurden im Herbst 2003 in der o. g. Weise versorgt und wiesen bislang keine implantatimmanente Komplikationen auf. Filmdokumentierte Gangbilder dieser Patienten auf dem Laufband zeigen einen flüssigen, raumgreifenden und sicheren Bewegungsablauf (⊡ Abb. 9.19), sowohl bei Steigung als auch bei Neigung der Lauffläche. Mit Hilfe einer Mikroprozessor gestützten Unterschenkelprothese ist auch das Treppensteigen ohne jegliche Gehhilfe sicher und flüssig möglich. Zusätzliche hygienische Maßnahmen außer der täglichen Körperpflege mittels Wasser und Seife im Bereich des Stomas sind nicht notwendig.
⊡ Abb. 9.19. Das Gangbild der Patienten ist flüssig, sicher und raumgreifend
Diskussion Auf den ersten Blick erscheint die Realisierung einer kontinuierlich perkutan-penetrierenden Endo-/Exoprothese nur schwer realisierbar. Die scheinbar dauerhafte Verbindung zwischen dem Knochen als »Milieu interne« und der Haut als äußerem Milieu lassen jeden biologisch Vorgebildeten vor diesem neuen Konzept zurückschrecken. Allerdings hat die Natur bei allen Wirbeltieren dieses Problem längst gelöst, da sie aufgrund von hautdurchdringenden »toten Körperteilen« wie Haare, Fingernägel, Zähne, Hörner, Geweihe, Federn und Hufe keineswegs einer größeren Infektionsgefahr ausgesetzt sind. In ihrer Analyse dieser natürlich vorkommenden Hautanhangsgebilde haben Grosse-Siestrup und Affeld
[nach 12] eine »Zone reduzierter Belastung«, eine »Dreiphasenverbindungsstelle« und das Problem der »Verankerung« definiert. Sämtliche ihrer Überlegungen wurden in unser Implantatdesign bzw. im Implantationsvorgang umgesetzt. Dieses grenzt uns in einem erheblichen Maße von dem Konzept der schwedischen Arbeitsgruppe um Brånemark ab [7, 13, 14]. Die alleinige Übertragung von Erfahrungen aus dem Gebiet der oralen Implantate [15] auf die Extremitäten ist nicht schlüssig und nicht zulässig. Leider ist auch die Literatur auf diesem Gebiet mehr als dürftig. Frühe empirische Versuche, wie z. B. von Dümmer aus Pinneberg, wurden der medizinischen Literatur nicht oder nicht ausreichend zugängig gemacht [15].
194
Teil III · Anwendung
Trotz experimenteller Erfolge bei Hunden und Kaninchen durch Schmitt [16] mit überwiegend aseptischen Verläufen erfolgten keine klinischen Anwendungen. Die bislang durch unsere Arbeitsgruppe erzielten Ergebnisse und Erfahrungen zeigen über einen Zeitraum von 6 Jahren, dass nach traumatischer Oberschenkelamputation die Versorgung mit einer Endo-/Exoprothese mittlerweile als standardisiert und alltagstauglich angesehen werden kann.
Literatur
9
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9.4 Spezialimplantate Individualprothesen, Sonderanfertigungen R. Ascherl, H. Grundei, I. Hartung, R. Gradinger
Zusammenfassung Aufgrund der stetig zunehmenden Implantationszahlen von Endoprothesen steigt auch die Zahl der Revisionsoperationen und der Mehrfachwechsel. Gerade bei den Mehrfachwechseloperationen besteht nicht selten ein ausgeprägter Knochendefekt, der in manchen Fällen nicht durch die verfügbaren Implantate rekonstruiert werden kann. Hier bieten individuell hergestellte Sonderprothesen meist die einzige Möglichkeit zum Erhalt einer funktionsfähigen Extremität. Im vorliegenden Beitrag werden die wesentlichen Möglichkeiten und Planungsschritte der Versorgung mittels Individualprothesen vorgestellt und anhand ausgewählter Fallbeispiele verdeutlicht.
Geschwülste und die immer häufigeren qualitativen und quantitativen Schäden des Knochenlagers beim Mehrfachwechsel stellen nicht selten noch größere Herausforderungen an Implantat und Operateur. Biologische Lösungen mit allogenem Knochen aus Gewebebanken bis hin zu »strut-grafts« oder Massivtransplantaten stellen alternative Ansätze dar, wirken aber eher als allostatische Implantate mit nur noch geringen osteokonduktiven Eigenschaften – ein dauerhafter biologischer Verbund mit dem Implantat entsteht kaum, eine mechanische Langzeitstabilität erreicht nur das (Mega-)Implantat. Megaprothesen mit individuellem Design bleiben aus unserer Sicht die immer noch beste Möglichkeit zum Ersatz großer und schwerer Knochensubstanzverluste bei Tumoren und komplizierten, komplikationsträchtigen Implantatlockerungen.
Problematik Knochendefekt Bei ausgedehnten Knochendefekten und reduzierter Lagerstabilität erreichen oft nur aufwändige Individualimplantate und Sonderkonstruktionen als sog. »Custommade«-Prothesen extremitätenerhaltende und belastbare, funktionstüchtige Lösungen im Sinne des sog. »limb-salvage«. Resektionen primärer Tumoren fordern wegen der zwar planbaren Defektgröße, aber kaum standardisierbaren Knochengeometrie (z. B. Becken) oft individuelle Formgebungen hinsichtlich Verankerung, Gelenkstellung und Größenvariationen. Trotz der zusätzlichen Radiatio und Chemotherapie erscheint das Implantatlager häufig biologisch wie mechanisch weitgehend intakt. Sekundäre
Sonderkonstruktionen und Medizinproduktegesetz (MPG) – rechtliche Aspekte Individualimplantate und Sonderanfertigungen sind nach § 3 Abs. 8 des MPG »Medizinprodukte die nach schriftlicher Verordnung nach spezifischen Auslegungsmerkmalen eigens angefertigt werden und zur ausschließlichen Anwendung bei einem namentlich benannten Patienten bestimmt sind«. Hierunter fallen nicht die serienmäßigen Implantate, die für eine Applikation modifiziert oder individuell angepasst werden. Verantwortlicher für »Inbetriebnahme und Inverkehrbringen« ist bei Sonderanfertigungen alleine der Opera-
196
9
Teil III · Anwendung
teur, allerdings kann dies nur in enger und permanenter Abstimmung sowie in gutem und von gegenseitigem Respekt geprägten Einvernehmen mit Technikern und Ingenieuren erfolgen. Skizzen, Baupläne und endgültiges Implantat sollten schließlich gemeinsam für die Implantation »freigegeben« werden. Unterlagen bezüglich verwendeter Materialen und Baupläne sind nicht nur vom Hersteller, sondern auch vom Operateur und der Klinik mindestens 5 Jahre aufzubewahren und für behördliche Einsicht bereitzuhalten. Empfehlenswert ist die Archivierung des signierten Bauplans in Krankenblatt und gesonderten Dossiers (nicht unbedingt elektronisch), in denen zusätzlich Schriftverkehr, Planungsskizzen, Freigaben, Fotos von Implantaten und Instrumenten, radiologische Befunde (Nativradiologie, CT, MRT) und Ergebnisbericht (Radiologie, OPBericht, Epikrise) verbleiben. Nicht zuletzt sollte natürlich der Patient eingehend und auch wiederholt über die Schwere des Eingriffs und die Notwendigkeit eines Sonderimplantats aufgeklärt werden. Die Demonstration von Bildern, ebenso wie von Plänen, Modellen oder fertigem Bauteil ist dabei außerordentlich hilfreich und schafft Vertrauen und Zuversicht. Eventuelle Probleme oder Implantatversagen sind auch bei Anwendung von Sonderanfertigungen behördlich mitzuteilen, hierfür gilt das übliche »Formblatt für die Erstmeldung von Vorkommnissen und Beinahe-Vorkommnissen« (DIMDI-Version, über Internet erhältlich)!
Focus
H Knochen h Film
a A ⊡ Abb. 9.20. Vergrößerung des Röntgenbildes (A) im Vergleich zum anatomischen Korrelat (a) in Abhängigkeit vom Fokus-Film-Abstand
Eigene Untersuchungen haben die Unzuverlässigkeit elektronischer Bildverarbeitung aufzeigen können; die automatisierten, integrierten Messvorrichtungen eignen sich für die Planung von Sonderkonstruktionen oder Individualprothesen nicht. Auch bei modernen PACS (Picture Archiving and Communication Systems) müssen Referenzkörper oder Maßstäbe weiterhin als die wichtigste und zuverlässigste Grundlage für genaue Messungen und exakte Planungen gelten.
Planung und Vorbereitung Röntgen
Computertomographie
Herkömmliche, nativradiologische Bildgebung bleibt erste Grundlage für alle Planungen eines Sonderimplantats. Maßgerechte Größen ergeben sich durch Anwendung des Strahlensatzes bei bekanntem Abstand zwischen Fokus und Bildebene (⊡ Abb. 9.20), sich alleine auf den Maßstab 1:1,15 zu verlassen reicht jedoch auch bei den konventionellen Filmen nicht immer aus. Exakte Berechnungen können einerseits durch die gleichzeitige Abbildung von Maßstäben ermöglicht werden, wobei die Referenz immer auf Höhe des Objektes einzustellen ist, z. B. im Bereich des Femurs und nicht auf der Bildebene [14]. Günstigere und genauere Bezugspunkte bleiben bekannte Dimensionen liegender Implantate (z. B. Kopfdurchmesser einer Hüfttotalendoprothese).
Die Computertomographie mit ihren inzwischen nahezu naturgetreuen Visualisationen und 3-D-Rekonstruktionen ist mittlerweile gerade am Becken und an der Wirbelsäule für Planung des eigentlichen Eingriffes, Entwurf von Instrumenten sowie Konstruktion von Implantaten unerlässlich. Lage und Orientierung von Resektionslinien, Positionierung und Form von Verankerungsstielen, die räumliche Rekonstruktion des physiologischen Rotationszentrums der Hüfte und damit der Beinlänge können nur mit Hilfe der modernen CT-Technologie ermöglicht werden [8, 9]. Durch die Anwendung zusätzlicher Rechenverfahren können (in Zukunft) Metallartefakte liegender Implantate reduziert werden, bleiben jedoch trotzdem sichtbar
197 Kapitel 9.4 · Spezialimplantate: Individualprothesen, Sonderanfertigungen
9.4
und nicht ohne Störungen. Zu diesen Verfahren gehören beispielsweise iterative Algorithmen [17] oder spezielle Aufnahmetechniken wie die ECTS (»extended CT scale technique«) [12]. ⊡ Abb. 9.21. Seitliche Aufnahme eines Durchsteckfemurs mit typischer Antekurvation des Femurs
Intramedullärer Totalfemur – Durchsteckprothese Indikation Für den intramedullären Femurersatz bestehen folgende Indikationen: ▬ Grenzzonenbrüche – interprothetische Frakturen (zwischen Knie- und Hüftimplantat), ▬ periprothetische Frakturen nach Sekundärendoprothetik an Hüfte oder Knie, ▬ Gefährdung der Stabilität beim Wiederholungswechsel, ▬ ausgedehnte Lockerungen nach Knieersatz und ipsilaterale Coxarthrose, ▬ ausgedehnte Lockerungen nach Hüftersatz und ipsilaterale Gonarthrose. Ziel ist die initial belastungsstabile Wiederherstellung des Oberschenkels ohne Resektion des (Rest-)Femurs und damit der weitgehende Erhalt der Muskelansätze. Aufwand, Schwere und Konsequenz des Eingriffs übertreffen nicht den totalen Femurersatz mit modularen Tumorendoprothesen.
Bauprinzip und operative Strategie Die präoperative Planung umfasst die genaue Analyse und Ermittlung der Länge des Oberschenkels; unter Umständen kann das kontralaterale Femur als Primärmaß herangezogen werden. Grundlage für die Bemessung bilden Nativröntgenaufnahmen mit Referenzkörper oder Maßstab (s. oben). Exakte seitliche Aufnahmen ergeben die Antekurvation und damit den Radius der Krümmung an den diaphysären, intramedullären Komponenten, dieser übersteigt selten 1700 mm (⊡ Abb. 9.21). Erste Implantate dieses Typs stammen von der Gruppe um Nieder [5, 14]. Unsere Weiterentwicklung besteht in der sofortigen Verfügbarkeit als modulares System mit zementierten und zementlosen Gelenkteilen. Hüft- und Kniemodule sind mit Konen an den Verlängerungshülsen konnektiert und zusätzlich mit Schrauben
gesichert, die mit definierten Drehmomenten angezogen werden. Der Mindestdurchmesser der Zwischenstücke – und damit der minimale Innendurchmesser des Restfemurs – beträgt derzeit 16 mm, eine Reduktion auf 14 mm erscheint noch im Bereich des Sicheren und Möglichen. Für den endgültigen Einsatz sollten stets drei Längenvariationen in jeweils Zentimeterschritten zur Verfügung stehen, Verlängerungen gefährden die Beugefähigkeit im Kniegelenk und sollten konsequent vermieden werden. Bei reduzierter Qualität in den metaphysären Knochenabschnitten müssen die gelenktragenden Implantatteile mit Knochenzement fixiert werden. Fehlt eine stabile Verankerung des Knochens zum Prothesenkörper, so induzieren die Relativbewegungen durch Muskelzug erhebliche Schmerzen. Etwaige Osteotomien können aufgrund der Eigenstabilität des Implantates uneingeschränkt und großzügig vorgenommen werden. Erstaunlich ist die Reparationsfähigkeit des Knochens nach langwierigen und destruktiven Lockerungsperioden, Wiederholungseingriffen und neuerlicher, weitreichender, operativer Traumatisierung. Zur endgültigen Implantation empfiehlt sich die nachstehende Reihenfolge: ▬ Tibia, ▬ Hüftpfanne, ▬ Femurgelenkteil: Hüfte mit Diaphyse, ▬ Reposition mit Probekopf (u. U. Probeinlay bei zementloser Pfanne), ▬ Femurgelenkteil Knie, ▬ Luxation der Hüfte und Einbringen der Originalimplantate. Sind am proximalen Femur Muskelansätze verloren gegangen, so sollte an Antiluxationseinrichtungen gedacht werden. Hierzu eignen sich: ▬ Inlays oder Pfannen mit Überhöhungen, ▬ Schnapppfannen, ▬ Großköpfe (35 oder 38 mm) mit entsprechenden Hüftpfannen.
198
Teil III · Anwendung
Klinische Ergebnisse
9
Nach 26 Implantationen sind als implantatrelevante Komplikationen lediglich 2 Diskonnektionen der kniegelenksnahen Konusverbindungen aufgetreten. Durch die zusätzliche drehmomentkontrollierte Schraubensicherung erscheint dieses Problem beseitigt. Hauptgefahr bleibt die Luxation, sie ist bei Mehrfachwechseln mit einem Durchsteckimplantat 4-mal beobachtet worden. Das Infektionsrezidiv erscheint gegenüber dem Totalfemur-MML nicht wesentlich geringer, treten Rezidive auf, dann gehäuft nach Infektionen mit multiresistenten Erregern (v. a. Staphylokokken). Die Beweglichkeit im Kniegelenk übertrifft selten eine Beugefähigkeit von 70°, subjektiv wird dieses eher limitierte Bewegungsausmaß jedoch aufgrund der zuvor nahezu ausweglosen Situation von den Patienten niemals als einschränkend oder störend empfunden [1, 11]. Am »Narbenknie« sind laterale Zugänge streng zu indizieren, an eine primäre Muskellappenplastik oder einen Schwenklappen sollte gedacht werden. Friesecke und
a
b
⊡ Abb. 9.22. a Implantatbruch bei zementfreier Hüftrevisionsprothese. Beachte: Einliegende fest integrierte Kranialpfanne. b Distal fest verankerter zementfreier Stiel des gebrochenen Implantates.
Kapellmann [5] beurteilen den intramedullären Totalfemur gerade bei ausgedehnten Instabilitäten am Femur (periprothetischen Frakturen und ausgedehnte Defektzonen) gleichermaßen positiv.
Fallbeispiel Bruch einer Sonderprothese nach Mehrfachwechsel bei einer 60-jährigen Patientin. Die Erstimplantation war mit 40 Jahren wegen einer schweren Dysplasiecoxarthrose erfolgt, zwischenzeitlich hatten 3 Revisionen zu einem Verlust der lateralen Kortikalis an der proximalen Femurhälfte geführt, weshalb der Einsatz einer strukturierten Langschaftprothese erwägt wurde. Im defizitären Azetabulum eine der ersten Kranialpfannen mit anatomischer Lasche und intramedullärem Stiel. 10 Jahre nach Implantation kam es zum Bruch der Femurprothese (⊡ Abb. 9.22a). Der distale Abschnitt zeigte radiologisch eine feste, knöcherne Integration (⊡ Abb. 9.22b), weshalb der Endoprothesenausbau nur
c c Röntgenaufnahme nach Explantation des gebrochenen Implantates nach Fensterung des Femurs und Rekonstruktion mittels Durchsteckprothese
199 Kapitel 9.4 · Spezialimplantate: Individualprothesen, Sonderanfertigungen
durch eine Fensterung des Femurs über seine ganze Länge möglich war. Die stabile Rekonstruktion schien alleine über eine intramedulläre Femurtotalprothese gewährleistet, schließlich Implantation und Fixation des Kortikalisdeckels mittels Seilcerclagen (⊡ Abb. 9.22c). Inzwischen ist die Patientin vollständig rehabilitiert, benutzt nur für sehr lange Wegstrecken einen Gehstock und fährt Fahrrad.
»Rapid-Prototyping«-Modellherstellung Indikation Die Darstellungsmöglichkeiten moderner Computertechnologie vom virtuellen Operationssitus [8, 9, 18] bis hin zum physischen Knochenmodell sind für die Planung, Formgebung und Instrumentierung von Rekonstruktionen bei Tumoren und fortgeschrittenen Defekten nach Mehrfachwechsel ganz besonders wertvolle, wenn auch finanziell aufwändige, zeitlich anspruchsvolle und nie kostendeckende Hilfsmittel.
Grundlagen des »Rapid Protoyping« Streng genommen wird unter »Rapid Prototyping« die schnelle, direkte Fertigung von Formkörpern oder Werkstücken ohne manuelle Umwege aus Konstruktionsdaten verstanden, formlose oder neutrale Materialien werden dabei unter Nutzung von chemischen oder physikalischen Verfahren in Musterbauteile entsprechender Größe umgewandelt. Seit den achtziger Jahren hat sich ein inzwischen breites und bedeutendes Arbeitsfeld mit besonderer, eigener Begrifflichkeit entwickelt: »concept modeling« ist dabei die Entwicklung eines Modells, »rapid tooling« die Herstellung von Werkzeugen, »rapid manufacturing« bezeichnet die Produktion von echten Fertigteilen. Terminologie, Wort(er)findung und Abkürzungsvielfalt haben auch in diesem Feld der Informationstechnologie noch lange keinen endgültigen und definierten Stand erreicht, möglicherweise ist der Oberbegriff »generative Fertigungsverfahren« oder »(solid) freeform fabrication (FFF)« zutreffend und richtungsweisend. Grundsätzlich werden bei allen Applikationen aus Datensätzen stufenförmig Lagen auf Modellen aufgebaut oder von selbigen abgetragen (⊡ Tabelle 9.6). Für
9.4
die praktische Anwendung in der Herstellung von Sonderendoprothesen und individuellen Instrumenten sind Stereolithographie, Lasersintern und CNC-Fräsen (CNC = »computer numerical control«) routinemäßig in Gebrauch.
Rapid Prototyping und Sonderendoprothetik Stereolithographie Die Stereolithographie erzeugt durch Härten eines so genannten Photopolymers (Epoxidharz, Acrylat) mit einem UV-Laser sehr genaue Modelle mit Schichtdicken von weniger als 0,1 mm. Mit diesem Verfahren werden die Prototypen von individuellen Instrumenten, wie Bohroder Sägelehren hergestellt und angeformt. Vorteile der Stereolithographie liegen in der besonderen Genauigkeit, Detailtreue und der uneingeschränkten Möglichkeit der Darstellung von Hinterschneidungen und Hohlkörpern. Für die Planung und Simulation von Operationsschritten gelten Formkörper aus diesem Verfahren als ungeeignet, sie sind kaum bearbeitbar. Fräsmodelle Modelle der betroffenen Skelettabschnitte werden mit einer CNC-Fräse aus den Daten eines Spiral-CT – übertragen über LAN (Local Area Network) oder CD – generiert (⊡ Tabelle 9.7). Eine Workstation führt zunächst eine 3D-Oberflächenberechnung durch und definiert gleichzeitig das Modellvolumen. Schließlich müssen die Datensätze regelmäßig bearbeitet werden, wie Konturunschärfen bei vorhandenen Metallimplantaten oder zu geringe Knochendichte im Bereich von Osteolysen durch Tumore oder Resorptionsgranulome. Nach Auswahl der Interpolationsparameter werden die Daten in das Modelliersystem übertragen. Das eigentliche Modell wird mit einer CNC-Fräse aus einem Polyurethanblock gearbeitet (⊡ Abb. 9.23a), die Interpolation der Schichtdicke beträgt dabei weniger als 0,7 mm. Immer geschieht der Fräsvorgang zweistufig. Nach der rohen Vorfräsung, die den Kunststoffquader in die ungefähre Form bringt wird in einem zweiten Durchgang die nahezu glatte Feinfräsung vorgenommen – »subtractive machining« (⊡ Tabelle 9.6). Schließlich steht ein maßstabgetreues 1:1-Modell zur Verfügung. Hohlräume, wie die Markhöhlen, können nur durch Teilung des Modellvolumens erzeugt werden (⊡ Abb. 9.23c).
200
Teil III · Anwendung
Der besondere Vorteil des Werkstoffs Polyurethan liegt in den gegenüber den Photopolymeren günstigeren Kosten, aber auch in der leichten Bearbeitung, die eine Simulation des Eingriffs (Pfannenfräsung, Resektion, Markraumpräparation) zulässt. Im Operationssaal
allerdings sollte das Material wegen seiner geringen Abriebbeständigkeit nur mit Zurückhaltung gehandhabt werden. Gerade am Becken sind die physischen Skelettmodelle eine ausgesprochene Hilfe zur räumlichen Orientierung, zum Finden von anatomischen Bezugpunk-
⊡ Tabelle 9.6. Generative Fertigungsverfahren – »rapid prototyping«
9
Verfahren
Abkürzung
Beschreibung
Stereolithographie
STL SL SLA
Aushärten eines flüssigen Photopolymers (Epoxidharz) durch (UV-)Laser
Selektives Lasersintern
SLS
Verschmelzen oder Versintern von Kunststoffpulver oder Gießsand mittels Laser
Fused Deposition Modelling
FDM
Verflüssigung von drahtförmigen Kunststoffmaterialien (Polyethylen, Polyamid, Wachs), die mit einer Düse schichtweise aufgebaut werden
Laminated Object Modelling
LOM
Aufbau der Form aus Folien (Papier, Keramik, Kunststoff, Aluminium) deren Kontur durch einen Laser ausgeschnitten wird
3D-Printing
3-DP
Spritzen von Bindemittel (Epoxidharz) auf ein Pulverbett (Keramik, Stahl, Gips, Stärke)
Multiphase Jet Solidification
MJS
Formenaufbau durch schichtweißes Spritzen von flüssigen, wachsähnlichen Substanzen
Liquid Metal Jet Printing
LMJP
Geschmolzenes Metall wird an die entsprechenden Bezugspunkte schichtweise aufgetragen
Lasergenerieren
Aufschmelzen eines Pulvers und Transport des Materials über einen Gasstrahl zum Bearbeitungspunkt
CNC-Fräsen
Mit einer computergesteuerten Fräsmaschine wird das Modell aus dem Vollen gearbeitet (»subtractive machining«)
⊡ Tabelle 9.7. Aufnahmeparameter zur 3-D-Modellherstellung Schichtabstand
Zwischen 1,0 und 4,0 mm in detailreichen Regionen, sonst bis 15 mm. Die Objekte müssen in aufeinanderfolgenden Schichten überlappend aufgenommen werden
Schichtdicke
Gleich dem Schichtabstand in detailreichen Gebieten, also max. 4,0 mm Bei größeren Schichtabständen nicht über 4,0 mm einstellen
Gantry-Winkel
Bei Bedarf so einstellen, dass der interessierende Bereich möglichst rechtwinkelig geschnitten wird
Matrix
Üblich: 256er Mess- und Bildmatrix
Dosis
Wie bei diagnostischen Scans
Faltungskern/Algorithmus
Normalalgorithmus, Knochenalgorithmus; nicht extrem kantenaufsteilend oder glättend
Andere Parameter
Skalierung, Vergrößerung, Lage, Filterfunktion und Fensterlage/-breite nur einmal einstellen und während der Untersuchung stets ungeändert beibehalten
201 Kapitel 9.4 · Spezialimplantate: Individualprothesen, Sonderanfertigungen
ten, und schon gar nicht darf die mögliche haptische Wahrnehmung und Anmutung, der plastische Charakter, unterschätzt werden. Erste klinische Anwendung von Fräsmodellen zur Operationsplanung und Implantatherstellung wurden von
a
b
c
⊡ Abb. 9.23. a CNC-Fräsen des Polyurethanmodells zur Planung des individuellen Beckenteilersatzes. b Tomographische Aufnahme des Knochendefektes im Becken. c 1:1-Modell des Beckens
9.4
Gradinger [7] und seiner erweiterten Gruppe [13] vorgenommen; seither sind Applikation und Prothesendesign in ständiger Arbeit verbessert worden. Die Zukunft dieser Technologie liegt ferner in der Herstellung von individuell-anatomisch geformten Implantaten auf der Basis von Knochenersatzstoffen, die gerade in unserer Ära der Molekularbiologie und Regenerativen Medizin mit parakrinen Substanzen, Wachstumsfaktoren oder (Stamm-) Zellen dotiert werden könnten. Auch dieser Aspekt wird in Anbetracht der zunehmenden Wiederholungsoperationen in der Wechselendoprothetik größere Beachtung verdienen. Quadrini und Mitarbeiter [15] haben inzwischen mit sehr feinen Methoden des »rapid prototypings« sogar Knochengerüste auf der Basis von Hydroxylapatit hergestellt, diese sollen als Leitschiene für Zell- und Gewebekulturen dienen.
Beckenteilersatz bei Diskontinuität nach Mehrfachwechsel Grundmerkmale der Konstruktion bleiben eine gerade Resektion des Os ileum, die intramedulläre Verankerung (zementlos oder zementiert) am medialen Rand des Darmbeins und laterale Laschenbefestigungen, diese Prinzipien haben inzwischen auch andere Autoren [10] übernommen. Die Azetabula sind modular und über Konen mit dem eigentlichen Kraftträger verbunden. Probleme mit Diskontinuitäten des Beckens im Rahmen von fortgeschrittenen Implantatlockerungen sind allgemein immer noch selten, aber das schwerste und komplizierteste Endstadium einer aseptischen Lockerung [6]. In den letzten Jahren sind Beckendiskontinuitäten aber unseren Beobachtungen nach deutlich gestiegen. Eggli et al. [4] empfehlen einen schrittweisen, mehrzeitigen Aufbau mit Transplantaten und Hintergrundschalen. Winter und Mitarbeiter [19] wie auch Berry et al. [2] sehen im (allogenen) Knochentransplantat und Zusatzimplantaten ebenfalls stabile Lösungen. Auch Stiehl et al. [16] berichten über Allografts beim ausgedehnten Knochendefekt am Becken nach Mehrfachwechseln, beurteilt aber die Endergebnisse bei einer Re-Revisionsrate von 47% außerordentlich kritisch. Christie und Mitarbeiter [3] empfehlen dagegen individuelle Pfannenimplantate und sehen gerade beim diskontinuierlichen Substanzverlust den besonderen Wert und den Aufwand mehr als berechtigt.
202
Teil III · Anwendung
Genaue Positionierung der Verankerung im qualitativ und quantitativ bestmöglichen (Rest-)Lager und Rekonstruktion von Beinlänge, Offset und Rotationszentrum sind die wesentlichen Vorteile von individuellen Beckenteilersatzprothesen. Zwangsläufig sind Komplikationen möglich. Diese bestehen unseren Erfahrungen nach v. a. in Luxationen und eingeschränkter Beugefähigkeit. Bei bislang 23 Beckenteilersatzprothesen nach Implantatlockerung war nur einmal eine Passungenauigkeit aufgetreten.
Am geteilten Femur Design der zementlosen Stielprothese mit Tripodenoberfläche (⊡ Abb. 9.25d). Anlage des Fixateurs zur Arthrodiatasis und Verlängerung um 14 cm und damit Überkorrektur, die in Einzelfällen (chronische Osteomyelitis) deshalb angestrebt wird, um übermäßigen Verkürzungen, während des »Heilungsinterims« (Zeit zwischen Fixateur und Endoprothese zur Sanierung der Pintracks) vorzubeugen (⊡ Abb. 9.26a,b). Endgültige Versorgung mit gutem Ergebnis (⊡ Abb. 9.26c).
Implantatarthrodese Fallbeispiele
9
Beckenteilersatz nach infektiöser Lockerung Eine 68-jährige Patientin mit rheumatoider Arthritis und multiplen Ersatz der großen Gelenke (beide Knie- und Hüftgelenke) erkrankte an einer septischen Lockerung einer zementlosen Hüfttotalendoprothese links durch methicillinresistente Staphylokokken (MRSE). Nach Prothesenausbau erfolgte die Infektsanierung durch multiple Debridements, Lavagen und Einlage resorbierbarer Antibiotikumträger. Folge des Infektes war eine ausgedehnte Defekthöhle und der Verlust einer stabilen Verankerungsfläche im Bereich des ehemaligen Azetabulums (⊡ Abb. 9.23 und ⊡ Abb. 9.24a). Die Rekonstruktion des Beckens wurde mittels »rapid prototyping« als Fräsmodell geplant (⊡ Abb. 9.23). Anschließend Anformen von Resektions- und Bohrlehren (⊡ Abb. 9.24b) sowie der Wachsform für den Guss des Individualimplantates, gefolgt von der Probeimplantation am Modell (⊡ Abb. 9.24c) und einer nochmaligen Korrektur. Schließlich Implantation eines individuellen Beckenteilersatz mit einem modularen Implantat, wobei die Rotation und damit die Inklination und Anteversion des Azetabulums einstellbar waren (⊡ Abb. 9.24d). Femoral wurde eine zementlose Femurrevisionsendoprothese implantiert (⊡ Abb. 9.24e). Seit zwei Jahren ist die Patientin ohne Rezidiv und nahezu vollständig rehabilitiert. Dysplasiecoxarthrose mit Beinverlängerung Nach mehrfachen Eingriffen bei angeborener Hüftdysplasie rechts, chronische Osteomyelitis, rezidivierender Gelenkinfekt und schmerzhafte Coxarthrose (⊡ Abb. 9.25a). Beinverkürzung von 9 cm. Die 3D-Rekonstruktion des Beckens zeigt die Fehlstellung des Femurs (⊡ Abb. 9.25b). Am Modell Simulation des Eingriffs, auch die Anlage der Pins zur Ligamentotaxis wurde geplant (⊡ Abb. 9.25c).
Implantatarthrodesen als Sonderkonstruktionen erreichen in Extremsituationen bei Komplikationen nach Knieersatz und nach Sanierung des Infektherdes einen Erhalt der Extremität. Mit der Zahl der Eingriffe, zunehmendem Knochendefekt, irreparablem Verlust der Extensorfunktion, rezidivierenden Infekten und drohender Amputation erlauben in Grenzfällen Sonderkonstruktionen eine Überbrückung und Versteifung.
Ausblick Die Bildverarbeitung auch in der Magnetresonanztomographie wird sicher in naher Zukunft die Planung und dreidimensionale Rekonstruktion vereinfachen und beschleunigen, Formenbau und Implantatherstellung müssen noch enger und direkter am klinischen Bereich angebunden sein, Navigationshilfen und (virtuelle) Situsdarstellung, möglicherweise als Superimposition können Vorbereitung, Eingriff und Nachsorge erleichtern und verkürzen. Vermutlich entsteht für die dargelegten Technologien und Verfahren eher im Bereich der Revisionsendoprothetik zunehmender Bedarf. Operativer und technischer Aufwand, pflegerische und physiotherapeutische Anstrengungen erscheinen uns bei Analyse der klinischen Ergebnisse und in Anbetracht jeder einzelnen Krankengeschichte mehr als gerechtfertigt. Das drohende Schicksal eines gravierenden, körperlich und folgenreichen, seelischen Integritätsschadens kann fast immer abgewendet werden. Umso mehr müssen auch die finanziellen Mittel für entsprechende Zentren zur Verfügung stehen, damit diese Leistungen erhalten und auch die wissenschaftlich-technischen Entwicklungen im Bereich der Sonderendoprothetik gewährleistet bleiben.
203 Kapitel 9.4 · Spezialimplantate: Individualprothesen, Sonderanfertigungen
9.4
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⊡ Abb. 9.24. a Präoperative Röntgenaufnahme (Planung s. Abb. 9.23) des Knochendefektes einer Patientin mit septischer Prothesenlockerung nach Implantatausbau und Infektsanierung. Beachte des ausgedehnten Knochendefekt im Bereich des ehemaligen Azetabulums. b Anpassen der Sägeschablone an das 1:1-Beckenmodell. c Probeimplantation der Individualprothese. d Monobloc Beckenteilersatz mit der Möglichkeit der Rotation des Azetabulums zur intraoperativen Anpassung der Anteversion. e Postoperative Röntgenaufnahme nach Rekonstruktion
204
Teil III · Anwendung
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⊡ Abb. 9.25. a Dysplasiecoxarthrose rechts mit Hochstand des destruierten Femurkopfes. b 3-D-Rekostruktion. c Polyurethanmodell zur Operationsplanung. d Eröffnetes Femur zur Planung der Stielverankerung
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205 Kapitel 9.4 · Spezialimplantate: Individualprothesen, Sonderanfertigungen
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⊡ Abb. 9.26. a Hüftgelenksüberbrückender Fixateur externe zur Distraktion bei Beinlängenverkürzung nach destruierender Dysplasiecoxarthrose (Pat. von Abb. 9.25). b Röntgenkontrollen und Nachweis
c der Überkorrektur, da die Rekonstruktion erst verzögert geplant war. c Röntgen nach Rekonstruktion
206
Teil III · Anwendung
Literatur
9
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IV Teil IV
Ausblick
Kapitel 10
Verschleißteile und tribologische Optimierung – 208 C. Kaddick, E. Steinhauser, K. Klingbeil
Kapitel 11
Entfernung ossär integrierter Implantate – 215 H.S. Grundei, H. Gollwitzer
Kapitel 12
Trends und zukünftige Entwicklungen auf dem Gebiet der ossären Integration – 220 R. Gradinger, H. Gollwitzer
10 Verschleißteile und tribologische Optimierung C. Kaddick, E. Steinhauser, K. Klingbeil
Zusammenfassung Für die ossäre Integration zementfreier Implantate sind sowohl die mechanisch stabile Primärverankerung unter Vermeidung von Relativbewegungen als auch die dauerhafte sekundäre Integration unabdingbare Voraussetzung. Während die ossäre Integration mit Anpassung von Implantatdesign, -material und -oberfläche gesteuert werden kann, stellen die tribologischen Charakteristika der Gelenkimplantate Einflussfaktoren dar, die auch nach knöchernem Einwachsen die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Implantate gefährden können. Der Verschleiß der Gelenkpartner und die daraus folgende »Partikelkrankheit« mit Aufhebung der ossären Integration sind nach wie vor die häufigste Ursache für das Versagen von Gelenkimplantaten und somit für das Verständnis der dauerhaften Integration unverzichtbar. Das folgende Kapitel liefert eine Übersicht über die gängigen tribologischen Werkstoffe und deren standardisierte Testverfahren.
Einleitung Verschleißende Implantatkomponenten beeinträchtigen eine dauerhafte ossäre Integration von Endoprothesen in mehrfacher Hinsicht. So kann mit zunehmendem Abrieb eine mechanische Funktionseinschränkung bis hin zum vollständigen Funktionsverlust des ansonsten stabil verankerten Implantates eintreten. Bei weit fortgeschrittenem Verschleiß wird der Austausch der betroffenen Kom-
ponenten bzw. eine vollständige Revision des Implantats zwingend erforderlich. Auch die Verschleißpartikel selbst können schon vor dem mechanischen Versagen des Kunstgelenks zu einer wesentlichen Beeinträchtigung oder dem Verlust der ossären Integration führen. Muratoglu [1] gibt die Zahl der täglich von einer konventionellen Hüftendoprothese erzeugten Abriebpartikel mit 100 Millionen an. Über eine Kaskade von Gewebe- und Entzündungsreaktionen können diese Partikel zu Osteolysen und aseptischer Lockerung [2] führen. Ziel jeglicher Verschleißoptimierung ist es, die Menge der anfallenden Verschleißpartikel zu reduzieren. Neben der reinen Anzahl der Partikel hängt die biologische Reaktion auch von der Partikelgröße, der Partikelform und dem verwendeten Werkstoff ab. Darüber hinaus kann ein und dieselbe Materialpaarung in verschiedenen Einsatzgebieten stark abweichende Verschleißeigenschaften aufweisen. Werkstoffe mit guten Verschleißeigenschaften erfüllen dabei nicht alle Anforderungen, wie z. B. eine hohe mechanische Dauerschwingfestigkeit oder eine osteokonduktive bzw. osteoinduktive Strukturierbarkeit der Oberfläche gleichermaßen gut. Aus diesem Grund werden Implantate heute zumeist modular aufgebaut. Die Schnittstellen der verschiedenen Komponenten sind jedoch ebenfalls als potentielle Quellen für Verschleißpartikel anzusehen. Das komplexe Zusammenspiel der modularen Komponenten und der artikulierenden Flächen erfordert eine aufwändige präklinische Testmethodik, die sich in den vergangenen Jahren erheblich fortentwickelt hat. Im Folgenden sollen deshalb in kurzer Form die derzeit gebräuchli-
209 Kapitel 10 · Verschleißteile und tribologische Optimierung
chen In-vitro-Testmethoden zur Verschleißbestimmung und die daraus resultierenden Ergebnisse für handelsübliche Implantatmaterialien beschrieben werden.
Prüfmethodik zu Verschleißbestimmung Zu Beginn der Implantatforschung ist aus anderen technischen Bereichen eine Reihe von »einfachen« Verschleißversuchen, wie z. B. der Pin-on-disc-Versuch, entlehnt worden. Bei diesem Versuch wird ein Stift auf einer Platte bewegt und der entstehende Verschleiß bestimmt. Diese vergleichsweise einfache Materialprüfmethode wird noch heute für eine erste Vorauswahl von Biomaterialien verwendet. Die im Folgenden beschriebenen Methoden versuchen, eine deutlich weiter gehende Annäherung an die In-vivo-Bedingungen zu erreichen. Die Prüfung findet hier direkt am fertigen Implantat und nicht an Materialproben statt. Die Prüfbedingungen sind dabei den späteren Einsatzbedingungen so gut wie möglich angenähert. Die technische Umsetzbarkeit sowie die erheblichen Kosten der Prüfeinrichtungen bedingen jedoch Kompromisse zwischen der bestmöglichen In-vitro-Simulation und dem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand. Die damit verbundenen Einschränkungen werden im Folgenden den jeweiligen Prüfverfahren zugeordnet dargestellt.
Hüftsimulator Erste Hüftsimulatoren wurden bereits 1959 für die Charnley-Hüftendoprothese gebaut [3]. Im Zuge der weiteren Entwicklung ist eine Vielzahl an unterschiedlichen Prüfständen entstanden. Diese im Sinne der damit verbundenen Forschung durchaus erfreuliche Tendenz machte einen direkten Vergleich der Verschleißwerte von Hüftendoprothesen, die in unterschiedlichen Laboratorien geprüft wurden, jedoch faktisch unmöglich. Gegen 1995 wurde deshalb auf deutsche Initiative die Prüfnorm ISO 14242–1 [4] entwickelt. Diese beschreibt den während eines standardisierten Gangzyklus auftretenden Bewegungsablauf des Hüftgelenkes sowie die zugehörigen Kräfte. Hiermit verbunden sind drei Bewegungsachsen (⊡ Abb. 10.1). Im US-amerikanischen Raum wird traditionell ein als OBR (Orbital Bearing) bezeichnetes, vereinfachtes Verfahren mit nur einer geneigten Bewegungsachse verwendet, die zu einer Taumelbewegung des Hüftgelenkimplantates führt [5]. Aufgrund der großen Verbreitung dieses Maschinentyps besteht bei US-Laboratorien gegenüber ISO 14242–1 eine weitgehend ablehnende Haltung. Zurzeit bestehen Anstrengungen, die OBR-Simulatoren über eine weitere ISO-Norm ebenfalls zu standardisieren. Eine Standardprüfung nach ISO 14242–1 umfasst drei Proben sowie eine nicht bewegte, aber identisch belastete Referenzprobe. Der Versuch endet nach 5 Mio. Lastzyk-
⊡ Abb. 10.1. ISO-Hüftsimulator (EndoLab®) und die Bewegungsachsen der Simulation
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Teil IV · Ausblick
len, was je nach Aktivität des Patienten in etwa fünf Jahren entspricht [6]. Auf die Überprüfung der Verschleißeigenschaften traditioneller Hüftgelenkpaarungen, wie z. B. UHMWPE gegen Keramik, wird derzeit von den meisten Herstellern verzichtet. Ausreichende Sicherheit wird hier über andere Parameter, wie z. B. die Geometrie der Gleitpartner und Oberflächenrauhigkeit angestrebt. Neuere Werkstoffkombinationen sowie neue Modifikationen bekannter Kombinationen werden jedoch in fast allen Fällen vor einem klinischen Einsatz im Hüftsimulator geprüft. ⊡ Abbildung 10.2 zeigt eine Zusammenfassung der bisher bei der Fa. EndoLab® anhand der ISO 14242–1 ermittelten Verschleißraten in mg je eine Million Gangzyklen. Geringste Verschleißraten werden von den so genannten Hart-hart Paarungen erzielt, also Metall-Metall und Keramik-Keramik. An dieser Stelle sei auf die eingeschränkte Aussagekraft der alleinigen Prüfung im Hüftsimulator hingewiesen: Die simulierte Belastung beschränkt sich bei allen gängigen Verfahren auf einen standardisierten Gangzyklus. Für Hart-hart-Paarungen sind jedoch Subluxationen oder das Anschlagen des Hüftendoprothesenschaftes an der Pfanne (Impingement) besonders kritisch [7], wie sie z. B. beim Aufstehen aus einem Stuhl vorkommen können. Beide Versagensmuster werden über eine Erweiterung der bestehenden Prüfmethoden
⊡ Abb. 10.2. Vergleich der Verschleißraten für Hüftgelenkimplantate
oder zusätzliche Verfahren untersucht, die bisher nicht Bestandteil der Prüfnormen sind [8]. Ebenfalls nicht simuliert werden vom Regelfall abweichende Einbausituationen, wie z. B. die Pfannensteilstellung. Auch hier bleibt es dem jeweiligen Hersteller überlassen, anhand einer Risikoanalyse zusätzliche nötige Prüfungen zu entwickeln. Auch ist es mittels der In-vitro-Prüfungen nicht möglich, alle Eventualitäten von klinischen Einsatz- und Umgebungsbedingungen zu simulieren. So können beispielsweise Revisionsimplantate nach vorhergehenden Schadensfällen extremen tribologischen Bedingungen ausgesetzt sein, die innerhalb kurzer Zeit zu einem rapiden Verschleiß der Gelenkpartner führen (⊡ Abb. 10.3). Die Verkürzung des Prüfzeitraumes gegenüber der tatsächlichen Verweilzeit im Patienten ist für den jeweiligen Werkstoff ebenfalls kritisch zu hinterfragen. So können z. B. die Alterungseigenschaften von Polyethylen (UHMWPE) innerhalb des Prüfzeitraumes von rund 10 Wochen nicht ausreichend überprüft werden und sind ggf. durch künstliche Alterung vor Versuchsbeginn zu berücksichtigen. Neben den reinen Verschleißwerten können im Simulatorversuch Aussagen über die anfallenden Verschleißpartikel getroffen werden. Hierzu werden über chemische Verfahren die in der Prüfflüssigkeit enthaltenen Pro-
211 Kapitel 10 · Verschleißteile und tribologische Optimierung
teine gelöst und die Partikel extrahiert. Dies geschieht bei Polyethylenpartikeln zumeist über Filter mit sehr kleiner Porengröße (z. B. 0,015 µm). Die Filter werden dann anschließend im Rasterelektronenmikroskop untersucht und per Bildanalyse ausgewertet. Als Ergebnis wird typischerweise der Partikeldurchmesser (ECD = equivalent circle diameter) und die Partikelform (shape factor) angegeben. Über weitergehende Informationen des osteolytischen Potentials bestimmter Partikelgrößen kann dann die funktionale biologische Aktivität errechnet und verglichen werden [9]. Dies ist insbesondere bei der Einführung von sog. quervernetzten (»crosslinked«) Polyethylenen von Bedeutung. Während die Verschleißrate gegenüber herkömmlichen Polyethylen auf rund 10–30% abfällt, steigt die Anzahl an sehr kleinen Partikeln und damit die Gesamtzahl an Partikeln wieder deutlich an [10]. Eine zunehmende Rauhigkeit von Hüftköpfen aus Metall, z. B. verursacht durch in das Kunstgelenk eingewanderte Zementpartikel, lässt die Verschleißrate des
⊡ Abb. 10.3. Zustand einer tribologisch stark geschädigten metallischen Kugel, die 3 Jahre nach Revision einer gebrochenen keramischen Kugel explantiert wurde. Dreikörperverschleiß führte zu der beschleunigten Zerstörung
quervernetzten Polyethylens stärker ansteigen als die von herkömmlichen Polyethylen, so dass sich unter diesen Bedingungen ein in etwa ausgeglichenes Verschleißbild ergibt [10]. Bei einem Vergleich der Werkstoffe ist zu beachten dass es bereits eine Vielzahl von Herstellungsverfahren für quervernetzte Polyethylene gibt, die zu jeweils unterschiedlichen Materialeigenschaften führen. Derzeit kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob quervernetzte Polyethylene gegenüber den herkömmlichen Polyethylenen einen klinisch messbaren Vorteil besitzen [11].
Kniesimulator Ähnlich den Hüftsimulatoren wurden die ersten Kniesimulatoren von einzelnen, voneinander unabhängigen Forschungsgruppen entwickelt. Im Rahmen der ISO 14243 Gruppe wurden dann die derzeit gebräuchlichen Maschinen in zwei Gruppen unterteilen: Die erste Gruppe arbeitet mit so genannter »Weg-Regelung«, die zweite Gruppe mit so genannter »Kraftregelung«. Der prinzipielle Unterschied besteht in der Vorgabe, wie die Belastung auf das Implantat aufgebracht wird. Dies sei am Beispiel der in anterior-posterior wirkenden Kräfte kurz beschrieben: Im Falle der Weg-Regelung verfährt die Prüfmaschine die tibiale Komponente im Gangzyklus einen vorgegebenen anterior-posterioren Weg. Achsgeführte Implantate, die diese Bewegung nicht zulassen, würden deshalb mit theoretisch unbegrenzt hoher Kraft beaufschlagt. Die zweite Gruppe der Kniesimulatoren verwendet deshalb anterior-posterior wirkende Kräfte als Vorgabe. Zusätzlich wird bei dieser Gruppe die Steifigkeit der Bandstrukturen berücksichtigt. Dies ermöglicht eine Prüfung aller Kniegelenkimplantate mit derselben Prüfvorschrift (⊡ Abb. 10.4). Ähnlich dem Hüftsimulator werden im Kniesimulator im Regelfall drei Proben sowie eine zusätzliche Referenzprobe bis 5 Millionen Lastzyklen geprüft [12]. Typische Verschleißraten der Paarung Metallkondyle gegen Polyethyleninsert betragen 5–20 mg je eine Million Lastzyklen. Weiterhin lassen sich hier Aussagen über die Mobilität bzw. Stützwirkung des Implantates und die entstehenden Verschleißpartikel gewinnen. Neben der herkömmlichen Metall-Polyethylen Paarung wird zunehmend der Einsatz quervernetzter Polyethylene angestrebt. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass auch hier eine Verschleißreduktion erzielbar ist,
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Teil IV · Ausblick
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⊡ Abb. 10.4. ISO Kniesimulator (EndoLab®) und die simulierten Kräfte des Gangzyklus
wenngleich nicht in dem aus der Hüftendoprothetik bekannten Maß [13]. Die Erhöhung des Verschleißes durch raue Metalloberflächen fällt dabei ebenfalls geringer aus, als für Hüftimplantate beschrieben [14]. Eine Oberflächenmodifikation mittels Zirkonoxid [15] führt nach Literaturangaben ebenfalls zu einer Verschleißreduktion. Derzeit erlebt auch die Verwendung rein keramischer Femurkomponenten einen erneuten Aufschwung [16]. Vollständig keramische Implantate sind bisher nur als Prototypen bekannt. Hinsichtlich der Verschleißraten wurden zunächst die so genannten »mobile bearing« Implantate mit zwei artikulierenden Flächen als vorteilhaft beschrieben. Diese Aussage wurde aus theoretischen Überlegungen getroffen und konnte im Simulatorversuch von unserer Seite
bisher nicht bestätigt werden. Dies wird in jüngster Zeit auch vermehrt publiziert [17]. Neben den artikulierenden Flächen sind die Verankerung der Polyethylenkomponente am Tibiaplateau und eventuell vorhandene Anschlagpunkte wie zentrale Führungszapfen Bestandteil einer Verschleißprüfung im Kniesimulator. Moderne Maschinentypen lassen dabei neben der reinen Gangsimulation zusätzliche Lastkollektive, wie das Aufstehen von einem Stuhl oder das Treppensteigen, zu. Alterungsprozesse des Polyethylens werden auch in diesem Simulatorversuch nur ungenügend erkannt. Die Gefahr einer so genannten »Delamination« des Polyethylens ist daher ggf. durch zusätzliche Versuche zu ermitteln.
213 Kapitel 10 · Verschleißteile und tribologische Optimierung
Wirbelsäulensimulator Obwohl in Europa bereits eine vergleichsweise lange Tradition des Bandscheibenersatzes besteht, ist es erst durch die Führung großer US-amerikanischer Konzerne zu einem nun anlaufenden Boom dieses Implantatbereiches gekommen. Die Simulationsprüfung eines Bandscheibenersatzes gleicht in wesentlichen Teilen einer Hüftgelenkprüfung. Beide Gelenke lassen zumeist drei rotatorische Freiheitsgrade zu. Die verwendeten Werkstoffe sind der Hüftendoprothetik entlehnt. Die zugehörige Normierung der Verschleißprüfung ist seit 2002 in Entwicklung (ISO 18192). Parallel hierzu entwickelt die US-amerikanische Normierungsgesellschaft ASTM eine eigene Prüfnorm. Welche der beiden Vorschriften zukünftig breitere Anwendung findet, ist bisher nicht einzuschätzen (⊡ Abb. 10.5). Über die systemische Wirkung von Partikeln im Bereich der Wirbelsäule und das Umgebungsmilieu des Implantates ist bisher wenig bekannt. Die vorgeschlagenen Prüfnormen orientieren sich daher an der »worst case« Belastung derartiger Implantate, also dem maximal möglichen Bewegungsumfang und der maximal möglichen Belastung. Eine Validierung der Methodik werden erst die mit zunehmendem Einsatz verfügbaren Explantate ermöglichen.
werden. Vom Regelfall abweichende Einsatzbedingungen, patientenbezogene Parameter, Operationsmethode und Erfahrung des Operateurs können hinsichtlich des Langzeiterfolges eine mindestens ebenso erhebliche Rolle spielen.
Schlussfolgerungen Die dargestellten Implantate decken den weitaus größten Teil der klinisch eingesetzten Typen ab. Daneben unterliegt eine Reihe von weiteren Implantaten, wie z. B. Schulterimplantate, Sprunggelenkimplantate und Fingergelenkimplantate, dem Verschleiß. Die geringe Fallzahl verhindert jedoch bisher die Entwicklung einer internationalen Prüfvorschrift. Dies gilt in gleichem Maß für spezielle Ausführungen von Implantaten, wie z. B. Tumorimplantaten im Kniebereich. Die bestehenden Prüfnormen zur Verschleißprüfung setzten aufgrund der komplexen tribologischen und biomechanischen Zusammenhänge ein hohes Maß an Fachkompetenz des Prüflabors voraus. Im Endergebnis lassen sich aufgrund der nun einheitlichen Verfahren direkte Vergleiche zwischen Implantaten verschiedener Hersteller anstellen. Die Simulation selbst kann dabei nur als ein Baustein der Gesamtbeurteilung verstanden
⊡ Abb. 10.5. ISO Wirbelsäulensimulator (EndoLab®) und Bewegungsachsen der Simulation für lumbale Bandscheibenimplantate
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Teil IV · Ausblick
Literatur
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11 Entfernung ossär integrierter Implantate H.S. Grundei, H. Gollwitzer
Zusammenfassung Die Entfernung fest integrierter Implantate im Rahmen der Revisionsendoprothetik ist technisch anspruchvoll und birgt das Risiko ausgedehnter knöcherner Defekte. Dadurch kann wiederum die folgende Rekonstruktion kompromittiert werden. Entscheidend ist die sorgfältige präoperative Planung, um eine Entfernung solide fixierter Komponenten erfolgreich zu gestalten. Es liegt in der Verantwortung des Operateurs, sich mit dem einliegenden Implantat und dem notwendigen bzw. verfügbaren Spezialinstrumentarium vertraut zu machen. Weiterhin sollte der Operateur auf intraoperative Erweiterungen, z. B. die erweiterte Osteotomie des Femurs zur Entfernung diaphysär verankerter femoraler TEP-Komponenten, vorbereitet sein. Entscheidend ist ein knochensparendes Lösen des Interface zwischen Implantat und Knochenlager. Verschiedene speziell verfügbare Meißel-, Bohr- und Ausschlagsysteme (prothesenspezifisch!) können hier erforderlich sein und sind in die Operationsplanung mit einzubeziehen.
Indikationen zur Entfernung fest integrierter Implantate Mit den wachsenden Implantationszahlen von Endoprothesen in den letzten Jahrzehnten ist folglich auch eine größere Anzahl von Zweit- oder Mehrfachrevisionsopera-
tionen zu beobachten. Die Notwendigkeit einer Endoprothesenrevision ist häufig auf eine aseptische Lockerung des Implantates zurückzuführen. In diesen Fällen gelingt die Prothesenexplantation meist ohne größere Schwierigkeiten und Knochenzerstörung. In manchen klinischen Situationen kann jedoch auch eine Entfernung fest integrierter Endoprothesenkomponenten notwendig werden. Hier können gerade die ossär fest integrierten, zementfreien Implantate Schwierigkeiten bereiten. Die wesentlichen Indikationen zur Entfernung fester Implantate können wie folgt zusammengefasst werden: ▬ Implantatinfektion, ▬ Bruch einer Prothesenkomponente, ▬ periprothetische Fraktur, ▬ ausgeprägte Osteolysen (mit drohendem Frakturrisiko) sowie ▬ Gelenkinstabilität und Fehlpositionierung der Komponenten. Außerdem kann die Notwendigkeit zur Entfernung einer fest integrierten Endoprothese bestehen, wenn sich im Rahmen eines Komponentenwechsels (z. B. Hüftpfanne) eine ausgeprägte Schädigung (z. B. Kopfschädigung bei Monobloc-Implantaten des Femurs) der zu verbleibenden Komponente zeigt. Diese speziellen klinischen Situationen erfordern in vielen Fällen individuelle Lösungen. Aus diesem Grunde ist eine sorgfältige präoperative Planung für eine erfolgreiche Prothesenentfernung von entscheidender Bedeutung.
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Teil IV · Ausblick
Präoperative Planung
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Im Rahmen der präoperativen Planung muss neben der Basisdiagnostik (Anamnese, klinische Untersuchung, aktuelle Labordiagnostik) eine ausreichende radiologische Diagnostik, ggf. mit Spezialaufnahmen erfolgen. Bereits radiologisch können mögliche Schwierigkeiten, wie die Entfernung eines geraden Femurstiels bei Varusabkippung, eingeplant werden. Wichtig sind für den Operateur weiterhin Informationen über den Prothesenhersteller und den Prothesentyp, die implantierten Größen sowie über spezielle Kopplungssysteme und evtl. existierende Spezialinstrumente zur Explantation (z. B. spezielle Schraubendreher, Ausschlaginstrumentarien etc.). Eine genaue Kenntnis der zu explantierenden Endoprothese kann die Entfernung wesentlich schonender und einfacher machen! Der Prothesenpass des Patienten sowie Operationsberichte der Voroperationen können hier weiterhelfen, zusätzliche Informationen können beim jeweiligen Hersteller angefordert werden. Schließlich muss der Patient über Art, Umfang und Risiken der Operation ausführlich aufgeklärt werden, hier sind insbesondere die Komplikation einer periprothetischen Fraktur und des entstehenden Knochendefektes zu nennen. Auf notwendige Erweiterungen, wie beispielweise eine Fensterung des Femurschaftes bzw. eine Trochanterosteotomie, ist hinzuweisen.
Operatives Vorgehen Zugang Veränderungen der Anatomie, wie Vernarbungen der Weichteile, periprothetische Verkalkungen, aber auch individuelle Probleme – z. B. für den Operateur ungewohnte vorbestehende Zugänge –, können den Eingriff erschweren. Nicht unter allen Umständen sollte eine Revision über den vorbestehenden Zugang erzwungen werden. Allerdings ist – gerade bei Gelenken mit schlechterer Weichteildeckung wie Ellenbogen- und Kniegelenk – auf weichteilschonendes Operieren zur Vermeidung postoperativer Nekrosen und Wundheilungsstörungen zu achten. Erweiterte Weichteil- bzw. Knochenpräparationen sind bei umfangreichen Revisionseingriffen oder intraoperativen Komplikationen teilweise unvermeidlich. Die schmerzbedingte Entlastung und mangelnde Bewegung haben eine Verkürzung besonders des Kapselbandappa-
rates und der Streckmuskulatur zur Konsequenz. Intraoperativ kann dann teilweise trotz Arthrotomie keine ausreichende Bewegung zur Implantatentfernung erreicht werden. Lösungsansätze können hier die (knöcherne) Ablösung von Ligamenten oder temporäre Osteotomien sein. Beim Hüftgelenk sind dies beispielsweise die erweiterte Trochanter-major-Osteotomie oder ausgedehnte Tenotomien, die eine verbesserte Zugänglichkeit von Pfanne und Femur ermöglichen. Weiterhin muss beispielsweise bei geraden Hüftstielen eine sorgfältige Präparation des medialen Trochanter-major-Anteils und ggf. die Osteotomie erfolgen, um Frakturen bei der Explantation vorzubeugen. Auch am Kniegelenk sollte die Indikation zur Osteotomie der Tuberositas tibiae eher großzügig gestellt werden. Generell gilt, dass der operative Zugang großzügig genug gewählt werden sollte, um eine gute Übersicht und eine gute Mobilisierung der Gelenkanteile (zur Luxation und Entfernung) zu erreichen und mögliche Komplikationen beherrschen zu können.
Prothesenentfernung Nach Abschluss der Weichteil- und Knochenpräparation kommt es nun zur eigentlichen Entfernung der Prothesenkomponente. Hier muss je nach Implantat zunächst eine Entfernung des zusätzlichen Gelenkteils erfolgen, um das im Knochen verankerte Implantat zugänglich zu machen (z. B. Pfannen-Inlay bei zusätzlicher Schraubenfixation von Pfannenimplantaten). Viele Inlays sind mit speziellen Mechanismen verankert, die ein besonderes Instrumentarium zur Entfernung erfordern. Bei überstehenden Inlays kann dieses am Übergang zwischen Inlay und knöchernen Implantat, z. B. mit Hilfe eines Meißels, gelöst werden. Dabei muss eine Hebelkraft auf das knöchern integrierte Implantat streng vermieden werden, um keine periprothetische Fraktur zu verursachen. Alternativ kann ein Loch in das Inlay gebohrt und eine kräftige Schraube (∅ 6,5 mm) eingedreht werden. Durch ein Voranschreiten der Schraube gegen die Metallschale wird das Inlay aus selbiger luxiert. Als nächster Schritt folgt die Lösung des Implantates vom Knochen. Die Lösung des Implantates kann durch den Einsatz speziell geformter Meißel und Osteotome erfolgen. Auf eine wohl dosierte Krafteinleitung zur Vermeidung von Frakturen und Knochendefekten ist dabei zu achten. Meißelsysteme für Implantatentfernungen sind in einer
217 Kapitel 11 · Entfernung ossär integrierter Implantate
Vielzahl an Formen und Längen zu erhalten. Sie unterscheiden sich zu herkömmlichen Meißeln in ihrer Form, Krümmung und Länge (⊡ Abb. 11.1). Flexible und extradünne Meißel erleichtern die Entfernung auch von distal, diaphysär verankerten Stielen. In Sonderfällen kann hier auch eine Osteotomie in Höhe der Prothesenspitze (z. B. mittels Gigli-Säge) durchgeführt werden, ein längeres Revisionsimplantat kann schließlich über eine intramedulläre Stabilisierung die Osteotomie überbrücken. Für Pfannensysteme sind speziell angepasste Rundmeißel in verschiedenen Größen – entsprechend der Pfannenaußendurchmesser – verfügbar. Diese können mit Hilfe von Setzinstrumenten um die Pfannenimplantate zentriert werden und so ein möglichst knochensparendes Lösen des Implantats ermöglichen (⊡ Abb. 11.2). Vorraussetzung hierfür ist ein weitgehend intaktes Inlay, ggf. muss vorrübergehend ein Probe-Inlay zur Zentrierung des Meißels eingesetzt werden.
Eine andere Methode ist die Verwendung von flexiblen, mit Druckluft betriebenen Meißelsystemen (⊡ Abb. 11.3). Vorteile sind eine bessere Dosierung der Krafteinleitung, Schonung der Knochenstrukturen und eine Verkürzung der Operationszeit. Auch diese Systeme können mit unterschiedlichen Meißelformen verwendet werden. Ähnliche Effekte können durch die Verwendung von schlanken Bohrern entlang des Implantatlagers erreicht werden. Die Lösung des knöchernen Interface zwischen Implantat und Knochenlager kann bei zylindrischen Implantaten auch durch Überbohren mit entsprechend dimensionierten Hohlmeißeln erfolgen (idealerweise 0,5 mm größerer Durchmesser als das Implantat, ⊡ Abb. 11.4). Durch strenges Einhalten der Bohrrichtung kann ein Verkanten und Verklemmen des Hohlbohrers vermieden werden. Das mechanische Lösen durch rein exzentrisches Ausschlagen von Pfannenimplantaten ist mit einem erhöhten Risiko des Knochendefektes und der Fraktur verbunden.
⊡ Abb. 11.1. Hohlmeißelsystem für Revisionseingriffe, Firma ESKA-Implants, Lübeck
⊡ Abb. 11.2. Gebogener Meißel mit Zentrierinstrumentarium zur schonenden Entfernung von Hüftgelenkspfannen (links); entferntes zementfreies Pfannenimplantat (rechts)
11
218
Teil IV · Ausblick
Fazit Das Ergebnis soll die vollständige Entfernung des Implantates mit möglichst geringen Knochendefekten sein. Je nach Indikation kann nach Anfrischung des Knochenbettes mit Raspeln eine erneute Implantation erfolgen, der Knochen mittels Cerclagen oder Platten osteosynthetisch versorgt oder eine antiinfektiöse Therapie durchgeführt werden. Die Entfernung von Prothesenkomponenten ist meist ein komplexer Eingriff, der eine Fülle von möglichen Komplikationen birgt, die vom Operateur beherrscht werden sollten. Die aufgezeigten Techniken und maschinellen Hilfen haben zum Ziel, diese Risiken zu minimieren und möglichst knochenerhaltend zu operieren.
Literatur
⊡ Abb. 11.3. Druckluftgetriebenes Stoßwellenmeißelsystem (Swiss Orthoclast®, EMS Electro Medical Systems, Nyon, Schweiz) mit unterschiedlichen, variablen Meißelformen und endoskopischer Kontrollmöglichkeit
11 Bei Schaftimplantaten wird ein intermittierender Ausschlagversuch jedoch empfohlen, um eine übermäßige Zerstörung des Knochenlagers durch Aufmeißeln oder Aufbohren zu vermeiden. Die vorherige Lösung des knöchernen Interfaces hilft, den Substanzverlust beim Ausschlagen zu minimieren (⊡ Abb. 11.5). Spezielle Extraktionsinstrumentarien können das Ausschlagen erleichtern bzw. erst ermöglichen. Frakturen können durch Ausschlagen in Implantationsrichtung unter Vermeidung von Kippund Hebelbewegungen weitgehend vermieden werden. Als letzte Möglichkeit bleibt noch die – häufig langwierige – Durchtrennung des Implantats mittels Hochgeschwindigkeitsfräse (z. B. Midas Rex®) und konsekutiver Entfernung der einzelnen Teile. In diesen Fällen müssen, gerade bei Kobalt-Chrom-Implantaten, mehrere Fräsköpfe bereit gehalten werden. Die entstehenden Metallspäne können nur in den seltensten Fällen komplett entfernt werden und bergen somit ein massiv erhöhtes Risiko des Drittkörperverschleißes nach Rekonstruktion des künstlichen Gelenkersatzes.
1. D’Antonio JA et al. (2002) Classification of femoral abnormalities in total hip arthroplasty. Clin Orthop 296:133–139 2. Drake C et al. (2002) Revision total hip arthroplasty. AORN J 76:414–417 3. Emerson RH Jr et al. (2001) A new method of trochanteric fixation in revision total hip arthroplasty with a calcar replacement femoral component. J Arthroplasty 16:76–80 4. Glassmann AH (2004): Exposure for revision total hip replacement. Clin Orthop 420:39–47 5. Jando VT et al. (2005) Trochanteric osteotomies in revision total hip arthroplasty: contemporary techniques and results. AAOS Instructional Course Lectures 54:143–155 6. Masri BA et al. (1998) Seven specialized exposures for revision hip and knee replacement. Orthop Clinics North Am 29:229–240 7. Masri BA et al. (2005) Removal of solidly fixed implants during revision hip and knee arthroplasty. J Am Acad Orthop Surg 13:18–27 8. Schmidt J et al. (2002) Removal of well fixed or porous coated cementless stems in total hip revision arthroplasty. Arch Orthop Trauma Surg 122:48–50 9. Stürmer KM (1999) Prothesenwechsel am Hüftgelenk. Leitlinien Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart New York, S 119–128 10. Thomas H, Mallory MD (1988) Preparation of the proximal femur in cementless total hip revision. Clin Orthop 235:47–60 11. Younger TI et al. (1995) Extended proximal femoral osteotomy. A new technique for femoral revision arthroplasty. J Arthroplasty 10:329–338
219 Kapitel 11 · Entfernung ossär integrierter Implantate
a
b
c
⊡ Abb. 11.4. a Infektion einer Kniegelenkssonderprothese (Tumorknie) mit Fistelbildung, weshalb eine Entfernung des fest integrierten Implantates notwendig wurde. b Der femorale Stiel zeigte sich derart stabil integriert, dass ein Ausschlagen nicht erfolgreich war. c Es erfolgte zunächst das Abtrennen des Konusadapters mittels Hochge-
d
schwindigkeitsfräse, anschließend das Überbohren des intramedullären Stiels mit einem Hohlbohrer und die Entfernung des Implantats. d Schließlich Débridement und Implantation eines Nagel-PMMASpacers, der im Rahmen der Etappenlavage zur Infektsanierung jeweils gewechselt wurde
⊡ Abb. 11.5. Explantierter zementfreier Hüftstiel mit v. a. proximal anhaftendem Knochen. Ein sorgfältiges Lösen des knöchernen Interface mittels extraschmaler Meißel kann den aus dem Knochenlager gerissenen Knochen minimieren
11
12 Trends und zukünftige Entwicklungen auf dem Gebiet der ossären Integration R. Gradinger, H. Gollwitzer
Zusammenfassung Die zementfreie ossäre Integration medizinischer Implantate hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer sicheren und zuverlässigen Verankerung für lasttragende und beanspruchte Implantate entwickelt. Aktuelle Grenzen der ossären Integration werden gesetzt durch: ▬ Limitationen des Knochenwachstums (Knochenbiologie), ▬ Knochendefekte, ▬ späte Implantatlockerungen durch Abrieb der Gleitpartner (Tribologie), ▬ Infektionen und ▬ Fehlbelastungen durch Fehlimplantation und Weichteil-Imbalancen. Hier gilt es, in interdisziplinären Arbeitsgruppen die Optimierung der sicheren und dauerhaften ossären Integration mit biologienahen Lösungen voranzutreiben. Einige der wesentlichen Ansätze sollen im Folgenden anhand von Beispielen aus der Entwicklung dargestellt werden.
Knochenbiologie: Beeinflussung durch Funktionalisierung der Implantatoberflächen Die Integration »passiver« Implantate stößt durch die biologischen Limitationen des Knochenwachstums selbst bei einer Optimierung der Implantatwerkstoffe an unü-
berwindbare Grenzen. Eine Beschleunigung der Implantatintegration ist hier nur durch aktive Einflussnahme auf die biologischen Vorgänge möglich. Eine mögliche Intervention ist die Funktionalisierung der Implantatoberflächen durch Beschichtung mit wachstumsfördernden und integrationsfördernden Substanzen. In verschiedenen Entwicklungen wird versucht, bioaktive Substanzen entweder direkt oder über ein Trägermaterial auf die jeweilige Implantatoberfläche aufzubringen. So konnten Schmidmaier und Mitarbeiter bereits eine verbesserte und beschleunigte Frakturheilung durch Freisetzung verschiedener Wachstumsfaktoren (IGF-I, TGF-β1, BMP-2) aus einer Poly-D,L-Laktidbeschichtung nachweisen [1, 2] (zum Thema der bioaktiven Oberflächenbeschichtung siehe auch Kap. 3.3). Die Funktionalisierung von Implantatoberflächen wird nicht nur zur beschleunigten Integration von Knochenimplantaten und Stimulation der Frakturheilung eingesetzt, sondern bietet Entwicklungspotential in sämtlichen Bereichen der modernen Medizin. So werden z. B. Oberflächen von intravasalen Kathetern und Koronarstents derart antithrombogen funktionalisiert, dass sie einer Thrombose bzw. Restenose des Blutgefäßes vorbeugen. Eine weitere wesentliche Modifikation ist die antibakterielle Funktionalisierung zur Prävention der gefürchteten implantatassoziierten Infektionen. Dabei kann beispielsweise durch Integration antibakterieller Metalle in biokompatible Oberflächenbeschichtungen einer Besiedelung durch Bakterien vorgebeugt werden [3] (siehe auch Kap. 3.2 und ⊡ Abb. 12.1).
221 Kapitel 12 · Trends und zukünftige Entwicklungen auf dem Gebiet der ossären Integration
⊡ Abb. 12.1a–d. Antibakterielle Oberflächenbeschichtung auf Titanoxidbasis: a Abbruchkante der Sol-Gel-abgeleiteten biokompatiblen TiO2-Beschichtung auf TiAl6V4. b TiO2-Beschichtung auf Glas mit Nachweis einer extrem glatten Oberflächenmorphologie. Antibakterielle
Knochendefekte: Rekonstruktion des Knochenlagers – biologienahe Lösungen Eine weitere Limitation der knöchernen Integration sind Knochendefekte, die keine ausreichende ossäre Verankerung im verbliebenen Implantatlager zulassen. Hier sind innovative Konzepte zur biologienahen Rekonstruktion des Knochenlagers gefordert. Stichworte sind dabei das Tissue Engineering von Knochen sowie die Revitalisierung von Knochentransplantaten [4].
Ionen (z. B. Kupferionen) können zur Funktionalisierung homogen auf molekularer Basis eingebracht werden (Ionensignal in der EDX-Analyse: c Kupfer, d Titan) [3]. (Aufnahmen: Dipl.-Chem. Frank Heidenau, BioCer Entwicklungs-GmbH Bayreuth)
Ein weiterer Ansatz ist die primäre Minimierung der Knochendefekte durch möglichst kleine Implantate. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Verankerung der Hüftpfannen im Azetabulum. Gerade bei großen Hüftköpfen, wie sie bei Kappenendoprothesen eingesetzt werden, erreicht die korrespondierende Hüftpfanne durch dickwandigen Aufbau mit Insert und Metallschale einen relativ großen Durchmesser. Im Revisionsfall kann dies zu unnötig großen Knochendefekten führen, weshalb gerade hier eine Optimierung der direkten Integration
12
222
Teil IV · Ausblick
der azetabulären Gleitfläche in das Knochenlager angestrebt wird.
Tribologie: Sekundäre Lockerung durch Abriebkrankheit Die häufigste Versagensursache von Endoprothesen ist jedoch nach wie vor die aseptische Lockerung, also das sekundäre Versagen der ossären Integration – verursacht durch partikelinduzierte Osteolysen im Rahmen der Abriebkrankheit. Eine Reduktion dieser Lockerungen kann somit neben einer Verbesserung der ossären Verankerung auch durch eine Verminderung der Abriebpartikel an den artikulierenden Gleitpartnern erzielt werden. Entwicklungen streben hier neben einer Verbesserung bestehender Werkstoffe auch neue morphologische Veränderungen zur Optimierung der Gleitparameter an. Auch in diesem Bereich kann die Natur als Vorbild dienen (Bionik!), und so berichten Nassutt et al. [5] über eine Reduktion des Verschleißes durch eine Optimierung des hydrodynamischen Schmierfilms auf Hüftköpfen mit hexagonalen Vertiefungen (Biosurf©, ESKA Implants, ⊡ Abb. 12.2).
Planung, Navigation, Weichteilbalancing
12
Selbst bei biologisch idealer Konstellation der korrespondierenden Partner im Implantat-Knochen-Interface kann eine kontinuierliche Fehlbelastung durch ein inkorrekt
platziertes Implantat die knöcherne Integration verhindern oder sekundär zu einer Lockerung führen. Hier könnte in Zukunft die Navigation zu einer Reduktion der Rate an Fehlimplantationen führen, und gerade in der Knieendoprothetik und Wirbelsäulenchirurgie gibt es hierzu viel versprechende Ansätze. Neben der knöchernen Ausrichtung spielen aber auch die umgebenden Weichteile eine ganz wesentliche und bisher zu wenig beachtete Rolle in der knöchernen Integration und Funktion des Implantats. So konnten Perka und Mitarbeiter einen wesentlichen Einfluss des operativen Zugangs auf die periprothetische Knochendichte bei Hüftendoprothesen nachweisen. Dabei führte der transgluteale Zugang verglichen mit dem anterolateralen Zugang zu einer signifikant verminderten Knochendichte des koxalen Femurendes [6]. Die Beachtung des Weichteilbalancing bietet hier ein unüberschaubares Entwicklungspotential. Weiterhin stellen bei großen Knochendefekten gerade die Weichteile die limitierenden Faktoren zur Wiedererlangung der Funktion dar. Während für die Überbrückung unterschiedlich ausgeprägter knöcherner Defekte eine Vielzahl modularer Systeme zur Verfügung stehen, stellt die Refixation der Muskelansätze sowie das Weichteilbalancing hier weiterhin eine große Herausforderung dar. Individuelle Lösungen, wie bei der Refixation des Kniestreckapparates nach Ersatz der proximalen Tibia [7], werden hier notwendig.
Literatur 1.
2.
3.
4.
5. 6.
⊡ Abb. 12.2. Biosurf©-Oberflächenersatz mit lokalen Vertiefungen zur Optimierung des oberflächlichen Schmierfilms und damit Reduktion von Reibung und Verschleiß
7.
Schmidmaier G et al. (2001) Local application of growth factors (insulin-like growth factor-1 and transforming growth factor-β1) from a biodegradable poly(D,L-lactide) coating of osteosynthetic implants accelerates fracture healing in rats. Bone 28:341–350 Schmidmaier G et al. (2002) BMP-2 coating of titanium implants increases biomechanical strength and accelerates bone remodeling in fracture treatment. Bone 6:618–622 Heidenau F et al. (2005) A novel antibacterial titania coating: Metal ion toxicity and in vitro surface colonization. J Mater Sci Mater Med 16:883–888 Magdolen U et al. (2006): Growth promoting in vitro effect of synthetic cyclic RGD-peptides on human osteoblast-like cells attached to cancellous bone. Zur Publikation eingereicht Nassutt R et al. (2005) Die bionische Oberflächengestaltung artikulierender Oberflächen von Endoprothesen. Poster Perka C et al. (2005) Surgical approach influences periprosthetic femoral bone density. Clin Orthop 432:153–159 Gerdesmeyer L et al. (2006) Rekonstruktion der Strecksehneninsertion im Rahmen des Knieprothesenwechsels und der Tumorendoprothetik. Orthopäde 35:169–175
Stichwortverzeichnis
A Abriebkrankheit (s. auch Partikelkrankheit) 222 Abriebpartikel 17, 39, 42, 64, 77, 121, 208 Acrylatpartikel 44 aFGF (s. auch Wachstumsfaktor) 27 Al2O3, siehe Keramik Alizarinkomplexon 40 Allograft 168, 169, 184, 201 Amputation 192 Andry 2 Antetorsion 178 Anteversion 178 Antibiotikabeschichtung 66 Antiluxationseinrichtung 32 Antiseptikabeschichtung 65 Ausdrehversuch 20, 21 Azetabulum 186 – Defekt 168
B Bandscheibendegeneration 83 Bandscheibendübel 84
Bandscheibenspacer 84 basic metabolic unit 24 basic multicellular unit (BMU) 24, 25 Beckendiskontinuität 170, 201 Beckenmodell (s. auch rapid prototyping) 186 Beckenprothese 186 Beckenteilersatz 201, 202 Beinlänge 178 Beinlängendifferenz 115 Bewegungsumfang 176 bFGF (s. auch Wachstumsfaktor) 27 Bildungsenthalpie 57 Biofilm 63, 64 Biokompatibilität 30, 39, 64, 76 Biomimetik 69 Bionik 12, 122, 222 Bioverträglichkeit, siehe Biokompatibilität Birmingham Cup 123 BMP, siehe bone morphogenic protein BMU, siehe basic multicellular unit bone lining cell 24 bone morphogenic protein (BMP) (s. auch Wachstumsfaktor) 18, 26 – BMP-1 165 – BMP-2 18, 26, 27, 70, 71, 165 – BMP-4 27 – BMP-7 18, 70, 165
bony ingrowth 100 Branemark 162, 190 Buechel-Pappas-Prothese 137 bulk degradation 56 Bulk-Erosion 71 Burch-Schneider-Ring 169
C Cage 91 Calceinblau 40 Calceingrün 33, 40 Charnley, John 4, 16 Charnley-Zone 103 chemical vacuum deposition 56 Chondrogenese 27 Chondrosarkom 181 Chrom 75 Chrom-Kobalt-Molybdän-Legierung, siehe Kobaltbasislegierung Cigar-Prothese 110 clumping factor 63 CNC-Fräse 199–201 CoCrMo, s. Kobaltbasislegierung conditioning film 63, 65 Custom-made Prothese (s. auch Hüftstiel, custom-made) 18
224
Stichwortverzeichnis
D D’Antonio-Klassifikation 168, 169, 171 Dehnmessstreifen (DMS) 21 DeLee-Zone 103 Diffusionsschweißen 17 Distanzosteogenese 27, 28 Distraktionsspondylodese 83, 85 DMS, siehe Dehnmessstreifen Dorsalaponeurose 149 Dreikörperverschleiß 17, 211 Druckscheibenprothese 18, 110 Drug-Delivery-System (s. auch Wirkstoffträger) 71 dual geometry component 106 Durchsteckfemur 174, 197
E Eindrehversuch 20 Ekzem 75, 77 Endoprothese 190 – Infekt 62 – modulare 184 Epikutantest 76, 78 Ewing-Sarkom 180 Exartikulation 183 Exoprothese 190
Fraktur – pathologische 182 – periprothetische 94, 98 Fräsmodell 199 Fremdkörpergranulationsgewebe 42 Fremdkörperreaktion 43, 53 Fremdkörperriesenzelle 42, 43 Funktionalisierung 220 – der Implantatoberflächen (s. auch Oberflächenfunktionalisierung) 18
G gap junction 25 Gebrauchstest 32 Geflechtknochen 38 GHE – Hüftstiel 4, 6 – Prothese 100 GHG-Wirbelkörperersatz 91 Gießverfahren 17, 48 Gluck, Themistocles 3 Glykolid 71 Grading 182 Großzehenfrundgelenk 156 Gruen‘sche Zone 102, 103 GT – Gleitachsenendoprothese 10 – Schlitten-Endoprothese 4 Gusslegierung 50
F FEM, siehe Finite-Elemente-Methode Femurkappe (s. auch Oberflächenersatz) 120 Femurkopfzyste 122 Festigkeitsprüfung von Strukturelementen 22 Fiber-Mesh-Verfahren nach Galante 7 Fingergrundgelenk 149 Finite-Elemente-Methode (FEM) 21 Finite-Elemente-Studie 20
hot isostatic pressing 51 Hüftpfanne – Press-fit-Pfanne 19 – Primärstabilität 19 – Schraubpfanne 19 – Spreizpfanne 19 Hüftsimulator 209 Hüftstiel – anatomischer 18, 100 – Custom-made 18 – G2 100, 103, 107 Humerusfraktur 96 Humeruskopfprothese 94 Hydroxylapatit 12, 18, 26, 61, 64, 66, 69
I IGF-I (s. auch Wachstumsfaktor) 26 Impantat-Design 18 Impingement 114, 210 Implantatentfernung 216 Implantatverankerung 16 Infektion 55, 62, 198 Inklination 178 Integration, sekundäre (s. auch Sekundärstabilität) 17 Interface 63 – bindegewebiges 17, 41 ion-assisted deposition 56
J H Hallux rigidus 156 Haversscher Kanal 24 Heilung – primäre 26 – sekundäre 26 Heine, Johann Georg 3 Histiozyten 42 Histologie 34, 40 Hohlmeißelsystem 217
Judet 4
K Kalzitonin (s. auch Wachstumsfaktor) 26 Keramik (Al2O3) 44, 55, 210 Keramikpartikel 44 Kerbwirkung 17
225 Stichwortverzeichnis
Kieler Knochenspan 8 Kippversuch 20 Kittlinie 38 Kniesimulator 211 Knochendefekt 174, 175, 220, 221 Knochenmatrix 26 Knochenmetastase 180 Knochenresorption 25, 97 Knochentumor 89, 180, 181 Knochenzement (s. auch Polymethylmethacrylat) 4, 44 Kobalt 75 Kobaltbasislegierung 47, 51, 53, 54, 58, 61 Kobalt-Chrom-MolybdänBasislegierung 100 Kollagen Typ I 26 Kollagenfaser 41 Kontaktallergie 75 Kontaktosteogenese 27, 28 Kontaktradiographie 34, 40 Kontaktröntgen 33 Konusadapter 108 Korngrenze 50 Korrosion 55, 58 Kortikalisierung, innere 105 Korundpartikel 17 Krafteinleitung 32, 102, 110, 116 Kranialpfanne 169–171 Kupfer 67
L Laktid 71, 72 Lamellenknochen 38 Laschenpfanne 169 Lastübertragung 18, 21, 126 Ligamentum patellae 185 lining cell 26 Lockerung, aseptische 101 Low friction – Arthroplastie 4 – Prinzip 147 Luxation 178, 198 Lymphozytentransformationstest 75, 78, 79
M Magneli-Phase 58 Mayo-Kurzschaft 117 Medizinproduktegesetz 195 Metall 210 Metallabrieb 42 Metallallergie 75 Metall-Metall-Paarung 120, 121 Metallose 43, 148 Metallpartikel 121 Metallsockel – Kapuziner 100, 107 – Standard Typ 2000 100 Metallspongiosa (s. auch Spongiosametall) 8, 100, 148 Metastase 88, 90 Micromotion-Messung 19, 20 Mikrobewegung 41, 102, 126, 129, 134 Mikroradiographie 34, 40 Mikulicz-Linie 134 Mineralisation 26 Mirels-Klassifikation 182 Monobloc 215 – Prothese 168 – Stiel 173 Müller-Pfanne 169 Multiplex-Schulterprothese 94
N Nagelstiel 174 Navigation 178, 222 neck notching 123 Neokapsel 41 Nickel 75 Niob 55–59, 61, 164
O Oberfläche – antiadhäsive 65 – antibakterielle 65
D–P
– interkonnektierende 10 Oberflächenersatz 120 Oberflächenfunktionalisierung 18 Oberflächengestaltung 6 Oberflächeninteraktion 28 Oberflächenkompatibilität – bioaktiv 31 – bioinert 31 – biokompatibel 31 – inkompatibel 31 Oberflächenstruktur – makrostrukturierte Oberflächen 18 – mesostrukturierte Oberflächen 18 – mikrostrukturierte Oberflächen 18 Oberschenkelschmerz 102 Offset 111, 178 Omarthrose 94 Ossifikation, enchondrale 27 Osteoblasten 24–26 Osteochondrose 83 Osteogenese 28 Osteoid 25, 26, 35 Osteoinduktion 28, 70 Osteoklasten 24–26 Osteokonduktion 28, 70 Osteolyse 148, 174, 222 Osteoprogenitorzelle 24 Osteosarkom 180, 181 Osteozyten 24, 25
P Palmarplatte 149 Parathormon (s. auch Wachstumsfaktor) 26 Partikelkrankheit (s. auch Abriebkrankheit) 208 Passivität 58 Passivschicht 57 PDGF (s. auch Wachstumsfaktor) 27 Photostressverfahren 21 physical vacuum deposition 56 Pin-on-disc-Versuch 209 Pistoneffekt 152 Planiemetrie 40 Plasmaätzprozess 59
226
Stichwortverzeichnis
plasma-enhanced chemical vapour deposition 56 Plasmaspritze 17 PMMA, siehe Polymethylmethacrylat point of zero zeta potential 57 Polyäthylen, siehe Polyethylen Poly-D,L-Laktid (s. auch Laktid) 66, 72 Polyethylen 43, 211 Polyethylenabrieb 184 Polyethylenpartikel 43 Poly-L-Laktid (s. auch Laktid) 71 Polymere 71 Polymethylmethacrylat (PMMA) 44 Polyurethan 151 Polyurethanschwamm 9 Porengröße 18, 31 Pourbaix-Diagramm 58 Press-fit – Fixation 112 – Pfanne 19 – Verankerung 99, 106 – Verfahren 165 – Verklemmung 35 Primärfestigkeit (s. auch Primärstabilität) 20 Primärstabilität 17, 19–21, 35, 126, 134 Primärverankerung (s. auch Primärstabilität) 17, 172 Prothese – bikondyläre – – constrained 133 – – semi-constrained 133 – – unconstrained 133 – Impingement 176 – teilstrukturierte 100 – vollstrukturierte 100 Prothesenentfernung (s. auch Implantatentfernung) 216 Prothesenpass 216 PSM, siehe Sequenzmarkierung, polychrome Pulversauftragsverfahren 56 PUR-Schwamm, siehe Polyurethanschwamm Push-out-Test 31
Q Qualitätssicherung 52 quorum sensing 67
R race for the surface 63 rapid prototyping (s. auch Beckenmodell) 186, 199, 200–202 Raumnetzimplantat 164 Raustrahl 17 – Korundpartikel 17 Regressionsgrad (s. auch SalzerKuntschik-Klassifikation) 182 Relativbewegung (s. auch Primärstabilität) 17, 19, 20, 99, 126 Resorptionsphase 26 Resorptionsprozess 42 Resorptionssaum 40 Reversed-Schulter-Endoprothese 188 Revisionsknie 184 Revisionsstiel 175, 176 RGD-Peptid 70 Roll-over-Gießanlage 49 Rotationszentrum 178 RP-Modell 135 ruffled border 25
S Salzer-Kuntschik-Klassifikation (s. auch Regressionsgrad) 182 Sattelendoprothese 169 Schadensanalyse 32 Schaftfissur 115 Schenkelhalsendoprothese CUT 110 Schenkelhalsfraktur 123 Scherfestigkeit 18, 31, 32 Scherkraft 138 Scherversuch 22
Schleudergießverfahren 8, 50 Schnapppfanne 178, 197 Schraubpfanne 19, 106 Segmentamputation 183 Sekundärstabilität 17, 99, 172 Sensibilisierung 76 Sequenzanalyse, fluorochrome, siehe Sequenzmarkierung Sequenzmarkierung, polychrome (PSM) 33, 34, 39, 40 Setzbewegung 19 Silber 61, 67 Silikonpuffer 87 Sintern 17 Smith-Petersen 3 Sockel-Pfanne 169 Sonderprothese 195 Spannungsoptik 21 Spannungsverteilung 130 Spondylodese 83 Spongiosametall 8, 100 – Spongiosa Metal® I 8, 9, 46 – Spongiosa Metal® II 11, 46, 51, 103, 104 – Tripode 46 Spreizpfanne 19 Staging 181, 182 Stahl, medizinischer 54 – 316L 54 Staphylococcus – aureus 63, 66 – epidermidis 64, 66 STAR-Prothese 137 Stereolithographie 199, 200 Stiel, lateralisierender 108 Stielexplantation 173 ST-Modell 135 Stoßwellenmeißelsystem 218 Streckapparatrekonstruktion 186 Stress Shielding 16, 18, 94, 97, 98, 102, 119, 121, 127, 130 Strukturelement, Festigkeitsprüfung 22 Strukturkompatibilität 31 Surface Arthroplasty Risk Index 122 Surface-Erosion 71 Swanson-Silastik-Spacer 148, 154
227 Stichwortverzeichnis
T Tantal 55–61 Teilstrukturierung 126 Tetrazyklin 33, 40 TGF-β (s. auch Wachstumsfaktor) 27, 70 Thermographie 21 TiAI6V4 47 Titan 47, 51, 54, 57, 58, 61, 164 Titangrommet 157 Titanlegierung 51, 52, 54 Titan-Niob-Beschichtung 12 Tragrippen nach Mittelmeier 7 Trevira-Band 185 Tribologie 220 Tripode 36, 37, 46, 104 – Spongiosa Metal® I 10 Tumorendoprothese 174, 184 Tumorknie 184
W
26,
U Ulnardeviation 150, 153 Urtikaria 77
V vacuum plasma spraying 61 Vakuumbeschichtungsverfahren 56 Vakuumgießanlage 49 Venable und Stuck (s. auch Vitallium) 3 Verschleißpartikel (s. auch Abriebpartikel) 208 Vitallium 3 Vitamin D (s. auch Wachstumsfaktor) 26 Vollstrukturierung 126
Wachsausschmelzverfahren 47 Wachstumsfaktor (s. auch bone morphogenetic protein) 18, 26–28, 70, 220 – IGF-I 71 – TGF-β1 71 Wachstumshormon (GH) (s. auch Wachstumsfaktor) 26, 70 Wagner-Doppel-Cup 120 Wirbelkörperdestruktion 88 Wirbelkörperersatz 88, 89 Wirbelkörperprothese 88 Wirbelsäulensimulator 213 Wirbelsäulentumor 90 Wirkstoffträger 64, 71
X Xylenololorange 33, 40
Z Zahnimplantat 163 Zirkonium 56, 57 Zirkonoxid 212
P–Z
Druck- und Bindearbeiten: Stürtz GmbH, Würzburg