HERMANN JOSEF VOGT
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GENES
ALS EXEGET herausgegeben von Wilhe1m Geerlings
Ferdinand Schöningh Paderbom· München· Wie...
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HERMANN JOSEF VOGT
o
GENES
ALS EXEGET herausgegeben von Wilhe1m Geerlings
Ferdinand Schöningh Paderbom· München· Wien· Zürich
Gefördert durch die Alfried
Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Essen.
PVA 99. 3583
Di(: I)(:utsch(: BibliOlhd - CIP-Einhdtsaufnahme
Vogt, Hermann J.:
Origenes als Exegct! Hcrmann Josef Vogl. Hrsg. von Wilhelm Gcc rlings. - Padcrborn; München: Wien: Zilrich: Schöningh. 1999 ISBN 3-506-79509-0
Umschlnggestaltung: I l OVA Gmbll. 1)·33178 Borcnen
G(:druckt nuf umweltfr(:undlichcm. chlorfr(:j g(:bleichtcm und nltcrungsb(:sländig(:m Papi(:r\9 ISO 9706
0 1999 F(:rdinand Schöningh. Pad(:loom (V(:rlag F(:rdinand Schöningh GmbH. jtlh(:nplatz I. 0·33098 Pnderbom) AII(: R(:chte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzeln(: Telk des.'>Clben sind urhcbcrrcchlilch
ge.'>Chillzt. kd(: V(:(W(:rtung in andcr(:n als d(:n gCS(:tzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorhe rig(: schrifllichc. .zustimmung des Verlages nicht zulä.�ig I)rinted in Germnny. Herstellung: Fcrdinand Schöningh. Pnderbom ISBN 3·506·79509-0
Vorwort
Untrennbar verbunden mit der lateinischen Theologie und sie zuliefst prägend ist Augustinus. Den gleichen Rang nimmt für die griechische Theologie Orige nes ein. Aber während Auguslinus nur geringe Einflüsse, ablesbar an den wenigen Übersetzungen, auf den griechischen Sprachraum ausgeübt hat,ja sogar rür die Einheit der Kirchen eher hinderlich war, war Origenes nie auf den griechischen Sprachraum beschränkt, sondern ein Theologe der Ökumene. Zahl reiche Übersetzungen seiner Schriften wurden bereits im Altertum angefertigt, und er war bis weit ins Mittelalter hinein präsent. Auch die Verurteilung als Ketzer hat seinen Einfluß nicht mindern können. Eine Geschichte der Origenes Rezeption wäre noch zu schreiben. Daß er in Deutschland in der Theologie unseres Jahrhunderts nur wenig rezipiert wurde, hängt sicherlich mit den Kir chen der Reformation zusammen. für die Augustinus der Bannerträger war. In Frankreich setzt die Origenes-Rezeption unseres Jahrhunderts. verbunden mit den Namen Danielou, de Lubac und anderen, eine Generation früher als in Deutschland ein. Ein wesentliches Verdienst, die deutsche Origenes-Rezeption in Gang gebracht zu haben, kommt Hermann Josef Vogt zu. Er hat den großen Matthäus-Kommentar des Origenes übersetzt und uns in vielen Beiträgen zur exegetischen Methode, in kritischen Rezensionen und Aufsätzen Origenes na hegebracht. Von seiner Habilitationsschrift "Der Kirchenbegriff des Origenes" bis hin in die jüngsten Publikationen hat sich Hermann Josef Vogt als Kenner und, was noch stärker ins Gewicht fallt, als Liebhaber des Origenes erwiesen. Seine Aufsätze verraten, daß die Beschäftigung mit Origenes für ihn nicht einfach trockenes Handwerk und gelehrte Untersuchung ist, sondern von Verehrung für diesen großen Theologen geprägt ist. Seine Lehrtätigkeit' ließ den Funken der Begeisterung für Origenes auf die ihm zuhörenden Studenten überspringen. Die Beiträge, die nun zum Ende seiner akademischen Lehrtätigkeit erschei nen, fördern zum einen die patrologischen Studien zu Origenes, zum anderen bringen sie uns einen großen Theologen der frühen Kirche nahe. Deshalb ehren die Aufsätze nicht nur den Verfasser, sondern er selbst macht vor allem uns ein Geschenk. Der Bischof von Rottenburg-Stullgart, Prof. Dr. Walter Kasper, die Diozöse Trier und die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung haben durch Druckkostenzuschüsse das Erscheinen dieses Bandes ermöglichl. Den Satz erstelhen Dr. Christian Schulze und Manuela Bonnekamp. Allen sei herzlich Dank gesagl. Bochum. am I . Juni 1999, dem Fest Justins des Märtyrers Wilhelm Geerlings
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Inhalt
Origenes: Leben und Werke
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Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
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Bemerkungen zur lateinischen Übersetzung des Matthäus� Kommentares von Origenes
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Wie Origenes in seinem Matthäus-Kommentar Fragen offen läßt
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Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im MatthäusKommentar des Origenes
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Das Verhältnis der alten lateinischen Übersetzung (L) zum griechisch erhaltenen Text des Matthäus�Kommentares (Gr) The later Exegesis of Origen
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Die Exegese des Origenes in Contra CeJsum Das neue Interesse an der Eschatologie
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Die Witwe als Bild der Seele in der Exegese des Origenes
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113
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143 161
Die Lehre des Origenes von der Inspiration der Heiligen Schrift. Ein Vergleich zwischen der Grundlagenschrift und der Antwort auf Kelsos
179
Beobachtungen zum Johannes�Kommentar des Origenes
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Ein�Geist-Sein ( I Kor 6, 17 b) in der Christologie des Origenes Die Juden beim späten Ori genes
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207 225
Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt? Kirchliche Vergangenheitsbewältigung in der Vergangenheit
241
Der Häretikervorwurf des Hieronymus an Theodoret und Ori genes
265
Eucharistielehre des Origenes?
277
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Gott als Arzt und Erzieher. Das GoltesbiId der Kirchenväter Origenes und Augustinus
289
Forschungsberichte
301
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Quellenverzeichnis
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Origenes: Leben und Werke
J. Leben Origenes. über den Eusebius. h. e. 6 ausführlich berichtet, wurde um 185 in Alexandrien geboren. Sein Vater Leonidas, der als Märtyrer starb, hat ihn früh mit der Heiligen Schrift vertraut gemacht; später hat er, wie kleine Verwechs· lungen zeigen, wohl häufig aus dem Gedächtnis zitiert. Die Tätigkeit als Gram matiklehrer gab er auf, um bekehrungswillige Heiden zu unterweisen. Um auch auf philosophische Fragen antworten zu können, studierte er Philosophie bei dem Platoniker Ammonios Sakkas. Im Platonismus entdeckte er, trotz festge haltener Distanz zur Philosophie, viele Gedanken, die ihm mit der Heiligen Schrift übereinzustimmen schienen. Sein Ansehen als christlicher Lehrer wuchs so, daß er seine Hörer aufteilen mußte und die Einführungsstufe dem Heraklas anvertraute. Aus dieser Lehrtätigkeit ist wohl durch Aneinanderreihung von zwei unterschiedlich ausführlichen Darlegungen der ganzen Glaubenslehre sein Werk ntQi. uQXwv - De principiis entstanden. Die erkenntnissichere Darstel lung und der Versuch, bisher offene Fragen zu beantworten,mag das Mißtrauen von Bischof Demetrius erregt haben, der ihm die Unterweisung der Katechume nen anvertraut hatte. Als ihn der Bischof von Cäsarca zum Predigen einlud und ihn sogar zum Presbyter ordinierte. hielt Demetrius um 230 zwei Synoden gegen Origenes ab und schloß ihn aus seiner Gemeinde aus. Der Bischof von Cäsarea aber beauftragte Origenes mit der regelmäßigen Predigt über alle Bücher der Heiligen Schrift. Origenes scheint diese Aufgabe aber nicht zu Ende geführt zu haben; jedenfalls gab es schon zur Zeit des Eusebius nicht zu allen Büchern der Bibel Predigten von ihm. In Cäsarea bildete sich eine Schülergemeinschaft um Origenes, die Gregor der Wundertäter in seiner Dankrede (pan. Or.) schilden; Origenes ist aber auch gereist, u.a. nach Rom. wo er Hippolyt hörte, und nach Athen, wo er auch eine griechische Übersetzung des Alten Testamentes erwarb. In der Verfolgung des Decius wurde er so schwer gemartert, daß er etwa im Jahre 253 an den Folgen starb. Literatur ( L): Bibliographien: 0., BiPa III. Paris 1980. - U. Bemer. 0., Darmstadt 1981. - H. Crouzel. Bibliographie critique d'O., Steenbrugge 1971; Suppl. I, 1982; Suppl. 2, 1996. - ders., Chronique orig�nienne: B LE (regelmä ßig). - ders., Curren' Theology. The Li'er.'ure on O. 1970-1988: TS 49 (1988) 499-516. - H. Crouzel, 0., Paris 1985. - 1. Danielou, Origenes, Paris 1948. LA. Fischer, Die alexandrinischen Synoden gegen 0.: OS 28 (1979) 3-16. - w. Geerlings, H. König (Hg.), 0., Vir ecclesiasticus, Bonn 1995. - C. Kannengie ßer, W.L. Petersen (Hg.), 0., His world and his legacy. Notre Dame, lndiana 1986. - S. Leanza, 0.: La Bibbia ne11'Antichita ... Cristiana I, ed. E. Norelli, Bologna 1993,377-407. - L. Lies. Zum derzeitigen Stand der O.-Forschung (1.
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Origenes: Leben und Werke
Teil}: ZKTh 115 (1993) 37-62. - P. Nautin, 0., Vie et reuvre, Paris 1977. - B. Neuschäfer, O. als Philologe. Basel 1987. - Origeniana (Colloquium Montserat 1973), Sari 1975. Origeniana 2 (CoII. Sari 1977), Rom 1980. - Origeniana 3 (Coll. Manchester 1981). Rom 1985. - Origeniana 4 (CoII. Innsbruck 1985), Innsbruck 1987. - Origeniana 5 (Colt. Boston 1989), Louvain 1992. - Origenia� na 6. Origenes el la Bible (ColI. Chantilly 1993), Louvain 1995. - H. van Os, 0 Een experimenteei theoloog uit de derde eeuw, Kampen 1995. P. Ossand6n, P. Rodrfguez, EI metodo de 0.: TyV 33 ( l 992) 185-191. L. Perrone, "Quae stiones el responsiones" in 0.: erSt 15 (1994) I-50. C. Scholten, Die I.C. Smith, The alexandrinische Katechetenschule: IAC 38 (1995) 16-37. ancient wisdom of 0., Lewisburg 1992. - J. W. Trigg. 0., the Bible and Philoso phy, London 1985. H.l. Vogt, 0.: Handbook of Patristic Exegesis, ed. C. und P. Kannengiesser, Leiden (im Druck). -
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11. Werke Eine Aufstellung der Werke des Origenes bietet Eusebius, h.e. 6, 24. 32. 36; an der Aufzählung in ep. 33 des Hieronymus an Paula läßt sich ablesen, wieviel inzwischen schon von den großen Kommentaren (/omoi), den Homilien und den sogenannten Scholien oder Exzerpten (kurzen Notizen) verJorengegangen war. Weil später manches bewußt vernichtet wurde, ist die Überlieferung einzelner Werke sehr dürftig. AuszUge aus verschiedenen Schriften haben sich in der angeblich 358/359 durch Basilius und Gregor von Nazianz zusammengestellten "Philokalie" (phi loc.), einer Anthologie aus Origenes' Werken, erhalten. Werke (W): Gesamtausgaben, C. de la Rue, 4 Bde., Paris 1733-1759 PG 11-17, - C.H.E. Lommatzsch, 25 Bde.. Berlin 1831-1848. GCS 12 Bde. H.U. von Balthasar, 0., Geist und Feuer, Salzburg '1991 [dt. Auswahl-Ü]. phi/oe. 1-20 (Schriftinspiralion), M. Harl (SC 302). - philoc. 21-27 (Willensfrei heit), E. Junod (SC 226). L: E. Junod. Basile de Cesaree et Gregoire de Nazianze sont ils les compila teurs de la Philocalie d'O.?: FS J. Gribomont SEAug 27 (1988) 349-360. =
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I. Hexapla: Die "Hexapla", also die "sechsfache (Textgestalt des Allen Testa mentes)", die Origenes sich als Arbeitsinstrument hatte anfertigen lassen, bOI den in der Liturgie der Kirche verwendeten Text der Septuaginta, diejüngeren Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion und eine von Origenes selbst aufgefundene fünfte und sechste Übersetzung. So wollte Origenes, der kein Hebräisch konnte, die Unterschiede zwischen Septuaginta und hebräischem Text erfassen. In der von ihm selbst besorgten Gesamtausgabe der Bibel in vier Bänden hat er die nicht in der Septuaginta enthaltenen Abschnitte eingescho ben und mit einem Asteriskus versehen, andererseits die nur in der Septuaginta enthaltenen Partien durch einen Obeliskus gekennzeichnet. So konnten christli-
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II
ehe Theologen erkennen, auf welche Texte sie sich in der Diskussion mit luden berufen durften. Hildesheim W : Hex aplorum q uae supersufll I-lI, F. Field, Oxford 1875 1964. =
J
L: C.P. Bammel, Die Hex.pl. des 0.: Aug. 28 (1988) 125-149. - D. Bar thelemy, O. et le texte de l'Ancien Testament: FS J. Danielou, Paris 1972. 247-261. - G. Dorival, L'apport des chaines exegetiques grecques a une r<edition des Hex.ples d'O.: RHT 4 (1974) 45-74. 2. Exegetische Werke: Die früheste erhaltene exegetische Arbeit des Origenes war wohl ein Kommentar zu einer Reihe von Psalmen, an den er nur mit großem Zögern herangegangen ist (PG 12.1076C); später hat er den ganzen PsaJter ausgelegt. Zum lohannes-Kommentar (Jo.) wurde er durch seinen Freund Ambrosius, den er von der Gnosis zum großkirchlichen Christentum bekehrt hatte, gedrängt, um die Erklärung des Gnostikers Herakleon zu widerlegen. Diese scheint aber nur bis zu Joh 8,50 gereicht zu haben; jedenfalls zitiert Origenes sie tiber Buch 20,38,358 hinaus nicht mehr. Er selbst kam wohl auch nicht über loh 13,13 hinaus; das ist der letzte Vers, den er im Buch 32 - mehr hat es nie gegeben erklärt. Auch von den 141 Fragmenten zu Joh behandeln nur zwei einen Text jenseits von Joh 13, 13, nämlich Joh 17,20 und 20.24. Die neun Bücher. die von Jo. erhalten sind. finden sich in nur zwei Handschriften; so muß man die verderbten Partien ofl durch Konjekturen heilen. Zur immer noch maßgeblichen kritischen Ausgabe von Jo. von E. Preuschen (1903) machte z. B. E. Klostermann (1904) zahlreiche Verbesserungsvorschläge. E. Corsini ( 1968) hat die von ihm für seine italienische Übersetzung getroffenen Entscheidungen in der FS für A. Pincherle (1967) gerechtfertigt. Die Textgestalt und die Übersetzung, welche C. Blanc in den SC weitgehend in Übereinstimmung mit dem Preuschen-Text vorgelegt hat. wurden von P. Nautin kritisiert. E. Corsini (1995) hat auch gegenüber diesen Vorschlägen von Nautin noch Bedenken. E. Klostermann hat den Text seiner GCS-Ausgabe der griechischen. in nur zwei oder drei Handschriften erhaltenen Bücher 10--17 des Mt-Kommentars (comm. in MI.) mit Hilfe der alten lateinischen Übersetzung. die ab Buch J 1,9. also von Mt 16,13 bis Mt 27.66 erhalten ist, an etwa 600 Stellen korrigiert. E. Früchtel hat 1955 fast alle diese Korrekturen abgelehnt, Klostermann selbst sie 1964 noch einmal verteidigt. Die erste deutsche Übersetzung des Mt-Kommen tars verzichtet ebenfalls auf die meisten dieser Korrekturen, weil der alte tat. Text nicht einfach. wie Klostermann gemeint hatte, mechanisch übertragen hat und so eine Rückübersetzung ermöglicht, sondern eigenen monastisch-spiritu ellen Interessen folgt. Auch ein Lk-Kommentar wird dem Origenes zugeschrieben, hat sich aber nicht erhalten; daraus mögen die Fragmente aus den Katenen stammen. die im Anhang der Lk-Predigten abgedruckt sind. Mk dagegen wurde von Origenes nicht eigens ausgelegt. Von den Erklärungen zu Ps. Röm. 1 Kor und Eph (comm.
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Cor., Eph.) haben sich in den Kalenen längere Fragmente, vom großen Gen·Kommentar (comm. in Gell.) nur ganz spärliche Reste erhalten. Die Echt heit der Notizen zur Apokalypse (Apoc.) ist umstritten. Die ursprünglich 15 Bücher co/mn. in Rom. hat Rutin im Lateinischen auf zehn Bücher verkürzt. Ebenso hat er die Erklärung zu Ps 36-38, weil sie "ganz in Rom.,
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moralisch ... von Besserung des Lebens" handle. in der Form von neun Homilien übertragen (Orig. in psalm.). Vielleicht sind die Psalmenpredigten des Hierony mus nicht nur von Origenes inspiriert, sondern kaum überarbeitete Übersetzun gen von dessen Homilien. Von den Homilien aus Cäsarea sind heute griechisch nur die zu Jeremia erhalten. in lateinischer Übersetzung die zum Pentateuch, zu Jos und Ri, Hld, Ps und Lk (horn. in Gen., Lev., Jos., Jud., I Sam., Cant., Lc.). Ansonsten sind nur Fragmente überliefert. W: Jo., E. Preuschen (GCS 10). - E. Corsini, Turin 1968 [it.Ü]. - C. Blanc (SC 120. 157. 222. 290. 385). - R. Gög1er, Einsiedeln 1959 [dt. Auswahl-ÜlK]. - comm. in Mt., E. Kloslermann (GCS 40). - R. Girod, Paris 1970 (Buch 10-1 1) [Tlfrz.ÜIK].- H.J. Vogt, Stuttgart 1983. 1990. 1993 [dt.ÜIK]. - comm. in Rom., A. Ramsbotham: JThS 1 3 (1912) 209-224. 357-368; 14 ( 1 9 1 3) 10-22 [T]. C.P. Hammond Bammel, Freiburg i.B. 1990 [T). - T. Heither (FC 2/ 1-5). comm. in J Cor., C. lenkins: lThS 9 ( 1908) 23 1-247. 353-372. 500-5 14; 10 ( 19 1 1 ) 29-51 [T); dazu C.H. Turner: JTS 10 (19 1 1 ) 270-276. - comm. in Eph., 1.A.F. Gregg: JTS 3 ( 1902) 233-244. 398-420. 554-576 [T]. - comm. in Gen., P. Sanz, Bruchstücke: MPSW 4 (1946) 87-104 [TIK]. - P. G1aue, Bruchstück: MPSG 2 (1928) 435 [Tldt.ÜIK]. - Apoc . 1-27, C.J. Diobouniotis, A. von Harnack (TU 38), Ber1in 19 1 1 , 21 44 [TI; dazu C.H. Turner: JThS 1 3 ( 1912) 386-397 [TI. - Apoc. 28-38, C.H. Turner: JThS 25 (1923) 125 [T]. - homo in Ps. 36-38, E. Prinzivalli u. a. (SC 4 1 1). -G. Coppa, 740melie sul librodei saImi. Origenes, Gerolamo. Mailand 1993 [il.Ü/K). - homo in Jer., P. Husson. P. Nautin (SC 232. 238). - E. Schadei, Stuttgart 1980 [dt.ÜIK). - horn. in Gen., H. de Lubac, L. Doutre1eau (SC 7). - hO/ll. ;/1 Lev., M. Bonel (SC 286f). - 110111 . ;" NU11I., L. Doutre1eau (SC 415). - homo in Jos ., A. Jaubert (SC 71 ). - 110m. ;" Jud. P. Messie (SC 389). - homo i" I Sam., P. Nautin (SC 328). - 110m. ;11 Lc., H.J. Sieben (FC 41 1-2). - Jr. 110m., P. Sanz, Bruchstücke: MPSW 4 (1946) 104-1 10 [TIK]. L: C.P. Bammel, Der Römerbrieftext des Rufin und seine O.-Übersetzung. Freiburg LB. 1985. - G. Bendinelli, Un confronto. I commentari a Malteo di Q. e I1ario di Poitiers: OT 96 ( 1993, 3) 214-237. - E. Corsini, In margine a una traduzione delJ'in loannem di 0.: FS A. Pincherle (SMSR 38), Rom 1967, 146-169. - ders O. Commento al Vangelo di Giovanni: Aug. 35 ( 1 995) 1 83-195. - H. Crouzel. Un fragment du Commentaire sur la Genese d'O. el la creation de la matiere a partir du neant: FS U. Bianchi, Rom 1994, 417-425. B.O. Ehrmann, G.D. Fee. M.W. Holmes, The text of the fourth Gospel in the writings of 0., Atlanta 1992. - E. Fruchtei, Nachträge zu Bd. 10, 1 1 . 1211 (GCS 1212), Berlin 1955, 53-79. - E. Klostermann, 0.' loh-Kommentar: GGA 166 .
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Origenes: Leben und Werke
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( 1 904) 265- 282. - ders., Epilog zu O.-Kommentar zum Mt: SDAW.S 1964. Nr. 4. - P. Koetschau, Textkritik des loh-Kommentars (TU 12/2), Berlin 1905, 76ff. F. Mah, Das "Opus imperfectum in Matthaeum" und sein Verhältnis zu den Mt-Kommentaren von O. und Hieronymus, Innsbruck 199 1 . - K. McNamee, O. in the Papyri: CIF 27 ( 1 973) 28-53. P. Nautin, Notes critiques sur I'ln f oha""ern d'O.: REG 85 ( 1 972) 155-177; RPh 49 ( 1 975) 202-216; 55 (1981) 273-284; 59 (1985) 63-75. V. Peri, Omelie origeniane sui salmi. Identifica zione dei testo latino, Rom 1980. -
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Die Papyrusfunde von Tura in Ägypten im Jahre 1941 erbrachten einen großen Abschnitt des comm. in Rom., der bis dahin nur in der abkürzenden Übersetzung Rufins vorlag und zwei unbekannte Werke: die Nachschrift einer Diskussion des Origenes mit einem Bischof Herakleides über den Vater und den Sohn und die Seele (diaL.). und eine zu m Teil zerstörte Abhandlung über das Osterfest (pascha). W: comm. in Rom. 3, 5-5,7, J. Scherer. Kairo 1957 [T/frz.Ü/K1. - dial., J. Scherer, Kairo 1949 [T]. J. Scherer (SC 67). - E. Früchtel (BGrL 5), SlUttgart 1974 [dt.ÜIK]. - pascha, O. Gueraud, P. Nautin, Paris 1979 [Tlfrz.ÜIK]. - B. Witte, Altenberge 1993 [Tldt.ÜI K]. -
3. De Principiis: Das Werk De principiis (princ.) behandelt die Grundwirk lichkeiten des Glaubensinhaltes, also hauptsächlich die drei göttlichen Perso nen. Princ. 4. 13 ist eine Abhandlung über die Heilige Schrift, ihre Inspiration und Auslegung. die griechisch in der Philokalia erhalten ist. Der Gesamttext existiert nur noch in der lateinischen Übersetzung Rufins. der anstößige Stellen, die er für Verfälschungen hielt, verbessert hat. In seiner kritischen Ausgabe hatte P. Koetschau 1913 in den lateinischen Text griechisch erhaltene Fragmente eingeschoben, die sich zu m Beispiel bei Gregor von Nyssa und in den antiorige nistischen Anathematismcn der Synode von 553 finden. Solche Zitate können aber verkürzt oder verHUscht sein, stören jedenfalls im Text Rufins. M. Simo neui hat in der Einleitung zu seiner Übersetzung (1968) eine überzeugende Gliederung vorgeschlagen und die Fragmente nur noch in den Anmerkungen geboten. In den Source Chretienne ist die Doppelüberlieferung, also griechisch und lateinisch, hauptsächlich im Buch 4, parallel mit Übersetzung abgedruckt. Im Text ist die überlieferte Einteilung beibehalten. die Übersetzung aber in zwei Zyklen mit drei beziehungsweise neun Traktaten und einer Zusammenfassung gegliedert. W: pri"e., P. Koetschau (GCS 22) [TJ. - H. Crouzel (SC 252. 253. 268. 269. 3 1 2). - H. Karpp, H. Görgemanns, DarmSladt 1976 [Tldt.ÜIKJ. - G.W. Butter worth. London 1936 [engI.Ü/K]. - M. Simonetti, Turin 1968 lit.Ü]; dazu: HJ. Vogt: ThRv 66 ( 1 970) 294-296. L: R.M. Berchmann, The peri ar c!IOIl. 0.' apodeixis euaggelike, Providence, RI, 1984. - R. Calonne, Le Iibre arbitre selon le Traite des Principes d'O.: BLE 89 ( 1 988) 243-262. - H. Crouzel, Qu'a voulu faire O. en composant le Traite
Origencs: Leben und Werke
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des Principes?: BLE 76 (1975) 161-186.241-260. J. Dillon.lmagery of Light in the First Chapter of 0,' Per; Archon (1988): ders., The Golden Chain (CStS 333), London 1990. NT. 22. L. Lies. 0.' Peri archon, DarmSladt 1992. - B. Sluder, Die Bedeutung der Auferstehung Jesu in PA des 0.: Dominus Salvator, ed. ders., Rom 1992. 213-250. - ders .. Zur Frage der dogmatischen Terminolo· gie in der lat. Ü. von 0: princ.: FS J. Danielou, 1972, 403-414. - A. Meis Wörmer, EI problema dei mal eo O. Significado teologico dei tiempo (princ . 31, 124), Santiago de Chile 1988. A. Meredith. 0.' princ. aod Gregory of Nyssa's Oralio Catecherica: HeyJ 36 (1995) 1-14. -
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4. Contra Celsum: Eine ähnliche Sonderstellung wie princ. nehmen die acht BUcher gegen den heidnischen Philosophen Celsus (Cels.) ein, der im 2. Jahr· hundert das Christentum bekämpft hatte. Zu dessen Widerlegung war Origenes wie zum Joh·Kommentar von Ambrosius gedrängt worden (praef I). Origenes befürchtet zwar, durch eine solche "Apologie" die Oberzeugungskraft der Worte und Taten Jesu abzuschwächen (ebd. 3). macht sich aber um der im Glauben Schwankenden willen ans Werk (ebd. 4). Er zitiert Celsus wörtlich. vom Vorwurf verbotener Konventikelbildung durch die Christen (I, 1) bis zur Mahnung an sie, voll an Kriegsdienst und Politik teilzunehmen (8,73-75), so daß man sein Werk zum Teil rekonstruieren konnte. Da er einerseits auch die Juden angegriffen, andererseits sich breit auf jüdisChe Polemik gegen das Christentum gestützt hatte. verteidigt Origenes zunächst auch das Judentum. weist dann aber dessen Polemik zurück (z. B. 1,26 ff) und betont, schon das Alte Testament sei ein Zeugnis für Christus; umgekehrt aber finde sich ein Zeugnis für das Alte Testament nur, wenn man an Christus glaubt. Weil Celsus der Bibel ganz allgemein die Allegorisierbarkeit, die er für den Qualitätsbeweis von Literatur schlechthin hielt. abgesprochen hatte, mußte Origenes beweisen, daß auch schon Mose "als echter Schriftsteller . . . überall die Verdopplung des Ausdrucks" gepflegt hat ( l,18). Trotzdem zielt die ganze Bibel "auch auf die Menge der Einfacheren", um welche ..die griech. Dichter sich nicht gekümmert haben" (4,50). Wenn man aber die Bibel allegorisch auslegt. d.h. in ihr ein ,,Philoso· phieren in Andeutung" entdeckt (5,58), übersetzt man den Inhalt konkreter Erzählungen ins Allgemeine; wie Jesus sich einem einzelnen Kranken zuwendet, zeigt. wie er alle heilen will. W: Cels. M. Borret (SC 132. 136. 147. 150.227). - P. Koetschau (BKV' 52 f) [dt.Ü]. - H . Chadwick. Cambridge 1965 [engLÜ/K]. L: D. Caliandro, 11 Logos e I'uomo nella visione cosmica di O. DeI Contra Celso. Rom 1987. - M. Fedou. Christianisme Cl religions paiennes dans le Contre Celse d'O Paris 1988. RJ. Hauck. The more divine proof, Atlan· ta 1989. - L. Lies. Vom Christentum zu Christus nach 0 Cels. : ZKTh 112 (1990) 150-177. F. Mosetto. I miracoli evangelici nel dibattito tra Celso e 0 Rom 1986. - HJ. Vogt, The later Excgesis of 0.: FS J. Gribomont (SEA 27). Stuttgart 1988, 583-591. - ders., Die Exegese des O. in Cels. : StPatr 21 (1989) 356-373. .
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5. Sonstige Werke: Die Frömmigkeit des Origenes spricht sich auch in der .Ermahnung zum Martyrium" (marI.) aus,die ebenso an seinen Gönner Ambro sius gerichtet ist wie die ausführliche Abhandlung ..Über das Gebet" (or.). die zunächst grundsätzliche Fragen. wie die nach Gottes Vorsehung und der Freiheit des Menschen, und dann das Vaterunser und schließlich Ort, Haltung und Zeit des christlichen Gebetes behandelt. Das (liturgische) Gebet soll sich an den Vater richten. alles Gebet aber zuerst ..Lobpreisung Gottes" sein "durch Christus, der mitgepriesen wird, in dem hl. Geist, der mitverherrlicht wird" (33.1). Von den Briefen und den Stromateis des Origenes existieren nur noch Frag mente. W: or., mart., P. Koetschau (BKVl 48) (dt.ÜIK]. - dial., marI., E. Früchtel (BGr L 5), Stullgart 1974 [dt.Ü/K). L: P. Dyckhoff. Das kosmische Gebet. Einübung nach 0., München 1994. W. Gessel. Die Theologie des Gebetes nach or. von 0 Paderbom 1975. •
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Ill. Inhaltliche Grundlinien 1 . Zur Exegese: Origenes gibt die von ihm in Ja. bekämpfte Ansicht der Gnostiker SO wieder: ,.Es gäbe solche. die von Natur aus ... Kinder Gottes seien; nur durch ihre Wesensverwandtschaft mit Gott seien sie flthig, das Wort Gottes aufzunehmen" (20, 33,287). Widerlegung der Gnosis zeigt sich aber auch im comm. ill MI. Auch an Stellen. wo man es nicht erwarten würde, bekämpft Origenes die "Märchen über die Naturen", die von Gott schon unterschiedlich geschaffen seien; denn das wäre eine ungerechte Anschuldigung des Schöpfers. Außerdem beweise das Beispiel des Judas. der ja seine Schuld bereute (Mt 27.3-10). daß man das Wort über die guten Früchte des guten und die schlechten des schlechten Baumes (Mt 7. 1 8) nicht auf drei unterschiedliche Naturen, d.h. Menschenklassen, von denen die Gnostiker reden. beziehen dürfe: ,,Nicht die Natur in uns ist der Grund der Schlechtigkeit, sondern die freie eigene Entschei dung, die das Böse tut" ( com",. in Mt. 10, 1 1 .). Origenes stellt fest (prille. 4,2, I), daß die Mehrheit der Juden den Heiland unter Berufung auf den Wortlaut der Schrift abgelehnt hat und daß die Gnostiker, ebenfalls auf den wörtlich verstandenen Bibeltext gestützt, behaupten, man müsse unterscheiden zwischen dem vollkommenen Gott und Vater Jesu Christi und dem minderwertigen Weltenschöpfer und Gott des Alten Testamentes. Deshalb ist er überzeugt, daß der eigentliche Sinn der ganzen Bibel. den der Geist (princ. 4,2,7) bzw. der Logos (ebd. 4,2.9) offenbaren will, hinter dem Wortlaut zu suchen und zu finden ist. Ja. er rechnet sogar mit drei Stufen des Schriftsinnes. die sich mit Fleisch, Seele und Geist des Menschen vergleichen lassen und die Einfaltigeren. die ein wenig Fortgeschrittenen und schließlich die Vollkommenen je auf ihre Weise erbauen sollen (ebd. 4,2,4). Für diese Dreitei lung bringt er aber keine überzeugende Begründung aus der Heiligen Schrift bei; wohl deshalb spricht er dann (priffe. 4.2,79) nur noch von zwei Absichten des
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Offenbarungsgeistes und entsprechend zwei Ebenen der Schriftaussage; so hält er es auch in seinem exegetischen Spätwerk, v.a. im Mt-Kommentar. Aber daß Allegorese notwendig ist, daran hält er fest und erklärt in seinem Kommentar zum Hld. alles lasse sich vom Sichtbaren auf das Unsichtbare übertragen, weil die göttliche Weisheit uns von den irdischen Dingen zu den himmlischen hinüberführen will. Dies gelte aber nicht nur für die Schöpfung. sondern auch für die Bibel, nicht nur fUr das Alte Testament. sondern auch für das Evangelium. Origenes steht damit i n einer Auslegungstradition, die für die HorneT-Exegese entwickelt, dann von denjUdo Gelehrten in Alexandrien, v. a. von Philo. auf die Bibel angewendet worden war; beide Male sollten Anstößigkeiten beseitigt werden; freilich ist die Ähnlichkeit weitgehend nur formal. Für Philo war, da die Natur sich zu verbergen liebe (Oefuga 32,179; De mutarione nominum 8, 60; Oe somniis 1 , 2 , 6), die Physiologie geradezu mit der Allegorese identisch. welche die Natur der Dinge für die wenigen Eingeweihten (De Abrahamo 29, 147) ans Licht bringt (Oe providenria 2,40). Der Auslegungshorizont ist für Philo also das. was Wissenschaft und Philosophie über den Menschen und die Welt erkannt haben. Solche Physiologie lehnt Origenes dagegen entschieden ab: Die Fallsucht des Mondsüchtigen von Mt 17, 14ff möge man physiologisch erklären, wie man wolle; so werde der Sinn der Wunderheilung und des Berich tes darüber nicht erfaßt (comm. ;11 Mt. 1 3 , 6). Für Origenes ist Hintergrund und Horizont aller Exegese, auch schon des Alten Testamentes, der Glaube an die heilsschaffende Menschwerdung des Gottessohnes. L: A.F. Castellano. La exegesis de O. y de Heracle6n en eI Libro VI dei "Commentario a Juan": TyV 31 ( 1 990) 309-320. - ders., L'esegesi di O. e di Eracleone alle testimonianze dei battista, Rom 1991. F. Cocchini, Aspetti dei Paolinismo Origeniano: Aug. 3 1 (1991) 245-276. - ders 11 Paolo di 0., Rom 1992. - R. Gögler, Zur Theologie des bibI. Wortes bei 0., Düsseldorf 1963. R.C.P. Hanson, Allegory and Event, London 1959. - T. Heither, Begegnung am Brunnen: EuA 69 (1993) 5-18. - dies., Translatio religionis, Köln 1990. - H. Karpp, Kirchliche und außerkirchliche Motive im hermeneutischen Traktat des 0., princ. 4,13: FS T. Klauser, Münster 1984, 194-212. - L. Lies, Zur Exegese des 0.: ThRv 88 ( 1 992) 89-96. - H. de Lubac, Histoire el esprit. Paris 1950 dt.: H.U. von Balthasar, Geist aus der Geschichte (mit Einleitung), Einsiedein 1968. ders., "Du hast mich betrogen, Herr!" Der O.-Kommentar über Jeremia 20,7, Einsiedeln 1984. - F. Manns, Une traditionjuive dans les commentaires du Cantique: AnIon. 65 ( 1 990) 3-22. - M. Mees, loh 6 bei 0.: Lat. 48 ( 1 982) 179-208; Laur. 25 ( 1984) 78-130. - ders.. loh 5 bei 0.: Lat. 49 (1 983) 25-55. 247-256. - ders., 2Co 6,1-10 und die Auferstehung der Toten nach O. und Methodius: Lat. 5 1 ( 1 985) 153-163. - H. Strutwolf, Gnosis als System. Zur Rezeption der valentinianischen Gnosis bei 0., Göltingen 1993. -J.A. Trumbo wer, 0: Exegesis of lohn 8,19-53: VigChr 43 (1989) 138-154. - HJ. VOgI, Beobachtungen zum Joh-Kommentar des 0.: ThQ 170 ( 1990) 19 1-208. - ders., Die Lehre des O. von der Inspiration der heiligen Schrift (princ. und Ce1s.): ThQ -
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170 (1990) 97-103.
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2. Trinitätslehre: FOr die spätere Trinitätstheologie hat Origenes die Weichen gestellt. da er schon in seinem frühen loh-Kommentar (Ja. 2, 10,75) Vater, Sohn und Heiligen Geist "drei Hypostasen" nennt. Nachdem er (ab 1 .28,200) die verschiedenen Namen Christi als verschiedene Betrachtungsweisen (bti.vOlaL) ein und desselben Christus erklärt hat (auch 1 , 3 1 . 223. 1 . 35, 259), wendet er sich entschieden gegen jene, die auch die Unterscheidung von Vater und Sohn nur im Sinne solcher bti.vOt,aL. aber nicht im Sinne der im6o'tao� verstehen wollen ( 1 0. 37,246): Vater und Sohn sind zwar eins in der Wesenheit ouoia, aber nicht einer der Zahl nach. Die ewige innergöuliche Zeugung des Sohnes findet Origenes in der Bibel selbst hinlänglich dargestellt. z.B. durch Ps 2,7: .Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt". Für Gott ist ja dieses .Heute" immer; "denn es gibt keinen Abend Goues. ich meine aber auch keinen Morgen" (Ja. 1.29, 204). Dieselbe Einsicht gewinnt Origenes aus Spr 8.25 (LXX): "Vor allen Hügeln zeugt er mich" , weil es da nämlich nicht heiße: vor allen Hügeln hat er mich gezeugt (Vergangenheit), sondern: "zeugt er mich", also in der göttlichen Gegenwart. die kein FrOher oder Später kennt (hom. in Jer. 9.4). Origenes denkt sich aber die drei göttlichen Hypostasen nicht statisch nebeneinander. sondern dynamisch aufeinander bezogen; vom Sohn z.B. sagt er: .Er bleibt dadurch, daß er bei Gott ist, immer Gott; dies hätte er nicht, wenn er nicht bei Gott wäre; und er bliebe nicht Gott, wenn er nicht bei der unablässigen Schau der Tiefe des Vaters bliebe" (Ja. 2,2, 17). L: 1. Dillon, 0: Doctrine of the Trinity and Some Later Neoplalonic Theories: ders., The Golden Chain (CStS 333), London 1990. Nr. 2 1 . l. Hammerstaedt, Der trinitarische Gebrauch des Hypostasisbegriffs bei 0.: JAC 34 (1991) 12-20. - K. McDonnell. Does O. have a Trinitarian Doctri ne of the Holy Spirit?: Gr. 75 (1994) 5-35. - A. Orbe, O. y los Monarquia nos: Gr. 72 (1991) 39-72. - H. Ziebritzki, Heiliger Geist und Weltseele. Das Problem der dritten Hypostase bei 0., Platin und ihren Vorläufern, Tübingen 1994. •
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3. Anthropologie: Präexistenz der Seelen: Die Behauptung, die Naturen der Seelen seien verschieden. die Origenes den Schulen des Marcion. des Valentin und des Basilides zuschreibt (prille. 2,9,5), läßt ihn nach dem Ursprung der Seelen fragen. Da GOIt in der Bibel als gütig und gerecht geschildert wird, darf man ihm keine uranfangliche Ungleichbehandlung seiner Geschöpfe unterstel len (2,9,6; ähnlich schon 1 , 8,1 ff). Die Unterschiede zwischen den geistigen Geschöpfen mOssen also auf ihre eigene Schuld oder Verdienste zurUckgehen. Diese vom Theodizeeanliegen geforderte Schlußfolgerung findet Origenes auch in der Heiligen Schrift bezeugt; wenn z.B. PauJus (ROm 9, 13) Mall . 2 f zitiert: ,,Jakob habe ich geliebt, Esau gehaßt" und trotzdem versichert, in Gott sei keine Ungerechtigkeit, dann müsse man schließen, daß Jakob aufgrund von Verdien sten eines früheren Lebens liebenswert war, Esau hassenswert (princ. 2,9,7; ähnlich schon 1 . 7,4). An dieser für manche anstößigen "geheimnisvollen Lehre" (comm. in Mt. 15.34. 36), die von Selen wanderung ganz verschieden ist. hat
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Origenes auch unter Berufung auf das Gleichnis von den Weinbergsarbeitern (Mt 20, 1-16) immer fe'tgehahen (ebd, 1 5 ,35), L: c,p, B ammel, Adam in 0,: FS H, Chadwick, Cambridge 1989, 62-93. H.S. Benjamins, Eingeordnete Freiheit. Freiheit und Vorsehung bei 0., Leiden 1994. R. Calonne, Le libre arbilre dans le trait� des Principes d'O.: BLE 89 ( 1 988) 243-262. - H. Crouzel. Theologie de ('image de Dieu chcz 0., Paris 1956. - J. Dupuis, L'esprit de I'homme. Etude sur I'anthropologie religieuse d'O., Desclte 1967. - M. Edwards, 0. no gnoSlic: JThS 43 ( 1 992) 23-37. P. van der Eijk, 0.' Verteidigung des freien Willens: VigChr 42 ( 1 988) 339-351. M. Hauke, Heilsverlust in Adam. Irenäus - O. - Kappadozier, Paderborn 1993. - A. Seolt. Q. and the Life of the Stars, Oxford 1991. - G. Sfameni Gasparro. 0., Studi di Antropologia e di storia della tradizione, Rom 1984. - P. Tavardon, La doctrine de la cr�ation selon O. dans la mouvance platonicienne: ETR 65 ( 1 990) 59-76. - G. Watson, Souls and Bodies in 0.' peri archon: IThQ 55 ( 1989) 173-192.
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4. Christologie: Auch die Seele Jesu existiert "vom Anfang der SChöpfung an"; sie hing dem Logos Gottes immer untrennbar an und hat als ganze ihn ganz (tota IOlum) i n sich aufgenommen, so daß sie mit ihm im vollen Sinne ein Geist wurde (principaliter unus spiritus); in dieser Vereinigung der präexistenten Seele mit dem Logos sieht Origenes das Wort des Apostels: Wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm (I Kor 6. 17), auf die vollkommenste Weise verwirklicht (z.B. comm. in MI. 15. 24; 16,8). Ja, die Menschwerdung des Gottessohnes ist durch Vermittlung dieser Seele geschehen, weil "die Natur Gottes sich nicht ohne Vermittlung mit dem Leib" verbinden kann (princ. 2,6,3); es kommt also der Gottessohn mit seiner präexistenten Seele in einen menschli chen Leib. Da auch diese Seele im himmlischen Jerusalem ihre Mutter hat, leann Origenes den Satz, "der Mann wird Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen" (Gen 2,24; Mt 19,5), im Sinne der inkarnation verstehen; der Gottessohn hat Gou, seinen Vater. und seine Mutter, das obere Jerusalem, verlassen "und er hing seiner hierher herabgefallenen Frau an", nämlich der ..Kirche, welche sein Leib ist" (so comm. in MI. 14, 17; horn. in JeT. 10,7). So wird die innere Verbindung von Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie deutlich. L: H. Crouzel. La christologie d·. selon son Commentaire sur le Cant.ique des Cantiques: FS J. Betz, Düsseldorf 1984. 421-438. - M. Fedou. La sagesse et le monde. Essai sur la christologie d'O., Paris 1995. - I. Golden. O. and Mariology: GOTR 36 (1991) 141-154. - M. Harl. O. el la fonction r�velatrice du Verbe incarn�. Paris 1958. J. Letellier, Le Logos chez 0.: RSPhTh 75 (1991) 587--612. - R. Lyman, Christology and Cosmology. Models of Divine Activity in 0., Eusebius, and Athanasius, Oxford 1993. - A. Meis-Wörmer, La preemi nencia de Jesus: TyV 33 (1992) 65-88. - R. Roukema. 0.' visie op de Recht vaardiging volgens zijn Commentar op Romeinen: GThT 89 (1989) 94-105. J.M. Rowe. 0.' doctrine of subordination. Bern 1987. - J.W. Trigg. The Angel -
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of Gre.. Counsel: IThS 42 (1991) 35-51. - HJ. Vogt, Ein-Geist-Sein (I Kor 6, 17 b) in der Christologie des 0.: IThZ 93 (1984) 25 1-265. 5. Kirche - Sakramente - Frömmigkeit: Weil Origenes sich an manchen Stellen sehr kritisch über kirchliche Amtsträger äußert und ohne Zweifel das eigentliche Wesen der Kirche fUr ihn nicht im Sichtbaren liegt, hat man bei ihm sogar die Theorie einer inneren Hierarchie finden wollen. Aber wenn Origenes z. B. in comm. in Rom. 9, 2 das Gleichnis von der Einheit des Leibes und der Verschiedenheit der Glieder (Röm 12,4 f) so deutet, daß er Christen, die sich in Studium und Erkenntnis hervortun, als Auge des Leibes, solche, die auf Gott hören, als Ohr, solche die verkünden, als Zunge, andere, die wirken, als Hände und wieder andere, welche die Kranken besuchen, als Füße bezeichnet usw., dann sind da äußerlich wahrnehmbare Tätigkeiten und Eigenschaften gemeint, aber gerade nicht eine innere, im Verborgenen bleibende Hierarchie. Eine eigene Sukzession der charismatischen Lehrer bezeugt Origenes nicht; die Kirche wird auch für ihn von den Amtsträgem geleitet; freilich ist weder deren Lebenswandel immer ohne Tadel, noch ihr Urteil immer zutreffend. Das Wesen der Kirche verwirklicht sich in denen, die Gott nahekommen durch Erkenntnis und gute Werke; beidem dienen alle Arbeiten des Origenes, auch die großen Kommentare. Innere Christusnähe findet Origenes erwartungsgemäß im Hld ausgesprochen. L: J. Alviar, Klesis. [ ... j Dublin 1993. - F. Cocchini, L'esegesi origeniana di Rom I, 14: SMSR54 (1988) 7 1-80. - H. Crouzel. ,,Ecc1esiasticus" dans l'ttuvre d '0.: FS V. Saxer, Rom 1992, 147-162. - ders., Le theme du mariage mystique ehez O. et ses sourees: StMiss 26 (1977) 37-58. - ders., 0.: O.S. 1 1 (1982) 933-962. - 1. Dillon, Aislhesis Noele. A Doctrine of Spiritual Senses in O. and in Plotinus: ders., The Golden Chain (CStS 333), London 1990, Nr. 19. - G.A. Galluccio, L'"ut unum sint"' (Gv 17,20-26): Nicolaus 20 (1993) 25-102. - T. Heither, "Gotteserfahrung" in der Theologie des 0.: EuA 68 (1992) 265-277. L. Lies, 0: Eucharistielehre im Streit der Konfessionen, Innsbruck 1985. - K. Nasilowski, De potestatis sacerdotalis apud Origenem distinctione: ApolI. 58 (1985) 629-699. - T. Schäfer, Das Priester-Bild im Leben und Werk des 0., Frankfurt a.M. 1977. - R. Thomas, Nisi cognoveris te ... Observationes ill Origellis de cognitione sui doe/rinam, Rom 1993. - HJ. Vogt, Das Kirchenver ständnis des 0., Köln 1974. - dcrs., Zum Bischofsamt in der frUhen Kirche: ThQ 162 (1982) 22 1-236; bes. 228-233. - ders., Die Witwe als Bild der Seele in der Exegese des 0.: ThQ 165 (1985) 105-118. 6. Apokatastasis pali/oll: Schon in princ. stellt Origenes die Frage nach der Wiederherstellung aller (restitutio omnium: 2,3,5). Da die Unterwerfung des Sohnes unter den Vater (I Kor 15.28) als gut und heilsam zu verstehen sei, müsse das auch von der Unterwerfung der Feinde gelten, d.h. also deren Rettung und Wiederherstellung bedeuten (3,5,7). Origenes rechnet damit, daß nach "unend lich langen Zeiträumen" (3,6,6) "alle vernUnftigen Seelen" in einen vollkom-
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menen Zustand zurUckgeführt sein werden (ebd., ähnlich 3.6.9). Ob auch die bösen Geister, besonders der Teufel, am Ende wieder in den urspr. Zustand der Gottesnähe zurückgelangen können, hat Origenes sich wohl gelegentlich ge· fragt. dies aber nie behauptet, sich vielmehr in einem Brief an seine Freunde. aus dem sowohl Rufin (adult. 7) als auch Hieronymus (adv. Rufin. 2, 18) die entscheidende Stelle zitieren. gegen eine solche Unterstellung entschieden gewehrt; aber der Gedanke blieb mit seinem Namen verbunden. wahrscheinlich weil man meinte, er folge mit Notwendigkeit aus der uranfanglichen Gleichheit aller geistigen GeSChöpfe. Jedenfalls anathematisierte Justinian in einem Brief an das fünfte ökumenische Konzil von 553 an erster Stelle die "erdichtete Präexistenz der Seelen und ihre darausfolgende phantastische Wiederherstellung". Die bloße Wiederherstellung des anfänglichen Zustandes ist aber fUr Onge nes nicht das letzte Ziel der Heilsgeschichte. Jesus habe nicht in Kafarnaum den Anfang seiner Wunder gemacht, sondern in Kana, weil der Logos nur wegen der Unheilssituation der Menschen als Arzt kam, sein eigentliches Wirken aber auf die Freude der Festfeier Gottes geht (Ja. 10, 12, 66): das Ende wird also den Anfang überbieten. Deshalb hat Origenes selbst schon der Unterstellung, die in ihre ursprüngliche Würde wieder eingesetzten geistigen Wesen könnten erneut abfallen, widersprochen (Ja. 10,42,292 fO; ewige Wiederkehr sei mit dem freien Willen nicht vereinbar (Cels. 4,67); ein erneuter Abfall sei unmöglich. weil die Geschöpfe dann die Erfahrung der Liebe Goues gemacht haben und dadurch selbst in der Liebe gefestigt sind (comm. in Rom. 5. 10). L: E. dal Covolo. Appunti di escatologia origeniana: Sa!. 41 ( 1989) 769-784. - H. Crouzel, Les fins dernieres selon 0., Hampshire 1990. •
IV. Auseinandersetzungen um Origenes Origenes selbst hat sich schon gegen manche VorwUrfe verteidigen mUssen. Um das Jahr 300 hat Methodius von Olympus in seiner Abhandlung Ober die Auferstehung. von der Reste bei Epiphanius. haer. 19 erhalten sind, die Escha tologie und die allegorische Schriftauslegung des Origenes entschieden be kämpft. Eustathius von Antiochien hat in einer Abhandlung über Sauls Gang zur Hexe von Endor. die Auslegung angegriffen, die Origenes in seiner Predigt zu I Sam 28 vorgetragen, aber auch in horn. in Jer. 1 8 und in Ja. 20,393; 28.148 f sowie in comm. in Mt. 15,35 angedeutet haue. Origenes verteidigt auch hier die Willensfreiheit auch des verstorbenen Menschen; Samuel habe aus eigener Ent scheidung dem Saul prophezeit. Eustathius wirft Origenes v.a. vor, daß er keine endgültige Auslegung versuchte. sondern mit einem fortwährenden Prozeß immer besseren Verständnisses rechnete. Die "thwlogie en recherche" verur sachte offenbar bei Eustathius einen .,horror of ambiguity". Der in der Verfol gung des Maximinus als Märtyrer gestorbene Priester Pamphilus hat in Cäsarea mit Hilfe des späteren Bischofs Eusebius eine Verteidigung des Origenes in fUnf
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Büchern verfaßt, zu der Eusebius ein sechstes hinzugefügt hat; erhalten ist nur das erste in der Übersetzung Rufins. Pamphilus zählt neun damals schon gängige Vorwürfe gegen Origenes, z.B. die Lehre von der Seelenwanderung, auf und widerlegt sie aus dessen eigenen Werken. Pamphilus selbst übernimmt zwar nicht alle Vorstellungen des Origenes, wohl aber seine theologisch-exege tischen Methoden und begründet so den Origenismus im positiven Sinn. Meist wird der Begriff aber negativ verstanden und auf Theologen angewendet, welche Gedanken des Origenes verfestigt und Ubertrieben und so der Orthodoxie ihrer Zeit widersprochen haben, wie z. B. Evagrius Ponticus, dem Psalmenerklärun gen, die dem Origenes zugeschrieben wurden, erst wieder i m 20. Jahrhundert zurückgegeben wurden. Mehr von ihm als von Origenes waren die origenisti sehen Mönche beeinflußt, deren Bekämpfung durch Theophilus von Alexandri en den Origenismusstreit um 400 auslöste. Kaiser lustinian reagierte im 6. Jahrhundert auf die Streitigkeiten unter den z. T. extrem origenistisch eingestell ten Mönchen, indem er Sätze, die dem Origenes zugeschrieben wurden, durch eine Vorsynode des fUnften Allgemeinen Konzils verurteilen ließ. L: H.U. von Balthasar, Die Hiera des Evagrius: ZKTh 63 ( 1939) 86-106. 1 8 1-206. - E.A. Clark, Elite Networks and Heresy Accusations. Towards a Social Description of the Origenist Controversy: Semeia 56 ( 1 992) 79- 1 1 7 . F.R. Diekamp, Die origenistischen Streitigkeiten im 6. Jh., Münster 11989. E.A. Junod, L'Apologie pour O. de Pamphile et la naissance de I'origenisme: StPalr 26 ( 1 993) 267-286. - P. Larde, L' Apologie de ]tröme contre Rufin, L'Origenismo. Apologie e polcmiche intorno a 0.: Aug. 26 Leiden 1993. ( 1986). D. Pazzini, La critica di Cirillo Alessandrino alla dottrina origenista della preesistenza delle anime: CrSt 9 ( 1 988) 237-280. - E. Prinzivalli, 1J1YXAI EX AI�OY META nEMnEI:eA I. Una proposta di letteratura della polemica di Eustazio con 0.: Aug. 35 (1995) 679-696. M.-J. Rondeau, Le commentaire sur les psaumes d'Evagre le Pontique: OCP 26 ( 1960) 307-348. - J.W. Trigg. Eustathius of Antioch's Attack on 0.: JR ( 1 995) 2 1 9-238. H.J. Vogt, Warum wurde O. zum Häretiker erklärt?: Origeniana 4 (1987) 78-99. 100-1 1 1 . -
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Auch westliche Kirchenväter (Hilarius. Ambrosius, Augustinus) haben die Al legorese von Origenes gelernt und dem Mittelalter überliefert. Wohl im Umkreis Cassiodors (t um 580) ist die lateinische Übersetzung des Mt-Kommentars entstanden; den Teil davon, der von Mt 22,34 bis 27,66 reicht, wozu der griechische Text nicht mehr erhalten ist, hat man im Mittelalter in 145 unter schiedlich lange Abschnine eingeteilt und als Commentariorum Series bezeich net. Paschasius Radbertus (t vor 860) stimmt in seinem zwölf BUcher umfas senden Mt-Kommentar (PL 120, 3 1 -994) an vielen Stellen fast wörtlich mit Origenes überein, nennt ihn aber nicht. Das von Paulus Diaconus für Karl den Großen zusammengestellte Homiliar enthält einige dem Origenes zugeschriebe ne Predigten. Die Humanisten wurden neu auf Origenes aufmerksam; er scheint sogar die Ikonographie der Sixtina beeinOußt zu haben; in der Reformationszeit versuchte man. Argumente aus ihm zu gewinnen. Die modeme Origenesfor-
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Origenes: Leben und Werke
schung beginnt mit den Origeniana von P.D. Huet (t 1721), abgedruckt PO 17, 633-1284. L: H. Crouzel, Une controverse sur O. a la Renaissance. Paris 1977. - J.F. Dechow, Dogma aod mysticism in early Christianity. Epiphanius of Cyprus aod A. Godin. Erasme. leeteur d'O., Genf the legacy of 0., Macon. Ga. 1988. 1982. - V. Grossi, La presenza in filigrana di O. nell' ultimo Agostino (426-430): Aug. 30 (1990) 423-440. - H. König, "Vestigia antiquorum magistrorum sequi". Wie liest Apponius O.?: ThQ 170 (1990) 129-136. L. Lies. 0: Eucharistie· lehre im Streit der Konfessionen, Innsbruck 1985. - ders., Q. und die Euchari stiekontroverse zwischen Paschasius Radbertus und Ratramnus: ZKTh 1 0 1 (1979) 414 426. - E. Prinzivalli, Per un' indagine sull'esegesi deli pensiero origeniano nel IV secolo: ASEs 1 1 (1994) 433-460. - M. Schär, Das Nachleben des O. im Zeitalter des Humanismus. Basel 1979. J. Schwind, O. und der Dichter Arator: REAug 4 1 (1995) 1 l 3-1 30. - G. Sfameni Gasparro, Agostino di fronto alla "eterodossia" di 0.: Aug(L) 40 ( 1990) 219-243. E. Wind, Tbe Revival of 0.: FS B . da Costa Greene, Princeton 1954, 412-424. .
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Der Kommentar zum Evangelium nach M atthäus Teil I
Leben und Werke des Origenes In den uns erhaltenen Werken des Origenes finden sich nur spärliche Nachrich ten über sein Leben; er scheint aber i n den verlorengegangenen Schriften etwas bereitwilliger über sich Auskunft gegeben zu haben. Aus ihnen hat offenbar Bischof Eusebius von Cäsarea, der erste Kirchengesch.ichtsschreiber, geschöpft, wenn er uns im sechsten seiner zehn zu Beginn des vierten Jahrhunderts veröffentlichten Geschichtsbücher (h.e.) ziemlich ausführlich über Origenes unterrichtet. Allein aus der Menge der Nachrichten über diesen einen Kirchen schriftsteller läßt sich das Überragende seines Werkes und die besondere Hoch schätzung ermessen, die Euseh ihm entgegenbringt. Der Vater des Origenes starb, von seinem Sohn in seinem Bekennermut gestärkt, als Märtyrer in einer Verfolgung im zehnten Jahr des Kaisers Septimius Severus; Origenes blieb, noch nicht siebzehnjährig, mit sechs jüngeren Ge schwistern zurück (h.e. 6,2, 1 1), muß also ctwa im Jahr 185 nach Christus geboren sein. Da in der Verfolgung alle bekannten christlichen Lehrer aus Alexandrien geflohen warcn, wandten sich bekehrungswi lIige Heiden bald an Origenes, dessen Glaubenseifer und gute Bildung nicht unbekannt geblieben waren. So wurde Origenes mit knapp achtzehn Jahren zu dem christlichen Katecheten in der Hauptstadt Ägyptens, obwohl er eigenllieh seinen und seiner Familie Lebensunterhalt durch Grammatikunterricht verdiente. Den gab er bald als hinderlich auf und widmete sich nur noch den theologischen Studien und der Askese, durch die er seine Schüler noch mehr förderte als durch die Lehre, so daß etliche das Martyrium auf sich nahmen (h.e. 6. 3 , 8 ff; 6, 4 u. 5). Als die Zahl der Glaubensschüler wuchs, erwählte Origenes sich unter ihnen den auch philosophisch geschulten Herakles zum Gehilfen und übertrug ihm den Unter richt für die Anfänger, während er selbst nur noch die Fortgeschrittenen unter richtete (".e. 6, 15). Als erste Leistung des Origenes nennt Euseb aber weder eine thematische noch eine exegetische Schrift, sondern seine textkritische Arbeit: Er erwarb sich nicht nur eine hebräische Bibel, sondern auch, neben der vorchristlichen grie chischen Übersetzung des Alten Testamentes, die zweiundsiebzig Übersetzern zugeschrieben wurde und deshalb abgekUrzt die Septuaginta (LXX) heißt, die damals erst einige Jahrzehnte alten Übersetzungen des Aquila. des Symmachus und des Theodotion. Später gelang es ihm, Euseb berichtet das aber schon gleich (h.e. 6, 16), noch zwei weitere griechische Übersetzungen aufzutreiben, eine in
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Griechenland. die andere in der Nähe von Jericho, wo sie in einem Krug verborgen gewesen war. Diese sechs Übersetzungen stellte er in Spalten neben einander, um den Textbestand vergleichen und so Hilfe für die Auslegung finden zu können. Dieses gewaltige Werk trägt den Namen Hexapla, also die sechsfache (Übersetzung); die erste Spalte, in der sich der hebräische Text in griechischer Umschrift befand', wurde nicht mitgezählt Schon zu Beginn seiner exegeti schen Arbeit bediente er sich der vier geläufigeren Übersetzungen, die aber wohl nicht gemeint sind, wenn Euseb von einem vierteiligen Werk spricht. Das Wort, das sich bei Euseb findet, ist Tetrassa (nicht Tetrapla) und bedeutet wohl "vierbändiges Werk"; es dürfte die von Origenes selbst besorgte kritische Ausgabe der Septuaginta gemeint sein, in der durch Asterisken bzw. Obelisken vermerkt ist, ob ein Satz oder Wort im Hebräischen oder umgekehrt in der Übersetzung fehlt. Diese Edition, die nun den ganzen differierenden Textbestand bietet, hat die Texttradition sehr stark beeinflußtl. Bevor Euseb eine Schrift des Origenes nennt (h.e. 6, 23.24), berichtet er über sein damals schon weltweites Ansehen; nicht nur der Statthalter von Arabien, sondern auch Mamäa, die Mutter des Kaisers Alexander Severus, ließen ihn zu sich rufen und sich von ihm unterweisen (l1.e. 6, 19,15; 6, 21,3). Origenes scheint seine Arbeiten auf Betreiben eines von ihm bekehrten Anhängers der Häresie des Gnostikers Valentin, namens Ambrosius, mit Bibel kommentaren begonnen zu haben (I/.e. 6, 23), und zwar, wie später noch genauer zu zeigen sein wird, mit einem Kommentar zu den ersten fünfundzwanzig Psalmen. Euseb hat aus den "ausführlichen Buchüberschriften" entnommen, daß außerdem die ersten fünf Bücher zum Johannesevangelium - insgesamt lagen Euseh zweiundzwanzig (oder doch zweiunddreißig?) Bücher vor - acht von zwölf Büchern zur Genesis, fünf Bücher zu den Klageliedern, zwei Bücher über die Auferstehung, das Werk über die Grundlagen (De priflcipiis) und zehn Bücher. sogenannte Teppiche (eher lose Gedankensammlungen), noch in Alex andrien, also in der ersten Schaffensperiode des Origenes entstanden sind (h.e. 6,24). Nachdem er nämlich einmal für kurze Zeit nach Cäsarea in Palästina übergesiedelt war - offenbar hatte es in Alexandrien Proteste gegen seine Auslegung der Genesis gegeben -, dort von verschiedenen Bischöfen zum Predigen aufgefordert und bei einem zweiten Aufenthalt in Cäsarea zum Priester geweiht worden war, sah er sich schließlich durch die ablehnende Haltung und
So jedenfalls P. Nautin, Origtne. Sa vie el son ttuvre Cruistianisme aolique I, Paris 1977, 3 1 4f; weder die Hexapla des Origenes. noch die sehon früher von Juden für des Hebräischen nicht mächtige Glaubensgenossen geschaffenen mehrspaltigen Ausgaben hätten den hebräi schen Text in hebräischen Buchstaben enthalten. Euseb unterscheide deutlich zwischen Bibelausgaben, die in den eigenen Buchstaben der Hebräer (hebraioll sloicheia) geschrieben sind (h.e. 6. 16.1). und der ersten Spalte der HexapJa, die nur die hebräische Bezeichnung (hebraion semeiosis) enthalte (ebd. § 4). l Vgl. D. ßarthelemy, Orig�ne ct Je texte de l' Ancien Testament, in: Epektasis. Melanges palristiques offerts au Cardinal J. Danielou, Paris 1972, 247-26 1. bes. 256f; Origenes habe die Hexapla nicht selber gescruieben. sondern nur überwacht. I
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Maßnahmen seines Bischofs Demetrius gezwungen, etwa im Jahre 232 Alexan drien für immer zu verlassen und in Cäsarea Wohnung zu nehmen. Auch daß sein ehemaliger Schüler und Kollege Herakles bald Nachfolger des Demetrius wurde. änderte nichts an der alexandrinischen Einstellung. verschärfte sie eher noch. In Cäsarea schrieb bzw. diktierte Origenes einen Kommentar zu Jesaia. von dem Euseb dreißig Bücher kannte, fünfundzwanzig Bücher zu Ezechiel und zehn BUcher zum Hohenlied (".e. 6, 32). Euseb hat offenbar bei den Werken der rund zwanzig Jahre währenden zweiten Schaffensperiode keine Überschriften gefunden. die eine genaue Datierung ennöglicht häuen; so darf man seine Reihenfolge hier noch weniger als sicher ansehen als bei den ersten Werken. Euseb nennt weiter acht BUcher gegen den Philosophen Kelsos. fünfundzwanzig über das Matthäusevangelium, fünfundzwanzig (ihm noch vorliegende) Ober das Zwölfprophetenbuch (h.e. 6. 36,2) und verweist im Obrigen auf das Verzeichnis der Werke des Origenes. das er der Biographie des Pamphilus eingefügt habe (ke. 6, 32,3). Zuvor aber gibt er an. wie ein beträchtlicher Teil der auch noch auf uns gekommenen Hinterlassenschaft des Origenes enlStanden sei; allerdings hat auch Euseb es nur vom Hörensagen, daß Origenes erst im Alter von über sechzig Jahren. nachdem er sich schon sehr große Fertigkeit erworben haue. die Erlaubnis gegeben habe. seine Unterredungen vor der Gemeinde mitzustenogra phieren (ebd. 6, 36,2). Auch wenn das Wort ..Unterredungen" (dialexeis) zuerst an Gespräche, theologische Diskussionen denken läßt. wie Origenes sie etwa mit dem Bischof von Bostra in Arabien über die Präexistenz Christi (h.e. 6, 33. 1-3) oder mit anderen arabischen Bischöfen über das Weiterleben d�r Seele' führen mußte, hat Euseb vielleicht doch an die Predigten gedacht, die Origenes in Cäsarea in sehr großer Zahl gehalten hat. J. Nautin· ist zu dem Ergebnis gekommen, daß Origenes den Auftrag hane, in den Jahren 239-242 in sämtli chen Gottesdiensten, d. h. täglich, zu predigen und die gesamte Bibel. die in einem Dreijahreszyklus gelesen wurde. auszulegen; die Reihenfolge der behan delten Bücher lasse erkennen. daß Origenes seine Predignätigkeit nicht mit Beginn des Zyklus aufnahm. in dem Altes und Neues Testament parallel gelesen wurde, das Alte natürlich in längeren Abschnitten. Daß auch im Altertum nicht zu allen biblischen Büchern Origenespredigten bekannt waren, veranlaßt Nau tin' zu der Frage, ob sich vielleicht in der Gemeinde Protest gegen die allegori sche und sicher auch intellektuell zu anspruchsvolle Bibelpredigt des Origenes erhob und der Bischof einen anderen Prediger beauftragte. Für das Neue Testament nennt das große Verzeichnis der Werke des Origenes, das Hicronymus seinem 33. Brief eingefügt hat und das sicher auf die Liste des Euseb zurückgeht, 25 Homilien zu Matthäus. 39 zu Lukas, 17 zur Apostelge· schichte. 1 1 zum 2. Korintherbrief. 2 zum ( I .?) Thessalonicherbrief, 7 zum
) Die Milschrifl dieser DiSKussion ist erhalten in einem 1941 in Toura bei Kairo gefundenen ManUSkript: verbesserte Zweil3usgabe von J. Scherer: SC 67 (1960) . • Nautin (vgl. Anm. I ) 389ff. S Ebd. (vgl. Anm. I ) 405.
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Galaterbrief. I zum Titusbrief und 18 zum Hebräerbrief. Dabei muß schon mit Verlusten gerechnet werden. denn Origenes selbst verweist z. B. im Johannes Kommentar (32.2,5) auf eine Predigt zu Lk 14, 16. die sich unter den von Hieronymus genannten und übersetzten' nicht findet, und in der 17. Lukaspre dige auf Homilien zum 1 . Korintherbrief, die Hieronymus (wohl aus Unacht samkeit) ausgelassen hat. Die BUcher (gr. lomo;), d. h. Kommentare zu neutesta mentlichen Büchern bilden eine eigene Sparte; besondere Erwähnung verdienen die fünfzehn BUcher zum Römerbrief, die aber Ende des vierten Jahrhunderts schon nicht mehr vollständig waren, so daß Rufinus (aus anderen Werken des Origenes?) ergänzen mußte. um eine lateinische Übersetzung (Bearbeitung) des Kommentars zum ganzen Römerbrief (in 10 BUchern) bieten zu können'. Von den Kommentaren zu Galater, Philipper, Kolosser sind nur spärliche Fragmente, zu I Korinther und Epheser immerhin so viele griechisch in den Katenen erhahen, wie rund 70 bzw. 50 Seiten des Journal of Theological Studies ausma ehen'. Es fallt auf, daß nur das Markusevangelium, die beiden Timotheusbriefe, die katholischen Briefe und die Apokalypse weder in Kommentaren noch in Predigten behandelt wurden. Das zweite Evangelium wird allerdings (wie Lukas) bei der Auslegung des Matthäus herangezogen. wenn es einen abwei chenden Wortlaut hat; der Kommentar zum Lukasevangelium, der nach der Vorrede des Hieronymus zu seiner Übersetzung der Lukaspredigten auffallen derweise nur fUnf BUcher umfaßte. hat wohl nur das lukanische Sondergut behandelt, im übrigen auf den Matthäus-Kommentar verwiesen. Auch die Apo kalypse wollte Origenes kommentieren; das sagt er bei der Erklärung von Mt 24.29f ( ... "die Sterne werden vom Himmel fallen"), wo er Offb 12,4 ( ... ..der Schweif des Drachens zog den dritten Teil der Sterne vom Himmel") heran zieht1o• So gibt es gute GrUnde, die zu Beginn unseres Jahrhunderts in einer Handschrift eines Meteorenklosters entdeckten Kurzerklärungen (hermeneiai) fUr echt anzusehen. Dann aber geben sie uns Einblick in die Art, wie Origenes , Herausgegeben samt den erhaltenen Fragmenten von M. Rauer. Die Griechischen Christlichen Schriftsteller (GCS) Origenes IX. t 1959. 7 GCS (vgl. Anm. 6) IX. 1 1 0, Z. 9. I Praefatio und Epilog des Rufinus zum Römerbrief-Kommentar in: Tyrarllli Ruftni Opua .. Corpus Chr;stianorum. Suits Latina XX, ed. M . Simoneni, 1961, 273-277. Ocr Text findet sich in der Patrologia Graua 14. 833-1 292: es haben sich aber große Teile griechisch erhalten. Nachdem A. Ramsbotham im Journal of Thcological Studies (JTS) 1 3 ( 1 9 1 2 ) 209-224. 357-368 und 1 4 ( 1 9 1 3 ) 10-22 und K. Staab in dcr Biblischen Zeitschrift (RZ) 18 ( 1 927128) 72-83 eine ganze Reihe von teilweise längeren Fragmenten veröffentlicht hallen. wurde ein großes. allerdings beschädigtes. fortlaufendes Stück ebenfalls in Ägypten gefunden: J. Sche rer, Le commentaire d'Origtne $ur Rom 1II,5-V, 7, Le eaire 1957. , C. Jenkins, Origen on I Corinthians: JTS (vg!. Anm. 8) 9 ( 1 908) 23 1-247. 353-372. 500-5 14; 1 0 ( 1 909) 29-5 1 : dazu C.". Turner: JTS 10 ( 1 909) 270-276: J.A .F. Gregg, The Commeotary of Origen upon the epistle to the Ephesians: JTS 3 ( 1902) 233-244. 398-420. 554-576. IOZU Mt 22,34-27,66 ist nur eine alte lateinische Übersetzung erhalten. die frUher als Predigt reihe aufgefaßt und deshalb in kurze Abschnittc eingeteilt wurde. jetzt aber Commtntariorum Suits (comm. ur. in MI.) genannt wird: sie ist mit griechischen ParallelfragmeDtcn ediert in GCS (vg!. Anm. 6) XI: dort obiges Zitat S. 105 . 8.
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auch sonst gelegentlich gearbeitet hat; mit dem 32. Buch zu Johannes hatte er erst das 13. Kapitel erreicht. den Rest des Evangeliums scheint er nur in Form von Kurzbemerkungen, Scholien, behandelt zu haben; denn auch Euseb kannte nur 32 Bücher zu Johannes. [m Alten Testament behandelten die 13 Bücher zur Genesis nur deren erste fünf Kapitel; zu den folgenden Büchern Moses erwähnt die Liste nur excerpta, Scholien. Bei den Psalmen allerdings scheinen die Scholien nicht als Ersatz für den nicht zustandegekommenen langen Kommen tar. sondern als dessen Kurzfassung zur bequemeren Benützung gemeint zu sein". Die Briefe des Origenes nennt Euseb zuletzt, nicht weil sie die zeitlich spätesten Schriften wären, sondern weil erst er sie gesammelt hat (h.e. 6,36,3 f); das meiste davon ist verloren. In der Christenverfolgung des Kaisers Decius (249-25 1 ) wurde Origenes eingekerkert, in Ketten gelegt und in den Block gespannt. vielfältig gefoltert und mit dem Feuertod bedroht, aber nicht getötet; das habe der Richter vielmehr unbedingt vermeiden wollen. Origenes hat davon selber in Briefen berichtet, ja sogar nach der Verfolgung noch einige Werke verfassen können (h.e. 6,39.5). Daß ihm das Martyrium, das er seit seiner Jugend ersehnt hatte, nicht vergönnt war, ist nicht nur seine persönliche Tragik, sondern wohl auch der Grund dafür. daß sein Werk nur in Bruchteilen auf uns gekommen ist. Wäre er Märtyrer geworden, wäre nicht nur sein Andenken vor Verketzerung, sondern wohl auch sein Werk vor teilweiser Vernichtung bewahrt geblieben.
Das Nachwirken des Origenes Auch für die Wirkung, die Origenes auf die Nachwelt ausgeübt hat, ist ältester Zeuge der Bischof Eusebius. Er half seinem in der Verfolgung des Diokletian eingekerkerten Lehrer Pamphilus, eine Verteidigung des Origenes in fünf Bü chern zu schreiben, der er selbst nach dem Tode des Pamphilus noch ein sechstes anfügte. Wie die Rechtgläubigkeit des großen Alexandriners schon zu Lebzeiten so umstritten war, daß er sie selbst in vielen Briefen verteidigen mußte (h.e. 6, 36,4), so blieb die Geschichte seines Werkes eine Geschichte seiner Bekämp fung und Verteidigung, aus der sich schon im Altertum wenigstens zwei große Origenistenstreite herausheben lassen, gegen Ende des vierten und in der Mitte des sechsten Jahrhunderts. Bald nach der Mitte des vierten Jahrhunderts stellte Basilius, später Bischof von Cäsarea in Kappadozien. mit Hilfe seines Freundes Gregor von Nazianz, der ihn in seiner pontischen Einsiedelei aufsuchte. eine Blütenlese aus den Werken des Origenes zusammen, die als Philokalie erhalten ist und uns z. B. den größten Teil des 4. Buches der Grundlagenschrifl griechisch bietet. Dem Abend land wurde die Exegese des Origenes bald darauf durch Hilarius. Bischof von 1 1 Nautio
(vgL Anm. I ) 289 f.
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Poitiers. erschlossen, der 355 wegen seines nizänischen Glaubens vom ariani sierenden Kaiser Konstantius in den Osten verbannt worden war, wo er sich mit dem Reichtum der griechischen Theologie vertraut machte; der nach seiner Rückkehr in den Westen im Jahre 360 verfaßte Psalmenkommentar ist so stark von Origenes beeinflußt, daß Hieronymus. sicher übertreibend, ihn einfach als Übersetzung bezeichnet'Z, Ähnliches gilt von den Psalmenpredigten, ja den meisten exegetischen Werken des großen Mailänder B ischofs Ambrosius; Au gustinus schreibt über ihn in seinen Confessiones (6, 4,6): "Oft habe ich mit Freuden gehört, wie Ambrosius in seinen Vorträgen an das Volk sagte: ,Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig' (2 Kor 3,6), und wie er dann da, wo der Buchstabe Verkehrtes zu lehren schien, den mystischen Schleier wegzog und das geistige Verständnis aufschloß". Die Ausdrucksweise läßt erkennen, wie sehr Augustinus selbst von Origenes beeinflußt ist, wurde er doch erst durch die allegorischen, d. h. im Sinne des Origenes gehaltenen Predigten des Ambrosius zum Alten Testament für das katholische Christentum gewonnen, dem er bis dahin, von den "gebildeten" Manichäern beeinflußt, blinden Buchstabenglauben vorgeworfen hatte. Zwar hat Augustinus später in der Auseinandersetzung mit den Pelagianern über die Gnade geradezu eine Wende vollzogen und das dem Ambrosius so teure Pauluszitat neu verstanden, nämlich als tötend den verbie· tenden Gesetzesbuchstaben, als lebendigmachend aber die Gnadengabe des Geistes (De spiritu et littera 6), was wohl der Meinung des Paulus besser entspricht. aber er läßt doch weiterhin gelten, "daß wir einen bildlich gebrauch· ten Ausdruck, dessen wörtliche Bedeutung widersinnig ist, nicht buchstäblich auffassen. sondern eine andere Bedeutung betrachten"!). Diese Auffassung hat er ebenso wie Hieronymus, wie Ambrosius und vor allem Gregor der Große, dessen Moralia in Job von Allegorese geradezu strotzen, ans Mittelalter weiter· gegeben. das fast ganz von der geistlichen Auslegung, d. h. letztlich von der Exegese des Origenes beherrscht war. Den größten Teil der Übersetzungsarbeit, durch die das Abendland mit Origenes vertraut wurde, leisteten um die Wende zum vierten Jahrhundert die beiden Jugendfreunde, die dann über dem Origenes zu erbitterten Feinden wurden, Rufinus und Hieronymus. In den theoretisch·methodischen Auseinan· dersetzungen ging es um dieselbe Frage. die im 16. Jahrhundert zwischen Jesuiten und Benediktinern über die Werke Augustins erörtert wurde, ob man ihn nämlich möglichst historisch getreu abdrucken oder der dazwischen liegen· den Dogmenentwicklung anpassen sollte. Rufin ging es um die Brauchbarkeit für die Kirche seiner Tage. Hieronymus forderte exakte Wiedergabe auch der Irrtümer und dogmatisch anstößigen Aussagen. In seiner exegetischen Praxis aber verfuhr Hieronymus ebenso wie Rufin; er hat für seine Bibelkommentare
Alle einschlägigen Äußerungen des Hieronymus bei Q. Bardeohewer. Geschichte der ahkirch lichen Literatur, Freiburg, Ud. 11, 11923, 374, Anm. 6 (Nachdruck 1962). n übersetzung nach S. Kopp, in: Augustinus. Schriften gegen die Pelagianer, Bd. I, Würzburg 1971. 309 . n
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die des Origenes nicht nur hemmungslos ausgewertet, sondern dessen PsaJmen predigten bei der Übersetzung kaum überarbeitet und doch als sein Werk hinausgehen lassen". .,So geht fast alles, was in acht Jahrhunderten in der Kirche des Ostens und des Westens zur Erklärung der Psalmen vorgetragen wurde, auf Origenes zurück" (Paul de Lagarde). Seine anderen exegetischen Werke waren nicht ebenso geschätzt und nicht ebenso einflußreich. was sich allein schon daran erkennen läßt. daß viele nur bruchstückhaft oder gar nicht auf uns gekommen sind; wie unentbehrlich sie aber andererseits waren, läßt sich aus der lateinischen Übersetzung des Matthäus-Kommentars erkennen, die wohl am ehesten in den Umkreis Cassiodors gehört, der sich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts darum bemllhte. einen Kommentar zur ganzen Heiligen Schrift zusammenzubringenu. Mag Origenes auch mehrfach verurteilt, ja von der griechischen Kirche gar als Erzketzer angesehen worden sein - vieles wurde mißverstanden, manches ihm nur unterstellt -, aus der Geschichte der christli chen Frömmigkeit kann man ihn nicht wegdenken. Wer sich mit ihm befaßt, folgt also nicht nur historischer Neugier für längst vergangene Zeiten. sondern geht zurück zu Wurzeln, die immer noch in der Christenheit lebendig sind. Noch erstaunlicher aber ist eine Wirkung des Origenes, die eigentlich nicht Nachwirkung genannt werden dürfte. weil sie bei einem seiner Zeitgenossen zu spOren ist. aber doch unter diese Überschrift gehört. weil sie sogar in das Traditionsgut einer anderen Religion. nämlich des Judentums, eingegangen ist. Davon, wie Origenes von rabbinischer Exegese beeinfiußt wurde - was längst bekannt ist -, ist in dieser Einleitung noch zu reden; wie er selbst im Wechsel spiel auf den Rabbi Yohanan von Tiberias eingewirkt hat. der in den vierziger Jahren des dritten Jahrhunderts mehrfach seinen Lehrer Hoshaya Rabba in Cäsarea besuchte, hat unlängst Reuven Kimelmanl' gezeigt. R. Yohanan führte .,den exegetischen Kampf gegen die Christologisierung des Hohenliedes" durch Origenes. indem er ihm streckenweise folgte. War (Ur Origenes das, was der Bräutigam Christus der Braut bringt, höher als alles. was sie zuvor von Gesetz und Propheten empfangen hatte. so erhöht R. Yohanan die Lehren der Schrift gelehrten über die geschriebene Torah hinaus, um die Behauptung zu widerle gen, nur der Neue Bund (das Christentum) könne mit dem gemeint sein, was den Alten überbietetl7• Ja sogar zur Betonung des Abraham. der die Sünde Adams wiedergutgemacht habe, sei R. Yohanan durch Origenes herausgefordert wor den. der diese Rolle Christi auch im Hohenlied ausgesprochen fand. Weil auch im COI1lI1l. in Mt. davon die Rede ist, seien noch zwei weitere Differenz- und Konkordanzpunkte origenischer und rabbinischer Exegese genannt: Nicht dem I. Dcm Origcncs zurückgegeben wurden die Homilien durch V. Peri , Omelie Origeniane sui Salmi. Contributo all'identificazionc dcl testo latino :: StT 289 ( 1 980). U Vgl. R. Girod, La traduction latine anonyme du Commcntaire $ur Matthieu, in: Ongeniana :: Quaderni di Vetcra Christiaoorum 12, Bari 1975, 1 25-138, bes. 132. I' R. Kimelman, Rabbi Yohanan and Origen on the Song of the Songs: A thirdcentury Jewish Christiao Disputation, in: HThR 73 ( 1 980) 567-595. I1 Ebd. (vg!. Anm. 16) 580f.
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himmlischen, wie Origenes lehrt (comm. in MI. XIV, 13. 17 u. ö.), sondern dem irdischen Jerusalem gelten die Verheißungen nach der Auffassung des R . Yoha nano denn Israel ist nicht verstoßen (so comm. in MI. XIV, 16.17), sondern nur gezüchtigt I', Wenn der Einfluß des Exegeten Origenes in und außerhalb der Geschichte des Christentums so groß ist, stellt sich die Frage, ob er gewissermaßen unre flektiert und naiv so beeindruckende und überzeugende bzw. herausfordernde Auslegungen gefunden hat, oder ob hinter seiner exegetischen Arbeit eine Theorie der Schriftdeutung, ja vielleicht eine Theorie der Bibel und ihrer Geistinspiration stand. Tatsächlich hat Origenes eine einheitliche Vorstellung von Entstehung und Auslegung der Bibel besessen, die nicht nur gelegentlich in den Kommentaren aufblitzt, sondern im vierten Buch der Grundlagenschrift entfaltet, in manchen Kommentaren ergänzt wird.
Schriftauslegung nach Origenes
I . in Oe principiis Das 4. Buch seiner Grundlagenschrift hat Origenes (mit Ausnahme des 4. Kapitels, das eine Zusammenfassung der ersten drei Bücher darstellt) der Heiligen Schrift gewidmet. 1m 1 . Kapitel wird ausführlich dargetan. daß die ganze Heilige Schrift Werk des Heiligen Geistes ist, der sich hauptsächlich durch die schon erfüllten Prophezeiungen zu erkennen gibt. Wenn aber in und hinter den menschlichen Verfassern der Gottesgeist wirkt, kommt es darauf an, dessen Aussageabsichten zu erfassen. Wer sich nur an den Wortlaut der Schrift hält, kann nicht erfassen. was der Geist eigentlich sagen will; das erkennt man einerseits daran, daß die Juden den Heiland unter Berufung auf den Wortlaut der Schrift abgelehnt haben. andererseits die Häretiker (im wesentlichen die Gno� stiker) ihre gotteslästerliche Unterscheidung zwischen dem Weltschöpfer und dem vollkommenen Gott auf wörtlich aufgefaßte Stellen des Alten Testamentes gründen (lV. 2, I). Origenes betont (wie schon in der Vorrede zum ganzen Werk: Praef 8), daß auch die Einfältigsten unter den rechtgläubigen Christen davon überzeugt sind. daß die Heiligen Schriften geheimnisvolles, göttliChes Heilshan� deIn andeuten, wenn sie auch nicht anzugeben vermögen, welche Heilstat sich jeweils hinter dem einzelnen Bibelwort verbirgt (prille. 4, 2,2). Dieser aJlgemei� ne Konsens fUr die Erforschung der Bibel ist nicht nur wiChtig, sondern geradezu grundlegend, weil er exegetische Bemühungen nicht nur ermöglicht oder für erlaubt erklärt, sondern zwingend vorschreibt. Origenes kann eine Liste von Gegenständen, nach denen geforSCht werden muß. vorlegen, die aber nicht erschöpfend, sondern nur beispielhaft gemeint ist. .Es ist fUr uns notwendig. •
" Ebd. (vgl. Anm. 16) 595.
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Kenntnis zu gewinnen" , und zwar Ober Gott. über die Seelen. über die anderen Vemunftwesen. Ober die Weh und tiber den Ursprung des Bösen (pril1c. 4. 2.7). Die Kenntnis Gottes und seines Einziggeborenen nennt Origenes zwar nicht als erste, bezeichnet sie aber als Grundlage aller Ubrigen Einsichten. Daß die Kenntnis der Seelen an erster Stelle genannt wird. ist soteriologisch und seel sorgerlieh begründet". dürfte aber auch erkennen lassen, daß die Frage: Wer bin ich? in einer von Gnosis geprägten Umwelt auch für Origenes die erste ist, die sich stellt. Die Lehre über Gott gehört gewissermaßen mit zur Antwort auf diese erste Frage. Sie umfaßt die gesamte Soteriologie. nämlich "aus welchen GrUn den der Sohn Gottes bis ins menschliche Fleisch herabgestiegen ist ... , welches seine Wirkkraft ist und wen sie erreicht" (ebd.). Über die genannten Gegenstände und andere von ähnlicher Art wollte der Heilige Geist, der die Diener der Wahrheit erleuchtete. durch die Bibel Kenntnis gewähren (pritlc. 4. 2. 8). Das ist fUr alle Christen unbestritten; es muß aber. wer den Weg zum Sinn der Schrift finden will. ihre innere Struktur bedenken, die aus dem Buch der Sprüche (22.20f LXX) erkennbar wird, wenn es heißt: "Und damit du Worte du schreibe sie dreifach in deinen Willen und deinen Verstand der Wahrheit antworten kannst!" Aus diesem Wort "dreifach" - i m Hebräischen ist von 30 Sprüchen die Rede - folgert Origenes: Dreifach also muß man sich die Gedanken der Heiligen Schrift in die Seele schreiben (princ. 4, 2.4). Auch der Septuaginta-Wortlaut dieses Verses ließe sich wohl im Sinne besonderer Aufmerksamkeit und tiefen Einprägens verstehen; die Deutung. die Origenes dann anschließt, muß ihm also aus anderen Gründen vertraut gewesen sein. Man wird nicht fehlgehen, wenn man hinter der dargelegten Dreiteilung die bei den Gnostikern übliche Einteilung der Menschen in drei Klassen wirksam sieht. Origenes möchte, daß der Einfältigere durch das erbaut wird, was man Fleisch der Schrift nennen könnte, nämlich die auf der Hand liegende Auffassung; wer schon ein wenig fortgeschritten (wörtlich: emporgestiegen) ist, soll gewisser maßen die Seele der Schrift, der Vollkommene aber das "geistliche Gesetz" erfassen; wie nämlich der Mensch, so bestehe auch die Heilige Schrift aus Leib, Seele und Geist. Eine Stütze fUr diese Dreiteilung des Schriftsinnes vermag Origenes offenbar aus der Heiligen Schrift selbst nicht beizubringen, sonst brauchte er sich nicht auf das Hirtcnbuch des Hermas zu berufen, von dem er genau weiß, daß es nicht allgemein anerkannt ist. Darin erhält der Visionär den Auftrag, zwei Bücher (d. h. Kopien derselben Schrift) zu schreiben und eines einer Frau namens Grapte, ein anderes dem Klemens zu übergeben. Die Grapte (der Name bedeutet: Die Geschriebene) soll die Witwen und Waisen unterrich ten; Origenes sieht in ihr den bloßen Buchstaben. der für die bestimmt ist, die • ...
19 Origenes. Vier BUcher yon den Prinzipien. hrsg .. übers .. mit kritischen u. erillul. Anm. versehen von H. GOrgemanns und H. Karpp. Wissenscharttiche Buchgesellschaft. Darmstadt 1976.723. Anm. 29. Zu dieser bewundernswerten Ausgabe und Übersetzung und zum Problem der Grundlagenschrift überhaupt ygl. E. Junod. Entre deu," tditioos du Dt Pr;ncipiis d'Origene. in: BLE 78 ( 1 977) 207-220.
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Gott noch nicht ihren Vater nennen können und des himmlischen Bräutigams noch nicht würdig sind. wenn sie sich auch von dem unrechtmäßigen schon getrennt haben. Klemens soll das Büchlein an die auswärtigen Städte schicken: Origenes findet da die Seelen angedeutet, die sich "außerhalb des Leiblichen und der niedrigen Gedanken" befinden. Hermas selber aber, als Schüler des Geistes. soll durch lebendige Worte den Ältesten der ganzen Gemeinde Gottes Botschaft bringen (princ. 4, 2,4). Diese Deutung des dreifachen Schriftsinnes macht nicht nur einen recht gekünstelten Eindruck, sondern tut auch dem Hermastexi Gewalt an; dort heißt es nämlich ausdrücklich. Hermas solle in der Stadt zusammen mit den vorstehenden Presbytern den Text lesen1O• Es mag allerdings sein, daß Origenes einen abweichenden Hermastext vorliegen hatte. Origenes hält zunächst an der Dreiteilung des Schriftsinnes fest, macht darauf aufmerksam. daß die Bibel an manchen Stellen. wie er zeigen werde, das Leibliche nicht aufweist, also keinen vordergründigen Sinn hat, sondern nur Seele und Geist, die aber verborgen sind. und bringt ein Beispiel für die psychische Erklärung: Paulus gewinnt in I Kor 9, 9 aus Dtn 25,4 (Du sollst dem dreschenden Ochsen das Maul nicht zubinden) einen Hinweis auf den Lebens· unterhalt der Verkünder des Evangeliums. Dann aber gerät die Dreiteilung aus dem Blick. Von da ab scheint Origenes sich nur noch für die geistliche Erklärung zu interessieren; jedenfalls spricht er in § 7 und 8 nur noch von zwei Zwecken, die der Heilige Geist bei der Abfassung der Schriften verfolgte, in § 9 nur noch von zwei Sinnebenen im Text der Schrift und nur noch von zwei Arten von Schriftaussagen. Die erste Absicht (skopos) des Geistes, der nach Gottes Vorsehung durch das anfängliche Wort Gottes (die ganze Trinität ist also an der Abfassung der Heiligen Schrift beteiligt) die Diener der Wahrheit erleuchtet, bezog sich auf die verborgenen Geheimnisse des göttlichen Heilshandelns am Menschen; wer imstande ist, sich belehren zu lassen und forscht und sich in die Tiefen des Sinnes der Texte versenkt (vgl. I Kor 2. 10), soll aJler Dogmen seines Ratschlusses teilhaftig werden (prille. IV. 2,7), Hier braucht natürlich nicht genau festgelegt zu werden, um wessen Ratschluß es geht; Vater. Sohn und Geist sind, wenn an der Abfassung der Schrift. dann erst recht an dem ihr zugrundeJiegenden Heilshandeln, von dem sie berichten soll, beteiligt. Die Dogmen sind wohl nicht nur verbindliche Glaubenslehre, sondern die göttlichen Heilsratschlüsse selbst; ihrer teilhaftig werden, bedeutet wohl nicht nur Information über sie erhalten. sondern das Heil. wenigstens anfanghaft. zu empfangen, Daß Origenes dies im Sinn hat. geht aus dem nächsten Satz hervor. wo er von den Seelen, über welche, wie oben schon angedeutet, Kenntnis nötig ist, sagt. sie könnten nicht anders Vollkommenheit erlangen, als durch "die reiche und weise Wahrheit über Gott", Die Heilige Schrift ist also für Origenes in allererster Linie Selbstmitteilung Gottes; ihr Adressat ist zuerst nicht der simple Hörer der Geschichten, sondern der Lernfä· hige und Lernwillige, kurz der Vervollkommnungsbereite. Zweck der Schrift ist laDer Hin des Hermas. 2. Vision. 4,3 (: 8.3 ed. M. Whiuaker S. 7) GCS 1956.
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es, diese, wenn auch stark erkenntnismäßige, aber eben nicht nur intellektuelle, sondern auch moralische Vervollkommnung zu bewerkstelligen, die freilich höchste Anspannung des Lesers erfordert. Der Geist Gottes verfolgte aber von vornherein durch die Diener der Wahrheit, die Propheten und Apostel, einen zweiten Zweck, der sich allerdings nur von seiten der Adressaten der Offenba rung auferlegte: Der Geist sieht und nimmt offenbar hin, daß es Menschen gibt, welche die Mühe nicht z.u ertragen vermögen. die es kostet, wenn man die göttlichen Geheimnisse aus den Texten heraushören will; deshalb verbarg er sie "in Ausdrücken, die äußerlich eine Erzählung vorstellen. die Kunde enthält Ober die sinnenfiilligen Schöpfungswerke, die Erschaffung des Menschen" usw. oder auch: "über die Taten der Gerechten oder deren gelegentliche Verfehlungen" (prillc. IV. 4,8). Hier könnte man meinen, daß die Inspirationstheologie des Origenes an einem schweren Widerspruch krankt. Wenn es Menschen gibt, die sich nicht der Erforschung des Schriftsinnes widmen können. dann hätte der Geist für sie die verborgenen Geheimnisse doch enthüllen und im Wortlaut der Schrift selbst aussagen sollen. Die Schwierigkeit für die Mehrzahl der Hörer scheint der Geist überhaupt erst dadurch geschaffen zu haben, daß er seine Heilsratschlüsse verbirgt. Aber so würde man Origenes sicher mißverstehen. Aus dem, was er dann über die "unmöglichen" Stellen der Schrift sagt, läßt sich wohl entnehmen. daß die Heilsmysterien gar nicht direkt durch einen geschrie benen Wortlaut ausgesagt werden können. In diese Richtung deuten auch seine Erklärungen zu den beiden Gleichnissen von Sämann und Saat (Mt 1 3 , 3-8 und 1 3 , 24-30); nur für diese beiden Gleichnisse bietet ja das Evangelium auch die Deutung (Mt 13. 18-23 und 36-43). Origenes findet in dem Schlußwort Jesu: "Wer Ohren hat zu hören. der höre!" die Lehre. "daß auch das zur Auslegung des Gleichnisses Gesagte selbst wiederum einer Erklärung bedarf" (comm. in Mt. X. 2, S. 63). Wollte man diese wiederum aufschreiben. so ergäbe sich die gleiche Schwierigkeit und man könnte mit Schreiben nicht aufbören, so daß schließlich "die Welt die Bücher nicht fassen könnte" (Joh 2 1 . 24), die dazu notwendig wären (comm. i" MI. XIV, 12). Nicht das Verh üllen als solches ist also der zweite vom Geist verfolgte Zweck. sondern, daß er als Hülle für die Mysterien Erzählungen verwendet. die in sich nicht nur verstanden werden können, also einen vordergründigen Sinn entfalten, sondern darin auch schon erbauen und zum Guten antreiben, etwas Protreptisches enthalten, wie Origenes gelegentlich i n der Matthäus-Erklärung sagt (z. B . XIV, 25; XV, 22). Daß die ganze Schrift, jedenfalls an den meisten Stellen (von den Ausnahmen spricht Origencs kurz darauf) in ihren Erzählungen, also auf der Ebene des vordergründigen Sinnes, einen logischen Zusammenhang einhält, ist aber nicht nur Geschenk des Geistes an die ..Einfachen" , sondern stellt selbst schon einen Hinweis auf den Gesamtzusammenhang dar, den die Heilsgeheimnisse bilden. Diesen Zusammenhang in den geistlichen Dingen (pri"c. IV, 2.9) könnte man gewiß auch aus der Einheit Gottes ableiten; Origenes nennt ihn aber erst, nachdem von der Folgerichtigkeit des Wortsinnes die Rede war; zuvor hat er von den Geheimnissen und Dogmen in der Mehrzahl gesprochen. Dieser geistliche
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Kosmos oder diese geistliche Geschichte soll verkündet werden, und zwar durch Dinge, die geschehen sind. und solche, die getan werden sollen: YEYEvT1�Evou:; xat JtQax'tEOl�. Diesen Dativ ziehen die Übersetzer, jedenfalls Butterworth und Simonel.li1l, wohl verleitet durch die Rufin-Übersetzung, zu dem vorangehenden Dativ "in den geistlichen" Dingen. so daß Origenes von "ergangenen und zukünftigen Heilstaten Gottes reden wUrde. Das gibt ohne Zweifel einen guten Sinn. trotzdem scheint die Übersetzung von Görgemanns und Karpp den Sinn besser zu treffen. wenn sie ..geschehene und noch auszuführende Handlungen" als Geschichtserzählungen und Gesetze" verdeutlichenu. Der Geist verwendet " also nicht nur Geschichten. sondern auch Gesetze, die in ihrer Mehrzahl sinnvoll und erfüllbar sind. als Hülle und zugleich doch auch als Ausdrucksmittel für die Heilsgeheimnisse. Origenes denkt sich den Logos (oder auch die geradezu personifizierte Schrift) dabei wie einen menschlichen Schriftsteller. der litera· rische Motive sucht. "Wo er geschichtliche Ereignisse fand. die sich auf diese geheimnisvollen Dinge beziehen ließen, benutzte er sie. um den tieferen Sinn vor der Menge zu verbergen" (prillc. I V 2,9). Dann muß man von vornherein damit rechnen. daß der Logos auch auf Ereignisse. ja sogar Erzählungen über diese Ereignisse stößt, die der Darlegung des Zusammenhangs der geistigen Dinge nicht entsprechen; in diesem Fall hat die Schrift in die "zuvor aufgeschrie· bene" Geschichte Dinge hineingewoben. die nicht geschehen sind; manche davon können gar nicht geschehen, andere könnten zwar geschehen. sind aber doch im Text. so wie wir ihn haben. als nicht geschehen zu erkennen (ebd.). Hier wä.re es verlockend. bei Origenes eine "Quellentheorie" zu entdecken! Dcr endgültig inspirierte Text hätte älteres Erzähl· und GeselZgebungsmaterial neu verwendet. Görgemanns und Karpp sind allerdings der Meinung. daß man sich das "vorausgehende" Aufzeichnen und das "Mit·Hineinweben" ohne zeitlichen Abstand als einen einheitlichen Vorgang der Theopneustie zu denken hae'. Aber auch. wenn es sich nicht um zwei zeitlich nacheinander erfolgende Vorgänge handelt. sind zwei sachlich voneinander verschiedene Verfahrensweisen des göttlichen Urhebers der Schrift zu erkennen, denen auch der Exeget gerecht werden muß. Er braucht dabei allerdings nicht damit zu rechnen. auf biblische Bücher zu stoßen, welche überwiegend solche Dinge enthielten, die im Wortsinn unhistarisch wären. Origenes betont vielmehr. daß die historisch "wahren" Partien weitaus zahlreicher sind als die ..hinzugewobenen bloß geistlichen" Stellen (princ. IV, 3.4). Dies ist offenbar nicht nur tatsächlich so. sondern erklärt sich einerseits vom Urheber. andererseits vom Zweck der Bibel her. Wäre mehr biblischer Text ohne historischen Sinn. dann könnte man an der göttlichen ,
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Origeo. On First Principles. Translated into English. togethcr with an Introduction and Notcs by G.w. ßutterworth. Londoo 1 936. New York Z!966. 286: ..Ihose that have already happened aod Ihose that are yet to come 10 pass". I Prioeipi di Origene. A cura di M. Simonetti. Torino " 1968, 5 1 1 : ..... Ia corrispoDdeDza ... rra eib ehe � accaduto e eib che si deve rare. u S o 727. Anm. 35 (vgl. Anm. 19). lJ S. 729. Aom. )7 (vg!. Anm. 19). Theopneustie oder Inspiralion: Die Bibel ist Werk des von Gott deo Verrassern eingehauchten Geistes.
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Vorsehung, die hinter der Schrift steht, zweifeln. Der Geist hätte dann nicht gefunden, was er in der auch von ihm gelenkten Geschichte des Volkes Israel suchte, um damit seine Heilspläne und die göttlich-geistliche Wirklichkeit Uberhaupt auszudrUcken. Andererseits wäre eine historisch überwiegend "un wahre" oder sinnlose Bibel fUr die Mehrheit der Gläubigen nutzlos; sie erfassen ja (zunächst jedenfaJls. solange sie nicht Belehrung erhahen) nur das ..Leibliche der Schriften"; für sie ist "die Hülle der geistlichen Dinge" nUtzlieh. weil sie dadurch in dem Maß, wie sie sie erfassen. gebessert werden (ebd. IV, 2,8). An den allermeisten Stellen hat die Schrift also einen vordergründigen, auch schon nUtzlichen Sinn. Nur gelegentlich. wo es um besonders geheimnisvolle Inhalte geht. sind einige wenige AusdrUcke, manchmal aber auch mehr .,zusätzlich in den Text eingeschaltet" (ebd. IV. 2.9). Einige Zeilen zuvor hat Origenes, gewissermaßen grundsätzlich, erklärt. daß zur Verkündigung Dinge. die geschehen sind, und solche, die getan werden sollen. verwendet werden. Deshalb spricht er nun, nachdem erst von der Ge schichte die Rede war, von der Gesetzgebung; sie muß man entsprechend auffassen. Es läßt sich im Gesetz des Alten Testamentes vieles finden. was ..unmittelbar nützlich ist und in die Zeiten der Gesetzgebung paßt, manchmal aber ist ein nützlichcs Gebot nicht zu erkennen. An anderen Stellen wird gar Unmögliches gesetzlich vorgeschrieben" (ebd.). Der Zweck, den der inspirie rende Geist damit verfolgt, ist derselbe wie dort, wo er in die Geschichtserzäh lungen .,Ärgernissc". ..Anstöße" und ..Unmögliches" hineingesctzt hat. Es soll zunächst einer Gcfahr vorgebeugt werden, deren Beschreibung den literarisch Gebildeten verrät. Origenes befürchtet (offenbar aufgrund des Literaturbetrie bes seiner Zeit) und er unterstellt auch dem göttlichen Logos diese Beflirchtung. wir könnten uns, wenn der Bibeltext keinerlei störende Beimischung enthielte, zum rein literarischen Genuß verleiten lassen und so entweder gar nichts erfahren, was Gottes wUrdig ist, und schließlich ganz von den Glaubenslehren abfallen oder aber uns selbst um jede tiefere Gotteserkenntnis bringen, wenn wir nur beim (gefalligen) Wortlaut bleiben (ebd.). Wie die Schrift jetzt tatsächlich abgefaßt ist, macht sie jedem deutlich, daß sie nicht nur oberflächlich gelesen werden will. Freilich werden nur die GeUbteren und Forschungswilligeren sich der sorgfältigen Untersuchung des Textes widmen und dabci die glaubwUrdige Überzeugung gewinnen, daß man gerade an den dunklen Stellen einen Sinn suchen muß, der Gottes würdig ist. Die Geübteren sind also in besonderer Weise die Adressaten der in den dunklen Stellen enthaltenen Mahnung. Die hat der Geist Gottes also nicht nur verfassen lassen. weil nicht genügend symbolflihige Geschichten zur VerfUgung standen (siehe oben); die dunklen Stellen haben nicht nur Ersatzfunktion. sondern sind gewissermaßen in sich selbst beabs ichtigt als Anreiz und Stachel. Aus der völligen Entsprechung. die Origenes hier zwischen Geschichte und Gesetz erblickt, wird man schließen müssen, daß nicht nur die GeschichtsbUcher Dinge erzählen, die nicht geschehen sind, sondern auch der Text der alttcstamentlichen Gesetzgebung Forderungen enthält, die in der Geschichte des Volkes nie geboten waren . Von daher ergibt sich gcwisser-
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maßen nebenbei eine neue Möglichkeit. das Problem der Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes, hzw. seiner teilweisen Aufhebung für die Christen zu lösen. Dies ist aber wohl nicht der erste Zweck der von Origenes entwickelten Inspirationslehre. Ihr Zweck ist vielmehr, mit den Schwierigkeiten des Bibel· textes fertig zu werden. unter denen schon die Vorgänger des Origenes, und zwar nicht nur die christlichen Exegeten, sondern auch schon der große jüdische Ausleger des Alten Testamentes. Philo von Alexandrien. gelitten hatten. Ja. schon vorchristliche Theologen. welche die Bibel der Heiden, nämlich die homerischen Heldengesänge, im Sinne einer philosophischen Gotteslehre aus legen wollten, konnten den zahlreichen unrUhmlichen Göttergeschichten nur dadurch einen gotteswUrdigen (8E01tQE1t,,<,;:) Sinn abgewinnen. daß sie ihren Text allegorisch deuteten. Aus dieser Verlegenheit waren nicht nur verschiedene Methoden. sondern auch Ansätze zu einer Theorie der Allegorese erwachsen. Die alle Obertrifft Origenes bei weitem und trägt seine persönliche Lösung vor, die seinem Inspirationsmodell eingefügt iset• Seine besondere Leistung besteht dabei in der Betonung der aktiven Rolle des inspirierenden Geistes. So werden die dunIden TextsteIlen zu bevorzugten Instrumenten der Offenbarung; daß sie einmal die Verlegenheit der Exegeten gewesen sind, läßt sich in der Theorie des Origenes kaum noch erkennen. Der heutige Leser ist wohl nicht bereit, diesen Weg mit Origenes zu gehen und in den "sinnlosen" Stellen des Bibeltextes (Origenes hatte es dabei haupt sächlich mit der Septuaginta. also der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, zu tun) besonders offenbarungsträchtige Partien zu sehen . Die textkritische Arbeit der vergangenen Jahrzehnte, ja Jahrhunderte. hat sich alle Mühe gegeben. z. T. mit Hilfe von Rückübersetzung. den Sinn dieser Stellen ausfindig zu machen; sie basiert geradezu auf der Überzeugung, daß die Verfas ser aller biblischen Bücher sich Satz für Satz und Wort fUr Wort verständlich ausdrücken, d. h. auch dem Wortlaut einen hinlänglichen Sinn geben wollten. Darin könnte man das genaue Gegenteil von dem finden, was Origenes lehrt. Andererseits hat die modeme Textkritik aufgrund der Einsicht in das, was man Abschreibpsychologie nennen könnte, die Regel aufgestellt. daß im Zweifelsfall die schwierige Lesart (die freilich nicht gänzlich sinnlos sein darf) den Vorzug verdient. weil die Überlieferung dazu neigt, den Text zu glätten. So können gerade die schwierigeren Stellen die besondere Eigenart eines biblischen Ver fassers deutlich machen. wie das etwa fUr Paulus allgemein anerkannt ist. Solcher Hochschätzung der schwierigeren Lesart würde Origenes zweifelsohne zustimmen. In einer anderen Hinsicht aber erweist sich das Bibelverständnis des Origenes noch deutlicher als höchst modern. Es ist inzwischen nicht nur über einstimmendes Urteil der Exegeten. sondern auch vielen Gläubigen ein vertrau ter Gedanke, daß die Verfasser sogenannter historischer biblischer Bücher nicht einfach erzählen, sondern das ihnen vorliegende Erzählmaterial so auswählen, U V gl. J. Dani�lou. Mcssage Evang�liquc CI Culture Hcl1�DiSlique aux 2- ct 3- siedes = Histoire des I)octrincs Chr�lienDes aVlnl Nic�e 11. Tournai 1961. 262.
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so ausgestalten. und so komponieren, wie es ihren theologischen Aussageabsich ten entspricht. und dabei gelegentlich auf den durch Vergleiche rekonstruierba ren historischen Ablauf keine Rücksicht nehmen. Die Hagiographen sind also genau so verfahren, wie Origenes es dem Gouesgeist, bzw. dem göttlichen Logos als ersten Verfahrensgang zuschreibt. Wer aber überzeugt ist, daß die biblischen BUcher nicht nur Werk der menschlichen Verfasser sind, sondern daß in ihnen der inspirierende Gottesgeist am Werk war, wird sich dessen Tätigkeit, die der Tätigkeit des menschlichen Verfassers eingeschrieben ist, auch heute noch kaum anders denken können. als Origenes den ersten Gang beschreibt. Alles bisher Gesagte gilt zunächst für die Zeit vor der Menschwerdung; Origenes legt aber Wert darauf zu betonen. daß im Neuen Testament derselbe Geist desselben Gottes am Werk ist und daß er mit den Evangelien und den Apostel(schriften) genau so verfahren ist. Auch sie enthalten in der Geschichts erzählung "Hinzugewebtes" , welches im leiblichen Sinn nicht geschehen ist. und Gesetzgebung und Gebote, welche von sich aus an manchen Stellen keinen vernünftigen Sinn erkennen lassen (prine. IV, 2,9). Origenes erhärtet seine Behauptungen durch Beispiele aus beiden Testamenten, jeweils sowohl aus den Erzählungen. als auch aus den Vorschriften. Wenn im ersten Buch des AT (Gen 1 , 5-13) von Tagen. von Abend und Morgen gesprochen wird, bevor noch Sonne und Mond geschaffen waren, dann ist klar. daß das Wort ..Tag" nicht im üblichen Sinn genommen werden darf (prille. IV, 3, 1). Wenn Gott am Abend im Park gewandelt ist und Adam sich unter dem Baum versteckt hat (Gen 3. 8), dann kann dies, so ist Origenes ilberzeugt, nicht anders als bildlich verstanden werden; daran könne niemand zweifeln (prine. IV, 3, 1). Von den Evangelien behauptet Origencs. auch sie seien angefüllt mit Reden dieser Art; er fUhrt aber nur ein Beispiel an, nämlich, daß der Teufel Jesus auf einen hohen Berg führte, um ihm von dort ..die Königreiche der ganzen Welt und ihre Herrlichkeit zu zeigen" (Mt 4.8). Es sei doch jedem klar. daß man nicht von einem wirklichen Berg aus etwa die Reiche der Perser und Inder sehen könnte. Zahllose ähnliche Beispiele könnte. so meint Origencs. der Leser selber in den Evangelien finden. Aus der Gesetzgebung des Mose zieht Origenes als unvernünftig das Verbot heran, Geier zu essen (Lev 1 1 . 14); selbst in den größten Hungersnöten habe noch keiner sich an dieses Tier herangemacht. Unmöglich nennt Origenes die Vorschrift von Ex 16.29: "Ihr sollt alle in euren Häusern sitzen; keiner von euch soll am siebten Tag von seinem Platz herausgehen!" Kein Lebewesen könne nämlich einen ganzen Tag an einem Platz sitzen, ohne seine Stellung zu verändern. Ohne Zweifel hat Origenes diese Anweisung überzogen verstanden, um sie dann als unmöglich hinzustellen; denn gemeint ist nur, daß keiner aus seinem On hinausgehen soll (prine. IV, 3.2). Unter den moralischen Forderungen des Evangeliums hält Origenes das Wort vom Schlag auf die rechte Backe (Mt 5,39) rur äußerst unglaubwürdig; jeder schlage doch, wenn er nicht ein Gebrechen habe. mit der rechten Hand auf die linke Wange seines Gegners. Ebenfalls dem Mauhäus-Evangelium. der Bergpredigt nämlich, entnommen und deshalb für diese Einführung genauso interessant ist das Beispiel. in dem Origenes etwas
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Unmögliches findet: man könne doch nicht annehmen, das rechte Auge bereite Anstoß (vgl. Mt 5,29); selbst wenn einer zugeben müsse. er habe gegen die Anweisung von Mt 5.28 eine Frau begehrlich angeschaut, könne er doch nicht die Schuld dafür allein auf das rechte Auge schieben und dies dann ausreißen (princ. IV, 3.3). Hier scheint bemerkenswert, daß Origenes nicht das Ausreißen des Auges für unmöglich und deshalb das Gebot für sinnlos erklärt, sondern die Unmöglichkeit des Wortsinnes darin sieht, daß nur das eine Auge als ärgernis· erregend betrachtet wird. Man wird zugeben, daß dieses letzte Beispiel gut gewählt ist. um zu beweisen. daß man durch den Wortlaut der Schrift zum tieferen Sinn vordringen muß. denn jeder. der diese Anweisung vom rechten Auge hört, versteht sofort, daß Jesus nicht wörtlich das Ausreißen des Auges gebietet. und muß sich deshalb fragen, was Jesus eigentlich will. Genauso, meint Origenes. muß man sich bei allen Erzählungen und bei allen Anweisungen der Heiligen Schrift. seien sie nun möglich oder unmöglich, immer fragen, was ihr eigentlicher Zweck ist, was also der Heilige Geist durch sie sagen wollte. Diese Schlußfolgerung ist freilich nicht überzeugend; sie stellt eine GrenzUberschrei tung dar. die man, wenn sie dem Origenes bewußt gewesen wäre, geradezu als üblen Trick ankreiden mUßte. Die Rede vom ärgernisgebenden Auge ist eine Bildrede. wie sie auch sonst in der Alltagssprache vorkommt; selbst unser technisch-nUchternes Zeitalter, das der poetischen Sprache nicht besonders hold ist, kommt nicht ohne Bilder und Vergleiche aus. ja hat aus der Technik viele neu in die Alltagssprache übernommen, wie etwa ..Dampf ablassen", "noch einen Zahn zulegen", ..die Sicherung durchbrennen lassen" und vieles andere. Wenn es Jesusworte oder andere Stellen des Neuen Testamentes gibt, die dieser Alltagsbildsprache folgen, dann ist das im Bild Gemeinte der zunächst mitge teilte und auch erfaßte Wortsinn. Gewiß muß beim Verständnis eines Bildwortes ein Schritt hinter das Bild getan werden, der nur dem möglich ist, dem das Bild vertraut ist, aber damit wird noch nicht jene Grenze überschritten, die das zunächst Gemeinte vom vielleicht hintergründig Mitgemeinten trennt. Origenes zog die Grenze anders: Wenn überhaupt irgendwann von der ersten Bedeutung eines Wortes abgegangen werden muß. sind alle weiteren Schritte legitimiert. Dieses radikale "Alles oder Nichts" ist natürlich aus der platonischen Weltan schauung von der totalen Abbildlichkeit erwachsen. Wenn es letztlich nur auf den verborgenen Sinn ankommt. könntejemand auf den Gedanken verfallen, es sei völlig gleichgültig, ob ein Gebot wörtlich möglich und eine Erzählung historisch wahr sei, wenn man nur das Geistliche erfasse, das darin liegt. Dieser Meinung tritt Origenes nachdrücklich entgegen: Es gibt Gebote. und sie sind in der Überzahl, die wörtlich zu erfüllen sind; es gibt Erzählungen, und sie stellen die Mehrzahl dar, die historisch wahr sind, die also die Grundlage unseres Glaubens bleiben. Deshalb ist Unterscheidung notwendig. deshalb muß geprüft werden. ob eine Erzählung im Wortsinn zu nehmen ist, ob ein Gebot wörtlich zu erflilJen ist. Die Entscheidung fällt oft auch dem wissenschaftlich Gebildeten schwer, setzt eingehende Prüfung voraus (princ. IV. 3. 5). Deshalb muß der vernünftige Schriftleser auf das Wort des Herrn
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achten: "Erforscht die Schriften !" (Joh 5, 39) und sorgfältig prüfen, wo der Wortlaut wahr und wo er unmöglich ist; dann gilt es, mit aller Kraft aufgrund ähnlicher Worte an anderen Stellen den Uberall in der Schrift ausgestreuten Sinn des wörllich Unmöglichen aufzuspüren. Wenn es Stellen der Schrift gibt, die im Wortsinn unmöglich sind, bedeutet dies, und Origenes sagt es ausdrucklieh, daß es auf der Ebene des Wortlautes keinen geschlossenen Sinnzusammenhang gibt. Andererseits ist, wie Origenes schon vorher dargetan hat, jede dunkle Stelle ein Hinweis auf den tieferen Sinn der Schrift. Deshalb ist der Sinnzusammenhang im Geistlichen nicht nur möglich, sondern wahr; ihn muß man mit aUer Kraft zu erforschen suchen, indem man die Rede über das wörtlich Unmögliche mit dem verbindet, was nicht nur möglich, sondern historisch wahr ist; in zweiter Linie muß dann das historisch Wahre mit dem wörtlich nicht so Geschehenen zusammen allegorisch ausgelegt werden (princ. IV, 3.5). Hier wird nun ganz deutlich, daß Origenes letztlich Unterscheidung nicht verlangt. damit ein wört lich zu erfüllendes Gebot nicht übergangen und eine historisch wahre Erzählung nicht voreilig allegorisiert wird, sondern umgekehrt, damit von den historisch nicht zutreffenden Berichten und von den wörtlich unmöglichen Geboten der Ausgangspunkt für die allegorische Ausdeutung der ganzen Schrift genommen werden kann. Es muß gewissermaßen im Zirkel verfahren werden: Zuerst wird der Sinn der dunklen oder unmöglichen Stellen mit Hilfe ähnlicher Worte aus wörtlich verstehbaren Stellen gedeutet und dann wird mit Hilfe des so erfaßten tieferen Sinnes der dunklen Stellen auch der in den wörtlich sinnvollen Stellen verborgene. tiefere geistliche Sinn durch Al!egorisierung ans Licht gebracht. Origenes gibt sich also nicht damit zufrieden, jeweils die Schriftstelle. auf die er trifft, allegorisch auszulegen, um den darin verborgenen tieferen Sinn zu verstehen; sein Ziel ist viel umfassender sein Anspruch sehr viel ehrgeiziger: Er will den Gesamtsinnzusammenhang der Schrift. freilich nicht auf der Ebene des Wortlautes. sondern nur auf der Ebene des Geistig-Geistlichen erfassen. Man wird ihm nicht vorwerfen dUrfen, dies sei geistliche Vermessenheit; es ist vielmehr Gehorsam, denn wer den Gesamtsinnzusammenhang der Schrift erfas sen will. verlangt nach nichts anderem als nach dem. was der Geist selbst offenbaren wollte, als er die Heiligen Schriften verfassen ließ (princ. IV, 2,9). Das Ziel des Exegeten Origenes entspricht also dem Ziel seiner dogmatischen Bemühungen; im letzten Abschnitt der Vorrede zu seiner Grundlagenschrift erklärt er ja, es käme darauf an, aus allen Einzelaussagen und aus den daraus logisch zu ziehenden Schlußfolgerungen, ein organisches Ganzes, ein Korpus zu erstellen. Auch in seinem lohannes�Kommentar ( 1 3 , 46) bezeichnet er es als Ziel der allmählichen Entfaltung der Theologie, das eine Korpus der Wahrheit darzustellen. Zwar zeichnet sich der lohannes-Kommentar des Origenes. wie nicht nur aus dem Anfang hervorgeht, im Vergleich zu seinen anderen exegeti schen Werken durch besondere Erkenntniszuversicht, durch besondere Lehr freudigkeit aus, so daß in ihm eine solche Aussage nicht wundert, aber auch in den anderen exegetischen Werken wird Origenes seine Grundabsicht, den Ge samtsinnzusammenhang zu erfassen, kaum aufgegeben haben. Wir besitzen
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weder den Anfang noch die Einleitung zum Mauhäus·Kommentar, aber aus vielen Stellen. vor allen Dingen denen, wo Origenes bohrende Fragen stellt, darf man wohl schließen, daß er auch bei der Auslegung des Matthäusevangeliums im Grunde nach dem Gesamtsinn, nach dem Zusammenhang aller geistlichen Realitäten forscht. Aus dem Pauluswort vom Israel dem Fleische nach ( l Kor l O , 18) schließt Origenes. daß es wie ein Israel dem Fleische. so auch ein Israel dem Geiste nach geben muß (princ. IV, 3,6). Dieses Israel scheint ihm gemeint zu sein, wenn der Herr selbst sagt: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" (Mt 15.24). So sagt er es in seiner Grundlagenschrift (IV, 3,8) und geoau SO sagt er es, wenigstens 20 Jahre später, in seinem Matthäus-Kommentar (XI. 17). Die vom Herrn eigentlich angezielten Israeliten sind die, die zur Erkenntnis fähig sind. Weil aber die Klugen dieser Welt sich dem Herrn verschlossen haben, deshalb hat er das Törichte erwähll, um die Weisen zu beschämen. Dann folgt Origenes im Matthäus-Kommentar dem auszulegenden Text, verzichtet also auf weiterführende Gedankengänge. Ln der Grundlagenschrift dagegen fügt er neu testamentliche Aussagen Ober Jerusalem, und zwar das himmlische Jerusalem an, Ober den Raum von Judäa und seine Städte, die er im Gleichnis von den zehn Minen (Lk 19, 1 7 ff) angedeutet findet. Da man alle diese Aussagen nicht fleischlich auffassen dürfe, müsse man mit Notwendigkeit zu der Schlußfolge rung kommen (Origenes blickt ja immer auf den Sinnzusammenhang im Geist lichen). daß es auch geistige Ägypter und BabyIonier gibt. Diese zunächst rein durch Schlußfolgerung gewonnene Einsicht wird dann durch Bibelzitate unter mauert; was Ezechiel über den Pharao (Ez 29-32) und was Jesaia Ober den König von Babyion sagt (Jes 14, 12), könne nicht von sterblichen Menschen gesagt sein. Gibt es aber Ägypter, Babyionier usw. im geistigen Sinne, dann auch die ihnen gehörenden Landschaften und Räume. Dann mag Ägypten einen Ort der Gefangenschaft bedeuten, in den diejenigen geraten, die ihre bessere, höhere Stätte aus eigener Schuld verloren haben (princ. IV. 3,9). Wenn Sterben auf Erden bedeutet, in den Hades hinabzusteigen, dann mag vielleicht das Herab steigen der Seele in diese irdische Behausung einem Sterben in der höheren Welt entsprechen (ebd. § 10). Hier erreicht Origenes unter Berufung auf den geistigen Sinnzusammenhang der ganzen Schrift einen Hinweis auf die Lehre von der Präexistenz der Seelen. die cr auch im Matthäus-Kommentar festgehalten hat. Aus der biblischen Geographie, wie sie der Wortlaut der Hl. Schrift enthält. entwickelt Origenes gewissermaßen eine Jenseitsgeographie; so ist es möglich, ..daß auch die Weissagungen, die über die einzelnen Völker ergehen, vielmehr auf die Seelen und ihre verschiedenen himmlischen Stätten zu beziehen sind" (pdnc. IV, 3. 10). Der gesamte Komplex von Fragen, den Origenes in seiner Grundlagenschrift entfaltet, ohne doch schon definitive Antworten zu geben. braucht hier nicht vorgeführt zu werden. Die Fragen sind n.icht verkappte Behauptungen, sie sollen bei der Untersuchung der Schrift Orientierungshilfe leisten. Daß Origenes sie auch in seinem Matthäus-Kommentar noch nicht vergessen und noch nicht auf
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den Versuch der Beantwortung verzichtet hat, läßt sich z. B. aus den recht bruchstückhaft erscheinenden Fragen bezüglich der Ägypter und der Bewohner von Syene erkennen. Bei der Erklärung des Wortes: "Was wird ein Mensch als Tausch für sein Leben geben'!" (Mt 16,26 b) führt Origenes den Vers Jesaia 43, 3 an, in dem auch vom Tauschpreis die Rede ist: "Ich habe als Tauschpreis für dich Äthiopien gegeben und Ägypten und Syene für dich". Origenes beschließt den Gedankengang mit der von ihm selbst schon als fast zu kühn bezeichneten Frage, ob vielleicht Syene für Jerusalem, Ägypten für Judäa, Äthiopien aber für die Gottesfürchtigen von Gott als Tausch gegeben wird (comm in MI. Xß. 28). Während sich aber bei der Erwähnung des Jesaiaverses die Frage nach Syene und Äthiopien aufdrängen konnte, ist die zweite Stelle im Matthäus-Kommen tar, wo wir diese Stadt erwähnt finden, von anderer Art: Weil der böse Knecht von Mt 18, 23-35 nach dem Urteilsspruch des Herrn samt seiner Frau und seinen Kindern verkauft werden soll, fragt Origenes sich (com",. in Mt. XIV, 13), was im geistigen Bereich mit Vater und Mutter gemeint ist. Wie das himmlische Jerusalem die Mutter des Paulus und der Gläubigen überhaupt ist, so könnte auch Syene oder Memphis als die Mutter von geistigen Wesen verstanden werden. So mag es dann auch Väter geben, die wie Herrscher über Syene oder Memphis oder Tyrus usw. gestellt sind und die ihrerseits Schuldner haben. Origenes verfolgt den Gedanken nicht weiter, aber aus dem Text geht wohl hinlänglich hervor. daß er auch im Matthäus-Kommentar, in dem er der Tragfa higkeit seiner Schlußfolgerungen nicht mehr ebensoviel zuzutrauen scheint wie in der Grundlagenschrift, doch seine Orientierungsfragen beibehalten hat, und daß sein Interesse immer noch auf den Gesamts innzusammenhang im Geistig Geistlichen gerichtet ist. So bleibt seine Theorie der Schrift und Schrifterkennt nis auch für das Verständnis seiner späten exegetischen Werke nicht nur hilf reich. sondern geradezu notwendig. Es wäre aber falsch, wenn man sich den Origenes der Grundlagenschrift als einen zu schnellen Schlußfolgerungen bereiten, allzu erkenntnissicheren Denker vorstellen wollte. Auch der junge Origenes, dessen Trachten auf den Gesamt sinnzusammenhang im Geistig-Geistlichen ging, war sich bewußt, daß die Schrift einen Reichtum birgt, den auch der schärfste Denker und fleißigste Ausleger nicht völlig ans Licht heben kann. Trotz allen Forschens, wird "ein geschaffener Geist auf keine Weise umfassend begreifen. sondern soweit er ein wenig von dem Gesuchten gefunden hat, sieht er wieder anderes. was noch zu suchen ist; und wenn er zu diesem gelangt ist, wird er abermals viel mehr von dem vor sich sehen, was noch gesucht werden muß" (princ. IV, 3, 14). 1m MatLhäus-Kommentar spricht Origenes ausdrücklich von der Vorläufigkeit und Begrenztheit der von ihm jeweils vorgetragenen Auslegung (XI, 2; XV. 37; XVIJ, 7). Auch in dieser Hinsicht ist Origenes sich also treu geblieben. Trotzdem wird man fest halten müssen. daß er nicht nur im Laufe seines Lebens mit seinen Schlußfolgerungen vorsiChtiger geworden ist, sondern daß auch die exegetische Arbeit ihn immer wieder die Grenzen der menschlichen Fähigkeit hat spüren lassen. Allerdings kommt bei den Bibelkommentaren zu der Frage, wieviel der
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Verstand vom Sinn der Schrift erfassen kann, nicht nur die Frage hinzu, die schon in der Grundlagenschrift (IV, 3. 15) angeklungen ist. ob sich nämlich das Erkannte auch sagen läßt; darüber hinaus stellt sich die weitere Frage, ob das, was erkannt wurde, schriftlich niedergelegt werden kann und darf. Es muß allerdings gesagt werden, daß der lobannes·Kommentar in dieser Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt. Dort erscheint Origenes fast noch zuversichtlicher. fast noch erkenntnissicherer als in der Grundlagenschrife'. Das wird man nicht nur damit erklären dürfen, daß er sich wenigstens in den ersten Büchern des lohannes-Kommentars in einer Auseinandersetzung mit einem gnostischen, also irrgläubigen lohannes-Kommentar befindet, durch die Kontroverse also beflü gelt und zu klaren Aussagen herausgefordert wurde. Der 10hannes-Kommentar erscheint fast wie ein Zwischenspiel; denn die Fragen und Bedenken, die sich der greise Origenes im Matthäus-Kommentar stellt, finden sieb fast schon in der gleichen Weise in der uns zum Teil erhaltenen Einleitung zu seinem in Alexan drien geschriebenen Psalmenkommentar, den er selbst als den Beginn seiner Anstrengungen, geradezu seines Kampfes in der Arena darstellt. Auch schon diesen Psalmenkommentar hat er nur auf Bitten seines Freundes Ambrosius in Angriff genommen. Ambrosius war von Origenes von der gnostischen [rrlehre zum großkirchlich-orthodoxen Christentum bekehrt worden, wie Euseb in seiner Kirchengeschichte (VI, 18, 1) Oberliefert. Er verlangte nicht nur geistig-geistli che Belehrung auf demselben philosophischen Niveau, auf dem die gnostischen Valentinianer die Intellektuellen anzusprechen pflegten, sondern stellte dem Origenes ein ganzes Skriptorium, mehr als sieben Stenographen, ebensoviel Reinschreiber und nicht weniger Schönschreiberinnen zur VerfUgung (ebd. VI, 23, 1 .2). Den lohannes-Kommentar schrieb Origenes fUr Ambrosius. weil der eine Widerlegung jener Auslegung des Gotteswortes wUnschte, der er selber einmal angehangen hatte. Die Gnostiker pflegten sich nämlich vor allem auf das vierte Evangelium zu stützen, weil es ihren Erkenntnisbem Uhungen am weitesten entgegenzukommen schienl/i. So war die Jobannesauslegung des Origenes anti gnostisch motiviert. aber er sah damit die lrrlehre noch nicht als überwunden an; den Kampf gegen sie führt er vielmehr bis in seine letzten Werke, auch im Matthäus-Kommentar. Ja, man kann vielleicht sogar die beson dere Vorliebe des Origenes für Matthäus - er zitiert ihn in seinen Ubrigen
lJDer Anfang des Johannes·Kommentars ist erhalten; er klingt geradezu apodiktisch: " Wie einstens das Volk, das ,Gottes Volk' benannt wurde, in zwölf Stämme eingeteilt war, und I1ber den übrigcn Sämmcn t der levitischc Rang stand, der in mehreren priesterlichen und levitischcn Abteilungcn den Gottesdienst versah. so glaube ich auch, daß das ganze Volk Christi ... ,nach dem verborgenen Menschen des Hertens' myslischerweise besitzt"
(1 Pelf 3,4) die Eigentilmlichkeiten der Stämme
(I, 1 . 1) .. . "Die hingegen dem göttlichen Worte obliegen und im
alleinigen Dienst Gottes stehen und zwar echt, im Unterschied zu dt:nen, die bloß die VerriChtungen dabei tun. die können angebrachterweise .Leviten und Priester' genannt wer den" (I,
2, 10). Übersetzung nach R. Gögler, Origenes. Du Evangelium nach Johanoes, Zlirich, Köln 1959, 94 und 96. l/i Vgi. R. Gögler (siehe Anm. 25). EinfUhrung 1 9 ft'.
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Schriften doppelt so häufig wie Johannes oder Lukas11 - aus der durchgehal· tenen antignostischen Front des Gesamtwerkes erklären. Selbst die Widerle· gung der sogenannten "Wahren Lehre" des heidnischen Philosophen Kelsos, in der die Gnosis kaum ins Auge gefaßt wird. dient doch demselben Zweck wie der Johannes-Kommentar. Auch das Werk gegen Kelsos ist auf Drängen des Ambrosius verfaßt; Origenes erweist darin nicht nur sich selbst als der beidni sehen und jüdischen Geisteselite ebenbUrtig. sondern beweist auch. daß das Christentum "durchdrungen ist von Einsicht", daß es auch durch Tiefe und Reichtum seiner Gedanken den anderen Religionen nicht nur gleichwertig, sondern weit Uberlegen ist. So schuf Origenes - und das verdanken wir zum guten Teil der Hartnäckigkeit des Ambrosius - in Contra CeJsum eine Selbst· darstellung des Christentums. der in der Auseinandersetzung mit der heidni· sehen Antike nur die "Gouesstadt" des Augustinus an die Seite gestellt werden kann". Das Suchen nach dem geistlichen Gesamtsinn dürfte also auch kontra· verstheologisch und missionarisch begründet sein. Man wird weiterhin anneh men dürfen, daß ebenso wie der Johannes-Kommentar die Mauhäuserklärung dem Ambrosius gewidmet ist. daß zunächst er angesprochen ist, wenn Origenes seinen Leser direkt anredet (allein in Buch X rund zehnmal). Deshalb lasse ich in der Übersetzung alle diese Stellen in der zweiten Person. zumal es daneben oft genug in allgemeiner Weise heißt: "man muß untersuchen" oder so ähnlich.
2. im alexandrinischen Psalmenkommentar Weil, wie schon erwähnt, die Einstellung des Exegeten Origenes in seiner Vorrede zur ausführlichen Erklärung des ersten Psalmes am deutlichsten ausge· sprachen ist, sei diese hier wenigstens in ihren wichtigsten Aussagen wiederge geben. Sie beginnt so: "Verschlossen und versiegelt sind, wie die göttlichen Worte sagen. die göttlichen Schriften durch den SchlUssel Davids (Offb 3,7), vielleicht aber auch durch das Siegel, von dem es heißt: ,Abdruck des Siegels. geheiligt für den Herrn ' (Ex 28, 36), d.h. durch die Macht Gottes, der sie gegeben hat; denn sie (die Macht) wird durch das Siegel ausgedrückt". Daran schließt Origenes eine Reihe von Zitaten aus der Apokalypse (3, 7 . 8 und 5, 1-5) und Jesaia (29. 1 1 . 1 2) an; dann erklärt er: "Man darf nicht meinen, das beziehe sich nur auf die Apokalypse und auf Jesaia, sondern auf die ganze göttliche Schrift, welche - das ist auch bei denen zugestanden, die (nur) in bescheidenem Maß auf die göttliChen Worte zu hören vermögen - angefüllt ist mit Rätseln, Gleichnissen. dunklen Reden (Sprüche 1,6) und anderen vielfältigen Arten von Unklarheit. die für die menschliche Natur schwer erfaßbar sind. Das will auch der Heiland lehren, wenn er, um zu zeigen, daß der Schlüssel bei den Schriftge-
I1Ygl. R. Girod. lntroduclion, in: Origtnc. Commenlaire sur l"Evangiie selon Mauhieu. Torne I: SC 162 ( 1 970) 10ff. uYgl. M . Horret. La reponse d·Origene. in: Origtne. Contn:: Celse. Torne Y: SC 227 ( 1 976) 207.
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lehrten und Pharisäern ist, sie sich aber keine Mühe machen, um die Methode (wörtlich: Weg) zum Öffnen zu finden, sagt: ,Wehe euch ihr Gesetzeslehrer! Ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis genommen; ihr selbst seid nicht eingetreten und laßt die nicht hineingehen, die eintreten (wollen)!' (Lk 1 1 ,52)", Dann sagt Origenes: "Das haben wir als Vorrede zu einer übergroßen Anstren+ gung gesagt. die - das sei zugegeben - über unser Maß hinausgeht; aber wir sehen uns dazu gezwungen von deinem großen Lerneifer und zugleich beschämt von deiner Freundlichkeit und Bescheidenheit, heiliger Ambrosius. Weil ich die Gefahr kenne, die darin liegt, über die heiligen Dinge nicht nur zu sprechen, sondern auch zu schreiben und der Nachwelt zu hinterlassen, habe ich mich lange gesträubt; ... Du bist mein Zeuge vor Gott, wenn er mit meinem ganzen Leben auch meine Schriften untersucht, in welcher Absicht dies geschehen ist. ... Da ohne Gott nichts gut sein kann, vor allem nicht das Verständnis der von Gott eingegebenen Schriften, bitten wir, Gebete an den Vater, den GOlt des Alls, durch unsem Heiland und Hohenpriester, den gezeugten Gott, zu senden, damit es uns gegeben werde, zuerst richtig zu suchen. Den Suchenden nämlich ist die Verheißung des Findens hinterlegt; vielleicht werden aber vor Gott überhaupt nicht zu den Suchenden die gerechnet, die nicht mit Methode (wörtlich: Weg) an die Sache herangehen" (PG 12, 1076C - 1080B). Man wird Nautinl9 zustimmen, der in diesen Worten die Vorrede zur exegeti schen Arbeit des Origenes überhaupt sieht. Wenn er zuvor schon Bibelkommen tare veröffentlicht hätte, würde er sich wohl kaum so ausdrUcken. Es handelt sich offenbar auch nicht nur um die besondere Schwierigkeit der Psalmen; die ganze Schrift ist ein verschlossenes und versiegeltes Buch. So wird man das Zögern des Origenes nicht nur als Öffentlichkeitsscheu deuten dürfen, oder als Sorge vor dem Urteil der Nachwelt; die exegetische Arbeit selbst ist es, die ihm als besonders schwierig und gefahrvoll erscheint. Daß Origenes nicht vor schriftstellerischer Arbeit überhaupt zurückschreckt, erkennt man an den Ein leitungen seiner thematischen Werke. Seine Grundlagenschrift eröffnet er gera dezu erkenntnissicher: "Alle, die glauben ... empfangen die Kenntnis, welche die Menschen dazu auffordert. gut und selig zu leben, ausschließlich von Christi Wort und seiner Lehre". Man kann also erfassen, was zum rechten Leben antreibt; mehr noch, die Apostel haben vieles nur angedeutet, damit in den späteren Generationen die Begabteren und Eifrigeren Gelegenheit zur Übung ihrer Fähigkeiten hätten. Mit Hilfe der Gaben des Geistes hält Origenes es sogar für möglich, die Gründe für Aussagen der Apostel zu finden, welche sie selber nicht begründet haben, ja sogar Art und Wesen der Dinge zu erfassen, die von den Aposteln nur erwähnt, nicht beschrieben wurden (princ. prae[ 3). Der erste Satz der Schrift über das Gebet, die wohl nur wenige Jahre später verfaßt ist, erklärt ausdrLlcklich das, was der Menschennatur zunächst unmöglich ist, für möglich durch die Gnade Gottes ! Daß sich darin nicht etwa jugendlicher Eifer
UNautin (vgl. Anm. 1 ) 264.
Der Kommentar
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des Origenes ausspricht. beweist die Einleitung zu der großen Widerlegung des Ke)sos. die eines der letzten Werke des Origenes ist. Wie bei der Gebetsschrift und wie bei der Erklärung des ersten Psalmes beginnt Origenes mit grundsätz lichen Feststellungen - hier, daß Jesus sich nicht verteidigte, sondern schwieg und sein Leben als beste Verteidigung ansah; erst danach (hier Contra Celsum prae[ 3) redet er den Ambrosius an. auf dessen Bitten hin er die Arbeit beginnt. Er wolle, so sagt er, nicht einmal den Anschein aufkommen lassen, als zögere er, die ihm gestellte Aufgabe in Angriff zu nehmen. Kann man sich einen größeren Gegensatz denken als zwischen dem langen Widerstand gegen die Bitten des Ambrosius, den Origenes am Anfang seiner alexandrinischen Psal menerklärung, ja seiner exegetischen Werke überhaupt bekennt, und dem bereit willigen Eintritt in den Kampf gegen den Christenfeind Kelsos? Noch der alte Origenes übernimmt schnell und seiner eigenen Fähigkeiten gewiß eine dogma tisch-kontrovers theologische Arbeit; andererseits zeigt auch der greise Origenes bei seinen exegetischen Arbeiten dieselbe Zurückhaltung wie am Anfang seiner Bibelauslegung. Zwar ist die Vorrede zum Matthäus�Kommentar genau so wenig auf uns gekommen wie die ersten neun Bücher überhaupt, aber an vielen Stellen der erhaltenen Tomoi spricht sich das Zögern, das Bedenken aus, ob man überhaupt zu manchen Versen des Evangeliums etwas Gültiges sagen, vor allem aber schreiben könne; genau wie in der Vorrede des Kommentars zum ersten Psalm. Die Verantwortung, die Origenes als Exeget spürt, ist offenbar viel schwerer als die des Kontroverstheo!ogen oder Dogmatikers. Der spricht. wenn er sich auch auf Bibelstellen beruft, im Namen seiner eigenen Einsicht. Der Bibelerklärer dagegen hat die Aufgabe und muß den Anspruch erheben, das aus dem Text herauszuhören. was der Geist Gottes selber durch das Wort darin sagen will (prille. IV, 2.7).
3. im lohannes-Kommentar Was sich so aus dem Vergleich exegetischer und thematischer Werke des Orige nes zu ergeben scheint, muß gewiß im Blick auf den Johannes-Kommentar, dessen Sonderstellung schon erwähnt wurde, etwas relativiert, keineswegs aber revidiert werden; das ergibt sich bei näherem Zusehen. Freilich läßt der am Beginn des 32. Buches (Jo. 32. 1.2) von Origenes ausgesprochene Wunsch. Christus möge ihm als leuchtende Feuersäule vorangehen und Hah gebieten, wenn bei der Auslegung zu verweilen ist, nicht allzu viel über seine innere Einstellung erkennen; man könnte ihn auch verstehen als Ausfluß der im nächsten Abschnitt ausgedrückten Sorge, ob er den Kommentar Oberhaupt noch in seinem Leben zu Ende bringen kann. Aber zu Beginn des 28. Buches (Jo. 28. 1.6) findet sich das Gebet zu Gau, er möge die Entdeckung der Wahrheit gewähren; nicht nur erklärt das Ende von Buch 20 (Jo. 20. 44,422) das Vertrauen auf die Hilfe durch die Offenbarung Gottes, der Anfang desselben Buches (Jo.
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20, 1 . 1 ) fordert Ambrosius zum Gebet um "volle und kompakte Gedanken" auf, damit nichts, was eines schriftlichen Kommentars bedarf, beiseitegelassen und der Sinn unseres Heilands nicht verfehlt wird. Ja Origenes bittet Gott. ihm den Logos selbst zu senden, damit er sich selbst offenbart und seine Tiefe (Röm 1 1 ,33) erschauen läßt. Der Exeget ist sich also auch beim lohannes-Kommentar bewußt, daß er den Sinn des Herrn verfehlen kann; daß er die Tiefe des Logos, d.h. die Tiefe des Schriftsinns nur erspäht, wenn der Logos selbst das gewährt; daß er sich dessen aber keineswegs sicher sein kann. Nun sind diese Äußerungen verhältnismäßig spät getan; auch das 20. Buch zu Johannes könnte erst um 240, also zehn Jahre nach der Grundlagenschrift verfaßt sein. Man möchte aber wissen, wie Origenes bei der Abfassung der ersten Bücher - eins bis fünf sind vor seiner Übersiedlung nach Cäsarea diktiert - gedacht hat. Wenigstens zu Beginn des zweiten Buches, mit dem die Auslegung von Joh 1 , 1 anfangt - im ersten Buch werden Grundsatz- und Einleitungsfragen geklärt - würde man ein Gebet erwarten. findet aber keins. Aber wenn man im ersten Buch (Jo. 1 , 4. 32) liest, man könne Johannes nur verstehen, wenn man sich wie er an die Brust Jesu lehnt (Joh 13,25) und wie er von Jesus Maria als Mutter empfangen hat (Joh 19,26), dann wird man dem Origenes wohl die Absicht. auf Jesus zu hören, kaum aber die Überzeugung unterstellen dürfen, er habe schon Maria als Mutter empfangen, denn das würde nicht nur den Anspruch auf Einsicht in die Offen barung, sondern auf christusähnliche Vollkommenheit bedeuten. Wie weit Origenes nicht nur davon, sondern auch von dem Selbstbewußtsein eines erfolgreichen Exegeten entfernt ist, spricht er in einem uns nur durch die Philokalie (die Stellensammlung von Basilius und Gregor von Nazianz) erhal tenen Abschnitt des fünften Buches aus: Er entschuldigt sich geradezu dafür, sich allzu leichtfertig auf dieses Auslegungswerk eingelassen zu haben, weil er nicht die Eigenschaften aufweist, die der besitzt, der von Gott zum Diener des Neuen Bundes, des Geistes, nicht des Buchstabens ausgerüstet wurde (Frgm. VIlI von Buch V). Es mag also immerhin sein. daß Origenes ohne Zögern und Bedenken, ja geradezu begeistert und entschlossen, zum Kampf gegen Herakle on auf dem Felde der johanneischen Exegese angetreten ist; er wird sich aber bald der von ihm selbst zu Beginn seiner Psalmenerklärung erkannten Schwie rigkeilen erinnert haben. ja sie mögen ihm beim Johannesevangelium besonders deutlich geworden sein. Er spricht sie zwar nicht häufig aus, aber das Zögern. das Hinausschieben, das ihm immer neue Mahnungen von Ambrosius eintrug. wird man so deuten dürfen. Es konnte schon mehrfach auf die Stetigkeit hingewiesen werden, mit der Origenes seine Gedanken entfaltet. Sie bedeutet nicht, daß ihm nicht neue Einsichten aufgegangen wären, sondern nur, daß er auf eine erstaunliche Weise festhäh und gegenwärtig hat, was er einmal erfaßt und ausgesprochen hat. So sind die Partien der Johanncserklärung, die sich grundsätzlich zum Verhältnis der Evangelien zueinander, zum Verhältnis von Altem und Neuem Testament usw. äußern, wohl auch in den uns nicht erhaltenen Teilen des Matlhäus-Kom mentars nicht wiederholt worden. sondern stets als Hintergrund vorauszusetzen.
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Dasselbe gilt von der oben dargelegten Bibel- und Inspirationstheorie der Grundlagenschrift. soweit sie nicht stillschweigend verbessert oder ergänzt wird. Eine derartige Korrektur scheint sich im lohannes-Kommentar zu finden, die deshalb hier erwähnt werden muß. Dem Bibelverständnis. das Origenes in De principiis entfaltet. muß man wohl vorwerfen, daß es kaum Hochschätzung für die Heilsgeschichte aufbringt. Während die Paulusstellen, durch die Orige nes sich zu allegorischer Auslegung, zur Suche nach dem verborgenen Sinn. ermächtigt fühlt (princ. IV, 2,6). vom Apostel typologisch gemeint sind, d.b. das Voranschreiten der Offenbarung, das Überbieten des Älteren durch das Jüngere. meinen (1 Kor 10, 1 1 ff; Gal 4, 2 1 ff; Kol 2, 16 f usw.), scheint Origenes den zeitlichen Rahmen ganz aus dem Blick zu verlieren und sich statt für den Gegensatz von Einst und letzt nur noch für den Unterschied von Innen und Außen, von Oben und Unten zu interessieren)!), also die biblische Weltanschau ung in die plalOnische umzudeuten. 1m lohannes-Kommentar spricht Origenes aber ausdrücklich vom Fortgang der Offenbarung; das einstmals Prophezeite ist offenbar gemacht worden, dadurch daß es geschah. Der Unterschied zwischen den Aposteln und den Propheten liegt nicht im Verständnis, sondern im Erlebnis; die Apostel haben nicht nur verstanden, sondern erfahren. Allerdings sieht Origenes sich genötigt zu betonen - darin wird man ihm zustimmen -. daß bloßes Erleben ohne Verstehen nichts bedeutet, daß Verstehen ohne Erleben sehr viel bedeuten kann (Jo. 6. 5,28). Wie die Apostel über die Wiederkunft des Herrn. ohne sie zu erleben. das nötige volle Verständnis besaßen und überliefert haben. so verstanden die Propheten alle ihre zunächst dunkel scheinenden Voraussagen über den Christus. Sie waren nicht bloße Sprachrohre. die aus schreien, ohne zu begreifen, sondern Weise, die nach Sprüche 16,23 LXX im Herzen verstehen, was aus ihrem Munde hervorgeht (Jo. 6, 4.22). Deshalb hat Moses im Geist (Verstand: nous) die Wahrhei t des Gesetzes (also die geistige Wirklichkeit, zu der das Gesetz mittels seines geschriebenen Wortlautes hinfUh ren soll) und die allegorische Auslegung der bei ihm aufgeschriebenen Ge schichten gesehen (Jo. 6. 4,23). Daß alles. was in der Bibel geschrieben ist, sei es als Gebot oder als Erzählung, einen tieferen Sinn hat, bedeutet. daß es auf eine verborgene Wirklichkeit, die "Wahrheit" verweist; und diese ist jeweils vom Verfasser geschaut worden. Man könnte meinen. daß Origenes sich damit von der Historizität des Niedergeschriebenen völlig freimacht. dem geschichtlich Geschehenen keinerlei Bedeutung mehr beimißt. Dem ist aber nicht so; im selben Paragraphen schreibt er dem in der Heilsgeschichte Tätigen dieselbe Erkenntnis zu wie dem Hagiographen. ,Josue verstand die wahre (die im Verborgenen von Gott vollzogene) Erbvergabe, weil er besser als wir überblik ken konnte, von welchen wahren Dingen die von ihm vollbrachten Taten nur Schatten waren" ebd.). Das scheint mir nicht nur Respekt vor der Geschichte. sondern auch vor dem in der Geschichte Handelnden zu verraten; Origenes
JOYg!. J. Danil'!lou (siehe Anm. 24) 263.
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macht ihn genausowenig wie den Schreiber zum bloßen Werkzeug. Gewiß. Kreativität im modernen Sinn mißt er ihm nicht bei. aber er läßt ihn auf Erden symbolisch nachschaffen. was er im Verborgenen erschaut hat und was er dadurch zu erkennen gibt. So kann auch der in der Geschichte Israels politisch Handelnde KUnder und Künstler im platonischen Sinne sein. ohne doch Goltes Allhandeln zu schmälern. Während Origenes in seiner Grundlagenschrift noch davon überzeugt ist, daß "die Ursache der falschen Meinungen und Goulosigkeiten". auf die er bei Juden. Häretikern und einfältigen Christen gestoßen ist. nur darin zu suchen ist. daß "die Schrift nicht geistlich verstanden. sondern nach dem bloßen Buchstaben aufgefaßt wird" (princ. IV, 2,2), geht ihm bei der JOhannesauslegung, also in der Auseinandersetzung mit dem Gnostiker Herakleon auf, daß es Irrlehre gibt, die sich als geistliche Deutung ausgibt; die Allegorese ist also keine Garantie für Rechtgläubigkeit (Jo. 13, 9, 5 1 ; 13, 16,98). Damit wird aber die Bedeutung der Allegorese nicht etwa gemindert; die Beschäftigung mit den Evangelien bringt vielmehr eine neue Begründung dafür. Wie man viele Stellen des Alten Testamentes nur übertragen in einem Sinn verstehen kann, der Goues würdig ist, so kann man das Ärgernis der Unterschiede zwischen den vier Evangelien nur überwinden, wenn man wenigstens die differierenden Stellen allegorisch auslegt. "Wenn die Wahrheit nicht im geistigen Sinn liegt", ... verdienen sie keinen Glauben, kann man nicht annehmen, daß hinter allen vier Evangelien derselbe Heilige Geist wirkt (Jo. 10, 3, 10). Man muß aber annehmen, daß er mit dem Erzählmaterial über Jesus so verfahren ist wie mit den Fakten der Geschich· te Israels; daß er die Evangelisten zur selben Freiheit dem Historischen Gegen· Uber angeleitet hat wie Mose und die anderen Erzähler des Allen Testamentes. .,Die vier Evangelisten verwendeten vieles von dem, was Jesus vermöge seiner wunderbaren und staunenswerten Macht getan und gesagt hat, ganz frei, indem sie der Schrift (ihrem je eigenen Evangelium) mit Hilfe von Ausdrücken, wie (sie) fUr Sinnenfälliges (üblich sind) das hinzuwebten, was ihnen rein geistig deutlich geworden war" (Jo. 10, 5, 1 8). Origenes mag sie nicht tadeln, wenn sie um des geistlichen Sinnes willen zeitliche oder räumliche Umstellungen vorge nommen, ja den Geschehensablauf verändert haben. ..Denn es war ihre Absicht, wo es anging, im Geistlichen wie im Leiblichen wahrhaflig zu sein; wo aber nicht beides zugleich möglich war, das Geistliche dem Leiblichen vorzuziehen, so daß häufig das geistliche Wahre in dem gewahrt wird. was man leibliche LUge nennen könnte" (ebd. § 20). Hier geht es also nicht um ..dunkle Stellen", sondern um je durchaus verständliche Erzählungen, die nur dadurch zum Problem werden, daß sie sich widersprechen. Dieses Ärgernis wird ausgeräumt, wenn man in der je verschiedenen Darstellung verschiedene ZUge des Christus und seines Heilswirkens dargestellt findet, die sich durchaus nicht gegenseitig ausschließen (vgl. comm. in MI. XII, 24), sondern zum Gesamtbild ergänzen.
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4. im Ezecbiel-Kommentar Origenes hat sich nicht nur Mühe gegeben, möglichst viele Bücher der Bibel auszulegen, um keinen der geistlichen verborgenen Schätze ungehoben zu lassen; er hat nicht nur dabei immer nach dem Gesamtsinnzusammenhang im Geistlichen geforscht; er hat auch über die Methode der Schriftauslegung bei der exegetischen Arbeit neue Einsichten gewonnen, die über das hinausgehen, was er zuerst in der Grundlagenschrift, dann im lohannes-Kommentar nieder gelegt hat. Es sind da aus seinen späteren Werken hauptsächlich zwei Passagen zu nennen, auf die Marguerite Harl unlängst aufmerksam gemacht hatli. Die erste Stelle, die uns griechisch in der Philokalie erhalten ist, behandelt Ezechiel 34. 17-19. Eusebius kannte fünfundzwanzig Bücher des Origenes, in denen das ganze Ezechielbuch behandelt war; Origenes habe das Werk während einer Reise nach Athen zum Abschluß gebracht. Diese Reise setzt Nautinn in das Jahr 245. so daß in der Auslegung des genannten Verses, der sich ja im dritten Drittel des prophetischen Buches findet. auf jeden Fall eine Äußerung des späten Origenes zu erblicken ist, die nach den oben erörterten Aussagen aus dem Johannes-Kom mentar einzuordnen ist. Durch den Propheten spricht Gott den Tadel aus: ,.Es war euch nicht genug, daß ihr die schöne Weide abgeweidet habt; ihr habt auch noch das Übrige eurer Weiden mit euren Füßen zertreten. Ihr habt das ruhig (rein) gewordene Wasser getrunken und das übrige mit euren Füßen aufgewirbelt" (trüb gemacht) (Ez 34,18f). Diesen Tadel bezieht Origenes auf die häretischen (gnostischen) Schriftausleger: ,.Manche erkennen nur einen Teil der Schriften als nützlich an, die anderen dagegen verwerfen sie als nicht heilbringend. Das sind die Leute, die zuerst den guten Teil der Weide, den sie sich ausgewählt haben. abgeweidet und das stille Wasser. das sie fur gut befunden haben, getrunken haben und dann den Rest der Weide zertreten und den Rest des Wassers getrübt haben". Er macht ihnen also zuerst den Vorwurf, willkürlich oder eigenmächtig auszuwählen, und zwar sowohl bei der Weide, die für Origenes im Alten Testament aus den Propheten, im Neuen aus den Evangelien besteht, als auch beim Wasser. das er im Alten Testament mit dem Geselz. im Neuen mit den Apostelschriften gleich setzt. Den nächsten Ezechielvers, in dem Gott über das Los seiner Schafe klagt: ..Sie weideten, was ihr zertreten habt; sie tranken das Wasser, das eure FOße getrübt haben" (Ez 34, J 9), versteht Origenes als göttliches Lob für die guten Schafe, als Anweisung für den rechten Umgang mit der Schrift. Nichts darf verworfen. nichts ausgelassen oder übergangen werden. Daß die dunklen (un möglichen oder sinnlosen) Stellen ihre Bedeutung. ja sogar besondere Bedeu-
)I
M. Harl, Pointes antignostiques d'Orig�ne. Le questionnemenl impie des Ecritures, in: Studies in Gnostieism and Hellenistie Religions presented 10 G. Quis�1 on the oceasion of his 65 th birthday, Leiden 1981, 205-2 17, beruft sich auf eap. 1 1 und 6. der Philohllie, ed. Robinson, Tbe Phifohllia of Origen, Cambridge 1893, 60f und 49, 9-14. U Nautin (vgl. Anm. I ) 381.
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(ung haben, hatte ja schon die Grundlagenschrift betont. Aber man muß damit rechnen, daß es gelegentlich trotz aller Anstrengungen und eifrigen Sittens um den Geist nicht gelingt. einen Sinn zu finden. Dann muß man die dunklen Worte stehen lassen, sie ehrfürchtig hinnehmen. wie der Gläubige. der auf die Vorse hung vertraut, auch Tatsachen hinnimmt, die er nicht verstehen, in denen er nicht die Güte Gottes sehen kann; so haue Origenes schon in seinem ersten, alexan drinischen Psalmenkommentar (Frgm. 4 zu Ps 1 ; PO 12,1081 BC) erklärt. Die besondere Bosheit der Irrlehrer - das ist der zweite Vorwurf gegen sie besteht darin, daß sie das Wort nicht stehen Jassen. sondern "dem reinen Wort der Schrift ihre lästerlichen Fragen beimischen")). Sie suchen nicht ehrfurchts voll, sondern sie verdrehen nach Sophistenart den schwierigen Text durch ihre Frage so lange. bis er schließlich als Beweis für ihre Unterscheidung zwischen dem höchsten, ganz verborgenen guten Gott und dem nur gerechten WeItschöp fer dienen kann. Die zweite von M. HarJ herangezogene Stelle stammt aus dem Matthäus Kommentar; sie soll daraufhin befragt werden, ob in diesem großen Werk aus der Spätzeit des Origenes neue Erkenntnisse Uber das Geschäft der Bibelausle gung insgesamt ausgesprochen werden.
5. im Matthäus-Kommentar Wo es um die Lektüre des uns erhaltenen Matthäus-Kommentars geht. sind wohl Fragmente aus den ersten, verlorenen Büchern besonders interessant und lehr reich. In der ebenfalls durch die Philokalie erhaltenen Erklärung zu Mt 5.9 (Selig die Friedensstifter!) nennt Origenes Friedensstifter den, .,der zeigt, daß das, was den anderen wie Streit der Schriften gegeneinander aussieht, nicht Streit ist. und der den Gleichklang und den Frieden dieser Stellen darstellt. sei es der alten mit den neuen, sei es des Gesetzes mit den Propheten. oder der Evangelien untereinander. oder der Evangelien mit den Apostelbriefen, oder der Apostelbriefe untereinander". Dann zieht er den in der Septuaginta ziemlich dunklen Vers 12, 1 1 aus dem Buch Kohelet heran. in dem die Worte der Weisen mit Ochsenstacheln verglichen werden und von dem einen Hirten die Rede ist. Das fUhrt ihn zu der schönen Einsicht: "Einziger Hirte der logischen (Dinge des Worthaften) ist der Logos; sie haben zwar den Anschein von Mißklang für die, welche nicht Ohren haben um zu hören, in Wahrheit aber stimmen sie völlig überein. Wie nämlich die verschiedenen Saiten des Psalters oder der Zither. von denen jede einen eigenen Ton ergibt. der mit dem der anderen nicht gleich zu sein scheint, dem Unmusikalischen ... nicht im Gleichklang zu sein scheinen. so meinen die. welche nicht auf die Harmonie Gottes in den Heiligen Schriften zu hören vermögen, die alte sei nicht in Harmonie mit der neuen oder die Propheten =
n
Phitokatie cap. 1 1 (61 Robioson).
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mit dem Gesetz oder die Evangelien miteinander oder der Apostel (Paulus) mit dem Evangelium oder mit sich selbst oder mit den (übrigen) Aposteln. Wer aber die Musik Gottes gelernt hat ... wird den Klang der Musik Gottes hervorbringen, weil er von ihr gelernt hat, zur rechten Zeit die Saiten des Gesetzes, dann die der Evangelien ... zu schlagen ... Er weiß ja, daß die ganze Schrift das vollkom mene und wohlgestimmte Instrument Gottes ist, das aus den verschiedenen Klängen eine einzige Melodie hervorbringt, die FOr die heilsam ist. welche lernen wollen, und jede Wirkung des bösen Geistes überwindet. wie die Musik des David den bösen Geist in Sau I überwand ( 1 Sam 16, 140" (GCS Xli, 5). Das ist für Origenes übrigens die dritte Art. wie man "der Schrift folgend" Frieden stiften kann und soll; zuvor war davon die Rede. daß man auf beide Arten zeigen kann, daß in der Schrift "nichts verdreht und verworren ist" (Spr 8,8). Es läßt sich leider nicht mehr erkennen. welches diese heiden Arten exegetischer Friedensstiftung in den Augen des Origenes waren; die beiden Mönche Basilius und Gregor haben sie ihrer Blütenlese nicht für würdig erachtet. Die verstreuten Bruchstücke des origenischen Matthäus-Kommentars sind zwar einem späteren Band vorbehalten; trotzdem soll hier auch noch das Fragment 138 1 zu Mt 7,7 r ("Biuet, und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopfet aD, und es wird euch geöffnet. Denn jeder Bittende empfangt, und der Suchende findet. und dem Anklopfenden wird geöffnet") mitgeteilt werden, weil es fUr die Schriftauslegung des Origenes. besonders für sein trinitarisches Schriftverständ nis kennzeichnend ist. "Auf dreifache Weise nämlich wird die Wahrbeit der heilswirksamen Lehren (dogmala) erfaßt: durch Bitte darum. daß man sie findet, durch Anspannung des Geistes beim Suchen der Wirklichkeiten. und beim Finden durch das Bewußtsein der Undeutlichkeit der verborgenen Schriften. das gewissermaßen eine Gewalt ist. sie zu öffnen". Daß Gebet und eigene Anstrengung erforderlich sind. ist nach allem. was bisher von Origenes zu hören war, selbstverständlich; daß aber das Bewußtsein der Undeutlichkeit mancher Schriftstellen schon Gewalt hat. sie zu öffnen. leuchtet nicht ein; Origenes mag sich an Mt 1 1 , 12 erinnert haben ( .Das Himmelreich leidet Gewalt. und die Gewalttätigen reißen es an sich"), und sich so zu solcher Gewalt ermächtigt fühlen. Tatsächlich scheut er sich nicht. im Mauhäus-Kommentar auch Deutungen vorzutragen, die anderen wohl, wie ihm selber bewußt wird, gewaltsam vorkommen (XlI, 2; XV, 7 . 1 8 . 22); er will nach Möglichkeit keinen Gedanken, der erbauen könnte, beiseite lassen, vor allem aber kein Wort der Schrift nach Art der Häretiker für nutzlos erklären. Das Bewußtsein von der Undeutlichkeit schließt ja das Bewußtsein eines verborgenen Sinnes ein. erkennt also alle Schriftstellen als nützlich an, ist der erste Schritt, oder mindestens die Voraussetzung zu ihrer rechten Deutung und stellt so eine gewisse Gewalt. wohl auch auf den Ausleger selber dar. Origcnes fährt fort: "Vielleicht muß man aber von Gott dem Vater erbitten, vom Heiligen Geist her suchen und anklopfen an dem, der gesagt hat: .Ich bin die Tür!' Wenn aber, wer bittet, empfängt usw., dann bittet nicht. wer nicht •
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empfängt. auch wenn er etwas zu erbitten scheint; und wer nicht findet, hat nicht gesucht. weil er nicht richtig, sondern töricht suchte und nutzlos mit Worten focht; wem nicht geöffnet wird, der klopft nicht an. wenn er auch an die Wand oder außerhalb der Tür anklopft" (GCS XI1. 69). Soll das etwa heißen, es sei nur Schuld des Bibellesers selbst, wenn er den Sinn der dunklen Stellen nicht erfaßt? Die werden in dem Fragment zwar erwähnt, aber das Bitten, Suchen und Anklopfen gilt der ganzen Bibel. nicht Dur den dunklen Stellen. Origenes bildet sich ja. wie wohl schon hinlänglich deutlich geworden ist und wie vor allem die Lektllre des Matthäus-Kommentars zeigen wird. keineswegs ein. er könne in allen Schrifttexten, die einen auf der Hand liegenden Sinn haben, den geistigen Sinn aus eigener Kraft erfassen; überall ist zum Suchen das Bitten und Anklop fen nötig. Also nur, wem die Bibel gar nichts sagt. der ist selbst daran schuld, weil er nicht gesucht und nicht angeklopft hat. Daß dies die Meinung des Origenes ist. geht wohl schon aus jener "sehr geistreichen Überlieferung" hervor. die er seinem ganzen exegetischen Schaffen, besonders seinem ersten Psalmenkommentar vorausschickt. Er hat sie von jenem Hebräer gehört, dem er wohl auch die im Matthäus-Kommentar so einleuchtend vorgetragene Erklärung des Korbanwortes von Mk 7, 1 1 (comm. ;" Mt. XI. 9, S. 120) verdankt: Die ganze von Gott eingegebene Schrift gleiche wegen der in ihr enthaltenen Unklarheit vielen verschlossenen Wohnungen in einem Hause; bei jeder Wohnung sei ein Schlüssel vorhanden, aber nicht der riChtige. So seien die Schlüssel Ober die Wohnungen verstreut, paßten aber nicht auf die Wohnungen. wo sie niedergelegt sind. Es sei eine gewaltige Arbeit, für die Wohnungen die richtigen Schlüssel zu finden, die öffnen können. Wenn man die Schriften, die unklar sind. verstehen wolle. könne man den Anfang für das Verständnis nicht anderswo machen als bei den Schriften selber. die in sich. die einen fUr die anderen. verstreut den Deutungsschlüssel enthalten. Origenes ist überzeugt, "daß auch der Apostel diesen Zugang zum Verständnis der göttlichen Worte andeutet, wenn er sagt: .Was wir auch sagen, wir sagen es nicht in gelehrten Worten menschlicher Weisheit. sondern in gelehrten (Worten) des Geistes. indem wir Geistliches mit Geistlichem vergleichen' (I Kor 2, 13)" (PO 12. I080BC). Hier haben Basilius und Gregor bei der Zusammenstellung der Philokalie zunächst abgebrochen, weil sie die überlegungen des Origenes über Seligprei sungen im Singular (wie in Ps 1 . 1) und im Plural (wie in der Bergpredigt) für nicht so wichtig ansahen. Immerhin läSt sich aus der kurzen Inhaltsangabe noch erkennen. daß Origenes das Pauluswort als exegetisch-methodische Anweisung verstand, nämlich den Sinn jeder Schriftstelle dadurch aufzuspüren, daß man sie mit anderen, die irgendwie ähnlich sind. vergleicht. Man wird die Übersetzung von 1 Kor 2, 1 3 , die sich heute, z. B. in der Einheitsübersetzung. durchzusetzen scheint,nämlich: "Geistliches (Gedankengut) Geistlichen (Menschen) erklären" zwar nicht unter Berufung auf Origenes ablehnen können; aber auch die Deutung des Origenes verliert nicht nachträglich ihre BereChtigung. Jedenfalls verdanken wir der Anwendung dieses Auslegungsgrundsatzes die Deutung eines Mat-
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thäusabschniues. die außerhalb des Matthäus-Kommentars verfaßt wurde; sie soll zum Vergleich hier mitgeteilt werden.
Matthäusdeutung im Sprüchekommentar Die Erklärung des Origenes zu Sprüche 1 , 6 (,.Er wird verstehen Parabel und dunkle Rede. Sprüche der Weisen und Rätsel") ist in der Katene des Niketas von Heraklea aus dem 1 1. Jahrhundert zum Lukasevangelium. hier zu Lk 8,4-15 [= Mt 13. 3-8. 19-23) erhalten". Dem Niketas hat der Lukas-Kommentar des Origenes noch vorgelegen, wie aus den Lukasfragmenten 216. 2 1 8. 22IYJ hervorgeht. da sie Lk 15, 16.23; 16, 1 behandeln, die bei Matthäus keine Parallele haben. 1m Lukas-Kommentar fand er aber offenbar keine Auslegung zum Sämanns-Gleichnis und der Deutung dieses Gleichnisses; sonst hätte er nicht auf eine Matthäuserklärung zurückgrei fen müssen. Das ist doch wohl ein Hinweis. daß der Lukas-Kommentar jünger ist als der zu Matthäus. Daß Origenes zu Spr 1 , 6 Mt 13, 1 ff auslegt, hat wohl folgenden Grund: Matthäus gilt ihm, wie er in der nur bruchstückhaft erhaltenen Vorrede zum Kommentar (Euseb, h.e. 6,25) sagt, als das älteste Evangelium. Mt 13.1 kommt aber das Wort parabote zum ersten Mal im Evangelium nach Mauhäus, also zum ersten Mal (nach Meinung des Origenes und seiner Zeit) in der christlichen Literatur überhaupt vor. Wenn man sich an den Ablauf des öffentlichen Lebens Jesu halten wollte. könnte sich die Sache etwas anders darstellen. Markus hat schon in 3,23 (par. zu Mt 12,25) das Wort Parabel. Aber er bezeichnet damit das Wort Jesu über das in sich gespaltene Reich des Satans; das ist nach Origenes keine Parabel. Lukas bietet schon in 4,23, also weit vorgezogen gegenüber der Parallele Mt 13.54, die AntriUspredigt Jesu in Naza reth und läßt Jesus zu seinen MitbUIgern sagen: .. Ihr werdet mir die Parabel cntgegenhahen: Arzt, heile dich selbst!" Auch das ist nach Origenes keine Parabel. Matthäus ist also für Origenes (fUr uns nicht mehr) der erste. der den Gleichnisbegriff bietet, jedenfalls aber (auch für uns) der Evangelist, der am korrektesten damit umgeht. So lag es nahe, für die Erklärung von Spr 1 . 6 Mt 13, I fr heranzuziehen. auch deshalb. weil Origenes einerseits eine Vorliebe für Matthäus hat. nicht etwa rür Johannes, wie man dem christlichen Alexandriner eher zutrauen möchte. und weil er andererseits in Spr 1 , 6 eine Charakterisierung der gesamten Schrift sieht, die ihm auch da gegenwärtig ist, wo er sein exegeti sches Werk überhaupt mit der Auslegung von Psalm 1 beginnt (vgl. oben).
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Beste Abschrift der Niketaskatene ist der Codex Vaticanus 1 6 1 1 aus dem 12. Jh der 1.150 Dur wenig jUnger ist als das Original. Vgl. M. Rauer. Die Homilien zu Lukas in der übersetzung des Hieronymus und die griechischen Reste der Homilien und des Lukas-Kommentars '" GCS Origenes IX. 11959. XLVIf. )J GCS IX. Rauer (vgL Anm. 34) 321 f. .•
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Seine Erklärung der vier vom Spruchebuch genannten Arten von bedeutsamer Aussage (Gleichnis und dunkle Rede, Spruch des Weisen und Rätsel) beginnt Origenes so: "Welchen Unterschied diese Begriffe untereinander haben. wollen wir verstehen; und zuerst wollen wir sehen. was die Parabel ist. und uns auf das stützen, was die Evangelien dazu bieten. Den Namen Parabel haben nämlich die anderen verwendet, und Matthäus so: ,An jenem Tage ging Jesus aus dem Haus und setzte sich ans Meer und die ganze Menge stand am Ufer. und er redete vieles zu ihnen in Gleichnissen: Seht. ein Sämann ging aus um zu säen' (Mt 13. I . 2 b); (Vers 2 a läßt Origenes aus). Die Parabel ist also eine Erzählung, als sei etwas geschehen, was wörtlich nicht geschehen ist, aber geschehen könnte. die bildlich Dinge dartut, die im Gleichnis übertragen ausgesagt sind. Das ,Ein Sämann ging aus'. ist nämlich nicht wörtlich so geschehen, wie wir von der Geschichte sagen. daß sie geschehen ist; aber es ist möglich, daß es geschieht. daß ein Sämann ausgeht usw. Ich meine nun, daß Jesus, als er zu denen draußen. denen es, weil sie draußen sind, nicht gegeben ist, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu kennen, in Gleichnissen redete, aus dem Haus herausgekommen ist. wie Mauhäus aufgeschrieben hat, der nicht ohne Grund und Verstand formuliert hat: .An jenem Tag ging Jesus aus dem Haus und setzte sicb ans Meer'. Es war nämlich angemessen zu denen hinauszugehen, die nicht in das Haus hineinzu gehen vermögen. sondern draußen sind. Daß aber Matthäus etwas derartiges an der Stelle gedacht hat, ist fUr den klar, der beachtet, was sich daran anschließt, nämlich: ,Als er die Scharen entlassen hatte. ging er in sein Haus' (Mt 13. 36). und enthUllt seinen JUngern den Sinn des Gleichnisses. Beachte nämlich. wie Jesus in diesem Zusammenhang zu den Scharen in Gleichnissen redet und ohne Gleichnis nicht zu ihnen redet; das tut er bis auf den heutigen Tag; denn die Scharen erfassen (XOJQEW) die Bedeutung der Gleichnisse nicht. Beachte aber auch das Wort: ,Nachdem er die Scharen entlassen hatte, ging er in sein Haus' (Mt 13.36). Das ist ganz einsichtsvoll aufgeschrieben. da es nicht möglich war, daß die Scharen mit ihm hineingingen, sondern nur die. weiche sich vor den Scharen auszeichnen; das waren seine JUnger, welche auch die Zuversicht haben konnten. in das Haus Jesu hineinzugehen. DOr( treten sie nicht wie die, welche draußen sind, sondern weil sie hineinzugehen fähig sind (XWQEW), an den Lehrer heran und verlangen, den inneren Sinn der Gleichnisse kennenzulernen. Und da sie imstande waren (XOJQEW). ihm zu folgen, als er in das Haus hineinging, deswegen antwortet er auf ihre Bitte: .Erkläre uns das Gleichnis!' (Mt 1 3 , 36) das, was er sagte. Jesus kommt aber nicht nur aus seinem Haus heraus, um draußen denen, die draußen sind, die Gleichnisse zu sagen, sondern er setzt sich auch ans Meer und deutet so rätselhaft an, daß die Scharen und die draußen von den Wogen des Meeres und seinem salzigen Wasser nicht weit entfernt sind. Beachte aber, daß sich bei Jesus, der aus dem Haus herausgekommen ist und sich ans Meer gesetzt hat, viele Scharen versammelten; aber nicht mehr viele Scharen. sondern die wenigen JUnger, die auf dem engen und gewundenen Weg gehen (Mt 7, 14) und den Weg finden, der zum Leben fUhrt, gehen zu ihm in das Haus hinein. Da ich nun nach Kräften das untersuche. was dem Wort des
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Evangeliums und der Absicht Jesu angemessen ist, der in das Boot gestiegen ist und zu der ganzen Menge, die sich am Ufer befindet, die Gleichnisse spricht, sage ich (überlege ich), ob der Logos vielleicht zu den Scharen nicht redet, nachdem er einen Weg geschritten ist oder sich (fest) hingestellt hat, sondern während er sich auf dem Meereswasser befindet, getragen von dem, was, soweit es möglich ist, über das Wasser zu fahren vermag und was Boot genannt wird. Wundere dich aber nicht, wenn solche Gedanken auf besonders hübsche Weise (in den Text) eingefügt sind, SO daß die draußen und die Menge nicht meinen, es gebe überhaupt keinen verborgenen und inhaltsreichen Sinn, der in der Evangelienerzählung verborgen liegt; denn das war das Werk der Gnade, die das Wort Gottes verwaltet. Ich versuche aber auch, aus den Sätzen: ,Die Jünger traten heran und sagten zu ihm: Warum redest du in Gleichnissen zu ihnen?' (Mt 1 3 , 10) und: ,Er entließ die Scharen und ging in sein Haus; und seine Jünger traten zu ihm und sagten: Erkläre uns das Gleichnis! ' (Mt 1 3 , 36) den tieferen Sinn herauszuhören. Immer nämlich bedenken die Scharen, wenn sie ein Gleichnis hören, dieses nicht, obwohl es doch der Auslegung bedarf. Die Jünger aber betrachten. daß er zu den Scharen in Gleichnissen redet, weil sie draußen sind. und folgen Jesus, wenn er die Scharen entlassen hat, und sehen, daß sie den Sinn der Gleichnisse nirgendwo anders erfahren können, als wenn sie in das Haus Jesu hineingehen; und sie gehen zu ihm hinein und treten an ihn heran und sagen: ,Erkläre uns das Gleichni s ! ' nämlich bezüglich dessen, das sie kennenlernen wollen" (PG 13, 208-21 D). Origenes gibt eine Definition der Parabel, gestützt auf Mt 13, 1 , wo das Wort vorkommt. Dann aber gewinnt er die Einsicht in Funktion (Sitz im Leben), Tragweite (und Grenze) des Gleichnisses überhaupt nicht etwa aus den in dem Matthäuskapitel erzählten Parabeln, sondern aus dem erzählenden den Text, in dem sie eingebettet sind, indem er ihn übertragen auslegt, d. h. wie eine Parabel behandelt, und außerdem noch ziemlich frei damit umgeht. Er verfahrt also mit dem Evangelientext, wie die Evangelisten (oder früher schon Moses) mit den ihnen vorliegenden Erzählungen verfahren sind, in die sie auf besonders "hüb sche Weise" Gedanken eingefilgt ( etwas hinzugewoben) haben. Das galiläi sehe Meer ist ein Süßwassersee; von der Nähe der Menge "zum salzigen Wasser" könnte also eigentlich keine Rede sein. Wenn Jesus aus dem Hause geht und sich ans Meer begibt, legt er aufjeden Fall einen Weg zurück, es sei denn, man wollte das Haus unmittelbar am Ufer lokalisieren. Origenes entnimmt der Evangelien erzählung, daß Jesus weder einen Weg durchschritten hat, noch auf festem Boden steht, als er zur Menge redet. Die Unterweisung der Menge ist also etwas ganz Anfanghaftes (noch ist gar kein Fortschritt gemacht) und zugleich Unsi cheres (Jesus sitzt im Boot auf dem sich in Wellen bewegenden Wasser). Bei denen, die Menge sind (und solange sie es bleiben), ändert sich auch nichts, denn sie begnügen sich mit diesem (doch nur vorläufig gemeinten) Zustand; sie bedenken das Gleichnis nicht, verlangen nicht nach Auslegung. Sie sind offenbar mit der schönen Erzäh lung zufrieden; an ihnen bewahrheilet sich die Sorge der Grundlagenschrift. der schöne Text, der keine Störung einschließt. könnte rein =
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ästhetisch genommen werden und so geradezu zum Hindernis fur das werden, was er eigentlich anzieh, nämlich die heilswirksame. zum Handeln auffordern de, innere Einsicht.
Exegetische Definitionen Da, wie oben schon gezeigt. Sprüche 1 , 6 für Origenes eine grundsätzliche Bedeutung hat, lohnt es sich, auch seine Definition von dunkler Rede. SprUche der Weisen und Rätsel anzuschauen. Das Rätsel ist eine Erzählung, als hätten sich Dinge ereignet, die sich nicht ereignet haben, die sich auch gar nicht ereignen können, die aber im Verborgenen etwas Geheimes bedeuten (pO 13. 25 B). Der Unterschied zwischen Gleichnis und Rätsel besteht also nur darin, daß Gleichnisreden mögliche Ereignisse, Rätsel unmögliche erzählen. Ein Rät· sei ist (Origenes führt das Beispiel an) die Rede des Joatham im Richterbuch (9,8): ..Die Bäume gingen hin, sich einen König zu salben" usw. oder die Antwort des Joas an Amasia (2 Kön 14,9): ,,Der Dornstrauch auf dem Libanon sandte zur Zeder auf dem libanon und ließ sagen: Gib deine Tochter meinem Sohn zur Frau". Bei den Sprüchen der Weisen fragt Origenes sich nur, ob es dabei nur um die Weisen Gottes geht oder auch um die Weisen dieser Welt, und entscheidet sich für die zweite Möglichkeit (PG 13, 24C), weil es für den von Gott Belehrten wichtig,ja notwendig ist, gegebenenfalls die Falschreden der Weisen dieser Welt zu entlarven und die von ihnen Gefangenen zu befreien. Origenes bleibt geprägt von seinem Erlebnis mit Ambrosius und anderen Konvertiten. So bedurfte es auch nicht allzu großer Mühe, ihn zur Widerlegung der vom Philosophen Kelsos hinterlassenen Bekämpfung des Christentums zu bewegen. Als dunkle Reden versteht Origenes manche Schriftstellen, die mit Absicht so dunkel sind, daß man gar nichts begreift, wenn man nicht eine große Untersuchung anstellt, weil nämlich der Te�t sowohl in der Wortwahl (phrasis) als auch im Gedankengang (dianoema) als auch im Satzbau (synthesis) völlig verworren ist. Einige Formulierungen des Origenes selbst in dieser Auslegung der Sprüche kommen dieser Beschreibung ziemlich nahe; hier ist aufS'il gar kein Wert gelegt (der comm. in Mt. ist deutlich besser), so daß man wohl annehmen muß, Origenes habe diese Erklärungen in Eile diktiert und nicht mehr korrigiert. Nachdem Origenes bei der Erklärung von Sprüche 1 , 6 das Gleichnis so definiert hat, daß es erzählt, was in Wirklichkeit nicht geschehen ist, fragt er sich, wieso der Psalmist (Ps 77,2) sagen kann: ..Ich will in Gleichnissen meinen Mund öffnen", und dann doch nur Dinge erzählt, die sich tatsächlich zugetragen haben, wie etwa: "Vor ihren Vätern tat er Wunder", und: ,.Er spaltete das Meer und führte sie hindurch 1" (Selbst wenn er seine Definition geändert hätte, wäre die Schwierigkeit geblieben). Origenes findet den Ausspruch des Psalmisten aber berechtigt. " Denn alle diese Dinge (die im 77. Psalm erzählt werden) sind geschehen, wenn sie auch Symbole sind der Dinge, auf die sie bezogen (über·
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tragen gedeutet) wurden. wenn (oder: weil) sie nach Art (statt tropön Genetiv lese ich tropon Akkusativ) von Evangeliengleichnissen genommen (aufgefaßt) werden (oder: wurden)". Der Satz hat zunächst nur den Sinn, das durch Ps 77,2 aufgeworfene Problem zu lösen, für das Origenes auch noch eine andere Lösung anbietet. nämlich den Vers gar nicht auf die aus dem Exodus (im Ps 77) angeführten Ereignisse. sondern auf die Evangelien zu beziehen. die der Heiland durch den Propheten (Psalmisten) schon vorweg angekündigt habe. Trotzdem ist es erlaubt, mit R. Gögle� dies für eine grundsätzliche Äußerung des Origenes über alle in der Bibel berichteten Ereignisse zu nehmen. denn der Psalm 77 stellt einen kurzen Abriß der ganzen Geschichte Israels dar. Außerdem verfahrt Origenes selbst nach diesem Grundsatz. ja er steigert ihn in seiner exegetischen Praxis sogar noch. Nicht nur die alttestamentlichen Berichte werden, unbeschadet ihrer Geschichtlichkeit. wie Gleichnisreden der Evangelien ausgelegt, sondern die erzählenden Teile der Evangelien selbst werden als Zeichen für verborgene Wirklichkeiten verstanden. Im Matthäus�Kommentar wird das schon im ersten Kapitel des erhaltenen Textes deutlich. wo das Haus Jesu allegorisiert wird, wie Origenes es auch im Sprüchekommentar tut. =
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Der Stil des Origenes Es hat sich eingebürgert. dem Origenes eher Sorglosigkeit im Stilistischen zu unterstellen; schuld daran ist wohl jener von seinen Schülern. der ihm zum Abschied eine nach allen rhetorischen Künsten ausgefeilte Dankrede hielt, mit der er um so eher glänzen konnte. wenn er versicherte. sieben Jahre lang selber keine Festrede gehalten und keine angehör!. sondern nur auf jene Männer gelauscht zu haben . ..die sich der wahren Philosophie widmen. die sich nicht um die Schönheit der Sprache sorgen. noch um die Eleganz der Form, sondern die Worte auf den zweiten Platz rücken". Nicht nur der Zweck dieser Behauptung sollte vorsichtig machen; sie beinhaltet eigentlich nur, daß es in der Schule des Origcnes nicht nach den Regeln der antiken Advokatenrheiorik ging, die glänzen und beeindrucken wollte, der es nicht unbedingt um die Wah rheit. sondern um die Wirkung ging. Außerdem erklär! der Redner selbst. Origenes und seine SchGler wollten .,die Wirklichkeiten selber genau untersuchen und sie ausdrük� ken. wie sie sind" (Dankrede 1. 3,4) 11 . Daß dies ohne Genauigkeit des Ausdrucks. d. h. aber ohne sprachliche Sorgfah nicht möglich ist. versteht sich eigentlich von selbst. Wer nicht auf das Wort achtel. kann nichl Ausleger sein; das macht
l4o R. Göglcr. Zur Theologie des biblischen WOr!eS bei Origenes. DUsseldorf 1963. 359. 11 Gregoirc Ic Thaumatourge. Rcmerciement fI Origene. LeHre d·Origene l Gregoire. Texte ct uaducliOD par H. Crouzel: SC 148 ( 1 969) 96.
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Ongenes oft genug deutlich. wenn er nicht nur kleine Unterschiede des Aus drucks zwischen den Evangelisten hervorhebt, sondern auch auf einzelne Wörter achtet, die sich im TC)(I finden, die man aber leicht überliest (vgl. etwa comm. in MI. X, (9). Origenes formt seine Sätze so, daß er die Wörter des Evangelientextes sogar in dem Kasus. in dem sie stehen. in seine Erklärung einbeziehen kann. Aber auch dort. oder gerade dort, wo er den Gehalt einer Perikope zusammenfaßt. oder wo er die Mahnung. die in ihr enthalten ist, und die er auch für sich selbst als gültig ansieht, heraushebt, formuliert er nicht nur sorgfältig. sondern kann in echt dichterischer Weise die Spracbform dem Inhalt dienstbar machen. Vielleicht eines der besten Beispiele bieten die ersten Sätze. die uns im fortlaufenden Matthäus-Kommentar erhalten sind. Unter dem Titel "Christus. Lehrer der Wenigen. und die Mitteilung an die Vielen" hat G. Lomientoll eine Untersuchung der Kapitel 1-12 von comm. in MI. X vorgelegt. die unerwartet. aber sachlich berechtigt. ja notwendig auch die sprachliche Gestalt der Abschnitte untersucht. die den Kern der eigenen Aussage des Origenes ausmachen. Wer den Text. sogar den der deutschen Übersetzung. langsam, vielleicht laut liest. wird bemerken. daß die ersten Sätze besondere dichterische Qualität haben. Erst mit "Und ich glaube. daß solches ..... beginnt die technisch-nüchterne Exegetensprache. Die Höhe der ersten Sätze empfindet man im Griechischen. wenn man durch Lomiento darauf aufmerksam gemacht ist, besonders stark, vor allem, wenn man sie in Sinnzeilen liest. wie er sie" abdruckt. Ein wenig davon dUrfte auch im Deutschen zu spüren sein; deshalb seien einige der "Verse" hier wiedergegehen . ..Wenn Jesus bei den Scharen ist. ist er nicht in seinem Haus; denn außerhalb des Hauses die Scharen. Und seiner Menschenliebe Tat ist es. das Haus zu verlassen und zu denen zu gehen. die zu ihm nicht kommen können. Nachdem er aber genug mit den Scharen in Gleichnissen geredet. entläßt er sie und geht in sein Haus. Dort treten zu ihm seine JUnger. bleiben nicht bei den von ihm Entlassenen. Alle gewiß, die echter hören auf Jesus, folgen zuerst ihm nach, fragen dann nach seiner Bleibe, werden zugelassen, sie zu sehen. und kommen und schauen und bleiben bei ihm
MG. LomienlO. Cristo didasciIIlo dei pochi e 1011 communicaz.ione ai molli. in: VetChr 9 (1972) 25-54. H Lomiento (vg!. Anm. 38) 32ff.
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jenen Tag alle, manche von ihnen vielleicht noch darüber". Der Inhalt der beiden ersten Zeilen könnte als überflüssige Bemerkung abgetan werden, aber die dritte Zeile gibt ihr, vor allem durch die Wiederholung des Wortes ..Haus", Gewicht, läßt eine Tiefendimension erahnen, ohne daß doch schon zu erfassen wäre, was eigentlich das Haus lesu ist. Aber Zeile vier läßt erkennen, daß das Haus, das lesus wegen seiner Menschenliebe verläßt, nicht ein Gebäude in Kapharnaum sein kann; es ist ein Ort oder eher eine Seinsweise, zu der die Menschen von sich aus keinen Zugang haben. Am Schluß des Kapitels fordert Origenes zwar auf, alle Stellen über das Haus lesu zusammenzutragen, weil man es so begreifen könne, aber er selbst sagt nicht, was er unter dem Haus lesu versteht. Einen Hinweis dürfte das Wort .. verlassen" geben. Es könnte ja auch einfach heißen, lesus sei aus dem Haus herausgekommen. "Verlassen" steht in Mt 19,5 bzw. Gen 2,24: "Der Mann wird Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen". Während der Epheserbrief 5 , 2 1-33, der den Vers ebenfalls zitiert. nur den folgenden Satz: "Und die beiden werden zu einem Fleisch" auf Christus und die Kirche zu deuten scheint, versteht Origenes auch den ersten Vers christologisch-ekklesiologisch, man könnte auch einfach sagen soteriologisch: ..Und gewiß hat wegen der Kirche der Herr, der Mann, den Vater verlassen. bei dem er war, als er ,in der Gestalt Goues' (Phil 2,6) existierte; er hat aber auch die Mutter verlassen, da auch er Sohn des oberen lerusalem ist. und hing seiner hierhin herabgestilrzten Frau an, und hier sind die beiden zu einem Fleisch geworden. Ihretwegen nämlich wurde auch er Fleisch, . .. (comm. ;" Mt. XIV, 17. GCS X. 326. 1-12). Daß dies kein zufälliger Einfall des Origenes ist. läßt sich an seiner Auslegung von ler 12,7: "Ich verließ mein Haus und gab mein Erbteil auf' erkennen: ,.Schau mir den an, der in der Gestalt Gottes existiert, der in den Himmeln ist! Schau sein überhimmlisches Haus! Wenn du schau. sogar noch höher schauen willst - denn ,Ich bin im Vater' (loh 14. 1 1 ) daß sein Haus Gott ist! Er verläßt den Vater und die Mutter, das obere lerusalem, und kommt zu dem irdischen Ort und spricht: ,Ich habe mein Haus verlassen, ich habe mein Erbe aufgegeben' - jenes war nämlich sein Erbe, der Bereich bei den Engeln, der Rang bei den Mächten" (hom. in Jer. 10.7)"0. Nicht nur die Präexistenz Christi, nicht nur seine Gouesgestalt, sein Sein beim Vater, sondern auch die geschaffene Präexistenz aller Seelen, das HerabgestUrztsein der zuvor schon dem Logos bräutlich verbundenen Gemeinschaft der vernünftigen We..
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'OVgl. Origeoes, Die griechisch erhaltenen leremiahomilien, eingeleilet, übersetzt und mil Erklärungen versehen von E. Schadcl: BGL 1 0 ( 1 980) 1 24. Daß Origenes hier das WOrt "verlassen·' bewußt gesetzt hat, also alle diese Gedankcn andcutcn will, erkennl man durch den Vergleich mit dem oben mitgeteilten Stüek Matthäuserklärung aus dem SprUchekommcn< tar, wo nur vom Her ausgehen die Rede i$(. "
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sen,also die Schuld in der Überwelt, und die ganze Heilsökonomic·L spricht sich in diesen fünf ersten Zeilen des uns erhaltenen Matthäus·Kommentars aus. So wird Lomiento nicht tiberinterpretieren, wenn er zu Vers 6 und 7 sagt: ,.Christus muß aber stehenbleiben an der Grenze der Möglichkeiten eines jeden ... Sein Sichentfernen ist wie ein schmerzlicher Verzicht. Denen aus der Menge Man wird sagen dürfen, daß Origenes läßt Jesus seine heile Menschheit .. Jesu Rückkehr zum Vater im Auge hat, daß also das "hinlängliche Reden" sich auf sein ganzes Erdenleben bezieht, in dem er mehr der Menschheit nicht bieten konnte, weil sie mehr nicht ertrug (vgl. etwa Joh 16, 12). Aber Jesus hat den Geist verheißen, der in seinem Namen alles sagen soll (Joh 16, 1 3); das tut er dann, wenn jemand, der Jünger ist, jetzt echter, aufrichtiger, (als die anderen, als fruher?) auf Jesus, der nicht mehr auf Erden weilt, hört. Sein Wort wird lebendig durch die MUhe der Auslegung, die aber nichts Professionelles ist, sondern nur Offenheit, Aufrichtigkeit, Echtheit des Hörers (Bibellesers) ver langt. Nachfolge ist schon Frucht solcher Offenheit, das Schauen aber wird nicht einfach erreicht durch das Nachfolgen. sondern wird gewährt. ist eine Zulas sung. eine Gnade. Die kurzen Sätze gehören für die antike Rhetorik zum Sermo commaticus, der das genus vehemenrissimum darstellt"', sind also bewußt einge setzt, um das Dramatische der Berufung und Nachfolge geradezu nacherleben zu lassen. Der letzte Satz deutet die Unterschiede an, die es auch unter den echten Jüngern Jesu gibt; der letzte Ausdruck aber, kai epi pleion. ist in höchstem Maße dichterisch, wenn man denn dieses Wort (gegen seine etymologische Herkunft von dictare) mit "dicht" in Verbindung bringen darf. Kürzer könnte es nicht gesagt werden. daß fUr den JUnger in der Begegnung mit Jesus eine ganze Geschichte anfangt, die aber noch offen ist, deren Ziel man noch nicht sieht. So ist der Ausdruck äußerst verdichtet und beläßt doch das Andeutende, Schweben de, das sich oft in den exegetischen Werken des Origenes. auch im Matthäus Kommentar findet. und das die lateinische Übersetzung nie wiedergibt. weil der Übersetzer auf Sicherheit und Eindeutigkeit bedacht war. Das ist nicht nur ein Unterschied zweier Sprachmentalitäten, sondern auch zweier Epochen". Im Anschluß an die oben sinnzeilig abgedruckten Sätze referiert Origenes zur Begründung seiner Behauptung aus dem Johannesevangelium. Danach kommt ein kurzer paränetischer Passus. an den sich wieder eine exegetisch technische Anweisung anschließt. Die Mahnung, die Origenes auch an sich selber gerichtet fühlt, läßt sich, wiederum Lomiento folgendH, so schreiben: .'�I.
" Vgi. Anm. 2 zu Buch X. S. 96 (siehe Text- bzw. Anm.-Teil, hier nicht abgedruckt: so auch im folgenden bei ähnlichen Verweisen). n Lomiento (vgl. Anm. 38) 33. u Ders. 35. u V 81. meinen Semioarbericht vom 3. Internat ionalen Origeneskolloquium in Manchester: Das Verhältnis der alten lateinischen Übersetzung zum griechisch erhaltenen Text des Malthäus Kommentars, unten 1 21-134. ienlo (vgl. Anm. 38) 36f U Lom
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,.Etwas Besonderes. mehr als die Menge, auf uns nehmend. wollen wir bei Jesus häuslich werden. damit wir als seine Jünger zu ihm treten, wenn er ins Haus gehl. und hinzugetreten, bitten können um die Deutung des Gleichnisses". Die Wiederholung des Wortes ..hinzutreten" hat sicher dieselbe Funktion wie am Anfang die Wiederholung des Wortes "Haus"; die Nähe zu Jesus soll betont werden. Origenes fordert nicht direkt auf. Jesu JUnger zu werden - das ist Gnadenwahl Jesu -, wohl aber nach seinem Haus zu verlangen, das heißt das Irdische. Sichtbare, auch den Wortlaut des Textes zu übersteigen.
Der Mallhäus-Kommentar Euseb nennt das Werk des Origenes, um das es uns hier geht, einfach "die fünfundzwanzig Bücher (lomai) zum Evangelium nach Matthäus" (h.e. 6, 36.2), während er den Johannes-Kommentar voller und genauer als "die Auslegungs schriften" (ra exegelika) bezeichnet (h.e. 6, 26,7). Die Liste im 33. Brief des Hicronymus, die natürlich auf eine Aufzählung des Euseb zurückgeht, sagt auch nur: in Mathewn libros XXV. Man wird keinen Unterschied konstruieren wollen, zumal die Überschriften in den Manuskripten, die auch den Matthäus-Kommen tar als exegerika bezeichnen. wohl auf die Bibliothek von Cäsarea, also aufEuseb zurückgehen. Origenes selbst verwendet im uns erhaltenen Text den Ausdruck einmal für seine Auslegung des Römerbriefes (XVII, 32 GCS X, 687.28), im Johannes-Kommentar dagegen für diesen selbst (Jo. 20. 44,422; 32, 32,401); und da wird doch ein kleiner Unterschied erkennbar. Während Origenes im Johannes-Kommentar mehrfach erklärt. ein lomos habe nun sein Maß erreicht. er müsse einen neuen beginnen (Ja. 10, 46,323; 13, 1 , 1 ; 32, 32,401), finden sich derartige Bemerkungen in den uns erhaltenen Büchern X bis XVll der Mat thäuscrklärung nirgends. Schlußbemerkungen am Ende eines Buches sind viel mehr von der gleichen Art wie am Ende einer innerhalb eines Buches abge schlossenen Erklärung; die Auslegung des Matthäus schreitet konlinuierlich ohne Einschnitte fort. Da Origenes auch die Widerlegung des Philosophen Kelsos scharf in Bücher gegliedert hat, ist man versucht, die Psychologie zu Hilfe zu nehmen und aus diesen Äußerungen eine Betonung der jeweils voll· brachten Leistung, des erfüllten Auftrags, oder gar einen leisen Widerwillen des Origenes gegen die Arbeiten herauszuhören, die ihm sein Freund Ambrosi us aufgenötigt hatte. Dann wäre die Matthäuserklärung aus einem eigenen Antrieb entsprungen. was mit seiner schon erwähnten Vorliebe flir das erste Evangelium gut zusammenstimmen wUrde. Soviel wird man feslhalten dürfen, daß Origenes Matthäus nicht etwa nebenher erklärte, vielmehr mit ganzem Einsalz dabei ist.
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Zu vielen Fragen" darf man den Matthäus·Kommentar als sein letztes Wort nehmen, das frOhere Aussagen bestätigt oder korrigiert. Allerdings war der verlorene Kommentar zu Lukas wohl noch später abge faßt; dafur spricht nicht nur, daß er nur fünf Bücher umfaßte" , also wesentlich kürzer war als comm. in MI. und wohl regelmäßig auf diesen verwies. sondern vor allem, daß er keine Erklärung zum Gleichnis vom Sämann (Lk 8,4-8 Mt 13. 1-9) enthielt", Zwei Stellen des Matthäus-Kommentars scheinen aber auf den Lukas-Kommentar zu verweisen. Xlll, 29 sagt der griechische Text (G): "Die (Auslegung) zu den 100 Schafen hast du in den Homilien zum Lukasevan gelium"; das klingt so abgekürzt, die lateinische Übersetzung (L) dagegen so echt, daß man ihr den Vorzug geben muß: . . traClavimus exponenles evangelium =
.
quod es' secundum Lucam ... Iransmiuimus ad expositionem evangeJii secundum Lucam omnem volenlem cognoscere, quid seIlserimus in isla parabola (GCS X. 261, 1 6 ft). L habe, so meint Koetschau zur Stelle, an den Lukas-Kommentar gedacht, der Abschreiber. auf den unser Text zurückgeht, dagegen habe vom Lukas-Kommentar nichts gewußt. sondern nur die Homilien gekannt und ent sprechend verdeutlicht. Aber die Ausdrücke traclare, expollue, exposilio be zeichnen weder eindeutig einen Kommentar, noch schließen sie eine Homilie aus; es ist nur ein vorliegender Text gemeint. Dabei kann Origenes aber sehr wohl an seine schon veröffentlichten Lukaspredigten gedacht haben. Schwerer wiegt die Stelle XVI, 9 (S. 503. 13 ff), weniger L: . . quaea nobjs 5U11/ dicta apud Lucam ill parabola ... als vielmehr G: "Schau nun, ob du in Erinnerung (memnemellos) an das, was wir zu dem Gleichnis im Lukasevangelium: .Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho ...' diktiert (hypagoreuo) haben, sagen kannst, daß vielleicht auch hier Jericho Symbol für den irdischen Ort ist ... " Von einer Predigt, selbst wenn sie mit Wissen und Willen des Origenes mitgeschrie ben wurde, würde er doch wohl kaum gesagt haben, sie sei diktiert. Man könnte die ganze Frage, da der Lukas-Kommentar ohnehin verloren ist, für belanglos halten. Ich gehe ihr hier aber nach, weil dabei etwas von der Art der Exegese des Origenes zutage tritt. Zunächst läßt das Wort ..erinnern" nicht an Geschriebenes denken; es kommt noch neunmal im comm. ;" MI. vor und bedeulet dreimal "erwähnen" (S. 52, 18; 363. 13; 655,3), was hier uninteressant ist; in den sechs anderen Fällen (19.4; 76.32; 1 7 1 .9; 329.9; 466. 12; 687. 3 1 ) geht es zwar zweimal um Geschriebenes, aber das wird nicht etwa nachgeschlagen, sondern in Erinnerung behalten wie Erlebtes oder Gesagtes; das Wort schließt also eine Predigt nichl aus. Daß hypagoreuo häufig ..diktieren" bedeutet. braucht nicht bestritten zu werden; andererseits ist dies im Sprachgebrauch der Antike nicht .
B. zur PrlleJ. isteoz aller Seelen vgl. Anm. 1 3 zu Buch X und XV, 35: zu den Adiaphora vgl. "om. 23 und 24 zu Buch XI: zu den Kräften Jesu vgl. Anm. 6 1U Buch XI: zum "Selbstlebeo" (: Christus) vgl. Anm. 39 und 140 zu 8uch XII: zum logos spumatik.os vgl. Anm. 90 zu Buch XIII. H VgL Rauer (siehe Anm. 34) X IX r. .. Siche oben. "z.
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Der Ko mmentar zum Evangelium nach Matth::l.us
der einzige Sinn; es kann auch so viel bedeuten wie .zu verstehen geben". "vorschlagen" . Die Erklärung des Gleichnisses von den Arbeitern i m Weinberg, dem Origenes besondere Bedeutung beimißt, leitet er so ein: "Nachdem wir zu Gott gebetet und den Namen unseres Herrn Jesus angerufen haben. wollen wir das Gleichnis auslegen und sehen. was uns gegeben wird, an ihm zu untersuchen und zu sagen oder auch hypagoreusai" (comm. in Mt. XV. 27. S. 433,24 ff). Origenes macht sonst keinen Unterschied zwischen dem im Kommentar Gesag· ten und dem Diktierten; so kann man auch hier nicht Ubersetzen: .zu sagen oder auch zu diktieren". Das Ergebnis des Untersuchens scheint vielmehr auf zwei Weisen im Kommentar niedergelegt werden zu können: entweder als ..Sagen" oder als hypagoreusai; "Sagen" scheint das zu meinen, was einer mit Nachdruck und Überzeugung als das sichere Ergebnis seiner Untersuchung vorlegt; dann wäre das hypagoreusai das. was nicht ebenso sicher ist. was mehr vermutet und nur als Deutungsvorschlag vorgetragen wird. Es wäre also zu überselZen: "als Deutung vortragen oder auch nur vorschlagen". Dem scheint es zu entsprechen, wenn das Wort im Rückblick auf die Deutung des Gleichnisses wieder verwen· det wird (XV, 36 S. 456,26). nachdem Origenes als Einleitung zu dieser Deutung gesagt hatte: ..... wir. die wir weit entfernt sind von der im Gleichnis ausgedrilek· ten Tiefe der Wirklichkeiten. und uns nur sehr wenig dazu ausdenken können, wollen einerseits einiges mit Gebet teilweise vorbringen. einiges aber von dem, was uns aufgegangen ist. ein StUck weit zeigen ..... (XV, 3 1 , S. 442, IOff). Man wird. selbst wenn sich diese Deutung des hypagoreuo nicht durchhalten ließe. feslhalten dOrfen, daß Origenes in seinem Matthäus·Kommentar noch weniger als in anderen Kommentaren mit einem Autoritätsanspruch vor den Leser hintritt, sondern sich sowohl der Begrenztheit der eigenen Einsicht als auch der beschränkten AusdrucksmögJichkeit immer bewußt bleibt. Deshalb "diktiert" er nicht, sondern macht Deutungsvorschläge, regt oft nur den Leser an, indem er ihn auf Fragen aufmerksam macht" . Zwar sind in den Bibelkommentaren der mitlelbyzantinischen Zeit, die aus aneinandergehängten AuszUgen aus verschiedenen großen exegetischen Werken der Väterzeit zusammengesetzt sind wie eine Kette aus vielen Gliedern und die deshalb Katenen heißen, zahlreiche Fragmente der MatthäuserkJärung des Ori· genes Oberliefert. aber der zusammenhängende Text des Kommentars ist uns erSI von Beginn des 10. Buches. von der Auslegung von Mt 13, 36 an, erhalten; er reicht bis zum 17. Buch. bis zur Erklärung von Mt 22,33. Von den 25 Büchern, die uns Euscb und Hieronymus bezeugen, sind also 1 7 verloren. Der Verlust wird nur zum Teil wettgemacht durch die noch aus der Spätantike stammende lateinische ÜberselZung. die bei Mt 16, 13, also im Kapitel 9 im Buch XII, einsetzt. aber bis Mt 27.66 reicht, also dem griechischen Text lange Strecken parallel gehl. Klostermann war der erste, der 1935 in GCS X beide Texlgestalten parallel nebeneinander abdruckte und so Vergleiche und neue Einsichten ermög· •
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.9 V gl. meine Übersicht: Wie Origcnes in seinem Matthäus-Kommentar Fragen offen IIßI. unten \05- 1 12.
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Der Kommentar zum Evangelium nach Manhäus
lichte. Er hat L, weil er ihn tUr einen treuen Zeugen hielt, in vielen Fällen zur Verbesserung von G herangezogen. woran aber schon L. Früchtel Kritik übte; er wollte nur einen Bruchteil der von Klostermann eingefügten Korrekturen oder Konjekturen gelten lassen, die man aber auch ohne L hätte finden könnenso. Es lassen sich gegen etliche der von Klostermann schließlich nur noch als Vorschlä ge verstandenen'l ,Verbesserungen' aber nicht allein philologische, sondern auch theologische Grunde (aus der Sicht des Origenes) vOThringenn. Außerdem hat der lateinische Übersetzer nicht einfach wortgetreu übertragen, so daß man noch aus seinen FehlüberselZungen rückwirkend den griechischen Text korri gieren könnte; er ist vielmehr ein ziemlich selbständiger Kopf gewesen, der nur übernahm, was ihm für seine Zeit brauchbar schien, und sich nicht scheute, Gedanken zu erweitern und zu verdeutlichenn.
lOL. Früchtel, Zur altlateinischen übersetzung von Origenes' Matthäus-Kommentar. GCS Origenes XIII. 2 (1955) 23-52. bes. 5 1 . s, Siehe E. Klostermann, Epilog zu Origenes' Kommentar zum Matthäus, in: SDAW.S (1964) 4, S. 26. n Vgl. meine Zusammenstellung: Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im Maubäus-Kom menw des Origeoes, unten 1 1 3-120. slSiehe meinen Seminarbericht (vgl. Anffi. 44).
Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus Teil n
In der Einleitung zu Band J (BOL 18) wurde die Theorie des Origenes von Schriftinspiration und Evangelienauslegung ausführlich dargestellt, weil sie fUr das Verständnis seiner Exegese, wie er sie tatsächlich im Matthäus-Kommentar bietet, sehr hilfreich ist. Es wurde auch daraufhingewiesen, daß die Theorie von den drei verschiedenen Schriftsinnen zwar in der Grundlagenschrift vorgetragen und (recht schwach) begründet wird. daß sie dann aber, jedenfalls in der späteren Exegese. ganz besonders im Matthäus-Kommentar, so gUI wie keine Rolle mehr spielt. Da drängt sich nun die Frage auf. ob Origenes nicht später eine andere Theorie entwickelt hat, als wir sie in der Grundlagenschrift finden. Peter J. Gorday hat in einer Besprechung1 angeregt, in die Darstellung der Inspirations theorie des Origenes auch seine Aussagen im Werk ..Gegen Kelsos" und im Römerbrief- Kommentar einzubeziehen. Wenigstens fUr das Werk "Gegen Kel sos" (und einige homiletische Werke, die in Band I (BGL 18) nicht berücksich tigt waren. die auch in die Spätzeit, nämlich die caesariensische Schaffensperi ode. des Origenes gehören) soll dieser Anregung hier gefolgt werden. Dabei kommt der Polemik des Origenes gegen Kelsos deshalb hier besondere Bedeu tung zu, weil es auch fUr Kelsos selbstverständlich war, die Texte der großen dichterischen Überlieferung allegorisch auszulegen. er aber andererseits der Bibel die Allegorisierbarkeit absprach. Außerdem hat das Werk "Gegen Kelsos" von seinem Umfang her besonderes Gewicht. weil sich daran zeigt, wie bedeut sam für Origenes diese Auseinandersetzung war. Schließlich ist es wohl zur selben Zeit abgefaßt wie der Matthäus-Kommentar.
Gleichzeitigkeit von Matthäus-Kommentar und Kel sos w id erlegung Zwar spricht Origcnes schon im 5. Kapitel von Buch XlV seiner Auslegung des Matlhäusevangeliums (GCS X, 282,225) von dem .,wahren Wort, wie Jesus selbst es zu dieser Stelle erklärt hatte". aber in XVI. 10 (S. 505. 1 1 ) scheint der Ausdruck ..wahres Wort" (ale/lies logos) geradezu aus dem Text hervorzuste chen, weil er sich sonst bei Origenes kaum findet. Er spricht von der "wahren Absicht" (S. 348.29). vom "wahren Bischof der Herzen" (S. 76.31), von
1
Palrislics. Dcpar\(�meDt of Rcligious Sludies. John Caroll UniversilY, Cleveland, Qhio. Jaß. 1985. 5.
Der Kommentar zum Evangelium nach Mallhäus
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"wahren Gedanken" (5. 54,20) usw., aber eben nicht vom "wahren Warf', So gewinnt man den Eindruck. daß etwa die Bezeichnung Christi als des alelIres logos, die nur in einem Fragment erhahen ist (GCS XI. 79.3). eher der eigenen Ausdrucksweise des Origenes entspricht. Die beiden zuerstgenannten Verwen dungen des Ausdruckes könnten ihm von anderswoher zugeflossen sein. Es gibt Hinweise darauf. daß er parallel am Matthäus-Kommcntar und an der Widerle gung des "Wahren Wortes" des Kelsos gearbeitet hat. In diesem Werk (Cels. VI, 36) behauptet er l. B. Folgendes: "Der Logos (oder: das Schriftwort) sagt, die Tore des Todes seien die zum Verderben führenden Sünden. wie auch die Tore Sions im Gegensatz dazu die guten Taten; so auch die Tore der Gerechtigkeit, was dasselbe ist wie die Tore der Tugend ...... Nun kann man in der Sch rift, nämlich in Psalm 1 17. 19, den Ausdruck ..Tore der Gerechtigkeit" und in Psalm 9, 1 4 f die AusdrUcke "Tore des Todes" und "Tore der Tochter Sions" finden; der Ausdruck "Tore der Tugend;' dagegen erscheint nirgendwo in der Heiligen Schrift. Origenes selbst aber spricht bei der Erklärung der "Tore des Hades" (MI 16, 1 8) über verschiedenartige Tore Sions, die den mit den Sünden oder Lastern gleichgesetzten Toren des Todes oder der Unterwelt entgegengesetzt sind und ihrerseits mit der Tapferkeit (comt1l. in Mt. XII, 13, GCS X S. 93. 18), mit der Klugheit (ebd. Z. 20), mit der Selbstbeherrschung (ebd. S. 95.2), riüt der Gerechtigkeit (ebd. Z. 5), und ganz allgemein mit den einzelnen Tugenden identifiziert werdenl. Was Origenes also hier "Aussage des Logos" nennt, ist in Wirklichkeit seine eigene Interpretation, wie er sie in comm. ;n Mt. XII, 1 3 geboten hat. Nun ist Origenes freilich davon überzeugt. nicht persönliche Gedanken vorzutragen, sondern die Aussageabsicht der Hl. Schrift selbst, bzw. des durch sie sprechenden Logos (so meist im Buch gegen Ke1sos) oder des sie inspirierenden HI. Geistes (so im 4. Buch der Grundlagenschrift)l aufzudecken. Aber die dazu nötige Gedankenarbeit scheint fUr die "Tore der Tugend" nicht im Werk gegen Kelsos geleistet, sondern vorausgesetzt zu werden, offensichtlich aus comm. ;11 Mt. XTI, 13. Ähnliche Übereinstimmungen zwischen dem Mat thäus-Kommentar und dem Werk Gegen Kelsos lassen sich auch an anderen Stellen entdecken. Kelsos hatte von den Boten Gottes gesprochen, die schon vor Jesus zu den Menschen, speziell zu Israel, gesandt worden waren (Ce/s. V. 54); in seiner Antwort darauf erinnert Origenes sich des Gleichnisses von den bösen Winzern, zu denen der Herr des Weinbergs zu verschiedenen Zeiten Knechte gesandt hat, und sagt: .Es sollen also auch andere von Gou gesandt worden sein und dieser (Jesus) soll mehr ( Bedeutenderes) verkündet haben und er soll, weil die Juden pnichtvergessen waren und die Frömmigkeit verfälschten und nicht Heiliges taten, das Reich Gottes anderen Winzern (Mt 2 1 . 4 \ . 43) übergeben haben. nämlich denen, die überall in den Kirchen auf sich selbst achten und alles tun. um die von der Lehre Jesu ausgehenden Anregungen durch ein reines Leben und •
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I
Siehe Bd. I, 1 74 (hier nicht abgedruckt). ) Vgl. Der Kommentar zum Evangelium nach MatthIlus (oben 23 ff).
Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
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eine Lehre. die dem Leben entspricht, zum Gott des Alls hingelangen zu lassen" (Ce/s. V. 58). Das Fruchtbringen, bzw. Abliefern der Früchte, besteht also darin, daß man in ständiger Selbstprüfung die Lehre Jesu verwirklicht und so zu Gott gelangt. Sachlich wäre ein Hinweis auf das Gleichnis von den bösen Winzern keineswegs notwendig gewesen; aber Origencs erinnert sich hier nicht nur dieses Gleichnisses. sondern verwendet gegen Kelsos auch Ausdrücke, deren er sicb im comm. in MI. XVII. 8 (GCS X, 605.24fl) bedient. Dort sagt er nämlich: ..Und es soll in jeder Seele der Logos (oder: die Vernunft) als vom Hausherm gepflanzter Weinstock verstanden werden und als Weinberg verstanden werden die Anregungen aller zum Heil notwendigen Aufgaben·�. Gerade weil die Blickrichtung eine ganz andere ist - gegen Kelsos interpretiert Origenes die Geschichte des Volkes Israel, im Matthäus-Kommentar ist an dieser Stelle von der einzelnen Seele die Rede - fallt die Verwendung desselben Ausdruckes "Anregungen" (aplrormai) besonders auf. Man möchte vermuten, daß kein allzu großer zeillicher Abstand zwischen der Ausarbeitung von COIT/m. in Mt. XVU und Ce/so V. 58 bestand. Aus Kapitel 56 des 5. Buches gegen Kelsos aber scheint mir hervorzugehen, daß Origenes damals weder den Matthäus-Kommentar, noch überhaupt einen Evangelien-Kommentar zu Ende gebracht hatte. Er geht da auf den Vorwurf des Kelsos ein, die Evangelien widersprächen einander, daja in den Auferstehungserzählungen bei Manhäus und Markus nur ein Engel auftritt, während Lukas und Johannes von zwei Engeln sprechen. Dann erklärt Origenes: .,Es wäre nun möglich zu beweisen, daß jede dieser (verschiedenen Angaben) ... eine tiefere Bedeutung offenbart. die in dem enthallen ist. was früher denen aufgeschienen ist, die vorbereitet waren, die Auferstehung des Logos anzuschau en; aber dies ist nun nicht Sache dieser Abhandlung, sondern gehört mehr in die Exegese der Evangelien." Da Origenes sonst gern auf seine exegetischen Arbei tcn und deren Ergebnisse verweist. gewinnt man hier den Eindruck. daß er zwar eine ungefähre Vorstellung von dem hat. was zu dem einen. bzw. zu den zwei Engeln zu sagen wäre, daß er dies aber noch nirgends genau zu Papier gebracht haI. Der Lukas-Kommentar muß, da er nur sehr kurz war, nach dem Matthäus Kommentar geschrieben sein; einen Markus-Kommentar hat Origencs nie ver faßt. und ob er den Johannes-Kommentar zu Ende gebracht. ist ganz ungewiß, sicher aber nicht in der Breite, mit der er ihn begonnen hat. Der einzig vollstän dige Kommentar zu einem Evangelium ist wohl der Matthäus-Kommentar; und der eben scheint um diese Zeit noch nicht bis zur Auferstehungserzählung gediehen zu sein; andererseits war Origenes aber. als erdas 5. Buch gegen Kelsos schrieb. mindestens bis Buch XVII des Matthäus-Kommentars gekommen, wie sich schon ergab. Daraus ist wohl zu schließen, daß Origenes zur gleichen Zeit an beiden Werken gearbeitet hat und daß deshalb eins zur Erklärung des anderen herangezogen werden darf.
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Vgl. Aom. 25 zu Buch XVII, 8 (hier nicht abgedruckt).
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Der Kommentar zum Evangelium nach Mauhäus
Drei Schriftsinne in den Predigten zum Heptateuch Es gibt in seinen exegetischen Werken nur gelegentlich grundsätzliche Äuße· rungen über die (drei) Ebenen. auf denen die Bibel verstanden werden kann und verstanden werden will. mir sind in seinen Predigten zum Heptateuch (also zu den 5 Büchern Mose und dem 105ua- und Richterbuch) nur zwei solche Aussagen aufgefallen. In der 2. Genesis-Homilie (cap. 6) gewinnt Ongenes aus der Anweisung an Moses, die Arche "zweigeschossig und dreigeschossig" zu bauen (Gen 5. 1 6 b LXX), die Einsicht. manchmal sei in die HI. Schrift nicht ein dreifacher, sondern nur ein zweifacher Sinn hineingelegt worden. Die Begrün dung dafür ist freilich überraschend: Manchmal ergäbe der historische. d. h. einfach erzählende. Text keinen Sinn wie z. B . in Spr 26.9: "Dornen wachsen in der Hand des Trunkenboldes". Origenes hält hier also grundsätzlich einerseits an der Dreistufigkeit des Schriftsinnes fest und faßt andererseits den wörtlichen Sinn so eng, daß schon die Aussageabsicht einer Bildrede nicht mehr als Wortsinn verstanden werden kann; er bleibt also bei den Überzeugungen, die er in der Grundlagenschrift (IV. 3,3) geäußert hat'. Eine neue Sichtweise zeichnet sich dagegen in der 5. Homilie zum Leviti· cus·Buch (cap. 1 ) ab. Freilich wird auch hier an der Dreistufigkeit des Schriftsin· nes festgehalten,ja diese sogar nachdrücklich betont: Gott selber habe in der HI. Schrift Seele. Leib und Geist (in dieser Reihenfolge!) geschaffen'. Neu aber ist die heilsgeschichtliche Periodisierung der drei Schriftsinne: Der Leib der Schrift sei. so sagt Origenes, für die, die vor uns waren. bestimmt gewesen; damit kann er nur die Menschen des Alten Bundes meinen; die Seele der Schrift sei für uns (also für die Christen, für die Menschen des Neuen Bundes bis zum Ende der Zeiten), der Geist aber für die bestimmt. die in der Zukunft das ewige Leben erben'. Man sollte meinen. daß dieser "Geist der Schrift" uns jetzt unzugänglich wäre. Aber in sozusagen glücklicher Inkonsequenz ist Origenes entschlossen. jetzt nicht nur "die Seele des Gesetzes" (hier ganz genau der Opfervorschriften) zu suchen, sondern auch, wenn Gott selbst, den man um Einsicht bitten muß. es gewährt. zum "Geist der Schrift.. aufzusteigen; ob dies gelingt, sei zwar fraglich; unmöglich ersc heint es ihm aber offenbar nicht. Man könnte ja auch die Suche nach der Seele des Gesetzes für im Erfolg zweifelhaft ansehen; aber dem Origenes kommen solche Zweifel offenbar nicht, wohl einfach deswegen, weil die Seele des Gesetzes sich rur die Kirche von selbst versteht, wenn einerseits dessen wörtliche ErfOllung nicht mehr geboten (auch für die Juden nicht mehr möglich) ist. andererseits aber die Schrift insgesamt fOr die Kirche in Gehung
' Vgl. dazu: Der Kommentar zum Evangelium nach Mauhäus (oben 23 U). " (VII. 20) nur noch: Das Gesetz ist doppelt. das eine • Später beißt es im Buch "Gegen Kelsos " im Blick auf den Wortlaut, das andere im Blick auf das Verständnis". I In C�b. VII. 60 wird synchron unterscbieden zwischen denen. die im gricchiscben Sinn philosophisch gebildel sind. und der Menge der ungebildeteo Zubörer; weil GOI! zu heiden redet. redet er auf zwei Ebenen. gibt es zwei Scbriftsione.
Der Kommentar zum Evangelium nach Malthäus
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tlr bleibt. Aus der Sicht des Origenes ist wohl auch der Versuch, zum eigentlich f die zukünftigen Erben des ewigen Lebens bestimmten Geist der Schrift aufzu steigen, nicht so inkonsequent, wie man zunächst meinen könnte. Es haben ja auch die Propheten. obwohl sie in der Zeit lebten. für die nur der Leib der Schrift bestimmt war, doch keine geringere Einsicht besessen als Apostel und Evange listen'.
Zwei Schriftsinne in den lerem i a Homi lien -
Besonders interessant wäre es natürlich, wenn sich in der einzig griechisch erhaltenen Homilien-Reihe, nämlich zum Propheten Jeremias. klare Äußerun gen des Origenes zur Zahl der Schriftsinne finden ließen; aber leider gibt es nur Andeutungen'. In der 14. Homilie (§ 16) sagt Origenes, schon der Wortlaut von Jer 1 5 , 1 7 (" In der Einsamkeit habe ich mich hingesetzt") sei erbaulich; trotzdem lasse sich vielleicht auch noch ein "tieferer prophetischer Sinn" finden. Und in der 18. Predigt zu Jeremia (§ 4) ist Origenes durchaus damit einverstanden, daß jeder die Bibel nach seiner Fähigkeit versteht; für den einen sei sie Quelle. die an der Oberfläche fließt. für den anderen tiefer Brunnen. Ob Origenes sich diese Zweiteilung wirklich von der Aufforderung in Spr 5. 15 f. man solle aus dem eigenen Brunnen trinken, die Quellen nicht umsonst verströmen lassen, hat eingeben lassen'o, sei dahingestellt. Auf keinen Fall hätte dieser Text zu einer Aufgabe der Dreiteilung des Schriftsinnes gezwungen. Im Zusammenhang findet sich etwa der Begriff Zisterne, so daß sich leicht drei verschiedene Wasserstellen hätten benennen lassen. Außerdem drängte nichts dazu, zur Er klärung von Jeremia den genannten Spruch heranzuziehen. Man wird aus diesen beiden Jeremia-Homilien wohl folgern dürfen. daß dem Origenes zu der Zeit nichts mehr an der Unterscheidung eines dreifachen Schriflsinnes laglL •
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So im Johannes-Kommentar 2, 34.205: 6, 3,15; 6, 4,24; 1 3 , 48,319; vgl. dazu HJ. Vogl: Das Kirchenversl�ndnis des Origenes, Köln t974, 17 und 196. • E. Schade! selZl sich in der Einleitung zu seiner Übersetzung dcr Jeremia-Homilien: BGL 1 0 ( 1 980) 42 ff zwar überzeugend mit der Meinung von H. de Lubac über den dreifachen Schriflsinn bei Origenes, bzw. die zwei verschiedenen Einteilungen des dreifachen Schriflsin nes auseinander, kann aber für seine eigene Auffassung keinen Beleg aus den Jeremia-Homi tien beibringen und ergeht sich daher in triadologischen Spekulationen. die darauf hinauslau fen, daß die Aufgabe der Dreitei lung des Schriftsinnes einer Leugnung einer der drei gölllichen Personen gleichkäme. 10 P. Nautin. Orig�oe. Hom�lies sur Jtn!mie ::: SC 238, 187. Anm. 2 verweist dafür auf die Homilie 12, I 1.U Numeri: don sagl Origenes, nachdem er zuvor Spr 5 . I S f ganz zitiert hat: ,,'" wo zugleich die Brunnen mit der Quelle genannt werden, muß man das vom Wort Gottes verstehen: Brunnen ist es, wenn es ein tiefes Geheimnis verbirgt, Quelle, wenn es reichlich zu den Völkern strömt" (GeS Origenes VI, 94, 26ff). Da geht es aber nicht um Sehriftsinne, sondern um zwei verschiedene Wi.tkweisen der Schrift.
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Der Kommentar zum Evangelium nach MaUhäus
Die Bedeutungsebenen im Werk gegen Kelsos Das wird im Werk Gegen Kelsos vollends deutlichl\ schon in Kapitel 1 8 von Buch t wird Mose als ein "echter Rhetor" (also rhetorisch gebildeter Schriftstel ler) vorgestellt, "welcher überall mit Sorgfalt die Verdoppelung des Ausdrucks (dip/oe res lexeos) vorbringf'; dies tue Mose in allen seinen fUnfBüchem, indem er weder der Menge der Juden, die das Gesetz empfingen. einen Anlaß zum Schaden im moralischen Verständnis (ethikos topos) gab, noch den wenigen, die verständiger mit dem Text umgehen können und seine Aussageabsicht zu erfor schen vermögen, eine Schrift vorlegte, die nicht mit Schau angefüllt wäre. Die mosaischen Gesetze bieten also überall sittliche Weisungen, und zwar solche, durch die der Mensch jedem Schaden entgehen kann, und zugleich Wesens schau, wohl in erster Linie Gottes, dann aber auch der Welt und des Menschen. Die BUcher des Mose sind also geeignet fUr die Verständigeren und flir die Einfaltigeren; und zwar gilt dies nicht nur im Volk Israel. Origenes ist vielmehr Uberzeugt, daß Mose deswegen und nur deswegen, weil er sowohl den Einfälti geren als auch den Verständigeren Hilfe bot, auch "viele von denen, die dem bei den Juden (Ublichen) Lebenswandel fremd sind, dazu bewegen konnte zu glauben, daß Gou, der Schöpfer der Welt, selbst es war, der zuerst diese Gesetze gegeben und dem Mose Ubergeben hat, wie die Schriften es verkünden" (ebd). NatUrlieh bieten nicht nur die Schriften des Mose, sondern alle heiligen Schrif ten im ganz allgemeinen Sinn Hilfe. Nutzen (oplleleia); auch das erklärt Orige nes grundsätzlich im Werk "Gegen Kelsos" und zeigt es im einzelnen im Mauh äus- Kommentari]. Das ist fOr Origcnes der entscheidende Unterschied zu den weisen Dichtern. auf die Kelsos sich berufen möchte; deren Schriften sind. so meint Origenes, verlorengegangen, weil man darin keine Hilfe fand. Dabei behauptet Origenes keineswegs, diese Dichtungen, die verlorengegangen sind, seien minderwertig gewesen. hätten nicht, wie es sich für jeden guten Schriftsteller geziemt. "Ver doppelung des Ausdrucks" geboten, hätten sich nur auf einer Vcrständnisebcne geäußert. Man darf also den Nutzen einer Schrift nicht ausschließlich darin begrUndet sehen, daß sie auf zwei Ebenen verstanden werden kann und sowohl den Einfältigeren als auch den Verständigeren Weisung und Lehre bietet; auch eine Schrift, die nur den Einfaltigeren sittliche Weisung oder nur den Verständi-
II
So möchte man zweifeln, daß die Jeremia·Homilien in dieselbe Zeil gebören wie die Homilien zum Heptateuch: alle werden von Nautin um 240 angesetzt. Freilieb darf man diesen Unter· schied nicht allzu gewichtig nehmen: Origenes kann auch innerhalb desselben Werkes unter· schiedliche Gesichtspunkte vertrelen. wie sich aueh im Werk "Gegen Kelsos" zeigen wird. 11 Zum Folgenden vgl. meinen Beitrag: The later Exegesis or Ongen (unten 135-142). 11 VgJ. R. Gögler. Opheleia dans le Commentaire sur Maubieu d'Origl:ne: Origeniana Secunda ::: Quaderni di ..Vetera Christianorum" 15, Rom 1980. 199-203.
Der Kommentar zum Evangelium nach Matth:tus
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geren Wesenseinsicht vermitteln würde. wäre von Nutzen, frei lich nicht von allgemeinem Nutzen. Origenes selbst erklärt im 6. Buch ..Gegen Kelsos" (Kap. 2), Plato habe aufgrund seines hochliterarischen Stiles direkt nur wenigen, nämlich den Gebildeten. genUtzt. der großen Menge allenfalls indirekt; Epiktet dagegen sei auch von den einfachen Leuten gelesen worden. jedenfalls von denen, die einen Nutzen (opheleisthai) suchten. Von allgemeinem Nutzen ist eine Schrift nur, wenn sie allen Lesern, einfaJtigeren wie verständigeren, Hilfe bietet. Andererseits ist wohl durch die "Verdoppelung des Ausdrucks" (im eben erklärten Sinne) noch keineswegs die Nützlichkeit einer Schrift gesichert; Origenes bestreitet ja den verlorengegangenen Dichtungen ihre Nützlichkeit, ohne ihnen dichterische Qualität, d. h. Aussage auf zwei Verständnisebenen, abzuerkennen. Die Rede von der "Verdoppelung des Ausdrucks" macht deutlich, daß Origenes hier i m Werk .,Gegen Kelsos", also wohl allgemein in seiner Spätzeit, keinen Wert mehr auf Unterscheidung der drei Verständnisebenen legt. wie er sie in der Grundlagenschrift dargelegt haue. Andererseits wird man die Beto nung der zwei Verständnisebenen nicht als Ablehnung der Unterscheidung von drei solchen Ebenen, also von drei ..Schriftsinnen", auffassen dUrfen; der Grund für die Betonung der zwei Verständnisebenen ist im Grunde noch derselbe wie für die Unterscheidung der drei verschiedenen Schriftsinne. nämlich daß die Bibel allen. die auf sie stoßen. Hilfe bietet. In seiner frühen Grundlagenschrift ließ Origenes sich durch das Hermas- Buch dazu anregen. die Gesamtheit der Bibelleser in drei Gruppen aufzuteilen: in die Witwen und Waisen, die den bloßen Wortsinn vernehmen, die Auswärtigen (die Seelen außerhalb des Leibli chen) und schließlich die Ältesten der Gemeinde. die das lebendige Wort höreni'. In seinem späten Werk "Gegen Kelsos" unterscheidet er nur noch zwischen der Menge (die Gesetzesweisung empfängt) und den Wenigen (die Wesenserkennt nis suchen). Origenes gibt dabei keinen Hinweis auf eine Stelle der Mose-BU eher. die ihm diese Unterscheidung nahegelegt hätte; es dürfte sich eine solche Stelle auch wohl kaum finden lassen. Im Matthäus-Evangelium dagegen finden wir die Unterscheidung zwischen den Scharen. also der Menge, und den Jün gern, also den Wenigen (Mt 13. 36); und Origenes selbst hat sich mit dieser Unterscheidung so aufmerksam befaßt. daß sie ihm eine geradezu dichterische Sprache eingibt I '. Vielleicht darf man auch die Aufnahme dieser Unterscheidung zwischen der Menge und den Wenigen in die Auseinandersetzung mit Kelsos als Hinweis darauf verstehen. daß Origenes seine Erklärung zu Mt ) 3. 36 im Kopf haue. also Buch X des Kommentars noch nicht lange verfa6t war, als er das Werk Gegen Kelsos begann. Jedenfalls wird darin grundSätzlich die Unterscheidung von (nur) zwei Schriftsinnen erklärt. wie sie im Matthäus-Kommentar im einzelnen durchgeführt wird. I.
Vgl. Der Kommentar zum Evangelium nach Manhäus (oben 23 ff). 11 Vgl. meine auf G. LomieDto zurückgehenden Erklärungen zu comm. in MI. X I ( Bd. I, 61 f, hier nicht abgedruckt) in: Der Kommentar zum Evangelium nach Mallhllus (oben 23 ff). ::
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Der Kommentar zum Evangelium nach Mauhl1us
Nun muß man allerdings damit rechnen, daß die Auseinandersetzung mit Kelsos dem Origenes eine neue Sichtweise sozusagen aufgezwungen hatte. Daß er den Mose als .,echten Rhetor" bezeichnet und seine dichterische Kompositi onstechnik beschreibt. entspringt nicht einer sozusagen unbefangenen Beschäf tigung mit heiliger Literatur, sondern ist Verteidigung des Mose, Antwort auf die Angriffe des Kelsos; der hatte nämlich alle jene angegriffen, welche die Erzählungen (historiai) des Mose ..bildlich oder allegorisch auslegen" (tropolo ge;'1 oder allegare;'l: Cels. I. 17), und zwar deswegen, weil die Bücher des Mose solcher Auslegung gar nicht würdig seien. Origenes faßt diese Meinung des Kelsos so zusammen: ..Wenn die Ägypter Mythen erzählen, glaubt man, daß sie in Rätseln und geheimen Worten philosophiert haben; wenn aber Mose für ein ganzes Volk Geschichten geschrieben und ihnen Gesetze hinterlassen hat, hält man dies für leere Mythen und seine Worte filr keiner Allegorie fähig" (Ce/s. I, 20). Origenes muß also beweisen, daß die heiligen Schriften der Juden und Christen überhaupt einen tieferen Sinn enthalten; ob der sich dann wiederum auf verschiedene Verständnisebenen aufgliedern läßt, ist hier eigentlich nicht entscheidend. Andererseits hätte Origenes mit einem Hinweis auf den mehrstu· figen tieferen Sinn der Schrift deren Allegorisierbarkeit noch überzeugender dartun können. Daß er dies, soweit ich sehe, im ganzen Werk ..Gegen Kelsos" nicht tut, scheint ein Beweis dafür zu sein, daß ihm an der Unterscheidung von drei Schriftsinnen nun nichts mehr lag. Da es für Kelsos ausgemacht war. daß die heidnische Dichtung einen tieferen Sinn enthält, zitiert Origenes als Vergleichstext für die Erschaffung des Adam die Erzählung des Hesiod über die Pandora. die er als ..lächerlich" bezeichnet. Dann wiederholt er seine nun geradezu höhnisch klingende Frage, ob die Griechen, die Ägypter und sogar die Barbaren. die ihre Mysterien ernst nehmen, ..in Andeutung philosophieren dUrfen"", und nur die Juden die Unvernünftigsten aller Menschen sind und Uberhaupt keinen Anteil an der Macht Gottes erhalten haben. Dabei gilt ihm nicht nur als ausgemacht, daß gerade die Juden und nur sie "belehrt wurden. (im Geist) zur ungewordenen Natur Gottes aufzusteigen. und ... alle Hoffnung auf ihn zu setzen" (Ce/s. IV, 38), sondern auch daß jeder unvoreingenommene Leser der Paradieseserzählung einsehen wird, daß dies alles bildlich auszulegen ist" (tropo[ogeill). Wer das nicht zugeben will, wer " eben so denkt wie Kelsos. wird sich auch Uber den platonischen Mythos von der Geburt der Aphrodite lustig machen. Origenes aber zweifelt nicht daran. daß Plato seine tiefen Einsichten "wegen der Menge in der Gestalt des Mythos verborgen". aber. wie notwendig war, zu denen gesprochen hat. welche darin "die Wahrheit zu finden verstehen" (Ce/s. IV, 39). Dies dürfte für Origenes. wie schon oben angedeutet. der entscheidende Unterschied zwischen dem durchaus verehrungswürdigen Plato und der Heiligen Schrift sein; von dieser sagt Orige· nes nicht. daß sie etwas vor der Menge verbergen will; sie erzählt in schlichterer
·'Zur Bedeutung von ..Philosophieren in Andeutung� siehe unteD.
Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
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Form für die Menge. "An vielen Stellen verwendet der Logos ( die Heilige Schrift?) geschehene Geschichten; er hat sie aufgeschrieben zum Erweis (pa rastasis) von größeren Dingen. die nur in Andeutung (hYPolloia) geoffenbart werden ... (Cels.IV, 44). Freilich wird man dies nicht sofort beim Lesen der biblischen Geschichten gewahr; bei den Propheten muß man beginnen, um die Bibel recht zu verstehen, denn bei ihnen sind " die Inhalte der Geschichte (ta apo tes hislorias) nicht wie Geschichtsinhalte (ouch hos apo tes historias) aufge schrieben" . Die Formulierung klingt widersinnig und ist doch auf den zweiten Blick einleuchtend; bei den Propheten sieht man sofort. daß auch erzählende Teile nicht um der Erzählung, sondern um der Verheißung willen niedergeschrie ben sind'J. Von den so verstandenen Prophetien kann man dann zu den Geschich ten übergehen und erkennen, daß auch sie ,.zum Zweck der übertragenen Auslegung (trop% gia) geschrieben und sehr weise so aufgeteilt (oder: angelegt oikoflomeo) sind, daß sie sowohl auf die Menge der einfachen Gläubigen als auch auf die Wenigen abzielen. welche die Dinge mit Verständnis untersuchen wollen und können". Das gill nalUrlich zunächst einmal vom Alten Testament; daß Origenes dabei aber genauso das Neue Testament im Blick hat, zeigt sich an dem Beweisgang, den er dann anschließt und der etwa so läuft: Wenn nur die heutigen Juden und Christen die Schrift (ganz allgemein gesprochen) allegori sieren würden, müßte man Kelsos vielleicht recht geben; nun haben dies aber auch schon die "Väter der Dogmen" selbst getan, also ist Kelsos widerlegt. Als einen solchen Vater nennt Origenes dann aber zuerst und am ausführlichsten, nämlich mit sechs Stellen, Palilus; dann kommen nur zwei Psalm- und zwei ProphetensteIlen. Und Origenes faßt so zusammen: ,.Denn unser Schrifttum zielt auch auf die Menge der Einfacheren; um die aber habcn sich die griechischen Dichter nicht gekümmert" (Cels. IV, 50). Die ganze Bibel, Mose. Propheten, Psalmen und Paulus, sind für Origenes "unser Schrifttum". Er setzt aber die Einheit von Altem und Neuem Testament nicht nur einfach voraus, sondern betont die Übereinstimmung gerade dort, wo man vielleicht Gegensätzlichkeit finden möchte: ..Das Evangelium widerspricht nicht dem Gott des Gesetzes, nicht einmal im Wortlaut, wo es um die Ohrfeige geht. Keiner von beiden lUgt, weder Mose noch Jesus; auch hattc der Vater, als er Jesus sandte, nicht vergessen, was er dem Mose vorgeschrieben hatte; er hat auch nicht etwa seine Meinung =
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Die Oberseuer scheinen mir das Paradoxe des Ausdrucu wegUbersetzt zu haben, indem sie den Text anders konstruieren, nä.mlich das ouch hOl apo Ul hillOrial als GegenstUck zu dem apo gar IOn p,oph�ttion nehmen und etwa so Uberselzen: .,Denn aus den Weissagungen ... k.ann man eher als aus der geschichllichen Darstellung die Überzeugung gewinnen ...". so KOCI$chau ( Bibliothek. der Kirchenväter, Origenes 11, 1 926. 364); Ihnlich H. Chadwick (Contra Cdsum, translaled, Cambridge 1965. 224): .. . . 10 be convinced in a way whicb would nOI come from the history alone ...", oder M. Borret, (Orig�ne, Contre Celse 11, SC 136 ( 1 968) 309-31 1): .. . . en partant des proph�lies . . . CI non a pariir de I ' hisloire ... ,. Daß dies nicht riChtig ist, ergibt sich aber daraus. daß die Prophezeiungen ebenso wie die Historien, von denen dann die Rede ist, im Plural stehen; der Doppelausdruck, der historia im Singular bietet, muß also zusammengenommen werden. .
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Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
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geändert, seine eigenen Gesetze verworfen und seinen Boten mit entgegenge setzten (Verordnungen) gesandt" (Cels. VII. 25). Was aus dem Werk "Gegen Kelsos" zunächst über das Alte Testament zu lernen ist, gilt also auch fUr das Neue; was Origenes über die Erzählungen des Mose sagt, kann und muß auf die Evangelien angewendet werden und interessiert eben besonders für das Mau häusevangelium, da On genes dieses wohl als einziges ganz kommentiert hat. Es ergibt sich also aus dieser Auseinandersetzung des Origenes mit Kelsos. bei der es um den Rang und die Bedeutung der Bibel als Schriftwerk geht, daß Origenes in dieser Spätphase nur zwei Schriftsinne. zwei Ebenen des Bibelverständnisses unterscheidet.
Tötender Buchstabe - Lebendigmachender Geist Diese beiden Schriftsinne sind aber nützlich, bieten gebildeten und einfachen Menschen Hilfe. Ln ganz anderer Weise unterscheidet Origenes einen doppelten Schriftsinn gegen Ende seines Werkes "Gegen Kelsos", wenn er sich auf das berühmte Pauluswort (2 Kor 3,6 b) stützt: Der Buchstabe tötet. der Geist macht lebendig. Der Buchstabe ist für Origenes die ..sinnenhafte Auffassung der göttlichen Schriften, der Geist dagegen die verstandesmäßige" (Cels. VI. 70). Wenn es im 7. Buch "Gegen Kelsos" (Kap. 20) heißt. der tötende Buchstabe sei der Sinn des Wortlautes, der lebendigmachende Geist dagegen der Sinn des Verständnisses, ist wohl dasselbe gemeint. Im ersten Fall geht es Origenes darum zu zeigen, daß Gott, auch wenn er ,.Feuer" oder ..Pneuma'· genannt wird. doch Geist (noeton) ist. 1m zweiten Fall dagegen stimmt Origenes dem Kelsos zu, daß das den Juden durch Offenbarung gegebene Gesetz auch verhängnisvolle Wir kungen für sie gehabt hat, und führt zur Erklärung des Pauluswortes die zwei sich genau widersprechenden Gottesworte aus dem Buch des Propheten Eze chiel [20, l l und 25) an, die so lauten: "Ich habe ihnen gute Rechtsvorschriften gegeben .... in denen sie leben können" und: "leh habe ihnen schlechte RechlS vorschriften gegeben, in denen sie nicht leben können". So habe auch Paulus einerseits das Gesetz schlecht machen (diabaJ/ein) wollen und spreche deshalb vom .Dienst des Todes, der auf Steintafeln geschrieben ist" (2 Kor 3,7-8), bewundere es aber andererseits auch und bezeichne es daher als geistlich. heilig, gerecht und gut (Röm 7. 12. 14). Dieser doppelte Sinn. nämlich ein verhängnis voller und ein hilfreicher. ist aber zunächst wohl nur im Gesetz (im engeren Sinn) zu finden. Keineswegs ist etwa im Neuen Testament überall der Wortsinn tödlich. Origenes sagt vielmehr oft genug. daß auch schon der Wortlaut eine hilfreiche Ermahnung zum rechten Leben enthält". •
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XIV, 25; XV. 22: XV. 24: XVI. 29. Aber es gibl auch im NT lÖIende Buchstaben; so ausdrücklich in XV, 2.
Siehe elwa comm. in MI.
Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
Tropologie
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A llegorie
Daß es hilfreichen Schriftsinn nach der Meinung des Origenes (nur) auf zwei Ebenen gibt, kann man auch bei einer Untersuchung der von ihm verwendeten Terminologie erkennen. Schon in Anmerkung 28 zu comm. i" MI. X, 14 (Bd. I, 102 f) war im Vorgriff auf comm. ill Mt. xvn, 35 darauf h ingewiesen worden, daß Origenes die (ropa/ogia mit der aflagoge identifizieren kann; letztere. nämlich die Hinaufführung des Verständnisses (oder auch des Textsinnes). wird durch Allegorisieren gewonnen. Im Werk ..Gegen Kelsos" scheint es zunächst so. als mache Origenes einen Unterschied zwischen ..Tropologisieren" und Allegorisieren; er berichtet nämlich. daß Kelsos den jUdischen und christlichen Auslegern das Recht abspricht, die Erzählungen des Mose tropologisch und allegorisch auszulegen (Cels. I, 17). und wirft seinerseits den Gewährsleuten des Kelsos vor. sie hätten nur für jene geschrieben, die tropologisieren und allego risieren können (ebd. 1 8), aber schon im Kapitel 20 desselben Buches, also im gleichen Gedankengang, bekämpft Origenes, wie oben schon gezeigt, die Vor stellung, die Bücher des Mose " ließen keine Allegorie zu". Wäre die Tropologie für Origenes sachlich von der Allegorie verschieden, dann mUßte sie hier doch wohl eigens erwähnt werden. Andererseits stellt Origenes in Kapitel 42 dessel ben Buches der .Zustimmung zum Wortlaut" nur noch die (ropalagia gegenüber, ohne die allegoria zu erwähnen. Wo Kelsos Jesus einen Vorwurf daraus macht, daß er Essig und Galle gelrunken habe, statt den Durst auszuhalten (Cels. II, 37), erklärt Origenes, in diesem Zusammenhang nur allgemein darauf antworten zu wollen; eine Auslegung (diegesis) im Besonderen (idia) erhalte dieser Vorwurf (oder Text?) in der Tropologie'9. Die Evangelien (mit Ausnahme von Lukas) berichten i n der Leidensgeschichte. also erst gegen Ende. davon. daß Jesus den Essig getrunken hat. Wenn Origenes hier nicht einmal andeutet, was er zu diesem Evangelientext zu sagen hat, auch nicht auf einen Kommentar verweist, obwohl dies sonst geradezu seine Gewohnheit ist. wird man schließen dürfen, daß er i n keinem Kommentar (also weder zu Johannes noch zu Matthäus) so weit gelangt war. Noch wichtiger aber erscheint mir, daß er, da er die Iropalogia von dem unterscheidet. was jetzt (gegen Kelsos) zu sagen ist, mit tropologia offenbar seinen ganzen Evangelienkommentar bezeichnen kann. Im 5 . Buch (Kap. 58) will Origenes für die von Kelsos aufgeworfene Frage nach dem Engel, der den Stein vom Grab weggewälzt hat (Mt 28,2), ,Jetzt keine Tropologie darlegen",
"Die Übersetzung von Borret (vgl. oben Anm. 17) S . ]7]: .,comporte une interpr�lation all�gorique". verdient wohl Zustimmung in der Identifizierung VOD Tropologie und Allegorie. scheiDt mir aber SODSt den Unterschied zwischen der eingehenderen Auslegung und dem. was Origcncs jctz.t sagen will. eher zu verwischen. Näher kommt dem,. Saehverhalt die Übersetzung von Koetschau (vgl. oben Anm. 17) S. 1 5 1 : "Diese Stelle erhält bei geistiger Erklärung eine besondere Auslegung". so wie die von Chadwick (vgl. oben Anm. 17) S. 69: ,.The explanation or Ihis is 10 be found by a particular allegorical interpretation".
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Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
sondern nur etwas "zur Erzählung selbst sagen" , Die Tropologie ist also dem Kommentar vorbehalten oder einfach mit ihm identisch, muß also aufjeden Fall die Allegorie, falls sie von ihr zu unterscheiden wäre. milumfassen. In CeJs. IV, 38 wirft Origenes zu Beginn dem Kelsos vor, er zitiere den Text der Paradie· seserzählung nicht so (in genügender Länge), daß man dessen tropologischc Absicht erkennen könne; gegen Ende erklärt Origenes sich damit einverstanden. daß man heidnisch-griechische Texte allegorisiere; aber was den Griechen billig sei, müsse den Juden recht sein. Und in Cels. IV, 49 beklagt Origenes, daß Kelsos "unsere Schriften fUr keiner Allegorie tahig" hält. obwohl sie doch .zum Zweck der TropoJogie geschrieben" sind. Es ist also nicht etwa die Tropologie etwas typisch Biblisches und die Allegorie etwas typisch Heidnisches. sondern die heiden sind identisch. Solche Texte, in denen der Wechsel von Tropologie zu Allegorie und umge kehrt ein reiner Wechsel im Ausdruck ist, ließen sich vermehren, wUrden aber keine weiteren Einsichten bieten. Wichtiger,ja vielleicht sogar für das Verständ nis entscheidend, ist die in den selben Texten wahrzunehmende Verknüpfung des Philosophierens mit der Tropologie oder Allegorese. Schon in Cels. I, 20 stellt Origenes sarkastisch fest, man traue den Mythen der Ägypter "in Rätseln und geheimnisvollen (Worten)" vorgetragene philosophische Bedeutung zu, und in Ce/so IV, 38 fragt er ebenso spöuisch. ob es nur Griechen, Ägyptern und Barbaren gestauet sei, "in Andeutung zu philosophieren" (en hyponoia philoso plIein), den Juden aber nicht. In Ce/so m, 79 wehrt Origenes sich gegen den Verdacht, das Christentum bringe Aberglauben (deisidaimollia) hervor mit der Versicherung: "Wir lehren Uber das Göttliche nur, was wahr ist und der Menge klar zu sein scheint. obwohl es ror sie doch nicht so klar ist wie für die wenigen. die sieh darin üben, den Inhalt der (christlichen) Lehre philosophisch zu erfas sen". Philosophisches Denken als geistige Bemühung ist also im Christentum durchaus erwünscht. auch wenn sogar Origenes. der philosophischste der frühen Kirchenschriftsteller, den herkömmlichen Inhalten der Philosophie sehr kritisch. d.h. nach den Maßstäben der Heiligen Schrift auswählend, gegenUbersteht. ..Wer so (christlich) philosophiert, wird den Inhalt der Lehre mit Beweisen jeglicher Art begründen mUssen. mit solchen aus den göulichen Schriften und mit solchen aus VernunftUberiegung" (Cels. IV. 9). Dies ist allgemein gespro chen; als Einzellehre. die christlich-philosophisch zu erfassen ist, nennt Orige nes (Ce/s. IV, 40) das. was Mose Uber Adam berichtet. Im Griechischen bedeute der Name einfach Mensch; .. und was den (einzelnen) Adam anzugehen scheint, ist (in Wirklichkeit) die (allgemeine) Lehre des Mose über die Natur des Menschen"; der Fluch über Adam gelte allen Menschen, ebenso allen Frauen. was gegen die Frau gesagt ist. Zum Beweis dafür beruft Origcnes sich auf den ersten Korintherbrief ( 1 5.22). wonach in Adam alle Menschen sterben und darauf. daß Verurteilung die traf, die in Ähnlichkeit mit der übertretung des Adam gesündigt hatten (Röm 5, 14). Man könnte aber fragen, ob Paulus mit Origenes einverstanden wäre; daß alle Sünder dem Adam ähnlich sind und daß alle in ihm ( in seiner Nachfolge oder Nachkommenschaft) sterben. ließe sich •
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sehr wohl mit einem individuell-historischen Verständnis der Adamserzählung vereinbaren. ja das scheint eher die Meinung des Paulus gewesen zu sein. Um so deutlicher tritt uns hier die eigene Auffassung des Origenes entgegen: Die Heilige Schrift tropologisch oder allegorisch auslegen. also in ihr ein .'philoso phieren in Andeutung" entdecken, heißt, den Inhalt konkreter Erzählungen ins Allgemeine übersetzen. Das ergibt sich auch aus dem schon zitierten Text aus Ce/so V. 58, wo Origenes vom Auferstchungsengel spricht und nur etwas zur Erzählung selbst sagt (nämlich daß es angemessen ist. daß der Geringere. nämlich der Engel. dem Höheren, nämlich dem auferstandenen Christus, den Dienst des Steinwegwälzens erweist). aber keine übertragene Auslegung (lropo logia) bietet, weil er nicht "den Eindruck erwecken" will, er "philosophiere darüber zur Unzeit". Tropologische Auslegung ist also philosophische Untersu chung des Textgehaltes. Daß dies nicht nur für die Bibel gilt. sondern auch für die allegorief
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Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
Verhältnis des Neuen Testaments zum Alten Origenes ist überzeugt, daß im Alten wie im Neuen Testament ein und derselbe Geist wirkt. aber nicht nur inspirierend, sondern lehrend,ja sogar, so müßte man sagen, offenbarend. Origenes sieht sich natürlich vor die Frage gestellt, woher etwa Mose Ober Abraham Bescheid wußte, oder die Evangelisten über die Ereignisse, bevor sie bei Jesus waren. Er antwortet darauf so: "Der Geist, der den Mose die Geschichte gelehrt hat, die älter war als er (nämlich Mose), angefangen von der Entstehung der Welt bis zur Geschichte Abrahams, seines Vaters, derselbe Geist hat auch die Verfasser des Evangeliums das gelehrt, was an Wunderbarem zur Zeit der Taufe Jesu geschehen ist" (Cels. I, 44). Als Offenbarungsdokumente stehen Altes und Neues Testament also auf gleicher Stufe; trotzdem besteht ein großer Unterschied zwischen beiden; nicht nur darin, daß "Mose, der Gesetzgeber der Juden, über sich selbst geschrieben hat, Jesus, unser Lehrer, aber keine Schrift über sich selbst hinterlassen hat, sondern von den Jüngern in den Evangelien bezeugt wird" (ebd. 45). Dies wäre ein rein äußerer Unterschied, der dadurch fast wieder eingeebnet wird, daß wie die Christen für Jesus, so die Juden für Mose Zeugnis ablegen. Der entscheidende Unterschied besteht darin, daß die Juden "für Mose keinen Beweis zu bieten haben", während die Christen "aus dem Gesetz und den Propheten die Nachwei· se für Jesus" erbringen können; daraus aber ergibt sich die gänzlich unerwartete (paradoxe) Folge, daß die Beweise, die sich "für Jesus aus Gesetz und Prophe· ten" entnehmen lassen, dann ihrerseits wieder beweisen, "daß auch Mose und die Propheten (tatsächlich) Propheten Gottes waren". Das ist für die Auslegung aller Heiligen Schriften grundlegend, besonders aber wohl für das Matthäus· Evangelium, welches ja wie kein anderes aus Gesetz und Propheten die Nach weise für Jesus bietet, vielleicht auch nicht nur in naiver Voraussetzung der Autorität des Alten Testamentes. Origenes jedenfalls ist sich bewußt, sozusagen rückwirkend diese Autorität selbst zu sichern. wenn er in Fortführung der Darslellungsweise des Matthäus·Evangeliums die alttestamentlichen Aussagen als Verheißungen auf Jesus hin versteht und deren Erfüllung nicht nur im Evangelium, sondern auch in der Geschichte der Kirche aufweiseo.
JOVgl. etwa comm. in Mt. X, 18 (Ud. I, 83((, hier nicht abgedruckt), wo Origenes das Wort Jesu, wonach die Propheten nur in ihrer Heimat entehrt werden, auf "die von der Kirche" auslegt.
Der Kommcntar zum Evangelium nach Matthäus
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Vermittlung der Wahrheit durch Erzählung Das Alte Testament wird nach der Überzeugung des Origenes erst zur unverhüll ten Wahrheit (aletheia)11, wenn man es mit christlichen Augen liest; erst dann sieht man "die Weite des Denkens im Gesetz und in den Propheten". Diese sei den Menschen im Alten Bund verborgen gewesen, weil sie ihr heiliges Buch zu sehr als reine Geschichte lasen; Origenes sagt mythikoteron, zu mythisch, d. h. oberflächlich, als reine Erzählung und nicht als Offenbarung tieferer Wirklich keit (Cels. n, 5). Trotzdem beginnt für Origenes auch die Einführung der Christen mit den Heiligen Schriften des Alten Bundes (Cels. II, 4), ja das Mythische daran behält seinen Wert, es "genügt" sogar für den chrisLlichen Bibelausleger und theologischen Lehrer, "das. was nach Art einer Erzählung auf verborgene Weise gesagt ist, in der Weise (eben dieser) Erzählung (den Hörern) vorzustellen"; dann werden nämlich diejenigen, die dazu "im Stande sind, für sich selbst zusätzlich herausarbeiten (epergazomai), was an der Stelle gemeint ist" (Cels. V, 29). Wie man sich das erkJären kann, macht Origenes an der Erziehung der jungen Juden deutlich. Es ist für ihn etwas "Großartiges, daß sie fast von Geburt an, jedenfalls von der Erlangung der Vernunft an ... gelehrt wurden, die ganze sinnenfallige Natur zu übersteigen und nicht zu meinen, irgendwo in ihr sei Gott zu Hause, sondern ihn über der Welt der Körper zu suchen. Sie wurden belehrt über die Unsterblichkeit der Seele ... und die Belohnungen für ein gutes Leben". Und doch läßt sich nicht übersehen, daß ihnen all "dies zunächst mehr in der Weise von Geschichten (mythikoteron) verkündet wurde, da sie ja noch Kinder waren und gesinnt wie Kinder; sobald sie aber nach vernünftiger Erklärung (logos) suchten, und darin voranschreiten wollten, verwandelte sich (metamorphoumai) das, was bis dahin Erzählungen (mythoi) waren. in die darin verborgene Wahrheit" (Cels. V, 42). Die Wahrheit wurde also absichtlich (vom Geist, vom Logos, vom menschlichen Lehrer) in Geschichte, in Mythen gehüllt. gerade nicht, um sie den Uugendlichen) Hörern vorzuenthalten, sondern weil dies die einzige Möglichkeit ist, ihnen diese Wahrheit zu vermitteln. Das erscheint einerseits paradox und ist doch anderer seits selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist für Origenes, daß ein Mensch nicht in diesem kindlichen Zustand verharren, sondern "nach der vernünftigen Erklärung suchen" sollte. Gewiß verbleiben manche ihr ganzes Leben in dieser Hinsicht im kindlichen Zustand des mythischen Verständnisses; aber eigentlich sollten sie dieses überschreiten. Dazu braucht es weder neue Offenbarung noch eine philosophische Ausbildung, sondern eigentlich nur das echte Verlangen nach dem Sinn der Erzählung. Ebenso bedeutsam ist aber wohl, daß Origenes hier vom ..Voranschreiten" (prokopteitt) spricht; es wird also nicht 11 Aletlzeia
ist eigentlich ein negativer Begriff und bedeutet das, was nicht verborgen ist (lallthallo): so versteht OrigcDcs offenbar dcn Begriff immer. Unser deutSches Wort Wahrheit, dem lateinischen verilas verwandt. hat einen anderen Ursprung und deswegen auch andere Nebenbedeutungen.
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Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
auf Anhieb und ein für allemal der ganze Sinn der Schrift entdeckt; vielmehr wird sich immer neue Einsicht finden, so lange aufrichtig gesucht wird. Was Origenes da zunächst von der Unterweisung der Juden, also über das Alte Testament sagt. gilt nalilrlich in gleicher Weise fUr die Unterweisung der Christen und für die Evangelien; denn auch sie sind ja in Form von Erzählungen abgefaßt.
Das Bild der Evangelisten An dieser Stelle kommen - bei den Evangelien wohl noch mehr als bei den alttestamentlichen Schriften - die menschlichen Verfasser in den Blick. Für Origenes freilich ist Anlaß, auf sie zu sprechen zu kommen, eine abfällige Äußerung des heidnischen Philosophen Kelsos Uber den (christlichen) Glauben, welcher (den Menschen) "mit Macht vorher einnehme", d. h. mächtige Vorurteile begründe; auch die Anhänglichkeit der Christen an Jesus sei nur durch den Glauben (pistis) zu erklären. der die Seele vorweg erfasse (prokalalamballo). Kelsos meint damit, der (unvernilnftige) Glaube mache vernilnftiges Urteil und sachgerechte Bewertung von vornherein unmöglich. Origenes stimmt der Äuße· rung des Kelsos ilberraschenderweise zunächst einfach zu: "Tatsächlich bewirkt der Glaube unsere so große Anhänglichkeit (an Jesus)"; dann aber betont er gegen Kelsos, daß dieser Glaube nicht eine Summe von Vorurteilen, also etwas Tadelnswertes, sondern etwas höchst Lobenswertes ist; denn in dieser pistis (Glaube oder auch Vertrauen) "vertrauen wir (pisteuomell) uns selbst dem höchsten Gott an und bekennen dem unseren Dank, der uns zu solchem Glauben fOhrt ...... Und dann weitet Origenes dieses Vertrauen, diesen Glauben, auch auf die Evangelisten aus; genauer gesagt: er macht deutlich. daß im Glauben an Jesus in irgendeiner Weise immer Vertrauen in die Evangelisten enthalten ist; "wir vertrauen nämlich auch den Absichten derer, die die Evangelien geschrie· ben haben"; die können wir ja "erraten aus der Ehrfurcht und dem Bewußtsein, die sich in den Schriflen zeigen; denn darin gibt es nichts Unechtes, Trügeri· sches. Vorgetäuschtes und Listiges" (Ce/s. 111. 39). Ebenfalls den Evangelien· texten entnimmt Origenes das Wissen darum, daß die Evangelisten nicht die Verfahren der listigen griechischen Philosophistik gelernt haben, die auf "feine und überzeugende Weise bei Gerichtsverfahren angewendet wird" , sondern ungebildete Fischer und Zöllner waren (Ce/s. I, 62). Die Evangelisten hatten also nicht gelernt, Geschichten ,,Zu erfinden. die zum Glauben und (was noch beweiskräftiger ist) zu einer diesem Glauben entsprechenden Lebensweise führen können" (Ce/s. 111, 39). Hier denkt Origenes natilrlich nicht nur an eine MögliChkeit, sondern beruft sich auf die tatsächlich wahrnehmbare Wirkung der christlichen Verkündigung. Sie hai nach seiner festen überzeugung bei vielen Menschen "das Böse zurOckgehalten und die schlechten Gewohnheiten ge· zähmt" und so "für die ganze menschliche Rasse einen moralischen Gewinn" gebracht, für den auch die dankbar sein müßten, die dem Inhalt der christlichen
Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
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Lehre nicht zustimmen (Ce/s. 1. 64). Die moralische Wirkung der Evangelien kann nun aber nicht den Fähigkeiten oder der Ausbildung der Evangelisten zugeschrieben werden, muß also von der Sache selbst her kommen. Ja. Origenes ist davon überzeugt. daß Jesus absichtlich solche .Lehrer des Dogmas" ausge wählt hat. damit überhaupt kein Verdacht auf "plausible Sophismen" aufkom men konnte, vielmehr fUr alle Einsichtsflihigen die "Aufrichtigkeit der Absicht der Schreiber ganz klar zutage tritt"; denn diese aufrichtige und schlichte Gesinnung .hatte eine göttliche Wirkkraft verdient. die sehr viel mehr ausrichtet als" alle griechische Rhetorik mit ihren Finessen (ebd.). •
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Das neue Interesse an der Eschatologie So bietet uns der Blick auf das mehr oder weniger gleichzeitig mit dem Matthäus-Kommentar entstandene Werk "Gegen Kelsos" wichtige Einsichten in die Auffassungen des Origenes von der Heiligen Schrift, von ihrem literarischen Charakter und ihren Verfassern. All dies ist deswegen fUr das Verständnis des Matthäus-Kommentars hilfreich, weil er eben nicht nur gleichzeitig mit "Gegen Kelsos" verfaßt ist, sondern auch die Überzeugungen nur andeutet, die Origenes dort ausspricht und gelegentlich ausführlich diskutiert und begrUndet. Es gibt eine weitere. bisher noch nicht vorgestellte Übereinstimmung zwischen den beiden genannten Werken, die aber auch im Werk "Gegen Kelsos" kaum auffiiIlt, nämlich ein Interesse an der Eschatologie, das sich auch bei der Kommentierung von Bibelstellen verrät. die zunächst gar nicht von den letzten Dingen reden. und sich auch dort in der Diskussion ausspricht. wo man es nicht erwarten würden. Das Gleichnis von Mt 22.1-14. in welchem das Reich der Himmel mit einem menschlichen König verglichen wird, der für seinen Sohn Hochzeitsfei ern veranstaltete, legt Origenes im Buch XVII in den Kapiteln 15 bis 24u, also in ungewöhnlicher Breite aus. Während die Parallel fassung bei Lukas ( 1 4. 1 6-24) durch das Schlußwort: ..Keiner von den Eingeladenen wird von meinem Mahl kosten !" immerhin in die Zukunft schaut. die man vielleicht endzeitlieh deuten darf. zeigt das Gleichnis bei Matthäus keinerlei Ausblick auf die letzten Dinge. Trotzdem erörtert Origenes in Buch XVll (Kap. 19) die Frage. ob das Himmelreich aufhören wird. mit einem Menschen, einem König. ver gleichbar zu sein, und spricht schließlich ausdrücklich von der Wiederherstel lung aller Dingel'. 1m 6. Buch "Gegen Kelsos" (Kap. 5 1 ) kommt Origenes auf seinen. wie er selbst sagt, schon längere Zeit zurückliegenden Kommentar zum Sechstagewerk zu sprechen und erklärt. er habe damals alles so ausgelegt. wie er es damals. vor mehreren Jahren, wie er wiederholt, erfassen (choreo) konnte. 11
Zum Folgenden vgl. meinen Beitrag: Die Exegese des Origencs in Contra Ct:lsum Inleresse an der Eschalologie. unten 143-160. U Siehe Bd. 11. 265-276 (hier nicht abgedruckl). lO Vgl. Aom. 54 zu XVII. 19. ßd 11. S. 3t2 (hier nicht abgedruckl).
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Das neue
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Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus
Dann fahrt er fort: .Man muß freilich wissen ...... Diese meines Wissens einmalige Charaktcrisierung einer früheren Exegese als nur dem damaligen Erkenntnisstand entsprechend läßt erkennen, daß Origenes nicht nur neue Ein sichten gewonnen hat. sondern sich dessen auch ganz genau bewußt ist. Sein Genesis-Kommentar ist uns leider verloren. so daß es schwer fallt, geoau zu erfassen. worin der Erkenntnisfortschritt bis zur Abfassung der Kelsosbekämp fung besteht. Immerhin bietet Origenes in Ce/so VI, 49 so etwas wie eine Inhaltsangabe seiner Exegese von Gen 1 , 1-5, 1. Er habe da folgende Fragen erörtert: "Was ist der am Anfang entstandene Himmel und die Erde und das Unansehnliche und Ungestaltete der Erde? Was ist der Abgrund und die Finster nis darüber? Was ist das Wasser und der darüber schwebende Geist Goues? Was ist das gewordene Licht? Was ist das Firmament, das sich vom am Anfang entstandenen Himmel unterscheidet?" Origenes hat also Fragen nach dem Wesen der geschaffenen Dinge gestel lt und beantwortet. In seiner Spätzeit, als er das Werk "Gegen Kelsos" (und den Matthäus-Kommentar) schrieb, war er mit solcher sozusagen statischer Wesensbetrachtung nicht mehr zufrieden, sondern fügte einen neuen ihm offenbar nun wichtig gewordenen Gedanken hinzu. Er formuliert ihn in Cels. VI, 5 1 so: ,.Den Gerechten verheißt der Logos durch Jesaja, daß es (auch noch) Tage geben wird in einem Zustand (kalasrasis), in welchem nicht die Sonne, sondern der Herr selbst für sie ewiges Licht und Gott ihre Herrlichkeit sein wird (Jes 60, 19)." Dem Origenes erschien also in seiner Spätphase eine Auslegung des Sechstagewerkes, die nicht von der eschatologi schen Vollendung spricht, unvollständig. Er meinte jetzt. es müsse gleich. wenn von der Erschaffung der Sonne und von der Natur der Schöpfungstage gespro chen wird. auch gesagt werden, daß alles jetzt Sichtbare vorläufig ist und nur Hinweis auf das, was Gott selbst für seine Vollendeten sein wird. Wer das nicht mit im Blick hat, kann die Schrift nur mißverstehen; das zeigt sich, so meint Origenes, unübersehbar an Kelsos. "Denn er weiß nicht, was der Tag des Sabbats und der Ruhe Goues ist, (welchereinlriu) nach der Welterschaffung. die so lange bewirkt wird. wie die Welt besteht; an jenem Tag werden zugleich mit Gou ein Fest feiern die. welche all ihre Werke an den sechs Tagen getan haben und. weil sie nichts von den ihnen aufgetragenen (Aufgaben) ausgelassen haben, zur Schau emporsteigen und zur Festversammlung der Gerechten und Seligen, die in ihr ( der Schau) (versammelt ist)" (Cels. VI, 6 1 ) . Das ist zwar immer noch eine reichlich knappe Äußerung und erfüllt bei weitem nicht die Erwartungen. die Origenes erweckt hat, wo er sagt. "über die Weltschöpfung und die danach dem Volk Gottes aufbehaltene Sabbatfeier wäre " eine umfangreiche. geheimnisvolle, liefe und schwer zu erklärende Lehre vorzutragen (Cels. V. 59), läßt aber doch erkennen, wie die großen Anliegen des Origenes, die sein Gesamtwerk kennzeichnen, nämlich die Überlegenheit der Schau des inneren Wesens über die Wahrnehmung der äußeren Erscheinungen und der nur von daher zu verstehende Aufsliegsgedanke, die sich gewissermaßen auch unabhängig vom Blick auf die Heilsgeschichte verfolgen lassen, nun in diese eingebettet werden und nur noch in ihr legitimiert erscheinen. Das läßt an •
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Augustinus denken, der ja auch gegen Ende seines Lebens, wo ihm erst die Geschichte wirklich bedeutsam geworden war und wo er den Unterschied zwischen Jetzt und Dereinst fUr wichtiger ansah als den Unterschied zwischen Außen und Innen oder Unten und Oben, seine früheren Aussagen zurechtrückte, In seinen Retractationes (I, 3, 2) sagt er Uber seine zwei BUcher Oe Ordine: ,,Jetzt mißfällt mir auch, daß ich von zwei Wehen, der sinnenhaften und der geistigen, ... so spreche, als ob der Herr dies hätte ausdrUcken wollen. wenn er sagt: ,Mein Reich ist nicht von dieser Welt', wo man doch unter der anderen, von Christus gemeinten Welt besser jene versteht. in der es den neuen Himmel und die neue Erde geben wird", Die Übereinstimmung in der Entwicklung dieser beiden größten Denker des christlichen Altertums ist deutlich. So ist es berechtigt. in einigen Aussagen des Werkes "Gegen Kelsos" Retractationen des Origenes zu erblicken und auch seinen gleichzeitig entstandenen Matthäus-Kommentar in diesem Licht zu lesen, Ich zweifle nicht, daß ein so aufmerksam gemachter Leser im Matthäus-Kommentar weitere Hinweise auf das finden wird, was dem alten Origenes besonders wichtig geworden war und wozu er eben bei der Erklärung des ersten, der ganzen frUhen Kirche besonders teuren Evangeliums sein letztes Wort gesprochen hat.
Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus Teil 1lI
Zur Eigenart der Commentariorum Series 1. p, Migne bietet in seinem Pa/rologiae Cursus Campte/us, in der Series Graeca
Prior im Bd. xnr, dem dritten Band der Werke des Origenes, für dieses Werk. das hier zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorgelegt wird. den Titel Series veleris interpretatiollis commentariorum Origenis in Matthaeum. den er offensichtlich aus der 1740 erschienenen Ausgabe des Mauriner Benediktiners CharIes dc la Rue übernommen hat. Dieser Titel erweist sich schon durch seine pleonastische Form als mittelalterlich. Obwohl dieser nur in lateinischer Über· setzung erhaltene Teil des Matthäus·Kommentars von Origenes nahtlos an die Übersetzung des auch griechisch erhaltenen Buches XVII anschließt, wurde er als ein eigenes Werk betrachtet und in 145 fortlaufende Nummern eingeteilt, wobei auf die Kapiteleinteilung des Matthäus·Evangeliums keine Rücksicht genommen wurde. Schon Paschasius Radbertus, der vor 860 gestorbene Mönch und zeitweilige Abt von Corbie, verrät in seinem großen in 12 Bücher gegliederten Mauhäus· Kommentar (PL 120. 3 1 -994) Kenntnis des Manhäus·Kommentars des Orige neSt und zwar nicht nur der Commelltar;orum Series, welche Mt 22, 34-27.66 behandelt. wozu kein griechisches Original erhalten ist. sondern auch der vorausgehenden Bücher. So findet sich z. B . jene seltsame Erklärung. deren Echtheit mir jedenfalls zweifelhaft ist. wer den Chrislusglauben von seinen Eltern empfangen habe. dem habe nicht der Vater ihn geoffenbart (comm. in Mt. XII. 10; GCS 10. 85, 1 4 ff), auch bei Paschasius (561 B). Nicht nur an dieser, sondern an vielen anderen Stellen. ist die Übereinstimmung fast wörtlich. so daß man Mängel oder Fehler in der lateinischen Übersetzung des Matthäus-Kom· mentars von Origenes manchmal durch den Vergleich mit Paschasius heilen kann. Das gleiche gilt übrigens von einer Reihe von Homilien zu Matthäus. die im Mittelalter dem Origenes zugeschrieben wurden und von denen einige auch in das fOr Kar! den Großen von Paulus Diaconus zusammengestellte Homiliar eingegangen sind. Paschasius beruft sich in seiner Vorrede auf Hilarius und Hieronymus (co I. 34 a). aber auch auf Ambrosius. Auguslinus und Gregor. natürlich Papst Gregor den Großen. dann auf Johannes von Konstantinopel, also Johannes Chrysoslomus, und schließlich auf Beda (col. 35c). Der Name des Origenes fällt nicht; ob Paschasius ihn vermeidet, weil er die Vorwürfe gegen ihn kennt oder weil ihm der Kommentar nicht unter dem Namen des Origenes bekannt war. wird nicht deutlich. Immerhin scheint cr sich an manchen Stellen
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mit Origenes auseinanderzuselzen. Der sagt (comm. sero in MI. Nr. 2; GCS XI. 4. 17 f). es sei nur Sache des Christus, die richtige Reihenfolge der Gebote festzulegen. Paschasius (co), 757 c) sagt, dies sei allein Gottes Sache. Allerdings ist der Widerspruch nur ein scheinbarer. denn Paschasius fährt dann fort: ..Wenn nicht Christus dies erfüllt ...... schreibt also doch Christus diese Aufgabe zu und begründet dies dann ebenso wie Origenes damit, daß Christus ja Gottes Macht und Weisheit ist. Es fällt auf, daß Paschasius die Gedanken. die er von Origenes übernommen hat, nahtlos in seinen in gutem Latein abgefaßten Tex.t einfügt. Manchmal also folgt er Origenes. viel öfter aber den anderen Vorbildern; eine Untersuchung, wie sie Franz Mali über ,Das Opus imperjeclum in Matthaeum und sein Verhältnis zu den Matthäus-Kommentaren von Origenes und Hierony mus' (lnnsbruck 1991) vorgelegt hat, wäre auch für Paschasius Radbertus wünschenswert. Vermerkt sei noch, daß Klostermann eine Handschrift aus dem zehnten und zwei aus dem zwölften Jahrhundert seiner Ausgabe der Commen lariorum Series zugrunde gelegt hat. darüber hinaus aber noch wenigstens vier andere erfassen konnte. Die Commenlariorum Series ist also breiter bezeugt als der griechische Text der Bücher X bis XVIJ. Obwohl die Commenlariorum Series, wie schon betont. nahtlos an die lateinische Übersetzung von Buch XVII anschließt. gibt es doch wenigstens ein auffalliges Merkmal, welches den Leser dazu fUhren könnte. sie fUr ein in sich abgeschlossenes Werk zu halten: sowohl im ersten Abschnitt von Nr. 1 als auch im letzten Abschnitt von Nr. 145 wird der Pharao erwähnt. Im letzten Abschnitt legt sich der Gedanke an ihn dadurch nahe, daß Origenes von der Verstockung der Hohenpriester und Pharisäer spricht, die sich auch durch das Zeugnis der Wachen von der Auferstehung Jesu nicht überzeugen lassen; der Pharao gilt aber schon in der Heiligen Schrift selbst als Musterbeispiel für Verstockung. In der Nr. 1 dagegen wUrde sich der Gedanke an den Pharao keineswegs aufdrängen; im Zusammenhang mit den Sadduzäern. die sich große Worte herausgenommen hatten und die Jesus zum Schweigen gebracht hatte. wird der Pharao genannt als Verkörperung jedes unbegründeten Anspruchs aller gottfeindlichen Mächte, welche die Apostel Jesu zum Schwei gen bringen müssen. So könnte man die Erwähnung des Pharao ganz am Ende der Series als ein bewußtes Zurückblicken auf den Anfang und damit als einen gewissen Abschluß ansehen.
Zur lateinischen Übersetzung Auch in der Commelllariorum Series lassen sich manche Fehler bei der Über tragung aus dem Griechischen ins Lateinische vermuten, wie sie sich dort, wo der griechische Text des Matthäus-Kommentars erhalten ist, gelegentlich bewei sen lassen. Sie mögen sich manchmal dadurch erklären, daß der Lateiner einen undeutlich geschriebenen griechischen Text vor sich haue. Es mag hilfreich sein. hier an eine Stelle. die sich in Band II. S. 293 findet. zu erinnern, wo der Lateiner zwar das griechische Wort wörtlich richtig wiedergibl. den Leser aber gerade
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dadurch in die Irre führt. Im Buch XVII, Kap. 33 L spricht Origenes von der Mythologie der Gnostiker, welche sich männliche und weibliche überirdische Gestalten ausgedacht und als Aionen bezeichnet haben. Er führt dies nicht weiter aus, warnt nur davor, sich durch solche Ideen zu einem falschen Verständnis der Auferstehung und des endzeitlichen himmlischen Hochzeitsmahles verleiten zu lassen. Der Lateiner übersetzt aiones wörtlich mit saecula masculina et femi nina. In der Commentariorum Series 38. wo uns kein griechischer Text erhalten ist, lesen wir wiederum de masculinis et femininis saeculis1• Der Übersetzer der Ezechiel-Homilien des Origenes hatte im Lateinschen atones, sogar in griechi schen Buchstaben, stehen lassen; Klostermann teilt den entscheidenden Satz im Apparat zu der genannten Stelle mit: disserunt ... aionon suorum fabulas'. Ein entsprechendes lateinisches Wort gab es offenbar nicht, und saecula hatte zu dieser Zeit diese Bedeutung noch nicht übernommen. Der lateinische Übersetzer des Matthäus-Kommentars scheint diese Übersetzung der Ezechiel-Homilien nicht zu haben. Vielleicht darf man daraus schließen, daß er sich nicht etwa durch die Lektüre der schon vorhandenen Origenes-Übersetzungen auf seine Arbeit vorbereitet hat. Besonderes Interesse verdient natürlich die Wiedergabe des griechischen Wortes anagoge, womit Origenes häufig die Darlegung des tieferen, oder wörtlich genauer: höheren, Sinnes eines Schriftwortes bezeichnet. Zwar hat der Lateiner dafür zu Anfang von Nr. 42 sachlich richtig ascendere verbo gesetzt., meist aber spricht er von moralis expositio. Er scheint das Wort anagoge nie einfach unübersetzt gelassen zu haben; es finden sich aber zwei Stellen, wo er eine zunächst ganz unerklärliche Übersetzung bietet. nämlich einmal conversa tio humalla und ein anderes Mal ecclesia Christi. Im zweiten Fall wäre man geneigt, zu vermuten, der Lateiner hätte in seinem griechischen Exemplar nicht anagoge, sondern synagoge gelesen, oder doch wenigstens zu lesen gemeint. Wenn man einmal anHingt zu vermuten, reizt es, auf diesem Wege fortzufahren; conversatio könnte man sich als Übersetzung eines griechischen anastrophe denken, welches bei undeutlicher Schreibung mit anagoge hätte verwechselt werden können. Wenn man aber die beiden Stellen in ihrem Zusammenhang liest, wird bald deutlich, daß der Lateiner weder mit ecclesia Christi noch mit conversa/io humatla das griechische allagoge wiedergeben wollte, sondern zu diesen beiden Ausdrücken durch den sachlichen Inhalt des Textes geführt wurde; beide Stellen gehören also nicht unter das Slichwort anagoge im .,griechisch-Ia teinischen Parallelregister zu Band X" der Origenes-Ausgabe in den GCS XII, 2; stattdessen wäre dort noch anzufügen: X, 359, 1 8 f: ..secundum historias
L GCS 1 GCS
X, 692.24f. XI· 73.5. l Origcnes, 110m. i/I Euch. 11,2: GCS VIII, 342, 1 9 • GCS XI, S . 83.3; so auch schon in Nr. 6. S. 1 1 , 4. wo sich aber keine griechische Vortage erhatten hat. Das gilt auch vom ascendere per verbum i n Nr. 7 1 , S. 168,3. Das tateinische Register (GCS XII. 2 S. 339f) bielet weitere Wendungen. die einzeln zu prUfen wären. .
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moraliter". An der ersten der heiden fraglichen Stellen, nämlich in Buch XV des Mt-Kommentars, sagt der griechische Text: "Und du wirst sehen (so weit es um die anagoge geht), auf welche Weise wir uns nur schwer davon abbringen lassen, zu meinen. der Reichtum sei gut oder auch die Ehre hier unten". Der Lateiner sagt: "Und bedenke gemäß der menschlichen Lebensweise, wie wir uns nur mit Schwierigkeiten von den Gütern der irdischen Reichtümer oder vom Verlangen nach eitlem Ruhm losreißen können"!. An der anderen Stelle sagt Origenes: ..Vielleicht gibt es, wie im Sinn der Geschichte diese Hohenpriester und Schrift gelehrten zu tadeln sind. auch im Sinn der höheren Auslegung (anagoge) tadelnswerte Hohepriester, die den Namen des Bischofsamtes nicht durch ihren Lebenswandel zieren und sich nicht in Offenbarung und Wahrheit kleiden ...". Der Lateiner schreibt: "Wie nach der Geschichte diese Fürsten und SChriftge lehrten zu tadeln sind, so sind auch im Sinn der Kirche Christi manche Bischöfe und Presbyter tadelnswert, die ihr Leben keineswegs zieren noch die Kenntnis der Wahrheit angelegt haben .. . Die obige Feststellung, daß der Lateiner das aflagoge nie unübersetzt läßt, ist also hier zu korrigieren, wenn sie auch grundsätzlich wohl weiter gilt. Jedenfalls bietet der Lateiner dort, wo zum ersten Mal in einem von Klostermann zur Erläuterung der Commelllariorum Series beigezogenen griechischen Fragment das Wort allagoge erscheint. als Wiedergabe: ascelldere verba ad afliora'. An drei anderen Stellen aber, wo die parallel abgedruckten griechischen Fragmente aus einer Lukas-Katene bzw. aus dem Scholien-Kommentar des Viktor von Antiochien zu Markus zu Beginn sagen: kata allagogell- bzw. eil de allagoge' hat die lateinische Übersetzung kein Gegenstück dazu. Man darf wohl dem Lateiner nicht unterstellen, er habe innerhalb eines Auslegungsabschnittes das allagoge mal übersetzt, mal ausgelassen und bald darauf noch zweimal über sprungen. Vielmehr scheint mir, daß der Hinweis auf die übertragene Auslegung an den drei genannten Stellen dem Katenisten zuzuschreiben ist; er hat offenbar die nächste Auslegung so eingeleitet. Dieser einleitende Hinweis müßte also entweder aus der Ausgabe getilgt oder aber wenigstens durch einen Doppelpunkt vom eigentlichen Text des Fragmentes abgesetzt werden 10. ,'..
Buch XV, Kap. 19: GSe X. S. 403 . I O ff: deutsch Bd. 11. S. 1 1 5 (hier nicht abgedruckt). 6 Buch XVI, Kap . 25: S. 558,1 ff; deutsch Bd. 11. $. 205 (hier nicht abgedruckt). 1 colllm. sero in MI. 42 (Anfang); GCS XI, 8 3 , 2 f. I comm. set. in MI. 42: GCS XI, 83, 1 8. · comm. sero in MI. 49: S.103,8 und comm. ser. in MI. 50; S. 1 12 , 1 5 . 'aZur Beurteilung des Lateiners ist heranzuziehen. was wir in einem Seminar beim 3. Orige Des-Kolloquium 1981 in Manchester erarbeitet haben und worüber ich in den Origeniana 111, Rom 1985. 91-108 berichte (siehe unlen 1 2 1 - 1 34). S
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Zur Chronologie der Werke des Origenes Die COl1lmentariorum Series liefert einige Hinweise auf die Chronologie der Werke des Origenes, die sich in den vorausgehenden Tomoi des Mauhäus-Kom mentares so noch nicht fanden. Aus dem Anfang von Nr. 7 Iä.ßt sich entnehmen, daß Origenes zur Abfassungszeit dieses Textes den Psalm 109 ( 1 10) noch nicht ausgelegt hatte. Er zitiert nämlich den ersten Vers dieses Psalms und sagt dann: "Dies wird jemand bei besserer Gelegenheit auslegen, wenn er sich vorgenom men hat. diesen Psalm auszulegen", Das klingt gar so, als wolle er die Psalmex egese jemand anderem überlassen. Da aber Fragmente der Auslegung weiterer Psalmen. bis zum Ende des Psalters, erhalten sind, muB Origenes daran gearbei tet haben, nachdem die Mauhäus-Auslegung bis zum 22. Kapitel gediehen oder vielleicht sogar überhaupt abgeschlossen war. Gegen Ende von Nr. 8 zitiert Origenes ausführlich I Kor 15,20--28, also jene berühmte Stelle von der Auferstehung in Christus und von der Unterwerfung aller Feinde unter ihn, und sagt dann: ,.Eine Erklärung für dies alles haben wir an eigenem Ort gemacht". Er hatte also den ersten Korintherbrief schon voll ständig erklärt, als er in der Matthäus-Erklärung bis zum 22. Kapitel gekommen war. In der Mitte von Nr. 138, wo er vom zerrissenen Vorhang des Tempels spricht und darin die Offenbarung all dessen erblickt, was vorher verborgen war und erst durch Christus offenbar gemacht werden konnte, sagt Origenes: "Was dies aber ist, kann jetzt nicht ausgelegt werden, weil es eine umfangr�iche und schwierige Deutung (nötig) hat. Es ist aber angemessen, dies bei besserer Gelegenheit auszulegen, nämlich beim dritten Buch der Könige und beim zweiten der Chronik, in welchen über den Tempel und über das, was sich innerhalb des Vorhanges befindet, geschrieben ist", Mit dem dritten Buch der Könige bezeichnet Origenes wie die LXX das von uns heute als erstes Königs buch gezählte. Gegen Ende seiner Mauhäus-Erklärung hatte er also weder die Königsbücher. noch die Chronik ausgelegt, scheint aber beides beabsichtigt zu haben. So wird man die wenigen Fragmente zu den Königsbüchern, für die wir bisher im Werkeverzeichnis keine Datierung geben konnten, in die letzte Zeit seines Wirkens setzen müssen.
B emerkungen zur lateinischen Übersetzung des M atthäus-Kommentars des Origenes
Da die Conunentarior;um Series, d. h . der Teil der lateinischen Übersetzung des Matthäus-Kommentars von Origenes, zu dem der griechische Text nicht erhalten ist. in ihrer ersten Nummer eine auf den ersten Blick unerklärlich erscheinende Verbindung von Bildern und Gedanken enthäh, soll zunächst darauf ein Blick geworfen und eine Erklärung versucht werden, weil die ungeklärte Rätselhaf tigkeit unter Umständen vom Weiterlesen abschrecken könnte. Danach sollen dann Beobachtungen zum Umgang des Übersetzers mit dem Bibeltext und zu seiner Art und Weise des Übersetzens vorgelegt werden.
Die Bedeutung des Pharao In der Nr. I der Commentariorium Series legt Origenes den Abschnitt Matthäus 22,34 40 aus, wo erzählt wird. wie die Pharisäer zusammenkamen. nachdem Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, und wie einer ihm die Frage nach dem größten Gebot im Gesetz stellte und von Jesus darauf die Antwort erhielt. Bevor Origenes die Pharisäerfrage und die Antwort Jesu auslegt (bis comm. ser. in Mt. 4), kommentiert er noch knapp das Verhalten Jesu den Sadduzäern gegenüber. Er sieht darin nicht nur Vorbild, sondern geradezu Vorwegnahme dessen, was die "Nachahmer Christi tun werden", welche sich Hzen, "aufgrund deren entsprechend der gesunden auf .,Schriftbeispiele" sU Lehre (Tit 1,9) jede Rede des Pharao verstummen muß, worin er sich rühmte, wenn er sprach: ,Mein sind die Flüsse, und ich habe sie gemacht', wie geschrie ben ist bei Ezechie'" (29.3)'. Daß die Nachahmer Christi sich an die gesunde Lehre halten mUssen, versteht sich zwar. daß Origenes aber gerade hier darauf zu sprechen kommt, scheint zumindest nicht vom Tex t nahegelegt zu sein. Noch verwunderlicher aber ist der Hinweis auf den Pharao. den man zunächst weder als Verbündeten der Sadduzäer noch als Gegner der christlichen Lehrer zu sehen vermag. So legt es sich nahe, den Grund für die Erwähnung des Pharao an dieser Stelle im Kontext des knappen Ezechielzitates oder in Erwähnungen des Pharao an anderen Stellen zu suchen. Zunächst soll aber ein Blick auf den Kontext der "gesunden Lehre" getan werden. Die "gesunde Lehre" ist nach dem Titusbrief Maßstab oder Mittel fUr die Ermahnung oder Ermunterung (1togOXOA..fl.v). die eine der Aufgaben des I Origcncs Werke. 1 1 . Origenes MatlMuserkllirung. 2. Die latcinische Übersetzung der Com· menlariorium Series, hg. von E. Klostermann, Leipzig 1933 : ca 38, S . I , Z. 14-17.
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Episkopos (oder der Presbyter, welclle Titus nach dem Brief 1 , 5 auf Kreta einsetzen soll) sein wird. Er soll aber nicht nur "fahig sein, zu ermahnen in ( mittels oder gemäß) der gesunden Lehre", sondern auch "die Widersprechenden zu widerlegen (oder zu überfüllren: EAeYXELv)". Widersprechende aber waren die Sadduzäer gewesen; sie widerspracllen nicht nur allgemein dem jedenfalls bei den Pharisäern verbreiteten Glauben an die Auferstehung (vgl. Apg 23, 6. 8), sie hatten aucll Jesus selbst widersprochen und durch das Beispiel von den sieben Brüdern, die alle nacheinander dieselbe Frau gellabt hatten und ohne Nachkom men gestorben waren, seine Auferstehungsbotschaft widerlegen wollen. Daß Origenes ein assoziatives Gedächtnis halle, das ihm zu jeder Bibelstelle ähnliche Gedanken und die gleichen Wörter bot, die sich an anderen Stellen fanden, ist hinlänglich bekannt. Man wird also nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß ihm zu dieser knappen Nachricht. daß Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, entsprechend seinem Grundsatz, daß Jesu Handeln Vorbild und Vorwegnahme des Handeins der Kirche ist, zunächst die im Tilusbrief genannte Aufgabe der Widerlegung der Widersprechenden eingefallen ist und daß diese ihn erst zu der dort beschworenen "gesunden Lehre" geführt haI. Ich vermute nun, daß Origenes in ähnlicher Weise mit den (&V'[LÄEYOV'tE�) (mit den Widersprechenden, den Gegnern der Lehre) andere Gegner assoziiert hat. nämlich die gegnerischen Mächte oder Kräfte, die aV'tl'XeLJ.lEvat EvEQYElat. Von ihnen hatte er schon in Buch 12 des Matthäuskommentars1 gesprochen und sie im Pharao und anderen irdischen Herrschern abgebildel gesehen. So wäre der Gedankenweg von den Sadduzäern zum Pharao gar nicht so lang. Auch im Fortgang der Matthäuserklärung kommlOrigenes auf den Pharao an einer Stelle zu sprechen, wo man es nicht erwarten würde, nämlich bei der Auslegung von Mt 24, 7 . 8 (Volk wird sich gegen Volk erheben ... und es wird Hungersnöte, Pest und örtliche Erdbeben gehen; dies alles aber sind erst die Anfänge der Schmer zen). Das Lemma steht am Anfang von Nr. 36 der Serie; die Erklärung erstreckt sich bis Ende von Nr. 38; sie umfaßt eine einfache Deutung (simplicia er corporalia') in Nr. 36 und 37 und eine übertragene, die der Lateiner, wie regelmäßig so auch hier, fälschlicherweise als moralem inrelleclum' bezeichnet, in Nr. 38. Im vierten Abschnitt von Nr. 37 fragt Origenes, was denn, wenn Hunger, Pest und Erdbeben nur der Anfang sind, das Anwachsen und was das Ende der Schmerzen sein werde, und antwortet so: "Ich meine, daß das, was danach kommt. sich nur noch gegen die Gottlosen richtet; sie sollen durch ganz schlimme und langdauernde Schmerzen gequält werden, bis sie die Samen des Bösen, die sie empfangen und ausgeformt haben. ablegen ... Der Pharao, der nicht gut handeln wollte. befahl. jedes männliche Kind, das den Hebräern geboren würde, in den Fluß zu werfen; der gute Gott aber, der wirklich gut ist, =
t
Cap. I . Origenes Werke. 10. Origenes Matthäuscrklärung. I . Die griechisch erhaltenen Tomoi. hg. von E. Klostcrmann. Leipzig 1935 CB 40, S . 70. Z. 16. , CB 38. 68,23 . • CB 38. 7 1 , 29. vgl. unten Anm. 33. =
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lötet die Samen des Bösen ... weil sie Schmerz empfangen und Unrecht geboren haben. Und was ziemt sich für Gott anderes. als daß er jedes Unrecht tÖlet . ?'" Da erscheint der Pharao als Gegenbild des guten Gottes. also als eine böse Gestalt, wenn nicht gar als Verkörperung des Bösen schlechthin. Es läßt sich aber noch eine andere Verbindung herstellen. Ebenfalls in Buch 12' hat Origenes den Titel "Satan", den Jesus Petrus wegen seines irdisch menschlichen Denkens gibt (Mt 16,23), als Widersacher (Cr.V'tUtEL,.tEVOr;) erklärt. Auch im vielleicht gleichzeitig verfaßten Werk gegen Kelsos (6. 44) wird der Satan so verstanden. Der Pharao wäre also schon in die Nähe des Satans gerückt; das wird noch deutlicher, wenn man den Kontext des Ezechielzitates anschaut. Da heißt es nämlich, dieses Drohwort gehe "auf den Pharao, den großen Drachen, der inmitten der Flüsse sitzt und behauptet: ,Mein sind die Flüsse. ich habe sie gemacht , .. (Ez 29,3). Auch vom ,,Drachen. der sich in den Wassern aufhält" (lob 4 1 ,26) hatte Origenes schon im Matthäuskommentar gesprochen'. Der Drache wird zwar in der Bibel nicht immer als der Satan verstanden. aber die Apokalypse wenigstens stellt ihn nicht nur als den Teufel und Satan, als den Feind der Gott gegenüber gehorsamen Engel dar, sondern auch als den Verfolger derer, welche "die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben" (Offb 12. 17). Der Ausspruch des Pharao, wie er von Ezechiel angeführt wird, wäre dem Origenes an dieser Stelle also eingefallen, weil Pharao mit dem Drachen, dem Satan, dem Widersacher (und Widersprechenden) schlechthin identifiziert scheint (und weil seine Worte Musterbeispiel fI..ir goufeindliche Selbstüberhe bung sind). Wie sehr Origenes von dieser Ezechielstelle beeindruckt und mit ihr beschäftigt war. zeigt er übrigens wiederum i m Werk gegen Kelsos (4, 50), wo er zum Beweis dafür. daß die Bibel sehr wohl Stellen enthält, die der Allegorese bedUrfen. aber auch Allegorese verdienen - das war für Kelsos ein Kennzeichen echter Dichtung -, mit einigen wenigen anderen gerade diese Stelle vom selbstOberheblichen Wort des Pharao nennt. Wenn er sie im Matthäuskommentar zitiert, ist sie also von vornherein nicht als Verweis auf einen (historischen) Pharao zu verstehen; so scheint mir die eben vorgestelile Spurensuche auch von dorther gerechtferligt zu sein. ..
Der Bibeltext der Lemmata und der Zitate Die Nr. 9 der Commenrariorium Series beginnt mit dem Text von Matthäus 23. 1-12. wo Jesus die Scharen und seine Jünger Ober die Schriftgelehrten und Pharisäer aufklärt und sie ermahnt, sich anders zu verhalten. sich nicht Rabbi nennen zu lassen, weil nur einer Lehrer (&löaaxoAor;) ist. niemanden auf Erden Vater zu nennen (und sich selbst nicht Lehrer nennen zu lassen). Die beiden ' C B 38, 7 1 , 12-21. • comm. in MI. 1 2 , 2 1 (CD 40, 1 17 , 10). 1 comm. in MI. 1 3 , 4 (CB 40, 1 89.20).
Zur lateini schen übersetz.ung des Mauhäus-Kommenlars
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letzten Verse erklären dann grundsätzlich. wer groß ist. solle Diener sein. weil erniedrigt wird, wer sich selbst erhöht, und umgekehrt. Es fehlt in diesem Abschnitt der Vers 10: .Laßt euch nicht Lehrer (xaO'lY'ltot) nennen, denn euer Lehrer (xa6'lYfJtti�) ist einer. der Christus", Da erhebt sich die Frage. ob etwa Origenes diesen Vers 1 0 in seinem Mauhäus-Text nicht gelesen hätte. Die Frage so stellen heißt allerdings voraussetzen, daß der Lateiner schon in seiner grie chischen Vorlage das Lemma in dieser Gestalt vorgefunden hätte, in der er es wiedergibt. Dies ist aber keineswegs selbstverständlich; in den Büchern des Matthäus-Kommentars, die uns griechisch und in lateinischer Übersetzung erhalten sind, kann man vielmehr öflers feststellen, daß der Lateiner die Zitate vervollständigt; das ist an manchen Stellen höchst sinnvoll, weil Origenes selber häufig nur den Anfang eines Zitates angibt. Warum seine personell reich ausge· stattete Schreibstube das Zitat für die Reinschrift nicht vervollständigt hat, bleibt schwer zu begreifen; denkbar wäre freilich, daß dies wohl geschehen ist, daß aber ein weiterer Abschreiber, der zwischen dem aus der Schreibstube des Origenes hervorgegangenen Text und der Vorlage des Lateiners tätig gewesen wäre, seinerseits wieder gekürzt hätte. Im 14. (griechisch erhaltenen) Buch des Matthäus-Kommentars' spricht Origenes von der Untersuchung jedes einzelnen der Worte, ,.dieoben niedergeschrieben sind", setzt also das vollständige Lemma Matthäus 1 8,23-35 voraus; wir lesen da aber in der griechischen Überlieferung nur Vers 23; der Lateiner dagegen bietet den vollständigen Text. Die Kürzung der Zitate geht aber wenigstens in manchen Fällen auf Origenes selbst zurück; er empfiehlt nämlich gelegentlich, z. B. in Buch 15', dem Leser, das ganze Zitat selbst nachzuschlagen. nämlich im 2. Esrabuch; der Lateiner kOrzt an der Stelle übrigens noch stärker als der griechische Text. Gegen Ende von Kap. 9 in Buch 14 versucht Origenes zu beweisen'o, daß die HI. Schrift auch durch die Darstel lung der Weltschöpfung als Sechstagewerk keineswegs lehren will, daß Gott dafür Zeit gebraucht hätte; Origenes beruft sich für diese Einsicht auf Gen 2.4: ..Das ist das Buch der Entstehung von Himmel und Erde, an dem Tage, da sie geschaffen wurden", weil da das ganze Schöpfungswerk als Werk eines Tages hingestellt wird. 1m griechischen Text ist der zweite Halbsatz ausgelassen; so beweist das Zitat nichts; der Lateiner dagegen hat dies offenbar erfaßt und bietet den ganzen Satz von Gen 2,4. Auch an anderen Stellen hat der Lateiner solche Zitate, die in der griechischen Überlieferung zu knapp bewahrt sind. vervollstän· dig!. allerdings manchmal auch nicht ausreichend. Im Buch 15, Kapitel 22" lesen wir bei ihm zwar den ganzen im griechischen Text verkürzten Satz Matthäus 19,28, wo den Aposteln reiche Entschädigung für das versprochen •
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14.6 (CH 40. 287.6f). deutsch in meiner Übersetzung: Origenes. Der Kommenlar turn Evangelium nach Matthäus. 2, Stullgart 1990 BGL 30. S. 39. vgL don Anm. 28 auf S.
co,"m. in Mt.
'"
n.
(CU 40. 360. 6ff); deutsch BGL 30. 96. vgl. dort Anm. 13 auf S. 143. ,oCH 40. 297,30ff: deUl$ch BGL 30. 45: vgl. dort Anm. 4 1 auf S. 76f. , I ca 40. 415.20ff. dCUI$ch BGL 30. 1 20; vgl. dort Anm. 56 auf S. 1 53f. ' co,"m. in Mt. 15.5
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Zur lateinischen Übersetzung des Matthäus-Kommcntars
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wird. was sie auf Erden verlassen haben, aber der folgende Satz (Vers 29), der jedem Belohnung verheißt. der um Jesu willen etwas aufgibt. und auf den es dem Origenes ankommt, weil er da schon im Wortsinn eine Ermahnung findet, fehlt auch beim Lateiner. Manchmal ergänzt der Lateiner aber auch sinnwidrig, nämlich dann, wenn Origenes sich etwa nur auf einen Halbvers beruft, der Lateiner aber den ganzen Vers bietet und so die Aufmerksamkeit des Lesers irreführt. Im zwölften Buch des KommentarsI! erklärt Origenes den Sinn der Schlüssel des Himmelreiches, die nach seiner Meinung jeder, der dem Petrus ähnlich ist, empfangt. "Würdig nämlich, von dem Logos selbst die Schlüssel des Himmelreiches zu empfangen, ist, wer sich verschanzt gegen die Pforten der Hölle. damit sie ihn nicht überwältigen. So empfängt er gewissermaßen als Belohnung dafür. daß die Pforten der Hölle gegen ihn nichts vermögen, die SchlUssel des Himmelreiches, damit er fUr sich die Tore aufschließe, die denen verschlossen sind, die von den Pforten der Hölle besiegt werden". Origenes zieht also nach Matthäus 16, I9a zur Begründung denVers 1 8 b an; der Lateiner aber zitiert den ganzen Vers 18, das heißt. er schiebt auch ein: "Auf diesem Felsen werde ich meine Kirche erbauen" und stört durch das Bild vom Bau den Gedankengang. der sich ganz auf Pforte und Schlüssel konzentriert. Im seihen zwölften Buch" erklärt Orige nes das harte Wort Jesu zu Petrus: ..Geh weg. hinter mich. du Satan !" (Mt 16.23) und zieht zum Vergleich das Wort heran, mit dem Jesus den Petrus und den Andreas in seine Nachfolge gerufen hatte: "Kommt hinter mir her, und ich werde euch zu Mcnschenfischem machen!" ().ft 4, 19). Das Lateinische.dagegen beruft sich ausdrücklich auf Markus und bietet ein zusammengesetztes Zitat aus Markus 1 , 16 a und 17 b. Origenes bezieht sich sonst nur auf einen anderen der Synoptiker, wenn er dessen Text mit dem des Matthäus vergleicht, um Überein stimmungen oder Unterschiede zu betonen und zu erklären. Hier scheint also, weil sich derartiges an dieser Stelle nicht findet, der Lateiner gewissermaßen eigenmächtig aus der konsequenten Betrachtung des Matthäus�Evangeliums ausgebrochen zu sein, ohne aber damit einen gedanklichen Gewinn zu bringen. Wiederum deutlich störend sind zwei Einfügungen des Lateiners im letzten Kapitel des 13. Buches; da stellt Origenes heraus, wie gut nach seiner Meinung die Anweisung: "Wenn er auch auf die Gemeinde nicht hört, soll er für dich wie ein Heide und Zöllner sein!" (Mt 18. 17) und die Verheißung: "Was immer ihr auf Erden binden werdet" usw. (Mt 1 8 , 1 8 a) zusammenpassen. Daß der Lateiner die unvollständige Verheißung ganz zitiert, also ergänzt: "wird auch im Himmel gebunden sein", ist nur sinnvoll; aber er vervollständigt den Satz und fügt auch noch hinzu: "und was immer ihr auf Erden löst. wird auch im Himmel gelöst sein''!'. Es kommt dem Origenes gar nicht auf das Lösen. sondern nur auf das
IJ comfll. in Mt. 12,14 (CB 40, 96, 1 2 f): in meiDer deutschen Übersetzung: OrigcDcs. Der Kommentar zum Evangelium Dach Matthäus, I , Stuugart l983 '" BOL 18, S. 175. Il comnl. ill Mt. 12,22 (CS 40, 1 1 8, 1 7 f): deutsch BOL 18, 184. I' comfll. ill Mt. 1 3 , 3 1 (CS 40. 268.35-269,2); deutsch ßGL 1 8 . 278 .
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Zur lateinischen Übersetzung des Mauhl1us-Kommeotars
B inden an; denn jemanden wie einen Heiden, d. h. wie einen nicht zur Heilsge meinde Gehörenden, behandeln heißt nichts anderes, als ihn gebunden haben. Von einem Lösen, das auf dieses Binden folgen würde, ist bei Matthäus und folgerichtig auch bei Origenes (in diesem Kapitel) nicht die Rede. Lm selben Kapitel drl1ngt sich dem Origenes, wie nur allzu verständlich, die Frage auf. was denn Petrus, zu dem gesagt wurde: Was immer du auf Erden binden wirst usw. (Mt 16, 1 9b), denen voraus hat, zu denen nun (Mt 18, 18) dasselbe gesagt wird; er antwortet, indem er sich wiederum streng an den Text hält und die i m 16. Kapitel bei Matthäus vorausgehende Verheißung an Petrus: ..Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben" (Mt 16, 19 a) als das nennt, was Petrus den anderen voraus hat. Der Lateiner vervollständigt auch hier das Zitat und schiebt Matthäus 16, 1 9 b nachu; aber diese Verheißung ist ja gerade dem Petrus und den anderen gemeinsam. darf also nicht genannt werden als Antwort auf die Frage, was Petrus Besonderes hat. Es scheint also, daß hier das dem Lateiner gewisser maßen schon selbstverständlich gewordene Verfahren, seine Vorlage korrigie rend zu ergänzen, den Sieg über den Sinnzusammenhang des Textes davonge tragen hat. Daß der Herausgeber in den GCS sich dem Lateiner angeschlossen und diesen sinnstörenden Einschub ins Griechische übernommen hat, obwohl dort der Text weiter geht mit dem Zitat von Mt 1 8 a. kann man nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen. Man muß also damit rechnen, daß der Lateiner weder die Zitate noch die Lemmata aus dem ihm vorliegenden griechi schen Text des Matthäus-Kommentars übersetzt. sondern aus seinem Neuen Testament genommen und sie in die Übersetzung eingeschoben hat. Dieser Eindruck wird noch durch die folgende Beobachtung verstärkt. An manchen Stellen weichen die AusdrUcke. die innerhalb des Kommentars als aus dem Lemma zitiert erscheinen, von denen ab, die sich in der Übersetzung des ausgehobenen Evange1ienabschnines selbst finden. Die Nummer 16 der Series beginnt mit Matthäus 23, 15: "Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, ihr reist herum über Meer und Land. um einen Proselyten zu machen ..... Da steht also im lateinischen Matthäustext das Wort proselylus; im ersten Satz der Auslegung aber wird gesagt. die ..Schriftgelehrten und Pharisäer der jüdischen Lehren (verba)" gingen "eifrig an vielen Orten der Erde herum, um die Ankömmlinge (advenae) vom Judentum zu überzeugen"". Advenae ist die korrekte lateinische Übersetzung des griechischen 1tQOOtlAVtOl, freilich in einem ganz neutralen Sinn. Das Wort wird gelegentlich in dem Sinne verwendet. mit dem das Wort Proselyt z. B. auch ins Deutsche eingegangen ist. Besonders interessant ist es, daß sich das lateinische Wort advena auch in einer anderen Übersetzung aus dem Griechischen. nämlich der Pauluskommentare des Theo dor von Mopsouestia findet; er schreibt zu Phil 3,5. Paulus habe deshalb betont, daß er am achten Tag beschnitten worden ist. um ..zu zeigen. daß er kein Proselyt (advena) war, bei denen die Beschneidung erst später" zu gesche"CB 40 269.28-270,6; deutsch BOL 18. 279. "CB 38. 29.4.8.
lateinischen Übersetzung des Matthll.us-Kommentars
Zur
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hen pflegten. Der Herausgeber glaubl diese Übersetzung in die Zeit zwischen 544 und 565 datieren zu können, also in die Zeit vor dem Tod lustinians. Schon Klostermann hat für die alte Origenes-Obersetzung ungefahr die nämliche Zeit angenommen. Etwa in dieselbe Zeit gehört die Entscheidung des Konzils von Orleans von 541, welche Sanktionen verhängt gegen jemanden, der einen ..Proselyten (aber geschrieben: prosililum), der advina, genannt wird", zum Juden gemacht hätte ". Aber schon früher bezeugt uns Filastrius von Brescia in seinem Werk gegen die Hä.resien 33, 1 1'. diesen Sinn des Wortes advena, wo er den Proselyten Nikolaus. der als letzier der sieben Männer genannt wird, welche von den Aposteln durch Handauflegung und Gebet für den besonderen Dienst aufgestellt wurden (Apg 6,5), als advella bezeichnet, ohne dazu irgendeine weitere Erklärung für notwendig zu halten. Andererseits ist das Wort von da ab keineswegs auf die besondere Bedeutung ,.Proselyt" festgelegt gewesen; es kann auch den zum Christentum Bekehrten bedeuten.; diesen Sinn scheint es jeden falls in Carmen 27, v. 550 des Paulinus von Nola zu haben, welcher das gläubige Volk lobt, das zum Heiligtum des Felix pilgert, obwohl es früher lange fremden Göttern gedient hat. jetzt aber converlilur advena ChrislolO• Auch im Poema conjugis ad uxoremt1• das Prosper von Aquilanien, aber auch Paulinus von Nola zugeschrieben wird, aber vielleicht ins Mittelalter gehört, ist in dem Vers: Sub Christi sacris advena /II ifes es dieser Sinn wohl deutlich. Daneben aber blieb, wie nicht anders zu erwarten, der ganz alltägliche Sinn von Ankömmling" " erhalten; er ist uns etwa bezeugt bei Apollinaris Sidoniusll, der dem Bischof Cäsarius einen Mann t!mpfiehlt, der mit seiner Familie vor den Goten geflohen ist und nun mehr oder weniger mittellos als advena vor den B ischof tritt. Ähnlich mahnt Cassiodor!l den Praefectus Annonae Paschasius, es sei ein Zeichen echter Pietät, nicht nur die Stammesverwandten am eigenen Besitz teilnehmen zu lassen. sondern auch die advenae. In diesen beiden Fällen ist in dem Wort die Mittellosigkeit oder BcdUrrtigkeit wenigstens mit ausgedrUckt und damit ein Ton angeschlagen. der im Alten Testament fast immer bei der Erwähnung des Fremdlings mitklingtu. Im ganz technischen oder gar kommerziellen Sinn von .,Ncuzugängen" , nämlich auf dem Sklavenmarkt. erscheint das Wort in einer Bestimmung des Codex Theodosianus 7.13,7 vom Jahre 375u. Auf diesem Hintergrund ist klar, daß man dem einmaligen Vorkommen von advenae in der lJ
Tluodori tpücopi MopsutSttni in tpütolas b. Pauli commtntarii. The Lalin Version wilh the
Greek. Fragments I , ed. by U. B. Swele, Cambridge 1880, 234. "ee 148A. 140. 19CV 38, 17. tO Cv 30. 286. 11 Vers 106 (CV 30. 246). U Sid. Ap. ep. 6, 10 I (PL 58. 559). uCass. var. 1 2 . 9 . 1 (473). U Z. ß. LeY 17. 1 5 oder Dln 24,20 u.ö. u Theodosial1; libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis, ed. Th. Mommsen, 112. &Dublin, Zilrieh 197 1 . 337; die Zusammenstellung dieser Zeugnisse yerdank.e ich meinem Mitarbeiter Claus Arnold. ,
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'.
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Zur lateinischen Übersetzung des Matthäus-Kommentars
Commetl/ariorium Series NT. 16 nicht allzu viel Gewicht beimessen darf; im Fortgang der Erklärung erscheint denn auch nicht nur im knappen Teilzitat. sondern auch im Text der Erklärung das Wort proselyrus. und zwar insgesamt fünf Mal auf einer einzigen Seite. Mehr Gewicht möchte man der unterschiedlichen Übersetzung des griechi schen �wQOt beimessen. welches in Matthäus 23, 17 und 1 9 (Törichte und Blinde) vorkommt. hier bei Origcncs also im umfänglichen Lemma Matthäus 23, 1 6--22 zu Beginn von NT. 17 der Series. Im Lemma ist �WQOl heide Male mit stuft; wiedergegeben; im zweiten Abschnill der Erklärung aber erscheint einmal caeci el/atu; und einmal/aluu",; gegen Ende des ersten Abschnitles von Nr. 1 8 aber findet sich sIll/li el caeci1'. Es scheint mir ausgeschlossen. daß der Lateiner an erster Stelle sich mit der Form caeci el/alUi auf den Text bezogen hätte. wenn er selbst zuvor das griechische �WQOl zweimal mit slulli wiedergegeben hälle. Man könnte sich aber denken, daß in die weitgehend abgeschlossene Überset zung der Auslegung die lateinischen Lemmata eingeschoben wurden (irgendeine technische Verfahrensweise muß man sich ja wohl vorstellen) und dann noch einen gewissen Einfluß auf die Endredaktion der Übersetzung ausübten. Ande rerseits ist es natUrIich auch nicht ausgeschlossen. daß der Lateiner beim Übersetzen mit dem Ausdruck gewechselt hat. Wenigstens an einer Stelle scheint mir unbestreitbar zu sein. daß der Lateiner das Lemma nicht übersetzt. sondern seiner Bibel entnommen hat. In dem Lemma Mauhäus 23.27.28, mit dem die Nummer 24 der Series beginnt, ist die Rede von den getünchten Gräbern, "die ... innen voll sind von Totengebein und aller Unreinheit". Da wird das griechische 1to.Oll� 6.xa.8a.Qota.� zwar im Lemma durch om,,; spurcilia wiedergegeben, aber schon im ersten Satz der Erklärung mit jnmu"diliae u"iversae; dann erscheint im zweiten Abschnitt der Erklärung das Wort ill",IIndilia noch zweimal isoliert und noch einmal in der Kombination ossiblls et inmUlldilia omlliJ7• Ob der Lateiner nun schon beim Übersetzen das lateinische Wort spurciria vor Augen haue, oder ob er es erst mit dem ganzen Lemma in die fertige Übersetzung eingesetzt hat (man muß vielleicht mit der Arbeit mehrerer Hände rechnen), mag dahingestellt sein; es scheint mir aber auf der Hand zu liegen, daß er dieses Wort an dieser Stelle nicht haben wollte; entweder weicht er bewußt von dem ihm schon vertrauten lateinischen Text ab oder er hatte den nicht vor Augen. Wenn er selbst das Lemma in der griechischen Vorlage gelesen und übersetzt hälle, hälle er zweifelsohne auch da nicht spurci lia, sondern illmullditia verwendet, was ja zudem die genauere Wiedergabe von 6.xa8a.QoLa. ist. Dieses Ergebnis läßt sich wohl noch durch eine Einzeibeobach tung zum selben Text verstärken; im Lemma ist von ossibus mortuorum dic Rede, daerscheint also das Wort os in der Form, die es im Lateinischen meistens hat, nämlich als zur konsonantischen Deklination gehörig. In der Erklärung dagegen erscheint das Wort zweimal in der Singularform ossum (in der ZusamU.CB 38, 3 1 . 1 2 . 1 4 : 32,5.10; 33,8. nCB 38. 39. 1 3 . 18: 40. 4.8. 10.
Zur lateinischen Übersetzung des Matthäus-Komroentars
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mensetzung ullum ossum ist das eindeutig) als zur o-Deklination gehörig2l• Daß Hieronymus (die Lemmata stimmen weitgehend mit der Vulgata Uberein) das Won in seiner klassischen Gestalt verwendet, versteht sich eigentlich von selbst; dem lateinischen Übersetzer des Kommentars war aber die Form ossum geläu figer. Leider läBt sich für die Zeit seines Wirkens daraus nichts schließen, weil die Form Qssum nicht eindeutig spät ist. sondern zum Beispiel schon bei Apuleius vorkommt. In der Matthäus-Erklärung kommen Knochen nur an dieser Stelle vor. so daß weitere Aufschlüsse nicht zu gewinnen sind. Aus dem Bibeltext des Lateiners ist also wohl nichts zu entnehmen Ober das Fehlen oder Vorhandensein eines Verses im Bibeltexl des Origenes. Aber es wäre interessant zu erforschen. warum der Lateiner den Vers Mt 23.10. der in der Vulgata lautet: Nec vocemini magistri. q"ia magister 'Ilester unus est Christus. nicht bietet. Er ist ja schon im Griechischen singulär, das Wort kalhegetes kommt im NT nur hier vor; außerdem konnte der Satz als eine Verdopplung von Vers 8: Vos autem lIoliIe 'IIocari Rabbi; UIlUS est eni", magisler veSler, omnes aulem 'II0S fraIres estis. aufgefaßt werden. Er bietet ja darüber hinaus (abgesehen von dem Ausdruck XClel]Y'lni� statt öLöaoKClAo�) nur den Namen "Christus". Aber gerade mit Hilfe dieses Namens läßt sich, so scheint mir, die Frage entscheiden, ob Origenes selbst den Vers las oder nicht. Im zweiten Absatz der Nr. 12 der Series erläutert Origenes noch einmal Uberblicksartig (nachdem er schon acht Seiten mit dem Matthäusabschnitt 23, 1-12 befaßt ist) die Verse 5 bis 1 1 (Vers 12 ist dann Gegenstand des dritten Absatzes der Nr. 1 2 der Serics). Da heißt es unter anderem: "Der Gerechte liebt es aber weder. von Menschen Rabbi genannt zu werden. noch von irgendjemand anderem ... (also Vers 8). Aber auch wer durch die Geburt von oben ... geboren ist ... und niemandes Sohn auf Erden mehr ist ... , nennt keinen Vater auf Erden ... (also Vers 9). Aber auch wer den göttlichen Worten dient, bietet keinen Anlaß. daß er Meister (magister) genannt wUrde. weil er ja weiß. daß Christus in ihm ist. wenn er recht nUtzt, welcher von allen, die Nutzen haben, Meister (magisler) genannt werden muß; sich selbst aber bekennt er als Dienerentsprechend dem Gebot Christi: Wer größer ist unter euch, sei der Diener aller!" (Vers 1 1 ) Origenes führt hier also nicht nur zweimal den Namen Christi an, und zwar an der Stelle. wo er auch in Mt 23, 10 erscheint, sondern sieht auch in dem menschlichen Lehrer der göttlichen Worte die Anweisung Jesu von Vers 1 0 erfllilt. Origenes las also in seinem Matthäustext ohne Zweifel den Vers 23, 10, und zwar an der riChtigen Stelle; der Matthäus Text des Lateiners bleibt ein Problem für sich. An anderer Stelle scheint dem Lateiner nicht aufgefallen zu sein. daß Orige· nes einen Vers in seinem Evangelientext nicht las. In den ziemlich langen Kapiteln 26 bis 29 von Buch 1 3 der Matthäuserklärung behandelt Origenes ausführlich die Weisung Jesu: "Verachtet keinen von diesen Kleinen!" (Mt 18.IOa) und schließt daran eine knappe Auslegung von Mt 18, 14 a (So will euer n.
nCD 38, 39, 1 3 . 20: 40,8. :'CB 38. 23. 23-24,3.
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Vater nicht, daß einer von diesen Kleinen verlorengeht) an. Dieser Zusammen hang ergab sich aus der Ähnlichkeit des lnhalts derVerse, also aus dem Blick auf die "Kleinen" . Erst am Ende von Kapitel 29 verweist Origenes für die Auslegung der bis dahin übersprungenen Verse Mt 18.12 und 13, in denen von den hundert Schafen und dem einen verlorenen und wiedergefundenen und der Freude darüber die Rede ist. auf seine LukashomilienlO• Zu dem Vers: "Der Menschen sohn ist gekommen, um zu retten. was verloren war" (Mt 1 8, 1 1 ), findet sich keine Andeutung einer Auslegung. auch nicht gewissermaßen eine Bruchstelle, wo eine verlorengegangene Auslegung weggebrachen sein könnte. Der Lateiner hat am Anfang von Kapitel 26 das Lemma, welches im Griechischen nur Mt 18. 1Oa umfaßt, ergänzt. aber nur so. daß er den ganzen Vers 10 bietet, nicht aber etwa Vers 1 1 und die folgenden. Der Spruch Uber den Menschensohn. der sich ähnlich bei Lukas (19. 10), dort aber an die Begegnung Jesu mit Zachäus angehängt, findet. hat solches Gewicht, daß Origenes ihn sicher nicht ohne Auslegung gelassen hätte; mindestens ein Hinweis auf eine Behandlung an anderer Stelle wäre unerläßlich gewesen. So wird man schließen mUssen. daß Origenes diesen Vers in seinem Matthäustext nicht hatte. Tatsächlich bietet ihn zwar die lateinische Überlieferung, aber von den griechischen Textzeugen nur die weniger wichtigen; weder der Sinaiticus noch der Valicanus haben ihn, so daß er bei Nestle-Aland nur im Apparat erscheint. Der Alexandrinus, der natürlich für Origenes besonders interessant wäre. bleibt unberUcksichtigt. weil in ihm ja der größte Teil des Mauhäusevangeliums ( 1 . 1-25.6) nicht erhalten ise'. Der Lateiner hat weder im Lemma ergänzt, was im Vergleich zu seinem Vulgata-Text als Lücke erscheinen mußte, noch viel weniger zu dem Vers selbst eine Auslegung versucht.
Eigenmächtigkeiten des Lateiners Da wir ja in der Commemarior;um Series nur wenige Vergleichsmöglichkeiten mit der griechischen Vorlage haben - sie sind dem Spürsinn von Klostermann zu verdanken. der im Origenes-Band 1 1 des CS entsprechende Fragmente aus Katenen und Scholien-Kommentaren abgedruckt hat -, dürfte es sich lohnen. gewissermaßen als Kriterium zu ihrer Beurteilung. Eigenmächtigkeiten des Lateiners zusammenzustellen. aus denen sich in den griechisch und lateinisch erhaltenen Teilen des Kommentars ÜberschUsse des lateinischen Textes ergeben.
JOCB 40. 261.16.24; deutsc:h B OL 18, 27.5: vgl. dorl Anm. 102 auf S. 301 r. l' Novum Testomulfum Graut, post E. Nestle ... ed. K. Aland .... 16Stullgarl 1976, S. 49; vgl. S. 689. Daß in der Liste der Kodizes nur noch die ßibliOlheken, wo sie heute liegen, aber nicht mehr die traditionellen Namen, wie Sinaiticus, Vaticanus usw. angegeben sind, finde ich bedauerlich.
Zur lateinischen Übersetzung des Matthllus-Kommcntars
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So hat der Lateiner im 33. Kapitel des zwölften BuchesH gegenüber dem griechischen Text als Plus die zwei Wöner opera vel, so daß bei ihm nun gesagt ist. jede vernunftbegabte Seele ernähre sich "durch lebendiges oder totes Brot. nämlich durch das. was sie annimmt, Werke oder gute oder schlechte Lehren". Es mag dem Lateiner durchaus entgangen sein. daß er auf diese Weise behauptet, eine Seele ernähre sich durch ihre eigenen guten Werke; dem Origenesjedenfalls lag ein solcher Gedanke völlig fern; rur ihn ist letztlich der Logos selbst die Nahrung der Seele (wie übrigens auch der Engel). Der Lateiner. bei dem sich auch sonst gelegentlich seine moralisierende Einstellung gegen das für Origenes vordringliche Interesse an der Erkenntnis durchsetzt. mag gewissermaßen un willkürlich bei der Erwähnung von Gutem und Bösem zunächst an Werke gedacht haben. Man muß also auch in der Commentariorium Series damit rechnen. daß die Konzentration auf moralische Weisung in der Auslegung vom Lateiner gelegentlich verstärkt oder gar hinzugefügt wurde. In diesem Zusam menhang ist natürlich zu erwähnen. daß der Lateiner sehr häufig von moralischer Auslegung spricht. d. h. ein Kapitel mit dem Adverb moraliter einleitet oder kennzeichnet. womit er gelegentlich ein griechisches "tQOJtLi<.WC; (falsch) wieder gibt. Solche Auslegungen sind aber nicht Erhebung des moralischen. d. h. des zur Handlung anleitenden. Sinnes des Textes, sondern übertragene, d.h. tiefe Erkenntnis vermittelnde. Exegese. Der Lateiner kann aber sogar dort ein 11Iora liler einschieben. wo sich im Griechischen weder ein "tQOl'UXWC; noch ein TtVEllllatlXWC; oder ein ähnliches Wort findet. Bei der Erklärung der weiß glänzenden Gewänder des auf dem Berg Tabor verklärten Christus zieht Orige nes zu der knappen Bemerkung des Matthäus: "Seine Kleider wurden weiß wie das Licht" (Mt 17.2b) noch die Bemerkung des Markus (9,3) heran: "wie ein Walker auf der Erde nicht weiß machen kann'·u. und erklärt: "Und vielleicht sind die Walker auf der Erde die Weisen dieser Weltzeit. die sich um einen Redestil bemühen, den sie für so leuchtend und rein halten. daß sie meinen, sie könnten ... auch die schändlichen Gedanken ... ausschmücken". Der Lateiner ahcr schreibt: "Und vielleicht können wir die Walker auf Erden moralisch als die Weisen dieser Weltzeit einschätzen ..." . Ähnlich dürfte die Ausdrucksweise des Lateiners im 8. Kapitel des 13. Buches zu beurteilen sein. Origenes zieht da zur Erklärung von Mt l 7 , 22b: "Der Menschensohn wird in die Hände der Men schen ausgeliefert" die ähnlich lautende Aussage des Paulus (Röm 8.32) heran : ,.Unser aller wegen hat er ihn ausgeliefert" . und macht aufmerksam auf den Unterschied zwischen der damit ausgesprochenen Heilsabsicht des göttlichen Vaters und der Auslieferung an die Menschen. die er den feindlichen Mächten zuschreibt. Der Lateiner sagt: flOII simpliciler rradidit elll1l, sed propter miseri cordiam sllam ... ; das übernimmt Klostermann in den griechischenText als OUX
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CS 40. 144. 24; deutsch SGL 18. t94; vgl. dort Aom. t25 auf S. 231. ucomm. in 101/. 12.39 (CO 40. t56.13ff); deutsch HGL 18. 199.
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Zur lateinischen Übersetzung des Mallhäus-Kommcntars
aJ'tAWC;:, aAAcr" . Es geht aber hier nicht um den Gegensatz zwischen Ausliefe rung einfachhin und Auslieferung in guter Absicht. sondern um die innerlich gegensätzliche Einstellung Gottes und der feindlichen Mächte. Das non simpli eiler des Lateiners. das eine den Grammatikern geläufige Unterscheidung an zeigtls• führt also hier in die lrre. lm nächsten Kapitel sagt Origenes: "Wir aber, die wir den Nulzen davon haben, daß er von jenen in die Hände der Menschen ausgeliefert und getötet wurde. sagen: Wir wollen ihre Stricke zerreißen und ihr Joch von uns werfen" (Ps 2.3): Das "Wir" ist hier also das "Wir" der Erlösten; der Lateiner dagegen macht daraus das "Wir" des Exegeten, indem er erklärt: ..... wir sagen, daß das Wort: Wir wollen ihre Stricke zerreißen usw.! auch von den unsichtbaren Königen und Fürsten dieser Weltzeit verstanden werden kann". Diese im vorlie genden Gedankengang abwegige Hinzufügung hat Klostermann und Koetschau dazu veranlaßt. im griechischen Text eine Lücke anzunehmenM• Daß die aber nicht vorhanden ist, daß Origenes hier nicht im ..Wir" des Exegeten, sondern der Erlösten spricht, zeigt der nächste Satz: "Wenn wir nämlich dem Tod des Christus gleichgestaltet werden. sind wir nicht mehr unter den Banden der Könige der Erde". Ein anderes kurzes Plus des lateinischen Textes im 30. Kapitel von Buch 13 mag man unterschiedlich deuten. Origenes nennt da leichtere SUnden. deretwegen viele schon dreimal oder noch öfter zurechtgewiesen wur den, ohne doch daraufhin aus der Gemeinde ausgeschlossen worden zu sein; der Lateiner schiebt ein: ..oder aufgrund einer solchen leichten Schuld. wie sie auch bei jenen. die in der Kirche voranzuschreiten scheinen. häufig gefunden wer den")1. Koetschau sieht darin einen ..Hinweis auf die Erfahrungen des Origenes in Alexandria". Aber in Alexandria hatte Origenes noch wenig mit kirchlicher Seelsorge zu tun; nachdem er zum Presbyter geweiht und mit Predigen betraut worden war, mußte er ja Alexandrien verlassen. In Cäsarea hat er eher seelsor gerlieh gewirkt. jedenfalls gepredigt und sich in den Predigten gelegentlich Ober die Nachlässigkeit der Hörer oder Gottesdienstbcsucher beklagt. Trotzdem scheint mir der Hinweis auf die Fehler auch der Fortschreitenden eher dem an sittlicher Vervollkommnung besonders interessierten Lateiner zu gehören. Durch einen anderen Oberschuß seiner Übersetzung dem uns erhaltenen griechi schen Text gegenüber verrät er vielleicht sogar, in welcher Zeit er geschrieben hat. In die Erörterung der Söhne. die nach Mt 1 7 . 24 ff von Abgaben frei sind. schiebt er folgende Überlegung ein: "Wenn also in einem geheimnisvollen (Sinn) die Könige der Erde von den Söhnen Gottes. die als frei hingestellt werden. die Doppeldrachmen fordern. welche das Bild des Caesar tragen. ist es
" C B 40, 202,20: deutsch BOL 18, 2SU U In romm. in Mt. 1 3. 1 1 (CR 40. 210. 13) l. B. macht Origenes selbst den Unterschied zwischen ..w�) Sohn ist und deshalb frei. und dem. der Sohn der Könige der dem, der einfachhin (i m J Erde ist (und deshalb unfrei). MCB 40, 204. 3 1 : deutsch BGL 18. 2S3f mit Anm. 42 auf S. 288. nCB 40. 264.25; deutsch BGL t8. 276.
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folgerichtig. dies so zu verstehen. daß. wann immer (Menschen) sich erheben. die ungerechterweise unseren irdischen Besitz wegnehmen. die Könige der Erde sie schicken. um von uns zu verlangen. was ihnen gehörf')'. Die Sorge um den irdischen Besitz scheint mir nicht zu Origenes zu passen; sie scheint außerdem Erfahrungen zu verraten. die am ehesten in die Zeit der Völkerwanderung. also ins 6. Jahrhundert gehören. Bei der Auslegung der Frage. die Jesus seinerseits (Mt 22.42) an die Pharisäer richtet. nämlich für wessen Sohn sie den Christus halten, (das Lemma zu Anfang von Nr. 5 umfaßt die Verse Mt 22.41-46), erklärt Origenes auch das Sitzen des Christus bzw. Gottes selbst (Nr. 7) und befaßt sich dann mit dem ..Schemel seiner Füße" von Vers 44 ( Ps 1 10, I ) und erklärt (in Nr. 8 der Serie): .Jenes Wort : .Der Himmel ist für mich Sitz. die Erde aber der Schemel meiner Füße' (les 66. 1) bedeutet nicht eine Abwertung der Erde, sondern ihre Herrlichkeit, da sie von GOII den bescheidenen und letzten Teil versteht (intellegit). welcher im übertragenen Sinn (falschlieh: moraliter) seine Füße genannt wird. So ist auch die Kirche auf Erden in den Anfängen der Verehrung Gottes und der Kenntnis Christi Schemel seiner Füße"" . Dann verweist Origenes auf jene Sünderin (Lk 7,37 O. welche bei den Füßen Jesu stand und diese salbte, nicht aber sein Haupt, wie dies Maria von Bethanien tat (Joh 12.2). Ganz allgemein sei jeder von uns, die wir zunächst ohne Verstand waren (nach Tit 3, 3), zunächst Schemel der Füße Christi gewesen. Also ist irgendwann der einzelne Schemel der Füße Christi, ist zu Beginn die Kirche Schemel seiner Füße. Deshalb wundert man sich,wenn man liest. die Herrlichkeit der Erde bestehe darin. daß sie den bescheidensten und lelzten Teil des göttlichen Wesens versteht. Man kann sich kaum denken, daß Origenes die Erde hier als mit Bewußtsein und Verstand ausgestattet gedacht hälle. Jeder Anstoß wäre aus dem Text beseitigt. wenn es hieße. daß die Erde nur das Geringste von GOIl zu fassen vermag, wenn also SIall inrellegit da stünde capit. Man könnte sich an dieser Stelle im Griechischen ein XWQtt denken; XWQELV bedeutet ja zunächst ..Raum geben", dann aber auch "in sich fassen", ..umfassen" . Aber nach Ausweis des griechisch-lateinischen Parallelregister zu Band 10 der Origenes-Ausgabe in den GCS.o erscheint das itllellego nie beim Lateiner als Überselzung des XWQew, und das lateinisch-griechische Parallelre gister bietet ein gutes Dutzend griechischer Wörter, die der Lateiner mit inrellego wiedergegeben hat, aber eben nicht das XWQew. Andererseits kommt das XWQEW in Zusammenhängen vor, wo man es im Lateinischen mit intellego wiedergeben k.önnle, wo uns aber keine lateinische Übersetzung erhalten ist. So heißt es z.B. im Buch 10,14'1, wer zum Schüler der Lehre geworden sei. könne "den Logos =
llromm. in Mt. 1 3 , t I (CD 40. 2 1 0 . 3- 1 2). ltCB 38. 13, 10-15.
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erfassen" (xwQ;;om); im Buch 14H ist von einem Herzen die Rede. welches "die Buchstaben der Erklärung der Gleichnisse fassen kann" (xwQoiioav); und am Anfang von Kapitel I des 15. Buches ist auf die Notwendigkeit hingewiesen. "die wahre Aussageabsicht der TeXotstelle" zu verstehen (XWQElV); im 5. Kapitel dessselben Buches&J ist von denen die Rede. welche die .,Verschneidung" nicht in dem Sinn verstehen (xooQElv), wie Christus es will. Wenigstens an den letzlen beiden Stellen wäre wohl im Lateinischen ein intellego kaum vermeidbar gewesen. Deshalb möchte ich annehmen, daß dem Lateiner das imellego als Übersetzung von XWQEW vertraut gewesen sein muß und so auch an weniger passender Stelle von ihm verwendet wurde. So möchte ich das ..Verstehen der Erde" für eine Fehlübersetzung halten und als Aussage des Origenes gehen lassen. daß die Erde nur das Geringste des Wesens oder Tuns Gottes faßt.
<1 co"''".
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Mt. 14, 12 (CB 40, 304,24). &lCB 40, 361,16.
Wie Origenes in seinem Matthäus-Kommentar Fragen offen läßt
Jedem Origenes-Kenner ist bekannt, daß Origenes seine Bibcldeutung jeweils nicht mit letzter Verbindlichkeit vorträgt, sondern dem Leser imrnereine gewisse Freiheit läßt. Häufig sagt er ausdrUcklieh. daß dem Leser die Entscheidung überlassen bleibt, ob er eine Deutung annehmen will; manchmal bietet Origenes zwei Auslegungen zur Auswahl an. Gelegentlich rechnet er damit, daß die von ihm vorgetragene und im Augenblick für richtig gehaltene Deutung durch eine bessere überboten werden kann. Hier sollen nun nicht etwa die von Origenes offen gelassenen Sachfragen aufgezählt und vielleicht systematisiert werden, was eine reizvolle Aufgabe wäre, sondern es sollen Typen beschrieben werden, denen die verschiedenen Weisen, wie Origenes im Matthäuskommentar Fragen offen läßt, zuzuweisen sind. 1 . Origenes trägt seine Deutung vor, zählt aber nicht alle Belegstellen auf, sondern überläßt diese Aufgabe dem Leser. der aber dabei nicht nur Material zusammentragen soll, sondern weitere Einsichten gewinnen kann. XII, 3: Welche Ereignisse der alten Schriften sind für welche Ereignisse der Neuen Schrift Hinweis? Welche Zeichen im Neuen Bund weisen auf welche Ereignisse in den späteren irdischen Generationen oder auf Wirklichkeiten des zukilnftigen Aion hin?' XlI. 6: Vielleicht bedeutet das Wort Sauerteig überall in der Schrift soviel wie Lehre. Dann ließe sich aus Lev 2. I I (Kein Sauerteig soll auf den Altar kommen!) entnehmen. daß die Gebete (wohl in der Eucharistiefeier) keine Belehrungen sein sollen1• Den Mißstand, daß im Hochgebel Belehrungen (vielleicht sogar Abrechnungen mil theologischen Gegnern) vorgetragen wurden, tadelt Origenes auch sonst gelegentlich. XU, 35: Die Schrift hat viele Ausdrücke für den Kontakt mit dem Tod: sehen, kosten. verschlungen werden usw. Wenn man sie miteinander vergleicht, kann man eine Stufenleiter der verschieden starken Todesverfallenheit aufstellenl. XIII, 3: Stellt man alle Heilungswunder zusammen und beachtet vor allem den Unterschied, ob Jesus dabei mO(1l proprio oder auf Bitten hin handelt, dann kann man die verschiedenen Krankheiten (Sünden:wstände) der Seele und die Art ihrer Heilung erkennen'.
I GCS X. s. 73. Z. 17-20.
l Ebd. s. 77, Z. 28-32. J Ebd. S. 1 49, Z. 27 - 5. 1 50, Z. 14. , Ebd. 5. 187, Z. 5-17.
Wie Origenes in seinem Matthäus-Kommentar Fragen orren läßt
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Xlll,22: Man sollte einmal alle Seligpreisungen und ihre Adressaten und ebenso alle Wehrufe und ihre Adressaten zusammenstellen.} 2. Origenes bietet zwei verschiedene Deutungen an, die er beide für richtig hält, von denen er keine fallen lassen möchte; trotzdem kann der Leser die eine oder die andere annehmen. XlI, 23: Eigentlich kann weder irgendein Sünder noch Petrus für Christus ein Ärgernis scin, weil es für die, die Gottes Gesetz lieben. nach dem Psalm ( 1 1 8 , 165) kein Ärgernis geben kann. Andererseits verhält sich Jesus aber mindestens so teilnehmend wic Petrus. der nach 2 Kor 1 1. 29 in Feuer gerät, wenn irgendein Gemeindemitglied Ärgernis leidet6• XlI, 42: Die Stimme aus der lichten Wolke (Mt 17,5) gilt entweder dem Moses und dem Elias und gewährt ihnen die Erfüllung ihres Wunsches, den Sohn Gottes zu schauen und zu hören, oder den Jüngern und belehrt sie über die volle Göttlichkeit des Erlösers7• 3. Origenes gebraucht häufig Ausdrücke wie vielleicht (-[(lXa, �TP'tOU) usw.. ohne daß dadurch eine schwächere Zustimmung zu der vorgetragenen Exegese angedeutet wäre. Gelegentlich scheint er aber doch Zögern und Zurückhaltung zu signalisieren, etwa auch weil eine Verheißung oder Voraussage noch offen ist. Von solcher Art scheinen zu sein: XII, 8: Vielleicht war die Lehre der Pharisäer und Sadduzäer noch nicht ausgebackenes Brot. sondern nur roher Teig'. Xn. 16: Vielleicht bezieht sich nicht nur auf die Apostel. sondern auf alle zukünftigen Gläubigen das Wort: "Der Bruder wird den Bruder in den Tod liefern" (Mt 1 0. 2 1 )9. XII,42: Vielleicht ist der Heilige Geist die lichte Wolke, die zunächst als die Macht des Vaters gedeutet wurde. Wenn. dann muß gesagt werden, daß auch der Erlöser eine lichte Wolke istlG• 4. Origenes trägt Gedanken vor, die ihm einfielen und die er nicht untcrdrük ken möchte, weil sie immerhin zum Erkenntnisfortschritt beitragen können. auch wenn er keine Klarheit und keine Sicherheit der Zustimmung gewinnen konnte. 111. 17: Origenes weiß selbst nicht, ob es gesund oder irrig ist, den Mühlstein von Mt 18,6 auf den schweren Leib zu deuten, den die Sünder zur Strafe bei der Auferstehung erhalten und der sie in den Abgrund. in die vom Drachen be herrschte Tiefe, hinabziehen wird".
S
240, 2. 27-32. 120, 2. 29 - S. 1 2 1 , 2. 13. 166, Z. 26 - S. 167, Z. 10. 79, Z. 15-17. 106, Z. 25-32. JG Ebd. S. 166. Z. 6-14. 11 Ebd. S. 225, Z. 26 - S. 226, Z. 2. Ebd. ' Ebd. 1 Ebd. I Ebd. 9 Ebd.
S. S. S. S. S.
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Daß es sich dabei nicht sozusagen um diplomatische Vorsicht handelt, also darum, einen Gedanken, der nicht mit der allgemeinen Kirchenlehre in Überein stimmung wäre, denen vorsichtig mitzuteilen, die so denken wie der Verfasser, dürfte klar sein. Denn die Vorstellung vom schweren, zur Strafe gegebenen Auferstehungsleib hielt sich ganz im Rahmen der gemeinkirchlichen Auferste hungslehre. Noch deutlicher wird das aber durch die unmittelbar danach vorge tragene Alternativexegese, die mit "ein anderer wird das Wort auf die unsicht baren Kräfte beziehen"u beginnt. Diese überirdischen Wesen bereiten nämlich den Kleinen. die an Jesus glauben, viele Ärgernisse. Deshalb erhalten sie zu ihrer eigenen Besserung einen irdischen Leib. der sie herabzieht und ihren Hochmut demütigt. Diese Vorstellung, sündhafte Engelwesen erhielten vorübergehend zu ihrer Läuterung einen irdischen Leib, paßt natürlich in die Überzeugung des Origenes von der Präexistenz der Seelen und der Gleichheit aller Geister. Mit der kirchlichen Orthodoxie aber war sie nicht in Einklang zu bringen. Hätte Origenes diplomatisch geredet. dann müßte diese Deutung mit einem Ausdruck des Vorbehalts eingeleitet werden; gerade das aber geschieht nicht. Zur weiteren Bestätigung sei auch verwiesen auf XV, 34: Daß die Arbeiter im Gleichnis. die erst zur elften Stunde angeworben werden, den ganzen Tag untätig herumstehen, ist für Origenes ein deutlicher Hinweis auf die geheimnisvolle Lehre (logos) über die SeeleL'. Der Artikel (tüv) läßt schon erkennen. daß es sich hier für Origenes um die bekannte Lehre von der Präexstenz der Seelen handelt. Sie vorzutragen, ist zwar ein WagnisL'. aber Origenes ist davon überzeugt. daß außer dem vorliegenden Gleichnis viele Schriftstellen in diese Richtung deuten. So kann er den Logos über die Seele auch als Dogmata bezeichnenLS: Wer sie nicht annehmen will, soll erklären, wie man den ganzen Tag. den die letzte Gruppe der Weinbergsarbeiter untätig verbracht hat, verstehen soll. Origenes geht also offen zum Angriff auf die Gegner seiner Präexistenzlehre über. Die Frage: "Wenn die Seele mit dem Leib zusammengesät wurde. wie haben sie dann den ganzen Tag untätig herumgestanden?"L6 läßt erkennen. daß er über diese seine Überzeugung nicht mit sich reden lassen will, weil er sie fest in der Schrift verankert findet. Daß der Grad der Zustimmung nicht von der allgemeinkirch lichen Anerkennung abhängt, ist auch hier deutlich. XV,35 trägt Origenes (ähnlich wie X111, 17) in unmittelbaren Zusammenhang mit seinem entschiede nen Einsatz für seine Sonderlehre zögernd eine Frage vor, die er unbeantwortet läßt; dabei hätte ihn die Antwort auf die Frage nach der Seligkeit der vom Hausherrn des Gleichnisses angeworbenen Weinbergsarbeiter. bzw. ihrer größe ren Seligkeit in Vergleich zu solchen, die von anderen Herren angeworben wurden. wohl kaum mit der aJlgemeinen Lehre der Kirche in Konflikt gebracht.
Ll Ebd. S. 226. Z. 2-5 . LJ Ebd. S. 451. Z. 7-16. H Ebd. Z. t6: hokl.llioul-u:v. L' Ebd. Z. 26. " Ebd. Z. 32-35.
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Auch er fühh sich der Beantwortung dieser Frage nicht gewachsen, bzw. weiß nicht, wie er, was er darüber denkt, schriftlich ausdrücken solll1. 5. Auch wo Origenes eine Deutung nicht als Lehre (Dogma), sondern zur "Übung" vorträgt. muß diese Einleitungsformel nicht als kirchenpolitische Absicherung verstanden werden. Das läßt sich schon daraus erkennen. daß er gelegentlich nicht nur zur Übung der Leser, sondern zu seiner eigenen Übung Gedanken diktiert. XlV, 12: Sich selbst will Origenes wohl im Ausdrücken seiner Gedanken, den Leser im Mitdenken übenl'. Die Formel von den übungsweise vorgetragenen Deutungen soll nicht dog· matisch bedenkliche Lehren verharmlosen, sondern sie zeigt, daß Origenes sich bewußt ist, sich exegetisch auf schwankendem Boden zu bewegen, auch wenn keine dogmatischen Einwände zu befürchten wären. xm, 18: Man kann fOlgendes als Lehre (Dogma) nehmen oder zur Übung des Geistes überlegen: Das Kind, welches Jesus nach Mt 18,2 herbeirief und mitten unter seine Jünger stellte, ist der HI. Geist. der sich durch sein Herabkommen in die Herzen der Gläubigen in ähnlicher Weise erniedrigte wie der Erlöser selbstl9• Was es mit den "Übungsgedanken" auf sich hat. wird besonders dort deutlich, wo Origenes Gedanken nicht vorträgt, obwohl er davon überzeugt ist, daß sie sich besonders zur Übung eignen würden. XV,5: Origenes könnte eine Reihe von Argumenten daflir anführen, daß die drei Arten von Verschneidung nach Mt 19, 12 körperlich verstanden werden mUssen. Er selbst will sie zwar geistig verstehen und hat überzeugende Gegen· argumente gegen seine eigenen Übungsgedanken parat; er befürchtet aber, einige Leser könnten sich mehr von den Obungsgedanken beeindrucken lassen und die Verschneidungen tatsächlich wörtlich-körperlich verstehen. Deswegen trägt Origenes die möglichen Begründungen für dieses Verständnis nicht vor, obwohl er sie für besonders übungsgeeignet hält, da er an ihnen vorfUhren könnte, wie exegetisch verfahren und wie falschen Auslegungen begegnet werden mußIO. XV,33: Nur wer es kann. wird verstehen, ob die fünf Anwerbungen der Weinbergsarbeiter symbolische Bedeutung habenlI. Dann deutet Origenes sie aber doch als Schema des stufenweise geschehenen Aufstiegs in den Bünden Gottes mit den Menschen, der sich an den fünf Sinnen verdeutlichen läßt: Berühren bei Adam, Riechen bei Noe, Schmecken bei Abraham, Hören bei Moses, Sehen bei Christus. Von dieser Erklärung heißt es, sie werde für den, der sie nicht dogmatisch annehmen wolle, als Übung vorgetragenZl• Daraus wird man entnehmen dürfen, daß Origenes auch übungshalber nur solche Gedanken vor-
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EIxI. S. 452, Z. l' Ebd. S. 305. Z. 19 Ebd. S. 226. Z. 10 Ebd. S. ]61. Z. 11 Ebd. S. 447. Z. u Ebd. S. 447, Z.
2-11.
13-15. 24
-
S. 227. Z. I .
5-23. 24-29. 29 und S. 448. Z. IH.
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getragen hat, die man ohne Schaden, ja mit vollem Recht auch als dogmatisch, d.h. als Zustimmung erheischend und verdienend verstehen kann, jedenfalls nach Meinung des Origenes. 6. Origenes stellt nicht nur eine Frage, sondern steckt auch den Rahmen für ihre Beantwortung ab, ohne sie im einzelnen auszuführen; vielmehr erklärt er sich dazu außerstande. XV,24: Im Zusammenhang mit den zwölf Thronen, auf denen die zwölf Apostel sitzen werden. um die zwölf Stämme Israels zu richten (Mt 19,28), erklärt Origenes. nach der ersten Ordnung der besonders hervorragenden Seelen gebe es noch elf weitere Gruppen. die alle zusammen die zweiten Ordnung bilden; woher das kommt und wie das zu verstehen ist, sagt er nicht; das geht über seine Kräfte; der Grund dafür ist, daß er nicht sehen kann, wieso die Väter der zwölf Stämme Israels zwölf Sterne sind. Die Antwort auf die Frage muß also mit Hilfe der Auslegung des Josefstraumes von den zwölf Sternen gefunden werden. Die Sterne, so sagt Origenes, werden die zukünftigen Richter sein, solche, die mit den Stämmen gleichnamig sind oder Apostel bzw. Apostelglei cheu. Man könnte sich vorstellen, daß weitere Überlegungen, die Origenes hier noch nicht angestellt hatte, einerseits zu weiteren Zwölferzahlen (wie die von Ex 24,4; 28, 2 1 ; Jos 3, 3), andererseits zu weiteren Sternen (wie den sieben Sternen von Offb I, 1 6 ft) oder schließlich zu den zwölf Sternen von Offb 12, 1 geführt hätten. Jedenfalls faUt es nicht schwer, auf Grund der Anweisung von comm. in Mt. XV, 24 im Sinne des Origenes weiterzudenken; eine detaillierte Aufzählung der elf Gruppen zweitrangiger Seelen würde man allerdings wohl nur mit Hilfe der Phantasie zustande bringen. 7. Origenes deutet nur die Richtung einer exegetischen Fragestellung an, ohne erkennen zu lassen, ob er schon eine Antwort geben könnte. Wenn er aber manchem Leser zutraut, die Frage zu verfolgen (und wohl auch eine Antwort zu finden), dann wohl auch sich selbst. XTI,27: Nachdem zur Erklärung von Mt 16,26 (Was wird ein Mensch als Lösepreis für seine Seele geben?) die getöteten Erstgeborenen der Ägypter als Lösepreis fUr die Erstgeborenen der Israeliten bezeichnet wurden, wird die Frage angedeutet, ob für das wahre Israel Gott das wahre Äthiopien als Lösepreis gibe' usw. Es scheinen da aber die Namen der Länder etwas durcheinander zu gehen. 8. Origenes spricht eine Frage aus, gibt aber weder den Rahmen fUr die Beantwortung noch eine Richtung für die weitere Fragestellung, sondern läßt die Frage völlig offen,ja erklärt die Beantwortung für seine Kräfle übersteigend. Ein Beispiel dafür wurde schon unter Nr. 4 angeführt, nämlich XV, 35.
UEbd. S . 421. Z. 32 - S. 422. Z. 5. :. Ebd. S. 132. Z. 1-14.
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9. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, auch wenn es nicht als offengelassene Frage bezeichnet werden kann. daß Origenes häufig die Vorläu figkeit der jetzt von ihm gegebenen Antworten betont und damit rechnet, daß ein anderer Exeget, vielleicht sogar einer seiner Leser, eine bessere Erklärung findet. Dann soll die gelten; Origenes selbst würde sich ihr anschließen, wenn er sie hörte. XII, 15: Als die Jünger ausgesandt wurden. dachten sie doch wohl schon. daß Jesus der Christus ist. Wieso wird dann Petrus in Mt 16, 17 selig gepriesen. weil ihm das jetzt geoffenbart sei? Origenes findet einen Unterschied darin. daß die Jünger zuerst nur glaubten, Petrus aber jetzt erkannt hat, daß Jcsus der Christus ist. Nur letzteres verdient eigentlich die Seligpreisung. Aber vielleicht findet sich eine glaubwürdigere Erklärung des (scheinbaren) Widerspruchs21• XV. 3 1 : Origenes erklärt gleich zu Beginn des Kapitels, er sei weit davon entfernt. die im Gleichnis ausgedrückte Tiefe der Wirklichkeiten auszuloten. und es falle ihm nur wenig zur Erklärung einu. Manchmal gibt Origenes an, warum ein anderer eine bessere Erklärung finden könnte: XV.37: Wer von Gott ein klares Erkenntniswort empfängt. wird Besseres zur Erklärung des Weinbergsgleichnisses sagen können17• Manchmal sagt Origenes, warum seine eigene Antwort hinter dem tiefen Sinn der TextsteIle, die eigentlich erklärt werden sollte, zurückbleibt. XI V: Wer schon wirklich Jesu Freund geworden und von seinem Geist belehrt und erleuchtet ist. der wird verstehen, was es mit der Weisung, bis zu sieben undsiebzig mal zu vergeben (Mt 18,22), auf sich hat. Origenes mag sich aber noch nicht als solchen Freund Jesu bezeichnen. So fehlt ihm die nötige Erleuch tung und seine Erklärung ist vorläufig und überholbar2l• Etwas anders aber scheint folgende Stelle zu verstehen zu sein: XIV, 1 1 : Wir haben noch nicht den ausreichenden Sinn (ÖwQx1i voüv), der mit dem Sinn Christi sich vere in igen (avaxQa9iivm) könnte und so weit käme. daß er mit dem Geist auch die Tiefe der Gottheit durchforschen würde19• Es wird nicht gesagt. daß man mit so vollkommenen Menschen rechnen könnte; vielmehr scheint die irdische Unvollkommenheit aller, auch der heilig sten Menschen gemeint zu sein. so daß die daraus resultierende Unvollkommen· heit der Bibelerklärung grundSätzlich nicht zu überwinden ist. Ähnlich sind dann wohl die nicht ganz seltenen Überlegungen des Origenes über die grundsätzliche Schreibbarkeit bzw. Unschreibbarkeit der Erklärungen zu verstehen.
UEbd. s. 105, Z. 6-17. 16Ebd. s. 442. Z. 10-14; vgl. auch XV, 20. S. 407. 29 - S o 408. 14. HEbd. S. 460, Z. 20- s. 461, 7.
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H
Ebd. S. 282. Z. 25 - S. 283, Z. 3.
Ebd. S. 303, Z. 14--19.
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XIV,12: Es ist unmöglich, die Erklärungen der Parabeln, so wie diese selbst, mit Buchstaben niederzuschreiben, mit der Wirkung, daß dann alles klar wäre. Nur der Geist kann die Erklärungen in ein reines Herz schreiben.)O XIV, 30: Eine lange Erörterung über die Schreibbarkeit, die der Lateiner (ebenso wie in XIV, 12) unübersetzt gelassen hat. Hier sagt Origenes. daß er sich gelegentlich verpflichtet fühlt, nicht alles zu sagen, was ihm selbst enthülh wurde, sondern nur einiges anzudeuten (atvi:tul.v)JI. Das ist stärker als wenn er sonst nur erklärt, er wisse nicht, wie er ausdrücken solle, was er zur Sache denkell. Aber auch an diesen Stellen, wo entweder mit einer zukünftigen besseren Erklärung gerechnet oder die grundsätzliche Schwierigkeit mit dem Schreiben betont wird, hat man nicht den Eindruck, daß Origenes diplomatisch vorgehe, um seine nicht von der Gesamtkirche gebilligten Lieblingsideen Gesinnungsge nossen gefahrlos mitteilen zu können. 10. Als Schlußbemerkung sei nur noch angefügt, daß die vielen Äußerungen des Origenes, die mit der Formel ..man muß überlegen, ob" oder ..du wirst verstehen, ob" oder so ähnlich eingeleitet werden, nicht als offene Fragen zu verstehen sind. Der zweite Ausdruck ist vielmehr häufig oder meist geradezu gleichbedeutend mit "es ist klar, daS", Nur gelegentlich sind solche Formulierungen Hinweis darauf, daß Origenes den Leser zu eigener exegelischer Arbeit anleiten will (vgl. NT. I) oder ihm die Entscheidung überläßt (vgl. Nr. 2 und 3).
)0 Ebd.
S. 305. Z. 1-15. )' Ebd. S. 440. Z. 27 S. 442. Z. 9. H('om",. in Mt. XV, 35, GCS X, S. 452, Z. 8. -
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Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im Matthäus-Kommentar des Origenes
Das große Verdienst von E. Klostermann. die erhaltene lateinische Übersetzung parallel zum griechisch überlieferten Text des Matthäus-Kommentars gedruckt zu haben. wird nicht im geringsten geschmälert, wenn man seine Hochschätzung des Lateiners nicht teilt und dessen Verwendbarkeit für Textverbesserungen bescheidener beurteilt. Daß einige Abschnitte von Origenes stammen, die der Grieche nicht bietet, wird man nicht bestreiten können. Anders ist es mit Korrekturen im Text, zu denen der Lateiner scheinbar Anlaß gibt. Nach Früchtel (GCS Origenes XII, S. 5 1 ) sind von den ca. 850 von Klostermann vorgenomme nen Korrekturen 660 unnötig; nur ca. 190 seien anzuerkennen, hätten sich aber auch ohne den Lateiner finden lassen. Klostermann wollte seine Änderungen schließlich nur noch als Vorschläge verstanden wissen (Epilog zu Origenes' Kommentar zum Mathäus: Sitzungsb. d. Akad. Berlin, KI. f. Sprachen usw. 1964,4, S. 26). leh führe hier 25 Beispiele an, wo man meiner Ansicht nach den Vorschlag nicht annehmen kann. 1 . leh beginne mit einer Konjektur im Buch XII, 3, wo noch kein lateinischer Paralleltext vorhanden ist. GCS Origenes X, 73 (S. 17 ff) heißt es: Untersuche aber auch du jedes Zeichen in den alten Schriftstücken, welches Schriftstückes in der neuen es ist, und das in der neuen Verfügung Zeichen Genannte, wofür es entweder in dem kommenden Aion Hinweis ist oder in den späteren Generatio nen, nachdem das Zeichen geschah!" Klostermann ist mit dem gewiß sehr knappen Ausdruck "tLVOC;; tv "tfl xOlvfI YQ6:��o'tOC;; (Z. 1 8) unzufrieden und erweitert so: "tLVOC;; h "tfi XOlvfi YQoq,fi "timo<; ltQaylJoo"to<; für welche Sache in der neuen Schrift es Typos ist. So findet sich die Stelle, allerdings mit einem Sternchen, im Index unter "tlJ1to<; (GCS Orig. xn, 3. S. 221). Aber gegen die Einfügung des Wortes "tuno<; melden sich Bedenken. Das Wort erscheint im comm. in MI. XI, 17 (5. 63.2). XII. 9 (5. 8 1 . 25),frgm. 3.33,frgm. 35,frgm. 951a undfrgm. 235,4. Als 'tU1tOl werden bezeichnet: die Plätze auf Erden. Jeremias, David, Rut, Rachel, der Goldene Leuchter. Johannes. also Sachen oder Personen, nicht aber Zeichen, die geschehen, also Ereignisse. Man dürfte also allenfalls das neutrale öTJAoonx6v einschieben, das Origenes selbst in Z. 19nO bietet. Wahrscheinlich ist es aber besser, nichts einzufügen, sondern das Wort Zeichen (OTJ�Ei:OV) in Gedanken zu verdoppeln, wie Origenes selbst es ja im Satz zuvor (Z. 13 ff) tut: "Wie das Zeichen des Jona, der nach drei Tagen auferstand, vom Bauch des Ungeheuers herauskam. der Auferstehung unseres Heilandes war, der nach drei Tagen und drei Nächten auferstand von den Toten." Im Deutschen geht das so, ohne Wiederholung des Wortes Zeichen, nicht; im Griechischen wohl. Vgl. auch XII. IO (S. 86.2) und XII. 1 3 (S. 95.23 fl). .•
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FaJsche Ergänzungen oder Korrekturen im Mauhäus-Kommenlar
2 . Buch XH, 17 fragt Origenes sich, warum Jesus den JUngem nach dem von ihm bestätigten Bekenntnis des Petrus (Mt 16, 16fO verbietet, öffentlich zu sagen, daß er der Christus ist. Origenes meint, Jesus habe den Leuten einen Schock ersparen wollen. der sie ganz sicher getroffen hätte, wenn sie den zuvor als Christus Verkündigten nun verraten und verurteilt gesehen hätten. wo doch sogar die Apostel, die ..immer bei ihm waren und alles sahen. was er an Wunderbarem wirkte, und seinen Worten bezeugten, daß es Worte des ewigen Lebens sind. in der Nacht des Verrates Ärgernis nahmen". ..Was meinst du". fährt Origenes fort (5. 109,4), "hätten die erlitten, die früher gelernt hatten, daß er der Christus sei?" Klostennann schiebt. gestützt auf den lateinischen Text, in diesen Satz noch das Partizip Präsens �ave6.vOvta ein, weil er diese Stelle fUr ein besonders gutes Beispiel von kurzem Textverlust des Griechen hält. der durch den Lateiner gebessert werden könnte (v gl. GCS Origenes XIl, I , S. 21). Der Lateiner aber versteht Origenes so: "Was hätten wohl die, die es zum erstenmal hörten, erlitten, wenn sie gehört hätten. daß er der Christus ist?" Dann hängt er einen Hinweis auf die Areopagrede des Paulus an, in welcher dieser den Athenern, die noch nichts verstanden, nicht Christus, den Sohn Gottes. sondern einen gewissen Menschen verkündigt hätte, und zitiert Apg 17,30 f, übersieht dabei aber völlig, daß Paulus gerade Ärgernis erregt mit seiner Predigt von der zukünftigen Auferstehung der Toten, also gar nicht als Beispiel dafür herange zogen werden kann. wie die Aufnahmefahigkeit der Hörer berücksichtigt wird. Der Lateiner versteht also Origenes falsch: Origenes spricht nicht von dem Schock. den die Hörer in dem Augenblick erlitten hätten, wo man ihnen offen gesagt hätte, Jesus sei der Christus, sondern von dem Schock. den sie bei seinem Leiden häuen erleiden müssen, wenn man ihnen schon vor seiner Auferstehung verkündet hätte, er sei der Christus. Deswegen sagt Origenes ausdrücklich (S. 108. Z. 20m, der Heiland habe die vollkommenere Lehre über sich bis zu dem Zeitpunkt aufbewahren woUen, wo man denen. die ihn gekreuzigt gesehen hauen. die Botschaft von der Auferstehung bringen konnte. Also ist der Ab· schnitt über Paulus in Athen. der nur lateinisch vorliegt. unecht, und man darf S. 109,5 nicht ein weiteres Partizip einfügen. sondern allenfalls in der deutschen Übersetzung ein "nur", wie das auch sonst öfters der Fall ist. 3. Buch XII. 24 (S. 125.27) fügt Dieh!, auf das Lateinische gestützt, ein: "und Bekenntnisses". Im Lateinischen steht: testimonium atque confessionem . Orige nes haue zuvor vom Bek.ennen gesprochen, spricht aber hier und im nächsten Satz (nur) vom Zeugnis. Das scheint dem Lateiner widerstrebt zu haben, so daß er �aQTUQLa mit dem lateinischen Doppelausdruck testimonium atque cOllfes siollem wiedergab. 4. Buch Xli, 26 (S. 128, 16) vermutet Diehl eine Lücke, weil der Lateiner sagt: et perdens allimam suam hoc modo sa/val eam per opera pietalis. Origenes sagt. das Ende (ttAO�) oder das Ergebnis oder die Vergeltung fUr einen solchen Verlust sei der Erwerb des Heiles. Der Gedanke, jemand rette seine Seele durch Werke der Frömmigkeit, entschärft den in Mt 16,25 ausgesprochenen Gegen satz, den Origenes in seiner Erklärung scharf herausarbeilet, und fUhrt außerdem
Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im Matthäus-Kommentar
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ein moralisierendes Element ein. das dem Origenes in diesem Zusammenhang fremd ist. Von daher läßt sich erkennen, daß auch in den vorausgehenden Zeilen beim Lateiner eine gewisse Tendenz zur Entschärfung des Jesus-Wortes festzu stellen ist, die sich ausdrückt in den beiden Zusätzen: quantum ad vitam praesen/em (S. 127, 30) und: in vita aeterna (S. 128,4). An diesen Stellen Lücken im griechischen Text anzunehmen. ist nicht nur unnötig, sondern ver dirbt den Gedankengang des Origenes (vgl. auch Nr. 9). 5. Buch XII. 30 (S. 133,15) beginnt so: "Wenn du verstehen kannst die Unterschiede des Logos, der in der Torheit der Botschaft denen verkündet wird. die glauben, und in Weisheit zu den Vollkommenen gesprochen wird. wirst du sehen, wie der Logos fUr die, die eingefÜhrt werden. KnechlSgestalt hat . . . für die Vollkommenen aber in der Herrlichkeit seines Vaters kommt" usw. Der Lateiner schiebt in der ersten Zeile ein moraliter ein, was Klostermann, Diehl und Koetschau veranlaßt. in den griechischen Text ein 'tQomx
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Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im Matthäus-Kommentar
richtig erscheinenden Auslegung damals geschehen sein. und zwar wörtlich, wie es erzählt wird." Klostermann macht, obwohl keine lateinische Parallele erhal ten ist. aus dem griechischen 1tQo ein 1tQo; t:oic;, so daß nun die Anerkennung der Historizität der Erzählung von Origenes nicht mehr sozusagen grundlegend vorweg ausgesprochen wird, sondern nur neben der Auslegung erwähnt wird. 9. Beweis fUr die moralisierende Erweiterung. d . h . Fehldeutung durch den Lateiner findet sich auch in Buch XIII, 4 (S. 188, 7 ff bzw. 9 ft). Während Origenes unter den Blinden diejenigen versteht, die das nicht sehen, ,.was allein der Seele sichtbar ist", sind fUr den Lateiner die Blinden diejenigen, die nicht beachten, "was gerecht oder ungerecht ist". Man wundert sich, daß nicht versucht wurde, dies in den griechischen Text hinüberzuziehen. 10. Buch XIU, 9 (S. 204, 3 1 bzw. 205, 1-3) finden Klostermann und Koet schau eine LOcke. Origenes sagt: "Wir aber haben den Nutzen davon, daß er von jenen in die Hände der Menschen ausgeliefert und getötet wurde. und sprechen das Wort: ,Wir wollen ihre Fesseln zerbrechen und von uns ihr Joch werfen.''' Das "Wir", um das es hier geht, sind also die Erlösten. Im Lateinischen dagegen heißt es, obwohl zunächst auch von "Uns" die Rede ist als von denen, die durch seine Auslieferung Nutzen haben, dann aber auf einmal: "Wir sagen. daß das Wort: Wir wollen ihre Fesseln zerbrechen . . . auch von den unsichtbaren Königen und Fürsten dieser Weltzeit verstanden werden kann." Das Wir ist also nicht mehr das Wir" der Erlösten, sondern die Person des Textauslegers. Daß aber der Textausleger. um eine solche Meinung vortragen zu können, Nutzen ziehe aus der Auslieferung und dem Tod Jesu, wird man doch wohl dem Origenes nicht unterstellen wollen. Der Lateiner läßt denn auch den Hinweis auf den Tod Jesu aus. Seinen Überschuß nimmt er aus den nachfolgenden AusfUhrungen des Origenes: "Wenn wir nämlich dem Tod des Christus gleichgestaltet werden, sind wir nicht mehr unter den Fesseln der Könige der Erde und auch nicht mehr unter dem Joch der Fürsten dieser Weltzeit, die gegen den Herrn versammelt sind." Daran kann man erkennen, wie der Übersetzer gearbeitet hat. Häufig ist der Überschuß. den er bietet. so zu erklären: Er nimmt Gedanken des nachfolgenden Textes schon vorweg oder walzt den Gedanken des Origenes weiler aus. 1 1 . Buch XIII, 17 (5. 223. 1 8 ff) sagt Origenes: .Jeder. der . . . auf dem Wege dahin ist, zu werden wie die Kinder; daß der nicht in das Reich der Himmel eingeht, ist unmöglich." Dieser letzte Satz fehlt beim Lateiner, er bietet statt dessen: "Wer aber sich nicht bekehrt. um zu werden wie ein Kind. der kann nicht in das Reich der Himmel eingehen:' Klostermann fUgt beim Lateiner das Äquivalent des griechischen Textes. im Griechischen das des lateinischen ein. Beides scheint mir unberechtigt zu sein. Im Griechischen wird der Zusammen hang zerstört. Der nächste Satz: "Viele also sind von dieser Art" schließt nicht mehr an. Dem Lateiner scheint der bei ihm fehlende Satz zu kühn gewesen zu sein, so daß er ihn ausließ. 12. Buch XIII. 3 1 (S. 269,28ff) sagt Origenes: ,,Da aber Petrus . . . etwas Besonderes haben mußte gegenüber denen, die dreimal vermahnt haben, wird nur bei Petrus das Wort: ,Dir werde ich die Schlüssel des Himmelreiches geben ' •.
Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im Matthä.us-Kommentar
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vorausge dem Satz: ,Und alles, was immer ihr auf Erden binden werdet steilt ... Der Lateiner bietet das ganze Zitat Mt 16. 19 und leitet es so ein: ..Deswegen sagt er zu ihm so." Klostermann übernimmt nun das Zitat Mt 16, 19b in den griechischen Text und verdirbt die Sinnspitze. Origenes will ja gerade das herausstellen, was nur zu Petrus gesagt ist. Man muß also sehr vorsichtig sein in der Anwendung des Grundsatzes, Origenes sei mit Schriftzitaten nicht spar sam (vgl. Klostermann. Epilog S. 2 1). 13. Buch XlV, 7 (5. 290, 16ft) erklärt Origenes das Wort: ..Das Reich der Himmel wurde einem König ähnlich" in folgendem Sinne: ,.Das Reich [welches mit dem Christus identisch ist: S. 289.20 ff] wurde dem Menschen Jesus ähnlich, indem es sich mit ihm vereinigte. weil er für die Vereinigung und fOr das Einswerden mit dem Erstgeborenen aller Schöpfung den Vorrang hat vor dem. der dem Herrn anhängt und mit ihm ein Geist wird." Origenes will sagen, daß die später hypostatisch genannte Union. also die Vereinigung des Menschlichen mit dem Göttlichen in Christus, jene Vereinigung weit übertrifft, durch die ein Gläubiger nach 1 Kor 6, 1 7 mit dem Herrn ein Geist wird. Der Lateiner hat den komplizierten Gedankengang nicht verstanden und gibt das Zitat I Kor 6, 1 7 als BegrUndung dafür, daß Jesus Christus einer ist. Klostermann läßt sich vom Lateiner täuschen und ersetzt in Z. 30 das ..als" im Griechischen durch ein .,wenn" und verdirbt damit den ganzen Gedankengang. Das Ergebnis ist eine christologische Ungeheuerlichkeit: Der Mensch Jesus wäre mit dem Christus nur so verbunden wie jeder Gläubige mit ihm. Das ist reinrassiger Nestorianis mus. wie er wohl nie vertreten wurde. Größerer Schaden kann wohl mit einer SO winzigen Textänderung nicht angerichtet werden. 14. Buch XlV, 16 (5. 320.8-10 u. 22f) schiebt Klostermann zwei Sätze aus dem Lateiner in den griechischen Text ein, will aber dafür den Satz, der den Höhepunkt der Aussage bei Origenes bildet. streichen. Origenes sagt (5. 319. 3 1 ff), die Pharisäer hätten Jesus die Frage nach der Ehescheidung gestellt, um ihn tadeln zu können, was immer er sage; hätte er geantwortet. es sei erlaubt. hätten sie ihm vorgeworfen. er löse die Ehen aus beliebigen GrUnden auf; hätte er aber gesagt, es sei nicht erlaubt. hätten sie ihm vorgeworfen, er heiße einen Mann auch mit Sünden mit der Frau zusammenzuleben; wie bei der Sache mit der Steuer, bei der sie ihn ja. wie Origenes ausführt, auf jeden Fall hereinlegen wolhen. Danach hat dann der Satz: "Sie sahen aber nicht, wie untadelig und weise er ihnen antwortete" seinen Platz. Den hat der Lateiner schon vorwegge� nommen, und Klostermann folgt ihm. streicht also den Satz hier, so daß er dann einschieben muß: ..Schau aber. wie untadelig er antwortete." 15. Buch XV. 8 (5. 372, 1 5 ff) sagt Origenes: "Schau also. ob du das Gebet Jesu für die reservieren kannst. die größer sind als die Kinder, weil sie sowohl die AuOegung seiner Hände als auch sein Gebet zum Vater fUr sie fassen können. aber sagen kannst. daß fUr die Kinder die AuOegung seiner Hände genügt." Klostermann ändert ohne Zeichen im Text den Artikel "[o� in f.1l')(QOtEQO� unter Berufung auf den Lateiner. Der aber hat den Genetivus comparationis t:wv 1tmbiwv nicht verstanden und redet zunächst von den größeren unter den . . . •
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Falsche Ergänzungen oder Korrekturen
im
Matthäus·Kommenl3I
Kindern und dann von den kleineren Kindern. Origenes aber spricht von den Kindern, welche nur die Handauflegung empfangen, und von denen, die größer sind als die Kinder. die also geistig erwachsen sind. die auch das Gebet Jesu empfangen. Die Textänderung ist also rückgängig zu machen. zumal Origenes auf den Unterschied im Evangelium selbst aufmerksam macht. wonach die Kinder gebracht worden seien. damit Jesus ihnen die Hände auflege und für sie bete. dann aber nur berichtet wird, daß er ihnen die Hände auflegt. 16. Buch XV, 22 (S. 416,2 ff) heißt e" "Das Wort sagt, daß alle Jesus folgen, aber es hat die damaligen Apostel genannt und die. welche ihm wie sie ausdau ernd gefolgt sind, die späteren aber hat es angedeutet durch das Wort: .Und jeder, der BrUder und Schwestern verlassen hat . . . ... Danach sagt Origenes, es könnte jemandem als eine gewaltsame Erklärung erscheinen, das Wort über die Nach folge (Mt 10,38) bezöge sich auf alle. Diese Erklärung macht deutlich, daß im Satz zuvor nicht ein "nicht" eingeschoben werden darf. wie es der Lateiner tut. der die anschließende Erklärung ausgelassen hat. 17. Buch XV, 36 erklärt Origenes (S. 456,6.20--457,4), er wolle nach der Erklärung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg. in der er u. a. mit Nachdruck seine Lehre von der Präexistenz der Seelen vertreten hat (Kap. 34.35. S. 451). nun auch noch etwas sagen. was "fUr die nützlich sein kann, die sich an der tieferen und geheimnisvolleren Deutung stoßen". Danach folgt dann eine simplere Erklärung. nach welcher der Tag des Gleichnisses die Lebenszeit der Menschen ist, in der manche schon in der Kindheit. also am frühen Morgen, andere erst später zum Glauben berufen werden. Der Lateiner aber hat offenbar das nQoax6m:w (stoße mich an) nicht verstanden und statt dessen nQox6ntw gelesen: .,die in der tieferen und geheimnisvolleren Auslegung voranschreiten". Die Korrektur von Klostermann. die sich darauf stützt, ist abzulehnen. obwohl sogar schon Huet für sie eingetreten war. 18. Buch XVI. 5 (S. 478. l 7 ff) vermutet Origenes. das Sitzen des Christus auf dem Thron seiner Herrlichkeit bedeute nichts anderes. als daß er in das Reich zurückkehrt und seine Herrschaft wieder an sich nimmt, nachdem die Herrschaft der Sünde gebrochen ist. und fährt fort: ,.Daß er aber auch alles für Gott rechts (ÖE;�a.) macht. damit nichts mehr bei ihm linkisch (axaLov) ist. das ist's. was in denen sein wird. die zur Rechten der Macht sein werden." Der Lateiner hat das Wortspiel mit ..rechts" und "linkisch" nicht verstanden und schreibt statt dessen: ,.Daß Gott aber alles macht zur Rechten und zur Linken, das geschieht. damit nichts Schlechtes mehr vor ihm da sei." Daß nun auch Klostermann durch Einfügung von "und links" den Text des Origenes um seinen Witz bringt, versteht man nicht. 19. Buch XVI, 22 (S. 553. 2 fO ermahnt Origenes zunächst diejenigen. wei che auf der kirchlichen Kathedra sitzen und den Vorsitz lieben. sie sollten beten. daß sie nicht so ibren Vorsitz ausUben, daß Jesus ihre Kathedra umstoßen muß. Die Mahnung richtet sich also nicht nur an schlechte "Vorsitzende". Dann heißt es: "Aber auch jeder von denen. die aufgrund ihres Diakonenamtes Gelder zusammenbringen. soll. wenn er die Schrift versteht, kein Geld mehr auf der
Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im Matthäus·Kommentar
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Bank anhäufen." Der Lateiner sagt: "die für sich Schätze sammeln und die Armen um das Geld betrügen"; Klostermann übernimmt das in den griechischen Text Dann richtet sich die Mahnung aber nur noch an betrügerische Diakone. Ihnen wird dann groteskerweise nur verboten, ihr gestohlenes Geld auf die Bank zu bringen; sie hätten aber doch eine heftige Vermahnung wegen des Diebstahles nötig. Man läßt also den Einschub besser heraus und versteht als Adressaten des Origenes solche Diakone, die deswegen tadelnswert sind, weil sie das rechtmä· ßig zusammengebrachte Geld, statt es für die Armen auszugeben, auf einem kirchlichen Bankkonto anhäufen. 20. Buch XVII. 7 (S. 603, 14 ff) erklärt Origenes, man könne in dem Weinberg die auf die göttliche Schrift gestUtzte Lehre über die Natur . . . , im Buchstaben der Schrift aber den Zaun sehen, der den Weinberg von außen umgibt und verhindert, daß er und vor allem seine verborgene Frucht von außen ausgeforscht wird; die Tiefe der Seele aber, welche diese Früchte in sich aufnimmt und schon alles Oberflächliche abgeworfen hat, sei die im Weinberg gegrabene Kelter. Koetschau, dem Klostermann hier folgt, vermutet unter Hinweis auf den Latei· ner eine Lücke. Aber der Lateiner verdirbt den Sinn und möchte die Tiefe der Aussprüche Gottes als die Kelter verstehen. Also besser keine Lücke! 2 1 . Buch XVlI, 22 (S. 649,22) heißt es: "Sie brachten zusammen und werden zusammenbringen alle Bösen, die immer sie finden, damit sie die Schlechtigkeit (das nicht zur Hochzeit passende Gewand) ablegen und mit denen, die gut genannt werden, das Hochzeitsgewand anziehen und den Hochzeitssaal füllen." Der Lateiner hat den Satzteil: "die gut genannt werden" nicht verstanden, sondern ihn auf gute Werke bezogen. Das ist erstens moralisierend, wie es für den Lateiner typisch ist. und zweitens verdirbt es den Zusammenhang. Trotzdem nehmen Klostermann und Koetschau EQYWV (Z. 27) in den griechischen Text auf. Klostermann nimmt außerdem Zeile 24 eine Lücke an. in die er hineinsetzen möchte: "und gute, und zwar die Bösen", bedenkt aber nicht, daß dann noch ein Satz folgen mUßte. in dem von den Guten (Mt 22, 10) die Rede ist, die ja noch nicht erwähnt wären. wenn es im Text um die guten Werke gegangen wäre. 22. Buch XVIl. 24 (S. 651.23) versteht Origenes unter dem Härling die Schlechtigkeit dessen, der sich nicht nach dem ausstreckt. was vor ihm ist (vgl. Phil 3, 13). Das Vergessen des Früheren, von dem Phil 3, I 3 spricht, ist hier fOr den Sinn nutzlos. Der Lateiner aber bietet beide Teile des Zitates, und Kloster mann folgt ihm; zu Unrecht, denn die Vervollständigung der Zitate ist für den Lateiner typisch. 23. Buch XVII, 25 spricht Origenes aus Anlaß der Frage nach der Erlaubtheit der Steuer (Mt 22.22) von den zwei Haltungen im Volk: Judas der Galiläer habe gelehrt. man dürfe dem Kaiser keine Steuer geben, der Tetrarch dagegen habe das Volk überzeugen wollen, man solle. um Krieg zu vermeiden. Steuern zahlen. Diesen Meinungszwiespalt liest Origenes aus der Schrift heraus, mit der Begrün· dung: ..Denn die Pharisäer hätten gar keine Möglichkeit gehabt, Jesus, um ihn in die Falle zu locken. die Frage nach der Erlaubtheit der Steuer vorzulegen, in dem Fall, daß es bei ihnen Einmütigkeit darüber gegeben hätte, daß man sie nicht
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Falsche Ergänzungen oder Korrekturen im Matthäus-Kornmentar
bezahlen darf, und in dem Fall, daß bei ihnen Einstimmigkeit geherrscht hätte, man solle sie zahlen" (S. 655 , 1 8 ff). Der Lateiner dagegen schiebt im zweiten Fall ein non ein und eliminiert damit die Alternative, macht zugleich Ongenes rur einen öden Pleonasmus verantwortlich. Daß Klostermann und Koetschau ihm darin folgen, indem sie das "nicht" in den griechischen Text übernehmen (Z. 28), ist unbegreiflich. 24. Buch XVII, 32 (S. 68 1 u. 682) finden sich zwei deutliche Beispiele dafür, wie der Lateiner Gedanken des Origenes in seinem Sinne weiterdenkt. S. 681,9 redet er von jedem Dogma. das nicht mit dem Gesetz im Einklang ist, läßt also seine UbHche moralisierende Tendenz erkennen. Daß er von den sacerdoles spricht (Z. 9), scheint mir ein Hinweis auf lateinische Eigenbildung zu sein, weil im Griechischen nur von der ytQouo[.a (dem Ältestenrat) die Rede ist. 25. Buch XVII, 34 (S. 696,9 CO versichert Origenes: "Wenn einer das Gesetz liebt und die Bestimmungen über Ehen zwischen Frauen und Männern durch geht und meint. da werde nichts weiter ausgesagt über das hinaus. was vom Buchstaben bezeichnet wird, der irrt." Der Lateiner spricht statt von dem, "was vom Buchstaben bezeichnet wird", von "den einfachen Hochzeiten", verengt also die Perspektive. Origenes dagegen hatte eine Grundsatzaussage gemacht. Es besteht also auch hier überhaupt kein Grund, mit Diehl und Klostermann eine Lücke anzunehmen.
Das Verhältnis der alten lateinischen Übersetzung CL) zum griechisch erhaltenen Text des 1 Matthäus-Kommentars CGr)
I . Vergleich der bei den Überlieferungen in XII, 9- 1 1
(Anfang der Parallehexte) Gr stellt an die Spitze von cap. 9 nur Mt 16, D a, L dagegen Mt 16, 13-16, beginnt aber cap. 10 durch Voranstellung von Mt 16, 17. 18. Gr bringt erst wieder am Anfang Von cap. 15 ein Lemma. nämlich Mt 16,20; so scheint es konsequent, wenn Klostermann die Stellenangabe am Anfang von cap. 9 so ergänzt: (-19). Cap. 14 beginnt mit: .Danach woUen wir sehen. wie dem Petrus ... gesagt ist: Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben", also Mt 16, 19a, aber schon cap. 1 1 (S. 87, 12 ff) wird Mt 16, I 9 a und b zitiert. L hat allerdings nur 19a. Daraus geht immerhin hervor. daß auch L nicht alle exegesierten Verse voraussteHt; sonst hätte er am Anfang von cap. 10 Mt 16, 17-19 nicht nur 1 7 . 1 8 bieten müssen. Diese Beobachtung ist vielleicht für die Beurteilung der Zuver lässigkeit oder Umsicht von L bedeutsam. Zu Beginn von cap. 9 bietet Gr: "Jesus (wie im Evgl.) fragt"; L: "Christus fragt". Gr: "Meinungen über unseren Heiland"; L: "über Christus". Gr: "damit wir die damals bestehenden Meinungen kennenlernen"; L: "damit wir erfahren, daß es verschiedene Meinungen gab"; L ist also nur an der Tatsache, nicht am Inhalt dieser Meinungen interessiert (tatsächlich fehlt bei ihm die Parallele zu S. 83. 25-84, 16). Das wird noch deutlicher in Buch XIII,2, wo die Wiederkunft des Elias erklärt wird. (eine gewisse Sachparallele zu der Meinung der Menge, lesus sei der Elias redivivus); dort XHI.2 fehlen bei L die Parallelen zu S. 180. 10 - 1 8 1 ,2 I . zu 1 82,9-33 und zu 183, 1 7 - 184, 1 1 . XII,9 sagt Gr: "Vielleicht sollten auch die 1 ü n g e r Jesu belehrt werden, sich immer um das zu kümmern, was über sie von den Menschen gesagt wird". L: "w i r , die wir Nachahmer Christi sein wollen, ... welche Meinung bei den Menschen Ober u n s besteht". Die Nikelaskatene (C·· 22 TU 47, 2.34) hat: "damit die JUnger lernen, sich um das zu kümmern. was von den Menschen über sie gesprochen wird", Katenenfrgm. 2 1 aus der Lukaskatene des Petfos von •
I Die fo lgenden Seiten berichten nicht nur über das Seminar. sondern gehen den dabei aufge worfenen Fragen und Anregungen nach und versuchen sie lösen. Zu Beginn waren den Teilnehmern als Diskussionsgrundlage fUr Abschnitt I die Seiten GCS X, 80-86 und 88 rur AbschniU 2 die Seilen GCS X. 1 1 0. 125. 482. 595. 596. 1 3 1 . 132. 164. 170. 175. 180. 182. 183. 252. 253. 304. 305 für Abschniu 3 die Seiten 100. 1 0 1 . 102. 107. 109. 1 1 4. 179. 389. 578. 579 fUr Abschnitt 4 die Seiten 290. 323. 420. 500. GCS 12, 152. 153 ausgeteilt worden.
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Das Verhältnis von L zu Gr
Laodizea (ebd. S. 34) bietet anonym: "damit wir lernen"; usw. Nur C"" 22 setzt am Anfang das betonte i}�Ei� und vor die Erwähnung der J ü n g e r das "taXa, steht also Gr am nächsten; während C" 22 wie Gr 1tuV8aVUul sagt, haben C" 21 und C-< 8 EQ
......
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Das Verhältnis von L zu Gr
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Petrus nicht Schüler von Fleisch und Blut war, bestritt er die Meinungen der Juden; weil er eine Offenbarung vom Vater erhalten hatte, bekannte er Jesus als Christus. S. 82, 3 1 f bzw. 29 ff: Gr: ..Petrus verstand, daß Jesus nicht nur der Christus ist, sondern der Sohn des lebendigen Gottes, der durch die Propheten gesprochen hat: Ich lebe". L sagt: "der durch die Propheten gesprochen hat: Ich lebe. spricht der Herr" (Jer 22,24). Origenes wählt seine Zitate mit Sorgfalt. Gott spricht durch den Propheten nur: "Ich lebe". Die Fortsetzung: "spriCht der Herr", stammt natürlich nicht mehr von GOII, sondern vom Propheten, sie drängt sich aber dem Übersetzer (oder einem Bearbeiter) auf. weil sie ihm geläufig ist, wie er auch sonst Zitate vervollständigt. Dann fahrt L fort: "Und vielleicht wurde er deshalb lebendig genannt ... ". schiebt also eine Überlegung ein, während Gr anschließt: "und: ,Mich haben sie verlassen. die Quelle lebendigen Wassers'" (Jer 2, 13). Zwar sind beide Zitate von Jeremias, aber der Plural ,,Propheten" ist in Gr immerhin durch die Zweizahl der Zitate erklärlich, in L dagegen ist er sinnlos. Ab Z. 10 (S. 83) geht L wieder mit Gr parallel, hat aber für Z. 17-84, 16 kein Äquivalent. Z. 25 ff wundert das nicht. es handelt sich um die Meinungen der Juden (5. 80, 17), an denen L (vgl. oben) kein Interesse hat. Z. 20 ff sagt Gr: ,.Es war nämlich nötig, etwas Besonderes (haleE"to) darzulegen in dem. was über den Gott und Vater aller Dinge gesagt wird. da er ja lebt über das Selbstleben (OlJtOtWi]) hinaus und die, die an ihm (dem Leben) teilhaben". Der Gott aller Dinge (ägyptischer Einschlag nach D. G. Bostock, Origeniana I, S. 245) lebt also über den Sohn hinaus, steht über ihm, an dem, als dem Leben, alles Lebendige Anteil hat. Das Thema hat Origenes oft behandelt, besonders deutlich Jo. 13,25, 151 und comm. in MI. XV, 1 0 (5. 376,5 ff). ähnlich Cels. 5 , 1 1 . Während aber dort der Sohn ganz nahe an den Vater gerlickt. und XV. 10 betont wird, der Abstand aller Geschöpfe vom Sohn sei weiter als sein Abstand vom Vater, sieht es hier (5. 83) so aus. als sei der Sohn, das Leben, für die Geschöpfe erreichbar, nur der Vater dagegen rein jenseitig. Wenn ein solcher Passus ausgelassen wird. darf man wohl auch da antiarianisches Interesse, also eine sehr viel spätere Zeit am Werk sehen. Sollte dieser Abschnitt in einem Überlieferungsstrang ersatzlos ausgefallen sein? Oben wurde schon bemerkt, daß L (S. 83,2 ff) den Eindruck eines Ein schubes macht: Et forsitan ideo dicebalUr vivus secundum eminentiam qua supereminet omnibus habefltibus in se vitam, quoniam el ,soJus habel immorta litatem' ( I Tim 6. 16) el eSlfolis vitae. Das ist keine Bildung des Lateiners, denn Ch.< 22 hat: "Ich nämlich lebe. sagt er. ,spricht der Herr', gemäß dem Hervorragen (xa"t' E�OXi]V) über alle Lebendigen, da er auch allein Unsterblichkeit besitzt und die Quelle des Lebens ist". Und frgm. 34511 aus der Athoskatene. auf das Klostermann hier nicht verweist. das er aber GCS XIJ, 149 bietet, lautet so: .,Lebend aber ist Gott. der spricht: .Ich lebe. spricht der Herr ' , und er ist die Quelle des Lebens gemäß dem Hervorragen über die Seienden und am Leben Teilhabenden, allein Unsterblichkeit habend". Das lateinische secufldum emi nentiam gibt also Kat' U;OX�V wieder. Das aber macht mißtrauisch, denn
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Das Verhältnis von L zu Gr
Origenes verwendet ES,OXrl im comm. in MI. nicht für das Verhältnis Gottes zu den Geschöpfen. sondern in einem viel simpleren Sinn: Im Gleichnis von den Weinbergsarbeitcrn spricht der Hausherr nicht von allen Letzten, denen er den gleichen Lohn geben wolle, sondern von e i n e m Letzten Ka.t' ES,OXrlV (XV. 35 S. 456,4). Obwohl es noch viele andere Frauen gab (die Jesus gefolgt waren), werden diese (die zwei Marien und die Mutter der Zebedäussöhne nach Mt 27,56) X(l't' e.!;OXtlv genannt (comm. seT. in Mt. 141 GCS XI,293,30ff aus der Cramer-Katene). Im Cels ., das mit comm. in Mt. etwa gleichzeitig ist, kommt es,oXrl Oberhaupt nicht vor, obwohl von Gottes und seines Sohnes überragender Stellung nachdrücklich gesprochen wird. Das Wort dafür aber ist UJtEQOXrl (Cels. 4,6 Z. 20f SC 3,77 Z. 1 1 f; 5, 1 1 Z. 20 ff; 1 , 1 6 1 , 20; 2,40,2; 6,45,24). Auch für die überragende Position des Menschen ( 1 , 29; 3,30; 4. 85. 86. 90) steht tlJ'tEQOXti! Im comm. in Mt. kann es die Stellung des Petrus (XITI, 3 1 S. 270. 1 5 f). der kirchlichen AmLSträger (XIV. 2 1 S. 336,27 f; XVI. 8 S. 495, 3), der jüdischen HohenprieSler (XVll, 6 S. 592, 34), des Wones der Wahrheit (XII, 32 S. 141,19; Xß, 33 S. 146,6. 13), vor allem aber den Rang Jesu ChriSli (XVI, 5 S. 479, 1 7 f; XVI, 8 S. 500, 1 2 . 25; XVII, 14 S. 632,2) und Gottes selber (XV, I O S. 376,5 ff) bezeichnen. Diese oben schon erwähnte Stelle sei hier mitgeteilt. weil sie, unter Beibehaltung der Terminologie ( !) eine deutliche Korrektur an der auch schon erwähnten Stelle aus dem lohanneskommentar darstellt. 1m Matthäuskommen tar sagt Origenes: ..Größer ist das Überragen U1tEQOXti in bezug auf die gerin geren GUter im Heiland. insofern er Bild der Gutheit (Weish 7, 26) Gottes selber ist, als das Überragen Gottes. welcher gut ist. in bezug auf den Heiland, welcher spricht: Der Vater, der mich gesandt hat, ist größer als ich (Joh 14,28)"[ Im 10hanneskommentar dagegen hatte Origenes gesagt: ..Wir behaupten, daß der Heiland alle gewordenen Dinge überragt (U1tEQEXEL), nicht durch Vergleich, . uoti u1tEQoXfD ... , daß er sondern durch übertreffendes Überragen (U1tEQßa)..).o aber ebensoviel oder noch mehr vom Vater überragt wird. wie er ... die übrigen überragt. die auch nicht gering sind" (Jo. 1 3 . 25. 141). Origenes scheint das Wort tlJ'tEQOXti so zu lieben, weil es sich mit dem transitiven Verb tlJ'tEQEXW so geschickt verbinden läßt. Bemerkenswert ist. daß auch Philo das Wort E�OXrl nicht fUr das Verhältnis Gottes zur Welt verwendet; ja nicht einmal Platin kennt es (vgl. Lexicon Plotinianllm ed. J.H. Siceman und G. Pollet, 1980), wohl aber das E�aleEto. das uns in Gr (S. 83,20) begegnet. Es leidet wohl keinen Zweifel, daß die beiden Katenenfragmente (und L) nicht von Origenes stammen können, sondern we nigstens in ihrer Fonnulierung sehr viel späteren Datums sind, als man eben E�OXti (Iat. eminenria) für das Verhältnis Gottes zur Weh verwendete, und das scheint nicht vor Pseudo-Dionys möglich zu sein. Nun wäre aber immer noch denkbar, daß ein Abschreiber U1tEQOXrl in das ihm geläufiger E�OXti geändert hätte. Aber warum hätte er es dann an all den anderen Stellen stehen lassen? L setzt übrigens seinen oben zitierten Gedanken so fort: Et fons quidem vitae proprie dicitur deus pater, qui dicit per Hieremiam: Me dereliquerulIt, fOfllem aquae vivae. So hat er dann wieder die Parallelität zu Gr gefunden. Schaut man
Das Verhältnis von L zu Gr
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den Satz genau an, erkennt man dahinter eine Trinitätstheologie, die zuerst an das (den drei göttlichen Personen) gemeinsame göttliche Wesen denkt, dem es die emillellria zuschreibt, und dann erst an den Vater, der in eigentlichen Sinne (proprie) Quelle des Lebens ist. Solches Denken scheint es im Abendland nicht vor Augustinus, im Osten nicht vor Pseudo-Dionys zu geben. Der Satz scheint aber lateinische Bildung zu sein, weil er ein Denken verrät, das, weil es eben keine Artikel in seiner Sprache hat, nicht zwischen 6 SEC<; und SEO<; unterschei den kann. Das Zitat I Tim 6, 16 (allein Unsterblichkeit besitzend) fügt sich in den Gedankengang, nämlich zwischen Jer 22, 4 und Jer 2, 1 3 nur dann ein, wenn dazwischen die Überlegung über die ESOXrl eingeschaltet ist. Muß diese ausge schieden werden, wird es auch überflüssig. Daß es (außer natürlich im frgm. 34511) nur hier vorkommt, sonst nicht im comm. in MI., nicht in Jo., im Ce/so nur in einem bei Pamphilus überlieferten StUck (Apol. 5), ist natürlich kein Beweis für die Unechtheit des Abschnittes in L (S. 83,2 ff), verdient aber erwähnt zu werden. X, 1 1 findet sich (S. 85, 14-24) ein Abschnitt, der den entscheidenden Unter schied zwischen denen, die Offenbarung vom Vater und denen, die sie vom Fleisch und Blut her empfangen, darin sieht, daß letztere seculldum camem er sanguinem wandeln, also im Fehlen der moralischen Anstrengung. Das scheint in ein Kapitel. das sonst von Offenbarung und "Geist der Weisheit" spricht, nicht zu passen, sondern eine andere, eine vorwiegend nicht-intellektalistische, aske tische Mentalität zu verraten. Wenn dann auch noch die Offenbarung durch Fleisch und Blut als die "Übernahme des Dogmas von den Eltern her" erklärt wird, scheint jemand zu sprechen, der sich im Wege seiner religiösen Entschei dung von seinen Eltern getrennt hat, etwa ein Mönch, nicht aber Origenes, der seinen Vater so sehr verehrte. Aber dieser kurze Passus könnte, wenn er nicht von Origenes stammt, ebenso von einem späteren Griechen hinzugefügt sein wie die Bemerkung über die SchUler der Bischöfe, die diesen die draußen über sie umlaufenden Meinungen mitteilen sollen (S. 8 1 ,4-8). Dreimal spricht L von den imiratores Christi (S. 80,20; 85,32; 88, 1 6); während an der ersten Stelle die Katene ,.Jünger" bietet, wie Gr, hat sie an der zweiten '.lL�l1"trl� gegen Gr, an der dritten stimmen L und Gr Ober ein. Was aber auffallt, ist, daß L nicht einfach das Substantiv setzt. sondern einen Relativsatz: nos qui volutnus esse Christi imitalores; omnis, qui imita tor esr Christi; omlles eI/im, qui imilarores sunt Christi. Wenn sich an der ersten Stelle die gebotene Bescheidenheit ausspricht, dann vielleicht auch an den beiden anderen Stellen: der Relativsatz schafft eine gewisse Distanz; nie mand kann einfach als Nachahmer Christi bezeichnet werden. Außerdem er kennt man, daß L auf den Wohlklang bedacht ist: er vermeidet die akzenttragen de Silbe am Ende (ähnlich andere Verwendungen von imiralores: S. 216,25; 492,9; 497,2). Verwunderlich ist dann allerdings, daß comm. sero in Mt. 139 (S. 287, 10) ganz simpel omnes imitatores Christi gesagt wird. War da vielleicht doch ein anderer Übersetzer am Werk? Die Frage wird sich in Abschnitt 4 neu stellen.
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Das Verhältnis von L zu Gr
Bisher läßt sich also festhalten, daß der Übersetzer nicht blindlings drauflos übersetzt. sondern auf den Wohlklang bedacht ist. den Text so überblickt, daß er ihn umformen kann, ohne einen Gedanken verloren gehen zu lassen, und das dort tut. wo dogmatische oder asketische Rilcksichten es zu gebieten scheinen. Obwohl L uns einige sicher echte Partien erhalten hat, wäre dem Übersetzer auch die Formulierung eigener Gedanken zuzutrauen.
2. Ausgewählte, nur griechisch erhaltene Stücke Das erste, besonders interessante Stück ist in Xll, 1 8 (S. 1 10. 18 ff), wo Origenes zur Erklärung von Mt 16,20f (" ... und getötet und am dritten auferweckt werden") I Kor 2,2 (" ... Jesus Christus den Gekreuzigten") und 2Tim 2, 8 (,,1. Chr., den von den Toten Auferweckten") heranzieht. L ist so glatt abgeschnitten, daß man zunächst vermuten könnte, die Zeilen 1 8 ff habe der Übersetzer nicht vor sich gehabt. 1m vorangehenden Text hat L für den Satz: "damit er zu einem besseren Zeitpunkt auch als gekreuzigt verkündet werde" kein Gegenstück. Das sieht nach bewußter Auslassung aus, ist es aber nicht, denn S. 190,30ff lesen wir: Christum aulem e/ crucifixum lempore oppor/wlO pon passiol/em e/ resur rec/io,lem, qual/do rebus ipsis, quod dicebarur poterat approbari. L hat also den Gedanken vorweggenommen. und zwar nicht nur den oben zitierten Satz, sondern zugleich die Ausführungen darüber, daß die Jünger jetzt stau an den Gekreuzigten an den glauben sollen, der gekreuzigt werden wird, und statt an den Auferweckten an den, der auferweckt werden wird. Der zugrunde liegende Gedanke ist ja tatsächlich der, den L mit rebus ipsis ... approbari wiedergibt. Grund für die Kürzung des Gedankengangs könnte die Schwierigkeit gewesen sein. die griechischen Partizipien, nämlich Perfekt Passiv und Futur Passiv, auf deren Unterscheidung es gerade ankommt, ins Lateinische zu übertragen. Man wird wohl kaum schon einen Griechen für die Veränderung verantwortlich machen können; dcr Übersetzer ist hier vielmehr so verfahren wie etwa XII, 9 (S. 81 ,22 - 82,8). Während aber dort eine Verschiebung des Gedankens festzu stellen ist, hat L hier den Sinn von Gr durchaus bewahrt. Der Übersetzer erweist sich einmal mehr als ein Mann mit Überblick, der nicht sklavisch Wörter, auch nicht nur Sätze überträgt, sondern einen ganzen Abschnitt nachgestaltet. Freilich geht es dabei nicht ganz ohne Veränderung ab: während Gr mit dem Ausblick auf den Auferstandenen schließt. ist in L das mulla pali das letzte Wort des Abschniues. Der Inhalt ist also bewahrt, aber die Komposition, die Steigerung verdorben. Bei solchen Vergleichen läßt sich erkennen, daß Origenes durchaus nicht ohne Verdienste als Schriftsteller ist. was meist übersehen oder sogar, allerdings ohne Begründung, bestritten wird. XII.24 spricht Origenes von der nach Mt 16, 24-27 geforderten Selbstver leugnung und dem Kreuztragen, durch welches der Bekehrte Christus ähnlich, ja mit ihm gekreuzigt wird, bzw. wie er sein Kreuz trägt. Der Gedanke wird abgeschlossen mit dem Zitat Joh 19, 17. 18. Damit begnügt sich L, Gr aber stellt
Das Verh:tllnis von L zu Gr
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einen Vergleich an zwischen dem ,Jesus nach Johannes", der sein Kreuz selber trägt. und dem synoptischen Jesus. dem Simon das Kreuz trägt. Der stellt uns dar; so gibt es zwei Gesichtspunkte. Aspekte (E1ti.vOl.al.) des Kreuzes. Der Übersetzer (oder ein früherer Bearbeiter) mag die Abschweifung für unergiebig, oder die Unterscheidung zwischen johanneischem und synoptischem Jesus für dogmatisch gefährlich gehalten haben. Wenn man aber die anderen Stellen, an denen btLvoLa vorkommt. vergleicht. drängt sich eine andere Erklärung auf. L scheint nämlich mit dem Begriff nicht zurecht zu kommen. XIV,7 kommt zweimal xaB' ExaO"tfJv EItLVoi.av vor (S. 289.28 u. 290. 5), die Zeilen dazwi schen scheinen in der Vorlage von L aIs Homoioarkton ausgefallen zu sein; bleibt immer noch ein xaO' Exao"tfJv tmvoi.av, was L wiedergibt mit: couidie in se"sibus eorum. Für solches Mißverständnis wird man kaum einen griechischen Abschreiber verantwortlich machen können; der Übersetzer scheint hinter xaO' haou!v lmvoi.av ein T]J.lEQav ergänzt und bei bnvota an voü� im Sinne von sellS/lS gedacht zu haben. Anders ist es XVII, 14 (S. 62.4.12ff), wo gesagt wird. daß manche Vater und Sohn in der Sache (ll1tO
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denen, verschieden intelligenten Übersetzern zu tun? Oder war die Vorlage von L schon völlig durcheinander an dieser Stelle? Aber mit dem genannten Gegen salzpaar konnte ein Grieche eigentlich keine Schwierigkeiten haben. Jedenfalls ist L nur mit Vorsicht heranzuziehen. weil er manchmal zu schlecht, manchmal zu frei lIbersetzl. So vermute ich. daß der Übersetzer den Abschnitt S. 125, 14ff ebenso wie die lange Ausführung in XVn,6 (5. 594.33 - 596.35) einfach deshalb ausgelassen hat, weil in beiden Fällen E1tlVoi.a� der SchlUsseJbegriff ist. mit dem er nicht zurechtkam; vielleicht schien ihm auch der Gedankengang gefahrlieh. daß es "viele Aspekte gibt unter denen Gott Mensch genannt wird" (5. 596,7 fl). Daß Hieronymus den Passus in XII. 28 (S. 1 3 1 , 24 - 132, 14), in dem Jes 43, 3 f ("Ich habe als Lösepreis für dich Ägypten gegeben") ausgelegt wird, noch vor sich hatte (vgl. in MI. 1 2 8 A). beweist nicht. daß er auch dem Übersetzer noch vorlag; er mag schon in den folgenden 200 Jahren beim Abschreiben ausgefallen sein. zumal er eigentlich nur Fragen stellt. keine Antworten gibt. Ähnlich kann schon in der Überlieferung die Aiternativerklärung in XII,40 (S. 164, 1 3 ff) ausgefallen sein, weil sie tatsächlich sehr dünn ist. Es wäre dann in der direkten Überlieferung etwas Ähnliches zu bemerken wie bei der Redaktion der Katenen: nur was brauchbar. d. h. hauptsächlich spirituell und asketisch-moralisch anre gend ist, wird ausgewählt, erhalten. Daß dann solche verkündigungspädagogi schen oder -psychologischen Überlegungen ausfallen, wie sie sich XII,43 (S. 170,8 CO finden. nimmt nicht wunder. Diese Auslassung möchte ich aber dem Übersetzer zuschreiben, zumal er in Xli, 18 einen ähnlichen Gedanken stark gekürzt hat (siehe oben) und in XU. 1 7 (S. 109. 1 1 ff) einen irrigen Gedanken eingeschoben zu haben scheint (siehe unten Abschnitt 3)! XUl, I stellen Gr und L fest. daß die Strafe für die am Ende noch übrigen Sünder nicht in der Seelenwanderung besteht (selbst wenn die für die früheren Zeiten anzunehmen wäre). Dann bietet Gr eine sehr geschliffene Widerlegung des Seelenwande rungsgedankens überhaupt. L dagegen hängt an den vorausgehenden Satz nur an: sed in igne. Es findet sich wohl keine andere derart lapidare Kürzung. L ist nicht an Beweisen. gar nicht am genus gymnasticum interessiert. sondern an handlichen Aussagen. So fallen bei ihm (oder schon in seiner Vorlage) die Überlegungen darüber aus, ob der Geist des Elias identisch ist mit dem Geist Gottes in Elias (XllI.2 S. 10. 1 0 - 182,21). woher wohl die Schriftgelehrten die Meinung hatten. Elias müsse wiederkommen (S. 182,9 ff), und ob in Johannes auch der in ihm wohnende Geist und die Kraft des Elias gelitten haben (S. 183. 1 7 - 184. 1 1 ). Daß der Redaktor der im Vindobonensis 154 erhaltenen Katene den Absatz von XlU.26 (S. 253 . 1 5 - 254.5) noch vor sich hatte (vgJ. TU 47.2 S. 24), beweist nicht, daß er auch dem Übersetzer vorgelegen hat. Andererseits könnte man sich wohl denken. daß er diesen Passus über die Unvollkommenen. die von Engeln, und die Vollkommenen, die vom Herrn selbst beschützt werden. ebenso beiseite gelassen hat wie die Unterscheidung zwi schen Söhnen. die im Schoß, und TöChtern. die auf Schultern getragen werden (S. 252. 1 3 - 253,3). An den Überlegungen des Origenes darüber. ob der .
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Das Verhältnis von L
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eigentliche Sinn eines Gleichnisses aufgeschrieben werden kann (XIV. 12 S. 304,8 - 305,20), hätte ein sein Geschäft bedenkender Übersetzer eigentlich interessiert sein müssen. Da er es aber nicht für sich, sondern für seine (mona· stischen. asketisch interessierten, jedenfalls wohl nicht selbst schreibenden) Leser betrieb. kann er auch selbst alle vergleichbaren Stellen übersprungen haben; sie müssen nicht schon in seiner Vorlage gefehlt haben, obwohl auch das möglich ist, da auch schon bei den Abschreibern mit ähnlichen Interessen bzw. Mangel daran zu rechnen ist.
3. Ausgewählte Stücke aus der nur lateinischen Tradition2 xn. 1 4 zeigt Origenes. wie der Tugendhafte Erkenntnis der Tugenden gewinnt und so urteilsfähig wird, daß sein Urteil auch im Himmel gilt. Dadurch bindet und löst er auch im Himmel. Die Bischöfe berufen sich auf Mt 16, 19. aber sie können es nur. wenn sie sind wie Petrus, d. h. dessen Bekenntnis nachahmen, weil sie wie er Offenbarung vom Vater her empfangen haben. Hieronymus hat den Sinn genau erfaßt. wenn er die episcopi el presbyteri non jntellegellles mit den Pharisäern vergleicht (in MI. 124 E). Für die Erklärung von Gr. daß ein sündenfreier Mensch weder von Gott noch von einem .Petrusähnlichen" verur· teilt wird (S. 99.22 fO. hat L kein Gegenstück. Dafür bietet er (S. 100,1-17). nachdem er schon S. 99.20 die pOlestas ins Spiel gebracht hat, folgendes: "Der Bischof sei also untadelig; wer einen anderen bindet oder löst, sei würdig. im Himmel zu binden oder zu lösen. Er sei eines Weibes Mann" (folgt I Tim 3,2-4). Gr und L fahren fort: "Wenn er nämlich nicht ist wie Petrus und aufweist. was hier gesagt ist ... ". Es sieht so aus. als habe L hier selbständig den Bischofsspie· gel eingeschoben und dadurch den Blickwinkel moralisierend verengt. XII, 15 fragt Origenes. wieso Jesus in Mt 16.20 den JUngem verbietet, ihn als den Christus zu verkUnden. wo er sie doch schon Mt 10.5 ff zum Apostolat ausgesandt hat. wozu doch wohl die Verkündigung des Christus gehörte. Entwe der ist also das jetzige Verbot oder die damalige Aussendung sinnlos. Ja, man kann fragen, ob sie damals nicht schon dachten. er sei der Christus. Zwischen diesen Fragen. die um weitere vermehrt werden und die Gr als sehr echt bezeichnet (S. 103, 1 6). und auf die er erst von S. 103. 2 1 ab antwortet (wie aus dem Partizip Futur AEXOTlOOIlEVWV Z. 1 9 f hervorgeht). schiebt L den Abschnitt S. 1 0 1 , 22 - 102. 1 7 ein. Da werden zuerst die Zitate aus MI 1 0 aus der Aussendungsrede fortgesetzt. Auch Gr bietet MI 10,5. L hat aber zusätzlich die Verse 17 f, 19, 23 und 32: dann erklärt er: ..es sei denn, jemand wage zu sagen. er habe damals nicht gewollt. daß verkündet würde. daß Jesus selbst der Christus ist" (S. 102.9 ff): das Verbot hätte also nur für kurze Zeit gedauert. Eine ähnliche •
1 Diese Partien wurden nicht besprochen. da die Diskussion über die nur griechisch erhattenen Abschnitte und die Qualitäten von L zwei Abende in Anspruch nahm; sie werden hier kurz vorgeführt. wie sie vorbereitet waren.
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Erklärung, allerdings mit einem anderen Akzent. wird erst zu Beginn von cap. 1 6 gegeben: alles übrige haben sie über ihn verkündigt, aber noch nicht, daß er der Christus ist. Man muß also fragen, ob die eingeschobene Antwort von Origenes selbst stammen kann. Sie wird gewissermaßen relativiert durch die Bemerkung: .Aber das hat er (nur) gesagt. um die Auslegung dieser Stelle nicht auf die zukünftige Zeit zu beziehen, in der ja später die Jünger Jesu Christen genannt wurden. wobei dieser Name seinen Anfang von Antiochien nahm", Zu Beginn von cap. 1 8 (S. 109,23 ff) heißt es so ähnlich: "Wer aber behaupten will. was zu den Zwölf gesagt wurde. beziehe sich auf die Zeiten danach. wird sagen .. ." . L schiebt da ein lUlle ein. Die heiden Abschnitte scheinen sich direkt zu widersprechen, stehen aber in Einklang. Zuerst ist mit "dieser Stelle" das Verbot von Mt 16.20 gemeint. Das kann sich natürlich nicht auf spätere Zeiten beziehen, denn später haben die JUnger nicht nur de facto in Antiochien den Namen Christi erhalten, weil sie sich zu Christus bekannten, sondern schon Mt 10,32 scheint das Bekenntnis zu dem Christus zu fordern. Was aber "zu den Zwölf gesagt" ist, - die Anweisungen von Mt 10, d.h. also die ganze Aussen dungsrede -, das kann sehr wohl auf die späteren Zeiten bezogen werden. Ja, man sollte sich wundem, wenn es dem Origenes entgangen wäre, daß die Rede die historische Situation verläßt, in der es ja zunächst nur um eine vorläufige Sendung der Jünger zu Lebzeiten Jesu ging. und die ganze Zeit bis zur Wieder kunft ins Auge faßt. Es ist nun aufftllig, daß Gr in cap. 15 nur den Anfang der Aussendungsrede zitiert. der die Situation vor dem Verbot von Mt 16,20 im Auge hat, daß L aber Verse aus dem zweiten Teil der Rede bringt. die sich auf die nachösterliche Zeit beziehen. Origenes kann nicht gemeint, nicht einmal als weniger wahrscheinliche Lösung ins Auge gefaBt haben. Mt 10.5 ff(die Aussen dungsrede} beziehe sich insgesamt auf ..die Zeiten danach". Die Anweisung: ..Geht nicht zu den Heiden! " gehört ja auf jeden Fall in die ursprüngliche Situation. So erscheint der Beginn von cap. 1 8 den nur lateinischen erhaltenen Teil, in dem die weiteren Verse aus Mt 1 0 angeführt werden. als echt zu bestätigen. Man wird nur annehmen müssen. daß die Vorlage für sed haec du;t ... weniger apodiktisch gelautet hat. XlI, 1 7 wird als Begründung dafür, daß die Christusverkündigung einstweilen aufgeschoben wurde, angeführt, das Skandalon der Kreuzigung wäre fUr solche zu schlimm gewesen. denen man schon vorher Jesus als den Christus verkündigt häue, ohne daß sie immer bei Jesus sein und seine Machttaten sehen und seine Lebensworte hören konnten. Dann bringt nur L als Beispiel für solche Rück sichtnahme auf die Hörer die Areopagrede des Paulus, der nicht Christus. den Sohn Goues, sondern v;rum quemdam verkündigt hätte. Aber die Areopagrede des Paulus ist eher ein Beweis fUr Scheitern, weil Paulus durch die Erwähnung der Auferstehung die Hörbereitschaft der Areopagiten verlor. Sollte Origenes das übersehen haben? Sollte man hier nicht eher einen Späteren am Werk sehen? XU,20 wird gesagt, daß Jesus ins obere Jerusalem hineingeht. das untere dagegen abtut und auflöst (xataQYrov xal xat"oAuwv), wo zuvor, solange Jesus noch nicht auferstanden war ... die Stadt Gottes und der Tempel und die •
Das Verhll.1lnis von L zu Gr
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Reinigungen gesucht wurden. Gr fährt fort: .,Seit dies aber geschehen ist, nicht mehr, sondern das obere!" Das ist wohl nicht nur knapp. sondern abgekilrzt; der Grund dafür läßt sich an L erkennen: Origenes hat sich fast wörtlich wiederholt: ..Nachdem aber .Christus als Erstling der Entschlafenen' ( I Kor 15,20) aufer standen ist und die mitauferweckt sind. die seinem Tod und seiner Auferstehung gleichförmig geworden (Röm 6,5; 8.29) sind, wird von denen, die mit ihm auferstanden sind, nicht mehr unten Jerusalem und das Haus des Gebetes ... gesucht. sondern oben". L fährt fort: er quasi qui consurrexerunt ... viderunr el, quidem quae fueranl super terram, destrucla, quae aulem eranl in caelis splendenlia. L denkt also an die Zerstörung Jerusalems. hat auch vorher schon xataQYwv xai xata).:uwv mit desrruens el dissolvens übersetzt. Nun bedeutet aber die tatsächliche Zerstörung des Tempels, wie man aus sero 28 zu Mt 24, 1 . 2 entnehmen kann, für Origenes wenig, andererseits hätte das obere Jerusalem erst vierzig Jahre nach der Auferstehung Jesu zur Geltung kommen können, wenn es das untere erst bei dessen Zerstörung abgelöst hätte. Das wird Origenes nicht haben sagen wollen. Entweder übersetzt L hier also falsch. oder der Abschnitt (S. 1 14, 24-29) ist eine spätere Bildung. In XIIl.2 wird gesagt. es widerspreche nicht der kirchlichen Lehre. daß der Geist und die Kraft eines Propheten auf einen anderen übergehen. weil die von der Seele (deren Wanderung nur Irrlehrer annehmen) verschieden sind. was mit 1 Kor 14.32 bewiesen wird. Dann geht er zu der Frage über, ob der Geist des Elias. der dann auf Elischa ruhte. mit dem Geist Gottes in Elia identisch ist. L aber schicbt den Abschnitt 4(2)R 2,9-15 ein, den er etwas abkürzt. Dann wird aber aus dieser Übertragung des Geistes des Elias auf Elischa keine Konsequenz gezogen. Da der Abschnitt eingeleitet wird mit Adhuc ad co"firmatiollem eorum, quae angelus dixit . .. wird man annehmen dürfen, daß er nicht von Origenes stammt. sondern von einem eifrigen Abschreiber, der sich durch die gelegentli chen Aufforderungen des Origenes, wie etwa: Du wirst selbst noch Belege finden! zum Suchen anregen ließ. Der Passus ..ersetzt" gewissermaßen die folgende Überlegung des Origencs (vgl. oben Abschnitt 2). Daß in XV, 1 4 (S. 38.31 - 390, 17) Origenes selbst es ist. der in L sagt: In exemplariis autem Ilovi testamellti hoc ipsum me posse facere .rille pericuJo "Oll putavi, nämlich so textkritisch verfahren wie im AT, hat schon Klostermann gegen Schmidtke hinlänglich deutlich gemacht (TU 47,2.93 f). Allerdings bleibt doch fraglich, ob man daraus auf zwei Ausgaben des comm. in Mt. schließen darf. Eher wird man annehmen, daß es einen Abschreiber gab. der an der origenischen Textkritik des NT (sie wird ja noch angedeutet), vor allem aber an der Verwendung des Hebräerevangeliums Anstoß nahm, während andere. vor allem auch der Übersetzer. darin unbefangener waren. Daraus ist zu schließen, daß auch Gr sich hat Eingriffe gefallen lassen müssen. In XVLI, 1 . 2 wird zwischen die Bemerkung. es sei eigentlich Jesu unwürdig. den Hohenpriestern auf ihre Frage keine Antwort zu geben, und die Auslegung von Mt 2 1 , 23 f, welche die verschiedenen Vollmachten (Exoucrim) untersucht, die Erklärung eingeschoben, die Hohenpriester hätten gar nichts erfahren, .
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sondern Jesus nur schrecken wollen (S. 57. 3-22). Damit ist der Passus eigentlich erklärt; für eine tiefere Deutung ist der Weg versperrt. Zum mindesten mUßte sich eine Überleitung finden, wie etwa: Nachdem die Stelle so nach dem Buchstaben erklärt ist, wollen wir fragen, ob sie in tieferem Sinn usw. Nichts Derartiges findet sich. Der Abschnitt gehört wohl dem Übersetzer oder der vor ihm wirksam gewordenen Bearbeitung des comm. in Mt.
4. Vergleich lateinischer Partien miteinander Es werden die Stellen miteinander verglichen, an denen Origenes 1 Kor 6. 17 (Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist) auslegt. nämlich XIV. 7 (S. 290,24 ff), XV. 24 (S. 420. 14 ff). XVI. 8 (S. 500. 3 1 ff), ser. 65 (S. 152,27 ff) und XVl , 1 6 (5. 323, 24-29). An dieser letzten Stelle verwendet Origenes das Zitat ekklesiologisch oder soteriologisch: "Weil das ,Mit ihm ein Geist werden' fOr den aufbewahrt werden mußte, der dem Herrn anhängt, wurde Ober die heiden, die von Gott verbunden sind. zuerst gesagt: .so daß sie nicht mehr zwei sind'. und dann: .sondern ein Fleisch Der Schöpfer hatte also schon die Vereinigung des Gläubigen mit dem Herrn zu einem Geist im Blick und gewährte deshalb den ehelich verbundenen Menschen in der Naturordnung nur die Einheit des Fleisches. Der Gedanke ist also perspektivisch-dynamisch. Die vier anderen Stellen lassen den Zielpunkt der Perspektive. das Ergebnis der Dynamik erkennen. nämlich die Personeinheit des Christus, die Einheit von Gottheit und Menschheit in dem einen Heiland. XlV. 7: (Das Himmelreich. welches mit dem Christus identisch ist) wurde "einem Menschen. einem König ähnlich, dem nämlich. der als Jesus zu verstehen ist, und vereinigte sich mit ihm. der im Hinblick auf das Vereinigtwerden und Oanz-Einswerden mit dem Erst geborenen aller Schöpfung mehr aufwies (wenn man das so kUhn ausdrUcken soll) als der. welcher dem Herrn anhängt, ein Geist mit ihm wird!" Daß man das ..als" ('i) keinesfalls in "wenn" (d) ändern darf, geht aus den Parallel stellen hervor. bei denenjeweils der Komparativ (1tAEOV) und das ..als" den Kern bilden. Die Einheit zwischen dem Jesus genannten Menschen und dem Logos, dem Erstgeborenen der Schöpfung, Ubertrifft also noch bei weitem die sonst höchste denkbare Vereinigung. nämlich die zwischen dem Herrn und dem, der ihm anhängt. L UberselZt: ..... damals wurde er einem Menschen. einem König. ähnlich. vereinigte ihn und machte ihn in allem mit sich eins und wurde entsprechend diesem Geheimnis des angenommenen Menschen Jesus Christus. weil, wer sich mit dem Herrn verbindet, ein Geist mit ihm wird" . Aus der Steigerung in Gr ist also eine Parallele, eine BegrOndung geworden. Die hypo statische Union (um spätere Terminologie zu gebrauchen). wird erklärt oder begrUndet durch das gnadenhafte Einswerden mit dem Herrn. Durch die Formu lierung secundum hoc mysterium suscepti hominis, läßt L wohl deutlich erken nen, daß die hypostatische Union fUr ihn nicht nur ein Sonderfall der Geistesein heit ist. daß er also nicht etwa ein Nestorianer ist. Der Gedanke vom homo ..•.
Das Verhlltnis von L zu Gr
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susceptus ist keineswegs neu (Origenes selbst sagt X, 14 (S. 16, 14): "da er nun einmal einen Menschen angenommen hat"), kann also nicht etwa als dogmati sche Korrektur verstanden werden. Man wird vielmehr annehmen dürfen, daß L mit dem Ausdruck 'tCi> xa'ta 'tOv 'IflOOUV VOOUI1Evql nicht zurecht kam und aus dem xa'ta gemacht hat: secundum mysterium, und aus 'Iflooiiv sachlich richtig:
suscepri hominis. XV,24 sagt Gr: "Du wirst ihn (den Logos) sitzen sehen auf dem Thron seiner Herrlichkeit und den Menschensohn, der kein anderer ist als er und der als der Mensch Jesus zu verstehen ist ("'tOv xat:a t:üv '[flooiiv ävOQw1toV VOOUI1EVOV). L bietet: ... quando non aLium ab eo imelJexeris filium hominis, qui secundum corpus homo aestimabatur. Wiederum bereitet ihm das xa'ta 'hlOOUV Schwie rigkeiten, aber statt mit secundum mysterium suscept; hominis behilft er sich jetzt mit secundum corpus. Das VOOUI1EVOV ist durch das aeslimabalur. aber wohl auch durch das intellexeris wiedergegeben. Gr fährt fort: ,.Dieser wird nämlich eins mit dem Logos, mehr als jeder von denen, die, weil sie dem Herrn anhängen, mit ihm ein Geist werden". Das läßt L oder seine Vorlage aus. Ist man vor dem ytVEt:aL, vor der Dynamik zurückgeschreckt? Hat man in dieser escha tologischen Perspektive vielleicht gar Markellianismus entdeckt? Das folgende Stück über die Apokatastasis des Heilands und die Verherrlichung der Getreuen bieten Gr und L. Den ganzen Schlußabsatz von XVI.8. wo Origenes zur Erklärung von Mt 20.28 (Seele des Heilands als Lösepreis) gewissermaßen eine analysis Christ; vornimmt. läßt L aus, also auch die darin enthaltene Passage über I Kor 6, 17: "Heute löse ich aber Jesus nicht von dem Christus, sondern ich weiß. daß Jesus der Christus und seine Seele, aber auch sein Leib, viel mehr mit dem Erstgeborenen der ganzen Schöpfung eins sind, so daß dieses Ganze viel mehr eins ist (wenn man das so nennen soll), als der, welcher dem Herrn anhängt. ein Geist ist". Hier ist nicht dynamisch (ytVEt:«�), sondern statisch, eben analy tisch gesprochen. Was hat den Übersetzer oder die vorausgegangenen Überlie rerer gestört? Zuvor wird zweimal der Erstgeborene der Schöpfung genannt und einmal ausführlich Kol 1 . 1 6 (die Aufzählung der Engelmächte) zitiert. Die hat L auch schon in XIV.7 (S. 290. 1 1 ff) ausgelassen; waren die ihm ein Dorn im Auge? Wie auch immer; L hat offenbar mit der Deutung von I Kor 6, 17 keine glUckliche Hand. Den zuerst angeführten, ekklesiologischen Passus in XVI, 16, hat er ebenfalls ausgelassen. Um so mehr staunt man. wenn man dann sero 65 liest: "Indem wir dies sagen. lösen wir aber den Menschen des angenommenen Leibes nicht (von ihm). daja bei Johannes geschrieben steht: Jeder Geist, der Jesus (auOlöst. ist nicht aus Gott; sondern wir bewahren einer jeden Substanz ihre Eigenart. Wenn nämlich jeder gläubige Mensch, der sich mit dem Herrn verbindet. ein Geist ist, um wie viel mehr darf dann jener Mensch. den Christus gemäß dem Heilsplan angenommen hat, nicht von ihm getrennt und nicht von ihm verschieden genannt werden?" Der letzte Gedanke war auch schon XV, 24 korrekt wiedergegeben worden (S. 420. 10: OUX Et:EQOV «u'tou nOll alium ab eo). Da sich zwei verschiedene Ausdrücke mit secuttdum (secundum corpus und secutJdum myste· =
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Das Verhä.ltnis von L zu Gr
rium suscepti Irominis) for das Xata 'Y'l0ouv VOOU�EVOV finden (siehe oben), wird man auch hier hinter dem secundum dispensationem carnis denselben griechischen Ausdruck anzunehmen haben; ja auch das quem ... Christus susce pit scheint Umschreibung zu sein. so daß der ganze Schlußsatz im Griechischen wohl nur so lautete: 1tootp ....öllov 6 xata. 'YTtooiiv VOOlJf,1EVOr;: ö.v8Qoo1tor;: f.l� {mo XQl010Ü XOOQLOt"EOr;: ....llet hEQOr;: AtXtt�. Das Besondere ist, daß nur
hier der Komparativ richtig erfaßt und wiedergegeben ist. Hat der Übersetzer inzwischen dazugelernt. oder ist hier ein anderer am Werk gewesen? Oder war die Stelle einfacher zu verstehen als die anderen? Die Frageform dUrfte der Satz schon im Griechischen gehabt haben; dann war die gesamte Periode wesentlich durchsichtiger als etwa der Passus in XlV. 7. Die zuvor behandelten Abschnitte kann man nur verstehen und richtig übersetzen, wenn man über die Christologie des Origenes von anderswoher. außerhalb des comm. in MI.. Bescheid weiß. Die letzte Stelle kann man offenbar ohne Vorkenntnisse erfassen. Wenn man an der Identität des Übersetzers für den ganzen lateinischen Text festhalten will, muß man wohl annehmen, daß er über die Theologie des Origenes nicht gut Bescheid wußte und daß er nicht etwa die ersten BUcher nocheinmal überarbeitet hat, nachdem er gegen Ende des Werkes mehr Einsicht gewonnen hatte. Sein Hauptinteresse war wohl nicht die Theologie, aber er ist in ihr nicht unbewandert. wie die verschiedenen secundum-Formulierungen zeigen. Er übersetzt. das bestätigt sich hier. nie sklavisch. sondern bildet sich ein Verständnis des Gedankenganges und übersetzt dann dieses. Selbst bei scheinbar einfachen FehlUbersetzungen muß man mit bewußten Veränderungen rechnen. Das erhöht das Ansehen des Übersetzers. mindert aber sein Gewicht als Textzeuge.
The later Exegesis of Origen *
Not particular examples of Origen's exegesis shall be presented hefe, but falher his theory, his general viewpoints for the exegesis as we cao find it in his perhaps latest work, that Against Celsus. Origen says ooly in VII. 6 thai Harner is ho ton the best of all the poets; but in the first book ( I . 66) he quotes poieton artstos Harner 10 explain the kind of divine bodies. It seems 10 me that also in 1 , 18 he is thinking on Harner when he says that Moses writes analogon gennaio rhetori, like an authentie poet Of rhetor, which "has a very sophisticated style and who everywhere is careful 10 produce words with a double meaning", This is the most idealislic view of the poet that we cao find in the whole antiquity I think. Platon was against thc pocts and against Horner and he would excJude them of his pali/eia; but Horner was the Bible of the Greeks and so they had to interpret their Bible; especially stoic philosophers invented the allegorical interpretation, first in Pergamon and then it was taken over by the Alexandriens (and finally applied even to the Old Testament). This allegorical interpretation should help to avoid scandals. because the presentation of the Gods in the songs of Horner was not as a pious man would imagine the Gods. And when that allegorical interpretation was commonly accepted, all these interpreters were convinced that poets Iike Homer himself did speak on two levels. So Origen can say that a gellnaios rhetor says always words of double meaning; so he is convinced that Moses also speaks everywhere on two levels. Thc first level is for the many lews; he gives thern a moral education; the second level is for the few more intelligent; for these other people Moses delivers texts full of tlteoria. Origen doesn't explain what he means, what is the content of this Iheoria. lmportant is that Moses speaks on these two levels; and Origen is convinced that only speaking on these two levels Moses did succeed 10 induce also other people of many nations to believe that the author of the law is the creator of all things. In 1 , 42 Origen says that in all stories or tales we find, we have to distinguish between what we shall believe and what we shall nOI believe. For instance there are pcople who don', believe that Ihe Trojan war ever happened. So we have to decide what we shall accept and wh at we shall interpret allegorically. Origen says himself that this is an introduction 10 the whole queslion of the narrative about lesus in the Gospel. We need therefore "an open mind, a considerable study and entrance in the mind of the writers". Origen is convinced that the Gospels work the same way as the Old Testament. The Old Testament introduced many to believe that God is the author of the laws. So the power of lesus brings -
.. This is the conected text of a paper delivered in the Disciples Institute for Research on Christian Beginnings in TUbingen. Tbe english teX! of the quotations of Ongen is taken from the translation of Corilra Cdsum made by Henry Chadwick, Cambridge 1965.
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The later Exegesis of Origen
about conversion and moral reformation, induces all who believe in God through hirn. This happens even where 00 missionaries are at work. In the Old and the New Testament the same spirit is working ( I , 44). This spirit taught Moses the history befaTe his own life from tbe cosmogony; the same spirit t3ugbt the writers of the New Testament about the miracles for instance on the Jordan, at the time of the baptism of Jesus. Origen is convinced that the testimony of the evangelists about Jesus merits more acceptance than the testirnony of Moses about himself. Origen says that the lews cannat preseot proofs for the trulh of the mosaic bocks. but that the Christians have the testimony of the nations for Christ, that proving the truth about Jesus Christ they prove also the truth about Moses. Origen says that the simple-minded take all Gospel tales literally, for instance that the heaven was opened visibly on the baptism of Jesus; that the intelligent reader of the Gospel gives a similar interpretation of the vision of Jesus on the occasion of his baptism as to the visions of phophets; that this was an impression of the mind, not of the eyes or the ears of the body ( I , 48). So Origen can say that the blessed prophets found the divine senses, their vision and hearing were divine. And that means that for the prophets the experience they had with God was oot only a revelation but also a healing of their own mind. The revelation was given to them for the others but the healing for themselves. The prophets had not only a general cootact with God but especially with the Logos. So all the prophets have an experience like the leper who was healed by Jesus in Mt 8.3. Jesus touched hirn more spiritually than bodily, says Origen, to heal hirn in two ways: delivering hirn not only from sensible leprosy but also from the spiritual. We may think that Origen is alluding on thc sin. What Jesus did with the leper lays on two levels. Therefore the writings about Jesus are to be interpreted on these two levels. Origen is convinced that the prophets did foretell the things concerning Christ. some in riddles others in allegorie or in other ways, sometimes even Iiterally ( I , 50). The value of the Gospels lays therefore not only in the truth that is revealed but also in thc morality. Origen questions in how many people the passions are suppressed, in how many the fluid of evil is reslrained, in how many wild habits are tamed by reason of the Gospel. So all should be grateful to the Gospel if not by reason of the truth then at least by reason of the advantage for the human race ( I , 64). In 1I, 4 Origen says that the introduction for the Christian begins with the sacred writings of Moses and the prophets. Interpretation and declaration of the same writings bring progress to those who are searching the myslery. Origen feels necessary to justify the Christians who make spiritual progress against the accusation of the Jews that they dont't give honour to the Scriptures. The comrary is true, says Origen; they give more honour to the Scriptures, even to the Old Testament, showing the depth of their wise and mysterious doctrines. But really from this new kind of interpretation of the Old Testament il becomes dear that the lews did not see the mysterious doctrines and did read their $criptures only superficially and as pure stories; Origen says mythi!wteron too much mythic; that means: in the sense of stories or tales and not of revelation
Thc later Eltegesis of Origen
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of the deep truth. For the Christi ans, says Origen. the law is really the beginning, arche, of the Gospel. and that means not only a starting point, that could be forgotten later on, but the inner basis which is needed forever. The Gospel cannot be preached and cannot be understood without the law of Moses. But on the other side the law has its perfection in the Gospel. Before the Gospel came, all the Old Testament is myth. Reading it with the eyes of a Christian, it becomes truth, aletheia (2. 5). Only then it is possible to see the greatness of the thought in the law and in the prophets. The psalmist, who is a prophet too, says: ApocalypsolI, open my eyes! but he says also: I will open my mouth in parables, J will utter dark sayings (2, 6). So Origen is convinced that the Logos himself desires wise men among the believers. In order to exercise their understanding, he has expressed certain things in enigmatic formst in dark sayings. in parables and in problems (this Origen repeats in 2. 45). Origen characterizes the evangelists as foliows: They did not leam neither the Greek sophistry nor the rethoric of the law courts. They were therefore not able to invent stories of convincing and converting force. Jesus deliberately choosed these simple men for the task of teaching his docLrine. There can be no plausible suspicion of sophism. Every man who is open-minded, will understand that all the convincing force of the Gospels comes not from the invention of the evangelists but from thc divine power they rcceived (2. 39). As in the Old Testament there were more simple and nol difficult express ions of the truth. So in the New Testament there are two levels: first the crouds of believers, who hear the parables outside, as they are worthy only of exoteric teaching. The disciples privately learned the eltplanation of the parables. This for Ori gen, not only in Comra Celsum, but also in his Commentary on Matthew, is a very important point. This iso as Origen thinks. justifled by St. Paul. who de Iivers the theory in l Cor 12,8-10. He puts on the Iists of the gifts of the spirit first the words of wisdom. second the words of knowledge, wh ich is inferior. and third only even lower the faith. Origen says, he values the words, that means the logos, the reason, above miraculous workings, so he puts working of mirac1es and gifts of healing on a lower place than the intellectual gifts. That means that Origen values wisdom higher than the works (3, 46). Nevertheless he points out that the teaching of the Christians. all reading and interpretation of the Scriptures is directed 10 piety towards Ood and all the virtues wh ich share the throne of piety. On the other side the Christi ans discourage people from all action contrary to the right reason (3, 50). We can say that the conception of Origen, his theory of the Bible is very balanced between knowledge and practic virtue. So only silt chapters later on in 5. 56 he says: "Our teachers try to elevate the soul to the creator of the uni verse. They show how men ought to despise al1 that is sensible, temporary and visible. They would walch them to do all they can do to altain fellowship with Ood and contemplation of intelligible and invisible things and to reach the blessed life with Ood and the friends of Ood". So doctrine and interpretation is directed to Ihis blessed life with Ood.
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Thc later Exegesis cf Dngen
Origen is weil aware that the people are not prepared for the coming of the christian doctrinc. Many are sinners, many have a bad conduct. they are moraUy siek as he says. So the Logos comes to them as a physician. hut as a teacher to these who do not longer sin (3, 61 f). So the gospel has to work on two levels. First on a proLreptic or therapeutic level and second on the level cf illumination. On this point we could question, if these two levels are identic with the two levels cf 3, 46. namely the exoteric and the esoteric teaching. I lhink that these two distinctions are not to be identified ralher in the second direction, in the illuminating way, there are these two levels cf comrnon and special inteUigence or understanding. Origen is convinced that the Logos himself seeks clever and sharper minds. Several times we find two levels in Origen, sometimes three and once even five degrees. In 4, 16 he speaks about the eisagomenoi. the beginners on the first place. We can of course translate eisagomenoi with "the beginners", but eisago meno; expresses better the passive way. These beginners do not start a career of moral progress or intellectual perfection by their own, but by reason of the teachers or the masters. So on the first level are the eisagomenoi. On the second level is who has made Iittle progress. on the third who is considerably advanced. on the fourth, who has nearby attained to virtue already and on the fifth, who has in fact attained it. These five degrees come from a stoic scheme of moral progress as ean be seen in the letters of Seneca. It seems that the Word itself has different forms; it presents itself to everyone corresponding his degree of moral and intellectual perfection. I think that this is not identificd with the theory of the three different meanings or significations of the text of the Scriptures. In his last works Origen distinguishes only two levels. that means the Iiteral sense or the literal meaning and the allegorieal. When Ongen says that the Logos presents himself in another morphe to every man or believer or reader according to his own level. this means not that God is changing as Celsus aeeused hirn. For Origen the Logos is always the same. His different appearanee does only result from the different eapacity of the hearers. As later on the scholasties said: quidqu d i recipilur ad modum recipientis recipilur. Origen is far from establishing a systematic of the five degrees for whom thc Logos becomes what they need. In 4, 1 8 he enumerates onIy three groups; for the first the Logos becomes that rational milk which is without guile; for the second who is week he becomes Iike a herb. while to the third who is perfect he becomes solid food. Origen illustrates these different kinds of self-presentation oflbe logos with I Ptr 2, 2, Rom 14,2 and Hbr 5, 12. So we ean say that these are ralber occasional explanations Ihan a system of degrees of perfections. In the context of the late antiquity one understands that Origen was obJiged to defend the Bible against the aeeusation of Celsus that it eould not bc allegorized. In 4, 49 Celsus is quoled with his opinion that only some Jews and Christians more clever than 811 the others used to interpret the Holy Seriptures in an allegorie way while the text itself is not suitable for an allegorie inlerpre-
The later Exegesis of Ongen
139
tation. That means (hat the Bible is not written with a n allegorie intention with a signifieation on two levels. So the allegorie interpretation would be a purely private effort. But Origen proves that allegory is the interpretation of the whole Christian eommunity, not only de facta, but de iure, beeause the Seriptures themselves speak about allegorisation. In 4, 49 Origen quotes five verses ofthe New and two of the Old Testament in order 10 eonvince his reader of the legitimity and necessity of allegorical interpretation. The whole biblieal stories prove that ..they were written with an eye to an allegorical meaning and were arranged very wise to satisfy the multitude of simple believers and the few who have desire and capacity to examine the things more exactly". So allegorisation is not a private pleasure to be made or not, but an obligation for the whole Chrislian community, an obligation imposed by the Logos himself who expres ses his intentions on these two levels. So in Origen's opinion also the value of the Bible as a work of literature is saved by defending the allegorical interpre tation. In Contra Celsu11I Origen is engaged to defend the Christian church and doctrine against the accusation of Celsus. Therefore he doesn 't develop a theory of exegesis, nevertheless from time to time he gives some indications that he has such a theory and that he follows it in his interpretation. He has not only a theory of exegesis but also more basically a theory of the inspiration and of the literat composition of the Bible. He knows how the Bible has been composed by the Holy Spirit, as he says in his De principiis, or by the Logos, as he prefers 10 say here in Contra Celsum. Origen's criteria of exegesis are the application of his theory of the composition and the inspiration of the Bible. In 5, 29 he says that it is enough to give an account of the doctrines which are obscurely set forth under the guise of a story by following the course of it, in order that those who have the ability may work out the meaning of the passage for themselves. In 5, 42 Origen gives the reason why this is possible considering the education of the young lews. Origen praises them. because .. they where taught even from childhood to ascend above all sensible nature and not to think that God is established in any part of it ... Almost as soon as they were born, they were taught about the immortality ofthe soul and the courts of judgment and the reward for people who live good lives. These truths were proclaimed still under the form of a story, because they were children and only had the undestanding of children; but now to those who seek for the meaning and wish 10 advance in it what hitherto were myths ... has been transformed into the inner truth wh ich had been hidden for thcm". That means. the truth had heen hidden in stories, in myths not in order 10 keep the young men away from the truth, but because this was the only possibility to communicate the truth to them. This it the paradox. The truth is hidden in stories in order (0 be communicated to the children and {O those who remain ehildrcn their whole life. Of course. people should not remain in this mental behaviour. but advance. In the biblical stories they have the truth in a form which at any moment can be transformed in inner truth. Wh at is needed is neither a philosophical training, nor a new reveJation, but only the will or the
140
The later Exegesis of Origen
desire to seek the meaning (Origen says: the
logos)
of the Scriptures and 10
advance in i1. Also this last expression deserves 10 be taken seriously. Origen is convinced that it is possible 10 advance in the Logos of the Scriptures. The understanding is not reached in a moment: even a person that alt time is meditating tbe Bible aod has explained many books of il 10 olher people cao make progress in underslanding. Grigen himself al the end of many chapters of his commentaries says that ir another interpreter has a beueT explanation. because he did receive more logos sophias, more words of wisdom. the believers should follow hirn aod nOI defend at any cost Origens ideas. Thai means: personal aod collective progress in understanding the scriptures is possible and necessary. And nevertheless at any moment what we did understand is sufficient for a Christian life. Origen seerns to identify the allegorical interpretation of the Scripture with phiJosophy. In 5, 58 he says: "I will not explain the things philosophically by giving an allegorie al interpretation ... The question he was considering on this point doesn't matter. What is irnportant is that he continues: "I will speak about the story as it stands". To speak about the story as it stands, that is not philosophy; but 10 give allegorical interpretation, that is philosophy. I think the reason why Origen calls here the allegorical interpretation philosophy is not that indeed Philo, the great Jewish interpreter of the Bible. and even more Aristobule, the Jewish philosopher who Iived, like Philo. in Alexandria. did present the Bible as full of philosophical tcaching hidden only in the historical expression. They find special philosophical theses in the stories of the Genesis for instance, because they wish 10 find thcm there. Really they introduced philosophicaJ doctrines in their interpretation of the Bible. I think that Origen did not follow their exarnples. As a Christian he was convinced that in Jcsus Christ a singular historical event is the decisive step God did for thc salvation of the humanity. So a11 concrete slories about Jesus and his disciples have to
be taken
seriously,
but neverthelcss the Log os in the Bible does not only speak about the people who met Jesus and were hcaled by hirn, but speak about all men who seek grace and redemption. That is to say, in the concrcte Gospel tales there is a general intention and meaning. Thc interpretation has 10 detect and to speak out lhis general intention or signification. Interpretation is the step from the concrete to the general . And in Ihis way interpretation follows the typical scientifical philosophical proceeding. We may remember the short episode during the first oecumenical council of Nicea when Constantine explained the notion
homousios.
He said: ..When we
use Ihis word for God we don't think that God is like boches". He knew very weil that the nation
homousios
had a materialistic connotation. Eusebius com
ments: Thus our King did philosophise. That means: The Christian confession to a purely spirilual God is a philosophy. 1n 4, 2 Origen also cornpares the text ofthe Bible with two philosophers. The Bible is directed to all men, even to the simple, as did Epictet, the stoie, who was able to help even simple pcople 10 become better. Platon on the other hand
Thc later Exegcsis of Origen
141
wilh his beautiful and refined works could benefit directly only few ; nevertheless the multitude was helped by Platon indirectly. Origen is always aware that he is not a historian of poetry or literature, but that his commentaries on the Bible must have the same intention as the Bible itself: the faith and the salvation of the hearers or readers. Therefore he points out that the best and most convincing commentary and the text of the Bible itself is not sufficient for the conversion: ouk autarkes 10 legomenotl . to affect a human soul unless power is also given by God to the speaker and grace is added to what is said" (4, 2). Therefore interpreters and simple Bible readers must I . give heed to Bible reading. and 2. search the Scriptures, 3. seek for the meaning, 4. ask God about them. 5. knock for the truth. locked up inside them. lf we don'l do Ihis, the Scripture seems 10 be without wisdom. Nevertheless all human faculties must help to understand the Bible . ..lt is not possible for a man who was not uained in human wisdom, to receive the more divine; but we eonfess that the human wisdom is foolishness in eomparison wilh divine wisdom" (6. 14). Not only the human wisdom. that means the bocks of the philosophers, is neeessary as preparation to the divine wisdom, but also a living human leacher is helpful or even needed. Who has the will to get understanding of the religious doctrines has I . to read (Origen repeats that three times), 2. ask anyone eompetent who initiates hirn (mys1agogesai). then 3. he will see theoremala and 4. he will comprehend (6, 23). Thus text. human teacher. human wisdom and divine graee lead the zealous reader to the sight of the history. Origen interprets 2 Cor 3,5: "The letter kills, the spirit gives life", as a rule of interpretation: "He ( Paul) calls the sensible interpretation of the divine scriptures the letter and the intelligible interpretation the spirit" (6, 70). So Origen sets against each other two kinds of interpretation, not the text itself and its interpreation. Taken accurately it is not the text of the Bible whieh kills but its unworthy interpretation. The bad effeet comes not out from the text but from the human mind, when it understands the words of God as pure earthly sayings. It seems that later on the Chureh Fathers did not make this exaet distinction between the text of the Bible itself and its unworthy interpretation, but did identify simply thc text ilself wilh the killing letter; but nevertheless they followed Origen in aeknowledging two possibilities of interpretation cr even the neccssity ofunderstanding the Bibleon two levels. Also St. Augustin in the first half of his Iife had understood 2 Cor 3,5 as a rule of interpretation; only in his discussion with the Pelagians he discovered the original meaning of SI. Paul that the killing letter is the law and the life giving spirit the grace of God, but nevertheless he did acknowledge thc former interpretation of the Paulinian verse. so that also for the followers of Augustin the position of Origen. the basis of his exegesis remained valid. .
=
•
Die Exegese des Origenes in
Contra Celsum
-
Das neue Interesse an der Eschatologie
Dem Liturgiker Balthasar Fischer zum 75. Geburtstag
An vielen Stellen seiner Werke verweist Origenes auf frühere Arbeiten, weil er zu besümmten Fragepunkten im Augenblick entweder nur knapp oder gar nicht Stellung nehmen, aber doch nicht ganz an ihnen vorübergehen will. Auch in seiner Widerlegung des wahrhaftigen Wortes des Kelsos hat er diese Gewohnheit beibehahen. Er nennt frühere Arbeiten und gibt deren Inhalt an, ja. manchmal bietet er geradezu ein Inhaltsverzeichnis. In 4,37 erwähnt er seinen Kommentar zum Buch Genesis, in dem er sich hauptsächlich mit den Fragen beschäftigt habe. die er nun auch behandeln muß, um auf die Angriffe des Kelsos zu antworten. "Er macht es uns zum Vorwurf, daß wir den Menschen als von den Händen Gottes geformt
(ltAaa6EVta) einführen";
so faßt Origenes die spötti
schen Äußerungen des Kelsos zusammen, die Formung eines Menschen durch die Hände Gottes und das Hervorkommen einer Frau aus seiner Rippe und Gebote Gottes, denen eine Schlange sich widersetzt, das sei doch alles sehr unglaubwürdig und geschmacklos, sei allenfalls eine Altweibergeschichte. Ori genes erwidert darauf zunächst, das Genesis-Buch spreche weder bei der Er schaffung, noch bei der Formung des Menschen, die er j a voneinander unter scheidet, davon, daß Gott dabei seine Hände gebraucht habe; nur bei Hiob ( 10, 8) und im Munde Davids, nämlich Ps 1 1 8,73. finde sich ein Wort wie: ,.Deine Hände haben mich geschaffen und gestaltet". Origenes findet darin nicht nur eben die Unterscheidung von Erschaffung und Gestaltung (ltOLflOLt; und ltAaOtt;) ausgesprochen, sondern auch eine Aussage über die Hände Goues, welche einer ausführlichen und schwierigen Darlegung bedUrfte, die er an dieser Stelle offenbar nicht liefern will. Er rUhrt hier nur ironisch eine anthropomorphe Goltesvorstellung ad absurdum. Wer meint, wir stellten uns Gou nach Art der Menschen vor, weil die Schrift von seinen Händen spricht, der muß auch annehmen, daß wir Gott Flügel zuschreiben, weil ja auch von Gottes Flügeln in den Heiligen Schriften die Rede ist Die Kommentatoren verweisen hier auf Exodus 19,4: "Ich habe Euch auf Adlernügeln getragen"; aber so deutlich wird da Gott selber ja nicht ein Flügelpaar zugeschrieben; besser würde auf Psalm
16 (17),8 und Psalm 35 (36), 8 hingewiesen, wo der Beter sich unter den Schutz der Flügel Gottes flüchten will. Was Gottes Hände und Goues Flügel wirklich bedeuten. brauche er, so sagt Origenes, jetzt nicht zu erörtern. Dies sei vielmehr Hauptgegenstand
(ltQOllYOUJlEVWt;)
wesen; dort habe er sie nach Kräften
seiner Genesis-Exegese (t.!;'lyrruxa) ge
(itata tO öuvatov)
untersucht; Origenes
Die E",egese des Origenes in Contra Cdsum
144
ist also bei aller Bescheidenheit und bei dem Bewußtsein, daß auch seine Genesis-Erklärung, also auch seine Erörterungen der Hände und Flügel Gottes nicht der Weisheit letzter Schluß sind, sondern durchaus noch verbessert werden können, offenbar doch immer noch voll einverstanden mit dem, was er damaJs vor etlichen Jahren
(rtI..Elovwv), wie er selber sagt. 1 8 Jahre früher. wie Borret
kommentiert\ geschrieben hat (vgl.
6. 5 1).
Genaueres Ober den uns als Ganzes ja nicht erhaltenen Genesis-Kommentar erfahren wir aus Buch
6,49 "Gegen Kelsos", daß Origenes nämlich darin den
Text bis einschließlich des Verses: "Dies ist das Buch der Erschaffung der
5, der die Geschichte Adams und seiner Söhne abschließt und auf die Kap. 1 -4 zurück Menschen" behandelt hatte. Dies ist aber der erste Vers von Kap.
blickt. Nur die ersten vier Kapitel hat Origenes da also behandelt. Wie ausführ lich, kann man an der Zahl von zwölf Büchern erkennen, die Eusebius (h. e.
6. 24,2) für dieses Werk angibt; Hieronymus nennt (in der Apologie des Rufinus gegen ihn 2.20 zitiert) sogar dreizehn Bücher. Origenes kommt hier auf dieses frühere Werk zu sprechen, weil er bis zu der Stelle im Kelsos-Buch gelangt ist, wo die biblische Erzählung von der Entstehung der Welt als reichlich naiv bezeichnet wird. Im Genesiskommentar kann man finden, "was ihn an der Welterschaffungsgeschichte des Moses überzeugt hat" und zugleich den Beweis dafür, so wie er ihm eingeleuchtet hat. "Aus der göttlichen Schrift" selbst hat Origenes da darzustellen versucht, erstens "Was der am Anfang entstandene Himmel ist und die Erde und das Unansehnliche und das Ungeordnete der Erde", zweitens "Was der Abgrund ist und die Finsternis darüber". drittens "Was das Wasser ist und der Geist Galtes. der darüber schwebt" . viertens "was das gewordene Licht ist", fünftens "was das Firmament ist im Unterschied zu dem am Anfang entstan denen Himmel. und so auch das Folgende". Fünfmal wird erklärt, was etwas ist. nicht, was geschieht; diese Beobachtung scheint wichtig. Auch hier ist Origenes noch voll mit allen Ausführungen zu diesen Fragen einverstanden; sie enthalten das. was ihn immer noch überzeugt. den Beweis dazu, der immer noch gilt. Sogar der sonst so häufige die Geltung einschränkende oder doch wenigstens relativieren de Zusatz. er habe nur nach seinem Vermögen die Sache dargestellt. ist hier höchstens
in
dem
(1tEJtElQ
Verb
"wir
haben
uns
bemüht"
oder
..angestrengt"
mitenthalten. Um so erstaunlicher ist es, daß nur zwei Kapitel
weiter, nämlich in 6, 5 1 , die Gültigkeit der Genesis-Erklärung unter Hinweis auf die seither verflossene Zeit ganz deutlich eingeschränkt wird. Kelsos hatte es als ungereimt bezeichnet. daß der biblische Schöpfungsbericht schon vor der Er schaffung des Lichtes und des Himmels. der Sonne. des Mondes und der Sterne von Tagen spricht. Darauf antwortet Origenes: "Die Lehre Ober die geistigen L Orig�nc. Canlrc Cclsc. Tarnc I I t (Livrcs V Cl VI). Introduclion. Tcxtc Critique. Traduelians et Natc$ par M. Borrel. S.J.: SC 147(1969) 306. Anm. I .
Die Exegese des Orige nes in Corura Cebum
145
und sinnenhaften Wesen und die Art, wie die Naturen der Tage auf beide Arten aufgeteilt sind. zu erörtern, ist jetzt nicht unsere Aufgabe, auch nicht die TextsteIlen zu untersuchen; es wären nämlich ganze Abhandlungen notwendig zur Erklärung der Weltschöpfung im Sinne des Moses. Das haben wir nach Vermögen längere Zeit vor der jetzt anstehenden Abhandlung gegen Kelsos getan, indem wir von der etliche Jahre zurückliegenden Einstellung. wie wir sie damals auffassen konnten. ausgehend (die Fragen) betreffs der sechs Tage der Weltschöpfung nach dem Bericht des Moses durchgenommen haben. Man muß aber wissen, daß durch Jesaia der Logos den Gerechten verheißt. daß es Tage in einem Zustand geben wird. in welchem nicht die Sonne, sondern der Herr selbst .ewiges Licht' für sie .und Gau' ihre ,Herrlichkeit' sein wird" (les 60. 19). Jesaia verheißt dies zwar dem neuen Jerusalem: Sein Licht wird der Herr sein, sein Glanz, sein Gon! Da aber im vorausgehenden Vers verheißen wird. es werde kein Unrecht mehr im ganzen Land geben, werden tatsächlich die Gerechten in den Genuß dieser Herrlichkeit und dieses Lichtes kommen: Origenes hat also den Jesaiavers sachlich berechtigt umgestaltet. Das Interessanteste an dieser ersten Hälfte von Kap.
5 1 in Buch 6, nach der Origenes wieder zum Angriff
gegen KeJsos übergeht, ist die Ergänzung oder gar Korrektur eines früheren eigenen Werkes, wie ich sie sonst in seinem ganzen Schrifttum nicht gefunden habe. Zwar kann man etwa im Matthäus-Kommentar die Korrektur einer viele Jahre frUher im Johannes-Kommentar ausgesprochenen theologischen Lehre finden; damals halle Origenes nämlich gesagt. der Vater überrage den Sohn um vieles mehr, als der Sohn die geschaffenen Dinge überragt; später sagt Origenes genau umgekehrt, der Sohn überrage die geschaffenen Dinge um vieles mehr, als der Vater ihn überragtl. Aber Origenes stellt selbst im Matthäus-Kommentar keine Verbindung zu seinem früheren Werk her und es ist fraglich, ob er sich dieser Änderung seiner theologischen Lehre bewußt war, ja ob er diese neue Aussage wirklich als Änderung angesehen hälle. Hier in "Gegen Kelsos" 6. 5 1 aber weist er nicht nur darauf hin. daß sein Genesis-Kommentar schon viele Jahre zurückliegt. betont nicht nur, daß er so geschrieben wurde, wie er die Dinge damals erfassen konnte, sondern fügt auch ausdrücklich einen neuen Gesichtspunkt hinzu. Es handelt sich um eine Verhei ßung. also um eine eschatologische Wirklichkeit. Man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt. daß Origenes mit seiner damals im Genesis-Kommentar vorgetragenen Auslegung der ..Naturen der Tage" jetzt deswegen unzufrieden ist, weil damals die eschatologische Perspektive gefehlt hat. Positiv ausge drückt: Die Naturen der Tage werden nur dann voll erfaßt, wenn sie nicht nur von der Vergangenheit, vom Beginn der Schöpfung. her gedeutet werden, sondern auch von der Zukunft. vom Ziel der Welt her. Indem aber ein angezielter Endzustand gehend gemacht wird, wird Entwicklung. ja Geschichte. ins Auge gefaßt. Wenn die Natur der Tage und ganz allgemein die Natur einer jeden
I
Vgl. Johaones-Kommenllr 13, 25. 1 5 1 mit MaUhll.us·Kommeotar XV. l O GeS X, 376,5 ff.
146
Die Exegese des Origenes in Contra C�lsum
Wirklichkeit. die beobachtet werden kann. nur als einmal ins Dasein getreten, als geschaffen beschrieben wird, ist damit noch nicht Geschichte, die immer qualitative Veränderung bedeutet. erfaßt. Wen n aber ein idealer Endzustand der Veränderungen beschrieben wird, dann ist damit Gottes Vorsehung mit ins Spiel gebracht, dann ist damit Heilsgeschichte dargestellt. Man wird also sagen dürfen, daß Origenes in seinem Genesis-Kommentar jetzt, wo er in der Ausein andersetzung mit dem Philosophen Kelsos steht, die Heilsgeschichte vermißt und sie gewissermaßen nachträgt. Dadurch wird nicht ungültig, was er an philosophischer Exegese der Schöpfungsgeschichte, an Scinsaussage also. ge boten hat; es wird nur deutlich, wie unvollständig diese Exegese war. Freilich ist die heils geschichtliche Ergänzung zunächst sehr knapp, sie sagt nur, daß nach Jesaia 60, 19 der Herr selbst das Licht und Gott die Herrlichkeit des neuen Jerusalem sein wird, die Tage also nicht mehr durch die Sonne, ein Geschöpf, sondern durch den Herrn selbst zustande kommen werden. Etwas mehr Klarheit gewinnen wir aus dem 6 1 . Kapitel dieses selben 6. Buches .,Gegen Kelsos". Auch dort ist Origenes noch einerseits mit dem Prob lem der Anthropomorphismen befaßt. wie in 4,37, und andererseits mit der Frage nach der Natur der Tage, hier nun besonders des 7. Tages. Zu diesem 7. Tag hatte Origenes schon in 5,59 knapp Stellung genommen; Kelsos hatte der Kirche vorgeworfen, daß sie die den Juden besonders kostbare Erzählung vom 7. Tag übernommen hat, an welchem Gott ruhte (avo1tauoa.�EvO�). Origenes stellt richtig, daß der Text Genesis 2.2-3, natürlich so, wie er ihn in der Septuaginta liest. nicht sagt, Gott habe geruht, sondern Gott habe aufgehört mit seinen Werken (XUl:E1tOUOEV) und sich zurückgezogen in die Betrachtung seiner selbst (El.c; "ti}v eou"toü ItEQlwnT)v). Diese Unterscheidung ist ihm offenbar besonders wichtig; er ist mit Kelsos davon überzeugt, daß ein Gou. der diesen Namen verdient, nicht der Ruhe bedarf (auch dies wird in 6,61 noch deutlicher). Origenes fUhrt diesen Gedanken hier jedoch nicht weiter aus, sondern hängt nur noch einen Satz an, der in seiner Knappheit mehr als rätselhaft ist, nämlich: ..Über die Weltschöpfung aber und die danach dem Volk Gottes aufbehaltene Sabbatfeier (ooßßa"t�o�6�) wäre eine umfangreiche. geheimnisvolle, tiefe und schwer zu erklärende Lehre ". Hier verwendet Origenes Ausdrük ke, mit denen der Hebräerbrief (5, 1 1 ) die notwendige Lehre über den ..Hohen priester nach der Ordnung des Melchisedech" kennzeichnet, überbietet sie aber noch durch Hinzufügung der Adjektive "geheimnisvoll" und "tier', so daß die Aussage geradezu überladen erscheint. auf jeden Fall aber deutlich macht, wie schwierig das zu erk..lären wäre, was Origenes hier im Sinn hat. Für das Volk Gottes ist eine Sabbatfeier auffbcwahrt; das ist natürlich ebenfalls dem Hebrä erbrief entnommen und zwar 4,9. Dort wird in größerem Zusammenhang die Ruhe (xotcm:auo�, denn das Wort kann eben doch Ruhe bedeuten) von Psalm 95. 1 1 , in die eigentlich Gottes Volk eingehen sollte und möchte. dje aber gefährdet ist, mit der Ruhe Gottes am 7. Tag, ja sogar mit der Ruhe des Volkes unter Josua (Jos 22.4) in Verbindung gebracht und dann jeder einzelne, der nach guten Werken in die Ruhe eingeht, mit Gott selbst verglichen. der seine Werke •
Die Exegese des Origenes in Contra CeiJum
147
beendet hat. Dieses ganze Thema klingt also hier bei Origenes an, wird aber noch besonders akzentuiert dadurch, daß die Sabbatfeier nach der Weltschöp· fung eingeordnet wird. Das könnte zunächst als ganz banal erscheinen, da ja selbstverständlich erst nach der Weltschöpfung Gerechte in die Ruhe eingehen können. Der Satz läßt aber zwei gewichtige Deutungen zu: Entweder dauert das Werk der Weltschöpfung an, bis die endzeilliche Sabbatfeier für das Volk Gottes beginnt, oder aber der eigentliche Sinn der in Gen 2,2 erwähnten x
am
Ende
der Weltzeit; diese wird ein Fest Gottes selber zusammen mit all denen sein, die ihr Werk an den ihnen zugewiesenen sechs Arbeitstagen vollendet haben. Diese Feier wird gekennzeichnet als Festversammlung (novtiY\JQ�); Origenes greift dabei also ein weiteres Thema des I-Iebräerbriefes auf (vgl. Hebr
12,23), wo
allerdings von der ,.Festversammlung und Kirche der Erstgeborenen, die in den Himmeln aufgeschrieben sind" die Rede ist, während Origenes von den "Ge rechten und Seligen" spricht. Aber auch der I-Iebräerbrief nennt gleich anschlie ßend die vollendeten Gerechten, so daß der Unterschied zu den Seligen und Gerechten bei Origenes nur noch minimal
ist.
Ein anderer Unterschied
aber scheint bedeutsam zu sein. Nach dem Hebräerbrief sind die Adressaten, also die Christen, bereits in diesem Leben zu dieser Festversammlung hinzuge· treten; Origenes dagegen spricht von denen, die am Ende der Tage zu dieser Fest· versammlung kommen werden und zwar dadurch, daß sie zu ihr hinaufsteigen. Die Perspektive des Origenes ist also einerseits sehr viel eschatologischer als der Gedanke von Hebr 1 2 und andererseits gemeinschaftlicher, kirchlicher nämlich, als die eher auf die einzelnen schauenden Ausführungen von Hebr 4. Schließlich verdient hervorgehoben zu werden, daß Origenes noch einen Gedanken einträgt, der sich zwar neutestamentlich belegen läßt, ihm aber in
148
Die Exegese des Origenes in Conlra Celsum
diesem Zusammenhang wohl eher aus der Philosophie zugeflossen ist. Er sagt nämlich hier, daß diejenigen, die ihr Werk getan haben, zur Schau emporsteigen und daß in ihr, also in dieser Schau, die Festversammlung der Gerechten und Seligen staufinden wird. Gemeint ist hier sicher die Schau Gottes und so könnte man an 1 Joh 3 , 2 denken: "Wir werden ihn schauen wie er ist", Wir hatten aber schon gesehen, daß der Satz \/on 6 . 6 1 , mit dem wir bier befaßt sind, eine wenigstens etwas ausführlichere Darstellung dessen ist, was in 5.59 angedeutet war. Dort hatte Origenes erklärt, Gott ruhe sich nicht aus von seiner Arbeit, sondern er ziehe sich nach Vollendung seiner Werke zurück (avaxwQwv) in die Rundumschau seiner selbst (E� 'tTJv tautou nEQ�wn�v). Glöckner und Bader, beides Herausgebcr eines Kelsos-Textes. und Chadwick ebenso wie Borret, sind sich einig. daß Origcnes hier nicht Kelsos wiedergibt, sondern selbständig Plate zitiert. nämlich aus dem Politilws 272 e, wo auch dies von dem .Lenker des All" gesagt wird, daß er "das Steuerruder losließ und sich abwendete von der Welt, während diese nun durch die E�aQIlEV'l und das naturgegebene Verlangen umgedreht wurde". Bei Plato ist dies der Beginn einer allgemeinen Erschütte rung der Welt; für Origenes bedeutet dies den Beginn der Sabbalfeier für das Volk Gottes. Dabei darf Sabbatismos offenbar nicht mit Sabbat-Ruhe übersetzt werden; den Gedanken der Ruhe lehnt Origenes ja für Gott ausdrücklich ab und auch den seligen Gerechten schreibt er nicht Ruhe. sondern Feslfeier und Festversammlung zu. Man könnte fragen. ob Origenes das Plato-Zitat richtig verstanden hat. 1m PoJitikos geht der "Lenker der Welt" E� t�V autoü 1tEQLW1t�V weg. Dies übersetzt Borret in einer langen Anmerkung zu ..Gegen Kelsos" 4,99 so: "alla se retirer dans la gu�rite de guet" "Er zog sich zurück in seinen Wachtturm". Den Satz, um den es uns hier geht. aus 5,59 nämlich. übersetzt er aber so: "sc retirant dans la contemplalion de lui-memc"'. womit er sich an das Vorbild von Chadwick' hält; Koetschau allerdings hat in der BKV übersetzt: ..er zieht sich zurück auf seine Warte"'. Nun gibt es tatsächlich einen winzigen Unterschied zwischen dem Zitat bei Origenes und dem Plato-Original: Origenes schreibt tautoü. während im Politilws nur au'tou steht, was aber auch als autou gelesen werden könnte. Die Frage. ob Origenes den Sinn Platos hier •
=
) Origl!ne. Contrc Celse. Tomc 11 (vgl. Anm. I); SC 136 ( 1 968) 432. Anm. und Tome 111. 163 und Anm. I . • Origen. Contra Celsum. Translated with introducl.ion and notes by Henry Chadwick (Cam bridge. 1%.5). S. 3 1 0; ..... retired into the contemplation of Himself". s Des Origenes acht KUcher gegen Celsus. Aus dem Griechischen Uberscu.t von P. Koetschau. 2. Teil, Buch V-Vll1 (Bibliothek der KirchenvUer, Origenes 111, MUnchcn. 1927), S. 8.5. Koetschau meint Ubrigens, in dem Satz ein Kelsos·Pragmcnt. nicht ein selbständiges Plato Zitaf des Origene5 vor sich zu haben, und verweist zuslltzlich auf C1emens Alexandrinus Profrtptil;os V 1 68. 3 und Stromattis VII c. 2. S. Beide Stellen sprechcn von der eigenen Warte. in der Gott, bzw. der Sohn Gottes. sich immer befindet und die er nie verläßt. So scheint sich Koetschaus ü bersetzung des Origenes-Textes zu rechtfcrtigen. In Wirklichkeit aber ist die Perspektivc eine andere. Bei Clemcns bctrachtet GOII bl.w. der Sohn GOUes von seiner Warte (:n:EQlW:n:1') aus die gesamte Schöpfung: bei Origencs aber (und schon bei Plato) geht es um einen Gegensatz zwischen WeitschOpfung und BefaBtsein Gottes mit sich selbst.
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trifft, mag offen bleiben. Seine Gesamtvision ist auf jeden Fall eine völlig andere als die der Erzählung über das unterschiedliche Wehenschicksa1. die der Alhener im Politikos vorträgt. Origenes schmilzt den platonischen Gedanken hier ebenso in seine Gesamtvision ein wie die Elemente. die er dem 4. und dem 12. Kapitel des Hebräer-Briefes entnommen hat. Nur so kommt für ihn wenigstens umriß haft eine zutreffende Erklärung der Schöpfungsgeschichte und ihrer Einteilung in Tage zustande. durch die er nun das ergänzt. was er viele Jahre früher darüber gesagt hat. Jeut ist sie ihm Andeutung der Heilsgeschichte, Hinweis auf das eschatologische Ziel; damals scheint sie ihm nur Erklärung der in der Welt bestehenden Ordnung gewesen zu sein. Auf die Unzulänglichkeit der damaligen Erklärung macht Origenes nun, wie wir gesehen haben, selbst aufmerksam; was er in diesen Kapiteln "Gegen Kelsos", in 5,59; 6.51 und 6 1 liefert. ist eine deutliche Retractatio. Diesen Ausdruck verwenden heißt natürlich, Origenes mit Augustinus ver gleichen. Der sagt ja in den Retractationes I 3.2 über seine zwei Bücher De ordille Folgendes: ,,Jetzt mißfallt es mir ." auch, daß ich von zwei Welten. der sinnenhaften und der geistigen ... so spreche, als ob der Herr dies hätte ausdrük ken wollen, wenn er sagt: ,Mein Reich ist nicht von dieser Welt', wo man doch unter der anderen von Christus gemeinten Welt besser jene versteht, in der es den neuen Himmel und die neue Erde geben wird", Der junge Philosoph Augustinus hatte mit den Platonikern zwischen Sinneswelt und Geisteswelt unterschieden und diese Unterscheidung in den Worten Jcsu wiederfinden wollen, Der altgewordene Bischofund Theologe Augustinus will dieses Schema von außen und innen oder von unten und oben oder diesseits und jenseits, das auch Ubertragen verstanden noch irgendwie räumlich gedacht bleibt, ersetzen oder zumindest ergänzen durch die Unterscheidung zwischen jetziger Welt und zukünftiger Welt: inzwischen ist ihm - und das ist echter Fortschritt über die Philosophie hinaus - die Heilsgeschichte aufgegangen. Das bestätigt sich nun in dem, was Augustinus im 4. Kapitel über die zwei Bücher seiner Soliloquia schreibt. Seine damals geäußerte Überzeugung. das Reich Gottes umfasse eine Welt, die den Sinnen unbekannt ist ( 1 , 1 .3), möchte er nun so verdeutlicht wissen: die den Sinnen des sterblichen Leibes unbekannt ist. Diese Welt soll nun richtig als jene verstanden werden, die "mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde zukUnftig ist", Im nächsten Paragraphen kritisiert der alte Augusti nus seine Aussage von damals. diese Sinnenwelt, sei gänzlich zu fliehen ( I . 14,24); er will nicht verdächtigt werden, er stimme "dem falschen Philoso phen Porphyrius zu, der dazu auffordert, aller Leiblichkeit zu entfliehen", Dieser Gedanke von der Flucht wird noch zum Verständnis einer Gedankenent wicklung des Origenes im Kelsos-Buch heranzuziehen sein, Hier sei nur die Überzeugung des alten Augustinus festgehalten, die zukUnftige Welt mit neuem Himmel und neuer Erde sei nicht von der Art, vor der man fliehen muß, So scheint es mir bereChtigt, den alten Origenes mit dem alten Augustinus. einzelne Stellen aus dem Werk "Gegen Kelsos" mit einzelnen Äußerungen der
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Retraclatiofles zu vergleichen. Diese beiden größten christlichen Lehrer des Altertums Ubcrwinden das platonisch-philosophische Schema von innen und außen, Sinnenwelt und Geisteswelt durch das biblisch-christliche Schema von jetzt und dereinst. entdecken die Heilsgeschichte oder die Eschatologie und bekennen sich entschlossen zu ihr. Wenn man auf diese neu gewonnene Einstellung des Origenes einmal auf merksam geworden ist. scheint es berechtigt, nach weiteren Äußerungen dieser Art zu suchen. Es darf sogar damit gerechnet werden, daß schwache Andeutun gen bisher ilbersehen, vielleicht sogar zugedeckt wurden. Zu Beginn des 8. Buches (cap. 5 ) zitiert Origenes einen längeren Abschnitt, in dem Kelsos neben der Verehrung des einzig wahren Gottes auch die Verehrung von untergeordneten Göttern. von Dämonen und Heroen rechtfertigen will; diese alle gehörten dem einen Gott und er beneide sie nicht um Verehrung. sondern freue sich darüber. Origenes gibt zu, daß es viele Wesen gibt. die bei den Heidenvölkern Götter oder Herren genannt werden und so als Göller angebetet werden. Die Christen aber "tun alles. um diese und auch die in den Heiligen Schriften Götter genannten Wesen zu übersteigen". Dieses Übersteigen, Transzendieren, geschieht dadurch, daß man nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare schaut. Hier greift Origenes also auf die Unterscheidung zurück, die uns zuvor schon beschäftigt hat, und die als typisch philosophisch gelten kann, wenn sie sich auch bei Paulus findet (2 Kor 4,18), dort freilich so erklärt wird, daß das Sichtbare zeitlich, das Unsichtbare aber ewig ist. Damit ist freilich noch nicht das, grob gesprochen, räumliche oder synchrone Schema durch das diachrone ersetzt. denn Zeitliches und Ewiges können sich zu allen Zeitmomenten gegenüberstehen. Das Ewige ist nicht notwendig das, was auf das Zeitliche folgt, das Zeitliche nicht notwen dig das, was dem Ewigen vorausgeht. Genau diesen Sinn aber scheint Origenes dieser Unterscheidung geben zu wollen, wenn er unmittelbar danach das Ober steigen aller minderen Gottheiten auch dadurch erklärt, daß man "darauf schaut. auf welche Weise auch .die Erwartung der Schöpfung auf die Offenbarung der Söhne Gottes harrt, und zwar nicht freiwillig, sondern um dessentwillen, der sie auf Hoffnung hin unterworfen hat' (Röm 8. 19. 20b), und daß man die Schöp fung preist und sieht, auf welche Weise sie als Ganze ,von der Knechtschaft des Verderbens befreit werden wird' und ,der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes' entgegengeht (ebd. V . 2 1 ) ; (wer dies alles sieht, schaut. bedenkt) wird sich nicht dazu verleiten lassen. außer Gott auch noch irgendeinem anderen zu dienen ...... Hier kann man wahrlich fragen, ob die heilsgeschichtlich-eschato logische Betrachtungsweise der Schöpfung und ihrer Entwicklung tatsächlich die überzeugendste Antwort darstellt auf die Aufforderung des Kelsos, man solle neben Gott auch mindere Gottheiten verehren. Man darf fragen. ob durch diesen Hinweis auf die Vergänglichkeit der Welt wirklich bewiesen ist, daß die Weige rung der Christen, andere, mindere Gottheiten zu verehren, kein "Schrei des Aufruhrs" ist. wie Origenes zu Beginn des 2. Abschnittes in diesem 5. Kapitel von Buch 8. ein Stichwort des Kelsos aufgreifend, folgert. Die Entlarvung der minderen Gottheiten als böse Geister, als Gefolge des Teufels. wie Origenes sie
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an anderen Stellen bietet und hier in 8,4 am Ende wenigstens kurz andeutet, scheint eine viel überzeugendere Begründung ftir die Ablehnung des Göuerkul tes zu sein. Daß Origenes hier die Eschatologie geltend macht, muß also anders begründet sein; ich möchte darin eine weitere Äußerung seines nunmehr erwach ten eschatologischen Interesses sehen. Selbst wenn dies keine hinlängliche Erklärung wäre, ließe sich doch dieses neue eschatologische Interesse nicht bestreiten, sondern müßte zum Verständnis der weiteren Aussagen des Origenes ernstgenommen werden. Da lesen wir, daß die Christen "sich mit dem Herrn Jesus Christus zufriedengeben" - also neben Gott nur noch ihn verehren "der in eigener Person diejenigen erzieht, die ihm dienen, um sie. wenn sie erzogen und zu einem gotteswürdigen ,Königreich' geworden sind. Gott, dem Vater. zu übergeben". Die Kommentatoren verweisen hier auf zwei Stellen aus der Apokalypse. nämlich 1.6: "Er hat uns zu einem Königreich gemacht. zu Priestern für seinen Gott und Vater" und 5.10: ,.Du hast sie gemaCht zum Königreich und zu Priestern für unseren Gott". Beide Texte sprechen vom schon geschehenen Heilshandeln des Christus. reden in der Vergangenheits fonn. Der Blick des Origenes aber ist hier in die Zukunft gerichtet; er schaut auf etwas. was noch nicht vollendet ist; gewiß mag er sich zur Gestaltung seiner Aussage der ApokalypsesteIlen erinnert haben, aber die biblische Stütze seines Gedankens muß an anderer Stelle gesucht werden. nämlich in 1 K o r 1 5 ,24: "Sodann kommt das Ende, wenn er die Königsherrschaft (oder das Königreich) dem Gott und Vater übergibt"'. Dieses Bild von der Übergabe der Herrschaft im Eschaton ist hier leitend. Daß Origenes in 1 Kor 15,24 die Verbform n:aQaöw in seinem Text las und nicht ltaQaötöm. wie die Mehrzahl der Manuskripte bietet und unsere Ausgaben bevorzugen, läßt sich bei der Treue des Origenes zum biblischen Wortlaut auch aus dieser Stelle belegen. Die Aufforderung des Kelsos. sich nicht durch Verweigerung der Verehrung der vielen Götter von der menschlichen Gemeinschaft zu trennen (8.2), beantwortet Origenes also mit dem Hinweis auf die eschatologische Gottesherrschaft. auf die Einheit des Königreiches. in die Christus alle seine Gläubigen jetzt hineinerzieht, um sie dann in solcher Einheit dem Vater zu übergeben. Oie eschatologische Einheit der Gouesherrschaft. auf welche die Christen hoffen. und um die sie nicht gebracht sein wollen, zwingt sie jetzt dazu, sich von der Menge der Götzendie ner abzusondern. Aber bei denen ist eben nicht die wahre Politeia, nämlich die Politeia Gottes. sie sind ihr vielmehr ganz fremd. so wie sie auch nichts mit den Vermächtnissen Gottes zu tun haben. Wer in die Einheit der eschatologi schen Politeia Gottes eingehen will, muß also jetzt Konfrontation mit der irdischen Politeia - und das war damals die im Reich geeinte griechisch-rö mische Welt - in Kauf nehmen. Bemerkenswert ist. wie Origenes, um diesen Gedanken auszudrücken. mit zwei Zitaten aus paulinischen Briefen umgeht. Aus Eph 2,12 - dieses Zitat scheint hier von den Kommentatoren übersehen worden zu sein -: "Ihr wart entfremdet der Politeia Israels und fremd den Vermächtnissen des Evangeliums" macht Origenes eine Aussage über die Poli/eta Gottes und die ihr fremden Menschen außerhalb. Eine Beschreibung
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eines verflossenen geschichtlichen Zustand�s. der sich auf das sichtbare Volk Israel bezog, macht Origenes zur Diagnose über den Zustand der Menschheit, der sich auf die nicht, jedenfalls jetzt noch nicht sichtbare Größe des Gottesvol kes bezieht. Fast noch charakteristischer aber ist die Deutung, die Origenes jetzt dem Politeuma gibt, welches nach Phil 3,20 in den Himmeln existiert; in B uch 2,5 haUe er es verstanden als die himmlische Stadt, die die Christen besitzen, so Borret&. oder doch wenigstens als das Bürgerrecht im Himmel, so ChadwickJ, das sich vom irdischen Wesen der Juden hier unten unterscheidet. Nun aber sagt er von den Christen. sie wollten 1tOkt:tEuEo8m tO tv ougavoil; J'toÄ.ttE,, �a, indem sie zum lebendigen Gou hintreten usw., wie es in Hebr 12,22 f heißt. Man könnte wohl sagen, daß Origenes Eph 2, 12 aktualisiert und das Politeuma, das in Phil 3,20 eher etwas Objektiv-Statisches zu sein scheint. subjektiviert und dynamisiert. Wenn die Beobachtungen zur Neudeutung des Schöpfungswerkes durch Origenes richtig sind. man also feststellen kann. daß er ohne frühere Auslegun gen zu verwerfen, diese doch überschreitet. erweitert oder ergänzt. weil ihm nun immer mehr ein neutestamentlicher Gedanke. im ersten Beispiel nämlich die Ruhe des Gouesvolkes aus Hebr 4. zur Leitlinie wird. dann ist die Frage berechtigt, ob sich eine ähnliche Entwicklung, also eine Akzentverschiebung in Richtung auf mehr neutestamentliche Ausdrucksweise auch bei anderen Themen feststellen läßt. Mit einiger Vorsicht meine ich dies von den Aussagen des Origenes zur Gottebenbildlichkeit des Menschen sagen zu können. In 4,30 macht er gegen die Behauptung des Kelsos. die Christen hielten sich für ganz gouähnlich, den Unterschied von "nach dem Bild" und "nach der Ähnlichkeit Geschaffensein" geltend; Gott habe seine Absicht kundgetan. den Menschen nach seinem Bild und nach seiner Ähnlichkeit zu schaffen, ihn dann aber nur nach Goues Bild aber noch nicht nach Goues Ähnlichkeit geschaffen (nach Gen 1 . 26 bzw. 27). Weder begründet Origenes hier diese Unterscheidung. noch verweist er auf eines seiner anderen Werke. wo diese Unterscheidung begründet wird. die, wie H. Crouzel gezeigt hat', auch unter Verwendung anderer im gleichen Sinn zu unterscheidender B ilder oder Begriffe. die Anthropologie und Soteriologie des Origenes prägt. Die deutlichste Erklärung, auf der Origenes hier offenbar noch uneingeschränkt fußt. findet sich in der Grundlagenschrift 1II 6. 1 : ..Das höchste Gut, nach dem alle Vernunftnatur strebt, das Ziel aller Dinge, wird auch von vielen Philosophen so bestimmt: Gott ähnlich zu werden, soweit es möglich ist". Origenes nennt keinen Philosophen mit Namen. scheint eher Clemens Alexandrinus zu zitieren, der Strom. H, 19, 100. 3 sagt: ..Der Philosoph
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Origene, Contre Celse, Tome I (vgl. Anm. I): SC 132 (1916) 293: ... ils onl une ,eile' non point en bas ... mais ,dans le eiei"'. 1 Origen. Conlra CtlSllm (vgl. Anm. 4), 70: ... he has a eerlain eitizenship, not like the earthly lews . .. 001 in heaven". ' Henri Crouzel, Theologie de !"image de Dieu ehez Origl:ne: Theologie 34 ( 1 956) 2 1 7 ff. "
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Plato aber, der die Seligkeit (EuÖCtlIlOVlCt) als Ziel setzt, sagt, sie sei Verähnli chung mit Gott (oIlOLWOV;: 1: Be Beq> XU1:Ct"to ÖUVUtov); Verilhnlichung aber, mit Überlegung gerecht und heilig zu werden" . Philo zitiert diesen Satz von der Aucht aus dem Irdischen bezeich nenderweise in dem Werk, das den Titel "Aber das Fliehen und das Finden" trägt (63) und folgert daraus: ,.Deshalb stirbt also Kain nicht, das Symbol der Schlechtigkeit. denn die muß immer in dem sterblichen Geschlecht bei den ' Im Timaios 4 1 cd erteilt der höchste Goll den niederen Göllern den Auftrag, den von ihm geschaffenen Menschen mit sterblichen Gliedern auszurüsten. In Timaios 42d143a wird von der AusfUllrung dieses Autrags durch die niederen Göller berichtet.
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Menschen leben", Wenn Clemens oder auch erst Origcnes den Gedanken von der 6J.lOLoo OL<; 'tcp OE4l aus dem Zusammenhang der Aussage über die Notwen digkeit des Bösen und der Flucht von diesem schlechten an jenen guten Ort gelöst hat. dann hat er etwas ähnliches getan wie Augustinus, der ja auch die Notwendigkeit der Flucht aus dieser Sinnenwelt, die er in den Soliloquia ( I , 14.24) behauptet hatte. in den Retraclationes 1 . 4. 3 einschränkt und die zukünf tige Welt des neuen Himmels und der neuen Erde davon ausnimmt. Im Blick auf diese Vorgeschichte des Gedankens seien nun die Aussagen des Origcnes zur Gottebenbildlichkeit des Menschen verfolgt. wie sie in der weite ren Auseinandersetzung mit Kelsos fallen. In 5 , 1 5 wird die Notwendigkeit der Strafen fUr die begründet, die "zwar nach dem Bild Gottes geschaffen waren, aber gegen den Willen der nach dem Bild (geschaffenen) Natur gelebt haben". Die Abbildlichkeit ist selbstverständlich auch hier noch Gen 1 , 26 entnommen; dies scheint sich aber in 6.63 zu ändern. Die Behauptung des Kelsos, Gott habe den Menschen nicht zu seinem Bild geschaffen, denn er sei dem Menschen nicht ähnlich. erklärt Origenes damit. daß Kclsos nicht begriffen habe, daß nur die Seele des Menschen und nicht sein Leib Gottes Abbild sein kann, vor allem aber daß man unterscheiden mUsse zwischen dem einzigen Bild Gottes, nämlich dem Logos, und dem, der nach diesem Bild Gottes geschaffen ist. nämlich dem Menschen. War nocb in 5, 16 die Natur des Menschen nach dem Bild Gottes und blieb dies wohl auch. wenn ihrem Willen nicht gehorcht wurde. so heißt es nun: ..... In der Seele, die entweder ,den alten Menschen mit seinen Taten ' nie hatte oder nicht mehr hat und die gerade deswegen. weil sie dies nicht hat. den Titel trägt: ,nach dem Bild des Schöpfers' wird das (Sein) nach dem Bilde Gottes eingeprägt". Also nur der vom alten Menschen befreiten Seele wird die Eben bildlichkeit mit dem Schöpfer aufgeprägt. Die Frage. ob eine Seele, die nicht davon befreit ist, keine Gottebenbildlichkeit aufweist, wird nicht gestellt und darf auch von uns nicht voreilig aus bloßer Schlußfolgerung beantwortet wer den. Bedeutsam ist. daß nun der Gedanke der Ebenbildlichkeit offenbar nicht mehr aus Gen 1, 26. sondern aus Kol 3, 10 entnommen wird - dort heißt es ja nicht "Bild Goues", sondern ..Bild des Schöpfers"; dort ist dieser Gedanke mil dem vom alten und vom neuen Menschen verbunden. Gegen Ende von 6,63 verknüpft Origenes mit dem neuen Menschen auch noch den inneren Menschen von Eph 3, 16: .,Er wird erneuert und ist dazu geeignct. nach dem Bild des Schöpfers zu werden, wenn jemand vollkommen wird, wie der himmlische Vater vollkommen ist und ... die Charakterzüge Gottcs in seine tugendhafte Seele aufnimmt. Dann ist auch Tempel der Leib dessen, der in dem (Wesensteil), der nach dem Bilde Gottes ist. die Eigenart Gottes angenommen hat, der eine solche Seele besitzt und in der Seele, weil sie nach dem Bilde ist. GOI(" . Hier ist von philosophischer Betrachtung der Natur des Menschen und ihrer eben naturgege· benen Gouebenbildlichkeit keine Spur mehr. Der innere Mensch ist vielmehr nur dann, wenn er erneuert wird. imstande. nach dem Bild des Schöpfers zu werden. wenn man vollkommen wird und Goues ZUge annimmt. die man also nicht schon hat. Die Beschreibung der Gouebenbildlichkeit ist vom Sein auf das
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Werden verlagert, aus der Ontologie in die Paränese oder vielleicht auch. wenn man das Erneuertwerden des inneren Menschen betont. in die Gnaden- und Erlösungslehre. Das scheint sich vollends zu bestätigen. wenn in 7 ,66 sozusagen nur noch nebenbei daran erinnert wird, daß "das Nach-dem-Bilde-Gottes-Sein in der Vemunftseele, die im Sinne der Tugend so beschaffen ist (deren Vernünf tigkeit also nach der Tugend bemessen wird), gewahrt wird". Dieses crwteo8m wird von Borret mit "est conserve" übersetztlO, von Chadwick mit "is 10 be fouod preserved"H. Das könnte so verstanden werden, als bewahre die Seele, als halte sie die Gottebenbildlichkeit fest, als mache Origenes hier eine philosophische Seinsaussage. Mir scheint aber, daß das ooo�Eo8m bzw. oWsuv hier wie auch an anderen Stellen (vgl. comm. in Mt. 12, 15; 13. 2; 17, 26 GCS X S. 1 0 1 , 20; 177, 27; 656, 15) nichts anderes bedeutet als: die Anwendung eines biblischen Ausdrucks rechtfertigen. Gemeint ist also nicht, daß die Seele eine wesenhafte Gottebenbildlichkeil bewahrt, sondern daß es gereChtfertigt ist, von Gotteben bildlichkeit zu sprechen, wenn man auf die Seele (und nicht auf den Leib) schaut. Noch deutlicher wird diese Verschiebung des Gedankens der GottebenbildIich keit von einer philosophischen Wesensaussage in die Paränese hinein in 8, 1 7 . Die Christen brauchen nicht, was Kelsos ihnen zum Vorwurf gemacht hatte, Statuen zu errichten, weil sie dies in sich selbst tun, "indem sie .den alten Menschen mit seinen Handlungen ausziehen und den neuen Menschen anziehen. der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild seines Schöpfers' (Kol 3,9-10) und so das Sein ,nach dem Bild des Schöpfers' annehmen" . Jetzt wird nicht mehr nur gesagt. daß man die CharakterzUge Gottes annimmt (wie in 6,63), sondern nun wird das Sein nach dem Bild des Schöpfers selbst angenommen, also nicht schon von vornherein besessen. Damit ist der Gedanke der Gottebenbildlichkeit im höchsten Maß dynamisiert, theologisch-paränetisch verwendet. Daß im selben Maß wie der Blick von der Seinsebene auf die Ebene des Solleos wechselt. die Zitation von Gen 1 , 26 zurücktritt und dem neutestamentlichen Zitat Platz macht. daß also nunmehr häufiger vom "Bild des Schöpfers" nach Kol 3, 10 als vom "Bild Gottes" die Rede ist, ist dafür zusätzliche Bestätigung. Wie sehr Origenes nun Kol 3,20 im Kopf hat. mag man etwa auch einem Satz entnehmen. wie er sich in VII. 33 findet: "Das was Gott erkennt, ist nicht Auge des Leibes. sondern der Verstand. welcher das sieht. was nach dem Bild des Schöpfers gestaltet ist ...... Die Übersetzer haben an dieser Stelle das Zitat aus Kol 3,10 entweder gar nicht wahrgenommen oder verwechseln es mit dem aus Gen I. 27'l. FUr die besondere Perspektive der letzten BUcher Gegen Kelsos. die ich hier herausstellen möchte, scheint mir auch kennzeichnend zu sein, wie Origenes den bekannten Satz aus Gal 5, 17 vom Begehren des Fleisches gegen den Geist und
IOOrig�ne. Conlre Celse. Torne IV (vgl. Anrn. I): SC 150 ( 1 969) 169. 11 Origen. Conlra Cdsum (vgt. Anrn. 4), 450. IlSO Koctschau (vgl. Anrn. 5), S. 250 und Orig�nc. Contre Celse. Torne V ( ...gl. Anrn. I ) (SC 227 1 1 976]), Addenda S. 538.
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des Geistes wider das Fleisch in 8,23 verwendet. Um diese relecture. diese neue Deutung richtig einzuschätzen, ist es notwendig, den Sitz im Leben dieser pauIinischen Aussage in den Blick zu nehmen. Paulus knüpft an der Streitsucht der Galater an, die sich "gegenseitig beißen und auffressen" (5, 15). Ein solches Verhalten nennt Paulus Fleisch; er setzt es dem Geist entgegen. von dem die Galater überzeugt sind, daß sie ihn empfangen haben. und den sie offenbar auch nicht verlieren wollen. Dann aber müssen sie. so macht Paulus ihnen klar, gegen das Fleisch kämpfen. Deshalb zählt er die Werke des Fleisches auf, die zu meiden sind (5, 1 9-21) und die Fruchte des Geistes. die den Menschen vom Gesetz befreien (5,220. Diese andere Überle gung von der Gesetzesfreiheit kann hier außer Betracht bleiben. In der ganzen Paränese. in die der Satz von der doppelten Begierde eingebettet ist, zeichnet sich keine eschatologische B lickrichtung ab; man kann sie allenfalls angedeutet finden in dem abschließenden Satz6, 10: "Solange wir also Zeit (oder: Gelegen heit) haben, laßt uns Gutes tun"! Der Antagonismus von Fleisch und Geist dagegen scheint eine theologisch-anthropologische Dichotomie zu verraten. die zeitlos gültig ist, zumal Paulus sich nicht mit dem bekannten Satz über Fleisch und Geist begnügt. sondern die grundsätzlich klingende Begründung hinzufügt: "Diese sind nämlich einander entgegengesetzt", was übrigens an Platos Aussage im Phaidoll (94 c) : ..ln tausend Dingen sehen wir die Seele dem Leiblichen widerstreben" anklingt. Origenes durchbricht diese geradezu metaphysische Geltung des Grundsatzes und relativiert ihn in das Zeitschema hinein, indem er nur zwei Wörtchen, nämlich die Konjunktion öoov und ein EU "solange noch" hinzufUgt: ..Solange noch das Fleisch gegen den Geist begehrt und der Geist gegen das Fleisch. ist es", so erklärt Origenes diesmal nun seinerseits grundsätz lich, "unmöglich, daß der zusammengesetzte Mensch mit seinem ganzen Wesen Feste feiert", in his entirety, wie Chadwick sagtl). Origenes macht also deutlich, daß der Gegensatz von Fleisch und Geist vorübergehen wird. daß er nur Kennzeichen der jetzigen Zwischenzeit ist. die, wie wir hinzufügen dOrfen. noch unerlöst oder noch nicht voll erlöst ist. Indem Origenes fast nebenbei den Menschen als zusammengesetzt bezeichnet und erkennen läßt. daß die rech te Festfeier aus seinem ganzen Wesen (V; ÖAOlV) hervorkommen muß. deutet er hinlänglich an, daß die Aufhebung des Gegensatzes von Fleisch und Geist nicht dadurch zu erwarten ist. daß einer der beiden Teile aufgehoben oder unterdruckt wird, sondern daß sie miteinander versöhnt werden. Origenes rela tiviert den Paulusspruch also nicht nur, sondern gewinnt ihm eine bedeutsame eschatologische Perspektive ab, die ihm selbst ein Anliegen sein muß, denn der Punkt der Auseinandersetzung mit Kelsos. an dem er hier steht, hätte ihn keinesfalls dazu gedrängt. ja auch nicht dazu, sich auf Gal 5. J 7 zu berufen. Damit dies aber deutlich wird, ist es notwendig, auf Kelsos selber zurückzuge hen. Kelsos hatte, wie schon im vorigen Kapitel zur Sprache kam, den Christen vorgeworfen. sie revollierten gegen die gesamte Menschengemeinschaft, da durch. daß sie sich weigerten. an dem allgemeinen Götterkult teilzunehmen.
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Origenes rechtfertigt, wie wir schon sahen, die Absonderung der Christen, nimmt dann aber das Anliegen des Kelsos auf und erklärt, die Christen brauchten keine Altäre und Standbilder zu errichten, da das Hegemonikon eines jeden Gerechten ein Altar und jeder, der Gott ähnlich wird, ein Gott wohlgefalliges Weihebild sei (Ce/s. 8. 17). Die Christen brauchten aucb keinen Tempel zu errichten; Christus selbst, sein ganzer Kirchenleib. sei ihr Tempel; so brauche es dann auch keine Festzeiten und -tage; immer werde das Gott wohlgefallige Opfer dargebracht; Origenes zitiert mit Zustimmung die Kritik, die Paulus in Gal 4, lOf an den ..Monaten, Zeiten und lahren" übt. Origenes ist aber ehrlich genug zuzugeben, daß die Christen eben doch Herrentage, Rüsttage, Ostern und Pfingsten haben (Cels. 8, 22). Hier scheint aber nicht nur Aufrichtigkeit, sondern der Wunsch, der Gemeinde selbst die Festtage zu deuten, Origenes die Feder geführt zu haben. Er erklärt diese Festtage so: "Der Vollkommene, der immer in den Worten, Werken und Gedan ken dessen ist, der von Natur aus Herr und Logos Gottes ist, der ist immer in dessen Tagen und feiert immer Herremage". ..Aber auch wer sich immer dazu rüstet, wahrhaftig zu leben, sich enthält der Vergnügungen des Lebens ... feiert immer Rüsttage". ".,' Wer weiß, daß das Pascha Durchgangsopfer bedeutet und immer mit jedem Gedanken, Wort und Werk von der Wirklichkeit dieses Lebens zu Gott hinübergeht", "feiert immer Pascha", ..Wer mit Recht sagen kann: ,Wir sind mit Christus auferstanden rKol 2, 1 21 ... ' ist immer in den Tagen der Pentekoste, vor allem wenn er ... immer betet ... um des gewaltigen Geisteshauches würdig zu werden ..." (Zitat gekürzt), Das sind nun freilich weitgehend innerliche Verhaltensweisen, keine äußeren Festfeiern; die große Menge der im Grunde (noch) nicht im vollen Sinn Gläu bigen bedarf aber äußerer Erinnerungszeichen (Ce/s. 8, 23), Auch das habe, so meint Origenes. Paulus schon bedacht und deswegen zwar einerseits die Fest feier gereChtfertigt (wenn er Kol 2, 1 6 schreibt: "Niemand soll Euch wegen Essen oder Trinken oder aufgrund eines Festes richten"), andererseits aber ihre Vorläufigkeit und Unvollständigkeit dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er vom !1EQO� tOQ"tfj� spricht, was Origenes als ..Teil des Festes" versteht. Dies gilt aber offensichtlich nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ, Insofern äußere Feste sinnvoll und notwendig sind, gelten die Vorschriften des alten Gesetzes; und da entdeckt Origenes nun eine deutliche Dialektik. Zwar wird zur Festfeier aufgefordert. gleichzeitig aber in die Festfreude das Gegenteil hineingemischt; beim Passafest soll man nach Dtn 16,3 ..das Brot der Bedräng nis", nach Ex 12,8 ,.Bitterkcäuter" essen; am Versöhnungstag soll man sich nach Lev 16,29 "verdemütigen", Darüber, so meint Origenes, wäre nun viel zu sagen; er begnügt sich aber als Begründung für diese sozusagen dialektischen Festan weisungen jenen Grundsatz anzusprechen, den wir schon ins Auge gefaßt haben, der vollständig so lautet: ..Denn es ist auch gar nicht möglich, daß der zusam mengesetzte Mensch, solange noch ,das Fleisch gegen den Geist begehrt und der Geist gegen das Fleisch' [GaI 5,1 7] aus allen (wohl zu ergänzen; seinen Wesens-
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teilen) Feste feiert; entweder mißhandelt nämlich jemand, indem er mit dem Geist feiert. den Leib. welcher wegen des ,Sinnens des Fleisches' [Röm 8.6] nicht imstande ist. mit dem Geist zusammen zu feiern. oder er feiert im Sinn des Fleisches und erfaßt nicht das Fest im Sinn des Geistes", Nun würde man die Erklärungen erwarten, die Origenes angekündigt hat; er sagt aber nur: .. Aber dies genügt für den Augenblick zur Lehre über die Feste", Deutlich ist aber, daß Origenes - und das sagt er offenbar sowohl seinem heidnischen Gegner als auch seinen Mitchristen. denen, die geistig Feste zu feiern verstehen, und denen, die auf äußere Festfeier angewiesen sind - für das Eschaton eine Feier des ganzen Menschen, seines Geistes und seines Leibes erwartet. Daß Origenes so verstanden sein will, dürfte sich aus seinem Matthäus-Kom mentar entnehmen lassen, wo er im vielleicht gleichzeitig geschriebenen 27. Kapitel des 17. Buches, in dem er die listige Frage der Pharisäer, ob man dem Kaiser Steuer zahlen dürfe, übertragen auslegt ("tQ01tOAOyfjOOl.) und den glei chen Ausdruck "den Leib mißhandeln" (xoxoüv "to OWllo) verwendet (GeS X, 659,27 f). Zu Beginn des Kapitels erklärt Origenes, genau wie hier im Kelsos Buch, daß wir "aus Seele und Leib zusammengesetzt sind", wobei er für den Augenblick vorn Wesensbestandteil Geist (rtveüIlO) absehen wolle. In den zwei grundsätzlichen Möglichkeiten, die Frage nach der Steuer zu beantworten, findet Origenes die heiden unterschiedlichen Meinungen bezüglich dessen, was dem Leib geschuldet wird, vorgebildet. Mit denen, die keine Steuer zahlen wollen. die er vorher in Kap. 26 (S. 656,7 ft) mit den Pharisäern identifiziert hat, vergleicht Origenes diejenigen, die "mit aller Kraft durch Fasten und Nachtwa chen und alle Art von Enthaltsamkeit den Leib mißhandeln". Solcher Rat und solches Verhalten sind also nicht im Sinne der Aufforderung Jesu: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Andererseits warnt Origenes auch vor denen, die dieses Schriftwort ohne Verdeutlichung (atQavo:ruot;) anwenden und daraus "phantasieren, daß man auch dem Leib die Schuldigkeiten entrichten müsse"; (man muß wohl mit dem Lateiner ergänzen: ..in jeder Hinsicht"). Dann versteht man, wie Origenes den Gedanken zu Ende bringt. der Heiland habe klar unterschieden zwischen dem . ..was vemünftiger weise dem Leib geschuldet ist und dem. was die Seele schuldig ist ...... Nur die Steuer also, die das Bild des Kaisers trägt. und nichts darüber hinaus seien wir dem Leib schuldig. Die Auslegung trägt also dem Gegensatz von Leib und Seele und vor allem der sich daraus ergebenden verschiedenen Lehrmeinungen Rech nung; das Recht des Leibes wird grundsätzlich verteidigt, wenn auch in engen Grenzen. Andererseits läßt Origenes im Buch ..Gegen Kelsos" selbst (schon in 7,4) erkennen. daß die Aufhebung des mehrfach ausgesprochenen Gegensatzes nichts rein Eschatologisches ist, sondern sogar schon in der Vorzeit verwirklicht war. Die Propheten bei den Juden waren durch den Kontakt des Heiligen Geistes mit ihrer Seele nicht nur im Verstand einsichtsvoller und in der Seele herrlicher geworden. sondern auch im Leib, "welcher überhaupt nicht mehr dem tugend haften Leben entgegenwirkte. weil er im Sinn des bei uns so genannlen ,Sinnens
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des Fleisches' abgetötet war". Andererseits bleibt doch auch diese gnadenhaft geschenkte Abtötung innerhalb nicht nur des Zeitraumes. sondern auch des Zustandes. in dem das Fleisch gegen den Geist begehrt und umgekehrt. ist also auch nur etwas Vorläufiges und insofern Prophetisch�Zeichenhaftes. welches sich im Eschaton erfüllen muß. Aber sowohl die Beschreibung des prophetischen Lebens als auch die dem Origenes als ausgewogen geltende asketische Anleitung aus dem Matthäus�Kommentar erhalten ihr volles Licht erst von der für das Eschaton erwarteten Aufhebung des genannten Antagonismus her. Solche Er� wartung scheint mir nicht platonisch und auch nicht spiritualisierend zu sein. Borret weist in seiner Anmerkung zu 8.23 des Kelsos�Buches auf das Werk über Origenes von 1. Danielou hin. der (5. 47-52) die Kapitel 17-23 kommentiert, wobei cr zunächst daraus die Nachricht über die von uns eben schon genannten christlichen Feste und Festzeiten entnimmt. Gegen Ende seiner Ausfllhrungen zitiert er den von uns hier kommentierten Satz. in dem Origenes seine eschato� logische Erwartung ausdrückt. läßt gerade diese aus, so daß als Zitat nur Obrigbleibt. daß der aus zwei Teilen zusammengesetzte Mensch in der Tat als Ganzer kein Fest feiern kann. Auch ein Hinweis auf die Verwendung von Gal 5. 17 unterbleibt. ohne daß dies markiert wäre. Aus einem so verstümmelten Origenes�Zitat kann Danielou dann Folgendes schließen: ..Seine spiritualisie� rende Tendenz würde den Origenes dazu bringen, die Bedeutung der sichtbaren Seite der Sache zu mißachten. Aber er sicht wenigstens. daß diese Seile mit der leiblichen Natur des Menschen verknüpft ist und ebenso mit seiner sozialen Natur" ..... Wo Danielou spiritualisierende Tendenz diagnostiziert. scheint mir in Wirklichkeit von Origenes der Spiritualismus auf geradezu spektakuläre Weise überwunden zu sein, und zwar dadurch, daß der Blick entschlossen auf das Eschaton gerichtet wird und von dort her die Gegebenheiten dieser Weltzeit relativiert werden. Es braucht durchaus nicht bestriuen zu werden. daß wir in vielen früheren Werken des Origenes spiritualisierende Tendenzen feststellen können; hier aber scheint mir alle Einseitigkeit überwunden zu sein; auch dieses Kapitel des Werkes ,.Gegen Kelsos" ist also eine echte Retractatio.
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Die Witwe als Bild der Seele in der Exegese des Origenes
l. "Sie sagen, Witwe sei die Seele, die den Teufel verstoßen hat; ihr Gegner (afllidikos) sei er; gegen ihn wende sie sich an Gott. den Richter der Ungerech· tigkeit, d. h . an den, der die Ungerechtigkeit verurteilt, der keinen Gott hat. den er fUrchten müßte, und auch auf keinen Menschen RlIcksicht [wörtlich: die Person keines Menschen] nimmt, der sich auch der Seele. die ihn belagert, erbarmr' (PG 72. 8520). So lesen wir in den Lukaspredigten des Kyrill von Alexandrien, jedenfalls in dem Text, den Migne von A. Mail übernommen hat, als Auslegung der Parabel vom Richter, der Golt nicht fürchtet, und der Witwe, der er wegen ihrer Zudringlichkeit doch Recht verschafft (Lk 18, 2-7). Schon R. P. Smith, der 1859 eine englische Übersetzung der syrisch erhahe nen Lukaspredigten des Kyrill herausgabl, erklärte diesen Abschniu für unecht, weil er kein syrisches Gegenstück hat. und nannte als Urheber den Griechen Theophylakt, der im 1 1 . Jahrhundert Erzbischofbei den Bulgaren war. In dessen Lukasauslegung (PG 123. 1001 A) lesen wir: .Es haben aber einige versucht. dieses Gleichnis zu neugierig [periergoteron, vielleicht: zu kurios] aufzufassen. und es gewagt. [diese Auffassung) der Wahrheit anzugleichen. Witwe nämlich, sagten sie. ist jede Seele, die ihren Mann, den sie früher hatte. den Teufel nämlich. verstoßen hat und die ihn deshalb als Gegner hat. der sie immer angreift. Sie aber wendet sich an Gott, den Richter der Ungerechtigkeit. d. h. an den, der Ungerechtigkeit richtet, der auch Gott nicht fürchtet. Er selbst ist nämlich der einzige Gott. und er hat keinen anderen, den er fürchten mUßte; aber er scheut sich auch vor keinem Menschen, denn Gott nimmt keine RUcksicht auf einen Menschen (nicht die Person eines Menschen). Über diese Seele. die Gott andauernd wegen ihres Gegners. des Teufels, bittet, erbarmt sich Gou, weil ihre Belagerung ihn beschämt hat. Das mag nun annehmen. wem es lieb ist; es wurde nämlich hier angefügt, damit es nicht unbekannt bleibt." Theophylakt hält diese •
I A . Mai, Nova Pa/rum Biblio/htca 11. Rom 1 844. 376. Zum Gleichnis: H. Paulsen. Die Witwe und der Richter (Lk 18. 1-8). in: ThGI 74 ( 1 984) 13-39 (Li!.) und G. Slählin, Das Bild der Witwe. Ein Beitrag zur Bildersprache der Bibel und zum Phänomen der Personifikation in der Antike. in: JAC 17 ( 1914) 5-20 (ebenfalls mit Lit.). Ich Ilbcrselze alle Texte und biete sie in einiger Ausführlichkeit, um so auch den Lesern einen Einblick in die Schätze pallislischer Uibelauslegung und eil! Urteil darüber zu ermöglichen. die keine Textausgabe zur Hand habel!. ith, A Commtntary upon Ihe Gospel according to S. Luke by S. Cyrill. Patriarch of I R.P. Sm Aleundria. Now firsl traoslattd ioto English from an anden syriac version. Qxford 1859.
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Auslegung also doch fUr erwägenswert; daß er sie aber schon vorweg als zu neugierig bezeichnet, könnte er Obernommen haben; das versprengte StUck Exegese mag mit dieser Einleitung umgelaufen sein. Wenn der pseudokyrillische Text in Wirklichkeit eine Übernahme aus Theo phylakt ist. wundert man sich nicht, daß er fast wörtlich die gleiche Einleitung bietet. Allerdings ist sein Schlußurteil viel kritischer: ..Aber einige haben dies leichtfertig und falsch aufgefaßt." Das könnte sich zwar auf diese Auslegung des Gleichnisses beziehen, die damit als falsch und riskant abgetan wäre. Aber dann wUrde man sich doch fragen, warum sie überhaupt geboten wird! Sie erschien dem Verfasser zwar als neugierig oder kurios, aber immerhin als mitteilenswert. So wird der Nachsatz eher bedeuten, daß die Exegese nicht nur. wie Theophylakt freistellt, von denen, denen sie .. lieb" ist, angenommen wurde, sondern daß sie darüber hinaus falsch und verwegen verwendet wurde, und zwar im Hinblick auf die Endzeit; denn dann wird eingeschärft, der Herr verlange besonders bei der Vollendung der Weltzeit inständiges Gebet, er werde dann aber nur wenig Glauben auf Erden finden. Kann man vermuten. daß die Parabeldeutung im Sinne übertriebener Heilszuversicht, im Sinne der Rettung aller (Kirchenglie der) verwendet wurde? Pseudo-Kyrill würde jedenfalls eine Kenntnis von der Verwendung der Parabel verraten, die Theophylakt (noch?) nicht besaß. Es gibt außer der wörtlichen Übereinstimmung der Einleitung, die ja nicht erkennen läßt. wer von wem abhängt, weitere Hinweise für die Priorität des Theophylakt. Aber zunächst sind die inneren GrUnde dafür zu nennen, daß der Abschnitt nicht von Kyrill selber stammen kann. Die syrische Parallele reicht ja nur bis: "Gut ist also das Flehen durch ständiges Bitten; denn unsere Bitten wird annehmen und unser Verlangen erfllllen Christus" (PG 72, 852C). Der Syrer hängt dann den üblichen Predigtschluß an: "Durch den und mit dem Dir, Gott dem Vater, Ehre und Herrschaft sei, mit dem Heiligen Geist, in alle Ewigkeit. Amen" (Smilh. 555): auch inhaltlich ist die Predigt damit zu einem Ende gekommen. Sie halte schon nach kurzer Einleitung die Frage gestellt: "Wenn nämlich den ungerechten Richter, der weder Gott fürchtete noch einen Men schen scheute. das ständige Herantreten der Witwe beschämte. so daß er ihr auch gegen seinen Willen Recht verschaffte. wie wird dann der Freund des Erbarmens und Feind der Schlechtigkeit. der denen, die ihn lieben, immer die rettende Hand reicht. nicht die annehmen, die am Tage und in der Nacht zu ihm kommen, und ihnen Recht verschaffen als den Auserwählten?" (PG 72. 849A). Dann fragt KyrilI. wer die Feinde sind, die gegen uns und gegen Gott sündigen, und ob man gegen sie beten dUrfe, und antwortet, es gebe eben nicht nur böse Menschen. sondern die bösen und feindlichen M.ächte (pollerai kai alllikeimenai dynameis); vor allem aber sei der Rechtsgegner (anridikos) der Satan, der ,.alle, die richtig leben wollen, heftig anfeindet . . . und uns die Samen aller SUnde einpflanzt"}. Gegen ihn habe uns Recht verschafft der einzige Logos Gottes. als er Mensch
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Vgl. unlen Anm. 1 2 und den Ausspruch des Evagrius S. 156.
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wurde. So ist die Predigt von der spirituellen Ermahnung zur heilsgeschichtli chen Aussage und Verheißung gediehen; eine Weiterführung erscheint ilberflils slg. Das neue StUck beginnt dann aber. also nach dem Blick auf Christus, so: Wenn aber den Richter der Ungerechtigkeit, der sich weder vor Gon noch vor den Menschen schämte und von jeder Schlechtigkeit voll war, die Belagerung und Ausdauer der Witwe erweichte, um wieviel mehr werden wir den Vater des Erbarmens (vgl. 2 Kor 1 , 3 ) zum Mitleid ziehen, wenn er auch im Augenblick Langmut übt?" Der Blick wird also wieder auf Gott den Vater gerichtet und dann die oben mitgeteilte Deutung der Parabel geliefert. Diese Einleiwngsfrage wiederholt die Frage von col. 849 A, zwar mit anderen Worten. aber inhaltlich gleich. Fast wörtlich findet sich diese Frage bei Theophylakt (pG 132. I 000 CD) mitten in seiner Erklärung und, etwas abgewandelt, noch einmal. bevor er zur Behandlung von Lk 1 8 . 8 übergeht. Dabei ist ihm der Hinweis auf die große Schlechtigkeit des Richters besonders wichtig'; er nennt sie zweimal und erklärt, sich vor Menschen nicht zu scheuen. sei noch schlimmer, als Gott nicht zu fürchten (col. I oooD). So stimmt der an die Kyrill-Predigt angehängte Abschnitt (PG 72. 852C-853A) im Gedanken und im Ausdruck nicht mit KyrilI, sondern mit Theophylakt überein, scheint also von ihm geborgt zu sein. Allerdings wäre es auch denkbar. daß Theophylakt nicht nur die Auslegung des Gleichnisses. sondern auch die Einleitung dazu vorgefunden und seine Erörterung danach gestaltet hätte. Dann müßte man nicht nur nach dem Urheber der Parabeldeutung fahnden, sondern auch nach dem Überlieferer, der sie als "zu neugierig" bezeic hnet hat. Dieser Aufgabe sei hier nicht nachgegangen; sie erledigt sich vielleicht irgendwann nebenbei. Viel wichtiger ist die Frage nach dem Erstausleger. zumal uns seine Vorstellungen in einem anderen byzantini schen Werk als völlig anerkanntes Auslegungsergebnis begegnen. •.
n. Unter den Werken des Athanasius von Alexandrien ist bei Migne (PO 28. 7 1 2-773) eine Schrift abgedruckt. die den Titel Rheseis kai hermelleiai (Worte und Deutungen) trägt. aber mehr aus Fragen und Antworten besteht. also in die ' bei den Byzantinern so beliebte Gattung der erOlopokriseis gehört. Sie kann
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Erst die Schlechtigkeit des Richters macht den Erfolg der Witwe so eindrucksvoll; dadurch gerät diese Parabel (ür Theophylakt in die Nähe der anderen vom zudringt.ichen Freund (Lk 1 1 , 5ff; PG 123. 1001 A). Dieselbe Zusammenstellung dieser beiden Parabeln findet sich über ein halbes Jahnausend frUher bei Asterios dem Sophisten in seiner 12. Rede zu den Psalmen und bei Pseudo-Makarios (zu diesem vgl. Anm. 9) i n deo Deucn Homilien 1 6 . 7 und in der Schrift I1ber die Erhöhung Nr. t2. I Vgl. H. Beck. Kirche und Theologische Literatur im Byzantinischen Reich (Byzantinisches Handbuch IVI). München 1959. 9 1 . 437.444f.523 u.o.
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nicht von Athanasius (t 373) stammen, da er die Parabel Lk 18,2-7 ganz anders verwendet' und weil sie Johannes Chrysostomos (t 407) und Kyrill von Alex andrien ( t 444) nennt (NT. 36. 37) und den Theodoret von Kyrrhos (t ca. 458) auswertet (ohne ihn zu nennenf. Das Werk enthält auch origeneisches Gut; es steckt jedenfalls voller Allegorese. wenn es auch in der einzelnen Deutung nicht immer Origenes folgt. Pseudo-Athanasius bietet: .Frage Nr. 30: Wer ist der Richter der Ungerechtigkeit. der weder Gott fUrchtet noch einen Menschen scheut? Antwort: Gau; denn er hat keinen Gau, den er fUrchten mUßte, noch braucht er einen Menschen zu scheuen. Es war aber eine Witwe in der Stadt. Wer ist diese Witwe? Die Seele jedes Menschen, die irgendwann den Teufel als Mann hatte und ihn fortgejagt. Christus aber in ihr Herz aufgenommen hat, ist eine Witwe und bittet jeden Tag und jede Nacht. indem sie den Richter anruft und klagt und sagt: Verschaffe mir Recht gegen meinen Rechtsgegner! Frage 3 1 : Wer ist der Rechtsgegner? Antwort: Der Teufel, der ,wie ein brüllender Löwe umhergeht. suchend. wen er verschlinge' (I Petr. 5.8). Frage 32: Was aber sagte der Richter? Wenn ich auch Gott nicht fürchte und keinen Menschen scheue, will ich ihr doch Recht verschaffen, damit sie nicht kommt und mich ins Gesicht schlägt. Und der Herr fügt hinzu: Hört was der Richter der Ungerechtigk.eit sagt, Gott nämlich; denn er richtet und veruneilt die Ungerechten. Denn für einen Gerechten gibt es kein Gesetz (I Tim 1,9)" (pG 28, 720C-72! A). Hier ist also die Deutung der Parabel. die dem Theophylakt als kurios erscheint. zum unbestrittenen Katechismuswissen geworden. das wohl schon •
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Athanasius zitien (An die Mönche 42, I ) Lk 1 8 , 2 , um die arianischen Bischöfe als wahrhaftig ohne Gottesfurcht und ohne Menschenscheu, d. h. als ganz und gar verdorben, zu charakteri sieren. In seinem Brief an Seraphion von Thmuis (cap. J3 f) verwcndet er dieselbe Stelle auf eine ganz merkwUrdigc Weise gegcn die Pneumatomachen. Diese hallen sich auf 1 Tim 5,21 berufen, weil dort GOII, Christus und dann die auserwählten Engel genannt werden, nicht aber der Heilige Geist. Athanasius fragt, was sie wohl, wenn sie Lk 18, 2 1esen, wo GOII und Mensch genannt werden. sagen. "Ist etwa der Sohn der Mensch, den der Richter nicht scheute? Kommt etwa der Sohn nach dem Menschen als Driller, dcr Heilige Geist dann als Vicrter?" 1 Wcnn in Frage 24 die wahren Anbeter (Joh 4,23) die sind, "welche in den Einöden und auf den Bergen und in den Höhlen und Erdspalten wohnen, welche ohne die Gottesdienstver sammlung der Kirche ... im Geist und in der Wahrheit unseren Vater i m Himmel anbeten". dann scheint hier wenigstens die Mönchsgeschichte des Theodoret von KhYtTOS (t um 458) vorausgesetzt. Daß in Nr. 76 das Geschlecht der Römer oder Franken rur dje Kreuzigung Christi verantwortlich gemacht wird, gibt wohl nicht viel her filr die Datierung; leicht konnte ein Abschreiber zur Zeit der Frankenherrschaft sich an den verhaßten westlichen UnterdrUk· kern Iilerarisch rächen, indem er den Namen in einen längst vorliegenden Text einschob. Die erste Frage vermengt Mk 1 2 . 2 und 14, 1 3 und deutet die Stadt (Jerusalem) auf die Kirche. den Traget des Wasseruuges auf den Vorläufer. Die ähnlich gebautc Frage S versteht die Eselin und das FillIen von Mt 2 1 , 2 als das Judenvolk und die Kirche aus den Heiden. wie das etwa Origenes (comm. in Mt. 16, 17) getan halle; in dem Triger des Wasserkruges hatte eraUerdings den Gesetzgeber Mose gesehen (comm. scr. in MI. 79: GCS XI. 1 9 1 . 4 ff).
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eine lange Geschichte hinter sich hat. Es fragt sich somit, wo wir diese Deutung früher, wo vielleicht zum ersten Mal bezeugt finden. KyrilI, dessen Predigt zu Lk 18. 1 fr oben zusammengefaßt wurde, scheint Kenntnis dieser Deutung zu verraten; ja, man hat fast den Eindruck, er habe einen ähnlichen Text vor Augen oder doch im Kopf, wenn er, was das Gleichnis gar nicht nahelegt, ausdrücklich den Teufel als den Gerichtsgegner schlechthin bezeichnet. Daß er vom Teufel sagt. er pflanze uns die Samen aller SUnde ein, scheint auf eine Spur zu führen. der noch nachgegangen werden muß. Jedenfalls scheint jener Abschreiber, der das unechte Stück an die Kyrillpredigt angehängt hat, die innere Übereinstim mung zwischen beiden Texten erkannt und der von ihm vermißten Ausdrück lichkeit bei Kyrill auf seine Weise abgeholfen zu haben. Schaut man sich bei den Zeitgenossen oder Vorgängern des Kyrill um, dann stößt man auf die Geistlichen Homilien, die dem Mönchsvater Makarios von Ägypten (t um 390) zugeschrieben wurden' oder dem Simeon von Mesopota mien (t vor 4(0), einem SchUler der großen Kappadokier'. Ln Homilie 33 heißt es unter anderem: 2 . . . . ..Auch die Seele . . . soll sich mit ganzer Kraft anstrengen und sich sammeln mit aB ihren Gedanken und sich ganz der Erwartung Christi widmen . . . 3. Wehe der Seele. die nicht von ihrem schlimmen Fall aufsteht und nicht den guten Hausherm Christus als Bewohner bei sich aufnimmt. sondern bei ihrer Unreinigkeit bleibt und die in sich beherbergt. die sie beschwätzen und dazu zwingen, Feindschaft zu halten gegen ihren eigenen Bräutigam, und die ihre Gedanken von Christus weg verderben wollen (2 Kor 1 1 ,3). 4. Wenn aber der Herr sieht, daß sie sich sammelt, soviel sie kann, indem sie immer den Herrn sucht und Tag und Nacht auf ihn wartet und zu ihm ruft. wie er aufgetragen hat, unablässig zu beten ( 1 Thess 5. 17). und zwar in jedem Augenblick. dann wird er ihr Recht verschaffen (Lk 18.8). wie er es versprochen hat. indem er sie von der Unreinigkeit. die in ihr ist, reinigt und sie als untadelige und makellose Braut für sich selbst hinstellt (Eph 5.26)." Diese geistliche Homilie weist Ubcrraschende Ähnl ichkeiten mit jener wohl in Ägypten entstandenen christlich-gnostischen Schrift aus dem Kodex Il der Bibliothek von Nag Hammadi auf. die den Titel trägt: Exegese über die Seele. Hier seien jetzt nur Entsprechungen. unter Angabe der jeweils ersten Zeile, hervorgehoben: .,( 127. 19) Die Weisen. die vor uns waren. gaben der Seele einen weiblichen Namen. (22) Solange sie allein beim Vater war, war sie eine Jungfrau. I
Allerdings war von solchen Werken dieses Mönchsvaters im Altertum nichts bekannt. • Dieser Simeon, der in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts gelebl hat, gill als Begründer des Messalianismus, der Lehre der Euchilen, fUr die die euche (das Gebel) nicht nur Mittel punkt, sondern einzige Kraft des geistlichen Lebens war. Die Homilien sind aber wohl noch später entstanden, da sie am meisten von allen Vätern den KyrilI ...on AJeundrien (t 444) auswerten. Vgl. K.G. ßonis (Hrsg.), Pachomios, Qrsiesios, Theodoros Monachos, Makarios ho Aigyptios (ßKV 41), Athen 1970, 135. Der zil. Text in: Die SO Geistlichen Homilien des Ma.karios. Hrsg. u. erl. .... H. DOrries, E. KIOSlermann, M . Kröger: PTS 4 ( 1 964) 258f.
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(25) Als sie aber in den Körper herabfiel und in dieses Leben kam. da fiel sie i n die Hände vieler Räuber. (29) Einige nun fUgten ihr gewaltsam Schaden zu. andere aber überredeten sie . . . ; sie schändeten sie. (128, 3) Von dem. dem sie zugetan sein wird, glaubt sie, daß er ihr Gatte sei. ( 1 3) Sie aber betrügen sie eine lange Zeit . . . ( 16) Und am Ende von alledem verlassen sie sie und gehen. Sie aber wird eine arme Witwe, die keine Hilfe hat; sie hat auch kein Anhören in ihrem Leid . . . (26) Wenn aber der Vater. der oben im Himmel ist, sich nach ihr umsieht und auf sie herabblickt und sie sieht, wie sie . . . bereut . . . und wie sie beginnt, seinen Namen anzurufen. daß er ihr helfe . . . . ( 129, 3) dann wird er beschließen. sie würdig zu machen, daß er sich ihrer erbarme. ( 1 3 1 , 19) . . dann wird sich der Vater ihrer erbarmen . . . ( 1 32. 6) Aber da sie eine Frau ist und nicht allein Kinder zeugen kann, hat der Vater ihr vom Himmel ihren Mann gesandt, der ihr Bruder ist. der Erstgeborene. ( 1 35, 26) Der Vater aber ist ein guter Menschenfreund und erhört die Seele. die ihn anruft. ( 1 36. 14) Von jetzt an sollen sich dir nicht wieder nähern, die irreführen (Jes 30,20 LXX)."" Hier findet sich zwar nicht der Gedanke an einen Rechtsgegner. gegen den der Richter angerufen wird, aber die Seele erscheint als Witwe. die zwar zunächst von ihren Liebhabern verlassen wird. sich dann aber selbst von ihnen abwendet. Besonders auffallig ist. daß sie offensichtlich von sich aus zu Gott zu rufen beginnt. und Gon. wenn er sie rellet, auf ihr ausdauerndes Gebet hört. Während wir aber bei der geistlichen Predigt nicht einmal den Entstehungsort und bei der E)(egese über die Seele die Zeit nicht genau angeben können. gewinnen wir sichereren Stand bei dem bedeutenden ale)(andrinischen Exegeten und Theologen Didymos dem Blinden (t 398). In seinem großen Kommentar zum Propheten Sacharja legt er Vers 7 . 9 f (Haltet gerechtes Gericht, . . . unter drückt nicht die Witwen und Waisen . . . ) im Sinne sittlicher Weisung aus. wobei er außer all- und neutestamenllichen Parallelstellen (z. B. Dtn 1 . 1 7 und Jak 1,27) auch AristOleles zitiert, nämlich die Nikomachische Ethik (V, 4,7): ..Denn der Richter ist das lebendige Recht." Dann fährt er fort (Nr. 147 ff): "Gut ist es also und GOII gdällig. für die einzulreten. denen es so ergeht gemäß der Geschichte 1= im wörtlichen Sinn]. besonders aber gemäß der Hinaufführung [= im über.
10Gnostische und hermetische Schriften aus Codex 11 und Codex VI. Hrsg. Y. M. Krause. P. Labib: ADAI.K 2 ( 1 9 7 1 ) 68-87. Diese "Exegese über die Seele" ähnelt der Erkl:l.rung des Origcnes in homo in E,. 8, 3: sie scheint aber vor allem in drei Punkten mit der Geistlichen Homilie 33 ühcreinzustimmen. daß nlmlich die bösen Geister die Seele ( I ) beschwätzen (peithein. dieses griechische Wort steht sogar im koptischen Text). (2) zwingen oder Gewalt gegen sie Ubcn und (3) schänden bzw. ihre Gedanken "yerderben" wol.len: das Wort phtheirein. du die Homilie 33 im Anschluß an Paulus (2 Kor 1 1 . 3 ) verwendet. kann auch ganz einrach "schänden" bedeuten.
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tragenen Sinn1. 148. Gelobt wird eine Witwe im Sinne der übertragenen Betrach lung, welche den schlechten Mann, den sie hatte, verstoßen hat, der kein anderer ist als der Teufel oder irgendein anderer böser Geist. Ebenso ist gut eine Waise, für die gestorben ist der Vater, der sie im Sinne der Sünde gezeugt hat. Symbol dafür ist derjenige. der aus dem Hause seines Vaters weggeht, weil er von Gott gerufen wurde (vg1. Gen 12, I ) , und jene, zu der in den Psalmen gesagt wird: , Vergiß dein Volk und das Haus deines Vaters ' (Ps 44, 1 1), da er ja für dich schon gestorben. Seelen, die so verwitwet oder verwaist sind, führt der göttliche Bräutigam, der auch Vater ist, in die Höhe empor, gemäß dem Psalmwort über ihn: Die Waise und die Witwe wird er aufnehmen (ps 145,9); denn Vater der Waisen und Richter der Witwen ist er (Ps 67,6) . "11 Diesen Psalmvers selbst legt Didymos in seinem Psalmenkommentar (pG 39, 1444 A) so aus: ,,Er erfreut nämlich diejenigen, die von dem Satan gewaltsam beherrscht werden, indem er ihnen die Hilfe zeigt. Man muß sich also beeilen, den früheren Vater zu verlassen, der im Sinne der Schlechtigkeit gezeugt hat, und den gesetzwidrig zusammenlebenden Mann, damit wir als Vater Gott haben, der auch die göttlichen Samen in uns hineinsendet. .. Evagrios Pontikos (t um 400), Zeitgenosse des Didymos und wie dieser stark von Origenes beeinflußt, bemerkt zu Psalm 108,9 (LXX: Seine Kinder sollen zu Waisen werden und seine Frau zur Witwe): "Witwe ist die Seele, welche nicht Samen vom Teufel annimmt. " IZ Diese ganz knappe Form ist auf die verkürzende Überlieferung zurückzuführen, würde für sich allein also noch keine Vertrautheit mit dem Thema beweisen. Andererseits wird man annehmen dürfen, daß Evagri os mir der gleichen Selbstverständlichkeit diese übertragene Deutung vortrug, wie dies auch Didymos tat. Man wird also kaum umhinkönnen, hinter den Auslegungen des KyrilI, der Geistlichen Homilien, des Didymos, des Evagrios und vielleicht auch wenigstens z.T. der gnostischen Exegese über die Seele eine einzige Quelle anzunehmen, die in der "kuriosen" Auslegung von Lk 18,2-7 zu fassen ist, die Theophylakt überliefert. Diese seiher kann wohl, wenn die Origenisten Didymos und Evagrios sie so selbstveständlich zitieren, nur von Origenes stammen. Bevor aber jetzt nach ähnlichen Aussagen des Origenes selbst - seine Predigt zu Lk 1 8 , 2 ff ist verloren I ) , und auch in den erhaltenen Werken ist diese Lukasstelle kaum verwen det - gesucht wird, sei betont, daß dies keineswegs die einzige. ja nicht einmal die älteste Deutung des Gleichnisses von der Witwe und dem Richter ist.
11 Didyme r Aveugle, Sur Zacharie: SC 84, 490.
11 PO 12, l568CD; unter den Scholia des Origenes zu den Psalmen; stammt aber von Evagrios;
vgl. H.U. von Balthasar, Die Hiera des Evagrios. in: ZKTh 63 ( 1 939) 86--106. 18 1-206 und: MJ. Rondeau. Le commenlaire sur les psaumes d'Evagre le Pontique. in: OrChrP 26 ( 1 960) 307-348. Das Scholion siehl. ebenso wie Didymus. die Verbindung zwischen Seele und Teufel im Bild der sexuellen Vereinigung: die Exegcsc Uber die Seele nimmt das Bild wörtlich. KyriU hat es an der oben (vgl. Anm. 3) hervorgehobenen Stelle offenbar vom Sexuellen ins Botanische (Samen einpflanzen) Ubertragcn: ähnlich macht die lateinische übersetzung (PO 39. 1 1 43 A) aus den thdai gOflai des Didymus dOfla div;fla.
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fII. Hippolyt von Rom stellt in seinem Werk über den Antichrist eine große Zahl von SchriftstelIen zusammen. um ..die Abstammung, das Auftreten und die Vernich tung des Antichrist" zu beschreiben, und schildert dann (Nr.
55) dessen Tun: Er
werde das ganze ludenvolk aus der Zerstreuung sammeln, ihm die Rückgabe des Landes und die Wiederaufrichtung des Tempels versprechen. um von ihnen wie Gott angebetet zu werden. Dann wendet Hippolyt auf den Antichrist das Gleich nis vom Rebhuhn, das fremde lunge zu sich lockt,
an,
das sich bei Jeremia
(17, 1 1) findet: ,.Er lockt die Menschheit zu sich, weil er sich aneignen will, was ihm nicht gehört, indem er allen ein leeres Erlösungsversprechen macht, obwohl er sich selbst nicht retten kann." In Nr. 56 zieht Hippolyt das Gleichnis Lk 18.2 ff heran, um das Verhältnis von Antichrist, Juden und Christen zu beschreiben: "Dieser beginnt nun, nach dem er bei sich das Volk versammelt hat, welches immer Gott gegenUber ungehorsam war, die Heiligen zu verfolgen, da er von jenen angerufen wird, als seien diese ihre Feinde und Rechtsgegner, wie der Evangelist sagt: ,Es war ein Richter in einer Stadt, der Gott nicht fUrchtete und keinen Menschen scheute. Es war aber eine Witwe in jener Stadt, die ihn anrief und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Gegner! Der aber wollte eine Weile nicht; später aber dachte er: Wenn ich auch Gott nicht fürchte und keinen Menschen scheue, werde ich dieser Witwe doch Recht verschaffen. weil sie mir lästig fällt· (Lk 1 8 , 2-6).
57. Mit dem ungerechten Richter, der weder Galt fürchtet, noch einen Menschen scheut. meint er ohne Zweifel den Antichrist, welcher als Sohn des Teufels und Werkzeug des Satans, wenn er zur Herrschaft gelangt ist, sich gegen Galt erheben wird und so wahrhaftig weder Gott fürchtet noch den Sohn Goues, welcher der Richter aller ist, scheut. Die Witwe aber, die. wie er sagt. in der Stadt ist, bezeichnet Jerusalem selbst. welches wirkJich Witwe ist, da es von dem vollkommenen himmlischen Bräutigam verlassen wurde und nun bei einem sterblichen Menschen Recht sucht. als ob es von Christus Unrecht erlitten hätte; ihn nennt es seinen Rechtsgegner und nicht Heiland, weil es nicht das Wort des Propheten Jeremia verstanden hat: .Dafür, daß sie der Wahrheit nicht geglaubt haben. wird zu diesem Volk und zu Jerusalem dann ein Täuschungsgeist spre chen'
(Jer 4, 1 1 ).
Ähnlich sagt lesaja: ,Dieses Volk, weil sie nicht das ruhig
nießende Wasser des Siloam trinken wollen, haben sie vielmehr den Raasson, den König der Assyrer, über sich gebracht' (Jes 8,6 f LXX, verkürzt). König der Assyrer aber nennt er symbolisch den Antichrist, wie auch ein anderer Prophet
Il
Schon Hieronymus hat sie nicht mehr gekannt. Auch unter den zahlreichen in den Katenen erhaltenen Fragmenten findet sich keines zu Lk 1 8 , 2 ff. Diese Fragmente können auch aus den filnf Büchern Ober Lukas stammen, die wohl nur das lukanische Eigengut behandelten und nach dem Mauhäuskommentar verfaßt waren: sie sind als Ganzes verloren. V gl. P. Nautin. Origl:ne. Sa vie et son �uvre, Paris 1977, 253.376.
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sagt: ,Und dann wird mein Friede herrschen, wenn der Assyrer über euer Land kommt und auf eure Berge steigt' (Mi 5,4 f LXX, verkürzt). 58. Und Mose hat ebenso vorauserkannt, daß das Volk den wahren Heiland der Welt von sich stoßen und verwerfen, mit dem Irrtum aber gemeinsame Sache machen und sich einen irdischen König erwählen. den himmlischen aber ableh nen wird, und gesagt: ,Ist dies nicht bei mir eingesammelt und versiegelt in meinen Schätzen? Am Tag der Vergeltung werde ich heimzahlen und zu der Zeit, wenn ihr Fuß strauchelt' (Dtn 32,34 f). Sie sind also ganz gestrauchelt, da sie sich in keinem Punkt in Übereinstimmung mit der Wahrheit erweisen, weder im Sinn des Gesetzes, da sie es übertreten haben. noch im Sinn der Propheten, da sie auch die Propheten getötet haben, noch im Sinne des Wortes der Evangelien, da sie den Heiland selbst gekreuzigt haben, noch haben sie den Aposteln geglaubt, weil sie sie verfolgt haben; immer haben sie der Wahrheit nachgestellt und sie verraten, sich als Gottes Feinde und nicht als Gottes Freunde erwiesen; ja, sie ergreifen dann die Gelegenheit und erbitten sich ihr Recht von einem sterblichen Menschen, indem sie gegen die Knechte Gottes auftreten. Dieser (Mensch] beginnt dann, von ihnen hochmütig gemacht, Schriften gegen d.ie Heiligen auszusenden, man solle überall alle töten, die ihn nicht wie einen Gott verehren und anbeten wollen . . . " (GeS Hippolyt H, 37,6-39.5). Hippolyt sieht also in dem Richter eine ganz böse Gestalt, wie ja auch noch Theophylakt seine Schlechtigkeit hervorhebt. Verwunderlich ist eher die Deu tung der Witwe auf das Judenvolk; damit hat Hippolyt nicht nur keine Tradition begründet; diese Deutung verstößt wohl auch gegen den ursprünglichen Sinn des Gleichnisses. Wie immer man es auslegen mag. die ausdauernde Witwe wird als Vorbild hingestellt, dem man nacheifern soll. In ihr das Judenvolk zu sehen, welches dabei getadelt und bekämpft wird, ist wohl nicht weniger kurios als die Deutung des Richters auf Gott. Seide so verschiedenen Auslegungen haben dies gemeinsam - und dadurch kommen sie notwendig zur gewaltsamen Deutung der einen oder der anderen Gestalt des Gleichnisses -, daß sie die Parabel als Allegorie verstehen oder wenigstens so auslegen wollen!', sich also nicht damit begnügen, den entscheidenden Vergleichspunkt, die Sinnspitze, von der Bild ebene auf die gemeinte Sachebene zu proj izieren, sondern die ganze Erzählung Zug für Zug Ubertragen, also für jede Gestalt der Parabel eine Gestalt und ein Geschehen in der Heilsgeschichte ausfindig machen wollen. Spätere Exegese wird in der Gestalt der Witwe die Kirche sehen; Hilarius von Poitiers (t 367) etwa versteht, ohne freilich Lk 18,2-7 heranzuziehenlS, die 1 3 1 , 1 5 Vulgata) als die Wilwe von Ps 1 3 1 , 23 (altlateinische übersetzung =
L. Origcncs crk.lärt zwar ausdrücklich. "daß die Gleichnisse und die Vergleiche sich nicht auf alle Zuge ihrer Vergleichsgegenstll.nde beziehen Jassen. sondern nur auf einigc" (comm. in Mt. 10, 13), legt aber doch das Gleichnis vom Netz (Mt 13, 47-50) im selben Kapitel wie eine Allegorie aus (GCS X, 15, 1 3 ff, bes. 30ff). L' Augustinu5 aber beruft sich, weitere flinfzig Jahre später. ausdrücklich. um denselben Psalm vers zu deuten, auf Lk 18.2 fr (Enarr. in Ps. 1 3 1 , 23).
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Kirche, insofern sie aus der Synagoge hervorgegangen ist; weil das Gesetz aufgehört hat, ist die ehemalige Synagoge, die Witwe des Gesetzes, nun gesegnet als Kirche, als Braut Christi (Tractat zu Ps 1 3 1 cap. 24). Gewiß ist das etwa 150 Jahre später geschrieben. gewiß sind da Gedanken eingeflossen, deren Ursprung hier noch aufzuspüren ist, gewiß hat die Entwicklung des 4. Jahrhunderts ein ganz neues ekklesiologisches Interesse gezeitigt. aber man fragt sich doch, ob Hippolyt etwa die Gestalt der Kirche nicht als Aufgabe für die Exegese gesehen hat. Das hat er aber wohl, denn im unmittelbaren Anschluß an die oben wiedergegebene Auslegung bietet er eine ausführliche Beschreibung des im Meer der Welt schwimmenden Schiffes der Kirche (die übrigens gewaltsam genug an Jes 18, I anknüpft), und deutet danach die apokalyptische Frau (Offb 12, 1 -17) auf die verfolgte Kirche, wobei er das wohl auch später nicht überbo tene Lob der Kirche in die Worte faßt: ,,Die Kirche hört nie auf, den Logos aus ihrem Herzen zu gebären" (Alltiehr. 6 1 : GCS Hippolyt tI, 4 1 , 1 8 . 22). Daß es ihm aber nicht in den Sinn kam, die Witwe von Lk 1 8 , 2 ff als die Kirche zu verstehen, wird sich wohl aus seiner ganz traditionellen Haltung erklären lassen. die in einer Witwe nur die vom Schicksal Geschlagene sehen konnte, und aus seiner scharfen Frontstellung gegen die Juden, die durch bestimmte Umstä.nde der Christenverfolgung im römischen Reich bestärkt, wenn nicht gar begründet war. Im übrigen bewegt sich die Deutung des Hilarius doch in der Linie des Hippolyt, denn beide blicken auf die Gemeinde, die Großpcrson (Israel oder die Kirche), und auch für Hilarius ist die Kirche insofern Witwe, als sie mit der Synagoge identisch ist. Die Auslegung von Lk 18,2 ff aber, um die es hier geht und die durch die Kontraste erst verdeutlicht werden sollte, sieht in der Witwe die Seele und bewertet ihren Witwenstand als ein Freisein vom Bösen, das frühere Verheiratetsein dagegen als einen minderwer tigen, ja geradezu schlechten Zustand.
IV. Origenes hat diese Bewertung und dieses Verständnis von Witwenschaft vielfal tig zur Schilderung des Zustandes der Seele herangezogen. Das früheste Beispiel dUrfte sich in der Grundlagenschrift finden, wo er im Anschluß an die 2. Vision des Hermas (4,3: eine Frau namens Grapte soll den Witwen und Waisen das Buch vorlesen) die Unterscheidung zwischen dem buchstäblichen (leiblichen) Sinn, der Seele und dem Geist der Schrift zu machen versucht und dann erklärt: "Der bloße Buchstabe ermahnt die. welche in ihren Seelen noch Kinder sind und die sich Gott noch nicht als Vater zuschreiben können und die deshalb Waisen genannt werden; er ermahnt auch die Seelen, die nicht mehr mit dem ungesetz lichen Bräutigam Umgang haben. die aber verwitwet sind. weil sie noch nicht des (himmlischen) Bräutigams wllrdig sind" (prille. rv, 2,4. griechisch in der Philokalie erhalten)l'. Die Waisen scheinen hier von den Witwen verschieden zu sein; später sind das, wie sich schon in den Zitaten aus Didymos gezeigt hat. nur
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zwei Namen, zwei Betrachtungsweisen für ein und dieselbe Menschengruppe oder ein und denselben Seelenzustand. In der Grundlagenschrift sagt Origenes nicht, wer der ungesetzliche Bräuti gam ist, den verlassen zu haben schon ein Verdienst und die Voraussetzung für allen weiteren geistlichen Fortschritt darstellt. In einem der früheren Bücher des Johanneskommentars scheint Origenes sich deutlicher ausgesprochen zu haben. Jedenfalls erklärt er in Buch XlII, 8,48 - die Bücher 3-5, 7-9, l 1 und 12 sind bis auf Bruchstücke verloren - bei der Auslegung des Gespräches Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4, 16) : "Wir haben schon in der vorausge henden Auslegung gesagt, das über die Seele herrschende Gesetz, dem ein jeder sich selbst unterwirft. sei der Mann." Das versucht Origenes dann mit Hilfe eines Pauluszitates zu beweisen; er versteht nämlich in Röm 7. 2 (die verheiratete Frau ist an den lebenden Mann gebunden durch das Gesetz) den Dativ nomo nicht instrumental, sondern als eine Beifügung zu alldri, "als ob er sagen würde: . . . und der Mann ist das Gesetz". So gewinnt Origenes der von Jesus an die Samariterin gerichteten Aufforderung: "Geh und hol deinen Mann!" folgenden Sinn ab: " Wenn also Gesetz der Mann ist und die Samariterin einen Mann hat, da sie sich selbst in falscher Auslegung der gesunden Lehren einem Gesetz unterworfen hat. nach dem jeder der Anders[= lrr]gläubigen leben mag. dann will das göttliche Wort hier [erreichenl. daß die irrgläubige Seele das Gesetz, das über sie herrscht, [mit dem geistlichen Gesetz) vergleicht und so beschämt wird. daß sie es wie einen nicht rechtmäßigen Ehemann verachtet und einen anderen Mann sucht, um einem anderen anzugehören. nämlich dem Logos, der aus den Toten auferstehen wird, der nicht widerlegt wird und nicht sterben, sondern ewig bleiben wird und herrscht und alle Feinde unterwirft." Natürlich steht hinter dieser Deutung die antike Vorstellung, daß die Frau dem Mann unterworfen ist; anders könnte er nicht als ihr Gesetz verstanden werden, aber was Origenes meint, ließe sich auch im Bild der neuzeitlich-partnerschaft lichen Ehe darstellen: Eine Seele kann sich freiwillig so an eine Weltanschauung binden, wie sich zwei Menschen aneinander binden; das kann eine legitime Ehe sein. das kann aber auch ein Verhältnis sein, zu dessen Auflösung aufgefordert wird, weil der Partner. in diesem Fall der Irrglaube, der Seele schadet. Hier ist der geistige Vorgang einfach: Der Logos, der Christus, der zugleich die Offen barung ist, ruft eine in Irrtum verstrickte Seele zu sich, und sie folgt. Da aber in demselben Gespräch mit der Samariterin Jesus von deren fünf Ehemännern und dem einen weiteren Mann spricht, der nicht ihr rechtmäßiger Mann ist, die sie gewissermaßen alle verleugnet, fragt Origenes nach dem 16
Vgl. dazu: Der Kommentar zum Evangelium nach Mallhäus (siehe oben 23-90). H. Crouzel und M. Simonetti sagen (SC 269, 1 8 2 Anm. 37) zu dieser Stelle, der böse GaUe sei offensicht lich der Teufel. ehebrecherischer Gatte der Seele, die den einzigen rechtmäßigen GaUen, den Christus, verlassen hat. So kann Origenes die Seele und ihr Geschick sehen, wie sich in den nächsten Texten zeigen wird. Es ist aber nicht ausgemacht, daß er immer zuerst an eine Verbindung zwischen Seele und Christus denkt. Hier scheint es, wie an einigen anderen Stellen, eher die Geschichte der Seele im bösen Zustand beginnen zu Jassen.
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tieferen Sinn. d. h. danach, ob sich aus diesem Text etwas über das Voranschrei ten der Seele ablesen läßt, und findet da den ja nicht seltenen Fall angedeutet, daß der Weg zum Logos nicht geradlinig verläuft, sondern Umwege macht. ja daß das scheinbar Bessere und Höhere doch falsch sein kann: "Ich meine. daß jede Seele. die in die Gottesverehrung, die durch die Schriften in Christus [begründet ist], eingeführt wird und dabei mit den sinnenhaften und leiblichen Aussagen beginnt, die fünf Männer hat, wobei jeder der [fünD Empfindungen ein Mann entspricht; wenn aber jemand, nachdem er mit den sinnenhaften Dingen umgegangen ist, sich nun aufrichten mag und sich den geistigen Dingen zuwendet und dabei auf eine Lehre stößt, die unter dem Vorwand von Allegorie und geistlichen [Erklärungen] ungesund ist. der geht nach [dem Zusammenleben mit1 den fünf Männern zu einem anderen, indem er den fünf früheren sozusagen den Scheidebrief gibt und sich dafür entscheidet, mit dem sechsten zusammen zuleben. Und bis lesus irgendwann kommt und uns zum Bewußtsein bringt. was das für ein Mann ist, sind wir mit ihm zusammen; wenn dann aber der Herr, der " (Jo. XlII, Logos, kommt und mit uns spricht, verleugnen wir jenen Mann . . .
9, 5 1 . 52). Wenn man bedenkt, wieviel Mühe Origenes sich mit dem tieferen Sinn gibt, wie er sogar in dem Augenblick, da er diese Erklärung vorträgt, den Text des Johannesevangeliums allegorisiert, dann hat seine Warnung vor falscher Allego rese und vorgeblich geistlicher Deutung besonderes Gewicht. Natürlich hat cr nicht einfach seine Exegese für gute und berechtigte Allegorese, die der anderen für schlecht gehalten; vielmehr hat er immer seinen Freund Ambrosius im Blick, den er von der auslegungsfreudigen Gnosis zur Kirche bekehrt hatte und der ihm eine ganze Schreibstube zur Verfügung stellte, damit Origenes einen Johannes kommentar veröffentlichen, der Gnosis dieses Evangelium entwinden und so vielen den gleichen Dienst erweisen könnte. In einer Predigt zum Levitikus-Buch. die er wohl zu Anfang seiner Zeit in Caesarca gehalten hat17• äußert Origenes bei der Auslegung der Vorschrift für den Hohenpriester (Eine Witwe, eine Verstoßene oder eine Entehrte. eine Dirne. darf er nicht heiraten: Lcv 2 1 . 14) einen ähnlichen Gedanken: ..Warum Christus eine Dirne und eine verstoßene und befleckte Seele nicht zur Gattin nimmt. ist nicht schwer zu erklären; warum aber eine Witwe nicht genommen wird, muß man sorgfaltiger betrachten." Nach einem Verweis auf Röm 7. 1 ff im selben Sinn wie im 10hanneskommentar fahrt Origenes fort: ..Wenn es geschieht. daß das Gesetz für die Seele stirbt, daß die Seele also vom Gesetz weggeht, sich dann aber nicht durch die Zucht einer keuschen Ehe bindet. vom Gesetz weggeht, aber nicht das Joch der Lehre des Evangeliums auf sich nimmt. dann kann Christus diese [Seele] nicht heiraten. weil sie ungebundene Freiheit gesucht hat. nicht aber die Verehrung des jungfräulichen und einfachen Glaubens" (hom. in Lev. 12,5: GCS 6, 463,30ff).
17 So Nautin (5. Anm.
13) 389-409. bcs. 405.
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Auch die Dime deutet Origenes auf die Seele, deshalb sei auch dieser Gedanke hier wiedergegeben, weil er den Horizont erhellt, in dem sich die Auslegung der Witwe von Lk 18,2 ffbewegt: "Welche Seele ist eine Dirne? Die, welche Liebhaber bei sich aufnimmt . . . Wer sind diese Liebhaber . . . , wenn nicht die feindlichen Mächte und Dämonen, die nach ihrer Schönheit verlangen? . . . Sie hat das Bild und Gleichnis Gottes. Wenn nun die feindlichen Mächte diese Schönheit erblicken, der Teufel nämlich und seine Engel, begehren sie ihre Gestall. Und weil sie nicht ihr Bräutigam werden können, wollen sie Unzucht mit ihr treiben . . . Wenn du . . . die feindlichen Geister aufnimmst, die dich zum Sündigen verleiten. hat deine Seele mit ihnen Unzucht getrieben" (hom. in Lev. 12J GCS VI, 465, 20ft). Derselbe Gedanke wird auch in den Homilien zu Ezechiel mehrfach ausge· sprochen. z. B. 6, 1 1 ; 8, I ; 8.3. Dort erscheint das Wort Gottes als Mann der Seele, als Bräutigam und wahrhafter Liebhaber, der ihr gute Gaben, d. h. Tugen· den, gegeben hat. Wenn sie sich mit den feindlichen Mächten einläßt, ver· schwendet sie das Gut ihres Mannes an diese Liebhaber, so daß diese sogar prahlen können: "Ich habe ihre Kräfte für mich in Anspruch genommen; Gott hat all ihre guten Taten vergessen, . . . weil sie ihn vergessen hat, weil unsere Freundin uns die Geheimnisse erzählt hat, die sie gehört hatte, und uns all ihre Güter übertragen hat" (GCS VIII, 404,23 rf). Die Nähe zur Exegese über die Seele ist deutlich. Auch der Gedanke, daß die Seele zuvor einen himmlischen Bräutigam haue, ist dort angedeutet; Origenes scheint hier allerdings nicht an die gute Präexistenz der Seele zu denken, sondern an ein längeres christliches Leben, das nicht vor Fall in die Sünde bewahrt; er spricht nämlich von den guten Gaben des Mannes, welche die Seele tiber lange Zeit hin mit Mühe erworben hatte. Auch ein Fragment (Nr. 10) zu Jeremia ( 1 5 , 8 t) versteht die Witwe als "die Seelen der Gottlosen, die den Bräutigam Christus verloren haben" (GCS Ill,
202,2 f). Da ist aber, wie oft bei Fragmenten, mit verkürzenden Eingriffen der Traden· tcn zu rechnen, so daß nicht ganz sicher ist, daß Origenes immer zuerst den Logos als Mann der Seele sieht. Ja er kann sogar von ehelicher Verbindung zwischen der Seele und einem Engel sprechen, wenn ein Text. hier Num 30,3 ff. 7 ff, dazu Anlaß bietet. "Häufig haben wir gesagt. daß über die Seelen, die in der Kirche Gottes sind, die Engel Sorge und Aufsicht haben . . . Mir scheint also, daß auch an dieser Stelle geheimnisvoll . . . gezeigt wird, daß einige Seelen ihnen wie Töchter unterstellt sind, andere wie Gattinnen, gemäß der Unterschei· dung, die wir oben getroffen haben" (110m. i" Num. 24,3, ähnlich comm. i" Mt. 14,21). Diese Unterscheidung scheint der von Waisen und Witwen in der Grundla· genschrift zu entsprechen. Die Engel stehen auf jeden Fall im Dienst Christi, wie die feindlichen Mächte im Dienst des Teufels; so braucht nicht gefragt zu werden, ob der Teufel selbst oder einer seiner bösen Engel als Mann oder Liebhaber der Seele zu betrachten ist; daß aber eine Seele einem guten Engel
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wie eine Frau unterstellt ist, bedeutet. wie in derselben Numeripredigt verdeut· licht wird, einen unvollkommenen Zustand, über den sie hinausgelangen soll, um mit Christus selbst verbunden zu sein. "Bei den Gerechten und Auserwählten ist der Herr selbst"; .. Wir wollen uns beeilen, so dem Herrn [selbst] anzuhängen, daß wir mil ihm ein Geist sind ( I Kor 6, 17b)!"'1 So kann Origenes den Befehl im Hohenlied (2, 15), die Füchse zu fangen, als an die Engel. an die dem Bräutigam "freundlichen Mächte", gerichtet verstehen; sie sollen die "feindlichen Kräfte" überwinden, "welche den Seelen der Men· sehen nachstellen, damit sie nicht unter dem Vorwand, sie hätten verborgene Kenntnis zu bieten, die Anfänge ihres Glaubens und die Blüten ihrer Tugenden vernichten" (in cant. 1lI: GCS Vlll, 240, lOff; ähnlich schon 235, 1 7 ff). ln dieser Auslegung des HohenJiedes, in der Origenes nach dem Urteil des Hieronymus nicht nur alle übrigen Ausleger, sondern sich selbst übertraf. zeigt sich auch und das ist zu unterstreichen -, daß die Rede von der Ehe oder der Unzucht der Seele mit dem Teufel oder seinen Mächten nur ein Bild ist, das einige Bibclstel· len nahelegen, das aber durch andere Bilder ersetzt werden kann, daß also für Origenes die Seele nicht etwa ihrer Natur nach weiblich ist, wie die Exegese über die Seele mit Angabe anatomischer Einzelheiten daherfaselt". Dieselben bösen Mächte. die nach Ez 16.32ff unzüchtige Liebhaber, nach Hld 2 , 1 5 gefräßige Füchse sind. können auch in den Räubern gesehen werden, die den Menschen Adam, der vom Paradies Jerusalem in die Welt Jericho geht, überfal len und fast töten (hom. in u. 34: GCS IX, 190, 1 4 ff. griech.)20. Allerdings ist dem Origenes das Bild von der weiblichen Seele besonders lieb, weil sich darin nicht nur, spätere Brautmystik vorwegnehmend, die innige Nähe zwischen dem Menschen und seinem Heiland, sondern auch das sittliche Han· dein beschreiben läßt. Im Matthäuskommentar legt Origenes bei der Erörterung der Sadduzä.erfrage von Mt 22,23 ff (eine Frau hatte siehen Männer) die Bestim· mung der Leviratsehe von Dln 26,7 ff so aus: "Nach einer Erklärung scheint mir die Frau die Seele des Menschen zu sein, die zunächst mit dem Buchstaben des Gesetzes verheiratet war. aber keine Kinder gebar, zum zweiten Mal aber mil dem geisllichen Gesetz [verheiratet warl und von ihm fruchtbar wurde und gebar, sich aber durch das Kind nicht von der Verehrung für das für sie gestorbene Buchstabengesetz abwandte. Und vielleicht heiratet jede Seele, die selig sein wird und die übertragen Frau genannt wird. unbedingt im Sinne der Einführung zunächst den Buchstaben des Gesetzes, welches aber stirbt, wenn die Frau Seele voranschreitet, um der heiligeren und fruchtbaren Ehe teilhaftig "GCS Origenes VII, 232,8 . 1 3. Zu dem Ein-Geist-Werden, das Origenes gern christologisch verwendet. vgl. meinen Aufsatz "Ein·Geist-Sein ( I Kor 6. 17 b) in der Christologie des Origenes·· (unten 207-224). It Vor allem [27,22; 1 3 t,20-30 (vgt Anm. 10). 200a$ oben genannte Pseudo-Athanasianum (V&1. Anm. 7) bringt diese Erk[ärung fast wörtlich in Frage [5: allerdings sind jetzt die Räuber nicht mehr die bösen Mächte. die den Menschen von außen anfallen, sondern (eßlsprechend dem asketischen Interesse) ..die bösen Gedanken und die übertretung" (PG 28. 7 1 3 0).
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zu werden, in der sie ,durch Kindergebären gerettet wird' ( 1 Tim 2, 15), wenn die Kinder bleiben in Glaube und Liebe und Heilung mit Besonnenheit, wobei sie nicht gerettet wird vor dem Kindergebären oder unabhängig davon. Die Kinder aber dieser Frau Seele von dem zweiten Mann, dem geistlichen Gesetz, sind die ihm entsprechenden Werke (comm. in Mt. XVll, 3 1 : GCS X, 674, 14 ff). Origenes weiß aber und spricht es in diesem späten Werk, das in vieler Hinsicht sein letztes Wort darstellt, auch aus, daß auch im sittlichen Fortschritt. genau wie im Erkenntnisfortschritt, der im Johanneskommentar beim Gespräch Jesu mit der Samariterin dargestellt wurde, nicht nur geradlinige, friedliche Aufwärtsentwicklung geschieht. sondern daß es auch Irrwege, auch feindliche Macht gibt. Zum Vorwurf Jesu an die Juden. sie seien ein böses und ehebreche risches Geschlecht, sagt Origenes. nachdem er wieder das siebte Kapitel des Römerbriefes herangezogen hat: "Ganz allgemein ist also das Gesetz in den Gliedern, welches dem Gesetz des Geistes widerstreitet (antistrate'lOmenos), wie ein ehebrecherischer Mann Ehebruchsgenosse der Seele. Aber auch jede feindliche (alltikeimene) Macht, welche sich der menschlichen Seele bemächtigt und sich mit ihr vermischt, ist ihr Ehebruchsgenosse, da sie ja als Bräutigam, der ihr von Gott gegeben ist, den Logos hat" (comm. in MI. 12, 4: GeS x. 75, I ff), Hier sind wir wohl schon ganz in der Nähe der Auslegung von Lk 1 8 , 2 ff. die Origenes in seinen Homilien zu Lukas, die vor dem Matthäuskommentar gehal ten sind, oder in seinem kurzen Lukaskommentar, der wohl später geschrieben wurde, geboten haben mag. Freilich ist in allen Texten, die bis jetzt hier angeführt wurden, der Teufel noch nicht ausdrücklich als (Ehe-)Mann der Seele erschienen, nur als ihr Verführer. Aber Origenes kann ihn auch als Mann bezeichnen, zwar direkt nur als Mann der Großperson Synagoge, indirekt dann aber auch als Mann der Einzelseele. Im Matthäuskommentar ( 1 4, 19), wo die Pharisäerfrage, warum Moses gebo ten habe. den Scheidebrief auszustellen (Mt 19,30, behandelt wird. zieht Origenes die entsprechende Gesetzesbestimmung von Dtn 24,1-4 heran. wo es heißt, eine zum zweiten Mal entlassene Frau könne nicht zu ihrem ersten Mann zurOckkehren, und sieht in der Synagoge die Frau, an welcher der Mann etwas "Häßliches" gefunden hat; als sie rief: Kreuzige ihn!, sei das Häßliche hervor gebrochen, und so sei die Scheidung geschehen. "Es ging also die frOhere Frau, die nicht Gnade gefunden hat vor dem Mann, weil in ihr etwas Häßliches gefunden wurde, hinaus aus dem Haus des Mannes und gehörte einem anderen Mann, dem sie sich unterordnete, sei es, daß man den Räuber Barabas den Mann nennen muß. welcher bildlich der Teufel ist, sei es eine andere böse Macht" (GCS X, 3 3 1 , 30 ff) . So weit geht es um die Gesamtsynagoge; Origenes fahrt aber fort: .,Und bei einigen von jener Synagoge trat das erste ein, was im Gesetz geschrieben ist, bei anderen das zweite; denn der letzte Mann haßte die Frau . . . 20. Es gibt aber auch solche, denen es zustieß. daß der Mann [mit ihnen) zusammenwohnte und sie nicht haßte . . . da er ihre Gemeinschaft (synagoge) zur Frau nahm . . . .. (ebd. S. 332,7 ff). Was der Gemeinde zustößt, trifft ihre Glieder "
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(und umgekehrt); wenn der Teufel der Mann der Gemeinschaft ist, dann auch der einzelnen Seele. Origenes spricht dann weiter davon, wie Gott selber die Scheidung von dem zweiten Mann. dem Teufel, bewirkt, um am Ende Juden wie Heiden zu retten. So sei, um das Bild abzurunden, auch die eschatologische Aussage von Buch XVII, 33 des Mauhäuskommentars zitiert: "Also wird der Sohn des Königs bei der Auferstehung der Toten eine Hochzeit feiern, die anders ist als jede Hochzeit, die ein Auge sah oder ein Ohr hörte . . . , wo die beiden nicht mehr ein Fleisch sein werden (Gen 2,24; Mt 19, 6), sondern wo man mit mehr Recht sagen kann, daß ein Geist sind ( I Kor 6. 17 b) der Bräutigam und die Braut" (GCS X, 692,5 fl)".
v.
Da Didymos im Psalmenkommentar und in der Sacharjaauslegung u . wo er die Exegese von Lk 18,2 ff vorauszusetzen scheint. mit den Witwen, die sich von dem schlechten Mann getrennt haben. die Waisen verbindet, "für die der Vater gestorben ist, der sie im Sinne der Sünde gezeugt hat", sei auch die Quelle dieses Gedankens genannt. Origenes sagt zu Jer 1 1, 10 (Sie sind zurückgekehrt zu den Ungerechtigkeiten ihrer früheren Väter): .,Bevor wir zum Glauben kamen, waren wir Söhne des Teufels" und führt als Beweis dafür. daß wir zwei Väter haben. Ps 44, I 1 an (Vergiß dein Vaterhaus). den Didymos auch zitiert. Origenes sagt weiter: .,Der Teufel war früher unser Vater. bevor Gott unser Vater wurde. wenn denn jetzt der Teufel nicht mehr unser Vater ist . . . Wenn jeder, der die Sünde tut, aus dem Teufel gezeugt ist ( 1 Joh 1 . 5), werden wir gewissermaßen so oft aus dem Teufel gezeugt. wie wir sündigen. Unselig also ist der. der immer gezeugt wird aus dem Teufel, wie wiederum selig der immer aus Gott Gezeugte" (horn. ;" Jer. 9.4: GCS 111 [ ' 1983) 70.4fl). Didymos scheint auch den exegetischen Grund für die Deutung von Lk 18.2 ff, die wir Origenes zuschreiben möchten, anzugeben, wenn er bei der Auslegung von Sach 7,9 f Ps 67.6 zitiert. wo Gott als der Vater der Waisen und der (Recht verschaffende) Richter der Witwen bezeichnet wird. Im Anschluß an das Wort Jesu über den wohlunterrichteten Schriftgelehrten, der wie ein Haus herr aus seinem Schatze Neues und Altes hervorholt (Mt 1 3 , 52), stellt Origenes die exegetische Grundregel auf, daß es notwendig ist, "nicht nur die neuen Aussprüche der Evangelien und der Apostel und ihrer Offenbarung in unserem Herzen zu sammeln, sondern auch die alten des Gesetzes, welches ,den Schatten der zukünftigen Güter' (Hebr l O , l ) bietet. und der Propheten, die dementspre chend prophezeit haben. Das wird zusammengebracht, wenn wir lesen und erkennen und in Erinnerung daran Geistliches mit Geistlichem ( I Kor 3.2) zum rechten Zeitpunkt vergleichen. indem wir nicht Unvergleichbares miteinander 'L Vgl. Anm. 17. JlSiehe oben.
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vergleichen . . . So muß man diejenigen beschämen, die . . . von dem Alten das Neue abschneiden . . . (comm. in Mt. X, 15: GCS X, 18,32(0. Origenes besteht also darauf, zur Erklärung neutestamentlicher Texte auch Stellen des Alten Testamentes heranzuziehen, die " eine gewisse Ähnlichkeit des Ausdrucks" bieten und dieselben "Gedanken und Lehren" enthaltenu. Wenn er bei der Auslegung von Lk 18.2 ff dieser seiner Regel folgen wollte, konnte er nicht umhin, den Psalmvers, in dem Gott selbst als der Richter der Witwen bezeichnet wird (Ps 67,6 a), heranzuziehen, und war so geradezu genötigt, in dem Richter Gott selber zu sehen. Dies gilt freilich nur, wenn das Gleichnis wie eine Allegorie behandelt wird; aber alle Schriftkommentare des Origenes bewei sen, daß er trotz der von ihm selbst klar ausgesprochenen Eigenart des Gleich nissesu, d. h. seiner Verschiedenheit von einer Allegorie, doch alle Gleichnisse wie Allegorien ausleg!. Schließlich scheint unsere Parabelauslegung auch dadurch auf Origenes zu verweisen, daß sie die Eigenschaft des Richters, keinen Menschen zu scheuen, positiv deutet, in dem Sinn nämlich. daß vor ihm kein Ansehen der Person gilt. Die Forderung von Dtn 1 , 17, kein Ansehen der Person gelten zu lassen, zitiert Didymos ausdrücklich, wo er den Sacharja-Vers 7.9 (Haltet gerechtes Gericht) auslegt. Der Gedanke, daß GOll kein Ansehen der Person kennt (Röm 2. 1 1 ). scheint dem Origenes besonders lieb gewesen zu sein; er verbindet ihn mit dem anderen Pauluswort (Röm 9, 14), daß es bei Gott keine Ungerechtigkeit gibt (prillc. 1. 7,4), und begründet damit die anfänglich ganz gleichrangige Präexi stenz aller Seelen und die Erschaffung aller Geistwesen als völlig gleich (prillc. t, 8,4); ja, er erklärt sogar bei der Darlegung des Inkarnationsgeheimnisses, die Annahme gerade dieser menschlichen Seele durch den Logos sei nicht cum persollae acceptiolle geschehen (prillc. Il, 6,4). Dieser Gedanke also bestimmt seine gesamte Theologie (Gotteslehre im engeren Sinn), seine Kosmologie und Anthropologie, seine Christologie und Soteriologie. Er muß ihm wohl auch bei der Auslegung des Gleichnisses vom ,.Richtcrder Ungerechtigkeit" gegenwärtig gewesen sein. Freilich wird er wohl nicht so knapp und unbedenklich wie das dreifach erhaltene anonyme StOck exegesiert haben, sondern solche Auslegung unter Beiziehung anderer Bibelstellen nahegelegt haben, wie es auch sonst seine Art ist. Unwiderleglich beweisen läßt sich die Urheberschaft des Origenes rOr die ..kuriose" Exegese nicht, wohl aber wahrscheinlich machen. Es dürfte aber deutlich geworden sein, daß solche Auslegung keineswegs kurios ist. sondern von den Grundüberzeugungen des Origenes her voll verständlich wird: Die Seele jedes Menschen auf Erden ist zunächst in der Gewalt des Bösenlll (mit dem Teufel verheiratet); Gott aber verschafft ihr (nachdem sie sich aus eigener ..
J) Vgl. dazu meine Obersetzung (5. Anm. 16) S. 103 Anm. 32 (hier nicht abgedruckt).
Vgl. Anm. t4. uOu betont Origenes in: homo in Jtr. 8. I : GCS 111 (11983) S6.26rf und in: Cds. 3.62. l&
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Freiheit vom Teufel getrennt hat)/I6 Recht. indem er sie den Angriffen des Bösen entreißt.
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Das klingt pelagianisch oder doch wenigstens semipelagianisch: aber Origenes nennt (comm. in MI. 10, 1 1 : GCS X, 12,26) als Grund für unsere Gerechtigkeit "das Wort, das wir angenommen haben" , ist also darin mit Augustinus im Einklang. Vg!. meine übers. (s. Anm. 6) S. 99 Anm. 16 (hier nicht abgedruckt).
Die Lehre des Origenes von der Inspiration der Heiligen Schrift
Ein Vergleich zwischen der Grundlagenschrift und der Antwort auf Kelsos*
Die Erörterung des Wertes der Heiligen Schrift, daß sie nämlich göttlichen Ursprungs ist. beginnt Origenes im 4. Buch der Grundlagenschrift (princ. IV, 1 , 1 ) empirisch. d. h. von der Universalgeschichte her: Die Gesetzgeber und Weisheitslehrer - natürlich hauptsächlich die der Griechen - haben es nicht vermocht (ou dynamenoi). Menschen anderer Sprachen und Nationen zur Beob achtung ihrer Gesetze und zur Ü bernahme ihrer Lehren zu rufen; ja, sie haben dies gar nicht erst versucht. weil sie es mit Recht von vornherein für unmöglich (adynalon) hielten. Dies ist nun nicht nur ein Blick in den äußeren Geschichts verlauf, sondern da wird auch den Philosophen eine bestimmte Meinung unter· stellt. Es wäre aber auch denkbar, daß Origenes nicht nur unterstellt, sondern zitiert oder mindestens auf eine Äußerung Platos anspielt. Der sagt j a im Timaios (28 C 3-5), es sei unmöglich (adynaton), den Schöpfer und Vater des Alls, wenn man ihn denn selbst erkannt hat, allen bekannt zu machen. Daß nicht nur bei Juden (nämlich bei Josephus, Comra Apionem 2, 224) und bei Christen (nämlich bei Justin, 2. Apologie 10.6 f). sondern auch schon. und zwar offenbar frUher. bei heidnischen Philosophen (nämlich im Didaskalikos1) das platonische ady· natOIl stillschweigend in ein asphaIes (unsicher) abgeändert worden war1• konn le Origenes an dieser Stelle außer acht lassen; es zeigt aber, daß sich die Universalmission von Judentum und Christentum einer Universalisierung oder Demokratisierung des Bildungswesens Uberhaupt einfügt, die wohl hauptsäch lich auf die Stoa zurückgeht. welche ja als erste die Tugend für lehr- und lernbar erklärt hatte. Was also die (früheren) Philosophen und heidnischen Gesetzgeber für unmöglich hielten, das haben Mose und Christus vollbracht. nämlich bei Griechen und Barbaren unzählige Gefolgsleute gefunden, obwohl diese nicht nur ihre Überlieferungen verlassen mußten, sondern jetzt als Juden dem Haß. als Christen darüber hinaus noch Gefahren und dem Tod ausgesetzt sind. Daraus ergibt sich für Origenes, daß eine göttliche Macht am Werk war; die Geschichte erweist die Erfüllung der Verheißungen Jesu, ja sie zeigt, daß "wahrhaftig ein Gott Mensch geworden ist und den Menschen die Lehre des Heils Ubergeben •
Verkürzt vorgctragen beim 5. Origeocs-Colloquium im August 1989 in Boston. Werke. Ed. c.F. Hcrmann ( 1 853) 179, 31 er. I Plato 1 Vgl. J. Whittaker, Platonie Philosophy in thc Early Ccolurics of the Empire. in: ANRW 11. 36/1. 81-123, 105. _
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hat" (princ. IV, 1,2). Daß nun aber nicht etwa Judentum und Christentum gleichberechtigt nebeneinanderher missionieren. ergibt sich fOr Origenes einer seits aus dem Ende der jüdischen Eigenstaatlichkeit und andererseits aus der Menge der Neuchristen bei allen Völkern; sie zeigen, daß die wahre neue Heilszeit angebrochen ist (ebd. Nr. 3). Israels Ruhm hat also ein Ende gefunden; diese Beobachtung scheint dahinterzustehen, wenn Origenes I Kor 1, 26-29 antijüdisch versteht. Dort ist ja der Blick des Paulus nicht auf das Judentum, sondern auf die beeindruckende Umwelt der kleinen christlichen Gemeinde von Korinth gerichtet. Draußen gibt es Weise. Mächtige, Vornehme; in der Christen gemeinde kaum. So kann Paulus erklären, Gott habe gerade das, was nichts ist, erwählt, um das, was etwas ist (nämlich weise, mächtig und vornehm), zunichte zu machen, damit sich kein Fleisch vor Gott rühmen kann. Damit meint Paulus natürlich alle Menschen. insofern sie sterblich. vergängliCh, ganz und gar von Gott abhängig sind. Origenes aber behauptet. mit ..alles Fleisch" habe Paulus ..das Israel dem Fleische nach" (von I Kor 10, 18) gemeint. Damit wäre zu dem Argument aus der äußeren Geschichte auch ein biblisches Argument dafür gewonnen, daß nun die christliche Verkündigung nach dem Willen Gottes die jüdische abgelöst hat und daß die jüdische, wenn sie doch noch stallfindet. von Gott her nicht mehr legitimien ist. Dann verfolgt Origenes das Auftreten der Apostel in der Welt und kann darin die Erfüllung der auf Christus gerichteten Weissagungen erkennen. Origenes kann für das Auftreten der Apostel denselben Ausdruck wie für das Kommen Christi verwenden, nämlich epidemia, womit er wohl deutlich machen will, daß das Auftreten Jesu und das der Apostel eine Einheit bilden, die eine Wende der Heilsgeschichte darstellt. Origenes gibt sich aber gewissermaßen nicht damit zufrieden. die jüdische Verkündigung jetzt durch die christliche abgelöst, die alttestamentliche Offen barung durch die neutestamentliche überholt zu sehen. Vielmehr erklärt er grundsätzlich, und zwar sowohl in der Grundlagenschrift (IV, 2.5) als auch im Werk gegen Kelsos (1 .45), das Alte Testament werde erst durch das Neue autorisiert. Vor der Ankunft Christi habe man keine zwingenden Beweise (eilDr ge paradeigmata) dafür bringen können, daß die alten Schriften inspiriert sind; man hätte vielmehr vermuten können, sie stammten nicht von Gott. Die Ankunft Jesu aber hat dazu geführt, daß man erkennt, daß sie durch ..himmlische Gnade" aufgeschrieben sind; sie waten also immer schon göttlich inspiriert, werden es nicht erst durch das Kommen Christi. 1m Gesetz des Mose ist ein Licht enthalten (enyparcJwn), das aber durch die HüHe (kalymma) verdeckt war; es begann erst zusammen mit dem Kommen Christi zu strahlen (synelampse) (princ. IV, 1 , 6). Dabei geht es offensichtlich um die Qualität des alttestamentlichen Textes. nicht so sehr um die Inhalte, also um die berichteten Ereignisse. Diese faßt Origenes in dem ja viel später geschriebenen Werk gegen Ke)sos in den Blick. hält aber die gleiche Grundposition ein: Die Juden haben keinen Beweis (deixis) für Mose, die Christen dagegen haben Beweise (apodeixeis) für Jesus, und zwar aus dem Gesetz und den Propheten; diese Beweise für Christus aber beweisen
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dann rückwirkend, daß Mose und die Propheten wirkliche Propheten Gottes waren (Ce/s. 1 , 47). Man wird hier wohl keinen Unterschied zur Grundlagen schrift konstruieren dürfen, so als ob Origenes im Alter das Alte Testament geringer geschätzt und ihm nicht mehr ein schon immer innewohnendes Licht zugetraut hätte. Vielmehr erklärt er schon in Ce/so 1 . 36, man müsse zugeben, daß auch die Juden Propheten hatten; deren Aufgabe sei esja gewesen, die Juden "in den ihnen gegebenen Geselzen zu halten", damit sie dem Schöpfer glaubten und nicht etwa zum heidnischen Polytheismus überliefen. Diese Aufgabe haben die Propheten nach der Meinung des Origenes offenbar erfüllt. 1m folgenden Kap. 37 bekräftigt Origenes noch einmal. die Propheten hätten bei den Juden nicht nur allgemein. sondern auch in einzelnen Dingen geweissagt. z. B. über die Eselinnen. die Saul suchen mußte. Die großen Weissagungen aber scheint Origenes alle auf Christus und die Zeitenwende zu beziehen. Von einer Erfüllung innerhalb der Geschichte Israels, wie Salomo sie etwa in seinem Tempelweihe gebet lobt, hält Origenes offenbar nichts. Das bedeutet aber doch wohl, daß auch die schriftlich niedergelegten Mahnworte der Propheten schon vor der Ankunft Christi als Zeichen göttlicher Pädagogik. also als inspiriert erkennbar waren. Daß das Volk Israel schließlich beim Glauben an den einen Gott geblieben ist, ist dann eben doch ein Beweis, eine deixis fur Mose. In ähnlicher Weise scheint Origenes sich aber auch schon in der Grundlagen schrift zu widersprechen. Dort sagt er unmittelbar nach der Erklärung. erst die Ankunft Christi habe das Licht des Gesetzes aufleuchten lassen: "Wer mit Sorgfalt und Aufmerksamkeit an die Prophetenschriften herangeht, wird durch das bloße Lesen eine Spur von Begeisterung (oder: einen Eindruck von der Wirksamkeit Gottes: icllnos enlllousiasmou) empfangen und so über zeugt werden. daß die von uns für Gottes Wort gehaltenen Texte nicht [nur] Schriften von Menschen sind" (princ. IV, 1 , 6). Ähnlich heißt es später im Werk gegen Kelsos (6, 5), die schlichte Sprache der Schrift lasse den unvorein genommenen Leser in Begeisterung geraten (emhousiall). Da muß man doch fragen, ob diese Wirkung vom Text des Allen Testaments frUher nicht auf den Leser ausgehen konnte. Muß jemand, um diese Wirkung verspüren zu können, wissen, daß die Christen die Schrift für inspiriert halten? Wenn ein solches Wissen sozusagen als Vorbereitung, als Mahnung zur Aufmerksamkeit, nötig ist, dann müßte es doch genügt haben zu wissen. daß die Juden die Bibel für inspiriert halten! Zusammenfassend möchte ich festhalten, daß Origenes offenbar durch die Auseinandersetzung mit den Juden so geprägt war, daß er sein ganzes Leben hindurch - von der Grundlagenschrift bis zur Kelsos-Widerlegung - bei der Überzeugung geblieben ist, erst das Christusereignis lasse die alttestamentliche Offenbarung als solche erkennen, obwohl er in einem gewissen Widerspruch dazu behauptet, das Alte Testament könne auch unmittelbar als inspiriert erkannt werden. Wie stark Origenes unter dem Einfluß des Gesprächs mit den Juden stand, läßt sich übrigens daran erkennen, daß er, als er in dem Werk des Kelsos auf von einem Juden vorgetragene Argumente gegen das Christentum stieß (vgl.
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Cels. 1, 28), sich entschloß, seine Widerlegungsmethode zu ändern und dies durch ein nun erst verfaßtes Vorwort zu rechtfertigen. Man könnte vielleicht sogar den eben genannten Widerspruch noch stärker herausstreichen, wenn man in dem Werk gegen Kelsos (2. 4) liest. für die Christen geschehe die Einführung in den Glauben auf der Grundlage des Mose und der Propheten. Denn dann ist ja doch das Alte Testament als solches schon als Hinführung zu Christus verständlich. Der Fortschritt (im Glauben. in der Frömmigkeit) geschehe da durch. fuhrt Origenes fOft. daß man das Alte Testament erklärt und verdeutlicht. indem man das verborgene Geheimnis sucht; diese (christlichen) Voranschrei tenden erwiesen dem Gesetz sogar noch größere Ehre. indem sie die Tiefe der darin enthaltenen Weisheit zeigen. welche den an der Oberfläche haftenden Juden verborgen bleibt (ebd.). In dieser Hinsicht ist Origenes sich wiederum treu geblieben. denn sachlich besteht wohl zwischen der EnthUllung der verborgenen Weisheit und dem Aufstrahlenlassen des im Gesetz enthaltenen Lichtes (princ. IV, 1,6) kein Unterschied. Und wo Origenes auf die Paulus-Briefe und die Evangelien zu sprechen kommt. wird die Ähnlichkeit zur früheren Meinung noch deutlicher. Wer die Absicht des Paulus zu erfassen versuche. müsse den Geist dieses Mannes bewundern. weil er große Dinge in einfacher Alltagsspra che (idiotike /exis) sagt; wer Paulus nicht bewundere. mache sich geradezu Iä.cherlich (Ce/s. 3, 20). Man erfährt also auch bei Paulus ..eine Spur von Begeisterung" (vgl. princ. IV, 1.6). Irgendwie überzeugt also die Bibel selbst, weist sich selbst als inspiriert aus. Man kann aus den Evangelien die Ehrfurcht und die Gesinnung der Verfasser vermutungsweise erfassen. Das hätte sogar Kelsos können mUssen; Origenes wirft ihm nämlich vor (Ce/s. 3. 74), daß er weder den Sinn der Evangelien geprüft hat, noch in ihre Aussageabsicht einzu dringen versucht. Schließlich kann Origenes ganz allgemein erklären (Ce/s. 4, 53), aus den biblischen Texten lasse sich die Absicht, die Gesinnung und die Einstellung der Verfasser vermutungsweise erfassen (stochazomai), wobei die ses Verb ja nicht ein willkürliches Vermuten. sondern eine begründete Weise des Erfassens bedeutet. Sowohl in der Grundlagenschrift als auch in der Antwort auf Kelsos geht Origenes also von der Erfahrung aus, von der allgemeinen Geschich te wie vom Erlebnis des einzelnen; er behandelt die Inspiration induktiv apolo getisch. also nach der Weise der Fundamentaltheologie, nicht der Dogmatik. Das war im Werk gegen Kelsos so zu erwarten. In der Grundlagenschrift aber, die ja meist für die erste christliche Dogmatik gehalten wird, hätte man es sich anders denken können. Daß Origenes auch damals schon so apologetisch verfuhr. sollte zur Beurteilung dieser Frühschrift berücksichtigt werden. Origenes findet sich (priflc. IV, 3.5) damit ab, daß es unmöglich ist, den geschlossenen Sinnzusammenhang der Bibel auf der Ebene des Wortsinnes darzustellen; auf der Ebene des eigentlichen (proegoumenos) Sinnes sei dies aber sehr wohl möglich; man könne den ganzen Sinn der Schrift erfassen, indem man die im wörtlichen Sinn unmöglichen oder sinnlosen Stellen mit Hilfe anderer unmittelbar verständlicher Stellen. die ähnliche Ausdrücke oder Gedan ken aufweisen, allegorisiert und dann auch die wörtlich sinnvollen Stellen
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entsprechend übertragen deutet. Origenes tlbernimmt aber die Überzeugung von der doppelten Sinnebene nicht einfach aus der geistigen Umwelt, sondern beruft sieb auf die Rede des Apostels Paulus vom ..Israel dem Fleische nach" ( 1 Kor 10,18); daraus ergebe sich, daß es auch ein Israel dem Geiste nach geben muß. Bestätigt wird dieser Schluß durch Röm 2,28, wo ausdrücklich dem ,,Juden in der Öffentlichkeit" ein ,.Jude im Verborgenen" gegenübergestellt wird. Damit ist für Origenes in der Grundlagenschrift ein für allemal die Übertragung aller Aussagen, die kata sarka oder eil phanero in der Bibel gemacht sind, auf eine höhere Ebene freigegeben, ja angeregt; im ganzen Werk gegen Kelsos dagegen zitiert Origenes weder 1 Kor 10, 18 noch Röm 2,28. Daß man darin eine geistige Entwicklung sehen kann, wird durch eine andere Beobachtung bestätigt. In der Grundlagenschrift (IV, 2,6) begründet Origenes die Lehre von der geistlichen Auslegung der Bibel durch Stellen wie 1 Kor 10, 1 1 (das ist typisch geschehen), Gal 4,24 (das ist allegorisch gesagt), Kol 2, 16 (Schatten der kommenden Dinge) und Hebr lO, 1 (Schatten der kommenden Güter), also vorzugsweise durch SteUen, die den Gegensatz von Jetzt und Dereinst herausstellen, d.h. im zeitlich eschatologischen Schema reden. Dane ben aber verwendet Origenes auch Hebr 8, 5a (Abbild und Schatten der himm lischen Dinge) und Hebr 8,5b (Vorbild, das auf dem Berg gezeigt wurde), wo also nicht im eschatologischen Schema, sondern im räumlichen ,.Hier unten Dort oben" gesprochen wird. Im ganzen Werk gegen Kelsos taucht Hebr 8, Sb Ex 25,40 nicht mehr auf, und der "Schauen" von Hebr 8,5a wird sofort durch Ko1 2, 1 6 eschatologisiert (Cels. 2,2). In der Grundlagenschrift ([V. 2. 1 . 2) führt Origenes breit aus, wie sich Juden, Häretiker und einfältige Christen ober Gott täuschen, weil sie dem Wortlaut folgen, statt die Bibel geistlich zu verstehen; so verfallen sie in Falschmeinun gen. Irrlehren und unangemessene Reden. Im Werk gegen Kelsos ( I , 42) faßt Origenes djes knapp so zusammen: "Wer sich ungetäuscht (anexapalelos) bewahren will. wird genau unterscheiden. welchen Aussagen er (einfach sol zustimmen und welche er übertragen verstehen will." Letzteres hält Origenes dann für möglich. aber auch geboten, wenn man einen Zugang (eisodos) in die Absicht des Verfassers findet. Das sagt Origenes zwar zunächst im Blick auf die heidnisch-griechische Literatur, erklärt es dann aber als eine Vorbemerkung fUr die "ganze Geschichte Jesu, wie sie in den Evangelien berichtet wird". Also kann auch die Bibel, kann auch das Evangelium "täuschen"; Juden, Häretiker und einfältige Christen wurden so getäuscht. In der Grundlagenschrift (IV. 2,5) sieht Origenes in den Wasserkrügen von Joh 2,6, die je "zwei oder drei Maß" fassen, einen Hinweis darauf, daß nicht alle Schriftstellen den dreifachen Sinn enthalten, sondern manche nur den zweifachen. Immer seien der psychische und der pneumatische Logos im Text enthalten. manchmal aber kein somatischer. Im Werk gegen Kelsos taucht Joh 2,6 nicht mehr auf; auch die Frage, ob es einen zweifachen oder dreifachen Schriftsinn gibt, wird nicht mehr erörtert. sondern nur noch von doppeltem Sinn gesprochen. Das Vertrauen in die Bibel, nämlich in die Allgegenwart des =
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inspirierenden Geistes, hat Origenes sich aber bewahrt. Er vergleicht es selbst (princ. IV, 1,7) mit dem Vertrauen der Gläubigen in die Allwirksamkeit der göttlichen Vorsehung; diese sei in den Ereignissen auf Erden, vor allem in den menschlichen Widerfahmissen. nicht so leicht zu erkennen wie an Sonne und Mond und an den Seelen und Leibern der Tiere. Warum vergleicht Origenes die Schriftinspiration mit der uneingeschränkten Vorsehung? Diese wurde nach der Auffassung der Zeitgenossen des Origenes nicht nur von den Aristotelikern, sondern auch von den Gnostikern geleugnet (so jedenfalls princ. H, 9.5.6). Man konnte also gewissermaßen für die Verteidigung der vollen Inspiration den Kampf gegen Aristoteliker und Gnostiker ausnutzen. Daß Origenes Vorsehung und Inspiration so eng zusammenbringt. hat aber auch einen sachlichen Grund, der im Werk gegen Kelsos deutlich hervortritt: Die Vorsehung ist nicht eine mechanische allgemeine Weltverwahung, die dann auch den Menschen erfaßt, sondern ihre Absicht ist es . ..den Menschen zu helfen" (Ce/s. 3, 28). Das gilt so sehr, daß man daran die Echtheit von Offenbarungen oder Wundern prüfen kann; wenn sich nicht erkennen läßt, wie die Vorsehung der Menschheit damit nUtzen wollte, sind Zweifel an den Berichten angebracht. Schließlich ist in den Augen des Origenes in der Vorsehung die gleiche Herab lassung Gottes wirksam wie in der oikollomia, welche ja die Inkarnation mitum faßt: "ln seinem Wesen unverändert bleibend, läßt er sich durch Vorsehung und Heilshandeln zu den menschlichen Verhältnissen herab" (Ce/s. 4, 14). In der Grundlagenschrift (IV, 2,4) sieht Origenes eine Entsprechung zwi schen den drei Sinnebenen, also dem Leib, der Seele und dem Geist der Schrift und den drei Vollkommenheitsstufen der Hörer. den Einfältigen, den ein wenig Aufgestiegenen und den Vollkommenen. In der Schrift gegen Kelsos (4, 16) unterscheidet er fünf Stufen auf dem Weg zur vollen Erkenntnis, nämlich 1 . die, die eben eingeführt werden, 2. die ein wenig vorangeschrinen sind. 3. die weiter vorangeschritten sind. 4. die schon nahe an die Tugend herangekommen sind und 5. die zur Tugend gelangt sind. Diesen fünf Erkenntnisstufen entsprechen ebenso viele Gestalten des Logos. Damit wird zwar gegen die Behauptung des Kelsos, die Christen glaubten an einen Gestaltwandel Gottes, Front gemacht, aber Origenes hätte. wenn ihm das ein Anliegen gewesen wäre. im Zusammen hang mit den Gestalten des Logos sozusagen unweigerlich auf die Sinnebenen der Schrift zu sprechen kommen müssen. Er macht jedoch keinerlei Versuch. fünf entsprechende Schriftsinne zu entdecken. Nun könnte man sagen, er sei ja auf drei Sinnebenen festgelegt gewesen; aber schon zwei Kapitel weiter (Ce/s. 4. 18) bietet Origenes wieder eine Dreistufeneinteilung: Für die Kinder ist der Logos Milch (vgl. 1 Petr 2,2), für die Schwachen ist er Gemüse ( Krankenkost nach Röm 14,2), für die Starken und Vollkommenen ist er feste Speise (nach Hebr 5, 12. 14). Da gibt Origenes nicht den geringsten Hinweis auf die alte Einteilung der drei Schriftsinne, obwohl sie sich hier erst recht nahegelegt hätte. Diese Einteilung scheint rur ihn also ein fUr allemal überholt zu sein. Wenn man den Gedanken, der Logos erscheine jedem in der Gestalt. in der er ihn einerseits nötig hat. ihn andererseits aufnehmen kann, ernst nimmt, ergibt sich daraus, daß =
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die Heilige Schrift jedem, der sie ernsthaft befragt, das antwortet, was er nötig hat. Ebenso viele unterschiedliche Sinngehalte aber von vornherein im Text der Schrift enthalten zu sehen, wird wohl niemandem in den Sinn kommen. Ober· haupt ist die Vorstellung von verschiedenen Bedeutungen, die von vornherein in die Schrift hineingelegt sind. eine sehr dingliche, ja geradezu mechanische. Da wird die Schrift zur Schatztruhe, aus der man herausholt, was drinliegt. Auch die noch weiter verfeinerte Unterscheidung vorgegebener Schriftsinne, wie das Mittelalter sie ausgebaut hat. geht weiter auf diesem mechanistischen Irrweg. Durch den Gedanken von den verschiedenen Gestalten, die der Logos annimmt. eröffnet Origenes grundsätzlich einen neuen Weg, nämlich zu einem dynami· sehen Verständnis des Schriftsinnes, welcher nicht ein für allemal mechanisch in der Schatztruhe liegt, sondern durch Interaktion von Bibelwort und Leser oder Hörer zustande kommt. Die Bibel spricht "häufig im seiben Wortlaut zu den Geistlichen" (vgl. I Kor 2. 1 3), zu den "Schwächeren" und zu den "Bewander teren" (die aber vielleicht mit den Geistlichen identisch sind, so daß nur zwei Gruppen unterschieden würden) (Cels. 4, 7 1) . Dies entdeckt man, wenn man das, was geistlich genannt wird, den Geistlichen anvertrauen will (synkrinein nach 1 Kor 2, 13). Man entdeckt also den für die Schwächeren geeigneten Sinn, wenn man die geistliche Auslegung für die geistlich gesinnten Hörer sucht, nicht umgekehrt. Aber es bedarf nicht eines Lehrers; vielmehr werden alle, die fähig sind (dYllamenoi), selbst das bearbeiten (epergazomai). was eine Bibelstelle enthält, die ihnen einfach in der Weise der Erzählung (historia) präsentiert werden kann (Cels. 5, 29). Nicht um das Aufspüren eines schon fertig in der Schrift liegenden Sinnes also geht es, sondern um das Erarbeiten einer Bedeu tung, die offenbar erst durch solche eigene Arbeit voll zustande kommt. Der verständige Bibelleser ist also wie einer, der den Boden bearbeitet und daraus Frucht erntet. Was als Erzählung (mythikolerorl) vorgetragen wurde. verwandelt sich für die, welche den Logos darin suchen, in die Wahrheit, die Unverhülltheit (alelheia : Cels. 4, 42). Freilich ist dies nicht durch bloße Anstrengung des Bibellesers oder -auslegers zu erreichen: das Wort der Schrift ist, auch wenn es noch so wahr und glaubwürdig ist, nicht ausreichend (autarkes); hinzu kommen muß die Kraft und Gnade (dynamis kai clzaris) Gaues (Cels. 6, 2). Das hängt damit zusammen, daß auch der inkarnierte Logos keineswegs leicht erkennbar ist (Ce/s. 6, 69). Und doch gilt, daß nichts Gutes je getan wird, ohne daß der Logos in die Seele einwirkt (Ce/s. 6, 78). Diese klare Aussage des Origenes, die später als anti-pelagianisch zu bewerten ist, wenn sie auch ohne das Wort "Gnade" auskommt, gilt ganz allgemein, also auch für den Umgang mit der Heiligen Schrift; was da an Erkenntnis gewonnen wird, ist immer auch dem Logos zu verdanken; aber es wird Erkenntnis gewonnen. Deutlicher konnte wohl zur Zeit des Origenes nicht ausgesprochen werden, daß der Sinn der Bibel für jeden Leser und Hörer nicht ein für allemal vorliegt, sondern durch sein eigenes Mittun erst zustande kommt. Dies scheint mir das letzte Wort des Origenes zur Sache zu sein, welches aber bisher weitgehend übersehen wurde.
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Beobachtungen zum Johannes-Ko mmentar des Origenes
I. Der älteste Evangelienkommentar Während es seit gut 20 Jahren eine vollständige italienische Übersetzung des Johannes-Kommenlars des Origenes und aller erhaltenen Fragmente von Euge nio Corsini I gibt. besitzen wir im Deutschen nur die Auswahlübersetzung von Rolf Göglerl, die zwar einen guten Einblick in das Auslegungsverfahren und die wichtigsten Gedanken des Origenes gewährt, aber eben nicht alles bietel. Der lohannes-Kommentar ist der erste, den Origenes zu einem Evangelium geschrie ben hat; aber er ist gewissennaßen nicht aus freien StUcken an diese Arbeit herangegangen, sondern um einen lohannes-Kommentar des Gnostikers Herak leOD zu widerlegen. Es ist eine seltsame Tatsache der Kirchengeschichte, daß der erste Kommentar zu einem Evangelium nicht aus den Kreisen der orthodo xen Kirche kam, sondern von einem Gnostiker verfaßt wurde. Die Großkirche schien in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts eine befriedigende Unterwei sung nur für die einfacheren, wenig gebildeten Leute anzubieten. So suchten viele Gebildete eine mehr intellektuelle Lehre und eine geistlichere Auslegung der Heiligen Schrift bei den Gnostikern und meinten sie dort auch zu finden', wie etwa in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts Augustinus sich an die Manichäer hielt. Ein gewisser Ambrosius, ein gebildeter und reicher Mann, der eine Zeitlang Anhänger der Gnostiker gewesen war, fand einen Meister der geistlichen Schriftauslegung und der intellektuellen theologischen Unterwei sung. aber ga.nz im Sinne der Großkirche, in der Person des Origenes, so wie später Augustinus in Ambrosius, dem Bischof von Mailand. Ambrosius von Alexandrien war dem Origenes so dankbar rur seine Unterweisung, daß er ihm eine ganze Schreibstube zur Verfügung stellte. also Schnellschreiber, Rein schreiber und Schönschreiberinnen, Ober ein Dutzend Personen, um ihm die
I Commento al
Vangelo di Giovanni di Origene. A cura di E. Corsini: CdF 3 ( 1 968) 972. S. Corsini Ubersetzt den von E. Preuschen 1903 in GCS Origenes 4 kritiscb edierten Tex!. Diese Ausgabe bietet zum ersten Mal die Einteilung in kurze Paragraphen. die auch hier fUr die Zilation angegeben werden. l Origenes. Das Evangel.ium nach Johannes. übers. und eingef. v. R. Gögler: MKZU . NS4 ( 1 959). Eine englische Übersetzung, die aber nur die BUcher 1-5, 6 und 1 0 umfaBt, findet sich in: Ante-Nicene Fatben. Original Supplement to the American Edition. Ed. A. Menzies. Michigan 1974. In Französiscb liegen inzwiscben in den Bänden 120, 157, 222, 290 der Sources Chretiennes, erschienen 1966, 1970, 1915 und 1982, in der Übersetzung von C. Blanc die BUcher 1-5, 6 und 10. 13 und 1 8 und 20 vor. ) Vgl. etwa P. Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jabrhundcrten. Unter suchungen zur S07.ialgeschichte, TUbingen 1 ) 989. 251-268: Valeotinianer.
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Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
Möglichkeit zu geben, seine theologischen Einsichten und exegetischen Ergeb nisse zu veröffentlichen·, Diese zunächst großartige Möglichkeit wurde für Origenes zu einem harten Zwang, mußte er doch diese ganze Mannschaft ständig beschäftigen; manche vermeidbar erscheinende Länge oder Abschweifung in seinen Werken mag sich so erklären. Ambrosius aber drängte deshalb so sehr, weil er die große Anziehungskraft kannte, die gnostische Schriften auf Gebildete ausübten, und allen das anbieten wollte. was für ihn selbst das wirksame Heilmittel gegen die gnostische Versuchung gewesen war, nämlich die Theolo gie des Origenes. Die Arbeit, die Origenes hier leisten sollte und wollte, nämlich die Kommen tierung des Johannes-Evangeliums, war also eine kirchlich-religiöse und mis sionarische; das muß man immer im Blick behalten. Aber diese Arbeit war nicht frei gewählt; Origenes konnte nicht selbst entscheiden, wo er beginnen wollte. Das Evangelium, welches man das am meisten kirchliche genannt hat und das auch in der frUhen Kirche am häufigsten zitiert und kommentiert wurde, ist das nach Matthäus. Man weiß nicht, ob Origenes, wenn er ganz frei hättc wählen können, nicht seine Evangelienexegese mit Matthäus begonnen hätte. Aber er mußte eine Antwort auf das Werk des Gnostikers Herakleon geben, und deswe gen hat er mit dem Johannes-Evangeiium begonnen. Später hat er Predigten zum Lukas-Evangelium gehalten, von denen noch 39 in der lateinischen Übersetzung des Hieronymus und zahlreiche Fragmente erhalten sinds, die aber vielleicht von einem fortlaufenden Kommentar stammen, von dem jedoch kein einziges voll ständiges Kapitel auf uns gekommen ist. Das Matthäus-Evangelium hat Orige nes gegen Ende seines Lebens vollständig ausgelegt, aber griechisch besitzen wir heute nur die BUchcr 10-17, die von Mt 13.36 bis 22,33 reichen, sodann eine alte anonyme lateinische Übersetzung, die mit Mt 16. 1 3 einsetzt und bis Mt 27,66 geht'. Es ist uns also nicht der ganze Text erhalten. aber das Erhaltene bildet einen ununterbrochenen Zusammenhang. Mit dem Johannes-Kommentar des Origenes verhält es sich ganz anders. Während im Matthäus-Kommenrar die Anfänge der (acht erhaltenen) Bücher mit Kapirelanfängen des Evangelientextes zusammenfallen. ohne daß Origenes von Anfang oder Ende eines Buches spräche, bezeichnet er im Johannes-Kom mentar normalerweise das Ende eines Buches, eines lomos also, wie er sagt. So heißt es z. B . am Ende von Buch 10: "Hier machen wir Schluß mit dem Buch 10, da es schon einen ausreichenden Umfang hat", oder am Ende von Buch 20: "Aber an dieser Stelle machen wir, weil das Buch 20 schon einen ausreichenden Umfang hat, Schluß mit unseren Überlegungen, um sie mit Hilfe der göttlichen Offenbarung weiterzuführen im Blick auf das, was folgt . . . " Dieselbe Formu-
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Vgl. Euseb. h.l!. 6, 18, I und 6. 23, 1.2. ' Ausgabe: OCS Origenes 9. Hrsg. v. M. Rauer, Berlin 11959 . igenes. • Kritischer Text: GCS X. Hrsg. v. E. Klostermann, Berlin 1935: dt. übersetzung: Or Der Kommentar zum Evangelium nach Matläus. Einge!.. übers. und mi t Anm. vers. v. HJ. VOgl, 3 Bde. (BOL 18. 30.38). Stuugart 1983. 1990. 1993.
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lierung findet sich am Ende von Buch 28 und Buch 32. Am Ende von Buch 13 sagt er wenigstens: "Im folgenden Buch werden wir das behandeln, was Jesus in Jerusalem am Fest der Juden gesagt und getan hat". Das 1 . Buch endet so: Und dies soll nun genügen zur Erklärung des Verses: Im Anfang war der " Logos!" Und das 2. Buch beginnt so: Nachdem wir im vorausgegangenen Teil hinlänglich die Frage behandelt haben . . . , was ein Evangelium ist und welches der Anfang ist, in dem der Logos war, schicken wir uns nun an, heiliger Bruder Ambrosius. im Zusammenhang zu untersuchen, inwiefern der Logos bei Gou war." Wo sich keine derartige Bemerkung findet, darf man annehmen, daß ein Textstilck verlorengegangen ist. Die interessanteste Einführung haben wir im Buch 6; die Auslegung von Joh 1 , 19 beginnt Origenes erst im 3. Kapitel; zuvor spricht er von den Grundlagen, die jedes Gebäude haben muß, danach von dem Sturm, der gegen ihn in Alexandrien entfesselt worden war, und dann von seinem Weggang von Alexan drien; er habe den Anfang des 6. Buches, den er schon in Alexandrien diktiert haue, dort zurilekgelassen und beginne deshalb dieses Buch von neuern. Durch die da erwähnten Ereignisse erklärt sich vielleicht der Verlust der Bücher 3-5; aber es fehlen auch die Bücher 7 und 8. 1 1 und 12, 14-17, 19, 2 1-27 und 29-3 1 . Erhalten sind uns nur die Bücher 1 und 2, Bruchstücke von Buch 5 und dann wieder die Bücher 6. 10, 13, 18. 20, 28 und 32. Mit diesem letzten Buch war Origenes bis zu Joh 1 3,33: "Wo ich hingehe, dorthin könnt ihr jetzt nicht kommen" gelangt. Es scheint, daß er den lohannes-Kommentar darüber hinaus nicht fortgesetzt hat; zu den weiteren Johannes-Kapiteln existieren nicht einmal Fragmente. Andererseits stimmen die 140 in byzantinischen, aus verschiedenen Autoren zusammengesetzten. sogenannten Kettenkommentaren (Katenen) er haltenen Fragmente zu den ersten 13 Johannes-Kapiteln nur in AusnahmefaJlen mit dem Text des Kommentars überein, wo er uns erhalten ist. Das ist kaum zu erklären; sollten die Katenisten so stark in den Text eingegriffen haben? Viel leicht haben sie entweder paraphrasiert oder knapp referiert. Wenn man bedenkt, daß die neun erhaltenen Bücher ungefähr 700 Druckseiten füllen. dann ergäbe der Gesamuext der 32 BUcher rund 2500 Seiten; dafür wUrde sich vielleicht kein Leser und noch viel weniger ein Herausgeber finden. Origenes widerlegt in seinem lohannes-Kommenlar, wie schon gesagt wurde, die gnostische Exegese des Herakleon; das letzte Fragment, das er von ihm zitiert. findet sich in Buch 20. 38. 358 und behandelt Joh 8.50: "Ich suche nicht meine Ehren; es ist aber einer. der sie sucht und richtet." Die Kapitel 39-44 von Buch 20, die sich mit Joh 8,5 1-53 befassen, bieten keine Zitate mehr aus dem Kommentar des Herakleon; entweder war er mit seinem Kommentar nicht weiter gekommen, oder es existiene zur Zeit des Origenes weiter kein Text von ihm. Die heiden letzten uns erhaltenen BUcher, nämlich 28 und 32, zeigen, wie schon Corsini hervorgehoben hat', größere Aufmerksamkeit fUr den wörtlichen ..
1 Corsini (5. Anm. 1) 92.
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Beobachtungen zum Johannes-Kornmentar des Origenes
Sinn des Evangeliums und betonen stärker die sich daraus ergebenden sittlichen Verpflichtungen. Corsini will den Grund dafUr entweder darin sehen, daß Origenes nun nicht mehr durch die gnostische Auslegung des Herakleon dazu herausgefordert war, diese geistig-geistlich zu Uberbieten, oder darin, daß On genes jetzt älter und daher geistig nicht mehr so beweglich gewesen sei, oder schließlich gar darin, daß ihm das Interesse an dieser sich schon zu lange hinziehenden Arbeit verlorengegangen sei. Ich meine, daß dieser Wandel im Stil und im Auslegungsverfahren nichts anderes ist als der Wandel, den Origenes selbst durchgemacht hat, nämlich vom alexandrinischen Professor zum Prediger und Meister des geistlichen Lebens, als welcher er in Caesarea in PaJästina, seinem neuen Wohn- und Arbeitssitz, hauptsächlich gefordert war. Davon wird noch zu reden sein.
11. Weisen der Schriftverwendung Statt sofort den ersten Johannes-Vers auszulegen, beginnt Origenes das 1 . Buch seines Kommentars mit Betrachtungen über das alte Volk Gottes und über die 144 000 Bezeichneten aus allen Stämmen Israels, von denen Offb 7,4ff spricht. Dann erklärt er, daß so, wie ein Stamm den priesterlichen Dienst versah, Gott also näher war als die Ubrigen und für diese Miulertätigkeit ausübte, auch heute die große Menge der Gläubigen auf diejenigen angewiesen ist, die Gott näher sind. weil sie sich nicht den Tätigkeiten des Lebens widmen. sondern nur dem göttlichen Logos. Daraus ergebe sich ein doppeltes Verständnis der Heiligen Schrift: ( I ) wie alle sie verstehen können und (2) wie sie von den geistlichen Menschen verstanden wird. Dabei handelt es sich nicht um den naturgegebenen Unterschied der intellektuellen Begabung, wie er dem gnostischen System zugrunde liegt, sondern um den Unterschied, der von der persönlichen Fröm migkeit und vor allem von der göttlichen Gnadengabe abhängt. "Wer nicht sein Haupt an die Brust Jesu gelehnt hat und von ihm nicht Mafia als seine Mutter erhalten hat. kann den tiefen Sinn der Schrift, vor allem des Johannes-Evange liums, nicht erfassen" ( 1 , 4,23). Origenes stimmt also mit den Gnostikern Uberein, daß es in dem heiligen Text einen tieferen Sinn gibt. Weil aber das Evangelium die Erstlingsgabe der ganzen Schrift ist, muß es in Übereinstim mung mit der Gesamtheit der Offenbarung und der kirchlichen Tradition ausge legt werden, wie Origenes schon in seiner Grundlagenschrift betont hauei. Wie im Neuen Testament nicht alles klar und offen ist rur alle, so sei auch im Alten Testament nicht alles dunkel und verhüllt gewesen für alle. ,.Auch vor dem Kommen des Christus im Leib gab es jenes verstandesmäßige (noeie) Kommen des Christus für die Vollkommeneren" (Jo. 1 . 7,37). Origenes ist überzeugt, daß die Patriarchen, Mose und die Propheten solche Vollkommene waren wie im Neuen Testament die Apostel. •
Vgl. princ. , praef 2 und IV, 1 , 6
u.ö.
Beobachtungen zum Johannes-Kommemar des Origenes
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Deshalb kann er sagen: "Wie es ein Gesetz gibt, welches den Schatten der zukünftigen Güter (Hebr 10, 1) enthält, die durch das im Sinne der Wahrheit verkündete Gesetz offenbar gemacht werden, so lehrt das Evangelium einen Schatten der Geheimnisse Christi, das Evangelium nämlich, von dem man meint, es werde von allen verstanden; jenes Evangelium aber, welches Johannes das ewige Evangelium nennt (Offb 14,6) und welches im richtigen Sinn geistlich genannt werden kann, stellt alle Dinge. die sich auf den Sohn Gottes beziehen, klar dar. d.h. die Geheimnisse, die in seinen Worten enthalten sind, und die Wirklichkeiten, von denen seine Handlungen rätselhafte Andeutungen sind" ( 1 , 7.39). In einer langen Anmerkung zu diesem Text bietet Corsini davon zwei verschiedene Auslegungen9• De Lubac findet darin eine trichotomische Abfolge, drei Stufen, drei Testamente, drei Paschafeiern, drei einander ablösende Völker: Israel, die Kirche, die Versammlung des Reiches, welche durch die drei Ausdrük ke "Schatten, Bild, Wirklichkeit" angezeigt wären '0. M . Harl hat dieser Deutung widersprochen; der Gegensatz zwischen dem Evangelium. das nur scheinbar von allen verstanden wird, und dem geistlichen Evangelium sei nicht ein zeitliches Aufeinanderfolgen, sondern bestehe gleichzeitig und bedeute nichts anderes als die Notwendigkeit, auch das Evangelium auszulegen'1. leh wUrde noch weitergehen: Auch dort, wo Origenes vom Gesetz als dem Schatten der zukünftigen Güter und vom wahren Gesetz, das diese Güter offenbar macht, spricht, haben wir nicht den Gegensatz zwischen Gegenwart und Zukunft, sondern den Gegensatz zwischen dunkler Andeutung und klarer Verkündigung der Güter, die in beiden Fällen zukünftig sind und bleiben. Auch für die Propheten blieben die Güter, die sie klar erkannten, zukünftig. Origenes bietet uns hier nicht einen kurzen Abriß der Heilsgeschichte, sondern eine Rechtfertigung fur die geistliche Auslegung des Evangeliums. Wie wir schon in seiner Grundlagenschrift lesen können, waren fast alle Glieder der Großkirche davon überzeugt. daß eine allegorische Auslegung des Alten Testamentes uner läßlich istll. Wer nicht wenigstens das Gesetz allegorisch auslegen wollte, mußte es entweder wörtlich befolgen wie die Juden oder es gänzlich für abgeschafft erklären wie die Gnostiker. Diesen Gnostikern, die eine geistliche Auslegung des Johannes-Evangeliums vorgelegt hauen, konnte Origenes nur mit einer ebenfalls geistlichen oder allegorischen Auslegung antworten. Die allegorische Auslegung war also die einzige Möglichkeit, gebildete und religiös interessierte Personen vor der gnostischen Verführung zu bewahren. Aber dies bedeutet natürlich nicht, daß die Übernahme dieser Auslegungsweise von seiten des Origenes eine List oder ein Trick gewesen wäre. Es war seine feste Überzeugung, daß im Text der ganzen Heiligen Schrift ein geistlicher Sinn verborgen ist, daß also allegorische Deutung möglich und notwendig ist. Aber diese Überzeugung 9
Corsini (s. Anm. I ) 128 Anm. 14. '0 H. de Lubae, Histoire et esprit. L·intelligencc dc I' Ecriturc d' apres Origl:nc, Paris 1 950, 2 1 7 rr. 1 1 M. Ha!l. Origl:Dc et la ronction rl!velatrice du Verbe incame: PalSor 2 ( 1 958) 144 ff. '� Vgl. princ. IV, 2,6 (13).
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Beobachtungen zum lohannes·Kommentar des Origenes
hatte Origenes nicht aus der platonischen Weitsicht übernommen, welche die Ideen als die eigentlichen Wirklichkeiten versteht, von denen die Erfahrungs· wirklichkeiten nur blasse und flüchtige Abbilder sind; diese Überzeugung des Origenes war vielmehr Frucht seiner Bibelkenntnis. Paulus spricht ja in Oal 4, 23 von den Dingen, die im Alten Testament per allegoriam dicta sunl, und lesus gibt im Matthäus·Evangelium eine Erklärung der Gleichnisse vom Sämann und vom Unkraut (Mt 13, 19 ff. 37 ff), also von Tex.ten des NT selbst. Das Kennen· lernen der platonischen Philosophie konnte und mußte freilich die aus der Bibel gewonnene Überzeugung verstärken. In dem Augenblick, wo Origenes sich entschlossen hatte, dem Wunsch seines Freundes und Schülers Ambrosius in der geschilderten Weise zu entsprechen, mußte er die christliche Öffentlichkeit der Großkirche davon überzeugen, daß er berechtigt war, dies zu tun, das heißt, daß auch das Evangelium allegorisch ausgelegt werden konnte und mußte. Auch im Matthäus·Kommentar (12, 3.4) spricht Origenes so ähnlich vom Gesetz wie im 10hannes-Kommentar I , 7,39ff, wie wir schon gesehen haben. Vor allem spricht er dort vom Zeichen. vom semeion. Er ermahnt den Leser, zuerst zu untersuchen, aufweIche Sache im Neuen Bund jedes Zeichen hinweist, weIches sich in der Alten Schrift findet, und an zweiter Stelle, worauf das hinweist, was im Neuen Bund Zeichen genannt wird. Dann nennt er zwei Möglichkeiten: Erstens kann es sich um ein Zeichen handeln. das Wirklichkeiten des zukünftigen Aion offenbart; es kann aber auch zweitens Dinge offenbaren, die sich in den Generationen zutragen werden, die nach der Zeil kommen, in der das Zeichen gezeigt oder verwirklicht wurde. Dabei versteht sich von selbst, daß diese späteren Generationen noch zu diesem Aion gehören, nicht zum zukünfti· gen. Daraus ist also folgendes zu schließen: Wir haben vor uns zwei Tex.te, das Alte und das Neue Testament. Das Alte enthält Zeichen. die auf das Neue hinweisen, das Neue Zeichen. die entweder auf die irdische Zeit nach den biblischen Ereignissen oder aber auf den zukünftigen Aion hinweisen. Wenn bei dieser Darstellung auch der Ausdruck typos nicht fällt, haben wir hier doch eine typologische Betrachtungsweise, wie wir sie später etwa im Matthäus·Kommen· tar des Hilarius von Poitiers finden, der z. B. in Herodes (einer Gestalt des Neuen Testamentes also) den Typ aller Chrislenverfolger (in den späteren Generationen dieser Weltzeit) erblickt. Wir stellen also im lohannes·Kommentar des Origenes den Gegensatz zwischen äußerlich und innerlich, zwischen allgemeinversL'ind· Iich und geistlich, fest. den man als platonisch bezeichnen könnte; im Matthäus· Kommentar dagegen den Gegensatz zwischen jetzt und zukUnftig, den man biblisch, heiIsgeschichtIich oder eschatologisch nennen könnte. Sollen wir da bei Origenes selbst eine Entwicklung annehmen? Der Unterschied mag auch ein biSchen von der Lage abhängen, in der Origenes sich beim Schreiben befand; aufs Ganze gesehen aber möchte ich sagen, daß wir bei Origenes die gleiche Entwicklung finden wie bei Augustinus, nämlich von der platonischen Weitsicht hin zur biblischen. von der Philosophie zur Heilsgeschichte. Mit diesem Wandel sehen wir einen anderen verbunden, den ich schon angedeutet habe und nun noch klarer herausstellen möchte.
BcobachlUngcn
zum
Johanncs-Kommentar des Origenes
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Den Vers loh 1 . 2 zitiert Origenes am Anfang seines Iohannes-Kommentares ( 1 . 7.43) und im 12. Buch (Kap. 4) des Matthäus-Kommentars. Die unterschied liche Auslegung ist dabei aufschlußreich. Im Iohannes-Kommentar spricht er zunächst vom körperlichen (somalikon) Evangelium, welches man verkünden muß, indem man sagt. daß man nur den Gekreuzigten kennt; dieses Evangelium gilt für die Fleischlichen (sarkinoi) . .,Wenn sich aber Leute finden, die mit dem Geist ausgestattet sind und schon Früchte des Geistes hervorbringen und die himmlische Weisheit ersehnen, dann muß man ihnen den Logos mitteilen, welcher nach seiner Fleischwerdung zurückgekehrt ist zu dem, was er am Anfang bei Gott war" (Jo. 1 , 7.43). Origenes scheint nicht daran zu zweifeln, daß der Ausleger den geistigen Logos denen mitteilen kann. die solcher Mittei lung würdig sind. Der Logos ist also nach seiner Auffassung innerhalb der Reichweite des Exegeten. Dies scheint mir eine sehr optimistische Einstellung zu sein. sagen wir eine typisch professorale; denn ein Professor muß ja wohl davon überzeugt sein. daß er den Logos erfassen und auch mitteilen kann. Im Matthäus-Kommentar (12,4) spricht Origenes vom Gesetz. in welchem Opfer für die Sünden vorgesehen sind Aber vielleicht gibt es Menschen. die schon keine Sünde mehr haben und die deswegen der Opfer nach dem Gesetz nicht mehr bedürfen, die vielmehr das Gesetz überwunden haben und zum Logos gelangt sind, welcher jenseits des Gesetzes steht und der Fleisch geworden ist fUr diejenigen, die nach dem Fleisch leben. sich aber von denjenigen. die nicht mehr im Sinne des Fleisches Kriegsdienst leisten. vielleicht so schauen läßt. wie er im Anfang bei Gott war, nämlich als Gouwort, und ihnen den Vater offenbart" (apolwlyptei). In beiden Fällen spricht Origenes vom Unterschied zwischen den Fleischlichen und den Geistigen und den heiden diesen Gruppen entsprechenden Seins- und Erscheinungsweisen des Logos. nämlich des inkarnierten und dessen, der im Anfang bei Gou war. Aber hier im Matthäus-Kommentar ist es nicht mehr der Exeget. der den göulichen Logos mitteilt. sondern dieser selbst zeigt sich den Vollkommenen und offenbart ihnen den Vater. Origenes ist sich dessen jedoch keineswegs sicher. sondern er hält es nur fUr möglich oder wahrschein lich. er sagt: "vielleicht" (Iacha). Das ist also nicht mehr die optimistische Betrachtungsweise des Professors, sondern die realistische des geistlichen Leh rers und Predigers. .
••
1lI. Bibel und Philosophie Andererseits darf man sich den in Alexandrien lehrenden Origenes nicht als Philosophieprofessor vorstellen. Wie distanziert er bei allem Bemühen um Erkenntnis doch der Philosophie gegenübersteht, läßt sich an einem Beispiel zeigen. An vielen Stellen des Johannes-Kommenlars wie aueh des Matthäus Kommentars versteht Origenes unter la paradoxa die Wunder und Zeichen Iesu. Nur im 2. Buch des lohannes-Kommentars (Kap. 16). wo er Joh 1,4 behandelt, drückt er sich anders aus. Origenes hat übrigens eine Verseinleitung im lohan-
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Beobachtungen zum Johannes·Kommentar des Origenes
nes·Prolog, die uns nicht vertraut ist; bei ihm lautet der Vers 4 so: "Was in ihm geschaffen wurde, war Leben. und das Leben war das Licht der Menschen". Origenes beginnt seine Auslegung dieses Verses mit einem Hinweis auf beson· dere Lehren der Griechen, die paradoxa genannt werden, und zitiert davon zwei, nämlich: ( 1 ) ,.Jeder Weise. und nur der Weise, ist Priester. weil jeder Weise. und nur er. Kenntnis der Verehrung Gottes besitzt." (2) ,.Jeder Weise, und nur der Weise, ist frei, weil er vom göttlichen Gesetz die Fähigkeit zur Selbstbestimmung empfangen hat." Dann stellt Origenes sich selbst die Frage. warum er von diesen
paradoxa
spricht, die doch "nach dem Maßstab der Heiligen Schrift untersucht werden müßten. um zu sehen. welchen die Lehre der Gottesverehrung zustimmt und welchen nicht. Auf solche Untersuchung aber läßt sich Origenes nun nicht ein, sondern rechtfertigt die bloße Zitation von zwei philosophischen paradoxa mit dem Hinweis, daß jemand. der den johanneischen Satz: "Was in ihm geschaffen wurde, war Leben" (Joh 1,4) auslegen will, "vergleichbare
paradoxa oder
vielleicht noch paradoxere formulieren könnte", Dann formuliert er selbst seinerseits zwei solche paradoxa, indem er sie sozusagen vorwegbegründet oder doch wenigstens in ihren notwendigen Verständniszusammenhang stellt: (I) "Wenn wir den Logos bedenken . . . , welcher Gott ist. werden wir sagen können: Vernünftig (logikcs) ist nur derjenige. der an diesem Logos teilhat . , , ; das bedeutet also. daß nur der Heilige
(hagios) vernünftig ist (logikos)."
(2) "Und wenn wir auch noch ganz das Leben verstehen. das im Logos geworden ist . . ' . werden wir sagen: Keiner von denen, die außerhalb des Christusglaubens sind. lebt, vielmehr sind alle tot. die nicht für Gott leben." Dann setzt er seine Auslegung fort, indem er den SalZ zitiert: ,,Er ist nicht ein Gott von Toten. sondern von Lebendigen" (Mk 12,27); dieser Satz sei gleich· bedeutend mit folgendem: "Er ist nicht ein Gou von SUndern, sondern von Heiligen"; daraus ergibt sich, daß die Heiligen die Lebendigen sind, Davon leilet Origenes nun ein anderes paradoxon ab: ,,Es ist nicht möglich, daß einer heilig sei. außer denen, die lebendig sind, noch auch daß jemand nur lebendig genannt würde und nicht mit dem Leben auch das Heiligsein besäße", Origenes hält sich hier offenbar nicht streng an die Form des philosophischen. besonders stoischen
paradoxon; täte er es, müßte er sagen: leder Heilige. und nur der Heilige. ist lebendig, Oder: Jeder Lebendige, und nur er. ist heilig, Seide Sätze gelten, weil Origenes ja zuvor ausdrücklich Heilige und Lebendige identifiziert hat. So drückt Origenes sich aber nicht aus. Vielmehr zitiert er nun auch noch Ps 1 15 . 9 (LXX) : "Ich werde dem Herrn wohlgefallig sein im Land der Lebendigen" und folgert daraus: "Das wahre Wohlgefallen findet sich in der Ordnung der Heili gen," In der Form des stoischen paradoxon hieße das: leder Heilige, und nur er, ist dem Herrn wohlgefällig. Dann zitiert Origenes Ps 143,2b: "Vor dem Ange· sicht Gottes ist keiner gerecht. der lebt" und deutet dies so: ..1m Vergleich zu Gott wird keiner von denen. die ganz selig sind. gerechtfertigt sein" und erklärt dies wiederum durch einen anderen Vergleich: "Keine Lampe macht hell im
Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
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Vergleich zur Sonne". Dieser Satz hat fast die Gestalt eines philosophischen
paradoxon. aber in negativer Form. Man gewinnt den Eindruck, daß Origenes in diesen zitierten und nun
so
von ihm umgeformten und erklärten Psalmversen
solche Aussagen der Heiligen Schrift sieht. von denen er gesprochen hat, die nämlich noch paradoxer sind als die philosophischen paradoxa. So stellt sich doch die Frage, warum Drigenes, obwohl er philosophische
paradoxa zitiert, seinen eigenen Gedanken nicht diese Form gibt. obgleich es doch seine Absicht ist. die philosophischen Sätze durch biblische oder theolo gische zu ersetzen oder gar zu überbieten. Darauf läßt sich eine doppelte Antwort finden: Einerseits ist sein persönlicher Sprachstil anders; er liebt es, langsam und bedächtig voranzuschreiten und alle Gedankenschritte zu erklären; er liebt es, einen Gedanken zu umkreisen. alle seine Aspekte ins Auge zu fassen und daraus alle möglichen Folgerungen zu ziehen. Ein Grund für diesen Stil war vielleicht auch die Notwendigkeit, seine ganze Schreibstube, die sein Freund Ambrosius für ihn unterhielt, zu beschäftigen. Die entscheidende Antwort dürfte aber folgende sein: Origenes hatte in der Heiligen Schrift nicht nur den Inhalt der Wahrheit gefunden. sondern auch die angemessenste Fonn. sie auszudrük ken. Das bedeutet, daß Origenes selbst dort, wo er ausdrücklich von Philosophie spricht, sich also ihrer Bedeutung bewußt ist. in ihr doch weder inhaltlich noch formal einen Maßstab für Glaubens wahrheiten und deren Darstellung findet. Er bezieht sich auf die Philosophie überhaupt nur, weil sie bei seinen Hörern oder Lesern in Ansehen steht und er, indem er sie überbietet, der Heiligen Schrift und der kirchlichen Glaubensaussage noch größeres Ansehen erwerben will.
IV.
Die Christologie
I . Das Verhältnis Vater - Sohn Nach diesen eher formalen Beobachtungen soll nun über einen sehr wichtigen Inhalt des Johannes-Kommentars gehandelt werden. indem wiederum der Ver gleich mit dem Matthäus-Kommentar angestellt wird, nämlich über die Christo logie des Origenes. Gegen die Lehre der Gnostiker, nach welcher die Pneuma tiker
(die
Geistigen,
also
die
höchste
Stufe
der
ungeschaffenen (also der göttlichen) Natur wesensgleich
Menschen)
mit
der
(homoousior) wä.ren,
zitiert Origenes bei der Auslegung der Szene mit der Samariterin am Jakobs brunnen (Joh 4) den Vers Joh 14,20: .Der Vater, der mich gesandt hat, ist größer .
als ich" und spielt an auf Mk 10, 1 8 : .. Nur einer ist gut, der Vater!" und erklärt dann wörtlich: ..Der Heiland und der Heilige Geist überragen alle Wesen, die geschaffen sind, mit (alles1 übertreffendem Vorrang; trotzdem werden sie selbst vom Vater ebenso überragt oder sogar noch mehr, als der Sohn und der Heilige
(Jo. 1 3 . 25. 1 5 1 ). Weiter erklä.rt Origenes: ,,Der Sohn übertrifft durch Wesenheit (ous;a), Würde. Macht. Gottheit (theiotes) Geist die anderen Wesen überragen"
und Weisheit
SO
bedeutende Wesen; trotzdem kann er durchaus nicht mit dem
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Beobachtungen zum Johannes-Kommenlat des Origenes
Vater verglichen werden" (ebd.
152). Dies ist eine klare Behauptung der Unter
legenheit von Sohn und Heiligem Geist dem Vater gegenüber - freilich nicht dozierende Theologie, sondern Auseinandersetzung mit der Homoousie-Lehre der Gnostiker. Auf keinen Fall aber hätte Origenes in diesem Zusammenhang und zu diesem Zeitpunkt seiner geistigen Entwicklung den Sohn als mit dem Vater wesensgleich bezeichnet. Haben wir in dieser seiner Aussage also einen Subordinatianismus. wie er nach dem Konzil von Nizäa abgelehnt werden mußte? Die Sache ist so einfach nicht. Die nizänischen Väter haben nämlich Joh
14,28 auf den Inkarnierten angewendet und gesagt, der Sohn sei in seiner menschlichen Natur geringer als der Vater. Das ist übrigens eine Lösung, die mehr elegant ist als wahr, denn sie verliert die Unterschiede, die es zwischen der göttlichen Existenz des Vaters und der göttlichen Existenz des Sohnes und des Heiligen Geistes gibt, aus dem Blick. Davon wird noch zu reden sein. Hier gilt es einstweilen nur festzuhalten, daß Origenes nicht einfach vom (präexistenten) Sohn spricht, sondern vom Heiland. von dem nämlich, der "von Petrus und von Paulus als fleckenloser Spiegel des Wirkens des Vaters gesehen wurde"
(10. 13.
25,153). Es versteht sich, daß der Heiland der Menschgewordene ist, daß der Sohn nur insofern gesehen werden kann, als er in menschlicher Natur inkarniert ist. Es weist also auch der Gedanke des Origenes hier schon in die Richtung der nizänischen Väter. Es scheint, daß Origenes seine Behauptung von der Unterlegenheit des Sohnes dem Vater gegenüber, die wir im Johannes-Kommentar finden, im Matthäus-Kommentar abgeändert hat. Dort. also in einem Spätwerk, das fast
13. Buch des Johannes-Kommentars verfaßt ist, lesen wir: ,.Und wie der Heiland Bild des unsichtbaren Gottes ist (Kol I. 15), so ist er auch Bild seiner Gutheit" (Weish 7, 26). Und in jedem geringeren Wesen, auf
zwanzig Jahre nach dem
das die Bezeichnung "gut" angewendet wird, hat das. was von ihm gesagt wird, eine andere Bedeutung. da er ja Bild der Gutheit im Blick auf den Vater ist, im Blick aber auf die übrigen Wesen das. was die Gutheit des Vaters fUr ihn istu. Vielleicht ist aber eine noch nähere Ähnlichkeit zwischen der Gutheit Gottes und dem Heiland zu sehen, welcher ja Bild seiner Gutheit ist, als zwischen dem Heiland und einem guten Menschen oder einem guten Werk oder einem guten Baum. "Größer ist nämlich im Blick auf die geringeren GUter die Überlegenheit im Heiland, insofern er Bild der Gutheit Gottes selbst ist, als die Überlegenheit Goues, welcher gut istL' im Blick auf den Heiland. welcher sagt: ,Der Vater. der
14,28) und welcher für alle übrigen auch Bild der Gutheit Gottes ist" (comm . in MI. 15, 10)u. Aber Origenes will mich gesandt hat. ist größer als ich' (Joh
hier im Matthäus-Kommentat keine Christologie oder Trinirätstheologie entfal ten, sondern eine Belehrung in der Demut erteilen, denn er spricht unmittelbar im Anhang daran von Lk LI
17, 10 (Wenn ihr alles getan habt. was euch aufgetragen
Oie Gutbeit des Valers iSI also sein Urbild, so wie er selbsl Urbild der andercn ist. U N:lmlieh ganz allgemein obnc irgcodcinc Einschränkung. I'GCS X. 375 r.
Beobachtungen zum Johannes-Kommenlar des Origenes
197
war, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte!) und erklärt wörtlich: "Wenn wir alles getan haben, was uns aufgetragen war, haben wir doch nicht so [wie es hier gemeint ist) etwas Gutes getan." Hier im Mauhäus-Kommentar (15, 10) legt Origenes die Szene mit dem reichen 1üngling aus (Mt 15, 16--30), der Jesus fragt: "Was muß ich Gutes tun?" und dem Jesus antwortet: "Warum fragst du mich nach dem, was gut ist? Nur einer ist gut!" Auch im lohannes-Kommentar ( 1 3, 25, 151) haUe Origenes auf diese Szene so angespielt: ,,Deswegen hat er es nicht ertragen. auch nur die Bezeichnung ,gut' im eigentlichen und wahren und vollen Sinn anzunehmen, die ihm angetragen wurde, sondern sie voller Dankbarkeit an den Vater weiter gegeben und den zurechtgewiesen. der den Sohn Ober das Maß ehren wollte." Man sieht aber sofort, daß Origenes im 10hannes-Kommentar nicht den Mat thäus-Text im Blick hatte, sondern den von Mk 10, 17 und Lk 18, 18, wo der Jüngling Jesus "guter Meister" nennt und wo die Antwort Jesu: "Warum nennst du mich gut? Keiner ist gut, nur Gott" viel deutlicher macht, daß er für sich diese Bezeichnung "gut" nicht annimmt. Bei Matthäus ist diese Weigerung nicht so klar, weil Jesus nur fragt: "Warum fragst du mich nach dem, was gut ist?" Sollte der Unterschied in der Auslegung zwischen dem 10hannes-Kommentar und dem Matthäus-Kommentar sich so erklären? Offensichtlich nicht; denn auch im Matthäus-Kommentar zitiert Origenes den Text von Markus und Lukas und vergleicht ihn mit dem von Matthäus. Woher also kommt dieser doch ganz erhebliche Unterschied. daß Origenes im 10hannes-Kommentar zwischen GOll und dem Christus einen größeren Abstand sieht als zwischen dem Christus und den Geschöpfen. im Mauhäus-Kommentar aber den Christus diese Geschöpfe viel mehr überragen läßt, als der Vater ihn überragt? Müssen wir hier einen Widerspruch entdecken, dessen Origenes sich vielleicht gar nicht bewußt gewe sen wäre, oder eine Entwicklung in der Trinitätstheologie des Origenes. der im Laufe seiner exegetischen Arbeit zu größerer Klarheit gelangt wäre? Oder gibt es noch eine dritte Möglichkeit, nämlich weder Widerspruch noch Entwicklung, sondern unterschiedliche Betrachtungsweisen? Es ist wohl sehr bedeutsam, daß Origenes an beiden Stellen Weish 7,25 f zitiert. und zwar im Johannes-Kommentar ( 13,25) fast vollständig, im Mau häus-Kommentar (I5, (0) dagegen nur den Ausdruck "Bild seiner Gutheit". We ish 7,24 sagt von der (göttlichen) Weisheit in recht stoischer Betrachtungs weise: "Sie durchdringt alles" und beschreibt sie dann so: "Sie ist Hauch der Kraft Gottes und reiner Ausfluß der Herrlichkeit des Allherrschers . . . , Wider schein des ewigen Lichtes. ungetrübter Spiegel von Gottes Kraft und Bild seiner Gutheit" (Weish 7,25f). Im Johannes-Kommentar (13, 25,153) bedient sich Origenes dieses Textes, um den Abstand zwischen dem Sohn Gottes und dem Er ist nämlich Bild seiner Vater zu unterstreichen. indem er den Text erweitert: .. Gutheit und Abglanz, nicht Gottes, sondern [nur] seiner Herrlichkeit und seines ewigen Lichtes, und Hauch, nicht des Vaters, sondern [nur] seiner Kraft." Man muß tatsächlich in beiden Fällen im Deutschen der Klarheit halber ein "nur" einschieben. Im Mauhäus-Kommentar ( 15, 10) dagegen bedient sich Origenes
198
Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
des Ausdrucks ..Bild seiner Gulheit" von Weish 7,26. um zu betonen. wie nahe der Sohn dem Vater ist; freilich zitiert er dabei nicht nur diesen Ausdruck, sondern verbindet ihn mit dem aus Kai 1 , 15. nämlich: ..Bild des unsichtbaren Goues", und erklärt dann: ..Der Heiland ist, wie Bild des unsichtbaren Goues. so auch Bild seiner Gutheil." Dies scheint eine aufsteigende Stufung zu sein; Bild der Gutheil Gottes" scheint mehr zu bedeuten als nur .Bild Gottes", Die Verbindung von Weish 7.26 und Kai I, 15 liefert also eine andere Auslegung. weil sie einen anderen Ausgangspunkt bietet. Origenes mußte von der Gutheil sprechen, weil er in seinem Matthäus-Kommentar zu diesem Gespräch zwischen Jesus und dem reichen Jüngling gekommen war. Deswegen erinnert er sich an Weish 7,26. schickt aber Kol 1, 15 voraus, um eine gute Auslegungsgrundlage zu haben. Er zitiert dabei nicht die übrigen Weisheitstitel aus Weish 7.25f. als ob er dabei eine gewisse Verlegenheit empfände. Im Johanncs-Kommentar ( 1 3,25) hatte er nicht Kol 1 , 15 zu Weish 7,25 f hinzugezogen, war vielmehr von Joh 14,28 (der Vater ist größer als ich) ausgegangen; und dieser Satz hatte ihm eine andere Leitlinie fUr die Auslegung geboten. Bemerkenswert ist, daß Dnge nes auch im Matthäus-Kommentar (15. 10) Joh 14,28 zitiert. aber am Ende. nicht als Ausgangspunkt; er liest da also Joh 14,28 im Licht von Kol I , 15 und Weish 7,26c. Im Johannes-Kommentar dagegen hatte er Weish 7,25 f im Licht von Joh 14,28 gelesen. Der Unterschied zwischen den beiden trinitätstheologischen Aussagen ergibt sich vielleicht nicht aus, zeigt sich aber an der Verwendung von Kol l , 15. d.h. dem Ausdruck "Bild des unsichtbaren Gottes". Deshalb lohnt es sich und verspricht weitere Klärung nachzuprüfen, wie Origenes diesen Aus druck Uberhaupt im ganzen Johannes-Kommentar verwendet·'. .•
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2. Das "Bild des unsichtbaren Gottes" Im Bibelstellenregister. das Corsini seiner vollständigen Ü bersetzung beigege ben hat. ist 27mal Kai 1 , 15 aufgefUhrt. aber in nur sieben Fällen handelt es sich dabei um den Ausdruck " Bild des unsichtbaren Gottes", der uns hier interessiert; die anderen zwanzig Stellen zitieren nur den anderen Christustitel, der sich auch in Kai I, 15 findet, nämlich "Erstgeborener der ganzen Schöpfung". Von den sieben Stellen, die uns hier angehen, zitieren zwei - nämlich 10, 39,264 und den ganzen Vers Kai 1 . 15, also die Verbindung von ,,Erstgebore 28, 18, 159 ner aller Schöpfung" und ..Bild des unsichtbaren Gones". Wenn man diese Stellen des Johannes-Kommentars näher anschaut. kann man gewissermaßen einen Pfad in diesen ungeheuren Wald schlagen, in dem man sich ohne Führer leicht verlieren könnte. -
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Selbstverständlich spricht Origene$, obgleich insgesamt verhältnismäßig wenig. doch an mehr Stellen des Jnhannes-Kommenlars vom "Bild Gottes", 1.ls hier behandelt werden können; als Beispiel sei nur der Satz genannt: ..Um des einen Christus willen gibt es viele Gesalbte, die seine Nachahmer und nach ihm, der selbst Bild Gottes iSI, gestaltet sind" (6, 6.42). Da wird aber keinerlei weilere Erklärung angefllgt.
Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
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( 1 ) Wir finden Kai I, 15 zum ersten Mal zitiert in Jo. 1 , 17, 104. wo Origenes Joh 1 . 1 auslegt und die vier Bedeutungen von .Anfang" erörtert, nämlich Beginn eines Weges, Ursprung, Materialursache und Formalursache. Da heißt es: "Wenn der Erstgeborene aller Schöpfung das Bild des unsichtbaren Gottes ist, ist der Vater sein Anfang. In ähnlicher Weise ist der Christus seinerseits Anfang derer, die nach dem Bilde Gottes sind. Da wird nichts über Nähe oder Abstand zwischen Christus und dem Vater oder den Geschöpfen und Christus gesagt. Es scheint aber, daß für Origenes der Ausdruck ,,Erstgeborener aller Schöpfung" als Subjekt des Satzes stehen kann, "Bild des unsichtbaren Gottes" dagegen nur als Prädikat. (2) Diese Beobachtung wird bestätigt, wo Origenes in der langen Behandlung der Titel Christi auch Ps 44,2 zitiert. nämlich: "Mein Herz hat ein gutes Wort hervorgestoßen", und daraus schließt: ..... der Vater hält die Schau der Wahrheit nicht in sich, sondern stößt sie hervor und schafft ihren Abdruck im Logos, der deswegen Bild des unsichtbaren Gottes genannt wird" (Jo. 1 , 38,283). Es erscheint aber nicht sehr sinnvoll. daß der Logos deswegen Bild Gottes genannt werden soll, weil er der Abdruck der Schau der Wahrheit ist. Man wUrde hier eher den Titel ,.Erstgeborener aUer Schöpfung" erwarten. Vielleicht hat Origenes sich ganz einfach zwischen den beiden Titeln von Kol I, 1 5 vertan. Auf jeden Fall spricht er nicht von einer Beziehung des Bildes. sei es zum Vater, sei es zu den Geschöpfen. (3) Im 6. Buch des Johannes-Kommentars (Kap. 4, 19) legt Origenes Joh 1.19: ..Und dies ist das Zeugnis des Johannes" aus und stellt sich die Frage. wie die Heiligen im Alten Testament "die Geheimnisse der Gottheit begriffen haben", und antwortet: "Sie konnten nicht nur die Erscheinung von Engeln haben, sondern die von Gott selbst in Christus; und so, wie den Vater sieht, wer den Sohn sieht (Joh 14.9), haben sie, da sie das Bild des unsichtbaren Gottes sahen, Gott gesehen und gehört . . . Der Titel aus Kai I , 15 dient hier also als Bestätigung fUr Joh 14,9, wird aber nicht benutzt. um etwas Uber Christus selbst zu sagen. Das Augenmerk ist gerichtet auf die Offenbarung, nicht auf die Christologie oder Trinitätstheologie; trotzdem leuchtet die Verwendung des Titels aus Kol J. 15 hier elß. (4) Im 10. Buch des Iohannes-Kommcntars (Kap. 39.264) spricht Origenes von Joh 2, 2 1 : "Aber er sprach vom Tempel seines Leibes" und erklärt die Anwendung des Ausdrucks "Tempel" auf den Leib Jesu so: "Wie der Tempel der Ort war, wo die Herrlichkeit Gottes wohnte so werden der Leib und die Kirche mit gutem Recht Tempel Gottes genannt. weil sie in sich den Erstgeborenen aller Schöpfung enthalten, der Bild und Herrlichkeit Gottes ist." Außer der seltsamen Beobachtung, daß Origenes den genetivus exegeticus "des Leibes" (Jesus spricht vom Tempel, der sein Leib ist) nicht zu verstehen scheint, sondern ihn als genetivus posscssionis auffaßt (der Tempel des Leibes ist der Tempel, in dem sich der Leib befindet, nicht mit dem er identifiziert wird), ist festzuhalten, daß Origenes hier nichts Uber das Verhältnis des Bildes Gottes zu Gott selbst sagt; den Ausdruck ..Bild Gottes" verwendet er ein weiteres Mal als Prädikat� nämlich als Aussage Uber den ,.Erstgeborenen". •
...•
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Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
(5) Wo Origenes Joh 4,34 auslegt (Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat), zitiert er auch Joh 5, 19 f: .Der Vater zeigt dem Sohn alles, was er selbst tut" und fahrt dann so fort: .. Und das ist vielleicht der Grund, warum er Bild des unsichtbaren Gottes ist; der Wille, der in ihm ist, ist nämlich das Bild des ersten Willens; die Gottheit, die in ihm ist, ist Bild der wahren Gottheit; und da er Bild der Gutheit des Vaters ist, fragt er: Warum nennst du mich gut (Mk 1O, 1 8)?" (Jo. 13, 36,234). Hier haben wir wiederum eine Verbindung von Kol 1 . 15 mit Weish 7,26 und Mk 10, 18. So ähnlich, wie sie sich viele Jahre später im Matthäus-Kommentar findet und wie wir sie im kurz zuvor geschriebenen 25. Kapitel ( § 1 5 1) des gleichen 13. Buches des Johannes Kommentars fanden, wo aber Kol 1, 15, wie wir schon gesehen und bedacht haben, nicht zitiert wird. Dort dient Weish 7,26 als Beleg für den Abstand zwischen Vater und Sohn, und Mk 10, 1 8 sollte zeigen, daß der Heiland die Bezeichnung "gut" für sich nicht annahm. Hier aber (in Jo. 1 3, 36,234) dient die an den reichen Jüngling gerichtete Frage Jesu als Beweis dafür, daß er wirklich Bild der Gutheit Gottes ist. Diese Frage wird hier also nicht als Ablehnung, sondern eher als Zustimmung ausgelegt. Origenes scheint die Frage Jesu: Warum nennst du mich gut? im folgenden Sinn zu verstehen: Weißt du. daß du mich gut nennen kannst und sollst, weil ich tatsächlich das Bild dessen bin, der als einziger aus sich selbst gut ist?" (6) 1m 28. Buch des Johannes-Kommentars (Kap. 18, 159) erklärt Origenes das Wort des Kaiphas: ,.Es ist besser, daß ein Mensch stirbt fUr das ganze Volk" (Joh 1 1 . 50) unter anderem so: "Was von ihm sterben sollte, war der Mensch, während nicht Mensch waren die Wahrheit und die Weisheit ... und auch nicht das, worüber gesagt ist: Der Logos war bei Gott; es starb also weder der Logos noch die Wahrheit ... , weil das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung. nicht empfanglieh war für den Tod." Hier ist nun einmal der Ausdruck ..Bild des unsichtbaren Gottes" - allerdings zusammen mit .,Erstge borener aller Schöpfung" - Subjekt des Satzes. Ohne dies ausdrücklich zu erklären, gibt Origenes zu verstehen, daß das Bild so nahe bei Gott ist, daß es an seiner Unsterblichkeit teilhat. Aber man erkennt sofort, daß der Begriff ,.Bild" weder entfaltet noch definiert oder eingegrenzt wird. Außerdem muß man hier doch auch mit im Auge behalten, daß Origenes im 2. Buch desselben Johannes Kommentars (Kap. 17, 123) gesagt hatte: "Nicht einmal der Christus besaß die Unsterblichkeit des Vaters; er hat nämlich für alle den Tod gekostet." Nattirlich kann nur vom inkarnierten Sohn gesagt werden, daß er den Tod gekostet hat. •
n
Hier wäre als Vergleich Jo. 6,57, 295 heranzuziehen, weil da aueh wie im oben behandelten Tex! von der Abbildliehkeit auf der Ebene des Willens die Rede ist. Origenes legt da im größeren Zusammenhang das Won des Täufers (Joh 1 , 29): .. Sehl das Lamm Gones. das die Sünde der Weil binwcgnimrnt," aus und erklärt untcr andcrcm: "Er stieg herab bis zum Tod für die Gonlosen ... indcm er dies alles aber erfüllt, erfüllt er mehr den Willen des Vaters, der ihn für die Goltlosen hingibt. als seinen eigenen Willen: denn der Vater ist gut, der Heiland aber Bild seiner Gutheit."
Beobachtungen
zum
Johannes·Kommemar des Origenes
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Deswegen gilt auch nur vom Inkarnierten, daß er nicht die Unsterblichkeit des Vaters besitzt. Durch solche Unterscheidung befreit sich die chalkedonische Christologie sehr schnell und einfach von dieser Schwierigkeit, indem sie erklärt, daß der Christus als Mensch nicht unsterblich war, wohl aber als Gott. Diese chalkedo· nische Christologie. die ja auf der nizänischen Trinitätstheologie beruht, läuft aber immer Gefahr, sich die Trinität als drei Individuen von göttlicher Art vorzustellen, die vollständig gleich wären. Dies ist aber nun gerade nicht der Sinn der nizänischen Trinitätstheologie. nicht einmal der kappadozischen und noch viel weniger der augustinisch·thomistischen Theologie, für welche die drei göttlichen Personen subsistierende Relationen sind. Die Relationalität ist aber nicht im Sinne der rationes individuantes zu verstehen; die Menschen z. B. besitzen alle ihr menschliches Wesen in der gleichen Weise, obwohl das Wesen durch die Individuationsmerkmale konkretisiert ist. Für die drei göttlichen Personen dagegen ist der tropos tes hyparxeos, der modus subsistendi also die Existenzweise. vollständig verschieden, so daß auch ihr Gousein in dem einen und einzigen göttlichen Wesen ganz verschieden ist. Der Sohn, der all sein Leben, all seine Gottheit, all seine Macht als vom Vater her empfangen besitzt, verdankt sich gänzlich dem Vater, hängt ohne jede Einschränkung von ihm ab, was so von keinem menschlichen Sohn dem Vater gegenüber gesagt werden kann. Wenn aber die göttliche Seinsweise des Sohnes sich von der des Vaters unterscheidet, dann sind alle seine Eigenschaften von dieser Seinsweise geprägt, also auch sein Unsterblichsein. Anders ausgedrückt: Das Sohnsein des Gottes· sohnes ist die Voraussetzung für sein Menschwerdenkönnen, also auch für sein Sterblichwerden und Sterbenkönnen. Aber dies ist hier nur ein gewisser Aus blick; es gilt zur Reihe der Zitationen von Kol 1 , 1 5 im Johannes·Kommentar zurückzukehren. (7) Im 32., also dem letzten uns erhaltenen Buch des Johannes-Kommentars (Kap. 29,359) untersucht Origenes das Wort Jesu: "Und Gott ist in ihm verherr licht" und erklärt. man könne dieses Wort mit jenem anderen Ausspruch Jesu aus dem Johannes·Evangelium in Beziehung selzen. welcher lautet: "Wer mich gesehen hat. hat den Vater gesehen, der mich gesandt hat" (Joh 14,9; 4, 34), und fahrt dann fort: "Tatächlich sieht man im Logos. der Gott ist und Bild des unsichtbaren Gottes, den Vater, der ihn erzeugt hat, denn wer das Bild des unsichtbaren Gottes schaut, ist sofort auch imstande, das Urbild des Bildes zu sehen. d. h. den Vater." Dies ist eine jener reinen Texterweiterungen, wie sie sich bei Origenes häufig finden, und trägt zunächst so gut wie nichts zum Fortgang des Gedankens bei. Es ist aber bemerkenswert, daß Origenes nur wenige Zeilen weiter. nämlich in 363 desselben Kapitels, das Jesuswort: "Der Vater, der mich gesandt hat, ist größer als ich" (wobei auch hier Joh 14,28 durch 4,34 erweitert ist) so erklärt: "Wenn Gott in ihm verherrlicht ist. gibt der Vater ihm dafür etwas, was viel größer ist als das, was der Menschensohn getan hat . . . Die Herrlichkeit, die im Sohn ist, wenn der Vater ihn verherrlicht, ist viel größer (hyperechousa) als jene, die im Vater ist, wenn er im Sohn verherrlicht ist . . . Und es war
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Beobachtungen zum Johannes Kommentar des Origenes -
angemessen, daß der Größere die Herrlichkeit zurückgibt, mit welcher der Sohn ihn verherrlicht haue, und dem Sohn zugesteht, ihn in sich selbst zu verherrli chen, damit der Sohn in Gott verherrlicht sei." Aber es sieht nicht so aus, als ob hier der Gedanke an das Bild des unsicht baren Goues (Weish 7,26) mit Joh 14,28 (der Vater ist größer als ich) in Zusammenhang gebracht würde. Man könnte eher daran denken. daß Origenes so etwas wie eine dynamische Trinitätstheologie entfaltet, indem er vom Geben und Empfangen zwischen den Personen des Vaters und des Sohnes spricht. Aber Origenes spricht dann sofort vom Menschensohn, also nicht von innertrinitari sehen Beziehungen, sondern von den Beziehungen zwischen dem himmlischen Vater und dem irdischen Jesus. Was man i m Falle einer Aussage über innertri nitarische Beziehungen als Subordinatianismus zu bezeichnen geneigt wäre, das ist in der soteriologischen Blickrichtung, also im Blick auf den menschgewor denen Sohn, auch für nizänisch-chalkedonische Christologie, von der ja eben schon die Rede war, tadelsfrei. Und da Origenes hier dieselben biblischen Aussagen und Ausdrücke verwendet wie an anderen von uns untersuchten Stellen. muß man wenigstens mit der Möglichkeit rechnen, daß Origenes auch dort nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich vom ewigen Gottessohn spricht. sondern immer auch die Inkarnation mit im Blick hat, sei es nun so. daß er an den Inkarnierten denkt, oder doch wenigstens daran, daß der Sohn Gottes eben durch sein Sohnsein fähig ist, Mensch zu werden. So würde auch an diesen anderen Stellen nach chalkedonischer Theologie jeder Beanstandungsgrund genommen. Aber mit solcher Verteidigung des Origenes wäre noch wenig gewonnen. Vielmehr gilt es, den Gedanken einer dynamischen Trinitätstheolo gie, der sich bei der Lektüre aufgedrängt hat, weiter zu verfolgen.
3. Dynamische Trinitätstheologie Schon im I . Buch des Johannes-Kommentars (Kap. 27, (87) stellt Origenes die Frage, die er vielleicht in einem fremden Werk. etwa im Iohannes-Kommentar des Gnostikers Herakleon, mit dem er sich dann berichtigend und widerlegend befaßt, gefunden hat, ob unser Heiland alles das begreift, was vom Vater gewußt wird. ,,Man könnte ja meinen, man verherrliche den Vater. wenn man sagt, daß manche Dinge zur Kenntnis des Vaters gehören. aber nicht des Sohnes"; die Fortsetzung bereitet besondere Schwierigkeiten und muß deshalb zunächst griechisch zitiert werden:
tou theou.
diarlwUlltos exisOlhenai tais katalepsesi tOll age""e
Dies bezieht z.B. C. Blancll auf die Person des Vaters und übersetzt
etwa so: "welcher nicht zuläßt. daß sich jemand ihm angleicht durch geistiges Erfassen, welches den ungezeugten Gott begreifen will". Dabei wird also der letzte Genetiv als Objektsgenetiv verstanden. Mir scheint aber, daß der erste Genetiv sich auf den Sohn bezieht, nicht auf den Vater, und daß der zweite ein Subjektsgenetiv ist. Ich stimme also eher der Übersetzung von Corsini zu, die sich im Deutschen so wiedergeben läßt: ..welcher [nur] dahin gelangt. sich
BeobachlUngen zum Johannes-Kommentar des Origenes
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anzugleichen den umfassenden Einsichten des ungezeugten Gottes". Er fügt aber ein "nur" ein und erklärt das so: Diekatalepseis seien noch nicht die höchste Form der Erkenntnis, sondern erst die episleme; dieses ganze Problem sei also auf dem Hintergrund der stoischen Erkenntnislehre zu verstehen; hier werde daher dem Sohn nur die Angleichung an eine geringere Art der göttlichen Erkenntnis zugeschrieben. Daß Origenes so etwas nicht gesagt haben würde, weil es bedeutet, dem ungezeugten Gott selbst auch eine unvollkommene Weise des Erkennens zuzuschreiben, ist Corsini wohl bewußt. Er hält nämlich diesen Satz nicht für eine Aussage des Origenes. sondern für ein Zitat aus einem Gegner. mit dem Origenes sich befaßt. Mir scheint aber, daß Origenes. wenn er eine fremde, nicht von ihm geteilte Meinung hätte wiedergeben wollen, wenig stens ein hos eingeschoben häue, es also nicht einfach hieße diarkountos, sondern hos diarkountos. Außerdem hätte er dann doch wohl selbst das von Corsini eingeschobene "nur" in den Satz einsetzen müssen. Darüber hinaus läßt sich feststellen, daß die episreme keineswegs eine höherrangige Erkenntnis ist als die kalalepsis, denn beide werden traditonell der doxa als der bloßen Meinung, die aus Sinnenerkenntnis entspringt, entgegengestellt. Allenfalls ließe sich die episteme als das Gesamtwissen von einer einzelnen katalepsis abheben. Da hier aber von den kalalepseis, d. h. vom Gesamt der komprehensiven Er kenntnis des ungezeugten Goues die Rede ist, ist eine Überbietung nicht mehr möglich. Origenes will - nur so kann ich den Satz verstehen - also sagen: "Der Sohn ist fähig, sich völlig [das ist der Sinn des dia in diarkoufltos) der umfassenden Erkenntnis des ungezeugten Gottes anzugleichen". Das ist wieder um die dynamische Redeweise, die uns schon begegnet ist. Diese Deutung bestätigt sich, wenn man zum Vergleich eine andere Stelle des Johannes-Kommentars heranzieht. nämlich 13. 36, 23 1 : "Nur der Sohn tut den ganzen Willen des Vaters. weil er [ihn in sichl erfaßt; deswegen ist er auch sein Bild. Man muß auch [dies] bezüglich des heiligen Geistes [soJ anschauen. Die übrigen heiligen Wesen tun zwar nichts gegen den Willen Goues. ou mentoi ge diarkei pros (0 kata 10 pan thelema rypothenai, was man wohl so übersetzen muß: ..sind aber nicht imstande (oder: gelangen nicht dahin), im Sinne des ganzen Willens [Goues natürlich) gestaltet zu werden". Hier ist also das Verb djarkeifl verwendet im Sinne eines Prozesses. der bis zur letzten Vollkommen heit voranschreitet, nicht eines Fortschrittes, der bei einem mittleren Vollkorn menheitsgrad endet. Deswegen kann Origenes auch in Jo. 1 , 27,187 nicht eine unvollkommene göttliche Erkenntnisweise im Sinn gehabt haben, bis zu welcher der Sohn nur gelangen wUrde. Mir scheint, daß dies erst recht von einem hypothetischen Gegner gelten müßte, denn der wird ja von Origenes eingeführt als jemand, der den Vater erhöhen will und deshalb den Sohn herabsetzt; wer
"Orig�ne, Commentaire sur Saint Jean. T. I . Livres I-V. Texte Grec, Avanl-Propos. Traductions et Notes par C. ßlanc; SC 120 (1966) 153 mit Anm. 2, die diese übersetzung rechtfertigen soll.
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Beobachtungen zum Johannes-Kommentar des Origenes
aber den Vater erhöhen will, kann ihm doch wohl nicht auch mindere Erkennt nisformen zuschreiben. So gelangen wir zum entscheidenden Punkt: Im 2. Buch des Johannes-Kom mentars (Kap. 2. 1 3 ff) erörtert Origenes Joh I, Ib: "Und der Logos war pros ton theon, und der Logos war theos" und erklärt dann den Unterschied zwischen 110 theos und theos. Nur der Vater ist ho theos oder auch autorheos oder Gou selbst. Alle übrigen Wesen, die den Namen "Gou" tragen - die Bibel spricht ja von solchen, sogar der johanneische Christus bestätigt diese Bezeichnung (Joh 10,34; vgl. Ps 82,6) -, haben das Gottsein nur durch Teilhabe, der Sohn Gottes durch unmittelbare Teilhabe, die übrigen durch Teilhabe, die durch den Sohn vermittelt ist. Dieser hat ..kraft seines Bei-Gett-Seins als erster das Gott-Sein auf sich gezogen und ist so Diener (Vermittler) der Vergöttlichung für die übrigen geworden". Vom Sohn sagt Origenes nicht, daß er vergöttlicht wurde, sondern spricht in aktiv-dynamischer Weise von ihm; er hat das Gottsein auf sich gezogen; er hat also das Gottsein in der Weise der Teilhabe in dynamischer Annahme vom Vater her. Aber in ihm kommt die Dynamik nicht zum Stillstand, sondern setzt sich durch Teilgabe auf die anderen Wesen hin fort. "Urbild (archetyp) der vielen anderen B i lder ist der Logos. welcher bei Gott ist (pros ton theon)." Aber dieses "bei Gou" bedeutet nicht, daß der Logos neben Gott. an der Seite Gottes sei, wie etwa zwei Personen, die nebeneinander herwandem und in die gleiche Richtung schauen, ohne sich gegenseitig anzublicken. Für Origenes bedeutet das Bei-Gott-Sein des Logos vielmehr, daß er zum Vater hingewendet ist. von dem er sein ganzes Gottsein empfangt. Sein Blick löst sich nicht vom Vater; "er bleibt immer Gott, weil er zu Gott hingewendet ist (so übersetze ich hier das pros IOn theon), und er würde nicht Gott bleiben, wenn er nicht verharrte in der ewigen Betrachtung der Tiefe des Vaters". Dieser Irrealis will natürlich nicht sagen, daß der Sohn sich auch vom Vater entfernen, anders wohin schauen und so seine Gottheit verlieren könnte. sondern bringt in plato nisch-plotinischen AusdrUcken. die hier aber personalisiert sind. das völlige Vom-Vater-Hersein des Sohnes zum Ausdruck. Vielleicht könnte man so sagen: Das Empfangen des Sohnes ist nicht nur ein Empfangen des göttlichen Wesens, sondern selbst auch ein göttliches Empfangen, welches Uber jedes Maß des Denkens hinausgeht. So könnte man erklären, daß Origenes sagt, der Vater Uberrage den Sohn mehr, als dieser die Ubrigen Wesen überragt; denn deren Empfangen - auch sie empfangen ja ihr ganzes Wesen von Gott - ist nur ein geschöpfliches. also begrenztes Empfangen, das des Gottessohnes aber ein göttliches, also unbegrenztes Empfangen; dieses göttliche Empfangen ist ein so radikales, daß es den Unterschied oder Gegensatz zwischen dem, der empfangt, und dem, von dem er empfängt, auf eine Weise ausprägt, wie sie im geschöpfli ehen Empfangen nur entfernt nachgeahmt, aber nicht eingeholt werden kann. Andererseits empfangt der Sohn nicht ein geschaffenes Dasein, das ihn vom Vater entfernen wUrde. sondern das Gottsein. durch das er dem Vater näher ist, als es Geschöpfe untereinander oder auch Gott gegenUber sein können; des halb überragt der Sohn die Geschöpfe weit mehr, als der Vater ihn über...
Beobachtungen
zum
Johannes-Komrnentar des Origenes
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ragt, der ihn aber eben doch überragt, weil der Sohn alles vom Vater her emp fängt. So möchte ich bei Origenes zwischen den Trinitätsaussagen des Johannes Kommentars und denen des Matthäus-Kommentars. von denen diese Überlegun gen ausgegangen sind, keinen Gegensatz, auch nicht eine theologische Entwick lung annehmen. sondern in ihnen unterschiedliche B lickrichtungen sehen, die sich aber ergänzen, die also zusammengehalten werden müssen. von denen man ohne Schaden für Glaube und Theologie keine vernachlässigen darf.
Ein-Geist-Sein ( 1 Kor 6, 1 7 b) in der Christologie des Origenes
Prälat Professor Dr. Karl Baus zur Vollendung des 80. Lebensjahres
Origenes sieht Gen 2,24 "Sie werden ein Fleisch sein" überboten durch lKor 6, 17 b "Wer dem Herrn anhängt, ist (mit ihm) ein Geist" und kann diese Linie noch weiterführen zu einer dritten Stufe. In der Schrift, die sein Gespräch mit dem Bischof Herakleides und dessen Kollegen wiedergibt, geht es um die Frage nach der Einheit Gottes: Ob es denn möglich sei, Christus als Gott zu bezeich nen, und trotzdem an der Einheit Gottes festzuhalten. Origenes antwortet: Die göttlichen Schriften lehren, daß viele zweie eins sind (polla dyo ... einai hen), nämlich: Der Mann und die Frau sind nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch (sarx mia); der gerechte Mensch und Christus sind ein Geist (pneuma hen); so ist auch unser Herr und Heiland mit Gott dem Vater, dem Gott des Alls. nicht etwa ein Fleisch, auch nicht etwa ein Geist, sondern das, was höher ist als Fleisch und Geist, nämlich heis theos, ein Gott (dial. 2 und 3). Damit ist aber wohl nicht etwa, wie B . Studer' das auslegt. gesagt, daß die Einheit Gottes von der Art sei wie die Fleischeseinheit von Mann und Frau und die Geisteseinheit von Christus und dem Gerechten; dieses "so" (houtos) weist vielmehr nur zurück auf die Tatsache, daß die Schrift ja verschiedene Beispiele dafür gibt. daß zweie eins sind. Die Einheit Gottes ist nicht so zu denken wie die beiden anderen Einheiten, sondern sie ist ebenso schriftgemäß wie diese. Wenn die Einheit des Sohnes mit dem Vater so zu denken wäre wie die Einheit von Mann und Frau im Fleisch und die Einheit des Gerechten mit dem Heiland im Geist, dann wäre es schwer, an der göttlichen Wesenseinheit festzuhalten. Diese Frage sei aber für den Augen� blick zurückgestellt.
In der Grundlagenschrift Das Seltsame an der Verwendung des Satzes 1 Kor 16,17 b ,.Der dem Herrn Anhängende ist (mit ihm) ein Geist" ist nun dies, daß Origenes in den allermei� sten Fällen damit gerade nicht das Verhältnis zwischen dem Heiland und denen, die ihm anhangen und folgen, beschreibt, sondern ihn christologisch verwendet, Studer, Zur Frage der dogmatischen Terminologie in der lateinischen Übersetzung von Origenes: de principiis. in: Epcklasis (Festschrift rur Kardinal leaD Dani�lou), 1 972, 403-4 14, bes. 412. Anm. 77.
1 D.
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Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
nämlich um das Verhältnis von Menschlichem und Göttlichem in Christus zu beschreiben, und zwar immer unter Beifügung eines Wortes wie mallon (mehr) oder kyrioreron (im höheren Maße, im eigentlichen Sinne). mit einem Genetivus comparationis oder einem para. So wird schon im Frühwerk des Origenes über die Grundlehren oder über die Grundtatsachen (de principiis: per; archon 11. 6,3) sowohl Gen 2,24, als auch I Kor 6, 17 christologisch ausgelegt; da heißt es nämlich: Der Sohn Gottes ist mit seiner Seele in einem Fleisch (in una carne). In der Genesis,jedenfalls wie der Vers in Mt 19.5 zitiert wird, heißt es: eis sarka mian, also eis mit dem Akkusativ; das übersetzen wir dann mit: "Sie werden zu einem Fleisch." Aber die Koine hat häufig keinen Unterschied gemacht zwi· schen eis mit Akkusativ und en mit Dativ; beruhmtestes Beispiel ist das Ende des Philipperhymnus: Der Herr Jesus Christus ist eis ten domn tou PalTOs, was wir neuerdings übersetzen mit: "zur Ehre Gottes des Vaters". was aber Hierony· mus, wie Klaus Gamber1 mit Recht betont hat, übersetzt mit: in gloria dei patris. Es ist also durchaus möglich, daß das in una carne, das ja vom Übersetzer Rufin stammt, das eis sarka mian korrekt wiedergibt, daß also der Vers so verwendet werden kann. Origenes sagt dann: In dem einen Fleisch, in dem einen mensch· lichen Leib sind der Sohn Gottes und seine menschliche Seele (princ. II, 6.3). Man könnte denken, das sei ja selbstverständlich; dies ist aber für Origenes insofern nicht selbstverständlich, als für ihn die Seele auf ähnliche Weise in das Fleisch hineinkommt wie der präexistente Gottessohn; davon wird gleich noch zu reden sein. I Kor 6, 17 dagegen - aJso das Ein·Geist· Werden - wird von Origenes herangezogen fUr die Vereinigung des Logos mit seiner menschlichen Seele. Origenes findet in De prilldpiis 11, 6,3. obwohl er sich offenbar Mühe gegeben hat, keine Schriftstelle als Beweis für seine Überzeugung, daß die uranfänglich alle gleich würdig und gleichrangig geschaffenen Geistwesen, zu denen auch die Menschenseele und die Dämonen gehören, ihren unterschiedli· chen Rang empfangen nach dem Maß ihrer unterschiedlichen Liebe zum Schöp· fer oder ihrer Abkehr von ihm, in der Weise also am Sohn Gottes. am Logos. an der Vernunft, Anteil gewinnen, wie sie ihn lieben. Die Seinshöhe der geistigen Geschöpfe ist da also Ergebnis ihres eigenen Verdienstes, oder wenn man so will: Die Metaphysik wird hier zur Funktion der Moral. Origenes findet aber einen Beweis dafür. daß die Seele Christi die einzige Seele ist, die unter allen präexistierenden Geistwesen auf Grund eigenen Verdienstes der Weisheit, dem Logos, der Wahrheit und dem Licht - alle vier Wörter kommen vor - anhängt, und ihm inseperabiliter inhaerens tota totum redpiens, ihn als ganzen ganz in sich aufnimmt. Das wird von Karpp und Görgemanns in ihrer an sich sehr verdienstvollen Übersetzung der Prinzipienschrift leider völlig falsch übersetzt mit: "Die Seele nimmt den Logos in ihr ganzes Ich auf." Von einem Ich ist an I
Gamber in einem vor einigen Jahren im Herderschen Bedarfsanzeiger erschienenen Beitrag. der mir leider nicht mehr vorliegt: der Titel mag gewesen sein: ," gloria dti potris. J Origenes. Vier BUcher von den Prinzipien. Hrsg., Ubers., mit bit. LI. efläul. Anm. versehen von H. Görgemanos und H. Karpp '" Texte zur Forschung 24, DarmSladt 1976, 363.
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dieser Stelle aber gerade nicht die Rede; wenn die Seele, die neben dem Logos zu denken ist, als ein Ich erschiene, wäre der Nestorianismus perfekt. Schließ lich: in eius lucem ipsa cedens (selbst in seine Lichtnatur Ubergehend)facta cum ipso principaliter unus spiritus (ist sie mit ihm ein Geist geworden) und zwar in vorrangiger erstgültiger Weise'. Daß dies verdienstlich war, wird dann in princ. lI, 6,4 so dargestellt: Non Jortuita fuit assumprio; die Annahme dieser Men schenseeles, oder sagen wir genauer, dieser geistigen Potenz, die später zur Seele Jesu wird, geschah nicht zufällig, aul cum personae acceplione (unter Ansehen der Person; vgl. 1 Petr. 17)6, sondern diese Seele verdiente es, die Seele des Mensch werden wollenden Gottessohnes zu werden, denn von ihr gilt Psalm 44,8 bzw. 45,8: .Gerechtigkeit hast du geliebt, Unrecht hast du gehaßt, deswe gen hat dich Gott mit dem Öl der Freude gesalbt vor all deinen Genossen." Das Öl der Freude ist das Wesen des Gottessohnes selbst; dieses ist, so wird später .
•
Dies. übersetzen (ebd.) principalifer mit "von Anfang an". 5 Dies. S. 365: ..... daß Gott diese Seele annahm". Zwar spricht Origenes unmittelbar davor von der "Einheit der Seele mit Gott", aber bei der assumptio nennt er kein handelndes Subjekt. • GOrgemanns und Karpp drucken (S. 272) einen Abschnitt aus Pseudo-Leontius von Byzanz. d� sUfis 10,5 ab, in welchem dem Origene5 folgende Lettre unterstellt wird: "Denn Gou ist ja nicht einer, der auf die Person schaut (Apg 10,34), so daß er alle diese Wesen. die von einer Natur sind (denn alle vernunftbegabten Wesen sind auch unsterblich), die einen als Dämonen, die anderen als (Menschen)�eJeo. die andercn als Engel schaffen würde; vielmehr Ist orfenkundig. daß er einen jeden bestraft im Verhältnis zu dem. was er gesündigt hat, und deswegen den einen zum Dämon, den anderen zur Seele, den anderen zum Engel gemacht " hat (S. 96, 1 1-15). Wenn dies zwar nicht die wörtliche Aussage des Origenes darstellt. aber doch seine Grundüberzeugung trifft, dann ist, was er princ. 11, 6.4 über die Verbindung des Gottessohnes mit einer menschlichen Seele sagt, auf dem Hintergrund dieser seincr allgemei nen Überzeugung von dcr absoluten Gerechtigkeit Gottes zu sehen. Er wltre dann von Bibelstellen wie Apg 10,34; ROm 2, 1 1 ; Eph 6,9; Kol 3,25 und Petr I , 1 7 so beeindruckt. daß er jedes Schauen auf die Person bei Gott ausschließen würde. Pseudo-Leontius behauptet weiter: "Wenn dies nämlich nicht wäre und die Seelen (nicht) vorausexistieren. wC5wegen finden wir dann, daß manche der Neugeborenen blind sind, wenn sie noch nicht gesUndigt haben. andere aber geboren werden, ohne irgendein Übel (an sieh) zu haben'? Es ist offenkun· dig, daß manche Sünden an den Seelen vorausexistieren, auf Grund deren eine jede nach Gebühr Vergeltung empfltngt." Dem Zitat voraus geht der Satz: "Gott hat also die gegenwlrtige Welt geschaffen und die Seele an den Leib gebunden zum Zweck der Strafe." Dies seheint aber im Widerspruch zu stehen zur Aussage Jesu (Joh 9,3): "Weder dieser (nämlich der Blindgeborene) noch seine Eltern haben gesündigt," Leider ist uns aus dem Johanneskom· mentar des Origenes zur Stelle nur ein kurzes Fragment erhalten, das so lautet; "Eine Überlieferung und ein Glaube dieser Art waren bei den Juden verbreitet. Deshalb stellten auch die Jünger Jesus die Frage: Wer bat gesündigt, er oder seiDe Eltern? Aber Jesus bewies in seiner Antwort, daß weder er noch seiDe Eltern gesündigt haben; Worte, über die wir schon gesprochen haben" (Frg".. Nr. 72 zu Joh 9. I . 2). Aber diese Stel.lcn sind uns nicht erhahen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Prinzipienschrift, der uns nut in der lateioischen Über setzung des Rufinus erhalten ist, der nach eigener Angabe (prae/. 2) geglättet hat, geht hervor, daß Origenes hier io erster Linie Front macht gegen die Gnostiker, die "verschiedene. von verschiedenen Schöpfern eingesetzte geistige NlturenM (prim:. I, 8.2) behaupten, daß er aber auch die Welt gegen den Verdacht purer ZuBlligkeil und den Schöpfer gegen den Vorwurf ungleicher Behandlung seiner GeSChöpfe in Schutz nehmen will (princ. l, 8, 1 . 2.4).
Ein·Geist·Sein in der Christologie des Origenes
210
deutlich gemacht, ganz in Jesus; die anderen aber, die Anhänger und Nachfolger Jesu, nehmen in abgeschwächtem Maß daran teil.
Im lohanneskommentar De principiis, eines der frOhesten Werke des Origenes, gehört noch in seine alexandrinische Schaffensperiode. also vor 230; das Werk gegen Kelsos ist eines seiner spätesten. Wenn wir also von dem einen zu dem anderen Werk den Bogen schlagen. haben wir den jungen und den alten Origenes beieinander; wir können tatsächlich in den allermeisten Punkten Übereinstimmung feststellen. also die Kontinuität des origenischen Gedankens konstatieren. Die Brücke bildet der lohanneskommentar, der zwar erst in Cäsarea zu Ende gebracht, aber schon bis zum fünften Buch in Alexandrien geschrieben wurde; so wundert es nicht, daß im Jo.
1, 32,236 Joh 1 , 30 - da sagt der Täufer: ..Der Mann, der vor mir war und
jetzt kommt" - so ausgelegt wird: "Der Mann, der nach Johannes kommt, war vor ihm (pro autou on); das ist deswegen gesagt, damit wir wissen, daß auch der Mensch des Gottessohnes"
(ho anthropos tau h)'iou tou theau) - wir wUrden
heute vorsichtiger sagen: das Menschliche des Gottessohnes - "der mit seiner Gottheit ganz durchmischt
(anakekramenos), (von ihr total durchdrungen) ist"
- das wäre auch noch nach Chalkedon durchaus möglich -, daß also der Mensch des Gottessohnes "älter ist als die Geburt aus Maria". Der Mensch des Sohnes Gottes; lateinisch heißt das später homo domini, oder homo
dominicus.
auch noch in mittelalterlichen theologischen Werken, etwa bei Rupert von Deutz. Origenes bleibt bei diesen Anschauungen im Laufe des Johanneskom· mentars; so lesen wir etwa im Buch XIX
(2,6), das wenigstens ein Jahrzehnt
später geschrieben ist: "Der Heiland kann gelegentlich tiber sich selbst sprechen wie über einen Menschen, gelegentlich aber wie über eine göttlichere Natur"
(Ja.
XIX,
2, 6). Diese theio/era physis ist natUrlich nicht eine Natur, die
göttlicher wäre als Gou, sondern eine Natur, die, von der menschlichen Natur aus betrachtet. höheren Rang hat, also in die göttliche Sphäre gehön und die vereinigt ist mit der ungezeugten Natur des Vaters. Wenn Jesus sagt: "Ihr wißt. woher ich bin" (Joh
7,28), spricht er peri tau anthropou "eau/ou, über seinen
eigenen Menschen, über seine Menschennatur1 • Wenn er aber sagt: "Ihr kennt
weder mich noch meinen Vater" (Joh
8,19), dann spricht er über seine Gottheit
(peri tes theoletos). Also sind "sein eigener Mensch" und seine "Gottheit" Gegenstände, über die er sprechen kann. oder Seinsweisen. die ihm gehören, in denen er sich selbst je darstellen kann. Interessant aber ist, daß Origenes erklärt. Jesus sage: ,Jch weiß. woher ich komme und wohin ich gehe" te theoreia physei
1 E. Corsini übersetzt in seiner schönen Ausgabe "Commento al Vangelo di Giovanni di Origene", Turin 1968. .565, diesen Ausdruck mit: ,.über sich. insofern er Mensch ist". Das ist
zwar sachlich nicht falsch. liSt aber die exakte Ausdrucksweise des OrigeDes nicht mehr erkennen. Man wunden sich. daS Corsini diesem Ausdruck keine Anmerkung gewidmet hat.
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
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dialegomenos (sprechend durch seine göttlichere Natur - dativus instrumenta lis: Ja. XIX,2, 10). Das ist nichts anderes als dies: Die Gottnatur ist für Origenes ein principium
qua; man wird nicht fehlgehen, auch in der Menschennatur ein
principium qua zu sehen. so daß also der eine, der spricht, der über sich mal wie über einen Menschen, mal wie über eine höhere Natur spricht, das einzige principium quod wäre; das wäre - und mir scheint, das ist die Überzeugung des Origenes - eine Christologie, die wenigstens für diesen Ausschnitt auch noch nach Chalkedon einwandfrei ist. Origenes ist sich bewußt, daß hier ein großes Problem liegt; es könnte nämlich jemand meinen, sagt er, daß der Joh 7,28 sagt: ..Ihr wißt, woher ich bin", ein anderer ist
(heteros on) als der, der Joh 8, 19 sagt: ..Ihr kennt weder mich noch
meinen Vater"; aber dies wäre eine falsche Vorstellung, es ist dies nicht ein anderer, sondern er ist derselbe (Ja. XIX, 2, 10). Gegen Ende des Johanneskom mentars, nämlich in XXXII, 25,325, sagt Origenes zu Joh 1 3 , 3 1 : ,,Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht", indem er sich auf den Philipperhymnus beruft, wo ja PhiI 2,9 von der Erhöhung, ganz genau von der hyperhyposis (von der Obererhöhung) des Erniedrigten die Rede ist, folgendes: ,.Die Erhöhung des Menschensohnes bestand aber darin, daß er nicht mehr ein anderer ist als der Logos (alla ton auton auto), sondern derselbe mit ihm" (identisch mit ihm), und verweist dann auf I Kor 6, 17. Was uns hier stutzig macht, ist natürlich, daß er nicht mehr
(ouketi) von ihm unterschieden sei; das klingt doch so, als ob er's
einmal gewesen sei. als ob also eine Nichtidentität hier in die Identität überge führt worden wäre. Origenes erklärt weiter: "Wenn nämlich der dem Herrn Anhängende ein Geist ist (I Kor 6. 17), so daß von ihm und dem Geist nicht mehr gesagt wird: Sie sind zwei, wie sollten wir nicht sagen, daß noch mehr das Menschliche Jesu mit dem Logos eins geworden ist, da ja der erhöht wurde, der das Gottgleichsein nicht fUr einen Raub ansah, da aber in seiner Höhe blieb oder dorthin zurückkehrte der Logos. als er wieder Gott-Logos, bei Gott war. Mensch seiend"
(Jo. xxxn, 25. 326). Dieser Satz ist wahrhaftig kompliziert, entschei
dend ist dies: Mehr - als irgendein anderer, ist wohl zu ergänzen - wird das Menschliche Jesu eins mit dem Gou-Logos. Erhöht wurde der, der das Gott gleichsein nicht für einen Raub ansah; nicht der Logos wird erhöht, denn der blieb in seiner Höhe. An dieser Stelle wenigstens ist also das Subjekt des ganzen Philipperhymnus, also der, der sich erniedrigt und dann erhöht wird, nicht der Logos. sondern der, der schlußendlich ganz mit dem Logos identisch ist. also der Mensch Jesu, insofern er seiner irdischen Existenz vorausexistiert - wir könnten also ganz einfach sagen: die Seele Jesu.
1m Werk gegen den heidnischen Philosophen Kelsos In der Schrift gegen Kelsos zitiert Origenes wieder Psalm 44.8: ,.Du hast Gerechtigkeit geliebt. Unrecht gehaßt", ohne jedoch daraus eine ähnliche Fol gerung zu ziehen wie in
De principiis; allerdings spricht er sich nun auch nicht
212
Ein-Geist-Sein in der Cttristologie des Origenes
gegen diese Deutung aus. Gegen Kelsos
(6.79) dient der Psalmvers als Beweis.
daß viele echte Lehrer die Lehre Christi in der Weh verbreitet haben. Kelsos hatte nämlich gesagt: Wenn wirklich Gott hinter diesem Christus stünde. dann hätte er nicht nur einen von dieser Art. sondern viele in die Welt schicken müssen. Origenes sagt: Er hat's ja getan, nur mit dem Unterschied. daß dieser eine nicht nur den Anfang der Salbung besitzt. sondern die ganze Salbung des Öls der Freude; die anderen aber haben auch echt Antei l daran. Auch hinter dieser Aussage steckt also die Vorstellung. daß die Vereinigung, wie sie in
1 Kor
6.17 beschrieben wird. in Jesus ihre uneingeschränkte Fülle findet - Origenes kann von der aha henosis (der ..Spitzenvereinigung": Cels. 5, 39) sprechen-. die aber die Anteilnahme der andern daran nicht etwa unmöglich macht, sondern überhaupt erst ermöglicht. Origenes begegnet dem Vorwurf. daß die Christen ja jemanden Gott nennen, der das gar nicht verdient, mit der Erklärung, es sei doch nichts Verkehrtes daran, wenn wir dem, den wir von Anfang für Gott und Gottes Sohn halten (so sehr. daß er die Vernunft in Person und die Weisheit in Person und die Wahrheit in Person ist) und der nun einen sterblichen Leib und in ihm eine sterbliche Seele angenommen hat. so daß diese menschliche Seele das Größte hinzugewonnen hat und in Gott übergegangen ist, göttliche Ehre erwei sen
(Cels. 3, 41).
Das ist nichts anderes als der Gedanke, der schon in der
Prinzipienschrift (11,
6,3) ausgedrUckt war, die Seele Jesu sei ganz in sein Licht
übergegangen. So kann Origenes dann noch erklären, daß der Sohn Gottes mit Recht zweiter Gott genannt wird. insofern er nichts anderes ist als die arete mit ..Tugend" ist das Wort natürlich nur schlecht wiedergegeben -, die Tugend. die alle Tugenden umfaßt. und der Logos. der alle Vernunft, allen Logos aller gewordenen Wesen in sich einschließt. Er hat sich, mehr als mit jeder anderen Menschenseele, mit der Seele Jesu vertraut gemacht und vereinigt. weil nur Jesus die höchste Teilhabe an der Vernunft. Weisheit und Gerechtigkeit in Person zu fassen vermochte
(Cels. 5, 39).
Das bedeutet dann aber im Blick auf die
anderen Menschen ganz allgemein: Diese göttliche Kraft
(dynamis) ist in die menschliche Natur und in die menschlichen Umstände (anthropinai perislaseis)
gekommen, hat Seele und Leib angenommen und den Jüngern gezeigt, daß von ihm ab die göttliche Natur mit der menschlichen Natur zusammengewoben zu werden begann, damit die menschliche göttlich wird. und zwar nicht nur in dem Jesus allein, sondern auch in allen, die, nachdem sie gläubig geworden sind, die Lebensweise annehmen, die Christus lehrt
(Cels. 3. 28).
Und schließlich kann
Origenes erklären. daß die Propheten ja schon vorausgesagt haben. es werde ein gewisser Abglanz und ein gewisses Bild der göttlichen Natur - vgl. Hebr.
1 . 3;
dort aber: ..Hypostase" - unter die Menschen kommen und mit der heiligen Seele Jesu zusammen in dieses Leben kommen
(synepidemesQI),
oder anders
gewendet: Scbon die Propheten sprachen von dem Logos, der sein wird in menschlicher Seele und in menschlichem Leib (ebd.).
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
213
Im Matthäuskommentar Besonders interessant ist die Verwendung von I Kor 6, 1 7 im MaUhäuskommen tar, der ja zu den letzten Werken des Origenes gehört. Es lohnt sich, diese Stellen genau anzuschauen, hier also eine Übersetzung zu bieten'. Zu Mt 19,6 "Und die beiden werden ein Fleisch sein, so daß sie nicht mehr zwei sind, sondern ein Fleisch" sagt Origenes: ,.Da für den, der dem Herrn anhängt, aufbewahrt werden mußte. daß er mit ihm ,ein Geist' wird, ist über die, die von Gott verbunden sind, nach dem Wort: ,so daß sie nicht mehr zwei sind' noch gesagt: ,sondern ein Fleisch'" (comm in Mt. XIV, 16; S. 323,24f). Hier läßt sich erkennen, daß für Origenes nicht nur das Handeln Gottes von Anfang an ein einziges Heilshandeln ist, sondern daß auch die Bibel ein einziger Text ist: Gott. der von Anfang an Mann und Frau verbunden hat, und zwar nicht nur rein körperlich - denn das Verbundenwerden durch Gott setzt Gleichgesinntheit und Übereinstimmung , hat doch so noch nicht die Einheit eines Geistes voraus (ebd., Z. 1 1 ff) bewerkstelligen wollen, diese vielmehr fUr das Verhältnis des Gläubigen zu Christus aufbewahrt; dieser Wirklichkeit des göttlichen Handeins folgt die Aussage des inspirierten Textes. Weder in Gen 2,24 noch in Mt 1 9 , 6 wird den durchaus nicht nur fleischlich verbundenen Ehegatten die Einheit des Geistes zugeschrieben; diese Aussage wird vielmehr aufbewahrt für den Brief des Paulus an die Korinther ( l Kor 6, 17). Derselbe Urheber steht also hinter allen drei Texten: Altes Testament, Evangelium und Paulusbriefe sind Äußerungen ein und desselben (Heiligen Geistes). Auf diesem Hintergrund läßt sich die christologische Verwendung des Korin ther-Zitates verslehen. zur Auslegung des Gleichnisses vom König, der mit seinen Knechten Abrechnung halten wollte (Mt 18,23-24), sagt Origenes: "Wenn aber das Himmelreich einem König ähnlich geworden ist, der so geartet war und solches getan hat, wen muß man dann darunter verstehen. wenn nicht den Sohn Gottes? Er ist nämlich der König der Himmel; und wie er die Weisheit in Person und die Gerechtigkeit in Person und die Wahrheit in Person ist, so vieHeicht auch das Reich in Person (oder: das Reich selbst, oder vielleicht auch: die Königsherrschaft in Person) ". Dieses Himmelreich (oder: diese Himmels herrschaft) wurde also, ,als es in die Ähnlichkeit des SOndenfleisches' kam, um .betreffs der SOnde die Sünde' (Röm 8,3) zu verurteilen. als cr ihn, ,der die Sünde nicht kannte, zur Sünde machte unseretwegen' (2Kor 5,21), die wir unseren ,Sündenleib' (Röm 6,6) tragen, einem Menschen, einem König ähnlich, dem, der als Jesus zu verstehen ist, indem es [das Reich nämlich]. mit ihm vereinigt wurde. der (wenn man dies so kOhn sagen soll) mehr dazu geeignet war [oder: vielleicht besser mehr darauf hielt]. vereinigt und ganz eins zu werden mit dem Erstgeborenen .der ganzen Schöpfung' als der, der ,dem Herrn anhängt', mit ihm ,ein Geist' wird. Dieses Himmelreich aber, welches dem Menschen, dem König, -
, Meine Übersetzung. die erste deutschc libcrhaupt (Origcoes. Der KommeDlar zum Evangelium BGL 1 8). ist mittlerweile erscheinen. nach Mallhäus. Stullgart 1983 ..
214
Ein-Geist-Sein in der Chrislologie des Origcnes
der als der Heiland verstanden wird, ähnlich geworden ist und mit ihm vereinigt ist. wollte. wie es vorwegnehmend heißt, mit seinen Knechten Abrechnung halten" (comm. in MI. XIV. 7; GCS X, S. 289, 9-20; 290, 16-29 1. 3). Der ganze Gedankengang ist offenbar vom ersten Wort des Gleichnisses ausgelöst, nämlich durch das homoiothe (wurde ähnlich). Origcnes scheint gefragt zu haben, wer denn ähnlich wurde, zuvor also nicht ähnlich war. Da im Neuen Testament die Inkarnation wenigstens an zwei Stellen mit Hilfe des Wortes homoioma ausge sagt wird. nämlich außer in dem von Origenes zilierten Vers Rörn 8.3. auch Phi! 2.7. verstand Origenes offensichtlich das Anfangswort dieses Gleichnisses. mit dem er auch einen neuen Abschnitt seines Kommentars beginnt (Kap. 7-9 in Buch XIV). als Inkarnationsaussage. Dann muß mit dem Subjekt des Satzes ..Himmelreich" der präexistente Gottessohn gemeint sein, mit der prädikativen Bestimmung "einem Menschen. einem König" dagegen der Menschgewordene in seiner irdischen Existenz. Dabei versteht Origenes die Bezeichnung ,.Erstge borener der ganzen Schöpfung" (Kol 1 , 15) als einen Titel des präexistenten Gottessohnes. Origenes hält auch im Matthäuskommentar an seiner Lehre von der Präexistenz aller Seelen. also auch der menschlichen Seele Jesu fest; dann besteht die Inkarnation eigentlich nur in der Annahme eines menschlichen Leibes. Dies schimmert mindestens durch, wenn Origenes nach Röm 6,6 von "unserem Sündenleib" spricht. Er scheint 2 Kor 5.21 Er hat ihn zur Sünde gemacht" so zu verstehen: Er hat ihn einen Sündenleib annehmen lassen, also auch in diesem Vers nicht das Kreuzesleiden, sondern die Inkarnation zu finden. Origenes will aber den menschlichen König. dem das Himmelreich in Person - der Christus also - durch die Inkarnation ähnlich geworden ist - wobei das deutsche Wort .,ähnlich" sicher zu schwach ist -. nicht nur als den Leib Jesu verstehen, sondern als den ganzen Menschen Jesus, zu dem dann auch eine menschlich-aktive Seele gehört. Diese aber hat. daran besteht für Origenes kein Zweifel. alJe anderen Menschen. die sich dem Herrn anschließen. von vornher ein weit Uberlroffen. Das wird in dem zentralen Satz ausgesagt. dessen Gewagt heit dem Origenes sehr wohl bewußt ist. Daß er nicht unter der Hand in eine - später als nestorianisch bezeichnete - Auffassung von zwei Personen oder zwei Subjekten in Christus abgeglitten ist, macht er mit dem letzten hier zitierten Satz deutlich: Das Himmelreich in Person, der GOllessohn also. der nunmehr dem Menschen ähnlich geworden ist. hält Abrechnung mit seinen Knechten. Die Antwort Jesu an Petrus: "Auch ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen ..... (Mt 19,28) gibt dem Origenes Gelegenheit zu folgender Überlegung: "Wenn du verstehen kannst. wie der Logos. nachdem er Fleisch geworden war und. was er alles fUr die Geschöpfe geworden ist, als er filr sie das wurde. als was ein jeder ihn brauchte. um alle zu gewinnen (vgJ. I Kor 9. 19), in seinen früheren Zustand zurückgekehrt ist, um. wie er ,am Anfang bei Gott war' (Joh 1 , 2) (da er Gott Logos ist), in seine Herrlichkeit zu kommen. nämlich die Herrlichkeit eines solchen Logos. dann wirst du ihn auf dem Thron seiner Herrlichkeit silzen sehen und den Menschensohn, den als Jesus verstandenen Menschen. als nicht von ihm unterschieden; eins nämlich wird dieser mit dem Logos, mehr als jeder von •.
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
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denen. die, weil sie dem Herrn anhangen, mit ihm ein Geist werden. Dann, wenn dies bei der Wiederherstellung des Heilands geschieht, werden auch die, die alles verlassen haben und ihm gefolgt sind, weil sie mit dem Leib und dem Thron der Herrlichkeit des Christus gleichgestaltet sind, auf zwölf Thronen sitzen .. ." (comm. in Mt. XV, 24; S. 419,30-420,25), Die zentrale Aussage ist hier diese: Der Menschensohn, der Mensch lesu, ist mit dem Logos identisch, ist nicht etwa ein anderer als er. Wundern möchte man sich freilich, wenn Origenes sagt: ,,Er wird eins mit dem Logos", zumal es in I Kor 6, 1 7 nicht etwa heißt: "wird" (ginetai), sondern: "ist". Sollte Origenes etwa das ganze Erdenleben lesu als einen Identifikationsprozeß mit dem Logos verstanden haben? Das Werden, das vom Menschen lesus ausgesagt wird, ist aber wohl nur die Kehrseite des Werdens, das zuvor vom Logos ausgesagt wird. Origenes mag die Parallelität von Göttlichem und Menschlichem überbetont haben; einen der Vereinigung und für sich vorausexistierenden Menschensohn wollte er sicher nicht einführen; das macht der Paralleltext comm. in Mt. XIV, 8 deutlich, wo nicht vom Einswerden, sondern vom Einssein die Rede ist. Das Wort, mit dem Jesus die Auseinandersetzung wegen der Bitte der beiden Zebedäussöhne abschließt, nämlich: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und seine Seele (psyche Leben) als Lösepreis für die vielen zu geben" (Mt 20, 28), nimmt Origenes zum Anlaß einer grundsätzlichen Erörterung (comm. in Mt. XIV, 8): ,.Da ich nun einmal an diese Stelle gekommen bin, möchte ich daran erinnern, daß diejeni gen, die, in der falschen Meinung, Christus so zu verherrlichen, das. was sich auf den Erstgeborenen der ganzen Schöpfung (Kol 1 , 15) bezieht, mit dem vermengen. was sich auf die Seele und den Leib lesu. vielleicht auch auf seinen Geist bezieht. und meinen, es sei ein einziges ganz Unzusammengesetztes. was da gesehen wurde und ins [irdische] Leben kam, keine gesunde Meinung haben. Wir wollen sie nämlich fragen. ob die Göttlichkeit des Bildes des unsichtbaren Gottes und die überragende [Wesenheit] des Erstgeborenen der ganzen SChöp fung, ob also jener. in dem alles im Himmel und auf Erden geschaffen ist. sei es sichtbar oder unsichtbar, seien es Throne oder Herrschaften oder Kräfte oder Mächte (Kol I . 16). als Lösepreis für die vielen gegeben wurde; und welchem Feind, der uns als Gefangene festhält, bis er den Lösepreis bekommt, jene [Wesenheit] als Lösegeld gegeben wurde; und ob jener imstande war, einen solchen und so großen Lösepreis für die Gefangenen anzunehmen. Und dies sage ich nicht etwa, als ob ich von der Seele lesu gering dächte und sie verkleinern wollte, sondern weil ich [behaupten) will, daß sie, soweit dies möglich war, von dem ganzen Heiland als Lösepreis gegeben wurde. daß aber jene überragende [Wesenheit) und Gottheit überhaupt nicht als Lösepreis gegeben werden konnte. Im übrigen löse ich heute Jesus nicht von dem Christus, sondern ich weiß, daß lesus, der Christus, und seine Seele viel mehr eins sind mit dem Erstgeborenen aller Schöpfung, aber auch sein Leib, so daß dieses Ganze mehr (wenn man das so nennen soll) eins ist als der, der dem Herrn anhängt. [mit ihm] ein Geist ist" ( I Kor 6 , 1 7).
=
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Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
Origenes beginnt dann die Auslegung des nächsten Evangelienabschnittcs. drückt sich hier also genauso knapp aus wie an den anderen Stellen. Man fragt sich natürlich, was das "heute" im letzten Satz zu bedeuten haI. Sollte Origenes bei anderer Gelegenheit Jesus von dem Christus gelöst haben? Weil er dies aber sonst auch nicht tut. wird man das semerorl einfach mit ,jetzt" oder .,hier" oder "dabei" wiedergeben, darin also keinen Unterschied zu Ausführungen an ande fCf Stelle erblicken. Hier jedenfalls bekämpft Origenes eine Art frommen. aber unerleuchteten Monophysismus, der im Heiland jede Zusammensetzung be stritt. Da Origenes ausdrücklich von der Seele und dem Leib Jesu spricht, erweckt er den Eindruck, daß diese "Monophysilen" auch zwischen Seele und Leib, wohl ganz allgemein bei allen Menschen, keinen Unterschied machten. Da es sich um fromme Christen handelte, wird man wohl am ehesten an Menschen denken mUssen, die nicht vom griechisch-platonischen Denken mit seiner schar fen Unterscheidung zwischen Leiblichem und Geistigem, sondern von biblisch semitischer Gedankenwelt geprägt waren; aber mehr als eine Vermutung läßt sich hier nicht aussprechen. Bedeutsam ist, daß Origenes diesen seinen Gegnern vorwirft, sie "vermengten" (wörtlich: sYTlcheo) die Aussage über den Präexisten ten mit den Aussagen über Seele und Leib Jesu. Origenes lehnt also solche Vermengung (synchysis) ab, genau wie das später Gregor von Nyssa und schließlich das Konzil von Chalkedon tun werden�. Die Bekämpfung dieses offenbar naiven, sozusagen vortheologischen Monophysismus scheint also ein Grund dafür zu sein, daß Origenes in seinen christologischen Aussagen I Kor 6, 17 heranzieht; wenn man sich die Vereinigung von Göttlichem und Mensch lichem in Christus auf eine zwar alles überbietende Weise, aber doch in der Linie der Vereinigung des Christen mit Christus denkt. ist Wesensvermengung ausge schlossen. Der andere Grund dafür, daß Origenes I Kor 6, 17 so gern christolo gisch verwendet, liegt nalÜrlich in seiner Überzeugung von der Präexistenz aller Seelen, also auch der menschlichen Seele Jesu. Man wird zugeben müssen, daß sich eine solche Christologie gegen Nestorianismus nicht ebenso leicht absi chern kann wie gegen Monophysismus, wenn Origenes dies auch durch die Versicherung versucht, Jesus nicht von dem Christus zu lösen. Dieses Stichwort kennzeichnet auch die letzte christologische Verwendung von I Kor 6. 17 im Matthäuskommentar. Während die alte lateinische Ü berset zung unsere erste Stelle (XIV, 7) falsch wiedergibt und die beiden anderen (XV, 24 und XVI, 8) einfach überspringt, scheint sie in der Commenlariorum Series 55 (GCS XI. S. 152.27ff) den Sinn getroffen zu haben, insofern sie die von Origenes ausgesprochene Überbietung. die via em;lIefiliae in der Christologie, richtig erfaßt hat. Bei der Auslegung von Ml25, 14 "wie ein Mensch, der in die
9 Das Konzil von Chalkedon erklärt. "daß ein und derselbe Christus, Sohn. Herr, Einziger, in zwei Naturen, unvermischt (a.�Y1l8chytQS), unverwandelt. ungetrennt und ungeschieden er· kannt wird" (Denzinger Schönmetzcr Nr. 302).
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
217
Feme reiste", fragt Origenes sich, wie die Gleichnisse vom Femsein des Herrn sprechen könnten, wo er doch versprochen hat, immer bei den Jüngern zu sein. Der Herr sei, so antwortet er, gemäß der Natur seiner Göttlichkeit nicht fern; fern sei er nur entsprechend der leiblichen Ökonomie (d. h. entsprechend seinem Heilshandeln i m angenommenen Leibe), auf der Ebene also. auf der auch Erschütterung und Traurigkeit seiner Seele zu verstehen sind (Joh 12,27 und Mt
26,38). Dann erklärt Origenes, offenbar als Verteidigung gegen einen vielleicht nur befürchteten Vorwurf: ,,Indem wir dies sagen, lösen wir aber nicht den Menschen des angenommenen Leibes. daja bei Johannes geschrieben ist: ,Jeder Geist. der Jesus aunöst, ist nicht aus Gott' ( I Joh 4,3), sondern wir bewahren einer jeden Substanz ihre Eigenart. Wenn nämlich jeder gläubige Mensch, der dem Herrn anhängt, ein Geist ist ( I Kor 6,17), um wieviel mehr darf dann jener Mensch. den Christus gemäß dem Heilshandeln im Fleische angenommen hat, von ihm nicht gelöst, noch als ein anderer als er bezeichnet werden?"
(comm.
ser. in Mt. 55; GCS Xl, S. 152,27 ff). Man kann sich fragen, ob im ersten Satz das solvere mit "auflösen" wiederzugeben ist oder ob zu ergänzen wäre: von Christus, oder: von der Gottheit. Auch die Bedeutung von suscepti corporis homo ist keineswegs sofort deutlich. Wenn dies ein Genetivus qualitatis ist, müßte man wohl so übersetzen: der Mensch, der durch einen angenommenen Leib gekennzeichnet ist; dann wäre der ganze Christus gemeint, der nach der fast nur bei den beiden Alexandrinern Clemens und Origenes bezeugten Lesart von IJoh
4,3 nicht aufgelöst werden darf. Da Origene� aber gleich darauf von dem Menschen spricht, den Christus angenommen hat, wird man den Genetiv eher epexegetisch verstehen und so übersetzen: Wir lösen den Menschen, d.h. den angenommenen Leib, nicht (von dem Christus). Auch wenn Origenes hier IJoh
4,3 anführt, wird man doch annehmen dürfen, daß er sich nicht nur sozusagen vor dieser Bibelstelle rechtfertigt, sondern mit Kritik, mit dem Vorwurf rechnete, er trenne in Christus, später würde man sagen, er sei ein Nestorianer. Origenes hätte also in der Anwendung von 1 Kor 6, 17 auf die Christologie nicht nur einen Schutz gegen Vermischungs-, sondern auch gegen Trennungschristologie gesehen, aber das wäre wohl noch zu wenig; vielmehr wird auf diese Weise die volle Menschen naturdes Heilands auch in ihrer menschlichen Aktivität deutlich. Man wird gewiß zugeben müssen, daß Origenes mit seiner Christologie nicht schon vorweg alle im 4. und 5. Jahrhundert aufgeworfenen Fragen beantwortet hat. Andererseits wird man sagen dUrfen, daß er die ganze Fülle des Christusgeheimnisses unge schmälert im Blick behält, was den großen Theologen des 5. Jahrhunderts keineswegs immer so gelang. Der späte Alexandriner Cyrill, der sich nicht als SchUler des Origenes verstand, ist in seiner Christologie, so rechtgläubig sie war und so verbindlich sie durch das Konzil von Ephesus geworden ist, doch deutlich einseitig. Ein Zurückgehen auf die Fragestellung des Origenes, ein neues Beden ken seiner, von ihm selbst ja nicht als endgültig empfundenen Antwortversuche, könnte auch fur ganz rechtgläubige nachephesinische Christologie hilfreich und neu belebend sein, weil sie den Blick auf das menschliche Sein, Leben. Handeln und Erfahren des Heilands neu eröffnen wUrde. Während Cyrill und das Ephesi-
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Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
Dum betonen, daß der Gottessohn selbst ins menschliche Leben und Leiden herabsteigt. in ihm sich also unmittelbarste Nähe Gottes zum Menschen ereig net, war bei Origenes deutlich. daß der Heiland selbst auch die höchste Nähe des Menschen zu Gott ist. die die Gottesnähe der Christen erst begründet. Zwar betont Origenes das Überragende der Gottesbeziehung des Heilands. aber schon durch seine Fonnulierungen - der Komperativ mallon ist dafür besonders aufschlußreich - macht er deutlich, daß dieses Gottesverhältnis nicht völlig unvergleichbar ist; es überbietet zwar alle andere menschliche Heiligkeit. macht diese aber von innen her verständlich. Solche christologische Deutung aller menschlichen Gottesnähe wäre neu von Origenes zu lernen.
Trinitätstheologischer Hintergrund Deshalb sei noch ein Blick auf das Verhältnis des Gottessohnes zum Vater geworfen, zumal wir ja von der mißverständlichen Stelle im Gespräch mit Herakleides ausgingen, wo Origenes spricht von der Einheit von Mann und Frau im Fleisch, von der Einheit des Gerechten und des Heilands im Geist und von der Einheit des Sohnes mit dem Vater in Gott (dia I. 2.3). Schon im Buch I des lohanneskommentars (I, 29. 204) findet Origenes in Ps 2, 7 : "Mein Sohn bist du. heute habe ich dich gezeugt", die eugelleia (die Wohlgeburt, den Adel) des Gottessohnes ausgesprochen, insofern dies Gau sagt, für den das Heutesein immer ist (ho aei estin to semeron). So gibt es also für ihn weder Anfang noch Ende des Erzeugens. d. h. die eugeneia, (der Adel, die Besonderheit) des Sohnes Gottes besteht darin, daß sein Heutegezeugtsein oder Heutegezeugtwerden sein Immergezeugtsein oder Immergezeugtwerden ist. So kann Origenes auch in der 9. leremiashomilie den Vers Sprüche 8.25 auslegen. Dort heißt es ja im Septua gintatext: .Die Weisheit sagt: vor allen Hügeln zeugt mich Gott." Origenes sagt: Nicht steht da: hat er mich gezeugt, sondern: zeugt er mich: Präsens. Gott zeugt den Sohn in seinem ewigen Präsens. Und zuvor heißt es wörtlich: "Nicht etwa hat der Vater den Sohn irgendwann einmal gezeugt und ihn dann abgelöst von seinem Gezeugtwerden, sondern immerfort zeugt er ihn" (hom. in JeT. 9,4). Insofern ist die physis theiotera, die über menschliches Maß hinausgehende göttliche Natur des Heilands, "der ungezeugten Natur des Vaters vereinigt"lo. Wenn das Bild von dem Gerechten. der mit dem Heiland ein Geist ist, korrekt - wir haben ja Zweifel - ausgelegt, angewendet werden könnte auf das Verhältnis von Gottheit und Menschheit in Christus, dann müßte man sich ja fragen. wie es sich. wenn das eine Parallele sein soll. mit dem Verhältnis von Vater und Sohn in Gott verhält? Grob gesprochen: entweder haben wir hier in der Christologie Nestorianismus oder wir haben, wenn in der Christologie kein Nestorianismus herauskommt, in der Gotteslehre Sabellianismus. So würden wir nach Chalkedon katalogisieren - bei Origenes trifft das sicher nicht zu. Wir •
10 Johanneskommeclar XIX.2.6.
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
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haben ja schon gesehen, daß er zunächst einmal nur an der gleichen formalen Struktur biblischer Aussagen, wo aus zweien eins gemacht wird, interessiert war. Vor allen Dingen aber erklärt Origenes Ober den Christus und seine Menschen natur ausdrücklich immer wieder, daß er nicht heleros par' auton, oder heteros autou, nicht ein anderer neben ihm, sondern mit ihm identisch istU, und er erklärt tiber Gott nachdrücklich genug, daß Vater und Sohn te hypostasei (in der Wirklichkeit, in der Realität) nicht nur epinoia (in unsere Betrachtungsweise) zwei sindu. Bedeutsamer aber als die Aussagen über das Sein, über die physis des Sohnes sind wohl die Aussagen über das göttliche oder innergöuliche Tun des Sohnes. Wir sahen schon, daß er als die arete, als der Wille, als das moralische Sein Gottes beschrieben werden kann und ebenso natürlich als der Logos, wie uns ja geläufig ist. Der Logos aber ist die Vernunft, hat es also mit Erkenntnis zu tun, und so erhebt sich die Frage: Wie verhält sich die Erkenntnis des Sohnes zu der des Vaters? Im lohanneskommentar (I, 27, 186) heißt es schon: "Weil der Einzige (monogenes) die Wahrheit ist, umfaßt er den ganzen Logos aller Dinge, und zwar gemäß dem Willen des Vaters meta pases tranotetos (mit aller Deutlichkeit oder Klarheit). Weil der Sohn Wahrheit ist - Origenes kann ihn immer wieder di e aUloaletheia, die Selbstwahrheit,die Wahrheit in Person (z. B. comm. in MI. XIV, 17. S. 289, 19) nennen -, deswegen kann ihm nichts verborgen bleiben, muß er alles erkennen. Und wenn einer meint. er ehre den Vater dadurch, daß er behauptet, bestimmte Dinge, die dem Vater erkannt werden, die würden vom Sohn nicht gewußt, der soll sich deutlich machen, daß er damit Gott keine Ehre antut; dann fahrt Origenes nach dem Genetiv hypo tou hyiou fort: diarkounlos exiso/ltenai tais katalepsesi lou agenfletou tlleou (Jo. 1 , 27, 186). Diese Stelle wird sehr verschieden übersetzt; von C. Blanc, der Herausgeberin und Überset zerin des 10hanneskommentars in den Sources Chreliennes, z.B. so, daß sie arkounlOS auf den Vater bezieht und ihm eine Art Abwehr zuschreibt: .,Ie Dieu inengendre refusant de se laisser egaler par les perceptions qui cherchent � le saisir"u. Ich habe den Verdachl, daß hier das lateinische Wort "arceo" das griechische "arkeo" überdeckt; "arcere" heißt ja .,abwehren"; man denke nur an das od; profallum vulgus et arceo. Das griechische diarkein heißt aber "durch und durch ausreichend sein"; so muß wohl dieses diakoulltos sich auf den Sohn beziehen. Und wo \/on den kalalepseis die Rede ist, möChte ich agemletou Ilreou als Genetivus subjectivus verslehen und unterscheide mich daher von der sonst höChst schätzenswerten Übersetzung von Ralf Gögler, der hier übersetzt: "der doch durch sein Begreifen des ungezeugten Gottes diesem gleichgesetzt zu
11
Vgl. die beiden oben diskutierten Stellen im MaUhIluskommentar XV, 24, S. 420, 10 und Comm('nlariorum Sui('s S. 153. J .
Il Gegcn Kclsos VIII. 12. Il Orig(l:ne. Commentaire sur Saint Jean. Tome I (Livres I-V). Tcxte Grce, avanl-propos. traduCLiOD CI Dotes par Cccile Blanc '" SC 120 ( 1 966) 153.
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Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
werden vermag"'·. Dabei wird kalalepseis als Instrumentalis verstanden, und der Infinitiv ist ohne Bezugsworl. Ich möchte Obersetzen: ..der sich doch durchaus den Erkenntnissen des ungezeugten Gottes anzugleichen vermag" und komme damit der Übersetzung von H. Crouzell' nahe: "a10rs qu'il a une comprehension egale a celle du Dieu inengendrc". Dabei wählt Crouzel freilich einen Singular, um den Plural katalepseü wiederzugeben. Es macht ja in der Tat nicht nur fOr spätere systematische Theologie. sondern auch im Sinne des Origenes Schwie rigkeiten, von Erkenntnissen Goues im Plural zu sprechen, wo doch bei Gott weder von verschiedenen Erkenntnisakten noch Erkenntnisschritten die Rede sein kann. So würde der Hinweis von C. Blanc auf die Gnosis einleuchten, wo ja in der Tat die BemUhungen untergeordneter Aionen, den Urgrund des Seins zu erkennen, zu erfassen (lcalalambanein), von diesem abgewehrt werdenl6• Hier bei Origenes wUrde der Plural dann also die ErkenntnisbemUhungen des unter geordneten Wesens bedeuten. Aber abgesehen davon, daß auch nach der Ü ber setzung von C. Blanc die griechische Konstruktion nicht ganz überzeugt, er scheint es nicht ausgeschlossen, von Erkenntnissen des ungezeugten Gottes im Plural zu reden. Im Zusammenhang spricht Origenes ja von allen Dingen, die der Vater erkennt, und bezeichnet die Erkenntnis des Sohnes als gleich ausge dehnt; der gewissermaßen quantifizierende Blickwinkel ist ihm von denen aufgedrängt worden, die zwischen der Erkenntnis des Vaters und der Erkenntnis des Sohnes einen quantitativen Unterschied machen. Der Sohn vermag sich den Erkenntnisgegenständen des ungezeugten Gottes aber in vollem Umfang anzu gleichen. C. Blanc rechnet denn auch selbst damit, daß Origenes dem Sohn die Erkenntnis aller Dinge zuschreibt, die auch der Vater erkennt (Sources Chreti ennes 120, S. 153, Anm. 3), mit der einen Ausnahme, nämlich den Vater selbst. Sie verweist dafür auf einen sehr viel später verfaSten Abschnitt des Johannes kommentars. nämlich XXXII, 28,350: "Ich frage aber, ob es möglich ist, daß Gott verherrlicht wird über das Verherrlichtwerden im Sohn hinaus ... wenn er in der Rundumsicht auf sich selbst sich befindet und sich über die Erkenntnis seiner selbst und die Schau (lneoria) seiner selbst, die größer ist als die Schau I' Origenes, Das Evangelium nach Johannes. Übersetzt und cingeleitet von Rolf Gögler MKZU.NF 41 (1959) 129. u H . Crouzel, Theologie de I'image de Dieu chez Orig�ne :: Theol(P) 34 ( 1 956) 1 1 5. llO Vgl. Irenäus, Adllusus hau�sts I. 4, 1 : Die Sophia kann das Licht nicht erfassen, weil sie vom Horos daran gehindert wird. Dies geschieht aber nicht aus irgendeiner Mißgunst des oberslen Wesens. Irenäus berichtet schon in I . 2,2 ausfUhrlichcr über diesen Zug im gnosti schen System: Die Sophia wurde von leidenschaftlichem Verlangen nach dem Vater erfaßt und wollte seine Größe erfassen (l:atalamban�in). Aber der Vater ist unaufspUrbar; daher wäre die Sophia, von Liebe immer weiter vorangetrieben, schließlich verschlungen und in die Gtundsubslallz aufgelösl worden, wenn sie nicht auf die befestigende und bewahrende Kraft, nämlich den Horos (die Grenze), gestoßen wäre, die ihr k.lat macht, daß der Vater unerfaßbar ist. Selbst in diesem gnostischen System ist also deutlich, daß der Vater die Erfassungsversu che untergeordneter Wesen zu deren eigenem Heil abweisen läßt. Etwas dcrartiges, daß der Sohn etwa sich i m Vater auflösen könnte, findet sieh aber bei Origenes an keiner Stelle. =
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
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im Sohn ... in einem unaussprechlichen WOhlgefallen und unaussprechlicher Heiterkeit und Freude freut". Es handelt sich um eine Auslegung von Joh 1 3 , 3 1 : ,Jetzt wurde der Menschensohn verherrlicht, und Gott wurde in ihm verherr licht." Man könnte zunächst ja darauf hinweisen, daß die Herrlichkeit, die Gott in sich selber hat, größer ist als die Verherrlichung, die ihm in der (Heils)ge schichte erwiesen wird; aber Origenes scheint nicht diese Geschichte der Ewig keit. den inkarnierten Sohn dem Vater gebenUberzustellen, sondern überzeitlich an das innertrinitarische Verhältnis des Sohnes zum Vater zu denken. Er bleibt dabei seinen Grundüberzeugungen treu, daß der Sohn nicht nur vom Vater her ist, sondern ihm auch untergeordnet ist, nicht nur im Gehorsam, sondern in seinem Sein. Die Herrlichkeit des Vaters in sich selbst ist aber nicht einfach ein Widerschein des Seins. sie liegt auf der Ebene des Bewußtseins, ist also Folge des Erkennens. Weil der Sohn den Vater offenbar nur in geringerem Maße schaut, als der Vater sich selbst schaut, deshalb ist die Herrlichkeit des Vaters in sich selbst größer als seine Herrlichkeit im Sohn. Dabei wird man nicht quantitativ denken dUrfen; solcher Gedanke läßt sich auch nicht einfach als vomizänischer Subordinatianismus abtun. Auch konsequent nachnizänische Trinitätstheologie muß daran festhalten, daß der Sohn sich in seinem ganzen Sein. seinem ganzen Erkennen und also auch seiner ganzen Herrlichkeit dem Vater verdankt. dieser also vor ihm den Vorrang hat. Daß das göttliche Erkennen nicht nur sozusagen nachträglich zum göttlichen Sein hinzukommt, sondern dieses und auch das innergöttliche, personale Sein mitkonstituiert, macht Origenes schon in einem frUheren Text des Johanneskom mentars (11, 2, 18) deutlich, wo er Joh 1 , 1 b und c "Und der Logos war bei Gott, und der Logos war Gou" auslegt. Während der Logos die "Selbstwahrheit" (Jo. VI. 6,38) oder auch die "Selbstkraft" (autodynamis, ebd. I, 33,241) genannt werden kann. ist Gott der Vater. der "Selbstgou"; alle Wesen, die in irgendeiner Weise als Gott oder göttlich bezeichnet werden (z. B. in Ps 49, 1), haben dies aus Teilhabe am Selbstgott; dies gilt ebenso, wenn auch in überragender Weise vom Sohn: "Wahrer Gott also ist Gott, die aber nach ihm gestalteten Götter sind wie Bilder des Originals (Prototyp); wiederum aber ist Urbild (Archetyp) der vielen Bilder der Logos bei Gou, welcher am Anfang war und dadurch immer Gott bleibt, daß er bei Gott ist und dies nicht besäße, wenn er nicht bei Gott wäre, und nicht Gott bliebe, wenn er nicht verbliebe bei der unablässigen Schau (/hia) der Tiefe des Vaters" (Jo. U, 2, 1 8). Es macht im Deutschen Schwierigkeiten. zwischen Prototyp und Archetyp zu unterscheiden; auch im Griechischen ist kaum ein Unterschied wahrzunehmen. FUr Origenes ist also auch der Sohn Bild, weil er vom Vater abkUnftig ist, aber in ganz anderer Weise als die übrigen Bilder; diese geben eigentlich nicht den Vater selbst, den Selbstgott. sondern den Sohn. das Urabbild. wieder. Der Sohn, der Logos seinerseits, ist entsprechend dem JOhannesprolog, in welchem ja nichts über den Ursprung des Logos gesagt wird, für Origenes, der sich immer ganz auf die Perspektive des kommentierten Textes einstellt, deswegen Gott, weil er bei Gott oder vielleicht besser: auf Gott hin (pros) ist. Das von-Gou-her-Sein des Logos. das an anderer Stelle so
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Ein-Geist·Sein in der Christologie des Origenes
bedeutsam ist, wird hier nicht bestritten, sondern einfach vorausgesetzt; hjer wird das Gousein des Sohnes durch sein Auf-Gott-hin-Sein begründet und dieses aktiv, nämlich im Sinne von Erkenntnis verstanden. So ergänzt sich der Gedanke des Origenes selbst: Die Göttlichkeit des Sohnes erklärt sich nicht nur aus seiner Herkunft. sondern auch durch seine ihr entsprechende Rückwendung zum Vater. Hier wird also nicht von einem sozusagen beliebigen Betrachten Gottes gesprochen, sondern das Gousein des Sohnes gründet sich auf seine auf den Vater gerichtete Schau, so wie es andererseits auch der Grund ist.
Folgerungen Natürlich ist die Trinitätstheologie des Origenes vornizänisch und einer deutli chen Unterordnung des Sohnes unter den Vater nicht nur verdächtig. Es ist aber doch wohl zu fragen, ob die nizänische Wesensgleichheit von Vater und Sohn so verstanden werden muß, daß jetzt nur noch das gesehen wird. worin der Sohn dem Vater gleich ist. Daß diese Seite des Gottesbildes vor allem in der Ausein andersetzung mit den Arianern (im Westen wieder im 5 . und 6. Jahrhundert) betont wurde, ist verständlich; wenn aber die leoninisch-chalkedonische Chri stologie im göttlichen Wesen nur noch das Herrscherliche sieht und alles Gehorchen und Ausführen ins Menschliche des Heilands verlagert, dann ist das Glaubensgeheimnis verkürzt und das Christusbild so vereinseitigt, daß ihm die innere Stimmigkeit verlorenzugehen droht. Die johanneischen Aussagen. wo nach der Sohn nur sagt, was er vom Vater hört. und nur tut. was er am Vater sieht. dürfen wohl nicht auf das menschliche Handeln Christi eingeschränkt werden. Zwar nennt der Hymnus im Philipperbrief (2,8) erst die übernahme des Kreu zestodes ausdrücklich Gehorsam, aber die Selbstentäußerung oder Selbstentlee rung (die kenosis). die dem in der Wesensgestalt Gottes Existierenden zuge schrieben wird (ebd. Vers 6f). gilt als das nachzuahmende Höchstmaß von Demut und von Bedachtsein auf fremdes. nicht auf eigenes Interesse. Und wenn der erste Johannesbrief (4. 9, 10. 14) sagt. daß Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat. daß er ihn als Sühne und als Heiland der Welt gesandt hat, dann muß doch dem, der sich so senden läßt, also dem präexistenten Sohn Gottes. Gehorsam zugeschrieben werden. Dann ist nicht erst der Kreuzestod menschli cher Gehorsam, sondern schon die Fleischwerdung des Wortes (Joh 1 , 14) ist göttlicher Gehorsam. Dann gibt es in Gott selbst nicht nur Souveränität, sondern auch ein Gehorchen, ein volles Ausgerichtetsein auf den Willen des Vaters, welches die Göttlichkeit des Sohnes keineswegs mindert. sondern charakteri siert,ja als eigene Personalität konstituiert. Der Christus ist also nicht zu denken als Gegensatzeinheit von befehlendem göttlichem und gehorchendem mensch lichem Wesen (dies wäre eigentlich Nestorianismus), sondern als Entspre chungseinheit. in der das Menschliche die angemessene Offenbarung nicht einer Gottheit gewissermaßen im allgemeinen. sondern der göttlichen Person des vom Vater gezeugten und ganz auf den Vater zurückgewendeten Sohnes ist. Nur so
Ein-Geist-Sein in der Christologie des Origenes
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ist wohl Personeinheit zwischen Gottessohn und Menschensohn denkbar. Wenn dem aber so ist. behalten nicht nur, wie oben schon betont. die christologischen, sondern auch die trinitätstheologischen Aussagen des Origenes ihre Bedeutung; ja. sie werden geradezu notwendig. wenn es ernsthaft darum geht. nicht nur in der Theologie. sondern auch in der Verkündigung, deren christologisches und trinitätstheologisches Defizit ja mit Händen zu greifen ist, das ganze Christus geheimnis zur Geltung zu bringen. Sogar für die christliche Lebensgestaltung und auch für christliche Erziehung macht es doch wohl einen Unterschied, ob Gehorsam nur als Eigenschaft des Erniedrigten oder als Kennzeichen des Gottessohnes selbst verstanden wird. Zu solchem (heils-)notwendigen Verständ nis könnte Origenes helfen.
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Die Juden beim späten Origenes
Wenn ich vom späten Origenes spreche, dann meine ich den Origenes des Matthäus-Kommentars und des Werkes ..Gegen Kelsos". Ich möchte annehmen, daß die beiden Werke parallel entstanden sind. Zwar hat Origenes höchstwahr scheinlich später noch den Lukas-Kommentar verfaBt. aber der ist uns ja weitgehend nicht erhalten. Die Arbeit am Matthäus-Kommentar hat sich sicher eine Weile hingezogen; an einigen Stellen. wo man nicht darauf warten würde. taucht plötzlich das Wort alethes logos auf'. Ich möchte vennuten, daß das daher kommt. daß Origenes zur seiben Zeit schon mit der Widerlegung des alethes logos des Kelsos befaßt war. Ich werde zunächst also den Mauhäus-Kommentar anschauen und dann einen eher kurzen Blick auf die Widerlegung des Kelsos werfen. Vom Matthäus·Kommentar sind uns griechisch nur die Bücher X-XVII erhalten; vorher haben wir nur knappe Fragmente, die aus den Katenen zu retten waren, und danach haben wir eine spätantike lateinische Übersetzung, die gesondert überliefert ist und sich im Mittelalter den Namen Commentariorum Series zugezogen hat; sie war in Abschnitte eingeteilt worden, wird also nach den Abschnittsnummem zitiert. Natürlich ist das Problem der Übersetzungen für die Commentariorum Series das übliche, trotzdem kann man an manchen Stellen erkennen, daß der Text dem Gedanken des Origenes sehr nahe ist; mir scheint, daß in der Frage, mit der wir hier befaßt sind, nämlich wie Origenes das Verhältnis von Israel und Kirche darstellt, der Übersetzer vom Gedanken des Origenes nicht abgewichen ist; das allein schon deshalb nicht, weil er dazu sozusagen keinen Anlaß hatte. Er hat im wesentlichen zwei Gründe, Stellen aus Origenes auszulassen, nämlich erstens, wenn er sie nicht verstanden hat, und zweitens. wenn sie ihm für seine asketisch-monastischen Zwecke nutzlos er schienen. Selber hinzugefügt hat er eigentlich nur solche Überlegungen.
I . Der Matthäus-Komrnentar: Übergang des Wortes Gottes
von den Juden z u den Heiden Also fange ich an mit dem. was wir von Origenes zu Matthäus haben; im 10. Buch schon im 4. Kapitel erklärt Origenes das Gleichnis vom im Acker verbor genen Schatz. also Mt 13,44f, und verbindet dann in 10,6 damit das Gleichnis vom Weinberg aus Mt 21,33f mit der Begründung, heide bedeuteten ja das Himmelreich. Nun - Himmelreich ist eine schlechte Übersetzung; höchstwahr-
' Nlmlich im Mauhll.us-Kommentar 14,5 (GCS Origenes X 282,25) und ebd. 1 6 , 1 0 (505 , 1 1 ) und in der Commerllariorum Seriel 47 (GCS Origenes XI 97,3).
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Die Juden beim späten Origenes
scheinlieh müßte man, um die Gedanken des Origencs zu treffen, sagen: Kö nigsherrschaft über die Himmel, wobei dann der Genitiv ein Objekt-Genitiv wäre. Das ist aber nur an den meisten SteUen der FaH, nicht immer. Ich sage aber der Einfachheit halber, weil es uns so vertraut ist, Himmelreich. Origenes sagt also, sowohl der im Acker verborgene Schatz als auch der Weinberg bedeuten das Himmelreich; deswegen sei es berechtigt, die heiden Gleichnisse miteinan der zu verbinden. Wenn einer den Acker kauft. sagt Origenes, dann bedeutet dies. daß er von den Leuten Gottes die Aussprüche Gottes bekommt, mit denen zuerst die Juden betraut waren. Dieses ist natürlich Zitat aus dem Römerbrief 3.2. Origenes fahrt fort: "Wenn der, der zum Jünger Christi wird, den Acker kauft, bedeutet dies, daß den Juden das Himmelreich weggenommen und einem Volk gegeben wird, das zur rechten Zeit Frucht bringt". Das ist natürlich Zitat aus der im Matthäus-Text von Jesus selbst gelieferten Erklärung des Gleichnisses vom Acker. Juden kommen dem Origenes also hier, wo er den verborgenen Schatz auslegt, deswegen in den Blick, weil er davon überzeugt ist, daß jeder einzelne Neuchrist, also jeder Käufer des Ackers, in seiner Person den großen Übergang des Wortes Gottes von den Juden zu den Heiden wiederholt und gewissennaßen neu vollzieht. Man kann sich natürlich fragen, ob Origenes hier mit Recht Röm 3,2 zitiert. Paulus will ja dort den Vorzug der Juden herausstellen, Gottes Treue zu ihnen. Er sagt wörtlich: "Was ist ihr Vorzug oder was ist der Nutzen der Beschneidung? Viel in jeder Hinsicht! Erstens nämlich, daß sie mit den Aussprü chen Gottes betraut wurden." Diesem prOlO" mell müßte natürlich eigentlich ein deuteron de folgen, also diesem "erstens" ein "zweitens". Aber es folgt bei Paulus kein ..zweitens". Da wundert es einen nicht allzu sehr, wenn Origenes. der jedes Wort im Bibeltext ernst nimmt, dieses proIon. das eigentlich nur eine logische Gliederung bedeuten sollte, im Sinne der heilsgeschichtlichen Periodi sierung mißversteht. Aber die Verantwortung dafür fällt auf den Verfasser des Römerbriefes, der wie manch einer, im Eifer des Wort- und Gedankengefechts, ein "erstens" sagt und bis zu einem ..zweitens" dann gar nicht mehr kommt. So liest Origenes also dieses verhältnismäßig harmlose proto" de von Röm 3,2 im Sinne von Mt 2 1 ,43, also im Sinne des ..Euch wird das Reich genommen werden" . 'n der 24. Nestle-Ausgabe des Neuen Testaments von 1962 wurde zu dieser Stelle als Teillesart des Origenes (Origenes pt partim) angegeben: prolO; also: "die Juden als erste". Die 26. Ausgabe von Nestle-Aland hat den gar Hinweis auf Origenes nicht mehr. obwohl es sehr gerechtfertigt wäre. denn Origenes hat aufjeden Fall an dieser Stelle das gar, das "nämlich" , welches wohl nicht in den Text hineingehört. Was sich aus dieser AusfOhrung im Matthäus-Kommentar vermuten läßt, daß nämlich Origenes die Römerbrief-Stelle so verstanden hat, bestätigt sich uns, wenn wir das 1 1 . Fragment zum Römerbrief. nämlich zu Röm 3. 1-3 anschauen, wie es im Journal of Theological Studies herausgegeben wurde. Ich übersetze den Origenestext so: ..Mit den AussprUchen Gottes betraut zu werden, ist nichl =
-
I JThS 13 ( 1 9 1 2 ) 2 1 8 cd. Rambotharn.
Die Juden beim Späten Origenes
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dadurch gekennzeichnet, daß man mit BUchern und Schriften betraut wird. sondern dadurch, daß man ihren Sinn und die darin liegenden Geheimnisse kennt. Entsprechend der gesunden Lehre nämlich wird der Weise kennen, was aus seinem Mund hervorgeht. auf seinen Lippen aber wird er Klugheit tragen (das ist Zitat aus Spr 16,23). Von dieser Art waren Moses und die Propheten, welche Juden waren und betraut mit den AussprUchen Gottes. und wenn noch jemand bei ihnen diesen ähnlich war. Die Apostel unseres Herrn Jesus Christus aber hatten vor denen, die von ihnen das Christentum gelernt haben, den Vorzug des Juden und den Nutzen der Beschneidung. Es gibt aber für die aus den Heidenvölkern einen großen Vorzug gegenüber denen aus der Beschneidung. Von denen nämlich wurde das Reich Gottes weggenommen, um einem Volk gegeben zu werden, welches seine FrUchte bringt (Mt 2 1 . 42). Wenn aber als erste jene mit dem Ausspruch Goues betraut wurden. gibt es auch die, die an zweiter Stelle betraut wurden." (Origenes liest also aus dem vergleichsweise harmlosen proton die ganze Periodisierung der Heilsgeschichte heraus) . .,Was nämlich erstes ist, ist erstes im Vergleich zu einem anderen oder zu mehreren anderen. Wer also die sind, die an zweiter Stelle belraut wurden, kann man aus dem Wort ersehen: Dem einen nämlich wird durch den Geist Weisheitsrede gegeben usw." ( 1 Kor 12.8.9; ich führe das Zitat weiter: ..einem anderen aber Erkenntnisrede gemäß dem Geist" usw.) . .,Wenn aber einer in Verwirrung meint, die Aussprüche Gottes seien dasselbe wie die Schriften Gottes. soll er auf den Psalm achten (nämlich Psalm 12,7), welcher sagt: .Die Aussprüche des Herrn sind reine Aussprüche; - im Feuer erprobtes Silber ,durch Erde siebenfach gereinigt.' Ich meine nämlich nicht. daß die reinen Aussprüche dasselbe sind wie der tötende Buchstabe." (Das ist natürlich typisch fUr Origenes, nämlich der Hinweis auf 2 Kor 3.6). Origenes fährt fort: ,.Wie aber die vorerwähnten Juden als erste mit den AussprUchen Gottes betraut wurden. so wurden einige auch ungläubig. Aber deren Unglaube. sei es Gott, sei es seinen Aussprüchen gegen über. wird nicht (und nun kommt das Problem, daß man pislis nicht übersetzen kann) die pislis Gottes zunichte machen. Aber welche (ich Ubersetze jetzt: Treue) Treue Gottes? Vielleicht die. mit der Gott einigen die Aussprüche anvertraut? Oder die. mit der die Gott glauben, die mit den Aussprüchen betraut wurden, wie ja (wieder Zitat) Abraham GOII glaubte, und ihm dies zur Gerechtigkeit angerechnet wurde (Röm 4 , 3 Gen 1 5 , 6). Beides hat, meine ich. Sinn. Es muß nämlich sowohl der, der Gott glaubt, als auch der. der mit seinen Aussprüchen betraut ist. vor allem zur Zeit des Spottes der Ungläubigen, mit dem sie die verspotten. die gläubig geworden sind. sich daran erinnern, daß die Treue Gottes (pistis theoll - oder vielleicht auch: der Glaube an Gou) - nicht von der Lehre derer, die nicht glauben, zunichte gemacht wird. " Immer wenn Origenes an diese Polarität denkt. spricht er von Auseinandersetzung; ob die nun theologischer Art war. muß man offenlassen. Zu Mt 13.57b ..Nicht ist ein Prophet ehrlos, es sei denn. in seiner patris, in seiner Heimat", sagt Origenes in com",. i" MI. 10, 1 8 folgendes: , , 1 . Das ist ganz allgemein gesprochen. 2. Das stimmt historisch nicht. Denn weder wurde Elias =
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in Thispe noch Jeremias in Anatot entehrt." (Origenes nimmt patris ganz eng im Sinne von Heimatdorf oder Heimatstadt). "Übertragen aber ist der Satz sehr wahr, denn übertragen ist die palris dieser Propheten Judäa und jenes Israel." (Nebenbei bemerkt: Da wird deutlich, was mit
tropologia
gemeint ist; einfach
die Entgrenzung des Begriffes palris vom bloßen Heimatort zum Heimatland ist für Origenes schon
lTOpologia) .
. Alle wurden nämlich entehrt von dem Israel .
kala sarluJ.. Kein Prophet ist nämlich ohne Ehre bei den Heiden, denn die Heiden kennen die Propheten ja gar nicht, können sie also deswegen auch gar nicht entehren. Wenn sie ihn aber kennenlernen und annehmen, dann ehren sie ihn als Prophet." (Hier wird ein ganz kleiner Trick i m Gedankengang angewandt. denn es könnte auch sein. daß Heiden einen Propheten kennenlernen und ablehnen. Und dann wäre er doch bei den Heiden ohne Ehren. Diesen Fall scheint Origenes gar nicht ins Auge zu fassen)
.
.Entehrt wurden die Propheten erstens nach der
•
Geschichte (im wörtlichen Sinn, oder: in der Geschichte des Volkes) und zweitens. weil das Volk Gottes ihren Verheißungen zur Zeit Christi nicht ge glaubt hat. Denn wer den Propheten nicht glaubt, der entehrt sie." Dann macht Origenes sozusagen einen Durchgang durch die Geschichte der Propheten, erinnert z. B . an das Zersägtwerden des Jeremias und findet dies natürlich in den Apokryphen ausgesagt, weist aber auch hin auf Hebr 1 1 ,37. Origenes erklärt: ..Da der Prophet keine Ehre in seiner
porris
hat. weil die Juden das Wort nicht
annahmen. deswegen gingen die Apostel zu den Heiden." Der allgemeine Satz ist also tropologisch gerechtfertigt und dann doch auf die historischen Fakten, nämlich auf das einmalige. freilich sozusagen bleibend gewordene große Fak tum angewendet, daß das Wort zu den Heiden Ubergegangen ist, d . h . also. auch bei solchen sprichwörtlichen Reden hat Origenes diesen großen heilsgeschicht lichen Einschnitt im B lick.
2. Übergang der Prophetengabe von den Juden zu den Heiden Zu Mt 14,3, wo es heißt: .Herodes hatte nämlich den Johannes festnehmen und •
ihn einkerkern lassen", fällt Origenes in
comm. in Mt. 10.21
der Satz aus MI
1 1 , 1 3 ein, wonach das Gesetz und die Propheten bis Johannes gingen, und er sagt: "Nach Johannes hörte die Prophelengabe bei den Juden auf'. Nebenbei bemerkt: Das war gestern so interessant zu hören, daß die Rabbinen selber schon das Ende des prophetischen Geistes mit dem Tode des Maleachi ansetzten, so daß also das, was Origenes hier sagt, gar nichts besonders Neues wäre. Origenes f ahrt fort: "So ging die Vollmacht derer, die im Vo lk als König herrschten. bis zu Johannes. Diese Vollmacht gestattete ihnen. die zu töten, die sie für todes wUrdig hielten. Nachdem aber der letzte der Propheten gesetzeswidrig von Herodes getötet worden war. wurde der König der Juden der Tötungsvollmacht beraubt. Denn tatsächlich wurde Jesus ja von Pilalus verurteilt und nicht vom Judenkönig." Um der Durchsichtigkeit der Konstruktion willen tut Origenes so. als sei Hemdes der ganz und gar rec htmäßige König der Juden gewesen.
Die Juden beim späten Origenes
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Leider ist kein Kommentar zu Mt 1 1 , 1 3 erhalten, auch die Fragmente kommen auf diesen Punkt, nämlich daß die Prophetengabe bis zu Johannes geht, nicht zu sprechen. Origenes erklärt weiter: ,,Damals erfüllte sich die Jakobsweissagung über Juda, nämlich: Nicht wird fehlen ein Herrscher aus Juda oder ein Führer aus Israel, bis der kommt. dem es hinterlegt ist, wie in der Septuaginta zu lesen ist" (Gen 49, 10). Dazu ist natürlich folgendes zu bemerken. Diese Verheißung hat ja nicht das Ende der Herrschaft in Juda im Sinn, sondern die endgültige Vollendung der Herrschaft der Eigenstaatlichkeit und Souveränität Israels. Origenes aber sieht in diesem "Nicht ... bis" sozusagen den Endpunkt angegeben, versteht es also im Sinne von "dann wird aufhören", um SO das Ende der politischen Herrschaft Israels schon in diesem Jakobssegen ausgedrückt zu finden. Origenes fährt fort: .Dies ist wohl prophetisch (bzw. providentiell) geschehen. Den Juden wurde die Tötungsvollmacht weggenommen zum Schutz derer, die an Christus glauben. Gott wollte den Lehren Jesu in Israel Raum schaffen. Hätten die Juden noch die Hochgerichtsbarkeit besessen, dann hätten sie ja die neubekehrten Christen töten und gleichzeitig meinen können, dabei das Gesetz und die Prophe· ten zu erfüllen. Was Herodes tut, bedeutet. daß die prophetische Rede jetzt nicht mehr freies Zeugnis ablegen kann. also wiederum, daß die Prophetengnade aufbört." Hier sei die Zwischenbemerkung gestattet: In der Genesis·Homilie 17.6 wird Gen 49. 10 allerdings anders verstanden. Dort werden Christus, ja sogar die Führer der Christen in die Kontinuität der Herrscher Judas gestellt. Freilich, die Genesis·Homilie ist nur in lateinischer Übersetzung erhalten, und man weiß nicht. ob dies nicht doch ein Gedanke des Rufin ist. Andererseits wissen wir, daß Origenes keineswegs je ein Gefangener seines eigenen Systems war und sich sehr schnell auf einen anderen Text neu einstellen konnte. In comlli. itl MI. 10,23 wird der Satz Mt 14, 13, daß Jesus auswich an einen einsamen Ort. nachdem Johannes getötet war, von Origenes so ausgelegt: .Jesus geht an den Ort, der von Gott leer ist (eremos), d. h. zu den Heiden, weil nämlich die Juden die Prophetie verfolgten." Und nun kommt ein ganz seltsamer Gedan· ke. in dem wiederum Herodes als Zusammenfassung der damaligen jüdischen Haltung betrachtet wird, wenn Origenes - was sachlich sicher falsch ist folgendes erklärt: "Weil sie (die Juden nämlich) die Fortpflanzung ehren. und weil sie an den inhaltslosen Tanzbewegungen (nämlich der Tochter der Hero dias) ihre Freude haben, deswegen verlieren sie die prophetische Gabe." Tat sächlich hat ja Herodes Geburtstag gefeiert und sich erfreut an dem Tanz seiner Stieftochter. Übrigens hat schon Philo erklärt. Geburtstagsfeiern seien nur von schlechten Menschen überliefert. z. B. von Pharaonen u. a. (De ebrielale § 208) . ..Nur wer das liebt, was mit Genesis, mit Fortpflanzung zu tun hat. der feiert Geburtstag" so Origenes im comltJ. in Mt. 10,22 . .,Man muß Gott danken", sagt Origenes . ..daß. wenn die Prophetengabe vom Volk Israel gewichen ist, eine viel größere durch den Heiland auf die Völker ausgegossen wurde." So in 10.22 des COItJItJ. in MI. Also: [rnrner wieder wird dieser Übergang des Prophetischen vom Volk auf die Heidenvölker herausge stellt. Im 14. Buch des comm. itl MI. Kap. 12 zieht Origenes Lk 19. 14 bei, wo •
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Die Juden beim späten Origenes
es heißt. daß die Mitbilrger dem in die Feme Gereisten eine Gesandschaft nachschicken und sagen ließen, sie wollten nicht. daß er über sie König würde. Dazu sagt Origenes: .Diese Mitbürger, die eine Gesandtschaft nachschicken, sind entweder das nicht an ihn glaubende Israel oder aber die nicht an ihn glaubenden Heidenvölker," Also stehen hier nichtglaubende Juden und nicht glaubende Heidenvölker für Origenes auf gleicher Stufe. Da ihm natürlich die Abwesenheit Christi auch rUr die Dauer der ganzen Weltzeit gilt. ist dies heilsgeschichtlich bedeutsam. Da wäre also nach dieser Auslegung kein Unter schied zu machen zwischen den ungläubigen Heidenvölkern und denen aus Israel, die nicht an Christus glauben.
3. Die endgültige Rettung Israels Das Streitgespräch über den Scheidebrief (Mt 19,7 f) nützt Origenes unter Hinweis auf Eph 5 , 3 1 f, wo ja das Ein-Fleisch-Werden von Gen 2,24 auf Christus und die Kirche bezogen wird, dazu, nun über den Abfall der Synagoge, welche er als die erste Frau des Logos bezeichnet, zu sprechen. Er erklärt comm. ill Mt. 14, 17 folgendes: "Nicht der Logos hat ihr einen Scheidebrief ausgestellt. vielmehr hat sie sich von ihm geschieden damals. als sie ihn dem Tod überlie ferte. und dieser sein Tode war dann umgekehrt sozusagen der Scheidebrief. den er ihr ausstellte. Die Folge davon ist, daß die Juden nun das Gesetz nicht mehr erfüllen können. weder den Tempelgouesdienst können sie einhalten - es gibt ja keinen Tempel mehr - noch die Steinigung vollziehen, aber auch Propheten gabe gibt es nicht mehr bei ihnen." Aber schon zwei Kapitel weiter ( 14, 19 f) erinnert sich Origenes an Röm 1 1 , 2 b (wenn die Fülle der Heidenvölker einge gangen sein wird. dann wird auch ganz Israel gerettet) und legt die Scheidung nun so aus. daß der erste Mann. der Logos. Israel doch wieder annehmen wird. ganz gegen die Anweisungen von Dtn 24. 1-4. wo ja ausdrücklich die Rückkehr einer zum zweiten Mal geschiedenen Frau zum ersten Mann verboten wird. Origenes erweist sich hier also ganz und gar souverän in seiner Auslegung. um - und das ist so wichtig - auch mit Hilfe dieses Theologumenons vom Scheidebrief die endgültige Rettung Israels aussagen zu können. Und zwar erklärt er. Gott selber werde die Dinge so lenken. Anschließend betrachtet Origenes dann die Einzelseele und ihr Verhä.ltnis zum Logos. Auch da kann es sein, daß die. die mit Christus verbunden war. sich von ihm trennt und nun zum Teufel übergeht. Bemerkenswert ist. daß Origenes bei dieser - wenn man will - individualistischen Auslegung der Scheidebriefanweisungen keinerlei An strengungen macht. die Rückkehr der Seele zum Logos beweisen zu können. Daß er sie fUr Israel macht. hat also ganz besonderes Gewicht. Im comm. in Mt. 1 5 . 26 legt Origenes das Wort Mt 19.30 (Viele erste werden letzte und letzte werden erste sein) in drei Ebenen aus: ..zu allererst". sagt er ..muß man diesen Satz den eingebildeten Christen vorhalten, die sich rUhmen. schon von christlichen Vorfahren abzustammen und gar in ihrer Ahnentafel •
Die Juden beim sp:Ucn Origenes
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Bischöfe oder Presbyter zu haben." Als historischer Ertrag der exegetischen Schriften des Origenes wäre also der Hochmut von Bischofsahnen und Priester nachkommen festzuhalten. "Dem muß man", sagt Origenes, "entschieden ent gegentreten mit dem Wort: Gewiß. Erste seid Ihr. aber Ihr werdet Letzte sein. Und Letzte. d. h. Menschen, die jetzt erst Christen werden oder zumindest nicht von Bischöfen abstammen, haben die Aussicht, Erste zu sein." Das ist also das erste. was Origenes bei den Ersten und Letzten einfallt. Ich halte das für höchst bemerkenswert, denn Origenes war ja auch kein Priestersohn. Zweitens wird dieser Satz auf das Verhältnis von Juden und Christen angewendet und erklärt, daß die Juden, welche die Ersten waren. durch Unglaube und Verrat Letzte geworden sind. wohingegen die Christen, die einst Letzte waren, jetzt Erste geworden sind. Und drittens wird dieses Wort dann auf das Verhältnis von Engeln und Menschen angewendet. An sich sind die Engel Erste, die Menschen Letzte, aber es können Menschen. die Letzte waren, sogar die Engel übertreffen. Der Satz von den Ersten und Letzten macht auch nicht alle ehemaligen Letzten zu Ersten. Dem brauchen wir hier nicht nachzugehen; das schreibt sich dem großen Bild ein. das Origenes von der Präexistenz und zwar von der völlig gleichwertigen, gleichrangigen Präexistenz aller geistigen Geschöpfe hat. Inter essant ist also, daß das Verhältnis von Juden und Christen hier gewissermaßen eingebettet ist in das Bild von den Engeln und den Menschen und die Ermahnung an die hochmütigen Klerikersprößlinge, Auch hier kommt Origenes im nächsten Kapitel, indem er die zweite Deutung des Wortes von den Ersten und den Letzten aufgreift. schon wieder auf die FOlie der Völker von Röm 1 1 , 25 zu sprechen; er hat also dieses Wort immer präsent. Die Juden. die Erste waren. sind zwar Letzte geworden; aber das ist nicht endgültig. sondern das Verheißungs wort aus dem Römerbrief zeigt eine endgUltige Veränderung an.
4. Gottes Heilsratschluß für die Völker In comm. in Mt. 16,3 benUtzt Origenes die dritte Leidensweissagung, nämlich Mt 20. 8 f dazu, um das Schicksal der Schriftgelehrten und Hohenpriester selber, also derer, denen Jesus ausgeliefert wird, zu kennzeichnen. "Nachdem sie Jesus all das angetan hatten. wurden sie im Stich gelassen", sagt Origenes. ,,Die Hohenpriester hörten auf. Hohepriester zu sein. alle, dieJesus zum Tod verurteilt hatten, wurden dem Tod, dem Feind Christi, ausgeliefert. die, die Jesus gegeißelt hatten (das ist wiederum eine historische Ungenauigkeit), werden nun selbst gegeißelt, bis die Fillie der Völker ins Himmelreich hineingeht. Dies alles ist geschehen, damit die episkope, die Aufsicht, (das Wort wird nur hier absolut verwendet; es findet sich in der Verbindung mit dem Genitiv /heou oder mit dem Adjektiv theia zuvor schon bei Clemens Alexandrinus und bei Philo, aber nie in diesem absoluten Gebrauch), von den Juden weggeht zu den anderen Völkern, welche zugleich mit dem auserwählten Rest (nach Röm 1 1 ,5) gerettet werden," Röm 1 1 , 5 kommt übrigens selten vor bei Origenes, viel seltener jedenfalls als
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Die Juden beim spälen Origenes
Rörn 1 1 ,25. nämlich die Rede von der endgültigen Rettung Israels, nachdem die Völker eingegangen sind. Bemerkenswert ist, daß Origenes hier, wo man meinen könnte, er spräche in diesem Schema. das es spätestens seit dem Adversus Judaeos des Tertullian gibt, wonach der Tod Jesu bzw. die Mitwirkung der Juden am Tod Jesu die Zerstörung JerusaJems zur Folge gehabt hat, dann doch in einer viel größeren Perspektive denkt, wenn er allgemein erklärt: .Die symbolischen Opfer mußten nämlich aufbören, als das wahre Opfer begann. Der irdische Altar mußte zerstört werden, als der himmlische Altar in Tätigkeit trat." Also wird die Heilsgeschichte nicht durch die Schuld der Juden periodisiert, sondern durch den großen Fortschritt in der Realisierung des göttlichen Heilswillens. Freilich wird anschließend in diesem Zusammenhang wieder von der Blindheit der Juden gesprochen, was aber nur umso deutlicher macht, daß - das ist hier im comm. in Mt. zu erkennen und im Kala Kelsou auch - die Überlegung Uber Schuld der Juden und Vergeltung in den sehr viel größeren Rahmen hineingehört, daß nämlich nach Gottes Heilsplan insgesamt das Heil von dem einen Volk zu den vielen Völkern übergehen muß. Ich mache einen Sprung zu dem nur lateinisch erhaltenen Teil des comm. in MI., zur Nummer 16 der Commenlariorum Series. Da sagt Origenes zu dem Vowurf von M1 23 , 1 5 : ,.Ihr durchzieht Meer und Land, um einen Proselyten zu machen, dann macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, doppelt so schlimm als ihr selber seid" folgendes: ,,Jeder Mensch, der aus heidnischem Lebenswandel ein Proselyt der Juden wurde, der war schon zuvor ein Sohn der Hölle, bevor er Proselyt wurde, denn auch schon ein dem Götzendienst unterworfenes Leben genügt. um einen Menschen zu einem Sohn der Hölle zu machen. Einen solchen rettet durch die Taufe die Lehre Christi und gibt ihm die Vollmacht, Kind Gottes zu werden. Die Lehre der Juden aber, die nicht an Christus glauben, löst den Heiden nicht aus seiner Verhaftung an die Hölle, sondern fügt noch eine zweite Verdammung hinzu." Das klingt. wenn man so will, sehr hart. Man muß es aber auf dem Hintergrund dessen sehen, was Origenes dann Uberhaupt Uber Israel und seine endgUltige Rettung sagt. Eine ganz ausgefallene Position nimmt Origenes an zwei Stellen, nämlich sowohl hier in der CommelJlariorum Series 92 als auch einmal im Kala Kelsou zu Mt 26, 39 b ein, nämlich zu dem Wort Jesu: "Wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber!" Da sagt Origenes: ,Jch kenne auch noch eine zweite Deutung." Er macht sie sich also nicht völlig zu eigen. Diese zweite Deutung, die er nicht ablehnt, die er aber auch nicht ausdrucklieh als die seine erklärt, sagt folgendes: ,.Die Juden aber als den Samen heiliger Väter liebt er (Christus), da sie ja die Zweige des guten Ölbaums sind. Er wußte aber, was sie dafür erleiden sollten, daß sie fUr Barabbas das Leben. für ihn aber den Tod fordern wUrden. Deshalb wollte er nicht. daß die Juden ihm das antäten. was ihr eigenes Verderben wird. Aber im Blick auf dje Heidenvölker. zu denen das Heil offenbar nicht kommen kann, wenn Israel nicht zuvor verworfen wird, ist er doch bereit. den Willen des Vaters zu erfüllen. Er sagt also: Nicht wie ich will. sondern wie du willst." Das bedeutet: "Wenn es möglich ist. daß ohne mein Leiden das Heil •
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ut et mundus salvetur et kommt, dann soll der Kelch an mir vorübergehen judaei in passione mea non pereant , daß sowohl die Welt gerettet wird aJs auch nicht das Unheil durch mein Leiden über die Juden kommt. Wenn aber nach deiner Gerechtigkeit das Heil der Vielen nicht anders herbeigeführt werden kann als durch den Untergang einiger, dann geschehe dein Wille." Auch die Katene hat diesen Gedanken erhalten und schreibt ihn einfach dem Origenes zu, überspringt also diese gewisse Distanz. die Origenes da erkennen läßt. In der Tat ist das ja wirklich ein seltsamer Gedanke, daß Christus von sich aus barmherziger wäre und sich dann aber der allgemeinen göttlichen Gerech tigkeit unterwarf. -
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5. Die nachbiblische Geschichte Israels Ein bißchen pittoresk ist das nächste Beispiel; diesen Satz aus comm. sero in MI. 101 kann man kaum zitieren, ohne ein bißehen darüber zu lachen, vor allem, wenn man die vielen Darstellungen kennt, wo Petrus manchmal mit einem vergleichsweise kleinen Messer geradezu mit Sorgfalt dem Knecht des Hohen priesters das Ohr abschneidet. Origenes sagt dazu folgendes: "Mir scheint, daß alle, die bei den Heidenvölkern zum Glauben kamen, in Christus zu einem Volk wurden und einfach durch ihren Glauben an Christus zur Ursache dafür wurden. daß den Juden das rechte Gehör abgeschnitten wurde, wie ja über sie vorausge sagt ist." Und nun zitiert er Jes 6, 10: "Mach die Ohren dieses Volkes schwer und decke ihre Augen nieder, damit sie nicht hören. nicht sehen und nicht verstehen und sich nicht bekehren und ich sie nicht heile!" Das soll nichts anderes heißen. als daß die Juden jetzt die Schrift falsch verstehen; das schreibt sich also einfach der theologischen Auseinandersetzung ein. wo der christliche Lehrer das rechte Verständnis der Bibel für sich und die Seinen reklamiert und es den Juden abspricht. Festzuhalten ist, daß Origenes keineswegs jede Gelegenheit benutzt, Texte anti-judaistisch auszulegen. Zwischen Commentariorum Series 101 und 1 19 findet sich nichts in diesem Sinne, obwohl etwa das Verhör vor Kaiphas und den Ältesten und der Verrat des Judas dazu einige Anlässe geboten hätten. Dagegen wird zu Mt 27, 1 2 (Jesus antwortet nicht auf die Anschuldigung seitens der Hohenpriester und Ältesten des Volkes) in comm. sero in Mt. 1 19 folgendes gesagt: "Die Diener des tötenden jüdischen Buchstabens und die jetzt wirkenden Ältesten sind die Söhne jener Priester und Ältesten, die Jesus anklagten, weil sie nämlich ihrerseits die Anklagen ihrer Vorfahren heute übel nehmen undjetzt ihrerseits Jesus anklagen." Also nicht einfach durch die Nachfolge. die sie angetreten haben, werden sie in dieselbe Position gestellt, sondern Origenes sieht jetzt bei den Juden Bekämpfung und Anklage des Christus und seiner Lehte. ..Deshalb", so sagt er, ..bleibt ihnen ihre SUnde (Joh 9.4 1) und kommt über sie der Zorn bis zum Ende ( I Thess 2, 16), und deswegen erleiden sie dieselben Taten und sind verlassen wie eine Hütte im Weinberg (Jes 1. 18).
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Andererseits aber antwortet Jesus. der angeklagt wird. auch jetzt genauso wie damals nicht, d. h. er verschweigt ihnen das Wort GOltes. sie hören es nicht mehr so, wie es früher zu den Propheten kam", Auch in diesem Matthäus-Vers findet Origenes also wieder ausgesagt. daß die Juden jetzt ohne lebendige Prophetie sind. Das in Mt 27.21 f ausgesprochene Verlangen, Barabbas sollte freigelassen, Christus aber gekreuzigt werden, deutet Origenes in comm. ser. in Mt. 1 2 1 so: Deshalb hat dieses Volk immerfort Aufstände. Morde und Raubüberfalle. im äußeren Sinn bei einigen ihres Volkes, innen in der Seele aber bei allen Juden, die nicht an Jesus glauben. Denn wo Jesus nicht ist, da ist Aufruhr. Streit und Kampf." Man kann allerdings nicht erkennen, ob dies eine theologische Aussa· ge, eine Schlußfolgerung des Exegeten ist, oder aber eine geschichtliche Erfah· rung oder wenigstens eine vermeintliche Erfahrung. Zwei Kapitel weiter aber, nämlich in comm. ser. in Mt. 123, läßt Origenes erkennen, daß er sich hier auf eigene Erfahrung beruft. Zu dem Bericht des Matthäus (27,20), die Hohenpriester und die Ältesten häuen das Volk überredet. Barabbas freizubiuen. Jesus aber kreuzigen zu lassen. sagt er: "Und man kann bis heute sehen, wie das Volk der Juden von seinen Ältesten und von den Lehrern der jüdischen Kultur gegen Jesus beeinflußt und aufgehetzt wird, damit sie ihn. soviel an ihnen liegt, vernichten." Hier ist also das alte Urteil über die Juden durch Erfahrung begründel. Trotzdem wird man sagen dürfen, daß Origenes selbst sehr zurückhaltend bleibt. Das wird besonders deudich, wo er jenen Matthäus· Vers behandelt, der eine so verhängnisvolle Wirkung im Verhältnis zwischen Israel und Kirche gehabt hat und der heute wieder im Mittelpunkt des Interesses steht, nämlich Mt 27,25: .,Sein Blut komme tiber uns und unsere Kinder!" Dazu sagt Origenes (comm. ser. in Mt. 124): ..So wurden sie schuldig nicht nur am Blute der Propheten. sondern, indem sie das Maß ihrer Väter vollmachten. auch am Blute Christi, so daß sie hörten. wie Gott zu ihnen sagt: .Wenn ihr eure Hände zu mir ausbreitet werde ich meine Augen von euch abwenden, denn eure Hände sind voll Blut' (Jes 1, 15. aber verkürzt): Deshalb kam das Blut Jesu nicht nur Ober die. die damals lebten. sondern auch Ober alle Generationen der Juden. die nachher kommen. bis zum Weitende." Höchst bemerkenswert aber ist, daß die einzige Folgerung. die Origenes daraus zieht. diese ist: "Deswegen ist ihnen ihr Haus bis jetzt öde geJassen worden." Er wandelt also nur die Voraussage von Mt 23.28 in eine geschichtliche Feststel lung um. Mit dem Haus ist ja der Tempel gemeint; da es verödet ist. wird es endgültig als ihr. d. h. der Juden. und nicht Gottes Haus erwiesen. Von daher kann man verstehen. was fOr einen Schock bei den Christen die Ankündigung des Julian Apostata auslöste, er wolle den Tempel in Jerusalcm wieder aufbauen. Hier verdient festgehalten zu werden. daß Origenes keine weiteren Folgerungen zieht, vor allem nicht im mindesten christliche Vergeltungsmaßnahmen gegen die Juden reChtfertigt. In comm. ser. in MI. 134 wird erneut klar. wie sehr Origenes das endgUltig fOr Israel verheißene Heil (Röm 1 1 . 25 f) nie aus dem Blick verliert. Die Erzählung •.
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des Matthäus (27,45): lenebrae jacrae Slllll super ulliversam terram, versteht Origenes so: Die utliversa terra ist nicht die ganze Erde, sondern das ganze Land Israel und Jerusalem. Ein Katenenfragment (cl Nr. 320), das natürlich grie chisch erhalten ist, faßt den Text aus dem Matthäus-Kommentar des Origenes wohl richtig so zusammen: "Bild aber (ist) die Finsternis (dafür), daß verfinstert werden, die Hand anlegen an das Licht. Wie nämlich für die Ägypter Finsternis (war) und für die Kinder Israels Licht, so (ist) nun für die Kirche Licht, für die Juden aber Finsternis." Im ganzen Mauhäus-Evangelium kommt das Wort "Juden" nur in dem Kreuzes-Titel "König der Juden" (Mt 27.37) vor. Origenes aber spricht in seinem Mauhäus-Kommentar von den Juden in dem Sinn. wie das Johannes Evangelium von ihnen spricht. nämlich als von den Feinden Jesu und seiner Kirche. Man wird darin einen Hinweis sehen dürfen, daß Origenes das Matt häus-Evangelium vom Johannes-Evangelium her liest, dessen Auslegungja auch zeitlich seine früheste Arbeit zu einem Evangelium war. Origenes hat aber im Matthäus-Kommentar nicht nur die jOhanneische Judenpolemik im Blick, son dern orienliert sich auch an der paulinischen Einstellung zu Israel, wie sie sich im Römerbrief findet. Diese Haltung freilich scheint den Katenisten nicht so Uberlieferungswert gewesen zu sein; jedenfalls hat das eben genannte Fragment folgenden Text aus comm. ser. ill MI. 134 nicht aufgenommen: .,Wenn bis zur neunten Stunde Finsternis war über allem Land Judäa, dann ist offenkundig, daß ihnen ,danach' das Licht wieder schien, denn ,wenn die Fülle der Heiden eingetreten ist, dann wird ganz Israel gerettet' (Röm 1 1 , 25 f). Daß aber für drei Stunden Finsternis über das ganze Land Judäa kam, das zeigt, daß sie wegen ihrer Sünden des Lichtes der (?) drei Stunden beraubt wurden. des Lichtes Gottes des Vaters. des Glanzes Christi und der Erleuchtung des Heiligen Geistes." Auffallig ist die Begründungsstruktur: Daß Israel am Ende gerettet werden wird, gibt sozusagen den Grund dafür an, daß die Finsternis auf drei Stunden befristet war und danach das Licht wieder schien. Damit ist nalilrlich nicht ganz eindeutig gesagt, daß schon das Ereignis der Finsternis von dem die Geschichte lenkenden Gott so begrenzt wurde, um Israels Rettung am Ende erkennen zu lassen, sicher aber. daß der Text, der Bericht über die Finsternis, in dieser Absicht formuliert ist. Anders ausgedrückt: Die Absicht (Goltes), Israel am Ende zu reiten, geht der Absicht des erzählenden Evangelisten zeitlich und logisch voraus. Es ist nicht leicht zu sagen. was Origenes hier als die Strafe der Juden versteht. Man könnte zunächst sagen, daß ihnen das Licht Gottes nicht mehr scheint; da aber ausdrücklich die drei göttlichen Peronen genannt werden, wird man daran denken dürfen, daß den Juden der Dreifaltigkeitsglaube versagt ist. Diese vergleichsweise moderate, jedenfalls rein konstalierende Aussage ist das lewe Wort des Origenes zu den Juden in dem uns erhaltenen Malthäus-Kom mentar. Es verdient aber noch hervorgehoben zu werden, daß Origenes keineswegs jedes Gegensatzpaar aus dem Evangelium dazu benutzt, den Gegensatz von Kirche und Judentum darzustellen. Von den heiden Räubern. die mit Jesus
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gekreuzigt waren, versteht er zwar den einen als bekehrt. so daß er nun im geistlich-heilswirksamen Sinn "mit Christus gekreuzigt ist" (vgI. Ga1 2. 19 und Phil 3, 10), aber weder in den comm. sero in MI. noch in den erhaltenen Fragmenten macht Origenes einen Versuch, den lästernden Schächer auf die der Kirche feindlichen Juden zu beziehen.
6. Das Werk gegen Kelsos Nach diesem Überblick Uber die Aussagen des Origenes zur JudenprobJematik in comm. in MI. sei noch, wie angekündigt, ein kurzer Blick auf das Werk ..Gegen Kelsos" geworfen. Schon im ersten Buch ( 1 , 26) verteidigt Origenes die Juden gegen den Vorwurf von seiten des Kelsos, sie beteten die Engel an und betrieben Magie. Ongenes macht deutlich, daß er die Juden deshalb verteidigen muß, weil der Angriff des Kelsos im Grunde schon dem Christentum galt. Origenes bietet aber zur Verteidigung der Juden an dieser Stelle offenbar keine religionsge· schichtliehe Kenntnis auf, sondern veweist auf das Gesetz, d. h. auf den Text des Alten Testaments, nach welchem Magie und Engelsanbetung verboten sind. Auf die Behauptung des Kelsos, die Juden seien aus Mangel an Bildung in irrtümer verfallen, antwortet Origenes: "Wenn Kelsos die Unkenntnis der Juden über Christus herausgefunden hätte, die davon kommt, daß sie nicht auf die Propheten hören, dann hätte er richtig zeigen können, wie die Juden in die ure gegangen sind." Origenes verteidigt die Juden also sozusagen nur deswegen gegen falsche Anschuldigungen. um die begründeten Vowürfe deutlich herauszustellen.
7. Die Schuld der Juden im H eils p lan Gottes Sehr interessant ist, wie Origenes in Cels. I 47 die Zerstörung Jerusalems mit der Verurteilung und Kreuzigung Jesu in Verbindung bringt. Kelsos läßt einen Juden auftreten, der gegen die Christen und gegen Jesus polemisiert'; deshalb zitiert Origenes einen anderen Juden, nämlich Flavius Josephus. Dabei ist Origenes überzeugt, einen echten Josephus·Text vor sich zu haben, wie sich auch aus Ce/so 1.1 1 3 und comm. in MI. 10, 17 erkennen läßt, wobei letztere Stelle älter sein dürfte. Origenes spriCht von der Zerstörung Jerusalems, von der Flavius Josephus ja ausführlich berichtet. und fährt fort. .,Wenn er sagt. dies sei wegen Jakobus geschehen, wieso ist es nicht verünftiger zu sagen, es sei wegen Jesus geschehen?" Der heute wohl allgemein als christlicher Einschub betrachtete Satz in den Amiquitares XX,9, 1 sieht ja in der Zerstörung Jerusalems die göttliche Strafe fUr die Ermordung des gerechten und auch bei den Juden anerkannten Jakobus.
'Vgl. E. Bammel, Origeniana IV, Innsbruek 1987. 2-6.
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Bemerkenswert ist. wie aus der Frage von Cels. I 47 in Cels. II 1 3 eine nachdrückliche Behauptung wird: "Josephus schreibt zwar, wegen des gerechten Jakobus, des Bruders Jesu, der Christus genannt wird (sei dies geschehen), die Wahrheit aber zeigt, daß es wegen Jesus des Christus Gottes geschah." Trotz dieses Nachdrucks wird man sagen dürfen, daß der Gedanke von der Bestrafung der Juden durch die Zerstörung Jerusalems dem Origenes kein dauerndes Anliegen war. Im comm. in MI. ( 1 0, 17) referien er nämlich auch den (von ihm für echt gehaltenen) Tex.t aus Flavius Josephus, spricht dann aber nur seine Verwunderung darüber aus. daß Josephus Jakobus so hoch schätzt, ohne doch selber an Christus zu glauben; über die Strafe der Juden findet sich da kein Won. Origenes teilt durchaus die schon von Tertullian (Adversus Judaeos 13) und dann in der ganzen Adversus·Judaeos·Literatur geäußene Überzeugung, daß die Prophetie, die göttliche Gnade, der Heilige Geist. die Juden verlassen haben und zur Kirche aus den Heidenvölkern übergegangen sind, weil die Juden dem Heiland nicht geglaubt haben, sondern ihn hinrichten ließen. Trotzdem ist dieser Wandel in der Heilsgeschichte nicht nur,ja nicht einmal in erster Linie Reaktion Gottes auf den Ungehorsam der Juden; Gott hat diesen nicht nur vorausgesehen und in seinen Heilsplan aufgenommen, sondern dieser Heilsplan ist so umfas send, daß er sich verstehen und verwirklichen ließe, auch wenn die Juden gehorsam gewesen wären. So kann Origenes sagen: ,,(Jesus) ist nicht gekommen in der Absicht, die Juden in den Unglauben zu führen; vielmehr wußte er voraus und hatte vorausgesagt, daß dies so geschehen würde, und er benutzte den Unglauben der Juden, um die Heiden zu berufen" (Cels. II 78). Ähnlich äußen sich Origenes auch in Cels. ß 20 und in Cels. VI 80. Die Berufung der Heidenvölker ist also nur per accidens mit der Verwerfung der Juden verbunden. In der Tat kann Origenes sich, was den großen Wandel in der Heilsgeschichte angeht, wie schon de Lange" festgestellt hat, in zwei fast voneinander unabhän gigen Gedankenreihen bewegen. Nach der ersten entfaltet sich die Heilsge schichte ohne Blick auf die Schuld der Juden: Die Offenbarung, die zunächst den Juden gegeben war, mußte verallgemeinert werden, sie durfte nicht Eigen tum nur eines einzigen Volkes bleiben; das Gesetz. welches zuerst durchaus wörtlich zu nehmen war, mußte vergeistigt und vervollkommnet werden; dies alles geschah durch Christus und durch die frühkirchliche Mission, die sich ja tatsächlich von der wörtlichen Erfüllung des Gesetzes weitgehend freimachte. Diese Gedanken des Origenes finden sich hauptsä.chlich in Cels. IV 22 (Ende), IV 32 und VII 26. Die andere Gedankenlinie sieht als Grund fur den Übergang der Prophetie. der Offenbarung und des Heilsangebotes vom Judentum zu den Heidenvölkern die Absicht Gottes, die Juden fUr denVerrat an Jesus zu bestrafen, der den Gipfel einer langen Verrats- und Ungehorsamsgeschichte darstellt (so Ce/so 11 8; IV 22. 32; V 43; VII 8; vm 42. 69) .
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N . R. M. de Lange, Ongen and the lews, Cambridgc 1975,78.
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Von dieser Grundeinsicht des Origenes her ließe sich die auf den ersten Blick eher befremdliche Erklärung des Gebets Jesu im Öl garten verstehen. die Orige nes weitgehend übereinstimmend in wurde, in
Cels. n 25 und. wie oben schon gezeigt
comm. ser:. in MI. 92 bietet. Im Werk ..Gegen Kelsos" lesen wir als
Auslegung des Gebets Jesu, ihm selbst in den Mund gelegt, folgendes: "Wenn aufgrund dessen, daß ich diesen Kelch der Züchtigung getrunken habe. ein ganzes Vol k von Dir verlassen wird, dann bitte ich. daß. wenn es möglich ist, der Kelch an mir vorübergeht, damit nicht Dein Erbteil wegen ihres Unrechts gegen mich ganz von Dir verlassen wird." Da ist auffällig, daß Origenes dem Volk der Juden hier nicht den auszeichnenden Titel
laos gibt, sondern es ethnos nennt; andererseits wird es doch ausdrücklich als "Gottes Erbteil" (meris nach Ps 27,9; 32, 12; 73,2; 78, I) bezeichnet und dadurch von denen, die gegen Jesus Unrecht tun werden, unterschieden. In diesem Zusammenhang ist Origenes eigentlich damit beschäftigt, mit Hilfe der tatsächlich einen Gegensatz in sich enthaltenden Bitte Jesu, in ihm zwischen dem Menschlichen
(to anthropinon)
und dem Göttlichen zu unterscheiden; im Menschlichen wird dann noch einmal unterschieden zwischen der Schwäche des Fleisches (10 asthenes les sarlws) und der Bereitwilligkeit des Geistes (10 prothymofl lou pfleumatos). Es geht Origenes hier also um Christologie, nicht um Heilsgeschichte. Außerdem ist hervorzuhe ben, daß die Auslegung des Jesusgebetes von Origenes eingeleitet wird mit: "Ich kenne aber noch eine Erklärung der Stelle, die etwa so lautet
(toiaulen)"; er
macht sie sich offenbar nicht voll zu eigen; sie ist eher als ein Einsprengsel zu betrachten. Ähnliches gilt ja, wie schon gezeigt. von der Erldärung in comm. ser.
in Mt. 92, wo Origenes sagt: Allera aulem illierprelolio lod huius eSl lolis; auch hier macht er sie sich nicht zu eigen. erweitert sie nur um den Gedanken an Judas. der in ähnlicher Weise. wenn es möglich wäre. vor Schuld und Verderben bewahrt werden sollte.
8.
Wiederherstellung Israels?
Zum Schluß möchte ich im Blick darauf. daß der heutige Staat "Israel" manch mal als ein Zeichen in der Heilsgeschichte verstanden wird. auf eine Äußerung des Origenes zu sprechen kommen, in der er ein Wiedererstehen jüdischer Eigenstaatlichkeit für alle Zukunft auszuschließen scheint. Im Buch ..Gegen Kelsos" (IV 22) unterstreicht er die lange Dauer der Folgen der 42 Jahre nach der Kreuzigung Jesu eingetretenen Zerstörung Jerusalems; zwar seien die Juden in ihrer früheren Geschichte wegen ihrer Sünden manchmal von Gott verlassen worden, aber Gottes Obhut habe sich ihnen wieder zugewendet. so daß sie ungehindert ihr Gesetz erfUlien konnten. Noch nie waren sie so lange von ihrem Kultort vertrieben wie jetzt. Größe. Art und Dauer des Unheils, das den Juden nun zugestoßen sei. sei einer der Beweise für die Göttlichkeit und Heiligkeit Jesu. Dann erklärt Origenes: ..Mit Zuversicht werden wir sagen, daß sie auch nicht wiederhergestellt werden" (opokatoslolhesontai). Da Origenes das Thema
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der Apokatastasis so vertraut und so teuer ist, muß dieses Urteil über die Juden als sehr hart bezeichnet werden. Außerdem erklärt er im unmittelbaren Anschluß daran. es sei notwendig gewesen, daß das Judenvolk aus seinem Wohnsitz verjagt (anastaton) wurde, weil es die schlimmste (anosiOlaton) Untat gegen Christus begangen habe. Da könnte man meinen, die nun neu wiedererrichtete Eigenstaatlichkeit Israels wäre sozusagen eine Widerlegung des Origenes. Aber seine Aussage muß in ihrem Zusammenhang verstanden werden; Origenes führt nämlich im selben Satz durch ein einfaches "und" oder vielleicht auch "und zwar" den Gedanken so fort: (es war also notwendig), ..daß die Berufung zur Seligkeit von Gott her auf andere übergegangen ist, auf die Christen nämlich; zu ihnen ist die Lehre über die reine und heilige Gottesverehrung gelangt; sie haben neue Gesetze empfangen, die einem Uberall eingerichteten Lebenswandel (oder: Lebensgemeinschaft. politeia) angemessen sind; denn die früheren Ge· setze waren, da sie nur einem Volk gegeben waren, ... nicht geeignet, alle auch jetzt noch erfüllt zu werden." Auch hier geht es Origenes nicht um den Gedanken der Bestrafung der Juden, sondern um die Ausdehnung des göttlichen Heilsangebotes auf die Kirche überall (pantac},ou); der Blick ist auf die Katholizität gerichtet; hinter diese führt kein Weg zurück. Also bedeutet, daß Israel nicht mehr erstehen wird, nichts anders als dies: Israel wird nie mehr das ein, was es einmal war, nämlich einziger Adressat der Offenbarung, einziger Heilsträger. Auch wenn Israel gerettet wird, auch wenn Israel eingehen wird in Gottes Herrlichkeit. wird es diese mit den Völkern oder mit den Berufenen aus den Völkern, mit der Kirche also teilen. Über einen neuen Staat der Juden in der Geschichte ist damit also nichts gesagt. Zugespitzt könnte man behaupten, der Staat "Israel" habe mit der Heilsgeschich· te nicht mehr zu tun als der Ein·Glaube·ein·Gesetz·ein·König·Staat des 14. Ludwig.
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Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt?
Kirchliche Vergangenheitsbewältigung in der Vergangenheit
Unser Thema fragt nach den objektiven GrUnden und vielleicht auch nach den subjektiven Motiven, die dazu führten, daß man Origenes zum Häretiker erklärt hat; daß dies geschehen ist. wird dabei vorausgesetzt. Wie es geschah, wird nicht ausdrücklich gefragt; das soll aber doch geschehen, denn es gibt ja viele Weisen, wie ein Theologe verketzert werden kann, angefangen damit, daß ein einzelner theologischer Gegner ihn als Häretiker bezeichnet, bis hin zw Verurteilung durch ein allgemeines Konzil. Bei Origenes treffen alle diese Weisen zu; daß ihn einzelne Gegner als Häretiker bezeichneten. wobei sich manche. die uns hier begegnen werden. besonders hervortaten, ist allgemein bekannt. Bis ins letzte Jahrhundert hinein wurde angenommen, auch die feierlichste und verbindlichste Form einer Verurteilung habe den Origenes getroffen. nämlich durch das 5. allgemeine Konzil, das zweite von Konstantinopel, das auf Veranlassung von Kaiser Justinian im Jahre 553 stattgefunden hat. I Man darf aber mit Diekampl und Chrysosl daran zweifeln. daß wirklich dieses Konzil die Verurteilung des Origenes ausgesprochen hat, und wegen der von ihnen vorgebrachten GrUnde annehmen, das Urteil sei schon vor Eröffnung des eigentlichen Konzils im Frühjahr 553 durch die einheimische, die sogenannte endemische Synode von Konstantinopel gefällt worden, an der freilich zahlreiche Bischöfe teilgenom· men haben mögen. die schon sehr frühzeitig für das Konzil nach Konstantinopel gekommen waren. Kaiser Justinian hatte schon 10 Jahre zuvor durch seinen Brief an den Patriarchen Menas, der auch als Edikt gegen Origenes bezeichnet I
So halle nämlich Cyrill von Skythopolis in seiner Lebensbeschreibung des heiligcn Sabbas Kap. 90 ausdrücklich berichtet. und auch sein Zeitgenosse. der Kirehcnhistoriker Evagrius. äußert sich (IV 38) so über das Konzil von 553. C.J. Hdele. Conciliengeschichte 11. 855ff (Freiburg 1875) erörterte aber schon ausführlich die Auseinandersetzung über diese Frage zwischen dem Kardinal Nons und dem Jcsuiten Garnie, und kommt angesichts der wohl doch als voUSllndig erhalten anzusehenden Akten des Konril zu dem Ergebnis, die 5. Synode habe "auch den Drigencs anathematisiert. aber nicht ia einer besonderen Sitzung und nicht in Folge von besonderen Verhandlungen. sondern nur nanseundo und in cumulo . (861). So konnte Peters in Wetzer und Weites KircheoleJtikon Bd. IX, Freiburg i. Br. 1 1 895. 1077 schreiben: ..... und es wird jetzt meistens als Irrtum anerkannt, daß die Verurteilung des Origenes auf dem 5. allgemeinen Coozil stallge(unden habe." 1 F. Diebmp, Die origenistischen Streitigkeitcn im 6. Jahrhundcrt und das fUnfte allgemeine Concil, Münster 1 899. E. Scbwartz, Kyrillos von Skytbopolis, Leipzig 1939. 407 (widersprach allerdings noch dieser Dictampschen These. ) E. Chrysos, Die BisehofsliSICn des 5. ökumenischen Kon-z.ils (553) (Anliquitas I). 800n 1966. 1 1 und 128 mit Anm. 1 1 . ....
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wird und der die HauptankJagepunkte und auch schon Gegenargumente enthält, eine konstantinopolitanische Lokalsynode veranlaßt. deren Beispiel auch die Patriarchen von Rom, Alexandrien und Jerusalem hä.tten folgen sollen.� Origenes ist wohl im Jahre 253 gestorben; die Synode von 553 hat also eine reichlich vergangene kirchliche Vergangenheit bewältigt. Freilich kam die An� weisung lustinians nicht aus heiterem Himmel; die Bekämpfung des Origenes hatte schon Geschichte, ja, sie hatte eineinhalb Jahrhunderte früher, um das Jahr 400. schon einen Höhepunkt erlebt, als sich nicht nur Theologen wie Hierony mus' gegen ihn aussprachen, sondern auch der alexandrinische Patriarch Theo philos ihn in drei Osterfestbriefen und in einem Schreiben an die Bischöfe Zyperns bekämpfte·. Aber auch dieser Origenistenstreit, der fUr einige Beteilig te, ganz besonders tur Hieronymus, eine persönliche Vergangenheitsbewälti gung darstellte, die noch klarer zu beleuchten ist. war nicht der Anfang des Kampfes gegen Origenes; der begann vielmehr schon zu dessen Lebzeiten. Obwohl Origenes um 230 in Alexandrien und weit darüber hinaus im ganzen Orient als Exeget und Theologe größtes Ansehen besaß - Euseb, der Kirchen historiker, meint sogar, gerade deswegen' -, hielt der Bischof Demetrius von Alexandrien damals zwei Synoden gegen Origenes ab, die ihm die Priesterwür de, die er in Palästina empfangen hatte. aberkannten und ihn aus der alexandri nischen Gemeinde ausschlossen.' So sah er sich gezwungen, dort Zuflucht zu suchen, wo er das meiste Ansehen besaß und wo er ordiniert worden war, nämlich in Palästina, und zwar in Cäsarea. An einer der heiden Synoden gegen Origenes nahm auch der Presbyter Heraklas teil, der schon vor Origenes ein Hörer des Philosophen Ammonius gewesen war und den Origenes als Kollegen in die theologische Schule hineingenommen hatte.' Er ist nicht nur nicht für Origenes eingetreten. er scheint ihn auch, wenn die über Theophilos und den Literarhistoriker Gennadius vermittelten Nachrichten zutreffenlo, selbst noch einmal verurteilt zu haben, als er Nachfolger des Demetrius und Bischof von Alexandrien geworden war; er soll sogar einen Bischof allein deswegen abge setzt haben. weil dieser Origenes bei sich hatte predigen lassen. Heraklas hätte also im Kampf gegen Origenes auch eine ganz persönliche Weise der Vergan genheitsbewältigung betrieben. •
Vgl. Acta Conciliorunr Ouumenicoruln 1 1 1 , cd. E. Schwartz, Berlin 1940, 189-214. , Hieronymus kJmpft gegen Origenes hauptsächlich in seinem Werk Conlro Joannem Hieroso lymitanum, Pl 23, 371-412, und in den drei Büchern seiner A.p% gia ad"usus libros Ruft"i. ebd. 41 6-SI4. 6 Unter den Brieren des Hieronymus die Nrn. 92, 96, 98 und 100. CSEl 55. 147-155. 159-18 1 . 185-2 1 1 . 2 1 3-232. 7 So wird man die Andeutung des Euseb in h.�. VI 23,4 "erstehen dürfen, die ausdrUeklieb nur davon spriebt. daß auf die Priesterweihe des Origenes hin Dinge in be�ug auf ihn in Bewegung gebracht wurden und die Kitcbenvorsteher diesbe�uglieb Bescblüsse faßlen. • Vgl. die sorgflUtige Untersucbung von J. A. Fischet. Die alexandrinischen Synoden gegen Origenes: OSIKSt 28 (1979) 3-16. ' Euseb, h.e. VI 19, 1 3 und VI 15. IOVg!. A. Harnack. Chronologie der iI.ltchristlicben literatur bis Eusebius, 11958. 11 2. S. 24f.
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Kaiser Justinian, den wir zuerst ins Auge gefaßt haben, hatte 529 die Philo sophenschule von Athen geschlossen, weil er in ihr das letzte Bollwerk des Heidentums sah. Gegen die Manichäer, die nach ihrem aus Persien gekommenen Lehrer Mani an zwei Urkräfte, das Licht und die Finsternis, den Geist und die Materie, das Gute und das Böse glaubten und den Menschen auf diese beiden Welten aufgeteilt sahen, ging Justinian mit strengen Strafen vor. In demselben Jahr 543, in dem er das Edikt gegen Origenes erließ, verurtei lte er in einem eigenen Schreiben die sogenannten drei Kapitel, d. h. drei Bischöfe, die im 5. Jahrhundert an Kyrill von Alexandrien oder dem Konzil von Ephesus Kritik geübt hauen. oder als Verteidiger des dort verurteilten Nestorius galten. I I Diesen Bemühungen auf dem Gebiet des Geistes. der Lehre, des Glaubens, entsprachen die politischen und militärischen Anstrengungen; tatsächlich gelang es lusti nian, die Ostgotenherrschaft in Italien und das Wandalenreich in Nordafrika zu vernichten, die von Norden eindringenden Slawen zurtlckzudrängen und die Perser in vielen verlustreichen Kämpfen zu schlagen. Zwar blieben Spanien und Gallien außerhalb des Zugriffs des Kaisers, nämlich fest in der Hand der Westgoten und der Franken. aber von Konstantinopel aus gesehen, schien das Reich des großen Konstantin wieder hergestellt, ja überboten. weil es nun ein christliches Reich war. So versteht man, daß lustinian auf die reChtgläubige Tradition bedacht war und besonders die unter Konstantin bekämpften Irrlehren untcr keinen Umständen wieder aufleben lassen wollte. Wir wissen natürlich nicht, ob er sich selbst ein Urteil über den Origenismus seiner Tage gebildet hat, oder ob ihm dies von den Gegnern des Origenes angedient wurde. In diesem Fall haben die Berichterstatter oder Ankläger die Vorlieben und politischen Prioritä ten des Kaisers genau gekannt und ihn am wirksamsten dadurch gegen Origenes und seine späten Anhänger eingenommen, daß sie ihm Origenes als Verteidiger des Heidentums, des Manichäismus und des Arianismus vorstellten . Man wird dem theologisch zwar nur dilettierenden Kaiser. der aber immerhin so gut Bescheid wußte. daß er vor keinem Theologen seiner Zeit zurückzustecken brauchte, nicht unterstellen, er habe die historische Reihenfolge nicht gekannt, Origenes also zeitlich später angesetzt als Mani und Arius.l! Auch wenn er ihn in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts ließ. konnte er Manichäismus, der gegen Ende des 3. Jahrhunderts aufgetreten war, und Arianismus. der an den Anfang des 4. Jahrhunderts gehört, schon bei ihm zu finden meinen. Schon CUr
I I Dieses Schreiben des Kaisers gegen Theodor von Mopsueslia, Ibas von Edessa und Theodorel v. Kyrrhos iSI zwar verlorengegangen, hai aber durch Auslösung des Dreikapilelstreiles und schließlich durch das 5. allgemeine Konzil und seine Nachwehen lide Spuren in der Geschieh te hinlerlasscn. II Freilich wären solch chronologische Irrlümer keineswegs ausgeschlossen; Epiphanius z. B. lä81 (hau: 63. I , I ) den Origenes noch zur Zeit des Decius in Alexandrien weilen und sogar darl in der decischen Verfolgung ein GÖlzcnopfer darbringen; aus Scham darüber sei er dann von Alexandrien nach Paläslina Ubergesiedell.
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den Bischof und Ketzerbekämpfer Epiphanius von Salamis oder Konstantia auf Cypem war Origenes im 4. Jahrhundert der Vater aller Arianer und Anhomoier gewesenll, also all derer. die die Wesensgleichheit des Sohnes Gottes mit dem Vater leugneten. So wundert es nicht, daß lustinian dem Origenes zuallererst trinitätslheolo gische Irrtümer vorwirft: Er habe behauptet, der Vater sei größer als der Sohn und der Sohn größer als der Geist; der Sohn könne den Vater nicht sehen und der Heilige Geist nicht den Sohn; Sohn und Heiliger Geist seien Geschöpfe
(krismara); was wir im Bezug zum Sohn sind. das sei der Sohn im Bezug auf den Vater; am Anfang habe Gott so viele Vemunftwesen geschaffen, wie er konnte, denn seine Macht sei begrenzt. Dann kommen andere Themen: Diejeni gen von den Vemunftwesen, die gesündigt häuen und desbalb aus ihrem Zustand herausfielen. seien in Leiber gebannt worden. würden sich aber reinigen und wieder zu ihrem früheren Zustand zurückkehren und dabei die Leiber wieder ablegen, könnten aber ein weiteres und ein driues Mal und häufiger zur Strafe in Leiber verbannt werden; so gäbe es verschiedene Welten, frUher vergangene und zukünftige." Nach vielen theologischen Argumenten und einschlägigen, diesen Meinungen widersprechenden Väterzitaten, werden noch zwei Lehren des Origenes nachgeschoben, nämlich daß auch die Gestirne beseelt seien und daß die Auferstehungsleiber Kugelgestalt haben würden.ls Der Kaiser schlägt im Anhang an seinen Brief neun Verdammungsurteile über Lehren des Origenes vor, bei denen es seltsamerweise gar nicht mehr um die Trinität. sondern nur noch um die Anthropologie und die Soteriologie geht. Aber man versteht diesen Wechsel der Stoßrichtung: Arianer gab es ja nicht mehr ernsthaft zu bekämpfen, wohl aber Leute. die eine origenistische Auffassung vom Menschen und seinem Heil hanen. In den fünfzehn Anathematismen. die das Konzil - welches auch
immer - von 553 aufgestellt hat I', geht es nur noch um die Heilsgeschichte und
offensichtlich gegen Zeitgenossen. So brauchen wir uns damit nicht zu befassen; aber wir können auch nicht allen VorwUrfen Juslinians gegen Origenes selbst nachgehen, einigen aber wohl! An den Brief von 543 angehängt sind 24 Kun texte, die sich als Zitate aus der Grundlagenschrift
(peri archon, de princpiis) i
des Origenes geben und die im Brief erhobenen VorwUrfe belegen sollen. Der Kaiser wird kaum selbst das umfängliche Werk des Origenes studiert haben; die aus Palästina gekommene" Ankläger der dort ansässigen wohl wirklich origeni stisch beeinflußten Mönche werden ihm die 24 Zitate vorgelegt und zugleich interpretiert haben, so daß vielleicht auch die jeweiligen knappen Überschriften von ihnen und nicht von lustinian stammen.
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Epiphanius, hau. 63, 4,2. "ACO (vgl. Anm. 4) 111 190, 1-24. u Ebd. 203. 1 4 ff und 204, 1 0 f. 16 Am Icichtcstcn z.uglnglich in: Origcncs. Vier Bücbcr von den Prinz.ipicn. Hrsg., übers. von H. GOrgemanns und H. Karpp (_ TCllic z.ur Forschung 24). DarmSladl 1976. 824-830.
Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt?
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Der erste Text klingt so, daß man sich fragen muß, ob der erste Teil als Zitat oder als den lnhalt angebende Überschrift zu verstehen ist. Im zweiten Fall bleibt als Zitat so wenig übrig, daß man geneigt ist, darin allenfalls noch eine Zusam menfassung zu erblicken. Zum besseren Verständnis sei zuerst der zweite Text angeführt; da lautet die Überschrift: "Daß die Kraft Gottes des Vaters begrenzt ist, aus dem zweiten Buch." Als Zitat wird dann geboten: "Man muß nämlich sagen, daß die Kraft Gottes begrenzt ist, und darf nicht etwa aus Frömmigkeit ihre Begrenzung aufheben. Und nach einigen Worten: Er hat also so viele geschaffen, wie er umfassen und unter seiner Hand halten und unter seiner Vorsehung ausrüsten konnte, wie er auch so viel Materie hergestellt hat. wie er ausgestalten konnte." Da ist die Gliederung deutlich. Daß für Origenes als für einen echten Hellenen nur das Umschriebene, also begrenzte Gestalt, Wesen und somit Wirklichkeit hat. sei nur nebenbei bemerkt; erst Gregor von Nyssa hat die Unendlichkeit und Unbegrenztheit als eine positive Eigenschaft, ja als das Wesensmerkmal Gottes entdeckt. H Das Fragment n hat also alle Aussichten, wenigstens dem Inhalt nach echt zu sein; wir wollen seiner genauen Form aber hier nicht nachgehen. Vielmehr soll jetzt das erste im Anhang des lustinianbrie fes von 543 gebotene Beweisstück zitiert werden. Es lautet: ,.Daß Gott der Vater, da er ja alles zusammenhält, bis zu jedem der Seienden heranreicht und jedem von seinem eigenen das Sein gibt, das er ist. während der Sohn dem Vater gegenüber geringer ist und nur bis zu den Vernunftwesen reicht, denn er ist zweiter nach dem Vater, während der Heilige Geist, noch schwächer. nur die Heiligen erreicht. So ist also dementsprechend die Kraft des Vaters größer als der Sohn und der Heilige Geist, größer aber die des Sohnes als der Heilige Geist und wiederum die Kraft des Heiligen Geistes überragend alles. was sonst heilig ist." Der Zitatensammler war überzeugt, daß dieser Satz so, wie er dasteht. hinlänglich gotteslästerlich klingt. also keine weiteren trinitätstheologischen Schlußfolgerungen daraus gezogen zu werden brauchen, um die Irrgläubigkeit des Origenes zu beweisen. Nun war aber die Gleichheit auch des Geistes mit dem Vater (und dem Sohn) vor der Mitte des 4. Jahrhunderts niemandem ein Anliegen; aber auch die ausdrückliche Erkllirung, der Geist sei geringer als der Sohn und dieser als der Vater. ist nicht etwa charakteristisch für die vornizäni-
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Vgl. E. Müblcnberg. Dic Uncndlichkcit GOllcS bei Grcgor v. Nyssa. Grcgors Kritik am Gottcsbegriff d. klass. Mctaphysik, GÖllingcn t966. Das Origcncszitat bei Justinian: ACO (vgl. Anm. 4) 111 209.1-6. 11 Das Nidnum sagt ja über dcn Hl. Gcist nur, daß an ihn geglaubt wird; Athanasius verlangtc noch 362 im Tomus ad Anliochenos von dcn als rechtgläubig Anzuerkenncnden nur das Bekenntnis, daß der Gcist kei.n Gcschöpf sei. In der Mille dcs 3. Jh.s haltc Novatian. rur dcn dcr Geist zwar zum ordo ralionis und zur aucroriras jidei. aber nicht zur regulo veritaris zu gehörcn scheint (De Trinilatt I I , I ; IX 1,46 und XXIX 1.163), nicht nur durch dic Knappheit seiner pneumuologischcn Aussagen sondern auch durch das dcutlichc ZurUckbleiben hinter den vergleichbaren Aussagen Tertullians einen Rangunlcrschied zwischen Geist und Sohn erkennen lassen. ohne dies aber ausdrücklich zu sagen.
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Warum wurde Origcnes zum Häretiker erklärt?
sehe Theologiei', wenn sich da auch gelegentlich Äußerungen in diesem Sinne finden, sondern auch typisch für die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts. nämlich fOr die Arianer der zweiten, bzw. dritten Generation. fUr die Anhomoier und Pneumatomachen. deren systematisch-trinitätstheologisches Inleresse nicht ge ringer war als das der Nizäner. Das angebliche Zitat verrät also in seinen beiden Teilen - sei der erste nun Überschrift oder nicht - eine trinitätstheologische Sensibilisierung. die vor Nizäa schwer vorstellbar ist, sich also kaum schon bei Origenes selbst gefunden haben kann. Gewiß haben Äußerungen des Origenes Ober das unterschiedliche Verhältnis der drei göttlichen Personen zu den Geschöpfen den Anlaß zu solch systematischer Zusammenfassung gegeben, aber sein Gedankengang ist ein anderer. In Buch I Kap. 3, wo auch noch Karpp und Görgemanns in ihrer verdienstvollen Ausgabe der Grundlagenschrift das angebliche Zitat einfügen wollen", paßt es meiner Ansicht überhaupt nicht hin. Da geht es um den Heiligen Geist; in 5 fragt Origenes sich, warum man nicht des Vaters und des Sohnes teilhaftig werden könne ohne den Geist, und erklärt, daß der Vater und der Sohn in Heiligen und Sündern wirken, in vernünftigen Menschen und unvernünftigen Wesen, überhaupt in allem, was ist, daß aber der Geist nur in denen wirkt, die schon auf dem Wege Jesu Christi sind. Zwischen diese Frage und diese Antwort haben Karpp und Görgemanns das erste Juslinianfragment eingeschoben. zwar Gott sei Dank nicht im Text, wohl aber in ihrer deutschen Übersetzung, und so den Gedankengang verdorben. Zu Beginn von 6 spricht Origenes noch einmal per modum unius von der offenbar gemeinsamen und gleich weit reichenden Wirksamkeit des Vaters und des Sohnes und beginnt erst im Verlauf dieses Paragraphen zu unterscheiden zwischen der Teilhabe am Vater, die bis zu allen Dingen reicht, und der Teilhabe am Sohn. am Logos, durch die die Menschen vernOnftig sind. Erst danach wäre ein Text wie das erste lustinianfragment möglich. Im Osterfestbrief des alexandrinischen Patriarchen Theophilos vom Jahre 402. der, weil von Hieronymus übersetzt. als Nr. 98 unterdessen Korrespondenz gezählt wird, scheint die richtige Reihenfolge gewahrt zu sein; da ist zuerst vom Heiligen Geist, dann vom Sohn die Rede: ..Er (Origenes) behauptet nämlich, der HI. Geist wirke nicht. was unbeseelt ist, und gelange nicht bis zu den vernunft· losen Wesen."l0 Theophilos bringt als Gegenbeweis die Heiligung des Taufwas· sers durch den Heiligen Geist und dann die Konsekration der eucharistischen Gaben durch die Anrufung und das Kommen des Heiligen Geistes. Das ist nebenbei bemerkt die älteste Bezeugung fOr die Konsekrationsepiklese, die mir bisher begegnet ist. Theophilos fahn dann nach einigen Schriftbeweisen für die
" Auf S. 169/171 ihrer Ausgabe (vgl. Anm. 16). P. Koetschau GCS. Origenes V ( 1 9 1 3 ) 55f. haue dieses angebliche griechische Fragment an dersc.lben Stelle sogar in den lateinischen Text eingese llI. Crouzel und Simont:ui tun gut daran, das Fragment nur in den Anmerkungen zu erörtern. llITheophilus, Epistula pascllalis Hieronymus ep. 98.13, eSEL 55. 196.24f. '"
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Warum wurde Origenes zum Häretiker erkll1rt?
Allwirksamkeit des Heiligen Geistes so fort: ,,Aber er (natUriich Origenes) ist mit dieser äußersten Gotteslästerung nicht zufrieden, ... sondern rülpst noch einmal" - damals wurde, so würden wir heute sagen, mit harten Bandagen geboxt - "und behauptet, der Sohn Gottes, d. h. seine Vernunft, sein Wort seine Kraft" - griechisch stand da sicher nur logos und dynamis - .reiche nur bis zu den Wesen. die vernunftbegabt sind." Theophilos mag Origenes selber gelesen haben; er scheint jedenfalls eindeutig zu bezeugen, daß Origenes zuerst von der eingeschränkten, nämlich im soteriologischen Sinn bestimmten Wirk samkeit des Heiligen Geistes, und danach erst von der eingeschränkten Wirkung des Sohnes gesprochen hat, freilich nur in dem Sinn. daß er den vernunfbegabten Wesen eben diese Vernunft durch Teilgabe an sich selbst gewährt. Daß er als Gesamtplan der Schöpfung und als Machtwort Gottes alles umfaßt, sagt Orige nes im 2. Kapitel des I. Buches deutlich genug.ll Nun wird aber jemand darauf hinweisen, daß Hieronymus in seinem Brief an Avitus (Nr. 124 seiner Korrespondenz), der erst im Jahr 408 geschrieben ist. einen Text bietet, der weitgehend mit dem 1. Justinianzitat übereinstimmt. nämlich erklärt. Origenes behaupte, "der Sohn sei auch geringer als der Vater, weil er nach ihm der zweite sei, und der Heilige Geist, geringer als der Sohn, weile (nur) in den Heiligen; und in dieser Ordnung sei die Kraft des Vaters größer als die des Sohnes und des Heiligen Geistes und wiederum sei die Kraft des Sohnes größer als die des Heiligen Geistes und folgerichtig gehöre dem Heiligen Geist selbst eine größere Macht als allen übrigen, die heilig genannt werden" . Die Übereinstimmung ist, wenn bei Hieronymus auch die Aussage über den Vater am Anfang fehlt, beeindruckend und kann nicht Zufall sein. Ich kann aber keine Stelle finden, wo der Hieronymuswortlaut oder gar der des Justinian in den Text der Grundlagenschrift hineinpassen würde. Bedenkenswert ist auch, daß der Satz bei Hieronymus der letzte. nämlich der 7. Vorwurf gegen Origenes in diesem Brief zu sein scheint, der nicht wörtlich angeführt wird; von da ab bietet Hieronymus lange Zitate, die er offensichtlich als wörtlich verstanden wissen will. Hat ihm für Kapitel 2 seines Avitusbriefes schon jemand vorgear beitet? Hatte er also eine noch griechische Sammlung von angreifbaren Lehren aus der Grundlagenschrift vor Augen, die er dann ins Lateinische übersetzte? Hat sich diese unechte Zitatensammlung erhalten bis in die Zeiten Justinians. so daß sie dem antiorigenistischen palästinensischen Mönch vorlag, der dem Kaiser die Munition für das Edikt gegen Origenes lieferte? Wenn man weiß. wie beliebt in der Spätantike Zusammenfassungen, epitomai, waren, so daß manchmal Autoren ihre eigenen Werke so zusammengefaßt haben, z. B. Epiphanius sein •
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Z.B. prim:. I 2 , 2 GCS IV 30,7 f: Die Weisheit sagt durch Salomo von sich selbst. sie sei geschaffen als Anfang der Wege GOlles. da sie nämlich in sich selbst die Urspruoge, Pläne und Abbilder der gesamtcn Schöpfung enthält vgl. dazu den Aufsatz von H. Görgemanns. "Die Schöpfung" der " Weisheit" bei Origenes. Eine telltkritische Untersuchung zu princ. frgm. 32: StPatT 7 TU 92 ( 1 966) 194-209. Man könnte also zwar die Wirkung des Logos als Logos auf die fogikoi eingeschrinkt sehen, aber als Weisheit wirkt der Sohn uoeingeschrlnkl auf alle Geschöpfe. =
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Hllreliker erk.lärt?
großes Werk gegen die Häresien in der Anakephalaiosis. der RecapituJario, wird man diese Überlegung nicht für so abwegig halten; durch eine solche hypothe tische, origenesfeindliche Epitome ließen sich manche Übereinstimmungen zwischen den verschiedenen Fragmentüberlieferungen erklären. Doch dies mag zunächst als Angabe der Grunde genügen, die den Justinian zum Kampf gegen Origenes bewogen. Wenn man sie verstehen und recht einschätzen will, muß man in die Vorgeschichte zurückgehen, am besten bis zum Anfang des Origeni stenstreites. Wir wissen nicht, ob Origenes schon die alexandrinischen Kirchenhäupter, die ihn bekämpften, durch seine Lehren gegen sich aufgebracht hat oder nur durch seine ihnen unkanonisch erscheinende Priesterweihe; das erste aber wird von vielen Autoren wenigstens vermutet. Den literarischen Kampf gegen Ori· genes hat Methodius eröffnet, der im Altertum als Bischof und Märtyrer, nämlich in der diokletianisehen Verfolgung, galt.D Er hat um 300 ein großes Werk in drei Büchern über die Auferstehung geschrieben, in dem er längere Zitate aus Origenes einschaltet, seltsamerweise aber nicht aus dessen für uns verlorenen Werk über die Auferstehung, sondern aus der Erklärung zum ersten Psalm. Außerdem läßt er in diesem streckenweise als Dialog gestalteten Werk einen Arzt und Naturwissenschaftler namens Aglaophon auftreten, der sich gegen die Auferstehung des Fleisches ausspricht und den er mit den ..beweis· kräftigen Worten des Origenes bewaffnet"D sieht. Was Aglaophon vorträgt, wird zwar nicht ausdrücklich als Lehre des Origenes bezeichnet, soll aber wohl so verstanden werden; jedenfalls scheinen spätere Origenesbekämpfer ihn so ver· standen zu haben. Es wäre zwar nicht ausgeschlossen, daß sie die angeführten Gedanken bei Origenes selbst gelesen hätten, aber die Ähnlichkeit mit den Ausführungen des Aglaophon bei Methodius ist so groß, daß man eher an Übernahme von dorther denken mag. Bei einer Auseinandersetzung über die Auferstehung würde man heute wohl zuerst die neutestamentlichen Ostererzählungen diskutieren. So wundert man sich, wenn die erste grundsätzliche Erörterung einer Bibelstelle in der Schrift des Methodius über die Auferstehung sich keineswegs um Ostererzählungen dreht, sondern um jene Fellröcke. die Gott nach dem Bericht der Genesis (3,21) für Adam und seine Frau machte, bevor er sie aus dem Paradies hinauswies. Der Anfang des Auferstebungsbuches ist nicht griechisch, sondern nur altslawisch überliefert; so sind wir auf die wörtliche, aber holprige Übersetzung von Bonwetsch angewiesen. Aglaophon argumentiert nach längeren physiologi· sehen AusfUhrungen so: "Wenn es nach eurer Meinung eine Auferstehung dieser toten Leiber und deren Verwandlung in die Unsterblichkeit gibt, wozu hat Gott dann den Menschen von Anbeginn ohne den Lappen des Leibes geschaffen, wie die Schrift selbst lehrt? Denn die Kleider von Fellen, welche er nach der Übertretung für Adam und Eva machte, sind deutlich die Leiber, mit denen wir II
Vgt. Hicronymus, vir: ill. 83 und Sokratcs, h.�. VI 13. UMcthodius, rts. 1 27, I GCS S. 255.4.
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bekleidet worden sind. nachdem wir das Gebot übertreten haben," Und als Begründung heißt es gleich darauf: .Denn nicht von toten Leibern, nachdem er Vierfüßler geschlachtet hätte, wie ein Lederarbeiter machte Gott den Erstge schaffenen Kleider, sondern schwere irdische Leiber machte er uns als Kleider von Fellen,"u Daß er die schweren Fellkleider außerdem als Fessel und Buße fUr die Seele versteht, sei noch angemerkt, aber nicht weiter verfolgt. Die Stoßrichtung des Arguments erkennt man sofort: Die Auferstehung sollja nicht etwa den derzeitigen Lebenszustand des Menschen wiederherstellen, sondern jenen uranfänglichen Zustand, für den Gott den Menschen geschaffen hat. Hätte Gott den Menschen am Anfang ohne Leib geschaffen, dann wäre eine Auferste hung des Leibes heilsgeschichtlich sinnlos; erst recht dann, wenn die Leiber nur Folge der SUnde sind, So versteht man, daß Methodius mit aller Entschlossenheit gegen dieses Argument angeht. freilich erst im 29. Kapitel des 1 . Buches, nachdem von Kap. 20 ab ein längeres Origeneszitat eingeschaltet worden war und im Dialog noch ein Origenesanhänger namens Proklos zu Wort gekommen war. Das Hauptargument des Methodius gegen die vorgetragene Deutung der Fellröcke ist das Wort Adams, das er über Eva spricht: "Dies ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch" (Gen 2,23). Aber auch. daß Gott Staub genommen habe, um den Menschen zu schaffen (Gen 2,7), dient als Gegenargument: aus Staub sei nicht die Seele, sondern der Leib geschaffen. Daraus folgert Methodius: ,.Also ist der Mensch schon, bevor er das FellkJeid erhielt, körperlich gebildet worden (somatopoieo)." Man sollte denken, daß das Problem damit fUr Methodius erledigt wäre und er die Fellröcke einfach wörtlich genommen hätte; aber offenbar war die BegrUndung, die Aglaophon für seine Deutung vorgetragen hatte, so Uberzeu gend, daß eine einfache Auffassung der Fellkleider nicht mehr in Frage kam. Gott ist nun einmal kein Gerber oder Lederarbeiter. So muß auf jeden Fall eine bildliehe Erklärung der Fellröcke her: Sie bedeuten nichts anderes als die Sterblichkeit oder Todesverfallenheit, in die Gott nun zur Strafe, freilich mit der Absicht zu bessern, den Leib des sündig gewordenen Menschen hüllt. Diese Deutung ist dem Methodius so wichtig, daß er sie noch zweimal wiederholt, insgesamt also dreimal vorträgt. An der letzten Stelle wird Gottes Heilsabsicht bei dieser Maßnahme betont: .Damit das Übel im Menschen nicht unsterblich ist. hat Gott den Menschen in Sterblichkeit gehüllt." Daß diese Auslegung nicht unwidersprochen blieb, wird sich zeigen, wenn wir auf Origenes selbst zu sprechen kommen. Hier sei zunächst nur vermerkt, daß Methodius selbst früher wohl einer anderen Deutung zugeneigt hat; jedenfalls läßt er in seinem Sympo sion über die Jungfräulichkeit die Jungfrau Theophila den Leib als den "fleisch lichen Rock der Seele" bezeichnen.16 Diese Benennung ist doch wohl ohne Blick aur die Genesiserzählung kaum zu verstehen. In der Deutung des Aglaophon •
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bekämpft Methodius also eine Deutung, die sich sozusagen zwanglos aus einem von ihm selbst früher geäußerten Gedanken ergibt. von dem er sich nun aber wegen dieser verhängnisvollen Folgerungen trennen mußte. Darf man nicht auch darin eine Bewältigung persönlicher Vergangenheit erblicken? Ich habe von der großen Ähnlichkeit gesprochen. die sich zwischen der Meinung des Aglaophon über die Fellkleider und den Äußerungen zeigt, die später dem Origenes vorgeworfen werden. Der schon genannte Bischof Epipha nius von Salamis, der in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts der eifrigste und ausdauerndste Ketzerbekämpfer und die sozusagen persongewordene Ortho empsycho5 orlhodoxia hätte Origenes gesagt - gewesen ist, macht doxie schon in seiner Schrift "der Festgeankerte" (nämlich im Glauben) im Jahre 373 dem Origenes nicht nur die allegorische Deutung des Paradieses zum Vorwurf (cap. 54), sondern auch, daß er die Fellröcke von Gen 3,21 als "die Fleischmasse des Körpers oder den Leib selbst" gedeutet und dies damit begründet habe, daß Gott kein Lederarbeiter sei, der Felle gerbt.17 In seinem großen Werk gegen die Häresien, im Arzneikasten also, in dem Epiphanius sich lange mit Origenes beschäftigt, erscheint in einer Liste von sechs oder auch sieben, je nachdem wie man abteilt, VorwUrfen gegen Origenes unter Nr. 4 als Behauptung des Origenes, mit den Fellkleidern sei der Leib gemeint.::a Nach dem langen, aus Methodius übernommenen Einschub, kommt Epipbanius wieder auf das Thema und be hauptet, Origenes habe scherzend oder spöttisch gefragt: "War Gott etwa ein Gerber, daß er denen um Adam Fellröcke gemacht hätte, obwohl noch gar keine Tiere getötet worden waren? Aber auch, wenn schon Tiere getötet waren, gab es keine Fellröcke, sondern den irdischen Leib, den wir an uns haben. "19 In seinem erst 394 geschriebenen Brief an seinen origenistisch gesinnten Kollegen lohan nes von Jerusalem, den uns Hieronymus übersetzt und erhalten hat, führt Epiphanius als Origeneszitat an: "War Gott etwa ein Gerber oder Lederarbeiter - die Doppelübersetzung soll wohl nur das eine griechische byrsodepses wiedergeben -. daß er Tierfelle hergestellt und daraus fUr Adam und Eva Fellröcke zusammengenäht hätte? Es ist also klar, daß er von unsem Leibern spricht.")O Hieronymus übernimmt in seinem Buch gegen Johannes von Jerusa lern denselben Vorwurf gegen Ongenes als vierten. nämlich "daß er die Fellröcke als die menschlichen Leiber deulet, mit denen Adam und Eva nach dem Verstoß und der Vertreibung aus dem Paradies bekleidet wurden, sie also ohne Zweifel zuvor im Paradies ohne Fleisch, Sehnen und Knochen waren.")1 Während Hieronymus aber in seiner Schrift gegen den Bischof Johannes auf ein Gegen argument verzichtet, hai Epiphanius zwei Jahre zuvor in seinem Brief an Johannes noch so gegen diese Deutung argumentiert: ..Und wenn das so ist, -
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EpiphIOiu$, anc. cap. 62, 1 . 2 GCS Epiph. I, S. 74 rr. ,. hau; 64,4.9 GeS Epiph. 11, S. 412.12 ff. "Ebd. 64, 63,5; S. 5OO. 1 9 rf.
)O Hieronymus. �p. 51.5 eSEL 55,403, 14ff. 1 1 Hieronymus, Contra Joannem 7 PL 23. 376C,
Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt'!
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wieso lesen wir dann, daß Adam vor (dem Empfang) der Fellröcke und vor dem Ungehorsam und dem Sturz aus dem Paradies gesagt hat. und zwar nicht im Sinne einer Allegorie, sondern wahrhaftig: Dies ist nun Knochen aus meinem Knochen und Fleisch von meinem Fleisch? Oder woher ist jenes Wort genom· men, welches das göttliche Wort bezeugt: Und Gau ließ einen Schlaf über Adam kommen, und er schlief ein; und Gott nahm eine von seinen Rippen und füllte statt ihrer Fleisch ein und er baute die Rippe, die er aus ihm genommen halle. ihm zur Gattin? Oder welche Leiber bedeckten Adam und Eva mit Feigenblät. tern, nachdem sie vom verbotenen Baum gegessen hatten?,'n Auch in seinem Arzneikasten hatte Epiphanius das Problem der FeUröcke in 64,65,5 noch einmal aufgegriffen und die dem Origenes unterstellte Deutung als in Wider· spruch mit der Heiligen Schrift und deshalb als Frucht heidnischer Mythen erklärt. Die biblischen Gegenbeweise waren dort schon dieselben wie Ober 1 5 Jahre später im Brief an Johannes. die eben genannt wurden. Epiphanius befaßt sich im Arzneikasten länger mit dem Problem, weil es ihm dabei eigentlich um die Auferstehung geht. Die Frage, was denn schließlich die FeIlkleider gewesen seien, beantwortet er mit dem Hinweis auf die göttliche Allmacht: Gott war nicht auf menschliche Technik und Arbeitsweise angewiesen, um FeIlkleider zu beschaffen)); das spöttische Argument. das dem Origenes unterstellt wird, zieht also nicht. Epiphanius folgt hier also nicht dem Methodius, obwohl er dessen AusfUhrungen in seinen Text Ubernimmt. Hatte er vielleicht einen Grund, die von Methodius vorgetragene. scheinbar so elegante Lösung nicht zu überneh· men? Die Stelle, wo Origenes diese Deutung der Fellkleider und den ironischen Hinweis auf den Gerber vorgetragen hälle. konnte bisher nicht ausfindig ge· macht werden. Theodoret von Kyrrhos aber schreibt ihm in seinen in der Mitte des 5. Jahrhunderts verfaßten .,Fragen zum Oktateuch" eine Erklärung zu, die auch später in Katenen häufig unter dem Namen des Origenes erscheint und so lautet: "Als was muß man die Fellröcke verstehen? Es ist nämlich sehr dumm und altweiberhaft und Gottes unwürdig zu meinen, Gott habe die Häute von irgendwelchen Tieren, die getötet wurden oder auf andere Weise gestorben waren. abgezogen und eine Art von Röcken gemacht. indem er Häute zusam· mennähte nach Art eines Lederschneiders. Wiederum, um einer solchen Unge· reimtheit zu entgehen, zu behaupten, die Fellröcke seien nichts anderes als die Leiber. ist zwar überzeugend und vermag Zustimmung auf sich zu ziehen; aber es ist keineswegs klar, daß dies wahr ist. Wenn nämlich die Fellröcke Fleisch und Gebein sind. wieso sagt dann Adam schon, bevor es sie gibt: Dies ist nun Bein aus meinem Gebein und Fleisch aus meinem Fleisch? Um diesen Fragen zu entgehen, haben einige erklärt. die Fellröcke seien die Todesverfallenheit, mit der Adam und Eva umgeben wurden, da sie wegen der SUnde dem Tod geweiht wurden. Aber auch diese vermögen keineswegs leicht zu beweisen, wie Gott und n
Hieronymus, ep .5 I , .5 , 3 eSEL .5.5. 403, I H r. Jl Epiphanius. hoer. 64.66 .5. S. 508. 2 1 fr. .
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nicht die SUnde die Todesverfallenheit in den (Menschen) hineinbringt. der sich verfehlt hat. Dazu sind sie auch noch gezwungen zu sagen, Aeisch und Bein logos) unvergänglich, wenn seien in ihrem eigenen Begriff (oder Wesen nämlich unsere Voreltern sich erst wegen der Sünde die Todesverfallenheit zuzogen. Aber auch wenn das Paradies ein göttlicher Ort ist, sollen sie doch sagen, wie dort ein jedes der Glieder nicht umsonst geschaffen war, sondern seine natilrliche Wirkung ausübte. Dazu aber. daß bei Aquila und bei Symma chus von der Nase oder bei den Siebzig (Übersetzern des AT) vom Gesicht die Rede ist, wohinein Gott den Hauch des Lebens einblies, muß man sagen. daß man nicht am Buchstaben der Schrift festhalten darf. als ob er wahr wäre, sondern daß man den im Buchstaben verborgenen Schatz suchen muß.").O Die Frage ist natürlich, ob das Zitat wirklich von Origenes stammt, oder von einem späteren Origenisten, der seinerseits auf die Lösung des Origenesgegners Methodius geantwortet hätte. Auf das Urteil des Theodoret wird man hier nicht allzuviel geben können. Ihm kam es nur darauf an, einen Allegoristen anzufüh ren, wie er sagt, und ihn der Deutung des Theodor von Mopsuestia gegenüber zustellen, der als guter Rationalist meint, es könnten auch gewisse Baumrinden fUr die Fellröcke gedient haben.l5 Der Text macht aber den Eindruck von Origenes zu stammen; nicht nur die Aufforderung: "sie sollen doch sagen!" findet sich an anderen Stellen bei ihm, wo er sich seiner Sache ganz sicber istl6, sondern auch die Unterscheidung zwischen einer überzeugenden, vordergründig plausiblen und einer wahren Aussage ist ihm geläufig.J1 Auch daß der Verfasser nicht nur die LXX, sondern auch Aquila und Symmachus im Blick hat, spricht für Origenes. Wenn der Text von Origenes stammt, bietet er schon lange vor Methodius und natürlich erst recht vor Epiphanius ein Zeugnis dafUr, daß die Diskussion über die Fellröcke mehrfach hin und her gegangen ist und der Stand, auf dem Methodius schließlich stehen bleibt, schon wieder in Frage gestellt war. Man kann natürlich nicht einfach sagen, unser Text müsse später sein als Melhodius, weil er mehr Schichten bietet, mehr Argumentationsgänge; in der Geschichte lassen sich immer wieder Beispiele dafür finden, daß ein Autor eben nicht auf dem neuesten Stand ist. Wollte man dem Epiphanius glauben, dann müßte man annehmen, Origenes sei mit seiner Erklärung der Fellröcke den Gnostikern gefolgt; denn diese Erklärung wird schon von lrenäus (haer. I 5,5) und von Hippolyt (re! X 13,4) als Lehre der Valentinianer bezeugt; sie häuen den Fellrock mit diesem sinnenhaften armseligen Fleisch (sarkion) gleichge setzt, ihm keine Heilsaussichten gegeben. sondern darin den Menschen gesehen, der zugrunde geht, den atlthropos phrheiromellos. Das gleiche bezeugt Klemens =
),O PG 12, I O).,,, PG 80, 140C-14IA. u PG
80, 140 BC.
l6z. B. comm. in M,. XV 35 GCS 10, 451.35, wo er seine Gegner auffordert, das Gleichnis von
den Weinbergsarbeilern, von denen einige ersl zur elften Stunde gerufen werden, auszulegen. wenn sie o.ichl die voo ihm fcstgehaltene PräeJ;islenz der Seelen annehmen. Jl Eine Plausibilität (pi,ha"otu) kann sogar in den Unglauben führen, etwa comm. in MI. XII 2 GeS 10, 72,6.
Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt? von Alexandrien in den
Stromata
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(llI 14) als Lehre des Julius Kassian und in
den AuszUgen aus Theodot als dessen Meinung. Diese gnostische Vorstellung war allgemein bekannt; daß Origenes sie einfach übernommen hätte, wie Epi phanius und anfanglieh Hieronymus behaupten, ist doch wohl ausgeschlossen. Der Satz, der von der Funktion der Glieder des menschlichen Leibes im Paradies spricht und der besonders schwer verstä.ndlich ist, scheint zu sagen, daß Orige nes auch nicht mit denen einverstanden ist, die zur wörtlichen Bedeutung der Fellröcke zurückkehren, sondern die geistliche Deutung der gesamten Paradie ses- und Sündenfallerzählung fordert. Ich möchte als Ergebnis dieses Vergleichs der Überlieferungen festhalten, daß die Gegner des Origenes überhaupt nicht auf dem neuesten Stand, ihre Behauptungen vielmehr schon durch Origenes selbst überholt waren, und möchte vennuten, daß Epiphanius dies vielleicht selbst bemerkt haLlt Wenn man die Kämpfe, die schließlich zur Verurtei lung des Origenes geführt haben, richtig einschätzen und bewerten will, darf man sich nicht mit dem Blick auf einen Motivstrang zufrieden geben, sondern muß sich einen möglichst breiten Überblick zu verschaffen suchen. Diesem Versuch sind in diesem Rah men natürlich Grenzen gesetzt; trotzdem möchte ich aus dem Werk des Metho dius noch eine andere Argumentationslinie anführen, die sich nun namentlich gegen Origenes richtet. In dem langen Auszug aus der Erklärung des ersten Psalmes, die Methodius in seinen Dialog eingeschaltet hat, sagt Origenes: ,,Jeder Leib, der von einer Natur zusammengehalten wird, welche von außen eine Art Speise in ihn überführt und anstelle dessen, was hineingebracht wird, anderes ausscheidet, wie es bei den Pflanzen und Tieren geht, hat niemals dasselbe stoffliche Zugrundeliegende
(hylikon hypokeimenon).
Deshalb ist der
Leib nicht ungeschickt ein fluß genannt worden, weil vielleicht, wenn man es genau nimmt, nicht einmal an zwei Tagen das erste Zugrundeliegende dasselbe ist in unserem Leibe, obwohl doch etwa Paulus oder Petrus immer dieselben sind (und zwar nicht nur was die Seele angeht, deren Wesenheit nach unserer Überzeugung weder fließend ist, noch irgend etwas in sie Hineingebrachtes besitzt), ... weil nämlich die den Körper kennzeichnende Gestalt dieselbe ist, so daß auch die Kennzeichen. welche die körperliche Eigenart des Petrus und des Paulus bestimmen. dieselben bleiben. "ft Von diesen Überlegungen her, welche die damals äußersten Ergebnisse der Naturwissenschaft einbeziehen, suchte Origenes die Auferstehung verständlich zu machen; wenn schon jetzt nicht der Stoff, sondern die Gestalt die Identität des Menschen (insofern er Leib ist) ausmacht, dann kann diese Gestalt auch in einem ganz neuen Stoff denselben Menschenleib darstellen. Wörtlich: "Wie aber die Gestalt vom Kind bis zum Greis besteht, wenn die Kennzeichen auch viel Veränderung zu haben scheinen, so muß man es auch verstehen, daß die derzeitige Gestalt dieselbe ist wie die lf Für eine ausführliche Erörterung des Origenesziutes und seiner Bedeutung vgl. meinen Seminarbericht (unten 265-276). ). MClhodius. res. I 22.2.3.
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zukünftige. wenn auch dazwischen sehr viel Verwandlung zum Schöneren geschieht." .,Mit einem Leib nämlich wird der Heilige zwar bekleidet sein. welcher durchhcrrscht ist von dem. was einmal dem Fleisch die Gestalt gegeben hat. aber nicht mehr mit Fleisch; aber was einmal im Fleisch ausgestaltet war, das wird in dem geistigen Leib ausgestaltet werden.'..o So glaubt Origenes dem Pauluswort 1 Kor 15,44. das er einige Zeilen zuvor zitiert: .Es wird nämlich ein animalischer Leib gesät. ein geistlicher Leib auferweckt", gerecht zu werden. Man wird sich bei aller Schwierigkeit der Aussagen über die Auferstehung doch der Überzeugungskraft des Vergleiches kaum verschließen können. Doch geoau das tut Methodius entschlossen. In n 1 0 seiner Auferstehungsschrift setzt er zu einer großen Untersuchung über die ,.Rede vom Fließen der menschlichen Leiber" an, die Epiphanius nicht mehr in seinen Arzneikasten übernommen hat, die uns aber doch zum guten Teil in den Sacra Parallela griechisch erhalten ist, die dem Johannes von Damaskus zugeschrieben werden, und zum andern Teil altslawisch, also hier in Bonwetschs Übersetzung. Methodius ist offenbar von der Sorge erfüllt, die Gedanken des Origenes näherten sich zu sehr einer atomistischen Naturauffassung, die alles aus zufälligem Zusammentreffen der Teilchen entstehen läßt. Dagegen will er mit Nachdruck den Glauben an Gottes Schöpfung und WeJterhaltung setzen; wörtlich: ..Sollte nicht. was Gott, der jene Materie selbst aus dem Nichts geschaffen hat, mit unerforschlicher Weisheit zusammengestellt hat, ... unzerslört und unverändert sein, statt Tag fur Tag zu schwinden? Wenn sich die Speise nämlich in Fleisch und in Knochen und in Sehnen verwandelt" - nur Verwandlung der Speise in die Säfte des Leibes will er zugestehen - ..... wenn einiges jeden Tag von der Speise zu dem Leibe hinzukommt, anderes weggeht, dem Wasser ähnlich ... dann ist nicht eine Schöpfung der Mensch. sondern irgendeine nicht vorbedachte Einrichtung durch Zufall! ... dann ist gelogen: Gott nahm Staub von der Erde und schuf den Menschen!'''' Sogar einen Beweis aus dem Evangelium hat Methodius parat: ,,Jesus sagt: Niemand legt einen Lappen neuen Tuches auf ein altes Tuch (Mt 9,16), damit lehrend, es könne nicht zu altem Fleisch neues hinzukommen, wie sie meinen, da sonst das eine alt wäre im Leibe, das andere neu!'41 Das ist doch wohl eine Allegorese. die viel willkürlicher ist als die des Origenes und die zugleich seltsam an das Argument des Aglaophon für die Deutung der Fellröcke auf die Leiber erinnert; der nennt ja auch den Leib einen Lappen.u Natürlich ist der Aglaophon eine Erfindung des Melhodius. Sind es auch dessen Gedanken? Die Frage wenigstens ist erlaubt, zumal wir ja schon eine Ähnlichkeit zwischen den •
"Ebd. I 22.4 und 23.3. 'I
Ebd. 11 1 1 , 2-4.
u Ebd. 1I 13,6. u Ebd. 1 4,2.
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Äußerungen des Aglaophon und den eigenen Gedanken des Methodius erkannt haben." Methodius versteigt sich dazu, aus der Vorstellung, unser Leib wandele sich ständig, folgende Konsequenz zu ziehen: ,.Dann hat uns nicht die Mutter geboren noch aufgezogen, denn ein anderer wurde geboren als der, der aufge zogen wurde ... Falsch ist, was zu Jeremia gesprochen wurde: Vor deiner Erschaffung kannte ich dich (Jer 1 , 3), denn ein anderer anstelle des Geschaffe nen war es, an den das Wort erging. Wir haben dann auch nicht die Taufe empfangen, ... da der einst gereinigte Leib verschwunden ist. Wie sollte man mit einem solchen Mann, der die Identität der Person in die rein materielle Identität des Leibes verlegt, über die Auferstehung diskutieren? Wie hätte er den Origenes verstehen können? Ihm mußten nicht nur die gewagten Überlegungen, die Origenes gelegentlich anstellt, sondern auch seine durchaus nicht mit dem Glauben unvereinbaren Überzeugungen unannehmbar sein. Da konnte es eigentlich nur Kampf auf der ganzen Linie geben. Ich will aber den Methodius weder zum Ignoranten noch zum Obskuranten stempeln. sondern auch hervorheben. daß er eine ganze Reihe von bedenkens werten exegetischen Beobachtungen machte, etwa zum Gesetz der Sünde bei Paulus'\ und auch nicht ungeschickt gelegentlich gegen Origenes argumentiert. Er findet bei demselben, der behauptet, daß die Form das Auferstandene sei er nennt den Namen des Origenes hier nicht - auch die Behauptung: "Es ist nicht möglich, daß wir in derselben Beschaffenheit seiend auferstehen, Beine wieder habend und Hände und diesen ähnliches.'''7 Leider gibt er nicht an, wo er das gelesen hat; das lange Origeneszitat, das Hieronymus gegen lohannes von Jerusalem anführt. bietet keine wörtliche Übereinstimmung. Methodius be merkt, hier widerspreche Origenes sich selbst; wenn die bleibende Form aufer stehe, müsse auch dasselbe Gepräge weiterbestehen. Aber es wäre dem Origenes wohl nicht allzu schwer gefallen. zwischen Wesensgestalt und äußerem Gepräge zu unterscheiden; dabei wäre ihm Methodius allerdings nicht gefolgt. Bei Epiphanius, der uns große Passagen von Methodius erhalten hat, und der selbst erklärt, wie froh er ist. Methoclius zu Wort kommen zu lassen, verschiebt sich die Diskussionsfront. Nicht mehr die Leugnung oder Umdeutung der Auferstehung ist der erste Vorwurf, sondern, wie später bei lustinian im Brief an Menas. eine angeblich falsche Trinitätstheologie. Epiphanius wörtlich: Er sagt. "daß der eingeborene Sohn den Vater nicht sehen kann, daß aber weder der Heilige Geist den Sohn zu schauen vermag, noch die Engel den Geist, noch die Menschen die Engel.·... Man erkennt sofon, daß hier kein Zitat geboten wird, sondern eine Zusammenfassung aus den verschiedenen, dem Vater, dem Sohn, ...�
.. VgJ. oben. U Melhodius, us. JI 13,9.10. 06 Ebd. 1 1 3 f, wo er das Ausmaß, bzw. die Grenzen unserer Willensfreiheit und VerfUgungsmacht Ubcr uns selbst beschreibt. ·'Ebd. 1ll 7,2. " Epiphanius, lIaer. 64,4,3.
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dem Geist, den Geschöpfen gewidmeten Kapiteln der Grundlagenschrift. So wird auch die Begründung. die Epiphanius anführt, nur als sinngemäße - oder vielleicht auch gerade nicht sinngemäße - Zusammenfassung zu verstehen sein. Wörtlich: "Denn er will nicht, daß der Sohn aus der Wesenheit des Vaters ist, sondern führt (den Gedanken) ein, dieser sei in allen Dingen dem Vater fremd und zugleich geschaffen. Er will aber sagen, der Gnade entsprechend werde er Sohn genannt." Läse man diese VorwUrfe in einer Schrift ohne Titel, dann würde man ohne Zweifel annehmen, sie seien gegen Arius gerichtet. Man wird dem Epiphanius nicht Unrecht tun, wenn man ihn so versteht, daß er die Lehren des Arius bei Origenes zu finden meinte. ihn jedenfalls so verstand. Um die ganze Frontbreite des Kampfes darzustellen, ist es wohl sinnvoll, hier auch die weiteren Vorwürfe gegen Origenes zu benennen; Epiphanius ist ja im Jahr 376177 der erste, der eine solche Liste von Irrtümern des Origenes aufge stellt hat; er hat sie auch mehr als 15 Jahre später in seinem Brief an Johannes von Jerusalem kaum erweitert. Der zweite Anklagepunkt lautet im
Panarion so:
,,Er behauptet, die menschliche Seele existiere voraus; diese seien Engel und Kräfte, die sich aber oben in Sünden vergangen haben und deswegen zur Strafe in diesen Leib eingeschlossen sind." Epiphanius fühn auch die Schriftbeweise des Origenes an, nämlich Psalm 1 1 8,67: "Bevor ich gedemütigt wurde, habe ich mich verfehlt" und Psalm 1 14,7: "Kehre zurück meine Seele zu deiner Ruhe." Als dritten Vorwurf finden wir "Adam habe die Ebenbildlichkeit (zu ergänzen natürlich: Gottes) verloren", als vierten : ,Deshalb, sagt er auch, gebe die Schrift den Fellröcken eine Bedeutung; denn, so sagt er, das Won ,Er machte ihnen Fellröcke und bekleidete sie damit' (Gen 3,21), das ist der Leib." 5. ,,Die Auferstehung der Toten aber macht er mangelhaft, indem er sie gelegentlich mit dem Wort behauptet, gelegentlich aber vollständig leugnet, bei anderen Gele genheiten aber sagt, ein Teil aus ihr erstehe auf." 6. (und vielleicht auch 7.) ,,Er allegorisiert also. soviel er kann, das Paradies und seine Gewässer und die Gewässer oberhalb der Himmel und das Wasser unter der Erde." Epiphanius läßt erkennen, daß er diese Lehren in der Grundlagenschrift gefunden hat" ; dann aber macht er sich seltsamerweise an die Lektüre der Auslegung des I . Psalmes von Origenes und schreibt diese von Anfang an ab bis er auf die Mahnung stößt, Gott, den Vater aller, durch unseren Heiland und Hohenpriester, den gewordenen Gott
(genetos theos), um die rechte Weise des Forschens zu bitten. Da hakt
Epiphanius ein: Auch an vielen anderen Stellen habe er gefunden, daß Origenes den eingeborenen Gott von der Gottheit und Wesenheit des Vaters entfremde und ihn deswegen gewordenen Gott nenne, weil er ihn für geschaffen halte. Epiphanius weiß zwar, daß manche sagen, das Wort "geworden" mit einem
(genetos)
ny sei gleich dem ..gezeugt" (gennetos) mit zwei ny, aber diese
Erklärung lehnt er ab. Dadurch, daß Origenes den Sohn gewordenen Gott nenne, lasse er erkennen, daß er ihn für geschaffen
4' Ebd.64,4.3.
(ktis/os), ja für gemacht (poie/os),
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halte. In den Evangelien dagegen stehe nirgends etwa: ..Ich habe den Sohn geschaffen"; dort komme vielmehr die Gleichheit von Vater und Sohn zum Ausdruck, z. B. durch Mt
1 1 ,27 (niemand kennt den Vater als nur der Sohn).'" Dann nimmt Epiphanius die Lektüre der Erklärung zum I . Psalm wieder auf und zwar an der Stelle, wo Origenes sich über zu simple Auffassungen von der Auferstehung ausläßt. Genau diese Stelle ist der Anfang des längeren Origenes zitates bei Methodius, und Epiphanius ist froh, jetzt diesem über rund 80 Druckseiten das Wort überlassen zu können. Zum Glück hat Epiphanius etwa ein Kapitel
(haer. 64, 10,2-7) direkt aus Origenes zitiert, so daß wir sein Zitat
mit dem des Methodius vergleichen können; das Ergebnis ist erschreckend. Methodius hat rund
10 Halb- oder Ganzzeilen gestrichen; man ahnt, wie die
Gegner mit den Texten des Origenes umgegangen sind. Außerdem wird man, wenn man Epiphanius so verfahren sieht, kaum glauben, daß er selbst sehr viele Origenes-Texte parat hat, auch nicht, daß er sehr viel gelesen hat; man wird ihn kaum für einen Origeneskenner ansehen dürfen. Hieronymus dagegen war ein Origeneskenner; als der Streit ausbrach, hatte cr schon eine Menge biblischer Kommentare des Origenes übersetzt und an vielen Stellen seiner eigenen Bibelerklärungen Gedanken des Origenes nicht nur in den Text übernommen, sondern sich, wie ihm dann sein Freund, Feind und Obersetzerkollege Rufin nachweist", regelrecht zu eigen gemacht. Hieronymus schlug sich aber sofort auf die Seite der Origenesgegner, indem er den Brief des Epiphanius an den Bischof Johannes von Jerusalem ins Lateinische überseu.te, um ihn so vor allem seinen römischen Freunden zugänglich zu machen . Hiero ny mus hält sich selbst merkwürdig zurück. Auch seine Schrift gegen Iohannes von Jerusalem ist eigentlich weniger ein eigener Beitrag in der Sachdiskussion; er sekundiert dem Epiphanius. der sich recht eigenmächtig in Palästina aufge führt hatte. und weist dem Johannes nach. daß er noch durchaus nicht auf alle Vorwürfe des Epiphanius eingegangen sei; acht Irrlehren des Origenes habe Epiphanius aufgezählt; nur im Bezug auf drei davon habe sicb Johannes selbst vom Verdacht gereinigt. Hieronymus bietet selbst diese acht Anklagepunkte zum Teil in wörtlicher Übereinstimmung mit dem Brief des Epiphanius. der ja die Nr.
5 1 seiner Korrespondenz ist. Es dürfte hilfreich sein, diese Liste des
Hierony mus hier anzuführen, weil sie deutlicher gegliedert ist als die des Epiphanius und außerdem durchnumeriert. Hieronymus schreibt (cap. 6 u.
7
gegen Johannes): ..Acht Kapitel von Fragen über die Hoffnung des christlichen Glaubens sind für Dich ausgewählt worden ... Und zwar erstens aus dem Buch
Per; archon,
wo
er sagt: Wie es nämlich unzutreffend ist, zu sagen, der Sohn könne den Vater sehen, so ist es auch unpassend. zu meinen. der Heilige Geist könne den Sohn sehen.
SOEbd. 64, 8 . 3-5. " Rufinus, Ap% gio I 21 u. 29, PL 21, 565 u. 567 f.
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Zweitens. daß die Seelen in diesem Leibe wie in einem Gefängnis angebun· den seien; und bevor der Mensch ins Paradies kam. weilten sie unter den vernunftbegabtcn Geschöpfen in den himmlischen Räumen ... (Es folgen Zitate: Ps 1 18.67; 1 14.7; 141.8) Drittens. daß er sagt, sowohl der Teufel als auch die Dämonen würden irgendwann Buße tun und in der letzten Zeit mit den Heiligen herrschen. (Dieser Gedanke fand sich im Arzneikasten von 377 nicht einmal angedeutet.) Viertens, daß er die Fellröcke als die menschlichen Leiber deutet. mit denen nach der Verfehlung und Vertreibung aus dem Paradies Adam und Eva bekleidet wurden, ohne Zweifel, da sie vorher im Paradies ohne Fleisch. Sehnen und Knochen waren. Fünftens, daß er die Auferstehung des Fleisches und das Gefüge der Glieder und das Geschlecht. wodurch wir Männer uns von den Frauen unterscheiden. ganz offen leugnet. sowohl in der ErkJärung des 1. Psalmes als auch in vielen anderen Abhandlungen. Sechstens. daß er das Paradies so allegorisiert. daß er die Wahrheit der Geschichte aufhebt. indem er die Bäume als Engel und die ROsse als himmlische Mächte versteht und so den ganzen Inhalt des Paradieses durch bildliehe Auslegung umstürzt. Siebtens. daß er die Wasser. die. wie die Schrift sagt. über den Himmeln sind. für heilige obere Mächte. die aber auf der Erde und unter der Erde für feindliche und dämonische hält. Achtens. was er als Äußerstes (der Wahrheit?) entgegengesetzt. daß er be hauptet, Bild und Ähnlichkeit Goues. nach der der Mensch geschaffen war, sei von ihm verloren worden und sei nach dem Paradies nicht mehr im Menschen gewesen.
IOn
Nur an einer Stelle ist Hieronymus ausführlicher als Epiphanius und zwar in Nr. 5; und dadurch kommt ein seltsam sexistischer Klang in die Auseinander setzung. Hieronymus äußert auch an anderer Stelle die Befürchtung.
ne nos
nascamur in feminas. Er hatte in Gesprächen mit Anhängern des Origenes vor allem von Frauen zu hören bekommen. nach der Auferstehung seien die Ge schlechtsorgane nicht mehr notwendig. Hieronymus selber hatte. offenbar in Verkennung der allegorischen Aussagen des Origenes in seinem Epheserkom mentar, was ihm Rutin in seiner Apologie" vorhält. behauptet. bei der Auferste hung würden die Frauen zu Männern. Rufinus macht sich nicht nur lustig über Hieronymus. sondern macht ihm kräftige Vorwürfe. Er wisse nicht. ob die Frauen damit einverstanden seien, daß ihr Geschlecht aufgehoben werden, das männliche aber weiterbestehen soll. Außerdem sei es Unsinn. nur das eine Geschlecht weiterbestehen zu lassen. Ja, er droht dem Hieronymus, die Frauen,
n
Hieronymu$, Contra Joannem, PL 23 376D-377A.
u Rufinus, Apolo8ia 1 23, PL 2 1 , S61ßC,
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die er in seinen Kommentaren so übel behandelt habe, würden vor dem Richter stuhl Christi gegen ihn auftreten.so leh habe schon hervorgehoben, daß Rufinus dem Hieronymus vorhahen kann, wieviel er in seinen Kommentaren von Origenes übernommen hat'\ Hieronymus versucht, sich dagegen so zu verteidigen: Er habe zwar Gedanken übernommen, sie aber. wo sie dem Glauben zu widersprechen schienen, entweder abgeändert oder doch als ausdrücklich irrgläubig gebrandmarkt. Als Beispiel führt Hiero nymus die Deutung der beiden Seraphim an. die nach der Vision des Propheten Jesaia (les 6.2) Gott umgeben. Origenes sieht in ihnen. und zwar nicht nur in seiner Predigt zu dieser lesaiastelle, sondern an zwei wichtigen Stellen der Grundlagenschrift56 den Sohn Gottes und den Heiligen Geist, kann also die Vision des Propheten als eine Epiphanie der Dreifaltigkeit deuten. Er erklärt dann ausdrück.lich, diese heiden Seraphim verhüllten Angesicht und Füße Got tes, nicht ihre eigenen; das bedeute. daß für den Propheten - und damit für alle Menschen -die Anfänge der Geschichte, des Gott gewirk.ten Heiles, und dessen Zukunft verborgen seien; den beiden Seraphim aber seien sie bekannt; und alle Erkenntnis Gottes. die den Menschen zuteil würde, sei durch den Sohn und den Geist vermittelt. Hieronymus behält tatsächlich die Deutung der Vision auf die Trinität bei, erklärt aber ausdrücklich. es sei gegen den Glauben, in den beiden Seraphim den Sohn und den Geist sehen zu wollen; dieser Erklärung rühmt er sich auch in Brief 84. Seinerseits schlägt Hieronymus dann vor, mit einem Lateiner in den heiden Seraphim die beiden Testamente zu sehen."" So aber ist die Vision keine Trinitätsepiphanie mehr, allenfalls bleibt noch durch das dreimalige Heilig ein schwacher Hinweis auf die Dreieinigkeit. Aus überlriebe nem Antiarianismus, der die drei göttlichen Personen geradezu einebnet und den wir bis heute am Werk sehen, wird also eine geradezu geniale trinitätstheologi sche Betrachtung, die eigentlich nur ihren Ausgang vom Bibeltext nimmt, um die Beziehungen der Personen und ihre Funktionen zu erklären, zerstört. Das ist eine Art literarischer Bildersturm. der auch sonst in den Werken des Origenes gewütet hat, dem aber doch Gott sei Dank vieles entgangen ist. Wir haben schon gesehen, daß Hieronymus sich in der Auseinandersetzung geradezu hinter Epiphanius und Theophilus von Alexandrien versteckt, indem er deren Schriften gegen Origenes übersetzt und damit doch wohl seine Zustim mung ausdrückt, obwohl er selbst sehr viel besser über Origenes Bescheid wissen mußte als die beiden Bischöfe. In den drei Büchern seiner Apologie gegen Rutin geht es ihm weit mehr um Selbslrechtfertigung als um Origenes; da ist Hieronymus ganz mit seiner Vergangenheitsbewältigung beschäftigt; ja wir werden seine ganze Tätigkeit im Origenistenstreit unter dieser Überschrift sehen müssen. Daß dies dann auch noch für den Brief 124 gilt, wird sich gleich
J' Ebd. I 24, PL 2 1 , 563A. H VgJ. Anm. 5 1 . 56 homo in ls. 1 . 2, GCS 8, 244, 27ff; prine. I 3,4 und IV 3, 14. H Hicronymus, ep. 84. 3,4. CSEL55, 123,22ffu. comm. in ls. 111, CChr LXXIII 85-87.
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zeigen. Er bietet über fünfzig kürzere oder längere Zitate aus seiner Übersetzung der Grundlagenschrift. die dazu gedient haue. zunächst den Rufin als Fälscher, und dann den Origenes als Häretiker zu entlarven. Diese Zitate sind fUf das Verständnis der Grundlagenschrift und als Korrektur zu Rutins uns vollständig erhaltener Übersetzung wertvoll und deshalb hinlänglich untersucht. Viel inter essanter scheinen mir die im 2. Kapitel zusammengestellten angeblichen Irrleh ren des Origenes zu sein, die sich alle auf die Trinität beziehen und die sich mir in sieben Kapiteln zu gliedern scheinen. Das erste ist. Origenes habe schon im 1 . Buch behauptet, Christus. der Sohn Goues. sei nicht geboren, sondern gemacht; dann der Vater werde auch vom Sohn nicht gesehen usw. Als Nr. 5 lese ich: .Er bringt das Beispiel von zwei Statuen. einer größeren und einer kleinen. einer, die die ganze Welt erfUl1t und durch ihre Größe gewissennaßen unsichtbar ist, und der anderen. die in die Augen fällt. und vergleicht mit der ersten den Vater. mit der zweiten den Sohn." ln 1.2.8 der Grundlagenschrift lesen wir dieses Beispiel tatsächlich. freilich etwas länger ausgeführt; dann heißt es: ..In einer solchen Ähnlichkeit wird der Sohn, indem er sich der Gleichheit mit dem Vater entäußert und uns den Weg zu seiner Erkenntnis zeigt .Prägebild seines Wesens (Hebr 1.3)"; einige Zeilen weiter heißt es, der Sohn sei eingezwängt in die ganz kleine Form des menschlichen Leibes; es wäre also um die Inkarnation gegan· gen. Darüber freilich wundern sich die Kommentatoren und meinen, erst Rufin habe hier in das trinitätstheologische Kapitel Uber den Sohn den Gedanken der Inkarnation eingetragen und so dieses Beispiel ebenso entschärft wie das vor· ausgehende vom Glanz. in dem er den Sohn erst durch die Menschwerdung Glanz werden läßt. Als Nr. 6 lese ich: ..Gott, den allmächtigen Vater, nennt er gut und von vollkommener Gutheit; der Sohn sei nicht gut, sondern ein Hauch (aura) und ein Bild der Gutheit, so daß er nicht absolut gut genannt wird, sondern mit einer Beifügung. etwa guter Hirt usw." Hier scheint ein extrem subordinatianischer Theologe zu sprechen, der Ausdrücke wählt. die den Abstand zwischen Vater und Sohn so groß wie möglich machen. Ich will hier nicht Ober den Subordina· tianismus bei Origenes handeln - in diesem Punkt hat ja Norbert Brox Origenes umfassend und Uberzeugend gerechtfertigt" -, ich will nur den Origenesank:lä· ger Hieronymus etwas entlarven. Vor allem der Ausdruck "Hauch" (aura) für den Sohn mußte um und nach 400 Ärgernis erregen. Hieronymus deutet nicht im geringsten an, daß Origenes hier ein Bihelzitat auslegt, nämlich Weisheit 7, 25 f, wo es von der Weisheit heißt: .Dunsthauch (vapor) ist sie von der Macht Gottes und reinster Ausfluß der allmächtigen Herrlichkeit und Glanz des ewigen Lichtes und unbefleckter Spiegel der Kraft Gottes und Bild seiner Gutheit." Hieronymus selbst hatte an dieser Stelle einer AT-Übersetzung, also in der Vulgata. das Wort vapor, Dunst oder Dunsthauch oder Dampf; warum er jetzt das offenbar noch schwächere Wort aura verwendet, das zudem den Zitatcha•
• •
•
"'N. Brox. SpiritualitlU und Orthodoxie. Zum Konnikt des OrigcQcs mit dcr Gcschichte dcs Dogmas. in: Pietas (FS Köning): JAC.E 8 ( 1 980) 140-1.54 .
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rakler verschleiert, wird nicht deutlich; man ist aber versucht, böse Absicht zu unterstellen. Origenes gibt sich große Mühe, die fünf Prädikate der Weisheit auf den Sohn Gottes auszulegen, nämlich in princ. 1 , 2,9-13, also auf immerhin 5 bis 6 Druckseiten. Es mag zwar auch hier Rufin eingegriffen haben, wie bei den beiden Vergleichen mit der Statue und dem Glanz, aber die Gesamtlinie muß doch von Origenes selbst stammen." Und da wird zweierlei deutlich: einerseits die Betonung der Gleichewigkeit des Sohnes mit dem Vater, anderseits der Versuch. trotz dem Zitat, das zwischen Gott und den Dunsthauch, den vapor, noch die Macht einschiebt, doch den Sohn nahe an den Vater heranzurücken. Auch dazu. den Sohn nicht einfach gut zu nennen, fühlt Origenes sich durch Mk 10, 1 8 (Niemand ist gut als einzig Gott) verpflichtet. Die Tendenz des Origenes ist nicht. wie Hieronymus zu verstehen gibt und wie man es in der Zwischenzeit bei den Arianern gesehen hatte, den Sohn möglichst weit vom Vater zu entfernen und sich dazu aller nur möglicher Bibelsprüche zu bedienen, sondern vielmehr trotz sperriger Bibelaussagen, die man auf den Sohn Gottes glaubte auslegen zu müssen - darin war auch Origenes ein Kind seiner Zeit - den Sohn möglichst nahe an den Vater heranzurücken. ohne doch seine Eigenexistenz, später wird man sagen: Eigenpersönlichkeit aufzuheben. Gerade die propria subsislelltia die eigene hypostasis - des Sohnes wird von Origenes in diesen Kapiteln bedacht. Wenn man die gelesen hat, wird vollends deutlich. wie sehr Hieronymus diese Gedanken in Brief 124 vergröbert, wenn nicht gar verfalscht, und man entdeckt schließlich den Widerspruch in seinem Kurzreferal. wenn er zuerst behauptet, der Sohn sei für Origenes nicht gut, und dann sagt, er sei nur nicht absolut gut, sondern mit einer entsprechenden Beifügung. Die scheint übrigens eine Schlußfolgerung zu sein, die Hieronymus selbst gezogen hat, denn sie findet sich nicht in dem Fragment, das sich bei lustinian erhalten hat und so lautet: "So meine ich auch. daß tiber den Heiland riChtig gesagt werden dUrfte. daß er Bild der Gutheit Gottes ist, aber nicht das Selbstgute (allloagathon). Und wohl ist auch der Sohn gut, aber nicht als einfachhin gut. Und wie er Bild des unsichtbaren Gottes ist, ist er in diesem Sinne auch Gou, aber nicht der, von dem Christus selber sagt: Damit sie dich erkennen, den einzig wahren Gott; so ist er auch Bild der Gutheit Gottes. aber nicht wie der Vater ununterschieden gUt."1IO Wenn lustinian oder sein Gewährsmann die bei Hieronymus vorliegende Formel von der Beifügung zur Gutheit des Sohnes, guter Hirt usw .. vorgefunden hätte, hätten sie sich die wohl nicht entgehen lassen. Hieronymus ist also nicht nur weit davon entfernt, zuerst einen Versuch zu machen, die Gedanken des Origenes zu "retten", wie später Jgnatius von Loyola sagen wird; er tritt ihm nicht einmal mehr mit jener objektiven Distanz gegen· über, die er für andere Theologen der Vorzeit aufbringt, bei denen er mit Irrtümern rechnet. ohne sie doch deshalb zu Ketzern zu machen, denen er vielmehr zugesteht. sie hätten sich weniger vorsichtig ausgedrückt - minus S'
Einzelheiten dazu, siehe meinen Seminarberieht in diesem Band (unten 265-276). 60Zitat VI bei JuSlinian an Menam: ACO 111 (vgl. Anm. 4) 2 1 0,2-6.
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caute -. was noch möglich gewesen sei. bevor der daemon meridianus. der Miuagsdämon (oder besser: der Dämon des Südens), nämlich Arius. in Alexan· drien aufgetreten war!1 Origenes dagegen hätte. so scheint Hieronymus zu unterstellen, wissen mUssen, was fUr Irrlehren auftreten würden, und sie im voraus widerlegen müssen. So scheint dann auch lustinian gedacht zu haben. Noch viel verhängnisvoller aber ist eine andere Eigenart und daraus entsprin gend ein Verfahren des Hieronymus, das wohl mit seinem starren Charakter zusammenhängt; er scheint das Klipp und klare gewollt zu haben; für Zwischen töne haUe er keinen Sinn. Rutin hält es ihm zweimal vor, wie sehr er sich da von Origenes unterscheidet.·1 Während der sich sehr vorsichtig ausdrückt - daß das keine Verstellung ist, wie einige gemeint haben, brauche ich hier wohl nicht mehr zu beweisen -. während also Origenes häufig keine endgültige Lehre vorträgt (definit), sondern Vermutungen ausspricht und es dem Leser überläßt, einer anderen Meinung zu folgen. die ihn mehr überzeugt. rede Hieronymus abrupta et defitlita selltentia über die schwierigsten und geheimsten Dinge, sogar über die Zukunft und das endgültige Heil, als ob ein Engel spräche wie in Daniel. oder Christus selbst wie in Paulus."Hieronymus hat aber nicht nur selbst die fragend vorgetragenen Gedanken des Origenes in abruptas et definitas selltentias verwandelt. er hat auch die Nachwelt gelehrt, Origenes so aufzufas sen. Und das war wohl das Übelste. was dem großen Exegeten. Theologen, Meister des geistlichen Lebens zustoßen konnte, weil so nicht nur einige seiner Gedanken mißverstanden wurden. sondern die Struktur, sagen wir besser die Prozedur. der Ablauf seines Denkens verdreht. ja zerstört wurde. Endgültig geronnen, petrifiziert. tiefgefroren. können seine Gedanken kaum noch Nutzen stiften; nur zum Widerspruch herausfordern oder sich eben Verurteilung zuzie hen. Gott sei Dank ist der Prozeß des Auftauens. des Wiederbeweglichmachens im Gange. Es muß ein Unterschied bestehen zwischen Theologie und Dogma sowohl in der Struktur als auch in den Inhalten. Die Theologie muß Fragen stellen dürfen. die nicht schon beantwortet sind: sie muß Fragen stellen dürfen. die nicht einfach durch Weglassen des Fragezeichens zu Antworten werden. Warum also wurde Origenes zum Häretiker erklärt? Erstens. weil er Aufgaben nicht gelöst hat, die ihm in seiner Zeit gar nicht gestellt waren 1 Was mit ihm geschah, war also nicht Vergangenheits bewältigung. die ja Vergangenheit als das zu nehmen hat. was sie war. sondern an Origenes geschah Vergangenheitsvergewalligung. Zweitens wurde Origenes verurteilt, weil man die Art seines fragenden. tastenden Theologisierens und Exegesierens nicht mehr verstanden hat. Drittens aber auch - das sei bei aller Sympathie für Origenes und bei aller
.1
Hicronymus. adv. Ruft". 11 17. PL 23. 460 BC; allerdings steht dort das sinnlose WOr! amt statt ('auu; in der Anm. 20 zu Rufins Ubu dt adlilurationt fibrorulU Origtnis bringt der Herausgeber aber den korrekten Text; PG 17. 621 C. &1 Rufinus. Apologia [ 29 und 43, PL 21. 567C und 582AB . •J Ebd. I 43. PL 2 1 . 582 B.
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von mir hier bewußt betriebenen Apologetik fUr ihn nicht verschwiegen -, weil er vielleicht doch zu vorwitzig war und nicht nur mit Gedanken umgegangen ist, sondern bis zum Ende seines Lebens auch Lehren festgehahen hat - wie die Präexistenz der Seelen -, die sich mit dem Glauben, mit der Gesamtaussage der Heiligen Schrift endgültig nicht vereinbaren lassen. die er aber wohl geän· dert hätte, wenn die Kirche ihm eine klare anderslautende Lehre hätte vor Augen stellen können; denn Mann der Kirche wollte er immer sein.
,
Der Häretikervorwurf des Hieronymus an Theodoret und Origenes
I. Theodoret von Kyrrhos bietet unter seinen Fragen und Antworten zum Olcta teuch als NT. 39 Texte, in denen Theodor von Mopsuestia und Origenes gegen übergestellt werden. Das ürigeneszitat, von dem nicht zu erkennen ist. ob Theodoret es selbst aus einem Werk des Origenes entnommen oder schon als Fragment vorgefunden hat, ist wohl nur dann recht zu verstehen, wenn man es mit dem Vorspruch des Theodoret und dem Abschnitt aus Theodor zusammen sieht. Ich übersetze den griechisch erhaltenen Text so: .Als was sind die Fellröcke (Gen 3 , 2 1 ) zu verstehen? Die AJlegoristen behaupten, die Häute seien das sterbliche Fleisch; manche andere aber haben gesagt. diese (die Fellröcke) seien aus Baumrinden gefertigt worden. Ich aber lasse keines von beiden gelten. Das eine nämlich ist kurios, das andere zu mythenhaft; daja die Heilige Schrift sogar sagt, daß der Leib vor der Seele ausgestaltet wurde. wie wäre es da nicht mythenhaft, zu behaupten. nach der Übertretung des Gebotes hälten sie sterbliches Fleisch erhalten? Aber sich viele Gedanken zu machen, woher Gott die Häute haue, und deswegen eine neue Art von Kleidern auszudenken, scheim mir überflüssig zu sein. Man muß nämlich das festhalten. was geschrieben ist. und wissen, wie nichts für den Schöpfer des Alls unmöglich ist, und seine grenzenlose GUte bewundern; denn er kOmmert sich auch noch um die, die sich verfehlt haben; und da sie ein Kleid brauchen, schaute er nicht über die Nackten hinweg. Theodor: Es wurde gefragt, was das ist. die Fellröcke. Aber wenn Tiere geschlachtet wurden und von ihnen die Kleider gemacht wurden. dann ist es klar. daß die Art der geschlachteten (Tiere) ausstarb. da Gou nämlich gerade ein männliches und ein weibliches (Tier) geschaffen hatte und noch kein (weiteres) geboren worden war; das kommt noch dazu hinzu, daß es nicht möglich ist, zu meinen, Gott habe befohlen, Tiere zu schlachten, als den Menschen noch nicht gestattet war, Fleisch zu essen. Noch ungeziemender aber ist es, zu meinen, Gott habe die Röcke, die es nicht gab, herbeigeschafft. Er hatte ja mit der Erschaffung des Menschen das Ende des Schaffens aus Nichts erreicht. weil er dabei die Erschaf· fung der ganzen Welt vollendet hat. Es ist also ganz klar, daß er auch nicht Fellröcke aus dem Nichts herbeigeschafft hat. Aber wie es scheint, haben diejenigen, die darüber nachforschen, nicht gewußt, daß man Häute nicht nur das nennt, was von Tieren abgezogen ist, sondern auch, was von den Bäumen (abgezogen) ist. was die Menge gewöhnlich Rinden nennt. Aus Bäumen also. •
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Der Häretikervorwurf des Hieronymus
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Theodoret und Origenes
welche für die Herstellung von Kleidern geeignete Rinden haben. haben die um Adam die Kleider gemacht. wobei Gott ihnen den Gedanken eingab. wie man dies machen muß. Origenes: Was muß man von den Fellröcken denken? Überaus töricht und altweiberhaft und Gottes unwürdig ist es, zu meinen, Gott habe von irgend welchen Tieren, die getötet wurden oder irgendwie anders starben, Häute abgezogen und eine Form von Röcken gemacht. indem er Häute nach Art eines Lederschneiders zusammengenäht hätte. Wiederum. um dieser Ungereimtheit zu entgegen, zu behaupten, die Fellröcke seien nichts anderes als die Leiber, ist zwar überzeu gend, aber nicht deutlich. wieso es wahr ist. Wenn nämlich die Fellröcke Fleisch und Knochen sind, wieso sagt dann Adam, bevor es die gibt: ,Dies ist nun Knochen aus meinen Knochen und Fleisch aus meinem Fleisch' (Gen 2,23)? Um diesen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, haben einige erklärt. die Fellröcke seien die Todesverfallenheit, in welche Adam und Eva gehüllt wurden. da sie wegen der Sünde dem Tod geweiht wurden. Aber auch diese können gar nicht leicht beweisen. wie Gott und nicht die Sünde die Todesverfallenheit dem einpflanzt, der sich verfehlt hat. Außerdem sind sie genötigt, zu sagen, Fleisch und Knochen seien durch ihr eigenes Wesen (Logos) nicht vergänglich, wenn nämlich unsere Voreltern später wegen der Sünde die Todesverfallenheit emp fingen. Aber auch wenn das Paradies ein göttlicher Ort ist, sollen sie sagen, wie dort ein jedes der Glieder nicht umsonst geschaffen war, sondern seine eigene Wirkung ausübte. Dazu nämlich, daß bei Aquila und Symmachus die Nase oder bei den Siebzig das Gesicht des (soeben erst) gebildeten (Menschen) genannt wird, in welches Gott den Lebenshauch hineinblies, muß man sagen, daß man sich nicht am Buchstaben der Schrift festhalten darf. als ob er wahr sei. daß man vielmehr den im Buchstaben verborgenen Schatz suchen muß." Theodoret hat den Abschnitt aus Origenes offensichtlich in diesem Umfang übernommen, weil er im letzten Satz die entscheidende Aussage erblickte; er hat sie offenbar nicht ganz allgemein als exegetische Regel verstanden. sondern auf diesen besonderen Fall zutreffend. Theodoret entnimmt dem ganzen Abschnitt schließlich doch die Überzeugung des Origenes. daß die Fellröcke von Gen 3,21 die menschlichen Leiber darstellen. Zwar kommt es ihm gar nicht darauf an, genau darzustellen, was nun Origenes gesagt hat, sondern er will nur ein Beispiel für die allegorische Deutung der Fellröcke anführen; deshalb ist. da es ihm nicht eigentlich auf Bekämpfung des Origenes ankommt, sein Urteil um so ernster zu nehmen. Origenes scheint die allegorische Deutung der Fellröcke abzulehnen, da er ja selbst das Wort Adams dagegen anführt. Wenn man aber seine Äußerung ganz genau nimmt. dann setzt er keine Zweifel in die Wahrheit der allegorischen Deutung; es ist ihm nur bewußt, daß sie nicht. offenbar noch nicht als wahr erwiesen ist. Man wird daraus entnehmen dUrfen, daß Origenes sich durchaus bewußt ist, daß diese Erklärung schon vor ihm vorgetragen und auch bekämpft wurde. Er bezeugt ja auch einen weiteren Erklärungsversuch, nä.mlich die
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Fellröcke als die TodesverfaJlenheit oder Sterblichkeit zu verstehen. Diese Deutung aber lehnt er offensichtlich ab. Der letzte Abschnitt, wo vom Paradies als einem göttlichen Ort die Rede ist, macht besondere Schwierigkeiten. Der Gedanke stammt offenbar nicht von Origenes, sondern von einem anderen Erklärer. Es wird nicht deutlich. ob er verbunden war mit der Deutung der Fellröcke als Todesverfallenheit; doch ist dies am wahrscheinlichsten, da die beiden Gedanken aufeinanderfolgen und Origenes keinen anderen Urheber andeutet. In diesem Fall bedeutet dieser Gedanke - auch Dionys von Alexan� drien spricht von einem überweltlichen Ort (vgl. W. Bienert, Neue Fragmente des Dionysius und des Petrus von Alexandrien aus eod. Vatop. 236: Kleronomia 5 (1973] 309) - , daß es sich dabei um eine andere Form von Ort und - darum geht es ja - Leiblichkeit handelt; dort, im Paradies, welches nicht als ein Ort der jetzigen Welt aufgefaßt werden darf, könnte eine noch nicht sterbliche Leiblichkeit die Funktion aller ihrer Glieder ausgeübt haben. Zum Beweis dafür scheinen diese Exegeten auf Gen 2,7 hingewiesen zu haben: Wenn der Mensch noch keine Nase gehabt hätte, wie hätte Gott ihm den Lebensodem einblasen sollen? Origenes verlangt dagegen einen Beweis, daß keines der Glieder im Paradies als einem göttlichen Ort funktionslos gewesen ist. Er sagt: Sie sollen doch sagen! und läßt damit erkennen. daß er überzeugt ist, sie könnten dies nicht. Diese Ausdrucksform ist geradezu ein Hinweis dafür, daß Origenes sich seiner Sache ganz sicher ist. Er ist offenbar davon überzeugt, daß im Paradies Leib� Iichkeit und deren einzelne Glieder überhaupt keinen Sinn haben. Der letzte Satz macht deutlich, daß er nicht nur Gen 3 . 2 1 (die Fellröcke), sondern auch Gen 2,7 (das Einblasen des Lebensatems in die Nase) nicht wörtlich verstanden wissen will. Wenn aber die ganze Erzählung von der Erschaffung des Menschen (und seinem Sündenfall und der Bestrafung) konsequent so verstanden wird, daß der im Buchstaben verborgene Schatz gehoben wird - Origenes nennt hier weder das Wort allegorisch, noch das Wort geistlich, meint dies aber offensicht lich - dann ist auch der Satz: ..Das ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch" (Gen 2.23) kein Beweis mehr gegen die allegorische Deutung der Fellröcke als der menschlichen Leiber. Origenes lehnt also die se schon vor ihm vorgetragene (und bekämpfte) Deutung nicht ab, sie war ihm nur nicht hinlänglich abgeSichert. solange sie gewissermaßen isoliert hin gestellt wurde; sie gehört für ihn in den Gesamtzusammenhang der Genesisal legorese. So gibt also der bei Theodoret erhaltene Abschnitt nicht nur dem Vorwurf recht, Origenes habe die Fellkleider als die menschlichen Leiber verstanden (Vorwurf Nr. 4 bei Epiphanius und Hieronymus), sondern auch dem 6. Vorwurf der bei den Origenesgegner, er habe das Paradies insgesamt allegori siert. Es dürfte hilfreich sein, die beiden so als begründet erwiesenen VorwUrfe jeweils im Wortlaut hier anzuführen. Epiphanius schreibt an Johannes von Jerusalem (Hieronymusbriefe 5 1.5): ..Mit wieviel MUhe und wievielen Beweisen gibt er sich ab. damit wir glauben sollen, die Fellröcke seien die menschlichen Leiber. Unter vielen anderen
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Worten sagt er: .War Gott etwa ein Gerber oder Lederarbeiter. daß er Tierhäute verfertigt und aus ihnen FellfÖCke für Adam und Eva zusammengenäht hätte?' Es ist also, sagt er, offenkundig, daß er von unseren Leibern spricht." Als Gegenbeweis führt Epiphanius nicht nur Gen 2,23 an, sondern auch wörtlich Gen 2,21-22 (Gott ließ einen Schlaf über Adam kommen
...•
nahm eine
von seinen Rippen ... ) und fragt abschließend und gewissermaßen siegessicher: ..Welche Leiber bedeckten Adam und Eva mit Feigenblättern, nachdem sie von dem verbotenen Baum gegessen hatten?" Bei Hieronymus lautet der 4. Vorwurf im Schreiben gegen Johannes von Jerusalem: ..Viertens. daß er die Fellröcke als die menschlichen Leiber interpretiert mjt denen nach der übertretung und Vertreibung aus dem Paradies Adam und Eva bekleidet wurden, ohne Zweifel weil sie vorher im Paradies ohne Fleisch Sehnen und Knochen waren." Hieronymus bringt keine Schriftbeweise, ist also in einer Hinsicht knapper, in der anderen ausführlicher als Epiphanius. Nachdem Epiphanius als Punkt
5 dem Origenes die Leugnung der Auferste·
hung des Fleisches vorgeworfen hat, die natürlich mit der Deutung der Fellröcke in Verbindung steht, fährt er (an 6. Stelle) so fort: ..Oder wer mag hören, wenn Origenes zugibt. daß das Paradies im dritten Himmel ist und wenn er jenes, das die Schrift erwähnt, von der Erde in den himmlischen Bereich verlegt und alle Bäume, die in der Genesis beschrieben werden, allegorisch versteht. nämlich. daß die Bäume die Engelsrnächte seien. wo dies doch die Wahrheit nicht annimmt?" Epiphanius weist dann darauf hin, daß in Gen 3,24 nicht gesagt werde, Gott habe Adam und Eva auf die Erde herabgesetzt. sondern sie aus dem Paradies vertrieben, er habe sie nicht unter das Paradies hinuntergestürzt, sondern sie ihm gegenüber wohnen lassen; das Flammenschwert solle den Zugang zum Lebens· baum. nicht etwa den Aufstieg
dazu versperren. Ja, sogar schon in Gen 2. 10
heiße es nicht. ein Fluß fließe herab aus Eden. sondern er fließe heraus. Schließlich weist Epiphanius darauf hin. er habe die Wasser des Geon (offenbar des Nil) gesehen und aus dem Euphrat getrunken; also seien diese Flüsse wirkliches Wasser, ebenso auch die Wasser des Paradieses, dann aber auch die Bäume dort; daraus ergebe sich, daß Adam gleich zu Beginn im Leibe geschaffen sei. Epiphanius bezeugt, daß ihm, offenbar von Origenisten. 2 Kor
12,2 f entge
gengehalten wurde, daß nämlich Paulus bis zum dritten Himmel und bis ins Paradies entrückt wurde. Er antwortet darauf, die HinzufOgung "und ins Para· dies" zeige gerade, daß ..der Himmel anderswo sei als das Paradies". Bei Hieronymus lautet die entsprechende Anklage: ..Sechstens. daß er das Paradies so allegorisiert, daß er die Wahrheit der Geschichte aufbebt. indem er statt der Bäume Engel, statt der FItisse himmlische Kräfte erkennt und den ganzen Inhalt des Paradieses durch seine bildliehe
(Iropologica)
Interpretation umstOrzt." Hieronymus bietet weder Beweise noch
weitere Erklärung.
Der Häretikervorwurf des Hieronymus
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Theodoret und Origenes
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Zusammenfassend läßt sich also sagen,daßdie Origenesfragmente und die von Epiphanius und Hieronymus vorgebrachten Beschuldigungen insofern überein stimmen, als Origenesdie ganze Schöpfungserzählung allegorisiert und in diesem Zusammenhang die Fellröcke als die menschlichen Leiber verstanden hat. Il. In seinem Brief 124 (etwa 408 geschrieben). mit dem zugleich Hieronymus dem Avitus seine Übersetzung von
Peri archon
zusendet, warnt er vor dem Inhalt
dieses Werkes und führt (cap. 3-14) mehr als fünfzig wörtliche Zitate an, deren fünftes als dem 2. Buch zugehörig gekennzeichnet ist; was vorausgeht, muß also aus dem I . Buch stammen, auch die in cap. 2 zusammengestellten, nicht wörtlichen Zitate. Warum Hieronymus erst in cap. 3, aber mitten in der Behand lung des I . Buches von Peri archon zu wörtlichen Zitaten übergeht, bzw. warum er zuerst nicht wörtlich zitiert. läßt sich nicht erkennen; da läßt sich allenfalls eine Vermutung aussprechen. Hatte hier schon jemand vorgearbeitet? Gab es schon eine Sammlung von kurz zusammenfassenden Angaben über Buch I ? Mir scheint. daß hier sieben verschiedene Vorwürfe aneinander gereiht sind. Ich mache die Numerierung in meiner übersetzung deutlich . •
.Empfange also, was
Du erbeten hast. aber so. daß Du weißt. daß Du davon
sehr vieles verabscheuen mußt ... z. B. jenes Wort - und zwar gleich im I . Buch: L Christus. der Sohn Goues, sei nicht geboren, sondern gemacht; 2. Gott, der Vater. der von Natur aus unsichtbar ist, werde auch vom Sohn nicht gesehen; 3. der Sohn, der Bild des unsichtbaren Vaters sei. sei im Vergleich mit dem Vater nicht Wahrheit, bei uns aber. die wir die Wahrheit des allmäChtigen Gottes nicht empfangen können, erscheine er als bildliehe Wahrheit. so daß die Majestät und Größe des Größeren gewissermaßen im Sohn umschrieben gedacht werde; 4. Gou. der Vater, sei unerfaßbares Licht. der Christus sei im Vergleich zum Vater ein ganz kleiner Glanz. der nur bei uns aufgrund unserer Beschränktheit groß zu sein scheint.
5. Er gebraucht das Beispiel von zwei Statuen. einer größeren und einer kleinen. von einer, welche die Weh erfüllt und durch ihre Größe gewissermaßen unsichtbar ist. und von einer anderen. welche unter die Augen fällt, und ver· gleicht mit der ersten den Vater. mit der zweiten den Sohn. 6. Gott. den Vater. den Allmächtigen. nennt er gut und von vollkommener Gutheit; der Sohn sei nicht gut. sondern irgendein Hauch und ein Bild der Gutheit. so daß er nicht absolut gut genannt wird. sondern mit einer Beifügung ..guter Hirt" usw.
7. Dritter an Würde und Ehre nach dem Vater und dem Sohn sei, so behauptet er, der Heilige Geist. Obwohl er von ihm behauptet. er wisse nicht, ob er geschaffen sei oder ungeschaffen. hat er doch im weiteren Verlauf zum Ausdruck gebrac ht. was er von ihm denkt. indem er versichert. außer Gott. dem Vater. sei
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nichts ungeschaffen, auch der Sohn sei geringer als der Vater, weil er nach ihm der zweite sei, und der Heilige Geist, geringer als der Sohn, weile nur in den Heiligen; und in dieser Ordnung sei die Macht des Vaters größer als die des Sohnes und des Heiligen Geistes und wiederum größer die Macht des Sohnes als die des Heiligen Geistes, und folgerichtig sei die Kraft des Heiligen Geistes selbst größer als alles. was heilig genannt wird." Die einzelnen Vorwürfe scheinen sich so auf die ersten Kapitel des I . Buches von princ. zu beziehen. daß in Nr. 1 an prille. I 2, 1 . 2 gedacht ist, i n Nr. 2 an prillc. I 1 , 8, in Nr. 3 an princ. 1 2,6; in Nr. 4 an princ. I 2,8, in Nr. 5 an dasselbe Kapitel. in Nr. 6 an princ. 1 2, 13 und schließlich in Nr. 7 an princ. 1 3, 3 und 6. Hieronymus hält sich also nicht an die Reihenfolge der Grundlagenschrift, sondern zieht einen Gedanken aus dem 2. Kapitel einem anderen aus dem 1 . Kapitel vor. Die Vorwürfe 3-6 beziehen sich dann genau wie der erste auf das 2. Kapitel. In der zweiten Seminarsitzung wurden die Vorwürfe 2 und 1 behan delt, in der dritten die VorwUrfe 5 und 6. Zu Vorwurf 2, Gott sei nach Origenes auch für den Sohn unsichtbar: Nachdem Origenes in §§ 6 und 7 von princ. I 1 sozusagen philosophisch über die Natur Gottes und das Wesen des erkennenden Menschengeistes nachgedacht hat, geht er in 8 auf die ein, "die aus den Heiligen Schriften über die göttlichen Dinge belehrt sein wollen'" und zitiert Kol 1 , 1 5 : ,.Er ist das Bild des unsichtba ren Gottes, der Erstgeborene aller Kreaturen" und Joh 1, 18: "Niemand hat Gott je gesehen", woraus sich ergäbe, daß Gott nicht etwa nur beschränkteren Geschöpfen, sondern allgemein, nämlich von Natur unsichtbar sei. Die Rufin übersetzung fahrt dann wörtlich fort: "Wenn Du mich aber fragst. was ich auch von dem Eingeborenen selbst denke, ob ich behaupte, nicht einmal ihm sei die Natur Gottes sichtbar, welche von Natur aus unsichtbar ist, soll Dir dies nicht sogleich als irrgläubig (impium) oder unsinnig erscheinen; wir werden nämlich im folgenden (oder folgerichtig) den Grund angeben." Rutin teilt mit (Apologie I 19,7-10), seine Gegner - also Hieronymus - hätten hier geschrieben: .,Dies soll Dir nicht sogleich als irrgläubig oder unsinnig erscheinen, denn wie der Sohn den Vater nicht sieht, so sieht auch der Heilige Geist den Sohn nicht:' Im selben Buch seiner Apologie (20, 1-6) erinnert sich Rutin, er habe seinem Gegner Verfälschung vorgeworfen, sich aber dann selbst diesen Vorwurf zuge zogen; er bestreitet zwar, geändert zu haben, aber gewissermaßen nur halbherzig und beruft sich auf seine im Vorwort ausgesprochene gute Absicht; an die habe er sich gehalten, auch wenn er "einigen Worten ausgewichen sei, die im Grie chischen vielleicht zu unvorsichtig hingesetzt waren". Daraus ergibt sich 1 ., daß an dieser Stelle mit Eingriffen gerechnet werden muß; Hieronymus wirft dem Rutin in seiner Apologie (TI 1 1 , PL 23, 454) denn auch vor, er habe gewissermaßen in der Person des Origenes Gründe angegeben, in Wirklichkeit aber nur ein Scholion des Didymus verwendet, das der schon zur Stelle abgefaßt hatte. Es ist aber 2. klar, nämlich auch durch Hieronymus selbst, wie er bei Rufin zitiert wird, daß der Satz: "Dies soll Dir nicht sofort als irrgläubig erscheinen ... " von Origenes selbst stammt. Er hat also im Fortgang
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des Artikels eine Begründung geliefert für die Behauptung, die sich jetzt im Rufintext gar nicht mehr findet, die sich aber noch aus der schon genannten Stelle in der zweiten Apologie des Hieronymus (11 1 1) entnehmen läßt: "Daß der Sohn den Vater nicht sieht." Mehr behauptet Hieronymus da nicht, auch nicht in dem 2. Vorwurf in Kapitel 2 von Brief 124, von dem wir hier ausgehen, den aber die Herausgeber und Übersetzer Karpp und Görgemanns in ihrer Ausgabe (Darmstadt 1976) nicht abgedruckt haben, obwohl sie die übrigen genannten Stellen und darüber hinaus den Vorwurf Nr. I von Epiphanius (an Johannes) und Hieronymus (gegen Johannes) auf Seite 1 1 8 abdrucken und auf Seite 1 1 9 diskutieren. Die beiden Hieronymusstellen (Apologie Il 1 1 und Epistula 124, 2) erwähnen den Heiligen Geist nicht. Aus diesem Grunde sollte man vorsichtig sein gegenüber dem Vorwurf Nr. 1 von Epiphanius, der so lautet: ,,Dies ist in den BUchern Per; archon geschrieben, mit diesen Worten lesen wir es und so hat Origenes gesprochen: Wie es nämlich ungereimt ist zu sagen, der Sohn könne den Vater sehen, so ist es nicht folgerichtig, zu meinen, der Heilige Geist könne den Sohn sehen" (Hieronymus ep. 5 1 , 4,2). Bei Hieronymus selbst ist nur das Wort ;nconsequens durch ;nconveniens (unpas· send) ersetzt, was wohl denselben Sinn hat wie das incoIIgruum (ungereimt). Hieronymus selber tilgt also die in dem kurzen Satz erkennbare Gedankenfolge; offensichtlich soll mit dem Hinweis auf den Sohn begründet werden, warum der Geist den Sohn nicht sieht. Das Augenmerk ist also auf den Geist gerichtet, nicht auf den Sohn; man muß also, wenn man einen Platz für dieses Zitat sucht. das 3. Kapitel durchforschen; die Einfügung in I 1 , 8 wie Karpp und Görgemanns sie jedenfalls in ihrer Übersetzung, wenn auch nicht im Text haben, ist abzuleh· nen. Es bleibt noch die Frage. was denn Rufinus hier (von Didymus übernommen und) selbst eingefügt haben könnte. Daß Origenes selbst eine Erklärung dafür geben wollte, daß der Sohn den Vater nicht sieht, geht ja aus dem slal;m am Anfang hervor. Auch der Hinweis auf Mt 1 1 ,27 (Niemand kennl den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn), stammt wohl von Origenes selbst, weil er sich, wie Karpp und Görgemanns aufmerksam machen, auch in princ. TI 4, 3 findet. Auch dort wird betont, hier sei nicht vom Sehen, sondern vom Kennen die Rede, der Sohn sehe den Vater nicht, sondern kenne ihn. Der Vergleich von princ. I 1 , 8 und Ir 4,3 läßt aber doch einen Unterschied erkennen; Origenes betont in II 4,3 abschließend nur, daß der Sohn den Vater nicht sieht, sondern erkennt; in I 1 , 8 dagegen wird gesagt: "Weder wird der Vater vom Sohn, noch der Sohn vom Vater gesehen, ... sondern erkannt." Die Gegen· seitigkeit dieses Verhältnisses und damit die Betonung der Gleichheit von Vater und Sohn scheint dem trinitätstheologischen, nämlich typisch nachnizänischen Interesse des Rufinus (und des Didymus) zu entspringen. Wenn dies zutrifft. muß man damit rechnen, daß auch in prillc. II 4,3 (Koetschau S. 1 3 1 , 14-17) der Hinweis auf die Natur der Trinität und die Parallelisierung von Vater, Sohn und Geist noch nicht von Origenes stammen, sondern von Rufin eingetragen sind. Dann könnte sich aber auch der Verdacht ergeben, zumindest die Formulierung
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des 1 . Vorwurfes bei Epiphanius (und Hieronymus) stamme von diesen nachni zänischen Origenesgegnern und noch nicht von Origenes selbst. Der 1 . Vorwurf gegen Origenes im Hieronymusbrief 124,2 lautet, Origenes habe den Sohn Gottes nicht für geboren (natum). sondern für gemacht (factum) gehalten; er muß sich auf das 2. Kap. von Buch I princ. beziehen, und zwar auf die §§ 1-4; denn die Vorwürfe 3-6 knüpfen, wie noch deutlich zu machen ist. offensichtlich an princ. 1 2, 5 ff an. In den vier ersten Paragraphen von prillc. I 2 findet sich aber nirgends die direkte Aussage, der Sohn Gottes sei gemacht (factum). Trotzdem kann man verstehen. daß für Hieronymus und seine (nachni zänischen) Zeitgenossen die Ausführungen über Christus in diesen christologi schen Kapiteln anstößig waren, zumal da man den Einleitungssatz der in Christus zwischen seiner deilalis nalura und der humana nalurQ unterscheidet, wie B. Studer aufmerksam macht, wohl, jedenfalls in seiner jetzigen Deutlich keit, dem Rufinus zuschreiben muß. Der zweite Satz dagegen, in dem von den verschiedenen Namen des einzigen Gottessohnes die Rede ist, stammt sicher von Origenes, denn er stimmt mit ähnlichen Ausführungen nicht nur in den etwa gleichzeitigen frühen BUchern des Johanneskommentares, sondern auch in den sehr viel später geschriebenen des Matthäus-Kommentars überein. Als erste Bezeichnung wählt Origenes für den Gottessohn den Namen "Weisheit" zur Behandlung aus und zitiert dazu Spr 8,22-25; das Zitat endet zwar mit: "... zeugt er mich", beginnt aber mit: "Der Herr hat mich geschaffen." Origenes verwendet also als grundlegende Bibelstelle für die Erkenntnis des Wesens des Gottessoh nes Spr 8,22 und scheint sich an dem Gedanken des Geschaffenseins überhaupt nicht zu stoßen; zwar wird aus dem Text deutlich, daß er hier jedenfalls das Geschaffensein nicht im Gegensatz zum Gezeugtsein sieht, aber das läßt eben nicht nur die Möglichkeit offen. das Geschaffensein in diesem Zusammenhang als Gezeugtsein zu verstehen. sondern auch umgekehrt, das Gezeugtsein im Sinne des Geschaffenseins auszulegen. Dies aber hatten Arius und seine Anhän ger und Nachfolger im 4. Jahrhundert getan; ja Spr 8,22 war für sie die Hauptbeweisstelle dafür, daß der Sohn Gottes, der mit der Weisheit identisch ist. ein Geschöpf Gottes ist. So kann man es verstehen. daß Hieronymus und seine Zeitgenossen um 400, denen der Kampf der Kirche gegen den Arianismus noch in frischer Erinnerung, ja selbst noch ein Anliegen war. die Aussagen des Origenes in princ. I 2, 1 als höchst anstößig empfanden. ja in Origenes einen Arianer vor Arius sahen. Zwar wäre, wie Rufinus vor allem durch seine Über setzung zeigt, auch eine wohlwollende Auslegung möglich gewesen. aber Hie ronymus hat sich erst an die Übersetzung der Grundlagenschrift gemacht, als der Kampf schon tobte, und er wollte damitja gerade gegen die Origenesdeutung des Rufinus angehen. Man wird ihm hier also kaum Fälschung oder bösen Willen unterstellen dürfen, sondern in ihm ein Opfer jener Kurzsichtigkeit sehen müssen, die sich bei heftigen theologischen Auseinandersetzungen leider in den verschiedensten Zeiten eingestellt und soviel Schaden angerichtet hat. Wer den gesamten Text des Origenes liest. also princ. 1 2. 1-4, der sieht bald, daß das Hauptanliegen des Origenes - und Rufin hatte keinen Grund, hier ändernd
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einzugreifen - die Betonung der personalen Eigenexistenz der göttlichen Weisheit, d. h. des Sohnes Gottes ist. Nicht der Begriff des Geschaffenseins ist für Origenes in diesem Zusammenhang besonders anstößig, sondern die Vorstel lung, der Sohn Gottes sei körperlich oder zeitlich; deshalb betont er die Trans zendenz und Zeitlosigkeit, die Ewigkeit der Zeugung des Sohnes, vor allem in 1 2,4. Also müssen wir dem Hieronymus, wenn wir auch Verständnis fUr seine polemische Kurzsichtigkeit aufbringen, doch vorhalten, daß er Origenes �bjek tiv falsch versteht. 1II. Der 5. Vorwurf, den Hieronymus dem Origenes in Brief 124, 2 macht, ist der, er habe das Beispiel von zwei Statuen gebraucht, von einer größeren und einer kleinen, von einer, die die Welt erfüllt und durch ihre Größe gewissermaßen unsichtbar ist, und einer anderen, welche unter die Augen fällt. Er habe mit der ersten den Vater, mit der zweiten den Sohn verglichen. Diesen Vergleich finden wir in princ. 1 2, 8 (Koetschau S. 38, 18ff). Dort wird betont, daß die zweite Statue durch die Haltung der Glieder, die Gesichtszüge, die Gestalt und das Material der ersten vollkommen ähnlich ist (similitudine prorsus indiscreta); sie unterscheidet sich nur durch das kleinere ,.Format". Der Vergleich soll dazu dienen, zu erkennen, wieso der Sohn, wie schon in princ. I 2,5 gesagt wurde, nach Hebräer tatsächlich "Abbild der Substanz" Gottes ist (Hebr 1,3). Rufinus übersetzt einmal: figura expressa substantiae dei und gleich darauf: figura substa"tiae vel subsistelltiae; er hat also in seiner Vorlage an dieser Stelle hypostasis gelesen. So darf man also annehmen, daß der Einleitungssatz zur Verwendung des Gleichnisses (Koetschau S. 38, 1 3 ff) zum mindesten am Anfang von Origenes selbst stammt; er scheint aber dann umgebogen zu sein, wenn gesagt wird, der Vergleich sei lediglich dazu herangezogen, "daß der Sohn, der in der Form Gottes war (phil 2,6), durch seine Entäußerung bestrebt ist, uns die Fülle der Gottheit zu zeigen". Das ganze 2. Kap. im ersten Buch der Grundlagenschrift ist zunächst dazu bestimmt, das (später so bezeichnete) innertrinitarische Verhältnis des Sohnes zum Vater zu klären. Wenn der Sohn (I 2.7) Glanz ist, der untrennbar aus Gott als dem Licht hervorgeht, dann ist dies doch wohl eine Wesensaussage Uber Gott und seinen Sohn; wenn dagegen in der Linie der Inkarnation gesagt wird, der Sohn sei fUr uns zum Glanz geworden, damit wir, die wir die Herrlichkeit des göttlichen Lichtes nicht anschauen können, den Weg dazu finden (princ. I 2,8 Koetschau 39,2ff), scheint der Gedanke umgebogen. Im Satz davor geschieht ähnliches mit dem Beispiel von den zwei Statuen: Der Sohn wird zum Abbild (figura expressa) des Vaters, er ist also einer kleineren Statue aufgrund seiner Ink.arnation vergleichbar, bei der er "in das ganz kleine Maß des menschlichen Körpers eingezwängt ist" (Z. 6 O. Sowohl der Vergleich mit dem Glanz, als auch der mit der kleineren Statue, werden durch diese Deutung auf die Inkarnation entschärft und verlieren für nachnizänische Ohren jegliche Anstößigkeit. Selbst wenn man dem Hiero-
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nymus noch so viel bösen Willen unterstellt, wenn er bei Origenes selbst schon diese Deutung auf die lnkarnation gelesen hätte, hätte er die beiden Vergleiche mit dem Glanz des Lichtes und der kleineren Statue dem Origenes nicht zum Vorwurf machen können; sein Angriff wäre einfach durch Zitieren des Textes zu widerlegen gewesen. Man wird also kaum umhin kommen. den Inkamationsge danken hier (princ. I 2) als von Rutinus eingeschoben zu betrachten. Nun fragt es sich, ob sich vielleicht am Text selbst zwischen echt origeni sehern und rufinischem Gedankengut unterscheiden läßt. Von der kleineren Statue wird gesagt, daß sie der größeren Statue gegenüber in vollständig unter schiedsloser Ähnlichkeit steht. Karpp und Görgemanns übersetzen: ..... daß eine Unterscheidung ganz unmöglich ist", vermuten also im Griechischen ein Ver bal-Adjektiv; man wird am ehesten an adiakritos denken, was sozusagen das lateinische indiscrela gewissermaßen fordert. Für simililudo dürfte im Griechi schen homoiotes gestanden haben. Der Vergleich macht deutlich, daß diese homoiotes in ihrer Art unUberbietbar ist, nicht nur irgendeine Ähnlichkeit. Aber schon im nächsten Satz wird die Ähnlichkeit erstens durch HinzufUgung von rali quadam zu ..irgendeiner derartigen Ähnlichkeit" abgewertet und außerdem noch von der aequalilas ausdrücklich unterschieden, wobei die aequalitas dem Zustand der Präexistenz des Sohnes, die irgendwie geartete Ähnlichkeit seiner Entäußerung, d. h. der zum Zweck der Offenbarung des Vaters geschehenen Menschwerdung, zugeordnet wird. Diese Unterscheidung von Gleichheit und Ähnlichkeit scheint die ganze in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts geführte Diskussion zwischen den Homoousianem und Homoiousianern vorauszusetzen, also die Frage, ob der Sohn dem Vater gleich oder nur ähnlich ist. So wird wohl auch durch die Lexigraphie bestätigt, daß hier Rufinus am Werk war. Dabei muß man sich freilich davor hUten, in diesem 2. Kap. einen gewisser maßen chemisch reinen trinitätstheologischen Gedankengang herauspräparieren zu wollen, in dem Origenes nur auf das Verhältnis des Sohnes zum Vater und gar nicht auf sein Verhältnis zu den Menschen, also auf seine (mit der Inkarnation verbundene oder sie überhaupt erst ermöglichende) Offenbarungsfunktion, ge blickt hätte. Vielmehr macht der 3. Vorwurf, den Hieronymus im Brief 124, 2 ausspricht, hinlänglich deutlich, daß Origenes auch schon in diesem Zusammen hang das Verhältnis des Sohnes zu den Menschen mitbedenkt. Nach Hieronymus hat Origenes gelehrt, der Sohn. welcher Bild des unsichtbaren Vaters ist, sei, mit dem Vater verglichen, nicht Wahrheit; bei uns aber, die wir die Wahrheit des allmächtigen Gottes nicht empfangen können. erscheine er als abbildliehe Wahrheit, so daß die Majestät und Größe des Größeren im Sohn irgendwie umschrieben erlaßt werde. Diesem Text sei jedoch hier nicht nachgegangen; er diene nur als Beweis dafür, daß auch in der Trinitätslehre des Origenes das Heilsgeschehen, die Oikonomia mit im Blick ist. Das Sohnsein des Sohnes, sein Abbildsein, seine Abkünftigkeit vom Vater. ist die Bedingung der Möglichkeit fUr Inkarnation und Offenbarung,ja sogar schon für Schöpfung überhaupt. Wird dies immer mitbedacht und ausgesprochen, wie dies bei Origenes geschieht, dann ist ein gewisser ..Subordinatianismus" gewissermaßen unvermeidlich.
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Thcodoret und Origenes
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Wird dies aber nicht mitbedacht - dies scheint die Gefahr einer strengen nizänischen Trinitätstheologie zu sein -, dann erscheinen Inkarnation und Offenbarung als reine göttliche Beliebigkeiten, die ebensogut auch hätten un· terbleiben können. Als sechstes wirft Hieronymus dem Origenes vor, daß er "Gott den allmäch tigen Vater als gut und von vollkommener Gutbeit bezeichnet; der Sohn sei nicht gut, sondern irgendein Hauch und Bild der Gutheit. so daß er nicht allgemein (absolute) gut gena.nnt wird. sondern (nur) mit einer Beifügung ,guter Hirt' usw.". Mit dem einen Ausdruck ,.irgendein Hauch oder Bild" zieht Hieronymus die §§ 9-13 von prillc. 1 2 zusammen. in denen Origenes die von ihm schon in § 5 zitierten Verse Weish 7, 25-26 auslegt; in § 5 war zuvor Kol I , 15 (Bild des unsichtbaren Gottes) und Hebr 1 . 3 (Glanz der Herrlichkeit und Abbild des Wesens) zitiert worden; diese Begriffe behandelt Origenes, wie wir sahen, in princ. I 2,6-8 und kommt in § 9 auf die fünf Titel der Weisheit, also des Gottessohnes zurück, die er in Weisheit 7,25 f findet, nämlich: I . Dunsthauch der Kraft Goues. 2. reinster Ausfluß der Herrlichkeit des Allmächtigen, 3. Glanz des ewigen Lichtes, 4. unbefleckter Spiegel der Wirkkraft Gottes und 5. Bild seiner Gutheit; jedem Titel ist dann ein Paragraph gewidmet. dem Hauch der neunte, dem Bild der dreizehnte. Hieronymus hat in seiner Bibelübersetzung, also in der Vulgata in Weish 7.25 vapor stehen; hier aber sagt er aura. Für das atmis der LXX kommt beides in Frage; aber aura scheint schwächer als vapor. Dadurch. daß Hieronymus aura verwendet, macht er es de.m Leser fast unmög lich, den Zitatcharakter dieses Titels für den Gottessohn zu erkennen; vielmehr sieht es nun so aus, als habe Origenes, um den Sohn herabzusetzen. geringe (ja geradezu unwürdige) Bezeichnungen für ihn gewählt. Trotzdem muß die Wahl des Wortes aura nicht unbedingt böse Absicht verraten. Wir wissen, daß Hiero ny mus in seiner Übersetzung nicht immer den Ausdruck setzt, den er selbst für den besten hält. sondern manchmal auf die altlateinische Version Rücksicht nimmt. Es drängt sich aber hier noch eine andere Erklärung auf: Hieronymus wollte die Ausführungen von princ. I 2.9-13 zusammenfassend als irrgläubig brandmarken; so mag er für atmis ein lateinisches Wort genommen haben. das mit imago im grammatischen Geschlecht übereinstimmt, so daß er in einem Ausdruck sagen konnte: auram quandam et imaginem. Trotzdem bleibt beste hen. daß Hieronymus mindestens einen falschen Eindruck erweckt; er läßt überhaupt nicht mehr erkennen. daß Origenes in den inkriminierten Ausführun gen mit Bibelstellen. dazu noch aus dem Alten Testament. ringt und ihnen ein Verständnis des Wesens und der Göttlichkeit des Gottessohnes abzugewinnen sucht. das sowohl seine Eigenexistenz, als auch seine Beziehung zum Vater einerseits und zu den Geschöpfen anderseits umfaßt. Nach Hieronymus hat Origenes in diesem Zusammenhang gelehrt, der Sohn sei nicht absolute bOllus, sed cum addiramenro ,pastor bonus' el cetera. Das angebliche Zitat, das lustinian an seinen Brief anhängt, ist nicht so knapp wie die Zusammenfassung bei Hieronymus. hört aber früher auf. Für das ..absolute" des Hieronymus steht im Menasbrief aparallaklos; dies letztere scheint nicht
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ebenso gebieterisch eine Fortsetzung zu verlangen wie das
absolute.
Daß Ori
genes selber das aparallalctos. was "unverändert" oder auch "ununterscheidbar"
haplos sed cum additamento
bedeuten kann, gebraucht hat, ist keineswegs sicher; man möchte eher an (einfachhin) denken. Die Frage ist, ob Hieronymus mit
pastor bonus et cetera
übersetzt, zusammenfaßt oder weiterdenkt, d. h. aus
spricht, was nach seiner Meinung Origenes gedacht hat oder doch gefolgert haben müßte. auch wenn er es so nicht ausgesprochen hat. Ich habe schon im Vortrag die Vermutung geäußert, daß Justinian oder sein Gewährsmann, die ja darauf aus waren, Origenes als irrgläubig, konkret als Arianer hinzustellen, sich diesen Satzteil über den Zusatz nicht hätten entgehen lassen, wenn er ihnen untergekommen wäre. Addi/amen/um ist ein Lieblingswort des Hieronymus; der
Thesaurus Unguae Latinae bietet nicbt weniger als acht Zitate von ihm. mehr als von irgendeinem anderen Autor; allerdings stammen sieben davon aus Origenes übersetzungen . So läßt sich, da uns die griechischen Originale nichterhalten sind, nicht entscheiden, ob nicht ein prostheke oder ein ähnliches Wort das additamen
turn forderte.
Aber es läßt sich eine andere Beobachtung machen: Es geht in dem
ganzen Zusammenhang
um
agatJwtes Gottes; nach dem Justi autoagatlwn. das Gute selbst, das ursprünglich
die Gutheit. die
nianzitat ist der Sohn nicht das
Gute. das Gute in Person, oder wie immer man sagen will. Das ist vielmehr der Vater; der Sohn ist gut durch Teilhabe am Vater; er hat seine Gutheit nicht aus sich selbst, erst recht nicht anderswoher. sondern nur vom Vater. Ihn jetzt als ..guten Hirten" zu bezeichnen, scheint eher in eine andere Blickrichtung zu fUhren als in die, welche bier auch noch in der Rufinusübersetzung zu erkennen ist und die mit den übrigen Werken des Origenes übereinstimmt. Vor allem aber ist der gute Hirt von Joh
10. 1 1 im Griechischen nicht der poimen agathos. sondern der
poimen ho kalos;
da sich Origenes aber. wie wir aus a1l seinen Werken wissen,
an die Wortübereinslimmungen zu halten pflegt, ist es so gut wie ausgeschlossen, daß er zur Erklärung der agathotes des Sohnes auf den poimen kalos zu sprechen gekommen wäre; dieser Zusammenhang läßt sich nur im Lateinischen herstellen. wo der pastor bonus als Beispiel rur die bonitas dienen mag. Der Gedanke gehört also dem lateinisch schreibenden Hieronymus und nicht schon dem Origenes. So müßten eigentlich alle Paragraphen genau analysiert werden, um zu einer sicheren Unterscheidung zu gelangen.
Eucharistielehre des Origenes?*
Origenes kommt in Buch XI, 1 4 des Matthäus-Kommentars bei der Auslegung von 15, 1 1 (nicht was in den Mund eingeht. macht den Menschen gemein usw.) auch auf das .,durch Wort Gottes und Bingebet,,1 Geheiligte, also auf die eucharistische Gabe zu sprechen und erklärt. es heilige den, der es empfängt, nicht durch seine eigene Beschaffenheit (Logos). Der Grund dafür ist folgender: Wenn es eine Naturbeschaffenheit des Geheiligten. also des eucharistischen Brotes wäre, den. der es ißt, zu heiligen, dann mUßte es diese Wirkung immer und überall haben. Es wäre also nicht denkbar, daß das geheiligte Brot irgend wann nicht heiligt oder sogar, wie Paulus ausdrücklich erklä.rt ( 1 Kor 1 1, 30), dem Empfänger Schwäche oder Krankheit oder gar vorzeitigen Tod einbringt. Die Wirkung des geheiligten Brotes hängt also, so folgert Origenes, ganz und gar vom Zustand des Empfangers ab. Hat er ein reines Gewissen, d. h. ist er des Herrn würdig, dann wird er geheiligt; ist er des Herrn nicht würdig, d. h. hat er ein beflecktes Gewissen, dann wird er nicht geheiligt, sondern nimmt Schaden. Es empfiehlt sich wohl, hier den ganzen Abschnitt des Matthäus-Kommentars (in Übersetzung) zu bieten. "Wer bis zu dieser Stelle gekommen ist, könnte wohl folgendes sagen: So wie nicht das, was in den Mund eingeht, den Menschen gemein macht, auch wenn es von den Juden für gemein gehalten wird, so macht nicht das,was in den Mund hineingeht, den Menschen heilig, auch wenn Leute mit weniger Erfahrung meinen. das. was Brot des Herrn genannt wird, mache heilig. Und die Äußerung ist (meine ich) nicht einfach von der Hand zu weisen und bedarf daher einer klaren Auslegung; richtig scheint mir folgendes zu sein: Wie nicht die Speise, sondern das Gewissen des mit Zweifel (die Speise) Verzehrenden den Essenden gemein macht (wer nämlich zweifelt. wenn er ißt. der ist verurteilt, weil es nicht aus Glauben geschieht, Röm 14,23), und wie nichts rein ist für den Befleckten und Ungläubigen, aber nicht in sich selbst, sondern aufgrund seiner Befleckung und seines Unglaubens, so macht auch das, was durch das Wort Gottes und das Gebet ( I Tim 4,5) geheiligt ist. nicht durch sein eigenes Wesen den heilig, der sich seiner bedient. Wäre das nämlich der Fall, dann wUrde es auch jemanden heiligen, der es ißt, ohne des Herrn würdig zu sein, und niemand wUrde aufgTund dieser Speise schwach oder krank oder gar sterben (etwas derartiges behauptet Paulus nämlich, wenn er sagt: Deswegen sind unter euch viele schwach und krank und etliche entschlafen, 1 Kor 1 1 . 30). Und was nun das Brot des Herrn angeht, ist der Nutzen für den Empfanger dann gegeben, wenn er das Brot mit
*
Vortrag in der Schweizerischen PalriSlischen Arbeitsgemeinscharl, gehalten am 2.6.1978. ' I Tim 4.S.
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Euchacistielehre des Origenes?
unbeflecktem Sinn und reinem Gewissen empfängt. So haben wir weder, wenn wir nicht essen, nur deswegen, weil wir nicht von dem Brot essen, welches durch das Wort Gottes und das Gebet geheiligt ist. einen Mangel an irgendeinem Gut, noch haben wir einen Oberfluß an irgendeinem Gut. wenn wir essen. Ursache für den Mangel ist nämlich die Schlechtigkeit und die Verfehlungen; Ursache für den Überfluß die Gerechtigkeit und die rechten Taten; etwas derartiges ist also bei Paulus gesagt mit dem Wort: ,Weder haben wir Überfluß, wenn wir essen, noch haben wir Mangel, wenn wir nicht essen' ( 1 Kor 8.8). Wenn aber alles, was in den Mund hinein geht, in den Bauch wandert und ausgeschieden wird. dann wandert auch die durch Wort Gottes und Gebet geheiligte Speise, was nur das Stoffliche angeht. in den Bauch und wird ausgeschieden. Was aber das darüber in Übereinstimmung mit dem Glauben (Röm 12.6) gesprochene Gebet angeht, wird es nützlich und zur Ursache dafür, daß der Verstand eine Durchsicht gewinnt, indem er auf das schaut, was nützt; und nicht die Materie des Brotes, sondern das darüber gesprochene Wort ist es, was dem Nutzen bringt, der es nicht auf eine des Herrn unwürdige Weise ißt. Das sei gesagt über den abbildhaften und zeichenhaften Leib. Vieles könnte man aber wohl auch über das Wort selber sagen, welches ,Fleisch ' und ,wahre Speise' (Joh 6.55) gewor den ist. durch deren GenuB man ganz gewiß in Ewigkeit leben wird (Joh 6,5 1 ) , und die kein Schlechter essen kann. Wenn es nämlich möglich wäre, daß einer, der noch schlecht bleibt, das fleischgewordene Wort essen könnte, welches auch lebendiges Brot ist, wäre nicht geschrieben, daß jeder, der dieses Brot ißt. in Ewigkeit leben wird' (Joh 6,51)"1. Origenes entfaltet (oder kompliziert) den Gedanken aber dadurch, daß er das Pauluswort: Wenn wir nicht essen, haben wir keinen Verlust, wenn wir essen, keinen Überfluß ( 1 Kor 8,8), welches sich ursprünglich auf das Götzenopfer fleisch bezieht, nun auch noch auf die Eucharistie anwendet. Sie nicht empfan gen, bedeutet also keinen Verlust. sie empfangen, bedeutet keinen Überfluß. Der Grund dafür, daß jemand einen Verlust erleidet, liegt vielmehr in seiner eigenen Schlechtigkeit und in seinen Sünden, der Grund dafür, daß jemand Überfluß hat, in seiner Gerechtigkeit und in seinen rechten Taten. Da müßte man aber fragen, was dann der Empfang der Eucharistie überhaupt soll? Vielleicht hat Origenes diese Frage empfunden und wendet deswegen das Wort. mit dem Jesus nach Matthäus 15, 17 seine erste Behauptung, keine Speise könne den Menschen verunreinigen. begründet, nämlich: Jede Speise wandert in den Bauch und wird ausgeschieden, jetzt auch auf die Eucharistie an: das materielle Element (später sagt man die
species) wandert in den Bauch und wird ausgeschieden. Nur das
über das Brot gesprochene Gebet wird nützlich, und zwar auch nur für den, der beim Essen des Brotes des Herrn nicht unwürdig ist. Der Nutzen. den nur das eucharistische Gebet nur dem verschafft, der des Herrn würdig ist (also doppelte Einschränkung), besteht darin, daß sein Verstand
1 GCS Origenes X. 57f.
Eucharistielehre des Origenes?
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(nous) eine tiefe Einsicht (eigentlich Durchsicht, nämlich durch die vordergrün digen Dinge hindurch) gewinnt und so auf das schaut. was wirklich nützt. Der Nutzen der Eucharistie scheint also ein rein intellektueller zu sein und sich außerdem noch gewissermaßen in sich selbst zu schließen. Wenn nämlich das Eucharistiegebet dadurch nützlich wird, daß es den Verstand das eigentlich Nützliche erkennen und die vordergründigen Dinge durchschauen läßt, dann legt sich die Schlußfolgerung nahe, daß das Nützliche. was der Verstand nun erkennt. das an der Eucharistie Nützliche ist. Mit anderen Worten: Die Eucharistie würdig empfangen macht dem Empfänger deutlich. I ) daß das materielle Element überhaupt keinen Nutzen stiftet. 2) daß das Gebet nur dem Würdigen hilft, 3) daß es ihm Einsicht verleiht. Das alles gilt aber nur von dem .,typischen und symbolischen Leib" (S. 58,5 f). Vieles müßte aber über den Logos selbst gesagt werden, welcher Aeisch und wahre Speise geworden ist (ebd.). Dabei ist nicht deutlich, ob der Logos. nachdem er Fleisch geworden war. in einem zweiten Schritt auch noch wahre Speise wurde. oder ob der Logos sofort schon dadurch, daß er Fleisch ist, auch Speise ist. Es legt sich aber die zweite Deutung nahe, weil Origenes zwei Zeilen weiter erklärt, daß ein Mensch. der schlecht bleibt, den fleischgewordenen Logos, der auch lebendiges Brot ist. nicht essen kann. Weil aber jeder, der dieses Brot ißt. in Ewigkeit leben wird. kann sich dieses Wort nicht auf das Essen beziehen, was jedermann möglich ist; Origenes sagt: Kein Schlechter kann die Speise essen. Die Eucharistie aber kann jeder essen. Sonst brauchte ja nicht vor dem unwürdigen Genuß gewarnt zu werden, und sonst könnte sie ja nicht die verhängnisvollen Folgen haben. die Paulus ( I Kor 1 1 .27 ff) aufzählt. Das bedeu tet aber nichts anderes. als daß sich für Origenes die Aussage im Johannesevan gelium (6. 5 1 u. 58) gar nicht auf die Eucharistie bezieht, sondern auf ein Entgegennehmen des lebendigen Brotes, d. h. des fleischgewordenen Logos, welches dem. der sich nicht bekehrt, sondern schlecht bleibt. überhaupt nicht möglich ist. Man fragt sich. ob Origenes irgendwo die in Buch XI, I4 des Matthäus-Kom mentars angedeutete, vielleicht sogar in Aussicht gestellte ausführliche Darle gung über den Fleisch und wahre Speise gewordenen Logos und die Art, wie er gegessen werden kann, tatsächlich bietet. Wenn Origenes im Zusammenhang mit Mt 15, 1 1 (nicht was in den Mund eingeht usw.) auf die Eucharistie zu sprechen kommt und dann auf Johannes 6, 5 1 . 58 (wer dies Brot ißt, wird leben) und diese Äußerung dann nachdrtlcklich von der Eucharistie abhebt, ihr also eine andere Deutung zuweist, dann ist es wohl nicht ganz unangemessen, die in Aussicht gestellte Darlegung an der Stelle zu suchen. wo Origenes das Abend mahl des Herrn. genauer gesagt. die Konsekrationsworte kommentiert, also im nur lateinisch erhaltenen Teil seines Matthäus-Kommentars).
) Nr. 8S und 86 GCS XI, 196-200.
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Eucharistielehre des Origenes?
Dort sagt er folgendes: ,,85. Als sie aber aßen. nahm Jesus Brol, sagte Dank, brach es und gab es seinen Jüngern und sprach: ,Nehmt und eßt, denn das ist mein Leib', Und er nahm den Kelch und sagte Dank und gab ihn ihnen und sprach: ,Trinkt daraus alle, denn das ist mein Blut des neuen Vermächtnisses. das für viele ausgegossen wird zur Nachlassung der Sünden' (Mt 26,26-28). Dieses Brol, von dem das Gottwort bekennt, es sei sein Leib, ist das Wort, welches die Seelen nährt, ein Wort, das vom Gottwort ausgeht, und Brot von dem himmlischen Brot, das auf den Tisch gelegt ist, von dem geschrieben steht: .Du hast mir vor Augen einen Tisch bereitet gegen jene, die mich bedrängen' (Ps 22,5). Und dieser Trank. von dem das Gottwort bekennt, er sei sein Blut, ist das herrliche Wort, welches die Herzen der Trinkenden tränkt und berauscht, welcher sich in dem Becher findet. von dem geschrieben steht: .Und dein berauschender Becher, wie herrlich ist er!' (ebd.). Und dieser Trank ist Erzeug nis des wahren Weinstocks. welcher sagt: ,Ich bin der wahre Weinstock' (Joh 15, 1), und ist Blut jener Traube. welche, in die Kelter des Leidens geschüttet. diesen Trank hervorbrachte. So ist auch Brot das Wort Christi. welches aus jenem Korn gemacht ist. das in die Erde fiel und viel Frucht erbrachte' (Joh 12,24f). Nicht jenes sichtbare Brot nämlich, das es in Händen hielt, nannte das Gottwort seinen Leib. sondern das Wort, in dessen Geheimnis jenes Brot gebrochen werden mußte. Nicht jenen sichtbaren Trank nannte er sein Blut, sondern das Wort. in dessen Geheimnis jener Trank ausgegossen werden mußte; denn was kann der Leib oder das Blut des Gottwortes anderes sein als das Wort, welches nährt. und das Wort, welches ,das Herz erfreut' (Ps 103.15)1 Warum aber sagte er nicht: Dies ist das Brot des neuen Vermächtnisses, so wie er sagte .Dies ist das Blut des neuen Vermächtnisses'? Weil das Brot das Wort der Gerechtigkeit ist. welches die Seelen essen und durch das sie ernährt werden. Der Trank aber ist das Wort der Erkenntnis Christi gemäß dem Geheimnis seiner Geburt und seines Leidens. Weil also das Vermächtnis Goues im Blut des Leidens Christi auf uns hin hinterlegt ist. damit wir durch den Glauben an die fleischliche Geburt und Passion des Sohnes Gottes gerettet werden. nicht in der Gerechtigkeit. in welcher allein ohne den Glauben an das Leiden Christi kein Heil sein konnte. deswegen ist nur vom Kelch gesagt: .Dies ist der Kelch des Vermächtnisses'; 86. Wahrlich ich sage euch. daß ich von jetzt ab nicht mehr vom Erzeugnis dieses Weinstockes trinken werde, bis ich es mit euch neu trinke im Reich meines Vaters (Mt 26.29). Aber von dem Brot ist bei Lukas ähnlich gesagt: ,Mit Sehnsucht habe ich verlangt. dieses Ostermahl mit euch zu essen. Ich sage euch, daß ich es von jetzt an nicht mehressen werde. bis es erfüllt ist im Reiche Gottes' (Lk 22, 15 O. Also wird der Erlöser jenes Brot essen und den österlichen erneuerten Trank im Reiche Gottes trinken, und zwar wird er essen und trinken mit seinen Jüngern. Wie er es nämlich .nicht rur einen Raub gehalten hat. Gott gleich zu sein. sondern sich selbst bis zum Tode erniedrigte' (Phil 2,6-8). so wird er Brot essen und vom Erzeugnis des Weinstocks trinken, und er wird es neu trinken und wegen seiner reichen Güte und seiner Liebe zu den Menschen
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wird er essen und trinken mit seinen Jüngern, ,wenn er das Reich Gottes dem Vater übergeben haben wird' ( 1 Kor 15,24). Beachte nämlich, was er sagt: .Wenn ich es mit euch neu trinken werde', zu keiner anderen Zeit als ,im Reich meines Vaters '. Andererseits aber ,ist das Reich Gottes nicht Speise und Trank' (Röm 14.17). Körperlich nämlich und in Ähnlichkeit mit gegenwärtiger Speise und Trank ,ist das Reich Gottes nicht Speise und Trank' (wohl Lücke: geistlich aber ist es Speise und Trank) für die, die sich als des himmlischen Brotes würdig erwiesen haben und des Brotes der Engel und jener Speise, von welcher der Erlöser sagt: ,Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat. und sein Werk zu vollbringen' (Joh 4,34). Daß wir aber ,im Reiche Gottes' essen und trinken werden, kann man aus vielen Stellen der Schriften beweisen, hauptsächlich aufgrund dessen. daß geschrieben ist: ,Selig wer Brot essen wird im Reiche Gottes' (Lk 14, 15). Also wird sich ,im Reiche Gottes ' dieses Pascha erfüllen, und Jesus wird es mit seinen Jüngern essen und trinken. Und was der Apostel sagt: ,Niemand möge euch aufgrund von Speise und Trank und der übrigen Dinge, die nur Schatten der zukünftigen sind, richten! ' (Kol 2, 1 6f) enthält eine Offenbarung in bezug auf die künftigen Geheimnisse von geistli chen Speisen und Getränken, deren Schatten das war, was über Speisen und Getränke im Gesetz geschrieben war. Es ist aber offenkundig. daß wir im Reiche Gottes die wahre Speise essen und den wahren Trank trinken und durch sie jenes ganz wahre Leben aufbauen und stärken werden. Und wo es heißt: Jesus nahm Brot und ähnlich: Er nahm den Kelch, das mag, wer klein ist in Christus und noch fleischlich in Christus, im gewöhnli chen Sinn verstehen; ein klügerer aber möge fragen, von wem Jesus (das Brot und den Kelch) nahm. Weil Gott (es) gibt, nimmt er (es) und gibt (es) denen. die würdig sind. von Gott das Brot und den Kelch zu empfangen. Auf welche Weise aber Gott das Brot gibt, das sagt auch Jakob: ,Wenn der Herr mein Gott mit mir ist und wenn er mir Brot zum Essen und Kleider zum Anziehen gibt. dann werde ich von allem. was du mir gibst, Herr, dir den Zehnten geben' (Gen 28, 20-22). Ebenso ist im Evangelium nach Johannes geschrieben: ,Nicht Moses hat euch das Brot gegeben. sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel' (Joh 6.32). Und immer nimmt Je sus beim Mahl derer. die zusammen mit ihm das Fest feiern, Brot vom Vater. sagt Dank, bricht und gibt es seinen Jüngern und zwar so viel. wie jeder von ihnen anzunehmen vermag; und er gibt es und sagt: ,Nehmt und eßt'; und er zeigt, wenn er sie mit diesem Brote nährt, daß es sein eigener Leib ist, während er selbst das Wort ist, welches wir jetzt nötig haben und dann, wenn es im Reiche Goues erfullt ist. Jetzt aber ist es noch nicht erfüllt, dann aber wird es erfüllt sein, wenn auch wir bereit sein werden, das volle Pascha zu empfangen, welches zu erfüllen, der kommt. der nicht kommt, .um das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen' (Mt 5, 17), und zwar es jetzt zu erfüllen, ,wie durch einen Spiegel im Rätsel' ( I Kor 13. 12) der Erfüllung. es ,dann aber von Angesicht zu Angesicht' zu erfüllen, ,wenn das gekommen ist, was vollkommen ist' (I Kor 13, 10).
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Wenn also auch wir von Jesus das Segensbrot empfangen woUen, der gewohnt ist. es zu geben, dann laßt uns in die Stadt. in das Haus eines gewissen Mannes gehen. wo Jesus ,mit seinen JUngern' Pascha (Mk 14, 1 3 ) hält. wobei seine Bekannten es ihm bereiten; wir wollen in das Obergemach des Hauses hinauf· steigen . .welches groß und mit Polstern ausgestattet und bereitet ist', wo er den Kelch vom Vater nimmt, Dank sagt und ihn denen gibt. die mit ihm hinaufge stiegen sind, und spricht: ,Trinkt, denn das ist mein Blut des Neuen Testaments'. Es wird getrunken und ausgegossen: Getrunken von den JUngern, ausgegossen aber zur Vergebung der Sünden derer, die es trinken und ausgießen. Wenn man aber fragt. wie es auch ausgegossen wird, dann muß man mit diesem Wort zugleich auch das andere Schriftwort untersuchen: .denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen' (Röm 5,5). Wenn aber das Bundesblut zur Vergebung unserer SUnden in unsere Herzen eingegossen ist. weil jenes trink bare Blut in unsere Herzen ausgegossen ist. dann werden alle SUnden. die wir frUher begangen haben. vergeben und getilgt. Er selbst aber. der den Kelch nimmt und sagt: trinkt daraus alle! Er geht nicht von uns weg, wenn wir trinken, sondern trinkt ihn mit uns (weil er selbst in einem jeden ist); weil wir allein und ohne ihn weder von jenem Brot essen, noch vom Gewächs jenes wahren Weinstocks trinken können. Man wundere sich aber nicht darüber, daß er das Brot ist und mit uns zusammen das Brot ißt, daß er Trank ist und mit uns vom Gewächs des Weinstocks trinkt! Allmächtig nämlich ist das Wort Gottes und wird mit verschiedenen Benennungen benannt. Und er ist unzählbar entspre chend der Menge der Tugenden (oder Kräfte), weil er selbst allein alle Tugend (oder Kraft) ist'''. In der Tat hört sich schon der erste Satz so an, als beginne mit ihm die erwartete Auslegung: Dieses Brot. welches das Gottwort ausdrücklich als seinen Leib erklärt. ist das Wort, welches die Seelen ernährt. das Wort, das vom Gottwort herkommt, und Brot vom himmlischen Brot. Um ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen. erklärt Origenes einige Zeilen weiter. das Gottwort habe keineswegs jenes sichtbare Brot, das es in Händen hielt. seinen Leib genannt. Bei genauerem Zusehen wird aber der Unterschied dieser Erklärung (comm. ser. in Mt. 85) zu jener in Aussicht gestellten (XI,14) deutlich. Während dort davon die Rede ist. der Logos selbst, gewiß nachdem er Fleisch (und dadurch wohl zugleich lebendiges Brot) geworden ist. werde gegessen, wird hier aus drücklich von einem Brot gesprochen. das von dem himmlischen Brot gegeben wird oder sich herleitet. von ihm also ganz sicher real verschieden ist. Das wird noch deutlicher. wo in Parallele zum "Brot vom himmlischen Brot" das Wort genannt wird, "welches vom Gottwort herkommr' (Zeile 20). Das Brot, welches wirklich als der Leib des Gottwortes zu betrachten ist. ist also ein Wort, eine Äußerung, eine Offenbarung, die insofern Brot genannt werden kann, als sie die Seelen nährt.
• GCS Origenes XI, 196-199.
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Wann aber hat das Gottwort dieses Wort gesprochen? Handelt es sich um eine Äußerung des menschgewordenen Gottwortes, oder ist dieses Wort anderswo zu suchen? Auch der Trank. den das Gottwort sein Blut nennt, wird ausdrücklich als ein Wort bezeichnet (Zeile 23); auch da wird ausdrücklich gesagt, daß nicht jener sichtbare Trank es war, den das Gottwort als sein Blut erklärt (S. 197,3). Dann muß also auch der Trank. bzw. das Blut des Gottwortes wiederum ein Wort sein; und wiederum ist zu fragen. wann und wo auch dieses Wort gesprochen wurde. Ist es eine Äußerung des Menschgewordenen oder eine zu anderer Zeit oder auf andere Weise vom Gott-Logos gegebene Offenbarung? Wenn aber sowohl das Brot als auch der Wein. das Blut genauso wie der Leib als Worte des Gottes-Logos erklärt werden, dann könnte man fragen. ob es überhaupt noch einen Unterschied zwischen ihnen gibt! Der ist aber für Origenes ganz deutl ich! Die beiden Worte sind nicht nur voneinander unterschieden. sie sind auch in der Qualität völlig verschieden; das zweite überbietet das erste in dem Maß. wie der berauschende Trank das nur sättigende Brot überbietet. Das erste Wort. das Brot. der Leib, ernährt die Seelen nur, hält sie am Leben, ist für sie lebensnotwendig. Das zweite Wort aber, der Trank. das Blut, berauscht die Seelen, gibt ihnen Festfreude und Herrlichkeit, geht weit über das Maß des bloßen Lebensnotwendigen hinaus. In mehr scholastischer Redeweise könnte man sagen: das erste Wort, das Brot. der Leib, ist den Seelen geschuldet, sie haben einen Anspruch darauf, ist nichts anderes als Erfüllung der Gerechtigkeit Das zweite Wort ist den Seelen nicht geschuldet, verleiht ihnen eine neue höhere Lebensqualität, ist freie Gabe Gottes, ist reine Gnade. Der Leib, den das Gottwort m.eint. ist das Wort. in dessen Geheimnis jenes Brot gebrochen werden muß. Das Blut ist jenes Wort. in dessen Geheimnis jener Trank vergossen werden muß (S. 197.2-4). Hier könnte man zunächst wieder meinen. es handle sich um ein- und dasselbe Wort, etwa eine Verheißung des heilschaffenden Leidens des Erlösers. denn das Brechen des Brotes und das Ausgießen des Trankes ist doch wohl nichts anderes als das Opferleiden des Christus. Dann aber macht Origenes auf eine Eigentümlichkeit des Textes aufmerksam, daß nämlich nur beim Blut, nicht beim Leib, vom Neuen Testament die Rede ist. Der Grund ist jedem Bibelleser klar: Auch schon bei Moses ist nicht von einem Bundesbrot oder einem Bundesleib, sondern nur von einem Bundes blut die Rede. Wenn es also für den Alten Bund ein Bundesblut, und zwar nur ein Bundesblut gab. dann kann auch beim Neuen Bund. wenn er den Alten ablösen. d. h. aber auch ihm entsprechen soll. nur vom Blut des Neuen Bundes die Rede sein. Die Betonung liegt also bei diesem Ausdruck nicht auf neu, sondern auf Bund (sei es der Alte oder der Neue). Solche Überlegungen. die nicht unmittelbar exegetischer Art sind, also sich nicht mit dem Text, sondern mit den gemeinten Sachen beschäftigen, könnte man vielleicht in Anlehnung an E. Stauffer Sachtheologie oder Realthcologie nennen. Origenes aber ist hier nicht mit solcher Sachtheologie. die ihm natürlich vertraut ist. beschäftigt, sondern verbleibt konsequent in der Ebene des Textes, verfährt also rein exege-
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Eucharistielehre des Origenes?
tisch. Wenn man schon jetzt fragt, ob Origenes sich hier sakramententheologisch zur Eucharistie äußert. ist man geneigt. negativ zu antworten, denn die Eucha· ristie ist nicht Text, sondern gemeinte Sache. gehört also in den Bereich der Realtheologie. Origenes nennt als Grund dafür, daß nur das Blut und nicht das Brot als das des Neuen Bundes bezeichnet wird. daß das Brot das Wort der Gerechtigkeit ist, welches die Seelen ernährt. Der eine Teil der Eucharistie, das Brot, der Leib Christi (nicht etwa das darüber gesprochene Konsekrationswort), verbleibt also im Bereich des Alten, im Bereich der Gerechtigkeit, wo den Seelen nur die lebensnotwendige Nahrung gegeben wird, die ihnen aus Gerechtigkeit geschuldet ist. wie wir schon andeuteten. bzw. wo ihnen nur nach dem Maß der Gerechtigkeit das vergolten wird. was sie selbst geleistet oder verschuldet haben. In dieser Gerechtigkeit aber allein kann es das Heil nicht geben ; das Heil kann nicht erreicht werden als Vergeltung für die EigenJeistung des Menschen; wir könnten gemäß späterer Theologie hinzufügen : Das Heil ist übernatürlich. dem Menschen nicht geschuldet, steht ihm nicht zu aus Gerechtigkeit, sondern kann ihm nur aus Gnade geschenkt werden. Was dem Menschen geschuldet ist oder was ihm vergohen wird. das kann sein Leben erhalten. aber die Freude (laetificat) nach Ps 103. 15, das Herrliche und Berauschende (nach Ps 22,5), ist ihm auf dem Wege der Gerechtigkeit unerreich bar; es wird ihm nicht zuteil durch das alltägliche Essen. sondern nur durch feierliches Trinken. Den Ausgangspunkt für diese Unterscheidung findet Orige nes aber nicht nur in der Feststellung. daß es nur vom Blut heißt, Blut des Neuen Bundes. sondern einfach darin, daß hier (nämlich Mt 26, 26--28) Speise und Trank. Essen und Trinken unterschieden werden. Schlüssel fOr die Ausdeutung dieser Textgegebenheiten ist ihm die auch schon dem Alten Orient vertraute Gewohnheit. daß zur bloßen Sättigung Speise genügt. daß der Wein also immer Zugabe, Gnade darstellt und Festfeier ermöglicht. So kommt Origenes dann zur Deutung des Trankes als des ..Wortes der Erkenntnis Christi gemäß dem Geheimnis seiner Geburt und Passion" (S. 197,90. Im Blut des Leidens Christi liegt ({jr uns (wie er wörtlich fortfährt) das Vermächtnis (tesramefllum diatheke) Gottes; ihm ist Gerechtigkeit entgegen gesetzt. Das bedeutet aber, daß das Alte, was frUher galt, was nur lebensnotwen dige Speise der Seelen war, die Gerechtigkeit also, überhaupt nicht mehr als diatheke Gottes verstanden wird. Es ist nicht nur der jetzt überholte Alte Bund oder das alte Vermächtnis, es ist Oberhaupt nicht mehr Bund oder Vermächtnis. weil das Vermächtnis immer etwas frei Gewährtes bedeutet, also immer über die Gerechtigkeit hinausgeht. Es ist freilich durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, daß Orige nes den großen Scheidungsstrich nicht zwischen dem Alten und dem Neuen Bund machen wUrde, sondern zwischen dem, was vor jedem Bundesschluß und Vermächtnis war, der Gerechtigkeit, die sich als naturnotwendig ergibt, einer seits, und dem Bund andererseits, der im Vollsinn erst in Christus offenbar wird. bei Moses aber doch auch schon begonnen und angedeutet ist. Insofern würde dann die Unterscheidung Blut des Alten oder des Neuen Bundes belanglos. Man =
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könnte im Sinn des Origenes sagen, daß erst beim Neuen Bund ausdrücklich vom Trinken des Bundesblutes die Rede ist, also von dem, was erfreut und berauscht. was durch den Glauben das Heil gewährt. In dem Brot und dem Wein von Matthäus 26,26 f. die er ausdrücklich als Leib und als Blut des (menschgewordenen) Gottwortes bezeichnet. findet Origenes also das Wort der Gerechtigkeit und das Wort der Glaubenserkenntnis, man könnte sagen, die Offenbarung, bzw. den Bereich der Werkgerechtigkeit. und die Offenbarung. bzw. den Bereich der Glaubenserkenntnis. Dabei ist wohl wichtig. daß nicht die beiden sogenannten Konsekrationsworte als diese Offen barungen gedeutet werden, sondern die heiden Gaben mitsamt den dazugehöri gen Deutungsworten. Sind diese beiden Gaben aber die beiden Teile der Eucha ristie? Origenes sagt ausdrücklich: Das Gouwort nennt nicht das sichtbare Brot in seinen Händen seinen Leib, und er nennt nicht den sichtbaren Trank sein Blut. Vielmehr ist der wahre Leib des Logos die ganze Offenbarung der Gerechtigkeit, sein Blut die ganze Offenbarung der Glaubenserkenntnis. Mit anderen Worten: Origenes spiritualisiert nicht etwa die Eucharistie. sondern er gibt der Auslegung des Textes (dabei muß der Text betont werden) von Mt 26.26f eine andere Richtung, oder sagen wir besser. verleiht ihr sehr viel größere Dimensionen. Denn auch die Eucharistie als Gabe Christi gehört ja mit hinein in die Offenba rung der Glaubenserkenntnis. welche die berauschende Festfreude gewährt. Insofern könnte man hier doch die Erfüllungjenes XI, 14 angedeuteten Verspre chens finden, das Origenes nämlich sich über den Logos selbst und nicht nur über seinen ..typischen und symbolischen Leib" äußern wollte. Es muß übrigens betont werden. daß Origenes die scharfe Scheidung zwi schen Essen der Speise als Zeichen der Gerechtigkeit und Trinken des Trankes als Zeichen der Glaubensherrlichkeit nicht durchhält, sondern schon im näch sten Abschnitt (bei der Erklärung von Mt 26,29) Essen und Trinken zusammen nimmt und bei des auch im Himmelreich. nämlich im vollendeten Ostern gesche hen läßt. Nun wird nicht mehr zwischen Speise und Trank geschieden. sondern zwischen Speise und Trank im körperlichen Sinn des gegenwärtigen Lebens einerseits und Speise und Trank im Sinn des Geheimnisses von den zukünftigen (geistlichen) Speisen und Getränken andererseits (S. 198, 8 f). Diese wahre Speise und dieser wahre Trank ist nicht das. was man in der Eucharistie empfängt. sondern was wir im Reiche Gottes empfangen werden. Durch sie werden wir auferbauen und stärken jenes Leben im vollen Sinn des Wortes (verissima vita, Zeile 12). Dieses Leben, dem nichts mehr mangelt, um faßt doch wohl auch die Freude und die Herrlichkeit; es sind also Essen und Trinken, Speise und Trank jetzt uneingeschränkt auf das bezogen. was das Heil und die Herrlichkeit ausmacht und was in der Auslegung von Matthäus 26.2Cr-28 nur durch den Trank, nur durch das Blut angezielt wurde (aber auch dort fällt schon auf, daß Origenes mit dem Satzteil "zur Vergebung der SUnden" noch nichts angefangen hat; seine Deutung steht also noch aus). Daß Origenes hier (niimlich comm. sero in Mt. 85 u. 86) nicht eine Euchari· stielehre bietet. scheint mir noch deutlicher zu werden durch den zweiten
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Eucharistielehre des Origenes?
Abschnitt von NT. 86 (S. 198. 1 3 ff). Wer noch klein ist in Christus und noch fleischlich. der mag die heiden Satzteile .Jesus nahm das Brot" und "er nahm den Kelch" im normalen alltäglichen Sinn verstehen; wer aber tiefer schaut, der muß fragen, von wem Jesus Brot und Kelch nahm oder bekam. Die Antwort ist, daß Gott Brot und Kelch denen gibt, die sie verdienen. Hier erscheint also der Christus selbst nicht als der Geber von Brot und Kelch, sondern als deren Empfänger; gewiß als der, der sie am ehesten verdient. aber doch als einer von denen, die ihrer würdig sind. Andererseits kann dann nicht nur Gen 28,20 ff (wenn Gott mir Brot gibt und Kleidung), sondern auch Job 6.32 (mein Vater gibt euch das Brot vom Himmel) herangezogen werden. Es bleibt aber bestehen, daß Jesus immer seinen Jüngern, die mit ihm das Fest feiern, das Brot gibt. das er selbst von seinem Vater empfangt. Seinen Leib haben wir jetzt nötig und dann im Reich Gottes, und zwar deswegen, weil er (Chrisms oder Jesus, nicht der Leib) das Wort ist. Wort aber ist wiederum nichts anderes als Offenbarung, welche die Verheißungen erfüllt; denn jetzt erfüllt es sie im Spiegel und im Rätsel, dann aber von Angesicht, wie Origenes, 1 Kor 1 3 , 10-12 zitierend, deutlich macht (S. 199, 1-3). Auch das doppelte: "Jesus nahm". das Origenes in einem neuen [nterpretationsgang aufgreift, führt also nicht zu einer tieferen Auslegung der Eucharistie, sondern zu einer tieferen Einsicht in das. was der Vater schenkt. nämlich die Offenbarung, welche ihre eigene im Gesetz gegebene Vorauskündigung hier rätselhaft. dann aber ohne Hülle und Einschränkung erfüllt. Es führt also auch die tiefere Auslegung des doppelten ,,Jesus nahm" wieder zu dem, was schon in Nr 85 deutlich gemacht worden war, nämlich. daß das, was das Galtwort mit "mein Leib" und "mein Blut" meint. nicht Brot und Wein sind, sondern die beiden Offenbarungsstufen, zunächst die der Gesetzes· gerechtigkeit, dann die der Glaubenserkenntnis. Eucharistielehre ist das nicht. Das ist vielmehr an den Abendmahlsbericht des Matthäus angebundene theolo· gisehe Aussage über das Verhältnis Gottes zu den Menschen allgemein. zu den Gläubigen und den Vollkommenen in Christus in besonderem. Das was Gott gibt, ist Offenbarung oder Erkenntnis. Das ist es, was die Seele braucht. Das Leibliche nutzt dazu nichts. Die Scheidung zwischen innerem Erkenntniswort und äußerem materiellem Element, über welches hier gar keine Aussagen gemacht, sondern welches sofort verlassen wird, ist nicht geringer als in XI, 14. Man möchte fast an die cartesianische Unterscheidung von res e,xlensa (Leib) und res cogitans (Seele) denken, die sich gegenseitig nichts zu gehen haben. Im dritten Abschnitt von Nr. 86 schließlich (S. 199,4-26) wird es, so scheint mir, vollends deutlich, daß nicht von Eucharistie die Rede ist, sondern aus dem rein als Text verstandenen Abendmahlsbericht des Matthäus theologische bzw. jetzt spirituelle Konsequenzen gezogen werden. Origenes sagt nicht, daß wir diese Gnaden von Jesus in der Eucharistie. in der gemeinsamen Feier der Gemeinde empfangen. sondern er forden uns auf. ohne das übrigens im einzel· nen zu erklären, in die Stadt� ins Haus eines gewissen Mannes zu gehen und ins Obergemach hinaufzusteigen, wenn wir das Segensbrot von ihm empfangen wollen. Ich kann mir an dieser Stelle einen Hinweis auf jenen berühmten, von .
Eucharistielehre des Origenes?
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Ella Fitzgerald gesungenen Spiritual nicht verkneifen, in dem es in einer wahrlich zu Herzen gehenden Weise heißt, I am in the upper room, ich bin im oberen Gemach. So wenig wie es da um Eucharistiefeier geht, so wenig, scheint mir, geht es hier bei Origenes um Eucharistielehre. Damit soll nicht gesagt werden, Origenes wolle hier die Eucharistiefeier aus seiner Betrachtung aus schließen, sondern nur, daß er nicht über diese Feier, dieses Sakrament und die diesem Sakrament eigene Gnadengabe theologisiert. sondern daß er einerseits den größeren Rahmen dessen, was Gou gibt und was die Gläubigen empfangen. zum Thema macht. und andererseits zu einer diesem tatsächlichen Gott mensch verhältnis entsprechenden Frömmigkeit anleiten will. In Nr. 85 war aufgefallen, daß Origenes zur Erklärung von Matthäus 26,29 übergegangen war. ohne vom Ausgießen des Bundesblutes zur Vergebung der Sünden gesprochen zu haben. Im dritten Abschnitt von Nr. 86 kommt er nun darauf zurück: Das B lut des Neuen Bundes wird getrunken und ausgegossen; getrunken wird es von den Jüngern, ausgegossen zur Vergebung der Sünden derer. von denen es getrunken und ausgegossen wird (Z. 12). Die Jünger sind es also. die nicht nur das Bundesblut trinken. sondern die es auch ausgießen. Es konnte auch dem Origenes nicht zweifelhaft sein, daß in dem Wort über den Kelch mit dem Ausgießen des Blutes der Leidenstod Jesu gemeint war. Darin sah er wohl den vordergründigen wörtlichen Sinn, den auch die Einfaltigeren erreichen konnten. Er legt hier den tieferen Sinn (die anagoge) dar. Die beiden Abschnitte 85 und 86 machen überhaupt den Eindruck. nur tieferen Sinn zu bieten. Entweder hat Origenes sich hier (gegen Ende seines Kommentarwerkes) mit dem Wortsinn erst gar nicht mehr aufgehalten, oder der Übersetzer (viel leicht sogar schon ein erster Redaktor) hat nur die Ausführungen über den tiefen Sinn übernommen. Origenes ist sich bewußt. daß seine Behauptung. das Blut des Neuen Bundes werde von den Jüngern, die es trinken, auch ausgegossen. auf Widerstand, zumindest aber auf Gegenfragen stoßen wird. Deswegen f ahrt er fort: Wenn du aber danach fragst, wie es auch ausgegossen wird, dann zieh das Schriftwort heran: ..denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen" (Röm 5.5). Das kann dann für ihn sofort heißen: Das Bundesblut ist zur Vergebung der Sünden in unsere Herzen eingegossen. oder noch genauer: Wenn das trinkbare Blut in unsere Herzen ausgegossen ist, dann und deshalb sind alle unsere SUnden vergeben. Ist das ein völlig neuer, gar kapriziöser Einfall? Ist das eine bloße Assoziation. gegründet auf das Wort "ausgieBen" , oder gibt es da einen sachlichen Zusam menhang? Mir scheint wohl! [n Nr. 85 hat Origenes ja gesagt, daß das Blut des Logos. der Trank es ist, der die Festfreude gibt. den Glauben ermöglicht und schließlich das Heil gewährt, welches im Rahmen der bloßen Gerechtigkeit. die durch das Brot, den Leib des Logos, dargestellt ist, noch nicht gewährt wird. Wenn also unter dem, was eigentliCh Leib des Logos genannt werden muß. die Offenbarung der göttlichen Gerechtigkeit zu verstehen ist. dann ist unter dem Trank, dem Blut des Logos, die Offenbarung der Liebe Gottes zu verstehen. dann
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ist das Ausgießen des Bundesblutes mit dem Ausgießen der Liebe Goues identisch. Wann aber wird die Liebe Gottes in die Herzen der JUnger ausgegos sen? Beim Empfang der Eucharistie, beim Trinken des Herrenblutes? Wenn das Ausgießen der Liebe den SUndennachlaß bewirkt, dann muß es schon geschehen sein, damit einer imstande ist. die Eucharistie auf die des Herrn würdige Weise zu empfangen (vgl. Xl.
14). Nur wenn das schon gilt, kann auch gelten, was
Origenes dann sagt. daß nämlich der Herr selbst bei uns ist und mit uns trinkt. weil wir allein und ohne ihn von jenem Brot nicht essen und von jenem Gewächs des wahren Weinstocks nicht trinken können (Z.
18-22). Ist wenigstens dieses
Trinken. bei dem der Herr bei uns bleibt, das Trinken des eucharistischen Kelches? Oder ist es jenes Essen und Trinken von Johannes
6,5 1 . 58, bzw. 54,
welches nach XI, 1 4 dem Bösen gar nicht möglich ist, sondern nur dem, der sich bekehrt hat? Es dürfte schwer, wenn nicht gar unmöglich sein, sich hier zu entscheiden. Vielleicht wird man sagen dürfen, daß Origenes zwar keine Eucha ristielehre in diesen Abschnitten bietet, daß er aber bewußt im Umkreis der Eucharistievorstellung bleibt. Das aber heißt letztlich vielleicht nicht mehr als nur dies, daß er trotz aller weiterführenden Gedanken, trotz einer weitausgrei fenden
anagoge,
den Text, den er auslegen will, nicht aus den Augen verliert.
Ich möchte mit einiger Vorsicht als Ergebnis etwa folgendes festhalten: Hier ist nicht Eucharistielehre dargelegt, sondern die Gesamtoffenbarung Gottes erörtert, die in zwei Stufen vor sich geht:
1 . Gerechtigkeit, Nahrung. Lebensnotwendiges, der Natur Geschuldetes;
2. Liebe, Glaube. Freude, Heil als Gottesgeschenk. Da Offenbarung immer Sache des Logos ist. der sich in die Erscheinungen, in die Worte und Schriften hinein sichtbar, hörbar, greifbar macht und doch zugleich in ihnen verhUllt, deshalb hat die Offenbarung insgesamt eine Struk turähnlichkeit erstens mit der Inkarnation. zweitens mit der Eucharistie, weil in beiden der Logos greifbar, wahrnehmbar, verfügbar wird. Eucharistie ist gewissermaßen Konsequenz und Fortsetzung. aber auch Stei gerung (was das Verhüllen angeht) der Inkarnation, die ihrerseits Zuspitzung, Sonderfall, Höhepunkt der Offenbarung war. Deshalb ist es möglich, I. bei vordergründig eucharistischen Texten vom Logos selbst zu sprechen (im Sinn der anagoge);
2. in der Eucharistie, da sie verhüllt, das Symbol der Offenbarung -
und, da sie zweiteilig ist. das Symbol heider Offenbarungsstufen - zu erblicken. Origenes geht also den Weg. der in ständiger Konkretisierung so verläuft: Offenbarung - [nkarnation - Eucharistie, nun wieder zurück und zielt anhand der Abendmahlstexte - wobei Text zu betonen ist - auf die Offenbarungsstu fen. Dabei darf wohl festgehahen werden, daß Origenes nicht nur nahe bei seinem Text bleibt, der nun einmal vom Abendmahl handelt. sondern daß er auch die Eucharistie als LebensvoUzug der Gläubigen nicht aus dem Auge verliert. Es geht ihm aber darum, daß sie auf die des Herrn würdige Weise geschieht. Das aber ist nur dann möglich. wenn die Gläubigen sich des Geschenkcharakters der gesamten Offenbarung, vor allem ihrer zweiten Stufe, auf welcher die Gerech tigkeit überboten und Glaube und Heil geschenkt wird. bewußt sind.
Gott als Arzt und Erzieher Das Gottesbild der Kirchenväter Or igenes und Augusl inu s
Origenes. der größte Denker der christlichen Frühzeit, lehrte in Alexandrien in Ägypten und in Caesarea in Palästina und starb dort etwa 253 an den Folgen der in der Christenverfolgung des Decius erlittenen Foltern. Seine Bibelkommenta· Te, in denen er hinter dem Wortlaut einen verborgenen Sinn aufzuspüren wußte, haben die Bibelauslegung stark beeinflußt. Origenes hat auch als erster eine systematische Darstellung der christlichen Lehre. oder doch jedenfalls ihrer Grundlagen. ihrer Prinzipien. geschaffen. die immerhin 300 Druckseiten um faßt. Sie ist uns leider nur in einer lateinischen Bearbeitung vom Ende des 4. Jahrhunderts erhalten, bei der man mit Auslassungen und Zusätzen rechnen muß, die aber in den wichtigen Lehrpunkten zuverlässig sein dürfte. Da sagt Origenes schon in der Vorrede: ,.zu dem. was durch die Verkündigung der Apostel deutlich überliefert wird, gehört zuerst dies: Es ist ein einziger Gott, der alles geschaffen und geordnet hat" In der Vorrede deutet Origenes an. daß es um die Körperlosigkeit Gottes Auseinandersetzungen gegeben hat. und beginnt das I . Kapitel des I . Buches bezeichnenderweise so: ..Ich weiß, daß einige versuchen werden, sogar aufgrund unserer Schriften zu behaupten. Gott sei ein Körper, weil sie bei Mose geSChrieben finden: .Unser Gott ist verzehrendes Feuer' (Dtn 4.24) . . . Die möchte ich fragen, was sie dazu sagen. daß Johannes in seinem Brief sagt: ,Gott ist Licht . . ' ( 1 Joh 1 ,5). Dies ist nämlich das Licht. welches allen Sinn derer erleuchtet, die die Wahrheit fassen können . . . Wenn sie also . . . zugeben. daß Galt nicht als Körper verstan den werden darf, insofern er Licht ist, wird das gleiche auch fUr das verzehrende Feuer gelten! Denn was verzehrt Gau? Etwa körperliche Materie? Richtig verstanden. verzehrt und vernichtet Gott tatsächlich; aber was er verzehrt, sind die bösen Gedanken des Herzens. die schimpflichen Handlungen, das Verlangen nach Sünde." Selbst da, wo Origenes über Gottes Wesen in sich spricht, lenkt er doch den Blick auf Gottes Tun, auf sein reinigendes, heilendes Wirken an den Menschen. So überrascht es nicht, daß er im selben Werk (11 10,6) Gott ,unseren Arzt' nennen kann, der die Schäden unserer Seelen beseitigen will, die sie aus Sünden und Schandtaten empfangen haben, und der deswegen Kuren anwendet wie die menschlichen Ärzte, die manchmal schneiden und ausbrennen müssen. Offenbar hielt man ihm aber entgegen, daß Gott keineswegs allen Sündern gegenüber harte Kuren anwendet; aber auch da sieht Origenes den göttlichen Arzt am Werk: .
Gott als Ant und Erzieher
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..Wenn Gott gegen einige SOnder langmütig ist, dann nicht ohne Grund. sondern weil es ihnen nützlich ist im Blick auf die Unsterblichkeit der Seele und die Unendlichkeit der Zeit, daß ihnen nicht rasch zum Heil verholfen wird, sondern daß sie langsam dahin geführt werden. Auch Ärzte, die jeman· den rasch heilen könnten, aber vermuten, daß ein verborgenes Gift im Kör per steckt . . "
halten jemanden längere Zeit im Fieber und Krankheitszu
stand, damit er dann umso sicherer die Gesundheit wiedergewinnt und nicht etwa wieder einen Rückfall erleidet"
(princ. III 3. 1 3). Was Origenes da
mit dem Hinweis auf die Unendlichkeit der Zeit nur angedeutet hat. erklärt er am Ende dieses Abschnittes ausdrücklich so: ..Gott sorgt für die Seelen nicht nur im Blick auf die vielleicht fünfzig Jahre des Lebens hier auf Erden, son· dern im Blick auf die unbegrenzte Weltzeit; unzerstörbar nämlich hat er die geistige Natur geschaffen und ihm selbst ähnlich; und die vernünftige Seele ist nicht von der Therapie ausgeschlossen, als ob es nur um dieses Leben hier ginge." Damit ist angedeutet, daß Origenes wenigstens die Hoffnung für erlaubt ansieht, daß der göttliche Arzt schließlich alle seine Geschöpfe auch von den schlimmsten Schäden heilen wird. In späteren Werken hat Origenes zwar meist in Jesus Christus den Arzt und Heiler gesehen, aber in seiner 12. Predigt zum Propheten Jeremia - die Jeremiapredigten sind die einzigen, die griechisch erhalten sind - vergleicht er Gott wieder mit einem Arzt, um das Wort des Propheten zu erklären: ..Ich werde nicht schonen und mich nicht durch Mitleid von ihrer Vernichtung abbringen lassen" (Jer
13, 14). Um diejenigen zu widerlegen, die aus diesem im Namen
Gottes gesprochenen Prophetenwort beweisen wollten, der Gott des Alten Testamentes sei nicht gut, erklärt Origenes: ..Aber wenn ich das Beispiel eines amtlichen Richters nehme, der aus Sorge um das Gemeinwohl kein Mitleid und mit Recht kein Erbarmen walten läßt. werde ich damit zeigen können, daß Gott. weil er die vielen schont. den einzelnen nicht schont; ich werde als Beispiel auch den Arzt nehmen, der ein einzelnes Glied nicht schont, weil er den ganzen Leib schonen will. Nehmen wir also an, ein Richter habe die Absicht, den Frieden herzustellen und fUr das Wohl des ihm untergebenen Volkes zu sorgen, und es würde ihm ein Mörder vorgeführt von hübschem Äußeren und die Mutter käme mitleidheischend . . . und die Frau des Unwürdigen flehte um Erbarmen und seine Kinder bäten für ihn! Was ist bei all dem für die Allgemeinheit von Nutzen? Daß dieser Erbarmen findet oder nicht? Aber wenn man sich seiner erbarmt. wird er zu denselben Taten zurück· kehren; wenn man sich seiner nicht erbarmt, wird er zwar sterben. die Allge· meinheit aber gebessert werden. Wenn Gott so den Sünder schonen und sich seiner erbarmen und Mitleid mit ihm haben und ihn nicht bestrafen wollte, wer würde dann nicht zum Bösen angereizt? Wer von den bösen Menschen, die nur durch Furcht vor Strafe Übeltaten unterlassen, würde nicht noch angestachelt und schlimmer werden? So etwas kann man auch in den Kirchen sehen: Wenn jemand, der gesündigt hat und nach der Sünde wieder um Gemeinschaft bittet,
Gon als Arzt und Erzieher
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zu schnell Erbarmen findet, wird die Gemeinde aufgereizt, und die Sünde der anderen nimmt zu" (horn. in Jer. 12,5). Auch in seiner späten Erklärung des Matthäus-Evangeliums vergleicht Ori genes Gott mit einem Arzt; nicht nur aus dem Wort: ..Ich mache lebendig" und: ..Ich heile" leuchte Gottes Güte hervor, sondern auch aus dem dazugehörigen Wort: "Ich schlage" und: "Ich töte" (Dtn 32,39). Origenes weiß, daß man sich Gott ungern so vorstellt, ja daß er von manchen zu Unrecht beschuldigt wird. Deshalb sagt er mit einer gewissen Vorsicht: ,.Auch wenn widersinnig erscheint, was ich jetzt sagen will, werde ich es trotzdem sagen: Auch der sogenannte Grimm des guten Gottes tut ein heilsames Werk, wenn er straft . . . Viel könnte man wohl . . . über die Güte Gottes sagen . . . , die er mit Recht für die verborgen hat, die ihn nur ,fürchten', damit sie nicht ,den Reichtum seiner Milde und Geduld' verachten und sich so . . . einen größeren Zorn anhäufen (Röm 2,5) . . . als wenn ,die Fülle der Milde' Gottes vor ihnen verborgen wäre" (cornm. in MI. XV, 1 1 ). Es läßt sich erkennen, wie alles, was Origenes über Gott sagt, der Heiligen Schrift entnommen oder doch wenigstens mit Schriftworten gestützt ist. Ande rerseits wußte er, daß die Heilige Schrift auf Überzeugungen stieß, die durchaus zu respektieren waren, wie etwa die. daß das kostbarste Gut des Menschen die Freiheit ist. Er hatte sich mit Leuten auseinanderzusetzen, die aus der Heiligen Schrift falsche Schlüsse zogen. Ein solches mißverständliches Wort war das. was Paulus im Römerbrief (9, 18) gewissermaßen abschließend über den Pharao gesagt hat, der Israel zunächst nicht ziehen lassen wollte, schließlich auf seiner Verfolgung den Tod fand. nämlich: .Also erbarmt sich Gott, wessen er will, und " er verstockt, wen er will. Dem Apostel war es darauf angekommen, Gottes Macht und Freiheit zu betonen; Origenes aber mußte sich 200 Jahre später mit den Leugnern der menschlichen Willensfreiheit auseinandersetzen. Deswegen hat er das lange 1 . Kapitel im 3. Buch seiner Grundlagenschrift (rund 50 Seiten) der Willensfreiheit gewidmet. Daß Gott gerecht und gut ist. ist für ihn selbstver ständlich; so versucht er folgende Erklärung: "Schau doch, ob wir durch ein Beispiel . . . zeigen können, wie Gott durch eine einzige Wirkungsweise dem einen Erbarmen gewährt, den anderen ver stockt. ,Der Acker' heißt es im Hebräerbrief (6, 6 0, ,der den Regen trinkt . . . und nützliches Kraut trägt . . . , empfangt Segen von Gott. Welcher aber Dornen und Disteln trägt. taugt nichts und ist dem Fluch nahe. so daß man ihn zuletzt verbrennt.' Da ist doch das Regnen eine einzige Wirkweise; und obwohl es nur diese einzige Wirkweise des Regnens gibt, bringt der wohlbestellte Acker Früchte, der vernachlässigte aber Dornen. Es könnte anstößig klingen, wenn der, der regnen läßt, sagte: Ich habe die Früchte gemacht und die Dornen! Aber wahr wäre es doch; denn ohne Regen wären weder Früchte noch Dornen gewachsen . . . So sind also . . . die von Gott gewirkten Wunder mit dem Regen zu verglei chen; die unterschiedlichen Willenseinstellungen (der Menschen) aber sind zu vergleichen mit dem wohlbesteilten Acker und mit dem vernachlässigten" (prille. III 1. 10).
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Gott als Ant und Enieher
Trotzdem schreibt Origenes das Verdienst nicht etwa dem Menschen selbst zu. Im Gegenteil, gerade die Rede von der Verstockung oder Herzensverhärtung, die durch des Menschen eigene Schuld eintritt. läßt die Notwendigkeit der himmlischen Gnade, d.h. der göttlichen Hilfe, erkennen. Nur zwei Abschnitte weiter greift Origenes die Klage des Propheten Jesaja auf (63, 1 7 1) : "Warum hast du uns in die Irre geführt, Herr? Wozu hast du unser Herz verstockt. so daß wir deinen Namen nicht fürchten?". und formt die Frage des Propheten so um: Wozu hast du uns so lange geschont und nicht heimgesucht wegen unserer SUnden, sondern uns gewähren lassen . . . ? Darauf antwortet er grundsätzlich: damit der sittliche Wert .Er läßt aber die meisten Menschen gewähren eines jeden aufgrund unserer eigenen freien Entscheidungsfahigkeit geprüft wird. Durch diese Probe sollen die Guten sichtbar werden und die anderen nicht verborgen bleiben . . . Sie sollen später den Weg der Heilung finden. Diese Wohltat würden sie nicht als solche erkennen. wenn sie nicht zuvor sich selbst verurteilt hätten . . . Wer seine eigene Schwäche und die göttliche Gnadenhilfe nicht erfahren hat. meint. es sei seine eigene Leistung. was ihm durch Gnade geschenkt ist" (princ. m I, 12). So könnte auch Augustinus gesprochen haben. auf den wir gleich hören werden; seine Lehre von der göttlichen Gnade und vom menschlichen Willen ist ganz auf diese Erfahrung der eigenen Schwäche und der Kraft. die von oben geschenkt ist. aufgebaut. Die heidnische Antike nannte den obersten Gott den Vater aller Götter und Menschen. Auch Origenes nennt Gott Vater; er entnimmt diese Anrede der Heiligen Schrift. aber was sie für ihn wirklich bedeutet. läßt er uns verstehen. wo er sich mit der seltsamen Lehre des Marcion auseinandersetzt. Der hatte. Jahrzehnte vor Origenes. behauptet. der Gott des Alten Testamentes sei nur gerecht. nicht gut; er habe nichts vom guten Gott. dem Vater des Herrn Jesus Christus. gewußt. Origenes beweist zunächst. daß Jesus. wenn er von seinem Vater spricht. sehr wohl den Gou Abrahams. Isaaks und Jakobs. also den Gott des Alten Testamentes meint; genau den Gott also, der beim Propheten Jesaja (46,9) gesagt hat: .,Ich bin Gott. und es ist keiner außer mir!" Diesen Satz haue Marcion als Beweis fUr die Beschränktheit des alttestamentlichen Gottes ange führt: Der habe vom guten Gon. der ihm unendlich überlegen sei, nicht einmal etwas gewußt. Darauf antwortet Origenes: .Es wäre widersinnig, daß Jesus den als seinen Vater bezeichnet, der den höheren Gott nicht kennt. Eine andere Möglichkeit wäre, daß er nicht irrt, sondern lügt, wenn er sagt. es gebe keinen anderen Gott außer ihm. Aber das wäre noch viel widersinniger. daß Jesus einen Lügner als Vater anerkennt. Aus all dem wird der Verstand zu dem Ergebnis geführt. daß er keinen anderen Vater kennt als den Gott. der alles geschaffen hat" (princ. II 4. 1 ) . Ein Gott also. der nicht wirklich Uranfang alles Seins wäre. könnte nicht Vater genannt werden; genauso wenig ein Gott. der seine eigenen ihm gesetzten Grenzen nicht kennte, und noch weniger einer, der lUgen würde. Man möchte eher denken. daß eine solche Gestalt den Titel "Gou" nicht verdiente: aber nicht •
•
. . . •
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dagegen kämpft Origenes, sondern dagegen, daß man ein solches Wesen Vater nennen würde. Tatsächlich hat ja nicht nur die heidnische Antike, sondern gelegentlich auch die Heilige Schrift selbst von vielen Göttern gesprochen. Daß aber der Titel "Vater" dem Origenes so kostbar ist, dürfte seine Hochschätzung und Verehrung für seinen eigenen Vater verraten, dem er seine Bibelkenntnis zum guten Teil verdankte und der in einer Verfolgung als Märtyrer gestorben, also Zeuge für die Wahrheit bis zum Tod geworden war. Gerade bei dieser Hochschätzung des Vater-Gottes würde man erwarten, daß Origenes dem allmächtigen Gott, dem Schöpfer aller Wesen und Dinge, eine ganz unbegrenzte Macht zuschriebe; aber gerade das scheint er nicht zu tun. Im 2. Buch seiner Grundlagenschrift (Kap. 9) sagt er: ,.Bei jenem Anfang also hat Gott, so muß man annehmen, eine solche Zahl von Vernunft- oder Verstandeswesen geschaffen . . . wie nach seinem Vorauswis sen ausreichen würde. Denn es ist gewiß, daß er sie in einer Zahl schuf, die er vorher bei sich festgesetzt hatte; man darf nämlich nicht, wie einige behaupten, meinen, die Geschöpfe hätten keine Begrenzung; denn wo keine Grenze ist, kann es auch kein Umfassen und Umschreiben geben. Wenn dies der Fall wäre, könnte von Gott nicht umfaßt und verwaltet werden, was geschaffen ist." So jedenfalls heißt es in der lateinischen Übersetzung; aber die hat hier vielleicht einen Gedanken ausgelassen, der um 400 schon anstößig war. Orige nes selbst scheint aber geschrieben zu haben: "Denn man muß auch Gottes Macht für begrenzt erklären und nicht unter dem Vorwand der Frömmigkeit ihre Umgrenzung aufheben. Denn wenn Gottes Macht unbegrenzt ist. folgt daraus. daß sie sich selbst nicht denken kann." Freilich ist dieser Text so nur als ein Vorwurf späterer Origenes-Gegner erhalten, die auch aus dem 4. Buch der Grundlagenschrift den Satz entnommen haben wollen: "Niemand nehme Anstoß daran, wenn wir auch der Macht Gottes Maße setzen; Grenzenloses nämlich zu umfassen, ist von Natur aus unmöglich" (so die Fragmente 24 und 38, die Kaiser Justinian im Jahre 543 dem Patriarchen Menas mitteilte). Es bleibt eine gewisse Unsicherheit, ob wirklich Origenes selbst die Macht Gottes begrenzt sah, der lateinische Bearbeiter aber die Begrenztheit nur auf die Geschöpfe bezogen hat. Auch noch in seinem späten Matthäus-Kommentar ( 1 3. 1) erklärt Origenes zu Matthäus 17, IOff, wo vom Ende der Welt die Rede ist: "Wenn die Welt nicht untergeht, sondern ohne Ende sein wird. wird auch Gott nicht alles wissen, bevor es entsteht. Er wird vielmehr. wenn Uberhaupt. jedes einzelne oder auch nur einige Einzeldinge kennen. bevor sie entstehen. und danach wieder andere; was unendlich ist, kann nämlich von Natur aus nicht durch die Erkenntnis umfaßt werden. weil sie immer das Erkannte abgrenzen muß." Da spricht Origenes zunächst nur von der Begrenztheit der Schöpfung. Eine Begrenztheit der Macht Gottes deutet er allenfalls an, insofern auch Gott eine unbegrenzte Schöpfung nicht zugleich voll erkennen könnte. Tatsächlich hat erst der Kirchenlehrer Gregor von Nyssa in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, also
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Gott als Arzl und Erzieher
über 100 Jahre nach dem Tod des Origenes, die Endlichkeit als einen Mangel, die Unendlichkeit dagegen als eine Vollkommenheit und deshalb als Wesensei genschaft Gottes zu verstehen gelehrt. Das war ein neuer, nicht mehr aus griechischem Geist geborener Gedanke. Für das sozusagen mehr aufs Schauen gerichtete griechische Denken. in dem auch Origenes zu Hause war, ist die Umgrenzung. die äußere Gestalt nicht Mangel, sondern gehört zu jedem Wesen. Was nicht solche umschreibende Gestalt hat. löst sich auf, zerfließt, vergeht ins Nichts. Wenn Origenes also wirklich Gottes Macht als begrenzt ansah, dann nur, weil er in Gott das höchste Sein. also auch die vollkommenste Gestalt sah. Diese vollkommenste göttliche Wesenheit ist frei von jeder "Verschiedenheit, Verän derlichkeit und jedem Unvermögen". Origenes muß sich den Angriffen derer stellen, die da fragten, wie denn der angeblich gute und gerechte und ganz unvoreingenommene Gott einigen Ge schöpfen den Himmel als Wohnung anwies, andere aber auf die Erde setzte und auch dort noch große Unterschiede machte (princ. II 9,5). Origenes geht zur Verteidigung des gerechten Gottes nicht den Weg. den vor ihm schon heidnische Philosophen und nach ihm Augustinus und andere christliche Lehrer beschritten haben, die in der Vielfalt der Schöpfung deren eigentliche Vollkommenheit sehen. Für ihn können Mängel nicht als Schönheit gelten. Vielmehr erklärt er mit Nachdruck: ..Gou hat alle Wesen, die er schuf, gleich und ohne Verschiedenheit geschaf fen, denn in ihm, der einziger Grund der Schöpfung ist, gibt es keinen Grund für Unterschiedlichkeit. Da aber die Vernunftgeschöpfe selbst . . . mit der Fähig keit freier Entscheidung beschenkt sind, hat die Willensfreiheit einen jeden entweder zum Fortschritt durch Nachahmung Gottes angetrieben oder zum Abfall durch Nachlässigkeit hingezogen. Und das ist die Ursache für die Unterschiede zwischen den Vernunftgeschöpfen; sie hat ihren Ursprung also nicht im Willen und der Entscheidung des Schöpfers. sondern in ihrem eigenen freien Willensentschluß. Gott aber wollte, gerecht wie er ist. die Geschöpfe nach deren eigenem Verdienst regieren und zog diese nunmehr ganz unterschiedlichen Geister in eine einzige, doch harmonische Welt zusammen. So gibt es nun in dem einen Haus nicht nur goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene . . . , nämlich diese verschiedenen Seelen oder Geister . . . Wenn man die Sache so ansieht, wird der Schöpfer nicht ungerecht erscheinen, wenn er einem jeden . . . nach Verdienst seinen Platz gibt, und man wird auch die glückliche oder unglückliche Geburt eines jeden und, was ihm sonst im Leben zustößt, nicht für zufällig halten" (princ. n 9,6). Origenes glaubt für seine Lehre von der anfanglichen Gleichheit aller Ver nunftwesen, von der Präexistenz aller Seelen, auch biblische Beweise vortragen zu können; er beruft sich z.B. auf Paulus, der in seinem Römerbrief (9, 13) den Spruch des Propheten Maleachi ( 1 ,2.3): "Ich habe Jakob geliebt, Esau aber gehaßt", zitiert. Daraus müsse man doch im Blick auf die Gerechtigkeit Goues schließen, daß heide Söhne lsaaks schon \lor ihrer Geburt. aJso in einem früheren. höheren Seinszustand. Goues Wohlgefallen bzw. Mißfallen erregt haben, daß sie
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Gott als Arzt und Erzieher
also fUr ihre unterschiedliche Behandlung selbst verantwortlich sind. Origenes hat an diesem Gedanken immer festgehalten; er sieht ihn z.B. auch bestätigt durch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16). Daß viele den ganzen Tag untätig auf dem Markt stehen und erst am Abend in den Weinberg geschickt werden. zeige deutlich, daß alle Menschenseelen schon lange existier ten. bevor sie in dieses arbeitsreiche Erdendasein eintreten
(comm. in MI. XV,
34.35). Der Gedanke beeindruckt, weil er die menschliche Freiheit so ernst nimmt; man müßte aber fragen, ob es gerecht und sinnvoll wäre. Vernunftwesen für etwas leiden zu lassen. woran sie sich gar nicht erinnern. Und wenn alles Leid und alle Not. die in diesem Leben über die Menschen kommen, Besserungsstrafen sind. deren er zur Läuterung bedarf, mUßte man dann nicht einen jeden in seiner Not lassen? Verböte sich so nicht geradezu jede Hilfeleistung? Diese Fragen hat Origenes sich nicht gestellt, sie also auch nicht beantwortet. 1m Altertum war es fUr viele selbstverständlich, daß das Ende dem Anfang entsprechen müsse; so rechnet denn Origenes damit, daß alle Vernunftwesen, sogar die gegen Gott rebellischen, am Ende wieder in den guten, einheitlichen. Gott wohlgefälligen Zustand zurUckkehren. Aus dem Wort des Apostels Paulus ( 1 Kor 15, 24ff), am Ende würden alle Feinde dem Sohn Gottes unterworfen, zieht Origenes folgenden Schluß: "Auch die Unterwerfung der Feinde unter den Sohn Gottes ist heilsam und nUtzlich . . . Es wird damit die vollkommene Wiederherstellung der ganzen Schöpfung bezeichnet. das Heil derer. die unterworfen sind, die Rettung der Verlorenen . . . Dies wird sich erfUllen nach bestimmten Weisen, Erziehungsmit tcln und Zeiten, d. h. nicht durch Notwendigkeit . . . noch durch Gewalt, sondern durch Wort, Vernunft, Lehre. Aufruf zum Besseren .
.
.
" (princ. III 5,7. 8).
Freilich bleiben auch fUr Origenes Fragen offen, die er seihst so ausspricht: ..Wie soll allen vernünftigen Geschöpfen die Willensfreiheit garantiert und doch so Uber sie verfUgt werden (daß sie zum Heil gelangen)? Wen findet das Wort Gottes gleichsam schon vorbereitet und aufnahmefähig? . . . Wen hinwie derum drängt er, weil er nicht auf das Wort gehört hat. mit Strafen und ZUchtigungen zum Heil und zur Bekehrung?'" (ebd., Nr. 8). Aber auch durch solche Fragen ließ Origenes sich nicht irremachen. In der Weltgeschichte, wie sie nun einmal ist, sah er Gott vom Anfang bis zum Ende als Arzt und Erzieher wirken und nicht eher ruhen. als bis alle Geschöpfe eben durch Erziehungs-, nicht durch Zwangsmaßnahmen wieder zum Heil geführt sind. So neuartig wie die Grundlagenschrift des Origenes waren auf ihre Art auch die
Confessiones des Bischofs Augustinus, die um 40Q erschienen sind; nicht Geständnisse sind es, sondern eher Lobpreisungen. In der Übersetzung von Joseph Bemhart lautet ihr Anfang so: ..Groß bist du, Herr. und hoch zu preisen, und groß ist deine Macht und deine Weisheit unermeßlich. Und preisen will dich der Mensch, ein kUmmerlicher Abriß deiner Schöpfung, ja, der Mensch. der herumschleppt sein Sterbewesen.
Gott als Arzt und Erzieher
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herumschleppt das Zeugnis seiner SUnde und das Zeugnis. daß du den Hochfäh rigen widerstehst. Und dennoch preisen will dich der Mensch. ein kümmerlicher Abriß deiner Schöpfung. Du selber reizest an, daß dich zu preisen Freude ist; denn geschaffen hast du uns zu dir, und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Ruhe " d"Ir . . . hal In Hier bricht der unendliche Abstand zwischen Gott und dem Menschen auf; während Origenes sozusagen im sicheren Vertrauen auf den eigenen Verstand aJl das erforschen will, was die Apostel unausgesprochen ließen. triu Augustinus von vornherein als SOnder im Bewußtsein menschlichen Unwissens und Irrtums vor Gott hin. Andererseits stimmt seine Haltung mit der des Origenes auch wieder weit Oberein: Seide gehen aus von der GlaubensverkUndigung, beide berufen sich GOll gegenUberdarauf, daß er selbst seinen Sohn in die Welt gesandt hat, also zugänglich sein will; und auch Origenes hatte an vielen SteUen erst gebetet, bevor er seine Gedanken aussprach. Auch er hat nicht nur Irrtümer der anderen bekämpft, sondern seine eigene Irrtumsfähigkeit offen eingestanden. Augustinus nennt einzelne Irrtümer, die er bei sich selbst mühsam überwinden mußte. z. B. die Vorstellung. Gott sei ein Körper, die ja auch Origenes als allererste bekämpft hatte. Zu Beginn des 7. Buches bekennt Augustinus: ..Wohl dachte ich dich. mein Gott. nicht in Menschengestalt, seitdem ich einiges von Philosophie vernommen hatte ... Aber wie anders ich denken sollte. das wollte mir nicht kommen . . . So fand ich mich gezwungen, auch von der unvergänglichen, unversehrbaren. unwandelbaren Natur . . . mir eine Vorstellung zu machen; und war dies auch nicht die Gestalt eines Menschenleibes. so doch etwas Körperhaftes im Raum . . . ; denn was ich mir ohne solche räumliche Ausdehnung dachte. das schien mir nun einmal nichts zu sein, das bare Nichts ..
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Später hat Augustinus selbst über solche Vorstellungen gespottet: dann wäre ja im Leib eines Elefanten mehr Gott gegenwärtig als in dem eines Spatzen. Ebensoweit war für ihn aber der Weg zur Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen: "Und ich gab mir alle MUhe einzusehen, was ich gehört hatte: Die Wahlfrei� heit des Willens sei die Ursache. daß wir böse tun. und dein gerechtes Gericht sei die Ursache. daß wir leiden; aber hierin klarzusehen, vermochte ich nicht . . . Es hob mich deinem Lichte näher. daß ich Willen zu haben so gewiß war, wie daß ich lebe . . . Und daß ich, wenn ich etwas wider Willen tue. es mehr erleide als tue, das sah ich ebenfalls und sagte mir, daß hier nicht Schuld. sondern Strafe walte. die mich nicht ungerechterweise treffe. wie ich alsbald mir eingestand. da du mir als der Gerechte bewußt warst . . . Dann aber fragte ich mich wieder: Wer hat mich erschaffen? War's nicht mein Gott. der nicht bloß gut. sondern das Gut schlechthin ist? Also woher dies mir: Bös wollen und Gut nicht wollen? Nur damit Grund sei. daß ich gerechterweise mit Strafe bUße?"' (Con! VII 3,5). Die Frage nach dem Ursprung des Bösen wurde auch fUr Augustinus, wenn er dies auch nur leise andeutet. zur Anklage gegen Gott. So ist auch für ihn die Rechtfertigung Gottes vielleicht der wichtigste Zweck seines Nachdenkens.
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Gou als Arzt und Erzieher
Wenn Augustinus auch nicht so weit geht wie Origencs, der den Anfang der Schöpfung sogar durcb Gottes Verteilungsgerechtigkeit bestimmt sieht, so dient doch alles, was er über Gnade und menschlichen Willen geschrieben hat, dazu, die vergeltende Gerechtigkeit Gottes herauszustellen. Aber Gott ist für Augusti nus beileibe nicht nur der gerechte Richter, nicht nur der Herr, sondern auch der Arzt seines Innersten, der Arzt, vor dem er seine Wunden nicht verbirgt ( Con! X 3,4; 28,39); ja mehr noch, Augustinus kann Gott so ansprechen: ,.Dies ist das selige Leben, sich zu freuen an dir, auf dich hin, um deinetwillen: Dies ist es und nichts anderes (ebd. 22.32). Freude an der Wahrheit ist seliges Leben. Und das ist Freude, Gott, an dir, der du die Wahrheit bist. meine Erleuchtung, Heil meines Angesichtes, mein Gau! (ebd. 23,33). Spät hab ich dich geliebt, du Schönheit, ewig alt und ewig neu . . . Du hast gerufen und geschrien und meine Taubheit zerrissen; du hast geblitzt und geleuchtet und meine Blindheit verscheucht. .. Du hast mich berührt, und ich brenne nach dem Frieden in dir" (ebd. 27,38). Dieser ewige Friede, den Augustinus erhofft, besteht, wie er im 19. Buch über den Gottesstaat (Kap. 27) ausdrücklich sagt, in der Wiederherstellung der Ordnung im Menschen selbst: "Dann wird Gott dem Menschen gebieten, und der Geist dem Leib. Die Leichtigkeit und Freude des Geharchens wird so groß sein wie die Seligkeit des Lebens und Herrschens; das wird der Friede der Seligkeit oder die Seligkeit des Friedens sein." Man möchte Augustinus fragen, wie er zu dieser Auffassung vom Frieden kommt, die nur auf das eigene Selbst blickt; schon im nächsten Kapitel gibt er bereitwillig die Antwort: "Man kann sich keinen schlimmeren und bittereren Krieg denken als den, wo der Wille der Leidenschaft und die Leidenschaft dem Willen so sehr entgegengesetzt ist, daß durch keinen Sieg des einen diese Feindschaft beendet werden kann .. ... Da spricht nicht jemand, der eine Theorie der Geschichte ausdenkt, sondern ein Mensch, der innere Zerrissenheit bis zum Übermaß erlitten. aber auch die Gnade erfahren hat, die seinem Willen den Sieg über alles innerlich Widerstän dige verliehen hat. ohne aber diese Widerstände auszuräumen. Zuletzt aber blickt Augustinus nicht auf sich selbst, sondern auf Gott: .Er soll. wie Paulus an die Korinther geschrieben hai ( 1 Kor 15,2 8), alles in allem sein. Er wird Ziel unserer Sehnsucht sein, da er ohne Ende geschaut wird. ohne Überdruß geliebt wird und ohne Ermüdung gepriesen wird" (Gottesstaat XXII 30,1). Daß dieser nie endende Lobpreis Gottes nicht Sache des auf sich gestellten einzelnen, sondern der Gemeinschaft der Seligen ist, versteht sich eigentlich von selbst in einem Buch, das von der BUrgerschaft Gottes, von der Mitbürgerschaft der Gotteskinder handelt; aber Augustinus sagt es auch noch ausdrücklich: ,.Dieses Geschenk. dieses Gefühl, dieses Tun wird allen gemeinsam sein, wie das ewige Leben selbst, wenn es dann auch Stufen der Ehre und der Herrlichkeit gibt, wie es den unterschiedlichen Verdiensten entspricht . . . Und dies wird ein weiterer Wert jener seligen Bürgerschaft sein, daß es keinerlei Neid der Gerin geren auf die Höheren geben wird" (ebd. § 2). •
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Got[ als Arzt und Erzieher
Wird aber diese selige Gemeinschaft alle Menschen umfassen? Daß Augusti· nus mit dem Ausschluß vieler Menschen und Engel rechnet. daran läßt er keinen Zweifel, weder im Buch über den Gottesstaat noch in seinen zahlreichen Schriften über die Gnade; ja, dies scheint ihm von Gottes Gerechtigkeit gefor dert zu sein. Das Werk über den Gottesstaat handelt ja eigentlich von zwei Bürgerschaften;
es
nennt schon im Vorwort neben der Gonesbürgerschaft auch
die irdische Bürgerschaft und verfolgt dann beider Auseinandersetzung und Vermischung im Laufe der Geschichte. um schließlich ihre endgültige Trennung zu beschreiben. Bürger der Himmelsstadt wird man nur durch die "Taufe der Wiedergeburt im Heiligen Geist" (Gottesstaat XX 17). "Das ganze Geschlecht, das aus Adam stammt, ist verdammt; damit man dieser Verdammung entrinnen kann, ist die Wiedergeburt eingerichtet . . . Warum aber diese Wiedergeburt nicht nur manchen Erwachsenen, sondern auch man chen Kindern geschenkt wird, anderen aber nicht, das sind die unerforschlichen Urteile Gottes; aber auch darin ist alles, was verborgen ist, doch gerecht" (Brief
2 Divjak. 3 1 7 ff und 325 ff). Auch für Augustinus ist alles Unheil in der Schöpfung aus dem freien Willen der Geschöpfe entstanden; Gott wußte dies voraus, und doch wollte er den Geschöpfen, zuerst den Engeln, dann den Menschen, die Freiheit der Wahl nicht vorenthalten; er wußte auch. wie er die Engelsünde durch die Erschaffung der Menschen und die Menschensünde durch das Geheimnis der Wiedergeburt wenigstens teilweise wieder gutmachen würde. "Gott, der im Anfang die Welt voller Güte gegründet hat, . . . hat nichts Besseres geschaffen als die Geister, denen er Verstandeskraft gab, damit sie ihn anschauen könnten . . . , da er für sie Leben und Lebenskraft ist. Er gab ihnen Willensfreiheit. so daß sie, wenn sie wollten, von Gott, ihrer Seligkeit, abfallen konnten. dann aber ins Elend gerieten . . . Auch den Menschen hat Gott mit derselben Willensfreiheit geschaffen . . . Obwohl er wußte. daß auch er . . . sündigen wUrde, wollte er ihm die Wahlfreiheit nicht vorenthalten ; er sah ja voraus, was er Gutes aus diesem Übel machen würde. Er sammelt nämlich aus dem sterblichen Geschlecht, das mit vollem Recht verdammt ist. durch seine Gnade soviel Volk, daß er damit den Teil der Engel, der zu Fall kam, ersetzen und wiederherstellen kann. Und so wird jene geliebte Stadt in den Höhen nicht um die Vielzahl ihrer BlIrger gebraCht; ja vielleicht wird sie sich sogar über eine noch größere freuen können" (Gottesstaat
xxn 1 , 1 .2).
Wie Origenes denkt Augustinus also vom ersten Anfang der Schöpfung her. Das allererste Werk Gottes ist jene geistige Schöpfung, die Augustinus in den
Confessiones (XII 1 1 . 12. 13) "das Haus Gottes" nennt (ebd. 15. 22), aber auch unsere "geliebte Mutter" (ebd. 16.23), also jene himmlische Gemeinschaft, Bürgerschaft, Stadt, in der die vorherbestimmten Menschen (Gottesstaat XX 15) das empfangen werden. was die gut gebliebenen Engel nie verloren haben (ebd. XXI] 1 , 1). Aber diese Menschen werden, so denkt Augustinus, nur die Lücken
füllen, die der Sturz der ungehorsamen Engel gerissen hat. Diese LUcken schließt Gott so wieder, und damit schließt sich der Kreis der Schöpfungsge-
GOlt a1s Arzt und Erzieher
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schichte. Augustinus scheint aber mit dieser fOlgerichtigen Darstellung doch nicht zufrieden zu sein. Er rechnet - und das ist vielleicht das Schönste an diesem ganzen gewaltigen Werk - wenigstens mit der Möglichkeit, daß die Gottesstadt am Ende viel reicher bevölkert sein wird als am Anfang. daß Gott die Menschen nicht nur als Lückenfüller verwendet, sondern sie um ihrer selbst willen in die Himmelsstadt führt. Mit diesem einen Gedanken. den Augustinus auch noch mit einem "vielleicht" einleitet. hat er doch grundsätzlich die Vorstel lung überwunden. Gott sei in erster Linie Schöpfer der Engel und nur in zweiter Linie Schöpfer des Menschen; von diesem "vielleicht" des Augustinus aus darf weitergedacht, darf all das zur Geltung gebracht werden, was wir bei ihm selbst und bei Origenes gelesen haben uber den Gott. der die Menschen liebt.
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Simonetti. Manlio (Übers.): I Principi di Origene (Classici delle religioni, sezione quarta: la religione cattolica) Turin: Verlag UTET 1968. 61 t S.; Ln 7500 Lit. Der Verlag UrET (Unione Tipografico-Editrice Torinese) hat damit begon nen, mehrere Reihen von "Klassikern" herauszugeben. Neben "Classici Latini", "C1assici Italiani" u. a. ist eine Reihe "Classici delle religioni" in Angriff genommen, in deren vierter, dem Katholizismus gewidmeter Sektion von zwei geplanten Origenesbänden, offenbar als erster der ganzen Reihe. der Band erschienen ist, der die Prinzipien des Origenes enthält. Von Origenes sollen noch die Gebetsschrift. die Ermahnung zum Martyrium, Gegen Celsus und Homilien erscheinen. Simoneui hat seiner mit reichen Fußnoten versehenen Übersetzung 100 Seiten Einleitung vorangestellt und ihr 45 Seiten Register beigegeben. Unter Berufung auf K. Müller und G. Bardy greift er die Textrekonstruktion, die P. Koelschau als Band V der Origeneswerke in den Griechisch-Christlichen Schriftstellern 1 9 1 3 vorgelegt hat, heftig an (25 f). Der Übersetzung des Rufinus gebühre mehr Glauben. Indirekt überlieferte Fragmente seien in den Text nur dann zu übernehmen, wenn sie sich eindeutig als wörtliche Zitate zu erkennen geben. Die von Koetschau vermutungsweise eingefügten Fragmente 4, 7, 15, 17 a, 23a, 25. 35. die Gregor von Nyssa. den Antiorigenistischen Anathematis men der Synode von 553. Antipater von Bostra und anderen entnommen waren. verweist Simonetti in die Anmerkungen. Wo Parallelüberlieferung vorliegt, wägt er sorgsam ab. so daß man in seiner Übersetzung eine neue Rekonstruktion in moderner Sprache vor sich hat. Den Titel der Schrift deutet Siffionetti als "trattazione su argomenti importanti di carattere teoretico"; arche sei nämlich nicht Grundlehre, sondern Seinsprinzip (28 f). Die Einteilung des Werkes in vier BUcherentspricht nicht seiner logischen Struktur, sondern ergab sich aus der damaligen Editionstechnik. Die drei ersten Bücher füllten jeweils eine Papyrusrolle, Buch IV ist kUrzer. Obwohl Origenes in der Einleitung ein organisch konzipiertes Werk verspricht. fallen Wiederho lungen und Abweichungen auf. 11 4-11 läuft 1 1-6 parallel, in 111 5 . 6 und rv 4 werden dieselben Fragen wieder behandelt. Simonetti sieht in groben Umrissen in den beiden erstgenannten Teilen Darlegungen auf verschiedener Ebene. I 1-6 bietet über den Vater. den Sohn, den Geist. die Welt Ausführungen. die Origenes als persönlichen Beitrag zu dogmatisch noch nicht entschiedenen Fragen ver standen hätte, n 4-L I dagegen stützte sich auf Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes. Der Abschnitt [ 7 - 11 3 sei eine analytische Darbietung der Lehren. die in I 5 . 6 schon mehr synthetisch geboten wurden. Der Hauptteil von Buch 111 (1-4) beschäftigt sich mit Fragen der Moraltheologie wie Freiheit des Willens
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usw., der Hauptteil des vierten Buches (lV 1-3) mit biblischen Fragen. Ill 5 . 6 und IV 4 aber seien zwei retractationes, mit denen Origenes auf Fragen und Mißverständnisse, die durch das Erscheinen von Buch I und 11 aufgetaucht waren, antwortete. Simonetti betont, man könne Origenes nur dann für einen Gnostiker oder hellenistischen Philosophen halten, wenn man seine übrigen Werke außer acht lasse und manche in dieser Schrift gemachten Äußerungen überbewerte. Nicht nur seine Lehre über den freien Willen und über die Schriftinterpretation seien von keinem Theologen des christlichen Altertums überboten worden, sondern auch seine Studien über die Dreifaltigkeit, nämlich über das Verhältnis von Vater und Sohn sowie über das Wesen des Heiligen Geistes. stellten eine Errungen· schaft für immer dar (43ff). Auf knapp 50 Seiten (45-92) gibt Simonetti einen klar gegliederten und gut verständlichen Überblick Ober die von Origenes behandelten Fragen und vertei· digt ihn Oberzeugend gegen manche spätere, auch moderne Verzeichnung. Die Behauptung z. B., die F. H. Kettler (Der ursprUng!. Sinn der Dogmatik des 0 Berlin 1966, vgl. ThRev 65 i 1969J 1 14ff) aufstellt, Origenes lasse die körperli· che Schöpfung sich im Endzustand auflösen, verhülle diese seine feste Meinung aber, indem er sie nur als Hypothese darstelle. hält Simonetti für unbewiesen. Die Zitate seien willkürlich herausgegriffen und überbewertet. Die Körperlich· keit der Geschöpfe im Endzustand und deshalb auch im Urzustand sei vielmehr eine Lehre, die Origenes nicht nur gelegentlich vortrage. um der kirchlichen Tradition genOgezutun. sondern sei notwendig verbunden mit seinen anderen Ansichten und in den Grundlinien seines Systems fest verankert (65-69). Simoneui behält bei seinen Erklärungen immer die anderen Werke des Origenes im Auge, so daß er die Relativität der hier vorgetragenen Meinungen zeigen kann. So hat etwa der dreifache Schriftsinn von IV 2,4 (Leib - Seele Geist der Schrift) nicht programmatischen Wert. da sonst von nur zweifachem oder auch von vierfachem Sinn der Schrift gesprochen werden kann (88 f. bes. Anm. und 502ff Anm. 27-32). Zum Beweis fUr die Vorläufigkeit vieler Thesen des Origenes beruft Simonetti sich auf Praef 3, wo Origenes betont. die Apostel hätten von manchen Dingen zwar die Existenz gelehrt, aber nicht ihren Grund und ihre Eigenart angegeben, damit die eifrigeren unter ihren Nachfolgern Gelegenheit hätten, sich geistig zu Uben und die FrUchte ihrer Begabung zu entfalten. Dazu bemerkt Simonetti. Origenes insistiere auf dem Charakter der Übung, der seiner Forschung zukom· me, deren Ergebnisse eher Vorschläge aJs endgültige Einsichten seien. Der nicht definitive, sondern nur provisorische Charakter der von Origenes vorgeschlage· nen Lösungen werde auch von Athanasius (decr. 27) hervorgehoben ( 1 2 1 Anm. 1 1). Origenes erklärt aber, er meine mit den Eifrigeren. die sich üben sollen. jene, die würdig und fahig sind, die Weisheit zu empfangen (ebd.). Soll aber Weisheit. deren nicht alle würdig und fähig sind und die für Origenes mit dem Logos, also mit der Wahrheit schlechthin identisch ist. sich darin erschöpfen, daß provisorische Lösungsvorschläge gemacht werden? .•
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Simonetti möchte Origenes nicht als ..Nachfolger" von Pantainos und Kle mens ansehen: Beide seien wie lustin in Rom private Lehrer des Christentums gewesen. Erst nachdem der vom B ischof Demetrius zum Katecheten ernannte Origenes die Glaubensunterweisung in zwei Stufen gegliedert hatte, habe es ein Didaskaleion im Sinne von kirchlicher Schule gegeben (94 Anm. 2). Simonetti meint, Origenes sei nicht aus Gründen der Lehre, sondern nur aus disziplinären Gründen von Demetrius verurteilt worden, weil dieser seine bischöfliche Auto rität durchsetzen wollte (96 Anm. 5). Die Übersicht über die Werke des Origenes trennt Simonetti von der nota biografica und gibt nur für wenige die Abfassungs zeit an (99-102). Simonettis Übersetzung der Prinzipien des Origenes ist flüssig und verständ lich und läßt den Leser nie im Unklaren. Zu fast allen auftauchenden Fragen bietet er Erklärungen und Literaturhinweise in den Fußnoten, die zusam men nicht viel weniger Umfang haben als der Text. An einigen Stellen ist des Guten etwas zuviel getan, so vor allem, wenn die jeweils erste Note eines Kapi tels nicht nur den Anschluß an das vorhergehende herstellt und eine Gliederung des nachfolgenden vorführt, sondern auch einen guten Teil von dessen Inhalt vorwegnimmt (z. B. 1 1 3 Anm. I ; 1 1 8 Anm. 1 ; 127 Anm. 1 � u. ö.). Viele Anmer kungen sind der Begründung der von Simonetti getroffenen Auswahl unter den Textzeugen gewidmet. Er bietet einen fortlaufenden Text, in den er alle Frag mente, die ihm würdig erschienen, eingearbeitet hat. Die Übersetzung folgt also zwar meist dem Rufin, aber an manchen Stellen auch dem Hieronymusbrief an Avitus oder dem Brief des Kaisers Justinian an den Patriarchen Menas und auf lange Strecken natürlich den Auszügen, welche die Philokalie der Heiligen Basilius und Gregor von Nazians bietet. Der Übersetzer hat wohl das Recht und die Pflicht, sich jeweils für einen Textzeugen zu entscheiden. aber Simonetti macht es dem Leser nicht leicht, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Ohne Anmerkungsstudium, das an manchen Stellen recht mühsam ist, weiß man nicht, wen man jeweils vor sich hat. In dieser Hinsicht war die Übersetzung von G. W. Butterworth (Origen, On first principle. New York 1966). die sich ganz auf Koetschaus Text verläßt, London 1936 vorzuziehen. Sie läßt durch zweispaltigen Druck bzw. durch die Überschrift sofort erkennen, ob die Stücke griechisch oder lateinisch überliefert sind. Auch wo Simonetti die Parallelen in den Fußnoten angibt, gelingt es nicht leicht, Übereinstimmung oder Unterschiede zu erfassen. Das Zweispaltensystem hätte mehr genützt; Simoneui hä.tte seine Entscheidung durch Großdruck oder Fett druck hervorheben kÖnnen. Die sehr ausführlichen Register (Namen. Sachen. Bibelzitate), die auf die Seitenzahlen verweisen. und die zahlreichen Hinweise auf andere Werke des Origenes und auf Literatur machen die Ausgabe zu einem nützlichen Arbeitsin strument. An vielen Stellen wird auch das sinntragende griechische oder latei nische Wort wiedergegeben. Wenn man aber mit einer anderen Ausgabe verglei chen will, tut man sich unnötig schwer. Auf beiden gegenüberliegenden Seiten wird überall nur das Buch angegeben, nicht das Kapitel. Statt Libro Secondo =
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häue man besser einfach beispielsweise 11 4 oder auch 11 4,3 über die Seiten gedruckt. Man bedauert es auch. daß Simonetti sich nicht entschließen konnte. den ganzen Text nach seinem Einteilungsprinzip zu gliedern. Da es sich nicht um eine Textausgabe handelt, sondern um eine Übersetzung, die allerdings mit äußerster textkritischer Sorgfalt gearbeitet ist, wäre das - bei Angabe der traditionellen Einteilung etwa auf dem unteren Rand - zu verantworten gewe sen. Dann hätte sich der Gliederungsvorschlag bewähren können, so aber ist er in der Einleitung vergraben. Ob sich Simoneui und der Verlag der Hoffnung hingeben. der ganze Band würde von der ersten bis zur letzten Seite gelesen? Verdienen würde er es. Jedenfalls wird man die Prinzipien des Origenes nicht mehr zitieren dürfen, ohne Simonettis Urteil jeweils zu berücksichtigen, so daß man die Revision mancher Positionen erwarten darf.
Commento al Vangelo di Giovanni di Origene. herausgegeben und übersetzt von Eugenio Corsini. (Classici della Filosofia) Turin : UTET 1968. 975 S.; Ln 12500 Litln der Reihe der philosophischen Klassiker der UTET ist nach der Kritik der Reinen Vernunft von Kant und einem Band mit Werken von Leibniz als dritter - wobei die Reihenfolge aber zufallig ist - der Johanneskommentar des Origenes erschienen. Augustins Gottesstaat, die Theologische Summe des Aquinaten und eine Auswahl aus Werken des Kusaners sind ebenfalls fUr diese Reihe vorgesehen, so daß das Werk des Origenes wohl in die Serie paßt. Corsini hat dafur die erste vollständige Übersetzung in einer modernen Sprache geschaf· fen, die auch alle Fragmente bietet. Corsini stützt sich auf die kritische Textaus gabe von Preuschen (GCS Origenes IV 1903), die er aber gelegentlich verbes sert, und zieht die Teilübersetzungen von R. Gögler (Origenes. Das Evangelium nach lohannes, Einsiedeln 1959), A. Menzies (Origens Commentary on the Gospel of John, Book 1-10; The ante·nicene Fathers. Michigan USW 1965) und Corsini Blanc (Origene, Commentaire sur Saint lean. livres 1-5, Sources Chretiennes, Paris 1966) zu Rate. Corsinis Einleitung umfaßt rund 100 Seiten und befaßt sich mit Leben und Werken, vor allem aber mit den philosophischen Anschauungen des Alexandri ners. Seine Logos- und Trinitätstheologie werden mit Blick auf griechische Philosophie und Gnosis ausführlich und übersichtlich dargestellt. Das System des Gnostikers Valentinos wird detailliert vorgeführt. weil es fUr das Verständnis der von Origenes überlieferten und bekämpften Exegesefragmente des Gnosti· kers Herakleon zum Johannesevangelium den unerläßlichen Hintergrund bildet. Corsini beginnt und beschließt seine Einleitung mit einem Überblick über den Werdegang des Origenes. Er hält ( 1 0 und 103) an der Vorstellung, daß Origenes als Leiter des Didaskaleion von Alexandrien der Nachfolger des Klemens geworden sei. fest, ohne aber in die Diskussion einzutreten. Nun findet diese
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Auffassung, wie auch Simonetti bemerkt (94 Anm. 2), eine gewisse Stütze in Eusebs Kirchengeschichte. Was Corsini aber über die Beauftragung des Hera· klas sagt. widerspricht eindeutig den Nachricbten des Euseb. Nach Corsini hat Origenes den Grammatikunterricht seinem Freund und Schüler Heraklas Ober· tragen und sich nur noch der Unterweisung der Fortgeschrittenen gewidmet, als ihm von Demetrius die Leitung der Schule übertragen worden war. Hier ver· wechselt Corsini zwei ganz verschiedene Dinge, nämlich den Grammatikunter· richt und die Unterweisung der Anfänger in der christlichen Lehre. Die zweite übertrug Origenes dem Heraklas, aber offenbar erst eine Weile (Euseb, h. e. 6, 15) nachdem er selbst sich auf die Ernennung durch Demetrius hin ganz der Theologie und Katechese gewidmet und den Grammatikunterricht als mit den heiligen Wissenschaften unvereinbar aufgegeben hatte (h. e. 6, 3, 8). Davor schon waren, als er noch Grammatik lehrte, Heiden zu ihm gekommen, um das Wort Gaues zu hören, weil in ganz Alexandrien niemand mehr der Katechese oblag (h. e. 6. 3, I). Die Ernennung durch den Bischof war also nur die offizielle Anerkennung einer Arbeit. die Origenes. der Not der Verfolgungszeit entspre· chend, auf sich genommen hatte. Diese kirchliche Beauftragung veranlaßte ihn dann aber, sich dieser Aufgabe ganz ausschließlich zu widmen, mit dem Erfolg, daß die Zahl der Schüler immer mehr wuchs und eine Aufteilung des Unterrichts nötig wurde (h. e. 6. 15). Man könnte sagen. das seien allenfalls Kleinigkeiten, die für das Bild des Origenes nichts hergäben. Mir scheinen diese kleinen Unterschiede aber nicht unwichtig. Bei Euseb tritt Origene.� nämlich nicht auf als ein Mann, der große Pläne entwirft und sie dann kühn und konsequent in die Tat umsetzt, sondern als einer, der die sich ergebenden Notwendigkeiten des Gemeindelebens erkennt und ihnen gerecht zu werden sucht. So ist auch sein Kontakt zur Philosophie zu beurteilen. Corsini behauptet mehrmals. Origenes habe in der Philosophie die zuverlässigste Verbündete im Kampf gegen die Gnosis erkannt ( 1 1 u. 17 u. ö.). Origenes aber erklärt in einem Brieffragment (h. e. 6, 19, 12). er sei. weil immer mehr Häretiker und Heiden, auch Philosophen. zu ihm kamen. einfach genötigt gewesen. sich auch mit deren Lehren zu beschäftigen. Er hat also die Philosophie studiert, um mit den Philosophen, die Gnosis. um mit den Häretikern ins Gespräch zu kommen, aber nicht die eine als Waffe im Kampf gegen die andere gesucht. Daß er sich der Philosophie tatsächlich bedient. soll natürlich nicht bestritten werden. So sehr eS stimmt. daß Origenes eine ungeheure und einmalige Arbeit geleistet hat, um den Urtext der Heiligen Schrift zu erfassen ( 10), so soUte man doch immer darauf hinweisen, daß er den in den Kirchen tradierten Text auch dort verteidigt, wo er vom hebräischen AT abweicht. In seinem Brief an Africa· nus (Nr. 4 PG 1 1, 58/59) wehrt er sich ganz entschieden gegen das Ansinnen. die im kirchlichen Gebrauch befindlichen Bibelhandschriften durch originalge treue NeuUbertragungen zu ersetzen. Das hieße, die Vorsehung, die besonders über der Kirche wacht. leugnen. Corsini bettet die Trinitätslehre des Origenes überzeugend in die mittelplato· nischen Spekulationen über den ersten und den zweiten Gott ein. Daß der logos
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endiathetos der Logos in sich selbst und der logos prophorikos der aus sich selbst hervortretende Logos sein soll, ist doch wohl ein Versehen (33). Für den Subordinatianismus des Origenes sollte man nicht nur die Philosophie verant wortlich machen (41), die Weisheitsliteratur des AT drängte in diese Richtung und Joh 14,28 (Der Vater ist größer als ich) war von erheblichem Gewicht (v gl. Jo. 13,25 ( 1 5 1 ) ; 13,37 (237); 32,29 (362f), auch wenn Origenes seinen Kom mentar nicht so weit fortgeführt hat. Corsinis Neigung, den Einfluß der hellenistischen Geisteswelt auf Origenes überzubetonen. zeigt sich auch in seinen sehr lehrreichen Ausführungen über die Exegese. wo er den Einfluß der allegorischen AT-Exegese, wie Origenes sie in den Paulusbriefen fand, weit hinter Philo, Plutarch und Aristarch zurücktreten läßt (45-52). Der lohanneskommentar allein reicht als Basis zur Lösung des Problems der verschiedenen Schriftsinne bei Origenes nicht aus, aber es lassen sich die Elemente seiner Konzeption darin finden. Daß die Heilige Schrift einen mehrfachen Sinn hat, ist für Origenes nicht in einer anthropologischen Analogie begründet, wie man aufgrund von princ. IV 2,4 meinen könnte (v gl. Simonetti zur Stelle), aber auch nicht in einer christologischen Analogie. wie Corsini (54) insinuiert. Der moralische Sinn ist nicht nur für die progredienles (es sei denn, alle Lebenden würden als solche angesehen), sondern für alle. die aus der Bibel entnehmen wollen, was sie tun sollen. Der geistliche Sinn dagegen vermittelt Einsicht in Gottes Heilshandeln. Theorie und Praxis werden von Origenes immer scharf auseinandergehalten, z. B. Jo. 1. 1 6 (91) u. 6, 19 ( 103). Zu der ersten Stelle verweist Corsini auf H. Koch (Pronoia und Paideusis, Berlin 1932, 80), der in dieser Frage ein Schwanken, wo nicht einen Widerspruch bei Origenes zu entdecken meint. An der herangezogenen Stelle des comm. in Mt. 16,7 macht Origenes für Christus selbst einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis, wobei die Theorie sich als Frucht der Praxis ergibt. An der zweiten genannten Stelle des Jo. scheint es umgekehrt zu sein. da folgt das rechte Tun der rechten Einsicht. Aber das ist kein Widerspruch. Das gute Handeln. das den Menschen langsam (vgl. Jo. I , 16 (91» zur tiefen Erkenntnis fahig macht. kann seinerseits nicht blind erfolgen, sondern muß Frucht einer ersten Erkenntnis sein. Eben das ist der moralische Sinn. Der pneumatische dagegen ist die tiefe Einsicht, zu der man nach langem gutem Handeln reif wird. Corsini verweist in diesem Zusammenhang (55 Anm. 212) auf Jo. IO, 28 ( 1 74), ohne aber etwas mit der Stelle anzufangen. Dort heißt es, die heiden Jünger. welche die Eselin losbinden. auf der Jesus dann in Jerusalem einreitet, seien Interpreten des AT, die seinen Buchstaben losbinden. wobei der eine das AT für die Therapie der Seele auswertet. der andere die zukünftigen und wahrhaftigen Güter durch die nur schattenhaften herausstellt. Das sind die beiden über den wörtlichen Sinn hinausgehenden Interpretationen. die moralische. durch welche die Seele geheilt und vervollkommnet wird. d.h. weitgehend durch das eigene gute Tun, und die geistliche, nämlich die Erkenntnis der zukünftigen wahren Heilsgüter. Dieser letzte Sinn kann sich dann weiter differenzieren. ob nach Christus, der Kirche oder der Vollendung gefragt wird. Für Origenes gibt die Schrift so viele Antwor·
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ten, wie das Heilsverlangen der Christen Fragen stellt. Die verschiedenen Sinne der Schrift ergeben sich aus den verschiedenen sotcrioJogischen Notwendigkei4 ten. Corsini stellt mit Recht fest. daß Origenes in den letzten Büchern seines Jo. (erhalten sind Nr. 28 und 32, das bis Joh 1 3 . 3 3 reicht; weiter scheint Origenes nicht gekommen zu sein) anders exegesiert als in den ersten. Er faßt sich nicht nur viel kürzer, er befaßt sich auch mehr mit dem Wortsinn und den moralischen Anwendungen. Corsini fragt sich, ob der Grund dafür im Mangel eines stimu4 lierenden häretischen Kommentars. im vorgerückten Alter des Origenes oder im Verdruß an einem Werk. das sich schon zu lange hinzog, zu suchen sei. Man wird aber wohl nicht fehlgehen. wenn man einen anderen Grund annimmt. nämlich die Seelsorger4 und Predigertätigkeit. die Origenes in Caesarea leistete und die ihn auf andere Probleme hinlenkte als die Professorentätigkeit in Alexandrien, wo er den Kommentar begonnen haue. Besonders seien Corsinis stilistische Bemerkungen hervorgehoben. die aber mehr als nur den Stil des Werkes ins Auge fassen. Origenes habe vermutlich mehr von Rhetorik verstanden. als man bisher anzunehmen geneigt war. Seine Gedanken4 und Bi lderwelt stamme weitgehend aus der Bibel; sie sei ihm nicht nur Forschungsgegenstand, sondern sie erfülle auch sein Herz und seine Phan tasie (99). Aufgrund dieser Einsicht sollte man sich dann aber hüten, den Einfluß der Philosophie so stark zu betonen, wie Corsini das tut. Auch die reichen kommentierenden Noten, die sich manchmal zu Exkursen auswachsen, beweisen, wie beschlagen Corsini in der spätantiken Philosophie ist. Zu bedauern ist, daß, wohl durch den Charakter der ganzen Reihe begründet, andere wiChtige Themen, etwa Kirche. SUndenvergebung usw. zurücktreten müssen. In einigen Fällen wird man Widerspruch gegen Corsinis Übersetzung anmelden können. Wenn er etwa aUj.lßEßrJi!:O'to nEQlOl'QnXa ( 1 0, 1 2 (66)) mit ,.qualcosa di male, ehe tuttavia sopraviene agli uomini in modo accidentale" tibersetzt, macht das einen zu scholastischen Eindruck. :r\J�ßEßTlx6; ist nicht nur das Akzidenz. sondern kann geradezu das Charakteristikum bedeuten, wie die Sterblichkeit fUr den Menschen (vgl. Liddell4Scoit 9. Aufl. s. v.). Im Text ist aber wohl keine technisch4philosophische Bedeutung gemeint, das Partizip ist mit dem Dativ konstruiert. Es wird also an die Grundbedeutung des Verbs zu denken sein. Vielleicht also: Weil es aber den Menschen zugestoßen ist, sich in einer allgemeinen Unheilslage zu befinden ... 10, 36(238) sagt Origenes, die Kirche werde in der Vollendung so gestaltet sein, daß die geringeren Glieder mehr Ehre besitzen als jetzt, damit keine Uneinigkeit mehr herrscht. Wenn ein Glied E\ma8ELOv EXEl, erginge es allen so. Corsini übersetzt (435): ,.se un membro soffre, tutte ... soffrano." Aber f.una8Elo ist das Gegenteil von Leiden; in der Vollendung kann es auch kein Leiden mehr geben. 28, 7 (54) ist die Rede von den ÖEo�oL l'f); vExQ6l'11'tOc.;, die der wie Lazarus aus seinem Stindentode Erweckte noch trägt. Corsini Ubersetzt (698), "vineoli della monalila". Es geht aber nicht um die menschliche Sterblichkeit, sondern
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um den Todeszustand dieses Menschen . In demselben Paragraphen sollte unbe dingt die von J. Grotz (Die Entwicklung des Bußstufenwesens in der vomicäni sehen Kirche. Freiburg 1955, S. 305) vorgeschlagene Korrektur E:v uirtcp statt flEv ai,,:q, angenommen werden. Dann forden Origenes diejenigen, die sagen können: Verlangt ihr etwa einen Beweis dafür, daß Christus in mir spricht? nicht dazu auf, sich so zu verhalten. daß Christus z u i h n e n sagen kann: Lazarus komm heraus! sondern daß er d u r c h s i e ( i n i h n e n) anderen (nämlich den SOndern) das Erweckungswort zurufen kann. Der Unterschied im Sinn ist erheblich. Corsinis Übersetzung stellt im ganzen eine bedeutende Leistung dar, die der Origenesforschung wertvolle Dienste leisten wird. Sie ist klar und angenehm zu lesen. Der ganze Band ist leicht zu handhaben, weil Corsini die Para· grapheneinteilung von Preuschen zu der Buch· und Kapiteleinteilung abdruckt und außerdem die Kapiteieinteilung der älteren Ausgaben wiedergibt. Reiche Register erschließen das Werk. Zu bedauern ist, daß die beiden Arbeiten von Corsini und Simonetti nicht aufeinander Bezug nehmen, beide hätten davon gewinnen können. Es sei noch hervorgehoben, daß die Klassikerbände der UTET sehr sorgfältig auf bestem Papier gedruckt, haltbar in Ganzleinen gebunden sind und einige Manuskripte wiedergebende Tafeln enthalten. Der Preis erscheint nicht zu hoch. Das italienische Publikum ist um ein solches Angebot zu beneiden. =
Zwar liegt die Münchner Habilitationsschrift von Wilhelm Gessel, Die Theolo· gie des Gebetes nach De oratiolle von Origenes (München, Paderborn: Schö· ningh), schon seit 1975 gedruckt vor und hätte längst in einer Rezension vorgestellt werden sollen, nun aber besteht die Möglichkeit, sie mit einer anderen Monographie und zwei Obersetzungsbänden zusammen zu besprechen und so für deutsche Origenesarbeiten etwas mehr Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Gessel erhebt nicht nur die Gebetstheologie des Origenes aus der Gebets· schrift, sondern würdigt diese im ersten und längsten Kapitel ausführlich als literarisches Werk, greift andererseits über sie hinaus und zieht vor allem das polemische Werk des Origenes gegen den heidnischen Philosophen Kelsos mit heran, weil darin Fragen zum Gebet behandelt werden, denen sich Origenes in seiner Antwort an seine beiden gebildeten christlichen Freunde Ambrosius und Tatiant nicht zu stellen brauchte. Andererseits macht Gessel durchaus nicht den Versuch, aUe Aussagen des Origenes über das Gebet. die uns erhalten sind. zusammenzutragen oder gar systematisch darzustellen. Er ist vielmehr davon überzeugt, daß die Gebetsschrift nicht nur literarisch eine Sonderstellung im Gesamtwerk des Origenes einnimmt und daß Origenes selbst nicht die Absicht hatte, Harmonie zwischen dieser Schrift und seinen Homilien oder Kommenta· ren herzustellen. Ja, Gessel findet bei Origenes. sogar innerhalb der Gebets·
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schrift selbst. eine Inkonzinnität" , die er "dem assoziativen und allegorischen Denken des Alexandriners" zuschreiben möchte eS. 1 34). Da könnte man fragen. was mit ..allegorischem Denken" gemeint ist. Origenes ist zweifelsohne ein Meister der Allegorese. deswegen aber. weil er selbst im Grunde begrifflich äußerst nüchtern denkt; er allegorisiert vorgegebene Texte. trägt aber selbst keine Allegorien vor. Man könnte auch an der "Inkonzinnität" zweifeln, die nach Gessel selbst nur darin besteht, daß Origenes seinen Grundsatz, nur Gott dem Vater gebOhre die proseuche (Anbetung), in Gefahr bringt, wenn er das Gebet nach Osten fordert. weil "die Seele zum Aufgang des wahren Lichtes hinsehen" soll (or. 32). Die Gebete, die man immer nach Osten gewendet sprechen soU. selbst im Hause lieber mit Blick gegen die Wand als mit dem Blick zum Himmel in eine andere Richtung. in die nun mal die TUe zeigt, nennt Ongenes nur euchai und enteuxis; die proseuche, die nur dem Vater gebührt, wäre da also nicht gemeint. Während hiermit schon ins 5. Kapitel (,Das Gebet. wie es sich geziemt") vorgegriffen wurde, findet sich das angesprochene Hauptproblem, ob die proseuche ("Anbetung" gibt das Wort nur unzulänglich wieder) auch an Christus zu richten sei, im 2. Kapitel Ober die Arten des Gebetes behandelt. Bitte (deesis). Fürbitte (enteuxis) und Danksagung (eucharistia) können und sollen sich auch an Heilige, erst recht an Christus wenden (ar. 14 , 6 ; S. 94), anbetend (proseuchein) aber darf man sich nur an den Vater wenden, allerdings durch den Hohenpriester Christus (or. 15. 1 ; S. 96). Gessel macht darauf aufmerksam, daß Origenes proseuchein nachdrücklich von proskynein (kniefällig verehren) un terscheidet (or. 15,3; S. !OO) und die Proskynese Christus zubilligt; so lasse die Mittlertätigkeit Christi beim Gebet einerseits die heilsgeschichtliche Stellung des Menschgewordenen erkennen, andererseits die "moralische Subordination des innergöttlichen Logos unter den Vater", fur welche die "ontisch-ousiologi sche Gleichordnung von Vater, Sohn und Geist . . . geradezu Voraussetzung" sei (S. 99 f). Gessel zieht aus der Schrift gegen Kelsos (5, 4) die Stelle heran, wonach man auch an den Logos die proseuche richten soll. wenn man .,zwi schen dem rechtmäßigen Gebrauch und dem Mißbrauch des Gebetes zu unter scheiden" vermag (S. 96 Anm. 68). Träfe die Übersetzung dieses Abschnit tes (von P. Koetschau in der BKVl lI. S. 1 1) zu, wäre die an Christus gerichtete proseuche ein Mißbrauch. Aber kyriolexia bedeutet nicht "rechtmäßiger Ge brauch", sondern "Rede im eigentlichen Sinn"; dann darf man katachresis hier auch nicht mit "Mißbrauch" wiedergeben, sondern mit ..Ausdruck im uneigentlichen Sinn"; man muß also nach Origenes "zwischen dem Aus druck Anbetung im eigentlichen und im abgeleiteten Sinn unterscheiden" (vgl. M. Borret, Sources Chretiennes 147. S. 23: ..discerner entre le sens abso lu el le sens relatif du mot supplication"). Daß Origenes so verstanden wer den will. geht auch aus der von Gessel nicht herangezogenen Stelle (Gegen Kelsos 8. 26) hervor: ..Die Anbetung ist allein an den höchsten Gou zu rich ten; man muß gewiß auch den Eingeborenen und Erstgeborenen aller Schöp fung. den Logos Gottes, anbeten und ihn bitten. das Gebet . . . zum Vater zu tragen." ••
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Über den auf P. Nautin (Origene Cl I ' anaphore eucharistique, in: ders., Lettres el 6crivains du 2" el 3' siecles. Paris 1961. 221-233) gestUtzten Vorschlag von M. Borret (a. 8. 0.), in der dem Vater reserviertenproseuchedas liturgische Gebet zu sehen. wäre wohl ernsthaft nachzudenken. Gessel hat das Gemeindliche und Liturgische des Gebetes nicht ins Auge gefaßt, entsprechende Stichwörter sucht man in seinem Index vergeblich, wenn er auch im Zus ammenhang mit der .'präsenz der entschlafenen Heiligen" die Ortskirche nennt (S. 198 f). Nachdem das Verhältnis des Gebetes zu Christus schon im 2. Kapitel behan delt wurde, sind dem Vater und dem Geist die Kapitel 3 und 4 gewidmet; Kapitel 6 befaßt sich mit dem Problem von (Bitt-)Gebet und Vorsehung, das für Origenes seine Lösung durch das uneingeschränkte göttliche Vorauswissen findet, auf grund dessen Gott schon alles vorausbeschlossen hat. Im 7. Kapitel interessiert besonders der Abschnitt über das Gebet für Kaiser und Reich, wonach (vgl. Gegen Kelsos 8, 7 3 ft) Origenes schon tastende Schritte auf dem Wege tat, den die Kirche dann nach 3 1 3 entschlossen beschrinen hat. Daß die Heiligen, die Engel, der Logos. ja Gott selbst dem aufrichtigen Beter nahe sind, wird als .Nutzen des Gebetes" dargestellt, aber darauf hingewiesen, daß von einer Gebetsmystik bei Origenes keine Rede sein kann (S. 212). Im 9. Kapitel (Die Erhörung des Gebetes) sei besonders auf den Abschnitt 3 (Das Gebet im Namen Jesu) hingewiesen, wo Gessel überzeugend nachweist, daß Origenes trotz von etlichen Forschern vertretener gegenteiliger Meinung jegliche magische Ver wendung des Namens Jesu ablehnte, wenn ihm auch bekannt war, daß die Heiden die Namen der Stammväter magisch gebrauchten (S. 243). Das unabläs sige Gebet (Kap. 10) hält Origenes für möglich, weil es durch Herausnahme aus dem kultischen Zusammenhang "entgrenzt" ist und so das ganze Leben des Christen zum Gebet werden kann (S. 249). Bei der ausführlichen Inhaltsübersicht (S. 35-42), CUr die man dankbar ist. stutzt man gelegentlich. So heißt es zu xxvn, 6, der einfachere Christ möge sich mit den einfacheren Lehren zufriedengeben. Origenes formuliert aber keine Aufforderung dieser Art. Nachdem er am Ende von Abschnitt 5 festgestellt hat, daß es Unterschiede gibt zwischen den Vollkommensten und den Einfacheren, erklärt er, der Einfältige, der zwar schwierigere Fragen nicht versteht, aber auch keine falschen Gedanken hegt, sei dem Klügeren vorzuziehen, der zwar schwie rige Glaubenslehre erfaßt, aber nicht den Gesamtzusammenhang wahrt. Schon bei der Untersuchung der sprachlich-stilistischen Eigenart hebt Gessel die Bemerkung des Origenes über "das. was den Vielen verborgen ist" hervor und schließt daraus: "Der großen Menge ist und bleibt die Bedeutung unverständlich . . . Origenes unterscheidet klar zwischen den Vielen und den wenigen Einsich tigen" (S. 24). Mir scheint, daß die kurze Bemerkung diese weittragenden Folgerungen nicht trägt. Origenes sagt XXIX, 4: "Und wenn wir nicht das, was den Vielen verborgen ist, verstehen, bezüglich der Bitte, nicht in Versuchung zu kommen, müssen wir sagen, daß die Apostel in ihrem Gebet nicht erhört wurden, da sie Unzähliges erlitten haben . . . " Origenes selber hat erkannt, daß man nicht sagen darf. die Apostel seien nicht erhört worden, und will dies nun auch seinen •
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Adressaten erklären. Dabei geht es um keine besonders schwierige BeweisfUh· rung, sie ist auch nicht ihrer Natur nach geheimzuhalten. Ja, sie ist eigentlich für jedermann wichtig. denn: "Wenn die Apostel nicht erhört wurden, was gibt es dann für die Geringeren für eine Hoffnung auf Erhörung?'" Dann führt Origenes des längeren aus, daß das ganze Leben eine Versuchung ist und kommt zu dem Ergebnis: "Wir sollen nicht bitten, daß wir nicht erprobt (versucht) werden. sondern daß wir nicht in die Versuchung verstrickt werden wie die. welche von ihr fest gehalten und besiegt werden" (29, 1 1). Soll dies etwa der großen Menge verborgen bleiben? Auch in der an besonders gebildete Adressa ten gerichteten Gebetsschrift erklärt Origenes: .Es erscheint mir nicht unsinnig. einige von jenen rSchriftstellen] heranzuziehen, um jede Verwirrung von denen wegzunehmen, die wegen ihres Mangels an B ildung, soviel an ihnen liegt. den über allem [waltenden] Gott in einem kleinen und engen Raum eingeschlossen sein lassen" (23, 3). Natürlich sind nicht Ambrosius und Tatian� solche Unge· bildete; auch in dieser scheinbaren Privatschrift hat Origenes sehr wohl "die Vielen" im Auge. Er schließt sie nicht aus; er tut alles, sie aus ihren falschen Gouesvorstellungen herauszuholen. Die Homilien, die auch die einfaltigen Gläubigen ansprechen, gehen ebenso keiner schwierigen exegetischen Frage aus dem Wege und fordern (sicher manchmal vergeblich) ein hohes Maß an Mitden· ken seitens der Zuhörer. Diese Arbeiten sollten einmal stilistisch untersucht werden, wie Gessel das dankenswerterweise für die Gebetsschrift getan hat. Es würde dabei u. a. die sprachliche Meisterschaft des Origenes deutlich werden, der seine Sätze so zu formen weiß, daß er die einzelnen Wörter des behandelten Bibeitextes im sei ben Casus in seine Ausführungen eingliedern kann. W. Gessel hat gezeigt, daß es sich lohnt. eine einzelne Schrift eines Kirchenvaters mono· graphisch zu behandeln; das sollte Schule machen. 2. Lothar Lies eröffnet mit seiner Würzburger Doktorarbeit Wort und Eucha ristie bei Origenes. Zur Spiritualisierungstendenz des Eucharistieverständnisses (Innsbruck 1 978) eine neue von Professoren der Theologischen Fakultät im Tyrolia·Verlag herausgegebene Reihe. Schon die Seitenzahl (362) und der Klein- bzw. Kleinstdruck lassen erkennen, daß reiches Textrnaterial verarbeitet ist. das leider nicht durch ein Stellenverzeichnis erschlossen wird; die christliche Tradition vor Origenes, j a Philo von Alexandrien werden ausführlich behandelt. Ebenso umfangreich ist der Katalog der Fragen, die an die Texte gestellt werden. Allerdings läßt schon das Inhaltsverzeichnis den Eindruck aufkommen. der sich dann bei der Lektüre bestätigt, daß nicht vom verzweigten Sakramenten· und Eucharistieverständnis des Origenes her die Begrifflichkeit und die Systemati· sierung gewonnen sind. sondern von einem festgelegten modernen Interesse her Origenes aufgezwungen werden. Das ist bei dem Aufriß von Teil I (S. 37) ganz deutlich; auch die Spiritualisierungstendenz des Origenes. nach der erst gefragt, die erst bewiesen werden sollte, steht schon am Ende der Untersuchung des vororigenischen Materials fest (S. 36). Ein wichtiger Text stammt aus der Schrift gegen Kelsos (8, 57): . Wir aber legen die Lehre über die Danksagung klar dar (t)�EL; öt; 'tQa.VOÜV'CEC; '[ov 1tEQi. •
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EuxaQw"tia� AOYOV) und sagen, daß wir nichts Undankbares tun, wenn wir . . . sie [die Dämonen] nicht durch Opfer ehren." Lies übersetzt die Stelle (5. 14 und 88) so: "Wir wissen allerdings genau, was Eucharistia bedeutet" und bietet in Umschrift: ton per; eucharistias logon. Abgesehen davon, daß tQuvoüv nicht "genau wissen" sondern "erklären". ..deutlich machen" bedeutet, ist der Sinn richtig erfaßt. S. 4 1 Anm. 26 wird derselbe Text griechisch abgedruckt, aber ohne das 1tEQ'" und S. 16 in Umschrift: ton logon tes eucharist as i wiedergegeben und so übersetzt: "Wir wissen allerdings genau den Grund der Eucharistie"; Anm. 27 sagt dazu: .Logos kann hier nicht ,Wort' heißen. sondern ,innerer Grund· . Logos peri kann natUrlieh nicht ..innerer Grund" sein; will man so übersetzen, muß man das peri weglassen. Tut Lies das absichtlich, oder hat er aufS. 16 schon vergessen, was er auf S. 14 wußte? In einer patristischen Untersuchung kommt es doch wohl darauf an, den Sinn einer Aussage sorgfältig zu erfassen. Dann aber wundert man sich, daß Lies in 19n. Eph. 20, 2 (Ganz besonders, wenn der Herr mir offenbart, daß ihr Mann für Mann, alle gemeinsam . . . zusammen· kommt in einem Glauben und in Jesus Christus, . . . um dem Bischof und dem Presbyterium . . . Gehorsam zu bezeigen und ein Brot zu brechen . . . ) den Gedanken findet, "daß jeder in seinem Stand diesen kultisch·liturgischen Dank vollziehen soll" (S. 87). Lies kommt auch auf die Eucharistiedarstellungen des Justin ( 1 . Apo!. 65 und 67) zu sprechen. Dort kommt das Wort prospheresthai (heranbringen) dreimal vor, das Substantiv prosphora übrigens nicht. Justin berichtet: "Sodann [nach dem allgemeinen Gebet und dem Bruderkuß) wird dem Vorsteher der BrUder Brot und ein Kelch mit Mischwein gebracht" (prosphere tai: 65,2); ähnlich 67,5: "Und wenn wir mit dem Gebet aufgehört haben, wird Brot und Wein und Wasser herbeigebracht (prospheretai), und der Vorsteher sendet Gebete und Danksagungen . . . empor". Zuvor berichtet Justin vom Alltagsleben der Christen: .Bei allem aber, was wir zu uns nehmen (prosphero· metha), segnen (eulogoumen) wir den Schöpfer des Alls" (67,2)! Prosphero ist also ein ganz neutrales Herbeibringen; prospheromai bedeutet: ich fUhre mir zu (wenn man so will), ich nehme zu mir. Lies dagegen findet, "daß sowohl bei der ersten Danksagungsweise (eulogia) der Begriff prosphora auftaucht, wie auch bei der zweiten. sakramentalen Danksagungsweise prospherein vorkommt, "so daß beide Wortgeschehen eine Opferdimension aufweisen und die Gaben als Naturdarbringungen oder als sakramentale Darbringung bestimmen" (S. 87). Solche Fehlübersetzungen finden sich nicht einmal bei früheren erbitterten Verteidigern des "Opfercharakters" der Messe. Mit Tex.ten des Origenes geht Lies ähnlich um. Comm. i" Mt. XI, 19 hebt Origenes die Unterschiede im Bericht von der ersten (Mt 14, 14-2 1 ) und der zweiten Brotvermehrung (Mt 15, 32-38) hervor: "Dort [Mt 14, 19J befiehlt er der Menge, sich auf das Gras zu lagern, nicht sich hinzustrecken. hier aber befiehlt er nicht, sondern gebietet der Menge sich hinzustrecken. Wiederum sagen dort die drei Evangelisten mit denselben Worten, daß er die fünf Brote und die zwei Fische nahm, zum Himmel aufschaute und segnete (eulogesen), hier aber . . . sagte Jesus Dank (eucharislesas) und brach . . . " (GCS X, 68,2-9). ..
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Lies bemerkt nicht den Vergleich, den Origenes zwischen den Berichten macht (daß es sich um Texte handelt, ist dabei ausschlaggebend), läßt das "dort", mit dem er nichts anzufangen weiß, weg und übersetzt das enrhade. das er sogar in Umschrift hinsetzt, mit ..dann": "Indem er zum Himmel aufblickte, segnete er; dann aber brach er sie unter Danksagung". Daraus folgert er dann: "Der Eulogie Christi über die Brote folgt die Eucharistie Christi. Das eucharisrein stellt sich als worthafte Rückvermiulung des Segens (der Eulogie) Christi an Gott heraus" (S. 90). Origenes dagegen hat eulogein und eucharislein nicht in einem Gesche hen nacheinandergestellt, sondern der zweite Brotvennehrungsbericht übertrifft in allem den ersten. Damals haUe man nur fünf Brote, jetzt sieben; damals war die Menge nur einen Tag bei Jesus, jetzt drei; damals geschah die Speisung in der Wüste, jetzt auf einem Berg; damals ging die Initiative von den JUngem aus, jetzt von Jesus selbst (com",. in MI. XI, 19). Demnach wäre die Segnung (eu/ogia) von damals etwas Geringeres als die Danksagung jetzt; das sagt Origenes nicht ausdrücklich, man könnte es aber in der Richtung seiner Äuße rungen finden. Was Lies folgert, hat dagegen im Text keine Grundlage. Im selben Matthäuskommentar (XI, 14) sagt Origenes zu Mt 15, 10 (Nicht was in den Mund hineinkommt usw.), woran er merkwürdigerweise eine Darle gung über die Eucharistie anknüpft: ..... die geheiligte Speise . . . wird gemäß dem darüber geschehenen Gebet gemäß der Analogie des Glaubens (Röm 12.6) nützlich und zur Ursache (aition) tiefer Einsicht des Verstandes, der auf das schaut, was nUtzt" (5. 58,2-7). In Röm 16,6 ist von der ,,Prophetie gemäß der Analogie des Glaubens" die Rede; es ist also ein Wortgeschehen, das die Analogie des Glaubens einhält. So wird Origenes die Analogie des Glaubens wohl auch mit dem Gebet über die Speise und nicht mit dem Nützlichwerden verbunden haben. Lies aber übersetzt: "Gemäß dem über das Brot geschehenen Gebet wird es nach der Analogie des Glaubens nützlich und fordert [sief] eine tiefere Durchsicht . . . " (S. 99) und folgert daraus: "Um die Wirksamkeit des Sakramentes zu verstehen. sind noch andere Gesichtspunkte des christlichen Glaubens miteinzubringen. Damit ist die Zeichenfunktion der Eucharistie in Frage gestellt" (S. 102). In der Tat wäre, um die origenische Eucharistielehre zu verstehen, noch viel von seinem übrigen Gedankengut, aber richtig, einzubrin gen; die Zeichenfunktion der Eucharistie hat er nie in Frage gestellt. Im nur lateinisch erhaltenen Teil des Matthäuskommentars finden sich äu ßerst interessante Ausführungen über die Abendmahlserzählungen: "Und daß er [der Mt-Text1 sagt: Jesus nahm das Brot, und ebenso: er nahm den Kelch, das mag, wer klein ist in Christus und noch fleischlich in Christus, im Ublichen Sinne (communiler) verstehen; der KIUgere aber soll fragen, von wem Jesus es nahm. (comm. ser. in Mt. 86 GCS XI, Weil Gott es nämlich gibt, nimmt er . . 198. 13-16). Den Text Mt 26,6 ff mag also der einfache Christ auf die Eucharistie deuten; die zu tieferer Einsicht Fähigen aber will Origenes zu einem geistlichen Verständnis dieses Textes (um den Text geht es) anleiten. Nicht um verschiedene Deutungen der Eucharistie geht es, sondern darum, mit Hilfe des Abendmahls berichtes Einsichten in die Gnadenmittierschaft Jesu zu gewinnen. Lies aber . ..
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befindet: ..Origenes unterscheidet zwei Verständnisweisen des Abendmahlsbro� les" (5. 104). Das ist ein Methodenfehler, der das ganze Buch durchzieht. Wie man comm. ser. in MI. 85 und 86 im Zusammenhang mit comm. in Mt. Xl, 14 verstehen (und übersetzen) muß, daß da nicht Eucharistielehre geboten ist. habe ich in der Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 25 (1978) 428 442 zu zeigen versucht. Origenes spricht da eine scheinbar ganz euchari· stische Sprache, aber das beweist nicht, daß er Eucharistielehre vorträgt, wie Lies meint, sondern das kommt davon, daß Origenes ganz nahe am Text bleiben. eben die Abendmahlstenninologie verwenden will. Dieses Verfahren finden wir auch sonst bei ihm. In der Gebetsschrift (28) z.B. sagt Origenes: ,,Die Apostel und die den Aposteln ähnlich Gewordenen . . . haben Kenntnis von der göttlichen Therapie und wissen, für welche Sünden man Opfer darbringen soll und wann und auf welche Weise und . . . für welche nicht." Origenes meint mit "Opfer darbringen" gerade keine Opfer; zu wissen wann und wie, ist keine Rubriken· kenntnis. Die kirchlichen Amtsträger ojferuflt pro peccatis. id est quod a via peccati converterint peccatores (horn. in Lev. 5 , 4 GCS VI, 342,22). Hier wie in der Gebetsschrift verwendet Origenes Opferterminologie, weil er Opfertexte allegorisch auslegt (vgl. meine Arbeit ,.Das Kirchenverständnis des Origenes", Köln 1974, bes. 155-159). Dieses Verfahren des Origenes verkennt Lies durch weg; wo er eine Spiritualisierung der Eucharistie durch Origenes festzustellen meint, ist meist nur dies wahrzunehmen, daß Origenes aufgrund eines auszule genden Textes, der von Abendmahl oder Eucharistie handelt, in eucharistischen Formulierungen über das innere Verhältnis des wahren Gläubigen zu Jesus spricht. Dabei kommt es Origenes auf die Heilsgeschichte, auf Christi Geburt, Leiden und Tod an, z. B. comm. sero in Mt. 85 (GCS XI, 197,6-14). Lies aber läßt alle Aussagen des Passamahles "von Jesus als dem Logos" gelten (5. 134), findet "Bekenntnis zum Logos" (5. 136 u. ö.). Von der nach Origenes sogar präexistenten Seele Jesu scheint er nichts zu wissen, er spricht vom "Wort, das Leib geworden ist" (5. 125), identifiziert das Fleisch Jesu mit seiner ganzen Menschennatur, so daß keine menschliche Opferaktivilät des Heilandes übrig bleibt (5. 1 33 Anm. 509),ja wirft Origenes direkt Monophysitismus vor (5. 134). Das schwer zu lesende Buch von Lies ist also sehr anregend; ich bleibe aber nach den genannten Beispielen auch den Behauptungen gegenüber skeptisch, die ich nicht einzeln geprüft habe. 3. In der von W. Gessel herausgegebenen patristischen Abteilung der .Biblio thek der Griechischen Literatur" (vgl. ThQ 154 1 1974] 87-90) hat Edgar FrUchtel von Origenes ..Das Gespräch mit Herakleides und dessen Bischofskollegen über Vater. Sohn und Seele. Die Aufforderung zum Martyrium" eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen (Stuugart: Hiersemann 1974), wozu er sich für den Dialog durch einen Übersetzungsentwurf seines Vaters Ludwig Früchtel veranlaßt sah. FrUchtel charakterisiert Origenes als den "ersten Systematiker des Christentums" (5. 1), versteht ihn als ..theologischen Interpreten der Geistmeta physik" (S. 6) und gibt damit sein Interesse an Origcnes zu erkennen. Er faßt die heiden so verschiedenen Werke des Origenes zusammen unter dem Gesichts•
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punkt. daß in beiden "die Thematik der Unsterblichkeit der Seele" behandelt wird. Daß nicht der Prediger oder Exeget Origenes anvisiert wird. läßt Früchtel auch erkennen. wo er vorsichtige Reserve gegen die Origenesauffassung von H. Crouzel anbringt. der "das exegetische Werk stark betont" (S. 66 Anm. 60). Diese Akzentuierung macht sich schon in der Einleitung, erst recht in den Anmerkungen geltend. Kommt es daher. daß FrUchtel von .,Leibwerdung Chri sti" spricht (S. 5)1 Der Gottessohn ist Fleisch geworden, nicht Leib. Fleisch ist biblisch und bedeutet den ganzen Menschen; Leib ist Komplementärbegriff zu Seele; Leibwerdung wäre allenfalls im Rahmen einer die menschliche Seele Christi leugnenden (also apollinaristischen) Lehre brauchbar. In der Übersetzung neigt FrUchtel dazu. den Komparativ mit ,.allzu" wieder zugeben: die "allzu wenig Eingeweihten" (S. 28) sind aber wohl nur die "weniger Erfahrenen" (akeraioteroi). Origenes unterscheidet drei Arten von Geben: Schenken (charisasthai), Ober geben (paradounai) und Hinterlegen (parakalalheslhai); die Wiedergabe durch ..Spenden" und .Preisgeben" ist eher verwunderlich, während ,,Anvertrauen eines Gutes" den Sinn trifft (S. 32). Origenes stellt die Parallele her zwischen dem äußeren und dem inneren Menschen und faßt (Beginn § 23) zusammen, was Früchtel so übersetzt: "Wenn man verstanden hat, was die Seele sei, und man von ihr verstanden hat, daß sie im inneren Menschen ist, und eingesehen hat, daß in ihr das nach dem Bild Gefannte vorhanden ist . . ... (S. 41). So kommt man aber auf vier Realitäten: I . den äußeren Menschen, 2. den inneren Menschen, 3. in ihm die Seele und 4. in der Seele das nach dem Bild Geformte. Das kann Origenes nicht gemeint haben; er spricht nur von zwei Realitäten. Man wird also übersetzen müssen: Wenn man die Seele verstanden hat, und zwar sie im Sinne (kala) des inneren Menschen verstanden hat, und verstanden hat, daß in ihr die EbenbildJichkeit (ta kal 'eikona) ist usw. Origenes fordert (§ 24) dazu auf, zu kämpfen, zu ringen,ja zu stöhnen (vgl. 2 Kor 5, 2), solange wir im Leibe (besser als "im Körper") sind. Dann kann man im nächsten Satz das JtWI.; OtEvat;0I-4EV nicht mit FrUchtel so übersetzen: "Wie können wir dann stöhnen?" Vielmehr muß es heißen: Wie sehr stöhnen wir usw. Origenes erklärt (§ 3), daß die einander (ehelich) anhangenden Menschen ein Fleisch sind, der dem Christus anhangende mit ihm ein Geist ist (nach I Kor 6, 1 7), der Heiland aber mit dem Vater ein Gott. Hier das Partizip Präsens hO\J�EVO; mit Einswerdung zu übersetzen (S. 29, ebenso S. 53 Anm. 20), ist so falsch wie ,,Leibwerdung". Origenes bekämpft die Irrlehren, die eine (falsche göttliche) Monarchie lehren, avalQouv tWV utüv! Er wirft ihnen gerade nicht vor, daß sie den Sohn vom Vater "trennen", wie FrUchtel Ubersetzt (S. 29); dann wUrden sie nämlich seine Eigenex:istenz besonders herausstellen und keines wegs dazu noch, wie Origenes ausdrücklich sagt, auch den Vater aufheben, d. h. sein Valersein aufheben. Man muß also übersetzen: welche [die Eigenex:istenz des) Sohnes vom Vater aufheben und so kraft ldes ersten Fehlers] auch den Vater aufheben. Dabei heißt ouva�E(' natürlich nicht: "der Möglichkeit nach", son* dern: der Wirkung nach, oder: in der Konsequenz. Das ouva�El macht den •
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übersetzern, auch bei den lerem iahomilien wird davon zu sprechen sein, erbeb liehe Schwierigkeiten. Origenes faßt es nur sehr selten im Sinne des Aristoteles als Potentialität, meist als Virtualität. FrUchteis Anm. 24 zur Stelle faßt die Zweinaturenlehre ins Auge. um die es für Origenes hier gar nicht geht. Origenes weist hier auch nicht den Doketismus zurück. wohl aber den Adoptianismus. nämlich: Weder ist der Sohn mit dem Vater identisch (personengleich), noch ist er weniger Gott (wesensverschieden). Dabei gebraucht Origenes, wie FrUchtel in den Anmerkungen 14, 15 und 27 dokumentiert. die Ausdrucke o-uata (We senheit). iI1tO)(Ei.�EVOV (Zugrundeliegendes) und il3toCTtaa� (Selbstex.istieren des), die er sehr deutlich unterscheidet. Wenn Origenes gegen Kelsos sagt: Vater und Sohn sind zwei 'tfi 1l1too'tQOEL, dann ist die Übersetzung ,,zwei ihrem Wesen nach" falsch (Anm. 27); es muß heißen: zwei aufgrund der Eigenexistenz. Im lohanneskommentar (10,37 . 246) bekämpft Origenes die Meinnng, der Vater und der Sohn seien nicht nur eins in der Wesenheit (OUOl(l), sondern auch als Subjekt (l"to)('El�Evc.p). und würden nur unter bestimmten Rücksichten (tmvoi.au;), nicht aber in der Eigenexistenz (U1too'tQOEl.) unterschieden. Frtich· lei übersetzt ouola mit "Sein", imo)('Ei.�Evov mit ..Grund wesen", schließlich un:oo'tttou; mit "Wesenskern" . Das ist nicht nur unverständlich, sondern falsch. In Anm. 15 wird das lateinische subsistenlia, das wohl im6o'tao� vertritt, ebenfalls mit "Grundwesen" wiedergegeben; dann ist die Konfusion VOllständig. Die protokollierte Äußerung des Herakleides (§ 2). die öuva....u; (nämlich von Vater und Sohn) sei eine. veranlaßt Früchtel (Anm. 16), Origeneszitate mit öuva....u; beizubringen. nämlichfrgm. 14 (nicht 2 1 ) zu Mt 1 , 1 8 und homo in Lc. 6 (GCS IX, 39,24). Aber das Katenenfragment ist höchstwahrscheinlich nachni· zänisch. gehört vielleicht dem Theodor von Mopsuestia, wie schon Klostennann vermutet hat. In dem griechisch erhaltenen Fragment der 6. Lukaspredigt ist nicht von der gemeinsamen Kraft der Trinität die Rede, sondern der Herabstei· gende und Hinaufsteigende (Eph 4, 10), der von allen Angebetete (PhiI 2. 10) ist die eine Kraft, welche durch den ganzen Kosmos hindurchgeschriuen ist (Ao· rist). nicht: durchwaltet (Präsens), wie Früchtel meint. Quelle flir diese Vorstel· lung. nämlich daß der Sohn die Dynamis des Vaters ist. ist tatsächlich, wie sich in den Auseinandersetzungen um Arius zeigte, 1 Kor 1 . 24 (kaum Röm J ,4); aber daß Vater und Sohn eine Macht sind oder haben, ist ein anderer Gedanke, der davon unterschieden werden muß. Er findet sich zuerst bei Tertullian (adv. Prax. 2.4): die göttlichen Personen sind tres IIon slalu. sed gradu. nec subslanlia. sed forma, lIec poteslale. sed specie. denn die drei haben eine Substanz, eine Natur. eine Macht. FrUchtel wirft gelegentlich Christologie und Trinitätstheologie so sehr durch einander. daß er aus der ..reichen Göttlichkeit Gottes. die von der gewordenen Natur nur schwer [oder: nicht I erfaßt wird (öuoxa'tQATI't'tO;)", die "unenneß liehe Gnadenfülle Christi " macht. an der nur der innere Mensch teilhaben kann (Anm. 71). So wird auch die Anthropologie und Soteriologie des Origenes verwischt; "Gegen Kelsos" 5, 23 erklärt Origenes nicht. wie Früchte! Anm. 36 behauptet. der dem Körper innewohnende Logos werde zur Unvergänglichkeit
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auferweckt, sondern: [Wie beim Samenkorn], so gibt es im Körper einen Logos [ein Prinzip, eine Wesensform]. aufgrund dessen. weil er nicht zerfällt. der Leib in Unverweslichkeit auferweckt wird. WUrde der Logos erweckt, könnte man die Ungeheuerlichkeit von Anm. 9 (S. 47) für Meinung des Origenes halten: ,,Nach der Erfilllung dieser Aufgabe verschwindet die menschliche Natur Chri sti; die Auferstehung bedeutet dabei die Überwindung der dem Tode unterwor fenen Menschennatur." Belegt wird dies mit einem Zitat aus der 29. Lukaspre digt: ". . . der ganz und gar nicht stirbt, ist . . . nicht mehr Mensch, sondern Gott, denn der, der damals Mensch gewesen ist, hat jetzt aufgehört, Mensch zu sein." Das klingt zunächst Uberzeugend. Aber Origenes sagte mehr; es findet sich bei Früchtel in Anm. 95: "Wenn aber Gott ist, der einst Mensch war, und du ihm ähnlich werden sollst, wenn wir ihm ähnlich werden und ihn sehen, wie er ist, wirst auch du in Christus Jesus Gott werden müssen." Also keine Rede davon, daß die menschliche Natur verschwindet; sondern es wird die Versuchbarkeit und die Sterblichkeit hinweggenommen; das nennt Origenes Vergöttlichung. Früchtel redet von Einsichten, "die nicht für jedermann zugänglich sein können und dUrfen" (Anm. 17; ähnlich 33, 63. 69), und von dem "esoterischen Kreis" (Anm. 70). Dabei ist gerade der Dialog ein Beweis, daß Origenes die schwierig sten Fragen vor der ganzen Gemeinde behandelt. Er selbst macht ausdrücklich darauf aufmerksam. daß die ganze ekklesia zuhört. Dem Protokollanten war das so wichtig. daß er schon im ersten Satz sagt, Herakleides habe "vor allen [nämlich der ganzen Gemeinde1 seinen Glauben bekennen" sollen. Fruchtel macht daraus: "vor all diesen Männern" und schränkt so die Zeugenschaft auf die vorher genannten Bischofskollegen des Herakleides ein. Es finden sich auch sonst einige Verschiebungen und Ungenauigkeiten in der Übersetzung - auf De martyrio gehe ich nicht besonders ein, da es schon früher deutsche Übersetzungen gab -, aber sie ist gut lesbar und läßt die Gedanken des Origenes erkennen. Dafür ist man FrUchtel dankbar, auch für die reichen Verweise auf Texte und Literatur in den Anmerkungen, wenn sie auch manchmal vom Text weg. gelegentlich sogar in die Irre führen. 4. In derselben Reihe legt 1980 Erwin Schadel als Band 10 ..Origenes. Die griechisch erhaltenen Jeremiahomilien" vor, ebenfalls mit (50 S.) Einleitung und (290 S.) Erklärungen. Allein der deutsche Text umfaßt fast 200 Seiten, stellt also eine große Arbeitsleistung dar, zumal bisher keine deutsche. allerdings eine ganz neue französische Übersetzung (Sources Chretiennes 232 und 238) zur Verfü gung steht (von P. Husson und P. Nautin). Mit ihr setzt Schadel sich gelegentlich auseinander. z. B. schon in Erk!. 2. Er kreidet es Nautin an, daß er sowohl oxoJtor; als auch ßOUATJJJ.O (des Textes. der Bibelstelle) mit "intention" über setzt, und sieht die Gefahr. ..daß Nautin die origeneische Exegese als bloße Intentionalität. als Betätigung undifferenzierter Willensakte erscheinen läßt". Daß Origenes auch gelegentlich vom vour; eines Textes sprechen kann. wie Schadel zu Recht bemerkt (z.8. hom. in Jer. 14,12). beweist aber nicht einen Unterschied in der Bedeutung. schon gar nicht ist vour; "der Geist des Geschrie benen". Eine vollständige Zusammenstellung aller Stellen, an denen Origenes
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OX01tO<;. ßOUAllJ.la, VO\;<; verwendet - man müßte noch vorU.1Q und verbale Umschreibungen hinzunehmen - würde zeigen, daß Origenes immer dasselbe meint. Auch im Deutschen ist es gleichgültig, ob man vom Sinn eines Textes oder von dem spricht, was er sagen will. Hier nicht zu differenzieren bedeutet nicht. dem Origenes undifferenzierte Willensakte zu unterschieben. Schade! schwingt sich, recht differenziert, zu folgenden Ausführungen auf: .,zum ,Wil len des Geschriebenen' als dem einen Moment innerhalb des ,Sinnzieles' des nämlichen Geschriebenen kommt notwendigerweise ein weiteres Moment hin zu, das dem ersteren seine Richtung und seine innere Eindeutigkeit zu verleihen vermag: - der Geist des Geschriebenen" (5, 239f). Da wird kein Versuch gemacht. des Origenes eigene Aussagen über die Mehrschichtigkeit des Schriftsinnes heranzuziehen; die schöne Stelle horn, in Jer. 19. 1 1 wird denn auch keiner Erklärung gewürdigt. wo Origenes unterscheidet zwischen dem Wortlaut. den er kurz zusammenfaßt und erklärt und dem tiefen Sinn (voruw ßa6u). den zu erfassen er gar nicht sicher ist. Statt solcher Hinwendung zum Text folgert Schadel frei: .Das Erkennen. auf das Origenes es abgesehen hat. wäre damit als kairotisches Geschehen zu bestimmen: Im Nu stößt der abgeschossene Pfeil ins Ziel, - ekstatisch erhebt sich der Wille in den Geist" (S. 240). Eine solche Demonstration von Unabhängigkeit vom Text läßt für die Erklärungen Schlim mes befürchten; um es gleich zu sagen: Die Befürchtungen bestätigen sich; aber nicht nur in den Erklärungen, sondern sogar in der Übersetzung. Origenes umschreibt (horn, ill Jer. 1 , 3) die Predigt des Jeremia, als die Gefangenschaft des Volkes schon begonnen hat, (in der Übersetzung von Scha dei) so: "Ihr seid Gefangene - auch wenn ihr unter diesen Umständen Buße tut. Denn eure Buße würde die Mühsal der Gefangenschaft nicht vertreiben können, Doch das Erbarmen Gottes wird sich bei euch einstellen" , Origenes findet als Nutzanwendung, "daß Gott in seiner Menschenfreundlichkeit die Zuhörer auf fordert, sich von der Mühsal der Gefangenschaft nicht beeindrucken zu lassen", Das wäre aber eine schöne Menschenfreundlichkeit. Schadel rechtfertigt sie (Erklärung 4) so: ..Die Aufforderung. sich von äußeren Geschehnissen nicht beeindrucken zu lassen (!-li] 1ta8eiv), stellt ein Leitmotiv der stoischen Moral lehre dar", Übersetzt man den Text der Homilie richtig, wie dies Nautin tut, wird diese Erklärung überflüssig, und es ergibt sich etwa folgender Sinn: .Jhr seid Gefangene geworden; tut Buße auch unter diesen Umständen! Wenn ihr nämlich Buße tut, wird der Zustand der Gefangenschaft nicht weiter gehen [wört!.: voranschreiten] . . ... So ergibt sich, "daß Gott in seiner Menschenfreundlichkeit die Hörer ermahnt, nicht den Zustand der Gefangenschaft zu erleiden" (d, h. das nicht zu tun. was Gefangenschaft nach sich zieht). Daß dies gemeint ist. ergibt sich aus dem Folgenden. wo Origenes als Folge jeder Sünde die Gefangenschaft unter Satan. der durch Nabuchodonosor dargestellt wird. erkennt; Schadel dagegen erklärt (Erklärung 5) unter Veweis auf /tom. in Jer. 18, 14, wo Origenes aber auch Nabuchodonosor mit dem Bösen identifiziert: ..ln der Verfehlung werden wir zu Gefangenen der ,Vewirrung', zu Gefangenen der eigenen Selbst widersprtichlichkeit". Origenes mag von religiösen, heilsgeschichtlichen Grö•
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ßen reden, von Gott und vom Teufel, von Gottes Erbannen und menschlicher SUnde, bei Schadel kommt eine rein menschliche existentielle Befindlichkeit heraus. Origenes zeigt (horn. in Jer. 1,7), daß man die Worte des Jeremi a: "leh verstehe nicht zu reden; ich bin noch zu jung" (Jer I , 7) trotz aller Schwierigkeit auf den Heiland hinaufführen, im tieferen (oder vielleicht besser: höheren) Sinn auf ihn hin auslegen muß. Das veranlaßt Schadel zu folgender Erklärung (Nr. 8): "Hinaufführung bedeutet für den Prediger Origenes. die Zuhörer zum Auf stieg zu bewegen. Zum Aufstieg wohin? Zur erkennenden Übereinkunft mit der integren Wirklichkeit des innegestaltenden Grundes von Seiendem überhaupt, zur zeit- und negationslos seienden Einigungsbewegung von Denken und Ge dachtem" (S. 242). Leicht erkennt man hier die Gedanken von Erklärung 2; die Gedanken des Origenes sind das nicht. Natürlich gibt es eine platonische "Aufstiegstradition". in die auch Origenes hineingehört; aber damit ist der Exeget und Prediger Origenes noch nicht erfaßt. dem es nicht darauf ankommt, den Grund von Seiendem überhaupt, sondern den Sinn kontingenter historischer Offenbarungsaussagen zu erfassen. was nur der vermag. der den geschichtlich erschienenen Gottessohn gläubig bejaht. Origenes sagt weiter zu Jer 1 , 7 (hom. in Jer. I , 9): Gott gibt ihm ,,-oyoue; (ohne Artikel). Also Worte, zum Niederreißen usw. Schadel versteift sich darauf, "die Gründe" (mit Artikel. 4x) zu übersetzen, obwohl er in Erklärung 1 1 richtig erklärt, der noch nicht Inkarnierte ..verstehe die untere Sprache nicht"; die, also Worte, muß er empfangen, nicht "die Gründe". So wäre auch der Abschnitt (Ende 1O): ..Gründe sind unsagbar. Soweit sie den Heiland angehen, brauchen sie weiter nicht aufgesucht zu werden; soweit sie aber Jeremia betreffen, fordern sie . . . eine Verstehensmöglichkeit heraus" in Übereinstimmung mit NauLin etwa so wiederzugeben: .Es gibt geheimnisvolle Worte; auf den Heiland angewendet, brauchen sie nicht untersucht zu werden; auf Jeremia aber angewendet. bedürfen sie der Aufmerksamkeit." In homo in Jer. 1 . 14 und 16 erscheinen die ,,-oym riChtig als "Worte", dafür aber in 1, 1 4 als "WortgrUnde" . Im letzten Satz von 110m. 1 . 12 zieht Origenes den im NT öfter vorkommenden Ausdruck: "in Kraft und im Geist" (oder "durch die Kraft und den Geist" ÖUVci�EL Xal l:
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Gottgrund zu erkennen, verwirklicht sich in der Selbsterkenntnis des Geistes. Der sich im Erkennen verwirklichende Geist ist nichts anderes als die Gestalt gewinnende Möglichkeit des Menschen selbst . . ... Abgesehen davon, daß die aristotelische Möglichkeit sich gerade nicht selbst aktuieren kann, sondern dazu eines aktuell Seienden bedarf - Schadel unterscheidet auch sonst nicht zwi schen Potentialität und Virtualität. die sich selbst verwirklichen kann -, haben diese Überlegungen mit Origenes Uberhaupt nichts mehr zu tun. Origenes will sagen, daß der Herr jetzt durch seinen Geist da ist, also in nicht geringerer, eher größerer Macht, als während er leiblich auf Erden war. Schade), so einmal vom Text. den er zu erklären vorgibt, emanzipiert, hat sich mit dem mißverstandenen
dynamei einen fast überall passenden Schlüssel zur Fehldeutung geschaffen, wie die Erklärung 3 1 . 32, 36 usw. zeigen. [n der kurzen 3. Homilie unterscheidet Origenes zwischen den allgemeinen Wohltaten Gottes. wie Sonne scheinen und regnen lassen, und den besonderen, nämlich daß er Israel aus Ägypten geführt, später sich der Heidenvölker erbarmt hat; es geht also um die Natur und die Heilsgeschichte. Schadel findet, unter Berufung auf die "virtuelle Geistpräsenz" (S. 253), darin "die Wunder des Aufbruchs und des Auszugs aus den weltlichen Gegebenheiten; die Wunder der Spontaneität. die Wunder des Geistes. der selbstrnächtig der Potentialität des bloßen Daseins entspringt. um die scheinbare Gleichgültigkeit der gegebenen Dinge in einseitiger Freiheit zu transzendieren". Wer solche Esoterik vorträgt, findet sie auch bei Origenes. Der kritisiert die Kirche seiner Zeit so: "Und wahrhaftig. wenn wir die Dinge nach der Wahrheit und nicht nach der Menge beurteilen, wenn wir die Dinge nach der Überzeugung beurteilen und nicht danach, daß wir viele versammelt sehen, werden wir sehen, daß wir jetzt nicht gläubig sind." D. h. die Menge macht's nicht, die jetzt da ist. die innere Überzeugung ist verlorengegangen. Bei Schadel hört sich das so an: ..Wenn wir die Angelegenheiten wahrhaftig in Wahrheit und nicht mit den Vo lksscharen beurteilen . . . mit freiem Willen
(prohairesei) . ... Darin gebe .
(Erklärung 36) "Origenes einen esoterischen Grundzug seines Denkens und Lehrens zu erkennen". In Wirklichkeit ist an dieser Stelle der Predigt so viel Esoterik wie bei Abraham a Santa elara. Aber Schadet befindet: ,.Esoterik heißt
für Origenes die Bemühung, jeden einzelnen auf den Weg zu sich selbst zu bringen ." ,.Das Auserwähltsein . . . ist sich aktuierendes Geistvermögen, das mit freiem Willen und in Wahrheit das zeitliche Jetzt überschreitet." Nach der Weise einer Inclusio wird die Erklärung mit dem falsch übersetzten prohairesei und
aletheia auch abgeschlossen. Schadel findet bei Origenes ,,Denkgymnastik" (S. 307 Anm. 159); vielleicht fühlte er sich so zu einer Akrobatik berechtigt, die hier auch noch vorgestellt sein soll. Horn. 10, 1 sagt Origenes: ,,Der himmlische Vater lehrt entweder in eigener Person (xoe' EOU"tOV) oder durch den Christus oder im Heiligen Geist oder durch Paulus oder . . . einen anderen Heiligen." Schadel versteht das )tae' logische Erklärung ( 100)
EQ\rtOV als "von sich aus" und schließt eine gnoseo· an,
in der er mit dem "von" des Vaters, dem "durch"
des Sohnes und dem "in" des Heiligen Geistes so geschickt jongliert, daß er schließlich den Subordinatianismus des Origenes als völlig orthodox, ja als
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sachlich notwendig erscheinen lassen kann. Diese Überlegungen sind wie viele andere durchaus bedenkenswert; sie sollten nur auf einer tragfähigen Grundlage stehen. Sollte die Apokatastasis, die Lehre von der endzeitlichen gnadenhaften Wiederherstellung aller Dinge (Apg 3 ,21) , die für typisch origenisch gilt, dem umdeutenden Zugriff Schadeis entgangen sein? Aber nein, die letzte größere Erklärung (268) deutet sie als ,.Reintegration, die vom Massenmenschen, der als ,Liebhaber des Körpers' als eines solchen in der Unschärfe transzendenzloser Unschärfe verharrt, nicht geleistet werden kann". Aber es gibt Hoffnung, "weil die täuschende Undifferenz der Beunruhigung die ,Vielen' . . . dazu bringt, zu ,Einzelnen' zu werden: in angestrengter Selbstverwirklichung die all umfassen· de Gemeinschaft ausgeglichener Geistesfreiheit aufkommen zu lassen" (S. 333). Man wundert sich nicht, daß Schadel sich am Ende der Erklärungen auf Nietzsehe beruft. Gegen solche Interpretation wäre analog auf das zu verweisen, was Gessel (S. (97) für das Gebet bei Origenes festgestellt hat, daß es nämlich nicht der ..wertfreien Meditation", nicht der ..Versenkung" oder ,,Persönlich· keitsverwirklichung" dient, sondern religiös motiviert ist. Gewiß ließe sicb auch manches Dankenswerte aus den Anmerkungen anführen. z. B. das entschlossene Eintreten für die "Unveränderlichkeit" (nicht die "Unbeweglichkeit") Gottes (S. 256), aber es ließen sich noch viele Beanstandungen vorbringen, in der Übersetzung wie in den Erklärungen. Vor deren Gebrauch kann nur gewarnt werden; auch der Umgang mit dem Text fordert Vorsicht. Aber die Werke des Origenes haben, wohl weil er so biblisch denkt. mit der Bibel gemeinsam, daß sie jede Übersetzung lIberleben. die modernen wie die antiken. Die große von Schadel geleistete Arbeit sei anerkannt; wir verdanken ihm die erste deutsche Übersetzung der Jeremiahomilien. Man kann aus ihr viel Gewinn für das Verständnis des Origenes ziehen, besonders wenn man sie mit der von Nautin vergleicht.
Die Referate des 4. Internationalen Origeneskongresses (lnnsbruck 1985). Hrsg. von Lothar Lies (lnnsbrucker theologische Studien 19). lnnsbruck: Tyrolia 1987. 506 S. Kan. DM 94,-. Diesen Band stelle ich hier um so lieber vor, als ich auf diesem 4. Origenes Kolloquium den Einleitungsvortrag (S. 78-99) und ein Seminar zum gleichen Thema gehalten habe (S. 100-1 1 1 ). Der Band gibt zwar kein Gesamtthema an, es war aber vorher als Generallinie, die nicht unbedingt eingehalten werden mußte, die Frage nach der Rechtgläubigkeit des Origenes vorgegeben worden bzw. die Frage, wie es dazu kommen konnte, daß Origenes immer wieder so hartnäckig bekämpft und gar zum Erzketzer gestempelt wurde. Von dahererklärt sich das Überwiegen thematisch ausgerichteter Beiträge. wohingegen etwa Textkritik diesmal ganz zurllckgetrelen ist, wenn auch die Überschrift des ersten Teiles lautet: .zu den Texten". In dieser Abteilung zeigt im ersten Beitrag E. Bammel. daß die im Buch gegen Kelsos erhaltenen Partien, wo Kelsos einen •
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Juden auftreten läßt. jedenfalls dort, wo sie ,.mit griechischen Zitaten gespickt" sind. sich "als sehr frUhe Ausprägungen jüdischer Polemik gegen das junge Christentum erweisen", I.M. Duva! möchte zum Haggai-Kommentar des Orige nes über Ambrosius und Hieronymus vordringen. R. Roukema zeigt. daß die Verse Röm 3. 19-22. die fUr die Argumentation des Paulus eher von untergeord neter Bedeutung sind, bei Origenes zum Schwerpunkt werden. weil er darin den Beweis findet, "daß das Gesetz Gottes nicht nur den Juden geoffenbart wurde. sondern auch den Heiden" (S. 23). G. Sfameni Gasparro geht in einem ausführ lichen Beitrag (5. 54-76) dem Zustandekommen der Peri-ArchOIl-Zitate im Brief des Kaisers lustinian an den Patriarchen Menas nach; in der Origenisten Krise um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert habe sich schon ein Schema herausgebildet, wie Origenes präsentiert wurde; es finde sich bei Epiphanius. Theophilos und Hieronymus; letzterer habe dann die Richtschnur geliefert fUr die Zusammenstellung der Haupuhesen des Origenes in einem Florileg, auf dem Justinians Zitate basieren. Im zweiten Teil (,,zum geistigen Werk") hat M. Harl zu der Frage der Präexistenz der Seelen (S. 238-258) neue Perspektiven eröffnet. Sie bezweifelt. daß Origenes wirklich von einer Welt gesprochen hat, die "zeitlich. im Sinne der Präexistenz dem Menschen und dem für die Menschen geschaffenen Kosmos vorausgeht" (S. 245). An vielen Stellen ließen sich die Anspielungen auf die "vorausgehenden Ursachen" im Sinne der ,.Kenntnis, die Gott von allen Dingen hat, noch bevor sie existieren", verstehen (S. 242). Daß der Mensch in erster Linie nicht Leib ist. dürfe nicht im zeitlichen Sinn verstanden werden (S. 246). Es sei dem Origenes nicht um eine präexistente Welt, sondern um eine geistige Welt gegangen, nicht um ein Volk von vorausexistierenden Seelen, sondern um Seelenarten, die als wirklich bezeichnet werden. weil die Rassen hier unten davon nur Schatten und Abbilder bieten (S. 248). Die Himmelswelt, die aus der biblischen Geschichte erschlossen wird, "ist eine schon von Unterschieden geprägte Welt, nicht eine präexistente Welt mit einem Volk von Wesen, die alle gleich sind'· (ebd.). In den Alterswerken spreche Origenes nicht mehr von "vorausgehenden Ursachen", sondern nur noch vorn göttlichen Vorauswissen. Harl will zwar nicht die These von der Präexistenz der Seelen aus der Welt schaffen. sie auch nicht mit dem göttlichen Vorauswissen oder Erwählen in Einklang bringen, sondern nur zwei verschiedene Redeweisen herausstellen, die verschiedene Ideen betonen. In zwei Annexen behandelt Harl die Arbeiter der elften Stunde von Mt 20, 6, wie Origenes sie in comm. in Mt. 15, 34 f auslegt (es gehe ihm dabei in gar keiner Weise um präexistente Seelen, die vor einem Fall oder Abstieg betrachtet wUrden; S. 254), und die Osterhomilie, die Nautin herausgegeben hat (das österliche Thema vom Hinübergehen ins Jenseits müsse nicht notwendigerweise durch eine Theorie Ober den Ursprung unserer Lage hier unten ergänzt werden; S. 256). G. Bostock legt Uberraschenderweise das Bekenntnis ab, wir könnten die Präexistenz Christi nicht verteidigen, wenn wir nicht zur gleichen Zeit die Präexistenz jeder Menschenseele verteidigen (S. 259); nach Origenes müsse
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genau wie im frühjüdischen Denken die Präexistenz mehr korporativ als indivi duell verstanden werden. A. Le Boulluec geht dem Einfluß nach, den Origenes mit seiner Lehre über die Seele Christi ausgeübt hat, und zieht vor aIlem die von R. Lorenz vorgetra gene Erklärung, Arius habe seine Auffassung des Logos von der Lehre des Origenes über die Seele Christi abgeleitet, in Zweifel (S. 231). U. Bianchi befaßt sich noch einmal mit dem Problem der Seelenwanderung und kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß wohl "eine platonisch-alexandri nische Tendenz, Gottes hypostatische Manifestationen auf einer vertikalen Linie anzuordnen, den eigentlich unschuldigen Subordinatianismus" des Origenes beeinflußt hat (5. 279). Diesen Subordinatianismus des Origenes untersucht J. Rius-Camps im läng sten Beitrag des ganzen Bandes (S. 1 54-- 1 86), in dem er sorgfältig die von Hieronymus und Justinian gegen Origenes erhobenen VorwUrfe mit dessen eigenen Aussagen vergleicht. Dabei wird zuerst deutlich, daß Origenes an vielen Stellen den Inkarnierten meint, wenn er einfach "der Sohn" sagt, also den Inkarnierten dem Vater unterordnet. Dadurch wird der Subordinatianismus schon relativiert, erst recht dadurch, daß Rius-Camps "absolute Gleichheit der Erkenntnis zwischen Vater und Sohn" bei Origenes konstatieren kann (S. 157 ff); nur "der Sohn und der Hl. Geist können die Tiefen der Gottheit erforschen" (S. 167). Nach Analyse der Aussage des Origenes, der Sohn sei Bild im Vergleich zum Vater, Wahrheit im Vergleich zu den Menschen (S. J 73 ff), kommt Rius Camps zu dem Ergebnis, daß nach dem Konzil von Nizäa die Auffassung von der wesentlich demiurg ischen Funktion des Logos nicht mehr aufrechtzuerhal ten war, daß aber kein Zeitgenosse des Origenes sich an dem Gedanken stieß, der Sohn verdanke seine Erzeugung dem Willensakt des Vaters, mit dem dieser sich zur Schöpfung entschiaß; nur so habe Origenes einerseits die Eigenexistenz des Sohnes gegen die Modalisten verteidigen und andererseits die reine Geistig keit der göttliChen Zeugung unterstreichen können (S. 179). E. Schadei, Zum Trinitätskonzept des Origenes (S. 203-2 14), macht den sehr überzeugenden Vorschlag, den von Thomas Campanella eingeführten Begriff loticipatio (im Unterschied zur participatio) auf das Verhältnis des Sohnes zum Vater anzuwenden, wie Origenes es beschreibt (S. 207). H. Crouzel betont, daß Origenes an eine endgUhige Apokatastasis geglaubt hat und nicht etwa an eine Serie vorläufiger Apokatastasen (S. 286); Origenes habe nicht alle geistigen Wesen in den anfänglichen Fall eingeschlossen gesehen und den Vorwurf, er lasse auch den Teufel gerettet werden, entschieden abge lehnt (S. 287). Außerdem respektiere Origenes unbedingt die Freiheit der Geistwesen (S. 288); die Erlösung habe nur Wirkung für den, der sie sich persönlich aneigne; so sei die origenische Lehre von der Apokatastasis weder so einfach noch so fest, wie spätere Origenisten sie dargestellt hätten. Einen ebenfalls sehr langen Beitrag (S. 291-321) widmet G. Dorival der Auferstehung bei Origenes; die Frage, ob die Auferstehung des Fleisches endgültig sei oder ob sich die Leiblichkeit auflöse, wenn Gott nach 1 Kor 15,28
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alles in allen ist, habe Origenes nie endgültig im einen oder anderen Sinn beantwortet (S. 314). Die Vorstellung von der Kugelgestalt des verherrlichten Leibes stamme sicher nicht von Origenes (5. 316f); erst spätere Origenisten seien auf einen solchen Gedanken gekommen, freilich beeinflußt durch die Art, wie Origenes die Vorstellung von der Wanderung der Seelen i n Himmelskörper bekämpft habe (S. 318). R. Gögler, der in ThQ 165 (1985) 82-94 mit seinem Beitrag über "Inkarna tionsglaube und Bibeltheologie des Origenes" das Origenes-Jubiläumsheft er öffnet hatte, stellt hier (5. 352-357) "Origenes als Glaubenden und Theologen" vor. Der dritte Teil enthält Beiträge .zur Ortung und Wirkung", von denen einige hier genannt seien: E. Osborne vergleicht die Auffassung von Kausalität bei Origenes und PlalO (S. 362-369), KJ. Torjesen die Soteriologie des Origenes mit der des Clemens. und zwar unter der pädagogischen Perspektive (S. 370-378); J.N. Guinot geht dem origenischen Erbe der griechischen Jesaia-Aus leger nach (S. 379-389); G.C. Berthold untersucht den origenistischen Charak ter der Exegese von Evagrius und Maximus (S. 390-404); J.F. Dechow. der ebenfalls ein Seminar über die ..Häresievorwürfe gegen Origenes" gehalten hatte (S. 1 1 2-122) und zu dem Ergebnis gekommen war, daß weder Methodius noch Epiphanius die Eschatologie des Origenes verstanden und korrekt wiedergege ben haben, zeichnet hier (S. 405--409) noch einmal den Gang dieses Häresievor wurfes von Eustathius bis Epiphanius nach; R.P.C. Hanson kann nachweisen. daß die arianische Kontroverse nicht etwa ein Streit zwischen zwei origenisti sehen Parteien gewesen ist, daß keine der beiden Parteien die Theologie des Origenes zur Hauptquelle hatte (S. 420). H. Crouzel berichtet über Seminar IH, wo Origenes mit Plotin verglichen wurde (S. 430-435); Th. Kobusch, der in ThQ 165 (1985) 94-105 die origenische Kritik an der Einseitigkeit der griechischen Wesensphilosophie dargestellt hatte, stellt hier (S. 442 446) im Geist des Origenes ..das Christentum als die wahre Philosophie" vor. L. Lies, der beim Kolloquium wegen der Fülle der angebotenen Referate darauf verzichtet hatte. sein längeres Referat tiber das unterschiedliche Verständnis der Eucharistieauf fassung des Origenes in den verschiedenen Konfessionen (hauptsächlich in der Reformationszeit) vorzutragen, hat den sehr informativen Text hier aber dan kenswerterweise abgedruckt (S. 471-483) und beschließt damit wtirdig den Reigen der Beiträge. ihm war sehon die perfekte Organisation des Kolloquiums zu verdanken. ihm verdankt man das schnelle Erscheinen und die gute Präsen tation der Beiträge. die durch zwei Register der Origenesstellen und der Perso nennamen am Ende des Bandes gut erschlossen werden. •
Fantes Christiani. Zweisprachige Neuausgabe christlicher Quellentexte aus Altertum und Mittelalter. Hrsg. von Norbert Brox. WilheJm Geerlings, Gisbert Greshake, Rainer lIgner, Rudolf Schieffer. Freiburg: Herder 1990ff.
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1. Origenes. Commenlarii in Epistulam ad Romanos. tibeT Primus, über Secundus. Römerbriefkommentar. Erstes und zweites Buch. Übers. und eingel. von Theresia Heither. 1991. 358 S. 2. über Tertius, tiber Quartus. Drittes und Viertes Buch. übers. und eingel. von Theresia Heither. 1992. 320 S. Theresia Heither. die hier die erste deutsche Übersetzung des nur in der lateinischen Übertragung von Rufin erhaltenen Römerbrief·Kommentars des Origenes übernommen hat, ist durch eine umfängliche Doktorarbeit (Translatio Religionis. Die Paulusdeutung des Origenes in seinem Kommentar zum Römer· brief [BoBKG 16). Köln 1990. 3305.) als Kennerin des Origenes und besonders seines Römerbrief·Kommentars ausgewiesen. Der Titel ihrer Dissertation faßt ihr Verständnis der Position des Origenes knapp zusammen: Die Heiden. an die nun die wahre Gottesverehrung übergegangen ist, und die Juden, welche zuvor die einzig wahren Gottesverehrer waren, stehen sich wie zwei Prozeßparteien gegenüber, die ihre Gründe vortragen. Paulus läßt beide zu Wort kommen. erkennt an, was auf jeder Seite recht ist, und weist nach beiden Seiten Ubertrie· bene Ansprüche zurück. Damit wird klar, daß es im wohl richtigen Paulusver· ständnis des Origenes nicht um Prädestination von Einzelpersonen, sondern um Gottes Herrschaft über die Völker in der Geschichte geht Aber nicht nur diese ihre Einsichten trägt Heither in der Einleitung zu Bd. WI vor (5. 23-55), sie bietet auch ein Origenes·Bild und einen Überblick Uber seine "Theologie des Wortes" in ihrer Dynamik und Schriftgebundenheit. Die Übersetzung des für das Menschenverständnis des Origenes so bedeutsamen Wortes Jogilcos mit "wort· haft" (S. 16.43) überzeugt mich nicht; ich wäre auch zurückhaltend gegenüber der angeblichen ..Dynamik" der Theologie des Origenes bzw. der ..Dynamik", die er in den Kreaturen" entdeckt haben und der er ..gefolgt" sein soll (S. 43). Der Praefatio des Origenes ist die des Rufin vorausgeschickt, in welcher er mitteilt, daß er aus den 1 5 BUchern. auf die Origenes seinen Kommentar ausgedehnt hatte (produxerit), 10 gemacht bat, nachdem man ihn um eine Reduktion auf die Hälfte gebeten hatte. Durch die deutsche Übersetzung, wo· nach ..das Gesamtwerk . . . in griechischer Sprache 40 000 Zeilen oder mehr umfaßt", gehl der leise Hochmut des Lateiners, der bei aller Hochachtung für Origenes sich der Geschwätzigkeit der Griechen lIberlegen fühlt. verloren. Wenn Rufin außerdem bekennt, sein spiritus reiche nicht aus, um die herrliche tuba des Origenes zu füllen, dann ist spiritus mit ,.Atem" und nicht mit "Geist" zu übersetzen (S. 58/59). Insgesamt übersetzt Heither in einem deutschen Stil, den sie selbst schreibt, d.h. in kurzen, gut überschaubaren Sätzen; das macht es dem Leser leichter, die Gedankeninhalte des Origenes zu erfassen. gelegentJich aber auch schwerer, seinem Gedankengang zu folgen, der oft weite Bogen schlägt. So entspricht z.B. dem quamvis auf S. 144.2 1 das tamen auf S. 146,3; im Deutschen aber liegen dazwischen mehrere Hauptsätze. Andererseits darf her· vorgehoben werden. daß der übersetzer;n manche Formulierungen besonders geglUckt sind, etwa ,,Macht über vergängliche Dinge" fUr potentia rerum ca· ducarum (5. 1 1 3) oder ..Gesamtzusammenhang" fUr consequentia (S. 1 4 1 ) oder ..
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.,Horde der Gottlosigkeit und Begierde" für lurmn impietolis et libidinis (S. 153) oder "so daß er nachher gut oder schlecht ist" fUr vel bonam relinquunl vel malam oder schließlich "nimmt die Seele die Tugenden als die rechtmäßigen Bürger gastfreundlich aur' für civile er legitimum virtutibus praebebil hospilium (beides S. 169). Weitere Beispiele aus T. I und aus T. 2 ließen sich aufzählen. Andererseits ist wohl die Übersetzung von anima humalUl lanti huius discriminis lam ancipitem subeal sialum mit "die menschliche Seele in eine so bedenkliche Lage kommt, die von so großen Verbrechen gekennzeichnet ist" (S. 155) falsch; discrimen darf man nicht mit crimen verwechseln; gemeint ist. daß die mensch· liche Seele unter der Last einer ständig nach beiden Seiten offenen Entschei dungsnotwendigkeit steht. Daß die causae non nis; cum ipsius mundi fine claudemur, bedeutet wohl nicht. daß ..dies alles bis zum Ende der Welt verursa chend wirkt" (S. 185), sondern daß die Prozesse erst am Ende der Welt abge schlossen werden. weil es nur so ein gerechtes Gericht Gottes geben kann (ebd.); und daß so lange vel profeclus vel impedimeli/a penderenl, bedeutet wohl nicht, daß "von alt dem . . . Fortschritt oder Behinderung abhängt" (ebd.), sondern daß einstweilen Vorteil oder Nachteil noch in der Schwebe sind. solange eben das Urteil nicht ergangen ist. Die Übersetzerin hält sich in der Wiedergabe der Bibelzitate. soweit ich feststellen konnte. an die EinheitsUbersetzung. Das mag bei den längeren Abschnitten, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind, recht sein; wenn aber Rufin sagt: nos ... gloriam domini speculantes, dann darf man dies nicht mit " wir spiegeln . . . die Herrlichkeit des Herrn wider" Uberset zen; speculari bedeutet .. betrac hten"; die EinheitsUberselZung dagegen hat sich in 2 Kor 3,18 für eine andere Deutung des kaloptrizomenoi entschieden. Der Band bietet wie alle Ubrigen am Schluß Abkilrzungen, Bibliographie und Register; das muß hier deswegen hervorgehoben werden, weil der zweite Teil band ebenfalls am Ende Abkürzungen, Bibliographie und Register enthält; außerdem wird er neu eingeleitet durch Hinweise auf die griechisch erhaltenen Teile der BUcher 3 und 4 des Römerbrief-Kommentars von Origenes und eine Darstellung des .,Glaubens im Kommentar des Origenes" , wobei die Unterschei dung zwischen der Rechtfertigung der Juden aus dem Glauben und der Heiden durch den Glauben in Röm 3,30 betont wird . ..Origenes spricht . . . von den zwei Rechtfertigungen, . . . Rechtfertigung aus dem Glauben und Rechtfertigung aus den Werken" (S. 23). Trotzdem ist ihm "die Rechtfertigung allein aufgrund des Glaubens . . . in gewissem Sinn selbstverständlich, weil er Glauben als die einzige Möglichkeit der Verbindung mit Gott sieht" (S. 25). Die Herausgeber betonen hier, daß sie auf die Übernahme des von C.P. Hammond-Bammel herausgegebenen kritischen Textes des Römerbrief-Kommentars verzichten mUssen, weil er erst bis Buch IIJ vorliegt (5. 27). Wenn Paulus ( l Kor I . 28) davon spriCht, Gott habe das, was nichts ist. ausgewählt, um das, was etwas ist, zunichte zu machen, dann ist da in einer eher alltäglichen Redeweise vom Ansehen unter Menschen die Rede; der äußerst philosophisch klingende Aus druck "Vernichtung des Seienden" (5. 223 Anm. 33. zweimal) entspricht dem wohl nicht. In beiden Teilbänden würde man sich auch ein Register der Orige-
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nesstellen wünschen, die in den Anmerkungen zur Erklärung herangezogen werden. Dies mag als Anregung für die noch zu erwartenden Teilbände 3 bis 6 gelten; der sechste soll die griechischen Fragmente und ihre Übersetzung bieten. Der Name des dritten Herausgebers des Sacramentum Leonianum ist übrigens nicht "Siffun" (S. 3 10), sondern .,Siffrin".
Fontes Christiani. Zweisprachige Neuausgabe christlicher Quellentexte aus Altertum und Mittelalter. Hrsg. v. Norbert Brox, Wilhelm Geerlings, Gisbert Greshake, Rainer l1gner, Rudolf Schieffer. Freiburg: Herder 1990 ff. I. Origenes, In Lucam Homiliae. Homilien zum Lukasevangelium I (Hami· lien 1-25). Übersetzt und eingeleitet von Hermann-Josef Sieben. 1991. 275 Seiten. 2. Homilien . . n (Homilien 26--39 und 91 griechische Fragmente). 1992. VßI S. und S. 276-536. Hennann-Josef Sieben, der zwei große Bibliographien "zu Wörtern und Begriffen aus der Patristik" (Bibliographia Patristica. Supplement I , Berlin 1980) und zur Bibelexegese der Kirchenväter (Sussidi Patristici 2, Rom 1983) herausgebracht hat, stellt hier zunächst Leben und Werk des Origenes vor und charakterisiert ihn dann als Homileten, der sich vorzüglich der Allegorese bediente. Daß dies aber damals "die einzige Möglichkeit" gewesen sei, ,,solche Texte in gegenwärtiges Verstehen und in Handlungsanweisungen umzusetzen" (S. 17), hätte jedenfalls Theodor von Mopsuestia nicht unterschrieben. Orige nes ist keineswegs auf einen "dreifachen Schriftsinn" (S. 18) festgelegt und deshalb dem Neuplatonismus in dieser Hinsicht vergleichsweise wenig ver pflichtet. Daß seine häufigen Bemerkungen wie "ich denke, ich glaube" (S. 21) - hinzufügen könnte man noch: soviel mir zu erfassen möglich war - eine .. Unsicherheit der Auslegung" verraten sollen, die gar in der Allegorese wur zelt, würde ich nicht unterschreiben; Origenes nimmt da vielmehr Rücksicht auf das eigene Erkenntnisvermögen der Hörer oder Leser, dem er nichts vorschreiben will. Daß die Katechumenen nicht an der Eucharistiefeier teilneh men durften (S. 32.33), brauchte sie natürlich nicht an der Teilnahme am Wortgottesdiensl, einschließlich der Predigt, zu hindern (vgl. oben IH). Beson ders interessant, geradezu pikant wird die Einleitung, · wo Sieben "Motiv und Datierung der Übersetzung" der ursprünglich natürlich griechischen Ori genespredigten durch Hieronymus ins Lateinische erörtert. Wie der große Bibelübersetzer schon mit seiner Übersetzung des Werkes des Didy· mus über den Heiligen Geist den Mailänder Bischof Ambrosius als Plagia tor bloßstellen wolhe, habe er dies auch mit seiner Übersetzung der Lukas-Ho milien bezweckt, weil Ambrosius 391 seine Lukas-Predigten veröffent licht hatte, in denen er stark von Origenes abhängt. Dem bösen Willen des Hieronymus verdanken wir also diese kostbaren Erklärungen zum Lukas-Evan· gelium. .
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Rauer hatte in seiner zweiten Auflage nur noch, aber immerhin doch noch 257 Katenenfragmente als dem Origenes gehörend angesehen; Foumier (SC 87) hat davon nur noch 9 1 Ubemommen. welche zu dem von Hieronymus übersetz ten Text .zusätzliche Nuancen bringen ... und für Origenes typisch sind" (S. 5 1 ). Daß bei letzterem Kriterium dem subjektiven, d. h. dem eigenen Origenes verständnis des Herausgebers Tür und Tor geöffnet ist. versteht sich wohl von selbst. Die Ausgabe hier in den Fontes Christiani übernimmt den Text der Sources Chr6tiennes, also auch nur die 91 griechischen Fragmente. Auch Sieben bemUht sich beim Übersetzen um vergleichsweise kurze, leicht verständliche Sätze; auch ihm gelingen immer wieder glückliche Formulierungen, z. B. ,,an den Tag bringen" für demonsrrare (hom.. 26.4; S. 279) oder .rein. beschwingt. zur Höhe emporstrebend" rur mundus er volucris el in sublime consurgens (hom. 27.5; S. 287) oder "zur Belehrung der anderen" für ul in vulgus elferem (hom. 38.5; S. 381). Man ist für diese erste deutsche Übersetzung der Lukas-Homilien des Origenes (in der Übersetzung des Hieronymus) wirklich dankbar. denn bisher gab es nur die Homilien 7 und 8 in der vergleichsweise schwer zugäng lichen Ausgabe von Winter von 1893. Bei den griechischen Fragmenten wundert man sich. daß der Fehler nomon statt monon in dem Ausdruck me monon ... aUa ko.i (Frgm. 2, 19; Rauer 5). der sich schon bei Rauer fand, auf dem Wege über die Saurces Chretiennes in die Fantes Christiani gewandert ist; ich weiB allerdings nicht. ob technisch und rechtlich Veränderungen des SC-Textes überhaupt möglich wären. Den Aus druck alelheis alerhon diadochoi, den Sieben mit "wahre Erben des Wahren" wiedergibt (S. 397), würde ich mit wahre Nachfolger wahrer [Augenzeugen)" " Ü übersetzen; die bersetzung von to plo/na res anlhropoletos mit ..die in die Tiefe gefallene Menschheit" (Frgm. 1 1 . b; S. 405) ist wiederum gelungen. So lieBen sich die einzelnen Fragmente durchgehen, die natürlich interessanter sind als die Hieronymus-Obersetzung; ich will aber nur noch zum letzten hier Abgedruck ten, nämlich zu Nr. 91 (Rauer 242), bemerken, daß pros ren lexin ... diamachon lai nicht bedeuten kann: ..gegen diesen Text kämpfen" (S. 487); wie sollten sie auch, nämlich die Anhänger des Markion und des Valentin, wo Origenes doch versichert. daß sie den Jogos, also die Aussage dieses Textes, auf die Seelen beziehen? Man müBte also Ubersetzen: angesiChts dieses Textes verkämpfen " sie sich". Die beiden Teilbände haben nicht nur eine durchgehende Paginierung, son dern auch eine einzige Bibliographie und Registergruppe am Schluß (S. •
•
490-536).
Origenes, In Lucam homUiae I Homilien zum Lukasevangelium. Lateinisch griechisch-deutsch. Übersetzt und eingeleitet von Hermann-Josef Sieben. Erster Teilband Fantes Christiani 4. 1 (FreiburglBasellWien, Herder 1991), S-. 280 S GIn. DM 44,·, kartoniert DM 32.-. - Zweiter Teilband Fontes Christiani =
.•
=
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4,2 (FreiburgfBasel/Wien, Herder 1992), 8°, 272 S., Gin. DM 44,-, kartoniert DM 28,-. Sieben bietet rund 50 Seilen Einleitung über Leben und Werk des Origenes (S. 7112), Origenes als Homilet (S. 13/24), die Lukas-Homilien (S. 25/32), übe, die Übersetzung des Hieronymus (5. 33/45) und die Überlieferung der Homilien (S. 46/55). Die informative Einführung und die bedeutende Übersetzungsleistung von S. habe ich schon im Rahmen einer Sammelrezension der ersten Bände der Reihe Fontes Christiani gewürdigt (ThQS 172 [1992) 3 140. Hier sind noch seine zahlreichen Literaturangaben hervorzuheben, die den interessierten Leser in das Gesamtwerk des Origenes und dessen modeme Erforschung einfUhren. Außer dem scheint mir dies der richtige Ort zu sein, um auch Einzelheiten des Textes und der Übersetzung zu diskutieren; dadurch soll die Leistung von S. nicht gemindert, sondern (hoffentlich) das Verständnis der Gedanken des Origenes noch weiter gefördert werden. Da es so viele griechische Fragmente gibt - dazu weiter unten - und ja andere Origenes-Homilien, jedenfalls die zu Jeremia, im Griechischen erhalten sind. drängt sich natürlich hä.ufig die Frage auf. was fUr ein Wort im Griechi schen gestanden hat. Schon die 1. Homilie sagt. daß mens et ratio (jirmitaremjide;) tribuit; das übersetzt S. so: "die Geist und Vernunft gewähren" (5. 65) und erklärt. im Griechischen hätten hier die Begriffe vOll!!: und AOYo; gestanden, wofür er sich nur allgemein auf Crouzels Werk zur Anthropologie des Origenes und auf das Buch von Dupuis zum selben Thema beruft (ebd. Anm. 12). Aber daß das Verb Iribuir im Singular steht (5. übersetzt einen Plural), Iä.ßt vermuten, daß Hiero nymus mit mens et ratio einen einzigen griechischen Begriff wiedergibt. Daß zwei Zeilen weiter mit ratio et verbum nur ACYo!!: gemeint sein kann, sagt S. in Anm. 13 selbst; was aber kann dann mit mens el ratio gemeint sein? In der 1 1 . Homilie (hier S. 138 Z. 14) heißt es 1I0n solum anima, sed etiam sensus er me,lS; auch da stimmt man S. (Anm. I ) leicht zu, daß mit senS1U et mens das griechische Wort VO'Ü!!: gemeint ist. In der 4. Homilie Ubersetzt S. mentem atl;mumque einfach und richtig mit "Geist", im Griechischen hat sicher nicht 1tVEÜ�a gestanden; es kommt auch da eigentlich nur vo'ü!!: in Frage. Das aber wUrde bedeuten, daß Hieronymus keineswegs konkordant übersetzt hat, sondern den selben griechischen Begriff vo'ü!!: einmal mit sensus et meliS, ein andermal mit mens el animus wiedergibt. Deshalb möchte ich vermuten, daß auch in homo 1 , 3 mit melis er ratio nur voti!!: gemeint ist, zumal der Gegensatz zu dem, was die oculi carnales sehen, die VOTJto. sind. Vielleicht würde sich eine Untersuchung aller Doppelbegriffe lohnen. Dabei muß man allerdings damit rechnen, daß Hieronymus auch in eigenen Erklärungen Doppelbegriffe verwendet; eine sol che könnte z.B. in homo 27,6 (5. 288,4) der Satz sein, der so beginnt: UI sermo et mens i/lius compleatllr adventu. Daß Hieronymus auch hier das Verb im Singular setzt, obwohl es sich auf zwei Substantive bezieht, zeigt wohl, daß er im Griechischen nur ein Wort las; da er im Satz zuvor vom sensus spricht, was
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höchstwahrscheinlich voü� wiedergibt - allerdings wäre auch ato9T}ou; nicht ganz ausgeschlossen -, dUrfte mit sermo er mens nur A6yo� gemeint sein; dann aber muß man annehmen, daß die ausdrückliche Rede von Sprechen und Erkennen (loqui und intellegere) auch auf Hieronymus zurückgeht. Auf jeden Fall ist es aber ein schöner Gedanke, daß wir nur reden und denken sollen, was der Geist eingibt. und daß so von ihm alle Heiligung im Herzen, in den Worten und im Tun kommt; mag das nun von Origenes stammen oder von Hieronymus. An anderer Stelle aber fUhrt Hieronymus mit seiner Doppelübersetzung offensichtlich in die lrre. In homo 5 . 1 (hier S. 92 Z. 14ff) spricht er von Handlungen, die, weil absque sermone atque ratione, sich nicht von nutus unterscheiden. Wenn da weder Rede noch Vernunft im Spiel ist, bleibt natürlich nichts anderes übrig, als die nutus mit S. als ,,(leere) Gesten" zu verstehen. Nun war aber das Zeichen, das der stumm gewordene Zacharias dem Volk gab (Lk 1,22), durchaus keine leere Geste; also kann Origenes hier nicht Gesten gemeint haben, die ohne Rede und Vernunft sind, sondern nur solche. die ohne Rede, wortlos (ä)' oy o �) sind. Daß dies der Fall ist, zeigt sich schon in ßT. 3 derselben fünften Homilie, die so beginnt: "Und einst haue Mose gesagt: Ich bin doch a).oyo�" (griechisch im lateinischen Text). Hieronymus erklärt, dieses Wort könne genau (proprie) mit "ohne Rede und Vernunft" übersetzt werden, obwohl der Lateiner es anders ausgedrückt habe. (Dieses aUter latinus expresseri! versteht S. offenbar als einen Potentialis und übersetzt: "auf Latein muß man das zwar etwas anders wiedergeben" [So 95]. Hieronymus dürfte hier aber nicht allgemein gesprochen, sondern an die aitlateinische Bibel, also die Vorgängerin seiner Vulgata gedacht haben.) Daß Origenes den Mose als nicht nur der Redefähigkeit, sondern auch der Vernunft ermangelnd bezeichnet haben sollte. kommt mir sehr unwahrscheinlich vor; deshalb würde ich diese Ausführungen. die sich aus dem Doppelausdruck ..Rede und Vernunft" ergeben, dem Hierony· mus zuschreiben. Ähnlich dUrfte es in horn. 19.5 sein, wo Hieronymus zuerst von der Suche nach dem Sinn (sensus) der Heiligen Schriften spricht und dann versichert. innerlich (imrinsecus) hätten sie veritatis sermonem alque rationem. Im Griechischen hat sicher nur )'6yo� a).TJOEi.a� gestanden; deshalb muß man in der Übersetzung wohl eher auf die Wiedergabe von ratio als auf die von veritos verzichten; ich würde mich also gegen "das Wort und die Vernunft" (S. 221) für "das Wort der Wahrheit" entscheiden. Während Rauer sogar noch in seiner zweiten Auflage der Lukas·Homilien (GCS 49 IBertin 1959]) rund 250 Fragmente zum Lukas·Evangelium bietet, haben sich die Herausgeber und Übersetzer der Lukas·Homilien in der Reihe der Sources ChnStiennes (Bd. 87 [Paris 1962]), nämlich H. Crouzel, F. Foumier und P. Perichon entschieden, nur 91 Fragmente auszuwählen; S. folgt ihnen, da j a die Fontes Christiani den Text der Sources Chr�tiennes übernehmen. Die Auswahlkriterien sind allerdings ein bißchen widersprüchlich; es soll hier geboten werden. was inhaltlich über den lateinischen Text des Hieronymus hinausgeht. was aber andererseits echtes Gut des Origenes zu sein scheint. Was über Hieronymus hinausgeht. hat ihm wohl nicht vorgelegen, hat also wohl nicht
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zu den Homilien gehört; wenn es dem Origenes gehören soll, kann es höchstens aus seinem verlorenen Kommentar zum Lukas-Evangelium stammen, der noch nach dem Mattäus-Kommentar verfaßt ist. während die Lukas-Homilien älter sind. Man muß also mit unterschiedlicher Betrachtungsweise rechen, außerdem damit. daß die Katenisten die Origenes-Texte zusammengefaßt und gekürzt haben. Mir scheint. daß alle Erklärungen, die, gewissermaßen ohne Einschrän kung, einfachhin erklären, mit diesem biblischen Ausdruck sei dies oder jenes, dieser oder jener gemeint, so nicht von Origenes stammen. der ja immer eine gewisse Vorsicht walten läßt, sondern von den späteren Katenisten. die klare Aussagen haben wollten (vgl. z. B . frgm. 7 1 ). Andererseits sind natürlich die Fragmente besonders interessant. weil sie selbst nach Verknappung durch die Katenisten doch immer noch die Wortwahl des Origenes erkennen lassen und dort, wo kein Späterer eingegriffen hat, auch noch seinen Gedankengang. ja sogar seinen Stil. Und damit ergibt sich eine, wie mir scheint, entscheidende Frage fUr die Beurteilung der Übersetzung: Wie weit muß sie sich an die Wörter und Reihenfolge des griechischer Textes halten'? Natürlich läßt die alte Regel: ..So wörtlich wie möglich und nur so frei wie nötig" immer noch viel Ermes sensspielraum. Frgm. I übersetzt S. so: .Lukas hat allen Grund, sich in seinem Vorwort zu rechtfertigen. denn für ihn, der doch ein Mensch war. war es ein maßlose Unterfangen, Gottes Lehre und Worte aufzuschreiben". Das ist zwei felsohne gutes und verständliches Deutsch. Wenn man Origenes so wörtlich wie möglich wiedergibt, lautet das so: ,,Da das ein Obers Maß hinausgehendes Vorhaben war. daß einer als Mensch Gottes Lehre und Worte aufschreibt, rechtfertigt er sich angemessen im Vorwort". Das ist doch wohl auch verständ liches Deutsch! 1m selbenJrgm. t nennt Origenes "tol"; "tö)v alQE"tLxci>v JtaiÖa<;; in der Übersetzung erscheinen nur noch ..die Häretiker", nicht ..die Kinder (oder Schüler) der Häretiker"; das Wort naiÖa<; hätte Origenes ja auch selber weglas sen können, wenn er gewollt hätte. Man wundert sich, daß weder Rauer noch die französischen Herausgeber den Fehler im Zitat von Lk 1 , 2 korrigiert haben; es darf da natürlich nicht heißen: ..wie euch (u�iv) die Augenzeugen ... überliefert haben" (S. 396), sondern: "wie uns (T)�tv) die Augenzeugen ... überliefert haben". Wenn (der Evangelist) Johannes wirklich die "Evangelien ... , die sich nicht an die Wahrheit hallen. ... beseitig(" hätte (frgm. 4, S. 399), hätte es zur Zeit des Origenes keine mehr gegeben und deshalb keiner Unterscheidung mehr bedurft; deshalb wird man das xa"taQyijoaL besser mit "verwerfen" oder "ablehnen" übersetzen. lnfrgm. S c folgt S. den französischen Übersetzern, die auch schon das Maskulinum "tov EnQWE"tOV als Neutrum aufgefaßt haben; Origenes schreibt es allein Gou zu, den Lobenswerten zu loben und Ober den Tadelnswer ten angemessen zu richten, spricht also von Menschen, nicht vor Sachen. Natürlich ist es nicht falsch, das griechische Neutrum "to 6ELoV einfach mit .Gou' zu übersetzen (zweimal imJrgm. 5 b, S. 399), aber es geht dabei doch eine an dieser Stelle vielleicht gar kennzeichnende Einzelheit des Textes verloren; die französische Übersetzung sagt wenigstens ,divinit6'. Natürlich ist mit dem, •
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was im Gegensatz zur irrigen Meinung" (1tUtAQ"'ltlfVTJ öo;a) als "beständig" " oder "nicht irrend" (c:in:Aavtl�) bezeichnet wird. "die Wahrheit" gemeint (S. 399. wie die französische Übersetzung), aber der den Text prägende Gegensatz von
(bt).avit� und nUtAavllllEVll gehl so verloren. Natürlich ist der Sino getroffen, wenn man sagt. daß "das Kommen des Heilandes . uns alle Güter gebracht hat" .
(jrgm.
_
7b, S. 401, wie französische Übersetzung), aber die Farbigkeit des
griechischen Textes, der die
tmlhw.i.a
des Heilandes als die "Gastgeberin"
(1tQ6SEVO�) aller Güter bezeichnet, verblaßt. Zujrgm. 10 übernimmt S
.•
allerdings ganz ohne Stellenaogabe. die Erklärung
der französischen Ausgabe. die Gegenüberstellung von .,stimme"
(cpwviJ) und
"Wort" ().oyos) sei, vor allem wenn Erstere ohne Artikel erscheint. für Origenes typisch; ich finde aber unter dem Dutzend Stellen mit q,WvT] in den Lukas·Frag· menlen nur zwei ohne Artikel. Mir scheint auch. daß Origenes keineswegs den Vorläufer als ..die
Stimme des Wortes" bezeichnen will; wenn ich den Text
herauszugeben hätte. würde ich für den Artikel also:
6 das Femininum � konjizieren.
'ri JtQ6bQollo� 'toü )"6you q,wv';. so daß da Johannes bezeichnet wUrde als
..die Stimme. die dem Wort voranläuft". 1m ersten Satz des Fragmentes ist nämlich gesagt. daß die Stimme auf den Logos hindeutet
(OElKvUO» , und im letzten. daß man die Stimme ins Ohr hineinlassen muß (ho'titEo9al), damit der Verstand das Wort aufnehmen kann, auf das sie hindeutet
Frgm. 2 1 b
lobt den Ausdruck .,Frucht deines Schoßes" (Lk
1,42),
den
Elisabeth gebraucht, weil so deutlich werde, daß dieses Kind nicht von einem Mann stammt. sondern allein von Maria; das Fragment selbst läßt das Posses· sivpronomen ..deines" aber aus, offensichtlich weil es den Genetiv "der Jung· frau" auf die .Frucht des Schoßes" bezieht. Während die französische Oberset· •
zung einfach das ..deines" einschiebt. übersetzt S.: ..... nennt Elisabeth das Kind im Schoße der Jungfrau .Frucht des Leibes'''; aber so geht der eigentliche Sinn verloren ; man mUßte vielleicht sagen: sie "nennt das noch ungeborene Kind ,Frucht des Schoßes' der Jungfrau". Frgm.
24 verwendet das seltene Medium ItLO"tEuoao9al, das man doch wohl
vom Aktiv ebenso unterscheiden muß wie vom gleich darauf verwendeten Passiv; ich würde also etwa übersetzen: "Die Jungfrau ... eilte zu Elisabcth, um ... zu sehen und sich zu ilberzeugen von dem, was der Engel verkündet hatte",
Frgm. 26 legt der Jungfrau Maria, einen Vers des Magnifikat paraphrasierend, unter anderem die Worte in den Mund: N ii v ano yf)�
EtA; oUQavov J.1E'taßalvw.
was S. mit ,Jetzt aber steige ich von der Erde zum Himmel empor" wiedergibt. Das scheint mir aber nicht gemeint zu sein;jrgm. 42c sagt nämlich vom Heiland, daß er "den Himmel mit der Erde verbindet und die Erde zum Himmel macht durch die Lehre der Frohen Botschaft". Deshalb muß man wohl auch in frgm.
25
übersetzen: ..Ich gehe über von der Erde zum Himmel" , wenn dies auch an
dieser Stelle zunächst unverständlich bleibt.
Frgm. 39
erklärt den Ausdruck "in den Höhen" im Engelsgesang (Lk 2, 14)
damit. daß dem Christus die höchste aller Ehren (b6!;a) emporgesendet werden
(avanEllnEoSOl) muß: denn
niemandes auf Erden Sache sei es, den Lobpreis
Forsc:hungsberic:hte
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(ÖO;OAOYi.O) über den Abstieg des Höchsten emporzusenden (avrutEflJ'tttv); die Mächte in der Höhe vermöchten dies kaum, würden aber selbst noch mehr erhöht, da sie den Höchsten besingen (aVUIJVEI.V ). (nur) die höchsten von allen Mächten aber könnten irgend wie den Christus lobpreisen (UflVOAOyT)OOL). S. übersetzt avaJ'tEIJJ'tEoßm mit "erweisen'" avaJ'tEIJJ'tELV mit .rühmen" (S. 425); den Sinn trifft das, aber der Zusammenhang des Ausdrucks geht verloren. Schon Justin hatte in seiner ersten Apologie (56.3) gesagt., der Vorsteher (der Euchari· stiefeier) sende dem Vater des Alls Lobpreis und Ehre empor (avaJ'tEJ.l1tEL). Origenes selbst sagt im Johannes-Kommentar (28, 6, 42), Jesus selber sende statt Gebet Danksagung empor (aV01tEIJ1tEL). und im Mattäus·Kommentar (16. 29 [GCS X, 574.29fl) spricht er von dem mit Verständnis (tmOnlll'l) emporgesen deten Gehet, ja er erklärt ausdrücklich (ebd. 14,3; S. 279,20). nur von dem. der vollendet ist, werde das Gebet (EUxT) emporgesendet. Das Wort ..emporsenden" erscheint bis heute nicht nur als Beschreibung des liturgischen Gebetes (wie bei Justin). sondern in den liturgischen Texten selbst. Dies dürfte auch schon zur Zeit des Origenes so gewesen sein; dann ist dieses frgm. 39 a. b entweder eine scharfe Kritik an den liturgischen Gebetstexten oder doch wenigstens eine eindringliche Mahnung zur Demut, die sich an alle Gottesdienstteilnehmer. besonders den Liturgen richtet. Frgm. 44 spricht von der Stadt Jerusalem. deren Erlösung erwartet wurde (Lk 2.38); aber mit ihr werden wohl nicht alle identifiziert. "die in Gottesfurcht und in der Erkenntnis der Heiligen Schrift ihr Leben verbringen" (so S. 43 1), sondern nur die. welche sich durch Gottesverehrung (h 9EOOEßElQ) und Kenntnis der Schriften (h yvOOOEI. YQa$wv) auszeichnen (öl.onQlbtELV). Die Übersetzung von frgm. 49 ..Was für Worte bewahrte die Jungfrau? Die des Engels? Die der Hirten? Die Simeons und Hannas? Oder die Worte, die der Herr selber jetzt zu ihnen sprach?" macht zwar diesen Text äußerst lebendig, verschiebt aber durch die Fragezeichen und das ..oder" seinen Sinn; Origenes versichert. daß die Jungfrau alle diese Worte (J'tota .. Tl 50a) bewahrte. Frgm. 62 (2. Abschniu) sagt wohl nicht. Jesus sei .,zum Land der Gerasener herabgestiegen und ... auf die Erde herausgekommen" (S. 445), sondern Jesus sei zu Schiff zum Land der Gerasener gefahren (xa"tanAEt) und dort an Land gegangen (E:;El.OLV ... tJ'tl n;v yf'tv). Wichtiger ist aber die Frage, ob das Fragment in dem Besessenen (Lk 8,26 ff) wirklich ..die Natur eines Menschen des äußeren Israel" dargestellt findet. Man kann den Ausdruck tiIv av8Qumou 4>UOl.V "toD E;W 'IoQaTJA aber und sollte ihn hier wohl auch mit ..die Natur des Menschen außerhalb von Israel" wiedergeben. Wenn ich richtig sehe, spriCht Origenes nämlich. natürlich im Anschluß an Paulus, zwar vom inneren und äußeren Menschen und vom Israel dem Fleische nach und dem Israel dem Geiste nach. aber nie vom inneren oder äußeren Israel. So wäre hier eine Aussage über den ..bloß natürlichen" Menschen gemacht, der von keinem ..Gewand" (des Heiles) bekleidet ist. In frgm . 63 (2. Abschnitt, S. 448 Z. 29f) bietet der Text wörtlich übersetzt : ..daß wir im Vergleich mit den Gewandsäumen (xQa01tEÖwv) an ihm (nur) einen •
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Gewandsaum berührt haben"; das kann SO nicht stimmen. S. übersetzt sicher richtig und sehr elegant: "daß wir vergleichsweise nur ein Stück vom Saum seines Gewandes berührt haben" (S. 449). Offensichtlich ist der Plural xgoonEÖwv. der unmittelbar vor xQaonEöou steht, zu streichen; er ist wohl durch Doppelschreibung zustande gekommen und hat entweder ein dorthin gehörendes aya8Ü>v verdrängt oder sich in den Tex.t eingeschoben. Es ist also zu übersetzen: "daß wir im Vergleich zu dem, was in ihm ist (oder: den GUtem in ihm), nur einen Gewandsaum berührt haben". In /rgm. 72 wird der gute Teil erklärt. den Mafia erwählt hat (Lk 10,42); Jesus sagt dort ja. nur weniges oder nur eines sei nötig; bei dem 6)"i.ywv tativ ist also das XQElO zu ergänzen und nicht zu übersetzen ,Er gibt nur weniges' (S. 461), sondern: ..Weniges nur ist nötig". In der Übersetzung des bei den Markion-Anhängem gebräuchlichen Vaterun ser-Textes ('tÜV aQtov aou ... bi.öou Ti�tv) läßt die deutsche Übersetzung das Possesivpronomen "dein" weg (S. 465. frgm. 75); aber so geht der Anknilp fungspunkt rur die Polemik des Origenes verloren; er argumentiert j a damit, daß sie um das ,.Brot Gottes", also ihres noch über dem Schöpfer stehenden Gottes bitten. Dann müssen sie entweder ihre Ablehnung der Allegorese aufgeben oder zugeben, daß ..leibliches Brot" (aro�onx6c; agtoc;), also etwas Materielles, vom guten Gott stammt. In beiden Fällen ist ihre Ablehnung des Gottes des Alten Testamentes als unberechtigt entlarvt. In frgm. 77 ist das Satzglied .,und findet sie nicht", nämlich die Ruhestätte, die der unreine Geist sucht (Lk 1 1 , 24 ft), in der Übersetzung (5. 467) verloren gegangen; ebenso das "für sie" in der Aussage, die letzten Dinge seien schlim mer als die ersten. Beifrgm. 79 möchte man eine Textkorrektur anbringen; in Z. 1 1 steht AUXVql h q,wnt;oucrn aatQonfj. in Z. 1 3 f aber: AUXVq> h am:Qonfj q,w'ut;oucrn; eine Leuchte, die durch (ihren) Glanz erleuchtet. ist eher verständlich als eine Lampe im erleuchtenden Glanz; voll verständlich wird mir das Fragment aber auch dann noch nicht. Der letzte Satz von Jrgm. 85 richtet sich gegen die Lehren "derer draußen", also derer. die außerhalb der Kirche stehen. nicht nur gegen ,,Lehren von draußen" (S. 485). Diese Lehren sind nicht nahrhaft (atQom) und können nicht 'to XWQT)'tl.XOV xai. ava.öouxOv tOOV AOytXOOV 'tQooov fOlien. Das hatte die französische Ausgabe so wiedergegeben: ..ne peuvent pas rem pi ir J'estomac et ne sont pas digestibles, comme les nourritures spirituelles" (S. 543). S. folgt ihr und übersetzt: ..... füllen, anders als die geistlichen Speisen, nicht den Magen und sind unverdaulich" (S. 485). Gemeint ist aber offenbar ein geistiges Organ. welches "die geistigen Speisen aufnimmt (xwQT)tlxov) und wieder hervorbringt (oder wiedergibt: ava.öOtlxOV)"; dieses Organ des Menschen wird nur von der Lehre der Kirche gefUllt; der Gedanke, daß dieses Organ auch dazu bestimmt ist, dieselbe kirchliche Lehre wiederzugeben (avaÖOtlxoV) und sei es nur in der schlichten Fonn der sicher auch schon dem Origenes vertrauten redditio symboli scheint mir wichtig, geht aber bei S. so unter wie bei den Franzosen. -
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Frgm. 87 wird unterschieden zwischen dem Glauben, der aus dem Ecf �f.1tv kommt, und der Gnadengabe (XO:QLOIlU) des Glaubens, welche Gott den Men· sehen dazugibt, so daß nur dem, der hat, gegeben wird (vgl. Lk 19, 26). Das E<J>' tillLv ist, wie sich vor allem im Mattäus·Kommentar ( 1 3 , 26 [GCS X, 250, 25 ff) zeigt, das innere geistige Entscheidungsvermögen des Menschen, das sich mit dem �YE�o..x6v (ebd. 13, 18 und 14, 5. 1 1 [226, 27; 282, 29; 302, 22]), wohl auch mit dem XWQTt'tu<.Ov xai avaöonx6v vonjrgm. 85 verg leichen läßt, nicht nur das .,Maß seiner Möglichkeiten" (5. 485), wie S. im Anschluß an das französische .,pour autant que cela est en notee pouvoir" übersetzt; so wird sowohl ein Kennzeichen der Anthropologie des Origenes eingeebnet als auch die Andeutung seiner leicht synergistischen, aber nie (vor-)pelagianischen Gna· denlehre verwischt. Insgesamt verlockt der auch optisch schön präsentierte Text zu weiteren Untersuchungen; besonders der lateinische Text des Hieronymus, auf den ich hier nur einige Hinweise geben konnle. ließe sich mit Hilfe des Wörterverzeich· nisses am Ende des zweiten Bandes noch mit verschiedenen Fragestellungen untersuchen; da würde sich sogar die Vergabe von Seminar- oder Diplomarbeiten bei Patristikern und Altphilologen empfehlen.
Fontes Christiani. Zweisprachige Neuausgabe christlicher Quellentexte aus Altertum und Mittelalter. Hrsg. v. Norbert Brox, Wilhelm Geerlings, Gisbert Greshake. Rainer Iigner, Rudolf Schicffer. Freiburg: Herder 1990ft. Origenes, Commelllarii in Epislulam ad Romanos. Liber quilllus, Liber sex/uso RömerbrietKommentar. Erstes und zweitcs Buch (Fontes Christiani 2/3). Obers. und eingel. von Theresia Heither, 1993, 340 S. Th. Heither schickt auch dem Text der Bücher 5 und 6 ca. 20 S. Einleitung voraus. Zum Text bemerkt sie folgendes: Während Origenes (wie im Jo.) im Verlauf sozusagen schneller erklärt. also mehr Verse in einem Buch behandelt, hat Rufin in seiner lateinischen Bearbeitung immer weniger gekürzt, "wie Bammel's Übersichl zeigt" (5. 6; nämlich C.P. Hammond-Bammel, Der Römer brieftext des Rufin und seine Origencs·Obersetzung. Freiburg 1985. 59). Zum Inhah Slellt Th. Heither die wichtigste Thematik heraus, nämlich ..Adam und Christus", ..Die Erlösungstal Christi", ,.Die zwei ehelichen Verbindungen " und ..Vom Fleisch zum Geist". Besonderen Nachdruck legl sie auf das drine Thema; wie Röm 7.1-6 in der Mille des Römerbriefes, siehe ,.dieser Abschnill auch in der Mitte der Erklärung des Origenes", ja ..in der Mitte seiner gesamten Theo· logic" (5. 22) .Die Religion des AT als eheliches Verhältnis mit dem Gesetz zu beschreiben bedeutel. sie sehr hoch einzuschätzen" (ebd.); aber ..der Glaube an Chrislus stellt eine tiefere GOllesbeziehung dar"; "das Volk sollte nach der zweiten Ehe verlangen und sich an den Geist des Gesetzes binden" (S. 24). Auch dieser Band bietet am Ende sieben Seiten Quellen und Literatur, ein BibelsteI· lenregister und Verzeichnis der biblischen Namen, Personen, Begriffe und .
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Sachen. Obwohl dies im Titel nicht eigens hervorgehoben wird, erkJärt Th. Heither einzelne TextsteIlen in insgesamt 205 Fußnoten bzw. verweist darin auf Parallelstellen und Literatur; das Personenregister zeigt� auf wen sie siebjeweils beruft. Häufig stützt sie ihre Übersetzung durch Hinweise auf griechisch erhal· teoe Fragmente ab. [m übrigen versucht sie mit vollem Recht nicht, den griechi schen Text des Origenes zu rekonslruieren, sondern übersetzt den lateinischen Text des Rufin. Trotzdem wäre vielleicht hie und da ein Blick auf den griechi schen Paulustext. der hier erklärt wird. hilfreich. Man möchte sich z.B. wundern, daß Origenes einen großen Unterschied findet zwischen derjornUJ doctrinae und der doclrina einfachhin (S. 208 f) und schließlich gar erklärt. letztere sei der Vollendung vorbehalten. während wir in dieser Weltzeit nur ihre formo. haben. da wir ja jetzt nur ..durch einen Spiegel und im Rätsel" ( 1 Kor 13. 12) sehen. Wenn man aber nachschaut und in Röm 6, 17 nicht etwa morphe didaches findet, was man ja vom lateinischen Wort forma her vennuten könnte. sondern typon didaches. versteht man, warum Origenes da die Vorläufigkeit so betont; der Ausdruck typos gebietet das geradezu. Wo Origenes im selben Zusammenhang dieses Leben durch formam alque umbram gekennzeichnet sieht, wäre wohl ein Hinweis auf Hebr 8.5 angezeigt. wo skia (Schatten) zwar mit hypodeigma verbunden wird, aber sofort danach das Wort rypos erscheint. NatUrlich verdienten auch viele andere Einzelauslegungen des Origenes, hier hervorgehoben zu werden; es sei wenigstens auf jene Bemerkung in Buch 5, 10 zu Röm 6, 10f verwiesen. wonach Lucifer. "der ohne Tadel war von seiner Entstehung an", "zu Fall kommen konnte", weil er noch nicht gefesselt war durch ..die Liebe zu allem. was der Sohn Gottes fUr ihn getan halte". ..Nachher aber. nachdem Gott angefangen hat. seine Liebe auszugießen in die Herzen aller da wird gewiß Geltung haben. was der Apostel verkündet hat, daß nämlich .die Liebe niemals zu Fall kommt' (I Kor 13, 8)" (S. 187). Daß dieser Gedanke von Origenes stammt, wird auch dadurch bestätigt. daß der Text anschließend. wie es fUr Origenes typisch ist. erklärt. hier so wie wir es vermochten" Stellung genommen zu haben. Das ist aber keine Nebensache; vielmehr ist. wenn das gilt. der Behauptung, Origenes habe mit einem neuen Fall nach der Wiedereinsetzung der geschaffenen Wesen in ihre ursprüngliche Herrlichkeit gerechnet (wofür er verurteilt wurde), endgültig der Boden entzogen. ...•
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